UWG: Band 3 §§ 8-20; § 23 GeschGehG; Register [3rd edition] 9783110545968, 9783110545555

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UWG: Band 3 §§ 8-20; § 23 GeschGehG; Register [3rd edition]
 9783110545968, 9783110545555

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Großkommentare der Praxis

UWG

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Großkommentar 3., neu bearbeitete Auflage begründet von Rainer Jacobs, Walter F. Lindacher, Otto Teplitzky herausgegeben von Karl-Nikolaus Peifer Dritter Band §§ 8–20, § 23 GeschGehG; Register Bearbeiter: §§ 8–8c: Franz Hofmann § 9: Benjamin Raue § 10: Dörte Poelzig § 11: Guido Toussaint Vor §§ 12–15a Abschnitt A: Jan Ebersohl/Jörn Feddersen/Marcus Grosch/Nadine Herrmann Vor §§ 12–15a Abschnitt B: Nadine Herrmann § 12 Abschnitt A: Emil Schwippert § 12 Abschnitt B: Jörn Feddersen § 12 Abschnitt C: Jan Ebersohl §§ 13, 13a: Jörn Feddersen § 14: Mark Lerach § 15: Marc Zain/Wolfgang Nippe § 15a: Jörn Feddersen/Franz Hofmann §§ 16–20; § 23 GeschGehG: Martin Paul Waßmer

Stand der Bearbeitung: Mai 2021 Zitiervorschlag: z. B.: GK-UWG/Raue § 9 Rn. 5

ISBN 978-3-11-054555-5 e-ISBN (E-Book) 978-3-11-054596-8 e-ISBN (E-Pub) 978-3-11-054967-6 Library of Congress Control Number: 2020942598 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Datenkonvertierung/Satz: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Druck und Bindung: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza www.degruyter.com

Inhaltsverzeichnis Verzeichnis der Bearbeiter der 3. Auflage XIV XV Abkürzungsverzeichnis XXVII Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur Kapitel 2 Rechtsfolgen

1

§ 8 Beseitigung und Unterlassung

1

1 Schrifttum zu § 8 bis § 8b 11 Einführung 14 I. Entstehungsgeschichte 17 II. Inhalt und Zweck der Regelung 19 III. Anwendungsbereich 21 B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1) 21 I. Systematik 21 II. Gesetzlicher Unterlassungsanspruch (Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 und Satz 2) 73 III. Vertraglicher Unterlassungsanspruch 79 IV. Beseitigungsanspruch (Absatz 1 Satz 1 Alt. 1) 90 C. Schuldner der Abwehransprüche 90 I. Übersicht 92 II. Täter 121 III. Teilnehmer (Anstifter und Gehilfen) 123 IV. Haftung für Mitarbeiter und Beauftragte (Absatz 2) 134 V. Organ- und Repräsentantenhaftung 137 VI. Haftung für Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfen 138 VII. Mehrheit von Schuldnern 139 VIII. Rechtsnachfolge 141 D. Gläubiger der Abwehransprüche (Absatz 3) 141 I. Allgemeines 151 II. Mitbewerber (§ 8 Abs. 3 Nr. 1) 154 III. Wirtschaftsverbände (§ 8 Abs. 3 Nr. 2) 160 IV. Verbraucherverbände (§ 8 Abs. 3 Nr. 3) 168 V. Berufsständische Körperschaften und Gewerkschaften (§ 8 Abs. 3 Nr. 4) 169 E. Spezieller Auskunftsanspruch (Absatz 5) 169 I. Allgemeines 170 II. Wortlaut des § 13 UKlaG

A.

§ 8a Anspruchsberechtigte bei einem Verstoß gegen die Verordnung (EU) 2019/1150 171 A. Einführung B. Aktivlegitimation von Verbänden und öffentlichen Stellen nach 172 P2B-Verordnung § 8b Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände

174

174 A. Einführung 175 B. Qualifizierte Wirtschaftsverbände I. Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände des Bundesamts für Justiz 175 (Abs. 1) V

171

Inhaltsverzeichnis

II. III.

Eintragungsvoraussetzungen (Abs. 2) 175 Anwendung bestimmter Normen des UKlaG (Abs. 3)

182

§ 8c Verbot der missbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen; Haftung

185

185 Schrifttum 186 Einführung I. Vor- und Nachteile außergerichtlicher Rechtsdurchsetzung über „Abmahnun187 gen“ 187 II. „Stellschrauben“ zur Begrenzung von Missbrauch 188 III. Normzweck des Missbrauchstatbestandes 189 IV. Entwicklung 190 B. Missbräuchliche Geltendmachung von Abwehransprüchen 190 I. Anwendungsbereich 191 II. Rechtsnatur 192 III. Rechtsfolgen des Missbrauchs 193 IV. Fallgruppen 201 V. Gegenansprüche 202 C. Prozessuales und Beweislast 202 D. Sonstige Einwände gegen die Rechtsdurchsetzung 202 I. Materiell-rechtliche Einwendungen im engeren und im weiteren Sinne 203 II. Verwirkung A.

§ 9 Schadensersatz

209

209 Schrifttum 210 Einführung 212 I. Entstehungsgeschichte 213 II. Bedeutung und Funktionen 215 III. Unionsrechtliche Vorgaben und Einflüsse 217 IV. Rechtsnatur und systematische Verortung 217 V. Konkurrenzen 221 B. Schadensersatzanspruch (Satz 1) 221 I. Tatbestandsvoraussetzungen 229 II. Gläubiger und Schuldner 236 III. Inhalt und Umfang 249 IV. Dreifache Schadensberechnung 249 Schrifttum 270 V. Mitverschulden 271 C. Presseprivileg (Satz 2) 271 Schrifttum 272 I. Normzweck und Rechtsentwicklung 272 II. Anwendungsbereich und Reichweite 273 III. Darlegungs- und Beweislast 274 D. Bereicherungsanspruch 274 Schrifttum 274 I. Anwendungsbereich und Grundsätzliches 275 II. Voraussetzungen 278 III. Inhalt und Umfang 282 IV. Haftung mehrerer und Mitverschulden 282 V. Konkurrenzen und Verjährung 282 E. Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag A.

VI

Inhaltsverzeichnis

F.

Ansprüche auf Auskunft, Rechnungslegung und Besichtigung 283 283 Schrifttum 284 I. Grundsätzliches 286 II. Tatbestand III. Inhalt und Umfang der Auskunfts- und Rechnungslegungspflicht 307 IV. Durchsetzung 307 V. Verjährung 308 VI. Anspruch auf Besichtigung (§ 809 BGB)

§ 10 Gewinnabschöpfung

300

310

310 Schrifttum 316 Alphabetisches Stichwortverzeichnis 317 A. Grundlagen 317 I. Entstehungsgeschichte 321 II. Kollektive Rechtsdurchsetzung bei Streuschäden 335 III. Zweck der Regelung 338 IV. Rechtspolitische Diskussion 349 V. Rechtsvergleichender Überblick 353 VI. Rechtsnatur des Gewinnabschöpfungsanspruchs 359 B. Anspruchsvoraussetzungen 359 I. Vorsätzliches Fehlverhalten 363 II. Gewinnerzielung zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern 375 C. Rechtsfolgen 375 I. Passivlegitimation 377 II. Aktivlegitimation 381 III. Abschöpfung von Gewinnen zugunsten des Bundeshaushalts 384 IV. Anrechnung anderer Leistungen 389 D. Durchsetzung und Verfahren 389 I. Zulässigkeit der Klage 396 II. Beweis 405 III. Wirkung des Urteils 405 IV. Follow-on-Klagen 406 V. Verjährung 407 E. Internationalrechtliche Fragen 407 I. Internationales Verfahrensrecht 408 II. Internationales Privatrecht 409 III. Anerkennung und Vollstreckbarkeit ausländischer Urteile § 11 Verjährung

410

410 Schrifttum 411 Einführung 412 I. Entstehungsgeschichte 414 II. Zweck der Verjährung 415 III. Bedeutung und Systematik der Vorschrift 417 IV. Anwendungsbereich 430 B. Einzelheiten 430 I. Regelmäßige Verjährung (Absätze 1, 2) 442 II. Verjährungshöchstfristen (Absätze 3, 4) 442 III. Einwirkung auf den Lauf der Verjährung 453 IV. Rechtsfolgen der Verjährung

A.

VII

Inhaltsverzeichnis

C.

Verfahrensrechtliches 455 I. Prozessuale Behandlung der Verjährung 457 II. Darlegungs- und Beweislast

Kapitel 3 Verfahrensvorschriften

455

459

Vorbemerkungen zu §§ 12–15a

459

459 Besonderheiten des Klageverfahrens 459 I. Gerichtsbarkeit und Rechtsweg 459 Schrifttum II. Insbesondere: Das Rechtsschutzbedürfnis für die Unterlassungsklage 477 Schrifttum 489 III. Unterlassungsklage 489 Schrifttum 596 IV. Anderweitige Rechtshängigkeit und Klageänderung 596 Schrifttum 616 V. Besondere Klagearten 616 Schrifttum 641 VI. Beweis und Beweislast 641 Schrifttum 667 VII. Verfahrensunterbrechungen 667 Schrifttum 677 VIII. Rechtskraft 677 Schrifttum 708 IX. Erledigung der Hauptsache 708 Schrifttum 723 X. Kosten 723 Schrifttum 738 XI. Vergleich 738 Schrifttum 755 XII. Zwangsvollstreckung 755 Schrifttum 820 B. Aufbrauchfrist 820 Schrifttum 820 I. Einführung 822 II. Rechtsgrundlage 828 III. Voraussetzungen 831 IV. Rechtsfolgen 831 V. Dauer 832 VI. Prozessuale Behandlung A.

§ 12 Einstweiliger Rechtsschutz, Veröffentlichungsbefugnis, Streitwertminderung

A.

836 Schrifttum Einstweilige Verfügung, Abschlusserklärung und Abschlussschreiben 846 I. Einleitung 847 II. Zuständigkeit 852 III. Inadäquater Verfügungsanspruch 858 IV. Verfügungsgrund 894 V. Das Gerichtsverfahren

477

836

841

VIII

Inhaltsverzeichnis

VI. Anordnung der Klageerhebung (§ 926 ZPO) 939 949 VII. Der Aufhebungsantrag (§ 927 ZPO) 960 VIII. Das Abschlussschreiben 969 IX. Die Abschlusserklärung 976 X. Die Vollziehung der einstweiligen Verfügung 997 XI. Schadensersatz nach § 945 ZPO XII. Die Zwangsvollstreckung aus der einstweiligen Verfügung 1016 XIII. Die Rechtskraft der einstweiligen Verfügung 1019 B. Urteilsveröffentlichung (§ 12 Abs. 2) 1019 Schrifttum 1019 Alphabetisches Stichwortverzeichnis 1020 I. Einleitung 1027 II. Tatbestandsvoraussetzungen 1033 III. Art und Umfang der Bekanntmachung 1036 IV. Veröffentlichungsfrist 1037 V. Kosten und Vollstreckung 1038 C. Streitwert und Streitwertbegünstigung, § 12 Abs. 3 u. 4 1038 Schrifttum 1039 I. Der volle Streitwert 1066 II. Streitwertbegünstigung § 13 Abmahnung; Unterlassungsverpflichtung; Haftung 1076 Schrifttum Alphabetisches Stichwortverzeichnis 1088 I. Abmahnung 1153 II. Unterwerfung § 13a Vertragsstrafe

1076

1084

1203

1203 Schrifttum 1205 Alphabetisches Stichwortverzeichnis 1206 I. Allgemeines 1209 II. Verwirkung der Vertragsstrafe 1216 III. Höhe der Vertragsstrafe IV. Ausschluss der Vertragsstrafe (§ 13a Abs. 2) 1221 V. Rechtsmissbrauch 1223 VI. Verjährung 1224 VII. Verhältnis zu weiteren Sanktionen

1221

§ 14 Sachliche und örtliche Zuständigkeit; Verordnungsermächtigung A.

IX

1012

1227

1227 Sachliche Zuständigkeit, Abs. 1 1228 Schrifttum 1229 Alphabetisches Stichwortverzeichnis 1230 I. Entstehungsgeschichte 1234 II. Inhalt und Zweck der Regelung 1236 III. Anwendungsbereich 1244 IV. Prüfung der Zuständigkeitsvoraussetzungen 1246 V. Besondere Verfahrensarten VI. Zuständigkeit der Kammern für Handelssachen, § 13 Abs. 1 S. 2 a. F.

1249

Inhaltsverzeichnis

B. Örtliche Zuständigkeit, Abs. 2 1257 1257 Schrifttum 1259 Alphabetisches Stichwortverzeichnis 1260 I. Entstehungsgeschichte 1275 II. Inhalt und Zweck der Regelung 1277 III. Verfahrensfragen 1288 IV. Klagen auf Grund dieses Gesetzes 1288 V. Allgemeiner Gerichtsstand des Beklagten, § 14 Abs. 2 S. 1 1291 VI. Gerichtsstand der Niederlassung 1295 VII. Gerichtsstand des Begehungsorts, § 14 Abs. 2 S. 2 1317 VIII. Beschränkungen des Gerichtsstands des Begehungsorts 1323 C. Konzentrationsermächtigung, Abs. 3 § 15 Einigungsstellen

A.

B.

C.

D.

E.

F.

G.

H.

1325

1326 Schrifttum 1329 Alphabetisches Stichwortverzeichnis 1331 Einführung 1331 I. Entstehungsgeschichte 1332 II. Inhalt und Zweck der Regelung 1333 III. Anwendungsbereich 1334 Allgemeines zu Einigungsstellen 1334 I. Historische Entwicklung 1340 II. Rechtsquellen 1343 III. Status und Wesen der Einigungsstellen 1344 IV. Abgrenzung der Einigungsstellen 1348 V. Vorzüge und Nachteile der Einigungsstellen, Kritik 1353 Errichtung und Geschäftsführung, Aufsicht und Amtshaftung 1353 I. Errichtung der Einigungsstellen 1354 II. Geschäftsführung der Einigungsstellen 1355 III. Aufsicht über die Einigungsstellen 1356 IV. Amtshaftung bei Amtspflichtverletzungen 1357 Besetzung der Einigungsstellen 1357 I. Berufung zu Mitgliedern der Einigungsstelle 1365 II. Besetzung der Einigungsstelle im konkreten Streitfall III. Ausschließung und Ablehnung von Mitgliedern der Einigungsstelle 1370 Zuständigkeit der Einigungsstelle 1370 I. Örtliche Zuständigkeit 1373 II. Sachliche Zuständigkeit 1383 Verfahren der Einigungsstelle 1383 I. Antragsbefugnis 1384 II. Antragserfordernis 1386 III. Vorprüfung 1388 IV. Vorbereitung der mündlichen Verhandlung 1396 V. Mündliche Verhandlung 1414 VI. Beendigung des Einigungsstellenverfahrens 1423 VII. Kosten des Einigungsstellenverfahrens 1436 Zwangsvollstreckung aus Einigungsstellenvergleichen 1436 I. Allgemeine Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung 1437 II. Besondere Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung 1441 Materiellrechtliche Wirkungen des Einigungsstellenverfahrens 1441 I. Keine Auswirkungen auf den geltend gemachten Anspruch

1366

X

Inhaltsverzeichnis

J.

II. Hemmung der Verjährung 1441 1448 III. Begründung eines Schuldverhältnisses 1449 Verfahrensrechtliche Wirkungen des Einigungsstellenverfahrens I. Anrufung der Einigungsstelle vor Einleitung gerichtlicher Verfahren II. Anrufung der Einigungsstelle nach Einleitung gerichtlicher Verfahren

Anhang Durchführungsverordnungen der Länder

1449 1457

1462

§ 15a Überleitungsvorschrift zum Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs

1511

1511 A. Übergangsregelung Aktivlegitimation Wirtschaftsverbände (Abs. 1) 1512 B. Überleitungsvorschrift für Abmahnung und Vertragsstrafe (§ 15a Abs. 2) Kapitel 4 Straf- und Bußgeldvorschriften § 16 Strafbare Werbung

1513

1513

1513 Schrifttum 1513 Zum Lauterkeitsstrafrecht im Allgemeinen und zu Abs. 1 1515 Zu Abs. 2 1516 Alphabetisches Stichwortverzeichnis 1517 A. Allgemeines I. Überblick zu den Straf- und Bußgeldvorschriften des UWG 1518 II. Entstehungsgeschichte 1519 III. Deliktsstruktur 1520 IV. Strafverfolgungsbehörden und Gerichte 1520 V. Praktische Bedeutung 1521 B. Strafbare irreführende Werbung nach § 16 Abs. 1 1521 I. Vergleich zu § 4 a. F. 1521 II. Schutzzweck der Norm 1521 III. Verhältnis zu §§ 5, 5a 1522 IV. Verhältnis zu § 263 StGB 1523 V. Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG) 1523 VI. Objektiver Tatbestand 1532 VII. Subjektiver Tatbestand 1536 VIII. Rechtswidrigkeit und Schuld 1537 IX. Vollendung und Beendigung 1538 X. Täterschaft und Teilnahme 1539 XI. Verjährung 1540 XII. Strafe und weitere Rechtsfolgen 1542 XIII. Konkurrenzen 1543 XIV. Zivilrechtliche Folgen 1543 XV. Strafverfolgung 1543 C. Strafbare progressive Kundenwerbung nach § 16 Abs. 2 1543 I. Schutzzweck der Norm 1544 II. Erscheinungsformen III. Strafwürdigkeit von Schneeball- und Pyramidensystemen 1549 IV. Objektiver Tatbestand 1555 V. Subjektiver Tatbestand 1556 VI. Rechtswidrigkeit und Schuld 1556 VII. Täterschaft und Teilnahme XI

1517

1548

Inhaltsverzeichnis

VIII. IX. X. XI. XII.

Verjährung 1557 Strafe und weitere Rechtsfolgen 1557 Konkurrenzen 1558 Zivilrechtliche Folgen 1558 Strafverfolgung

1557

§§ 17–19 (weggefallen, ersetzt durch § 23 GeschGehG, s. S. 1578) § 20 Bußgeldvorschriften

A.

B.

C.

D. E. F. G. H. I.

1560

1561

1561 Schrifttum 1562 Alphabetisches Stichwortverzeichnis 1563 Allgemeines 1563 I. Entstehungsgeschichte 1564 II. Schutzzweck und Gesetzessystematik 1565 III. Praktische Bedeutung 1566 Objektiver Tatbestand 1566 I. Unerlaubte Telefonwerbung (Abs. 1 Nr. 1) 1568 II. Verstöße gegen die Berichtspflicht (Abs. 1 Nr. 2) III. Verstöße gegen Pflichten aus einer Rechtsverordnung oder einer hierauf beruhen1569 den vollziehbaren Anordnung (Abs. 1 Nr. 3) 1570 Subjektiver Tatbestand; Fahrlässigkeit 1571 I. Vorsatz 1572 II. Fahrlässigkeit 1572 Rechtswidrigkeit 1573 Versuch, Vollendung und Beendigung 1573 Konkurrenzen 1574 Bußgeld und weitere Rechtsfolgen 1576 Verjährung 1576 Bußgeldverfahren

§ 23 GeschGehG Verletzung von Geschäftsgeheimnissen

1578

1581 Schrifttum 1581 Zu § 23 GeschGehG und zur RL (EU) 2016/943 (GeschGehRL) 1582 Zu §§ 17 bis 19 UWG a. F. 1587 Alphabetisches Stichwortverzeichnis 1588 A. Allgemeines 1588 I. Überblick zum GeschGehG 1594 II. Allgemeines zu § 23 GeschGehG 1597 III. Entstehungsgeschichte des § 23 GeschGehG 1598 B. Geschäftsgeheimnis 1598 I. Allgemeines II. Definition des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses i. S.d § 17 UWG a. F. III. Definition des Geschäftsgeheimnisses i. S.d § 23 GeschGehG 1599 (§ 2 Nr. 1 GeschGehG) 1612 IV. Beispiele für Geschäftsgeheimnisse 1613 C. Betriebsspionage (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG) 1614 I. Objektiver Tatbestand 1619 II. Subjektiver Tatbestand

1598

XII

Inhaltsverzeichnis

D. Eigeneröffnete Geheimnishehlerei (§ 23 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG) 1622 1622 I. Objektiver Tatbestand 1626 II. Subjektiver Tatbestand 1626 E. Geheimnisverrat durch Beschäftigte (§ 23 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG) 1626 I. Objektiver Tatbestand 1631 II. Subjektiver Tatbestand 1632 F. Fremderöffnete Geheimnishehlerei (§ 23 Abs. 2 GeschGehG) 1632 I. Objektiver Tatbestand 1633 II. Subjektiver Tatbestand 1634 G. Vorlagenfreibeuterei (§ 23 Abs. 3 GeschGehG) 1634 I. Allgemeines 1635 II. Objektiver Tatbestand 1640 III. Subjektiver Tatbestand 1641 H. Qualifikationen (§ 23 Abs. 4 GeschGehG) 1641 I. Allgemeines 1641 II. Gewerbsmäßiges Handeln (§ 23 Abs. 4 Nr. 1 GeschGehG) 1642 III. Wissen um Auslandsnutzung (§ 23 Abs. 4 Nr. 2 GeschGehG) 1642 IV. Eigennutzung im Ausland (§ 23 Abs. 4 Nr. 3 GeschGehG) 1643 I. Spezielle Erlaubnis- und Ausnahmeregelungen 1643 I. Erlaubte Handlungen (§ 3 GeschGehG) 1644 II. Ausnahmen (§ 5 GeschGehG) 1654 J. Rechtswidrigkeit 1655 I. Besondere Rechtfertigungsgründe 1655 II. Einwilligung 1655 III. Anzeige-, Auskunfts- und Aussagepflichten 1656 IV. Schuldrechtliche Auskunftsansprüche 1656 V. Rechtfertigender Notstand (§ 34 StGB) 1657 VI. Mutmaßliche Einwilligung 1657 VII. Rechtfertigende Pflichtenkollision 1657 K. Schuld 1657 L. Versuch (§ 23 Abs. 5 GeschGehG) 1658 M. Beihilfehandlungen von Medienangehörigen (§ 23 Abs. 6 GeschGehG) 1659 N. Auslandstaten (§ 23 Abs. 7 S. 1 GeschGehG) 1659 I. Allgemeines 1660 II. Auslandstaten mit besonderem Inlandsbezug 1661 III. Auslandstaten ohne besonderen Inlandsbezug 1661 O. Versuch der Beteiligung und Rücktritt (§ 23 Abs. 7 S. 2 GeschGehG) 1661 I. Allgemeines 1663 II. Versuch der Beteiligung (§ 23 Abs. 7 S. 2 GeschGehG i. V. m. § 30 StGB) 1665 III. Rücktritt vom Versuch (§ 23 Abs. 7 S. 2 GeschGehG i. V. m. § 31 StGB) P. Strafverfolgung (§ 23 Abs. 8 GeschGehG) und Geheimhaltung, Privat- und Nebenklage 1665 1665 I. Antragsdelikt (§ 23 Abs. 8 Mod. 1 GeschGehG) 1667 II. Strafverfolgung von Amts wegen (§ 23 Abs. 8 Mod. 2 GeschGehG) 1668 III. Geheimhaltung 1669 IV. Privat- und Nebenklage 1669 V. Strafverfolgungsbehörden und Gerichte 1669 Q. Konkurrenzen 1671 R. Strafe und weitere Rechtsfolgen 1672 S. Verjährung Sachregister XIII

1673

Verzeichnis der Bearbeiter der 3. Auflage Professor Dr. Tim W. Dornis, Professor an der Leuphana Universität Lüneburg Dr. Jan Ebersohl, Rechtsanwalt in München Professor Dr. Jan Eichelberger, Professor an der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover Jörn Feddersen, Richter am Bundesgerichtshof Professor Dr. Jörg Fritzsche, Professor an der Universität Regensburg Professor Dr. Jochen Glöckner, Professor an der Universität Konstanz Dr. Marcus Grosch, Rechtsanwalt in Mannheim/München Professor Dr. Axel Halfmeier, Professor an der Leuphana Universität Lüneburg Professor Dr. Christian Heinze, Professor an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Dr. Nadine Herrmann, Rechtsanwältin in Hamburg Professor Dr. Franz Hofmann, Professor an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Professor Dr. Nadine Klass, Professorin an der Universität Mannheim Dr. Mark Lerach, Richter am Landgericht Köln Professor Dr. Eva Inés Obergfell, Professorin an der Humboldt-Universität zu Berlin Professor Dr. Louis Pahlow, Professor an der Goethe-Universität Frankfurt am Main Professor Dr. Karl-Nikolaus Peifer, Richter am Oberlandesgericht Köln, Professor an der Universität zu Köln Professor Dr. Alexander Peukert, Professor an der Goethe-Universität Frankfurt am Main Professor Dr. Dörte Poelzig, Professorin an der Universität Leipzig Professor Dr. Benjamin Raue, Professor an der Universität Trier Dr. Emil Schwippert, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Köln a. D. Dr. Guido Toussaint, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe, Notar a. D. Professor Dr. Dr. h.c. Martin Paul Waßmer, Professor an der Universität zu Köln Dr. Marc Zain, Rechtsanwalt in Köln

XIV https://doi.org/10.1515/9783110545968-201

Abkürzungsverzeichnis a. A./A.A. a. F. a. E. aaO Am. Econ. Rev. a.M. Abk. abl. ABl. (EG-ABl./ EU-ABl.) Abs. abw. AcP AEUV

AfP AG

AGB AGG AGS AktG Az. allg. allg.M. AMG Amtl.Anz. Amtl.Begr. Amtsbl. AnfG Anh. Anl. Anm. AO AöR AP App. ArchBürgR Ark. L. Rev. Art. AT Aufl. AV AVMD-RL

AWG Az.

anderer Ansicht alte Fassung am Ende am angegebenen Ort American Economic Review anderer Meinung Abkommen ablehnend Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft/Europäischen Union Absatz abweichend Archiv für die civilistische Praxis Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, konsolidierte Fassung aufgrund des am 1. 12. 2009 in Kraft getretenen Vertrages von Lissabon, EU-ABl. C 83/1 vom 30. 3. 2010 Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht (vormals: Archiv für Presserecht) 1. Aktiengesellschaft 2. Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) 3. Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Anwaltsgebühren-Spezial Aktiengesetz Aktenzeichen allgemein allgemeine Meinung Arzneimittelgesetz Amtlicher Anzeiger Amtliche Begründung Amtsblatt Anfechtungsgesetz Anhang 1. Anlage 2. Anleitung Anmerkung 1. Abgabenordnung 2. Amtsordnung (Schleswig-Holstein) Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsrechtliche Praxis Appendix Archiv für Bürgerliches Recht Arkansas Law Review Artikel Allgemeiner Teil Auflage Ausführungsverordnung Richtlinie 2010/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. 3. 2010 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste; EU-Abl. L 95/1 Außenwirtschaftsgesetz Aktenzeichen

XV https://doi.org/10.1515/9783110545968-202

Abkürzungsverzeichnis

Baden-Württ. BAnz BAO BayObLG BayPrG BayZ BB BbgPG Bd. Bearb. BeckRS Begr. Beil. Bek. v. Bekl. ber. BerHG

BTDrucks. BVerfG BVerfGE BVerwG bzgl. bzw.

Baden-Württemberg Bundesanzeiger Bundesabgabenordnung Bayerisches Oberlandesgericht Bayerisches Pressegesetz vom 19. 4. 2000 Bayerische Zeitung Betriebs-Berater Pressegesetz des Landes Brandenburg vom 13. 5. 1993 Band Bearbeitung Beck-Rechtsprechung Begründung Beilage Bekanntmachung vom Beklagter Berichtigt Gesetz über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz) Beschluss Besprechung betreffend Beurkundungsgesetz Bürgerliches Gesetzbuch vom 18. 8. 1896 Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof BGH-Rechtsprechung, hrsg. von den Richtern des Bundesgerichtshofes Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bundeskartellamt Blatt Bundesministeriums der Justiz Bundespatentgericht Entscheidungen des Bundespatentgerichts Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte Mitteilungen der Bundesrechtsanwaltskammer Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesratsdrucksache Bundessozialgericht Beispiel beispielsweise Bundessteuerblatt 1. Bundestag 2. Besonderer Teil Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht bezüglich beziehungsweise

c.i.c c.p. CD-ROM Cornell L. Rev. CR

culpa in contrahendo ceteris paribus Compact Disc – Read-Only Memory Cornell Law Review Computer und Recht

Beschl. Bespr. betr. BeurkG BGB BGBl. BGH BGHR BGHSt BGHZ BKartA Bl. BMJ BPatG BPatGE BRAGO BRAK-Mitt BRAO BRDrucks. BSG Bsp. bspw. BStBl BT

XVI

Abkürzungsverzeichnis

d. h. DatenschutzRL

DatenschutzRL-EK

DAV DB DBW ders. dies. Dipl. Diss. DJT DM DÖV DR DRiG DRiZ Drucks. DS DSGVO DStR DSWR dto. DurchsetzungsRL DZWIR e.V. ebd. EBE/BGH E-CommerceRL

EDV EG EG-ABl. EGBGB EGMR EGStGB EGV EGVP ehem. Einf. einh. EinigungsstellenVO/EStVO Einl. EK-DatenschutzRL

XVII

das heißt Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. 10. 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, EG-ABl. L 281/31 Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. 7. 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation), EG-ABl. L 201/37 Deutscher Anwaltsverein Der Betrieb Die Betriebswirtschaft (Zeitschrift) derselbe dieselbe(n) Diplom Dissertation Deutscher Juristentag Deutsche Mark Die öffentliche Verwaltung Deutsches Recht Deutsches Richtergesetz Deutsche Richterzeitung Drucksache Der Sachverständige Datenschutzgrundverordnung – VO (EU) 2016/679 v. 27. 4. 2016, EU-Abl. L 119/1, L 314/2016, S. 72, L 127/2018 S. 2 Deutsches Strafecht Datenverarbeitung – Steuern – Wirtschaft – Recht (Zeitschrift) dito/gleichfalls/ebenso Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. 4. 2004 zur Durchsetzung der Rechte des Geistigen Eigentums, EU-ABl. L 157/45 Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht eingetragener Verein ebenda Eildienst Bundesgerichtliche Entscheidungen Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. 6. 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs im Binnenmarkt, EG-ABl. L 178/1 Elektronische Datenverarbeitung Europäische Gemeinschaft Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft. Konsolidierte Fassung aufgrund des Vertrags von Nizza, EG-ABl. C 325 vom 24. 12. 2002 Elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach ehemalige Einführung Einheitlich Einigungsstellenverordnung Einleitung Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. 7. 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation, EG-ABl. L 201/37

Abkürzungsverzeichnis

EKMR EMRK endg. Entsch. EPÜ E-Register Erg. Erl. et al. etc. EU EU-Abl. EuBVO

EuG EuGFVO EuGH EuGHE EuGrCh EuGVO/EuGVVO

EuGVÜ EuInsVO EuLF EuMVVO EuR EUV EuVTVO

EuZVO

EuZW EWiR EWR EWS exkl. f. FernabsatzRL

FernsehRL 1989

FernsehRL 2007

Europäische Kommission für Menschenrechte Europäische Konvention für Menschenrechte endgültig Entscheidung Europäisches Patentübereinkommen elektronisches Register Ergebnis Erläuterung et alii (und andere(n)) et cetera Europäische Union Amtsblatt der Europäischen Union Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Ziviloder Handelssachen, ABl. 2001 L 174/1 Europäisches Gericht Erster Instanz Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen, ABl. 2007, L 199/1 Europäischer Gerichtshof Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs Europäische Grundrechtecharta Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. 2001 L 12/1 Brüsseler Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, BGBl. 1972 II 774 Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren, ABl. 2000 L 160/1 European Law Forum Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, ABl. 2006 L 399/1 Europarecht Vertrag über die Europäische Union. Konsolidierte Fassung aufgrund des Vertrags von Amsterdam, EG-ABl. C 340 vom 10. 11. 1997 Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen, ABl. 2004 L 143/15. Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten („Zustellung von Schriftstücken“) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates, ABl. 2007 L 324/79 Europäische Zeitung für Wirtschaftsrecht Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäischer Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht exklusive folgende (Seite) Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. 5. 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, EG-ABl. L 144/19 (i.d.F. der RL 2007/64/EG vom 13. 11. 2007, EU-ABl. L 319/1) Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3. 10. 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, EG-ABl. L 298 Richtlinie 2007/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 12. 2007 zur Änderung der Richtlinie 1989/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und

XVIII

Abkürzungsverzeichnis

ff. Fn. FPStatG FS G GA GATT GBl. GbR GebrMG gem. Geo L.J. GeschMG GewA GewO GewStG GG ggf. GK GKG GmbH GmbHG GmbHR GmS-OGB GoA GPR Grds; grds GRUR GRUR Int. GRUR-Prax GRUR-RR GrZS GS GSZ GVBl GVG GVOBl. GWB Halbbd. HandelsR Harv. L. Rev. HBÜ Hdb. Health-Claims-VO

HGB HGrG hL h.M.

XIX

Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, EU-ABl. L 332/27 folgende (Seiten) Fußnote Finanz- und Personalstatistikgesetz Festschrift Gesetz Goltdamnmer’s Archiv für Strafrecht General Agreement on Tariffs and Trade Gesetzblatt Gesellschaft bürgerlichen Rechts Gebrauchsmustergesetz vom 28. 8. 1986 gemäß Georgetown Law Journal Gesetz über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen vom 12. 3. 2004 Gewerbearchiv Gewerbeordnung Gewerbesteuergesetz Grundgesetz gegebenenfalls Großkommentar Gerichtskostengesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Geschäftsführung ohne Auftrag Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht Grundsatz; grundsätzlich Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht/Internationaler Teil Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht/Praxis im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht/Rechtsprechungsreport Großer Zivilsenat des RG oder des BGH Gedächtnisschrift Großer Senat für Zivilsachen Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz- und Verordnungsblatt Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Halbband Handelsrecht Harvard Law Review Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 18. 3. 1970 (Haager Beweisaufnahmeübereinkommen) Handbuch Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. 12. 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel, EU-ABl. L 12/3 vom 18. 1. 2007 (i.d.F. der VO vom 30. 7. 2009, EU-ABl. L 198/87) Handelsgesetzbuch Haushaltsgrundsätzegesetz herrschende Lehre herrschende Meinung

Abkürzungsverzeichnis

HPresseG HRR HRRS hrsg. v. Hrsg. Hs./Hs HTML http HWG HWiG HZPÜ HZÜ

Hessisches Pressegesetz vom 12. 12. 2003 Höchstrichterliche Rechtsprechung Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht herausgegeben von Herausgeber Halbsatz Hypertext Markup Language hypertext transfer protocol Heilmittelwerbegesetz Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften Haager Übereinkommen über den Zivilprozess vom 1. 3. 1954 Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15. 11. 1965

i.d.F. i. d. R. i.e. i.E. i. e. S. i. S. d. i.S.v. i. V. m. i.w.S. ICANN ICC IHK IHKG IHKVO insbes. IPR IrreführungsRL

in der Fassung in der Regel id est (das heißt) im Ergebnis im engeren Sinne im Sinne des im Sinne von in Verbindung mit im weiteren Sinne Internet Corporation for Assigned Names and Numbers Intergovernmental Copyright Committee Industrie- und Handelskammer Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern Verordnung über die Industrie- und Handelskammern der DDR insbesondere Internationales Privatrecht Richtlinie 2006/114/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. 12. 2006 über irreführende und vergleichende Werbung (kodifizierte Fassung), EU-ABl. L 376/21 Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10. 9. 1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung, EG-ABl. L 250/17 Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10. 9. 1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung, i.d.F. der Änderung durch die Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. 10. 1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung, EG-ABl. L 290/18 Richtlinie 2006/114/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. 12. 2006 über irreführende und vergleichende Werbung (kodifizierte Fassung), EU-ABl. L 376/21 Informations- und Telekommunikationstechnologie Internationales Zivilverfahrensrecht

IrreführungsRL 1984 IrreführungsRL 1997

IrreführungsRL 2006 IT IZVR J. Competition L. & Econ JEP J.L. & Econ. J. L. Econ. & Org. JA JBl. JMBl. JMStV JNSt JR JurA

Journal of competition Law and Economics Journal of Economic Perspectives Journal of Law & Economics Journal of Law, Economics & Organization Juristische Arbeitsblätter Justizblatt Justizministerialblatt Jugendmedienschutzstaatsvertrag Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik Juristische Rundschau Juristische Analysen

XX

Abkürzungsverzeichnis

JURA JuS JVEG JW JZ

Juristische Ausbildung Juristische Schulung Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz Juristische Wochenschrift Juristenzeitung

K&R Kap. Kart Kfm. Kfz KG

Kommunikation und Recht Kapitel Kartellsenat Kaufmann Kraftfahrzeug 1. Kammergericht 2. Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien KOM (2003) 356 endgültig: Vorschlag für eine Richtline des Europäischen Parlaments und des Rates über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinien 84/450/EWG, 97/7/EG und 98/27/EG (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken), SEC (2003) 724 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung über die Ausübung der Fernsehtätigkeit Richtlinie 76/768/EWG des Rates vom 27. 7. 1976 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel, EG-ABl. L 262/169 (i.d.F. der RL 2000/129 und 130 vom 9./12. 10. 2009, EU-ABl. L 268/5) kritisch

KGaA KOM (2003) 356 endg.

KOM (2005) 646

KosmetikRL

krit. LFBG LG lit. LM LMG RheinlandPfalz LPrG M-V LS Ltd. LugÜ

LZ M. m. M&A MA m. Anm. MarkenG MarkenR MarkenrechtsRL

MarkenrechtsRL 1989 MarkenrechtsRL 2015

XXI

Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch Landgericht littera Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofes, hrsg. v. Lindemaier, Möhring u. a. Landesmediengesetz Rheinland-Pfalz vom 4. 2. 2005 Landespressegesetz für das Land Mecklenburg-Vorpommern vom 6. 6. 1993 1. Landessatzung 2. Leitsatz Private Company Limited by Shares Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30. Oktober 2007 (LuganoÜbereinkommen), ABl. 2009 L 147/5 Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht Meinung mit Mergers & Acquisitions Der Markenartikel mit Anmerkung Markengesetz Markenrecht Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. 10. 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (kodifizierte Fassung), EU-ABl. L 299/25 Erste Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. 12. 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken, EG-ABl. L 40/1 vom 11. 2. 1989 Richtlinie (EU) 2015/2436 vom 16.12.2015, EU-Abl. 336/1

Abkürzungsverzeichnis

m. a. W. m. Bespr. MBl. MD MDR MdSt MediationsG MitbestG Mitt. MittdtschPatAnw MiZi MMR Mod. MuW m. w. N. m.W.v.

mit anderen Worten mit Besprechung Ministerialblatt Magazindienst des Verbandes Sozialer Wettbewerb Monatsschrift für Deutsches Recht Mediendienstestaatsvertrag Mediationsgesetz Mitbestimmungsgesetz Mitteilungen Mitteilungen der deutschen Patentanwälte Mitteilungen in Zivilsachen Multimedia und Recht (Tatbestands-)Modalität Markenschutz und Wettbewerb mit weiteren Nachweisen mit Wirkung vom

n.F. n.v. Nachw. NJ NJOZ NJW NJW-CoR NJWE-WettbR NJW-RR Nr. NRW NStZ NVwZ NVwZ-RR NZG

neue Fassung nicht veröffentlicht Nachweise Neue Justiz Neue Juristische Online Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Computerreport NJW-Entscheidungsdienst Wettbewerbsrecht Neue Juristische Wochenschrift, Rechtssprechungsreport Nummer Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Rechtsprechungssammlung der Neuen Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht

o. o.ä. OHG ÖJZ OLG OLGR ÖOGH Öst./öst. ÖUWG OVG OWiG ÖZW

oben oder ähnliches Offene Handelsgesellschaft Österreichische Juristenzeitung Oberlandesgericht OLG-Report: Zivilrechtsprechung der Oberlandesgerichte Österreichischer Oberster Gerichtshof Österreich/österreichisch Österreichisches Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Oberverwaltungsgericht Ordnungswidrigkeitengesetz Österreichische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

PAngV PatG PDF PKH PreisangabenRL

Verordnung zur Regelung der Preisangaben Patentgesetz portable document format (Dateiformat) Prozesskostenhilfe Richtlinie 98/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 2. 1998 über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihm angebotenen Erzeugnisse, EG-ABl. L 80/27 Richtlinie 2001/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. 12. 2001 über die allgemeine Produktsicherheit, EG-ABl. L 11/4 vom 15. 1. 2002 Produkthaftungsgesetz

ProduktsicherheitsRL ProdHaftG

XXII

Abkürzungsverzeichnis

PrPG PublG PucheltsZ RabattG RabelsZ RBerG RDG Rdsch. RefE RegBegr RegE RegTP RfÄStV RfStV RG RGBl RGSt RGZ RiStBV RIW RL RL Vergleichende Werbung 1997 Rn. Rom I-VO Rom II-VO

RpflG Rs. Rspr. RStV RVG Rz. S. s. s. a. SchwUWG sc. S.Ct. SE Slg. SMG sog. Sp. StabG StGB StPO

XXIII

Gesetz zur Stärkung des Schutzes geistigen Eigentums und zur Bekämpfung der Produktpiraterie Publizitätsgesetz Zeitschrift für französisches Zivilrecht Rabattgesetz Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Rechtsberatungsgesetz Rechtsdienstleistungsgesetz Rundschau Referentenentwurf Regierungsbegründung Regierungsentwurf Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post Rundfunkänderungsstaatsvertrag Rundfunkstaatsvertrag 1. Reichgericht 2. Reichsgesetz Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren Recht der Internationalen Wirtschaft Richtlinie Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. 10. 1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung, EG-ABl. L 290/18 Randnummer Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. 6. 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“), ABl. 2008 L 177/6 Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 7. 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), ABl. 2007 L 199/40 Rechtspflegergesetz Rechtssache Rechtsprechung Rundfunkstaatsvertrag Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Randziffer/Randzahl 1. Satz 2. Seite(n) siehe siehe auch Schweizerisches Bundesgesetz über den unlauteren Wettbewerb scilicet (das heißt, ergänze) Supreme Court Societas Europaea – Europäische Gesellschaft Sammlung Saarländisches Mediengesetz vom 27. 2. 2002 sogenannte Spalte(n) Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft Strafgesetzbuch Strafprozessordnung

Abkürzungsverzeichnis

str. stRspr StV s. u.

strittig ständige Rechtsprechung Staatsvertrag siehe unten

TabakwerbeRL

Richtlinie 2003/33/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. 5. 2003 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen, EU-ABl. L 152/16, berichtigt im EU-ABl. L 67/ 34 vom 5. 3. 2004 Tatbestandsmerkmale Gesetz über die Nutzung von Telediensten – Teledienstegesetz Teilband teilweise Telekommunikationsgesetz Trade related aspects of intellectual property rights (Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums) Tulane Law Review Teilziffer

TB-Merkmale TDG Teilbd. teilw. TKG TRIPS Tul. L. Rev. Tz. u. u.ä. u. a. U. Chi. L. Rev. UG UGPRL

UKlaG UmwG unstr. Unterabs. UrhG Urt. URV US usf. u. U. UWG UWG 1896 UWG 1909 UWG 1932 UWG 1940 UWG 1957

UWG 1969 UWG 1986

und und ähnliches unter anderem University of Chicago Law Review Unternehmergesellschaft Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 5. 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken), EU-ABl. L 149/22 Unterlassungsklagengesetz Umwandlungsgesetz unstrittig Unterabsatz Urheberrechtsgesetz Urteil Verordnung über das Unternehmensregister United States und so fort unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. 3. 2010, BGBl I 254, zuletzt geändert am 26. 11. 2020, BGBl. I 2568 Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs vom 27. 5. 1896, RGBl I 145 = GRUR 1896, 178 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 7. 6. 1909, RGBl I 499 UWG in der Fassung der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze der Wirtschaft vom 9. 3. 1932, RGBl I 121 UWG in der Fassung der Verordnung zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 8. 3. 1940, RGBl I S. 480 UWG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, des Gesetzes über das Zugabewesen und des Rabattgesetzes vom 11. 3. 1957, BGBl I 172 UWG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 26. 6. 1969, BGBl I 633 UWG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung wirtschafts-, verbraucher- arbeits- und sozialrechtlicher Vorschriften vom 25. 7. 1986, BGBl I 1169, berichtigt 1987 BGBl I 565

XXIV

Abkürzungsverzeichnis

UWG 1994 UWG 2000 UWG 2004

v. Var. VerbrKrG Verf. VersR Vertikal-GVO VertriebsR vgl. v.H. VO VWGmbHÜG Voraufl. Vorb. VStS VuR VwGO VwVfG VwZG WappenVO weit. WettbR WHO WiKG WIPO WIR WiSachvRG

UWG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 25. 7. 1994, BGBl I 1738 („kleine UWG-Novelle“) UWG in der Fassung des Gesetzes zur vergleichenden Werbung und zur Änderung wettbewerblicher Vorschriften vom 1. 9. 2000, BGBl I 1374 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. 7. 2004, BGBl I 1414 („UWG-Modernisierung“) von/vom Variante Verbraucherkreditgesetz Verfasser Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen Vertriebsrecht vergleiche von Hundert Verordnung Gesetz über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand Vorauflage Vorbemerkung Vereinigte Strafsenate Verbraucher und Recht Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungszustellungsgesetz

WiStG wistra WiVerw WM WpAIV WpHG WpÜG WRP WRV WTO WuW www WZG

Wappenverordnung weitere(n) Wettbewerbsrecht Weltgesundheitsorganisation Das zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirschaftskriminalität vom 15. 5. 1986 World Intellectual Property Organization Wirtschaftsrecht Gesetz über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Wirtschaftsstrafgesetz Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Wirtschaft und Verwaltung – Vierteljahresbeilage zum Gewerbearchiv Wertpapier-Mitteilungen Wertpapierhandelsanzeige- und Insiderverzeichnisverordnung Wertpapierhandelsgesetz Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz Wettbewerb in Recht und Praxis Weimarer Reichsverfassung World Trade Organization Wirtschaft und Wettbewerb world wide web Warenzeichengesetz

Yale L.J.

Yale Law Journal

Z z. B. ZAW ZBH

(in Zusammenhängen) Zeitschrift, Zeitung, Zentralblatt zum Beispiel Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft e.V. Zentralblatt für Handelsrecht

XXV

Abkürzungsverzeichnis

ZEuP ZfB ZfbF ZfRV ZGE ZGR ZHR Ziff. ZIP ZIS zit. ZPO ZR ZRP ZS ZStW z. T. ZugabeVO ZUM ZUM-RD zust. ZVglRWiss ZVP ZZP ZZP Int.

Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Betriebswirtschaft Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und Europarecht Zeitschrift für Geistiges Eigentum Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für internationale Strafrechtsdogmatik zitiert Zivilprozessordnung Zivilrecht Zeitschrift für Rechtspolitik Zivilsenat Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zum Teil Zugabeverordnung Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht/Film und Recht Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht – Rechtsprechungsdienst Zustimmend Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Verbraucherpolitik Zeitschrift für Zivilprozess Zeitschrift für Zivilprozess International

XXVI

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur Achenbach/Ransiek/ Bearbeiter Ackermann Ahrens, Wettbewerbsrecht Ahrens, Wettbewerbsverfahren Ahrens/Bearbeiter

Achenbach/Ransiek (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Heidelberg, München, Landsberg, Berlin, 5. Aufl. 2019 Ackermann, Wettbewerbsrecht, Heidelberg, 1997 Ahrens, Cl., Wettbewerbsrecht, Berlin, 2006 Ahrens, Wettbewerbsverfahrensrecht, Köln, Berlin, Bonn, München, 1983

Ahrens (Hrsg.), Der Wettbewerbsprozess, Köln, 9. Aufl. 2021 (bis zur 3. Auflage Pastor) Ahrens/Spätgens Ahrens/Spätgens, Einstweiliger Rechtsschutz und Vollstreckung in UWG-Sachen, Köln, 4. Aufl. 2001 Ann/Loschelder/Grosch Ann/Loschelder/Grosch, Praxishandbuch Know-how-Schutz, Köln, 2010 Anweiler Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, Frankfurt, 1997 AnwKommStGB/Bearbeiter Leipold/Tsambikakis/Zöller (Hrsg.), Anwaltkommentar StGB, Bonn, 3. Aufl. 2020 Bamberger/Roth/Hau/ Bamberger/Roth/Hau/Poseck, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Poseck/Bearbeiter München, 4. Aufl. 2019 (bis zur 3. Aufl. Bamberger/Roth ) Baudenbacher Baudenbacher, Lauterkeitsrecht, Basel, 2001 Baumbach/Hefermehl Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 20. Aufl. 2001. Baumbach/Lauterbach/ Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Albers/Gehle, Zivilprozessordnung: ZPO, Hartmann/Albers/Gehle München, 78. Aufl. 2020 Beater Beater, Unlauterer Wettbewerb, Tübingen, 2011 Bechtold/Bosch, GWB Bechtold/Bosch Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen: GWB, München, 9. Aufl. 2018 (bis zur 7. Aufl. Bechtold) Bechtold/Bosch/Brinker Bechtold/Bosch/Brinker EU-Kartellrecht, München, 3. Aufl. 2014 BeckOK-BGB/Bearbeiter Bamberger/Roth/Hau/Poseck (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar BGB, Stand: 1. 2. 2020 BeckOK-UWG Fritzsche/Münker/Stollwerck (Hsg.), Beck’scher Online-Kommentar UWG, Stand: 1. 10. 2019 Bender, Europ. MarkenR Bender, Europäisches Markenrecht, Köln, 2008 Benkard/Bearbeiter Benkard, Patentgesetz, München, 11. Aufl. 2015 Berlit, Wettbewerbsrecht Berlit, Wettbewerbsrecht, München, 10. Aufl. 2017 Berneke/Schüttpelz Berneke/Schüttpelz, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, München, 4. Aufl. 2018 (bis zur 2. Aufl. Berneke) Beucher/Leyendecker/von Beucher/Leyendecker/von Rosenberg, Mediengesetze – Rundfunk, Mediendienste, Rosenberg Teledienste. Kommentar, München, 1999 Binder/Vesting/Bearbeiter Binder/Vesting, Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht, München, 4. Aufl. 2018 (bis zur 3. Aufl. Hahn/Vesting) Boesche Boesche, Wettbewerbsrecht, Heidelberg, 5. Aufl. 2016 Borck, Die anwaltliche Praxis in Wettbewerbssachen, Stuttgart, 1992 Borck, Wettbewerbssachen Brömmelmeyer, Internetwett- Brömmelmeyer, Internetwettbewerbsrecht, Tübingen, 2007 bewerbsrecht Büchting/Heussen S. Heussen/Hamm/Bearbeiter Buck Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, Frankfurt, 1997 Bühring Bühring, Gebrauchsmustergesetz, Köln, 8. Aufl. 2011 Bunte/Stancke Bunte/Stancke, Kartellrecht, München, 3. Aufl. 2016 (bis zur 2. Aufl. Bunte) Büscher/Dittmer/Schiwy Büscher/Dittmer/Schiwy (Hrsg.), Gewerblicher Rechtsschutz, Urheberrecht, Medienrecht, Köln, 3. Aufl. 2015 Buschle Buschle, Kommunikationsfreiheiten in den Grundrechten und Grundfreiheiten des EG-Vertrages, Köln, 2004 Busse/Bearbeiter Busse/Keukenschrijver (Hrsg.), Patentgesetz, Berlin, 8. Aufl. 2016 Calliess/Ruffert Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV Kommentar, München, 5. Aufl. 2016 Callmann Callmann, Der Unlautere Wettbewerb. Kommentar, Mannheim/Berlin/Leipzig, 2. Aufl. 1932

XXVII https://doi.org/10.1515/9783110545968-203

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Canaris, Handelsrecht Cendon Dederichs Dreier/Schulze, UrhR Dethloff Drexl Ehlers Ehmann/Selmayr/Bearbeiter DSGVO Eichmann/Jestaedt/Fink/ Meiser Ekey, Grundriss Ekey/Bender/FuchsWissemann MarkenR Ekey/Klippel/Kotthoff/ Meckel/Plaß Emmerich/Lange, Kartellrecht Emmerich/Lange, Unlauterer Wettbewerb Erbs/Kohlhaas/Bearbeiter Erman/Bearbeiter Fezer/Büscher/Obergfell/ Bearbeiter Fezer, Markenrecht Fischer FK-GWB Fritzsche, Unterlassungsanspruch Geiger/Khan/Kotzur, EUV, AEUV Glöckner, Europäisches Lauterkeitsrecht Gloy/Loschelder/ Danckwerts/Bearbeiter Groß/Rohrer Lizenzgebühren Götting/Kaiser, Wettbewerbsrecht Götting, Gewerblicher Rechtsschutz Götting/Nordemann/ Bearbeiter Grabenwarter/Pabel Graf Lambsdorff Groeben/Schwarze/Hatje

Hacker Hahn/Vesting/Bearbeiter Haratsch/Koenig/Pechstein Harte/Henning/Bearbeiter

Canaris, Handelsrecht, München 24. Aufl. 2006 Cendon/Pasquinelli (Hrsg.), Commentario al Codice civile, Band 5, 2, Mailand, 2011 Dederichs, Die Methodik des EuGH, Baden-Baden, 2004 Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, München, 6. Aufl. 2018 Dethloff, Die Europäisierung des Wettbewerbsrechts, Tübingen, 2001 Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, Tübingen, 1998 Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, Berlin, 4. Aufl. 2015 Ehmann/Selmayr (Hrsg.), Datenschutz- Grundverordnung, München, 2. Aufl. 2018 Eichmann/Jestaedt/Fink/Meise, Designgesetz, Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung, München, 6. Aufl. 2019 (bis zur 4. Aufl. Eichmann/v. Falckenstein) Ekey, Grundriss des Wettbewerbs- und Kartellrechts, Heidelberg, 5. Aufl. 2016 Ekey/Bender/Fuchs-Wissemann, Markenrecht, Band 1, Markengesetz und Markenrecht ausgewählter ausländischer Staaten (Heidelberger Kommentar), Heidelberg, 4. Aufl. 2019 (bis zur 2. Aufl. Ekey/Klippel/Bender) Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß (Hrsg.), Heidelberger Kommentar zum Wettbewerbsrecht, Heidelberg, 2. Aufl. 2005 Emmerich/Lange, Kartellrecht, München, 14. Aufl. 2018 Emmerich/Lange, Unlauterer Wettbewerb, München, 11. Aufl. 2019 Erbs/Kohlhaas (Hrsg.), Strafrechtliche Nebengesetze, Kommentar, München, 229. Lieferung, Stand: März 2020 Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, Köln, 15. Aufl. 2017 Fezer/Büscher/Obergfell (Hrsg.), Lauterkeitsrecht: UWG, Kommentar zum Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, München, 3. Aufl. 2016 (bis zur 2. Aufl. Fezer) Fezer, Markenrecht, München, 4. Aufl. 2009 Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, München, 67. Aufl. 2020 Jaeger u. a. (Hrsg.), Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Frankfurt, 95. Ergänzungslieferung 2020 Fritzsche, Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage, Berlin, Heidelberg, 2000 Geiger/Khan/Kotzur (Hrsg.), EUV, AEUV (Kommentar), München, 6. Aufl. 2017 Glöckner, Europäisches Lauterkeitsrecht, 2006 Gloy/Loschelder/Danckwerts (Hrsg.), Handbuch des Wettbewerbsrechts, München, 5. Aufl. 2019 (bis zur 4. Aufl. Gloy/Loschelder/Erdmann) Groß/Strunk, Lizenzgebühren, Frankfurt, 4. Aufl. 2015 Götting/Kaiser, Wettbewerbsrecht und Wettbewerbsprozessrecht, München, 2. Aufl. 2016 Götting, Gewerblicher Rechtsschutz, München, 11. Aufl. 2020 Götting/Nordemann, UWG, Handkommentar, Baden-Baden, 3. Aufl. 2016 Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, München, 6. Aufl. 2016 (bis zur 4. Aufl. Grabenwarter) Graf Lambsdorff, Handbuch des Wettbewerbsverfahrensrechts, Köln, 2000 von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Baden-Baden, 7. Aufl. 2015 Hacker, Markenrecht, Köln, 4. Aufl. 2016 S. Binder/Vesting/Bearbeiter Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Tübingen, 12. Aufl. 2020 Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), Kommentar, München, 4. Aufl. 2016

XXVIII

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Härting Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/ Stettner/Cole Hasselblatt, AnwHandbuch Hatje Hecker, Strafbare Produktwerbung Henning-Bodewig Unfair Competition Herdegen, Europarecht Heussen/Hamm/Bearbeiter Hilty/Henning-Bodewig, Lauterkeitsrecht Himmelsbach

Härting, Internetrecht, Köln, 6. Aufl. 2017 Rundfunkstaatsvertrag – Kommentar zum Staatsvertrag Rundfunk und Telemedien (RStV) und zum Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV), München, 82. Ergänzungslieferung, Stand: Januar 2020 Hasselblatt (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch Gewerblicher Rechtsschutz, München, 5. Aufl. 2017 Hatje, Wirtschaftswerbung und Meinungsfreiheit, Baden-Baden, 1993 Hecker, Strafbare Produktwerbung im Lichte des Gemeinschaftsrechts: Europäisierung des deutschen Täuschungsschutzstrafrechts am Beispiel des Lebensmittel-, Wettbewerbs- und Betrugsstrafrechts, Tübingen, 2001 Henning-Bodewig, Unfair Competition Law, European Union and Member States, The Hague, 2006 Herdegen, Europarecht, München, 21. Aufl. 2019 Heussen/Hamm, Beck’sches Rechtsanwalts-Handbuch, München, 11. Aufl. 2016 (bis zur 10. Aufl. Büchting/Heussen) Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.), Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire, 2009

Himmelsbach (Hrsg.), Beck’sches Mandatshandbuch Wettbewerbsrecht, München, 4. Aufl. 2014 HK-BGB/Bearbeiter Schulze u. a., Handkommentar Bürgerliches Gesetzbuch, Baden-Baden, 10. Auflage 2019 Hoeren/Sieber/Holznagel/ Hoeren/Sieber/Holznagel (Hrsg.), Handbuch Multimedia-Recht, München, 50. Aufl., Bearbeiter 2020 (bis zur 32. Aufl. Hoeren/Sieber) Immenga/Mestmäcker Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1 und 2, München, 6. Aufl. 2019 Ingerl/Rohnke Ingerl/Rohnke, Markengesetz, München, 3. Aufl. 2010 Jauernig/Bearbeiter Jauernig (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, München, 17. Aufl. 2018 Jestaedt Jestaedt, Wettbewerbsrecht, Köln, 2008 Jochum, Europarecht Jochum, Europarecht, Stuttgart, 3. Aufl. 2018 Joller Joller, Verwechslungsgefahr im Kennzeichenrecht, Bern, 2000 juris-PK/Bearbeiter Ullmann, juris-Praxiskommentar UWG, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Saarbrücken, 4. Aufl. 2016 Kehl Kehl, Wettbewerbsrecht, 1990 Kilian/Wendt, Europäisches Kilian/Wendt, Europäisches Wirtschaftsrecht, München, 7. Aufl. 2019 (bis zur Wirtschaftsrecht 4. Aufl. Kilian) Kling/Thomas Kling/Thomas, Grundkurs Wettbewerbs- und Kartellrecht, München, 2004 Kling/Thomas, Kartellrecht Kling/Thomas, Kartellrecht, München, 2. Aufl. 2016 Koenig/Schreiber Koenig/Schreiber, Europäisches Wettbewerbsrecht, Stuttgart, 2010 Kohler Kohler, Der unlautere Wettbewerb. Darstellung des Wettbewerbsrechts, Berlin, 1914. Köhler/Bornkamm/Feddersen Köhler/Bornkamm/Feddersen, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb: UWG – PAngV – UKlaG, München, 38. Aufl. 2020 Köhler/Piper S. Ohly/Sosnitza Koos/Menke/Ring Koos/Menke/Ring (Hrsg.), Praxis des Wettbewerbsrechts, Köln, 2009 Koppensteiner, Wettbewerbs- Koppensteiner, Österreichisches und Europäisches Wettbewerbsrecht, Wien, recht 4. Aufl. 2012 Kraft, Interessenabwägung Kraft, Interessenabwägung und gute Sitten im Wettbewerbsrecht, 1963 Kraßer/Ann, PatR Kraßer/Ann, Patentrecht, München 7. Aufl. 2016 Kühnen Patentverletzung Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, Köln 13. Aufl. 2020 Lange Lange, Marken- und Kennzeichenrecht, München, 2. Aufl. 2012 Lange/Schiemann, SchaSchadensersatz, Tübingen 3. Aufl. 2003 densersatz Lange/Spätgens Lange/Spätgens, Rabatte und Zugaben im Wettbewerb, München, 2001 Langen/Bunte Langen/Bunte, Kartellrecht, Band 1: Deutsches Kartellrecht, Band 2: Europäisches Kartellrecht, Köln, 13. Aufl. 2018 Larenz/Canaris, SchR II/2 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Band II, Halbband 2, München 13. Aufl. 1994

XXIX

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Lehmler Lehr LeipzigerKommStGB/ Bearbeiter Leistner, Richtiger Vertrag Leitner/Rosenau/Bearbeiter, Lettl Lettl, Das neue UWG Lettl, Der lauterkeitsrechtliche Schutz Lobe (Bd.)

Loewenheim/Meessen/ Riesenkampff/Kersting/ Meyer-Lindemann Löffler/Bearbeiter Löffler/Weberling Matutis Maunz/Dürig/Bearbeiter Melullis Mes, PatG Mestmäcker/Schweitzer Möschel, Pressekonzentration Möschel/Wagner-v. Papp,

Lehmler, Kommentar zum Wettbewerbsrecht – UWG, Köln, 2007 Lehr, Wettbewerbsrecht, Heidelberg, 3. Aufl. 2007 Laufhütte/Rissing-van Saan/Tiedemann (Hrsg.), Leipziger Kommentar StGB, Berlin, 12. Aufl., Band 1, 2007; Band 2, 2006; Band 6, 2010; Band 10, 2008 Leistner, Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb, Tübingen, 2007 Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, Baden-Baden, 2017 Lettl, Wettbewerbsrecht, München, 3. Aufl. 2016 Lettl, Das neue UWG, München, 2004 Lettl, Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor irreführender Werbung in Europa, München, 2004 Lobe, Die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, Bd. I, Der unlautere Wettbewerb als Rechtsverletzung (1907), Bd. III, Materialien des Gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, 1907 Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann (Hrsg.), Kartellrecht, München, 4. Aufl. 2020 (bis zur 2. Aufl. Loewenheim/Meessen/ Riesenkampff) Löffler, Presserecht, Kommentar, fortgeführt von Wenzel und Sedlmaier, München, 6. Aufl. 2015 Löffler/Weberling, Handbuch des Presserechts, München, 6. Aufl. 2012 (bis zur 5. Aufl. 2005 Löffler/Ricker) Matutis, UWG Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Berlin, 2. Aufl. 2009 Maunz/Dürig (Begr.) Grundgesetz Kommentar, München, 90. Ergänzungslieferung, Februar 2020 Melullis, Handbuch des Wettbewerbsprozesses, Köln, 3. Aufl. 2000 Mes, Patentgesetz, Gebrauchsmustergesetz, München 5. Aufl. 2020 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, München, 3. Aufl. 2014 Möschel, Pressekonzentration und Wettbewerbsgesetz, Tübingen, 1978

Möschel/Wagner-v. Papp, Kartellrecht: Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, Köln, 2. Aufl. 2019 (1. Aufl. Möschel) MünchKommBGB/Bearbeiter Rebmann/Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, München, 8. Aufl. 2018 ff. MünchKommKartR/ Hirsch/Montag/Säcker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Europäischen und Bearbeiter Deutschen Wettbewerbsrecht (Kartellrecht ), München, 2. Aufl. 2015 ff. MünchKommStGB/Bearbeiter Joecks/Miebach (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Nebenstrafrecht II, München, 3. Aufl. 2016 ff. MünchKommUWG/Bearbeiter Heermann/Hirsch (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht (UWG), München, 2. Aufl. 2014 MünchKommZPO/Bearbeiter Rauscher/Wax/Wenzel (Hrsg.), Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, München, 5. Aufl. 2016 ff. Musielak/Voit/Bearbeiter Musielak/Voit (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung: ZPO, München, 17. Aufl. 2020 NomosKommentarBGB/ Dauner-Lieb/Heidel/Ring (Hrsg.), Nomos Kommentar BGB, 6 Bde., Baden-Baden, Bearbeiter 2016 ff. Nirk/Kurtze, Wettbewerbsstreitigkeiten, München, 2. Aufl. 1992 Nirk/Kurtze Nordemann Nordemann, Wettbewerbsrecht, Markenrecht, Baden-Baden, 11. Aufl. 2012 Oetker/Bearbeiter HGB Oetker (Hrsg.), Handelsgesetzbuch, München 6. Aufl. 2019 Ohly, Richterrecht und Ohly, Richterrecht und Generalklausel im Recht des unlauteren Wettbewerbs, Köln, Generalklausel 1997 Ohly/Sosnitza Ohly/Sosnitza, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, München, 7. Auflage 2016 (bis zur 3. Aufl. Köhler/Piper) Oppermann/Classen/ Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, München, 8. Aufl. 2018 Nettesheim Palandt/Bearbeiter Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch: BGB, München, 80. Aufl. 2021 Pastor Pastor, Die Unterlassungsvollstreckung nach § 890 ZPO, Die Zwangsvollstreckung von Unterlassungstiteln, 3. Aufl. 1982

XXX

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Pastor, Wettbewerbsprozess Prütting/Gehrlein Prütting/Wegen/Weinreich/ Bearbeiter (PWW) Reimer Rescigno RGRK/Bearbeiter

Rickert Riesenhuber Rittner/Dreher Rittner/Dreher/Kulka Rosenthal Rosenthal, 8. Aufl. Roxin/Greco, AT I Sambuc S/S/W, StGB Säcker/Wolf, Fallbuch Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht Schenk Schlesinger Schmidt-Kessel/Schubmehl/ Bearbeiter Scholz/Bearbeiter, GmbHG Schotthöfer Schönke/Schröder/ Bearbeiter Schünemann, Wettbewerbsrecht Schricker Schricker/Henning-Bodewig Schricker/Loewenheim/ Bearbeiter Schröter Schulte/Bearbeiter Schuschke/Walker/Kessen/ Thole Schwarze/Becker/Hatje/ Schoo Schwintowski SK-StGB Soergel/Bearbeiter Sosnitza, Fälle Speckmann

XXXI

S. Ahrens/Bearbeiter Prütting/Gehrlein (Hrsg.), ZPO-Kommentar, Köln, 11. Aufl. 2019 Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), BGB Kommentar, München, 14. Aufl. 2019 Reimer, Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, Köln, 4. Aufl. 1972 Rescigno (Hrsg.), Codice civile, Mailand, 9. Aufl. 2014 BGB – RGRK Das Bürgerliche Gesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes, Kommentar, Hrsg.: Mitglieder des Bundesgerichtshofes, Berlin/New York, 12. Aufl. 1974 Rickert, Grundrechtsgeltung bei der Umsetzung europäischer Richtlinien in innerstaatliches Recht, Berlin, 1997 Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, Berlin, 3. Aufl. 2015 Rittner/Dreher, Europäisches und deutsches Wirtschaftsrecht, Heidelberg, 3. Aufl. 2007 Rittner/Dreher/Kulka, Wettbewerbs- und Kartellrecht, Heidelberg, 8. Aufl. 2014 Rosenthal, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (bearb. von Leffmann), Berlin/Frankfurt/M., 9. Aufl. 1969 Rosenthal, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Berlin, 8. Aufl. 1930 Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teilband I, München, 5. Aufl. 2020 Sambuc, Der UWG-Nachahmungsschutz, München, 1996 Satzger/Schluckebier/Widmaier (Hrsg.), Strafgesetzbuch: StGB, Kommentar, Köln, 4. Aufl. 2019 Säcker/Wolf, Kartellrecht in Fällen, München, 2010 Schack, Urheber und Urhebervertragsrecht, Tübingen 9. Aufl. 2019 Schenk, Die markenrechtliche Schutzfähigkeit von Zeichen aus empirischer und sprachwissenschaftlicher Sicht, Köln, 2006 Schlesinger (Hrsg.), Il foro italiano/Codice civile, Bologna/Rom, 3. Aufl. 2010 Schmidt-Kessel/Schubmehl (Hrsg.), Lauterkeitsrecht in Europa. Eine Sammlung von Länderberichten zum Recht gegen unlauteren Wettbewerb, München, 2011 Scholz (Hrsg.), Kommentar zum GmbH-Gesetz, Band 3, Köln, 12. Aufl. 2019 Schotthöfer, Handbuch des Werberechts in den EU-Staaten, Köln, 2. Aufl. 1997 Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch Kommentar, München, 30. Aufl. 2019 Schünemann, Wettbewerbsrecht, München/Wien, 1989 Schricker, Gesetzesverletzung und Sittenverstoß, München, 1970 Schricker/Henning-Bodewig (Hrsg.), Neuordnung des Wettbewerbsrechts, BadenBaden, 1999 Schricker/Loewenheim (Hrsg.), Urheberrecht, München, 6. Aufl. 2020 Schröter/Jakob/Klotz/Mederer (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht, BadenBaden, 2. Aufl. 2014 Schulte, Patentgesetz mit EPÜ, Köln, 10. Aufl. 2017 Schuschke/Walker/Kessen/Thole (Hrsg.), Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, Köln, 7. Aufl. 2020 (bis zur 6. Aufl. Schuschke/Walker) Schwarze/Becker/Hatje/Schoo (Hrsg.), EU-Kommentar, Baden-Baden, 4. Aufl. 2019 (bis zur 3. Aufl. Schwarze) Schwintowski, Wettbewerbs- und Kartellrecht, München, 5. Aufl. 2012 Wolter(Hrsg.), Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, Köln, 9. Aufl. 2017 Soergel/Siebert (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Stuttgart, 13. Aufl. 2001 ff. Sosnitza, Fälle zum Wettbewerbs- und Kartellrecht, München, 6. Aufl. 2011 Speckmann, Wettbewerbsrecht. UWG – Markenrechtsverletzung, Wettbewerbsverfahrensrecht, Köln, 3. Aufl. 2001

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Spindler/Schuster/ Bearbeiter Staudinger/Bearbeiter Stein/Jonas/Bearbeiter Steinmetz Stiess Stober/Korte Streinz Streinz/Kraus, Lebensmittelrechts-Handbuch Ströbele/Hacker/Thiering Teplitzky Thomas/Putzo/Bearbeiter Ulmer/Reimer/Bearbeiter v. v. v. v.

Gamm Gamm Schultz Oppermann

Vorauflage/Bearbeiter Walter/Grüber Wandtke/Ohst, Medienrecht Wieczorek/Schütze/ Bearbeiter Wolters, Das Unternehmensdelikt Zöller/Bearbeiter

Spindler/Schuster (Hrsg.), Recht der elektronischen Medien, Kommentar, München, 4. Aufl. 2019 J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Berlin, 2001 ff. Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung: ZPO, Tübingen, 23. Aufl. 2014 ff. Steinmetz, Der „kleine“ Wettbewerbsprozeß, München, 1993 Stiess, Schutz der Wirtschaftswerbung durch Verfassungsrecht und Gemeinschaftsrecht, München, 2000 Stober/Korte, Öffentliches Wirtschaftsrecht – Allgemeiner Teil, Stuttgart, 19. Aufl. 2018 (bis zur 18. Aufl. Stober) Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV Kommentar, München, 3. Aufl. 2018 Streinz/Kraus (Hrsg.), Lebensmittelrechts-Handbuch, München, 40. Ergänzungslieferung, Stand: Juli 2019 Ströbele/Hacker/Thiering (Hrsg.), Markengesetz, Köln, 12. Aufl. 2018 (bis zur 11. Aufl. Ströbele/Hacker) Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Unterlassung – Beseitigung – Auskunft-Schadensersatz, Köln, 12. Aufl. 2019 Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung: ZPO, München, 41. Aufl. 2020 Ulmer/Reimer, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs in den Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Bd. III – Deutschland, 1968 von Gamm, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Köln, 3. Aufl. 1993 von Gamm, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 1998 von Schultz (Hrsg.), Markenrecht, Frankfurt/M., 3. Aufl. 2012 von Oppermann, Unterlassungsanspruch und materielle Gerechtigkeit, Tübingen, 1993 Jacobs/Lindacher/Teplitzky (Hrsg.), UWG, Großkommentar, Berlin, 1991 ff. Walter/Grüber (Hrsg.), Anwaltshandbuch Wettbewerbspraxis, Köln, 1998 Wandtke/Ohst (Hrsg.), Medienrecht Praxishandbuch, Berlin, 3. Aufl. 2014 Wieczorek/Schütze (Hrsg.), Zivilprozessordnung, Großkommentar, Berlin, 4. Aufl. 2013 ff. Wolters, Das Unternehmensdelikt, Baden-Baden, 2001 Zöller, Zivilprozessordnung: ZPO, Kommentar, Köln, 33. Aufl. 2020

XXXII

Kapitel 2 Rechtsfolgen § 8 Beseitigung und Unterlassung (1)

(2)

(3)

(4) (5)

1

Wer eine nach § 3 oder § 7 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, kann auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. 2Der Anspruch auf Unterlassung besteht bereits dann, wenn eine derartige Zuwiderhandlung gegen § 3 oder § 7 droht. Werden die Zuwiderhandlungen in einem Unternehmen von einem Mitarbeiter oder Beauftragten begangen, so sind der Unterlassungsanspruch und der Beseitigungsanspruch auch gegen den Inhaber des Unternehmens begründet. Die Ansprüche aus Absatz 1 stehen zu: 1. jedem Mitbewerber, der Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreibt oder nachfragt, 2. denjenigen rechtsfähigen Verbänden zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen, die in der Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände nach § 8b eingetragen sind, soweit ihnen eine erhebliche Zahl von Unternehmern angehört, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben, und die Zuwiderhandlung die Interessen ihrer Mitglieder berührt, 3. den qualifizierten Einrichtungen, die in der Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 des Unterlassungsklagengesetzes eingetragen sind, oder den qualifizierten Einrichtungen aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die in dem Verzeichnis der Europäischen Kommission nach Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (ABl. L 110 vom 1.5.2009, S. 30), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2018/302 (ABl. L 60l vom 2.3.2018, S. 1) geändert worden ist, eingetragen sind, 4. den Industrie- und Handelskammern, den nach der Handwerksordnung errichteten Organisationen und anderen berufsständischen Körperschaften des öffentlichen Rechts im Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgaben sowie den Gewerkschaften im Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgaben bei der Vertretung selbständiger beruflicher Interessen. Stellen nach Absatz 3 Nummer 2 und 3 können die Ansprüche nicht geltend machen, solange ihre Eintragung ruht. 1 § 13 des Unterlassungsklagengesetzes ist entsprechend anzuwenden; in § 13 Absatz 1 und 3 Satz 2 des Unterlassungsklagengesetzes treten an die Stelle der dort aufgeführten Ansprüche nach dem Unterlassungsklagengesetz die Ansprüche nach dieser Vorschrift. 2Im Übrigen findet das Unterlassungsklagengesetz keine Anwendung, es sei denn, es liegt ein Fall des § 4e des Unterlassungsklagengesetzes vor.

Schrifttum zu § 8 bis § 8b Achilles Wettbewerbsrechtliche Unterlassungsverpflichtungen und AGB-Kontrolle, FS Ahrens (2016) 3; H.-J. Ahrens Die Entstehung der zivilrechtlichen Sanktionen des UWG, WRP 1980, 129; ders. Beteiligung der Presse an Wettbewerbsverstößen von Anzeigenkunden, FS Traub (1994) 11; ders. Die internationale Verbandsklage in Wettbewerbssachen, WRP 1994, 649; ders. Unterlassungsschuldnerschaft beim Wechsel des Unternehmensinhabers, GRUR 1996, 518; ders. Anmerkung zu BGH I ZR 126/93 – Anonymisierte Mitgliederliste, JZ 1996, 738; ders. Die Abschlusserklärung – Zur Simulation der Rechtskraft von Verfügungstiteln, WRP 1997, 907; ders. Störerhaftung als Beteiligungsform im Zivilrecht, FS Canaris (2007) 3; ders. 21 Thesen zur Störerhaftung im UWG und im Recht des Geistigen Eigentums, WRP 2007, 1281; ders. Rechtspolitisch vorbildliche Instrumente der Anspruchsdurchsetzung im Wettbewerbsrecht, Liber amicorum Walter F. Lindacher zum 70. Geburtstag (2007), 1; ders. Die Bildung kleinteiliger Streitgegenstände als Folge des TÜV-Beschlusses, WRP 2013, 129; ders. Die notarielle Unterwerfungserklärung: Vollstreckbarkeit, Ordnungsmittelandrohung, Ordnungsmittel-

1 https://doi.org/10.1515/9783110545968-001

Hofmann

§8

Beseitigung und Unterlassung

festsetzung, WRP 2017, 1304; Aigner Beseitigung der Wiederholungsgefahr bei Abbedingung des § 348 HGB in der strafbewährten Unterlassungserklärung?, GRUR 2007, 950; S. Albrecht Die Aktivlegitimation der Verbraucher nach Wettbewerbsverstößen (2011); Alexander Die strafbare Werbung in der UWG-Reform, WRP 2004, 407; ders. Die Sanktions- und Verfahrensvorschriften der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken im Binnenmarkt – Umsetzungsbedarf in Deutschland?, GRUR Int. 2005, 809; ders. Wirksamer Schutz gegen Missstände? Zum Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken, BB 2013, Nr. 43, Die erste Seite; Alpert Virtuelle Marktplätze im Internet: Typische Haftungsrisiken des Anbieters von B2B-Portalen, CR 2001, 604; Altmeppen Haftung der Gesellschafter einer Personengesellschaft für Delikte, NJW 1996, 1017; Apel/Drescher Die Abmahnung im Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht – Eine Einführung, JURA 2018, 1251; dies. Die Unterlassungserklärung im Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht – Eine Einführung, JURA 2019, 526; Augenhofer Individualrechtliche Ansprüche des Verbrauchers bei unlauterem Wettbewerbsverhalten des Unternehmers, WRP 2006, 169; K. Bacher Die Beeinträchtigungsgefahr als Voraussetzung für Unterlassungsklagen im Wettbewerbsrecht und in anderen Gebieten des Zivilrechts (1996); D. Baetge Das Recht der Verbandsklage auf neuen Wegen, ZZP 112 (1999), 329; Balzer Die Darlegung der Prozessführungsbefugnis und anderer anspruchsbezogener Sachurteilsvoraussetzungen im Zivilprozeß, NJW 1992, 2721; F. Baur Der Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB, AcP 160 (1961), 465; ders. Zu der Terminologie und einigen Sachproblemen der „vorbeugenden Unterlassungsklage“, JZ 1966, 381; Beater Zur Deregulierung des Wettbewerbsrechts, ZHR 159 (1995), 217; ders. Mitbewerber und sonstige unternehmerische Marktteilnehmer, WRP 2009, 768; M. Becker/F. Becker Virtuelle Festplatten als Sharehoster. Prüfungspflichten im Spannungsfeld zwischen Urheberrecht, Datenschutz und legitimen Nutzerinteressen, WRP 2013, 41; Berger Verantwortlichkeit von TK-Unternehmen für wettbewerbswidrig genutzte Rufnummern, MMR 2003, 642; ders./Loeck Das Ende der ausufernden Beauftragtenhaftung im Wettbewerbsrecht, MMR 2011, 634; Bergmann Zur alternativen und kumulativen Begründung des Unterlassungsantrags im Wettbewerbsrecht, GRUR 2009, 224; Berlit Aufbrauchfrist im Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (1997); ders. Zur Frage der Einräumung einer Aufbrauchfrist im Wettbewerbsrecht, Markenrecht und Urheberrecht, WRP 1998, 250; Bernreuther Zusammentreffen von Unterlassungserklärung und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, GRUR 2001, 400; ders. Zur Auslegung und Inhaltskontrolle von Vertragsstrafevereinbarungen, GRUR 2003, 113; ders. Titelgläubiger, Vertragsgläubiger und erneuter Unterlassungsschuldner, WRP 2012, 796; Beuchler Wegfall der Wiederholungsgefahr im Wettbewerbs- und Verbraucherrecht, VuR 2007, 66; T. Beyerlein Gaby/Nicola – Keine zeitliche Begrenzung von Schadensersatz- und Auskunftsanspruch durch die vom Gläubiger nachgewiesene erste Verletzungshandlung, WRP 2007, 1310; Böhler „I’ll be back“ – Kommt es zur Rückkehr des „flüchtigen Verbrauchers“ im UWG und Lebensmittelrecht?, ZLR 2014, 27; Bölling Zum Streitwert von mit einer Mehrzahl von Schutzrechten begründeten Unterlassungsklagen, WRP 2014, 158; Borck Klagebefugnis für Verbraucherverbände, WRP 1965, 319; ders. Erste Erfahrungen im Umgang mit der Aktivlegitimation der Verbraucherverbände, WRP 1968, 1; ders. Zur Glaubhaftmachung des Unterlassungsanspruchs, WRP 1978, 776; ders. Bestimmtheitsgebot und Kern der Verletzung, WRP 1979, 180; ders. Wiederholungsgefahr – Dringlichkeit – Abmahnungsgefahr, NJW 1981, 2721; ders. Die Erstbegehungsgefahr im Unterlassungsprozess, WRP 1984, 583; ders. Aktivlegitimation und Prozeßführungsbefugnis beim wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch, WRP 1988, 707; ders. Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, WRP 1994, 719; ders. Das Prokrustesbett „Konkrete Verletzungsform“, GRUR 1996, 522; ders. Über unbegründete Nebenentscheidungen in Unterlassungsurteilen, WRP 1997, 1162; ders. Über unrichtig gewordene Unterlassungstitel und deren Behandlung, WRP 2000, 9; J. Bornkamm Das Wettbewerbsverhältnis und die Sachbefugnis der Mitbewerber, GRUR 1996, 527; ders. Unterlassungstitel und Wiederholungsgefahr, FS Tilmann (2003) 769; ders. Die „Abschaffung“ der Störerhaftung – Nach der Abschaffung ist vor der Abschaffung, FS Kirchberg (2017) 547; Brehm Die Vollstreckung der Beseitigungspflicht nach § 890 ZPO, ZZP 9 (1976), 178; Brömmekamp Der Fall L’Oréal gegen eBay: Prüfstein für die Informationsgesellschaft – Anmerkungen zu den Schlussanträgen des GA Jääskinen in der Rs. C-324/09, WRP 2011, 306; Brönneke (Hrsg.) Kollektiver Verbraucherschutz im Zivilprozeßrecht (2001); Bruggmann Umgang mit lebensmittelrechtlichen Streitigkeiten nach „Hot Sox“ & Co., LMuR 2017, 85; Büch Die Erstbegehungsgefahr und ihre Ausräumung im gewerblichen Rechtsschutz, FS Bornkamm (2014) 15; Buchmann Neuere Entwicklungen im Recht der lauterkeitsrechtlichen Abmahnung, WRP 2012, 1345; ders. Kommentar zum Beschluss des OLG Köln vom 14.5.2013, AZ III-1 RVs 67/13, WRP 2013, 1392; Bunte Folgenbeseitigungsanspruch nach dem UWG bei unzulässigen AGB-Klauseln?, ZIP 2016, 956; Bürglen Berufsaufsicht im wettbewerbsrechtlichen Verfahren, FS Ullmann (2006) 913; Burmeister/Alexander Weniger Staat, mehr Markt wagen, WRP 2009, 159; C. Busch Lauterkeitsrecht in Europa: Aquis communautaire, in: Kessel/Schubmehl (Hrsg.), Lauterkeitsrecht in Europa (2011); Büscher Soziale Medien, Bewertungsplattformen & Co – Die lauterkeitsrechtliche Haftung von Internetdienstleistern, GRUR 2017, 433; Büttner Anwaltswerbung zwischen Berufsrecht und Wettbewerbsrecht, FS Vieregge (1995) 99; Callmann Der Goodwill und die freien Berufe unter dem Bundesentschädigungsgesetz, NJW 1956, 1910; Conrad Abgabe einer Unterlassungserklärung ohne Anerkenntnis einer Rechts- und Zahlungspflicht und Aufwendungsersatz, WRP 2001, 187; v. Czettritz/Thewes Rückrufverpflichtungen in einstweiligen Verfügungsverfahren?, PharmR 2017, 92; Czychowski/Nordemann Grenzenloses Internet – entgrenzte Haftung?, GRUR 2013, 986; Danckwerts Neues vom Störer: Was ist ein „von der Rechtsordnung gebilligtes Geschäftsmodell“?, GRUR-Prax 2011, 260; Dembowski Anforderungen

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an Mitteilung des Schutzrechtsinhabers gegenüber Betreiber einer Internet-Handelsplattform wegen Markenrechtsverletzung („Stiftparfüm“), jurisPR-WettbR 10/2011 Anm. 1; Derleder/Zänker Die Anforderungen an die Struktur von Abmahnvereinen seit der UWG-Novelle 1994, GRUR 2002, 490; Diekmann Der Vernichtungsanspruch (1993); Dienstbühl Die Ausweitung der Beauftragtenhaftung am Beispiel des Telekommunikationsresales, CR 2009, 568; ders. Die außerordentliche Kündigung des Unterlassungsvertrages als (weitere) Ausnahme des Grundsatzes pacta sunt servanda, WRP 2019, 981; Dieselhorst Der „unmittelbar Verletzte“ im Wettbewerbsrecht nach der UWG-Novelle, WRP 1995, 1; Dilly „Nicola siegt über Gaby“ – Zum Umfang des akzessorischen Auskunftsanspruchs nach § 242 BGB, WRP 2007, 1313; A. Dissmann Unterlassungsanspruch und Beseitigungsanspruch – Schnittmenge, Teilmenge oder doch gar zwei verschiedene Dinge?, MarkenR 2017, 293; R. Dissmann Unterlassung und Rückruf – die europäische Perspektive, GRUR 2017, 986; Doepner Wiederholungsgefahr – Ausräumung mit Drittwirkung?, FS Mes (2009) 71; R. Döring Die Haftung für eine Mitwirkung an Wettbewerbsverstößen nach der Entscheidung des BGH „Jugendgefährdende Medien bei eBay“, WRP 2007, 1131; ders. Die zivilrechtliche Inanspruchnahme des Access-Providers auf Unterlassung bei Rechtsverletzungen auf fremden Webseiten, WRP 2008, 1155; Dorndorf Herkunftstäuschung und Rufausbeutung (2008); Dornis/Förster Die Unterwerfung: Rechtsnatur und Rechtsnachfolge, GRUR 2006, 195; Dörre/Maaßen Das Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des Geistigen Eigentums, GRUR-RR 2008, 269; G. Dreyer Konvergenz oder Divergenz – Der deutsche und der europäische Mitbewerberbegriff im Wettbewerbsrecht, GRUR 2008, 123; Eck/Dombrowski Rechtsschutz gegen Besichtigungsverfügungen im Patentrecht, GRUR 2008, 387; S. Ehret Internet-Auktionshäuser auf dem haftungsrechtlichen Prüfstand, CR 2003, 754; Eichelberger Die Drittunterwerfung im Wettbewerbsrecht, WRP 2009, 270; Eichmann Die Durchsetzung des Anspruchs auf Drittauskunft, GRUR 1990, 575; ders. Rechtsnatur der Abmahnung und Verwarnung, FS Helm (2002) 287; ders./Falkenstein Geschmacksmustergesetz, 3. Aufl. (2005); Eikelau Unzulässige wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche gegen Markenanmeldungen, MarkenR 2001, 41; Elbrecht/Schröder Verbandsklagebefugnisse bei Datenschutzverstößen für Verbraucherverbände, K&R 2015, 361; Eltzbacher Die Unterlassungsklage (1906); Engels/Köster Haftung für „werbende Links“ in Online-Angeboten, MMR 1999, 522; Engels/Salomon Vom Lauterkeitsrecht zum Verbraucherschutz: UWG-Reform 2003, WRP 2004, 32; Ensthaler/Heinemann Die Fortentwicklung der Providerhaftung durch die Rechtsprechung, GRUR 2012, 433; Ernst Keine Abmahnung ohne vorherigen Kontakt, ITBR 2013, 188; ErnstMoll Beseitigungsanspruch und Rückruf im gewerblichen Rechtsschutz, FS Klaka (1987) 16; Esser Richterrecht, Gerichtsgebrauch und Gewohnheitsrecht, FS v. Hippel (1967) 95; D. Fischer Rechtsnatur und Funktionen der Vertragsstrafe im Wettbewerbsrecht unter besonderer Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, FS Piper (1996) 205; Fitzner Störer und Täter. Zwei Begriffe im Wandel der Rechtsprechung zum gewerblichen Rechtsschutz, Mitt. 2011, 314; Flechsig Subdomain: Sicher versteckt und unerreichbar? – Die Verkehrssicherungspflichten des Hostproviders, MMR 2002, 347; Foerste Umschreibung des Unterlassungstitels bei Betriebserwerb – negatorische Haftung und Betriebsinhaberhaftung nach § 13 IV UWG, GRUR 1998, 450; T. Franz/Sakowski Die Haftung des WLAN-Betreibers nach der TMG-Novelle und den Schlussanträgen des Generalanwalts beim EuGH – Handelnden- und Störerhaftung nach dem Stand der deutschen Rechtsprechung, der TMG-Novelle und den Schlussanträgen des Generalanwalts in Rs. C-484/14 (McFadden/ Sony Music), CR 2016, 524; U. Franz Die rechtliche Beurteilung von Bewertungsportalen, WRP 2016, 1195; Frenzel Der Beseitigungsanspruch aus § 8 Abs. 1 S. 1 UWG unter besonderer Berücksichtigung der „berichtigenden Aufklärung“, WRP 2013, 1567; Frey/Rudolph/Oster Die Host-Providerhaftung im Lichte des Unionsrechts – Vorgaben der EuGH-Rechtsprechung und Gestaltungsspielräume für den nationalen Gesetzgeber, CR 2015, Beilage zu Heft 11/2015; Freytag Haftung im Netz (1999); Fries/Paal Smart Contracts (2019); Fritze Die Anordnung von Handlungen, insbesondere Erklärungen, zur Beendigung einer andauernden Beeinträchtigung durch einstweilige Verfügung, FS Traub (1994) 113; A. Fritzsche Beseitigungsanspruch im Kartellrecht nach der 7. GWB-Novelle, WRP 2006, 42; J. Fritzsche Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage (2000); ders. Anmerkung zu BGH I ZR 26/02 – Werbeblocker, LMK 2004, 192; ders. Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, GewArch 2007, 167; ders. Endlich: Das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs, WRP 2020, 1367; H. Fröhlich Strafbewehrte Unterlassungserklärungen im Recht des unlauteren Wettbewerbs – ein rein deutsches Phänomen?, ZEuP 1995, 438; Föhlisch Das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs – weder Fluch noch Segen. Die wichtigsten Änderungen und ihre praktischen Auswirkungen im Überblick, CR 2020, 796; Verlage für den wettbewerbswidrigen Inhalt von Anzeigen, AfP 1990, 269; Gamerith Die Verwirkung im Urheberrecht, WRP 2004, 75; Garbers Das Ende anonymisierter Mitgliederlisten, WRP 1996, 265; Gerstenberg Zur (Gegen-)Abmahnung als Retourkutsche, WRP 2011, 1116; v. Gierke Grenzen der wettbewerbsrechtlichen Störerhaftung, WRP 1997, 892; Glöckner Good news from Luxembourg? Die Anwendung des Lauterkeitsrechts auf Verhalten zur Förderung eines fremden Unternehmens nach EuGH, FS Köhler (2014) 159; ders./Kur Geschäftliche Handlungen im Internet, GRUR-Beil. 2014, 29; Glockshuber Die Passivlegitimation im deutschen Recht des unlauteren Wettbewerbs (1997); Gloy Hat die Einschränkung der Klagebefugnis gewerblicher Verbände sich bewährt?, WRP 1999, 34; Göckler Die Klagebefugnis vertikaler Wirtschaftsverbände, WRP 2016, 434; H.-P. Götting Die persönliche Haftung des GmbH-Geschäftsführers für Schutzrechtsverletzungen und Wettbewerbsverstöße, GRUR 1994, 6; Götz Die Neuvermessung des Lebenssachverhalts, GRUR 2008, 401; Goldbeck Der „umgekehrte“ Wettbewerbsprozess (2008); Goldmann Geschäftsführer „mbH“: Einschränkungen der persönlichen Haftung

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Beseitigung und Unterlassung

von Organen bei Wettbewerbsverstößen, GRUR-Prax 2014, 404; ders. Anmerkung zu BGH GRUR 2016, 720 – Hot Sox, GRUR 2016, 724; ders. Zur Verwirkung nach § 242 BGB beim Schutz geschäftlicher Bezeichnungen und im Lauterkeitsrecht, GRUR 2017, 657; Gommlich Die Beseitigungsansprüche im UWG (2001); Gottschalk UWG-Reform: Die Auswirkungen auf Vertragsstrafeversprechen und gerichtliche Unterlassungstitel, WRP 2004, 1321; ders. Wie kann eine Unterlassungsvereinbarung erlöschen?, GRUR 2004, 827; Greipl Ansprache des Präsidenten der Wettbewerbszentrale, FS 100 Jahre Wettbewerbszentrale (2012) 33; R. Greger Neue Regeln für die Verbandsklage im Verbraucherschutz- und Wettbewerbsrecht, NJW 2000, 2457; Griss Wer ist „Störer“? – Eine deutsch-österreichische Begriffsverwirrung, FS Bornkamm (2014) 29; Gröning 100 Tage UWGÄndG, WRP 1994, 775; ders. Die „Eignung zur wesentlichen Beeinträchtigung des Wettbewerbs“, WRP 1995, 278; Grosch Rechtswandel und Rechtskraft bei Unterlassungsurteilen (2002); Grosch/T. Schilling Rechnungslegung und Schadensersatzfeststellung für die Zeit nach Schluss der mündlichen Verhandlung, FS Eisenführ (2003) 131; Grotheer Der eigentumsrechtliche Unterlassungsanspruch nach § 1004 BGB als Schutz vor Konkurrenten, GRUR 2006, 110; Gruber Der wettbewerbsrechtliche Unterlassungsanspruch nach einem „Zweitverstoß“, WRP 1991, 279; ders. Drittwirkung (vor-)gerichtlicher Unterwerfung?, GRUR 1991, 354; ders. Die tatsächliche Vermutung der Wiederholungsgefahr, WRP 1991, 368; ders. Grundsatz des Wegfalls der Wiederholungsgefahr durch Unterwerfung, WRP 1992, 71; B. Grunewald Die Berufsgerichtsbarkeit der freien Berufe, NJW 2002, 1369; Guski Die unzulässige Verfolgung von Lauterkeitsverstößen, ZIP 2019, 1649; Haag Kein Wettbewerbsverhältnis durch Werbung für Fremdprodukte auf eigener Website,K&R 2014, 357; Hackbarth Zur Störerverantwortlichkeit für die Inhalte von Internetseiten, CR 1998, 307; Hacker „L’Oréal/eBay“ – Die Host-Provider-Haftung vor dem EuGH, GRUR-Prax 2011, 391; ders. Verwirkung und Doppelidentität im Markenrecht, WRP 2012, 266; Hadding Die Klagebefugnis der Mitbewerber und Verbände nach § 13 Abs. 1 UWG im System des Zivilprozessrechts, JZ 1970, 305; Haedicke Die Haftung für mittelbare Urheber- und Wettbewerbsverletzungen, GRUR 1999, 397; ders. Zur Frage der Drittverantwortlichkeit hinsichtlich Verletzungen des geistigen Eigentums, JZ 2010, 150; Härting Allgegenwärtige Prüfungspflichten für Intermediäre: Was bleibt noch nach „Kinderhochstühle“ und „Autocomplete“ von der Störerhaftung übrig?, CR 2013, 443; Häsemeyer Die Verbandsklage als Instrument öffentlicher Kontrolle kraft Beleihung, FS Spellenberg (2010) 99; T. Hahn Die Haftung des Unternehmensinhabers nach § 8 Abs. 2 UWG (2007); ders. Ändert der BGH seine „Voreinstellung“ zur Haftung des Unternehmensinhabers für Wettbewerbsverstöße Dritter?, GRUR-Prax 2011, 413; Hamacher Good News II: Hat der EuGH die Vollharmonisierung des Lauterkeitsrechts in Teilbereichen abgeschafft?, GRUR-Prax 2014, 365; Harrer Die Haftung des Geschäftsführers im Wettbewerbsrecht, FS Koppensteiner (2001) 407; A. Hartmann Unterlassungsansprüche im Internet – Störerhaftung für nutzergenerierte Inhalte (2009); H. Hartwig Die auflösend bedingte Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung, FS Pagenberg (2006) 301; Hass Zur persönlichen Haftung des GmbH-Geschäftsführers bei Wettbewerbsverstößen und Verletzung gewerblicher Schutzrechte, FS Schilling (2007) 249; Hasselbach Durchbrechungen der Rechtskraft im Verbandsklageverfahren, GRUR 1997, 40; Heckelmann Zum wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsvertrag bei Wegfall der Geschäftsgrundlage und dem Verbot der geltungserhaltenden Reduktion nach dem AGB, WRP 1995, 166; ders./Wettich Zur Frage der Angemessenheit von Vertragsstrafen oder: Nachdenken ist angesagt, WRP 2003, 184; Heermann Die Erheblichkeitsschwelle im Sinne des § 3 UWG-E, GRUR 2004, 94; ders./Ohly Verantwortlichkeit im Netz (2002); Hefermehl Die Klagebefugnis der Verbände zur Wahrung der Interessen der Verbraucher, GRUR 1969, 653; ders. Das Prokrustesbett „Wettbewerbsverhältnis“, FS Kummer (1980) 345; ders. Grenzen der Klagebefugnis der Gewerbetreibenden und Verbände im Recht gegen den unlauteren Wettbewerb, WRP 1987, 281; Heil Erstbegehungsgefahr durch Ausstellen auf internationaler Fachmesse, WRP 2015, 688; Heinz/Stillner Übernahme einer an einen Dritten zu zahlenden Vertragsstrafe als ausreichendes Strafgedinge bei Wettbewerbsverstößen?, WRP 1976, 657; dies. Noch einmal zur Problematik eines Vertragsstrafeversprechens zugunsten eines Dritten, WRP 1977, 248; J. Helle Der Ausschluss privatrechtlichen Ehrenschutzes gegen Zeugenaussagen im Strafverfahren, NJW 1987, 233; ders. Die Begrenzung des zivilrechtlichen Schutzes der Persönlichkeit und der Ehre gegenüber Äußerungen im rechtlich geordneten Verfahren, GRUR 1982, 207; Henckel Vorbeugender Rechtsschutz im Zivilrecht, AcP 174 (1974), 97; Henke Die Unterlassungsklage der ZPO, JA 1987, 350; Henning-Bodewig Die wettbewerbsrechtliche Haftung von Werbeagenturen, GRUR 1981, 164; dies. Die wettbewerbsrechtliche Haftung von Massenmedien, GRUR 1981, 867; dies. Leitbildwerbung – haftet der „Star“ für Wettbewerbsverstöße?, GRUR 1982, 202; dies. Das neue Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, GRUR 2004, 713; dies. Prominente und Werbung, FS 100 Jahre Wettbewerbszentrale (2013) 107; dies. Haften Privatpersonen nach dem UWG?, GRUR 2013, 26; Hermanns Der Unterlassungsanspruch als verkappter Rückrufanspruch?, GRUR 2017, 977; G. Hess Unterwerfung als Anerkenntnis, WRP 2003, 353; ders. Vertragsstrafe bei der Verteilung von Werbematerial, WRP 2004, 296; ders. Das „Aus“ in der Parenthese – Zum Abschied des Bundesgerichtshofs von der Störerhaftung bei lauterkeitsrechtlichen Verstößen, GRUR-Prax 2011, 25; ders. Trendy: Die notarielle Unterwerfungserklärung, WRP 2015, Editorial, Heft 5; Hinz/Weyhenmeyer Ziel und Anwendung der „Grundsätze für die Tätigkeit von Werbeagenturen“, WRP 1982, 308; M. Hirsch Anmerkung zum EuGH-Urteil vom 12.7.2011 – Zur Frage der Verantwortlichkeit des Betreibers eines Online-Marktplatzes für Markenrechtsverletzungen, K&R 2011, 572; Hirtz Der Nachweis der Wiederholungsgefahr bei Unterlassungsansprüchen, MDR 1988, 182; Hoche Haftung der Organe von Unternehmen für Rechtsverstöße im Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht, IPRB 2015, 40; Hölscher Die inhaltlichen Anforderungen an die Un-

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terwerfungserklärung, WRP 1995, 385; Hoeren Cybermanners und Wettbewerbsrecht – Einige Überlegungen zum Lauterkeitsrecht im Internet, WRP 1997, 993; ders. Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 12.7.2011 – C-324/09 (L’Oréal/eBay), MMR 2011, 605; ders./Eustergerling Die Haftung des Admin-C, MMR 2006, 132; ders./Neubauer Der EuGH, Netlog und die Haftung für Host-Provider, WRP 2012, 508; ders./Semrau Haftung des Merchant für wettbewerbswidrige Affiliate-Werbung, MMR 2008, 571; Hoffmann Zivilrechtliche Haftung im Internet, MMR 2002, 284; F. Hofmann Markenrechtliche Sperranordnungen gegen nicht verantwortliche Intermediäre. Das englische Cartier-Urteil und seine Lehren für das deutsche Recht, GRUR 2015, 123; ders. Störerhaftung von Access-Providern für Urheberrechtsverletzungen Dritter, NJW 2016, 769; ders. Private Enforcement im Wett- und Glücksspielrecht. Die Rechtsgrundlagen für die Haftung von Intermediären wie Werbemedien, Zahlungsdienstleistern oder Internetzugangsprovidern bei illegalen Glücksspielangeboten, ZfWG 2016, 304; ders. Prozeduralisierung der Haftungsvoraussetzungen im Medienrecht – Vorbild für die Intermediärshaftung im Allgemeinen?, ZUM 2017, 102; ders. Mittelbare Verantwortlichkeit im Internet – Eine Einführung in die Intermediärshaftung, JuS 2017, 713; ders. Der Unterlassungsanspruch als Rechtsbehelf (2017); ders. „Equity“ im deutschen Lauterkeitsrecht? Der „Unterlassungsanspruch“ nach der Geschäftsgeheimnis-RL, WRP 2018, 1; ders. Unterlassungsanspruch und Verhältnismäßigkeit – Beseitigung, Löschung und Rückruf, NJW 2018, 1290; ders. Lauterkeitsrechtliche Internetangebotssperren. Besteht eine Anspruchsgrundlage für die Inanspruchnahme von Access-Providern zur Erschwerung des Zugangs auf rechtswidrige Glücksspielangebote?, WRP 2020, 1089; ders. Unterlassung und Rückruf im Lebensmittelrecht – Folgen der Rechtsprechung des BGH zur Reichweite des lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsanspruchs, in: Möstl/Purnhagen (Hrsg.), Maßnahmen und Sanktionen im Lebensmittelrecht, 2021, S. 81; ders. Versteckte Haftungsfalle im neuen UWG bei der Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs durch Mitbewerber?, WRP 2021, 1; K. Hofmann Beseitigungspflichten des lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsschuldners, NJW 2018, 2157; Hofmeister Die Fischdose der Pandora – Rechtsfragen zur Durchsetzung der Unterlassung von abwertenden Äußerungen in Patentschriften, Mitt. 2010, 178; Hollenders Mittelbare Verantwortlichkeit von Intermediären im Netz (2012); Holznagel Notice and Take-Down-Verfahren als Teil der Providerhaftung (2013); ders. Melde- und Abhilfeverfahren zur Beanstandung rechtswidrig gehosteter Inhalte nach europäischem und deutschem Recht im Vergleich zu gesetzlich geregelten notice and take-down-Verfahren, GRUR Int. 2014, 105; ders. Unterlassungsanordnungen gegen Betreiber unverschlüsselter WLANs („McFadden vs. Sony“), jurisPR-WettbR 10/2016 Anm. 1; Hösch Die Auswirkung des § 24 Abs. 2 S. 2 UWG auf Wettbewerbsvereinigungen, WRP 1996, 849; Huff Die Klagebefugnis der Rechtsanwaltskammern, NJW-Spezial 2004, 381; Hühner Zur (mittelbaren) Haftung einer Domain-Parking-Plattform, ZGE 2012, 70; ders. Haftet der Geschäftsführer persönlich?, GRUR-Prax 2013, 459; Hullen Zum Entwurf eines Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken, jurisPR-ITR 9/2012; Igelmann Der Vernichtungsanspruch im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (2003); Isay Rechtsnorm und Entscheidung (1929); Isele Die Haftung des Unternehmers für wettbewerbswidriges Verhalten von Laienwerbern, WRP 2010, 1215; ders. Vertragliche Unterlassungsansprüche bei Rechtsnachfolge auf Seiten des Unterlassungsschuldners, WRP 2011, 292; Jacobs Zum Anspruch auf Drittauskunft beim wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz – Anmerkung zu BGH, GRUR 1994, 630 („Cartier-Armreif“), GRUR 1994, 634; ders. Markenrechtsverletzungen durch Internet-Auktionen, FS Erdmann (2002) 327; Jahn/Palzer Der Intermediär im Spannungsfeld zwischen digitaler Dynamik und Rechtsgüterschutz, K&R 2015, 767; Jahn/ Pirrwitz Abschied vom Allgemeininteresse im Wettbewerbsrecht. Oder: Die Verletzung von Mitgliederrechten als neue Voraussetzung der Klagebefugnis von Vereinen zur Förderung gewerblicher Interessen nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG?, GRUR 1988, 884; dies. Die wettbewerbsrechtliche Verantwortlichkeit eines Unternehmens für Presseveröffentlichungen, insbesondere redaktionelle Werbung, WRP 1990, 302; Janal Lauterkeitsrechtliche Betrachtungen zum Affiliate-Marketing, CR 2009, 317; W. Jelinek Das „Klagerecht“ auf Unterlassung, ÖBl. 1974, 125; Jergolla Das Ende der wettbewerbsrechtlichen Störerhaftung?, WRP 2004, 655; B. Jestaedt Bereicherungsausgleich bei unwirksamen Lizenzverträgen, WRP 2000, 899; D. Jestaedt Das Merkmal „auf demselben Markt“ im Recht des unlauteren Wettbewerbs und seine Auswirkungen auf die Klagebefugnis und den Unterlassungsanspruch (2003); Kaiser Die Vertragsstrafe im Wettbewerbsrecht (1999); Kamlah Zum Konkurrenzverhältnis des UWG zum UKlaG, WRP 2006, 33; Kasper Der finanzielle Eigennutz als der zu minimierende Mißstand im wettbewerbsrechtlichen Schutzsystem (2000); Katzenstein Der Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB: Zu den Grundlagen negatorischer Haftung, AcP 211 (2011), 58; ders. Anwendung von § 275 Abs. 2 BGB auf den negatorischen Beseitigungsanspruch, JZ 2010, 633; Kessen Die notarielle Unterlassungserklärung – der Vorhang zu und kaum noch Fragen offen, GRUR 2017, 141; Kieser/Kleinemenke Neues zur Affiliate-Werbung: Die Haftung des Affiliate für (Schutz-)Rechtsverletzungen des Advertisers, WRP 2012, 543; Kiethe Werbung im Internet, WRP 2000, 616; Kindler „Mein Name ist Hase…“ – Zur Berufung auf Unkenntnis oder Unzuständigkeit bei der Organhaftung für Markenverstöße, FS Köhler (2014) 349; Kisseler Das Klagerecht der Verbände in der Bewährungsprobe, WRP 1977, 151; ders. Gebührenvereine im Zwielicht, WRP 1982, 123; ders. Die Aufbrauchfrist im vorprozessualen Abmahnverfahren, WRP 1991, 691; ders. Die UWG-Novelle in der Praxis, WRP 1994, 768; Klaka Zur Verwirkung im gewerblichen Rechtsschutz, GRUR 1970, 265; ders. Ehrverletzende Äußerungen im Zivilprozess, GRUR 1973, 515; ders. Persönliche Haftung des gesetzlichen Vertreters für die im Geschäftsbetrieb der Gesellschaft begangenen Wettbewerbsverstöße und Verletzungen von Immaterialgüterrechten, GRUR 1988, 729; ders. Erschöpfung und Verwirkung im Licht des Markenrechtsreformgesetzes, GRUR

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Beseitigung und Unterlassung

1994, 321; Klatt Die Kerngleichheit als Grenze der Prüfungspflichten und der Haftung des Hostproviders, ZUM 2009, 265; Klein Keine Vertragsstrafe für die Schwebezeit, GRUR 2007, 664; Kleinmanns Mittelbare Täterschaft im Lauterkeitsrecht (2013); Klocke Gewerkschaften als Verbraucherschützer?, in: Picker/Latzel (Hrsg.), Neue Arbeitswelt, 2014, 145; Kloos Wettbewerbsrechtliche Verantwortlichkeit für Hyperlinks, CR 1999, 46; Knieper Mit Belegen gegen Produktpiraten, WRP 1999, 1116; Kniesbeck Die Haftung der Konzernobergesellschaft für Wettbewerbsverstöße der Untergesellschaft (1999); Koblitz Alte Versprechen, neue Probleme – Vom hoffentlich vorletzten Wort des BGH zur „Altunterwerfung“, WRP 1997, 382; F. Koch Perspektiven für die Link- und Suchmaschinen-Haftung, CR 2004, 213; H. Koch Anmerkung zu BGH JZ 1991, 1038 („Kauf im Ausland“), JZ 1991, 1039; T. Koch Good News aus Luxemburg? Förderung fremden Wettbewerbs ist keine Geschäftspraktik, FS Köhler (2014) 359; Köhler Zum „Wiederaufleben der Wiederholungsgefahr“ beim wettbewerblichen Unterlassungsanspruch, GRUR 1989, 804; ders. Vertragliche Unterlassungspflichten, AcP 190 (1990), 496; ders. Die Haftung des Betriebsinhabers für Wettbewerbsverstöße seiner Angestellten und Beauftragten (§ 13 IV UWG), GRUR 1991, 344; ders. Pressehaftung für wettbewerbswidrige Anzeigen, JuS 1991, 719; ders. Die wettbewerbsrechtlichen Abwehransprüche (Unterlassung, Beseitigung, Widerruf), NJW 1992, 137; ders. Grenzen der Mehrfachklage und Mehrfachvollstreckung im Wettbewerbsrecht, WRP 1992, 359; ders. „Natürliche Handlungseinheit“ und „Fortsetzungszusammenhang“ bei Verstößen gegen Unterlassungstitel und strafbewehrte Unterlassungserklärungen, WRP 1993, 666; ders. Vertragsstrafe und Schadensersatz, GRUR 1994, 260; ders. Die Begrenzung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, GRUR 1996, 82; ders. Die Beteiligung an fremden Wettbewerbsverstößen, WRP 1997, 897; ders. Anmerkung zu BGH GRUR 1998, 419 – Gewinnspiel im Ausland, LM UWG § 13 (a. F.) Nr. 91; ders. Redaktionelle Werbung, WRP 1998, 349; ders. Der ergänzende Leistungsschutz: Ein Plädoyer für eine gesetzliche Regelung, WRP 1999, 1075; ders. Die Auswirkungen der Unternehmensveräußerung auf gesetzliche und vertragliche Unterlassungsansprüche, WRP 2000, 921; ders. Zur Erstattungsfähigkeit von Abmahnkosten, FS Erdmann (2002), 845; ders. UWG-Reform und Verbraucherschutz, GRUR 2003, 265; ders. Das neue UWG, NJW 2004, 2123; ders. Zur Geltendmachung und Verjährung von Unterlassungsansprüchen, JZ 2005, 489; ders. Schutzlücken bei der Verbandsklagebefugnis im Kartell- und Wettbewerbsrecht – eine Aufgabe für den Gesetzgeber, WRP 2007, 602; ders. „Täter“ und „Störer“ im Wettbewerbs- und Markenrecht, GRUR 2008, 1; ders. Die UWG-Novelle 2008, WRP 2009, 109; ders. Der Schutz vor Produktnachahmung im Markenrecht, Geschmacksmusterrecht und neuen Lauterkeitsrecht, GRUR 2009, 441; ders. Der „Mitbewerber“, WRP 2009, 499; ders. Unzulässige geschäftliche Handlungen bei Abschluss und Durchführung eines Vertrags, WRP 2009, 898; ders. Die notarielle Unterwerfungserklärung – eine Alternative zur strafbewehrten Unterlassungserklärung?, GRUR 2010, 6; ders. Neubeurteilung der wettbewerblichen Haftung des Rechtsnachfolgers eines Unternehmers?, WRP 2010, 475; ders. Wegfall der Erstbegehungsgefahr durch „entgegengesetztes Verhalten“?, GRUR 2011, 879; ders. „Fachliche Sorgfalt“ – Der weiße Fleck auf der Landkarte des UWG, WRP 2012, 22; ders. Verbandsklagen gegen unerbetene Telefon-, Fax- und E-Mail-Werbung: Was sagt das Unionsrecht?, WRP 2013, 567; ders. Das neue Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken, NJW 2013, 3473; ders. Der Regierungsentwurf zur UWG-Novelle 2015: Nur Klarstellung oder doch tiefgreifende Änderungen?, WRP 2015, 275; ders. Zur territorialen Reichweite wettbewerbsrechtlicher Unterlassungstitel, FS Ahrens (2016) 111; ders. Der wettbewerbsrechtliche Beseitigungsanspruch – ein Folgenbeseitigungsanspruch?, WRP 2019, 269; ders. Durchsetzung der DS-GVO mittels UWG und UKlaG?, WRP 2018, 1269; ders. Einheitlicher, gespaltener oder funktionaler Mitbewerberbegriff im UWG?, GRUR 2021, 426; ders./Bornkamm/Henning-Bodewig Vorschlag für eine Richtlinie zum Lauterkeitsrecht und eine UWG-Reform, WRP 2002, 1317; A. König Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche gegen die GmbH und ihre Gesellschafter (1992); Koenig/Hellstern Die Klagebefugnis bei wettbewerbsrechtlichen Klagen gegen unionswidrige Beihilfemaßnahmen, GRUR Int. 2012, 14; Köpernik Zur Notwendigkeit einer Verbandsklage bei Datenschutzverstößen, VuR 2014, 240; Koppe/Zagouras Haftung für Produktkritik, GRUR 2005, 1011; Körner Befristete und unbefristete Unterlassungstitel bei Wettbewerbsverstößen, GRUR 1985, 909; Köster/Jürgens Haftung professioneller Anbieter im Internet, MMR 2002, 420; dies. Anm. zu BGH „Jugendgefährdende Medien bei eBay“, MMR 2007, 639; Kolb Der Anspruch auf Unterhaltsbekanntmachung im Markenrecht, GRUR 2014, 513; Krekel Diensteanbieter als Überwachungsgaranten, WRP 2009, 1029; Krieger Zum Anspruch auf Auskunftserteilung wegen Warenzeichenverletzung, GRUR 1989, 802; Ch. Krüger Wiederholungsgefahr – unteilbar?, GRUR 1984, 785; Lambsdorff Zur Klagebefugnis von Rechtsanwaltskammern, WRP 1998, 1151; Lehmann Der Einfluß des Konkurses auf Unterlassungsansprüche, ZZP 38 (1909), 68; ders./Rein eBay: Haftung des globalen Basars zwischen Gemeinschaftsrecht und BGH, CR 2008, 97; Lehment Zur Störerhaftung von Online-Auktionshäusern, WRP 2003, 1058; ders. Neuordnung der Täter- und Störerhaftung, WRP 2012, 149; Leible/Sosnitza „3…2…1… meins!“ und das TDG, WRP 2004, 592; dies. Neues zur Störerhaftung von Internet-Auktionshäusern, NJW 2004, 3225; dies. Haftung von Internetauktionshäusern – reloaded, NJW 2007, 3324; Leisse Schadensersatz durch befristete Unterlassung, FS Traub (1994) 229; Leistner Von „Grundig-Reporter(n) zu Paperboy(s)“, GRUR 2006, 801; ders. Störerhaftung und mittelbare Schutzrechtsverletzung, GRUR-Beil. 2010, 1; ders. Grundlagen und Perspektiven der Haftung für Urheberrechtsverletzungen im Internet, ZUM 2012, 722; ders. Die Haftung von Kauf- und Buchungsportalen mit Bewertungsfunktion, FS Köhler (2014) 415; ders./Grisse Sperrverfügungen gegen Access-Provider im Rahmen der Störerhaftung, GRUR 2015, 19, 105; ders./Stang Die Neuerung der wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflichten, WRP 2008, 533; Leitgeb Virales

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Marketing – Rechtliches Umfeld für Werbefilme auf Internetportalen wie YouTube, ZUM 2009, 39; Lensing-Kramer/Ruess Markenrechtliche Verantwortlichkeit von Internet-Auktionsportalen im Rechtsvergleich, GRUR 2009, 722; Lettl Der Schutz der Verbraucher nach der UWG-Reform, GRUR 2004, 449; ders. Gemeinschaftsrecht und neues UWG, WRP 2004, 1079; ders. Das neue UWG (2004); ders. Kein vorbeugender Schutz des Persönlichkeitsrechts gegen Bildveröffentlichung?, NJW 2008, 2160; ders. Die Aktivlegitimation für Unterlassungsansprüche wegen unberechtigter Verwendung einer geografischen Herkunftsangabe nach § 128 Abs. 1 MarkenG, WRP 2008, 446; ders. Der Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs, WM 2019, 289; W. F. Lindacher Wettbewerbliche Unterlassungsverpflichtung und Vertragsstrafeversprechen nach „Hamburger Brauch“, WRP 1975, 7; ders. Gesicherte Unterlassungserklärung, Wiederholungsgefahr und Rechtsschutzbedürfnis, GRUR 1975, 413; ders. Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch, GRUR 1985, 423; ders. Zur wettbewerbsrechtlichen Unterlassungshaftung der Presse im Anzeigengeschäft, WRP 1987, 585; ders. Der „Gegenschlag“ des Abgemahnten, FS von Gamm (1990) 83; ders. Die internationale Verbandsklage in Wettbewerbssachen, FS Lüke (1997) 377; ders. Prozessführung durch Verbände unter Kostendeckungszusage, WRP 2017, 1168; von Linstow Klagebefugnis und Gerichtsstand nach der UWG-Novelle, WRP 1994, 787; ders. Die rechtsverletzende Titelschutzanzeige, FS Erdmann (2002) 375; Loewenheim Die Erstattung von Abmahnkosten der Verbände in der neueren Rechtsentwicklung, FS 75 Jahre Wettbewerbszentrale (1987) 63; Löffler Störerhaftung oder Beihilfe durch Unterlassen?, FS Bornkamm (2014) 37; Lohse § 1004 BGB als Rechtsgrundlage für Zahlungsansprüche?, AcP 201 (2001), 902; Lorenz Die modifizierte Unterlassungserklärung in Tauschbörsenfällen, VuR 2011, 323; M. Loschelder Anspruch aus § 1 UWG, gerichtet auf die Unterlassung einer Unterlassung, WRP 1999, 57; ders./Dörre Wettbewerbsrechtliche Verkehrspflichten des Betreibers eines realen Marktplatzes, WRP 2010, 822; Lunk/Nebendahl Zur Unterlassungshaftung des Inserenten für wettbewerbswidrige Zeitungsanzeigen, GRUR 1991, 656; Maaßen Abschaffung des effektiven Rechtsschutzes durch das „Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken“?, GRUR-Prax 2012, 252; ders. Haftung für Hyperlink auf Startseite nur nach Hinweis auf Rechtsverletzung, GRUR-Prax 2016, 45; N. Maier Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers für Wettbewerbsverstöße im Unternehmen, WRP 1986, 71; Mankowski Für einen Wegfall des Fortsetzungszusammenhangs bei der Unterlassungsvollstreckung, WRP 1996, 1144; ders. Können ausländische Schutzverbände der gewerblichen Wirtschaft „qualifizierte Einrichtungen“ im Sinne der Unterlassungsklagerichtlinie sein und nach § 8 III Nr. 3 UWG klagen?, WRP 2010, 186; Mattes, Vertragsstrafen im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, IPRB 2020, 45; Max Das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs und seine Auswirkungen auf die Verbraucherverbände, VuR 2021, 129; Mees Verbandsklagebefugnis in Fällen des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes, WRP 1999, 62; ders. Haftung von Aufsichtsräten juristischer Personen im Bereich des Wettbewerbsrechts und verwandten Rechtsgebieten, FS Bornkamm (2014) 53; Mels/Franzen Rechtsnachfolge in die gesetzliche Unterlassungsschuld des Wettbewerbsrechts, GRUR 2008, 968; Melullis Zu den Auswirkungen der UWG-Novelle v. 25.7.1994 auf bestehende Unterlassungsverpflichtungen, FS Piper (1996) 375; Mertens Zum Inhalt des Beseitigungsanspruchs aus § 1004 BGB, NJW 1974, 1783; Messer Wettbewerbsrechtliche Haftung der Organe juristischer Personen, FS Ullmann (2006) 769; Metzger Vertragsstrafen im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht im Spiegel der aktuellen Rechtsprechung und Reformvorhaben, GRUR 2019, 1015; Micklitz/Rott Vergemeinschaftung des EuGVÜ in der Verordnung (EG) Nr. 44/2001, EuZW 2001, 325; Miosga Die Ansprüche auf Rückruf und Entfernen im Recht des geistigen Eigentums (2010); Müller Das Reichgesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs vom 27. Mai 1896 (4. Aufl. 1904); Münker Verbandsklagen im sogenannten ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz, FS Ullmann (2006) 781; ders./Gillner 100 Jahre Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V., FS 100 Jahre Wettbwerbszentrale (2012) 59; Münzberg Bemerkungen zum Haftungsgrund der Unterlassungsklage, JZ 1967, 689; Nacken Anmerkungen zu den Änderungen des UWG, WRP 1994, 791; Nägele Das konkrete Wettbewerbsverhältnis – Entwicklungen und Ausblick, WRP 1996, 997; Nennen Vertragspflichten und Störerhaftung der Werbeagenturen, GRUR 2005, 214; Neu Die Verwirkung im Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, GRUR 1987, 681; Neuhaus Sekundäre Haftung im Lauterkeits- und Immaterialgüterrecht, 2011; Nicles/von Blumenthal Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken, ITRB 2013, 173; Nieder Aufbrauchfrist via Unterwerfungserklärung?, WRP 1999, 583; ders. Die vertragsstrafenbewehrte Unterwerfung im Prozessvergleich, WRP 2001, 117; Nippe Notarielle Unterlassungserklärung und Gerichtszuständigkeit für die Androhung gesetzlicher Ordnungsmittel, WRP 2015, 532; Nolte/Wimmers Wer stört? Gedanken zur Haftung von Intermediären im Internet, GRUR 2014, 16; J. B. Nordemann Die Aufbrauchfrist im deutschen Wettbewerbs-, Marken- und Urheberrecht, ZGE 2019, 309; ders. Nach TMG-Reform und EuGH „McFadden“ – Das aktuelle Haftungssystem für WLAN- und andere Zugangsprovider, GRUR 2016, 1097; ders. Verkehrspflichten und Urheberrecht, FS Loewenheim (2009) 215; ders. Haftung von Providern im Urheberrecht, GRUR 2011, 977; Nosch Die Abmahnung im Zivilrecht (2012); Ohly „Patenttrolle“ oder: Der patentrechtliche Unterlassungsanspruch unter Verhältnismäßigkeitsvorbehalt? Aktuelle Entwicklungen im US-Patentrecht und ihre Bedeutung für das deutsche und europäische Patentsystem, GRUR Int. 2008, 787; ders. Die Verantwortlichkeit von Intermediären, ZUM 2015, 308; ders. Der unionsrechtliche Rahmen der Haftung für die Verletzung lauterkeitsrechtlicher Verkehrspflichten, FS Ahrens (2016) 135; ders. Die lauterkeitsrechtliche Haftung für Hyperlinks, NJW 2016, 1417; ders. Die Haftung von Internet-Dienstleistern für die Verletzung lauterkeitsrechtlicher Verkehrspflichten, GRUR 2017, 441; Omsels Zur Unlauterkeit der gezielten Behinderung von Mitbewerbern (§ 4 Nr. 10 UWG), WRP 2004, 136;

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ders./ Wagner Die Verantwortung der Kommunikationsagentur für rechtswidrige Werbung, GRUR 2015, 1059; ders./Zott Ausgewählte Probleme im neuen UWG, WRP 2021, 278; Oppermann Unterlassungsanspruch und materielle Gerechtigkeit im Wettbewerbsprozess (1993); Ott Erfüllung von Löschungspflichten bei Rechtsverletzungen im Internet, WRP 2007, 605; Ottofülling Die wettbewerbsrechtliche und immaterialgüterrechtliche Störerhaftung des Geschäftsführers der GmbH (1990); ders. Steht der Geschäftsführer der GmbH in der Gefahr, persönlich auf Unterlassung zu haften?, GmbHR 1991, 304; Paal/Wilkat Internetauktionshäuser und Störerhaftung – Zugleich eine Besprechung von BGH, Urteil vom 17.8.2011, I ZR 57/09 – „Stiftparfüm“, MarkenR 2012, 1; Paefgen Grenzen der Verbraucherverbandsklagebefugnis bei Wettbewerbsverstößen im Btx-Dienst, CR 1992, 65; Pankoke Von der Presse- zur Providerhaftung (2000); Pastor Der Unterlassungsanspruch gegen den Betriebsinhaber aus § 13 Abs. 3 UWG, NJW 1964, 896; ders. Verbraucherverbände im Sinne des § 13 Abs. 1a UWG, GRUR 1969, 571; ders. Die Verbandsklagebefugnis des § 13 nach dem 2. Regierungsentwurf einer UWG-Reform, WRP 1982, 371; Peifer Verkehrspflicht des Nutzers einer Auktionsplattform zur Geheimhaltung der elektronischen Zugangsdaten („Halzband“), jurisPR-WettbR 5/2009 Anm. 1; Petersenn/Graber Rückrufverpflichtung auch im Verfügungsverfahren, GRUR-Prax 2017, 362; Picker Der negatorische Beseitigungsanspruch (1972); ders. Privatrechtssystem und negatorischer Rechtsschutz (2019); Piekenbrock Befristung, Verjährung, Verschweigung und Verwirkung – Eine rechtsvergleichende Grundlagenstudie zu Rechtsänderungen durch Zeitablauf (2006); Pietzcker Standesaufsicht durch Wettbewerbsklagen?, NJW 1982, 1840; G. Pinzger Der Unterlassungsanspruch im Konkurs mit besonderer Rücksicht auf gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (1934); Piper Zur wettbewerbsrechtlichen Beurteilung von Werbeanzeigen, FS Vieregge (1995) 715; ders. Zur Prozessführung der Wettbewerbszentrale vor dem Bundesgerichtshof, WRP 1996, 484; P. Pohlmann Das Rechtsschutzbedürfnis bei der Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche, GRUR 1993, 361; Pokrant Zur vorprozessualen Erfüllung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche, FS Erdmann (2002) 863; Prelinger Klagebefugnis der Abmahnvereine?, NJW 1982, 211; Pres Rückrufverpflichtung als Teil des Unterlassungsanspruchs, GRUR-Prax 2017, 50; Prölss Der Einwand der „unclean hands“ im Bürgerlichen Recht sowie im Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, ZHR 132 (1969), 35; Rätze Gesetz zur Stärkung des (un)fairen Wettbewerbs, WRP 2020, 1519; Redeker Grenzen für Aufgaben und Tätigkeit öffentlich-rechtlicher Zwangsverbände, NJW 1982, 1266; Rehart/ Eckardt Auskunftsanspruch und kein Ende, WRP 2008, 1286; Rehbinder Vergütung für eingespeisten Strom im Wege der Beseitigung auch nach Betriebseinstellung?, NJW 1997, 564; ders. Rechtliche Grenzen für die Beendigung umweltrechtlicher Verbandsklagen gegen Entgelt, NuR 2015, 733; Reich Zur Möglichkeit und Durchsetzung eines sog. Folgenbeseitigungsanspruchs im UWG und im AGB-Recht – das Flexstrom-Urteil des KG v. 27.3.2013 und die Folgen für unberechtigt geforderte Energiepreisanpassungen“ durch die Versorger, VuR 2014, 247; ders. Klageberechtigung einer Handwerksinnung bei Wettbewerbsverstößen, LKV 2016, 357; Reichelsdorfer Die Haftung für Dritte im Wettbewerbsrecht (2001); ders. Schadensersatzhaftung für Angestellte und Beauftragte nach § 13 Abs. 4 UWG, WRP 2004, 828; Remmertz Werbebotschaften per Handy, MMR 2003, 314; C. Renner/A. Schmidt Unterlassung von Handlungen Dritter?, GRUR 2009, 908; Retzer Vernichtungsanspruch bei Nachahmung, FS Piper (1996) 421; Rheineck Rückrufpflichten des Unterlassungsschuldners?, WRP 1992, 753; Rieble Wegfall wettbewerblicher Vertragsstrafen durch das UWG-Änderungsgesetz?, GRUR 1995, 252; Ritter Zur Unterlassungsklage: Urteilstenor und Klageantrag (1994); Rödding Die Rechtsprechung zur Drittunterwerfung – Ein Irrweg?, WRP 1988, 514; M. Rössel Zur Haftung des Inhabers eines eBay-Mitgliedskontos für über das Mitgliedskonto begangene Schutzrechtsverletzungen durch einen Dritten, CR 2009, 453; Rosenthal Die Wiederholungsgefahr als Voraussetzung der Unterlassungsklage, LZ 1910, 587; ders. Die Beweislast für die Wiederholungsgefahr bei der Unterlassungsklage, LZ 1911, 888; Roth Verantwortlichkeit von Betreibern von Internet-Marktplätzen für Markenrechtsverletzungen durch Nutzer, WRP 2011, 1258; Rüßmann Die Bindungswirkung rechtskräftiger Unterlassungsurteile, FS Lüke (1997) 675; Ruess/Delpy Neues zur Haftung der Geschäftsführer für wettbewerbsrechtliche Verstöße, GWR 2013, 455; R. Sack Sittenwidrigkeit, Sozialwidrigkeit und Interessenabwägung, GRUR 1970, 493; ders. Der Schutzzweck des UWG und die Klagebefugnis des „unmittelbar Verletzten“, FS v. Gamm (1990) 161; ders. Die wettbewerbsrechtliche Klagebefugnis des „unmittelbar Verletzten“ nach der Neufassung des § 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG, BB 1995, 1; ders. Die Durchsetzung unlauter zustande gebrachter Verträge als unlauterer Wettbewerb?, WRP 2002, 396; ders. Regierungsentwurf einer UWGNovelle – ausgewählte Probleme, BB 2003, 1073; ders. Neuere Entwicklungen der Individualklagebefugnis im Wettbewerbsrecht, GRUR 2011, 953; ders. Die Klagebefugnis des „unmittelbar Verletzten“ im UWG, WRP 2020, 675; F. J. Säcker Zur Problematik wettbewerbsrechtlicher Verbandsklagen durch Spitzenorganisationen der Wirtschaft, DB 1986, 1504; ders. Die Haftung von Diensteanbietern nach dem Entwurf des EGG, MMR-Beilage 9/2000; Sakowski BB-Kommentar – Ein auf Unterlassung des Vertriebs bestimmter Produkte gerichteter Titel umfasst grundsätzlich die Pflicht des Schuldners zum Produktrückruf, BB 2017, 275; ders. Unterlassen durch Rückruf – „Hot Sox“ und „RESCUE-Produkte“ und die Folgen, GRUR 2017, 355; Sambuc Folgenerwägungen im Richterrecht. Die Berücksichtigung von Entscheidungsfolgen bei der Rechtsgewinnung, erörtert am Beispiel des § 1 UWG (1977); Samwer Verbraucherschutz und Wettbewerbsrecht, GRUR 1969, 326; ders. Die Störerhaftung und die Haftung für fremdes Handeln im wettbewerblichen Unterlassungsrecht, WRP 1999, 67; Schacht Die Prüfung konkreter Unterlassungspflichten im Erkenntnisverfahren, WRP 2017, 1055; Schack Täter und Störer: Zur Erweiterung und Begrenzung der Verantwortlichkeit durch Verkehrspflichten im Wettbewerbs- und Im-

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materialgüterrecht, FS Reuter (2010), 1167; Schaffert Der durch § 4 Nr. 11 UWG bewirkte Schutz der Mitbewerber, FS Ullmann (2006), 845; Schapiro Unterlassungsansprüche gegen die Betreiber von Internet-Auktionshäusern und InternetMeinungsforen (2011); Schaub Haftung der Betreiber von Bewertungsportalen für unternehmensbezogene Äußerungen, FS Köhler (2014), 593; Schaumburg Die Verbandsklage im Verbraucherschutz- und Wettbewerbsrecht (2006); Scherer Einschränkung der Verantwortlichkeit des Werbenden für Marken- und Wettbewerbsrechtsverletzungen im Internet, WRP 2016, 941; Schilken Die Befriedigungsverfügung (1976); Schilling Geschäftsschädigende Äußerungen auf Bewertungsportalen im Internet: Wer haftet noch?, GRUR-Prax 2015, 313; B. Schindler Die Klagebefugnis im Wettbewerbsprozeß nach der UWG-Reform, WRP 2004, 835; Schinnenburg Zivilrechtliche Abmahnungen der Ärztekammern gegen ihre eigenen Mitglieder; GesR 2007, 568; Schirmbacher/Ihmor Affiliate-Werbung – Geschäftsmodell, Vertragsgestaltung und Haftung, CR 2009, 245; W. Schmid Überlegungen zum Sinn und zu den Rechtsfolgen von Titelschutzanzeigen, FS Erdmann (2002), 469; E. Schmidt Verbraucherschützende Verbandsklagen, NJW 2002, 25; K. Schmidt Gesetzliche, insbesondere wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche bei Umstrukturierungen, FS Köhler (2014), 631; Schmitt-Gaedke/P. Schmidt Vollstreckung des Unterlassungstitels: Was hat der Schuldner zu unterlassen, was muss er tun?, GRUR-Prax 2017, 343; Schmitz/Eckhart Mehr Verbraucherschutz durch das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken. Eine Verbesserung im Spannungsverhältnis zur Garantie des Fernmeldegeheimnisses, CR 2013, 818; A. Schneider Vom Störer zum Täter? (2012); E. und H. Schneider Problemfälle aus der Prozesspraxis – Die Fassung des Klageantrags bei Beseitigungsklage aus § 1004 BGB, MDR 1987, 639; Schnepel Zum Streit um das „Wiederaufleben der Wiederholungsgefahr“ beim wettbewerblichen Unterlassungsanspruch, WRP 1994, 467; ders. Wettbewerbliches Unterwerfungsrecht (1997); Schnur Das Verhältnis von Widerruf einer Behauptung und Bekanntmachung der Gerichtsentscheidung als Mittel zur Rufwiederherstellung, GRUR 1978, 225; ders. Zum „uneingeschränkten“ und „eingeschränkten“ Widerruf von Behauptungen, GRUR 1979, 139; Schotthöfer Rechtliche Probleme im Verhältnis zwischen Feststellungsklage und Unterlassungsklage im Wettbewerbsrecht, WRP 1986, 19; P. Schrader Wettbewerbsrechtlicher Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch gegen Vorstandsmitglieder oder gegen die Aktiengesellschaft?, DB 1994, 2221; ders. Adressatenorientierte Auslegung des Unterlassungstitels?, FS Ahrens (2016), 151; Schramm Grundlagenforschung auf dem Gebiete des gewerblichen Rechtsschutzes und Urheberrechtes (1954); Schreiner Anmerkung zu BGH GRUR 1988, 918 – Anonymisierte Mitgliederliste III, GRUR 1988, 919; Schricker Unlauterer Wettbewerb und Verbraucherschutz, GRUR Int. 1970, 32; ders. Berichtigende Werbung – Rechtsvergleichende Überlegungen zur Fortbildung des deutschen Wettbewerbsrechts, GRUR Int. 1975, 191; W. B. Schünemann Drittwirkung bei Bewilligung einer Aufbrauchfrist, WRP 1994, 693; ders. Die wettbewerbsrechtliche „Störer“-Haftung, WRP 1998, 120; A. Schulz Einstweiliger Rechtsschutz gegen Markenanmeldungen, WRP 2000, 258; Schuschke Wiederholte Verletzungshandlungen: Natürliche Handlungseinheit, Fortsetzungszusammenhang und Gesamtstrafe im Rahmen des § 890 ZPO, WRP 2000, 1008; Schuster/Bonnots Die Gefahr des Zuwiderhandelns gegen Unterlassungsverpflichtungen (Wiederholungsgefahr), Öbl. 1974, 169; Schwartz Verfolgung unlauteren Wettbewerbs im Allgemeininteresse, GRUR 1967, 333; Schwippert Täter oder Störer – alles längst geklärt?, WRP 2018, 1027; ders. Der Streitgegenstand nach der Biomineralwasser-Entscheidung des BGH, WRP 2014, 8; Siegel Die Haftung des Prinzipals für Handlungen der Angestellten nach dem neuen Wettbewerbsgesetz, MuW IX, 183; Sosnitza Die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken – Volloder Teilharmonisierung?, WRP 2006, 1; ders. Neue lauterkeitsrechtliche Anforderungen, CR 2021, 329; Spätgens Zur Natur, Gestaltung und Funktion wettbewerblicher Unterwerfungserklärungen, FS Gaedertz (1992), 545; ders. Drittwirkung bei Bewilligung einer Aufbrauchfrist, WRP 1994, 693; ders. Gedanken zur Klageberechtigung und zum Herstellerbegriff beim ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz, FS Erdmann (2002), 727; Spieker Haftungsrechtliche Aspekte für Unternehmen und ihre Internet-Werbepartner (Affiliates), GRUR 2006, 903; G. Spindler Verantwortlichkeit und Haftung für Hyperlinks im neuen Recht, MMR 2002, 495; ders. Das Gesetz zum elektronischen Geschäftsverkehr – Verantwortlichkeit der Diensteanbieter und Herkunftslandprinzip, NJW 2002, 921; ders. Hyperlinks und ausländische Glücksspiele, GRUR 2004, 724; ders. Reformperspektiven der Providerhaftung im deutschen und europäischen Recht, in: Leistner (Hrsg.), Europäische Perspektiven des Geistigen Eigentums, 2010, 212; ders. Präzisierung der Störerhaftung im Internet, GRUR 2011, 101; ders. Europarechtliche Rahmenbedingungen der Störerhaftung im Internet – Rechtsfortbildung durch den EuGH in Sachen L’Oréal/eBay, MMR 2011, 703; ders. Die Störerhaftung im Internet – (k)ein Ende in Sicht? Geklärte und ungeklärte Fragen, FS Köhler (2014), 695; ders. Zivilrechtliche Sperrverfügungen gegen Access Provider nach dem EuGH-Urteil „UPC Telekabel“, GRUR 2014, 826; ders. IT-Sicherheitsgesetz und zivilrechtliche Haftung, CR 2016, 297; ders. Das Ende der Links: Framing und Hyperlinks auf rechtswidrige Inhalte als eigenständige Veröffentlichung?, GRUR 2016, 157; ders. Sperrverfügungen gegen Access-Provider – Klarheit aus Karlsruhe?, GRUR 2016, 451; ders. Verbandsklagen und Datenschutz – das neue Verbandsklagerecht, ZD 2016, 114; ders./Leistner Die Verantwortlichkeit für Urheberrechtsverletzungen im Internet – Neue Entwicklungen in Deutschland und in den USA, GRUR Int. 2005, 773; ders./Volkmann Die zivilrechtliche Störerhaftung der Internet-Provider, WRP 2003, 1; dies. Störerhaftung für wettbewerbswidrig genutzte Mehrwertdienst-Rufnummern und Domains, NJW 2004, 808; T. Stadler Haftung für Information im Internet (2002); von Stechow Das Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs vom 27. Mai 1896 (2002); Steigüber Der „neue“ Anspruch auf Urteilsbekanntmachung im Immaterialgüterrecht?, GRUR 2011, 295; Steinbeck Die strafbe-

9

Hofmann

§8

Beseitigung und Unterlassung

wehrte Unterlassungserklärung: Ein zweischneidiges Schwert!, GRUR 1994, 90; Steines Die strafbewehrte Unterlassungserklärung: Einziges Mittel zur Beseitigung der Wiederholungsgefahr, NJW 1988, 1359; Steiniger Unterlassungstitel – Verletzungshandlung – Kerntheorie – oder warum man Untersagungsgeboten Folge leisten sollte, WRP 2000, 1415; Steinmetz Der „kleine“ Wettbewerbsprozeß (1993); Sternja Das sofortige Anerkenntnis (§ 93 ZPO) im gewerblichen Rechtsschutz, Wettbewerbs- und Urheberrecht – Teil 1, MarkenR 2010, 113 und Teil 2, MarkenR 2010, 153; Strömes/Grootz Die „veranlasste Initiativunterwerfung“ – Ein untauglicher Versuch?, WRP 2008, 1148; Stute Aus der Praxis – für die Praxis, Werbegemeinschaft als Beauftragte i. S. v. § 13 Abs. 4 UWG?, WRP 1999, 875; Tack Zur „Wiederholten Unterwerfung“ in Wettbewerbsstreitigkeiten, WRP 1984, 455; Tavanti Kommentar zu LG Berlin Urt. v. 4. August 2015 Az. 15 O 56/15, WRP 2015, 1411; Teplitzky Die Rechtsfolgen der unbegründeten Ablehnung einer strafbewehrten Unterlassungserklärung, GRUR 1983, 609; ders. Das Verhältnis des objektiven Beseitigungsanspruchs zum Unterlassungsanspruch im Wettbewerbsrecht, WRP 1984, 365; ders. Unterwerfung und „konkrete Verletzungsform“, WRP 1990, 26; ders. Die (Unterwerfungs-)Vertragsstrafe in der neueren BGH-Rechtsprechung, WRP 1994, 709; ders. Zur Frage der überregionalen Drittwirkung einer Unterwerfungserklärung auf Abmahnung eines nur regional tätigen Gläubigers, WRP 1995, 359; ders. Zur Frage des Wegfalls der Geschäftsgrundlage für Unterwerfungsverträge als Folge der Neufassung des § 13 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 UWG, WRP 1995, 275; ders. Die Auflösung von Unterwerfungsverträgen mit nicht mehr verfolgungsberechtigten Gläubigern, WRP 1996, 1004; ders. Unterwerfung oder Unterlassungsurteil? Zur Frage des aus der Verletzerperspektive „richtigen“ Streiterledigungsmittels, WRP 1996, 171; ders. Die wettbewerbsrechtliche Unterwerfung heute – Neuere Entwicklungen eines alten Streitbereinigungsmittels, GRUR 1996, 969; ders. Die fortgesetzte Handlung im Zivilrecht, WRP 1997, 73; ders. Streitgegenstand und materielle Rechtskraft im Unterlassungsprozess, GRUR 1998, 320; ders. Neue Entwicklungen beim wettbewerbs- und markenrechtlichen Auskunftsanspruch, FS Tilmann (2003), 913; ders. Die prozessualen Folgen der Entscheidung des Großen Senats für Zivilsachen zur unberechtigten Schutzrechtsverwarnung, WRP 2005, 1433; ders. Aktuelle Probleme der Abmahnung und der Unterwerfung sowie des Verfahrens der einstweiligen Verfügung im Wettbewerbs- und Markenrecht, WRP 2005, 654; ders. Zur Frage der Rechtmäßigkeit unbegründeter Schutzrechtsverwarnungen, GRUR 2005, 9; ders. Eingeschränkte Unterwerfungserklärungen, VuR 2009, 83; ders. Probleme der notariell beurkundeten und für vollstreckbar erklärten Unterlassungsverpflichtungserklärung (§ 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO), WRP 2015, 527; Tettenborn/Bender/Lübben/Karenfort Rechtsrahmen für den elektronischen Geschäftsverkehr, K&R 2001, Beilage 1 zu Heft 12/2001; Thun Der immaterialgüterrechtliche Vernichtungsanspruch (1998); ders. Haftung für fremde Inhalte, GRUR 2005, 200; Tilmann Der Auskunftsanspruch, GRUR 1987, 251; ders. Zum Anspruch auf Auskunftserteilung wegen Warenzeichenverletzung II, GRUR 1990, 160; ders. Die UWG-Novelle 1994, BB 1994, 1793; ders./Schreibauer Die neueste BGH-Rechtsprechung zum Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB, GRUR 2002, 1015; Traub Der Einwand der „unclean hands“ gegenüber Folgenbeseitigungsansprüchen, FS v. Gamm (1990), 213; ders. Wettbewerbsrechtliche Nachahmungstatbestände und Klagebefugnis der Wettbewerber, FS Quack (1991), 119; ders. Die Anwendung des § 278 BGB auf die Erfüllung wettbewerblicher Unterlassungsversprechen, FS Gaedertz (1992), 563; Tsantinis Aktivlegitimation und Prozeßführungsbefugnis von Individuen und Organisationen im UWG-Prozessrecht (1995); Uedelhoven Die kostenlose Erstabmahnung – eine wirkungslose Waffe gegen den unseriösen Abmahnverein, WRP 1982, 564: Ullmann Zur Bedeutung der gewillkürten Prozeßstandschaft im Warenzeichen- und im Wettbewerbsrecht, FS von Gamm (1990), 315; ders. Erstbegehungsgefahr durch Vorbringen im Prozeß?, WRP 1996, 1007; G. A. Ulrich Verhinderung des Mißbrauchs der Verbandsklagebefugnis durch Verbot außergerichtlichen Aufwendungsersatzes?, WRP 1982, 378; ders. Der Mißbrauch der Verbandsklagebefugnis – ein Rückblick, WRP 1984, 368; ders. Der Mißbrauch prozessualer Befugnisse in Wettbewerbssachen, FS von Gamm (1990), 223; ders. Die Aufbrauchfrist im Verfahren der einstweiligen Verfügung, GRUR 1991, 26; ders. Die Vollstreckungsabwehrklage in Wettbewerbssachen, FS Traub (1994), 423; ders. Anmerkung zu BGH I ZR 138/ 92 – Laienwerbung für Augenoptiker, ZIP 1995, 156; ders. Die gewillkürte Prozessstandschaft und die UWG-Novelle 1994, WRP 1995, 441; ders. Kurzkommentar zu BGH I ZR 126/93 – Anonymisierte Mitgliederliste, EWiR § UG 1/1996, 87; ders. Die fortgesetzte Handlung im Zivilrecht, WRP 1997, 1; ders. Abänderungsklage (§ 323 ZPO) oder/und Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) bei „unrichtig gewordenen“ Unterlassungstiteln?, WRP 2000, 1054; von Ungern-Sternberg Verbandsklagebefugnis für Abmahnvereine?, NJW 1981, 2328; ders. Grundfragen des Klageantrags bei urheber- und wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklagen – Teil I, GRUR 2011, 375, und Teil II, GRUR 2011, 486; Völp Änderung der Rechts- oder Sachlage bei Unterlassungstiteln, GRUR 1984, 486; Voit Zur Frage der Rückrufverpflichtung auf der Grundlage eines Unterlassungsanspruchs nach der Rescue-Tropfen-Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29.9.2016, PharmR 2018, 1; Volkmann Die Unterlassungsvollstreckung gegen Störer aus dem Online-Bereich, CR 2003, 440; ders. Der Störer im Internet: Zur Verantwortlichkeit der Internet-Provider im allgemeinen Zivil-, Wettbewerbs-, Marken- und öffentlichen Recht (2005); ders. Verkehrspflichten für Internet-Provider, CR 2008, 232; ders. Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 12.7.2011 – C324/09, CR 2011, 60; Vonhoff Negative Äußerungen auf Unternehmensbewertungsportalen, Haftungsrisiko für die Betreiber, MMR 2012, 571; Wagner Die Voraussetzungen negatorischen Rechtsschutzes – Versuch einer Neubegründung, FS Medicus (2009), 589; Walchner Der Beseitigungsanspruch im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (1998); G. Walter Ehrenschutz gegenüber Parteivorbringen im Zivilprozess, JZ 1986, 614; J. Walter Das Institut der wettbewerblichen

Hofmann

10

Übersicht

§8

Abwehr (1986); Wassermann Der Unterlassungsanspruch nach § 1 UKlaG bei Unternehmensnachfolge durch Verschmelzung, FS Bornkamm (2014), 503; Weiler Ein lauterkeitsrechtliches Vertragsauflösungsrecht des Verbrauchers?, WRP 2003, 423; Weiß Die Verbandsklagebefugnis nach neuem Recht, WRP 1995, 155; Welzel Anforderungen an die Struktur von „Abmahnvereinen“ seit der UWG-Novelle 1994 – Entgegnung auf Derleder/Zänker, GRUR 2003, 762; Werner Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers für Wettbewerbsverstöße und Immaterialgüterrechtsverletzungen durch die Gesellschaft, GRUR 2015, 739; Wesel Zur Frage des materiellen Anspruchs bei Unterlassungsklagen, FS von Lübtow (1970), 787; Weyhenmeyer Verbandsklage durch Spitzenorganisationen der Wirtschaft, DB 1986, 2317; Wick Die Außenhaftung des Geschäftsführers im Spannungsfeld zwischen Wettbewerbsrecht und Immaterialgüterrecht in Theorie und Praxis, GRUR 2020, 23; Wiebe Bindung an Unterlassungsverträge nach der Novellierung von § 13 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UWG, WRP 1995, 75; ders. Providerhaftung in Europa: Neue Denkanstöße durch den EuGH, WRP 2012, 1182, 1335; Wiegand Die Passivlegitimation bei wettbewerbsrechtlichen Abwehransprüchen (1997); Wilmer Überspannte Prüfungspflichten für Host-Provider?, NJW 2008, 1845; Wiltschek Wettbewerbs- und Markenrecht in Österreich, WRP 2000, 675; Wimmer Die Verantwortlichkeit des Host-Providers nach dem neuen Multimediarecht, ZUM 1999, 436; Wimmers/Heymann Wer stört? – Zur Haftung der Internetprovider für fremde Inhalte, MR-Int. 2007, 222; Witzmann Störerhaftung wegen Werbung auf Website mit rechtswidrigem Inhalt, K&R 2008, 314; M. Wolf Zur Zulässigkeit der Verbandsklage, BB 1971, 1293; Wünsche Zur Einschränkung der Anspruchsberechtigung bei mitbewerberbezogenen UWG-Verstößen, K&R 2011, 16; ders. Rechtsfolgen von Wettbewerbsverstößen (2013); Wuttke Neues zur wettbewerbsrechtlichen Relevanz und Interessenabwägung bei der irreführenden Werbung, WRP 2003, 839; Zeuner Gedanken zur Unterlassungs- und negativen Feststellungsklage, FS Dölle (1963), 295.

Übersicht Einführung

I. 1. 2.

Entstehungsgeschichte 1 Nationales Recht 2 Unionsrecht

II. 1.

3 Inhalt und Zweck der Regelung Rechtsdurchsetzung als eigenständiger Problem3 kreis 3 a) Struktur der Rechtsdurchsetzung b) Interessengerechte Rechtsdurchset4 zung Durchsetzung des Lauterkeitsrechts und Durchsetzung von Recht mittels 6 des Lauterkeitsrechts 7 Übersicht Regelungsgegenstand des § 8

2.

3.

b) c) d)

1

A.

1

2.

3. III. 1. 2. 3.

8 Anwendungsbereich 8 Abschließende Spezialregelung 9 Bürgerlich-rechtliche Vorschriften Privatrechtliche Unterlassungsansprü10 che

B.

Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche 11 (Absatz 1)

I.

Systematik

II.

Gesetzlicher Unterlassungsanspruch (Abs. 1 12 Satz 1 Alt. 2 und Satz 2) 12 Allgemeines 12 a) Praktische Bedeutung

1.

11

11

Funktion 13 14 Rechtsnatur Mehrwert des Unterlassungsan15 spruchs e) Verfahrensrechtliche Durchsetzung des Un16 terlassungsanspruchs 16 aa) Allgemeines 17 bb) Rechtsschutzbedürfnis 18 f) Dogmatische Grundstruktur 19 Übersicht Entstehungsvoraussetzungen 20 a) Rechtsverletzung 21 b) Begehungsgefahr 21 aa) Sinn und Zweck 22 bb) Definition 23 cc) Maßgeblicher Zeitpunkt 24 c) Verschulden 25 Verletzungsunterlassungsanspruch 25 a) Übersicht Voraussetzungen b) Höchstpersönliche Natur der Wiederho26 lungsgefahr 27 c) Vermutungswirkung 27 aa) Allgemeines 28 bb) Kerntheorie 29 cc) Einzelfälle d) Anfängliches Fehlen von Wiederholungsge30 fahr 30 aa) Grundsatz 31 bb) Rechtsirrtum 33 e) Wegfall der Wiederholungsgefahr 33 aa) Allgemeines bb) Strafbewehrte Unterlassungserklä36 rung

Hofmann

§8

Beseitigung und Unterlassung

(1) (2) (3) (4) (5) (6) (7)

4.

5.

Allgemeines 36 38 Rechtsnatur 39 Auslegungsgrundsätze 40 Zustandekommen 41 Umfang 44 Zeitpunkt Haftung für Erfüllungsgehil45 fen 46 (8) Drittzahlungen 47 (9) Vertragsstrafe 49 (10) Kosten 50 (11) Drittunterwerfung cc) Notarielle Unterlassungserklä52 rung dd) Sonstige Gründe für den Wegfall der 53 Wiederholungsgefahr (1) Unterlassungsurteil in der 53 Hauptsache 53a (2) Zweifelhafte Rechtslage 54 (3) Vergleich 56 (4) Abschlusserklärung Vorbeugender Unterlassungsanspruch (Abs. 1 57 Satz 2) 57 a) Allgemeines 58 b) Erstbegehungsgefahr 58 aa) Grundsätze 59 bb) Einzelfälle 60 (1) Berühmung (2) Vorbereitungshandlun61 gen 62 (3) Sonstiges 63 c) Wegfall der Erstbegehungsgefahr 63 aa) Actus contrarius bb) Abgabe einer strafbewehrten Unterlas65 sungserklärung 66 d) Verjährung 67 e) Durchsetzung 68 Umfang des Unterlassungsanspruchs 68 a) Anspruchsinhalt aa) Unterlassen als Anspruchsin68 halt bb) Aktives Tun als Anspruchsin69 halt 70 (1) Dauerhandlungen (2) Erfüllung wettbewerbsrechtli72 cher Verkehrspflichten 73 (3) Rückrufverpflichtungen 79 b) Sachlicher Umfang 80 c) Räumlicher Umfang 81 d) Zeitlicher Umfang 82 e) Persönlicher Umfang f) Ausschluss des Unterlassungsanspruchs 83 aus Verhältnismäßigkeitsgründen aa) Interessenausgleich auf der „remedy83 Ebene“

Hofmann

bb) Aufbrauchs-, Beseitigungs- und Um86 stellungsfrist 86 (1) Grundlagen 88 (2) Rechtsgrundlage 89 (3) Voraussetzungen 90 (4) Dauer 91 (5) Wirkung 92 (6) Verfahrensfragen III. 1.

2. 3. 4. 5. 6. 7. IV.

94 Vertraglicher Unterlassungsanspruch 94 Allgemeines 94 a) Leistungsunterlassungsansprüche b) Unselbstständige Unterlassungsansprü95 che 96 Zustandekommen Funktion des strafbewehrten Unterlassungsver97 trags 98 Begehungsgefahr 99 Unmöglichkeit 100 Wirkungen 102 Beendigung des Unterlassungsvertrags

4.

Beseitigungsanspruch (Absatz 1 Satz 1 104 Alt. 1) 104 Einführung 104 a) Allgemeines b) Vorbeugender Beseitigungsan105 spruch 106 Verhältnis zu anderen Ansprüchen a) Verhältnis zum Unterlassungsan106 spruch 108 b) Verhältnis zum UKlaG c) Verhältnis zum Widerrufs- und Vernich109 tungsanspruch d) Verhältnis zum Schadensersatzan110 spruch 111 e) Kompensation von Streuschäden Voraussetzungen des Beseitigungsan112 spruchs 113 a) Fortdauernder Störungszustand 115 b) Rechtswidrigkeit 116 c) Inhalt des Beseitigungsanspruchs d) Verhältnismäßigkeit des Beseitigungsan117 spruchs 118 Widerrufsanspruch

C.

Schuldner der Abwehransprüche

I.

Übersicht

II. 1. 2.

124 Täter 124 Allgemeines 125 Unmittelbare Alleintäterschaft 125 a) Grundsätze b) Haftung für zu Eigen gemachte Inhalte 126 Dritter

1.

2.

3.

120

120

12

§8

Übersicht

3.

4.

13

aa) Allgemeines 126 127 bb) Einzelfälle 128 cc) Bewertung 129 c) Zurechnung Mittäterschaft und mittelbare Täter130 schaft 130 a) Mittäterschaft b) Mittelbare Täterschaft im strafrechtlichen 131 Sinne Haftung wegen der lauterkeitsrechtlicher Ver132 kehrspflichten 132 a) Allgemeines 132 aa) Einführung 133 bb) Interessenlage 135 cc) Tun und Unterlassen 136 b) Entwicklung aa) Von der Störerhaftung zur Haftung wegen der Verletzung von Verkehrs136 pflichten bb) Störerhaftung im Recht des Geistigen 138 Eigentums cc) Unzureichende Sicherung eines Mitgliedskontos als selbständiger Zurech139 nungsgrund 140 c) Rechtliche Rahmenbedingungen d) Verletzung einer Verkehrspflicht als mittel143 bare Verantwortlichkeit 143 aa) Einführung bb) Mittelbare Verantwortlichkeit als privatrechtsübergreifender Grundge144 danke 145 e) Rechtsgrundlage 145 aa) Meinungsstand 146 bb) Auswirkungen 147 f) Voraussetzungen 147 aa) Übersicht 148 bb) Geschäftliche Handlung (1) Geschäftliche Handlung des Tä148 ters (2) Geschäftliche Handlung des un149 mittelbar Handelnden 150 cc) Relevanz 151 dd) Verkehrspflicht 151 (1) Grundlagen 152 (2) Abwägungsparameter 154 (3) Haftungsprivilegien 155 g) Einzelne Verkehrspflichten 155 aa) Internetverkaufsplattformen 157 bb) Bewertungsportale 158 cc) Hyperlinks 159 dd) Geschäftsführer 160 ee) Gesellschafter ff) Internetzugangsanbieter (Access-Pro161 vider) 162 gg) Virales Marketing 163 hh) Presse

165 Zahlungsdienstleister 166 Suchmaschinen 167 Domainnamen Werbeagenturen und Werbemitt168 ler 169 mm) Sonstige Unternehmer

ii) jj) kk) ll)

III. 1. 2. 3. 4.

170 Teilnehmer (Anstifter und Gehilfen) 170 Grundsätze 171 Vorsatz 172 Fehlende Täterqualifikation Einordnung als wettbewerbsrechtliche Verkehrs173 pflicht

IV.

4.

Haftung für Mitarbeiter und Beauftragte (Ab174 satz 2) 174 Allgemeines 179 Anwendungsbereich 180 Voraussetzungen 180 a) Zuwiderhandlung 182 b) In einem Unternehmen 185 c) Mitarbeiter oder Beauftragte 186 aa) Mitarbeiter 187 bb) Beauftragter 187 (1) Allgemeines (2) Selbstständiges Unterneh188 men 189 (3) Kasuistik 190 (4) Gesetzliche Vertreter 191 d) Inhaber des Unternehmens 194 Rechtsfolgen

V. 1. 2. 3. 4.

Organ- und Repräsentantenhaftung 195 Allgemeines 196 Voraussetzungen Eigenhaftung des Repräsentanten Lehre vom Organisationsmangel

VI.

Haftung für Erfüllungs- und Verrichtungsgehil199 fen 199 Haftung für Erfüllungsgehilfen 200 Haftung für Verrichtungsgehilfen

1. 2. 3.

1. 2.

VII. Mehrheit von Schuldnern VIII. Rechtsnachfolge

195

197 198

201

202

D.

Gläubiger der Abwehransprüche (Ab205 satz 3)

I. 1.

205 Allgemeines Aktivlegitimation als Problem der Rechtsdurch205 setzung Regelungsgegenstand und Anwendungsbe206 reich 206 a) Übersicht

2.

Hofmann

§8

Beseitigung und Unterlassung

b) c)

8.

Erfasste Ansprüche 207 Sachliche Grenzen der kollektiven Rechts208 durchsetzung 209 Entwicklung und Unionsrecht Private enforcement und public enforce210 ment 212 Aktivlegitimation von Verbrauchern 212 a) Kollektivrechtsschutz 213 b) Individualklagerecht Dogmatik der Kollektivrechtsdurchset214 zung a) Anspruchsberechtigung und Klagebefug214 nis 215 b) Maßgeblicher Zeitpunkt 216 c) Individuelle Beeinträchtigung Rechtsgeschäftliche Erweiterungen der Aktivle217 gitimation 217 a) Abtretung von Abwehransprüchen 218 b) Gewillkürte Prozessstandschaft 219 Ansprüche mehrerer

II. 1. 2. 3. 4.

Mitbewerber (§ 8 Abs. 3 Nr. 1) 220 Allgemeines 221 Mitbewerberbegriff 222 Erheblichkeitsschwelle 223 Zeitpunkt

III. 1. 2. 3.

224 Wirtschaftsverbände (§ 8 Abs. 3 Nr. 2) 224 Allgemeines 226 Qualifizierte Wirtschaftsverbände Erhebliche Zahl von Unternehmern, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter 227 Art auf demselben Markt vertreiben 227 a) Allgemeines b) Vertrieb von Waren oder Dienstleistun228 gen 229 c) Sachliche Marktabgrenzung 230 d) Räumliche Marktabgrenzung

3. 4. 5.

6.

7.

220

e)

4. IV. 1. 2.

3.

Erhebliche Zahl von Unterneh231 mern f) Mittelbare Verbandszugehörigkeit 233 g) Mischverbände 234 Interessenberührung

232

235 Verbraucherverbände (§ 8 Abs. 3 Nr. 3) 235 Allgemeines Voraussetzungen nach dem UKlaG (inländische 237 qualifizierte Einrichtungen) 238 a) Eintragungsvoraussetzungen 239 aa) Eingetragener Verein bb) Satzungszweck und satzungsgemäße 240 Tätigkeit 241 cc) Mitgliederstruktur 242 dd) Unwiderlegliche Vermutung 243 b) Aufhebung der Eintragung c) Keine gerichtliche Überprüfung der Eintra244 gungsvoraussetzungen d) Liste der qualifizierten Einrichtun245 gen Klagebefugnis und Anspruchsberechtigung aus246 ländischer qualifizierter Einrichtungen 246 a) Übersicht 247 b) Anforderungen c) Liste qualifizierter ausländischer Einrich248 tungen

V.

Berufsständische Körperschaften und Gewerk249 schaften (§ 8 Abs. 3 Nr. 4)

E.

Spezieller Auskunftsanspruch (Ab250 satz 5)

I.

Allgemeines

II.

Wortlaut des § 13 UKlaG

250 251

A. Einführung* I. Entstehungsgeschichte 1. Nationales Recht 1 Das Lauterkeitsrecht wird in Deutschland erfolgreich privatrechtlich durchgesetzt. Ein Bedürfnis für verwaltungsrechtliche Sanktionen besteht nicht (vgl. aber § 20 und Rn. 210).1 Strafrechtliche Sanktionen sind wegen der Unbestimmtheit des Lauterkeitsrechts problematisch und zu-

* Die zuletzt von Paal bearbeitete Kommentierung des § 8 in der Vorauflage wirkt teils in der Kommentierung der § 8 bis § 8c fort.

1 Nach wie vor aktuell BTDrucks. 15/1487 S. 22; MünchKommUWG/Ottofülling § 8 Rn. 317; auf europäischer Ebene deuten sich aber Entwicklungen zu einem „Verwaltungslauterkeitsrecht“ (Alexander WRP 2019, Heft 1, Editorial) an, Hofmann

14

A. Einführung

§8

mindest im Grundsatz nicht nötig.2 Nur bei besonders hohem Gefährdungspotenzial lassen sich Strafvorschriften rechtfertigen (vgl. § 16). Zu Recht hat nunmehr auch der Geheimnisschutz eine originär zivilrechtliche Regelung erfahren, wenn auch wiederum mit flankierenden Strafvorschriften (§ 23 GeschGehG).3 Vor der UWG-Reform 2004 waren die zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen quer über das Lauterkeitsrecht verstreut. 2004 wurden die zivilrechtlichen Sanktionen (Unterlassung, Beseitigung, Schadensersatz, Gewinnherausgabe) im Kapitel 2 gleichsam „hinter der Klammer“ gebündelt. Das Gesetz unterscheidet seither zwischen den lauterkeitsrechtlichen Verbotstatbeständen einerseits (materielles Lauterkeitsrecht im engeren Sinne) und den privatrechtlichen Durchsetzungsansprüchen andererseits (materielles Lauterkeitsrecht im weiteren Sinne). Diese Regelungstechnik findet sich auch im Recht des Geistigen Eigentums (vgl. §§ 97 ff. UrhG i. V. m. §§ 15 ff. UrhG; §§ 139 ff. PatG i. V. m. §§ 9 ff. PatG). Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Unterlassungsanspruch und Beseitigungsanspruch) waren fortan einheitlich in § 8 UWG geregelt. Der bis dato gewohnheitsrechtlich anerkannte Beseitigungsanspruch wurde kodifiziert. Klargestellt wurde auch, dass der Unterlassungsanspruch bereits bei Erstbegehungsgefahr entsteht. Weiter erfolgten Konkretisierungen bei der Aktivlegitimation.4 Die UWG-Novelle im Jahr 2008 brachte keine durchgreifenden Änderungen. Die Norm wurde lediglich redaktionell angepasst.5 § 8 UWG sprach nicht mehr von einer Zuwiderhandlung, sondern von der Vornahme einer unzulässigen geschäftlichen Handlung nach § 3 oder § 7. Das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken6 brachte dem Anspruchsgegner im Falle missbräuchlicher Geltendmachung der Abwehransprüche einen eigenen Kostenerstattungsanspruch (§ 8 Abs. 4 S. 2, 3). Die Reform des UWG 2015 ging an der Durchsetzungsnorm des § 8 vorbei.7 Kleinere, im Kern redaktionelle Änderungen besorgte das Gesetz zur Verbesserung der zivilrechtlichen Durchsetzung von verbraucherschützenden Vorschriften des Datenschutzrechts8 in § 8 Abs. 3 und Abs. 5. Die Anpassungen wurden wegen einer Änderung des UKlaG erforderlich. Mangels durchgreifender inhaltlicher Änderungen kann daher vorbehaltlich von Rechtsprechungsänderungen weitgehend auf ältere Rechtsprechung zurückgegriffen werden. Ende 2020 hat der Gesetzgeber ein Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs auf den Weg gebracht.9 Das umstrittene Vorhaben10 hat das Ziel, Abmahnmissbrauch einzudämmen. Auch wenn lauterkeitsrechtliche Regelungen effektiv durchgesetzt werden müssten, dürften Abmahnungen nicht zur Generierung von Gebühren und Vertragsstrafen zweckentfremdet werden.11 vgl. COM(2018) 185 final, nunmehr RL (EU) 2019/2161 (Neufassung Art. 13 UGP-RL = RL 2005/29/EG); s. a. VO (EU) 2017/2394; Defizite bei der Rechtsdurchsetzung beklagen auch Podszun/Busch/Henning-Bodewig Behördliche Durchsetzung des Verbraucherrechts? Darstellung und Systematisierung von Möglichkeiten und Defiziten der privaten Durchsetzung des Verbraucherschutzes sowie Einbeziehung der Kartellbehörden zu dessen Durchsetzung, 2018 (das Gutachten ist abrufbar unter https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Studien/behoerdliche-durchsetzung-des-verbraucherrechts.pdf?__blob=publicationFile&v=10; s. a. Podszun/Busch/Henning-Bodewig GRUR 2018, 1004); Köhler WRP 2018, 519; Jänich Lauterkeitsrecht (2019) § 15 Rn. 5 f., 10; zu einer neuen Bußgeldvorschrift §§ 5c, 19 UWG n. F., vgl. BT-Drs. 19/27873. 2 Lettl § 10 Rn. 3. 3 BGBl. I 2019, S. 466; zum Regierungsentwurf BTDrucks. 19/4724; s. a. BTDrucks. 19/8300; Übersicht zum GeschGehG bei Ohly GRUR 2019, 441. 4 BTDrucks. 15/1487 S. 22 f. 5 Vgl. BTDrucks. 16/10145 S. 30. 6 BGBl. I 2013, S. 3714, 3716. 7 BGBl. I 2015, S. 2158. 8 BGBl. I 2016, S. 233, 235 f. 9 BTDrucks. 19/22238 (Beschlussempfehlung und Bericht); BTDrucks. 19/12084 (Regierungsentwurf; vgl. Möller NJW 2021, 1; Ring NJ 2021, 64; Omsels/Zott WRP 2021, 278; Rätze WRP 2020, 1519. 10 Fritzsche WRP 2020, 1367; vgl. auch die Stellungnahme der GRUR, GRUR 2019, 59; zu Regierungs- und Referentenentwurf Hohlweck WRP 2020, 266; Köhler WRP 2019, 1550; Lettl WM 2019, 289; Ulrici WRP 2019, 1117; Eickemeier/ Brodersen BB 2019, 1859; Fritzsche WRP 2018, 1277; Münker WRP 2018, 1410; Aßhoff CR 2018, 720; Kefferpütz GRURPrax 2018, 541; Wernicke BB 2018, 1; Möller ZRP 2018, 200. 11 BTDrucks. 19/12084 S. 1 und S. 19 f. 15

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Die finanziellen Anreize für Abmahner sollen dadurch verringert werden, dass für bestimmte Wettbewerbsverstöße rund um Informations- und Kennzeichnungspflichten und Datenschutzverstößen durch Unternehmen sowie gewerblich tätige Vereine, sofern sie in der Regel weniger als 250 Mitarbeiter beschäftigen, kein Anspruch mehr auf Erstattung der Kosten der Abmahnung besteht (§ 13 Abs. 4) und u. a. bei einer erstmaligen Abmahnung die Höhe einer Vertragsstrafe begrenzt wird (§ 13a Abs. 2, 3). Auch die Voraussetzungen für die Anspruchsbefugnis der Abmahner (§ 8 Abs. 3) wurden erhöht (zur Übergangsregelung § 15a). Wie im Urheberrecht (§ 97a Abs. 4 UrhG) soll künftig auch der zu Unrecht Abgemahnte einen Gegenanspruch erhalten (§ 13 Abs. 5). Die Neuregelung bringt zudem redaktionelle Verschiebungen. § 8 UWG wird um die §§ 8a (Anspruchsberechtigte bei einem Verstoß gegen die Verordnung (EU) 2019/1150),12 8b (Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände) und 8c (Verbot der missbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen; Haftung) ergänzt. Der ebenfalls reformierte Missbrauchstatbestand aus § 8 Abs. 4 UWG wandert also in § 8c. Für die Haftung von Internetdiensteanbietern spielen schließlich die Haftungsprivilegien des TMG eine Rolle. Diese wurden zuletzt durch das 3. TMGÄnderungsG vom 28.9.2017 reformiert.13 Das Gesetz zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht (UWG 2022) wird einen eigenen Schadensersatzanspruch des Verbrauchers bringen.

2. Unionsrecht 2 Die Rechtsdurchsetzung ist anders als das materielle Lauterkeitsrecht im engeren Sinne (dazu insbesondere Art. 5 bis 9 der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, RL 2005/29/EG; Art. 3 bis 5 der Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung, RL 2006/114/EG) nur sporadisch harmonisiert.14 Art. 13 S. 2 UGP-RL sieht lediglich vor, dass die Mitgliedstaaten wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen zur Durchsetzung der Bestimmungen dieser Richtlinie vorhalten. Art. 11 UGP-RL lässt ebenfalls einen weiten Spielraum. Insbesondere steht es den Mitgliedstaaten frei, zivilrechtliche (so etwa in Spanien, den Niederlanden, Österreich, Griechenland, Belgien), strafrechtliche (Portugal, Frankreich, England) oder verwaltungsrechtliche Rechtsdurchsetzungsinstrumente (Schweden, Italien, Dänemark, England) vorzuhalten.15 Namentlich in England spielt zudem die Selbstkontrolle eine wichtige Rolle.16 Nunmehr verlangt das Unionsrecht, dass auch Verbrauchern Rechtsbehelfe eingeräumt werden müssen, Art. 11a UGP-RL (RL 2005/29/EG).17 Eine mit den Vorgaben der UGP-RL vergleichbare Regelung findet sich in Art. 5 Irreführungsrichtlinie (RL 2006/114/EG). Die Enforcement-RL (RL 2004/48/EG), die Durchsetzungsfragen zum Gegenstand hat, ist ausweislich von Art. 2 Abs. 1 lediglich für Rechte des geistigen Eigentums, nicht für das Lauterkeitsrecht anwendbar.18

12 Geändert durch Artikel 2 des Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes und weiterer Gesetze, BTDrucks. 19/18789 und BTDrucks. 19/20664. 13 BGBl. I 2017, S. 3530. 14 Das soll sich ändern, vgl. zum „New Deal for Consumers“ COM(2018) 183 final; kritisch Alexander WRP 2019, Heft 1, Editorial; s. a. VO (EU) 2017/2394 über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden. 15 EuGH 16.4.2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 57 – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság/UPC Magyarország Kft.; vgl. BTDrucks. 16/10145 S. 18 f.; vgl. Henning-Bodewig WRP 2015, 667, 670 ff. 16 Vgl. Advertising Standards Authority (ASA); in Deutschland gibt es beispielsweise den Werberat. 17 Vgl. COM(2018) 185 final, nunmehr Neufassung Art. 11a UGP-RL (EU) 2019/2161 = RL 2005/29/EG; befürwortend Jänich Lauterkeitsrecht (2019) § 15 Rn. 8 f.; kritisch Alexander WRP 2019, Heft 1, Editorial; bisher ist dies zwar möglich, nicht aber zwingend Augenhofer in: Krejci/Keßler/Augenhofer (Hrsg.), Lauterkeitsrecht im Umbruch (2005) S. 103, 107 ff.; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 8; s. a. Alexander GRUR Int. 2005, 809, 813; Dröge WRP 2019, 160; zur Neureglung Köhler WRP 2021, 121; Scherer WRP 2021, 561; zur nationalen Umsetzung BT.-Drs. 19/27873. 18 Erklärung 2005/295/EG der Kommission, Abl. L 94/37. Hofmann

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Allerdings kann auf einzelne Tatbestände im Einzelfall analog zurückgegriffen werden.19 Eine weitergehende Regelung hat der Unterlassungsanspruch (das Unionsrecht spricht von gerichtlichen Anordnungen)20 nach der Geschäftsgeheimnis-RL (RL (EU) 2016/943) erfahren.21 Vor allem sticht heraus, dass der Unterlassungsanspruch weitgehenden Verhältnismäßigkeitsvorbehalten unterfällt (Art. 13 Geschäftsgeheimnis-RL und allgemein Art. 6 f. Geschäftsgeheimnis-RL). Auch wenn diese Bestimmungen unmittelbar nur für Geschäftsgeheimnisse gelten, darf erwartet werden, dass die Formung des geheimnisrechtlichen Unterlassungsanspruchs auf den lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsanspruch im Wege „weicher Harmonisierung“ ausstrahlt. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erweist sich ohnehin zunehmend als grundlegendes Prinzip der Rechtsdurchsetzung im europäischen Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht.22

II. Inhalt und Zweck der Regelung 1. Rechtsdurchsetzung als eigenständiger Problemkreis a) Struktur der Rechtsdurchsetzung. Das Lauterkeitsrecht wird über die Ansprüche aus 3 §§ 8 ff. privatrechtlich durchgesetzt. Die Rechtsdurchsetzung markiert einen eigenständigen Problemkreis („Law of Remedies“).23 Dies wird bereits an der Systematik des Gesetzes deutlich. Den Rechtsfolgen ist ein eigenes Kapitel im UWG gewidmet (Kapitel 2).24 Die Rechtsdurchsetzung beginnt dabei bereits auf der Ebene der Ansprüche im materiellen Recht (1. Stufe). Dies wird schon daran deutlich, dass eine Rechtsordnung in einer idealen Welt ohne Ansprüche auskäme. Nur wenn die eigentlichen Rechtsregeln (materielles Recht im engeren Sinne, §§ 3 ff., 7) nicht eingehalten werden, bedarf es weiterer Regelungen zu deren Verwirklichung. Davon zu unterscheiden sind die prozessuale Geltendmachung des Anspruchs mit dem Ziel der Titulierung (2. Stufe) und die zwangsweise Durchsetzung des titulierten Anspruchs im Wege der Zwangsvollstreckung (3. Stufe).25

b) Interessengerechte Rechtsdurchsetzung. Die materiell-rechtlichen Durchsetzungsins- 4 trumente auf der ersten Stufe dürfen nicht nur als Annex der materiell-rechtlichen Wettbewerbsregeln gesehen werden. Über die Rechtsdurchsetzung kann das Lauterkeitsrecht weiter austariert werden. Es besteht eine zusätzliche Stellschraube für den gebotenen Interessenausgleich.26 Es geht nicht um möglichst weitgehende, sondern um „richtige“, kurzum: interessengerechte Rechtsdurchsetzung.27 Klar ist, dass die „remedy-Ebene“ für die Konturierung der Wettbewerbsordnung entscheidende Bedeutung hat. Ohne effektive Durch19 Für Art. 11 S. 3 Ohly FS Ahrens (2016) S. 135, 142 ff.; ders. NJW 2016, 1417, 1418; F. Hofmann ZfWG 2016, 304, 307; ders. WRP 2015, 1331, 1332; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 267.

20 Dazu F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 87 ff.; ders. GRUR 2015, 123, 127 f.; ders. GPR 2017, 176, 181. 21 F. Hofmann WRP 2018, 1. 22 EuGH 16.4.2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 58 – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság/UPC Magyarország Kft; zum Urheberrecht Fischman-Afori IIC 2014, 889 („Proportionality – A New Mega Standard in European Copyright Law“). 23 Vgl. zum „Law of Remedies“ als Forschungsfeld im europäischen Privatrecht F. Hofmann/Kurz Introduction to the ‚Law of Remedies‘, in: F. Hofmann/Kurz (Hrsg.), Law of Remedies. A European Perspective (2019), S. 3. 24 MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 29. 25 F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 421 ff.; vgl. ders. JuS 2018, 833. 26 Für das Urheberrecht F. Hofmann GRUR 2018, 21; ders. ZUM 2018, 641, 645 ff.; allgemein ders. in: Fries/Paal (Hrsg.), Smart contracts (2019) S. 125, 137 ff. 27 F. Hofmann in: Fries/Paal (Hrsg.), Smart contracts (2019) S. 125, 132, 140; in Richtung möglichst weitreichender Rechtsdurchsetzung Henning-Bodewig WRP 2015, 667; Jänich Lauterkeitsrecht (2019) § 15 Rn. 8 f.; s. a. COM(2018) 183 final; COM(2018) 185 final. 17

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setzungsinstrumentarien droht, dass das Lauterkeitsrecht nur „auf dem Papier“ besteht.28 Umgekehrt können (zu) starke Durchsetzungsmöglichkeiten den Wettbewerbsschutz über das eigentlich intendierte Maß hinaus ausdehnen („Phantomrechte“).29 Wettbewerbsverstöße müssen in diesem Sinne differenziert durchgesetzt werden. Tatsächlich bestehen de lege lata nicht nur unterschiedliche Ansprüche mit unterschiedlichen Voraussetzungen, sondern diese stehen auch unterschiedlichen Berechtigten zu. So ist der Kreis der Aktivlegitimierten für den Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch deutlich weiter als für den Schadensersatzanspruch. Vor allem über den Unterlassungsanspruch kann zudem ein weitergehender Interessenausgleich vorgenommen werden. Im Falle von Unverhältnismäßigkeit können beispielsweise Aufbrauchfristen Unwuchten zulasten des Unterlassungsschuldners abbauen. Augenmaß bei der Rechtsdurchsetzung verlangt auch das Unionsrecht. Wörtlich sagt der EuGH mit Blick auf die Durchsetzung der Bestimmungen der UGP-RL: „Daher ist es Sache der Mitgliedstaaten, für Gewerbetreibende, die auf unlautere Geschäftspraktiken zurückgreifen, eine geeignete Sanktionsregelung vorzusehen und zu gewährleisten, dass diese Sanktionen insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. In diesem Zusammenhang werden Umstände wie die Häufigkeit der vorgeworfenen Praxis, die Frage, ob Vorsatz vorliegt und das Ausmaß des Schadens, der dem Verbraucher durch sie entstanden ist, gebührend berücksichtigt werden können.“30 Auch muss missbräuchlicher Rechtsdurchsetzung vorgebeugt werden (§ 8c). Nicht zu5 letzt kann die Rechtsdurchsetzung über eine Erweiterung der Passivlegitimation ausgedehnt werden. Sollen nur mittelbar Verantwortliche zur Eindämmung von Wettbewerbsverstößen herangezogen werden, sind aber die Voraussetzungen für einen Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruch strenger. Die Feinsteuerung erfolgt hier über den Umfang zu erfüllender wettbewerbsrechtlicher Verkehrspflichten (Rn. 132 ff.).

2. Durchsetzung des Lauterkeitsrechts und Durchsetzung von Recht mittels des Lauterkeitsrechts 6 Von der Durchsetzung des Lauterkeitsrechts über §§ 8 ff. zu unterscheiden ist die „Brückenfunktion des Lauterkeitsrechts“.31 Das Lauterkeitsrecht kann selbst die Funktion eines Durchsetzungsinstrumentariums innehaben. Namentlich über die Transformationsnorm des § 3a (aber auch über § 5a Abs. 4 oder §§ 2 Abs. 1 Nr. 7, 3 Abs. 2) können Verstöße gegen außerwettbewerbsrechtliche Normen als Wettbewerbsverstöße klassifiziert werden.32 Die (einzig) beabsichtigte Konsequenz: Das lauterkeitsrechtliche Rechtsfolgenregime (private enforcement) kann auch für diese Rechtsverstöße fruchtbar gemacht werden. Es stellt sich also nicht nur die Frage, wie das Lauterkeitsrecht selbst durchgesetzt wird, sondern auch die Frage, ob sonstiges Recht über das Lauterkeitsrecht zur Geltung gebracht werden darf. Ob sich das Lauterkeitsrecht hierfür einspannen lassen soll,33 muss jeweils einzeln geprüft werden. Zentrale Bedeutung enthält dabei die Überlegung, ob der spezialgesetzliche (womöglich bewusst rudimentäre) Durchsetzungsmechanismus abschließend sein soll.34

28 Exemplarisch Henning-Bodewig WRP 2015, 667; Jänich Lauterkeitsrecht (2019) § 15 Rn. 1 f. 29 F. Hofmann in: Fries/Paal (Hrsg.), Smart contracts (2019) S. 125, 130 ff., 132; vgl. zum Urheberrecht Raue ZUM 2017, 353, 354. 30 EuGH 16.4.2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 58 – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság/UPC Magyarország Kft; vgl. auch Art. 6 f., 13 Geschäftsgeheimnis-RL = RL (EU) 2016/943. 31 Alexander Wettbewerbsrecht (2019) § 1 Rn. 10. 32 Alexander Wettbewerbsrecht (2019) § 1 Rn. 10. 33 Vgl. insbes. die Kommentierung zu § 3a. 34 Vgl. Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 9 ff.; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 3. Hofmann

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3. Übersicht Regelungsgegenstand des § 8 Im Einzelnen regelt § 8 Folgendes: Die wettbewerbsrechtlichen Abwehransprüche (Unter- 7 lassungsanspruch und Beseitigungsanspruch) sind in § 8 Abs. 1 UWG festgeschrieben. Mit Blick auf den gesetzlichen Unterlassungsanspruch muss zwischen dem Verletzungsunterlassungsanspruch (§ 8 Abs. 1 S. 1 2. Alt.) und dem vorbeugenden Unterlassungsanspruch unterschieden werden (§ 8 Abs. 1 S. 2). Bei beiden ist die Begehungsgefahr35 Entstehungsvoraussetzung. Diese äußert sich in zwei Varianten: Der Verletzungsunterlassungsanspruch ist im Falle von Wiederholungsgefahr, der vorbeugende Unterlassungsanspruch bei Erstbegehungsgefahr gegeben. Der Unterlassungsanspruch ist in die Zukunft gerichtet. Er bezweckt die Vermeidung von (weiteren) Verletzungen. Der gesetzliche Unterlassungsanspruch ist von einem vertraglichen Unterlassungsanspruch zu unterscheiden, der insbesondere deshalb begründet wird, um die Wiederholungsgefahr auszuräumen. Der Beseitigungsanspruch ist in § 8 Abs. 1 S. 1 1. Alt. kodifiziert. Er steht selbstständig neben dem Unterlassungsanspruch. Über diesen Anspruch sollen fortdauernde rechtswidrige Störungszustände abgestellt werden. § 8 Abs. 2 enthält eine Zurechnungsregelung. Für die Geltendmachung von Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen sind ausweislich von § 8 Abs. 3 unter bestimmten Voraussetzungen Mitbewerber, Wirtschafts- und Verbraucherverbände, Industrie- und Handelskammern, den nach der Handwerksordnung errichteten Organisationen, anderen berufsständischen Körperschaften des öffentlichen Rechts sowie Gewerkschaften aktivlegitimiert. Für Wirtschaftsverbände ist nunmehr zudem § 8b UWG heranzuziehen. Verbrauchern standen lauterkeitsrechtliche Ansprüche jedenfalls bisher nicht zu (Rn. 2). Ein flankierender Auskunftsanspruch steht in § 8 Abs. 5. Allgemeine Auskunftsansprüche bleiben davon unberührt.36 Weitere Regelungen rund um Abwehransprüche finden sich in § 11 (Verjährung) und den Verfahrensvorschriften der §§ 13 ff. Der praktisch besonders bedeutsame Anspruch auf Erstattung notwendiger Abmahnkosten findet sich in § 13 Abs. 3. Vergleichbar mit § 97a Abs. 4 UrhG findet sich seit der Reform im Jahre 2020 in § 13 Abs. 5 ein Gegenanspruch des zu Unrecht Abgemahnten. Auf die dortigen Kommentierungen wird verwiesen. Der vormals in § 8 Abs. 4 geregelte Missbrauchstatbestand findet sich jetzt in § 8c.

III. Anwendungsbereich 1. Abschließende Spezialregelung § 8 stellt eine abschließende Spezialregelung für Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche 8 zur Sanktionierung unzulässiger geschäftlicher Handlungen dar.37 Spätestens seit der Aufgabe der Störerhaftung im Lauterkeitsrecht durch den BGH (Rn. 137) bedarf es daher auch keines ergänzenden Rückgriffs auf § 1004 BGB. Allen voran die Bestimmungen zur Aktivlegitimation dürfen nicht durch die Anwendung bürgerlich-rechtlicher Regelungen umgangen werden. Die Tatbestände der § 3 und § 7 UWG stellen daher nach bisheriger h. M. keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB dar.38 Die Durchsetzung des Lauterkeitsrechts kann nicht über bürgerlich-rechtliche Transformationsnormen über das lauterkeitsrechtsinterne System hinaus erweitert werden, zumal eine Vervielfachung der Aktivlegitimation interessengerechter, weil nicht

35 Ahrens/Achilles Kap. 1 Rn. 2; BGH 5.11.1987 – I ZR 212/85 – GRUR 1988, 313 – Auto F. GmbH („Beeinträchtigungsgefahr“). 36 MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 2. 37 Vgl. BTDrucks. 15/1487 S. 22; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.4. 38 Ohly/Sosnitza, Einf. D Rn. 62; Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 7.5; Harte/Henning/Goldmann Vorb. zu § 8 Rn. 120; Schmidt JZ 2007, 78, 81 ff.; anders Säcker WRP 2004, 1199, 1219 f.; Sack FS Ullmann (2006) S. 825, 841 ff. 19

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überbordender, Rechtsdurchsetzung zuwiderläuft.39 Fraglich ist allerdings, ob diese Ansicht vor dem Hintergrund von Art. 11a UGP-RL (RL 2005/29/EG) aufrechterhalten werden kann (Rn. 213). Soweit § 8 Lücken lässt, muss in jedem Fall auf die Regelungen des allgemeinen Deliktsrechts zurückgegriffen werden.40 Gegenüber Strafvorschriften oder bußgeldbewehrten Vorschriften ist der Unterlassungsanspruch nicht subsidiär.41

2. Bürgerlich-rechtliche Vorschriften 9 Davon unberührt bleiben Durchsetzungsnormen zur Sanktionierung von Rechtsverletzungen jenseits des Lauterkeitsrechts.42 Ehrverletzende Äußerungen beispielsweise können einen Verstoß gegen § 824 BGB begründen. Auf die Verletzung dieses Tatbestandes können selbstredend Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche aus § 1004 BGB (analog) gestützt werden.43 Belästigungen im Sinne von § 7 können einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder das Eigentum begründen. Der Betroffene kann konsequenterweise Abwehransprüche aus § 1004 BGB (analog) geltend machen.44 Ansprüche aus §§ 8, 7 UWG bestehen parallel. Verstöße gegen Informationspflichten können ferner über § 280 BGB (ggf. i. V. m. § 311 Abs. 2 BGB) (vor-)vertragliche Schadensersatzansprüche und vertragliche Unterlassungsansprüche auslösen.45 Umstritten ist freilich, ob neben dem UWG Raum ist, für das als sonstiges Recht im Rahmen des § 823 Abs. 1 anerkannte Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.46

3. Privatrechtliche Unterlassungsansprüche 10 Wenn auch in § 8 ein spezialgesetzlicher Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch geregelt ist, spricht viel dafür, die Rechtsprechung spezifisch zu diesen Rechtsfolgen auch aus anderen Rechtsgebieten zu berücksichtigen. Privatrechtliche Unterlassungsansprüche sollten einheitlich ausgelegt werden, unabhängig davon, ob sie beispielsweise der Verwirklichung des Eigentums (§ 1004 BGB), Rechten des Geistigen Eigentums (§ 14 Abs. 5 MarkenG; § 139 Abs. 1 PatG; § 97 Abs. 1 UrhG; § 42 Abs. 1 DesignG), dem Namensrecht (§ 12 BGB) oder auch dem Besitzschutz (§ 862 BGB) dienen.47 Es besteht kein Grund, die isoliert denkbaren Rechtsfolgen unterschiedlich zu begreifen. Die Besonderheiten der jeweiligen Rechtsgebiete sind vielmehr am materiellen Recht im engeren Sinne, also beispielsweise beim Verletzungstatbestand selbst, festzumachen. Untergliederungsversuche gesetzlicher Unterlassungsansprüche (negatorischer 39 A. A. Emmerich/Lange Unlauterer Wettbewerb (2019) § 21 Rn. 7; Lehmann FS Schricker (2005) S. 77, 80 f.; Sack GRUR 2004, 625, 629 f.; Schricker GRUR 1975, 111, 112 f., 120; kritisch Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 1; ablehnend gegenüber einer Erweiterung des kollektiven Rechtsschutzes über den Beseitigungsanspruch (dazu Rn. 111) Baldus/ Siedler BKR 2018, 412. 40 Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 7.2. 41 BGH 30.7.2015 – I ZR 29/12 – GRUR 2016, 392 Tz. 16 – Buchungssystem II; BGH 21.5.1957 – I ZR 19/56 – GRUR 1957, 558, 560 – Bayern-Express; vgl. EuGH 14.12.2006 – C-316/05 – GRUR 2007, 228 Tz. 37 ff., 45 – Nokia. 42 Zum Ganzen die Untersuchung von Scherer GRUR 2019, 361. 43 BGH 1.3.2016 – VI ZR 34/15 – GRUR 2016, 855 – jameda.de; vgl. aber BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 – Hotelbewertungsportal. 44 BGH 12.9.2013 – I ZR 208/12 – GRUR 2013, 1259 – Empfehlungs-E-Mail; vgl. Ohly/Sosnitza § 7 Rn. 17 ff. 45 MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 6 und Rn. 149; BGH 16.12.2004 – I ZR 69/02 – GRUR 2005, 517, 518 – Literaturhaus; ob § 280 BGB für Unterlassungsansprüche (i. V. m. § 249 Abs. 1, Naturalrestitution) die einschlägige Anspruchsgrundlage ist, erscheint freilich zweifelhaft, dazu u. Rn. 94. 46 Für das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb BGH 20.5.2009 – I ZR 218/07 – GRUR 2009, 980 Tz. 10 ff. – E-Mail-Werbung II; kritisch zu diesem „Recht“ Ohly/Sosnitza Einf D Rn. 59; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 4; umfassend Sack Das Recht am Gewerbebetrieb. Geschichte und Dogmatik (2007). 47 F. Hofmann Unterlassungsanspruch § 9. Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

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Unterlassungsanspruch, quasi-negatorischer Unterlassungsanspruch, direkter und indirekter Unterlassungsanspruch etc.)48 führen daher nicht weiter.49

B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1) I. Systematik Das Lauterkeitsrecht trennt zwischen unzulässigen geschäftlichen Handlungen einerseits und 11 privatrechtlichen Sanktionsregelungen andererseits. Während sich die Unzulässigkeit einer geschäftlichen Handlung aus den § 3 und § 7 ergibt, finden sich in § 8 die wettbewerbsrechtlichen Abwehransprüche. Dazu gehören der Unterlassungs- und der Beseitigungsanspruch. Der Begriff der unzulässigen geschäftlichen Handlung fungiert als Bindeglied zwischen dem materiellen Lauterkeitsrecht im engeren Sinne und dem materiellen Lauterkeitsrecht im weiteren Sinne. Grundvoraussetzung für die in § 8 Abs. 1 gewährten Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung ist das Vorliegen einer unzulässigen geschäftlichen Handlung nach § 3 oder § 7.

II. Gesetzlicher Unterlassungsanspruch (Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 und Satz 2) 1. Allgemeines a) Praktische Bedeutung. Dem lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsanspruch kommt überra- 12 gende praktische Bedeutung zu.50 Er bildet das „Kernstück“ des Schutzes vor unlauterem Wettbewerb.51 Die Rede ist vom „wettbewerbsrechtlichen Fundamentalanspruch“.52 Das Interesse bei wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten ist meist auf eine Einstellung der unzulässigen geschäftlichen Handlung gerichtet. Ein nachträglicher Ausgleich über Schadensersatzansprüche stößt darüber hinaus praktisch auf Berechnungsschwierigkeiten. Allerdings besteht zuweilen die Gefahr, dass der Unterlassungsanspruch um seiner selbst willen geltend gemacht wird. Bei aus Unkenntnis begangenen, vereinzelten (banalen) Wettbewerbsverstößen, die nach einem Hinweis sofort abgestellt werden, ist die Lauterkeit des Wettbewerbs mitunter auch ohne einen Unterlassungsanspruch, zumindest aber unabhängig von weitreichenden Erstattungsansprüchen für Abmahnungen gewährleistet. Dogmatisch hat die Ausgestaltung des wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs Vorbildcharakter für sonstige privatrechtliche Unterlassungsansprüche.53

b) Funktion. Der Unterlassungsanspruch ist in die Zukunft gerichtet.54 Er zielt darauf ab, künftige 13 (weitere) Rechtsverletzungen (genauer: Wettbewerbsverstöße) zu verhindern. Der Unterlassungs-

48 Übersicht bei Teplitzky/Schaub Kap. 2 Rn. 11 ff.; Teplitzky/Kessen Kap. 4 Rn. 1 ff. 49 F. Hofmann Unterlassungsanspruch § 7; ebenso MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 12, der aber zwischen Unterlassungsansprüchen „aus relativem Recht“ und „aus absolutem Recht“ trennen will. 50 MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 11. 51 Lettl § 10 Rn. 4. 52 Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 2. 53 Vgl. BGH 23.2.2017 – I ZR 92/16 – GRUR 2017, 793 Tz. 24 – Mart-Stam-Stuhl; vgl. Wagner FS Medicus (2009) S. 589, 598 f. 54 BGH 11.10.2017 – I ZR 210/16 – GRUR 2018, 317 Tz. 10 – Portierungsauftrag; BGH 14.9.2017 – I ZR 231/14 – GRUR 2017, 1269 Tz. 13 – MeinPaket.de II. 21

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§8

Beseitigung und Unterlassung

anspruch dient der Abwehr künftiger Gefahren.55 Dass tatsächlich ein konkreter Schaden verhindert wird, ist allerdings nicht Voraussetzung eines Unterlassungsanspruchs.56 Der Schuldner hat sich der Vornahme einer konkreten wettbewerbsverletzenden Handlung freilich auch so zu enthalten; eine entsprechende Unterlassungspflicht ist unabhängig von einem bestehenden Anspruch.57 Über den Unterlassungsanspruch kann der Gläubiger nunmehr aber durchsetzen, dass Zuwiderhandlungen tatsächlich nicht begangen werden.58 Es handelt sich um einen präventiven Anspruch. Er ist Teil des vorbeugenden Rechtsschutzes.59 Während der Unterlassungsanspruch im Recht des Geistigen Eigentums vornehmlich dazu dient, privatautonome Verhandlungen über die Lizenzierung von Schutzrechten zu ermöglichen (Unterlassungsanspruch als Verhandlungsinstrument),60 sollen über den wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch im Interesse der Verbraucher, Mitbewerber und Allgemeinheit bestehende Wettbewerbsregeln zur Geltung gebracht werden. Verstöße sollen unmittelbar unterbunden werden. Ein „Abkauf“ ist nicht intendiert. Der Unterlassungsanspruch bezweckt, lauteres Verhalten durchzusetzen (Unterlassungsanspruch als Verhaltenssteuerung). Das heißt freilich nicht, dass der Unterlassungsanspruch stets eingreifen muss. Hat beispielsweise der Verletzer ein Produkt hergestellt, dessen Aufmachung gegen das Lauterkeitsrecht verstößt, kann ein sofortiger Vertriebsstopp mitunter hohe Kosten („Umstellungskosten“) verursachen. Die gemachten Aufwendungen lassen sich nicht amortisieren. Die Sanktionierung des Lauterkeitsverstoßes kann sich daher in der Sache wie ein Strafschadensersatz (punitive damages) auswirken.61 Ob dem Unterlassungsanspruch im Einzelfall eine solche Bestrafungsfunktion zukommen soll, unterliegt der Beurteilung anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.62 Insbesondere in Konstellationen, in denen der Verletzer lediglich leicht fahrlässig handelt, kann eine Interessenabwägung ergeben, dass ein unbedingter Unterlassungsanspruch schwer zu rechtfertigen ist.

14 c) Rechtsnatur. Der Unterlassungsanspruch ist ein materiell-rechtlicher Anspruch im Sinne des § 194 BGB.63 Frühere Ansichten, wonach der Unterlassungsanspruch ein prozessualer Rechtsbehelf sei,64 sind überholt. Entsprechend ist auch die Begehungsgefahr (= Entstehungs-

55 BGH 7.4.2011 – I ZR 34/09 – GRUR 2011, 742 Tz. 22 – Leistungspakete im Preisvergleich. 56 Teplitzky/Kessen Kap. 5 Rn. 21. 57 F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 383 ff., 393 ff.; zum Begriff der Unterlassung Teplitzky/Schaub Kap. 1 Rn. 1 ff. 58 F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 421 f. 59 Kötz AcP 174 (1974), 145; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 27; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 15. 60 Landes/Posner The Economic Structure of Intellectual Property Law (2003) S. 7 f.; Calabresi/Melamed 85 Harvard L. Rev. (1972) 1089, 1106 ff.; Ohly Urheberrecht als Wirtschaftsrecht, in: Depenheuer/Peifer (Hrsg.) Geistiges Eigentum: Schutzrecht oder Ausbeutungstitel? (2008) S. 141, 157; Grünberger ZGE 2012, 321, 347; Fromm/Nordemann/ Dustmann Urheberrecht (2018) Vor §§ 44a ff. Rn. 11; F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 319; Götting Gewerblicher Rechtsschutz (2020) § 5 Rn. 10. 61 Heald Illinois Public Law and Legal Theory Research Papers Series No. 10–38 (http://papers.ssrn.com/abstract= 1851681); F. Hofmann NJW 2018, 1290; ders. GRUR 2018, 21, 22 f.; ders. WRP 2018, 1, 4 ff. 62 Vgl. EuGH 16.4.2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 58 – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság/UPC Magyarország Kft. 63 BGH 9.11.1979 – I ZR 24/78 – GRUR 1980, 241, 242 – Rechtsschutzbedürfnis; BGH 7.10.1958 – I ZR 69/57 – GRUR 1959, 152, 153 – Berliner Eisbein; OLG Hamburg 28.11.1996 – 3 U 67/96 – GRUR 1997, 396 – Verstoß vor Wettbewerbslage; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.8; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 5; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 14; Ahrens Liber amicorum Lindacher 1, 5; Münzberg JZ 1967, 689, 692 f.; Baur JZ 1966, 381, 382 f.; a. A. Grosch S. 84, 86, 119 f.; gleiches gilt für § 1 UKlaG BGH 14.12.2017 – I ZR 184/15 – GRUR 2018, 423 Tz. 19 – Klauselersetzung. 64 Siber Der Rechtszwang im Schuldverhältnis nach Deutschem Reichsrecht (1903) S. 99 ff., 108 ff., 113 f.; v. Caemmerer Wandlungen des Deliktsrechts, FS 100 Jahre Juristentag (1960) S. 49, 53 f.; Neumann-Duesberg JZ 1955, 480; Larenz NJW 1955, 264; dagegen Zeuner FS Dölle (1963) S. 295, 303 ff.; Überblick zum Streitstand bei Fritzsche S. 114 ff., 535 ff.; mit Blick auf die Verbandsklage vgl. aber MünchKommZPO/Micklitz/Rott § 1 UKlaG Rn. 2 f. Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

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voraussetzung für den Unterlassungsanspruch) ein materiell-rechtliches Tatbestandsmerkmal.65 In der konkreten Durchsetzungssituation fehlt es weder an einer Konkretisierung der Verletzungshandlung, des Verletzungszeitpunkts noch des Schuldners.66 Das materielle Recht hat im Übrigen selbst die Entscheidung zu treffen, mit welchen Rechtsbehelfen unter welchen Voraussetzungen das materielle Recht im engeren Sinne durchgesetzt wird. Das gilt weiterhin – trotz zum Teil prozessual formulierter „Ansprüche“ (gerichtliche Anordnungen) im Unionsrecht.67 Den Unterlassungsanspruch aus § 8 kann man als gesetzliches Schuldverhältnis verstehen.68 Entsprechend § 241 Abs. 1 S. 2 BGB ist der Schuldner zu einer Leistung, die in einem Unterlassen bestehen kann, verpflichtet.69 Da die Unterlassung regelmäßig dauerhaft geschuldet ist, wird auch von „Dauerrechtsverhältnissen“ gesprochen.70

d) Mehrwert des Unterlassungsanspruchs. Anders als Schadensersatzansprüche kann man 15 den Unterlassungsanspruch nicht im klassischen Sinne „erfüllen“. Da der Unterlassungsschuldner auch ohne korrespondierende Ansprüche zum Unterlassen einer wettbewerbswidrigen Handlung verpflichtet ist, stellt sich die Frage nach dem Mehrwert des Unterlassungsanspruchs. Im Kern eröffnet der Unterlassungsanspruch Zugang zu Beugemitteln im Sinne des § 890 ZPO. Durch diese kann auf den Willen des Schuldners eingewirkt werden. Über die disziplinierende Wirkung von Ordnungsgeldern oder Ordnungshaft kann der Schuldner motiviert werden, die vom materiellen Recht vorgegebene Unterlassungspflicht (wieder) einzuhalten. Voraussetzung hierfür ist ein Unterlassungstitel, der wiederum auf einem Unterlassungsanspruch beruht.71 Über die strafbewehrte Unterlassungserklärung kann diese Wirkung auch außergerichtlich erzielt werden. Hierbei handelt es sich um eine privatrechtliche Vereinbarung, wonach es der Schuldner zu unterlassen hat, einen bestimmten Wettbewerbsverstoß zu begehen. Bei einer Zuwiderhandlung wird eine Vertragsstrafe verwirkt (§§ 339 ff. BGB). Die Funktion der strafbewehrten Unterwerfung liegt ebenfalls darin, den Unterlassungsschuldner dadurch zur Einhaltung der von ihm versprochenen Unterlassungspflicht zu bewegen, dass er auf Grund der versprochenen Strafe vor weiteren Verstößen zurückschreckt.72 Eine solche Unterlassungsvereinbarung begründet funktional einen Titel, die Vertragsstrafe übernimmt die Funktion von § 890 ZPO. Da eine strafbewehrte Unterlassungsvereinbarung die Wiederholungsgefahr des gesetzlichen Unterlassungsanspruchs entfallen lässt,73 besteht auch schuldnerseits ein Interesse an deren Abschluss.

65 BGH 29.10.2009 – I ZR 180/07 – GRUR 2010, 455 Tz. 24 – Stumme Verkäufer II; BGH 17.9.2009 – I ZR 217/07 – GRUR 2010, 355 Tz. 25 – Testfundstelle; BGH 2.12.1982 – I ZR 121/80 – GRUR 1983, 186 – Wiederholte Unterwerfung; BGH 7.10.1982 – I ZR 120/80 – GRUR 1983, 127, 128 – Vertragsstrafeversprechen; BGH 22.9.1972 – I ZR 19/72 – GRUR 1973, 208, 209 – Neues aus der Medizin. 66 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.8; F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 398 ff. 67 F. Hofmann WRP 2018, 1, 5 f.; ders. Unterlassungsanspruch, S. 87 ff., 114 f.; s. a. ders. GPR 2017, 176, 181 f. 68 Vgl. aber anders für § 1004 BGB Fritzsche S. 45. 69 BGH 5.5.1988 – I ZR 151/86 – GRUR 1988, 716, 717 – Aufklärungspflicht gegenüber Verbänden; BGH 1.12.1994 – I ZR 139/92 – GRUR 1995, 167, 169 – Kosten bei unbegründeter Abmahnung; Frey JuS 2014, 968, 971; F. Hofmann JuS 2018, 833, 837; ders. ZfIR 2020, 582; vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.8; dies gilt auch für § 1004 BGB, vgl. BGH 4.12.2015 – V ZR 202/14 – NJW 2016, 2104 Tz. 10. 70 Fritzsche S. 44 ff.; Begriff in Abgrenzung zu „Dauerschuldverhältnissen“. 71 Zur Struktur der Rechtsdurchsetzung F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 420 ff., 421 f. 72 BGH 13.11.2013 – I ZR 77/12 – GRUR 2014, 595 Tz. 16 – Vertragsstrafenklausel. 73 St. Rspr. BGH 13.11.2013 – I ZR 77/12 – GRUR 2014, 595 Tz. 16 – Vertragsstrafenklausel; BGH 17.9.2009 – I ZR 217/07 – GRUR 2010, 355 Tz. 21 – Unterwerfungserklärung; BGH 7.10.1982 – I ZR 120/80 – GRUR 1983, 127, 128 – Vertragsstrafeversprechen. 23

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§8

Beseitigung und Unterlassung

e) Verfahrensrechtliche Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs 16 aa) Allgemeines. Auf welche Weise der Unterlassungsanspruch durchgesetzt werden kann, wurde bereits angedeutet. Praktisch werden Streitigkeiten über lauterkeitsrechtliche Unterlassungsansprüche über eine strafbewehrte Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung in Folge einer Abmahnung beigelegt.74 Mit Abschluss der Unterlassungsvereinbarung (es genügt auch ein entsprechendes bindendes Angebot des Schuldners)75 erlischt die Wiederholungsgefahr;76 der Unterlassungsanspruch geht unter (rechtsvernichtende Einwendung).77 Alternativ kann der Schuldner einen Titel erstreiten. Dies kann entweder im einstweiligen Rechtsschutz oder im Hauptsacheverfahren geschehen. Der Unterlassungsanspruch ist ohne Weiteres klagbar. Zu beachten ist aber das wegen § 93 ZPO bestehende Kostenrisiko. Es besteht folglich eine Abmahnobliegenheit.78

17 bb) Rechtsschutzbedürfnis. Mit Blick auf das Rechtsschutzbedürfnis gelten keine Besonderheiten. Leistungsklagen, mit denen fällige Ansprüche verfolgt werden, sind grundsätzlich ohne Darlegung eines besonderen Interesses an einem Urteil zulässig.79 Namentlich das Fehlen von Begehungsgefahr ist keine Frage des Rechtsschutzbedürfnisses, sondern der Begründetheit.80 Anders soll dies nach h. M. aber beim vertraglichen Unterlassungsanspruch sein (Rn. 98).81 Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt nicht deshalb, weil der Streit auch über eine strafbewehrte Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung beigelegt werden könnte.82 § 259 ZPO ist nicht anwendbar.83 Mit der Unterlassungsklage wird eine gegenwärtige, keine künftige Leistung eingeklagt.84 Auch das Vorliegen einer notariellen Unterwerfung (§ 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO)85 beseitigt nicht das Rechtsschutzbedürfnis.86 Der Gläubiger hat die Wahl, ob er sich auf die notariell beurkundete Unterwerfung einlässt und die Androhung von Ordnungsmitteln beantragt (§ 890 Abs. 2 ZPO) oder davon absieht und einen Unterlassungstitel im Hauptsacheverfahren erwirkt.87 Begründet wird dies damit, dass sich der Gläubiger auf die notarielle Unterwerfung wegen der mit ihrer Durchsetzung verbundenen Unsicherheiten und Erschwernisse nicht einzulassen braucht. Insbesondere ein Ordnungsmittelverfahren vor dem Amtsgericht am Sitz des Notars88 kann sich gegenüber einem Verfahren vor einem mit Wettbewerbssachen erfahrenen Landgericht (§ 13) als nachteilig erweisen, zumal dem Gläubiger der fliegende Gerichtsstand genommen würde.89 Erkennt der Unterlassungsschuldner durch eine Abschlusserklärung eine 74 Ausführlich zur Abmahnung Ahrens/Achilles Kap. 2; s. a. § 13. 75 BGH 17.9.2009 – I ZR 217/07 – GRUR 2010, 355 Tz. 21 – Unterwerfungserklärung. 76 St. Rspr. BGH 13.11.2013 – I ZR 77/12 – GRUR 2014, 595 Tz. 16 – Vertragsstrafenklausel; BGH 17.9.2009 – I ZR 217/ 07 – GRUR 2010, 355 Tz. 25 – Testfundstelle; BGH 7.10.1982 – I ZR 120/80 – GRUR 1983, 127, 128 – Vertragsstrafeversprechen. 77 MünchKommUWG/Fritzsche § 11 Rn. 231; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Schwippert § 83 Rn. 4; Teplitzky/Kessen Kap. 8 Rn. 46 ff. 78 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 13 Rn. 7; MünchKommUWG/Ottofülling § 12 Rn. 13. 79 BGH 21.4.2016 – I ZR 100/15 – GRUR 2016, 1316 Tz. 13 – Notarielle Unterlassungserklärung. 80 BGH 18.3.2010 – I ZR 158/07 – GRUR 2010, 536 Tz. 36 – Modulgerüst II. 81 BGH 21.1.1999 – I ZB 135/96 – GRUR 1999, 522, 524 – Datenbankabgleich; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 26. 82 BGH 9.11.1979 – I ZR 24/78 – GRUR 1980, 241, 242 – Rechtsschutzbedürfnis. 83 MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 26. 84 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.15. 85 Grundlegend Köhler GRUR 2010, 6. 86 BGH 21.4.2016 – I ZR 100/15 – GRUR 2016, 1316 Tz. 16 ff. – Notarielle Unterlassungserklärung; Teplitzky WRP 2015, 527, 531; Tavanti WRP 2015, 1411, 1412; vgl. auch Teplitzky/Bacher Kap. 41 Rn. 45a. 87 BGH 21.4.2016 – I ZR 100/15 – GRUR 2016, 1316 Tz. 25 – Notarielle Unterlassungserklärung. 88 Die Frage der Zuständigkeit ist streitig, vgl. OLG Köln 26.3.2014 – 6 W 43/14 – GRUR-RR 2014, 277; LG Paderborn 27.8.2013 – 7 O 30/13. 89 BGH 21.4.2016 – I ZR 100/15 – GRUR 2016, 1316 Tz. 24 – Notarielle Unterlassungserklärung. Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

§8

gegen ihn ergangene Unterlassungsverfügung als nach Bestandskraft und Wirkung einem entsprechenden Hauptsachetitel gleichwertig an, wird dadurch das Rechtsschutzinteresse für eine Hauptsacheklage beseitigt, weil sie einen dem Unterlassungstitel gleichwertigen Vollstreckungstitel entstehen lässt.90 Einer Klage auf Unterlassung oder Beseitigung von Äußerungen, die der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in einem gerichtlichen oder behördlichen Verfahren dienen, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.91 Dem liegt die Erwägung zu Grunde, dass auf den Ablauf eines rechtsstaatlich geregelten Verfahrens nicht dadurch Einfluss genommen und seinem Ergebnis nicht dadurch vorgegriffen werden soll, dass ein an diesem Verfahren Beteiligter durch Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüche in seiner Äußerungsfreiheit eingeengt wird. Ob das Vorbringen wahr und erheblich ist, soll allein in dem seiner eigenen Ordnung unterliegenden Ausgangsverfahren geklärt werden.92 Dies gilt grundsätzlich auch bei Äußerungen in einem rechtsstaatlich geregelten Verfahren, durch die Rechte von am Verfahren beteiligten Dritten betroffen werden, wenn die Äußerungen in einem engen Bezug zum Verfahren stehen.93 Die Durchsetzung individueller Ansprüche Dritter auf Schutz ihrer durch das Vorbringen der Verfahrensbeteiligten betroffenen Rechte ist damit nicht generell ausgeschlossen. Ist etwa ein Bezug der den Dritten betreffenden Äußerungen zum Ausgangsverfahren nicht erkennbar, sind diese auf der Hand liegend falsch oder stellen sie sich als unzulässige Schmähung dar, bei der nicht die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung des Dritten im Vordergrund steht, kann eine gesonderte Klage auf Unterlassung oder Widerruf ausnahmsweise zulässig sein.94 Eine differenzierte Betrachtung ist geboten, wenn die Klage auf Unterlassung von Äußerungen gerichtet ist, die zwar außerhalb eines gerichtlichen oder behördlichen Verfahrens erfolgt sind, aber mit einem solchen in einem Zusammenhang stehen. Es reicht für die Verneinung des Rechtsschutzbedürfnisses nicht aus, dass eine außergerichtliche Auseinandersetzung in eine gerichtliche Auseinandersetzung münden kann. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt in diesen Fällen vielmehr nur dann, wenn die wettbewerbsrechtliche Unterlassungsklage auf eine Beschränkung der Rechtsverfolgung oder -verteidigung des Gegners gerichtet ist, die im Fall des Obsiegens in dem nachfolgenden gerichtlichen oder behördlichen Verfahren fortwirkte.95 Das Rechtschutzbedürfnis für eine wettbewerbsrechtliche Unterlassungsklage fehlt daher nicht, soweit mit ihr nicht die Rechtsverfolgung oder –verteidigung an sich, sondern lediglich Ausführungen zu ihrer Begründung angegriffen werden. Hinsichtlich solcher Ausführungen muss eine Prüfung am Maßstab des Irreführungsverbots möglich sein, weil sie geeignet sind, die geschäftliche Entscheidung der Gegenseite zu beeinflussen, ob sie sich gegen die Rechtsverfolgung oder -verteidigung zur Wehr setzt oder diese hinnimmt.96 Es ist daher möglich, die Darstellung eines Schreibens zu einer Preisänderungsklausel als irreführende geschäftliche Handlung anzugreifen.97

f) Dogmatische Grundstruktur. Der Unterlassungsanspruch lässt sich aus Gläubiger- und 18 Schuldnerperspektive beschreiben. Der Gläubiger hat ein Recht, vom Schuldner ein Unterlassen 90 BGH 19.5.2010 – I ZR 177/07 – GRUR 2010, 855 Tz. 16 – Folienrollos; Teplitzky LMK 2010, 306927. 91 BGH 23.4.2020 – I ZR 85/19 – NJW-RR 2020, 929 Tz. 21 – Preisänderungsregelung; BGH 19.7.2012 – I ZR 105/11 – GRUR 2013, 305 Tz. 14 – Honorarkürzung; vgl. BGH 15.11.2012 – I ZR 128/11 – GRUR 2013, 647 Tz. 14 – Rechtsmissbräuchlicher Zuschlagsbeschluss; OLG Köln 18.1.2019 – 6 U 74/18 – GRUR 2019, 306 Tz. 31 ff. – Kündigung durch Bausparkasse in Niedrigzinsphase; s. a. Klein NJW 2018, 3143. 92 BGH 23.4.2020 – I ZR 85/19 – NJW-RR 2020, 929 Tz. 21 – Preisänderungsregelung; BGH 19.7.2012 – I ZR 105/11 – GRUR 2013, 305 Tz. 14 – Honorarkürzung. 93 BGH 23.4.2020 – I ZR 85/19 – NJW-RR 2020, 929 Tz. 21 – Preisänderungsregelung; BGH 19.7.2012 – I ZR 105/11 – GRUR 2013, 305 Tz. 15 – Honorarkürzung. 94 BGH 19.7.2012 – I ZR 105/11 – GRUR 2013, 305 Tz. 16 – Honorarkürzung. 95 BGH 23.4.2020 – I ZR 85/19 – NJW-RR 2020, 929 Tz. 22 – Preisänderungsregelung. 96 BGH 23.4.2020 – I ZR 85/19 – NJW-RR 2020, 929 Tz. 23 – Preisänderungsregelung. 97 BGH 23.4.2020 – I ZR 85/19 – NJW-RR 2020, 929 Tz. 24 – Preisänderungsregelung. 25

Hofmann

§8

Beseitigung und Unterlassung

zu verlangen, während der Schuldner die Pflicht hat, die Verletzungshandlung nicht vorzunehmen. Die Unterlassungspflicht erweist sich dabei als zentraler Baustein des Unterlassungsanspruchs.98 Nur wenn der Schuldner situationsspezifisch verpflichtet ist, eine bestimmte Handlung nicht vorzunehmen, ist grundsätzlich Raum für den Unterlassungsanspruch. Diese konkrete situationspezifische Verpflichtung mündet freilich nur in ein korrespondierendes Recht des Gläubigers, wenn mittels einer konkreten Verletzungshandlung die Gefahr des Verstoßes gegen die Pflicht besteht (= Begehungsgefahr, Rn. 21 ff.). Diese konkrete Unterlassungspflicht setzt sich schließlich in einem gerichtlichen Unterlassungstitel fort und ist als tenorierte Pflicht Basis für die Vollstreckung nach § 890 ZPO („Kaskade der Unterlassungspflichten“).99 Über die Kerntheorie (Rn. 28) werden auf allen Ebenen schließlich nicht nur identische Pflichtverstöße erfasst, sondern auch solche, die das Charakteristische des Handlungsverbots spiegeln. Oder anders formuliert: „Eine Verletzungshandlung begründet die Vermutung der Wiederholungsgefahr nicht nur für die identische Verletzungsform, sondern für alle im Kern gleichartigen Verletzungshandlungen, in denen das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt.“100 Unter einer konkreten Verletzungshandlung ist eine historische, bestimmte, sich als einheitlich darstellende Handlung zu verstehen, die im Ganzen oder durch einzelne ihrer Elemente den Tatbestand einer oder mehrerer Verbotsnormen erfüllt.101 Mit der konkreten Verletzungsform wird das „Wie“ (also die Form) der eigentlichen Tatbestandsverwirklichung durch die Handlung bezeichnet.102

2. Übersicht Entstehungsvoraussetzungen 19 Damit ein Unterlassungsanspruch besteht, bedarf es im Kern zweier Tatbestandsmerkmale: Neben einer (1) Rechtsverletzung muss (2) die Begehungsgefahr (Rn. 21 f.) nachgewiesen sein – entweder in Form von Wiederholungsgefahr (Rn. 25, 27) oder Erstbegehungsgefahr (Rn. 58). Auf ein Verschulden kommt es grundsätzlich nicht an (Rn. 24). Ein (drohender) Schaden ist ebenso wenig erforderlich wie eine Abmahnung (vgl. anders im Mietrecht, § 541 BGB).103

20 a) Rechtsverletzung. Voraussetzung für einen Unterlassungsanspruch ist das Vorliegen einer unzulässigen geschäftlichen Handlung nach § 3 oder § 7. Es handelt sich um ein außerhalb von § 8 liegendes Tatbestandsmerkmal. Auch im Rahmen des § 823 BGB, der die Rechtsfolge Schadensersatz regelt, sind die Voraussetzungen der Rechtsverletzung – allen voran die Reichweite eines Eigentumsrechts (§§ 903 ff. BGB) oder des Persönlichkeitsrechts – außerhalb der Regelung des § 823 BGB zu suchen. Ob eine geschäftliche Handlung unzulässig ist, beurteilt sich nach § 3 oder § 7. Unzulässig sind demnach unlautere geschäftliche Handlungen (§ 3 Abs. 1), die im Anhang des UWG aufgeführten geschäftlichen Handlungen gegenüber Verbrauchern (§ 3 Abs. 2) und geschäftliche Handlungen, durch die ein Marktteilnehmer in unzumutbarer Weise belästigt wird (§ 7 Abs. 1 S. 1). Es bedarf mithin eines Wettbewerbsverstoßes, einer konkreten Verletzungshandlung.104 Kein Raum für einen Unterlassungsanspruch ist gegeben, wenn der

98 F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 393 ff., 431 ff. 99 F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 431 ff. 100 BGH 17.9.2015 – I ZR 92/14 – GRUR 2016, 395 Tz. 38 – Smartphone-Werbung. 101 Teplitzky/Kessen Kap. 5 Rn. 3. 102 Teplitzky/Kessen Kap. 5 Rn. 3; vgl. auch BGH 16.2.1989 – I ZR 76/87 – GRUR 1989, 445, 446 – Professorenbezeichnung in der Arztwerbung; Könen WRP 2019, 565, 567; s. a. MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 104. 103 Vgl. Teplitzky/Kessen Kap. 10 Rn. 5 und Kap. 9 Rn. 7. 104 Teplitzky/Kessen Kap. 5 Rn. 3; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 18. Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

§8

Lauterkeitsverstoß gerechtfertigt ist (§§ 227,105 228, 904 BGB; §§ 32, 34 StGB etc.).106 Praktische Fälle sind kaum denkbar, zumal häufig bereits die vielfach abwägungsoffenen Unlauterkeitstatbestände selbst nicht erfüllt sein dürften.107 Ob schlussendlich ein Lauterkeitsrechtsverstoß vorliegt, ist als Frage des materiellen Rechts im engeren Sinne streng von der Frage des Vorliegens der Voraussetzungen für den Unterlassungsanspruch, also des Bestehens eines Rechtsdurchsetzungsrechts, zu trennen. Die Tatbestandsseite ist von der Rechtsfolgenseite zu unterscheiden.108

b) Begehungsgefahr aa) Sinn und Zweck. Dem Unterlassungsanspruch vorausgelagert ist die allgemeine Pflicht, 21 wettbewerbswidrige Handlungen nicht vorzunehmen. Diese verdichtet sich zu einem Anspruch,109 wenn der Gläubiger auf einen solchen angewiesen ist. Einen Unterlassungsanspruch braucht der Gläubiger, wenn er ein legitimes Interesse daran hat, auf den Willen eines Dritten einzuwirken, so dass sich dieser wettbewerbskonform verhalte. Der Unterlassungsanspruch gewährt dabei Zugang zu den Beugemitteln aus § 890 ZPO oder ebnet den Weg für den Abschluss einer strafbewehrten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung (Rn. 15). Solange sich Dritte an die Regeln des lauteren Wettbewerbs halten, besteht demgegenüber kein Bedürfnis für einen Anspruch auf Einhaltung derselben. Das Tatbestandsmerkmal der Begehungsgefahr steht synonym für ein vorhandenes „Tenorierungsinteresse“. Ein Anspruch gegen Jedermann wäre hingegen überflüssig.110 Dogmatisch wird dies über die Begehungsgefahr abgebildet. Über diese wird das allgemeine Verbot, unlautere geschäftliche Handlungen nicht vorzunehmen, konkretisiert.111 Genauer: Das Tatbestandsmerkmal der Begehungsgefahr spezifiziert zum einen den Zeitpunkt für die Entstehung eines Unterlassungsanspruchs; zum anderen wird erst im Verletzungszeitpunkt klar, welche konkrete Person sich welcher konkreten Verletzungshandlung enthalten soll.112 bb) Definition. Unter Begehungsgefahr ist die ernsthafte und greifbare Besorgnis zu verste- 22 hen, dass in Zukunft gegen die gegebene Unterlassungspflicht verstoßen wird.113 Diese ernsthafte Besorgnis einer bevorstehenden Rechtsverletzung (Prognoseentscheidung)114 kann begründet sein, wenn entweder die Gefahr eines erstmaligen Wettbewerbsverstoßes (Erstbegehungsgefahr) oder die Gefahr der Wiederholung eines schon einmal begangenen Verstoßes 105 Zum „Abwehreinwand“ Harte/Henning/Goldmann Vorb. zu § 8 Rn. 205 ff. 106 MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 20; wegen der vom Wettbewerbsrecht geschützten Allgemeininteressen kommt eine Einwilligung als Rechtfertigung regelmäßig nicht in Betracht. 107 Teplitzky/Kessen Kap. 5 Rn. 18 f.; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 20. 108 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.40 f.; missverständliche Formulierung bei BGH 16.11.2017 – I ZR 161/16 – GRUR 2018, 535 – Knochenzement I („Reichweite des Unterlassungsanspruchs“ – in der Sache ging es insbes. um den Anwendungsbereich der lauterkeitsrechtlichen Generalklausel). 109 Zur Struktur der Rechtsdurchsetzung F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 421 ff., er spricht von einer „Kaskade der Unterlassungspflichten“, S. 431 ff.; zur Unterscheidung von Anspruch und allgemeinem, jedermann treffenden Gebot, sich nicht unlauter zu verhalten Fritzsche S. 114 ff.; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 22. 110 OLG Hamburg 28.11.1996 – 3 U 67/96 – GRUR 1997, 396 – Verstoß vor Wettbewerbslage; Larenz NJW 1955, 264; Zeuner FS Dölle (1963) S. 295, 306; Kohler Zeitschrift für das Privat- und Öffentliche Recht der Gegenwart, 1887, 1, 6; Siber Der Rechtszwang im Schuldverhältnis nach Deutschem Reichsrecht (1903) S. 100. 111 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.10; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 6; Alexander Wettbewerbsrecht, § 22 Rn. 1694. 112 F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 398 ff., 403 ff. 113 BGH 16.1.1992 – I ZR 84/90 – GRUR 1992, 318, 319 – Jubiläumsverkauf; BGH 15.10.1998 – I ZR 120/96 – GRUR 1999, 418, 420 – Möbelklassiker; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 6; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 24. 114 MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 81. 27

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§8

Beseitigung und Unterlassung

besteht (Wiederholungsgefahr). Für den Unterlassungsanspruch kommt es daher auf die ernsthafte und greifbare Besorgnis der künftigen Rechtsverletzung an, ohne dass maßgeblich ist, ob diese auf Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr beruht.115 Die Begehungsgefahr ist materiell-rechtliche Voraussetzung des Unterlassungsanspruchs.116 Nur wenn sich ein Wettbewerbsverstoß zu wiederholen droht (Wiederholungsgefahr) oder erstmalig zu befürchten ist (Erstbegehungsgefahr), entsteht ein Unterlassungsanspruch. Lediglich bei Vorliegen einer der beiden Situationen (im Kern geht es jeweils um das Drohen einer Zuwiderhandlung),117 besteht ein Bedürfnis, den wettbewerbswidrig Handelnden wieder auf die rechte Spur zu bringen. Eine Unterlassungsklage ist als unbegründet abzuweisen, wenn es an der Begehungsgefahr fehlt.118 Entfällt die Wiederholungsgefahr während des Rechtsstreits (Beispiel: Abgabe einer strafbewehrten Unterwerfungserklärung), muss der Kläger den Unterlassungsantrag in der Hauptsache für erledigt erklären (s. a Rn. 23), um eine Klageabweisung zu vermeiden (es sei denn, es liegt Erstbegehungsgefahr vor).119 Die Voraussetzungen für das Entfallen der Begehungsgefahr sind für den Verletzungsunterlassungsanspruch und den vorbeugenden Unterlassungsanspruch unterschiedlich. Während der Verletzungsunterlassungsanspruch regelmäßig nur durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung untergeht (Rn. 33 ff.), erlischt die Erstbegehungsgefahr im Regelfall bereits durch einen actus contrarius (Rn. 63 f.).

23 cc) Maßgeblicher Zeitpunkt. Bei der Begehungsgefahr handelt es sich um eine Tatfrage.120 Das Vorliegen von Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr ist ein tatsächlicher Umstand.121 Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für ihr Bestehen ist daher die letzte mündliche Tatsachenverhandlung.122 Im Revisionsverfahren unterliegt das tatsächliche Vorliegen der Begehungsgefahr nur eingeschränkter Nachprüfung.123 Da der Unterlassungsanspruch in die Zukunft gerichtet ist, muss das beanstandete Verhalten zum Zeitpunkt des Urteils weiterhin verboten sein.124 Eine Klage ist nur begründet, wenn das beanstandete Verhalten sowohl zum Zeitpunkt seiner Vornahme rechtswidrig war, als auch zum Zeitpunkt der Entscheidung (in der Revisions-

115 BGH 16.1.1992 – I ZR 84/90 – GRUR 1992, 318, 319 – Jubiläumsverkauf. 116 BGH 29.10.2009 – I ZR 180/07 – GRUR 2010, 455 Tz. 24 – Stumme Verkäufer II; BGH 28.9.2000 – I ZR 141/98 – GRUR 2001, 255 – Information über Null-Tarif; BGH 16.1.1992 – I ZR 84/90 – GRUR 1992, 318, 319 – Jubiläumsverkauf; BGH 2.12.1982 – I ZR 121/80 – GRUR 1983, 186 – Wiederholte Unterwerfung; BGH 7.10.1982 – I ZR 120/80 – GRUR 1983, 127, 128 – Vertragsstrafeversprechen; BGH 9.11.1979 – I ZR 24/78 – GRUR 1980, 241, 242 – Rechtsschutzbedürfnis; BGH 22.9.1972 – I ZR 19/72 – GRUR 1973, 208, 209 – Neues aus der Medizin; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 7; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 21; Ahrens/Achilles Kap. 1 Rn. 3; verteidigend Teplitzky FS Köhler (2014) S. 757, 762 ff. 117 MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 22. 118 BGH 22.9.1972 – I ZR 19/72 – GRUR 1973, 208, 209 – Neues aus der Medizin; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.12. 119 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 58; Bergerfurth NJW 1992, 1655; OLG Hamm 27.9.1983 – 4 U 223/83 – GRUR 1984, 68 – Verfrühte Jubiläumsfeier; vgl. BGH 26.2.2014 – I ZR 72/08 – GRUR-RS 2014, 07406; BGH 7.3.2019 – I ZR 184/17 – GRUR 2019, 746 Tz. 35 – Energieeffizienzklasse III. 120 BGH 24.4.1986 – I ZR 56/84 – GRUR 1987, 45, 46 – Sommerpreiswerbung; BGH 2.12.1982 – I ZR 121/80 – GRUR 1983, 186 – Wiederholte Unterwerfung. 121 BGH 26.4.2007 – I ZR 34/05 – GRUR 2007, 995 Tz. 11 – Schuldnachfolge. 122 BGH 31.5.2001 – I ZR 106/99 – GRUR 2001, 1174, 1175 f. – Berühmungsaufgabe; BGH 29.10.2009 – I ZR 180/ 07 – GRUR 2010, 455 Tz. 16 – Stumme Verkäufer II; BGH 25.10.2001 – I ZR 29/99 – GRUR 2002, 717, 719 – Vertretung der Anwalts-GmbH; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.12. 123 BGH 2.12.1982 – I ZR 121/80 – GRUR 1983, 186 – Wiederholte Unterwerfung; BGH 27.11.1963 – Ib ZR 60/62 – GRUR 1964, 274, 275 – Möbelrabatt. 124 BGH 11.10.2017 – I ZR 210/16 – GRUR 2018, 317 Tz. 10 – Portierungsauftrag; BGH 14.9.2017 – I ZR 231/14 – GRUR 2017, 1269 Tz. 13 – MeinPaket.de II; BGH 7.4.2011 – I ZR 34/09 – GRUR 2011, 742 Tz. 22 – Leistungspakete im Preisvergleich. Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

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instanz) rechtswidrig ist.125 Das kann trotz einer Gesetzesänderung weiterhin der Fall sein.126 War das Verhalten zwar zum Tatzeitpunkt unzulässig, nicht aber zum Zeitpunkt des Urteilserlasses, besteht kein Unterlassungsanspruch mehr. Die Wiederholungsgefahr entfällt;127 der Kläger kann die Hauptsache für erledigt erklären.128 Ändert sich das Verkehrsverständnis mit der Folge, dass die beanstandete Angabe den tatsächlichen Verhältnissen entspricht, kommt die Annahme einer Irreführung nicht (mehr) in Betracht. Tritt eine solche Änderung nach Vornahme der beanstandeten Handlung, aber vor der gerichtlichen Entscheidung über den auf Wiederholungsgefahr gestützten Unterlassungsanspruch ein, dessen Voraussetzung die Rechtswidrigkeit der Handlung sowohl im Zeitpunkt ihrer Vornahme als auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist, entfällt die Wiederholungsgefahr.129 Ist die streitgegenständliche Handlung nunmehr verboten, war sie aber zum Handlungszeitpunkt erlaubt, fehlt es an der Begehungsgefahr.130 Es kann nämlich nicht generell angenommen werden, dass die neue Rechtslage nunmehr nicht beachtet wird.131

c) Verschulden. Nach allgemeiner Meinung ist der Unterlassungsanspruch – wie schon ein 24 Umkehrschluss zu § 9 zeigt – verschuldensunabhängig.132 Ein etwaiger Verbotsirrtum ist damit bedeutungslos.133 Im Unionsrecht spielt Verschulden hingegen durchaus eine Rolle. Mit Blick auf die Durchsetzung der Bestimmungen der UGP-RL sieht der EuGH „die Frage, ob Vorsatz vorliegt“ neben Umständen wie der „Häufigkeit der vorgeworfenen Praxis“ oder dem „Ausmaß des Schadens“ als relevanten Faktor bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit von lauterkeitsrechtlichen Sanktionen.134 Auch Art. 13 Abs. 1 lit. c der GeschäftsgeheimnisRL (RL (EU) 2016/943) sieht vor, dass bei der Frage gerichtlicher Anordnungen und deren Verhältnismäßigkeit „das Verhalten des Antragsgegners“ zu berücksichtigen ist. Gleichwohl ist Verschulden im Unionsrecht keine allgemeine Voraussetzung für Unterlassungsanordnungen (Art. 11 Abs. 2 UAbs. 1 a. E.).135 Während Verhältnismäßigkeitsüberlegungen im deutschen Recht namentlich über Aufbrauchfristen Rechnung getragen wird (leichte Fahrlässigkeit steht einer Aufbrauchs- oder Umstellungsfrist explizit nicht entgegen), welche temporär die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs verhindern (Rn. 86 ff.), stellt sich zumindest im Ergebnis die Frage, inwieweit das Dogma von der Verschuldensunabhängigkeit des Unterlassungs-

125 BGH 23.4.2020 – I ZR 85/19 – NJW-RR 2020, 929 Tz. 26 – Preisänderungsregelung; BGH 18.10.2017 – I ZR 84/ 16 – GRUR 2018, 324 Tz. 11 – Kraftfahrzeugwerbung; BGH 2.3.2017 – I ZR 41/16 – GRUR 2017, 922 Tz. 13 – Komplettküchen; BGH 4.2.2016 – I ZR 194/14 – GRUR 2016, 403 Tz. 9 – Fressnapf-Werbung. 126 BGH 4.2.2016 – I ZR 194/14 – GRUR 2016, 403 Tz. 9 – Fressnapf-Werbung. 127 Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 33. 128 Vgl. BGH 20.1.2016 – I ZB 102/14 – GRUR 2016, 421, 422 – Erledigterklärung nach Gesetzesänderung. 129 BGH 4.7.2019 – I ZR 161/18 – GRUR 2020, 299 Tz. 11 – IVD-Gütesiegel. 130 BGH 7.4.2011 – I ZR 34/09 – GRUR 2011, 742 Tz. 22 – Leistungspakete im Preisvergleich; BGH 25.10.2001 – I ZR 29/99 – GRUR 2002, 717, 719 – Vertretung der Anwalts-GmbH; Alexander Wettbewerbsrecht, § 22 Rn. 1693; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 23. 131 BGH 12.7.2012 – I ZR 54/11 – GRUR 2013, 301 Tz. 17 – Solarinitiative; BGH 9.11.2000 – I ZR 185/98 – GRUR 2001, 348, 349 – Leitung einer Steuerberaterniederlassung. 132 BGH 8.3.1962 – KZR 8/61 – GRUR 1962, 426, 428 – Selbstbedienungsgroßhändler; BGH 30.1.1953 – I ZR 88/52 – GRUR 1953, 290, 292 – Fernsprechnummer; OLG Stuttgart 5.4.2018 – 2 U 99/17 – GRUR 2018, 1066 Tz. 76 – Verblindung von Warentests; Alexander Wettbewerbsrecht, § 22 Rn. 1696; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 26; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 45, 46, 48, 51; vgl. Fritzsche 146 f.; auch auf Verschuldensfähigkeit kommt es damit nicht an, MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 27. 133 Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 14. 134 EuGH 16.4.2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 58 – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság/UPC Magyarország Kft. 135 EuGH 16.4.2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 48 – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság/UPC Magyarország Kft. 29

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Beseitigung und Unterlassung

anspruchs uneingeschränkt aufrechterhalten werden kann.136 Tatsächlich ist der Unterlassungsanspruch weitaus weniger harmlos, als diesem allgemein nachgesagt wird.137 Der Verletzer muss nämlich nicht „nur“ sein Verhalten einstellen (auch dies kann ihn mangels Amortisationsmöglichkeit teuer zu stehen kommen), sondern ihn treffen vielfach faktisch Handlungspflichten (Rn. 69 ff.).138

3. Verletzungsunterlassungsanspruch 25 a) Übersicht Voraussetzungen. Der Anspruchsgegner kann ausweislich des Wortlautes von § 8 Abs. 1 S. 1 2. Alt. bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Die Wiederholungsgefahr ist Entstehungsvoraussetzung des Verletzungsunterlassungsanspruchs. Wiederholungsgefahr liegt vor, wenn (1) eine Zuwiderhandlung gegen § 3 oder § 7 begangen wurde und (2) die Begehung eines erneuten Wettbewerbsverstoßes ernsthaft droht.139 Schon begrifflich setzt die Wiederholungsgefahr eine vorangegangene Zuwiderhandlung voraus.140 Fehlt es an einem Wettbewerbsverstoß, ist auch kein Raum für eine Wiederholungsgefahr.141 Die Zuwiderhandlung muss vollendet sein.142 Da Intermediäre (z. B. Online-Verkaufsplattformen) regelmäßig erst nach einem Hinweis zum Tätigwerden verpflichtet sind, kann eine Wiederholungsgefahr nur darauf gestützt werden, dass der beanstandete Beitrag nicht gelöscht wurde oder gegen die Pflicht zur Verhinderung weiterer gleichartiger Rechtsverletzungen verstoßen wurde.143 Die Gefahr der Wiederholung eines schon einmal begangenen Lauterkeitsverstoßes ist gegeben, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte die ernsthafte und greifbare Besorgnis besteht, dass es in Zukunft erneut zu denselben oder kerngleichen, also im Wesentlichen gleichartigen, Wettbewerbsverstößen kommt. Es droht also, dass die konkrete Verletzungshandlung künftig in gleicher oder im Kern gleichartiger Form erneut begangen wird.144 Über die bloße objektive Möglichkeit eines zukünftigen Verstoßes gegen einen wettbewerbsrechtlichen Verbotstatbestand hinaus müssen hierfür konkrete Anhaltspunkte vorliegen.145 Es kommt auf die Willensrichtung des Verletzers an.146 Diese ist auf Grund äußerlich erkennbarer Umstände zu erschließen.147

26 b) Höchstpersönliche Natur der Wiederholungsgefahr. Da die Unterlassungspflicht höchstpersönlicher Natur ist, kommt es stets auf die Person des Unterlassungsschuldners an. Auf den Rechtsnachfolger (Rn. 200) geht die Wiederholungsgefahr nicht über.148 Die Wiederholungsgefahr ist ein tatsächlicher Umstand, der nach den Verhältnissen in der Person 136 137 138 139 140 141 142

F. Hofmann WRP 2018, 1, 6. Vgl. Brox/Walker Besonderes Schuldrecht (2020) § 53 Rn. 17. F. Hofmann NJW 2018, 1290. Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 10. Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 36. BGH 11.5.2017 – I ZR 60/16 – GRUR 2017, 1140 Tz. 34 – Testkauf im Internet. BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 53 – Jugendgefährdende Medien; Harte/ Henning/Goldmann § 8 Rn. 40; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 30. 143 BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – NJW 2015, 3443 Tz. 42 – Hotelbewertungsportal. 144 BGH 16.1.1992 – I ZR 84/90 – GRUR 1992, 318, 319 – Jubiläumsverkauf; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 7; Harte/Henning/ Goldmann § 8 Rn. 42; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.42; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 56. 145 BGH 16.1.1992 – I ZR 84/90 – GRUR 1992, 318, 319 – Jubiläumsverkauf. 146 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.42. 147 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.42. 148 BGH 7.3.2019 – I ZR 184/17 – GRUR 2019, 746 Tz. 38 – Energieeffizienzklasse III; BGH 3.4.2008 – I ZR 49/05 – GRUR 2008, 1002 Tz. 39 – Schuhpark; BGH 26.4.2007 – I ZR 34/05 – GRUR 2007, 995 Tz. 11 – Schuldnachfolge; BGH 16.3.2006 – I ZR 92/03 – GRUR 2006, 879 Tz. 17 – Flüssiggastank; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 32. Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

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des in Anspruch Genommenen zu beurteilen ist.149 Dies gilt nicht nur, wenn der Rechtsvorgänger die Wiederholungsgefahr persönlich durch eigenes Verhalten begründet hat, sondern auch dann, wenn der Wettbewerbsverstoß durch Organe des Rechtsvorgängers oder Mitarbeiter seines Unternehmens begangen worden ist.150 Auf den Insolvenzverwalter geht die Wiederholungsgefahr daher nicht über.151 Der Formwechsel einer Gesellschaft nach §§ 190 ff. UmwG hat als solcher hingegen keine Auswirkungen auf das Fortbestehen einer in ihrer Person begründeten Wiederholungsgefahr. Die Identität der Gesellschaft bleibt nach § 202 Abs. 1 Nr. 1 UmwG unberührt.152 Dasselbe gilt bei einer Verschmelzung durch Aufnahme nach § 2 Nr. 1, 4 ff. UmwG für das Fortbestehen einer in der Person des übernehmenden Rechtsträgers begründeten Wiederholungsgefahr.153

c) Vermutungswirkung aa) Allgemeines. Da es sich bei der Begehungsgefahr um eine anspruchsbegründende Tatsa- 27 che handelt, liegt die Beweislast dieses tatsächlichen Umstands beim Anspruchsteller.154 Praktisch hilft aber eine widerlegliche tatsächliche Vermutung:155 Eine begangene Rechtsverletzung begründet nach ständiger Rechtsprechung die tatsächliche Vermutung für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr.156 Hat in der Vergangenheit ein Wettbewerbsverstoß stattgefunden, wird vermutet, dass sich ein solcher – oder weitergehend ein gleichartiger Verstoß (Rn. 28) – zu wiederholen droht. Wer bereits einmal eine unzulässige geschäftliche Handlung vorgenommen hat, dem ist im Grundsatz zuzutrauen, dass er später bei sich bietender Gelegenheit wieder in gleicher Weise handelt.157 Es soll allgemeiner Lebenserfahrung entsprechen, dass ein schon einmal begangener Wettbewerbsverstoß dessen Wiederholung befürchten lässt.158 In der Sache dient dies dazu, dem Bedürfnis des Gläubigers nach Einhaltung der materiell-rechtlichen Unterlassungspflicht nachzugeben. Da sein Vertrauen in die Rechtstreue erschüttert ist, soll er sich nicht allein auf den guten Willen des Verpflichteten verlassen müssen, sondern sich über Beugemittel absichern können. Zu diesen gewährt der Unterlassungsanspruch Zugang (Rn. 15).

149 BGH 26.4.2007 – I ZR 34/05 – GRUR 2007, 995 Tz. 11 – Schuldnachfolge; BGH 16.3.2006 – I ZR 92/03 – GRUR 2006, 879 Tz. 17 – Flüssiggastank. 150 BGH 7.3.2019 – I ZR 184/17 – GRUR 2019, 746 Tz. 38 – Energieeffizienzklasse III BGH 18.3.2010 – I ZR 158/07 – GRUR 2010, 536 Tz. 40 – Modulgerüst II; BGH 26.4.2007 – I ZR 34/05 – GRUR 2007, 995 Tz. 11 – Schuldnachfolge. 151 BGH 27.11.2014 – I ZR 124/11 – GRUR 2015, 672 Tz. 61 – Videospiel-Konsolen II; BGH 18.3.2010 – I ZR 158/07 – GRUR 2010, 536 Tz. 40 – Modulgerüst II. 152 BGH 12.2.2015 – I ZR 213/13 – GRUR 2017, 813 Tz. 17 – Fahrdienst zur Augenklinik. 153 BGH 12.2.2015 – I ZR 213/13 – GRUR 2017, 813 Tz. 17 – Fahrdienst zur Augenklinik. 154 BGH 29.10.2009 – I ZR 180/07 – GRUR 2010, 455 Tz. 24 – Stumme Verkäufer II. 155 BGH 12.3.2020 – I ZR 126/18 – GRUR 2020, 755 Tz. 80 – WarnWetter-App; BGH 13.9.2018 – I ZR 117/15 – GRUR 2018, 1258 Tz. 52 – YouTube-Werbekanal II; BGH 10.2.1994 – I ZR 16/92 – GRUR 1994, 443, 445 – Versicherungsvermittlung im öffentlichen Dienst; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 8, 10; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.44; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 31, 32; praktisch handelt es sich wohl eher um eine gewohnheitsrechtlich anerkannte, gesetzliche Vermutung Teplitzky/Kessen Kap. 6 Rn. 9 und Rn. 10. 156 BGH 14.3.2017 – VI ZR 721/15 – GRUR 2017, 748 Tz. 29 – Robinson-Liste („Die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr wird durch das festgestellte rechtsverletzende Verhalten […] indiziert“); BGH 14.1.2016 – I ZR 65/14 – GRUR 2016, 946 Tz. 52 – Freunde finden; BGH 15.12.2015 – VI ZR 134/15 – GRUR 2016, 530 Tz. 23 – „No-reply“-E-Mails; BGH 21.4.2016 – I ZR 100/15 – GRUR 2016, 1316 Tz. 29 – Notarielle Unterlassungserklärung; BGH 29.10.2009 – I ZR 180/07 – GRUR 2010, 455 Tz. 26 – Stumme Verkäufer II; BGH 9.11.1995 – I ZR 212/93 – GRUR 1996, 290, 291 – Wegfall der Wiederholungsgefahr I. 157 Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 43. 158 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 8. 31

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Beseitigung und Unterlassung

28 bb) Kerntheorie. Eine in bestimmter Form begangene Verletzungshandlung lässt nicht nur die Wiederholung der genau identischen Verletzungsform vermuten, sondern begründet auch eine Vermutung für die Begehung zwar leicht abgewandelter, aber in ihrem Kern gleicher Handlungen.159 Die Vermutung der Wiederholungsgefahr erstreckt sich auf im Kern gleichartige Verletzungshandlungen.160 Diese Kerntheorie wurde ursprünglich für tenorierte Unterlassungsverpflichtungen entwickelt. Der Verbotsumfang gerichtlicher Unterlassungsgebote geht demnach auch ohne explizite Titulierung über den tenorierten Wortlaut hinaus.161 Der Verletzer kann sich nicht durch jede Änderung der Verletzungsform dem Verbotsurteil entziehen; solche Änderungen, die den Kern der Verletzungsform unberührt lassen, sind von der Rechtskraftwirkung mitumfasst.162 Das Verbot eines Unterlassungstitels umfasst über die mit der verbotenen Form identischen Handlungen hinaus auch im Kern gleichartige Abwandlungen, in denen das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt.163 Unbedeutende Abweichungen sind folglich unerheblich.164 Diese Überlegungen gelten nach allgemeiner Meinung auch für die Wiederholungsgefahr. Dem ist zuzustimmen. So wie die gesetzlichen Unterlassungspflichten im Unterlassungsanspruch fortwirken, setzt sich dieser in einem gerichtlichen Unterlassungstitel fort, der wiederum Grundlage für die Vollstreckung aus § 890 ZPO ist. Verbindungselement ist jeweils die Unterlassungspflicht, auch wenn diese jeweils auf eine andere Stufe gestellt wird („Kaskade von Unterlassungspflichten“).165 Wenn nun aber die titulierte Unterlassungspflicht auf kerngleiche Verstöße erweitert wird, muss dies logischerweise auch für den Unterlassungsanspruch gelten. Dieser entsteht dann analog nicht nur mit Blick auf den Verstoß gegen eine konkrete Unterlassungspflicht, sondern auch für gleichartige Verstöße. Es gilt auch hier: Die Wiederholungsvermutung darf bei nur geringfügigen, sachlich bedeutungslosen Abweichungen nicht leerlaufen.166 Die Gegenansicht unterscheidet sich vor allem in der dogmatischen Begründung: Wiederholungsgefahr soll zwar nur hinsichtlich der konkreten Verletzungshandlung vorliegen; auf Grund der erfolgten Verletzungshandlung soll aber für ähnliche Verhaltensweisen die Annahme einer Erstbegehungsgefahr gerechtfertigt sein.167

29 cc) Einzelfälle. Eine unerhebliche Abweichung ist gegeben, wenn der die Wiederholungsvermutung begründende Wettbewerbsverstoß und die mit diesem nicht identische Verletzungshandlung aus lauterkeitsrechtlicher Sicht gleichwertig sind und Unterschiede den lauterkeitsrecht-

159 BGH 20.6.2013 – I ZR 55/12 – GRUR 2013, 1235 Tz. 18 – Restwertbörse II; BGH 18.12.2008 – I ZR 200/06 – GRUR 2009, 772 Tz. 29 – Augsburger Puppenkiste; BGH 16.2.1989 – I ZR 76/87 – GRUR 1989, 445, 446 – Professorenbezeichnung in der Arztwerbung. 160 BGH 17.9.2015 – I ZR 92/14 – GRUR 2016, 395 Tz. 38 – Smartphone-Werbung; BGH 15.12.2015 – X ZR 30/14 – GRUR 2016, 257 Tz. 94 – Glasfasern II; BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 42 – Erinnerungswerbung im Internet; BGH 30.4.2008 – I ZR 73/05 – GRUR 2008, 702 Tz. 55 – Internet-Versteigerung III; BGH 9.11.1995 – I ZR 212/93 – GRUR 1996, 290, 291 – Wegfall der Wiederholungsgefahr I; BGH 1.4.1993 – I ZR 85/91 – GRUR 1993, 579, 581 – Römer GmbH; BGH 15.3.1984 – I ZR 74/82 – GRUR 1984, 593, 594 – adidas-Sportartikel. 161 BGH 29.9.2016 – I ZB 34/15 – GRUR 2017, 208 Tz. 35 – Rückruf von RESCUE-Produkten. 162 BGH 22.2.1952 – I ZR 117/51 – GRUR 1952, 577, 580 – Fischermännchen. 163 St. Rspr. BGH 19.5.2010 – I ZR 177/07 – GRUR 2010, 855 Tz. 17 – Folienrollos; BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 32 – Erinnerungswerbung im Internet; BGH 16.2.1989 – I ZR 76/87 – GRUR 1989, 445, 446 – Professorenbezeichnung in der Arztwerbung; vgl. OLG Köln 21.12.2017 – 6 W 28/17 – GRUR 2018, 863. 164 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.47. 165 F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 431 ff. 166 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 8. 167 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.46 und Rn. 1.38; dies ablehnend aus praktischen Gründen MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 33; vgl. aber in Sonderfällen ausnahmsweise für die Annahme von Erstbegehungsgefahr bei vollendeten Verletzungshandlungen für nicht kerngleiche Verstöße MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 92 (z. B. Verkauf von plagiiertem Ring kann Erstbegehungsgefahr für Verkauf von Schmuck begründen). Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

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lich erheblichen Kern der Handlung unberührt lassen.168 War die Verletzungshandlung beispielsweise die Werbung für bestimmte einzelne „adidas“-Sportartikel, besteht Wiederholungsgefahr auch für die Werbung für sonstige „adidas“-Sportartikel; die Vermutung erstreckt sich aber nicht auf die Werbung für Sportartikel schlechthin.169 Die Werbung mit unzutreffenden unverbindlichen Preisempfehlungen für ein Fernsehgerät und zwei Autoradios begründet die Annahme der Wiederholungsgefahr für Markenartikel der Unterhaltungselektronik.170 Bei einer Werbung für mit Hersteller- und Typenbezeichnung konkret angegebene Smartphones war das Charakteristische, dass Smartphones in einer Anzeige großformatig als Aktionsangebote beworben wurden und zugleich kein deutlicher Hinweis darauf erfolgte, dass die Ware schon am ersten Tag ausverkauft sein könnte. Damit war eine entsprechende Werbung für ein anderes Modell eines Smartphones im Rahmen der wöchentlichen Aktionsangebote kerngleich.171 Die Verwendung eines Professorentitels auf dem Praxisschild und in Zeitungsanzeigen eines Arztes sind so typische bzw. charakteristische berufliche Verwendungen, dass nichts näher liegt, als anderweitige, im Rahmen der beruflichen Betätigung gleichermaßen charakteristische Verwendungsweisen wie etwa die auf Briefköpfen und Rezeptverordnungen u. ä. zu erwarten.172 Behauptungen in einer Patentanmeldung zum Zweck der Erteilung eines Patents und entsprechende Angaben außerhalb des Patenterteilungsverfahrens im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs unterscheiden sich charakteristisch, weil Äußerungen im Rahmen einer Patentanmeldung besonderen rechtlichen Regeln unterstellt sind.173 Im Fall des § 7 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt. besteht das Charakteristische der Verletzungshandlung in dem unverlangten Werbeanruf gegenüber einem Verbraucher. Wofür geworben wird, ist dagegen irrelevant. Werbeanrufe gehen häufig von Callcentern oder anderen vergleichbaren Dienstleistungserbringern aus, bei denen der Gegenstand der Werbung beliebig austauschbar ist. Etwas Anderes hat dann zu gelten, wenn ein Gewerbetreibender einen Werbeanruf für die Waren oder Dienstleistungen vornimmt, die Gegenstand seines Geschäftsbetriebs sind. Hier reicht die durch die Verletzungshandlung begründete Wiederholungsgefahr grundsätzlich nicht über den Unternehmensgegenstand hinaus.174 Das Verbot, im geschäftlichen Verkehr als Spirituosen gekennzeichnete Produkte unter der Bezeichnung „RESCUE TROPFEN“ oder „RESCUE NIGHT SPRAY“ zu bewerben oder zu vertreiben begründet auch das Verbot, Produkte als „RESCUE SPRAY“ und „RESCUE NIGHT TROPFEN“ zu bewerben und zu vertreiben.175

d) Anfängliches Fehlen von Wiederholungsgefahr aa) Grundsatz. Fälle, in denen es an einer Wiederholungsgefahr trotz vorangegangener 30 Verletzungshandlung fehlt, werden von der Rechtsprechung kaum anerkannt. Eine solche Annahme kann vor dem Hintergrund des „Titulierungsinteresses“ des Gläubigers (Rn. 21) nur ganz ausnahmsweise begründet sein. Die Besonderheiten des Einzelfalls, namentlich die vermeintliche Einmaligkeit des Lauterkeitsverstoßes, werden das Fehlen einer Wiederholungsgefahr häufig schon deshalb nicht rechtfertigen können, da sich die Vermutung auf die Begehung kerngleicher Verstöße erstreckt (Rn. 28).176 Der BGH hat aber beispielsweise entschieden, dass 168 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 8; Übersicht zu Einzelfällen bei Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 60 f. 169 BGH 15.3.1984 – I ZR 74/82 – GRUR 1984, 593, 594 – adidas-Sportartikel. 170 BGH 29.1.2004 – I ZR 132/01 – GRUR 2004, 437, 438 – Fortfall einer Herstellerpreisempfehlung; s. a. BGH 9.5.1996 – I ZR 107/94 – GRUR 1996, 800, 802 – EDV-Geräte.

171 BGH 17.9.2015 – I ZR 92/14 – GRUR 2016, 395, 398 Tz. 39 – Smartphone-Werbung. 172 BGH 16.2.1989 – I ZR 76/87 – GRUR 1989, 445, 446 – Professorenbezeichnung in der Arztwerbung. 173 BGH 10.12.2009 – I ZR 46/07 – GRUR 2010, 253 Tz. 30 – Fischdosendeckel; kritisch Götting GRUR 2010, 256, 257.

174 BGH 5.10.2010 – I ZR 46/09 – GRUR 2011, 433 Tz. 27 – Verbotsantrag bei Telefonwerbung. 175 BGH 29.9.2016 – I ZB 34/15 – GRUR 2017, 208 Tz. 34 ff. – Rückruf von RESCUE-Produkten. 176 Teplitzky/Kessen Kap. 6 Rn. 14. 33

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Beseitigung und Unterlassung

bei einer – damals verbotenen – Rabattaktion im Rahmen eines 25-jährigen Jubiläums deren Wiederholung erst in 25 Jahren drohe.177 Dem ist entgegenzuhalten, dass der Kern der Verletzungshandlung die Werbung mit pauschalen Preisherabsetzungen während einer Sonderveranstaltung ist.178 Etwas anderes kann allenfalls gelten, wenn das Charakteristische der Handlung denknotwendig unwiederholbar ist.179

31 bb) Rechtsirrtum. Der Wiederholungsgefahr steht auch ein Rechtsirrtum nicht entgegen (zu einer zweifelhaften Rechtslage Rn. 42 und Rn. 53a).180 Die Entscheidung „Versicherungsvermittlung im öffentlichen Dienst“ wird als Ausreißer gesehen.181 In diesem Fall verneinte der BGH die Wiederholungsgefahr, weil sich der Verletzer in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden habe, der Rechtsverstoß zudem provoziert worden sei, während umgekehrt zu erwarten wäre, dass der Verletzer den Gesetzesverstoß nach höchstrichterlicher Klärung nicht wiederholen würde.182 Der BGH hat aber (mit Blick auf § 3a) auch deutlich gemacht, dass ein entschuldbarer Rechtsirrtum den Schuldner grundsätzlich nur vor verschuldensabhängigen Schadensersatzansprüchen nach § 9, nicht aber vor den verschuldensunabhängigen Ansprüchen auf Beseitigung und Unterlassung bewahren kann.183 Der Umstand, dass die Rechtslage zum Zeitpunkt des beanstandeten Verhaltens noch nicht abschließend geklärt war, mag das Verschulden ausschließen, berührt aber nicht den verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch.184 32 An einer Wiederholungsgefahr fehlt es auch, wenn das seinerzeit erlaubte Verhalten nunmehr aufgrund einer Gesetzesänderung verboten ist. In diesem Fall bestehen keine Anhaltspunkte für eine Begehungsgefahr.185 Wettbewerbsverstöße, die von einer Aufbrauchfrist gedeckt sind, können ebenfalls keine Wiederholungsgefahr begründen, auch nicht für die Zeit nach Ablauf der Aufbrauchfrist.186 Im Falle der Verjährung eines Unterlassungsanspruchs kann die Begehungsgefahr nicht als Wiederholungsgefahr aufgrund der in verjährter Zeit liegenden Zuwiderhandlungen bejaht werden; denn dann würde die Einrede der Verjährung regelmäßig leerlaufen.187 Dies hindert aber nicht die Annahme der Gefahr künftiger Zuwiderhandlungen aufgrund neuer Umstände.188

e) Wegfall der Wiederholungsgefahr 33 aa) Allgemeines. Die Vermutung der Wiederholungsgefahr kann ausgeräumt werden.189 Dies obliegt dem Verletzer.190 Fällt die Wiederholungsgefahr weg, geht der Unterlassungsan177 BGH 16.1.1992 – I ZR 84/90 – GRUR 1992, 318, 319 f. – Jubiläumsverkauf. 178 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.52; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 48; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 64. Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 47. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 19; Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 14. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.53. BGH 10.2.1994 – I ZR 16/92 – GRUR 1994, 443, 445 – Versicherungsvermittlung im öffentlichen Dienst. BGH 12.1.2017 – I ZR 258/15 – GRUR 2017, 409 Tz. 36 – Motivkontaktlinsen; BGH 11.5.2017 – I ZR 59/16 – MMR 2018, 239 Tz. 29 – Unzulässiger Online-Vertrieb von Waren durch Händler ohne Herstellerkennzeichnung. 184 BGH 7.11.2006 – KZR 2/06 – GRUR 2007, 616 Tz. 23 – Bevorzugung einer Behindertenwerkstatt. 185 BGH 24.7.2014 – I ZR 221/12 – GRUR 2014, 1013 Tz. 19 – Original Bach-Blüten. 186 Vgl. OLG Frankfurt 21.7.2015 – 6 W 71/15 – WRP 2015, 128 Tz. 9 – Keine Wiederholungsgefahr für Produktwerbung nach Ablauf der Aufbrauchfrist; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 38. 187 BGH 5.11.1987 – I ZR 212/85 – GRUR 1988, 313 – Auto F. GmbH. 188 BGH 5.11.1987 – I ZR 212/85 – GRUR 1988, 313 – Auto F. GmbH. 189 MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 36. 190 BGH 19.3.1998 – I ZR 264/95 – GRUR 1998, 1045 – Brennwertkessel; BGH 1.4.1993 – I ZR 85/91 – GRUR 1993, 579, 581 – Römer GmbH; BGH 13.5.1987 – I ZR 79/85 – GRUR 1987, 640, 641 – Wiederholte Unterwerfung II.

179 180 181 182 183

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

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spruch unter (rechtsvernichtende Einwendung).191 Die Wiederholungsgefahr lebt nicht wieder auf,192 beispielsweise weil der Unterlassungsschuldner später die vereinbarte Vertragsstrafe herunterhandeln will.193 Denkbar ist natürlich, dass ein auf Wiederholungsgefahr gestützter Unterlassungsanspruch durch einen wiederholten Verstoß originär neu begründet wird.194 Die bloße Ankündigung, auch eines am Geschäftsverkehr teilnehmenden Unternehmens der öffentlichen Hand,195 einen gleichartigen Wettbewerbsverstoß nicht erneut zu begehen, reicht nicht aus.196 Die Wiederholungsgefahr entfällt auch dann nicht, wenn der Unterlassungsschuldner Vorkehrungen trifft, dass die Rechtsverletzung nicht nochmals geschieht, oder ein wiederholter Verstoß unwahrscheinlich erscheint.197 Gleiches gilt für eine vorgenommene Richtigstellung.198 Ungenügend ist auch die bloße Einstellung oder Änderung des verletzenden Verhaltens.199 Die bloße Beendigung eines wettbewerbswidrigen Verhaltens führt für sich gesehen nicht zum Wegfall der nach dessen Vornahme zu vermutenden Wiederholungsgefahr.200 In diesem Sinne entfällt die Wiederholungsgefahr nicht deshalb, weil nach der Beanstandung der „Freunde-finden“-Funktion in einem sozialen Netzwerk Änderungen beim Registrierungsprozess vorgenommen wurden201 oder in einer Neuauflage des beanstandeten Prospekts die beanstandeten Angaben nicht mehr erscheinen.202 Es hat auf die Wiederholungsgefahr keinen Einfluss, wenn die zunächst versäumte behördliche Anzeige des Inverkehrbringens von Batterien (vgl. § 4 Abs. 1 S. 1 BattG) nachgeholt wird.203 Selbst die Aufgabe des Geschäftsbetriebs,204 die Aufgabe der Betätigung (beispielsweise die Einstellung der Produktion eines technisch veralteten Produkts),205 in deren Rahmen die Verletzungshandlung erfolgt ist, der Eintritt in das Liquidationsstadium206 oder der Übergang des Unternehmens in andere Hände erkennt der BGH nicht als Gründe für den Wegfall der Wiederholungsgefahr an.207 Hat die zuständige Behörde auf Antrag eines Parallelimporteurs die für die streitgegenständliche Charge erteilte Verkehrsfähigkeitsbescheinigung widerrufen, hat dies auf die Wiederho-

191 BGH 12.7.1995 – I ZR 176/93 – GRUR 1995, 678, 679 – Kurze Verjährungsfrist; BGH 13.5.1987 – I ZR 79/85 – GRUR 1987, 640, 642 – Wiederholte Unterwerfung II; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 29; Teplitzky/Kessen Kap. 7 Rn. 1; vgl. Köhler GRUR 2011, 879, 880. 192 Ahrens/Achilles Kap. 9 Rn. 5; Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 49. 193 Vgl. auch BGH 13.11.2013 – I ZR 77/12 – GRUR 2014, 595 Tz. 18 – Vertragsstrafenklausel. 194 BGH 15.12.2011 – I ZR 174/10 – GRUR 2012, 730 Tz. 38 – Bauheizgerät; BGH 13.7.2006 – I ZR 234/03 – GRUR 2006, 953 Tz. 14 – Warnhinweis II; BGH 18.5.2006 – I ZR 32/03 – GRUR 2006, 878 Tz. 22 – Vertragsstrafevereinbarung; BGH 23.10.1997 – I ZR 98/95 – GRUR 1998, 1043, 1044 – GS-Zeichen; BGH 13.5.1987 – I ZR 79/85 – GRUR 1987, 640, 642 – Wiederholte Unterwerfung II; eingehend Teplitzky/Kessen Kap. 8 Rn. 46 ff. und Rn. 56; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 39. 195 Vgl. BGH 30.4.2014 – I ZR 170/10 – GRUR 2014, 1120 Tz. 31 – Betriebskrankenkasse II. 196 BGH 16.11.1954 – I ZR 12/53 – GRUR 1955, 342, 345 – Holländische Obstbäume; vgl. BGH 5.3.1951 – I ZR 40/ 50 – GRUR 1951, 324, 326 – Piekfein; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.49. 197 Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 48. 198 Vgl. BGH 2.10.2012 – I ZR 82/11 – GRUR 2013, 638 Tz. 58 – Völkl; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 72. 199 BGH 14.1.2016 – I ZR 65/14 – GRUR 2016, 946 Tz. 53 – Freunde finden; BGH 11.6.2015 – I ZR 226/13 – GRUR 2016, 88 Tz. 51 – Deltamethrin; BGH 12.9.2013 – I ZR 208/12 – GRUR 2013, 1259 Tz. 26 – Empfehlungs-E-Mail. 200 BGH 28.11.2019 – I ZR 23/19 – GRUR 2020, 303 Tz. 40 – Pflichten des Batterieherstellers. 201 BGH 14.1.2016 – I ZR 65/14 – GRUR 2016, 946 Tz. 53 – Freunde finden. 202 BGH 2.10.2003 – I ZR 252/01 – GRUR 2004, 162, 163 f. – Mindestverzinsung. 203 BGH 28.11.2019 – I ZR 23/19 – GRUR 2020, 303 Tz. 40 – Pflichten des Batterieherstellers. 204 BGH 18.2.1972 – I ZR 82/70 – GRUR 1972, 558, 559 – Teerspritzmaschinen. 205 BGH 2.10.2012 – I ZR 82/11 – GRUR 2013, 638 Tz. 58 – Völkl; BGH 19.3.1998 – I ZR 264/95 – GRUR 1998, 1045, 1046 – Brennwertkessel. 206 BGH 22.11.2007 – I ZR 77/05 – GRUR 2008, 625 Tz. 23 – Fruchtextrakt. 207 BGH 12.9.2013 – I ZR 208/12 – GRUR 2013, 1259 Tz. 26 – Empfehlungs-E-Mail; BGH 22.11.2007 – I ZR 77/05 – GRUR 2008, 625 Tz. 23 – Fruchtextrakt; BGH 16.1.1992 – I ZR 84/90 – GRUR 1992, 318, 319 f. – Jubiläumsverkauf; BGH 6.2.1959 – I ZR 50/57 – GRUR 1959, 367, 374 – Ernst Abbe. 35

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Beseitigung und Unterlassung

lungsgefahr ebenfalls keinen Einfluss.208 Etwas anderes kann allenfalls gelten, wenn absolut jede Wahrscheinlichkeit beseitigt ist, dass der Verletzer denselben oder einen ähnlichen Geschäftsbetrieb erneut aufnimmt.209 Vor dem Hintergrund des Titulierungsinteresses des Unterlassungsgläubigers (Rn. 21) dürfte ein solcher Fall praktisch indes nicht vorkommen. Selbstschutzmöglichkeiten des Unterlassungsgläubigers sind ebenfalls nicht ausreichend.210 Kurzum: Tatsächliche Verhaltensänderungen lassen die Wiederholungsgefahr grundsätzlich211 unberührt.212 Diese Grundsätze gelten auch gegenüber öffentlich-rechtlichen Körperschaften.213 Erforderlich ist vielmehr, dass die Ernsthaftigkeit der Absicht durch eine strafbewehrte 34 Unterlassungserklärung (auch Unterlassungsverpflichtungserklärung; Unterwerfungserklärung) dokumentiert wird.214 Nur dann entfällt regelmäßig die Vermutung der Wiederholungsgefahr,215 zumal sich dieses Instrument im Wettbewerbsrecht als einfaches Mittel der Streitbeilegung durchgesetzt hat.216 Dass der Verletzer an seinem abweichenden Rechtsstandpunkt festhält, ist dann unerheblich („rechtsverbindlich, aber ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“).217 Dadurch kann bestärkt werden, dass von der Erklärung keine Präjudizwirkung für Schadensersatzansprüche ausgeht.218 Diese Grundsätze gelten auch mit Blick auf am privaten Geschäftsverkehr teilnehmende Körperschaften des öffentlichen Rechts.219 Der Verletzer muss also regelmäßig220 eine bedingungslose und unwiderrufliche Unterlassungsverpflichtungserklärung unter Übernahme einer angemessenen Vertragsstrafe für jeden Fall der Zuwiderhandlung abgeben.221 Bereits geringe Zweifel an der Ernstlichkeit reichen aus, um der Unterwerfungserklärung ihre die Wiederholungsgefahr ausräumende Wirkung zu nehmen.222 Umgekehrt gilt nämlich: Verweigert der Unterlassungsschuldner, sich entsprechend zu unter208 BGH 11.6.2015 – I ZR 226/13 – GRUR 2016, 88 Tz. 51 – Deltamethrin. 209 BGH 4.7.2019 – I ZR 161/18 – GRUR 2020, 299 Tz. 19 – IVD-Gütesiegel; BGH 11.6.2015 – I ZR 226/13 – GRUR 2016, 88 Tz. 51 – Deltamethrin; BGH 30.4.2014 – I ZR 170/10 – GRUR 2014, 1120 Tz. 31 – Betriebskrankenkasse II; BGH 22.11.2007 – I ZR 77/05 – GRUR 2008, 625 Tz. 23 – Fruchtextrakt; BGH 26.10.2000 – I ZR 180/98 – GRUR 2001, 453, 455 – TCM-Zentrum; vgl. für eine „einmalige Sondersituation“ bei einer Persönlichkeitsrechtsverletzung – aber wenig überzeugend – BGH 14.11.2017 – VI ZR 534/15 – NJOZ 2018, 194 Tz. 17. 210 Nicht überzeugend AG Dresden 29.7.2005 – 114 C 2008/05 – NJW 2005, 2561, 2562. 211 Vgl. aber OLG Frankfurt 4.12.2014 – 6 U 30/14 – GRUR-RR 2015, 149 Tz. 12 – Scanner-Technologie. 212 BGH 4.7.2019 – I ZR 161/18 – GRUR 2020, 299 Tz. 19 – IVD-Gütesiegel; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.51; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 73. 213 OLG Düsseldorf 15.2.2018 – I-1 U 73/17 – GRUR-RR 2018, 203 – Spielplatzgestaltung; Köhler GRUR 2011, 879, 880. 214 Übersicht zur Unterlassungserklärung im Gewerblichen Rechtsschutz Apel/Drescher JURA 2019, 526. 215 BGH 4.7.2019 – I ZR 161/18 – GRUR 2020, 299 Tz. 19 – IVD-Gütesiegel; BGH 14.1.2016 – I ZR 65/14 – GRUR 2016, 946 Tz. 53 – Freunde finden; BGH 11.6.2015 – I ZR 226/13 – GRUR 2016, 88 Tz. 51 – Deltamethrin; BGH 13.11.2013 – I ZR 77/12 – GRUR 2014, 595 Tz. 16 – Vertragsstrafenklausel; BGH 12.9.2013 – I ZR 208/12 – GRUR 2013, 1259 Tz. 26 – Empfehlungs-E-Mail; BGH 31.7.2008 – I ZR 21/06 – GRUR 2008, 1108 Tz. 23 – Haus & Grund III; BGH 7.7.2008 – I ZR 219/05 – GRUR 2008, 996 Tz. 33 – Clone-CD; BGH 26.10.2000 – I ZR 180/98 – GRUR 2001, 453, 455 – TCM-Zentrum; BGH 1.4.1993 – I ZR 136/91 – GRUR 1993, 677, 679 – Bedingte Unterwerfung; BGH 30.3.1988 – I ZR 209/86 – GRUR 1988, 699, 700 – qm-Preisangaben II; BGH 7.10.1982 – I ZR 120/80 – GRUR 1983, 127, 128 – Vertragsstrafeversprechen; Teplitzky/Kessen Kap. 7 Rn. 8 f. 216 Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 14. 217 BGH 4.5.2017 – I ZR 208/15 – GRUR 2017, 823 Tz. 14 – Luftentfeuchter; BGH 24.9.2013 – I ZR 219/12 – GRUR 2013, 1252 Tz. 10 – Medizinische Fußpflege; BGH 18.2.1972 – I ZR 82/70 – GRUR 1972, 558, 559 – Teerspritzmaschinen; BGH 14.12.1966 – Ib ZR 125/64 – GRUR 1967, 362, 366 – Spezialsalz; vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 13 Rn. 157 f. 218 Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 20; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 13 Rn. 58. 219 BGH 30.4.2014 – I ZR 170/10 – GRUR 2014, 1120 Tz. 31 – Betriebskrankenkasse II; BGH 2.5.1991 – I ZR 227/89 – GRUR 1991, 769, 771 – Honoraranfrage. 220 Zu Einschränkungen Teplitzky VuR 2009, 83. 221 BGH 24.11.1983 – I ZR 192/81 – GRUR 1984, 214, 216 – Copy-Charge. 222 BGH 19.10.2000 – I ZR 89/98 – GRUR 2001, 422, 424 – ZOCOR. Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

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werfen, dokumentiert er dadurch, dass er sich einen erneuten Verstoß vorbehält.223 Neben dem praktisch wichtigsten Fall der strafbewehrten Unterwerfung fällt die Wiederholungsgefahr ferner weg, wenn ein rechtskräftiger Titel in der Hauptsache (Rn. 53) in der Hauptsache ergangen ist (zu weiteren Fällen Rn. 53a ff.).224 Insgesamt sind die Anforderungen zu Recht streng.225 Zu beachten ist das Interesse des 35 Gläubigers: Da der Schuldner die wettbewerbsrechtlichen Unterlassungspflichten ohnehin zu beachten hat, wird das Vertrauen des Gläubigers in die Rechtstreue des Schuldners durch die Zuwiderhandlung erschüttert. Das Gleichgewicht wird wiederhergestellt, wenn der Gläubiger über den entstandenen Unterlassungsanspruch die Möglichkeit zum Zugang von Beugemitteln (§ 890 ZPO; §§ 339 ff. BGB) bekommt (Rn. 15). Der Schuldner hat nicht mehrere Chancen verdient, seine Rechtstreue zu beweisen. Zulasten des Gläubigers ginge eine fehlende Wiederholungsgefahr allerdings nicht, wenn dieser kein „Tenorierungsinteresse“ hat (vgl. Rn. 21). Dies kann beispielsweise bei Bagatellverstößen der Fall sein, die leicht fahrlässig begangen werden und nach einem Hinweis226 auf die Rechtsverletzung sofort abgestellt werden.227 Eine Rechtsdurchsetzung mit der Rechtsfolge Unterlassen ist in einer derartigen Konstellation nicht angezeigt, da das Lauterkeitsrecht auch ohne diese Rechtsfolge zur Geltung kommt. Zumindest bedarf es in diesen Fällen nicht zwingend eines Kostenerstattungsanspruchs.228 Auf diese Weise kann zugleich missbräuchlichen Abmahnungen (Rn. 254 ff.) vorgebeugt werden, die allein um des Kostenerstattungsanspruchs willen vorgenommen werden. Es handelt sich um ein Anwendungsbeispiel differenzierter Rechtsdurchsetzung.

bb) Strafbewehrte Unterlassungserklärung (1) Allgemeines. Wettbewerbsstreitigkeiten können außergerichtlich beigelegt werden. Hier- 36 für wurde das Instrument der Abmahnung einschließlich der strafbewehrten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung (kurz: Unterlassungserklärung/Unterlassungsverpflichtung) entwickelt. Mittlerweile findet sich eine ausdrückliche Anerkennung und Ausgestaltung der Abmahnung in § 13 Abs. 1: Der Unterlassungsgläubiger soll den Unterlassungsschuldner vor der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens abmahnen und ihm Gelegenheit geben, den Streit durch Abgabe einer mit einer angemessenen Vertragsstrafe bewehrten Unterlassungsverpflichtung beizulegen. Den zur Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs Berechtigten trifft eine Abmahnobliegenheit.229 Erhebt der Unterlassungsgläubiger sofort Klage, drohen im Falle eines sofortigen Anerkenntnisses gemäß § 93 ZPO Kostennachteile. Wenn der Beklagte den Anspruch sofort anerkennt, gewinnt der Kläger zwar den Prozess in der Sache, verliert aber gleichwohl in den Kosten. Voraussetzung ist, dass der Beklagte nicht durch sein Verhalten zur Erhebung der Klage Veranlassung gegeben hat. Ohne dass der Gläubiger den Schuldner abgemahnt und Gelegenheit gegeben hat, den Streit außergerichtlich beizulegen, besteht ein solcher

223 Vgl. BGH 30.4.2014 – I ZR 170/10 – GRUR 2014, 1120 Tz. 32 – Betriebskrankenkasse II. 224 BGH 4.7.2019 – I ZR 161/18 – GRUR 2020, 299 Tz. 19 – IVD-Gütesiegel; BGH 31.7.2008 – I ZR 21/06 – GRUR 2008, 1108 Tz. 23 – Haus & Grund III.

225 BGH 2.10.2003 – I ZR 252/01 – GRUR 2004, 162, 163 f. – Mindestverzinsung; BGH 1.5.2001 – I ZR 82/99 – GRUR 2002, 180 – Weit-vor-Winterschluss-Verkauf; BGH 6.2.1959 – I ZR 50/57 – GRUR 1959, 367, 374 – Ernst Abbe; mit Verweis auf die dadurch erzielte Rechtssicherheit Köhler GRUR 2011, 879, 880; vgl. zu § 1 UKlaG BGH 12.9.2017 – XI ZR 590/15 – NJW 2017, 3649 Tz. 69. 226 Zu Prozeduralisierungstendenzen F. Hofmann ZUM 2017, 102. 227 Vgl. OLG Jena 20.7.2011 – 2 W 320/11 – GRUR-RR 2012, 31, 31 f. – Tatsächliche Änderung. 228 Für eine Lösung des Problems durch einen Verzicht auf die Erstattung von Abmahnkosten F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 474 ff., 476; s. a. § 13 Abs. 4 n. F. 229 BGH 7.10.2009 – I ZR 216/07 – GRUR 2010, 257 Tz. 7 ff. – Schubladenverfügung; BGH 22.3.2018 – I ZR 265/16 – GRUR 2018, 914 Tz. 18 – Riptide. 37

Hofmann

§8

Beseitigung und Unterlassung

Anlass regelmäßig nicht.230 § 93 ZPO gilt auch im einstweiligen Rechtsschutz.231 Gibt der Unterlassungsschuldner eine mit einer angemessenen Vertragsstrafe bewehrte Unterlassungserklärung ab, erlischt der Unterlassungsanspruch.232 Es besteht keine Wiederholungsgefahr mehr; die tatsächliche Vermutung ist widerlegt. Erstens besteht nun kein Grund zur Sorge mehr, dass der Schuldner den konkreten oder einen kerngleichen Wettbewerbsverstoß wiederholt. Seine Beteuerung künftigen rechtstreuen Verhaltens ist wegen der versprochenen Vertragsstrafe als ernsthaft und überzeugend einzustufen.233 Zweitens ist der Unterlassungsgläubiger hinreichend abgesichert. Im Falle einer erneuten Zuwiderhandlung kann er die Vertragsstrafe zur Zahlung an sich verlangen. Dies steht wertungsmäßig der Vollstreckungsmöglichkeit aus § 890 ZPO gleich. 37 Für die Ausräumung der Wiederholungsgefahr genügt eine einseitige Unterwerfung.234 Eine vom Schuldner abgegebene einseitige strafbewehrte Unterlassungserklärung lässt, wenn sie ernsthaft ist und auch inhaltlich den an eine solche Erklärung zu stellenden Anforderungen entspricht (Rn. 41), die Wiederholungsgefahr unabhängig von einer Annahmeerklärung des Gläubigers (und daher gegebenenfalls auch schon vor einer solchen) entfallen.235 Nimmt der Gläubiger das verbindliche Angebot des Schuldners nicht an, weil er beispielsweise fälschlicherweise davon ausgeht, dass die Erklärung nicht weitgehend genug ist, ist dies sein Risiko.236 Die Ernsthaftigkeit der Unterlassungsabsicht des Schuldners steht davon unabhängig außer Frage.237 Nimmt der Gläubiger das unbedingte Angebot nicht an, kann er freilich auch keine Vertragsstrafe verlangen.238 Vertreten wird demgegenüber, dass im Falle der Ablehnung des Angebots des Unterlassungsschuldners zur strafbewehrten Unterwerfung (vgl. § 147 Abs. 2 BGB)239 die Wiederholungsgefahr nicht entfällt, der Gläubiger aber im Klagefall mit der Kostenfolge aus § 93 ZPO rechnen muss.240 Die Rechtsprechung geht indes von einem unbefristeten Angebot aus.241 Statt sich zu unterwerfen, kann der Unterlassungsschuldner aus taktischen Gründen eine Verurteilung vorziehen (ggf. etwas kostengünstiger über § 307 ZPO).242 Daran kann ihm trotz drohender Kostennachteile aus § 93 ZPO gelegen sein,243 weil insbesondere das ggf. fällig werdende Ordnungsgeld aus § 890 ZPO anders als eine verwirkte Vertragsstrafe nicht dem Gläu-

230 Cepl/Voß/Rüting § 93 Rn. 18; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 13 Rn. 50 und Rn. 148. 231 MünchKommZPO/Schulz § 93 Rn. 2. 232 BGH 13.9.2018 – I ZR 117/15 – GRUR 2018, 1258 Tz. 53 – YouTube-Werbekanal II; BGH 17.9.2015 – I ZR 92/14 – GRUR 2016, 395, 398 Tz. 31 ff. – Smartphone-Werbung; BGH 18.5.2006 – I ZR 32/03 – GRUR 2006, 878 Tz. 20 – Vertragsstrafevereinbarung; BGH 9.11.1995 – I ZR 212/93 – GRUR 1996, 290, 291 – Wegfall der Wiederholungsgefahr I; Teplitzky/Kessen Kap. 8 Rn. 1. 233 BGH 12.9.2013 – I ZR 208/12 – GRUR 2013, 1259 Tz. 26 – Empfehlungs-E-Mail; BGH 9.11.1995 – I ZR 212/93 – GRUR 1996, 290, 291 – Wegfall der Wiederholungsgefahr I. 234 BGH 13.9.2018 – I ZR 117/15 – GRUR 2018, 1258 Tz. 55 – YouTube-Werbekanal II; BGH 12.1.2017 – I ZR 117/ 15 – GRUR Int. 2017, 349 Tz. 42 – YouTube-Werbekanal; BGH 13.11.2013 – I ZR 77/12 – GRUR 2014, 595 Tz. 18 – Vertragsstrafenklausel; BGH 17.9.2009 – I ZR 217/07 – GRUR 2010, 355 Tz. 21 – Testfundstelle; BGH 18.5.2006 – I ZR 32/03 – GRUR 2006, 878 Tz. 20 – Vertragsstrafevereinbarung; BGH 9.11.1995 – I ZR 212/93 – GRUR 1996, 290, 291 – Wegfall der Wiederholungsgefahr I; Apel/Drescher JURA 2019, 526, 530. 235 BGH 18.5.2006 – I ZR 32/03 – GRUR 2006, 878 Tz. 20 – Vertragsstrafevereinbarung. 236 BGH 24.11.1983 – I ZR 192/81 – GRUR 1984, 214, 216 – Copy-Charge. 237 BGH 31.5.1990 – I ZR 285/88 – GRUR 1990, 1051, 1052 – Vertragsstrafe ohne Obergrenze. 238 BGH 4.5.2017 – I ZR 208/15 – GRUR 2017, 823 Tz. 12 – Luftentfeuchter; BGH 18.5.2006 – I ZR 32/03 – GRUR 2006, 878 Tz. 14, 20 – Vertragsstrafevereinbarung; BGH 10.10.1991 – I ZR 147/89 – GRUR 1993, 34, 37 – Bedienungsanweisung. 239 Gegen die Anwendung der §§ 146 ff. BGB Teplitzky/Kessen Kap. 8 Rn. 3b. 240 Bornkamm FS Büscher (2018) S. 441, 444 ff.; überzeugend ablehnend Teplitzky/Kessen Kap. 8 Rn. 36a. 241 BGH 17.9.2009 – I ZR 217/07 – GRUR 2010, 355 Tz. 21 – Testfundstelle. 242 Harte/Henning/Brüning § 12 Rn. 115; Apel/Drescher JURA 2019, 526, 532 f. 243 BGH 7.10.2009 – I ZR 216/07 – GRUR 2010, 257 Tz. 17 – Schubladenverfügung. Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

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biger zufällt.244 Der Ausschluss der Haftung von Erfüllungsgehilfen ist nach hier vertretener Ansicht indes auch bei einer strafbewehrten Unterlassungserklärung möglich (Rn. 45).

(2) Rechtsnatur. Während der Unterlassungsschuldner durch die Abmahnung vor allem auf 38 den Verstoß hingewiesen wird, stellt die Unterlassungsvereinbarung die aus dem UWG folgende gesetzliche Unterlassungsverpflichtung auf eine vertragliche Grundlage. Wenn auch die Rechtsnatur mit Blick auf den für sie geltenden Grundsatz der Vertragsfreiheit nicht generell und einheitlich festgelegt werden können soll,245 handelt es sich doch im Kern um einen Schuldvertrag gemäß §§ 241 Abs. 1 S. 2, 311 Abs. 1 BGB. Der Schuldner verpflichtet sich vertraglich, das beanstandete Verhalten zukünftig zu unterlassen und verspricht zugleich für jeden Fall der Zuwiderhandlung die Zahlung einer Vertragsstrafe (§ 339 BGB). Wertungsmäßig wird damit das Bestehen der im Anspruch abgebildeten gesetzlichen Unterlassungsverpflichtung wie bei einem Urteil festgestellt.246 Die Unterlassungserklärung ist in der Sache ein Titeläquivalent.247

(3) Auslegungsgrundsätze. Richtigerweise ist diese funktionale Gleichheit bei der Ausle- 39 gung zu berücksichtigen.248 Gleichwohl meint der BGH, dass eine unmittelbare Heranziehung der restriktiven Grundsätze, wie sie für die Auslegung eines in gleicher Weise formulierten Unterlassungstitels im Hinblick auf dessen Vollstreckbarkeit entwickelt worden sind, nicht in Betracht komme; denn der Unterwerfungserklärung fehle der Charakter eines vollstreckbaren Titels.249 Zwar ist zuzustimmen, dass sich die Auslegung einer Vertragsstrafeverpflichtungserklärung im Grundsatz nach den allgemein für die Vertragsauslegung gültigen Regeln richtet.250 Tatsächlich sind die Parteien bei der Gestaltung des Inhalts einer Vertragsstrafeverpflichtung frei und insbesondere nicht an die konkrete Verletzungsform einer bestimmten Verletzungshandlung gebunden.251 Ausdrückliche Begrenzungen oder Erweiterungen sind vertragsrechtlich möglich. Erstere lassen freilich die Wiederholungsgefahr nicht entfallen.252 Allerdings wird der Parteiwille ohne anderweitige Anhaltspunkte regelmäßig dahingehen, dass die Unterwerfung soweit – aber auch nur soweit – reicht, dass die Wiederholungsgefahr ausgeräumt wird. Ziel ist die Abbildung des Umfangs des gesetzlichen Unterlassungsanspruchs.253 Durch die außergerichtliche Streitbeilegung soll ein Rechtsstreit vermieden werden. Der Unterlassungsgläubiger wird folglich nicht schlechter stehen wollen als er stünde, hätte er einen Titel erstritten. Der Schuldner wird ihn typischerweise aber auch nicht besserstellen wollen. In diesem Sinne interpretiert der BGH eine Unterwerfungserklärung zu Recht dahingehend, dass im Sinne der Rechtsprechung zu Unterlassungstiteln aus der Unterwerfungsvereinbarung ebenfalls Rückrufpflichten (Rn. 73 ff.) folgen.254 Eine die konkrete Verletzungsform wiedergebende Unterwerfungserklärung erstreckt sich ebenso wie ein entsprechender Unterlassungstitel im Allgemeinen nicht allein auf identische,

244 245 246 247 248 249 250 251 252 253 254 39

Vgl. Apel/Drescher JURA 2019, 526, 532. BGH 12.7.1995 – I ZR 176/93 – GRUR 1995, 678, 679 – Kurze Verjährungsfrist. Zur Feststellungswirkung von Leistungsklagen Wolf/Neuner BGB AT (2016) § 21 Rn. 29. Vgl. BGH 8.5.2014 – I ZR 2010/12 – GRUR 2014, 797 Tz. 28 – fishtailparka. Vgl. so im Ergebnis BGH 8.5.2014 – I ZR 2010/12 – GRUR 2014, 797 – fishtailparka. BGH 20.6.1991 – I ZR 277/89 – GRUR 1992, 61, 62 – Preisvergleichsliste. BGH 20.6.1991 – I ZR 277/89 – GRUR 1992, 61, 62 – Preisvergleichsliste. BGH 20.6.1991 – I ZR 277/89 – GRUR 1992, 61, 62 – Preisvergleichsliste. Teplitzky/Kessen Kap. 8 Rn. 2. Kritisch mit Blick auf Rückrufverpflichtungen Ahrens GRUR 2018, 374, 377. BGH 4.5.2017 – I ZR 208/15 – GRUR 2017, 823 Tz. 26 ff., 29 – Luftentfeuchter. Hofmann

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Beseitigung und Unterlassung

sondern auf alle Handlungen, die gleichfalls das Charakteristische der verletzenden Handlung aufweisen.255

40 (4) Zustandekommen. Das Zustandekommen der Unterlassungsvereinbarung richtet sich nach den allgemeinen Regeln.256 Durch die Unterwerfungserklärung soll der gesetzliche Unterlassungsanspruch durch einen vertraglichen Unterlassungsanspruch ersetzt werden; die gesetzliche Unterlassungsverpflichtung wird auf eine neue Grundlage gestellt (Novation). Daher wird die Unterwerfungserklärung als abstraktes Schuldversprechen oder -anerkenntnis verstanden (§§ 780, 781 BGB).257 Es bedarf der Schriftform. Handelt es sich um ein Handelsgeschäft, entfällt gemäß § 350 HGB das Schriftformerfordernis. Dies befreit gleichwohl nicht von der Verpflichtung, ein mündlich, per Fax, E-Mail etc. abgegebenes Versprechen schriftlich zu bestätigen.258 Fehlt ein solcher Bestätigungswille, erweckt dies Zweifel an der Ernsthaftigkeit, nicht zuletzt, weil der Schuldner bewusst mit Beweisschwierigkeiten zu kalkulieren scheint.259

41 (5) Umfang. Der Zugang einer vom Gläubiger mit der Abmahnung verlangten Unterlassungsverpflichtungserklärung lässt nur dann die Wiederholungsgefahr entfallen, wenn sie der Vermeidung einer gerichtlichen Auseinandersetzung dadurch dient, dass sie nicht nur eindeutig, hinreichend bestimmt und durch ein angemessenes Vertragsstrafeversprechen gesichert ist,260 sondern auch den gesetzlichen Unterlassungsanspruch nach Inhalt und Umfang vollständig abdeckt.261 Die Unterwerfungserklärung muss – ebenso wie der Antrag und die Urteilsformel in einer gerichtlichen Auseinandersetzung – den gesetzlichen Unterlassungsanspruch vollumfänglich abbilden.262 Die Erklärung muss den für die Ausräumung der Wiederholungsgefahr maßgeblichen ernsthaften263 Schuldnerwillen zur künftigen Unterlassung des in Frage stehenden wettbewerbswidrigen Verhaltens unzweideutig, uneingeschränkt, unbedingt, unwiderruflich und grund-

255 BGH 11.9.2008 – I ZR 58/06 – GRUR 2009, 419 Tz. 18 – Fußpilz; BGH 17.7.1997 – I ZR 40/95 – GRUR 1997, 931, 932 – Sekundenschnell; BGH 10.7.1997 – I ZR 62/95 – GRUR 1998, 483, 485 – Der M-Markt packt aus; BGH 9.11.1995 – I ZR 212/93 – GRUR 1996, 290, 291 – Wegfall der Wiederholungsgefahr I; vgl. aber BGH 17.9.2015 – I ZR 92/14 – GRUR 2016, 395, 398 Tz. 37 f. – Smartphone-Werbung; BGH 10.6.2009 – I ZR 37/07 – GRUR 2010, 167 Tz. 16 ff. – Unrichtige Aufsichtsbehörde; weiterführend Teplitzky/Kessen Kap. 8 Rn. 16 ff. 256 BGH 4.5.2017 – I ZR 208/15 – GRUR 2017, 823 Tz. 12 – Luftentfeuchter; BGH 18.5.2006 – I ZR 32/03 – GRUR 2006, 878 Tz. 14 – Vertragsstrafevereinbarung; vgl. BGH 25.4. 2002 – I ZR 296/99 – GRUR 2002, 824, 825 – Teilunterwerfung. 257 BGH 5.3.1998 – I ZR 202/95 – GRUR 1998, 953, 954 – Altunterwerfung III; BGH 12.7.1995 – I ZR 176/93 – GRUR 1995, 678, 679 – Kurze Verjährungsfrist. 258 BGH 8.3.1990 – I ZR 116/88 – GRUR 1990, 530, 532 – Unterwerfung durch Fernschreiben. 259 BGH 8.3.1990 – I ZR 116/88 – GRUR 1990, 530, 532 – Unterwerfung durch Fernschreiben; zurückhaltender für Bestätigungen durch Telekopien Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 68. 260 BGH 13.9.2018 – I ZR 117/15 – GRUR 2018, 1258 Tz. 53 – YouTube-Werbekanal II; BGH 12.1.2017 – I ZR 117/15 – GRUR Int. 2017, 349 Tz. 40 – YouTube-Werbekanal. 261 BGH 13.9.2018 – I ZR 117/15 – GRUR 2018, 1258 Tz. 53 – YouTube-Werbekanal II; BGH 17.9.2015 – I ZR 92/ 14 – GRUR 2016, 395, 398 Tz. 34 – Smartphone-Werbung; BGH 21.2.2008 – I ZR 142/05 – GRUR 2008, 815, Tz. 14 – Buchführungsbüro; zu „kerngleichen Handlungen“ BGH 11.9.2008 – I ZR 58/06 – GRUR 2009, 419 Tz. 18 – Fußpilz; vgl. BGH 10.6.2009 – I ZR 37/07 – GRUR 2010, 167 Tz. 22 – Unrichtige Aufsichtsbehörde; vgl. BGH 12.3.2020 – I ZR 126/18 – GRUR 2020, 755 Tz. 81 – WarnWetter-App; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 48, 50 ff. 262 BGH 12.1.2017 – I ZR 117/15 – GRUR Int. 2017, 349 Tz. 40, 43 – YouTube-Werbekanal; BGH 9.11.1995 – I ZR 212/ 93 – GRUR 1996, 290, 291 – Wegfall der Wiederholungsgefahr I. 263 BGH 13.9.2018 – I ZR 117/15 – GRUR 2018, 1258 Tz. 53 und Tz. 56 – YouTube-Werbekanal II; BGH 21.4.2016 – I ZR 100/15 – GRUR 2016, 1316 Tz. 30 – Notarielle Unterlassungserklärung; „Scheingeschäfte“ genügen nicht, Teplitzky/Kessen Kap. 8 Rn. 7 ff. Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

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sätzlich auch ohne zeitliche oder bedingende Einschränkungen zum Ausdruck bringen.264 Bedingungen, Befristungen und sonstige Einschränkungen sind nicht möglich.265 In diesem Sinne kann beispielsweise die Weigerung eines ausländischen Verletzers, einen Gerichtsstand in Deutschland zu vereinbaren, Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Unterlassungserklärung begründen.266 Zulässig ist aber die auflösende Bedingung der höchstrichterlichen Klärung oder Ände- 42 rung der Rechtslage.267 Eine solche Bedingung stellt die Ernsthaftigkeit des Willens, wettbewerbswidriges Handeln zu unterlassen, nicht in Frage, weil ein Recht zum erneuten Handeln nur für den Fall vorbehalten wird, dass seine Rechtmäßigkeit zweifelsfrei und allgemein verbindlich feststeht.268 Entscheidend ist, dass die Unterwerfung bis zum Zeitpunkt des klärenden Ereignisses vorbehaltslos erfolgt. Ohne Abgabe einer hinreichend strafbewehrten Unterlassungserklärung kann die Wiederholungsgefahr wegfallen, wenn der Verstoß unter der Geltung einer ernsthaft269 zweifelhaften Rechtslage erfolgt ist, die Zweifel aber durch eine Gesetzesänderung beseitigt worden sind und deshalb – nicht notwendigerweise durch ausdrückliche Erklärung270 – nunmehr außer Frage steht, dass das beanstandete Verhalten verboten ist.271 Ferner wird darauf verwiesen, dass Bedingungen und Befristungen nicht ohne Weiteres Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Unterlassungsverpflichtung erwecken, wenn der Schuldner an der Beschränkung ein berechtigtes Interesse hat und keine schutzwürdigen Belange des Gläubigers oder der Allgemeinheit entgegenstehen.272 Ist die Reichweite des gesetzlichen Unterlassungsanspruchs selbst beschränkt, darf sich 43 dies selbstredend in der Unterwerfungserklärung spiegeln. Beschränkungen der Unterlassungserklärung, die lediglich einer Begrenzung des Unterlassungsanspruchs des Gläubigers nach dem materiellen Recht im engeren Sinne entsprechen, sind entsprechend unbedenklich. Dem Wegfall der Wiederholungsgefahr steht nicht entgegen, dass der Schuldner es ablehnt, seine Unterlassungserklärung auf ein Verhalten zu erstrecken, das ihm nicht verboten werden kann.273 Eine Ausnahme von der Unbedingtheit der Unterwerfung ist dies streng genommen nicht. Die Rechtsdurchsetzung kann nicht weitergehen als die Verbote des materiellen Rechts im engeren Sinne. Dies kann beispielsweise bei ergänzendem wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz der Fall sein. Ist die Nachahmung (§ 4 Nr. 3) nur zeitlich befristet verboten,274 besteht auch kein zeitlich unbefristeter Unterlassungsanspruch. Eine befristete Unterwerfung ist möglich. Gleiches gilt für räumliche Grenzen. Das ist dann möglich, wenn lediglich eine räumlich begrenzte Wiederholungsgefahr besteht.275 Liegen die Voraussetzungen für eine Aufbrauchfrist vor, ist also der gesetzliche Unterlassungsanspruch temporär wegen Unverhältnismäßigkeit ausgeschlossen 264 BGH 13.9.2018 – I ZR 117/15 – GRUR 2018, 1258 Tz. 53 – YouTube-Werbekanal II; BGH 12.1.2017 – I ZR 117/15 – GRUR Int. 2017, 349 Tz. 40 – YouTube-Werbekanal; BGH 1.4.1993 – I ZR 136/91 – GRUR 1993, 677, 679 – Bedingte Unterwerfung; BGH 30.3.1988 – I ZR 209/86 – GRUR 1988, 699, 700 – qm-Preisangaben II. 265 BGH 12.1.2017 – I ZR 117/15 – GRUR Int. 2017, 349 Tz. 40 – YouTube-Werbekanal; vgl. aber zu gleichwohl gegebenen Einschränkungen sogleich im Text; Übersicht bei Teplitzky VuR 2009, 83. 266 KG 25.4.2014 – 5 U 178/11 – GRUR-RR 2014, 351, 352 f. – Ausländischer Gerichtsstand. 267 BGH 1.4.1993 – I ZR 136/91 – GRUR 1993, 677, 679 – Bedingte Unterwerfung; vgl. BGH 26.9.1996 – I ZR 194/ 95 – GRUR 1997, 386, 388 – Altunterwerfung II; nicht ausreichend ist jedoch, wenn auf das Vorliegen irgendeiner günstigen Entscheidung eines anderen Instanzgerichts abgestellt wird, vgl. BGH 1.10.1996 – VI ZR 206/95 – GRUR 1997, 125, 127 f. – Künstlerabbildung in CD-Einlegeblatt. 268 BGH 1.4.1993 – I ZR 136/91 – GRUR 1993, 677, 679 – Bedingte Unterwerfung. 269 BGH 16.12.2010 – I ZR 149/08 – GRUR 2011, 440 Tz. 39 – Spiel mit. 270 BGH 24.7.2014 – I ZR 221/12 – GRUR 2014, 1013 Tz. 18 – Original Bach-Blüten. 271 BGH 20.1.2016 – I ZB 102/14 – GRUR 2016, 421 Tz. 17 – Erledigungserklärung nach Gesetzesänderung; BGH 26.2.2014 – I ZR 120/09 – GRUR-RS 2014, 07402 Tz. 13 – EU-Versandapotheke. 272 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 12; Teplitzky/Kessen Kap. 8 Rn. 13 f. 273 BGH 21.2.2008 – I ZR 142/05 – GRUR 2008, 815 Tz. 14 – Buchführungsbüro. 274 BGH 2.12.2004 – I ZR 30/02 – GRUR 2005, 349, 352 – Klemmbausteine III; nunmehr aber BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 90 ff., 95 f. – Segmentstruktur. 275 BGH 24.4.1986 – I ZR 127/84 – GRUR 1986, 814, 815 – Whisky-Mischgetränke. 41

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§8

Beseitigung und Unterlassung

(Rn. 86 ff.), kann dieser Vorbehalt ohne Weiteres in die Unterwerfung aufgenommen werden.276 Die Wiederholungsgefahr erlischt nicht erst mit Ablauf der Aufbrauchfrist,277 sondern der Unterlassungsanspruch bestand insoweit von Anfang an nicht.278 Selbstverständlich trägt der sich Unterwerfende das Risiko, dass er die materiellen Voraussetzungen für sich zu günstig ausgelegt hat.

44 (6) Zeitpunkt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob die Unterlassungsverpflichtungserklärung die Wiederholungsgefahr beseitigt, ist derjenige der Abgabe der Erklärung.279 Unschädlich ist aber eine Unterwerfung nur für einen abgrenzbaren Teil des Unterlassungsanspruchs.280 Bei einer solchen Teilunterwerfung, die ein Schuldner abgibt, weil er hinsichtlich dieses Teils des Streits eine gerichtliche Auseinandersetzung vermeiden möchte, hinsichtlich des anderen Teils aber eine gerichtliche Klärung anstrebt, können nicht ohne Weiteres Zweifel an der Ernstlichkeit angenommen werden.281 In der Folge erlischt die Wiederholungsgefahr – freilich nur so weit wie sich der Schuldner unbedingt unterworfen hat; im Übrigen bleibt der gesetzliche Unterlassungsanspruch bestehen.

45 (7) Haftung für Erfüllungsgehilfen. Umstritten ist der vertragliche Ausschluss der Haftung für Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB).282 Teils wird angenommen, dass damit Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Unterwerfungserklärung erweckt werden und die Wiederholungsgefahr nicht entfällt.283 Der Schuldner könne zudem die Haftung für Erfüllungsgehilfen jedenfalls dadurch vermeiden, dass er sich anstelle einer außergerichtlichen Erledigung im Wege des gerichtlichen Verfahrens – gegebenenfalls aufgrund Anerkenntnisses – zur Unterlassung verurteilen lässt, wenn er diesem Punkt so große Bedeutung beimisst.284 Nach hier vertretener Ansicht müssen sich Streitfragen aber an der Funktion der Unterlassungserklärung messen lassen. Gesteht man einen Ausschluss der Haftung für Erfüllungsgehilfen zu, wird nicht die unterschiedliche Haftungsgrundlage zwischen einem vertraglichen Unterlassungsgebot und einem durch Urteil ausgesprochenen Verbot verwischt,285 sondern gerade deutlich, dass der Unterlassungsvertrag funktional einem Titel entspricht (Unterlassungsvereinbarung als „Titeläquivalent“, Rn. 38).286 Der Gläubiger soll nicht schlechter stehen, als er nach einem Gerichtsverfahren stünde, aber eben auch nicht besser. Es besteht kein Grund, die „Kopie anders zu behandeln als das Original“.287 Im Rahmen des § 890 ZPO ist aber eine Haftung 276 Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 21; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 72, 168; Teplitzky/Kessen Kap. 8 Rn. 10 f.; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 52; Berlit WRP 1998, 250, 252; Apel/Drescher JURA 2019, 526, 530.

277 Anders Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 52 mit Verweis auf OLG Frankfurt 21.7.2015 – 6 W 71/15 – WRP 2015, 1258 Tz. 9.

278 Teplitzky/Kessen Kap. 8 Rn. 10. 279 BGH 13.9.2018 – I ZR 117/15 – GRUR 2018, 1258 Tz. 53 – YouTube-Werbekanal II; BGH 12.1.2017 – I ZR 117/15 – GRUR Int. 2017, 349 Tz. 40 – YouTube-Werbekanal; BGH 17.9.2015 – I ZR 92/14 – GRUR 2016, 395, 398 Tz. 34 – Smartphone-Werbung. 280 Vgl. BGH 24.4.1986 – I ZR 127/84 – GRUR 1986, 814, 815 – Whisky-Mischgetränk; BGH 25.4.2002 – I ZR 269/ 99 – GRUR 2002, 824, 825 – Teilunterwerfung. 281 BGH 19.10.2000 – I ZR 89/98 – GRUR 2001, 422, 424 – ZOCOR; Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 23. 282 Überblick bei MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 53 ff. 283 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 71; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 55; Harte/Henning/Brüning § 12 Rn. 189; OLG Frankfurt a. M. 12.12.2002 – 6 W 120/02 – GRUR-RR 2003, 198, 199 – Erlassvertrag; offengelassen BGH 21.4.2016 – I ZR 100/15 – GRUR 2016, 1316 Tz. 37 – Notarielle Unterlassungserklärung; a. A. Traub FS Gaedertz (1992) S. 563, 573 ff.; Bornkamm FS Tilmann (2003) S. 769, 776. 284 BGH 21.4.2016 – I ZR 100/15 – GRUR 2016, 1316 Tz. 37 – Notarielle Unterlassungserklärung. 285 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 71. 286 Vgl. BGH 8.5.2014 – I ZR 2010/12 – GRUR 2014, 797 Tz. 28 – fishtailparka. 287 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.58; vgl. Teplitzky/Kessen Kap. 8 Rn. 29a. Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

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für Erfüllungsgehilfen ausgeschlossen;288 daher muss dies auch bei der Unterwerfung möglich sein.289 Der Gläubiger ist im Übrigen gleichwohl hinreichend geschützt, da der Unterlassungsschuldner für sein Organisationsverschulden einzustehen hat.290 Dass zwischen dem „vertraglichen Titelimitat“ und einer gerichtlichen Titulierung nicht alle Unterschiede verschwinden (Beispiel: Ordnungsmittelverfahren vs. Geltendmachung der Vertragsstrafe im Wege der Leistungsklage), ist kein Argument dafür, zusätzliche, funktional nicht rechtfertigbare Unterschiede auf- statt abzubauen.

(8) Drittzahlungen. Überzeugenderweise kann im Grundsatz auch die Zahlung der Vertrags- 46 strafe an eine gemeinnützige Organisation vereinbart werden.291 Entscheidend ist freilich, dass sich die „Ordnungsmaßnahme“ zur Disziplinierung des Unterlassungsschuldners wirklich eignet. Praktisch bestehen hierbei freilich häufig berechtigte Zweifel.292 Drittzahlungen sind von Drittunterwerfungen (Rn. 50 ff.) abzugrenzen.

(9) Vertragsstrafe. Herzstück der Unterlassungserklärung ist das Versprechen einer Vertrags- 47 strafe für jeden Fall einer erneuten Zuwiderhandlung. Dadurch wird die Wiederholungsgefahr beseitigt.293 In erster Linie ist die Vertragsstrafe dabei vergleichbar mit den Ordnungsmitteln des § 890 ZPO. Wegen des Zahlungsrisikos, zumal an den Unterlassungsgläubiger, geht eine hinreichende Abschreckungswirkung dahingehend aus, die verbotene Handlung tatsächlich zu unterlassen. Daneben dient die Vertragsstrafe als pauschalierter Schadensersatz.294 Die Sicherung von Schadensersatzansprüchen ist aber nur Nebenzweck.295 Die Funktionsgleichheit der Vertragsstrafe und der Ordnungsmittel der § 890 ZPO wird von der Rechtsprechung allerdings nicht in der hier vertretenen Vehemenz geteilt. So betont der BGH die Unterschiede: Während das Ordnungsgeld gemäß § 890 ZPO eine strafähnliche Sanktion für die Übertretung des gerichtlichen Verbots darstelle, sei die Vertragsstrafe nach § 339 BGB eine schuldrechtlich vereinbarte Leistung zur Sicherung der Vertragserfüllung und zur Schadenspauschalierung. Ordnungsgelder ersetzen nicht zugleich den Schaden.296 In der Vollstreckung nach § 890 ZPO komme es allein auf das Verschulden des Schuldners an,297 während er im Rahmen des Unterlassungsvertrags gemäß § 278 BGB ohne Entlastungsmöglichkeit im Grundsatz (vgl. Rn. 45) auch für seine Erfüllungsgehilfen einzustehen habe.298

288 Zöller/Seibel § 890 Rn. 6; vgl. BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 24 – Produkte zur Wundversorgung.

289 So auch Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.60; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 13 Rn. 159; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 12; Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 21; Teplitzky/Kessen Kap. 7 Rn. 16a und Kap. 8 Rn. 29 f.; vgl. Steinbeck GRUR 1994, 90, 93 f., unter der Voraussetzung, dass sich der Schuldner der sofortigen Vollstreckung unterwirft; differenzierend Wünsche S. 85; Köhler FS Gernhuber (1993) S. 207, 220. 290 Zöller/Seibel § 890 Rn. 6. 291 Vgl. Ahrens/Achilles Kap. 8 Rn. 32 ff.; BGH 27.5.1987 – I ZR 153/85 – GRUR 1987, 748, 749 f. – Getarnte Werbung II. 292 Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 28. 293 BGH 10.12.1992 – I ZR 186/90 – NJW 1993, 721 – Fortsetzungszusammenhang. 294 BGH 3.4.2014 – I ZB 3/12 – GRUR 2014, 909 Tz. 11 – Ordnungsmittelandrohung nach Prozessvergleich; BGH 13.11.2013 – I ZR 77/12 – GRUR 2014, 595 Tz. 16 – Vertragsstrafenklausel. 295 BGH 13.11.2013 – I ZR 77/12 – GRUR 2014, 595 Tz. 16 – Vertragsstrafenklausel; BGH 7.10.1982 – I ZR 120/80 – GRUR 1983, 127, 128 – Vertragsstrafeversprechen. 296 BGH 30.9.1993 – I ZR 54/91 – GRUR 1994, 146, 147 – Vertragsstrafebemessung. 297 BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 24 – Produkte zur Wundversorgung. 298 BGH 3.4.2014 – I ZB 3/12 – GRUR 2014, 909 Tz. 11 – Ordnungsmittelandrohung nach Prozessvergleich. 43

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Beseitigung und Unterlassung

Maßgeblich für die Höhe der Vertragsstrafe ist der Sanktionscharakter der Vertragsstrafe und die Funktion der Vermeidung weiterer Zuwiderhandlungen.299 Ihr muss die Eignung innewohnen, den Schuldner von einem weiteren gleichen oder gleichartigen Wettbewerbsverstoß abzuhalten. Für diesen Zweck muss die Vertragsstrafe so hoch sein, dass sich ein Verstoß für den Verletzer voraussichtlich nicht mehr lohnt.300 Die Höhe der Vertragsstrafe muss angemessen sein. Es kommt auf die konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls an.301 Bedeutung haben nach bisheriger Rechtsprechung insbesondere die Schwere und das Ausmaß des Wettbewerbsverstoßes, das Verhalten des Verletzers, die Größe des Unternehmens oder der Grad der Wiederholungsgefahr.302 Zu berücksichtigen sind aber auch die ersparten Prozesskosten.303 Entsteht im Falle eines wiederholten Verstoßes zugleich ein neuer gesetzlicher Unterlassungsanspruch, kann auch dieser wiederum nur durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung beseitigt werden.304 In diesem Fall ist ein erhöhtes Vertragsstrafeversprechen erforderlich, da der bisherige Betrag augenscheinlich die beabsichtigte Abschreckungswirkung nicht entfalten konnte.305 Der Gesetzgeber hat die bei der Festlegung einer angemessenen Vertragsstrafe nach § 13 Abs. 1 zu berücksichtigenden Umstände im Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs in § 13a Abs. 1 kodifiziert. Diese Kodifizierung hat eine Klarstellungs- und Hinweisfunktion.306 In bestimmten Konstellationen ist die Vereinbarung einer Vertragsstrafe zudem nunmehr begrenzt (§ 13a Abs. 2 und Abs. 3). Näheres findet sich in der Kommentierung des § 13a. Praktisch werden dessen ungeachtet häufig Beträge etwas über 5.000 E vereinbart.307 Die Bestimmung der Höhe der Vertragsstrafe kann nach dem „Hamburger Brauch“308 dem Gläubiger309 oder einem Dritten (§ 317 BGB),310 nicht aber dem Gericht,311 überlassen werden (§ 315 Abs. 1 BGB). Nach § 315 Abs. 3 S. 2 BGB kann eine gerichtliche Überprüfung der vom Gläubiger vorgenommenen Bestimmung der Vertragsstrafenhöhe in der Vereinbarung ausdrücklich vorgesehen werden.312 Die richterliche Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 S. 2 BGB kommt auch einem Kaufmann zugute.313 Schließlich ist eine Begrenzung der zu bestimmenden Ver-

299 BGH 13.11.2013 – I ZR 77/12 – GRUR 2014, 595 Tz. 17 und Tz. 20 – Vertragsstrafenklausel; BGH 30.9.1993 – I ZR 54/91 – GRUR 1994, 146, 147 – Vertragsstrafebemessung; Übersicht zu einzelnen Summen bei Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 82; zur Höhe des Ordnungsgeldes nach § 890 ZPO BGH 8.12.2016 – I ZB 118/15 – GRUR 2017, 318 – Dügida; vgl. MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 46. 300 BGH 13.11.2013 – I ZR 77/12 – GRUR 2014, 595 Tz. 17 – Vertragsstrafenklausel. 301 BGH 13.11.2013 – I ZR 77/12 – GRUR 2014, 595 Tz. 17 – Vertragsstrafenklausel; BGH 7.10.1982 – I ZR 120/80 – GRUR 1983, 127, 128 – Vertragsstrafeversprechen. 302 BGH 13.11.2013 – I ZR 77/12 – GRUR 2014, 595 Tz. 17 – Vertragsstrafenklausel; BGH 30.9.1993 – I ZR 54/91 – GRUR 1994, 146, 147 – Vertragsstrafebemessung; BGH 7.10.1982 – I ZR 120/80 – GRUR 1983, 127, 128 f. – Vertragsstrafeversprechen; OLG Dresden 24.4.2018 – 14 U 50/18 – GRUR-RS 2018, 16059 Tz. 15 – My-Business Anzeige. 303 BGH 30.9.1993 – I ZR 54/91 – GRUR 1994, 146, 147 – Vertragsstrafebemessung. 304 BGH 7.12.1989 – I ZR 237/87 – GRUR 1990, 534 – Abruf-Coupon. 305 BGH 7.12.1989 – I ZR 237/87 – GRUR 1990, 534 – Abruf-Coupon; Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 49. 306 BTDrucks. 19/12084 S. 33. 307 BGH 4.5.2017 – I ZR 208/15 – GRUR 2017, 823 Tz. 40 – Luftentfeuchter; Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 25; mit Blick auf die gewünschte Zuständigkeit des Landgerichts ist dies indes nicht erforderlich, vgl. BGH 19.10.2016 – I ZR 93/ 15 – MMR 2017, 169 – Ausschließliche Zuständigkeit bei Vertragsstrafeansprüchen. Die ausschließliche Zuständigkeit der Landgerichte nach § 13 Abs. 1 erfasst auch Ansprüche auf Grund von Vertragsstrafeversprechen und Unterlassungsverträgen, die ihren Ursprung in einer wettbewerbsrechtlichen Streitigkeit haben. 308 Vgl. Überblick bei Apel/Drescher JURA 2019, 526, 528 f.; Harte/Henning/Brüning § 12 Rn. 202 ff.; vgl. auch BTDrucks. 19/12084 S. 33. 309 BGH 17.9.2009 – I ZR 217/07 – GRUR 2010, 355 Tz. 30 – Testfundstelle; BGH 12.7.1984 – I ZR 123/82 – GRUR 1985, 155, 157 – Vertragsstrafe bis zu … I; Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 27. 310 BGH 14.10.1977 – I ZR 119/76 – GRUR 1978, 192, 193 – Hamburger Brauch I. 311 BGH 14.10.1977 – I ZR 119/76 – GRUR 1978, 192, 193 – Hamburger Brauch I. 312 BGH 17.9.2009 – I ZR 217/07 – GRUR 2010, 355 Tz. 30 – Testfundstelle. 313 BGH 17.9.2009 – I ZR 217/07 – GRUR 2010, 355 Tz. 30 – Testfundstelle. Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

§8

tragsstrafe ihrer Höhe nach („bis zu…“) grundsätzlich zulässig.314 Das Angebot einer Vertragsstrafe bis zu einer bestimmten Höhe, wobei es dem Gläubiger überlassen bleibt, innerhalb des festgelegten Rahmens die für die konkrete Zuwiderhandlung angemessene Vertragsstrafe zu bestimmen, kann je nach Sachlage geeignet sein, die Wiederholungsgefahr auszuschließen. Eine solche Regelung kann im Einzelfall sinnvoll und praktikabel sein; sie kann dem friedlichen Ausgleich der beiderseitigen Interessen womöglich sogar besser gerecht werden als eine der Höhe nach unbegrenzte Vertragsstrafe mit einem Bestimmungsrecht des Gläubigers, da sich hier das Risiko beider Vertragspartner in einem überschaubaren Rahmen hält.315

(10) Kosten. Die Kosten der Erstellung der Unterwerfungserklärung trägt der Unterlassungs- 49 schuldner. Ihm obliegt die Ausräumung der Wiederholungsgefahr.316 Es liegt in seiner Verantwortung, eine ausreichende strafbewehrte Unterlassungserklärung zu formulieren.317 Es überzeugt daher wertungsmäßig, wenn der Gläubiger dem Grundsatz nach die Kosten über § 13 Abs. 3 zu tragen hat.318 Vorbehalte gegen die Kostentragungspflicht sind typischerweise Vorbehalte gegen den Unterlassungsanspruch selbst. In der Tat muss diese Rechtsfolge nicht bei jedweder Rechtsverletzung zur Verfügung stehen. Bejaht man beispielsweise bei Bagatellfällen gleichwohl einen Unterlassungsanspruch, kann es dann aber ausnahmsweise gerechtfertigt sein, dass der Gläubiger die Kosten einer Unterwerfung selbst zu tragen hat. Besteht objektiv kein „Titulierungsinteresse“ (Rn. 15, 21), weil der leicht fahrlässig begangene Bagatellverstoß nach einem Hinweis sogleich abgestellt wurde, spricht dies für eine Umkehrung der Kostentragungslast, wenn der Gläubiger auf ein „vertragliches Titelimitat“ beharrt.319 Lässt man also nicht bereits die Wiederholungsgefahr entfallen, besteht mit den Regeln zur Kostentragungslast eine zusätzliche Stellschraube zur Feinsteuerung des Interessenausgleichs für Fälle, in denen die Rechtsfolge Unterlassen wertungsmäßig unangemessen ist oder ihr zumindest an Schärfe genommen werden muss. Mit den Grundsätzen interessengerechter Rechtsdurchsetzung ist es daher durchaus vereinbar, wenn der Aufwendungsersatzanspruch, infolge des Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs gemäß § 13 Abs. 4 teils ausgeschlossen ist.320 Demnach ist der Anspruch auf Ersatz der erforderlichen Aufwendungen für berechtigte Abmahnungen für Mitbewerber ausgeschlossen bei (1) im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien begangenen Verstößen gegen gesetzliche Informations- und Kennzeichnungspflichten sowie (2) bei sonstigen Verstößen gegen die Datenschutzgrundverordnung (VO (EU) 2016/679 und das Bundesdatenschutzgesetz durch Unternehmen sowie gewerblich tätige Vereine, sofern sie in der Regel weniger als 250 Mitarbeiter beschäftigen.321 Freilich darf nicht aus den Augen verloren werden, dass das privatrechtliche Durchsetzungsmodell (auch) von finanziellen Anreizen für Durchsetzungsberechtigte lebt.322

(11) Drittunterwerfung. Unterlassungsansprüche können mehreren Berechtigten parallel zu- 50 stehen. Es stellt sich damit die Frage, ob die Wiederholungsgefahr einheitlich entfällt, wenn der

314 315 316 317 318 319 320 321

BGH 12.7.1984 – I ZR 123/82 – GRUR 1985, 155, 157 – Vertragsstrafe bis zu … I. BGH 12.7.1984 – I ZR 123/82 – GRUR 1985, 155, 157 – Vertragsstrafe bis zu … I. BGH 19.3.1998 – I ZR 264/95 – GRUR 1998, 1045, 1046 – Brennwertkessel. Bornkamm FS Büscher (2018) S. 441; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 40. F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 445 ff. F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 475 f. Vgl. BTDrucks. 19/12084. Vgl. auch Regierungsentwurf für ein Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs, BTDrucks. 19/12084 und Beschlussfassung BTDrucks. 19/22238. 322 Vgl. kritisch zum Referentenentwurf Fritzsche WRP 2018, 1277, 1281 (Anspruchsberechtigung nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 wird im Ergebnis „durch die Hintertür […] ausgehöhlt“). 45

Hofmann

§8

Beseitigung und Unterlassung

Unterlassungsschuldner eine strafbewehrte Unterlassungserklärung auch nur einem Gläubiger gegenüber abgegeben hat.323 Im Grundsatz ist die Wiederholungsgefahr unteilbar.324 Die Annahme einer im Verhältnis zu mehreren Verletzten unterschiedlichen Wiederholungsgefahr würde gegen die Denkgesetze verstoßen, da es nicht denkbar ist, dass ein und derselbe Verstoß einem Verletzten – konkret: dem Vertragsstrafengläubiger – gegenüber unterlassen, anderen gegenüber aber nochmals begangen werden könne.325 Indem der Schuldner eine Unterwerfungserklärung abgibt, begegnet er daher der Gefahr, von einer Vielzahl weiterer Gläubiger in Anspruch genommen zu werden, weil mit der Abgabe einer solchen Erklärung im Allgemeinen die Wiederholungsgefahr auch im Verhältnis zu anderen Gläubigern entfällt.326 Zur dogmatischen Begründung wird auch auf die Vorschriften zur Gesamtgläubigerschaft verwiesen (§§ 428, 429 Abs. 3 S. 1, 422 Abs. 1 S. 1 BGB).327 Die Wiederholungsgefahr kann auch dann entfallen, wenn sich der Schuldner aus freien Stücken entschließt, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung nicht gegenüber dem abmahnenden Gläubiger, sondern gegenüber einem Dritten abzugeben (Initiativunterwerfung).328 Maßgeblich ist freilich in allen Fällen, dass der Schuldner ernsthaft und überzeugend dokumentiert, dass er keine weiteren Verstöße begehen wird.329 Selbst wenn der Schuldner eine strafbewehrte Unterlassungserklärung nach einer Abmahnung einem bis dato unbeteiligten Dritten gegenüber abgibt, kann daher die Wiederholungsgefahr entfallen.330 Möglich ist schließlich eine vorbeugende Unterwerfung.331 Es muss hier aber genau geprüft werden: Ist die Drittunterwerfung wirklich und ernst51 haft geeignet, den Schuldner von weiteren Verletzungen abzuhalten?332 Daran können Zweifel bestehen, wenn der Dritte wirtschaftlich mit dem Schuldner verbunden ist, so dass die Zahlung einer Vertragsstrafe leichter zu verschmerzen wäre. Auch kann fraglich sein, ob der Dritte den Wettbewerbsverstoß wirklich verfolgen will.333 Hat er nicht selbst abgemahnt, kann dies erst Recht Bedenken hervorrufen. Wenn aber kein ausgeprägtes Verfolgungsinteresse besteht, muss der Schuldner womöglich auch nicht um die Eintreibung der Vertragsstrafe fürchten, was aber wiederum die Ernsthaftigkeit seiner Absichten unterlaufen kann. Auch muss der Unterlassungsgläubiger zu hinreichender Überwachung überhaupt in der Lage sein.334 Eine 323 Abzugrenzen ist dieser Fall von der Frage, ob eine Vertragsstrafe auch an einen Dritten gezahlt werden kann, vgl. MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 59. 324 Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 53; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 43 ff. 325 BGH 2.12.1982 – I ZR 121/80 – GRUR 1983, 186 – Wiederholte Unterwerfung; anders für Persönlichkeitsrechtsverletzungen OLG Hamburg 20.3.2018 – 7 U 175/16 – ZUM 2018, 543 (vgl. aber korrigierend die Revisionsinstanz, BGH, 4.12.2018 – VI ZR 128/18 – GRUR 2018, 431 – Heimliches romantisches Treffen; vgl. auch BGH 4.6.2019 – VI ZR 440/18 – GRUR 2019, 1211 – Hochzeitsfoto); hier waren aber verschiedene Persönlichkeitsrechte betroffen, so dass es um die Durchsetzung verschiedener bzw. mehrerer Stammrechte ging; im Lauterkeitsrecht kann eine Rechtsverletzung hingegen von mehreren Anspruchsstellern durchgesetzt werden. Die lauterkeitsrechtliche Drittunterwerfung spielt sich daher auf der Rechtsdurchsetzungsebene ab; vgl. auch Loschelder FS Harte-Bavendamm (2020), S. 519. 326 BGH 21.4.2016 – I ZR 100/15 – GRUR 2016, 1316 Tz. 35 – Notarielle Unterlassungserklärung; BGH 17.1.2002 – I ZR 241/99 – GRUR 2002, 357, 358 – Missbräuchliche Mehrfachabmahnung. 327 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 89. 328 MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 58; OLG Köln 21.10.2011 – 6 U 64/11 – WRP 2012, 221; KG 19.2.2013 – 5 U 56/11 – GRUR-RR 2013, 335, 336 – Zweifelhafte Drittunterwerfung; weiterführend Raue MMR 2011, 290. 329 KG 19.2.2013 – 5 U 56/11 – GRUR-RR 2013, 335, 336 – Zweifelhafte Drittunterwerfung; Wünsche S. 48 ff., zugleich kritisch gegenüber OLG München 26.2.1998 – 6 U 3622/97 – NJWE-WettbR 1998, 258; vgl. MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 47. 330 KG 19.2.2013 – 5 U 56/11 – GRUR-RR 2013, 335, 336 – Zweifelhafte Drittunterwerfung. 331 BGH 28.2.2013 – I ZR 237/11 – WRP 2013, 1196 Rn. 20 – Vorbeugende Unterwerfungserklärung. 332 Vgl. Eichelberger WRP 2009, 270, 275; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 43; Apel/Drescher JURA 2019, 526, 531. 333 Vgl. dazu mit Blick auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen BGH 4.12.2018 – VI ZR 128/18 – GRUR 2018, 431 Tz. 11 und Tz. 21 – Heimliches romantisches Treffen. 334 Vgl. MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 58, 59. Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

§8

pauschale Leugnung der Ernsthaftigkeit des Versprechens bei einer Unterwerfung gegenüber einer gemeinnützigen Organisation335 ist aber gleichwohl nicht angezeigt, auch wenn empirisch in der Tat der ernsthafte Unterlassungswille bei derartigen Drittunterwerfungen fehlen wird.336 Während es dem unterlassungswilligen Schuldner einerseits einerlei sein dürfte, wem er sich unterwirft,337 kann es aber durchaus sein, dass der Schuldner nachvollziehbare Gründe für eine Drittunterwerfung vorträgt.338 Insgesamt kommt es entscheidend darauf an, ob die Unterlassungsverpflichtung geeignet erscheint, den Verletzer wirklich und ernsthaft von Wiederholungen der Verletzung abzuhalten. Ob dies der Fall ist, ist in umfassender Würdigung aller hierfür in Betracht kommenden Umstände des Einzelfalls sorgfältig und unter Anlegung der gebotenen strengen Maßstäbe zu prüfen. Da der Verletzte, dem gegenüber keine Unterlassungsverpflichtungserklärung abgegeben worden ist, keine eigene Sanktionsmöglichkeit hat, ist im Rahmen der Gesamtwürdigung zusätzlich und in besonderem Maße auf die Person und die Eigenschaften des mit dem Verletzten nicht identischen Vertragsstrafegläubigers und auf die Art der Beziehung des Schuldners zu diesem abzustellen; insbesondere ist zu prüfen, ob der Vertragsstrafegläubiger bereit und geeignet erscheint, seinerseits die nur ihm zustehenden Sanktionsmöglichkeiten auszuschöpfen, und ob dies vom Schuldner als so wahrscheinlich befürchtet werden muss, dass keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit seiner Unterlassungsverpflichtung aufkommen können.339 Der Verletzer ist verpflichtet, den Abmahnenden aufzuklären, wenn wegen derselben 51a Verletzungshandlung bereits eine Unterwerfungserklärung gegenüber einem Dritten abgegeben worden ist.340 Zwischen dem Unterlassungsgläubiger und dem Abgemahnten besteht eine „wettbewerbsrechtliche Sonderbeziehung“, die ihren Grund darin hat, dass zwischen beiden durch die Verletzungshandlung ein gesetzliches Schuldverhältnis entstanden ist, das durch die Abmahnung konkretisiert und vertieft wird.341 Die Verletzung der Aufklärungspflicht kann Schadensersatzansprüche auslösen.342 Den Unterlassungsschuldner trifft die Darlegungs- und Beweislast gegenüber dem Zweitabmahnenden, dass die erste Unterwerfung die Wiederholungsgefahr beseitigt hat.343

cc) Notarielle Unterlassungserklärung. Unter welchen Voraussetzungen eine notarielle 52 Unterlassungserklärung (§ 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO) geeignet ist, die Wiederholungsgefahr zu beseitigen, ist mittlerweile höchstrichterlich geklärt.344 Erforderlich ist die Zustellung eines Beschlusses über die Androhung von Ordnungsmitteln (§ 890 Abs. 2 ZPO).345 Den Antrag auf 335 BGH 27.5.1987 – I ZR 153/85 – GRUR 1987, 748, 749 – Getarnte Werbung II. 336 Vgl. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 17; Eichelberger WRP 2009, 270, 273; sehr kritisch Teplitzky/Kessen Kap. 8 Rn. 27: (1) Spekulation auf geringere Gefahr der Ahndung; (2) Inkaufnahme der Vertragsstrafe, da diese einem „guten Zweck“ zukommt. 337 Strömer/Grootz WRP 2008, 1148, 1149 ff. 338 Eichelberger WRP 2009, 270, 275. 339 BGH 4.12.2018 – VI ZR 128/18 – GRUR 2018, 431 Rn. 11 – Heimliches romantisches Treffen. 340 BGH 5.5.1988 – I ZR 151/86 – GRUR 1988, 716, 717 – Aufklärungspflicht gegenüber Verbänden; BGH 13.5.1987 – I ZR 79/85 – GRUR 1987, 640, 641 – Wiederholte Unterwerfung II; BGH 19.6.1986 – I ZR 65/84 – GRUR 1987, 54, 55 – Aufklärungspflicht des Abgemahnten; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 43 (Abmahnverhältnis, § 311 Abs. 2 Nr. 2 oder Nr. 3 BGB als Rechtsgrundlage); s. a. Ahrens/Achilles Kap. 5. 341 BGH 1.12.1994 – I ZR 139/92 – GRUR 1995, 167, 169 – Kosten bei unbegründeter Abmahnung. 342 BGH 13.5.1987 – I ZR 79/85 – GRUR 1987, 640, 641 – Wiederholte Unterwerfung II. 343 BGH 13.5.1987 – I ZR 79/85 – GRUR 1987, 640, 641 – Wiederholte Unterwerfung II. 344 BGH 21.4.2016 – I ZR 100/15 – GRUR 2016, 1316 Tz. 30 ff. – Notarielle Unterlassungserklärung; zum Ganzen Köhler GRUR 2010, 6; Teplitzky WRP 2015, 527; Tavanti WRP 2015, 1411; Nippe WRP 2015, 532; Pustovalov ZUM 2016, 426; Kessen GRUR 2017, 141. 345 BGH 21.4.2016 – I ZR 100/15 – GRUR 2016, 1316 Tz. 33 ff. – Notarielle Unterlassungserklärung; a. A. Harte/ Henning/Goldmann § 8 Rn. 70. 47

Hofmann

§8

Beseitigung und Unterlassung

Androhung von Ordnungsmitteln kann ausschließlich der Gläubiger stellen.346 Da aber der Schuldner vorauseilend aus eigenem Antrieb eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgeben kann, sollte er auch die zu seinem Schutz bestehende Androhung bewirken können.347

dd) Sonstige Gründe für den Wegfall der Wiederholungsgefahr 53 (1) Unterlassungsurteil in der Hauptsache. Ein in einem Hauptsacheverfahren ergangenes rechtskräftiges Unterlassungsurteil348 (mit Ordnungsmittelandrohung) ist grundsätzlich geeignet, die Begehungsgefahr auch im Verhältnis zu Dritten entfallen zu lassen.349 Es darf angenommen werden, dass der Schuldner das Urteil ebenso ernst nehmen und für sein künftiges Verhalten bestimmend erachten wird wie eine eigene vertragliche strafbewehrte Unterlassungsverpflichtung.350 Im Fall einer Zuwiderhandlung drohen schließlich Ordnungsmittel. Entscheidend ist dieses Ergebnis, nicht ob die Beugemittel oder die Vertragsstrafe als Funktionsäquivalent „freiwillig“ auf sich genommen werden. Die Gegenansicht ist daher abzulehnen.351 Eine andere Beurteilung kann ausnahmsweise im Einzelfall angebracht sein, wenn der Vollstreckungsgläubiger an der Durchsetzung des Titels nicht interessiert ist oder wenn das Verhalten des Schuldners Zweifel aufkommen lässt, dass er dem ergangenen Urteil eine den Streit regelnde Wirkung beimisst.352 Um solche Zweifel nicht aufkommen zu lassen, bedarf es aber weder einer eigenständigen verpflichtenden oder anerkennenden Erklärung noch einer Abschlusserklärung wie bei im Verfahren der einstweiligen Verfügung erstrittenen Titeln. Genügend, aber auch erforderlich, ist ein Verhalten des Schuldners, wonach er das ergangene Urteil als eine den Streit betreffende Regelung versteht.353 Daran kann es fehlen, wenn sich der Verurteilte wegen derselben Wettbewerbshandlung mit einem Dritten in einer wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzung befindet und er sich nicht auf das rechtskräftige Urteil beruft und damit zu erkennen gibt, dass das Urteil auch diesen Streit regelt.354

53a (2) Zweifelhafte Rechtslage. Ist der Verstoß unter einer zweifelhaften Rechtslage erfolgt, sind diese Zweifel durch eine Gesetzesänderung beseitigt und steht außer Frage, dass das beanstandete Verhalten verboten ist, dann kann die Wiederholungsgefahr auch ohne Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung wegfallen, wenn der Anspruchsgegner deutlich zu erkennen gibt, die nunmehr klare Rechtslage zu beachten (s. a. Rn. 42).355 Es kann nämlich nicht 346 BGH 7.6.2018 – I ZB 117/17 – GRUR 2018, 973 – Ordnungsmittelandrohung durch Schuldner. 347 BGH 7.6.2018 – I ZB 117/17 – GRUR 2018, 973 Tz. 10 – Ordnungsmittelandrohung durch Schuldner, verweist auf das Leitbild aus § 12 UWG a. F. (nunmehr § 13 UWG). 348 Nicht ausreichend ist eine nicht bestandskräftige behördliche Untersagungsverfügung, BGH 18.5.2017 – I ZR 3/16 – GRUR 2017, 743 Tz. 50 – Uber Black; für Wegfall der Wiederholungsgefahr bei bestandskräftigem und vollstreckbarem Verwaltungsakt Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 35. 349 BGH 4.7.2019 – I ZR 161/18 – GRUR 2020, 299 Tz. 19 – IVD-Gütesiegel; BGH 21.4.2016 – I ZR 100/15 – GRUR 2016, 1316 Tz. 35 – Notarielle Unterlassungserklärung; BGH 19.12.2002 – I ZR 160/00 – GRUR 2003, 450, 452 – Begrenzte Preissenkung; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 61. 350 BGH 19.12.2002 – I ZR 160/00 – GRUR 2003, 450, 452 – Begrenzte Preissenkung. 351 Ausführliche Auseinandersetzung bei Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.57 ff. 352 Vgl. BGH 18.5.2017 – I ZR 3/16 – GRUR 2017, 743 Tz. 50 – Uber Black („ein Urteil im Hauptsacheverfahren beseitigt die Wiederholungsgefahr im Verhältnis zu Dritten nur, wenn es rechtskräftig ist und der Titelschuldner sich gegenüber dem gegen ihn vorgehenden anderen Gläubiger auf den durch den Titel bewirkten Wegfall der Wiederholungsgefahr beruft und diesen damit als Streiterledigungsgrund anerkennt“). 353 BGH 19.12.2002 – I ZR 160/00 – GRUR 2003, 450, 452 – Begrenzte Preissenkung. 354 BGH 13.12.2018 – I ZR 3/16 – GRUR 2019, 298 Tz. 66 – Uber Black II; BGH 19.12.2002 – I ZR 160/00 – GRUR 2003, 450, 452 – Begrenzte Preissenkung. 355 BGH 20.1.2016 – I ZB 102/14 – GRUR 2016, 421 Tz. 17 – Erledigungserklärung nach Gesetzesänderung; BGH 26.2.2014 – I ZR 120/09 – GRUR-RS 2014, 07402 Tz. 13 – EU-Versandapotheke; BGH 30.10.1997 – I ZR 185/95 – Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

§8

angenommen werden, dass derjenige, der bei zweifelhafter Rechtslage sein Verhalten mit vertretbaren Gründen gegen den Vorwurf eines Rechtsverstoßes verteidigt, auch dann auf einer Fortsetzung oder Wiederholung seines Handelns besteht, wenn der Gesetzgeber (oder die höchstrichterliche Rechtsprechung) die offene Frage eindeutig im Sinne des zuvor streitigen Verbots entschieden hat.356

(3) Vergleich. Wenn sich der Unterlassungsschuldner in einem Vergleich (Prozess-, Anwalts- 54 vergleich)357 unbedingt strafbewehrt unterwirft, erlischt die Wiederholungsgefahr ebenfalls.358 Die Wiederholungsgefahr ist erst mit der endgültigen Wirksamkeit des Vergleichs widerlegt. Ist ein Widerrufsvorbehalt vereinbart, ist dies erst nach Ablauf der Widerrufsfrist der Fall, also dann, wenn der Vergleich Bestand hat.359 Widerruft der Gläubiger, soll dies indes unerheblich sein.360 Entscheidend ist, dass die angedrohten Konsequenzen im Falle eines wiederholten Wettbewerbsverstoßes den Schuldner hinreichend motivieren können, sich künftig rechtstreu zu verhalten. Allein die Möglichkeit der Vollstreckung des so geschaffenen Titels (vgl. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) über § 890 BGB genügt, wenn ein gesonderter Beschluss für die Androhung von Ordnungsmitteln vorliegt;361 die zusätzliche Vereinbarung einer Vertragsstrafe ist möglich, aber insoweit für den Fortfall der Wiederholungsgefahr nicht konstitutiv.362 Denkbar erscheint aber auch ohne Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung 55 ein Vergleich lediglich über den gesetzlichen Unterlassungsanspruch als solchen. Einigen sich Schuldner und Gläubiger – ggf. außergerichtlich – beispielsweise über einen zugleich geltend gemachten Schadensersatzanspruch, wird im Verhältnis beider auch der Unterlassungsanspruch beigelegt. Dies ist anzunehmen, wenn die Parteien den Streit umfassend klären wollten. In diesem Sinne wird vertreten, dass eine strafbewehrte Unterlassungserklärung (die zur Beseitigung der Wiederholungsgefahr nicht genügt) regelmäßig das konkludente Angebot zu einem gleichzeitigen Erlassvertrag beinhalte. Die Annahme durch den Gläubiger führe zu einem inter partes wirkenden „Verzicht“ auf den gesetzlichen Unterlassungsanspruch, an dessen Stelle die Rechte aus dem Unterlassungsvertrag treten.363 Praktische Bedeutung kann dies bei Vergleichen über subjektive Rechte, beispielsweise im Urheberrecht, haben, nicht aber im Lauterkeitsrecht. Gegenüber Dritten besteht die Wiederholungsgefahr in solchen Fällen nämlich weiter, wenn die Ernsthaftigkeit des Schuldnerwillens zweifelhaft ist.364 Die Vollstreckungsbereitschaft ist schließlich Voraussetzung für den Wegfall der Wiederholungsgefahr.365

GRUR 1998, 591, 592 f. – Monopräparate; nicht aber im Falle bloßer Unkenntnis der Rechtslage Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 8 Rn. 1.53; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 76; ausnahmsweise mit Blick auf eine Veränderung tatsächlicher Umstände OLG Frankfurt 4.12.2014 – 6 U 30/14 – GRUR-RR 2015, 149 Tz. 12 – Scanner-Technologie; vgl. Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 75 und aber auch Rn. 73. 356 BGH 25.10.2001 – I ZR 29/99 – GRUR 2002, 717, 719 – Vertretung der Anwalts-GmbH. 357 Vgl. BGH 3.4.2014 – I ZB 3/12 – GRUR 2014, 909 – Ordnungsmittelandrohung nach Prozessvergleich; BGH 2.2.2012 – I ZB 95/10 – GRUR 2012, 957 – Pre-Selection. 358 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.62; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 60. 359 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.62. 360 OLG Celle 1.12.2004 – 3 U 160/04 – VuR 2007, 65. 361 Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 38; vgl. BGH 2.2.2012 − I ZB 95/10 – GRUR 2012, 957 Tz. 6 ff. – Vergleichsschluss im schriftlichen Verfahren. 362 Teplitzky/Kessen Kap. 7 Rn. 16. 363 OLG Frankfurt a. M. 12.12.2002 – 6 W 120/02 – GRUR-RR 2003, 198, 200 – Erlassvertrag; OLG Hamburg 14.9.2017 – 3 U 115/16 – GRUR-RS 2017, 148079 Tz. 49; Teplitzky/Kessen Kap. 11 Rn. 5 und Kap. 7 Rn. 11. 364 Teplitzky/Kessen Kap. 7 Rn. 11; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.62; vgl. BGH 2.12.1982 – I ZR 121/80 – GRUR 1983, 186, 187 – Wiederholte Unterwerfung I. 365 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.60. 49

Hofmann

§8

Beseitigung und Unterlassung

56 (4) Abschlusserklärung. Nicht ausreichend für den Wegfall der Wiederholungsgefahr ist eine Entscheidung im Rahmen einer einstweiligen Verfügung.366 Dadurch wird der Streit nur vorläufig geregelt. Die Entscheidung kann jederzeit aufgehoben werden. Es bedarf daher einer Abschlusserklärung.367 Der Unterlassungsschuldner muss die Regelung der einstweiligen Verfügung als endgültig anerkennen.368 Dann entfällt auch gegenüber Dritten die Wiederholungsgefahr.369

4. Vorbeugender Unterlassungsanspruch (Abs. 1 Satz 2) 57 a) Allgemeines. Bereits wenn die ernsthafte Gefahr besteht, dass eine unlautere geschäftliche Handlung vorgenommen wird, entsteht ein (vorbeugender)370 Unterlassungsanspruch, nicht zuletzt weil Unterlassungsansprüche schlechthin auf die Abwehr zukünftiger Verletzungen zielen.371 Vor allem aber wäre es unzumutbar, wenn der Unterlassungsgläubiger erst abwarten müsste, bis eine vollendete Rechtsverletzung vorliegt. Während früher Unterlassungsansprüche (damaliges Verständnis: Unterlassungsklagen) ohne vorausgegangene tatsächliche Rechtsverletzung besonders strittig waren,372 ist die Variante der Erstbegehungsgefahr mittlerweile auch im Lauterkeitsrecht kodifiziert. Der Anspruch auf Unterlassung besteht ausweislich von § 8 Abs. 1 S. 2 bereits dann, wenn eine derartige Zuwiderhandlung gegen § 3 oder § 7 droht. Die Erstbegehungsgefahr ist materiell-rechtlicher Natur (Rn. 14).373 Sie entspricht strukturell der Wiederholungsgefahr beim Verletzungsunterlassungsanspruch.374 Der vorbeugende Unterlassungsanspruch kann als selbstständiger Anspruch neben den Verletzungsunterlassungsanspruch treten.375 Es kann sich um zwei verschiedene Streitgegenstände handeln.376 Es gelten die allgemeinen Regeln.377 So liegen grundsätzlich unterschiedliche Streitgegenstände vor, wenn ein Unterlassungsanspruch zum einen wegen der vorprozessual begangenen Verletzungshandlung auf Wiederholungsgefahr und zum anderen auf Erstbegehungsgefahr wegen Erklärungen gestützt wird, die der in Anspruch Genommene erst später im gerichtlichen Verfahren abgibt.378 Die einheitliche Rechtsfolge wird hierbei aus unterschiedlichen Lebenssachverhalten hergeleitet.379 Umgekehrt kann nur ein Streitgegenstand vorliegen,380 wenn es sich um einen einheitlichen Sachverhalt handelt. Besteht dieser in der Lieferung von Stirnlampen im Internet aufgrund beanstandeter Klauseln auf der Homepage des Beklagten, kann das Gericht einen Unterlassungsanspruch entweder auf Wiederholungs- oder auf Erstbegehungsgefahr stützen.381 366 BGH 27.11.1963 – Ib ZR 60/62 – GRUR 1964, 274, 275 – Möbelrabatt; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.63. 367 BGH 4.7.2019 – I ZR 161/18 – GRUR 2020, 299 Tz. 19 – IVD-Gütesiegel; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 63; Apel/Drescher JURA 2019, 526, 533 f. 368 Vgl. BGH 4.5.2005 – I ZR 127/02 – GRUR 2005, 692, 694 – „statt“-Preis; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 94; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 22. 369 Teplitzky/Bacher Kap. 43 Rn. 11a; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.63. 370 Kritisch zum Begriff Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 27. 371 BGH 19.6.1951 – I ZR 77/50 – BGHZ 2, 394 – GRUR 1952, 35, 36 – Widia/Ardia. 372 Nur Larenz NJW 1955, 264. 373 BGH 26.4.1990 – I ZR 99/88 – GRUR 1990, 687, 689 – Anzeigenpreis II. 374 MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 77. 375 Teplitzky/Kessen Kap. 9 Rn. 4 f. 376 BGH 11.10.2017 – I ZR 78/16 – GRUR 2018, 431 Tz. 12 – Tiegelgröße; BGH 23.9.2015 – I ZR 15/14 – GRUR 2016, 83 Tz. 41 – Amplidect/ampliteq; Büch FS Bornkamm (2014) S. 15, 16 ff.; Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 8; enger noch BGH 24.7.2014 – I ZR 221/12 – GRUR 2014, 1013 Tz. 20 – Original Bach-Blüten. 377 BGH 10.3.2016 – I ZR 183/14 – GRUR 2016, 1187 Tz. 20 – Stirnlampen. 378 BGH 23.9.2015 – I ZR 15/14 – GRUR 2016, 83 Tz. 41 – Amplidect/ampliteq. 379 BGH 26.1.2006 – I ZR 121/03 – GRUR 2006, 429 Tz. 22 – Schlank-Kapseln. 380 Beispiel: OLG Hamm 7.1.2020 – I-4 U 88/18 – GRUR-RR 2020, 161 Tz. 28 – Belastingsadviseur. 381 BGH 10.3.2016 – I ZR 183/14 – GRUR 2016, 1187 Tz. 20 – Stirnlampen. Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

§8

Verletzungsunterlassungsanspruch und vorbeugender Unterlassungsanspruch unterscheiden sich einzig dadurch, dass die Begehungsgefahr unterschiedlich (1) begründet sowie (2) ausgeräumt wird.

b) Erstbegehungsgefahr aa) Grundsätze. Ein auf Erstbegehungsgefahr gestützter vorbeugender Unterlassungsan- 58 spruch setzt voraus, dass ernsthafte und greifbare tatsächliche Anhaltspunkte für eine in naher Zukunft konkret drohende Rechtsverletzung bestehen.382 Dabei muss sich die Erstbegehungsgefahr auf eine konkrete Verletzungshandlung beziehen. Die die Erstbegehungsgefahr begründenden tatsächlichen Umstände müssen die drohende Verletzungshandlung so konkret abzeichnen, dass sich für alle Tatbestandsmerkmale zuverlässig beurteilen lässt, ob sie verwirklicht sind.383 Da es sich bei der Begehungsgefahr um eine anspruchsbegründende Tatsache handelt,384 liegt die Darlegungs- und Beweislast beim Anspruchsteller.385 Eine Vermutung für das Vorliegen oder den Fortbestand der Erstbegehungsgefahr besteht nicht.386 bb) Einzelfälle. Unter welchen Voraussetzungen von einer Erstbegehungsgefahr ausgegangen 59 werden kann, ist eine Tatfrage.387 Dabei existiert eine bereite Kasuistik. (1) Berühmung. Eine Erstbegehungsgefahr ist anzunehmen, wenn sich der Verletzer be- 60 rühmt, zu dem beanstandeten Verhalten berechtigt zu sein,388 also bestimmte Handlungen vornehmen zu dürfen.389 Eine solche Berühmung, aus der die unmittelbar oder in naher Zukunft ernsthaft drohende Gefahr einer Begehung abzuleiten ist, kann unter Umständen auch in Erklärungen zu sehen sein, die im Rahmen der Rechtsverteidigung in einem gerichtlichen Verfahren abgegeben werden (Berühmung im Prozess).390 Die Tatsache allein, dass sich ein Beklagter gegen die Klage verteidigt und dabei die Auffassung äußert, zu dem beanstandeten Ver382 BGH 20.12.2018 – I ZR 112/17 – GRUR 2019, 189 Tz. 61 – Crailsheimer Stadtblatt II; BGH 11.5.2017 – I ZR 60/16 – GRUR 2017, 1140 Tz. 35 – Testkauf im Internet; BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 32 – Segmentstruktur; BGH 10.3.2016 – I ZR 183/14 – GRUR 2016, 1187 Tz. 21 – Stirnlampen; BGH 18.6.2014 – I ZR 242/12 – GRUR 2014, 883 Tz. 35 – Geschäftsführerhaftung; BGH 17.8.2011 – I ZR 57/09 – GRUR 2011, 1038 Tz. 44 – Stiftparfüm; BGH 15.1.2009 – I ZR 57/07 – GRUR 2009, 841 Tz. 8 – Cypersky; BGH 31.5.2001 – I ZR 106/99 – GRUR 2001, 1174, 1175 – Berühmungsaufgabe; BGH 15.4.1999 – I ZR 83/97 – GRUR 1999, 1097, 1099 – Preissturz ohne Ende; zur Erstbegehungsgefahr auch Feddersen FS Harte-Bavendamm (2020) S. 493. 383 BGH 10.3.2016 – I ZR 183/14 – GRUR 2016, 1187 Tz. 21 – Stirnlampen; BGH 23.10.2014 – I ZR 133/13 – GRUR 2015, 603 Tz. 17 – Keksstangen; BGH 15.12.2011 – I ZR 129/10 – GRUR 2012, 728 Tz. 25 – Einkauf Aktuell; BGH 13.3.2008 – I ZR 151/05 – GRUR 2008, 912 Tz. 17 – Metrosex. 384 BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 54 – Jugendgefährdende Medien. 385 BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 32 – Segmentstruktur; BGH 23.2.2017 – I ZR 92/16 – GRUR 2017, 793 Tz. 33, 44 – Mart-Stam-Stuhl; BGH 13.11.2012 – 5 U 30/12 – GRUR-RR 2013, 172, 176 – Haustürwerbung; BGH 29.10.2009 – I ZR 180/07 – GRUR 2010, 455 Tz. 24 – Stumme Verkäufer II. 386 BGH 20.12.2018 – I ZR 112/17 – GRUR 2019, 189 Tz. 64 – Crailsheimer Stadtblatt II; vgl. BGH 22.1.2014 – I ZR 71/12 – GRUR 2014, 382 Tz. 33 – REAL-Chips. 387 BGH 24.4.1986 – I ZR 56/84 – GRUR 1987, 45, 46 – Sommerpreiswerbung. 388 BGH 9.10.1986 – I ZR 158/84 – GRUR 1987, 125 – Berühmung. 389 BGH 7.3.2019 – I ZR 53/18 – GRUR 2019, 947 Tz. 32 – Bring mich nach Hause; BGH 17.8.2011 – I ZR 57/09 – GRUR 2011, 1038 Tz. 44 – Stiftparfüm; BGH 6.12.2001 – I ZR 284/00 – GRUR 2002, 360, 366 – H.I.V. POSITIVE II; BGH 31.5.2001 – I ZR 106/99 – GRUR 2001, 1174, 1175 – Berühmungsaufgabe. 390 BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 36 – Segmentstruktur; BGH 17.8.2011 – I ZR 57/09 – GRUR 2011, 1038 Tz. 44 – Stiftparfüm. 51

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§8

Beseitigung und Unterlassung

halten berechtigt zu sein, ist jedoch nicht als eine Berühmung zu werten, die eine Erstbegehungsgefahr begründet.391 Andernfalls würde der Beklagte in der wirksamen Verteidigung seiner Rechte, zu der auch das Recht gehört, in einem gerichtlichen Verfahren die Rechtmäßigkeit bestimmter Verhaltensweisen klären zu lassen, beschränkt. Eine Rechtsverteidigung kann aber dann eine Erstbegehungsgefahr begründen, wenn nicht nur der eigene Rechtsstandpunkt vertreten wird, um sich die bloße Möglichkeit eines entsprechenden Verhaltens für die Zukunft offenzuhalten, sondern den Erklärungen bei Würdigung der Einzelumstände des Falls auch die Bereitschaft zu entnehmen ist, sich unmittelbar oder in naher Zukunft in dieser Weise zu verhalten.392 Eine ausdrückliche Klarstellung,393 dass die Äußerung lediglich der optimalen Rechtsverteidigung dient, bedarf es aber nicht in jedem Fall.394 Gleiches gilt für Vergleichsverhandlungen.395 Die Erhebung einer Klage, mit der die Feststellung begehrt wird, zu einer außergerichtlich verfolgten Unterlassung nicht verpflichtet zu sein, begründet regelmäßig keine Erstbegehungsgefahr für das im Feststellungsantrag bezeichnete Verhalten.396 Auch wenn das Verhalten durch eine Gesetzesänderung nunmehr eindeutig verboten ist, darf nicht auf eine Erstbegehungsgefahr geschlossen werden, wenn der Unterlassungsschuldner sein Verhalten zuvor als rechtmäßig verteidigt hat.397 Ebenso entsteht eine Erstbegehungsgefahr durch ein in der Vergangenheit zulässiges Verhalten des Anspruchsgegners, das erst durch eine spätere Gesetzesänderung unzulässig geworden ist, nur dann, wenn weitere Umstände hinzutreten, die eine Zuwiderhandlung in der Zukunft konkret erwarten lassen.398

61 (2) Vorbereitungshandlungen. Vorbereitungshandlungen für einen Wettbewerbsverstoß oder dessen Ankündigung können ebenfalls die Annahme der Erstbegehungsgefahr rechtfertigen.399 Die ernsthafte und greifbare Besorgnis einer rechtswidrigen Handlung in naher Zukunft kann vorliegen, wenn eine Werbeanzeige geschaltet wird, aus der sich Anhaltspunkte ergeben, der Werbende werde in naher Zukunft Kaufverträge entgegen §§ 475, 437 BGB mit einer entsprechenden Klausel über den Gewährleistungsausschluss abschließen.400 Wenn ein Medikament wettbewerbswidrig im Internet mit einer Kaufmöglichkeit in Deutschland beworben wird, besteht Erstbegehungsgefahr, auch wenn der Verkauf nach Deutschland noch nicht stattgefunden hat.401 Eine betriebsinterne Weisung kann Erstbegehungsgefahr für eine unlautere Werbeanzeige begründen.402 Die drohende Verteilung eines Stadtblattes begründet ebenfalls eine

391 BGH 20.12.2018 – I ZR 112/17 – GRUR 2019, 189 Tz. 61 – Crailsheimer Stadtblatt II; BGH 12.3.2015 – I ZR 84/14 – GRUR 2015, 1025 Tz. 21 – TV-Wartezimmer; BGH 10.12.2009 – I ZR 46/07 – GRUR 2010, 253 Tz. 31 – Fischdosendeckel; BGH 14.2.2008 – I ZR 207/05 – GRUR 2008, 438 Tz. 26 – ODDSET; BGH 10.4.2003 – I ZR 291/00 – GRUR 2003, 890, 892 – Buchclub-Kopplungsangebot; BGH 31.5.2001 – I ZR 106/99 – GRUR 2001, 1174, 1175 – Berühmungsaufgabe; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.20 f. 392 BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 36 – Segmentstruktur; BGH 17.8.2011 – I ZR 57/09 – GRUR 2011, 1038 Tz. 44 – Stiftparfüm; BGH 31.5.2001 – I ZR 106/99 – GRUR 2001, 1174, 1175 – Berühmungsaufgabe; BGH 15.4.1999 – I ZR 83/97 – GRUR 1999, 1097, 1099 – Preissturz ohne Ende; OLG Köln 20.1.2017 – 6 U 65/16 – GRUR-RR 2017, 337 Tz. 25 – Äquipotenzbehauptung. 393 Vgl. so bei BGH 12.3.2015 – I ZR 84/14 – GRUR 2015, 1025 Tz. 21 – TV-Wartezimmer. 394 BGH 24.7.2014 – I ZR 221/12 – GRUR 2014, 1013 Tz. 18 – Original Bach-Blüten; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.21. 395 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 103; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.23. 396 Vgl. BGH 7.3.2019 – I ZR 53/18 – GRUR 2019, 947 Tz. 35 – Bring mich nach Hause (Leitsatz). 397 BGH 24.7.2014 – I ZR 221/12 – GRUR 2014, 1013 Tz. 18 – Original Bach-Blüten. 398 BGH 24.7.2014 – I ZR 221/12 – GRUR 2014, 1013 Tz. 19 – Original Bach-Blüten. 399 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.24; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 94. 400 BGH 19.5.2010 – I ZR 140/08 – GRUR 2010, 1120 Tz. 25 – Vollmachtsnachweis. 401 BGH 30.3.2006 – I ZR 24/03 – GRUR 2006, 513 Tz. 38 – Arzneimittelwerbung im Internet. 402 BGH 25.9.1970 – I ZR 47/69 – GRUR 1971, 119, 120 – Branchenverzeichnis. Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

§8

Erstbegehungsgefahr.403 Praktisch besonders wichtig sind Markenanmeldungen, die die Gefahr der rechtsverletzenden Benutzung begründen.404 Auch eine Eintragung in das Partnerschaftsregister kann für die eine unzulässige Werbung Erstbegehungsgefahr begründen.405 Ob die Ausstellung eines Produkts auf einer Messe im Inland ein hinreichend konkreter Umstand für die Erwartung ist, der Aussteller werde das fragliche Produkt in naher Zukunft in Deutschland anbieten und vertreiben, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Allein die Präsentation eines Erzeugnisses auf einer Messe reicht nicht in jedem Fall für die Annahme einer Erstbegehungsgefahr aus.406 Hat ein Händler den Vertrieb eines Produkts wegen der Einstellung der Geschäftsbeziehung zu seinem Lieferanten ausgesetzt, besteht nach eineinhalb Jahren ohne Wiederaufnahme des Vertriebs und ohne nach außen erkennbare Vorbereitungshandlungen keine Erstbegehungsgefahr.407

(3) Sonstiges. Die Ankündigung, sich an eine vertragliche Unterwerfung künftig nicht 62 mehr gebunden zu fühlen, begründet regelmäßig Erstbegehungsgefahr.408 Auch wenn bei einer Verschmelzung der Betrieb, in dem ein Wettbewerbsverstoß von Mitarbeitern begangen worden ist, fortgeführt wird, ergibt sich daraus allein keine Erstbegehungsgefahr bei dem übernehmenden Rechtsträger. Ein Inhaberwechsel bringt einen Wechsel in der Leitungs- und Weisungsbefugnis mit sich. Bereits diese tatsächliche Veränderung schließt es aus, allein auf Grund eines früheren Verhaltens von Mitarbeitern des Betriebs eine in der Person des neuen Inhabers begründete Erstbegehungsgefahr anzunehmen.409 Der Betrieb wird nunmehr neu geleitet. Gleiches gilt für den Insolvenzverwalter.410 Es ist allerdings möglich, dass nach einem Inhaberwechsel unter Fortführung des Betriebs eine Erstbegehungsgefahr für einen Wettbewerbsverstoß, wie er unter der Verantwortung des früheren Rechtsinhabers begangen worden ist, durch besondere Umstände, die zu der früher begangenen Zuwiderhandlung hinzutreten, neu begründet wird.411 Eine Rechtsverletzung in Polen begründet keine Begehungsgefahr für eine entsprechende Verletzung in Deutschland.412 Ist ein Verletzungsunterlassungsanspruch verjährt, kann ein Unterlassungsanspruch auch nicht auf Erstbegehungsgefahr gestützt werden, da ansonsten die Verjährungsregeln umgangen würden.413 Verletzungshandlungen, die in verjährter Zeit begangen wurden, dürfen zur Begründung der Erstbegehungsgefahr nicht herangezogen werden.414 Auch ein früheres, damals rechtmäßiges Verhalten, das nunmehr infolge einer Gesetzesänderung als unlauter einzustufen wäre, taugt ohne nähere Anhaltspunkte nicht zur Rechtfertigung der Erstbegehungsgefahr.415 Im Falle eines Verletzungsunterlassungsanspruchs 403 BGH 20.12.2018 – I ZR 112/17 – GRUR 2019, 189 Tz. 60, 62 – Crailsheimer Stadtblatt II. 404 BGH 23.9.2015 – I ZR 15/14 – GRUR 2016, 83 Tz. 31 – Amplidect/ampliteq; BGH 13.3. 2008 – I ZR 151/05 – GRUR 2008, 912 Tz. 30 – Metrosex; BGH 14.1.2010 – I ZR 92/08 – GRUR 2010, 838 Tz. 24, 27 – DDR-Logo. 405 OLG Hamm 7.1.2020 – I-4 U 88/18 – GRUR-RR 2020, 161 Tz. 28 ff. – Belastingsadviseur. 406 BGH 23.10.2014 – I ZR 133/13 – GRUR 2015, 603 Tz. 19, 20 ff. – Keksstangen; BGH 23.2.2017 – I ZR 92/16 – GRUR 2017, 793 Tz. 24 ff., 32 ff. – Mart-Stam-Stuhl. 407 BGH 10.3.2016 – I ZR 183/14 – GRUR 2016, 1187 Tz. 22 – Stirnlampen. 408 Vgl. BGH 23.2.2017 – I ZR 92/16 – GRUR 2017, 793 Tz. 46 – Mart-Stam-Stuhl (für eine Urheberrechtsverletzung); Teplitzky/Kessen Kap. 8 Rn. 56. 409 BGH 26.4.2007 – I ZR 34/05 – GRUR 2007, 995 Tz. 14 – Schuldnachfolge. 410 BGH 27.11.2014 – I ZR 124/11 – GRUR 2015, 672 Tz. 63 – Videospiel-Konsolen II. 411 BGH 26.4.2007 – I ZR 34/05 – GRUR 2007, 995 Tz. 15 – Schuldnachfolge. 412 Vgl. BGH 23.2.2017 – I ZR 92/16 – GRUR 2017, 793 Tz. 43 – Mart-Stam-Stuhl; vgl. BGH 23.10.2014 – I ZR 133/13 – GRUR 2015, 603 Tz. 24 – Keksstangen. 413 BGH 5.11.1987 – I ZR 212/85 – GRUR 1988, 313 – Auto F. GmbH. 414 BGH 9.10.1986 – I ZR 158/84 – GRUR 1987, 125 – Berühmung; Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 48. 415 BGH 24.7.2014 – I ZR 221/12 – GRUR 2014, 1013 Tz. 19 – Original Bach-Blüten; BGH 30.10.1997 – I ZR 185/ 95 – GRUR 1998, 591, 592 f. – Monopräparate; OLG Köln 20.1.2017 – 6 U 65/16 – GRUR-RR 2017, 337 Tz. 23 ff. – Äquipotenzbehauptung. 53

Hofmann

§8

Beseitigung und Unterlassung

können ferner ohne weitergehende Anhaltspunkte nicht-kerngleiche Handlungen nicht über einen auf Erstbegehungsgefahr gestützten Unterlassungsanspruch verhindert werden.416

c) Wegfall der Erstbegehungsgefahr 63 aa) Actus contrarius. An die Beseitigung der Erstbegehungsgefahr sind weniger strenge Anforderungen zu stellen als an den Fortfall der durch eine Verletzungshandlung begründeten Gefahr der Wiederholung des Verhaltens in der Zukunft.417 Für den Fortbestand der Erstbegehungsgefahr streitet keine Vermutung.418 Der vorbeugende Unterlassungsanspruch besteht vielmehr solange, wie die Gefahr der Begehung droht; er entfällt mit dem Fortfall der Begehungsgefahr.419 Für die Beseitigung der Erstbegehungsgefahr genügt daher grundsätzlich ein „actus contrarius“, also ein der Begründungshandlung entgegengesetztes Verhalten.420 Eine durch Berühmung geschaffene Erstbegehungsgefahr und mit ihr der Unterlassungsanspruch entfallen grundsätzlich mit der Aufgabe der Berühmung.421 Es besteht eine umfangreiche Kasuistik. 64 Eine die Erstbegehungsgefahr beseitigende Berühmungsaufgabe liegt jedenfalls in der uneingeschränkten und eindeutigen Erklärung, dass die beanstandete Handlung in der Zukunft nicht vorgenommen werde.422 Beruht die Erstbegehungsgefahr allein auf einer Werbung, so endet sie, wenn die Werbung aufgegeben wird.423 Beruht sie auf Vorbereitungshandlungen, entfällt die Erstbegehungsgefahr, wenn die Vorbereitungshandlungen beseitigt werden,424 bei unlauteren Äußerungen, wenn diese widerrufen werden,425 sofern mit dieser Äußerung von dem ursprünglichen Vorhaben unmissverständlich und ernstlich Abstand genommen wird.426 Gibt der Unterlassungsschuldner zu erkennen, dass er das angepeilte Geschäftsmodell in Zukunft nicht betreiben wird, entfällt eine entstandene Erstbegehungsgefahr nachträglich.427 Bei der durch eine Markenanmeldung oder -eintragung begründeten Erstbegehungsgefahr führt demnach im Regelfall die Rücknahme der Markenanmeldung oder der Verzicht auf die Eintragung der Marke zum Fortfall der Erstbegehungsgefahr.428 Gleiches gilt, wenn die Anmeldegebühren nicht bezahlt werden; die Anmeldung gilt als zurückgenommen.429 Wird indes lediglich auf die Einlegung einer Beschwerde nach der Zurückweisung einer Markenanmeldung verzichtet, genügt diese Passivität nicht zur Ausräumung der Erstbegehungsgefahr.430 Auch der bloße Umstand, dass das streitgegenständliche Stadtblatt eine andere Gestaltung aufweist, genügt für 416 Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 121. 417 BGH 20.12.2018 – I ZR 112/17 – GRUR 2019, 189 Tz. 64 – Crailsheimer Stadtblatt II. 418 BGH 20.12.2018 – I ZR 112/17 – GRUR 2019, 189 Tz. 64 – Crailsheimer Stadtblatt II; BGH 13.3.2008 – I ZR 151/ 05 – GRUR 2008, 912 Tz. 30 – Metrosex; BGH 31.5.2001 – I ZR 106/99 – GRUR 2001, 1174, 1176 – Berühmungsaufgabe; BGH 23.2.1989 – I ZR 18/87 – GRUR 1989, 432, 434 – Kachelofenbauer I. 419 BGH 23.2.1989 – I ZR 18/87 – GRUR 1989, 432, 434 – Kachelofenbauer I. 420 BGH 20.12.2018 – I ZR 112/17 – GRUR 2019, 189 Tz. 64 – Crailsheimer Stadtblatt II; BGH 22.1.2014 – I ZR 71/12 – GRUR 2014, 382 Tz. 33 – REAL-Chips; BGH 13.3.2008 – I ZR 151/05 – GRUR 2008, 912 Tz. 30 – Metrosex; Büch FS Bornkamm (2014) S. 15, 22 f. 421 OLG Köln 20.1.2017 – 6 U 65/16 – GRUR-RR 2017, 337 Tz. 25 – Äquipotenzbehauptung. 422 BGH 31.5.2001 – I ZR 106/99 – GRUR 2001, 1174, 1176 – Berühmungsaufgabe; vgl. BGH 21.2.2008 – I ZR 142/ 05 – GRUR 2008, 815 Tz. 21 – Buchführungsbüro. 423 BGH 23.2.1989 – I ZR 18/87 – GRUR 1989, 432, 434 – Kachelofenbauer I; kritisch Köhler GRUR 2011, 879, 881. 424 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 108. 425 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.32. 426 BGH 9.10.2009 – I ZR 180/07 – GRUR 2010, 455 Tz. 26 – Stumme Verkäufer II; BGH 31.5.2001 – I ZR 106/99 – GRUR 2001, 1174, 1176 – Berühmungsaufgabe. 427 BGH 12.3.2015 – I ZR 84/14 – GRUR 2015, 1025 Tz. 21 – TV-Wartezimmer. 428 BGH 13.3.2008 – I ZR 151/05 – GRUR 2008, 912 Tz. 30 – Metrosex. 429 BGH 14.1.2010 – I ZR 92/08 – GRUR 2010, 838 Tz. 30 – DDR-Logo. 430 BGH 22.1.2014 – I ZR 71/12 – GRUR 2014, 382 Tz. 34 – REAL-Chips. Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

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den Wegfall der Erstbegehungsgefahr nicht. Vor allem wenn eine Unterlassungsverfügung im einstweiligen Rechtsschutz ausgesprochen worden ist, bedarf es an einer uneingeschränkten und eindeutigen Erklärung, die die Annahme rechtfertigt, der Unterlassungsschuldner werde das „Stadtblatt“ künftig nicht in der angegriffenen Form vertreiben.431

bb) Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung. Nach h. M. bedarf es für die 65 Ausräumung der Erstbegehungsgefahr keiner Unterwerfungserklärung,432 so dass die Weigerung der Abgabe einer solchen auch keine Erstbegehungsgefahr begründen kann.433 Die Gegenansicht will differenzieren:434 Ist bereits eine Abmahnung erfolgt, bedürfe es für den Fortfall der Wiederholungsgefahr einer Unterlassungserklärung. Dafür sprächen die Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und der Vermeidung von Wertungswidersprüchen. Der Wegfall der Begehungsgefahr könnte einheitlich beurteilt werden.435 Ein actus contrarius genüge hingegen, solange es an einer Abmahnung fehle.436 So wie auch die Annahme der Wiederholungsgefahr vielfach eine reine Fiktion ist, kommt es nach hier vertretener Ansicht auch bei der Ausräumung der Erstbegehungsgefahr weniger auf empirische Überlegungen an. Für das Erfordernis der Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung spricht vielmehr das „Titulierungsinteresse“ des Unterlassungsgläubigers (Rn. 15, 21). Während der Schuldner zum Unterlassen wettbewerbswidriger Handlungen ohnehin verpflichtet ist, öffnet der Unterlassungsanspruch den Weg zu Beugemitteln, für die dann ein Bedürfnis besteht, wenn Zweifel an der Einhaltung der materiellrechtlichen Unterlassungspflicht bestehen. Hat der Unterlassungsschuldner Zweifel an seiner Rechtstreue gestreut, ist das Interesse des Gläubigers am Zugang zu Beugemitteln (Vertragsstrafe; Ordnungsgeld) höher zu gewichten als das Interesse des Schuldners, eine zweite Chance zum rechtstreuen Verhalten zu erlangen. Statt um Analysen des Schuldnerwillens, geht es um den Anspruch des Gläubigers auf „Titulierung“.437 d) Verjährung. Der vorbeugende Unterlassungsanspruch kann ausweislich von § 11 Abs. 1 ver- 66 jähren, wenn sich die Erstbegehungsgefahr auf eine abgeschlossene Handlung in der Vergangenheit bezieht.438 Beruht die Erstbegehungsgefahr auf einer Dauerhandlung, so beginnt die Verjährung während des Fortdauerns der Dauerhandlung ständig neu zu laufen.439 e) Durchsetzung. Es gelten die allgemeinen Regeln. Insbesondere empfiehlt sich zur Vermei- 67 dung von Kostennachteilen eine Abmahnung.440 Da es sich bei der Frage, ob Erstbegehungsgefahr vorliegt, um eine Tatfrage handelt, besteht nur eine eingeschränkte Überprüfbarkeit durch das Revisionsgericht.441 431 BGH 20.12.2018 – I ZR 112/17 – GRUR 2019, 189 Tz. 65 – Crailsheimer Stadtblatt II. 432 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.31; Teplitzky/Kessen Kap. 10 Rn. 21 und Rn. 22; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 106; Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 64; kritisch MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 100. 433 BGH 31.5.2001 – I ZR 106/99 – GRUR 2001, 1174, 1176 – Berühmungsaufgabe; BGH 18.12.1969 – X ZR 52/67 – GRUR 1970, 358, 360 – Heißläuferdetektor. 434 Köhler GRUR 2011, 879; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 33; F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 440 ff.; gegen diese Sichtweise Büch FS Bornkamm (2014) S. 15, 23 ff.; s. a. MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 100. 435 MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 100. 436 Köhler GRUR 2011, 879, 883. 437 F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 440 ff. 438 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 26; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.17; Köhler JZ 2005, 489, 490. 439 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 26; Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 67; Köhler JZ 2005, 489, 490. 440 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.37. 441 BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 54 – Jugendgefährdende Medien; Fezer/ Büscher/Obergfell § 8 Rn. 100. 55

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Beseitigung und Unterlassung

5. Umfang des Unterlassungsanspruchs a) Anspruchsinhalt 68 aa) Unterlassen als Anspruchsinhalt. Der Unterlassungsanspruch verlangt ein Nichtstun. Die (drohende) Zuwiderhandlung darf nicht (erneut) begangen werden. Der Unterlassungsschuldner hat sich der Vornahme der konkreten wettbewerbsverletzenden Handlung (einschließlich kerngleicher Handlungen, Rn. 28) zu enthalten; das rechtsverletzende Verhalten ist einzustellen oder darf bereits nicht begonnen werden.442 Regelmäßig kann der Unterlassungsschuldner dem Unterlassungsgebot nachkommen, indem er sich passiv verhält.443 Ein Anspruch auf Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung besteht nicht, wohl aber eine entsprechende Obliegenheit (Rn. 36).444

69 bb) Aktives Tun als Anspruchsinhalt. Reine Passivität reicht jedoch nicht immer aus. Damit der Unterlassungsschuldner seiner Unterlassungsverpflichtung nachkommen kann, muss er mitunter aktiv werden (Beispiel: Stornierung einer Werbeanzeige).445 Aus dem Unterlassungsanspruch kann indirekt eine Verpflichtung zur Vornahme positiver Handlungen folgen. Allgemein gilt: Der Schuldner eines Unterlassungsanspruchs muss nicht nur alles unterlassen, was zu einem Verstoß gegen die Unterlassungspflicht, also zu einer Verletzung, führen kann. Er muss auch alles tun, was im konkreten Fall erforderlich und zumutbar ist, um künftige oder andauernde Verletzungen zu verhindern oder rückgängig zu machen.446 Es kommt zu einer Überschneidung mit dem Beseitigungsanspruch.447 Der Unterlassungsschuldner ist daher für seine Rechtsverletzung auch insoweit verantwortlich, wenn diese im Internet ohne sein Zutun weitere Kreise zieht.448 Konkret kann auch ohne einen expliziten Hinweis durch den Gläubiger die Verpflichtung bestehen, eigene Recherchen über die weitere Verwendung beispielsweise einer untersagten Firmierung durchzuführen und jedenfalls die Betreiber der gängigsten Dienste wie gelbeseiten.de, Google Maps und 11880.com zu veranlassen, diese Firmierung aus ihren Verzeichnissen zu entfernen.449 Nach dem EuGH sind die Pflichten des Unterlassungsschuldners im Markenrecht jedoch weniger weitreichend: Art. 5 Abs. 1 der RL 2008/95/EG sei dahin auszulegen, dass eine im geschäftlichen Verkehr auftretende Person, die auf einer Webseite eine Anzeige hat platzieren lassen, durch die eine Marke eines Dritten verletzt wird, das mit dieser Marke identische Zeichen nicht benutzt, wenn Betreiber anderer Webseiten diese Anzeige übernehmen, indem sie sie auf eigene Initiative und im eigenen Namen auf diesen anderen

442 443 444 445

Vgl. MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 102. Vgl. BGH 14.12.2017 – I ZR 184/15 – GRUR 2018, 423 Tz. 24 und Tz. 27 – Klauselersetzung. MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 102. BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 18 – Produkte zur Wundversorgung; K. Hofmann NJW 2018,

2157.

446 BGH 13.11.2013 – I ZR 77/12 – GRUR 2014, 595 Tz. 26 – Vertragsstrafenklausel; BGH 18.9.2014 – I ZR 76/13 – GRUR 2015, 258 Tz. 64 – CT-Paradies; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 7. 447 Fritzsche S. 203; zum Verhältnis von Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 108 ff. 448 BGH 13.11.2013 – I ZR 77/12 – GRUR 2014, 595 – Vertragsstrafenklausel; BGH 18.9.2014 – I ZR 76/13 – GRUR 2015, 258 Tz. 66 – CT-Paradies. 449 BGH 13.11.2013 – I ZR 77/12 – GRUR 2014, 595 Tz. 29 – Vertragsstrafenklausel; OLG Düsseldorf 3.9.2015 – I-15 U 119/14 – GRUR-RR 2016, 259 – TÜV-Sondereintragung; enger OLG Zweibrücken 19.11.2015 – 4 U 120/14 – WRP 2016, 396; zu einem Anspruch auf Ersatz von Rechtsverfolgungskosten, wenn der durch eine rechtswidrige Filmberichterstattung in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht Verletzte dritte Uploader auf Unterlassung in Anspruch nimmt als Problem des haftungsrechtlichen Zurechnungszusammenhangs BGH 9.4.2019 – VI ZR 89/18 – GRUR 2019, 862 Tz. 12 ff. – Filmberichterstattung. Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

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Webseiten veröffentlichen.450 Ein Unterlassungsanspruch kann jedoch nicht nur durch eine unmittelbare Markenverletzung begründet werden, sondern auch durch die Verletzung von Verkehrspflichten (Rn. 78). Unternimmt der Unterlassungsschuldner keine Vorkehrungen zur Verhinderung von Rechtsverletzungen Dritter, kann dies eine indirekte Haftung begründen. Inwieweit der Schuldner aus einem Unterlassungstitel zu einem aktiven Tun verpflichtet ist, muss durch Auslegung des Titels ermittelt werden.451

(1) Dauerhandlungen. Eine Unterlassungsverpflichtung erschöpft sich nicht im bloßen Nichts- 70 tun, sondern umfasst die Vornahme von Handlungen zur Beseitigung eines zuvor geschaffenen Störungszustands, wenn allein dadurch dem Unterlassungsgebot entsprochen werden kann.452 Eine derartige Pflicht zu aktivem Tun besteht bei Dauerhandlungen: Als Schulbeispiel dient regelmäßig das wettbewerbswidrige Firmenschild.453 Der Unterlassungsschuldner muss aktiv werden, um die verbotene Handlung (z. B. irreführende Werbung) tatsächlich zu unterlassen. Er ist damit indirekt verpflichtet, das Schild abzunehmen.454 Eine Fassade mit rechtsverletzendem Anstrich kann entsprechend zu überstreichen455 oder eine Zeichenanmeldung zurückzunehmen sein.456 Aber auch: Wurde der Internetauftritt des Unterlassungsschuldners als unlauter beanstandet, kann jener die Unterlassungsverpflichtung nur dadurch einhalten, dass er den Internetauftritt ändert.457 Bleibt der Schuldner passiv, bleibt die Rechtsverletzung bestehen; die Zuwiderhandlung wird weiter begangen. Bei Dauerhandlungen (Bereitstellung eines Internetauftritts, irreführendes Firmenschild etc.) folgt die Handlungspflicht daraus, dass die Nichtbeseitigung des Verletzungszustandes gleichbedeutend ist mit der Fortsetzung der Verletzungshandlung.458 Der Unterlassungsanspruch steht dabei selbstständig neben dem Beseitigungsan- 71 spruch.459 Der Gläubiger hat es in der Hand, ob er den einen, den anderen oder beide Ansprüche gemeinsam geltend macht.460 Die beiden Ansprüche haben eine unterschiedliche Zielrichtung,461 auch wenn sie sich wie zwei sich überschneidende Kreise verhalten. Unterlassungsund Beseitigungsansprüche sind aber nur vordergründig identisch. Unterschiede werden vor allem bei der Zwangsvollstreckung deutlich.462 Während der Beseitigungsanspruch nach § 887 450 EuGH 2.7.2020 – C-684/19 – GRUR 2020, 868 – mk advokaten GbR/MBK Rechtsanwälte GbR; dazu Abrar GRURPrax 2020, 331.

451 BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 18 – Produkte zur Wundversorgung; BGH 12.7.2018 – I ZB 86/17 – GRUR 2018, 1183 Tz. 8 – Wirbel um Bauschutt; Meinhardt WRP 2018, 527, 529. BGH 29.9.2016 – I ZB 34/15 – GRUR 2017, 208 Tz. 24 – Rückruf von RESCUE-Produkten. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.69; Hermanns GRUR 2017, 977, 978. Vgl. BGH 18.2.1972 – I ZR 82/70 – GRUR 1972, 558 – Teerspritzmaschinen. BGH 28.1.1977 – I ZR 109/75 – GRUR 1977, 614, 616 – Gebäudefassade. BGH 4.2.1993 – I ZR 42/91 – GRUR 1993, 556, 558 – TRIANGLE; weiteres Beispiel, bei welchem reine Passivität (Nichteinlegung eines Rechtsbehelfs) zur Ausräumung der Erstbegehungsgefahr nicht genügt: BGH 22.1.2014 – I ZR 71/12 – GRUR 2014, 382 Tz. 34 – REAL-Chips. 457 Hermanns GRUR 2017, 977, 978; Meinhardt WRP 2018, 527. 458 BGH 29.9.2016 – I ZB 34/15 – GRUR 2017, 208 Tz. 25 – Rückruf von RESCUE-Produkten; BGH 18.9.2014 – I ZR 76/13 – GRUR 2015, 258 Tz. 64 – CT-Paradies; BGH 28.1.1977 – I ZR 109/75 – GRUR 1977, 614, 616 – Gebäudefassade; BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 20 – Produkte zur Wundversorgung; für strenge Begrenzung auf Dauerhandlungen Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.102. 459 BGH 29.9.2016 – I ZB 34/15 – GRUR 2017, 208 Tz. 28 – Rückruf von RESCUE-Produkten; BGH 18.9.2014 – I ZR 76/13 – GRUR 2015, 258 Tz. 64 – CT-Paradies; BGH 4.2.1993 – I ZR 42/91 – GRUR 1993, 556, 558 – TRIANGLE. 460 BGH 29.9.2016 – I ZB 34/15 – GRUR 2017, 208 Tz. 28 – Rückruf von RESCUE-Produkten; vgl. BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 29 – Produkte zur Wundversorgung (keine Sperrwirkung spezialgesetzlicher Rückrufansprüche). 461 BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 28 – Produkte zur Wundversorgung. 462 Teplitzky/Schaub Kap. 1 Rn. 10 und Teplitzky/Kessen Kap. 22 Rn. 3 f., 6, 8; vgl. auch Brehm ZZP 89 (1976), 178, 189 ff.

452 453 454 455 456

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ZPO vollstreckt wird, gilt für den Unterlassungsanspruch § 890 ZPO. Anders als beim Beseitigungsanspruch ist der Unterlassungsgläubiger letztlich auf den guten Willen des Schuldners angewiesen. Über die Ordnungsmittel kann zwar auf den Willen des Schuldners eingewirkt, die gebotene Handlung kann aber nicht durch einen Dritten vorgenommen werden.463 Zudem richtet sich der Unterlassungstenor lediglich auf das Nichtbegehen eines konkreten Wettbewerbsverstoßes. Während Rückrufansprüche einen abstrakten Schutz bieten, besorgen Handlungspflichten aus Unterlassungsansprüchen nur Schutz vor weiteren konkreten Verletzungen.464

72 (2) Erfüllung wettbewerbsrechtlicher Verkehrspflichten. Den Schuldner können wettbewerbsrechtliche Verkehrspflichten treffen, um eine Beeinträchtigung wettbewerbsrechtlich geschützter Interessen zu verhindern (Rn. 132 ff.).465 Zwar entsteht ein Unterlassungsanspruch nur, wenn derartige wettbewerbsrechtliche Verkehrspflichten (Verhaltenspflichten)466 verletzt wurden (Wiederholungsgefahr) oder verletzt zu werden drohen (Erstbegehungsgefahr);467 um aber einen solchen Unterlassungsanspruch zu vermeiden, muss der potenzielle Unterlassungsschuldner den Umfang entsprechender Verkehrspflichten beachten. Der Inhalt der Verkehrspflichten kann wiederum auf ein aktives Tun gerichtet sein. So besteht beispielsweise die Verkehrspflicht eines Internetplattformbetreibers wie ebay, nach dem Hinweis auf eine klare Rechtsverletzung das rechtsverletzende Angebot zu sperren („notice-and-take-down).468 Zugleich ist dafür zu sorgen, dass es möglichst nicht zu weiteren gleichartigen Verletzungen kommt („notice and action“;469 „notice-and-stay-down“).470 Faktisch ist der Unterlassungsanspruch hier also weniger auf ein Unterlassen gerichtet, sondern bewirkt eine Pflicht zum Handeln.471 Tenoriert wird dabei aber nur der Verletzungserfolg, nicht die einzelne Verkehrspflicht.472

73 (3) Rückrufverpflichtungen. Ob vom Unterlassungsanspruch auch Rückrufverpflichtungen umfasst sind, hat der BGH in einer Reihe von Entscheidungen im Grundsatz bejaht.473 Der Unterlassungsschuldner kann daher im Falle eines Vertriebsstopps verpflichtet sein, bereits ausgelieferte Waren zurückzurufen, zumindest aber die Abnehmer aufzufordern, die verletzenden 463 464 465 466 467

Fritzsche S. 201 ff.; Hermanns GRUR 2017, 977, 979 f.; F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 301 f. BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 30 – Produkte zur Wundversorgung. BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 36 ff. – Jugendgefährdende Medien. BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – NJW 2015, 3443 Tz. 42 – Hotelbewertungsportal. BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – NJW 2015, 3443 Tz. 42, 43 – Hotelbewertungsportal; BGH 26.11.2015 – I ZR 174/ 14 – GRUR 2016, 268 Tz. 27 – Störerhaftung des Access-Providers; BGH 17.8.2011 – I ZR 57/09 – GRUR 2011, 1038 Tz. 37 ff., 42 ff. – Stiftparfüm. 468 BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 42 – Jugendgefährdende Medien; vgl. BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – NJW 2015, 3443 Tz. 42 – Hotelbewertungsportal; BGH 12.7.2012 – I ZR 18/11 – GRUR 2013, 370 Tz. 29 – Alone in the dark; BGH 17.8.2011 – I ZR 57/09 – GRUR 2011, 1038 Tz. 39 – Stiftparfüm. 469 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 127; Ohly NJW 2016, 1417, 1419. 470 BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 43 – Jugendgefährdende Medien; BGH 12.7.2012 – I ZR 18/11 – GRUR 2013, 370 Tz. 29 – Alone in the dark; BGH 17.8.2011 – I ZR 57/09 – GRUR 2011, 1038 Tz. 39 – Stiftparfüm. 471 BGH 26.7.2018 – I ZR 64/17 – GRUR 2018, 1044 Tz. 57 – Dead Island; F. Hofmann GPR 2017, 176, 180. 472 Ahrens GRUR 2018, 374, 376; Teplitzky/Büch Kap. 14 Rn. 26. 473 BGH 17.10.2019 – I ZB 19/19 – GRUR 2020, 548 – Diätische Tinnitusbehandlung; BGH 17.10.2019 – I ZB 18/19 – GRUR-RS 2019, 35646 – Diätische Migränebehandlung; BGH 12.7.2018 – I ZB 86/17 – GRUR 2018, 1183 – Wirbel um Bauschutt; BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 – Produkte zur Wundversorgung; BGH 4.5.2017 – I ZR 208/15 – GRUR 2017, 823 – Luftentfeuchter; BGH 29.9.2016 – I ZB 34/15 – GRUR 2017, 208 – Rückruf von RESCUEProdukten; BGH 19.11.2015 – I ZR 109/14 – GRUR 2016, 720 – Hot Sox; vgl. BGH 30.7.2015 – I ZR 250/12 – GRUR 2016, Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

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Produkte nicht weiterzuverbreiten.474 Das in einem Unterlassungstitel enthaltene Verbot verpflichtet den Schuldner außer zum Unterlassen weiterer Vertriebshandlungen auch dazu, aktiv Maßnahmen zu ergreifen, die den Weitervertrieb der rechtsverletzend aufgemachten Produkte verhindern.475 Bei einer Handlung, die einen fortdauernden Störungszustand geschaffen hat, ist der die Handlung verbietende Unterlassungstitel mangels abweichender Anhaltspunkte regelmäßig dahin auszulegen, dass er außer zur Unterlassung derartiger Handlungen auch zur Vornahme möglicher und zumutbarer Handlungen zur Beseitigung des Störungszustands verpflichtet.476 Dies kann die Verpflichtung umfassen, auf Dritte einzuwirken, um diese zu einem Tun oder einem Unterlassen anzuhalten. Der Schuldner eines Unterlassungsanspruchs hat zwar für das selbstständige Handeln Dritter grundsätzlich nicht einzustehen. Er ist jedoch gehalten, auf Dritte, deren Handeln ihm wirtschaftlich zugutekommt, einzuwirken, wenn er mit einem Verstoß ernstlich rechnen muss und zudem rechtliche oder tatsächliche Einflussmöglichkeiten auf das Verhalten der Dritten hat.477 Er ist verpflichtet, im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren auf Dritte einzuwirken, soweit dies zur Beseitigung eines fortdauernden Störungszustands erforderlich ist.478 Danach muss ein Schuldner, dem gerichtlich untersagt worden ist, ein Produkt mit einer 74 bestimmten Aufmachung zu vertreiben oder für ein Produkt mit bestimmten Angaben zu werben, grundsätzlich durch einen Rückruf des Produkts dafür sorgen, dass bereits ausgelieferte Produkte von seinen Abnehmern nicht weiter vertrieben werden.479 Ein Vertriebsstopp für Wärmepantoffeln beispielsweise verpflichtet nicht nur, den weiteren Vertrieb noch nicht verkaufter Wärmepantoffeln einzustellen, sondern dem Unterlassungsschuldner obliegt es auch, bereits an den Groß- und Einzelhandel verkaufte Wärmepantoffeln zurückzurufen.480 Auch wenn für den Unterlassungsschuldner nach Abwicklung entsprechender Kaufvorgänge keine rechtliche Handhabe besteht,481 von den Abnehmern die Rückgabe der noch vorhandenen Produkte zu verlangen, ist es ihm grundsätzlich möglich und zumutbar, jene um Rückgabe der noch vorhandenen Produkte zu ersuchen.482 Der Unterlassungsschuldner muss den Rückruf wenigstens 406 – Piadina-Rückruf; BGH 28.7.2015 – VI ZR 340/14 – GRUR 2016, 104 – recht§billig; BGH 18.9.2014 – I ZR 76/13 – GRUR 2015, 258 Tz. 62 ff. – CT-Paradies; BGH 13.11.2013 – I ZR 77/12 – GRUR 2014, 595 Tz. 26 – Vertragsstrafenklausel; zur Problematik Hermanns GRUR 2017, 977; Sakowski GRUR 2017, 355; ders. BB 2017, 274; Lubberger GRUR 2018, 378; Ahrens GRUR 2018, 374; A. Dissmann MarkenR 2017, 293; R. Dissmann GRUR 2017, 986; Bruggmann LMuR 2017, 85; Voit PharmR 2018, 1; Feddersen FS Büscher (2018) S. 471; K. Hofmann NJW 2018, 2157; Reusch BB 2017, 2248; SchmittGaedke/Schmidt GRUR-Prax 2017, 343; Czettritz/Thewes PharmR 2017, 92; Goldmann GRUR 2016, 724; Husemann WRP 2017, 270; Schacht WRP 2017, 1055; Meinhardt WRP 2018, 527; Klute NJW 2017, 1648; bereits Rheineck WRP 1992, 753; Moll FS Klaka (1987) S. 16. 474 BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 16 – Produkte zur Wundversorgung. 475 BGH 17.10.2019 – I ZB 19/19 – GRUR 2020, 548 Tz. 15 – Diätische Tinnitusbehandlung; BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 17 – Produkte zur Wundversorgung. 476 BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 19 – Produkte zur Wundversorgung; BGH 29.9.2016 – I ZB 34/15 – GRUR 2017, 208 Tz. 24, 29 – Rückruf von RESCUE-Produkten; BGH 4.5.2017 – I ZR 208/15 – GRUR 2017, 823 Tz. 26 – Luftentfeuchter; BGH 19.11.2015 – I ZR 109/14 – GRUR 2016, 720 Tz. 34 – Hot Sox; BGH 14.12.2017 – I ZR 184/15 – GRUR 2018, 423 Tz. 21 – Klauselersetzung. 477 BGH 17.10.2019 – I ZB 19/19 – GRUR 2020, 548 Tz. 17 – Diätische Tinnitusbehandlung; BGH 12.7.2018 – I ZB 86/ 17 – GRUR 2018, 1183 Tz. 11 – Wirbel um Bauschutt; BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 25 – Produkte zur Wundversorgung; BGH 29.9.2016 – I ZB 34/15 – GRUR 2017, 208 Tz. 30 – Rückruf von RESCUE-Produkten; BGH 12.7.2018 – I ZB 86/17 – GRUR 2018, 1183 Tz. 11 – Wirbel um Bauschutt; BGH 13.11.2013 – I ZR 77/12 – GRUR 2014, 595 Tz. 26 – Vertragsstrafenklausel; zu Schadensersatzansprüchen (mit Blick auf die Verletzung von Persönlichkeitsrechten) BGH 9.4.2019 – VI ZR 89/18 – GRUR 2019, 862 Tz. 12 ff. – Filmberichterstattung. 478 BGH 29.9.2016 – I ZB 34/15 – GRUR 2017, 208 Tz. 30 – Rückruf von RESCUE-Produkten. 479 BGH 19.11.2015 – I ZR 109/14 – GRUR 2016, 720 Tz. 36 – Hot Sox. 480 BGH 19.11.2015 – I ZR 109/14 – GRUR 2016, 720 Tz. 35 – Hot Sox. 481 Büscher GRUR 2018, 113, 126; kritisch Teplitzky/Kessen Kap. 22 Rn. 4 f. 482 BGH 26.4.2018 – I ZR 248/16 – GRUR 2019, 199 Tz. 29 – Abmahnaktion II; BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 25 – Produkte zur Wundversorgung; BGH 29.9.2016 – I ZB 34/15 – GRUR 2017, 208 Tz. 33 – Rückruf von 59

Hofmann

§8

Beseitigung und Unterlassung

versuchen.483 Es reicht aus, wenn dem Unterlassungsschuldner eine tatsächliche Einwirkung möglich ist.484 Dies hat mit Nachdruck und Ernsthaftigkeit sowie unter Hinweis auf den rechtsverletzenden Charakter der Erzeugnisse zu erfolgen,485 zumal typischerweise ohnehin eine entsprechende vertragliche Nebenpflicht besteht.486 Ausreichend dürfte freilich auch sein, wenn der Unterlassungsschuldner seine Abnehmer mit Überklebungen versorgt, wenn dadurch die Rechtsverletzung beseitigt wird.487 Anzuraten ist dabei, dass der Schuldner sich von den Händlern schriftlich bestätigen lässt, dass sie die Ware entsprechend überklebt haben.488 Der Unterlassungsschuldner hat auch dafür zu sorgen, dass die streitgegenständlichen Inhalte möglichst nicht mehr im Internet aufgerufen werden können, insbesondere nicht über die Trefferliste Google als einer der gängigsten Internetsuchmaschinen.489 In diesem Fall muss der Schuldner gegenüber Google den Antrag auf Löschung im Google-Cache oder auf Entfernung der von der Webseite bereits gelöschten Inhalte stellen.490 Als Grund wird angeführt: Die Tätigkeit der Suchmaschine kommt dem Verletzer unmittelbar wirtschaftlich zugute.491 Wird ein rechtsverletzendes Video von einem Dritten, dessen Handeln dem Verletzer wirtschaftlich nicht zugutekommt, von diesem eigenmächtig auf YouTube hochgeladen, ist der Verletzer aufgrund seiner Unterlassungsverpflichtung indes nicht verantwortlich.492 Unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten leuchtet dies ein. Der Verwender einer unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingung ist auf der Grundlage eines Unterlassungsanspruchs indes nicht verpflichtet, Kunden von sich aus darüber aufzuklären, dass die beanstandeten Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam sind.493 Die Nichtvornahme der begehrten Berichtigungshandlung ist nicht gleichbedeutend mit der Fortsetzung der bereits abgeschlossenen Verletzungshandlung der Klauselverwendung.494 Bei der Einhaltung des Verbots (keine Verwendung der Klausel; keine Berufung auf Klausel)495 findet eine weitere Verwendung der fraglichen AGB nicht mehr statt, während bei einem weiteren Vertrieb rechtsverletzender Waren durch Dritte der vom Unterlassungsschuldner ausgelöste Störungszustand fortlaufend vertieft wird.496 Soweit dem Unterlassungsschuldner in einem Vergleich das Recht eingeräumt wurde, die markenrechtswidrig gekennzeichneten Produkte innerhalb einer Aufbrauchfrist abzuverkaufen, so ist er nach Fristablauf nicht verpflichtet, die Produkte zurückzurufen.497 RESCUE-Produkten; BGH 4.5.2017 – I ZR 208/15 – GRUR 2017, 823 Tz. 32 – Luftentfeuchter; Büscher GRUR 2018, 113, 126. 483 BGH 4.5.2017 – I ZR 208/15 – GRUR 2017, 823 Tz. 32 – Luftentfeuchter; Tillmanns, MPR 2017, 69, 70. 484 BGH 17.10.2019 – I ZB 19/19 – GRUR 2020, 548 Tz. 17 – Diätische Tinnitusbehandlung; BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 25 – Produkte zur Wundversorgung; BGH 29.9.2016 – I ZB 34/15 – GRUR 2017, 208 Tz. 33 – Rückruf von RESCUE-Produkten; BGH 4.5.2017 – I ZR 208/15 – GRUR 2017, 823 Tz. 32 – Luftentfeuchter; Büscher GRUR 2018, 113, 126. 485 BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 32 – Produkte zur Wundversorgung. 486 BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 39 – Produkte zur Wundversorgung. 487 Bruggmann LMuR 2017, 85, 90. 488 Bruggmann LMuR 2017, 85, 90. 489 BGH 12.7.2018 – I ZB 86/17 – GRUR 2018, 1183 Tz. 13 ff. – Wirbel um Bauschutt. 490 BGH 12.7.2018 – I ZB 86/17 – GRUR 2018, 1183 Tz. 13 ff. – Wirbel um Bauschutt; OLG Dresden 24.4.2018 – 14 U 50/18 – GRUR-RS 2018, 16059 Tz. 10 – My-Business Anzeige; OLG Celle 29.1.2015 – 13 U 58/14 – GRUR-RS 2015, 5193 Tz. 19 – Ferienwohnung im Internet; OLG Düsseldorf 3.9.2015 – I-15 U 119/14 – GRUR-RR 2016, 259 Tz. 63 – TÜVSondereintragung. 491 BGH 12.7.2018 – I ZB 86/17 – GRUR 2018, 1183 Tz. 15 – Wirbel um Bauschutt. 492 BGH 12.7.2018 – I ZB 86/17 – GRUR 2018, 1183 Tz. 18 ff. – Wirbel um Bauschutt; ob dies auch im Falle eines Hinweises gilt, ist unklar, Fricke AfP 2018, 514, 515; kritisch mit Blick auf Markenverletzungen Abrar GRUR-Prax 2020, 331. 493 BGH 14.12.2017 – I ZR 184/15 – GRUR 2018, 423 Tz. 23 – Klauselersetzung. 494 BGH 14.12.2017 – I ZR 184/15 – GRUR 2018, 423 Tz. 25 – Klauselersetzung. 495 BGH 14.12.2017 – I ZR 184/15 – GRUR 2018, 423 Tz. 24, 27 und Tz. 34 – Klauselersetzung. 496 BGH 14.12.2017 – I ZR 184/15 – GRUR 2018, 423 Tz. 24 – Klauselersetzung. 497 OLG Köln 12.10.2018 – 6 U 34/18 – GRUR 2019, 176 – Herr Antje. Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

§8

Die Handlungspflicht des Schuldners beschränkt sich allerdings darauf, im Rahmen des 75 Möglichen, Erforderlichen und Zumutbaren auf Dritte einzuwirken.498 Rückrufverpflichtungen sind durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt.499 Der Unterlassungsanspruch verpflichtet nur zu verhältnismäßigen Beseitigungsmaßnahmen.500 Der Erfolg des Rückrufs ist nicht geschuldet.501 Der Schuldner muss weder etwas tun, was zur Verhinderung weiterer Verletzungen nichts beiträgt und deswegen nicht erforderlich ist, noch muss er Maßnahmen der Störungsverhinderung oder -beseitigung ergreifen, die ihm – etwa gegenüber seinen Abnehmern, mit denen er in laufender Geschäftsbeziehung steht – in unverhältnismäßiger Weise zum Nachteil seiner gewerblichen Tätigkeit gereichen und deshalb unzumutbar sind.502 Eigenes Verschulden kann pflichterhöhend wirken (vgl. § 275 Abs. 2 Satz 2 BGB).503 Die Begrenzung der aus Unterlassungsverpflichtungen abgeleiteten Handlungspflichten folgt bereits aus der sachlichen Nähe zum Beseitigungsanspruch, dessen Begrenzung durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vielfach kodifiziert ist (§ 140a Abs. 4 PatG; § 98 Abs. 4 UrhG; § 18 Abs. 3 MarkenG; § 43 Abs. 4 DesignG; Art. 10 Abs. 3 Enforcement-RL).504 Der Unterlassungsanspruch einschließlich seiner konkreten über Rückrufpflichten vermittelten Reichweite darf kein Automatismus sein, zumal wenn der BGH die Reichweite des Unterlassungsanspruchs in einem ersten Schritt entsprechend ausdehnt. Verhältnismäßigkeitsüberlegungen sind der Rechtsdurchsetzungsebene („remedy-Ebene“) immanent (Rn. 83).505 Umstände, die eine Unverhältnismäßigkeit begründen, muss der Unterlassungsschuldner vorbringen.506 Ein Rückruf kann etwa bei Bagatellverstößen unverhältnismäßig sein, beispielsweise im Falle eines verrutschten, gleichwohl aber lesbaren Mindesthaltbarkeitsdatum.507 Ein Rückruf könnte auch unverhältnismäßig sein, wenn leicht verderbliche Ware ohnehin bald abverkauft wird und wettbewerbsrechtliche Interessen zugleich nur geringfügig berührt werden.508 Welche Pflichten den Schuldner treffen, ist grundsätzlich im Erkenntnisverfahren zu 76 klären.509 Für Einschränkungen der Rückrufpflichten zugunsten des Unterlassungsschuldners aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist daher ebenfalls das Hauptsacheverfahren der richtige Ort. Schließlich geht es um die Reichweite des materiell-rechtlichen Unterlassungsanspruchs. Diese folgt aus dem materiellen Recht, nicht dem Verfahrensrecht. Nach dem BGH ist die ausdrückliche Prüfung von Verhältnismäßigkeitsüberlegungen jedoch regelmäßig ohne konkrete Anhaltspunkte entbehrlich.510 Dies bedeutet gleichwohl nicht, dass im Vollstreckungsverfahren insoweit eine Bindung eingetreten wäre. Auch das Vollstreckungsgericht kann prüfen, ob die fraglichen Handlungen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren.511 Wenn sich der Schuldner im Erkenntnisverfahren nicht damit verteidigt hat, ihm sei die Beseitigung des Störungszustands unmöglich oder unzumutbar, und sich 498 BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 17 – Produkte zur Wundversorgung. 499 BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 21, 25 f., 28, 32 – Produkte zur Wundversorgung; BGH 14.3.2017 – VI ZR 721/15 – GRUR 2017, 748 Tz. 35 ff. – Robinson-Liste. BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 28 – Produkte zur Wundversorgung. BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 33 – Produkte zur Wundversorgung. BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 26 – Produkte zur Wundversorgung. BGH 14.3.2017 – VI ZR 721/15 – GRUR 2017, 748 Tz. 36 – Robinson-Liste. F. Hofmann NJW 2018, 1290, 1292. F. Hofmann NJW 2018, 1290, 1292. Büscher GRUR 2018, 113, 126. Bruggmann LMuR 2017, 85, 88. Vgl. Tillmanns MPR 2017, 69, 70; Bruggmann LMuR 2017, 85, 88. BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 21 – Produkte zur Wundversorgung; BGH 14.3.2017 – VI ZR 721/15 – GRUR 2017, 748 Tz. 37 – Robinson-Liste; BGH 29.9.2016 – I ZB 34/15 – GRUR 2017, 208 Tz. 29 – Rückruf von RESCUE-Produkten; vgl. Schacht WRP 2017, 1055. 510 BGH 29.9.2016 – I ZB 34/15 – GRUR 2017, 208 Tz. 29 – Rückruf von RESCUE-Produkten. 511 BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 21 – Produkte zur Wundversorgung; BGH 29.9.2016 – I ZB 34/15 – GRUR 2017, 208 Tz. 29 – Rückruf von RESCUE-Produkten.

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Hofmann

§8

Beseitigung und Unterlassung

hierzu aus dem Vorbringen des Gläubigers ebenfalls nichts ergibt, kann von dem Grundsatz abgewichen werden, dass die Frage, welche Beseitigungsmaßnahmen verhältnismäßig und geboten sind, im Erkenntnisverfahren geklärt werden muss.512 Verhältnismäßigkeitserwägungen können folglich entweder im Erkenntnis- oder Vollstreckungsverfahren vorgenommen werden.513 Es empfiehlt sich freilich, den Unterlassungsantrag (1) bei drohender Unverhältnismäßigkeit oder (2) wenn kein Interesse an einem Rückruf besteht,514 von vornherein zu beschränken.515 Wendet der Schuldner nämlich ein, dass Rückrufverpflichtungen unverhältnismäßig sind, muss es konsequenterweise zu einer Teilabweisung – ggf. mit Kostennachteilen, vgl. aber § 92 Abs. 1 Nr. 1 ZPO – kommen.516 Auch wird das Schadensersatzrisiko aus § 945 ZPO minimiert.517 Nicht zuletzt kann eine klare Tenorierung (ggf. i. V. m. den Entscheidungsgründen) für Rechtssicherheit sorgen. Die Einschränkbarkeit des Unterlassungsantrags auf ein „reines“ Unterlassen beruht auf der Dispositionsbefugnis des Klägers.518 Für verfahrensrechtliche Fragen, namentlich die Kostentragungslast, kann auf die rund um Aufbrauchfristen entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden (Rn. 92 f.).519 Bereits mit dem Unterlassungsanspruch kann die Beseitigung des Störungszustandes auch ohne explizite Tenorierung mittelbar verlangt werden. Handlungspflichten sind im Tenor nicht ausdrücklich auszuformulieren.520 Ein Konflikt mit dem Bestimmtheitsgebot besteht nach dem BGH nicht.521 Diese Rechtsprechung gilt unabhängig von der Natur des Unterlassungsanspruchs. Es 77 kommt nicht darauf an, ob der Unterlassungsanspruch auf einer Markenverletzung,522 einem Lauterkeitsverstoß oder einer sonstigen Rechtsverletzung (Patentverletzung,523 Urheberrechtsverstoß etc.) beruht.524 Auch vertragliche Unterlassungsansprüche sind in diesem Sinne auszulegen.525 Entsprechende Handlungspflichten setzen nicht voraus, dass die Parteien eines Unterlassungsvertrags eine ausdrückliche Vereinbarung über eine Pflicht zur Beseitigung treffen.526 Damit kann das Problem in den unterschiedlichsten (Verfahrens-)Konstellationen auftauchen: (1) Anspruch auf 512 513 514 515

BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 21 und Tz. 38 – Produkte zur Wundversorgung. BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 21 ff., 38 – Produkte zur Wundversorgung. Petersenn/Graber GRUR-Prax 2018, 139, 141; Bruggmann LMuR 2017, 85, 87 f. Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.76 und Rn. 1.84a; Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 3a; Lubberger GRUR 2018, 378, 381; Sakowski GRUR 2017, 355, 361; Tillmanns MPR 2017, 69, 72; Meinhardt WRP 2018, 527, 534; Büscher GRUR 2018, 113, 126; BGH 14.3.2017 – VI ZR 721/15 – GRUR 2017, 748 Tz. 37 – Robinson-Liste; eine Tenorierung ist nach Ahrens GRUR 2018, 374, 376, nicht zwingend erforderlich. 516 Schacht WRP 2017, 1055, 1057 f.; vgl. für Aufbrauchfristen Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.96; F. Hofmann WRP 2018, 1, 6. 517 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.76; Meinhardt WRP 2018, 527, 534; vgl. BGH 19.11.2015 – I ZR 109/14 – GRUR 2016, 720 – Hot Sox; nun aber modifizierend BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 17, 34 ff., 39 – Produkte zur Wundversorgung; BGH 30.7.2015 – I ZR 250/12 – GRUR 2016, 406 – Piadina-Rückruf. 518 Feddersen FS Büscher (2018) S. 471, 480. 519 Vgl. Schacht WRP 2017, 1055, 1057 f. 520 BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 22 ff. – Produkte zur Wundversorgung; BGH 29.9.2016 – I ZB 34/15 – GRUR 2017, 208 Tz. 26 – Rückruf von RESCUE-Produkten; BGH 13.11.2013 – I ZR 77/12 – GRUR 2014, 595 Rn. 26 – Vertragsstrafenklausel. 521 BGH 17.10.2019 – I ZB 19/19 – GRUR 2020, 548 Tz. 20 – Diätische Tinnitusbehandlung; BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Rn. 24 – Produkte zur Wundversorgung. 522 Beachte aber nunmehr EuGH 2.7.2020 – C-684/19 – GRUR 2020, 868 – mk advokaten GbR/MBK Rechtsanwälte GbR; dazu Abrar GRUR-Prax 2020, 331. 523 Ablehnend OLG Düsseldorf 30.4.2018 – I-15 W 9/18 – GRUR 2018, 855 – Rasierklingeneinheiten; vgl. Döring Mitt. 2018, 101, 106. 524 F. Hofmann NJW 2018, 1290, 1291; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.82. 525 BGH 4.5.2017 – I ZR 208/15 – GRUR 2017, 823 Tz. 26, 29 – Luftentfeuchter; BGH 14.12.2017 – I ZR 184/15 – GRUR 2018, 423 Tz. 21 – Klauselersetzung; OLG Dresden 24.4.2018 – 14 U 50/18 – GRUR-RS 2018, 16059 Tz. 5 f. – MyBusiness Anzeige; Husemann WRP 2017, 270, 272 ff.; kritisch Ahrens GRUR 2018, 374, 377. 526 BGH 4.5.2017 – I ZR 208/15 – GRUR 2017, 823 Tz. 27 – Luftentfeuchter. Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

§8

Vertragsstrafe; (2) Ordnungsmittelverfahren, § 890 ZPO; (3) Anspruch auf Schadensersatz nach § 945 ZPO. Besonderheiten gelten lediglich im einstweiligen Rechtsschutz.527 Hier ist dem Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache und eingeschränkten Verteidigungsmöglichkeiten des Unterlassungsschuldners dadurch Rechnung zu tragen, dass Rückrufverpflichtungen nur unter besonderen Umständen in Betracht kommen – beispielsweise bei Produktpiraterie oder in Fällen, in denen der Schuldner versucht, sich der Unterlassungspflicht durch schnellen Weitererkauf zu entziehen.528 Eine Aufforderung an den Abnehmer, die streitgegenständlichen Waren einstweilen nicht weiterzuveräußern, ist aber nach dem BGH auch im einstweiligen Rechtsschutz zumutbar.529 Als Argument führt der BGH an, dass schon aus dem Kaufvertrag die Nebenpflicht folgt, darauf hinzuweisen, dass der Käufer beim Weitervertrieb der Ware möglicherweise selbst mit einer gegen ihn gerichteten einstweiligen Verfügung zu rechnen habe.530 Ob diese Überlegungen freilich auch vor dem Hintergrund unionsrechtlicher Unterlas- 77a sungsanordnungen (Art. 130 UMV)531 Bestand haben, wird der EuGH noch explizit zu entscheiden haben.532 Das deutsche Anspruchssystem unterscheidet sich vom europäischen Rechtsdurchsetzungssystem („gerichtliche Anordnungen“) in der theoretischen Konzeption fundamental, so dass die deutsche Dogmatik dem „unionsrechtlichen Unterlassungsanspruch“ nicht einfach so übergestülpt werden kann.533 Der BGH sollte die Streitfrage dem EuGH vorlegen.534 Diese Rechtsprechung wird in der Literatur mitunter heftig kritisiert.535 Im Kern wird 78 vor allem die Verwischung der Unterscheidung von Unterlassungsansprüchen einerseits und Rückrufs- und Beseitigungsansprüchen andererseits und den damit zusammenhängenden verfahrensrechtlichen Konsequenzen gerügt.536 Auch drohe die Grenze zwischen Erkenntnisund Vollstreckungsverfahren zu verwässern.537 Bis zu den Modifikationen in der Entscheidung „Produkte zur Wundversorgung“ war zudem die drohende Vorwegnahme der Hauptsache heftiger Kritikpunkt.538 Wenn fehlende Bestimmtheit und damit fehlende Rechtssicherheit beim Umfang der Pflichten des Unterlassungsschuldners gerügt wird,539 muss allerdings 527 BGH 17.10.2019 – I ZB 19/19 – GRUR 2020, 548 Tz. 15 – Diätische Tinnitusbehandlung; BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 17 – Produkte zur Wundversorgung; v. Czettritz/Thewes PharmR 2017, 92.

528 BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 17, 34 ff., 36 – Produkte zur Wundversorgung; vgl. kritisch Czettritz/Thewes PharmR 2017, 92. 529 BGH 17.10.2019 – I ZB 19/19 – GRUR 2020, 548 Tz. 19 – Diätische Tinnitusbehandlung; BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 34, 39 – Produkte zur Wundversorgung; OLG Frankfurt a. M. 1.8.2018 – 6 W 53/18 – GRUR 2018, 1085 Tz. 20 ff. – kennzeichnungsfrei (Information des Marktes über ein bestehendes Verbot). 530 BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 39 – Produkte zur Wundversorgung. 531 Vgl. F. Hofmann NJW 2018, 1290 (Fn. 7). 532 R. Dissmann GRUR 2017, 986; vgl. aber BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 43 – Produkte zur Wundversorgung; Büscher GRUR 2018, 113, 126; vgl. aber bereits zum Markenrecht EuGH 2.7.2020 – C-684/19 – GRUR 2020, 868 – mk advokaten GbR/MBK Rechtsanwälte GbR (dazu Rn. 69). 533 F. Hofmann, WRP 2020, Heft 1 (Editorial); ders. in: Möstl/Purnhagen (Hrsg.) Maßnahmen und Sanktionen im Lebensmittelrecht, 2021, 81, 95 ff. 534 Ablehnend BGH 17.10.2019 – I ZB 19/19 – GRUR 2020, 548 Tz. 23 – Diätische Tinnitusbehandlung (zu Art. 11, 13 UGP-RL). 535 Lubberger GRUR 2018, 378; Schacht WRP 2017, 1055; Hermanns GRUR 2017, 977; Sakowski GRUR 2017, 355; Goldmann GRUR 2016, 724; vgl. auch der „Zwischenruf“ des Ausschusses für Wettbewerbs- und Markenrecht der GRUR, GRUR 2017, 885; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.82 ff. und Rn. 1.102; befürwortend: Büscher GRUR 2018, 113, 125 f.; Feddersen FS Büscher (2018) S. 471. 536 Goldmann GRUR 2016, 720, 724 f.; Hermanns GRUR 2017, 977, 978 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.70 und Rn. 1.83 sowie Rn. 1.102. 537 Lubberger GRUR 2018, 378, 381; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.84; gleiches gilt für die unterschiedlichen Vollstreckungsarten Hermanns GRUR 2017, 977, 979 f. 538 Vgl. Lubberger GRUR 2018, 378; OLG Düsseldorf 14.2.2019 – I-20 W 26/18 – LMuR 2019, 156; dagegen BGH 17.10.2019 – I ZB 19/19 – GRUR 2020, 548 Tz. 19 ff. – Diätische Tinnitusbehandlung. 539 Hermanns GRUR 2017, 977, 982 f.; Klute NJW 2017, 1648, 1653 f.; Schmitt-Gaedke/Schmidt GRUR-Prax 2018, 161. 63

Hofmann

§8

Beseitigung und Unterlassung

in Rechnung gestellt werden, dass auch bei einem Beseitigungsanspruch nicht zwingend Rechtssicherheit besteht. Auch dort werden nicht die einzelnen Beseitigungshandlungen tenoriert, sondern nur der Beseitigungserfolg.540 Das Beseitigungsrisiko trägt der Schuldner. Dieses Problem ist damit keines, das erst durch die neuere BGH-Rechtsprechung entstanden ist. Eine ähnliche Problematik findet sich beim konkreten Umfang wettbewerbsrechtlicher Verkehrspflichten.541 In der Tat lassen sich Rückrufverpflichtungen als wettbewerbsrechtliche Verkehrspflichten (Rn. 132 ff.) rekonstruieren.542 Da beispielsweise der Hersteller durch das Inverkehrbringen wettbewerbswidriger Produkte die Gefahr weiterer Wettbewerbsverstöße (z. B. § 4 Nr. 3, § 5) namentlich durch Zwischenhändler geschaffen hat, trifft ihn eine Verkehrspflicht (konkret: Rückrufverpflichtung) zur Begrenzung der Gefahr im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren.543 Dadurch wird zugleich effektiver Rechtsschutz ermöglicht.544 Da die umstrittene Rechtsprechung mittlerweile bekannt ist, haben es die Parteien in jedem Fall in der Hand, entweder ausdrücklich einen Beseitigungsanspruch zu stellen oder aufwändige Rückrufpflichten wegen Unverhältnismäßigkeit oder aus Gründen des Kostenrisikos (§ 945 ZPO) auszuschließen.545

79 b) Sachlicher Umfang. Während es allgemein verboten ist, unlautere geschäftliche Handlungen vorzunehmen, spiegelt der Unterlassungsanspruch über die Begehungsgefahr eine konkrete Unterlassungsverpflichtung. Nur soweit sich eine Verletzungshandlung zu wiederholen oder erstmalig zu verwirklichen droht, reicht die im Unterlassungsanspruch abgebildete Unterlassungspflicht. Der sachliche Umfang des Unterlassungsanspruchs richtet sich also danach, in welchem Umfang Begehungsgefahr besteht.546 Die durch eine Verletzungshandlung begründete Wiederholungsgefahr erstreckt sich dabei auf im Kern gleichartige Verletzungshandlungen (Rn. 28).547 Der Schuldner ist nicht nur verpflichtet, die Verletzungshandlung nicht vorzunehmen, sondern zugleich dazu, unbedeutende Abweichungen von der Verletzungshandlung, also Handlungen, in denen sich das Charakteristische der Verletzungshandlung wiederfindet, zu unterlassen. Bedeutung hat dies für die Antragsfassung im Unterlassungsprozess. Geht der Klageantrag über den sachlichen Umfang des Unterlassungsanspruchs hinaus, ist die Klage insoweit als unbegründet zurückzuweisen. Umgekehrt darf das Gericht wegen § 308 Abs. 1 ZPO nicht mehr zusprechen als beantragt wurde.548

80 c) Räumlicher Umfang. Der Unterlassungsanspruch erstreckt sich regelmäßig auf den gesamten Geltungsbereich des Lauterkeitsrechts.549 Ein nur regional tätiger Mitbewerber kann aus einem uneingeschränkt ausgesprochenen Verbot auch gegen Verstöße vorgehen, die über seinen räumlich beschränkten Tätigkeitsbereich hinausgehen. Einem durch eine unzulässige geschäftliche Handlung unmittelbar verletzten Wettbewerber wird ohne Weiteres ein Unterlassungsanspruch zu540 BGH 22.10.1976 – V ZR 36/75 – NJW 1977, 146; Ahrens GRUR 2018, 374, 376; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.115 ff.; vgl. aber einschränkend Teplitzky/Kessen Kap. 22 Rn. 5 und Kap. 24 Rn. 2 ff. 541 Ahrens GRUR 2018, 374, 376. 542 Überzeugend Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 20; Goldmann GRUR 2016, 724, 725; F. Hofmann in: Möstl/Purnhagen (Hrsg.) Maßnahmen und Sanktionen im Lebensmittelrecht, 2021, 81, 92 ff. 543 Vgl. BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 – Jugendgefährdende Medien. 544 Vgl. Stuwe GRUR 2019, 1028, 1029. 545 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.84a; Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 3a; Büscher GRUR 2018, 113, 126. 546 Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 111; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 35. 547 BGH 17.9.2015 – I ZR 92/14 – GRUR 2016, 395 Tz. 38 – Smartphone-Werbung; BGH 5.10.2010 – I ZR 46/09 – GRUR 2011, 433 Tz. 26 – Verbotsantrag bei Telefonwerbung; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 113 ff. 548 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 35. 549 BGH 10.12.1998 – I ZR 141/96 – GRUR 1999, 509, 510 – Vorratslücken; BGH 29.6.2000 – I ZR 29/98 – GRUR 2000, 907, 909 – Filialleiterfehler; Ahrens/Achilles Kap. 1 Rn. 9. Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

§8

gebilligt, der auf ein bundesweites Verbot solcher Handlungen gerichtet und entsprechend bundesweit durchsetzbar ist. Dies hat seinen entscheidenden Grund darin, dass der Anspruch dem Wettbewerber nicht nur zum Schutz seiner Individualinteressen, sondern auch im Interesse der anderen Marktbeteiligten und der Allgemeinheit zuerkannt wird.550 Fraglich ist allerdings, ob Mitbewerber mit räumlich begrenztem Tätigkeitsfeld dafür sorgen können, dass die Wiederholungsgefahr bundesweit entfällt.551 Dies wird davon abhängen, inwieweit ein ernsthaftes Verfolgungsinteresse für das gesamte Bundesgebiet besteht.552 Eine Ausnahme von der bundesweiten Wirkung von Unterlassungsverpflichtungen besteht bei Verstößen gegen spezifisches Landesrecht.553 Auch bei vertraglich vereinbarten Unterlassungsansprüchen wird regelmäßig von einer bundesweiten Geltung auszugehen sein.554

d) Zeitlicher Umfang. Für die Beurteilung zeitlicher Begrenzungen muss wiederum zwischen 81 dem Lauterkeitsrecht im engeren Sinne und der Rechtsdurchsetzung unterschieden werden. Während der BGH früher beim ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz das Nachahmungsverbot zeitlich begrenzen wollte, hat er diese Rechtsprechung mittlerweile ausdrücklich aufgegeben.555 Von dieser Begrenzung der Verbotstatbestände zu unterscheiden ist der temporäre Ausschluss des Unterlassungsanspruchs über sogenannte lauterkeitsrechtliche Aufbrauchfristen (Rn. 86 ff.). Der Unterlassungsanspruch erlischt zudem dauerhaft, wenn die Begehungsgefahr wegfällt – beispielsweise durch eine strafbewehrte Unterwerfung. Auch durch eine Gesetzesoder Rechtsprechungsänderung kann der gesetzliche Unterlassungsanspruch untergehen.556 Da der Unterlassungsanspruch untergeht, ist eine Klage als unbegründet abzuweisen. Der Kläger kann die Hauptsache für erledigt erklären.557

e) Persönlicher Umfang. Die Begehungsgefahr ist ein tatsächlicher Umstand, der nach den 82 Verhältnissen in der Person des in Anspruch Genommenen zu beurteilen ist.558 Wird das Verhalten eines Dritten über § 8 Abs. 2 zugerechnet, muss der Unternehmer die damit auch in seiner Person bestehende Begehungsgefahr selbstständig auch für sich beseitigen.559 Die Begehungsgefahr geht grundsätzlich nicht auf den Rechtsnachfolger über (Rn. 202 ff.).560 Es ist allerdings möglich, dass nach einem Inhaberwechsel unter Fortführung des Betriebs eine Erstbegehungsgefahr für einen Wettbewerbsverstoß, wie er unter der Verantwortung des früheren

550 BGH 10.12.1998 – I ZR 141/96 – GRUR 1999, 509, 510 – Vorratslücken; BGH 29.6.2000 – I ZR 29/98 – GRUR 2000, 907, 909 – Filialleiterfehler; BGH 6.4.2000 – I ZR 76/98 – BGHZ 155, 165 – GRUR 2000, 1089, 1093 – Missbräuchliche Mehrfachverfolgung; BGH 6.7.2000 – I ZR 243/97 – GRUR 2001, 85, 86 f. – Altunterwerfung IV. 551 Verneinend Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.87. 552 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 36. 553 BGH 14.2.2008 – I ZR 207/05 – GRUR 2008, 438 Tz. 28 – ODDSET. 554 BGH 6.7.2000 – I ZR 243/97 – GRUR 2001, 85, 86 – Altunterwerfung IV. 555 BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 90 ff., 95 f. – Segmentstruktur; vgl. MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 16, 145. 556 MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 144. 557 BGH 20.1.2016 – I ZB 102/14 – GRUR 2016, 421, 422 – Erledigterklärung nach Gesetzesänderung; BGH 7.10.2009 – I ZR 216/07 – GRUR 2010, 257 Tz. 17 – Schubladenverfügung; vgl. BGH 8.3.1990 – I ZR 116/88 – GRUR 1990, 530 – Unterwerfung durch Fernschreiben; BGH 7.3.2019 – I ZR 184/17 – GRUR 2019, 746 Tz. 35 – Energieeffizienzklasse III. 558 BGH 18.3.2010 – I ZR 158/07 – GRUR 2010, 536 Tz. 40 – Modulgerüst II; BGH 26.4.2007 – I ZR 34/05 – GRUR 2007, 995 Tz. 11 – Schuldnachfolge. 559 Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 618. 560 BGH 16.3.2006 – I ZR 92/03 – GRUR 2006, 879 Tz. 17 – Flüssiggastank. 65

Hofmann

§8

Beseitigung und Unterlassung

Rechtsinhabers begangen worden ist, durch besondere Umstände, die zu der früher begangenen Zuwiderhandlung hinzutreten, neu begründet wird.561

f) Ausschluss des Unterlassungsanspruchs aus Verhältnismäßigkeitsgründen 83 aa) Interessenausgleich auf der „remedy-Ebene“. Rechte müssen nicht bestmöglich, sondern richtig durchgesetzt werden.562 Der vom Recht bezweckte Interessenausgleich kann nicht nur auf Tatbestandsseite, sondern auch auf Rechtsfolgenseite erfolgen. Über die Rechtsdurchsetzungsebene („remedy-Ebene“) kann der Interessenausgleich weiter verfeinert werden.563 Es besteht eine weitere Stellschraube für die Feinjustierung. Das den Verbrauchern, Mitbewerbern und Marktteilnehmern gegenübertretende Lauterkeitsrecht („Recht“) ist das Produkt aus dem „materiellen Recht im engeren Sinne“ (= §§ 3, 7) und der Rechtsdurchsetzung (= §§ 8 ff.).564 Das „Recht“ (im Sinne vom Ergebnis: „Was kommt hinten raus?“) verändert sich daher nicht nur, wenn die Unlauterkeitstatbestände selbst verschärft/abgemildert werden, sondern auch dann, wenn die Rechtsdurchsetzung verschärft/abgemildert wird.565 Das „Rechtsprodukt“ wird nicht nur größer, wenn (1) aus Furcht vor strengen Rechtsfolgen vorsichtshalber letztlich erlaubte Handlungen unterbleiben („chilling effect“), sondern auch wenn (2) verbotenes Verhalten weitreichend sanktioniert wird. Beim Unterlassungsanspruch geht es damit richtigerweise nicht um die Sanktionierung von „rechtswidrigem“ Verhalten, sondern um die optimale Austarierung des Rechts schlechthin. Während das Lauterkeitsrecht im engeren Sinne verhältnismäßig zu sein hat (vgl. Verhältnismäßigkeitsüberlegungen vermittelt durch Interessenabwägungen oder auch die Relevanzklauseln), gilt dies in gleicher Weise für die Rechtsdurchsetzung.566 Genauso wie die Frage, ob eine geschäftliche Handlung unzulässig ist, zahlreichen Interessenabwägungen unterliegt, bei der es auf Verhältnismäßigkeitsüberlegungen ankommen kann,567 darf auch der Unterlassungsanspruch kein Automatismus sein. In der Tat muss der Unterlassungsanspruch nicht immer die passende Rechtsfolge sein. 84 Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn dem Unterlassungsanspruch Strafcharakter zukommt (Rn. 13). Können im Falle eines Vertriebsstopps Aufwendungen nicht amortisiert werden, kann dies beim Unterlassungsschuldner mitunter zu erheblichen Schäden führen. Diese Rechtsfolge ist vor allem dann zu streng, wenn dem Unterlassungsschuldner nur leichte Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann.568 Auch bei Bagatellfällen kann ein Unterlassungsanspruch entbehrlich sein.569 Wird beispielsweise einer Informationspflicht leicht fahrlässig nicht nachgekommen und der Verstoß nach einem Hinweis sogleich abgestellt, besteht kein „Tenorierungsinteresse“, also kein Bedürfnis, über den Unterlassungsanspruch Zugang zu Beugemitteln zu bekommen, sei es in Form von § 890 ZPO oder außergerichtlich in Form einer Vertragsstrafe. 561 BGH 26.4.2007 – I ZR 34/05 – GRUR 2007, 995 Tz. 15 – Schuldnachfolge. 562 F. Hofmann in: Paal/Fries (Hrsg.), Smart Contracts, S. 125, 132, 140. 563 Köhler GRUR 1996, 82; F. Hofmann GRUR 2018, 21 ff.; ders. WRP 2018, 1; ders. ZUM 2018, 641, 647 ff.; ders. JuS 2018, 833, 837 f.

564 F. Hofmann in: Paal/Fries (Hrsg.), Smart Contracts, S. 125, 130 ff., 139 f. 565 F. Hofmann in: Paal/Fries (Hrsg.), Smart Contracts, S. 125, 130 ff., 139 f. 566 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.67; Köhler GRUR 1996, 82, 82, 89 ff.; zurückhaltender MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 116 f.

567 BGH 7.11.2002 – I ZR 276/99 – GRUR 2003, 628, 630 – Klosterbrauerei (Irreführungsverbot steht unter dem Vorbehalt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes). 568 Vgl. F. Hofmann NJW 2018, 1290. 569 Beispiele für Bagatellfälle im Referentenentwurf für ein Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs, S. 25 (https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_fairerWettbewerb.pdf?__blob= publicationFile&v=1): Abkürzung des Vornamens im Impressum einer Internetseite; Verwendung der Angabe „2 Wochen“ statt „14 Tage“ in der Widerrufsbelehrung; fehlende Platzierung eines Links zur Europäischen Plattform zur Online-Streitbeilegung. Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

§8

Unterschiedliche Verletzertypen rechtfertigen unterschiedliche Sanktionierung. Verletzer, die Wettbewerbsverstöße fortgesetzt, absichtlich und mit Verschleierungsabsicht etc. begehen, dürfen nicht mit unkundigen Verletzern, die sich rechtmäßig verhalten wollen, aber mit Blick auf die Anforderungen des Wettbewerbsrechts letztlich nicht zu vermeidende Fehler begehen etc., in einen Topf geworfen werden. Denkbar ist dabei neben Aufbrauchs- oder Umstellungsfristen auch ein Ausschluss des Unterlassungsanspruchs nach § 275 Abs. 2 BGB wegen Unzumutbarkeit.570 Die Ebene der Rechtsdurchsetzung ist dogmatisch der richtige Ort, um hier feinzusteuern. 85 Es bestehen unterschiedliche Möglichkeiten: (1) Denkbar ist, dass von vornherein die Begehungsgefahr verneint wird; (2) der Unterlassungsanspruch kann temporär ausgeschlossen werden (Rn. 86 ff.); (3) auch über Kostentragungslasten für die Abmahnkosten kann der Rechtsfolge Unterlassen die Schärfe genommen werden (Rn. 49).571 Allen Fällen liegt der Gedanke differenzierter Rechtsdurchsetzung zu Grunde.572 Denkbar ist damit, dass trotz Wettbewerbsverstoßes der Unterlassungsanspruch, nicht aber beispielsweise der Schadensersatzanspruch, ausgeschlossen ist (Rn. 91). Damit ist zugleich der Vorwurf entkräftet, ohne den Unterlassungsanspruch bestünde das Lauterkeitsrecht nur auf dem Papier. Auch das Unionsrecht fordert ausweislich von Art. 3 Abs. 2 Enforcement-RL, dass Rechtsbehelfe verhältnismäßig sein müssen. Dass sich dahinter ein verallgemeinerungsfähiger Gedanke findet,573 zeigt nicht zuletzt die Geschäftsgeheimnis-RL (RL (EU) 2016/943) mit Art. 7 (vgl. § 9 GeschGehG).574

bb) Aufbrauchs-, Beseitigungs- und Umstellungsfrist (1) Grundlagen. Unter einer Aufbrauchfrist (auch Umstellungs- oder Beseitigungsfrist)575 wird der 86 temporäre Ausschluss des Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruchs verstanden.576 Der Schuldner erhält einen gewissen Überlegungs-, Reaktions- und Organisationszeitraum, um auf das Unterlassungsgebot zu reagieren.577 Damit hat der Verletzer die Chance, bereits produzierte oder erworbene rechtsverletzende Produkte noch abzuverkaufen, Werbemittel, Geschäftspapiere etc. aufzubrauchen (Aufbrauchfrist) oder aber auch einen Puffer, um die Produktion oder den Vertrieb rechtskonform umzustellen (Umstellungsfrist).578 Aufbrauchfristen sind im Lauterkeitsrecht,579

570 MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 145; zur Dogmatik der Verhältnismäßigkeit von Unterlassungsansprüchen Stierle GRUR 2019, 873, 880 ff. 571 § 13 Abs. 4; vgl. BTDrucks. 19/12084 und BTDrucks. 19/22238. 572 Zur Rechtsfolgendifferenzierung als Rechtsprinzip F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 462 ff. 573 Ohly GRUR Int. 2008, 787, 798; BGH 10.5.2016 – X ZR 114/13 – GRUR 2016, 1031 Tz. 50 – Wärmetauscher; a. A. Stierle Das nicht-praktizierte Patent (2018) S. 302 ff, 304 ff. 574 Vgl. zu einer Reform des § 139 PatG (Einfügung eines Verhältnismäßigkeitsvorbehalts) https://www.bmjv.de/ SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/DiskE_2_PatMoG.pdf;jsessionid=9E5F319DD3FF7D94613F76F41F 5B15EA.2_cid297?__blob=publicationFile&v=1 (Zweites Gesetz zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts). 575 BGH 24.9.2013 – I ZR 89/12 – GRUR 2013, 1254 Tz. 44 – Matratzen Factory Outlet; BGH 15.4.1966 – Ib ZR 85/ 64 – GRUR 1966, 495, 498 – Uniplast; BGH 10.5.1974 – I ZR 80/73 – GRUR 1974, 735, 737 – Pharmamedan. 576 Überblick bei MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 116 ff.; zu Aufbrauchfristen bei Beseitigungsansprüchen Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 17; grundlegend J. B. Nordemann ZGE 2019, 309. 577 OLG Saarbrücken 30.11.2007 – 1 W 193/07 – GRUR-RR 2008, 176, 177 – zugelassen am OLG und LG. 578 Köhler GRUR 1998, 82, 89; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 44; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 118. 579 BGH 25.1.1990 – I ZR 19/87 – GRUR 1990, 522, 528 – HBV-Familien- und Wohnungsrechtsschutz; BGH 18.12.1981 – I ZR 34/80 – GRUR 1982, 425, 431 – Brillen-Selbstabgabestellen; BGH 16.11.1973 – I ZR 98/72 – GRUR 1974, 474, 476 – Großhandelshaus; BGH 15.4.1966 – Ib ZR 85/64 – GRUR 1966, 495, 498 – Uniplast; BGH 19.2.1957 – I ZR 13/55 – GRUR 1957, 488, 491 – MHZ; aus dem Schrifttum Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 38 ff.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.88 ff. 67

Hofmann

§8

Beseitigung und Unterlassung

Markenrecht,580 Urheberrecht (trotz § 100 UrhG)581 und mittlerweile auch im Patentrecht582 (im Grundsatz) anerkannt.583 Selbst im Produkthaftungsrecht ist anerkannt, dass die infolge von Produktbeobachtungspflichten gewonnen Erkenntnisse nur unter Gewährung einer gewissen Karenzzeit umzusetzen sind.584 Aufbrauchfristen sind Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, auch auf der Rechtsdurchsetzungsebene (Rn. 85) eine wichtige Rolle spielt.585 Die Einräumung einer Aufbrauchfrist, die wie ausgeführt der Überbrückung des für Umstellungs- und Beseitigungsmaßnahmen benötigten Zeitraums dienen soll, kann im Einzelfall geboten sein, wenn die sofortige Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs auch unter Berücksichtigung der Gläubiger- und Allgemeininteressen gegenüber dem Verletzer eine unverhältnismäßige nicht gerechtfertigte Härte darstellte und daher treuwidrig wäre.586 Dem Unterlassungsanspruch wird die Schärfe genommen; unbillige Härten des sofortigen Unterlassungsgebots können darüber abgemildert werden.587 Es handelt sich um eine Frage des materiellen Rechts.588 Der Ausschluss des Unterlas87 sungsanspruchs ist keine „Rechtswohltat“ des Gerichts,589 sondern eine Frage der Reichweite des Unterlassungsanspruchs. Dessen Reichweite folgt unmittelbar aus dem materiellen Recht (im weiteren Sinne). Konsequenterweise steht die „Gewähr“ einer Aufbrauchfrist auch nicht im „Ermessen“ des Gerichts.590 Das Gericht spricht eine solche nicht konstitutiv zu, sondern stellt deren Voraussetzungen lediglich fest. Ob ein Anspruch entstanden ist und wie weit ein solcher reicht, entscheidet auch bei (komplexen) Interessenabwägungen das materielle Recht selbst. Anders als im anglo-amerikanischen Rechtsraum, wo Gerichten beim Zuspruch von remedies eine aktive Rolle zukommt, ist eine Gerichtsentscheidung im Anspruchssystem letztlich deklaratorischer Natur.591 Statt von Ermessen sollte daher präziser von einer Interessenabwägung gesprochen werden, auf deren Basis sich entscheidet, ob der materiell-rechtliche Unterlassungsanspruch als Rechtsdurchsetzungsinstrument temporär nicht entsteht.592 Die Ansicht, es handele sich um eine „prozessuale Maßnahme“, ist daher entschieden abzulehnen.593 Maßgeblich ist schließlich die Interessenabwägung im Einzelfall, nicht hingegen die generelle Maxime, dass Aufbrauchfristen nur ausnahmsweise oder nicht zu großzügig zugesprochen werden sollten.594

580 Fezer Markenrecht (2009) § 14 Rn. 1012 f. 581 Fromm/Nordemann/J. B. Nordemann Urheberrecht (2018) § 97 Rn. 53 f.; Schricker/Loewenheim/Wimmers § 97 Rn. 338; LG Hamburg 28.10.2011 – 308 O 23/11 – ZUM 2012, 345. 582 BGH 10.5.2016 – X ZR 114/13 – GRUR 2016, 1031 Tz. 40 ff. – Wärmetauscher; Osterrieth FS Fezer (2016) S. 1035, 1042 ff. 583 Vgl. zur Problematik jüngst Osterrieth FS Fezer (2016) S. 1035; Wünsche InTer 2014, 247; vgl. zu einer gesetzlichen Anerkennung als Übergangsregelung Art. 5 § 1 Arzneimittelneuordnungsgesetz. 584 MünchKommBGB/Wagner § 823 Rn. 997; BGH 27.9.1994 – VI ZR 150/93 – NJW 1994, 3349, 3350 f. 585 Köhler GRUR 1996, 82 (Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei „der Feststellung der Rechtsfolgen einer Verletzung“). 586 BGH 10.5.2016 – X ZR 114/13 – GRUR 2016, 1031 Tz. 41 – Wärmetauscher; BGH 29.3.2007 – I ZR 122/04 – GRUR 2007, 1079 Tz. 40 – Bundesdruckerei. 587 BGH 20.1.1961 – I ZR 110/59 – GRUR 1961, 283 – Mon Chéri. 588 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.89; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 39; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 121; Köhler GRUR 1996, 82, 90; Berlit WRP 1998, 250, 251 („materiell-rechtliche Anspruchsbeschränkung“); a. A. Harte/ Henning/Brüning Vorb zu § 12 Rn. 236. 589 Köhler GRUR 1996, 82, 90; so aber BGH 10.5.1974 – I ZR 80/73 – GRUR 1974, 735, 737 – Pharmamedan. 590 Köhler GRUR 1996, 82, 90; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.96; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 45; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 139. 591 F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 51 ff., 83 f.; ders. JuS 2018, 833, 835; mit Blick auf die Aufbrauchfrist MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 121. 592 F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 47 f., 110 f., 115, 130 f. ders. WRP 2018, 1, 6; Fromm/Nordemann/J. B. Nordemann Urheberrecht (2018) § 97 Rn. 54. 593 BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563, 567 – Sektwerbung; Harte/Henning/Brüning Vorb zu § 12 Rn. 236 („prozessuale[r] Vollstreckungsaufschub“). 594 Vgl. aber Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 21. Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

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(2) Rechtsgrundlage. Als Rechtsgrundlage soll § 242 BGB fungieren.595 Manche verweisen auf 88 § 275 Abs. 2 BGB.596 Jedenfalls sind Aufbrauchfristen gewohnheitsrechtlich anerkannt. Blickt man tiefer, steht dahinter der Gedanke der Rechtsfolgendifferenzierung.597 Analysiert man Rechtsregeln, die sich im weitesten Sinne mit Fragen der Rechtsdurchsetzung befassen, zeigt sich, dass Rechte unter dem Ausgleich widerstreitender Interessen verwirklicht werden. Aufbrauchfristen können damit auf dieses allgemeine Rechtsprinzip gestützt werden,598 das auch im Unionsrecht eine Stütze findet (Art. 3 Abs. 2 Enforcement-RL; Art. 7 GeschäftsgeheimnisRL; s. a. Art. 130 Unionsmarkenverordnung). Der Ausschluss des Unterlassungsanspruchs ist keine systemwidrige Ausnahme, sondern im Rechtsfolgensystem angelegt.599 Dass Aufbrauchfristen nur unter engen Voraussetzungen zu gewähren seien,600 überzeugt daher für sich genommen nicht. Es kommt vielmehr ausschließlich darauf an, ob im Ergebnis eine interessengerechte Rechtsdurchsetzung erzielt wird. Umgekehrt heißt dies freilich nicht, dass der Unterlassungsanspruch in jedem Einzelfall besonders begründungsbedürftig wäre. Vielmehr wird die Durchsetzung des Lauterkeitsrechts mittels Unterlassungsanspruch den betroffenen Interessen regelmäßig am besten gerecht.

(3) Voraussetzungen. Raum für Aufbrauchfristen ist, wenn der unterlassungspflichtigen Partei 89 für den Fall der sofortigen Durchführung des erkannten Verbots unverhältnismäßige Nachteile erwachsen würden und umgekehrt die befristete Fortsetzung des angegriffenen Verhaltens für den Verletzten keine unzumutbaren Beeinträchtigungen mit sich bringt,601 also außer Verhältnis zur Bedeutung der vorübergehenden Aussetzung der Durchsetzung stehen würde.602 Damit der Unterlassungsanspruch temporär ausgeschlossen ist, bedarf es also einer umfassenden Interessenabwägung.603 Es ist zu fragen,604 ob der Eingriff in die wettbewerblichen Belange der Allgemeinheit605 und der Mitbewerber nicht derart ist, dass der derzeitige Zustand nicht auch noch für eine verhältnismäßig kurze weitere Frist hingenommen werden könnte.606 Die Schwere und Dauer des Verstoßes und der Grad der Betroffenheit der Mitbewerber oder der Verbraucher müssen gegen das Gewicht der Nachteile, die ein Sofortvollzug zulasten des Verletzers mit sich bringt, abgewogen werden.607 Wird beispielsweise eine einzelne Anzeige in einem dicken Katalog beanstandet (Ver-

595 BGH 29.3.2007 – I ZR 122/04 – GRUR 2007, 1079 Tz. 40 – Bundesdruckerei; BGH 18.12.1981 – I ZR 34/80 – GRUR 1982, 425, 431 – Brillen-Selbstabgabestellen; BGH 16.11.1973 – I ZR 98/72 – GRUR 1974, 474, 476 – Großhandelshaus; Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 18. 596 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 39; vgl. ders. GRUR Int. 2008, 787, 795 f.; ablehnend MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 121; problematisch ist, dass sich in diesem Fall der Schuldner auf § 275 Abs. 2 BGB berufen müsste, vgl. auch Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 88; früher wurde zudem vereinzelt § 765a ZPO bemüht, Pastor GRUR 1964, 245, 247 f.; dagegen Ulrich GRUR 1991, 26, 27 f. 597 F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 462 ff.; für unmittelbare Heranziehung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Köhler GRUR 1996, 82, 90. 598 F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 462 ff., 472. 599 F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 247 f., 482 f. 600 BGH 10.5.2016 – X ZR 114/13 – GRUR 2016, 1031 Tz. 44 – Wärmetauscher. 601 BGH 29.3.2007 – I ZR 122/04 – GRUR 2007, 1079 Tz. 40 – Bundesdruckerei; BGH 18.12.1981 – I ZR 34/80 – GRUR 1982, 425, 431 – Brillen-Selbstabgabestellen; BGH 16.11.1973 – I ZR 98/72 – GRUR 1974, 474, 476 – Großhandelshaus. 602 BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563, 567 – Sektwerbung. 603 MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 122 ff. 604 Vgl. zu Abwägungsfaktoren Berlit WRP 1998, 250, 254 f.; Osterrieth FS Fezer (2016) S. 1035, 1037 f. 605 Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 17; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 130 ff.; ob öffentliche Interessen auch im Patentrecht eine Rolle spielen, ist allerdings fraglich, da es dort um ein subjektives Recht, hier um nach § 1 auch die Allgemeinheit schützende Handlungsverbote geht. 606 BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563, 567 – Sektwerbung. 607 OLG Frankfurt a. M. 16.1.2020 – 6 W 116/19 – GRUR-RR 2020, 167 Tz. 26 – Haarstylinggeräte. 69

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Beseitigung und Unterlassung

letzung in komplexem Erzeugnis), kann dessen Verbreitung jedenfalls dann verhältnismäßig sein, wenn ein entsprechender Hinweis beigelegt wird.608 Auch mag das Interesse der Allgemeinheit an der Auslieferung eines aktuellen Printprodukts überwiegen.609 Umgekehrt kann der Verbraucherschutz gegen eine Aufbrauchfrist sprechen.610 Besonderes Gewicht hat auch der Grad des Verschuldens („Bösgläubigkeit“).611 Vorsatz und regelmäßig auch grobe Fahrlässigkeit sprechen gegen die Gewähr einer Aufbrauchfrist.612 Zu berücksichtigen ist ferner, dass sich der Anspruchsgegner bei einer erstinstanzlichen Verurteilung auf einen ungünstigen Ausgang des Rechtsstreits insgesamt einstellen kann.613 Ähnlich ist die Schutzwürdigkeit des Schuldners im Falle einer für ihn von vorneherein sehr zweifelhaften Rechtslage geringer.614 Umgekehrt kann eine unerwartete Verbotsverfügung für eine Aufbrauchfrist sprechen.615 Die Klageerhebung allein ist für den Schuldner hingegen kein Anlass, sich auf die Folgen eines möglichen Verbots einzustellen.616 Ein Obsiegen in der zweiten Instanz wiederum kann zugunsten des Unterlassungsschuldners berücksichtigt werden.617 Im Patentrecht meint der BGH jedoch, dass der Umstand, dass Instanzgerichte eine Patentverletzung verneint haben, jedenfalls für sich genommen nicht rechtfertige, die Wirkung ihrer Entscheidungen für die Zeit nach Verkündung des anderslautenden Revisionsurteils durch Gewährung einer Aufbrauchfrist zu perpetuieren.618 In die Interessenabwägung kann schließlich einbezogen werden, ob die Zumutbarkeit dadurch erreicht werden kann, dass für eventuelle Schadensersatzansprüche (Rn. 91) Sicherheit geleistet wird.619 Kritiker von Aufbrauchfristen sehen allein in der Dauer des Hauptsacheverfahrens der Sache nach eine Aufbrauchfrist, so dass weitergehende Fristen falsche Anreize zu intensiverem rechtsverletzendem Verhalten setzen würden.620

90 (4) Dauer. Die Dauer ist abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls. Die Aufbrauchfrist wird häufig zwischen drei und sechs Monaten liegen.621 Der Lauf der Frist beginnt ab Urteilsverkündung, nicht erst ab Rechtskraft.622 Auch wenn die Abwägung praktisch schwer vorhersehbar ist, handelt es sich auch hierbei nicht um eine Frage richterlichen Ermessens.623 Beispiel: Mit Blick auf ein für die Außendarstellung weitreichendes Verbot,

608 Köhler GRUR 1996, 82, 91. 609 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.95; Lindacher WRP 1987, 585, 587; Henning-Bodewig GRUR 1981, 867, 872; Köhler GRUR 1996, 82, 91.

610 J. B. Nordemann ZGE 2019, 309, 315 f.; vgl. OLG Düsseldorf 2.8.2018 – 15 U 21/18 – GRUR-RS 2018, 28563 Tz. 50 – Cannabis-Extrakt. 611 OLG Karlsruhe 26.6.2008 – 4 U 187/07 – GRUR-RR 2008, 407, 410 – Strom aus Kraft-Wärme-Kopplung. 612 BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563, 567 – Sektwerbung. 613 BGH 16.11.1973 – I ZR 98/72 – GRUR 1974, 474, 476 – Großhandelshaus. 614 BGH 18.12.1981 – I ZR 34/80 – GRUR 1982, 425, 431 – Brillen-Selbstabgabestellen. 615 Fromm/Nordemann/J. B. Nordemann Urheberrecht (2018) § 97 Rn. 54. 616 BGH 29.3.2007 – I ZR 122/04 – GRUR 2007, 1079 Tz. 40 – Bundesdruckerei; vgl. auch J. B. Nordemann ZGE 2019, 309, 317 f. 617 BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563, 567 – Sektwerbung. 618 BGH 10.5.2016 – X ZR 114/13 – GRUR 2016, 1031 Tz. 53 – Wärmetauscher; BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563, 567 – Sektwerbung; kritisch J. B. Nordemann ZGE 2019, 309, 317 f. 619 Vgl. Köhler GRUR 1996, 82, 90; Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 21. 620 Ingerl/Rohnke MarkenG (2010) Vor §§ 14–19d Rn. 385; a. A. J. B. Nordemann ZGE 2019, 309, 317. 621 BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563, 567 – Sektwerbung (vier Monate); BGH 18.12.1981 – I ZR 34/ 80 – GRUR 1982, 425, 431 – Brillen-Selbstabgabestellen (sechs Monate); BGH 14.3.1985 – I ZR 66/83 – GRUR 1985, 930, 932 – JUS-Steuerberatungsgesellschaft (neun Monate); BGH 25.1.1990 – I ZR 19/87 – GRUR 1990, 522, 528 – HBV-Familien- und Wohnungsrechtsschutz (rund ein Jahr). 622 OLG Karlsruhe 10.4.1991 – 6 U 164/90 – GRUR 1991, 619, 621 – Erbenermittlung. 623 So aber Osterrieth FS Fezer (2016) S. 1035, 1040. Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

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mit den Begriffen „Matratzen Factory Outlet“ und „Matratzen Outlet“ zu werben, erscheint eine auf sechs Monate nach Zustellung des Revisionsurteils erweiterte Umstellungsfrist geboten, aber auch ausreichend, um ihren Werbeauftritt den Unterlassungsgeboten anzupassen.624

(5) Wirkung. Besteht eine Aufbrauchfrist, bedeutet dies nicht, dass der Schuldner gleichsam ei- 91 nen Freibrief erhält. Zulässig ist regelmäßig nur der Aufbrauch bereits vorhandener Produkte oder Werbematerialien. Abhängig von den Umständen des Einzelfalls kann auch Zeit gewährt werden, um die Produktion umzustellen.625 Eine Erlaubnis, nach der Rechtskraft des Unterlassungsurteils neue, dieses Urteil verletzende, Werbeschriften erst herstellen und neu verbreiten zu lassen, ist allerdings jenseits von Fällen, in denen gerade die Härte in den Kosten der Umstellung der Produktion besteht, von der Aufbrauchfrist nicht umfasst.626 Denkbar ist auch Zeit für die Abwicklung von Verträgen, die Löschung einer Firma einschließlich etwaiger Benachrichtigungen von Geschäftspartnern.627 Der Unterlassungsanspruch besteht nur temporär nicht.628 Durch die Aufbrauchfrist wird weiter lediglich der Unterlassungsanspruch ausgeschlossen. Schadensersatzund Auskunftsansprüche bleiben auch für den Zeitraum der Aufbrauchfrist unberührt.629 Da ein Schaden im Lauterkeitsrecht schwer zu beweisen ist, überzeugt davon unberührt die Ansicht, in Analogie zu § 251 Abs. 2 S. 1 BGB (alternativ: §§ 904 S. 2, 906 Abs. 2 S. 2 BGB oder auch § 285 BGB)630 einen Entschädigungsanspruch zu gewähren.631 Die Entschädigung erscheint als Substitut des Unterlassungsanspruchs (damages in lieu of an injunction).632 Unterstützung findet dieser Gedanke (ökonomisch: reverse liability rule) in Art. 13 Abs. 3 Geschäftsgeheimnis-RL. Ob das Handeln des Verletzers rechtmäßig oder rechtswidrig ist,633 trifft nicht den Kern des Problems. Entscheidend ist indes, dass ein begangener Wettbewerbsverstoß (materielles Recht im engeren Sinne) differenziert sanktioniert wird.634 Vor dem Hintergrund dieses Gedankens erscheint es unproblematisch, dass Schadens- bzw. Entschädigungsansprüche bestehen, aber keine Unterlassungsansprüche. Klar ist darüber hinaus, dass eine Handlung, die während des Laufs der Aufbrauchfrist begangen wird, keine Vermutung einer Wiederholungsgefahr für den Zeitraum nach Ablauf der Aufbrauchfrist begründet.635 Die Wiederholungsgefahr erlischt auch dann, wenn der Schuldner – im Einklang mit der materiellen Rechtslage – eine Unterwerfung mit dem Vorbehalt einer Aufbrauchfrist abgibt (Rn. 43).636 Eine Vertragsstrafe wird während des Laufs der Aufbrauchfrist trotz

624 625 626 627 628 629

BGH 24.9.2013 – I ZR 89/12 – GRUR 2013, 1254 Tz. 44 – Matratzen Factory Outlet. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 44. BGH 16.11.1973 – I ZR 98/72 – GRUR 1974, 474, 476 – Großhandelshaus. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 44. Fritzsche S. 243 und S. 357, diskutiert dies als eine Frage der Fälligkeit, § 271 BGB. BGH 11.3.1982 – I ZR 58/80 – GRUR 1982, 420, 423 – BBC/DDC; BGH 10.5.1974 – I ZR 80/73 – GRUR 1974, 735, 737 – Pharmamedan; BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563, 567 – Sektwerbung; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.90; Köhler GRUR 1996, 82, 90; a. A. Spätgens WRP 1994, 693, 695. 630 Wünsche S. 131 ff. (Rückgriff auf den Rechtsgedanken aus § 285 BGB: Es soll pauschal ein Drittel des dem Unterlassungsschuldner drohenden Gesamtschadens an den Gläubiger herauszugeben sein, Wünsche S. 134). 631 Köhler GRUR 1996, 82, 91, 92; ähnlich Wünsche S. 128 ff., 131 ff.; vgl. auch Stierle GRUR 2019, 873, 880 ff. 632 F. Hofmann WRP 2018, 1, 6 f.; vgl. Paschold Verfahrensprinzipien des Einheitlichen Patentgerichts, Münchener Dissertationsschrift, Teil 3, § 2 B. IV. 633 Für Rechtswidrigkeit: BGH 10.5.1974 – I ZR 80/73 – GRUR 1974, 735, 737 – Pharmamedan; Köhler GRUR 1996, 82, 90; Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 18; dagegen Spätgens WRP 1994, 693, 695. 634 Zum Gedanken differenzierter Rechtsdurchsetzung als Rechtsprinzip F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 462 ff. 635 Vgl. OLG Frankfurt 21.7.2015 – 6 W 71/15 – WRP 2015, 1258, 1259. 636 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 47; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 168; Berlit WRP 1998, 250, 252; J. B. Nordemann ZGE 2019, 309, 313 f. 71

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§8

Beseitigung und Unterlassung

Zuwiderhandlung nicht verwirkt.637 Soweit dem Unterlassungsschuldner in einem Vergleich das Recht eingeräumt wurde, die markenrechtswidrig gekennzeichneten Produkte innerhalb einer Aufbrauchfrist abzuverkaufen, so ist er nach Fristablauf nicht verpflichtet, die Produkte zurückzurufen.638 Zwar werden bei der Gewähr der Aufbrauchfrist potenzielle Rückrufverpflichtungen (Rn. 73 ff.) zu berücksichtigen sein. Es wäre aber widersprüchlich, dem Verletzer den Abverkauf zu gestatten und ihn gleichzeitig zum Rückruf anzuhalten. Gerade bei leicht verderblicher Ware darf aber angenommen werden, dass die Ware innerhalb der Aufbrauchfrist ohnehin komplett vom Markt verschwindet.

92 (6) Verfahrensfragen. Da es bei der Aufbrauchfrist um die Frage der Reichweite des Unterlassungsanspruchs geht, bedarf es keines expliziten Antrags.639 Erforderlich ist allerdings ein substantiierter Sachvortrag des Unterlassungsschuldners, der das Interesse an einer Aufbrauchfrist erkennen lässt.640 Anzugeben ist beispielsweise die Menge des noch vorhandenen, mit der widerrechtlichen Kennzeichnung versehenen Werbematerials oder die Darstellung etwaiger besonders großer Schwierigkeiten bei einer sofortigen Umstellung der Werbung.641 Nach den allgemeinen Regeln obliegt es demjenigen, Tatsachen zu behaupten und zu beweisen, aus denen sich die ihm günstige Rechtsfolge (= Einräumung einer Aufbrauchfrist) herleiten lässt.642 Bei der Aufbrauchfrist handelt es sich um eine dilatorische Einwendung, nicht um eine Einrede.643 Die Gewährung einer Aufbrauchfrist kommt auch noch in der Revisionsinstanz in Betracht.644 Voraussetzung ist, dass die relevanten Tatsachen unstreitig sind oder in der Tatsacheninstanz festgestellt wurden.645 Dem ist zuzustimmen, handelt es sich doch dabei um eine Frage des materiellen Rechts (im weiteren Sinne), nämlich um die Frage des vom materiellen Recht vorgezeichneten Umfangs des Unterlassungsanspruchs. In der Sache wird dieser vom (Revisions-) Gericht auch bei einer Leistungsklage festgestellt. 93 Beantragt der Kläger, den Beklagten ohne Einschränkungen zum Unterlassen zu verurteilen, besteht der Unterlassungsanspruch aber nur unter dem Vorbehalt einer Aufbrauchfrist, ist die Klage teilweise abzuweisen.646 Der Unterlassungskläger bekommt weniger zugesprochen, als er beantragt hat.647 Abhängig vom Umfang der Aufbrauchfrist kann dies bei der Kostentragungslast zu berücksichtigen sein (vgl. § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).648 Mangels richterlichen Ermes-

637 BGH 3.4.2014 – I ZB 3/12 – GRUR 2014, 909 Tz. 15 – Ordnungsmittelandrohung nach Prozessvergleich. 638 OLG Köln 12.10.2018 – 6 U 34/18 – GRUR 2019, 176 – Herr Antje. 639 BGH 14.3.1985 – I ZR 66/83 – GRUR 1985, 930, 932 – JUS-Steuerberatungsgesellschaft; BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563, 567 – Sektwerbung; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.96.

640 BGH 11.3.1982 – I ZR 58/80 – GRUR 1982, 420, 423 – BBC/DDC; BGH 20.1.1961 – I ZR 110/59 – GRUR 1961, 283 – Mon Chéri. 641 BGH 20.1.1961 – I ZR 110/59 – GRUR 1961, 283 – Mon Chéri. 642 BGH 20.1.1961 – I ZR 110/59 – GRUR 1961, 283 – Mon Chéri. 643 Wendet man § 275 Abs. 2 BGB an, wäre eine Einrede gegeben, Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 45; vgl. Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 18. 644 BGH 18.12.1981 – I ZR 34/80 – GRUR 1982, 425, 431 – Brillen-Selbstabgabestellen. 645 BGH 16.11.1973 – I ZR 98/72 – GRUR 1974, 474, 476 – Großhandelshaus; BGH 15.4.1966 – Ib ZR 85/64 – GRUR 1966, 495, 498 – Uniplast. 646 Ulrich GRUR 1991, 26, 27; Osterrieth FS Fezer (2016) S. 1035, 1040; Ahrens/Bähr Kap. 38 Rn. 19; a. A. Harte/ Henning/Brüning Vorb zu § 12 Rn. 236. 647 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.96 („das Unterlassungsgebot mit Aufbrauchfrist ist in dem uneingeschränkten Unterlassungsantrag als ein Minus enthalten“); vgl. BGH 10.5.1974 – I ZR 80/73 – GRUR 1974, 735, 737 – Pharmamedan („Eine Aufbrauchs-, Umstellungs- oder Beseitigungsfrist ist eine gegenüber dem fristlosen Unterlassungsgebot mildere Art der Verurteilung“). 648 Vgl. Köhler GRUR 1996, 82, 91; gegen Kostentragung Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 166; Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 93; Harte/Henning/Brüning Vorb zu § 12 Rn. 236 und Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 141, jedenfalls wegen § 92 Abs. 2 ZPO. Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

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sens ist § 92 Abs. 2 Nr. 2 ZPO aber nicht anwendbar. Im einstweiligen Rechtsschutz bestehen überzeugenderweise keine Besonderheiten.649 Wegen des Zeitmoments – der Schuldner kann durch den Unterlassungsanspruch regelrecht überrascht werden – kann gerade hier die Interessenabwägung zugunsten des Verletzers ausfallen.650

III. Vertraglicher Unterlassungsanspruch 1. Allgemeines a) Leistungsunterlassungsansprüche. Wegen der Vertragsfreiheit kann eine Vereinba- 94 rung grundsätzlich zum Inhalt haben, dass der Schuldner etwas unterlässt. Neben den für jedermann geltenden gesetzlichen Verboten können sich Vertragsparteien vorbehaltlich der allgemeinen, namentlich aus §§ 134, 138 BGB folgenden Grenzen oder kartellrechtlichen Beschränkungen (Art. 101 AEUV, § 1 GWB),651 gleichsam ihre eigene Rechtsordnung schaffen. Auch die Verdoppelung gesetzlicher Unterlassungspflichten durch vertragliche Vereinbarung ist zulässig.652 Praktisch kann auf diese Weise außergerichtlich der Streit um die Reichweite einer gesetzlichen Verpflichtung beigelegt und die Durchsetzung des gesetzlichen Verbots über eine Unterlassungsvereinbarung mit Vertragsstrafenklausel verbessert werden.653 § 241 Abs. 1 S. 2 BGB erkennt auf ein Unterlassen gerichtete Leistungspflichten ausdrücklich an.654 Vereinbarungen, durch die der Schuldner verspricht, etwas nicht zu tun, werden als Leistungsunterlassungsansprüche bezeichnet.655 Die Rede ist von primären Unterlassungspflichten.656 Das Unterlassen kann entweder Hauptleistungspflicht sein (Beispiel: „strafbewehrte Unterwerfungen“;657 Abgrenzungsvereinbarungen) oder eine Nebenleistungspflicht betreffen (Beispiel: Verbot der Weitergabe eines erworbenen E-Books).658 Wegen des Grundsatzes der Naturalerfüllung kann die Vereinbarung unmittelbar durchgesetzt werden.659 Anspruchsgrundlage ist nicht der verschuldensabhängige § 280 BGB,660 sondern § 241 Abs. 1. S. 2 BGB i. V. m. der vertraglichen Abrede.661 Während die vertragliche Vereinbarung mit Vertragsschluss entsteht, ist die Geltendmachung des davon zu unterscheidenden

649 OLG Frankfurt a. M. 16.1.2020 – 6 W 116/19 – GRUR-RR 2020, 167 Tz. 29 – Haarstylinggeräte; zustimmend Zöllner GRUR-Prax 2020, 219. 650 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.92 und Rn. 1.98; Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 94; Berlit WRP 1998, 250, 251 f.; J. B. Nordemann ZGE 2019, 309, 313. 651 Vgl. BGH 15.12.2015 – KZR 92/13 – GRUR 2016, 849 Tz. 23 – Pelican/Pelikan; BGH 22.5.1975 – KZR 9/74 – GRUR 1976, 323 – Thermalquelle. 652 Vgl. BGH 15.12.2015 – KZR 92/13 – GRUR 2016, 849 Tz. 23 – Pelican/Pelikan; BGH 22.5.1975 – KZR 9/74 – GRUR 1976, 323 – Thermalquelle; Medicus/Lorenz Schuldrecht I AT (2015) § 1 Rn. 4. 653 Medicus/Lorenz Schuldrecht I AT (2015) § 1 Rn. 4. 654 S. a. § 339 S. 2 BGB, § 345 BGB. 655 Köhler JZ 2005, 489, 491. 656 MünchKommBGB/Bachmann (2019) § 241 Rn. 20. 657 Dazu ausführlich Ahrens/Achilles Kap. 8. 658 Weitere Beispiele vgl. Köhler AcP 190 (1990), 496, 498, 500 ff. 659 Prütting/Wegen/Weinreich//Kramme BGB (2020) § 241 Rn. 23. 660 Unzutreffend BGH 11.9.2008 – I ZR 74/06 – GRUR 2009, 173 Tz. 17 – bundesligakarten.de; BGH 6.12.2004 – I ZR 69/02 – GRUR 2005, 517, 518 – Literaturhaus („im Wege des Schadensersatzes die begehrte Unterlassung [beanspruchen]“); BGH 20.12.2018 – I ZR 104/17 – GRUR 2019, 284 Tz. 71 ff. – Museumsfotos; noch zum alten Schuldrecht BGH 12.7.1995 – I ZR 176/93 – GRUR 1995, 678, 680 – Kurze Verjährungsfrist („Ansprüche aus positiver Verletzung vertraglicher Unterwerfungserklärungen“). 661 F. Hofmann ZfIR 2019, 337. 73

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Beseitigung und Unterlassung

Unterlassungsanspruchs als Rechtsdurchsetzungsinstrument662 allerdings abhängig von Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr (str., Rn. 98).663

95 b) Unselbstständige Unterlassungsansprüche. Von Leistungsunterlassungsansprüchen werden unselbstständige Unterlassungsansprüche (sekundäre Unterlassungspflichten) abgegrenzt.664 Kennzeichnend ist, dass diese keinen eigenständigen Zweck verfolgen, sondern dem Schutz sonstiger Rechte (z. B. vertraglicher Leistungspflichten) oder Interessen dienen (vgl. § 241 Abs. 2 BGB).665 Unklar ist die Anspruchsgrundlage. Während der verschuldensabhängige § 280 BGB (i. V. m. § 249 Abs. 1 BGB) für Unterlassungsansprüche nicht passt,666 gilt § 1004 BGB ausschließlich für gesetzliche Unterlassungsansprüche. Man wird es aber als ungeschriebenen Grundsatz verstehen können, dass jede Rechtsposition auch gegen Angriffe verteidigt werden kann.667 Umstritten ist ferner die Klagbarkeit unselbstständiger Unterlassungspflichten.668 Liegt aber eine entsprechende Unterlassungspflicht vor (hierfür kann es auf eine Interessenabwägung ankommen), kann ein bei Begehungsgefahr entstehender Anspruch ohne Weiteres eingeklagt werden.669

2. Zustandekommen 96 Da im Wettbewerbsrecht wegen der Bedeutung strafbewehrter Unterlassungsvereinbarungen vor allem der vertragliche Leistungsunterlassungsanspruch von Bedeutung ist, konzentrieren sich die Ausführungen im Folgenden darauf. Die Vereinbarung von Unterlassungspflichten erfolgt durch die für Verträge geltenden Regelungen. Dies gilt auch für den für das Lauterkeitsrecht bedeutsamen strafbewehrten Unterlassungsvertrag.670 Der Gläubiger, der mit der Abmahnung die Abgabe einer bestimmten Unterlassungserklärung verlangt, macht dem Schuldner typischerweise ein Vertragsangebot gemäß § 145 BGB.671 Gibt der Schuldner diese Unterlassungserklärung ab, liegt darin die Annahmeerklärung. Weicht eine vom Schuldner formulierte Unterlassungserklärung von der vom Gläubiger geforderten Unterlassungserklärung ab, liegt darin eine Ablehnung des Angebots zum Abschluss eines strafbewehrten Unterlassungsvertrags und zugleich ein neues Angebot (§ 150

662 Auch Köhler JZ 2005, 489, 492, 496, will zwischen „dem ‚allgemeinen‘, durch den Vertragsschluss begründeten Unterlassungsanspruch und dem durch eine (tatsächliche oder drohende) Zuwiderhandlung begründeten ‚konkreten‘ Unterlassungsanspruch“ unterscheiden; ähnlich Borck NJW 1981, 2721 f.; Nosch S. 273; Ulrici AcP 216 (2016), 383; in diese Richtung BGH 12.7.1995 – I ZR 176/93 – GRUR 1995, 678, 679 f. – Kurze Verjährungsfrist. 663 Köhler JZ 2005, 489, 492 f.; Teplitzky (10. Aufl.) Kap. 51 Rn. 59 a. E. 664 MünchKommBGB/Bachmann (2019) § 241 Rn. 23; Köhler AcP 190 (1990), 496, 498, 503. 665 Palandt/Grüneberg (2021) § 241 Rn. 4. 666 Vgl. aber BAG 18.7.2013 – 6 AZR 47/12 – NZA 2013, 1440 Tz. 41; BGH 12.7.1995 – I ZR 176/93 – GRUR 1995, 678 – Kurze Verjährungsfrist; wie hier Prütting/Wegen/Weinreich/Kramme (2020) § 241 Rn. 23; Kurz JuS 2019, 986, 989. 667 Lobinger ZfA 2004, 201, 125; Picker AcP 183 (1983), 369, 512 ff., 513 f. 668 MünchKommBGB/Bachmann (2019) § 241 Rn. 24; Staudinger/Olzen (2019) § 241 Rn. 554 ff.; Teplitzky/Kessen Kap. 12 Rn. 7; gegen eine Beschränkung auf ein „Dulden und Liquidieren“ und für uneingeschränkte Durchsetzbarkeit der Schutzpflichten in Natur Prütting/Wegen/Weinreich/Kramme (2020) § 241 Rn. 24; differenzierend Köhler AcP 190 (1990), 496, 509 f.; Teplitzky/Schaub Kap. 1 Rn. 5. 669 Köhler JZ 2005, 489, 490 f.; vgl. zurückhaltender ders. AcP 190 (1990), 496, 503 ff., 508, 510 f. 670 BGH 4.5.2017 – I ZR 208/15 – GRUR 2017, 823 Tz. 12 – Luftentfeuchter; BGH 17.9.2009 – I ZR 217/07 – GRUR 2010, 355 Tz. 17 – Testfundstelle; BGH 18.5.2006 – I ZR 32/03 – GRUR 2006, 878 Tz. 14 – Vertragsstrafevereinbarung; BGH 25.4.2002 – I ZR 296/99 – GRUR 2002, 824 f. – Teilunterwerfung; vgl. Pokrant FS Erdmann (2002) S. 863, 867. 671 BGH 17.9.2009 – I ZR 217/07 – GRUR 2010, 355 Tz. 18 – Testfundstelle. Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

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Abs. 2 BGB).672 Auch bei einem Verzicht auf den Zugang der Annahmeerklärung ist ein nach außen hervortretendes Verhalten des Empfängers erforderlich, aus dem der Annahmewille unzweideutig hervorgeht.673 Das Angebot kann freilich auch vom Unterlassungsschuldner ausgehen.674 Da strafbewehrte Unterlassungsvereinbarungen zur Beilegung des gesetzlichen Unterlassungsanspruchs regelmäßig als abstrakte Schuldanerkenntnisse eingestuft werden (Rn. 40),675 sind die Formvorschriften zu beachten. Ist die Unterlassungsvereinbarung enger gefasst als ein gesetzlicher Unterlassungsanspruch, entfällt nicht die Wiederholungsgefahr; der vertragliche Anspruch ist gleichwohl wirksam begründet.676

3. Funktion des strafbewehrten Unterlassungsvertrags Der Unterlassungsvertrag infolge einer Abmahnung (§ 13 Abs. 1) bezweckt, den gesetzlichen Unter- 97 lassungsanspruch zu ersetzen. Die vertragliche Verpflichtung tritt in Form eines abstrakten Schuldanerkenntnisses im Wege der Schuldumschaffung an die Stelle des gesetzlichen Anspruchs; letz terer geht unter, da die Wiederholungsgefahr entfällt.677 Auch wenn die strafbewehrte Unterlassungsvereinbarung als schuldrechtlicher Vertrag daherkommt, handelt es sich funktional um Zwangsvollstreckungsrecht.678 Der Gläubiger möchte unter Vermeidung eines Rechtsstreits § 890 ZPO nachbilden; die Vertragsstrafevereinbarung ist hierzu ein Funktionsäquivalent. Überzeugenderweise ist diese Funktion – ohne gegenteilige Anhaltspunkte679 – ein wichtiger Auslegungsgesichtspunkt. Auch wenn sich die Auslegung eines Unterlassungsvertrags anerkanntermaßen nach den allgemeinen, für die Vertragsauslegung geltenden Grundsätzen richtet,680 können bei Zweifelsfragen Anleihen bei der Zwangsvollstreckung von Unterlassungsansprüchen über § 890 ZPO genommen werden (Rn. 39). Faktisch wird dies von der Rechtsprechung so gehandhabt.681 Die Auslegung einer auf die konkrete Verletzungshandlung Bezug nehmende Unterwerfungserklärung kann konsequenterweise ergeben, dass sich die Formulierung nicht nur auf identische, sondern auch auf alle Handlungen erstrecken soll, die gleichfalls das Charakteristische der verletzenden Handlung aufweisen.682 In diesem Sinne interpretiert der BGH eine Unterwerfungserklärung zudem dahingehend, dass im Sinne der Rechtsprechung zu Unterlassungstiteln aus der Unterwerfungsvereinbarung ebenfalls Rückrufspflichten folgen.683

672 BGH 4.5.2017 – I ZR 208/15 – GRUR 2017, 823 Tz. 12 – Luftentfeuchter; BGH 17.9.2009 – I ZR 217/07 – GRUR 2010, 355 Tz. 19 – Testfundstelle; BGH 18.5.2006 – I ZR 32/03 – GRUR 2006, 878 Tz. 15 – Vertragsstrafevereinbarung. 673 BGH 18.5.2006 – I ZR 32/03 – GRUR 2006, 878 Tz. 16 – Vertragsstrafevereinbarung. 674 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 50. 675 BGH 19.10.2016 – I ZR 93/15 – GRUR-RS 2016, 20396 Tz. 23 – Zuständigkeit bei Vertragsstrafeansprüchen; BGH 17.9.2009 – I ZR 217/07 – GRUR 2010, 355 Tz. 27 – Testfundstelle; BGH 12.7.1995 – I ZR 176/93 – GRUR 1995, 678, 679 – Kurze Verjährungsfrist („abstraktes Schuldversprechen“); BGH 5.3.1998 – I ZR 202/95 – GRUR 1998, 953, 954 – Altunterwerfung III. 676 Teplitzky/Kessen Kap. 12 Rn. 6. 677 BGH 19.10.2016 – I ZR 93/15 – GRUR-RS 2016, 20396 Tz. 23 – Zuständigkeit bei Vertragsstrafeansprüchen; BGH 5.3.1998 – I ZR 202/95 – GRUR 1998, 953, 954 – Altunterwerfung III; BGH 12.7.1995 – I ZR 176/93 – GRUR 1995, 678, 679 – Kurze Verjährungsfrist. 678 Zu Vollstreckungsvereinbarungen Heinze in: Dutta/Heinze (Hrsg.), Mehr Freiheit wagen (2018) S. 303, 325 ff. 679 Es steht den Parteien selbstredend frei, weitergehende Verpflichtungen einzugehen. 680 St. Rspr. BGH 13.11.2013 – I ZR 77/12 – GRUR 2014, 595 Tz. 28 – Vertragsstrafenklausel. 681 BGH 4.5.2017 – I ZR 208/15 – GRUR 2017, 823 Tz. 26 ff., 29 – Luftentfeuchter; BGH 8.5.2014 – I ZR 210/12 – GRUR 2014, 797 Tz. 28 – fishtailparka; BGH 9.11.1995 – I ZR 212/93 – GRUR 1996, 290, 291 – Wegfall der Wiederholungsgefahr I. 682 BGH 9.11.1995 – I ZR 212/93 – GRUR 1996, 290, 291 – Wegfall der Wiederholungsgefahr I. 683 BGH 4.5.2017 – I ZR 208/15 – GRUR 2017, 823 Tz. 26 ff., 29 – Luftentfeuchter. 75

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Beseitigung und Unterlassung

4. Begehungsgefahr 98 Nach h. M. verlangt der vertragliche Leistungsunterlassungsanspruch keine Begehungsgefahr.684 Ein Vertragsanspruch auf Unterlassung setze keine Wiederholungsgefahr oder Erstbegehungsgefahr voraus.685 Als vertraglicher Anspruch soll dieser wie beispielsweise der Naturalerfüllungsanspruch aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB unmittelbar mit Vertragsschluss entstehen.686 Damit der Gläubiger den Unterlassungsschuldner aber nicht ohne erkennbares Interesse an der Erlangung eines gerichtlichen Titels mit einer Unterlassungsklage überziehen kann, werden als Korrektiv prozessuale Begrenzungen benötigt. Einer anlasslosen klageweisen Geltendmachung des vertraglichen Unterlassungsanspruchs soll das Rechtsschutzbedürfnis fehlen.687 Die Besorgnis der Zuwiderhandlung soll aber bereits das Rechtsschutzinteresse auslösen.688 Zudem wird auf § 259 ZPO verwiesen.689 Meines Erachtens ist aber auch im Vertragsrecht zwischen dem Forderungsrecht (Stammrecht) und dem Anspruch (Rechtsdurchsetzungsrecht) zu differenzieren.690 Konsequenterweise entsteht der vertragliche Unterlassungsanspruch (nicht aber die davon zu unterscheidende Begründung der vertraglichen Verpflichtung) erst mit Begehungsgefahr.691 Ob ein Interesse an einer „Titulierung“ besteht,692 lässt sich wie bei sonstigen Unterlassungsansprüchen dogmatisch am besten über die im materiellen Recht angesiedelte Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr abbilden. Damit wäre im Übrigen die Emanzipation des Unterlassungsanspruchs vom Prozessrecht (Rn. 14) endgültig abgeschlossen. Diese Sichtweise hat ferner den Vorteil, die Verjährungsproblematik präzise erfassen zu können.693 Auch die mitunter schwierige Abgrenzung zwischen unselbständigen und selbständigen Unterlassungspflichten entfiele.694 Dass gesetzliche Verbote gegenüber jedermann gelten (inter omnes), während vertragliche Vereinbarungen auf eine Wirkung inter partes beschränkt sind, ist kein Gegenargument: Die Rechtsdurchsetzung spielt sich stets im Zweipersonenverhältnis ab.

5. Unmöglichkeit 99 Der vertragliche Unterlassungsanspruch darf nicht wegen Unmöglichkeit untergegangen sein.695 Nach dem BGH kommt ein vertraglicher Unterlassungsanspruch nur in Betracht, solange die Verletzungshandlung im konkreten Vertragsverhältnis noch andauert oder der daraus

684 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.13 und § 13 Rn. 199; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 58; Teplitzky/Kessen Kap. 12 Rn. 1; bei unselbstständigen Unterlassungsansprüchen ist Begehungsgefahr Entstehungsvoraussetzung Köhler JZ 2005, 489, 490. 685 BGH 21.1.1999 – I ZB 135/96 – GRUR 1999, 522, 524 – Datenbankabgleich; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 26. 686 BGH 10.1.1956 – I ZR 14/55 – GRUR 1956, 238, 240 – Westfalen-Zeitung. 687 BGH 21.1.1999 – I ZB 135/96 – GRUR 1999, 522, 524 – Datenbankabgleich; BGH 14.12.1988 – VIII ZR 31/88 – NJW-RR 1989, 263, 264; Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 59; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 26; Abweisung der Klage als unzulässig Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 58. 688 BGH 20.10.1959 – VIII ZR 136/58 – GRUR 1960, 307, 308 – Bierbezugsvertrag. 689 Vgl. BGH 14.12.1988 – VIII ZR 31/88 – NJW-RR 1989, 263, 264; BGH 20.10.1959 – VIII ZR 136/58 – GRUR 1960, 307, 308 – Bierbezugsvertrag; BGH 10.1.1956 – I ZR 14/55 – GRUR 1956, 238, 240 – Westfalen-Zeitung; ablehnend Köhler JZ 2005, 489, 494. 690 F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 156 ff., 189 ff. 691 F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 405 ff., 408 f.; Köhler JZ 2005, 489, 492 f., 496; Nosch S. 273; vgl. Teplitzky (10. Aufl.) 51. Kap. Rn. 59 a. E. 692 Vgl. BGH 14.12.1988 – VIII ZR 31/88 – NJW-RR 1989, 263, 264. 693 Köhler JZ 2005, 489, 492. 694 Köhler JZ 2005, 489, 492. 695 Zum Problem Teplitzky/Schaub Kap. 1 Rn. 16. Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

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resultierende Schaden noch nicht irreparabel ist.696 Dies kann nicht mehr der Fall sein, wenn ein Bundesligaticket entgegen einer vertraglichen Vereinbarung bereits weiterverkauft worden ist. Der Unterlassungsanspruch ergibt hier keinen Sinn mehr. Typischerweise wird aber der Unterlassungspflicht nicht nur ein einziges Mal zuwidergehandelt werden können, sondern ein Unterlassen dauerhaft geschuldet sein.697

6. Wirkungen Im Falle strafbewehrter Unterlassungsvereinbarungen sind zwei Perspektiven zu unter- 100 scheiden: Gesondert zu betrachten ist die Rechtslage nach einem erstmaligen Wettbewerbsverstoß und die Rechtslage im Falle erneuter Zuwiderhandlung. Der Abschluss einer strafbewehrten Unterlassungsvereinbarung nach einem Erstverstoß bewirkt, dass ein bestehender gesetzlicher Unterlassungsanspruch wegen Wegfalls der Wiederholungsgefahr untergeht.698 Zugleich wird das gesetzlich verbotene Verhalten auf eine neue dogmatische Basis gestellt. Nunmehr ist der Unterlassungsschuldner zusätzlich auf vertraglicher Grundlage verpflichtet, bestimmte Handlungen nicht vorzunehmen.699 Es handelt sich nicht um eine unentgeltliche Leistung des Verletzers.700 Im Falle einer erneuten Zuwiderhandlung (Zweitverstoß), genauer: beim erneuten Vorliegen von Begehungsgefahr (Rn. 98), kann der Unterlassungsgläubiger vom Schuldner kraft des Unterlassungsvertrags verlangen, dass er die konkrete Verletzungshandlung künftig nicht vornimmt (§ 241 Abs. 1 S. 2 BGB).701 Zugleich entsteht ein neuer gesetzlicher Unterlassungsanspruch.702 Bei wiederholten gleichartigen Verletzungshandlungen lässt jede Verletzungshandlung einen neuen Unterlassungsanspruch entstehen.703 Zwischen vertraglichem und gesetzlichem Unterlassungsanspruch besteht Anspruchs- 101 konkurrenz.704 Beide Ansprüche sind nach den allgemeinen Regeln durchsetzbar. Insbesondere fehlt einer auf den (neuen) gesetzlichen Unterlassungsanspruch gestützten Klage wegen der Möglichkeit des Vorgehens aus dem Unterlassungsvertrag nicht das Rechtsschutzbedürfnis.705 Bei einer außergerichtlichen Beilegung durch strafbewehrte Unterlassungserklärung ist aber das Versprechen einer deutlich höheren Vertragsstrafe erforderlich, um die Wiederholungsgefahr auszuräumen.706 Klagt der Gläubiger den gesetzlichen Unterlassungsanspruch sofort ein, greift § 93 ZPO womöglich nicht. Es bestand nunmehr abhängig von den Umständen Anlass zur Klage.707 Auf Basis der vertraglichen Vereinbarung kann zudem die Zahlung der verwirkten Vertragsstrafe 696 BGH 11.9.2008 – I ZR 74/06 – GRUR 2009, 173 Tz. 17 – bundesligakarten.de; es kann ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung bestehen (§§ 280 I, III, 283 BGB) Köhler JZ 2005, 489, 491.

697 Köhler JZ 2005, 489, 491. 698 BGH 19.10.2016 – I ZR 93/15 – GRUR-RS 2016, 20396 Tz. 23 – Zuständigkeit bei Vertragsstrafeansprüchen; BGH 12.7.1995 – I ZR 176/93 – GRUR 1995, 678, 679 – Kurze Verjährungsfrist. Ahrens/Achilles Kap. 10 Rn. 17 und Kap. 9 Rn. 2. BGH 16.4.2015 – IX ZR 180/13 – GRUR 2015, 1040 Tz. 4 – Schenkungsanfechtung. Vgl. BGH 10.1.1956 – I ZR 14/55 – GRUR 1956, 238, 240 – Westfalen-Zeitung. BGH 18.5.2006 – I ZR 32/03 – GRUR 2006, 878 Tz. 22 – Vertragsstrafevereinbarung; BGH 12.7.1995 – I ZR 176/ 93 – GRUR 1995, 678, 679 – Kurze Verjährungsfrist; BGH 7.12.1989 – I ZR 237/87 – GRUR 1990, 534 – Abruf-Coupon; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 29; Ahrens/Achilles Kap. 10 Rn. 18. 703 BGH 15.8.2013 – I ZR 188/11 – GRUR 2013, 1161 Tz. 21 – Hard Rock Café; BGH 7.12.1989 – I ZR 237/87 – GRUR 1990, 534 – Abruf-Coupon. 704 Vgl. BGH 3.4.2014 – I ZB 3/12 – GRUR 2014, 909 Tz. 11 f. – Ordnungsmittelandrohung; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 54, 59. 705 BGH 9.11.1979 – I ZR 24/78 – GRUR 1980, 241, 242 – Rechtsschutzbedürfnis. 706 BGH 7.12.1989 – I ZR 237/87 – GRUR 1990, 534 – Abruf-Coupon; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 59. 707 OLG Hamburg 9.6.1989 – 3 W 65/89 – GRUR 1989, 707 – Entbehrlichkeit der Abmahnung; vgl. BGH 7.12.1989 – I ZR 62/88 – GRUR 1990, 542, 543 – Aufklärungspflicht des Unterwerfungsschuldners; Teplitzky/Bacher Kap. 41 Rn. 23 ff.

699 700 701 702

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Beseitigung und Unterlassung

gefordert werden.708 Nötigenfalls ist dies mit einer Leistungsklage durchzusetzen. Voraussetzung ist selbstverständlich, dass eine Vereinbarung besteht; eine einseitige Unterwerfung genügt insoweit nicht.709 Auch muss die Zuwiderhandlung schuldhaft begangen worden sein.710 Wenn eine Zuwiderhandlung vorliegt, wird das Verschulden des Schuldners vermutet.711 Der im Grundsatz anwendbare § 278 BGB712 kann abbedungen werden (Rn. 45). Im Falle eines Prozessvergleichs (vgl. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) fehlt es für den Antrag auf gerichtliche Androhung von Ordnungsmitteln nach § 890 Abs. 2 ZPO nicht an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis, weil die Unterlassungspflicht des Schuldners bereits durch ein Vertragsstrafeversprechen hinreichend abgesichert ist.713 Mehrere fahrlässig begangene und zeitlich nicht zu weit auseinanderliegende Zuwiderhandlungen, die in der Weise zusammenhängen, dass sie gleichartig und unter Außerachtlassung derselben Pflichtenlage begangen worden sind, können nur als ein Verstoß zu werten sein, so dass die Vertragsstrafe nur einmal verwirkt wird.714 Entschließt sich der zum Rückruf bereits ausgelieferter Ware verpflichtete Unterlassungsschuldner aufgrund einer einheitlichen, rechtlich allerdings unzutreffenden Überlegung, von einem Rückruf abzusehen, liegt bei einer wertenden Betrachtungsweise nur ein Verstoß gegen die Unterlassungsverpflichtung vor.715 Ist eine Vereinbarung mangels Vollmacht schwebend unwirksam, kann auch im Falle der Genehmigung (vgl. § 184 BGB) mangels insoweit gegebener Rückwirkung für Verstöße während der Schwebezeit eine Vertragsstrafe nicht verwirkt werden.716

7. Beendigung des Unterlassungsvertrags 102 Unterlassungsvereinbarungen begründen Dauerschuldverhältnisse.717 Jenseits ausdrücklicher Vereinbarungen (Beispiele: Aufhebungsvertrag; auflösende Bedingung, § 158 Abs. 2 BGB; Zeitbestimmung, § 163 BGB),718 kann eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund gemäß § 314 BGB den Unterlassungsvertrag mit Wirkung ex nunc beenden.719 Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet 708 Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 59. 709 BGH 18.5.2006 – I ZR 32/03 – GRUR 2006, 878 Tz. 14, 20 – Vertragsstrafevereinbarung; BGH 10.10.1991 – I ZR 147/89 – GRUR 1999, 34, 37 – Bedienungsanweisung.

710 BGH 13.11.2013 – I ZR 77/12 – GRUR 2014, 595 Tz. 23 ff. – Vertragsstrafenklausel; BGH 17.7.2008 – I ZR 168/05 – GRUR 2009, 181 Tz. 35 – Kinderwärmekissen; BGH 15.5.1985 – I ZR 25/83 – GRUR 1985, 1065, 1066 – Erfüllungsgehilfe; MünchKommBGB/Gottwald (2019) § 339 Rn. 38. 711 BGH 4.5.2017 – I ZR 208/15 – GRUR 2017, 823 Tz. 33 – Luftentfeuchter; BGH 13.11.2013 – I ZR 77/12 – GRUR 2014, 595 Tz. 26 – Vertragsstrafenklausel. 712 BGH 22.1.1998 – I ZR 18/96 – GRUR 1998, 963, 964 – Verlagsverschulden II. 713 BGH 3.4.2014 – I ZB 3/12 – GRUR 2014, 909 Tz. 10 – Ordnungsmittelandrohung nach Prozessvergleich. 714 BGH 4.5.2017 – I ZR 208/15 – GRUR 2017, 823 Tz. 34 ff. – Luftentfeuchter; BGH 9.7.2015 – I ZR 224/13 – GRUR 2015, 1021 Tz. 29, 33 – Kopfhörer-Kennzeichnung. 715 BGH 4.5.2017 – I ZR 208/15 – GRUR 2017, 823 Tz. 34 ff. – Luftentfeuchter (3. Leitsatz). 716 BGH 17.11.2014 – I ZR 97/13 – GRUR 2015, 187 Tz. 22 – Zuwiderhandlung während der Schwebezeit; sehr kritisch Teplitzky/Schaub Kap. 20 Rn. 15a; vgl. auch BGH 11.11.2014 – VI ZR 18/14 – GRUR 2015, 190 Tz. 13 – Ex-RAF-Terroristin. 717 BGH 8.5.2014 – I ZR 210/12 – GRUR 2014, 797 Tz. 22 ff. – fishtailparka; BGH 12.7.1995 – I ZR 176/93 – GRUR 1995, 678, 679 – Kurze Verjährungsfrist; Jänich FS Köhler (2014) S. 319, 320. 718 Zu Anfechtungsmöglichkeiten Jänich FS Köhler (2014) S. 319, 321 ff.; OLG Stuttgart 11.6.2015 – 2 U 136/14 – WRP 2016, 650 Tz. 24 ff.; zu einem Aufhebungsanspruch aus culpa in contrahendo OLG Stuttgart 11.6.2015 – 2 U 136/14 – WRP 2016, 650 Tz. 37; zum Ganzen Teplitzky/Schaub Kap. 20 Rn. 23. 719 BGH 8.5.2014 – I ZR 2010/12 – GRUR 2014, 797 Tz. 24 – fishtailparka; BGH 26.9.1996 – I ZR 265/95 – BGHZ 133, 316 – GRUR 1997, 382, 384 f. – Altunterwerfung I; BGH 26.9.1996 – I ZR 194/95 – BGHZ 133, 331 – GRUR 1997, 386, 388 – Altunterwerfung II; BGH 5.3.1998 – I ZR 202/95 – GRUR 1998, 953, 954 – Altunterwerfung III; Gottschalk GRUR 2004, 827, 829; Ahrens/Achilles Kap. 8 Rn. 53 ff. Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

§8

werden kann. Allen voran der Wegfall des dem vertraglich vereinbarten Verbot zugrundeliegenden gesetzlichen Unterlassungsanspruchs stellt einen wichtigen Grund dar, der die Kündigung des Unterlassungsvertrags wegen Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung rechtfertigt.720 Maßgeblich dafür ist, dass der Schuldner in einem solchen Fall die Zwangsvollstreckung aus einem entsprechenden gerichtlichen Titel im Wege einer Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO für unzulässig erklären lassen kann. Der Gläubiger hat an der Fortsetzung des Unterlassungsvertrags kein schützenswertes Interesse mehr, wenn ein entsprechender Unterlassungstitel mit der Vollstreckungsabwehrklage aus der Welt geschafft werden könnte.721 Einer Gesetzesänderung steht dabei der Fall gleich, dass das dem Schuldner auf Grund eines wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs untersagte Verhalten auf Grund einer höchstrichterlichen Leitentscheidung nunmehr eindeutig als rechtmäßig zu beurteilen ist.722 Einen wichtigen Grund kann auch die Änderung der tatsächlichen Verhältnisse darstellen, z. B. die Änderung der Verkehrsauffassung.723 Auch im Falle einer missbräuchlichen Abmahnung gemäß § 8c besteht ein Kündigungsgrund.724 Macht der Abmahner eine vor Kündigung verwirkte Vertragsstrafe geltend, kann dem der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegengehalten werden.725 Die Kündigung muss gemäß § 314 Abs. 3 BGB innerhalb einer angemessenen Frist erfolgen.726 Auch eine Kündigung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB ist nach 103 der Rechtsprechung zumindest theoretisch möglich.727 Im Vergleich zur Kündigung aus wichtigem Grund sind die Anforderungen an die Zumutbarkeit in jedem Fall strenger.728 Auch ohne Kündigung kann einem Vertragsstrafeanspruch ausnahmsweise der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegenstehen, wenn der Anspruch dem Gläubiger auf Grund einer erfolgten Gesetzesänderung unzweifelhaft, also ohne Weiteres erkennbar, nicht mehr zusteht. An diesen zu § 242 BGB entwickelten Grundsätzen hat sich durch die Schuldrechtsreform und die Kodifizierung von §§ 313, 314 BGB nichts geändert.729

IV. Beseitigungsanspruch (Absatz 1 Satz 1 Alt. 1) 1. Einführung a) Allgemeines. Anders als der in die Zukunft gerichtete Unterlassungsanspruch zielt der Be- 104 seitigungsanspruch darauf, in der Vergangenheit eingetretene Beeinträchtigungen (konkrete Störung;730 fortdauernder Störungszustand)731 zu beseitigen.732 Es geht um die Beseitigung der

720 BGH 8.5.2014 – I ZR 2010/12 – GRUR 2014, 797 Tz. 24 – fishtailparka; BGH 26.9.1996 – I ZR 265/95 – GRUR 1997, 382, 382 f. – Altunterwerfung I.

721 BGH 8.5.2014 – I ZR 2010/12 – GRUR 2014, 797 Tz. 24 – fishtailparka. 722 Vgl. BGH 2.7.2009 – I ZR 146/07 – GRUR 2009, 1096 Tz. 17 ff. – Mescher weis; in diese Richtung (trotz des Rechtsgedankens aus § 779 BGB) Teplitzky/Schaub Kap. 20 Rn. 27 f.

723 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 61; Wünsche S. 110 f. 724 BGH 14.2.2019 – I ZR 6/17 – GRUR 2019, 638 – Kündigung der Unterlassungsvereinbarung; dazu Dienstbühl WRP 2019, 981; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 6.

725 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 6; vgl. BGH 31.5.2012 ‒ I ZR 45/11 ‒ GRUR 2012, 949 ‒ Missbräuchliche Vertragsstrafe; BGH 23.10.2019 ‒ I ZR 46/19 ‒ GRUR 2020, 292 ‒ Da Vinci.

726 Gottschalk GRUR 2004, 827, 829. 727 Gänzlich ablehnend Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 61; s. a. Gottschalk GRUR 2004, 827, 829 f. („nicht erforderlich“; „methodisch verfehlt“). BGH 8.5.2014 – I ZR 2010/12 – GRUR 2014, 797 Tz. 23 – fishtailparka. BGH 8.5.2014 – I ZR 2010/12 – GRUR 2014, 797 Tz. 23 – fishtailparka. BGH 3.5.1974 – I ZR 52/73 – GRUR 1974, 666, 669 – Reparaturversicherung. BGH 30.1.2014 – I ZR 19/13 – GRUR 2014, 794 Tz. 14 – Gebundener Versicherungsvermittler. BGH 4.2.1993 – I ZR 319/90 – NJW 1993, 1991, 1992 – Maschinenbeseitigung; Ahrens/Achilles Kap. 1 Rn. 1.

728 729 730 731 732 79

Hofmann

§8

Beseitigung und Unterlassung

fortdauernden Wirkungen einer unzulässigen geschäftlichen Handlung.733 Hat eine Verletzungshandlung einen andauernden rechtswidrigen Verletzungszustand hervorgerufen, besteht neben dem Unterlassungsanspruch ein Beseitigungsanspruch.734 Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch bilden den negatorischen Rechtsschutz, der gemeinsam mit Bereicherungs-735 und Schadensersatzansprüchen deliktsrechtliche Interessen umfassend absichert.736 Ein Beseitigungsanspruch setzt voraus, dass ein fortdauernder widerrechtlicher Störungszustand gegeben ist und die Möglichkeit sowie Zumutbarkeit der Vornahme einer nach den Umständen verhältnismäßigen Beseitigungshandlung besteht.737 Zur Anspruchserfüllung ist ein eigenes Handeln des Beseitigungsschuldners gefordert.738 Während der Beseitigungsanspruch früher auch ohne Rückgriff auf § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB gewohnheitsrechtlich anerkannt war,739 findet sich seit 2004 ohne inhaltliche Änderung eine ausdrückliche Anspruchsgrundlage in § 8 Abs. 1 Satz 1 1. Alt.740 Auch hierbei handelt es sich um einen vom materiellen Lauterkeitsrecht im engeren Sinne abspaltbaren materiell-rechtlichen Rechtsbehelf. Der Anspruch baut wie der Unterlassungsanspruch auf einer unzulässigen geschäftlichen Handlung nach § 3 oder § 7 UWG auf (Rn. 20). In seiner praktischen Bedeutung fällt der Beseitigungsanspruch hinter dem Unterlassungsanspruch deutlich zurück. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass wegen des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache, Beseitigungsansprüche im einstweiligen Rechtsschutz typischerweise nicht unmittelbar durchgesetzt werden können.741 Verstärkt wird dies durch die Rechtsprechung des BGH, der Beseitigungspflichten vermehrt in den Unterlassungstenor hineinliest (Rn. 73 ff.). Allerdings scheint der BGH den Beseitigungsanspruch über eine Interpretation als Folgenbeseitigungsanspruch zugleich auszudehnen.742

105 b) Vorbeugender Beseitigungsanspruch. Diskutiert wird auch ein vorbeugender Beseitigungsanspruch.743 Mit Blick auf eine Zeichenanmeldung braucht beispielsweise der Betroffene eine bevorstehende bzw. drohende Beeinträchtigung nicht entstehen zu lassen, um gegen sie vorgehen zu können, sondern kann der Entstehung einer Störung auch vorbeugend entgegentreten.744 In diesem Fall besteht allerdings bei genauerer Betrachtung schon ein gegenwärtiger Störungszustand, so dass ein vorbeugender Beseitigungsanspruch überflüssig ist.745 Umgekehrt ist etwa die Herstellung von Produktnachahmungen, anders als deren Vertrieb, vom Wett-

733 Köhler WRP 2019, 269, 272. 734 BGH 18.9.2014 – I ZR 76/13 – GRUR 2015, 258 Tz. 64 – CT-Paradies. 735 Bereicherungsrechtliche Rechtsfolgen sind im Lauterkeitsrecht nur eingeschränkt verfügbar, vgl. § 10 und zur dreifachen Schadensberechnung („Lizenzanalogie“) § 9 Rn. 101 ff., 119 ff. 736 Vgl. Picker FS Lange (1992) S. 625, 683 ff. („Trias der Haftungssysteme“). 737 BGH 14.12.2017 – I ZR 184/15 – GRUR 2018, 423 Tz. 25 – Klauselersetzung; BGH 23.2.1995 – I ZR 15/93 – GRUR 1995, 424, 426 – Abnehmerverwarnung. 738 Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 148. 739 BTDrucks. 15/1487 S. 22; vgl. RG 5.6.1935 – II 332/34 – RGZ 148, 114, 122 f. – Gummiwaren; BGH 3.5.1974 – I ZR 52/73 – GRUR 1974, 666, 669 – Reparaturversicherung; BGH 25.1.2001 – I ZR 120/98 – GRUR 2001, 420, 422 – SPA; BGH 4.2.1993 – I ZR 42/91 – GRUR 1993, 556 – TRIANGLE; Teplitzky WRP 1984, 365, 366. 740 MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 147. 741 Vgl. BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 37, 39 – Produkte zur Wundversorgung. 742 Köhler WRP 2019, 269. 743 Teplitzky/Kessen Kap. 22 Rn. 14; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 72; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 166; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 152; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.110; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 11 (mit Blick auf Zeichenanmeldungen vor Eintragung); Köhler WRP 1999, 1075, 1077. 744 BGH 4.2.1993 – I ZR 42/91 – GRUR 1993, 556, 558 – TRIANGLE; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 11. 745 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 72; mit Blick auf Fälle jenseits von Zeichenanmeldungen Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 11. Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

§8

bewerbsrecht nicht verboten; ein Beseitigungsanspruch gerichtet auf Produktvernichtung kann daher nicht greifen.746

2. Verhältnis zu anderen Ansprüchen a) Verhältnis zum Unterlassungsanspruch. Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch ver- 106 halten sich im Ergebnis zueinander wie zwei sich überschneidende Kreise.747 So kann dem Unterlassungsanspruch mitunter nur dadurch nachgekommen werden, indem ein Störungszustand beseitigt wird. Die Erfüllung der Unterlassungsverpflichtung ist ohne die Vornahme einer positiven Handlung nicht möglich. Beseitigung ist mitunter Voraussetzung der Unterlassung (Rn. 69 ff.).748 Dies ändert nichts daran, dass Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche trotz ihres gemeinsam verfolgten Abwehrzwecks749 in ihrer Zielsetzung wesensverschiedene Ansprüche sind, die grundsätzlich unterschiedliche Zielrichtungen verfolgen und von unterschiedlichen Voraussetzungen abhängig sind.750 Der Unterlassungsanspruch zielt auf die Unterbindung zukünftiger Verletzungshandlungen, während der Beseitigungsanspruch die Abwehr einer bereits einge tretenen, aber fortwirkenden Beeinträchtigung zum Gegenstand hat.751 Nur wenn die Nichtbeseitigung eines fortdauernden Störungszustandes als erneute Zuwiderhandlung gegen ein Unterlassungsgebot anzusehen ist (Nichtbeseitigung ist gleichbedeutend mit der Fortsetzung der Verletzungshandlung), kann die Beseitigung faktisch auch über den Unterlassungsanspruch erreicht werden.752 Namentlich spezialgesetzliche Rückrufansprüche (= Sonderfall der Beseitigung, Rn. 109) sind aber anders als Unterlassungsansprüche nicht darauf beschränkt, eine konkret drohende Verletzungshandlung zu verhindern (konkreter Schutz); möglich ist schlechthin der Rückruf aller schutzrechtsverletzenden Erzeugnisse, auch wenn diese nicht weitervertrieben werden (abstrakter Schutz).753 Es handelt sich um zwei selbstständige Ansprüche.754 Es bestehen unterschiedliche Streitgegenstände.755 Der Übergang vom Unterlassungsantrag zu einem Beseitigungsantrag ist Klageänderung.756 Hat eine Verletzungshandlung einen andauernden rechtswidrigen Verletzungszustand hervorgerufen, bestehen jedoch beide Ansprüche nebeneinander.757 Der Gläubiger hat es in der Hand, ob er den einen oder den anderen Anspruch oder aber beide Ansprüche geltend macht.758 Selbst wenn bereits ein Unterlassungstitel besteht, fehlt der Beseiti-

746 BGH 22.3.2012 − I ZR 21/11 – GRUR 2012, 1155 Tz. 36 – Sandmalkasten; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 72; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.110.

747 Zum Verhältnis beider Ansprüche umfassend MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 108 ff. 748 Fritzsche S. 203; Feddersen FS Büscher (2018) S. 471, 472, 482. 749 BGH 26.11.1997 – I ZR 109/95 – GRUR 1998, 415, 416 – Wirtschaftsregister (gemeinsames Ziel: „Abwehr rechtswidriger wettbewerbsrechtlicher Beeinträchtigungen“).

750 BGH 14.12.2017 – I ZR 184/15 – GRUR 2018, 423 Tz. 19 – Klauselersetzung; BGH 4.5.2017 – I ZR 208/15 – GRUR 2017, 823 Tz. 28 – Luftentfeuchter; BGH 28.9.1973 – I ZR 136/71 – GRUR 1974, 99, 101 – Brünova; MünchKommUWG/ Fritzsche § 8 Rn. 10; vgl. zu § 1004 BGB BGH 1.12.1995 – V ZR 9/94 – NJW 1996, 845, 846. 751 BGH 14.12.2017 – I ZR 184/15 – GRUR 2018, 423 Tz. 19 – Klauselersetzung; BGH 26.11.1997 – I ZR 109/95 – GRUR 1998, 415, 416 – Wirtschaftsregister. 752 Fritzsche S. 204; BGH 28.7.2015 – VI ZR 340/14 – GRUR 2016, 104 Tz. 15 – recht&billig; BGH 29.9.2016 – I ZB 34/15 – GRUR 2017, 208 Tz. 25 – Rückruf von RESCUE-Produkten; für strenge Abgrenzung Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.102. 753 BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 30 f. – Produkte zur Wundversorgung. 754 BGH 18.9.2014 – I ZR 76/13 – GRUR 2015, 258 Tz. 64 – CT-Paradies; BGH 4.5.2017 – I ZR 208/15 – GRUR 2017, 823 Tz. 28 – Luftentfeuchter. 755 BGH 28.7.2015 – VI ZR 340/14 – GRUR 2016, 104 Tz. 21 – recht§billig; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 152. 756 BGH 12.7.1994 – VI ZB 43/93 – NJW-RR 1994, 1404 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.103. 757 BGH 4.5.2017 – I ZR 208/15 – GRUR 2017, 823 Tz. 28 – Luftentfeuchter. 758 BGH 18.9.2014 – I ZR 76/13 – GRUR 2015, 258 Tz. 64 – CT-Paradies. 81

Hofmann

§8

Beseitigung und Unterlassung

gungsklage wegen der weitergehenden Vollstreckungsmöglichkeit nicht das Rechtsschutzbedürfnis.759 107 Unterschiede zeigen sich vor allem in der Zwangsvollstreckung: Über den nach § 890 ZPO zu vollstreckenden Unterlassungsanspruch können Beseitigungsverpflichtungen nur indirekt vollstreckt werden. Anders ist dies bei §§ 887, 888 ZPO, die für die Vollstreckung von Beseitigungsverpflichtungen einschlägig sind.760 Auch steht es dem Unterlassungsschuldner frei, wie er dem Unterlassungsgebot nachkommt,761 beispielsweise entweder dadurch, dass er ein wettbewerbswidriges Plakat entfernt oder wettbewerbskonform umgestaltet.762 Auch beim Beseitigungsanspruch werden freilich Lockerungen vom Bestimmtheitsgebot nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zugelassen.763 Auch hier wird grundsätzlich dem Schuldner überlassen, wie er die Störung beseitigt.764 Dies hat seinen Grund darin, dass die Rechte des Störers nicht weitergehend eingeschränkt werden sollen, als der Schutz des Berechtigten vor Beeinträchtigungen seiner Rechte es erfordert. Der Beseitigungsschuldner trägt aber das Risiko der Zwangsvollstreckung, wenn die gewählte Maßnahme die Störung nicht beseitigt.765 Im Beseitigungsantrag genügt die Angabe des zu erreichenden, bestimmt bezeichneten Erfolgs.766 Allerdings ist es möglich, dass im Falle mehrerer konkreter Möglichkeiten der Störungsbeseitigung der Gläubiger verlangen kann, dass der Schuldner die Störung entweder auf die eine oder auf die andere Weise beseitigt.767 Unter dem Aspekt der Bestimmtheit (und zur Vermeidung der Verlagerung des Rechtsstreits in das Vollstreckungsverfahren) hat der Gläubiger – soweit möglich – davon Gebrauch zu machen. Nur wenn die Möglichkeit zu Antragsalternativen nicht besteht, kommt eine notwendigerweise abstrakte, an allgemeinen Oberbegriffen orientierte Antragsfassung in Betracht.768 Auch wenn nur eine mögliche Beseitigungshandlung (ernsthaft) denkbar ist oder Einigkeit über den einen Weg der Beseitigung besteht, kann diese Handlungsverpflichtung tenoriert werden.769 Die Überlegungen zur Verhältnismäßigkeit beim Beseitigungsanspruch können aber im Grundsatz auf den Unterlassungsanspruch übertragen werden, soweit dieser selbst zu Beseitigungshandlungen verpflichtet.770

108 b) Verhältnis zum UKlaG. § 1 UKlaG sperrt nicht einen Beseitigungsanspruch aus § 8.771 Aus § 1 UKlaG ergibt sich aber selbst kein Beseitigungsanspruch (Anspruch auf Folgenbeseitigung).772 759 BGH 30.1.2014 – I ZR 19/13 – GRUR 2014, 794 Tz. 14 – Gebundener Versicherungsvermittler; vgl. aber Teplitzky/ Kessen Kap. 22 Rn. 7, vgl. aber Kap. 25 Rn. 5.

760 Ahrens GRUR 2018, 374, 375; Köhler NJW 1992, 137, 139; Fritzsche S. 206 f.; F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 301 f. 761 BGH 11.12.2003 – I ZR 50/01 – GRUR 2004, 605, 607 – Dauertiefpreise; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 11; zur Antragsfassung BGH 5.2.1993 – V ZR 62/91 – NJW 1993, 1656, 1657. 762 Vgl. BGH 12.12.2003 – V ZR 98/03 – NJW 2004, 1035, 1037. 763 MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 170; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 81; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.115 ff. 764 BGH 14.12.2017 – I ZR 184/15 – GRUR 2018, 423 Tz. 70 – Klauselersetzung; vgl. BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 32 – Produkte zur Wundversorgung; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.115 ff.; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 168 ff.; Götting/Nordemann/Schmitz-Fohrmann/Schwab § 8 Rn. 8; Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 110; kritisch Teplitzky/Kessen Kap. 24 Rn. 2 ff.; strenger mit Blick auf den Widerrufsanspruch Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 124. 765 BGH 28.7.2015 – VI ZR 340/14 – GRUR 2016, 104 Tz. 40 – recht§billig. 766 Ahrens GRUR 2018, 374, 376. 767 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.119 f.; Teplitzky/Kessen Kap. 24 Rn. 8; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 41. 768 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 81; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 41. 769 BGH 12.12.2003 – V ZR 98/03 – NJW 2004, 1035, 1037; BGH 11.11.1983 – V ZR 231/82 – NJW 1984, 1242, 1243; BGH 18.2.1959 – V ZR 11/57 – NJW 1959, 936, 938; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 41. 770 F. Hofmann NJW 2018, 1290, 1292. 771 BGH 14.12.2017 – I ZR 184/15 – GRUR 2018, 423 Tz. 43 ff., 47 – Klauselersetzung; Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 6. 772 BGH 14.12.2017 – I ZR 184/15 – GRUR 2018, 423 Tz. 27 ff. – Klauselersetzung m. w. N.; anders Klocke VuR 2013, 203, 205 f. Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

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c) Verhältnis zum Widerrufs- und Vernichtungsanspruch. Der auf Widerruf wettbewerbs- 109 widriger Tatsachenbehauptungen gerichtete Widerrufsanspruch stellt sich als Sonderfall des Beseitigungsanspruchs dar. Anspruchsgrundlage ist ebenfalls § 8 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. Gleiches gilt für den Vernichtungsanspruch.773 Im Falle mehrdeutiger Äußerungen kann ein Widerrufsanspruch ausscheiden, aber ein Unterlassungsanspruch bestehen. Vom Schuldner kann zumindest für die Zukunft verlangt werden, dass er sich eindeutig ausdrückt.774 d) Verhältnis zum Schadensersatzanspruch. Die Verpflichtung zur Beseitigung bleibt hinter 110 der Verpflichtung zum Schadensersatz zurück. Während über den verschuldensabhängigen Schadensersatz sämtliche Verletzungsfolgen auszugleichen sind, zielt der Beseitigungsanspruch auf die Beseitigung der Störungsquelle.775 Allerdings kann auch der Schadensersatzanspruch über die Naturalrestitution auf eine Beseitigungsverpflichtung hinauslaufen (§ 9, § 249 BGB).776 Vertreten wird freilich, dass der Rechtsgedanke des § 254 BGB auch beim Beseitigungsanspruch herangezogen werden kann.777

e) Kompensation von Streuschäden. Umstritten ist, ob über den Beseitigungsanspruch Ver- 111 braucherverbände die Kompensation von Streuschäden bewirken können. Befruchtet wurde die Diskussion durch ein Urteil des OLG Dresden.778 Im Fall war eine Preisklausel einer Bank für Kontopfändungen unwirksam. Die Unlauterkeit folgte sodann aus §§ 3 Abs. 1, 3a i. V. m. § 307 BGB.779 Dabei stellt sich nicht nur in dieser Konstellation die Frage, ob entrichtete Zahlungen über den Beseitigungsanspruch zugunsten der Verbraucher rückabgewickelt werden können. Kann also ein Verbraucherverband über den Beseitigungsanspruch (Folgenbeseitigung)780 bewirken, dass zuviel entrichtete Entgelte an den jeweils betroffenen Verbraucher zurückzuzahlen sind? Denkbar wäre in diesem Sinne auch, dass ein auf irreführender Werbung beruhender Kaufvertrag korrigiert wird.781 Während das OLG Dresden dies bejahte, wird in der Literatur kritisiert, dass dadurch die Systematik des wettbewerbsrechtlichen Rechtsfolgensystems ausgehebelt werde (vgl. insbesondere § 10).782 Auch das Verhältnis zur Musterfeststellungsklage (§§ 606 ff. ZPO) sowie bereicherungsrechtlichen Ansprüchen der Betroffenen würden auf den Kopf gestellt.783 Dass der Störungszustand bei den Verbrauchern eingetreten ist und nicht beim Verbraucherverband, ist 773 BGH 21.2.2002 – I ZR 140/99 – GRUR 2002, 709, 711 – Entfernung der Herstellungsnummer III. 774 Vgl. Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 30; BVerfG 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98 – NJW 2006, 207 Tz. 33 f. – „IMSekretär“ Stolpe.

775 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 70; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.104; Götting/Nordemann/Schmitz-Fohrmann/ Schwab § 8 Rn. 4; Köhler WRP 2019, 269, 271. 776 Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 153. 777 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.105; vgl. BGH 21.10.1994 – V ZR 12/94 – NJW 1995, 395, 396. 778 OLG Dresden 10.4.2018 – 14 U 82/16 – GRUR-RR 2018, 428 Tz. 28 ff. – Kontobelastung bei Pfändung; Schultheiß WM 2019, 9; s. a. Bunte ZIP 2016, 956; Rott VuR 2016, 112; zur Vorinstanz LG Leipzig 10.12.2015 – 5 O 1239/15 – ZIP 2016, 207; vgl. zur Problematik auch Stadler FS Schilken (2015) S. 481, 484 ff. 779 OLG Dresden 10.4.2018 – 14 U 82/16 – GRUR-RR 2018, 428 Tz. 28 ff. – Kontobelastung bei Pfändung (zudem wurde auf § 306a BGB abgestellt); vgl. auch BGH 14.12.2017 – I ZR 184/15 – GRUR 2018, 423 Tz. 41 – Klauselersetzung. 780 Kritisch zu diesem Begriff im Kontext des Beseitigungsanspruchs Baldus/Siedler BKR 2018, 412, 417; grundlegend sowie in der Sache kritisch zum „Folgenbeseitigungsanspruch“ Köhler WRP 2019, 269. 781 Ablehnend Köhler WRP 2019, 269, 270, 272. 782 Köhler WRP 2019, 269, 275; Gsell/Rübbeck ZfPW 2018, 409, 419 ff., 426 ff.; Baldus/Siedler BKR 2018, 412, 416 ff.; Kruis ZIP 2019, 393, 398 ff.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.107 ff.; Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 75; befürwortend Ruttmann/Hummel VuR 2018, 270; Meller-Hannich JZ 2018, 629, 631 f.: Die Gewinnabschöpfung zugunsten des Fiskus sei gegenüber individuellen Ausgleichsansprüchen nachrangig. 783 Baldus/Siedler BKR 2018, 412, 416 ff.; Köhler WRP 2019, 269, 274 ff. 83

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Beseitigung und Unterlassung

hingegen unerheblich.784 Der Gesetzeswortlaut gibt bestimmten Verbänden nicht nur einen Unterlassungsanspruch, sondern begründet auch ausdrücklich die Aktivlegitimation für den Beseitigungsanspruch. Ob dem Verband ein eigener „Schaden“ entstanden ist, ist nach dem Wortlaut irrelevant. Weitere Voraussetzungen wie die Beeinträchtigung eigener Interessen der Einrichtungen bestehen nicht.785 Unklar ist aber vor allem das Vorliegen eines wettbewerbswidrigen Störungszustandes.786 Während beispielsweise durch ein irreführendes Firmenschild das wettbewerbsrechtlich geschützte Interesse bis zur Abnahme fortlaufend beeinträchtigt wird, ist das Haben von Geld als solches wettbewerbsrechtlich neutral.787 Das Haben des Geldes ist nur Folge des wettbewerbswidrigen Handelns, aber nicht selbst ein rechtswidriger Störungszustand.788 Andernfalls wäre jeder Vermögensschaden über § 8 UWG kompensierbar.789 Auch im Fall des OLG Dresden war der Störungszustand in der Verwendung unzulässiger Klauseln verortet, nicht im Vorenthalten einer geschuldeten Leistung.790 Durfte der Verwender auf die Wirksamkeit der Klausel vertrauen, müsste bei kollektiven Rückforderungsansprüchen zumindest aber auch auf die Verhältnismäßigkeit geachtet werden (vgl. § 818 Abs. 3 BGB für Individualansprüche). Köhler wiederum verweist darauf, dass die Normen des UWG Gefährdungsdelikte seien.791 Das UWG ziele namentlich darauf ab, dass das Interesse des Verbrauchers an einer freien Entscheidung nicht gefährdet werde. Da es nicht darauf ankomme, ob die Verbraucher aufgrund einer unlauteren geschäftlichen Handlung eine geschäftliche Entscheidung, insbesondere den Kauf eines Produkts, getroffen haben, könne es auch nicht Aufgabe des wettbewerbsrechtlichen Beseitigungsanspruch sein, den Verbraucher vor den Folgen seiner geschäftlichen Entscheidung, nämlich von ihren Auswirkungen zu schützen.792 Folglich gehe der Beseitigungsanspruch auf Gefahrbeseitigung, nicht aber Folgenbeseitigung.793 Jenseits dogmatischer Irritationen handelt es sich vor allem um eine rechtspolitische Weichenstellung.794 Der Trend geht dabei derzeit weg von eigenverantwortlicher Rechtsverwirklichung hin zur Kollektivierung.

3. Voraussetzungen des Beseitigungsanspruchs 112 Der Beseitigungsanspruch hat folgende Tatbestandsmerkmale. Es muss erstens ein fortdauernder Störungszustand vorliegen.795 Zweitens haben die von dem Zustand ausgehenden Störun-

784 Anders Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.108a und Rn. 1.108d. 785 BGH 14.12.2017 – I ZR 184/15 – GRUR 2018, 423 Tz. 51 – Klauselersetzung. 786 Bejahend Stadler FS Schilken (2015) S. 481, 490, 491, 492 (unmittelbar eingetretene Vermögensverschiebung als rechtswidriger Störungszustand); anders Kruis ZIP 2019, 393, 397 f.

787 Vgl. aber anders mit Blick auf die Herausgabe von Gegenständen, die in unlauterer Weise erlangt worden sind, Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 201 mit Verweis auf BGH 26.2.2009 – I ZR 28/06 – GRUR 2009, 603 Tz. 22 – Versicherungsuntervertreter und BGH 27.4.2006 – I ZR 126/03 – GRUR 2006, 1044 Tz. 17 – Kundendatenprogramm (je zu unredlich erlangten geheimen Unterlagen, wobei freilich die Geheimnisverletzung durch das Haben der Unterlagen stetig fortwirkt); die Leistungskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB) basiert hingegen nicht auf einer Rechtsverletzung, vgl. F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 32 ff., 71 f., 84, 199 f. 788 Vgl. Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 118 mit Blick auf Irreführungen; weitergehend aber vgl. etwa Raue NJW 2019, 2425, 2427 f. 789 Köhler WRP 2019, 269, 275 („der Beseitigungsanspruch würde unter der Hand in einen pauschalen Schadensersatzanspruch verwandelt“). Er warnt vor weitreichenden Folgen (WRP 2019, 269, 276). 790 Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 75 und Rn. 101. 791 Köhler WRP 2019, 269, 272. 792 Köhler WRP 2019, 269, 272; eine wettbewerbs-funktionale Argumentation findet sich auch in der Entscheidung BGH 21.4.2016 – I ZR 276/14 – GRUR 2016, 831 Tz. 20 f. – Lebenskost. 793 Köhler WRP 2019, 269, 272 f. 794 Befürwortend allen voran bei Streuschäden (Bagatellschäden) zulasten von Verbrauchern Stadler FS Schilken (2015) S. 481, 485, 486 ff., 496 f. 795 BGH 23.4.2020 – I ZR 85/19 – GRUR 2020, 886 Tz. 26 – Preisänderungsregelung. Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

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gen rechtswidrig zu sein.796 Drittens muss die Möglichkeit und Zumutbarkeit der Vornahme einer nach den Umständen verhältnismäßigen Beseitigungshandlung bestehen.797 Auf Verschulden kommt es ebenso wie auf eine Begehungsgefahr nicht an.798 Der Störungszustand muss aber auf eine nach § 3 oder § 7 unzulässige geschäftliche Handlung zurückzuführen sein.799

a) Fortdauernder Störungszustand. Der Beseitigungsanspruch setzt einen durch eine Ver- 113 letzungshandlung bewirkten und fortdauernden Störungszustand voraus.800 In der Literatur wird häufig zwischen der Beseitigung körperlicher und unkörperlicher Störungen sowie mitunter von Registereintragungen ausgehenden Störungszuständen unterschieden.801 Die über § 3 und § 7 geschützten Interessen müssen fortwährend beeinträchtigt werden.802 Voraussetzung ist also ein Zustand, der sich für den Verletzten als eine sich ständig erneuernde und fortwirkende Quelle der Störung darstellt.803 Es besteht eine umfangreiche Kasuistik: Ein solcher fortdauernder Störungszustand ist beispielsweise bei der Entfernung von Kontrollnummern des Herstellers zur Verfolgung der Absatzwege,804 beim Vorhandensein von Vorräten an wettbewerbswidrigen Druckschriften805 oder bei Hausfassaden mit wettbewerbswidriger Gestaltung angenommen worden.806 Ein Störungszustand kann durch eine Domainregistrierung erfolgen, wodurch ein Mitbewerber gemäß § 4 Nr. 4 behindert wird.807 Wenn ein Markeninhaber nach Einlegung einer Markenbeschwerde bei Google, durch die die Verwendung der Marke in Adwords-Anzeigen unterbunden wird, die Zustimmung zu der Adwords-Werbung eines Mitbewerbers nicht erteilt, obwohl die beabsichtigte Werbung das Markenrecht nicht verletzt, kommt es zu einer Behinderung im Sinne von § 4 Nr. 4. Die Nichterteilung der erforderlichen Zustimmung begründet daher einen Störungszustand.808 Hohe praktische Relevanz haben rechtswidrige Äußerungen.809 Durch unwahre Tatsachenbehauptungen kann ein Zustand fortdauernder Rufbeeinträchtigung geschaffen werden, der sich als eine sich stetig erneuernde und fortwirkende Quelle der Ehrverletzung darstellt.810 Umstritten ist, ob die unrechtmäßige Zahlung von Gebühren durch Verbraucher einen Störungszustand begründet (Rn. 111).811 Denkbar ist dabei al796 BGH 23.4.2020 – I ZR 85/19 – GRUR 2020, 886 Tz. 26 – Preisänderungsregelung („Rechtswidrigkeit der beanstandeten Beeinträchtigung sowohl zum Zeitpunkt ihres Eintritts als auch zum Zeitpunkt der Entscheidung in der Revisionsinstanz“). 797 BGH 14.12.2017 – I ZR 184/15 – GRUR 2018, 423 Tz. 25 – Klauselersetzung; BGH 23.2.1995 – I ZR 15/93 – GRUR 1995, 424, 426 – Abnehmerverwarnung; vgl. BTDrucks. 15/1487 S. 22. 798 BGH 10.2.2011 – I ZR 136/09 – GRUR 2011, 444 Tz. 82 – Flughafen Frankfurt-Hahn; BGH 25.4.1958 – I ZR 97/ 57 – GRUR 1958, 448, 449 – Blanko-Verordnungen. 799 Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 154, 155 ff. 800 BGH 19.2.2009 – I ZR 135/06 – GRUR 2009, 685 Tz. 39 – ahd.de; BGH 26.11.1997 – I ZR 109/95 – GRUR 1998, 415, 416 – Wirtschaftsregister. 801 Teplitzky/Kessen Kap. 25 und Kap. 26; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.123. 802 Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 159. 803 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.109. 804 BGH 21.2.2002 – I ZR 140/99 – GRUR 2002, 709, 711 – Entfernung der Herstellungsnummer III. 805 BGH 13.11.1953 – I ZR 79/52 – GRUR 1954, 163, 165 – Bierlieferungsverträge. 806 BGH 28.1.1977 – I ZR 109/75 – GRUR 1977, 614, 616 – Gebäudefassade. 807 BGH 19.2.2009 – I ZR 135/06 – GRUR 2009, 685 Tz. 38 – ahd.de. 808 BGH 12.3.2015 – I ZR 188/13 – GRUR 2015, 607 Tz. 33 ff. – Uhrenankauf im Internet. 809 BGH 1.12.1965 – Ib ZR 155/63 – GRUR 1966, 272, 274 – Arztschreiber; BGH 15.11.1994 – VI ZR 56/94 – GRUR 1995, 224, 227 – Erfundenes Exklusiv-Interview. 810 BGH 28.7.2015 – VI ZR 340/14 – GRUR 2016, 104 Tz. 13 – recht§billig; BGH 12.1.1960 – I ZR 30/58 – GRUR 1960, 500, 502 – Plagiatsvorwurf. 811 OLG Dresden 10.4.2018 – 14 U 82/16 – GRUR-RR 2018, 428 Tz. 27 ff., 35 – Kontobelastung bei Pfändung; kritisch Baldus/Siedler BKR 2018, 412, 415 ff.; Gsell/Rübbeck ZfPW 2018, 409, 419 ff., 424 f.; Singbartl/Zintl VuR 2016, 14, 17 f.; vgl. Ruttmann/Hummel VuR 2018, 270, 271; Halfmeier NJW 2016, 1126, 1128. 85

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Beseitigung und Unterlassung

lerdings, dass der Verwender die Betroffenen auf die Unwirksamkeit der Klausel hinweisen muss.812 114 Endet der Störungszustand, geht der Beseitigungsanspruch unter.813 Fällt der Störungszustand während des Prozesses in den Tatsacheninstanzen weg, wird der auf Beseitigung gerichtete Antrag unbegründet, auch wenn der Kläger die Verfahrensdauer nicht zu vertreten hat.814 Der Beseitigungsanspruch hat die Abwehr einer bereits eingetretenen, aber eben fortwirkenden Beeinträchtigung zum Gegenstand. Der entsprechende Störungszustand muss noch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung fortdauern.815 Der Kläger ist gut beraten, die Hauptsache für erledigt zu erklären.816 Die Fortdauer des Störungszustandes wird bei wettbewerbswidrigen Äußerungen schließlich auch durch die Schwere des Vorwurfs beeinflusst. Es kann daher sein, dass durch Zeitablauf die rechtliche Erheblichkeit ein Abfallen und einen Störungszustand bewirkt.817

115 b) Rechtswidrigkeit. Der Störungszustand muss rechtswidrig sein.818 Es kommt auf die Rechtswidrigkeit der Störung an, nicht auf die Rechtswidrigkeit der zugrundeliegenden Handlung.819 Für den Beseitigungsanspruch entscheidend ist nicht die frühere, sondern die derzeit gegebene Lage,820 beispielsweise infolge einer Gesetzesverschärfung.821 Es ist daher auch für die Beeinträchtigung der Ehre als rechtlich möglich anzusehen, denjenigen als Beseitigungsschuldner zu behandeln, der die von ihm ursprünglich rechtmäßig aufgestellte Behauptung ehrenrühriger Art (vgl. § 193 StGB) trotz gegebener Möglichkeit nicht aus der Welt schafft, obwohl sie sich inzwischen als unrichtig herausgestellt hat, und der so dazu beiträgt, dass sie weiterwirken kann.822 Lässt sich aber unbeschadet des genannten Falls einer gegebenen Rechtfertigung der Störungszustand insgesamt nicht auf eine unzulässige geschäftliche Handlung zurückführen, ist für den Beseitigungsanspruch nach dem klaren Gesetzeswortlaut kein Raum.823 Das Bestehen einer Duldungspflicht schließt den Beseitigungsanspruch ebenfalls aus.824

116 c) Inhalt des Beseitigungsanspruchs. Der Beseitigungsanspruch kann alle geeigneten Maßnahmen umfassen, die zur Beseitigung der fortwirkenden Störung geeignet und er812 Vgl. BGH 14.12.2017 – I ZR 184/15 – GRUR 2018, 423 Tz. 70 – Klauselersetzung; Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 101; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 203; kritisch Köhler WRP 2019, 269, 273.

813 BGH 14.12.2017 – I ZR 184/15 – GRUR 2018, 423 Tz. 71 – Klauselersetzung; BGH 4.2.1993 – I ZR 319/90 – NJW 1993, 1991, 1992 – Maschinenbeseitigung. 814 BGH 14.12.2017 – I ZR 184/15 – GRUR 2018, 423 Tz. 71 – Klauselersetzung. 815 BGH 30.6.1972 – I ZR 1/71 – GRUR 1973, 203, 204 – Badische Rundschau; BGH 10.12.1969 – I ZR 20/68 – GRUR 1970, 254, 257 – Remington. 816 Vgl. BGH 3.4.2008 – I ZR 49/05 – GRUR 2008, 1002 Tz. 41 f. – Schuhpark; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.112; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 13. 817 BGH 26.11.1997 – I ZR 109/95 – GRUR 1998, 415, 417 – Wirtschaftsregister; BGH 10.12.1969 – I ZR 20/68 – GRUR 1970, 254 – Remington; OLG Hamburg 27.3.2002 – 5 U 206/01 – GRUR-RR 2002, 298, 300 – PC-Spiele-Magazin; Ohly/ Sosnitza § 8 Rn. 75. 818 BGH 23.4.2020 – I ZR 86/19 – GRUR-RS 2020, 13411 Tz. 26 – Fernwärmepreis. 819 Teplitzky/Kessen Kap. 22 Rn. 14; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 12; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.140; kritisch Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 155 ff., 165. 820 BGH 12.1.1960 – I ZR 30/58 – GRUR 1960, 500, 502 – Plagiatsvorwurf; BGH 25.4.1958 – I ZR 97/57 – GRUR 1958, 448, 449 – Blanko-Verordnungen. 821 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 12. 822 BGH 12.1.1960 – I ZR 30/58 – GRUR 1960, 500, 502 – Plagiatsvorwurf. 823 Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 157. 824 Teplitzky/Kessen Kap. 22 Rn. 4. Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

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forderlich sind.825 Inhalt des Beseitigungsanspruchs können daher die unterschiedlichsten Handlungen sein (Widerruf einer Äußerung, Rückruf eines Produkts, Zustimmung,826 Schwärzung einer Kennzeichnung, Entfernung einer Packungsbeilage, Löschung einer Firma oder Marke,827 Rücknahme eines Eintragungsantrags, Entfernung von Dateien aus dem Internet, Vernichtung einer Werbetafel, Übermalung einer Fassade, Richtigstellung einer Äußerung, Lieferung von Waren im Falle eines Boykotts828 etc.). Was genau geschuldet ist, hängt von Art und Umfang der Beeinträchtigung ab.829 Was ist zur Beseitigung des Störungszustandes erforderlich?830 Es bedarf einer Interessenabwägung.831 Der Verwender unwirksamer Geschäftsbedingungen beispielsweise hat seine Kunden in geeigneter Weise über die Unwirksamkeit der Klauseln zu informieren.832 Die Beseitigung der Störung über ein vom Anspruchsgegner vorgegebenes Berichtigungsschreiben würde dem Grundsatz, dass es dem Schuldner frei steht, wie er den Störungszustand beseitigt,833 widersprechen.834 Ein wettbewerbsrechtlicher Anspruch auf Beseitigung von Fehlvorstellungen (berichtigende Werbung gegen Marktverwirrung), die durch eine irreführende Werbung hervorgerufen worden sind, besteht hingegen (zumindest aus Verhältnismäßigkeitsgründen, Rn. 117) nicht ohne Weiteres.835 Ist beispielsweise aber die Behauptung eines Energieversorgers, der Weiterbezug und das Absehen einer Kündigung könnten als Zustimmung zu einer Preiserhöhung gewertet werden, irreführend gemäß § 5, da die Änderung eines Vertrages nur durch übereinstimmende Willenserklärungen beider Vertragsparteien möglich ist, soll der Beseitigungsanspruch auch den Versand eines Berichtigungsschreibens umfassen.836 Hat eine Bank Entgelte aufgrund unwirksamer AGB-Klauseln vereinnahmt, ist der Störungszustand nicht im Haben des Geldes, sondern allenfalls in der Fehlvorstellung über die Zahlungsverpflichtung zu sehen.837 Über §§ 683, 677, 670 BGB soll die Möglichkeit bestehen, im Wege der Selbstvornahme aufgewandte Kosten einzufordern.838

d) Verhältnismäßigkeit des Beseitigungsanspruchs. Der Beseitigungsanspruch steht un- 117 ter dem Gebot der Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit des verlangten Mittels zu dem angestrebten Erfolg.839 Es sind nur solche Maßnahmen geschuldet, die geeignet

825 BGH 12.3.2015 – I ZR 188/13 – GRUR 2015, 607 Tz. 35 – Uhrenankauf im Internet. 826 BGH 12.3.2015 – I ZR 188/13 – GRUR 2015, 607 Tz. 35 – Uhrenankauf im Internet („Aufhebung eines rechtswidrigen Verbots“). 827 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 19 ff. 828 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.127. 829 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.113; ABC zu Inhalt und Ziel von Beseitigungsansprüchen bei Harte/ Henning/Goldmann § 8 Rn. 178 ff.; s. a. MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 176 ff. 830 Teplitzky/Kessen Kap. 24 Rn. 1. 831 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 16. 832 BGH 14.12.2017 – I ZR 184/15 – GRUR 2018, 423 Tz. 70 – Klauselersetzung; Gsell/Rübbeck ZfPW 2018, 409, 428. 833 Alexander § 22 Rn. 1727 f. 834 BGH 14.12.2017 – I ZR 184/15 – GRUR 2018, 423 Tz. 70 – Klauselersetzung; OLG Dresden 10.4.2018 – 14 U 82/ 16 – GRUR-RR 2018, 428 Tz. 35 f. – Kontobelastung bei Pfändung. 835 BGH 26.11.1997 – I ZR 109/95 – GRUR 1998, 415, 416 f. – Wirtschaftsregister; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 22; befürwortend auch mit Blick auf Irreführungen Lettl § 10 Rn. 15; Schricker GRUR Int. 1975, 191, 194 ff.; Teplitzky/ Kessen Kap. 26 Rn. 1; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.127. 836 LG Berlin 29.4.2011 – 103 O 198/10 – BeckRS 2011, 11068 und nachfolgend KG 27.3.2013 – 5 U 112/11 – BeckRS 2013, 9271. 837 Zur Problematik vgl. auch Reich VuR 2014, 247. 838 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 24; unter dem Aspekt des Schadensersatzes BGH 3.12.1985 – VI ZR 160/84 – GRUR 1986, 330, 332 – Warentest III. 839 BGH 14.12.2017 – I ZR 184/15 – GRUR 2018, 423 Tz. 70 – Klauselersetzung; BGH 26.11.1997 – I ZR 109/95 – GRUR 1998, 415, 417 – Wirtschaftsregister; BGH 23.2.1995 – I ZR 15/93 – GRUR 1995, 424, 426 – Abnehmerverwarnung; zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im UWG Köhler GRUR 1996, 82. 87

Hofmann

§8

Beseitigung und Unterlassung

und erforderlich sind,840 die noch vorhandene Störung zu beseitigen und die dem Schuldner zumutbar sind.841 Weniger einschneidende Maßnahmen genießen Vorrang.842 Kann etwa der mit der Beseitigung verfolgte Zweck durch eine weniger einschneidende Maßnahme erreicht werden?843 Bei zahlreichen spezialgesetzlichen Beseitigungsansprüchen ist dies ausdrücklich niedergeschrieben (vgl. § 18 Abs. 3 MarkenG; § 140a Abs. 4 PatG; § 98 Abs. 4 UrhG). Zudem sind die Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts, also insbesondere § 275 Abs. 2 BGB, anwendbar.844 Im Ergebnis bedarf es einer umfassenden Interessenabwägung.845 Zu berücksichtigen sind etwa der Grad des Verschuldens, die Belastungen für den Schuldner, die Schwere des Eingriffs oder auch eine etwaige Provokation des Gläubigers.846 Ein Vernichtungsanspruch beispielsweise setzt voraus, dass die von den Gegenständen ausgehende Gefahr weiterer Rechtsverletzungen nicht auf andere, mildere Weise (z. B. Unkenntlichmachung der irreführenden Angabe) beseitigt werden kann.847 Die Vernichtung muss zur Verhinderung weiterer Beeinträchtigungen notwendig sein und für den Verpflichteten zumutbar erscheinen.848 Nur wenn die Vernichtung notwendig ist und eine weniger einschneidende Maßnahme den berechtigten Interessen des Verletzten nicht genügt, kann ein Anspruch auf Vernichtung begründet sein.849 So ist zu bedenken, dass ohne eine Vernichtung Werbematerial – wenn auch aus Versehen – doch noch in den Verkehr gelangen kann.850 Es obliegt dem Beklagten darzulegen, dass die unzulässigen Angaben in anderer, wirtschaftlich weniger belastender Weise als durch eine Vernichtung dauerhaft beseitigt werden könnten.851 Das zu vernichtende Werbematerial muss in der Verfügungsgewalt des Anspruchsgegners sein.852 Besteht keine rechtliche Handhabe, wird der Schuldner im Einklang mit der Rechtsprechung zu Rückrufverpflichtungen aufgrund des Unterlassungsanspruchs aber auf die Beseitigung (genauer: den Rückruf oder die Löschung) im Rahmen des Zumutbaren zumindest hinzuwirken haben.853 Es besteht insoweit auch ein Anspruch auf Drittauskunft.854 Vertreten wird schließlich, dass der Gläubiger vom Schuldner eine Geldentschädigung analog §§ 251

840 BGH 25.4.1958 – I ZR 97/57 – GRUR 1958, 448, 449 f. – Blanko-Verordnungen („unbedingt notwendig“). 841 BTDrucks. 15/1487 S. 22; BGH 15.1.1957 – I ZR 190/55 – GRUR 1957, 278, 279 – Evidur; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 16.

842 BGH 29.6.1956 – I ZR 129/54 – GRUR 1956, 553, 558 – Coswig; BGH 15.1.1957 – I ZR 190/55 – GRUR 1957, 278, 279 – Evidur.

843 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.122. 844 BGH 14.3.2017 – VI ZR 721/15 – GRUR 2017, 748 Tz. 36 f. – Robinson-Liste. 845 BGH 23.2.1995 – I ZR 15/93 – GRUR 1995, 424, 426 – Abnehmerverwarnung („gebotene[n] Abwägung“); BGH 15.1.1957 – I ZR 190/55 – GRUR 1957, 278, 279 – Evidur; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 16.

846 BGH 10.4.1997 – I ZR 242/94 – GRUR 1997, 899, 901 – Vernichtungsanspruch; BGH 12.3.1992 – I ZR 58/90 – GRUR 1992, 527, 528 f. – Plagiatsvorwurf II; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.122. 847 BGH 21.2.2002 – I ZR 140/99 – GRUR 2002, 709, 711 – Entfernung der Herstellungsnummer III; BGH 15.1.1957 – I ZR 190/55 – GRUR 1957, 278, 279 – Evidur; BGH 29.6.1956 – I ZR 129/54 – GRUR 1956, 553, 558 – Coswig. 848 BGH 3.5.1963 – Ib ZR 93/61 – GRUR 1963, 539, 542 – echt skai. 849 BGH 3.5.1974 – I ZR 52/73 – GRUR 1974, 666, 669 – Reparaturversicherung. 850 BGH 3.5.1963 – Ib ZR 93/61 – GRUR 1963, 539, 542 – echt skai. 851 BGH 3.5.1963 – Ib ZR 93/61 – GRUR 1963, 539, 542 – echt skai. 852 BGH 3.5.1974 – I ZR 52/73 – GRUR 1974, 666, 669 – Reparaturversicherung. 853 Teplitzky/Kessen Kap. 22 Rn. 4, Kap. 23 Rn. 5 und Kap. 25 Rn. 3; Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 111; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.121; vgl. BGH 18.9.2014 – I ZR 76/13 – GRUR 2015, 258 Tz. 70 – CT-Paradies; BGH 4.5.2017 – I ZR 208/15 – GRUR 2017, 823 Tz. 32 – Luftentfeuchter; BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 32 – Produkte zur Wundversorgung. 854 BGH 21.2.2002 – I ZR 140/99 – GRUR 2002, 709, 712 – Entfernung der Herstellungsnummer III; BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – GRUR 2001, 841, 842 ff. – Entfernung der Herstellungsnummer II; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 18; vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.122 und Rn. 1.125. Hofmann

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B. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche (Absatz 1)

§8

Abs. 2 S. 1, 912 Abs. 2 BGB verlangen kann, wenn der Beseitigungsanspruch wegen Unverhältnismäßigkeit ausgeschlossen ist (vgl. Rn. 91).855

4. Widerrufsanspruch Als Sonderfall des Beseitigungsanspruchs kommt ein Widerrufsanspruch in Betracht.856 Wi- 118 derruf ist die Erklärung, dass eine Äußerung des Widerrufenden unrichtig ist.857 Durch unwahre Tatsachenbehauptungen kann eine fortdauernde Rufbeeinträchtigung herbeigeführt werden.858 Der Störungszustand kann in der Behauptung unwahrer, objektiv nachprüfbarer, dem Beweis zugänglicher Tatsachen liegen.859 Die Unwahrheit der Tatsache muss feststehen.860 Wegen der verfassungsrechtlich abgesicherten Meinungsfreiheit kommt ein Widerrufsanspruch mit Blick auf Meinungen demgegenüber nicht in Betracht.861 Ist eine Behauptung, die dem Betroffenen in seiner Ehre oder in seinem geschäftlichen Ruf schadet, nur zum Teil unwahr, dann steht ihm nicht schlechthin ein Anspruch auf Widerruf, sondern nur ein Anspruch auf Widerruf in der Form der Richtigstellung zu.862 Da es nicht um die Sanktionierung einer Äußerung geht, sondern um die Beseitigung einer Störung, muss der Störungszustand fortdauern.863 Erforderlich ist, dass die Behauptungen eine fortwirkende Quelle der Rufschädigung bilden („stetig neu fließende Quelle der Rufschädigung“)864 und der Widerruf notwendig und geeignet ist, diesen störenden Zustand zu beseitigen oder doch zu mildern.865 Ob dies der Fall ist, beurteilt sich insbesondere nach dem Zeitablauf und der Entwicklung der Verhältnisse, nach Art und Schwere des Vorwurfs, Art und Umfang der Verbreitung und den Eigenschaften der angesprochenen Personen.866 Bei einer kurzlebigen Werbung kann es sein, dass die Äußerung nicht im Gedächtnis Dritter fortlebt.867 Die Löschung oder das Hinwirken auf Löschung868 im Internet abrufbarer Tatsachenbehauptungen kann nur verlangt werden, wenn und soweit die beanstandeten Behauptungen nachweislich falsch sind und die begehrte Abhilfemaßnahme unter Abwägung der beiderseitigen Rechtspositionen, insbesondere der Schwere der Beeinträchtigung, zur Beseitigung des Störungszustands geeignet, erforderlich und dem Störer zumutbar ist.869 Neben dem Fortbestand des Störungszustands muss die zu seiner Beseitigung erstrebte Maßnahme (noch) geboten sein, also eine weniger einschneidende Maßnahme zur Störungsabwehr nicht ausreichen.870 In diesem Sinne kann eine Urteilsveröffentli-

855 856 857 858

MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 197. MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 199 ff.; Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 114. Teplitzky/Kessen Kap. 26 Rn. 4. BGH 28.7.2015 – VI ZR 340/14 – GRUR 2016, 104 Tz. 13 – recht§billig; BGH 28.1.1969 – VI ZR 232/67 – GRUR 1969, 368, 370 – Unternehmensberater; BGH 10.12.1969 – I ZR 20/68 – GRUR 1970, 254 – Remington; OLG Hamburg 27.3.2002 – 5 U 206/01 – GRUR-RR 2002, 298, 300 – PC-Spiele-Magazin. 859 Vgl. BGH 28.7.2015 – VI ZR 340/14 – GRUR 2016, 104 Tz. 13 – recht§billig; BGH 12.3.1992 – I ZR 58/90 – GRUR 1992, 527, 529 – Plagiatsvorwurf II. 860 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.137; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 29. 861 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 73; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.131; Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 115. 862 BGH 17.2.1987 – VI ZR 77/86 – GRUR 1987, 397 – Insiderwissen. 863 Vgl. BGH 12.1.1960 – I ZR 30/58 – GRUR 1960, 500, 502 – Plagiatsvorwurf. 864 Vgl. BGH 17.6.1953 – VI ZR 51/52 – BGHZ 10, 104 – NJW 1953, 1386. 865 BGH 10.12.1969 – I ZR 20/68 – GRUR 1970, 254, 256 – Remington. 866 Köhler NJW 1992, 137, 140. 867 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.132. 868 BGH 18.9.2014 – I ZR 76/13 – GRUR 2015, 258 Tz. 70 – CT-Paradies. 869 BGH 28.7.2015 – VI ZR 340/14 – GRUR 2016, 104 Tz. 16 – recht§billig; BGH 3.5.1977 – VI ZR 36/74 – GRUR 1977, 674 – Abgeordnetenbestechung; BGH 20.12.1983 – VI ZR 94/82 – GRUR 1984, 301, 302 f. – Aktionärsversammlung. 870 BGH 26.11.1997 – I ZR 109/95 – GRUR 1998, 415, 417 – Wirtschaftsregister. 89

Hofmann

§8

Beseitigung und Unterlassung

chung genügen.871 Bei Äußerungen im Internet kann vom Schuldner die Löschung nur verlangt werden, wenn er hierzu in der Lage ist. In jedem Fall hat er auf die Löschung hinzuwirken.872 Zumindest ernsthafte Versuche, auf Dritte einzuwirken, sind erforderlich.873 Sind nicht alle Aussagen in einem Artikel unlauter, kann nicht die Löschung des gesamten Artikels verlangt werden.874 Insgesamt gilt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Der Widerruf darf nicht über das Erforderliche hinausgehen, insbesondere nicht mit einer Demütigung verbunden sein.875 Ob eine unwahre Tatsachenbehauptung vorliegt oder eine von der Meinungsfreiheit gedeckte Äußerung einschließlich der Beweislast hierfür hat das materielle Recht im engeren Sinne zu entscheiden (§ 4 Nr. 1, Nr. 2). Steht gleichwohl die Unrichtigkeit der Behauptung nicht positiv fest, kann nur ein eingeschränkter Widerruf namentlich in Form einer Distanzierung (Behauptung kann nicht aufrechterhalten werden) verlangt werden.876 Beispiele: Der BGH hat beispielsweise einen Widerrufsanspruch eines zu Unrecht eines Plagiats beschuldigten Designers anerkannt, weil es sich bei dem Vorwurf des Diebstahls geistigen Eigentums um einen besonders schwerwiegenden Angriff auf Ruf und Ehre handelt.877 Wer Werbeschreiben für die Eintragung in ein Wirtschaftsregister wie Rechnungen aufmacht, um den fälschlichen Eindruck einer Zahlungsverpflichtung zu erwecken, muss wegen des betrügerischen Verhaltens ein Berichtigungsschreiben versenden, auch wenn er dadurch bloßgestellt wird.878 In diesem Fall war der Störungszustand aber insbesondere durch zwischenzeitliche Aufklärung der getäuschten Kunden, vor allem aber wegen Zeitablaufs weggefallen.879 Ein Widerrufsanspruch scheidet auch aus, wenn eine Partei eines Patentverletzungsverfahrens den Abnehmern der anderen Partei die Kopie eines ihr günstigen Urteils zugeschickt hatte, ohne darauf hinzuweisen, dass dieses noch nicht rechtskräftig war, wenn der Hinweis mittlerweile durch die Gegenpartei erfolgt ist. Die verbleibende Unsicherheit, ob alle Adressaten des ersten Rundschreibens erfasst wurden, rechtfertigt einen Widerrufsanspruch nicht.880 Einer Klage auf Unterlassung oder Beseitigung von Äußerungen, die der Rechtsverfolgung 119 oder Rechtsverteidigung in einem gerichtlichen oder behördlichen Verfahren dienen, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis (Rn. 17).881

C. Schuldner der Abwehransprüche I. Übersicht 120 Wurde ein Lauterkeitsrechtsverstoß begangen oder droht sich ein solcher zu verwirklichen, stellt sich die Frage, wer für diesen haftbar gemacht werden kann. Über die Passivlegitimation wird beantwortet, wer Anspruchsschuldner des Abwehranspruchs ist. Die Probleme, 871 BGH 12.3.1992 – I ZR 58/90 – GRUR 1992, 527 – Plagiatsvorwurf II; BGH 1.12.1965 – Ib ZR 155/63 – GRUR 1966, 272 – Arztschreiber.

872 BGH 28.7.2015 – VI ZR 340/14 – GRUR 2016, 104 Tz. 39 – recht§billig; BGH 18.9.2014 – I ZR 76/13 – GRUR 2015, 258 Tz. 70 – CT-Paradies. 873 BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 32 – Produkte zur Wundversorgung. 874 BGH 28.7.2015 – VI ZR 340/14 – GRUR 2016, 104 Tz. 17 – recht§billig; vgl. BGH 22.6.1982 – VI ZR 251/80 – GRUR 1982, 631, 633 – Klinikdirektoren. 875 BGH 15.1.1957 – I ZR 190/55 – GRUR 1957, 278, 279 – Evidur; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.136; Köhler NJW 1992, 137, 140 f. 876 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.142 und Rn. 1.137; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 29. 877 BGH 12.3.1992 – I ZR 58/90 – GRUR 1992, 527 – Plagiatsvorwurf II. 878 BGH 26.11.1997 – I ZR 109/95 – GRUR 1998, 415, 416 – Wirtschaftsregister; vgl. zurückhaltend Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 118. 879 BGH 26.11.1997 – I ZR 109/95 – GRUR 1998, 415, 417 – Wirtschaftsregister. 880 BGH 23.2.1995 – I ZR 15/93 – GRUR 1995, 424, 426 – Abnehmerverwarnung. 881 BGH 19.7.2012 – I ZR 105/11 – GRUR 2013, 305 Tz. 14 – Honorarkürzung; vgl. BGH 15.11.2012 – I ZR 128/11 – GRUR 2013, 647 Tz. 14 – Rechtsmissbräuchlicher Zuschlagsbeschluss. Hofmann

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C. Schuldner der Abwehransprüche

§8

ob erstens eine unzulässige geschäftliche Handlung vorliegt, ob zweitens der Verstoß mit einem Unterlassungsanspruch durchgesetzt wird und gegen wen sich drittens der Anspruch richtet, lassen sich analytisch auseinanderhalten.882 Schuldner der in § 8 geregelten Abwehransprüche ist jeder, der durch sein Verhalten den objektiven Tatbestand einer Zuwiderhandlung selbst, durch einen anderen oder gemeinschaftlich mit einem anderen adäquat kausal verwirklicht oder sich als Teilnehmer an der deliktischen Handlung eines Dritten beteiligt.883 Dem Privatrecht liegt ein Einheitstäterbegriff zugrunde (§ 830 Abs. 2 BGB). Der Unter- 121 scheidung zwischen Täter (Rn. 124 ff.) und Teilnehmer (Rn. 170 ff.) kommt damit keine grundlegende Bedeutung zu. Inhaltlich orientiert sich die Rechtsprechung bei der Frage, ob sich jemand als Täter, Mittäter, Anstifter oder Gehilfe in einer die zivilrechtliche Haftung begründenden Weise an einer deliktischen Handlung eines Dritten beteiligt hat, am Strafrecht.884 Allerdings finden sich auch genuin privatrechtlich geformte Haftungsinstrumente. Praktische Bedeutung haben insbesondere die Haftungsgrundsätze für Intermediäre. Zu Intermediären zählen namentlich Betreiber von Verkaufsplattformen im Internet, Suchmaschinen, Linksetzer oder auch die Presse (Rn. 155 ff.). Für von Dritten begangene Lauterkeitsrechtsverstöße (enger: für durch Dritte beeinträchtigte wettbewerbsrechtlich geschützte Interessen)885 sind sie dadurch, dass sie Dritten die Verletzungen – beispielsweise über die Bereitstellung entsprechender Infrastruktur – ermöglichen, nur indirekt verantwortlich. Insoweit werden im Wesentlichen die bürgerlich-rechtlichen Haftungsgrundsätze der mittelbaren Verantwortlichkeit herangezogen (Rn. 144). Auch mittelbare Verletzer haften als Täter. Allerdings muss explizit die Verletzung einer auf einer Interessenabwägung basierenden Verkehrspflichtverletzung herausgearbeitet werden. Letztendlich lassen sich auch Teilnahmehandlungen als derartige Sorgfaltsverstöße interpretieren.886 Davon unabhängig finden sich diverse Zurechnungsnormen. Speziell über § 8 Abs. 2 122 kann der Inhaber eines Unternehmens haftbar gemacht werden, wenn die Zuwiderhandlung in einem Unternehmen von einem Mitarbeiter oder Beauftragten begangen wird (Rn. 174 ff.). Da das Lauterkeitsrecht Sonderdeliktsrecht ist,887 sind Rückgriffe auf das allgemeine Deliktsrecht zulässig, ja erwünscht. Daher kommt eine Organhaftung nach §§ 31, 89 BGB (Rn. 195 ff.) ebenso wie eine Haftung für Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfen (§§ 278, 831 BGB) in Betracht (Rn. 199 f.). Bei mehreren Verantwortlichen steht es dem Anspruchssteller frei, wen er in Anspruch nimmt.888 Das Unionsrecht hält sich mit Vorgaben zur Rechtsdurchsetzung zurück. Während die En- 123 forcement-RL (RL 2004/48/EG) für das Lauterkeitsrecht nicht gilt (vgl. Art. 1 Enforcement-RL) und daher allenfalls analog herangezogen werden kann,889 bleiben die Vorgaben in der UGP-

882 Vgl. BGH 14.12.2017 – I ZR 184/15 – GRUR 2018, 423 Tz. 51 – Klauselersetzung. 883 BGH 3.3.2016 – I ZR 110/15 – GRUR 2016, 961 Tz. 32 – Herstellerpreisempfehlung bei Amazon; BGH 5.2.2015 – I ZR 136/13 – GRUR 2015, 906 Tz. 29 – TIP der Woche. 884 BGH 20.2.2020 – I ZR 193/18 – GRUR 2020, 543 Tz. 30 – Kundenbewertungen auf Amazon; BGH 5.10.2017 – I ZR 184/16 – GRUR 2018, 203 Tz. 35 – Betriebspsychologe; BGH 18.6.2014 – I ZR 242/12 – GRUR 2014, 883 Tz. 13 – Geschäftsführerhaftung; BGH 22.6.2011 – I ZR 159/10 – GRUR 2011, 1018 Tz. 24 – Automobil-Onlinebörse; BGH 22.7.2010 – I ZR 139/08 – GRUR 2011, 152 Tz. 30 – Kinderhochstühle im Internet; kritisch Ohly GRUR 2017, 441, 445; Ahrens WRP 2007, 1281, 1282; befürwortend Löffler FS Bornkamm (2014) S. 37, 39 ff. 885 BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 34 – Jugendgefährdende Medien. 886 Zum Verhältnis von Verkehrspflichten zum Verschulden Wagner Deliktsrecht (2021) Kap. 5, Rn. 29 ff., 33, 38. 887 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.3 verweisen auf die Vergleichbarkeit mit § 823 Abs. 2 BGB; es geht um Verhaltensunrecht. 888 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 118. 889 Vgl. Ohly FS Ahrens (2016) S. 135, 142 ff., 143; vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.1a. 91

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§8

Beseitigung und Unterlassung

RL (Art. 11, 13 RL 2005/29/EG) und der Irreführungsrichtlinie mit Blick auf die Passivlegitimation (Art. 5 RL 2006/114/EG) vage.890

II. Täter 1. Allgemeines 124 Täterschaft im Lauterkeitsrecht hat unterschiedliche Ausprägungen. Neben der unmittelbaren Alleintäterschaft (Rn. 125 ff.) und der Mittäterschaft (Rn. 130) kommt eine mittelbare Täterschaft im strafrechtlichen Sinne (Rn. 131) in Betracht. Mittelbare Verletzer im zivilrechtlichen Sinne (Rn. 132 ff.) haften im Falle der Verletzung einer lauterkeitsrechtlichen Verkehrspflicht ebenfalls als Täter.891 Verwirrend ist bisweilen die unterschiedliche Terminologie:892 Teils wird in Anlehnung an den Wortlaut des § 1004 BGB statt von Tätern von Störern gesprochen,893 um generell die Schuldner von Abwehransprüchen im Sinne eines Oberbegriffs zu umschreiben.894 Im Lauterkeitsrecht waren mit Störern allerdings regelmäßig mittelbar Verantwortliche auf Basis der hierfür entwickelten Störerhaftung gemeint (Rn. 136 f.). Bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen werden diese Haftungsadressaten wiederum als mittelbare Störer bezeichnet.895 Im Folgenden wird ausschließlich von Tätern gesprochen. Wann eine Haftung besteht, hängt aber je nach Konstellation von unterschiedlichen Voraussetzungen ab. Keine eigenständige Bedeutung hat der Begriff des Nebentäters.896 Wer einen Tatbestand unabhängig vom täterschaftlichen Handeln eines Dritten verwirklicht, haftet wie der andere auch eigenständig.

2. Unmittelbare Alleintäterschaft 125 a) Grundsätze. Täter eines Lauterkeitsverstoßes ist derjenige, der durch sein Verhalten die unzulässige geschäftliche Handlung nach § 3 oder § 7 selbst adäquat kausal begeht oder zu begehen droht.897 Der Täter erfüllt in seiner Person sämtliche Merkmale des Verbotstatbestandes. Fehlt es bereits an einer geschäftlichen Handlung, kommt allenfalls eine Haftung nach dem allgemeinen Deliktsrecht in Betracht (§§ 823 ff. BGB). Eine geschäftliche Handlung kann allerdings auch ein Nicht-Unternehmer vornehmen (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1).898 Ein Geschäftsführer haftet originär für einen Wettbewerbsverstoß der von ihm vertretenen Gesellschaft, wenn er die Rechtsverletzung (genauer: die unzulässige geschäftliche Handlung) selbst begangen hat.899 Allein durch den Betrieb einer Plattform wird indes nicht gegen 890 Art. 11 Abs. 1 UAbs. 4 lit. b UGP-RL eröffnet überdies die Möglichkeit, Rechtsbehelfe gegen die Urheber eines Verhaltenskodex vorzusehen.

891 BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 36 – Jugendgefährdende Medien. 892 Rechtsvergleichend zu Österreich Griss FS Bornkamm (2014) S. 29. 893 BGH 1.3.2016 – VI ZR 34/15 – GRUR 2016, 855 Tz. 16 – jameda.de; für Persönlichkeitsrechtsverletzungen vgl. v. Pentz AfP 2014, 8, 16; Härting CR 2013, 443. 894 MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 258; BGH 28.7.2015 – VI ZR 340/14 – GRUR 2016, 104 Tz. 34 – recht§billig (zu § 1004 BGB). 895 BGH 1.3.2016 – VI ZR 34/15 – GRUR 2016, 855 Tz. 22 – jameda.de. 896 Vgl. Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 366. 897 BGH 3.3.2016 – I ZR 110/15 – GRUR 2016, 961 Tz. 32 – Herstellerpreisempfehlung bei Amazon; BGH 18.6.2014 – I ZR 242/12 – GRUR 2014, 883 Tz. 13 – Geschäftsführerhaftung; BGH 10.2.2011 – I ZR 183/09 – GRUR 2011, 340 Tz. 27 – Irische Butter; BGH 8.11.2007 – I ZR 60/05 – GRUR 2008, 530 Tz. 21 – Nachlass bei der Selbstbeteiligung; vgl. BGH 12.5.2010 – I ZR 121/08 – GRUR 2010, 633 Tz. 13 – Sommer unseres Lebens. 898 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 121; Teplitzky/Büch Kap. 14 Rn. 3. 899 BGH 18.6.2014 – I ZR 242/12 – GRUR 2014, 883 Tz. 14 – Geschäftsführerhaftung. Hofmann

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C. Schuldner der Abwehransprüche

§8

eine Marktverhaltensregel, die den Vertrieb jugendgefährdender Medien verbietet, verstoßen. Die Plattform bietet die streitgegenständlichen Produkte nicht selbst an.900 Rechtsverletzende Kundenkommentare auf Bewertungsportalen stammen in diesem Sinne von Kunden, so dass eine unmittelbare Täterschaft des Portalbetreibers ausscheidet.901 Die Plattform hat die in Streit stehende unlautere geschäftliche Handlung gerade nicht selbst vorgenommen.902 Der Anbieter von Fortbildungen haftet ebenfalls nicht als Täter für eigenverantwortlich begangene Täuschungshandlungen der Absolventen bei der Nutzung erworbener Abschlüsse gegenüber Verbrauchern.903 Wer nicht selbst Adressat einer Verbotsnorm ist (beispielsweise Angehöriger eines bestimmten Berufsstandes), kann nicht als Täter,904 sondern allenfalls als Teilnehmer haften (Rn. 172);905 besondere Relevanz hat dies für besondere Täterqualifikationen bei Marktverhaltensregelungen.906

b) Haftung für zu Eigen gemachte Inhalte Dritter aa) Allgemeines. Täter ist auch,907 wer sich einen wettbewerbswidrigen Drittinhalt zu Ei- 126 gen macht.908 Unabhängig davon, ob man dies als einen Fall der Mittäterschaft begreift,909 hat dies Bedeutung insbesondere bei Online-Sachverhalten (u. a. § 4 Nr. 1, Nr. 2). Privilegierungen nach §§ 7 Abs. 1, 10 Satz 1 TMG gelten nicht gegenüber eigenen Inhalten von Content-Providern und damit gleichgestellt zu Eigen gemachten Inhalten.910 Der Betreiber einer Internet-Seite macht sich Inhalte zu Eigen, wenn er nach außen erkennbar die inhaltliche Verantwortung für die auf seiner Internetseite veröffentlichten Inhalte übernommen oder den zurechenbaren Anschein erweckt hat, er identifiziere sich mit den fremden Inhalten.911 Ob ein ZuEigen-Machen vorliegt, ist aus der Sicht eines verständigen Durchschnittsnutzers auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände zu beurteilen.912 Dies gilt auch im Heilmittelwerberecht.913

bb) Einzelfälle. Während bei der Annahme eines Zu-Eigen-Machens insgesamt Zurück- 127 haltung geboten sein soll, spricht dafür, dass ein Diensteanbieter sich fremde Informationen 900 BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 21 – Jugendgefährdende Medien. 901 BGH 3.3.2016 – I ZR 110/15 – GRUR 2016, 961 Tz. 31 – Herstellerpreisempfehlung bei Amazon; zur Haftung wegen der Verletzung von Verkehrspflichten Rn. 157. 902 BGH 3.3.2016 – I ZR 110/15 – GRUR 2016, 961 Tz. 31 – Herstellerpreisempfehlung bei Amazon. 903 BGH 5.10.2017 – I ZR 184/16 – GRUR 2018, 203 Tz. 36 – Betriebspsychologe. 904 BGH 3.7.2008 – I ZR 145/05 – GRUR 2008, 810 Tz. 13 – Kommunalversicherer; BGH 26.2.2009 – I ZR 28/06 – GRUR 2009, 603 Tz. 10 – Versicherungsuntervertreter; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 121. 905 BGH 16.6.2016 – I ZR 46/15 – GRUR 2017, 194 Tz. 43 – Orthopädietechniker; BGH 12.3.2015 – I ZR 84/14 – GRUR 2015, 1025 Tz. 16 – TV-Wartezimmer. 906 Zu § 16a EnEV BGH 5.10.2017 – I ZR 232/16 – GRUR 2018, Tz. 21 – Energieausweis. 907 Bei der Internetanschlussinhaberhaftung greifen zudem Vermutungsregeln, nur BGH 30.3.2017 – I ZR 19/16 – GRUR 2017, 1233 Tz. 14 ff. – Loud. 908 BGH 18.6.2015 – I ZR 74/14 – GRUR 2016, 209 Tz. 13 – Haftung für Hyperlink. 909 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 122. 910 BGH 18.10.2007 – I ZR 102/05 – GRUR 2008, 534 Tz. 20 – ueber18.de; BGH 12.11.2009 – I ZR 166/07 – GRUR 2010, 616 Tz. 22 f. – marions-kochbuch.de. 911 BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 Tz. 25 – Hotelbewertungsportal; BGH 12.11.2009 – I ZR 166/ 07 – GRUR 2010, 616 Tz. 27 – marions-kochbuch.de; s. a. BGH 27.2.2018 – VI ZR 489/16 – GRUR 2018, 642 Tz. 28 – Internetforum. 912 BGH 18.6.2015 – I ZR 74/14 – GRUR 2016, 209 Tz. 13 – Haftung für Hyperlink; BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 Tz. 25 – Hotelbewertungsportal; BGH 12.11.2009 – I ZR 166/07 – GRUR 2010, 616 Tz. 23 – marionskochbuch.de. 913 BGH 20.2.2020 – I ZR 193/18 – I ZR 193/18 – GRUR 2020, 543 Tz. 17 – Kundenbewertungen auf Amazon. 93

Hofmann

§8

Beseitigung und Unterlassung

zu Eigen gemacht hat, dass der Anbieter die von Dritten hochgeladenen Inhalte inhaltlichredaktionell auf Vollständigkeit und Richtigkeit kontrolliert oder auswählt oder die fremden Informationen in das eigene redaktionelle Angebot einbindet.914 Statistische Auswertungen und automatisierte Formalprüfungen auf Verletzung der Nutzungsbedingungen begründen nicht den Eindruck, dass sich das Portal mit den Drittinhalten identifiziere.915 Es ist auch nicht in jedem Fall als ein zu Eigen machen von wettbewerbswidrigen Inhalten auf einer Internetseite eines Dritten zu werten, wenn jemand einen einfachen Link auf die Startseite jener Webseite setzt.916 Im konkreten Fall wurde u. a. abgewogen, dass der Link nicht wesentlicher Bestandteil des Geschäftsmodells des Linksetzers war,917 sich auf der Zielseite für ihn keine versteckte Werbung fand, der Verweis nicht der Vervollständigung des eigenen Angebots des Verlinkenden diente, also beispielsweise nicht für das weitergehende Verständnis einer vom Verlinkenden geäußerten Meinung erkennbar von Bedeutung war,918 und dass die Webseite auch ohne den Verweise nicht unvollständig wirkte.919 Ein Gegenschluss, wonach bei Deep-Links stets von einem Zueigenmachen auszugehen ist, darf indes nicht gezogen werden.920 Entscheidend ist ferner eine inhaltliche Wertung, nicht die formale Distanzierung („salvatorische Klausel“) durch die Plattform.921 Inhalte Dritter macht sich eine Suchmaschine nicht dadurch zu Eigen, dass sie die Webseiten im Suchindex nachweist.922 Überarbeitet eine Bewertungsplattform eigenmächtig Nutzerkommentare, liegt hingegen ein Zueigenmachen vor.923 Ein Online-Lieferportal für Lebensmittel ist für Speisekarten von Drittanbietern, die der Portalbetreiber selbst in sein Portal einstellt, ohne Weiteres verantwortlich; es handelt sich um eigene Inhalte.924

128 cc) Bewertung. Die Abgrenzung zwischen eigenen, fremden und zu Eigen gemachten Inhalten fällt nicht immer einfach. Überzeugenderweise kommt es darauf aber entgegen der h. M. nicht entscheidend an.925 Auch ohne ein Zueigenmachen kommt eine Haftung wegen der Verletzung von Verkehrspflichten in Betracht. Je aktiver der Anspruchsgegner mit Blick auf den Wettbewerbsverstoß ist, desto wahrscheinlicher ist zugleich die Begründung einer eigenen Verkehrspflichtverletzung. Umgekehrt gilt: Je weniger ein Intermediär mit einer Rechtsverletzung eines Dritten zu tun hat, je stärker seine Verantwortlichkeit gegenüber derjenigen eines primär verantwortlichen Dritten verblasst, desto geringer fallen seine Verkehrspflichten aus.926 Selbst derjenige, der sich einen Inhalt zu Eigen macht, haftet in letzter Konsequenz wegen der Verletzung einer – freilich offenkundig zu Tage tretenden – Verkehrspflicht.927

914 915 916 917 918 919 920 921 922 923

BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 Tz. 25 – Hotelbewertungsportal. BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 Tz. 27 f. – Hotelbewertungsportal. BGH 18.6.2015 – I ZR 74/14 – GRUR 2016, 209 Tz. 18 f. – Haftung für Hyperlink. Gegenbeispiel: BGH 18.10.2007 – I ZR 102/05 – GRUR 2008, 534 Tz. 21 – ueber18.de. BGH 19.5.2011 – I ZR 147/09 – GRUR 2012, 74 Tz. 24 – Coaching-Newsletter. BGH 18.6.2015 – I ZR 74/14 – GRUR 2016, 209 Tz. 18 – Haftung für Hyperlink. Ohly NJW 2016, 1417, 1418. BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 Tz. 27 – Hotelbewertungsportal. BGH 27.2.2018 – VI ZR 489/16 – GRUR 2018, 642 Tz. 29 – Internetforum. BGH 4.4.2017 – VI ZR 123/16 – GRUR 2017, 844 Tz. 20 – klinikbewertungen.de; vgl. auch OLG Köln 24.5.2017 – 6 U 161/16 – MMR 2017, 842 Tz. 68 f. 924 KG 21.6.2017 – 5 U 185/16 – MMR 2017, 830 Tz. 30. 925 F. Hofmann JuS 2017, 713, 717 f., 718 f. 926 F. Hofmann JuS 2017, 713, 719. 927 Vgl. so mit Blick auf Verkehrspflichten im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB MünchKommBGB/Wagner § 823 Rn. 22; Looschelders Schuldrecht BT (2021) S. 59 Rn. 4. Hofmann

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C. Schuldner der Abwehransprüche

§8

c) Zurechnung. Nach dem BGH muss die Handlung adäquat kausal für den Wettbewerbs- 129 verstoß sein.928 Das Kriterium der Adäquanz dient im Rahmen der Feststellung des Zurechnungszusammenhangs929 dem Zweck, diejenigen Kausalverläufe auszugrenzen, die dem Schädiger billigerweise nicht mehr zugerechnet werden können. An der Adäquanz kann es beispielsweise fehlen, wenn der Geschädigte oder ein Dritter in völlig ungewöhnlicher und unsachgemäßer Weise in den schadensträchtigen Geschehensablauf eingreift und eine weitere Ursache setzt, die den Schaden erst endgültig herbeiführt.930 Ein Unternehmen, dass auf seiner Internetseite eine Weiterempfehlungsfunktion vorhält, deren sich Dritte zur Versendung einer Mitteilung bedienen können, in der das Unternehmen als Absender ausgewiesen wird, haftet als Täter eines Wettbewerbsverstoßes. Mit diesem Verhalten hat das Unternehmen gezielt die adäquat kausale Ursache dafür gesetzt, dass der Empfänger eine dem Unternehmen schon auf Grund der äußeren Gestaltung der Mitteilung zurechenbare unerwünschte Werbung erhält.931 Obwohl ein Händler, wenn er ein Angebot bei Amazon einstellt, nicht darauf einwirken kann, dass der Plattformbetreiber eine unverbindliche Preisempfehlung einblendet, haftet der Händler für eine dadurch verursachte Irreführung.932 Auch dies läuft in der Sache auf Verkehrspflichtverletzungen hinaus.933 In diesem Sinne steht einem Unternehmen, das sich nach dem äußeren Erscheinungsbild einer Werbung als hierfür verantwortlich geriert, der Nachweis offen, tatsächlich nicht in der Lage gewesen zu sein, auf den Inhalt der beanstandeten Werbung Einfluss zu nehmen.934 3. Mittäterschaft und mittelbare Täterschaft a) Mittäterschaft. Mittäterschaft erfordert eine gemeinschaftliche Begehung des Lauter- 130 keitsrechtsverstoßes. Es braucht ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken (§ 830 Abs. 1 Satz 1 BGB).935 Der Tatbeitrag des einen wird dem anderen gemäß § 830 Abs. 1 Satz 1 BGB zugerechnet.936 Beispielsweise kann dies der Fall sein, wenn ein Geschäftsführer das wettbewerbswidrige Verhalten in Auftrag gibt.937 An einer gemeinschaftlichen Tatbegehung fehlt es, wenn auf einer Internetplattform Nutzerinhalte in einem automatisierten Verfahren ohne Kenntnisnahme des Plattformbetreibers eingestellt werden.938 Die allgemeine Kenntnis, dass auf der 928 BGH 3.3.2016 – I ZR 110/15 – GRUR 2016, 961 Tz. 32 ff. – Herstellerpreisempfehlung bei Amazon; BGH 18.3.2010 – I ZR 16/08 – GRUR 2010, 1110 Tz. 32 ff. – Versandkosten bei Froogle II; BGH 8.11.2007 – I ZR 60/05 – GRUR 2008, 530 Tz. 21 – Nachlass bei der Selbstbeteiligung; vgl. BGH 12.9.2013 – I ZR 208/12 – GRUR 2013, 1259 Tz. 23 – Empfehlungs-E-Mail. 929 Mit Blick auf das Persönlichkeitsrecht lesenswert BGH 9.4.2019 – VI ZR 89/18 – GRUR 2019, 862 Tz. 12 ff. – Filmberichterstattung. 930 BGH 3.3.2016 – I ZR 110/15 – GRUR 2016, 961 Tz. 34 – Herstellerpreisempfehlung bei Amazon. 931 BGH 14.1.2016 – I ZR 65/14 – GRUR 2016, 946 Tz. 41 – Freunde finden. 932 BGH 3.3.2016 – I ZR 110/15 – GRUR 2016, 961 Tz. 32 ff. – Herstellerpreisempfehlung bei Amazon. 933 Vgl. MünchKommBGB/Wagner § 823 Rn. 70 und Rn. 66; Wagner Deliktsrecht (2021) Kap. 5, Rn. 88 f.; F. Hofmann WRP 2020, 579, 580; vgl. Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 141 f. u. a. mit Verweis auf BGH 3.3.2016 – I ZR 140/14 – GRUR 2016, 936 Tz. 14 – Angebotsmanipulation bei Amazon. 934 BGH 17.9.2015 – I ZR 92/14 – GRUR 2016, 395 Tz. 23 – Smartphone-Werbung. 935 BGH 20.2.2020 – I ZR 193/18 – GRUR 2020, 543 Tz. 30 f. – Kundenbewertungen auf Amazon; BGH 5.10.2017 – I ZR 184/16 – GRUR 2018, 203 Tz. 36 – Betriebspsychologe; BGH 14.1.2016 – I ZR 65/14 – GRUR 2016, 946 Tz. 40 – Freunde finden; BGH 18.6.2014 – I ZR 242/12 – GRUR 2014, 883 Tz. 13 – Geschäftsführerhaftung; BGH 25.4.2012 – I ZR 105/10 – GRUR 2012, 1279 Tz. 38 – DAS GROSSE RÄTSELHEFT; vgl. BGH 22.6.2011 – I ZR 159/10 – GRUR 2011, 1018 Tz. 17 – Automobil-Onlinebörse; BGH 11.3.2009 – I ZR 114/06 – GRUR 2009, 597 Tz. 14 – Halzband. 936 BGH 19.6.1963 – Ib ZR 15/62 – GRUR 1964, 88, 89 f. – Verona-Gerät. 937 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 122 mit Verweis auf BGH 18.6.2014 – I ZR 242/12 – GRUR 2014, 883 Tz. 14 – Geschäftsführerhaftung. 938 Vgl. BGH 3.3.2016 – I ZR 110/15 – GRUR 2016, 961 Tz. 31 – Herstellerpreisempfehlung bei Amazon. 95

Hofmann

§8

Beseitigung und Unterlassung

Plattform Rechtsverletzungen geschehen, ist nicht ausreichend.939 Mittäter sind nach der Rechtsprechung der Unternehmer und der von dem Unternehmer zu wettbewerbswidrigem Verhalten angewiesene Angestellte, sofern sich der Angestellte der ihm erteilten Weisung nicht ohne Weiteres unterwirft.940 Ebenfalls als Mittäter angesehen wurden der Versender und der Auftraggeber unerwünschter Werbung.941 Wer im Auftrag Dritter unerbetene Telefaxwerbung versendet, soll nicht nur „Mitstörer“ der fremden wettbewerbswidrigen Handlung sein, sondern einen eigenen unmittelbaren Tatbeitrag leisten.942

131 b) Mittelbare Täterschaft im strafrechtlichen Sinne. Auch derjenige, der die Zuwiderhandlung in mittelbarer Täterschaft begeht (§ 25 Abs. 1 2. Alt. StGB), ist Täter.943 Dies sollte nach älterer Rechtsprechung beispielsweise bei einem Geschäftsführer der Fall sein, der einem Mitarbeiter konkrete Anweisungen gibt, die von diesem befolgt werden und in einen Wettbewerbsverstoß münden.944 Im Einklang mit dem Strafrecht (§ 25 Abs. 1, 2. Alt. StGB) muss der mittelbare Täter aber die Zuwiderhandlung nicht nur im eigenen Interesse veranlassen, sondern auch Kontrolle über den Vordermann ausüben.945 Maßgeblich ist insoweit die Tatherrschaft.946 Eine mittelbare Täterschaft soll jedenfalls dann ausscheiden, wenn der unmittelbar Handelnde den betreffenden Wettbewerbsverstoß seinerseits täterschaftlich begangen hat oder hätte.947 Raum für eine mittelbare Täterschaft soll dort sein, wo der Vordermann selbst keine geschäftliche Handlung vornimmt und der Hintermann ihn gleichsam wie ein Werkzeug kontrolliert, beispielsweise bei der Laienwerbung.948 Eine mittelbare Täterschaft hat die Rechtsprechung ferner im Falle eines Lieferanten einer wettbewerbswidrigen Zeitschrift angenommen: Zwar verteile der Lieferant die Zeitschrift nicht selbst, der Lieferant vertreibe die Zeitschrift aber an Einzelhändler zum Zwecke der Abgabe an Kunden.949 Der Lieferant gehe bei dem Vertrieb somit zumindest von der Vorstellung aus, dass die Zeitschrift für Kunden bestimmt sei.950 Als mittelbarer Täter wurde auch identifiziert, wer seinen Angestellten zu einer wettbewerbswidrigen Handlung anweist, sofern sich der Angestellte der ihm erteilten Weisung ohne Weiteres unterwirft.951 Mittelbarer Täter soll schließlich sein, wer als Informant eine adäquate Ursache für eine wettbewerbswidrige Pressedarstellung setzt952 sowie wer sich zum Zwecke der Spam-Versendung vermeintlich unverdächtiger Dritter als „Strohmänner“ bedient.953 Insgesamt gilt auch 939 BGH 22.7.2010 – I ZR 139/08 – GRUR 2011, 152 Tz. 31 – Kinderhochstühle im Internet. 940 BGH 19.6.1963 – Ib ZR 15/62 – GRUR 1964, 88, 89 f. – Verona-Gerät; unterwirft sich der Angestellte den Anweisungen ohne Weiteres, kann eine mittelbare Täterschaft vorliegen.

941 LG Frankfurt 27.11.2002 – 2/6 O 401/02 – MMR 2003, 423, 424. 942 LG Frankfurt 27.11.2002 – 2/6 O 401/02 – MMR 2003, 423, 424. 943 BGH 20.2.2020 – I ZR 193/18 – GRUR 2020, 543 Tz. 30 – Kundenbewertungen auf Amazon; BGH 18.6.2014 – I ZR 242/12 – GRUR 2014, 883 Tz. 13 – Geschäftsführerhaftung; BGH 25.4.2012 – I ZR 105/10 – GRUR 2012, 1279 Tz. 38 – DAS GROSSE RÄTSELHEFT; vgl. Kleinmanns Mittelbare Täterschaft im Lauterkeitsrecht (2014). 944 BGH 19.6.1963 – Ib ZR 15/62 – GRUR 1964, 88, 89 – Verona-Gerät; weiteres Beispiel BGH 15.12.1953 – I ZR 146/ 52 – GRUR 1954, 167, 170 – Kundenzeitschrift. 945 BGH 25.4.2012 – I ZR 105/10 – GRUR 2012, 1279 Tz. 38 – DAS GROSSE RÄTSELHEFT. 946 BGH 20.2.2020 – I ZR 193/18 – GRUR 2020, 543 Tz. 31 – Kundenbewertungen auf Amazon; BGH 5.10.2017 – I ZR 184/16 – GRUR 2018, 203 Tz. 35 f. – Betriebspsychologe; BGH 22.6.2011 – I ZR 159/10 – GRUR 2011, 1018 Tz. 21 – Automobil-Onlinebörse. 947 BGH 5.10.2017 – I ZR 184/16 – GRUR 2018, 203 Tz. 36 – Betriebspsychologe; BGH 25.4.2012 – I ZR 105/10 – GRUR 2012, 1279 Tz. 38 – DAS GROSSE RÄTSELHEFT. 948 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 116; vgl. aber für Täterschaft bei einer Weiterempfehlungsfunktion BGH 12.9.2013 – I ZR 208/12 – GRUR 2013, 1259 Tz. 23 – Empfehlungs-E-Mail. 949 BGH 15.12.1953 – I ZR 146/52 – GRUR 1954, 167, 170 – Kundenzeitschrift. 950 BGH 15.12.1953 – I ZR 146/52 – GRUR 1954, 167, 170 – Kundenzeitschrift. 951 BGH 19.6.1963 – Ib ZR 15/62 – GRUR 1964, 88, 89 – Verona-Gerät. 952 OLG Rostock 19.4.1995 – 2 U 79/94 – WRP 1995, 657, 658 – Titan-Brille. 953 OLG Hamburg 2.10.2003 – 5 U 25/03 – CR 2004, 376, 377. Hofmann

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C. Schuldner der Abwehransprüche

§8

hier: Statt sich in den für das Privatrecht nicht ohne Weiteres passenden strafrechtlichen Figuren zu verlieren, lassen sich namentlich Fälle mittelbarer Täterschaft interessengerecht über die Haftung wegen der Verletzung einer Verkehrspflicht erfassen (Rn. 132 ff., 143 ff.).954

4. Haftung wegen der lauterkeitsrechtlicher Verkehrspflichten a) Allgemeines aa) Einführung. Auch derjenige, der für einen (drohenden) Wettbewerbsverstoß nur indirekt 132 verantwortlich ist, die Rechtsverletzung also erst im Zusammenspiel mit weiteren Ursachen erfolgt, kann haftbar gemacht werden. In Fällen, in denen die eigentliche Verantwortung für die Rechtsbeeinträchtigung bei einem Dritten zu liegen scheint, kommt gleichwohl eine Inanspruchnahme des mittelbaren Verletzers (Plattformbetreiber, Suchmaschinenbetreiber, Linksetzer, Werbeagentur etc.) in Betracht. In der Literatur wird zwischen Informationsmittlern (z. B. Meinungs- oder Bewertungsportalen, Medienunternehmen, Internetforen), Zugangsvermittlern (Inhaber von Internetanschlüssen, Accessprovider), Absatzmittlern (Internetverkaufsportale, Händler) und Werbeagenturen unterschieden.955 Es geht um das Themenfeld der lauterkeitsrechtlichen Intermediärshaftung,956 die über das Konzept der wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflichten geregelt wird. Die Haftung wegen der Verletzung lauterkeitsrechtlicher Verkehrspflichten hat gegenüber der Störerhaftung im Recht des Geistigen Eigentums und bei Persönlichkeitsrechten weitaus weniger Aufmerksamkeit erfahren.957 Einer Haftung unter dem Gesichtspunkt der Verletzung einer wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflicht liegt der Gedanke zu Grunde, dass derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenquelle schafft oder andauern lässt, die ihm zumutbaren Maßnahmen und Vorkehrungen treffen muss, die zur Abwendung der daraus Dritten drohenden Gefahren notwendig sind.958 Wer gegen eine wettbewerbsrechtliche Verkehrspflicht verstößt, ist Täter einer unlauteren geschäftlichen Handlung.959 Unabhängig von der dogmatischen Ausgestaltung im Detail960 geht es übergreifend um die Grundsätze des bürgerlich-rechtlichen Haftungskonzepts der mittelbaren Verantwortlichkeit. Auch derjenige, der für einen Rechtsverstoß nur indirekt verantwortlich ist, kann haften, soweit ihm ein spezifischer Vorwurf gemacht werden kann.961

bb) Interessenlage. Die Ausdehnung der Passivlegitimation ist vor folgender Interessen- 133 lage zu konturieren: Dem Interesse an einer effektiven Rechtsdurchsetzung (besser: einer interessengerechten Rechtsdurchsetzung) steht das Problem gegenüber, dass die unmittelbaren Täter von Lauterkeitsverstößen mitunter nicht herangezogen werden können. Gerade im Inter954 955 956 957

Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 116. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 120; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 418. Vgl. F. Hofmann WRP 2020, 1089, 1091 ff. Die wichtigsten Leitentscheidungen: BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 – Jugendgefährdende Medien; BGH 18.6.2014 – I ZR 242/12 – GRUR 2014, 883 – Geschäftsführerhaftung; BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 – Hotelbewertungsportal; BGH 18.6.2015 – I ZR 74/14 – GRUR 2016, 209 – Haftung für Hyperlink; BGH 20.2.2020 – I ZR 193/18 – GRUR 2020, 543 – Kundenbewertungen auf Amazon; vgl. F. Hofmann ZfWG 2016, 304, 306 f.; F. Hofmann WRP 2020, 1089, 1091 f. 958 BGH 12.7.2012 – I ZR 54/11 – GRUR 2013, 301 Tz. 51 – Solarinitiative; BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 36 – Jugendgefährdende Medien. 959 BGH 12.7.2012 – I ZR 54/11 – GRUR 2013, 301 Tz. 51 – Solarinitiative; BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 36 – Jugendgefährdende Medien. 960 Zum Verständnis als fahrlässige Beihilfe Ohly GRUR 2017, 441, 445 f.; s. a. Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 454 ff.; Jaworski/J. B. Nordemann GRUR 2017, 567; vgl. bereits Köhler GRUR 2008, 1, 2 (Fn. 7). 961 F. Hofmann JZ 2018, 746. 97

Hofmann

§8

Beseitigung und Unterlassung

net können Verletzungen anonym erfolgen. Zumindest ist die Inanspruchnahme einer Vielzahl von Einzeltätern wenig effektiv. Besser ist es, das Übel gleichsam an der Wurzel zu bekämpfen und Intermediäre bei der Rechtsdurchsetzung heranzuziehen. Dies basiert auf zwei Überlegungen: Erstens sind Plattformbetreiber etc. häufig am besten in der Lage, Verstößen ein Ende zu bereiten („cheapest cost avoider“).962 Ihnen werden daher Hilfeleistungspflichten963 im Sinne einer Aufopferungshaftung964 auferlegt. Zweitens schafft die von den Intermediären bereitgestellte Infrastruktur die Grundlage für einschlägige Wettbewerbsverstöße. Es wird eine Gefahrenquelle geschaffen, für deren Absicherung die Intermediäre verantwortlich sind.965 Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass diese „Gefahrenquellen“ typischerweise 134 sozial erwünscht sind.966 Suchmaschinen oder Linksetzer sind ebenso wie Zugangsprovider für die Funktionsfähigkeit des Internets konstitutiv. Plattformen schaffen neue Räume für Freiheitsausübung, sei es kommunikativer oder wirtschaftlicher Art. Zumal vor dem Hintergrund der entfernteren Rolle der Intermediäre bei Lauterkeitsverstößen (die eigentliche Rechtsverletzung hat ein Dritter begangen; der Intermediär verwirklicht den wettbewerbsrechtlichen Verbotstatbestand selbst gerade nicht) und ihrer grundrechtlich garantierten unternehmerischen Freiheit (Art. 12 GG; Art. 16 EU-Grundrechtecharta) sind die ihnen aufzulegenden Verkehrspflichten daher sorgfältig abzuwägen. (Innovatives) unternehmerisches Tun darf nicht durch überschießende Pflichten im Keim erstickt werden. Dies gilt umso mehr, als bei den Dreieckskonstellationen häufig nicht klar ist, ob überhaupt eine Rechtsverletzung vorliegt. Dann kommt es zu Kollisionen namentlich mit der Meinungsfreiheit (z. B. bei Bewertungsportalen) oder wirtschaftlichen Freiheit (Beispiel: Gelegenheitsverkäufer bei eBay) des vermeintlichen Haupttäters. Zugleich kann das Informationsinteresse der Allgemeinheit negativ betroffen werden. Auch dem ist über die Ausgestaltung der Verkehrspflichten, allen voran durch eine Prozeduralisierung,967 Rechnung zu tragen. Der Schutz des lauteren Wettbewerbs – dies sei nochmals betont – darf gleichwohl nicht aus den Augen verloren werden.

135 cc) Tun und Unterlassen. Nicht entscheidend kommt es darauf an, ob dem mittelbaren Verletzer ein Tun oder ein Unterlassen vorgeworfen wird.968 Die Abgrenzung lässt sich nicht trennscharf vornehmen; die übliche Formel vom Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit969 bleibt blass. In beiden Fällen muss eine Haftung aber ohnehin mit einer Verkehrspflichtverletzung begründet werden, die wiederum an einer Interessenabwägung hängt.970 Ob der Vorwurf daher beispielsweise im Betrieb einer Plattform liegt oder in der unterlassenen Kontrolle von Einträgen, 962 Erwägungsgrund 59 InfoSoc-RL; Leistner ZUM 2012, 722, 723; vgl. kritisch zur Belastbarkeit der ökonomischen Theorie des „cheapest cost avoiders“ Wagner GRUR 2020, 329, 337 f.

963 J. B. Nordemann GRUR-Prax 2016, 513, 515; ders. ZUM 2014, 499; Czychowski/J. B. Nordemann GRUR 2013, 986, 988, 990.

964 Ohly ZUM 2015, 308, 318; F. Hofmann GRUR 2015, 123, 128 f.; ders. ZfWG 2016, 304, 306; Husovec 4 JIPITEC (2013), 116 („liability of innocent parties“); vgl. EuGH 12.7.2011 – C-324/09 – GRUR 2011, 1025 Tz. 127 – L´Oréal/eBay („unabhängig von seiner […] eigenen Verantwortlichkeit“). 965 BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 36 f. – Jugendgefährdende Medien. 966 Es gibt aber auch Intermediäre, die auf Rechtsverletzungen angelegte Geschäftsmodelle betreiben; entsprechend sind die der Plattform auferlegten Pflichten zu Recht deutlich strenger, vgl. BGH 12.7.2012 – I ZR 18/11 – GRUR 2013, 370 Tz. 22 – Alone in the dark. 967 F. Hofmann ZUM 2017, 102; Grünberger ZUM 2016, 905, 916; Wielsch GRUR 2011, 665, 671 f. 968 Dazu Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.16: vgl. aber MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 239; Büscher/ Hohlweck § 8 Rn. 157 f.; BGH 20.2.2020 – I ZR 193/18 – I ZR 193/18 – GRUR 2020, 543 Tz. 33 ff. – Kundenbewertungen auf Amazon. 969 BGH 22.7.2010 – I ZR 139/08 – GRUR 2011, 152 Tz. 34 – Kinderhochstühle im Internet. 970 F. Hofmann WRP 2020, 579, 580 mit Blick auf BGH 20.2.2020 – I ZR 193/18 – I ZR 193/18 – GRUR 2020, 543 – Kundenbewertungen auf Amazon; vgl. BGH 14.5.2013 – VI ZR 269/12 – GRUR 2013, 751 Tz. 24 ff. – Autocomplete Funktion; BGH 22.7.2010 – I ZR 139/08 – GRUR 2011, 152 Tz. 34 – Kinderhochstühle im Internet. Hofmann

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C. Schuldner der Abwehransprüche

§8

spielt daher letztendlich keine Rolle. Praktisch haben Fallgruppen Orientierung zu bieten.971 Auch die unzureichende Sicherung von Mitgliedskonten bei ebay und die darauf aufbauende Haftung über einen „selbständigen Zurechnungsgrund“ hat keine weitere Bedeutung erlangt.972 Entsprechende Fallkonstellationen lassen sich über eine Haftung wegen Verkehrspflichtverletzung erklären.973

b) Entwicklung aa) Von der Störerhaftung zur Haftung wegen der Verletzung von Verkehrspflichten. 136 Nach der älteren Rechtsprechung konnten Intermediäre nach den Grundsätzen der Störerhaftung in Anspruch genommen werden.974 Als Störer haftete derjenige in entsprechender Anwendung von § 1004 BGB, der auch ohne Wettbewerbsförderungsabsicht und ohne Verschulden an dem Wettbewerbsverstoß eines Dritten in der Weise beteiligt ist, dass er in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal an der Herbeiführung der rechtswidrigen Beeinträchtigung mitwirkt. Dabei konnte als Mitwirkung auch die Unterstützung oder Ausnutzung der Handlung eines eigenverantwortlich handelnden Dritten genügen, sofern der Inanspruchgenommene die rechtliche Möglichkeit zur Verhinderung dieser Handlung hatte.975 Möglichst weitreichender Schutz vor Wettbewerbsverstößen sollte dadurch gewährleistet werden,976 dass auch diejenigen in Haftung genommen werden konnten, die nicht selbst einen Lauterkeitsverstoß vornahmen (z. B. wegen fehlender Täterqualifikation), aber zu dessen Verwirklichung beitrugen.977 Erst im Laufe der Zeit kam es namentlich über das Kriterium der Verletzung einer Prüfungspflicht zu Einschränkungen dieser anfangs reinen Kausalhaftung.978 Ähnlich wird diese Formel von der Rechtsprechung noch bei der Verletzung absoluter Rechte angenommen („Als Störer kann bei der Verletzung absoluter Rechte auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer – ohne Täter oder Teilnehmer zu sein – in irgendeiner Weise willentlich und adäquat-kausal zur Verletzung des geschützten Rechtsguts beiträgt“).979 Dabei wird allerdings betont, dass die Störerhaftung durch Zumutbarkeitserwägungen begrenzt wird: Da die Störerhaftung nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden kann, die die rechtswidrige Beeinträchtigung nicht selbst 971 Mit Blick auf Unterlassen vgl. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 117. 972 BGH 11.3.2009 – I ZR 114/06 – GRUR 2009, 597 Tz. 16 – Halzband. 973 Vgl. Köhler WRP 2012, 22, 27; folgend Spengler Die Verbrauchergeneralklausel im UWG (2016) S. 209 ff.; dagegen Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 526.

974 BGH 15.5.2003 – I ZR 292/00 – GRUR 2003, 969, 970 f. – Ausschreibung von Vermessungsleistungen; BGH 18.10.2001 – I ZR 22/99 – GRUR 2002, 618, 619 – Meißner Dekor; BGH 12.10.1989 – I ZR 29/88 – GRUR 1990, 373, 374 – Schönheits-Chirurgie; BGH 21.9.1989 – I ZR 27/88 – GRUR 1990, 463, 464 – Firmenrufnummer; BGH 6.7.1954 – I ZR 38/53 – GRUR 1955, 97, 99 ff. – Constanze II. 975 BGH 21.2.2002 – I ZR 281/99 – GRUR 2002, 902, 904 – Vanity-Nummer; BGH 10.10.1996 – I ZR 129/94 – GRUR 1997, 313, 314 f. – Architektenwettbewerb. 976 BGH 21.9.1989 – I ZR 27/88 – GRUR 1990, 463, 464 – Firmenrufnummer. 977 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.2. 978 BGH 9.2.2006 – I ZR 124/03 – GRUR 2006, 875 Tz. 32 – Rechtsanwalts-Ranglisten; BGH 1.4.2004 – I ZR 317/01 – GRUR 2004, 693, 695 – Schöner Wetten; BGH 15.5.2003 – I ZR 292/00 – GRUR 2003, 969, 970 f. – Ausschreibung von Vermessungsleistungen; BGH 17.5.2001 – I ZR 251/99 – GRUR 2001, 1038, 1039 – ambiente.de; BGH 10.10.1996 – I ZR 129/94 – GRUR 1997, 313, 316 – Architektenwettbewerb; BGH 10.4.1997 – I ZR 3/95 – GRUR 1997, 909, 911 – Branchenbuch-Nomenklatur; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.2a („kam über den an sich verschuldensunabhängigen Abwehranspruch ein gewisses Verschuldenselement hinein“); strenger noch BGH 7.7.1988 – I ZR 36/87 – GRUR 1988, 829, 830 – Verkaufsfahrten II; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 259; diese Entwicklung vehement ablehnend Picker Privatrechtssystem und negatorischer Rechtsschutz (2019) S. 176 ff. 979 BGH 26.7.2018 – I ZR 64/17 – GRUR 2018, 1044 Tz. 15 – Dead Island; BGH 12.7.2012 – I ZR 18/11 – GRUR 2013, 370 Tz. 19 – Alone in the dark; BGH 17.8.2011 – I ZR 57/09 – GRUR 2011, 1038 Tz. 20 – Stiftparfüm; Übersicht zur Störerhaftung bei F. Hofmann JuS 2017, 713; Ohly ZUM 2015, 308; Spindler FS Köhler (2014) S. 695; Czychowski/ Nordemann GRUR 2013, 986; Leistner ZUM 2012, 722; ders. GRUR-Beil. 2010, 1. 99

Hofmann

§8

Beseitigung und Unterlassung

vorgenommen haben, setzt die Haftung des Störers die Verletzung von Verhaltenspflichten voraus. Deren Umfang bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen nach den Umständen eine Prüfung zuzumuten ist. Bei der Auferlegung von Kontrollmaßnahmen ist zu beachten, dass Geschäftsmodelle, die nicht in besonderer Weise die Gefahr von Rechtsverletzungen schaffen oder fördern, nicht wirtschaftlich gefährdet oder unverhältnismäßig erschwert werden dürfen.980 Einem haftungsbegründenden kausalen Moment wird also eine haftungsbegrenzende Zumutbarkeitsprüfung zur Seite gestellt.981 Praktisch ist dabei vor allem eine Konsequenz entscheidend: Störer haften nur auf Unterlassung und Beseitigung, nicht aber auf Schadensersatz.982 Als Antwort nicht zuletzt auf Kritik aus der Literatur983 hat der BGH in der Leitentschei137 dung Jugendgefährdende Medien für das UWG als Verhaltensunrecht ein neues dogmatisches Konzept eingeführt:984 Der Intermediär kann wegen der Verletzung einer wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflicht als Täter eines Wettbewerbsverstoßes haften. Die Störerhaftung ist im Lauterkeitsrecht nach der Rechtsprechung nunmehr ausdrücklich ausgeschlossen.985 Die wichtigste Konsequenz der Rechtsprechungsänderung ist, dass der Intermediär fortan anders als bei der Störerhaftung zugleich auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden kann.986 Wird eine Verkehrspflicht verletzt, wird regelmäßig auch Verschulden vorliegen. Allerdings kann man argumentieren, dass bei neu von der Rechtsprechung entwickelten Verkehrspflichten für Verstöße in der Vergangenheit ein subjektiver Vorwurf nicht gemacht werden kann.987 Dessen ungeachtet erweist sich die Schadensersatzhaftung letztlich als weitaus weniger problematisch als vielfach angenommen.988 Eine Schadensersatzpflicht wird nur ausgelöst, wenn eine Verkehrspflicht verletzt wurde. Schon heute zeigen Fälle, in denen neben der Störerhaftung eine originäre Anspruchsgrundlage für Schadensersatz besteht (§ 832 BGB), die Praxisverträglichkeit einer solchen Sichtweise.989 Mangels Verkehrspflichtverletzung waren in diesem Fall beide Ansprüche unbegründet.

138 bb) Störerhaftung im Recht des Geistigen Eigentums. In das Recht des Geistigen Eigentums will der BGH dieses Modell dessen ungeachtet nicht übertragen. Namentlich im Urheberrecht 980 BGH 26.7.2018 – I ZR 64/17 – GRUR 2018, 1044 Tz. 15 – Dead Island; BGH 28.1.2016 – I ZR 40/14 – GRUR 2016, 803 Tz. 61 – Armbanduhr; BGH 1.3.2016 – VI ZR 34/15 – GRUR 2016, 855 Tz. 21 – jameda.de (für „mittelbaren Störer“); BGH 26.11.2015 – I ZR 174/14 – GRUR 2016, 268 Tz. 21 – Störerhaftung des Access-Providers; BGH 12.7.2012 – I ZR 18/11 – GRUR 2013, 370 Tz. 19 – Alone in the dark; BGH 27.10.2011 – I ZR 131/10 – GRUR 2012, 651 Tz. 21 – regierung-oberfranken.de; BGH 17.8.2011 – I ZR 57/09 – GRUR 2011, 1038 Tz. 20 – Stiftparfüm; BGH 18.11.2010 – I ZR 155/09 – GRUR 2011, 617 Tz. 37 – Sedo; BGH 30.4.2008 – I ZR 73/05 – GRUR 2008, 702 Tz. 50 – Internetversteigerung III; kritisch zum „Geschäftsmodell-Argument“ Jänich Lauterkeitsrecht (2019) § 15 Rn. 74. 981 F. Hofmann ZfWG 2016, 304, 305. 982 Dies ist nach wie vor die Rechtslage im Recht des Geistigen Eigentums und bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen, vgl. BGH 30.7.2015 – I ZR 104/14 – GRUR 2015, 1223 Tz. 40 – Posterlounge. 983 Beispielsweise Döring WRP 2007, 1131; Köhler WRP 1997, 897; Haedicke GRUR 1999, 397, 399 ff.; Leistner/Stang WRP 2008, 533; vgl. Schwippert WRP 2018, 1027, 1028; dies sei historisch unzutreffend, Picker Privatrechtssystem und negatorischer Rechtsschutz (2019) S. 155 (Fn. 167). 984 BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 – Jugendgefährdende Medien. 985 BGH 18.6.2014 – I ZR 242/12 – GRUR 2014, 883 Tz. 11 – Geschäftsführerhaftung; BGH 12.7.2012 – I ZR 54/11 – GRUR 2013, 301 Tz. 49 – Solarinitiative; BGH 22.7.2010 – I ZR 139/08 – GRUR 2011, 152 Tz. 48 – Kinderhochstühle im Internet. 986 Köhler GRUR 2008, 1, 3; Krüger/Apel MMR 2012, 144, 148 ff.; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 124; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 230. 987 Vgl. BGH 23.10.1984 – VI ZR 85/83 – NJW 1985, 620, 621 – Pistensicherungspflicht eines Schleppliftunternehmers. 988 Vgl. etwa Ohly Gutachten F zum 70. Deutschen Juristentag (2014) F 107 f. 989 BGH 15.11.2012 – I ZR 74/12 – GRUR 2013, 511 Tz. 12 ff. und Tz. 40 ff. – Morpheus; vgl. Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 237. Hofmann

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C. Schuldner der Abwehransprüche

§8

soll eine täterschaftliche Haftung des Anspruchsgegners unter dem Aspekt der Verletzung einer wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflicht nicht in Betracht kommen. Wörtlich sagt der BGH: „Diese für das Wettbewerbsrecht entwickelte Haftungsgrundlage setzt voraus, dass die Merkmale einer täterschaftlichen Haftung nach dem jeweiligen Haftungsregime erfüllt sein müssen. Während im Lauterkeitsrecht das in Rede stehende Verhalten – die Eröffnung einer nicht hinreichend begrenzten Gefahr für die geschützten Interessen anderer Marktteilnehmer – ohne Weiteres als eine unlautere geschäftliche Handlung eingeordnet werden kann, müssen für eine täterschaftlich begangene Urheberrechtsverletzung die Merkmale eines der handlungsbezogenen Verletzungstatbestände des Urheberrechts erfüllt sein. Im Streitfall müsste das Verhalten des Bekl. – also die Unterhaltung eines nicht ausreichend gesicherten privaten WLAN-Anschlusses – den Tatbestand der öffentlichen Zugänglichmachung des in Rede stehenden urheberrechtlichen Werkes (§ 19a UrhG) erfüllen.“990 Allerdings geht es auch im Urheberrecht um den Unrechtsgehalt von Handlungen. Zu Recht rufen zahlreiche Stimmen in der Literatur nach der allgemeinen Anwendung des Verkehrspflichtenkonzepts.991 Jedenfalls ist die Störerhaftung – zumindest was Unterlassungsansprüche anbelangt – bei wertungsmäßiger Betrachtung nichts Anderes.

cc) Unzureichende Sicherung eines Mitgliedskontos als selbständiger Zurechnungs- 139 grund. Daneben soll die unzureichende Sicherung eines Mitgliedskontos zu einer Haftung führen können, wenn ein Dritter unter dem Mitgliedskonto Wettbewerbsverstöße begeht.992 Der Inhaber eines eBay-Mitgliedskontos muss sich für den Fall, dass ein Dritter sein Konto benutzt, nachdem er an die Zugangsdaten dieses Kontos gelangt ist, weil der Inhaber des Kontos die Daten nicht hinreichend vor dem Zugriff Dritter gesichert hat, so behandeln lassen, wie wenn er (der Kontoinhaber) selbst gehandelt hätte.993 Die bei der Verwahrung der Zugangsdaten für das Mitgliedskonto gegebene Pflichtverletzung soll einen eigenen, selbstständigen Zurechnungsgrund darstellen.994 Dieses Haftungsmodell soll von der Haftung wegen der Verletzung von Verkehrspflichten abzugrenzen sein.995 In letzter Konsequenz geht es aber auch hierbei um Verkehrspflichten,996 die in der Fallgruppe der Sicherung einer geschäftlichen Einrichtung freilich nicht erst ab einem Hinweis greifen, sondern eine vorgelagerte Sicherungspflicht begründen.

c) Rechtliche Rahmenbedingungen. Die Haftung von Intermediären bewegt sich im Span- 140 nungsverhältnis zwischen dem Bedürfnis, Intermediäre bei der Rechtsdurchsetzung heranzuziehen und dem Anliegen, an sich neutrale Tätigkeiten nicht unnötig einzudämmen. Besonders deutlich spiegelt sich der Konflikt einerseits in § 8 Abs. 3 InfoSoc-RL und Art. 11 S. 3 Enforcement-RL, wonach Intermediäre (Vermittler, Mittelspersonen) für Urheberrechts- bzw. Immaterialgüterrechtsverletzungen Dritter haftbar gemacht werden können und andererseits den Haftungsprivilegien der E-Commerce-RL (Art. 12 ff. RL 2000/31/EG). Kritik an den Haftungsprivilegien für Internet-

990 BGH 12.5.2010 – I ZR 121/08 – GRUR 2010, 633 Tz. 13 – Sommer unseres Lebens. 991 Grundlegend Leistner GRUR-Beil. 2010, 1, 18 ff.; s. a. Ahrens WRP 2007, 1281, 1285 f.; Köhler GRUR 2008, 1, 6 f.; Czychowski/J. B. Nordemann GRUR 2013, 986, 990; Ohly FS Schulze (2017) S. 387; ders. ZUM 2017, 793; F. Hofmann JZ 2018, 746; Werner GRUR 2015, 739, 743; Jänich Lauterkeitsrecht (2019) § 15 Rn. 60; Wagner GRUR 2020, 447, 450 ff.; zum Patentrecht BGH 17.9.2009 – Xa ZR 2/08 – GRUR 2009, 1142 – MP3-Player-Import. 992 BGH 11.3.2009 – I ZR 114/06 – GRUR 2009, 597 – Halzband. 993 BGH 11.3.2009 – I ZR 114/06 – GRUR 2009, 597 Tz. 16 – Halzband. 994 BGH 11.3.2009 – I ZR 114/06 – GRUR 2009, 597 Tz. 16 – Halzband. 995 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.14a f. 996 Ausführlich Spengler Die Verbrauchergeneralklausel im UWG (2016) 210 ff.; kritisch Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 526 mit Verweis auf Leistner GRUR-Beil. 2010, 1, 7; zum Markenrecht vgl. BGH 3.3.2016 – I ZR 140/14 – GRUR 2016, 936 – Angebotsmanipulation bei Amazon; vgl. Picker Privatrechtssystem und negatorischer Rechtsschutz (2019) S. 168 f. 101

Hofmann

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Beseitigung und Unterlassung

diensteanbieter997 verkennt, dass diese Regelungen lediglich einem tieferliegenden Interessenkonflikt ein Gesicht verleihen. Wenn die eigentliche Rechtsverletzung von einem Dritten ausgeht, kann dem Hintermann zwar der Vorwurf gemacht werden, dass durch seine Infrastruktur die Verletzung erst möglich wurde. Eine unbedingte Haftung hätte aber die unschöne Konsequenz, dass auch an sich erlaubte, ja erwünschte Tätigkeiten wegen der drohenden Haftung eingestellt würden. Dieses Zusammenspiel von Verantwortlichkeit und Haftungsbefreiung beruht auf dem Gedanken, dass Plattformen, die allen voran eine Infrastruktur für Nutzerinhalte bereitstellen, mangels eigener Auswahl der Inhalte keine voll verantwortlichen Content-Provider sein können, gleichzeitig aber Rechtsverletzungen nicht nur ermöglichen, sondern von der Verwertung der Nutzerinhalte wirtschaftlich profitieren. 141 Daher hat die Rechtsprechung die für Online-Marktplätze entwickelten Haftungsprinzipien auch für einen herkömmlichen Marktplatzbetreiber fruchtbar gemacht.998 Obwohl die ECommerce-RL auf diesen Offline-Fall nicht anwendbar ist, haftet der Marktplatzbetreiber für Markenverletzungen von Standmietern im Ergebnis nur unter Verletzung einer Verkehrspflichtverletzung.999 Der Marktplatzbetrieb als solcher ist gerade nicht pflichtwidrig. Ein entsprechender Interessenausgleich ist auch bei Verlinkungen vorzunehmen. Das gilt unabhängig davon, dass auch hier die kodifizierten Privilegien eigentlich nicht greifen (vgl. Art. 21 Abs. 2 E-Commerce-RL).1000 Die Abschaffung des Haftungsprivilegs für Diensteanbieter zum Teilen von Online-Inhalten gemäß Art. 17 Abs. 3 DSM-RL (RL (EU) 2019/790) bewirkt daher schlussendlich ebenfalls keinen Paradigmenwechsel bei der urheberrechtlichen Plattformhaftung.1001 142 Umgekehrt stehen Art. 12 ff. E-Commerce-RL (§§ 7 ff. TMG) einer Inanspruchnahme von Zugangs- oder Hostprovidern nicht generell entgegen.1002 Ausdrücklich hat der EuGH entschieden, dass die Haftungsprivilegierungen für Zugangsprovider nicht für Unterlassungsansprüche gelten.1003 Nach einem Hinweis auf eine Rechtsverletzung verlangt § 10 TMG selbst nach Gegenmaßnahmen eines Hostproviders. Letztlich wird unterstrichen, dass der über die Verkehrspflichten vorzunehmende Interessenausgleich die Rolle von (Online-)Intermediären (Rn. 140) hinreichend zu berücksichtigen hat. Auch ohne explizite einfachgesetzliche Kodifikation wäre dies aber der Fall, was nicht zuletzt aus dem Verweis auf die in Ausgleich zu bringenden Grundrechtspositionen erfolgt,1004 beispielsweise der Pressefreiheit.1005 Auch auf Art. 3 EnforcementRL wird insoweit verwiesen.1006

d) Verletzung einer Verkehrspflicht als mittelbare Verantwortlichkeit 143 aa) Einführung. Bei der Intermediärshaftung geht es um den Grundgedanken, dass für eine Rechtsverletzung auch Personen in Anspruch genommen werden können, die für diese nur in997 Vgl. nur Leistner/Metzger IIC 2017, 381 (zum Urheberrecht). 998 EuGH 7.7.2016 – C-494/15 – GRUR 2016, 1062 – Tommy Hilfiger. 999 Vgl. EuGH 7.7.2016 – C-494/15 – GRUR 2016, 1062 – Tommy Hilfiger. 1000 BGH 18.6.2015 – I ZR 74/14 – GRUR 2016, 209 Tz. 12, 25 – Haftung für Hyperlink; BGH 18.10.2007 – I ZR 102/ 05 – GRUR 2008, 534 Tz. 20 – ueber18.de.

1001 F. Hofmann ZUM 2019, 617, 624 f. 1002 Vgl. F. Hofmann WRP 2020, 1089, 1091 f.; zu Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip nach § 3 TMG Fezer/ Büscher/Obergfell § 8 Rn. 138. 1003 EuGH 15.9.2016 – C-484/14 – GRUR 2016, 1146 Tz. 72 ff., 77 – McFadden. 1004 EuGH 7.7.2016 – C-494/15 – GRUR 2016, 1062 Tz. 34 f. – Tommy Hilfiger; EuGH 27.3.2014 – C-14/12 – GRUR 2014, 468 Tz. 42 ff., 46 – UPC Telekabel; EuGH 16.2.2012 – C-360/10 – GRUR 2012, 382 Tz. 39 ff. – SABAM/Netlog; EuGH 12.7.2011 – C-324/09 – GRUR 2011, 1025 Tz. 143 – L´Oréal/eBay; EuGH 29.1.2008 – C-275/06 – GRUR 2008, 241 Tz. 61 ff., 68 – Promusicae/Telefónica; Holznagel ZUM 2018, 350, 355 f. 1005 BGH 5.2.2015 – I ZR 136/13 – GRUR 2015, 906 Tz. 31 – TIP der Woche; BGH 14.10.2010 – I ZR 191/08 – GRUR 2011, 513 – AnyDVD. 1006 EuGH 16.2.2012 – C-360/10 – GRUR 2012, 382 Tz. 46 – SABAM/Netlog. Hofmann

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direkt verantwortlich sind. Erst im Zusammenspiel mit weiteren Ursachen kommt es zu einem Wettbewerbsverstoß.1007 Dass für die Rechtsverletzung primär ein Dritter verantwortlich erscheint,1008 wird dadurch ausgeglichen, dass dem mittelbaren Verletzer ein Sorgfaltspflichtverstoß (Verkehrspflichtenverstoß) ausdrücklich zur Last gelegt werden muss.1009 Über die Verkehrspflicht kann der Unrechtsgehalt des jeweiligen Tatbeitrags unter Berücksichtigung der Stellung des indirekten Verursachers flexibel gewertet werden. Es gibt Personen, deren unbedingte Inanspruchnahme wegen gegenläufiger schutzwürdiger Interessen zu weit ginge. Das Recht würde sozial erwünschte Handlungen unterdrücken, während es freilich zugleich Rechtsverletzungen effektiv bekämpfen muss. Über Verkehrspflichten kann generalklauselartig die Feinsteuerung des Verhaltens von Intermediären erfolgen. Besonders wettbewerbsgefährdendes Verhalten kann dabei mit strengen Verkehrspflichten eingedämmt werden; an sich erwünschte, aber zu vereinzelten Kollateralschäden führende Tätigkeiten können durch milde Verkehrspflichten reguliert werden.

bb) Mittelbare Verantwortlichkeit als privatrechtsübergreifender Grundgedanke. Die- 144 ses bürgerlich-rechtliche Grundprinzip zieht sich unabhängig von der dogmatischen Konstruktion wie ein roter Faden durch das Privatrecht. Im Urheberrecht versucht der EuGH beispielsweise der Rolle von Intermediären dadurch Rechnung zu tragen, dass er sie zwar einerseits als Täter einer Urheberrechtsverletzung (vgl. Art. 3 Abs. 1 InfoSoc-RL) einstuft, anderseits aber über subjektive Elemente notwendige Haftungsbegrenzungen vorsieht.1010 Auch Art. 17 DSM-RL baut auf diesen Überlegungen auf.1011 Der Störerhaftung im Recht des Geistigen Eigentums liegt der gleiche Grundgedanke zugrunde, so dass zu Recht vielfach gefordert wird, die Störerhaftung dogmatisch im Einklang mit privatrechtsübergreifenden Rechtsgrundsätzen als Haftung für die Verletzung von Verkehrspflichten zu interpretieren.1012 Auch § 7 Abs. 4 TMG ist Ausfluss dieses Prinzips.1013 Der Gesetzgeber hat zwar die „Störerhaftung“ abgeschafft, durch die Einfügung des – unionsrechtlich gebotenen1014 – Anspruchs auf Zugangssperren hielt er aber am Gedanken, dass auch indirekte Verursacher in der Verantwortung stehen, fest. Auch Teilnahmehandlungen lassen sich so einordnen (Rn. 173). Der „Sache nach“1015 geht es stets um eine Ausbalancierung der Haftung mittelbar Verantwortlicher. Oder nach dem BGH mit Blick auf § 823 BGB, die Störerhaftung und die Haftung wegen der Verletzung lauterkeitsrechtlicher Verkehrspflichten: „Dieser Rechtsprechung aus unterschiedlichen Rechtsbereichen ist der allgemeine Rechtsgrundsatz gemeinsam, dass jeder, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenquelle schafft oder andauern lässt, die ihm zumutbaren Maßnahmen und Vorkehrungen treffen muss, die zur Abwendung der daraus Dritten drohenden Gefahren notwendig sind.“1016 Als Fazit bleibt: Kernaufgabe ist die Auslotung der Intensität der Intermediären aufzuerlegenden Verkehrspflichten. Der Interessenausgleich zwischen dem Schutz des Wettbewerbs und der Freiheit zur wirtschaftlichen Entfaltung ist in der Sache, regelmäßig unter Rückgriff auf interdis-

1007 Die Rechtsverletzung ist die durch mancherlei Zwischenursachen vermittelte entfernte Folge eines bestimmten Verhaltens, vgl. v. Bar JuS 1988, 169, 170.

1008 Vgl. zum Urheberrecht Frey ZUM 2019, 40, 47; F. Hofmann ZUM 2018, 641, 648. 1009 Vgl. Ahrens WRP 2007, 1281, 1286 f. 1010 Vgl. Ohly FS Schulze (2017) S. 387; Tolkmitt FS Büscher (2018) S. 249; Jaworski/J. B. Nordemann GRUR 2017, 567, 571 f.; F. Hofmann ZUM 2018, 641, 647 ff. F. Hofmann GRUR 2019, 1219, 1222 f. (These 4). Nur Jaworski/J. B. Nordemann GRUR 2017, 567, 571 f. F. Hofmann jurisPRWettbR 2018/09 Anm. 1. BGH 26.7.2018 – I ZR 64/17 – GRUR 2018, 1044 Tz. 40 ff. – Dead Island. BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 36 – Jugendgefährdende Medien. BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 36 – Jugendgefährdende Medien.

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ziplinäre Erkenntnisse,1017 vorzunehmen. Die dogmatische Konstruktion darf den Blick auf diese Wertungsentscheidung nicht versperren.1018

e) Rechtsgrundlage 145 aa) Meinungsstand. Die Rechtsgrundlage für die Intermediärshaftung ist umstritten.1019 Die Rechtsprechung verortet die wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflichten unmittelbar in der Generalklausel.1020 Präziser wird dabei auf die fachliche Sorgfalt (nunmehr: unternehmerische Sorgfalt) verwiesen.1021 Bei geschäftlichen Handlungen mit Verbraucherbezug sei § 3 Abs. 2,1022 ansonsten § 3 Abs. 1 heranzuziehen.1023 Auf diese Weise wird zugleich die Vereinbarkeit mit der UGP-RL begründet.1024 Die Gegenansicht will die Haftung direkt am einschlägigen Verletzungstatbestand festmachen.1025 Auch eine Analogie zu Art. 11 S. 3 Enforcement-RL, zumindest aber die Anwendung der Rechtsdurchsetzungsbestimmungen in der UGP-RL (Art. 11, 13), findet Befürworter.1026 Während erstere Ansicht wettbewerbsrechtliche Verkehrspflichten mit in der Generalklausel verankerten Verstößen gegen die unternehmerische Sorgfalt gleichsetzt, also einen originären Unlauterkeitstatbestand im Sinne eines selbständigen Gefährdungstatbestandes schafft,1027 ordnet letztere Meinung die Frage dem Problemkreis der Rechtsdurchsetzung zu.1028 Das materielle Lauterkeitsrecht im engeren Sinne ist von Fragen der Rechtsdurchsetzung, dem materiellen Lauterkeitsrecht im weiteren Sinne, wozu auch die Passivlegitimation gehört, zu unterscheiden.1029 Für das Markenrecht sieht der EuGH dies ähnlich.1030 Dem Unionsrecht ist es zwar nicht fremd, die Verletzungstatbestände weit zu verstehen, um auch die Haftung von Gehil1017 F. Hofmann JZ 2018, 746, 753 f. 1018 Exemplarisch BGH 18.6.2015 – I ZR 74/14 – GRUR 2016, 209 Tz. 24 – Haftung für Hyperlink („Die Auswechslung der dogmatischen Grundlage der Haftung hat die Prüfungspflichten für das Setzen von Hyperlinks inhaltlich nicht verändert.“). 1019 Vgl. F. Hofmann WRP 2020, 579, 580. 1020 BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 16, 21 f., 36 – Jugendgefährdende Medien („Verstoß gegen die Generalklausel des § 3 UWG [2004]“). 1021 BGH 18.6.2014 – I ZR 242/12 – GRUR 2014, 883 Tz. 22 – Geschäftsführerhaftung; BGH 12.3.2015 – I ZR 84/14 – GRUR 2015, 1025 Tz. 23 – TV-Wartezimmer; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.8; Teplitzky/Büch Kap. 14 Rn. 8; Jänich Lauterkeitsrecht (2019) § 15 Rn. 61; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 445 f., der zudem auf Gewohnheitsrecht verweist, Rn. 458 f.; vgl. auch MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 240, 263. 1022 BGH 18.6.2014 – I ZR 242/12 – GRUR 2014, 883 Tz. 22 – Geschäftsführerhaftung. 1023 Spengler Die Verbrauchergeneralklausel des UWG (2016) S. 203 ff.; auch hierbei sollte aber von einem Verstoß gegen die unternehmerische Sorgfalt gesprochen werden Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.8 und Rn. 2.16. 1024 Köhler WRP 2012, 22, 26; Ohly FS Ahrens (2016) S. 135, 141, verweist darauf, dass die UGP-RL nicht anwendbar sei, soweit sich die Geschäftstätigkeit des Vermittlers als Förderung fremden Absatzes erweist; vgl. EuGH 17.10.2013 – C-391/12 – GRUR 2013, 1245 Tz. 36 ff. – RLvS Verlagsgesellschaft; ähnlich Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 445; Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 212; kritisch Spengler Die Verbrauchergeneralklausel des UWG (2016) S. 203; vgl. F. Hofmann WRP 2020, 1089, 1092. 1025 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 123 und Rn. 123d; ders. FS Ahrens (2016) S. 135, 143; ders. NJW 2016, 1417, 1418; ders. GRUR 2017, 441, 446; Döring WRP 2007, 1131, 1136 f.; F. Hofmann WRP 2015, 1331, 1332; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 263; Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 212; so auch der BGH mit Blick auf die Haftung für ein Unterlassen, BGH 20.2.2020 – I ZR 193/18 – I ZR 193/18 – GRUR 2020, 543 Tz. 26 – Kundenbewertungen auf Amazon. 1026 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 123d; ders. FS Ahrens (2016) S. 135, 142 ff., 143; ders. NJW 2016, 1417, 1418; ders. GRUR 2017, 441, 443 f.; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 267; F. Hofmann WRP 2015, 1331, 1332; ders. WRP 2020, 1089, 1095 f. 1027 Leistner GRUR-Beil. 2010, 1, 11 f., 13, 17, 29, 31. 1028 Ohly FS Ahrens (2016) S. 135, 142. 1029 Vgl. F. Hofmann JuS 2017, 713, 718. 1030 EuGH 2.7.2020 – C-684/19 ‒ GRUR 2020, 868 Tz. 18 ff. – mk advokaten/MBK Rechtsanwälte; EuGH 12.7.2011 – C-324/09 – GRUR 2011, 1025 Tz. 102 f. – L’Oréal/eBay; EuGH 23.3.2010 – C-236/08 bis C-238/08 – GRUR 2010, 445 Hofmann

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fen, Störern etc. zu erfassen.1031 Allerdings schränkt der EuGH über subjektive Elemente den Tatbestand im Urheberrecht gegenüber Intermediären wieder ein. Letztlich besteht eine Haftung des mittelbar Verantwortlichen, wenn er eine Verkehrspflicht verletzt hat.1032 Auch vor diesem Hintergrund spricht die dogmatische Herleitung des Verkehrspflichtenkonzepts aus § 823 BGB im deutschen Recht dafür, die Haftung im Lauterkeitsrecht als indirekte Verletzung des konkreten Verbotstatbestands zu begreifen. Wer beispielsweise eine Jagdwaffe ungesichert liegen lässt, haftet für eine Schussverletzung als Täter nicht auf Basis eines dem § 823 BGB irgendwie vorgelagerten Sondertatbestands, sondern wegen einer mittelbar verwirkten Körperverletzung. Es geht dabei um die Haftung für eine eigene Pflichtverletzung, nicht um die Zurechnung fremder Rechtsverletzungen. Dass im UWG geschäftliche Handlungen über die Generalklausel als unlauter qualifiziert werden können, ändert nichts daran, dass es des Rückgriffs auf die Generalklausel gar nicht bedarf. Eine konsequente Orientierung am Vorbild des allgemeinen Deliktsrechts,1033 das schließlich im Lauterkeitsrecht ausdrücklich Pate gestanden hat,1034 ist vorzuziehen.

bb) Auswirkungen. Der Streit hat praktische Konsequenzen: Erstens ist nicht ausgemacht, 146 dass Verkehrspflichten zum Schutz wettbewerbsrechtlich geschützter Spezialinteressen mit dem Begriff der unternehmerischen Sorgfalt parallel laufen. Konkret lässt sich eine Haftung von Zahlungsdienstleistern oder Internetzugangsdienstleistern nicht mit einer auf einer Gefahrerhöhung beruhenden Pflichtverletzung begründen, sondern allenfalls als Ausfluss einer in den unionsrechtlichen Rechtsdurchsetzungsbestimmungen (Art. 11 S. 3 Enforcement-RL) verankerten Hilfeleistungspflicht.1035 Zweitens kommt es zu Unterschieden beim Akzessorietätserfordernis. Nach dem BGH handelt es sich bei der Haftung wegen Verkehrspflichtverletzungen im Ergebnis um einen selbständigen Gefährdungstatbestand.1036 Während im Kontext der Störerhaftung ein Wettbewerbsverstoß des Vordermanns als Haftungsvoraussetzung für den Störer gefordert war (Akzessorietätserfordernis),1037 erscheint nunmehr eine Verletzung „wettbewerbsrechtlich geschützter Interessen“ ausreichend.1038 Der Vordermann muss selbst nicht eine unlautere geschäftliche Handlung vornehmen.1039 Auch im Vergleich zu § 823 Abs. 1 BGB erscheint

Tz. 56 f. – Google France; als Täter einer Markenverletzung haftet nur derjenige, der die Marke „in der eigenen kommerziellen Kommunikation“ verwendet. 1031 Zu einer solchen Entwicklung im Urheberrecht mit Blick auf das Recht der öffentlichen Wiedergabe (Art. 3 Abs. 1 InfoSoc-RL, RL 2001/29/EG) Ohly ZUM 2017, 793; F. Hofmann ZUM 2017, 750. 1032 Ohly GRUR 2018, 996; F. Hofmann ZUM 2018, 641, 648; ders. GRUR 2019, 1219, 1222 f. (These 4). 1033 Vgl. Wagner GRUR 2020, 447, 450 f. 1034 BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 36 und Tz. 37 – Jugendgefährdende Medien. 1035 F. Hofmann WRP 2020, 1089, 1094 ff.; ders. ZfWG 2016, 304, 306, 307 ff., 308 f., 309 f.; vgl. Harte/Henning/ Goldmann § 8 Rn. 438; zur Ausweitung der Störerhaftung durch unionsrechtskonforme Auslegung BGH 26.11.2015 – I ZR 174/14 – GRUR 2016, 268 Tz. 22 – Störerhaftung des Access-Providers; Leistner/Grisse GRUR 2015, 19, 19 f.; Czychowski/J. B. Nordemann GRUR 2013, 986, 989 f.; J. B. Nordemann GRUR 2011, 977, 979; ders. ZUM 2014, 499. 1036 Leistner GRUR-Beil. 2010, 1, 11 f., 13, 17, 29, 31; kritisch Ohly NJW 2016, 1417, 1418 („Es handelt sich bei der Haftung des Vermittlers nicht um eine abstrakte Gefährdungshaftung, sondern um eine mittelbare Haftung für eine bestimmte Verletzung“). 1037 BGH 10.11.1999 – I ZR 121/97 – GRUR 2000, 613, 615 – Klinik Sansscouci; BGH 10.10.1996 – I ZR 129/94 – GRUR 1997, 313, 315 – Architektenwettbewerb; BGH 4.10.1990 – I ZR 299/88 – BGH GRUR 1991, 540, 541 – Gebührenausschreibung; BGH 12.10.1989 – I ZR 29/88 – GRUR 1990, 373, 374 – Schönheits-Chirurgie; vgl. Fezer/Büscher/ Obergfell § 8 Rn. 133. 1038 Leistner GRUR-Beil. 2010, 1, 3 f. („gelockerte Akzessorietät“), 18 f.; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 475; vgl. Köhler GRUR 2008, 1, 3 f.; BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 34 f. – Jugendgefährdende Medien; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.10 verlangen hingegen, dass „in der Person des Dritten Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr eines Wettbewerbsverstoßes“ besteht. 1039 Vgl. BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 Tz. 42 – Hotelbewertungsportal; anders MünchKommUWG/ Fritzsche § 8 Rn. 266; vgl. auch Ullmann/Seichter jurisPK-UWG (2016) § 8 Rn. 128 („Eine Haftung als Täter kann nach 105

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dies dogmatisch fraglich.1040 Ohne Erfolg, also ohne einen von einem Dritten begangenen Wettbewerbsverstoß, bestünde konsequenterweise keine Haftung. Die Kritiker verweisen wertungsmäßig auf den Fall, dass ein Privatmann eine Produktnachahmung verkauft.1041 Obwohl ihm gegenüber § 4 Nr. 3 nicht greift, wäre ohne Akzessorietätserfordernis eine Haftung der Plattform zu bejahen. Erlaubtes Tun wäre damit im Ergebnis verboten. Das kann nicht richtig sein. In derartigen Fällen könnte man allerdings auch annehmen, dass eine Haftung schon mangels Verkehrspflichtverletzung ausscheidet.1042 Bedeutsam ist die dogmatische Verortung nicht zuletzt auch für das Relevanzerfordernis.1043

f) Voraussetzungen 147 aa) Übersicht. Nach dem Verkehrspflichtenkonzept des BGH gilt im Grundsatz Folgendes: Derjenige, der durch sein Handeln im geschäftlichen Verkehr in einer ihm zurechenbaren Weise die Gefahr eröffnet, dass Dritte Interessen von Marktteilnehmern verletzen, die durch das Wettbewerbsrecht geschützt sind, kann eine unlautere Wettbewerbshandlung begehen, wenn er diese Gefahr nicht im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren begrenzt.1044 Eine Rechtspflicht zur Prüfung und zur Abwendung einer Rechtsverletzung kann sich aus dem Gesichtspunkt eines gefahrerhöhenden Verhaltens, kurzum aus der Verletzung einer Verkehrspflicht, ergeben.1045 Wer in dieser Weise gegen eine wettbewerbsrechtliche Verkehrspflicht verstößt, ist Täter einer unlauteren Wettbewerbshandlung.1046 Eine an sich neutrale Tätigkeit wie beispielsweise der Betrieb einer Plattform oder das Setzen eines Links kann eine Haftung erst dann begründen, wenn dem Anspruchsgegner über den Plattformbetrieb oder die Linksetzung hinaus ein Pflichtenverstoß zum Vorwurf gemacht werden kann. Da ein Unterlassungsanspruch Wiederholungs- oder Erstbegehungsgefahr voraussetzt, kommt ein solcher nicht in Betracht, wenn den Verkehrspflichten nachgekommen wird.1047 In derjenigen Handlung, die Gegenstand einer Abmahnung oder sonstigen Mitteilung ist, mit welcher der Betreiber der Internet-Plattform erstmalig Kenntnis von einer Rechtsverletzung erlangt, liegt also keine Verletzungshandlung, die eine Wiederholungsgefahr im Sinne eines Verletzungsunterlassungsanspruchs begründet. Für die Annahme von Wiederholungsgefahr ist vielmehr eine vollendete Verletzung nach Begründung der Pflicht zur Verhinderung weiterer derartiger Rechtsverletzungen erforderlich.1048

der neueren Rechtsprechung auch dann in Betracht kommen, wenn der Tatbestand der unlauteren Wettbewerbshandlung nicht durch eigenes Handeln, sondern durch einen eigenverantwortlich handelnden Dritten erfüllt wird.“). 1040 Ahrens WRP 2007, 1281, 1286 f.; Ohly GRUR 2017, 441, 446; F. Hofmann ZfWG 2016, 304, 306 f.; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 266. 1041 Ohly NJW 2016, 1417, 1419 (einschl. Fn. 28); ders. GRUR 2017, 441, 446 f.; ders./Sosnitza § 8 Rn. 125a („das Lauterkeitsrecht darf keinen Vorfeldschutz gewähren, den das Immaterialgüterrecht versagt“). 1042 Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 215; vgl. BGH 20.2.2020 – I ZR 193/18 – I ZR 193/18 – GRUR 2020, 543 – Kundenbewertungen auf Amazon mit Kommentar F. Hofmann, WRP 2020, 579. 1043 Ohly FS Ahrens (2016) S. 135, 144; ders. NJW 2016, 1417, 1418; vgl. Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 447 f. zur Verbraucherrelevanz im Rahmen des § 3 Abs. 2. 1044 BGH 18.6.2015 – I ZR 74/14 – GRUR 2016, 209 Tz. 23 – Haftung für Hyperlink; BGH 18.6.2014 – I ZR 242/12 – GRUR 2014, 883 Tz. 21 – Geschäftsführerhaftung; BGH 12.7.2012 – I ZR 54/11 – GRUR 2013, 301 Tz. 51 – Solarinitiative; BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 22, 36 – Jugendgefährdende Medien; vgl. auch BGH 5.10.2017 – I ZR 184/16 – GRUR 2018, 203 Tz. 37 – Betriebspsychologe. 1045 BGH 18.6.2015 – I ZR 74/14 – GRUR 2016, 209 Tz. 23 – Haftung für Hyperlink. 1046 BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 36 – Jugendgefährdende Medien. 1047 BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 53 f. – Jugendgefährdende Medien. 1048 BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 Tz. 42 – Hotelbewertungsportal. Hofmann

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bb) Geschäftliche Handlung (1) Geschäftliche Handlung des Täters. Notwendige, wenn auch nicht hinreichende Voraus- 148 setzung einer Haftung ist zunächst,1049 dass der potenzielle Täter selbst eine geschäftliche Handlung vornimmt.1050 Ohne geschäftliche Handlung kommt eine Haftung nur nach den allgemeinen deliktsrechtlichen Grundsätzen, nicht jedoch nach dem UWG in Betracht.1051 Eine geschäftliche Handlung kann vorliegen, wenn ein Linksetzer die Inhalte der fremden, verlinkten Webseite für seinen eigenen werblichen Auftritt nutzt.1052 Ein Online-Reisebüro, das seinen Dienst dadurch attraktiv macht, dass es eine Bewertungsfunktion für Hotels etc. anbietet, nimmt ebenfalls eine geschäftliche Handlung vor.1053 Ein Plattformanbieter, der Dritten gegen Entgelt die Möglichkeit bietet, über diese Plattform Waren oder Dienstleistungen abzusetzen, nimmt ebenfalls eine geschäftliche Handlung vor, da er dadurch den Absatz der eigenen Dienstleistung fördert.1054 Bei einem redaktionellen Beitrag ist ein objektiver Zusammenhang mit der Förderung des Absatzes eines fremden Unternehmens zu verneinen, wenn er allein der Information und Meinungsbildung seiner Adressaten dient.1055 Allein Meinungsbildung begründet regelmäßig keine geschäftliche Handlung. Die Zugangsvermittlung eines Access-Providers auf rechtsverletzende Internetseiten stellt unter dem Aspekt der Förderung fremden Wettbewerbs ebenfalls eine geschäftliche Handlung dar.1056

(2) Geschäftliche Handlung des unmittelbar Handelnden. Umgekehrt kommt es nach der 149 h. M. nicht darauf an, dass auch der Dritte eine geschäftliche Handlung vornimmt.1057 Ob eine Gefährdung lauterkeitsrechtlicher Interessen vorliegt, hängt nicht davon ab, ob der unmittelbar Handelnde selbst den vollständigen UWG-Tatbestand einschließlich einer geschäftlichen Handlung erfüllt, solange der Intermediär eben eine solche vornimmt.1058 Es besteht eine gelockerte Akzessorietät.1059 Überzeugender ist freilich, dass der Vordermann den unlauteren Tatbestand selbst vollständig begangen haben muss (vgl. Rn. 145 f.).1060 In diesem Sinne kommt es entgegen der h. M. auch darauf an, dass das konkrete Wettbewerbsverhältnis zwischen unmittelbar Handelndem und Anspruchsteller besteht.1061

cc) Relevanz. Unklar ist, ob es eines Relevanzkriteriums bedarf.1062 Die Vermittlerhaftung soll- 150 te keiner eigenständigen Relevanzschwelle unterliegen.1063 Macht man die Intermediärshaf1049 Vgl. BGH 18.6.2015 – I ZR 74/14 – GRUR 2016, 209 Tz. 14 f. – Haftung für Hyperlink. 1050 BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 23 – Jugendgefährdende Medien; Schwippert WRP 2018, 1027, 1029. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 124. BGH 18.6.2015 – I ZR 74/14 – GRUR 2016, 209 Tz. 10 – Haftung für Hyperlink. BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 Tz. 16 f. – Hotelbewertungsportal. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.7. BGH 17.12.2015 – I ZR 219/13 – GRUR-RR 2016, 410 Tz. 11 f. – Dr. Estrich; BGH 19.5.2011 – I ZR 147/09 – GRUR 2012, 74 Tz. 15 – Coaching-Newsletter; vgl. BGH 14.10.2010 – I ZR 191/08 – GRUR 2011, 513 – AnyDVD. 1056 F. Hofmann WRP 2020, 1089, 1093 f. 1057 Vgl. BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 Tz. 42 – Hotelbewertungsportal; Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 215. 1058 Köhler GRUR 2008, 1, 3 f.; kritisch Ohly NJW 2016, 1417, 1419; vgl. BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 23, 34 f. – Jugendgefährdende Medien. 1059 Leistner GRUR-Beil. 2010, 1, 3 f. 1060 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 125a; ders. GRUR 2017, 441, 446; wohl auch Ullmann/Seichter jurisPK-UWG (2016) § 8 Rn. 128. 1061 Vgl. Ohly GRUR 2017, 441, 447 f.; F. Hofmann WRP 2020, 1089, 1093 f. 1062 Zum UWG 2008 Ohly FS Ahrens (2016) S. 125, 140. 1063 Ohly FS Ahrens (2016) S. 135, 142 (Fn. 53), 144.

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Beseitigung und Unterlassung

tung am Verletzungstatbestand fest, kommt es ausschließlich darauf an, ob der Vordermann den einschlägigen Unlauterkeitstatbestand einschließlich von Relevanzerfordernissen erfüllt.1064 Stellt man allerdings entgegen der hier vertretenen Ansicht auf die Generalklausel als Rechtsgrundlage (Rn. 145) ab, muss die Eignung der Pflichtverletzung zur wesentlichen Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens der Verbraucher hinzukommen.1065 Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 8 bedeutet „wesentliche Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens des Verbrauchers“ die Vornahme einer geschäftlichen Handlung, um die Fähigkeit des Verbrauchers, eine informierte Entscheidung zu treffen, spürbar zu beeinträchtigen und damit den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.

dd) Verkehrspflicht 151 (1) Grundlagen. Der Umfang der Verkehrspflichten ist durch eine umfassende Interessenabwägung zu ermitteln. Die Konkretisierung von Verkehrspflichten erfordert eine Abwägung aller betroffenen Interessen und relevanten rechtlichen Wertungen.1066 Es ist abzuwägen, ob und inwieweit dem in Anspruchgenommenen nach den Umständen eine Verhaltenspflicht (in Form insbesondere von Prüfungs-, Überwachungs- und Eingreifpflichten)1067 zuzumuten ist, nicht zuletzt um einer unangemessenen Ausuferung der Haftung („chilling effect“)1068 für Rechtsverstöße Dritter und einer unerwünschten Einschränkung erlaubter Tätigkeiten entgegenzuwirken.1069 Zu bedenken ist auch, dass jede Verkehrspflicht Kosten verursacht und diese nicht selten auf Verbraucher umgelegt werden. Es kommt auf die Umstände des Einzelfalls an, wobei der Praxis Fallgruppen Orientierung geben (Rn. 155 ff.). Inhaltlich sind neue Verkehrspflichten interdisziplinär zu entwickeln. Auch wenn beispielsweise gesetzliche Wertungen (vgl. § 1626 Abs. 2 BGB) oder Grundrechte (z. B. Art. 5 GG; Art. 11 EU-Grundrechtecharta) bei der Ausfüllung der Verkehrspflichten helfen, übersteigt die konkrete Ausformung in letzter Konsequenz häufig genuin rechtswissenschaftliche Kompetenz.1070 Was zumutbar ist und was nicht, hängt nicht zuletzt ganz entscheidend von den technischen Möglichkeiten ab. Ist etwa der Einsatz technisch leistungsfähiger Filtersoftware wirtschaftlich zumutbar, spricht dies für eine zum Einsatz verpflichtende Verkehrspflicht, beispielsweise zulasten von Bewertungsportalen mit Blick auf „gekaufte Bewertungen“.

152 (2) Abwägungsparameter. Traditioneller Grund für eine Verkehrspflicht ist die Verantwortung für eine Gefahrenquelle. Jeder, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenquelle schafft oder andauern lässt, muss die ihm zumutbaren Maßnahmen und Vorkehrungen treffen, die zur Abwendung der daraus Dritten drohenden Gefahren notwendig sind.1071 Eine Rechtspflicht zur Prüfung und zur Abwendung einer Rechtsverletzung kann sich aus dem 1064 Ohly FS Ahrens (2016) S. 135, 144. 1065 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.8; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 447 f.; Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 217.

1066 BGH 18.6.2015 – I ZR 74/14 – GRUR 2016, 209 Tz. 23 – Haftung für Hyperlink; BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 38 – Jugendgefährdende Medien; F. Hofmann WRP 2020, 579, 580.

1067 BGH 18.6.2014 – I ZR 242/12 – GRUR 2014, 883 Tz. 21 – Geschäftsführerhaftung; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.10.

1068 BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 38 – Jugendgefährdende Medien; BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 Tz. 36 – Hotelbewertungsportal.

1069 BGH 18.6.2015 – I ZR 74/14 – GRUR 2016, 209 Tz. 23 – Haftung für Hyperlink; BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 38 – Jugendgefährdende Medien.

1070 F. Hofmann JZ 2018, 746, 753 f. 1071 BGH 18.6.2014 – I ZR 242/12 – GRUR 2014, 883 Tz. 21 – Geschäftsführerhaftung; BGH 12.7.2012 – I ZR 54/11 – GRUR 2013, 301 Tz. 51 – Solarinitiative; BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 36 – Jugendgefährdende Medien. Hofmann

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C. Schuldner der Abwehransprüche

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Gesichtspunkt eines gefahrerhöhenden Verhaltens ergeben.1072 Aus einer solchen Gefahrerhöhung für eine Verletzung durch das Wettbewerbsrecht geschützter Interessen von Marktteilnehmern folgt die Verpflichtung desjenigen, der die Gefahr begründet hat, diese im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren zu begrenzen.1073 Beispiel für wettbewerbsrechtlich geschützte Interessen: „Dass die Beschränkung des Versandhandels mit jugendgefährdenden Medien wettbewerbliche Interessen der Verbraucher schützt, zeigt sich auch in ihrer Qualität als Marktverhaltensregelung.1074 Selbst wenn die Tätigkeit eigentlich ungefährlich, zumindest aber sozial bzw. gesellschaftlich erwünscht ist (z. B Zugangsvermittlung zum Internet, Rn. 161), können Verkehrspflichten bestehen: Hilfeleistungspflichten erscheinen als eigene Fallgruppe.1075 Dessen ungeachtet ist bei der Interessenabwägung auf folgende Faktoren Rücksicht zu 153 nehmen:1076 die Gefahrgeneigtheit bzw. soziale Erwünschtheit des Geschäftsmodells (Ist das Geschäftsmodell von vornherein auf Rechtsverletzungen angelegt, ist das Geschäftsmodell von der Rechtsordnung gebilligt oder gar sozial erwünscht?),1077 Funktion und Aufgabenstellung des Intermediärs (aktive oder passive Rolle?), Gewinnerzielungsabsicht, die Möglichkeit zur Verhinderung von Rechtsverletzungen, Kosten von Sicherungsmaßnahmen, Gewicht der Rechtsverletzung, Schutzbedürftigkeit der Allgemeinheit, der Verbraucher und der Mitbewerber, Erkennbarkeit der Rechtsverletzung,1078 eigenverantwortliches Handeln Dritter.1079 Zu berücksichtigen sind stets auch grundrechtlich geschützte Belange. Besonderes Gewicht kommt dabei der unternehmerischen Freiheit, der Meinungs-, Presse-, Kunst- und Informationsfreiheit zu.1080 Auch das Allgemeininteresse an der Funktionsfähigkeit des Internets ist zu berücksichtigen, genauso wie die Gefahr eines „overblockings“.1081

(3) Haftungsprivilegien. Bei der Interessenabwägung sind die Haftungsprivilegierungen 154 nach §§ 7 ff. TMG zu berücksichtigen.1082 Diese sind anwendbar, wenn die Tätigkeit, die die Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft ausüben, rein technischer, automatischer und passiver Art ist. Diese Anbieter dürfen weder Kenntnis noch Kontrolle über die von den Personen, an die sie ihre Dienste erbringen, weitergeleitete oder gespeicherte Information besitzen.1083 Eine aktive Rolle, beispielsweise in Form der Optimierung von Verkaufsangeboten der

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BGH 18.6.2015 – I ZR 74/14 – GRUR 2016, 209 Tz. 23 – Haftung für Hyperlink. BGH 18.6.2015 – I ZR 74/14 – GRUR 2016, 209 Tz. 23 – Haftung für Hyperlink. BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 35 – Jugendgefährdende Medien. F. Hofmann JuS 2017, 713, 719; vgl. BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 40 – Jugendgefährdende Medien (ohne die Inanspruchnahme von Plattformen entstünden „empfindliche Lücken im Rechtsschutz“). 1076 Vgl. Ohly GRUR 2017, 441, 448; Ahrens FS Canaris (2007) S. 3, 18 ff.; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 128; Harte/Henning/ Goldmann § 8 Rn. 485 ff. 1077 BGH 18.6.2015 – I ZR 74/14 – GRUR 2016, 209 Tz. 26 – Haftung für Hyperlink. 1078 BGH 5.2.2015 – I ZR 240/12 – GRUR 2015, 485 Tz. 50 – Kinderhochstühle im Internet. 1079 BGH 18.6.2015 – I ZR 74/14 – GRUR 2016, 209 Tz. 24 – Haftung für Hyperlink; BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 Tz. 36 – Hotelbewertungsportal; vgl. BGH 17.5.2001 – I ZR 251/99 – GRUR 2001, 1038, 1040 – ambiente. 1080 Vgl. BGH 18.6.2015 – I ZR 74/14 – GRUR 2016, 209 Tz. 24 – Haftung für Hyperlink. 1081 BGH 18.6.2015 – I ZR 74/14 – GRUR 2016, 209 Tz. 24 – Haftung für Hyperlink; BGH 27.2.2018 – VI ZR 489/16 – GRUR 2018, 642 Tz. 34 f. – Internetforum. 1082 Ohly FS Ahrens (2016) S. 135, 147 f.; ders. NJW 2016, 1417, 1420; ders./Sosnitza § 8 Rn. 126; BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 39 – Jugendgefährdende Medien. 1083 EuGH 7.8.2018 – C-521/17 – GRUR 2018, 921 Tz. 47 – Coöperatieve Vereniging SNB-REACT; EuGH 15.9.2016 – C-484/14 – GRUR 2016, 1146 Tz. 61 – McFadden; EuGH 23.3.2010 – C-236/08 bis C-238/08 – GRUR 2010, 445 Tz. 113 – Google France. 109

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Beseitigung und Unterlassung

Plattformkunden,1084 steht den Privilegierungen entgegen.1085 In diesem Fall handelt es sich im Übrigen auch um zu Eigen gemachte Inhalte (Rn. 126 ff.). Allen voran verbietet § 7 Abs. 2 S. 1 TMG allgemeine Überwachungspflichten, wobei dessen ungeachtet nach einem Hinweis durchaus die Pflicht zur Verhinderung gleichartiger Rechtsverletzungen besteht.1086 Auch einer Pflicht zur Verhinderung evidentester Rechtsverstöße (beispielsweise Formalbeleidigungen) muss die Vorschrift nicht zwingend entgegenstehen. Allerdings darf die praktische Bedeutung der §§ 7 ff. TMG (Art. 12 ff. E-Commerce-RL) nicht überschätzt werden.1087 Zum einen entlassen die Regelungen beispielsweise Hostprovider nicht vollständig aus der Haftung. Nach einem Hinweis auf die Rechtsverletzung besteht eine Pflicht des Hostproviders zum Tätigwerden. Der Intermediär hat nicht nur das beanstandete Angebot etc. zu sperren, sondern auch Vorsorge zu treffen, dass es nicht zu weiteren gleichartigen Rechtsverletzungen kommt („notice and takedown“; „notice and action“).1088 Allgemein gilt: Nach Art. 12 Abs. 3, Art. 13 Abs. 2 und Art. 14 Abs. 3 E-Commerce-RL sind Unterlassungsanordnungen zur Abstellung einer Rechtsverletzung im Grundsatz möglich.1089 Zum anderen erfordern grundrechtlich gewährte Freiheiten Zurückhaltung bei der Auferlegung von Verkehrspflichten, beispielsweise gegenüber der Presse.1090 Generell gilt, dass die verschiedenen (grundrechtlich geschützten) Interessen in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden müssen. Die Verkehrspflichten sind der Ort, an dem der gebotene Ausgleich dogmatisch abgebildet wird.

g) Einzelne Verkehrspflichten1091 155 aa) Internetverkaufsplattformen. Die neuere Rechtsprechung wurde anhand der Verkaufsplattform ebay entwickelt. Der Betrieb einer allgemein zugänglichen Handelsplattform stellt eine Gefahrenquelle dar, da über dieselbe lauterkeitsrechtlich geschützte Interessen von Verbrauchern oder Mitbewerbern beeinträchtigt werden können.1092 Zudem drohen ohne die Inanspruchnahme von Plattformen empfindliche Lücken im Rechtsschutz.1093 Proaktiven Überwachungspflichten stehen nicht nur die Haftungsprivilegierungen aus §§ 7 ff. TMG entgegen, sondern auch die Schwierigkeit, dass manuelle Kontrollen das von der Rechtsordnung gebilligte Geschäftsmodell unverhältnismäßig erschweren können.1094 Die wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflichten von Online-Plattformen konkretisieren sich daher hinsichtlich rechtsverletzender Drittinhalte zu Prüfungspflichten.1095 Im Ergebnis bestehen nach einem Hinweis auf eine kla-

1084 EuGH 12.7.2011 – C-324/09 – GRUR 2011, 1025 Tz. 113, 116, 123 – L’Oréal/eBay; vgl. BGH 5.2.2015 – I ZR 240/ 12 – GRUR 2015, 485 Tz. 56 – Kinderhochstühle im Internet III; BGH 16.5.2013 – I ZR 216/11 – GRUR 2013, 1229 Tz. 48, 52 – Kinderhochstühle im Internet II. 1085 EuGH 7.8.2018 – C-521/17 – GRUR 2018, 921 Tz. 48 – Coöperatieve Vereniging SNB-REACT. 1086 Zur Problematik Holznagel ZUM 2018, 350. 1087 F. Hofmann, ZUM 2019, 617, 624 f. 1088 Ohly NJW 2016, 1417; ders./Sosnitza § 8 Rn. 126; vgl. EuGH 12.7.2011 – C-324/09 – GRUR 2011, 1025 Tz. 127 – L’Oréal/eBay („Maßnahmen zur Vorbeugung gegen erneute derartige Verletzungen“); BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 43 – Jugendgefährdende Medien („Vorsorge dafür treffen, dass es möglichst nicht zu weiteren gleichartigen Rechtsverletzungen kommt“). 1089 Vgl. für Immaterialgüterrechtsverletzungen EuGH 7.8.2018 – C-521/17 – GRUR 2018, 921 Tz. 51 – Coöperatieve Vereniging SNB-REACT; EuGH 15.9.2016 – C-484/14 – GRUR 2016, 1146 Tz. 77, 78, 94 – McFadden. 1090 BGH 5.2.2015 – I ZR 136/13 – GRUR 2015, 906 Tz. 31 – TIP der Woche; BGH 26.1.2006 – I ZR 121/03 – GRUR 2006, 429 Tz. 13 ff. – Schlank-Kapseln. 1091 Übersicht bei MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 271 ff. 1092 BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 22, 24 ff., 36 – Jugendgefährdende Medien. 1093 BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 40 – Jugendgefährdende Medien. 1094 BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 38 f., 41 – Jugendgefährdende Medien. 1095 BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 38 – Jugendgefährdende Medien. Hofmann

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C. Schuldner der Abwehransprüche

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re Rechtsverletzung1096 („Diensteanbieter ist nicht verpflichtet, komplizierte Beurteilungen im Einzelfall durchzuführen, ob ein als rechtsverletzend beanstandetes Angebot ein Schutzrecht tatsächlich verletzt oder sich als wettbewerbswidrig erweist. Dies würde ansonsten die Hinzuziehung eines mit der Materie vertrauten Juristen erfordern, was [dem Plattformbetreiber] nicht zuzumuten ist“)1097 zwei lauterkeitsrechtliche Handlungsgebote: Erstens muss die Plattform, sobald sie selbst oder über Dritte Kenntnis von konkreten Wettbewerbsverstößen erlangt hat, entsprechende Angebote unverzüglich sperren.1098 Zweitens muss die Plattform Vorsorge treffen, dass es möglichst nicht zu weiteren gleichartigen Rechtsverletzungen kommt.1099 Solche gleichartigen Rechtsverletzungen sind nicht nur Angebote, die mit den bekannt gewordenen Fällen identisch sind, also das Angebot des gleichen Artikels durch denselben Versteigerer betreffen. Die Plattform muss zugleich verhindern, dass die ihr konkret benannten rechtsverletzenden Produkte durch andere Bieter erneut über ihre Plattform angeboten werden.1100 Als gleichartig mit einem bestimmten Verstoß gegen das Jugendschutzrecht kommen darüber hinaus solche Angebote in Betracht, bei denen derselbe Versteigerer auf demselben Trägermedium Inhalte derselben jugendgefährdenden Kategorie anbietet. Es liegt nach der Lebenserfahrung nahe, dass ein Versteigerer eines jugendgefährdenden Mediums als Anbieter weiterer Medien jedenfalls derselben Kategorie in Betracht kommt.1101 Der Umfang zumutbarer Vorkehrungen, um derartige Rechtsverletzungen künftig soweit wie möglich zu verhindern, hängt auch an den technischen Möglichkeiten von Filtersoftware.1102 Eine Verpflichtung, generell nach einer bestimmten Art von Rechtsverletzung (Beispiel: Gesamtheit jugendgefährdender Medien) zu forschen, besteht hingegen nicht.1103 Soweit eine Prüfungspflicht besteht, schuldet die Plattform angemessene Bemühungen, entsprechende Angebote aufzudecken und zu entfernen. Sofern trotz angemessener Bemühungen ein vollständiger Ausschluss der fraglichen Angebote von der Handelsplattform technisch oder faktisch zuverlässig nicht möglich ist, fehlt es an einem Verstoß gegen die Prüfungspflicht.1104 Übernimmt der Plattformbetreiber allerdings eine aktive Rolle durch Schaltung von Anzeigen, die unmittelbar zu rechtsverletzenden Angeboten führen, treffen ihn regelmäßig weitergehende Prüfungspflichten.1105 Er muss sich in diesen Fällen die Möglichkeit verschaffen, die von ihm aktiv beworbenen Verkaufsangebote zu kontrollieren.1106 Der Betreiber eines Internetportals für kostenlose anonyme Kleinanzeigen hat auf Grund einer ihn treffenden wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflicht Vorkehrungen dafür zu treffen, dass gewerbliche Anbieter ihrer Verpflichtung zur Angabe ihres Namens und ihrer Anschrift (§ 5 TMG) nachkommen.1107

1096 BGH 22.7.2010 – I ZR 139/08 – GRUR 2011, 152 Tz. 48 ff. – Kinderhochstühle im Internet; zur Funktion des Hinweises auch F. Hofmann ZUM 2017, 102 („Prozeduralisierung; Risikosteuerung“).

1097 BGH 22.7.2010 – I ZR 139/08 – GRUR 2011, 152 Tz. 48 – Kinderhochstühle im Internet. 1098 BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 42 f. – Jugendgefährdende Medien. 1099 Vgl. auch EuGH 3.10.2019 – C-18/18 – GRUR 2019, 1208 Tz. 21 ff. – Eva Glawischnig-Piesczek/Facebook Ireland Ltd; EuGH 12.7.2011 – C-324/09 – GRUR 2011, 1025 Tz. 141, 144 – L'Orèal/eBay; BGH 5.2.2015 – I ZR 240/1 – GRUR 2015, 485 Tz. 52 – Kinderhochstühle im Internet III; BGH 12.7.2012 – I ZR 18/11 – GRUR 2013, 370 Tz. 29, 32 – Alone in the dark; BGH 17.8.2011 – I ZR 57/09 – GRUR 2011, 1038 Tz. 25 f., 39 – Stiftparfüm; vgl. Spindler NJW 2019, 3274, 3275 („kerngleiche Inhalte“). 1100 BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 22 und Tz. 43 – Jugendgefährdende Medien. 1101 BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 22 und Tz. 44 – Jugendgefährdende Medien. 1102 BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 22 und Tz. 43 – Jugendgefährdende Medien; F. Hofmann jurisPR-WettbR 12/2019 Anm. 1. 1103 BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 22 und Tz. 46 – Jugendgefährdende Medien. 1104 BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 22 und Tz. 50 – Jugendgefährdende Medien. 1105 Vgl. auch BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 Tz. 34 – Hotelbewertungsportal. 1106 BGH 5.2.2015 – I ZR 240/12 – GRUR 2015, 485 Tz. 56 – Kinderhochstühle im Internet III; BGH 16.5.2013 – I ZR 216/11 – GRUR 2013, 1229 Tz. 48, 52 – Kinderhochstühle im Internet II. 1107 OLG Frankfurt 23.10.2008 – 6 U 139/08 – MMR 2009, 194. 111

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Beseitigung und Unterlassung

Diese Grundsätze lassen sich sinngemäß für die Haftung der Betreiber realer Marktplätze übertragen.1108 Auch wenn eine Vermietung keine spezifische Gefahr von Wettbewerbsverstößen begründet, kann situationsabhängig durchaus eine haftungsbegründende Verkehrspflicht zulasten des Vermieters entstehen.1109 Die Deutsche Post verletzt freilich keine Prüfpflichten, wenn sie Dritten Postfächer zur Verfügung stellt, ohne genaue Feststellungen zu deren Identität, Rechtsfähigkeit und Vertretungsverhältnissen zu treffen.1110

157 bb) Bewertungsportale. Online-Bewertungsportale können für rechtsverletzende Nutzerkommentare verantwortlich sein. Regelmäßig spielen die Fälle aber mangels geschäftlicher Handlung oder eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses zwischen Anspruchsteller und Plattform (vgl. § 4 Nr. 1 und Nr. 2) im allgemeinen Deliktsrecht (§§ 1004, 823 Abs. 1 und Abs. 2, 824 BGB).1111 Dessen ungeachtet kann der Betreiber eines Hotelbewertungsportals, das zugleich selbst ein Online-Reisebüro betreibt, für Nutzerkommentare haften, die nach § 4 Nr. 1 und § 4 Nr. 2 wettbewerbsrechtlich geschützte Interessen verletzen.1112 Dient ein Bewertungsportal dazu, das eigene Online-Reisebüro bekannt zu machen und seine Attraktivität zu steigern, ist eine geschäftliche Handlung gegeben.1113 Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis besteht ungeachtet dessen, dass das Bewertungsportal und der verletzte Hotelier nicht gleichartige Dienstleistungen abzusetzen versuchen, da der Vorteil des Portalbetreibers zugleich Nachteil des bewerteten Hotelbetreibers sein kann.1114 Zwar muss sodann die Rolle der Plattform als Vermittler bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals „verbreiten“ berücksichtigt werden;1115 eine Haftung wegen der Verletzung einer wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflicht kommt aber regelmäßig nach einem Hinweis auf eine klare Rechtsverletzung in Betracht.1116 Trotz der Schaffung einer besonderen Gefahrenlage bestehen insbesondere wegen § 7 Abs. 2 TMG und der Gefährdung für das rechtlich gebilligte Geschäftsmodell einer Bewertungsplattform keine proaktiven Prüfungspflichten, dafür aber anlassbezogene „spezifische Überwachungspflichten.“1117 Ob bestimmte Verhaltenspflichten (Verkehrspflichten) zumutbar sind, hängt auch davon ab, ob die Rechtsverletzung eines Dritten auf Grund einer unklaren Rechtslage erst nach eingehender rechtlicher oder tatsächlicher Prüfung möglich ist oder ob sie offenkundig und für den Betreiber unschwer zu erkennen ist. Für eine erhöhte Prüfungspflicht spricht es, wenn der Betreiber bei seiner Tätigkeit Rechtsverletzungen in erheblichem Umfang Vorschub leistet oder sie durch ei1108 EuGH 7.7.2016 – C-494/15 – GRUR 2016, 1062 – Tommy Hilfiger; zur Problematik auch Loschelder/Dörre WRP 2010, 822.

1109 Vgl. BGH 23.3.1995 – I ZR 92/93 – GRUR 1995, 601 – Bahnhofs-Verkaufsstellen; anders Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 8 Rn. 2.11 und Rn. 2.13b; zurückhaltend MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 266.

1110 OLG Köln 23.2.2011 – 6 W 199/10 – GRUR-RR 2011, 468 – Postfachüberlassung. 1111 BGH 27.2.2018 – VI ZR 489/16 – GRUR 2018, 642 – Internetforum; BGH 4.4.2017 – VI ZR 123/16 – GRUR 2017, 844 Tz. 20 – klinikbewertungen.de; BGH 1.3.2016 – VI ZR 34/15 – GRUR 2016, 855 – jameda.de; BGH 25.10.2011 – VI ZR 93/10 – GRUR 2012, 311 – Blog-Eintrag. 1112 BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 – Hotelbewertungsportal; s. a. OLG Hamburg 30.6.2016 – 5 U 58/13 – GRUR-RR 2017, 148 – Abgewohntes Hotel; weiterführend Leistner FS Köhler (2014) S. 415; Büscher GRUR 2017, 433. 1113 BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 Tz. 17 – Hotelbewertungsportal. 1114 BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 Tz. 19 f. – Hotelbewertungsportal; anders Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 135a. 1115 BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 Tz. 29 ff., 31, 38 – Hotelbewertungsportal (der BGH verweist auf § 7 Abs. 2 TMG); allerdings sollten diese Erwägungen beispielsweise auch bei Bandenwerbung auf Sportveranstaltungen oder Anzeigenblättern gelten, vgl. aber BGH 5.2.2015 – I ZR 136/13 – GRUR 2015, 906 Tz. 37 – TIP der Woche. 1116 BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 Tz. 40 ff. – Hotelbewertungsportal; OLG Hamburg 30.6.2016 – 5 U 58/13 – GRUR-RR 2017, 148 Tz. 38 ff., 43 – Abgewohntes Hotel. 1117 BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 Tz. 36 – Hotelbewertungsportal. Hofmann

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gene Maßnahmen fördert.1118 Nach einem Hinweis auf eine klare Rechtsverletzung muss die Plattform den beanstandeten Kommentar nicht nur löschen, sondern auch dafür Vorsorge treffen, dass es möglichst nicht zu weiteren derartigen Rechtsverletzungen kommt.1119 Freilich lässt sich die Rechtmäßigkeit/Rechtswidrigkeit namentlich von Tatsachenbehauptungen durch die Plattform praktisch kaum einschätzen. Es spricht daher einiges dafür, das vom VI. Zivilsenat entwickelte Moderationsverfahren auch im Lauterkeitsrecht fruchtbar zu machen.1120 Das Prognoserisiko der Plattform kann dadurch zumindest ansatzweise eingefangen werden.1121 Hat sich der Plattformbetreiber den Inhalt hingegen zu Eigen gemacht (Rn. 126 ff.), haftet er ohne Weiteres.1122 Ein Händler auf Amazon ist nicht für Kundenkommentare verantwortlich. Nach dem BGH beseht im Lichte der Meinungsfreiheit keine Garantenstellung;1123 der Sache nach fehlt es an einer Verkehrspflichtverletzung.1124

cc) Hyperlinks. Verkehrspflichten können aus einer Linksetzung folgen, soweit eine solche 158 als geschäftliche Handlung einzuordnen ist (Rn. 148).1125 Das Setzen eines Hyperlinks auf die Internetseite eines Drittens kann ein Verkehrspflichten auslösendes gefahrerhöhendes Verhalten darstellen. Auch wenn der Link für die Verletzung streng genommen nicht ursächlich ist,1126 erhöhen Verlinkungen die Gefahr der Verbreitung etwaiger rechtswidriger Inhalte.1127 Aus dieser Gefahrerhöhung für eine Verletzung durch das Wettbewerbsrecht geschützter Interessen von Marktteilnehmern folgt die Verpflichtung desjenigen, der den Link setzt, diese Gefahr im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren zu begrenzen.1128 Die wettbewerbsrechtliche Verkehrspflicht konkretisiert sich als Prüfungspflicht.1129 Auch wenn für den Linksetzer bei der Setzung des Links nicht erkennbar war oder erkennbar sein konnte, dass er auf einen wettbewerbswidrigen Inhalt verweist,1130 kann eine Haftung begründet sein, wenn ein Hyperlink aufrechterhalten bleibt, obwohl eine nunmehr zumutbare Prüfung, etwa nach einer Abmahnung oder Klageerhebung, ergeben hätte, dass mit dem Hyperlink ein rechtswidriges Verhalten unterstützt wird.1131 Um den Zugang zu frei zugänglichen Quellen und die Funktionsfähigkeit des Internets nicht über Gebühr zu belasten, sind proaktive Überwachungspflichten jenseits von Verweisen auf deutlich erkennbare rechtsverletzende Inhalte unzumutbar.1132 Eine Haftung des Linksetzers kommt unabhängig von Haftungsprivilegierungen nach §§ 7 ff. TMG erst in Betracht, wenn er von der Rechtswidrigkeit des Inhalts selbst oder durch Dritte Kenntnis erlangt.1133 Anders als bei Internetplattformbetreibern genügt ein einfacher Hinweis; ein Hinweis auf eine klare 1118 BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 Tz. 36 – Hotelbewertungsportal; vgl. BGH 15.8.2013 – I ZR 80/ 12 – GRUR 2013, 1030 Tz. 44 – File-Hosting-Dienst. BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 Tz. 37 – Hotelbewertungsportal. So auch Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 253. F. Hofmann ZUM 2017, 102, 105 ff., 109; ders. GRUR 2017, 848, 849 f. Vgl. BGH 4.4.2017 – VI ZR 123/16 – GRUR 2017, 844 Tz. 20 – klinikbewertungen.de; BGH 19.3.2015 – I ZR 94/ 13 – GRUR 2015, 1129 Tz. 25 ff. – Hotelbewertungsportal. 1123 BGH 20.2.2020 – I ZR 193/18 – I ZR 193/18 – GRUR 2020, 543 Tz. 33 ff. – Kundenbewertungen auf Amazon. 1124 F. Hofmann WRP 2020, 579, 580. 1125 BGH 18.6.2015 – I ZR 74/14 – GRUR 2016, 209 Tz. 10 – Haftung für Hyperlink; BGH 1.4.2004 – I ZR 317/01 – GRUR 2004, 693, 694 – Schöner Wetten; BGH 14.10.2010 – I ZR 191/08 – GRUR 2011, 513 – AnyDVD. 1126 Vgl. Stadler K&R 2016, 108 f.; BGH 17.7.2003 – I ZR 259/00 – GRUR 2003, 958, 961 – Paperboy. 1127 BGH 18.6.2015 – I ZR 74/14 – GRUR 2016, 209 Tz. 23 – Haftung für Hyperlink. 1128 BGH 18.6.2015 – I ZR 74/14 – GRUR 2016, 209 Tz. 23 – Haftung für Hyperlink. 1129 BGH 18.6.2015 – I ZR 74/14 – GRUR 2016, 209 Tz. 23 – Haftung für Hyperlink. 1130 BGH 18.6.2015 – I ZR 74/14 – GRUR 2016, 209 Tz. 24 – Haftung für Hyperlink. 1131 BGH 18.6.2015 – I ZR 74/14 – GRUR 2016, 209 Tz. 24 – Haftung für Hyperlink. 1132 BGH 18.6.2015 – I ZR 74/14 – GRUR 2016, 209 Tz. 25 – Haftung für Hyperlink; s. a. mit Blick auf die Meinungsfreiheit BGH 14.10.2010 – I ZR 191/08 – GRUR 2011, 513 – AnyDVD. 1133 BGH 18.6.2015 – I ZR 74/14 – GRUR 2016, 209 Tz. 25 – Haftung für Hyperlink.

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Beseitigung und Unterlassung

Rechtsverletzung ist nicht erforderlich.1134 Der Linksetzer unterliegt damit einer umfassenden Prüfungspflicht.1135 Das Prognoserisiko wird damit unter Inkaufnahme von „chilling effects“ weitgehend auf den Linksetzer verlagert.1136 Anders ist die Rechtslage im Urheberrecht. Hier werden Linksetzer im Grundsatz als Täter einer öffentlichen Wiedergabe angesehen, sofern der verlinkte Inhalt ohne Zustimmung des Urhebers öffentlich zugänglich war (Verweise auf rechtswidrige Inhalte). Einer ausufernden Haftung begegnet der EuGH mit einer Versubjektivierung des Verwertungsrechts aus Art. 3 InfoSoc-RL.1137 Die beiden Haftungskonzepte nähern sich damit letztlich doch an.1138

159 dd) Geschäftsführer. Ein Geschäftsführer haftet für einen Wettbewerbsverstoß der von ihm vertretenen Gesellschaft zunächst dann, wenn er die Rechtsverletzung selbst begangen oder in Auftrag gegeben hat.1139 Eine Beteiligung durch positives Tun liegt beispielsweise dann vor, wenn der Geschäftsführer ein auf Rechtsverletzungen angelegtes Geschäftsmodell selbst ins Werk gesetzt hat.1140 Eine persönliche Haftung des Geschäftsführers ist ferner anzunehmen, wenn der Wettbewerbsverstoß auf einem Verhalten beruht, das nach seinem äußeren Erscheinungsbild und mangels abweichender Feststellungen dem Geschäftsführer anzulasten ist,1141 beispielsweise deshalb, weil über den streitgegenständlichen Akt typischerweise (objektiv)1142 auf Geschäftsführerebene entschieden wird.1143 Zu den Maßnahmen, über die typischerweise auf Geschäftsführungsebene entschieden wird, zählen etwa das allgemeine Konzept der Kundenwerbung eines Unternehmens, der Inhalt einer Presseerklärung eines Unternehmens, in welcher der Geschäftsführer selbst zu Wort kommt, der allgemeine Internetauftritt des Unternehmers oder die Gestaltung eines Preisvergleichsportals,1144 nicht aber die Einteilung der Fahrzeuge für Taxifahrten.1145 Typischerweise auf Geschäftsleitungsebene wird auch über die Aufnahme des Vertriebs einer eigenen Produktpalette und die Produktgestaltung entschieden, zumal wenn zuvor entsprechende Produkte eines Drittunternehmens 25 Jahre exklusiv vertrieben wurden.1146 Während nach der älteren Rechtsprechung im Geiste der Störerhaftung1147 eine Haftung zudem in Betracht kam, wenn der Geschäftsführer von Wettbewerbsverstößen der Gesellschaft Kenntnis hatte und es unterlassen hat, sie zu verhindern,1148 verlangt die neuere Rechtsprechung demgegenüber, dass der Geschäftsführer die Wettbewerbsverstöße auf Grund 1134 1135 1136 1137 1138

BGH 18.6.2015 – I ZR 74/14 – GRUR 2016, 209 Tz. 27 – Haftung für Hyperlink. Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 258. Kritisch Ohly NJW 2016, 1417, 1420. EuGH 8.9.2016 – C-160/15 – GRUR 2016, 1152 – GS Media; vgl. Raue ZGE 2017, 514, 528 f., 537. Vergleichende Analyse F. Hofmann in: Specht/Lauber-Rönsberg/Becker (Hrsg.), Medienrecht im Medienumbruch: Junge Wissenschaft zum Gewerblichen Rechtsschutz, Urheber- und Medienrecht (2017), S. 137. 1139 BGH 18.6.2014 – I ZR 242/12 – GRUR 2014, 883 Tz. 14 – Geschäftsführerhaftung; vgl. BGH 30.6.2011 – I ZR 157/10 – GRUR 2012, 184 Tz. 32 – Branchenbuch Berg; zum Ganzen Goldmann GRUR-Prax 2014, 404; Götting GRUR 1994, 6; Werner GRUR 2009, 820. 1140 BGH 12.1.2017 – I ZR 253/14 – GRUR 2017, 397 Tz. 110 – World of Warcraft II; für Haftung aus Verkehrspflicht BGH 18.6.2014 – I ZR 242/12 – GRUR 2014, 883 Tz. 31 – Geschäftsführerhaftung. 1141 BGH 18.6.2014 – I ZR 242/12 – GRUR 2014, 883 Tz. 19 – Geschäftsführerhaftung. 1142 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 122, der Geschäftsführer soll sich nicht entlasten können, dass er eine derart wichtige Entscheidung auf untergeordneter Ebene treffen lässt. 1143 BGH 27.4.2017 – I ZR 55/16 – GRUR 2017, 1265 Tz. 29 f. – Preisportal; BGH 12.1.2017 – I ZR 253/14 – GRUR 2017, 397 Tz. 110 – World of Warcraft II; BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 45 – Exzenterzähne; OLG Hamburg GRUR-RR 2015, 250 Tz. 89 – Bist du bereit für die Elite?. 1144 Vgl. BGH 27.4.2017 – I ZR 55/16 – GRUR 2017, 1265 Tz. 29 f. – Preisportal. 1145 OLG Frankfurt 1.2.2018 – 6 U 37/17 – GRUR-RR 218, 199 Tz. 21 – Ersatz-Taxi. 1146 BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 45 – Exzenterzähne. 1147 Vgl. Fritzsche LMK 2014, 362609. 1148 BGH 17.8.2011 – I ZR 108/09 – GRUR 2011, 1043 Tz. 70 – TÜV II; BGH 9.6.2005 – I ZR 279/02 – GRUR 2005, 1061, 1064 – Telefonische Gewinnauskunft; BGH 26.9.1985 – I ZR 86/83 – GRUR 1986, 248, 250 f. – Sporthosen. Hofmann

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einer nach allgemeinen Grundsätzen des Deliktsrechts begründeten Garantenstellung hätte verhindern müssen;1149 der Geschäftsführer muss mithin gegen eine Verkehrspflicht verstoßen haben.1150 Allein die Kenntnis vom Wettbewerbsverstoß genügt für eine Haftung nicht. Dadurch besteht keine wettbewerbsrechtliche Verkehrspflicht im Verhältnis zu außenstehenden Dritten, eine weitere Verletzung durch das Wettbewerbsrecht geschützter Interessen von Marktteilnehmern zu verhindern.1151 Auch die Organstellung als solche begründet nur Pflichten (wie die Sicherstellung rechtmäßigen Verhaltens der Gesellschaft) gegenüber der Gesellschaft (vgl. § 43 Abs. 1 GmbHG und § 93 Abs. 1 S. 1 AktG), nicht aber gegenüber außenstehenden Dritten.1152 Eine Erfolgsabwendungspflicht des Geschäftsführers kann sich aber unter Berücksichtigung der gesellschaftsrechtlichen Haftungsgrundsätze in begrenztem Umfang auf Grund besonderer Umstände ergeben.1153 Das kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn sich der Geschäftsführer bewusst der Möglichkeit entzieht, überhaupt Kenntnis von etwaigen Wettbewerbsverstößen in seinem Unternehmen oder von ihm beauftragter Drittunternehmen zu erlangen und dementsprechend Einfluss zu ihrer Vermeidung ausüben zu können.1154 Die bloße Beauftragung von Subunternehmern löst aber für sich genommen noch keine Verkehrspflicht aus.1155 Der Geschäftsführer haftet wie erwähnt auch auf Grund einer eigenen wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflicht, wenn er ein auf Rechtsverletzungen angelegtes Geschäftsmodell selbst ins Werk setzt1156 oder eine Erfolgsabwendungspflicht Dritten gegenüber persönlich übernommen hat.1157

ee) Gesellschafter. Gesellschafter von Kapitalgesellschaften sowie persönlich haftende Ge- 160 sellschafter von Personengesellschaften haften ebenfalls nur bei Vorliegen besonderer Umstände, nicht aber allein wegen ihrer Gesellschafterstellung.1158 Der Unterlassungsanspruch stellt keine Verbindlichkeit der Gesellschaft gemäß § 128 HGB dar.1159 ff) Internetzugangsanbieter (Access-Provider). Eine Haftung kann auch Internetzugangs- 161 anbieter treffen.1160 Im Recht des Geistigen Eigentums hat die Rechtsprechung Internetan-

1149 BGH 18.6.2014 – I ZR 242/12 – GRUR 2014, 883 Tz. 17, 22 – Geschäftsführerhaftung; BGH 12.1.2017 – I ZR 253/ 14 – GRUR 2017, 397 Tz. 110 – World of Warcraft II; OLG Hamburg GRUR-RR 2015, 250 Tz. 87 ff. – Bist du bereit für die Elite?; OLG Frankfurt 15.10.2015 – 6 U 161/14 – GRUR-RR 2016 Tz. 28; OLG München 8.12.2016 – 29 U 1893/16 – GRUR-RR 2017, 158 Tz. 110; anders die Rechtsprechung im Patentrecht BGH 15.12.2015 – X ZR 30/14 – GRUR 2016, 257 Tz. 105 ff. – Glasfasern II; kritisch Müller GRUR 2016, 570; Dregelies GRUR 2018, 8. 1150 Bzw. um Verstöße gegen die unternehmerische Sorgfalt Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.13d. 1151 BGH 18.6.2014 – I ZR 242/12 – GRUR 2014, 883 Tz. 19, 20 – Geschäftsführerhaftung. 1152 BGH 18.6.2014 – I ZR 242/12 – GRUR 2014, 883 Tz. 23 – Geschäftsführerhaftung; OLG Frankfurt 1.2.2018 – 6 U 37/17 – GRUR-RR 218, 199 Tz. 21 – Ersatz-Taxi. 1153 BGH 18.6.2014 – I ZR 242/12 – GRUR 2014, 883 Tz. 24, 29 – Geschäftsführerhaftung. 1154 BGH 18.6.2014 – I ZR 242/12 – GRUR 2014, 883 Tz. 26 – Geschäftsführerhaftung. 1155 BGH 18.6.2014 – I ZR 242/12 – GRUR 2014, 883 Tz. 28 – Geschäftsführerhaftung. 1156 BGH 18.6.2014 – I ZR 242/12 – GRUR 2014, 883 Tz. 31 – Geschäftsführerhaftung; vgl. BGH 15.1.2009 – I ZR 57/ 07 – GRUR 2009, 841 Tz. 21 f. – Cypersky; vgl. OLG Frankfurt 1.2.2018 – 6 U 37/17 – GRUR-RR 2018, 199 Tz. 22 – Ersatz-Taxi; vgl. wohl für unmittelbare Haftung BGH 12.1.2017 – I ZR 253/14 – GRUR 2017, 397 Tz. 110 – World of Warcraft II. 1157 BGH 18.6.2014 – I ZR 242/12 – GRUR 2014, 883 Tz. 32 – Geschäftsführerhaftung. 1158 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.21; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 550 f.; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 141; vgl. BGH 3.11.2005 – I ZR 311/02 – GRUR 2006, 493 Tz. 22 – Michel-Nummern; BGH 26.9.1985 – I ZR 86/83 – GRUR 1986, 248, 250 f. – Sporthosen. 1159 Vgl. BGH 20.6.2013 – I ZR 201/11 – GRUR 2013, 1268 Tz. 11 – Markenheftchen; BGH 3.11.2005 – I ZR 311/02 – GRUR 2006, 493 Tz. 22 – Michel-Nummern; OLG Nürnberg 22.8.1995 – 3 U 1981/95 – GRUR 1996, 206, 208; OLG Karlsruhe 25.2.1998 – 6 U 148/97 – WRP 1998, 898, 899; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 152. 1160 Ausführlich F. Hofmann WRP 2020, 1089. 115

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Beseitigung und Unterlassung

gebotssperren den Weg geebnet.1161 Aber auch die Betreiber von WLAN-Netzen konnten bisher für Urheberrechtsverletzungen Dritter in Anspruch genommen werden.1162 Entsprechend wurde in der Literatur vertreten, dass Internetzugangsanbieter zur Eindämmung von Wettbewerbsverstößen Dritter herangezogen werden können.1163 Es müsse aber zwischen Verstößen nach § 4 Nr. 3 (Sperre tendenziell möglich) und Sperren bei Meinungsportalen (Sperre wegen der Gefahr des Overblocking tendenziell nicht möglich) unterschieden werden.1164 Nach der wiederholten Reform des TMG1165 ist indes die Anspruchsgrundlage fraglich. Nach § 8 Abs. 1 S. 2 TMG n. F. können die über § 8 Abs. 1 TMG privilegierten Diensteanbieter nicht wegen einer rechtswidrigen Handlung eines Nutzers auf Schadensersatz oder Beseitigung oder Unterlassung einer Rechtsverletzung in Anspruch genommen werden; dasselbe gilt hinsichtlich aller Kosten für die Geltendmachung und Durchsetzung dieser Ansprüche. Fraglich ist, ob sich diese gesetzliche Einschränkung nicht nur auf die Störerhaftung, sondern auch auf die Haftung wegen der Verletzung von Verkehrspflichten bezieht. Trotz dogmatischer Unterschiede geht es bei beiden Haftungskonzepten zwar um das gleiche Sachproblem: der Haftung mittelbar Verantwortlicher. Allerdings sprechen die Gesetzeshistorie und der Wortlaut klar dagegen, § 8 Abs. 1 S. 2 BGB auf die wettbewerbsrechtliche Haftung von Internetzugangsprovidern zu beziehen.1166 Im Übrigen sollte die „Abschaffung der Störerhaftung“1167 über § 7 Abs. 4 TMG,1168 der als Anspruchsgrundlage für Internetangebotssperren gesehen wird, kompensiert werden.1169 Allerdings gilt diese Regelung ausschließlich für Immaterialgüterrechtsverletzungen; eine Anspruchsgrundlage zur Bekämpfung von Wettbewerbsverstößen ist § 7 Abs. 4 TMG ausweislich des Wortlautes nicht.1170 Die neue Anspruchsgrundlage gilt in ihrem unmittelbaren Anwendungsbereich allerdings unter richtlinienkonformer Rechtsfortbildung (vgl. Art. 8 Abs. 3 InfoSoc-RL; Art. 11 S. 3 Enforcement-RL) nicht nur gegenüber WLAN-Betreibern, sondern auch gegenüber Anbietern drahtgebundener Internetzugänge.1171 Mit dem Rechtsgedanken aus Art. 11 S. 3 Enforcement-RL1172 („Hilfeleistungspflicht“)1173 und dem Gedanken der Gleichbehandlung1174 sind diese Grundsätze vor dem Hintergrund der Interessen der vom Wettbewerbsverstoß betroffenen Mitbewerber und Verbraucher meines Erachtens auch für Wettbewerbsverstöße anwendbar.1175 Will man eine Haftung also nicht wegen der Verletzung wettbewerbsrechtlicher Verkehrspflichten anneh1161 EuGH 27.3.2014 – C-314/12 – GRUR 2014, 468 – UPC Telekabel; EuGH 15.9.2016 – C-484/14 – GRUR 2016, 1146 – McFadden; BGH 26.11.2015 – I ZR 174/14 – GRUR 2016, 268 – Störerhaftung des Access-Providers.

1162 BGH 12.5.2010 – I ZR 121/08 – GRUR 2010, 533 – Sommer unseres Lebens; nunmehr BGH 26.7.2018 – I ZR 64/ 17 – GRUR 2018, 1044 – Dead Island.

1163 Ohly FS Ahrens (2016) S. 135, 146 f.; dagegen mangels Gefahrerhöhung Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 520 und Rn. 438; vgl. OLG Frankfurt 22.1.2008 – 6 W 10/08 – GRUR-RR 2008, 93 – Access-Provider. Ohly FS Ahrens (2016) S. 135, 146. Zuletzt vgl. BTDrucks. 18/12202. F. Hofmann WRP 2020, 1089, 1092 f. Vgl. Regierungsentwurf 3. TMG-ÄnderungsG, BTDrucks. 18/12202 S. 1, 12. „Umwidmung“, vgl. Spindler GRUR 2018, 16, 19; Hennemann ZUM 2018, 754, 755. J. B. Nordemann GRUR 2018, 1016, 1017 ff.; anders als der Unterlassungsanspruch ist § 7 Abs. 4 TMG nicht nur mittelbar, sondern direkt auf eine aktive Leistung gerichtet, vgl. BTDrucks. 18/12202, S. 12; BGH 26.7.2018 – I ZR 64/ 17 – GRUR 2018, 1044 Tz. 57 – Dead Island. 1170 Spindler GRUR 2018, 16, 19; für analoge Anwendung auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen Ohly JZ 2019, 251, 253. 1171 BGH 26.7.2018 – I ZR 64/17 GRUR 2018, 1044 Tz. 49 – Dead Island; Spindler NJW 2017, 2305; Grisse GRUR 2017, 1073, 1078 f., 1080. 1172 Vgl. F. Hofmann ZfWG 2016, 304, 309 f.; Ohly FS Ahrens (2016) S. 135, 145, 146 f. 1173 J. B. Nordemann ZUM 2014, 499; Czychowsk/J. B. Nordemann GRUR 2013, 986, 988; F. Hofmann JuS 2017, 713, 717, 719. 1174 Spindler GRUR 2018, 16, 19. 1175 F. Hofmann WRP 2020, 1089, 1094 ff.; Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 244, will auf Basis der alten Dogmatik Internetsperren zulassen.

1164 1165 1166 1167 1168 1169

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C. Schuldner der Abwehransprüche

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men, erscheint eine Analogie zu § 7 Abs. 4 TMG gerechtfertigt.1176 Der Gesetzgeber wollte WLAN-Anbieter privilegieren, nicht die BGH-Rechtsprechung zu Internetsperren eindämmen. Für die prozeduralen Voraussetzungen der Haftung (haftungsbegründender Hinweis, Subsidiarität der Haftung etc.) kann auf die Rechtsprechung zum Urheberrecht verwiesen werden.1177 Die Gegenansicht stellt hingegen darauf ab, dass Zugangsprovider nicht als Gefahrenquelle klassifiziert werden können.1178 Bei der Anwendung des § 7 Abs. 4 TMG stehen den Gerichten (für Behörden gilt § 8 Abs. 4 TMG) unter Abwägung grundrechtlich geschützter Interessen alle denkbaren Sperrmaßnahmen zur Verfügung. Dazu zählen Datenmengenbegrenzungen, Portsperren, Sperrung von Internetseiten, aber auch Passwortverschlüsselungen und die vollständige Sperrung des Zugangs.1179 Ein Anspruch auf Kostenerstattung besteht hingegen wegen § 8 Abs. 1 S. 2 2. HS nicht. Das Unionsrecht überlässt dies den Mitgliedstaaten.1180 Die Haftung von Internetanschlussinhabern ist vor allem im Urheberrecht von Bedeutung.1181

gg) Virales Marketing. Die Rechtsprechung rechnet Unternehmern Laienwerbung mehr oder 162 weniger großzügig zu. Die Möglichkeit für Dritte, Produkte eines Unternehmens mittels vorformulierter E-Mails zu empfehlen, wird als belästigende Handlung des Unternehmens gewertet (§ 7 Abs. 2 Nr. 3).1182 Überzeugender ist es, derartige Dreieckskonstellationen über Verkehrspflichten situationsspezifisch zu regulieren.1183 Den Unternehmer können insbesondere Organisationspflichten treffen. So soll der Unternehmer bei der Laienwerbung für eigene Organisationsmängel haften, wenn er das Vertriebssystem per se wettbewerbswidrig organisiert oder bei der Ausgestaltung des Vertriebssystems keine hinreichenden Vorkehrungen gegen unlauteres Verhalten der Werber getroffen hat.1184 hh) Presse. Im Falle der Verbreitung wettbewerbswidriger Äußerungen in Medien haftet neben 163 dem Urheber der Äußerung jeder an der Weitergabe und der Verbreitung Beteiligte, soweit sein Verhalten eine geschäftliche Handlung darstellt.1185 Das Handeln der Presse stellt häufig bereits keine geschäftliche Handlung dar.1186 In jedem Fall ist der Meinungs- und Pressefreiheit bei der Bestimmung des Umfangs etwaiger Verkehrspflichten hinreichend Raum zu geben. Ein Presseunternehmen haftet für die Veröffentlichung gesetzwidriger Werbeanzeigen Dritter nur, wenn es gegen seine Pflicht zur Prüfung verstoßen hat, ob die Veröffentlichung der Anzeigen

1176 F. Hofmann WRP 2020, 1089, 1094 ff., 1097 f. 1177 BGH 26.11.2015 – I ZR 174/14 – GRUR 2016, 268 – Störerhaftung des Access-Providers. 1178 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.29c; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 438; Gegenargumente bei F. Hofmann WRP 2020, 1089, 1094 f. 1179 BGH 26.7.2018 – I ZR 64/17 – GRUR 2018, 1044 Tz. 54 f. – Dead Island. 1180 Vgl. Erwägungsgrund 59 InfoSoc-RL und Erwägungsgrund 23 Enforcement-RL; Hoeren/Klein MMR 2016, 764, 767; F. Hofmann GPR 2017, 176, 180; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.29a. 1181 Fromm/Nordemann/J. B. Nordemann Urheberrecht, 12. Aufl. 2018 § 97 Rn. 172 ff.; Nicolai ZUM 2018, 33; Schaub NJW 2018, 3754; Hennemann ZUM 2018, 754; Rauer WRP 2018, 1294; Spindler GRUR 2018, 16; vgl. Büscher/ Hohlweck § 8 Rn. 264. 1182 BGH 12.9.2013 – I ZR 208/12 – GRUR 2013, 1259 – Empfehlungs-E-Mail; BGH 14.1.2016 – I ZR 65/14 – GRUR 2016, 946 Tz. 33 – Freunde finden; zum Influencer-Marketing Leeb/Maisch ZUM 2019, 29, 31. 1183 Ohly GRUR 2017, 441, 445. 1184 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 118; zur Haftung des Unternehmers über § 8 Abs. 2 Isele WRP 2010, 1215; Gerecke GRUR 2018, 153, 158. 1185 BGH 5.2.2015 – I ZR 136/13 – GRUR 2015, 906 Tz. 29 – TIP der Woche; BGH 10.2.2011 – I ZR 183/09 – GRUR 2011, 340 Tz. 27 – Irische Butter; BGH 3.2.1994 – I ZR 321/91 – GRUR 1994, 441, 443 – Kosmetikstudio. 1186 Vgl. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 131. 117

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§8

Beseitigung und Unterlassung

gegen gesetzliche Vorschriften verstößt. Bei dem Umfang der Prüfungspflicht ist zu berücksichtigen, dass die Beurteilung von Anzeigen bei der Veröffentlichung unter dem Gebot der raschen Entscheidung steht. Um die Arbeit von Presseunternehmen nicht über Gebühr zu erschweren und die Verantwortlichen nicht zu überfordern, besteht daher mit Blick auf die Gewährleistung der Pressefreiheit gem. Art. 5 GG nur eine eingeschränkte Prüfungspflicht. Sie beschränkt sich auf grobe und unschwer erkennbare Rechtsverstöße,1187 eines vorangegangenen Hinweises bedarf es allerdings nicht.1188 Weitergehende Anforderungen sind auch dann nicht zu stellen, falls der betreffende Anzeigenkunde seinen Sitz im Ausland hat.1189 Die wettbewerbsrechtliche Verantwortlichkeit eines Unternehmens für redaktionell getarnte Werbung über ein Unternehmenserzeugnis besteht nicht schon allein deshalb, weil der Pressebeitrag auf – sachlich zutreffenden – Informationen des Unternehmens beruht.1190 Das Unternehmen ist grundsätzlich nicht gehalten, an die Presse gegebene Informationen mit Sperrauflagen bzw. mit dem Vorbehalt der Überprüfung etwaiger Berichte vor der Veröffentlichung zu versehen.1191 Sperrauflagen und Kontrollpflichten kommen vielmehr (erst) in Betracht, wenn konkrete Umstände die Annahme nahe legen, dass über das Produkt in wettbewerbsrechtlich unzulässiger Weise berichtet werden wird.1192 Bei der Prüfungspflicht ist allerdings zu berücksichtigen, dass der an der Zumutbarkeit 164 orientierte Umfang der Prüfungspflicht des Presseunternehmens je nachdem verschieden sein kann, ob es sich lediglich um eine Kleinanzeige oder beispielsweise um ein ganzseitiges, entsprechend teures Inserat handelt.1193 Finden sich im Presseerzeugnis keine nennenswerten meinungsbildenden Beiträge (beispielsweise bei reinen Anzeigenblättern), kann sich das Presseunternehmen nicht auf eine nur eingeschränkte Haftung für rechtswidrige Werbeanzeigen Dritter berufen.1194 Der Schutzumfang der Pressefreiheit ist umso geringer, je weniger ein Presseerzeugnis der Befriedigung eines Informationsbedürfnisses von öffentlichem Interesse oder der Einwirkung auf die öffentliche Meinung dient und je mehr es eigennützige Geschäftsinteressen wirtschaftlicher Art verfolgt.1195 Vor dem Hintergrund der lediglich mittelbaren Verursachung des Wettbewerbsverstoßes erscheint dies zu streng: Kontextspezifische, womöglich gegenüber Tageszeitungen intensivere Verkehrspflichten erweisen sich als Korrektiv fehlender Verhältnismäßigkeits- und Ermessenserwägungen (auch mit Blick auf die Auswahl des Haftungsschuldners). Würde der Verstoß durch eine Behörde durchgesetzt, bestünde für derartige Überlegungen ohne Weiteres Raum.1196 Überzeugend ist daher auch eine eingeschränkte Haftung für wettbewerbswidrige Bandenwerbung, wenn der Beklagte die Vergabe bzw. Verpach1187 BGH 5.2.2015 – I ZR 136/13 – GRUR 2015, 906 Tz. 31 – TIP der Woche; BGH 26.1.2006 – I ZR 121/03 – GRUR 2006, 429 Tz. 13 ff. – Schlank-Kapseln; BGH 6.12.2001 – I ZR 284/00 – GRUR 2002, 360, 366 – H.I.V. POSITIVE II; BGH 9.11.2000 – I ZR 167/98 – GRUR 2001, 529, 531 – Herz-Kreislauf-Studie; BGH 10.11.1994 – I ZR 147/92 – GRUR 1995, 751, 752 – Schlussverkaufswerbung; BGH 10.2.1994 – I ZR 316/91 – GRUR 1994, 454, 455 – Schlankheitswerbung; BGH 7.5.1992 – I ZR 119/90 – GRUR 1992, 618, 619 – Pressehaftung II; BGH 26.4.1990 – I ZR 127/88 – GRUR 1990, 1012, 1014 – Pressehaftung I; BGH 30.6.1972 – I ZR 1/71 – GRUR 1973, 203, 204 – Badische Rundschau. 1188 Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 506. 1189 BGH 19.3.1992 – I ZR 166/90 – GRUR 1993, 53, 55 – Ausländischer Inserent. 1190 BGH 18.2.1993 – I ZR 14/91 – GRUR 1993, 561, 562 – Produktinformation I; BGH 10.3.1994 – I ZR 51/92 – GRUR 1994, 445, 446 – Beipackzettel; BGH 30.6.1994 – I ZR 167/92 – GRUR 1994, 819, 821 – Produktinformation II; BGH 18.10.1995 – I ZR 227/93 – GRUR 1996, 71, 72 f. – Produktinformation III. 1191 BGH 30.6.1994 – I ZR 167/92 – GRUR 1994, 819, 821 – Produktinformation II; BGH 18.10.1995 – I ZR 227/93 – GRUR 1996, 71, 72 f. – Produktinformation III. 1192 BGH 18.2.1993 – I ZR 14/91 – GRUR 1993, 561, 562 – Produktinformation I; BGH 30.6.1994 – I ZR 167/92 – GRUR 1994, 819, 821 – Produktinformation II; BGH 18.10.1995 – I ZR 227/93 – GRUR 1996, 71, 72 f. – Produktinformation III. 1193 BGH 9.11.2000 – I ZR 167/98 – GRUR 2001, 529, 531 – Herz-Kreislauf-Studie. 1194 BGH 5.2.2015 – I ZR 136/13 – GRUR 2015, 906 Tz. 37 – TIP der Woche. 1195 BGH 5.2.2015 – I ZR 136/13 – GRUR 2015, 906 Tz. 37 – TIP der Woche. 1196 F. Hofmann ZfWG 2016, 304, 308 (einschl. Fn. 52). Hofmann

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C. Schuldner der Abwehransprüche

§8

tung der Werbeflächen einem Dritten übertragen hat,1197 sowie für die Verleger von Branchen-, Telefon- und Adressbüchern.1198

ii) Zahlungsdienstleister. Als neutraler Dienstleister kommt eine Inanspruchnahme nach 165 den gleichen Grundsätzen wie bei der Haftung von Internetzugangsdienstleistern in Betracht (vgl. Rn. 161).1199 Dies steht im Einklang mit Art. 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 GlüStV.1200 jj) Suchmaschinen. Bei der Bestimmung der Verantwortlichkeit von Suchmaschinen ist deren 166 Ordnungsfunktion für das Internet zu berücksichtigen. Der Nachweis von Suchergebnissen ist im Allgemeininteresse, während manuelle Vorabkontrollen der Trefferlisten zum Herausfiltern rechtswidriger Inhalte offenkundig wirtschaftlich unmöglich und technische Filter allenfalls ansatzweise erfolgsversprechend sind.1201 Dies muss sich im Umfang der den Suchmaschinen aufzuerlegenden Verkehrspflichten niederschlagen.1202 Mit Blick auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen nimmt der BGH Suchmaschinenbetreiber für rechtswidrige Inhalte auf Drittseiten, die von Google leichter auffindbar gemacht werden, zu Recht nur moderat in die Pflicht.1203 An die Prüfungspflichten von Suchmaschinenbetreibern sind geringere Anforderungen zu stellen als an jene gegenüber Hostprovidern.1204 Während proaktive Prüfungspflichten mit Aufgabe und Funktionsweise von Suchmaschinen nicht zu versöhnen sind, besteht eine Pflicht zur Entfernung eines Links erst dann, wenn der Betreiber durch einen konkreten Hinweis Kenntnis von einer offensichtlichen und auf den ersten Blick klar erkennbaren Rechtsverletzung erlangt hat.1205 Ein Rechtsverstoß kann beispielsweise auf der Hand liegen bei Kinderpornografie, Aufruf zur Gewalt gegen Personen, offensichtlichen Personenverwechslungen, Vorliegen eines rechtskräftigen Titels gegen den unmittelbaren Störer, Erledigung jeglichen Informationsinteresses durch Zeitablauf1206 oder eindeutiger Schmähkritik.1207 Ermittlungspflichten treffen die Suchmaschinenbetreiber anders als die Betreiber von Bewertungsportalen nicht.1208 Eine Haftung für persönlichkeitsrechtsverletzende automatische Suchvervollständigungsvorschläge ist ebenfalls nur im Falle der Verletzung einer Verkehrspflicht gegeben, obwohl der BGH hier von einem „Zueigenmachen“ ausging.1209 Weist ein Betroffener den Betreiber einer Internet-Suchmaschine auf eine rechtswidrige Verletzung seines Persönlichkeitsrechts hin, ist der Betreiber der Suchmaschine verpflichtet, zukünftig derartige Ver1197 OLG Hamburg 8.4.2009 – 5 U 169/07 – BeckRS 2010, 27004. 1198 BGH 30.6.1994 – I ZR 40/92 – GRUR 1994, 841, 842 f. – Suchwort. 1199 F. Hofmann ZfWG 2016, 304, 308 f.; kritisch Ahrens WRP 2007, 1281, 1288; vgl. OLG Jena 2.11.2005 – 2 U 418/ 05 – GRUR-RR 2006, 134, 136 – sportwetten.de; grundlegend zum Urheberrecht Jaworski Die Haftung von Kreditkartenunternehmen für Urheberrechtsverletzungen Dritter (2016). 1200 F. Hofmann ZfWG 2016, 304, 308 f. 1201 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 139a. 1202 Bereits BGH 29.4.2010 – I ZR 69/08 – GRUR 2010, 628 Tz. 39 – Vorschaubilder I; s. a. BVerfG 6.11.2019 – 1 BvR 276/17 – NJW 2020, 314 – Recht auf Vergessen II. 1203 BGH 27.2.2018 – VI ZR 489/16 – GRUR 2018, 642 – Internetforum. 1204 BGH 27.2.2018 – VI ZR 489/16 – GRUR 2018, 642 Tz. 33 – Internetforum. 1205 BGH 27.2.2018 – VI ZR 489/16 – GRUR 2018, 642 Tz. 34 und Tz. 36 – Internetforum; BGH 24.7.2018 – VI ZR 330/17 – ZUM-RD 2019, 203 Rn. 37. 1206 EuGH 13.5.2014 – C-131/12 – GRUR 2014, 895 – Google Spain. 1207 BGH 27.2.2018 – VI ZR 489/16 – GRUR 2018, 642 Tz. 36 – Internetforum. 1208 BGH 27.2.2018 – VI ZR 489/16 – GRUR 2018, 642 Tz. 35 – Internetforum; zu Bewertungsportalen vgl. BGH 1.3.2016 – VI ZR 34/15 – GRUR 2016, 855 Tz. 42, 48 – jameda.de („Konkret muss die vom Portalbetreiber durchzuführende Überprüfung erkennbar zum Ziel haben, die Berechtigung der Beanstandung des betroffenen Arztes zu klären“; „Recherchepflicht“). 1209 BGH 14.5.2013 – VI ZR 269/12 – GRUR 2013, 751 Tz. 25 ff. – Autocomplete-Funktion; vgl. auch BGH 15.2.2018 – I ZR 201/16 – GRUR 2018, 935 Tz. 40 ff. – goFit. 119

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§8

Beseitigung und Unterlassung

letzungen zu verhindern.1210 Diese Grundsätze lassen sich auf das Lauterkeitsrecht übertragen.1211 Auch hier wird man indes davon ausgehen müssen, dass der Suchmaschinenbetreiber nicht verpflichtet ist, komplizierte Beurteilungen im Einzelfall durchzuführen, ob sich das als rechtsverletzend beanstandete Suchergebnis als wettbewerbswidrig erweist.1212 Unabhängig von der Verantwortlichkeit des Intermediärs ist diejenige des unmittelbaren Täters. Verstößt die Werbung in einer Preissuchmaschine wegen unzureichender oder irreführender Preisangaben gegen die Preisangabenverordnung oder das Irreführungsverbot, so ist der Händler dafür wettbewerbsrechtlich als Täter verantwortlich, wenn er die Preisangaben dem Betreiber der Suchmaschine mitgeteilt und der Betreiber der Suchmaschine die Preisangaben unverändert in die Suchmaschine eingestellt hat.1213 Eine Haftung beim Keyword-Advertising kommt für die Suchmaschine ebenfalls nicht ohne Weiteres in Betracht.1214

167 kk) Domainnamen. Rechtsprechung zur Verantwortlichkeit der DENIC, die für die Vergabe der Top-Level-Domain „.de“ zuständig ist, findet sich allen voran zum Namens- und Markenrecht. Die DENIC ist zur Rücknahme der Domainnamen-Registrierung nur bei solchen offenkundigen, von dem zuständigen Sachbearbeiter der DENIC unschwer zu erkennenden Rechtsverstößen verpflichtet.1215 Unschwer erkennbar ist eine Verletzung eines Kennzeichenrechts nur dann, wenn ihr ein rechtskräftiger gerichtlicher Titel vorliegt1216 oder wenn die Rechtsverletzung derart eindeutig ist, dass sie sich ihr aufdrängen muss.1217 Auch anderen Registrierungsstellen wird nur eine auf offensichtliche Verstöße beschränkte Prüfungspflicht aufzuerlegen sein,1218 auch wenn der Gedanke der „Hilfeleistungspflicht“ abhängig von den Gesamtumständen weiterreichende Verpflichtungen durchaus begründen kann. Dem Verpächter einer Domain ist nicht zuzumuten, die Website seines Pächters allgemein dahingehend zu prüfen, ob sie Äußerungen enthält, die Rechte anderer verletzen. Prüfungspflichten entstehen erst, wenn der Domainverpächter konkrete Anhaltspunkte für (drohende) Rechtsverletzungen hat.1219

168 ll) Werbeagenturen und Werbemittler. Bei Werbeagenturen ist zu unterscheiden: Soweit diese die Werbung in eigener Verantwortung gestalten, haften sie für ihre eigenen Inhalte ohne Einschränkungen.1220 Die Werbeagentur darf sich aber grundsätzlich auf die tatsächlichen Angaben verlassen, die der Auftraggeber ihr mitteilt. Insoweit treffen die Agentur nur dann Überprüfungspflichten, soweit sich nach den Gesamtumständen erhebliche Zweifel an der

1210 BGH 14.5.2013 – VI ZR 269/12 – GRUR 2013, 751 Tz. 30 – Autocomplete-Funktion. 1211 Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 247. 1212 OLG München 29.9.2011 – 29 U 1747/11 – ZUM-RD 2012, 344, 347; BGH 22.7.2010 – I ZR 139/08 – GRUR 2011, 152 Tz. 48 – Kinderhochstühle im Internet.

1213 BGH 18.3.2010 – I ZR 16/08 – GRUR 2010, 1110 Tz. 17 und LS – Versandkosten bei Froogle II. 1214 Vgl. EuGH 23.3.2010 – C-236/08 bis C-238/08 – GRUR 2010, 445 Tz. 106 ff. – Google France. 1215 BGH 27.10.2011 – I ZR 131/10 – GRUR 2012, 651 Tz. 26 – regierung-oberfranken.de; BGH 17.5.2001 – I ZR 251/ 99 – GRUR 2001, 1038 – ambiente.de; zur urheberrechtlichen Haftung des Registrars BGH 15.10.2020 ‒ I ZR 13/19 ‒ GRUR 2021, 63 ‒ Störerhaftung des Registrars. 1216 Gleiches gilt für eine Unterwerfungserklärung, Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 255. 1217 BGH 27.10.2011 – I ZR 131/10 – GRUR 2012, 651 Tz. 26 – regierung-oberfranken.de; BGH 19.2.2004 – I ZR 82/ 01 – GRUR 2004, 619, 621 – kurt-biedenkopf.de; BGH 17.5.2001 – I ZR 251/99 – GRUR 2001, 1038 – ambiente.de; vgl. für den administrativen Ansprechpartner (Admin-C) BGH 9.11.2011 – I ZR 150/09 – GRUR 2012, 304 Tz. 50 ff. – Basler Haar-Kosmetik; zu einem Domain-Parking-Programm BGH 18.11.2010 – I ZR 155/09 – GRUR 2011, 617 – Sedo. 1218 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 136. 1219 Vgl. BGH 30.6.2009 – VI ZR 210/08 – GRUR 2009, 1093 – Focus Online. 1220 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.13b. Hofmann

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Richtigkeit der tatsächlichen Darstellung des Auftraggebers geradezu aufdrängen.1221 Eine Verantwortlichkeit kann auch für Werbemittler bestehen,1222 insbesondere für Affiliate-Marketing.1223

mm) Sonstige Unternehmer. Bei Reiseveranstaltungen kann nicht nur der Veranstalter 169 selbst, sondern auch der Busunternehmer haften.1224 Dritte sind regelmäßig nicht verpflichtet zu prüfen, ob eine öffentlich-rechtliche Körperschaft das ihr auferlegte Gebot zur objektiven und neutralen Amtsführung beachtet.1225 Ein Hersteller haftet für wettbewerbswidriges Verhalten des Händlers, wenn es dessen Wettbewerbsverstoß durch sein eigenes Verhalten gefördert oder gar erst ermöglicht hat, indem es zumindest bedingt vorsätzlich zu einer Lage beigetragen hat, die nach der Lebenserfahrung zu einem bestimmten wettbewerbswidrigen Verhalten seiner Abnehmer führt.1226 Auch Softwarehersteller können lauterkeitsrechtliche Verkehrspflichten in Form von Updateverpflichtungen treffen.1227 Eine Verkehrspflichtverletzung soll auch vorliegen, wenn jemand seine Werbung im Internet nicht regelmäßig auf Änderungen überprüft oder wenn ein Dritter wegen einer Zugriffsmöglichkeit die Werbung verändern kann.1228 Ein Weiterbildungsveranstalter kann unter Umständen aufgrund einer wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflicht für eine Irreführung von Verbrauchern durch die Absolventen haften, wenn er zumutbare Aufklärungsmaßnahmen über die Führung des Abschlusses unterlässt.1229

III. Teilnehmer (Anstifter und Gehilfen) 1. Grundsätze Anstifter und Gehilfen werden wie Mittäter behandelt (§ 830 Abs. 2 BGB). Zur Ausfüllung beider 170 Begriffe werden Anleihen beim Strafrecht genommen.1230 Mangelt es an einer unlauteren geschäftlichen Handlung eines Dritten, scheidet eine Haftung als Teilnehmer schon deshalb aus, weil keine rechtswidrige Haupttat vorliegt.1231 Unter einer Anstiftung ist die vorsätzliche Bestimmung eines anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat zu verstehen (§ 26 StGB).1232 Dies kann der Fall sein bei der Behauptung der Zulässigkeit einer Beschaffung von Versicherungsschutz ohne Ausschreibung, die deutlich erkennbar darauf abzielt, weiterhin auf diesem Wege im laufenden Geschäft Versicherungsleistungen abzusetzen.1233 Wer lediglich in-

1221 OLG Frankfurt 8.3.2001 – 6 U 71/00 – GRUR-RR 2002, 77 – Anzeige für Räumungsverkauf; anders Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.13b.

1222 BGH 20.12.1988 – VI ZR 182/88 – GRUR 1989, 225, 226 – Handzettel-Wurfsendung. 1223 OLG München 11.9.2008 – 29 U 3629/08 – ZUM-RD 2009, 126 – Affiliate-Werbung auf jugendgefährdenden Internetseiten; vgl. zur Beauftragtenhaftung nach § 14 Abs. 7 MarkenG BGH 7.10.2009 – I ZR 109/06 – GRUR 2009, 1167 Tz. 22 – Partnerprogramm. 1224 OLG Stuttgart 13.10.1997 – 2 U 114/97 – NJWE-WettbR 1998, 101. 1225 BGH 12.7.2012 – I ZR 54/11 – GRUR 2013, 301 Tz. 52 – Solarinitiative. 1226 BGH 30.1.2003 – I ZR 142/00 – GRUR 2003, 624, 626 – Kleidersack. 1227 Raue NJW 2017, 1841, 1845 f. 1228 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 124. 1229 BGH 5.10.2017 – I ZR 184/16 – GRUR 2018, 203 Tz. 37 – Betriebspsychologe. 1230 BGH 22.7.2010 – I ZR 139/08 – GRUR 2011, 152 Tz. 30 – Kinderhochstühle im Internet; Ahrens WRP 2007, 1281, 1282; zu Modifikationen MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 243. 1231 BGH 20.2.2020 – I ZR 193/18 – GRUR 2020, 543 Tz. 32 – Kundenbewertungen auf Amazon. 1232 BGH 20.2.2020 – I ZR 193/18 – GRUR 2020, 543 Tz. 32 – Kundenbewertungen auf Amazon („veranlassen“). 1233 BGH 3.7.2008 – I ZR 145/05 – GRUR 2008, 810 Tz. 37 – Kommunalversicherer. 121

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formiert, stiftet nicht zwingend an.1234 Beihilfe ist die vorsätzliche Unterstützung1235 eines anderen bei dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Haupttat (§ 27 Abs. 1 StGB). Beihilfe durch Unterlassen setzt eine Erfolgsabwendungspflicht voraus.1236 Als Beihilfe kommt beispielsweise das Zurverfügungstellen von Werbematerialien für unlautere Werbeaktionen in Betracht.1237 Maßgebliches Kriterium für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme ist die Tatherrschaft. Danach ist Täter, wer den zum Erfolg führenden Kausalverlauf beherrscht, während als Teilnehmer verantwortlich ist, wer einem mit Tatherrschaft handelnden Dritten Hilfe leistet oder dessen Tatentschluss hervorruft. Diese Grundsätze gelten auch, wenn die Prüfung der Umstände des Einzelfalls ergibt, dass der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit in einem Unterlassen liegt.1238

2. Vorsatz 171 Die Teilnehmerhaftung verlangt schließlich in allen Varianten mit Blick auf die konkret drohenden Haupttaten zumindest bedingten Vorsatz des Teilnehmers, der das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit einschließen muss.1239 Das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit setzt grundsätzlich voraus, dass der Teilnehmer im Zeitpunkt der Teilnahmehandlung mit der Möglichkeit rechnete und billigend in Kauf nahm, dass der Täter einen Wettbewerbsverstoß begeht.1240 Daran scheitert regelmäßig die Haftung von Plattformbetreibern. Auch wenn sie allgemein mit Rechtsverletzungen auf ihren Plattformen rechnen, fehlt es doch am Vorsatz mit Blick auf eine konkrete Verletzung.1241 Es fehlt die Kenntnis von einer konkret drohenden Haupttat.1242 Auch bei Dritten, die in ganz untergeordneter Stellung und ohne eigenen Entscheidungsspielraum tätig sind (z. B. Plakatkleber oder Prospektverteiler), wird häufig faktisch der Teilnehmervorsatz fehlen1243 oder es bereits an einer geschäftlichen Handlung mangeln.1244 Eine vorsätzliche Zuwiderhandlung des Haupttäters ist mit Blick auf die Abwehransprüche entgegen der strafrechtlichen Definitionen hingegen nicht erforderlich.1245

3. Fehlende Täterqualifikation 172 Teilnehmer kann auch sein, wer die besonderen Voraussetzungen an die Person des Täters nicht erfüllt. Die Haftung als Teilnehmer an einem fremden Wettbewerbsverstoß setzt 1234 BGH 28.9.2000 – I ZR 141/98 – GRUR 2001, 255, 256 – Information über Null-Tarif. 1235 Nicht erwähnt bei BGH 12.7.2012 – I ZR 54/11 – GRUR 2013, 301 Tz. 47 – Solarinitiative; BGH 22.7.2010 – I ZR 139/08 – GRUR 2011, 152 Tz. 30 – Kinderhochstühle im Internet.

1236 BGH 18.6.2014 – I ZR 242/12 – GRUR 2014, 883 Tz. 33 – Geschäftsführerhaftung; BGH 22.7.2010 – I ZR 139/ 08 – GRUR 2011, 152 Tz. 34 – Kinderhochstühle im Internet.

1237 BGH 30.1.2003 – I ZR 142/00 – GRUR 2003, 624, 626 – Kleidersack. 1238 BGH 20.2.2020 – I ZR 193/18 – GRUR 2020, 543 Tz. 30 – Kundenbewertungen auf Amazon. 1239 BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 Tz. 39 – Hotelbewertungsportal; BGH 12.7.2012 – I ZR 54/11 – GRUR 2013, 301 Tz. 47 – Solarinitiative; BGH 22.7.2010 – I ZR 139/08 – GRUR 2011, 152 Tz. 30 – Kinderhochstühle im Internet; BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 21 – Jugendgefährdende Medien; BGH 22.7.2010 – I ZR 139/08 – GRUR 2011, 152 Tz. 34 – Kinderhochstühle im Internet. 1240 BGH 3.7.2008 – I ZR 145/05 – GRUR 2008, 810 Tz. 45 – Kommunalversicherer. 1241 BGH 12.7.2012 – I ZR 18/11 – GRUR 2013, 370 Tz. 17 – Alone in the dark. 1242 BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 – GRUR 2007, 890 Tz. 21 – Jugendgefährdende Medien; kritisch Löffler FS Bornkamm (2014) S. 37, 45. 1243 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 128. 1244 BGH 10.2.2011 – I ZR 183/09 – GRUR 2011, 340 Tz. 27 – Irische Butter; anders ist dies bei vorsätzlichem Handeln. 1245 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.15; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 125 und Rn. 126; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 119; Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 168; Jänich Lauterkeitsrecht (2019) § 15 Rn. 54. Hofmann

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C. Schuldner der Abwehransprüche

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nicht voraus, dass der Anspruchsgegner selbst Normadressat der einschlägigen Verpflichtung ist.1246 Als Teilnehmer haftet auf Unterlassung, wer – zumindest bedingt vorsätzlich – den Wettbewerbsverstoß eines anderen fördert.1247 Das bei der Teilnehmerhaftung bestehende Vorsatzerfordernis kann zwar dazu führen, dass der Dritte, der nicht Adressat der Norm ist, zunächst nicht mit Aussicht auf Erfolg wettbewerbsrechtlich in Anspruch genommen werden kann. Es besteht für denjenigen, der sich durch ein entsprechendes Verhalten in seinen wettbewerbsrechtlich geschützten Interessen verletzt sieht aber die Möglichkeit, den Handelnden zunächst auf die Rechtslage hinzuweisen. Ein entsprechender Hinweis wird regelmäßig zur Folge haben, dass der Adressat der Mitteilung sein Verhalten im Weiteren korrigiert oder dass bei Fortsetzung der Verhaltensweise von einem Teilnehmervorsatz auszugehen ist.1248

4. Einordnung als wettbewerbsrechtliche Verkehrspflicht Selbst wenn es am Vorsatz fehlt, kann eine Haftung über die Verletzung wettbewerbsrechtli- 173 cher Verkehrspflichten erreicht werden. Die Begründung der Figur der fahrlässigen Beihilfe bedarf es hierfür nicht,1249 da die Fälle über die Grundsätze der Haftung mittelbarer Verantwortlichkeit gut erfasst werden können. Für eine Vervielfachung der Haftungsinstrumente besteht kein Bedürfnis.

IV. Haftung für Mitarbeiter und Beauftragte (Absatz 2) 1. Allgemeines Eine Haftung auf Unterlassung oder Beseitigung kann auch dadurch erfolgen, dass das Verhal- 174 ten Dritter zugerechnet wird. Eine spezielle Zurechnungsnorm findet sich in § 8 Abs. 2. Vergleichbare Vorschriften gibt es im Markenrecht (§ 14 Abs. 7 MarkenG, § 15 Abs. 6 MarkenG, § 128 Abs. 3 MarkenG), im Urheberrecht (§ 99 UrhG), im Designrecht (§ 44 DesignG), im Recht des Geheimnisschutzes (§ 12 GeschGehG) und in § 2 Abs. 1 S. 2 UKlaG. Die Normen werden im Grundsatz einheitlich ausgelegt.1250 Werden die Zuwiderhandlungen in einem Unternehmen von einem Mitarbeiter oder Beauftragten begangen, so sind der Unterlassungsanspruch und der Beseitigungsanspruch ausweislich von § 8 Abs. 2 auch gegen den Inhaber des Unternehmens begründet. Eine inhaltlich vergleichbare Regel fand sich bereits in der Vorgängernorm § 13 Abs. 4 a. F.; auf die Rechtsprechung kann insoweit zurückgegriffen werden.1251 Die Bestimmung regelt einen Unterlassungsanspruch gegen den Unternehmensinhaber bei Zuwiderhandlungen seiner Mitarbeiter und Beauftragten im Sinne einer Erfolgshaftung ohne jegliche Entlastungsmöglichkeit.1252 Der Unternehmensinhaber haftet unabhängig vom Bestehen einer Sonderverbindung selbst für die ohne sein Wissen und gegen seinen Willen von einem Mitarbeiter oder

1246 BGH 16.6.2016 – I ZR 46/15 – GRUR 2017, 194 Tz. 43 – Orthopädietechniker; BGH 12.3.2015 – I ZR 84/14 – GRUR 2015, 1025 Tz. 16 – TV-Wartezimmer; BGH 3.7.2008 – I ZR 145/05 – GRUR 2008, 810 Tz. 14 – Kommunalversicherer; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 127; Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 169. 1247 BGH 5.10.2017 – I ZR 232/16 – GRUR 2018, Tz. 21 – Energieausweis. 1248 BGH 12.3.2015 – I ZR 84/14 – GRUR 2015, 1025 Tz. 17 – TV-Wartezimmer. 1249 Ohly GRUR 2017, 441, 445 f.; s. a. ders. FS Ahrens (2016) S. 135, 143; Köhler WRP 2007, 897. 1250 Vgl. BGH 7.10.2009 – I ZR 109/06 – GRUR 2009, 1167 Tz. 21 – Partnerprogramm. 1251 Vgl. Regierungsentwurf BTDrucks. 15/1487 S. 22.; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 565. 1252 BGH 4.4.2012 – I ZR 103/11 – NJOZ 2013, 863 Tz. 8 f. – Mehrstufigkeit eines Beauftragtenverhältnisses; BGH 29.6.2000 – I ZR 29/98 – GRUR 2000, 907, 909 – Filialleiterfehler; BGH 5.4.1995 – I ZR 133/93 – GRUR 1995, 605, 607 – Franchise-Nehmer. 123

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Beauftragten begangenen Wettbewerbsverstöße.1253 Über § 8 Abs. 2 werden Wettbewerbsverstöße von Angestellten und Beauftragten in weitem Umfang dem Unternehmensinhaber wie eigene Handlungen zugerechnet,1254 ohne dass ihm ein Vorwurf beispielsweise in Form einer Auswahloder Überwachungsverfehlung gemacht werden muss.1255 Einer gesonderten Feststellung der Wiederholungsgefahr beim Unternehmensinhaber bedarf es gerade nicht.1256 Der Unternehmensinhaber hat unmittelbar für fremdes Verhalten einzustehen; der Unternehmensinhaber wird so gestellt, als hätte er die unzulässige geschäftliche Handlung selbst begangen.1257 Umstritten ist, ob es sich um eine eigene Anspruchsgrundlage1258 oder eine Zurechnungsnorm handelt (Anspruchsgrundlage wäre dann § 8 Abs. 1, Abs. 2 i. V. m. § 3 oder § 7).1259 In jedem Fall begründet § 8 Abs. 2 einen zusätzlichen selbstständigen Anspruch des Verletzten gegen den Inhaber des Unternehmens (vgl. „auch“).1260 Der Haftungsgrund liegt darin, dass die arbeitsteilige Organisation des Unternehmens 175 die Verantwortung für das Verhalten im Wettbewerb nicht beseitigen soll.1261 Der Unternehmensinhaber, dem die Wettbewerbshandlungen seiner Angestellten oder Beauftragten zugutekommen, soll sich bei einer wettbewerbsrechtlichen Haftung nicht hinter den von ihm abhängigen Dritten verstecken können.1262 Während die Erweiterung seines Geschäftsbereichs dem Unternehmensinhaber zukommt, hat er zugleich die Möglichkeit zu einer gewissen Beherrschung und Steuerung des Risikobereichs.1263 Vorteil und Risiko sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Die Regelung ist verfassungsgemäß.1264 Nicht vergeben 176–177 Die Darlegungs- und Beweislast für die Tatbestandsmerkmale des § 8 Abs. 2 trägt der An178 spruchsteller.1265 Bei unternehmensinternen Vorgängen kann aber eine sekundäre Darlegungslast des Unternehmensinhabers greifen.1266

1253 BGH 4.4.2012 – I ZR 103/11 – NJOZ 2013, 863 Tz. 9 – Mehrstufigkeit eines Beauftragtenverhältnisses; BGH 5.4.1995 – I ZR 133/93 – GRUR 1995, 605, 607 – Franchise-Nehmer; BGH 29.6.2000 – I ZR 29/98 – GRUR 2000, 907, 909 – Filialleiterfehler; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 216. 1254 BGH 5.4.1995 – I ZR 133/93 – GRUR 1995, 605, 607 – Franchise-Nehmer. 1255 Teplitzky/Kessen Kap. 6 Rn. 11. 1256 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.52. 1257 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 143. 1258 So die Vorauflage in Rn. 143. 1259 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 144; Fritzsche S. 443 f.; Teplitzky/Büch Kap. 14 Rn. 34; vgl. BGH 3.2.1994 – I ZR 321/91 – GRUR 1994, 441, 443 – Kosmetikstudio; keine Bedeutung beimessend Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 571; vgl. MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 295. 1260 BGH 25.4.2012 – I ZR 105/10 – GRUR 2012, 1279 Tz. 43, 62 – DAS GROSSE RÄTSELHEFT; BGH 5.4.1995 – I ZR 133/93 – GRUR 1995, 605, 608 – Franchise-Nehmer; Teplitzky/Büch Kap. 14 Rn. 35. 1261 BGH 26.4.2007 – I ZR 34/05 – GRUR 2007, 995 Tz. 12 – Schuldnachfolge; BGH 19.4.2007 – I ZR 92/04 – GRUR 2007, 994, Tz. 19 – Gefälligkeit, vgl. auch Köhler GRUR 1991, 344. 1262 BGH 25.4.2012 – I ZR 105/10 – GRUR 2012, 1279 Tz. 62 – DAS GROSSE RÄTSELHEFT; BGH 28.6.2007 – I ZR 153/04 – GRUR 2008, 186 Tz. 22 – Telefonaktion; BGH 26.4.2007 – I ZR 34/05 – GRUR 2007, 995 Tz. 12 – Schuldnachfolge; BGH 19.4.2007 – I ZR 92/04 – GRUR 2007, 994 Tz. 19 – Gefälligkeit; BGH 19.12.2002 – I ZR 119/00 – GRUR 2003, 453, 454 – Verwertung von Kundenlisten; BGH 5.4.1995 – I ZR 133/93 – GRUR 1995, 605, 607 – FranchiseNehmer; BGH 22.9.1972 – I ZR 19/72 – GRUR 1973, 208, 209 – Neues aus der Medizin; BGH 6.8.1958 – I ZR 33/57 – GRUR 1959, 38, 44 – Buchgemeinschaft II. 1263 BGH 7.10.2009 – I ZR 109/06 – GRUR 2009, 1167 Tz. 21 – Partnerprogramm; BGH 5.4.1995 – I ZR 133/93 – GRUR 1995, 605, 607 – Franchise-Nehmer; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 215. 1264 Vgl. BVerfG 28.5.1996 – 1 BvR 927/91 – NJW 1996, 2567. 1265 BGH 19.4.2007 – I ZR 92/04 – GRUR 2007, 994, Tz. 20 – Gefälligkeit; BGH 24.4.1963 – Ib ZR 109/61 – GRUR 1963, 434, 436 – Reiseverkäufer. 1266 Teplitzky/Büch Kap. 14 Rn. 34; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 613; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.51. Hofmann

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2. Anwendungsbereich Ausweislich des Wortlautes findet § 8 Abs. 2 auf gesetzliche Unterlassungs- und Beseiti- 179 gungsansprüche Anwendung. Für Schadensersatzansprüche und Gewinnherausgabeansprüche nach § 10 gilt die Regelung nicht (vgl. aber anders ausdrücklich § 14 Abs. 7 MarkenG).1267 Bei vertraglichen Unterlassungsansprüchen ist § 278 BGB, nicht § 8 Abs. 2, heranzuziehen.1268 Nach Sinn und Zweck der Vorschrift kann § 8 Abs. 2 auch auf Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche vorbereitende Auskunftsansprüche angewendet werden,1269 nicht aber auf Auskunftsansprüche für Schadensersatzansprüche.1270 Bei der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen gilt § 12 GeschGehG. Im Rahmen der Zwangsvollstreckung nach § 890 ZPO kann nicht auf § 8 Abs. 2 zurückgegriffen werden, da wegen des Strafcharakters ein eigenes Verschulden des Unterlassungsschuldners gegeben sein muss.1271 Auf § 8 Abs. 2 kommt es nicht an, wenn der Anspruchsgegner bereits als Täter haftet1272 oder ihm das Verhalten seines Organs bereits über §§ 31, 89 BGB (Rn. 193 ff.) zugerechnet wird,1273 ohne dass dadurch aber § 8 Abs. 2 gesperrt wird.1274 Selbständige Bedeutung kann dies etwa bei Beweisschwierigkeiten haben.1275 Im Fall der Organhaftung ist allerdings fraglich, ob es sich um Mitarbeiter oder Beauftragte handelt.1276 Die Anwendbarkeit von § 831 BGB wird von § 8 Abs. 2 nicht verdrängt.1277

3. Voraussetzungen a) Zuwiderhandlung. Als erstes muss geprüft werden, ob eine Zuwiderhandlung eines Mitarbei- 180 ters oder eines Beauftragten vorliegt. Ein Mitarbeiter oder ein Beauftragter muss in seiner Person eine nach § 3 oder § 7 unzulässige geschäftliche Handlung vorgenommen haben.1278 Wie der Wortlaut zeigt („auch“), muss gegen den Mitarbeiter oder Beauftragten ein Abwehranspruch bestehen. Hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs muss Wiederholungsgefahr vorliegen. Ein durch Erstbegehungsgefahr begründeter Unterlassungsanspruch ist ausreichend, da auch sonst beide Varianten der Unterlassungsansprüche gleichgestellt sind.1279 Umgekehrt ist ohne einen eigenen Wettbewerbsverstoß eines Mitarbeiters oder Beauftragten kein Raum für eine Haftung des Unternehmensinhabers.1280 Der Verletzte kann unabhängig vom Abwehranspruch gegen den Un1267 BGH 25.4.2012 – I ZR 105/10 – GRUR 2012, 1279 Tz. 43 – DAS GROSSE RÄTSELHEFT; BGH 23.2.1995 – I ZR 75/ 93 – GRUR 1995, 427, 428 – Schwarze Liste; BGH 7.10.2009 – I ZR 109/06 – GRUR 2009, 1167 Tz. 21 – Partnerprogramm; anders Alexander Schadensersatz und Abschöpfung im Lauterkeits- und Kartellrecht (2010) S. 665 ff. 1268 BGH 22.1.1998 – I ZR 18/96 – GRUR 1998, 963, 965 – Verlagsverschulden II; OLG Frankfurt a. M. 23.11.2017 – 6 U 197/16 – GRUR-RR 2018, 122 Tz. 24 f. – nickelfreie Edelstahlschließen. 1269 BGH 25.4.2012 – I ZR 105/10 – GRUR 2012, 1279 Tz. 43 – DAS GROSSE RÄTSELHEFT; BGH 23.2.1995 – I ZR 75/ 93 – GRUR 1995, 427, 428 – Schwarze Liste. 1270 BGH 25.4.2012 – I ZR 105/10 – GRUR 2012, 1279 Tz. 43 – DAS GROSSE RÄTSELHEFT; BGH 9.2.2006 – I ZR 73/ 02 – GRUR 2006, 426 Tz. 24 – Direktansprache am Arbeitsplatz II. 1271 BGH 22.9.1972 – I ZR 19/72 – GRUR 1973, 208, 209 – Neues aus der Medizin; Teplitzky/Büch Kap. 14 Rn. 37. 1272 BGH 11.3.2010 – I ZR 123/08 – GRUR 2010, 936 Tz. 20 – Espressomaschine; BGH 18.3.2010 – I ZR 16/08 – GRUR 2010, 1110 Tz. 33 – Versandkosten bei Froogle II. 1273 Köhler GRUR 1991, 344, 347 f. 1274 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.32; offengelassen etwa in BGH 3.2.1994 – I ZR 321/91 – GRUR 1994, 441, 443 – Kosmetikstudio. 1275 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.32; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 296. 1276 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 219. 1277 BGH 25.4.2012 – I ZR 105/10 – GRUR 2012, 1279 Tz. 43 – DAS GROSSE RÄTSELHEFT. 1278 Teplitzky/Büch Kap. 14 Rn. 34. 1279 Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 603. 1280 BGH 12.7.1968 – I ZR 70/66 – GRUR 1969, 51, 52 – Glassteine; BGH 7.3.1996 – I ZR 33/94 – GRUR 1996, 798, 800 – Lohnentwesungen. 125

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Beseitigung und Unterlassung

ternehmensinhaber gegen den unmittelbar wettbewerbswidrig Handelnden vorgehen.1281 Eine „Einrede der Vorausklage“ gegen den unmittelbar Handelnden besteht nicht.1282 Es kommt nicht darauf an, ob der Abwehranspruch gegen jenen gut durchsetzbar wäre.1283 Eine bloße Kenntniserlangung von einer beabsichtigten wettbewerbswidrigen Werbung eines anderen Marktteilnehmers reicht als solche nicht aus, um eine wettbewerbsrechtliche Haftung des Mitarbeiters und über § 8 Abs. 2 des Unternehmensinhabers zu begründen.1284 Voraussetzung des Anspruchs gegen den Unternehmensinhaber ist, dass der Abwehran181 spruch gegen den Mitarbeiter oder Beauftragten überhaupt entstanden ist. Die Frage des Erlöschens und der Durchsetzbarkeit des Anspruchs gegen den Unternehmensinhaber ist allerdings getrennt zu behandeln von dem weiteren Schicksal des Anspruchs gegen den Mitarbeiter oder Beauftragten nach Absatz 1.1285 So hat insbesondere das Erlöschen des Anspruchs gegen den Dritten, der die geschäftliche Handlung nach § 3 oder § 7 begangen hat, etwa wegen des Wegfalls der Begehungsgefahr, keine Auswirkungen auf den Anspruch gegen den Unternehmensinhaber.1286 Der Unternehmensinhaber muss daher die Wiederholungsgefahr für seine Person selbst (durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung) beseitigen.1287 Auf den Anspruch gegen den Unternehmensinhaber kommt es insbesondere auch dann an, wenn der Anspruch gegen den unmittelbar Handelnden nicht durchsetzbar ist, etwa weil dieser den Störungszustand nicht ohne Mitwirkung des Unternehmensinhabers beseitigen kann1288 oder der Anspruch mittlerweile verjährt ist.1289 Allerdings können in diesen Fällen auch stets die Voraussetzungen des Anspruchs gegen den Unternehmensinhaber selbst berührt sein, etwa wenn auch dieser Anspruch verjährt oder im Rahmen des Beseitigungsanspruchs der Störungszustand weggefallen ist.1290

182 b) In einem Unternehmen. Die Zuwiderhandlung muss in einem Unternehmen begangen worden sein. Dieses Tatbestandsmerkmal ist nicht räumlich, sondern funktional zu verstehen.1291 Maßgeblich ist ein innerer Bezug1292 zwischen der unzulässigen geschäftlichen Handlung des Mitarbeiters oder des Beauftragten und dem Unternehmen in der Form, dass die Handlung auf die arbeitsteilige Organisation des Unternehmens zurückzuführen ist.1293 Die Handlung des Beauftragten muss in den Rahmen der Tätigkeit fallen, die an sich dem Inhaber des Betriebes obliegt.1294 Hierzu gehören auch solche Tätigkeiten, die der Handelnde als Glied des gesamten Betriebsorga-

1281 1282 1283 1284 1285 1286

BGH 22.9.1972 – I ZR 19/72 – GRUR 1973, 208, 209 – Neues aus der Medizin; Teplitzky/Büch Kap. 14 Rn. 35. BGH 25.4.2012 – I ZR 105/10 – GRUR 2012, 1279 Tz. 62 – DAS GROSSE RÄTSELHEFT. BGH 25.4.2012 – I ZR 105/10 – GRUR 2012, 1279 Tz. 62 – DAS GROSSE RÄTSELHEFT. BGH 3.11.2016 – I ZR 227/14 – GRUR 2017, 418 Tz. 20 – Optiker-Qualität. Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 220. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.52; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 220; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 605. 1287 BGH 29.6.2000 – I ZR 29/98 – GRUR 2000, 907, 909 – Filialleiterfehler; BGH 5.4.1995 – I ZR 133/93 – GRUR 1995, 605, 608 – Franchise-Nehmer; Teplitzky/Kessen Kap. 6 Rn. 11. 1288 Köhler GRUR 1991, 344, 345. 1289 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 220. 1290 Vgl. BGH 4.2.1993 – I ZR 319/90 – WRP 1993, 396, 398 – Maschinenbeseitigung. 1291 Köhler GRUR 1991, 344, 352; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.47; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 226; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 606. 1292 BGH 28.6.2007 – I ZR 153/04 – GRUR 2008, 186 Tz. 23 – Telefonaktion; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 217 („innerer Zusammenhang mit dem Unternehmen“). 1293 BGH 28.6.2007 – I ZR 153/04 – GRUR 2008, 186 Tz. 23 – Telefonaktion; BGH 19.12.2002 – I ZR 119/00 – GRUR 2003, 453, 454 – Verwertung von Kundenlisten. 1294 BGH 19.4. 2007 – I ZR 92/04 – GRUR 2007, 994 Tz. 19 – Gefälligkeit; BGH 5.4.1995 – I ZR 133/93 – GRUR 1995, 605, 608 – Franchise-Nehmer; BGH 22.3.1963 – Ib ZR 161/61 – GRUR 1963, 438, 439 – Fotorabatt; BGH 24.4.1963 – Ib ZR 109/61 – GRUR 1963, 434, 435 – Reiseverkäufer. Hofmann

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nismus, insbesondere der Vertriebsorganisation verrichtet.1295 Es kommt darauf an, dass der Mitarbeiter oder Beauftragte den Rahmen der gewerblichen Tätigkeit des Unternehmens nicht überschreitet und der bestimmende Einfluss der Unternehmensleitung auf die Handlungen des Dritten auf vertraglichen oder anderen Beziehungen beruht, „die eine gewisse, wenngleich in weitem Sinne zu verstehende, Zugehörigkeit des Dritten zu dem betrieblichen Organismus begründet.“1296 Unerheblich ist demgegenüber, ob der Mitarbeiter oder Beauftragte ohne Wissen des Unternehmensinhabers handelt oder sich sogar über dessen Weisungen hinwegsetzt.1297 Der innere Bezug der geschäftlichen Handlung zu dem Unternehmen besteht folglich nicht, 183 wenn der Mitarbeiter oder Beauftragte rein private Zwecke verfolgt1298 oder die geschäftliche Handlung dem Inhaber auch nicht zugutekommen soll.1299 Dies gebietet der Sinn und Zweck des § 8 Abs. 2, wonach es gerade der durch die Tätigkeit gezogene Vorteil ist, der die Haftung des Unternehmensinhabers begründet.1300 Dies gilt auch dann, wenn der Mitarbeiter oder Beauftragte in räumlicher Hinsicht die geschäftlichen Einrichtungen benutzt.1301 Ohne Belang ist insoweit, ob der Anspruchsinhaber von einer Unternehmensbezogenheit ausgeht, denn der bloße Anschein des inneren Bezugs wird von Absatz 2 gerade nicht geschützt.1302 Der innere Bezug ist ferner auch dann abzulehnen, wenn der Mitarbeiter oder Beauftragte sich rechtswidrig Geschäftsgeheimnisse bei einer früheren Tätigkeit verschafft hat. Denn insofern liegt der Verstoß in der Person des Mitarbeiters als Geheimnisträger im Verhältnis zu seinem vorherigen Unternehmensinhaber begründet und lässt sich nicht wegen einer arbeitsteiligen Organisation im Verhältnis zu dem neuen Unternehmensinhaber auf diesen zurechnen.1303 Davon unberührt bleibt jedoch eine mittelbare Verantwortlichkeit des Unternehmensinhabers.1304 Handelt der Mitarbeiter oder Beauftragte zugleich für einen dritten Unternehmer oder lei- 184 tet er selbst (nebenher) ein eigenes Unternehmen, kommt eine Unternehmensbezogenheit im Hinblick auf das in Frage stehende Unternehmen nur dann in Betracht, wenn die konkrete Handlung der Geschäftsorganisation des Unternehmers objektiv zurechenbar ist (fremder Geschäftskreis).1305 Der Auftraggeber haftet auch dann nicht als Unternehmensinhaber, wenn der von ihm Beauftragte im konkreten Fall zwar geschäftlich tätig geworden ist, das betreffende geschäftliche Handeln jedoch nicht der Geschäftsorganisation des Auftraggebers, sondern derjenigen eines Dritten oder des Beauftragten selbst zuzurechnen ist.1306 Ist der Beauftragte etwa noch für andere Personen oder Unternehmen tätig oder unterhält er neben dem Geschäftsbereich, mit dem er für den Auftraggeber tätig wird, noch weitere, davon zu unterscheidende Geschäftsbereiche, so beschränkt sich die Haftung des Auftraggebers auf diejenigen geschäftlichen Handlungen des Beauftragten, die dieser im Zusammenhang mit dem Geschäftsbereich vornimmt, der dem Auftragsverhältnis zugrunde liegt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Auf1295 BGH 22.3.1963 – Ib ZR 161/61 – GRUR 1963, 438, 439 – Fotorabatt. 1296 BGH 31.5.1990 – I ZR 228/88 – GRUR 1990, 1039, 1040 – Anzeigenauftrag. 1297 BGH 4.4.2012 – I ZR 103/11 – NJOZ 2013, 863 Tz. 9 – Mehrstufigkeit eines Beauftragtenverhältnisses; BGH 28.6.2007 – I ZR 153/04 – GRUR 2008, 186 Tz. 23 – Telefonaktion; BGH 7.10. 2009 – I ZR 109/06 – GRUR 2009, 1167 Tz. 21 – Partnerprogramm. 1298 BGH 7.10.2009 – I ZR 109/06 – GRUR 2009, 1167 Tz. 27 – Partnerprogramm; BGH 19.4.2007 – I ZR 92/04 – GRUR 2007, 994, Tz. 19 – Gefälligkeit; BGH 5.4.1995 – I ZR 133/93–GRUR 1995, 605, 608 – Franchise-Nehmer; BGH 22.3.1963 – Ib ZR 161/61 – GRUR 1963, 438, 439 – Fotorabatt. 1299 Köhler GRUR 1991, 344, 352. 1300 BGH 22.3.1963 – Ib ZR 161/61 – GRUR 1963, 438, 439 – Fotorabatt. 1301 BGH 22.3.1963 – Ib ZR 161/61 – GRUR 1963, 438, 439 – Fotorabatt. 1302 BGH 22.3.1963 – Ib ZR 161/61 – GRUR 1963, 438, 440 – Fotorabatt. 1303 BGH 19.12.2002 – I ZR 119/00 – GRUR 2003, 453, 454 – Verwertung von Kundenlisten. 1304 BGH 19.12.2002 – I ZR 119/00 – GRUR 2003, 453, 454 – Verwertung von Kundenlisten. 1305 BGH 7.10.2009 – I ZR 109/06 – GRUR 2009, 1167 Tz. 27 – Partnerprogramm; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 609. 1306 BGH 4.4.2012 – I ZR 103/11 – NJOZ 2013, 863 Tz. 10 – Mehrstufigkeit eines Beauftragtenverhältnisses; BGH 7.10.2009 – I ZR 109/06 – GRUR 2009, 1167 Tz. 27 – Partnerprogramm. 127

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Beseitigung und Unterlassung

trag auf einen bestimmten Geschäftsbereich des Beauftragten beschränkt ist und der Auftraggeber nicht damit rechnen muss, dass der Beauftragte auch anderweitig für ihn tätig wird. Nur in diesem Umfang ist es im Hinblick auf das vom Auftraggeber beherrschbare Risiko gerechtfertigt, ihn der weiten Haftung des § 8 Abs. 2 zu unterwerfen.1307

185 c) Mitarbeiter oder Beauftragte. Die Zuwiderhandlung muss von einem Mitarbeiter oder Beauftragten begangen worden sein. Der Begriff des Mitarbeiters ist genauso wie der des Beauftragten nach dem Telos der Zurechnungsnorm weit auszulegen.1308 Teilweise wird in der Literatur eine (genaue) Abgrenzung zwischen den beiden Begriffen mit Blick auf die Auslösung derselben Rechtsfolge für entbehrlich gehalten.1309 Der Begriff des „Angestellten“ in § 13 Abs. 4 a. F. ist durch den Begriff des „Mitarbeiters“ in Absatz 2 ersetzt worden.1310 Da der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung trotz der Begriffsersetzung von einem inhaltlichen Gleichlauf der Vorschriften ausgeht,1311 ist von einer rein redaktionellen Änderung auszugehen.1312

186 aa) Mitarbeiter. Der Begriff Mitarbeiter ist unabhängig von der genauen Rechtsnatur und der Wirksamkeit des Beschäftigungsverhältnisses jeder Angehörige des Unternehmens, der zur Leistung weisungsabhängiger Dienste verpflichtet ist.1313 Erforderlich ist, dass der Handelnde kraft eines Rechtsverhältnisses in diesen Organismus, zumal in die Vertriebsorganisation, dergestalt eingegliedert ist, dass einerseits der Erfolg seiner Handlung zumindest auch dem Betriebsinhaber zugutekommt und andererseits dem Betriebsinhaber ein bestimmender Einfluss jedenfalls auf diejenige Tätigkeit eingeräumt ist, in deren Bereich das beanstandete Verhalten fällt.1314 Maßgeblich ist nach dem Normzweck nicht die zivilrechtliche Wirksamkeit des zugrundeliegenden Schuldverhältnisses oder die Entgeltlichkeit, sondern vielmehr die faktische Einbindung in die arbeitsteilige Organisation, von welcher der Unternehmer profitiert.1315 Eine solche Verpflichtung zur Leistung weisungsabhängiger Dienste besteht jedenfalls bei einem Arbeitnehmer aufgrund des Arbeitsvertrages1316 sowie darüber hinaus etwa auch bei Volontären,1317 Auszubildenden, Praktikanten1318 oder „arbeitnehmerähnlichen freien Mitarbeitern“ mit vergleichbaren Verträgen.1319 Diese Verpflichtung kann sich auch unmittelbar aus dem Gesetz ergeben, so etwa bei der Mitarbeit von Ehepartnern nach Maßgabe des § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB oder Kindern nach § 1619 BGB.1320 Nicht weisungsgebunden sind dagegen selbstständige Gewerbetreibende,1321 Organe juristischer Personen bzw. gesetzliche Vertreter von Personengesellschaften (hier greift ohnehin § 31 BGB)1322 oder

1307 BGH 7.10.2009 – I ZR 109/06 – GRUR 2009, 1167 Tz. 27 – Partnerprogramm. 1308 BGH 5.4.1995 – I ZR 133/93 – GRUR 1995, 605, 607 – Franchise-Nehmer; BGH 22.3.1963 – Ib ZR 161/61 – GRUR 1963, 438, 439 – Fotorabatt; BGH 6.8.1958 – I ZR 33/57 – GRUR 1959, 38 – Buchgemeinschaft II. Köhler GRUR 1991, 344, 346. Regierungsentwurf BTDrucks. 15/1487 S. 22. Regierungsentwurf BTDrucks. 15/1487 S. 22. Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 587. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.39; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 588; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 148. BGH 5.4.1995 – I ZR 133/93 – GRUR 1995, 605, 607 – Franchise-Nehmer. Vgl. Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 588. BGH 4.11.1964 – Ib ZR 3/63 – GRUR 1965, 155 – Werbefahrer. Köhler GRUR 1991, 344, 346. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 148. Übersicht bei Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 589. Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 589. MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 299. Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 590.

1309 1310 1311 1312 1313 1314 1315 1316 1317 1318 1319 1320 1321 1322

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auch solche Mitarbeiter, die in ihrer Funktion als Betriebsrat auftreten und handeln.1323 Ebenfalls nicht ausreichend ist in diesem Sinne ein rein privates Tätigwerden,1324 wobei es insofern schon an einer Zuwiderhandlung in einem Unternehmen mangeln wird.

bb) Beauftragter (1) Allgemeines. Beauftragter ist, wer ohne Mitarbeiter zu sein, für den Unternehmensinhaber 187 kraft Absprache tätig wird.1325 Der Begriff des Beauftragten erfasst alle, die nicht Mitarbeiter sind, deren Tätigkeit aber zumindest auch dem Unternehmen in irgendeiner Weise nutzt und auf die der Unternehmensinhaber in irgendeiner Form dahingehend einen bestimmenden Einfluss ausüben kann, dass er das Risiko weiterer Rechtsverstöße verringern kann.1326 Beauftragter ist mithin, wer in die betriebliche Organisation des Betriebsinhabers in der Weise eingegliedert ist, dass der Erfolg seiner Geschäftstätigkeit dem Betriebsinhaber zugutekommt und der Betriebsinhaber einen bestimmenden durchsetzbaren Einfluss auf diejenige Tätigkeit des Beauftragten hat, in deren Bereich das beanstandete Verhalten fällt.1327 Es kommt dabei nicht auf die Frage der Wirksamkeit, der Rechtsnatur, der Dauer oder der Entgeltlichkeit des jeweiligen Rechtsverhältnisses an, sondern vielmehr auf den Umstand, dass der Beauftragte faktisch für den Unternehmer tätig wird.1328 Ferner können sonstige Rechtsverhältnisse, etwa Vereins- und Genossenschaftssatzungen, die Grundlage für das Tätigwerden sein, soweit diese Rechtsverhältnisse im Wesentlichen funktionsgleich sind.1329 Mehrstufige Auftragsverhältnisse sind ebenfalls erfasst.1330 Unter Berücksichtigung des Normtelos ist im Übrigen auch darauf abzustellen, ob die Folgen der geschäftlichen Handlung zumindest auch dem Unternehmensinhaber zugutekommen und er eine bestimmende und durchsetzbare Einflussnahme auf die in Frage stehende Tätigkeit hat oder haben sollte.1331 Damit kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Unternehmensinhaber diese Einflussnahme auch tatsächlich ausübt, sondern ob er sich eine solche Einflussnahme sichern konnte und musste und damit das Risiko jedenfalls zu verringern vermochte.1332

1323 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.40; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 590; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 148. 1324 BGH 19.4.2007 – I ZR 92/04 – GRUR 2007, 994 f. Tz. 18 f. – Gefälligkeit. 1325 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 149; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.41; BGH 5.4.1995 – I ZR 133/93 – GRUR 1995, 605, 607 – Franchise-Nehmer; BGH 31.5.1990 – I ZR 228/88 – GRUR 1990, 1039, 1040 – Anzeigenauftrag.

1326 BGH 28.10.2010 – I ZR 174/08 – GRUR 2011, 543 Tz. 13 – Änderung der Voreinstellung III; vgl. BGH 8.11.1963 – Ib ZR 25/62 – GRUR 1964, 263, 267 – Unterkunde; BGH 5.4.1995 – I ZR 133/93 – GRUR 1995, 605, 607 – Franchise-Nehmer; BGH 7.4.2005 – I ZR 221/02 – GRUR 2005, 864, 865 – Meißner Dekor II; Harte/ Henning/Goldmann § 8 Rn. 593; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 149. 1327 BGH 18.11.2010 – I ZR 155/09 – GRUR 2011, 617 Tz. 54 – Sedo. 1328 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 149; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.43 f.; BGH 31.5.1990 – I ZR 228/88 – GRUR 1990, 1039, 1040 – Anzeigenauftrag. 1329 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.44. 1330 BGH 4.4.2012 – I ZR 103/11 – NJOZ 2013, 863 Tz. 7 – Mehrstufigkeit eines Beauftragtenverhältnisses; Ohly/ Sosnitza § 8 Rn. 149; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.43. 1331 BGH 5.4.1995 – I ZR 133/93 – GRUR 1995, 605, 607 – Franchise-Nehmer; BGH 7.4.2005 – I ZR 221/02 – GRUR 2005, 864, 865 – Meißner Dekor II; BGH 28.10.2010 – I ZR 174/08 – GRUR 2011, 543, 544 Tz. 11, 13 – Änderung der Voreinstellung III; BGH 18.11.2010 – I ZR 155/09 – GRUR 2011, 617, 621 Tz. 54 – Sedo. 1332 BGH 28.10.2010 – I ZR 174/08 – GRUR 2011, 543, 544 Tz. 11 – Änderung der Voreinstellung III; BGH 18.11.2010 – I ZR 155/09 – GRUR 2011, 617 Tz. 54 – Sedo; BGH 7.10. 2009 – I ZR 109/06 – GRUR 2009, 1167, 1170 Tz. 21 – Partnerprogramm; BGH 7.4.2005 – I ZR 221/02 – GRUR 2005, 864, 865 – Meißner Dekor II; BGH 5.4.1995 – I ZR 133/93 – GRUR 1995, 605, 607 – Franchise-Nehmer; BGH 8.11.1963 – Ib ZR 25/62 – GRUR 1964, 263, 267 – Unterkunde; BGH 6.8.1958 – I ZR 33/57 – GRUR 1959, 38, 44 – Buchgemeinschaft II. 129

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Beseitigung und Unterlassung

188 (2) Selbstständiges Unternehmen. Im Rahmen des § 8 Abs. 2 kann Beauftragter auch ein selbstständiges Unternehmen sein.1333 Entscheidend ist, dass jenes in die betriebliche Organisation des Betriebsinhabers in der Weise eingegliedert ist, dass der Erfolg der Geschäftstätigkeit des beauftragten Unternehmens dem Betriebsinhaber zugutekommt und der Betriebsinhaber einen bestimmenden, durchsetzbaren Einfluss auf diejenige Tätigkeit des beauftragten Unternehmens hat, in deren Bereich das beanstandete Verhalten fällt.1334 Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn das beauftragte Unternehmen ein Tochterunternehmen des Betriebsinhabers ist und dieser über die Funktion einer reinen Holding-Gesellschaft hinaus beherrschend den Einfluss auf die Tätigkeit des Tochterunternehmens ausübt.1335 Auf diese Weise kann das Verhalten der Tochtergesellschaft der Muttergesellschaft zugerechnet werden.1336

189 (3) Kasuistik. Angenommen wurde ein Beauftragtenverhältnis beispielsweise1337 zwischen einem Franchisegeber und einem Franchisenehmer,1338 zwischen einem Großhändler und einem für diesen werbenden Einzelhändler, der Werbung an Unterkunden verteilt,1339 sowie zwischen einem Telekommunikationsunternehmen und einem Telekommunikationsnetzbetreiber, welcher Endkunden Telefondienstleistungen des Netzbetreibers anbietet.1340 Beauftragter kann zudem sein ein unabhängiger Handelsvertreter,1341 ein Versteigerer,1342 eine Werbeagentur,1343 ein in ein mehrstufiges Vertriebssystem eingegliederter Berater,1344 eine Werbegemeinschaft,1345 eine Händlergemeinschaft,1346 ein Headhunter,1347 eine Presseagentur,1348 ein Subunternehmer,1349 ein Vertriebspartner1350 oder ein Vertragshändler.1351 Ein eingeschaltetes Inkassounternehmen ist ohne Weiteres Beauftragter.1352 Dagegen sind selbstständige Händler im Verhältnis zum Hersteller1353 oder zum Großhändler in der Regel keine Beauftragten.1354 Nicht als Beauftragter anzusehen ist ein Dienstleister, der seinen Kunden ein „Domain-Parking-Programm“ anbietet, in das der Kunde unter seinem Domainnamen eine Internetseite einstellen kann.1355 Abgesehen von besonderen Fallgestaltungen, bei denen ein bestimmtes Presseunternehmen – 1333 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 222. 1334 BGH 7.10.2009 – I ZR 109/06 – GRUR 2009, 1167 Tz. 21 – Partnerprogramm; BGH 7.4.2005 – I ZR 221/02 – GRUR 2005, 864, 865 – Meißner Dekor II.

1335 BGH 25.4.2012 – I ZR 105/10 – GRUR 2012, 1279 Tz. 61 – DAS GROSSE RÄTSELHEFT; BGH 7.4.2005 – I ZR 221/ 02 – GRUR 2005, 864, 865 – Meißner Dekor II. Büscher GRUR 2018, 113, 127; zur wettbewerbsrechtlichen Konzernhaftung Werner WRP 2018, 286. Zu weiteren Einzelfällen siehe Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.45. BGH 5.4.1995 – I ZR 133/93 – GRUR 1995, 605, 607 – Franchise-Nehmer. BGH 8.11.1963 – Ib ZR 25/62 – GRUR 1964, 263, 266 – Unterkunde. LG Frankfurt/Main 18.8.2007 – 3/11 O 227/06 – WRP 2007, 1513. BGH 25.9.1970 – I ZR 47/69 – GRUR 1971, 119, 120 – Branchenverzeichnis. KG 10.11.1972 – U 1837/72 – WRP 1973, 642. BGH 28.6.2007 – I ZR 153/04 – GRUR 2008, 186 – Telefonaktion; BGH 25.11.1993 – I ZR 259/91 – GRUR 1994, 219, 220 – Warnhinweis; BGH 25.4.1991 – I ZR 134/90 – GRUR 1991, 772, 774 – Anzeigenrubrik I; BGH 22.9.1972 – I ZR 19/72 – GRUR 1973, 208, 209 – Neues aus der Medizin. 1344 BGH 28.5.1998 – I ZR 275/95 – GRUR 1999, 183, 186 – Ha-Ra/HARIVA. 1345 OLG Hamburg 21.8.2003 – 3 U 16/03 – GRUR-RR 2004, 87. 1346 OLG Celle 9.12.2004 – 13 U 218/04 – OLGR 2005, 796. 1347 BGH 9.2.2006 – I ZR 73/02 – GRUR 2006, 426 – Direktanspruch am Arbeitsplatz II. 1348 BGH 28.6.2007 – I ZR 153/04 – GRUR 2008, 186 – Telefonaktion. 1349 LG Heidelberg 11.12.2007 – 2 O 173/07 – MMR 2008, 258. 1350 LG Frankfurt/Main 30.10.2007 – 2/18 O 26/07 – MMR 2008, 352. 1351 BGH 28.10.2010 – I ZR 174/08 – GRUR 2011, 543, 544 Tz. 15 – Änderung der Voreinstellung III. 1352 BGH 19.3.2015 – I ZR 157/13 – GRUR 2015, 1134 Tz. 29 und Tz. 32 – Schufa-Hinweis. 1353 OLG Köln 25.11.2005 – 6 U 129/05 – GRUR-RR 2006, 205, 206. 1354 BGH 28.10.2010 – I ZR 174/08 – GRUR 2011, 543, 544 Tz. 13 – Änderung der Voreinstellung III. 1355 BGH 18.11.2010 – I ZR 155/09 – GRUR 2011, 617 – Sedo.

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ähnlich einer Werbeagentur im Rahmen eines Geschäftsbesorgungsverhältnisses – ausnahmsweise auch Funktionen übernimmt, die dem werbenden Unternehmen im Regelfall selbst obliegen (etwa Entscheidung über Inhalt, Zeitpunkt und Umfang der Werbung, Verteilung auf verschiedene Medien des Unternehmens o. ä.), fehlt es somit bei Erteilung eines üblichen Anzeigenauftrags an den notwendigen Voraussetzungen für die Annahme einer Beauftragung.1356

(4) Gesetzliche Vertreter. Umstritten ist die rechtliche Einordnung von gesetzlichen Vertre- 190 tern, deren (geschäftliche) Handlungen dem Unternehmensinhaber nicht bereits auf der Grundlage und am Maßstab von §§ 31, 89 BGB (direkt) zurechenbar sind.1357 Dies sind etwa die Eltern (§ 1629 BGB), der Vormund (§ 1793 BGB), der Betreuer (§ 1902 BGB), der Pfleger (§§ 1915 Abs. 1, 1793 BGB), der Testamentsvollstrecker (§ 2205 BGB) oder der Insolvenzverwalter (§ 22 InsO).1358 Um Haftungslücken zu vermeiden – insbesondere da diese Person auch nicht selbst Unternehmensinhaber sind – wird teilweise eine weite Auslegung des Beauftragtenbegriffs befürwortet und die vorbenannten gesetzlichen Vertreter werden als Beauftragte i. S. d. Absatz 2 angesehen. Auf das Kriterium der Möglichkeit der Einflussnahme durch den Unternehmensinhaber wird insofern (teilweise) verzichtet.1359 Überzeugender erscheint demgegenüber allerdings eine analoge Anwendung der §§ 31, 89 BGB.1360 Denn sowohl eine am natürlichen Wortlaut orientierte als auch eine teleologische Auslegung des Begriffs „Beauftragter“ sprechen dafür, neben dem Tätigwerden aufgrund einer irgendwie gearteten Absprache mit dem Unternehmensinhaber zumindest eine Möglichkeit der Einflussnahme von diesem zu fordern, um zugleich dessen Haftungsrisiko zu begrenzen. Statt den Wortlaut des Absatzes 2 zu überdehnen, ist daher auf eine analoge Anwendung der §§ 31, 89 BGB zurückzugreifen.

d) Inhaber des Unternehmens. Der Begriff „Inhaber des Betriebs“ in § 13 Abs. 4 a. F. wurde 191 durch den Begriff „Inhaber des Unternehmens“ in Absatz 2 ersetzt. Insofern handelt es sich – ebenfalls – um eine rein redaktionelle Änderung.1361 Unternehmensinhaber ist derjenige, unter dessen Namen das Unternehmen geführt wird und der daher nach außen im Geschäftsverkehr die Verantwortung übernommen hat.1362 Entscheidend ist der im Grundsatz vorhandene rechtliche Einfluss auf die betrieblichen Verhältnisse.1363 Inhaber des Unternehmens ist bei einer natürlichen Person – etwa einem Einzelkaufmann, der ein Handelsgewerbe betreibt – diese selbst.1364 Bei einer Personengesellschaft – etwa einer GbR, OHG oder KG – ist der Inhaber die Gesellschaft, nicht aber die einzelnen Gesellschafter oder deren Gesamtheit. Dies ergibt sich für die OHG mittelbar aus § 124 Abs. 1 HGB, für die KG aus §§ 161 Abs. 2, 124 Abs. 1 HGB1365 und für die (Außen-)GbR aus der durch die Rechtsprechung entwickelten Anerkennung der (Teil-)Rechtsfähigkeit der Außengesellschaft.1366 Ebenso verhält es sich bei einer juristischen Person – etwa einer GmbH, AG oder Genossenschaft: Unternehmensinhaber ist die juristische Person, nicht aber die einzelnen Or1356 1357 1358 1359 1360

BGH 31.5.1990 – I ZR 228/88 – GRUR 1990, 1039, 1041 – Anzeigenauftrag. Vgl. MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 304. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.42. MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 304. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.42; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 596; Renner/Schmidt GRUR 2009, 908, 909. 1361 Vgl. Regierungsentwurf BTDrucks. 15/1487, S. 22. 1362 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.48; Teplitzky/Büch Kap. 14 Rn. 38. 1363 Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 578 und Rn. 584. 1364 Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 578. 1365 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.49. 1366 BGH 29.1.2001 – II ZR 331/00 – NJW 2001, 1056, 1056. 131

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gane.1367 Wird ein Unternehmen verpachtet oder wurde ein Nießbrauch bestellt, sind der Pächter oder Nießbraucher, nicht dagegen der Eigentümer, als Inhaber des Unternehmens anzusehen.1368 Ist der Unternehmensinhaber in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt – etwa nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder im Rahmen der Testamentsvollstreckung – gilt dieser nach bestrittener Ansicht1369 weiter als Unternehmensinhaber.1370 Nicht als Unternehmensinhaber anzusehen ist die Erbengemeinschaft.1371 Unternehmensinhaber sind daher allenfalls die Erben in gesamthänderischer Bindung.1372 Ebenfalls kein Unternehmensinhaber ist der Treugeber, der die volle Rechtsmacht über das Unternehmen an einen Treuhänder übertragen hat.1373 Auch die gesetzlichen Vertreter, die eine natürliche Person vertreten, unter deren Namen das Unternehmen geführt wird, sind nicht Unternehmensinhaber.1374 Denn insoweit fehlt es jeweils an der erforderlichen Einwirkungsmöglichkeit auf das Verhalten dieser Personen.1375 Keine Unternehmensinhaber sind zudem angestellte Manager, Geschäftsführer oder Organe sowie Organmitglieder einer juristischen Person.1376 Auch derjenige, der als Betriebs- oder Filialleiter der Organisation eines fremden Unternehmens vorsteht, ist nicht Unternehmensinhaber.1377 Ein Minderjähriger kann Unternehmensinhaber sein, wenn er gemäß § 112 BGB zur selbständigen Führung des Unternehmens ermächtigt ist.1378 Umstritten ist, ob zum Zwecke des Verkehrsschutzes die allgemeinen Rechtsscheingrund192 sätze auf solche Personen anwendbar sind, die sich nur nach außen als Unternehmensträger gerieren. Abzugrenzen ist diese Konstellation von der Frage, ob bei der Bestimmung der Unternehmensbezogenheit sowie des Beauftragten der bloße Anschein des jeweiligen Merkmals genügt. Während letztere Auffassung abgelehnt wird,1379 soll der Anschein bezüglich der Inhaberschaft des Unternehmens nach teilweise vertretener Ansicht ausreichen.1380 Diese Ansicht überzeugt jedoch nicht: Zum einen begründen die allgemeinen Rechtsscheingrundsätze allenfalls eine rechtsgeschäftliche Haftung in der Form, dass (quasi-)vertragliche Ansprüche gegen den Handelnden bestehen;1381 bei dem Anspruch aus Absatz 2 handelt es sich dagegen um eine Regelung aus dem Lauterkeitsrecht, welches als Sonderdeliktsrecht im weiteren Sinne anzusehen ist. Zum anderen ist fraglich, welchen Inhalt dieser Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruch gegen den vermeintlichen Unternehmensinhaber genau haben soll. Denn dieser Unternehmensinhaber wird regelmäßig keine tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit auf die Mitarbeiter und Beauftragten des Unternehmens haben, so dass eine Vollstreckung von vorneherein nicht möglich wäre.1382 Davon unberührt bleibt eine Haftung des vermeintlichen Unternehmensinhabers als Mittäter oder Gehilfe.1383 Wechselt der Mitarbeiter oder Beauftragte, der die geschäftliche Handlung auf der 193 Grundlage und am Maßstab des Absatz 1 selbst begangen hat, zu einem anderen Unternehmen, führt dies nicht zu einer Haftung des Unternehmensinhabers des neuen Unternehmens nach 1367 1368 1369 1370 1371 1372 1373 1374 1375 1376 1377 1378 1379 1380 1381 1382 1383

BGH 19.6.1963 – Ib ZR 15/62 – GRUR 1964, 88, 89 – Verona-Gerät. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 151; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 579. Ablehnend mangels rechtlicher Einflussmöglichkeit Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 584. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 151; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.49. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.49; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 583. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.49. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.49; Köhler GRUR 1991, 344, 352. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.50. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.50. Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 581. Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 578. Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 584. BGH 22.3.1963 – Ib ZR 161/61 – GRUR 1963, 438, 440 – Fotorabatt; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 594. Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 227; anders Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 585. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.49. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.49; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 585. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.49.

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C. Schuldner der Abwehransprüche

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Maßgabe von Absatz 2.1384 Zugleich bleibt der bereits entstandene Anspruch gegen den bisherigen Unternehmensinhaber, in dem die Mitarbeiter oder Beauftragten die Zuwiderhandlung begangen haben, von dem Wechsel unberührt.1385 Dies ergibt sich bereits daraus, dass im Hinblick auf den neuen Unternehmensinhaber der Tatbestand des Absatzes 2 nicht erfüllt ist. Zudem steht der Gesetzeszweck einer „Mitnahme“ der Zuwiderhandlung in das neue Unternehmen entgegen. Denn im Verhältnis zu dem neuen Arbeitgeber kann nicht rückwirkend von einer arbeitsteiligen Organisation gesprochen werden.1386 Davon unberührt bleibt jedoch eine neue, eigene Haftung des neuen Arbeitgebers.1387 Zudem kommt eine Haftung gemäß Absatz 2 in Frage, wenn der wechselnde Mitarbeiter oder Beauftragte auch in dem anderen Unternehmen seine unzulässigen geschäftlichen Handlungen fortführt. Davon zu trennen ist die Frage der Haftung des Unternehmensinhabers, soweit dieser selbst das Unternehmen wechselt. Dies ist kein Grund für den Wegfall der Wiederholungsgefahr.1388

4. Rechtsfolgen Der Tatbestand begründet eine verschuldensunabhängige Haftung des Unternehmensinha- 194 bers auf Unterlassung und Beseitigung.1389 Nach dem Wortlaut des Absatz 2 besteht der Abwehranspruch auch gegen den Inhaber des Unternehmens. Der Anspruch zielt nicht bloß auf ein Einwirken des Inhabers auf seine Mitarbeiter oder Beauftragten ab,1390 sondern entspricht inhaltlich dem direkten Anspruch gegen den Mitarbeiter oder Beauftragten nach Maßgabe von Absatz 1.1391 Der Anspruchsinhaber kann somit nach seiner Wahl sowohl gegen den Unternehmensinhaber als auch gegen den Mitarbeiter oder Beauftragten vorgehen.1392 Es bestehen zwei selbstständige Ansprüche, die der Anspruchsinhaber unabhängig voneinander geltend machen kann und deren weiteres rechtliches Schicksal nach Anspruchsentstehung getrennt voneinander zu beurteilen ist.1393 So kann etwa die Wiederholungsgefahr in Bezug auf den Mitarbeiter entfallen, soweit dieser eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgibt.1394 Auf den Anspruch gegen den Unternehmensinhaber hat dies jedoch keine Auswirkung.1395 Der Unternehmensinhaber müsste vielmehr selbst eine Unterwerfungserklärung abgeben.1396 Der Anspruch gegen den Unternehmensinhaber ist räumlich grundsätzlich nicht auf die Filiale begrenzt, in der der Mitarbeiter oder Beauftragte die geschäftliche Handlung vorgenommen hat.1397 Die Erfolgshaftung des Inhabers wird nicht durch eine tatsächliche Begehungsgefahr 1384 BGH 26.4.2007 – I ZR 34/05 – GRUR 2007, 995 Tz. 12 – Schuldnachfolge; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.54.

1385 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.54; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 627. 1386 BGH 26.4.2007 – I ZR 34/05 – GRUR 2007, 995 Tz. 12 – Schuldnachfolge; BGH 19.12.2002 – I ZR 119/00 – GRUR 2003, 453, 454 – Verwertung von Kundenlisten.

1387 BGH 26.4.2007 – I ZR 34/05 – GRUR 2007, 995 Tz. 14 – Schuldnachfolge; BGH 19.12.2002 – I ZR 119/00 – GRUR 2003, 453, 454 – Verwertung von Kundenlisten. Vgl. BGH 26.10.2000 – I ZR 180/98 – GRUR 2001, 453, 455 – TCM-Zentrum. Teplitzky/Büch Kap. 14 Rn. 36. Vgl. dazu Köhler GRUR 1991, 344, 353. BGH 5.4.1995 – I ZR 133/93 – GRUR 1995, 605, 608 – Franchise-Nehmer; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 615; zur Tenorierung BGH 19.12.1960 – I ZR 14/59 – GRUR 1961, 288, 290 – Zahnbürsten. 1392 Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 614 und Rn. 543. 1393 BGH 29.6.2000 – I ZR 29/98 – GRUR 2000, 907 – Filialleiterfehler; BGH 5.4.1995 – I ZR 133/93 – GRUR 1995, 605, 608 – Franchise-Nehmer; BGH 22.9.1972 – I ZR 19/72 – GRUR 1973, 208, 209 – Neues aus der Medizin; Harte/ Henning/Goldmann § 8 Rn. 618. 1394 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.52. 1395 BGH 5.4.1995 – I ZR 133/93 – GRUR 1995, 605, 608 – Franchise-Nehmer. 1396 BGH 22.9.1972 – I ZR 19/72 – GRUR 1973, 208, 210 – Neues aus der Medizin. 1397 BGH 29.6.2000 – I ZR 29/98 – GRUR 2000, 907, 910 – Filialleiterfehler.

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Beseitigung und Unterlassung

durch diesen selbst, sondern durch die Wiederholungsgefahr im Hinblick auf den Mitarbeiter oder Beauftragten begründet.1398 Etwas anderes kann dann gelten, wenn die örtlichen Gegebenheiten charakteristisch für die geschäftliche Handlung sind und daher die Wiederholungsgefahr nur für bestimmte Filialen besteht.1399 Hierfür genügt jedoch nicht bereits, dass die geschäftliche Handlung von der örtlichen Filiale selbstständig organisiert wurde.1400 Eine Kündigung ist für den Wegfall der Wiederholungsgefahr nicht ausreichend.1401

V. Organ- und Repräsentantenhaftung 1. Allgemeines 195 Gemäß § 31 BGB ist ein Verein für den Schaden verantwortlich, den der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt. § 89 BGB erklärt die Vorschrift des § 31 BGB für den Fiskus sowie die Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts für entsprechend anwendbar. Hinter §§ 31, 89 BGB steht der allgemeine Rechtsgedanke, wonach Organisationen für Rechtsverletzungen, die von ihren Organen und anderen verfassungsmäßig berufenen Vertretern in Ausführung der ihnen zustehenden Verrichtungen begangen werden, haften.1402 Über den Wortlaut der §§ 31, 89 BGB hinaus findet diese sogenannte Organ- und Repräsentantenhaftung auch auf den verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch Anwendung.1403 Namentlich juristische Personen und Personengesellschaften können daher selbst Unterlassungsschuldner sein, ohne dass ihnen die Möglichkeit eines Entlastungsbeweises zukommt.1404

2. Voraussetzungen 196 Zu den Repräsentanten werden nicht nur gesetzliche Vertreter (Vorstand der AG; Geschäftsführer einer GmbH etc.) gezählt, sondern alle Personen, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren.1405 Dies gilt unabhängig davon, ob ihre Stellung satzungsmäßig geregelt ist oder ihnen entsprechende Vertretungsmacht erteilt ist.1406 Im Kern geht es um den Personenkreis der leitenden Angestellten (Führungskräfte).1407 Als Repräsentanten wurden

1398 1399 1400 1401

Vgl. Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 617. BGH 29.6.2000 – I ZR 29/98 – GRUR 2000, 907, 909 – Filialleiterfehler. BGH 29.6.2000 – I ZR 29/98 – GRUR 2000, 907, 909 – Filialleiterfehler. Vgl. BGH 4.11.1964 – Ib ZR 3/63 – GRUR 1965, 155, 156 – Werbefahrer; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.49. 1402 Beispielsweise BGH 3.5.2007 – IX ZR 218/05 – NJW 2007, 2490 Tz. 9; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.19; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 148. 1403 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.19. 1404 BGH 12.1.2012 – I ZB 43/11 – GRUR 2012, 541 – Tz. 7 – Titelschuldner im Zwangsvollstreckungsverfahren; BGH 5.3.1998 – III ZR 183-96 – NJW 1998, 1854, 1856. 1405 BGH 5.3.1998 – III ZR 183-96 – NJW 1998, 1854, 1856; BGH 30.10.1967 – VII ZR 82/65 – BGHZ 49, 19 – NJW 1968, 391, 392; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 149; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 253. 1406 Vgl. BGH 3.5.2007 – IX ZR 218/05 – NJW 2007, 2490; BGH 5.3.1998 – III ZR 183-96 – NJW 1998, 1854, 1856; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.19. 1407 Vgl. BGH 5.3.1998 – III ZR 183-96 – NJW 1998, 1854, 1856; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.19; Harte/ Henning/Goldmann § 8 Rn. 554. Hofmann

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C. Schuldner der Abwehransprüche

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beispielsweise der Filialleiter,1408 Chefärzte von Krankenhäusern und Krankenhausabteilungen,1409 die Sozien einer Anwaltskanzlei1410 oder ein selbstständiger Handelsvertreter mit Führungsaufgaben gesehen.1411 Sogar das unerlaubte Handeln eines bloßen Sachbearbeiters ist der Gesellschaft zuzurechnen, falls jenem eine wichtige Angelegenheit zur eigenverantwortlichen Erledigung übertragen worden ist,1412 nicht hingegen eine juristisch selbstständige, nicht weisungsgebundene Schwestergesellschaft.1413 Auch eine Einstandspflicht des Franchisegebers für den Franchisenehmer besteht nicht.1414 In Ausführung der dem Repräsentanten zustehenden Verrichtungen geschieht eine Handlung, die noch in den Kreis der Maßnahmen fällt, welche die Ausführung der diesem zustehenden Verrichtungen darstellen.1415 Es muss ein enger, objektiver, mithin sachlicher Zusammenhang mit diesen Maßnahmen bestehen.1416 Eine zufällige örtliche oder zeitliche Verbindung genügt nicht.1417 Eine Überschreitung des Auftrags oder ein Missbrauch der Vollmacht schließen die Haftung indes nicht aus.1418 Auch eine vorsätzliche unerlaubte Handlung kann noch in engem, objektiven Zusammenhang mit den zugewiesenen Verrichtungen stehen;1419 dies gilt insbesondere dann, wenn durch die Handlung gerade die übertragenen besonderen Pflichten verletzt werden.1420

3. Eigenhaftung des Repräsentanten Die Organ- oder Repräsentantenhaftung schließt die Haftung des Repräsentanten selbst nicht 197 aus, wenn der Repräsentant persönlich den deliktsrechtlichen Tatbestand verwirklicht hat.1421 Der persönlichen Inanspruchnahme des Repräsentanten wegen einer von diesem begangenen wettbewerbswidrigen Handlung steht auch nicht entgegen, dass das Unternehmen wegen eben dieser Wettbewerbshandlung bereits erfolgreich auf Unterlassung in Anspruch genommen worden ist.1422 Allen voran eine persönliche Haftung des Geschäftsführers für unlautere Wettbewerbshandlungen der von ihm vertretenen Gesellschaft besteht, wenn er daran entweder durch positives Tun beteiligt war oder wenn er die Wettbewerbsverstöße auf Grund einer nach allgemeinen Grundsätzen des Deliktsrechts begründeten Garantenstellung hätte verhindern müssen (Rn. 159).1423 Die für den Unterlassungsanspruch erforderliche und wegen der begangenen Rechtsverletzung zu vermutende Wiederholungsgefahr entfällt nicht dadurch, dass der Repräsentant seine Tätigkeit für das Unternehmen aufgibt. Es ist nicht auszuschließen, dass der Re1408 1409 1410 1411 1412 1413 1414 1415 1416 1417 1418 1419 1420 1421

BGH 5.3.1998 – III ZR 183-96 – NJW 1998, 1854, 1856; BGH 19.10.1989 – III ZR 92/88 – NJW-RR 1990, 484. BGH 30.6.1987 – VI ZR 257/86 – NJW 1987, 2925. BGH 3.5.2007 – IX ZR 218/05 – NJW 2007, 2490 Tz. 14 ff. BGH 5.3.1998 – III ZR 183-96 – NJW 1998, 1854, 1856. BGH 3.5.2007 – IX ZR 218/05 – NJW 2007, 2490 Tz. 16; kritisch Büscher/Hohlweck § 8 Rn. 177. OLG München 6.2.1985 – 6 W 2980/84 – WRP 1985, 238, 238 f. BGH 6.4.2000 – I ZR 67/98 – GRUR 2001, 82, 83 – Neu in Bielefeld I. BGH 19.11.2013 – VI ZR 336/12 – NJW 2014, 383 Tz. 35; BGH 30.10.1967 – VII ZR 82/65 – NJW 1968, 391, 392. BGH 30.10.1967 – VII ZR 82/65 – NJW 1968, 391, 392. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.19. BGH 30.10.1967 – VII ZR 82/65 – NJW 1968, 391, 392. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.19. BGH 5.12.1958 – VI ZR 114/57 – NJW 1959, 379, 379 f.; BGH 30.10.1967 – VII ZR 82/65 – NJW 1968, 391, 392. BGH 12.4.1957 – I ZR 28/56 – GRUR 1959, 428, 429 – Michaelismesse; BGH 12.3.1996 – VI ZR 90/95 – NJW 1996, 1535, 1536. 1422 OLG Bremen 22.6.2006 – 2 U 19/06 – AfP 2007, 219, 220. 1423 BGH 18.6.2014 – I ZR 242/12 – GRUR 2014, 883 Tz. 17 – Geschäftsführerhaftung; BGH 12.1.2017 – I ZR 253/14 – GRUR 2017, 397 Tz. 110 – World of Warcraft II; vgl. BGH 30.6.2011 – I ZR 157/10 – GRUR 2012, 184 Tz. 32 – Branchenbuch Berg; BGH 12.11.2009 – I ZR 166/07 – GRUR 2010, 616 Tz. 34 – marions-kochbuch.de; BGH 22.4.2009 – I ZR 216/06 – GRUR 2009, 845 Tz. 47 – Internet-Videorecorder; BGH 9.6.2005 – I ZR 279/02 – GRUR 2005, 1061, 1064 – Telefonische Gewinnauskunft. 135

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Beseitigung und Unterlassung

präsentant das Geschäftsmodell so oder im Kern in gleicher Weise als Einzelkaufleute oder als Verantwortliche eines anderen Unternehmens weiter betreibt oder wieder aufnimmt.1424 Ein alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer, der auf Grund einer internen Geschäftsverteilung den Bereich der werbenden Tätigkeit der GmbH einem zweiten alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer überlässt, kann gleichwohl für einen ohne seine Kenntnis von der GmbH begangenen Wettbewerbsverstoß verantwortlich sein.1425

4. Lehre vom Organisationsmangel 198 Eine Haftung des Unternehmers kann auch durch Organisationsmängel begründet sein.1426 Eine eigene Haftung (letztlich wegen der Verletzung wettbewerbsrechtlicher Verkehrspflichten) kann daher im Rahmen der Laienwerbung in Betracht kommen, wenn der Unternehmer das Vertriebssystem per se wettbewerbswidrig organisiert oder keine hinreichenden Vorkehrungen gegen unlauteres Verhalten der Werber getroffen hat.1427 Nach der Lehre vom Organisationsmangel dürfen zudem wichtige Aufgaben nicht auf weisungsabhängige Verrichtungsgehilfen i. S. v. § 831 Abs. 1 BGB übertragen werden.1428 Einem mit wichtigen Aufgaben beauftragten Dritten muss vielmehr eine Organstellung bzw. die Stellung eines verfassungsmäßig berufenen Vertreters verschafft werden, so dass die Gesellschaft für sein Verschulden ohne Entlastungsmöglichkeit einzustehen hat.1429 Zieht die Gesellschaft insoweit gleichwohl eigene Mitarbeiter ohne entsprechende Stellung (oder auch einen Rechtsanwalt) heran, so kann die Gesellschaft sich haftungsrechtlich von deren Verschulden nicht freizeichnen.1430 Die Gesellschaft muss sich vielmehr so behandeln lassen, als habe sie den Beauftragten eine entsprechende Stellung eingeräumt.1431 Eine Entlastungsmöglichkeit kommt auch dann nicht in Betracht, wenn zwar ein Organ bestellt ist, die betreffende Person aber etwa wegen Überlastung faktisch nicht in der Lage ist, mögliche Wettbewerbsverstöße zu erkennen und zu verhindern.1432 Die Lehre vom Organisationsmangel findet darüber hinaus auch auf Einzelunternehmer Anwendung.1433 Mit Blick auf den Verjährungsbeginn ist es nach dem BGH dem Anspruchsteller aus Treu und Glauben verwehrt, sich auf eigene Unkenntnis zu berufen, wenn er sich eines sogenannten Wissensvertreters bedient, den er mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten, insbesondere mit der Betreuung und Verfolgung des in Frage stehenden Anspruchs in eigener Verantwortung betraut hat. In dieser Konstellation muss sich der Anspruchsteller vielmehr das Wissen des Dritten in analoger Anwendung des § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen.1434

1424 BGH 3.6.1976 – X ZR 57/73 – GRUR 1976, 579, 582 f. – Tylosin; BGH 22.4.2009 – I ZR 216/06 – GRUR 2009, 845 Tz. 47 – Internet-Videorecorder (zum Patentrecht).

1425 OLG Frankfurt 11.5.2000 – 6 U 32/00 – GRUR-RR 2001, 198, 199 – Haftung des zweiten Geschäftsführers; a. A. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.20.

1426 Vgl. BGH 19.4.2007 – I ZR 92/04 – GRUR 2007, 994 Tz. 15 – Gefälligkeit; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 249. 1427 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 118. 1428 BGH 8.7.1980 – VI ZR 158/78 – GRUR 1980, 1099, 1104 – Medizinsyndikat II; vgl. weiterhin BGH 10.5.1957 – I ZR 234/55 – NJW 1957, 785, 786 f. 1429 BGH 8.7.1980 – VI ZR 158/78 – GRUR 1980, 1099, 1104 – Medizinsyndikat II. 1430 BGH 8.7.1980 – VI ZR 158/78 – GRUR 1980, 1099, 1104 – Medizinsyndikat II. 1431 BGH 8.7.1980 – VI ZR 158/78 – GRUR 1980, 1099, 1104 – Medizinsyndikat II. 1432 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.22. 1433 BGH 12.7.1968 – I ZR 70/66 – GRUR 1969, 51, 52 – Glassteine. 1434 BGH 14.1.2016 – I ZR 65/14 – GRUR 2016, 946 Tz. 61 – Freunde finden. Hofmann

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C. Schuldner der Abwehransprüche

§8

VI. Haftung für Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfen 1. Haftung für Erfüllungsgehilfen Der Schuldner einer vertraglichen Unterlassungsverpflichtung haftet zunächst für eigenes Ver- 199 schulden. Außerdem haftet er nach § 278 BGB für das Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen (vgl. auch Rn. 45).1435 Eine Haftung für Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB ist durch das Bestehen einer Sonderverbindung bedingt. Bei gesetzlichen Unterlassungsansprüchen ist § 278 BGB damit nicht anwendbar.1436 Eine Sonderverbindung kann aber über eine Unterlassungsvereinbarung begründet sein.1437 Über § 278 kann das Verschulden eines Erfüllungsgehilfen die Verwirkung einer Vertragsstrafe durch den Unterlassungsschuldner bewirken. Auch kann eine Zuwiderhandlung des Erfüllungsgehilfen die Wiederholungsgefahr in der Person des Unterlassungsschuldners begründen. Insoweit gilt § 278 BGB entsprechend. Ob jemand als Erfüllungsgehilfe eines anderen anzusehen ist, bestimmt sich danach, ob er nach den rein tatsächlichen Vorgängen des gegebenen Falls mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung der diesem obliegenden Verbindlichkeit als seine Hilfsperson tätig wird. Die unternehmerische Selbständigkeit der Hilfsperson steht der Annahme, der Dritte sei Erfüllungsgehilfe, nicht entgegen.1438 Eine Werbeagentur, deren sich ein Vertragsstrafenschuldner für seine Werbung bedient, handelt bei ihrer Tätigkeit auch insoweit als Erfüllungsgehilfe des Schuldners, als es um die Erfüllung der vertraglich übernommenen Unterlassungspflicht geht.1439 Dasselbe gilt, wenn der Schuldner bei seiner Werbung ein Verlagsunternehmen und dessen Anzeigenabteilung einschaltet.1440 Der Vorbehaltskäufer bei einem Eigentumsvorbehalt ist nicht Erfüllungsgehilfe des Vorbehaltsverkäufers bei der Einhaltung einer auf einem Vertragsstrafeversprechen beruhenden Unterlassungspflicht.1441

2. Haftung für Verrichtungsgehilfen Eine Unterlassungshaftung des Geschäftsherrn kann grundsätzlich auch über § 831 BGB 200 hergeleitet werden. Wegen der gleichzeitig einschlägigen, wenn auch nicht abschließenden Zurechnungsnorm des § 8 Abs. 21442 ist der eigenständige Anspruch gegenüber dem Geschäftsherrn aus § 831 BGB in jedem Fall gering.1443 In der Sache ist § 831 BGB eine spezielle Ausprägung einer Verkehrspflichtverletzung.1444 Auch bei der Anwendung dieser Norm auf den verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch muss es daher im Einklang mit den Grundsätzen der mittelbaren Verantwortlichkeit (Rn. 144) darauf ankommen, dass der Geschäftsherr eine spezifische Pflicht verletzt hat,1445 auch wenn eine solche im Rahmen des

1435 BGH 15.5.1985 – I ZR 25/83 – GRUR 1985, 1065, 1066 – Erfüllungsgehilfe; BGH 30.3.1988 – I ZR 40/86 – GRUR 1988, 561, 562 – Verlagsverschulden I.

1436 Fritzsche S. 423. 1437 BGH 19.6.1986 – I ZR 65/84 GRUR 1987, 54, 55 – Aufklärungspflicht des Abgemahnten; F. Hofmann ZfIR 2020, 581 f.

1438 1439 1440 1441 1442

BGH 30.3.1988 – I ZR 40/86 – GRUR 1988, 561, 562 – Verlagsverschulden I. BGH 15.5.1985 – I ZR 25/83 – GRUR 1985, 1065, 1066 – Erfüllungsgehilfe. BGH 22.1.1998 – I ZR 18/96 – GRUR 1998, 963, 965 – Verlagsverschulden II. BGH 4.5.2017 – I ZR 208/15 – GRUR 2017, 823 Tz. 21 ff. – Luftentfeuchter. Vgl. Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 155; vgl. BGH 25.4.2012 – I ZR 105/10 – GRUR 2012, 1279 Tz. 43 – DAS GROSSE RÄTSELHEFT. 1443 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.23; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 556; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 247. 1444 Vgl. Larenz/Canaris Lehrbuch des Schuldrechts. Band II/2 (1994) § 79 III 1a. 1445 Pleyer AcP 161 (1962), 500, 503 ff. 137

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§8

Beseitigung und Unterlassung

§ 831 BGB vermutet wird.1446 Die Gegenansicht verneint hingegen eine Exkulpationsmöglichkeit aufgrund der Verschuldensunabhängigkeit des Unterlassungsanspruchs.1447 Verrichtungsgehilfe ist, wer von den Weisungen seines Geschäftsherrn abhängig ist.1448 Ihm muss von einem anderen, in dessen Einflussbereich er allgemein oder im konkreten Fall steht und von dem er in gewisser Weise abhängig ist, eine Tätigkeit übertragen worden sein. Das dabei vorausgesetzte Weisungsrecht braucht nicht ins Einzelne zu gehen. Es genügt, dass der Geschäftsherr die Tätigkeit des Handelnden jederzeit beschränken oder entziehen oder nach Zeit und Umfang bestimmen kann.1449 Beim Vorliegen besonderer Umstände ist es auch nicht ausgeschlossen, dass ein rechtlich selbstständiges Unternehmen, soweit es eine Tätigkeit ausübt, bei der es den Weisungen eines anderen Unternehmens unterworfen ist, auch dessen Verrichtungsgehilfe sein kann.1450 Entscheidend ist, ob nach den tatsächlichen Verhältnissen eine Eingliederung in den Organisationsbereich des Geschäftsherrn erfolgt ist und der Handelnde dessen Weisungen unterliegt, was bei einem Beherrschungsund Gewinnabführungsvertrag der Fall sein kann.1451

VII. Mehrheit von Schuldnern 201 Begehen mehrere nebeneinander einen Wettbewerbsverstoß, so hat es der Gläubiger grundsätzlich (ggf. greift § 8 Abs. 4) in der Hand, ob er alle oder nur einzelne Verletzer in Anspruch nimmt sowie in welcher Reihenfolge hierbei vorgegangen wird.1452 Die Wahlmöglichkeit des Gläubigers findet lediglich eine Grenze im Missbrauchstatbestand.1453 Die Vorschriften über die Gesamtschuld (§ 421 BGB) finden bei Unterlassungsansprüchen keine Anwendung.1454 Es fehlt bereits an der Voraussetzung, dass der Gläubiger „die Leistung nur einmal zu fordern berechtigt“ ist, denn die Unterlassung des einen Verletzers ist nicht gleichbedeutend mit der Unterlassung des anderen Verletzers.1455 Vielmehr kann jeder Schuldner die Unterlassungspflicht primär nur für sich allein beachten und damit nicht zugleich der Unterlassungsverpflichtung des anderen Schuldners nachkommen.1456 Für den vertraglichen Unterlassungsanspruch gilt nichts anderes.1457 Auf Beseitigungsansprüche sind die Vorschriften über die Gesamtschuld nur eingeschränkt anwendbar.1458 Im Ergebnis kommt es darauf an, dass durch die Vornahme der Beseitigungshandlung der Anspruch auch gegen die anderen Schuldner erfüllt wird.1459

1446 Vgl. Fritzsche S. 424 f. (Fn. 17). 1447 MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 247; ders. S. 424 f.; für Exkulpationsmöglichkeit Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 556. 1448 OLG Frankfurt a. M. 10.1.2019 – 6 U 19/18 – NJW-RR 2019, 745 Rn. 29 – Hinweis auf Versandkosten in OnlineBestellformular. 1449 BGH 25.4.2012 – I ZR 105/10 – GRUR 2012, 1279 Tz. 44 – DAS GROSSE RÄTSELHEFT. 1450 BGH 25.4.2012 – I ZR 105/10 – GRUR 2012, 1279 Tz. 45 – DAS GROSSE RÄTSELHEFT. 1451 BGH 25.4.2012 – I ZR 105/10 – GRUR 2012, 1279 Tz. 45 – DAS GROSSE RÄTSELHEFT. 1452 BGH 17.7.2008 – I ZR 168/05 – GRUR 2009, 181 Tz. 36 – Kinderwärmekissen; BGH 15.4.2008 – X ZB 12/06 – WRP 2008, 952, 953. 1453 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.30. 1454 BGH 15.4.2008 – X ZB 12/06 – GRUR-RR 2008, 460 Tz. 8 – Tätigkeitsgegenstand; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.30; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 152; Teplitzky/Büch Kap. 14 Rn. 44; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 291. 1455 Teplitzky/Büch Kap. 14 Rn. 44; vgl. auch F. Hofmann ZfIR 2020, 581 f. 1456 BGH 15.4.2008 – X ZB 12/06 – GRUR-RR 2008, 460 Tz. 11 – Tätigkeitsgegenstand. 1457 Teplitzky/Büch Kap. 14 Rn. 46; mit Blick auf Vertragsstrafen vgl. Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 161. 1458 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.30. 1459 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 152. Hofmann

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C. Schuldner der Abwehransprüche

§8

VIII. Rechtsnachfolge Gesetzliche Unterlassungsansprüche erstrecken sich nicht auf den Rechtsnachfolger.1460 Die 202 Wiederholungsgefahr ist ein tatsächlicher Umstand, der nach den Verhältnissen in der Person des Inanspruchgenommenen zu beurteilen ist (Rn. 26).1461 Eine auf Grund des persönlichen Verhaltens des Rechtsvorgängers in seiner Person begründete Wiederholungsgefahr geht als ein tatsächlicher Umstand nicht auf den Rechtsnachfolger über.1462 Aus der Verschmelzung des Unternehmens, in dem ein Wettbewerbsverstoß begangen worden ist, folgt auch keine Erstbegehungsgefahr bei dem übernehmenden Rechtsträger.1463 Diese Grundsätze gelten im Regelfall auch für einen Wettbewerbsverstoß, der von Organen oder Mitarbeitern des übernommenen Unternehmens begangen worden ist.1464 § 8 Abs. 2 bringt kein anderes Ergebnis. Gemäß dieser Vorschrift werden dem Inhaber des Unternehmens Zuwiderhandlungen seiner Angestellten oder Beauftragten wie eigene Handlungen zugerechnet, weil die arbeitsteilige Organisation des Unternehmens die Verantwortung für das Verhalten im Wettbewerb nicht beseitigen soll (Rn. 174 ff.). Der Unternehmensinhaber, dem die Wettbewerbshandlungen seiner Angestellten oder Beauftragten zugutekommen, soll sich bei einer wettbewerbsrechtlichen Haftung nicht hinter den von ihm abhängigen Dritten verstecken können. Dieser Zweck des § 8 Abs. 2 lässt es aber nicht zu, Wettbewerbsverstöße, die Mitarbeiter im Unternehmen unter der Verantwortung des früheren Rechtsinhabers begangen haben, auch dem neuen Rechtsinhaber zuzurechnen.1465 Bei einer Unternehmensveräußerung bleibt der Veräußerer verpflichtet (gleiches gilt für einen Mitarbeiter, der den Arbeitsplatz wechselt);1466 bei einem Übergang des Unternehmens auf einen anderen Rechtsträger, etwa durch Erbfolge oder Verschmelzung, erlischt der Anspruch.1467 Eine Rechtskrafterstreckung nach § 325 ZPO oder die Erteilung einer Vollstreckungsklausel nach §§ 727, 729 ZPO kommen nicht in Betracht.1468 Die vorgenannten Grundsätze greifen auch im Falle einer Insolvenz des Schuldners für die Verantwortlichkeit eines Insolvenzverwalters wegen eines Wettbewerbsverstoßes des Schuldners.1469 Rechtsverstöße des Insolvenzschuldners, seiner Organe, Mitarbeiter oder Beauftragten begründen daher in der Person des Insolvenzverwalters selbst dann keine Wiederholungsgefahr, wenn dieser den Betrieb des Insolvenzschuldners fortführt. Der Insolvenzverwalter übt als Partei kraft Amtes die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse im eigenen Namen aus.1470 Ein Unterlassungsanspruch gegen den Rechtsnachfolger ist indes gegeben, wenn er in 203 seiner Person die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt, beispielsweise dadurch, dass er das Verhalten des Vorgängers fortsetzt.1471 Auch eine originäre Haftung über § 8 Abs. 2 kommt 1460 BGH 7.3.2019 – I ZR 184/17 – GRUR 2019, 746 Rn. 38 – Energieeffizienzklasse III; BGH 16.3.2006 – I ZR 92/ 03 – GRUR 2006, 879 Tz. 17 – Flüssiggastank; BGH 26.4.2007 – I ZR 34/05 – GRUR 2007, 995 Tz. 11 – Schuldnachfolge; Köhler WRP 2000, 921; ders. WRP 2010, 475. 1461 BGH 27.11.2014 – I ZR 124/11 – GRUR 2015, 672 Tz. 61 – Videospiel-Konsolen II; BGH 16.3.2006 – I ZR 92/03 – GRUR 2006, 879 Tz. 17 – Flüssiggastank; BGH 26.4.2007 – I ZR 34/05 – GRUR 2007, 995 Tz. 11 – Schuldnachfolge. 1462 BGH 16.3.2006 – I ZR 92/03 – GRUR 2006, 879 Tz. 17 – Flüssiggastank; vgl. kritisch Mels/Franzen GRUR 2008, 968; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 158. 1463 BGH 7.3.2019 – I ZR 184/17 – GRUR 2019, 746 Rn. 38 – Energieeffizienzklasse III; BGH 3.4.2008 – I ZR 49/05 – GRUR 2008, 1002 Tz. 39 – Schuhpark. 1464 BGH 7.3.2019 – I ZR 184/17 – GRUR 2019, 746 Rn. 38 – Energieeffizienzklasse III; BGH 27.11.2014 – I ZR 124/11 – GRUR 2015, 672 Tz. 61 – Videospiel-Konsolen II; BGH 3.4.2008 – I ZR 49/05 – GRUR 2008, 1002 Tz. 39 – Schuhpark. 1465 BGH 6.12.2012 – III ZR 173/12 – NJW 2013, 593 Tz. 15; BGH 26.4.2007 – I ZR 34/05 – GRUR 2007, 995 Tz. 12 – Schuldnachfolge; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.31. 1466 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.31; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 627. 1467 BGH 26.4.2007 – I ZR 34/05 – GRUR 2007, 995 Tz. 11 – Schuldnachfolge. 1468 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.31; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 153; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 156. 1469 BGH 18.3.2010 – I ZR 158/07 – GRUR 2010, 536 Tz. 40 – Modulgerüst II. 1470 BGH 27.11.2014 – I ZR 124/11 – GRUR 2015, 672 Tz. 61 – Videospiel-Konsolen II. 1471 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.31. 139

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§8

Beseitigung und Unterlassung

selbstredend in Betracht.1472 Die Annahme einer Erstbegehungsgefahr ist kein Automatismus. Namentlich eine Verteidigung des Verhaltens des Rechtsvorgängers reicht nicht aus.1473 Auch wenn bei einer Verschmelzung der Betrieb, in dem ein Wettbewerbsverstoß von Mitarbeitern begangen worden ist, fortgeführt wird, ergibt sich daraus allein keine Erstbegehungsgefahr bei dem übernehmenden Rechtsträger.1474 Ein Inhaberwechsel bringt einen Wechsel in der Leitungs- und Weisungsbefugnis mit sich. Bereits diese tatsächliche Veränderung schließt es aus, allein auf Grund eines früheren Verhaltens von Mitarbeitern des Betriebs eine in der Person des neuen Inhabers begründete Erstbegehungsgefahr anzunehmen. Mit dem Wechsel des Inhabers eines Unternehmens sind zudem selbst bei Fortführung aller Betriebsteile vielfach weitere erhebliche Veränderungen verbunden, die ebenfalls der Gefahr entgegenwirken, dass der früher vorgekommene Wettbewerbsverstoß erneut begangen werden könnte, so insbesondere Veränderungen in der Art und Weise der Unternehmensführung, in der Aufgabenstellung der Betriebe, im Mitarbeiterstamm und/oder in der Werbekonzeption.1475 Es ist allerdings möglich, dass nach einem Inhaberwechsel unter Fortführung des Betriebs eine Erstbegehungsgefahr für einen Wettbewerbsverstoß, wie er unter der Verantwortung des früheren Rechtsinhabers begangen worden ist, durch besondere Umstände, die zu der früher begangenen Zuwiderhandlung hinzutreten, neu begründet wird.1476 Der Formwechsel einer Gesellschaft nach §§ 190 ff. UmwG hat als solcher hingegen keine Auswirkungen auf das Fortbestehen einer in ihrer Person begründeten Wiederholungsgefahr, da er die Identität der Gesellschaft gem. § 202 Abs. 1 Nr. 1 UmwG unberührt lässt.1477 Dasselbe gilt bei einer Verschmelzung durch Aufnahme nach § 2 Nr. 1, §§ 4 ff. UmwG für das Fortbestehen einer in der Person des übernehmenden Rechtsträgers begründeten Wiederholungsgefahr. Dieser Rechtsträger besteht im Gegensatz zum übertragenden Rechtsträger, der nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 UmwG mit der Eintragung der Verschmelzung in das Register des Sitzes des übernehmenden Rechtsträgers kraft Gesetzes erlischt, identisch fort (vgl. § 20 Abs. 1 UmwG).1478 Beim vertraglichen Unterlassungsanspruch ist ein Übergang auf den Rechtsnachfolger 204 ebenfalls nicht möglich, jedenfalls dann nicht, wenn man die Begehungsgefahr als Entstehungsvoraussetzung des Unterlassungsanspruchs ansieht (Rn. 98).1479 Davon zu trennen ist die Frage des Schicksals des Forderungsrechts insbesondere aufgrund einer Schuldübernahme oder einer Universalsukzession.1480 Ein gegen den Veräußerer eines Unternehmens bestehender Beseitigungsanspruch erlischt nur dann, wenn dem Veräußerer die Beseitigung infolge der Veräußerung unmöglich wird.1481 Entsprechendes gilt im Falle eines aus einem Unternehmen ausscheidenden Mitarbeiters.1482 Der Erwerber eines Unternehmens haftet originär auf Beseitigung, wenn er den Störungszustand aufrechterhält, obwohl er zur Beseitigung in der Lage wäre.1483

1472 BGH 6.12.2012 – III ZR 173/12 – NJW 2013, 593 Tz. 15. 1473 BGH 16.3.2006 – I ZR 92/03 – GRUR 2006, 879 Tz. 18 – Flüssiggastank; BGH 27.11.2014 – I ZR 124/11 – GRUR 2015, 672 Tz. 63 – Videospiel-Konsolen II. BGH 3.4.2008 – I ZR 49/05 – GRUR 2008, 1002 Tz. 39 – Schuhpark. BGH 26.4.2007 – I ZR 34/05 – GRUR 2007, 995 Tz. 14 – Schuldnachfolge. BGH 26.4.2007 – I ZR 34/05 – GRUR 2007, 995 Tz. 15 – Schuldnachfolge; Köhler WRP 2000, 921, 922 f. BGH 12.2.2015 – I ZR 213/13 – GRUR 2015, 813 Tz. 17 – Fahrdienst zur Augenklinik; K. Schmidt FS Köhler (2014) S. 631, 640; vgl. auch Büscher FS Harte-Bavendamm (2020) S. 471. 1478 BGH 12.2.2015 – I ZR 213/13 – GRUR 2015, 813 Tz. 17 – Fahrdienst zur Augenklinik. 1479 Vgl. aber BGH 25.4.1996 – I ZR 58/94 – GRUR 1996, 995, 996 – Übergang des Vertragsstrafeversprechens. 1480 Dazu vgl. Harte/Henning/Brünning § 12 Rn. 178 ff. 1481 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.31. 1482 BGH 3.5.1974 – I ZR 52/73 – GRUR 1974, 666, 669 – Reparaturversicherung. 1483 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.31.

1474 1475 1476 1477

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D. Gläubiger der Abwehransprüche (Absatz 3)

§8

D. Gläubiger der Abwehransprüche (Absatz 3) I. Allgemeines 1. Aktivlegitimation als Problem der Rechtsdurchsetzung Im Rahmen der Rechtsdurchsetzung (materielles Recht im weiteren Sinne) entscheidet sich 205 nicht nur, mit welchen Rechtsbehelfen (Unterlassung, Beseitigung, Gewinnherausgabe etc.), wann (Begehungsgefahr; Fälligkeit) und wie lange (zur Verjährung § 11) das materielle Recht im engeren Sinne verwirklicht wird, sondern auch, wer zur Rechtsdurchsetzung berufen ist.1484 Auch wenn im Begriff des subjektiven Rechts nach traditionellem Verständnis sowohl die Rechtszuweisung als auch die Rechtsdurchsetzung zusammengedacht werden1485 – ein subjektives Recht ist eine dem einzelnen Rechtssubjekt (1) zustehende und (2) durchsetzbare Rechtsposition1486 –, lassen sich analytisch nicht nur Rechtszuweisung und Rechtsdurchsetzung auseinanderhalten, sondern eben auch die Frage, wer den zur Rechtsdurchsetzung gewährten Anspruch (Rechtsdurchsetzungsrecht) innehat. Während das Privatrecht wertungsmäßig aus guten Gründen die Zuständigkeit für die Rechtsdurchsetzung regelmäßig dem Betroffenen dergestalt zuweist, dass allein er aus welchen Gründen auch immer entscheiden kann, ob er von seiner Rechtsdurchsetzungsmacht Gebrauch macht oder nicht, ist es rechtsdogmatisch kein Widerspruch, Rechtspositionen (im Lauterkeitsrecht wohl eher: rechtlich geschützte Interessen)1487 durch Dritte verwirklichen zu lassen. Ist die Rechtsposition im Interesse einer bestimmten Person zugewiesen (z. B. das Sacheigentum oder ein Immaterialgüterrecht), ist es konsequent, diese Wertung bei der Rechtsdurchsetzung fortzuführen. Besteht aber die geschützte Rechtsposition oder das rechtlich geschützte Interesse auch im Interesse Dritter oder der Allgemeinheit, spricht dies dafür, auch diese Wertung bei der Rechtsdurchsetzung abzubilden.1488 In diesem Sinn wäre es zu eng, mit der Durchsetzung des im Interesse der Verbraucher, Mitbewerber, sonstigen Marktteilnehmer und der Allgemeinheit bestehenden Lauterkeitsrechts ausschließlich einen unmittelbar Betroffenen zu betrauen.1489 Im Gegenteil: Eine Erweiterung der Aktivlegitimierten ist nur folgerichtig. Ist aber wie bei den mitbewerberschützenden Vorschriften ausschließlich ein Individualinteresse geschützt, muss die Rechtsverwirklichung dem betroffenen Mitbewerber überlassen bleiben. Dies ist in einschränkender Lesart des § 8 Abs. 3 allgemein anerkannt (Rn. 208). Insgesamt kommt es also für die Zuständigkeit der Rechtsdurchsetzung nicht darauf an, ob man im Lauterkeitsrecht subjektive Rechte verneint1490 oder im Lichte von § 1 namentlich Rechte von Verbrauchern anerkennen will.1491 Maßgeblich ist die Begründung, warum die Befugnis zur Rechtsdurchsetzung dem einen oder anderen zustehen soll (z. B. um Durchsetzungsdefizite aufzulösen) oder eben nicht (z. B. aus Gründen der Eigenverantwortung; Vermeidung von „overenforcement“ etc.).

1484 1485 1486 1487 1488 1489 1490

F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 165 und S. 481. Vgl. F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 178 ff. Auer AcP 208 (2008), 584, 588. Dazu vgl. F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 200 ff. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 85. Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 243. Emmerich/Lange Unlauterer Wettbewerb (2019) § 3 Rn. 5; Beater Unlauterer Wettbewerb (2011) § 1 Rn. 13; Peukert Güterzuordnung als Rechtsprinzip (2008) S. 868 f.; Ohly/Sosnitza, Einf. D Rn. 78; vgl. Stadler FS Schilken (2015) S. 481, 488 f. 1491 Vgl. F. Hofmann Unterlassungsanspruch S. 206 ff. 141

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§8

Beseitigung und Unterlassung

2. Regelungsgegenstand und Anwendungsbereich 206 a) Übersicht. Gemäß § 8 Abs. 3 stehen Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche bestimmten Mitbewerbern (Nr. 1), qualifizierten Wirtschaftsverbänden (Nr. 2), qualifizierten Verbraucherverbänden (Nr. 3) und Organisationen wie den Industrie- und Handelskammern oder Gewerkschaften (Nr. 4) zu, nicht aber einzelnen betroffenen Verbrauchern (dazu Rn. 212) und sonstigen Marktteilnehmern.1492 Trotz der Erweiterung der Aktivlegitimation begründet § 8 Abs. 3 keine Popularklage.1493 Allen Anspruchsberechtigten stehen jeweils materiell-rechtliche Ansprüche aus eigenem Recht zu.1494

207 b) Erfasste Ansprüche. Nach der Systematik des § 8 stehen den in § 8 Abs. 3 aufgeführten Personen Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche (einschließlich Vernichtungs-, Löschungs- und Widerrufsansprüchen) zu.1495 Die Ausweitung der Aktivlegitimation gilt nicht für Schadensersatzansprüche (vgl. § 9).1496 § 10 Abs. 1 verweist für den Anspruch auf Gewinnabschöpfung mit Blick auf die Aktivlegitimation auf § 8 Abs. 3 Nr. 2 bis 4. Soweit es um zu den Abwehransprüchen akzessorische Ansprüche geht, gilt auch hierfür § 8 Abs. 3. Auskunftsansprüche zur Durchsetzung von Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüchen1497 können daher ebenso wie der Aufwendungsersatzanspruch aus § 12 Abs. 1 S. 2 auch Verbänden zustehen.1498 Namentlich bei für die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen gegründeten Verbänden kann mit Blick auf Aufwendungsersatzansprüche freilich fraglich sein, ob die Aufwendungen für einen Rechtsanwalt erforderlich waren.1499 Für bürgerlichrechtliche Ansprüche, allen voran §§ 823 ff. BGB, gilt § 8 Abs. 3 auch nicht analog.1500 Die Regelungen zu den zivilrechtlichen Rechtsfolgen sind ausweislich der Gesetzesbegründung sowohl hinsichtlich der Klagebefugnis als auch hinsichtlich der Anspruchsgrundlagen abschließend.1501 Mitunter wird freilich explizit auf § 8 Abs. 3 verwiesen (vgl. §§ 55 Abs. 2 Nr. 3, 128 Abs. 1 S. 1, 135 Abs. 1 S. 1 MarkenG).

208 c) Sachliche Grenzen der kollektiven Rechtsdurchsetzung. Obwohl der Gesetzeswortlaut für die Aktivlegitimation nicht nach unterschiedlichen Arten von Wettbewerbsverstößen unterscheidet, sind Einschränkungen bei der kollektiven Rechtsdurchsetzung allgemein aner-

1492 Vgl. Göckler WRP 2016, 434 ff. 1493 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 87; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 230; Köhler GRUR 2003, 265, 267. 1494 BGH 24.4.1964 – Ib ZR 73/63 – GRUR 1964, 567, 568 – Lavamat; Teplitzky/Büch Kap. 13 Rn. 14; vgl. Henckel AcP 174 (1974), 97, 138; a. A. E. Schmidt NJW 1989, 1192, 1193 f. (Verbandsklagebefugnis als Übertragung einer allgemeinen Verkehrsschutzaufgabe); Hadding JZ 1970, 305, 308 ff., 310 ff. (rein prozessrechtlich begründete Klagebefugnis); mit Blick auf § 1 UKlaG MünchKomm ZPO/Micklitz/Rott (2017) § 1 UKlaG Rn. 3 und § 3 Rn. 5 (privatrechtliche Kontrollkompetenz im öffentlichen Interesse). 1495 BGH 14.12.2017 – I ZR 184/15 – GRUR 2018, 423 Tz. 46 – Klauselersetzung; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 234. 1496 BGH 22.12.1961 – I ZR 110/60 – GRUR 1962, 315, 319 – Deutsche Miederwoche; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 235. 1497 BGH 18.2.1972 – I ZR 82/70 – GRUR 1972, 558, 560 – Teerspritzmaschinen. 1498 BGH 6.4.2017 – I ZR 33/16 – GRUR 2017, 926 Tz. 8 f. – Anwaltsabmahnung II; MünchKommUWG/Ottofülling § 8 Rn. 327. 1499 BGH 6.4.2017 – I ZR 33/16 – GRUR 2017, 926 Tz. 14, 22 und Tz. 23 – Anwaltsabmahnung II; vgl. BGH 14.12.2017 – I ZR 184/15 – GRUR 2018, 423 Tz. 60 – Klauselersetzung. 1500 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 87; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.16; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 234. 1501 BTDrucks. 15/1487 S. 22; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.4. Hofmann

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D. Gläubiger der Abwehransprüche (Absatz 3)

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kannt.1502 Soweit über die von einem Wettbewerbsverstoß beeinträchtigten Individualinteressen eines einzelnen Mitbewerbers hinaus keine rechtlich geschützten Verbraucher- oder Allgemeininteressen tangiert werden, wird die Aktivlegitimation auf den betroffenen Mitbewerber teleologisch reduziert.1503 In derartigen Konstellationen soll allein der Verletzte entscheiden, ob er gegen den Lauterkeitsverstoß vorgeht.1504 Folgende Fälle sogenannter „mitbewerberbezogener Verstöße“1505 mit eingeschränkter Aktivlegitimation sind anerkannt: (1) Allen voran beim ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz (§ 4 Nr. 3 und ggf. § 3 Abs. 1) ist die Dispositionsfreiheit des Verletzten geschützt.1506 Beim wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz geht es primär nicht um den Schutz von Allgemeininteressen, sondern regelmäßig um die Wahrung der Individualinteressen desjenigen, dessen Leistung wettbewerbswidrig nachgeahmt wird.1507 Aktivlegitimiert ist damit regelmäßig der Hersteller der nachgeahmten Ware („Originalprodukt“),1508 ausnahmsweise auch ein Händler.1509 Hersteller ist derjenige, der das Erzeugnis in eigener Verantwortung herstellt oder die Dienstleistung erbringt oder von einem Dritten herstellen oder erbringen lässt und über das Inverkehrbringen des Erzeugnisses oder des Erbringens der Dienstleistung entscheidet.1510 Das gilt auch bei vermeidbaren Herkunftstäuschungen nach § 4 Nr. 3 lit. a. Rechte von Verbrauchern werden nicht verkürzt, da insbesondere § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 („betriebliche Herkunft“), § 5 Abs. 2 und Nr. 13 der „schwarzen Liste“ parallel anwendbar sind; die UGP-RL (RL 2005/29/EG) steht der hier vertretenen Auslegung damit nicht entgegen.1511 (2) Auch im Rahmen des § 4 Nr. 4 muss es den einzelnen Mitbewerbern, die von einer möglichen Behinderung allein betroffen werden, überlassen bleiben, ob sie die Behinderung hinnehmen wollen oder nicht.1512 (3) Gleiches gilt mit Blick auf § 4 Nr. 1 (Herabsetzung) und Nr. 2 („Anschwärzung“).1513 Während Verbraucherschutz wiederum über §§ 5, 5a sichergestellt ist,1514 soll der über § 4 Nr. 1 und Nr. 2 individuell Geschützte selbst abwägen, ob durch die Verfolgung die Rechtsverletzung nicht sogar verstärkt wird.1515 Damit sind bei sämtlichen Tatbeständen des § 4 Vereinigungen (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 bis 4) von der Rechtsdurchsetzung ausgeschlossen.1516 Soweit es um den Schutz des guten Rufs geht (Herabsetzung, Rufausbeutung, Rufschädigung), soll dies unter Verweis auf den primären Schutzzweck (Mitbewerberschutz) auch bei 1502 BGH 3.5.2007 – I ZR 19/05 – GRUR 2007, 978 Tz. 26 – Rechtsberatung durch Haftpflichtversicherer; Ohly/ Sosnitza § 8 Rn. 88; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 248 f. und Rn. 279 ff.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.5 ff. 1503 Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 248 f.; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 88. 1504 Vgl. BGH 2.10.2008 – I ZR 48/06 – GRUR 2009, 416 Tz. 22 – Küchentiefstpreis-Garantie. 1505 Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 249 und Rn. 279. 1506 BGH 2.10.2008 – I ZR 48/06 – GRUR 2009, 416 Tz. 23 – Küchentiefstpreis-Garantie; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/ 84; a. A. Münker FS Ullmann (2006) S. 781. 1507 Vgl. BGH 2.12.2015 – I ZR 176/14 – GRUR 2016, 730 Tz. 21 – Herrnhuter Stern; BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – GRUR 1994, 630, 634 – Cartier-Armreif. 1508 BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Rn. 37 – Segmentstruktur; BGH 2.12.2015 – I ZR 176/14 – GRUR 2016, 730 Tz. 21 – Herrnhuter Stern. 1509 BGH 24.2.2005 – I ZR 101/02 – GRUR 2005, 519, 520 – Vitamin-Zell-Komplex. 1510 BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Rn. 37 – Segmentstruktur. 1511 BGH 28.5.2009 – I ZR 124/06 – GRUR 2010, 80 Tz. 17 – LIKEaBIKE; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/84; nunmehr auch Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 283. 1512 BGH 23.6.2016 – I ZR 137/15 – GRUR 2017, 92 Tz. 31 – Fremdcoupon-Einlösung; BGH 28.10.2010 – I ZR 174/ 08 – GRUR 2011, 543 Tz. 8 – Änderung der Voreinstellung III; BGH 2.10.2008 – I ZR 48/06 – GRUR 2009, 416 Tz. 22 – Küchentiefstpreis-Garantie; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.6, sehen im Falle des Überklebens von Werbeplakaten auch das Informationsinteresse von Verbrauchern beeinträchtigt; ausweislich der amtlichen Überschrift dient § 4 aber dem Mitbewerberschutz. 1513 Ohly/Sosnitza § 4.1 Rn. 1/12 und § 4.2 Rn. 2/18; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 281; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.6. 1514 Ohly/Sosnitza § 4.2 Rn. 2/18. 1515 Ohly/Sosnitza § 4.1 Rn. 1/21. 1516 Büscher GRUR 2017, 105, 119. 143

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der vergleichenden Werbung gelten (§ 6 Abs. 2 Nr. 4 und Nr. 5).1517 Der BGH hat aber mit Blick auf § 6 Abs. 2 Nr. 4 (sowie Imitationsbehauptungen nach § 6 Abs. 2 Nr. 6)1518 unter Verweis auf das Unionsrecht entschieden, dass zur effektiven Durchsetzung alle in § 8 Abs. 3 genannten Anspruchsteller unzulässige Werbevergleiche ahnden können.1519 Nach dem EuGH dienten schließlich die Kriterien für eine zulässige vergleichende Werbung der Förderung des Wettbewerbs zwischen den Anbietern von Waren und Dienstleistungen dem Interesse der Verbraucher, indem den Mitbewerbern erlaubt wird, die Vorteile der verschiedenen vergleichbaren Erzeugnisse objektiv herauszustellen und zugleich Praktiken verboten werden, die den Wettbewerb verzerren, die Mitbewerber schädigen und die Entscheidung der Verbraucher negativ beeinflussen können.1520 (4) Beim Rechtsbruchtatbestand kommt es darauf an, ob die einschlägige Marktverhaltensregelung allein den betroffenen Mitbewerber schützen soll.1521 (5) Die alleinige Anspruchsberechtigung des Geheimnisinhabers ergibt sich nunmehr bereits aus der Systematik des GeschGehG.1522 Eine Einschränkung der Verbandsklagebefugnis bei § 7 ist unionsrechtlich mangels insoweit abschließender Regelung nach vorherrschender Ansicht nicht veranlasst.1523

3. Entwicklung und Unionsrecht 209 Durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs wurde § 8 Abs. 3 neu gefasst (s. a. Rn. 1).1524 Die Anforderungen an die Aktivlegitimation wurden verschärft. Während die Vorgaben der UGP-RL (RL 2005/29/EG) sowie der Irreführungsrichtlinie (RL 2006/114/EG) vage gehalten sind (Rn. 2), ist die Regelung zur Aktivlegitimation nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 rein nationaler Natur.1525 Auch der Begriff des Mitbewerbers ist mit Blick auf § 8 Abs. 3 Nr. 1 nicht harmonisiert. Zu beachten ist in ihrem Anwendungsbereich die Richtlinie 2009/22/EG über Unterlassungsklagen.1526 Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten gilt die Verordnung (EG) Nr. 2006/2004.

4. Private enforcement und public enforcement 210 Der deutsche Gesetzgeber baut im Wesentlichen auf eine privatrechtliche Durchsetzung des Lauterkeitsrechts (Rn. 1).1527 Dies erfolgt durch die Gewährung privatrechtlicher Ansprüche (§ 194 BGB), insbesondere nach § 8.1528 Strafvorschriften (§ 16) und Ordnungswidrigkeitstatbestände (§ 20) bilden die Ausnahme, zumal der Geheimnisschutz mittlerweile originär zivilrecht-

1517 Ohly/Sosnitza § 6 Rn. 73; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 281 f.; a. A. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.6.

1518 Für Einschränkung der Aktivlegitimation: Ohly/Sosnitza § 6 Rn. 73; offengelassen noch von BGH 6.12.2007 – I ZR 169/04 – GRUR 2008, 628 Tz. 12 – Imitationswerbung; a. A. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.6. 1519 BGH 5.5.2011 – I ZR 157/09 – GRUR 2011, 1153 Tz. 51 – Creation Lamis. 1520 EuGH 18.6.2009 – C-487/07 – GRUR 2009, 756 Tz. 68 – L'Oréal/Bellure. 1521 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 88; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 280. 1522 Zu §§ 17 ff. a. F. Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 285. 1523 BGH 20.3.2013 – I ZR 209/11 – GRUR 2013, 1170 Tz. 10 ff.; Teplitzky/Büch Kap. 13 Rn. 17; Ohly/Sosnitza § 7 Rn. 8; a. A. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.5b; Köhler GRUR 2012, 1073, 1080 f.; ders. WRP 2013, 567; Zech WRP 2013, 1434, 1436. 1524 BTDrucks. 19/12084 und BTDrucks. 19/22238; zur Entwicklung auch Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 243 ff. 1525 BGH 16.4.2015 – I ZR 27/14 – GRUR 2015, 1140 Tz. 17 – Bohnengewächsextrakt. 1526 Zu Reformüberlegungen COM(2018) 184 final. 1527 BTDrucks. 15/1487 S. 22; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 85; Emmerich/Lange (2019) § 21 Rn. 5; Beater Unlauterer Wettbewerb (2011) § 32 Rn. 2587; Podszun/Busch/Henning-Bodewig GRUR 2018, 1004, 1006. 1528 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.1. Hofmann

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D. Gläubiger der Abwehransprüche (Absatz 3)

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lich geregelt wurde (vgl. §§ 1 ff. GeschGehG). Ein „Verwaltungslauterkeitsrecht“1529 besteht bisher – anders als in anderen europäischen Staaten – allenfalls in Ansätzen (vgl. das EGVerbraucherschutzdurchsetzungsgesetz, VSchDG). Die Idee behördlicher Rechtsdurchsetzung gewinnt derzeit aber Anhänger.1530 Hilfreich können vor allem behördliche Ermittlungsbefugnisse bei komplexen Geschäftsmodellen in der Digitalwirtschaft sein. In jedem Fall ist zu beachten, dass es nicht um eine möglichst weitgehende, sondern um eine angemessene („richtige“) Rechtsdurchsetzung geht (Rn. 4, 83).1531 Würden über das Lauterkeitsrecht geschützte Interessen rigoros („ohne Rücksicht auf Verluste“) durchgesetzt, wäre dies genauso schädlich, wie wenn UWG-Verstöße faktisch ungeahndet blieben. Dass Rechtsregeln nicht zu 100 Prozent durchgesetzt werden, ist häufig Teil des durch die Rechtsordnung vermittelten Interessenausgleichs. Dass eine Verschärfung der Durchsetzung mit einer Absenkung des Schutzniveaus der Unlauterkeitstatbestände einherzugehen hat, ist nicht nur rechtspolitisches Postulat,1532 sondern auch rechtstheoretisch überzeugend.1533 Die privatrechtliche Rechtsdurchsetzung hat verschiedene Vorteile:1534 (1) Die Durchset- 211 zung wird als besonders effizient angesehen,1535 da aktivlegitimierte Mitbewerber über das relevante Marktgeschehen häufig besser Bescheid wissen als Behörden.1536 Rechtsverstöße können damit auch schneller abgestellt werden.1537 (2) Hinzu kommt ein starkes Eigeninteresse an der Bekämpfung unlauterer Verhaltensweisen im jeweiligen Umfeld, das behördlicher Durchsetzung überlegen sein kann.1538 (3) Private Initiative vor staatlichem Zwang hat in einer freien Gesellschaft schließlich per se Überzeugungskraft. Allerdings wird auch auf Nachteile hingewiesen: (1) Weitergehende behördliche Ermittlungsbefugnisse zur Sachverhaltsaufklärung stehen Privaten nicht zur Verfügung.1539 (2) Denkbar ist weiter, dass Wettbewerbsverstöße kollusiv durch Mitbewerber (auf oligopolistischen Märkten) nicht geahndet werden,1540 zumindest aber Prozessrisiken gescheut oder Retourkutschen gefürchtet werden.1541 Angesichts der Vielzahl von Aktivlegitimierten, allen voran Verbraucherverbänden, scheint die Gefahr der abgesprochenen Nichtverfolgung allerdings gering.1542 Nicht von der Hand zu weisen sind hingegen (3) Missbrauchsmöglichkeiten und (4) die Gefahr des „overenforcement“.1543 Je mehr Personen oder Vereinigungen aktivlegitimiert sind, desto höher ist das Prozessrisiko, wohlgemerkt gerade auch dort, wo tatsächlich kein Wettbewerbsverstoß vorliegt.1544 Während Behörden über einen Ermessenspielraum bei der Rechtsdurchsetzung verfügen, wird der Unterlassungsanspruch nach

1529 Alexander WRP 2019, Heft 1, Editorial. 1530 Podszun/Busch/Henning-Bodewig GRUR 2018, 1004, 1008 ff.; Busch GRUR 2019, 788, 796. 1531 Vgl. F. Hofmann in: Fries/Paal (Hrsg.), Smart contracts (2019) S. 125, 132, 140; zum Urheberrecht ders. ZUM 2018, 641, 647 f.; ders. GRUR 2018, 21 ff.; ders. Unterlassungsanspruch S. 462 ff.; ders. WRP 2018, 1, 4 f.

1532 Vgl. BTDrucks. 15/1487 S. 22. 1533 Dazu F. Hofmann in: Fries/Paal (Hrsg.), Smart contracts (2019) S. 125, 130 ff., 140 (Recht als Produkt aus Rechtszuweisung und Rechtsdurchsetzung; wird eine der beiden Komponenten verändert, ändert sich das „Rechtsprodukt“; soll dieses gleichbleiben, müssen also Verschärfungen bei der Rechtsdurchsetzung einhergehen mit einer Verkürzung der Rechtszuweisung). 1534 Überblick beispielsweise bei Franck in: Hofmann/Kurz (Hrsg.), Law of Remedies, A European Perspective (2019) Chap. 6; Klöhn in: Schulze (Hrsg.), Compensation of Private Losses (2011) S. 179 ff. 1535 Jänich Lauterkeitsrecht (2019) § 15 Rn. 3; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 85. 1536 GK-UWG/Metzger (2013) § 4 Nr. 11 Rn. 25. 1537 Vgl. Köhler WRP 2018, 1269, 1274. 1538 Vgl. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 85. 1539 Podszun/Busch/Henning-Bodewig GRUR 2018, 1004, 1007; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.1. 1540 Podszun/Busch/Henning-Bodewig GRUR 2018, 1004, 1006; Jänich Lauterkeitsrecht (2019) § 15 Rn. 6; „Abneigung von Kaufleuten, Prozesse zu führen“, Münker FS Ullmann (2006) S. 781. 1541 MünchKommUWG/Ottofülling § 8 Rn. 351. 1542 Vgl. Harte/Henning/Goldmann Vorb. zu § 8 Rn. 2. 1543 GK-UWG/Metzger (2013) § 4 Nr. 11 Rn. 26 ff.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.1. 1544 Vgl. BTDrucks. 15/1487 S. 22. 145

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Beseitigung und Unterlassung

herrschender Meinung „automatisch“ gewährt (vgl. aber Rn. 83 f.). Auch werden Ansprüche mitunter ausschließlich unter dem Aspekt der Kostenerstattung geltend gemacht (vgl. § 8 Abs. 4).

5. Aktivlegitimation von Verbrauchern 212 a) Kollektivrechtsschutz. Verbandsklagebefugnisse werden dort für erforderlich gehalten, wo die Rechtsdurchsetzung durch direkt Betroffene an Grenzen stößt. Das ist allen voran bei durch Verbraucherrechtsverletzungen verursachte Streuschäden der Fall.1545 Überschaubare Schäden1546 für den individuell beeinträchtigten Verbraucher lassen für ihn die Risiken der Rechtsdurchsetzung im Verhältnis zu seinem Interesse unverhältnismäßig erscheinen. Passivität von Verbrauchern ist rational („rationale Apathie“).1547 Für die Verletzer können sich demgegenüber Lauterkeitsverstöße im Aggregat auszahlen („Unrechtsgewinne“).1548 Die Bündelung von Interessen durch klagebefugte Verbände verspricht Abhilfe, für den Unterlassungsanspruch freilich nur für die Zukunft.1549 Hinzu kommt, dass sich Verbände auf strukturelle Wettbewerbsverstöße konzentrieren können.

213 b) Individualklagerecht. Daneben stellt sich die Frage, ob nicht auch der individuell betroffene Verbraucher gegen einen Lauterkeitsrechtsverstoß vorgehen kann.1550 Nach der Systematik des UWG ist dies nicht der Fall.1551 Der Verbraucher kann weder verlangen, dass die unzulässige geschäftliche Handlung allgemein, noch allein ihm gegenüber unterlassen wird.1552 Eine mittelbare Durchsetzung des Lauterkeitsrechts durch einzelne Verbraucher über § 823 Abs. 2 BGB wird mit Verweis auf die abschließende Regelung des § 8 Abs. 3 überwiegend abgelehnt.1553 In der Sache wird darauf verwiesen, dass die Rechtsdurchsetzung ausufern könnte, wären zusätzlich Verbraucher aktivlegitimiert. Ein Anwachsen an Klagen wegen (vermeintlicher) Wettbewerbsverstöße würde zu nicht hinnehmbaren Belastungen der Wirtschaft führen.1554 Die Gegenansicht verneint 1545 Vgl. Meller-Hannich NJW-Beil. 2018, 29, 30; dies. Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag (2018) A 24 ff.; Wagner Gutachten A zum 66. Deutschen Juristentag (2006) A 101 f., 106, 107.

1546 Zu möglichen Schäden insbesondere in Form von Aufwendungs-, Differenz-, Vertragsschäden Augenhofer in: Krejci/Keßler/Augenhofer (Hrsg.), Lauterkeitsrecht im Umbruch (2005) S. 103, 106 f.; vgl. bereits v. Falckenstein Schäden der Verbraucher durch unlauteren Wettbewerb (1979). 1547 Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) S. 40; Podszun/Busch/Henning-Bodewig GRUR 2018, 1004, 1006; vgl. Wagner Gutachten A zum 66. Deutschen Juristentag (2006) A 106. 1548 Vgl. Meller-Hannich NJW-Beil. 2018, 29, 30; Stadler FS Schilken (2015) S. 481, 485. 1549 Wagner Gutachten A zum 66. Deutschen Juristentag (2006) A 110; auf die mitunter schwache Präventionswirkung verweisen Podszun/Busch/Henning-Bodewig GRUR 2018, 1004, 1007; Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag (2018) A 55 f.; Verbesserungen für Verbraucher könnte auch der Beseitigungsanspruch bewirken, vgl. Stadler FS Schilken (2015) S. 481, 485, 486 ff. 1550 Gegen Individualansprüche beispielsweise Dreher/Kulka Wettbewerbs- und Kartellrecht (2018) § 4 Rn. 504; Alexander WRP 2019 Heft 1, Editorial; diese fordernd etwa Keßler WRP 2005, 264, 272 f.; Sack GRUR 2004, 625, 629 f.; ders. GRUR 2011, 953, 963; Schutzrechtslücken sieht Fezer WRP 2003, 127, 128 ff. 1551 BTDrucks. 15/1487 S. 22; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 230; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 250; MünchKommUWG/Ottofülling § 8 Rn. 319; BGH 10.7.2018 – VI ZR 225/17 – GRUR 2018, 1178 Tz. 12 – Kundenzufriedenheitsbefragung. 1552 Zu dieser Unterscheidung Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.4; s. a. Scherer GRUR 2019, 361. 1553 BTDrucks. 15/1487 S. 22; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.4; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 233; Ohly/ Sosnitza Einf. D Rn. 62; Beater Unlauterer Wettbewerb (2011) § 32 Rn. 2671; Schmidt JZ 2007, 78, 83 f.; Scherer GRUR 2019, 361, 361 f., 362 f.; zum alten UWG BGH 14.5.1974 – VI ZR 48/73 – GRUR 1975, 150 – Prüfzeichen; a. A. Augenhofer in: Krejci/Keßler/Augenhofer (Hrsg.), Lauterkeitsrecht im Umbruch (2005) S. 103, 1120 f.; Emmerich/Lange Unlauterer Wettbewerb (2019) § 21 Rn. 7; M. Lehmann FS Schricker (2005) S. 77, 79 ff.; Säcker WRP 2004, 1199, 1219 f.; Sack FS Ullmann (2006) S. 825. 1554 BTDrucks. 15/1487 S. 22; vgl. Köhler GRUR 2003, 265, 267. Hofmann

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das Vorliegen einer abschließenden Regelung mangels Niederschlag im Wortlaut und verweist auf § 1 sowie das Rechtsschutzbedürfnis der Verbraucher.1555 Dass Verbraucher durch das UWG explizit geschützt sind, fordert allerdings nicht zwingend, dass zugleich ein eigener Rechtsbehelf zugunsten der Verbraucher besteht.1556 Unberührt bleiben zum einen etwaige vertragliche Ansprüche, Ansprüche aus § 311 Abs. 2 BGB oder Ansprüche wegen der Verletzung eines der in § 823 Abs. 1 BGB geschützten absoluten Rechte. Die Interessen von Verbrauchern sind zum anderen unabhängig dieser im Einzelfall gegebenen Ansprüche aber auch über das Lauterkeitsrecht hinreichend geschützt (vgl. zudem § 1 ff. UKlaG). Das System kollektiver Rechtsdurchsetzung im Verbund mit der Aktivlegitimation von Mitbewerbern sorgt ohnehin eher für zu viel als zu wenig Rechtsdurchsetzung. Dessen ungeachtet verlangt nunmehr das europäische Recht Verbraucherrechtsbehelfe („New Deal for Consumers“).1557 Art. 11a Abs. 1 UGP-RL neue Fassung lautet: „Verbraucher, die durch unlautere Geschäftspraktiken geschädigt wurden, haben Zugang zu angemessenen und wirksamen Rechtsbehelfen, einschließlich Ersatz des dem Verbraucher entstandenen Schadens sowie gegebenenfalls Preisminderung oder Beendigung des Vertrags. Die Mitgliedstaaten können die Voraussetzungen für die Anwendung und die Folgen der Rechtsbehelfe festlegen. Die Mitgliedstaaten können gegebenenfalls die Schwere und Art der unlauteren Geschäftspraktik, den dem Verbraucher entstandenen Schaden sowie weitere relevante Umstände berücksichtigen.“ Damit wird fraglich, ob der Schutzgesetzcharakter der verbraucherschützenden UWG-Bestimmungen weiterhin verneint werden kann. Dass Rechtsschutz aus anderen Rechtsgründen (z. B. § 1004 BGB) begehrt werden kann,1558 dürfte als Argument für die Beibehaltung der alten Ansicht nicht ausreichen. Während Verbraucherrechtsbehelfe strukturell wenig bringen dürften – Individualklagen dürften wegen des Prozessrisikos weithin gescheut werden – bietet eine erneute Verbreiterung der Aktivlegitimation aber Missbrauchspotential. Gerade wenn Verbraucher selbst klagen können, ist zu bedenken, dass hier häufig gar nicht die Bekämpfung struktureller Wettbewerbsverstöße im Vordergrund steht: Es droht, dass auch einmalige, lediglich leicht fahrlässig begangene, auf Zuruf sofort abgestellte Bagatellverstöße unverhältnismäßig stark sanktioniert werden. In jedem Fall müsste daher der „Automatismus“ des Unterlassungsanspruchs, jedenfalls aber der Kostenerstattungsanspruch weiter eingeschränkt werden (Rn. 49 und Rn. 83 ff.). Die Nachteile einer weiter ausufernden Rechtsdurchsetzung überwiegen, zumal vor dem Hintergrund, dass nicht jede Klage begründet ist, der Aufwand der Rechtsverteidigung gleichwohl besteht.1559

6. Dogmatik der Kollektivrechtsdurchsetzung a) Anspruchsberechtigung und Klagebefugnis. Ausweislich des Wortlautes stehen den in 214 § 8 Abs. 3 genannten Verbänden und Mitbewerbern eigene materiell-rechtliche Ansprüche zu. Die Regelung zur Anspruchsberechtigung (= Aktivlegitimation) von Verbänden (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 und Nr. 3) regelt nach überwiegender Meinung aber nicht nur die sachlich-rechtliche Anspruchsberechtigung (Aktivlegitimation), sondern auch die prozessuale Klagebefugnis (Prozessführungsbefugnis).1560 Den entsprechenden Bestimmungen wird eine Doppelnatur beschei-

1555 Sack GRUR 2011, 953, 959 f., 963; M. Lehmann FS Schricker (2005) S. 77, 79 ff.; Säcker WRP 2004, 1199, 1219 f. 1556 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.4. 1557 Art. 3 Nr. 5 RL (EU) 2019/2161; vgl. http://europa.eu/rapid/press-release_IP-18-3041_en.htm; COM(2018) 185 final; COM(2018) 183 final.

1558 Scherer GRUR 2019, 361. 1559 Vgl. BTDrucks. 15/1487 S. 22. 1560 BGH 28.5.2020 – I ZR 186/17 – GRUR 2020, 896 Rn. 32 – App-Zentrum; BGH 9.5.2019 – I ZR 205/17 – GRUR 2019, 850 Tz. 10 – Prozessfinanzierer II; BGH 27.4.2017 – I ZR 55/16 – GRUR 2017, 1265 Tz. 10 – Preisportal; BGH 7.5.2015 – I ZR 158/14 – GRUR 2015, 1240 Tz. 13 – Der Zauber des Nordens; BGH 22.9.2011 – I ZR 229/10 – GRUR 2012, 147

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nigt.1561 Während sich die Prozessführungsbefugnis normalerweise bereits aus der behaupteten Inhaberschaft des eingeklagten Anspruchs ergibt, soll die Prozessführungsbefugnis von Verbänden einer gesonderten Prüfung im Rahmen der Zulässigkeit bedürfen. Praktisch wirkt sich dies dadurch aus, dass das Fehlen der Klagebefugnis grundsätzlich1562 zu einer Abweisung der Klage als unzulässig führt.1563 Bei der Prozessführungsbefugnis handelt es sich um eine das Verfahren betreffende Voraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens, also auch in der Revisionsinstanz, von Amts wegen zu beachten ist.1564 Das Revisionsgericht muss in Abweichung von § 559 Abs. 1 ZPO selbständig feststellen, ob die Voraussetzungen für die Klagebefugnis erfüllt sind; an die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ist es nicht gebunden.1565 Dabei ist grundsätzlich zu verlangen, dass die Tatsachen, aus denen sich die Klagebefugnis ergibt, spätestens im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz vorgelegen haben.1566 Das Vorliegen der Klagebefugnis kann im Wege des Freibeweises nachgewiesen werden.1567 Für die Annahme, dass § 8 Abs. 3 ausschließlich die Anspruchsberechtigung regelt, spricht der Gesetzeswortlaut.1568 Auch wird befürchtet, dass die allgemeinen Regeln (§ 51 ZPO) durch ein Sonderprozessrecht ohne Grund untergraben werden. Die Prozessführungsbefugnis muss eigentlich nur dann gesondert festgestellt werden, wenn ein fremdes Recht im eigenen Namen geltend gemacht wird.1569 Ein Grund für die vorherrschende Sichtweise im Lauterkeitsrecht wird aber gerade darin gesehen, dass die anspruchsberechtigten Verbände ausweislich von § 1 auch im Allgemeininteresse handeln. Hierin wird zumindest eine Nähe zu einer Prozessstandschaft gesehen.1570 Auch um eine bessere Kontrolle von Missbrauchsmöglichkeiten zu gewährleisten (Prüfung der Klagebefugnis von Amts wegen bis in die Revisionsinstanz;1571 Erleichterung durch Freibeweis), wird der h. M. Vorzug gegeben.1572 Es besteht ein Bedürfnis, die Voraussetzungen der § 8 Abs. 3 Nr. 2 und

415 Tz. 10 – Überregionale Klagebefugnis; BGH 23.2.2006 – I ZR 164/03 – GRUR 2006, 517 Tz. 15 – Blutdruckmessungen; BGH 17.8.2011 – I ZR 148/10 – GRUR 2012, 411 Tz. 12 – Glücksspielverband; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 86 und Rn. 91; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.9; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 245. 1561 BGH 26.9.1996 – I ZR 265/95 – GRUR 1997, 382, 383 – Altunterwerfung I; BGH 22.2.2006 – VIII ZR 40/04 – GRUR 2007, 610 Tz. 14 – Sammelmitgliedschaft V; BGH 1.3.2007 – I ZR 51/04 – GRUR 2007, 809 Tz. 12 – Krankenhauswerbung; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 86; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.9; a. A. Greger NJW 2000, 2457, 2462 f.; Fritzsche S. 599 ff., 602; vgl. E. Schmidt NJW 2002, 25, 28. 1562 Aus prozessökonomischen Gründen kann auch eine Abweisung als unbegründet in Betracht kommen, wenn die Prozessführungsbefugnis zweifelhaft ist, BGH 22.5.2003 – I ZR 185/00 – GRUR 2003, 804 – Foto-Aktion. 1563 BGH 18.10.1995 – I ZR 126/93 – GRUR 1996, 217 – Anonymisierte Mitgliederliste; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.9 und Rn. 3.11. 1564 BGH 28.5.2020 – I ZR 186/17 – GRUR 2020, 896 Rn. 32 – App-Zentrum; BGH 9.5.2019 – I ZR 205/17 – GRUR 2019, 850 Tz. 10 – Prozessfinanzierer II; BGH 7.5.2015 – I ZR 158/14 – GRUR 2015, 1240 Tz. 13 – Der Zauber des Nordens; BGH 22.9.2011 – I ZR 229/10 – GRUR 2012, 415 Tz. 10 – Überregionale Klagebefugnis; BGH 18.10.1995 – I ZR 126/93 – GRUR 1996, 217 – Anonymisierte Mitgliederliste. 1565 BGH 27.4.2017 – I ZR 55/16 – GRUR 2017, 1265 Tz. 10 – Preisportal; BGH 7.5.2015 – I ZR 158/14 – GRUR 2015, 1240 Tz. 13 – Der Zauber des Nordens; BGH 22.9.2011 – I ZR 229/10 – GRUR 2012, 415 Tz. 10 – Überregionale Klagebefugnis; BGH 16.11.2006 – I ZR 218/03 – GRUR 2007, 610 Tz. 14 – Sammelmitgliedschaft V. 1566 BGH 7.5.2015 – I ZR 158/14 – GRUR 2015, 1240 Tz. 13 – Der Zauber des Nordens; BGH 16.11.2006 – I ZR 218/ 03 – GRUR 2007, 610 Tz. 14 – Sammelmitgliedschaft V. 1567 BGH 27.4.2017 – I ZR 55/16 – GRUR 2017, 1265 Tz. 10 – Preisportal; BGH 14.12.2000 – I ZR 181/99 – GRUR 2001, 846, 847 – Metro V. 1568 Greger NJW 2000, 2457, 2462 f. 1569 Vgl. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 86. 1570 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 86; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.10. 1571 Vgl. Greger NJW 2000, 2457, 2462. 1572 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 86; Teplitzky/Büch Kap. 13 Rn. 25a; MünchKommUWG/Ottofülling § 8 Rn. 323; vgl. aber Greger NJW 2000, 2457, 2463 („Der Beklagte, der sich von einem dubiosen Verband in Anspruch genommen sieht, wird schon entsprechende Rügen erheben.“). Hofmann

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Nr. 3 auch in der Revisionsinstanz zu überprüfen.1573 Für Mitbewerber soll sich die Prozessführungsbefugnis aus den allgemeinen Vorschriften ergeben (§ 51 ZPO).1574 Aktivlegitimation und Prozessführungsbefugnis fallen zusammen. Das Fehlen der Mitbewerbereigenschaft ist als fehlende Aktivlegitimation ein Problem der Begründetheit.1575

b) Maßgeblicher Zeitpunkt. Die Klagebefugnis von Verbänden muss als Sachurteilsvoraus- 215 setzung nicht nur im Zeitpunkt der beanstandeten Wettbewerbshandlung bestanden haben,1576 sondern auch im Revisionsverfahren noch fortbestehen.1577 Die Tatsachen, aus denen sich die Klagebefugnis ergibt, müssen spätestens im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz vorgelegen haben und im Revisionsverfahren fortbestehen.1578 Die Voraussetzungen für die Anspruchsberechtigung müssen sowohl bereits zum Zeitpunkt der Entstehung des Unterlassungsanspruchs vorliegen als auch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz.1579 Ein Mitbewerber kann einen Verletzungsunterlassungsanspruch daher nur mit Erfolg geltend machen, wenn er seine entsprechende unternehmerische Tätigkeit im Zeitpunkt der Verletzungshandlung bereits aufgenommen hatte und im Zeitpunkt der letzten Verhandlung noch nicht aufgegeben hat.1580 Der klagende Mitbewerber muss in seinen wettbewerbsrechtlichen Interessen verletzt sein. Das ist nur der Fall, wenn er im Zeitpunkt der Verletzungshandlung Mitbewerber ist.1581

c) Individuelle Beeinträchtigung. Da sich die wettbewerbsrechtlich geschützte Rechtspositi- 216 on (oder eben das wettbewerbsrechtlich geschützte Interesse) von der Frage der Rechtsdurchsetzung klar abgrenzen lässt (Rn. 3 und Rn. 205), kommt es auch nicht darauf an, ob klagende Verbände in eigenen Interessen betroffen sind. Auf eine nach § 3 Abs. 1 unzulässige Handlung kann gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 daher auch ein Beseitigungsanspruch gestützt werden. Dieser steht nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 auch einer klagenden Verbraucherzentrale als qualifizierter Einrichtung zu.1582 Es ist unerheblich, dass der Verband keinen eigenen Schaden geltend macht oder nicht selbst beeinträchtigt ist. Den qualifizierten Einrichtungen gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 3 stehen die in § 8 Abs. 1 geregelten Ansprüche kraft ausdrücklicher gesetzlicher Verweisung zu.1583 Davon unberührt bleibt das Tatbestandsmerkmal des § 8 Abs. 3 Nr. 2, wonach die Zuwiderhandlung die Interessen ihrer Mitglieder berühren muss.

1573 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.10; vgl. BGH 22.9.2011 – I ZR 229/10 – GRUR 2012, 415 Tz. 10 – Überregionale Klagebefugnis.

1574 BGH 28.11.2019 – I ZR 23/19 – GRUR 2020, 303 Tz. 14 – Pflichten des Batterieherstellers. 1575 BGH 28.11.2019 – I ZR 23/19 – GRUR 2020, 303 Tz. 14 – Pflichten des Batterieherstellers; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 8 Rn. 3.8a; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 255.

1576 Anders Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 259, wonach es genüge, dass alle Anspruchsvoraussetzungen im Zeitpunkt der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs gegeben sind.

1577 BGH 27.4.2017 – I ZR 55/16 – GRUR 2017, 1265 Tz. 10 – Preisportal; BGH 7.5.2015 – I ZR 158/14 – GRUR 2015, 1240 Tz. 13 – Der Zauber des Nordens; BGH 17.8.2011 – I ZR 148/10 – GRUR 2012, 411 Tz. 12 – Glücksspielverband; BGH 16.11.2006 – I ZR 218/03 – GRUR 2007, 610 Tz. 14 – Sammelmitgliedschaft V. 1578 BGH 27.4.2017 – I ZR 55/16 – GRUR 2017, 1265 Tz. 10 – Preisportal; BGH 16.11.2006 – I ZR 218/03 – GRUR 2007, 610 Tz. 14 – Sammelmitgliedschaft V. 1579 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.7. 1580 BGH 28.11.2019 – I ZR 23/19 – GRUR 2020, 303 Tz. 41 ff. – Pflichten des Batterieherstellers; BGH 10.3.2016 – I ZR 183/14 – GRUR 2016, 1187 Tz. 16 – Stirnlampen. 1581 BGH 10.3.2016 – I ZR 183/14 – GRUR 2016, 1187 Tz. 16 – Stirnlampen. 1582 BGH 14.12.2017 – I ZR 184/15 – GRUR 2018, 423 Tz. 42 – Klauselersetzung. 1583 BGH 14.12.2017 – I ZR 184/15 – GRUR 2018, 423 Tz. 51 – Klauselersetzung; kritisch Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.108. 149

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7. Rechtsgeschäftliche Erweiterungen der Aktivlegitimation 217 a) Abtretung von Abwehransprüchen. Die isolierte Abtretung von Abwehransprüchen ist grundsätzlich ausgeschlossen.1584 Der lauterkeitsrechtliche Unterlassungsanspruch ist zwar nicht untrennbar mit der zugrunde liegenden Rechtsposition verbunden (vgl. § 3 Abs. 1 S. 2 UKlaG).1585 Im Lauterkeitsrecht wird aber argumentiert, dass eine Abtretung deshalb nicht in Betracht komme, weil dies zu einer der gesetzlichen Regelung des § 8 Abs. 3 UWG zuwiderlaufenden Vermehrung der Verfolgungsberechtigten führen würde.1586 Dogmatisch wird auf § 399 Alt. 1 BGB verwiesen.1587 Möglich soll aber eine Abtretung im Falle einer Unternehmensnachfolge sein; hier tritt der Nachfolger schließlich in die Stellung des Mitbewerbers vollumfänglich ein.1588 Eine unwirksame Abtretung kann in eine gewillkürte Prozessstandschaft umgedeutet werden.1589 Bei vertraglichen Unterlassungsansprüchen muss nach hier vertretener Ansicht zwischen der Unterlassungsvereinbarung (Forderungsrecht) und dem in Folge der Begehungsgefahr entstehenden Unterlassungsanspruch unterschieden werden (Rn. 98). Das Forderungsrecht kann übertragen werden, soweit sich aus der Vereinbarung nicht ein anderes ergibt.1590

218 b) Gewillkürte Prozessstandschaft. Die Geltendmachung eines fremden Rechts im eigenen Namen (gewillkürte Prozessstandschaft) ist unter zwei Voraussetzungen möglich: Eine gewillkürte Prozessstandschaft setzt neben der (1) Ermächtigung durch den Anspruchsinhaber (§ 185 BGB) (2) ein schutzwürdiges eigenes Interesse des Klagenden voraus.1591 Wenn es um die Geltendmachung eines einem Mitbewerber zustehenden Anspruchs durch einen Dritten geht, kann ein derartiges Interesse, beispielsweise in Form wirtschaftlicher Interessen oder einer gesellschaftsrechtlichen Verbindung, vorliegen.1592 Namentlich ein Gesellschafter kann ein eigenes schutzwürdiges Interesse haben.1593 Die Rechtsverfolgung durch Verbände im Wege der Prozessstandschaft ist hingegen ausgeschlossen. Die bewusste Beschränkung der Klagebefugnis der Verbände in § 8 Abs. 3 würde unterlaufen, wenn ein schutzwürdiges eigenes Interesse der Verbände an der Verfolgung von Ansprüchen Betroffener jenseits der explizit bestehenden eigenen Ansprüche der Verbände anerkannt würde.1594 Auch für Verbände kann ein Dritter grundsätzlich nicht in Prozessstandschaft klagen. Ein eigenes schutzwürdiges Interesse des ermächtigten Dritten ist schwer vorstellbar.1595 Die Zulässigkeit der gewillkürten Prozessstandschaft beurteilt sich in einem Fall mit Auslandsberührung nach deutschem Prozessrecht als der lex fori.1596 Nach deutschem Recht richtet sich auch die Frage der Wirksamkeit der Prozessführungsermächtigung.1597 1584 BGH 3.5.2007 – I ZR 19/05 – GRUR 2007, 978 Tz. 33 – Rechtsberatung durch Haftpflichtversicherer. 1585 Gegen eine Analogie zu § 3 Abs. 1 S. 2 UKlaG MünchKommUWG/Ottofülling § 8 Rn. 333a. 1586 BGH 3.5.2007 – I ZR 19/05 – GRUR 2007, 978 Tz. 33 – Rechtsberatung durch Haftpflichtversicherer; MünchKommUWG/Ottofülling § 8 Rn. 333. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.18 und Rn. 3.21. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.20. Vgl. BGH 3.5.2007 – I ZR 19/05 – GRUR 2007, 978 Tz. 34 – Rechtsberatung durch Haftpflichtversicherer. Vgl. allgemein zur Abtretbarkeit des vertraglichen Unterlassungsanspruchs Dornis/Förster GRUR 2006, 195, 196 f. 1591 BGH 12.1.2017 – I ZR 253/14 – GRUR 2017, 397 Tz. 30 – World of Warcraft II; BGH 9.10.1997 – I ZR 122/95 – GRUR 1998, 417, 418 – Verbandsklage in Prozeßstandschaft; vgl. BGH 3.5.2007 – I ZR 19/05 – GRUR 2007, 978 Tz. 34 – Rechtsberatung durch Haftpflichtversicherer. 1592 BGH 12.1.2017 – I ZR 253/14 – GRUR 2017, 397 Tz. 31 – World of Warcraft II; BGH 6.4.2000 – I ZR 76/98 – GRUR 2000, 1089, 1092 f. – Mißbräuchliche Mehrfachverfolgung. 1593 MünchKommUWG/Ottofülling § 8 Rn. 329. 1594 BGH 9.10.1997 – I ZR 122/95 – GRUR 1998, 417, 418 – Verbandsklage in Prozeßstandschaft. 1595 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 92; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.23. 1596 BGH 28.10.2004 – I ZR 326/01 – GRUR 2005, 166, 171 – Puppenausstattungen. 1597 BGH 28.10.2004 – I ZR 326/01 – GRUR 2005, 166, 171 – Puppenausstattungen.

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8. Ansprüche mehrerer Um das Lauterkeitsrecht praktisch zur Geltung zu bringen, können im Falle eines Wettbewerbsver- 219 stoßes Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche mehreren Personen oder Vereinigungen zustehen. Allen voran die alleinige Verfolgung durch betroffene Mitbewerber wird als nicht ausreichend angesehen.1598 Das Lauterkeitsrecht nimmt zum lückenlosen Schutze der Verbraucher, Mitbewerber, sonstigen Marktteilnehmer und der Allgemeinheit (§ 1) hin, dass sich der Schuldner mehreren Gläubigern gegenübersehen kann.1599 Die Erhebung der Unterlassungsklage durch einen Berechtigten schließt es dabei grundsätzlich nicht aus, dass auch die anderen Gläubiger ihren Anspruch gerichtlich durchzusetzen versuchen.1600 Es kann eine Gläubigermehrheit (Gesamtgläubigerschaft, sinngemäß nach § 428 BGB) bestehen.1601 Die Ansprüche unterschiedlicher Gläubiger bestehen selbständig nebeneinander (Anspruchsmehrheit);1602 es bestehen mehrere Streitgegenstände.1603 Das Rechtsschutzbedürfnis des einen Gläubigers kann weder unter Verweis auf einen parallelen Anspruch eines anderen verneint werden,1604 noch ist eine weitere Klage wegen § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO oder eines rechtskräftigen Urteils zugunsten eines Dritten unzulässig.1605 Im Einzelfall kann freilich der Missbrauchstatbestand nach § 8 Abs. 4 greifen. Unterwirft sich der Unterlassungsschuldner strafbewehrt einem Anspruchsteller, so erlischt die Wiederholungsgefahr (genauer: der zusätzlich bestehende Unterlassungsanspruch des Dritten) auch gegenüber den übrigen Gläubigern (Rn. 50).1606 Voraussetzung ist allerdings, dass die strafbewehrte Unterwerfung ernsthaft ist.1607 Zur dogmatischen Begründung wird sinngemäß auch auf §§ 428, 429 Abs. 3 S. 1, 422 Abs. 1 S. 1 BGB verwiesen.1608 Die Verjährung eines Anspruchs lässt hingegen die Verjährung eines anderen unberührt (§§ 428, 429 Abs. 3, 425 BGB).1609

II. Mitbewerber (§ 8 Abs. 3 Nr. 1) 1. Allgemeines Nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 stehen die Abwehransprüche jedem Mitbewerber zu, der Waren oder 220 Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreibt oder nachfragt. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 ist Mitbewerber jeder Unternehmer, der mit einem oder mehreren Unternehmern als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis steht. Ein bloß abstraktes Wettbewerbsverhältnis reicht mangels schutzwürdigen Interesses an der Rechtsdurchsetzung und vor dem Hintergrund der Durchset1598 Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 243. 1599 BGH 6.4.2000 – I ZR 76/98 – GRUR 2000, 1089, 1090 f. – Mißbräuchliche Mehrfachverfolgung. 1600 BGH 6.4.2000 – I ZR 76/98 – GRUR 2000, 1089, 1090 – Mißbräuchliche Mehrfachverfolgung; BGH 16.12.1993 – I ZR 277/91 – GRUR 1994, 307, 308 – Mozzarella I.

1601 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 89; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.2 und Rn. 3.3. 1602 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.3; für einen Anspruch, der durch mehrere geltend gemacht werden kann Marotzke ZZP 98 (1985), 160, 188; vgl. BGH 6.4.2000 – I ZR 76/98 – GRUR 2000, 1089, 1090 – Mißbräuchliche Mehrfachverfolgung. 1603 BGH 5.1.1960 – I ZR 100/58 – GRUR 1960, 379, 380 – Zentrale; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 89; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 8 Rn. 3.3. 1604 BGH 16.12.1993 – I ZR 277/91 – GRUR 1994, 307, 308 – Mozzarella I; BGH 5.1.1960 – I ZR 100/58 – GRUR 1960, 379, 381 – Zentrale. 1605 BGH 5.1.1960 – I ZR 100/58 – GRUR 1960, 379, 380 – Zentrale. 1606 BGH 17.1.2002 – I ZR 241/99 – GRUR 2002, 357, 358 – Missbräuchliche Mehrfachabmahnung; BGH 2.12.1982 – I ZR 121/80 – GRUR 1983, 186, 187 – Wiederholte Unterwerfung I. 1607 Vgl. MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 41, 45, 59. 1608 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 89. 1609 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.3. 151

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Beseitigung und Unterlassung

zungsmöglichkeiten über § 8 Abs. 3 Nr. 2 – 4 nicht aus.1610 Auch kann die Aktivlegitimation fehlen, wenn durch die geschäftliche Handlung ausschließlich die Interessen eines bestimmten Mitbewerbers betroffen sind (Rn. 208).1611 Gleichgültig ist demgegenüber, dass der streitgegenständliche Tatbestand lediglich Interessen sonstiger Marktteilnehmer oder von Verbrauchern schützt.1612 § 8 Abs. 3 Nr. 1 hat damit eine Doppelfunktion: Neben einer Kollektivschutzfunktion besteht eine Individualschutzfunktion.1613 Teils wird dafür plädiert, den Mitbewerberbegriff funktional auszulegen. Während für § 8 Abs. 3 Nr. 1 ein weiter Mitbewerberbegriff zur Schließung von Rechtsschutzlücken gerechtfertigt sein kann, bedarf es namentlich bei § 6 einer engeren Auslegung.1614

2. Mitbewerberbegriff 221 Wer als Mitbewerber zählt, folgt aus der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Nr. 3. Nach der ständigen Rechtsprechung besteht dabei ein konkretes Wettbewerbsverhältnis, wenn beide Parteien gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen versuchen, mit der Folge, dass das konkret beanstandete Wettbewerbsverhalten des einen Wettbewerbers den anderen beeinträchtigen, d. h. im Absatz behindern oder stören kann.1615 Voraussetzung ist dabei nicht, dass die Parteien auf der gleichen Vertriebsstufe tätig sind, solange sie letztlich gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen versuchen.1616 Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis liegt zudem dann vor, wenn die Parteien zwar keine gleichartigen Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen versuchten, das konkret beanstandete Wettbewerbsverhalten des einen Wettbewerbers den anderen aber gleichwohl beeinträchtigen, d. h. im Absatz behindern oder stören konnte.1617 Es genügt, dass sich der Verletzer durch seine Verletzungshandlung im konkreten Fall in irgendeiner Weise in Wettbewerb zu dem Betroffenen stellt.1618 Ausreichend ist damit, dass zwischen den Vorteilen, die jemand durch eine Maßnahme für sein Unternehmen oder das eines Dritten zu erreichen sucht, und den Nachteilen, die ein anderer dadurch erleidet, eine Wechselwirkung in dem Sinne besteht, dass der eigene Wettbewerb gefördert und der fremde Wettbewerb beeinträchtigt werden kann.1619 Zwischen dem Angebot werbefinanzierter redaktioneller Inhalte im Internet und der Bereitstellung einer Software zur Unterdrückung von Werbung auf Internetseiten besteht die für ein Konkurrenzverhältnis erforderliche wettbewerbliche Wechselwirkung.1620 Die Anforderungen an ein konkretes Wettbewerbsverhältnis sind jedoch dann nicht er1610 BTDrucks. 5/1487 S. 22; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.27; MünchKomm/UWG/Ottofülling § 8 Rn. 318. 1611 BGH 3.5.2007 – I ZR 19/05 – GRUR 2007, 978 Tz. 26 – Rechtsberatung durch Haftpflichtversicherer; BGH 24.2.2005 – I ZR 101/02 – GRUR 2005, 519, 520 – Vitamin-Zell-Komplex. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.28; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 278. Köhler GRUR 2019, 123, 124 f. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 135a; zur Problematik auch Köhler GRUR 2019, 123. BGH 20.12.2018 – I ZR 112/17 – GRUR 2019, 189 Tz. 58 – Crailsheimer Stadtblatt II; BGH 26.1.2017 – I ZR 217/ 15 – GRUR 2017, 918 Tz. 16 – Wettbewerbsbezug; BGH 21.1.2016 – I ZR 252/14 – GRUR 2016, 828 Tz. 20 – Kundenbewertung im Internet; BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 Tz. 19 – Hotelbewertungsportal; BGH 10.4.2014 – I ZR 43/13 – GRUR 2014, 1114 Tz. 24 – nickelfrei. 1616 BGH 21.1.2016 – I ZR 252/14 – GRUR 2016, 828 Tz. 20 – Kundenbewertung im Internet. 1617 BGH 10.4.2014 – I ZR 43/13 – GRUR 2014, 1114 Tz. 32 – nickelfrei. 1618 BGH 26.1.2017 – I ZR 217/15 – GRUR 2017, 918 Tz. 16 – Wettbewerbsbezug; BGH 19.3.2015 –I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 Tz. 19 – Hotelbewertungsportal; BGH 10.4.2014 – I ZR 43/13 – GRUR 2014, 1114 Tz. 32 – nickelfrei. 1619 BGH 20.12.2018 – I ZR 112/17 – GRUR 2019, 189 Tz. 58 – Crailsheimer Stadtblatt II; BGH 19.4.2018 – I ZR 154/ 16 – GRUR 2018, 1251 Rn. 17 f. – Werbeblocker II; BGH 26.1.2017 – I ZR 217/15 – GRUR 2017, 918 Tz. 16 – Wettbewerbsbezug; BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 Tz. 19 – Hotelbewertungsportal; BGH 10.4.2014 – I ZR 43/13 – GRUR 2014, 1114 Tz. 32 – nickelfrei. 1620 BGH 19.4.2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 Rn. 18 – Werbeblocker II.

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füllt, wenn die Maßnahme den anderen nur irgendwie in seinem Marktstreben betrifft. Eine bloße Beeinträchtigung reicht zur Begründung eines Wettbewerbsverhältnisses nicht aus, wenn es an jeglichem Konkurrenzmoment im Angebots- oder Nachfragewettbewerb fehlt.1621 Liegt ein Fall der Förderung fremden Wettbewerbs vor, muss das konkrete Wettbewerbsverhältnis zwischen dem geförderten Unternehmen und dessen Mitbewerber bestehen.1622 Ohne Bedeutung für die Unternehmenseigenschaft ist schließlich, wenn es sich bei ihren Lieferungen an ein anders Unternehmen um konzerninterne Geschäfte handelt.1623 Unerheblich ist grundsätzlich auch, ob die eigene Tätigkeit des Anspruchstellers, die das Wettbewerbsverhältnis begründet, gesetzwidrig oder wettbewerbswidrig ist. Maßgeblich ist das tatsächliche Bestehen eines Wettbewerbsverhältnisses. Auch dann, wenn der Vertrieb eines Präparats mangels einer Zulassung als Arzneimittel im Inland verboten sein sollte, kann dessen Hersteller ein schutzwürdiges Interesse daran haben, gegen unlautere Wettbewerbshandlungen beim Vertrieb von Nachahmungen mit wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen vorgehen zu können.1624 Der Begriff des Unternehmers (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 6)1625 ist weit zu verstehen.1626 Wird das Unternehmen von einer Gesellschaft betrieben, ist die Gesellschaft Unternehmer, nicht der einzelne Gesellschafter oder Personen mit finanziellen Interessen (Kreditgeber etc.); hier kommt allenfalls eine gewillkürte Prozessstandschaft in Betracht (Rn. 218).1627

3. Erheblichkeitsschwelle Das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs brauchte eine Einschränkung der Aktivlegiti- 222 mation der Mitbewerber.1628 Ansprüche sollen nach der Neufassung des § 8 Abs. 3 Nr. 1 nur Mitbewerbern zustehen, die Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreiben oder nachfragen. Kritisiert wurde, dass für ein konkretes Wettbewerbsverhältnis bereits ausreichend ist, dass der Kläger einige wenige Waren zu überteuerten Preisen anbietet und sich somit seine Mitbewerbereigenschaft allein zum Zwecke der Durchsetzung von Ansprüchen und der Erwirtschaftung von Abmahngebühren gleichsam erschleicht.1629 Die über die Erheblichkeitsschwelle vermittelten höheren Anforderungen sollen die Zahl der potenziellen Anspruchsberechtigten verringern und damit die Gefahr, dass Abmahnungen primär aus finanziellen Interessen ausgesprochen werden.1630 In der Tat war bisher der Umfang der wirtschaftlichen Tätigkeit jenseits reiner Scheintätigkeiten unbeachtlich.1631 Der vom Anspruchsteller zu erbringende Nachweis des Merkmals „in nicht unerheblichem Maße“ kann durch Größenkategorien der Zahl der Verkäufe oder ähnlichem belegt werden. Konkrete Umsatzzahlen oder eine Steuerberaterbescheinigung müssen nicht vorgelegt werden.1632 Wettbewerber, die ihre Geschäftstätigkeit gerade erst aufgenommen haben oder bei denen bereits das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, werden sich hierauf nur in Ausnahmefällen berufen können, zum Beispiel wenn unzweifelhaft ist, dass die Geschäftstätigkeit weiter geführt 1621 BGH 26.1.2017 – I ZR 217/15 – GRUR 2017, 918 Tz. 16 – Wettbewerbsbezug. 1622 BGH 17.10.2013 – I ZR 173/12 – GRUR 2014, 573 Tz. 19 – Werbung für Fremdprodukte; zur Intermediarshaftung F. Hofmann WRP 2020, 1089, 1094. BGH 21.1.2016 – I ZR 252/14 – GRUR 2016, 828 Tz. 18 – Kundenbewertung im Internet. BGH 24.2.2005 – I ZR 101/02 – GRUR 2005, 519, 520 – Vitamin-Zell-Komplex. Vgl. BGH 21.1.2016 – I ZR 252/14 – GRUR 2016, 828 Tz. 17 – Kundenbewertung im Internet. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.27. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.27; MünchKommUWG/Ottofülling § 8 Rn. 347. Vgl. BTDrucks. 19/12084 S. 26; Fritzsche WRP 2020, 1367 1368; zum Referentenentwurf vgl. Fritzsche WRP 2018, 1277; Lettl WM 2019, 289; Aßhoff CR 2018, 720; Münker WRP 2018, 1410. 1629 BTDrucks. 19/12084 S. 26. 1630 BTDrucks. 19/12084 S. 26. 1631 MünchKommUWG/Ottofülling § 8 Rn. 343. 1632 BTDrucks. 19/12084 S. 26.

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Beseitigung und Unterlassung

oder ausgeweitet werden wird.1633 Es reicht nicht aus, wenn der Mitbewerber Waren oder Dienstleistungen lediglich anbietet. Spricht der Mitbewerber eine größere Anzahl von Abmahnungen aus, muss entsprechend der Umfang der geschäftlichen Tätigkeit größer sein.1634

4. Zeitpunkt 223 Ein Mitbewerber kann einen Verletzungsunterlassungsanspruch nur geltend machen, wenn er seine entsprechende unternehmerische Tätigkeit im Zeitpunkt der Verletzungshandlung bereits aufgenommen hatte und im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung noch nicht aufgegeben hat.1635 Dies spiegelt die doppelte Voraussetzung des Verletzungsunterlassungsanspruchs. Dieser knüpft nicht nur an die Gefahr weiterer Wettbewerbsverstöße an, sondern auch an einen begangenen Wettbewerbsverstoß, der diese Gefahr begründet hat. Ein nachträglich hinzukommender Mitbewerber ist daher nicht aktivlegitimiert.1636 Nur wenn die Mitbewerbereigenschaft bereits zum Zeitpunkt der Verletzungshandlung vorlag, kann der Anspruchsteller in seinen wettbewerbsrechtlichen Interessen verletzt sein.1637 Die Aktivlegitimation erlischt, wenn der Geschäftsbetrieb dauerhaft eingestellt wird.1638 Eine im Zeitpunkt der Verletzungshandlung gegebene Anspruchsberechtigung des Mitbewerbers besteht nicht mehr, wenn der Mitbewerber die unternehmerische Tätigkeit, die diese Anspruchsberechtigung zunächst begründet hatte, vor dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung aufgegeben hat.1639 Es reicht nicht aus, dass der (frühere) Mitbewerber in einem solchen Fall immerhin noch als mindestens potenzieller Wettbewerber auf dem Markt anzusehen ist.1640 Die Anerkennung eines nur potenziellen Wettbewerbsverhältnisses begründete die Gefahr einer uferlosen Ausweitung der Anspruchsberechtigung von Mitbewerbern.1641 Konkrete Vorbereitungshandlungen können indes genügen.1642 Die bloße Anmeldung einer Marke reicht hierfür nicht aus.1643

III. Wirtschaftsverbände (§ 8 Abs. 3 Nr. 2) 1. Allgemeines 224 Über § 8 Abs. 3 Nr. 2 wird Wirtschaftsverbänden eine eigene Anspruchsberechtigung eingeräumt.1644 Die Abwehransprüche stehen denjenigen (1) rechtsfähigen Verbänden zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen zu, die in der Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände nach § 8b eingetragen sind, (2) soweit ihnen eine erhebliche Zahl von Unternehmern angehört, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben, und (3) die Zuwiderhandlung die Interessen ihrer Mitglieder berührt. Die bisherige Regelung, wonach die Abwehransprüche „rechtsfähigen Verbänden zur Förde1633 BTDrucks. 19/12084 S. 26. 1634 BTDrucks. 19/12084 S. 26. 1635 BGH 28.11.2019 – I ZR 23/19 – GRUR 2020, 303 Rn. 42 – Pflichten des Batterieherstellers; BGH 10.3.2016 – I ZR 183/14 – GRUR 2016, 1187 Tz. 16 – Stirnlampen; BGH 12.7.1995 – I ZR 85/93 – GRUR 1995, 697, 699 – FUNNY PAPER. 1636 BGH 10.3.2016 – I ZR 183/14 – GRUR 2016, 1187 Tz. 18 – Stirnlampen. 1637 BGH 10.3.2016 – I ZR 183/14 – GRUR 2016, 1187 Tz. 16 – Stirnlampen. 1638 BGH 12.7.1995 – I ZR 85/93 – GRUR 1995, 697, 699 – FUNNY PAPER. 1639 BGH 28.11.2019 – I ZR 23/19 – GRUR 2020, 303 Rn. 42 – Pflichten des Batterieherstellers. 1640 BGH 28.11.2019 – I ZR 23/19 – GRUR 2020, 303 Rn. 42 – Pflichten des Batterieherstellers. 1641 BGH 28.11.2019 – I ZR 23/19 – GRUR 2020, 303 Rn. 42 – Pflichten des Batterieherstellers. 1642 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 94; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 277. 1643 BGH 12.7.1995 – I ZR 85/93 – GRUR 1995, 697, 699 – FUNNY PAPER. 1644 BTDrucks. 15/1487 S. 22; zu Rechtsschutzlücken Köhler WRP 2007, 602; Göckler WRP 2016, 434. Hofmann

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D. Gläubiger der Abwehransprüche (Absatz 3)

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rung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen, soweit ihnen eine erhebliche Zahl von Unternehmern angehört, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben, wenn sie insbesondere nach ihrer personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung imstande sind, ihre satzungsmäßigen Aufgaben der Verfolgung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen tatsächlich wahrzunehmen und soweit die Zuwiderhandlung die Interessen ihrer Mitglieder berührt“ zustanden, wurde durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs aufgegeben.1645 Im UWG 2004 hatte sich der Gesetzgeber noch gegen ein Listensystem entschieden, da insbesondere mit Blick auf die Mitgliederzahl eine Einzelfallprüfung unentbehrlich sei.1646 Wesentliche Neuerung ist damit, dass die Anspruchsberechtigung der Wirtschaftsverbände davon abhängig ist, dass sie auf einer Liste der sogenannten qualifizierten Wirtschaftsverbände eingetragen sind. Die Anspruchsberechtigung der Wirtschaftsverbände wird damit an die der qualifizierten Einrichtungen nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 angeglichen.1647 Auch die Anspruchsberechtigung der Verbraucherverbände hängt konstitutiv davon ab, dass sie in eine vom Bundesamt für Justiz geführte Liste eingetragen sind.1648 Das Eintragungserfordernis dient der Bekämpfung von Missbrauch und soll die Gerichte bei der Prüfung der Anforderungen an klagebefugte Wirtschaftsverbände entlasten.1649 Der Gesetzgeber reagierte damit auf Beschwerden, dass einige Verbände die Anspruchsbefugnis missbrauchen. Vor der Reform konnten die Gerichte im Rahmen eines Verfahrens oftmals nicht einfach überprüfen, ob die Voraussetzungen der Klagebefugnis eines Wirtschaftsverbandes vorliegen. Insbesondere die Prüfung, ob die Verbände nach ihrer personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung imstande sind, ihre satzungsmäßigen Aufgaben der Verfolgung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen tatsächlich wahrzunehmen, konnte von Gerichten ausweislich der Gesetzesbegründung nicht wirksam kontrolliert werden, so dass diese Prüfung nun an das Bundesamt für Justiz zentral ausgelagert wird.1650 Dessen ungeachtet ist § 8 Abs. 3 Nr. 2 Ausprägung des wettbewerbsrechtlichen Kollektiv- 225 rechtsschutzes. Über das Lauterkeitsrecht geschützte Interessen (§ 1) bedürfen zu ihrer effektiven Durchsetzung mehrerer Anwälte. Es reicht nicht aus, namentlich zur Verteidigung von Allgemeininteressen allein auf die Klagebereitschaft der Mitbewerber zu setzen.1651 Mitbewerber scheuen mitunter das Prozessrisiko oder wollen es vermeiden, „Racheakte“ zu provozieren.1652 Die Anspruchsberechtigung von Wirtschaftsverbänden beruht in diesem Sinne auf dem Gedanken, dass die Bekämpfung unlauterer geschäftlicher Handlungen nicht nur im Interesse des unmittelbar Betroffenen, sondern auch im Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb liegt.1653 Den Verbänden zur Förderung gewerblicher Interessen ist die Prozessführungsbefugnis zur Verfolgung unlauteren Wettbewerbs auch im öffentlichen Interesse gegeben.1654 Bei Verstößen gegen rein verbraucherschützende Vorschriften können die Verbände daher ebenfalls zur Rechtsdurchsetzung berufen sein.1655 § 8 Abs. 3 Nr. 2 dient zugleich der Möglichkeit einer kollektiven und grundsätzlich auch repräsentativen Wahrnehmung von Mitgliederinteressen.1656 Schon seit 1896 sieht das UWG daher die Klagebefugnis gewerblicher

1645 1646 1647 1648 1649 1650 1651 1652 1653 1654 1655 1656 155

BTDrucks. 19/22238 S. 5. BTDrucks. 15/1487 S. 22 f. BTDrucks. 19/12084 S. 26. BGH 4.7.2019 – I ZR 149/18 – GRUR 2019, 966 Tz. 20 – Umwelthilfe. BTDrucks. 19/12084 S. 26 f. BTDrucks. 19/12084 S. 27; kritisch Hohlweck WRP 2020, 266, 268. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.30; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 242. MünchKommUWG/Ottofülling § 8 Rn. 351. BGH 5.10.1989 – I ZR 56/89 – GRUR 1990, 282, 284 – Wettbewerbsverein IV. BGH 9.12.1993 – I ZR 276/91 – GRUR 1994, 304, 305 – Zigarettenwerbung in Jugendzeitschriften. BGH 9.12.1993 – I ZR 276/91 – GRUR 1994, 304, 304 f. – Zigarettenwerbung in Jugendzeitschriften. BGH 27.2.1997 – I ZR 5/95 – GRUR 1997, 933, 934 – EP. Hofmann

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Beseitigung und Unterlassung

Verbände vor.1657 Im UWG 2004 wurde die Vorgängervorschrift des § 13 Abs. 2 Nr. 2 im Wesentlichen übernommen.1658

2. Qualifizierte Wirtschaftsverbände 226 Die Abwehransprüche stehen rechtsfähigen Verbänden zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen zu, die in der Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände nach § 8b eingetragen sind. Die Voraussetzungen für die Eintragung eines Wirtschaftsverbandes sind in § 8b geregelt. Die Eintragungsvoraussetzungen orientieren sich an den bisherigen Kriterien, konkretisierten und verschärfen diese jedoch.1659 Ein rechtsfähiger Verband, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben es gehört, gewerbliche oder selbständige berufliche Interessen zu verfolgen und zu fördern, sowie zu Fragen des lauteren Wettbewerbs zu beraten und zu informieren, wird auf seinen Antrag in die Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände des Bundesamts für Justiz eingetragen, wenn folgende vier Voraussetzungen erfüllt sind: (1) Der Verband mindestens 75 Unternehmer als Mitglieder hat, (2) zum Zeitpunkt der Antragstellung seit mindestens einem Jahr seine satzungsmäßigen Aufgaben wahrgenommen hat, (3) es auf Grund seiner bisherigen Tätigkeit sowie seiner personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung gesichert erscheint, dass er zum einen seine satzungsmäßigen Aufgaben auch künftig dauerhaft wirksam und sachgerecht erfüllen wird und zum anderen seine Ansprüche nicht vorwiegend geltend machen wird, um für sich Einnahmen aus Abmahnungen oder Vertragsstrafen zu erzielen, (4) der Verband seinen Mitgliedern keine Zuwendungen aus dem Verbandsvermögen gewährt und Personen, die für den Verband tätig sind, nicht durch unangemessen hohe Vergütungen oder andere Zuwendungen begünstigt werden. Für die Einzelheiten wird auf die Kommentierung des § 8b verwiesen.

3. Erhebliche Zahl von Unternehmern, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben 227 a) Allgemeines. Allein die Eintragung eines Wirtschaftsverbandes in die Liste des Bundesamts für Justiz genügt nicht. Die Abwehransprüche stehen diesen qualifizierten Wirtschaftsverbänden nur zu, soweit ihnen eine erhebliche Zahl von Unternehmern angehört, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben. Durch das bereits im UWG 2004 geltende Kriterium soll sichergestellt werden, dass die Verbände auch tatsächlich einen erheblichen Anteil der Unternehmen auf dem spezifischen Markt repräsentieren. Ob ein Verband diese Voraussetzung erfüllt, wird nicht abstrakt vom Bundesamt für Justiz kontrolliert, sondern im Einzelfall anhand des geltend gemachten Anspruchs.1660 Trotz der Neufassung des § 8 Abs. 3 Nr. 2 durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs kann für dieses Kriterium auf die bisherige Rechtsprechung Bezug genommen werden. Zwischen den Mitgliedsunternehmen und dem Verletzer muss dabei im Ergebnis ein konkretes Wettbewerbsverhältnis bestehen.1661 Die Mitgliedsunternehmen müssten also selbst gegen

1657 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 95; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 241. 1658 Zu den Modifikationen Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 95; zur redaktionellen Anpassung an § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UKlaG durch das Gesetz zur Verbesserung der zivilrechtlichen Durchsetzung von verbraucherschützenden Vorschriften des Datenschutzrechts v. 17.2.2017 (BGBl. 2016 I 233, 234) Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.82. 1659 BTDrucks. 19/12084 S. 27 ff. 1660 BTDrucks. 19/22238 S. 17. 1661 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 99; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.36; noch für ein bloß abstraktes Wettbewerbsverhältnis BGH 5.6.1997 – I ZR 69/95 – GRUR 1998, 489, 491 – Unbestimmter Unterlassungsantrag III. Hofmann

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D. Gläubiger der Abwehransprüche (Absatz 3)

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den Verletzer über § 8 Abs. 3 Nr. 1 vorgehen können.1662 Die beiderseitigen Waren oder Dienstleistungen müssen sich ihrer Art nach so gleichen oder nahestehen, dass der Absatz des einen Unternehmers durch irgendein wettbewerbswidriges Handeln des anderen beeinträchtigt werden kann.1663 Es reicht aus, dass eine nicht gänzlich unbedeutende potenzielle Beeinträchtigung mit einer gewissen, wenn auch nur geringen Wahrscheinlichkeit in Betracht gezogen werden kann. Ein entsprechendes Wettbewerbsverhältnis wird wesentlich durch die gemeinsame Zugehörigkeit zur selben Branche oder zu zumindest angrenzenden Branchen begründet. Dabei ist auf Seiten des Inanspruchgenommenen auf den Branchenbereich abzustellen, dem die beanstandete Wettbewerbshandlung zuzurechnen ist.1664

b) Vertrieb von Waren oder Dienstleistungen. Unter Vertrieb ist der Absatz von Waren 228 oder Dienstleistungen auf dem Markt zu verstehen.1665 Fraglich ist, ob neben dem Absatzwettbewerb auch der Nachfragewettbewerb erfasst ist. Auch wenn der Gesetzeswortlaut dagegen zu sprechen scheint, ist eine analoge Anwendung geboten. Die Begriffe der geschäftlichen Handlung (§ 2 Abs. 1 Nr. 1), der Marktteilnehmer (§ 2 Abs. 1 Nr. 2) und des Mitbewerbers (§ 2 Abs. 1 Nr. 3) erstrecken sich schließlich ebenfalls ausdrücklich auch auf die Nachfrage.1666 Nach der Gegenansicht soll der Ausschluss des Nachfragewettbewerbs „hinnehmbar“ sein.1667 Mangels Marktbezugs liegt kein Vertreiben vor, wenn es sich lediglich um eine konzerninterne Belieferung handelt.1668 Reichte schon die konzerninterne Verteilung gekaufter Waren für ein Inverkehrbringen aus, könnte sich ein Unternehmer oder ein Konzern durch Konzentration und rechtliche Verselbstständigung seiner Einkaufsabteilungen die Klagebefugnis für alle Warenarten verschaffen, die er einkaufe, obwohl diese Befugnis nach dem Zweck der Vorschrift nur Verkäufern als wirkliche oder potenzielle Wettbewerber eingeräumt werden solle.1669 Etwas anderes gilt, wenn das Konzernunternehmen bei der Belieferung mit anderen – konzernfremden – Unternehmen im Wettbewerb steht.1670 Der Vertrieb von Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art muss nicht die Geschäftstätigkeit ausschließlich ausmachen, darf aber auch nicht nur von völlig untergeordneter Bedeutung sein.1671 Zu den Begriffen Waren und Dienstleistungen wird auf die Kommentierungen zu § 2 Abs. 1 Nr. 1 verwiesen.

c) Sachliche Marktabgrenzung. Die vertriebenen Waren oder Dienstleistungen der Verbands- 229 mitglieder und des angegriffenen Unternehmers müssen gleicher oder verwandter Art sein.1672 Es geht dabei um eine sachliche Marktabgrenzung. Der maßgebliche Markt wird im Wesentlichen durch die Geschäftstätigkeit des angegriffenen werbenden Unternehmens be-

1662 Vgl. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 99. 1663 BGH 7.5.2015 – I ZR 158/14 – GRUR 2015, 1240 Tz. 14 – Zauber des Nordens. 1664 BGH 1.3.2007 – I ZR 51/04 – GRUR 2007, 809 Tz. 14 – Krankenhauswerbung; BGH 16.3.2006 – I ZR 103/03 – GRUR 2007, 617 Tz. 17 – Sammelmitgliedschaft IV. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 99; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.38. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 100; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.38. Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 320. BGH 21.1.2016 – I ZR 252/14 – GRUR 2016, 828 Tz. 22 – Kundenbewertung im Internet; BGH 16.4.1969 – I ZR 59-60/67 – GRUR 1969, 479, 480 – Colle de Cologne. 1669 BGH 16.4.1969 – I ZR 59-60/67 – GRUR 1969, 479, 480 – Colle de Cologne. 1670 BGH 31.1.1958 – I ZR 178/56 – GRUR 1958, 544, 544 f. – Colonia; vgl. BGH 21.1.2016 – I ZR 252/14 – GRUR 2016, 828 Tz. 22 f. – Kundenbewertung im Internet. 1671 BGH 9.10.1997 – I ZR 122/95 – GRUR 1998, 417, 418 – Verbandsklage in Prozeßstandschaft. 1672 BGH 24.11.1999 – I ZR 189/97 – GRUR 2000, 438, 440 – Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge.

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Beseitigung und Unterlassung

stimmt.1673 Der Begriff der Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art ist weit auszulegen.1674 Für die Marktabgrenzung im Lauterkeitsrecht kommt es anders als im Kartellrecht nicht ausschließlich auf den Verwendungszweck des Abnehmers (Bedarfsmarktkonzept) an.1675 Die beiderseitigen Waren oder Dienstleistungen müssen sich ihrer Art nach so gleichen oder nahestehen, dass der Absatz des einen Unternehmers durch irgendein wettbewerbswidriges Handeln des anderen Unternehmers beeinträchtigt werden kann.1676 Es reicht aus, dass eine nicht gänzlich unbedeutende potenzielle Beeinträchtigung mit einer gewissen, wenn auch nur geringen Wahrscheinlichkeit in Betracht gezogen werden kann.1677 Das Veranstalten von Schiffskreuzfahrten und deren Vermittlung beispielsweise sind als Dienstleistungen verwandter Art anzusehen. Beide Angebote richten sich an den identischen Interessentenkreis der potenziellen Kreuzfahrtkunden. Für diese kommt es regelmäßig nicht darauf an, ob sie ihre Reise bei dem veranstaltenden Unternehmen selbst oder bei einem Reisevermittler buchen, so dass sich der Absatz dieser Dienstleistungen wechselseitig beeinträchtigen kann.1678 Von der Rechtsprechung wurden weiter als demselben sachlich relevanten Markt zugehörig angesehen: Arzneimittel und Kosmetika;1679 Arzneimittel und Medizinprodukte;1680 Fußbodenbeläge und Teppichböden;1681 Gebrauchtwagen und Neuwagen;1682 Nahrungsergänzungsmittel und Lebensmittel;1683 Schmuckwaren und Silberwaren.1684

230 d) Räumliche Marktabgrenzung. Durch das Erfordernis des Vertriebs auf demselben Markt wird der räumlich relevante Markt in Bezug genommen. Es ist nicht ausreichend, dass Waren und Dienstleistungen gleicher Art vertrieben werden; die Beteiligten müssen sich als Mitbewerber gegenüberstehen.1685 Bei der Abgrenzung und Festlegung des im Einzelfall maßgeblichen räumlich relevanten Marktes ist auf die Geschäftstätigkeit des werbenden Unternehmens abzustellen.1686 Für die Bestimmung der Grenzen des räumlich relevanten Marktes ist insgesamt vor allem auch auf die Kriterien der Marktstellung des werbenden Unternehmens, der Attraktivität seines Angebots und der Reichweite seiner Werbung abzustellen.1687 Der im Einzelfall maßgebliche räumlich relevante Markt kann räumlich oder regional begrenzt sein, aber auch das gesamte Bundesgebiet umschließen.1688 1673 BGH 13.11.2003 – I ZR 141/02 – GRUR 2004, 251, 252 – Hamburger Auktionatoren; BGH 19.6.1997 – I ZR 72/ 95 – GRUR 1998, 170 – Händlervereinigung; BGH 5.6.1997 – I ZR 69/95 – GRUR 1998, 489, 491 – Unbestimmter Unterlassungsantrag III; BGH 11.7.1996 – I ZR 79/94 – GRUR 1996, 804, 805 – Preisrätselgewinnauslobung III. 1674 BGH 16.4.2015 – I ZR 27/14 – GRUR 2015, 1140 Tz. 11 – Bohnengewächsextrakt; BGH 1.3.2007 – I ZR 51/04 – GRUR 2007, 809 Tz. 14 – Krankenhauswerbung. 1675 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.39. 1676 BGH 24.11.1999 – I ZR 189/97 – GRUR 2000, 438, 440 – Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge. 1677 BGH 1.3.2007 – I ZR 51/04 – GRUR 2007, 809 Tz. 14 – Krankenhauswerbung. 1678 BGH 7.5.2015 – I ZR 158/14 – GRUR 2015, 1240 Tz. 15 – Zauber des Nordens. 1679 BGH 23.1.1997 – I ZR 29/94 – GRUR 1997, 681, 682 – Produktwerbung. 1680 BGH 2.10.1997 – I ZR 94/95 – GRUR 1998, 961, 962 – Lebertran I. 1681 BGH 25.4.1996 – I ZR 82/94 – WRP 1996, 1102, 1103 – Großimporteur; BGH 20.10.1999 – I ZR 167/97 – GRUR 2000, 619, 620 – Orient-Teppichmuster. 1682 OLG Stuttgart 28.4.1997 – 2 U 215/96 – WRP 1997, 873, 876 – Werkstatt für VOLVO. 1683 BGH 23.1.1997 – I ZR 238/93 – GRUR 1997, 541, 542 – Produkt-Interview. 1684 BGH 14.11.1996 – I ZR 162/94 – GRUR 1997, 479, 480 – Münzangebot. 1685 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.42. 1686 BGH 23.10.2008 – I ZR 197/06 – GRUR 2009, 692 Tz. 8 – Sammelmitgliedschaft VI; BGH 5.10.2000 – I ZR 237/ 98 – GRUR 2001, 260, 261 – Vielfachabmahner. 1687 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.42; BGH 14.11.1996 – I ZR 162/94 – GRUR 1997, 379, 380 – Münzangebot; BGH 19.6.1997 – I ZR 72/95 – GRUR 1998, 170, 170 – Händlervereinigung. 1688 BGH 24.11.1999 – I ZR 189/97 – GRUR 2000, 438, 440 – Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge; BGH 19.6.1997 – I ZR 72/95 – GRUR 1998, 170, 170 – Händlervereinigung; BGH 14.11.1996 – I ZR 162/94 – GRUR 1997, 479, 479 f. – Münzangebot; BGH 11.7.1996 – I ZR 79/94 – GRUR 1996, 804, 805 – Preisrätselgewinnauslobung III. Hofmann

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D. Gläubiger der Abwehransprüche (Absatz 3)

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e) Erhebliche Zahl von Unternehmern. Nach dem Gesetzeswortlaut muss dem Verband wei- 231 terhin eine erhebliche Zahl von Unternehmern angehören.1689 Dadurch soll missbräuchlichem Verhalten, namentlich der Gründung von Verbänden ausschließlich zum Zwecke der Gebührenerwirtschaftung vorgebeugt werden.1690 Maßgeblich sind ausschließlich die Mitglieder, die Waren oder gewerbliche Leistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt wie der Verletzer anbieten.1691 Der Verband muss also auf dem einschlägigen Markt über eine erhebliche Anzahl von Mitgliedern verfügen.1692 Das Tatbestandsmerkmal der erheblichen Zahl von Unternehmen ist freilich nicht wörtlich zu verstehen. Entscheidend ist, dass dem Verband Unternehmer angehören, die auf dem in Rede stehenden sachlichen und räumlichen Markt nach Anzahl und/oder Größe, Marktbedeutung und ihrem wirtschaftlichen Gewicht ein gemeinsames Interesse der Angehörigen der betroffenen Branche repräsentieren.1693 Bei Zweifelsfällen kann gefragt werden, ob die Zahl und wirtschaftliche Bedeutung der branchenzugehörigen Mitglieder den Schluss zulässt, dass nicht nur reine Individualinteressen wahrgenommen werden, sondern kollektive gewerbliche Interessen der Wettbewerber.1694 Es bedarf einer Einzelfallprüfung;1695 auf eine bestimmte Mindestzahl oder darauf, dass die Mehrheit der Mitbewerber im Verband vertreten ist, wird nicht abgestellt.1696 Konsequenterweise ist die Frage der Mitgliederzahl als Rechtsfrage, nicht als Tatfrage einzustufen.1697 Hat der Wettbewerbsverstoß nur Auswirkungen auf einen räumlich begrenzten Markt, muss dem Verband eine für diesen Markt repräsentative Zahl von Mitgliedern angehören.1698

f) Mittelbare Verbandszugehörigkeit. Bei der Prüfung, ob einem Verband eine erhebliche 232 Zahl von Wettbewerbsunternehmen angehört, können auch solche Unternehmer zu berücksichtigen sein, die Mitglied in einem Verband sind, der seinerseits Mitglied des klagenden Verbands ist.1699 Eine mittelbare Mitgliedschaft wird als ausreichend angesehen.1700 Die Anspruchsberechtigung kann sich also auch aus über einen anderen Verband vermittelten Mitgliedschaften ergeben.1701 Es kommt nicht darauf an, ob der die Mitgliedschaft vermittelnde Verband seinerseits anspruchsberechtigt ist;1702 es reicht aus, wenn dieser von seinen Mitglie1689 BGH 18.10.2017 – I ZR 84/16 – GRUR 2018, 324 Tz. 9 – Kraftfahrzeugwerbung; BGH 16.4.2015 – I ZR 27/14 – GRUR 2015, 1140 Tz. 12 ff. – Bohnengewächsextrakt; OLG Naumburg 31.5.2018 – 9 U 4/18 – WRP 2018, 1130 – Gilt nicht für Werbezeilen. 1690 BGH 1.3.2007 – I ZR 51/04 – GRUR 2007, 809 Tz. 15 – Krankenhauswerbung; BGH 25.4.1996 – I ZR 82/94 – NJW 1996, 3280, 3281 – Großimporteur; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.44. 1691 BGH 13.11.2003 – I ZR 141/02 – GRUR 2004, 251, 252 – Hamburger Auktionatoren; BGH 5.6.1997 – I ZR 69/ 95 – GRUR 1998, 489, 491 – Unbestimmter Unterlassungsantrag III. 1692 BGH 13.11.2003 – I ZR 141/02 – GRUR 2004, 251, 252 – Hamburger Auktionatoren. 1693 BTDrucks. 15/1487 S. 22 f.; BGH 16.11.2006 – I ZR 218/03 – GRUR 2007, 610 Tz. 18 – Sammelmitgliedschaft V; BGH 13.11.2003 – I ZR 141/02 – GRUR 2004, 251, 252 – Hamburger Auktionatoren; BGH 11.7.1996 – I ZR 79/94 – GRUR 1996, 804, 805 f. – Preisrätselgewinnauslobung III; BGH 25.4.1996 – I ZR 82/94 – NJW 1996, 3280, 3281 – Großimporteur. 1694 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.45. 1695 BTDrucks. 15/1487 S. 22 f. 1696 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 103; BGH 5.6.1997 – I ZR 69/95 – GRUR 1998, 489, 491 – Unbestimmter Unterlassungsantrag III. 1697 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.44. 1698 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.45. 1699 BGH 27.4.2017 – I ZR 55/16 – GRUR 2017, 1265 Tz. 11 – Preisportal; BGH 18.5.2006 – I ZR 116/03 – GRUR 2006, 873 Tz. 15 – Brillenwerbung; MünchKommUWG/Ottofülling § 8 Rn. 401 ff. 1700 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 104; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.47. 1701 BGH 16.1.2003 – I ZR 51/02 – GRUR 2003, 454, 455 – Sammelmitgliedschaft. 1702 BGH 18.5.2006 – I ZR 116/03 – GRUR 2006, 873 Tz. 1 – Brillenwerbung; BGH 16.1.2003 – I ZR 51/02 – GRUR 2003, 454, 455 – Sammelmitgliedschaft. 159

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§8

Beseitigung und Unterlassung

dern mit der Wahrnehmung ihrer gewerblichen Interessen beauftragt worden ist.1703 Nicht erforderlich ist es, dass die unmittelbaren Mitglieder den klagenden Verband jeweils noch ausdrücklich zur Verfolgung von Wettbewerbsverstößen ermächtigt haben.1704 Auch Dachverbände können daher anspruchsberechtigt sein.1705

233 g) Mischverbände. Mischverbände, die gleichrangig sowohl Verbraucherinteressen als auch gewerbliche Interessen vertreten, sind wegen der Gefahr von Interessenskollisionen nicht aktivlegitimiert.1706 Unschädlich ist es aber, wenn dem Verband eine vernachlässigbare Zahl von Verbrauchern angehört.1707

4. Interessenberührung 234 Die Zuwiderhandlung muss schließlich die Interessen ihrer Mitglieder berühren.1708 In der Sache läuft dies darauf hinaus, dass die relevanten Mitglieder für den Wettbewerbsverstoß selbst durchsetzungsberechtigt wären (§ 8 Abs. 3 Nr. 1).1709 Insoweit ist auch die Wertung der Neufassung des § 8 Abs. 3 Nr. 1 zu berücksichtigen, wonach Mitwerber nur dann anspruchsberechtigt sind, wenn sie Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreiben oder nachfragen. Ausreichend ist, wenn zwar nicht die Interessen aller Mitglieder, aber doch derjenigen berührt werden, die auf demselben räumlichen und sachlichen Markt wie der Zuwiderhandelnde tätig sind.1710 Auf die Durchsetzbarkeit des Anspruchs der Mitglieder im Einzelfall kommt es dabei nicht an.1711 Ausnahmsweise kann es an einem hinreichenden Zusammenhang der Zuwiderhandlung mit den Mitgliederinteressen fehlen, wenn ausschließlich die Interessen eines bestimmten Mitglieds auf dem Spiel stehen.1712

IV. Verbraucherverbände (§ 8 Abs. 3 Nr. 3) 1. Allgemeines 235 Über § 8 Abs. 3 Nr. 3 sind auch Verbraucherverbände zur Durchsetzung des Lauterkeitsrechts berufen. Qualifizierten Einrichtungen, die in der Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen sind, oder den qualifizierten Einrichtungen aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die in dem Verzeichnis der Europäischen Kommission nach Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (ABl. L 110 vom 1.5.2009, S. 30), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2018/302 (ABl. L 60 vom 2.3.2018, S. 1) geändert worden ist, eingetragen sind, stehen die Abwehransprüche zu. Wer als Verbraucherverband an1703 BGH 16.1.2003 – I ZR 51/02 – GRUR 2003, 454, 455 – Sammelmitgliedschaft; BGH 20.5.1999 – I ZR 66/97 – GRUR 1999, 1116, 1118 – Wir dürfen nicht feiern. BGH 16.11.2006 – I ZR 218/03 – GRUR 2007, 610 Tz. 21 – Sammelmitgliedschaft V. MünchKommUWG/Ottofülling § 8 Rn. 359 f. BGH 14.10.1982 – I ZR 81/81 – GRUR 1983, 129 – Mischverband I. BGH 12.7.1984 – I ZR 37/82 – GRUR 1985, 58, 59 – Mischverband II. MünchKommUWG/Ottofülling § 8 Rn. 415 ff. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 108; BGH 6.4.2017 ‒ I ZR 33/16 ‒ GRUR 2017, 926 Tz. 18 ‒ Anwaltsabmahnung II. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.50. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.50. BGH 2.10.2008 – I ZR 48/06 – GRUR 2009, 416 Tz. 22 – Küchentiefstpreis-Garantie (Klage durch Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs).

1704 1705 1706 1707 1708 1709 1710 1711 1712

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D. Gläubiger der Abwehransprüche (Absatz 3)

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spruchsberechtigt und klagebefugt ist, richtet sich zum einen nach § 4 UKlaG, auf den § 8 Abs. 3 Nr. 3 verweist, zum anderen nach Art. 4 Abs. 3 der RL 2009/22/EG. Der klagende Verbraucherverband – das Gesetz spricht von „qualifizierten Einrichtungen“ (vgl. Art. 3 RL 2009/ 22/EG) – muss nachweisen, dass er in der Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 UKlaG oder in das Verzeichnis der Europäischen Kommission nach Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (ABl. L 110 vom 1.5.2009, S. 30) (zuletzt geändert durch die Verordnung (EU) 2018/302 (ABl. L 60 vom 2.3.2018, S. 1)) eingetragen ist. Damit sind auch qualifizierte Einrichtungen aus anderen Mitgliedstaaten verfolgungsbefugt. Die Eintragung in der Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 UKlaG hat für die Klagebefugnis konstitutive Wirkung.1713 § 4 UKlaG wiederum findet seine Grundlage in der Richtlinie 2009/ 22/EG über Unterlassungsklagen zum Schutz von Verbraucherinteressen.1714 Durch das Gesetz zur Verbesserung der zivilrechtlichen Durchsetzung von verbraucherschützenden Vorschriften des Datenschutzrechts v. 17.2.2016 wurde der Verweis auf die RL 2009/22/EG (zuvor RL 98/27/EG) aktualisiert.1715 Eine weitere Aktualisierung erfolgte durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs.1716 Die Einschränkung, dass der Anspruch eine Handlung betreffen muss, durch die wesentliche 236 Belange der Verbraucher berührt werden,1717 ist durch die UWG-Reform 2004 entfallen.1718 Soweit aber bei einem Wettbewerbsverstoß Belange der Verbraucher nicht berührt sind, besteht ausweislich der Gesetzesbegründung unbeschadet des weitergehenden Wortlautes von vornherein kein Interesse an einer Klage.1719 Im Übrigen wäre ein Tätigwerden des Verbandes nicht von seinem Satzungszweck umfasst.1720 Erforderlich ist nämlich, dass die Klage im konkreten Einzelfall von dem Satzungszweck gedeckt ist.1721 Das mit der Unterlassungsklage befasste Gericht muss also prüfen, ob die Prozessführung im konkreten Einzelfall vom Satzungszweck des klagenden Verbandes gedeckt ist.1722 Die Auslegung der Satzung ergibt, ob und welche räumlichen und sachlichen Beschränkungen vorliegen.1723 Die Verbraucherzentralen der Bundesländer dürften demnach befugt sein, Wettbewerbsverstöße auch außerhalb ihres Bundeslandes zu verfolgen.1724 Praktisch sind Verbraucherverbände ausweislich des Gesetzgebers in der Vergangenheit freilich sehr maßvoll mit der Klagebefugnis umgegangen.1725 Verbraucherverbände können damit nur dann Wettbewerbsverstöße verfolgen, wenn diese die Belange von Verbrauchern berühren.1726 Die Verbraucherschutzverbände sind allerdings nicht auf die Verfolgung von Verstößen gegen Verbraucherschutzgesetze nach § 2 UKlaG beschränkt, sondern zur Verfolgung von Wettbewerbsverstößen berechtigt, soweit diese Verbraucherschutzinteressen beeinträchtigen.1727 Bei Ba1713 1714 1715 1716

BGH 4.7.2019 – I ZR 149/18 – GRUR 2019, 966 Tz. 20 – Umwelthilfe. Zu Reformüberlegungen COM(2018) 184 final. Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 270; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.51. Das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs berücksichtigt dies im neuen Gesetzeswortlaut, vgl. BTDrucks. 19/12084 S. 7. 1717 BGH 15.1.2004 – I ZR 180/01 – GRUR 2004, 435, 436 – FrühlingsgeFlüge. 1718 BTDrucks. 15/1487 S. 23. 1719 BTDrucks. 15/1487 S. 23. 1720 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.51 und Rn. 3.62 1721 BGH 22.9.2011 – I ZR 229/10 – GRUR 2012, 415 Tz. 11 ff. – Überregionale Klagebefugnis; BGH 13.9.2018 ‒ I ZR 26/17 ‒ GRUR 2018, 1166 Tz. 19 ff. ‒ Prozessfinanzierer I; BGH 4.7.2019 ‒ I ZR 149/18 ‒ GRUR 2019, 966 Tz. 28 ‒ Umwelthilfe. 1722 BGH 4.7.2019 – I ZR 149/18 – GRUR 2019, 966 Tz. 28 – Umwelthilfe; BGH 9.5.2020 ‒ I ZR 205/17 ‒ GRUR 2019, 850 Tz. 15 f. ‒ Prozessfinanzierer II; BGH 30.7.2015 – I ZR 29/12 – GRUR 2016, 392 Tz. 17 – Buchungssystem II. 1723 BGH 22.9.2011 – I ZR 229/10 – GRUR 2012, 415 Tz. 11 ff. – Überregionale Klagebefugnis. 1724 BGH 22.9.2011 – I ZR 229/10 – GRUR 2012, 415 Tz. 18 ff. – Überregionale Klagebefugnis. 1725 BTDrucks. 15/1487 S. 42. 1726 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 109; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 339. 1727 BGH 30.7.2015 – I ZR 29/12 – GRUR 2016, 392 Tz. 17 – Buchungssystem II. 161

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Beseitigung und Unterlassung

gatellverstößen fehlt es ferner mitunter schon an einer unlauteren geschäftlichen Handlung. Dies folgt aus den Relevanzklauseln (z. B. § 5 Abs. 1 S. 1; § 3a a. E.) des materiellen Lauterkeitsrechts im engeren Sinne.1728 Eventuellem Missbrauch durch die Ausweitung der Klagebefugnis soll durch den Missbrauchstatbestand aus § 8c entgegengewirkt werden.1729

2. Voraussetzungen nach dem UKlaG (inländische qualifizierte Einrichtungen) 237 Anspruchsberechtigt sind nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 qualifizierte Einrichtungen, die nachweisen, dass sie in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen sind.1730 § 4 UKlaG wurde 2020 durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs neu gefasst. Die Anforderungen an die qualifizierten Einrichtungen wurden vergleichbar mit den Anforderungen an die qualifizierten Wirtschaftsverbände gemäß § 8b geregelt. Dies dient dem Ziel, einem Missbrauch der Ansprüche nach dem UKlaG und dem UWG besser entgegenzuwirken.1731 Konkret wurden die Eintragungsvoraussetzungen verschärft. Auf Antrag erteilt das Bundesamt für Justiz einer qualifizierten Einrichtung, die in der Liste eingetragen ist, eine Bescheinigung über ihre Eintragung (§ 4 Abs. 4 UKlaG). Dadurch kann der Nachweis der Eintragung geführt werden. Die Eintragung erfolgt gemäß § 4 Abs. 2 S. 1 UKlaG auf Antrag der Einrichtung durch Verwaltungsakt, wobei der Bescheid über die Eintragung dem Antragsteller zuzustellen ist (vgl. § 4 Abs. 3 S. 1 UKlaG). Fehlt die Eintragung, fehlt es an der Anspruchsberechtigung.1732 Die Aufhebung der Eintragung ist in § 4c UKlaG geregelt. Zu beachten sind ferner die durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs eingefügten § 4a UKlaG (Überprüfung der Eintragung von Amts wegen), § 4b UKlaG (Berichtspflichten und Mitteilungspflichten) und § 4d UKlaG (Verordnungsermächtigung). Ausweislich von § 8 Abs. 4 können Stellen nach Abs. 3 Nr. 2 und 3 die Ansprüche aus § 8 Abs. 1 nicht geltend machen, solange ihre Eintragung ruht (vgl. § 4c Abs. 2 UKlaG). Die maßgeblichen Vorschriften aus dem UKlaG lauten wie folgt: § 4 Liste der qualifizierten Einrichtungen (1) 1Das Bundesamt für Justiz führt eine Liste der qualifizierten Einrichtungen und veröffentlicht sie in der jeweils aktuellen Fassung auf seiner Internetseite. 2Es übermittelt die Liste mit Stand zum 1. Januar und zum 1. Juli eines jeden Jahres an die Europäische Kommission unter Hinweis auf Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 2009/22/EG. (2) 1Ein eingetragener Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben es gehört, Interessen der Verbraucher durch nicht gewerbsmäßige Aufklärung und Beratung wahrzunehmen, wird auf seinen Antrag in die Liste eingetragen, wenn 1. er mindestens drei Verbände, die im gleichen Aufgabenbereich tätig sind, oder mindestens 75 natürliche Personen als Mitglieder hat, 2. er zum Zeitpunkt der Antragstellung seit mindestens einem Jahr im Vereinsregister eingetragen ist und ein Jahr seine satzungsmäßigen Aufgaben wahrgenommen hat, 3. auf Grund seiner bisherigen Tätigkeit sowie seiner personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung gesichert erscheint, dass er a) seine satzungsgemäßen Aufgaben auch künftig dauerhaft wirksam und sachgerecht erfüllen wird und b) seine Ansprüche nicht vorwiegend geltend machen wird, um für sich Einnahmen aus Abmahnungen oder Vertragsstrafen zu erzielen, 4. den Mitgliedern keine Zuwendungen aus dem Vereinsvermögen gewährt werden und Personen, die für den Verein tätig sind, nicht durch unangemessen hohe Vergütungen oder andere Zuwendungen begünstigt werden.

1728 1729 1730 1731 1732

Vgl. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 109. BTDrucks. 15/1487 S. 23. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.53. BTDrucks. 15/12084 S. 37. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.53.

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D. Gläubiger der Abwehransprüche (Absatz 3)

§8

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Es wird unwiderleglich vermutet, dass Verbraucherzentralen sowie andere Verbraucherverbände, wenn sie überwiegend mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, diese Voraussetzungen erfüllen. (3) 1Über die Eintragung wird durch einen schriftlichen Bescheid entschieden, der dem antragstellenden Verein zuzustellen ist. 2Auf der Grundlage eines wirksamen Bescheides ist der Verein unter Angabe des Namens, der Anschrift, des zuständigen Registergerichts, der Registernummer und des satzungsmäßigen Zwecks in die Liste einzutragen. (4) Auf Antrag erteilt das Bundesamt für Justiz einer qualifizierten Einrichtung, die in der Liste eingetragen ist, eine Bescheinigung über ihre Eintragung. § 4a Überprüfung der Eintragung (1) Das Bundesamt für Justiz überprüft von Amts wegen, ob eine qualifizierte Einrichtung, die in der Liste nach § 4 eingetragen ist, die Eintragungsvoraussetzungen nach § 4 Absatz 2 Satz 1 erfüllt, 1. nach Ablauf von zwei Jahren nach ihrer Ersteintragung und danach jeweils nach Ablauf von fünf Jahren nach Abschluss der letzten Überprüfung oder 2. unabhängig von den Fristen nach Nummer 1, wenn begründete Zweifel am Vorliegen der Eintragungsvoraussetzungen bestehen. (2) Ergeben sich in einem Rechtstreit begründete Zweifel daran, ob eine qualifizierte Einrichtung, die in der Liste nach § 4 eingetragen ist, die Eintragungsvoraussetzungen nach § 4 Absatz 2 Satz 1 erfüllt, kann das Gericht das Bundesamt für Justiz zur Überprüfung der Eintragung auffordern und die Verhandlung bis zum Abschluss der Überprüfung aussetzen. (3) Das Bundesamt für Justiz kann die qualifizierten Einrichtungen und deren Vorstandsmitglieder zur Befolgung der Pflichten im Verfahren zur Überprüfung der Eintragung durch die Festsetzung eines Zwangsgelds anhalten. § 4b Berichtspflichten und Mitteilungspflichten (1) 1Die qualifizierten Einrichtungen, die in der Liste nach § 4 Absatz 1 eingetragen sind, sind verpflichtet, bis zum 30. Juni eines jeden Kalenderjahres dem Bundesamt für Justiz für das vorangegangene Kalenderjahr zu berichten über 1. die Anzahl der von ihnen ausgesprochenen Abmahnungen, gestellten Anträge auf einstweilige Verfügungen und erhobene Klagen zur Durchsetzung ihrer Ansprüche unter Angabe der diesen Durchsetzungsmaßnahmen zugrunde liegenden Zuwiderhandlungen, 2. die Anzahl der auf Grund von Abmahnungen vereinbarten strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungen unter Angabe der Höhe der darin vereinbarten Vertragsstrafe, 3. die Höhe der entstandenen Ansprüche auf a) Aufwendungsersatz für Abmahnungen, b) Erstattung der Kosten der gerichtlichen Rechtsverfolgung und c) verwirkte Vertragsstrafen sowie 4. die Anzahl ihrer Mitglieder zum 31. Dezember und deren Bezeichnung. 2 Satz 1 Nummer 4 ist nicht anzuwenden auf qualifizierte Einrichtungen, für die die Vermutung nach § 4 Absatz 2 Satz 2 gilt. (2) Das Bundesamt für Justiz kann die qualifizierten Einrichtungen und deren Vorstandsmitglieder zur Befolgung der Pflichten nach Absatz 1 durch die Festsetzung eines Zwangsgelds anhalten. (3) Gerichte haben dem Bundesamt für Justiz Entscheidungen mitzuteilen, in denen festgestellt wird, dass eine qualifizierte Einrichtung, die in der Liste nach § 4 eingetragen ist, einen Anspruch missbräuchlich geltend gemacht hat. § 4c Aufhebung der Eintragung (1) Die Eintragung einer qualifizierten Einrichtung in der Liste nach § 4 ist mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn 1. die qualifizierte Einrichtung dies beantragt oder 2. die Voraussetzungen für die Eintragung nach § 4 Absatz 2 Satz 1 nicht vorlagen oder weggefallen sind. (2) 1Ist auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte damit zu rechnen, dass die Eintragung nach Absatz 1 Nummer 2 zurückzunehmen oder zu widerrufen ist, so soll das Bundesamt für Justiz das Ruhen der Eintragung für einen bestimmten Zeitraum anordnen. 2Das Ruhen darf für längstens drei Monate angeordnet werden. 3Ruht die Eintragung, ist dies in der Liste nach § 4 zu vermerken.

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Beseitigung und Unterlassung

(3) Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Entscheidungen nach Absatz 1 oder Absatz 2 haben keine aufschiebende Wirkung. (4) Auf Antrag bescheinigt das Bundesamt für Justiz einem Dritten, der ein rechtliches Interesse daran hat, dass die Eintragung einer qualifizierten Einrichtung in der Liste nach § 4 ruht oder aufgehoben worden ist. § 4d Verordnungsermächtigung Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates die Einzelheiten zu regeln 1.

zur Eintragung von eingetragenen Vereinen in die Liste nach § 4 sowie zur Überprüfung und Aufhebung von Eintragungen einer qualifizierten Einrichtung in der Liste nach § 4, einschließlich der in den Verfahren bestehenden Mitwirkungs- und Nachweispflichten und

2.

zu den Berichtspflichten der qualifizierten Einrichtungen nach § 4b Absatz 1.

238 a) Eintragungsvoraussetzungen. Die Eintragungsvoraussetzungen bestimmen sich nach § 4 Abs. 2 S. 1 UKlaG. Künftig können nur noch Idealvereine in die Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen werden, deren Zweck nicht auf die Gewinnerzielung für ihre Mitglieder oder Dritte gerichtet sein darf. Eine Eintragung ist nur möglich, wenn die Vereine seit mindestens einem Jahr im Vereinsregister eingetragen sind und ihre satzungsmäßigen Aufgaben wahrgenommen haben.1733 In Abs. 2 S. 1 Nr. 3 werden die Anforderungen an die Tätigkeit und Ausstattung der Vereine erhöht, um sicherzustellen, dass ihre gesetzlichen Ansprüche insbesondere nach dem UKlaG und dem UWG nicht missbräuchlich als bloße Einnahmequelle für den Verein genutzt werden.1734 Ein Eintrag erfolgt demnach, wenn es auf Grund der bisherigen Tätigkeit des Vereins sowie seiner personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung gesichert erscheint, dass er seine satzungsgemäßen Aufgaben auch künftig dauerhaft wirksam und sachgerecht erfüllen wird und seine Ansprüche nicht vorwiegend geltend machen wird, um für sich Einnahmen aus Abmahnungen oder Vertragsstrafen zu erzielen. Außerdem dürfen den Mitgliedern keine Zuwendungen aus dem Vereinsvermögen gewährt werden und Personen, die für den Verein tätig sind, nicht durch unangemessen hohe Vergütungen oder andere Zuwendungen begünstigt werden. Auch dadurch soll verhindert werden, dass der Verein missbräuchlich als Einnahmequelle gebraucht wird.1735

239 aa) Eingetragener Verein. Die Eintragung in die Liste der qualifizierten Einrichtungen setzte bisher voraus, dass es sich um rechtsfähige Vereine handelt. Damit kommen als eintragungsfähig im Sinne der Vorschrift praktisch nur in das Vereinsregister eingetragene Idealvereine (vgl. § 21 BGB) in Betracht; Stiftungen sind nicht qualifiziert.1736 In der geltenden Fassung ist nunmehr ausdrücklich nur von eingetragenen Vereinen die Rede.

240 bb) Satzungszweck und satzungsgemäße Tätigkeit. Zu den satzungsmäßigen Aufgaben des eingetragenen Vereins muss es gemäß § 4 Abs. 2 S. 1 UKlaG gehören, Interessen der Verbraucher durch nicht gewerbsmäßige Aufklärung und Beratung wahrzunehmen. Es ist ausreichend, wenn sich der Satzung ein den vorstehend ausgeführten Vorgaben genügender Zweck hinreichend deutlich entnehmen lässt.1737 Dass die Durchführung gerichtlicher Verfahren in der Satzung nicht

1733 1734 1735 1736 1737

BTDrucks. 19/12084 S. 37. BTDrucks. 19/12084 S. 37. BTDrucks. 19/12084 S. 37. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.54. BGH 11.11.1982 – I ZR 126/80 – GRUR 1983, 130, 131 – Lohnsteuerhilfe-Bundesverband.

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D. Gläubiger der Abwehransprüche (Absatz 3)

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ausdrücklich genannt wird, ist unschädlich.1738 Nach dem Gesetzeswortlaut muss der Satzungszweck kumulativ auf Aufklärung und Beratung gerichtet sein, ohne dass allerdings eine abschließende Gewichtung vorgegeben wäre. Die satzungsmäßigen Aufgaben müssen darüber hinaus auch tatsächlich durch Aufklärung und Beratung wahrgenommen werden, weshalb etwa die bloße Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs durch Abmahnungen in Ansehung der satzungsmäßigen Tätigkeit nicht ausreicht.1739 § 4 Abs. 2 Nr. 3 UKlaG stellt klar, dass der Verein seine Ansprüche nicht vorwiegend geltend machen darf, um für sich Einnahmen aus Abmahnungen oder Vertragsstrafen zu erzielen. Weiterhin muss der Satzungszweck darauf gerichtet sein, nicht nur die eigenen Mitglieder, sondern darüber hinaus auch Verbraucher im Allgemeinen aufzuklären und zu beraten;1740 in diesem Sinne muss es sich um die Wahrnehmung kollektiver Verbraucherinteressen handeln.1741 Maßgeblich ist das Interesse der Verbraucher an Aufklärung und Unterrichtung über die auf dem Markt angebotenen Waren und Dienstleistungen. Dabei sollte dem Informationsnachteil der Verbraucher entgegengewirkt werden, der sich aus der im Verhältnis zur Anbieterseite regelmäßig geringeren Waren- und Marktkenntnis ergibt. Der Verbraucher sollte durch Aufklärung und Beratung vor Übervorteilung und vor Irreführungen bewahrt werden. Eine an diesen Interessen satzungsgemäß orientierte Tätigkeit muss danach darauf gerichtet sein, die Verbraucher über die Marktlage, die Qualität und Preiswürdigkeit der verschiedenen im Wettbewerb angebotenen Waren und Dienstleistungen zu unterrichten und ihnen die Auswahl unter diesen zu erleichtern.1742 In diesem Sinne ist der Satzungszweck eines aktiven Beitrags zur Vorbeugung und Bekämpfung der Gesundheitsschäden durch das Rauchen nicht ausreichend. Dabei besteht eine Verbindung zum Marktgeschehen allenfalls darin, dass vom Kauf einer bestimmten Warengattung, nämlich Tabakerzeugnissen, überhaupt abgeraten wird. Darin liegt keine Information und Beratung, die geeignet wäre, die Marktübersicht oder Produktkenntnis der Verbraucher zum Zweck besserer Kaufentscheidung zu fördern.1743 Dass über die entsprechend gelagerten Verbraucherinteressen hinaus auch andere Interessen verfolgt werden, ist unschädlich, wenn und soweit vorrangig Mitgliederinteressen vertreten werden und die Kollision mit gewerblichen Interessen ausgeschlossen ist.1744 Es darf kein Mischverband vorliegen.1745 Auf Grund der bisherigen Vereinstätigkeit sowie der personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung des Vereins muss es gesichert erscheinen, dass er seine satzungsgemäßen Aufgaben auch künftig dauerhaft wirksam und sachgerecht erfüllen wird.1746 Die Gewähr für eine sachgerechte Aufgabenerfüllung ist gegeben, wenn der Verband über eine hinreichende finanzielle, personelle und sachliche Ausstattung verfügt.1747

cc) Mitgliederstruktur. Nach § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UKlaG kommen als Mitglieder der qualifizier- 241 ten Einrichtungen Verbände oder natürliche Personen in Betracht. Die qualifizierte Einrichtung muss dabei entweder mindestens drei Verbände, die im gleichen Aufgabenbereich tätig sind, als Mitglieder haben oder 75 natürliche Personen. Mischverbänden, die gleichrangig sowohl der Förderung gewerblicher Interessen als auch der Wahrnehmung von Verbraucherinteressen

1738 1739 1740 1741 1742 1743 1744 1745

BGH 4.7.2019 – I ZR 149/18 – GRUR 2019, 966 Tz. 29 – Umwelthilfe. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.55 und 3.56. BGH 30.6.1972 – I ZR 16/71 – GRUR 1973, 78, 79 – Verbraucherverband. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.55. BGH 9.6.1983 – I ZR 73/81 – GRUR 1983, 775, 776 – Ärztlicher Arbeitskreis. BGH 9.6.1983 – I ZR 73/81 – GRUR 1983, 775, 776 – Ärztlicher Arbeitskreis. Vgl. BGH 4.7.2019 – I ZR 149/18 – GRUR 2019, 966 Tz. 24 – Umwelthilfe. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.55; vgl. BGH 4.7.2019 – I ZR 149/18 – GRUR 2019, 966 Tz. 24 – Umwelt-

hilfe.

1746 BGH 13.9.2018 – I ZR 26/17 – GRUR 2018, 1166 Tz. 17 – Prozessfinanzierer. 1747 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.56. 165

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Beseitigung und Unterlassung

dienen, fehlt die Anspruchsberechtigung.1748 In Ansehung der Mitgliederstruktur muss gewährleistet sein, dass der betreffende Verband vorrangig Mitgliederinteressen vertritt und eine Kollision mit gewerblichen Interessen ausgeschlossen ist.1749 Im Zuge der vorzunehmenden Beurteilung ist nicht nur auf das satzungsgemäße Verhältnis der Verfolgung von Gewerbe- und Verbraucherinteressen abzustellen, sondern insbesondere auch auf die tatsächlichen Gegebenheiten.1750 Unternehmensspenden begründen nicht den Verdacht, der Verein betreibe neben der gemeinnützigen Tätigkeit auch Wirtschaftsförderung.1751

242 dd) Unwiderlegliche Vermutung. Ausweislich von § 4 Abs. 2 S. 2 UKlaG wird unwiderleglich vermutet, dass Verbraucherzentralen sowie andere Verbraucherverbände, wenn sie überwiegend mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, die Eintragungsvoraussetzungen für die Liste qualifizierter Einrichtungen erfüllen. Andere Verbraucherverbände müssen überwiegend mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, damit die Vermutung anwendbar ist.1752 Dies soll ausweislich der Gesetzesbegründung verhindern, dass eine geringe oder einmalige Förderung mit öffentlichen Mitteln dazu führt, dass die Eintragungsvoraussetzungen nicht überprüft werden. Dies entspricht den Anforderungen des § 606 Abs. 1 S. 4 ZPO an qualifizierte Einrichtungen, die eine Musterfeststellungsklage erheben.1753

243 b) Aufhebung der Eintragung. Die Eintragung einer qualifizierten Einrichtung in der Liste nach § 4 UKlaG ist mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn die qualifizierte Einrichtung dies beantragt oder die Voraussetzungen für die Eintragung nach § 4 Abs. 2 S. 1 UKlaG nicht vorlagen oder weggefallen sind (§ 4c Abs. 1 UKlaG). Ist auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte damit zu rechnen, dass die Eintragung nach Abs. 1 Nr. 2 zurückzunehmen oder zu widerrufen ist, so soll das Bundesamt für Justiz das Ruhen der Eintragung für einen bestimmten Zeitraum anordnen. Das Ruhen darf für längstens drei Monate angeordnet werden. Ruht die Eintragung, ist dies in der Liste nach § 4 UKlaG zu vermerken (§ 4c Abs. 2 UKlaG). Ausweislich von § 8 Abs. 4 können Stellen Ansprüche nicht geltend machen, solange ihre Eintragung ruht. Gemäß § 4c Abs. 3 UKlaG haben weder Widerspruch noch Anfechtungsklage gegen Entscheidungen nach § 4c Abs. 1 oder Abs. 2 UKlaG aufschiebende Wirkung. Es handelt sich wie beim Eintragungsverfahren um ein Verwaltungsverfahren, so dass die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes Anwendung finden.1754

244 c) Keine gerichtliche Überprüfung der Eintragungsvoraussetzungen. Ob die Eintragungsvoraussetzungen vorlagen oder entfallen sind, darf vom Verletzungsgericht nicht geprüft werden.1755 Das UKlaG sieht vielmehr in § 4a Abs. 2 UKlaG eine eigene Regelung für diesen Fall vor: Ergeben sich in einem Rechtsstreit begründete Zweifel daran, ob eine qualifizierte Einrichtung, die in der Liste nach § 4 UKlaG eingetragen ist, die Eintragungsvoraussetzungen nach § 4 Abs. 2 S. 1 UKlaG erfüllt, kann das Gericht das Bundesamt für Justiz zur Überprüfung 1748 BGH 19.5.1988 – I ZR 170/86 – GRUR 1988, 832, 833 – Benzinwerbung; BGH 14.10.1982 – I ZR 81/81 – GRUR 1983, 129, 130 – Mischverband I; BGH 12.7.1984 – I ZR 37/82 – GRUR 1985, 58, 59 – Mischverband II.

1749 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.56 und Rn. 3.58. 1750 BGH 19.5.1988 – I ZR 170/86 – GRUR 1988, 832, 833 – Benzinwerbung; BGH 14.10.1982 – I ZR 81/81 – GRUR 1983, 129, 130 – Mischverband I; BGH 12.7.1984 – I ZR 37/82 – GRUR 1985, 58, 59 – Mischverband II. BGH 4.7.2019 – I ZR 149/18 – GRUR 2019, 966 Tz. 25 – Umwelthilfe. BTDrucks. 19/12084 S. 37. BTDrucks. 19/12084 S. 37 f. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.53 und Rn. 3.60. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.61; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 110.

1751 1752 1753 1754 1755

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D. Gläubiger der Abwehransprüche (Absatz 3)

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der Eintragung auffordern und die Verhandlung bis zum Abschluss der Überprüfung aussetzen. An das Vorliegen begründeter Zweifel nach § 4a Abs. 2 UKlaG sind strenge Anforderungen zu stellen, weil sonst die effektive Durchsetzung der Ansprüche u. a. aus § 8 Abs. 1 gefährdet wäre.1756

d) Liste der qualifizierten Einrichtungen. Das Bundesamt für Justiz führt eine Liste der 245 qualifizierten Einrichtungen und veröffentlicht sie in der jeweils aktuellen Fassung auf seiner Internetseite. Eine Veröffentlichung im Bundesanzeiger ist nicht mehr vorgesehen. Hierfür besteht wegen der niedrigschwelligen Zugänglichkeit über das Internet kein Bedarf mehr.1757 Die Liste kann unter folgendem Link online abgerufen werden (Pfad: Bundesamt für Justiz, Themen, Bürgerdienste): https://www.bundesjustizamt.de/DE/SharedDocs/Publikationen/Verbraucherschutz/Liste_qualifizierter_Einrichtungen.html?nn=11295604. 3. Klagebefugnis und Anspruchsberechtigung ausländischer qualifizierter Einrichtungen a) Übersicht. Nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 sind auch qualifizierte Einrichtungen anderer Mitglied- 246 staaten zur Verfolgung von Wettbewerbsverstößen berufen, wenn sie nachweisen, dass sie in das Verzeichnis der Europäischen Kommission nach Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie 2009/22/ EG eingetragen sind. Art. 4 RL 2009/22/EG lautet: Artikel 4 Grenzüberschreitende Verstöße innerhalb der Gemeinschaft (1) 1Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, damit im Fall eines Verstoßes, dessen Ursprung in seinem Hoheitsgebiet liegt, jede qualifizierte Einrichtung eines anderen Mitgliedstaats, in dem die von dieser qualifizierten Einrichtung geschützten Interessen durch den Verstoß beeinträchtigt werden, nach Vorlage des in Absatz 3 des vorliegenden Artikels vorgesehenen Verzeichnisses das nach Artikel 2 zuständige Gericht oder die nach Artikel 2 zuständige Verwaltungsbehörde anrufen kann. 2Die Gerichte oder Verwaltungsbehörden akzeptieren dieses Verzeichnis als Nachweis der Berechtigung der qualifizierten Einrichtung zur Klageerhebung unbeschadet ihres Rechts zu prüfen, ob der Zweck der qualifizierten Einrichtung deren Klageerhebung in einem speziellen Fall rechtfertigt. (2) 1Im Hinblick auf grenzüberschreitende Verstöße innerhalb der Gemeinschaft und unbeschadet der Rechte, die anderen Stellen gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zustehen, teilen die Mitgliedstaaten auf Antrag ihrer qualifizierten Einrichtungen der Kommission mit, dass diese Einrichtungen berechtigt sind, eine in Artikel 2 vorgesehene Klage zu erheben. 2Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission Namen und Zweck dieser qualifizierten Einrichtungen mit (3) 1Die Kommission erstellt ein Verzeichnis der in Absatz 2 bezeichneten qualifizierten Einrichtungen und gibt darin deren Zweck an. 2Dieses Verzeichnis wird im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht; Änderungen an diesem Verzeichnis werden unverzüglich veröffentlicht und eine aktualisierte Liste wird alle sechs Monate veröffentlicht.

b) Anforderungen. Gemäß Art. 4 Abs. 2 RL 2009/22/EG obliegt es den Mitgliedstaaten, der 247 Kommission die qualifizierten Einrichtungen mitzuteilen. Die zur Entscheidung berufenen Gerichte haben nach Maßgabe von Art. 4 Abs. 1 S. 2 RL 2009/22/EG den Nachweis der Eintragung in das von der Kommission erstellte Verzeichnis als Nachweis der Anspruchs- und Klageberechtigung zu akzeptieren. Somit können deutsche Gerichte nicht überprüfen, ob und inwieweit die Voraussetzungen für die Eintragung einer qualifizierten Einrichtung vorliegen.1758 In Anse1756 BGH 4.7.2019 – I ZR 149/18 – GRUR 2019, 966 Tz. 20 – Umwelthilfe. 1757 BTDrucks. 19/12084 S. 37. 1758 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.64. 167

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Beseitigung und Unterlassung

hung des Zusatzes in Art. 4 Abs. 1 S. 2 RL 2009/22/EG („[…] unbeschadet ihres Rechts zu prüfen, ob der Zweck der qualifizierten Einrichtung deren Klageerhebung in einem speziellen Fall rechtfertigt“) ist davon auszugehen, dass das deutsche Gericht im konkreten Einzelfall prüfen kann, ob der Zweck der ausländischen qualifizierten Einrichtung deren Klageerhebung rechtfertigt.1759 In diesem Sinne muss das befasste Gericht prüfen, ob die konkrete Prozessführung von dem Satzungszweck des klagenden Verbandes gedeckt ist.1760

248 c) Liste qualifizierter ausländischer Einrichtungen. Die maßgebliche Liste wird im Amtsblatt veröffentlicht und ist im Internet abrufbar.1761

V. Berufsständische Körperschaften und Gewerkschaften (§ 8 Abs. 3 Nr. 4) 249 Geringe praktische Bedeutung hatte bisher die in § 8 Abs. 3 Nr. 4 geregelte Anspruchsberechtigung der Industrie- und Handelskammern sowie der Handwerkskammern. Über das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs wurde die Aktivlegitimation erweitert. Neben den Industrie- und Handelskammern und den nach der Handwerksordnung errichteten Organisationen (z. B. auch Kreishandwerkerschaften) sind auch andere berufsständische Körperschaften des öffentlichen Rechts im Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgaben sowie den Gewerkschaften im Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgaben bei der Vertretung selbständiger beruflicher Interessen aktivlegitimiert. Voraussetzung für die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen ist, dass der Aufgabenbereich der Kammer durch die Verletzungshandlung berührt sein muss (vgl. § 1 IHKG; § 91 Handwerksordnung).1762 Mitgliederinteressen brauchen nicht betroffen zu sein.1763 Kammern anderer Berufszweige (Ärzte-, Anwalts-, Architektenkammern etc.) konnten sich bisher nicht auf § 8 Abs. 3 Nr. 4 berufen,1764 allerdings bestand eine Anspruchsberechtigung mitunter auf Basis von § 8 Abs. 3 Nr. 2.1765 Wegen der erhöhten Anforderungen in § 8 Abs. 3 Nr. 2 wurde die Folgeänderung in § 8 Abs. 3 Nr. 4 nötig.1766 Der Begriff der „anderen berufsständischen Körperschaften des öffentlichen Rechts“ umfasst zum Beispiel die Landwirtschaftskammern und die Rechtsanwaltskammern.1767 Auch privatrechtlich organisierte Landes- und Bundesinnungsverbände des Handwerks sind aktivlegitimiert.1768 Die Klagebefugnis besteht für die Industrie- und Handelskammern, die nach der Handwerksordnung errichteten Körperschaften des öffentlichen Rechts und andere berufsständische Körperschaften des öffentlichen Rechts nur im Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgaben. Dies entspricht der bisherigen Auslegung von Nummer 4 und bedeutet, dass die Kammer von einem Wettbewerbsverstoß so betroffen sein muss,

1759 Vgl. BGH 22.9.2011 – I ZR 229/10 – GRUR 2012, 415 Tz. 11 ff. – Überregionale Klagebefugnis; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 8 Rn. 3.64.

1760 BGH 22.9.2011 – I ZR 229/10 – GRUR 2012, 415 Tz. 11 ff. – Überregionale Klagebefugnis. 1761 Mitteilung der Kommission zu Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, mit der die Richtlinie 98/27/EG kodifiziert wird, bezüglich der qualifizierten Einrichtungen, die berechtigt sind, eine Klage im Sinne des Artikels 2 dieser Richtlinie zu erheben, Amtsblatt der Europäischen Union, C 237/3, 15.7.2019 (https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52019XC0715(01)&from=DE). 1762 Teplitzky/Büch Kap. 13 Rn. 32; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.65 f.; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 280. 1763 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 280. 1764 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 280. 1765 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.65; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 280. 1766 BTDrucks. 19/12084 S. 27. 1767 BTDrucks. 19/12084 S. 27. 1768 BTDrucks. 19/22238 S. 17. Hofmann

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E. Spezieller Auskunftsanspruch (Absatz 5)

dass dessen Verfolgung in ihren Aufgabenbereich fällt.1769 Die Gewerkschaften sind entsprechend ihrer bisherigen Klagebefugnis nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 auch weiterhin im Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgaben bei der Vertretung selbständiger beruflicher Interessen klagebefugt.1770

E. Spezieller Auskunftsanspruch (Absatz 5) I. Allgemeines Über § 8 Abs. 5 wird zugunsten der Anspruchsberechtigten aus § 8 Abs. 3 Nr. 2, 3 und Nr. 4, 250 nicht aber für Mitbewerber,1771 ein spezieller Auskunftsanspruch statuiert. Der Anspruch ist zur Verhinderung von Missbrauch nicht abtretbar.1772 Es handelt sich um einen Fall einer Drittauskunft. § 8 Abs. 5 verweist in Satz 1 hierfür auf die entsprechende Anwendung des § 13 UKlaG.1773 Der Telos der Norm liegt darin, dass die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen nicht daran scheitern soll, dass der hinter einer bloßen Telefonnummer stehende Wettbewerbsverletzer im Verborgenen bleiben kann.1774 Ansprüche drohten praktisch leerzulaufen, da die betreffenden Unternehmen nur eine Postfach-Adresse bekanntgeben oder nur mit einer Internet-Adresse oder gar nur mit einer Service-Telefonnummer auftreten, unter denen sie nicht verklagt werden können.1775 Daher kann von demjenigen, der geschäftsmäßig Post-, Telekommunikations- oder Telemediendienste erbringt (z. B. Deutsche Post, DENIC) oder derjenigen Personen, die an der Erbringung solcher Dienste mitwirken, Auskunft über Namen und die zustellungsfähige Anschrift eines Beteiligten an Post-, Telekommunikations- oder Telemediendienste verlangt werden. Mitwirkende sind nur beteiligte Unternehmer, nicht dagegen die Arbeitnehmer eines Diensteanbieters.1776 Die Vorschrift ist ausweislich des Wortlauts neben den Unterlassungsansprüchen auch auf Beseitigungsansprüche, nicht dagegen auf sonstige Ansprüche (namentlich Schadensersatzansprüche) anwendbar.1777 Durch das Gesetz zur Verbesserung der zivilrechtlichen Durchsetzung von verbraucherschützenden Vorschriften des Datenschutzrechts hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass der Auskunftsanspruch entsprechend § 13 UKlaG nicht nur zur Durchsetzung der Unterlassungsansprüche nach § 8 Abs. 1 besteht, sondern auch zur Durchsetzung der dort geregelten Beseitigungsansprüche.1778 Durch Satz 2 soll klargestellt werden, dass die Regelungen zu den zivilrechtlichen Rechtsfolgen sowohl hinsichtlich der Klagebefugnis als auch hinsichtlich der Anspruchsgrundlagen abschließend sind. Ein Wettbewerbsverstoß kann daher nicht über das UKlaG geltend gemacht werden.1779 Der Anspruch kann im Wege der Leistungsklage, ggf. auch im einstweiligen Rechtsschutz durchgesetzt werden.1780 Das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs brauchte eine redaktionelle Anpassung. Statt auf § 4a UKlaG wird wegen einer Verschiebung in der Nummerierung nun auf § 4e UKlaG verwiesen.1781

1769 1770 1771 1772 1773 1774 1775 1776 1777 1778 1779 1780 1781 169

BTDrucks. 19/12084 S. 27. BTDrucks. 19/12084 S. 27. Vgl. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 189. Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 748; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 4.2. Näher zu dieser Norm BTDrucks. 14/6857 S. 70 ff. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 188; BTDrucks. 14/6857 S. 70 f. Vgl. BGH 11.4.2002 – I ZR 306/99 – GRUR 2002, 720, 722 – Postfachanschrift; BTDrucks. 14/6857 S. 71 f. BTDrucks. 14/6857 S. 71. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 191; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 4.1. BTDrucks. 18/4631 S. 26. BTDrucks. 15/1487 S. 23. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 191; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 4.6. BTDrucks. 19/12084 S. 7 und S. 27. Hofmann

§8

Beseitigung und Unterlassung

II. Wortlaut des § 13 UKlaG 251 Die exakten Voraussetzungen des Auskunftsanspruchs einschließlich des Anspruchs für die Kosten der Auskunft ergeben sich aus dem Wortlaut des § 13 UKlaG. Dieser wurde durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs 2020 angepasst.1782 Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut:1783 § 13 UKlaG Auskunftsanspruch der anspruchsberechtigten Stellen (1) Wer geschäftsmäßig Post-, Telekommunikations- oder Telemediendienste erbringt oder an der Erbringung solcher Dienste mitwirkt, hat anspruchsberechtigten Stellen nach § 3 Absatz 1 Satz 1 auf deren Verlangen den Namen, und die zustellfähige Anschrift eines an Post-, Telekommunikations- oder Telemediendiensten Beteiligten mitzuteilen, wenn diese Stellen schriftlich versichern, dass sie die Angaben zur Durchsetzung ihrer Ansprüche nach den §§ 1 bis 2a oder nach § 4e benötigen und nicht anderweitig beschaffen können. (2) 1Der Anspruch besteht nur, soweit die Auskunft ausschließlich anhand der bei dem Auskunftspflichtigen vorhandenen Bestandsdaten erteilt werden kann. 2Die Auskunft darf nicht deshalb verweigert werden, weil der Beteiligte, dessen Angaben mitgeteilt werden sollen, in die Übermittlung nicht einwilligt. (3) 1Der Auskunftspflichtige kann von dem Auskunftsberechtigten einen angemessenen Ausgleich für die Erteilung der Auskunft verlangen. 2Der Auskunftsberechtigte kann von dem Beteiligten, dessen Angaben mitgeteilt worden sind, Erstattung des gezahlten Ausgleichs verlangen, wenn er gegen diesen Beteiligten einen Anspruch nach den §§ 1 bis 2a oder nach § 4e hat. § 4e Unterlassungsanspruch bei innergemeinschaftlichen Verstößen (1) Wer einen Verstoß im Sinne von Artikel 3 Nummer 5 der Verordnung (EU) 2017/2394 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2017 über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 (ABl. L 345 vom 27.12.2017, S. 1), die zuletzt durch die Richtlinie (EU) 2019/771 (ABl. L 136 vom 22.5.2019, S. 28) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung, begeht, kann auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. (2) 1Die Ansprüche stehen den Stellen nach § 3 Absatz 1 Satz 1 zu. 2Es wird unwiderleglich vermutet, dass ein nach § 7 Absatz 3 des EU-Verbraucherschutzdurchführungsgesetzes benannter Dritter eine Stelle nach Satz 1 ist. 3§ 3 Absatz 1 Satz 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden.

1782 BTDrucks. 19/12084 S. 14 und S. 39. 1783 Dazu vgl. BTDrucks. 14/6857 S. 71 f. Hofmann

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§ 8a Anspruchsberechtigte bei einem Verstoß gegen die Verordnung (EU) 2019/1150 Anspruchsberechtigt nach § 8 Absatz 1 sind bei einem Verstoß gegen die Verordnung (EU) 2019/1150 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten (ABl. L 186 vom 11.7.2019, S. 57) abweichend von § 8 Absatz 3 die Verbände, Organisationen und öffentlichen Stellen, die die Voraussetzungen des Artikels 14 Absatz 3 und 4 der Verordnung (EU) 2019/1150 erfüllen.

A. Einführung Mit der VO (EU) 2019/1150 (gültig seit 12.7.2020) soll zum reibungslosen Funktionieren des Bin- 1 nenmarkts beigetragen werden, indem Vorschriften festgelegt werden, mit denen sichergestellt wird, dass für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten und Nutzer mit Unternehmenswebsite im Hinblick auf Suchmaschinen eine angemessene Transparenz, Fairness und wirksame Abhilfemöglichkeiten geschaffen werden (Art. 1 VO (EU) 2019/1150).1 Die sogenannte P2B-Verordnung schafft erstmals einen umfassenden Regelungsrahmen für die Plattformwirtschaft in der Europäischen Union.2 Sie gilt für Online-Vermittlungsdienste. Dieser Begriff ist in Art. 2 Nr. 2 VO (EU) 2019/1150 legal definiert. Praktisch werden Online-Marktplätze (z. B. Amazon, Ebay), Hotelbuchungsportale (z. B. Booking, HRS, Expedia) und App-Stores (z. B. Google Play, Apple App Store) erfasst.3 In der Verordnung finden sich u. a. Bestimmungen zu Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), Transparenzanforderungen für Rankings und Bestpreisklauseln und Vorgaben für Beschwerde- und Mediationsverfahren. Die Verordnung enthält keinen eigenständigen Sanktionsmechanismus.4 Nach Art. 15 P2B-Verordnung sorgt jeder Mitgliedstaat für eine angemessene und wirksame Durchsetzung dieser Verordnung. Die Mitgliedstaaten erlassen Vorschriften über die Maßnahmen, die bei Verstößen gegen diese Verordnung anwendbar sind, und stellen deren Umsetzung sicher. Die Maßnahmen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein (Art. 15 Abs. 2 P2B-Verordnung). In Deutschland erfüllt ein Verstoß gegen die Vorschriften der P2B-Verordnung den Tatbestand des § 3a; die Regelungen der P2B-Verordnung sind Marktverhaltensregeln.5 Folglich wären die in § 8 Abs. 3 Nr. 3 Genannten zur Durchsetzung der Verstöße aktivlegitimiert. Zur Durchsetzung der Verordnung sieht Art. 14 P2B-Verordnung indes eine neue, autonom geregelte Verbandsklagebefugnis vor.6 Dahinter steht die Erwägung des europäischen Gesetzgebers, dass ausschließlich individuelle Klagerechte ausweislich von Erwägungsgrund 44 P2B-Verordnung nicht ausreichend sind.7 Per se ausgeschlossen sind individuelle Klagerechte freilich nicht.8 Im nationalen Recht wäre damit eine Aktivlegitimation von Mitbewerbern durchaus denkbar.9 Der deutsche Gesetzgeber scheint dies aber anders zu sehen: 1 Überblick bei Alexander WRP 2020, 945; Tribess GWR 2020, 233; Busch GRUR 2019, 788; Schneider/Krämer WRP 2020, 1128; Voigt/Reuter MMR 2019, 783; Müller InTeR 2019, 105; Höppner/Schulz ZIP 2019, 2329; zum Entwurf TwiggFlesner EuCML 2018, 222. 2 Busch GRUR 2019, 788, 789. 3 Busch GRUR 2019, 788, 789. 4 Tribess GWR 2020 233, 237 f.; Voigt/Reuter MMR 2019, 783, 787. 5 BTDrucks. 19/20664 S. 8; Schneider/Krämer WRP 2020, 1128, 1136; Voigt/Reuter MMR 2019, 783, 787 a. A. Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 8a Rn. 2. 6 Vgl. Busch GRUR 2019, 788, 796. 7 Vgl. auch Busch GRUR 2019, 788, 796; er spricht sich für die Schaffung behördlicher Kompetenzen als einen Beitrag zur effektiven Rechtsdurchsetzung aus. 8 Ausdrücklich Erwägungsgrund 44 UAbs. 2 a. E. P2B-Verordnung. 9 Vgl. Voigt/Reuter MMR 2019, 783, 787. 171 https://doi.org/10.1515/9783110545968-002

Hofmann

§ 8a

Anspruchsberechtigte bei einem Verstoß gegen die Verordnung (EU) 2019/1150

Die Voraussetzungen der Klagebefugnis in Artikel 14 der P2B-Verordnung weichen nach der Gesetzesbegründung „von den Voraussetzungen in § 8 UWG ab“, so dass im UWG „eine Klarstellung in Bezug auf die Klagebefugnis bei Verstößen gegen die P2B-Verordnung notwendig“ sei.10 Eine Eingrenzung auf Verbände findet sich im Wortlaut des § 8a nicht, erscheint aber mit Blick auf die europäische Systematik und Erwägungsgrund 44 UAbs. 2 a. E. auch nicht ausgeschlossen. Da der Gesetzgeber auch nur von einer „Klarstellung“ spricht,11 sind richtigerweise auch Mitbewerber berechtigt, Verstöße gegen die P2B-Verordnung durchzusetzen. Jedenfalls für Verbände ist Art. 14 P2B-Verordnung lex specialis zu § 8 Abs. 3, da die Anforderungen an Verbände speziell geregelt sind. Soweit die relevanten Aspekte nicht durch die Bestimmungen der P2B-Verordnung geregelt werden, bleibt die Anwendung der Bestimmungen des UWG einschließlich der Durchsetzungsmechanismen ohnehin unberührt.12 § 8a fand seinen Weg in das UWG aufgrund des vom Deutschen Bundestag am 1.7.2020 beschlossenen Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes und weiterer Gesetze (BTDrucks. 19/18789, 19/20664).

B. Aktivlegitimation von Verbänden und öffentlichen Stellen nach P2B-Verordnung 2 Ausweislich von Art. 14 Abs. 1 P2B-Verordnung haben Organisationen und Verbände, die ein berechtigtes Interesse an der Vertretung gewerblicher Nutzer oder von Nutzern mit Unternehmenswebsite haben, sowie in den Mitgliedstaaten eingerichtete öffentliche Stellen das Recht, zuständige nationale Gerichte in der Europäischen Union anzurufen, und zwar entsprechend den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem die Klage gegen einen Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten oder von Online-Suchmaschinen wegen der Nichteinhaltung der einschlägigen, in dieser Verordnung festgelegten Bestimmungen mit dem Ziel eingereicht wird, diese Nichteinhaltung zu beenden oder zu untersagen. Bestimmte Verbände können damit Unterlassungsklagen erheben, um eine künftige Schädigung, die die Tragfähigkeit der Geschäftsbeziehungen in der Online-Plattformwirtschaft beeinträchtigen könnte, zu vermeiden.13 Organisationen oder Verbände haben das in Art. 14 Abs. 1 P2B-Verordnung genannte Recht gemäß Art. 14 Abs. 3 P2B-Verordnung nur dann, wenn sie alle folgenden Bedingungen erfüllen: (1) Sie sind nach dem Recht eines Mitgliedstaats ordnungsgemäß errichtet; (2) sie verfolgen Ziele, die im kollektiven Interesse der Gruppe gewerblicher Nutzer oder der Nutzer mit Unternehmenswebsite sind, die sie dauerhaft vertreten; (3) sie verfolgen keine Gewinnerzielungsabsicht und (4) ihre Entscheidungsfindung wird nicht unangemessen durch Drittgeldgeber, insbesondere durch Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten oder Online-Suchmaschinen, beeinflusst. Diese Anforderungen sollten die Ad-hoc-Gründung von Organisationen oder Verbänden zum Zweck einer bestimmten Klageeinreichung oder bestimmter Klageeinreichungen oder aus Erwerbszwecken verhindern.14 Nach Art. 14 Abs. 3 S. 2 P2B-Verordnung veröffentlichen zu diesem Zweck die Organisationen und Verbände alle Informationen darüber, wer ihre Mitglieder sind, und über ihre Finanzierungsquellen. Zur Vermeidung von Interessenkonflikten soll insbesondere verhindert werden, dass Organisationen oder Verbände, die gewerbliche Nutzer oder Nutzer mit Unternehmenswebsite vertreten, unter jeglichem unangemessenen Einfluss von Anbietern von Online-Vermittlungsdiensten oder OnlineSuchmaschinen stehen. Die vollständige Offenlegung von Informationen über Mitgliedschaft und Finanzierungsquellen soll den nationalen Gerichten die Beurteilung der Frage erleichtern, ob diese Auswahlkriterien erfüllt sind.15 Nach Art. 14 Abs. 4 sind in Mitgliedstaaten, in denen öffentli10 11 12 13 14 15

BTDrucks. 19/20664 S. 8; vgl. Fritzsche WRP 2020, 1367, 1371. BTDrucks. 19/20664 S. 8. Alexander WRP 2020, 945, 949; Köhler//Bornkamm/Feddersen § 8a Rn. 3. Vgl. Erwägungsgrund 44 UAbs. 1 S. 3 P2B-Verordnung. Erwägungsgrund 44 UAbs. 1 S. 6 P2B-Verordnung. Erwägungsgrund 44 UAbs. 2 P2B-Verordnung.

Hofmann

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B. Aktivlegitimation von Verbänden und öffentlichen Stellen nach P2B-Verordnung

§ 8a

che Stellen eingerichtet wurden, diese berechtigt, das in Absatz 1 genannte Recht auszuüben, sofern sie nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats damit beauftragt wurden, die kollektiven Interessen von gewerblichen Nutzern oder von Nutzern mit Unternehmenswebsite wahrzunehmen, oder dafür zu sorgen, dass die in dieser Verordnung festgelegten Bestimmungen eingehalten werden. Die Mitgliedstaaten können Organisationen oder Verbände mit Sitz in ihrem Mitgliedstaat, die mindestens die Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 P2B-Verordnung erfüllen, auf deren Antrag sowie öffentlichen Stellen mit Sitz in ihrem Mitgliedstaat, die die Anforderungen des Absatzes 4 erfüllen, benennen, die das in Art. 14 Abs. 1 P2B-Verordnung genannte Recht erhalten. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission Namen und Zweck aller solcher benannten Organisationen, Verbände oder öffentlichen Stellen mit (Art. 14 Abs. 5 P2B-Verordnung). Die Kommission erstellt gemäß Art. 14 Abs. 6 P2B-Verordnung ein Verzeichnis der gemäß Art. 14 Abs. 5 P2B-Verordnung benannten Organisationen, Verbände und öffentlichen Stellen. Dieses Verzeichnis enthält den Zweck dieser Organisationen, Verbände und öffentlichen Stellen. Es wird im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Änderungen an diesem Verzeichnis werden umgehend veröffentlicht und ein aktualisiertes Verzeichnis wird alle sechs Monate allgemein zugänglich gemacht. Die Organisationen, Verbände und öffentlichen Stellen, die nicht von einem Mitgliedstaat benannt wurden, sollten dessen unbeschadet die Möglichkeit haben, Gerichtsverfahren vor den nationalen Gerichten anzustrengen, wobei die Berechtigung zur Klageerhebung anhand der in der Verordnung vorgegebenen Kriterien zu prüfen ist.16 Die Gerichte akzeptieren die Liste nach Art. 14 Abs. 6 P2B-Verordnung als Nachweis der 3 Berechtigung der Organisation, des Verbandes oder der öffentlichen Stelle zur Klageerhebung unbeschadet ihres Rechts zu prüfen, ob der Zweck des Klägers dessen Klageerhebung im Einzelfall rechtfertigt. Äußert ein Mitgliedstaat oder die Kommission Bedenken hinsichtlich der Erfüllung der in Art. 14 Abs. 3 P2B-Verordnung genannten Kriterien durch eine Organisation oder einen Verband oder der in Art. 14 Abs. 4 P2B-Verordnung genannten Kriterien durch eine öffentliche Stelle, so prüft der Mitgliedstaat, der die Organisation, den Verband oder die öffentliche Stelle nach Art. 14 Abs. 5 P2B-Verordnung benannt hat, die Bedenken und widerruft gegebenenfalls die Benennung, wenn eines oder mehrere der Kriterien nicht erfüllt sind (Art. 14 Abs. 8 P2B-Verordnung).

16 Erwägungsgrund 45 a. E. P2B-Verordnung. 173

Hofmann

§ 8b Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände (1) Das Bundesamt für Justiz führt eine Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände und veröffentlicht sie in der jeweils aktuellen Fassung auf seiner Internetseite. (2) Ein rechtsfähiger Verband, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben es gehört, gewerbliche oder selbstständige berufliche Interessen zu verfolgen und zu fördern sowie zu Fragen des lauteren Wettbewerbs zu beraten und zu informieren, wird auf seinen Antrag in die Liste eingetragen, wenn 1. er mindestens 75 Unternehmer als Mitglieder hat, 2. er zum Zeitpunkt der Antragstellung seit mindestens einem Jahr seine satzungsmäßigen Aufgaben wahrgenommen hat, 3. auf Grund seiner bisherigen Tätigkeit sowie seiner personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung gesichert erscheint, dass er a) seine satzungsmäßigen Aufgaben auch künftig dauerhaft wirksam und sachgerecht erfüllen wird und b) seine Ansprüche nicht vorwiegend geltend machen wird, um für sich Einnahmen aus Abmahnungen oder Vertragsstrafen zu erzielen, 4. seinen Mitgliedern keine Zuwendungen aus dem Verbandsvermögen gewährt werden und Personen, die für den Verband tätig sind, nicht durch unangemessen hohe Vergütungen oder andere Zuwendungen begünstigt werden. (3) § 4 Absatz 3 und 4 sowie die §§ 4a bis 4d des Unterlassungsklagengesetzes sind entsprechend anzuwenden.

Übersicht 1

6.

A.

Einführung

B.

Qualifizierte Wirtschaftsverbände

I.

Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände des 2 Bundesamts für Justiz (Abs. 1)

II. 1. 2. 3. 4. 5.

Eintragungsvoraussetzungen (Abs. 2) 3 Allgemeines 4 Rechtsfähige Verbände 5 Verbandszweck 8 Mitgliedsunternehmen (Nr. 1) 10 Bestandsfrist (Nr. 2)

2

3 7. III.

Fähigkeit zur Erfüllung der satzungsmäßigen Aufgaben und Missbrauchsvorbehalt 11 (Nr. 3) 11 a) Übersicht 12 b) Personelle Ausstattung 13 c) Finanzielle Ausstattung 14 d) Sachliche Ausstattung 15 e) Gebührenerzielungsinteresse 16 Mitgliederbegünstigung (Nr. 4) Anwendung bestimmter Normen des UKlaG 17 (Abs. 3)

A. Einführung 1 § 8b wurde durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs neu in das UWG eingefügt.1 § 8b regelt die Voraussetzungen für Wirtschaftsverbände, die in die neue Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände beim Bundesamt für Justiz eingetragen werden möchten, damit sie die Abwehransprüche aus § 8 Abs. 1 geltend machen können. Während es bisher den Gerichten im Verletzungsverfahren oblag, die an Wirtschaftsverbände gestellten Anforderungen zu überprüfen, wird die Prüfung nun zentral vom Bundesamt für Justiz vorgenommen. Dadurch werden die Gerichte entlastet und Missbrauch vorgebeugt. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass die Gerichte mit der Prüfung, ob die Voraussetzungen der Klagebefugnis eines Wirtschafts1 BTDrucks. 19/22238 S. 5 f. Hofmann https://doi.org/10.1515/9783110545968-003

174

B. Qualifizierte Wirtschaftsverbände

§ 8b

verbands tatsächlich vorlagen, vielfach überfordert waren.2 Die Struktur der Norm orientiert sich an § 4 UKlaG. Für die Klagebefugnis von Verbraucherverbänden war schon bisher die Eintragung in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG konstitutiv.3 Die Rechtsprechung hierzu kann ergänzend herangezogen werden. Auch wenn die sachlichen Voraussetzungen der Eintragungsfähigkeit von Wirtschaftsverbänden um weitere Kriterien ergänzt wurden, finden sich die bisherigen Kriterien weitgehend auch in der Neuregelung. Die bisherige Rechtsprechung bleibt damit im Ansatz aktuell. Allerdings werden künftig die Anforderungen an Wirtschaftsverbände nicht mehr ohne Weiteres durch die Zivilgerichte überprüft werden können. Ergeben sich in einem Rechtsstreit begründete Zweifel daran, ob eine qualifizierte Einrichtung, die in der Liste nach § 4 UKlaG eingetragen ist, die Eintragungsvoraussetzungen nach § 4 Abs. 2 S. 1 UKlaG erfüllt, kann das Gericht gemäß § 4a UKlaG (vgl. § 8b Abs. 3) das Bundesamt für Justiz zur Überprüfung der Eintragung auffordern und die Verhandlung bis zum Abschluss der Überprüfung aussetzen.4

B. Qualifizierte Wirtschaftsverbände I. Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände des Bundesamts für Justiz (Abs. 1) Das Bundesamt für Justiz führt eine Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände und veröffent- 2 licht sie in der jeweils aktuellen Fassung auf seiner Internetseite. Eine Veröffentlichung im Bundesanzeiger ist nicht vorgesehen. Dafür besteht angesichts der niedrigschwelligen Verfügbarkeit von Internetquellen kein Bedürfnis.5

II. Eintragungsvoraussetzungen (Abs. 2) 1. Allgemeines Ein Verband ist unter den in den Nummern 1 bis 4 genannten Voraussetzungen auf seinen An- 3 trag in die Liste qualifizierter Wirtschaftsverbände einzutragen. In Betracht kommen von vornherein nur rechtsfähige Verbände, zu deren satzungsmäßigen Aufgaben es gehört, gewerbliche oder selbstständige berufliche Interessen zu verfolgen und zu fördern sowie zu Fragen des lauteren Wettbewerbs zu beraten und zu informieren. Auf die bisherige Rechtsprechung kann, soweit die Begrifflichkeiten aus der Vorgängernorm weiterverwendet werden, Bezug genommen werden. Bisher stellte der Wortlaut freilich nur auf die satzungsmäßigen Aufgaben der Verfolgung gewerblicher oder selbstständiger beruflicher Interessen ab. Dies wurde ergänzt um die Aufgabe der Förderung dieser Interessen. Darüber hinaus muss es nunmehr auch zu den satzungsmäßigen Aufgaben gehören, zu Fragen des lauteren Wettbewerbs zu beraten und zu informieren.6

2. Rechtsfähige Verbände Die Anspruchsberechtigung steht nur rechtsfähigen Verbänden zu (vgl. auch § 50 Abs. 1 ZPO). 4 Von der Überlegung, nur eingetragene Vereine in die Liste einzutragen, wurde Abstand genom2 3 4 5 6

BTDrucks. 19/12084 S. 27. BGH 4.7.2019 – I ZR 149/18 – GRUR 2019, 966 Rn. 20 – Umwelthilfe. Vgl. Hohlweck WRP 2020, 266, 268. BTDrucks. 19/12084 S. 37. BTDrucks. 19/12084 S. 28.

175

Hofmann

§ 8b

Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände

men.7 Zur Gleichbehandlung ausländischer Verbände kommt es weiterhin nur auf die Rechtsfähigkeit an. Die Voraussetzung, dass nur im Vereinsregister eingetragene Wirtschaftsverbände Ansprüche nach § 8 Abs. 1 geltend machen können, würde die Niederlassungsfreiheit aus Artikel 49 AEUV beeinträchtigen.8 Unter § 8 Abs. 3 Nr. 2 fallen somit weiterhin auch Verbände, die nach ausländischem Recht rechtsfähig sind.9 Die Rechtsfähigkeit muss nicht nur zum Zeitpunkt der Verletzungshandlung vorliegen, sondern auch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung.10 Das Verletzungsgericht kann dies aber nicht mehr selbst ohne Weiteres berücksichtigen (Rn. 1). Konstitutiv für einen rechtsfähigen Verband ist das Vorliegen einer körperschaftlichen Struktur, so dass (rechtsfähige) Personengesellschaften ausscheiden.11 Zu den rechtsfähigen Verbänden des Privatrechts zählen rechtsfähige Vereine, Stiftungen, Aktiengesellschaften, Genossenschaften oder die GmbH (juristische Personen). Unter § 8 Abs. 3 Nr. 2 fallen auch juristische Personen des öffentlichen Rechts, beispielsweise eine Handwerksinnung.12 Auch die Kammern der freien Verbände (Rechtsanwaltskammern,13 Steuerberaterkammern,14 Ärztekammern,15 Architektenkammern16) sind Verbände im Sinne dieser Vorschrift. Die Rechtsfähigkeit folgt aus dem Gesetz.17 Namentlich die Kammern freier Berufe sind also Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen, weil auch sie – ungeachtet ihrer öffentlich-rechtlichen Aufgabenstellung – die beruflichen Belange ihrer Mitglieder zu wahren und zu fördern haben.18 Die Klagebefugnis der Rechtsanwaltskammern besteht auch hinsichtlich der Geltendmachung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche gegen ihre Mitglieder.19 Dies ist nicht deshalb unverhältnismäßig, weil auch ein Vorgehen im Wege der Berufsgerichtsbarkeit (Ergreifen berufsrechtlicher Maßnahmen in Form von Verwaltungsakten) möglich wäre.20 Praktisch finden sich vor allem Fachverbände und Wettbewerbsvereine.21 Für Fachverbände ist kennzeichnend, dass diese die Interessen eines bestimmten Wirtschafts- oder Gewerbezweigs bzw. einer bestimmten Berufsgruppe wahren wollen.22 Bei den Wettbewerbsvereinigungen (Zusammenschlüsse von Gewerbetreibenden, Verbände und Körperschaften zum Zwecke der Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs)23 spielt vor allem die Wettbewerbszentrale praktisch eine wichtige Rolle.24

7 BTDrucks. 19/22238 S. 5 f. 8 BTDrucks. 19/22238 S. 17. 9 BGH 4.6.1987 – I ZR 109/85 – GRUR 1988, 453, 454 – Ein Champagner unter den Mineralwässern; vgl. MünchKommUWG/Ottofülling § 8 Rn. 362.

10 MünchKommUWG/Ottofülling § 8 Rn. 366; a. A. Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 292. 11 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.31; anders Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 289; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 96. 12 BGH 27.9.1995 – I ZR 156/93 – GRUR 1996, 70, 70 f. – Sozialversicherungsfreigrenze. 13 BGH 13.3.2003 – I ZR 143/00 – GRUR 2003, 886 – Erbenermittler. 14 BGH 9.11.2000 – I ZR 185/98 – GRUR 2001, 348, 348 – Beratungsstelle im Nahbereich. 15 BGH 20.5.1999 – I ZR 40/97 – GRUR 1999, 1009 – Notfalldienst für Privatpatienten; für Zahnärztekammern BGH 8.6.2000 – I ZR 269/97 – GRUR 2001, 181, 182 – dentalästhetika; BGH 6.4.2006 – I ZR 272/03 – GRUR 2006, 598 Tz. 12 – Zahnarztbriefbogen. 16 BGH 9.7.1981 – VII ZR 139/80 – NJW 1981, 2351 – Architektenhonorarordnung. 17 Beispielsweise § 90 Handwerksordnung; Art. 52 Abs. 2 S. 2 BayHKaG. 18 BGH 25.6.2015 – I ZR 145/14 – GRUR 2015, 1019 Tz. 11 – Mobiler Buchhaltungsservice; BGH 25.10.2001 – I ZR 29/ 99 – GRUR 2002, 717, 718 – Vertretung der Anwalts-GmbH. 19 BGH 25.10.2001 – I ZR 29/99 – GRUR 2002, 717, 718 – Vertretung der Anwalts-GmbH. 20 BGH 6.4.2006 – I ZR 272/03 – GRUR 2006, 598 Tz. 14 – Zahnarztbriefbogen; MünchKommUWG/Ottofülling § 8 Rn. 363; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 96. 21 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 251; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 96. 22 MünchKommUWG/Ottofülling § 8 Rn. 357. 23 MünchKommUWG/Ottofülling § 8 Rn. 361; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 96. 24 MünchKommUWG/Ottofülling § 8 Rn. 361. Hofmann

176

B. Qualifizierte Wirtschaftsverbände

§ 8b

3. Verbandszweck Der Verbandszweck muss wie bisher zum einen auf die Verfolgung und Förderung gewerbli- 5 cher oder selbstständiger beruflicher Interessen gerichtet sein.25 Zum anderen muss es zu den satzungsmäßigen Aufgaben gehören, zu Fragen des lauteren Wettbewerbs zu beraten und zu informieren.26 Der Verbandszweck muss sich aus der Satzung ergeben. Gewerblichen Interessen dient da- 6 bei auch die Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs.27 Die Benennung der Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs muss jedoch nicht ausdrücklich erfolgen. Es genügt, dass sich dieser Zweck (durch Auslegung)28 hinreichend deutlich aus der Satzung ergibt.29 Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn es zu den Satzungszwecken gehört, wirtschaftlich geordnete Verhältnisse im Taxigewerbe zu schaffen und aufrechtzuerhalten, die Ausübung des Gewerbes und den Verkehrseinsatz der Gewerbeangehörigen zu fördern sowie den Gemeinschaftsgeist und die Standesehre unter allen Angehörigen des Taxigewerbes zu stärken. Dies lässt hinreichend deutlich erkennen, dass der Verband das Ziel hat, den lauteren Wettbewerb im Taxigewerbe zu fördern und unlauteren Wettbewerb zu bekämpfen.30 Der Verbandszweck der Stärkung der Leistungsfähigkeit der Mitglieder umfasst auch die Abwehr und Verfolgung wettbewerbswidrigen Verhaltens von Wettbewerbern seiner Mitglieder.31 Allgemein lässt sich sagen, dass aus dem in der Satzung enthaltenen Vereins-/Verbandszweck, gewerbliche Interessen der Mitglieder zu fördern, regelmäßig auch der Zweck folgt, gegen unlauteren Wettbewerb vorzugehen.32 Nicht erforderlich ist dabei, dass die unmittelbaren Mitglieder den Verband jeweils ausdrücklich zur Verfolgung von Wettbewerbsverstößen ermächtigt haben.33 Darüber hinaus muss der Verband dies auch durch seine Tätigkeit erfüllen, indem er tatsächlich gewerbliche Interessen verfolgt.34 Bei etablierten Verbänden spricht hierfür eine tatsächliche Vermutung.35 Bei Neugründungen kommt es auf eine Prognose an, wobei Gründungsanlass, Mitgliederzahl, Ausstattung, Struktur und bisherige Tätigkeit zu berücksichtigen sind.36 Geht es dem Verband in Wahrheit um die Erzielung von Einnahmen aus Abmahnungen, kann in jedem Fall § 8c Abhilfe schaffen.37 Auch kommt das Eintragungshindernis aus § 8b Abs. 2 Nr. 3 lit. b in Betracht. Bei einem rechtsfähigen Verein kommt die Entziehung der Rechtsfähigkeit in Betracht.38 Unter den Begriff selbstständig lassen sich auch die freien Berufe subsumieren.39

25 26 27 28 29

Vgl. BGH 27.4.2017 – I ZR 55/16 – GRUR 2017, 1265 Tz. 13 – Preisportal; BTDrucks. 19/12084 S. 28. BTDrucks. 19/12084 S. 28. BGH 6.4.2017 – I ZR 33/16 – GRUR 2017, 926 Tz. 18 – Anwaltsabmahnung II. BGH 19.2.1965 – Ib ZR 45/63 – GRUR 1965, 485, 486 – Versehrten-Betrieb. BGH 6.4.2017 – I ZR 33/16 – GRUR 2017, 926 Tz. 19 – Anwaltsabmahnung II; BGH 16.1.2003 – I ZR 51/02 – GRUR 2003, 454, 455 – Sammelmitgliedschaft. 30 BGH 6.4.2017 – I ZR 33/16 – GRUR 2017, 926 Tz. 19 – Anwaltsabmahnung II. 31 BGH 16.1.2003 – I ZR 51/02 – GRUR 2003, 454, 455 – Sammelmitgliedschaft. 32 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 252. 33 BGH 27.1.2005 – I ZR 146/02 – GRUR 2005, 689, 690 – Sammelmitgliedschaft III; BGH 5.10.1989 – I ZR 56/89 – GRUR 1990, 282, 284 – Wettbewerbsverein IV. 34 BGH 6.4.2017 – I ZR 33/16 – GRUR 2017, 926 Tz. 18 – Anwaltsabmahnung II; BGH 27.1.2005 – I ZR 146/02 – GRUR 2005, 689, 690 – Sammelmitgliedschaft III; BGH 26.5.1994 – I ZR 85/92 – GRUR 1994, 831 – Verbandsausstattung II; BGH 5.10.1989 – I ZR 56/89 – GRUR 1990, 282, 284 – Wettbewerbsverein IV; BGH 26.5.1994 – I ZR 85/92 – GRUR 1994, 831 – Verbandsausstattung II; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 107. 35 BGH 26.5.1994 – I ZR 85/92 – GRUR 1994, 831 – Verbandsausstattung II. 36 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 107. 37 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.34. 38 BGH 14.10.1977 – I ZR 160/75 – GRUR 1978, 182 – Kinder-Freifahrt. 39 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 250. 177

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Zu den satzungsmäßigen Aufgaben muss auch gehören, zu Fragen des lauteren Wettbewerbs zu beraten und zu informieren.40 In § 4 Abs. 2 UKlaG ist schon bisher vom Satzungszweck der Aufklärung und der Beratung die Rede. Es reicht also nicht aus, dass der Verband wettbewerbsrechtliche Ansprüche geltend macht. Durch das weitergehende Erfordernis der satzungsmäßigen Aufgabe der Beratung und Information wird ein weiterer Baustein zur Verhinderung von Missbrauch in das UWG eingebracht. Es reicht aus, dass die Information und Beratung nur gegenüber den eigenen Mitgliedern wahrgenommen wird. Es muss sich um konkrete Beratungen wettbewerbsrechtlicher Fragen im Einzelfall handeln. Nicht ausreichend ist, lediglich auf einer Internetseite Informationen bereit zu stellen oder Flyer oder Broschüren zu veröffentlichen.41

4. Mitgliedsunternehmen (Nr. 1) 8 Voraussetzung für die Eintragung ist, dass der Verband mindestens 75 Unternehmer als Mitglieder hat. Die Zahl 75 ist § 4 Abs. 2 Nr. 1 UKlaG entlehnt. Dadurch soll gewährleistet werden, dass der Verband durch seine Größe seine Aufgaben verantwortlich wahrnimmt.42 Die Mitglieder können dabei aus verschiedenen Branchen stammen. Bei der Mitgliedszahl können auch mittelbare Mitgliedschaften über Verbände berücksichtigt werden.43 Eine andere Frage ist es, ob dem Verband eine erhebliche Zahl von Unternehmern angehört, 9 die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Verbände auch tatsächlich einen erheblichen Anteil der Unternehmen auf dem spezifischen Markt repräsentieren. Ob ein Verband diese Voraussetzung erfüllt, wird nicht abstrakt vom Bundesamt für Justiz kontrolliert, sondern im Einzelfall anhand des geltend gemachten Anspruchs.44 Dieses für den Verletzungsprozess zu beachtende Tatbestandsmerkmal ist bei § 8 kommentiert (Rn. 226 ff.).

5. Bestandsfrist (Nr. 2) 10 Der Verband muss zum Zeitpunkt der Antragstellung seit mindestens einem Jahr seine satzungsmäßigen Aufgaben wahrgenommen haben. Auch diese Voraussetzung findet eine Parallele in § 4 Abs. 2 Nr. 2 UKlaG. Dies soll verhindern, dass ein Verein nur zur Aussprache von Abmahnungen gegründet wird und keinen anderen Zweck oder alternative Finanzierungsmöglichkeiten besitzt.45 Auch dies ist damit eine weitere Stellschraube zur Verhinderung von Abmahnmissbrauch als gesetzgeberisches Ziel.

6. Fähigkeit zur Erfüllung der satzungsmäßigen Aufgaben und Missbrauchsvorbehalt (Nr. 3) 11 a) Übersicht. Voraussetzung ist weiter, dass es auf Grund seiner bisherigen Tätigkeit sowie seiner personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung gesichert erscheint, dass der Verband (1) seine satzungsmäßigen Aufgaben auch künftig dauerhaft wirksam und sachgerecht erfüllen wird und (2) seine Ansprüche nicht vorwiegend geltend machen wird, um 40 41 42 43 44 45

BTDrucks. 19/12084 S. 28. BTDrucks. 19/12084 S. 28. BTDrucks. 19/12084 S. 28. BTDrucks. 19/12084 S. 28. BTDrucks. 19/22238 S. 17. BTDrucks. 19/12084 S. 28.

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für sich Einnahmen aus Abmahnungen oder Vertragsstrafen zu erzielen. Eine positive Beurteilung der bisherigen Tätigkeiten des Vereins wird regelmäßig zu der Prognoseentscheidung führen, dass der Verein die Aufgaben auch in Zukunft angemessen erfüllen wird und die Anspruchsbefugnis nicht missbrauchen wird.46 Damit der Verband seine satzungsgemäßen Aufgaben erfüllen kann, braucht er eine dafür geeignete Ausstattung. Der Satzungszweck darf nicht nur „auf dem Papier bestehen“.47 Der Verband muss in der Lage sein, das Wettbewerbsverhalten zu beobachten und zu bewerten, so dass typische und durchschnittlich schwer zu verfolgende Wettbewerbsverstöße von ihm selbst erkannt und abgemahnt werden können.48 Neben der unmittelbaren Verfolgung von Wettbewerbsverstößen muss er auch andere ebenfalls der Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs dienende Tätigkeiten entfalten, wie die Abhaltung von Mitgliederversammlungen, Herausgabe aufklärender Schriften, Durchführung von Testkäufen, unter Umständen auch die Teilnahme an wettbewerbspolitischen Veranstaltungen oder einen Rundschreibendienst.49 Bei neu gegründeten Verbänden sind in der Anlaufzeit insgesamt geringere Anforderungen an die Ausstattung zu stellen.50 Vor dem Hintergrund des Ausstattungserfordernisses muss ein Wettbewerbsverband auch ohne anwaltlichen Rat in der Lage sein, typische und durchschnittlich schwer zu verfolgende Wettbewerbsverstöße zu erkennen und abzumahnen. Ein Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten besteht daher nicht.51

b) Personelle Ausstattung. In personeller Hinsicht muss fachkundiges Personal vorhanden 12 sein.52 Eine ausreichende personelle Ausstattung des Vereins liegt vor, wenn der Verband Mitarbeiter beschäftigt, die die Qualifikation zur Information und Beratung im Lauterkeitsrecht besitzen und Verstöße rügen können.53 Volljuristen müssen nicht notwendigerweise beschäftigt werden. Die erforderlichen Kenntnisse können sich die Verbandsmitarbeiter auch im Rahmen der Berufspraxis angeeignet haben, so dass sie zumindest ihr spezielles Fachgebiet berührende, durchschnittlich schwierige Wettbewerbsverstöße erkennen und gegebenenfalls selbst verfolgen können.54 An einen Fachverband dürfen dabei keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden, da im Rahmen des Verbandszwecks die Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs hier regelmäßig nur eine untergeordnete Rolle spielt.55 Auch wenn es Verbänden freisteht, sich externer Rechtsanwälte zu bedienen,56 muss der Verband die Letztkontrolle behalten.57 Namentlich bei einem Fachverband soll es dabei ausreichend sein, dass, nachdem von den Mitgliedern allfällige Informationen über Wettbewerbsverstöße eingegangen waren, ein Anwalt mit der weiteren Prüfung und Rechtsverfolgung beauftragt wurde.58 Demgegenüber wird es an der Anspruchsberechtigung des Verbandes fehlen, wenn eine vollständige Aufgabenverlagerung an Anwälte vorliegt, bei der diese in eigener Regie und nach eigenem Ermessen frei entscheiden können, und gleichzeitig verbandsintern keine eigenen personellen Kompetenzen für die Verfol-

46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58

BTDrucks. 19/12084 S. 28. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8b Rn. 3. BGH 26.5.1994 – I ZR 85/92 – GRUR 1994, 831 – Verbandsausstattung II. BGH 26.5.1994 – I ZR 85/92 – GRUR 1994, 831 – Verbandsausstattung II. BGH 5.6.1997 – I ZR 69/95 – GRUR 1998, 489, 490 – Unbestimmter Unterlassungsantrag III. BGH 6.4.2017 – I ZR 33/16 – GRUR 2017, 926 Tz. 12 ff., 21 – Anwaltsabmahnung II. BGH 11.4.1991 – I ZR 82/89 – GRUR 1991, 684 – Verbandsausstattung I; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8b Rn. 7. BTDrucks. 19/12084 S. 28. BGH 27.4.2000 – I ZR 287/97 – GRUR 2000, 1093, 1095 – Fachverband. BGH 27.4.2000 – I ZR 287/97 – GRUR 2000, 1093, 1095 – Fachverband; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 106. BGH 26.5.1994 – I ZR 85/92 – GRUR 1994, 831 – Verbandsausstattung II. BGH 11.4.1991 – I ZR 82/89 – GRUR 1991, 685 – Verbandsausstattung I; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 261. BGH 27.4.2000 – I ZR 287/97 – GRUR 2000, 1093, 1095 f. – Fachverband.

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gung von Wettbewerbsverstößen mehr bestehen.59 Bei der Verfolgung von typischen und durchschnittlich schwer zu verfolgenden Wettbewerbsverstößen handelt es sich schließlich um eine einem Fachverband originär selbst obliegende Aufgabe.60 Schließlich dürften eine eigene Geschäftsführung und Geschäftsstelle regelmäßig unerlässlich sein.61 Als ausreichend wurde es bei einem Verband mit 106 Mitgliedern angesehen, dass dieser neben dem Vorsitzenden einen Volljuristen beschäftigte, der an drei Tagen in der Woche für den Verband tätig ist, zusätzlich zweimal in der Woche ein Rechtsreferendar hinzugezogen wird, für Testkäufe freie Mitarbeiter eingesetzt werden und die Schreibarbeit von zwei Kräften erledigt wird.62 Ein Indiz für eine entsprechende Ausstattung kann ferner sein, wenn sich aus dem Internetauftritt ergibt, dass der Verband über eine Geschäftsleitung, eine Justitiarin und eine Reihe von Verwaltungsangestellten verfügt.63

13 c) Finanzielle Ausstattung. Die finanzielle Ausstattung des Verbandes muss ausreichend sein, um die Aufgaben des Verbandes zu finanzieren.64 Die finanzielle Ausstattung zur Erfüllung der Verbandszwecke setzt zunächst voraus, dass der Verband in der Lage ist, seine aus der Verfolgung des Satzungszweckes erwachsenden Fixkosten zu tragen, also die Kosten für Grundausstattung und -betätigung.65 Der Verband muss darüber hinaus in der Lage sein, Prozesskosten in Verfahren bis hin zur Revisionsinstanz ohne Streitwertherabsetzung zu tragen.66 Der Verband muss also finanziell in der Lage sein, lauterkeitsrechtliche Fragen auch gerichtlich über mehrere Instanzen zu klären.67 Nicht erforderlich ist freilich, dass ein Verband jederzeit liquide Mittel in Höhe des maximalen theoretischen Gesamtkostenrisikos sämtlicher laufender Gerichtsverfahren vorhalten muss, da ansonsten die Möglichkeit zur Prozessführung, insbesondere für kleinere Verbände, in sachlich nicht (mehr) gerechtfertigter Weise eingeschränkt würde.68 Die finanzielle Ausstattung eines Verbands ist aber dann ungenügend, wenn sie zwar jeweils zur Kostendeckung in dem gerade zu entscheidenden Verfahren ausreicht, dabei aber gänzlich unberücksichtigt bliebe, dass der Verband gleichzeitig eine Vielzahl anderer Verfahren führt, aus denen sich für ihn Kostenbelastungen ergeben können.69 Legt der Verband aber eine die Kosten des Streitfalls vielfach übersteigende liquide Finanzausstattung dar und ist nicht bekannt geworden, dass er in der Vergangenheit Zahlungspflichten für Prozesskosten nicht nachgekommen ist, so kann eine unzureichende finanzielle Ausstattung des Verbandes grundsätzlich nur angenommen werden, wenn das bei zurückhaltender Betrachtung realistische Kostenrisiko des Verbandes seine dafür verfügbaren Mittel spürbar übersteigt.70 Die Aufbringung der erforderlichen Finanzmittel wird regelmäßig durch Mitgliedsbeiträge und Spenden erfolgen. Insbesondere die Bemessung des Mitglieds-

59 BGH 11.4.1991 – I ZR 82/89 – GRUR 1991, 684, 684 f. – Verbandsausstattung I; BGH 26.5.1994 – I ZR 85/92 – GRUR 1994, 831, 832 – Verbandsausstattung II. 60 BGH 6.4.2017 – I ZR 33/16 – GRUR 2017, 926 Tz. 22 – Anwaltsabmahnung II. 61 BGH 26.5.1994 – I ZR 85/92 – GRUR 1994, 831, 832 – Verbandsausstattung II; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8b Rn. 8. 62 BGH 5.6.1997 – I ZR 69/95 – GRUR 1998, 489, 490 – Unbestimmter Unterlassungsantrag III. 63 BGH 27.4.2017 – I ZR 55/16 – GRUR 2017, 1265 Tz. 13 – Preisportal. 64 BTDrucks. 19/12084 S. 28. 65 BGH 5.10.1989 – I ZR 56/89 – GRUR 1990, 282, 285 – Wettbewerbsverein IV. 66 BGH 5.3.1998 – I ZR 185/95 – GRUR 1998, 958, 958 – Verbandsinteresse; BGH 27.1.1994 – I ZR 276/91 – GRUR 1994, 385 – Streitwertherabsetzung. 67 BTDrucks. 19/12084 S. 28. 68 BGH 17.8.2011 – I ZR 148/10 – GRUR 2012, 411 Tz. 14 – Glücksspielverband. 69 BGH 17.8.2011 – I ZR 148/10 – GRUR 2012, 411 Tz. 14 – Glücksspielverband. 70 BGH 17.8.2011 – I ZR 148/10 – GRUR 2012, 411 Tz. 14 – Glücksspielverband. Hofmann

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beitrags muss den Verband in die Lage versetzen, satzungsgemäß tätig zu werden. Die Mitgliedschaft darf daher nicht kostenlos sein und der Mitgliedsbeitrag darf nicht so niedrig bemessen sein, dass er für die Finanzierung des Vereins unerheblich ist.71 Darüber hinaus ist es zulässig und nicht ohne weiteres bedenklich, die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen auch durch Abmahngebühren, Prozesskostenübernahmezusagen und Vertragsstrafen zu finanzieren.72 In diesem Sinne kann die Heranziehung der Einnahmen aus Vertragsstrafen73 zur Finanzierung der Fixkosten jedenfalls dann unbedenklich sein, wenn sie dem Verband in einer Höhe und Regelmäßigkeit zufließen, die eine hinreichend sichere Teilbilanzierung auf der Habenseite auch in den Voranschlägen erlauben;74 entsprechendes soll für Abmahngebühren gelten.75 Dabei dürfen die Abmahnpauschalen nicht deutlich überhöht sein oder in einem krassen Missverhältnis zu den sonstigen Einnahmen stehen.76 Ein solches „krasses Missverhältnis“ wurde bei einem Anteil der Einnahmen aus Abmahnungen von rund 47 % betreffend die Gesamteinnahmen – noch – verneint.77 Die Finanzierung des Verbandes darf jedenfalls nicht vorwiegend auf der Verfolgung von Lauterkeitsverstößen basieren.78

d) Sachliche Ausstattung. In Ansehung der sachlichen Ausstattung bedarf es regelmäßig ei- 14 ner eigenen Geschäftsstelle.79 Weitere zur Wahrnehmung der Satzungszwecke erforderliche Sachmittel betreffen Büroräume mit entsprechender Ausstattung, insbesondere in Bezug auf die Kommunikationsmittel (E-Mail, Telefax, Telefon).80

e) Gebührenerzielungsinteresse. Der Verband darf seine Ansprüche nicht vorwiegend gel- 15 tend machen, um für sich Einnahmen aus Abmahnungen oder Vertragsstrafen zu erzielen. Die Verwendung von Einnahmen aus Abmahnungen oder Vertragsstrafen zur Finanzierung des Vereins ist zwar grundsätzlich zulässig, da durch die Rechtsverfolgung Kosten für Personal und Ausstattung entstehen. Die Finanzierung des Vereins darf jedoch nicht vorwiegend auf der Verfolgung von Lauterkeitsverstößen basieren (Rn. 13). Der Verein muss Angaben zur Herkunft seiner finanziellen Ausstattung und zum Verhältnis von Einkünften aus der Abmahntätigkeit und anderen Einkünften wie Mitgliedsbeiträgen und Gebühren für Beratungen machen. Ein niedriger Mitgliedsbeitrag kann darauf hinweisen, dass der Verein sich überwiegend aus Einnahmen aus Kostenerstattungen für Abmahnungen und der Geltendmachung von Vertragsstrafen finanziert.81 Ein weiterer Anhaltspunkt für eine vorwiegende Geltendmachung der Abmahnbefugnis zur Erzielung von Einnahmen und Vertragsstrafen kann ausweislich der Gesetzesbegründung sein, wenn der Verein nie Ordnungsgeldanträge zu Gunsten der Staatskasse stellt.82

71 72 73 74 75 76

BTDrucks. 19/12084 S. 28. BGH 27.1.2005 – I ZR 146/02 – GRUR 2005, 689, 690 – Sammelmitgliedschaft III; BTDrucks. 19/12094 S. 28. BGH 5.10.1989 – I ZR 56/89 – GRUR 1990, 282, 285 – Wettbewerbsverein IV. BGH 27.1.2005 – I ZR 146/02 – GRUR 2005, 689, 690 – Sammelmitgliedschaft III. BGH 20.5.1999 – I ZR 66/97 – GRUR 1999, 1116, 1118 – Wir dürfen nicht feiern. BGH 5.6.1997 – I ZR 69/95 – GRUR 1998, 489, 490 f. – Unbestimmter Unterlassungsantrag III; BGH 11.4.1991 – I ZR 82/89 – GRUR 1991, 684, 685 – Verbandsausstattung; BGH 5.10.1989 – I ZR 56/89 – GRUR 1990, 282, 285 – Wettbewerbsverein IV. 77 BGH 5.6.1997 – I ZR 69/95 – GRUR 1998, 489, 490 f. – Unbestimmter Unterlassungsantrag III. 78 BTDrucks. 19/12094 S. 28. 79 BGH 26.5.1994 – I ZR 85/92 – GRUR 1994, 831, 832 – Verbandsausstattung II; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 106. 80 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 261; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8b Rn. 8; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 106. 81 BTDrucks. 19/12084 S. 28. 82 BTDrucks. 19/12084 S. 28. 181

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Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände

7. Mitgliederbegünstigung (Nr. 4) 16 Einer Eintragung steht es schließlich zuwider, wenn der Verband seinen Mitgliedern Zuwendungen aus dem Verbandsvermögen gewährt oder Personen, die für den Verband tätig sind, durch unangemessen hohe Vergütungen oder andere Zuwendungen begünstigt. Die erzielten Einnahmen sollen stattdessen im Einklang mit den gesetzlichen Satzungszwecken eingesetzt werden.83 Die Vorschrift verbietet jedoch nicht, dass Mitglieder auch entgeltlich für den Verein tätig werden.84 Andere Zuwendungen können etwa Schenkungen, gemischte Schenkungen, Zuwendungen zur Bestreitung von Sonderausgaben, die Befreiung von Verbindlichkeiten oder auch die Begründung eines schuldrechtlichen Anspruchs sein.85 Die Organe des Vereins und für den Verein tätige Personen dürfen nur eine angemessene Vergütung erhalten.86 Die Angemessenheit bemisst sich nach der Qualifikation sowie Art und Umfang der Tätigkeit für den Verein. So können auf Wettbewerbsrecht spezialisierte Juristen eine höhere Vergütung erhalten als Nichtjuristen. Eine höhere Vergütung kann außerdem angemessen sein, wenn die Organe Aufgaben mit Außenwirkung, wie Schulungen oder Vorträge, wahrnehmen oder als Sachverständige auftreten.87

III. Anwendung bestimmter Normen des UKlaG (Abs. 3) 17 Gemäß Art. 8b Abs. 3 sind § 4 Abs. 3 und Abs. 4 sowie die §§ 4a bis 4d des Unterlassungsklagengesetzes entsprechend anzuwenden. Verwiesen wird auf die Norm zur Überprüfung der Eintragung von Amts wegen nach § 4a UKlaG, Berichtspflichten und Mitteilungspflichten (§ 4b UKlaG) und die Aufhebung der Eintragung gemäß § 4c UKlaG. Weitere Regelungen können in einer Verordnung auf Grund des § 4d UKlaG getroffen werden. § 4 Liste der qualifizierten Einrichtungen (1) 1Das Bundesamt für Justiz führt eine Liste der qualifizierten Einrichtungen und veröffentlicht sie in der jeweils aktuellen Fassung auf seiner Internetseite. 2Es übermittelt die Liste mit Stand zum 1. Januar und zum 1. Juli eines jeden Jahres an die Europäische Kommission unter Hinweis auf Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 2009/22/EG. (2) 1Ein eingetragener Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben es gehört, Interessen der Verbraucher durch nicht gewerbsmäßige Aufklärung und Beratung wahrzunehmen, wird auf seinen Antrag in die Liste eingetragen, wenn 1. er mindestens drei Verbände, die im gleichen Aufgabenbereich tätig sind, oder mindestens 75 natürliche Personen als Mitglieder hat, 2. er zum Zeitpunkt der Antragstellung seit mindestens einem Jahr im Vereinsregister eingetragen ist und ein Jahr seine satzungsmäßigen Aufgaben wahrgenommen hat, 3. auf Grund seiner bisherigen Tätigkeit sowie seiner personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung gesichert erscheint, dass er a) seine satzungsgemäßen Aufgaben auch künftig dauerhaft wirksam und sachgerecht erfüllen wird und b) seine Ansprüche nicht vorwiegend geltend machen wird, um für sich Einnahmen aus Abmahnungen oder Vertragsstrafen zu erzielen, 4. den Mitgliedern keine Zuwendungen aus dem Vereinsvermögen gewährt werden und Personen, die für den Verein tätig sind, nicht durch unangemessen hohe Vergütungen oder andere Zuwendungen begünstigt werden.

83 84 85 86 87

BTDrucks. 19/12084 S. 28. BTDrucks. 19/12084 S. 28. BTDrucks. 19/12084 S. 28. BTDrucks. 19/12084 S. 28. BTDrucks. 19/12084 S. 28.

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Es wird unwiderleglich vermutet, dass Verbraucherzentralen sowie andere Verbraucherverbände, wenn sie überwiegend mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, diese Voraussetzungen erfüllen. (3) 1Über die Eintragung wird durch einen schriftlichen Bescheid entschieden, der dem antragstellenden Verein zuzustellen ist. 2Auf der Grundlage eines wirksamen Bescheides ist der Verein unter Angabe des Namens, der Anschrift, des zuständigen Registergerichts, der Registernummer und des satzungsmäßigen Zwecks in die Liste einzutragen. (4) Auf Antrag erteilt das Bundesamt für Justiz einer qualifizierten Einrichtung, die in der Liste eingetragen ist, eine Bescheinigung über ihre Eintragung. § 4a Überprüfung der Eintragung (1) Das Bundesamt für Justiz überprüft von Amts wegen, ob eine qualifizierte Einrichtung, die in der Liste nach § 4 eingetragen ist, die Eintragungsvoraussetzungen nach § 4 Absatz 2 Satz 1 erfüllt, 1. nach Ablauf von zwei Jahren nach ihrer Ersteintragung und danach jeweils nach Ablauf von fünf Jahren nach Abschluss der letzten Überprüfung oder 2. unabhängig von den Fristen nach Nummer 1, wenn begründete Zweifel am Vorliegen der Eintragungsvoraussetzungen bestehen. (2) Ergeben sich in einem Rechtstreit begründete Zweifel daran, ob eine qualifizierte Einrichtung, die in der Liste nach § 4 eingetragen ist, die Eintragungsvoraussetzungen nach § 4 Absatz 2 Satz 1 erfüllt, kann das Gericht das Bundesamt für Justiz zur Überprüfung der Eintragung auffordern und die Verhandlung bis zum Abschluss der Überprüfung aussetzen. (3) Das Bundesamt für Justiz kann die qualifizierten Einrichtungen und deren Vorstandsmitglieder zur Befolgung der Pflichten im Verfahren zur Überprüfung der Eintragung durch die Festsetzung eines Zwangsgelds anhalten. § 4b Berichtspflichten und Mitteilungspflichten (1) 1Die qualifizierten Einrichtungen, die in der Liste nach § 4 Absatz 1 eingetragen sind, sind verpflichtet, bis zum 30. Juni eines jeden Kalenderjahres dem Bundesamt für Justiz für das vorangegangene Kalenderjahr zu berichten über 1. die Anzahl der von ihnen ausgesprochenen Abmahnungen, gestellten Anträge auf einstweilige Verfügungen und erhobene Klagen zur Durchsetzung ihrer Ansprüche unter Angabe der diesen Durchsetzungsmaßnahmen zugrunde liegenden Zuwiderhandlungen, 2. die Anzahl der auf Grund von Abmahnungen vereinbarten strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungen unter Angabe der Höhe der darin vereinbarten Vertragsstrafe, 3. die Höhe der entstandenen Ansprüche auf a) Aufwendungsersatz für Abmahnungen, b) Erstattung der Kosten der gerichtlichen Rechtsverfolgung und c) verwirkte Vertragsstrafen sowie 4. die Anzahl ihrer Mitglieder zum 31. Dezember und deren Bezeichnung. 2 Satz 1 Nummer 4 ist nicht anzuwenden auf qualifizierte Einrichtungen, für die die Vermutung nach § 4 Absatz 2 Satz 2 gilt. (2) Das Bundesamt für Justiz kann die qualifizierten Einrichtungen und deren Vorstandsmitglieder zur Befolgung der Pflichten nach Absatz 1 durch die Festsetzung eines Zwangsgelds anhalten. (3) Gerichte haben dem Bundesamt für Justiz Entscheidungen mitzuteilen, in denen festgestellt wird, dass eine qualifizierte Einrichtung, die in der Liste nach § 4 eingetragen ist, einen Anspruch missbräuchlich geltend gemacht hat. § 4c Aufhebung der Eintragung (1) Die Eintragung einer qualifizierten Einrichtung in der Liste nach § 4 ist mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn 1. die qualifizierte Einrichtung dies beantragt oder 2. die Voraussetzungen für die Eintragung nach § 4 Absatz 2 Satz 1 nicht vorlagen oder weggefallen sind. (2) 1Ist auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte damit zu rechnen, dass die Eintragung nach Absatz 1 Nummer 2 zurückzunehmen oder zu widerrufen ist, so soll das Bundesamt für Justiz das Ruhen der Eintragung für einen bestimmten Zeitraum anordnen. 2Das Ruhen darf für längstens drei Monate angeordnet werden. 3Ruht die Eintragung, ist dies in der Liste nach § 4 zu vermerken.

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(3) Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Entscheidungen nach Absatz 1 oder Absatz 2 haben keine aufschiebende Wirkung. (4) Auf Antrag bescheinigt das Bundesamt für Justiz einem Dritten, der ein rechtliches Interesse daran hat, dass die Eintragung einer qualifizierten Einrichtung in der Liste nach § 4 ruht oder aufgehoben worden ist. § 4d Verordnungsermächtigung Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates die Einzelheiten zu regeln 1. zur Eintragung von eingetragenen Vereinen in die Liste nach § 4 sowie zur Überprüfung und Aufhebung von Eintragungen einer qualifizierten Einrichtung in der Liste nach § 4, einschließlich der in den Verfahren bestehenden Mitwirkungs- und Nachweispflichten und 2. zu den Berichtspflichten der qualifizierten Einrichtungen nach § 4b Absatz 1.

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§ 8c Verbot der missbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen; Haftung (1) Die Geltendmachung der Ansprüche aus § 8 Absatz 1 ist unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist. (2) Eine missbräuchliche Geltendmachung ist im Zweifel anzunehmen, wenn 1. die Geltendmachung der Ansprüche vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder von Kosten der Rechtsverfolgung oder die Zahlung einer Vertragsstrafe entstehen zu lassen, 2. ein Mitbewerber eine erhebliche Anzahl von Verstößen gegen die gleiche Rechtsvorschrift durch Abmahnungen geltend macht, wenn die Anzahl der geltend gemachten Verstöße außer Verhältnis zum Umfang der eigenen Geschäftstätigkeit steht oder wenn anzunehmen ist, dass der Mitbewerber das wirtschaftliche Risiko seines außergerichtlichen oder gerichtlichen Vorgehens nicht selbst trägt, 3. ein Mitbewerber den Gegenstandswert für eine Abmahnung unangemessen hoch ansetzt, 4. offensichtlich überhöhte Vertragsstrafen vereinbart oder gefordert werden, 5. eine vorgeschlagene Unterlassungsverpflichtung offensichtlich über die abgemahnte Rechtsverletzung hinausgeht, 6. mehrere Zuwiderhandlungen, die zusammen hätten abgemahnt werden können, einzeln abgemahnt werden oder 7. wegen einer Zuwiderhandlung, für die mehrere Zuwiderhandelnde verantwortlich sind, die Ansprüche gegen die Zuwiderhandelnden ohne sachlichen Grund nicht zusammen geltend gemacht werden. (3) 1Im Fall der missbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen kann der Anspruchsgegner vom Anspruchsteller Ersatz der für seine Rechtsverteidigung erforderlichen Aufwendungen fordern. 2Weitergehende Ersatzansprüche bleiben unberührt.

Schrifttum H.-J. Ahrens Die Mehrfachverfolgung desselben Wettbewerbsverstoßes, WRP 1983, 1; C. Albrecht Das Vereinspolizeirecht als wirksame Waffe gegen „Gebühreneinspielvereine“, WRP 1983, 540; Barbasch Praktische Probleme bei der Darlegung der Rechtsmissbrauchs-Indizien, GRUR-Prax 2011, 486; Borck Über Schwierigkeiten im Gefolge von Mehrfachabmahnungen, WRP 1985, 311; ders. Der Missbrauch der Aktivlegitimation (§ 13 Abs. 5 UWG), GRUR 1990, 249; ders. Die Missbrauchsklausel (§ 8 Abs. 4 UWG) und deren Missbrauch, WRP 2006, 1428; Conrad Der Rechtsmissbrauchseinwand des § 8 Abs. 4 UWG, IPRB 2015, 16; H. Fischer Gesonderte Abmahnung einzelner AGB-Klauseln durch denselben Mitbewerber – eine neue Herausforderung für § 8 Abs. 4 UWG?, WRP 2013, 748; Friehe „Unclean hands“ und lauterer Wettbewerb, WRP 1987, 439; Hantke Zur Beurteilung der Mehrfachverfolgung eines Wettbewerbsverstoßes als rechtsmissbräuchlich (§ 13 Abs. 5 UWG), FS Erdmann (2002) 831; Hohlweck Das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs – Heilmittel oder Placebo?, WRP 2020, 266; Hoof Missbrauch des Rechtsmissbrauchs zu Lasten des Verbraucherschutzes? VuR 2021, 163; Isele Der Rechtsmissbrauch im Wettbewerbsrecht, Kölner Schrift zum Wettbewerbsrecht 2014, 25; Jackowski Der Missbrauchseinwand nach § 8 Abs. 4 UWG gegenüber einer Abmahnung, WRP 2010, 38; B. Jestaedt Missbräuchliche Geltendmachung von Abwehransprüchen im Lauterkeitsrecht, FS Loewenheim (2009) 477; Kieser/Kleinemenke Rechtsmissbrauch bei Abmahnungen – insbesondere gegenüber Apotheken, A&R 2015, 112; Kisseler Der Missbrauch der Klagebefugnis gemäß § 13 V UWG, WRP 1989, 623; Knippenkötter Indizien für rechtsmissbräuchliches Verhalten des Abmahnenden, GRUR-Prax 2011, 483; Kochendörfer Die Neufassung des Rechtsmissbrauchs – Was ändert sich?, WRP 2020, 1513; Köhler Rechtsnatur und Rechtsfolgen der missbräuchlichen Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen (§ 8 Abs. 4 UWG), FS Schricker (2005) 725; Krbetschek/Schlingloff Bekämpfung von Rechtsmissbrauch durch Streitwertbegrenzung?, WRP 2014, 1; Kues Mehrfachabmahnung und Aufklärungspflicht, WRP 1985, 196; Lapp Missbräuchliche Abmahnung von Bagatellverstößen, jurisPR – ITR 3/2021 Anm. 3; Mayer Die Folgen rechtsmissbräuchlicher Abmahnungen, WRP 2011, 534; Nordemann/Blum Das endgültige Ende der Serienabmahnungen im Immobilienrecht? NZM 2002, 148; Pokrant Die missbräuchliche Anspruchsverfolgung im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG, FS Bornkamm (2014) 1053; Rath/Hausen Ich bin doch nicht blöd? Rechtsmissbräuchliche gerichtliche

185 https://doi.org/10.1515/9783110545968-004

Hofmann

§ 8c

Verbot der missbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen; Haftung

Mehrfachverfolgung, WRP 2007, 133; Rehart Aufgespaltene Rechtsverfolgung – auch im UKlaG rechtsmissbräuchlich, MMR 2014, 506; R. Sack Mißbrauch der wettbewerbsrechtlichen Klagebefugnis und der geplante Wegfall der ersten Abmahngebühr, BB 1986, 953; K. Schmidt Wettbewerbsrechtliche und vereinsrechtliche Instrumente gegen die Tätigkeit der Abmahnvereine, NJW 1983, 1520; Scholz Missbrauch der Verbandsklagebefugnis – der neue § 13 Abs. 5 UWG, WRP 1987, 433; Schulte-Franzheim Missbrauch durch Mehrfachverfolgung von Wettbewerbsverstößen, WRP 2001, 745; Solmecke/Gierking Die Rechtsmissbräuchlichkeit von Abmahnungen, MMR 2009, 727; Stickelbrock Mehrfachverfolgung von Wettbewerbsverstößen durch konzernmäßig verbundene Unternehmen, WRP 2001, 648; Teplitzky Zu Formen rechtsmissbräuchlichen Gläubigerverhaltens, FS 100 Jahre Wettbewerbszentrale (2012) 177; G. A. Ulrich Die Mehrfachverfolgung von Wettbewerbsverstößen durch einem Konzernverbund angehörige, rechtlich selbstständige Unternehmen, die auf einem regionalen Markt tätig sind, WRP 1998, 826; von Ungern-Sternberg Die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen durch Vielfachabmahner – ein Nachruf?, FS Klaka (1987) 72; Wagner/Kefferpütz Das Wettbewerbsrecht im Generalverdacht des Rechtsmissbrauchs, WRP 2021, 151.

Übersicht 1

7.

A.

Einführung

I.

Vor- und Nachteile außergerichtlicher Rechts1 durchsetzung über „Abmahnungen“

II.

„Stellschrauben“ zur Begrenzung von Miss2 brauch

8. 9. V. 1. 3

III.

Normzweck des Missbrauchstatbestandes

IV.

Entwicklung

B.

Missbräuchliche Geltendmachung von Ab5 wehransprüchen

I. 1. 2.

5 Anwendungsbereich Persönlicher Anwendungsbereich Sachlicher Anwendungsbereich

II.

Rechtsnatur

III.

Rechtsfolgen des Missbrauchs

IV. 1. 2.

9 Fallgruppen 9 Grundsätze Gebührenerzielungsinteresse (§ 8c Abs. 2 11 Nr. 1) Wirtschaftliches Verfolgungsinteresse (§ 8c 13 Abs. 2 Nr. 2) Unangemessen hoher Gegenstandswert (§ 8c 14 Abs. 2 Nr. 3) Offensichtlich überhöhte Vertragsstrafen (§ 8c 15 Abs. 2 Nr. 4) Offensichtlich überschießende Unterlassungser16 klärung (§ 8c Abs. 2 Nr. 5)

2.

3. 4. 5. 6.

Hofmann

4

Objektive Mehrfachverfolgung (§ 8c Abs. 2 17 Nr. 6) Subjektive Mehrfachverfolgung (§ 8c Abs. 2 18 Nr. 7) 19 Sonstiges 20 Gegenansprüche Anspruchsberühmung als allgemeines Pro20 blem Kostenerstattungsanspruch nach § 8c 21 Abs. 3 23

C.

Prozessuales und Beweislast

D.

Sonstige Einwände gegen die Rechtsdurch24 setzung

I.

Materiell-rechtliche Einwendungen im engeren 24 und im weiteren Sinne

II. 1. 2. 3.

25 Verwirkung 25 Allgemeines 26 Bedeutung 27 Voraussetzungen 27 a) Übersicht 28 b) Zeitmoment 29 c) Umstandsmoment d) Aufbau eines schutzwürdigen wertvollen 30 Besitzstandes 31 e) Interessenabwägung f) Grenzen der Verwirkung im Lauterkeits32 recht 33 Rechtsfolgen

5 6

7 8

4.

186

A. Einführung

§ 8c

A. Einführung I. Vor- und Nachteile außergerichtlicher Rechtsdurchsetzung über „Abmahnungen“ Die effektive Durchsetzung des Wettbewerbsrechts ist ein Anliegen im Allgemeininteresse.1 Es 1 ist daher zu begrüßen, dass zahlreiche wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten durch Private über das Instrument der Abmahnung und der strafbewehrten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung außergerichtlich beigelegt werden. Das Lauterkeitsrecht wird nicht zuletzt aufgrund der Breite der Anspruchsberechtigten nach § 8 Abs. 3 mit den Mitteln des Privatrechts effektiv durchgesetzt.2 Der Erfolg der „Abmahnung“ ist allerdings zweischneidig: Einerseits werden zwar Gerichte entlastet und Wettbewerbsverstöße erfolgreich bekämpft. Die Beilegung von Wettbewerbsstreitigkeiten über strafbewehrte Unterlassungserklärungen erweist sich nicht nur als sinnvoll, sondern auch als interessengerecht.3 Andererseits birgt namentlich der Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen für die Abmahnung (§ 13 Abs. 3)4 ein nicht zu unterschätzendes Missbrauchspotenzial. Rechtsverstöße werden wegen der kostenrechtlichen Anreizstrukturen auch dort verfolgt, wo aus Sicht der Lauterkeit des Wettbewerbs lediglich ein geringes oder gar fehlendes Verfolgungsinteresse besteht. Es droht, dass die Rechtsdurchsetzung zum Selbstzweck verkommt und sachwidrige Ziele verfolgt werden.5 Abmahnungen sollen im Interesse eines rechtstreuen Wettbewerbs ausgesprochen werden, nicht zum Zwecke der Generierung von Gebühren oder auch von Vertragsstrafen.6 Zudem unterliegt der Verletzer der Gefahr, mehrfach in Anspruch genommen zu werden. Der Wettbewerbsverstoß kann zum Gegenstand mehrerer gerichtlicher Verfahren und Abmahnungen gemacht werden.7 Der Gesetzgeber wurde immer wieder aktiv, um namentlich den „Abmahnmissbrauch“ zu stoppen oder zumindest einzudämmen.8 Dieses Problem ist vor allem im Lauterkeitsrecht virulent, da das lauterkeitsrechtliche Durchsetzungsregime dadurch gekennzeichnet ist, dass Wettbewerbsverstöße von einer Vielzahl von Berechtigten verfolgt werden können.9 Während sich Behörden bei der Durchsetzung nicht zuletzt wegen ihres Ermessenspielraums auf die Bekämpfung struktureller Verstöße konzentrieren können, braucht der nach der h. M. im Grundsatz von Interessensabwägungen unabhängige Unterlassungsanspruch einschließlich der Möglichkeit der außergerichtlichen Durchsetzung über Abmahnungen und strafbewehrte Unterlassungserklärungen in jedem Fall irgendein Korrektiv.10

II. „Stellschrauben“ zur Begrenzung von Missbrauch Das Spannungsverhältnis zwischen gewünschter Rechtsverwirklichung einerseits und uner- 2 wünschten Auswüchsen andererseits interessengerecht auszubalancieren, ist praktisch freilich

1 BGH 31.5.2012 – I ZR 106/10 – GRUR 2013, 176 Tz. 17 – Ferienluxuswohnung; BGH 5.10.2000 – I ZR 237/98 – GRUR 2001, 260, 261 – Vielfachabmahner.

2 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 2. 3 Vgl. F. Hofmann Unterlassungsanspruch, S. 445 ff. (mit Blick auf die Kostentragungslast). 4 Zuvor zur Kostenerstattung über die Regeln zur Geschäftsführung ohne Auftrag BGH 15.10.1969 – I ZR 3/68 – GRUR 1970, 189, 190 – Fotowettbewerb.

5 BGH 6.4.2000 – I ZR 76/98 – GRUR 2000, 1089, 1090 – Mißbräuchliche Mehrfachverfolgung. 6 Regierungsentwurf für ein Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs, BTDrucks. 19/12084 S. 1, 13. 7 BGH 31.5.2012 – I ZR 106/10 – GRUR 2013, 176 Tz. 17 – Ferienluxuswohnung; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 2.

8 Vgl. Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken vom 9. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3714); vgl. BTDrucks. 17/13057 S. 25.

9 Vgl. Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 630. 10 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 2. 187

Hofmann

§ 8c

Verbot der missbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen; Haftung

nicht ganz einfach.11 Dem Gesetzgeber stehen dabei unterschiedliche „Stellschrauben“ zur Verfügung.12 So kann der Gesetzgeber (gemeinsam mit der Rechtsprechung) bereits das materielle Lauterkeitsrecht im engeren Sinne missbrauchsresistent gestalten. Wenn beispielsweise Bagatellverstöße bereits keine Wettbewerbsverstöße begründen, stellt sich das Problem unverhältnismäßiger Rechtsdurchsetzung bereits im Ausgangspunkt nicht.13 Auf der Ebene der Rechtsdurchsetzung als weiterer „Stellschraube“ kann zum einen der Unterlassungsanspruch selbst eingeschränkt werden. Nicht bei jedem Rechtsverstoß muss zwingend ein Unterlassungsanspruch zur Verfügung stehen. Allen voran bei leicht fahrlässigen, geringfügigen Wettbewerbsverstößen, die zudem nach einem Hinweis sofort abgestellt werden, kann ein Unterlassungsanspruch entbehrlich sein. Die Lauterkeit des Wettbewerbs kann in derartigen Fällen auch ohne die Rechtsfolge Unterlassen gewährleistet sein. Die Gewährung von Aufbrauchfristen ist hierfür ein Beispiel. Zum anderen kann die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs erschwert werden, z. B. weil der Kostenerstattungsanspruch eingeschränkt14 oder die Aktivlegitimation begrenzt ist.15 Macht ein qualifizierter Wirtschaftsverband (§ 8b) einen Unterlassungsanspruch geltend, ist bei der Prüfung, ob diese Anspruchsverfolgung missbräuchlich ist, die Zuständigkeit des Bundesamts für Justiz für die (Überprüfung der) Eintragung der Einrichtung in die Liste der qualifizierten Einrichtungen und damit für die Prüfung der Voraussetzungen der Klagebefugnis zu berücksichtigen.16

III. Normzweck des Missbrauchstatbestandes 3 Über § 8c hat der Gesetzgeber ein Instrument geschaffen, durch das die „Geltendmachung“ der Abwehransprüche im Falle von Missbrauch eingeschränkt ist.17 Indem die „Klagebefugnis und damit auch die Abmahnbefugnis“ in bestimmten Fällen verneint wird, will der Gesetzgeber Missbräuche bei der Durchsetzung von Abwehransprüchen durch Mitbewerber und Verbände eindämmen.18 Geschützt werden dadurch nicht nur der Betroffene, sondern auch die Gerichte.19 Insbesondere wenn es Abmahn- und Gebührenvereinen nur darum geht, im Interesse der Gewinnerzielung Aufwendungsersatzansprüche entstehen zu lassen, soll dem über § 8c entgegengetreten werden.20 Normzweck des § 8c ist es also, Missbräuchen bei der Geltendmachung von Abwehransprüchen aus sachfremden, nicht schutzwürdigen Gründen entgegenzuwirken.21 Neben der Aufgabe der Bekämpfung von Missbräuchen bei der Verfolgung von Wettbewerbsverstößen wird § 8c auch die Funktion eines Korrektivs gegenüber der weit gefassten

11 Vgl. schon BTDrucks. 10/5771 S. 22. 12 Vgl. F. Hofmann Unterlassungsanspruch, S. 457 f. 13 Freilich können Anspruchsberechtigte versucht sein, auch vermeintliche Lauterkeitsverstöße durchzusetzen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie damit im Ergebnis Erfolg haben, allen voran außergerichtlich, wenn der Abgemahnte die Rechtslage zu seinen Lasten falsch einschätzt. 14 Vgl. § 13 Abs. 4. 15 Dazu § 8 Abs. 3 n. F., vgl. Regierungsentwurf für ein Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs, BTDrucks. 19/ 12084; vgl. Teplitzky/Büch Kap. 13 Rn. 43b (Einschränkungen des § 8 Abs. 3); s. a. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 1. 16 Vgl. BGH 4.7.2019 – I ZR 149/18 – GRUR 2019, 966 Tz. 36 ff. – Umwelthilfe. 17 Überblick bei Teplitzky 100 Jahre Wettbewerbszentrale (2012) 195. 18 BTDrucks. 10/5771 S. 22; Teplitzky/Büch Kap. 13 Rn. 43c. 19 BGH 10.12.1998 – I ZR 141/96 – GRUR 1999, 509, 510 – Vorratslücken. 20 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 154; vgl. BGH 6.4.2000 – I ZR 76/98 – GRUR 2000, 1089, 1090 – Mißbräuchliche Mehrfachverfolgung. 21 BGH 22.4.2009 – I ZR 14/07 – GRUR 2009, 1180 Tz. 20 – 0,00 Grundgebühr. Hofmann

188

A. Einführung

§ 8c

Anspruchsberechtigung nach § 8 Abs. 3 zugeschrieben.22 Das Interesse der Allgemeinheit an der wirksamen Verfolgung von Wettbewerbsverstößen wird dadurch nicht wesentlich beeinträchtigt. Ist ein einzelner Anspruchsteller wegen missbräuchlichen Verhaltens von der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs ausgeschlossen, kann der Unterlassungsanspruch gleichwohl von anderen Anspruchsberechtigten geltend gemacht werden.23 Der Gegenanspruch des missbräuchlich Abgemahnten auf Erstattung eigener Rechtsverteidigungskosten (§ 8c Abs. 3) dient dem Schutz des missbräuchlich Abgemahnten und der Abschreckung einschlägiger Abmahner. Die Haftung des Abmahnenden bei missbräuchlicher Geltendmachung soll den finanziellen Anreiz zur missbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen reduzieren.24 Zwischen Abmahner und Abgemahntem wird damit Waffengleichheit hergestellt (vgl. § 13 Abs. 3 vs. § 8c Abs. 3).25

IV. Entwicklung Der mit der UWG-Reform von 1986 geschaffene Missbrauchstatbestand (§ 13 Abs. 5 a. F.)26 wurde 4 2004 unter Ausdehnung des Wortlautes auf Beseitigungsansprüche erweitert, aber sonst inhaltlich unverändert zu § 8 Abs. 4.27 Durch das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken wurde 2013 ein Gegenanspruch auf Erstattung der Rechtsverteidigungskosten eingefügt (§ 8 Abs. 4 S. 2, 3).28 Über das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs wurde § 8 Abs. 4 in § 8c ausgelagert.29 Die Grundstruktur des Tatbestandes wurde beibehalten. Von der Rechtsprechung anerkannte Fallgruppen wurden kodifiziert.30 Zugleich wurden die Fallgruppen der missbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen weiter konkretisiert und für die Praxis besser handhabbar gemacht.31 In diesem Sinne enthält § 8c Abs. 2 nunmehr sieben Regelbeispiele für eine missbräuchliche Abmahnung.32 Vorbehaltlich dieser Konkretisierungen im Wortlaut kann damit die alte Rechtsprechung im Wesentlichen beibehalten werden. § 8 Abs. 3 a. F. lautete: „Die Geltendmachung der in Absatz 1 bezeichneten Ansprüche ist unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist, insbesondere wenn sie vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen. In diesen Fällen kann der Anspruchsgegner Ersatz der für seine Rechtsverteidigung erforderlichen Aufwendungen verlangen. Weitergehende Ersatzansprüche bleiben unberührt.“ § 8c Abs. 1 basiert damit fast wortgleich auf der alten Regelung.33 Die ausformulierten Regelbeispiele wurden indes signifikant erweitert. Ist einer der nunmehr kodifizierten Beispieltatbestände aus § 8c Abs. 2 erfüllt, ist fortan „im Zweifel“ eine missbräuchliche Geltendmachung anzunehmen. Der Regierungsentwurf zum Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs hatte noch mit einer Vermutung gearbeitet, die der Anspruchsgegner hätte entkräften müssen.34 22 BGH 31.5.2012 − I ZR 45/11 – GRUR 2012, 949 Tz. 20 – Missbräuchliche Vertragsstrafe; BGH 15.12.2011 – I ZR 174/ 10 – GRUR 2012, 730 Tz. 14 – Bauheizgerät; BGH 6.4.2000 – I ZR 76/98 – GRUR 2000, 1089, 1090 – Mißbräuchliche Mehrfachverfolgung; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 2. 23 BGH 31.5.2012 – I ZR 106/10 – GRUR 2013, 176 Tz. 17 – Ferienluxuswohnung. 24 BTDrucks. 19/12084 S. 29. 25 BTDrucks. 17/13057 S. 25; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 6. 26 Vgl. BTDrucks. 10/5771 S. 22; BGBl. 1986 I, S. 1169. 27 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 281; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 1; BTDrucks. 17/13057 S. 25. 28 BGBl. 2013 I, S. 3714. 29 Vgl. zur Neuregelung (auf Basis des Regierungsentwurfs) Hohlweck WRP 2020, 266, 269. 30 BTDrucks. 19/22238 S. 17. 31 BTDrucks. 19/22238 S. 17. 32 BTDrucks. 19/12084 S. 29. 33 BTDrucks. 19/12084 S. 29. 34 BTDrucks. 19/12084 S. 8, 29. 189

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§ 8c

Verbot der missbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen; Haftung

B. Missbräuchliche Geltendmachung von Abwehransprüchen I. Anwendungsbereich 1. Persönlicher Anwendungsbereich 5 § 8c richtet sich an sämtliche Durchsetzungsberechtigte nach § 8 Abs. 3.35 Bei Verbänden kann aber schon die Eigenschaft als aktivlegitimierter Verband fehlen, wenn der Verband sachfremde Ziele verfolgt.36 Nach § 8b Abs. 2 Nr. 3 lit. b wird ein Verband nicht in die Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände aufgenommen, wenn er Ansprüche vorwiegend geltend macht, um für sich Einnahmen aus Abmahnungen oder Vertragsstrafen zu erzielen. Während nach alter Rechtslage bei Verbänden im Verletzungsprozess prioritär deren Klagebefugnis und Anspruchsberechtigung geprüft werden konnte,37 besteht nunmehr freilich für das Verletzungsgericht eine Bindungswirkung an die Eintragung nach § 8b.38

2. Sachlicher Anwendungsbereich 6 Der Anwendungsbereich des Missbrauchstatbestandes aus § 8c ist auf die gesetzlichen Abwehransprüche aus § 8 Abs. 1 beschränkt.39 Er gilt damit für Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche,40 nicht für den Gewinnabschöpfungsanspruch aus § 10.41 Auch die Geltendmachung vertraglicher Ansprüche kann über § 8c nicht eingeschränkt werden,42 selbst wenn der in Rede stehende Unterlassungsanspruch auf einem Unterlassungsvertrag zur Beilegung eines Wettbewerbsverstoßes beruht.43 Zur Begründung verweist der BGH auf die Funktion des § 8c, wonach der Tatbestand ein Korrektiv zur (auch nach der UWG-Reform 2020) breiten Anspruchsberechtigung nach § 8 Abs. 3 darstelle.44 Im Vertragsrecht greift eben diese Überlegung nicht.45 Über § 242 BGB kann jedoch auch im Vertragsrecht Missbrauch (beispielsweise mit Blick auf die Geltendmachung von Vertragsstrafen) Einhalt geboten werden.46 Daraus kann aber nicht gefolgert werden, dass die Umstände, die einen Rechtsmissbrauch gemäß § 8c begründen, für sich genommen nicht ausreichen können, um die Geltendmachung einer Vertragsstrafe aufgrund der Unterlassungserklärung eines Mitbewerbers als nach § 242 BGB rechtsmissbräuchlich anzusehen.47 Ferner kann der Umstand, dass ein Unterwerfungsvertrag auf einer rechtsmissbräuchlichen Abmahnung beruht, einen wichtigen Grund

35 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 41; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 156; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 633. 36 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 155; zur Abgrenzung Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 10. 37 Vgl. etwa BGH 4.7.2019 – I ZR 149/18 – GRUR 2019, 966 Tz. 37 – Umwelthilfe; BGH 20.5.1999 – I ZR 66/97 – GRUR 1999, 1116, 1116 f. – Wir dürfen nicht feiern; BGH 5.10.1989 – I ZR 56/89 – GRUR 1990, 282, 285 – Wettbewerbsverein IV. 38 Vgl. aber BGH 4.7.2019 – I ZR 149/18 – GRUR 2019, 966 Tz. 39 – Umwelthilfe. 39 BGH 13.9.2018 – I ZR 26/17 – NJW 2018, 3581 Tz. 35 – Prozessfinanzierer. 40 BGH 31.5.2012 – I ZR 106/10 – GRUR 2013, 176 Tz. 17 – Ferienluxuswohnung; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 9. 41 BGH 13.9.2018 – I ZR 26/17 – NJW 2018, 3581 Tz. 36 – Prozessfinanzierer. 42 BGH 13.9.2018 – I ZR 26/17 – NJW 2018, 3581 Tz. 35 – Prozessfinanzierer. 43 BGH 31.5.2012 – I ZR 45/11 – GRUR 2012, 949 Tz. 20 – Missbräuchliche Vertragsstrafe. 44 BGH 31.5.2012 – I ZR 45/11 – GRUR 2012, 949 Tz. 20 – Missbräuchliche Vertragsstrafe; s. a. BGH 13.9.2018 – I ZR 26/17 – NJW 2018, 3581 Tz. 36 – Prozessfinanzierer. 45 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 9. 46 BGH 14.2.2019 – I ZR 6/17 – GRUR 2019, 638 Tz. 17 f. – Kündigung der Unterlassungsvereinbarung; BGH 31.5.2012 – I ZR 45/11 – GRUR 2012, 949 Tz. 20 ff. – Missbräuchliche Vertragsstrafe. 47 BGH 14.2.2019 – I ZR 6/17 – GRUR 2019, 638 Tz. 18 – Kündigung der Unterlassungsvereinbarung. Hofmann

190

B. Missbräuchliche Geltendmachung von Abwehransprüchen

§ 8c

für eine außerordentliche Kündigung bilden.48 Auch jenseits des Wettbewerbsrechts kann § 8c zwar mangels planwidriger Regelungslücken nicht analog fruchtbar gemacht werden,49 wobei aber namentlich im Urheberrecht dogmatisch die Heranziehung des § 242 BGB unter Rückgriff auf die Wertungen aus § 8c möglich ist.50 Allerdings muss auch hier bedacht werden, dass das Problem der verbreiterten Aktivlegitimation im Urheberrecht nicht besteht.51 Im Ergebnis können also – soweit es die unterschiedliche Interessenlage zulässt – durchaus Anleihen bei der Rechtsprechung zu § 8c (einschließlich § 8 Abs. 4 a. F.) genommen werden.52 Auf wettbewerbsrechtliche Auskunfts- und Schadensersatzansprüche ist § 8c ebenfalls nicht direkt (analog) anwendbar.53 Soweit aber der Unterlassungsanspruch nicht eingeklagt werden kann, fehlt einem darauf gestützten Auskunftsanspruch als Hilfsanspruch das Rechtsschutzbedürfnis.54 Eine direkte Anwendung des Missbrauchseinwands nach § 8c auf § 13 Abs. 3 ist ebenfalls nicht möglich, auch wenn der Anspruch mangels berechtigter Abmahnung allerdings mittelbar über § 8c ausscheidet.55

II. Rechtsnatur Nach dem Wortlaut des § 8c ist die „Geltendmachung“ der Abwehransprüche im Missbrauchsfall 7 „unzulässig“.56 Es handelt sich um eine rein prozessuale Regelung.57 Ausweislich der Überlegungen des Gesetzgebers soll dadurch die „Klagebefugnis und damit auch die Abmahnbefugnis in bestimmten Fällen verneint“ werden.58 § 8c begründet einen Ausschluss der Klage- oder Prozessführungsbefugnis.59 Der Abwehranspruch selbst wird nicht tangiert.60 Die Norm bezieht sich damit auf die Umstände der vorprozessualen oder prozessualen Geltendmachung eines Abwehranspruchs.61 Es geht nicht um die Bekämpfung von Missbrauch schlechthin, sondern enger um Missbrauch, der seine Wurzel im Akt der (vor-)prozessualen Geltendmachung eines Abwehranspruchs selbst hat.62 Da es sich also nicht um einen materiell-rechtlichen Einwand handelt,63 bleiben konsequenterweise materiell-rechtliche Missbrauchseinwände unberührt.64

48 BGH 14.2.2019 – I ZR 6/17 – GRUR 2019, 638 Tz. 15 – Kündigung der Unterlassungsvereinbarung. 49 BGH 31.5.2012 – I ZR 106/10 – GRUR 2013, 176 Tz. 14 – Ferienluxuswohnung. 50 BGH 28.5.2020 – I ZR 129/19 – GRUR 2020, 1087 – Al Di Meola; BGH 31.5.2012 – I ZR 106/10 – GRUR 2013, 176 Tz. 15 ff. – Ferienluxuswohnung. 51 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 296. 52 BGH 31.5.2012 – I ZR 106/10 – GRUR 2013, 176 Tz. 15 ff. – Ferienluxuswohnung; Teplitzky/Büch Kap. 13 Rn. 47a. 53 Teplitzky/Büch Kap. 13 Rn. 43a. 54 Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 736. 55 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 9; vgl. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 157. 56 Zur Rechtsnatur Köhler FS Schricker (2005) 725. 57 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 155. 58 BTDrucks. 10/5771 S. 22; s. a. Regierungsentwurf (BTDrucks. 19/12084 S. 29) für ein Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs („Bei einer missbräuchlichen Abmahnung ist die Ausübung des Anspruchs unabhängig davon, ob eine unlautere geschäftliche Handlung vorliegt, auf Grund des Missbrauchs des Anspruchs für eigene zu missbilligende Zwecke unzulässig.“). 59 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 283; vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 3 f., selbst nunmehr nicht mehr mit abweichender Ansicht: Missbrauch als rechtsvernichtende materiell-rechtliche Einwendung. 60 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 155; Teplitzky/Büch Kap. 13 Rn. 50; a. A. Köhler FS Schricker (2005) 725, 726 ff.; Köhler/ Feddersen/Bornkamm § 8c Rn. 4. 61 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 282. 62 Teplitzky/Büch Kap. 13 Rn. 46. 63 Vgl. zu abweichenden Einschätzungen Teplitzky/Büch Kap. 13 Rn. 44 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 4; Köhler FS Schricker (2005) 725, 726 ff. 64 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 282, 283. 191

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Verbot der missbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen; Haftung

III. Rechtsfolgen des Missbrauchs 8 Bei einer missbräuchlichen Abmahnung ist die Ausübung des Anspruchs unabhängig davon, ob eine unlautere geschäftliche Handlung vorliegt, auf Grund des Missbrauchs des Anspruchs für eigene zu missbilligende Zwecke unzulässig.65 Greift der Missbrauchstatbestand des § 8c, ist eine erhobene Klage als unzulässig abzuweisen.66 Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zurückzuweisen.67 Der Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruch kann nicht gerichtlich durchgesetzt werden.68 Bei offenkundig fehlender Begründetheit der Klage kann die Frage der Zulässigkeit ausnahmsweise offenbleiben.69 Die Regelung des § 8c gilt nicht nur für die gerichtliche, sondern auch für die außergerichtliche Geltendmachung eines wettbewerbsrechtlichen Anspruchs und damit insbesondere für die Abmahnung.70 Das folgt schon aus dem Gesetzeswortlaut, der auf den „Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen“ verweist.71 Eine gemäß § 8c missbräuchliche Abmahnung ist nicht berechtigt nach § 13 Abs. 3 und begründet keinen Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen.72 Bereits geleistete Zahlungen können kondiziert werden (§ 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB).73 Auch Testkäufe zur Vorbereitung rechtsmissbräuchlicher Abmahnungen dienen keiner zweckentsprechenden Rechtsverfolgung.74 Erweist sich eine vorgerichtliche Abmahnung als rechtsmissbräuchlich gemäß § 8c, so fehlt es für ein gerichtliches Vorgehen an der Prozessführungsbefugnis und nachfolgende gerichtliche Anträge sind unzulässig.75 Die nachfolgende Klage oder ein nachfolgender Verfügungsantrag sind unzulässig.76 Die Gegenansicht verweist darauf, dass die Umstände des Missbrauchs durchaus wieder entfallen können.77 Auch wenn die vorgerichtliche Abmahnung nicht die Voraussetzungen des § 8c erfüllt, bleibt es dabei, dass die Frage, ob die nachfolgende gerichtliche Anspruchsdurchsetzung als rechtsmissbräuchlich zu bewerten ist, unter Berücksichtigung sämtlicher, auch im Verfahrensverlauf auftretender Umstände beurteilt werden muss.78 Auch zeitlich nach der Abmahnung auftretende Umstände können bei der Beurteilung der Frage, ob die gerichtliche Durchsetzung des mit der Abmahnung verfolgten Anspruchs rechtsmissbräuchlich ist, berücksichtigt werden.79 Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten bei einer Abmahnung kann einen wichtigen Grund für die Kündigung einer auf der Abmahnung 65 BTDrucks. 19/12084 S. 29. 66 BGH 3.3.2016 – I ZR 110/15 – GRUR 2016, 961 Tz. 11, 14 – Herstellerpreisempfehlung bei Amazon; BGH 31.5.2012 – I ZR 106/10 – GRUR 2013, 176 Tz. 16 – Ferienluxuswohnung; BGH 17.11.2005 – I ZR 300/02 – GRUR 2006, 243 Tz. 15, 22 – MEGA SALE; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 283; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 3; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 155. 67 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 298. 68 BGH 6.4.2000 – I ZR 76/98 – GRUR 2000, 1089, 1090 – Mißbräuchliche Mehrfachverfolgung. 69 BGH 10.12.1998 – I ZR 141/96 – GRUR 1999, 509, 510 – Vorratslücken; Teplitzky/Büch Kap. 13 Rn. 52. 70 BGH 19.7.2012 – I ZR 199/10 – GRUR 2013, 307 Tz. 11 – Unbedenkliche Mehrfachabmahnung; BGH 15.12.2011 – I ZR 174/10 – GRUR 2012, 730 Tz. 13 – Bauheizgerät; BGH 17.1.2002 – I ZR 241/99 – GRUR 2002, 357, 358 – Missbräuchliche Mehrfachabmahnung. 71 BGH 17.1.2002 – I ZR 241/99 – GRUR 2002, 357, 358 – Missbräuchliche Mehrfachabmahnung; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 157. 72 BGH 26.4.2018 – I ZR 248/16 – GRUR 2019, 199 Tz. 40 – Abmahnaktion II; BGH 15.12.2011 – I ZR 174/10 – GRUR 2012, 730 Tz. 13 – Bauheizgerät; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 283; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 6. 73 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 7. 74 BGH 26.4.2018 – I ZR 248/16 – GRUR 2019, 199 Tz. 41 – Abmahnaktion II. 75 BGH 26.4.2018 – I ZR 248/16 – GRUR 2019, 199 Tz. 19 ff., 20 – Abmahnaktion II; BGH 3.3.2016 – I ZR 110/15 – GRUR 2016, 961 Tz. 18 – Herstellerpreisempfehlung bei Amazon; BGH 31.5.2012 – I ZR 106/10 – GRUR 2013, 176 Tz. 16 – Ferienluxuswohnung; BGH 15.12.2011 – I ZR 174/10 – GRUR 2012, 730 Tz. 47 – Bauheizgerät; kritisch Ohly/ Sosnitza § 8 Rn. 157. 76 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 7. 77 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 157; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 734. 78 BGH 3.3.2016 – I ZR 110/15 – GRUR 2016, 961 Tz. 18 – Herstellerpreisempfehlung bei Amazon. 79 BGH 3.3.2016 – I ZR 110/15 – GRUR 2016, 961 Tz. 17 – Herstellerpreisempfehlung bei Amazon. Hofmann

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B. Missbräuchliche Geltendmachung von Abwehransprüchen

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beruhenden Unterlassungsvereinbarung darstellen.80 Ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen kann strafbar sein. Geht es einem Unternehmer nicht um die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen, sondern nur um die Erzielung von Einnahmen durch eine Abmahntätigkeit und vereinbart er mit seinem Rechtsanwalt, dass er keine Rechtsanwaltskosten zu tragen hat und die vom Abgemahnten gezahlten Gelder geteilt werden, ist dies rechtsmissbräuchlich nach § 8 Abs. 4. In der Verfolgung der Abmahnkosten liegt ein versuchter Betrug (§§ 22, 23 Abs. 1, 263 StGB).81

IV. Fallgruppen 1. Grundsätze Ein Missbrauch liegt vor, wenn das beherrschende Motiv der Rechtsverfolgung („Geltendma- 9 chung“) sachfremde, für sich genommen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele sind und diese als die eigentliche Triebfeder der Verfahrenseinleitung erscheinen (Beispiel: Belastung des Gegners mit möglichst hohen Prozesskosten82).83 Das vollständige Fehlen wettbewerbsrechtlicher Absichten ist nicht erforderlich,84 die unredlichen Motive müssen aber überwiegen.85 Maßgeblich ist, dass zu missbilligende Umstände mit Blick auf die Art und Weise der Rechtsdurchsetzung vorliegen.86 Bezugspunkt sind die Begleitumstände des (vor-)prozessualen Vorgehens.87 Dabei geht es nicht nur um die Bekämpfung von „Abmahnvereinen“, sondern um die Bekämpfung von Missbrauch auch in weiteren Konstellationen.88 Die genannten Regelbeispiele sind nicht abschließend. In allen Fällen bedarf es einer sorgfältigen Prüfung und Abwägung der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls.89 Verschiedene Indizien sind in der Gesamtschau zu würdigen.90 Dabei ist vor allem auf das Verhalten des Gläubigers bei der Verfolgung dieses und anderer Verstöße abzustellen. Zu berücksichtigen sind aber auch die Art und Schwere des Wettbewerbsverstoßes sowie das Verhalten des Schuldners nach dem Verstoß. Auch das Verhalten sonstiger

80 81 82 83

BGH 14.2.2019 – I ZR 6/17 – GRUR 2019, 638 – Kündigung der Unterlassungsvereinbarung (1. Leitsatz). BGH 8.2.2017 – 1 StR 483/16 – GRUR 2017, 1046 Tz. 11 – Gebührengenerierung; Büscher GRUR 2018, 113, 127. BGH 4.7.2019 – I ZR 149/18 – GRUR 2019, 966 Tz. 34 – Umwelthilfe. BGH 4.7.2019 – I ZR 149/18 – GRUR 2019, 966 Tz. 33 – Umwelthilfe; BGH 13.9.2018 – I ZR 26/17 – GRUR 2018, 1166 Tz. 40 – Prozessfinanzierer I; BGH 26.4.2018 – I ZR 248/16 – GRUR 2019, 199 Tz. 21 – Abmahnaktion II; BGH 22.10.2009 – I ZR 58/07 – GRUR 2010, 454 Tz. 18 f. – Klassenlotterie; BGH 22.4.2009 – I ZR 14/07 – GRUR 2009, 1180 Tz. 20 – 0,00 Grundgebühr; BGH 17.11.2005 – I ZR 300/02 – GRUR 2006, 243 Tz. 16 – MEGA SALE; BGH 6.4.2000 – I ZR 76/98 – GRUR 2000, 1089, 1090, 1091 – Mißbräuchliche Mehrfachverfolgung; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 11. 84 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 284. 85 BGH 26.4.2018 – I ZR 248/16 – GRUR 2019, 199 Tz. 21 – Abmahnaktion II; BGH 3.3.2016 – I ZR 110/15 – GRUR 2016, 961 Tz. 15 – Herstellerpreisempfehlung bei Amazon; BGH 22.10.2009 – I ZR 58/07 – GRUR 2010, 454 Tz. 19 – Klassenlotterie; BGH 22.4.2009 – I ZR 14/07 – GRUR 2009, 1180 Tz. 20 – 0,00 Grundgebühr; BGH 17.11.2005 – I ZR 300/02 – GRUR 2006, 243 Tz. 16 – MEGA SALE. 86 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 284. 87 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 11. 88 BGH 6.4.2000 – I ZR 76/98 – GRUR 2000, 1089, 1090 – Mißbräuchliche Mehrfachverfolgung; Teplitzky/Büch Kap. 13 Rn. 43c. 89 BGH 4.7.2019 – I ZR 149/18 – GRUR 2019, 966 Tz. 33 – Umwelthilfe; BGH 26.4.2018 – I ZR 248/16 – GRUR 2019, 199 Tz. 21 – Abmahnaktion II; BGH 3.3.2016 – I ZR 110/15 – GRUR 2016, 961 Tz. 15 – Herstellerpreisempfehlung bei Amazon; BGH 11.12.2014 – I ZR 113/13 – GRUR 2015, 694 Tz. 16 – Bezugsquellen für Bachblüten; BGH 15.12.2011 – I ZR 174/10 – GRUR 2012, 730 Tz. 15 – Bauheizgerät. 90 Vgl. exemplarisch BGH 15.12.2011 – I ZR 174/10 – GRUR 2012, 730 Tz. 17 ff., 25 ff. – Bauheizgerät; BGH 4.1.2019 – I ZR 200/17 – GRUR 2019, 631 Rn. 62 – Das beste Netz. 193

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§ 8c

Verbot der missbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen; Haftung

Anspruchsberechtigter sowie das Allgemeininteresse an effektiver Rechtsdurchsetzung91 kann in die Betrachtung einzubeziehen sein.92 Zu berücksichtigen ist auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Stehen dem Anspruchsberechtigten schonendere Möglichkeiten der Anspruchsdurchsetzung zur Verfügung?93 Ein Missbrauch setzt nicht notwendigerweise ein systematisches Missbrauchsverhalten voraus; schon bei einer geringen Zahl von Abmahnungen oder auch schon bei einer einzigen Abmahnung kann von einem Rechtsmissbrauch auszugehen sein, wenn nur hinreichende Anhaltspunkte für sachfremde Motive vorliegen.94 Die einschlägigen, von der Rechtsprechung konturierten und nunmehr im Kern durch 10 den Gesetzgeber kodifizierten Fallgruppen sind im Folgenden vorzustellen. § 8c Abs. 2 enthält sieben Regelbeispiele für eine missbräuchliche Abmahnung.95 Die Aufzählung der Fallgruppen ist nicht abschließend.96 Mit der Formulierung des Einleitungssatzes „ist im Zweifel anzunehmen“ wird klargestellt, dass eine umfassende Würdigung der Gesamtumstände erforderlich ist. Der Erfüllung einer der genannten Konstellationen kommt lediglich eine Indizwirkung für einen Missbrauch zu. Der Abmahnende kann diese Indizien erschüttern. Es handelt sich nicht um eine Vermutung, die gemäß § 292 ZPO nur durch den Beweis des Gegenteils zu widerlegen wäre.97

2. Gebührenerzielungsinteresse (§ 8c Abs. 2 Nr. 1) 11 Nach § 8c Abs. 2 Nr. 1 ist eine missbräuchliche Geltendmachung im Zweifel anzunehmen, wenn die Geltendmachung der Ansprüche vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder von Kosten der Rechtsverfolgung oder die Zahlung einer Vertragsstrafe entstehen zu lassen. Dieses Regelbeispiel fand sich bereits in § 8 Abs. 4 a. F.98 Die Durchsetzung des Lauterkeitsrechts muss zum Zwecke der Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs erfolgen, nicht zur Erzielung von Einnahmen als Selbstzweck. Die finanziellen Anreize zur Rechtsdurchsetzung sollen nicht in windige Geschäftsmodelle („missbräuchlicher Geschäftemacherei“)99 transformiert werden, auch wenn es selbstredend nicht per se verwerflich ist, über die Rechtsdurchsetzung Geld zu verdienen.100 Geht es nur um die Erschließung einer Einnahmequelle (auch über Vertragsstrafen)101 oder besteht ein nennenswertes wirtschaftliches Interesse an der Verfolgung der Wettbewerbsverstöße?102 Es kommt dabei auf die Sichtweise eines wirtschaftlich denkenden Unternehmers an.103 Maßgeblich sind die äußeren Umstände, nicht die subjektiven Zielsetzungen des Anspruchsberech-

91 BGH 4.7.2019 – I ZR 149/18 – GRUR 2019, 966 Tz. 33 – Umwelthilfe; BGH 13.9.2018 – I ZR 26/17 – GRUR 2018, 1166 Tz. 40 – Prozessfinanzierer I. 92 BGH 11.12.2014 – I ZR 113/13 – GRUR 2015, 694 Tz. 16 – Bezugsquellen für Bachblüten; BGH 15.12.2011 – I ZR 174/10 – GRUR 2012, 730 Tz. 15 – Bauheizgerät. 93 OLG Nürnberg 3.12.2013 – 3 U 410/13 – GRUR-RR 2014, 166, 166 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 11. 94 BGH 15.12.2011 – I ZR 174/10 – GRUR 2012, 730 Tz. 33 – Bauheizgerät. 95 BTDrucks. 19/12084 S. 29. 96 BTDrucks. 19/22238 S. 17. 97 BTDrucks. 19/22238 S. 17. 98 BTDrucks. 19/12084 S. 29; Hohlweck WRP 2020, 266, 269. 99 Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 629. 100 Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 646. 101 BGH 15.12.2011 – I ZR 174/10 – GRUR 2012, 730 Tz. 16 ff. – Bauheizgerät; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 14. 102 BGH 6.10.2011 – I ZR 42/10 – GRUR 2012, 286 Tz. 14 – Falsche Suchrubrik; BGH 5.10.2000 – I ZR 237/98 – GRUR 2001, 260, 261 – Vielfachabmahner; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 159; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 15. 103 BGH 26.4.2018 – I ZR 249/16 – BeckRS 2018, 32888 Tz. 23 – Unzulässige Unterlassungsklage infolge rechtsmissbräuchlicher Abmahnungen. Hofmann

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B. Missbräuchliche Geltendmachung von Abwehransprüchen

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tigten.104 Ein wichtiges Indiz liegt vor, wenn der Abmahnende systematisch überhöhte Abmahngebühren105 oder Vertragsstrafen verlangt.106 Es kann Rückschlüsse auf die wahren Motive des Klägers geben, wenn dieser systematisch Zeitungsannoncen auf Wettbewerbsverstöße durchforstet, während er zugleich kein originäres Interesse an der Bekämpfung unlauterer geschäftlicher Handlungen hat.107 Verdächtig ist auch die Beschränkung der Abmahntätigkeit auf einfach gelagerte, risikolos verfolgbare Wettbewerbsverstöße108 oder das systematische Absehen von gerichtlicher Rechtsdurchsetzung.109 Auch an der Höhe der vorgeschlagenen, unverhältnismäßig hohen Vertragsstrafe oder Abmahngebühr kann ein Anhaltspunkt für ein im Vordergrund stehendes Interesse des Gläubigers an der Erzielung von Einnahmen gesehen werden,110 zumal wenn die vorformulierte Unterlassungserklärung zu weit gefasst ist.111 Der Versuch, „Haftungsfallen“ zu konstruieren, etwa die Vereinbarung über eine verschuldensunabhängig zu verwirkende Vertragsstrafe, kann ebenso das wahre Interesse der Erschließung einer Einnahmequelle spiegeln.112 Den Charakter unseriöser Rechtsdurchsetzung haben ferner Freistellungsvereinbarungen 12 oder die Tatsache, dass ein beauftragter Rechtsanwalt Abmahnungen „in eigener Regie“ betreibt.113 Mit Blick auf § 10 hat der BGH missbräuchliches Verhalten gemäß § 242 BGB gesehen, wenn eine Gewinnabschöpfungsklage eines Verbraucherverbands von einem gewerblichen Prozessfinanzierer finanziert wird, dem eine Vergütung in Form eines Anteils am abgeschöpften Gewinn zugesagt wird.114 Dieser Gedanke kann auf anteilige Ansprüche, beispielsweise aus Vertragsstrafen, übertragen werden.115 Auch eine Gesellschafterfinanzierung kann sich als missbräuchlich erweisen, wenn diese im Widerspruch zum Handeln eines wirtschaftlich vernünftig denkenden Kaufmanns steht.116 Allein die Tatsache einer regen Abmahn- und Klagetätigkeit ist für sich genommen allerdings noch kein hinreichendes Indiz für einen Missbrauch gemäß § 8c.117 Nur weil viele (einfach gelagerte) Fälle abgemahnt werden, lässt sich ebenfalls nicht ohne Weiteres auf missbräuchliches Verhalten schließen. Es muss möglich sein, auch in großer Zahl auftretende Verstöße (vollständig) abzustellen.118

104 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 15. 105 Im Einzelfall ist die Forderung einer überhöhten Abmahngebühr jedoch insoweit unschädlich, BGH 31.5.2012 – I ZR 106/10 – GRUR 2013, 176 Tz. 25 – Ferienluxuswohnung.

106 BGH 26.4.2018 – I ZR 248/16 – GRUR 2019, 199 Tz. 21 – Abmahnaktion II; BGH 3.3.2016 – I ZR 110/15 – GRUR 2016, 961 Tz. 15 – Herstellerpreisempfehlung bei Amazon; BGH 6.10.2011 – I ZR 42/10 – GRUR 2012, 286 Tz. 13 – Falsche Suchrubrik. 107 BGH 5.10.2000 – I ZR 237/98 – GRUR 2001, 260, 261 – Vielfachabmahner. 108 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 159; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 15. 109 BGH 20.5.1999 – I ZR 66/97 – GRUR 1999, 1116, 1118 – Wir dürfen nicht feiern; BGH 4.7.2019 – I ZR 149/18 – GRUR 2019, 966 Tz. 34 – Umwelthilfe. 110 BGH 15.12.2011 – I ZR 174/10 – GRUR 2012, 730 Tz. 24 – Bauheizgerät; BGH 6.10.2011 – I ZR 42/10 – GRUR 2012, 286 Tz. 13 – Falsche Suchrubrik. 111 BGH 15.12.2011 – I ZR 174/10 – GRUR 2012, 730 Tz. 26 ff. – Bauheizgerät. 112 BGH 15.12.2011 – I ZR 174/10 – GRUR 2012, 730 Tz. 17 ff. – Bauheizgerät. 113 BGH 26.4.2018 – I ZR 248/16 – GRUR 2019, 199 Tz. 21 – Abmahnaktion II; vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 16; BGH 6.10.2011 – I ZR 42/10 – GRUR 2012, 286 Tz. 16 – Falsche Suchrubrik. 114 BGH 13.9.2018 – I ZR 26/17 – GRUR 2018, 1166 – Prozessfinanzierer; kritisch Stadler JZ 2019, 203. 115 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 16. 116 BGH 26.4.2018 – I ZR 248/16 – GRUR 2019, 199 Tz. 28 – Abmahnaktion II. 117 BGH 30.9.2004 – I ZR 261/02 – GRUR 2005, 433, 434 – Telekanzlei; kein hinreichendes Indiz sind erst recht nur drei Abmahnungen BGH 31.3.2010 – I ZR 34/08 – GRUR 2010, 1117 Tz. 12 – Gewährleistungsausschluss im Internet. 118 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 16. 195

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3. Wirtschaftliches Verfolgungsinteresse (§ 8c Abs. 2 Nr. 2) 13 Missbräuchliche Abmahnungen werden oft in erheblicher Anzahl versandt, da der Anspruch auf Aufwendungsersatz auf Grund der Automatisierung der Abmahnung der Rechtsverletzung finanziell besonders attraktiv ist.119 Nach § 8c Abs. 2 Nr. 2 ist eine missbräuchliche Geltendmachung im Zweifel anzunehmen, wenn ein Mitbewerber eine erhebliche Anzahl von Verstößen gegen die gleiche Rechtsvorschrift durch Abmahnungen geltend macht, wenn die Anzahl der geltend gemachten Verstöße außer Verhältnis zum Umfang der eigenen Geschäftstätigkeit steht oder wenn anzunehmen ist, dass der Mitbewerber das wirtschaftliche Risiko seines außergerichtlichen oder gerichtlichen Vorgehens nicht selbst trägt. § 8c Abs. 2 Nr. 2 wurde durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs eingefügt.120 Der Anwendungsbereich des Regelbeispiels ist auf Mitbewerber beschränkt. Bei den übrigen Anspruchsberechtigten wird im Rahmen ihrer Tätigkeit üblicherweise eine höhere Anzahl von Verstößen geltend gemacht.121 Typisch für die Konstellation der breiten Verfolgung von Verstößen gegen die gleiche Rechtsvorschrift ist demgegenüber, dass der Mitbewerber nur in geringem Umfang wirtschaftlich tätig ist und angesichts dessen oder angesichts einer hohen Zahl von ausgesprochenen Abmahnungen zweifelhaft ist, ob er das wirtschaftliche Risiko selbst trägt, das er durch die Beauftragung eines Anwalts mit Abmahnungen eingeht.122 Ein Anhaltspunkt für eine missbräuchliche Rechtsverfolgung konnte sich schon nach bisheriger Rechtsprechung daraus ergeben, dass die Abmahntätigkeit in keinem vernünftigen wirtschaftlichen Verhältnis zur gewerblichen Tätigkeit des Abmahnenden steht.123 Kein kaufmännisch handelnder Unternehmer wird Kostenrisiken in einer für sein Unternehmen existenzbedrohenden Höhe durch eine Vielzahl von Abmahnungen oder Aktivprozessen eingehen, wenn er an der Unterbindung der beanstandeten Rechtsverstöße kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse hat.124 Eine Vielzahl von Abmahnungen auszusprechen ist freilich nicht per se ausgeschlossen.125 Kodifiziert ist nunmehr auch der Fall, dass der Mitbewerber das wirtschaftliche Risiko der Rechtsverfolgung nicht selbst trägt (vgl. auch Rn. 12).

4. Unangemessen hoher Gegenstandswert (§ 8c Abs. 2 Nr. 3) 14 Eine missbräuchliche Geltendmachung ist nach § 8c Abs. 2 Nr. 3 im Zweifel anzunehmen, wenn ein Mitbewerber den Gegenstandswert für eine Abmahnung unangemessen hoch ansetzt.126 Auch dieses Regelbeispiel bezieht sich auf eine überhöhte Gegenstandswertansetzung lediglich durch Mitbewerber. Dies ist ausweislich der Gesetzesbegründung ein typisches Missbrauchsanzeichen, da der abmahnende Mitbewerber infolge eines höheren Gegenstandswertes einen höheren Aufwendungsersatz beanspruchen kann. Die übrigen Anspruchsberechtigten nach § 8 Abs. 3 können dagegen lediglich eine Kostenpauschale beanspruchen, weswegen der Gegenstandswert unerheblich ist.127

119 120 121 122 123

BTDrucks. 19/12084 S. 29. BTDrucks. 19/22238 S. 6. BTDrucks. 19/12084 S. 29. BTDrucks. 19/12084 S. 29. BGH 26.4.2018 – I ZR 248/16 – GRUR 2019, 199 Tz. 21 – Abmahnaktion II; BGH 5.10.2000 – I ZR 237/98 – GRUR 2001, 260, 261 – Vielfachabmahner; OLG Nürnberg 3.12.2013 – 3 U 410/13 – GRUR-RR 2014, 166, 167. 124 BGH 26.4.2018 – I ZR 248/16 – GRUR 2019, 199 Tz. 23 – Abmahnaktion II. 125 Hohlweck WRP 2020, 266, 269. 126 Vgl. BGH 6.10.2011 – I ZR 42/10 – GRUR 2012, 286 Tz. 13 – Falsche Suchrubrik. 127 BTDrucks. 19/12084 S. 30. Hofmann

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B. Missbräuchliche Geltendmachung von Abwehransprüchen

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5. Offensichtlich überhöhte Vertragsstrafen (§ 8c Abs. 2 Nr. 4) Das Regelbeispiel aus § 8c Abs. 2 Nr. 4 stellt für eine missbräuchliche Geltendmachung der Ab- 15 wehransprüche darauf ab, dass offensichtlich überhöhte Vertragsstrafen vereinbart oder gefordert werden.128 Das Regelbeispiel bezieht sich sowohl auf die Forderung eines konkreten Betrags als auch auf die Forderung einer überhöhten Summe, wenn entsprechend dem so genannten neuen Hamburger Brauch zunächst lediglich eine Vertragsstrafe „in angemessener Höhe“ vereinbart wurde.129 Eine angemessene Vertragsstrafe bemisst sich nach mehreren Gesichtspunkten, die in § 13a genannt werden und dem Abmahnenden zum Teil nicht alle bei der Vereinbarung oder Forderung einer Vertragsstrafe bekannt sein werden. Aus diesem Grund ist nach der Gesetzesbegründung daher nicht die Forderung einer zu hohen Vertragsstrafe, sondern lediglich einer „offensichtlich“ überhöhten Vertragsstrafe missbräuchlich.130 Durch die Anforderung, dass es um „offensichtlich“ überhöhte Vertragsstrafen geht, soll nach dem Gesetzgeber zudem verdeutlicht werden, dass Missbrauch nur bei eindeutigen und ohne Weiteres erkennbaren Fällen im Raum steht. Nicht erfasst werden Konstellationen in denen dem Abmahnenden bloße Flüchtigkeitsfehler unterlaufen sind oder seine Forderung sich aus ex ante Sicht noch im üblichen Rahmen hielt.131

6. Offensichtlich überschießende Unterlassungserklärung (§ 8c Abs. 2 Nr. 5) Eine missbräuchliche Geltendmachung ist nach § 8c Abs. 2 Nr. 5 anzunehmen, wenn eine vorge- 16 schlagene Unterlassungsverpflichtung offensichtlich über die abgemahnte Rechtsverletzung hinausgeht.132 Die Formulierung der geschuldeten Unterlassungsverpflichtung ist grundsätzlich Pflicht des Abgemahnten. Daher kann der Vorschlag einer Unterlassungsverpflichtung durch den Abmahnenden eine Erleichterung für den Abgemahnten sein, insbesondere, weil es ihm offensteht, den Vorschlag selbst zu verändern und nur in dieser Form anzunehmen. Dennoch bietet ein solcher Vorschlag ausweislich der Gesetzesbegründung durch den Abmahnenden auch Raum für Missbrauch, indem Unterlassungsverpflichtungen vorgeschlagen werden, die deutlich über die geschuldete Verpflichtung zur Unterlassung hinausgehen und die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass der Abgemahnte hiergegen verstößt. Da die Formulierung der geschuldeten Unterlassungsverpflichtung im Einzelfall sehr schwierig sein kann, wird missbräuchliches Handeln nur angenommen, wenn die vorgeschlagene Erklärung offensichtlich über die geschuldete Verpflichtung hinausgeht.133 Über die Formulierung „offensichtlich“ sollen auch über dieses Regelbeispiel nur eindeutige und ohne Weiteres erkennbare Fälle erfasst werden (vgl. Rn. 15).134

7. Objektive Mehrfachverfolgung (§ 8c Abs. 2 Nr. 6) Nach § 8c Abs. 2 Nr. 6 ist eine missbräuchliche Geltendmachung der Ansprüche aus § 8 Abs. 1 17 im Zweifel anzunehmen, wenn mehrere Zuwiderhandlungen, die zusammen hätten abgemahnt werden können, einzeln abgemahnt werden. Der Fall der Mehrfachverfolgung war schon vor

128 129 130 131 132 133 134 197

BGH 6.10.2011 – I ZR 42/10 – GRUR 2012, 286 Tz. 13 – Falsche Suchrubrik. BTDrucks. 19/12084 S. 30. BTDrucks. 19/12084 S. 30; BTDrucks. 19/22238 S. 17. BTDrucks. 19/22238 S. 17. BGH 15.12.2011 – I ZR 174/10 – GRUR 2012, 730 Tz. 26 – Bauheizgerät. BTDrucks. 19/12084 S. 30; BTDrucks. 19/22238 S. 17. BTDrucks. 19/22238 S. 17. Hofmann

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Verbot der missbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen; Haftung

der Kodifizierung dieser Fallgruppe in der Rechtsprechung anerkannt.135 Missbräuchlich kann es sein, wenn der Kläger zusammengehörende Wettbewerbsverstöße im Falle des Vorliegens mehrerer ähnlicher Streitgegenstände statt im Wege objektiver Klagehäufung bei verschiedenen Gerichten oder in verschiedenen Verfahren ohne sachlichen Grund geltend macht.136 Dadurch entstehen höhere Kosten als im Falle der gemeinsamen Geltendmachung (§ 260 ZPO).137 In den Worten des BGH: Anhaltspunkte für ein missbräuchliches Verhalten können sich unter anderem daraus ergeben, dass ein Gläubiger bei einem einheitlichen Wettbewerbsverstoß getrennte Verfahren anstrengt und dadurch die Kostenlast erheblich erhöht, obwohl eine Inanspruchnahme in nur einem Verfahren für ihn mit keinerlei Nachteilen verbunden ist.138 Diese zunächst auf einen einheitlichen Wettbewerbsverstoß beschränkten Grundsätze sind anwendbar, wenn es um die Mehrfachverfolgung gleichartiger oder ähnlich gelagerter Wettbewerbsverstöße geht.139 Die Stellung mehrerer nahezu identischer Unterlassungsanträge, die sich auf kerngleiche Verletzungshandlungen beziehen, und ohne inhaltliche Erweiterung des begehrten Verbotsumfangs zu einer Vervielfachung des Streitwerts führen, kann daher ein Indiz für einen Rechtsmissbrauch sein, weil dem Kläger im Einzelfall ein schonenderes Vorgehen durch Zusammenfassung seines Begehrens in einem Antrag möglich und zumutbar ist.140 Die Verfolgung kerngleicher oder auch ähnlich gelagerter Wettbewerbsverstöße zwischen denselben Parteien in getrennten Verfahren kann ein Indiz für Rechtsmissbrauch darstellen, sofern es an berechtigten Gründen für eine solche Aufspaltung fehlt.141 Hierbei stellt es einen sachlichen Grund dar, wenn die getrennte Anspruchsverfolgung aufgrund von möglichen Unterschieden in der rechtlichen Beurteilung oder Beweisbarkeit des jeweiligen Verstoßes als der prozessual sicherste Weg zur Durchsetzung des Rechtsschutzbegehrens erscheint.142 Nimmt der Kläger den Beklagten in getrennten Verfügungsverfahren auf Unterlassung in Anspruch, obwohl ein einheitlicher Wettbewerbsverstoß aufgrund einer Gemeinschaftswerbung vorliegt, für den dieselben wettbewerbsrechtlichen Maßstäbe anzuwenden und identische Feststellungen zu treffen waren, sind gegen einen Missbrauch sprechende berechtigte Gründe nicht ersichtlich.143 Allerdings kann die Stellung mehrerer Unterlassungsanträge aus prozessualen Gründen angebracht sein („sicherster Weg“).144 Die Verfolgung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche wegen verschiedener Werbemaßnahmen vor verschiedenen Gerichten ist nicht rechtsmissbräuchlich, wenn aufgrund sukzessiver, auf wettbewerbsrechtliche Beanstandungen zurückzuführender Veränderungen der Werbemaßnahmen durch den Mitbewerber die Zusammenfassung des Angriffs auf sämtliche Verletzungsformen in einem Verfahren der einstweiligen Verfügung wegen seiner Eilbedürftigkeit nicht möglich ist.145 Dass sich eine konkrete Behinderung im Wettbewerb durch die Kostenbelastung bei der Größe des beklagten Konzerns nicht feststellen lässt, schließt eine missbräuchliche Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs durch den Gläubiger nicht aus. Ansonsten würden allein die Größe und finanzielle Leistungsfähigkeit des Schuldners den Gläubiger von jedem Missbrauchsvorwurf entlasten.146 Sind die Streitgegenstände nicht eng verwoben („weitgehend deckungsgleich“) oder ergeben sich insbesondere mit Blick auf die Beweis135 136 137 138

BTDrucks. 19/22238 S. 17. Vgl. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 160; BGH 26.4.2018 – I ZR 248/16 – GRUR 2019, 199 Tz. 32 – Abmahnaktion II. Vgl. BGH 17.11.2005 – I ZR 300/02 – GRUR 2006, 243 Tz. 17 – MEGA SALE. BGH 22.10.2009 – I ZR 58/07 – GRUR 2010, 454 Tz. 19 – Klassenlotterie; BGH 22.4.2009 – I ZR 14/07 – GRUR 2009, 1180 Tz. 20 – 0,00 Grundgebühr; BGH 17.11.2005 – I ZR 300/02 – GRUR 2006, 243 Tz. 16 – MEGA SALE. 139 BGH 22.10.2009 – I ZR 58/07 – GRUR 2010, 454 Tz. 19 – Klassenlotterie; BGH 22.4.2009 – I ZR 14/07 – GRUR 2009, 1180 Tz. 20 – 0,00 Grundgebühr. 140 BGH 19.7.2012 – I ZR 199/10 – GRUR 2013, 307 Tz. 19 – Unbedenkliche Mehrfachabmahnung. 141 BGH 4.1.2019 – I ZR 200/17 – GRUR 2019, 631 Rn. 62 – Das beste Netz. 142 BGH 4.1.2019 – I ZR 200/17 – GRUR 2019, 631 Rn. 62 – Das beste Netz. 143 BGH 17.11.2005 – I ZR 300/02 – GRUR 2006, 243 Tz. 17 – MEGA SALE. 144 BGH 19.7.2012 – I ZR 199/10 – GRUR 2013, 307 Tz. 20 – Unbedenkliche Mehrfachabmahnung. 145 BGH 4.1.2019 – I ZR 200/17 – GRUR 2019, 631 Rn. 64 – Das beste Netz. 146 BGH 17.11.2005 – I ZR 300/02 – GRUR 2006, 243 Tz. 19 – MEGA SALE. Hofmann

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B. Missbräuchliche Geltendmachung von Abwehransprüchen

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situation Unterschiede,147 ist eine Verfolgung der Verstöße gegen das UWG in unterschiedlichen Verfahren hingegen nicht rechtsmissbräuchlich.148

8. Subjektive Mehrfachverfolgung (§ 8c Abs. 2 Nr. 7) Schließlich liegt gemäß § 8c Abs. 2 Nr. 7 im Zweifel ein Missbrauchsfall vor, wenn wegen einer 18 Zuwiderhandlung, für die mehrere Zuwiderhandelnde verantwortlich sind, die Ansprüche gegen die Zuwiderhandelnden ohne sachlichen Grund nicht zusammen geltend gemacht werden. Auch dieses Regelbeispiel findet seine Grundlage in der bisherigen Rechtsprechung.149 Zu unterscheiden ist zwischen einer Aufspaltung der Rechtsverfolgung auf Gläubiger- und Schuldnerseite. Da Unterlassungsansprüche mit Blick auf erstere Konstellation mehreren Anspruchstellern zustehen, kann ein und derselbe Lauterkeitsverstoß von mehreren Gläubigern verfolgt werden. Es besteht für den Unterlassungsschuldner das Risiko, dass ein und derselbe Verstoß zum Gegenstand mehrerer gerichtlicher Verfahren gemacht wird.150 Eine Mehrfachverfolgung desselben Wettbewerbsverstoßes kann sich dabei nun aber als missbräuchlich erweisen, wenn sie auf einem abgestimmten Vorgehen der Unterlassungsgläubiger („Kampagne“)151 beruht und wenn – ohne dass hierfür ein vernünftiger Grund ersichtlich wäre – die Vervielfachung des mit der Rechtsverteidigung verbundenen Kostenrisikos sowie die Bindung personeller und finanzieller Kräfte eine unangemessene Belastung des Anspruchsgegners zur Folge hat.152 Ein Missbrauch kann mithin naheliegen, wenn konzernmäßig verbundene Unternehmen, die von demselben Rechtsanwalt vertreten werden, nicht gemeinsam als Streitgenossen klagen, sondern getrennte Verfügungs- oder Klageverfahren anstrengen. Gleiches gilt mit Blick auf die zweite Konstellation, wenn mehrere Unterlassungsschuldner nicht in einem Verfahren, sondern jeweils gesondert in Anspruch genommen werden, obwohl eine subjektive Klagehäufung auf der Passivseite für den Kläger oder Antragsteller mit keinerlei Nachteilen, beispielsweise bei der Wahl des Gerichtsstandes, verbunden wäre.153 In Fällen, in denen das prozessuale Vorgehen verschiedener Konzernunternehmen gegen Wettbewerbsverstöße zentral gesteuert wird, ist zu fragen, ob es nicht ausgereicht hätte, dass eines der Konzernunternehmen einen Titel erstritten hätte, aus dem bei Zuwiderhandlungen bundesweit auch im Interesse anderer zum Konzern gehörender Unterlassungsgläubiger vollstreckt werden könnte, oder ob nicht zumindest ein streitgenössisches Vorgehen zumutbar gewesen wäre.154

9. Sonstiges Als missbräuchlich kann es sich auch erweisen, dass der Unterlassungsgläubiger, ohne hierzu – 19 etwa mit Blick auf den drohenden, auf andere Weise nicht zu verhindernden Eintritt der Verjährung – genötigt zu sein, neben dem Verfahren der einstweiligen Verfügung gleichzeitig ein Hauptsacheverfahren anstrengt, ohne abzuwarten, ob die beantragte Verfügung erlassen wird

147 BGH 22.10.2009 – I ZR 58/07 – GRUR 2010, 454 Tz. 21 – Klassenlotterie; BGH 22.4.2009 – I ZR 14/07 – GRUR 2009, 1180 Tz. 20 f. – 0,00 Grundgebühr. BGH 22.10.2009 – I ZR 58/07 – GRUR 2010, 454 Tz. 20 f. – Klassenlotterie. BTDrucks. 19/22238 S. 17. BGH 6.4.2000 – I ZR 76/98 – GRUR 2000, 1089, 1090 – Mißbräuchliche Mehrfachverfolgung. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 32. BGH 6.4.2000 – I ZR 76/98 – GRUR 2000, 1089, 1091 – Mißbräuchliche Mehrfachverfolgung. BGH 6.4.2000 – I ZR 76/98 – GRUR 2000, 1089, 1091 – Mißbräuchliche Mehrfachverfolgung. BGH 6.4.2000 – I ZR 76/98 – GRUR 2000, 1089, 1091 – Mißbräuchliche Mehrfachverfolgung.

148 149 150 151 152 153 154 199

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Verbot der missbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen; Haftung

und der Schuldner dies in einer Abschlusserklärung als endgültige Regelung akzeptiert.155 Der Erlass einer einstweiligen Verfügung steht der Verfolgung des im Eilverfahren nur vorläufig titulierten Anspruchs im Hauptsacheverfahren zwar nicht entgegen, solange nicht der Schuldner eine Abschlusserklärung abgegeben hat. Im Ausnahmefall kann sich die parallele Vorgehensweise aber als rechtsmissbräuchlich gemäß § 8c erweisen, wenn der Gläubiger ohne Not das Hauptsacheverfahren einleitet und nicht abwartet, ob die beantragte Verfügung erlassen und vom Gegner als endgültige Regelung akzeptiert wird.156 Sind mehrere für einen Wettbewerbsverstoß verantwortlich, steht es dem Gläubiger grundsätzlich frei, wen er in Anspruch nimmt.157 Ein Missbrauch wegen selektiver Schuldnerauswahl setzt das Vorliegen besonderer Umstände voraus.158 Eine sachfremde Erwägung ist es beispielsweise, wenn ein Verband ein Nichtmitglied in Anspruch nimmt, um es zum Beitritt zu bewegen.159 Allein die Tatsache, dass ein Verband Wettbewerbsverstöße Dritter, zugleich aber nicht einen identischen Wettbewerbsverstoß eines eigenen Mitglieds, verfolgt, ist aber nicht rechtsmissbräuchlich.160 Etwas anderes kann wiederum gelten, wenn die Verstöße eigener Mitglieder planmäßig geduldet werden.161 Die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen durch Verbände erfolgt schließlich auch im öffentlichen Interesse.162 Wenn auch namentlich Verbänden nicht verwehrt ist, auf Anregung Dritter tätig zu werden, ist die Linie zum Rechtsmissbrauch überschritten, wenn der Durchsetzungsberechtigte zum bloßen Vollzieher („Werkzeug“, „Handlanger“) Dritter, nicht zur Durchsetzung von Wettbewerbsverstößen berufener Dritter, wird. Fremdbestimmte Rechtsdurchsetzung ohne (satzungsmäßig gedecktes) Eigeninteresse kann daher unter § 8c fallen.163 Nicht nur das dominierende Interesse der Gebührenerwirtschaftung kann sich als missbräuchlich erweisen, sondern auch das Ziel, den Anspruchsgegner mit möglichst hohen Kosten zu belasten.164 Dafür kann es ein Indiz sein, wenn ein schonenderes Vorgehen im Einzelfall möglich und zumutbar ist.165 Anschauungsmaterial bieten vor allem Fälle missbräuchlicher Mehrfachverfolgung.166 Anhaltspunkte für ein missbräuchliches Verhalten können sich insoweit unter anderem daraus ergeben, dass ein Gläubiger bei einem einheitlichen Wettbewerbsverstoß getrennte Verfahren (Klage- und Verfügungsverfahren, mehrere Abmahnungen) anstrengt und dadurch die Kostenlast erheblich erhöht, obwohl eine Inanspruchnahme in nur einem Verfahren für ihn mit keinerlei Nachteilen verbunden ist.167 Auch die Mitbewerberbehinderung kann sich als missbräuchlich erweisen.168 Eine vorherrschende Schädigungsabsicht kann auch gegeben sein, wenn die Prozessführung in besonders kostenverursachender Weise gestaltet wird, beispielsweise auch bei der Auswahl des Gerichtsstandes.169 155 BGH 24.5.2000 – I ZR 222/97 – GRUR 2001, 78, 79 – Falsche Herstellerpreisempfehlung; BGH 6.4.2000 – I ZR 76/98 – GRUR 2000, 1089, 1091 – Mißbräuchliche Mehrfachverfolgung.

156 BGH 21.4.2016 – I ZR 100/15 – GRUR 2016, 1316 Tz. 14 – Notarielle Unterlassungserklärung. 157 BGH 5.10.2017 – I ZR 172/16 – GRUR 2017, 1281 Tz. 15 – Großhandelszuschläge; Fezer/Obergfell/Büscher § 8 Rn. 118; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 161. 158 BGH 17.8.2011 – I ZR 148/10 – GRUR 2012, 411 Tz. 20 – Glücksspielverband. 159 BGH 17.8.2011 – I ZR 148/10 – GRUR 2012, 411 Tz. 23 – Glücksspielverband. 160 BGH 17.8.2011 – I ZR 148/10 – GRUR 2012, 411 Tz. 21 – Glücksspielverband; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 161. 161 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 38. 162 BGH 17.8.2011 – I ZR 148/10 – GRUR 2012, 411 Tz. 22 – Glücksspielverband. 163 BGH 6.4.2000 – I ZR 294/97 – GRUR 2001, 178 – Impfstoffversand; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 162; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 39 vgl. Lindacher WRP 2017, 1168. 164 BGH 26.4.2018 – I ZR 248/16 – GRUR 2019, 199 Tz. 21 – Abmahnaktion II; BGH 3.3.2016 – I ZR 110/15 – GRUR 2016, 961 Tz. 15 – Herstellerpreisempfehlung bei Amazon; BGH 6.4.2000 – I ZR 76/98 – GRUR 2000, 1089, 1090, 1091 – Mißbräuchliche Mehrfachverfolgung; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 285, 288; BGH 24.5.2000 – I ZR 222/ 97 – GRUR 2001, 78, 79 – Falsche Herstellerpreisempfehlung. 165 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 11. 166 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 37. 167 BGH 22.10.2009 – I ZR 58/07 – GRUR 2010, 454 Tz. 19 – Klassenlotterie. 168 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 37. 169 Teplitzky/Büch Kap. 13 Rn. 58. Hofmann

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B. Missbräuchliche Geltendmachung von Abwehransprüchen

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V. Gegenansprüche 1. Anspruchsberühmung als allgemeines Problem Während der Schuldner das Risiko der Nichterfüllung eines bestehenden Anspruchs trägt, trifft 20 spiegelbildlich den Gläubiger im Falle des Nichtbestehens eines geltend gemachten Anspruchs ein weitaus geringeres Risiko. Weder die gerichtliche Rechtsdurchsetzung noch die außergerichtliche Geltendmachung eines nicht bestehenden Anspruchs ist im Ausgangspunkt eine Rechtsverletzung. Nur wenn besondere Umstände hinzutreten (z. B. betrügerisches Verhalten, § 826 BGB), stehen dem Putativschuldner Gegenansprüche – insbesondere gerichtet auf Schadensersatz zur Erstattung von Anwaltskosten – zur Verfügung.170 Grundlegend anders beurteilt die Rechtsprechung unberechtigte Schutzrechtsverwarnungen. Macht namentlich ein Markeninhaber zu Unrecht einen Unterlassungsanspruch geltend, kann dies einen Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb begründen.171 Die Grundsätze unberechtigter Schutzrechtsverwarnungen sind allerdings nicht auf die Geltendmachung lauterkeitsrechtlicher Ansprüche übertragbar.172 Der Gegner einer unberechtigten wettbewerbsrechtlichen Abmahnung soll diese ohne größere Risiken unbeachtet lassen, weil mit der wettbewerbsrechtlichen Abmahnung die mit der Schutzrechtsverwarnung typischerweise verbundenen weitreichenden Beeinträchtigungen regelmäßig nicht einhergehen.173 Dessen ungeachtet finden sich aber mittlerweile vereinzelt Spezialvorschriften, die dem zu Unrecht Inanspruchgenommenen einen Anspruch auf Erstattung der Kosten der Rechtsverteidigung gewähren (vgl. § 97a Abs. 4 S. 1 UrhG; § 2b S. 3 und S. 4 UKlaG; vgl. auch § 945 ZPO). Ein solcher Erstattungsanspruch findet sich – wenn auch beschränkt auf missbräuchliche Abmahnungen – auch im UWG (§ 8c Abs. 3).174 Zwischen dem Abmahnenden und dem Abgemahnten soll mehr Waffengleichheit hergestellt werden.175 Durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs findet sich weitergehend nunmehr auch im UWG eine Regelung, die generell einen Anspruch auf Erstattung erforderlicher Rechtsverteidigungskosten im Falle formell oder materiell unberechtigter Abmahnungen vorsieht. Gemäß § 13 Abs. 5 gilt Folgendes: Soweit die Abmahnung unberechtigt ist oder nicht den Anforderungen des § 13 Abs. 2 entspricht oder soweit entgegen Absatz 4 ein Anspruch auf Aufwendungsersatz geltend gemacht wird, hat der Abgemahnte gegen den Abmahnenden einen Anspruch auf Ersatz der für seine Rechtsverteidigung erforderlichen Aufwendungen. Der Anspruch nach Satz 1 ist beschränkt auf die Höhe des Aufwendungsersatzanspruchs, die der Abmahnende geltend macht. Bei einer unberechtigten Abmahnung ist der Anspruch nach Satz 1 ausgeschlossen, wenn die fehlende Berechtigung der Abmahnung für den Abmahnenden zum Zeitpunkt der Abmahnung nicht erkennbar war. Weitergehende Ersatzansprüche bleiben unberührt. Dieser Anspruch unterscheidet sich von § 8c Abs. 3 dadurch, dass es auf einen Missbrauch nicht ankommt.176

2. Kostenerstattungsanspruch nach § 8c Abs. 3 Nach § 8c Abs. 3 kann im Falle des Missbrauchs der Anspruchsgegner Ersatz der für seine 21 Rechtsverteidigung tatsächlich erforderlichen Aufwendungen verlangen. Absatz 3 enthält die Gegenansprüche des missbräuchlich Abgemahnten gegen den Abmahnenden, die bereits in 170 171 172 173 174 175 176 201

Zur Problematik Thole AcP 209 (2009) 498; F. Hofmann ZfPW 2018, 152. BGH 15.7.2005 – GSZ 1/04 – NJW 2005, 3141; BGH 19.1.2006 – I ZR 98/02 – NJW-RR 2006, 832. BGH 22.7.2010 – I ZR 139/08 – GRUR 2011, 152 Tz. 63 – Kinderhochstühle im Internet I. BGH 22.7.2010 – I ZR 139/08 – GRUR 2011, 152 Tz. 63 – Kinderhochstühle im Internet I. Kritisch Buchmann WRP 2013, 1392; ders. WRP 2012, 1345. BTDrucks. 17/13057 S. 25. BTDrucks. 19/12084 S. 32. Hofmann

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Verbot der missbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen; Haftung

der bisherigen Fassung von § 8 Abs. 4 UWG enthalten waren.177 Der Anspruch besteht ausweislich des Wortlautes (vgl. demgegenüber die Formulierung in § 97a Abs. 4 S. 1 UrhG) verschuldensunabhängig.178 Praktisch zielt die Bestimmung auf den Ersatz der außergerichtlichen Anwaltskosten für die eigene Verteidigung ab.179 Der Anspruchsgegner soll sich Rechtsberatung gleichsam leisten können.180 Der Umfang orientiert sich an den Rechtsgrundsätzen nach § 13 Abs. 3.181 Weitergehende Ersatzansprüche bleiben ausweislich von § 8c Abs. 3 S. 2 unberührt. 22 Denkbar sind insoweit Schadensersatzansprüche aus § 823 und § 678 BGB,182 deren tatbestandliches Eingreifen allerdings vielfach fraglich ist.183

C. Prozessuales und Beweislast 23 Da die missbräuchliche Geltendmachung von Abwehransprüchen gemäß § 8c die Prozessführungsbefugnis betrifft, handelt es sich um eine Prozessvoraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens einschließlich im Revisionsverfahren von Amts wegen geprüft werden muss.184 Der Einwand des Rechtsmissbrauchs führt im Erfolgsfalle zur Unzulässigkeit der Klage.185 Die Feststellung erfolgt mit den Mitteln des Freibeweises.186 Die Voraussetzungen des § 8c hat der Unterlassungsschuldner darzulegen und zu beweisen;187 ein non liquet geht zu Lasten des Beklagten oder Anspruchsgegners.188 Hat der Beklagte in ausreichendem Umfang Indizien vorgetragen, die für eine missbräuchliche Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs sprechen, obliegt es dem Kläger, diese Umstände zu widerlegen.189 Der Erfüllung einer der genannten Konstellationen kommt lediglich eine Indizwirkung für einen Missbrauch zu. Der Abmahnende kann diese Indizien erschüttern. Es handelt sich nicht um eine Vermutung, die gemäß § 292 ZPO nur durch den Beweis des Gegenteils zu widerlegen wäre.190

D. Sonstige Einwände gegen die Rechtsdurchsetzung I. Materiell-rechtliche Einwendungen im engeren und im weiteren Sinne 24 Materiell-rechtliche Einwendungen können sich zum einen gegen das Vorliegen eines Wettbewerbsverstoßes als solchen richten. Betroffen ist das materielle Recht im engeren Sinne. Dazu

177 178 179 180 181 182 183 184

BTDrucks. 19/12084 S. 30. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 163a. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 6. BTDrucks. 17/13057 S. 25. BTDrucks. 17/13057 S. 25; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 742. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 163a. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8c Rn. 6. BGH 11.12.2014 – I ZR 113/13 – GRUR 2015, 694 Tz. 15 – Bezugsquellen für Bachblüten; BGH 20.12.2001 – I ZR 215/98 – GRUR 2002, 715, 717 – Scanner-Werbung. 185 BGH 4.1.2019 – I ZR 200/17 – GRUR 2019, 631 Rn. 62 – Das beste Netz. 186 BGH 14.12.2000 – I ZR 181/99 – GRUR 2001, 846, 847 – Metro V. 187 BGH 1.6.2006 – I ZR 167/03 – GRUR 2007, 164 Tz. 13 – Telefax-Werbung II; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 724. 188 Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 724. 189 BGH 17.11.2005 – I ZR 300/02 – GRUR 2006, 243 Tz. 21 – MEGA SALE. 190 BTDrucks. 19/22238 S. 17. Hofmann

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D. Sonstige Einwände gegen die Rechtsdurchsetzung

§ 8c

zählt namentlich der Abwehreinwand,191 (soweit möglich) die Einwilligung192 oder der Gedanke Wahrnehmung berechtigter Interessen einschließlich der Privilegierung verfahrensbezogener Äußerungen.193 Die Rechtsdurchsetzung im eigentlichen Sinne ist dabei nicht betroffen, da es bereits an einem Lauterkeitsrechtsverstoß fehlt.194 An einem Wettbewerbsverstoß kann es auch fehlen, wenn die tatbestandsimmanente Interessenabwägung (z. B. im Rahmen von § 3 Abs. 1) ergibt, dass ein unlauteres Verhalten nicht vorliegt, nicht aber, wenn sich Unsitten eingeschlichen haben.195 Einwände, welche die Rechtsdurchsetzung betreffen, also das materielle Recht im weiteren Sinne, sind vor allem die Verjährung (§ 11), der Rechtsmissbrauch196 jenseits von § 8c (z. B. Provokation eines Wettbewerbsverstoßes, Ausnutzen einer formalen Rechtsposition, widersprüchliches Verhalten)197 und die Verwirkung (Rn. 25 ff.). Keine Rolle spielt schließlich der Einwand der unclean hands.198 Auf Aufbrauchfristen wurde bereits eingegangen (§ 8 Rn. 86 ff.).

II. Verwirkung 1. Allgemeines Verwirkung ist ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens, 25 bei dem der Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) in der Illoyalität der verspäteten Rechtsausübung liegt.199 Ein Recht ist verwirkt (rechtshemmende Einwendung),200 wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, und deswegen die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt.201 Die Anforderungen an die Voraussetzungen der Verwirkung unterscheiden sich danach, gegenüber welchem Anspruch der Einwand der Verwirkung geltend gemacht wird.202 Von Interesse ist im Folgenden der Unterlassungsanspruch, wo es als besondere Tatbestandvoraussetzung auf das Vorhandensein eines schutzwürdigen wertvollen Besitzstandes ankommt.203 Das Bedürfnis für den Verwirkungseinwand gegenüber dem wettbewerblichen Unterlassungsanspruch hat seine

191 Dazu Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 164; Harte/Henning/Goldmann Vorb. zu § 8 Rn. 204 ff.; Teplitzky/Bacher Kap. 18; BGH 22.1.1971 – I ZR 76/69 – GRUR 1971, 259, 260 – W.A.Z.; Voraussetzung ist insbesondere, dass nicht in die Rechte oder berechtigten Interessen Dritter eingegriffen wird, BGH 8.11.2007 – I ZR 60/05 – GRUR 2008, 530 Tz. 22 – Nachlass bei der Selbstbeteiligung. 192 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 168; Harte/Henning/Goldmann Vorb. zu § 8 Rn. 122. 193 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 169 f.; Harte/Henning/Goldmann Vorb. zu § 8 Rn. 224 ff. 194 Vgl. für den Abwehreinwand Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 165. 195 Vgl. zum regelmäßig nicht durchdringenden Einwand der „Üblichkeit“ Teplitzky/Bacher Kap. 19 Rn. 1 ff.; vgl. aber § 2 Abs. 1 Nr. 7; vgl. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 167. 196 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 183 ff.; Harte/Henning/Goldmann Vorb. zu § 8 Rn. 190 ff., 200 ff.; Teplitzky/Bacher Kap. 19. Rn. 4a ff. 197 Nach BGH 3.11.1988 – I ZR 231/86 – GRUR 1989, 113 – Mietwagen-Testfahrt soll es bereits an der Unlauterkeit fehlen. 198 Harte/Henning/Goldmann Vorb. zu § 8 Rn. 195 (Man sollte diesen Einwand „in Frieden ruhen lassen“); Beispiel LG Frankfurt/Main 20.12.2018 – 2-03 O 299/18 – BeckRS 2018, 40460 Tz. 100. 199 BGH 18.1.2012 – I ZR 17/11 – GRUR 2012, 928 Tz. 22 – Honda-Grauimport; BGH 21.10.2005 – V ZR 169/04 – NJWRR 2006, 235 Tz. 10 – Lkw-Fuhrbetrieb; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 2.13. 200 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 2.13. 201 BGH 21.10.2005 – V ZR 169/04 – NJW-RR 2006, 23 Tz. 10 – Lkw-Fuhrbetrieb; BGH 30.4.1993 – V ZR 234/9 – NJW 1993, 2178, 2179. 202 BGH 19.12.2000 – X ZR 150/98 – GRUR 2001, 323, 325 – Temperaturwächter; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 2.14 ff. 203 Vgl. BGH 19.2.1998 – I ZR 138/95 – GRUR 1998, 1034, 1037 – Makalu. 203

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Verbot der missbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen; Haftung

Wurzel in der Verjährungsproblematik bei „Dauerunterlassungen“.204 Obwohl die Verjährungsfrist im Lauterkeitsrecht äußerst kurz bemessen ist (§ 11), greift der Verjährungseinwand praktisch häufig nicht, da bei Dauerhandlungen die Verjährungsfrist gleichsam ständig neu beginnt.205

2. Bedeutung 26 Während sich im Markenrecht mit § 21 MarkenG ein Spezialtatbestand zur Verwirkung findet,206 ist im UWG der allgemeine Verwirkungseinwand über § 242 BGB im Grundsatz anerkannt.207 Der Verwirkungseinwand ist freilich auf subjektive Rechte in Zweipersonenverhältnissen zugeschnitten.208 Im Wettbewerbsrecht sind jedoch regelmäßig nicht nur die Interessen eines individuell betroffenen Mitbewerbers berührt, sondern zugleich Interessen der Allgemeinheit und von Verbrauchern. Die Verwirkung ist damit im Lauterkeitsrecht jenseits von Fällen mit ausschließlichem Mitbewerberbezug209 mit großer Vorsicht zu genießen.210 Die Annahme einer Verwirkung kann daher nur ausnahmsweise in Betracht kommen, weil das Interesse der Allgemeinheit, namentlich vor Irreführung bewahrt zu werden, grundsätzlich vorrangig vor den Individualinteressen des Betroffenen ist.211 Die Bedeutung des Verwirkungseinwands wird daher für gering gehalten.212 Aspekte, die für eine Verwirkung sprechen können, lassen sich im Lauterkeitsrecht mitunter aber bereits dogmatisch anderweitig berücksichtigen.213 So kann beispielsweise die unzutreffende Bezeichnung als Klosterbrauerei214 schon keine unlautere geschäftliche Handlung darstellen, weil vor dem Hintergrund des Verbraucherleitbildes bereits keine Irreführung vorliegt oder es an der Relevanz der Irreführung fehlt.215 Auch Verhältnismäßigkeitsüberlegungen im materiellen Lauterkeitsrecht im engeren Sinne216 können einem Unterlassungsanspruch von vornherein die Grundlage nehmen.217

3. Voraussetzungen 27 a) Übersicht. Eine Verwirkung kommt nach allgemeinen Grundsätzen nur in Betracht, wenn der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage wäre,

204 Goldmann GRUR 2017, 657, 657 f.; Harte/Henning/Goldmann Vorb. zu § 8 Rn. 125 f. 205 BGH 27.2.2003 – I ZR 25/01 – GRUR 2003, 448, 450 – Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft; vgl. zum Mietrecht BGH 19.12.2018 – XII ZR 5/18 – NJW 2019, 1062 mit Anm. F. Hofmann ZfIR 2019, 337; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 2.14. 206 Vgl. zum allgemeinen Verwirkungseinwand BGH 5.11.2015 – I ZR 50/14 – GRUR 2016, 705 Tz. 46 ff. – ConText; mit Blick auf das Unionsrecht EuGH 22.9.2011 – C-482/09 – GRUR 2012, 519 Tz. 37 – Budvar/Anheuser-Busch. 207 BGH 20.12.2018 – I ZR 112/17 – GRUR 2019, 189 Tz. 66 – Crailsheimer Stadtblatt II; BGH 18.1.2012 – I ZR 17/11 – GRUR 2012, 928 Tz. 22 – Honda-Grauimport; Teplitzky/Bacher Kap. 17 Rn. 2. 208 Vgl. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 180. 209 Goldmann GRUR 2017, 657, 659; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 2.14. 210 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 173 und Rn. 180; Harte/Henning/Goldmann Vorb. zu § 8 Rn. 128. 211 BGH 27.2.2003 – I ZR 25/01 – GRUR 2003, 448, 450 – Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft; vgl. Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 358. 212 Die Bedeutung im UWG wird als „marginal“ eingeschätzt, Harte/Henning/Goldmann Vorb. zu § 8 Rn. 128 f., insbesondere seit der Kodifizierung kennzeichenrechtlicher Bestimmungen im MarkenG, vgl. Goldmann GRUR 2017, 657, 659; vgl. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 173. 213 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 180. 214 BGH 7.11.2002 – I ZR 276/99 – GRUR 2003, 628, 630 – Klosterbrauerei. 215 Vgl. Ohly FS Köhler (2014) S. 507; vgl. BGH 15.8.2013 – I ZR 188/11 – GRUR 2013, 1161 Tz. 76 ff. – Hard Rock Cafe. 216 Vgl. BGH 7.11.2002 – I ZR 276/99 – GRUR 2003, 628, 630 – Klosterbrauerei. 217 Vgl. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 180; Goldmann GRUR 2017, 657, 660. Hofmann

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D. Sonstige Einwände gegen die Rechtsdurchsetzung

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und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass dieser sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde.218 Zum reinen Zeitablauf (Zeitmoment) müssen besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen (Umstandsmoment).219 Es muss ein schutzwürdiger wertvoller Besitzstand aufgebaut worden sein.220 Zeitund Umstandsmoment können nicht voneinander unabhängig betrachtet werden, sondern stehen in einer Wechselwirkung.221 Die zeitlichen wie die sonstigen Umstände des Falls müssen in ihrer Gesamtheit die Beurteilung tragen, dass Treu und Glauben dem Gläubiger die Verfolgung des Anspruchs verwehren, mit dessen Geltendmachung der Schuldner nicht mehr rechnen musste. Je länger aber der Gläubiger untätig bleibt, obwohl eine Geltendmachung seiner Rechte zu erwarten wäre, desto mehr wird der Schuldner in seinem Vertrauen schutzwürdig, der Gläubiger werde ihn nicht mehr in Anspruch nehmen.222 Es kommt also auf eine umfassende Interessenabwägung an.223 Ob eine Verwirkung vorliegt, richtet sich letztlich nach den vom Tatrichter festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalls.224 Derjenige, der sich auf den Verwirkungseinwand beruft, hat entsprechend vorzutragen.

b) Zeitmoment. Voraussetzung der Verwirkung ist, dass der Anspruchsberechtigte einen hin- 28 reichend langen Zeitraum („längeren Zeitraum“) untätig bleibt, obwohl er um den Verstoß wusste oder wissen musste („bei der gebotenen Wahrung seiner Interessen erkennen musste“).225 Zeiten, während derer eine Rechtsverfolgung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich ist, müssen unberücksichtigt bleiben.226 Es bestehen aber Marktbeobachtungspflichten („zumutbare Beachtung [des] Umfelds“).227 Eine abstrakte Zeitgrenze lässt sich nicht bestimmen,228 auch wenn häufig ein mehrjähriges Abwarten als Regelvoraussetzung genannt wird.229 Es kommt auf die Umstände des Einzelfalls an: Je länger der Zeitraum ist und je dringlicher ein Einschreiten geboten wäre, desto mehr spricht für die Annahme des für die Verwirkung erforderlichen Zeitmoments.230 Droht der Anspruchsteller mit einer Unterlassungsklage und weist der Anspruchsgegner den Anspruch zurück, darf er mit einer alsbaldigen Klage rechnen.231 Bei der Frage, wann die für das Zeitmoment maßgebliche Frist zu laufen beginnt, will der BGH (im Kennzeichenrecht) zwischen Einzel- und Dauerhandlungen differenzieren. Wiederholte gleichartige Verletzungshandlungen, die zeitlich unterbrochen auftreten 218 BGH 19.12.2018 – XII ZR 5/18 – NJW 2019, 1062 Tz. 28; BGH 14.11.2002 – VII ZR 23/02 – NJW 2003, 824. 219 BGH 19.12.2018 – XII ZR 5/18 – NJW 2019, 1062 Tz. 28. 220 BGH 23.9.1992 – I ZR 251/90 – GRUR 1993, 151, 153 – Universitätsemblem; BGH 19.2.1998 – I ZR 138/95 – GRUR 1998, 1034, 1037 – Makalu; BGH 19.12.2000 – X ZR 150/98 – GRUR 2001, 323, 325 – Temperaturwächter; Goldmann GRUR 2017, 657, 658. 221 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 179; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 2.18; Harte/Henning/Goldmann Vorb. zu § 8 Rn. 130; Teplitzky/Bacher Kap. 17 Rn. 4. 222 BGH 19.12.2000 – X ZR 150/98 – GRUR 2001, 323, 327 – Temperaturwächter. 223 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 179; Harte/Henning/Goldmann Vorb. zu § 8 Rn. 132 und Rn. 164. 224 BGH 19.12.2018 – XII ZR 5/18 – NJW 2019, 1062 Tz. 28. 225 BGH 23.9.1992 – I ZR 251/90 – GRUR 1993, 151, 153 – Universitätsemblem. 226 Vgl. BGH 25.6.1969 – I ZR 26/68 – GRUR 1969, 615, 616 – Champi-Krone. 227 BGH 23.9.1992 – I ZR 251/90 – GRUR 1993, 151, 153 – Universitätsemblem; BGH 24.6.1993 – I ZR 187/91 – GRUR 1993, 913, 915 – KOWOG; Teplitzky/Bacher Kap. 17 Rn. 6; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 175. 228 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 175. 229 Vgl. Teplitzky/Bacher Kap. 17 Rn. 5; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 175; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 2.19; BGH 15.2.2001 – I ZR 232/98 – GRUR 2001, 1161 – CompuNet/ComNet; BGH 19.2.1998 – I ZR 138/95 – GRUR 1998, 1034, 1037 – Makalu. 230 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 359; vgl. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 175. 231 Teplitzky/Bacher Kap. 17 Rn. 7; vgl. BGH 15.11.1957 – I ZR 83/56 – GRUR 1958, 354 – Sherlock Holmes. 205

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Verbot der missbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen; Haftung

können, lösen demnach jeweils einen neuen Unterlassungsanspruch aus und lassen daher die für die Beurteilung des Zeitmoments maßgebliche Frist jeweils neu beginnen.232 Bei Dauerhandlungen wie der Nutzung einer Bezeichnung als Name eines Unternehmens oder einer Internet-Domain soll auf den Beginn der erstmaligen Benutzung abzustellen sein.233 Diese Rechtsprechung wird in der Literatur als nicht erforderliche Sonderdogmatik kritisiert.234

29 c) Umstandsmoment. Ein bloßes Unterlassen der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs kann für sich genommen kein berechtigtes Vertrauen des Schuldners auslösen. Durch bloßen Zeitablauf kann kein Vertrauenstatbestand geschaffen werden.235 Zu dem Zeitablauf müssen besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen.236 Es kommt für das Umstandsmoment darauf an, dass sich der Anspruchsschuldner bei objektiver Beurteilung darauf einrichten durfte und auch eingerichtet hat, der Gläubiger werde wegen seiner bisherigen Untätigkeit sein Recht nicht mehr geltend machen, und deswegen die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt.237 Voraussetzung ist, dass dem Anspruchsberechtigten ein Tätigwerden überhaupt möglich war.238 Muss der Schuldner davon ausgehen, dass der Berechtigte keine Kenntnis von dem ihm zustehenden Anspruch hat, fehlt es im Hinblick auf den konkreten Gläubiger an dem für die Verwirkung erforderlichen Vertrauenstatbestand.239 Verhält sich der Schuldner unredlich, ist dies nicht zwingend ein Argument gegen die Annahme des Verwirkungseinwands.240 Allerdings verschärft schuldhaftes Verhalten – beispielsweise bei der Wahl einer Bezeichnung – die Anforderungen daran, ob und ab wann der Verletzer darauf vertrauen darf, dass gegen die Verwendung der Bezeichnung irgendwelche Einwände nicht bestehen oder nicht geltend gemacht werden.241

30 d) Aufbau eines schutzwürdigen wertvollen Besitzstandes. Die Geltendmachung eines Anspruchs verstößt gegen Treu und Glauben, wenn der Berechtigte über einen längeren Zeitraum untätig geblieben ist, obwohl er den Verstoß kannte oder bei der gebotenen Wahrung seiner Interessen erkennen musste, so dass der Verpflichtete mit der Duldung seines Verhaltens durch etwaige Berechtigte rechnen durfte und sich daraufhin einen schutzwürdigen wertvollen Besitzstand schuf.242 Es muss ein Zustand geschaffen worden sein, der für den Benutzer einen beachtlichen Wert hat, der ihm nach Treu und Glauben erhalten bleiben muss und den ihm auch der Verletzte nicht streitig machen kann, wenn er durch sein Verhalten diesen Zustand

232 BGH 18.1.2012 – I ZR 17/11 – GRUR 2012, 928 Tz. 22 – Honda-Grauimport; vgl. Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 358. 233 BGH 5.11.2015 – I ZR 50/14 – GRUR 2016, 705 Tz. 50 – ConText; BGH 15.8.2013 – I ZR 188/11 – GRUR 2013, 1161 Tz. 24, 29 – Hard Rock Cafe. 234 Goldmann GRUR 2017, 657, 660 ff. 235 BGH 19.12.2018 – XII ZR 5/18 – NJW 2019, 1062 Tz. 28. 236 BGH 14.11.2002 – VII ZR 23/02 – NJW 2003, 824. 237 BGH 19.12.2000 – X ZR 150/98 – GRUR 2001, 323, 324 – Temperaturwächter. 238 Vgl. Teplitzky/Bacher Kap. 17 Rn. 6. 239 BGH 7.11.2002 – I ZR 276/99 – GRUR 2003, 628, 630 – Klosterbrauerei; BGH 15.9.1999 – I ZR 57/97 – GRUR 2000, 144, 145 f. – Comic-Übersetzungen II. 240 BGH 2.2.1989 – I ZR 183/86 – GRUR 1989, 449, 453 – Maritim; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 176. 241 BGH 24.6.1993 – I ZR 187/91 – GRUR 1993, 913, 914 – KOWOG; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 2.19 und Rn. 2.20 f. 242 BGH 19.2.1998 – I ZR 138/95 – GRUR 1998, 1034, 1037 – Makalu; BGH 23.9.1992 – I ZR 251/90 – GRUR 1993, 151, 153 – Universitätsemblem; BGH 7.6.1990 – I ZR 298/88 – GRUR 1990, 1042, 1046 – Datacolor; BGH 2.2.1989 – I ZR 183/86 – GRUR 1989, 449, 453 – Maritim. Hofmann

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D. Sonstige Einwände gegen die Rechtsdurchsetzung

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erst ermöglicht hat.243 Ein Besitzstand ist dann schutzwürdig, wenn er einen beachtlichen Wert für den Verletzer hat. Dieser Wert ist dabei nicht nach seiner absoluten Größe, sondern nach seiner objektiven Bedeutung für den Verletzer zu bestimmen.244 Für die Annahme eines wertvollen Besitzstands im Sinne des Verwirkungstatbestandes kommt es nach der Rechtsprechung des BGH in erster Linie auf den Grad der Bekanntheit an, den die Kennzeichnung durch die Benutzung gewonnen hat, und auf den Umsatz oder Gewinn, den der Benutzer unter der verwendeten Kennzeichnung erzielt hat, ferner auf Art und Umfang der unter der Verwendung der fraglichen Kennzeichnung betriebenen Werbung, die Rückschlüsse auf den Bekanntheitsgrad der Bezeichnung und den Umfang des erworbenen Besitzstands zulässt.245

e) Interessenabwägung. Ob im Ergebnis der Verwirkungseinwand greift, hängt schließlich an 31 einer umfassenden Interessenabwägung.246 Die zeitlichen wie die sonstigen Umstände des Falls müssen in ihrer Gesamtheit die Beurteilung tragen, dass Treu und Glauben dem Gläubiger die Verfolgung des Anspruchs verwehren, mit dessen Geltendmachung der Schuldner nicht mehr rechnen musste. Je länger aber der Gläubiger untätig bleibt, obwohl eine Geltendmachung seiner Rechte zu erwarten wäre, desto mehr wird der Schuldner in seinem Vertrauen schutzwürdig, der Gläubiger werde ihn nicht mehr in Anspruch nehmen.247 Zeit- und Umstandsmoment sowie wertvoller Besitzstand sind nicht isoliert zu betrachten, sondern in einer Gesamtschau zu würdigen.248

f) Grenzen der Verwirkung im Lauterkeitsrecht. Gegen die Annahme einer Verwirkung 32 spricht im Lauterkeitsrecht, dass neben den Gläubiger- und Schuldnerinteressen Belange der Allgemeinheit und der Verbraucher berührt werden. Deren rechtlich geschützte Interessen dürfen über den Verwirkungseinwand nicht ausgehebelt werden.249 Daher hat auch der BGH angenommen, dass in Fällen der Irreführung eine Verwirkung des Unterlassungsanspruchs im Allgemeinen ausscheidet, weil das Interesse der Allgemeinheit vor Irreführung bewahrt zu werden grundsätzlich als vorrangig vor den Individualinteressen des Werbenden anzusehen ist.250 Um allerdings einen Wertungswiderspruch zum Markenrecht zu vermeiden, will der BGH daran aber jedenfalls für die Fallgruppe der Irreführung über die betriebliche Herkunft nach § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 nicht festhalten.251 Besteht ein schutzwürdiger Besitzstand an der Verwendung einer bestimmten Kennzeichnung, der einem markenrechtlichen Unterlassungsanspruch mit Erfolg entgegengehalten werden kann, so soll dieses Ergebnis auch die Beurteilung nach § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bestimmen. Es sei kein Grund dafür erkennbar, dass der jedem Mitbewerber gewährte lauterkeitsrechtliche Anspruch weitergehen soll als das in gleicher Weise auf Unterlassung gerichtete individuelle Ausschließlichkeitsrecht des Markeninhabers.252 Ob dem nicht zuletzt vor dem Hintergrund der UGP-RL zuzustimmen ist, erscheint fraglich.253 243 244 245 246

Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 2.24; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 177. BGH 24.6.1993 – I ZR 187/91 – GRUR 1993, 913, 915 – KOWOG. BGH 7.6.1990 – I ZR 298/88 – GRUR 1990, 1042, 1046 – Datacolor. Harte/Henning/Goldmann Vorb. zu § 8 Rn. 164; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 179; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 2.29 ff. 247 BGH 19.12.2000 – X ZR 150/98 – GRUR 2001, 323, 327 – Temperaturwächter. 248 Vgl. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 179; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 2.18. 249 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 173 und Rn. 180; Harte/Henning/Goldmann Vorb. zu § 8 Rn. 165 ff.; Teplitzky/Bacher Kap. 17 Rn. 18. 250 BGH 27.2.2003 – I ZR 25/01 – GRUR 2003, 448, 450 – Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft; BGH 12.12.1996 – I ZR 7/94 – GRUR 1997, 537, 539 – Lifting-Creme; BGH 29.9.1982 – I ZR 25/80 – GRUR 1983, 32, 34 – Stangenglas. 251 BGH 15.8.2013 – I ZR 188/11 – GRUR 2013, 1161 Tz. 64 – Hard Rock Cafe. 252 BGH 15.8.2013 – I ZR 188/11 – GRUR 2013, 1161 Tz. 64 – Hard Rock Cafe. 253 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 180; Goldmann GRUR 2017, 657, 659. 207

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Verbot der missbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen; Haftung

4. Rechtsfolgen 33 Rechtsfolge der allgemeinen Verwirkung ist, dass im Hinblick auf eine bestimmte konkrete, bereits begangene oder noch andauernde Rechtsverletzung der Unterlassungsanspruch nicht mehr durchsetzbar ist. Es handelt sich um eine von Amts wegen254 zu berücksichtigende Einwendung („rechtsbeschränkende Einwendung“),255 zumindest aber um eine temporäre Durchsetzungssperre.256 Auch wenn ein Anspruch verwirkt ist, berechtigt dies nicht dazu, den Besitzstand auszudehnen.257 Die Darlegungs- und Beweislast liegt beim Anspruchsgegner.258

254 255 256 257

BGH 10.11.1965 – Ib ZR 101/63 – GRUR 1966, 623, 625 – Kupferberg. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 181; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 2.13. Vgl. Teplitzky/Bacher Kap. 17 Rn. 3. Vgl. BGH 18.1.2012 – I ZR 17/11 – GRUR 2012, 928 Tz. 23 – Honda-Grauimport; BGH 14.2.2008 – I ZR 162/05 – GRUR 2008, 803 Tz. 29 – HEITEC. 258 Teplitzky/Bacher Kap. 17 Rn. 3; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 182. Hofmann

208

§ 9 Schadensersatz 1

Wer vorsätzlich oder fahrlässig eine nach § 3 oder § 7 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, ist den Mitbewerbern zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. 2Gegen verantwortliche Personen von periodischen Druckschriften kann der Anspruch auf Schadensersatz nur bei einer vorsätzlichen Zuwiderhandlung geltend gemacht werden.

Schrifttum Alexander Schadensersatz und Abschöpfung im Lauterkeits- und Kartellrecht (2010); Amschewitz Die Durchsetzungsrichtlinie und ihre Umsetzung im deutschen Recht (2008); Augenhofer Individualrechtliche Ansprüche des Verbrauchers bei unlauterem Wettbewerbsverhalten des Unternehmers, WRP 2006, 169; Borck Zum Anspruch auf Schadensersatz aus unlauterem Wettbewerb, WRP 1986, 1; Bornkamm Das Wettbewerbsverhältnis und die Sachbefugnis des Mitbewerbers, GRUR 1996, 527; Deutsch Gedanken zur unberechtigten Schutzrechtsverwarnung, WRP 1999, 25; Dieselhorst Der „unmittelbar Verletzte“ im Wettbewerbsrecht nach der UWG-Novelle, WRP 1995, 1; Dreier Kompensation und Prävention (2002); Ellger Bereicherung durch Eingriff: Das Konzept des Zuweisungsgehalts im Spannungsfeld von Ausschließlichkeitsrecht und Wettbewerbsfreiheit (2002); M. Eppe Verbraucherschutz im UWG und BGB, WRP 2005, 808; Fezer Schadensersatz und subjektives Recht im Wettbewerbsrecht, WRP 1993, 565; ders. Das wettbewerbsrechtliche Vertragsauflösungsrecht in der UWG-Reform, WRP 2003, 127; ders. Normenkonkurrenz zwischen Kennzeichenrecht und Lauterkeitsrecht, WRP 2008, 1; W. Götz Schaden und Bereicherung in der Verletzerkette, GRUR 2001, 295; Goldbeck Der „umgekehrte“ Wettbewerbsprozess – Eine Untersuchung zur unberechtigten Abmahnung im Lauterkeitsrecht (2008); Gottwald Schadenszurechnung und Schadensschätzung (1979); Hopt Schadensersatz aus unberechtigter Verfahrenseinleitung (1968); W. Horn Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur unberechtigten Verwarnung, GRUR 1971, 442; Keßler UWG und Verbraucherschutz – Wege und Umwege zum Recht der Marktkommunikation, WRP 2005, 264; Knauth Zur Bedeutung des Unrechtsbewusstsein für den Vorsatz im Zivilrecht (1977); Knieper Mit Belegen gegen Produktpiraten, WRP 1999, 1116; H. Köhler Der Schadensersatz-, Bereicherungs- und Auskunftsanspruch im Wettbewerbsrecht, NJW 1992, 1477; ders. Die Begrenzung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, GRUR 1996, 82; ders. Zur Verjährung des vertraglichen Unterlassungs- und Schadensersatzanspruchs, GRUR 1996, 231; ders. UWG-Reform und Verbraucherschutz, GRUR 2003, 265; ders. Das neue UWG, NJW 2004, 2121; ders. Zur Abwerbung von Mitarbeitern, FS Buchner (2009) 452; Krieger Zum Anspruch auf Auskunftserteilung wegen Warenzeichenverletzung, GRUR 1989, 802; Kunkel Die Schadensersatzberechnung im Immaterialgüterrecht (2018); Leisse Die Fiktion im Schadensersatzrecht, GRUR 1988, 88; ders./Traub Schadensschätzung im unlauteren Wettbewerb, GRUR 1980, 1; Menninger/Nägele Die Bewertung von Gewerblichen Schutzrechten und Urheberrechten für Zwecke der Schadensberechnung im Verletzungsfall, WRP 2007, 912; Ohly Schadensersatzansprüche wegen Rufschädigung und Verwässerung im Marken- und Lauterkeitsrecht, GRUR 2008, 926; Pokrant Zum Verhältnis von Gewinnabschöpfung gemäß § 10 und Schadensersatz nach § 9 UWG, FS Ullmann (2006) 813; Raue Die dreifache Schadensberechnung. Eine Untersuchung zum deutschen und europäischen Immaterialgüter-, Lauterkeits- und Bürgerlichen Recht (2017); R. Schaub Schadensersatz und Gewinnabschöpfung im Lauterkeits- und Immaterialgüterrecht, GRUR 2005, 918; Schindler Die Klagebefugnis im Wettbewerbsprozess nach der UWG-Reform, WRP 2004, 835; C. Schramm Der Marktverwirrungsschaden, GRUR 1974, 617; Seichter Die Umsetzung der Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, WRP 2006, 391; Steinbeck „Windsor Estate“ – Eine Anmerkung, GRUR 2008, 110; Teplitzky Die Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs im Wettbewerbsrecht, GRUR 1987, 215; ders. Zur Frage der Rechtmäßigkeit unbegründeter Schutzrechtsverwarnungen – zugleich eine Besprechung von BGH GRUR 2004, 958 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht, GRUR 2005, 9; ders. Die jüngste Rechtsprechung des BGH zum wettbewerbsrechtlichen Anspruchs- und Verfahrensrecht, GRUR 2003, 272; Tilmann Der Auskunftsanspruch, GRUR 1987, 251; ders. Zum Anspruch auf Auskunftserteilung wegen Warenzeichenverletzung II, GRUR 1990, 160; ders. Konstruktionsfragen zum Schadensersatz nach der Durchsetzungsrichtlinie, FS Schilling (2007) 367; ders./Schreibauer Beweissicherung vor und im Patentverletzungsprozess, FS Erdmann (2002) 901; Ullmann Die Verschuldenshaftung und die Bereicherungshaftung des Verletzers im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, GRUR 1978, 615; ders. Die Verwarnung aus Schutzrechten – mehr als nur eine Meinungsäußerung? GRUR 2001, 1027; von Ungern-Sternberg Einwirkung der Durch-

209 https://doi.org/10.1515/9783110545968-005

Raue

§9

Schadensersatz

setzungsrichtlinie auf das deutsche Schadensersatzrecht, GRUR 2009, 460. Weitere Literaturangaben vor ausgewählten Abschnitten.

Übersicht 1

a) b) c)

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Bedeutung und Funktionen

III.

Unionsrechtliche Vorgaben und Einflüsse

IV.

Rechtsnatur und systematische Veror14 tung

V. 1. 2.

5. 6.

16 Konkurrenzen 17 Andere lauterkeitsrechtliche Ansprüche Vertragliche und quasi-vertragliche Schadenser18 satzansprüche, Bereicherungsansprüche 19 Allgemeines Deliktsrecht Geschäftsgeheimnisse (§§ 17 ff. UWG 2015; Gesch22 GehG) 24 Immaterialgüterrecht 25 Kartellrecht

B.

Schadensersatzanspruch (Satz 1)

I. 1. 2.

26 Tatbestandsvoraussetzungen 27 Unzulässige geschäftliche Handlung 29 Schaden und Kausalität 32 a) Lehre von der Adäquanz 33 b) Lehre vom Schutzzweck der Norm c) Einwand des rechtmäßigen Alternativver35 haltens 37 Rechtswidrigkeit 38 Verschulden 39 a) Vorsatz 41 b) Fahrlässigkeit 42 c) Kasuistik aa) Irrtum über Tatsachen oder die 42 Rechtslage bb) Unberechtigte Schutzrechtsverwar46 nungen cc) Nachträgliche Kenntniserlangung 47 oder Klärung 48 Verantwortlichkeit nach §§ 7 bis 10 TMG

3. 4.

3. 4.

5. II. 1.

2.

Raue

1 4

d) e) 9 III. 1.

2.

3. 4.

26

49 Gläubiger und Schuldner 49 Gläubiger 50 a) Mitbewerber b) Verbraucher und sonstige Marktteilneh53 mer 55 c) Verbände 56 Schuldner

58 Haftung als Täter oder Teilnehmer 59 Haftung für Organhandeln Haftung für Verrichtungs- und Erfüllungs62 gehilfen 64 Verletzung von Verkehrspflichten 65 Mehrheit von Verletzern

5.

IV. 1.

66 Inhalt und Umfang Grundsätze der Schadensschätzung, Darle66 gungs- und Beweislast a) Grundsätze der Schadensschät68 zung 71 b) Darlegungs- und Beweislast 72 Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1 BGB) 73 a) Beseitigung der Verletzungsfolgen b) Kosten der Wiederherstellung des Verletz77 ten (§ 249 Abs. 2 Satz 1 BGB) 79 Geldentschädigung (§ 251 BGB) 80 Entgangener Gewinn (§ 252 BGB) 81 a) Ersatzfähige Positionen 84 b) Schadensschätzung aa) Darlegung- und Beweisgrund84 sätze 86 bb) Anknüpfungstatsachen 91 Einzelne Vermögensschäden a) Marktverwirrung und Marktverwirrungs91 schaden 91 aa) Marktverwirrung 92 bb) Ersatzfähiger Schaden cc) Kosten für Aufklärungs- und 93 Werbemaßnahmen 95 dd) Urteilsveröffentlichung ee) Vorbeugende und fiktive Kos96 ten 97 ff) Sonstige Schäden 98 b) Rechtsverfolgungskosten 101 Dreifache Schadensberechnung 101 Überblick a) Die drei Schadensberechnungsar101 ten 102 b) Anwendungsbereich 102 aa) Immaterialgüterrecht bb) Übertragbarkeit auf individualschützende lauterkeitsrechtliche Rechtspo103 sitionen 104 (1) Kritik 105 (2) Rechtfertigung

210

§9

Übersicht

2.

3.

4. 5.

6. 7. 8.

V. 1. 2.

Dogmatische Begründung und systematische Einbettung in das allgemeine Schadens110 recht 111 a) Lizenzanalogie 114 b) Konkrete Schadensberechnung 115 c) Gewinnherausgabe 119 Lizenzanalogie 121 a) Zeitpunkt 122 b) Maßstab 125 c) Abschläge und Zuschläge 128 Konkrete Schadensberechnung 130 Herausgabe des Verletzergewinns 132 a) Zu berücksichtigender Erlös 133 b) Abzugsfähigkeit von Kosten 133 aa) Variable Kosten 134 bb) Gemeinkosten cc) Kritik an der Gemeinkosten-Recht138 sprechung 139 c) Aufteilung 142 Wahlrecht 143 Verquickungsverbot 146 Mehrere Schuldner (Verletzerkette) 146 a) Auf derselben Handelsstufe 148 b) Auf verschiedenen Handelsstufen aa) Konkrete Schadensberech150 nung 151 bb) Lizenzanalogie 152 cc) Verletzergewinn 153 Mitverschulden Mitverschulden bei der Schadensverursachung 156 (§ 254 Abs. 1 BGB) Verstoß gegen eine Schadensminderungsoblie157 genheit (§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB) Presseprivileg (Satz 2)

I.

Normzweck und Rechtsentwicklung

II. 1. 2. 3.

Anwendungsbereich und Reichweite 163 Privilegierte Medien 165 Privilegierter Personenkreis Zuwiderhandlungen gegen § 3 oder § 7

III.

Darlegungs- und Beweislast

D.

Bereicherungsanspruch

I.

Anwendungsbereich und Grundsätzli169 ches

II. 1. 2.

173 Voraussetzungen 175 Etwas erlangt Auf Kosten eines anderen (Zuweisungsgehalt lauterkeitsrechtlicher Rechtspositio176 nen)

211

In sonstiger Weise Ohne Rechtsgrund

III. 1.

181 Inhalt und Umfang Das Erlangte, §§ 812 Abs. 1, 818 Abs. 1 181 BGB 183 Wertersatzpflicht, § 818 Abs. 2 BGB Wegfall der Bereicherung, § 818 Abs. 3 186 BGB

2. 3.

Haftung mehrerer und Mitverschulden

V.

Konkurrenzen und Verjährung

E.

Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auf194 trag

F.

Ansprüche auf Auskunft, Rechnungslegung 195 und Besichtigung

I. 1.

195 Grundsätzliches Zweck und Begrenzung des Auskunftsan195 spruchs Schuldverhältnis als Rechtsgrundlage des Aus196 kunftsanspruchs Verhältnis zu spezielleren Auskunftsansprü197 chen 199 Arten der Auskunftsansprüche a) Selbstständige und unselbstständige Aus200 kunftsansprüche 202 b) Rechnungslegungsanspruch

2. 3. 4.

II. 1. 2.

160 162 3. 166

168

190

IV.

159

C.

179 180

3. 4.

4. 5.

169

6.

192

204 Tatbestand 205 Bestehen eines Rechtsverhältnisses Zur Durchsetzung eines Hauptan208 spruchs a) Konkretisierung, keine Ausfor209 schung 210 b) Verletzungshandlung 214 c) Auskunftszeitraum Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der eige215 nen Informationserlangung Unverschuldete Ungewissheit des Gläubi216 gers Keine Unmöglichkeit der Informationsbeschaffung und -weitergabe für 218 den Schuldner 219 a) Tatsächliche Unmöglichkeit b) Rechtliche Unmöglichkeit wegen entgegenstehender Geheimhaltungsverpflichtun220 gen 221 Verhältnismäßigkeit a) Geeignetheit und Erforderlichkeit zur Durchsetzung des Hauptan222 spruchs

Raue

§9

Schadensersatz

b)

7. III.

Zumutbarkeit der Informationsbeschaffung und -weitergabe für den Schuld224 ner aa) Art und Schwere der Rechtsverlet225 zung sowie des Verschuldens bb) Aufklärungsinteresse des Gläubigers 226 und der Allgemeinheit cc) Zumutbarkeit der Informationsbe228 schaffung dd) Geheimhaltungsinteressen des 233 Schuldners (1) Sensible Unternehmensda234 ten (2) Wirtschaftsprüfervorbe237 halt (3) Gefahr der Selbstbezichtigung in 241 einem Strafverfahren 242 (4) Drittbezichtigung 243 Gläubiger und Schuldner Inhalt und Umfang der Auskunfts- und Rech244 nungslegungspflicht

1. 2. 3. 4. 5.

6. 7.

245 Art und Weise 248 Erfüllung 250 Wirtschaftsprüfervorbehalt 251 Rechnungslegung 254 Umfang der Auskunft 255 a) Auskunft über Dritte 260 b) Einzelne Ansprüche 260 aa) Beseitigungsanspruch bb) Konkrete Schadensberech261 nung cc) Lizenzanalogie und Gewinnheraus264 gabe 267 Auskunftszeitraum Anspruch auf Eidesstattliche Versiche268 rung 271

IV.

Durchsetzung

V.

Verjährung

VI.

Anspruch auf Besichtigung (§ 809 BGB)

272 273

A. Einführung* I. Entstehungsgeschichte 1 Im UWG 1909 musste für den lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzanspruch auf die verstreuten Vorschriften der §§ 1, 13 Abs. 6, 14 Abs. 1, 19 a. F. zurückgegriffen werden.1 Auch wenn die Normen das Verschuldenserfordernis nicht ausdrücklich anführten, war dessen Geltung in Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen der Deliktshaftung anerkannt.2 Einen allgemeinen Aufopferungsanspruch in Anlehnung an den in §§ 74, 75 Einleitung ALR zum Ausdruck gekommenen Rechtsgedanken hat der BGH 1957 abgelehnt.3 Die UWG-Novelle von 2004 hat mit § 9 Satz 1 einen einheitlichen Schadensersatzan2 spruch für unzulässige geschäftliche Handlungen nach § 3 oder § 7 geschaffen. Darin wird nun das Verschuldenserfordernis ausdrücklich aufgeführt. Der Gesetzgeber hat die bisherige Rechtslage aber nur zusammenfassen, nicht ändern wollen.4 Die Novelle von 2008 hat nur unbedeutende redaktionelle Änderungen mit sich gebracht. Von den Änderungen im Jahr 2015 war der Schadensersatzanspruch nicht betroffen. Das Presseprivileg in Satz 2 hat das UWG 2004 im Vergleich zu § 13 Abs. 6 Nr. 1 Satz 2 3 UWG 1909 deutlich erweitert, weil die Beschränkung auf Verstöße gegen das Irreführungsver-

* Bearbeitungsstand: März 2019; Rechtsprechung und Literatur z. T. mit Bearbeitungsstand August 2020. 1 Dazu Alexander S. 176 f. 2 BGH 27.1.1959 – I ZR 185/55 – GRUR 1960, 200, 202 – Abitz II; BGH 26.4.1990 – I ZR 127/88 – GRUR 1990, 1012, 1014 – Pressehaftung. 3 BGH 22.10.1957 – I ZR 96/56 – BGHZ 25, 369, 380 ff. = GRUR 1958, 233, 236 f. – mit dem feinen Whipp. Dazu MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 1. 4 BegrRegE UWG 2004 zu § 9, BTDrucks. 15/1487 S. 23. Raue

212

A. Einführung

§9

bot aufgehoben wurde.5 Der Anwendungsbereich der Haftungsprivilegierung erstreckt sich dadurch auf sämtliche Zuwiderhandlungen gegen § 3 oder § 7 durch „verantwortliche Personen“, vgl. hierzu unten Rn. 159 ff.

II. Bedeutung und Funktionen Lauterkeitsrechtswidriges Verhalten beeinträchtigt den Wettbewerb und damit die Allgemein- 4 heit. Diese abstrakten Schäden muss der Verletzer nicht ersetzen. Dasselbe gilt aus lauterkeitsrechtlicher Sicht auch für Schäden von Verbrauchern.6 Diese sind auf allgemeine zivilrechtliche Ansprüche angewiesen. Wenn der Verletzer allerdings die Interessen von Mitbewerbern beeinträchtigt, muss er nach § 9 Satz 1 den daraus entstehenden Schaden ersetzen, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. Als Schadenspositionen kommen vor allem der entgangene Gewinn (unten Rn. 80 ff.) sowie Reputations- und Marktverwirrungsschäden in Betracht (dazu Rn. 91 ff.). Der Schadensersatzanspruch hatte im Lauterkeitsrecht bisher eine weit geringere Bedeu- 5 tung als der Unterlassungsanspruch.7 Zum einen verursacht die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen deutlich höheren Aufwand als die von Unterlassungsansprüchen.8 Zum anderen werden vor allem praktische Schwierigkeiten genannt, aufgrund der komplexen wettbewerblichen Zusammenhänge den genauen Schaden beziffern und beweisen zu können.9 Es ist zwar oft offenkundig, dass den Wettbewerbern ein Schaden entstanden ist. Trotzdem sehen sich die Gerichte meist außer Stande, die Höhe des Schadens konkret zu beziffern. Das ist jedoch kein unabänderliches Schicksal.10 § 287 ZPO eröffnet den Gerichten erheblichen Spielraum, jedenfalls einen Mindestschaden zu schätzen.11 Der Blick ins Ausland, etwa nach Frankreich oder England, zeigt, dass selbstbewusste Richter dem Schadensersatz praktische Bedeutung verschaffen können.12 Durch den konsequenten Ausgleich der verschiedenen Schadenspositionen kann dem Schadensersatzanspruch eine wichtige Steuerungs- und Präventionsfunktion zukommen, ohne dass er dafür überkompensatorisch ausgerichtet werden muss.13 Die lauterkeitsrechtliche Literatur setzt sich mit guten Gründen für eine stärkere Aktivierung des lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzanspruchs ein.14 Dazu besteht mittelbar auch eine Verpflichtung aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben.15

5 BegrRegE UWG 2004 zu § 9, BTDrucks. 15/1487 S. 23. 6 Dazu unten Rn. 53 f. 7 Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 8 f.: „Schattendasein“; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 3; Teplitzky/Schaub Kap. 28 Rn. 1; Alexander S. 177 f.

8 Alexander S. 177 f. 9 Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 8; Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 12; Götting/Nordemann/Ebert-Weidenfeller § 9 Rn. 4; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 3. Vgl. zum immaterialgüterrechtlichen Schadensersatzanspruch auch BGH 2.11.2000 – I ZR 246/98 – BGHZ 145, 366, 376 = GRUR 2001, 329, 331 – Gemeinkostenanteil. 10 Ebenso Teplitzky/Schaub Kap. 28 Rn. 2. 11 Vgl. etwa BGH 6.2.2007 – X ZR 117/04 – GRUR 2007, 532 Tz. 15 – Meistbegünstigungsvereinbarung; BGH 14.2.2008 – I ZR 135/05 – GRUR 2008, 933 Tz. 21 – Schmiermittel. Für eine „Vitalisierung“ des Schadensersatzanspruchs Teplitzky/Schaub Kap. 28 Rn. 2; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 9 f. m. w. N. 12 Vgl. für die immaterialgüterrechtliche Schadensberechnung in Frankreich und England etwa Raue S. 137 ff., 165 ff. 13 Vgl. Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 7, 10; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 5. Kritisch Podszun/Deuschle WRP 2019, 1102, 1105. 14 Alexander S. 179; Teplitzky/Schaub Kap. 28 Rn. 2; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 10; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 4 m. w. N. 15 Dazu unten Rn. 10 ff. 213

Raue

§9

Schadensersatz

Dennoch wird das deutsche Schadensersatzrecht vom Ausgleichsgedanken geprägt.16 Das gilt auch für das Lauterkeitsrecht.17 Dementsprechend kommt dem Schadensersatzanspruch keine eigenständige Sanktions- und Präventionsfunktion zu. Nur soweit die angerichteten Schäden auf den Verletzer übergewälzt werden können, wirken die Schadensersatzansprüche präventiv. Etwas anderes gilt aber für die Herausgabe des Verletzergewinns als dritte Schadensberechnungsmethode seit der BGH-Entscheidung „Gemeinkosten“ (unten Rn. 117). Seitdem bezweckt der BGH mit der Gewinnherausgabe nicht mehr allein den Ausgleich eines konkret entstandenen Schadens, sondern auch die „Sanktionierung des schädigenden Verhaltens.“18 Diese Rechtsfolge ist auch bei der Verletzung einiger individueller lauterkeitsrechtlicher Rechtspositionen anwendbar (dazu unten Rn. 103 ff.).19 Eine stärkere Präventionswirkung des Haftungsrechts ist im Grundsatz zu begrüßen.20 Problematisch an der schadensrechtlichen Gewinnabschöpfung ist aber, dass die Rechtsfolgen nicht mit den Haftungsvoraussetzungen abgestimmt sind. Schadensersatzansprüche entstehen schon bei einfacher Fahrlässigkeit, wobei oft ein sehr strenger Maßstab angelegt wird (dazu unten Rn. 41).21 In solchen Fällen besteht jedoch kein gesteigertes Präventionsbedürfnis.22 7 Die in der Praxis im Übrigen nur wenig ausgeprägte Präventionswirkung des lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzes schwächen neben der zurückhaltenden Bezifferungspraxis noch zwei weitere Phänomene. Lauterkeitsrechtsverstöße verursachen oft Bagatell- und Streuschäden mit einer großen Anzahl von Geschädigten, denen jeweils nur ein kleiner Schaden entsteht.23 Für die Betroffenen ist es meist unökonomisch, ihre Schäden geltend zu machen.24 Aufgrund dieses rationalen Desinteresses verbleibt dem Verletzer oft eine Prämie für sein rechtswidriges Verhalten. Das ermöglicht lukrative Rechtsbrüche, die allerdings auch in anderen Konstellationen auftreten können. Um dieses Sanktionsdefizit zu beheben, hat der Gesetzgeber in § 10 einen Gewinnabschöpfungsanspruch geschaffen.25 Der Anspruch soll die Lenkungsfunktion des Haftungsrechts wiederherstellen und das Marktversagen bei der Rechtsdurchsetzung korrigieren.26 Allerdings leidet dessen praktische Bedeutung an der fehlenden Anreizstruktur der Norm und der hohen Hürde, Vorsatz nachweisen zu müssen.27 8 Die Praxis verbindet eine lauterkeitsrechtliche Abwehrklage häufig mit einer Schadensersatzfeststellungsklage, um prozesstaktisch Druck aufzubauen.28 Für die Feststellung einer Schadensersatzpflicht muss der Verletzte nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Schadens6

16 Vgl. nur Lange/Schiemann Schadensersatz S. 9 f.; Soergel/Ekkenga/Kuntz Vor § 249 Rn. 26. 17 BGH 4.6.1992 – IX ZR 149/91 – NJW 1992, 3096, 3103; OLG Köln 16.3.1990 – 6 U 83/89 – GRUR 1991, 60, 63 – Rolex-Imitation; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 7; Götting/Nordemann/Ebert-Weidenfeller § 9 Rn. 3. Differenzierend Alexander S. 154 f.: kein Schadensersatz ohne Schadensausgleich, aber Prävention kann „maßgeblich“ neben die Ausgleichsfunktion treten. 18 BGH 2.11.2000 – I ZR 246/98 – BGHZ 145, 366, 372 = GRUR 2001, 329, 331 – Gemeinkostenanteil. Ferner BGH 30.11.1976 – X ZR 81/72 – BGHZ 68, 90, 94 = GRUR 1977, 250, 254 – Kunststoffhohlprofil („zur Sanktionierung des schädigenden Verhaltens“); BGH 14.5.2009 – I ZR 98/06 – GRUR 2009, 856, 864 Tz. 76 – Tripp-Trapp-Stuhl und BGH 25.3.2010 – I ZR 122/08 – GRUR 2010, 1090 Tz. 26 – Werbung eines Nachrichtensenders („Die Abschöpfung des Verletzergewinns dient zudem der Sanktionierung des schädigenden Verhaltens und auf diese Weise der Prävention gegen eine Verletzung der besonders schutzbedürftigen Immaterialgüterrechte“); OLG Hamburg 27.8.2008 – 5 U 38/ 07 – GRUR-RR 2009, 136, 139 – Gipürespitze II. 19 BGH 21.9.2006 – I ZR 6/04 – GRUR 2007, 431, 433 Tz. 21 – Steckverbindergehäuse. 20 Dazu bereits Raue S. 247 ff. m. w. N. 21 Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 14 ff. 22 Raue S. 473 ff. 23 GK-UWG/Poelzig § 10 Rn. 18; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 3; Alexander S. 128 ff. 24 Alexander S. 129 f. 25 Vgl. dazu mit umfangreichen Nachweisen GK-UWG/Poelzig § 10 Rn. 48 ff. 26 GK-UWG/Poelzig § 10 Rn. 49; Ohly/Sosnitza § 10 Rn. 1; Alexander JZ 2006, 890, 893. 27 Vgl. dazu GK-UWG/Poelzig § 10 Rn. 65 ff., 73, 75 m. w. N. 28 Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 9; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 3; Götting/Nordemann/Ebert-Weidenfeller § 9 Rn. 4. Raue

214

A. Einführung

§9

eintritts darlegen. Der Eintritt eines Schadens ist wahrscheinlich, wenn er nach der Lebenserfahrung in der Zukunft mit einiger Sicherheit zu erwarten ist; einer hohen Wahrscheinlichkeit bedarf es nicht.29 Dass ein konkreter Schaden wahrscheinlich eintreten wird, muss dagegen nicht nachgewiesen werden. Der Feststellungsanspruch ermöglicht in vielen Fällen, die Auseinandersetzung mit einem Vergleich zu beenden. Der Verletzer erkennt den Unterlassungsanspruch unter Kostenübernahme an, wenn im Gegenzug auf die Schadensersatzfeststellung verzichtet wird („Kölner Brauch“).30 Dass lauterkeitsrechtliche Streitigkeiten häufig durch einen Vergleich beendet werden, ist eine weitere Ursache für die geringe Bedeutung des Schadensersatzanspruchs.31

III. Unionsrechtliche Vorgaben und Einflüsse Der Einfluss des Unionsrechts auf den lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzanspruch wird 9 unterschätzt.32 Erstens verpflichten Art. 11 Abs. 1 Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (UGP- 10 RL 2005/29/EG) und Art. 5 Abs. 1 Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung (RL 2006/114/EG) die Mitgliedstaaten, geeignete und wirksame Mittel vorzusehen, um die Vorgaben der Richtlinien umzusetzen. Zwar stellen Art. 11 Abs. 1 UAbs. 3 UGP-RL 2005/ 29 EG sowie Art. 5 Abs. 2 RL 2006/114/EG es den Mitgliedstaaten frei, welche Sanktionsmechanismen sie vorsehen. Wenn ein Mitgliedstaat aber zivilrechtliche Sanktionen vorsieht, müssen diese dem Effektivitätsgebot genügen.33 Das heißt, sie müssen „verhältnismäßig“, aber auch „abschreckend“ sein (vgl. auch Art. 13 UGP-RL 2005/29 EG).34 Letzteres verpflichtet zwar nicht zu überkompensatorischem Schadensersatz, wohl aber zu einem vollständigen Schadensausgleich.35 Vor diesem Hintergrund bestand zwar am Wortlaut der §§ 8 bis 10 kein Anpassungs- bzw. Umsetzungsbedarf im nationalen Recht.36 Allerdings widerspricht die zurückhaltende Schätzungspraxis deutscher Gerichte – jedenfalls im Anwendungsbereich der Richtlinie – den unionsrechtlichen Vorgaben.37 Zudem verpflichtet Art. 11a UGP-RL (neu eingefügt durch RL 2019/2161) die Mitgliedstaaten, Verbrauchern, die durch unlautere Geschäftspraktiken geschädigt wurden, Zugang „zu angemessenen und wirksamen Rechtsbehel-

29 BGH 19.11.1971 – I ZR 72/70 – GRUR 1972, 180, 183 – Chéri; BGH 10.5.1974 – I ZR 80/73 – GRUR 1974, 735, 736 – Pharmamedan; BGH 6.7.1995 – I ZR 58/93 – GRUR 1995, 744, 749 – Feuer, Eis & Dynamit I; BGH 4.5.2000 – I ZR 222/97 – GRUR 2001, 78, 79 – Falsche Herstellerpreisempfehlung. Nach OLG Frankfurt 10.1.2019 – 6 U 19/18 – GRURRR 2019, 267 Tz. 31 soll sogar eine „geringe“ Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ausreichen; ebenso jurisPKUWG/Koch § 9 Rn. 44. 30 Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 9; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 3. 31 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 3. 32 Vgl. allgemein zum Einfluss der unionsrechtlichen Harmonisierung auf Schadensersatzansprüche Heinze Schadensersatz im Unionsrecht (2017) S. 487 ff. und passim. 33 EuGH 20.9.2001 – C-453/99 – Slg. 2001, I-6297 = GRUR 2002, 367 Tz. 25 ff., 29 – Courage/Crehan; EuGH 13.7.2006 – C-295/04 u. a. –Slg. 2006, I-6619 = EuZW 2006, 529 Tz. 89, 95 ff. – Manfredi; Alexander S. 86 ff., 91 f. 34 EuGH 8.7.1999 – C-186/98 – Slg. 1999, I-4883 = EuZW 1999, 704 Tz. 10 m. w. N. – Nunes und de Matos; Alexander S. 91 f. 35 Instruktiv EuGH 22.4.1997 – C-180/95 – Slg. 1997, I-2195 = NJW 1997, 1839 Tz. 25, 27, 32, 39 f. – Draempahl; EuGH 17.12.2015 – C-407/14 – EuZW 2016, 183 Tz. 34, 37 – Camacho (beide zur Gleichstellungs-RL); EuGH 25.1.2017 – C367/15 – GRUR 2017, 264 Tz. 30 – Stowarzyszenie „Oławska Telewizja Kablowa“/Stowarzyszenie Filmowców Polskich (zur Durchsetzungs-RL); Raue S. 100 f. m. w. N.; ders. ZUM 2017, 353, 355. Ferner Heinze Schadensersatz im Unionsrecht (2017) S. 585 ff. 36 Vgl. aber zum Presseprivileg unten Rn. 161. 37 Vgl. zum immaterialgüterrechtlichen Schadensersatz Raue S. 378, 615; ders. ZUM 2017, 353, 355; a. A. Harte/ Henning/Goldmann § 9 Rn. 1a („wirkungsvolle“ und „bewährte“ Rechtsbehelfe); Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 1. 215

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fen, einschließlich Ersatz des dem Verbraucher entstandenen Schadens“ zu gewähren.38 Die Richtlinie ist bis zum 28. November 2021 umzusetzen. 11 Zweitens verpflichtet Art. 14 Abs. 1 Know-How-RL 2016/943/EU die Mitgliedstaaten bei der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen Schadensersatz zuzusprechen, der dem „tatsächlich erlittenen Schaden angemessen ist“. Dazu müssen sie nach Art. 14 Abs. 2 Satz 1 alle „relevanten Faktoren“ berücksichtigen, insbesondere die negativen wirtschaftlichen Folgen, einschließlich der entgangenen Gewinne des Geschädigten. Daneben sind auch etwaige unlautere Gewinne des Verletzers bei der Schadensschätzung zu berücksichtigen sowie immaterielle Schäden zu kompensieren, die dem Inhaber des Geschäftsgeheimnisses durch den rechtswidrigen Erwerb, die rechtswidrige Nutzung oder Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses entstanden sind. Außerdem verpflichtet Art. 14 Abs. 2 Satz 2 die Schadensberechnung nach der Lizenzanalogie vorzusehen. 12 Drittens ist die Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des Geistigen Eigentums (Durchsetzungsrichtlinie, RL 2004/48/EG) zu beachten. Sie legt den Mitgliedstaaten in Art. 13 eine der Know-How-RL entsprechende Verpflichtung bei der Berechnung des immaterialgüterrechtlichen Schadenersatzes auf.39 Diese gilt allerdings unmittelbar nur für Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums (Art. 2 Abs. 1). Lauterkeitsrechtlich geschützte Rechtspositionen werden allgemein nicht als gewerbliche Schutzrechte im Sinne der Richtlinie angesehen und daher nicht von der Richtlinie erfasst.40 Dass Ergebnis stützt Erwägungsgrund 13 Satz 2, wonach den Mitgliedstaaten freigestellt wird, den Anwendungsbereich der Richtlinie auf Handlungen auszuweiten, „die den unlauteren Wettbewerb […] betreffen“.41 Dementsprechend ist es eine autonome Entscheidung, die Richtlinienvorgaben auf das nicht-harmonisierte Lauterkeitsrecht zu erstrecken.42 Jedenfalls soweit die Grundsätze der immaterialgüterrechtlichen Schadensberechnung auf individuell geschützte lauterkeitsrechtliche Rechtspositionen übertragen werden, sollten die Vorgaben der Richtlinie aus Gründen der Rechtseinheit und Rechtssicherheit übernommen werden, solange die Besonderheiten des Lauterkeitsrechts keine Abweichung rechtfertigen.43 Die Vorgaben der Durchsetzungs-RL haben also eine mittelbare Wirkung auch für den lauterkeitsrechtlichen Schadensersatz.44 13 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass immer größere Bereiche des Lauterkeitsrechts durch unionsrechtliche Vorgaben harmonisiert werden. Um eine unterschiedliche Schadensbemessungspraxis einheitlicher Lebenssachverhalte zu vermeiden, sollten die unionsrechtlichen Vorgaben für die Schadensbemessung für alle lauterkeitsrechtlichen Sachverhalte übernommen werden. Das gilt insbesondere für die Verpflichtung der vollständigen Schadenskompensation durch eine konsequentere und beherztere Schätzung der tatsächlich entstandenen Schäden. Diese unionsrechtliche Vorgabe entspricht der lang zurückgehenden Forderung der lauterkeitsrechtlichen Literatur, die für eine stärkere Aktivierung des lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzanspruchs eintritt.45

38 Dazu auch unten Rn. 53. 39 Dazu ausführlich Raue S. 85–130. 40 Alexander S. 188; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 4; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 28a; Götting/Nordemann/Ebert-Weidenfeller § 9 Rn. 50; Stieper WRP 2010, 624, 628 f.; a. A. noch Beyerlein WRP 2005, 1354, 1357 f.; Schneider Enforcementrichtlinie, S. 45 f. 41 Stieper WRP 2010, 624, 629. 42 Stieper WRP 2010, 624, 629. 43 BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – BGHZ 210, 144 = GRUR 2017, 79 Tz. 79 – Segmentstruktur; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 9 Rn. 1.36; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 91; Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 20b; Harte/Henning/ Goldmann § 9 Rn. 4, 146 (sogar analoge Anwendung); Alexander S. 188, 273 f.; Raue S. 588. Enger Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 14 („Orientierung“). 44 Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 2. 45 Vgl. etwa Alexander S. 179; Teplitzky/Schaub Kap. 28 Rn. 2; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 9 f.; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 4 m. w. N. Raue

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IV. Rechtsnatur und systematische Verortung Das Lauterkeitsrecht ist Sonderdeliktsrecht.46 Soweit es eigene Regeln enthält, verdrängen die- 14 se das allgemeine Delikts- und Schadensrecht. Das gilt insbesondere für die Anspruchsberechtigung (unten Rn. 53 f.) und die Verjährung (§ 11). Im Übrigen kann aber für die Auslegung und Lückenfüllung auf die allgemeinen Grundsätze zurückgegriffen werden, insbesondere für das Verschulden und Mitverschulden (§§ 276, 254 BGB), die Schadensberechnung (§§ 249 ff. BGB), die Täterschaft und Gehilfenhaftung (§§ 830 f. BGB) sowie für die weitere Haftung nach §§ 852 f. BGB.47 Der gesetzliche Schadensersatzanspruch kann nach allgemeinen Regeln abgetreten werden. Auch ein Erlassvertrag ist möglich.48 Diese gegenseitige Befruchtung von allgemeinen und besonderen Regeln ist wichtig. Auf 15 der einen Seite kann das Lauterkeitsrecht wichtige Impulse für die Weiterentwicklung der allgemeinen Schadensdogmatik geben. Auf der anderen Seite sollte jede Abweichung von den allgemeinen Grundsätzen kritisch hinterfragt und geprüft werden, ob die Besonderheiten lauterkeitsrechtlicher Konstellationen den Sonderweg rechtfertigen.

V. Konkurrenzen § 9 ist der besondere deliktische Schadensersatzanspruch für Rechtsverletzungen durch Hand- 16 lungen im geschäftlichen Verkehr. Als Teil der abschließenden Regelungen des UWG zu den zivilrechtlichen Rechtsfolgen eines Lauterkeitsrechtsverstoßes verdrängt er in seinem Anwendungsbereich die allgemeinen deliktischen Ansprüche (unten Rn. 19 ff.).49 Die Einschränkung gilt aber nur für Konkurrenten des Verletzers, die vom Anwendungsbereich des § 9 erfasst werden. Verbraucher und andere Betroffene können selbstverständlich deliktische Ansprüche geltend machen, soweit eine geschäftliche Handlung ihre durch § 823 BGB geschützten Rechtsgüter und Interessen verletzt.50 Für eine Abgrenzung von Lauterkeits- und allgemeinem Deliktsrecht sorgt der Wille des Gesetzgebers, die §§ 3 und 7 nicht als Schutzgesetze i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB auszugestalten (unten Rn. 54). Bedeutung hat die Konkurrenzfrage vor allem wegen der kürzeren Verjährungsfrist des § 11.51 Der Vorrang des UWG gilt aber nur, soweit konkurrierende deliktische Ansprüche auf dasselbe Interesse gerichtet sind (unten Rn. 20). Auch mit konkurrierenden vertraglichen Ansprüchen herrscht freie Anspruchskonkurrenz.52 Die Erfüllung eines Anspruchs bringt dann aber die übrigen zum Erlöschen, soweit derselbe Schaden kompensiert werden soll.

1. Andere lauterkeitsrechtliche Ansprüche Schadensersatz und Unterlassung können parallel geltend gemacht werden.53 Dasselbe gilt für 17 Beseitigungsansprüche, die sich sowohl aus § 8 Abs. 1 Satz 1 als auch in Form der Naturalresti46 Vgl. etwa BGH 12.7.1995 – I ZR 176/93 – BGHZ 130, 288, 297 = GRUR 1995, 678, 681 – Kurze Verjährungsfrist; BGH 25.4.2002 – I ZR 250/00 – BGHZ 150, 343, 347 = GRUR 2002, 825, 826 – Elektroarbeiten; BGH 18.10.2001 – I ZR 22/99 – GRUR 2002, 618, 619 – Meißner Dekor I; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 3; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.2; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 2. 47 Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 3; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 11. 48 OLG Stuttgart 29.8.1997 – 2 U 60/97 – WRP 1997, 1219, 1221 f. Der Erlass soll sich im Zweifel auch auf den Auskunftsanspruch erstrecken. 49 Vgl. BegrRegE UWG 2004 zu § 8, BTDrucks. 15/1487 S. 22. 50 Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 7.4; Ohly/Sosnitza Einl. D Rn. 61. 51 Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 7.3; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 2. 52 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.2. 53 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 12. 217

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tution aus § 9 Satz 1 i. V. m. § 249 Abs. 1 BGB ergeben können (unten Rn. 73). Der lauterkeitsrechtliche Gewinnabschöpfungsanspruch (§ 10) ist auf tatbestandlicher Ebene nachrangig gegenüber dem Schadensersatzanspruch, weil nach dessen Absatz 2 Leistungen aufgrund individueller Ansprüche Dritter von dem herauszugebenden Erlös abzuziehen bzw. bei zeitlich späterer Leistung zu erstatten sind.

2. Vertragliche und quasi-vertragliche Schadensersatzansprüche, Bereicherungsansprüche 18 Grundsätzlich können neben dem lauterkeitsrechtlichen Schadensersatz uneingeschränkt vertragliche und quasi-vertragliche Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden.54 Das gilt insbesondere für Ansprüche aus einer Unterlassungsverpflichtung, die durch eine Vertragsstrafe abgesichert sind.55 Der Anspruch auf Vertragsstrafe schließt nach § 340 Abs. 2 Satz 2 BGB die Geltendmachung eines weitergehenden Schadensersatzanspruchs ausdrücklich nicht aus.56 Dasselbe gilt für Ansprüche, die aus einer Verletzung von Pflichten aus einem Schuldverhältnis stammen (§§ 280 ff. BGB). Als Quelle solcher Pflichten kommen im Lauterkeitsrecht neben dem Unterlassungsvertrag vor allem gesetzliche Schuldverhältnisse in Betracht, die etwa durch einen Lauterkeitsrechtsverstoß oder eine Schutzrechtsverwarnung entstehen.57 Maßgeblich ist das vor allem für den Verzögerungsschaden nach §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB. Der Anspruch auf Schadensersatz schließt Bereicherungsansprüche nicht aus (unten Rn. 192).58

3. Allgemeines Deliktsrecht 19 § 9 ist die speziellere Norm im Verhältnis zu den allgemeinen deliktsrechtlichen Ansprüchen der §§ 823 ff. BGB. Daher verdrängt § 9 die allgemeinen Ansprüche im Grundsatz, damit die einschränkenden Voraussetzungen des UWG, insbesondere die kürzeren Verjährungsfristen, nicht umgangen werden.59 Deswegen besteht für das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb60 neben der Generalklausel des § 3 Abs. 1 kein Anwendungsbereich mehr, soweit durch eine geschäftliche Handlung das Unternehmen eines Konkurrenten beeinträchtigt wird.61 Die Generalklausel erfasst alle unternehmensbezogenen Beeinträchtigungen. Wenn nach der umfassenden Interessenabwägung im Rahmen des § 3 Abs. 1 das Interesse am freien Wettbewerb überwiegt, kann die Interessenabwägung des subsidiär anwendbaren Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu keinem anderen Ergebnis kommen. Konsequenter-

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Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.2; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 4. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.2; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 10. MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 10. Zu letzterem BGH 14.2.1978 – X ZR 19/76 – BGHZ 71, 86, 93 = GRUR 1978, 492, 494 – Fahrradgepäckträger II. Vgl. BGH 14.2.1978 – X ZR 19/76 – BGHZ 71, 68, 97 f. = GRUR 1978, 492, 495 – Fahrradgepäckträger II; Fezer/ Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 4. 59 Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 2; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 2. 60 BGH 22.12.1961 – I ZR 152/59 – BGHZ 36, 252, 257 = GRUR 1962, 310, 314 – Gründerbildnis; BGH 24.2.1983 – I ZR 207/80 – GRUR 1983, 467, 468 – Photokina; BGH 24.6.2004 – I ZR 26/02 – GRUR 2004, 877, 880 – Werbeblocker. 61 BGH 24.6.2004 – I ZR 26/02 – GRUR 2004, 877, 880 – Werbeblocker („grundsätzlich vorrangig“); Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 7.4; Harte/Henning/Goldmann Vorb. zu § 8 Rn. 118; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 2; Götting/Nordemann/Ebert-Weidenfeller § 9 Rn. 2; a. A. auf Grundlage des UWG 1909 BGH 5.11.1962 – I ZR 39/ 61 – BGHZ 38, 200 = GRUR 1963, 255, 257 – Kindernähmaschinen (zur unberechtigten Schutzrechtsverwarnung). Raue

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weise müssen dann auch Ansprüche aus Kreditgefährdung nach § 824 BGB zurücktreten, die mit den von § 4 Nr. 2 geschützten Interessen gleichlaufen.62 Dagegen wird eingewandt, dass der Verletzer nicht davon profitieren dürfe, wenn er gleichzeitig auch gegen das UWG verstößt.63 Zudem lege § 824 BGB dem Betroffenen strengere Nachweisanforderungen auf als § 4 Nr. 2.64 Diese Einwände stehen aber nicht im Einklang mit den Wertungen des § 11, dass Wettbewerbsstreitigkeiten schnell abgewickelt werden sollen. Die Subsidiarität des § 824 BGB begünstigt den Schädiger nicht zufällig, sondern im Einklang mit allgemeinen handelsrechtlichen Wertungen nach schneller und rechtssicherer Abwicklung von Ansprüchen.65 Die Subsidiarität gilt aber nur, soweit sie dasselbe Interesse schützen.66 Deswegen kann 20 ein Konkurrent deliktische Ansprüche wegen der rechtswidrigen Verletzung seiner Gesundheit, Freiheit oder seines Eigentums geltend machen, auch wenn diese Rechtsgüter durch eine geschäftliche Handlung verletzt worden sind.67 Umstritten ist die Anwendbarkeit von § 823 Abs. 1 BGB bei Verletzungen des allgemeinen (Unternehmens-)Persönlichkeitsrechts. Teilweise wird ein genereller Vorrang des UWG angenommen,68 teilweise eine generelle Parallelität der Ansprüche.69 Richtigerweise muss im Einzelfall entschieden werden, ob der Unrechtsgehalt der Handlung bereits umfassend von den lauterkeitsrechtlichen Tatbeständen erfasst wird. Dann ist der Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB subsidiär. Andernfalls bleibt Raum für dessen Anwendung. Ansprüche wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB sind uneinge- 21 schränkt neben § 9 anwendbar.70 Es gibt keinen Grund, jemanden zu entlasten, der anderen vorsätzlich schadet.

4. Geschäftsgeheimnisse (§§ 17 ff. UWG 2015; GeschGehG) Im UWG 2015 wurden Geschäftsgeheimnisse über die Straftatbestände in §§ 17 bis 19 ge- 22 schützt. Das UWG 2015 sah für deren Verletzung keine zivilrechtliche Rechtsfolge vor. Auch wenn dies systematisch unbefriedigend war, waren die Normen nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich nicht von der Sperrwirkung erfasst und als Schutzgesetze i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB anzusehen.71 Soweit die Verletzung eine geschäftliche Handlung i. S. v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 darstellte, war im Regelfall aber der Rechtsbruchtatbestand des § 3a erfüllt.72 Nach oben in Rn. 16 dargelegten Grundsätzen war der Rückgriff für Mitbewerber auf die allgemeinen deliktischen Normen daher gesperrt, soweit sie sich gegen geschäftliche Handlungen wen-

62 A. A. RG 22.12.1910 – II 210/10 – RGZ 74, 434, 435 f.; BGH 22.12.1961 – I ZR 152/59 – BGHZ 36, 252, 256 = GRUR 1962, 310, 314 – Gründerbildnis; BGH 27.11.1963 – Ib ZR 49/62 – GRUR 1964, 218, 220 – Düngekalkhandel; BGH 18.2.1977 – I ZR 112/75 – GRUR 1977, 539, 543 – Prozessrechner; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 7; Harte/Henning/Goldmann Vorb. zu § 8 Rn. 114; MünchKommBGB/Wagner § 824 Rn. 7. 63 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 7. 64 Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 7.6. 65 Zu letzterem Allgemein Canaris Handelsrecht § 1 Rn. 16; Oetker/Oetker HGB Einl. Rn. 9. 66 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 7.4; Harte/Henning/Goldmann Vorb. zu § 8 Rn. 119. 67 Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 7.4; Harte/Henning/Goldmann Vorb. zu § 8 Rn. 119. 68 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 7. 69 Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 7.4; Ohly/Sosnitza Einl. D Rn. 61; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 2. 70 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 7; Harte/Henning/Goldmann Vorb. zu § 8 Rn. 113 m. w. N. 71 BegrRegE UWG 2004 zu § 8, BTDrucks. 15/1487 S. 22; Ohly/Sosnitza Einl. D Rn. 62; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 8, 48; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.10. 72 BegrRegE UWG 2004 zu § 16, BTDrucks. 15/1487 S. 26; BGH 16.11.2017 – I ZR 161/16 – GRUR 2018, 535 Tz. 35 – Knochenzement I; BGH 27.4.2006 – I ZR 126/03 – GRUR 2006, 1044, 1045 Tz. 17 – Kundendatenprogramm; Harte/ Henning/Goldmann § 9 Rn. 18; GK-UWG/Metzger/Eichelberger § 3a Rn. 295. 219

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den.73 Wurden die Tatbestände durch private Handlungen verletzt, stand ihnen ein Rückgriff auf § 823 Abs. 2 BGB offen.74 23 Das Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) sieht nunmehr in § 10 GeschGehG einen eigenständigen Schadensersatzanspruch für die Verletzung von Geschäftsgeheimnissen vor. Dieser Anspruch geht als speziellerer Tatbestand der Haftung nach §§ 9, 3a sowie § 823 Abs. 2 BGB vor.

5. Immaterialgüterrecht 24 Im Verhältnis zum Immaterialgüterrecht kommt eine Gesetzeskonkurrenz vor allem mit den Schadensersatzansprüchen in § 42 Abs. 2 DesignG, § 24 Abs. 2 GebrMG, § 9 Abs. 1 HalblSchG, §§ 14 Abs. 6, 7, 15 Abs. 5, 6 MarkenG, § 139 Abs. 2 PatG, § 37 Abs. 2 SortenSchG und § 97 Abs. 2 UrhG in Betracht. Hier konkurrieren zwei Ansichten. Grundsätzlich ist den Immaterialgüterrechten im Sinne einer Vorrangthese der Vorrang gegenüber lauterkeitsrechtlichen Ansprüchen einzuräumen, um deren spezielleren Regelungen zu Schutzvoraussetzungen, Schutzdauer und Schutzumfang sowie der Anspruchsberechtigung nicht zu unterlaufen.75 Allerdings gilt das nur, soweit dieselben Interessen geschützt werden. Wenn die Verletzung eines Immaterialgüterrechts über die Interessen des Rechtsinhabers weitere Interessen beeinträchtigt, die durch das UWG geschützt werden, kann die Vorrangthese nicht aufrechterhalten werden.76 Das gilt insbesondere, wenn Verbraucherinteressen beeinträchtigt werden, etwa bei einer Irreführung über die Herkunft von Produkten.77 Hier sind zudem Vorgaben der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (RL 2005/29/EG) zu beachten.78 Insofern ist eine Einzelfallbetrachtung anhand der geschilderten Kriterien erforderlich.

6. Kartellrecht 25 Das Kartellrecht stellt ein abgestuftes und grundsätzlich abschließendes zivilrechtliches Sanktionssystem bei einem Verstoß gegen kartellrechtliche Verbotstatbestände zur Verfügung, das durch das Lauterkeitsrecht nicht unterlaufen werden darf.79 Das gilt insbesondere auch für die Anspruchsberechtigung in § 33 Abs. 4 GWB. Diese speziellen Regelungen dürfen nicht dadurch konterkariert werden, dass ein Wettbewerbsverstoß ohne Weiteres als Rechtsbruch nach § 3a angesehen wird.80 Deswegen ist der Anspruch aus § 33a Abs. 1 GWB vorrangig.81 Soweit sich der Lauterkeitsverstoß aber nicht allein aus den kartellrechtlichen Verboten ableitet, sondern aus der Verletzung weiterer lauterkeitsrechtlich geschützter Interessen, stehen die Ansprüche nebeneinander.82 73 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 13; a. A. BGH 16.11.2017 – I ZR 161/16 – GRUR 2018, 535 Tz. 35 – Knochenzement I. 74 Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 18. 75 Etwa MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 6a; Harte/Henning/Goldmann Vorb. zu § 8 Rn. 102. 76 BGH 15.8.2013 – I ZR 188/11 – BGHZ 198, 159 = GRUR 2013, 1161 Tz. 60 – Hard Rock Cafe; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 4 Rn. 3.6; Harte/Henning/Goldmann Vorb. zu § 8 Rn. 105. 77 Dazu ausführlich GK-UWG/Lindacher/Peifer Vor §§ 5, 5a Rn. 152 f. 78 BGH 15.8.2013 – I ZR 188/11 – BGHZ 198, 159 = GRUR 2013, 1161 Tz. 60 – Hard Rock Cafe; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 5 Rn. 2.256. 79 BGH 7.2.2006 – KZR 33/04 – BGHZ 166, 154 = GRUR Int. 2007, 162 Tz. 13 – Probeabonnement; Harte/Henning/ Goldmann Vorb. zu § 8 Rn. 101. 80 BGH 7.2.2006 – KZR 33/04 – BGHZ 166, 154, 161 = GRUR Int. 2007, 162 Tz. 13 – Probeabonnement. 81 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 6b; GK-UWG/Metzger/Eichelberger § 3a Rn. 26. 82 Harte/Henning/Goldmann Vorb. zu § 8 Rn. 101; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 6b; GK-UWG/Metzger/Eichelberger § 3a Rn. 26. Raue

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B. Schadensersatzanspruch (Satz 1)

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B. Schadensersatzanspruch (Satz 1) I. Tatbestandsvoraussetzungen Voraussetzung für einen lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzanspruch nach Satz 1 ist die 26 rechtswidrige und schuldhafte Vornahme einer nach § 3 oder § 7 unzulässigen geschäftlichen Handlung, die kausal einen schutzzweckwidrigen Schaden verursacht. Maßgeblich ist die Rechtslage zum Zeitpunkt der schädigenden Handlung.83

1. Unzulässige geschäftliche Handlung Erforderlich ist zunächst eine unzulässige geschäftliche Handlung, die gegen § 3 (insbeson- 27 dere in Verbindung mit den Beispielstatbeständen der §§ 3a bis 6 sowie der im Anhang zu § 3 Abs. 3 aufgeführten Handlungen) oder § 7 verstößt. Anknüpfungspunkt können sowohl einmalige, wiederholte als auch dauerhafte Handlungen sein. Bedeutung hat dies vor allem für die Verjährung, vgl. hierzu § 11 Rn. 51 ff.84 In Satz 1 nicht aufgeführt sind die Strafvorschriften § 16 sowie §§ 17–19 a. F. Der Gesetzge- 28 ber wollte diese bewusst nicht in das einheitliche zivilrechtliche Rechtsfolgenregime der §§ 8 ff. integrieren.85 Auch wenn dies aus systematischer Sicht bedauerlich ist, kann Schadensersatz bei Verstößen gegen diese Normen daher nicht in analoger Anwendung auf § 9 gestützt werden.86 Allerdings erfüllen diese im Regelfall den Rechtsbruchtatbestand des § 3a,87 so dass über diesen „Umweg“ doch Schadensersatz nach § 9 gefordert werden kann.88 Im Übrigen sind die § 16 sowie §§ 17–19 a. F. Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB.89 Sonstige Marktteilnehmer, die in den Schutzbereich dieser Normen fallen, können also auf dieser Grundlage Schadensersatz beanspruchen.90 Dasselbe gilt für Ansprüche gegen Handlungen, die keine geschäftlichen Handlungen i. S. v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 sind und daher nicht in den Anwendungsbereich des UWG fallen.91

2. Schaden und Kausalität Der Anspruch aus Satz 1 setzt weiter voraus, dass dem Anspruchssteller ein Schaden entstan- 29 den ist, der kausal und zurechenbar auf den Lauterkeitsrechtsverstoß zurückzuführen ist.92 Dabei muss die beanstandete Handlung nach allgemeinen zivilrechtlichen Maßstäben kausal für den Lauterkeitsrechtsverstoß (haftungsbegründende Kausalität) und der Lauterkeitsrechtsverstoß wiederum kausal für den Schaden geworden sein (haftungsausfüllende Kausalität). 83 BGH 27.11.2014 – I ZR 67/11 – GRUR 2015, 692 Tz. 11 m. w. N. – Hohlkammerprofilplatten; BGH 28.1.2016 – I ZR 36/14 – GRUR 2016, 418 Tz. 13 – Feuchtigkeitsspendendes Gel-Reservoir. 84 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.12; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 14. Siehe hierzu BGH 14.2.1978 – X ZR 19/76 – BGHZ 71, 86, 94 = GRUR 1987, 492, 494 – Fahrradgepäckträger II, hinsichtlich sukzessiver Schäden durch ein Unterlassen. 85 BegrRegE UWG 2004 zu § 8, BTDrucks. 15/1487 S. 22. 86 A. A. Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 18. 87 Oben Fn. 71. 88 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 13. 89 BegrRegE UWG 2004 zu § 8, BTDrucks. 15/1487 S. 22; Ohly/Sosnitza, Einl. D Rn. 62; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 8, 48. 90 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 13. 91 Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 18. 92 BGH 21.4.2016 – I ZR 276/14 – GRUR 2016, 831 Tz. 15 – Lebens-Kost. 221

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Die Feststellung der haftungsbegründenden Kausalität entfällt im Lauterkeitsrecht weitgehend, weil die handlungsbezogenen Lauterkeitsrechtsverletzungen nur durch eine eigene lauterkeitswidrige Handlung verletzt werden können oder dem Haftungsschuldner solche Handlungen Dritter zugerechnet werden müssen (unten Rn. 59 ff.). Das gilt im Grundsatz auch für die Verletzung lauterkeitsrechtlicher Verkehrspflichten. Zwar handelt es sich dabei der Sache nach um die mittelbare Haftung für den Lauterkeitsrechtsverstoß eines Dritten.93 Nach der Konzeption des BGH begeht der mittelbare Verursacher aber einen eigenständigen Verstoß gegen § 3.94 Lediglich bei einem pflichtwidrigen Unterlassen muss festgestellt werden, dass das Unterlassen quasi-kausal war, weil die gebotene Handlung den Lauterkeitsverstoß verhindert hätte. 31 Demgegenüber wirft die haftungsausfüllende Kausalität als Ursachenzusammenhang zwischen der Normverletzung und dem Schaden deutlich häufiger rechtliche Probleme auf.95 Nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen wird die schadensrechtliche Kausalität durch die Äquivalenztheorie etabliert,96 wonach die Handlung nicht hinweg gedacht werden darf, ohne dass der tatbestandsmäßige Erfolg entfiele (sog. conditio-sine-qua-non-Formel). Weil eine solche reine Kausalitätshaftung auch im handlungsbezogenen Lauterkeitsrecht im Einzelfall zu einer unangemessen weiten Schadensersatzpflicht führen kann, wird die Schadenshaftung durch weitere Zurechnungskriterien eingeschränkt, insbesondere durch die Adäquanztheorie und die Lehre vom Schutzzweck der Norm.97

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32 a) Lehre von der Adäquanz. Nach der Adäquanztheorie sind gänzlich unwahrscheinliche Kausalverläufe von der Haftung auszunehmen, die dem allgemeinen Lebensrisiko und nicht der Handlung des Schädigers zuzurechnen sind.98 Danach sind solche Schadensursachen auszuschließen, die nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet sind, einen Erfolg der eingetretenen Art herbeizuführen. Ein so ungewöhnlicher Sachverhalt liegt jedoch nicht vor, wenn ein Mitbewerber aufgrund eines Lauterkeitsverstoßes eine GmbH abmahnen lässt, die mit der Verletzerin nahezu namensgleich ist.99 In einem solchen Fall kann aber bei der Schadensentstehung ein Mitverschulden des Geschädigten bzw. das seines Anwalts vorliegen. Letzteres muss sich der Geschädigte zurechnen lassen (unten Rn. 158).

33 b) Lehre vom Schutzzweck der Norm. Die Adäquanztheorie ist nur ein grober normativer Haftungsfilter. Sie muss daher durch weitere wertende Zurechnungskriterien eingeschränkt werden. Nach der Lehre vom Schutzzweck der Norm muss der Schädiger nur solche Schäden ersetzen, die nach Art und Entstehungsweise vom Schutzzweck der verletzten Norm verhindert werden sollen.100 Mit anderen Worten muss sich in dem Schaden gerade die Gefahrerhöhung 93 Vgl. GK-UWG/Hofmann § 8 Rn. 132; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.6. 94 BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 (Ls. 2) = GRUR 2007, 890 – Jugendgefährdende Medien bei eBay; BGH 12.7.2012 – I ZR 54/11 – WRP 2013, 491 Tz. 51 – Solarinitiative; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.8; Fezer/ Büscher/Obergfell/Büscher § 8 Rn. 123; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 94; GK-UWG/Hofmann § 8 Rn. 147. 95 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 39 m. w. N. 96 St. Rspr., vgl. etwa BGH 11.5.1951 – I ZR 106/50 – BGHZ 2, 138, 140 f. = NJW 1951, 711, 711; BGH 2.7.1957 – VI ZR 205/56 – BGHZ 25, 86, 90 = NJW 1957, 1475, 1475 f.; BGH 11.1.2005 – X ZR 163/02 – NJW 2005, 1420. 97 Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 94 ff.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.14 f.; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 39 ff. 98 St. Rspr., vgl. etwa BGH 14.10.1971 – VII ZR 313/69 – BGHZ 57, 137, 141 = NJW 1972, 36, 37; BGH 9.10.1997 – III ZR 4/97 – BGHZ 137, 11, 19 = NJW 1998, 138, 140. 99 A. A. BGH 5.11.1987 – I ZR 212/85 – GRUR 1988, 313, 314 – Auto f. GmbH; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 35. 100 BGH 17.9.2015 – I ZR 47/14 – GRUR 2016, 526 Tz. 31 – Irreführende Lieferantenangabe; BGH 21.4.2016 – I ZR 276/14 – GRUR 2016, 831 Tz. 15 – Lebens-Kost. Raue

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B. Schadensersatzanspruch (Satz 1)

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für das geschützte Interesse verwirklichen, die die verletzte Norm verboten hat.101 Eine zufällige, „äußere“ Korrelation von Normübertretung und Schaden reicht dagegen nicht aus.102 Der jeweilige Schutzzweck ist durch Auslegung zu ermitteln.103 Als Beispiel soll § 7 Abs. 2 die geschäftliche Sphäre und die Privatsphäre vor Störungen und Bindung von Ressourcen schützen, nicht aber die Entscheidungsfreiheit.104 Deswegen kann ein Schadensersatzanspruch, mit dem ein unerwünschter Vertragsschluss beseitigt werden soll, nicht auf § 7 Abs. 2 gestützt werden.105 In diesem Zusammenhang findet die Rechtsprechung zu den Herausforderungskonstel- 34 lationen106 auch im Lauterkeitsrecht sinngemäße Anwendung.107 Grundsätzlich wird bei wertender Betrachtung der Zurechnungszusammenhang zwischen schädigender Handlung und Schaden unterbrochen, wenn der Schaden unmittelbar auf eine Handlung zurückzuführen ist, die auf einem freien Entschluss des Geschädigten beruht.108 Der Zurechnungszusammenhang bleibt aber bestehen, wenn das Verhalten des Geschädigten durch die Rechtsverletzung gerechtfertigt ist oder er sich dadurch herausgefordert fühlen durfte, solange es sich um eine übliche und angemessene Reaktion handelt.109

c) Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens. Der Schadensersatzanspruch kann 35 aufgrund wertender Kriterien entfallen, wenn der Schaden auch bei rechtmäßigem Verhalten des Verletzers entstanden wäre. Ob der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens und damit ein hypothetischer Kausalverlauf berücksichtigt wird, bestimmt sich nach dem Schulzweck der verletzten Norm.110 Im Lauterkeitsrecht wird der Einwand teilweise mit einem Hinweis auf die Präventions- und Schutzfunktion des Lauterkeitsrechts abgelehnt.111 Allerdings hat der Schadensersatzanspruch keine eigenständig präventive Funktion, sondern soll in erster Linie den status quo ante ohne Rechtsverletzung sicherstellen (oben Rn. 6). Wenn der Mitbewerber in diesem Fall bei einem naheliegenden rechtmäßigen Verhalten denselben Schaden erlitten hätte, ist der Schaden im Regelfall nicht vom Schutzzweck der Norm erfasst.112 Denn das Lauterkeitsrecht soll nicht vor Wettbewerb, sondern nur vor den Folgen unlauteren Wettbewerbs schützen. Etwas anderes gilt allerdings, soweit das Lauterkeitsrecht dem Verletzten ausnahmsweise ein individuelles Recht und damit eine geschützte Position im Wettbewerb einräumt, etwa beim ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz oder beim Geschäftsgeheimnis-

101 St. Rspr., vgl. etwa BGH 22.4.1958 – VI ZR 65/57 – BGHZ 27, 137, 140 = NJW 1958, 1041, 1042; BGH 14.3.2006 – X ZR 46/04 – NJW-RR 2006, 965 Tz. 9. 102 BGH 17.9.2015 – I ZR 47/14 – GRUR 2016, 526 Tz. 31 – Irreführende Lieferantenangabe. 103 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.15; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 41. 104 BGH 21.4.2016 – I ZR 276/14 – GRUR 2016, 831 Tz. 16 – Lebens-Kost. 105 BGH 21.4.2016 – I ZR 276/14 – GRUR 2016, 831 Tz. 19 ff. – Lebens-Kost. 106 Dazu aus der allgemeinen Rechtsprechung BGH 13.7.1971 – VI ZR 125/70 – BGHZ 57, 25, 28 ff. = NJW 1971, 1980, 1981; BGH 4.7.1994 – II ZR 126/93 – NJW 1995, 126, 127; BGH 20.10.1994 – IX ZR 116/93 – NJW 1995, 449, 451; BGH 17.10.2000 – X ZR 169/99 – NJW 2001, 512, 513; BGH 7.3.2002 – VII ZR 41/01 – NJW 2002, 2322, 2323. 107 BGH 17.9.2015 – I ZR 47/14 – GRUR 2016, 526 Tz. 31 – Irreführende Lieferantenangabe. 108 BGH 17.9.2015 – I ZR 47/14 – GRUR 2016, 526 Tz. 31 – Irreführende Lieferantenangabe. 109 BGH 17.9.2015 – I ZR 47/14 – GRUR 2016, 526 Tz. 31 – Irreführende Lieferantenangabe; BGH 23.11.2006 – I ZR 276/03 – GRUR 2007, 631, Tz. 23 – Abmahnaktion. 110 BGH 24.10. 1985 – IX ZR 91/84 – BGHZ 96, 157 = NJW 1986, 576, 579 m. w. N.; BGH 25.11.1992 – VIII ZR 170/ 91 – BGHZ 120, 281 = NJW 1993, 520, 522 m. w. N.; BGH 9.3.2012 − V ZR 156/11 – NJW 2012, 2022 Tz. 17; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 43; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 39; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 96; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.15. Zu hypothetischen Reserveursachen vgl. BGH 17.3.1961 – I ZR 26/60 – GRUR 1961, 482, 483 f. – Spritzgussmaschine. 111 GK-UWG/Paal2 § 9 Rn. 20. 112 BGH 21.2.1964 – Ib ZR 108/62 – GRUR 1964, 392, 396 – Weizenkeimöl; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 96; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 5; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 39. 223

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Schadensersatz

schutz.113 Dasselbe gilt, wenn die verletzte Norm die Einhaltung bestimmter Verfahren garantieren oder Entscheidungsspielräume schützen will.114 36 Darüber hinaus wird der Einwand regelmäßig schon aus tatsächlichen Gründen nicht durchgreifen.115 Denn der Verletzer trägt die Beweislast dafür, dass der Schaden auch bei einem naheliegenden rechtmäßigen Alternativverhalten eingetreten wäre.116 Außerdem ist der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens nur berechtigt, wenn der Verletzer denselben Schaden bei rechtmäßigem Verhalten tatsächlich herbeigeführt hätte.117 Dass er ihn dann nur möglicherweise herbeigeführt hätte, reicht nicht aus.

3. Rechtswidrigkeit 37 Sofern ein Verhalten den Tatbestand einer Zuwiderhandlung gegen § 3 oder § 7 erfüllt, indiziert dies dessen Rechtswidrigkeit.118 Die Rechtswidrigkeit einer an sich unzulässigen geschäftlichen Handlung kann aber im Einzelfall durch Rechtfertigungsgründe entfallen. Hier kommen zwar grundsätzlich die allgemeinen Rechtfertigungsgründe des Zivil- und des Strafrechts in Betracht, insbesondere die §§ 227, 228, 904 BGB bzw. die §§ 32, 34 StGB. Dabei entfalten die allgemeinen Rechtfertigungsgründe im Wettbewerbsrecht allerdings kaum eine Wirkung, da ihre Tatbestandsmerkmale regelmäßig nicht passen.119

4. Verschulden 38 Der Schadensersatzanspruch nach Satz 1 setzt nunmehr ausdrücklich120 ein vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten des Schädigers voraus. Das Verhalten muss nicht nur objektiv unlauter, sondern mit dem Verschulden auch subjektiv vorwerfbar sein. Aufgrund der strengen Sorgfaltsanforderungen im Lauterkeitsrecht (unten Rn. 41) ist ein objektiv unlauteres Verhalten im Regelfall auch individuell vorwerfbar. Bedeutung hat das Verschuldenserfordernis vor allem bei der Fallgruppe der Verletzung von lauterkeitsrechtlichen Verkehrspflichten. Weil diese weitgehend aufgrund weniger abstrakter Kriterien von der Rechtsprechung im Einzelfall konkretisiert werden müssen, sind diese außerhalb etablierter Fallgruppen vorab nur schwer individuell vorhersehbar. Insbesondere bei Angeboten von Intermediären ist nur schwer einzuschätzen, in welchem Umfang ihnen Prüfpflichten auferlegt werden. Bei diesen bloß mittelbaren Rechtsverletzungen ist es nicht gerechtfertigt, die üblichen strengen Sorgfaltsmaßstäbe anzulegen und so abschreckend auf legitime Geschäftsmodelle einzuwirken. Nach Satz 2 kann der Schadensersatzanspruch gegen verantwortliche Personen von periodischen Druckschriften nur bei einer vorsätzlichen Zuwiderhandlung geltend gemacht werden kann (sog. Presseprivileg, dazu unten Rn. 160 ff.).

113 114 115 116

Raue S. 311, 592. Vgl. Jauernig/Teichmann, BGB Vor §§ 249–253 Rn. 48. MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 43; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 39 m. w. N. BGH 22.5.2012 − VI ZR 157/11 – NJW 2012, 2024 Tz. 12 m. w. N.; MünchKommBGB/Oetker § 249 Rn. 224; jurisPKUWG/Koch § 9 Rn. 39; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 96; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 5. 117 BGH 25.11.1992 – VIII ZR 170/91 – BGHZ 120, 281 = NJW 1993, 520, 522; BGH 9.3.2012 − V ZR 156/11 – NJW 2012, 2022 Tz. 17; MünchKommBGB/Oetker § 249 Rn. 221. 118 Vgl. etwa Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 10; Götting/Nordemann/Ebert-Weidenfeller § 9 Rn. 15; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 16. 119 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 17. 120 Zur Rechtslage unter dem UWG 1909 oben Rn. 1. Raue

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B. Schadensersatzanspruch (Satz 1)

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a) Vorsatz. Vorsatz hat im Zivilrecht nicht die Bedeutung wie im Strafrecht, wo er im Regelfall 39 die Grenze zwischen Strafbarkeit und Straflosigkeit markiert.121 Bedeutung hat die Unterscheidung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit beim lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzanspruch aber bei den Fragen der Presseprivilegierung (Satz 2, vgl. unten Rn. 160 ff.) und des Mitverschuldens (§ 254 BGB, vgl. unten Rn. 154). Vorsatz bedeutet Wissen (intellektuelles Element) und Wollen (voluntatives Element) der Tat- 40 bestandsverwirklichung.122 Darüber hinaus ist ein Handeln im Bewusstsein der Unlauterkeit erforderlich.123 Die bloße Kenntnis der die Unlauterkeit begründenden Tatumstände reicht nicht aus.124 Allerdings ist für das Bewusstsein der Unlauterkeit keine exakte rechtliche Subsumtion erforderlich, sondern es genügt vielmehr eine „Parallelwertung in der Laiensphäre“.125 Nach der Rechtsprechung soll für vorsätzliches Handeln zudem ausreichen, wenn sich der Handelnde der Kenntnis der rechtserheblichen Tatumstände bewusst verschließt.126 In einem solchen Fall wird im Regelfall bedingter Vorsatz vorliegen. Denn dafür muss der Täter die Verwirklichung des Tatbestandes oder den Eintritt des Erfolges auf Grund seines Verhaltens nur für möglich halten.127 b) Fahrlässigkeit. Für einen Schadensersatzanspruch nach Satz 1 genügt bereits leichte Fahrläs- 41 sigkeit, wenn eine unlautere Handlung nach § 3 oder § 7 vorliegt. Nach der Legaldefinition aus § 276 Abs. 2 BGB handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Für die Bestimmung der im konkreten Einzelfall erforderlichen Sorgfalt ist ein objektiver Maßstab anzulegen.128 Es handelt sich dabei um einen normativen Maßstab.129 Deswegen kommt es nicht entscheidend darauf an, welche Sorgfalt im jeweiligen Tätigkeitsfeld bzw. dem jeweiligen Geschäftsbereich üblicherweise angelegt wird. Dies ist nur ein erstes (im Regelfall aber maßgebliches) Indiz, welche Sorgfalt dem Unternehmer zugemutet werden kann, um die mit der Norm geschützten Interessen zu wahren.130 Eine Absenkung des Sorgfaltsmaßstabs kann daher nicht damit begründet werden, dass in der Branche des Verletzers mit lauterkeitsrechtlich geschützten Interessen nachlässig umgegangen wird und – mit den Worten des BGH – „Unsitten und Nachlässigkeiten“ eingekehrt sind.131 Umgekehrt kommt eine Erhöhung des Sorgfaltsmaßstabs in Betracht, wenn der Täter spezielle Fähigkeiten oder Kenntnisse aufweist.132 Im Lauterkeitsrecht wird

121 MünchKommBGB/Grundmann § 276 Rn. 150. 122 St. Rspr., vgl. etwa BGH 19.4. 2007 – I ZR 35/04 – BGHZ 172, 119 = GRUR 2007, 708 Tz. 31 – Internet-Versteigerung II; BGH 3.7.2008 – I ZR 145/05 – BGHZ 177, 150 = GRUR 2008, 810 Tz. 15 – Kommunalversicherer; BGH 11.3.2009 – I ZR 114/06 – BGHZ 180, 134 = GRUR 2009, 597 Tz. 14 – Halzband; MünchKommBGB/Grundmann § 276 Rn. 154; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 6. 123 BegrRegE UWG 2004 zu § 9, BTDrucks. 15/1487 S. 23; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 13; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.17. Kritisch Alexander S. 631 ff. 124 BegrRegE UWG 2004 zu § 9, BTDrucks. 15/1487 S. 23. So noch zum alten Recht (§ 1 UWG 1909) BGH 6.12.1990 – I ZR 297/88 – BGHZ 113, 115, 130 = GRUR 1991, 609, 613 – SL. 125 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.17. 126 BGH 15.1.1987 – I ZR 215/84 – GRUR 1987, 532, 533 – Zollabfertigung; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 13. 127 Hierzu MünchKommBGB/Grundmann § 276 Rn. 156 f. m. w. N.; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 28 f. 128 MünchKommBGB/Grundmann § 276 Rn. 54 f. m. w. N.; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 55. 129 Vgl. MünchKommBGB/Grundmann § 276 Rn. 54. 130 Vgl. BGH 10.5.1974 – I ZR 80/73 – GRUR 1974, 735, 737 – Pharmamedan. 131 BGH 15.1.1965 – Ib ZR 44/63 = GRUR 1965, 495, 496 – Wie uns die anderen sehen; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 26. 132 BGH 11.12.1973 – X ZR 14/70 – BGHZ 62, 29 = GRUR 1974, 290, 292 – maschenfester Strumpf; BGH 17.6.1999 – I ZR 213/96 = GRUR 1999, 1106, 1109 – Rollstuhlnachbau; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.17; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 26. Zu weiteren Differenzierungen nach gruppentypischen Sorgfaltsmaßstäben Teplitzky/Schaub Kap. 30 Rn. 9 m. w. N. 225

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Schadensersatz

bei der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt grundsätzlich ein strenger Maßstab angelegt.133 Orientierung bieten die nachfolgenden Fallgruppen.

c) Kasuistik 42 aa) Irrtum über Tatsachen oder die Rechtslage. In wenigen Fällen kann die fehlende Kenntnis des Verletzers von bestimmten, den Tatbestand begründenden Tatsachen diesen bereits ausschließen, etwa beim wettbewerbswidrigen Ausnutzen eines fremden Vertragsbruchs sowie beim Verleiten zum Vertragsbruch.134 Im Übrigen schließt die fehlende Kenntnis von Tatumständen den Vorsatz aus (oben Rn. 40). Allerdings handelt der Verletzer fahrlässig, wenn er den Irrtum bei Anwendung der pflichtgemäßen Sorgfalt hätte verhindern können.135 Ein Unternehmer muss die maßgeblichen Rechtsvorschriften für seine Tätigkeit kennen 43 oder sich beraten lassen.136 In Zweifelsfällen muss er im zumutbaren Rahmen „besonders sachkundigen Rechtsrat“ einholen,137 den ihm etwa Rechtsanwälte, Verbandsjuristen oder Hochschullehrer geben können, die mit wettbewerbsrechtlichen Sachverhalten und Fragestellungen vertraut sind.138 Wer auf einen solchen Rechtsrat verzichtet, handelt fahrlässig.139 Darüber hinaus darf der Unternehmer nicht auf einen Rechtsrat vertrauen, falls es hinreichenden Anlass gibt, an der Objektivität, Qualität oder Sorgfalt des Beraters zu zweifeln.140 Ein Rechtsirrtum, also eine fehlerhafte Kenntnis oder Beurteilung der Rechtslage, schließt 44 regelmäßig nur den Vorsatz, nicht aber den Vorwurf fahrlässigen Verhaltens aus. Ein Rechtsirrtum ist unverschuldet, wenn der Verletzer auch bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte.141 Nach gängiger Formel handelt bereits fahrlässig, wer sich erkennbar in einem Grenzbereich des rechtlich Zulässigen bewegt, also eine abweichende Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit des fraglichen Verhaltens in Betracht ziehen muss.142 Ein unvermeidbarer Rechtsirrtum wird daher nur selten vorliegen.143 Mit diesem strengen Maßstab will die Rechtsprechung verhindern, dass das Risiko einer zweifelhaften Rechtslage einseitig dem Geschädigten auferlegt wird.144 Das ist insofern gerechtfertigt, als dem Handelnden die Vorteile seiner Einschätzung zugutekommen. Dann sollte er umgekehrt auch das finanzielle Risiko seiner Fehleinschätzung tra133 BGH 6.5.1999 – I ZR 199/96 – BGHZ 141, 329, 345 f. = GRUR 1999, 923, 928 – Tele-Info-CD; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 9 Rn. 1.18; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 56; Teplitzky/Schaub Kap. 30 Rn. 14. 134 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 22; Teplitzky/Schaub Kap. 30 Rn. 12. 135 Teplitzky/Schaub Kap. 30 Rn. 12; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 26. 136 Vgl. BGH 30.3.1988 – I ZR 209/86 – GRUR 1988, 699, 700 – qm-Preisangaben II; BGH 2.10.2002 – I ZR 177/00 – GRUR 2003, 162 f. – Progona; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 28; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.19. 137 BGH 11.10.2001 – I ZR 172/99 – GRUR 2002, 269, 270 – Sportwetten-Genehmigung. 138 Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 62; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 28. 139 BGH 24.11.1959 – I ZR 88/58 – GRUR 1960, 186, 189 – Arctos; BGH 16.12.1986 – KZR 36/85 – GRUR 1987, 564, 566 – Taxi-Ruf-Zentrale; BGH 10.10.1989 – KZR 22/88 – GRUR 1990, 474, 477 – Neugeborenentransporte; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 28. 140 BGH 11.12.1973 – X ZR 14/70 – BGHZ 62, 29, 40 = GRUR 1974, 290, 293 – maschenfester Strumpf; BGH 3.7.2008 – I ZR 145/05 – BGHZ 177, 150 = GRUR 2008, 810 Tz. 46 – Kommunalversicherer; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 28; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.19. 141 BGH 6.5.1999 – I ZR 199/96 – BGHZ 141, 329, 345 = GRUR 1999, 923, 928 – Tele-Info-CD; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 9 Rn. 1.19. 142 BGH 23.5.1990 – I ZR 176/88 – GRUR 1990, 1035, 1038 – Urselters II; BGH 6.7.1995 – I ZR 58/93 – BGHZ 130, 205, 220 = GRUR 1995, 744, 749 – Feuer, Eis & Dynamit I; BGH 14.12.1995 – I ZR 210/93 – BGHZ 131, 308, 318 = GRUR 1996, 271, 275 – Gefärbte Jeans; BGH 18.12.1997 – I ZR 79/95 – GRUR 1998, 568, 569 – Beatles-Doppel-CD; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 22. Kritisch Ackermann FS Köhler S. 1, 6 ff. 143 jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 21. Vgl. aber etwa OLG Naumburg 7.11.2019 – 9 U 6/19 – WRP 2020, 110 Tz. 76. 144 BGH 16.12.1986 – KZR 36/85 – GRUR 1987, 564, 565 – Taxi-Ruf-Zentrale; BGH 10.10.1989 – KZR 22/88 – GRUR 1990, 474, 476 – Neugeborenentransporte; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 59. Raue

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gen.145 Ein Verletzer verstößt daher gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt, wenn sich hinreichende Anhaltspunkte für die Bedenklichkeit seines Handelns ergeben.146 Dasselbe gilt, wenn er von sachverständigen Personen auf die Möglichkeit eines Lauterkeitsverstoßes hingewiesen wird.147 Bei hohen Haftungsrisiken im Grenzbereich des rechtlich Zulässigen kann jedoch eine zu 45 strenge Handhabung des Zweifelssatzes auch auf erlaubtes Verhalten abschreckend wirken und daher den faktischen Wirkbereich eines Verbots vergrößern.148 Deswegen ist anerkannt, dass der Unternehmer in den folgenden Fallgruppen nicht fahrlässig handelt: Im Rahmen der verkehrsüblichen Sorgfalt befindet sich ein Verhalten, das die höchstrichterliche Rechtsprechung als rechtmäßig eingestuft hat, auch dann noch, wenn diese Rechtsauffassung mittlerweile umstritten ist.149 Ein Unternehmer darf sich auch ohne entsprechende höchstrichterliche Rechtsprechung an der rechtlichen Einordnung der zuständigen Behörden und Gerichte orientieren, wenn diese das Verhalten ausdrücklich als rechtlich zulässig einstufen.150 Etwas anderes gilt aber, wenn er in unlauterer Weise auf die Haltung der Behörde eingewirkt hat.151 Bei neuen, gerichtlich noch nicht abschließend geklärten, rechtlich schwierigen Zweifelsfragen darf sich der Unternehmer auf namhafte Vertreter der Literatur bzw. auf eine Reihe von Gerichtsentscheidungen stützen.152 Es würde einen unzulässigen Eingriff in die Wettbewerbsfreiheit darstellen, wenn von einem Unternehmer verlangt wird, sich vorsichtshalber immer nach der strengsten Gesetzesauslegung und Einzelfallbeurteilung richten zu müssen.153 Das gilt entgegen der Rechtsprechung auch für Werbemaßnahmen.154 Zwar besteht hier für einen Unternehmer größerer Variationsspielraum. Doch auch für Werbung kann sich ein Unternehmer auf seine grundgesetzlich verbürgte unternehmerische Freiheit berufen, daneben oft auch auf seine Meinungsäußerungsfreiheit.155 Deswegen gibt es keinen Grund, hier strengere Maßstäbe anzulegen.

bb) Unberechtigte Schutzrechtsverwarnungen. Auch aus einer befolgten, aber unberechtig- 46 ten Schutzrechtswarnung kann der Verwarnende den wirtschaftlichen Nutzen ziehen und damit von einem Rechtsschein profitieren, den ihm die Rechtsordnung nicht gewähren wollte. Deswegen ist es grundsätzlich gerechtfertigt, dass er die Schäden einer solchen Warnung tragen muss.156 145 Vgl. auch Ackermann FS Köhler S. 1, 8. 146 BGH 28.10.1970 – I ZR 39/69 – GRUR 1971, 223, 225 – Clix-Mann; BGH 14.11.1980 – I ZR 138/78 – GRUR 1981, 286, 288 – Goldene Karte I; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 22; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 29. 147 BGH 23.10.1997 – I ZR 98/95 – GRUR 1998, 1043, 1044 – GS-Zeichen; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 27. 148 Es entstehen dann Phantomrechte, vgl. Hofmann GRUR 2018, 21, 22, 25; ders. JZ 2018, 746, 751; Raue S. 473 f.; ders. ZUM 2017, 353, 354. Ähnlich Ackermann FS Köhler S. 1, 9. 149 BGH 7.10.1960 – I ZR 17/59 – GRUR 1961, 97, 99 – Sportheim; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 63. 150 BGH 11.10.2001 – I ZR 172/99 – GRUR 2002, 269, 270 – Sportwetten-Genehmigung; BGH 23.6.2005 – I ZR 194/ 02 – BGHZ 163, 265, 269 = GRUR 2005, 778, 779 – Atemtest; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 26. Das gilt bei einer Schutzrechtswarnung auch hinsichtlich der Eintragungsvoraussetzungen eines geprüften Schutzrechts, BGH 19.1.2006 – I ZR 98/02 – GRUR 2006, 432 Tz. 25 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II und unten Rn. 46. 151 BGH 11.10.2001 – I ZR 172/99 – GRUR 2002, 269, 270 – Sportwetten-Genehmigung; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 26. 152 BGH 14.12.1995 – I ZR 210/93 – GRUR 1996, 271, 275 – Gefärbte Jeans (insoweit nicht in BGHZ 131, 308); jurisPKUWG/Koch § 9 Rn. 26; Teplitzky/Schaub Kap. 30 Rn. 16; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 15; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 9 Rn. 1.19; a. A. Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 64 ff. 153 BGH 11.10.2001 – I ZR 172/99 – GRUR 2002, 269, 270 – Sportwetten-Genehmigung; Ackermann FS Köhler S. 1, 6 ff. 154 A.A. BGH 14.11.1980 – I ZR 138/78 – GRUR 1981, 286, 288 – Goldene Karte I; BGH 15.12.2016 – I ZR 197/15 – GRUR 2017, 734 Tz. 73 – Bodendübel; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.19; Teplitzky/Schaub Kap. 30 Rn. 18; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 31. 155 BVerfG 12.12.2000 – 1 BvR 1762/95, 1 BvR 1787/95 – BVerfGE 102, 347, 359 = GRUR 2001, 170, 172 – BenettonWerbung I. 156 Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 70a. 227

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Trotzdem legt die Rechtsprechung einen großzügigen Maßstab an, weil sie ihn nicht mit unübersehbaren Risiken belasten will und fürchtet, den Schutz der Rechte des Geistigen Eigentums und die dahinter stehenden Leistung zu entwerten.157 Der Verwarnende kann seine Haftung bereits ausschließen, wenn er vorher eine „gewissenhafte Prüfung“ und „vernünftige und billige Überlegungen“ angestellt hat.158 Ohne konkrete Anhaltspunkte muss er aber nicht in Rechnung stellen, dass Gerichte später möglicherweise zu einem anderen Ergebnis kommen.159 Den Umfang der Pflichten und die notwendige Intensität der Prüfung differenziert die Rechtsprechung u. a. auch nach der wirtschaftlichen (Vor-)Erfahrung von Verwarnendem und Betroffenem.160 Bei geprüften Schutzrechten muss deren Beständigkeit weniger intensiv geprüft werden als bei ungeprüften Schutzrechten oder der Inanspruchnahme des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes nach § 4 Nr. 3, weil der Schutzrechtsinhaber grundsätzlich auf das Urteil der Eintragungsbehörde vertrauen darf.161 Zudem wird zwischen der Verwarnung von Herstellern und von Abnehmern unterschieden: Zu einer schadensträchtigeren Abnehmerverwarnung darf der Schutzrechtsinhaber als ultima ratio grundsätzlich erst dann schreiten, wenn die Herstellerverwarnung erfolglos geblieben ist oder bei verständiger Würdigung der besonderen Umstände des Einzelfalls ausnahmsweise unangebracht erscheint.162 Auch bei der Schutzrechtsverwarnung besteht die Pflicht, einen fach- und rechtskundigen Berater hinzuzuziehen.163

47 cc) Nachträgliche Kenntniserlangung oder Klärung. Wer einen zunächst unverschuldeten Wettbewerbsverstoß fortsetzt, obwohl er nachträglich Kenntnis über neue maßgebliche Umstände oder die Rechtslage erlangt hat, kann ab Kenntnis schuldhaft handeln.164 Hauptanwendungsfälle sind die Kenntniserlangung durch eine Abmahnung und die höchstrichterliche Klärung einer unklaren Rechtsfrage bzw. eine Rechtsprechungsänderung. Der genaue Zeitpunkt, ab dem der Verletzer schuldhaft handelt, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Grundsätzlich ist dem Verletzer eine angemessene Überlegungs- bzw. Prüfungsfrist zuzubilligen, deren Dauer insbesondere von der Komplexität der Tat- und Rechtsfragen abhängt.165

5. Verantwortlichkeit nach §§ 7 bis 10 TMG 48 Für Lauterkeitsverstöße im Anwendungsbereich des Telemediengesetzes (TMG) sind die §§ 7 bis 10 TMG zu berücksichtigen, welche die Verantwortlichkeit von Diensteanbietern regeln. Dabei ist der Begriff „Diensteanbieter“ legaldefiniert in § 2 Satz 1 Nr. 1 TMG als „natürliche oder juristische Person, die eigene oder fremde Telemedien zur Nutzung bereithält oder den Zugang zur Nutzung vermittelt“. Die Regelungen der §§ 7 bis 10 TMG sind allerdings keine selbständigen Anspruchs157 BGH 11.12.1973 – X ZR 14/70 – BGHZ 62, 29, 35 = GRUR 1974, 290, 292 – maschenfester Strumpf; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.19; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 34.

158 BGH 11.12.1973 – X ZR 14/70 – BGHZ 62, 29, 36 = GRUR 1974, 290, 292 – maschenfester Strumpf. Kritisch zu den unterschiedlichen Verschuldensanforderungen von Rechtsinhaber und Verletzer, Raue S. 251 f. m. w. N. 159 BGH 11.12.1973 – X ZR 14/70 – BGHZ 62, 29, 36 f. = GRUR 1974, 290, 292 – maschenfester Strumpf; BGH 19.1.1979 – I ZR 166/76 – GRUR 1979, 332, 336 – Brombeerleuchte. 160 BGH 11.12.1973 – X ZR 14/70 – BGHZ 62, 29, 38 = GRUR 1974, 290, 292 f. – maschenfester Strumpf. 161 BGH 19.1.1979 – I ZR 166/76 – GRUR 1979, 332, 336 – Brombeerleuchte; BGH 19.1.2006 – I ZR 98/02 – GRUR 2006, 432 Tz. 25 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 34. 162 BGH 19.1.1979 – I ZR 166/76 – GRUR 1979, 332, 336 – Brombeerleuchte. 163 BGH 11.12.1973 – X ZR 14/70 – BGHZ 62, 29, 36 f. = GRUR 1974, 290, 292 f. – maschenfester Strumpf. 164 BGH 16.2.1973 – I ZR 74/71 – BGHZ 60, 206, 208 = GRUR 1973, 375, 376 – Miss Petite; BGH 10.5.1974 – I ZR 80/ 73 – GRUR 1974, 735, 737 – Pharmamedan; Teplitzky/Schaub Kap. 30 Rn. 21 ff.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.21. 165 BGH 10.5.1974 – I ZR 80/73 – GRUR 1974, 735, 737 – Pharmamedan; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.21; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 33; differenzierend Teplitzky/Schaub Kap. 30 Rn. 22 f. Raue

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grundlagen. Sie schränken für bestimmte Sachverhalte die nach den allgemeinen Rechtsvorschriften bestehenden Verantwortlichkeit von Diensteanbietern ein bzw. schließen sie sogar aus.

II. Gläubiger und Schuldner 1. Gläubiger Ersatzberechtigte Gläubiger sind nur Mitbewerber (vgl. die Legaldefinition in § 2 Abs. 1 49 Nr. 3).166 Im Umkehrschluss zu § 8 Abs. 3 fehlt Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern und Verbänden die Anspruchsberechtigung. Gewährt werden Schadensersatzansprüche grundsätzlich nur im Horizontalverhältnis.167 Aufgrund der klaren gesetzlichen Systematik und dem Willen des Gesetzgebers kommt eine analoge, erweiternde Anwendung nicht in Betracht (ausführlicher unten Rn. 53).168

a) Mitbewerber. Mitbewerber sind nach der Legaldefinition aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 Unternehmer, 50 die mit einem oder mehreren Unternehmern als Anbieter oder Nachfrager von Waren in ei nem konkreten Wettbewerbsverhältnis stehen. Der Kreis der Berechtigten wird allerdings durch den personalen Schutzbereich und den Schutzzweck der verletzten Norm eingeschränkt.169 Bei Tatbeständen ohne konkreten Individualbezug können grundsätzlich alle Mitbewer- 51 ber nach § 9 Satz 1 Schadensersatz verlangen, soweit sie unmittelbar betroffen sind und einen eigenen Schaden erlitten haben.170 Das gilt nach der Rechtsprechung des BGH auch für ausschließlich verbraucherschützende Marktverhaltensregeln, soweit der Normbruch dem Verletzer einen Vorsprung im Wettbewerb ermöglicht hat.171 Das ist insoweit konsequent, wenn man den Rechtsbruchtatbestand als Ausdruck eines wettbewerbsbezogenen Vorsprungsgedankens einordnet.172 Wenn ein Mitbewerber also Nachteile erleidet, etwa Marktanteile verliert, weil der Verletzer aufgrund des Normverstoßes Kostenvorteile hat, gestattet ihm § 9 einen Ausgleich dieser Nachteile zu verlangen.173 Soweit aber eine Norm, wie § 4, ausschließlich Individualinteressen schützt, darf nur der 52 von der Norm Geschützte Schadensersatz verlangen.174 Daher darf nur der herabgesetzte (§ 4 Nr. 1), der angeschwärzte (§ 4 Nr. 2) oder der unlauter behinderte Konkurrent (§ 4 Nr. 4) Schadensersatz nach § 9 verlangen.175 Auch beim ergänzenden Leistungsschutz (§ 4 Nr. 3) ist

166 BGH 10.4.2014 – I ZR 43/13 – GRUR 2014, 1114 Tz. 19 – nickelfrei. 167 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.9; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 47. 168 BegrRegE UWG 2004 zu § 9, BTDrucks. 15/1487 S. 23 („Anspruchsgrundlage für die Schadensersatzansprüche der Mitbewerber“, Hervorhebung hinzugefügt).

169 Bornkamm GRUR 1996, 527, 529; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.9; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 47; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 12; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 5. 170 BGH 5.3.1998 – I ZR 229/95 – GRUR 1998, 1039, 1040 – Fotovergrößerungen; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 23; jurisPKUWG/Koch § 9 Rn. 3. 171 BGH 10.12.2009 – I ZR 189/07 – GRUR 2010, 754 Tz. 25 – Golly Telly; BGH 6.10.2011 – I ZR 117/10 – GRUR 2012, 407 Tz. 37 – Delan; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.15. Kritisch Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 5; Podszun/Deuschle WRP 2019, 1102, 1108 f. 172 Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 5. 173 Vgl. BGH 10.12.2009 – I ZR 189/07 – GRUR 2010, 754 Tz. 25 – Golly Telly. 174 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.9; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 47; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 12. 175 Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 23. Greift eine solche geschäftliche Handlung auch in die Rechte von Mitarbeitern etc. ein, können diese nach § 823 Abs. 1 BGB Schadensersatz geltend machen, vgl. oben Rn. 16 und MünchKommUWG/ Fritzsche § 9 Rn. 47. 229

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der Kreis der Anspruchsberechtigten eingeschränkt. Ersatzberechtigt ist allein der Hersteller,176 eventuell auch der Alleinimporteur bzw. der Alleinvertriebsberechtigte.177 Händler und sonstige Mitbewerber sind vom Schutzzweck der Norm nicht erfasst und daher von der Geltendmachung ihres Schadens ausgeschlossen. Hersteller in dem Sinn ist, wer aufgrund seines Marktauftritts als solcher wahrgenommen wird und nicht derjenige, der die Produktion in dessen Auftrag ausführt.178 Bei Verstößen gegen § 6 Abs. 2 ist nur der vom Vergleich Betroffene anspruchsberechtigt.179 Auch Geschäftsgeheimnisse werden nur zugunsten des Geheimnisinhabers geschützt.180

53 b) Verbraucher und sonstige Marktteilnehmer. Verbraucher und sonstige Marktteilnehmer sind nach dem klaren Wortlaut des Satzes 1 nicht anspruchsberechtigt. Die eingeschränkte Anspruchsberechtigung wird mit Blick auf die individualbezogenen Schutzzweckbestimmungen aus § 1 Satz 1 als unbefriedigend kritisiert.181 Die Gesamtsystematik der §§ 8 Abs. 3, 9 Satz 1, 10 Abs. 1 sowie die Gesetzesbegründung182 stehen aber einer analogen Anwendung der Vorschrift entgegen.183 Zudem besteht keine Schutzlücke.184 Verbraucher und andere Marktteilnehmer werden im Vertikalverhältnis ausreichend geschützt: Im (quasi-) vertraglichen Bereich schützen sie insbesondere Anfechtungsmöglichkeiten (§§ 119 ff. BGB), Mängelgewährleistungsrechte (§§ 434, 437 ff. BGB), Schadensersatzansprüche aus culpa in contrahendo in der Phase der Vertragsanbahnung und in Form von vertraglichen Schutzpflichten bei der Vertragsdurchführung (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, ggf. i. V. m. 311 Abs. 2 BGB) sowie verbraucherschützende Widerrufsrechte aus §§ 312 ff., 481 ff., 491 ff. BGB und der besondere Schutz aus §§ 241a, 661a BGB. Für den außervertraglichen Rechtsgüterschutz stehen ihnen § 1004 BGB (analog) sowie §§ 823 ff. BGB zur Verfügung, die einen ausreichenden Schutz der Privatsphäre ermöglichen, etwa vor belästigender Werbung.185 Es ist geplant, in Umsetzung von Art. 11a UGP-RL (s. o. Rn. 10), in § 9 Abs. 2 n. F. einen Schadensersatzanspruch für Verbraucher einzufügen.186 Danach haben Verbraucher einen Anspruch auf Ersatz des ihnen entstandenen Schadens, wenn sie durch eine nach § 3 unzulässige geschäftliche Handlung „zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst [wurden], die sie andernfalls nicht getroffen hätten“. Ausgenommen werden sollen allerdings die unlauteren geschäftlichen Handlungen nach den §§ 3a, 4 und 6 sowie mangels Verweises auch § 7. Hintergrund ist, dass diese alle nicht auf der UGP-RL beruhen und daher kein Umsetzungszwang besteht.187 Die Regierungsbegründung sieht Schutzlücken vor allem dann, wenn noch

176 Das gilt auch für dessen Muttergesellschaft, soweit ihre Geschäftstätigkeit von der Leistungsübernahme bzw. Rufausbeutung betroffen ist, BGH 20.3.1997 – I ZR 246/94 – GRUR 1997, 754, 756 – grau/magenta.

177 BGH 18.10.1990 – I ZR 283/88 – GRUR 1991, 223, 224 – Finnischer Schmuck; BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322 = GRUR 1994, 630, 634 – Cartier-Armreif; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.9; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 47. 178 Vgl. OLG Hamburg 22.5.2003 – 5 U 144/02 – GRUR-RR 2004, 116 – Messerblock. 179 Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 23. 180 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.9; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 47. 181 Etwa Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 7; Keßler WRP 2005, 264, 273; Sack GRUR 2004, 625, 630; ders. BB 2003, 1073, 1079. 182 BegrRegE UWG 2004 zu § 8, BTDrucks. 15/1487 S. 22. 183 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.10; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 13. 184 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.10; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 13; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 49; a. A. Fezer WRP 2003, 127, 128. 185 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.10; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 49 f. 186 RegE BRDrucks. 56/21, S. 6. Zum RefE ausführlich Köhler WRP 2021, 129–136; Alexander WRP 2021, 136, 142 ff. 187 RegE BRDrucks. 56/21, S. 41. Raue

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B. Schadensersatzanspruch (Satz 1)

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kein Vertragsverhältnis entstanden ist, insbesondere in Anlockfällen, Inkassomaßnahmen nach Fällen von Identitätsdiebstahl oder aufgrund aggressiver geschäftlicher Handlungen nach § 4a.188 Darüber hinaus können so Schadensersatzansprüche gegen Hersteller irreführender Werbung begründet werden, zu denen Verbraucher kein direktes Vertragsverhältnis haben. Der Schadensersatzanspruch soll nach sechs Monaten verjähren (§ 11 Abs. 1), aber in freier Anspruchskonkurrenz zu den bisher bestehenden Schadensersatzansprüchen stehen.189 Ein Schadensersatzanspruch von Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern wegen 54 Verstößen gegen das Lauterkeitsrecht kann grundsätzlich nicht durch Rückgriff auf § 823 Abs. 2 BGB begründet werden, da § 3 und § 7 keine Schutzgesetze i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB darstellen.190 Diese Auffassung entspricht der Rechtsprechung des BGH zum UWG 1909.191 Sie wird maßgeblich gestützt durch die Gesetzesbegründung;192 daran soll sich auch nichts durch die Einführung des Verbraucherschadensersatzanspruchs in § 9 Abs. 2 n. F. ändern.193 Sie entspricht darüber hinaus auch der Systematik des UWG-Rechtsfolgenregimes, das die Rechtsfolgen von Verstößen gegen § 3 und § 7 in den §§ 8 bis 11 grundsätzlich abschließend regelt. Auch aus der UGP-RL ergeben sich keine individuellen Rechtspositionen.194 Der Gegenauffassung ist zuzugestehen, dass der Verbraucherschutz gleichrangig mit den anderen Schutzzwecken des Lauterkeitsrechts im Gesetzeszweck aufgeführt wird.195 Konsequenterweise hätte der Gesetzgeber Verbrauchern die Klagebefugnis für die zumindest auch verbraucherschützenden Normen einräumen können, wie dies etwa der Schweizer Gesetzgeber getan hat (Art. 10 Abs. 1 schweizUWG). Allerdings hat sich der deutsche Gesetzgeber ausdrücklich dagegen entschieden. Etwas anderes gilt jedoch für die §§ 16 bis 19 a. F., weil der Gesetzgeber die zivilrechtlichen Rechtsfolgen für Verstöße gegen diese Normen nicht festgelegt hat.196

c) Verbände. Die in § 8 Abs. 3 Nrn. 2 bis 4 genannten Verbände haben ebenfalls keine 55 Berechtigung, Schadensersatzansprüche aus Satz 1 geltend zu machen, soweit sie nicht ausnahmsweise doch „Mitbewerber“ sind.197 Unberührt bleibt dadurch aber die Geltendmachung von (Schadensersatz-)Ansprüchen auf der Grundlage von außerhalb des Wettbewerbsrechts stehenden Normen, etwa im Falle der Verletzung von Aufklärungspflichten im Rahmen eines Abmahnverhältnisses.198 Kosten, die den Verbänden aus der Verfolgung

188 RegE BRDrucks. 56/21, S. 39 f. Dazu auch Alexander WRP 2021, 136, 142. 189 RegE BRDrucks. 56/21, S. 40 f. 190 Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 13; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.10; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 48 f.; a. A. Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 3; Sack GRUR 2004, 625, 630; Augenhofer WRP 2006, 169, 176. 191 BGH 14.5.1974 – VI ZR 48/73 = GRUR 1975, 150 – Prüfzeichen. 192 BegrRegE UWG 2004 zu § 9, BTDrucks. 15/1487 S. 22; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 13. 193 RegE BRDrucks. 56/21, S. 41. 194 Erwgr. 9 S. 1; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.10. Etwas anderes könnte sich aus der Muñoz-Rechtsprechung des EuGH ergeben, nach der für deren „vollen Wirksamkeit“ eine Regel des Unionsrechts auch „im Wege eines Zivilprozesses durchgesetzt“ werden muss, EuGH 17.9.2002 – C-253/00 – Slg. 2002, I-7289 = LMRR 2002, 63 Tz. 30 – Muñoz/Frumar (allerdings bezogen auf Konkurrenten). 195 Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 3; Keßler WRP 2005, 264, 273; Sack GRUR 2004, 625, 630; ders. BB 2003, 1073, 1079; Wimmer-Leonhardt GRUR 2004, 12, 20. 196 BegrRegE UWG 2004 zu § 8, BTDrucks. 15/1487 S. 22; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 13; Ohly/Sosnitza Einl. D Rn. 62; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 8, 48; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.10. 197 Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 7; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.11; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 49. 198 BGH 5.5.1988 – I ZR 151/86 – GRUR 1988, 716, 717 – Aufklärungspflicht gegenüber Verbänden. 231

Raue

§9

Schadensersatz

von Wettbewerbsverstößen entstehen, insbesondere für die Abmahnung, sind über § 12 Abs. 1 Satz 2 ersatzfähig.199

2. Schuldner 56 Die Haftung für Lauterkeitsrechtsverstöße unterscheidet sich von der allgemeinen Deliktshaftung dadurch, dass das Lauterkeitsrecht weitgehend handlungs- und nicht erfolgsbezogen ausgestaltet ist (§ 9 Satz 1: „Wer […] eine nach § 3 oder § 7 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt…“). Deswegen haftet als Täter grundsätzlich nur, wer die in der jeweiligen Norm beschriebene Handlung selbst vorgenommen hat.200 Die Haftung für Normverstöße Dritter müssen dementsprechend zugerechnet werden. 57 Eine Zurechnungsnorm für Angestellte und Beauftragte wie in § 8 Abs. 2 fehlt in § 9 für Schadensersatzansprüche. Im Umkehrschluss und systematischen Vergleich zu § 14 Abs. 7 MarkenG201 ist die Norm nicht auf Schadensersatzansprüche anzuwenden.202 Für die Zurechnung des Verhaltens Dritter kann aber auf die allgemeinen deliktischen Normen und Zurechnungsgrundsätze zurückgegriffen werden.203 § 830 Abs. 1 Satz 1 BGB erweitert die Haftung auf Mittäter, § 830 Abs. 2 BGB auf Teilnehmer, also Gehilfen und Anstifter.204 Nach allgemeinen Grundsätzen haftet auch der mittelbare Täter. Juristischen Personen und rechtsfähigen Gesellschaften werden die Handlungen ihrer Organe über § 31 BGB (analog) und leitender Mitarbeiter über die Grundsätze der Repräsentantenhaftung zugerechnet.205 Für die mangelnde Auswahl bzw. Überwachung von Verrichtungsgehilfen haftet ein Unternehmen nach § 831 BGB.206 Im Rahmen bestehender Schuldverhältnisse, etwa nach einem Wettbewerbsverstoß, haftet der Unternehmer auch für Erfüllungsgehilfen, § 278 BGB. Darüber hinaus werden Lauterkeitsverstöße Dritter zugerechnet, soweit ein Unternehmen lauterkeitsrechtliche Verkehrspflichten verletzt. Persönlich haftende Gesellschafter von Personengesellschaften haften nach § 128 BGB (analog) für Gesellschaftsschulden und damit für Schadensersatzverpflichtungen der Gesellschaft.207

58 a) Haftung als Täter oder Teilnehmer. Schuldner des Schadensersatzanspruchs sind der unmittelbare und mittelbare Täter sowie Mittäter (§ 830 Abs. 1 Satz 1 BGB) und Teilnehmer (§ 830

199 Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 7; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.11. 200 BGH 10.2.2011 – I ZR 183/09 – GRUR 2011, 340 Tz. 27 – Irische Butter; BGH 3.3.2016 – I ZR 110/15 – GRUR 2016, 961 Tz. 32 – Herstellerpreisempfehlung bei Amazon.

201 Die Norm lautet: „Wird die Verletzungshandlung in einem geschäftlichen Betrieb von einem Angestellten oder Beauftragten begangen, so kann der Unterlassungsanspruch und, soweit der Angestellte oder Beauftragte vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat, der Schadensersatzanspruch auch gegen den Inhaber des Betriebs geltend gemacht werden.“ (Hervorhebung hinzugefügt). 202 BGH 9.2.2006 – I ZR 73/02 = GRUR 2006, 426 Tz. 24 – Direktansprache am Arbeitsplatz II; BGH 11.3.2010 – I ZR 123/08 = GRUR 2010, 936 Tz. 22 – Espressomaschine; BGH 25.4.2012 – I ZR 105/10 – GRUR 2012, 1279 Tz. 43 – DAS GROSSE RÄTSELHEFT; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.5; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 57; Teplitzky/ Schaub Kap. 31 Rn. 11; a. A. Alexander S. 665 ff. 203 BegrRegE UWG 2004 zu § 9, BTDrucks. 15/1487 S. 23. 204 BGH 18.10.2001 – I ZR 22/99 – GRUR 2002, 618, 619 – Meißner Dekor I. 205 BegrRegE UWG 2004 zu § 9, BTDrucks. 15/1487 S. 23; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 4. 206 BegrRegE UWG 2004 zu § 9, BTDrucks. 15/1487 S. 23; BGH 25.4.2012 – I ZR 105/10 – GRUR 2012, 1279 Tz. 43 – DAS GROSSE RÄTSELHEFT. 207 OLG Frankfurt a. M. 10.4.2013 – 2 – 6 O 303/12 – WRP 2014, 1484 Tz. 21. Raue

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B. Schadensersatzanspruch (Satz 1)

§9

Abs. 2 BGB).208 Täter kann grundsätzlich jeder sein, der eine geschäftliche Handlung i. S. v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 vornimmt.209 Weil davon auch Handlungen zugunsten fremder Unternehmen erfasst sind, ist der Kreis der potentiell erfassten Personen sehr weit und nicht auf die Inhaber von Unternehmen beschränkt. Bei einer weisungsabhängigen Hilfsperson in untergeordneter Stellung, etwa Plakatklebern und Zeitungsausfahrern, fehlt es aber meist schon an einer geschäftlichen Handlung.210

b) Haftung für Organhandeln. Nach § 31 BGB haftet ein Verein mit dem Vereinsvermögen, 59 wenn bestimmte Organmitglieder eine zum Schadensersatz verpflichtende Handlung vornehmen. Die haftungszuweisende Norm rechnet das Handeln bestimmter Organpersonen dem Verein als eigenes Handeln zu. § 31 BGB ist über den Verein hinaus auf sämtliche Gesellschaften und andere Personenvereinigungen entsprechend anwendbar.211 § 31 BGB setzt eine zum Schadensersatz verpflichtende Handlung der Organperson voraus. Es ist unerheblich, worauf die Schadensersatzpflicht im konkreten Fall beruht. Für die lauterkeitsrechtliche Haftung kommt deliktisches Verhalten in Form eines Verstoßes gegen lauterkeitsrechtliche Normen oder die Verletzung von lauterkeitsrechtlichen Verkehrssicherungspflichten in Betracht. Die Haftungszuweisung beschränkt sich nach dem Wortlaut von § 31 BGB auf den Vorstand, 60 ein Mitglied des Vorstands oder einen anderen verfassungsmäßig berufenen Vertreter. Der Verein und andere Gesellschaften haften also im Grundsatz nicht für alle Personen, die für sie tätig werden. Die Rechtsprechung legt den Begriff des verfassungsmäßig berufenen Vertreters jedoch i. S.e. Repräsentantenhaftung erweiternd aus: Sie erstreckt die Haftung auf Vertreter, die durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person selbstständig und eigenverantwortlich erfüllen und so die juristische Person repräsentieren.212 Diese Rechtsprechung hat die praktische Bedeutung des § 831 BGB zurückgedrängt und Unternehmen so die Möglichkeit einer Exkulpation durch Entlastungsbeweis abgeschnitten (siehe hierzu sogleich unter Rn. 62). Die Repräsentantenhaftung wird ausgedehnt durch die Lehre vom Organisationsmangel 61 (vgl. auch die entsprechenden Ausführungen zu § 8 Rn. 198). Danach dürfen wichtige Aufgaben(gebiete) nicht auf solche weisungsabhängigen Verrichtungsgehilfen übertragen werden, für die eine Exkulpation auf der Grundlage und am Maßstab von § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB in Betracht kommt. Die betroffenen Gesellschaften müssen ihre Tätigkeit so organisieren, dass für alle wichtigen Aufgabengebiete, die die Organe nicht selbst wahrnehmen können, ein verfassungsmäßig berufener Vertreter zuständig ist, der die wesentlichen Entscheidungen selbst trifft. Wenn und

208 BGH 18.10.2001 – I ZR 22/99 – GRUR 2002, 618, 619 – Meißner Dekor I; BGH 6.4.2000 – I ZR 67/98 – GRUR 2001, 82, 83 – Neu in Bielefeld I.

209 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 52. 210 Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 24; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.3; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 5. 211 Vgl. für die AG etwa BGH 9.5.2005 – II ZR 287/02 – NJW 2005, 2450, 2451 f.; für die KGaA etwa RG 19.2.1904 – III 343/03 – RGZ 57, 93, 94 f; RG 18.10.1917 – VI 143/17 – RGZ 91, 72, 75; RG 27.1.1940 – II 151/39 – RGZ 163, 21; für die eingetragene Genossenschaft etwa BGH 8.7.1986 – VI ZR 47/85 – BGHZ 98, 148, 150 = NJW 1986, 2941; RG 13.2.1911 – VI 652/09 – RGZ 76, 35, 48; RG 30.1.1925 – VI 301/24 – RGZ 110, 145, 147; für die Vor-GmbH etwa OLG Stuttgart 2.11.1988 – 2 W 5/88 – NJW-RR 1989, 638; für die OHG etwa BGH 8.2.1952 – I ZR 92/51 – NJW 1952, 537, 538; für die KG etwa BGH 3.12.1973 – II ZR 144/72 – WM 1974, 153; für die GmbH & Co KG etwa BGH 10.12.2009 – VII ZR 42/08 – BGHZ 183, 323 = NJW 2010, 1808 Tz. 50 f.; für die GbR etwa BGH 3.5.2007 – IX ZR 218/05 – BGHZ 172, 169 = NJW 2007, 2490 Tz. 9; BGH 24.2.2003 – II ZR 385/99 – BGHZ 154, 88, 93 ff. = NJW 2003, 1445, 1446; BGH 24.6.2003 – VI ZR 434/01 – BGHZ 155, 205 = NJW 2003, 2984, 2985. 212 BGH 30.10.1967 – VII ZR 82/65 – BGHZ 49, 19, 21 = NJW 1968, 391, 392; BGH 21.9.1971 – VI ZR 122/70 – NJW 1972, 334; BGH 5.3.1998 – III ZR 183/96 – NJW 1998, 1854, 1856; BGH 14.3.2013 – III ZR 296/11 – BGHZ 196, 340 = NJW 2013, 3366 Tz. 12 m. w. N. 233

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§9

Schadensersatz

soweit die betriebliche Organisation diesen Anforderungen nicht genügt, muss sich die Gesellschaft so behandeln lassen, als wäre der tatsächlich eingesetzte Verrichtungsgehilfe ein verfassungsmäßig berufener Vertreter.213 Eine darüber hinausgehende Verletzung von Organisationspflichten kann zudem eine Haftung nach den Grundsätzen der lauterkeitsrechtlichen Verkehrspflichten begründen (unten Rn. 64).

62 c) Haftung für Verrichtungs- und Erfüllungsgehilfen. Ein Unternehmer haftet nach § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB auf Ersatz des jeweiligen Schadens, den sein Verrichtungsgehilfe in Ausführung der Verrichtung einem Dritten widerrechtlich zufügt.214 Ein Verrichtungsgehilfe ist weisungsgebunden.215 Dazu muss ihm der Geschäftsherr die aufgegeben Tätigkeit jederzeit entziehen, sie beschränken und nach Zeit und Umfang regeln können.216 Im Ausnahmefall können auch selbstständige Dritte Verrichtungsgehilfen sein, wenn sie in den Organisationsbereich des Geschäftsherrn eingegliedert sind.217 Die Rechtsprechung hat etwa einen Testesser eines Restaurantführers als Verrichtungsgehilfen angesehen, weil der Verleger die Konzeption und die Auswahl der zu testenden Restaurants vorgegeben hatte.218 Anders als bei der Organhaftung kann sich der Unternehmer durch einen Entlastungsbeweis exkulpieren, § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die Haftung des Geschäftsherrn entfällt, wenn er nachweisen kann, dass der Verrichtungsgehilfe sorgfältig ausgesucht und überwacht wurde oder wenn der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden wäre. An den Entlastungsbeweis werden regelmäßig hohe Anforderungen gestellt.219 63 Im Rahmen eines bestehenden Schuldverhältnisses haftet der Unternehmer auch für Erfüllungsgehilfen, § 278 BGB. Das allgemeine Wettbewerbsverhältnis i. S. v. § 2 Abs. 1 Nr. 3 begründet noch kein gesetzliches Schuldverhältnis.220 Bei der Anspruchsbegründung kann das Verhalten von Angestellten, Rechtsanwälten und anderen Erfüllungsgehilfen daher nicht zugerechnet werden. Ein gesetzliches Schuldverhältnis entsteht erst durch einen eigenen Lauterkeitsrechtsverstoß des Unternehmers.221 Darüber hinaus entsteht ein vorvertragliches Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 2 Nr. 2, 3 BGB durch den Zugang der Abmahnung mit dem Angebot auf Abschluss eines Unterlassungsvertrags.222

213 BGH 10.5.1957 – I ZR 234/55 – BGHZ 24, 200, 213 = NJW 1957, 785, 786 f.; BGH 8.7.1980 – VI ZR 158/78 – GRUR 1980, 1099, 1104 – Medizinsyndikat II; RG 9.3.1938 – VI 212/37 – RGZ 157, 235, 237. 214 BGH 25.4.2012 – I ZR 105/10 – GRUR 2012, 1279 Tz. 43 – DAS GROSSE RÄTSELHEFT. 215 Hierzu im Kontext des Wettbewerbsrechts etwa BGH 29.6.1956 – I ZR 129/54 – GRUR 1956, 553, 556 – Coswig; BGH 5.10.1979 – I ZR 140/77 – GRUR 1980, 116, 117 – Textildrucke; BGH 12.6.1997 – I ZR 36/95 – GRUR 1998, 167, 169 – Restaurantführer; BGH 25.4.2012 – I ZR 105/10 – GRUR 2012, 1279 Tz. 44 – DAS GROSSE RÄTSELHEFT; jurisPKUWG/Koch § 9 Rn. 4. 216 BGH 12.6.1997 – I ZR 36/95 – GRUR 1998, 167, 169 – Restaurantführer; BGH 25.4.2012 – I ZR 105/10 – GRUR 2012, 1279 Tz. 44 – DAS GROSSE RÄTSELHEFT; MünchKommBGB/Wagner § 831 Rn. 14 m. w. N. 217 BGH 25.4.2012 – I ZR 105/10 – GRUR 2012, 1279 Tz. 45 – DAS GROSSE RÄTSELHEFT; MünchKommBGB/Wagner § 831 Rn. 15, 17 m. w. N. 218 BGH 12.6.1997 – I ZR 36/95 – GRUR 1998, 167, 169 – Restaurantführer. 219 BGH 3.12.1985 – VI ZR 160/84 – GRUR 1986, 330, 331 – Warentest III; BGH 12.6.1997 – I ZR 36/95 – GRUR 1998, 167, 169 – Restaurantführer; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 61; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 5. 220 BGH 19.6.1986 – I ZR 65/84 – GRUR 1987, 54, 55 – Aufklärungspflicht des Abgemahnten; MünchKommUWG/ Fritzsche § 9 Rn. 59; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.5. 221 BGH 19.6.1986 – I ZR 65/84 – GRUR 1987, 54, 55 – Aufklärungspflicht des Abgemahnten; BGH 5.5.1988 – I ZR 151/86 – GRUR 1988, 716, 717 – Aufklärungspflicht gegenüber Verbänden; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 3. 222 Vgl. BGH 19.10.1989 – I ZR 63/88 – GRUR 1990, 381 f. m. w. N. – Antwortpflicht des Abgemahnten („wettbewerbsrechtliche Sonderbeziehung eigener Art“, noch zum alten Schuldrecht); Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 5. Ferner bei abgeschlossenem Unterlassungsvertrag BGH 7.12.1989 – I ZR 237/87 – GRUR 1990, 534, 534 – AbrufCoupon. Raue

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B. Schadensersatzanspruch (Satz 1)

§9

d) Verletzung von Verkehrspflichten. Nach den früheren Grundsätzen der Störerhaftung223 64 haftete ein mittelbarer Verletzer, der zu Lauterkeitsrechtsverstößen Dritter beigetragen hatte, nur in Form von Abwehransprüchen (Beseitigung und Unterlassung), nicht aber auf Schadensersatz.224 Der BGH hat das Konzept der Störerhaftung im Lauterkeitsrecht aufgegeben und durch eine Haftung für lauterkeitsrechtliche Verkehrspflichten ersetzt.225 Wer gegen eine solche Verkehrspflicht verstößt und damit in vorwerfbarer Weise einen Lauterkeitsrechtsverstoß eines Dritten ermöglicht, begeht nach der Rechtsprechung einen eigenständigen Verstoß gegen die Verbrauchergeneralklausel § 3 Abs. 2, wenn auch Verbraucher betroffen sind, bzw. gegen die Generalklausel § 3 Abs. 1, wenn sonstige Marktteilnehmer betroffen sind.226 Es handelt sich dabei um eine täterschaftliche Rechtsverletzung, die bei Verschulden zu Schadensersatz verpflichtet.227 Es handelt sich bei materieller Betrachtung um dasselbe Haftungsmodell einer mittelbaren Rechtsgutsverletzung, das im allgemeinen Deliktsrecht eine täterschaftliche Haftung auch desjenigen begründet, der für die Rechtsgutsverletzung kausal geworden ist, aber nicht die unmittelbar schädigende Handlung vorgenommen hat.228 Die Haftungszurechnung erfolgt in beiden Fällen über die Verletzung einer Verkehrspflicht. Diese Konstruktion darf aber nicht den Blick darauf verstellen, dass es im Kern um eine Haftung für den eigentlichen Lauterkeitsrechtsverstoß geht, den der Unternehmer ermöglicht hat.229 Das muss etwa bei der Anspruchsberechtigung und bei anderen schutzzweckorientierten Erwägungen beachtet werden. Ein Unterfall der lauterkeitsrechtlichen Verkehrspflichten ist die Verletzung von Organisationpflichten230 im eigenen Betrieb.231

e) Mehrheit von Verletzern. Bei mehreren Verletzern greift die gesamtschuldnerische Haf- 65 tung nach § 840 BGB,232 soweit deren Schulden auf dasselbe Leistungsinteresse gerichtet sind.233 Ein identischer Schuldinhalt ist jedoch nicht erforderlich. Eine gesamtschuldnerische

223 Vgl. nur BGH 6.7.1954 – I ZR 38/53 – BGHZ 14, 163, 174 = GRUR 1955, 97, 99 f. – Constanze II; BGH 15.1.1957 – I ZR 56/55 – GRUR 1957, 352, 353 – Taeschner/Pertusin II; BGH 5.12.1975 – I ZR 122/74 – GRUR 1976, 257, 257 – Rechenscheibe; BGH 17.5.2001 – I ZR 251/99 – BGHZ 148, 13, 17 = GRUR 2001, 1038, 1039 – ambiente.de; BGH 11.3.2004 – I ZR 304/01 – BGHZ 158, 236, 251 = GRUR 2004, 860, 864 – Internetversteigerung I; BGH 22.7.2010 – I ZR 139/08 – GRUR 2011, 152 Tz. 45 – Kinderhochstühle im Internet; BGH 17.8.2011 – I ZR 57/09 – GRUR 2011, 1038 Tz. 20 – Stiftparfüm. 224 BGH 12.6.1997 – I ZR 36/95 – GRUR 1998, 167, 168 f. – Restaurantführer; BGH 6.4.2000 – I ZR 67/98 – GRUR 2001, 82, 83 – Neu in Bielefeld I; BGH 18.10.2001 – I ZR 22/99 – GRUR 2002, 618, 619 – Meißner Dekor I. Dazu GKUWG/Hofmann § 8 Rn. 136. 225 Grundlegend BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 = GRUR 2007, 890 Tz. 36 – Jugendgefährdende Medien bei eBay. Ferner BGH 12.7.2012 – I ZR 54/11 – GRUR 2013, 301 Tz. 51 – Solarinitiative. Dazu ausführlich GKUWG/Hofmann § 8 Rn. 136 ff. 226 jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 9; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.8; Fezer/Büscher/Obergfell/Büscher § 8 Rn. 123; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 94; a. A. mittelbarer Verstoß gegen den jeweiligen Lauterkeitstatbestand GK-UWG/Hofmann § 8 Rn. 145 m. w. N. 227 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 52; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 9; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 5; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 24; GK-UWG/Hofmann § 8 Rn. 137. 228 Vgl. Hofmann JuS 2017, 713, 714. 229 Vgl. GK-UWG/Hofmann § 8 Rn. 143; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 2.6. 230 Dazu BGH 8.7.1980 – VI ZR 158/78 – GRUR 1980, 1099, 1104 – Medizinsyndikat II; BGH 12.6.1997 – I ZR 36/ 95 – GRUR 1998, 167, 169 – Restaurantführer. 231 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 62 a. E. 232 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 63. 233 BGH 30.1.1959 – I ZR 82/57 – GRUR 1959, 379, 383 – Gasparone; BGH 1.2.1965 – GSZ 1/64Z – BGHZ 43, 227, 233; BGH 19.12.1968 – VII ZR 23/66 – BGHZ 51, 275, 278 f. (Mangelbeseitigung und Schadensersatz in Geld wegen mangelnder Bauaufsicht); BGH 26.6.2003 – VII ZR 126/02 – BGHZ 155, 265, 268 f.; MünchKommBGB/Heinemeyer § 421 Rn. 5; Bamberger/Roth/Gehrlein § 421 Rn. 5. 235

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§9

Schadensersatz

Haftung scheidet daher aus, wenn von mehreren Schädigern jeder für sich einen getrennten Schaden verursacht.234

III. Inhalt und Umfang 1. Grundsätze der Schadensschätzung, Darlegungs- und Beweislast 66 Für Inhalt und Umfang des Schadensersatzanspruchs aus Satz 1 gelten die §§ 249 bis 254 BGB, da das Lauterkeitsrecht insoweit keine spezielleren Regelungen enthält.235 Für lauterkeitsrechtliche Schadensersatzansprüche ist charakteristisch, dass der Wettbewerbsverstoß oft einen Schaden bewirkt, es dem Geschädigten aber schwerfällt, seinen konkreten Schaden hinreichend darzulegen und zu beweisen.236 Deswegen kommt der Schadensersatzfeststellung in der Praxis eine viel größere Bedeutung zu als der Leistungsklage, wobei erstere vor allem als Druckmittel für eine vergleichsweise Einigung genutzt wird (oben Rn. 8).237 Für diese genügt, dass der Eintritt des Schadens in der Zukunft mit einiger Sicherheit zu erwarten ist, ohne dass es dazu einer hohen Wahrscheinlichkeit bedarf.238 Hierzu muss der Verletzte konkret vortragen.239 Es reicht nicht aus, dass ein späterer Schadenseintritt zwar denkbar, derzeit aber noch nicht erkennbar ist.240 67 Die Kompensations- und Präventionswirkung des Schadensersatzes bleibt aber nur erhalten, wenn es trotz der beschriebenen Schwierigkeiten gelingt, die entstandenen Schäden zu beziffern und wenigstens annähernd vollständig zu kompensieren. Dagegen wird oft eingewandt, dass das Wirtschafts- und Wettbewerbsgeschehen in hohem Maße komplex ist und es daher schwerfällt, einen Wettbewerbsverstoß in einen konkret entgangenen Gewinn oder sonstigen Schaden zu übersetzen.241 Allerdings ist dies keine Besonderheit des Lauterkeitsrechts. Auch in anderen Bereichen gibt es erhebliche Hürden und Unsicherheiten bei der Schadensschätzung, etwa wenn nach schweren Unfällen der Erwerbsausfallschaden für die restliche Lebenszeit geschätzt werden muss. Dennoch urteilen Gerichte konkrete Schadenssummen aus.242 Sie urteilen in dem Bewusstsein, dass eine grobe und aufgrund des langen Prognosezeitraums notwendig ungenaue Schadensschätzung die bessere Alternative ist, als überhaupt keinen Schadensersatz zu gewähren.243

68 a) Grundsätze der Schadensschätzung. Eine konsequente Schadensschätzung auch in schwierigen Fällen entspricht dem Willen des Gesetzgebers und den Vorgaben des BGH. Um die Kompensation dieses Schadens nicht regelmäßig an Nachweisschwierigkeiten scheitern zu lassen, senken § 252 Satz 2 BGB und § 287 ZPO244 die Darlegungsanforderungen und 234 BGH 22.1.1985 – VI ZR 28/83 – GRUR 1985, 398, 400 – Nacktfoto; BGH 14.5.2009 – I ZR 98/06 – BGHZ 181, 98 = GRUR 2009, 856 Tz. 67 – Tripp-Trapp-Stuhl. 235 Klarstellend BegrRegE UWG 2004 zu § 9, BTDrucks. 15/1487 S. 23; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.23. 236 Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 8, 10; Götting/Nordemann/Ebert-Weidenfeller § 9 Rn. 4; MünchKommUWG/ Fritzsche § 9 Rn. 3, 64. 237 Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 9; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 3; Teplitzky/Schaub Kap. 28 Rn. 1. 238 BGH 19.11.1971 – I ZR 72/70 – GRUR 1972, 180, 183 – Cheri; BGH 6.7.1995 – I ZR 58/93 – BGHZ 130, 205, 220 f. = GRUR 1995, 744, 749 – Feuer, Eis & Dynamit I; BGH 4.5.2000 – I ZR 222/97 – GRUR 2001, 78, 79 – Falsche Herstellerpreisempfehlung. 239 BGH 4.5.2000 – I ZR 222/97 – GRUR 2001, 78, 79 – Falsche Herstellerpreisempfehlung. 240 BGH 19.11.1971 – I ZR 72/70 – GRUR 1972, 180, 183 – Cheri. 241 Vgl. etwa Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.23; Podszun/Deuschle WRP 2019, 1102, 1105 f. 242 Vgl. etwa BGH 5.10.2010 – VI ZR 186/08 – NJW 2011, 1148 Tz. 18 f. (Schaden bei jüngerem Kind). 243 So ausdrücklich auch englische Gerichte: „Inadequate compensation is better than none“, SPE International v PPC [2002] EWHC (Ch) 881 Tz. 87. 244 Zu deren Verhältnis, vgl. MünchKommBGB/Oetker § 252 Rn. 30. Raue

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das Beweismaß für die Existenz und Höhe des entstandenen Schadens ab. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH existiert der allgemeine Erfahrungssatz im Wettbewerbsrecht, wonach dem von einem Wettbewerbsverstoß unmittelbar Betroffenen regelmäßig ein Schaden entsteht.245 Deswegen muss der Verletzer darlegen und beweisen, dass dem Geschädigten überhaupt kein Schaden entstanden ist.246 Gerichte dürfen nach „freier Überzeugung“ über die Höhe des entstandenen Schadens entscheiden (§ 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Fehlt es an einer unmittelbaren Betroffenheit, muss dagegen der Verletzte die Wahrscheinlichkeit eines Schadens darlegen.247 § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO senkt das Beweismaß für die Existenz und die Höhe des Schadens 69 auf eine überwiegende Wahrscheinlichkeit ab.248 Gerichte dürfen einen entgangenen Gewinn bereits dann bejahen, wenn es im konkreten Fall „wahrscheinlicher ist, dass der Gewinn ohne das haftungsbegründende Ereignis erzielt worden, als dass er ausgeblieben wäre“.249 Bei extremer Beweisnot des Geschädigten lässt der BGH sogar eine „gewisse Wahrscheinlichkeit“ genügen, um jedenfalls einen Mindestschaden schätzen zu können.250 Damit nimmt die Rechtsordnung bewusst in Kauf, dass das geschätzte Ergebnis unter Umständen mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt.251 Daher müssen die Gerichte wenigstens einen Mindestschaden schätzen.252 Sie dürfen eine solche Schätzung nur ablehnen, wenn es ihnen dafür an „jeglichen greifbaren Anknüpfungstatsachen mangelt“.253 Die Grenze der Schätzungsbefugnis und -pflicht ist daher lediglich die pure Spekulation ohne Anhaltspunkte, die das richterliche Ermessen „in der Luft hängen“ lassen würde.254 Der Schaden ist auf Grundlage einer objektiven ex post Betrachtung zu schätzen. Dafür 70 muss das Gericht alle bekannten Tatsachen zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung berücksichtigen.255 Dem Tatrichter steht dabei ein großer Einschätzungsspielraum zu. Er wird vom BGH revisionsrechtlich nur daraufhin überprüft, ob er Rechtsgrundsätze der Scha-

245 BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 – GRUR 1993, 55, 57 – Tchibo/Rolex II (insoweit nicht in BGHZ); BGH 22.4.1993 – I ZR 52/91 – GRUR 1993, 757, 758 f. – Kollektion Holiday (insoweit nicht in BGHZ); BGH 2.2.1995 – I ZR 16/93 – GRUR 1995, 349, 351 – Objektive Schadensberechnung; BGH 14.2.2008 – I ZR 135/05 – GRUR 2008, 933 Tz. 19 – Schmiermittel; BGH 21.1.2016 – I ZR 90/14 – GRUR 2016, 860 Tz. 21 – Deltamethrin II m. w. N.; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 27. 246 BGH 22.4.1993 – I ZR 52/91 – GRUR 1993, 757, 758 f. – Kollektion Holiday (insoweit nicht in BGHZ). 247 BGH 29.6.2000 – I ZR 29/98 – GRUR 2000, 907, 911 – Filialleiterfehler. 248 BGH 14.2.2008 – I ZR 135/05 – GRUR 2008, 933 Tz. 19 – Schmiermittel; BGH 21.1.2016 – I ZR 90/14 – GRUR 2016, 860 Tz. 34 – Deltamethrin II; MünchKommBGB/Oetker § 252 Rn. 31; MünchKommZPO/Prütting § 287 Rn. 17. 249 Vgl. nur BGH 14.2.2008 – I ZR 135/05 – GRUR 2008, 933 Tz. 19 – Schmiermittel; BGH 21.1.2016 – I ZR 90/14 – GRUR 2016, 860 Tz. 21 – Deltamethrin II; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 66. 250 Besonders deutlich BGH 26.7.2005 – X ZR 134/04 – NJW 2005, 3348, 3349 (vertragswidrige Nichtentwicklung eines Prototyps); BGH 27.10.2010 – XII ZR 128/09 – GuT 2010, 343 (Nichtgewährung des vertragsgemäßen Gebrauchs einer Gewerbeimmobilie). Ferner BGH 10.7.1979 – X ZR 23/78 – GRUR 1979, 869, 870 – Oberarmschwimmringe; BGH 22.4.1993 – I ZR 52/91 – GRUR 1993, 757, 758 – Kollektion Holiday („bloße Wahrscheinlichkeit“, insoweit nicht in BGHZ); BGH 8.5.2012 − XI ZR 262/10 – BGHZ 193, 159 = NJW 2012, 2427 Tz. 64; BGH 30.5.2001 – VIII ZR 70/00 – NJW-RR 2001, 1542; BGH 18.2.2002 – II ZR 355/00 – NJW 2002, 2553, 2554. 251 BGH 21.1.2016 – I ZR 90/14 – GRUR 2016, 860 Tz. 26 – Deltamethrin II m. w. N.; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 67; Zöller/Greger ZPO § 287 Rn. 2. 252 BGH 6.2.2007 – X ZR 117/04 – GRUR 2007, 532 Tz. 15 – Meistbegünstigungsvereinbarung; BGH 14.2.2008 – I ZR 135/05 – GRUR 2008, 933 Tz. 21 – Schmiermittel; NK-BGB/Spallino § 252 Rn. 16 m. w. N. 253 Vgl. nur BGH 6.2.2007 – X ZR 117/04 – GRUR 2007, 532 Tz. 15 – Meistbegünstigungsvereinbarung m. w. N. 254 BGH 21.1.2016 – I ZR 90/14 – GRUR 2016, 860 Tz. 26 – Deltamethrin II; BGH 5.5.1970 – VI ZR 212/68 – BGHZ 54, 45, 55 m. w. N. = NJW 1970, 1411; BGH 9.4.1992 – IX ZR 104/91 – NJW-RR 1992, 997, 998; BGH 23.2.2010 – VI ZR 331/08 – NJW 2010, 1532 Tz. 13; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 67; MünchKommBGB/Oetker § 252 Rn. 38; Musielak/Voit/ Foerste ZPO § 287 Rn. 7. 255 Vgl. nur Staudinger/Schiemann § 252 Rn. 19; MünchKommBGB/Oetker § 252 Rn. 41. 237

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densbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zu Grunde gelegt hat.256

71 b) Darlegungs- und Beweislast. Der Geschädigte trägt als Anspruchsteller für die Höhe des geltend gemachten Schadens die Darlegungs- und Beweislast.257 Allerdings kommt ihm die Wirkung des § 287 ZPO zugute, der nicht nur das Beweismaß für die Schadensschätzung (oben Rn. 69), sondern damit korrespondierend auch die Darlegungslast absenkt.258 Er muss den entgangenen Gewinn und andere Schadenspositionen daher nicht genau belegen.259 Aufgrund der erleichterten Schadensschätzung (oben Rn. 68) reicht es aus, Anknüpfungstatsachen (dazu unten Rn. 86 ff.) vorzutragen und ggf. zu beweisen, die es dem Gericht ermöglichen, den Schaden „wenigstens im Groben zutreffend“ zu schätzen.260 An den Vortrag dürfen keine so hohen Anforderungen gestellt werden, dass sie dem Zweck der Beweiserleichterung zuwiderlaufen.261 Die Substantiierungsanforderungen hängen im Wesentlichen von zwei Faktoren ab: zum einen, welche Informationen dem Geschädigten zur Verfügung stehen oder er sich in zumutbarer Weise beschaffen kann;262 zum anderen, in welchem Ausmaß der Verletzer anderweitige Möglichkeiten des Schadensverlaufs substantiiert dargelegt hat.263

2. Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1 BGB) 72 Nach § 249 Abs. 1 BGB kann der Geschädigte vom Verletzer verlangen, dass letzterer den Zustand wiederherstellt, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre (Grundsatz der Naturalrestitution). Eine identische Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands ohne die Rechtsverletzung ist in den meisten Fällen unmöglich. Deswegen ist anerkannt, dass der Schädiger grundsätzlich nur einen vergleichbaren oder wirtschaftlich gleichwertigen Zustand herstellen muss.264

73 a) Beseitigung der Verletzungsfolgen. Die Beseitigung der (unmittelbaren) Verletzungsfolgen kann bereits im Rahmen des verschuldensunabhängigen Unterlassungs- und Beseitigungsanspruchs nach § 8 Abs. 1 Satz 1 gefordert werden.265 Deswegen hat der Schadensersatzanspruch insoweit keine erhebliche praktische Bedeutung.266 Trotzdem besteht die Verpflichtung zur Beseiti256 BGH 21.1.2016 – I ZR 90/14 – GRUR 2016, 860 Tz. 24 – Deltamethrin II; BGH 8. 5. 2012 − VI ZR 37/11 – NJW 2012, 2267 Tz. 9; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 45. Zur Begründungslast der Instanzgerichte jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 67. 257 Vgl. nur BGH 21.1.2016 – I ZR 90/14 – GRUR 2016, 860 Tz. 19 – Deltamethrin II. 258 BGH 5.12.1995 – X ZR 121/93 – NJW 1996, 775, 776 m. w. N.; BGH 23.11.2006 – IX ZR 21/03 – NJW-RR 2007, 569 Tz. 21; Musielak/Voit/Foerste ZPO § 287 Rn. 7; MünchKommZPO/Prütting § 287 Rn. 28. 259 Vgl. BGH 21.1.2016 – I ZR 90/14 – GRUR 2016, 860 Tz. 21 – Deltamethrin II. 260 BGH 21.1.2016 – I ZR 90/14 – GRUR 2016, 860 Tz. 21, 34 – Deltamethrin II; BGH 14.2.2008 – I ZR 135/05 – GRUR 2008, 933 Tz. 19 – Schmiermittel; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 45; Musielak/Voit/Foerste ZPO § 287 Rn. 7. 261 BGH 14.2.2008 – I ZR 135/05 – GRUR 2008, 933 Tz. 19 – Schmiermittel; BGH 21.1.2016 – I ZR 90/14 – GRUR 2016, 860 Tz. 21, 26 – Deltamethrin II. 262 BGH 5.12.1995 – X ZR 121/93 – NJW 1996, 775, 776. 263 Vgl. BGH 21.1.2016 – I ZR 90/14 – GRUR 2016, 860 Tz. 27, 29 – Deltamethrin II; Soergel/Ekkenga/Kuntz § 252 Rn. 40 m. w. N.; MünchKommZPO/Prütting § 287 Rn. 28. Vgl. auch BGH 10.2.1981 – VI ZR 182/79 – NJW 1981, 1454. 264 BeckOK BGB/J.W. Flume § 249 Rn. 58 m. w. N.; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 103; Raue GRUR 2018, 539, 540. 265 Zur Abgrenzung von Beseitigung und Unterlassung GK-UWG/Hofmann § 8 Rn. 106. 266 Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 103a; Teplitzky/Schaub Kap. 33 Rn. 12; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 65. Raue

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gung auch im Rahmen des Schadensersatzes.267 Der Verletzte hat nach einer verschuldeten Rechtsverletzung einen Anspruch, im Grundsatz so gestellt zu werden, als ob die Rechtsverletzung nicht eingetreten wäre. Weil der Schadensersatzanspruch Verschulden voraussetzt, können dem Verletzer bei der schadensrechtlichen Folgenbeseitigung grundsätzlich größere Anstrengungen zugemutet werden als dem Gegner des Unterlassungs- und Beseitigungsanspruchs aus § 8.268 Die Naturalrestitution hat in zwei Fällen Bedeutung. Zum einen können Handlungsverbote 74 („Naturalherstellung in Form zeitweiligen Unterlassens“269), etwa in Form eines Beschäftigungs-, Belieferungs-, Bezugs- oder Herstellungsverbots, zumindest aus wirtschaftlicher Perspektive den status quo ante wiederherstellen.270 Dem Verletzer soll für einen begrenzten Zeitraum verboten werden, wettbewerbliche Vorteile aus seinem unlauteren Verhalten zu ziehen.271 Das gilt aber nur, soweit eine Änderung der tatsächlichen (Markt-)Verhältnisse weiter möglich ist.272 Andernfalls scheidet die Naturalrestitution aus (§ 251 Abs. 1 BGB). Zum anderen kann der Verletzer über die Naturalrestitution zu beseitigenden oder wiederher- 75 stellenden Handlungen verpflichtet werden, etwa beschädigte oder zerstörte Materialien wiederherzustellen.273 Daran wird der Geschädigte im Regelfall kein Interesse haben.274 Vorteil dieser Verpflichtung ist aber, dass der Verletzte nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB (analog) die Handlung selbst vornehmen und die Kosten ersetzt verlangen kann (unten Rn. 77).275 Ein Interesse an der Naturalherstellung durch den Verletzer kann der Geschädigte aber in Ausnahmefällen haben, beispielsweise wenn Äußerungen des Verletzers Fehlvorstellungen bei seinen Kunden ausgelöst haben und diese berichtigt werden sollen. Denn oft kann der Verletzer seine Kunden gezielter ansprechen, z. B. in Kundenmagazinen oder auf der eigenen Webseite, und so die Folgen der Rechtsverletzung effektiver beseitigen als dies durch andere Bekanntmachungen möglich wäre. Der Geschädigte kann als Naturalrestitution im Grundsatz Berichtigung oder Widerruf im gleichen Medium und im gleichen Umfang verlangen, die die rechtsverletzende Äußerung hatte.276 In einem firmenrechtlichen Fall sollte ein Online-Reisebüro auf seiner Webseite 30 Tage lang darauf hinweisen, dass es die Firmenrechte eines Reiseveranstalters verletzt hatte und nicht berechtigt war, dessen Reisen anzubieten.277 Diese Anordnung war neben einer Veröffentlichung des Urteils in einer Touristik-Fachzeitschrift sinnvoll, weil so nicht nur in Fachkreisen, sondern auch bei den Kunden des Reiseportals die Zuordnungsverwirrung beseitigt werden konnte.

267 Vgl. RegE BTDrucks. 16/5048, S. 32; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.25; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 12; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 4; Raue S. 342.

268 Vgl. BGH 2.10.1987 – V ZR 140/86 – NJW 1988, 699, 700; Dreier/Schulze UrhG § 98 Rn. 23. 269 BGH 16.11.2017 – I ZR 161/16 – GRUR 2018, 535 Tz. 38 – Knochenzement I. 270 Vgl. BGH 17.3.1961 – I ZR 26/60 – GRUR 1961, 482, 483 f. – Spritzgussmaschine; BGH 6.11.1963 – Ib ZR 41/62 – GRUR 1964, 215, 216 f. – Milchfahrer; BGH 3.12.1969 – I ZR 151/67 – GRUR 1970, 182, 184 – Bierfahrer; BGH 19.2.1971 – I ZR 97/69 – GRUR 1971, 358, 359 – Textilspitzen; BGH 23.4.1975 – I ZR 3/74 – GRUR 1976, 306, 307 – Baumaschinen; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.26; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 70 f.; Teplitzky/Schaub Kap. 33 Rn. 13. 271 BGH 23.4.1975 – I ZR 3/74 – GRUR 1976, 306, 307 – Baumaschinen; BGH 16.11.2017 – I ZR 161/16 – GRUR 2018, 535 Tz. 40 – Knochenzement I. 272 BGH 23.4.1975 – I ZR 3/74 – GRUR 1976, 306, 307 – Baumaschinen; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.26; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 71; Raue GRUR 2018, 539, 540. 273 Teplitzky/Schaub Kap. 33 Rn. 11. 274 Ohly GRUR 2007, 926, 930: „grenzt aber die Vorstellung, […] den Bock zum Gärtner [zu machen], ans Absurde“ (zu Werbemaßnahmen). 275 Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 10. 276 Köhler GRUR 1996, 82, 84. 277 LG Frankfurt a/M 10.4.2013 – 2-6 O 607/12, (insoweit aufgehoben von OLG Frankfurt 9.1.2014 – 6 U 106/13 – GRUR 2014, 296 ff. – Sportreisen), weil aus § 19c MarkenG nur eine Kostenübernahme, nicht aber eigene Handlungen des Verletzers hergeleitet werden kann. Weitergehende Ansprüche aus Schadensersatz hatte das OLG wegen eines (angeblich) anderen Streitgegenstands nicht behandelt; dazu kritisch Kolb GRUR 2014, 513, 517. 239

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Der Anspruch auf Naturalrestitution steht unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit (§ 251 Abs. 2 Satz 1 BGB).278 Die Norm stellt dafür allein auf den Aufwand des Schädigers ab, der jedoch mit dem Integritätsinteresse des Geschädigten abzuwägen ist.279 Die Auswirkungen eines Handlungsverbots für sonstige Marktteilnehmer, Verbraucher oder die Allgemeinheit werden dagegen grundsätzlich nicht beachtet.280 Dies sollte bei lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzansprüchen überdacht und aufgrund des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes korrigiert werden, insbesondere weil das UWG nach § 1 nicht lediglich einen zweipoligen, sondern einen mehrpoligen Interessenausgleich anstrebt.281 Zudem sind diese Aspekte beim Schutzzweckzusammenhang zwischen Rechtsverletzung und ersatzfähigen Schadenspositionen zu berücksichtigen.282

77 b) Kosten der Wiederherstellung des Verletzten (§ 249 Abs. 2 Satz 1 BGB). § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB erlaubt dem Geschädigten, statt der Herstellung durch den Verletzer den dafür erforderlichen Geldbetrag zu verlangen. Im unmittelbaren Geltungsbereich der Norm gilt dies aber nur für die Verletzung einer Person oder für die Beschädigung einer Sache. Das Merkmal der „Verletzung einer Person“ wird erweiternd ausgelegt und auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen sowie auf juristische Personen und Personengesellschaften erstreckt.283 Dahinter steht der Gedanke, dass dem Geschädigten nicht zugemutet werden soll, dem Verletzer erneut Zugriff auf seinen Rechtskreis zu gestatten.284 Dieser Gedanke ist verallgemeinerungsfähig, weil der historische Gesetzgeber bei der Beschränkung auf Sachen und Personen moderne schadensrechtliche Phänomene wie Marktverwirrungsschäden oder Beeinträchtigung der Produktreputation nicht bedacht hatte.285 Die Norm ist daher analog auf solche Schadensbeseitigungsmaßnahmen anzuwenden, die individuelle Interessen des Geschädigten betreffen, insbesondere dessen Reputation sowie die seiner Produkte.286 Hat die wettbewerbswidrige Handlung den Ruf des Geschädigten oder seiner Produkte beeinträchtigt, darf der Geschädigte das Image mit Werbeanzeigen in Zeitungen oder im Internet sowie mit Mailing- oder Plakataktionen wiederherstellen.287 Das gilt allerdings nur im Rahmen des Erforderlichen und Verhältnismäßigen, woran die Rechtsprechung in der Vergangenheit strenge Kriterien angelegt hat (näher unten Rn. 93).288 Auch in anderen Fällen unlauterer Werbung kann ein erhöhter Werbeaufwand des Geschädig-

278 Ausführlich dazu Köhler GRUR 1996, 82 ff. 279 MünchKommBGB/Oetker § 251 Rn. 38. 280 Kritisch Alexander S. 236 ff., 239; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.26; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 71. 281 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 71; Köhler GRUR 1996, 82, 83 f.; Raue GRUR 2018, 539, 540. Offengelassen von BGH 16.11.2017 – I ZR 161/16 – GRUR 2018, 535 Tz. 41 – Knochenzement I. 282 Vgl. Alexander S. 242 f., 245. 283 BGH 6.4.1979 – I ZR 94/77 – GRUR 1979, 804, 805 – Falschmeldung; BGH 15.11.1977 – VI ZR 101/76 – BGHZ 70, 39, 42 = GRUR 1978, 187, 188 – Alkoholtest; Staudinger/ Schiemann BGB § 249 Rn. 217. 284 Mugdan, Band II, S. 1235: „kann dem Geschädigten billigerweise nicht zugemuthet werden, zum Zwecke der Herstellung eine in ihrem Erfolge oft zweifelhafte Einwirkung auf seine Person oder auf die Sache dem Ersatzpflichtigen ohne Weiteres zu gestatten“. 285 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 67. 286 Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 9; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 108; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 56; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.28; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 12; ders. GRUR 2007, 926, 931; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 67, 80 f. Kritisch Götting/Nordemann/Ebert-Weidenfeller § 9 Rn. 44. 287 BGH 6.4.1976 – VI ZR 246/74 – BGHZ 66, 182, 191 ff. = GRUR 1976, 651, 654 – Panorama (Persönlichkeitsrecht); BGH 15.11.1977 – VI ZR 101/76 – BGHZ 70, 39, 42 ff. = GRUR 1978, 187, 188 f. – Alkoholtest (zu § 824 BGB); BGH 6.4.1979 – I ZR 94/77 – GRUR 1979, 804, 805 f. – Falschmeldung; MünchKommBGB/Wagner § 824 Rn. 63. 288 BGH 6.4.1976 – VI ZR 246/74 – BGHZ 66, 182, 191 ff. – Panorama; BGH 15.11.1977 – VI ZR 101/76 – BGHZ 70, 39, 42 ff. = GRUR 1978, 187, 188 f. – Alkoholtest (zu § 824 BGB). Raue

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B. Schadensersatzanspruch (Satz 1)

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ten erforderlich sein, um die Folgen der Rechtsverletzung zu beseitigen.289 Erstattungsfähig sind die Kosten der Werbeanzeige sowie der Werbeagentur.290 Umstritten ist aber, ob dies auch für fiktive Kosten gelten soll, bei denen der Verletzte auf 78 Wiederherstellungsmaßnahmen verzichtet.291 Im unmittelbaren Anwendungsbereich von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ist der Geschädigte frei, ob er den Geldbetrag für die Reparatur der Sache verwendet oder den Schaden liquidiert.292 Dahinter steht vor allem ein Praktikabilitätsinteresse bei der Quantifizierung der Schadenshöhe.293 Beim vertraglichen Schadensersatz statt der Leistung kann dagegen der Wiederherstellungsaufwand nur solange geltend gemacht werden, wie eine Wiederherstellung angestrebt wird; andernfalls darf der Geschädigte nur das geringere Wertinteresse geltend machen.294 Dahinter steht der zutreffende Gedanke, dass das höhere Integritätsinteresse nur dann schützenswert ist, wenn der Geschädigte an der Wiederherstellung eines schadensfreien Zustands ein Interesse hat und entsprechende Maßnahmen durchführt. Verzichtet er darauf, gebietet es das Bereicherungsverbot, auf das niedrigere Wertinteresse abzustellen und nach § 251 Abs. 1 BGB nur noch die Wertminderung auszugleichen.295 Für die dafür erforderliche Schadensschätzung nach § 287 ZPO können die Kosten einer entsprechenden korrigierenden Werbekampagne dann wiederum als erste Näherung herangezogen und mit Abschlägen versehen werden.296 Das gilt allerdings nicht für die Kosten der Werbung des Verletzers.297

3. Geldentschädigung (§ 251 BGB) Wenn eine Herstellung in Natur ganz oder teilweise nicht möglich ist oder zur Entschädigung 79 nicht genügt (§ 251 Abs. 1 BGB) bzw. nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich ist (§ 251 Abs. 2 Satz 1 BGB) und dem Verletzten ein Vermögensschaden entstanden ist, ist diese Beeinträchtigung durch eine Kompensation in Geld auszugleichen. Dies kommt im Lauterkeitsrecht vor allem bei Marktverwirrungsschäden und Reputationsschäden in Betracht.

4. Entgangener Gewinn (§ 252 BGB) Nach § 252 Satz 2 BGB kann das Gericht für die Beurteilung des Schadensersatzes den gewöhnli- 80 chen Verlauf der Dinge zugrunde legen.

a) Ersatzfähige Positionen. Der Geschädigte hat Anspruch auf den Ersatz aller Vermögens- 81 vorteile, die er aufgrund des Lauterkeitsverstoß nicht erzielt hat.298 Dazu gehört nach § 252 BGB insbesondere der entgangene Gewinn, den er beim gewöhnlichen Lauf der Dinge gemacht hätte. Das gilt auch für Einbußen, die nach Beendigung der lauterkeitswidrigen geschäftlichen Hand289 BGH 27.22.1964 – Ib ZR 23/63 – GRUR 1965, 313, 315 – Umsatzauskunft. 290 BGH 15.11.1977 – VI ZR 101/76 – BGHZ 70, 39, 44 = GRUR 1978, 187, 189 – Alkoholtest (zu § 824 BGB). 291 Dagegen BGH 4.3.1982 – I ZR 19/80 – GRUR 1982, 489, 491 – Korrekturflüssigkeit; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.34; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 12; Götting/Nordemann/Ebert-Weidenfeller § 9 Rn. 44; Fezer/Büscher/Obergfell/ Koos § 9 Rn. 26. Dafür Leisse/Traub GRUR 1980, 1, 7 ff.; Leisse GRUR 1988, 88; Schilde Marktverwirrung S. 151 f. 292 Vgl. nur BGH 11.3.2010 – IX ZR 104/08 – NJW 2010, 1357 Tz. 27 m. w. N.; MünchKommBGB/Oetker § 249 Rn. 377. 293 Vgl. BeckOK BGB/J.W. Flume § 249 Rn. 175. 294 BGH 22.2.2018 – VII ZR 46/17 – BGHZ 218, 1 = NJW 2018, 1463 Tz. 31 ff. (vgl. aber auch Tz. 73). 295 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.33. Vgl. auch BGH 4.3.1982 – I ZR 19/80 – GRUR 1982, 489, 491 – Korrekturflüssigkeit. 296 Raue S. 358. 297 Jedenfalls soweit auch andere Produkte beworben wurden, BGH 12.2.1987 – I ZR 70/85 – GRUR 1987, 364, 365 – Vier-Streifen-Schuh; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 84. 298 Vgl. allgemein MünchKommBGB/Oetker § 252 Rn. 4; NK-BGB/Spallino § 252 Rn. 2. 241

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Schadensersatz

lung entstehen.299 Einschränkend hat der Geschädigte nur Anspruch auf solche Gewinne, die er in rechtmäßiger Weise erzielt hätte.300 Zu den ersatzfähigen Positionen gehören auch Preissenkungen, zu denen der Geschädigte aufgrund des lauterkeitswidrigen Verhaltens des Verletzers gezwungen war.301 Kann der Geschädigte auch nach Beendigung der lauterkeitsrechtswidrigen Handlung das Preisniveau nicht wieder auf das vorherige Niveau heben, hat er Anspruch auf Ersatz des dadurch entgangenen Umsatzes über den Verletzungszeitraum hinaus. 82 Bei der Berechnung des entgangenen Gewinns sind alle Umsätze zu berücksichtigen, die Kunden ohne die Rechtsverletzung beim Geschädigten gemacht hätten. Das gilt auch für Umsätze mit Produkten, die nicht von dem Lauterkeitsverstoß betroffen waren, wenn der Verletzer die Rechtsverletzung als „Sprungbrett“ für Umsatzsteigerungen mit Produkten und Dienstleistungen genutzt hat, die als solche nicht gegen das Lauterkeitsrecht verstoßen haben.302 Beispielsweise kann der Verletzer ein Produkt in irreführender Weise bewerben und damit Kunden des Verletzers anlocken, die sonst nicht bei ihm gekauft hätten. In einem solchen Fall macht er oft nicht nur Umsätze mit dem irreführend beworbenen Produkt, sondern auch mit Produkten und Dienstleistungen, die diese Kunden ansonsten beim Geschädigten erworben hätten. Dasselbe gilt für alle anderen Lauterkeitsrechtsverstöße, die zu einem Umlenken der Kundenströme führen. Der Geschädigte muss dem Gericht konkrete Anhaltspunkte für die Schadensschätzung geben und darlegen, ob und in welchem Umfang er diese weiteren Umsätze typischerweise macht.303 Dafür genügen Erfahrungswerte der Vergangenheit.304 Diese entgangenen Umsätze sind dem Geschädigten ebenfalls zu ersetzen. 83 Der Geschädigte hat Anspruch auf Ersatz aller Erlöse, die er ohne die Rechtsverletzung erzielt hätte. Allerdings muss er davon im Wege der Vorteilsausgleichung alle (variablen) Kosten abziehen, die er hätte aufwenden müssen, um diesen Umsatz zu erzielen, insbesondere den Wareneinsatz. Im Umkehrschluss verbleiben ihm die Kostendeckungsbeiträge zu seinen Fixkosten, die er andernfalls durch diesen Umsatz generiert hätte.305 Irrelevant ist dagegen der Gewinn des Verletzers, weil beim Schadensersatz allein die Nachteile des Geschädigten ersetzt und nicht die Vorteile des Verletzers abgeschöpft werden.306

b) Schadensschätzung 84 aa) Darlegung- und Beweisgrundsätze. Nach der Rechtsprechung besteht ein allgemeiner Erfahrungssatz, wonach dem unmittelbar Betroffenen aufgrund der Verletzung eigene Geschäfte mit Gewinnmöglichkeiten entgehen.307 Es obliegt dann dem Verletzer, einen Ausnahmefall 299 Vgl. BGH 4.3.1982 – I ZR 19/80 – GRUR 1982, 489, 490 f. – Korrekturflüssigkeit. 300 BGH 21.2.1964 – Ib ZR 108/62 – GRUR 1964, 392, 396 – Weizenkeimöl; BGH 24.2.2005 – I ZR 101/02 – BGHZ 162, 246, 253 = GRUR 2005, 519, 520 – Vitamin-Zell-Komplex; dazu ausführlich Alexander S. 247 ff. 301 Vgl. Kraßer GRUR Int 1980, 259, 262; Preu GRUR 1979, 753, 756. 302 Vgl. für das Immaterialgüterrecht die englische Rechtsprechung Gerber v Lectra [1995] RPC 383, 400 (Pat), [1997] RPC 443, 456 (CA); Xena v Cantideck [2013] EWPCC 1 Tz. 44, 107; Perini v LPC [2012] EWHC (Ch) 911 Tz. 108 ff., 166 f. und die französische Rechtsprechung CA Paris, 9.2.1995, PIBD 1995, III-241, 242 – Thevenin/Batiborne; CA Paris, 26.10.2007, RG 2006/05972, PIBD 2008, III-2, 3 – Schaeffer/CITEC. 303 Vgl. CA Paris, 6.7.2001, Annales de la propriété industrielle, artistique et littéraire 2001, 352, 357 – Brogser/ Stremler. 304 Vgl. CA Colmar, 20.9.2011, RG 2010/02039, PIBD 2012, III-6, 8 – MBI/Gyra. 305 BGH 22.2.1989 – VIII ZR 45/88 – BGHZ 107, 67, 69 f.; BGH 6.2.2007 – X ZR 117/04 – NJW 2007, 1806 Tz. 15; BGH 1.3.2001 – III ZR 361/99 – NJW-RR 2001, 985, 986; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.35; MünchKommUWG/ Fritzsche § 9 Rn. 86. 306 BGH 22.4.1993 – I ZR 52/91 – GRUR 1993, 757, 759 – Kollektion Holiday (insoweit nicht in BGHZ); BGH 20.5.2008 – X ZR 180/05 – BGHZ 176, 311 = GRUR 2008, 896 Tz. 32 – Tintenpatrone; MünchKommBGB/Oetker § 252 Rn. 53. 307 BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 – GRUR 1993, 55, 57 – Tchibo/Rolex II (insoweit nicht in BGHZ); BGH 22.4.1993 – I ZR 52/91 – GRUR 1993, 757, 758 f. – Kollektion Holiday (insoweit nicht in BGHZ); BGH 2.2.1995 – I ZR 16/93 – GRUR Raue

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B. Schadensersatzanspruch (Satz 1)

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dazulegen.308 Fehlt es an einer unmittelbaren Betroffenheit, muss dagegen der Verletzte die Wahrscheinlichkeit eines Schadens darlegen.309 Der Geschädigte trägt zudem die Darlegungsund Beweislast für die Höhe des geltend gemachten Schadens und damit auch für die Höhe des entgangenen Gewinns (vgl. auch oben Rn. 71). Daher muss er zur Höhe der entgangenen Erlöse sowie zu den dann angefallenen Kosten vortragen; weil die Fixkostenstruktur für die Berechnung des Gewinns unerheblich ist, muss er diese jedoch nicht offenlegen.310 Allerdings senkt § 287 ZPO die Anforderungen an die Darlegungslast.311 Der Geschädigte 85 muss den entgangenen Gewinn und andere Schadenspositionen nicht genau belegen, sondern lediglich Anknüpfungstatsachen für die Schadensschätzung vortragen und ggf. beweisen.312 Die Substantiierungsanforderungen richten sich im Wesentlichen danach, welche Informationen dem Geschädigten zur Verfügung stehen oder er in zumutbarer Weise beschaffen kann.313 Daran dürfen keine zu hohen Anforderungen gestellt werden.314 Daher muss er im Regelfall nicht darlegen, welche konkreten Geschäfte ihm entgangen sind.315

bb) Anknüpfungstatsachen. Es kommen verschiedene Anknüpfungstatsachen für die Scha- 86 densschätzung in Betracht.316 Zunächst können die Umsatzzahlen des Geschädigten vor und nach der Verletzung einen 87 Anhaltspunkt dafür bieten, dass dessen Umsatz verletzungsbedingt zurückgegangen bzw. eine zu erwartende Umsatzsteigerung ausgeblieben ist.317 Das hat der BGH etwa in Fällen ausreichen lassen, in denen Gewerberäume nicht in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand überlassen wurden oder ein Räumungsverkauf durch eine unrechtmäßige einstweilige Verfügung unterbrochen wurde.318 Daneben können in geeigneten Fällen auch Umsätze des Verletzers als Anknüpfungspunkt 88 für die Schadensschätzung herangezogen werden (zum entsprechenden Auskunftsanspruch unten Rn. 262).319 Zwar hätte im Regelfall der Geschädigte die Umsätze des Verletzers ohne den Wettbe-

1995, 349, 351 – Objektive Schadensberechnung; BGH 14.2.2008 – I ZR 135/05 – GRUR 2008, 933 Tz. 19 – Schmiermittel; BGH 21.1.2016 – I ZR 90/14 – GRUR 2016, 860 Tz. 21 – Deltamethrin II m. w. N.; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 27. Vgl. auch OLG Hamburg 18.2.2020 – 15 U 143/19 – GRUR-RS 2020, 6298. 308 BGH 22.4.1993 – I ZR 52/91 – GRUR 1993, 757, 758 f. – Kollektion Holiday (insoweit nicht in BGHZ). 309 BGH 29.6.2000 – I ZR 29/98 – GRUR 2000, 907, 911 – Filialleiterfehler. 310 BGH 22.2.1989 – VIII ZR 45/88 – BGHZ 107, 67, 70. 311 BGH 13.6.1996 – IX ZR 233/95 – BGHZ 133, 110, 113 f. = NJW 1996, 2501 (mangels „Wahrscheinlichkeit“) m. w. N.; BGH 5.12.1995 – X ZR 121/93 – NJW 1996, 775, 776; BGH 23.11.2006 – IX ZR 21/03 – NJW-RR 2007, 569, 571; Musielak/ Voit/Foerste ZPO § 287 Rn. 7; MünchKommZPO/Prütting § 287 Rn. 28. 312 Vgl. BGH 21.1.2016 – I ZR 90/14 – GRUR 2016, 860 Tz. 21, 34 – Deltamethrin II. 313 Vgl. BGH 21.1.2016 – I ZR 90/14 – GRUR 2016, 860 Tz. 27, 29 – Deltamethrin II; Soergel/Ekkenga/Kuntz § 252 Rn. 40 m. w. N.; MünchKommZPO/Prütting § 287 Rn. 28. Vgl. auch BGH 10.2.1981 – VI ZR 182/79 – NJW 1981, 1454. 314 BGH 27.9.2001 – IX ZR 281/00 – NJW 2002, 825, 826; BGH 14.2.2008 – I ZR 135/05 – GRUR 2008, 933 Tz. 19 m. w. N. – Schmiermittel; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 27. 315 Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 27. 316 Dazu ausführlich Raue S. 376 ff. 317 BGH 4.3.1982 – I ZR 19/80 – GRUR 1982, 489, 490 – Korrekturflüssigkeit; BGH 14.2.2008 – I ZR 135/05 – GRUR 2008, 933 Tz. 20 f. – Schmiermittel; BGH 27.10.2010 – XII ZR 128/09 – GuT 2010, 343; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 27; Podszun/Deuschle WRP 2019, 1102, 1107. 318 BGH 27.10.2010 – XII ZR 128/09 – GuT 2010, 343 f. – Gewerberäume; BGH 9.4.1992 – IX ZR 104/91 – NJW-RR 1992, 997, 998 – „Räumungsverkauf“. 319 BGH 4.3.1982 – I ZR 19/80 – GRUR 1982, 489, 490 – Korrekturflüssigkeit; BGH 22.4.1993 – I ZR 52/91 – GRUR 1993, 757, 759 – Kollektion Holiday (insoweit nicht in BGHZ); BGH 14.2.2008 – I ZR 135/05 – GRUR 2008, 933 Tz. 20 – Schmiermittel; BGH 21.1.2016 – I ZR 90/14 – GRUR 2016, 860 Tz. 27 – Deltamethrin II; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 69. Dazu ausführlich Raue S. 377 ff. 243

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Schadensersatz

werbsverstoß nicht vollständig an sich gezogen.320 Die Verletzerumsätze verdeutlichen aber das ökonomische Potential der Rechtsverletzung und können daher als ein, wenn auch regelmäßig nicht als alleiniger Anhaltspunkt321 für den Gewinnentgang des Geschädigten herangezogen werden. Dasselbe gilt unter bestimmten Umständen auch für Werbeaufwendungen, weil diese als Maßstab für die erwarteten (Mindest-)Umsätze des Verletzers dienen können, die zu Lasten der Mitbewerber gehen.322 In einem ersten Schritt ist daher im Sinne einer Argumentationslastverteilung davon auszugehen, dass der Geschädigte jedenfalls einen Teil des Verletzerumsatzes an sich gezogen hätte, wenn sie im Zeitraum des Lauterkeitsrechtsverstoßes in direkter Konkurrenz standen.323 Zur Konkretisierung der Vermutung sind dann die tatsächlichen Marktgegebenheiten sowie Kundenstrukturen zu analysieren.324 Dabei sind insbesondere die Marktstrukturen, die Marktpräsenz von Verletzer und Verletzten sowie deren Marktanteile zu berücksichtigen.325 Bei einem stark fragmentierten Markt mit vielen Mitbewerbern und keinem spezifischen Bezug des Lauterkeitsverstoßes zum Geschädigten hat die Entwicklung des Verletzerumsatzes wenig Aussagekraft für die Umsatzeinbußen des Geschädigten.326 Ist der Geschädigte dagegen unmittelbar betroffen oder hat der Verletzer in eine individuelle lauterkeitsrechtlich geschützte Position des Geschädigten eingegriffen, ist der Marktanteil des Verletzten oft ein maßgebliches Indiz für den Anteil des entgangenen Gewinns am Umsatz des Verletzers.327 Einen entsprechenden Vortrag des Geschädigten muss das Gericht bei seiner Schadensschätzung berücksichtigen und ggf. die Hilfe eines Sachverständigen heranziehen.328 Erhöhend ist ein möglicher Sprungbretteffekt der Verletzung zu berücksichtigen, wonach der Verletzte seinen Marktanteil ohne die Verletzung möglicherweise gehalten oder vergrößert hätte.329 Lässt sich aus den verfügbaren Umsatzzahlen ein wahrscheinlicher Umsatzrückgang oder eine 89 ausgebliebene Umsatzsteigerung nicht entnehmen bzw. stehen dem Rechtsinhaber keine Zahlen zur Verfügung, etwa weil das Produkt neu eingeführt werden sollte, so lässt der BGH auch Absatzpläne und Gewinnprognosen des Verletzten als Anknüpfungstatsachen ausreichen.330 Hier ist im Regelfall aber ein Risikoabschlag vorzunehmen.331 Dennoch ermöglichen diese Anknüpfungstatsachen Gerichten in Fällen von Beweisnot, einen Mindestschaden zu schätzen, wenn nach Überzeugung des Gerichts feststeht, dass dem Verletzten ein Schaden entstanden ist. 320 BGH 22.4.1993 – I ZR 52/91 – GRUR 1993, 757, 759 – Kollektion Holiday (insoweit nicht in BGHZ); BGH 14.2.2008 – I ZR 135/05 – GRUR 2008, 933 Tz. 20 – Schmiermittel; BGH 21.1.2016 – I ZR 90/14 – GRUR 2016, 860 Tz. 27 – Deltamethrin II; BGH 20.5.2008 – X ZR 180/05 – BGHZ 176, 311 = GRUR 2008, 896 Tz. 32 – Tintenpatrone; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 27. 321 BGH 4.3.1982 – I ZR 19/80 – GRUR 1982, 489, 490 – Korrekturflüssigkeit. 322 OLG Hamburg 18.2.2020 – 15 U 143/19 – GRUR-RS 2020, 6298. 323 Vgl. auch BGH 14.2.2008 – I ZR 135/05 – GRUR 2008, 933 Tz. 21 – Schmiermittel: bei detailliertem Vortrag zu Umsatzentwicklung von Geschädigten und Verletzer ist die Schätzung eines Mindestschadens zu prüfen; BGH 1.8.2013 – VII ZR 268/11 – NJW 2014, 155 Tz. 20: Umsatz ist relevanter Anhaltspunkt für entgangenen Gewinn bei Zuwiderhandlung gegen vertragliches Konkurrenzverbot. 324 Beispielhaft BGH 21.1.2016 – I ZR 90/14 – GRUR 2016, 860 Tz. 27 ff. – Deltamethrin II; BGH 27.22.1964 – Ib ZR 23/63 – GRUR 1965, 313, 315 – Umsatzauskunft. 325 BGH 21.1.2016 – I ZR 90/14 – GRUR 2016, 860 Tz. 27 ff. – Deltamethrin II; Podszun/Deuschle WRP 2019, 1102, 1105 f. 326 BGH 27.22.1964 – Ib ZR 23/63 – GRUR 1965, 313, 314 – Umsatzauskunft. 327 Vgl. BGH 21.1.2016 – I ZR 90/14 – GRUR 2016, 860 Tz. 32 – Deltamethrin II. Ebenso in anderen Rechtsordnungen für Eingriffe in Immaterialgüterrechte: England Catnic Components v Hill & Smith [1983] FSR 512, 529 (Pat); Australien A-One Accessory Imports v Off Road Imports [1996] FCA 1450 Tz. 13; Frankreich CA Paris, 26.10.2007, RG 2006/ 05972, PIBD 2008, III-2, 3 – Schaeffer/CITEC; Italien Trib. Milano, 8.3.2007, GADI 2007, 731, 762 f.; USA State Indus v Mor-Flo, 883 F.2d 1573, 1577 ff. (Fed. Cir. 1989). 328 BGH 14.2.2008 – I ZR 135/05 – GRUR 2008, 933 Tz. 21 – Schmiermittel. 329 Vgl. BGH 21.1.2016 – I ZR 90/14 – GRUR 2016, 860 Tz. 32 – Deltamethrin II. 330 BGH 26.7.2005 – X ZR 134/04 – NJW 2005, 3348 f. (vertragswidrige Nichtentwicklung eines Prototyps). Vgl. auch OLG Hamburg 18.2.2020 – 15 U 143/19 – GRUR-RS 2020, 6298. 331 BGH 26.7.2005 – X ZR 134/04 – NJW 2005, 3349. Raue

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B. Schadensersatzanspruch (Satz 1)

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Stehen die Anknüpfungstatsachen fest und ist danach ein Umsatzrückgang wahrschein- 90 lich, kann Schadensersatz nicht allein deswegen verweigert werden, weil der Verletzer die ernsthafte Möglichkeit darlegt, dass dem Rechtsinhaber kein Gewinn entgangen ist.332 Die Beweiserleichterung des § 252 Satz 2 BGB ist mehr als ein Anscheinsbeweis, dessen bloße Erschütterung demnach nicht ausreicht. Die ernsthafte Möglichkeit keines oder eines geringeren Gewinns muss aber bei der Schätzung der Schadenshöhe berücksichtigt werden.333

5. Einzelne Vermögensschäden a) Marktverwirrung und Marktverwirrungsschaden aa) Marktverwirrung. Einen ersatzfähigen Vermögensschaden bildet auch der aus einer Markt- 91 verwirrung resultierende individuelle Schaden. Marktverwirrung ist die griffige Bezeichnung für Fehlvorstellungen von Marktteilnehmern, die eine wettbewerbswidrige Handlung hervorgerufen hat und objektiv geeignet ist, deren geschäftlichen Entscheidungen zu beeinflussen.334 Allerdings ist die Vorstellung von Marktteilnehmern abstrakt keine Rechtsposition, die im individuellen Interesse der übrigen Marktteilnehmer geschützt ist.335 Eine Marktverwirrung beeinträchtigt in erster Linie allgemeine Marktchancen.336 Mitbewerber können daher als Schadensersatz nicht die Korrektur jeglicher Fehlvorstellungen verlangen, sondern nur solcher, die individuell zugewiesene Rechtspositionen (z. B. Marken)337 betreffen oder geeignet sind, Vermögensschäden (z. B. entgangene Gewinne oder Kosten für Gegenmaßnahmen) zu verursachen.338 Mit den Worten der Rechtsprechung stellt die Marktverwirrung lediglich einen „Störungszustand“ dar, dem grundsätzlich mit Abwehransprüchen zu begegnen ist, die eine individuelle Betroffenheit nicht voraussetzen.339 Ein allgemeiner Anspruch auf Marktentwirrung oder – etwas klarer formuliert – auf Marktaufklärung,340 der auf Beseitigung der Fehlinformation der Marktteilnehmer gerichtet ist, ergibt sich daher in erster Linie aus dem Abwehranspruch des § 8 Abs. 1 Satz 1.341

bb) Ersatzfähiger Schaden. Der ersatzfähige Marktverwirrungsschaden erfordert dagegen, 92 dass die wettbewerbswidrige Handlung Rechte oder das Ansehen des Gläubigers beeinträchtigt und dadurch eine Vermögenseinbuße verursacht hat.342 Dafür müssen die Fehlvorstellungen im Regelfall objektiv geeignet sein, die geschäftlichen Entscheidungen von Marktteilnehmern 332 MünchKommBGB/Oetker § 252 Rn. 40; Staudinger/Schiemann § 252 Rn. 18. 333 Vgl. BGH 14.2.2008 – I ZR 135/05 – GRUR 2008, 933 Tz. 21 – Schmiermittel; BGH 9.4.1992 – IX ZR 104/91 – NJW-RR 1992, 997 f. 334 Alexander S. 278; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 76. 335 A. A. Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 113. 336 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 78. 337 BGH 12.1.1966 – Ib ZR 5/64 – BGHZ 44, 372, 382 – GRUR 1966, 375, 378 – Meßmer-Tee II. 338 Vgl. BGH 6.6.1991 – I ZR 234/89 – GRUR 1991, 921, 923 – Sahnesiphon; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 81; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 115; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 25. Strenger Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.32: nur wenn unmittelbar gegen Mitbewerber gerichtet. 339 BGH 6.6.1991 – I ZR 234/89 – GRUR 1991, 921, 923 – Sahnesiphon; BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26, 39 = GRUR 2001, 841, 845 – Entfernung der Herstellungsnummer II. 340 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 78. 341 BGH 6.6.1991 – I ZR 234/89 – GRUR 1991, 921, 923 – Sahnesiphon; BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26, 38 f. = GRUR 2001, 841, 845 – Entfernung der Herstellungsnummer II; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 25; Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 7. 342 Vgl. BGH 6.6.1991 – I ZR 234/89 – GRUR 1991, 921, 923 – Sahnesiphon; BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26, 38 = GRUR 2001, 841, 845 – „Entfernung der Herstellungsnummer II“; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 54; Harte/ Henning/Goldmann § 9 Rn. 115 (Marktverwirrung „in aller Regel“ ein Schaden). 245

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Schadensersatz

zu Ungunsten des Anspruchstellers zu beeinflussen.343 Nicht erforderlich ist dagegen, dass die Marktverwirrung auf wettbewerbswidrige Handlungen zurückgeführt werden kann, die sich unmittelbar gegen den Betroffenen richten.344 Auch bei irreführenden und herabsetzenden Angaben, etwa über wesentliche Merkmale von Waren, die mehrere Mitbewerber vertreiben, besteht ein individueller Aufklärungsbedarf. Der befürchteten übermäßigen Inanspruchnahme des Verletzers345 kann durch das Erforderlichkeitskriterium (dazu sogleich Rn. 93) begegnet werden. Wenn andere betroffene Mitbewerber bereits geeignete Aufklärungsmaßnahmen ergriffen haben, ist eine weitere im Regelfall nicht mehr erforderlich und verhältnismäßig. Das erfordert ggf. Koordinierungsaufwand unter den Betroffenen, der aber eher hinzunehmen ist als eine generelle Versagung der aufklärenden Maßnahme.

93 cc) Kosten für Aufklärungs- und Werbemaßnahmen. Als ersatzfähige Schäden kann der Verletzte insbesondere die Kosten für gezielte Aufklärungs- und Werbemaßnahmen geltend machen (oben Rn. 77).346 Ersatzfähig sind im Grundsatz alle Maßnahmen, die geeignet und erforderlich sind, um die eingetretene Marktverwirrung zu beseitigen oder jedenfalls zu mindern.347 Als weitere Grenze dürfen die Kosten der Gegenmaßnahme nicht außer Verhältnis zu den drohenden Nachteilen stehen (vgl. § 251 Abs. 2 Satz 1 BGB).348 Die Gegenmaßnahme muss daher darauf gerichtet und objektiv geeignet sein, den Eingriff rückgängig zu machen.349 Im Regelfall nicht ersatzfähig ist daher eine allgemeine Imagewerbung anlässlich der Rechtsverletzung.350 Das schadensrechtliche Bereicherungsverbot verhindert, dass der Verletzte die Rechtsverletzung als Gelegenheit nutzt, seinen allgemeinen Werbeetat zu entlasten.351 Dies wurde von der Rechtsprechung in der Vergangenheit teilweise recht streng ausgelegt.352 Allerdings darf der Schädiger nicht von einer zu rigiden Erforderlichkeitsprüfung profitieren. Unter Geltung des UWG 2004/2008/2015 ist daher ein großzügigerer Maßstab anzulegen. Insbesondere verbietet sich ein schematisches Vorgehen. Anteilig erstattungsfähig ist eine Anzeige, die der Rechtsverletzung entgegenwirkt, sich aber nicht auf die Schadensbeseitigung beschränkt.353 Die

343 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.30. 344 A. A. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.32. Ähnlich, aber tendenziell offener („typischerweise“) MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 81.

345 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.32. 346 Vgl. etwa BGH 15.11.1977 – VI ZR 101/76 – BGHZ 70, 39, 42 ff. = GRUR 1978, 187, 188 f. – Alkoholtest (zu § 824 BGB); BGH 26.4.1990 – I ZR 127/88 – GRUR 1990, 1012, 1015 – Pressehaftung; BGH 22.9.1999 – I ZR 48/97 – GRUR 2000, 226, 227 – Planungsmappe; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 115; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 26; Kunkel S. 87. 347 BGH 6.4.1976 – VI ZR 246/74 – BGHZ 66, 182, 192 f. = GRUR 1976, 651, 654 – Panorama; BGH 15.11.1977 – VI ZR 101/76 – BGHZ 70, 39, 42 ff. = GRUR 1978, 187, 188 f. – Alkoholtest (zu § 824 BGB); BGH 6.4.1979 – I ZR 94/77 – GRUR 1979, 804, 805 – Falschmeldung; BGH 3.12.1985 – VI ZR 160/84 – GRUR 1986, 330, 332 – Warentest III; BGH 26.4.1990 – I ZR 127/88 – GRUR 1990, 1012, 1015 – Pressehaftung. 348 BGH 6.4.1976 – VI ZR 246/74 – BGHZ 66, 182, 193 = GRUR 1976, 651, 654 – Panorama; BGH 3.12.1985 – VI ZR 160/84 – GRUR 1986, 330, 332 – Warentest III. 349 Vgl. BGH 6.4.1976 – VI ZR 246/74 – BGHZ 66, 182, 193 = GRUR 1976, 651, 654 – Panorama; BGH 4.3.1982 – I ZR 19/80 – GRUR 1982, 489, 490 – Korrekturflüssigkeit. 350 BGH 15.11.1977 – VI ZR 101/76 – BGHZ 70, 39, 44 = GRUR 1978, 187, 189 – Alkoholtest (zu § 824 BGB); BGH 4.3.1982 – I ZR 19/80 – GRUR 1982, 489, 490 – „Korrekturflüssigkeit“; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 26. 351 BGH 15.11.1977 – VI ZR 101/76 – BGHZ 70, 39, 45 = GRUR 1978, 187, 189 – Alkoholtest (zu § 824 BGB); Ohly GRUR 2007, 926, 931. 352 BGH 15.11.1977 – VI ZR 101/76 – BGHZ 70, 39, 43 ff. = GRUR 1978, 187, 188 f. – Alkoholtest; BGH 6.4.1979 – I ZR 94/77 – GRUR 1979, 804, 805 f. – Falschmeldung; BGH 3.12.1985 – VI ZR 160/84 – GRUR 1986, 330, 332 – Warentest III; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 82; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 26. 353 BGH 15.11.1977 – VI ZR 101/76 – BGHZ 70, 39, 46 = GRUR 1978, 187, 189 – Alkoholtest (zu § 824 BGB); MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 82. Raue

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B. Schadensersatzanspruch (Satz 1)

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anteiligen Kosten der „überschießenden“ Werbung sind vom Gericht nach § 287 ZPO zu schätzen und im Rahmen der Vorteilsausgleichung abzuziehen.354 Darüber hinaus muss es dem Verletzten möglich sein, eine effektive, zielgruppenadäqua- 94 te Gegenwerbung zu schalten. Sie muss daher nicht als schlichte und unattraktiv gestaltete Sachinformation daherkommen. Solange die Werbung den Rechtsverstoß zum Gegenstand hat, darf sie unterhaltsam, prägnant oder sonst werbewirksam sein. Dem Verletzten ist daher ein großzügiger Einschätzungsspielraum zuzugestehen.355 Darüber hinaus ist zu bedenken, dass die Richtigstellung einer Falschmeldung oder Rufschädigung eventuell eine größere Aufmerksamkeit hervorruft als die ursprüngliche wettbewerbswidrige Aussage (Streisand-Effekt). Daher muss dem Betroffenen eine Gegenmaßnahme ohne konkrete Bezugnahme auf die Rechtsverletzung möglich sein, solange ein innerer Zusammenhang zwischen der Werbung und der Rechtsverletzung erkennbar bleibt.356 Darüber hinaus hält der BGH obiter dictum eine allgemeine Imagewerbung in Fällen für zulässig, in denen eine Richtigstellung schädigender Äußerungen durch rationale Argumente unmöglich ist.357

dd) Urteilsveröffentlichung. Inhalt des Schadensersatzanspruchs kann zudem ein Anspruch 95 auf Veröffentlichung eines Urteils (nicht beschränkt auf Unterlassungsurteile) oder einer Unterwerfungserklärung sein.358 Es handelt sich um eine Form der Naturalrestitution.359 Zweck des Anspruchs ist ebenfalls, Fehlvorstellungen der Öffentlichkeit zu beseitigen oder jedenfalls abzumildern. Dieser materiell-rechtliche Veröffentlichungsanspruch steht neben der prozessualen Veröffentlichungsbefugnis aus § 12 Abs. 3 und dem entsprechenden Beseitigungsanspruch aus § 8 Abs. 1 Satz 1 und wird durch diese nicht beschränkt.360 Der Schadensersatzanspruch hat neben diesen beiden Ansprüchen aber kaum praktische Bedeutung, weil er zusätzlich Verschulden voraussetzt. Allerdings kann beim Schadensersatzanspruch das Verschulden des Verletzers bei der Erforderlichkeitsprüfung (oben Rn. 93) zugunsten einer Veröffentlichung berücksichtigt werden.

ee) Vorbeugende und fiktive Kosten. Nicht ersatzfähig sind Aufwendungen für vorbeu- 96 gende Maßnahmen der Schadensminderung, die unabhängig von der konkreten wettbewerbswidrigen Handlung entstehen und von dieser nicht veranlasst wurden.361 Auch fiktive Marktaufklärungskosten sind nicht ersatzfähig (oben Rn. 78).362

354 355 356 357

BGH 15.11.1977 – VI ZR 101/76 – BGHZ 70, 39, 46 = GRUR 1978, 187, 189 – Alkoholtest (zu § 824 BGB). Raue S. 358. Vgl. BGH 6.4.1979 – I ZR 94/77 – GRUR 1979, 804, 806 – Falschmeldung. BGH 15.11.1977 – VI ZR 101/76 – BGHZ 70, 39, 45 = GRUR 1978, 187, 189 – Alkoholtest (zu § 824 BGB); BGH 4.3.1982 – I ZR 19/80 – GRUR 1982, 489, 490 – Korrekturflüssigkeit. Darauf will jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 57 allgemeine Werbemaßnahmen beschränken. 358 BGH 15.1.1957 – I ZR 39/55 – GRUR 1957, 231, 237 – Taeschner-Pertussin I; GK/Feddersen § 12 Rn. E9 m. w. N.; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 85. Die Veröffentlichung von Gerichtsurteilen hat in anderen Rechtsordnungen viel größere Bedeutung, vgl. dazu aus immaterialgüterrechtlicher Perspektive m. w. N. Raue S. 344 ff. 359 BGH 14.12.1966 – Ib ZR 125/64 – GRUR 1967, 362, 366 – Spezialsalz; BGH 25.11.1986 – VI ZR 57/86 – GRUR 1987, 189 f. –Veröffentlichungsbefugnis beim Ehrenschutz; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 85. 360 Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 224; Raue S. 346. 361 BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26, 38 = GRUR 2001, 841, 845 – Entfernung der Herstellungsnummer II; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.32; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 83. 362 Dagegen BGH 4.3.1982 – I ZR 19/80 – GRUR 1982, 489, 491 – Korrekturflüssigkeit; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.34; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 12; Götting/Nordemann/Ebert-Weidenfeller § 9 Rn. 44; Fezer/Büscher/Obergfell/ Koos § 9 Rn. 26. Dafür Leisse/Traub GRUR 1980, 1, 7 ff.; Leisse GRUR 1988, 88; Schilde Marktverwirrung S. 151 f. 247

Raue

§9

Schadensersatz

97 ff) Sonstige Schäden. Individuelle Markverwirrungsschäden sind nach § 251 Abs. 1 BGB ersatzfähig, soweit die Gegenmaßnahmen die Fehlvorstellungen nicht vollständig aufklären können oder unabhängig davon ein Reputationsverlust bestehen bleibt (vergleichbar einem „merkantilen Minderwert“363 eines reparierten Unfallautos).364 Der Marktverwirrungsschaden in Form eines Reputationsschadens kann als Schadensposten von dem (kurzfristig) entgangenen Gewinn abgegrenzt und deshalb neben diesem verlangt werden.365 Ein solcher Marktverwirrungsschaden kann sich zusätzlich in einem Verlust von Kunden/Marktanteilen und so in einem Umsatzrückgang ausdrücken.366 Allerdings muss bei der Kumulation der Schadenspositionen beachtet werden, dass keine Doppelkompensation eintritt. Insbesondere wenn Umsatzrückgänge für einen längeren Zeitraum ausgeglichen werden, überschneiden sie sich zunehmend mit der Kompensation von Reputationsschäden. Dasselbe gilt, wenn Schadensersatz nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie gewährt wird, weil in den üblichen Lizenzgebühren die Marktverwirrung eingepreist ist, die mit typischen Benutzungshandlungen eines Lizenznehmers einhergehen.367 Unübliche oder schädigende Nutzungen, die in einer überdurchschnittlichen Marktverwirrung bzw. Reputationsschäden münden, können durch einen Aufschlag auf die übliche Lizenzgebühr ausgedrückt werden.368

98 b) Rechtsverfolgungskosten. Die Kosten der Rechtsverfolgung sind nach der Rechtsprechung als Schaden ersatzfähig, soweit sie tatsächlich entstanden sind und aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung und Durchsetzung der Rechte erforderlich und zweckmäßig waren.369 Ersatzfähig sind insbesondere Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung und Beweissicherung,370 etwa die Kosten für Testkäufe,371 Detektive,372 Sachverständige373 oder Rechtsgutachter.374 Dasselbe gilt für die Kosten eines Anwalts, der Ansprüche wie Auskunft und Schadensersatz geltend macht oder Vergleichsverhandlungen führt.375 Das gilt nach der Recht-

363 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.34; Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 10. 364 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 84; Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 10. 365 BGH 4.3.1982 – I ZR 19/80 – GRUR 1982, 489, 490 – Korrekturflüssigkeit; Köhler/Bornkamm, UWG § 9 Rn. 1.34; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 84; Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 7. 366 BGH 6.6.1991 – I ZR 234/89 – GRUR 1991, 921, 923 – Sahnesiphon; BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26, 38 = GRUR 2001, 841, 845 – Entfernung der Herstellungsnummer II. 367 BGH 29.7.2009 – I ZR 169/07 – GRUR 2010, 239 Tz. 28 – BTK; Teplitzky FS Traub S. 401, 409 m. w. N.; Raue S. 351 f. 368 BGH 29.7.2009 – I ZR 169/07 – GRUR 2010, 239 Tz. 29 m. w. N. – BTK; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 84; Raue S. 322 ff. m. w. N. 369 BGH 17.9.2015 – I ZR 47/14 – GRUR 2016, 526 Tz. 41– Irreführende Lieferantenangabe; BGH 22.3.2018 – I ZR 265/16 – GRUR 2018, 914 Tz. 16 – Riptide m. w. N. (zu § 97 UrhG); BGH 30.3.2017 – I ZR 263/15 – GRUR 2017, 1160 Tz. 64 – BretarisGenuair (zum MarkenG); Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 24; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.29. 370 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.29; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 75; Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 3. 371 BGH 2.12.2015 – I ZR 176/14 – GRUR 2016, 730 Tz. 75 – Herrnhuter Stern; BGH 30.3.2017 – I ZR 263/15 – GRUR 2017, 1160 Tz. 64 – BretarisGenuair (zum MarkenG); OLG Karlsruhe 25.11.1987 – 6 U 129/86 – WRP 1988, 381, 382 f.; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 117. 372 BGH 24.4.1990 – VI ZR 110/89 – BGHZ 111, 168, 174; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 117. 373 BGH 29.11.1988 – X ZR 112/87 – NJW-RR 1989, 953, 956; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.29; Teplitzky/ Schaub Kap. 34 Rn. 3. 374 OLG Frankfurt 6.10.1986 – 6 W 211/86 – GRUR 1987, 322, 322 – Kosten für Privatgutachten. Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 9 Rn. 1.29; Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 3. 375 Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 24; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 123; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.29; Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 3. Raue

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B. Schadensersatzanspruch (Satz 1)

§9

sprechung des BGH grundsätzlich auch für Unternehmen mit eigener Rechtsabteilung.376 Die Verfolgung fremder Wettbewerbsverstöße gehöre nicht zu den originären Aufgaben eines Unternehmens.377 Unternehmen müssen daher ihre Rechtsabteilung nicht damit beauftragen, Wettbewerbshandlungen ihrer Mitbewerber auf ihre wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit zu überprüfen. Daher fehlt es nur ausnahmsweise an der Erforderlichkeit der Anwaltsbeauftragung, wenn der Verletzte auf die Inanspruchnahme eines Anwalts nicht angewiesen war. Das kann etwa der Fall sein, wenn es für das Unternehmen weniger aufwändig ist, die Abmahnung und die Unterwerfungserklärung selbst aufzusetzen, als ihren Rechtsanwalt zu informieren und zu instruieren.378 Umstritten ist allerdings, wie die Anwaltskosten für eine vorprozessuale berechtigte Ab- 99 mahnung zu behandeln sind. Nach einer Ansicht sind die Anwaltskosten nur ersatzfähig, wenn durch die Abmahnung ein konkreter zukünftiger Schaden verhindert oder jedenfalls gemindert werden kann, etwa bei Dauerhandlungen oder konkret zu befürchtenden weiteren Rechtsverletzungen.379 Die Ersatzfähigkeit folge dann aus den Wertungen der Schadensminderungsobliegenheit des § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB.380 Der BGH hat diese Frage ausdrücklich offen gelassen, da in casu eine solche Dauerhandlung vorlag.381 Allerdings sind die vorprozessualen Abmahnkosten auch in den übrigen Fällen ein ersatzfähiger Schaden.382 Der Schadensersatz soll alle Nachteile der Zuwiderhandlung ausgleichen.383 Die Rechtsverletzung begründet im Regelfall die Gefahr einer erneuten Rechtsverletzung. Dieser Wiederholungsgefahr darf der Geschädigte durch eine Abmahnung begegnen. Er ist dazu im Sinne einer eigenen Schadensminderungsobliegenheit i. S. d. § 254 Abs. 2 Satz 1 sogar verpflichtet (unten Rn. 157).384 Der Erstattungsanspruch als Schadensersatzanspruch nach § 9 Satz 1 kann neben den Anspruch aus § 12 Abs. 1 Satz 2 treten.385 Nicht ersatzfähig ist dagegen der eigene Arbeits- und Zeitaufwand. Die Kosten der eige- 100 nen Mühewaltung, etwa um die Ursachen zu ermitteln und den Schadensfall abzuwickeln, fallen in den Pflichtenkreis des Geschädigten und gehören damit zum allgemeinen Lebensrisiko, solange sie nicht den üblichen Rahmen überschreiten.386

IV. Dreifache Schadensberechnung Schrifttum Arnold/Slopek Die Herausgabe des Verletzergewinns nach der Tripp-Trapp-Entscheidung des BGH, NJW 2009, 3694; Asendorf Die Aufteilung des Schadensersatzes auf mehrere Verletzte im gewerblichen Rechtschutz und

376 BGH 8.5.2008 – I ZR 83/06 – GRUR 2008, 928 Tz. 12, 14 – Abmahnkostenersatz; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.29. Anders noch BGH 12.12.2006 – VI ZR 175/05 – GRUR 2007, 620 Tz. 11 – Immobilienwertgutachten; BGH 6.5.2004 – I ZR 2/03 – GRUR 2004, 789 – Selbstauftrag. Weiter kritisch Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 122. 377 BGH 8.5.2008 – I ZR 83/06 – GRUR 2008, 928 Tz. 15 – Abmahnkostenersatz; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.29. 378 Vgl. BGH 8.11.1994 – VI ZR 3/94 – BGHZ 127, 348, 352 = NJW 1995, 446. Insoweit offengelassen von BGH 8.5.2008 – I ZR 83/06 – GRUR 2008, 928 Tz. 17– Abmahnkostenersatz. 379 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.29. 380 Insoweit auch BGH 23.11.2006 – I ZR 276/03 – GRUR 2007, 631 Tz. 21 – Abmahnaktion. 381 BGH 23.11.2006 – I ZR 276/03 – GRUR 2007, 631 Tz. 21 – Abmahnaktion. 382 Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 119; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 74; Teplitzky/Bacher Kap. 41 Rn. 82. 383 Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 119; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 74. 384 Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 119; Teplitzky/Bacher Kap. 41 Rn. 82. 385 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.29; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 74. 386 BGH 28.2.1969 – II ZR 174/67 – NJW 1969, 1109; BGH 6.10.1976 – VIII ZR 66/75 – NJW 1977, 35; jurisPK-UWG/ Koch § 9 Rn. 47; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1. 29; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 73; a. A. mit beachtlichen Argumenten Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 128. 249

Raue

§9

Schadensersatz

Urheberrecht (2011); Assmann Schadensersatz in mehrfacher Höhe des Schadens, BB 1985, 15; v. Bar Schadensberechnung im Immaterialgüterrecht und allgemeine Schadenstheorie, UFITA 81 (1978), 57; Bergmann Schadensersatz und das Prinzip der Erschöpfung. Herausgabe des Verletzergewinns wegen Urheberrechtsverletzung in der Absatzkette, GRUR 2010, 874; Beuthien/Wasmann Zur Herausgabe des Verletzergewinns bei Verstößen gegen das Markengesetz, GRUR 1997, 255; Bodewig/Wandtke Doppelte Lizenzgebühr als Berechnungsmethode im Lichte der Durchsetzungsrichtlinie, GRUR 2008, 220; E. Brandner Die Herausgabe von Verletzervorteilen im Patentrecht und im Recht gegen den unlauteren Wettbewerb, GRUR 1980, 359; Däubler Anspruch auf Lizenzgebühr und Herausgabe des Verletzergewinns – atypische Formen des Schadensersatzes, JuS 1969, 49; Delahaye Kernprobleme der Schadensberechnungsarten bei Schutzrechtsverletzungen, GRUR 1986, 217; Donle Schadensberechnung und Gewinnabschöpfung, MarkenR 2007, 237; Dreiss Was sind eigentlich Gemeinkosten? FS 50 Jahre VPP (2005) 303; Gärtner/Bosse Die Herausgabe des Verletzergewinns in der Vertriebskette, Mitt 2008, 492; Gedert Der angemessene Schadensersatz bei der Verletzung Geistigen Eigentums (2008); Goldmann Die Berechnung des Schadensersatzanspruchs vor und nach Umsetzung der Durchsetzungsrichtlinie, WRP 2011, 950; Grabinski Gewinnherausgabe nach Patentverletzung. Zur gerichtlichen Praxis acht Jahre nach dem „Gemeinkostenanteil“-Urteil des BGH, GRUR 2009, 260; M. Groß Aktuelle Lizenzgebühren in Patentlizenz-, Know-How- und Computerlizenzverträgen 2000/2001, WRP 2003, 1199; ders./Rohrer Lizenzgebühren, 3. Aufl., 2012; Grüger „Catwalk“ – Synonym für eine höhere Schadensliquidation, GRUR 2006, 536; Haedicke Die Gewinnhaftung des Patentverletzers, GRUR 2005, 529; Hauck Schadensersatz und „Verletzerzuschlag“ bei der Verletzung von Immaterialgüterrechten, MarkenR 2015, 277; P. Heermann Schadensersatz und Bereicherungsausgleich bei Patentrechtsverletzungen, GRUR 1999, 625; Heil/Roos Zur dreifachen Schadensberechnung bei Übernahme sonderrechtlich nicht geschützter Leistungen, GRUR 1994, 26; Janssen Präventive Gewinnabschöpfung, 2017; Kämper Der Schadensersatzanspruch bei Verletzung von Immaterialgüterrechten. Neue Entwicklungen seit der Enforcement-Richtlinie, GRUR Int. 2008, 539; Kaßner Die Herausgabe des Verletzergewinns bei mißbräuchlicher Benutzung fremder Warenzeichen, 1959; Kelker Gewinnherausgabe zwischen Schadensersatz- und Bereicherungsanspruch im Immaterialgüterrecht. Zugleich eine historische und dogmatische Untersuchung des heutigen Immaterialgüterrechts sowie der einzelnen Immaterialgüterrechtsgesetze, 2003; Kitz Rechtsdurchsetzung im geistigen Eigentum – die neuen Regeln, NJW 2008, 2374; Kleinheyer Schadensersatz im Immaterialgüterrecht: Die Bestimmung des Verletzungsgewinns, 2017; ders./Hartwig Kausalitätsabschlag und Kontrollüberlegung beim Verletzergewinn, GRUR 2013, 683; Knobbe-Keuk Möglichkeiten und Grenzen abstrakter Schadensberechnung, VersR 1976, 401; Körner Die Aufwertung der Schadensberechnung nach der Lizenzanalogie bei der Verletzung gewerblicher Schutzrechte durch die Rechtsprechung zum „Verletzervorteil“ und zu den „aufgelaufenen Zinsen“, GRUR 1983, 611; ders. Schadensausgleich bei Verletzung gewerblicher Schutzrechte und bei ergänzendem Leistungsschutz, FS Steindorff (1990) 877; Kochendörfer Verletzerzuschlag auf der Grundlage der Enforcement-Richtlinie? ZUM 2009, 389; Kraßer Schadensersatz für Verletzungen von gewerblichen Schutzrechten und Urheberrechten nach deutschem Recht, GRUR Int. 1980, 259; Kühnen Die Ansprüche des Patentinhabers wegen Schutzrechtsverletzung nach Vergabe einer ausschließlichen Lizenz, FS Schilling (2007) 311; Kunkel Die Schadensersatzberechnung im Immaterialgüterrecht. Materiellrechtliche und prozessuale Aspekte vor dem Hintergrund der Enforcement-Richtlinie (2018); M. Lehmann Juristisch-ökonomische Kriterien zur Berechnung des Verletzergewinns bzw. des entgangenen Gewinns, BB 1988, 1680; Loewenheim Möglichkeiten der dreifachen Berechnung des Schadens im Recht gegen den unlauteren Wettbewerb, ZHR 135 (1971) 97; Loschelder Rechtsfortbildung der Schadensberechnungsmethode „Herausgabe des Verletzergewinns“, NJW 2007, 1503; Maute Dreifache Schadens(ersatz)berechnung. Zur dogmatischen Einordnung der Berechnungsmethoden und ihrem Verhältnis zueinander, 2016; Meier-Beck Herausgabe des Verletzergewinns – Strafschadensersatz nach deutschem Recht? GRUR 2005, 617; ders. Schadenskompensation bei Verletzung gewerblicher Schutzrechte im Lichte der Durchsetzungsrichtlinie, FS Loschelder (2010) 221 = WRP 2012, 503; Melullis Zur Schadensberechnung im Wege der Lizenzanalogie bei zusammengesetzten Vorrichtungen, FS Traub (1994) 287; ders. Zur Ermittlung und zum Ausgleich des Schadens bei Patentverletzungen, GRUR Int. 2007, 679; Peifer Die dreifache Schadensberechnung im Lichte zivilrechtlicher Dogmatik, WRP 2008, 48; Petry/ Schilling Der Schadensersatzanspruch des Lizenznehmers im Markenrecht, WRP 2009, 1197; Pietzcker Schadensersatz durch Lizenzberechnung, GRUR 1975, 55; ders. Richtlinien für die Bemessung von Schadensersatz bei der Verletzung von Patenten, GRUR Int. 1979, 353; Pietzner Auskunft, Rechnungslegung und Schadensersatz bei wettbewerbswidrigen Eingriffen in fremde Firmenrechte, GRUR 1972, 151; Preu Richtlinien für die Bemessung von Schadensersatz bei Verletzung von Patenten, GRUR 1979, 253; Pross Verletzergewinn und Gemeinkosten, FS Tilmann (2003) 881; Raue Die dreifache Schadensberechnung. Eine Untersuchung zum deutschen und europäischen Immaterialgüter-, Lauterkeits- und Bürgerlichen Recht (2017); Richter Verletzergewinn und Lizenzanalogie aus schadensrechtlicher Sicht, FS H.-J. Ahrens (2016) 405; Rinnert/Küppers/Tilmann Schadensberechnung ohne Gemeinkosten, FS Helm (2002) 337; Rogge Schadensersatz nach Lizenzanalogie bei Verletzung bei Paten-

Raue

250

B. Schadensersatzanspruch (Satz 1)

§9

ten, Urheberrechten und anderen Schutzrechten, FS Nirk (1992) 927; Rohnke Anmerkung zu BGH GRUR 1993, 55, 57 – Tchibo/Rolex II, GRUR 1992, 60; Rojahn Praktische Probleme bei der Abwicklung der Rechtsfolgen einer Patentverletzung, GRUR 2005, 623; Runkel Der Abzug von Kosten nach der „Gemeinkostenanteil“-Entscheidung des BGH, WRP 2005, 968; R. Sack Die Lizenzanalogie im System des Immaterialgüterrechts, FS Hubmann (1985) 373; Schilde Die Kompensation von Marktverwirrungen im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, 2018; Schimmel Der „doppelte Schadensersatz“ bei Urheberrechtsverletzungen, ZUM 2008, 384; Smielick Die Herausgabe des Verletzergewinns im Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht unter Berücksichtigung der „Gemeinkostenanteil“-Entscheidung des BGH. Gleichzeitig ein Beitrag zur Haftung innerhalb einer Verletzerkette, 2012; Schrage Der Schadensersatz im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, 2011; Stieper Dreifache Schadensberechnung nach der Durchsetzungsrichtlinie 2004/48/EG im Immaterialgüter- und im Wettbewerbsrecht, WRP 2010, 624; Stjerna Wahl und Wechsel der Schadensberechnungsmethode im Immaterialgüterrecht, MarkenR 2006, 104; Teplitzky Grenzen des Verbots der Verquickung unterschiedlicher Schadensberechnungsmethoden, FS Traub (1994) 401; Tetzner Der Verletzerzuschlag bei der Lizenzanalogie, GRUR 2009, 6; Tilmann Gewinnherausgabe im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, GRUR 2003, 647; Tilmann Gewinnherausgabe im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, GRUR 2003, 647; Vollrath Zur Berücksichtigung der Entwicklungsund Schutzrechtskosten bei der Bemessung der Schadensersatz-Lizenzgebühr für Patentverletzung, GRUR 1983, 52; von der Osten Der Anspruch auf Herausgabe des Verletzergewinns im Patentrecht, GRUR 1998, 284; von Ungern-Sternberg Schadensersatz in Höhe des sog. Verletzergewinns nach Umsetzung der Durchsetzungsrichtlinie, FS Loewenheim (2009) 351; Wandtke Ende einer unendlichen Geschichte oder zur doppelten oder dreifachen Lizenzgebühr als Berechnungsmethode im urheberrechtlichen Schadensersatzprozess, FS G. Schulze (2017) 421; Würtenberger Die Lizenzanalogie in der Rechtsprechung des EuGH, FS G. Schulze (2017) 431; Zahn Die Herausgabe des Verletzergewinns (2005)

1. Überblick a) Die drei Schadensberechnungsarten. In ihrem Anwendungsbereich erlaubt die dreifa- 101 che Schadensberechnung dem Inhaber eines verletzten Rechts seinen Schadensersatz auf die folgenden drei Arten zu berechnen:387 Er kann seinen Schaden nach den allgemeinen Regeln konkret berechnen, also insbesondere seinen entgangenen Gewinn und den Ausgleich für Reputationsschäden verlangen (oben Rn. 80 ff., 97). Alternativ kann der Rechtsinhaber die Lizenzanalogie geltend machen und als Schadensersatz die Lizenzgebühr fordern, die er selbst am Markt durchgesetzt hat, die üblicherweise gezahlt wird oder die redliche Parteien vereinbaren würden (dazu unten Rn. 119 ff.). Als dritte Form der Schadensberechnung hat sich die (anteilige) Herausgabe des Verletzergewinns etabliert (dazu unten Rn. 130 ff.). b) Anwendungsbereich aa) Immaterialgüterrecht. Seit der Ariston-Entscheidung des Reichsgerichts wird die dreifa- 102 che Schadensberechnung im Immaterialgüterrecht praktiziert.388 Sie war eine Reaktion auf die unzureichende Kompensationspraxis der damaligen Zeit389 und hat sich infolgedessen

387 Dazu ausführlich Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann § 9 Rn. 141 ff.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.36 ff.; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 91 ff.; Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 18 ff. sowie monografisch Raue; Kunkel; Maute. 388 RG 8.6.1895 – I 13/95 – RGZ 35, 63 – Ariston. Nachfolgend RGZ 46, 14, 17 f.; RGZ 50, 111, 115 f.; RGZ 84, 370, 376 f.; RGZ 95, 220; RGZ 130, 108, 109 f. 389 Raue S. 46; Helms Gewinnherausgabe S. 213 m. w. N. 251

Raue

§9

Schadensersatz

als ständige Gerichtspraxis etabliert.390 Die immaterialgüterrechtliche Schadensberechnung ist mittlerweile durch Art. 13 Durchsetzungs-RL 2004/48/EG harmonisiert und detailliert in den § 97 Abs. 2 UrhG, § 139 Abs. 2 PatG, § 24 Abs. 2 GebrMG, § 14 Abs. 6 MarkenG, § 42 Abs. 2 DesignG, § 37 Abs. 2 SortG geregelt.391 Die Durchsetzungs-RL ist nicht unmittelbar auf die lauterkeitsrechtliche Schadensberechnung anwendbar (oben Rn. 12). Allerdings hat sie auch hier einen mittelbar harmonisierenden Effekt, weil es nicht sinnvoll ist, auf Schadensersatzbegehren vergleichbarer Sachverhalte unterschiedliche Rechtsgrundsätze anzuwenden.392

103 bb) Übertragbarkeit auf individualschützende lauterkeitsrechtliche Rechtspositionen. Die Rechtsprechung wendet die dreifache Schadensberechnung auf immaterialgüterrechtsähnliche lauterkeitsrechtliche Rechtspositionen an:393 auf den ergänzenden lauterkeitsrechtlichen Leistungsschutz (§ 4 Nr. 3394 sowie § 4 Nr. 4395) und auf die Verletzung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen396 sowie anvertrauter Vorlagen397 (§§ 17 bis 19 a. F.).

104 (1) Kritik. Diese Übertragung der immaterialgüterrechtlichen Schadensberechnung wird kritisiert, weil der wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz kein absolutes Recht gewähre und daher die Rechtsposition dem Inhaber nicht mit absoluter Wirkung zuweise.398 Diese Form der Schadensberechnung sei nur bei Eingriffen in absolute Rechte gerechtfertigt, nicht aber bei Verstößen gegen bloße Verhaltensnormen.399 Allerdings verbessern die Grundsätze der dreifachen Schadensberechnung den Rechtsschutz und die Durchsetzbarkeit individueller Rechtspositionen und werden daher zu Recht auch auf individuell lauterkeitsrechtliche Rechtspositionen angewandt.400 390 Zum Urheberrecht: BGH 7.12.1979 – I ZR 157/77 – GRUR 1980, 227, 232 – Monumenta Germaniae Historica; BGH 24.6.1993 – I ZR 148/91– GRUR 1993, 899, 900 – Dia-Duplikate; BGH 22.9.1999 – I ZR 48/97– GRUR 2000, 226, 227 – Planungsmappe. Zum Patentrecht: BGH 13.3.1962 – I ZR 18/61 – GRUR 1962, 401, 402 – Kreuzbodenventilsäcke III; BGH 29.5.1962 – I ZR 132/60 – GRUR 1962, 509, 511 – Dia-Rähmchen II. Zum Kennzeichenrecht: BGH 12.1.1966 – Ib ZR 5/64 – BGHZ 44, 372, 376 = GRUR 1966, 375, 376 – Meßmer-Tee II; BGH 16.2.1973 – I ZR 74/71 – BGHZ 60, 206, 208 = GRUR 1973, 375 – Miss Petite; BGH 12.2.1987 – I ZR 70/85 – GRUR 1987, 364, 365 – Vier-Streifen-Schuh. Zum Persönlichkeitsrecht: BGH 8.5.1956 – I ZR 62/54 – BGHZ 20, 345, 353 f. = GRUR 1956, 427 – Paul Dahlke; BGH 14.2.1958 – I ZR 151/56 – BGHZ 26, 349, 352 – Herrenreiter; BGH 1.12.1999 – I ZR 49/97 – BGHZ 143, 214, 232 = GRUR 2000, 709 – Marlene Dietrich; BGH 1.12.1999 – I ZR 226/97 – GRUR 2000, 715, 717 – Der blaue Engel. 391 Dazu ausführlich Raue S. 85–130; Kunkel S. 35–70. 392 BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – BGHZ 210, 144 = GRUR 2017, 79 Tz. 79 – Segmentstruktur; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 73; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.36; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 91; Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 20b; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 4, 146 (sogar analoge Anwendung); Alexander S. 188, 273 f.; Raue S. 588. Enger Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 14 („Orientierung“). 393 Aus der Literatur Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 141, 149; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.36b; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 92. Zur historischen Entwicklung im Lauterkeitsrecht Alexander S. 260 ff. 394 BGH 18.2.1977 – I ZR 112/75 – GRUR 1977, 539, 541 – Prozeßrechner; BGH 23.1.1981 – I ZR 48/79 – GRUR 1981, 517, 520 – Rollhocker; BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 – BGHZ 119, 20, 23 = GRUR 1993, 55, 57 – Tchibo/Rolex II; BGH 22.4.1993 – I ZR 52/91 – BGHZ 122, 262, 265 = GRUR 1993, 757, 759 – Kollektion Holiday; BGH 6.6.2002 – I ZR 79/ 00 – GRUR 2002, 795, 797 – Titelexklusivität; BGH 21.9.2006 – I ZR 6/04 – GRUR 2007, 431 Tz. 21 – Steckverbindergehäuse; BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – BGHZ 210, 144 = GRUR 2017, 79 Tz. 79 – Segmentstruktur. 395 BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – BGHZ 210, 144 = GRUR 2017, 79 Tz. 79 – Segmentstruktur. 396 BGH 18.2.1977 – I ZR 112/75 – GRUR 1977, 539, 541 f. – Prozeßrechner; BGH 19.3.2008 – I ZR 225/06 – WRP 2008, 938 Tz. 6 – Entwendete Datensätze; BGH 16.11.2017 – I ZR 161/16 – GRUR 2018, 535 Tz. 35 – Knochenzement I. 397 KG 9.6.1987 – 5 U 6153/85 – GRUR 1988, 702, 703 – Corporate Identity. 398 Ohly/Sosnitza § 4 Rn. 3/88, § 9 Rn. 15; Stieper WRP 2010, 624, 629. 399 Stieper WRP 2010, 624, 629. 400 Dazu und zu dem Folgenden Raue S. 589 ff. Raue

252

B. Schadensersatzanspruch (Satz 1)

§9

(2) Rechtfertigung. Voraussetzung ist allerdings eine individuelle Rechtszuweisung, die dem 105 Inhaber der Rechtsposition ermöglicht, diese ausschließlich selbst zu verwerten oder Dritten die Nutzung (typischerweise gegen Entgelt) zu gestatten.401 In diesem Fall hat sie individuellen Zuweisungsgehalt. Daher scheidet die dreifache Schadensberechnung bei allen Lauterkeitsrechtsverstößen 106 aus, mit denen unmittelbar auch überindividuelle Interessen geschützt werden.402 Bei irreführenden geschäftlichen Handlungen (§ 5) oder bei Verstößen gegen Marktverhaltensregelungen (§ 3a) kann der Schaden also nur konkret berechnet werden.403 Denn in diesen Fällen kann ein betroffener Konkurrent lediglich Unterlassung und Schadensersatz fordern, den Handlungen aber nicht mit rechtfertigender Wirkung erga omnes zustimmen. Deswegen kann auch bei einer irreführenden geschäftlichen Handlung nach § 5 Abs. 2 die Schadensberechnung nicht nach der dreifachen Schadensberechnung erfolgen.404 Zuweisungsgehalt haben dagegen die individuellen Rechtspositionen, die durch den er- 107 gänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz und durch den Geschäftsgeheimnisschutz geschützt werden. In beiden Fällen kann allein der Inhaber der jeweiligen Schutzposition Unterlassung und Schadensersatz geltend machen, nicht aber Konkurrenten oder Verbände.405 Das macht beide lauterkeitsrechtliche Rechtspositionen zu handelbaren Wirtschaftsgütern mit Vermögenswert, die Grundlage für eine Lizenzvergabe sind.406 Maßgeblich ist daher, dass die Schutzposition individuell zugewiesen ist und Vermögenswert hat. Diese lauterkeitsrechtlichen Rechtspositionen haben zwar im Unterschied zu den meis- 108 ten Immaterialgüterrechten nur einen eingeschränkten Schutzbereich. Das UWG schützt Leistungsergebnisse nicht umfassend, sondern nur gegen bestimmte Angriffe von Wettbewerbern. Eigenartige Erzeugnisse bewahrt es etwa nur vor vermeidbaren Herkunftstäuschungen, unlauterer Rufausbeutung oder -beeinträchtigung (§ 4 Nr. 3) und Geschäftsgeheimnisse nur vor der rechtswidrigen Erlangung und Nutzung (§ 4 GeschGehG/Art. 4 RL 2016/943).407 Allerdings ist es weitgehend eine Frage der Gesetzgebungstechnik, ob ein Gesetz ein umfassendes subjektives Recht schafft und es dann durch Schranken näher konturiert – oder ob es von vornherein nur einzelne ausschließliche Befugnisse gewährt.408 Soweit die Rechtsordnung einem Einzelnen eine individuell verzichtbare Verbotsposition und damit alleinige Rechtsmacht über die Rechtsposition409 zubilligt, hat sie auch Zuweisungsgehalt. Die Wettbewerbsposition ist dem Inhaber zwar nicht in dem Sinn absolut zugewiesen, dass sie Konkurrenten daran hindert, mit lauteren Mitteln dieselbe Wettbewerbsposition zu erobern und den Inhaber der Schutzposition zu verdrängen. Eine derart umfassende Schutzposition vermitteln aber auch nicht alle Immaterialgüterrechte. So gewährt das Urheberrecht etwa keinen absoluten Schutz eines Werks, weil es eigenständige Doppelschöpfungen zulässt.410

401 402 403 404 405

BGH 22.4.1993 – I ZR 52/91 – BGHZ 122, 262, 267 = GRUR 1993, 757, 759 f. – Kollektion Holiday. Ähnlich Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 149. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.36b. Offen gelassen von BGH 19.11.2015 – I ZR 149/14 – GRUR 2016, 725 Tz. 31 – Pippi-Langstrumpf-Kostüm II. BGH 22.4.1993 – I ZR 52/91 – BGHZ 122, 262, 267 = GRUR 1993, 757, 759 f. – Kollektion Holiday; BGH 2.12.2015 – I ZR 176/14 – GRUR 2016, 730 Tz. 21 – Herrnhuter Stern; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.85; Harte/Henning/ Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 205 f. Kritisch GK-UWG/Dornis § 4 Nr. 3 Rn. 276 ff. m. w. N. 406 BGH 8.10.1971 – I ZR 12/70 – BGHZ 57, 116, 120 f. = GRUR 1972, 189, 190 – Wandsteckdose II; BGH 18.2.1977 – I ZR 112/75 – GRUR 1977, 539, 541 – Prozeßrechner. 407 Vgl. BGH 28.10.2010 – I ZR 60/09 – BGHZ 187, 255 Tz. 17 m. w. N. – Hartplatzhelden.de; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 4 Rn. 3.4. 408 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.4; a. A. Alexander S. 231: klare dogmatische Unterschiede. 409 Vgl. BGH 22.4.1993 – I ZR 52/91 – BGHZ 122, 262, 267 = GRUR 1993, 757, 759 f. – Kollektion Holiday; jurisPKUWG/Koch § 9 Rn. 75. 410 Vgl. nur Schack Urheber- und Urhebervertragsrecht Rn. 189. 253

Raue

§9

109

Schadensersatz

Als weitere individualschützende Normen kommen prinzipiell noch § 4 Nr. 1 und Nr. 2 in Betracht.411 Auch bei diesen Tatbeständen ist allein der betroffene Unternehmer anspruchsberechtigt.412 Soweit der Kern der Rechtsverletzung allein in der Schlechterstellung des Konkurrenten besteht, fehlt jedoch jeder Maßstab, um etwa eine Lizenzgebühr zu berechnen.413 Die dreifache Schadensberechnung ist in diesen Fällen nicht aus Prinzip abzulehnen. Dennoch scheitert sie mangels Schätzungsmaßstab an unüberwindbaren Erkenntnisschwierigkeiten.

2. Dogmatische Begründung und systematische Einbettung in das allgemeine Schadensrecht 110 Die drei Schadensberechnungsmethoden werden verbreitet als unterschiedliche Bemessungsarten bzw. Liquidationsformen desselben Schadens und daher als unterschiedliche Formen desselben einheitlichen Schadensersatzanspruchs angesehen.414 Dennoch werden die einzelnen Berechnungsarten dogmatisch unterschiedlich begründet.

111 a) Lizenzanalogie. Die Lizenzanalogie wird verbreitet als bereicherungsrechtliches Element im Schadensrecht eingeordnet.415 Dagegen spricht allerdings der kategoriale Unterschied zwischen einer bereicherungsrechtlichen Abschöpfungsperspektive und dem schadensersatzrechtlichen Kompensationsansatz.416 Die Einordnung ist ein Überbleibsel aus der Zeit, als die Anwendung des Bereicherungsrechts insbesondere bei den technischen Immaterialgüterrechten abgelehnt wurde.417 Daneben gibt es aber auch Begründungsansätze, die einen regelmäßigen Zusammenhang zwischen einem Gewinnentgang beim Rechtsinhaber und der ersparten Lizenzgebühr beim Verletzer sehen.418 Diese dogmatische Einordnung kann die Fälle nicht erklären, in denen der Rechtsinhaber sein Recht gar nicht lizenziert und auch nicht lizenzbereit ist.419 Im Übrigen wird sie oft mit Billigkeitsargumenten begründet, wonach der Verletzer nicht besser, aber auch nicht schlechter stehen soll als ein Lizenznehmer, der aufgrund eines Lizenzvertrags die geschuldete Lizenzgebühr entrichtet hätte.420

411 Vgl. Ohly GRUR 2007, 926, 928; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 97 (vgl. aber auch Rn. 92). Ablehnend Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.36b; Alexander S. 274. 412 Vgl. nur Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.6. 413 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 92. 414 Vgl. etwa BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 – GRUR 1993, 55, 57 – Tchibo/Rolex II; BGH 6.10.2005 – I ZR 322/02 – GRUR 2006, 419 Tz. 14 – Noblesse; OLG Köln 8.11.2013 – 6 U 34/13 – WRP 2014, 206 Tz. 13; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 21; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.37. 415 BGH 23.6.2005 – I ZR 263/02 – GRUR 2006, 143, 145 – Catwalk; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 86; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 14; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 31; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.42; MünchKommUWG/ Fritzsche § 9 Rn. 96. 416 Raue S. 275 f. 417 Vgl. dazu Helms Gewinnherausgabe S. 213 ff., 225; Raue S. 276 f. 418 BGH 2.2.1995 – I ZR 16/93 – GRUR 1995, 349, 352 – Objektive Schadensberechnung; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.41; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 151. 419 Deswegen versagt die Schweizer Rechtsprechung in diesen Fällen die Lizenzanalogie BG, 16.3.1971, BGE 97 II 169, 176 – Merck; BG 19.12.2005 – 4c.337/2005 –132 III 379, 384 – Milchschäumer II. Vgl. aber Maute S. 114 ff., die die Lizenzgebühr als pauschalierte Form und Mindestschadensersatz des entgangenen Gewinns einstuft. 420 BGH 24.11.1981 – X ZR 36/80 – BGHZ 82, 310 – Fersenabstützvorrichtung; BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 – GRUR 1993, 55, 58 – Tchibo/Rolex II; BGH 14.3.2000 – X ZR 115/98 – GRUR 2000, 685, 688 – Formunwirksamer Lizenzvertrag; BGH 23.6.2005 – I ZR 263/02 – GRUR 2006, 143, 145 – Catwalk; BGH 11.6.2015 – I ZR 7/14 – GRUR 2016, 184 Tz. 42 – Tauschbörse II; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 93; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.42; Alexander S. 263. Raue

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B. Schadensersatzanspruch (Satz 1)

§9

Allerdings lässt sie sich widerspruchsfrei in das allgemeine System der Schadensberech- 112 nung einordnen, wenn man sie als Ausgleich für den Eingriff in eine von der Rechtsordnung individuell zugewiesene Rechtsposition ansieht (Rechtsgutschaden).421 Schaden wird allgemein als jede Einbuße an rechtlich geschützten Interessen und Gütern definiert. Das Lauterkeitsrecht weist insbesondere in § 4 einzelnen Unternehmern individuelle Rechtspositionen zu, bei denen sie allein über die Geltendmachung entscheiden können. Es handelt sich dabei um vermögenswerte Rechtsposition, weil deren Inhaber den Verzicht auf die Geltendmachung ihres Verbotsrechts von einer Vergütung abhängig machen können. Auf dieser Grundlage können Unternehmer Lizenzen vergeben, etwa für Produkte, die durch den ergänzenden lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutz geschützt werden; auch der Geschäftsgeheimnisschutz ist in der Praxis Grundlage von Lizenzen für Know-How.422 Wenn Dritte in individuelle, durch das Lauterkeitsrecht geschützte Rechtspositionen ein- 113 greifen, ist schon in dem Eingriff ein Schaden zu sehen, weil er zulasten des Rechtsinhabers einen von der Rechtsordnung abweichenden Zustand schafft. Durch die Naturalrestitution kann ein solcher Schaden im Regelfall nicht ausgeglichen werden, so dass das Wertinteresse des Rechtsinhabers nach § 251 Abs. 1 BGB in Geld zu ersetzen ist. Als Maßstab für den Wertausgleich in Geld wird im Schadensrecht allgemein auf den Marktwert der beeinträchtigten Rechtsposition abgestellt.423 Der Marktwert für lizenzierbare Rechtspositionen ist die am Markt durchgesetzte Lizenzgebühr des Rechtsinhabers, ansonsten die am Markt übliche Lizenzgebühr. Kann eine solche nicht bestimmt werden, muss das Gericht durch die Simulation einer Vertragsverhandlung redlicher Parteien den Schaden nach § 287 ZPO schätzen.

b) Konkrete Schadensberechnung. Bei der Schadensberechnung in Form der Lizenzanalo- 114 gie wird aber lediglich der Mindestschaden ausgeglichen,424 der das ökonomische Potenzial abbildet, das der dem Rechtsinhaber vorbehaltenen Handlung innewohnt. Wenn der Rechtsinhaber diese Handlungsoption selbst wahrnimmt und die Rechtsverletzung ihn daran hindert, höhere Einnahmen zu erzielen, dann sind ihm diese als entgangener Gewinn nach §§ 249, 252 BGB zu ersetzen. Weil die eigene Verwertung im Regelfall lukrativer ist als die Lizenzierung, entsteht in diesem Fall ein höherer Schaden. Deswegen sind Gerichte aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes gehalten, diesen Schaden beherzt zu schätzen (dazu oben Rn. 13). Darüber hinaus kann das (zukünftige) ökonomische Potenzial der Rechtsposition durch Rufschädigung (oben Rn. 97) oder Verwässerung leiden. Auch diese Schadenspositionen müssen ausgeglichen und durch Schätzung nach § 287 ZPO beziffert werden.

c) Gewinnherausgabe. Die Schadensberechnung in Form der (anteiligen) Herausgabe des Ver- 115 letzergewinns hat die Rechtsprechung in Anlehnung an den Herausgabeanspruch bei der angemaßten Eigengeschäftsführung (vgl. §§ 687 Abs. 2 Satz 1, 681 Satz 2, 667 BGB) entwickelt, aller-

421 Vgl. BGH 23.2.2006 – I ZR 272/02 – BGHZ 166, 253 = GRUR 2006, 421 Tz. 45 – Markenparfümverkäufe; BGH 19.7.2007 – I ZR 93/04 – BGHZ 173, 269 = GRUR 2007, 877 Tz. 22 – Windsor Estate; BGH 14.5.2009 – I ZR 98/06 – BGHZ 181, 98 = GRUR 2009, 856 Tz. 69 – Tripp-Trapp-Stuhl; BGH 20.5.2009 – I ZR 239/06 – GRUR 2009, 864, Tz. 29 – CAD-Software; BGH 29.7.2009 – I ZR 169/07 – GRUR 2010, 239, Tz. 23 – BTK; BGH 12.5.2016 – I ZR 1/15 – GRUR 2016, 1275 Tz. 41 – Tannöd; Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 27; Dreier/Schulze/Specht UrhG § 97 Rn. 80; Würtenberger, FS G. Schulze, 431, 432 ff. Dazu ausführlich Raue S. 277 ff. Kritik bei Maute S. 148 ff. 422 Zur Lizenzpraxis in den Bereichen etwa BGH 8.10.1971 – I ZR 12/70 – BGHZ 57, 116, 120 f. = GRUR 1972, 189, 190 – Wandsteckdose II; BGH 18.2.1977 – I ZR 112/75 – GRUR 1977, 539, 541 – Prozeßrechner. 423 BGH 10.7.1984 – VI ZR 262/82 – BGHZ 92, 85, 90 f. = NJW 1984, 2282, 2283; BGH 14.1.1992 – VI ZR 186/91 – BGHZ 117, 29, 31 = NJW 1992, 1383; MünchKommBGB/Oetker § 251 Rn. 14, 252 Rn. 48. 424 Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 31. 255

Raue

§9

Schadensersatz

dings contra legem425 auf fahrlässiges Verhalten ausgedehnt.426 Die (anteilige) Herausgabe des Verletzergewinns wird teilweise als pauschalierte Form der Schadensberechnung angesehen, teilweise als billiger Ausgleich für die entstandenen Vermögensnachteile des Rechtsinhabers.427 Die Rechtsprechung fingiert, „dass der Verletzte ohne die Rechtsverletzung unter Ausnutzung der ihm ausschließlich zugewiesenen Rechtsposition in gleicher Weise Gewinn erzielt hätte wie der Verletzer“.428 Sie will dadurch der besonderen Schutzbedürftigkeit der Rechtsposition Rechnung tragen.429 Beide dogmatischen Ansätze überzeugen nicht.430 Als Maßstab für den entgangenen Ge116 winn taugt der Gewinn des Verletzers dann nicht, wenn feststeht, dass dem Rechtsinhaber überhaupt kein Gewinn entgangen ist (insbesondere, wenn er die Rechtsposition selbst nicht verwertet oder er sich an eine ganz andere Zielgruppe wendet als der Verletzer). Die Lizenzanalogie und der Ersatz für Verwässerungs- und Reputationsschäden sorgen hier für einen genaueren und damit angemesseneren Ausgleich der beeinträchtigten Rechtsposition, wenn letztere von Gerichten geschätzt und tatsächlich zugesprochen werden. Dass die Bestimmung von Rufschäden möglich ist, zeigt die französische Rechtsprechung.431 Ein weiteres Argument gegen die Schadenspauschalierung durch die anteilige Herausgabe des Verletzergewinns ist der Aufwand, der für seine Berechnung betrieben werden muss. 117 Aber auch in Fällen, in denen der Rechtsinhaber seine ausschließliche Rechtsposition selbst verwertet, geht die Rechtsprechung bei der konkreten Schadensberechnung davon aus, dass der Gewinn des Verletzers im Regelfall nicht mit dem des Verletzten übereinstimmt.432 In solchen Fällen sorgt eine beherzte Schätzung des entgangenen Gewinns für einen ausreichenden Rechtsgüterschutz.433 Ein billiger Ausgleich in Form der Herausgabe des Verletzergewinns ist bei fahrlässigen Rechtsverletzungen dagegen systemwidrig. Das gilt umso mehr, wenn die Abschöpfung des Verletzergewinns „auch der Sanktionierung des schädigenden Verhaltens [dient]“, wie es der BGH im Immaterialgüterrecht offen einräumt.434 Eine solche scharfe, 425 Raue S. 449 f. 426 BGH 13.1.1959 – I ZR 82/57 – GRUR 1959, 379, 383 – Gasparone; BGH 29.5.1962 – I ZR 132/60 – GRUR 1962, 509, 512 – Dia-Rähmchen II; BGH 24.2.1961 – I ZR 83/59 – BGHZ 34, 320, 321 = GRUR 1961, 354, 355 – Vitasulfal; BGH 24.11.1981 – X ZR 7/80 – BGHZ 82, 299, 308 – Kunststoffhohlprofil II; BGH 2.11.2000 – I ZR 246/98 – BGHZ 145, 366, 371 = GRUR 2001, 329, 331 – Gemeinkostenanteil; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 14: Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 32; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 166; Dreier/Schulze/Specht UrhG § 97 Rn. 80. 427 BGH 2.2.1995 – I ZR 16/93 – GRUR 1995, 349, 352 – Objektive Schadensberechnung; BGH 21.9.2006 – I ZR 6/ 04 – GRUR 2007, 431 Tz. 21 – Steckverbindergehäuse; OLG Köln 26.4.2013 – 6 U 171/11 – GRUR-RR 2013, 398, 399 – Bigfoot II; Götting/Nordemann/Ebert-Weidenfeller § 9 Rn. 58; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 93; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.45; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 32; Kunkel S. 103 ff. 428 BGH 21.9.2006 – I ZR 6/04 – GRUR 2007, 431 Tz. 21 – Steckverbindergehäuse; OLG Köln 26.4.2013 – 6 U 171/ 11 – GRUR-RR 2013, 398, 402 – Bigfoot II; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 77; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 32; Götting/Nordemann/Ebert-Weidenfeller § 9 Rn. 59; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.45. 429 BGH 21.9.2006 – I ZR 6/04 – GRUR 2007, 431 Tz. 21 – Steckverbindergehäuse; BGH 8.10.1971 – I ZR 12/70 – BGHZ 57, 116, 118 = GRUR 1972, 189, 190 – Wandsteckdose II; BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 – BGHZ 119, 20, 23 = GRUR 1993, 55, 57 – Tchibo-Rolex II; BGH 2.11.2000 – I ZR 246/98 – BGHZ 145, 366, 372 = GRUR 2001, 329, 331 – Gemeinkostenanteil. Aus der Literatur Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 28; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 150; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.41; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 92. 430 Ausführlich Raue S. 440 ff. Ebenfalls kritisch Maute S. 123 ff. 431 Dazu m. w. N., Raue S. 154 ff. 432 BGH 22.4.1993 – I ZR 52/91 – GRUR 1993, 757, 759 – Kollektion Holiday (insoweit nicht in BGHZ); BGH 14.2.2008 – I ZR 135/05 – GRUR 2008, 933 Tz. 20 – Schmiermittel; BGH 21.1.2016 – I ZR 90/14 – GRUR 2016, 860 Tz. 27 – Deltamethrin II; BGH 20.5.2008 – X ZR 180/05 – BGHZ 176, 311 = GRUR 2008, 896 Tz. 32 – Tintenpatrone. Ferner Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 27; Sack FS Ahrens S. 421, 426. 433 Vgl. erneut die französische und auch die englische Rechtsprechung, Raue S. 139 ff., 171 f. m. w. N. 434 BGH 2.11.2000 – I ZR 246/98 – BGHZ 145, 366, 372 = GRUR 2001, 329, 331 – Gemeinkostenanteil. Ferner BGH 30.11.1976 – X ZR 81/72 – BGHZ 68, 90, 94 = GRUR 1977, 250, 254 – Kunststoffhohlprofil („zur Sanktionierung des schädigenden Verhaltens“); BGH 14.5.2009 – I ZR 98/06 – BGHZ 181, 98 = GRUR 2009, 856 Tz. 76 – Tripp-TrappRaue

256

B. Schadensersatzanspruch (Satz 1)

§9

sanktionierende Ausgestaltung kann auch nicht (mittelbar) auf Art. 13 Abs. 1 Satz 2 lit. a Durchsetzungs-Richtlinie (2004/48/EG) gestützt werden, weil diese lediglich einen Schadensausgleich unter Berücksichtigung des Verletzergewinns fordert, nicht aber eine sanktionierende Gewinnabschöpfung.435 Insbesondere im Lauterkeitsrecht widerspricht eine solche Form des präventiven Rechts- 118 schutzes dem Willen des Gesetzgebers. Bei der Einführung des Gewinnabschöpfungsanspruchs in § 10 hat der Gesetzgeber Bestrebungen eine klare Absage erteilt, den Abschöpfungsanspruch auf fahrlässige Rechtsverletzungen auszuweiten: „Der Anspruch dient demnach weniger dem Interessenausgleich [sic] sondern vielmehr einer wirksamen Abschreckung. Um mit Blick auf das erwähnte Prozessrisiko unangemessene Belastungen für die Wirtschaft zu vermeiden, erscheint es gerechtfertigt, dass in den Fällen der fahrlässigen Zuwiderhandlung der Abschreckungsgedanke zurücktritt.“436

Den Abschöpfungsanspruch schon bei fahrlässigen Rechtsverletzungen zu gewähren, würde jeden Unternehmer dem Risiko des Gewinnentzugs aussetzen, der sich „in einem Grenzbereich wettbewerbsrechtlicher Zulässigkeit“ bewege. Diese Abschreckungswirkung stelle daher eine „unangemessene Belastung für die Wirtschaft“ dar, so dass bei „fahrlässigen Zuwiderhandlung der Abschreckungsgedanke zurücktritt“.437 Eine präventiv verstandene Gewinnherausgabe kann nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers daher nur unter den engeren Voraussetzungen des § 687 II BGB bei vorsätzlichen Rechtsverletzungen geltend gemacht werden.438

3. Lizenzanalogie Zur Berechnung des Schadens bei der Lizenzanalogie simuliert die Rechtsprechung den Ab- 119 schluss eines Lizenzvertrags.439 Sie stellt darauf ab, was ein vernünftiger, lizenzbereiter Lizenzgeber in der Position des Rechtsinhabers gefordert und ein lizenzbereiter, vernünftiger Lizenznehmer in der Person des Verletzers gewährt hätte, wenn sie Art, Ausmaß und Dauer der Nutzung durch den Verletzer vorhergesehen hätten.440 Weil es bei der Lizenzanalogie nur darum geht, die Höhe des entstandenen Schadens zu berechnen, ist unerheblich, ob Rechtsin-

Stuhl; BGH 25.3.2010 – I ZR 122/08 – GRUR 2010, 1090 Tz. 26 – Werbung eines Nachrichtensenders („Die Abschöpfung des Verletzergewinns dient zudem der Sanktionierung des schädigenden Verhaltens und auf diese Weise der Prävention gegen eine Verletzung der besonders schutzbedürftigen Immaterialgüterrechte“). Übernommen für das UWG OLG Hamburg 27.8.2008 – 5 U 38/07 – GRUR-RR 2009, 136, 139 – Gipürespitze II. Zustimmend Fezer/Büscher/ Obergfell/Koos § 9 Rn. 32; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 93. 435 Ausführlich Raue S. 94 ff.; Sack FS Ahrens S. 421, 425 ff.; a. A. Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 172; Kunkel S. 60 f. 436 BegrRegE UWG 2004 zu § 10, BTDrucks. 15/1487, S. 24. 437 BegrRegE UWG 2004 zu § 10, BTDrucks. 15/1487, S. 24. 438 Vgl. für das Immaterialgüterrecht Haedicke GRUR 2005, 529, 530; Dreier S. 541, 612; Sack FS Ahrens S. 421, 436 f. 439 BGH 12.1.1966 – Ib ZR 5/64 – BGHZ 44, 372, 379 = GRUR 1966, 375, 377 – Meßmer-Tee II; BGH 10.7.1986 – I ZR 102/84 – GRUR 1987, 37, 39 – Videolizenzvertrag; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 96. 440 Vgl. nur BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 – BGHZ 119, 20, 26 = GRUR 1993, 55, 58 – Tchibo Rolex II; BGH 29.7.2009 – I ZR 169/07 – GRUR 2010, 239 Tz. 20 – BTK; BGH 2.10.2008 – I ZR 6/06 – GRUR 2009, 407 Tz. 22 – Whistling for a train; BGH 26.3.2009 – I ZR 44/06 – GRUR 2009, 660 Tz. 32 – Resellervertrag; BGH 6.10.2015 – I ZR 266/02 – GRUR 2006, 136 Tz. 23 – Pressefotos; BGH 13.9.2018 – I ZR 187/17 – WRP 2019, 209 Tz. 18 – Sportwagenfoto; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.43. Zu den Schwächen der Analogiebildung Raue S. 287 f. 257

Raue

§9

Schadensersatz

haber441 und Verletzer442 überhaupt bereit gewesen wären, zu einem solchen (Markt-)Preis einen Lizenzvertrag zu schließen und ob es daher im konkreten Fall tatsächlich zum Abschluss eines Lizenzvertrages gekommen wäre.443 Teilweise stellt die Rechtsprechung darauf ab, ob ein Lizenzvertrag für das entsprechende Gut rechtlich möglich und – zumindest generell – verkehrsüblich ist.444 Für diese Einschränkung gibt es aber kein Bedürfnis, weil die Lizenzanalogie lediglich ein Maßstab ist, den Schaden durch den Eingriff in eine individuell zugewiesene Rechtsposition zu bemessen.445 Soweit es Kriterien gibt, die als Schätzungsgrundlage herangezogen werden können und die Schadensschätzung nicht völlig in der Luft hängt, ist der Schaden auf dieser Grundlage zu schätzen und eine „Lizenzanalogie“ zu gewähren.446 Lediglich bei Ausschließlichkeitspositionen ohne Vermögenswert scheidet die Lizenzanalogie aus.447 Die Lizenzanalogie ist lediglich eine Schätzungsgrundlage für die Höhe des Schadens. Sie 120 führt aber nicht zum Abschluss eines Lizenzvertrags und auch nicht zur Einräumung eines Nutzungsrechts.448 Konsequenterweise behält der Verletzte trotz Zahlung einer Lizenzanalogie seinen Unterlassungsanspruch.449 Es ist daher irreführend, wenn verbreitet darauf hingewiesen wird, dass die Lizenzanalogie einen Lizenzvertrag fingiere.450

121 a) Zeitpunkt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Schadensberechnung ist die letzte mündliche Tatsachenverhandlung.451 Es ist eine ex post Betrachtung vorzunehmen und es sind alle Erkenntnisse einzubeziehen, die für redliche Parteien für die Höhe der Lizenzgebühr von Relevanz sind.452

441 BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 – BGHZ 119, 20, 26 – Tchibo/Rolex II; BGH 6.3.1980 – X ZR 49/78 – BGHZ 77, 16, 24, 27 – Tolbutamid; BGH 24.1.1975 – I ZR 106/73 – GRUR 1975, 323, 324 f. – Geflügelte Melodien; OLG Hamburg 16.11.2000 – 3 U 281/98 – GRUR-RR 2001, 260, 263 f. – Loriot-Motive; BGH 11.6.2015 – I ZR 7/14 – GRUR 2016, 184 Tz. 41 – Tauschbörse II; BGH 12.5.2016 – I ZR 1/15 – GRUR 2016, 1275 Tz. 39 – Tannöd; OLG Braunschweig 8.2.2012 – 2 U 7/11 – GRUR 2012, 920, 924 – MFM-Honorarempfehlungen; Preu GRUR 1979, 753, 758. Ebenso in England: Ludlow Music v Robbie Williams [2002] EWHC (Ch) 638 Tz. 47; a. A. GK-UWG/Paal2 Rn. 65. 442 BGH 6.10.2005 – I ZR 266/02 – GRUR 2006, 136 Tz. 23 – Pressefotos; BGH 26.3.2009 – I ZR 44/06 – GRUR 2009, 660 Tz. 36 – Resellervertrag; BGH 13.9.2018 – I ZR 187/17 – GRUR 2019, 292 Tz. 18 – Sportwagenfoto. 443 BGH 12.1.1966 – Ib ZR 5/64 – BGHZ 44, 372, 379 f. = GRUR 1966, 375, 377 f. – Meßmer-Tee II; BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 BGHZ 119, 20, 26 = GRUR 1993, 55, 58 – Tchibo/Rolex II; BGH 26.1.1984 – I ZR 195/81– GRUR 1984, 820, 822 – Intermarkt II; BGH 23.6.2005 – I ZR 263/02 – GRUR 2006, 143, 145 – Catwalk; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 87; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 152; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 16; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 98; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 31a. 444 BGH 16.2.1973 – I ZR 74/71 – BGHZ 60, 206, 211 = GRUR 1973, 375, 377 – Miss Petite; BGH 23.6.2005 – I ZR 263/ 02 – GRUR 2006, 143, 145 – Catwalk; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 16; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 98. 445 Raue S. 591. Vgl. auch BGH 6.6.2002 – I ZR 79/00 – GRUR 2002, 795, 797 – Titelexklusivität, der die Grundsätze der Lizenzanalogie auf die Schadensberechnung für die Verletzung von vertraglichen Exklusivitätsvereinbarungen überträgt. 446 Vgl. BGH 6.6.2002 – I ZR 79/00 – GRUR 2002, 795, 797 – Titelexklusivität sowie Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.43 (Verkehrsüblichkeit ist weit zu verstehen, um neuartige Verletzungsformen erfassen zu können). 447 Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 31a. 448 BGH 5.7.2001 – I ZR 311/98 – BGHZ 148, 221, 231 f. = GRUR 2002, 248, 252 – SPIEGEL-CD-ROM; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 18; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 31; Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 27a. 449 BGH 5.7.2001 – I ZR 311/98 – BGHZ 148, 221, 231 f. = GRUR 2002, 248, 252 – SPIEGEL-CD-ROM. 450 So etwa MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 96; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 31. Dagegen ausführlich Raue S. 286 ff. 451 BGH 12.1.1966 – Ib ZR 5/64 – BGHZ 44, 372, 376 = GRUR 1966, 375, 378 – Meßmer Tee II; BGH 22.3.1990 – I ZR 59/88 – GRUR 1990, 1008, 1009 – Lizenzanalogie; BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 – BGHZ 119, 20, 27 = GRUR 1993, 55, 58 – Tchibo/Rolex II; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 31a; Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 32. 452 Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 154; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.43; Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 32; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 99; a. A. Kunkel S. 179 f. Ausführlich Raue S. 288 ff. Raue

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B. Schadensersatzanspruch (Satz 1)

§9

b) Maßstab. Bei der Lizenzanalogie geht es darum, den Verkehrswert der Benutzungsbeein- 122 trächtigung objektiv zu ermitteln.453 In erster Linie maßgeblich für die Schadensschätzung ist eine am Markt durchgesetzte Lizenzpraxis des Rechtsinhabers, weil sie den Marktwert des geschützten Rechts grundsätzlich am präzisesten abbildet.454 Der bloße Verweis auf eigene Preislisten reicht dafür nicht aus. An einer repräsentativen Marktpraxis fehlt es außerdem, wenn Lizenzverträge nach einer Abmahnung oder einem Hinweis auf eine Rechtsverletzung geschlossen wurden.455 Des Weiteren muss ihr eine Nutzung zu Grunde liegen, die nach Umfang, Dauer und Intensität mit der rechtsverletzenden Nutzung vergleichbar ist.456 Weicht die Rechtsverletzung davon ab, müssen die Besonderheiten durch Auf- bzw. Abschläge berücksichtigt werden. Im Regelfall hat der Rechtsinhaber keine eigene Lizenzpraxis etablieren können. Dann sind 123 bei der Schätzung der angemessenen Lizenzgebühr die branchenüblichen Vergütungssätze und Tarife als Maßstab heranzuziehen, wenn sich auf dem Markt eine entsprechende Übung herausgebildet hat.457 Fehlt es auch daran, muss das Gericht den objektiven Wert der Nutzungshandlung in freier Schätzung nach § 287 ZPO ermitteln und dabei alle wirtschaftlichen Aspekte der Nutzungshandlung berücksichtigen, die bei Lizenzverhandlungen eine Rolle spielen.458 Darunter fallen u. a. der Wert des verletzten Ausschließlichkeitsrechts, der Umfang der Nutzung und das Ausmaß der Übernahme.459 Der Verletzer kann sich grundsätzlich nicht auf ein rechtmäßiges Alternativverhalten berufen. Allerdings ist anerkannt, dass für die Berechnung der Lizenzhöhe rechtmäßige Gestaltungsalternativen zu berücksichtigen sind.460 Üblicherweise werden Stücklizenzen vereinbart, für die der Nettoverkaufspreis des Ver- 124 letzers zugrunde gelegt wird.461 Als übliche Lizenzsätze werden Zahlen von 1 % bis 5 % bzw. 8 %, „äußerstenfalls“ 10 %462 genannt.463 Allerdings können die Lizenzsätze bei besonders

453 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 100; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 154; Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 31; Mellulis FS Traub S. 287, 292; Kunkel S. 135 f.; Raue S. 287. 454 BGH 13.9.2018 – I ZR 187/17 – WRP 2019, 209 Tz. 19 – Sportwagenfoto; BGH 18.6.2020 – I ZR 93/19 – GRUR 2020, 990 Tz. 15 – Nachlizenzierung. 455 BGH 18.6.2020 – I ZR 93/19 – GRUR 2020, 990 Tz. 18 ff. – Nachlizenzierung; Raue S. 308 m. w. N. 456 Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 156b; ausführlich Raue S. 305 ff. 457 BGH 3.7.1986 – I ZR 159/84 – GRUR 1987, 36 – Liedtextwiedergabe II; BGH 6.10.2005 – I ZR 266/02 – GRUR 2006, 136 Tz. 27 – Pressefotos; BGH 2.10.2008 – I ZR 6/06 – GRUR 2009, 407 Tz. 29 – Whistling for a Train; BGH 29.4.2010 – I ZR 68/08 – GRUR 2010, 623, Tz. 36 – Restwertbörse; BGH 13.9.2018 – I ZR 187/17 – WRP 2019, 209 Tz. 19 – Sportwagenfoto; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 90; Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 31; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 156b. 458 Vgl. BGH 14.3.2000 – X ZR 115/98 – GRUR 2000, 685, 688 – Formunwirksamer Lizenzvertrag; BGH 23.6.2005 – GRUR 2006, 143, 146 – Catwalk; BGH 29.7.2009 – I ZR 169/07 – GRUR 2010, 239 Tz. 49 – BTK; BGH 11.6.2015 – I ZR 19/14 – GRUR 2016, 176 Tz. 57 – Tauschbörse I; BGH 13.9.2018 – I ZR 187/17 – WRP 2019, 209 Tz. 18 – Sportwagenfoto; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 154 ff.; Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 31. 459 Für eine umfassende Darstellung der im Verkehr verwandten Kriterien kann auf entsprechende Handbücher verwiesen werden, etwa Groß/Rohrer Lizenzgebühren Rn. 3 (mit umfangreichen Rechtsprechungsnachweisen in Fn. 5). 460 Vgl. BGH 25.5.1993 – X ZR 19/92 – GRUR 1993, 897, 898 – Mogul-Anlage; Mes PatG § 139 Rn. 138 m. w. N. 461 BGH 12.1.1966 – Ib ZR 5/64 – BGHZ 44, 372, 380 f. = GRUR 1966, 375, 378 – Meßmer-Tee II; BGH 8.10.1971 – I ZR 12/70 – BGHZ 57, 116, 117 = GRUR 1972, 189, 191 – Wandsteckdose II; BGH 6.3.1980 – X ZR 49/78 – BGHZ 77, 16, 27 = GRUR 1980, 841, 846 – Tolbutamid; BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 – BGHZ 119, 20, 26 = GRUR 1993, 55, 58 – Tchibo/Rolex II; BGH 3.7.1974 – I ZR 65/73 – GRUR 1975, 85, 86 – Clarissa; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 31a. 462 jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 91. 463 BGH 12.1.1966 – Ib ZR 5/64 – BGHZ 44, 372, 380 f. = GRUR 1966, 375, 378 – Meßmer-Tee II (1 %, Marke); BGH 6.3.1980 – X ZR 49/78 – BGHZ 77, 16, 23 = GRUR 1980, 841, 841 – Tolbutamid; BGH 8.10.1971 – I ZR 12/70 – BGHZ 57, 116, 123 = GRUR 1972, 189, 191 – Wandsteckdose II; BGH 30.5.1995 – X ZR 54/93 – GRUR 1995, 578, 579 f. – Steuereinrichtung II; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 31a; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 157; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.43; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 101 (1 %-8 %); Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 28 (2 %–5 %). 259

Raue

§9

Schadensersatz

prestigeträchtigen oder nachgefragten Objekten deutlich höher liegen.464 Überwiegend wird die Rechtsprechung des I. Zivilsenats zu Pauschallizenzen im Urheberrecht465 auf das Lauterkeitsrecht erstreckt.466 Nach dieser sind Pauschallizenzen auch dann vollständig als Schadensersatz zu entrichten, wenn die Verletzungshandlung von Art, Umfang und Dauer dahinter zurückbleibt. Beispielsweise soll eine Lizenzgebühr bereits für das Herstellen und Anbieten rechtsverletzender Produkte geschuldet sein, obwohl diese nicht vertrieben werden.467 Der darin zum Ausdruck kommende Sanktionsgedanke ist allerdings nur bei vorsätzlichen Verletzern gerechtfertigt.468 Beim ergänzenden lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutz muss zudem beachtet werden, dass nicht schon das Herstellen nachgeahmter Produkte gegen § 4 Nr. 3 verstößt, sondern erst deren Vertrieb.469

125 c) Abschläge und Zuschläge. Bei der Berechnung der angemessenen Lizenzgebühr sind durch Ab- und Zuschläge zu berücksichtigen, dass die konkrete unerlaubte Nutzung der geschützten Rechtsposition für den Verletzer sowohl Vor- als auch Nachteile haben kann.470 Lizenzerhöhend soll sich etwa auswirken, dass Parteien bei Abschluss eines Lizenzvertrags üblicherweise eine Fälligkeits- und Verzinsungsvereinbarung treffen.471 Auch die fehlende Verpflichtung zur Einhaltung bestimmter Preisvorgaben472 oder zur Durchführung von Qualitätskontrollen473 kann lizenzerhöhend berücksichtigt werden. Darüber hinaus kann der Schaden durch eine rufschädigende, verwässernde oder irreführende Nutzung durch einen Aufschlag auf die Lizenzgebühr ausgeglichen werden.474 126 Ein pauschaler Verletzerzuschlag ist dagegen mit der rein kompensatorischen Natur des Schadensersatzanspruchs unvereinbar.475 Er lässt sich auch nicht (mittelbar) aus der Durchset464 BGH 23.5.1991 – I ZR 286/89 – GRUR 1991, 914, 917 – Kastanienmuster (10 %); BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 – GRUR 1993, 55, 58 – Tchibo/Rolex II (zwischen 12,5 % und 20 %), (insoweit nicht enthalten in: BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 – BGHZ 119, 20); BGH 23.6.2005 – I ZR 263/02 – GRUR 2006, 143, 146 – Catwalk (bis zu 20 %); OLG Köln 26.4.2013 – 6 U 171/11 – GRUR-RR 2013, 398, 402 – Bigfoot II (6 % bei Nachahmung von Designertischen); MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 101. 465 BGH 16.11.1989 – I ZR 15/88 – GRUR 1990, 353, 355 – Raubkopien; BGH 24.6.1993 – I ZR 148/91– GRUR 1993, 899, 900 f. – Dia-Duplikate. 466 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.43; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 18; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 31a; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 153; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 100. 467 BGH 16.11.1989 – I ZR 15/88 – GRUR 1990, 353, 355 – Raubkopien; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 94. 468 Raue S. 295 ff. m. w. N. Generell ablehnend Jan Felix Hoffmann ZGE 9 (2017), 72, 82 ff. 469 BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 43 – Exzenterzähne; BGHZ 2.12.2004 – I ZR 30/02 – 161, 204, 211 f. – Klemmbausteine III; BGH 14.12.1995 – I ZR 240/93 – GRUR 1996, 210, 212 – Vakuumpumpen; OLG Köln 9.11.2007 – 6 U 9/07 – GRUR-RR 2008, 166, 169 – Bigfoot; Ohly/Sosnitza § 4 Rn. 3/86; GK-UWG/Dornis § 4 Nr. 3 Rn. 170; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.80. 470 BGH 6.3.1980 – X ZR 49/78 – BGHZ 77, 16, 21 = GRUR 1980, 841, 843 – Tolbutamid; BGH 24.11.1981 – X ZR 36/ 80 – BGHZ 82, 310, 321 = GRUR 1982, 286, 287 f. – Fersenabstützvorrichtung; BGH 14.3.2000 – X ZR 115/98 – GRUR 2000, 685, 688 – Formunwirksamer Lizenzvertrag; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 103; Kunkel S. 145 ff. 471 BGH 24.11.1981 – X ZR 7/80 – BGHZ 82, 299, 309 = GRUR 1982, 301, 303 f. – Kunststoffhohlprofil II; BGH 24.11.1981 – X ZR 36/80 – BGHZ 82, 310, 321 = GRUR 1982, 286, 288 – Fersenabstützvorrichtung; BGH 29.7.2009 – I ZR 169/07 – GRUR 2010, 239 Tz. 55 – BTK; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 103; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 18; Harte/ Henning/Goldmann § 9 Rn. 162a; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.44. Dagegen Raue S. 337 ff. 472 BGH 6.3.1980 – X ZR 49/78 – BGHZ 77, 16, 26 f. = GRUR 1980, 841, 844 – Tolbutamid. 473 BGH 12.1.1966 – Ib ZR 5/64 – BGHZ 44, 372, 381 – GRUR 1966, 375, 378 – Meßmer-Tee II (wird allerdings aufgehoben durch geringeren Aufwand des Rechtsinhabers für die nicht durchgeführten Kontrollen). 474 BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 – GRUR 1993, 55 – Tchibo/Rolex II; BGH 23.6.2005 – I ZR 263/02 – GRUR 2006, 143, 146 – Catwalk; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 31a; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 95. 475 BGH 18.6.2020 – I ZR 93/19 – GRUR 2020, 990 Tz. 26 – Nachlizenzierung; BGH 6.3.1980 – X ZR 49/78 – BGHZ 77, 16, 26 = GRUR 1980, 841, 843 – Tolbutamid; BGH 24.11.1981 – X ZR 36/80 – BGHZ 82, 310 316 f. = GRUR 1982, 286, 289 – Fersenabstützvorrichtung; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 103; Harte/Henning/Goldmann § 9 Raue

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B. Schadensersatzanspruch (Satz 1)

§9

zungs-RL ableiten.476 Die von ihr geforderte „abschreckende“ Wirkung (Art. 3 Abs. 2) führt bereits ein vollständiger Schadensausgleich herbei.477 Einen überkompensatorischen Schadensersatz verlangt die Richtlinie ausdrücklich nicht (Erwgr. 26 Satz 1).478 Rechtspolitisch sollte er allerdings für grob fahrlässige und vorsätzliche Rechtsverletzungen eingeführt werden.479 Lizenzmindernd können etwa die Mitnutzung eigener Rechte480 oder die Rechte Dritter 127 sein, unabhängig davon, ob dafür vertragliche Lizenzgebühren oder Schadensersatz in Form der Lizenzgebühr geschuldet werden. Denn die Lizenzdichte eines Produkts ist ein wichtiges Kriterium für die Bestimmung der Lizenzhöhe.481 Ebenfalls lizenzmindernd wirkt sich aus, wenn der Verletzer eine durch den Nachahmungsschutz geschützte Gestaltung nicht identisch übernimmt.482 Dasselbe gilt für eine Referenzlizenzgebühr, die regelmäßig für ein exklusives Nutzungsrecht gewährt wird, der Verletzte oder andere die Rechtsposition aber ebenfalls nutzen.483

4. Konkrete Schadensberechnung Unter der Schadensberechnungsmethode der konkreten Schadensberechnung wird üblicherwei- 128 se allein der Ersatz des entgangenen Gewinns gefasst, mit dem der typischerweise höhere Schaden ausgeglichen wird, der dem Rechtsinhaber entsteht, wenn er seine Rechtsposition selbst verwertet (oben Rn. 81 ff.). Allerdings hat der Verletzte Anspruch auf den Ersatz aller anderen Schadenspositionen, 129 die bei der Verletzung einer individuell zugewiesenen Rechtsposition entstehen können, insbesondere durch Verwässerung und Rufbeeinträchtigung. Für die Einzelheiten kann nach oben verwiesen werden (Rn. 97).

5. Herausgabe des Verletzergewinns Der Inhaber einer individuellen lauterkeitsrechtlichen Rechtsposition hat nach der Rechtspre- 130 chung Anspruch auf anteilige Herausgabe des Verletzergewinns. Das gilt jedoch nicht in Rn. 164a; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.44. Vgl. auch die deutliche Ablehnung eines entsprechenden Vorschlags des Bundesrats durch BReg, BTDrucks. 16/5048, S. 62 bei der Umsetzung der Durchsetzungs-RL; a. A. bei vorsätzlichem Handeln Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 31; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 17; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.44. Ebenfalls kritisch Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 30a; Kunkel, S. 138 ff. Unentschieden jurisPKUWG/Koch § 9 Rn. 97. 476 EuGH 25.1.2017 – C-367/15 – GRUR 2017, 264 Tz. 28 – Stowarzyszenie „Oławska Telewizja Kablowa“/Stowarzyszenie Filmowców Polskich; BGH 18.6.2020 – I ZR 93/19 – GRUR 2020, 990 Tz. 26 – Nachlizenzierung; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 103; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 31; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 164a f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.44; Raue S. 128 f.; 313 f.; ders. ZUM 2017, 353, 354; a. A. Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 30a. 477 Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 31; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.44; Raue S. 100 f. m. w. N.; ders. ZUM 2017, 353, 355. Kritisch Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 30a; Kunkel S. 54 ff. 478 EuGH 25.1.2017 – C-367/15 – GRUR 2017, 264 Tz. 27 f. – Stowarzyszenie „Oławska Telewizja Kablowa“/Stowarzyszenie Filmowców Polskich. 479 Ebenso etwa Dreier S. 614 f.; Wagner AcP 206 (2006), 352, 464 f.; ders. Gutachten für den 66. Deutschen Juristentag 2006 A 103 f. Bei vorsätzlichen Verstößen schon de lege lata für einen Verletzerzuschlag: Fezer/Büscher/ Obergfell/Koos § 9 Rn. 31; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 17; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.44. 480 BGH 15.6.1967 – Ia ZB 13/66 – GRUR 1967, 655, 659 – Altix. 481 RGZ 144, 187, 193 – Beregnungsanlage; BGH 24.11.1981 – X ZR 7/80 – BGHZ 82, 299, 302 f. = GRUR 1982, 301, 302 – Kunststoffhohlprofil II; BGH 30.5.1995 – X ZR 54/93 – GRUR 1995, 578, 580 f. – Steuereinrichtung II. 482 BGH 3.7.1974 – I ZR 65/73 – GRUR 1975, 85, 87 – Clarissa; BGH 23.6.2005 – I ZR 263/02 – GRUR 2006, 143, 146 – Catwalk. 483 BGH 8.10.1971 – I ZR 12/70 – BGHZ 57, 116, 123 = GRUR 1972, 189, 191 – Wandsteckdose II; BGH 3.7.1974 – I ZR 65/73– GRUR 1975, 85, 87 – Clarissa. 261

Raue

§9

Schadensersatz

Sonderkonstellationen, in denen die Verletzungshandlung zu einem (unmittelbaren) Vorteil des Geschädigten geführt hat.484 Darüber hinaus muss man mittelbar (oben Rn. 12) auch hier die Rechtsprechung des EuGH zur pauschalierten Schadensberechnung nach der Durchsetzungs-RL berücksichtigen. Der Gerichtshof leitet aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip des Art. 3 Abs. 2 eine Begrenzung des pauschalierten Schadensersatzes ab, wenn dieser „den tatsächlich erlittenen Schaden in Ausnahmefällen […] eindeutig und beträchtlich überschreitet“.485 Der herauszugebende Verletzergewinn ist in einem dreistufigen Verfahren zu bestimmen. 131 Ausgangspunkt für die Ermittlung des herauszugebenden Betrages ist der tatsächlich erzielte Umsatz des Verletzers mit dem rechtsverletzenden Produkt, nicht dagegen der möglicherweise erzielbare Gewinn des Rechtsinhabers.486 Anschließend sind von dem Umsatz die ansatzfähigen Kosten abzuziehen. Den so ermittelten Gewinn muss der Verletzer aber nur insoweit herausgeben, als er auf der Rechtsverletzung beruht (unten Rn. 139 ff.).487

132 a) Zu berücksichtigender Erlös. Es ist in jedem Fall der Umsatz heranzuziehen, den der Verletzer unmittelbar mit den rechtsverletzenden Produkten erzielt hat.488 Das gilt aber nur für Zahlungen, die dem Verletzer bereits zugeflossen sind. Rabatte oder Skonti mindern daher den anzusetzenden Umsatz.489 Darüber hinaus sind alle weiteren Einnahmen zu berücksichtigen, die dem Verletzer aufgrund der Rechtsverletzung zugeflossen sind. Grundvoraussetzung ist daher eine Kausalität zwischen der Rechtsverletzung und dem erlangten Vermögensvorteil. Einschränkend muss ein innerer Zusammenhang zwischen Einnahme und Rechtsverletzung bestehen. Die Rechtsverletzung muss bei wertender Betrachtung die Erlöserzielung zumindest mitgeprägt haben.490 Wurden die Vorteile lediglich bei Gelegenheit der Rechtsverletzung erlangt, so bleiben diese bei der Schadensberechnung unberücksichtigt.491

b) Abzugsfähigkeit von Kosten 133 aa) Variable Kosten. Der Verletzer muss aber nicht den gesamten Umsatz herausgeben. Er darf vorher bestimmte Kosten abziehen. Unstreitig sind alle variablen Kosten mindernd zu berücksichtigen, also solche Kosten, die entfallen wären, wenn der Verletzer das rechtsverletzende Produkt nicht produziert und vertrieben hätte.492 484 BGH 9.2.1995 – I ZB 5/93 – GRUR 1995, 347, 352 – Objektive Schadensberechnung; Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 36; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.46; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 32. 485 EuGH 25.1.2017 – C-367/15 – GRUR 2017, 264 Tz. 31 – Stowarzyszenie „Oławska Telewizja Kablowa“/Stowarzyszenie Filmowców Polskich; Dreier/Schulze/Specht UrhG § 97 Rn. 88; Raue ZUM 2017, 353, 354. 486 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 108. 487 BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 – BGHZ 119, 20, 29 = GRUR 1993, 55 – Tchibo/Rolex II; BGH 21.9.2006 – I ZR 6/ 04 – GRUR 2007, 431 Tz. 37 – Steckverbindergehäuse; OLG Köln 26.4.2013 – 6 U 171/11 – GRUR-RR 2013, 398, 402 – Bigfoot II; OLG Hamburg 27.8.2008 – 5 U 38/07 – GRUR-RR 2009, 136, 137 f. – Gipürespitze II; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 19; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 32; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 175; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.46; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 108. 488 BGH 29.5.1962 – I ZR 132/60 – GRUR 1962, 509, 512 – Dia-Rähmchen II. 489 BGH 2.11.2000 – I ZR 246/98 – GRUR 2001, 329, 332 – Gemeinkostenanteil (insoweit nicht in BGHZ 145, 366); OLG Köln 26.4.2013 – 6 U 171/11 – GRUR-RR 2013, 398, 401 – Bigfoot II. 490 Vgl. BGH 24.2.1961 – I ZR 83/59 – BGHZ 34, 320, 323 = GRUR 1961, 354 – Vitasulfal; BGH 29.5.1962 – I ZR 132/ 60 – GRUR 1962, 509, 512 – Dia-Rähmchen II. 491 Dazu ausführlicher Raue S. 498 f. 492 Vgl. nur BGH 2.11.2000 – I ZR 246/98 – BGHZ 145, 366, 372 = GRUR 2001, 329 – Gemeinkostenanteil; BGH 21.9.2006 – I ZR 6/04 – GRUR 2007, 431 Tz. 24 – Steckverbindergehäuse; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 20; jurisPK-UWG/ Koch § 9 Rn. 79. Raue

262

B. Schadensersatzanspruch (Satz 1)

§9

bb) Gemeinkosten. Seit dem Gemeinkosten-Urteil des BGH darf der Verletzer aber keine Ge- 134 meinkosten ansetzen, die unabhängig von der Rechtsverletzung entstanden wären.493 Die Rechtsprechung will damit verhindern, dass dem Verletzer ein Deckungsbeitrag zu seinen Fixkosten verbleibt.494 Sie legt dabei implizit das Modell einer betriebswirtschaftlichen Teilkostenrechnung495 an, wonach die Zuordnung von Gemeinkostenanteilen durch ein normatives Kriterium beschränkt wird.496 Der Verletzer darf nur solche Kosten von den Einnahmen abziehen, die der Produktion und dem Vertrieb des rechtsverletzenden Gegenstands unmittelbar zugerechnet werden können.497 Der Verletzer trägt dafür die Darlegungs- und Beweislast, wobei die Substantiierungsanforderungen aber nicht überspannt werden dürfen.498 Es dürfen also nur produktnahe Gemeinkosten und nicht allgemeine betriebsbezogene Kosten geltend gemacht werden. Aufgegeben werden sollte aber das Kriterium, wonach nur die Kosten für solche Unternehmensressourcen abzugsfähig sind, die ausschließlich für die rechtsverletzende Produktion eingesetzt werden.499 Das führt zu zufälligen Ergebnissen, die nicht am Telos des Anrechnungsverbots ausgerichtet sind, und begünstigt besonders planvoll vorgehende Verletzer.500 Daher sollten alle Unternehmensressourcen jedenfalls anteilig berücksichtigt werden können, die der Verletzer zumindest auch unmittelbar für die rechtsverletzende Produktion eingesetzt hat. Diese Vorgabe verschärft die Rechtsprechung durch die weitere normative Einschrän- 135 kung, wonach zu unterstellen ist, dass der Rechtsinhaber einen entsprechenden Betrieb unterhält, der dieselben Produktions- und Vertriebsleistungen wie der Betrieb des Verletzers hätte erbringen können.501 Allerdings werden hier unzulässigerweise eine Abschöpfungs- und Schadensersatzperspektive vermengt, denen dogmatisch unterschiedliche Konzepte zugrunde liegen.502 Entweder soll der Schaden des Rechtsinhabers ausgeglichen werden. Dann können allein seine Verhältnisse maßgeblich sein, nicht aber die des Verletzers. Oder es sollen die Vorteile des Verletzers abgeschöpft werden. Dann kann es aber allein auf dessen Verhältnisse ankommen.

493 BGH 2.11.2000 – I ZR 246/98 – BGHZ 145, 366, 374 = GRUR 2001, 329, 331 f. – Gemeinkostenanteil; BGH 21.9.2006 – I ZR 6/04 – GRUR 2007, 431 Tz. 12 – Steckverbindergehäuse; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 32; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 173; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 20; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.50. 494 BGH 2.11.2000 – I ZR 246/98 – BGHZ 145, 366 = GRUR 2001, 329, 331 f. – Gemeinkostenanteil; BGH 21.9.2006 – I ZR 6/04 – GRUR 2007, 431 Tz. 26 – Steckverbindergehäuse; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 79; Fezer/Büscher/Obergfell/ Koos § 9 Rn. 32; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.50. 495 Zu den betriebswirtschaftlichen Kostenbegriffen Meier-Beck GRUR 2005, 617, 620 ff.; Dreiss FS 50 Jahre VPP, S. 303 ff.; Dreier/Schulze/Specht UrhG § 97 Rn. 89; Raue S. 514 ff. m. w. N. aus der betriebswirtschaftlichen Literatur. 496 Dazu ausführlich Raue S. 520 ff. 497 BGH 2.11.2000 – I ZR 246/98 – BGHZ 145, 366, 374 = GRUR 2001, 329 – Gemeinkostenanteil; BGH 14.5.2009 – I ZR 98/06 – BGHZ 181, 98 = GRUR 2009, 856 Tz. 33, 36 – Tripp-Trapp-Stuhl; BGH 21.9.2006 – I ZR 6/04 – GRUR 2007, 431 Tz. 31 – Steckverbindergehäuse; BGH 14.5.2009 – I ZR 99/06 – ZUM-RD 2009, 587 Tz. 11 – Verletzergewinn in Lieferkette; OLG Köln 26.4.2013 – 6 U 171/11 – GRUR-RR 2013, 398, 399 – Bigfoot II; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 173; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 79; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 32; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.50. 498 BGH 21.9.2006 – I ZR 6/04 – GRUR 2007, 431 Tz. 24 – Steckverbindergehäuse; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 79; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 20; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 173c; Raue S. 524 ff. 499 So aber BGH 21.9.2006 – I ZR 6/04 – GRUR 2007, 431 Tz. 32, 34 – Steckverbindergehäuse; OLG Köln 8.4.2005 – 6 U 107/04 u. 6 W 33/05 – GRUR-RR 2005, 247, 249 – Loseblatt-Sammlung; OLG Köln 26.4.2013 – 6 U 171/11 – GRURRR 2013, 398, 401 – Bigfoot II. 500 Ausführlich Raue S. 522 ff. 501 BGH 21.9.2006 – I ZR 6/04 – GRUR 2007, 431 Tz. 31 – Steckverbindergehäuse; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.50. 502 Meier-Beck GRUR 2005, 617, 622; ders. WRP 2012, 503, 505; Raue S. 536 f. 263

Raue

§9

Schadensersatz

Abzugsfähig sind nach dem Ansatz der Rechtsprechung: Kosten für eingesetzte Mitarbeiter, Maschinen (anteilig bezogen auf ihre Lebensdauer), Räumlichkeiten (Lager, Produktionsund Vertriebsstätten), Schwund, produktbezogene Versicherungen usw.503 Nicht geltend machen darf der Verletzer etwa: allgemeine Fortbildungskosten oder Neben137 kosten wie eine Schwerbehindertenabgabe und Beiträge zur Berufsgenossenschaft,504 Kosten ohne direkten Bezug zum rechtsverletzenden Produkt, etwa Gehälter für Geschäftsführer bzw. Vorstände,505 allgemeine Personalkosten für die Organisation des Unternehmens,506 allgemeine Kosten für die Rechts- und Steuerberatung sowie Leerstände. Dasselbe soll für nicht mehr veräußerbare Produkte sowie Schadensersatzleistungen an Abnehmer gelten.507

136

138 cc) Kritik an der Gemeinkosten-Rechtsprechung. Die Rechtsprechung stützt diese eingeschränkte Abzugsfähigkeit auf präventive Erwägungen, wonach der Verletzer von der Rechtsverletzung in keiner Form profitieren dürfe.508 Solche Erwägungen sind aber im Rahmen des auf Kompensation ausgerichteten Schadensersatzanspruchs nicht gerechtfertigt, sondern allein unter den verschärften subjektiven Voraussetzungen nach § 687 Abs. 2 BGB.509 Zudem ist die Unterscheidung von unmittelbar und nur mittelbar zuordenbaren Gemeinkosten impraktikabel und benachteiligt zudem Unternehmen mit einer wenig ausdifferenzierten Buchhaltung.510 Bei der kompensatorisch ausgerichteten Gewinnherausgabe muss daher ein Vollkostenansatz möglich sein.511 Denn ein Unternehmen erwirtschaftet mit einem Produkt nur dann einen Gewinn, wenn es neben seinen variablen auch einen entsprechenden Anteil an seinen Gemeinkosten erlöst.512 Um zu verhindern, dass sich der Verletzer ungerechtfertigt „arm rechnet“, kann man auf die branchenüblichen Rechnungslegungsstandards für die Zuordnung von Gemeinkosten zu einzelnen Produktionskostenstellen zurückgreifen. So verfahren viele Gerichte im Ausland, etwa englische, niederländische und US-amerikanische Gerichte.513

139 c) Aufteilung. Der Rechtsinhaber hat nur einen Anspruch auf Herausgabe des Anteils am Gewinn, der bei wertender Betrachtung514 auf die Rechtsverletzung zurückzuführen ist.515 Den Gewinnanteil müssen die Tatsacheninstanzen nach Maßgabe von § 287 ZPO schätzen,

503 504 505 506 507

Vgl. auch Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 173a f. BGH 21.9.2006 – I ZR 6/04 – GRUR 2007, 431 Tz. 32 – Steckverbindergehäuse. BGH 21.9.2006 – I ZR 6/04 – GRUR 2007, 431 Tz. 31 – Steckverbindergehäuse. BGH 21.9.2006 – I ZR 6/04 – GRUR 2007, 431 Tz. 31 – Steckverbindergehäuse. BGH 21.9.2006 – I ZR 6/04 – GRUR 2007, 431 Tz. 31 – Steckverbindergehäuse; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 20; Harte/ Henning/Goldmann § 9 Rn. 173a f. 508 BGH 2.11.2000 – I ZR 246/98 – BGHZ 145, 366, 373 = GRUR 2001, 329, 331 – Gemeinkostenanteil; BGH 21.9.2006 – I ZR 6/04 – GRUR 2007, 431 Tz. 26 f. – Steckverbindergehäuse. 509 Ausführlich Raue S. 473 ff., 538 ff. 510 Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 20. 511 So auch die deutsche Rechtsprechung vor dem Gemeinkosten-Urteil BGH 29.5.1962 – I ZR 132/60 – GRUR 1962, 509, 511 – Dia-Rähmchen II; OLG Köln 17.12.1982 – .6 U 109/82 – GRUR 1983, 752, 753 – Gewinnherausgabe. Ausführlich Raue S. 538 ff., 542 f. 512 Schnadig v Gaines, 620 F.2d 1166, 1172 (6th Cir. 1980); Dart v Decor [1994] FSR 567 = [1993] HCA 54 Tz. 10 [McHugh J, dissenting]; Meier-Beck GRUR 2005, 617, 621; Raue S. 519 m. w. N.; Meyer Rechnungswesen S. 220. 513 England: Potton v Yorkclose [1990] FSR 11, 19 (Ch); Celanese v BP Chemicals [1999] RPC 203, 232 ff. (Pat). Niederlande: Gerechtshof 's Gravenhage, 11.5.2006 – Cordis/Schneider, NJF 2006, 355 (unter 12. und 13.). USA: Schnadig v Gaines, 620 F.2d 1166, 1175 (6th Cir. 1980); Nike v Wal Mart, 138 F.3d 1437, 1447 (Fed. Cir. 1998). 514 BGH 24.7.2012 − X ZR 51/11 – BGHZ 194, 194 = GRUR 2012, 1226 Tz. 20 – Flaschenträger; BGH 14.5.2009 – I ZR 98/06 – BGHZ 181, 98 = GRUR 2009, 856 Tz. 41 – Tripp-Trapp-Stuhl; BGH 21.9.2006 – I ZR 6/04 – GRUR 2007, 431 Tz. 37 – Steckverbindergehäuse; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 32; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 176a. 515 BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 – BGHZ 119, 20, 29 = GRUR 1993, 55 – Tchibo/Rolex II; BGH 21.9.2006 – I ZR 6/ Raue

264

B. Schadensersatzanspruch (Satz 1)

§9

wenn ihnen nicht ausnahmsweise jeglicher Anhaltspunkt für eine Schätzung fehlt.516 Maßgeblicher Gesichtspunkt für die Schätzung ist nach der Rechtsprechung, in welchem Ausmaß die nachgeahmte Gestaltung oder andere Umstände für die Kaufentschlüsse ursächlich gewesen sind.517 Bei der lauterkeitswidrigen Leistungsübernahme (§ 4 Nr. 3) kann der Verletzergewinn 140 selbst bei einer identischen Nachahmung im Regelfall nicht ausschließlich auf die Rechtsverletzung zurückgeführt werden.518 Bei der Quotenbildung zu berücksichtigen sind auf der einen Seite Faktoren wie die Bekanntheit des nachgeahmten Produkts und der Grad der Nachahmung, auf der anderen Seite aber auch der niedrige Preis, die technische Funktionalität und Vertriebsstrukturen519.520 Der BGH hat Quoten von 33 % und 40 % gebilligt,521 das OLG Hamburg hat für die unlautere Nachahmung von Damenunterwäsche eine Quote von 60 % und das OLG Köln für Nachahmungen eines Designertischs eine Quote von 80 % zugesprochen.522 Bei vorsätzlichen Verletzungen ist darüber hinaus eine vollständige Abschöpfung des Verletzergewinns angemessen.523 Letzteres soll nach dem BGH auch für die Verletzung von Betriebsgeheimnissen gelten.524 141 Hier sei im Regelfall der gesamte Gewinn herauszugeben, weil die dadurch erzielten Ergebnisse „mit dem Makel der Wettbewerbswidrigkeit behaftet“ seien. Das überzeugt im Rahmen des kompensatorischen Schadensersatzanspruchs nicht, insbesondere wenn lediglich Detailverbes-

04 – GRUR 2007, 431 Tz. 37 – Steckverbindergehäuse; OLG Köln 26.4.2013 – 6 U 171/11 – GRUR-RR 2013, 398, 402 – Bigfoot II; OLG Hamburg 27.8.2008 – 5 U 38/07 – GRUR-RR 2009, 136, 137 f. – Gipürespitze II; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 19; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 32; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 175; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.46; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 108. 516 BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 – BGHZ 119, 20, 30 f. = GRUR 1993, 55 – Tchibo/Rolex II; BGH 21.9.2006 – I ZR 6/ 04 – GRUR 2007, 431 Tz. 30, 38 – Steckverbindergehäuse. Aus der immaterialgüterrechtlichen Rechtsprechung BGH 24.7.2012 − X ZR 51/11 BGHZ 194, 194 = GRUR 2012, 1226 Tz. 20 – Flaschenträger; BGH 14.5.2009 – I ZR 98/06 – BGHZ 181, 98 = GRUR 2009, 856 Tz. 42 – Tripp-Trapp-Stuhl; BGH 3.9.2013 – X ZR 130/12 – GRUR 2013, 1212 Tz. 4 ff. – Kabelschloss. BGH 29.5.1962 – I ZR 132/60 – GRUR 1962, 509, 512 – Dia-Rähmchen II; BGH 16.2.1973 – I ZR 74/71 – GRUR 1973, 375, 378 – Miss Petite, (insoweit nicht enthalten in: BGHZ 60, 206); BGH 6.10.2005 – I ZR 322/02 – GRUR 2006, 419 Tz. 16 – Noblesse. 517 BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 – BGHZ 119, 20, 29 = GRUR 1993, 55 – Tchibo/Rolex II; BGH 21.9.2006 – I ZR 6/ 04 – GRUR 2007, 431 Tz. 37 – Steckverbindergehäuse; BGH 19.3.2008 – I ZR 225/06 – WRP 2008, 938, Tz. 8 – entwendete Datensätze mit Konstruktionszeichnungen. Dazu ausführlich Kleinheyer S. 64 ff. 518 BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 – BGHZ 119, 20, 29 = GRUR 1993, 55 – Tchibo/Rolex II; BGH 21.9.2006 – I ZR 6/ 04 – GRUR 2007, 431 Tz. 39 – Steckverbindergehäuse; BGH 19.3.2008 – I ZR 225/06 – WRP 2008, 938, Tz. 8 – entwendete Datensätze mit Konstruktionszeichnungen; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 81; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 32; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.47. 519 BGH 24.2.1961 – I ZR 83/59 – BGHZ 34, 320, 323 = GRUR 1961, 354, 355 – Vitasulfal; Grabinski GRUR 2009, 260, 265; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 81; a. A. BGH 2.11.2000 – I ZR 246/98 – BGHZ 145, 366, 375 = GRUR 2001, 329, 332 – Gemeinkostenanteil; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 180b. 520 BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 – BGHZ 119, 20, 29 = GRUR 1993, 55 – Tchibo/Rolex II; BGH 19.3.2008 – I ZR 225/ 06 – WRP 2008, 938, Tz. 8 – entwendete Datensätze mit Konstruktionszeichnungen OLG Köln – 26.4.2013 – 6 U 171/ 11 – GRUR-RR 2013, 398, 402 – Bigfoot II; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 32. 521 BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 – GRUR 1993, 55, 59 – Tchibo/Rolex II (insoweit nicht in BGHZ 119, 20); BGH 21.9.2006 – I ZR 6/04 – GRUR 2007, 431 Tz. 39 – Steckverbindergehäuse. 522 OLG Hamburg 27.8.2008 – 5 U 38/07 – GRUR-RR 2009, 136, 140 – Gipürespitze II; OLG Köln – 26.4.2013 – 6 U 171/11 – GRUR-RR 2013, 398, 402 f. – Bigfoot II. 523 Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 180; Raue S. 468 f., 603 f. 524 BGH 19.12.1984 – I ZR 133/82 – GRUR 1985, 294, 296 – Füllanlage; BGH 19.3.2008 – I ZR 225/06 – WRP 2008, 938, Tz. 9, 11 – entwendete Datensätze mit Konstruktionszeichnungen. Zustimmend Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.47; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 81; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 19; Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 33; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 176c. 265

Raue

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Schadensersatz

serungen eines Produkts auf der Erlangung von Betriebsgeheimnissen beruhen.525 Soweit die Betriebsgeheimnisse aber – wie im Regelfall – vorsätzlich rechtswidrig erlangt und verwertet wurden, ist auf Grundlage des § 687 Abs. 2 BGB aus präventiven Gründen eine vollständige Gewinnabschöpfung gerechtfertigt.526

6. Wahlrecht 142 Die Rechtsprechung sieht die drei unterschiedlichen Schadensberechnungsarten als Varianten zur Liquidierung eines einheitlichen Schadens an, nicht als verschiedene Ansprüche mit unterschiedlichen Rechtsgrundlagen.527 Deswegen besteht kein Wahlschuldverhältnis (i. S. d. § 262 BGB).528 Es handelt sich um einen einheitlichen Streitgegenstand bzw. Klagegrund.529 Der Verletzte hat bis zur letzten mündlichen Verhandlung ein freies Wahlrecht zwischen den unterschiedlichen Berechnungsarten.530 Dies soll ihm ermöglichen, auf Änderungen der Sach- und Beweislage zu reagieren, die sich etwa aus dem Vorbringen des Verletzers ergeben.531 Er schränkt sein Wahlrecht auch nicht dadurch ein, dass er eine Zahlungsklage mit einer bestimmten Berechnungsart erhebt.532 Zudem darf er sein Wahlrecht unabhängig davon ausüben, welchen Aufwand eine Berechnungsart für den Verletzer und das Gericht verursacht.533 Das Wahlrecht erlischt erst, wenn der Verletzer den Anspruch erfüllt oder eine gerichtliche Entscheidung für den Rechtsinhaber534 unangreifbar wird.535 Das Wahlrecht besteht dagegen nicht, soweit eine Schadensberechnungsmethode von vornherein ausscheidet.536

525 Ebenfalls kritisch Kleinheyer S. 170 ff. 526 Raue S. 506 ff. Den präventiven Aspekt betont auch Alexander S. 553. 527 BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 – GRUR 1993, 55, 57 – Tchibo/Rolex II; BGH 6.10.2005 – I ZR 322/02 – GRUR 2006, 419 Tz. 14 – Noblesse; OLG Köln 8.11.2013 – 6 U 34/13 – WRP 2014, 206 Tz. 13; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 21; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.37. 528 BGH 12.1.1966 – Ib ZR 5/64 – GRUR 1966, 375, 379 – Meßmer-Tee II (insoweit nicht in BGHZ 44, 372); BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 – BGHZ 119, 19, 23 = GRUR 1993, 55, 59 – Tchibo/Rolex II; BGH 25.9.2007 – X ZR 60/06 – BGHZ 173, 374 = GRUR 2008, 93 Tz. 7 – Zerkleinerungsvorrichtung; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.37; Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 25. 529 BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 – BGHZ 119, 20, 23 = GRUR 1993, 55, 57 – Tchibo/Rolex II; BGH 25.9.2007 – X ZR 60/06 – GRUR 2008, 93 Tz. 16 – Zerkleinerungsvorrichtung; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.37. 530 BGH 13.3.1962 – I ZR 18/61 – GRUR 1962, 401, 402 – Kreuzbodenventilsäcke III; BGH 12.1.1966 – Ib ZR 5/64 – GRUR 1966, 375, 379 – Meßmer-Tee II (insoweit nicht in BGHZ 44, 372); BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 – BGHZ 119, 19, 23 = GRUR 1993, 55, 57 – Tchibo/Rolex II; BGH 22.9.1999 – I ZR 48/97 – GRUR 2000, 226, 227 – Planungsmappe; BGH 6.10.2005 – I ZR 322/02 – GRUR 2006, 419 Tz. 14 – Noblesse; BGH 25.9.2007 – X ZR 60/06 – GRUR 2008, 93 Tz. 8 – Zerkleinerungsvorrichtung; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 21; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.39. 531 BGH 25.9.2007 – X ZR 60/06 – BGHZ 173, 374 = GRUR 2008, 93 Tz. 8 – Zerkleinerungseinrichtung; jurisPKUWG/Koch § 9 Rn. 100; Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 25 m. w. N. 532 BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 – BGHZ 119, 20, 23 = GRUR 1993, 55, 57 – Tchibo/Rolex II. 533 BGH 16.9.1982 – X ZR 54/81 – GRUR 1982, 723, 726 – Dampffrisierstab I; BGH 6.10.2005 – I ZR 322/02 – GRUR 2006, 419 Tz. 14 – Noblesse; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 30. 534 BGH 25.9.2007 – X ZR 60/06 – BGHZ 173, 374 = GRUR 2008, 93 Tz. 14 – Zerkleinerungseinrichtung; Teplitzky/ Schaub Kap. 34 Rn. 25. 535 BGH 13.7.1973 – I ZR 101/72 – GRUR 1974, 53, 54 – Nebelscheinwerfer; BGH 24.11.1981 – X ZR 7/80 – BGHZ 82, 299, 305 = GRUR 1982, 301 – Kunststoffhohlprofil II; BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 – BGHZ 119, 20, 23 = GRUR 1993, 55, 57 – Tchibo/Rolex II; BGH 22.9.1999 – I ZR 48/97 – GRUR 2000, 226, 227 – Planungsmappe; BGH 25.9.2007 – X ZR 60/06 – BGHZ 173, 374 = GRUR 2008, 93 Tz. 8 – Zerkleinerungseinrichtung; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 100. 536 BGH 12.2.1987 – I ZR 70/85 – GRUR 1987, 364, 365 – Vier-Streifen-Schuh; BGH 2.2.1995 – I ZR 16/93 – GRUR 1995, 349, 352 – objektive Schadensberechnung; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 30. Raue

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B. Schadensersatzanspruch (Satz 1)

§9

7. Verquickungsverbot Nach der Rechtsprechung gilt das Verquickungsverbot. Danach dürfen im Grundsatz die ver- 143 schiedenen Berechnungsmethoden nicht miteinander kombiniert werden.537 Das Verquickungsverbots soll eine Doppelkompensation vermeiden.538 Deswegen kommt es entscheidend darauf an, welche Art von Schaden bzw. Schadensposition durch die einzelnen Schadensberechnungsmethoden kompensiert werden.539 Weil sie verschiedene Schadenspositionen betreffen, ist anerkannt, dass der Rechtsinhaber neben der Lizenzanalogie auch noch Schadensersatz für Rechtsverfolgungskosten sowie für Marktverwirrungs- und Rufschäden geltend machen kann.540 Das gilt naturgemäß nicht, wenn diese Schäden bereits durch eine pauschale Erhöhung der Lizenzgebühr ausgeglichen werden (oben Rn. 125).541 Dagegen darf der Rechtsinhaber nicht den konkreten Schadensersatz für entgangene Ge- 144 winne mit einer Lizenzgebühr oder dem Verletzergewinn kombinieren.542 Dem ist im Grundsatz zuzustimmen. Denn die Lizenzgebühr drückt die abstrakte Gewinnchance eines Immaterialgüterrechts aus, die dessen Inhaber durch das Ausschließlichkeitsrecht unabhängig davon zugewiesen wird, ob er es selbst am Markt verwertet. Wenn der Rechtsinhaber sein Immaterialgut aber selbst verwertet und durch die Rechtsverletzung an der Erzielung eines höheren Gewinns gehindert wird, ist in diesem Ersatz der konkreten Gewinnchance die Kompensation der geringeren abstrakten Gewinnchance enthalten. Allerdings führt im Regelfall nicht jeder einzelne lauterkeitswidrige Verkauf eines Produkts zu 145 einem entsprechenden Verkaufsrückgang des Rechtsinhabers, sondern meist nur ein Teil der Gesamtverkäufe. Wenn dieser Teil (durch Schätzung) ermittelt werden konnte, steht dem Rechtsinhaber nach der Rechtsprechung für die entgangenen Verkäufe Schadensersatz in Form des entgangenen Gewinns zu. Für den restlichen Teil der rechtswidrig vertriebenen Produkte erhält der Rechtsinhaber jedoch keine Kompensation. Das ist nicht interessengerecht.543 Der Rechtsinhaber sollte für den verbleibenden Teil, der bei ihm nicht zu einem Verkaufsrückgang geführt hat, eine angemessene Lizenzgebühr verlangen können, der zusätzlich zum Ersatz des entgangenen Gewinns gewährt wird. Das entspricht etwa der immaterialgüterrechtlichen Rechtsprechungspraxis in Frankreich, England und den USA544 und der Vorgabe des vollständigen Schadensausgleichs der Durchsetzungs-RL.545 Eine solche Schadensersatzpraxis begründet keine Doppelkompensation, sondern ermöglicht im Gegenteil erst eine vollständige Kompensation des angerichteten Scha537 BGH 22.4.1993 – I ZR 52/91 – BGHZ 122, 262, 264 f. = GRUR 1993, 757, 758 – Kollektion Holiday; BGH 29.7.2009 – I ZR 87/07 – GRUR 2010, 237 Tz. 11 – Zoladex; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 30; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.39a. 538 Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 22; Raue S. 545. 539 Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 22. 540 BGH 12.1.1966 – Ib ZR 5/64 – BGHZ 44, 372, 379, 382 – Meßmer Tee II; BGH 29.7.2009 – I ZR 169/07 – GRUR 2010, 239 Tz. 29 – BTK; BGH 4.3.1982 – I ZR 19/80 – GRUR 1982, 489, 490 – Korrekturflüssigkeit; BGH 16.2.1973 – I ZR 74/71 – GRUR 1973, 375, 378 – Miss Petite (insoweit nicht in BGHZ); jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 102; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 30; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.39a; Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 22 f.; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 95. 541 Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 22; Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 24. 542 BGH 13.3.1962 – I ZR 18/61 – GRUR 1962, 401, 402 – Kreuzbodenventilsäcke III; BGH 29.5.1962 – I ZR 132/60 – GRUR 1962, 509, 511 – Dia-Rähmchen II; BGH 13.7.1962 – I ZR 37/61 – GRUR 1962, 580, 582 – Laux-Kupplung II; Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 22; a. A. hinsichtlich der Kombination von entgangenem Gewinn und Verletzergewinn Alexander S. 271; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 188. Dagegen Raue S. 547 f. 543 Raue S. 546 f. 544 Zu Frankreich vgl. etwa CA Paris, 26.10.2007, RG 2006/05972, PIBD 2008, III-2, 3 – Schaeffer/CITEC. Zu England, vgl. etwa Xena v Cantideck [2013] EWPCC 1 Tz. 33. Zu den USA, State Indus v Mor-Flo, 883 F.2d 1573, 1577 (Fed. Cir. 1989). 545 Raue S. 122; a. A. Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 186a; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.39a. Offengelassen von BGH 29.7.2009 – I ZR 87/07 – GRUR 2010, 237 Tz. 12 – Zoladex. 267

Raue

§9

Schadensersatz

dens. Andernfalls müsste der Verletzer für den Anteil der rechtsverletzenden Produkte keinen Schadensersatz zahlen, der nicht zu einem korrespondierenden Verkaufsrückgang des Rechtsinhabers geführt hätte. Weil der Verletzer durch den Verkauf eines jeden einzelnen Verletzungsgegenstands eine Rechtsverletzung begeht,546 muss der Rechtsinhaber für jede einzelne Rechtsverletzung frei entscheiden können, welchen Schadensersatz er geltend macht.547 Deswegen verstößt es nicht gegen das Verquickungsverbot, wenn er für den Teil, der bei ihm zu einem entsprechenden Verkaufsrückgang geführt hat, entgangenen Gewinn verlangt, und für den übrigen Teil eine angemessene Lizenzgebühr. Jedenfalls für unterschiedliche Zeiträume darf der Rechtsinhaber unterschiedliche Berechnungsmethoden verwenden.548

8. Mehrere Schuldner (Verletzerkette) 146 a) Auf derselben Handelsstufe. Haben mehrere Personen auf derselben Handelsstufe an der Schadensentstehung mitgewirkt, dann haften sie als Gesamtschuldner (§§ 830 Abs. 1 Satz 1, 840 Abs. 1, 421 BGB).549 Im Außenverhältnis haftet jeder Schädiger auf die gesamte Summe. Die Schadensersatzleistung eines Gesamtschuldners erfüllt daher auch die Schadensersatzverpflichtung der übrigen Schädiger (§ 422 Abs. 1 Satz 1 BGB). Der Binnenausgleich unter den Schädigern bestimmt sich nach § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB. Deren Haftungsquoten werden in entsprechender Anwendung von § 254 BGB aufgrund der individuellen Verursachungs- und Verschuldensanteile bestimmt.550 Der Rechtsinhaber kann sein Wahlrecht der Schadensberechnungsmethode bei jedem 147 Schuldner anders ausüben.551 Wählt er die Herausgabe des Verletzergewinns, so soll er nicht nur den jeweils erzielten Gewinn, sondern auch den von anderen Schädigern erzielten Gewinn fordern können.552 Bei der Beantwortung dieser Frage kommt es entscheidend auf die dogmatische Begründung der Gewinnherausgabe an. Soweit man in ihr in erster Linie einen präventiven Rechtsbehelf sieht, mit dem sichergestellt werden soll, dass dem Verletzer keine ungerechtfertigten Vorteile verbleiben,553 muss konsequenterweise die Abschöpfung auf die Vorteile begrenzt werden, die der individuelle Verletzer erzielt hat.554 Nur wenn man den von allen Verletzern erzielten Gewinn als Schätzungsgrundlage für den tatsächlich entstandenen Schaden des Rechtsinhabers ansieht, ist ein schuldnerübergreifender Ausgleich gerechtfertigt. Dann muss man den Schuldnern aber im Einzelfall den Nachweis zugestehen, dass der tatsächlich entstandene Schaden geringer ist.

148 b) Auf verschiedenen Handelsstufen. Wird derselbe rechtsverletzende Gegenstand auf verschiedenen Handelsstufen angeboten, so ist in jedem Angebot eine eigenständige

546 Vgl. Kühnen Rn. 2601 f. 547 Jarosz/Chapman StanTechLRev 16 (2013), 769, 778; a. A. RGZ 156, 65, 69 – Scheidenspiegel. 548 OLG Köln – 26.4.2013 – 6 U 171/11 – GRUR-RR 2013, 398, 402 – Bigfoot II; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.39a; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 186.

549 Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 192. 550 BGH 29.6.1972 – VII ZR 190/71 – BGHZ 59, 97, 103 = NJW 1972, 1802, 1803 f.; MünchKommBGB/Wagner § 840 Rn. 15 m. w. N.

551 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.40. 552 BGH 13.1.1959 – I ZR 82/57 – GRUR 1959, 379, 383 – Gasparone; OLG Düsseldorf 9.9.2004 – 2 U 47/03 – InstGE 5, 17, 19 – Ananasschneider; OLG Köln 8.4.2005 – 6 U 107/04 – GRUR-RR 2005, 247, 249 – Loseblattwerk; Harte/ Henning/Goldmann § 9 Rn. 192. 553 BGH 2.11.2000 – I ZR 246/98 – BGHZ 145, 366, 371, 373 = GRUR 2001, 329, 331 – Gemeinkostenanteil. 554 Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 37; Raue S. 556 f. Raue

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B. Schadensersatzanspruch (Satz 1)

§9

Rechtsverletzung zu sehen. Deswegen geht der I. Zivilsenat des BGH davon aus, dass es sich um getrennte Schäden handelt, für die die einzelnen Verletzer nicht gesamtschuldnerisch haften.555 Allerdings können nach § 840 Abs. 1 BGB auch voneinander unabhängige Handlungen 149 zu einer gesamtschuldnerischen Haftung von Nebentätern führen.556 Deswegen sollten die einzelnen Verletzer – entgegen der Rechtsprechung – als Gesamtschuldner haften, soweit die eigenständigen Rechtsverletzungen zu demselben Schaden führen.557 Denn der Schadensersatz ist auf allen Handelsstufen trotz der unterschiedlichen Rechtsverletzungen im Grundsatz auf dasselbe Interesse gerichtet, was hinreichende Voraussetzung für eine Gesamtschuld ist.558

aa) Konkrete Schadensberechnung. Bei der konkreten Schadensberechnung sind der 150 konkret verursachte entgangene Gewinn sowie der Verwässerungsschaden derselbe.559 Spätere Veräußerungen können gegebenenfalls die Marktverwirrungs- bzw. Rufschäden vertiefen. Für sie haftet dann nur der Verletzer, der sie verursacht hat. bb) Lizenzanalogie. Auch bei der Lizenzanalogie kann bei wertender Betrachtung der durch 151 den Eingriff in das Ausschließlichkeitsrecht verursachte Schaden auf den weiteren Handelsstufen allenfalls vertieft, nicht aber jedes Mal vollständig neu verursacht werden.560 Denn bei der Verwertung der Ausschließlichkeitsposition durch eine Lizenzvergabe kann der Rechtsinhaber auch nicht auf jeder Handelsstufe den vereinbarten Lizenzsatz erneut verlangen. Das Zusprechen einer mehrfachen Lizenzgebühr würde gegen das schadensrechtliche Bereicherungsverbot verstoßen. cc) Verletzergewinn. Dasselbe gilt für die anteilige Herausgabe des Verletzergewinns. Soweit 152 man damit nicht eine von einem konkreten Schaden losgelöste präventive Abschöpfung der gesamten Verletzervorteile bezweckt,561 für die nach § 687 Abs. 2 BGB nur Raum bei vorsätzlichen Rechtsverletzung ist, entspricht es nicht der Lebenserfahrung, dass der Rechtsinhaber auf verschiedenen Handelsstufen tätig wird. In jedem Fall sind, auch nach der Rechtsprechung des BGH, die Regressforderungen der anderen Glieder der Verletzerkette vom jeweils herauszugebenden Gewinn abzuziehen bzw. zurückzuzahlen.562

555 BGH 14.5.2009 – I ZR 98/06 – BGHZ 181, 98 = GRUR 2009, 856 Tz. 67 ff. – Tripp-Trapp-Stuhl; zustimmend Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.40. Kritisch Arnold/Slopek NJW 2009, 3694, 3696. 556 Arnold/Slopek NJW 2009, 3694, 3696. 557 Ausführlich Raue S. 553 ff. 558 Vgl. zu dem allgemein anerkannten Kriterium BGH 1.2.1965 – GSZ 1/64 – BGHZ 43, 227, 233; BGH 19.12.1968 – VII ZR 23/66 – BGHZ 51, 275, 278 f. (Mangelbeseitigung und Schadensersatz in Geld wegen mangelnder Bauaufsicht); BGH 26.6.2003 – VII ZR 126/02 – BGHZ 155, 265, 268 f.; MünchKommBGB/Heinemeyer § 421 Rn. 5; Bamberger/Roth/ Gehrlein § 421 Rn. 5. 559 A. A. Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 195. 560 Vgl. auch Teplitzky/Schaub Kap. 34 Rn. 32a; Jan Felix Hoffmann ZGE 9 (2017), 72, 82 ff.; a. A. Harte/Henning/ Goldmann § 9 Rn. 196. 561 So aber der BGH 2.11.2000 – I ZR 246/98 – BGHZ 145, 366, 371 f. = GRUR 2001, 329, 331 – Gemeinkostenanteil; BGH 14.5.2009 – I ZR 98/06 – BGHZ 181, 98 = GRUR 2009, 856 Tz. 76 – Tripp-Trapp-Stuhl. 562 BGH 14.5.2009 – I ZR 98/06 – BGHZ 181, 98 = GRUR 2009, 856 Tz. 73 ff., 79 – Tripp-Trapp-Stuhl; jurisPK-UWG/ Koch § 9 Rn. 85. 269

Raue

§9

Schadensersatz

V. Mitverschulden 153 Das Mitverschulden des Geschädigten i. S. v. § 254 BGB ist auch bei lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzansprüchen zu berücksichtigen. Dafür muss der Geschädigte die Sorgfalt außer Acht gelassen haben, die ein verständiger Mensch im eigenen Interesse aufwendet, um sich vor Schaden zu bewahren.563 Ein Mitverschulden des Geschädigten kann sich sowohl aus einer Sorgfaltspflichtverletzung bei der Schadensentstehung (vgl. § 254 Abs. 1 BGB) als auch aus einem Verstoß gegen die Schadensminderungsobliegenheit (vgl. § 254 Abs. 2 BGB) ergeben. Greift er auf Dritte als Erfüllungsgehilfen i. S. v. § 278 BGB zurück, muss er sich deren Verschulden zurechnen lassen (§ 254 Abs. 2 Satz 2 BGB, ggf. analog). Das gilt auch für Rechtsanwälte, die er mit der Abmahnung oder mit der Durchführung des streitigen Gerichtsverfahrens betraut.564 154 Dieses Gebot der eigenen Interessenwahrung ist eine nicht einklagbare Obliegenheit. Der Verletzte hat jedoch einen starken Anreiz, dem Gebot nachzukommen. Denn andernfalls wird ihm der dadurch entstandene oder vertiefte Schaden nicht vollständig ersetzt.565 Hat der Geschädigte die Schadensentstehung mitverschuldet, dann reduziert sich sein Schadensersatzanspruch um den Anteil seines Mitverursachungsbeitrags. Für die Mitverschuldensquote sind vor allem das Ausmaß der Verursachung und der Grad des Verschuldens zu berücksichtigen.566 Hat der Verletzer dagegen vorsätzlich gehandelt, ist eine bloß fahrlässige Mitverursachung regelmäßig unbeachtlich. Bei einem Verstoß gegen die Schadensminderungsobliegenheit wird der entsprechend verursachte bzw. vertiefte Schaden nicht ersetzt. 155 Die Beweislast für das Mitverschulden des Geschädigten trägt nach allgemeinen Regeln der Schädiger.567 Soweit sich die Vorgänge in der Sphäre des Geschädigten abspielen, trifft diesen aber eine sekundäre Darlegungslast.568

1. Mitverschulden bei der Schadensverursachung (§ 254 Abs. 1 BGB) 156 Der Mitverschuldenseinwand des § 254 Abs. 1 BGB hat im Lauterkeitsrecht nur geringe praktische Bedeutung.569 Als Fallgruppe wird genannt, dass der Geschädigte den Schaden durch eigenes wettbewerbswidriges oder jedenfalls provozierendes Verhalten herbeigeführt hat.570 Dem ist allerdings aus normativen Gründen zu widersprechen. Die Rechtsordnung verlangt vom Verletzer, mit rechtskonformen Mitteln auf solche Provokationen zu reagieren. Etwas anderes gilt aber nach Treu und Glauben, wenn der Geschädigte die Reaktion des Verletzers geradezu herausgefordert hat.571 Ein weiterer Anwendungsfall des Mitverschuldens im Lauterkeitsrecht sind unberechtigte Schutzrechtsverwarnungen (vgl. hierzu § 4 Nr. 4 Rn. 154 ff.). Ein Mitverschulden des Verwarnten soll vorliegen, wenn dieser ohne die Sach- und Rechtslage zu prüfen, voreilig die Produktion oder den Vertrieb einstellt, obwohl die fehlende Berechtigung

563 St. Rspr., vgl. etwa BGH 29.4.1953 – VI ZR 63/52 – BGHZ 9, 316, 318; BGH 20.3.1949 – VI ZR 152/78 – BGHZ 74, 25, 28 = NJW 1979, 1363, 1364; BGH 17.10.2000 – VI ZR 313/99 – NJW 2001, 149, 150; BGH 2.7.2004 – V ZR 33/04 – BGHZ 160, 18, 24 = NJW 2004, 3328, 3330; BGH 1.12.2005 – I ZR 31/04 – NJW 2006, 1426 Tz. 20. 564 BGH 14.10.2010 – I ZR 212/08 – GRUR 2011, 546 Tz. 19 f. m. w. N. – Mega-Kasten-Gewinnspiel. 565 BGH 18.4.1997 – V ZR 28/96 – BGHZ 135, 235, 240 = NJW 1997, 2234, 2235. 566 Vgl. nur Staudinger/Schiemann BGB § 254 Rn. 112 ff. 567 BGH 20.7.2006 – IX ZR 94/03 – BGHZ 168, 352 = NJW 2006, 2767 Tz. 34 m. w. N. 568 BGH 20.7.2006 – IX ZR 94/03 – BGHZ 168, 352 = NJW 2006, 2767 Tz. 34 m. w. N. 569 Teplitzky/Schaub Kap. 30 Rn. 25 m.w.N in Fn. 94. 570 BGH 21.2.1964 – Ib ZR 108/62 – GRUR 1964, 392, 396 – Weizenkeimöl; BGH 24.2.1994 – I ZR 74/92 – GRUR 1994, 447, 449 – Sistierung von Aufträgen. 571 Vgl. BGH 24.2.1994 – I ZR 74/92 – GRUR 1994, 447, 449 – Sistierung von Aufträgen. Raue

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C. Presseprivileg (Satz 2)

§9

ohne Weiteres erkennbar war.572 Dasselbe gilt, wenn er die Verwarnung weiterhin befolgt, obwohl ihm neue Umstände bekannt werden, aus denen sich deren fehlende Berechtigung ergibt.573 Ein etwaiges Verschulden der Abnehmer kann dem Hersteller grundsätzlich nicht entgegengehalten werden, da es hierfür regelmäßig an den Voraussetzungen der §§ 278 BGB i. V. m. § 254 Abs. 2 Satz 2 BGB574 fehlt.575

2. Verstoß gegen eine Schadensminderungsobliegenheit (§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB) Der Geschädigte muss den Verletzer grundsätzlich darauf hinweisen (etwa durch eine Abmah- 157 nung), dass sein Verhalten lauterkeitswidrig ist.576 Außerdem muss er darüber aufklären, wenn ein ungewöhnlich hoher Schaden droht, vor allem bei einer Schutzrechtsverwarnung, wenn deren Befolgung umfangreiche und kostenintensive Auswirkungen auf die Herstellung und Produktion hat.577 Des Weiteren muss der Geschädigte alle ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um eine Vertiefung des Schadens abzuwenden. Unzumutbar sind aber insbesondere kostspielige Maßnahmen, wenn zweifelhaft ist, ob der Schädiger die Kosten erstatten muss oder ob er dazu wirtschaftlich in der Lage sein wird.578 Mahnt ein Mitbewerber versehentlich einen namensähnlichen Dritten ab oder nimmt ihn 158 sonst versehentlich in Anspruch, so sind die Kosten adäquat kausal auf die Verletzung zurückzuführen.579 Allerdings hat er seiner Schadensminderungsobliegenheit durch die unsorgfältige Recherche nicht Genüge getan. Ein Verschulden seines Anwalts ist ihm nach § 254 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 278 BGB zuzurechnen. Hat der Verletzer die Verwechslungsgefahr mitverursacht, kommt eine Schadensquotelung in Betracht.

C. Presseprivileg (Satz 2) Schrifttum Ahrens Beteiligung der Presse an Wettbewerbsverstößen von Anzeigenkunden, FS Traub (1994) 11; A. Fuchs Die wettbewerbsrechtliche Beurteilung redaktioneller Werbung in Presseerzeugnissen unter besonderer Berücksichtigung der Kopplung von entgeltlicher Anzeige und redaktioneller Berichterstattung, GRUR 1988, 736; Henning-Bodewig Das „Presseprivileg“ in § 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG, GRUR 1985, 258; Messer Wettbewerbsrechtliche Beurteilung von Presseäußerungen, FS von Gamm (1990) 95; Piper Zur wettbewerbsrechtlichen Beurteilung von Werbeanzeigen, FS Vieregge (1995) 715; G. Schulze Zum Verschulden im Urheberrecht beim Abdruck von Werbeanzeigen, GRUR 1993, 702.

Nach § 9 Satz 2 entsteht ein Schadensersatzanspruch aus Satz 1 gegen verantwortliche Personen 159 von periodischen Druckschriften nur in Fällen einer vorsätzlichen Zuwiderhandlung. 572 BGH 5.11.1962 – I ZR 39/61– GRUR 1963, 255, 259 – Kindernähmaschinen, (insoweit nicht enthalten in BGHZ 38, 200); BGH 8.2.1963 – I b ZR 132/61 – WRP 1965, 97, 101 – Kaugummikugeln; BGH 17.4.1997 – X ZR 2/96 – GRUR 1997, 741, 743 – Chinaherde; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 101. 573 BGH 14.2.1978 – X ZR 19/76 – BGHZ 71, 86, 93 = GRUR 1978, 492, 493, 494 – Fahrradgepäckträger II; Harte/ Henning/Goldmann § 9 Rn. 101. 574 § 278 BGB greift sowohl für die Schadensverursachung (§ 254 Abs. 1 BGB) als auch für die Schadensminderung (§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB), vgl. nur MünchKommBGB/Oetker § 254 Rn. 126 m. w. N. 575 BGH 19.1.1979 – I ZR 166/76 – GRUR 1979, 332, 337 – Brombeerleuchte. 576 BGH 23.11.2006 – I ZR 276/03 – GRUR 2007, 631 Tz. 21 – Abmahnaktion; BGH 4.3.2008 – VI ZR 176/07 – WRP 2008, 805 Tz. 5, 9 – Abschlussschreiben eines Rechtsanwalts; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.22; Teplitzky/ Schaub Kap. 30 Rn. 30a. 577 Teplitzky/Schaub Kap. 30 Rn. 27 f. 578 Teplitzky/Schaub Kap. 30 Rn. 31; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 1.22; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 113. 579 A. A. BGH 5.11.1987 – I ZR 212/85 – GRUR 1988, 313, 314 – Auto f. GmbH. 271

Raue

§9

Schadensersatz

I. Normzweck und Rechtsentwicklung 160 Mit der Norm wollte der Gesetzgeber ein Haftungsprivileg für verantwortliche Personen von Zeitungen, Zeitschriften und sonstigen periodischen Druckschriften schaffen. Gerechtfertigt hat er dies in erster Linie mit „dem Geist der Pressegesetzgebung“.580 Dahinter steht die Erwägung, dass Presseunternehmen für die Finanzierung ihrer Tätigkeit in erheblichem Umfang auf Anzeigen angewiesen sind, die regelmäßig von Dritten erstellt werden. Aufgrund der hohen Zeitnot bestünden nur eingeschränkte Prüfungsmöglichkeiten.581 Allerdings existiert die Zeitnot nicht bei allen Presseerzeugnissen (etwa bei Monatsmagazinen);582 zudem kann sie beim Sorgfaltsmaßstab berücksichtigt werden. So verstößt die Presse gegen ihre lauterkeitsrechtlichen Verkehrspflichten nur, wenn sie grobe, unschwer erkennbare Wettbewerbsverstöße übersieht.583 Daher soll die Norm in erster Linie die Presse von dem zeit- und personalintensiven Prüfaufwand entlasten.584 In historischer Perspektive sollte vor allem ein Schikanieren der unabhängigen Presse durch die Hintertür der Haftung für Drittwerbung verhindert werden.585 161 Das Haftungsprivileg ist gegenüber der früheren Rechtslage deutlich erweitert worden. Es erstreckt sich nun auf sämtliche Zuwiderhandlungen gegen § 3 oder § 7. Dagegen beschränkte § 13 Abs. 6 Nr. 1 Satz 2 UWG 1909 das Presseprivileg auf irreführende Angaben nach § 3 UWG 1909, wobei streitig war, ob die Haftungsprivilegierung auch auf andere Lauterkeitsverstöße analog anzuwenden war.586 Ob diese pauschale Einschränkung der Schadensersatzpflicht im Anwendungsbereich der UGP-RL sowie der Werbe-RL (dazu oben Rn. 10) mit Unionsrecht vereinbar ist, ist zweifelhaft.

II. Anwendungsbereich und Reichweite 162 Der eindeutige Wortlaut sowie Systematik, Entstehungsgeschichte, Gesetzesbegründung und historische Entwicklung beschränken die Haftungsprivilegierung auf Schadensersatzansprüche. Für eine Erstreckung auf Abwehr-, Unterlassungs- und sonstige Ansprüche gibt es keine Grundlage.587

1. Privilegierte Medien 163 Das Haftungsprivileg aus Satz 2 gilt nur für periodische Druckschriften. Dazu gehören laut Gesetzesbegründung Zeitungen, Zeitschriften und sonstige Druckschriften, die wiederkehrend, aber nicht notwendig regelmäßig erscheinen.588 Für den erforderlichen Erscheinungsabstand können die Wertungen der Landespressegesetze589 herangezogen werden, nach denen periodische Druckwerke nur solche Publikationen sind, die im Abstand von höchstens sechs Monaten erscheinen.590

580 581 582 583 584 585 586 587 588 589

BegrRegE UWG 2004 zu § 9, BTDrucks. 15/1487, S. 23. Kritisch Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 2.11. Henning-Bodewig GRUR 1985, 258, 259 f.; Alexander S. 670. Alexander S. 670. Dazu GK-UWG/Hofmann § 8 Rn. 163 f. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 2.12; Alexander S. 671. Henning-Bodewig GRUR 1985, 258, 259 f. Dazu GK-UWG/Erdmann1 § 13 a. F. Rn. 160 m. w. N. Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 38. BegrRegE UWG 2004 zu § 9, BTDrucks. 15/1487 S. 23. Vgl. etwa Art. 6 Abs. 2 Bay. PresseG; § 7 Abs. 4 PresseG NRW; § 6 Abs. 2 S. 1 Sächs. PresseG; § 7 Abs. 4 LPresseG

BW.

590 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 118; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 40. Raue

272

C. Presseprivileg (Satz 2)

§9

Über den Wortlaut hinaus wird die Haftungsprivilegierung auch auf sonstige Medien 164 ausgedehnt, bei denen eine mit den periodischen Druckschriften vergleichbare Sach- und Interessenlage besteht, insbesondere auf regelmäßige Rundfunkformate, aber auch auf Onlinemedien wie regelmäßig erscheinende Newsseiten, Blogs etc.591 Es ist nicht gerechtfertigt, andere von der Presse- bzw. Rundfunkfreiheit erfassten Medien schlechter zu stellen.592 Umgekehrt gilt das Presseprivileg nicht für reine Anzeigenblätter ohne redaktionellen Inhalt.593

2. Privilegierter Personenkreis Das Haftungsprivileg erfasst alle verantwortlichen Personen von periodischen Druckschriften. 165 Darunter wird man dem Zweck der Vorschrift entsprechend alle Personen zählen müssen, die in haftungsrechtlich relevanter Weise in der Sphäre des Druckschriftenherstellers tätig geworden sind.594 Dazu gehören etwa Redakteure, Verleger, Drucker, Herausgeber, Schriftleiter und kaufmännische Leiter.595

3. Zuwiderhandlungen gegen § 3 oder § 7 Das Haftungsprivileg erstreckt sich auf alle Verstöße gegen § 3 oder § 7. Teilweise wird vorge- 166 schlagen, das Presseprivileg auf Schadensersatzansprüche aus konkurrierenden Anspruchsgrundlagen zu erweitern, um ein Leerlaufen des Schutzzwecks zu verhindern.596 Darüber hinaus wird sogar die Ausdehnung des Presseprivilegs auf Verletzungen von Immaterialgüterrechten vorgeschlagen.597 Letzteres ist mit der Durchsetzungs-RL kaum zu vereinbaren. Nach Sinn und Zweck und ausweislich der Gesetzesbegründung erstreckt sich die Privile- 167 gierung nicht auf Inhalte, die der Inanspruchgenommene aktiv (mit)gestaltet hat.598 Das gilt insbesondere in Fällen der Eigenwerbung.599

III. Darlegungs- und Beweislast Wer sich auf das Haftungsprivileg aus Satz 2 beruft, muss deren Voraussetzungen darlegen und 168 beweisen.600 Der Anspruchssteller muss dann neben den übrigen Anspruchsvoraussetzungen des Schadensersatzes darlegen und ggf. beweisen, dass der auf Schadensersatz in Anspruch Genommene vorsätzlich gehandelt hat.601 591 Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 40; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 29; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 2.13; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 210; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 118; Alexander S. 672 ff.; a. A. Götting/ Nordemann/Ebert-Weidenfeller § 9 Rn. 81. 592 Alexander S. 673. 593 Vgl. BGH 5.2.2015 – I ZR 136/13 – GRUR 2015, 906 Tz. 31, 37 f., 40 f. – TIP der Woche; MünchKommUWG/ Fritzsche § 9 Rn. 118. 594 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 2.14. 595 Vgl. mit im einzelnen unterschiedlichen Personenkreis Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 41; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 211; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 2.14; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 117. 596 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 2.16. 597 OLG München 29.4.1993 – 29 U 6424/92 – ZUM 1993, 490, 491; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 121; zu Recht ablehnend G. Schulze GRUR 1994, 702, 703 f. 598 BegrRegE UWG 2004 zu § 9, BTDrucks. 15/1487 S. 23. Ausführlich Alexander S. 675 f. 599 BegrRegE UWG 2004 zu § 9, BTDrucks. 15/1487 S. 23. 600 Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 42. 601 Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 42; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 2.17. 273

Raue

§9

Schadensersatz

D. Bereicherungsanspruch Schrifttum Brandner Die Herausgabe von Verletzervorteilen im Patentrecht und im Recht gegen den unlauteren Wettbewerb, GRUR 1980, 359; Bruchhausen Bereicherungsausgleich bei schuldloser Patentverletzung, FS Wilde (1970) 23; Büsching Der Anwendungsbereich der Eingriffskondiktion im Wettbewerbsrecht (1992); Delahaye Die Bereicherungshaftung bei Schutzrechtsverletzungen, GRUR 1985, 856; Ebert, Bertram Bereicherungsausgleich im Wettbewerb- und Immaterialgüterrecht, 2001; Enzinger Die Eingriffskondiktion als Rechtsbehelf im gewerblichen Rechtsschutz, GRUR Int. 1997, 96; M. Falk Zu Art und Umfang des Bereicherungsanspruchs bei Verletzung eines fremden Patents, GRUR 1983, 488; Fournier Bereicherungsausgleich bei Verstößen gegen das UWG (1999); Gieseke Zur Bereicherungshaftung bei Urheberrechtsverletzungen, GRUR 1958, 17; Haines Bereicherungsansprüche bei Warenzeichenverletzungen und unlauterem Wettbewerb (1970); P. Heermann Schadensersatz und Bereicherungsausgleich bei Patentrechtsverletzungen, GRUR 1999, 625; Jenny Die Eingriffskondiktion bei Immaterialgüterrechtsverletzungen (2005); Jestaedt Bereicherungsausgleich bei unwirksamen Lizenzverträgen, WRP 2000, 899; Joerges Bereicherungsrecht als Wirtschaftsrecht (1977); H. Kaiser Die Eingriffskondiktion bei Immaterialgüterrechten, insbesondere Warenzeichenrechten, GRUR 1988, 501; H. Köhler Der Schadensersatz-, Bereicherungs- und Auskunftsanspruch im Wettbewerbsrecht, NJW 1992, 1477; H. Köhler Zur Bereicherungshaftung bei Wettbewerbsverstößen, 2. FS Lorenz (2001) 167; Loewenheim Bereicherungsansprüche im Wettbewerbsrecht, WRP 1997, 913; Raue Die dreifache Schadensberechnung. Eine Untersuchung zum deutschen und europäischen Immaterialgüter-, Lauterkeits- und Bürgerlichen Recht (2017); Redant Bereicherungsansprüche und Schadensersatz bei Ausbeutung guten Rufs (2000); Ullmann Die Verschuldenshaftung und die Bereicherungshaftung des Verletzers im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, GRUR 1978, 615.

I. Anwendungsbereich und Grundsätzliches 169 Die Eingriffskondiktion macht einen rechtswidrigen Eingriff in eine individuell zugewiesene Rechtsposition rückgängig, ohne dass dafür ein korrespondierender Schaden des Schutzrechtsinhabers entstanden sein muss.602 Das Bereicherungsrecht gleicht also keine Vermögensminderung aus, sondern beseitigt eine der Rechtsordnung widersprechende Vermögensmehrung.603 Es sorgt damit für eine Güterallokation, die dem Zuweisungsgehalt von individuell zugewiesenen Rechten entspricht. Der Bereicherungsausgleich wird auch bei unverschuldeten Eingriffen durchgeführt.604 Diese geringen subjektiven Anforderungen sind gerechtfertigt, weil der Bereicherungsschuldner allein den ungerechtfertigten Vermögenszuwachs herausgeben muss und er daher im Grundsatz nicht schlechter steht als vor dem Eingriff.605 Der Bereicherungsausgleich wird also im Grundsatz606 unterschiedslos bei verschuldeten wie bei unverschuldeten Eingriffen durchgeführt. Daher muss als Auslegungsleitbild für den Umfang des Bereicherungsanspruchs ein gutgläubiger Schuldner zugrunde gelegt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass solch ein gutgläubiger Schuldner typischerweise Anstrengungen unternimmt und Aufwendungen in dem Glauben tätigt, er werde von ihnen profitieren.607 170 Die Rechtsprechung hat es lange Zeit aus systematischen Gründen abgelehnt, insbesondere bei Eingriffen in die technischen Immaterialgüterrechte einen Bereicherungsausgleich zu ge-

602 BGH 13.5.1955 – V ZR 36/54 – BGHZ 17, 236, 239 = NJW 1955, 1106 m. w. N.; BGH 8.5.1956 – I ZR 62/54 – BGHZ 20, 345, 355 = GRUR 1956, 427 – Paul Dahlke; BGH 30.11.1976 – X ZR 81/72 – BGHZ 68, 90, 94 = GRUR 1977, 250 – Kunststoffhohlprofil I; Staudinger/Lorenz § 812 Rn. 24. 603 BGH 8.5.1956 – I ZR 62/54 – BGHZ 20, 345, 355 = GRUR 1956, 427 – Paul Dahlke; Staudinger/Lorenz § 812 Rn. 24; MünchKommBGB/Schwab § 818 Rn. 128. 604 Vgl. nur BGH 30.11.1976 – X ZR 81/72 – BGHZ 68, 90, 97 ff. = GRUR 1977, 250, 254 f. – Kunststoffhohlprofil I; BGH 14.2.1978 – X ZR 19/76 – BGHZ 71, 86, 97 f. = GRUR 1978, 492, 495 – Fahrradgepäckträger II. 605 Koziol FS Medicus, S. 237, 246; Raue S. 258. 606 Anders nach § 819 BGB bei bösgläubigen oder verklagten Bereicherungsschuldnern. 607 Vgl. Mestmäcker JZ 1958, 521, 522; Larenz/Canaris SchR II/2 § 71 II 1 („Milde der Bereicherungshaftung“); Raue S. 258. Raue

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D. Bereicherungsanspruch

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währen.608 Mittlerweile sind Bereicherungsansprüche im Immaterialgüterrecht jedoch allgemein anerkannt,609 etwa für Eingriffe in Urheber- und Designrechte,610 in Patent- und Gebrauchsmusterrechte,611 in Markenrechte,612 in Namens- und Firmenrechte613 und darüber hinaus für Eingriffe in vermögenswerte Bestandteile des Persönlichkeitsrechts.614 Ob auch Eingriffe in individuell wettbewerbsrechtlich geschützte Positionen einen Be- 171 reicherungsanspruch auslösen können, ist höchstrichterlich bislang nicht ausdrücklich geklärt.615 Als Voraussetzung dafür müssen die wettbewerbsrechtlichen Rechtspositionen insoweit einen Zuweisungsgehalt haben. Dies setzt jedenfalls voraus, dass der Rechtsinhaber Dritte von der Nutzungshandlung ausschließen und die Handlung (gegen Entgelt) mit Wirkung gegenüber jedermann gestatten darf (dazu näher unten Rn. 176 ff.).616 Aus systematischen Gründen sollte die Frage parallel zur Anwendbarkeit der dreifachen Schadensberechnung beantwortet werden.617 Daher ist ein Bereicherungsausgleich insbesondere bei Verstößen gegen den lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutz618 sowie bei der rechtswidrigen Verwertung von Geschäftsgeheimnissen619 möglich. Darüber hinaus sollte man den Bereicherungsanspruch auf alle anderen individualschützen- 172 den Normen erstrecken, etwa auf das nach § 4 Nr. 4 unlautere Abwerben von Arbeitskräften.620 In diesen Fällen ist das Erlangte nicht der mit den angeworbenen Arbeitskräften erzielte Gewinn, sondern allein die Möglichkeit der unerlaubten Anwerbung. Es ist dann zu fragen, welchen „Ablöse“-Betrag redliche Parteien vereinbart hätten, um diese Form der Abwerbung zu gestatten. Bei der Herabsetzung und Verunglimpfung von Mitbewerbern nach § 4 Nr. 1 fehlt aber typischerweise jeder Maßstab, um den Wert der unerlaubten Nutzungshandlung zu bemessen (oben Rn. 109).

II. Voraussetzungen Das UWG enthält keinen eigenen Bereicherungsanspruch. Es sperrt aber auch nicht die Anwen- 173 dung der bereicherungsrechtlichen Ansprüche des BGB. Die §§ 812 ff. BGB regeln daher auch 608 RG 5.2.1886 – I 390/85 – RGZ 15, 121, 132; RG 3.2.1909 – I 99/08 – RGZ 70, 249, 253; RG 4.5.1923 – II 310/22 – RGZ 108, 1, 6; RG 9.6.1928 – I 310/27 – RGZ 121, 258, 261. Anders dagegen für Urheberrechtsverletzungen ab 1917: RG 4.4.1917 – RGZ 90, 137, 138 – Erikamuster; RG 9.6.1928 – I 310/27 – RGZ 121, 258, 262; BGH 12.2.1952 – I ZR 96/ 51 – BGHZ 5, 116, 123 – Parkstraße. 609 Dazu auch MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 124; Teplitzky/Schaub Kap. 40 Rn. 1 f. sowie ausführlich Raue S. 257 ff. 610 BGH 27.2.1963 – Ib ZR 131/61 – GRUR 1963, 640, 642 – Plastikkorb; BGH 2.7.1971 – I ZR 58/70 – BGHZ 56, 317, 320 = NJW 1971, 2023, 2024 – Gasparone II; BGH 29.4.2010 – I ZR 68/08 – GRUR 2010, 623 – Restwertbörse. 611 BGH 30.11.1976 – X ZR 81/72 – BGHZ 68, 90 = GRUR 1977, 250 – Kunststoffhohlprofil I; BGH 24.11.1981 – X ZR 7/80 – BGHZ 92, 299 = GRUR 1982, 301 – Kunststoffhohlprofil II; BGH 18.2.1992 – X ZR 8/90 – GRUR 1992, 599, 600 – Teleskopzylinder. 612 BGH 18.12.1986 – I ZR 11/84 – BGHZ 99, 244, 246 f. = GRUR 1987, 520, 523 – Chanel Nr. 5. 613 BGH 26.6.1981 – I ZR 73/79 – BGHZ 81, 75, 81 f. = GRUR 1981, 846, 848 – Carrera. 614 BGH 1.12.1999 – I ZR 49/97 – BGHZ 143, 214, 228 = GRUR 2000, 709 – Marlene Dietrich; BGH 20.3.2012 − VI ZR 123/11 – NJW 2012, 1728 Tz. 23, 26 – Verkehrsunfall; BGH 26.6.1981 – I ZR 73/79 – BGHZ 81, 75, 79 f. = GRUR 1981, 846, 847 – Carrera; Raue S. 580 ff. 615 Offengelassen in BGH 17.5.1960 – I ZR 34/59 – GRUR 1960, 554, 557 – Handstrickverfahren; BGH 23.5.1991 – I ZR 286/89 – GRUR 1991, 914, 916 f. – Kastanienmuster. Ablehnend etwa Teplitzky/Schaub Kap. 40 Rn. 7. 616 Zu dieser Voraussetzung BGH 9.3.1989 – I ZR 189/86 – BGHZ 107, 117, 121 = GRUR 1990, 221, 222 – Forschungskosten; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 3.2. 617 Ebenso Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 3.2; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 34; MünchKommUWG/ Fritzsche § 9 Rn. 126; Harte/Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 23. 618 OLG Stuttgart 10.9.2009 – 2 U 11/09 – GRUR-RR 2010, 298, 299 f. – Dampfdruckbügeleisen m. w. N.; Ahrens/ Bacher Kap. 69 Rn. 17; Teplitzky/Schaub Kap. 40 Rn. 7. Kritisch MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 126. 619 Ahrens/Bacher Kap. 70 Rn. 4; Teplitzky/Schaub Kap. 40 Rn. 7; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 125. 620 A. A. MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 126; Teplitzky/Schaub Kap. 40 Rn. 7; Ahrens/Bacher Kap. 70 Rn. 7. 275

Raue

§9

Schadensersatz

den Bereicherungsausgleich nach Wettbewerbsverstößen. Einschlägig ist im Regelfall die Eingriffskondiktion nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 BGB. Diese setzt einen rechtswidrigen Eingriff in den Zuweisungsgehalt der in Rn. 171 genannten Rechtspositionen voraus, der zu einem vermögenswerten Vorteil des Bereicherungsschuldners geführt haben muss. Darüber hinaus kommt ein Bereicherungsanspruch auch dann in Betracht, wenn der Gläubiger ein abstraktes Schuldanerkenntnis in Form einer Unterwerfungserklärung ohne Rechtsgrund oder in zweckverfehlender Weise abgegeben hat.621 Ein Verschulden des Verletzers oder der Eintritt eines Schadens beim Verletzten ist irrelevant.622 Daneben kann aber auch ein Lizenzvertrag über lauterkeitsrechtliche Positionen unwirk174 sam sein, etwa über die Zurverfügungstellung von Know-How oder im Schutzbereich des lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutzes.623 Hat der Lizenzgeber in diesem Fall seine Leistung erbracht, erfolgt die Rückabwicklung im Wege der Leistungskondiktion.624 Bei deren Rückabwicklung gelten im Wesentlichen dieselben Grundsätze wie bei der Eingriffskondiktion.625

1. Etwas erlangt 175 Über die Eingriffskondiktion kann der Rechtsinhaber jeden Gegenstand herausverlangen, den der Verletzer unmittelbar aus dem „rechtswidrigen Einbruch in eine fremde geschützte Rechtssphäre“ erlangt hat.626 Der Verletzer muss also durch den Wettbewerbsverstoß „etwas“ erlangt haben, worunter jeder Vorteil verstanden wird.627 Die Einzelheiten werden unten Rn. 181 f. erörtert.

2. Auf Kosten eines anderen (Zuweisungsgehalt lauterkeitsrechtlicher Rechtspositionen) 176 Der Erwerb der Nutzung muss nach allgemeinen zivilrechtlichen Regeln „auf Kosten“ des Bereicherungsgläubigers erfolgen. Nach der Lehre vom Zuweisungsgehalt setzt dies einen Eingriff in den Zuweisungsgehalt einer Rechtsposition voraus, die dem Gläubiger von der Rechtsordnung ausschließlich zugewiesen ist.628 Ob und inwieweit einer wettbewerbsrechtlich geschützten Position ein solcher Zuweisungsgehalt zukommt, hat der BGH bislang ausdrücklich offengelassen.629 Ganz allgemein hat eine Rechtsposition Zuweisungsgehalt, wenn sie dem Gläubiger eine ausschließlich kommerzielle Verwertungsmöglichkeit eröffnet, er also einer621 Vgl. BGH 17.9.2009 – I ZR 217/07 – GRUR 2010, 355 Tz. 27 – Testfundstelle; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 123.

622 BGH 30.11.1976 – X ZR 81/72 – BGHZ 68, 90, 92 ff. = GRUR 1977, 250, 253 ff. – Kunststoffhohlprofil I; BGH 26.6.1981 – I ZR 73/79 – BGHZ 81, 75, 81 = GRUR 1981, 846, 848 – Carrera. 623 Zur Lizenzpraxis in den Bereichen etwa BGH 8.10.1971 – I ZR 12/70 – BGHZ 57, 116, 120 f. = GRUR 1972, 189, 190 – Wandsteckdose II; BGH 18.2.1977 – I ZR 112/75 – GRUR 1977, 539, 541 – Prozeßrechner. 624 Dazu aus patentrechtlicher Sicht, BGH 14.3.2000 – X ZR 115/98 – GRUR 2000, 685, 686 – Formunwirksamer Lizenzvertrag. 625 BGH 14.3.2000 – X ZR 115/98 – GRUR 2000, 685, 686 – Formunwirksamer Lizenzvertrag; MünchKommUWG/ Fritzsche § 9 Rn. 123. 626 BGH 24.11.1981 – X ZR 36/80 – BGHZ 82, 299, 306 = GRUR 1982, 286, 288 – Fersenabstützvorrichtung; BGH 24.11.1981 – X ZR 7/80 – BGHZ 82, 299, 306 – Kunststoffhohlprofil II. 627 Vgl. nur Bamberger/Roth/Hau/Posek/Wendehorst, BGB, § 812 Rn. 132. 628 Vgl. etwa BGH 24.11.1981 – X ZR 36/80 – BGHZ 82, 299, 306 = GRUR 1982, 286, 288 – Fersenabstützvorrichtung; BGH 30.1.1987 – V ZR 32/86 – BGHZ 99, 385, 387 = NJW 1987, 1631, 1632; BGH 9.3.1989 – I ZR 189/86 – BGHZ 107, 117, 120 f. = GRUR 1990, 221, 222 – Forschungskosten. 629 Offengelassen in BGH 17.5.1960 – I ZR 34/59 – GRUR 1960, 554, 557 – Handstrickverfahren; BGH 23.5.1991 – I ZR 286/89 – GRUR 1991, 914, 916 f. – Kastanienmuster. Raue

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D. Bereicherungsanspruch

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seits jeden Dritten von der Nutzung ausschließen, diese andererseits aber auch (gegen Entgelt) mit Wirkung gegenüber jedem Dritten gestatten kann.630 Dann vermittelt eine Rechtsposition dem Gläubiger eine Nutzungsfunktion.631 Keinen Zuweisungsgehalt haben rechtlich nicht abgesicherte Erwerbs- und Gewinnchancen.632 Aufgrund des Kriteriums, dass der Rechtsinhaber die Nutzungshandlung mit Wirkung für 177 jedermann gestatten können muss, vermitteln die meisten lauterkeitsrechtlichen Normen keinen Zuweisungsgehalt. Ein einzelner Wettbewerber kann seinen Konkurrenten keine Wettbewerbsverstöße gestatten. Daher können von vornherein nur individualschützende Lauterkeitstatbestände Zuweisungsgehalt aufweisen, bei denen ausschließlich der Betroffene aktivlegitimiert ist (dazu oben Rn. 52). Denn in diesen Fällen kann allein er das rechtsverletzende Verhalten verbieten, umgekehrt aber auch darauf verzichten, seinen Unterlassungsanspruch geltend zu machen. Soweit die Rechtsordnung dem Gläubiger die alleinige Dispositionsbefugnis über seinen Unterlassungsanspruch belässt, kann er sie zum Gegenstand einer vertraglichen Vereinbarung und von der Gewährung eines Entgelts abhängig machen. Aufgrund des Verbotsrechts mit Verwertungsmöglichkeit handelt es sich nicht mehr um eine bloße faktische Geschäftschance, sondern um eine rechtlich geschützte. Durch die Gewährung der ausschließlichen Dispositionsbefugnis handelt es sich auch nicht um einen bloßen Rechtsreflex.633 Deswegen haben individuelle lauterkeitsrechtliche Rechtspositionen einen ausreichenden bereicherungsrechtlichen Zuweisungsgehalt,634 insbesondere der lauterkeitsrechtliche Nachahmungsschutz (§ 4 Nr. 3, 4)635 sowie Geschäftsgeheimnisse.636 Unerheblich ist dagegen, dass das UWG allein handlungsbezogene Verbote aufstellt.637 178 Denn jedenfalls gegenüber dem rechtswidrig Handelnden ist die Geschäftschance geschützt. Ob das Ergebnis auch mittels einer rechtmäßigen Handlung erzielt werden kann, ist eine Frage des rechtmäßigen Alternativverhaltens bzw. des Marktwerts einer solchen Rechtsposition. Ob die Verwertung allgemein oder auch nur für den Gläubiger üblich ist, kann dagegen keine Rolle spielen. Maßgeblich ist allein, ob das Hinwegsetzen über die individuell zugewiesene Rechtsposition Vermögenswert hat. Das ist immer dann zu bejahen, wenn das Unterlassen der lauterkeitswidrigen Handlung für den Verletzer mit Kosten oder entgangenen Einnahmen verbunden ist. Denn in diesem Fall hat die Erlaubnis der Handlung einen Wert, der ggf. im Wege der Schätzung nach § 287 ZPO ermittelt werden kann. Für den zivilrechtlichen Zuweisungsgehalt unerheblich ist dagegen die Frage, ob die Rechtsposition strafrechtlich geschützt ist.638

630 Vgl. BGH 9.3.1989 – I ZR 189/86 – BGHZ 107, 117, 120 f. = GRUR 1990, 221, 222 – Forschungskosten; BGH 16.5.2013 – IX ZR 204/11 – NJW 2013, 2519 Tz. 15. Aus der allgemeinen zivilrechtlichen Literatur MünchKommBGB/ Schwab § 812 Rn. 282; Bamberger/Roth/Hau/Posek/Wendehorst, BGB, § 812 Rn. 124. Aus der lauterkeitsrechtlichen Literatur: Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 34; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 3.2. 631 MünchKommBGB/Schwab § 812 Rn. 281. 632 BGH 14.2.1978 – X ZR 19/76 – BGHZ 71, 86, 98 = GRUR 1978, 492, 495 f. – Fahrradgepäckträger II; BGH 9.3.1989 – I ZR 189/86 – BGHZ 107, 117, 121 = GRUR 1990, 221, 222 – Forschungskosten; Fezer/Büscher/Obergfell/ Koos § 9 Rn. 34. 633 Vgl. BGH 9.3.1989 – I ZR 189/86 – BGHZ 107, 117, 121 = GRUR 1990, 221, 221 – Forschungskosten. 634 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 3.2 und MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 125: Zuweisungsgehalt besteht bei der Kombination von „Verbietungsrecht plus Verwertungsrecht“. 635 OLG Stuttgart 10.9.2009 – 2 U 11/09 – GRUR-RR 2010, 298, 299 f. – Dampfdruckbügeleisen m. w. N.; jurisPKUWG/Koch § 9 Rn. 127; Ahrens/Bacher Kap. 69 Rn. 17; Teplitzky/Schaub Kap. 40 Rn. 7. Kritisch MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 126. 636 jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 127; Ahrens/Bacher Kap. 70 Rn. 4; Teplitzky/Schaub Kap. 40 Rn. 7; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 125. 637 A. A. Stieper WRP 2010, 624, 629 (für die dreifache Schadensberechnung). 638 Ebenso Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 34; a. A. MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 126. 277

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Schadensersatz

3. In sonstiger Weise 179 Die Nutzung der Rechts- oder Handlungsposition erfolgt „in sonstiger Weise“, wenn sie der Schuldner nicht aufgrund einer Leistung des Gläubigers erlangt hat. Dies ist insbesondere der Fall, wenn eine fremde Rechtsposition einseitig in Anspruch genommen wird. In lauterkeitsrechtlichen Konstellationen erfolgt die Nutzungshandlung des Verletzers also typischerweise „in sonstiger Weise“. Etwas anderes kann gelten, wenn lauterkeitsrechtliche Positionen im Rahmen eines unwirksamen Lizenzvertrags eingeräumt werden.639 Dann hat die Leistungskondiktion im Grundsatz Vorrang, an sie sind aber bei den Rechtsfolgen im Wesentlichen dieselben Maßstäbe anzulegen wie bei der Eingriffskondiktion.640

4. Ohne Rechtsgrund 180 Der Erwerb muss „ohne rechtlichen Grund“ erfolgen. In den lizenzvertraglichen Konstellationen kann ein solcher Rechtsgrund ein wirksamer Lizenzvertrag oder eine sonstige Gestattung des Rechtsinhabers sein. Bei einer Eingriffskondiktion scheidet typischerweise die Gestattung als Rechtsgrund aus, weil andernfalls im Regelfall eine vorrangige Leistungsbeziehung vorliegen würde.641 Der kondiktionsausschließende Rechtsgrund kann bei der Eingriffskondiktion daher nur eine gesetzliche Gestattung sein. Gestatten gesetzliche Vorschriften oder Entscheidungen staatlicher Hoheitsträger den Eingriff in die Rechtsposition oder führt das rechtmäßige Handeln Dritter zur Bereicherung, muss immer der mit der Gestattung verfolgte Zweck sowie deren personaler Anwendungsbereich daraufhin untersucht werden, ob sie dem Erwerber den Vorteil auch (dauerhaft) zuordnen soll.642

III. Inhalt und Umfang 1. Das Erlangte, §§ 812 Abs. 1, 818 Abs. 1 BGB 181 Der Schuldner muss nach §§ 812 Abs. 1, 818 BGB das Erlangte herausgeben. Im Immaterialgüterrecht ist das Erlangte i. S. v. § 812 BGB die Nutzung des geschützten Immaterialguts643 und nicht die ersparte Vergütung,644 der Verletzergewinn645 oder die Marktchance.646 Das ist auf eine nach dem UWG geschützte individuelle Rechtsposition mit Zuweisungsgehalt (oben Rn. 176 f.) zu übertragen.647 Denn spiegelbildlich zum Zuweisungsgehalt der Rechtsposition muss der Verletzer im Wege des Bereicherungsanspruchs dasjenige herausgeben, was er durch das rechtswidrige Eindringen in die fremde Rechtssphäre erlangt hat. Wie bei den gewerblichen Schutzrechten 639 Aus patentrechtlicher Sicht, BGH 14.3.2000 – X ZR 115/98 – GRUR 2000, 685, 686 – Formunwirksamer Lizenzvertrag.

640 BGH 14.3.2000 – X ZR 115/98 – GRUR 2000, 685, 686 – Formunwirksamer Lizenzvertrag; MünchKommUWG/ Fritzsche § 9 Rn. 123. 641 MünchKommBGB/Schwab § 812 Rn. 411. 642 Vgl. BGH 9.3.1989 – I ZR 189/86 – BGHZ 107, 117 = GRUR 1990, 221, 221 – Forschungskosten. 643 BGH 24.11.1981 – X ZR 7/80 – BGHZ 82, 299, 307 = GRUR 1982, 301 – Kunststoffhohlprofil II; BGH 18.12.1986 – I ZR 111/84 – BGHZ 99, 244, 248 = GRUR 1987, 520 – Chanel No. 5; BGH 27.10.2011 – I ZR 175/10 – GRUR 2012, 715 Tz. 39 – Bochumer Weihnachtsmarkt; BGH 29.7.2009 – I ZR 87/07 – GRUR 2010, 237 Tz. 22 – Zoladex. Siehe ebenfalls Falk GRUR 1983, 488 ff.; Raue S. 415 ff. m. w. N. auch zur Gegenauffassung. 644 So aber die frühere Rechtsprechung, BGH 8.5.1956 – I ZR 62/54 – BGHZ 20, 345, 355 = GRUR 1956, 427 – Paul Dahlke; BGH 14.4.1992 – VI ZR 285/91 – GRUR 1992, 557, 558 – Talkmaster-Foto. 645 jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 129. So aber Leisse/Traub GRUR 1980, 1, 4. 646 So aber Kraßer GRUR Int 1980, 259, 268; Kraßer/Ann PatR § 35 Rn. 63 ff. 647 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 132 f. Raue

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D. Bereicherungsanspruch

§9

ist der Gegenstand der Güterzuweisung bei lauterkeitsrechtlich geschützten Rechtspositionen die Nutzung als solche. Dass das Erlangte möglicherweise auf anderem Weg erzielt werden könnte, ist, wie beim Eingriff in andere absolute Rechte,648 unerheblich. Denn jedenfalls die konkrete rechtswidrige Nutzungshandlung durfte nur mit Zustimmung des Berechtigten vorgenommen werden. Die herauszugebende Bereicherung besteht in der tatsächlichen Nutzung der dem Rechtsinhaber ausschließlich zugewiesenen Nutzungsposition.649 Das soll auch für ersparte Zinsen gelten.650 Allerdings hat der Verletzer lediglich die Nutzung des ausschließlichen Guts erlangt, nicht aber Zinsen erspart, so dass Zinsen auf den Wertersatz nach allgemeinen Regeln nur nach Mahnung bzw. Klageerhebung geschuldet sind.651 Weil es beim Bereicherungsausgleich allein um eine Vorteilsabschöpfung beim Verletzer 182 geht, ist unerheblich, ob der Rechtsinhaber seine Schutzposition selbst am Markt verwertet hat oder in Zukunft verwerten möchte.652 Ebenfalls ohne Belang ist, ob er aus rechtlichen Gründen an einer Verwertung gehindert war.653 Voraussetzung ist aber immer, dass die Lauterkeitsnorm einen individuellen Zuweisungsgehalt aufweist. Daran fehlt es etwa bei § 5, weil die Irreführungstatbestände heute (zumindest auch) die Dispositionsfreiheit der Marktgegenseite schützen und Konkurrenten nicht über diese verfügen können.654 Daher ist der Wert einer täuschenden, geschäftlichen Handlung nicht den betroffenen Mitbewerbern zugewiesen und kann von ihnen nicht herausverlangt werden.655

2. Wertersatzpflicht, § 818 Abs. 2 BGB Eine Nutzungshandlung kann nicht herausgegeben werden. Daher schuldet der Verletzer Wert- 183 ersatz nach § 818 Abs. 2 BGB.656 Maßgeblich ist hierfür nach allgemeinen Grundsätzen der objektive Wert der Nutzungshandlung.657 Dieser entspricht der üblichen bzw. angemessenen Lizenzgebühr,658 die nach denselben Grundsätzen wie die schadensrechtliche Lizenzanalogie

648 Vgl. zum Persönlichkeitsrecht: BGH 8.5.1956 – I ZR 62/54 – BGHZ 20, 345, 355 = GRUR 1956, 427 – Paul Dahlke; BGH 26.6.1979 – VI ZR 108/78 – GRUR 1979, 732, 734 – Fußballtor.

649 BGH 24.11.1981 – X ZR 7/80 BGHZ – 82, 299, 306 = GRUR 1982, 301, 303 – Kunststoffhohlprofil II; BGH 18.12.1986 – I ZR 11/84 – BGHZ 99, 244, 246 f. = GRUR 1987, 520, 523 f. – Chanel Nr. 5; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 130; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 132 f. 650 Im Immaterialgüterrecht BGH 24.11.1981 – X ZR 7/80 BGHZ – 82, 299, 306 = GRUR 1982, 301, 303 – Kunststoffhohlprofil II; BGH 24.11.1981 – X ZR 36/80 – BGHZ 82, 310, 316 = GRUR 1982, 286, 288 f. – Fersenabstützvorrichtung. Ferner MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 133. 651 Raue S. 337 ff. 652 BGH 26.10.2006 – I ZR 182/04 – BGHZ 169, 340 Tz. 12 = NJW 2007, 689 – Rücktritt des Finanzministers (zum Recht am eigenen Bild, unter ausdrücklicher Aufgabe von BGH 14.2.1958 – I ZR 151/56 – BGHZ 26, 349, 353 = NJW 1958, 827 – Herrenreiter; BGH 18.3.1959 – IV ZR 182/58 –BGHZ 30, 7, 16 f. = GRUR 1959, 430 – Caterina Valente; BGH 26.6.1979 – VI ZR 108/78 – GRUR 1979, 732, 734 – Fußballtor). 653 BGH 26.10.2006 – I ZR 182/04 – BGHZ 169, 340 = NJW 2007, 689 Tz. 12 – Rücktritt des Finanzministers (zum Recht am eigenen Bild). 654 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5 Rn. 0.9 ff. 655 Vgl. OLG Hamburg 11.2.2009 – 5 U 130/08 – WRP 2009, 1572 Ls. = juris Rn. 63, 65 – Smartsurfer (zu § 852 BGB). 656 BGH 24.11.1981 – X ZR 7/80 – BGHZ 82, 299, 306 = GRUR 1982, 301, 303 – Kunststoffhohlprofil II; BGH 14.3.2000 – X ZR 115/98 – GRUR 2000, 685, 686 – Formunwirksamer Lizenzvertrag. 657 BGH 27.2.1952 – II ZR 191/51 – BGHZ 5, 197, 201 f. = NJW 1952, 697; BGH 10.7.1953 – V ZR 22/52 – BGHZ 10, 171, 180 = NJW 1953, 1466; BGH 25.6.1962 – VII ZR 120/61 – BGHZ 37, 258, 264 = NJW 1962, 2010, 2011; BGH 21.3.1996 – III ZR 245/94 – BGHZ 132, 198, 207 = NJW 1996, 3409, 3411. 658 BGH 26.6.1981 – I ZR 73/79 – BGHZ 81, 75, 81 f. = GRUR 1981, 846, 848 – Carrera; BGH 18.12.1986 – I ZR 11/ 84 – BGHZ 99, 244, 248 = GRUR 1987, 520, 521 – Chanel Nr. 5; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 3.5; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 133. 279

Raue

§9

Schadensersatz

berechnet wird (oben Rn. 119 ff.).659 Das Bereicherungsrecht simuliert so für die Vergangenheit weitgehend ein System des vertraglichen Austauschs. Weil der Bereicherte den für die vertragliche Gestattung üblichen Preis zahlen muss, kommt dem Bereicherungsanspruch eine quasivertragliche Wirkung zu.660 So wird sichergestellt, dass fremde Rechtspositionen nur zu marktkonformen Preisen verwendet werden dürfen.661 184 Dennoch führt der Bereicherungsausgleich nicht zur Fiktion eines „gesetzlichen“ Vertragsverhältnisses.662 Ein üblicher Lizenzvertrag dient lediglich als Maßstab, mit dem die Höhe des Bereicherungsausgleichs berechnet werden kann. Deswegen ist als Bereicherungsausgleich nur der Wert der tatsächlichen Nutzung herauszugeben.663 Der Bereicherungsschuldner schuldet daher nicht die Zahlung der geringsten marktüblichen Lizenzgebühr, wenn diese eine umfangreichere Nutzung gestattet.664 Bedeutung hat dies, wenn eine Verletzungshandlung bereits kurz nach ihrem Beginn entdeckt und gestoppt wird. Entgegen der h. M. kann daher auch die ersparte Zahlung von Zinsen nicht nach Bereicherungsgrundsätzen als Verletzervorteil verlangt werden.665 Diese sind bereits nicht erlangt (oben Rn. 181). Für den Wert der herauszugebenden Bereicherung ist der Zeitpunkt maßgeblich, in dem der Anspruch entsteht, also der Moment, in dem durch die Inanspruchnahme der ausschließlichen Nutzungsposition die Bereicherung eintritt.666 Auf den Wert der Nutzung haben üblicherweise vertraglich vereinbarte Zahlungsmodalitäten keinen Einfluss. Mangels Vertragsverhältnis kann die Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen nur durch die allgemeinen bereicherungsrechtlichen Vorschriften begründet werden. Diese sehen eine Zinspflicht nach überwiegender Ansicht erst mit Klageerhebung vor.667 Der Gewinn ist nicht vom Zuweisungsgehalt eines Rechts erfasst.668 Deswegen muss er 185 auch nicht nach Bereicherungsgrundsätzen herausgegeben werden.669 Er muss nur auf Grundlage der angemaßten Eigengeschäftsführung gemäß §§ 687 Abs. 2, 681 Satz 2, 667 BGB (unten Rn. 194) sowie nach h. M. anteilig als abstrakte Form des Schadensersatzes herausgegeben werden (oben Rn. 130 ff.).

3. Wegfall der Bereicherung, § 818 Abs. 3 BGB 186 Nach den allgemein-zivilrechtlichen Vorgaben kann sich der redliche und unverklagte Bereicherungsschuldner gemäß § 818 Abs. 3 BGB auf einen Wegfall der Bereicherung berufen. Ein redlicher Bereicherungsschuldner soll durch Erfüllung einer Kondiktion nicht auf sein Stamm659 BGH 30.11.1976 – X ZR 81/72 – BGHZ 82, 299, 310 = GRUR 1977, 250, 254 – Kunststoffhohlprofil I; BGH 18.2.1992 – X ZR 8/90 – GRUR 1992, 599, 600 – Teleskopzylinder; BGH 14.3.2000 – X ZR 115/98 – GRUR 2000, 685, 686 – Formunwirksamer Lizenzvertrag; Teplitzky/Schaub Kap. 40 Rn. 10. 660 BGH 19.12.2000 – X ZR 150/98 – BGHZ 146, 217, 221 = GRUR 2001, 323 – Temperaturwächter („einem vertraglichen Anspruch auf Vergütung einer empfangenen Gegenleistung ähnlich“); Ellger S. 348; Staudinger/Lorenz § 818 Rn. 28; Raue S. 261. 661 Ellger S. 348, 894 f.; Helms Gewinnherausgabe S. 76, 489. 662 BGH 26.10.2006 – I ZR 182/04 – BGHZ 169, 340 Tz. 12 = NJW 2007, 689 – Rücktritt des Finanzministers. 663 jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 130. 664 Raue S. 261 f. Vgl. auch jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 130. Anders die h. M. im Schadensrecht, dazu oben Rn. 125. 665 Raue S. 262; a. A. BGH 24.11.1981 – X ZR 7/80 – BGHZ 82, 299, 309 f. = GRUR 1977, 250 – Kunststoffhohlprofil II; BGH 24.11.1981 – X ZR 36/80 – BGHZ 82, 310, 321 ff. = GRUR 1982, 286 – Fersenabstützvorrichtung; jurisPK-UWG/ Koch § 9 Rn. 131; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 133. 666 BGH 27.2.1952 – II ZR 191/51 – BGHZ 5, 197, 200; BGH 24.11.1981 – X ZR 7/80 – BGHZ 82, 299,310 = GRUR 1977, 250 – Kunststoffhohlprofil II; Soergel/Hadding § 818 Rn. 25 m. w. N.; Palandt/Sprau § 818 Rn. 20. 667 Staudinger/Lorenz § 818 Rn. 50 f. 668 Dazu ausführlich Raue S. 460 ff. 669 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 3.4; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 133; Fezer/Büscher/Obergfell/ Koos § 9 Rn. 33; Raue S. 415 f. Raue

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D. Bereicherungsanspruch

§9

vermögen zurückgreifen und dieses über den Betrag der noch vorhandenen Bereicherung hinaus mindern müssen.670 Darin liegt einer der wesentlichen Unterschiede zwischen dem Bereicherungsanspruch und dem Schadensersatzanspruch. Der Entreicherungseinwand schützt das berechtigte Vertrauen des Verletzers, zu der Wettbewerbshandlung berechtigt gewesen zu sein.671 Daher kann eine „Bereicherungslizenz“ durchaus einen anderen Inhalt haben als eine „Schadenslizenz“.672 Ausgeschlossen ist der Entreicherungseinwand jedenfalls für Vorgänge ab dem Zeit- 187 punkt, in dem der Bereicherungsschuldner vom fehlenden Rechtsgrund erfährt, sowie nach Klageerhebung, vgl. §§ 818 Abs. 4, 819 Abs. 1 BGB. Umstritten ist allerdings, ob und inwieweit die Bereicherung über diese Konstellationen hinaus entfallen kann. Abzulehnen ist die Ansicht,673 nach der eine flüchtige Nutzung immer zu einer Entreicherung führt, wenn der Bereicherungsschuldner keine anderweitigen Aufwendungen erspart hat. Diese vermischt den Bereicherungsgegenstand mit der Frage der Entreicherung. Ebenfalls abzulehnen ist die Ansicht,674 die dem Bereicherungsschuldner den Entreicherungseinwand generell verweigert.675 Zutreffend ist allerdings deren grundsätzliche Prämisse, dass dem Bereicherungsschuldner der objektive Nutzen zugeflossen ist und dieser – anders als ein körperlicher Gegenstand – nicht zerstört werden oder verloren gehen kann.676 Dennoch ist eine differenzierende Betrachtung geboten:677 Auf der Ebene der Berei- 188 cherung ist der objektive Wert der Nutzungsmöglichkeit maßgeblich. Zurecht irrelevant ist, ob der Bereicherte mit der geschäftlichen Handlung Gewinne oder Verluste gemacht hat, solange ihm der wirtschaftliche Nutzen der Nutzungshandlung zugeflossen ist.678 Weil ihm das Bereicherungsrecht die überschießenden Gewinne belässt, ist es gerechtfertigt, dass er auch die korrespondierenden Verluste der Unternehmung trägt.679 Auf der Ebene der Entreicherung kann dagegen berücksichtigt werden, welchen individuellen Nutzen der Bereicherte daraus gezogen hat. Nur in dieser Höhe ist er dann noch bereichert. Auf Entreicherung kann sich daher ein Verletzer berufen, wenn die Nutzungshandlung aus ex ante Perspektive nicht zur Erhöhung von Absatzchancen oder sonstigen wirtschaftlichen Vorteilen geführt hat. Dasselbe gilt, wenn dem Bereicherten eine für seine Zwecke gleichwertige, aber billigere Alternative zur Verfügung gestanden oder er die Lizenz für die Nutzungshandlung billiger erhalten hätte.680 Dann ist er aus ökonomischer Sicht nur in Höhe der ersparten Alternativ-

670 Vgl. BGH 7.1.1971 – VII ZR 9/70 – BGHZ 55, 128, 134 = NJW 1971, 609, 611 f.; BGH 19.12.1984 – IVb ZR 51/83 – BGHZ 93, 183, 188 = NJW 1985, 1074, 1075; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 3.6.

671 Vgl. MünchKommBGB/Schwab § 818 Rn. 138 m. w. N.; Soergel/Hadding § 818 Rn. 40; Erman/Buck-Heeb § 818 Rn. 32.

672 Raue S. 263. 673 MünchKommBGB/Schwab § 818 Rn. 182 m. w. N.; Kraßer/Ann PatR § 35 Rn. 118 f.; Canaris JZ 1971, 560, 561. Vgl. auch BGH 30.11.1976 – X ZR 81/72 – BGHZ 68, 90, 94 = GRUR 1977, 250 – Kunststoffhohlprofil.

674 BGH 2.7.1971 – I ZR 58/70 – BGHZ 56, 317, 322 = NJW 1971, 2023 – Gasparone II; BGH 19.12.2000 – X ZR 150/ 98 – BGHZ 146, 217, 221 = GRUR 2001, 323 – Temperaturwächter; BGH 15.1.2015 – I ZR 148/13 – WRP 2015, 972 Tz. 32 – Motorradteile; BGH 27.10.2011 – I ZR 175/10 – GRUR 2012, 715 Tz. 41 – Bochumer Weihnachtsmarkt; BGH 14.4.1992 – VI ZR 285/91 – GRUR 1992, 557, 558 – Talkmaster-Foto. 675 jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 132; MünchKommBGB/Schwab § 818 Rn. 196; Canaris JZ 1992, 1114, 1120; Sack FS Hubmann S. 373, 384 ff. 676 Vgl. BGH 19.12.2000 – X ZR 150/98 – BGHZ 146, 217, 221 = GRUR 2001, 323 – Temperaturwächter; BGH 27.10.2011 – I ZR 175/10 – GRUR 2012, 715 Tz. 41 – Bochumer Weihnachtsmarkt. 677 Raue S. 263 ff. Ähnlich Teplitzky/Schaub Kap. 40 Rn. 11 ff., jeweils m. w. N. 678 BGH 2.7.1971 – I ZR 58/70 – BGHZ 56, 317, 322 = GRUR 1971, 522 – Gasparone II; BGH 27.10.2011 – I ZR 175/ 10 – GRUR 2012, 715 Tz. 41 – Bochumer Weihnachtsmarkt; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 134; a. A. Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 3.6; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 32; Teplitzky/Schaub Kap. 40 Rn. 13. 679 Raue S. 267. 680 Hinsichtlich letzterem MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 134; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 3.6; Teplitzky/Schaub Kap. 40 Rn. 12. 281

Raue

§9

Schadensersatz

aufwendungen bereichert, weil es der Lebenserfahrung entspricht, dass er bei Kenntnis der Rechtslage zu dieser Lösung gegriffen hätte.681 Die konkrete rechtswidrige Nutzungshandlung hat für ihn dann einen geringeren Wert als für den üblichen Lizenznehmer, so dass er hinsichtlich der Differenz entreichert ist. 189 Die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt jedoch der Bereicherungsschuldner, der daher substantiiert zu einer Entreicherung vortragen muss.682 Die pauschale Behauptung der Entreicherung ist daher nach allgemeinen prozessualen Grundsätzen unbeachtlich.

IV. Haftung mehrerer und Mitverschulden 190 Bei einer Mehrheit von Kondiktionsschuldnern haftet jeder einzelne nur auf das, was er auf Kosten des Verletzten konkret erlangt hat.683 Es handelt sich daher um eine Teilschuld (§ 420 BGB) und nicht um eine Gesamtschuld.684 Gegenüber dem Bereicherungsanspruch kann der Einwand des Mitverschuldens erhoben 191 werden.685 Zwar wird § 254 BGB nicht direkt auf bereicherungsrechtliche Ansprüche angewendet, aber diese stehen ebenfalls unter dem Vorbehalt des allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben aus § 242 BGB. Weil § 254 BGB eine besondere gesetzlich geregelte Ausprägung dieses Grundsatzes ist, kann dieser auch im Rahmen von Bereicherungsansprüchen berücksichtigt werden.686

V. Konkurrenzen und Verjährung 192 Bereicherungsansprüche stehen selbständig neben den lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzansprüchen.687 Die eigenständige Bedeutung der beiden Ansprüche ergibt sich sowohl aus ihrem unterschiedlichen Anwendungsbereich und ihren unterschiedlichen Anspruchsvoraussetzungen (hier insbesondere mit Blick auf das Verschuldenserfordernis) als auch aus ihren unterschiedlichen Rechtsfolgen. Bereicherungsrechtliche Ansprüche verjähren zudem nach der regelmäßigen Verjährungs193 frist in drei Jahren ab Entstehung und Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis (§§ 195, 199 BGB).688 Der Anwendungsbereich der sechsmonatigen Verjährungsfrist des § 11 Abs. 1 ist nicht eröffnet, da Bereicherungsansprüche im enumerativen Katalog nicht aufgeführt sind. Bei systematischer Auslegung fallen sie dann auch nicht als „andere Ansprüche“ unter die Verjährungshöchstfrist des § 11 Abs. 4.689

E. Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag 194 Neben den Ansprüchen auf Schadensersatz und Bereicherungsausgleich kommt bei einem vorsätzlichen Eingriff in individuell zugewiesene lauterkeitsrechtliche Rechtspositionen auch ein 681 682 683 684 685 686 687

Gursky JR 1998, 7, 11; Kaiser GRUR 1988, 501, 508. Vgl. auch Kraßer/Ann PatR § 35 Rn. 119. MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 134; Teplitzky/Schaub Kap. 40 Rn. 15. BGH 26.6.1979 – VI ZR 108/78 – GRUR 1979, 732, 734 – Fußballtor; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 134. BGH 26.6.1979 – VI ZR 108/78 – GRUR 1979, 732, 734 – Fußballtor; MünchKommBGB/Schwab § 812 Rn. 36, 340. MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 134; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 3.7. BGH 14.10.1971 – VII ZR 313/69 – BGHZ 57, 137 = NJW 1972, 36, 39 f.; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 134. Vgl. BGH 14.2.1978 – X ZR 19/76 – BGHZ 71, 68, 97 f. = GRUR 1978, 492, 495 – Fahrradgepäckträger II; Fezer/ Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 4. 688 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 3.7; Harte/Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 34. 689 GK-UWG/Toussaint § 11 Rn. 12 ff., 73 m. w. N. Raue

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F. Ansprüche auf Auskunft, Rechnungslegung und Besichtigung

§9

Anspruch aus einer unechten Geschäftsführung ohne Auftrag in Form der sog. angemaßten Eigengeschäftsführung gemäß §§ 687 Abs. 2, 681 Satz 2, 667 BGB in Betracht.690 Ein solcher Anspruch tritt neben die Ansprüche auf Schadensersatz und Bereicherungsausgleich.

F. Ansprüche auf Auskunft, Rechnungslegung und Besichtigung Schrifttum Abel Der Gegenstand des Auskunftsanspruches im deutschen gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, FS Pagenberg (2006) 221; Amschewitz Selbständiger und akzessorischer Auskunftsanspruch nach Umsetzung der Durchsetzungsrichtlinie, WRP 2011, 301; Asendorf Auskunftsansprüche nach dem Produktpirateriegesetz und ihre analoge Anwendung auf Wettbewerbsverstöße, FS Traub (1994) 21; Banzhaf Der Auskunftsanspruch (1989); Beyerlein Gaby./.Nicola – Keine zeitliche Begrenzung von Schadensersatz- und Auskunftsanspruch durch die vom Gläubiger nachgewiesene erste Verletzungshandlung, WRP 2007, 1310; Brändel Die Problematik eines Anspruchs auf ergänzende Rechnungslegung bei Schutzrechtsverletzungen, GRUR 1985, 616; Bork Effiziente Beweissicherung für den Urheberrechtsverletzungsprozess – dargestellt am Beispiel raubkopierter Computerprogramme, NJW 1997, 1665; Brandi-Dohrn Wer hat die eidesstattliche Versicherung auf die Richtigkeit einer Auskunft zu leisten?, GRUR 1999, 131; Eichmann Die Durchsetzung des Anspruchs auf Drittauskunft, GRUR 1990, 575; Dilly „Nicola“ siegt über „Gaby“ – zum Umfang des akzessorischen Auskunftanspruchs nach § 242 BGB, WRP 2007, 1313; v. Gamm Zur sog. Drittauskunft bei Wettbewerbsverletzungen, FS Vieregge (1995) 261; Grosch/Schilling Rechnungslegung und Schadensersatzfeststellung für die Zeit nach Schluss der mündlichen Verhandlung, FS Eisenführ (2003) 131; Haedicke Zweckbindung und Geheimnisschutz bei Auskunfts- und Rechnungslegungsansprüchen, GRUR 2020, 785; Jestaedt Auskunfts- und Rechnungslegungsanspruch bei Sortenschutzverletzung, GRUR 1993, 219; Kalbfus Die neuere Rechtsprechung des BGH zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, WRP 2013, 584; Knieper Mit Belegen gegen Produktpiraten, WRP 1999, 1116; Köhler Die Begrenzung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, GRUR 1996, 82; Köhler Der Schadensersatz-, Bereicherungs- und Auskunftsanspruch im Wettbewerbsrecht, NJW 1992, 1477; Krieger Zum Anspruch auf Auskunftserteilung wegen Warenzeichenverletzung, GRUR 1989, 802; Kunkel Die Schadensersatzberechnung im Immaterialgüterrecht. Materiellrechtliche und prozessuale Aspekte vor dem Hintergrund der EnforcementRichtlinie (2018); Lorenz Auskunftsansprüche im Bürgerlichen Recht, JuS 1995, 569; Lüke Der Informationsanspruch im Zivilrecht, JuS 1986, 2; McGuire Beweismittelvorlage und Auskunftsanspruch nach der Richtlinie 2004/ 48/EG zur Durchsetzung der Rechte des Geistigen Eigentums – Über den Umsetzungsbedarf im deutschen und österreichischen Prozessrecht, GRUR Int. 2005, 15; Nieder Zur Bekanntgabe von Abnehmern, Abnahmemengen, Lieferdaten und -preisen im Kennzeichenrecht, GRUR 1999, 654; v. Olenhusen/Crone Der Anspruch auf Auskunft gegenüber Internet-Providern bei Rechtsverletzungen nach Urheber- bzw. Wettbewerbsrecht, WRP 2002, 164; Oppermann Der Auskunftsanspruch im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (1997); Osterloh-Konrad Der allgemeine vorbereitende Informationsanspruch (2007); Pietzner Auskunft, Rechnungslegung und Schadensersatz bei wettbewerbswidrigen Eingriffen in fremdes Firmenrecht, GRUR 1972, 151; Schaffert Die Ansprüche auf Drittauskunft und Schadensersatz im Fall der Beeinträchtigung schutzwürdiger Kontrollnummernsysteme durch Entfernen oder Unkenntlichmachen der Kontrollnummern, FS Erdmann (2002) 719; Schulz Von Umsätzen, Angebotsempfängern, Abnehmeradressen, Gestehungskosten & Lieferantennamen, FS Klaka (1987) 27; Stauder Umfang und Grenzen der Auskunftspflicht im Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, GRUR Int. 1982, 226; Steinbeck, „Windsor Estate“ – Eine Anmerkung, GRUR 2008, 110; Stjerna, Pflicht des Schuldners zur Vorlage von Belegen im Rahmen der Auskunft und Rechnungslegung, GRUR 2011, 789; Stürner Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses, 1976; ders. Strafrechtliche Selbstbelastung und verfahrensförmige Wahrheitsermittlung, NJW 1981, 1757; Teplitzky Die jüngste Rechtsprechung des BGH zum wettbewerbsrechtlichen Anspruchsund Verfahrensrecht, GRUR 2003, 272; ders. Neue Entwicklungen beim wettbewerbs- und markenrechtlichen Auskunftsanspruch, FS Tilmann, 2003, 913; Tilmann Der Auskunftsanspruch, GRUR 1987, 251; ders. Aktuelle Fragen des Auskunftsanspruchs, MA 1989, 35; ders. Zum Anspruch auf Auskunftserteilung wegen Warenzeichenverletzung II, GRUR 1990, 160; ders. Die neueste BGH-Rechtsprechung zum Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB, GRUR 2002, 1015; Ulrich Die Geltendmachung von Ansprüchen auf Erteilung einer Auskunft im Verfahren der einstweiligen Verfügung, WRP 1997, 135; v. Ungern-Sternberg Auskunftsanspruch bei Verwendbarkeit der Auskunft zur Begründung von Vertragsstrafeansprüchen oder Anträgen auf Verhängung von Ordnungsmitteln? WRP 1984, 55; Winkler von Mohrenfels Abgeleitete Informationspflichten im deutschen Zivilrecht (1986).

690 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 202; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 35; Raue S. 603 f. 283

Raue

§9

Schadensersatz

I. Grundsätzliches 1. Zweck und Begrenzung des Auskunftsanspruchs 195 Damit ein Anspruch gerichtlich durchgesetzt werden kann, muss er hinreichend substantiiert dargelegt werden. Aber auch für die außergerichtliche Streitbeilegung benötigt der Verletzte oft Informationen, um seinen Schadensersatzanspruch berechnen zu können. Der Geschädigte kennt – im Gegensatz zum Verletzer – viele der für die Anspruchsdurchsetzung erforderlichen Tatsachen regelmäßig nicht.691 Insbesondere fehlen ihm meist Informationen, um die Höhe des Schadensersatzes bzw. der Bereicherung berechnen zu können. Deswegen hat der Geschädigte im Grundsatz einen Auskunftsanspruch gegen den Verletzer. Bei der Ausgestaltung des Anspruchs muss abgewogen werden zwischen dem Bedürfnis nach einer effektiven Rechtsdurchsetzung auf der einen Seite und dem (Geheimhaltungs-)Interesse des Verletzers auf der anderen Seite.

2. Schuldverhältnis als Rechtsgrundlage des Auskunftsanspruchs 196 Das deutsche Recht kennt keinen allgemeinen Auskunftsanspruch. Ein solcher Anspruch besteht im Regelfall nur innerhalb eines bestehenden vertraglichen oder gesetzlichen Schuldverhältnisses und wird in diesem aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) hergeleitet.692 Ein solches gesetzliches Schuldverhältnis wird insbesondere durch einen Lauterkeitsrechtsverstoß begründet.693 Nach ständiger Rechtsprechung ist neben einem Schuldverhältnis weitere Voraussetzung des Auskunftsanspruchs, dass „der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, er sich die zur Vorbereitung und Durchsetzung seines Anspruchs notwendigen Auskünfte nicht auf zumutbare Weise selbst beschaffen kann und der Verpflichtete sie unschwer, d. h. ohne unbillig belastet zu sein, zu geben vermag.“694

3. Verhältnis zu spezielleren Auskunftsansprüchen 197 Die Immaterialgüterrechtsgesetze enthalten mittlerweile spezielle Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung (§ 140b PatG; § 24b GebrMG; § 9 Abs. 2 HalblSchG; §§ 101, 101a UrhG; § 46 DesignG; § 19 MarkenG; § 37b SortSchG), mit denen die entsprechenden Vorgaben der Durchsetzungs-RL 2004/48/EG umgesetzt worden sind. Diese Ansprüche sind nach Ansicht der Rechtsprechung mangels Regelungslücke nicht analog auf das Lauterkeitsrecht anwendbar.695 Allerdings sperren sie auch nicht die Anwendung des Auskunftsanspruchs nach § 242 BGB.696 Darüber hinaus sieht das GeschGehG in § 8 einen Auskunftsanspruch vor. 691 Vgl. etwa BGH 7.12.1979 – I ZR 157/77 – GRUR 1980, 227, 332 – Monumenta Germaniae Historica. 692 Aus der Rechtsprechung etwa BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322, 328 f. = GRUR 1994, 630, 632 – Cartier-Armreif; BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26, 30 = GRUR 2001, 841, 842 – Entfernung der Herstellungsnummer II; BGH 29.4. 2010 – I ZR 68/08 – GRUR 2010, 623 Tz. 43 – Restwertbörse. 693 BGH 5.6.1985 – I ZR 53/83 – BGHZ 95, 274, 279 = GRUR 1986, 62, 64 – Gema-Vermutung I; BGH 19.3.1987 – I ZR 98/85 – GRUR 1987, 647 – Briefentwürfe; BGH 8.11.2007 – I ZR 172/05 – GRUR 2008, 360 Tz. 17 f. – EURO und Schwarzgeld. 694 Vgl. nur BGH 5.6.1985 – I ZR 53/83 – BGHZ 95, 274, 279 = GRUR 1986, 62, 64 – Gema-Vermutung I; BGH 29.4. 2010 – I ZR 68/08 – GRUR 2010, 623 Tz. 43 – Restwertbörse m.w.N. Ferner Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.5. 695 BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322, 329 = GRUR 1994, 630, 632 – Cartier-Armreif (noch zu den früheren, auf dem Gesetz zur Stärkung des Schutzes geistigen Eigentums und zur Bekämpfung der Produktpiraterie beruhenden Ansprüchen). 696 BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322, 329 = GRUR 1994, 630, 632 – Cartier-Armreif; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 9 Rn. 4.3. Raue

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F. Ansprüche auf Auskunft, Rechnungslegung und Besichtigung

§9

Das UWG enthält für Schadensersatzansprüche keine ausdrücklich geregelten Aus- 198 kunftsansprüche. Allerdings sind Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung gewohnheitsrechtlich anerkannt bzw. für die Besichtigung in § 809 BGB geregelt (dazu unten Rn. 273 ff.). Für Unterlassungsansprüche verweist § 8 Abs. 5 auf § 13 UKlaG. Dieser sieht zugunsten der in § 8 Abs. 3 Nr. 2 bis 4 Genannten einen speziellen Drittauskunftsanspruch gegenüber den Erbringern von Post-, Telekommunikations- oder Telemediendiensten vor, Namen und die zustellungsfähige Anschrift eines Beteiligten ihrer Dienste mitzuteilen (dazu § 8 Rn. 284 f.). Weiterhin sieht § 10 Abs. 4 vor, dass die Gläubiger des Gewinnabschöpfungsanspruchs der zuständigen Stelle des Bundes (dem Bundesverwaltungsamt) Auskunft erteilen müssen, wenn sie Ansprüchen nach § 10 Abs. 1 geltend machen. Er soll der zuständigen Stelle des Bundes Klarheit über die Rechtsverfolgungsaktivitäten verschaffen (dazu § 10 Rn. 179).

4. Arten der Auskunftsansprüche Es wird herkömmlich zwischen selbstständigen und unselbstständigen Auskunftsansprü- 199 chen sowie zwischen dem Auskunftsanspruch (im engeren Sinn) und einem Rechnungslegungsanspruch unterschieden, der eine besondere Form der Auskunftserteilung ist.

a) Selbstständige und unselbstständige Auskunftsansprüche. Auskunftsansprüche wer- 200 den allgemein nach der Person des Auskunftsschuldners unterschieden. Gemeinsame Quelle der gesetzlich nicht gesondert aufgeführten Auskunftsansprüche ist ein bestehendes Schuldverhältnis. Benötigt der Gläubiger die Auskunft, um Ansprüche aus dem Schuldverhältnis gegen den Auskunftsschuldner selbst durchzusetzen, spricht man von einem unselbstständigen (akzessorischen) Auskunftsanspruch. Darüber hinaus kann der Auskunftsschuldner nach Treu und Glauben auch dazu verpflich- 201 tet sein, dem Gläubiger Informationen zur Verfügung zu stellen, mit denen dieser gegen Dritten Ansprüche wegen des Wettbewerbsverstoßes durchsetzen kann.697 Sie werden als selbstständige (primäre) Auskunftsansprüche bezeichnet (ausführlich unten Rn. 255 ff.). b) Rechnungslegungsanspruch. Des Weiteren unterscheidet man zwischen dem Auskunfts- 202 anspruch (im engeren Sinne) und der Rechnungslegung. Systematisch betrachtet ist der Rechnungslegungsanspruch eine besondere, gesteigerte Form der Auskunftserteilung (vgl. § 666 BGB).698 Für den Umfang und die Durchsetzung des Anspruchs auf Rechnungslegung gelten daher die nachstehenden Ausführungen zum Auskunftsanspruch entsprechend. Auch bei dem Rechnungslegungsanspruch wird traditionell zwischen unselbständigen (akzessorischen) Ansprüchen und selbständigen (primären) Ansprüchen unterschieden, wobei letzteren im Wettbewerbsrecht kaum Bedeutung zukommt.699 Weil die Einsicht in geschäftliche Unterlagen die Interessen des Betroffenen stärker be- 203 einträchtigt als eine bloße Auskunft, beinhaltet nicht jede Auskunftspflicht auch eine Ver-

697 BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322, 328 ff. = GRUR 1994, 630, 632 – Cartier-Armreif; BGH 24.4.1994 – I ZR 152/92 – GRUR 1994, 635, 636 f. – Pulloverbeschriftung; BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26, 30 = GRUR 2001, 841, 842 – Entfernung der Herstellungsnummer II. Selbständige Auskunftsansprüche sind in den Immaterialgüterrechtsgesetzen in Umsetzung der Durchsetzungs-RL 2004/48/EG geregelt, § 24b GebrMG, § 46 DesignG, § 19 MarkenG, § 140b PatG, § 37b SortSchG, §§ 101, 101a UrhG. 698 Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 40; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.6; Harte/Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 58. 699 Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 340; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.7b; Teplitzky Kap. 39 Rn. 2 m. w. N. 285

Raue

§9

Schadensersatz

pflichtung zur Rechnungslegung.700 Ein Rechnungslegungsanspruch kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn die einfache Auskunft ungeeignet ist, dem Berechtigten die erforderliche Klarheit zu verschaffen.701 Bei Verstößen gegen das Lauterkeitsrecht besteht daher im Regelfall nur ein Auskunfts, nicht aber ein Rechnungslegungsanspruch.702 Zu den Ausnahmen und weiteren Details unten Rn. 251 ff.

II. Tatbestand 204 Neben dem erwähnten Schuldverhältnis ist nach ständiger Rechtsprechung weitere Voraussetzung für den Auskunftsanspruch, dass „der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, er sich die zur Vorbereitung und Durchsetzung seines Anspruch notwendigen Auskünfte nicht auf zumutbare Weise selbst beschaffen kann und der Verpflichtete sie unschwer, d. h. ohne unbillig belastet zu sein, zu geben vermag.“703 Daraus ergeben sich folgende Voraussetzungen des Auskunfts- und damit auch des Rechnungslegungsanspruchs.

1. Bestehen eines Rechtsverhältnisses 205 Erste Voraussetzung eines Auskunfts- bzw. Rechnungslegungsanspruchs ist das Bestehen eines Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien.704 Das (gesetzliche) Schuldverhältnis entsteht im Regelfall durch einen Lauterkeitsrechtsverstoß.705 Nach der Rechtsprechung muss es sich ggf. noch durch eine Abmahnung konkretisieren.706 Dieses Schuldverhältnis beinhaltet als Nebenpflicht einen Auskunftsanspruch (§§ 241 Abs. 2, 242 BGB), soweit die Auskünfte zur Durchsetzung anderer (Haupt-)Ansprüche aus diesem Rechtsverhältnis erforderlich sind. Außerdem verpflichtet es den Verletzer als Teil der Rücksichtnahmepflichten (§ 241 Abs. 2 Var. 3 BGB), Informationen über Dritte bereitzustellen, die an dem Rechtsverstoß beteiligt waren.707 206 Auch ein konkret bevorstehender Lauterkeitsrechtsverstoß begründet ein solches Rechtsverhältnis, sobald eine Erstbegehungsgefahr besteht.708 Allerdings fehlt es bei diesem Rechtsverhältnis im Regelfall an den weiteren Voraussetzungen des Auskunftsanspruchs.709 Im Umkehrschluss kommt ein Auskunftsanspruch gegenüber solchen Personen nicht in Betracht, 700 BGH 31.3.1971 – VIII ZR 198/69 – WM 1971, 565, 566; BGH 21.2.2002 – I ZR 140/99 – GRUR 2002, 709, 712 – Entfernung der Herstellungsnummer III; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.6. 701 BGH 31.3.1971 – VIII ZR 198/69 – WM 1971, 565, 566. 702 BGH 18.12.1968 – I ZR 130/66 – GRUR 1969, 292, 294 – Buntstreifensatin II; BGH 13.2.1976 – I ZR 1/75 – GRUR 1978, 52 – Fernschreibverzeichnisse; OLG Hamm 12.1.2017 – 4 U 80/16 – GRUR-RR 2017, 328 Tz. 33; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.7b. 703 BGH 5.6. 1985 – I ZR 53/83 – BGHZ 95, 274, 279 f. = GRUR 1986, 62, 64 – GEMA-Vermutung I; BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26, 30 = GRUR 2001, 841, 843 – Entfernung der Herstellungsnummer II; BGH 8.11.2007 – I ZR 172/05 – GRUR 2008, 360 Tz. 17 – EURO und Schwarzgeld; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.5. 704 BGH 8.11.2007 – I ZR 172/05 – GRUR 2008, 360 Tz. 17 – EURO und Schwarzgeld m. w. N.; Harte/Henning/ Goldmann vor § 8 Rn. 44. 705 BGH 19.3.1987 – I ZR 98/85 – GRUR 1987, 647 – Briefentwürfe; BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26, 30 = GRUR 2001, 841, 843 f. – Entfernung der Herstellungsnummer II; BGH 8.11.2007 – I ZR 172/05 – GRUR 2008, 360 Tz. 17 f. – EURO und Schwarzgeld; Harte/Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 44. 706 BGH 8.11.2007 – I ZR 172/05 – GRUR 2008, 360 Tz. 18 – EURO und Schwarzgeld. 707 Vgl. BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26, 30 f. = GRUR 2001, 841, 843 f. – Entfernung der Herstellungsnummer II. 708 Vgl. MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 146; a. A. Fezer/Büscher/Obergfell/Büscher § 8 Rn. 311. 709 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 146. Raue

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F. Ansprüche auf Auskunft, Rechnungslegung und Besichtigung

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die weder einen Lauterkeitsrechtsverstoß begangen noch konkrete Vorbereitungen dafür getroffen haben. Deshalb können gegen Journalisten, die verdeckt über Wettbewerbsverstöße wegen Schleichwerbung recherchiert haben, keine Auskunfts- oder sonstigen Ansprüche geltend gemacht werden.710 Darüber hinaus entsteht ein Auskunftsanspruch ausnahmsweise ohne Lauterkeitsverstoß, 207 wenn sich der Schuldner eines Rechts berühmt, dessen Bestehen oder Nichtbestehen der Gläubiger nicht überprüfen kann.711 Schließlich kann ein solches Schuldverhältnis auch durch den Abschluss eines Unterlassungsvertrags entstehen.712

2. Zur Durchsetzung eines Hauptanspruchs Der Auskunftsanspruch ist lediglich ein Hilfsanspruch, der dem Gläubiger die Vorbereitung 208 und Durchsetzung anderer (Haupt-)Ansprüche ermöglichen soll. Als Hauptanspruch kommen insbesondere die Ansprüche auf Schadensersatz, Herausgabe der Bereicherung oder Beseitigung in Betracht.713 Ausnahmsweise kann auch ein Unterlassungsanspruch zur Auskunft berechtigen, wenn Ungewissheit über dessen sachliche und zeitliche Reichweite besteht.714

a) Konkretisierung, keine Ausforschung. Das deutsche Recht gewährt keinen von der 209 Durchsetzung eines konkreten Hauptanspruchs unabhängigen allgemeinen Auskunfts- bzw. Ausforschungsanspruch.715 Damit soll in systematischer Hinsicht vor allem ein Unterlaufen der allgemeinen Darlegungs- und Beweislastregeln verhindert werden.716 Der Gläubiger muss daher nachweisen, dass ihm ein Hauptanspruch zumindest dem Grunde nach zusteht und dass die angeforderten Informationen zu seiner Durchsetzung geeignet und erforderlich sind (zu letzterem unten Rn. 222).717 Der Gläubiger muss daher eine Verletzungshandlung nachweisen, aus der einer der zuvor in Rn. 208 genannten Hauptansprüche erwachsen kann. Darüber hinaus muss der Gläubiger ein Informationsdefizit bzw. -bedürfnis haben, das die Anspruchsdurchsetzung erschwert oder verhindert (dazu unten 3. und 4.).718

710 OLG München 20.1.2005 – 6 U 3236/04 – ZUM 2005, 399, 403 – Verdeckte Recherche bei Verdacht des Anerbietens von Schleichwerbung; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 146.

711 Vgl. MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 146. 712 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 145; Harte/Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 44. 713 BGH 4.7.1975 – I ZR 115/73 – GRUR 1976, 367, 368 – Ausschreibungsunterlagen; BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322, 329 = GRUR 1994, 630, 632 – Cartier-Armreif; BGH 14.12.1995 – I ZR 210/93 – GRUR 1996, 271, 275 – Gefärbte Jeans; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.4. 714 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.4. 715 BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26, 35 = GRUR 2001, 841, 844 – Entfernung der Herstellungsnummer II; BGH 23.2.2006 – I ZR 27/03 – BGHZ 166, 233 = GRUR 2006, 504 Tz. 34 – Parfumtestkäufe; BGH 23.2.2006 – I ZR 272/02 – BGHZ 166, 253 = GRUR 2006, 421 Tz. 41 – Markenparfümverkäufe; BGH 29.4.2010 – I ZR 68/08 – GRUR 2010, 623 Tz. 51, 54 – Restwertbörse; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 154; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.11. 716 BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26, 35 = GRUR 2001, 841, 844 – Entfernung der Herstellungsnummer II; BGH 23.2.2006 – I ZR 27/03 – BGHZ 166, 233 = GRUR 2006, 504 Tz. 34 – Parfumtestkäufe; BGH 23.2.2006 – I ZR 272/02 – BGHZ 166, 253 = GRUR 2006, 421 Tz. 41 – Markenparfümverkäufe; BGH 29.4. 2010 – I ZR 68/08 – GRUR 2010, 623 Tz. 51 – Restwertbörse. 717 BGH 5.6. 1985 – I ZR 53/83 – BGHZ 95, 274, 279 = GRUR 1986, 62, 64 – GEMA-Vermutung I; MünchKommUWG/ Fritzsche § 9 Rn. 154. 718 Vgl. etwa BGH 26.11.1987 – I ZR 123/85 – GRUR 1988, 307, 308 – Gaby; BGH 29.6.2000 – I ZR 29/98 – GRUR 2000, 907, 910 – Filialleiterfehler. 287

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Schadensersatz

210 b) Verletzungshandlung. Der Verletzer muss Auskunft geben über Art, Umfang und zeitliche Dimension der Verletzungshandlung.719 Der Auskunftsanspruch ist auf die Informationen beschränkt, die für die Verfolgung der konkret dargelegten und nachgewiesenen Rechtsverletzung erforderlich sind.720 Der Auskunftsanspruch erstreckt sich auf kerngleiche Verletzungshandlungen, in denen 211 das Charakteristische der nachgewiesenen Verletzungshandlung zum Ausdruck kommt.721 Der Gläubiger hat dagegen keinen Anspruch auf Informationen, die lediglich weitere mögliche, aber selbstständige Verletzungshandlungen betreffen, die er noch nicht belegen kann.722 So wird eine Grenze zu dem gesetzlich nicht vorgesehenen allgemeinen Auskunfts- bzw. Ausforschungsanspruch gezogen.723 Der Auskunftsschuldner muss daher keine Auskunft über ähnliche, nicht erwiesene Verletzungshandlungen erteilen, auch wenn diese aufgrund der nachgewiesenen Rechtsverletzung möglich und sogar wahrscheinlich sind.724 Etwas anderes gilt jedoch in vertraglichen Beziehungen. Dann hat der Verletzte auch einen Auskunftsanspruch über weitere, nicht kerngleiche Verletzungshandlungen, soweit nicht anerkennenswerte Interessen des Vertragspartners entgegenstehen.725 212 Beim vorbeugenden Unterlassungsanspruch muss der Unterlassungsschuldner daher keine Auskunft über künftige Rechtsverletzungen geben, die sein Vorverhalten nicht nahelegen.726 Darüber hinaus kann der Gläubiger keine Auskünfte für Schadensersatzansprüche wegen ähnlicher oder zukünftiger Handlungen geltend machen, die er nicht näher substantiieren kann.727 Soll der Auskunftsanspruch die Berechnung des Schadensersatzes ermöglichen, muss der Gläubiger zudem darlegen, dass die noch nicht konkret festgestellten Verletzungshandlungen nur schuldhaft begangen worden sein können.728 Die Rechtsprechung hat die Abgrenzung von kerngleichen zu selbstständigen Verlet213 zungshandlungen in einer Reihe von Urteilen näher konkretisiert. Besteht eine lauterkeitsrechtswidrige Werbeaktion aus einer Vielzahl von Teilakten, dann muss der Verletzer über alle Teilakte Auskunft geben, etwa über alle Vertragsschlüsse einer (zu dem Zeitpunkt rechts719 BGH 27.11.1964 – Ib ZR 23/63 – GRUR 1965, 313, 314 – Umsatzauskunft; BGH 14.11.1980 – I ZR 138/78 – GRUR 1981, 286, 288 – Goldene Karte I. 720 BGH 23.2.2006 – I ZR 27/03 – BGHZ 166, 233 = GRUR 2006, 504 Tz. 34, 36 f. – Parfumtestkäufe; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 147. 721 BGH 1.2.1996 – I ZR 50/94 – GRUR 1996, 502, 507 – Energiekosten-Preisvergleich I; BGH 23.2.2006 – I ZR 27/ 03 – BGHZ 166, 233 = GRUR 2006, 504 Tz. 34, 36 f. – Parfumtestkäufe; BGH 29.4.2010 – I ZR 68/08 – GRUR 2010, 623 Tz. 50 – Restwertbörse; BGH 15.3.2012 – I ZR 137/10 – GRUR 2012, 630 Tz. 19 m. w. N. – CONVERSE II; BGH 2.10.2012 – I ZR 82/11 – GRUR 2013, 638 Tz. 53 – Völkl; Teplitzky/Büch Kap. 38 Rn. 7b; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 147, 154. 722 BGH 29.6.2000 – I ZR 29/98 – GRUR 2000, 907, 910 – Filialleiterfehler; BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26, 35 = GRUR 2001, 841, 844 – Entfernung der Herstellungsnummer II; BGH 23.2.2006 – I ZR 27/03 – BGHZ 166, 233 = GRUR 2006, 504 Tz. 34 – Parfumtestkäufe; Harte/Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 44; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 9 Rn. 4.11; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 154. 723 BGH 23.2.2006 – I ZR 27/03 – BGHZ 166, 233 = GRUR 2006, 504 Tz. 34 – Parfumtestkäufe. 724 BGH 4.3.2004 – I ZR 221/01 – BGHZ 158, 174, 187 f. = GRUR 2004, 696 – Direktansprache am Arbeitsplatz I; BGH 8.7.1980 – VI ZR 159/78 – GRUR 1980, 1105, 1111 – Das Medizinsyndikat III (insoweit nicht in BGHZ 78, 9); BGH 29.6.2000 – I ZR 29/98 – GRUR 2000, 907, 910 – Filialleiterfehler; BGH 14.11.2002 – I ZR 137/200 – GRUR 2003, 446, 447 m. w. N. – Preisempfehlung für Sondermodelle; BGH 9.2.2006 – I ZR 73/02 – GRUR 2006, 426 Tz. 24 – Direktansprache am Arbeitsplatz II. 725 BGH 29.4.2010 – I ZR 68/08 – GRUR 2010, 623 Tz. 51 – Restwertbörse; BGH 20.6.1991 – I ZR 277/89 – GRUR 1992, 61, 64 – Preisvergleichsliste; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.11; Teplitzky/Büch Kap. 38 Rn. 7b. 726 Vgl. BGH 29.6.2000 – I ZR 29/98 – GRUR 2000, 907, 910 – Filialleiterfehler; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 147. 727 BGH 29.6.2000 – I ZR 29/98 – GRUR 2000, 907, 910 – Filialleiterfehler. 728 BGH 23.2.2006 – I ZR 27/03 – BGHZ 166, 233 = GRUR 2006, 504 Tz. 45 – Parfumtestkäufe; BGH 29.4.2010 – I ZR 68/08 – GRUR 2010, 623 Tz. 55 – Restwertbörse; Teplitzky/Büch Kap. 38 Rn. 7b; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.11. Raue

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F. Ansprüche auf Auskunft, Rechnungslegung und Besichtigung

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widrigen) Rabattaktion.729 Der Nachweis einer irreführenden Werbung in einer Filiale berechtigt zur Auskunft von Werbemaßnahmen anderer Filialen, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass mit der Werbebeilage auch in anderen Filialen geworben wurde, etwa weil deren Aufmachung eine überörtliche Werbeaktion nahelegt. Der Nachweis berechtigt hingegen nicht zur Auskunft über „irgendwelche anderen Wettbewerbsverstöße“, die „den konkret beanstandeten Wettbewerbsverstößen allenfalls ähnlich sind, aber an anderen Orten und unter wesentlich veränderten Umständen, gegebenenfalls auch zu anderen Zeiten begangen worden sind“.730 Ohne nähere Anhaltspunkte lässt die wettbewerbswidrige Werbung in einer Zeitung nicht darauf schließen, dass auch in anderen Medien, etwa im Radio, Fernsehen oder Internet, geworben wurde, so dass auch kein entsprechender Auskunftsanspruch besteht.731 Wenn dem Verletzer lediglich der Vertrieb von zwei Parfummarken ohne Herstellernummern nachgewiesen werden kann, erstreckt sich der Auskunftsanspruch nicht auf den Verkauf anderer Parfummarken des Gläubigers;732 allerdings kann Auskunft über weitere Bezugshandlungen verlangt werden, die in einem engen inhaltlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der festgestellten Bezugshandlung stehen.733

c) Auskunftszeitraum. Der Verletzte konnte früher den Auskunftsanspruch grundsätzlich nur 214 für Handlungen ab dem Zeitpunkt der ersten vorgetragenen und bewiesenen Verletzungshandlung geltend machen.734 Allerdings ist es dem Verletzten oft unmöglich, den Zeitpunkt einer Verletzungshandlung konkret anzugeben, insbesondere wenn sie sich in der Betriebssphäre des Verletzers abgespielt hat. Daher hat der I. Zivilsenat seine restriktive Rechtsprechung in der Entscheidung „Windsor Estate“ zu Recht aufgegeben.735 Der Auskunftsanspruch erstreckt sich heute auf alle kerngleichen Verletzungshandlungen, die im Zusammenhang mit der nachgewiesenen Verletzungshandlung stehen, unabhängig davon ob sie vor oder nach der nachgewiesenen konkreten Verletzungshandlung stattgefunden haben.736 Der Auskunftszeitraum kann sich auch auf schon verjährte Zeiträume der Rechtsverletzung erstrecken, wenn die Auskünfte es dem Gläubiger möglicherweise erleichtern, die Kausalität von Verletzungshandlung und eigenem Schaden darzulegen.737

729 BGH 14.11.1980 – I ZR 138/78 – GRUR 1981, 286, 288 – Goldene Karte I. Zu eng daher OLG Dresden 20.6.2017 – 14 U 50/17 – WRP 2017, 994 Tz. 29. 730 BGH 29.6.2000 – I ZR 29/98 – GRUR 2000, 907, 910 f. – Filialleiterfehler. 731 Vgl. BGH 6.4.2000 – I ZR 114/98 – GRUR 2001, 84 – Neu in Bielefeld II. 732 BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26, 31 f. = GRUR 2001, 841, 844 – Entfernung der Herstellungsnummer II. 733 BGH 23.2.2006 – I ZR 27/03 – BGHZ 166, 233 = GRUR 2006, 504 Tz. 34, 36 ff. – Parfumtestkäufe. 734 BGH 26.11.1987 – I ZR 123/85 – GRUR 1988, 306, 307 – Gaby; BGH 21.3.1991 – I ZR 158/89 – GRUR 1992, 523, 525 – Betonsteinelemente; BGH 29.9.1994 – I ZR 114/84 – GRUR 1995, 50, 54 – Indorektal/Indohexal; BGH 15.5.2003 – I ZR 214/00 – GRUR 2003, 892, 893 – Alt-Luxemburg, allerdings mit Ausnahmen, etwa in Fällen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit anzunehmender weiterer Verletzungshandlungen; BGH 5.6.1985 – I ZR 53/83 – BGHZ 95, 274, 279 f. = GRUR 1986, 62, 64 – GEMA-Vermutung I; Anders jedoch immer schon der X. Zivilsenat, BGH 25.2.1992 – X ZR 41/90 – BGHZ 117, 264, 278 f. = GRUR 1992, 612, 616 – Nicola. 735 BGH 19.7.2007 – I ZR 93/04 – BGHZ 173, 269, 276 f. = GRUR 2007, 877 Tz. 24 ff. – Windsor Estate. Ebenfalls zustimmend MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 156. Kritisch dagegen Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 332; Steinbeck GRUR 2008, 110, 111 f. 736 BGH 19.7.2007 – I ZR 93/04 – BGHZ 173, 269, 276 f. = GRUR 2007, 877 Tz. 24 ff. – Windsor Estate; BGH 29.4.2010 – I ZR 68/08 – GRUR 2010, 623 Tz. 54 – Restwertbörse; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.11; MünchKommUWG/ Fritzsche § 9 Rn. 156; Harte/Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 65. 737 OLG Celle 19.12.2019 – 13 U 87/18 – PharmR 2020, 278, 283 f. 289

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Schadensersatz

3. Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der eigenen Informationserlangung 215 Grundsätzlich gehört es zur Obliegenheit des Verletzten, alle Informationen zusammenzutragen, mit denen der Anspruch durchgesetzt werden kann. Daher ist ein Auskunftsanspruch im Grundsatz subsidiär und besteht nur, soweit ihm die eigene Informationserlangung unmöglich oder unzumutbar ist. Der Verletzte muss daher sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten ausschöpfen.738 Das gilt aber nur im Rahmen des Zumutbaren.739 Unzumutbar ist die eigene Informationsbeschaffung, wenn dafür Gesetze gebrochen werden müssen, sie nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand möglich ist oder die auf diesem Weg zu erlangenden Informationen mit hoher Wahrscheinlichkeit unzutreffend oder unvollständig sind.740 Zumutbar ist es dem Gläubiger allerdings, sich Informationen im Internet zu beschaffen, auch wenn er sich dafür bei einem Dienst (kostenpflichtig) registrieren lassen muss.741 Nach Treu und Glauben sollte aber anderes gelten, wenn die Informationsbeschaffung für den Verletzer einfach möglich ist, etwa weil ihm Adresslisten vorliegen, und für den Verletzten mit nicht unerheblichem Aufwand verbunden ist.742

4. Unverschuldete Ungewissheit des Gläubigers 216 Weitere Voraussetzung des Auskunfts- oder Rechnungslegungsanspruchs ist die Ungewissheit des Klägers über den Umfang des Hauptanspruchs. Der Auskunftsanspruch entfällt also, soweit sich dem Vortrag des Gläubigers entnehmen lässt, dass er über die Informationen bereits verfügt.743 Darüber hinaus muss die Unwissenheit unverschuldet sein. Die Unwissenheit ist vorwerf217 bar, wenn der Gläubiger früher bestehende Informationsmöglichkeiten nicht genutzt744 oder vorhandene Informationen vorwerfbar nicht gesichert hat.745 Deswegen lebt der Auskunftsanspruch auch wieder auf, wenn eine bereits erteilte Auskunft unverschuldet verloren geht.746

5. Keine Unmöglichkeit der Informationsbeschaffung und -weitergabe für den Schuldner 218 Die Auskunftspflicht entfällt, wenn die Auskunft dem Schuldner unmöglich geworden ist (§ 275 Abs. 1 BGB). Die Darlegungs- und Beweislast dafür liegt nach allgemeinen Grundsätzen beim Auskunftsschuldner.747

738 Vgl. BGH 7.5.1980 – VIII ZR 120/79 – NJW 1980, 2463, 2464; OLG Hamburg 28.3.2019 – 3 U 66/15 – GRUR-RR 2019, 389 Tz. 86 – DUO-Register (zur Lauer-Taxe). 739 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.9. 740 Vgl. BGH 7.5.1980 – VIII ZR 120/79 – NJW 1980, 2463, 2464; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 152; Harte/Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 47. Zu letzterem OLG Hamburg 8.5.2003 – 5 U 175/02 – GRUR-RR 2004, 46, 49 – Rexona. 741 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 151; a. A. OLG Hamburg 8.5.2003 – 5 U 175/02 – GRUR-RR 2004, 46, 49 – Rexona. Die (Rechtsverfolgungs-)Kosten muss der Schädiger dem Geschädigten dann allerdings als Teil des Schadensersatzes ersetzen. 742 Ähnlich Harte/Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 47. 743 Vgl. MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 150. 744 BGH 7.5.1980 – VIII ZR 120/79 – NJW 1980, 2463, 2464. 745 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.10; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 151. 746 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.32; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 186. 747 OLG Frankfurt 11.9.2014 – 6 U 107/13 – WRP 2014, 1484 Tz. 24; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.9. Raue

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F. Ansprüche auf Auskunft, Rechnungslegung und Besichtigung

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a) Tatsächliche Unmöglichkeit. Die Auskunftspflicht wird für den Schuldner unmöglich, 219 wenn er über die Informationen nicht (mehr) verfügt und er sie sich auch nicht beschaffen kann.748

b) Rechtliche Unmöglichkeit wegen entgegenstehender Geheimhaltungsverpflichtun- 220 gen. Eine tatsächlich mögliche Auskunftspflicht kann nach § 275 Abs. 1 BGB wegen rechtlicher Unmöglichkeit entfallen, wenn der Schuldner einer vorrangigen entgegenstehenden Geheimhaltungsverpflichtung unterliegt. Daher entfällt die Verpflichtung des Schuldners, wenn er aufgrund einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht die Auskunft nicht erteilen darf.749 Eine solche Verschwiegenheitsverpflichtung ist das Anwaltsgeheimnis (§ 43a Abs. 2 BRAO, § 2 BORA). Daher muss ein Rechtsanwalt, der rechtswidrig eine Internetdomain verwendet hat, keine Auskunft über die Mandanten erteilen, die über die Webseite auf ihn aufmerksam geworden sind.750 Des Weiteren können überwiegende datenschutzrechtliche Interessen Dritter dem Auskunftsanspruch entgegenstehen, wobei allerdings bei Bestehen der Auskunftspflicht die Übermittlung der personenbezogenen Daten natürlicher Personen (= Datenverarbeitung i. S. v. Art. 4 Nr. 2 DSGVO) regelmäßig nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. f DSGVO rechtmäßig ist.751 Soweit das Recht auf informationelle Selbstbestimmung überwiegt und nur durch eine Einwilligung der Betroffenen überwunden werden kann, muss der Auskunftsschuldner die Betroffenen anschreiben und um Zustimmung bitten. Vertragliche Geheimhaltungsverpflichtungen wirken nur zwischen den Parteien und daher nicht gegenüber einem Dritten, so dass diese einer Auskunftspflicht grundsätzlich nicht entgegenstehen.752 Das gilt insbesondere bei einem selbstständigen Auskunftsanspruch, wenn der Dritte lauterkeitsrechtlich geschützte Interessen verletzt hat. In allen anderen Fällen muss im Rahmen der datenschutzrechtlichen Abwägung geprüft werden, ob die berechtigte Geheimhaltungserwartung des Dritten das Auskunftsinteresse des Verletzten überwiegt.753

6. Verhältnismäßigkeit Der Auskunftsanspruch beeinträchtigt die Interessen des Auskunftsschuldners und besteht da- 221 her nur, soweit die Auskunftserteilung im konkreten Einzelfall verhältnismäßig ist.754 Daher muss die Auskunft erstens geeignet und erforderlich sein, um die Ungewissheit des Gläubigers zu beheben und ihm die Durchsetzung weiterer Ansprüche aus dem Rechtsverhältnis zu ermöglichen (dazu a). Zweitens muss sie für den Auskunftsschuldner zumutbar sein (dazu b).

748 749 750 751

OLG Frankfurt 11.9.2014 – 6 U 107/13 – WRP 2014, 1484 Tz. 24. Vgl. BGH 4.4.1979 – VIII ZR 118/78 – NJW 1979, 2351, 2353 zum Mietrecht. BGH 11.4.2002 – I ZR 317/99 – GRUR 2002, 706, 708 – vossius.de; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 167. OLG Celle 19.12.2019 – 13 U 87/18 – PharmR 2020, 278, 283; OLG München 24.10.2018 – 3 U 1551/17 – GRURRR 2019, 137 Tz. 29 ff. – Vertragshändlervertrag; Ehmann/Selmayr/Heberlein DSGVO, Art. 6 Rn. 22. Auf Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. c DSGVO kann die Datenverarbeitung nicht gestützt werden, weil § 242 BGB als Rechtsgrundlage nicht dem Bestimmtheitserfordernis von Art. 6 Abs. 2, 3 DSGVO i. V. m. Erwgr. 41 entsprechen dürfte. 752 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 157; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.12. 753 Vgl. MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 157; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.18. 754 BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322, 331 = GRUR 1994, 630, 633 – Cartier-Armreif; BGH 27.11.1964 – Ib ZR 23/63 – GRUR 1965, 313, 314 – Umsatzauskunft; BGH 23.2.1995 – I ZR 75/93 = GRUR 1995, 427, 429 – Schwarze Liste; BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26, 31 f. = GRUR 2001, 841, 843 – Entfernung der Herstellungsnummer II. Vgl. die entsprechende Einschränkung der immaterialgüterrechtlichen Auskunftsansprüche 140b Abs. 4 PatG, § 24b Abs. 4 GebrMG, § 46 Abs. 4 DesignG, § 19 Abs. 4 MarkenG, § § 101 Abs. 4 UrhG. 291

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Schadensersatz

222 a) Geeignetheit und Erforderlichkeit zur Durchsetzung des Hauptanspruchs. Die Pflicht zur Auskunft erstreckt sich von vornherein nur auf solche Informationen, die zur Vorbereitung und Durchsetzung des in Rede stehenden Hauptanspruchs geeignet und erforderlich sind.755 Der Gläubiger muss darlegen, dass und warum er die beanspruchten Informationen benötigt und er nicht auf andere ausweichen kann, die er bereits besitzt bzw. sich anderweitig verschaffen kann.756 Sofern die begehrte Auskunft für den geltend gemachten Hauptanspruch keinen weitergehenden Erkenntnisgewinn vermitteln kann, scheidet der Auskunftsanspruch aus.757 Daran ist aber kein zu strenger Maßstab anzulegen. Daher besteht ein Auskunftsinteresse an Informationen, mit deren Hilfe möglicherweise zumindest ein Mindestschaden geschätzt werden kann.758 Dafür muss der Gläubiger ggf. darlegen, wie er den Schaden mithilfe der verlangten Auskünfte berechnen will.759 Ein Auskunftsinteresse fehlt, wenn die Auskünfte einen Schadensersatzanspruch für Wettbewerbsverstöße vorbereiten sollen, die außerhalb des geschäftlichen Einzugsbereichs des Gläubigers begangen worden sind.760 Auskünfte ohne Erkenntnisgewinn können selbst dann nicht gefordert werden, wenn die sonstigen Angaben des Auskunftsschuldners widersprüchlich und fehlerhaft sind.761 Allerdings können Zweifel an der Sorgfalt der erteilten Auskunft ein Vorgehen nach § 259 BGB begründen.762 Die Erforderlichkeit ist zudem der Maßstab dafür, ob der Gläubiger zunächst bloß eine Grundauskunft beanspruchen kann, die ihm ermöglicht, das Ausmaß der Zuwiderhandlung näher festzustellen,763 ob er weitergehend eine vollständige Auskunft oder sogar die Rechnungslegung fordern darf.764 Die Erforderlichkeit der Auskunft kann sich auch daraus ergeben, dass der Gläubiger mit 223 ihrer Hilfe überprüfen kann, ob andere Angaben des Verletzers richtig und vollständig sind, z. B. Angaben über Lieferungen, Empfänger oder Lieferzeiten. Daher erstreckt sich die Auskunftspflicht grundsätzlich auch auf solche Kontrolltatsachen.765 Allerdings geht es bei diesen Auskunftsbegehren oft um sensible Kundendaten, bei denen das Geheimhaltungsinteresse des Auskunftspflichtigen im Rahmen der Zumutbarkeit besonders berücksichtigt werden muss.766 Daher kann die Auskunft solcher Daten im Regelfall nur an einen zur Verschwiegenheit verpflichteten Dritten gefordert werden (unten Rn. 238).

224 b) Zumutbarkeit der Informationsbeschaffung und -weitergabe für den Schuldner. Die Pflicht zur Auskunft steht unter dem Vorbehalt, dass die Informationsverschaffung dem Schuld-

755 BGH 14.1.1958 – I ZR 171/56 – GRUR 1958, 288, 290 – Dia-Rähmchen I; BGH 13.11.1997 – X ZR 132/95 – BGHZ 137, 162, 169 = GRUR 1998, 689, 691 – Copolyester II; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 326; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.12; Teplitzky/Büch Kap. 38 Rn. 10 ff. 756 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 157. 757 BGH 12.2.1987– I ZR 70/85 – GRUR 1987, 364, 365 – Vier-Streifen-Schuh; OLG Frankfurt 11.9.2014 – 6 U 107/13 – WRP 2014, 1484 Tz. 23; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.13. 758 OLG Frankfurt 11.9.2014 – 6 U 107/13 – WRP 2014, 1484 Tz. 23. 759 OLG Celle 19.12.2019 – 13 U 87/18 – PharmR 2020, 278, 282. 760 BGH 29.6.2000 – I ZR 29/98 – GRUR 2000, 907, 910 – Filialleiterfehler. 761 BGH 2.2.1999 – KZR 11/97 – GRUR 1999, 1025, 1031 – Preisbindung durch Franchisegeber (insoweit nicht enthalten in BGHZ 140, 342). 762 BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322, 327 = GRUR 1994, 630, 632 – Cartier-Armreif; BGH 2.2.1999 – KZR 11/97 – GRUR 1999, 1025, 1031 – Preisbindung durch Franchisegeber (insoweit nicht enthalten in BGHZ 140, 342). 763 BGH 5.6.1985 – I ZR 53/83 – BGHZ 95, 274, 280 = GRUR 1986, 62, 64 – GEMA-Vermutung I; BGH 21.4.1988 – I ZR 210/86 – GRUR 1988, 604, 605 – Kopierwerk. 764 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.13; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 159. 765 BGH 22.11.1957 – I ZR 144/56 – GRUR 1958, 346, 348 – Spitzenmuster; BGH 13.2.1976 – I ZR 1/75 – GRUR 1978, 52, 53 – Fernschreibverzeichnisse; BGH 16.9.1982 – X ZR 54/81 – GRUR 1982, 723, 725 – Dampffrisierstab I; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.14. 766 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 161. Raue

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F. Ansprüche auf Auskunft, Rechnungslegung und Besichtigung

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ner unschwer möglich ist, d. h. ihn nicht unbillig belastet.767 Anders formuliert muss die Auskunft für den Schuldner zumutbar sein. Bei der Frage nach dem Ob und Wie der Auskunftsverpflichtung müssen die berechtigten Belange des Verletzers berücksichtigt und mit den Interessen des Gläubigers abgewogen werden.768 In die Interessenabwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen.769 Bei der Zumutbarkeitsprüfung spielen im Wettbewerbsrecht zudem die folgenden Gesichtspunkte und Interessen eine hervorgehobene Rolle.

aa) Art und Schwere der Rechtsverletzung sowie des Verschuldens. Bedeutung für die 225 Interessenabwägung haben insbesondere die Art und Schwere der Rechtsverletzung770 sowie das Ausmaß des Verschuldens.771 Je erheblicher die Rechtsverletzung und der Grad des Verschuldens sind, desto eher ist dem Verletzer eine Auskunft zumutbar.772 Hat der Verletzer vorsätzlich gegen eine vertragliche Verpflichtung verstoßen und so das in ihn gesetzte Vertrauen grob verletzt, treten seine (Geheimhaltungs-)Interessen gegenüber einem berechtigten Informationsverlangen weitgehend zurück.773 Auch widersprüchliche Angaben bei der Erstauskunft können die Auskunftslast des Verletzers verstärken.774 Aus demselben Grund ist der erhöhte Arbeitsaufwand unbeachtlich, der auf das eigene Vorverhalten zurückzuführen ist, etwa weil bei der Rechnungslegung unterschiedliche Ansätzen angewandt wurden.775 Umgekehrt kann eine Nachlässigkeit des Gläubigers, bei der Schadensentstehung oder -vertiefung nach dem Rechtsgedanken des § 254 BGB bei der Interessenabwägung zu seinen Lasten berücksichtigt werden.776 Darüber hinaus kann auch die Wahrscheinlichkeit des Schadeneintritts in die Abwägung einbezogen und ein den Schuldner belastende Auskunft verwehrt werden, wenn ein entsprechender Schaden sehr unwahrscheinlich ist.777

bb) Aufklärungsinteresse des Gläubigers und der Allgemeinheit. Bei der Interessenab- 226 wägung ist das Aufklärungsinteresse des Verletzten zu berücksichtigen.778 In die Abwägung ist die Darlegungs- und Beweisnot des Gläubigers einzustellen, also das Ausmaß, in dem der Verletzte auf die Information angewiesen ist, um den Grund oder die Höhe des Hauptanspruchs

767 BGH 5.6.1985 – I ZR 53/83 – BGHZ 95, 274, 279 = GRUR 1986, 62, 64 – GEMA-Vermutung I; BGH 17.5.1994 – X ZR 82/92 – BGHZ 126, 109, 113 = GRUR 1994, 898, 899 – Copolyester; BGH 13.11.2001 – X ZR 134/00 – BGHZ 149, 165, 175 = GRUR 2002, 238, 242 – Nachbau-Auskunftspflicht; BGH 6.2.2007 – X ZR 117/04 – GRUR 2007, 532 Tz. 18 – Meistbegünstigungsvereinbarung. 768 BGH 7.12.1979 – I ZR 157/77 – GRUR 1980, 227, 332 – Monumenta Germaniae Historica; BGH 11.4.1989 – X ZR 26/87 – BGHZ 107, 161, 167 = GRUR 1989, 411 – Offenend-Spinnmaschine. 769 BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322, 331 = GRUR 1994, 630, 633 – Cartier-Armreif; BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26, 32 = GRUR 2001, 841, 843 – Entfernung der Herstellungsnummer II; BGH 20.2.2008 – XII ZR 58/04 – GRUR 2007, 532 Tz. 18 – Meistbegünstigungsvereinbarung. 770 BGH 13.2.1976 – I ZR 1/75 – GRUR 1978, 52, 53 – Fernschreibverzeichnisse; BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322, 331 = GRUR 1994, 630, 633 – Cartier-Armreif; BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26, 32 = GRUR 2001, 841, 843 – Entfernung der Herstellungsnummer II. 771 BGH 22.11.1957 – I ZR 144/56 – GRUR 1958, 246, 348 – Spitzenmuster. 772 Vgl. BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26, 33 = GRUR 2001, 841, 843 – Entfernung der Herstellungsnummer II; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 165; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.16. 773 BGH 22.11.1957 – I ZR 144/56 – GRUR 1958, 346, 348 – Spitzenmuster. 774 BGH 16.9.1982 – X ZR 54/81 – GRUR 1982, 723, 726 – Dampffrisierstab I; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.17. 775 BGH 16.9.1982 – X ZR 54/81 – GRUR 1982, 723, 726 – Dampffrisierstab I. 776 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 163. 777 OLG Celle 19.12.2019 – 13 U 87/18 – PharmR 2020, 278, 284. 778 BGH 6.2.2007 – X ZR 117/04 – GRUR 2007, 532 Tz. 18 – Meistbegünstigungsvereinbarung. 293

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darlegen zu können.779 Die Rechtsprechung hat darüber hinaus ein Aufklärungsinteresse bejaht, wenn der Betreiber eines zulässigen Vertriebsbindungssystems die Einhaltung der Bindungen überwachen und durchsetzen will.780 227 Das Individualinteresse des Verletzten kann durch das Allgemeininteresse verstärkt werden, weitere Wettbewerbsverstöße zu unterbinden.781 Das gilt im besonderen Maße, wenn die Auskunft dem Gläubiger ermöglicht, Endverbraucher zu informieren, um weitere Schäden zu verhindern, etwa wenn von den rechtsverletzenden Produkten eine Gefahr für die Gesundheit der Käufer ausgeht.782

228 cc) Zumutbarkeit der Informationsbeschaffung. Zu berücksichtigten ist auch der Umfang des Aufwands, der durch die Auskunftserteilung entsteht.783 Der Verletzer ist nicht zur Auskunft verpflichtet, wenn sie ihn unter Berücksichtigung der anderen Abwägungsfaktoren unbillig belastet. Dennoch wird der Auskunftsanspruch nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass er dem Schuldner Mühe bereitet und ihn Zeit und Geld kostet.784 Der Aufwand des Schuldners ist zum Aufklärungsinteresse des Gläubigers ins Verhältnis zu setzen. Daher ist dem Auskunftsschuldner auch ein beträchtlicher Aufwand zuzumuten, wenn nur auf diese Weise die Darlegungs- und Beweisnot des Gläubigers beseitigt werden kann.785 Die Auskunftspflicht beschränkt sich zudem nicht auf präsentes Wissen des Auskunftsver229 pflichteten.786 Er muss grundsätzlich auf alle Erkenntnisquellen zurückgreifen, die ihm in seiner Unternehmenssphäre zur Verfügung stehen.787 Es besteht daher eine Informationsbeschaffungspflicht des Verletzers.788 Insofern ist es etwas irreführend, wenn die Auskunftserteilung allgemein als Wissenserklärung789 bezeichnet wird. Es ist dem Verletzer zumutbar, ihm vorliegende Geschäftsunterlagen nach den erforderlichen Angaben zu durchsuchen.790 Darüber hinaus muss er verloren gegangene Informationen rekonstruieren791 und Zweifel 230 an der Zuverlässigkeit seiner Informationen ggf. durch die Nachfrage bei Dritten (insbesondere 779 BGH 13.11.1997 – X ZR 132/95 – BGHZ 137, 162, 169 = GRUR 1998, 689, 692 – Copolyester II; BGH 6.2.2007 – X ZR 117/04 – GRUR 2007, 532 Tz. 18 – Meistbegünstigungsvereinbarung; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 146; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 163. 780 BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26, 32 f. = GRUR 2001, 841, 842, 843 f. – Entfernung der Herstellungsnummer II; BGH 21.2.2002 – I ZR 140/99 – GRUR 2002, 709, 712 – Entfernung der Herstellungsnummer III; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.18. 781 BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26, 32 f. = GRUR 2001, 841, 843 – Entfernung der Herstellungsnummer II; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 164; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.18. 782 BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26, 32 f. = GRUR 2001, 841, 843 – Entfernung der Herstellungsnummer II. 783 BGH 7.12.1977 – VIII ZR 164/76 – BGHZ 70, 86, 91 = NJW 1978, 538; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 166. 784 BGH 6.2.2007 – X ZR 117/04 – GRUR 2007, 532 Tz. 18 – Meistbegünstigungsvereinbarung. 785 BGH 6.2.2007 – X ZR 117/04 – GRUR 2007, 532 Tz. 18 – Meistbegünstigungsvereinbarung. 786 BGH 23.1.2003 – I ZR 18/01 – GRUR 2003, 433, 434 – Cartier-Ring; BGH 2.10.2012 – I ZR 82/11 – GRUR 2013, 638 Tz. 69 – Völkl; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.31. 787 BGH 20.12.1994 – X ZR 56/93 – BGHZ 128, 220, 227 = GRUR 1995, 338, 341 – Kleiderbügel; BGH 23.1.2003 – I ZR 18/01 – GRUR 2003, 433, 434 – Cartier-Ring; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 148; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.31. 788 BGH 6.2.2007 – X ZR 117/04 – GRUR 2007, 532 Tz. 20 – Meistbegünstigungsvereinbarung; BGH 2.10.2012 – I ZR 82/11 – GRUR 2013, 638 Tz. 69 – Völkl; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.31; Harte/Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 43, 48. 789 BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322, 326 = GRUR 1994, 630, 632 – Cartier-Armreif; BGH 23.1.2003 – I ZR 18/01 – GRUR 2003, 433, 434 – Cartier-Ring; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.31. 790 BGH 20.12.1994 – X ZR 56/93 – BGHZ 128, 220, 227 = GRUR 1995, 338, 341 – Kleiderbügel; BGH 29.4.2003 – X ZR 186/01 – BGHZ 155, 8, 19 f. = GRUR 2003, 789, 792 – Abwasserbehandlung; BGH 6.2.2007 – X ZR 117/04 – GRUR 2007, 532 Tz. 19 f. – Meistbegünstigungsvereinbarung; Harte/Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 54. 791 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.31. Raue

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F. Ansprüche auf Auskunft, Rechnungslegung und Besichtigung

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bei Geschäftspartnern) beseitigen.792 Befinden sich Geschäftsunterlagen bei der Staatsanwaltschaft, muss er dort Einsicht nehmen.793 Ein ausgeschiedener Geschäftsführer muss sich grundsätzlich um Aufklärung bei seiner früheren Gesellschaft bemühen.794 Es soll dem Auskunftsverpflichteten sogar zumutbar sein, dafür den Rechtsweg zu beschreiten.795 Diesen zusätzlichen Aufwand wird man allerdings von der Bedeutung der Information für den Verletzten abhängig machen müssen. Der Auskunftsschuldner muss notfalls die Hilfe Dritter (etwa eines Wirtschaftsprüfers oder anderer Sachverständiger) in Anspruch nehmen, wenn er anders die erforderliche Auskunft nicht erteilen kann.796 Der zusätzliche Arbeitsaufwand, der Folge des eigenen Vorverhaltens oder eines pflichtwidrigen Unterlassens ist, macht die Auskunftsverpflichtung nicht unverhältnismäßig.797 Darüber hinaus muss der Schuldner Vorkehrungen treffen, wenn er mit einem berechtigten Auskunftsverlangen rechnen muss.798 Dann hat er die Obliegenheit, die dafür erforderlichen Unterlagen aufzubewahren, so dass ein zusätzlicher Aufwand bei der Rekonstruktion des Geschehensablaufs zu seinen Lasten geht. Dagegen erstreckt sich der Auskunftsanspruch grundsätzlich nicht auf Informationen, die 231 der Verletzer oder von ihm Beauftragte niemals hatten. Das wäre mit der Rechtsnatur einer Wissenserklärung unvereinbar.799 Er muss also nicht bei Dritten nachforschen, um ihm unbekannte Vorlieferanten und den Hersteller zu ermitteln.800 Der unterschiedliche Arbeitsaufwand bei den verschiedenen Schadensberechnungsar- 232 ten soll grundsätzlich nicht rechtfertigen, den Gläubiger auf eine für den Verletzter weniger aufwändige Art der Schadensberechnung zu verweisen.801 Es setzt sich hier regelmäßig das Interesse des Verletzten durch, sich auf einer vollständigen Informationsbasis für eine der Berechnungsarten entscheiden zu können.802 Etwas anderes hat aber in Fällen zu gelten, in denen eine Berechnungsmethode ohnehin nur im Wege einer groben Schätzung ermittelt werden kann803 oder aufgrund der bereits vorliegenden Informationen ersichtlich hinter den anderen Berechnungsmethoden zurückbleiben wird.

dd) Geheimhaltungsinteressen des Schuldners. Die Auskunfts- und Rechnungslegungs- 233 pflichten unterliegen zudem Grenzen, die sich aus den schutzwürdigen Geheimhaltungsinteressen des Auskunftsverpflichteten ergeben.804 Bei der Abwägung müssen insbesondere

792 BGH 23.1.2003 – I ZR 18/01 – GRUR 2003, 433, 434 – Cartier-Ring; BGH 2.10.2012 – I ZR 82/11 – GRUR 2013, 638 Tz. 69 – Völkl (hinsichtlich eines ausgeschiedenen Geschäftsführers).

793 BGH 20.12.1994 – X ZR 56/93 – BGHZ 128, 220, 227 = GRUR 1995, 338, 341 – Kleiderbügel. 794 BGH 2.10.2012 – I ZR 82/11 – GRUR 2013, 638 Tz. 69 – Völkl. 795 BGH 18.12.2008 – I ZB 68/08 – GRUR 2009, 794 Tz. 21 – Auskunft über Tintenpatronen; OLG Düsseldorf 23.1.2013 – I-2 W 33/12 – GRUR-RR 2013, 273, 275 m. w. N.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.31; Harte/Henning/ Goldmann Vor § 8 Rn. 48. 796 BGH 16.9.1982 – X ZR 54/81 – GRUR 1982, 723, 727 – Dampffrisierstab I; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.31; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 166; Harte/Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 54. 797 BGH 16.9.1982 – X ZR 54/81 – GRUR 1982, 723, 726 – Dampffrisierstab I; BGH 6.2.2007 – X ZR 117/04 – GRUR 2007, 532 Tz. 20 – Meistbegünstigungsvereinbarung (sogar für vom Berufungsgericht als „nahezu monströs“ [Rn. 6] eingestufte Auskunftspflichten). 798 BGH 29.4.2003 – X ZR 186/01 – BGHZ 155, 8, 19 f. = GRUR 2003, 789, 792 – Abwasserbehandlung; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 166. 799 BGH 23.1.2003 – I ZR 18/01 – GRUR 2003, 433, 434 – Cartier-Ring. 800 BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322, 326 = GRUR 1994, 630, 633 – Cartier-Armreif; BGH 23.1.2003 – I ZR 18/01 – GRUR 2003, 433, 434 – Cartier-Ring. 801 BGH 16.9.1982 – X ZR 54/81 – GRUR 1982, 723, 726 – Dampffrisierstab I. 802 BGH 16.9.1982 – X ZR 54/81 – GRUR 1982, 723, 725 f. – Dampffrisierstab I. 803 BGH 6.10.2005 – I ZR 322/02 – GRUR 2006, 419 Tz. 17 – Noblesse. 804 BGH 6.2.2007 – X ZR 117/04 – GRUR 2007, 532 Tz. 18 – Meistbegünstigungsvereinbarung; MünchKommUWG/ Fritzsche § 9 Rn. 168; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.18. 295

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grund- und verfassungsrechtliche Wertungen berücksichtigt werden, etwa die berechtigten Belange der Presse (vgl. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG).805 Darüber hinaus unterliegen die gewährten Ansprüche einer strengen Zweckbindung, so dass der Gläubiger die Informationen nur für die Durchsetzung von Ansprüchen aus dem Wettbewerbsverstoß verwenden darf und sie anschließend wieder löschen muss.806

234 (1) Sensible Unternehmensdaten. Ein Geheimhaltungsinteresse besteht an allen wettbewerbssensiblen Daten, insbesondere an der Preiskalkulation, Gewinnspanne, Kundendaten807 sowie an Patentanmeldungen808.809 Das Geheimhaltungsinteresse ist umso höher zu gewichten, je eher der Gläubiger die Informationen im Wettbewerb zum Nachteil des Auskunftsverpflichteten nutzen kann,810 insbesondere, wenn er dessen unmittelbarer Wettbewerber ist.811 Die Gefahr entfällt weitgehend, wenn der Gläubiger seine Produkte auf anderen Vertriebswegen absetzt als der Schuldner.812 Grundsätzlich hat der Schuldner kein schutzwürdiges Interesse an der Geheimhaltung von 235 Informationen, die im unmittelbaren Zusammenhang mit seiner Rechtsverletzung stehen. Dasselbe gilt für Informationen, mit denen der Gläubiger zukünftige Wettbewerbsverstöße Dritter verhindern kann.813 Nach der Rechtsprechung hat es sich der Verletzer grundsätzlich selbst zuzuschreiben, dass er Auskunft über Geschäftsinterna geben muss.814 Wenn allerdings der Wert der Auskunft für die Schadensschätzung außer Verhältnis zu den Nachteilen steht, die dem Verletzer durch die Offenbarung seiner Unternehmensinterna drohen, überwiegt sein Geheimhaltungsinteresse.815 Das Aufklärungsinteresse muss daher zurückstehen, wenn der Schaden nur grob geschätzt werden kann und die sensiblen Informationen zur Schätzung wenig beitragen würden.816 Allerdings darf das Aufklärungsinteresse auch nicht voreilig mit dem Argument ver236 neint werden, dass der Gläubiger auch nach Auskunftserteilung einen ersatzfähigen Schaden nicht darlegen werden könne.817 Dafür muss von vornherein feststehen, dass die Informationen nicht einmal zur Schätzung eines Mindestschadens etwas beitragen können.818 Daher haben Auskünfte erheblichen und meist auch überwiegenden Informationswert, wenn sie

805 BGH 19.3.1987 – I ZR 98/85 – GRUR 1987, 647, 648 – Briefentwürfe. 806 Haedicke GRUR 2020, 785, 786 (zu § 140b PatG). 807 BGH 16.2.1973 – I ZR 74/71 – GRUR 1973, 375, 378 f. – Miss Petite (insoweit nicht in BGHZ 60, 206); BGH 6.10.2005 – I ZR 322/02 – GRUR 2006, 419 Tz. 17 – Noblesse. 808 Vgl. BGH 4.5.1954 – I ZR 149/52 – BGHZ 13, 210, 217 = GRUR 1954, 391 – Prallmühle. 809 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 168. 810 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.18. 811 BGH 27.2.1963 – Ib ZR 131/61 – GRUR 1963, 640, 642 – Plastikkorb; Harte/Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 55. 812 OLG Hamburg 9.5.1985 – 3 U 228/84 – GRUR 1990, 715 – hängender Panther; OLG Frankfurt 24.11.1988 – 6 U 141/87 – WRP 1989, 321, 323 – Nachahmung des hängenden Panthers; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 171. 813 Vgl. BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26, 32 f. = GRUR 2001, 841, 843 – Entfernung der Herstellungsnummer II; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 168. 814 BGH 9.11.1995 – I ZR 220/95 – GRUR 1996, 78, 79 – Umgehungsprogramm; OLG Celle 19.12.2019 – 13 U 87/18 – PharmR 2020, 278, 283. 815 BGH 27.11.1964 – Ib ZR 23/63 – GRUR 1965, 313, 314 – Umsatzauskunft; BGH 6.6.1991 – I ZR 234/89 – GRUR 1991, 921, 924 – Sahnesiphon; BGH 6.10.2005 – I ZR 322/02 – GRUR 2006, 419 Tz. 14 – Noblesse; MünchKommUWG/ Fritzsche § 9 Rn. 168; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.18. 816 BGH 6.10.2005 – I ZR 322/02 – GRUR 2006, 419 Tz. 17 – Noblesse; OLG Celle 19.12.2019 – 13 U 87/18 – PharmR 2020, 278, 282. 817 BGH 6.2.2007 – X ZR 117/04 – GRUR 2007, 532 Tz. 15 – Meistbegünstigungsvereinbarung. 818 BGH 6.2.2007 – X ZR 117/04 – GRUR 2007, 532 Tz. 15 – Meistbegünstigungsvereinbarung. Raue

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F. Ansprüche auf Auskunft, Rechnungslegung und Besichtigung

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dem Geschädigten ermöglichen, seinen Schaden zu berechnen bzw. zu schätzen oder sonst unerlässlich sind, um seinen Hauptanspruch durchzusetzen.819 Das Aufklärungsinteresse stärkt ferner, wenn der Schuldner bereits vertraglich zur Offenlegung verpflichtet ist.820 Wenn der Schuldner zur Vorlage von Unterlagen verpflichtet ist, darf er Informationen schwärzen, die Daten enthalten, bei denen sein Geheimhaltungsinteresse das Informationsinteresse des Gläubigers überwiegt.821

(2) Wirtschaftsprüfervorbehalt. Bei Kontrolltatsachen, die in erster Linie benötigt werden, 237 um die Richtigkeit und Vollständigkeit anderer Angaben zu überprüfen, kann ein Ausgleich zwischen Geheimhaltungs- und Informationsinteresse auch durch einen Wirtschaftsprüfervorbehalt herbeigeführt werden. Es handelt sich dabei um eine besondere Form der Auskunftserteilung.822 Er trägt dem Geheimhaltungsinteresse des Schuldners Rechnung.823 Die so modifizierte Auskunftspflicht soll dem Verletzten ermöglichen, seinen Hauptanspruch darzulegen und so gerichtlich durchzusetzen, nicht aber, die Kundenbeziehungen des Auskunftspflichtigen auszuforschen.824 Wenn nach der Interessenabwägung das Geheimhaltungsinteresse des Schuldners über- 238 wiegt, dem Gläubiger aber trotzdem die Überprüfung der bisher gemachten Angaben ermöglicht werden soll, kann dem Schuldner als milderes Mittel im Vergleich zur Verweigerung der Auskunft aufgegeben werden, die Auskünfte und Unterlagen einem zur Verschwiegenheit verpflichteten und vereidigten Wirtschaftsprüfer (oder einer sonstigen Vertrauensperson) zur Verfügung zu stellen.825 Das gilt insbesondere für Auskünfte über die Namen und Anschriften von Abnehmern.826 Bei der erforderlichen Abwägung ist zu berücksichtigen, dass ein solcher Wirtschaftsprüfervorbehalt die Prozessführung des Gläubigers erschwert, weil er Angaben nicht selbst überprüfen kann, auf die er bei der weiteren Prozessführung möglicherweise angewiesen ist. Deswegen legt die Rechtsprechung einen strengen Maßstab an und fordert ein deutliches Überwiegen des Geheimhaltungsinteresses.827 Die erforderliche Interessenabwägung ist für jede geforderte Information gesondert vorzunehmen.828 Der Auskunftsschuldner muss den Wirtschaftsprüfer ermächtigen und verpflichten, ge- 239 zielte Fragen des Gläubigers zu beantworten, und so eine stichprobenartige Überprüfung der übrigen Auskünfte zu ermöglichen, etwa dass ein bestimmter Abnehmer in der Rechnungsle-

819 BGH 6.10.2005 – I ZR 322/02 – GRUR 2006, 419 Tz. 17 – Noblesse. 820 BGH 6.2.2007 – X ZR 117/04 – GRUR 2007, 532 Tz. 18 ff. – Meistbegünstigungsvereinbarung. 821 BGH 21.2.2002 – I ZR 140/99 – GRUR 2002, 709, 712 – Entfernung der Herstellungsnummer III; Harte/Henning/ Goldmann Vor § 8 Rn. 55. 822 Teplitzky/Büch Kap. 38 Rn. 28. 823 BGH 13.7.2017 – I ZR 64/16 – GRUR 2018, 219, Tz. 26 – Rechtskraft des Zwangsmittelbeschlusses. 824 BGH 7.12.1979 – I ZR 157/77 – GRUR 1980, 227, 233 – Monumenta Germaniae Historica; MünchKommUWG/ Fritzsche § 9 Rn. 171. 825 BGH 2.4.1957 – IZR 58/56 – GRUR 1957, 336 – Rechnungslegung; BGH 13.2.1976 – IZR 1/75 – GRUR 1978, 52, 53 – Fernschreibverzeichnisse; BGH 13.2.1981 – IZR 111/78 – GRUR 1981, 535 – Wirtschaftsprüfervorbehalt; BGH 7.12.1979 – IZR 157/77 – GRUR 1980, 227, 233 – Monumenta Germaniae Historica; BGH 2.2.1999 – KZR 11/97 – GRUR 1999, 1025, 1031 – Preisbindung durch Franchisegeber (insoweit nicht in BGHZ 140, 342); OLG Celle 19.12.2019 – 13 U 87/18 – PharmR 2020, 278, 283; Teplitzky/Büch Kap. 38 Rn. 28. 826 Teplitzky/Büch Kap. 38 Rn. 27 m. w. N. 827 BGH 2.2.1999 – KZR 11/97 – BGHZ 140, 342 = GRUR 1999, 1025, 1031 – Preisbindung durch Franchisegeber. Ebenso jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 191; Teplitzky/Büch Kap. 38 Rn. 28; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.20; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 322. 828 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 169. 297

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gung enthalten ist.829 Wenn aufgrund der Nachfragen des Gläubigers ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der übrigen Auskünfte aufkommen, muss ihm der Schuldner die Informationen umfassend offenlegen.830 240 Das Gericht kann den Wirtschaftsprüfervorbehalt von Amts wegen in den Urteilstenor aufnehmen.831 Es soll sich dabei nicht um eine Teilabweisung der Auskunftsklage, sondern um eine nach § 242 BGB gebotene Antragsmodifizierung ohne negative Kostenfolge für den Kläger handeln.832 Die Auswahl des Wirtschaftsprüfers wird analog § 87c Abs. 4 HGB dem Gläubiger überlassen.833 Der Schuldner darf die Auswahl in entsprechender Anwendung von § 315 Abs. 3 BGB gerichtlich überprüfen lassen, wenn es berechtigte Zweifel an der Neutralität des Wirtschaftsprüfers gibt.834 Der Schuldner muss zudem die Kosten tragen.835

241 (3) Gefahr der Selbstbezichtigung in einem Strafverfahren. Ein weiterer Gesichtspunkt bei der Interessenabwägung ist die Gefahr, dass der Verletzer sich durch die Auskunft einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit bezichtigen muss.836 Allerdings hat dieser Aspekt kein besonders großes Gewicht.837 Zum einen würde die Auskunftspflicht sonst gerade bei besonders schwerwiegenden Verstößen entfallen und dem Verletzten die Durchsetzung der ihm zustehenden Ansprüche erschweren oder gar unmöglich machen.838 Zum anderen wird dem verfassungsrechtlich geschützten Interesse, sich in einem Strafverfahren nicht selbst belasten zu müssen, durch ein strafrechtliches Verwertungsverbot für diese Auskünfte Rechnung getragen.839 Ein entsprechendes Verwertungsverbot hat der Gesetzgeber in allen immaterialgüterrechtlichen Auskunftsansprüchen vorgesehen.840 Diese Normen sind analog auf den Auskunftsanspruch 829 BGH 2.4.1957 – I ZR 58/56 – GRUR 1957, 336 – Rechnungslegung; BGH 13.2.1976 – I ZR 1/75 – GRUR 1978, 52, 53 – Fernschreibverzeichnisse; BGH 7.12.1979 – I ZR 157/77 – GRUR 1980, 227, 233 – Monumenta Germaniae Historica; BGH 13.2.1981 – I ZR 111/78 – GRUR 1981, 535 – Wirtschaftsprüfervorbehalt; BGH 4.5.2004 – X ZR 234/02 – GRUR 2004, 755, 758 – Taxameter (insofern nicht in BGHZ 159, 66); MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 169; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.19. 830 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.22; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 182. 831 BGH 27.2.1963 – Ib ZR 131/61 – GRUR 1963, 640, 642 – Plastikkorb; BGH 13.2.1976 – IZR 1/75 – GRUR 1978, 52, 53 – Fernschreibverzeichnisse; BGH 7.12.1979 – I ZR 157/77 – GRUR 1980, 227, 233 – Monumenta Germaniae Historica; Teplitzky/Büch Kap. 38 Rn. 31; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 38. 832 BGH 13.2.1976 – IZR 1/75 – GRUR 1978, 52, 53 – Fernschreibverzeichnisse; BGH 7.12.1979 – I ZR 157/77 – GRUR 1980, 227, 233 – Monumenta Germaniae Historica; BGH 13.2.1981 – I ZR 111/78 – GRUR 1981, 535 – Wirtschaftsprüfervorbehalt; zustimmend Teplitzky/Büch Kap. 38 Rn. 31; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.20; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 170; Harte/Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 57. 833 BGH 23.2.1962 – I ZR 114/60 – GRUR 1962, 354, 357 – Furniergitter; BGH 7.12.1979 – I ZR 157/77 – GRUR 1980, 227, 233 – Monumenta Germaniae Historica. Kritisch Teplitzky/Büch Kap. 38 Rn. 29. 834 jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 190; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.21; Ahrens/Bacher Kap. 72 Rn. 45; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 182. 835 BGH 2.4.1957 – I ZR 58/56 – GRUR 1957, 336 – Rechnungslegung; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 189; Teplitzky/ Büch Kap. 38 Rn. 32; Ahrens/Bacher Kap. 72 Rn. 47. 836 Teplitzky/Büch Kap. 38 Rn. 22 ff.; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 173. 837 Besonders deutlich BGH 30.4.1964 – VII ZR 156/62 – BGHZ 41, 318, 327. 838 Vgl. BGH 30.4.1964 – VII ZR 156/62– BGHZ 41, 318, 323, 326 f. = NJW 1964, 1469, 1470 f.; BGH 30.11.1989 – III ZR 112/88 – BGHZ 109, 260, 268 = NJW 1990, 510, 511. So auch das BVerfG 13.1.1981 – 1 BvR 116/77 – BVerfGE 56, 37, 51 ff. = NJW 1981, 1431, 1432 f.; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 317; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.23; Teplitzky/Büch Kap. 38 Rn. 22 ff. 839 Für einen vergleichbaren Auskunftsanspruch im Konkurs-/Insolvenzverfahren BVerfG 13.1.1981 – 1 BvR 116/ 77 – BVerfGE 56, 37, 51 ff. = NJW 1981, 1431, 1432 f. Ferner OLG Stuttgart 8.10.2015 – 2 U 25/15 – WRP 2016, 767 Tz. 58 ff.; Teplitzky/Büch Kap. 38 Rn. 24; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 317; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.23. 840 § 101 Abs. 8 UrhG, § 140b Abs. 8 PatG, § 24b Abs. 8 GebrMG, § 9 HalblG, § 46 Abs. 8 DesignG, § 19 Abs. 8 MarkenG, § 37b Abs. 8 SortSchG. Raue

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F. Ansprüche auf Auskunft, Rechnungslegung und Besichtigung

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aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) anzuwenden. Dass die Auskunft nachteilige zivilrechtliche Folgen hat, muss der Verletzer hinnehmen. Es entspricht den Grundwertungen des Auskunftsanspruchs, dass der Verletzer den Geschädigten bei der Durchsetzung von Ansprüchen unterstützen muss, wenn dieser die Rechtsverletzung aufgedeckt hat.

(4) Drittbezichtigung. Nach älterer, überholter Rechtsprechung soll der Schuldner ein aner- 242 kennenswertes Interesse daran haben, Dritte nicht einer Straftat bezichtigen oder dem Risiko der Strafverfolgung aussetzen zu müssen.841 Eine solche Drittbezichtigung sei anstößig, könne den Auskunftspflichtigen in Gewissenskonflikte stürzen und sei für ihn deswegen unzumutbar.842 Diese Rechtsprechung ist mit den allgemein gebilligten Wertungen der Selbstbezichtigung (oben Rn. 241) sowie der Systematik von Zeugnisverweigerungsrechten unvereinbar.843 Die Zeugnisverweigerungsrechte der ZPO und der StPO lassen den beschriebenen Interessenkonflikt gegenüber dem Aufklärungsinteresse Dritter oder des Staates nur bei Aussagen über nahe Angehörige überwiegen (vgl. §§ 383 Abs. 1 Nr. 1–3, 384 Nr. 2 ZPO; §§ 52 Abs. 1, 55 Abs. 1 StPO). In allen übrigen Fällen überwiegt der generalpräventive Aspekt, dass Rechtsverletzungen auch mit Hilfe anderer Beteiligter aufgedeckt werden können.844 Deswegen ist es nicht gerechtfertigt, den Drittauskunftsanspruch bei geringfügigen Verletzungshandlungen oder bei einem geringen Schadensausmaß entfallen zu lassen.845 Lediglich in den Fällen des § 384 Nr. 2 ZPO ist dem Verletzer ein Auskunftsverweigerungsrecht zuzugestehen.846

7. Gläubiger und Schuldner Gläubiger und Schuldner des Auskunftsanspruchs sind die Parteien des Rechtsverhältnisses, 243 das zur Auskunft verpflichtet (oben Rn. 205).847 Die Auskunft ist eine persönliche Pflicht (unten Rn. 246). Mehrere auskunftspflichtige Personen haften im Regelfall nicht als Gesamtschuldner i. S. v. § 420 BGB (unten Rn. 245).848 Soweit der Geschäftsführer einer GmbH nicht selbst haftet, schuldet er nur als Organ der Gesellschaft, nicht aber persönlich Auskunft. Die Auskunftspflicht erlischt dann mit dem Ausscheiden aus der Gesellschaft.849 Andernfalls bleibt sie auch nach Ausscheiden bestehen.850 Persönlich haftende Gesellschafter von Personengesellschaften schulden dagegen nach § 128 HGB (analog) Auskunft neben der Gesellschaft, soweit sie ihnen möglich ist.851

841 BGH 4.7.1975 – I ZR 115/73 – GRUR 1976, 367, 369 – Auskunftspflicht; BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322, 331 = GRUR 1994, 630, 633 – Cartier-Armreif.

842 BGH 4.7.1975 – I ZR 115/73 – GRUR 1976, 367, 369 – Auskunftspflicht; BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322, 331 = GRUR 1994, 630, 633 – Cartier-Armreif; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.24. Ebenfalls kritisch Teplitzky/Büch Kap. 38 Rn. 26. Vgl. auch MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 174; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.24. So aber MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 174. Anders noch BGH 4.7.1975 – I ZR 115/73 – GRUR 1976, 367, 369 – Auskunftspflicht (Auskunft allenfalls „in Ausnahmefällen“). Weiterhin bei der Einzelfallabwägung berücksichtigen, aber nur ausnahmsweise überwiegen lassen will dies MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 174. Offener Köhler/Bornkamm/Feddersen, § 9 Rn. 4.24. 847 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 143; Harte/Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 43. 848 BGH 3.4.1981 – I ZR 72/79 – GRUR 1981, 592, 595 – Championne du Monde; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.30; Harte/Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 92 (Haftung jedoch ausnahmsweise möglich). 849 Vgl. BGH 2.10.2012 – I ZR 82/11 – GRUR 2013, 638 Tz. 69 – Völkl und unten Rn. 246. 850 BGH 2.10.2012 – I ZR 82/11 – GRUR 2013, 638 Tz. 69 – Völkl. 851 OLG Frankfurt 11.9.2014 – 6 U 107/13 – WRP 2014, 1484 Tz. 21; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 143; Harte/ Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 43.

843 844 845 846

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Raue

§9

Schadensersatz

III. Inhalt und Umfang der Auskunfts- und Rechnungslegungspflicht 244 Der Verletzer muss Auskunft über Art, Zeitpunkt und Umfang der begangenen Wettbewerbsverstöße geben und dem Geschädigten so ermöglichen, seine Ansprüche durchzusetzen, die ihm aufgrund der Rechtsverletzung zustehen.852 Die Auskünfte unterliegen zum Schutz des Verletzers einer strengen Zweckbindung: Der Gläubiger darf die Informationen nur für die Durchsetzung von Ansprüchen aus dem Wettbewerbsverstoß verwenden und muss sie anschließend wieder löschen.853

1. Art und Weise 245 Die Auskunftserteilung ist eine Wissenserklärung.854 Sie verpflichtet also nur zur Mitteilung der begehrten Tatsachen. Solange nicht Auskunft in Form der Rechnungslegung geschuldet ist (unten Rn. 251 ff.), muss der Schuldner seine Auskunft im Grundsatz nicht durch Urkunden oder sonstige Unterlagen belegen.855 Jeder Auskunftspflichtige muss nur seinen Wissensstand mitteilen. Daher haften mehrere auskunftspflichtige Personen im Regelfall nicht als Gesamtschuldner i. S. v. § 420 BGB.856 Dies gilt unabhängig davon, ob sie für den Hauptanspruch gesamtschuldnerisch haften. Allerdings beschränkt sich die Erklärungspflicht nicht auf präsentes Wissen. Der Schuldner muss im Rahmen des Zumutbaren alle relevanten Informationen zusammentragen, die sich in seiner Organisationssphäre befinden (oben Rn. 229 f.). 246 Der Schuldner muss die Auskunft im Grundsatz selbst erteilen.857 Bei juristischen Personen und Personengesellschaften ist das vertretungsberechtigte Organ dazu verpflichtet.858 Die Auskunftserteilung wird als höchstpersönliche Pflicht angesehen.859 Allerdings darf der Schuldner für die Auskunftserteilung Hilfspersonen einsetzen, muss sich dann aber deren Erklärung zu eigen machen.860 Ist ein Geschäftsführer persönlich zur Auskunft verpflichtet (und nicht nur qua Amtes als vertretungsberechtigtes Organ), dann erlischt seine Auskunftspflicht nicht mit dem Ausscheiden aus der Gesellschaft.861 247 Die Auskunft ist im Regelfall schriftlich zu erteilen, wobei jedoch nicht die Anforderungen der Schriftform i. S. v. § 126 BGB erfüllt werden müssen.862 Einfach gelagerte Auskünfte können mündlich erfüllt werden.863 Die Auskunft muss in deutscher Sprache gegeben werden.864 Sie darf aber auch in Englisch erteilt werden, wenn der Gläubiger ein international tätiges Unternehmen mit Englisch als Arbeitssprache ist.865 Das lässt sich verallgemeinern und nach Treu 852 BGH 14.11.1980 – I ZR 138/78 – GRUR 1981, 286, 288 – Goldene Karte I. 853 Haedicke GRUR 2020, 785, 786 (zu § 140b PatG). 854 BGH 19.12.1960 – I ZR 14/59 – GRUR 1961, 288, 291 – Zahnbürsten; BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322, 326 = GRUR 1994, 630, 632 – Cartier-Armreif; MünchKommBGB/Krüger § 260 Rn. 40. 855 BGH 31.3.1971 – VIII ZR 198/69 – WM 1971, 565, 566; BGH 21.2.2002 – I ZR 140/99 – GRUR 2002, 709, 712 – Entfernung der Herstellungsnummer III; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 136; MünchKommBGB/Krüger § 260 Rn. 42. 856 BGH 3.4.1981 – I ZR 72/79 – GRUR 1981, 592, 595 – Championne du Monde; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.30; Harte/Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 92 (Haftung jedoch ausnahmsweise möglich). 857 BGH 19.12.1960 – I ZR 14/59 – GRUR 1961, 288, 291 – Zahnbürsten. 858 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.30. 859 BGH 28.11.2007 – XII ZB 225/05 – NJW 2008, 917 Tz. 13; Harte/Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 51; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 183. 860 BGH 28.11.2007 – XII ZB 225/05 – NJW 2008, 917 Tz. 15, 18; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.30. 861 BGH 2.10.2012 – I ZR 82/11 – GRUR 2013, 638 Tz. 69 – Völkl; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.30. 862 BGH 28.11.2007 – XII ZB 225/05 – NJW 2008, 917 Tz. 12 ff.; Harte/Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 51; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.31. 863 MünchKommBGB/Krüger § 260 Rn. 42 m. w. N. 864 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.31. 865 OLG Frankfurt 15.11.2017 – 6 W 83/17 – GRUR-RR 2018, 222. Raue

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F. Ansprüche auf Auskunft, Rechnungslegung und Besichtigung

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und Glauben auf andere Arbeitssprachen des Auskunftsgläubigers übertragen, wenn die Informationen dem Schuldner in dieser Sprache vorliegen.

2. Erfüllung Die Auskunftspflicht erlischt durch Erfüllung nach § 362 Abs. 1 BGB, wenn der Schuldner die 248 auskunftspflichtigen Umstände in formal ordnungsgemäßer Weise mitgeteilt hat.866 Es muss sich zudem um eine ernst gemeinte, vollständige und glaubhafte Erklärung handeln.867 Ob diese Anforderungen erfüllt sind, bemisst sich nach allgemeiner Lebenserfahrung aus Sicht eines objektiven Dritten, nicht hingegen nach dem Empfinden des Auskunftsgläubigers.868 Deswegen reicht ein unsubstantiierter Verdacht nicht aus, um die Erklärung als unglaubhaft anzusehen.869 Bei einer unvollständigen Auskunft hat der Auskunftsgläubiger einen Anspruch auf Auskunftsvervollständigung; dafür muss er weitere Tatsachen präsentieren, die die bisher erteilte Auskunft unvollständig erscheinen lassen.870 Dasselbe gilt, wenn die bisherige Auskunft auf einer falschen Tatsachengrundlage gegeben wurde.871 Verfügt der Verletzer nicht über die gewünschten Informationen und kann er sie sich auch 249 nicht mit zumutbarem Aufwand beschaffen (oben Rn. 228 ff.), genügt er seiner Auskunftspflicht durch eine sogenannte Nullauskunft, also die Erklärung, die Tatsachen nicht zu kennen.872 Hat der Schuldner die Informationen im Prozess zu anderen Zwecken als der Auskunftserteilung zur Verfügung gestellt, hat er seiner Pflicht zur geordneten Darstellung der Informationen nicht Genüge getan.873 Allerdings kann diese Form der Informationsbereitstellung bereits den Umfang der Auskunftspflicht reduzieren, weil die Informationen dem Verletzten zur Verfügung stehen (oben Rn. 215).

3. Wirtschaftsprüfervorbehalt Dazu oben Rn. 237 ff.

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4. Rechnungslegung Eine ausdrückliche Pflicht zur Rechnungslegung ist im Auftragsrecht normiert (§ 666 BGB), 251 qua Verweises darauf auch im Recht der Geschäftsbesorgung (§ 675 Abs. 1 BGB), der Geschäfts866 BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26, 36 = GRUR 2001, 841, 844 – Entfernung der Herstellungsnummer II.

867 BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322, 326 = GRUR 1994, 630, 632 – Cartier-Armreif; BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26, 36 = GRUR 2001, 841, 844 – Entfernung der Herstellungsnummer II; OLG Köln 21.11.2014 – 6 U 90/14 – GRUR-RR 2015, 215 Tz. 23 – Innovation Award Burgenland. 868 BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322, 326 = GRUR 1994, 630, 632 – Cartier-Armreif; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 9 Rn. 4.32. 869 BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322, 326 = GRUR 1994, 630, 632 – Cartier-Armreif; BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26, 36 = GRUR 2001, 841, 844 – Entfernung der Herstellungsnummer II. 870 BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322, 327 = GRUR 1994, 630, 632 – Cartier-Armreif. 871 BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322, 327 = GRUR 1994, 630, 632 – Cartier-Armreif. 872 BGH 29.10.1957 – I ZR 192/56 – GRUR 1958, 149, 150 – Bleicherde; BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322, 326 = GRUR 1994, 630, 632 – Cartier-Armreif; BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26, 36 = GRUR 2001, 841, 844 – Entfernung der Herstellungsnummer II; Harte/Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 90; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.32. 873 BGH 21.1.1999 – I ZR 135/96 – WRP 1999, 544, 546 – Datenbankabgleich; OLG Stuttgart 17.12.1999 – 2 U 133/ 99 – WRP 2000, 318, 322; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.32. 301

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Schadensersatz

führung ohne Auftrag (§ 681 Abs. 1 BGB) und der angemaßten Eigengeschäftsführung (§ 687 Abs. 2 BGB). In allen anderen Schuldverhältnissen ergibt sich der Rechnungslegungsanspruch aus Treu und Glauben (vgl. § 242 BGB).874 Den Inhalt einer bestehenden Rechnungslegungspflicht regelt § 259 Abs. 1 BGB. Der Schuldner hat danach „die geordnete Zusammenstellung der Einnahmen oder der Ausgaben enthaltende Rechnung mitzuteilen und, soweit Belege erteilt zu werden pflegen, Belege vorzulegen“.875 Im Regelfall hat der Auskunftsgläubiger keinen Anspruch auf Vorlage von Rechnungen 252 und Belegen, weil diese stärker in das Geheimhaltungsinteresse des Schuldners eingreifen und im Regelfall zur Substantiierung der Ansprüche nicht erforderlich sind (oben Rn. 222, 234). Ein Rechnungslegungsanspruch besteht daher nur, wenn die einfache Auskunft dem Berechtigten nicht die erforderliche Klarheit zur Durchsetzung seiner Ansprüche verschaffen kann.876 Der (unselbständige) Rechnungslegungsanspruch hat im Wettbewerbsrecht aber in Fällen 253 Bedeutung, in denen der Schaden nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie oder des Verletzergewinns errechnet wird (dazu oben Rn. 101 ff.) und eine Schadensberechnung im Wege der Schätzung ausscheidet,877 etwa bei wettbewerbswidriger Nachahmung (§ 4 Nr. 3 UWG)878 oder in Altfällen der Verletzung von Betriebsgeheimnissen (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m.§§ 17, 18 UWG a. F.).879 Darüber hinaus kann die Rechnungslegung zur Durchsetzung von Ansprüchen auf Gewinnherausgabe aus angemaßter Eigengeschäftsführung (§§ 687 Abs. 2, 681 Satz 2, 666, 667 BGB) und der bereicherungsrechtlichen Lizenzanalogie (§ 818 Abs. 2 BGB) in Betracht kommen.880

5. Umfang der Auskunft 254 Der Umfang der Auskunft richtet sich nach dem Möglichen (oben Rn. 215), Erforderlichen (oben Rn. 222 f.) und Zumutbaren (oben Rn. 224 ff.).

255 a) Auskunft über Dritte. Der Auskunftsanspruch kann auch die Verpflichtung beinhalten, dem Verletzten Informationen über Dritte bereitzustellen, die an dem Lauterkeitsrechtsverstoß beteiligt gewesen sind. In dem Fall wird er traditionell als selbstständiger Drittauskunftsanspruch bezeichnet.881 Einen besonderen Fall der Drittauskunft regelt § 8 Abs. 5 i. V. m. § 13 UKlaG. Dieser verpflichtet eine Stelle, die am Wettbewerbsverstoß nicht beteiligt war, sondern lediglich das Medium dafür bereitgestellt hat, den Namen und die Anschrift eines mutmaßlichen Verletzers mitzuteilen (dazu näher § 8 Rn. 284). Praktische Bedeutung hat der Drittauskunftsanspruch im Lauterkeitsrecht insbesondere bei der unlauteren Produktnachahmung

874 BGH 24.1.1956 – VI ZR 147/54 – BGHZ 19, 385, 386 f. – Kirchenfenster; BGH 7.12.1979 – I ZR 157/77 – GRUR 1980, 227, 332 – Monumenta Germaniae Historica; Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 40; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.5; Teplitzky/Büch Kap. 39 Rn. 1. 875 Siehe hierzu Sternja GRUR 2011, 789 ff. 876 BGH 23.1.2003 – I ZR 18/01 – GRUR 2003, 433, 434 – Cartier-Ring; BGH 31.3.1971 – VIII ZR 198/69 – WM 1971, 565, 566; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 176. 877 Harte/Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 60; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.7b; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 142. 878 BGH 19.1.1973 – I ZR 39/71 – BGHZ 60, 168, 172 = GRUR 1973, 478, 480 – Modeneuheit; BGH 23.1.1981 – I ZR 48/79 – GRUR 1981, 517, 520 – Rollhocker; BGH 6.2.1986 – I ZR 243/83 – GRUR 1986, 673, 676 – Beschlagprogramm. 879 BGH 17.5.1960 – I ZR 34/59 – GRUR 1960, 554, 556 – Handstrickverfahren; BGH 18.2.1977 – I ZR 112/75 – GRUR 1977, 539, 541 – Prozeßrechner. 880 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.7b. 881 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 148. Raue

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F. Ansprüche auf Auskunft, Rechnungslegung und Besichtigung

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(§ 4 Nr. 3),882 der Verletzung von Unternehmensgeheimnissen (§§ 17, 18 a. F., jetzt § 8 Abs. 1 GeschGehG),883 bei der Durchsetzung der Vertriebsbindung884 sowie bei geschäftsschädigenden Äußerungen.885 Der Drittauskunftsanspruch hat drei Voraussetzungen: (1) Zunächst muss zwischen Gläubiger und Auskunftsschuldner ein eigenes Rechtsver- 256 hältnis bestehen (dazu oben Rn. 196).886 Die Pflicht zur Information über Drittbeteiligte wird als Ausschnitt der Pflicht zur Störungsbeseitigung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 sowie des Schadensersatzes nach § 249 Abs. 1 BGB angesehen.887 Der Auskunftsschuldner muss daher selbst eine gegenüber dem Gläubiger bestehende Rechtspflicht verletzt haben. Diese Rechtsverletzung muss zumindest in seinen Grundzügen feststehen. Andernfalls kann keine Drittauskunft verlangt werden.888 Die Drittauskunft scheidet ferner aus, wenn der Auskunftsschuldner ohne eigene Rechtsverletzung Informationen über Rechtsverletzungen hat, die Dritte gegenüber dem Gläubiger begangen haben. Daher müssen Journalisten keine Informationen über ihre Recherchen preisgeben, auch wenn sie Informationen über Wettbewerbsverstöße erlangen.889 (2) Zweitens muss der Lauterkeitsrechtsverstoß des Auskunftsverpflichteten es entweder 257 seiner Art nach oder im konkreten Fall als wahrscheinlich erscheinen lassen, dass Dritte (Angestellte, Beauftragte Lieferanten, Abnehmer oder sonstige Geschäftspartner) daran beteiligt gewesen sind.890 Der Anspruch ist daher in erster Linie darauf gerichtet, Bezugsquellen und Absatzwege zu nennen, damit der Geschädigte von den Genannten Schadensersatz fordern und zukünftige Wettbewerbsverstöße mithilfe von Unterlassungsansprüchen verhindern kann. Darüber hinaus kann der Verletzte ein Interesse daran haben, gegen ihm unbekannte Angestellte und sonstige Beauftragte des Unternehmensinhabers vorzugehen, für die letzterer nach § 8 Abs. 2 haftet.891 (3) Weil der Auskunftsanspruch dazu dient, die Durchsetzung anderer Hauptansprüche vor- 258 zubereiten, muss es darüber hinaus wahrscheinlich sein, dass dem Auskunftsgläubiger gegen den Dritten ein solcher Hauptanspruch zusteht.892 Es muss daher wahrscheinlich893 sein, dass der Dritte ebenfalls einen Lauterkeitsrechtsverstoß begangen oder sich zumindest daran beteiligt hat. Wie beim unselbständigen Auskunftsanspruch kann der Hauptanspruch auf Unterlassung, Beseitigung, Bereicherungsherausgabe oder Schadensersatz gerichtet sein.894 Solange ein Hauptanspruch gegen den Dritten nur möglich, aber nicht wahrscheinlich ist, scheidet ein Anspruch auf Drittauskunft aus.895 Beim wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz nach § 4 Nr. 3 darf der Originalhersteller daher keine Auskunft über den Hersteller der Nachahmung und die Menge der hergestellten Waren verlangen.896 Lauterkeitsrechtswidrig ist alleine das Anbieten, 882 BGH 22.4.1993 – I ZR 52/91 – GRUR 1993, 757 – Kollektion Holiday; BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – GRUR 1994, 630 – Cartier-Armreif. 883 BGH 23.2.2012 – I ZR 136/10 – GRUR 2012, 1048 Tz. 27 – MOVICOL-Zulassungsantrag. 884 BGH 9.11.1967 – KZR 9/65 – GRUR 1968, 272 – Trockenrasierer III; BGH 21.12.1973 – I ZR 161/71 – GRUR 1974, 351 – Frisiersalon. 885 BGH 19.3.1987 – I ZR 98/85 – GRUR 1987, 647 – Briefentwürfe. 886 BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322, 331 = GRUR 1994, 630, 633 – Cartier-Armreif; MünchKommUWG/ Fritzsche § 9 Rn. 148. 887 BGH 4.7.1975 – I ZR 115/73 – GRUR 1976, 367, 368 – Ausschreibungsunterlagen; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.2; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 148. 888 BGH 19.3.1987 – I ZR 98/85 – GRUR 1987, 647, 648 – Briefentwürfe; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.2. 889 OLG München 20.1.2005 – 6 U 3236/04 – ZUM 2005, 399, 403 ff.; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 146. 890 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 141, 149. 891 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 141; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.2. 892 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 148. 893 Enger Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.2: Verstoß muss „feststehen“. 894 BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26, 30 f., 33 f. = GRUR 2001, 841, 842 – Entfernung der Herstellungsnummer II; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 148; 895 Vgl. BGH 19.3.1987 – I ZR 98/85 – GRUR 1987, 647, 648 – Briefentwürfe; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 149. 896 BGH 2.12.2015 – I ZR 176/14 – GRUR 2016, 730 Tz. 75 – Herrnhuter Stern. 303

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nicht aber das Herstellen der Nachahmung, so dass im Regelfall der Hersteller keinen eigenen Lauterkeitsrechtsverstoß begeht.897 259 Der Auskunftsanspruch erlischt nicht dadurch, dass der Auskunftsschuldner eine strafbewehrte Unterlassungserklärung hinsichtlich eigener zukünftiger Zuwiderhandlungen abgibt.898 Der Auskunftsanspruch soll den Berechtigten dazu in die Lage versetzen, zukünftige Verstöße auch der übrigen Beteiligten zu unterbinden.

b) Einzelne Ansprüche 260 aa) Beseitigungsanspruch. Soweit der Beeinträchtigte die Verletzungsfolgen selbst beseitigen oder weitere Schäden verhindern möchte (oben Rn. 73 ff.), benötigt er vom Verletzer Angaben zu den einzelnen Verletzungshandlungen sowie ggf. zur Identität und zu den Kontaktinformationen der Adressaten.899 Das gilt insbesondere bei ehrverletzenden bzw. herabsetzenden Äußerungen (§§ 4 Nr. 1, 2 bzw. 6 Abs. 2 Nr. 5 UWG), die der Betroffene richtigstellen möchte,900 sowie bei Boykottaufrufen.901

261 bb) Konkrete Schadensberechnung. Wenn der Verletzte seinen Schaden konkret berechnen will, hat er Anspruch auf Auskunft über die Art, den Zeitpunkt, die Dauer sowie den Umfang und die Intensität der unlauteren geschäftlichen Handlung.902 Wenn der Vertrieb der Waren unzulässig war, können Angaben über Kunden, Anzahl der geschlossenen Verträge, Liefermengen, -zeiten und -orte erforderlich sein.903 Soweit es sich nur um Kontrolltatsachen handelt und erhebliche Geheimhaltungsinteressen des Verletzers betroffen sind, müssen die Angaben nur gegenüber einem Wirtschaftsprüfer gemacht werden (oben Rn. 237 ff.).904 Nach einer lauterkeitswidrigen Werbeaktion muss der Verletzer Angaben über deren Reichweite machen (z. B. Auflagenhöhe, Verbreitungsgebiet, angesprochene Verkehrskreise, Hörerreichweite, Sendedaten, Page bzw. Ad Impressions).905 Wenn die übrigen Angaben ausreichen, um die Auswirkung der Werbung einzuschätzen, überwiegt das Geheimhaltungsinteresse des Verletzers hinsichtlich der Kosten der Werbung.906 Etwas anderes kann aber in Fällen gelten, in denen die Werbeaufwendungen Anhaltspunkte für die (Mindest-)Umsätze des Verletzers geben können, die er auf-

897 BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 43 – Exzenterzähne; BGHZ 2.12.2004 – I ZR 30/02 – 161, 204, 211 f. – Klemmbausteine III; BGH 14.12.1995 – I ZR 240/93 – GRUR 1996, 210, 212 – Vakuumpumpen; OLG Köln 9.11.2007 – 6 U 9/07 – GRUR-RR 2008, 166, 169 – Bigfoot; Ohly/Sosnitza § 4 Rn. 3/86; GK-UWG/Dornis § 4 Nr. 3 Rn. 170; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.80. 898 BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26, 30 f. = GRUR 2001, 841, 842 – Entfernung der Herstellungsnummer II. 899 Vgl. BGH 18.2.19972 – I ZR 82/70 – GRUR 1972, 558, 560 – Teerspritzmaschinen; BGH 4.7.1975 – I ZR 115/73 – GRUR 1976, 367, 368 – Ausschreibungsunterlagen; BGH 19.3.1987 – I ZR 98/85 – GRUR 1987, 647, 648 – Briefentwürfe; BGH 9.11.2015 – I ZR 220/95 – GRUR 1996, 78, 79 – Umgehungsprogramm; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 175. 900 BGH 6.2.1962 – VI ZR 193/61 – GRUR 1962, 382 – Konstruktionsbüro. 901 OLG Stuttgart 28.9.2001 – 2 U 220/00 – GRUR-RR 2003, 21, 23 – Rohrpressverbindungen. 902 BGH 14.11.1980 – I ZR 138/78 – GRUR 1981, 286, 288 – Goldene Karte I; BGH 12.2.1987 – I ZR 70/85 – GRUR 1987, 364, 365 – Vier-Streifen-Schuh; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 177; Harte/Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 72. 903 Vgl. BGH 13.2.1976 – I ZR 1/75 – GRUR 1978, 52, 53 – Fernschreibverzeichnisse; BGH 14.11.1980 – I ZR 138/78 – GRUR 1981, 286, 288 – Goldene Karte I; OLG Celle 19.12.2019 – 13 U 87/18 – PharmR 2020, 278, 282 f. 904 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 177; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 175. 905 Vgl. BGH 12.2.1987 – I ZR 70/85 – GRUR 1987, 364, 365 – Vier-Streifen-Schuh; BGH 19.3.1987 – I ZR 98/85 – GRUR 1987, 647, 648 – Briefentwürfe. 906 BGH 12.2.1987 – I ZR 70/85 – GRUR 1987, 364, 365 – Vier-Streifen-Schuh; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 177. Raue

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grund der rechtswidrigen Werbung zulasten der Mitbewerber gemacht hat.907 Die unzulässige Nutzung einer Internetdomain verpflichtet zu Angaben über Dauer und Umfang der Nutzung.908 Wenn und soweit die Verletzerumsätze als Anknüpfungstatsachen für die Schadensschät- 262 zung dienen können (oben Rn. 88), hat der Geschädigte einen Auskunftsanspruch.909 Dafür muss aber eine Umsatzverschiebung vom Geschädigten auf den Verletzer möglich sein.910 Weil zwar die Umsätze, nicht aber der Gewinn des Verletzers ein Indiz für die Einbußen des Geschädigten sein können, muss er für die konkrete Schadensberechnung keine Auskunft über Gestehungskosten, Gewinnspannen und seine sonstige Kalkulation geben.911 Soweit die Verkaufspreise für die Schätzung des entgangenen Umsatzes erforderlich sind, etwa weil diese Auskunft über das Substitutionspotential geben können, besteht jedoch ein Auskunftsanspruch.912 Bei sensiblen Daten muss das Gericht ggf. einen Wirtschaftsprüfervorbehalt anordnen (oben Rn. 240).913 Die Auskunftspflicht erstreckt sich darüber hinaus auf alle weiteren Angaben, die notwendig 263 sind, um den Umfang der Verletzungshandlungen, die Möglichkeit des Schadenseintritts bzw. die Schadenshöhe zu ermitteln.914 Dasselbe gilt für Kontrolltatsachen, mit denen die Richtigkeit anderer Angaben des Auskunftsschuldners überprüft werden kann (bereits oben Rn. 223).915

cc) Lizenzanalogie und Gewinnherausgabe. Kommt die dreifache Schadensberechnung in 264 Betracht, hat der Geschädigte einen Anspruch auf Auskünfte für alle drei Schadensberechnungsarten.916 Er muss sich erst zum Abschluss der letzten mündlichen Verhandlung auf eine Art der Schadensberechnung festlegen (dazu oben Rn. 142). Vor der Festlegung sind alle Angaben für die Schadensberechnung erforderlich, mit denen er den Schaden auf die unterschiedlichen Arten berechnen kann.917 Scheiden jedoch eine oder mehrere der Schadensberechnungsmethoden von vornherein aus, entfällt insoweit der Anspruch auf Auskunft.918 Das gilt auch für den Fall, dass die Schadenshöhe innerhalb einer Schadensberechnungsmethode ohnehin geschätzt werden muss, die verlangten Auskünfte wenig dazu beitragen können und es sich um

907 OLG Hamburg 18.2.2020 – 15 U 143/19 – GRUR-RS 2020, 6298. 908 BGH 11.4.2002 – I ZR 317/99 – GRUR 2002, 706, 708 – vossius.de. 909 Vgl. BGH 27.11.1964 – Ib ZR 23/63 – GRUR 1965, 313, 314 f. – Umsatzauskunft; jurisPK-UWG/Koch § 9 Rn. 172; Harte/Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 74.

910 Vgl. BGH 27.11.1964 – Ib ZR 23/63 – GRUR 1965, 313, 314 f. – Umsatzauskunft; BGH 14.11.1980 – I ZR 138/78 – GRUR 1981, 286, 288 – Goldene Karte I; Harte/Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 74.

911 BGH 20.5.2008 – X ZR 180/05 – BGHZ 176, 311 = GRUR 2008, 896 Tz. 32 – Tintenpatrone; OLG Köln 21.11.2014 – 6 U 90/14 – GRUR-RR 2015, 215 Tz. 19 – Innovation Award Burgenland; Harte/Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 74.

912 BGH 20.5.2008 – X ZR 180/05 – BGHZ 176, 311 = GRUR 2008, 896 Tz. 32 – Tintenpatrone; Harte/Henning/ Goldmann Vor § 8 Rn. 74; a. A. OLG Hamburg 28.3.2019 – 3 U 66/15 – GRUR-RR 2019, 389 Tz. 86 – DUO-Register; OLG Köln 21.11.2014 – 6 U 90/14 – GRUR-RR 2015, 215 Tz. 19 – Innovation Award Burgenland („in der Regel wenig hilfreich“); MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 177. 913 BGH 13.2.1976 – I ZR 1/75 – GRUR 1978, 52, 53 – Fernschreibverzeichnisse; BGH 4.3.1982 – I ZR 19/80 – GRUR 1982, 489, 490 – Korrekturflüssigkeit. 914 BGH 27.11.1964 – Ib ZR 23/63 – GRUR 1965, 313, 315 – Umsatzauskunft; BGH 12.2.1987 – I ZR 70/85 – GRUR 1987, 364, 365 – Vier-Streifen-Schuh; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 177. 915 BGH 6.4.2000 – I ZR 114/98 – GRUR 2001, 84, 85 – Neu in Bielefeld II. 916 BGH 7.12.1979 – I ZR 157/77 – GRUR 1980, 227, 332 – Monumenta Germaniae Historica; BGH 22.9.1999 – I ZR 48/97 – GRUR 2000, 226, 227 – Planungsmappe; MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 179; Harte/Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 63. 917 BGH 14.1.1977 – I ZR 170/75 – GRUR 1977, 491, 494 – ALLSTAR; BGH 7.12.1979 – I ZR 157/77 – GRUR 1980, 227, 232 – Monumenta Germaniae Historica; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.13. 918 BGH 12.2.1987 – I ZR 70/85 – GRUR 1987, 364, 365 – Vier-Streifen-Schuh; BGH 2.2.1995 – I ZR 16/93 – GRUR 1995, 349, 351 f. – Objektive Schadensberechnung; BGH 20.5.2008 – X ZR 180/05 – BGHZ 176, 311 = GRUR 2008, 896 Tz. 33 – Tintenpatrone; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.13. 305

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sensible Unternehmensdaten handelt.919 Insbesondere wenn die Schadensersatzhöhe voraussehbar sehr gering ausfallen wird, überwiegen die Geheimhaltungsinteressen des Verletzers.920 265 Zur Berechnung des Verletzergewinns kann der Geschädigte Auskunft über Einnahmen und abzugsfähige Ausgaben sowie über solche Tatsachen verlangen, mit denen er die Auskünfte überprüfen kann.921 Das gilt aber nicht für bloße Angebote, Angebotspreise und Angebotsempfänger, weil diese keinen Einfluss auf die Höhe des Verletzergewinns haben.922 Zur Berechnung der Lizenzanalogie muss der Verletzer Angaben über die Höhe und den 266 Zeitpunkt seiner Umsätze machen.923 Weitere Angaben, etwa zu Gestehungs- und Vertriebskosten, sind für die Berechnung im Regelfall entbehrlich.924 Sie können aber ggf. als Kontrolltatsachen verlangt werden.925

6. Auskunftszeitraum 267 Dazu oben Rn. 214.

7. Anspruch auf Eidesstattliche Versicherung 268 Hat der Schuldner eine ernst gemeinte, vollständige und glaubhafte Erklärung abgegeben, ist der Anspruch erfüllt (vgl. oben Rn. 248). Hat der Gläubiger berechtigte Zweifel an der Sorgfältigkeit und Vollständigkeit der erteilten Auskunft, kann er vom Schuldner die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung verlangen.926 Die Versicherung an Eides statt hat im Wettbewerbsrecht vor allem bei selbständigen Auskunftsverlangen Bedeutung, mit denen Schadenersatzansprüche gegen Dritte vorbereitet werden sollen.927 Der Gläubiger hat dann oft keine Möglichkeit, die Auskünfte des Schuldners zu überprüfen. In diesen Fällen soll mit dem Verlangen einer eidesstattlichen Versicherung der Verpflichtung zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Auskunft Nachdruck verliehen werden.928 Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für das Verlangen einer eidesstattlichen Ver269 sicherung ergeben sich aus §§ 259, 260 BGB. Der Anspruch besteht über den Wortlaut von § 260 Abs. 2 BGB hinaus bei allen Auskunftsansprüchen, bei denen Grund zur Annahme besteht, dass sie der Schuldner nicht mit der erforderlichen Sorgfalt erteilt hat.929 Letzteres muss der Gläubiger beweisen. Ein solcher Grund liegt etwa vor, wenn der Schuldner die Auskunft mehrfach berichtigt oder ergänzt hat, sie widersprüchlich oder erwiesenermaßen unvollständig ist oder

919 BGH 6.10.2005 – I ZR 322/02 – GRUR 2006, 419 Tz. 15 m. w. N. – Noblesse. 920 BGH 6.10.2005 – I ZR 322/02 – GRUR 2006, 419 Tz. 15 m. w. N. – Noblesse; Harte/Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 63. 921 BGH 7.12.1979 – I ZR 157/77 – GRUR 1980, 227, 332 f. – Monumenta Germaniae Historica; BGH 20.5.2008 – X ZR 180/05 – BGHZ 176, 311 = GRUR 2008, 896 Tz. 33 – Tintenpatrone. 922 BGH 7.12.1979 – I ZR 157/77 – GRUR 1980, 227, 333 – Monumenta Germaniae Historica. 923 BGH 11.3.1982 – I ZR 58/80 – GRUR 1982, 420, 423 – BBC/DDC; BGH 2.2.1995 – I ZR 16/93 – GRUR 1995, 349, 352 – Objektive Schadensberechnung; Harte/Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 70. 924 BGH 11.4.1989 – X ZR 26/87 – BGHZ 107, 161, 169 = GRUR 1989, 411 – Offenend-Spinnmaschine; BGH 20.5.2008 – X ZR 180/05 – BGHZ 176, 311 = GRUR 2008, 896 Tz. 33 – Tintenpatrone. 925 MünchKommUWG/Fritzsche § 9 Rn. 179. 926 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.36 ff.; Teplitzky/Büch Kap. 38 Rn. 36. 927 Vgl. BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322, 327 = GRUR 1994, 630, 633 – Cartier-Armreif; BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – GRUR 2001, 841, 845 – Entfernung der Herstellungsnummer II (insoweit nicht enthalten in BGHZ 148, 26). 928 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.40. 929 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.36. Raue

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sonst aus objektiver Sicht Zweifel an der Sorgfalt der Auskunft bestehen.930 Dann muss der Schuldner nachweisen, dass er in unverschuldeter Unkenntnis oder aufgrund eines unverschuldeten Irrtums gehandelt hat.931 Aber auch in dem Fall hat der Schuldner nicht ordnungsgemäß erfüllt, so dass der Gläubiger weiter einen Anspruch auf (ergänzende) Auskunft hat (oben Rn. 248).932 Der Anspruch auf eidesstattliche Versicherung entfällt zudem bei Angelegenheiten von „geringer Bedeutung“ (§§ 260 Abs. 3 i. V. m. 259 Abs. 3 BGB). Der Schuldner kann die eidesstattliche Versicherung freiwillig beim zuständigen Amtsge- 270 richt abgeben (§ 261 Abs. 1 BGB i. V. m. §§ 410 Nr. 1, 411 Abs. 1, 413 FamFG). In allen anderen Fällen muss der Gläubiger die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung einklagen, kann diesen Antrag aber im Wege der Stufenklage (vgl. § 254 ZPO) mit der Klage auf Auskunftserteilung verbinden.933 Dann ist das Amtsgericht als Vollstreckungsgericht nach § 889 ZPO zur Entgegennahme zuständig. § 261 Abs. 2 BGB legt die Kosten der eidesstattlichen Versicherung dem Gläubiger auf.

IV. Durchsetzung Auskunfts- und Rechnungslegungsansprüche werden prozessual im Wege der Leistungsklage 271 durchgesetzt und als nicht-vertretbare Handlungen (oben Rn. 246) nach §§ 887, 888 ZPO vollstreckt. Die spezialgesetzlichen Ansprüche auf Drittauskunft sehen zwar unter bestimmten Voraussetzungen eine einstweilige Auskunftsverfügung vor (vgl. § 24b Abs. 7 GebrMG, § 19 Abs. 7 MarkenG, § 46 Abs. 7 DesignG, § 140b Abs. 7 PatG, § 101 Abs. 7 UrhG; § 37b Abs. 7 SortSchG). Eine analoge Anwendung auf Ansprüche des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes wird aber überwiegend abgelehnt.934 Weil andernfalls eine Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung droht, können wettbewerbsrechtliche Auskunftsansprüche nur ausnahmsweise über eine einstweilige Verfügung durchgesetzt werden.935 Diese soll etwa in Betracht kommen, wenn die Existenz des Gläubigers gefährdet936 oder wenn der Wettbewerbsverstoß offensichtlich ist.937

V. Verjährung Auskunftsansprüche verjähren nicht mit dem Hauptanspruch, sondern eigenständig nach der 272 regelmäßigen Verjährungsfrist der §§ 195, 199 BGB.938 Erforderlich ist die eigenständige Verjährung vor allem deswegen, weil der Gläubiger auch noch mit einem verjährten Anspruch auf930 BGH 4.12.1959 – I ZR 135/58 – GRUR 1960, 247, 248 – Krankenwagen I; BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322, 327 = GRUR 1994, 630, 632 – Cartier-Armreif; BGH 2.2.1999 – KZR 11/97 – WRP 1999, 534, 542 – Preisbindung durch Franchisegeber; BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – GRUR 2001, 841, 845 – Entfernung der Herstellungsnummer II. 931 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.37. 932 BGH 1.12.1983 – IX ZR 41/83 – NJW 1984, 484, 485. 933 BGH 29.4.2010 – I ZR 68/08 – GRUR 2010, 623 Tz. 59 – Restwertbörse; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.40; Teplitzky/Büch Kap. 38 Rn. 36. 934 OLG Hamburg 19.3.2007 – 5 W 33/07 – WRP 2007, 1253; Fezer/Büscher/Obergfell § 12 Rn. 95; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 9 Rn. 4.35. 935 Vgl. Fezer/Büscher/Obergfell § 12 Rn. 95; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 11. 936 OLG Hamburg 14.6.2006 – 5 U 21/06 – GRUR-RR 2007, 29; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.35. 937 LG Düsseldorf 30.4.1996 – 4 O 126/96 – WRP 1997, 253. 938 BGH 4.10.1989 – IVa ZR 198/88 – BGHZ 108, 393, 399 = NJW 1990, 180, 181; BGH 10.12.1987 – I ZR 198/85– GRUR 1988, 533, 536 – Vorentwurf II; BGH 10.5.2012 – I ZR 145/11 – GRUR 2012, 1248 Tz. 22 – Fluch der Karibik; Harte/Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 91. Anders noch BGH 18.2.1972 – I ZR 82/70 – GRUR 1972, 558, 560 – Teerspritzmaschinen; BGH 28.9.1973 – I ZR 136/71 – GRUR 1974, 99, 101 – Brünova. 307

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Schadensersatz

rechnen oder ein Zurückbehaltungsrecht geltend machen kann (§ 215 BGB). In diesen Fällen ist er weiter auf die Auskunftserteilung angewiesen.939 Abgesehen von diesen Sonderkonstellationen fehlt bei einem verjährten Hauptanspruch regelmäßig das berechtigte Informationsinteresse des Gläubigers, so dass die materiellen Anspruchsvoraussetzungen entfallen.940 Das gilt bei einem selbstständigen Auskunftsanspruch aber erst, wenn der Dritte sich auf Verjährung beruft.941

VI. Anspruch auf Besichtigung (§ 809 BGB) 273 Mit dem Auskunftsanspruch verwandt ist der Anspruch auf die Besichtigung einer Sache nach § 809 BGB.942 Auch er soll den Inhaber eines Anspruchs bei der Durchsetzung seines Rechts unterstützen. Im Lauterkeitsrecht kommt der Besichtigungsanspruch aus § 809 BGB vor allem in Betracht, wenn die Sache im Besitz des Anspruchsgegners möglicherweise unter Verletzung von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen hergestellt oder erlangt wurde.943 Weiterhin kommt ein solcher Anspruch bei einer wettbewerbswidrigen Nachahmung in Betracht,944 wobei hier allerdings beachtet werden muss, dass nicht das Herstellen oder Besitzen, sondern nur das Anbieten wettbewerbswidrig ist. Als Voraussetzung dieses Besichtigungsanspruchs muss der Gläubiger zunächst entweder 274 einen Anspruch gegen den Besitzer einer Sache „in Ansehung der“ Sache haben oder sich Gewissheit verschaffen wollen, ob ihm ein solcher Anspruch zusteht. Dafür muss das Bestehen des Anspruchs in irgendeiner Weise von der Existenz oder Beschaffenheit der Sache abhängen.945 Es reicht grundsätzlich aus, dass der Anspruch mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit besteht, wenn sich nach einer Interessenabwägung das Aufklärungsinteresse gegen das Geheimhaltungsinteresse durchsetzt.946 Ausreichendes Indiz kann im Einzelfall bereits sein, dass das Produkt des Schuldners optisch oder in einzelnen Funktionen dem des Gläubigers ähnelt und der Schuldner einen ehemaligen Mitarbeiter des Gläubigers beschäftigt.947 Weil der Besichtigungsanspruch aber nicht zu einem Ausforschungsanspruch werden soll, ist die bloß entfernte Möglichkeit, dass ein Anspruch besteht, nicht ausreichend.948 Wie beim Auskunftsanspruch (oben Rn. 221 ff.) muss daher eine Interessenabwägung vor275 genommen werden:949 Der Gläubiger soll den Nachweis einer möglichen Rechtsverletzung vor allem in solchen Fällen führen können, in denen andernfalls die Anspruchsdurchsetzung vereitelt würde, weil er den Beweis für das Bestehen des Anspruchs ohne den Besichtigungsan939 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.42; Teplitzky/Büch Kap. 38 Rn. 37; Harte/Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 91. 940 BGH 4.10.1989 – IVa ZR 198/88 – BGHZ 108, 393, 399 = BGH NJW 1990, 180, 181; Harte/Henning/Goldmann Vor § 8 Rn. 91. 941 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.42. 942 Besichtigungsansprüche sehen auch die Immaterialgüterrechtsgesetze vor: § 19a Abs. 1 MarkenG, § 101a Abs. 1 UrhG, § 140c Abs. 1 PatG, § 24c Abs. 1 GebrMG, § 46a Abs. 1 DesignG, § 37c Abs. 1 SortSchG. 943 Vgl. OLG Hamm 31.1.2013 – I-4 U 200/12 – GRUR-RR 2013, 306, 307 f. 944 BGH 2.5.2002 – I ZR 45/01 – BGHZ 150, 377, 386 = GRUR 2002, 1046, 1047 – Faxkarte. 945 BGH 2.5.2002 – I ZR 45/01 – BGHZ 150, 377, 384 = GRUR 2002, 1046, 1048 – Faxkarte. 946 BGH 2.5.2002 – I ZR 45/01 – BGHZ 150, 377, 385 f. = GRUR 2002, 1046, 1048 f. – Faxkarte; BGH 13.11.2003 – I ZR 187/01 – GRUR 2004, 420, 421 – Kontrollbesuch; BGH 1.8.2006 – X ZR 114/03 – BGHZ 169, 30 = GRUR 2006, 962 Tz. 43 – Restschadstoffentfernung (zu § 142 ZPO); BGH 20.9.2012 – I ZR 90/09 – WRP 2013, 808 Tz. 20 – UniBasicIDOS. Enger noch BGH 8.1.1985 – X ZR 18/84 – BGHZ 93, 191, 205 = GRUR 1985, 512, 518 – Druckbalken: „erhebliches Interesse“. 947 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.44. 948 BGH 2.5.2002 – I ZR 45/01 – BGHZ 150, 377, 385 f. = GRUR 2002, 1046, 1048 f. – Faxkarte. 949 BGH 2.5.2002 – I ZR 45/01 – BGHZ 150, 377, 386 = GRUR 2002, 1046, 1048 f. – Faxkarte; BGH 1.8.2006 – X ZR 114/03 – BGHZ 169, 30 = GRUR 2006, 962 Rn. 43 – Restschadstoffentfernung (zu § 142 ZPO). Raue

308

F. Ansprüche auf Auskunft, Rechnungslegung und Besichtigung

§9

spruch kaum oder gar nicht erbringen kann. Im Regelfall muss die Vorlage „zur Verwirklichung des Anspruches mehr oder weniger unentbehrlich“ sein.950 Der Besichtigungsanspruch entfällt also, wenn sich der Gläubiger den Gegenstand in zumutbarer Weise selbst beschaffen kann.951 Ferner soll der Besichtigungsanspruch nicht zur Ausspähung solcher Informationen genutzt 276 werden, die der Anspruchsgegner aus berechtigten Gründen geheim halten möchte, wenn der Gläubiger auf andere zumutbare Möglichkeiten ausweichen kann, um die Rechtsverletzung zu beweisen.952 Als milderes Mittel kann – vergleichbar dem Wirtschaftsprüfervorbehalt – der Anspruch auf den Zugang eines zur Verschwiegenheit verpflichteten Dritten beschränkt werden.953 Liegen die Voraussetzungen des Besichtigungsanspruchs vor, darf der Gläubiger verlangen, 277 dass ihm der Besitzer die Sache zur Besichtigung vorlegt oder die Besichtigung gestattet. Der Gläubiger darf die Sache umfassend untersuchen, etwa Teile ein- und ausbauen, die Sache einund ausschalten.954 Das gilt aber nur, soweit die Untersuchung das Integritätsinteresse des Schuldners nicht unzumutbar beeinträchtigt. Wird die Sache mit Sicherheit beschädigt oder besteht die „realistische Gefahr“ einer Beschädigung, muss der Schuldner eine solche Form der Untersuchung im Regelfall nicht hinnehmen.955 In allen anderen Fällen wahrt der verschuldensunabhängige Schadensersatzanspruch nach §§ 280 bzw. 823 Abs. 1 i. V. m. 811 Abs. 2 Satz 1 BGB die Interessen des Schuldners.956 Der Schuldner darf zudem die Besichtigung davon abhängig machen, dass der Gläubiger für den Schadensersatzanspruch Sicherheit nach § 811 Abs. 2 Satz 2 BGB leistet.

950 951 952 953 954

Mot. II S. 891. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.45. BGH 2.5.2002 – I ZR 45/01 – BGHZ 150, 377, 386 = GRUR 2002, 1046, 1048 – Faxkarte. BGH 2.5.2002 – I ZR 45/01 – BGHZ 150, 377, 386 f. = GRUR 2002, 1046, 1049 – Faxkarte. BGH 2.5.2002 – I ZR 45/01 – BGHZ 150, 377, 388 = GRUR 2002, 1046, 1049 – Faxkarte; a. A. noch BGH 8.1.1985 – X ZR 18/84 – BGHZ 93, 191, 209 = GRUR 1985, 512, 517 – Druckbalken. 955 BGH 2.5.2002 – I ZR 45/01 – BGHZ 150, 377, 388 f. = GRUR 2002, 1046, 1049 – Faxkarte. 956 BGH 2.5.2002 – I ZR 45/01 – BGHZ 150, 377, 389 = GRUR 2002, 1046, 1049 – Faxkarte; MünchKommBGB/ Habersack § 811 Rn. 4. 309

Raue

§ 10 Gewinnabschöpfung (1) Wer vorsätzlich eine nach § 3 oder § 7 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt und hierdurch zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern einen Gewinn erzielt, kann von den gemäß § 8 Absatz 3 Nummer 2 bis 4 zur Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs Berechtigten auf Herausgabe dieses Gewinns an den Bundeshaushalt in Anspruch genommen werden. (2) 1Auf den Gewinn sind die Leistungen anzurechnen, die der Schuldner auf Grund der Zuwiderhandlung an Dritte oder an den Staat erbracht hat. 2Soweit der Schuldner solche Leistungen erst nach Erfüllung des Anspruchs nach Absatz 1 erbracht hat, erstattet die zuständige Stelle des Bundes dem Schuldner den abgeführten Gewinn in Höhe der nachgewiesenen Zahlungen zurück. (3) Beanspruchen mehrere Gläubiger den Gewinn, so gelten die §§ 428 bis 430 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechend. (4) 1Die Gläubiger haben der zuständigen Stelle des Bundes über die Geltendmachung von Ansprüchen nach Absatz 1 Auskunft zu erteilen. 2Sie können von der zuständigen Stelle des Bundes Erstattung der für die Geltendmachung des Anspruchs erforderlichen Aufwendungen verlangen, soweit sie vom Schuldner keinen Ausgleich erlangen können. 3Der Erstattungsanspruch ist auf die Höhe des an den Bundeshaushalt abgeführten Gewinns beschränkt. (5) Zuständige Stelle im Sinn der Absätze 2 und 4 ist das Bundesamt für Justiz.

Schrifttum Ahrens Kollektivschadensersatz wegen Wettbewerbsbeschränkungen oder unlauteren Wettbewerbs? – Über Mythen und Problemignoranz, WRP 2015, 1040; Alexander Die strafbare Werbung in der UWG-Reform, WRP 2004, 407; ders. Die Sanktions- und Verfahrensvorschriften der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken im Binnenmarkt – Umsetzungsbedarf in Deutschland? GRUR Int. 2005, 809; ders. Marktsteuerung durch Abschöpfungsansprüche, JZ 2006, 890; ders. Nutzen und Zukunft der Gewinnabschöpfung in der Diskussion, WRP 2012, 1190; ders. Schadensersatz und Abschöpfung im Lauterkeits- und Kartellrecht: Privatrechtliche Sanktionsinstrumente zum Schutz individueller und überindividueller Interessen im Wettbewerb (2010); Augenhofer/Stadler Die Europäisierung des Lauterkeits- und Kartellrecht (2009); Basedow/Hopt/Kötz/Baetge (Hrsg.) Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozess – Verbandsklage und Gruppenklage (1999); Bauer Der Gewinnabschöpfungsanspruch der Verbände nach § 10 UWG (2006); Beck Herausgabe des Verletzergewinns – Strafschadensersatz nach deutschem Recht, GRUR 2005, 617; Bentert Das pönale Element – ein Fremdkörper im deutschen Zivilrecht? (1996); v.d. Bergh/Keske Rechtsökonomische Aspekte der Sammelklage, in: Casper/Janssen/Pohlmann/Schulze (Hrsg.), Auf dem Weg zur europäischen Sammelklage? (2009), S. 17; Bernitz/Draper Consumer Protection in Sweden. Legislation, Institutions and Practice, 2. Aufl. (1986); Beuchler Das „Schreckgespenst“ § 10 UWG: mehr Gespenst als Schrecken, WRP 2006, 1288; Böni/Wassmer Sammelklagen als Instrument der Kartellrechtsdurchsetzung, EWS 2015, 130; Brellochs Publizität und Haftung von Aktiengesellschaften im System des Europäischen Kapitalmarktrechts (2005); Bulst Private Kartellrechtsdurchsetzung nach der 7. GWB-Novelle: Unbeabsichtigte Rechtsschutzbeschränkungen durch die Hintertür? EWS 2004, 62; Bungert Vollstreckbarkeit US-amerikanischer Schadensersatzurteile in exorbitanter Höhe in der Bundesrepublik, ZIP 1992, 1707; Cabanas/Trejo/Vestweber Das neue spanische Gesetz über Allgemeine Geschäftsbedingungen, ZVglRWiss 97 (1998) 454; Canaris Gewinnabschöpfung bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, FS Deutsch (1999) 85; Casper/Janssen/Pohlmann/Schulze (Hrsg.) Auf dem Weg zur europäischen Sammelklage? (2009); Dehlfing Das Recht der irreführenden Werbung in Deutschland, Großbritannien und Frankreich (1999); Di Fabio Privatisierung und Staatsvorbehalt – Zum dogmatischen Schlüsselbegriff der öffentlichen Aufgabe, JZ 1999, 585; de la Oliva Santos/de la Oliva/Diez-Picazo Derecho Procesal Civil. El proceso de declaraciòn, 2. Aufl. (2001); Dreier Kompensation und Prävention: Rechtsfolgen unerlaubter Handlung im Bürgerlichen, Immaterialgüter- und Wirtschaftsrecht (2002); Dreier/v. Lewinski Recht der Werbung in Frankreich, in: Schricker (Hrsg.), Recht der Werbung in Europa (1995); Drücke Kollektivinteressen und Wettbewerbsrecht – Eine vergleichende Untersuchung des deutschen und französischen Rechts (2004); Ebert Pönale Elemente im deutschen Privatrecht – Von der Renaissance der Privatstrafe im deutschen Recht (2004); Eckel A Common Approach to Collective Redress in Antitrust and Unfair Competition – A Comparison of the EU, Germany and the United Kingdom, IIC 2015, 920; Eckel Kollektiver Rechtsschutz gegen kartellrechtliche Streuschäden: Das Poelzig https://doi.org/10.1515/9783110545968-006

310

Schrifttum

§ 10

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§ 10

Gewinnabschöpfung

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Schrifttum

§ 10

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Darstellung und Systematisierung von Möglichkeiten und Defiziten der privaten Durchsetzung des Verbraucherschutzes sowie Einbeziehung der Kartellbehörden zu dessen Durchsetzungim Lauterkeitsrecht; Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, Februar 2018, abrufbar unter https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Studien/behoerdliche-durchsetzung-des-verbraucherrechts.html (Stand 4.5.2020); Podszun/Busch/Henning-Bodewig, Die Durchsetzung des Verbraucherrechts: Das BKartA als UWG-Behörde?, GRUR 2018, 1004; Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012); dies. Private or public enforcement of the UCP Directive? Sanctions and remedies to prevent unfair commercial practices, in van Boom/Garde/Akseli (Hrsg.), The Unfair Commercial Practices Directive: Impact, Enforcement Strategies and National Legal Systems (2014) 235; dies. Aufsichts- und zivilrechtliche Regeldurchsetzung – Abstimmung und Verzahnung am Beispiel von Kartell- und Kapitalmarktrecht, in: Möslein (Hrsg.), Regelsetzung im Privatrecht, Mohr Siebeck, 2019, 227; Poelzig/Bauermeister, Kartellrechtsdurchsetzung, ne bis in idem und Verhältnismäßigkeit (Teil 1) – Die kartellrechtlichen Sanktionen und ne bis in idem; NZKart 2017, 491 ff.; Poelzig/Bauermeister, Kartellrechtsdurchsetzung, ne bis in idem und Verhältnismäßigkeit (Teil 2) – Die Anrechnung kartellrechtlicher Sanktionen. NZKart 2017, 568 ff.; Pokrant Zum Verhältnis von Gewinnabschöpfung gemäß § 10 und Schadensersatz nach § 9 UWG, FS Ullmann (2006) 813; Polinsky/Shavell Should Liability be Based on the Harm to the Victim or the Gain to the Injurer 10 J.L. Econ. & Org. 10, 427; van Raay Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG: Erste Schritte, VuR 2007, 47; dies. Gewinnabschöpfung als Präventionsinstrument im Lauterkeitsrecht (2012); Rabe Kollektivklagen, ZEuP 2010, 1; Rade Die Durchsetzung des Lauterkeitsrechts in Deutschland und der Tschechischen Republik: Ansätze für ein kohärentes europäisches Recht gegen unlauteren Wettbewerb; 2018; Sack RegE einer UWG-Novelle – ausgewählte Probleme, BB 2003, 1073; ders. Der Gewinnabschöpfungsanspruch von Verbänden in der geplanten UWG-Novelle, WRP 2003, 549; Säcker Verbandsklage (2006); Schäfer/Ott Ökonomische Analyse des Zivilrechts, 5. Aufl. (2013); Schaub Schadensersatz und Gewinnabschöpfung im Lauterkeits- und Immaterialgüterrecht, GRUR 2005, 918; Schlacke Überindividueller Rechtsschutz (2009); Schlurmann Die Class Action im Recht der USA – ein prozessuales Konzept nach Interessenstrukturen (1978); Schmauß Der Gewinnabschöpfungsanspruch von Verbänden in der Neufassung des § 10 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) (2007); Schneider Class Actions – Rechtspolitische Fragen in den USA und Anerkennung in Deutschland (1999); Schricker Zur Reform des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb Schadenersatzansprüche der Abnehmer und Rücktritt vom Vertrag bei irreführender und unlauterer Werbung, GRUR 1979, 1; Schricker/Henning-Bodewig Elemente einer Harmonisierung des Rechts des unlauteren Wettbewerbs in der Europäischen Union, WRP 2001, 1369; Schulte Die kollektive Geltendmachung von Verbraucherschäden im UWG (1981); Schunder Die Verbandsklage auf dem Vormarsch, FS Folz (2003) 295; Seichter Der Umsetzungsbedarf der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, WRP 2005, 1087; Siehr Zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Verurteilungen zu „punitive damages“, RIW 1991, 705; Sieme Die Auslegung des Begriffs „zu Lasten“ in § 10 UWG und 34 a GWB, WRP 2009, 914; ders. Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG und die Vorteilsabschöpfung gemäß §§ 34, 34 a GWB (2009); Siemes Gewinnabschöpfung bei Zwangskommerzialisierung der Persönlichkeit durch die Presse, AcP 201 (2001), 202; Sosnitza Das Koordinatensystem des Rechts des unlauteren Wettbewerbs im Spannungsfeld zwischen Europa und Deutschland, GRUR 2003, 739; ders. Die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken – Voll- oder Teilharmonisierung, WRP 2006, 1; Stadler Bündelung von Verbraucherinteressen im Zivilprozess, in: Brönneke (Hrsg.), Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess (2001) 1; dies. Musterverbandsklage nach künftigem deutschen Recht, FS Ekkehard Schumann (2001) 465; dies. Verbandsklagen auf Schadensersatz bzw. Gewinnabschöpfung, Gutachten im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (2002); dies. Der Gewinnabschöpfungsanspruch: eine Variante des private enforcement?, in Augenhofer (Hrsg.), Die Europäisierung des Kartell- und Lauterkeitsrechts (2009) 117; Stadler Grenzüberschreitender kollektiver Rechtsschutz in Europa, JZ 2009, 121; Stadler/Micklitz Der Reformvorschlag der UWG-Novelle für eine Verbandsklage auf Gewinnabschöpfung, WRP 2003, 559; Stiefel/Stürner Die Vollstreckbarkeit US-amerikanischer Schadensersatzurteile exzessiver Höhe, VersR 1987, 829; Sunstein Behavorial Law and Economics (2000); Szönyi Das französische Werbe- und Verbraucherrecht, GRUR Int. 1996, 83; Thiere Die Wahrung überindividueller Interessen im Zivilprozeß (1980); Tilmann Gewinnherausgabe im wettbewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, GRUR 2003, 647; Tonner Wann kommt der kollektive Schadensersatzanspruch, VuR 2015, 161; Towfigh/Chatziathanasiou Ökonomische Aspekte

313

Poelzig

§ 10

Gewinnabschöpfung

der Durchsetzung des Verbraucherschutzrechts, in: Schulte-Nölke/BMJV, Neue Wege zur Durchsetzung des Verbraucherrechts (2017) 93; Treis Recht des unlauteren Wettbewerbs und Marktvertriebsrecht in Schweden (1990); Urbanczyk Zur Verbandsklage im Zivilprozeß (1981); Vollmer Wettbewerbsrechtliche Mehrerlösabschöpfung nach der UWG- und GWB-Novelle, DB 1979, 2213; Wagner Prävention und Verhaltenssteuerung durch Privatrecht – Anmaßung oder legitime Aufgabe? AcP 206 (2006), 352; ders., Neue Perspektiven im Schadensersatzrecht – Kommerzialisierung, Strafschadensersatz, Kollektivschaden. Verhandlungen des 66. DJT, Gutachten, Teil A (2006); Wimmer-Leonhardt UWG-Reform und Gewinnabschöpfungsanspruch oder „Die Wiederkehr der Drachen“, GRUR 2004, 12; Weiß, Zur Bekämpfung von Streuschäden – zugleich ein Beitrag zur Ausweitung des § 10 UWG (2012); Windorfer, Kapitalmarktinformationen im Lichte des Lauterkeitsrechts (2015); Wolf, Behördliche Durchsetzung des Lauterkeitsrechts zur Optimierung des Wettbewerbsschutzes, WRP 2019, 283; Wolff/Bachof/Stober Verwaltungsrecht I, 13. Aufl. (2017); Zecca-Jobst Informationspflichten im Lauterkeits- und Verstragsrecht (2015); Zimmer/Höft „Private Enforcement“ im öffentlichen Interesse, ZGR 2009, 662.

Übersicht 1.

1

A.

Grundlagen

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Kollektive Rechtsdurchsetzung bei Streuschä12 den „Kollektivierung“ im sog. Zwei-Parteien-Pro13 zess Differenzierung zwischen Streu- und Massen18 schäden Erfordernis der kollektiven Rechtsdurchsetzung 21 bei Streuschäden Modelle der kollektiven Rechtsdurchset22 zung 23 a) Opt-in-Modell 24 b) Opt-out-Modell Europäische Maßgaben der kollektiven Rechts28 durchsetzung 29 a) Grünbuch von 2008 30 b) Empfehlung von 2013 31 c) Europäische Verbandsklage d) Stärkung der behördlichen Durchset37 zung Kollektive Rechtsdurchsetzung im nationalen 39 Recht a) Bündelung durch Abtretung, insbsd. Legal 40 Tech b) Prozessvertretungsbefugnis von Verbrau43 cherverbänden c) Musterfeststellungsklage gem. § 606 45 ZPO d) Stärkung der behördlichen Durchset46 zung

1. 2. 3. 4.

5.

6.

2

III. 1. 2.

47 Zweck der Regelung 48 Vollzugsdefizite bei Streuschäden Verbesserung der Normdurchsetzung durch Prä49 vention und Abschreckung

IV.

Rechtspolitische Diskussion

2. 3.

4.

5.

Poelzig

80

V.

Rechtsvergleichender Überblick

VI.

Rechtsnatur des Gewinnabschöpfungsan93 spruchs 93 Zuordnung zum Privatrecht Einordnung als materiell-rechtliche Ansprü95 che 97 Dogmatische Einordnung 98 a) Meinungsstand 103 b) Stellungnahme

1. 2. 3.

104

B.

Anspruchsvoraussetzungen

I. 1. 2.

104 Vorsätzliches Fehlverhalten 105 Verstoß gegen §§ 3 oder 7 Das Vorsatzerfordernis in § 10 Abs. 1 109 a) Vorsatzbegriff 111 b) Bezugspunkt

II.

Gewinnerzielung zu Lasten einer Vielzahl von 116 Abnehmern 117 Gewinnerzielung 118 a) Gewinnbegriff

1. 55

Verfassungsrechtliche Kritik 56 57 a) Strafcharakter der Regelung 59 b) Privatisierung des Gemeinwohls 60 c) Verhältnismäßigkeit 61 Rechtsökonomische Analyse 65 Praktische Bedeutung 66 a) Kritik 68 b) Stellungnahme 70 Reformvorschläge a) Ausweitung des Verschuldensmaß71 stabs b) Finanzierung von Abschöpfungskla75 gen 78 c) Behördliche Gewinnabschöpfung Übertragung auf andere Rechtsgebiete zur kol79 lektiven Rechtsdurchsetzung

108

314

§ 10

Übersicht

2.

3.

b) Gewinnberechnung 120 126 Kausalität 127 a) Allgemeine Grundsätze 128 b) Anteilige Gewinnabschöpfung Zu Lasten einer Vielzahl von Abneh133 mern 134 a) Zu Lasten aa) Wirtschaftliche Schlechterstel135 lung 135 (1) Meinungsstand (a) Unmittelbarer Vermögensnachteil der Abneh135 mer (b) Beeinträchtigung lauterkeitsrechtlich geschützter Abnehmerinteres138 sen 139 (c) Rechtsprechung 140 (2) Stellungnahme 143 bb) Unmittelbare Nachteile 145 b) Abnehmer 145 aa) Abnehmerbegriff 149 bb) Mitbewerber und Anbieter 151 c) Vielzahl 155

C.

Rechtsfolgen

I. 1. 2. 3.

156 Passivlegitimation 156 Grundsätzliches 157 Mehrheit von Zuwiderhandelnden 158 Haftung für fremdes Verhalten

II. 1. 2. 3.

164 Aktivlegitimation 165 Anspruchsberechtigte Institutionen 167 Gesamtgläubigerschaft Einschränkungen der Dispositionsbefug171 nis a) Verzichtbarkeit und Einwilligungsfähig172 keit 173 b) Abtretbarkeit

III. 1. 2. 3. 4.

IV. 1. 2.

315

Abschöpfung von Gewinnen zugunsten des Bun175 deshaushalts 176 Zweck 178 Zuständige Stelle 179 Auskunftsanspruch 182 Aufwendungserstattungsanspruch 183 a) Erforderliche Aufwendungen 186 b) Subsidiarität c) Begrenzung auf Höhe des abgeführten Ge187 winns

3.

196 Leistungen an den Staat Erbrachte Leistungen zur Erfüllung einer 199 Leistungspflicht d) Anrechenbarkeit von Kosten zur Rechtsver202 teidigung 203 Rückerstattung

D.

Durchsetzung und Verfahren

I. 1. 2.

205 Zulässigkeit der Klage 205 Zuständigkeit 207 Klageart 207 a) Leistungs- und Stufenklage 208 b) Feststellungsklage 210 Rechtsmissbrauch 210 a) Allgemeines b) Rechtsmissbrauch bei Finanzierung der Klage durch Dritte (Prozessfinanzie215 rer) c) Folgen der Rechtsmissbräuchlich217 keit 218 Zulässigkeit von Mehrfachklagen

b) c)

3.

4.

205

II. 1. 2.

222 Beweis 223 Vorsätzliches Fehlverhalten Gewinnerzielung zu Lasten einer Vielzahl von 230 Abnehmern 230 a) Beweislastverteilung 232 b) Beweisanforderungen 233 aa) Beweiserleichterungen bb) Auskunfts- und Rechnungslegungsan235 spruch cc) Richterliche Schätzung gemäß § 287 245 ZPO c) Kausalität zwischen Zuwiderhandlung und 248 Gewinnerzielung

III.

Wirkung des Urteils

IV.

Follow-on-Klagen

V.

Verjährung

E.

Internationalrechtliche Fragen

I.

Internationales Verfahrensrecht

II.

Internationales Privatrecht

III.

Anerkennung und Vollstreckbarkeit ausländi264 scher Urteile

254 255

258 260 260 263

190 Anrechnung anderer Leistungen 191 Sinn und Zweck 193 Anzurechnende Leistungen 194 a) Leistungen an Dritte

Poelzig

§ 10

Gewinnabschöpfung

Alphabetisches Stichwortverzeichnis Abschreckung 49 ff. Abmahnung 228 f. Abnehmer 145 ff. – mittelbare – 147 f. – unmittelbare – 147 f. Absatzkette 147 Abtretbarkeit 173 f. Abtretungsmodell 3, 39 ff. Aktivlegitimation 45, 60, 91 ff., 98 f., 164 ff., 210 f. Alternativverhalten 127 – rechtmäßiges – 127 Anlauf- und Entwicklungskosten 123 Anrechnung 48, 98, 190 ff. Anscheinsbeweis 224, 233 f., 238, 249 Anspruch – höchstpersönlicher – 173 – marktregulierender – 171 ff. – sui generis – 97 Auffangfunktion 69, 191 Aufwendungserstattungsanspruch 188 ff. Auskunftsanspruch 179 ff. Beliehene 94 Belohnungsfunktion 75 Bestrafungsmonopol des Staates 56 Beweislastumkehr 74, 224, 234, 250 Breitenwirkung 154 Bundesamt für Justiz 66, 175, 178 ff., 186, 201 ff., 218 Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit 70, 255 Bundeskartellamt 38, 46 effet utile 11 Einwilligung 172 Empfehlung zur kollektiven Rechtsdurchsetzung 30 Erfüllung 175 Erlass 172 Fahrlässigkeit – bewusste – 110 – einfache – 73 – grobe – 73 f., 114 funktionale Subjektivierung 54 Feststellungsklage 208 f. Feststellungsinteresse 208 Feststellungswirkung 256 – tatbestandliche – 256 Follow-on-Klage 255 ff. Gemeinkosten 121, 231 Gesamtgläubigerschaft 167 ff., 254, 219 geschäftliche Handlung 18, 59, 104 f., 136 Geschäftsführung ohne Auftrag 97, 100 f. Gewinn – begriff 118 ff. – erzielung 111, 116 ff. – berechnung 120 ff. größerer Personenkreis 151

Poelzig

Grundsatz der Gewinneinheit 259 Homo oeconomicus 61 f. Horizontalverhältnis 149 Immaterialgüterrecht 54, 99, 247 Informationsfreiheitsgesetz 257 Inkassodienstleistung 41 f. Institutionelle Zweckbindung 212 Interessentheorie 93 Kausalität 126 ff., 248 ff. – hypothetische – 132 Klageanreiz 167, 177, 185, 201, 215 ff. Kompensationsprinzip 60 Legal Tech 40 ff. Leistungsklage 207 Marktort 261 Mehrfachklage 218 ff. Ordre public 264 Parallelwertung in der Laiensphäre 113 Passivlegitimation 155 ff. Prävention 196, 264 Prozessfinanzierer 34, 42 f., 215 ff. Prozesskosten 183, 185, 202 punitive damages 264 rationales Desinteresse 80 Rechnungslegung 235 ff. Rechtsblindheit 114 Rechtsirrtum 223, 227 Rechtskrafterstreckung 254 Rechtsmissbrauch 210 ff. Rechtsnatur 93 ff. – bereicherungsrechtliche – 98 – deliktsrechtliche – 99 Rechtsrat 228 Regressanspruchs des Bundeshaushalts 198 repeat player 64 Rückerstattungsanspruch 203 f. Sachverständiger 253 Schadensberechnung – dreifache – 129, 247 Schätzung – richterliche – 245 ff. Schuldtheorie 115 Sondervermögen 76 Streuschäden 79, 142, 149, 192 Stufenklage 207 Subjektstheorie 93 Subordinationstheorie 93 Subsidiarität 186 Teilgewinn 123, 259 Theorie der Doppelnatur 96 Überabschreckung 72 unlauteres Verhalten Dritter 162 f. Unrechtsbewusstsein 73, 115 Unterlassungsvollstreckung 198

316

A. Grundlagen

Verbandsklage 31 Verbotsirrtum 114 f. Verbraucherschutzdurchsetzungsgesetz (VSchDG) 255 Verfall 197 Verfassungsmäßigkeit 55 Verhältnismäßigkeitsprinzip 60, 69, 129 Verjährung 208, 258 f. Verletzergewinn 100, 120 Vermögensnachteil – unmittelbarer – 135 ff. Verschuldensunabhängigkeit 71 Vertikalverhältnis 146 ff.

§ 10

Vollstreckungsgegenklage 201 Vorteilsabschöpfung 10, 57, 76, 78 f., 107, 119, 132, 150, 200, 202 Vorsatz – bedingter – 109 ff., 224 ff. Wirtschaftsprüfervorbehalt 241 Zurechnung fremden Verhaltens 158 ff. Zuständigkeit – am Begehungsort – 206 – örtliche – 205 – sachliche – 205

A. Grundlagen Die Gewinnabschöpfung ist ein Sanktionsinstrument mit präventivem Charakter, das der Ver- 1 besserung der Durchsetzung des Lauterkeitsrechts dient, indem es durch die Abschöpfung des Gewinns von dem Zuwiderhandelnden zugunsten des Bundeshaushalts sicherstellt, dass sich unlauteres Verhalten nicht lohnt.*

I. Entstehungsgeschichte Die Gewinnabschöpfung in § 10 wurde im Zuge der UWG Novelle 2004 eingeführt, um Durchset- 2 zungsdefizite im öffentlichen Interesse zu schließen. Durchsetzungsdefizite waren vor allem in Fällen von Streuschäden (zu dem Begriff Rn. 18) erkennbar, da wegen der geringen Höhe des Individualschadens die einzelnen Geschädigten ihre Schadensersatzansprüche nur selten geltend machten. Zwar gibt es im UWG bereits seit 1896 eine negatorische Verbandsklage, durch die die in § 8 Abs. 3 Nr. 2–4 genannten Verbände und später auch Industrie- und Handelskammern sowie Handwerkskammern die Unterlassung unlauteren Verhaltens im öffentlichen Interesse verlangen können. Abmahnung, Unterlassungsverfügung und Unterlassungsklagen wurden aber als ein allenfalls „stumpfes Schwert“ zur Durchsetzung des Lauterkeitsrechts bewertet:1 So scheitert ein vorbeugender Unterlassungsanspruch in der Praxis oft an dem Beweis der Erstbegehungsgefahr.2 Wird ein Verletzungsunterlassungsanspruch geltend gemacht, ist der beabsichtigte Gewinn häufig bereits realisiert3 und die Zuwiderhandlung ist aus Sicht des Normadressaten profitabel. Um weitergehenden Sanktionen – insbesondere im Zusammenhang mit einer strafbewehrten Unterlassungserklärung – zu entgehen, genügt oft bereits eine leichte Änderung des Verhaltens.4 Um die Durchsetzung des Lauterkeitsrechts zu verbessern, wurden daher bereits in den 3 1970er Jahren Reformen der lauterkeitsrechtlichen Sanktionen diskutiert.5 Im Gespräch waren u. a. eine „Mehrerlösabschöpfung“6 oder ein „kollektiver Schadensersatzanspruch“, der durch einen Verband nach Abtretung individueller Schadensersatzansprüche einzelner Verbraucher

* 1 2 3 4 5

Bearbeitungsstand: Mai 2020; Rechtsprechung und Literatur z. T. mit Bearbeitungsstand Mai 2021. Köhler GRUR 2003, 265; ähnlich Micklitz Gutachten z. 69 DJT S. A 9, 99. Alexander, S. 140. Köhler GRUR 2003, 265; Mertens ZHR 139 (1975), 438, 452 f.; Stadler/Micklitz WRP 2003, 559; Micklitz/Stadler S. 53. Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 1. Vgl. etwa Schricker GRUR 1979, 1 ff.; Micheli GRUR 1979, 8 ff.; Krieger/Tilmann GRUR 1979, 14 ff. Dazu ausführlich Wimmer-Leonhardt GRUR 2004, 12, 15; Micklitz/Stadler S. 14 ff.; Neuberger S. 7 ff. 6 Grauel/Luhrenberg WRP 1980, 521 ff. m. w. N.; Vollmer DB 1979, 2213. 317

Poelzig

§ 10

Gewinnabschöpfung

durchgesetzt werden sollte (sog. „Abtretungsmodell“).7 Darüber hinaus wurden auch andere Vorschläge zur Verbesserung des Verbraucherschutzes durch den Einsatz kollektiver Rechtsdurchsetzungsinstrumente in Erwägung gezogen.8 Die Überlegungen zur Einführung einer Gewinnabschöpfung scheiterten zunächst am rechtspolitischen Widerstand. Dieser schwächte sich jedoch im Zuge der umfassenden Modernisierung und Liberalisierung des UWG von 2004 unter besonderer Berücksichtigung des europäischen Gemeinschaftsrechts zunehmend ab. Die Gewinnabschöpfung wurde schließlich eingeführt, um die Durchsetzung des Lauterkeitsrechts zu verbessern und damit den Verbraucherschutz bei Streuschäden zu stärken. 4 Die Gewinnabschöpfung in der Form des § 10 basiert im Wesentlichen auf dem Gutachten von Micklitz/Stadler, das in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft erstellt wurde,9 sowie dem Entwurf von Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig.10 Beide Vorarbeiten waren sich darüber einig, dass eine effektive Durchsetzung nur durch die Abschöpfung der rechtswidrig erlangten Vorteile möglich ist und daher eine entsprechende Regelung geschaffen werden muss. Gleichwohl weicht die gesetzliche Regelung erheblich von den Vorschlägen in den Vorarbeiten ab. So sollten die abgeschöpften Gewinne nach den Vorarbeiten jeweils den anspruchsberechtigten Verbänden zur Verwendung im Allgemeininteresse bzw. zu satzungsmäßigen Zwecken zustehen und nicht an den Bundeshaushalt abgeführt werden. 5 Anders als die Gesetzesfassung verlangten Micklitz/Stadler einschränkend einen Individualschaden auf Seiten der Verbraucher als Anspruchsvoraussetzung; ließen aber jedes schuldhafte Verhalten genügen, das auf der Grundlage einer Beweislastumkehr zu vermuten war.11 Ihr Vorschlag einer gesetzlichen Regelung der Verbandsklage im UWG lautete: (1) Wer rechtswidrig, schuldhaft gegen wettbewerbsrechtliche Vorschriften verstößt und hierdurch bei einer Vielzahl von Verbrauchern einen Schaden verursacht, der im Einzelfall die Bagatellgrenze von A 25 nicht überschreitet, kann von qualifizierten Einrichtungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 UKlaG, welche in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen sind, auf Herausgabe des aufgrund des Wettbewerbsverstoßes erlangten Gewinns in Anspruch genommen werden. Der Kläger kann wahlweise vom Verletzer auch den Betrag herausverlangen, den dieser für die Vornahme der wettbewerbswidrigen Handlung aufgewendet hat. § 287 ZPO findet Anwendung. Der Betrag darf nur für satzungsmäßige Zwecke der klagenden Einrichtung verwendet werden. (2) Soweit es zur Durchsetzung des Anspruchs nach Absatz 1 erforderlich ist, kann von demjenigen, der für den Wettbewerbsverstoß verantwortlich ist, Auskunft verlangt werden. (3) [In den Fällen des Absatzes 1 können einzelne Verbraucher Ansprüche gegen den Verletzer wegen der Zuwiderhandlung nur noch mit dem Ziel geltend machen, einen aufgrund der unlauteren Beeinflussung geschlossenen Vertrag zu lösen oder einen Schaden zu liquidieren, der die Bagatellgrenze überschreitet.] (4) Hat der Verletzer vor Rechtshängigkeit einer auf Absatz 1 gestützten Herausgabeklage an eine andere ebenfalls nach Absatz 1 klagebefugte Einrichtung wegen der Zuwiderhandlung bereits Zahlungen geleistet, so ist dies bei der Bemessung des herauszugebenden Betrages zu berücksichtigen. Ist eine Klage nach Absatz 1 rechtshängig oder über sie rechtskräftig entschieden, können weitere auf Absatz 1 gestützte Klagen anderer Einrichtungen wegen desselben Wettbewerbsverstoßes nicht mehr erhoben werden. (5) § 24 gilt entsprechend.

7 Hierzu Micklitz/Stadler S. 14 ff. 8 Ausführlich hierzu Micklitz/Stadler S. 15 ff.; Schmauß S. 16 f. 9 Micklitz/Stadler S. 1 ff. In Anknüpfung an Stadler Verbandsklage auf Schadensersatz bzw. Gewinnabschöpfung, 2002.

10 Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, 1323. 11 Micklitz/Stadler S. 30. Poelzig

318

A. Grundlagen

§ 10

Im Vorschlag von Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig war in § 9 Abs. 2 der Anwendungsbe- 6 reich des Abschöpfungsanspruchs abschließend auf vier aufgezählte besonders erhebliche Normverstöße gegenüber Verbrauchern beschränkt, die planmäßig verwirklicht sein mussten. Der Vorschlag lautete: (2) – – – –

1

Werden Verbraucher über den Wert einer Ware oder Dienstleistung, über Verdienstmöglichkeiten oder Gewinnchancen, über das Bestehen einer Zahlungspflicht oder über das Zustandekommen einer Verbindung zu einem Telekommunikationsmehrwertdienst oder die dabei anfallenden Gebühren planmäßig getäuscht und dadurch zum Bezug von Waren oder Dienstleistungen veranlasst, kann der Verantwortliche von qualifizierten Einrichtungen im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 3 auf Herausgabe des auf Kosten der Verbraucher erzielten Gewinns (Mehrerlös) in Anspruch genommen werden. 2Bei der Bemessung des herauszugebenden Mehrerlöses sind Schadensersatzleistungen nach Absatz 1 und Rückzahlungen an Verbraucher zu berücksichtigen. 3Die Höhe des Mehrerlöses kann vom Gericht geschätzt werden. 4Beanspruchen mehrere qualifizierte Einrichtungen den Mehrerlös, so gelten die §§ 428 bis 430 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechend. 5Der herausgegebene Mehrerlös darf nur für satzungsmäßige Zwecke der qualifizierten Einrichtungen verwendet werden.12

In Anlehnung an diese Vorarbeiten war im RefE vom 23.1.2003 in § 9 erstmals eine Gewinnab- 7 schöpfung zur Abführung an den Bundeshaushalt vorgesehen: (1) Wer dem § 3 vorsätzlich oder grob fahrlässig zuwiderhandelt und hierdurch systematisch einer Vielzahl von Abnehmern einen Schaden zufügt, kann von den gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 2 bis 4 zur Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs Berechtigten auf Herausgabe des auf Kosten der Abnehmer erzielten Gewinns in Anspruch genommen werden. (2) Absatz 1 gilt nicht, soweit der Gewinn durch Schadensersatzleistungen nach § 8 oder durch Erfüllung von auf Grund der Zuwiderhandlung entstandener Ansprüche der Abnehmer ausgeglichen ist. Soweit der Zuwiderhandelnde nach Erfüllung des Anspruchs nach Absatz 1 Schadensersatz nach § 8 geleistet oder auf Grund der Zuwiderhandlung entstandene Ansprüche erfüllt hat, erstattet der Gläubiger dem Zuwiderhandelnden den abgeführten Gewinn in Höhe der nachgewiesenen Zahlungen zurück. (3) Beanspruchen mehrere Gläubiger den Gewinn, so gelten die §§ 428 bis 430 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechend. (4) Die Gläubiger haben den abgeführten Gewinn nach Abzug der zur Geltendmachung des Anspruchs erforderlichen Aufwendungen an den Bundeshaushalt herauszugeben. Soweit die Gläubiger nach Erfüllung des Anspruchs nach Satz 1 Zahlungen im Sinne von Absatz 2 Satz 2 geleistet haben, wird den Gläubigern der abgeführte Gewinn in Höhe der nachgewiesenen Zahlungen aus dem Bundeshaushalt erstattet. Die Gläubiger haben der zuständigen Stelle des Bundes über die Geltendmachung sowie die Erfüllung von Ansprüchen nach Absatz 1 Auskunft zu erteilen und auf Verlangen Rechenschaft abzulegen. (5) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung, die der Zustimmung des Bundesrats nicht bedarf, festzulegen, welche Behörde oder sonstige öffentliche Stelle des Bundes zuständige Stelle im Sinne von Absatz 4 ist. Im Gegensatz zu den Vorarbeiten sollte die Gewinnabschöpfung bei vorsätzlichen und bei grob fahrlässigen Zuwiderhandlungen möglich sein, wenn hierdurch systematisch einer Vielzahl von Abnehmern ein Schaden zugefügt wurde.13 Der Ausschluss lediglich fahrlässiger Zuwiderhandlungen aus dem Anwendungsbereich wurde damit begründet, dass insbesondere in den unklaren Grenzbereichen des Zulässigen oder Unzulässigen der Präventionsgedanke zum Schutz der Wirtschaft vor unangemessenen Belastungen durch das hiermit anderenfalls 12 Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317. 13 Begr. RefE GRUR 2003, 298, 299. 319

Poelzig

§ 10

Gewinnabschöpfung

einhergehende Prozessrisiko zurücktreten müsse.14 Anders als in den Vorarbeiten war im RefE nun erstmals vorgesehen, dass der Gewinn zunächst an den klagenden Verband und von dort an den Bundeshaushalt abzuführen sei, um der Gefahr entgegenzuwirken, „dass der Anspruch aus dem letztlich sachfremden Motiv der Einnahmeerzielung heraus geltend gemacht würde“.15 8 Im RegE vom 7.5.2003 wurden grob fahrlässige Wettbewerbsverstöße vom Anwendungsbereich ausgenommen und nur vorsätzliche Verhaltensweisen mit der Gewinnabschöpfung sanktioniert: (1) Wer dem § 3 vorsätzlich zuwiderhandelt und hierdurch auf Kosten einer Vielzahl von Abnehmern einen Gewinn erzielt, kann von den gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 bis 4 zur Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs Berechtigten auf Herausgabe dieses Gewinns in Anspruch genommen werden. (2) Auf den Gewinn sind die Leistungen anzurechnen, die der Schuldner auf Grund der Zuwiderhandlung an Dritte oder an den Staat erbracht hat. Soweit der Schuldner solche Leistungen erst nach Erfüllung des Anspruchs nach Absatz 1 erbracht hat, erstattet der Gläubiger dem Schuldner den abgeführten Gewinn in Höhe der nachgewiesenen Zahlungen zurück. (3) Beanspruchen mehrere Gläubiger den Gewinn, so gelten die §§ 428 bis 430 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechend. (4) Die Gläubiger haben den abgeführten Gewinn nach Abzug der zur Geltendmachung des Anspruchs erforderlichen Aufwendungen an den Bundeshaushalt herauszugeben. Soweit die Gläubiger nach Erfüllung des Anspruchs nach Satz 1 Zahlungen im Sinne von Absatz 2 Satz 2 geleistet haben, wird den Gläubigern der abgeführte Gewinn in Höhe der nachgewiesenen Zahlungen aus dem Bundeshaushalt erstattet. Die Gläubiger haben der zuständigen Stelle des Bundes über die Geltendmachung sowie die Erfüllung von Ansprüchen nach Absatz 1 Auskunft zu erteilen und auf Verlangen Rechenschaft abzulegen. (5) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung, die der Zustimmung des Bundesrates nicht bedarf, festzulegen, welche Behörde oder sonstige öffentliche Stelle des Bundes zuständige Stelle im Sinne von Absatz 4 ist. Die Begründung für die im Vergleich zum RefE weitergehende Einschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs auf vorsätzliche Verstöße unterschied sich nicht wesentlich von der Begründung für den Ausschluss der Fahrlässigkeit im RefE. Durch den Ausschluss des fahrlässigen bzw. grob fahrlässigen Fehlverhaltens sollte jeweils das in Grenzbereichen wettbewerbsrechtlicher Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit regelmäßig bestehende erhebliche Prozessrisiko eingeschränkt werden, um so unangemessene Belastungen für die Wirtschaft zu vermeiden.16 Im Gegenzug wurde im RegE auf die im RefE enthaltene Voraussetzung der „systematischen“ Zufügung eines „Schadens“ verzichtet. 9 Die erhebliche Kritik des Bundesrats an dem RegE als „unausgereift“ und „nicht praktikabel“17 hatte die Bundesregierung zurückgewiesen18 und den RegE im Wesentlichen in die endgültig durch den Bundestag verabschiedete Fassung des § 10 aufgenommen. Allerdings vereinfachte der Bundestag die Abwicklung der Abführung, die nach dem RegE zunächst über die anspruchsberechtigten Verbände an den Bundeshaushalt erfolgen sollte, indem der Zuwiderhandelnde den Gewinn nunmehr direkt ohne Umweg an den Bundeshaushalt abzuführen hat.19 Hierdurch sollen die Zahlungs- und Rückzahlungswege abgekürzt werden. Darüber hinaus führte der Bundestag aufgrund der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses vom 14.1.2004 das Tatbestandsmerkmal „zu Lasten“ anstelle der Formulierung 14 15 16 17 18 19

Begr. RefE GRUR 2003, 298, 309. Begr. RefE GRUR 2003, 298, 310. Hierzu Begr. RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487, S. 23 f. Stellungnahme des Bundesrates RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487, S. 29, 34 ff. Gegenäußerung der Bundesregierung RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487, S. 43. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsauschusses, BTDrucks. 15/2795, S. 21.

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„auf Kosten“ im RegE ein, um so klarzustellen, dass es für die Gewinnabschöpfung nicht auf die einzelfallbezogenen Nachteile ankommt, sondern die Zuwiderhandlung bei einer Vielzahl von Abnehmern eine wirtschaftliche Schlechterstellung hervorgerufen haben muss.20 Nach Einführung der Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht hat der Gesetzgeber im Kar- 10 tellrecht mit § 34a GWB eine ähnliche Regelung nach dem Modell des § 10 geschaffen. Im Unterschied zu der lauterkeitsrechtlichen Gewinnabschöpfung greift die kartellrechtliche Vorteilsabschöpfung allerdings nur subsidiär, soweit nicht die Kartellbehörde eine Abschöpfung der wirtschaftlichen Vorteile angeordnet hat (§ 34a Abs. 1 a. E. GWB). Zudem geht § 34a GWB über § 10 hinaus, indem er die Abschöpfung von Vorteilen anordnet, die neben dem Gewinn auch weitere vermögenswerte Vorteile – wie etwa eine verbesserte Marktposition, angebahnte Geschäftsbeziehungen etc. – erfasst.21 Die Einführung der Gewinnabschöpfung ist nicht zuletzt durch die Richtlinie 2002/58/EG 11 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation sowie die Vorarbeiten zu der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken beeinflusst.22 Die Richtlinien verpflichten zwar die Mitgliedstaaten nicht zur Einführung einer Gewinnabschöpfung, verlangen aber jeweils in Art. 13 wirksame, abschreckende und verhältnismäßige Sanktionen.23 Eine unionsweit einheitliche Rechtsanwendung im Sinne des effet utile setzt voraus, dass ausreichend strenge Sanktionsregeln die Befolgung des harmonisierten Rechts gewährleisten.24 Entscheidet sich ein Mitgliedstaat für die Einführung privatrechtlicher Sanktionen – wie etwa die Gewinnabschöpfung – muss er sich hierbei an der Maßgabe messen lassen, dass die Sanktion wirksam, abschreckend und verhältnismäßig wirkt.25 Wann eine Sanktion den unionsrechtlichen Grunderfordernissen des effet utile genügt, haben die Mitgliedstaaten im Hinblick auf ihr nationales Recht zu beurteilen.26 Die Wirksamkeit, Verhältnismäßigkeit und abschreckende Wirkung der Sanktionen richtet sich nach den Zielen der jeweiligen verletzten Norm des Unionsrechts.27 Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Gewinnabschöpfung nur eine Form der Rechtsdurchsetzung neben anderen privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Sanktionen darstellt.

II. Kollektive Rechtsdurchsetzung bei Streuschäden § 10 dient vor allem der effektiven Durchsetzung bei Streuschäden durch unlauteres Verhalten 12 (Rn. 48) und steht daher im engen Zusammenhang mit der seit langem geführtem, aber noch immer aktuellen Diskussion um die kollektive Rechtsdurchsetzung.28 Hierbei geht es – nicht nur im Lauterkeitsrecht – um rechtliche Verfahren, in denen mindestens zwei Personen oder

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Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsauschusses, BTDrucks. 15/2795, S. 21. Statt aller FK-GWB/Roth § 34a GWB Rn. 19. Siehe Begr. RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487, S. 12. Zu den Vorgaben der UGP-Richtlinie für die Durchsetzung Poelzig, in van Boom/Garde/Akseli (Hrsg.) The Unfair Commercial Practices Directive: Impact, Enforcement Strategies and National Legal Systems (2014), S. 235 ff. 24 Hopt ZGR 1991, 17, 55; Brellochs S. 81. 25 Vgl. hierzu die Rechtsprechung des EuGH im Antidiskriminierungsrecht EuGH 10.4.1984 – Rs. 79/83, Slg. 1984, 1922 – Harz; EuGH 8.11.1990 − C-177/88 − Slg. 1990, I-3941 Tz. 25 – Dekker./.VJV Centrum. 26 EuGH, GA Colomer Schlussanträge 26.5.2005 − C-176/03 – Slg. 2005, I-7879 Tz. 48 – Umweltrahmenbeschluss; EuGH, GA Colomer Schlussanträge 11.12.2003 − C-30/02 – Slg. 2004, I-6051 Tz. 29 − Recheio; EuGH, GA Colomer Schlussanträge 14.3.2002 − C-255/00 − Slg. 2002, I-8003 Tz. 27 – Grundig Italiana. 27 EuGH 12.9.1996 − C-58/95 − Slg. 1996, I-4345 Tz. 14 – Strafverfahren gegen Sandro Gallotti; EuGH 21.9.1989 − C68/88 − Slg. 1989, 2965 Tz. 23– Kommission./.Griechenland. 28 Zur Entwicklung Meller-Hannich, Gutachten z. 72 DJT, 2018, S. A 9 ff.; Stadler JZ 2009, 121. 321

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hierzu befugte Einrichtungen die Einstellung eines rechtswidrigen Verhaltens oder den Ersatz von Schäden aus einem eine Vielzahl von Personen betreffenden Verhalten verlangen können.29

1. „Kollektivierung“ im sog. Zwei-Parteien-Prozess 13 Nach seiner ursprünglichen Zielrichtung dient das Zivilprozessrecht „der Feststellung und Verwirklichung subjektiver Rechte“ in einem sog. Zwei-Parteien-Prozess.30 Die Zivilprozessordnung geht von der Vorstellung aus, dass das zivilgerichtliche Verfahren der Durchsetzung von Einzelansprüchen dient und damit übersichtliche Prozessrechtsverhältnisse mit jeweils einem Beteiligten auf Kläger- und Beklagtenseite bestehen.31 Dieses Leitbild des Zivilprozessrechts lässt sich mit den für das Marktgeschehen typischen Kollektivschäden nur schwer in Einklang bringen. Das Zusammentreffen einer unbestimmten Zahl von Teilnehmern auf dem Markt bringt es mit sich, dass marktwidriges Verhalten eine Vielzahl anderer Marktteilnehmer schädigen kann. Die Regelungen der ZPO sind traditionell auf die Individualrechtsbeziehungen zwischen Privaten und damit auf die Geltendmachung von Individualansprüchen zugeschnitten, so dass sie sich zur kollektiven Durchsetzung gleichgerichteter Gläubigerinteressen grundsätzlich nicht eignen.32 Die Geltendmachung von Kollektivschäden stellt das Zivilprozessrecht daher vor eine Belastungsprobe. 14 Stellenweise ermöglicht die ZPO eine „Kollektivierung“ von Einzelverfahren: Dazu gehören die Streitgenossenschaft gemäß §§ 59 ff. ZPO; die Nebenintervention gemäß §§ 66 ff. ZPO, die Prozessverbindung gemäß § 147 ZPO sowie die Verfahrensaussetzung gemäß § 148 ZPO.33 So erlaubt zunächst die Streitgenossenschaft gemäß §§ 59 ff. ZPO auch im Rahmen des ZweiParteien-Prozesses eine gemeinsame Klageerhebung.34 Das insoweit notwendige aufeinander abgestimmte Vorgehen der Streitgenossen ist aber bei den vor allem avisierten Massenschadensereignissen mit einer Vielzahl an Geschädigten angesichts der Anonymität der Marktteilnehmer häufig nicht praktikabel.35 Außerdem entfalten die Verfahren nach dem Trennungsprinzip keine gegenseitige rechtliche Bindungswirkung.36 15 Die Nebenintervention durch andere ebenfalls betroffene Marktteilnehmer nach § 68 ZPO scheitert regelmäßig daran, dass sich im Falle von Kollektivschäden Erst- und Zweitverfahren gegen den Normadressaten und damit gegen denselben Gegner richten. Das Urteil wirkt sich nur zwischen dem Normadressaten und dem Anspruchsberechtigten aus; das lediglich tatsächliche Interesse anderer Berechtigter an einer „Musterklage“ genügt dem Erfordernis nach einem rechtlichen Interesse iSd. § 68 ZPO nicht.37 16 Eine Verfahrensaussetzung nach § 148 ZPO eignet sich ebenfalls nicht zur Kollektivierung im Interesse des Marktschutzes, da sich ihre Voraussetzung der Vorgreiflichkeit nicht an sachlichen oder tatsächlichen Zusammenhängen orientiert, sondern auf die Abhängigkeit iSe.

29 Zu diesem Verständnis der kollektiven Rechtsdurchsetzung und den betroffenen Rechtsgebieten Mitteilung der Kommission vom 11.6.2013 „Auf dem Weg zu einem allgemeinen europäischen Rahmen für den kollektiven Rechtsschutz“, KOM (2013) 401 endg. Zu den weiteren Rechtsbereichen Meller-Hannich Gutachten z. 72. DJT S. A 28 ff. 30 Rosenberg/Schwab/Gottwald § 1 III, S. 3; Gaul AcP 168 (1968), 27, 46. Für das Europäische Unionsrecht Hodges S. 88 f. 31 Bericht der Regierungskommission „Corporate Governance“ Unternehmensführung – Unternehmenskontrolle – Modernisierung des Aktienrechts, BT-Drucks. 14/7515, Rn. 188. 32 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 15/5091, S. 1. 33 Ausführlich dazu Hess/Michailidou WM 2003, 2318, 2323 f. 34 Musielak/Weth § 60 ZPO Rn. 5. 35 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 15/5091, S. 13. 36 Meller-Hannich, Gutachten z. 72. DJT; S. A 57. 37 BGH 10.2.2011 – I ZB 63/09 – GRUR 2011, 557 Rn. 10. Poelzig

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Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses abstellt.38 Somit ist das Kriterium der Vorgreiflichkeit nicht erfüllt, wenn das Interesse lediglich in der Schaffung einer Art Musterprozess besteht. Allerdings lässt der BGH mittlerweile zu, dass ein Gericht bei Massenverfahren unabhängig von § 148 ZPO ein oder mehrere Verfahren vorrangig behandelt und somit faktisch ein Pilotverfahren schafft.39 Schließlich kann die Prozessverbindung nach § 147 ZPO zwar im Ergebnis zu einer Kol- 17 lektivierung beitragen. Die Möglichkeit der Verfahrensverbindung hängt aber grundsätzlich von der Zufälligkeit ab, dass die zu bündelnden Verfahren bei demselben Gericht in derselben Instanz anhängig sind.40 Etwas anderes gilt nur dann, wenn ausnahmsweise – wie nach § 32b ZPO für kapitalmarktrechtliche Ansprüche – eine einheitliche Zuständigkeitsregelung besteht. Damit sind die bestehenden Möglichkeiten des allgemeinen Zivilprozessrechts, die Interessen zur klageweisen Durchsetzung geschädigter Marktteilnehmer zu bündeln, jeweils nur für eine begrenzte Zahl anspruchsberechtigter Kläger geeignet. Die klassischen zivilprozessualen Bündelungsmöglichkeiten geraten jedenfalls bei einer großen Zahl an parallelen Verfahren an ihre Grenzen.41

2. Differenzierung zwischen Streu- und Massenschäden Für die Ausgestaltung der kollektiven Rechtsdurchsetzung ist zu differenzieren zwischen Streu- 18 und Massenschäden.42 Vor einer besonderen Herausforderung stehen Gesetzgeber und Rechtsprechung bei der Bewältigung von Streuschäden bzw. Bagatellschäden. Streuschäden sind dadurch gekennzeichnet, dass zwar den einzelnen Marktteilnehmer ein vergleichsweise geringfügiger Schaden trifft, die Summe sämtlicher Einzelschäden aber von erheblichem Umfang ist.43 Lauterkeitsrechtswidriges Verhalten führt häufig zu solchen Streuschäden, da geschäftliche Handlungen eine Vielzahl von Marktteilnehmern, insbesondere Verbraucher, betreffen können.44 Klassisches Beispiel sind Schäden durch falsche Verpackungsangaben bei Lebensmitteln, durch sog. Mogelpackungen. Der Gesetzgeber nennt beispielhaft darüber hinaus die „Einziehung geringer Beträge ohne Rechtsgrund, Vertragsschlüsse auf Grund irreführender Werbung, gefälschte Produkte“.45 Typisch sind auch rechtswidrig überhöhte Mahn- und Rücklastschriftgebühren in der Mobilfunkbranche (§ 309 Nr. 5 BGB).46 Der relativ geringfügige zu erwartende Ertrag aus einer individuellen Klage auf Schadensersatz und das damit verbundene vergleichsweise hohe Prozesskostenrisiko lösen eine sog. „rationale Apathie“ der Geschädigten aus.47 Diese äußert sich darin, dass bestehende Ansprüche nicht geltend gemacht und durchgesetzt werden.48 Die einzelnen Geschädigten verspüren regelmäßig wenig Anreiz, ihre Schadensersatzansprüche klageweise durchzusetzen, weil sie die mit einer gerichtlichen Durchsetzung verbundenen Kosten, Verzögerungen, Unsicherheiten, Gefahren und sonstigen Nachteile scheuen.49

38 Grundlegend: BGH 28.2.2012 – VIII ZB 54/11 – NZG 2012, 598 Rn. 6 ff. Ferner: BGH 8.4.2014 – XI ZB 40/11 – NZG 2014, 744 Rn. 15. 39 BGH 12.2.2015 – III ZR 141/14 – BGHZ 204, 184, 194 f. = NJW 2015, 1312, 1314 f. 40 Thomas/Putzo/Reichold § 147 ZPO Rn. 1; Reuschle WM 2004, 966 ff. 41 Kölner Komm. z. KapMuG/Hess Einl. Rn. 15; Hess JZ 2011, 66. 42 Meller-Hannich, Gutachten z. 72 DJT, 2018, S. A 24 ff.; Poelzig S. 39 ff. 43 Wagner Gutachten zum 66. DJT S. A 75. 44 Micklitz/Stadler S. 35. 45 Begr. RegE UWG 2003, S. 23. 46 Vgl. OLG Brandenburg MMR 2012, 812; OLG Düsseldorf NJW-RR 2014, 729. 47 Poelzig, S. 40. 48 Vgl. Homburger/Kötz/Kötz S. 69, 70 f.; Basedow/Hopt/Kötz/Baetge/H.-B. Schäfer S. 68 f.; Wagner Gutachten zum 66. DJT S. A 101. 49 Weißbuch zum Kartellrecht, KOM (2008) 165 endg., Nr. 2.2. 323

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Im Schrifttum geht man zum Teil davon aus, dass Anspruchsberechtigte bei einer Schadenshöhe bis zu ca. 25 Euro auf eine klageweise Durchsetzung verzichten.50 Nach Umfragen auf europäischer Ebene verzichten 18 Prozent der europäischen Verbraucher aufgrund hoher Kosten, des Prozessrisikos und langer und komplizierter Verfahren auf die klageweise Durchsetzung, wenn der begründete Anspruch die 1000 Euro Grenze nicht überschreitet.51 Ebenso viele setzen den Schwellenwert bei 500 Euro fest.52 Eine allgemeingültige Grenze wird sich nicht ermitteln lassen, da neben dem zu erwartenden Gewinn eine Vielzahl weiterer Faktoren die Entscheidung über die klageweise Durchsetzung beeinflussen kann. Massenschäden betreffen – wie Streuschäden auch – eine Vielzahl von Personen, gehen 20 aber jeweils über einen bloßen Bagatellschaden des einzelnen Geschädigten hinaus.53 Daher ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Anspruchsberechtigten ein ausreichendes Interesse haben, ihre Ansprüche gerichtlich durchzusetzen. Massenschäden werfen also im Gegensatz zu den Streuschäden nicht das Problem fehlender Klageanreize auf. Schwierigkeiten ergeben sich aber bei der prozessualen Bewältigung der Vielzahl anhängiger Verfahren und der Vermeidung einer Überlastung der Justiz. Die Regelungen der ZPO sind traditionell auf die Individualrechtsbeziehungen zwischen Privaten und damit auf die Geltendmachung von Individualansprüchen zugeschnitten, so dass sie sich zur kollektiven Durchsetzung gleichgerichteter Gläubigerinteressen grundsätzlich nicht eignen.54 19

3. Erfordernis der kollektiven Rechtsdurchsetzung bei Streuschäden 21 Die Bedeutung der kollektiven Rechtsdurchsetzung bei Streuschäden für die Kompensation der einzelnen Geschädigten ist gering. Gibt es ein rationales Desinteresse an der Durchsetzung der geringfügigen Ansprüche, ist die Tatsache, dass Schadensersatzansprüche nicht geltend gemacht werden, aus Kompensationsgründen hinzunehmen.55 Das Bedürfnis für eine kollektive Rechtsdurchsetzung resultiert jedoch vor allem aus einem Allgemeininteresse an einer effektiven Durchsetzung zur Prävention.56 Die Einhaltung der lauterkeitsrechtlichen Vorschriften ist nur gewährleistet, wenn Verstöße mit ausreichend strengen Sanktionen geahndet werden. Das deutsche Lauterkeitsrecht setzt – wie viele andere europäische Rechtsordnungen – mit Abwehr-, Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüchen (vgl. §§ 8 bis 10 UWG) nahezu ausschließlich privatrechtliche Sanktionen als Steuerungsinstrumente ein, um die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs als Institution zu sichern.57 Um eine abschreckende Wirkung zu erzielen, muss sichergestellt sein, dass die Normadressaten damit rechnen müssen, dass sich Verstöße aus ihrer Sicht nicht lohnen. Kann der Zuwiderhandelnde davon ausgehen, dass allenfalls ein geringer Teil der Geschädigten seine Ansprüche durchsetzt, beeinträchtigt dies die verhaltenssteu50 Micklitz/Stadler S. 92 f.; Stadler Bündelung von Interessen S. 13; Mansel/Dauner-Lieb/Henssler/Hess S. 61, 77. Wagner Gutachten zum 66. DJT S. A 112: Betrag höher als 25 Euro. 51 Europäische Kommission, Grünbuch über kollektive Rechtsdurchsetzungsverfahren für Verbraucher, 27.11.2008, KOM (2008) 764 endg., S. 4; European Opinion Research Group, Spezial-Eurobarometer bezüglich des Zugangs zur Justiz, Oktober 2004, S. 13. 52 Grünbuch über kollektive Rechtsdurchsetzungsverfahren für Verbraucher, 27.11.2008, KOM(2008) 794 endg., S. 4; European Opinion Research Group, Spezial-Eurobarometer bezüglich des Zugangs zur Justiz, Oktober 2004, S. 13. 53 Gegen eine ausschließlich quantitative Differenzierung zwischen Streu- und Massenschäden Schaub JZ 2011, 13, 16. 54 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 15/5091, S. 1. 55 G. Wagner Gutachten zum 66. DJT, S. A 109; Deutlmoser EuZW 2013, 652, 656; AA. Hager S. 52 f. 56 Ahrens, WRP 2015, 1040, 1044; Meller-Hannich, Gutachten z. 72 DJT, 2018, S. A 25 f.; Poelzig, S. 433 ff. 57 Ahrens WRP 1980, 129 ff.; Augenhofer WRP 2006, 169 ff.; Böge WuW 2005, 590 ff.; Müller-Graff, in: FS Carstens, S. 209, 217. Darüber hinaus haben die Parteien die Möglichkeit der zivilrechtlichen Streitschlichtung durch die Einigungsstellen bei den Industrie- und Handelskammern (§ 15 UWG). Poelzig

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ernde Wirkung privatrechtlicher Instrumente.58 Zudem ist eine Vielzahl von Klagen mit geringem Streitwert auch aus prozessökonomischer Sicht nicht sinnvoll.59

4. Modelle der kollektiven Rechtsdurchsetzung Die Instrumente der kollektiven Rechtsdurchsetzung sollen Prozesskosten und -risiko des Ein- 22 zelnen auf eine Vielzahl von Personen verteilen oder auf eine qualifizierte Einrichtung verlagern und so den Klageanreiz erhöhen und die Durchsetzung der Einzelansprüche verbessern. Die gebündelte Entscheidung gleichartiger rechtlicher und tatsächlicher Fragen senkt zudem die Kosten der Justiz und der Prozessparteien und verbessert gegebenenfalls die Prozessführung.60 Allerdings entstehen dabei auch zusätzliche Kosten durch die erforderliche Organisation der Klagebündelung.61 Ob und inwieweit die kollektive Rechtsdurchsetzung diese Ziele erreicht, hängt von ihrer konkreten Ausgestaltung ab. Allgemein gilt, dass die Effizienz der kollektiven Rechtsdurchsetzung höher ist, je geringer die notwendigen Anstrengungen der Individualberechtigten sind, um an der kollektiven Rechtsdurchsetzung teilzuhaben. Unterschieden wird daher zwischen Kollektivklagen nach dem sog. opt-in und dem opt-out-Modell.

a) Opt-in-Modell. Die kollektive Rechtsdurchsetzung, die als sog. opt-in-Modell ausgestaltet 23 ist, setzt eine ausdrückliche Erklärung der materiell Berechtigten zu ihrer Beteiligung an der kollektiven Klage voraus. Im Falle von Streuschäden eignet sich die kollektive Rechtsdurchsetzung nach dem opt-in-Modell daher grundsätzlich nicht. Das rationale Desinteresse kann durch die prozessuale Bündelung von Klagen und die damit verbesserte Prozessökonomie in der Regel nicht überwunden werden. Das gilt vor allem für den Anreiz, die notwendige Initiative zur Erhebung einer kollektiven Klage zu ergreifen. Da hierfür die übrigen Betroffenen identifiziert und informiert werden müssen, erfordert dies für den Initiator sogar einen höheren Aufwand als eine Einzelklage. Derjenige, der die Initiative zur kollektiven Rechtsdurchsetzung ergreift, trägt zudem das Risiko, dass er die Prozesskosten gegebenenfalls allein tragen muss, weil sich seiner Klage keine weiteren Berechtigten anschließen. Aber auch die Berechtigten, die nicht Initiatoren der kollektiven Klage sind, haben häufig keinen ausreichenden Anreiz, sich der kollektiven Klage anzuschließen, wenn hiermit Kosten verbunden sind, die den zu erwartenden geringen Schadensersatz übersteigen. Daher genügt die opt-in-Klage häufig nicht, um das rationale Desinteresse der Anspruchsberechtigten in ausreichendem Maße zu überwinden.62

b) Opt-out-Modell. Demgegenüber erfassen kollektive Klagen nach dem opt-out-Modell zu- 24 nächst alle anspruchsberechtigten Personen, die durch das Fehlverhalten betroffen sind. Für die Beteiligung an einem solchen Verfahren genügt daher die Passivität der einzelnen Berechtigten. Um nicht an der kollektiven Klage beteiligt zu werden, müssen die Berechtigten ihren entgegenstehenden Willen ausdrücklich erklären. Die Nichtbeteiligung und damit die Austrittserklärung sind aus Sicht des einzelnen Berechtigten nur dann ökonomisch sinnvoll, wenn eine Einzelklage einen größeren Nutzen als Kosten verspricht, also insbesondere bei einem hohen Individualschaden des Berechtigten.63 Da die Nichtbeteiligung eine entspre58 Basedow/Hopt/Kötz/Baetge/H.-B. Schäfer S. 67, 68 f.; zum umgekehrten Phänomen Posner S. 489: „overdeterrence“. 59 Weidenbach/Saller BB 2008, 1020, 1022. 60 Vgl. zum Kartellrecht Commission Staff Working Paper, 2.4.2008, SEC (2008) 404 endg., Tz. 57. 61 Casper/Janssen/Pohlmann/Schulze/v.d. Bergh/Keske S. 17, 27. 62 Casper/Janssen/Pohlmann/Schulze/v.d. Bergh/Keske S. 17, 24. 63 Casper/Janssen/Pohlmann/Schulze/v.d. Bergh/Keske S. 17, 26. 325

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chende ausdrückliche Erklärung voraussetzt, wird die Wahrscheinlichkeit des Austritts gerade bei Streuschäden nur gering sein. Unter rechtsökonomischen Aspekten verspricht das optout-Modell daher vor allem im Falle von Streuschäden eine weiterreichende Wirkung als optin-Modelle.64 25 Als Beleg hierfür wird häufig auch die US-amerikanische class action ins Feld geführt.65 So bestätigen die Erfahrungen zur US-amerikanischen class action, dass die Zahl der Klagenden bei opt-out-Modellen regelmäßig größer und die Prozesskosten sowie das Prozessrisiko für den Einzelnen geringer sind.66 Zwar ist die class action damit ein wesentlicher Garant für den Erfolg der privatrechtlichen Normdurchsetzung in den USA; es gilt aber zu bedenken, dass dies vor allem im Zusammenspiel mit anderen Regelungsinstrumenten möglich ist, die ebenfalls einen wichtigen Beitrag zu der privatrechtlichen Normdurchsetzung leisten. Insbesondere die Möglichkeit von Erfolgshonoraren (contingency fees) und die Kostenverteilung nach der American Rule schaffen die notwendigen Bedingungen dafür, dass sich der Anwalt des repräsentierenden Klägers trotz des erheblichen Risikos auf eine class action einlässt. 26 Gegen die Einführung einer opt-out-Klage sprechen aber grundlegende verfassungsrechtliche Bedenken.67 Die Bedenken resultieren insbesondere aus der Tatsache, dass nach dem optout-Modell auch über Ansprüche entschieden wird, deren Berechtigte u. U. keine Kenntnis von dem Verfahren haben. Zudem entfaltet die Entscheidung Bindungswirkung gegenüber einer nicht hinreichend konkret bestimmten Zahl von betroffenen Personen, die aus prozessökonomischen Gründen ohne umfassende Beteiligungsrechte bleiben.68 Es wird daher vor allem die Vereinbarkeit der opt-out-Verbandsklage mit der zivilgerichtlichen Dispositionsmaxime,69 dem rechtlichen Gehör der Anspruchsberechtigten gemäß Art. 103 Abs. 1 GG70 sowie Art. 14 Abs. 1 GG in Frage gestellt.71 Die Unbestimmtheit der erfassten Ansprüche ist zudem auch aus Sicht des Beklagten ein erheblicher Unsicherheitsfaktor, da die genauen Individualschäden häufig nicht ermittelt werden können. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass der Schädiger im Ergebnis über den tatsächlich verursachten Schaden hinaus Ersatz leisten muss.72 Der opt-outMechanismus birgt damit nicht zuletzt auch Gefahren für den prozessualen Schutz des Beklagten und das materiell-rechtliche Bereicherungsverbot.73 27 Zwar ist der Gesetzgeber nach Art. 1 Abs. 3 GG auch bei der Gestaltung des Privatrechts an die Grundrechte gebunden; diese gelten jedoch nicht strikt und feststehend. Sie sind gegen widerstreitende Interessen abzuwägen.74 Allerdings kann die Klägerfreundlichkeit des opt-outMechanismus allein Einschränkungen verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen.75 Etwas anderes gilt dann, wenn eine effektive Normdurchsetzung anderenfalls nicht oder nur in unverhältnismäßiger Weise möglich ist. Soweit die Durchsetzung von Individualansprüchen nicht genügt, um eine wirksame Normdurchsetzung sicherzustellen, ist deshalb die kollektive Rechtsdurch64 Casper/Janssen/Pohlmann/Schulze/v.d. Bergh/Keske S. 17, 24; Meller-Hannich, Gutachten z. DJT; S. A 58. 65 Meller-Hannich, Gutachten z. DJT; S. A 58. 66 Zu entsprechenden empirischen Untersuchungen der US-amerikanischen class action vgl. Eisenberg/Miller 57 Vand.L.Rev. 1529 (2004): opt-out-Rate von durchschnittlich ca. 0,6 %. 67 Vgl. dazu Hess JZ 2000, 373, 378 ff.; Fiedler S. 237 ff. Zu der rechtskulturellen Unverträglichkeit der opt-outLösung Homburger/Kötz/Kötz S. 69, 86 f. 68 Dazu Fiedler S. 243. 69 Meyer WM 2003, 1349, 1352; Reuschle WM 2004, 966, 970; Kölner Komm. z. KapMuG/Reuschle § 8 Rn. 5. 70 Musielak/Stadler § 328 ZPO Rn. 26; Meller-Hannich, Gutachten z. DJT; S. A 59. 71 Ausführlich dazu Fiedler S. 237 ff. 72 Hess JZ 2000, 373, 379. 73 Kölner Komm. z. KapMuG/Hess Einl Rn. 26. 74 Ausführlich hierzu Fiedler S. 237 ff. Neben Art. 14 Abs. 1 GG und der Dispositionsmaxime handelt es sich insbesondere auch bei dem Gebot auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nach überwiegender Auffassung um ein abwägungsfähiges grundrechtsgleiches Recht (BVerfG 27.10.1999 – 1 BvR 385/90 – BverfGE 101, 106, 129 – Verwaltungsbehörde; Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann Art. 103 GG Rn. 31; Dreier/Schulze-Fielitz Art. 103 Abs. 1 GG Rn. 108). 75 Kölner Komm. z. KapMuG/Hess Einl Rn. 26; Stadler Bündelung von Interessen S. 24 f. Poelzig

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setzung zu stärken. Die Kontrollmöglichkeiten der Mitbewerber und Verbände gem. §§ 8 ff. haben sich aber bislang bewährt, so dass insoweit eine Kollektivklage auf Schadensersatz nach dem opt-out-Mechanismus nicht gerechtfertigt wäre. Zumal die Einführung einer solchen optout-Kollektivklage erhebliche Spannungen mit den deutschen zivilprozessualen Grundsätzen und „dogmatische Verwerfungen“ zur Folge hätte.76 So gilt vor allem das Recht auf rechtliches Gehör als eines der zentralen Verfahrensgrundrechte und damit als „prozessuales Urrecht“ im zivilgerichtlichen Verfahren.77

5. Europäische Maßgaben der kollektiven Rechtsdurchsetzung Um eine effektive Normdurchsetzung im Allgemeininteresse zu ermöglichen, bemüht sich vor 28 allem die Europäische Kommission um eine Stärkung kollektiver Rechtsbehelfe.78

a) Grünbuch von 2008. Im Grünbuch über kollektive Rechtsdurchsetzungsverfahren für 29 Verbraucher ist eine Reihe von Maßnahmen zur kollektiven Durchsetzung von Verbraucherrechten vorgesehen.79 Der Schwerpunkt des Grünbuchs liegt dabei auf der Bekämpfung unlauterer Verhaltensweisen im Wettbewerb. Damit verfolgt die Kommission vor allem das Ziel, „die Bürger zur aktiven Beteiligung im Sinne eines guten Funktionierens der Märkte zu ermutigen“. Dies soll dazu beizutragen, „solide Wettbewerbsbedingungen zu bewahren.“80 Neben anderen Optionen81 werden verschiedene kollektive Maßnahmen zur Rechtsdurchsetzung erörtert: Dazu gehören u. a. Muster-, Gruppen- oder Sammelklagen, Verbandsansprüche und vor allem auch private oder behördliche Abschöpfungsinstrumente.82 In diesem Zusammenhang warnt die Europäische Kommission jedoch ausdrücklich vor einer litigation culture. Demnach seien vor allem US-amerikanische Regelungsinstrumente zu vermeiden, die – wie etwa Strafschadensersatz (punitive damages) oder Erfolgshonorare (contingency fees) – „eine Kultur des Rechtsstreits fördern würden“.83 b) Empfehlung von 2013. Nach Abschluss einer öffentlichen Anhörung über gemeinsame 30 Rechtsgrundsätze zur Schaffung der Möglichkeit von Sammelklagen in der EU84 hat die Europäische Kommission im Juni 2013 eine Empfehlung zur kollektiven Rechtsdurchsetzung verabschiedet.85 Damit hatte sie sich vorerst gegen eine verbindliche Harmonisierung der kollektiven Rechtsdurchsetzung entschieden. Die Empfehlung gilt für sämtliche Bereiche, in de76 Hess § 10 Rn. 133. 77 BVerfG 30.4.2003 – 1 BvR10/99 – BVerfGE 107, 395, 408 f. – fachgerichtlicher Rechtsschutz; BVerfG 9.7.1980 – 2 BvR 701/80 – BverfGE 55, 1, 6 – Flughafen München. 78 Hess § 11 Rn. 48. Vgl. dazu bereits S. 328 ff. 79 Kollektive Rechtsdurchsetzungsverfahren für Verbraucher KOM (2008) 794 endg., 27.11.2008 (Grünbuch). 80 KOM (2008) 794 endg., Tz. 1. 81 Weitere Optionen des Grünbuchs sind, zunächst keine Maßnahmen auf europäischer Ebene zu ergreifen (Tz. 20 ff.), die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu verbessern (Tz. 23 ff.) sowie eine Kombination aus rechtsverbindlichen zivil- und öffentlich-rechtlichen und rechtsunverbindlichen Maßnahmen, insbesondere die Verbesserung der Kooperation bestehender nationaler Verbraucherorganisationen (Tz. 32 ff.). 82 KOM (2008) 794 endg., Tz. 48 ff. Kritisch hierzu Alexander WRP 2009, 683, 686. 83 KOM (2008) 794 endg., Tz. 48. 84 Mitteilung der Kommission vom 11.6.2013 „Auf dem Weg zu einem allgemeinen europäischen Rahmen für den kollektiven Rechtsschutz“, KOM (2013) 401 endg. 85 Empfehlung der Kommission vom 11.6.2013 Gemeinsame Rechtsgrundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren in den Mitgliedstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten, 2013/ 396/EU; dazu bereits Montag ZRP 2013, 172, 173 f. 327

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§ 10

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nen kollektive Rechtsschutzmöglichkeiten zur effektiven Durchsetzung des EU-Rechts geeignet sind. Neben dem Verbraucherschutz und dem Wettbewerbsrecht gehören dazu nach der Empfehlung auch der Umweltschutz, der Schutz personenbezogener Daten, das Finanzdienstleistungsrecht sowie der Anlegerschutz. Ziel der Empfehlung ist die Vereinfachung des Zugangs zu Rechtsschutz und Verbraucherschutz durch einheitliche kollektive Rechtsbehelfe, die auf Unterlassen und Schadensersatz auf nationaler Ebene gerichtet sind. Die Verfahren sollen fair, angemessen, zeitgemäß und nicht abschreckend teuer sein. Da § 10 auf Abführung des Gewinns an den Bundeshaushalt gerichtet ist und gerade nicht der kollektiven Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen der Geschädigten dient, besteht im deutschen Lauterkeitsrecht mit Rücksicht auf die Empfehlung der kollektiven Rechtsdurchsetzung von Schadensersatzansprüchen weiterhin Handlungsbedarf. Eine kollektive Sammelklage zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gibt es im deutschen Recht bislang nicht, der Regierungsentwurf vom 3. Mai 2018 zu Musterfeststellungsklagen versucht dieses Anliegen jedoch anzugehen.86 Die Kommission hat ihre Empfehlungen in ihrem Bericht vom 25. Januar 2018 über die Umsetzung dieser Empfehlung nochmals bekräftigt.87

31 c) Europäische Verbandsklage. Angesichts der unzureichenden Durchsetzung des europäischen Verbraucherrechts88 entschloss sich die Europäische Kommission am 11. April 2018, ein Maßnahmenpaket („New Deal for Consumers“) zu schnüren. Um die Durchsetzung des europäischen Verbraucherrechts zu verbessern, war darin u. a. ein Vorschlag für eine Richtlinie über Vertretungsklagen zum Schutz kollektiver Verbraucherinteressen und zur Aufhebung der Unterlassungsklagenrichtlinie 2009/22/EG in Europa enthalten.89 Nur zweieinhalb Jahre später folgte am 25. November 2020 die bis zum 25. Juni 2023 umzusetzende, entsprechende Richtlinie.90 Ziel der Richtlinie sind eine effektive Bündelung von Einzelansprüchen Geschädigter und eine Erweiterung der Befugnisse für qualifizierte Einrichtungen zur Durchsetzung des Verbraucherrechts (siehe ErwGr 8). In persönlicher Hinsicht sind nach wie vor nur Verbraucher begünstigt.91 Der sachliche Anwendungsbereich wurde durch den Verweis in Art. 2 Abs. 1 auf die im Anhang I der Richtlinie genannten Rechtsakte im Vergleich zur Unterlassungsklagenrichtlinie erheblich erweitert. Zu den über 60 erfassten Richtlinien und Verordnungen gehört auch die UGP-Richtlinie. Im Rahmen des Maßnahmenpakets „New Deal for Consumers“ wurde zudem Art. 11a UGPRichtlinie neu eingeführt, wonach „vertragliche und außervertragliche Rechtsbehelfe auch Verbrauchern zur Verfügung stehen [müssen], die durch solche unlauteren Geschäftspraktiken geschädigt wurden.92 Um Klagemissbrauch vorzubeugen (Art. 1 Abs. 1 S. 1), beschränkt die Richtlinie die Klage32 befugnis auch weiterhin auf qualifizierte Einrichtungen, die von den Mitgliedstaaten benannt werden (Art. 4 Abs. 1; 5 Abs. 1). Anders als noch im Richtlinienvorschlag können die Mit86 RegE Musterfeststellungsklage. 87 Rats-Dok. 6043/18; Kom-Dok. COM(2018) 40 final. 88 ErwGr 2 des Vorschlags der Kommission v. 11.4.2018, COM(2018) 185 final. Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen – Zusammenfassung der Eignungsprüfung v. 23.5.2017, SWD (2017) 208 final, S. 5. 89 Vorschlag der Kommission Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie2009/22/EG v. 11.4.2018, COM(2018) 184 final. 90 Richtlinie (EU) 2020/1828 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 25.11.2020 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG, ABl. L 209, 1. 91 Kritisch Augenhofer NJW 2021, 113, Rn. 12. 92 Siehe Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 93/ 13/EWG des Rates vom 5. April 1993, der Richtlinie 98/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der EU-Verbraucherschutzvorschriften, COM(2018) 185 final. Poelzig

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A. Grundlagen

§ 10

gliedstaaten die Kriterien für qualifizierte Einrichtungen hinsichtlich rein nationaler Verfahren grds. selbst festlegen (Art. 4 Abs. 4),93 nur für die Klagebefugnis bei grenzüberschreitenden Verbandsklagen gibt Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie zwingende Kriterien vor.94 Unabhängig von diesen Voraussetzungen können die Mitgliedstaaten darüber hinaus öffentliche Stellen als qualifizierte Einrichtungen benennen (Art. 4 Abs. 7). Die grundlegende Änderung im Vergleich zur bisherigen Unterlassungsklagen-Richtlinie besteht in der Möglichkeit, dass die qualifizierten Einrichtungen nicht nur auf Unterlassung klagen (Art. 8), sondern darüber hinaus „Abhilfe in Form von Schadenersatz, Reparatur, Ersatzleistung, Preisminderung, Vertragsauflösung oder Erstattung des gezahlten Preises“ verlangen können (Art. 9 Abs. 1). Es handelt sich damit um echte Musterleistungsklagen.95 Während der Richtlinienvorschlag in seinem Art. 6 noch ein Stufenverhältnis etablierte, nach dem die Entschädigungszahlungen zwar primär an die Verbraucher auszuschütten waren, sie aber bei nur geringfügigem Verlust der Verbraucher auch einem öffentlichen Zweck zugutekommen konnten (Art. 6 Abs. 3 lit. b), sieht Art. 9 Abs. 5, 6 der Richtlinie nun die grds. zwingende Auskehrung an die Verbraucher vor. Für die Mitgliedstaaten besteht lediglich nach Art. 9 Abs. 7 die Möglichkeit, eine Frist zur Geltendmachung der Abhilfebeträge zu setzen und die danach nicht in Anspruch genommenen Abhilfebeträge einem bestimmten Zweck zukommen zu lassen. Ob für die Geltendmachung der Ansprüche nach dem opt-in-Modell eine Zustimmung der 33 betroffenen Verbraucher erforderlich sein soll, können grds. die Mitgliedstaaten festlegen (Art. 9 Abs. 2). Für Verbraucher mit gewöhnlichem Aufenthalt außerhalb des eigenen Mitgliedstaates gilt dieses Modell allerdings zwingend (Art. 9 Abs. 3). In diesem Fall profitieren von dem Ausgang des Verfahrens nur die Verbraucher, die diesem zugestimmt haben.96 Fällt die Entscheidung zugunsten des opt-out-Modells, muss die Abhilfeentscheidung zumindest die Gruppe von Verbrauchern benennen, die Anspruch auf die Abhilfe haben (Art. 9 Abs. 5). Für die Prozesskostenverteilung gelten die allgemeinen Vorschriften, dh. insbesondere die 34 §§ 91 ff. ZPO. Anders als noch nach Art. 7 Abs. 1 des Richtlinienentwurfs sind die qualifizierten Einrichtungen im Falle von Folgenbeseitigungsklagen nicht zwingend dazu verpflichtet, die Finanzierung der Klage und ihre eigene Finanzierung offenzulegen.97 Stattdessen betont Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie lediglich, dass die Mitgliedstaaten sicher stellen, „dass bei einer von einem Dritten finanzierten Verbandsklage auf Abhilfeentscheidungen […] Interessenkonflikte vermieden werden und dass bei einer Finanzierung durch Dritte, die ein wirtschaftliches Interesse an der Erhebung oder am Ausgang der Verbandsklage auf Abhilfeentscheidungen haben, der Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher im Rahmen der Verbandsklage nicht aus dem Fokus gerät.“ Falls daran „begründete Zweifel“ bestehen, dürfen die Gerichte nach Art. 10 Abs. 3, 4 das Einhalten dieser Voraussetzung überprüfen und geeignete Maßnahmen zur Einhaltung ergreifen. Darüber hinaus steht die Finanzierung durch Dritte unter der Voraussetzung, dass sie nach nationalem Recht zulässig ist. Die Finanzierung der Verbandsklage durch Dritte, ist demzufolge nach der Richtlinie zulässig, soweit der Dritte die Entscheidungen der qualifizierten Einrichtungen im Zusammenhang mit der Verbandsklage nicht beeinflussen kann98 und insbesondere kein Mitbewerber des Beklagten ist, so dass Interessenkonflikte ausgeschlossen sind (Art. 10 Abs. 2).99 Grds. möglich ist eine Finanzierung durch Spenden und Crowdfunding (ErwGr. 52 Abs. 2). Im Hinblick auf gewerbliche Prozessfinanzierer ist zu differenzieren: Sofern 93 Deshalb für eine Orientierung an § 3 UKlaG: Gsell/Meller-Hannich Die Umsetzung der neuen Verbandsklagenrichtlinie, Februar 2021, 24. 94 Kritisch zur fehlenden Harmonisierung: Lühmann ZIP 2021, 824, 825. 95 Noch zum Richtlinienvorschlag Habbe/Gieseler GWR 2018, 227. Siehe auch Gsell/Meller-Hannich Die Umsetzung der neuen Verbandsklagenrichtlinie, Februar 2021, 9 f. 96 Halfmeier/Rott VuR 2018, 243, 245. 97 Hierzu kritisch: Halfmeier/Rott VuR 2018, 243, 247. 98 Diesbezüglich kritisch: Halfmeier/Rott VuR 2018, 243, 248. 99 Kritisch: Gascón GPR 2021, 61 Rn. 62. Noch zum Entwurf: Augenhofer EuZW 2019, 5, 12. 329

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§ 10

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sie gem. Art. 10 Abs. 2 lit. a) der Richtlinie keine Möglichkeit haben den Ausgang des Verfahrens ungebührlich zu beeinflussen, sollte die Drittfinanzierung nach Art. 10 Abs. 1 zulässig sein. Zweifelhaft ist allerdings, ob die Richtlinie ein für den Prozessfinanzierer ökonomisch sinnvolles Geschäftsmodell in Form einer Erfolgsbeteiligung zulässt. Da nach Art. 9 der Richtlinie grundsätzlich alle Entschädigungszahlungen an die Verbraucher auszuzahlen sind, die qualifizierte Einrichtung gem. Art. 20 Abs. 3 von den Verbrauchern allenfalls „eine moderate Beitrittsgebühr“ verlangen darf und Art. 12 Abs. 2 betont, dass die Verbraucher nicht die Kosten des Verfahrens tragen, scheint für ein Erfolgshonorar oder eine andere Form des Erlöses kein Raum zu bleiben.100 Als Lösung wird erwogen, ein moderates Erfolgshonorar unter die nach § 91 ZPO vom Prozessgegner zu tragenden Kosten zu subsumieren.101 Weniger ausgeprägt als noch in Art. 10 Abs. 1 des Richtlinienentwurfs ist die aus dem Kar35 tellrecht gem. § 33b GWB bekannte Bindungswirkung für Folgeverfahren: Die rechtskräftige gerichtliche oder bestandskräftige behördliche Entscheidungen über das Vorliegen von Verbraucherrechtsverstößen stellt lediglich ein zwingend zulässiges Beweismittel dar (Art. 15).102 Das bisherige Durchsetzungsregime des UWG genügt den Anforderungen der Verbandskla36 genrichtlinie nicht. Insbesondere § 10 UWG eignet sich nicht als europäische Verbandsklage, da der abgeschöpfte Gewinn nicht zur Kompensation der geschädigten Verbraucher dient, sondern in den Bundeshaushalt fließt. Umgekehrt schließt die mindestharmonisierende Richtlinie aber auch nicht aus, solche weitergehenden Rechtsfolgen beizubehalten (Art. 1 Abs. 2).

37 d) Stärkung der behördlichen Durchsetzung. Angesichts der Defizite des private enforcement103 tendiert das europäische Recht bereits seit geraumer Zeit zur Stärkung des public enforcement.104 Im europäischen Recht gelten öffentlich-rechtliche und zivilrechtliche Instrumente als grundsätzlich austauschbare Instrumente zur effektiven Durchsetzung des Rechts.105 So überantwortet Art. 11 UGP-Richtlinie die Art und Weise der Durchsetzung, ob im Wege des private enforcement oder des public enforcement, im Wesentlichen zwar den Mitgliedstaaten. Der europäische Gesetzgeber hat aber die behördliche Durchsetzung lauterkeitsrechtlicher Verhaltensnormen bereits mit der zum 17. Januar 2020 aufgehobenen VO (EG) 2006/2004 über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz (CPC-Verordnung) sowie noch deutlicher mit der nun geltenden VO (EU) 2017/2394 (CPC-Verordnung 2017)106 erheblich gestärkt. Die neue wie die alte CPC-Verordnung gelten für grenzüberschreitende Verstöße gegen die 38 im Anhang genannten Richtlinien, einschließlich der UGP-Richtlinie (vgl. Art. 3 lit. Nr. 1 VO [EU] 2017/2394), wenn die kollektiven Interessen mehrerer Verbraucher beeinträchtigt sind (Art. 3 100 Vgl. Lühmann ZIP 2021, 824, 833. 101 So der Vorschlag von Gsell/Meller-Hannich Die Umsetzung der neuen Verbandsklagenrichtlinie, Februar 2021, 49. Kritisch Lühmann ZIP 2021, 824, 833. 102 Kritisch Augenhofer NJW 2021, 113, Rn. 26 ff. 103 Allgemein zu den Vor- und Nachteilen eines private enforcement Poelzig, S. 568 ff.; speziell zum Verbraucherschutzrecht Podszun/Busch/Henning-Bodewig, Behördliche Durchsetzung des Verbraucherrechts?; Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, Februar 2018, S. 9 ff.; Wolf, WRP 2019, 283 ff. 104 Siehe VO (EU) Nr. 2017/2394 des Europäischen Patentamts und des Rates v. 21.12.2017 über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden und zur Aufhebung der VO (EG) Nr. 2006/2004, ABl. L 345, 1. Zur Umsetzung in nationales Recht Podszun/Busch/Henning-Bodewig, Behördliche Durchsetzung des Verbraucherrechts? – Darstellung und Systematisierung von Möglichkeiten und Defiziten der privaten Durchsetzung des Verbraucherschutzes sowie Einbeziehung der Kartellbehörden zu dessen Durchsetzung; Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, Februar 2018. 105 EuGH, 26.2.2008 – C-132/05 – GRUR 2008, 524 Rn. 68 ff. – Parmigiano Reggiano. Zu dieser allgemeinen Tendenz des europäischen Unsionsrechts Poelzig, S. 261 f. 106 Verordnung (EU) 2017/2394 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2017 über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004, ABl. L 345, 1. Poelzig

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A. Grundlagen

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Nr. 3, 4 VO [EU] 2017/2394).107 Im Zentrum der VO steht die Verpflichtung der Mitgliedstaaten gemäß Art. 7 Abs. 1 VO (EU) 2017/2394, eine zuständige Behörde und eine zentrale Verbindungsstelle zu benennen, die grenzüberschreitende Verstöße mit den erforderlichen hoheitlichen Befugnissen verfolgen und sanktionieren können. Damit verlangt die CPC-VO zwar nicht ausdrücklich die Errichtung nationaler Behörden zur Durchsetzung des Lauterkeitsrechts, setzt aber das Bestehen nationaler Behörden zum Schutz der Verbraucherinteressen voraus. Während das deutsche Umsetzungsgesetz nach der alten Regelung noch auf das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz verwies, das die grenzüberschreitenden Fälle gem. § 7 VSchDG aF. an private Verbraucherverbände weiterleitete, ist nunmehr das Bundesamt für Justiz nach § 2 VSchDG nF. die primär zuständige Behörde. Hintergrund der Änderung ist, dass die Mitgliedstaaten durch die Neufassung weitergehend verpflichtet sind, ihren Behörden bestimmte Mindestbefugnisse, etwa Bußgeld- und Ermittlungsbefugnisse zur Durchsetzung der UGP-Richtlinie in grenzüberschreitenden Sachverhalten einzuräumen (siehe Art. 9 VO (EU) 2017/2394 sowie Art. 13 Abs. 3 UGP-Richtlinie).

6. Kollektive Rechtsdurchsetzung im nationalen Recht Die Unzulänglichkeiten des traditionellen Leitbilds der ZPO als Zwei-Parteien-Prozess für die 39 Bewältigung kollektiver Schäden im Wirtschaftsrecht (Rn. 12 ff.) haben in der Praxis bereits zu alternativen Bündelungsmodellen geführt. Dazu gehören etwa die nach § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 ZPO zulässige treuhänderische Durchsetzung von Ansprüchen durch Verbraucherzentralen und -verbände, das Pooling von Ansprüchen in Form einer GbR zur gemeinsamen Prozessführung und -finanzierung, verschiedene Abtretungsmodelle108 und die praktisch immer bedeutsamer werdende Prozessfinanzierung durch gewerbliche Anbieter. Hinzutritt das jüngst geschaffene Musterfeststellungsverfahren gem. §§ 606 ff. ZPO.

a) Bündelung durch Abtretung, insbsd. Legal Tech. In der Praxis hat das Fehlen von aus- 40 reichenden Möglichkeiten zur kollektiven Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen dazu geführt, dass sich Unternehmen etabliert haben, die Ansprüche in großer Zahl gebündelt durchsetzen. Hierfür treten die Geschädigten ihre individuellen Schadensersatzansprüche zumeist zuvor gegen Beteiligung an dem etwaigen Klageerfolg an ein Inkassounternehmen mit Zulassung nach § 10 RDG ab, das sodann die Ansprüche prüft und gebündelt verfolgt und durchsetzt. Das Unternehmen nimmt dann eigene Rechte wahr und handelt nicht lediglich in Prozessstandschaft. Diese Entwicklung hat im Kartellrecht mit der „Cartel Damage Claims AG“ (CDC)109 begonnen und durch das Internet sowie die Digitalisierung des Rechtswesens (Legal Tech) in jüngster Vergangenheit erheblichen Auftrieb erfahren.110 Die Grenzen für die Zulässigkeit dieses

107 Erfasst sind überwiegend zivilrechtliche Regelungsbereiche: Wettbewerbsrecht, Haustürgeschäfte, Pauschalreiserecht, Fernabsatzgeschäfte, Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Fernabsatz von Finanzdienstleistungen, Verbraucherkredite, die bislang überwiegend mittels zivilrechtlicher Instrumente durchgesetzt werden (Begr. RegE, BT-Drucks. 16/2930, S. 15). 108 Kölner Komm. z. KapMuG/Hess Einl. Rn. 9; Hess/Michailidou WM 2003, 2318, 2323 f. 109 Zum Sachverhalt LG Düsseldorf WuW/E DE-R 1948 ff.: Geschädigte eines Zementkartells hatten ihre Schadensersatzansprüche an die CDC – eine private Gesellschaft beschränkter Haftung mit Sitz in Belgien – gegen einen geringfügigen Kaufpreis abgetreten und einen Vorschuss auf die Verfahrenskosten gewährt. Im Gegenzug sollten sie bei Obsiegen der CDC an dem Erlös beteiligt werden. Die CDC hatte sodann Schadensersatz in Höhe von über 100 Millionen Euro aus den abgetretenen Ansprüchen der 36 geschädigten Marktteilnehmer vor dem LG Düsseldorf eingeklagt. 110 Zu den bekanntesten Unternehmen gehören myRight (https://www.myright.de/abgasskandal/agb/, Stand: 4.5.2020), die Ansprüche von mehr als 15.000 VW-Autokäufern gegen VW in einer Klage beim LG Braunschweig 331

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§ 10

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Geschäftsmodells bilden zurzeit vor allem § 134 iVm. §§ 4, 3 RDG wie auch §§ 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; 2 Abs. 2 S. 1 RDG und § 138 BGB. 41 Der BGH hat die umstrittene Frage nach der Wirksamkeit der Abtretung von Ansprüchen an Inkassounternehmen mit Erlaubnis gem. § 10 RDG auf Grundlage berufsrechtlicher Regelung bejaht und die Nichtigkeit nach § 134 BGB iVm. § 3 RDG abgelehnt.111 Gem. § 3 RDG ist die Erbringung von Rechtsdienstleistungen nur in den gesetzlich bestimmten Fällen gestattet. So dürfen die gem. § 10 RDG als Inkassounternehmen registrierten Personen insbesondere nur Inkassodienstleistungen anbieten. Umstritten war, ob die Erlaubnis gem. § 10 RDG für Inkassodienstleistungen gem. § 2 Abs. 2 S. 1 RDG nur die Durchsetzung unstreitiger Ansprüche112 oder auch andere mit dem Abtretungsmodell zusammenhängende Tätigkeiten, etwa auch die rechtliche Forderungsüberprüfung oder die Beratung des Anspruchsberechtigten, erfasst.113 So vertrat die 67. Zivilkammer des LG Berlin im Hinblick auf wenigermiete.de,114 dass der Schwerpunkt der Abtretungsmodelle in der Rechtsberatung liege, da zu Beginn das Bestehen sowie der Umfang einer Forderung noch nicht feststünde, und die entsprechenden Dienstleistungen deshalb nicht von der Inkassodienstleistungserlaubnis erfasst seien.115 Die 65. und 66. Zivilkammer des LG Berlin traten dem jedoch entgegen, da ein Mindestmaß an Rechtsberatung zwangsläufig zur Inkassodienstleistung dazugehöre.116 Der letzteren Sichtweise schloss sich der BGH an und entschied, dass die Tätigkeiten des Inkassodienstleisters im konkreten Fall („noch“) zulässig seien. Inkassodienstleister dürfen demnach nicht nur unbestrittene Forderungen einziehen, sondern ihnen ist auch „eine umfassende rechtliche Forderungsprüfung und eine substanzielle Beratung des Kunden über den Forderungsbestand“117 sowie anwaltlich vertreten eine gerichtliche Anspruchsdurchsetzung erlaubt.118 Das Gericht begründete dies mit dem Zweck des Rechtsdienstleistungsgesetzes, das nicht Rechtsanwälte vor unerwünschter Konkurrenz, sondern die Betroffenen vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen schützen soll.119 Demnach ist der Begriff der Inkassodienstleistung (Forderungseinziehung) gem. § 2 Abs. 2 S. 1 RDG, die ein als solcher registrierter Inkassodienstleister nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 RDG erbringen darf, weit zu verstehen. Nichtsdestoweniger blieben die Instanzgerichte kritisch. So hob das LG München 1 ‒ nachdem der BGH entschieden hatte, dass ein Inkassodienstleister die relevanten Ansprüche nach dem gescheiterten Versuch der außergerichtlichen Geltendmachung auch gerichtlich durchsetzen darf ‒ darauf ab, dass das von ihm zu

geltend gemacht haben https://www.myright.de/magazin/abgasskandal/sammelklage-in-deutschland-gegen-volkswagen-eingereicht, Stand: 4.5.2020), sowie Flightright, die Fluggastrechte durchsetzen. Das Geschäftsmodell von Flightright basiert allerdings nur partiell auf einem Abtretungsmodell (vgl. AGB 1.1 v. 20.3.2017, https://www.flightright.de/agb, Stand: 4.5.2020). 111 BGH 27.11.2019 – VIII ZR 285/18 – BGHZ 224, 89 = NJW 2020, 208; im Anschluss hieran BGH 27.5.2020 – VIII ZR 129/19 – DB 2020, 1564. 112 So etwa Greger, MDR 2018, 897; Hartmann, NZM 2019, 353; Henssler, NJW 2019, 545, 546; Kilian, NJW 2019, 1401; Knauff GewArch 2019, 414; Mann/Schnuch NJW 2019, 3477; Valdini, BB 2017, 1609;. 113 So etwa Fries, NJW 2018, 2904; Fries, ZRP 2018, 161; Hartung, BB 2017, 2825; Morell, WM 2019, 1822; Morell, JZ 2019, 809; Morell, NJW 2019, 2574; Römermann/Günther, NJW 2019, 551; Rott, VuR 2018, 443; Tolksdorf, ZIP 2019, 1401. 114 wenigermiete wird ua. im Hinblick auf die Mietpreisbremse tätig und setzt die sich für Mieter ergebenden Ansprüche gegen ihre Vermieter durch, https://www.wenigermiete.de/agb, zuletzt geprüft am 4.5.2020. 115 LG Berlin 26.7.2018 – 67 S 157/18 – NJW 2018, 2901 Rn. 8 ff.; LG Berlin 24.1.2019 – 67 S 277/18, BeckRS 2019, 382; LG Berlin WuM 2018, 571. 116 LG Berlin 13.8.2018 – 66 S 18/18 – VuR 2018, 466, 471; LG Berlin 12.11.2018 – Az. 66 S 19/18 LG Berlin 20.6.2018 – 65 S 70/18 – NJW 2018, 2898 Rn. 28; LG Berlin 10.10.2018 – Az. 65 S 27/18; siehe auch LG Berlin [15. Zivilkammer], BB 2019, 465; LG Stuttgart NJW-RR 2019, 522. 117 BGH 27.11.2019 – VIII ZR 285/18 – BGHZ 224, 89 = NJW 2020, 208 Rn. 116, 144. 118 BGH 27.11.2019 – VIII ZR 285/18 – BGHZ 224, 89 = NJW 2020, 208 Rn. 225–227. 119 BGH 27.11.2019 – VIII ZR 285/18 – BGHZ 224, 89 = NJW 2020, 208 Rn. 110; siehe bereits LG Berlin 20.6.2018 – 65 S 70/18 – NJW 2018, 2898 Rn. 28; LG Berlin 13.8.2018 – 66 S 18/18 – VuR 2018, 466, 470 f. Poelzig

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beurteilende Geschäftsmodell bei objektiver Betrachtung faktisch nicht primär auf die außergerichtliche Anspruchsdurchsetzung abziele und deshalb nicht mehr nach §§ 10 Abs. 1. S. 1 Nr. 1, 2 Abs. 2 S. 1 RDG von einer Inkassolizenz gedeckt sein könne.120 Außerdem liege sowohl im Hinblick auf den involvierten Prozessfinanzierer als auch die Vielzahl an Zedenten eine andere Leistungserbringung vor, die die ordnungsgemäße Erbringung der Rechtsdienstleistung gefährde und deshalb nach § 4 RDG unzulässig sei. Einerseits sei die Klägerin dem Prozessfinanzierer zu einer Zweckmäßigkeitsprüfung verpflichtet, die sie zB. von kostenintensiven Maßnahmen zugunsten des Zedenten abhalten könne.121 Andererseits seien die abgetretenen Forderungen nicht nur zahlreich, sondern auch heterogen. Die damit einhergehende unterschiedliche Erfolgswahrscheinlichkeit führe dazu, dass die Klägerin nicht allen Zedenten gleichermaßen gerecht werden könne.122 Auch das LG Hannover machte die Unzulässigkeit des ihm vorliegenden Modells einerseits an der primär auf die gerichtliche Durchsetzung gerichteten Tätigkeiten und andererseits an § 4 RDG fest, wobei im konkreten Verfahren die Besonderheit hinzukam, dass sich die Zedenten auf unterschiedlichen Wirtschaftsstufen befanden und dadurch teilweise dieselben Liefermengen betroffen waren123 Darüber hinaus kann die Abtretung nach einem CDC-Urteil des OLG Düsseldorf deshalb 42 gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtig sein, weil die Rechtsverfolgungsgesellschaft, an die die Forderungen abgetreten wurden, im Fall des Unterliegens mit den Prozesskosten überfordert wäre.124 Zwar gibt es kein Recht, ausschließlich von zahlungskräftigen Klägern verklagt zu werden, Forderungsabtretungen dürfen jedoch nicht dazu missbraucht werden, das Tragen der Prozesskosten im Fall des Unterliegens zu umgehen. Da ein Bewusstsein der Sittenwidrigkeit oder eine Schädigungsabsicht nicht erforderlich sind, genügt es für die Missbräuchlichkeit, wenn sich die Rechtsverfolgungsgesellschaft grob fahrlässig der Kenntnisnahem der erheblichen Tatsachen verschließt. Eine Nichtigkeit gem. § 138 BGB kann allerdings durch das Hinterlegen einer Prozesssicherheit oder durch die Zusammenarbeit mit einem sehr finanzstarken externen Prozessfinanzierer vermieden werden.125 Zwischenzeitlich hat sich der Gesetzgeber der Problematik um den Begriff der Inkasso- 42a dienstleistung sowie der Interessenskollision iSv. § 4 RDG angenommen: Nach dem Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt126 wird das Inkasso durch eine in § 2 Abs. 2 S. 2 RDG neu eingeführte gesetzliche Definition auf die lediglich außergerichtliche Forderungsdurchsetzung sowie die zur Einziehung notwendige rechtliche Prüfung und Beratung begrenzt. Gleichzeitig wird § 4 RDG dahin ergänzt, dass die Gefahr des Interessenskonflikts „nicht schon deshalb anzunehmen [ist], weil aufgrund eines Vertrages mit einem Prozessfinanzierer Berichtspflichten gegenüber dem Prozessfinanzierer bestehen“.

b) Prozessvertretungsbefugnis von Verbraucherverbänden. Eine besondere Möglichkeit 43 der kollektiven Rechtsdurchsetzung sieht § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 ZPO vor: Demnach können Verbraucherzentralen und andere mit öffentlichen Mitteln geförderte Verbraucherverbände im Rahmen ihres Aufgabenbereichs Forderungen im Namen der Verbraucher einziehen.127 Diese Regelung basiert 120 121 122 123 124

LG München I 7.2.2020 ‒ 37 O 18934/17 ‒ NZKart 2020, 145 Rn. 119 ff. Anhängig OLG München 29 U 1319/20. LG München I 7.2.2020 ‒ 37 O 18934/17 ‒ NZKart 2020, 145 Rn. 144 ff. LG München I 7.2.2020 ‒ 37 O 18934/17 ‒ NZKart 2020 145 Rn. 139 ff. LG Hannover 1.2.2021 ‒ 18 O 34/17 ‒ BeckRS 2021, 1433 Rn. 70 ff., Rn. 139 ff. Zum gesamten Absatz: OLG Düsseldorf 18.2.2015 – VI-U (Kart) 3/14 – NZKart 2015, 201, 204. Kritisch: Stadler WuW 2018, 189, 192 m. w. N. 125 Stadler WuW 2018, 189, 193. 126 Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung s. BT Drucks. 19/27673 127 Dies wird mit der von Art. 11a der geänderten UGP-Richtlinie geforderten Einführung eigener Ansprüche der Verbraucher besonders relevant (siehe Vorschlag vom 11.4.2018 für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993, der Richtlinie 98/6/EG des 333

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auf Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG, der Verbraucherverbände und -zentralen ermächtigte, abgetretene Forderungen von Verbrauchern gerichtlich einzuziehen, soweit dies im Interesse des Verbraucherschutzes erforderlich war.128 Die Verbraucherverbände sind nach § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 ZPO nicht selbst aktivlegitimiert, sondern sind für Zahlungsklagen von Verbrauchern vertretungsbefugt. Ziel des Gesetzgebers ist es nach wie vor, mit dieser Regelung die Durchsetzung im Interesse des kollektiven Verbraucherschutzes und damit die Verhinderung verbraucherschutzwidriger Verhaltensweisen auch dann sicherzustellen, wenn für den einzelnen Verbraucher kein Anreiz für eine eigene Klage besteht.129 Dennoch verzichtete der Gesetzgeber darauf, die Vertretungsbefugnis der Verbraucherverbände nach § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 ZPO – wie noch die Einziehungsermächtigung in Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG – auf die Fälle zu beschränken, in denen die gerichtliche Einziehung durch die Verbraucherverbände oder -zentralen „im Interesse des Verbraucherschutzes erforderlich“ ist.130 Notwendig ist nur, dass die Verbraucherverbände innerhalb ihres Aufgabenbereichs agieren. 44 Eine Abtretung der Forderungen durch die anspruchsberechtigten Verbraucher oder eine gewillkürte Anordnung der Prozessstandschaft sind anders als bisher nach Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG nun nicht mehr erforderlich, damit die Verbraucherverbände nach § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 ZPO im Namen der Verbraucher klagen können. Da es sich aber um eine Vertretungsbefugnis handelt, kann auf eine Bevollmächtigung auch auf Grundlage des § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 ZPO nicht verzichtet werden.131 Ohne dass die Verbraucher eine Bevollmächtigung erklären, können die Verbraucherverbände also keine Musterprozesse führen bzw. Sammelklagen einleiten. Insgesamt problematisch gestaltet sich jedoch der fehlende finanzielle Anreiz zum Tätigwerden für den Verband,132 sodass es de facto nahezu keine Klagen durch Verbraucherverbände im Namen der Verbraucher gibt.133

45 c) Musterfeststellungsklage gem. § 606 ZPO. Am 1.11.2018 trat das Musterfeststellungsklagegesetz in Kraft.134 Es ermöglicht Verbrauchern iSv. § 29c Abs. 2 ZPO, sich nach § 608 ZPO einer sogenannten Musterfeststellungsklage anzuschließen. Die Musterfeststellungsklage wird von einer qualifizierten Einrichtung iSv. § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO erhoben. Sie hat nach § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO das Ziel, das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen von tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen zwischen Verbrauchern und Unternehmen festzustellen. Feststellungsfähig sind damit vor allem vertragliche VerbraucherEuropäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der EU-Verbraucherschutzvorschriften; COM(2018) 185 final). Nach dem neuen Art. 11a in der Richtlinie 2005/29/EG müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass nach nationalem Recht bestimmte vertragliche und außervertragliche Rechtsbehelfe bei Verstößen gegen die Richtlinie 2005/29/EG zur Verfügung stehen. Durch die Einführung des Rechts auf individuellen Rechtsbehelf könnten Opfer unlauterer Geschäftspraktiken gegen Unternehmen vorgehen, um die von diesen Unternehmen verursachten Probleme zu beseitigen. 128 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/3655, S. 88. 129 So zu Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG, der § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 ZPO zugrundeliegt, Begr. Gesetzentwurf, BT Drucks. 14/ 6040, S. 277. 130 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/3655, S. 88. Siehe auch BGH 26.6.2013 – IV ZR 39/10 – BeckRS 2013, 11764 Rn. 43 f. Eine gerichtliche Einziehung von Forderungen durch Verbraucherverbände galt als erforderlich, wenn dies nicht nur Individualinteressen, sondern auch einem kollektiven Verbraucherinteresse dient und eine effektivere Durchsetzung dieses Interesses ermöglicht. Von der Erforderlichkeit einer Einziehung durch Verbraucherverbände ist daher auszugehen, wenn Umstände vorliegen, die den einzelnen Verbraucher von einer eigenen Klage abhalten können, oder die Klage durch einen Verbraucherverband effektiver und zielführender als eine Individualklage der jeweils geschädigten Verbraucher erscheint (BGH 14.11.2006 – XI ZR 294/05 – BGHZ 170, 18, 29). Hierzu Micklitz/Hüttner JZ 2008, 151. 131 Fiedler S. 115. 132 Bien NZKart 2013, 12, 13. 133 Podszun/Busch/Henning-Bodewig, Behördliche Durchsetzung des Verbraucherrechts? Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, Februar 2018, S. 135; Meller-Hannich, Gutachten z. 72 DJT, S.A 64. 134 Ausführlich Berger ZZP 2020, 3 ff. Poelzig

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ansprüche,135 mangels Aktivlegitimation von Verbrauchern gem. §§ 8 ff. UWG (zu den Änderungen auf europäischer Ebene Rn. 31) jedoch nicht Ansprüche nach dem UWG. Mit der Musterfeststellungsklage kann der Verband Ansprüche der Verbraucher allerdings nicht im Wege einer Leistungsklage unmittelbar selbst durchsetzen,136 sondern ist lediglich auf eine Zwischenfeststellungsklage in gesetzlicher Prozessstandschaft137 beschränkt. Verbraucher können auf Basis des Feststellungsurteils, das gem. § 613 Abs. 1 ZPO für angemeldete Verbraucher Bindungswirkung entfaltet, eine vereinfachte Leistungsklage erheben.138 Dies genügt den Anforderungen des Richtlinienvorschlags zum Schutz kollektiver Verbraucherinteressen139 jedoch nicht, da die Verbände demnach unmittelbar befugt sein müssen, Folgebeseitigung zu verlangen (Rn. 31 ff.).

d) Stärkung der behördlichen Durchsetzung. Die zentrale Bedeutung des Verbraucher- 46 schutzes für die Allgemeinheit und die erheblichen gesamtwirtschaftlichen Schäden durch unlauteres Wettbewerbsverhalten sind immer wieder Anlass, um neben der privatrechtlichen kollektiven Normdurchsetzung die Einführung einer behördlichen Aufsicht zu erwägen.140 Damit ist die Erwartung verbunden, dass spezielle Aufsichtsbehörden im Vergleich zu den Zivilgerichten über eine größere Sachkompetenz und die geeigneten und erforderlichen Instrumente verfügen. So wurde mit der 9. GWB-Novelle 2017 eine Beschlussabteilung Verbraucherschutz im BKartA installiert, die die Befugnis zu Sektoruntersuchungen bei Verstößen gegen das UWG (§ 32e GWB) wahrnimmt und als amicus curiae an Zivilverfahren teilnimmt (§ 90 Abs. 6 GWB). Damit wurden punktuelle Befugnisse eingeführt, die die Aufdeckung und Ermittlung von Verstößen gegen das UWG mit aufsichtsrechtlichen Mitteln erleichtern und so die Schwierigkeiten des Zivilrechts als Durchsetzungsinstrument ausgleichen sollen.141 Darüber hinaus wird erwogen, das BKartA als Verbraucherschutzaufsichtsbehörde mit weiteren Befugnissen zu betrauen.142 Da Verstöße gegen das UWG jedoch in vielen Fällen einen geringeren Unrechtsgehalt als kartellrechtliche Verstöße aufweisen, geht jedenfalls eine uneingeschränkte Übertragung der umfangreichen und einschneidenden Ermittlungs- und Sanktionsmöglichkeiten bei kartellrechtlichen Verstößen zu weit. Daher wird der Ausbau des Bundeskartellamts zu einer Verbraucherschutzaufsichtsbehörde vielfach vollständig abgelehnt.143 Daneben haben die BaFin gem. § 4 Abs. 1a FinDAG bei Verstößen gegen verbraucherschützende Vorschriften des UWG durch von ihr beaufsichtige Unternehmen und das Bundesamt für Justiz gem. § 2 VSchDG bei grenzüberschreitenden Verstößen gegen das UWG Ermittlungs- und Durchsetzungsbefugnisse. III. Zweck der Regelung Die ausführliche Diskussion144 um den Zweck des § 10 hat nicht nur theoretische Bedeutung, 47 sondern ist auch praktisch relevant, soweit es um das Verständnis der Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Gewinnabschöpfung geht.145 135 136 137 138 139 140 141 142

Zur Reichweite Berger, ZZP 2020, 3, 16 f. Noch zum Entwurf: Stadler VuR 2018, 83, 84. Berger, ZZP 2020, 3, 10 f. Deshalb kritisch: Basedow EuZW 2018, 609, 610 f.; Stadler VuR 2018, 83, 84. COM(2018) 184 final. So bereits Baudenbacher, GRUR Int 1981, 162, 168; ihm folgend Glöckner, S. 611. Zu den Defiziten der privaten Normdurchsetzung im Vergleich zur behördlichen Aufsicht Poelzig, S. 568 ff. Hierzu insbesondere die Studie von Podszun/Busch/Bodewig, Behördliche Durchsetzung des Verbraucherrechts?; zusammengefasst in GRUR 2018, 1004 ff. 143 Aus kartellrechtlicher Perspektive Ackermann, NZKart 2016, 397, 39; ebenso aus lauterkeitsrechtlicher Perspektive Ohly/Sosnitza§ 3a UWG Rn. 25; Ohly, in: FS Köhler, 2014, S. 507 ff. 144 Ausführlich Alexander, S. 483 ff.; Alexander JZ 2006, 892, 893 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3. 145 Alexander, S. 483; Alexander JZ 2006, 890, 892. 335

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1. Vollzugsdefizite bei Streuschäden 48 Mit dem Hinweis auf die Gesetzesbegründung146 wird der Zweck des § 10 häufig darin erkannt, Vollzugsdefizite zu schließen, die sich bei sog. Bagatell- und Streuschäden ergeben können, da in diesen Fällen die einzelnen Geschädigten ihre Ansprüche aufgrund eines „rationalen Desinteresses“ kaum selbst verfolgen (Rn. 18). Die Gewinnabschöpfung ist demnach ein „Instrument zur Liquidation von Streuschäden“147 bzw. tritt an die Stelle von Schadensersatz- und Mängelgewährleistungsansprüchen, „welche auf Grund der tatsächlichen Gegebenheiten in der Praxis kaum zur Durchsetzung gelangen“.148

2. Verbesserung der Normdurchsetzung durch Prävention und Abschreckung 49 Zwar waren die Durchsetzungsdefizite bei Streuschäden der Anlass für den Gesetzgeber, die Gewinnabschöpfung einzuführen. Gleichwohl liegt der Zweck des § 10 aber nicht darin, die individuellen Schadensersatzansprüche anstelle der Berechtigten gebündelt geltend zu machen. Ginge es bei der Gewinnabschöpfung um die vollständige Durchsetzung aller Schadensersatzansprüche, müssten diejenigen, deren Ansprüche nicht oder nur unzureichend durchgesetzt werden, von der Gewinnabschöpfung unmittelbar profitieren.149 Dies ist nach dem derzeitigen Gesetzesstand aber gerade nicht der Fall, da der abgeschöpfte Betrag an den Bundeshaushalt fließt. Aufgabe der Gewinnabschöpfung ist es vielmehr, als marktregulierendes Steuerungsinstrument die Einhaltung der lauterkeitsrechtlichen Verhaltensnormen durch Prävention und Abschreckung150 zu gewährleisten, soweit „der Wettbewerb eine Auslese zwischen rechtlich erwünschten und unerwünschten Praktiken nicht gewährleistet“ und insoweit ein Marktversagen vorliegt.151 Nicht der Interessenausgleich und die Kompensation der einzelnen Geschädigten stehen daher bei § 10 im Vordergrund, sondern die wirksame Durchsetzung der lauterkeitsrechtlichen Verhaltensnormen und damit das Allgemeininteresse an dem Schutz des Marktes.152 Gemäß dem Grundsatz „Widerrechtliches Verhalten darf sich nicht lohnen“153 werden dem Normadressaten die Vorteile aus einem Fehlverhalten genommen.154 Normwidriges Verhalten soll unrentabel und der Anreiz zur Einhaltung der lauterkeitsrechtlichen Verhaltensnormen erhöht werden. Dem in der Praxis weit verbreiteten Gedanken „Unlauteres Verhalten rentiert sich immer“155 soll so die Grundlage entzogen werden.156 Aufgabe des § 10 ist es, die Einhaltung der lauterkeitsrechtlichen Verhaltensnormen durch die Beseitigung von Fehlanreizen zu gewährleisten. 146 Vgl. Begr. RegE UWG 2003, S. 23: „Mit der Regelung eines Gewinnabschöpfungsanspruches werden die zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen wegen eines Verstoßes gegen das UWG mit dem Ziel einer weiteren Verbesserung der Durchsetzung des Lauterkeitsrechts erweitert. Das bisherige Recht hat Durchsetzungsdefizite bei den so genannten Streuschäden“. 147 Wagner Gutachten zum 66. DJT S. A 111. 148 OLG Stuttgart 2.11.2006 – 2 U 58/06 – GRUR 2007, 435, 436 – Veralteter Matratzentest. 149 Alexander JZ 2006, 890, 893. 150 Begr. RegE UWG 2003, S. 34 f.; Micklitz/Stadler S. 92 ff. 151 So ausdrücklich zu dem marktregulierenden Charakter der Abschöpfungsansprüche Alexander JZ 2006, 890, 895. Ähnlich MüKo/Micklitz Rn. 53; Augenhofer/Stadler S. 117, 119. 152 Begr. RegE UWG 2003, S. 24; Stadler/Micklitz WRP 2003, 559, 562: „[…] für die Staatskasse die Kastanien aus dem Feuer zu holen“; Wimmer-Leonhardt GRUR 2004, 12, 16: „[…] womit die Verbände im Ergebnis ein Geschäft des Bundes besorgen“. 153 „Tort must not pay“ (Lord Devlin in: Rookes v. Barnard, (1964), A.C. 1129, 1227). 154 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4; Alexander JZ 2006, 890, 893. 155 Vgl. M. Lehmann GRUR Int. 2004, 762, 763; Schricker GRUR 1979, 1, 3. 156 Begr. RegE UWG 2003, S. 13, 23; siehe auch OLG Schleswig 7.6.2018 ‒ 2 U 5/17 ‒ GRUR 2018, 1071 Rn. 19 – Nichtnutzungsgebühr. Poelzig

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Dabei ist der Zweck der Gewinnabschöpfung nicht darauf beschränkt, lukrative Delikte zu verhindern, durch die unfreiwillige Transaktionen unter Umgehung des Marktes ausgelöst werden.157 Der deutsche Gesetzgeber geht mit § 10 über den für § 687 Abs. 2 BGB anerkannten Grundsatz hinaus, wonach „nicht jeder vorsätzliche Verstoß gegen die Spielregeln des fairen Leistungswettbewerbs einen Anspruch auf Gewinnabschöpfung auslöst“.158 Die Einführung der Gewinnabschöpfung war im Lauterkeitsrecht besonders dringlich, weil eine Aufsichtsbehörde, die die Einhaltung der lauterkeitsrechtlichen Verhaltensnormen hätte überwachen können, nicht existierte und insoweit ein Normdurchsetzungsdefizit zu konstatieren war.159 Auch nach Einführung behördlicher Aufsichtsinstrumente bei innergemeinschaftlichen Verstößen durch das VSchDG bleibt die privatrechtliche Durchsetzung des UWG durch Verbände grundsätzlich vorrangig (vgl. § 7 VSchDG; ausführlich dazu Rn. 205). Die Gewinnabschöpfung ist Bestandteil einer allgemeinen Entwicklung im Wirtschaftsrecht, privaten Verbänden und Marktteilnehmern eigene privatrechtliche Ansprüche auf Unterlassung, Schadensersatz oder eben auf Abschöpfung zu verleihen und sie so gezielt zur Stärkung der Normdurchsetzung zu instrumentalisieren.160 Die Stärkung privatrechtlicher Durchsetzungsmechanismen ist vor allem unter dem Aspekt des „schlanken Staates“ ein zunehmend diskutierter Gedanke.161 Mit der privatrechtlichen Durchsetzung von Marktverhaltensnormen wird das Recht in die Hände derjenigen gelegt, die als Marktteilnehmer selbst ein eigenes Interesse an der Funktionsfähigkeit des Marktes und damit auch der Einhaltung der Marktverhaltensnormen haben. Der Blickwinkel privatrechtlicher Regelungen verschiebt sich hier von dem Schutz von Individualinteressen und dem Interessenausgleich zwischen den Marktteilnehmern hin zur Durchsetzung von Verhaltensnormen. Dem Privatrecht eine Steuerungsaufgabe im Interesse des Gemeinwohls zuzuweisen, stößt aber in Rechtsprechung und Schrifttum bislang überwiegend auf Ablehnung.162 So erkennt auch das BVerfG die „Aufgabe des bürgerlichen Rechts […] in erster Linie [darin], Interessenkonflikte zwischen rechtlich gleichgeordneten Rechtssubjekten möglichst sachgerecht zu lösen“.163 Im Schrifttum wurde und wird zT. bis heute eine eigenständige Präventionsfunktion des Privatrechts abgelehnt.164 Die strikte Unterscheidung des Privatrechts vom Strafrecht als Sanktionsund Präventionsinstrument galt im 19. Jahrhundert nach der Verdrängung des Strafprinzips und der Privatstrafe aus dem Privatrecht als Errungenschaft einer neuen Rechtskultur.165 Um das Privatrecht „weitgehend ideologiefrei“ zu belassen166 und der Verhältnismäßigkeit und Proporti-

157 Nach teilweise vertretener Auffassung sollte die Gewinnabschöpfung „der Verhinderung lukrativer Delikte im Sinne eines erzwungenen Nutzentransfers unter Umgehung des Marktes, nicht aber dem unbedingten Gehorsam gegenüber sämtlichen Verhaltensnormen einer modernen Wirtschafts- und Sozialordnung“ dienen (Wagner Gutachten zum 66. DJT S. A 91 mit Verweisung auf Posner Economic Analysis of Law (neuere Auflagen verfügbar) S. 205). Zu der rechtsökonomischen Begründung Polinsky/Shavell 10 J.L.Econ & Org. 10, 427. 158 Wagner Gutachten zum 66. DJT S. A 91. 159 Vgl. Augenhofer/Stadler S. 117, 127. Zu der insoweit unterschiedlichen Ausgangslage der kartellrechtlichen Vorteilsabschöpfung nach 34a GWB Poelzig, S. 187 f. 160 Ausführlich hierzu Poelzig Normdurchsetzung durch Privatrecht, passim. Vgl. die Gesetzesbegründung zu § 10 RegE UWG 2003, S. 24. 161 Für das Umweltrecht, vgl. Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann S. 7, 13; Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann S. 261, 277 ff.; Kloepfer § 6 Rn. 4. 162 Zur gegenwärtigen Situation vgl. Wagner AcP 206 (2006), 352 ff.; Poelzig, S. 24 ff. Ausführlich zur präventiven Funktion von Schadensersatzansprüchen vgl. Schlobach Das Präventionsprinzip im Recht des Schadensersatzes, passim. 163 BVerfG 24.2.1971 – 1 BvR 435/68 – BVerfGE 30, 173, 199 – Mephisto. 164 Statt aller Stürner AfP 1998, 1: „Einbruch des amerikanischen Cowboy-Rechts“; Stiefel/Stürner VersR 1987, 829, 838. 165 Dreier S. 516 f. 166 Esser/Schmidt Schuldrecht Bd. I § 30 II, S. 170, 176: „Handhabung ungemein erleichternde Geradlinigkeit“. 337

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onalität gerecht zu werden, müsse die Prävention als lediglich „erwünschtes Nebenprodukt“ gegenüber der überragenden Kompensationsfunktion zurücktreten.167 54 Bei der Normdurchsetzung zur Abschreckung und Prävention handelt es sich gleichwohl um eine legitime Aufgabe des Privatrechts, die vor allem durch das unionsrechtliche Strukturprinzip der funktionalen Subjektivierung unter Berufung auf das Effektivitätsgebot gefördert wird und darüber hinaus mit dem deutschen Verfassungsrecht vereinbar ist.168 Der „Privatisierung“ des Gemeinwohls in Form der privatrechtlichen Normdurchsetzung stehen weder die verfassungsrechtlich geschützte Privatautonomie noch rechtsstaatliche Prinzipien entgegen. Der Präventionsgedanke ist auch dem bürgerlichen Recht nicht fremd. Der BGH hat sich mit der verhaltenssteuernden Funktion des Deliktsrechts insbesondere in seiner Rechtsprechung zu dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in den Medien auseinandergesetzt und diese darin ausdrücklich anerkannt.169 Demzufolge muss die Höhe des Schadensersatzanspruchs wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts so bemessen werden, dass die drohende Haftung tatsächlich abschreckende Wirkung entfaltet und zur Verhinderung von Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts beitragen kann.170 Ähnlich soll die alternative Berechnung des Schadensersatzanspruchs anhand des Gewinns der Zuwiderhandelnden im Immaterialgüterrecht verhindern, dass sich normwidriges Verhalten – hier unter Umgehung der Marktmechanismen – lohnt.171 So verwundert es nicht, dass die Präventionsfunktion als eigenständige Funktion des Privatrechts zunehmend Anhänger findet.172 Teilweise wird der verhaltenssteuernden Funktion bereits eine wesentliche, der Ausgleichsfunktion ebenbürtige Bedeutung beigemessen.173

IV. Rechtspolitische Diskussion 55 Die Gewinnabschöpfung ist sowohl im Schrifttum174 als auch in der politischen Diskussion175 und in der Praxis auf erhebliche Kritik gestoßen. Teilweise wird die Regelung deshalb auch als „Zankapfel der UWG-Reform“,176 als „neues Schreckgespenst“177 oder als „schöner bunter Papiertiger“178 bezeichnet. Die Kritiker der Vorschrift ziehen ihre Verfassungsmäßigkeit und ihre Vereinbarkeit mit den Grundsätzen des Privatrechts in Zweifel und beanstanden die Reichweite und den Anwendungsbereich der Vorschrift entweder als zu eng oder als zu weit. Andere beklagen ihre fehlende Praktikabilität.179

167 Larenz Schuldrecht Bd. I, § 27 I, S. 392; Canaris FS Deutsch S. 85, 99; mit Blick auf das Schadensrecht (im Gegensatz zum Haftungsrecht) auch Lange/Schiemann Einl III 2, S. 11.

168 Hierzu Poelzig, S. 272 ff. 169 BGH 15.11.1994 – VI ZR 56/94 – BGHZ 128, 1, 15 = GRUR 1995, 224, 229 – Caroline von Monaco: „Außerdem soll der Rechtsbehelf der Prävention dienen.“; BGH 5.10.2004 – VI ZR 255/03 – BGHZ 160, 298, 302 f. = GRUR 2005, 179, 180: „Außerdem soll sie der Prävention dienen“. 170 BGH 15.11.1994 – VI ZR 56/94 – BGHZ 128, 1, 15 = GRUR 1995, 224, 229 – Caroline von Monaco. 171 Wagner Gutachten zum 66. DJT S. A 87. Grundlegend BGH 2.11.2000 – I ZR 246/98 – BGHZ 145, 366 = GRUR 2001, 329 – Gemeinkostenanteil. 172 Wagner AcP 206 (2006), 352 ff.; Alexander, S. 156; Poelzig, S. 478 ff.; Franck, S. 54 ff.; Hellgardt S. 15 ff. 173 MüKo/Wagner Vor § 823 ff. BGB, Rn. 43 ff. 174 Siehe zur Kritik Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 105 ff.; Stadler/Micklitz WRP 2003, 559, 562. 175 Anrufung des Vermittlungsausschusses, BT Drucks. 15/3163, S. 2. 176 Harte/Henning/Goldmann Rn. 3; Alexander JZ 2006, 890, 891. 177 Engels/Salomon WRP 2004, 32, 42. 178 Stadler/Micklitz WRP 2003, 559, 562. Ähnlich Fezer FS Bornkamm S. 335, 339. 179 Engels/Salomon WRP 2004, 32, 43; Köhler GRUR 2003, 265, 266; Köhler NJW 2004, 2121, 2126; Sack WRP 2003, 549, 552; Sack BB 2003, 1073, 1080; Stadler/Micklitz WRP 2003, 559, 562. Vgl. auch die Stellungnahme des Bundesrates RegE UWG 2003, S. 34. Poelzig

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1. Verfassungsrechtliche Kritik Anknüpfungspunkt für die verfassungsrechtlichen Bedenken ist die Funktionsweise der Gewinn- 56 abschöpfung, durch Abschreckung und Prävention die Durchsetzung der lauterkeitsrechtlichen Normen zum Schutz des Wettbewerbs zu verbessern. Es handle sich bei der Gewinnabschöpfung um ein „verkapptes strafrechtliches Instrument“.180 Das verletze das Bestrafungsmonopol des Staates, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die besonderen strafrechtlichen Verfahrensgarantien, den Gleichbehandlungsgrundsatz sowie das Verbot der Doppelbestrafung.181

a) Strafcharakter der Regelung. Der BGH lehnt die Anerkennung von US-amerikanischen 57 Urteilen, die auf Strafschadensersatz (punitive damages) lauten, als unvereinbar mit dem ordrepublic-Vorbehalt ab und begründet dies damit, dass die Indienstnahme des Einzelnen als „privater Staatsanwalt“ anstelle des Staates „nach deutscher Rechtsauffassung mit dem Bestrafungsmonopol des Staates und den dafür eingeführten besonderen Verfahrensgarantien unvereinbar“ ist.182 Bestrafung und Abschreckung sind demnach allein der Kriminalstrafe iSd. §§ 46 f. StGB vorbehalten, können daher nicht Aufgabe der zivilrechtlichen Ansprüche sein.183 Allerdings betonte der BGH in seiner Entscheidung auch, dass es sich anders verhalten kann, „soweit mit der Verhängung von Strafschadensersatz […] vom Schädiger durch die unerlaubte Handlung erzielte Gewinne abgeschöpft werden sollen“.184 Nach der über Art. 52 Abs. 3 GRCh für die europäische Dimension maßgeblichen Sicht des EGMR kommt es hingegen primär auf den Zweck der Sanktion an: Lediglich dann, wenn sie ausschließlich der Abschreckung und Bestrafung, nicht aber der Kompensation oder der Vorteilsabschöpfung dient, handelt es sich um eine Strafe.185 Nach beiden Betrachtungsweisen unterfällt die Abschöpfung unerlaubt erzielter Gewinne demnach nicht dem Bestrafungsmonopol des Staates. Die Gewinnabschöpfung stellt kein der Vergeltung entsprechendes persönliches Unwerturteil auf;186 es zielt lediglich auf den Abzug tatsächlich erzielter Unrechtsvorteile. Weitere Nachteile sind für den Zuwiderhandelnden mit der Abschöpfung nicht verbunden. Die Präventionsfunktion allein kann nicht die Einordnung der Gewinnabschöpfung als strafrechtliche Regelung im formalen oder materiellen Sinne begründen.187 Gegen den Strafcharakter der Abschöpfung spricht zudem, dass § 10 auch gegenüber juristischen Personen gilt, die grundsätzlich nicht Adressaten des Strafrechts sein können.188 Daher vermögen die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die privatrechtliche Gewinnabschöpfung, die sich vor allem auf den vermeintlichen Strafcharakter der Regelung stützen, letztlich nicht zu überzeugen.189 Aus diesem Grund ist die Gewinnabschöpfung auch nicht an den das Strafrecht leitenden 58 Verfassungsprinzipien zu messen. Der Grundsatz ne bis in idem gilt gemäß Art. 103 Abs. 3

180 Mönch ZIP 2004, 2032, 2038; Sack BB 2003, 1073, 1080; Sack WRP 2003, 549, 552; Wimmer-Leonhardt GRUR 2004, 12, 16. Mönch ZIP 2004, 2032, 2038; Sack BB 2003, 1073, 1080; Wimmer-Leonhardt GRUR 2004, 12, 16. BGH 4.6.1992 – IX ZR 149/91 – BGHZ 118, 312, 339. BGH 4.6.1992 – IX ZR 149/91 – BGHZ 118, 312, 338. BGH 4.6.1992 – IX ZR 149/91 – BGHZ 118, 312, 340. Ausführlich: Poelzig/Bauermeister NZKart 2017, 491, 492 f. Wagner AcP 206 (2006), 352, 476. Siehe aber ebenso Sack BB 2003, 1073, 1080: „Strafcharakter“; Wimmer-Leonhard GRUR 2004, 12, 16: „primär strafenden Charakter“; siehe auch noch RefE GRUR 2003, 298, 310: „Strafcharakter“. 188 Oppermann/Müller GRUR 2005, 280, 283. Siehe nun aber RegE Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft (Verbandssanktionengesetz), 16.6.2020. 189 Im Ergebnis auch OLG Düsseldorf 7.2.2017 ‒ I-20 U 139/15 ‒ GRUR-RR 2017, 331, Rn. 61; OLG Stuttgart 2.11.2006 – 2 U 58/06 – GRUR 2007, 435, 435 f. – Veralteter Matratzentest. Zustimmend BeckOK-UWG/Eichelberger Rn. 10. Ausführlich dazu Mönch ZIP 2004, 2032 ff.

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GG im deutschen Recht190 und gemäß Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens, Art. 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK auch als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts auf dem Gebiet der EU.191 Demnach darf niemand wegen einer Straftat, derentwegen er bereits nach dem Gesetz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden. Art. 103 Abs. 3 GG verbietet über die mehrfache Bestrafung hinaus schon die wiederholte Einleitung eines Strafverfahrens wegen derselben Tat192 und begründet damit ein Prozesshindernis, wenn eine rechtskräftige Entscheidung vorliegt.193 Darüber hinaus setzt die Anordnung strafrechtlicher Sanktionen gemäß Art. 103 Abs. 2 GG voraus, dass die Adressaten erkennen können, was sie bei einem Verstoß erwartet und dass sie ihr Verhalten entsprechend darauf einrichten können. Allerdings knüpfen die strafrechtsbezogenen Verfassungsprinzipien an eine strafrechtliche Qualifikation an und sind restriktiv zu verstehen. Für die Feststellung, ob eine Entscheidung den für die Anwendung des Art. 103 Abs. 2 GG notwendigen strafrechtlichen Sanktionscharakter hat, ist daher nicht deren formale Bezeichnung maßgeblich, sondern allein ihre materielle Wirkung. Nach Ansicht des BVerfG gilt als Strafe in diesem Sinne jede Auferlegung eines Rechtsnachteils wegen einer schuldhaft begangenen rechtswidrigen Tat: „Sie ist – neben ihrer Aufgabe abzuschrecken und zu resozialisieren – eine angemessene Antwort auf strafrechtlich verbotenes Verhalten […]. Mit der Strafe wird ein rechtswidriges sozial-ethisches Fehlverhalten vergolten. Das dem Täter auferlegte Strafübel soll den schuldhaften Normverstoß ausgleichen; es ist Ausdruck vergeltender Gerechtigkeit“.194 Zwar teilen die privatrechtlichen Sanktionen zur Normdurchsetzung und das Strafrecht die Aufgabe der Abschreckung. Die darüber hinausreichende Vergeltung durch Bestrafung ist dem Privatrecht indes fremd. Das BVerfG hat ausdrücklich festgestellt, dass zivilrechtliche Regelungen nicht schon deshalb anhand des Art. 103 Abs. 2, 3 GG zu bemessen sind, weil ihnen „‚pönale Elemente‘ nicht ganz fremd“ sind.195 Daher dienen Gewinnabschöpfungsansprüche nicht der Bestrafung iSd. Art. 103 Abs. 2, 3 GG.196 Da die Gewinnabschöpfung nicht ausschließlich der Abschreckung durch Bestrafung dient, stellt sie auch iSv. Art. 50 GRCh und Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK keine Strafe dar.197

59 b) Privatisierung des Gemeinwohls. Teilweise wird die Verbesserung der Normdurchsetzung mit Hilfe privatrechtlicher Ansprüche generell als unzulässige Privatisierung des Gemeinwohls bezeichnet. Die Kontrolle über die Einhaltung des objektiven Rechts sei ausschließlich Aufgabe des Staates und könne in keinem Fall Aufgabe des einzelnen Bürgers oder privater Verbände sein.198 Eine Alleinzuständigkeit des Staates für die Verwirklichung von Allgemeininteressen existiert jedoch nicht.199 „Der Begriff der ‚öffentlichen Aufgabe‘ changiert, […], zwischen Privatheit und Staat in einer letztlich nicht exakt bestimmbaren Weise“.200 Daher kann nicht von dem Gemeinwohlbezug einer Aufgabe und damit ihrer Eigenschaft als öffentlich darauf geschlossen 190 Bei Art. 103 Abs. 3 GG handelt es sich nach wohl h. M. um ein Prozessgrundrecht (BVerfG 8.1.1981 – 2 BvR 873/80 – BVerfGE 56, 22, 32 – Kriminelle Vereinigung; Dreier/Schulze-Fielitz Art. 103 Abs. 3 GG Rn. 14 m.w.N).

191 So auch EuGH 29.6.2006 − C-308/04 – Slg. 2006, I-5977 Tz. 26 – SGL Carbon. Ausführlich hierzu Immenga/ Jüttner ZWeR 2006, 400; Klees EWiR 2006, 431. Dreier/Schulze-Fielitz Art. 103 Abs. 3 GG Rn. 25 m. w. N. Vgl. v. Münch/Kunig Art. 103 GG Rn. 36; Dreier/Schulze-Fielitz Art. 103 Abs. 3 GG Rn. 15. BVerfG 14.1.2004 – 2 BvR 564/95 – BVerfGE 110, 1, 13 – erweiterter Verfall. BVerfG 14.2.1973 – 1 BvR 112/65 – BVerfGE 34, 269, 293 – Soraya. Außerdem BVerfG 23.4.1991 – 1 BvR 1443/ 87 – BVerfGE 84, 82, 87; Mangoldt/Klein/Starck/Nolte Art. 103 GG Rn. 109; Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann Art. 103 GG Rn. 195. 196 Ausführlich dazu Mönch ZIP 2004, 2032 ff. 197 Zur kartellrechtlichen Parallelnorm des § 34a GWB Poelzig/Bauermeister NZKart 2017, 491, 496. 198 Urbanczyk S. 214. 199 Masing S. 222. 200 di Fabio JZ 1999, 586.

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werden, dass es sich hierbei nur um eine zwingende Aufgabe des Staates als Aufgabenträger handeln kann.201 Die Privatisierung der Normdurchsetzung ist gemäß Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG nur ausgeschlossen, soweit „nach dem Willen des Gesetzes oder aus der Natur der Sache […] Hoheitsbefugnisse ausgeübt werden“ müssen.202 Die Gewinnabschöpfung lässt aber das so umschriebene staatliche Gewaltmonopol unberührt. Weder üben die abschöpfungsberechtigten Institutionen einseitige Vollstreckungsakte unmittelbar gegenüber dem unlauter Handelnden aus, noch übernehmen sie die hoheitliche Funktion eines Richters. Die privaten Verbände und Kammern übernehmen lediglich die Initiative zur Aufdeckung und Verfolgung von Verstößen; die endgültige Entscheidung über die Normdurchsetzung und damit die Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt verbleiben indes bei den staatlichen Zivilgerichten.203 Es existiert kein (verfassungsrechtlicher) Grundsatz, wonach die Rechtmäßigkeit menschlichen Verhaltens ausschließlich durch Aufsichtsbehörden beanstandet werden kann.204

c) Verhältnismäßigkeit. Verfassungsrechtliche Bedenken resultieren auch nicht aus Gründen 60 der Verhältnismäßigkeit als Ausprägung des allgemeinen Rechtsstaatsprinzips. Zwar wird das Verhältnismäßigkeitsgebot nach der Rechtsprechung des BGH im Wesentlichen durch das Kompensationsprinzip gewahrt. Demnach ist in der Regel allein „der Ausgleich der durch den rechtswidrigen Eingriff gestörten Vermögensverhältnisse der unmittelbar Beteiligten das angemessene Ziel des über den Eingriff geführten Zivilprozesses“.205 Der BGH selbst hat in seiner Entscheidung zu den punitive damages Abweichungen von dem Kompensationsprinzip unter Verhältnismäßigkeitsaspekten zugelassen, wenn „vom Schädiger durch die unerlaubte Handlung erzielte Gewinne abgeschöpft werden sollen“.206 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird auch nicht durch die Vervielfachung der Aktivlegitimation als solche verletzt. Zwar hat der Gesetzgeber insbesondere die Aktivlegitimation der Mitbewerber iSd. § 8 Abs. 3 Nr. 1 als nicht angemessen abgelehnt. Es besteht aber gleichwohl im Hinblick auf die Vielzahl an abschöpfungsberechtigten Institutionen die Möglichkeit der Mehrfachverfolgung. Dies allein begründet jedoch nicht die Unverhältnismäßigkeit der Gewinnabschöpfung als solche; vielmehr ist dem Verhältnismäßigkeitsprinzip im Einzelfall einer Mehrfachverfolgung Rechnung zu tragen (dazu Rn. 168 ff.).

2. Rechtsökonomische Analyse Die Gewinnabschöpfung sieht sich auch aus rechtsökonomischen Gesichtspunkten Kritik ausge- 61 setzt. Dem Zweck der Gewinnabschöpfung, unlauteres Verhalten präventiv durch die Abschöpfung der hiermit erzielten Gewinne zu verhindern, liegt die Annahme zugrunde, dass die Normadressaten im Sinne eines ökonomisch-rationalen Homo oeconomicus agieren. Der Homo oeconomicus verhält sich in diesem Sinne rational, wenn er sich für die Handlungsalternative entscheidet, die seine individuellen Präferenzen im Rahmen seiner begrenzten Ressourcen optimal erfüllt, wenn also nach seiner Auffassung der individuelle Nutzen aus seinem Verhalten

201 Hierzu di Fabio JZ 1999, 585 ff. Zu der Existenz originärer Staatsaufgaben BVerfG 11.3.1997 – 2 BvG 3/95, 2 BvG 4/95 – BVerfGE 95, 250, 265 – Restitution des Länderbestandes; BVerfG 18.6.1986 – 1 BvR 787/80 – BVerfGE73, 280, 292 – Notarbewerberauswahl; BVerwG 17.12.1997 – 6 C 1–97 – NVwZ 1999, 870, 874; BGH 25.11.1996 – NotZ 8/96 – NJW 1997, 1239, 1240; BGH 18.7.1994 – NotZ 14/93 – NJW 1995, 529, 531. 202 Vgl. di Fabio JZ 1999, 585, 592. 203 Ausführlich hierzu Poelzig, S. 333 ff. 204 Halfmeier S. 363; Masing S. 224. 205 BGH 4.6.1992 – IX ZR 149/91 – BGHZ 118, 312, 343. 206 BGH 4.6.1992 – IX ZR 149/91 – BGHZ 118, 312, 340. 341

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höher ist als die individuellen Kosten.207 Insoweit haben auch rechtliche Regelungen anerkanntermaßen verhaltenssteuernde Wirkung, wenn sie die verfügbaren Handlungsalternativen mit Sanktionen und Anreizen versehen und so die optimale Bedürfnisbefriedigung beeinflussen können. Die allgemeinen Einwände gegen das Modell des Homo oeconomicus208 wiegen im Lauterkeitsrecht weniger schwer, da die Tatbestände der §§ 3, 7 jeweils eine geschäftliche Handlung voraussetzen. Die Normadressaten werden sich hier regelmäßig vorrangig an ökonomischen nutzenmaximierenden Erwägungen orientieren müssen, um auf dem Markt gegen Konkurrenten bestehen und höchstmögliche Gewinne erzielen zu können. Dabei fließen auch drohende privatrechtliche Sanktionen als ein Kostenpunkt in die Organisation und Kalkulation unternehmerischer Tätigkeit ein.209 Daher kann regelmäßig von einer ökonomisch orientierten Entscheidung anhand einer Nutzen-Kosten-Analyse über die Einhaltung lauterkeitsrechtlicher Verhaltensnormen ausgegangen werden.210 Da sich Normadressaten häufig unlauter verhalten, um Gewinne zu erzielen, ist die Ab62 schöpfung der erzielten Gewinne ein aus rechtsökonomischer Perspektive grundsätzlich geeignetes Mittel, um präventiv auf das Verhalten der Normadressaten einzuwirken. Muss der Normadressat ernsthaft und mit sicherer Wahrscheinlichkeit damit rechnen, seinen Gewinn aus dem unlauteren Verhalten zu verlieren, wird er – wenn man von einem ökonomisch-rationalen Homo oeconomicus ausgeht211 – auf das normwidrige Verhalten verzichten. Für eine abschreckende Wirkung muss das Vermögen des Zuwiderhandelnden im Fall der Zuwiderhandlung geringer sein als das Vermögen bei normgemäßem Verhalten,212 der Gewinn bei rechtmäßigem Verhalten muss den Gewinn aus der Zuwiderhandlung überschreiten. Insbesondere im Falle von Bagatellund Streuschäden sind derzeit allerdings weder die in die Zukunft wirkenden Unterlassungsansprüche noch Schadensersatzansprüche geeignet, die Kosten der Zuwiderhandlung so zu erhöhen, dass für den Normadressaten ein Anreiz zu normgemäßem Verhalten entsteht (Rn. 18). In diesen Fällen ist die Gewinnabschöpfung ein grundsätzlich geeignetes Präventionsinstrument: Denn wird der Gewinn aus der Zuwiderhandlung mit sicherer Wahrscheinlichkeit vollständig entzogen, gibt es aus der Sicht eines ökonomisch-rational handelnden Normadressaten keinen Anreiz, einen Normverstoß zu begehen.213 Dennoch wird die grundsätzliche Ausrichtung des Anspruchs auf Gewinnabschöpfung aus 63 rechtsökonomischer Perspektive kritisiert.214 Um eine optimale Abschreckungswirkung zu erzielen, sei die Gewinnabschöpfung nur ein geeignetes Sanktionsinstrument, wenn die Gerichte den Gewinn richtig bemessen. Sobald die Gewinne der Zuwiderhandelnden über- oder unterschätzt werden, komme es aber zu schwerwiegenden Anreizverzerrungen.215 Daher gilt die Gewinnabschöpfung aus rechtsökonomischer Perspektive unter dem Blickwinkel der Abschreckung nur dann als effizient, wenn der Zuwiderhandelnde das geschützte Rechtsgut durch einen erzwungenen Nutzen-

207 Erlei/Leschke/Sauerland Neue Institutionenökonomik 2016, S. 4. 208 Zu der erheblichen Relativierung durch die Annahme einer nur begrenzten Rationalität (bounded rationality) der Akteure Selten 146 JITE 649 (1990); zu den empirischen Erkenntnissen der Kognitionspsychologie und der Behavioral Law and Economics statt aller Sunstein Behavioral Law and Economics, 2000; hierzu Eidenmüller JZ 2005, 216. 209 So vor allem bei organisierten Wirtschaftseinheiten Esser/Schmidt Schuldrecht Bd. I § 30 II. 3 b); Horn AcP 176 (1976), 307, 325. 210 Zur Gewinnabschöpfung Alexander JZ 2006, 890, 894; v. Raay S. 459. 211 Zu dem Modell des Homo oeconomicus und den Einschränkungen Eidenmüller JZ 2005, 216, 221; Möllers AcP 208 (2008), 1, 6; Posner 51 Stan. L.Rev. 1477, 1485 (1999); Spindler AcP 208 (2008), 283, 292; Poelzig, S. 364 ff. 212 Für die Prävention durch Deliktsrecht allgemein und ausführlich Dreier S. 133 ff. Für die Gewinnabschöpfung v. Raay S. 460. 213 Daher grundsätzlich positiv Weber VuR 2013, 323, 329 f. 214 Etwa Towfigh/Chatziathanasiou in: Schulte-Nölke/BMJV, Neue Wege zur Durchsetzung des Verbraucherrechts, 2017, S. 93, 107. 215 Ausführlich hierzu Polinsky/Shavell 10 J.L.Econ& Org. 10, 427; Schäfer/Ott Ökonomische Analyse des Rechts S. 280 f. Poelzig

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transfer unter Umgehung des Marktes vorsätzlich verletzt hat.216 Im Übrigen sei der Anspruch nicht auf Gewinnabschöpfung, sondern auf Liquidation der verursachten Schäden zu richten.217 Positiv wird aus rechtsökonomischer Sicht allgemein die kollektive Rechtsdurchsetzung in 64 Form einer Verbandsklage bewertet. Der wesentliche Vorteil von Verbandsklagen besteht hiernach darin, dass Verbände und Kammern – ähnlich wie staatliche Behörden – als repeat player durch die wiederholte Klagetätigkeit Wissen und Erfahrungen ansammeln, so dass auf diese Weise Informationsnachteile im Verhältnis zu dem Normadressaten, einem oftmals übermächtigen Unternehmen, ausgeglichen werden können.218 Außerdem tragen die klagebefugten Institutionen bzw. die Verbandsmitglieder als Gemeinschaft Prozesskosten und -risiko.

3. Praktische Bedeutung Die Praktikabilität der Regelung wird überwiegend in Frage gestellt.219 Die praktische Bedeu- 65 tung des § 10 ist in seiner derzeitigen Fassung bislang in der Tat gering.220 Nach einer Schätzung bewegt sich die Zahl der bislang erhobenen Klagen im zweistelligen Bereich.221 Dies liegt zum einen daran, dass die aktivlegitimierten Institutionen nur selten Klage auf Abschöpfung erheben, und zum anderen daran, dass auch die zuständigen Gerichte § 10 nur sehr zurückhaltend anwenden.222

a) Kritik. Die gesetzliche Ausgestaltung des Abschöpfungsanspruchs wird daher teilweise als 66 „unausgereift“ beschrieben; sie sei aufgrund „der komplizierten Abführungs- und Verrechnungspflichten nicht praktikabel“.223 Vereinzelt ist deshalb gar von einem „zahnlosen Tiger“ die Rede.224 Die geringe Zahl an Gewinnabschöpfungsklagen lässt sich auf ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren zurückführen: Maßgeblich sind der restriktive Tatbestand in Form des Vorsatzerfordernisses, die Schwierigkeiten bei der Feststellung des Gewinns, das Prozessrisiko und die Tatsache, dass der abgeschöpfte Gewinn in die Staatskasse fließt, nicht jedoch den Marktteilnehmern als solchen oder dem Verband zugutekommt.225 Die berechtigten Institutionen können aus einer erfolgreichen Klage auf Gewinnabschöpfung durch die Abschöpfung zugunsten des Bundeshaushalts keinerlei Nutzen ziehen. Sie haben bestenfalls einen Anspruch auf Erstattung ihrer Aufwendungen gegen den Beklagten oder subsidiär gegen das Bundesamt für Justiz (§ 10 Abs. 4 S. 2). Dem stehen erhebliche Prozessrisiken gegenüber, die sich aus der häufig schwierigen Beweislage und den hohen Prozesskosten ergeben.226 Unter Berücksichtigung dieser Umstände haben die klageberechtigten Institutionen an der Durchsetzung der Gewinnabschöpfung ein nur geringes Interesse und verfolgen daher aus wirtschaftlich rationalen

216 217 218 219 220

Wagner Gutachten zum 66. DJT S. A 91. Wagner Gutachten zum 66. DJT S. A 113. Casper/Janssen/Pohlmann/Schulze/v.d. Bergh/Keske S. 17, 36. Dazu Augenhofer/Stadler S. 117, 130. So bereits mutmaßend Alexander JZ 2006, 890, 895. Vgl. zuletzt OLG Schleswig 14.2.2019 – 2 U 4/18 – VuR 2019, 270; OLG Schleswig 7.6.2018 ‒ 2 U 5/17 ‒ GRUR 2018, 1071; OLG Düsseldorf 7.2.2017 ‒ I-20 U 139/15 ‒ GRUR-RR 2017, 331 = BeckRS 106178; LG Hannover 17.11.2015 ‒ 18 O 36/15 – juris. Meller-Hannich, Gutachten z. DJT; S. A 44 f. 221 Henning-Bodewig GRUR 2015, 731, 735. 222 Beuchler WRP 2006, 1288, 1292 f.; Alexander, S. 514. Seit Inkrafttreten des § 10 wurden bislang insgesamt etwas über A 47.000 abgeschöpft (v. Raay S. 181: für den Zeitraum bis 12.4.2011). 223 So die Kritik des Bundesrats in seiner Stellungnahme, Begr. RegE UWG 2003, S. 34. 224 Keßler WRP 2005, 264, 273. 225 Alexander WRP 2012, 1190, 1192. 226 Alexander JZ 2006, 890, 895; Alexander JuS 2007, 109, 114. 343

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Erwägungen nur selten ihre Ansprüche aus § 10.227 Die Praxis, einen Prozessfinanzierer einzubinden, der das Prozesskostenrisiko übernimmt und im Gegenzug mit Zustimmung des Bundesamts für Justiz am abgeschöpften Gewinn beteiligt werden sollte, hat der BGH mit zwei aktuellen Entscheidungen für rechtsmissbräuchlich erklärt und damit die Klage als unzulässig abgewiesen (Rn. 214).228 67 Als eine erhebliche Hürde für die effektive Durchsetzung des § 10 in der bisherigen Rechtsprechung hat sich zudem – wie bereits im Vorfeld befürchtet – das Vorsatzerfordernis erwiesen (dazu Rn. 60 ff.).229 Der Tatbestand wird daher insoweit überwiegend vor allem aus Verbraucherschutzgründen und unter dem Blickwinkel der Praktikabilität als zu restriktiv empfunden;230 andere halten die Beschränkung auf vorsätzliche Zuwiderhandlungen im Hinblick auf die Sanktionswürdigkeit der Zuwiderhandlung und den Schutz der Unternehmer hingegen für richtig.231

68 b) Stellungnahme. Die wesentliche Bedeutung des § 10 liegt darin, bereits im Vorfeld durch die bloße Androhung der Gewinnabschöpfung einen abschreckenden Effekt zu erzeugen, soweit die Durchsetzung – wie derzeit insbesondere im Falle der Streu- und Bagatellschäden – auf andere Weise nicht lückenlos gewährleistet ist. Eine präventive Wirkung entfaltet die Gewinnabschöpfung aber nur dann, wenn die anspruchsberechtigten Institutionen ihnen zustehende Gewinnabschöpfungsansprüche in der Praxis auch wahrnehmen. Können die Normadressaten davon ausgehen, dass die bestehenden Abschöpfungsansprüche tatsächlich nicht zur Durchsetzung gelangen, werden sie sich hierdurch regelmäßig auch nicht von einem normwidrigen Verhalten abhalten lassen. Das Ziel der Abschöpfungsansprüche, Fehlverhalten durch Abschöpfung unrechtmäßig erlangter Vorteile zu verteuern und so Marktmechanismen zu korrigieren, wird so nicht erreicht. Solange – wie im Falle von Streuschäden – auch sonst keine effektiven Sanktionsinstrumente existieren, erscheint dies vor allem im Hinblick auf die unionsrechtliche Pflicht der Mitgliedstaaten problematisch, wirksame und abschreckende Sanktionen zu schaffen (vgl. etwa Art. 13 Abs. 2 der UGP-Richtlinie). Eine Sanktion ist nicht wirksam, wenn aufgrund ihrer konkreten Gestalt ihre Anwendung und damit die Durchsetzung der objektiven Regelung und die Verwirklichung der vom Unionsrecht vorgegebenen Ziele praktisch unmöglich oder übermäßig erschwert sind.232 Das

227 Neuberger S. 138. Zu § 34a GWB Fuchs WRP 2005, 1384, 1391. Zu der Gefahr, dass Verbände möglicherweise Klage auf Abschöpfung erheben, um sich die Klagerücknahme durch Zahlung eines Betrages unterhalb der Abschöpfungssumme abkaufen zu lassen und damit die Abschöpfung als Druckmittel zur Einnahmeerzielung einsetzen, vgl. Säcker Verbandsklage, S. 72. 228 BGH 9.5.2019 – I ZR 205/17 – NJW 2019, 2691 Tz. 18 ff. – Prozessfinanzierer II; BGH 13.9.2018 – I ZR 26/17 – NJW 2018, 3581 Tz. 38 – Prozessfinanzierer; hieran anschließend OLG Düsseldorf 4.7.2019 – 2 U 46/18 – juris Rn. 67. Zustimmend Köhler, WRP 2019, 139; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 19; BeckOK-UWG/Eichelberger Rn. 114. 229 Hörmann VuR 2016, 81, 82; Meller-Hannich, Gutachten z. DJT; S. A 45; Mönch ZIP 2004, 2032; Zimmer/Höft ZGR 2009, 662, 679 am Beispiel des LG Bonn 12.5.2005 – 12 O 33/05 – GRUR-RR 2006, 111 – Unzutreffendes Testurteil; außerdem Köhler/Bornkamm/Feddersen § 10 Rn. 2; MüKo/Fritzsche § 9 Rn. 4 a. E.; Beuchler WRP 2006, 1288, 1289 ff.; Schmauß S. 88, 90; ausführlich hierzu Alexander, S. 506 ff. 230 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 171 f.; MüKo/Micklitz Rn. 55; Teplitzky/Schraub Kap. 37 Rn. 5; Meller-Hannich, Gutachten z. DJT; S. A 45; Schmauß S. 88 ff.; Tonner VuR 2015, 161, 162, zwar ausdrücklich für die kartellrechtliche Vorteilsabschöpfung gemäß § 34a GWB, aber mit Verweis auch auf § 10 UWG Langen/Bunte/Bornkamm Bd. 1, § 34a GWB Rn. 15 („gewichtigster Geburtsfehler der Vorteilsabschöpfung“). 231 Oppermann/Müller GRUR 2005, 280, 285; Sack WRP 2003, 549, 555; Schaub GRUR 2005, 918, 924. 232 EuGH, GA Kokott Schlussanträge 14.10.2004 − C-387/02 − Slg. 2005, I-3565 Tz. 88 − Berlusconi. Allgemein zum Effektivitätsgebot EuGH 28.11.2000 − C-88/99 − Slg. 2000, I-10465 Tz. 21 – Roquette Frères; EuGH, GA Saggio Schlussanträge 25.2.1999 – C-126/97 – Slg. 1999, I-3055 Tz. 48 – Eco Swiss; EuGH 15.9.1998 − C-260/96 − Slg. 1998, I-4997 Tz. 18 – Spac; EuGH 15.9.1998 − C-231/96 − Slg. 1998, I-4951 Tz. 19 – Edis; EuGH 17.7.1997 – C-90/94 − Slg. 1997, I-4085 Tz. 46 – Haar Petroleum; EuGH 10.7.1997 − C-261/95 − Slg. 1997, I-4025 Tz. 27 – Palmisani; EuGH 14.12.1995 − C-312/93 − Slg. 1995, I-4599 Tz. 12 – Peterbrook; EuGH 16.12.1976 − C-45/76 − Slg. 1976, 2043 Tz. 11 f. – Comet. Poelzig

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betrifft vor allem Sanktionen, die an unerfüllbare oder nicht nachweisbare Tatbestandsmerkmale geknüpft sind.233 Neben dem Bedürfnis nach einem ausreichenden Klageanreiz zur Erzielung einer echten 69 Abschreckungswirkung ist bei der Gestaltung des § 10 auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen: Da der Gesetzgeber durch die Abschöpfung von Gewinnen erheblich in die wirtschaftliche Handlungsfreiheit eines Unternehmens eingreift, sollte die Gewinnabschöpfung unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips nur bei schwerwiegenden Zuwiderhandlungen eingreifen, die dem Allgemeininteresse an der Lauterkeit des Wettbewerbs erheblich zuwiderlaufen.234 Zudem existiert § 10 nicht losgelöst von anderen lauterkeitsrechtlichen Sanktionen im lauterkeitsrechtlichen Sanktionensystem. Die Gewinnabschöpfung hat im „Baukasten der Sanktionen“ lediglich eine Auffangfunktion, soweit andere Sanktionsmechanismen nicht genügen.235 Problematisch ist die beschränkte praktische Bedeutung des § 10 daher nur, solange neben der Gewinnabschöpfung auch sonst keine effektiven Sanktionsinstrumente existieren. In diesem Dreieck aus Effektivität, Verhältnismäßigkeit und der Stellung des § 10 im lauterkeitsrechtlichen Sanktionensystem sind auch die aktuellen Reformvorschläge zu betrachten.

4. Reformvorschläge Um die Verbesserung der kollektiven Rechtsdurchsetzung rankt sich mittlerweile eine Reihe von 70 Reformvorschlägen.236 Diese reichen von der Forderung nach einer Fondslösung zur Prozessfinanzierung237 über die Einführung einer opt-in-Gruppenklage238 bis hin zu einer opt-out-Klage.239 Teilweise wird auch eine Stärkung der administrativen Rechtsdurchsetzung erwogen: Demnach soll etwa dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) die Befugnis zugewiesen werden, die Interessen der Verbraucher in gebündelter Form zivilgerichtlich durchzusetzen.240 Um die lediglich „symbolische[ Funktion“241 der Gewinnabschöpfung zu überwinden, wird Reformbedarf konkret für § 10 vor allem im Hinblick auf den Verschuldensmaßstab und die Verteilung des Gewinns erkannt.242

a) Ausweitung des Verschuldensmaßstabs. Um die Durchsetzung des § 10 zu erleichtern, 71 wird teilweise vorgeschlagen, auf ein Verschuldenserfordernis vollständig zu verzichten.243 Die damit verbundene Forderung nach einer verschuldensunabhängigen Gewinnabschöpfung überzeugt im Hinblick auf die verhaltenssteuernde Zielrichtung des § 10 indes nicht. Präventive Einflussnahme ist grundsätzlich sinnvoll nur möglich, soweit der Adressat sein Verhalten durch entsprechende Sorgfaltsvorkehrungen beeinflussen kann.244 Eine verschuldensunabhängige Haftung führt in der Regel aber zu sehr weitreichenden Schutzvorkehrungen auf Seiten des 233 234 235 236 237 238

Alexander GRUR Int. 2005, 809, 811. Alexander WRP 2012, 1190, 1194. v. Raay S. 29; Alexander WRP 2012, 1190, 1194. Hierzu eingehend Fezer Gutachten Unrechtserlöse, passim; Micklitz Gutachten zum 69. DJT S. A 114 ff. Meller-Hannich/Höland GPR 2011, 168, 174. Zu dieser Diskussion H. Koch JZ 2011, 438 ff.; H. Koch/Zekoll ZEuP 2010, 107 ff.; Meller-Hannich/Höland GPR 2011, 168 ff.; Rabe ZEuP 2010, 1 ff.; Lehne WuW 2012, 565 ff. 239 Micklitz Gutachten zum 69. DJT S. A 9, 114. Kritisch Gsell JZ 2012, 809, 817. 240 Micklitz Gutachten zum 69. DJT S. A 9, 115, 122 These 11; Micklitz in: Brownsword S. 563 ff. 241 Micklitz Gutachten zum 69. DJT S. A 114. 242 Zu weiteren reformierungsbedürftigen Aspekten der Gewinnabschöpfung Herzberg S. 547 ff. 243 BRDrucks. 817/12 Beschl. v. 1.2.2013, Ziff. 17; BRDrucks. 219/13, Beschl. v. 3.5.2013, Ziff. 18; Fezer Gutachten Unrechtserlöse S. 57; Sieme S. 247 ff. 244 v. Raay S. 542 f.; sich anschließend Alexander WRP 2012, 1190, 1195. Allgemein dazu Dreier S. 152. 345

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Normadressaten, die aus Präventionsgründen nicht notwendig und aus Verhältnismäßigkeitserwägungen nicht erwünscht sein können. Verschuldensunabhängige Ansprüche sollten sich deswegen auf das in die Zukunft gerichtete Unterlassen beschränken. Dies ist auch mit der UGPRL vereinbar. Sie verlangt grundsätzlich für einen Unterlassungsanspruch weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit beim Unternehmer (vgl. Art. 11 Abs. 2 Hs. 2 UGP-RL).245 Darüber hinausgehende Sanktionen – wie der Gewinnabschöpfungsanspruch – müssen lediglich nach dem Äquivalenzgrundsatz mit dem übrigen vergleichbaren nationalen Recht in Einklang stehen.246 Daher wird überwiegend an der verschuldensabhängigen Gewinnabschöpfung festgehal72 ten. Teilweise wird in der Beschränkung auf vorsätzliche Verstöße eine überzeugend begründete und zutreffende Entscheidung des Gesetzgebers erkannt, da die sanktionsbedürftigen gewinnbringenden Geschäfte regelmäßig vorsätzlich begangen werden.247 Die Beibehaltung des Vorsatzerfordernisses wird vor allem rechtsökonomisch begründet: Durch die Beschränkung auf vorsätzliches Fehlverhalten werde das Risiko einer Übermaßhaftung oder Überabschreckung (overdeterrence) vermieden.248 Zwar sei eine verhaltenssteuernde Einflussnahme prinzipiell auch dann sinnvoll, wenn grob unachtsames Verhalten erheblichen Schaden anrichten kann. In diesen Fällen sei aber der Schadensersatzanspruch das vorrangig geeignete Präventionsinstrument.249 Die Gewinnabschöpfung sei auf der Grundlage der rechtsökonomischen Analyse nur dann ein geeignetes Steuerungsinstrument neben dem Schadensersatzanspruch, sofern vorsätzliches Fehlverhalten sanktioniert werden soll.250 Drohte eine Gewinnabschöpfung auch bei grob fahrlässigen Verstößen, würden Normadressaten möglicherweise zu exzessiven, nicht notwendigen Sorgfaltsvorkehrungen veranlasst.251 73 Dennoch: Die derzeitige Rechtsprechungspraxis zeigt, dass vor allem das Erfordernis des Unrechtsbewusstseins im Rahmen des zivilrechtlichen Vorsatzbegriffs die Durchsetzung des § 10 massiv hemmt. Daher wird überwiegend verlangt, den Verschuldensmaßstab de lege ferenda auf grob fahrlässige Zuwiderhandlungen – wie im RefE – oder gar auf einfach fahrlässige Verhaltensweisen auszuweiten.252 Für die Ausweitung des § 10 auch auf grob fahrlässiges Verhalten spricht unter dem Blickwinkel des Regelungszwecks zunächst, dass über die Aufnahme der groben Sorgfaltspflichtverletzung in den Anwendungsbereich der Nachweis schuldhaften Verhaltens erleichtert und so die Sanktionierungswahrscheinlichkeit sowie die Abschreckungswirkung erhöht würden.253 Nicht nachvollziehbar ist der unterschiedliche Verschuldensmaßstab der privatrechtlichen Abschöpfungsansprüche gemäß § 34a GWB und § 10 im Vergleich zu der kartellbehördlichen Abschöpfung gemäß § 34 GWB, die an vorsätzliches und fahrlässiges Verhalten anknüpft.254 Durch die Ausweitung des § 10 auf grob fahrlässiges Verhalten könnten jedenfalls auch die Akteure erfasst werden, die sich über die Rechtmäßigkeit ihres grob und evident unlauteren Verhaltens keine Gedanken machen. Diese werden durch die derzeitige Beschränkung des § 10 auf Vorsatz im Vergleich zu einem umsichtigen Unternehmer privilegiert.255 Darüber hinaus ist die Begründung des Gesetzgebers für die Beschränkung auf Vor-

245 246 247 248 249 250 251 252

EuGH 19.9.2013 – C-435/11 – GRUR 2013, 1157 – Team4 Travel. EuGH – 10.7.1990 – C-326/88 – Slg. 1990, I-2911-2937 – Hansen. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3; Bauer S. 113; Neuberger S. 91. Köndgen RabelsZ 64 (2000), 661, 683. Ausführlich hierzu Wagner Gutachten zum 66. DJT S. A 68 ff. Wagner Gutachten zum 66. DJT S. A 84. Wagner Gutachten zum 66. DJT S. A 84. So etwa Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 172; Augenhofer/Stadler S. 117, 133; Schmauß S. 89; Alexander WRP 2012, 1190, 1195; Meller-Hannich S. 45; ähnlich i. E. Gärtner S. 99 ff. Für die Anwendung auf jegliches schuldhaftes unlauteres Verhalten Fehlemann S. 230; Herzberg S. 548 f.; Zimmer/Höft ZGR 2009, 662, 704. 253 v. Raay S. 548. 254 So auch kritisch zu § 34a GWB Frankfurter Kommentar/Roth § 34a GWB Rn. 16; Langen/Bunte/Bornkamm § 34a GWB Rn. 15 („der gewichtigste Geburtsfehler“). 255 Harte/Henning/Goldmann Rn. 67; Sosnitza GRUR 2003, 739, 745; Gärtner S. 99; v. Raay S. 550. Poelzig

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satz256 nahezu wortlautidentisch mit der Begründung des RefE (siehe Rn. 7), wonach lediglich einfache Fahrlässigkeit, nicht aber grobe Fahrlässigkeit ausgeschlossen werden sollte.257 Die Begründung des Gesetzgebers für den Ausschluss grob fahrlässiger Zuwiderhandlungen damit, unlauteres Verhalten vom Anwendungsbereich auszunehmen, bei dem sich der Zuwiderhandelnde in einem „Grenzbereich wettbewerbsrechtlicher Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit bewegt und deshalb mit einer abweichenden Beurteilung seines zumindest bedenklichen Verhaltens rechnen muss“, rechtfertigt aber tatsächlich nur den Ausschluss der einfachen Fahrlässigkeit.258 Erfüllt der Zuwiderhandelnde die Voraussetzungen der groben Fahrlässigkeit, handelt er also offensichtlich erkennbar in einem Grenzbereich der Lauterkeit und hätte er bei einfachsten, nahe liegenden Überlegungen mit einer abweichenden Beurteilung rechnen müssen, hat dies aber leichtfertig nicht getan, lässt sich ein ungerechtfertigtes Prozessrisiko nicht erkennen. Eine vom Gesetzgeber befürchtete „unangemessene Belastung“ für die Wirtschaft durch eine solche Ausweitung des Verschuldensmaßstabs droht daher nicht.259 Dass Klagen allzu ambitionierter Verbraucherverbände überhandnehmen und die Normadressaten unverhältnismäßig mit Klagen belasten, wird de lege lata durch die Abführung des Gewinns an den Bundeshaushalt verhindert und kann zudem über die Annahme des Rechtsmissbrauchs ausreichend gesteuert werden (dazu Rn. 162 ff.). Ein alternativer Vorschlag fordert die Beweislastumkehr.260 Auch der Bundesrat schlug in 74 seiner Stellungnahme zur 2015 realisierten UWG-Novelle vor, die gesetzliche Regelung solle zu einer Vorsatzvermutung hin geändert werden.261 Dies erleichtere einerseits die Rechtsdurchsetzung des Gläubigers, wahre jedoch andererseits die Interessen des Schuldners.262 Im Vergleich zur Herabsetzung des Verschuldenserfordernis wohne einer Beweislastumkehr der Vorteil inne, weiterhin Handlungen im Grenzbereich zuzulassen, ohne dass ein Unternehmer zwangsläufig damit rechnen müsse, die daraus entstandenen Gewinne zu verlieren.263 Diese Überlegung rechtfertigt allerdings nur den Ausschluss der einfachen Fahrlässigkeit.264 Erfüllt der Zuwiderhandelnde die Voraussetzungen der groben Fahrlässigkeit, hätte er bei einfachsten, nahe liegenden Überlegungen mit einer abweichenden Beurteilung rechnen müssen, hat dies aber leichtfertig nicht getan, lässt sich ein ungerechtfertigtes Prozessrisiko nicht erkennen. Vom Bundesrat befürchtete „unangemessene Belastungen für die Wirtschaft“ drohen daher nicht.265 Eine Beweislastumkehr in Kombination mit einem Vorsatzerfordernis ist deshalb aus denselben Gründen abzulehnen wie das Vorsatzerfordernis selbst. Eine Beweislastumkehr zusätzlich zu einer Erweiterung des Verschuldensmaßstabs auf grobe Fahrlässigkeit kann hingegen einen echten Mehrwert bringen.

b) Finanzierung von Abschöpfungsklagen. Ein weiterer Grund für die geringe praktische 75 Bedeutung des § 10 liegt in dem Erfordernis der Gewinnabführung an den Bundeshaushalt.266 Dies ist zwar im Hinblick auf den Zweck der Regelung als Steuerungsinstrument der Marktregulierung konsequent, da der abgeschöpfte Betrag als von dem Schaden der einzelnen Marktteilnehmer losgelöstes „Unrechtsvermögen“ weder den geschädigten Marktteilnehmern noch den 256 257 258 259 260 261

Begr. RegE UWG 2003, S. 24. Vgl. Fezer FS Bornkamm S. 335, 337. v. Raay S. 549. Gärtner S. 99 f.; Schmauß S. 89; v. Raay S. 552. Fezer FS Bornkamm S. 335, 350. Vgl. BRDrucks. 26/15 Beschl. v. 6.3.2015, Ziff. 5. Zuvor Forderung nach Aufgabe des Verschuldenserfordernisses, vgl. BRDrucks. 817/12 Beschl. v. 1.2.2013, Ziff. 17; BRDrucks. 219/13 Beschl. v. 3.5.2013, Ziff. 18. 262 BRDrucks. 26/15 Beschl. v. 6.3.2015, Ziff. 5. 263 BRDrucks. 26/15 Beschl. v. 6.3.2015, Ziff. 5. 264 v. Raay S. 549. 265 Vgl. zu ähnlichen Überlegungen des Bundestages Gärtner S. 99 f.; Schmauß S. 89; v. Raay S. 552. 266 So auch Alexander, S. 629 ff.; Alexander WRP 2012, 1190, 1196. 347

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Gewinnabschöpfung

Verbänden zusteht.267 Die Abführung an den Bundeshaushalt hemmt aber erheblich den Klageanreiz der berechtigten Institutionen: Eine geeignete Lösung zur Verteilung des Gewinns muss darin bestehen, den abschöpfungsberechtigten Institutionen einen ausreichenden Anreiz zu geben, ihre Befugnisse im öffentlichen Interesse an der effektiven Normdurchsetzung wahrzunehmen und gleichzeitig eine sachwidrige Einnahmeerzielung zu verhindern. Vorgeschlagen wird daher, den klagenden Institutionen die abgeschöpften Gewinne teilweise oder vollständig zugutekommen zu lassen,268 etwa den abgeschöpften Gewinn anteilig an den klagenden Verband und die öffentliche Hand oder gemeinnützige Einrichtungen auszuschütten.269 Der Gesetzgeber hat die derzeitige Abführung des Gewinns an den Bundeshaushalt und nicht an die klagenden Institutionen jedoch damit begründet, dass so die Geltendmachung des Anspruchs zu sachfremden Zwecken – insbesondere zur Einnahmeerzielung – verhindert werden soll.270 Allerdings handelt es sich bei der Abführung an die klagenden Institutionen dann nicht um eine sachfremde Einnahmeerzielung, wenn man eine Belohnungsfunktion des Privatrechts anerkennt. Ob das private Bemühen für das Allgemeininteresse an einer wirksamen Normdurchsetzung durch die entsprechende Gestaltung privatrechtlicher Sanktionen tatsächlich belohnt werden kann, wird bislang allerdings – ebenso wie die Präventions- und Steuerungsfunktion des Privatrechts – mit Zurückhaltung betrachtet.271 Für die Parallelregelung der Vorteilsabschöpfung in § 34a GWB sowie mittlerweile auch für 76 § 10 selbst hat der Bundesrat im Zuge der 8. GWB-Novelle die Bildung eines Sondervermögens272 vorgeschlagen, wonach der herauszugebende Geldbetrag zweckgebunden zur Finanzierung der Verbraucherarbeit von Verbraucherorganisationen und zur Erstattung von erforderlichen Aufwendungen zu verwenden ist.273 Hierdurch sollten das Prozesskostenrisiko der klagebefugten Einrichtungen und Verbände verringert und so Klagehemmnisse jedenfalls zum Teil abgebaut werden.274 Der Vorschlag wurde jedoch weder im Zuge der 8. GWB-Novelle im Jahre 2013 noch im Rahmen der UWG-Reform 2015 weiter verfolgt.275 In der Praxis haben sich Verbände teilweise dadurch beholfen, dass sie einen Prozesskos77 tenfinanzierer eingeschaltet haben, der das Prozesskostenrisiko übernehmen und im Gegenzug mit Zustimmung des Bundesamtes für Justiz an dem abgeschöpften Gewinn beteiligt werden sollte. Nachdem der BGH diese Praxis für rechtsmissbräuchlich und entsprechende Klagen für

267 Fezer Gutachten Unrechtserlöse S. 44. 268 Alexander JZ 2006, 890, 895. Ausführlich dazu Micklitz/Stadler S. 129; Wagner Gutachten zum 66. DJT S. A 115. Darüber hinaus wird auch eine Ausschüttung des abgeschöpften Betrags an die einzelnen geschädigten Marktteilnehmer diskutiert (so Basedow/Hopt/Kötz/Baetge/Hopt/Baetge S. 47). Dem steht jedoch entgegen, dass die nur geringfügig Geschädigten häufig unbekannt sind. Die Empfehlung von Micklitz/Stadler lautet daher, die abgeschöpften Vorteile an einen Fonds abzuführen, dessen Hauptzweck die Finanzierung derartiger Verbandsklagen sein soll (vgl. § 25 Abs. 1 S. 4 des Entwurfs; Micklitz/Stadler Gutachten S. 1429 f.). Allerdings fehlt es bei einer solchen Regelung weiterhin an einem notwendigen Anreiz zur Klage auf Seiten des Verbandes (Wagner Gutachten zum 66. DJT S. A 115). 269 Zu diesem Vorschlag vgl. Wagner Gutachten z. 66. DJT S. A 115; weiter ausführend Herzberg S. 571 ff. 270 Begr. RegE UWG 2003, S. 25. 271 Hierzu Alexander, S. 152 ff.; Poelzig, S. 436 f. 272 Hierzu auch Fezer Gutachten Unrechtserlöse S. 44; Micklitz/Stadler Verbandsklagerecht S. 1272 ff., 1345, 1350. 273 Zu dem Vorschlag des Bundesrats zur Bildung eines Sondervermögens gemäß § 34b GWB Begr. RegE BTDrucks 17/9852, S. 44 f.; zu dem Vorschlag des Bundesrates hinsichtlich § 10 BRDrucks. 26/15 Beschl. v. 6.3.2015, Ziff. 7. 274 Kritisch allerdings vor allem im Hinblick auf die Praktikabilität dieser Lösung Herzberg S. 578 f.; v. Raay S. 607. Für eine Verbesserung der Finanzausstattung der Verbraucherverbände Micklitz Gutachten zum 69. DJT S. A 100. Positiv hingegen Henning-Bodewig GRUR 2015, 731, 737; tendenziell positiv Halfmeier Gutachten vzvb S. 72 ff. 275 Achtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 26.6.2013, BGBl. 2013, 1783, 1743, P. 20; Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 2.12.2015, BGBl. 2015, 2158. Poelzig

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unzulässig erklärt hat (Rn. 214), ist eine gesetzliche Regelung unerlässlich geworden, damit § 10 in seiner jetzigen Ausgestaltung überhaupt noch praktische Bedeutung entfalten kann.276

c) Behördliche Gewinnabschöpfung. De lege ferenda wird auch eine aufsichtsbehördliche 78 Abschöpfung nach dem Vorbild der kartellrechtlichen Vorteilsabschöpfung gem. § 34 GWB erwogen.277 Bei einer stärkeren Einbindung der Aufsichtsbehörden in die Durchsetzung des UWG wäre jedenfalls eine sinnvolle Verzahnung und Abstimmung mit den §§ 8 ff. UWG unerlässlich.278 Zu verhindern wäre insbesondere eine unverhältnismäßige Mehrfachsanktionierung durch das Nebeneinander der Instrumente. Dem dient etwa die kartellrechtliche Anrechnungslösung gem. §§ 34 Abs. 2, 34a Abs. 2 GWB, wonach erbrachte Leistungen – wie Schadensersatzzahlungen oÄ. – auf den abzuschöpfenden Gewinn anzurechnen sind.279 5. Übertragung auf andere Rechtsgebiete zur kollektiven Rechtsdurchsetzung Der Gesetzgeber hat mit der Vorteilsabschöpfung im Kartellrecht gemäß § 34a GWB eine wei- 79 tere privatrechtliche Abschöpfung nach dem Vorbild des § 10 geschaffen. Grundsätzlich kann sich ein solches Marktregulierungsinstrument aber auch in anderen wirtschaftsrechtlichen Regelungsbereichen, in denen – wie z. B. im Kapitalmarktrecht280 – Durchsetzungsdefizite zu verzeichnen sind, als sinnvoll erweisen. Allerdings sollten zunächst weitere Erfahrungen mit § 10 sowie § 34a GWB gesammelt und insbesondere die Schwierigkeiten in der praktischen Handhabung bewältigt werden, bevor über eine Ausweitung auf andere Regelungsbereiche nachgedacht wird.

V. Rechtsvergleichender Überblick Privatrechtliche Instrumente zur kollektiven Rechtsdurchsetzung existieren vor allem im US- 80 amerikanischen Recht, das im Sinne der dortigen Rechtskultur einer competitive society281 vor allem auf die private Initiative setzt und sich weniger auf die Kontrolle durch staatliche Auf-

276 So auch Halfmeier WuB 2019, 519, 521. Skeptisch Loschelder, GRUR-Prax 2019, 361. 277 Köhler WRP 2018, 519 Rn. 36; siehe auch Henning-Bodewig, Editorial zu WRP 2017/4. Allgemein für eine stärkere Einbindung des BKartA in die Verbraucherrechtsdurchsetzung Podszun/Busch/Henning-Bodewig, Behördliche Durchsetzung des Verbraucherrechts?; Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, Februar 2018, S. 9 ff. 278 Allgemein zur Abstimmung und Verzahnung von zivil- und aufsichtsrechtlicher Durchsetzung Poelzig, in: Möslein, Private Regelsetzung, S. 227 ff. 279 Ausführlich hierzu für das Kartellrecht Poelzig/Bauermeister NZKart 2017, 491 ff.; Poelzig/Bauermeister NZKart 2017, 568 ff. 280 Vorbild hierfür ist der US-amerikanische Gewinnabschöpfungsanspruch des Emittenten gegen officers, directors und bestimmte Aktionäre. Ausführlich dazu Binninger Gewinnabschöpfung als kapitalmarktrechtliche Sanktion, passim; Casper BKR 2005, 83, 84; Schäfer NZG 2005, 985, 986; Veil ZGR 2005, 155 ff.; Windorfer Kapitalmarktinformationen im Lichte des Lauterkeitsrechts, passim. Der Arbeitskreis Gesellschaftsrecht hat sich bereits im Jahr 1976 für eine Gewinnhaftung von Insidern gegenüber denjenigen ausgesprochen, die ohne das Insiderwissen auf der Marktgegenseite in demselben Zeitraum Börsengeschäfte über diese Wertpapiere abgeschlossen haben (Vgl. § 25 des Gesetzesvorschlags, Arbeitskreis Gesellschaftsrecht, in: Hueck/Lutter/Mertens/Rehbinder/Ulmer/Wiedemann/ Zöllner S. 66). Der Insider sollte hiernach den doppelten Wert des erzielten Vorteils herausgeben. 281 Zu dem Begriff Stürner Markt und Wettbewerb S. 35. Zu der US-amerikanischen Rechtskultur Mankowski JZ 2009, 321 ff. 349

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Gewinnabschöpfung

sichtsinstanzen verlässt.282 Dort gibt es mit dem consumer redress und dem disgorgement gemäß Sec. 19 (b) und Sec. 13 (b) des Federal Trade Commission Act Instrumente zur Abschöpfung unlauter erwirtschafteter Umsätze bzw. Gewinne zur wirksamen Normdurchsetzung.283 So werden mit Hilfe des consumer redress die im Hinblick auf die Zuwiderhandlung geleisteten Zahlungen der Verbraucher an den Zuwiderhandelnden bei diesem abgeschöpft und an die Verbraucher zurückgeführt. Im Rahmen des disgorgement wird der Gewinn des Zuwiderhandelnden abgeschöpft und an den Bundeshaushalt abgeführt. Während der consumer redress von praktisch erheblicher Bedeutung ist, kommt das disgorgement aufgrund seiner Subsidiarität im Verhältnis zu den vorrangigen Schadensersatzansprüchen der Geschädigten in der Praxis nur selten zum Einsatz.284 Neben diesen spezialgesetzlichen Instrumenten bietet die class action gemäß Rule 23 Federal Rules of Civil Procedure eine wichtige Möglichkeit, um durch Bündelung der einzelnen Ansprüche das rationale Desinteresse der Individualberechtigten bei Streuschäden zu überwinden und so eine wirksame Normdurchsetzung zu stärken.285 Demnach können ein oder mehrere Angehörige einer Gruppe ähnlich Betroffener (class) den Schaden aller Mitglieder der Gruppe (non-present plaintiff) als Repräsentanten in einer vom Gericht autorisierten class action geltend machen. Der US-amerikanischen class action ähnliche Regelungen existieren in Kanada und Australien.286 Innerhalb der EU stellt der deutsche Gewinnabschöpfungsanspruch ein Novum dar.287 Al81 lerdings gibt es auch in anderen Mitgliedstaaten kollektive Rechtsschutzinstrumente, durch die insbesondere Verbände über negatorische Ansprüche hinaus Leistungsansprüche zur Verbesserung der Normdurchsetzung erhalten: In Frankreich können insbesondere die französischen Berufsverbände (syndicats professionnels), berufsständische Kammern sowie bestimmte Vereinigungen (associations) beim Vorliegen einer Straftat im übergeordneten Interesse des Berufsstandes Klage auf Leistung von Schadensersatz an den Verband erheben (Art. L2132-3 Code du travail).288 War die Höhe des Schadensersatzanspruchs zunächst nur von symbolischem und später dann jedenfalls von kompensatorischem Wert, hat sie nunmehr neben Kompensations- auch Präventions- und Abschreckungsfunktionen zu erfüllen.289 Darüber hinaus besteht seit dem 17.3.2014 durch Art. L. 423-1 ff. Code de la consommation die Möglichkeit, dass staatlich zugelassene Verbraucherverbände bei der Verletzung vertraglicher Pflichten im Zusammenhang mit Kauf- oder Dienstleistungsverträgen sowie im Kartellrecht Schadensersatzklagen nach einem opt-in-Modell durchsetzen (Action de groupe).290 Dabei entscheidet das Gericht zunächst über die grundsätzliche Haftung des Beklagten, den Kreis der entschädigungsberechtigten Verbraucher sowie einen pro Kopf zu leistenden Schadensersatzbetrag oder eine Eingruppierung der Verbraucher. Erst im Anschluss müssen sich die Verbraucher innerhalb einer vom Gericht fest-

282 Carrington Bitburger Gespräche 2003 S. 33 ff.; Rubenstein/Conte/Newberg § 5:49, § 14:3; Stürner Bitburger Gespräche 2003 S. 11, 143 ff.; Stürner JZ 2006, 60, 67; Hodges S. 196. 283 Ausführlich hierzu Gärtner S. 17 ff. 284 Leibowitz Tul.L.Rev. 80 (2005), 595. Zu den statistischen Daten Gärtner S. 11. 285 Basedow/Hopt/Kötz/Baetge/Eichholtz S. 298; Cramton 80 Cornell L.Rev. 811, 824 (1995); Schwarzer 80 Cornell L.Rev. 837, 838 f. (1995); klare Unterscheidung auch bei Basedow/Hopt/Kötz/Baetge/H. B. Schäfer S. 68 f., 70 f. 286 Hierzu Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 44 m. w. N. 287 Ein Überblick zu den verschiedenen Modellen der Durchsetzung des Lauterkeitsrechts in den EU-Mitgliedstaaten findet sich in Podszun/Busch/Henning-Bodewig, Behördliche Durchsetzung des Verbraucherrechts? Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, Februar 2018, S. 66 f.; zum kollektiven Rechtsschutz in den Mitgliedstaaten in Meller-Hannich, Gutachten z. 72 DJT, 2018, S. A 18 ff.; Mattil/Desoutter WM 2008, 521 ff.; Neuberger S. 140. 288 Hierzu Neuberger S. 166 ff.; Basedow/Hopt/Kötz/Baetge/Puttfarken/Franke S. 152; Stadler ZfPW 2015, 61, 66 f. 289 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 51; Wimmer/Leonhardt GRUR 2004, 12, 14. 290 Rohlfing-Dijoux EuZW 2014, 771 ff.; Ahrens WRP 2015, 1040, 1043; Keßler ZRP 2016, 2, 4; Stadler ZfPW 2015, 61, 67. Poelzig

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gelegten Frist melden.291 Diese späte Anmeldemöglichkeit soll das rationale Desinteresse überwinden. Belgien hat 2014 mit der l’action en réparation collective eine kollektive Schadensersatzklage eingeführt. Sie ist Bestandteil des Code de Droit Économique und beschränkt die Klagebefugnis auf Verbraucherverbände und Verbände mit sachlicher Nähe zum Schadensfall. Das Modell weist die Besonderheit auf, dass es dem Gericht obliegt, zwischen einem opt-in- und einem optout-Verfahren zu wählen. Darüber hinaus erfasst es einen obligatorischen Streitschlichtungsversuch und die Parteien können sich auch bei vorheriger Einigung mit dem ausschließlichen Ziel an das Gericht wenden, eine gerichtliche Genehmigung zu erlangen.292 Auch in Dänemark existiert seit 2007 ein Gruppenverfahren, das gruppesøgsmål. Grundsätzlich handelt es sich um ein opt-in-Verfahren, das von jedermann erhoben werden kann. Bei kleineren Schäden ist allerdings auch die Durchführung eines opt-out-Verfahrens möglich. Dieses kann jedoch nur vom dänischen Forbrugerombudsman erhoben werden.293 In England und Wales stellen über den Zusammenschluss mehrerer Kläger hinaus vor allem Gruppenverfahren das zentrale Instrument der kollektiven Rechtsdurchsetzung dar. Sie werden über eine Group Litigation Order (GLO) eingeleitet, basieren auf einem opt-in-Modell und zeichnen sich dadurch aus, dass jeder potentielle Anspruchsinhaber zur Verfahrenspartei wird. Anders verhält es sich bei ei den von Section 19.6 der Civil Procedure Rules vorgesehenen Representative actions. Im Unterschied zur GLO wird die Masse der Anspruchsinhaber lediglich repräsentiert. Sie sind an das ergehende Urteil gebunden, können es jedoch nur mit Erlaubnis des Gerichts durchsetzen. Representative actions setzen voraus, dass mehrere Personen dasselbe Interesse teilen („the same interest“). Dieses Kriterium wird von der Rechtsprechung sehr restriktiv ausgelegt,294 sodass die Representative actions kaum praktische Bedeutung haben.295 Darüber hinaus existiert im Bereich des Kartellrechts (competition law) seit dem Consumer Rights Act 2015 ein opt out-Modell der kollektiven Rechtsdurchsetzung.296 In diesem Rahmen wurden den Gerichten weitreichende Befugnisse zu sog. Enhanced Consumer Measures verliehen. Die 1994 eingeführte griechische Verbandsklage auf Schadensersatz gemäß Art. 10 Abs. 16 lit. b, ursprünglich Art. 10 Abs. 9 lit. b des griechischen Verbraucherschutzgesetzes 2251/1994297 wegen verbraucherschädigender Maßnahmen ist ebenfalls auf den Ausgleich des Schadens der Verbraucher und nicht auf die Abschöpfung des erzielten Gewinns gerichtet. Durch die Anerkennung eines „überindividuellen Interesses“ geht das griechische Gesetz von einem immateriellen Schaden des Verbandes aus, der durch Geld kompensiert wird.298 Darüber hinaus besteht mit Art. 10 Abs. 16 lit. a, ursprünglich Art. 10 Abs. 9 lit. a des griechischen Verbraucherschutzgesetzes 2251/1994 ein verschuldensunabhängiger Unterlassungsanspruch. Nach dem italienischen Art. 2601 i. V. m. 2600 Codice Civile299 können Berufsvereinigungen den Schaden ihrer gesamten Mitglieder aus einem unlauteren Verhalten geltend machen, soweit die Interessen der durch sie vertretenen Berufsgruppe verletzt wurden. Der Schadensersatz steht

291 292 293 294

Stadler ZfPW 2015, 61, 67. Stadler ZfPW 2015, 61, 69 f. Zum gesamten Absatz: Halfmeier Gutachten vzvb S. 99. Vgl. Emerald Supplies Ltd & Southern Glass Produce Ltd (Claimants) v. British Airways Plc (BA) [2010] EWCA Civ 1284. 295 Stadler ZfPW 2015, 61, 75. 296 Ahrens WRP 2015, 1040, 1042 f. (auch zur Rechtsprechung). 297 https://www.lawspot.gr/nomikes-plirofories/nomothesia/ya-5338-1712018/arthro-1-ypoyrgiki-apofasi-53381712018-kodikopoiisi (Stand: 4.5.2020). Noch zur alten Version: Alexandridou GRUR Int. 1992, 120, 121; Microulea FS Georgiades, S. 281; Neuberger S. 142 ff. 298 Gegen eine Übernahme in das deutsche Recht Micklitz/Stadler S. 99 sowie Wimmer-Leonhardt GRUR 2004, 12, 16. 299 Abgedruckt in Schaltenberg Anhang I, S. 241 f. 351

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den Berufsvereinigungen zu, die über die Verwendung des Betrags entscheiden.300 Weiterhin existiert seit 2010 die Möglichkeit, im Bereich des Verbraucherschutzes Schadensersatz in einem gerichtlichen opt-in-Gruppenverfahren, der azione di classe, zu verlangen.301 Auch wenn in Litauen, Lettland und Estland Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung für Wettbewerber, Verbraucher und auch Verbraucherverbände existieren, wird das Lauterkeitsrecht hauptsächlich durch staatliche Verwaltungssanktionen durchgesetzt.302 Im niederländischen Recht gibt es zwei Wege der kollektiven Rechtsdurchsetzung: Zum einen können Verbände gemäß Art. 3:305a-c Burgerlijk Wetboek (BW) Unterlassung und Beseitigung verlangen.303 Dabei wurde zunächst die Einführung eines Schadensersatzanspruchs der Verbände erwogen, dann aber explizit in Art. 3:305a Abs. 3 BW ausgeschlossen. Hintergrund für den Ausschluss war die Befürchtung, dass die mit einer kollektiven Lösung verbundenen Konsequenzen rechtlich nicht zu bewältigen seien.304 Seit 2014 wird jedoch erneut die Einführung von kollektiven Schadensersatzklagen diskutiert.305 Die jüngste größere Änderung des Gesetzesentwurfs vom Januar 2018 beinhaltet ähnlich des belgischen Modells opt-out Varianten für Anwohner.306 Seit 2005 besteht darüber hinaus aufgrund des Wet collectieve afhandeling massaschade (WCAM) die Möglichkeit, auch Schadensersatzansprüche kollektiv durchzusetzen. Geregelt ist dies in Art. 7:907-910 BW und Art. 1013-1018a der niederländischen Zivilprozessordnung. Diese weitere Form der kollektiven Rechtsdurchsetzung ist in ihrem Anwendungsbereich nicht begrenzt und hat mittlerweile auch bei einigen großen internationalen Anlegerschadensfällen Anwendung gefunden.307 Es kommt daher auch bei lauterkeitsrechtlichen Verstößen in Betracht. Der WCAM ermöglicht allerdings nur eine Art Vergleich, der zwischen einer Organisation und dem Schädiger geschlossen werden kann und dann durch Gerichtsentscheidung für „allgemeinverbindlich“ erklärt wird, jedoch kein gerichtliches Verfahren im eigentlichen Sinn.308 Die Klagebefugnisse der Verbände beschränken sich in Österreich im Wesentlichen auf Unterlassungsklagen nach dem Konsumentenschutzgesetz und dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Der Oberste Gerichtshof hat darüber hinaus eine gemeinsame Geltendmachung von mehreren Ansprüchen verschiedener Anspruchsteller im Wege einer Inkassozession durch einen Kläger auf der Grundlage von § 227 der österreichischen Zivilprozessordnung i. V. m. § 55 Abs. 1 Jurisdiktionsnorm für zulässig erklärt, wenn ein im Wesentlichen gleichartiger Anspruchsgrund vorliegt und im Wesentlichen gleiche Fragen tatsächlicher und rechtlicher Natur zu beantworten sind.309 Zur Zeit wird auf parlamentarischer Ebene außerdem ein Gruppenverfahrensgesetz310 sowie ein Verbandsmusterfeststellungsklagegesetz311 diskutiert. In den §§ 29–36 des schwedischen Marktvertriebsgesetzes vom 5.6.2008 ist eine an den Staat zu zahlende „Marktstörungsabgabe“ vorgesehen,312 die an vorsätzliche oder fahrlässige Zuwiderhandlungen anknüpft und die sich nicht primär nach dem Gewinn, sondern nach der 300 301 302 303 304 305 306

Keßler/Micklitz S. 130. Halfmeier Gutachten vzbv S. 108. Sternitzky/Goldammer GRUR Int. 2018, 332, 336. Vgl. van Eek/Czernik, GRUR 2016, 539. Basedow/Hopt/Kötz/Baetge/Boele/Woelki S. 243. Zum Stand bis 2015: Stadler ZfPW 2015, 61, 71. Zum Stand bis 2017: Weber/van Boom VuR 2017, 290, 294 f. https://www.eerstekamer.nl/behandeling/20180111/nota_van_wijziging/document3/f=/vklar17tlzwl.pdf (Stand: 4.5.2020). 307 Stadler ZfPW 2015, 61, 70 f.; Weber/van Boom VuR 2017, 290, 294. 308 Ausführlich van der Heijden, vol 14.3 Electronic Journal of Comparative Law (December 2010), http:// www.ejcl.org/143/art143-18.pdf (Stand 4.5.2020). 309 Beschluss des Obersten Gerichtshofs 12.7.2005 – 4 Ob 116/05w – JBl 2006, 48 = Bankarchiv 2005, 802. 310 https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/A/A_00096/index.shtml#tab-Uebersicht (Stand: 4.5.2020). 311 https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/A/A_00082/index.shtml (Stand: 4.5.2020). 312 Marktvertriebsgesetz (SFS 2008:486) vom 5.6.2008. Poelzig

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Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung richtet, und sich insoweit von der Gewinnabschöpfung gemäß § 10 erheblich unterscheidet. Außerdem existiert mit dem Gruppenverfahrensgesetz allgemein die Möglichkeit zu einer opt-in-Gruppenklage, der sog. grupptalan.313 Die Gruppe kann sowohl von einem einzelnen Betroffenen als auch von einer Verbraucherorganisation repräsentiert werden.314 Für Klagen bei Verstößen gegen das Verbot der diskriminierenden Behandlung von Ver- 91 brauchern nach Art. 16 des spanischen Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb von 1991 (Ley de Competencia Desleal = LCD) haben die grundsätzlich klagebefugten Mitbewerber keine Aktivlegitimation, da es insofern an einer „unmittelbaren Interessenverletzung“ fehlt.315 Allerdings sehen die Art. 11, 15, 221 Ley de Enjuiciamiento Civil (LEC)316 seit 2001 die Möglichkeit einer Sammelklage bei einem Verstoß gegen abnehmerschützende Vorschriften vor: Sie ist auf Kompensation durch Schadensersatz an die einzelnen Geschädigten gerichtet.317 Klagebefugt sind nach Art. 11.1 LEC allerdings nur bestimmte Verbraucherverbände und nach Art. 15.1 Ley 1/2000 müssen die betroffenen Verbraucher zustimmen, sodass es sich um ein opt-in-Modell handelt. Darüber hinaus gewährt Art. 12 Abs. 2 S. 2 Ley Sobre Condiciones Generales de Contractión (LCG) den Verbänden für den speziellen Bereich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen einen Anspruch auf Herausgabe der durch die unzulässigen AGB erzielten Beträge und auf Schadensersatz.318 In Tschechien gab es in den 1970er Jahren einen Gewinnabschöpfungsanspruch, wonach unlauter handelnde Unternehmen verpflichtet waren, das Doppelte des zu Unrecht und auf Kosten der Verbraucher erwirtschafteten Gewinn an den Staatshaushalt abzuführen.319 Mangels praktischer Bedeutung wurde diese Regelung kurze Zeit später wieder gestrichen. Seither sind Verbände lediglich zur Durchsetzung von Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen berechtigt.320 In der Schweiz können Berufs- und Wirtschaftsverbände sowie bestimmte Konsumenten- 92 schutzorganisationen lediglich Verbot, Beseitigung und Feststellung des unlauteren Verhaltens gemäß Art. 10 Abs. 2 i. V. m. Art. 9 Abs. 1 des schweizerischen Bundesgesetzes gegen unlauteren Wettbewerb verlangen; weitergehende Ansprüche auf Schadensersatz oder Gewinnherausgabe stehen den Verbänden als Repräsentanten der betroffenen Verbandsmitglieder nicht zu; Ansprüche dieser Art können nur die Verbraucher und Mitbewerber selbst geltend machen.321

VI. Rechtsnatur des Gewinnabschöpfungsanspruchs 1. Zuordnung zum Privatrecht Bei dem Anspruch auf Gewinnabschöpfung handelt es sich um ein hybrides Modell der Norm- 93 durchsetzung, da Akteure – die privaten Verbänden – und Begünstigter – der Staatshaushalt – auseinanderfallen.322 Dennoch ist der Abschöpfungsanspruch aber privatrechtlicher

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Andersson/Legnerfält GCLR 1 (2009), 60, 63 f.; Halfmeier Gutachten vzvb S. 98. Halfmeier Gutachten vzvb S. 98. Tribunal Supremo (Sala de lo Civil) [Oberstes Zivilgericht] 7.4.2014 – 167/2014 – GRUR Int. 2015, 1047. Ley 1/2000, de 7 de enero, de Enjuiciamiento Civil. Hierzu Neuberger S. 157 ff. Wimmer-Leonhardt GRUR 2004, 12, 14; ausführlich zum spanischen Recht Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 47 m. w. N. 319 Siehe § 83c des Gesetzes Nr. 100/1966 Sb. Hierzu Rade S. 210. 320 Siehe § 2989 Abs. 1 des tschechischen BGB; hierzu Rade S. 210 f. 321 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 58 m. w. N. 322 Poelzig/Bauermeister NZKart 2017, 491, 496. 353

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Gewinnabschöpfung

Natur.323 Dies wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der abgeschöpfte Gewinn an den Staat und nicht an die anspruchsberechtigten Institutionen fließt oder dass die Regelungen dem Marktschutz durch Prävention dienen.324 Nach der Subjektstheorie ist das öffentliche Recht „der Inbegriff derjenigen Rechtssätze, deren berechtigtes oder verpflichtetes Zuordnungssubjekt ausschließlich ein Träger hoheitlicher Gewalt ist“.325 Anspruchsberechtigt sind jedoch ausschließlich die Institutionen iSd. § 8 Abs. 3 Nr. 2–4; dem Staat selbst steht kein Anspruch aus § 10 zu; der Bundeshaushalt ist lediglich durch den Anspruch der Verbände begünstigt. Zu keinem anderen Ergebnis führt die Subordinationstheorie, wonach sich die öffentlich-rechtlichen Regelungen mit dem Verhalten von Hoheitsträgern befassen und ein Über- bzw. Unterordnungsverhältnis betreffen.326 Die anspruchsberechtigten Institutionen stehen als Privatrechtssubjekte in einem Gleichordnungsverhältnis zu den Normadressaten, so dass auch hiernach die Gewinnabschöpfung gemäß § 10 als privatrechtlich zu qualifizieren ist.327 Zwar dient die Gewinnabschöpfung der Durchsetzung des Lauterkeitsrechts und damit gerade auch dem Allgemeininteresse iSd. § 1 S. 2, so dass eine Zuordnung (auch) zum öffentlichen Recht nach der Interessentheorie möglich wäre. Die Interessentheorie allein kann aber eine Zuordnung zum öffentlichen Recht nicht rechtfertigen.328 So ist gerade das Lauterkeitsrecht ein Beleg dafür, dass sich Individual- und Allgemeininteressen häufig nicht voneinander trennen lassen (vgl. § 1). 94 Die Indienstnahme der abschöpfungsberechtigten Institutionen als „Funktionäre der Gesamtrechtsordnung“329 zur Verbesserung der Durchsetzung des Lauterkeitsrechts legt die Vermutung nahe, sie seien Beliehene iSd. öffentlichen Rechts.330 Ob es sich um eine Beleihung handelt, wurde insbesondere für die Klagebefugnis nach § 13 a. F. eingehend diskutiert.331 Beliehene sind Privatrechtssubjekte, die durch oder aufgrund eines Gesetzes mit der selbständigen Ausübung von Verwaltungsaufgaben im eigenen Namen betraut und hierfür mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet werden.332 Das Gemeinwohl ist jedoch nicht ausschließlich dem Staat anvertraut; öffentliche Aufgaben können vielmehr auch Privaten übertragen werden, ohne sie zugleich in die staatliche Organisation als Beliehene eingliedern zu müssen. Gegen die Annahme eines ordnungsbehördlichen Instruments in den Händen Privater spricht die Tatsache, dass die abschöpfungsberechtigten Institutionen auch dann nicht zur Klage verpflichtet sind, wenn dies im Allgemeininteresse liegen würde.333 Zudem werden den abschöpfungsberechtigten Institutionen keine hoheitlichen Kompetenzen übertragen.334 Damit fehlen den Abschöpfungsberechtigten wesentliche Elemente der Beleihung.

323 Im Ergebnis auch Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 5; Harte/Henning/Goldmann Rn. 20; BeckOK-UWG/Eichelberger Rn. 8; MüKo/Micklitz Rn. 60; Fezer/Büscher/Obergfell/von Braunmühl Rn. 100; Ohly/Sosnitza Rn. 1.

324 Begr. RegE UWG 2003, S. 47. So auch OLG Stuttgart 2.11.2006 – 2 U 58/06 – GRUR 2007, 435, 436 – Veralteter Matratzentest. 325 Wolff/Bachof/Stober Verwaltungsrecht I, § 22 Rn. 28a. 326 Statt aller GmS-OGB 29.10.1987 – GmS-OGB 1/86 – BGHZ 102, 280 = NJW 1988, 2295; GmS-OGB 10.4.1986 – GmS-OGB 1/85 – BGHZ 97, 312, 314; Stelkens/Bonk/Sachs § 1 VwVfG Rn. 54. 327 OLG Stuttgart 2.11.2006 – 2 U 58/06 – GRUR 2007, 435, 436 – Veralteter Matratzentest. So für § 10 auch Neuberger S. 59: „zumindest formal rein zivilrechtlicher Natur“. 328 Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner/Ehlers/Schneider § 40 VwGO Rn. 219. 329 Raiser Rechtsschutz und Institutionenschutz im Privatrecht in: Summum Ius Summa Iniuria, Individualgerechtigkeit und der Schutz allgemeiner Werte im Rechtsleben – Ringvorlesung, 1963, S. 145, 159. 330 So Häsemeyer FS Spellenberg S. 99, 103 ff. 331 Eingehend hierzu Lindacher ZZP 103 (1990), 397, 400 ff. („Aufgreifzuständigkeit im öffentlichen Interesse“); Marotzke ZZP 98 (1985), 160, 169. 332 Stelkens/Bonk/Sachs/Schmitz § 1 VwVfG Rn. 246. 333 Marotzke ZZP 98 (1985), 160, 169 f.; Wimmer-Leonhardt GRUR 2004, 12, 16. 334 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 96. Poelzig

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A. Grundlagen

§ 10

2. Einordnung als materiell-rechtliche Ansprüche Für die Berechtigung der Verbände, gemäß § 8 Unterlassung zu verlangen, wird darüber hi- 95 naus eingehend diskutiert, ob es sich hierbei um einen materiell-rechtlichen Anspruch oder um eine prozessuale Befugnis handelt (dazu § 8 Rn. 195 f.).335 Diese Frage stellt sich auch im Zusammenhang mit § 10. Auswirkung hat dieser Streit vor allem auf die Zulässigkeit einer Klage durch Institutionen, die die Anforderungen der § 8 Abs. 3 Nr. 2–4 nicht erfüllen. Für die Anspruchseigenschaft spricht der Gesetzeswortlaut der jeweiligen Regelungen: Der Gesetzgeber hat sowohl die Berechtigung der Mitbewerber als auch der Verbände gleichermaßen ausdrücklich als Anspruch bezeichnet. Die rechtsdogmatische Einordnung als Anspruch wird für die Berechtigung der Mitbewerber gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1; § 9 nicht in Frage gestellt.336 Eine hiervon abweichende Einordnung ist aber auch für die Befugnisse der Verbände, Unterlassung oder Gewinnabschöpfung zu verlangen, nicht geboten. Hierfür spricht zum einen die gemeinsame Regelung der Unterlassungsklagen in § 8 Abs. 3, wonach die Ansprüche Mitbewerbern und den in Nr. 2–4 genannten Verbänden und Kammern gleichermaßen zustehen. Zudem ist in § 10 ausdrücklich die Rede davon, dass der Zuwiderhandelnde durch die berechtigten Institutionen in Anspruch genommen werden kann. Daher spricht der Gesetzeswortlaut für eine einheitliche Rechtsnatur der Berechtigungen einzelner Mitbewerber und der Verbände, unabhängig davon, ob Unterlassung, Schadensersatz oder Gewinnabschöpfung verlangt wird.337 Der berechtigte Verband verteidigt allerdings – im Gegensatz zu dem traditionellen Verständnis des Anspruchs – „nicht seine eigene, ihm zugewiesene Sphäre“, sondern nimmt insoweit „ein eigenes Interesse daran wahr, dass die Verletzung fremder Sphären unterbleibt“.338 Das subjektive Recht hat hier nicht die Aufgabe, dem Interessenausgleich zwischen Privaten, sondern vielmehr darüber hinaus öffentlichen Interessen in Form des Marktschutzes zu dienen.339 Die h. M. und ständige Rechtsprechung340 zu § 8 Abs. 3 Nr. 2–4 geht von dem Doppelcha- 96 rakter der Verbandsklage als materiell-rechtliche Aktivlegitimation und prozessuale Prozessführungsbefugnis aus (hierzu auch § 8 Rn. 196).341 Weist aber das Gesetz – wie auch im Falle von § 10 – einem Berechtigten einen materiellen Anspruch zu, ist damit regelmäßig zugleich die Befugnis des Anspruchsberechtigten verbunden, den Zivilprozess zur Durchsetzung des Anspruchs zu führen.342 Das Zivilgericht hat die Prozessführungsbefugnis nur dann gesondert zu prüfen, wenn der Kläger ein fremdes Recht im eigenen Namen als Prozessstandschafter geltend macht. Ein zwingender Grund, von diesen prozessualen Grundsätzen abzuweichen,343 wird im Falle von § 8 zum Teil darin gesehen, dass die Verbände ausschließlich im Allgemeininteresse und im Interesse Dritter, nicht jedoch im eigenen Interesse klagen.344 Diese durch das unionsrechtliche Effektivitätsgebot begründete Tendenz, Klagen Privater vor den Zivilgerichten im All335 Ausführlich hierzu Halfmeier Popularklagen im Privatrecht, passim. 336 BGH 9.11.1979 – I ZR 24/78 – GRUR 1980, 241, 242 – Rechtsschutzbedürfnis; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.8; MüKo/Fritzsche § 8 Rn. 14. A. A. Häsemeyer FS Spellenberg S. 99, 101. Henckel AcP 174 (1974), 97, 138. Binding Abhandlungen I, 1915, S. 539. BGH 27.1.2005 – I ZR 146/02 – GRUR 2005, 689 – Sammelmitgliedschaft III in Fortführung von BGH 5.3.1998 – I ZR 202/95 – GRUR 1998, 953 – Altunterwerfung III; zustimmend Lindacher LMK 2005, 154465. Harte/Henning/ Goldmann § 8 Rn. 256; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 86; so jetzt auch MüKo/Ottofülling § 8 Rn. 323; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.10. 341 Ausführlich zu der Rechtsnatur von marktregulierenden Ansprüchen zur Durchsetzung von Allgemeininteressen Poelzig, S. 408 ff. 342 Alle zu § 8: Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.10; ebenso Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 256; Ohly/ Sosnitza § 8 Rn. 86, der die hM wegen einer effizienteren Kontrolle der Klagebefugnis für vorzugswürdig hält. 343 MüKo/Ottofülling § 8 Rn. 322. 344 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.10. So etwa auch zu § 1 UKlaG MüKo-ZPO/Micklitz § 1 UKlaG Rn. 3.

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§ 10

Gewinnabschöpfung

gemeininteresse zu fördern, kommt indes nicht nur in § 8 Abs. 3 Nr. 2–4 (iVm. § 10 Abs. 1) zum Ausdruck, sondern auch darin, dass einzelne Konkurrenten vor den Zivilgerichten die Einhaltung des Unionsrechts durchsetzen können sollen.345 Das unionsrechtliche Effektivitätsgebot führt zu einer neuartigen Funktion von Ansprüchen, die nicht nur individuellen, sondern auch überindividuellen Interessen an der effektiven Durchsetzung des Unionsrechts dienen. Dies ist dann zwar auch bei der Gestaltung und Anwendung des Zivil- und Zivilprozessrechts zu berücksichtigen. Die Doppelrelevanz wird vor allem mit den besonderen Funktionen der Verbandsklage begründet, da eine effektive Kontrolle durch Prüfung der Voraussetzungen als Frage der Prozessführungsbefugnis im Revisionsverfahren von Amts wegen möglich sein soll.346 Das Bedürfnis, den Beklagten vor Klagen eines nicht aktivlegitimierten Verbands zu schützen, erscheint jedoch nicht größer als das Bedürfnis, vor anderen falschen Tatsachenbehauptungen im Prozess geschützt zu werden.347 Missbräuchlichen Klagen kann über § 242 BGB ausreichend begegnet werden (siehe Rn. 211). Eine zusätzliche Regelung der Prozessführungsbefugnis im Sinne der Theorie der Doppelnatur ist daher abzulehnen.348

3. Dogmatische Einordnung 97 Schwierigkeiten bereitet zudem auch die dogmatische Einordnung der Gewinnabschöpfung unter die herkömmlichen Anspruchsformen. Die erwogenen Möglichkeiten reichen von einer Zuordnung zum Bereicherungsrecht gemäß §§ 812 ff. BGB über die Zugehörigkeit zu deliktsrechtlichen Schadensersatzansprüchen nach §§ 823 ff. BGB oder zu den Ansprüchen aus der Geschäftsführung ohne Auftrag bis hin zu einem Anspruch sui generis.349

98 a) Meinungsstand. In der ursprünglichen Fassung des RegE war die bereicherungsrechtliche Nähe des § 10 in dem Tatbestandsmerkmal „auf Kosten“ unverkennbar;350 hierauf hat der Gesetzgeber in der endgültigen Fassung jedoch verzichtet und stattdessen die Formulierung „zu Lasten“ eingefügt. Doch auch in der geltenden Fassung enthält die Gewinnabschöpfung Elemente der bereicherungsrechtlichen Ansprüche, soweit etwa ein rechtswidrig erlangtes Zuviel im Vermögen des Schuldners abgeschöpft wird.351 Zudem ähnelt die Anrechnung anderweitiger Leistungen gemäß § 10 Abs. 2 den Grundsätzen der Entreicherung gemäß § 818 Abs. 3 BGB.352 Anders als im Bereicherungsrecht, wonach demjenigen das Erlangte zusteht, auf dessen Kosten die Bereicherung erfolgt ist,353 kommt der abgeschöpfte Gewinn aber nicht dem Gläubiger zugute, sondern er fließt in den Bundeshaushalt. Während das Bereicherungsrecht die Aufgabe hat, ein rechtswidrig erlangtes Zuviel auf Seiten des Bereicherten zu entziehen und dem Gläubiger in dessen Interesse zuzuführen, wird die Präventions- und Abschreckungswirkung der Abschöpfung bereits durch den Entzug des überschüssigen Vermögens auf Seiten des Zuwiderhandeln-

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Siehe EuGH 17.9.2002 – C-253/00 – Slg. 2002, I-7289 – Muñoz. Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 86; so jetzt auch zu § 8 UWG Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.10. So für § 1 UKlaG Staudinger/Schlosser § 1 UKlaG Rn. 9. Bettermann ZZP 85 (1972), 135; Greger NJW 2000, 2457, 2462 f.; so auch für § 1 UKlaG Staudinger/Schlosser § 1 UKlaG Rn. 9; a. A. zu § 8 ab der 2. Aufl. 2014 MüKo/Ottofülling § 8 Rn. 323; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.10. 349 Ausführlich zu dem Meinungsstand Köndgen RabelsZ 64 (2000), 661, 663 ff. 350 Zu den zugrundeliegenden bereicherungsrechtlichen Erwägungen Micklitz/Stadler S. 117 ff. 351 OLG Stuttgart 2.11.2006 – 2 U 58/06 – GRUR 2007, 435, 436 – Veralteter Matratzentest. 352 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 86; Stadler/Micklitz WRP 2003, 559, 562. Daher kommt das OLG Stuttgart zu dem Schluss: „Insoweit ähnelt der Anspruch aus § 10 Abs. 1 UWG systematisch betrachtet einem Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung“ (OLG Stuttgart 2.11.2006 – 2 U 58/06 – GRUR 2007, 435, 436 – Veralteter Matratzentest). 353 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 87; Sack WRP 2003, 549, 552. Poelzig

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A. Grundlagen

§ 10

den erreicht, ohne dass es den anspruchsberechtigten Institutionen zufließen muss.354 Der besondere Sanktionszweck des § 10 rechtfertigt das Auseinanderfallen der Aktivlegitimation, die bei den Verbänden liegt, und die Entreicherung, die bei den Marktteilnehmern eintritt.355 Hinzu kommt, dass die Gewinnabschöpfung im Gegensatz zu den §§ 812 ff. BGB auf Tatbestandsebene ein vorsätzliches Verhalten des Normadressaten voraussetzt.356 Insgesamt weist die Gewinnabschöpfung damit erhebliche Unterschiede zu den §§ 812 ff. BGB auf. Die Gemeinsamkeiten der Gewinnabschöpfung mit den deliktsrechtlichen Schadenser- 99 satzansprüchen liegen vor allem auf der Tatbestandsebene, soweit jeweils ein schuldhafter Verstoß gegen lauterkeitsrechtliche Verhaltensnormen Grundlage für den deliktischen Schadensersatzanspruch gemäß § 9 als auch für den Gewinnabschöpfungsanspruch ist. Zudem sind die deliktsrechtlichen Schadensersatzansprüche nicht ausschließlich dem Kompensationsgedanken verpflichtet, sondern auch ihnen wird zunehmend eine Abschreckungs- und Präventionsfunktion zuerkannt (vgl. bereits § 9 Rn. 4).357 Wesentliche Unterschiede bestehen allerdings auf der Rechtsfolgenebene: Anders als der Schadensersatzanspruch, der an den Schaden des Anspruchstellers anknüpft, richtet sich der Umfang der Zahlungspflicht gemäß § 10 nach dem jeweils erzielten Gewinn des Zuwiderhandelnden und nicht nach dem Schaden des Gläubigers. Zwar ist deliktsrechtlichen Schadensersatzansprüchen die Bemessung der Rechtsfolge anhand des erzielten Gewinns nicht fremd. Am Gewinn oder Vorteil des Zuwiderhandelnden orientierte Haftungsregelungen existieren insbesondere im Bereich des Immaterialgüterrechts.358 Allerdings dient der Gewinn hier lediglich als Grundlage für die Ermittlung des Schadens im Rahmen der dreifachen Schadensberechnung (siehe z. B. § 97 Abs. 2 S. 2 UrhG; § 14 Abs. 6 S. 2 MarkenG; § 139 Abs. 2 S. 2 PatG; dazu Rn. 72). Es bleibt demnach bei der grundsätzlichen Anknüpfung der Rechtsfolge an den Schaden des Anspruchsberechtigten. Auf einen eigenen (wenn auch fingierten) Schaden des anspruchsberechtigten Verbandes kommt es im Falle der Gewinnabschöpfung jedoch gerade nicht an.359 Ebenso wenig ist die Gewinnabschöpfung auf den Ausgleich der Schäden der tatsächlich geschädigten Abnehmer gerichtet. Aktivlegitimation und Schaden fallen hier vielmehr auseinander.360 Nicht zuletzt unterscheidet sich die Gewinnabschöpfung auch wesentlich dadurch von dem deliktsrechtlichen Schadensersatzanspruch, dass die Leistung nicht dem Anspruchsberechtigten, sondern dem Bundeshaushalt zugutekommt. Überschneidungen auf der Rechtsfolgenebene gibt es mit der Herausgabe des Verletzerge- 100 winns auf der Grundlage der unechten Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß § 687 Abs. 2 BGB. Allerdings handelt es sich bei dem Verstoß gegen eine lauterkeitsrechtliche Norm regelmäßig nicht um eine Geschäftsbesorgung des Zuwiderhandelnden in einem fremden Rechts- oder Interessenkreis anderer Marktteilnehmer.361 Die in aller Regel benachteiligten Abnehmer tätigen selbständig Rechtsgeschäfte. Dass das unlautere Verhalten des Zuwiderhandelnden den Entschluss der Abnehmer zu dem Rechtsgeschäft beeinflussen kann, begründet nicht die Wahrnehmung fremder Interessen und damit das Vorliegen eines fremden Geschäfts.

354 Köndgen RabelsZ 64 (2000), 661, 663; Alexander, S. 482. Strittig für den Anspruch gemäß § 687 Abs. 2 BGB Köndgen RabelsZ 64 (2000), 661, 667. 355 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 5; Leicht Gewinnabschöpfung S. 282; vgl. auch Harte/Henning/Goldmann Rn. 20. 356 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 5; v. Raay S. 119. 357 Ausführlich hierzu Wagner AcP 206 (2006), 352 ff.; Alexander, S. 139 ff.; Poelzig, S. 478 ff. 358 Grundlegend RG 8.6.1895 – I 13/95 – RGZ 35, 63, 66 ff. – Ariston; fortgeführt durch den BGH 29.5.1962 – I ZR 132/60 – GRUR 1962, 509, 511 f. – Dia-Rähmchen II; BGH 30.1.1959 – I ZR 82/57 – GRUR 1959, 379, 383 – Gasparone; BGH 8.5.1956 – I ZR 62/54 – BGHZ 20, 345 = GRUR 1956, 427 – Paul Dahlke. 359 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 94; Micklitz/Stadler S. 114. 360 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 94 f.; Harte/Henning/Goldmann Rn. 20; Leicht Gewinnabschöpfung S. 281. 361 Zu diesem Erfordernis allgemein RG 29.10.1919 – I 125/19 – RGZ 97, 61, 65 f.; MüKo/Schäfer § 677 BGB Rn. 33 ff. 357

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§ 10

Gewinnabschöpfung

§ 10 lässt sich auch nicht deshalb als eine Sonderregelung der Geschäftsführung ohne Auftrag einordnen, weil die abschöpfungsberechtigten Institutionen mit der Geltendmachung des Anspruchs jedenfalls auch im Interessenkreis auf fremde Rechnung des begünstigten Bundeshaushalts tätig werden.362 Hiermit lassen sich allenfalls die Ansprüche der abschöpfenden Institutionen auf Erstattung ihrer Aufwendungen gegen die zuständige Stelle rechtfertigen, nicht aber die Befugnis zur Abschöpfung und die Herausgabe des Gewinns durch den Zuwiderhandelnden selbst. Für eine auftragsrechtliche Einordnung gemäß § 662 BGB fehlt es schließlich an der Pflicht der aktivlegitimierten Institutionen, den Gewinnabschöpfungsanspruch im Interesse des Staates tatsächlich durchzusetzen.363 Zudem ließe sich so auch nur das Verhältnis zwischen dem Staat und der klagenden Institution rechtfertigen, nicht aber die Art des Anspruchs gegen den Zuwiderhandelnden begründen. 102 Die überwiegende Auffassung im Schrifttum geht daher bei der Gewinnabschöpfung von einem Anspruch sui generis aus.364 Es steht dem Gesetzgeber frei, in den verfassungsrechtlichen Grenzen neuartige Ansprüche zu schaffen, die sich von den tradierten Anspruchsformen unterscheiden.365 101

103 b) Stellungnahme. Demnach handelt es sich bei der Gewinnabschöpfung um einen Anspruch eigener Art, der gleichwohl den sonderdeliktsrechtlichen Charakter der §§ 8, 9 teilt.366 Zwar vereint die Gewinnabschöpfung auch bereicherungs- und geschäftsbesorgungsrechtliche Elemente in sich. Für die sonderdeliktsrechtliche Natur spricht aber, dass der Tatbestand des § 10 – wie etwa die §§ 823 ff. BGB – an eine unerlaubte Handlung in Form unlauteren Wettbewerbsverhaltens anknüpft, ohne eine vertragliche Beziehung zwischen den berechtigten Verbänden und dem Zuwiderhandelnden vorauszusetzen.367 Die Rechtsprechung und überwiegende Auffassung im Schrifttum definieren das Lauterkeitsrecht insgesamt als Sonderdeliktsrecht.368 Nichts anderes kann für die Gewinnabschöpfung gelten. Der Gewinnabschöpfungsanspruch der Verbände bildet daher neben den Unterlassungs-, Beseitigungs-369 und Schadensersatzansprüchen gemäß §§ 8, 9 einen weiteren eigenständigen sonderdeliktsrechtlichen Anspruch, auf den ergänzend die allgemeinen deliktsrechtlichen Regelungen anwendbar sind, soweit sich im UWG keine speziellen vorrangigen Vorschriften finden.370 Das wird vor allem bedeutsam für die Verantwortlichkeit bei Tätigwerden Dritter und die Anwendung der §§ 830 f. BGB (dazu Rn. 110 ff.). 362 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 97; v. Raay S. 124 f. 363 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 97. 364 Fezer FS Bornkamm S. 335, 340; Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 100; BeckOK-UWG/Eichelberger Rn. 9; Harte/Henning/Goldmann Rn. 20; Henning-Bodewig GRUR 2015, 731, 733; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 5; Schaub GRUR 2005, 918, 921; Wimmer-Leonhardt GRUR 2004, 12, 16; Leicht Gewinnabschöpfung S. 285; v. Raay S. 127 ff. 365 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 100. 366 Zustimmend BeckOK-UWG/Eichelberger Rn. 10. A. A. Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 100 („auf Leistung gerichteter materieller Verbandsanspruch, dessen Terminologie ohne Bezug gerade zum Schadensersatzrecht bleibt, dafür eine – wenn auch nicht konsequente und in der endgültigen Fassung deutlich abgeschwächte – Ausrichtung hin zum Bereicherungsrecht ahnen lässt und daneben auf Elemente der Fremdgeschäftsführung zurückgreift“); Leicht S. 289 („kategoriengemischte“ Norm, der eine „dogmatisch hybride Konstruktion“ zugrunde liegt). 367 Köhler vergleicht § 10 Abs. 1 UWG „am ehesten“ mit § 852 S. 1 BGB (Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 5). 368 BGH 18.10.2001 – I ZR 22/99 – WRP 2002, 532, 533 – Meißner Dekor; BGH 14.1.1999 – I ZR 203/96 – GRUR 1999, 751, 754 – Güllepumpen; BGH 11.3.1982 – I ZR 39/78 – GRUR 1982, 495, 497 – Domgarten-Brand; Köhler/Bornkamm/ Feddersen Einl Rn. 7.2; Teplitzky/Kessen Kap. 4 Rn. 11; Reichold Lauterkeitsrecht als Sonderdeliktsrecht AcP 193 (1993), 204. 369 Allgemein zu der Einteilung in negatorische, quasinegatorische und deliktische Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche Bauer JZ 1966, 381. 370 So allgemein für die lauterkeitsrechtlichen Ansprüche Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl Rn. 7.2. Poelzig

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B. Anspruchsvoraussetzungen

§ 10

B. Anspruchsvoraussetzungen I. Vorsätzliches Fehlverhalten Die Gewinnabschöpfung setzt gemäß § 10 Abs. 1 eine vorsätzlich begangene, nach §§ 3 oder 7 104 unzulässige geschäftliche Handlung (§ 2 Abs. 1 Nr. 1) voraus. Damit hat sich der Gesetzgeber gegen eine katalogartige Aufzählung – wie im Entwurf von Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig vorgeschlagen (vgl. Rn. 6) – entschieden.

1. Verstoß gegen §§ 3 oder 7 Voraussetzung ist zunächst eine nach §§ 3 oder 7 unzulässige geschäftliche Handlung. Dies 105 verlangt zunächst eine geschäftliche Handlung iSd. § 2 Abs. 1 Nr. 1. Dem genügt jedes Verhalten zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens vor, bei oder nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt (ausführlich dazu § 2 Rn. 1 ff.). Voraussetzung ist außerdem, dass es sich um eine unlautere Verhaltensweise iSd. § 3 oder eine unzumutbare Belästigung iSd. § 7 handelt. Durch die Anknüpfung des § 10 an die Tatbestände der §§ 3, 7 erfasst die Gewinnabschöpfung 106 grundsätzlich alle Formen unlauteren Verhaltens, sofern die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind.371 Der Gesetzgeber hatte bei der Einführung des § 10 vor allem folgende Fälle vor Augen: Einziehung geringer Beträge ohne Rechtsgrund, Vertragsschlüsse auf Grund irreführender Werbung, gefälschte Produkte sowie sog. Mogelpackungen.372 Bislang relevant wurde die Gewinnabschöpfung im Zusammenhang mit der irreführenden Gestaltung von Internetseiten, insbesondere durch die sogenannten Kostenfallen im Internet,373 dem verbotenen Vertrieb von Präparaten mit nicht zugelassenen Zusatzstoffen,374 Zahlungen auf Grund unwirksamer AGB375 und der irreführenden Werbung mit fehlerhaften oder veralteten Testergebnissen.376 Ein kartellrechtswidriges Verhalten als solches kann – seit der 7. GWB-Novelle – nicht 107 über § 3a mit der Gewinnabschöpfung sanktioniert werden.377 Das Kartellrecht sieht in den §§ 33 ff. GWB differenzierte Sanktionsregelungen vor. Diese Regelungen würden „konterkariert, wenn kartellrechtliche Missbrauchstatbestände, die nicht als Verbote ausgestaltet sind, gleichwohl mit Hilfe des Lauterkeitsrechts durchgesetzt werden könnten“.378 Vor allem die Abstimmung der privatrechtlichen auf die kartellbehördliche Abschöpfung (vgl. insbesondere § 34a 371 Vgl. Begr. RegE 1. UWGÄndG, BTDrucks. 16/10145, S. 30, wonach alle Fälle des § 3 von § 10 erfasst werden sollten.

372 RegE UWG 2003, S. 23. Zu weiteren denkbaren Fallgruppen Harte/Henning/Goldmann Rn. 42 ff. 373 OLG Frankfurt 20.5.2010 – 6 U 33/09 – GRUR-RR 2010, 482 – „heute gratis!“; OLG Frankfurt 4.12.2008 – 6 U 187/07 – K&R 2009, 197; OLG Frankfurt 4.12.2008 – 6 U 186/07 – GRUR-RR 2009, 265 – Abo-Fallen; LG Hanau 17.9.2008 – 1 O 569/08 – CR 2009, 124; LG Hanau 1.9.2008 – 9 O 551/08 – MMR 2009, 142; LG Berlin 25.9.2007 – 16 O 115/06 – CR 2008, 192. 374 OLG Hamm 14.2.2008 – 4 U 135/07 – GRUR-RR 2008, 435 – Zulassung in EU-Mitgliedstaat; LG Essen 20.7.2007 – 45 O 4/07 – Magazindienst 2007, 985. 375 OLG Düsseldorf 7.2.2017 ‒ I-20 U 139/15 ‒ GRUR-RR 2017, 331 = BeckRS 106178; OLG Schleswig 7.6.2016 ‒ 2 U 5/ 17 ‒ GRUR 2018, 1071; OLG Schleswig 19.3.2015 ‒ 2 U 6/14 ‒ NJOZ 2015, 1515. 376 OLG Stuttgart 2.11.2006 – 2 U 58/06 – GRUR 2007, 435 – Veralteter Matratzentest; LG Bonn 12.5.2005 – 12 O 33/05 – GRUR-RR 2006, 111 – Unzutreffendes Testurteil; zu einem weiteren Fall von Umrechnungspraktiken zu Lasten der Verbraucher LG München I 22.7.2008 – 33 O 17282/07 – nicht veröffentlicht. 377 Allgemein zu dem Verhältnis der privatrechtlichen Sanktionen im Kartell- und Lauterkeitsrecht BGH 7.2.2006 – KZR 33/04 – BGHZ 166, 154 = GRUR 2006, 773 Tz. 14 ff. – Probeabonnement; Harte/Henning/Goldmann Rn. 52. 378 BGH 7.2.2006 – KZR 33/04 – BGHZ 166, 154 Tz. 16 = GRUR 2006, 773 Tz. 14 ff. – Probeabonnement. 359

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§ 10

Gewinnabschöpfung

Abs. 1 a. E. GWB) wäre so empfindlich gestört.379 Etwas anderes gilt freilich dann, wenn die Unlauterkeit des Verhaltens nicht allein auf dem Verstoß gegen das Kartellrecht, sondern darüber hinaus auf einem selbständigen lauterkeitsrechtlichen Tatbestand beruht. Das wäre z. B. denkbar in Fällen des Boykotts oder der unbilligen Behinderung, wenn dies zugleich den Tatbestand einer gezielten Behinderung gemäß § 4 Nr. 4 erfüllt. Dann steht die lauterkeitsrechtliche Gewinnabschöpfung gleichberechtigt neben der kartellrechtlichen Vorteilsabschöpfung.380

2. Das Vorsatzerfordernis in § 10 Abs. 1 108 Die Gewinnabschöpfung setzt einen vorsätzlichen Verstoß gegen lauterkeitsrechtliche Verhaltensnormen voraus. Um die im Grenzbereich zwischen Zulässigkeit und Unzulässigkeit agierenden Unternehmen vor unangemessenen wirtschaftlichen Belastungen zu schützen, hat der Gesetzgeber die endgültige Fassung des § 10 auf vorsätzliche Zuwiderhandlungen beschränkt (vgl. Rn. 8).381

109 a) Vorsatzbegriff. Maßgeblich ist der zivilrechtliche Vorsatzbegriff iSd. § 276 Abs. 1 BGB (ausführlich zum Vorsatzbegriff § 9 Rn. 24).382 Hiernach handelt vorsätzlich, wer den rechtswidrigen Erfolg als solchen vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen hat.383 Das Wissenselement wird durch sicheres Wissen oder auch ein „sachgedankliches Mitbewusstsein“ erfüllt.384 Der vorsatzbegründende Wille liegt insbesondere bei einem zielgerichteten Wollen vor, wenn es also dem Zuwiderhandelnden auf die Verwirklichung des Tatbestands bzw. die Unlauterkeit ankommt. Gleichwohl muss der Eintritt des Erfolgs nicht notwendigerweise erwünscht oder beabsichtigt gewesen sein.385 Es genügt auch bedingter Vorsatz.386 Im Zusammenhang mit dem bedingten Vorsatz treten vor allem Abgrenzungsprobleme zu 110 der de lege lata von § 10 nicht erfassten bewussten Fahrlässigkeit auf. Der Begriff der bewussten Fahrlässigkeit findet sich zwar vornehmlich im Strafrecht, wird aber zunehmend auch im zivilrechtlichen Verschuldensbegriff thematisiert.387 Während der Zuwiderhandelnde beim bedingten Vorsatz den Erfolg als möglich voraussieht und ihn für den Fall seines Eintritts billigend in Kauf nimmt,388 zeichnet sich die bewusste Fahrlässigkeit dadurch aus, dass der Zuwiderhandelnde ernsthaft darauf vertraut, dass der Erfolg nicht eintritt bzw. kein unlauteres Verhalten vorliegt.389 Vorsätzlich handelt wiederum auch, wer gleichgültig „ins Blaue hinein“ handelt, ohne die Möglichkeit der Unlauterkeit zu prüfen oder vor dem Risiko der Unlauterkeit leichtfertig die Augen verschließt.390

379 380 381 382 383 384 385 386

BGH 7.2.2006 – KZR 33/04 – BGHZ 166, 154 = GRUR 2006, 773 Tz. 15 – Probeabonnement. Hierzu BGH 7.2.2006 – KZR 33/04 – BGHZ 166, 154 = GRUR 2006, 773 Tz. 17 – Probeabonnement. RegE UWG 2003, S. 24. Harte/Henning/Goldmann Rn. 62. Palandt/Grüneberg § 276 BGB Rn. 10 m. w. N. Statt aller Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 27 m. w. N. Palandt/Grüneberg § 276 BGB Rn. 10. Zu § 10 OLG Stuttgart 2.11.2006 – 2 U 58/06 – GRUR 2007, 435; OLG Frankfurt 4.12.2008 – 6 U 186/07 – GRURRR 2009, 265, 268 – Abo-Fallen; OLG Schleswig 26.3.2013 – 2 U 7/12 – MMR 2013, 579, 584; 19.3.2015 ‒2 U 6/14 ‒ juris, Rn. 84; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 6. Im Übrigen vgl. BGH 12.7.1996 – V ZR 117/95 – BGHZ 133, 246, 250. 387 Jauernig/Stadler § 276 BGB Rn. 24. 388 BGH 19.3.1992 – III ZR 16/90 – BGHZ 117, 363, 368; BGH 18.10.1952 – II ZR 72/52 – BGHZ 7, 311, 313. 389 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 174; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 47; ähnlich Neuberger S. 90; zustimmend v. Raay S. 208. 390 RG 29.10.1931 – VI 231/31 – RGZ 134, 43, 52 f.; BGH 7.6.2006 – VIII ZR 209/05 – BGHZ 168, 64 Tz. 13 = NJW 2006, 2839 Tz. 13; weitere Nachw. bei Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 48. Poelzig

360

B. Anspruchsvoraussetzungen

§ 10

b) Bezugspunkt. Bezugspunkt der Vorsätzlichkeit ist der Verstoß gegen §§ 3 oder 7. Im Rahmen 111 des § 10 handelt der Zuwiderhandelnde vorsätzlich, wenn er weiß, dass er den Tatbestand des §§ 3 oder 7 erfüllt und dies auch will oder wenn er jedenfalls die Verwirklichung für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat.391 Die Tatsache, dass der Zuwiderhandelnde durch den Verstoß zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern einen Gewinn erzielt hat, muss demnach nicht vom Vorsatz gedeckt sein. Hierbei handelt es sich nicht um ein Tatbestandsmerkmal, sondern um eine objektive Bedingung des Anspruchs.392 Der Zuwiderhandelnde muss die tatsächlichen Umstände kennen, die die Unlauterkeit 112 begründen. Hierfür genügt, dass der Zuwiderhandelnde im Sinne eines bedingten Vorsatzes mit dem Vorliegen der Tatumstände ernsthaft rechnet und dies billigend in Kauf nimmt oder sich der Kenntnis der wettbewerbswidrigen Umstände bewusst verschließt.393 Am Vorsatz fehlt es hingegen, wenn der Zuwiderhandelnde ernsthaft auf das Nichtvorliegen der objektiven Tatumstände vertraut.394 Darüber hinaus verlangt der zivilrechtliche Vorsatzbegriff – und das gilt nach h. M. ent- 113 sprechend für die zivilrechtlichen Vorschriften des UWG – auch das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit bzw. speziell für das UWG die Unlauterkeit des Verhaltens.395 Es genügt auch insoweit, wenn der Zuwiderhandelnde mit der Unlauterkeit seines Verhaltens gerechnet und sie jedenfalls – im Falle eines bedingten Vorsatzes – billigend in Kauf genommen hat.396 Ausreichend für das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit ist eine „Parallelwertung in der Laiensphäre“, wenn sich dem Zuwiderhandelnden auf Grund ihm bekannter Tatsachen die Rechtswidrigkeit seines Tuns geradezu aufdrängen musste397 oder wenn er sein Verhalten fortsetzt, obgleich er sich auf Grund ihm bekannter Tatsachen der Einsicht nicht verschließen kann, dass er gegen Vorschriften des UWG verstößt.398 Das ist regelmäßig der Fall, wenn der Zuwiderhandelnde sein Verhalten nach einer Abmahnung durch einen Verband fortsetzt.399 Sehr weit geht jedoch das OLG Frankfurt, wenn es den Vorsatz nach einer Abmahnung auch dann bejaht, wenn der Zuwiderhandelnde auf fachkundigen Rechtsrat, der die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens bestätigt, vertraut hat (zu der Bedeutung der Abmahnung als Indiz für die Vorsätzlichkeit Rn. 175 f.).400 Dementgegen verwendet das OLG Schleswig die angeblich einen Rechtsverstoß verneinende Prüfung der eigenen Rechtsabteilung in bedenklicher Manier ge-

391 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 6; Sieme S. 96. 392 Harte/Henning/Goldmann Rn. 69; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 6; MüKo/Micklitz Rn. 78; Bauer S. 110; Gärtner S. 89; Neuberger S. 89; Sieme S. 96. 393 Vgl. BGH 18.12.1968 – I ZR 130/66 – GRUR 1969, 292, 294 – Buntstreifensatin II m. Anm. Reimer; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 29, jew. m. w. N. 394 Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 28 m. w. N. 395 So die h. M. zum zivilrechtlichen Vorsatzbegriff BGH 12.5.1992 – VI ZR 257/91 – BGHZ 118, 201, 208; BGH 16.6.1977 – III ZR 179/75 – BGHZ 69, 128, 142 f. – Fluglotsenstreik; OLG Frankfurt 20.5.2010 – 6 U 33/09 – GRUR-RR 2010, 482, 483 – „heute gratis!“. Speziell für § 10 LG Hannover 17.11.2015 ‒18 O 36/15 – juris Rn. 18; Harte/Henning/ Goldmann § 9 Rn. 35; Gärtner S. 92; a. A. Alexander, S. 624 ff. 396 Harte/Henning/Goldmann Rn. 66; Gärtner S. 94; Bauer S. 111. 397 Allgemein zum bedingten Vorsatz im Zivilrecht BGH 12.7.1996 – V ZR 117/95 – BGHZ 133, 246, 250; speziell für § 10 LG Hannover 17.11.2015 ‒18 O 36/15 – juris, Rn. 18; Harte/Henning/Goldmann Rn. 66, § 9 Rn. 28 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 6; MüKo/Micklitz Rn. 83 m. w. N. zur Rspr. 398 OLG Hamm 14.2.2008 – 4 U 135/07 – GRUR-RR 2008, 435, 437 – Zulassung in EU-Mitgliedstaat; OLG Stuttgart 2.11.2006 – 2 U 58/06 – GRUR 2007, 435, 436 – Veralteter Matratzentest; OLG Frankfurt 20.5.2010 – 6 U 33/09 – GRUR-RR 2010, 482, 482– „heute gratis!“; LG Hanau 1.9.2008 – 9 O 551/08 – MMR 2009, 142 Tz. 20 – insoweit nicht abgedr. Ähnlich bereits BGH 30.1.1992 – I ZR 113/90 – BGHZ 117, 115, 117 f. = GRUR 1992, 448, 449 – Pullovermuster; BGH 15.3.1967 – Ib ZR 25/65 – GRUR 1967, 596, 597 – Kuppelmuffenverbindung. 399 OLG Frankfurt/M. 20.5.2010 – 6 U 33/09 – GRUR-RR 2010, 482, 483; OLG Schleswig 26.3.2013 – 2 U 7/12 – MMR 2013, 579, 584; OLG Schleswig 19.3.2015 ‒ 2 U 6/14 ‒ NJOZ 2015, 1515 Rn. 81 ff. 400 OLG Frankfurt 20.5.2010 – 6 U 33/09 – GRUR-RR 2010, 482, 483 – „heute gratis!“. 361

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§ 10

Gewinnabschöpfung

rade als Indiz für Vorsatz, da ein so evidenter Verstoß vorläge, dass er „keinem Juristen entgangen sein“ könne.401 114 Ein Rechtsirrtum schließt den Vorsatz iSd. § 10 aus, auch dann, wenn der Irrtum über die Unlauterkeit einen groben Verstoß gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt darstellt und damit grob fahrlässig erfolgt.402 Es genügt für den Vorsatzvorwurf demnach nicht, dass der Zuwiderhandelnde mit der Möglichkeit einer rechtlichen Bewertung seines Verhaltens als unlauter rechnen konnte403 oder die Unlauterkeit hätte erkennen müssen, sofern er mit ihr de facto nicht gerechnet hat.404 So liegt in der Regel lediglich grobe Fahrlässigkeit vor, wenn sich der Zuwiderhandelnde offenkundig in einem Grenzbereich des wettbewerbsrechtlich Zulässigen bewegt und die Unlauterkeit seines Handelns aufgrund naheliegender Überlegungen in Betracht hätte ziehen müssen, dies aber nicht getan hat.405 Erst wenn die Grenze zur „Rechtsblindheit“ überschritten ist, d. h. bei einem Irrtum über elementare Anforderungen des Rechts, bleibt der zivilrechtliche Vorsatz bestehen.406 Ein vorsatzausschließender Verbotsirrtum liegt beispielsweise vor, wenn der Zuwiderhandelnde trotz bereits gegen ihn erfolgtem Unterlassungsurteil aufgrund der nicht eindeutigen Rechtsprechung und eines diesbezüglichen Rechtsrat seines Prozessbevollmächtigen zu Unrecht davon ausgeht, ein im Ausland rechtmäßig hergestelltes Produkt auch in Deutschland in den Verkehr bringen zu können.407 Der Vorsatz wird hingegen nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich der Unternehmer auf falsche Angaben eines Lieferanten verlässt und diese ungeprüft übernimmt.408 Bei der Weitergabe von Informationen (nicht rechtskundiger) Dritter kann sich der Zuwiderhandelnde nicht durch die Unkenntnis der Unlauterkeit im Vertrauen auf die Richtigkeit der Informationen von dem Vorsatzvorwurf befreien. Da er die Vorteile des arbeitsteiligen Wirtschaftens genießt, trifft ihn eine entsprechende Pflicht zur Prüfung der Richtigkeit der Informationen.409 Um die Durchsetzung des § 10 zu erleichtern, wird teilweise mit dem Hinweis auf den prä115 ventiven Zweck des § 10 parallel zu dem Grundgedanken der strafrechtlichen Schuldtheorie in § 17 StGB das Vorliegen eines vorsatzausschließenden Verbotsirrtums abgelehnt und das Bewusstsein der Unlauterkeit bereits dann bejaht, wenn der Zuwiderhandelnde die Unlauterkeit seines Verhaltens hätte erkennen können.410 Andere wollen gänzlich auf das Erfordernis des Unrechtsbewusstseins verzichten und begründen dies vor allem mit der strukturellen Nähe zu § 826 BGB, für den anerkanntermaßen auf das Erfordernis des Unrechtsbewusstseins verzichtet wird.411 Solchen Annäherungen des lauterkeitsrechtlichen Vorsatzbegriffs an den strafrechtlichen Vorsatzbegriff folgt die h. M. mit der traditionellen zivilrechtlichen Vorsatztheorie bislang zu Recht nicht. Gegen den vollständigen Verzicht auf das Erfordernis des Unrechtsbewusstseins 401 OLG Schleswig, 19.3.2015 ‒2 U 6/14 ‒ NJOZ 2015. 1515, Rn. 85. 402 OLG Hamm 14.2.2008 – 4 U 135/07 – GRUR-RR 2008, 435, 437 – Zulassung in EU-Mitgliedstaat; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 6; BeckOK-UWG/Eichelberger Rn. 17; v. Raay S. 208; die a. A. des LG Essen (20.7.2007 – 45 O 4/07 – BeckRS 2007, 16243), wonach Vorsatz auch bei einem fehlerhaften Rechtsschluss anzunehmen ist, wenn dieser bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt vermeidbar war, ist mit dem Urteil der nächsten Instanz hinfällig geworden, OLG Hamm 14.2.2008 – 4 U 135/07 – GRUR-RR 2008, 435, 437 – Zulassung in EUMitgliedstaat. Zum Urteil des LG Essen noch MüKo/Micklitz Rn. 88 Fn. 214. 403 Begr. RegE UWG 2003, S. 24; vgl. zu § 10 insoweit OLG Hamm 14.2.2008 – 4 U 135/07 – GRUR-RR 2008, 435, 437 – Zulassung in EU-Mitgliedstaat. 404 So wohl Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 39; ebenso Gärtner S. 93. 405 Gärtner S. 97; v. Raay S. 209. 406 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 174; Palandt/Grüneberg § 276 BGB Rn. 11 m. w. N.; a. A. Gärtner S. 93; Alexander, S. 627. 407 OLG Hamm 14.2.2008 – 4 U 135/07 – GRUR-RR 2008, 435, 437 – Zulassung in EU-Mitgliedstaat. 408 OLG Stuttgart 2.11.2006 – 2 U 58/06 – GRUR 2007, 435, 436 – Veralteter Matratzentest; kritisch Ohly/Sosnitza Rn. 5. 409 Hierzu OLG Stuttgart 2.11.2006 – 2 U 58/06 – GRUR 2007, 435, 436 – Veralteter Matratzentest. 410 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 176. 411 Alexander, S. 624 ff. Poelzig

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B. Anspruchsvoraussetzungen

§ 10

spricht, dass der Vorsatzbegriff so erheblich aufgeweicht würde; Vorsatz bezüglich der tatsächlichen Umstände würde bereits genügen. Gegen die Ausweitung des Vorsatzes auf Fälle, in denen die Unlauterkeit erkennbar war, spricht, dass das „Erkennenmüssen“ ein Merkmal zur Feststellung eines objektiven Sorgfaltsverstoßes ist und damit allenfalls den Vorwurf der Fahrlässigkeit begründen kann.412 Eine ausdrückliche Regelung wie in § 17 StGB fehlt. Ehrlicher wäre es, den Verschuldensmaßstab de lege ferenda auch auf grob fahrlässiges Verhalten auszuweiten (vgl. Rn. 39 ff.).413

II. Gewinnerzielung zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern Der Gewinn ist sowohl auf der Tatbestands- als auch auf der Rechtsfolgenseite des § 10 von 116 Bedeutung: Die Gewinnerzielung ist zunächst eine anspruchsbegründende Voraussetzung der Gewinnabschöpfung; zudem bestimmt der Gewinn den Umfang der konkreten Rechtsfolge. Nach dem Wortlaut der Norm („hierdurch“) muss der Gewinn sowohl auf der Tatbestands- als auch der Rechtsfolgenseite kausal durch die Zuwiderhandlung verursacht worden sein. Neben der ursächlichen Verknüpfung muss der Gewinn darüber hinaus zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern erzielt worden sein.

1. Gewinnerzielung Dem § 10 liegt der Gedanke zugrunde: „Unlauteres Verhalten darf sich nicht lohnen“. Vorausset- 117 zung ist daher, dass der Zuwiderhandelnde einen Gewinn erzielt hat.

a) Gewinnbegriff. Ein Gewinn liegt vor, wenn sich die Vermögenslage des Unternehmens 118 durch die Zuwiderhandlung verbessert hat. Wirtschaftlich erfolglose Zuwiderhandlungen fallen daher aus dem Anwendungsbereich des § 10 heraus.414 Insbesondere unlautere Verhaltensweisen, die – wie etwa nicht kostendeckende Preisunterbietungen iSd. § 4 Nr. 4415 – gezielt mit dauerhaften Verlusten begangen werden, werden nicht von der Gewinnabschöpfung sanktioniert.416 Im Vergleich zu dem Begriff des wirtschaftlichen Vorteils in §§ 34, 34a GWB sowie § 17 119 Abs. 4 OWiG ist § 10 enger gefasst.417 Abzuschöpfen ist ausschließlich der in Geld messbare Gewinn.418 Sonstige wirtschaftliche Vorteile, z. B. die Vergrößerung des Kundenstamms419 oder die Verbesserung der Marktposition durch die Ausschaltung oder Zurückdrängung von Wettbewerbern etwa durch Preisunterbietungen,420 sind von § 10 nicht erfasst.421

412 Gärtner S. 94 m. w. N.; ablehnend auch OLG Hamm 14.2.2008 – 4 U 135/07 – GRUR-RR 2008, 435, 437 – Zulassung in EU-Mitgliedstaat.

413 v. Raay S. 211. 414 Harte/Henning/Goldmann Rn. 112. 415 So etwa in BGH 29.6.2000 – I ZR 128/98 – GRUR 2001, 80, 81 – Ad-hoc-Meldung; BGH 26.4.1990 – I ZR 71/88 – BGHZ 111, 188 = GRUR 1990, 685, 686 – Anzeigenpreis I; BGH 31.1.1979 – I ZR 21/77 – GRUR 1979, 321, 322 – Verkauf unter Einstandspreis I; RG 18.12.1931 – II 514/30 – RGZ 134, 342 – Benrather Tankstelle. 416 Alexander JZ 2006, 890, 894. 417 Kritisch Fezer FS Bornkamm S. 335, 345 f. 418 LG München I 17.9.2014 ‒ 37 0 16359/ 13 ‒ GRUR-RR 2015, 255, 256. 419 LG München I GRUR-RR 2015, 255, 256 – Zahnreinigung für 39 EUR. 420 Siehe aber zu § 34 GWB Begr. 2004, S. 55; BayObLG 2.1.1998 – 3 ObOWi 143/97 – BayObLGSt 1998, 1, 3 = wistra 1998, 199, 200; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann/Rehbinder § 34 GWB Rn. 5. 421 Zustimmend BeckOK-UWG/Eichelberger Rn. 27; aA MüKo/Micklitz Rn. 123. 363

Poelzig

§ 10

Gewinnabschöpfung

120 b) Gewinnberechnung. Orientierung für die Berechnung des Gewinns können im Einzelnen mit Rücksicht auf den gleichlaufenden Präventionszweck die durch die Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Berechnung des Verletzergewinns im Rahmen der dreifachen Schadensberechnung bieten (ausführlich hierzu § 9 Rn. 60 ff.).422 Ebenso wie die Gewinnabschöpfung beruhen die Grundsätze zur Herausgabe des Verletzergewinns als Variante der Schadensberechnung auf dem Gedanken der Prävention.423 Allerdings ist bei der Übertragung der Grundsätze auf § 10 im konkreten Fall stets zu berücksichtigen, dass es bei den Grundsätzen zur Herausgabe des Verletzergewinns – anders als im Fall des § 10 – um eine Fiktion zur Schadensberechnung geht: Es wird fingiert, dass dem durch die Zuwiderhandlung Verletzten ein Gewinn in Höhe des Verletzergewinns entgangen und damit ein Schaden entstanden ist.424 121 Der Gewinn bemisst sich nach den Umsatzerlösen, die durch die Zuwiderhandlung generiert werden konnten. Diese sind um die Kosten für die Erbringung der Dienstleistungen bzw. für den Erwerb oder die Herstellung der Waren und die entsprechenden Betriebskosten zu kürzen, soweit sie ohne das unlautere Verhalten nicht entstanden wären.425 Nicht mindernd zu berücksichtigen sind hingegen Gemeinkosten und andere betriebliche Aufwendungen, die nicht durch die Zuwiderhandlung verursacht sind, die also auch ohne sie angefallen wären.426 Dazu gehören in der Regel die Kosten für die Miete der Räumlichkeiten, Personal, Buchhaltung, Verwaltung und Marketing. Solche Kosten sind gemäß § 10 Abs. 1 lediglich dann gewinnmindernd zu berücksichtigen, wenn sie sich ausnahmsweise dem konkreten wettbewerbswidrigen Verhalten zurechnen lassen.427 122 Bei der Gewinnberechnung iSd. § 10 Abs. 1 sind zudem nur solche Kosten abzuziehen, die aufgewendet werden müssen, um die konkrete Zuwiderhandlung zu begehen und damit unmittelbar mit den Umsatzerlösen in Zusammenhang stehen.428 Handelt es sich dabei um Provisionszahlungen an die eigenen Mitarbeiter, kommt es darauf an, ob eine vertragliche Verpflichtung dazu bestand.429 Kosten, die erst in Folge der Zuwiderhandlung entstehen – etwa für die Beendigung der Zuwiderhandlung und die Beseitigung ihrer Folgen, die Rechtsverteidigung, aus einer Abmahnung oder einstweiligen Verfügung, Erfüllung von Schadensersatzansprüchen von betroffenen Marktteilnehmern oder Verbrauchern aus Vertrag, Geldstrafen, aber auch mittelbare Verluste durch Imageschäden – beeinflussen hingegen nicht die Höhe des Gewinns iSd. Abs. 1.430 Sie sind nur unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 2 mindernd zu berücksichtigen (ausführlich dazu Rn. 142 ff.). 422 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 218; Harte/Henning/Goldmann Rn. 139; Gloy/Loschelder/Erdmann/ Melullis Handbuch des Wettbewerbsrechts § 15 Rn. 10; Alexander, S. 547; Bauer S. 160 f. 423 BGH 2.11.2000 – I ZR 246/98 – BGHZ 145, 366 = GRUR 2001, 329, 331 – Gemeinkostenanteil. 424 BGH 21.9.2006 – I ZR 6/04 – GRUR 2007, 431 Tz. 21 – Steckverbindergehäuse. 425 Begr. RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 24. 426 Begr. RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 24; OLG Schleswig GRUR 2018, 1071 Rn. 20 – Nichtnutzungsgebühr; LG München I GRUR-RR 2015, 255 – Zahnreinigung für 39 EUR; Harte-Bavendamm/Hennig-Bodewig/Goldmann Rn. 133; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 7; MüKoUWG/Micklitz Rn. 131; BeckOK-UWG/Eichelberger Rn. 28; jurisPK-UWG/Koch Rn. 21; Pokrant FS Ullmann S. 813, 824; Schaub GRUR 2005, 918, 923. 427 Das entspricht den Maßgaben des Gemeinkostenanteil-Urteils des BGH zu der dreifachen Schadensberechnung im Immaterialgüterrecht (BGH 2.11.2000 – I ZR 246/98 – BGHZ 145, 366 = GRUR 2001, 329, 331 – Gemeinkostenanteil), obgleich dort die fehlende Abzugsfähigkeit mit der Schadensfiktion begründet wird, so „dass der Verletzte durch die Herausgabe des Verletzergewinns so zu stellen ist, als hätte er ohne die Rechtsverletzung in gleicher Weise wie der Verletzer einen Gewinn erzielt“ (BGH 2.11.2000 – I ZR 246/98 – BGHZ 145, 366, 372 = GRUR 2001, 329, 331 – Gemeinkostenanteil unter Hinweis auf §§ 687 Abs. 2, 684 S. 1 BGB). Zustimmend BeckOK-UWG/Eichelberger Rn. 28. 428 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 7. 429 LG Kiel 14.6.2017 ‒ 4 O 95/13 ‒ BeckRS 2017, 1181154 Rn. 27. 430 BeckOK-UWG/Eichelberger Rn. 29; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 7; Ohly/Sosnitza Rn. 6. A. A. für die Einstellung oder Beseitigung einer unzulässigen Werbeaktion sowie die Kosten aus einer Abmahnung oder einstweiligen Verfügung Sack WRP 2003, 549, 554. Poelzig

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B. Anspruchsvoraussetzungen

§ 10

Nicht anrechenbar sind Anlauf- und Entwicklungskosten sowie die Kosten für nicht 123 mehr verwertete Produkte oder Dienstleistungen.431 Führt also die Zuwiderhandlung zu einem Teilgewinn für einzelne verkaufte Produkte oder einzelne Dienstleistungen, erleidet der Zuwiderhandelnde aber insgesamt Verlust, etwa infolge einer Unterlassungsverfügung, ist auf den tatsächlich erwirtschafteten Gewinn ohne Verrechnung mit den anteiligen Kosten für nicht mehr verwertete Produkte oder Dienstleistungen abzustellen.432 Nur so kann der Präventionszweck erreicht werden, da sich anderenfalls aus Sicht des Zuwiderhandelnden das unlautere Verhalten durch die Verrechnung mit sonstigen Verlusten doch (teilweise) gelohnt hätte.433 Der Wegfall des Gewinns nach den bereicherungsrechtlichen Grundsätzen iSd. § 818 Abs. 3 124 BGB ist im Rahmen des § 10 unbeachtlich. § 818 Abs. 3 BGB kann nicht entsprechend angewendet werden, da der Einwand der Entreicherung in § 818 Abs. 3 BGB auf dem Gedanken beruht, dass der gutgläubige Bereicherungsschuldner nicht zu einem sorgfältigen Umgang mit dem aus seiner Sicht seinem eigenen Vermögen einverleibten Gegenstand verpflichtet sein soll.434 § 10 wohnt demgegenüber ein Sanktionscharakter inne, der durch eine solche Begünstigung des Zuwiderhandelnden unterlaufen würde.435 Darüber hinaus wäre wegen des Vorsatzerfordernisses ohnehin regelmäßig Bösgläubigkeit iSd. §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4 BGB gegeben, die den Wegfall der Bereicherung als Einwand ausschließt. Soweit die genaue Höhe des Gewinns streitig ist, ist sie auf der Grundlage des § 287 ZPO 125 zu schätzen.436 Ausführlich zu den Beweisanforderungen vgl. Rn. 230 ff.

2. Kausalität Nach dem Wortlaut („… und hierdurch … einen Gewinn erzielt“) muss der erzielte Gewinn kau- 126 sal auf der Zuwiderhandlung gegen §§ 3 oder 7 beruhen. Insoweit entspricht § 10 den Grundsätzen zur Herausgabe des Verletzergewinns im Rahmen der dreifachen Schadensberechnung.437

a) Allgemeine Grundsätze. Für die Feststellung der Ursächlichkeit gelten die allgemeinen 127 zivilrechtlichen Regeln zur Kausalität im Schadensersatzrecht.438 Da es jedoch um vorsätzliche Verstöße geht, kommt die Adäquanztheorie nicht zur Anwendung.439 Der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens ist für § 10 indes unbeachtlich. Der Zuwiderhandelnde kann sich nicht dadurch von der Abschöpfung befreien, dass er den Gewinn (teilweise) auch bei einem rechtmäßigen Verhalten erwirtschaftet hätte.440 So hat der Gesetzgeber mit der Abschöpfung des Gewinns bewusst nicht den Vorschlag von Köhler/Bornkamm/Henning-Bode431 So auch für die Herausgabe des Verletzergewinns im Rahmen der dreifachen Schadensberechnung BGH 21.9.2006 – I R 6/04 – GRUR 2007, 431, 434 – Steckverbindergehäuse. Bauer S. 179; v. Raay S. 236. v. Raay S. 236. Statt aller MüKo/Schwab § 818 BGB Rn. 182; Larenz/Canaris II/2, § 73 I 1, S. 295. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 7 a. E.; BeckOK-UWG/Eichelberger Rn. 31. Begr. RegE UWG 2003 S. 24. Vgl. BGH 29.7.2009 – I ZR 87/07 – GRUR 2010, 237 Tz. 20 = WRP 2010, 390 Tz. 20 – Zoladex; BGH 14.5.2009 – I ZR 98/06 – BGHZ 181, 98 Tz. 41 = GRUR 2009, 856 Tz. 41 – Tripp-Trapp-Stuhl; BGH 19.3.2008 – I ZR 225/06 – WRP 2008, 938, 939 – „entwendete Datensätze mit Konstruktionszeichnungen“; BGH 21.9.2006 – I ZR 6/04 – GRUR 2007, 431 Tz. 37 – Steckverbindergehäuse. 438 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 221. 439 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 221; BeckOK-UWG/Eichelberger Rn. 32 mit Verweis auf BGHZ 189, 299 Rn. 39 = NJW 2011, 2960; BGHZ 79, 259, 262 = NJW 1981, 983)). Und für eine Einschränkung wegen des Schutzzwecks der Norm dürfte sich kein Fall finden lassen. 440 So auch Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 222; Harte/Henning/Goldmann Rn. 122; MüKo/Micklitz Rn. 128; Alexander, S. 555 f.; Gärtner S. 124 ff.; Sieme S. 127; a. A. Bauer S. 154 ff.

432 433 434 435 436 437

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Poelzig

§ 10

Gewinnabschöpfung

wig441 übernommen, soweit darin eine Abschöpfung des Mehrerlöses – also des geldwerten Vorteils, den der Zuwiderhandelnde gerade aus der unlauteren Handlung erlangt hat442 – vorgesehen war.443 Hypothetische Erwägungen sollen nach dem Willen des Gesetzgebers gerade keine Rolle spielen. Zudem ist der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens nach h. M. auch im Schadensersatzrecht unbeachtlich, wenn die verletzte Norm ein bestimmtes Verhalten verhindern soll, da dann der Schadensersatzanspruch durch das begangene Handlungsunrecht ausgelöst wird.444 Der Sanktionszweck des § 10 wäre beeinträchtigt, könnte sich der Zuwiderhandelnde darauf berufen, dass er den Gewinn auch bei einem rechtmäßigen Handeln erwirtschaftet hätte. Das zu sanktionierende Verhalten ist mit dem Wettbewerbsverstoß erfüllt und wird nicht dadurch weniger sanktionswürdig, dass der Gewinn auch bei einem wettbewerbskonformen Verhalten eingetreten wäre.445 Von dem Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens ist aber die folgende Frage nach der anteiligen Gewinnabschöpfung zu unterscheiden.

128 b) Anteilige Gewinnabschöpfung. Der Entschluss der Abnehmer zu dem gewinnbringenden Geschäft und damit der Gewinn des Zuwiderhandelnden werden regelmäßig durch ein Bündel an Faktoren beeinflusst. Neben dem konkreten unlauteren Verhalten spielen u. a. auch frühere oder gleichzeitige (rechtmäßige) Marketingmaßnahmen des Unternehmens oder von Konkurrenten, der Ruf des Unternehmens oder von Mitbewerbern, objektive Marktberichte oder sonstige Umwelteinflüsse eine Rolle. Umstritten ist, ob sich der Anspruch auf den Anteil am Gewinn beschränkt, der ursächlich auf der unlauteren Handlung bzw. dem unlauteren Teil einer einheitlichen Wettbewerbshandlung beruht,446 oder ob darüber hinaus der gesamte Gewinn aus dem Verhalten abzuführen ist, auch wenn andere Faktoren mitursächlich waren.447 Für ein restriktives Verständnis, wonach nur der auf dem Wettbewerbsverstoß beruhende Gewinnanteil abzuschöpfen ist, wird zunächst der Wortlaut des Gesetzes angeführt:448 Demnach kann dieser Gewinn abgeschöpft werden, der durch den Wettbewerbsverstoß erzielt wurde. Die Vertreter einer extensiven Auslegung des § 10, den gesamten Gewinn abzuschöpfen, verweisen insbesondere auf den Präventionszweck des § 10, der eine möglichst weitreichende Sanktion und eine damit verbundene erhöhte Abschreckungswirkung erfordere.449 129 Sinn und Zweck der Norm ist jedoch nicht eine möglichst weitgehende Abschreckung, sondern lediglich die wirksame Abschreckung. Ein hinreichend abschreckender Effekt wird jedoch bereits dadurch erzielt, dass der unlauter erwirtschaftete Gewinn entzogen wird; hierfür ist nicht auch notwendigerweise ein darüber hinausgehender rechtmäßig erzielter Gewinn abzuschöpfen.450 Der Anspruchsgegner soll lediglich so gestellt werden, als wenn er sich „von vornherein redlich verhalten“ hätte.451 Eine weitergehende Abschöpfung des ge441 442 443 444

Siehe § 9 Abs. 2 des Entwurfs von Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, 1322. Harte/Henning/Goldmann Rn. 112. Alexander, S. 546, 556. Ausführlich zu der Beachtlichkeit des Alternativverhaltens Bamberger/Roth/Schubert § 249 BGB Rn. 100 ff.; Jauernig/Teichmann Vor §§ 249–253 BGB Rn. 48; MüKo/Oetker § 249 BGB Rn. 217 ff. m. w. N. So auch BGH 24.10.1985 – IX ZR 91/84 – BGHZ 96, 157, 173 = NJW 1986, 576, 577. 445 Alexander, S. 556. 446 So OLG Schleswig 7.6.2018 ‒ 2 U 5/17 ‒ GRUR 2018, 1071, 1073 Rn. 23; LG München I 17.9.2014 ‒ 37 O 16359/ 13 ‒ GRUR-RR 2015, 255 = BeckRS 2015, 00053; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 7; Ohly/Sosnitza Rn. 7; Neuberger S. 92 ff.; BeckOK UWG/Eichelberger Rn. 34; MAH Gewerblicher Rechtsschutz/Vykydal § 3 Rn. 183. 447 So Harte/Henning/Goldmann Rn. 126; MüKo/Micklitz Rn. 124 f. 448 LG Kiel 14.6.2017 ‒ 4 O 95/13 ‒ BeckRS 2017, 118154 Rn. 22; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 9; Neuberger S. 91 ff.; Alexander, S. 554 f. 449 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 222; Harte/Henning/Goldmann Rn. 112 ff. 450 Gärtner GRUR Int. 2008, 817, 818. 451 OLG Schleswig 7.6.2018 ‒ 2 U 5/17 ‒ GRUR 2018, 1071, Rn. 29. Poelzig

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B. Anspruchsvoraussetzungen

§ 10

samten Gewinns unabhängig von der Kausalität der Unlauterkeit würde darüber hinaus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip widersprechen.452 Zudem stimmt die Abschöpfung nur des konkret durch die Unlauterkeit erzielten Gewinns auch mit den Grundsätzen zur Berechnung des Verletzergewinns im Rahmen der dreifachen Schadensberechnung nach § 9 überein.453 Zwar handelt es sich bei der Gewinnabschöpfung gerade nicht um einen Schadensersatzanspruch (vgl. Rn. 97 ff.), im Hinblick auf den gemeinsamen Präventionsgedanken ist aber insoweit eine Orientierung an den durch die Rechtsprechung zur Berechnung des Verletzergewinns im Rahmen der dreifachen Schadensberechnung entwickelten Grundsätzen sinnvoll.454 Teilweise wird die Beschränkung auf den konkreten Gewinn abgelehnt, weil sich oft nur 130 schwer feststellen ließe, welcher Anteil am Gewinn tatsächlich auf das unlautere Verhalten oder aber auf andere Einflüsse zurückzuführen ist.455 Allerdings können bloße praktische Schwierigkeiten nicht die Abschöpfung von Gewinnen rechtfertigen, die nicht durch das unlautere Verhalten verursacht, sondern aufgrund rechtmäßigen Verhaltens erwirtschaftet wurden. Zudem bietet die gefestigte Rechtsprechung zur Herausgabe des Verletzergewinns im Rahmen des § 9 wichtige Hilfestellung bei der Bestimmung des konkreten Gewinns: Beruht die Entscheidung zum Erwerb eines nachgeahmten Produkts etwa zu 60 % auf dem Erscheinungsbild und zu 40 % auf dem besonders niedrigen Kaufpreis, ist der Gesamtgewinn aus dem Vertrieb des Produkts zu 60 % abzuschöpfen.456 Bei der Verletzung von Betriebsgeheimnissen gemäß § 17 ist hingegen der gesamte Gewinn abzuführen, der nicht unwesentlich durch den Einsatz der unlauter erlangten Informationen erzielt werden konnte. Da Betriebsgeheimnisse keinesfalls verwertet werden dürfen, beruht der gesamte Gewinn auf dem Verstoß.457 Ebenso ist der gesamte Gewinn aus dem Vertrieb von Arzneimitteln abzuschöpfen, weil und wenn das „eingeführte Arzneimittel ohne die Verwendung der Marke des Verletzten aus arzneimittelrechtlichen Gründen in Deutschland nicht verkehrsfähig gewesen wäre“.458 Bei Mogelpackungen ist der kausal erzielte Gewinn der Unterschiedsbetrag zwischen angegebener Füllmenge und tatsächlicher Füllmenge.459 Praktische Schwierigkeiten bereitet die Feststellung des Gewinnanteils vor allem im Falle der 131 unlauteren Werbung, da neben der Werbung regelmäßig viele andere Faktoren die Entscheidung der Abnehmer beeinflussen460 oder etwa einzelne Bestandteile in einer einheitlichen Werbung lauter, andere unlauter sein können.461 Die praktischen Beweisschwierigkeiten im Zusammenhang mit der Kausalität werden durch § 287 ZPO analog verringert. Demnach kann der Umfang des durch die Zuwiderhandlung kausal erzielten Gewinnanteils anhand der Umstände des Einzelfalls geschätzt werden.462 Die hierfür notwendige gesicherte Schätzgrundlage, denen u. U. auch „recht

452 Ohly/Sosnitza Rn. 7. 453 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 9. 454 Speziell als Begründung für die Beschränkung auf den Gewinnanteil Ohly/Sosnitza Rn. 7. Allgemeiner Harte/ Henning/Goldmann Rn. 139; Alexander, S. 547; Bauer S. 160 f.

455 Harte/Henning/Goldmann Rn. 115. 456 OLG Hamburg 27.8.2008 – 5 U 38/07 – GRUR-RR 2009, 136, 139 – Gipürespitze II. 457 So zur Herausgabe des Verletzergewinns im Rahmen des § 9 vgl. BGH 19.3.2008 – I ZR 225/06 – WRP 2008, 938, 939; BGH 19.12.1984 – I ZR 133/82 – GRUR 1985, 294, 296 – Füllanlage. BGH 29.7.2009 – I ZR 87/07 – WRP 2010, 390, 391 f. – Zoladex. Zu diesen Beispielen Gärtner GRUR Int. 2008, 817, 819. Ohly/Sosnitza Rn. 7; Sack WRP 2003, 549, 554. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 7; Sack WRP 2003, 549, 554. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 9; MüKo/Micklitz Rn. 129; BeckOK UWG/Eichelberger Rn. 34. So die Rechtsprechung zur Herausgabe des Verletzergewinns BGH 21.9.2006 – I ZR 6/04 – GRUR 2007, 431 Tz. 38 – Steckverbindergehäuse; BGH 6.10.2005 – I ZR 322/02 – GRUR 2006, 419 Tz. 16 – Noblesse.

458 459 460 461 462

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§ 10

Gewinnabschöpfung

pauschale“ Anhaltspunkte genügen,463 kann im Wege eines Auskunftsanspruchs auf Herausgabe der Geschäftsunterlagen begründet werden (zu den Beweisanforderungen Rn. 238).464 132 Anders als bei der kartellrechtlichen Vorteilsabschöpfung465 verbieten sich hypothetische Überlegungen nicht nur zur Kausalität der Gewinnerzielung als anspruchsbegründende Tatsache, sondern auch bei der Feststellung, welcher Anteil am Gewinn auf die unlautere Handlung zurückzuführen ist. Der hypothetische Gewinn, der bei einer rechtmäßigen Maßnahme alternativ erwirtschaftet worden wäre, ist nicht abzugsfähig.466

3. Zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern 133 Die Bedeutung der Gewinnabschöpfung als Marktregulierungsinstrument spiegelt sich auch darin wider, dass der Gewinn aus dem unlauteren Verhalten zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern erzielt sein muss.467 Damit werden unlautere Verhaltensweisen, die lediglich einzelne Marktteilnehmer und damit vor allem individuelle Interessen berühren, vom Anwendungsbereich des § 10 ausgenommen.468

134 a) Zu Lasten. Umstritten ist, wie das Merkmal „zu Lasten“ auszulegen ist.469 Nach der Begründung der endgültigen Fassung im Rechtsausschuss ist die Formulierung „zu Lasten“, die an die Stelle der Formulierung „auf Kosten“ getreten ist, so zu verstehen, „dass durch die Zuwiderhandlung bei einer Vielzahl von Abnehmern eine wirtschaftliche Schlechterstellung eingetreten“ sein muss.470

aa) Wirtschaftliche Schlechterstellung (1) Meinungsstand 135 (a) Unmittelbarer Vermögensnachteil der Abnehmer. Nach teilweise vertretener Auffassung im Schrifttum setzt eine wirtschaftliche Schlechterstellung voraus, dass dem Gewinn des Zuwiderhandelnden ein unmittelbarer Vermögensnachteil der Abnehmer gegenübersteht, so dass als Abnehmer nur die unmittelbaren Vertragspartner des Zuwiderhandelnden in Betracht kämen.471 Hiernach ist bei der Bestimmung der wirtschaftlichen Schlechterstellung eine Gegenleistung des Zuwiderhandelnden grundsätzlich zu berücksichtigen. Der unmittelbare Vermögensnachteil wird zum Teil sehr restriktiv auf die Fälle beschränkt, in denen den Abnehmern aufgrund des gewinnbringenden Geschäfts ein eigener zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch

463 Vgl. BGH 14.5.2009 – I ZR 98/06 – BGHZ 181, 98 Tz. 42 = GRUR 2009, 856 Tz. 42 – Tripp-Trapp-Stuhl m. w. N.; Teplitzky GRUR 1987, 215, 216 zu Schadensersatzansprüchen aufgrund unlauterer Handlungen m. w. N.; Baumbach/ Lauterbach/Hartmann § 287 ZPO Rn. 25; ähnlich auch bereits Klauser JZ 1968, 167, 169. 464 Gärtner GRUR Int. 2008, 817, 819. 465 Zu der Berücksichtigung des hypothetischen Wettbewerbspreises Frankfurter Kommentar/Roth § 34a GWB Rn. 24. 466 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 231; a. A. Sosnitza GRUR 2003, 549, 554. 467 Kritisch und für eine Streichung BR Drucks. 26/15 Beschl. v. 6.3.2015, Ziff. 6. 468 Begr. RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487, S. 24. 469 Zum Meinungsstand OLG Frankfurt 20.5.2010 – 6 U 33/09 – GRUR-RR 2010, 482, 483 und OLG Frankfurt 4.12.2008 – 6 U 186/07 – GRUR-RR 2009, 265, 268; Alexander, S. 533 ff.; MüKo/Micklitz Rn. 102 ff. m. w. N.; Sieme WRP 2009, 914. Zu der Entwicklung dieses Merkmals im Laufe der Gesetzgebung Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 178 ff. 470 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss), BTDrucks. 15/2795, S. 21. 471 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 9; Ohly/Sosnitza Rn. 9; BeckOK UWG/Eichelberger Rn. 40; Pokrant FS Ullmann S. 813, 815; Sieme WRP 2009, 914, 919 ff.; Sieme S. 105 ff. Poelzig

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B. Anspruchsvoraussetzungen

§ 10

zusteht.472 Gegen diese restriktive Auslegung spricht jedoch, dass der Gesetzgeber mit dem Verzicht auf die ursprünglich avisierte Anknüpfung an den Schaden die Gewinnabschöpfung bewusst von dem Schadenserfordernis lösen wollte und der Anwendungsbereich anderenfalls zudem erheblich eingeschränkt wäre.473 Andere lassen es für den unmittelbaren Vermögensnachteil daher genügen, dass die ge- 136 winnbringende geschäftliche Handlung Grundlage für eigene bürgerlich-rechtliche Rechte oder Ansprüche der Abnehmer gegen den Zuwiderhandelnden ist.474 Solche Ansprüche sollen insbesondere Gewährleistungsrechte gemäß §§ 434 ff. BGB, aber auch Ansprüche aus culpa in contrahendo gemäß §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB oder deliktsrechtliche Ansprüche gemäß §§ 823 ff. BGB sowie Anfechtungs-475 oder Widerrufsrechte sein.476 Der Abschöpfungsanspruch gemäß § 10 besteht hiernach auch dann, wenn die Rechte der Abnehmer mangels Geltendmachung bereits erloschen oder verjährt sind.477 Diese Auffassung korrespondiert am ehesten mit der Gesetzesbegründung zu dem Merkmal „auf Kosten“, wonach „der Gewinnerzielung unmittelbar ein Vermögensnachteil der Abnehmer“ gegenüber stehen muss und ein Vermögensnachteil grundsätzlich dann fehlen wird, „wenn der vom Zuwiderhandelnden erzielte Preis völlig angemessen ist“.478 Eine wirtschaftliche Schlechterstellung liegt nach dieser Auffassung vor, wenn die Leistung der Abnehmer und die Gegenleistung des Zuwiderhandelnden in keinem angemessenen Verhältnis zueinander stehen oder der Abnehmer einen sonstigen Nachteil, beispielsweise in Form von Aufwendungen, die ohne die unlautere Wettbewerbshandlung nicht angefallen wären, erlitten hat. Damit sind jedenfalls die Fälle erfasst, in denen Abnehmer einen Vermögensnachteil erleiden, weil sie – wie etwa bei Mogelpackungen oder einem Minderausschank479 – einen nachteiligen Vertrag mit einem aus ihrer Sicht ungünstigem Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung abgeschlossen haben. Folge dieser Auffassung ist jedoch, dass dem Richter die Aufgabe zukäme, einen gerechten hypothetischen Wettbewerbspreis zu ermitteln, um letztlich die Angemessenheit des tatsächlich verlangten Preises beurteilen zu können.480 Die Gegenleistung soll nach dieser Auffassung nur dann außer Betracht bleiben, wenn die Abnehmer an der Leistung „kein Interesse haben, mithin eine aufgedrängte Bereicherung vorliegt“.481 Um die Schwierigkeiten beim Nachweis eines konkreten individuellen Vermögensnachteils 137 zu vermeiden, halten andere Stimmen im Schrifttum zwar an dem Erfordernis eines Vermögensnachteils fest, stellen aber darauf ab, ob die Zuwiderhandlung als solche typischerweise geeignet ist, Vermögensnachteile bei Abnehmern zu verursachen.482 Hiernach genügt bereits der Abschluss eines möglicherweise ungewollten Vertrags, ohne dass nachzuweisen sei, ob der Vertrag im konkreten Fall tatsächlich unerwünscht war.483

472 473 474 475 476

Sieme WRP 2009, 914, 919 ff.; Sieme S. 105 ff. Alexander, S. 533. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 10; BeckOK UWG/Eichelberger Rn. 40; Pokrant FS Ullmann S. 813, 815. OLG Frankfurt 4.12.2008 – 6 U 186/07 – GRUR-RR 2009, 265, 268 – Abo-Fallen. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 10. Offen gelassen in OLG Frankfurt 4.12.2008 – 6 U 186/07 – GRUR-RR 2009, 265, 268 – Abo-Fallen. 477 OLG Frankfurt 4.12.2008 – 6 U 186/07 – GRUR-RR 2009, 265, 268 – Abo-Fallen; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 10. 478 RegE UWG 2003, S. 24; ebenso Wimmer-Leonhardt GRUR 2004, 12, 14. 479 Hierzu Alexander, S. 531 mit Verweis auf BGH 21.4.1983 – I ZR 30/81 – GRUR 1983, 451 – Ausschank unter Eichstrich I m. Anm. Abels; BGH 10.12.1986 – I ZR 136/84 – GRUR 1987, 180 – Ausschank unter Eichstrich II. 480 Sosnitza GRUR 2003, 739, 746. 481 jurisPK-UWG/Koch Rn. 33 ff.; RegE UWG 2003, S. 24. 482 Harte/Henning/Goldmann Rn. 103 ff.; Ohly/Sosnitza Rn. 9. 483 Ohly/Sosnitza Rn. 9. 369

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§ 10

Gewinnabschöpfung

138 (b) Beeinträchtigung lauterkeitsrechtlich geschützter Abnehmerinteressen. Die Gegenauffassung löst das Erfordernis der wirtschaftlichen Schlechterstellung vollständig von dem Begriff des Vermögensnachteils ab und dehnt den Tatbestand auch auf Beeinträchtigungen sonstiger lauterkeitsrechtlich geschützter Interessen von Abnehmern aus.484 Hiernach können unlautere Maßnahmen durch § 10 sanktioniert werden, auch wenn die hierdurch veranlassten Verträge ausgewogen und die Leistungen nicht schlechthin unbrauchbar sind.485 Das durch die Werbung beeinträchtigte Interesse des Abnehmers, nicht belästigt zu werden, genügt nach dieser Auffassung.

139 (c) Rechtsprechung. In der Rechtsprechung findet sich bislang keine einheitliche Definition für das Merkmal „zu Lasten“.486 Nach Auffassung des OLG Stuttgart muss die Zuwiderhandlung bei einer Vielzahl von Abnehmern eine wirtschaftliche Schlechterstellung hervorgerufen haben, wofür auch bereits der Abschluss eines Vertrages bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung ausreichen kann.487 Das OLG Naumburg lässt es hingegen genügen, dass die Wettbewerbshandlung die Interessen anderer Marktteilnehmer beeinträchtigt.488 Durch das Merkmal „zu Lasten“ sollten lediglich Zuwiderhandlungen ausgeklammert werden, die ausschließlich Mitbewerber beeinträchtigten. Das LG Hanau489 und das LG Frankfurt490 verlangen jeweils eine wirtschaftliche Schlechterstellung im Sinne eines unmittelbaren Vermögensnachteils auf Seiten der Abnehmer mit der Begründung, dass die Gewinnabschöpfung das Marktversagen korrigieren solle, das darin besteht, dass Abnehmer zwar eigene bürgerlich-rechtliche Ansprüche zur Sicherung ihrer Vermögensinteressen gegen den Zuwiderhandelnden hätten, diese aber nicht geltend machten. Das OLG Frankfurt hat die Frage im Ergebnis offen gelassen.491

140 (2) Stellungnahme. Gegen die Forderung eines unmittelbaren Vermögensnachteils spricht, dass der Rechtsausschuss mit der Änderung des Wortlauts (von „auf Kosten“ zu „zu Lasten“) klarstellen wollte, „dass der Gewinnabschöpfungsanspruch nicht die Ermittlung von einzelfallbezogenen Nachteilen voraussetzt“,492 also eine Saldierung von Vor- und Nachteilen eines konkreten Geschäfts ausschließen wollte.493 Eine individuell-konkrete Betrachtung hätte zudem eine rechtspolitisch nicht wünschenswerte richterliche Preiskontrolle zur Folge.494 Nicht zuletzt führte eine individuell-konkrete Betrachtung dazu, dass der Abnehmerbegriff des § 10 auf unmittelbare Abnehmer beschränkt wäre, da bürgerlich-rechtliche Ansprüche

484 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 191; MüKo/Micklitz Rn. 110 ff.; Alexander WRP 2004, 407, 418; Neuberger S. 104 ff.; ohne die Einschränkung, dass es sich um lauterkeitsrechtlich geschützte Abnehmerinteressen handeln muss Gärtner GRUR Int. 2008, 817, 820 f. 485 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 205; Harte/Henning/Goldmann Rn. 85; Alexander WRP 2004, 407, 418; Alexander JZ 2006, 890, 895. 486 Vgl. LG München I 17.9.2014 ‒ 37 O 16359/13 ‒ GRUR-RR 2015, 255, 256. 487 OLG Stuttgart 2.11.2006 –2 U 58/06 – GRUR 2007, 435, 437 – Veralteter Matratzentest mit Verweis auf BGH 8.3.2005 – XI ZR 170/04 – BGHZ 162, 306, 309 f. zu § 37a WpHG (Schaden durch Erwerb eines Wertpapiers unabhängig von dessen Kursentwicklung). 488 OLG Naumburg 27.6.2008 – 10 U 77/07 – nicht veröffentlicht. 489 LG Hanau 17.9.2008 – 1 O 569/08 – CR 2009, 124. 490 LG Frankfurt/M 5.9.2007 – 3-08 O 36/07 – nicht veröffentlicht. 491 OLG Frankfurt 4.12.2008 – 6 U 186/07 – GRUR-RR 2009, 265, 268; OLG Frankfurt 4.12.2008 – 6 U 187/07 – CR 2009, 253, 257. Ebenfalls offenlassend OLG Frankfurt 20.5.2010 – 6 U 33/09 – GRUR-RR 2010, 482, 483. 492 BTDrucks. 15/2795, S. 21. 493 Ohly/Sosnitza Rn. 9. 494 Ohly/Sosnitza Rn. 9; Sosnitza GRUR 2003, 739, 746. Poelzig

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B. Anspruchsvoraussetzungen

§ 10

gegen den Zuwiderhandelnden in der Regel nur innerhalb von Geschäftskontakten bestehen werden.495 Doch auch eine typisierende Betrachtung ist nicht geeignet, alle problematischen Fälle 141 überzeugend zu bewältigen. Sie stößt vor allem an ihre Grenzen, soweit Leistung und Gegenleistung in einem angemessenen Verhältnis stehen und damit rein rechnerisch kein Vermögensnachteil vorliegt, aber Abnehmer das Geschäft ohne die Zuwiderhandlung nicht abgeschlossen oder unnütze Aufwendungen nicht getätigt hätten. Zwar soll es nach der typisierenden Betrachtung ausreichen, dass es sich um möglicherweise ungewollte Verträge handelt; ob aber Abnehmer ein Geschäft als aufgedrängte Bereicherung empfinden oder in ihren Erwartungen enttäuscht werden und insoweit das Geschäft einen Vermögensnachteil darstellt, lässt sich nicht typisierend, sondern nur anhand des konkreten Einzelfalls beurteilen.496 Nimmt man den marktregulierenden Charakter der Gewinnabschöpfung als Steuerungsins- 142 trument (dazu Rn. 17 ff.) ernst, spricht viel dafür, das Merkmal „zu Lasten“ extensiv zu verstehen und auf sämtliche wettbewerbsrechtlich geschützte Interessen der Abnehmer abzustellen.497 Der Wortlaut des § 10 („zu Lasten“) erlaubt ein solch weites Begriffsverständnis gegen die Gesetzesbegründung. Abnehmer sind nicht nur durch Vermögensnachteile belastet,498 sondern auch bei sonstigen Beeinträchtigungen lauterkeitsrechtlich geschützter Interessen.499 Die Gewinnabschöpfung zielt nicht als „verkappte Kollektivklage“500 auf den Schutz von Vermögensinteressen der Abnehmer durch die gebündelte Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen. Daher hat sich der Gesetzgeber bereits in dem frühen Stadium des RefE gegen den Begriff des Schadens auf Seiten der Abnehmer entschieden. Sinn und Zweck des § 10 ist es vielmehr, die Durchsetzung der lauterkeitsrechtlichen Normen durch den abschreckenden Effekt der Gewinnentziehung zu verbessern. Fehlverhalten soll sich nicht lohnen. Zwar sollen hier vor allem die Fälle erfasst werden, in denen bei Streu- und Bagatellschäden die Geschädigten selbst ihre Ansprüche nicht geltend machen.501 Das Bedürfnis nach Marktregulierung im Allgemeininteresse und zur wirksamen Normdurchsetzung wird aber durch die Beeinträchtigung der Lauterkeit als Institution ausgelöst. Davon ist schon bei einer Beeinträchtigung von wettbewerbsrelevanten Interessen einer Vielzahl von Abnehmern auszugehen (vgl. § 1 S. 2). Demgemäß sind die Tatbestände, die durch § 10 sanktioniert werden, nicht zwingend auf Vermögensinteressen der Abnehmer beschränkt. So dient vor allem der in § 10 ausdrücklich erwähnte § 7 nicht dem Schutz von Vermögensinteressen, sondern dem Schutz der Marktteilnehmer vor einer unangemessenen Beeinträchtigung ihrer privaten oder beruflichen Sphäre sowie ihrer Entscheidungsfreiheit.502 Das Tatbestandsmerkmal „zu Lasten“ ist daher sowohl bei Beeinträchtigungen von Vermögensinteressen als auch sonstigen Interessen von Abnehmern erfüllt.503 Welche Abnehmerinteressen beeinträchtigt sein müssen, richtet sich folglich nach dem jeweils verletzten lauterkeitsrechtlichen Verbot.504

495 496 497 498 499

Alexander, S. 534. Alexander, S. 537. Alexander WRP 2004, 407, 418. So die Begr. RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 24. Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 191; Alexander, S. 541; Alexander WRP 2004, 407, 418; a. A. Neuberger S. 104. Anders freilich ausdrücklich die Gesetzesbegründung Begr. RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 24. 500 So zu § 34a GWB Frankfurter Kommentar/Roth § 34a GWB Rn. 28. 501 Begr. RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 24. 502 Alexander, S. 541 f. 503 So auch Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 198 ff.; Alexander, S. 520 ff. Eine eigenständige Bedeutung des Merkmals „zu Lasten“ in § 34a GWB als anspruchsbegründende Voraussetzung neben dem Gewinnerfordernis vollständig ablehnend Frankfurter Kommentar/Roth § 34a GWB Rn. 28. 504 Alexander, S. 543. Zu der Einteilung in Fallgruppen Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 202 ff.; Harte/ Henning/Goldmann Rn. 42 ff.; MüKo/Micklitz Rn. 70 ff.; Neuberger S. 68 ff.; Bauer S. 122 ff. 371

Poelzig

§ 10

Gewinnabschöpfung

143 bb) Unmittelbare Nachteile. Diejenigen, die einen Vermögensnachteil auf Seiten der Abnehmer verlangen, sind sich darüber hinaus uneinig, ob der Vermögensnachteil unmittelbar mit dem erzielten Gewinn korrespondieren muss: Ein unmittelbarer Zusammenhang wird zum Teil verlangt, so dass ausschließlich die Vermögensinteressen der Vertragspartner des Zuwiderhandelnden beachtlich sind.505 Nach a. A. genügt eine nur mittelbare Benachteiligung einer Vielzahl von Abnehmern.506 Der Gewinn des Normadressaten und die Nachteile der Abnehmer müssen demnach nicht zwingend miteinander korrespondieren.507 Gegen die Voraussetzung einer strengen Konnexität zwischen der wirtschaftlichen Benachteiligung der Abnehmer und dem Gewinn des Zuwiderhandelnden spricht vor allem der Umstand, dass der Gesetzgeber im Laufe der Gesetzgebungsgeschichte bewusst auf die bereicherungsrechtliche Formulierung „auf Kosten“ verzichtet hat,508 die nach der Gesetzesbegründung klarstellen sollte, dass der Gewinnerzielung unmittelbar ein Vermögensnachteil der Abnehmer gegenüberstehen muss. 144 Geht man indes – wie hier – davon aus, dass die Beeinträchtigung sonstiger lauterkeitsrechtlich geschützter Interessen der Abnehmer genügt und der Anwendungsbereich nicht auf Vermögensinteressen der Abnehmer beschränkt ist, ist das Erfordernis einer „Stoffgleichheit“509 zwischen dem Gewinn des Zuwiderhandelnden und dem Nachteil der Abnehmer bereits per definitionem ausgeschlossen.510 Es genügt eine kausale Verknüpfung zwischen dem Gewinn des Zuwiderhandelnden und den lauterkeitsrechtlich erfassten Nachteilen der Abnehmer, wie etwa bei dem Gewinn durch eingesparte Kosten für nach dem UWG erforderliche Informationen der Abnehmer.511

b) Abnehmer 145 aa) Abnehmerbegriff. Das Gesetz definiert den Begriff des Abnehmers nicht. Nach der Gesetzesbegründung sind hiermit nicht nur die Verbraucher, sondern alle Marktteilnehmer gemeint.512 Zu den Marktteilnehmern zählen neben den Verbrauchern auch Unternehmen, Vereine, Verbände oder die öffentliche Hand.513 146 Ausgehend von dem Begriff des Abnehmers sind hiervon gleichwohl nicht alle Marktteilnehmer iSd. Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Nr. 2 erfasst. Abnehmer sind die Marktteilnehmer, die in einem Vertikalverhältnis zu dem Verletzer stehen, d. h. auf nachgelagerten Marktstufen Leistungen des Zuwiderhandelnden nachfragen. Unerheblich ist, wer die Kosten für die Waren oder Dienstleistungen trägt.514 Abnehmer iSd. § 10 ist stets die Person, die die Waren und Dienstleistungen nachfragt, auch wenn letztendlich Dritte – etwa Versicherungen oder Krankenkassen – die Kosten tragen.515 505 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 9 f.; Pokrant FS Ullmann S. 813, 816; s. auch BGH GRUR 2008, 818 Rn. 135 – Strafbare Werbung im Versandhandel; LG München I GRUR-RR 2015, 255, 256 – Zahnreinigung für 39 EUR. So etwa für den strafrechtlichen Verfall BGH 30.5.2008 – 1 StR 166/07 – BGHSt 52, 227 (insoweit nicht abgedr.) = GRUR 2008, 818 Tz. 135 – Strafbare Werbung im Versandhandel. 506 Harte/Henning/Goldmann Rn. 51; MüKo/Micklitz Rn. 121; BeckOK UWG/Eichelberger Rn. 41. 507 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 198 ff.; BeckOK UWG/Eichelberger Rn. 41; Harte/Henning/Goldmann Rn. 109 f.; MüKo/Micklitz Rn. 110 ff.; Alexander WRP 2004, 407, 418; Schaub GRUR 2005, 918, 923; Neuberger S. 104 ff.; Augenhofer/Stadler S. 117, 134. 508 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 198. 509 Vgl. zu diesem Begriff Leistner/Pohlmann WRP 2003, 815, 829. 510 Alexander, S. 542. 511 Alexander, S. 542. 512 Stellungnahme des Bundesrates RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 34. 513 Begr. RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 24. 514 Alexander, S. 522. 515 Alexander, S. 522. Poelzig

372

B. Anspruchsvoraussetzungen

§ 10

Eng mit der Frage nach der Stoffgleichheit zwischen Gewinn und Nachteil (vgl. Rn. 95 f.) 147 verknüpft ist die Frage, ob im Falle von Absatzketten neben dem unmittelbaren Vertragspartner des Verletzers sämtliche Marktteilnehmer auf nachgelagerten Marktstufen als Abnehmer iSd. § 10 in Frage kommen. Rechtsprechung und Teile der Literatur beschränken den Abnehmerbegriff auf den konkreten Vertragspartner des Zuwiderhandelnden, also auf unmittelbare Abnehmer.516 Nach a.A. sind auch die Gewinne zu beachten, die der Verletzer zu Lasten mittelbarer Abnehmer auf nachgelagerten Marktstufen erlangt hat.517 Für die Erfassung unmittelbarer und mittelbarer Abnehmer sprechen die Gesetzesmateriali- 148 en: So ging die Bundesregierung der Anregung des Bundesrats im RegE zum UWG, ausschließlich unmittelbare Vertragspartner des Zuwiderhandelnden als Abnehmer zu definieren, nicht weiter nach.518 Einem weiten Abnehmerbegriff folgt der Gesetzgeber ausdrücklich auch für § 34a GWB, wonach „nicht nur die unmittelbaren Abnehmer, sondern alle potentiell geschädigten Abnehmer bis hin zum Endabnehmer“ erfasst sind.519 Nicht zuletzt entspricht die Einbeziehung mittelbarer Abnehmer auch dem Regelungsziel von § 10. Eine abschreckende Wirkung wird durch die Abschöpfung des wirtschaftlichen Gewinns des Zuwiderhandelnden erreicht, unabhängig davon, auf welcher Marktstufe ein Nachteil durch die Zuwiderhandlung eingetreten ist. Als Instrument der Normdurchsetzung ist § 10 – wie die sanktionierten lauterkeitsrechtlichen Verhaltensnormen – von unmittelbaren vertraglichen Beziehungen zwischen dem Zuwiderhandelnden und dem Abnehmer unabhängig.520 Maßgeblich ist allein die Beschränkung auf Vertikalverhältnisse, also die Marktposition der betroffenen Abnehmer als Nachfrager von Waren und Dienstleistungen des Zuwiderhandelnden.

bb) Mitbewerber und Anbieter. Nicht erfasst ist der Gewinn, den der Verletzer im horizonta- 149 len Verhältnis zu Lasten von Mitbewerbern iSd. § 2 Abs. 1 Nr. 3 erzielt hat.521 Denkbar ist, dass eine Zuwiderhandlung gegen §§ 3 oder 7 zusätzliche Umsätze und so höheren Gewinn durch Wettbewerbsvorteile zu Lasten von Mitbewerbern ermöglicht, ohne dass Abnehmer hierdurch benachteiligt werden.522 In diesen Fällen – bei einem Gewinn ausschließlich zu Lasten der Mitbewerber, also unter Verstoß gegen mitbewerberschützende Vorschriften – erfolgt eine Sanktionierung bereits durch die Schadensersatzansprüche der geschädigten Mitbewerber gemäß § 9, so dass es insoweit an einem vergleichbaren Durchsetzungsdefizit wie im Falle der geschädigten Abnehmer fehlt. Im Unterschied zu der kartellrechtlichen Vorteilsabschöpfung gemäß § 34a GWB erfasst § 10 150 auch nicht solche Gewinne, die der Verletzer im vertikalen Vertriebsverhältnis auf Kosten seiner Lieferanten erzielt. Hierbei handelt es sich um Anbieter, nicht um Abnehmer.523 Obgleich auch Abnehmer ihre Nachfragemacht zu unlauteren Verhaltensweisen – etwa gemäß §§ 3 Abs. 1; 4 Nr. 4; 4a– ausnutzen und Streu- und Bagatellschäden verursachen können,524 hat der Gesetzgeber gleichwohl Gewinne zu Lasten von Anbietern nicht in den Anwendungsbereich aufgenommen. Eine analoge Anwendung des § 34a GWB auf lauterkeitsrechtliche Verstöße ist insoweit mangels planwidriger Regelungslücke ausgeschlossen, da die beiden Regelungen nahezu zeit516 BGH 30.5.2008 – 1 StR 166/07 – BGHSt 52, 227 (insoweit nicht abgedr.) = GRUR 2008, 818 Tz. 135 – Strafbare Werbung im Versandhandel; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 11; Neuberger S. 108; Ohly/Sosnitza Rn. 8.

517 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 208; BeckOK UWG/Eichelberger Rn. 43; Harte/Henning/Goldmann Rn. 101 f.; MüKo/Micklitz Rn. 121; Fezer FS Bornkamm S. 335, 348. 518 RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 34. 519 RegE BTDrucks. 15/3640, S. 56. 520 Alexander, S. 522. 521 Harte/Henning/Goldmann Rn. 102; Ohly/Sosnitza Rn. 10; BeckOK UWG/Eichelberger Rn. 42; Alexander WRP 2004, 407, 418; Alexander S. 522. 522 Zu einem Beispiel Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 8. 523 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 8. 524 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 4.133 ff.; Alexander, S. 523. 373

Poelzig

§ 10

Gewinnabschöpfung

gleich eingeführt wurden. Mit Rücksicht auf die Funktion des § 10, eine effektive Durchsetzung des Lauterkeitsrechts im Allgemeininteresse zu gewährleisten, empfiehlt sich aber de lege ferenda, die Regelung auf Gewinne zu Lasten von Anbietern zu erweitern.525

151 c) Vielzahl. Notwendig ist, dass eine Vielzahl von Abnehmern durch die Zuwiderhandlung belastet wird. Nach der Gesetzesbegründung muss es sich um einen „größeren Personenkreis“ handeln.526 Die amtlichen Materialien ziehen hier eine Parallele zu § 16 (zuvor §§ 4, 6c a. F.),527 wonach ein größerer Personenkreis „eine nach Zahl und Persönlichkeit im Voraus unbestimmte und unbegrenzte Mehrheit von Personen“ darstellt.528 In § 16 Abs. 1 geht es wie in § 10 vor allem darum, mit der Vielzahl von Abnehmern die Gefährlichkeit der unlauteren Handlung zu begründen.529 Eine Vielzahl von Abnehmern liegt demnach vor, wenn sich das unlautere Verhalten auf einen nicht abgrenzbaren Personenkreis auswirken kann.530 In sich geschlossene Personenkreise werden demnach grundsätzlich nicht erfasst. Etwas anderes soll jedoch für sehr große Gruppen gelten, z. B. die Mitglieder eines größeren Vereins.531 152 Allerdings sind bei der Übertragung der für § 16 entwickelten Grundsätze auf die Gewinnabschöpfung die unterschiedlichen Sanktionszwecke ausreichend zu berücksichtigen. Während mit dem Erfordernis der Vielzahl in § 16 die Strafwürdigkeit des Verhaltens begründet werden soll und daher vor allem auch die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 103 Abs. 2, 3 GG zu beachten sind, dient § 10 demgegenüber dazu, besonders gefährliche unlautere Verhaltensweisen aus Präventionsgründen zu erfassen und unlauteres Verhalten, das einzelne Marktteilnehmer und damit primär Individualinteressen berührt, aus dem Anwendungsbereich des § 10 auszuschließen.532 Die Grundsätze zu § 16 können zwar auch in § 10 herangezogen werden; es sind aber an den Begriff der Vielzahl in § 10 weniger strenge Anforderungen zu stellen. 153 Im Schrifttum werden teilweise absolute Zahlen angegeben: So wird u. a. Bezug genommen auf § 305 Abs. 1 S. 1 BGB, wonach eine „Vielzahl von Verträgen“ bei mindestens drei Verträgen angenommen wird. Demnach wäre eine Vielzahl von Abnehmern iSd. § 10 bei mindestens drei Abnehmern gegeben.533 Andere verlangen mindestens 15 bis 30 Abnehmer534 oder in der Regel 50 Abnehmer.535 Eine absolute Mindestangabe ist indes nicht möglich.536 154 Wie in § 16 ist das Vorliegen einer Vielzahl relativ nach den konkreten Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung des Regelungszwecks zu bestimmen. Nach der Gesetzesbegründung richtet „sich die Sanktionswirkung des Gewinnabschöpfungsanspruches nur gegen besonders gefährliche unlautere Handlungen …, nämlich solche mit Breitenwirkung, die tendenziell eine größere Anzahl von Abnehmern betreffen können“.537 Zuwiderhandlungen zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern sind demnach insbesondere solche, die mit Hilfe von Massenmedien – etwa bei der Veröffentlichung von Informationen auf einer frei zugänglichen

525 526 527 528 529 530 531

So auch Alexander, S. 523. Begr. RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 24. Begr. RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 24. Zustimmend Alexander, S. 525. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 16 Rn. 15. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 16 Rn. 2. So auch für § 10 Alexander, S. 525 f. Grundlegend BayObLG 24.9.1931 – II Nr. 421/1931 – LZ 1932, 185 – 4960 Vereinsmitglieder. Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 16 Rn. 15. Kritisch Harte/Henning/Dreyer § 16 Rn. 22. 532 Begr. RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 24. 533 Vgl. BGH 27.9.2001 – VII ZR 388/00 – NJW 2002, 138, 139; Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 210; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 12; Alexander, S. 526 f. 534 Micklitz/Stadler S. 36. 535 Harte/Henning/Goldmann Rn. 99. 536 Ohly/Sosnitza Rn. 11; Alexander, S. 525. 537 Begr. RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 24. Poelzig

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C. Rechtsfolgen

§ 10

Internetseite538 – verbreitet werden.539 Auch Standardbriefe bzw. Standard-E-Mails, eingeübte und automatisierte Telefonanrufe können eine solche Breitenwirkung erzielen.540 Eine Vielzahl ist dann nicht anzunehmen, wenn sich individuelle Wettbewerbsverstöße gezielt gegen einzelne Abnehmer richten.541 Die Irreführung eines Abnehmers in einem individuellen Verkaufsgespräch wird demnach nicht durch § 10 sanktioniert.542 Die dazwischen liegenden problematischen Fälle sind darauf hin zu untersuchen, ob sie eine Breitenwirkung entfalten.543 Dies ist in einer Zusammenschau verschiedener Faktoren zu ermitteln. So hat das OLG Frankfurt z. B. das Vorliegen einer Vielzahl von Abnehmern mit der Werbewirksamkeit der Internetauftritte, dem hohen Irreführungspotential und der Dauer der Zuwiderhandlungen mindestens über mehrere Monate begründet.544

C. Rechtsfolgen Der Anspruch ist auf Herausgabe des (verbliebenen) Gewinns an den Bundeshaushalt gerichtet. 155

I. Passivlegitimation 1. Grundsätzliches Verpflichtete des § 10 Abs. 1 sind diejenigen, die vorsätzlich den §§ 3 und 7 zuwidergehandelt 156 und hierdurch zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern einen Gewinn erzielt haben.545 Die Voraussetzungen müssen kumulativ in der Person des Anspruchsgegners erfüllt sein. Anders als bei § 34a GWB ist der Anwendungsbereich des § 10 nicht auf Unternehmen beschränkt. Daher können auch Mitarbeiter und gesetzliche Vertreter passivlegitimiert sein, zumal sie selbst gegen die lauterkeitsrechtlichen Tatbestände verstoßen können, da es sich hierbei – anders als im Kartellrecht – nicht um unternehmensbezogene Verhaltensnormen handelt.546 Dennoch wird eine Gewinnabschöpfung bei Organmitgliedern, Mitarbeitern oder Vertretern wegen der Zuwiderhandlung zugunsten eines Unternehmens ausscheiden, da die Passivlegitimation neben der (zurechenbaren) Zuwiderhandlung auch die Gewinnerzielung durch den Anspruchsverpflichteten voraussetzt. Die für ein Unternehmen handelnden Personen können zwar den Tatbestand der Zuwiderhandlung erfüllen; einen eigenen abschöpfbaren Gewinn zu Lasten der Abnehmer iSd. § 10 erwirtschaften sie aber auch dann nicht, wenn sie an dem Gewinn des Unternehmens erfolgsabhängig etwa durch eine Provision beteiligt werden.547 Der Anspruch richtet sich daher nicht gegen die handelnden gesetzlichen Vertreter oder Mitarbeiter eines gewinnerzielenden Unternehmens, soweit sie selbst dadurch keinen eigenen Gewinn erwirtschaftet haben.548

538 So in OLG Stuttgart 2.11.2006 – 2 U 58/06 – GRUR 2007, 435 – Veralteter Matratzentest; OLG Frankfurt 4.12.2008 – 6 U 186/07 – GRUR-RR 2009, 265 – Abo-Fallen, in denen das Vorliegen einer Vielzahl jeweils nicht problematisiert wurde. 539 Alexander, S. 526. 540 Alexander, S. 526. 541 So auch für § 34a GWB Frankfurter Kommentar/Roth § 34a GWB Rn. 27. 542 Zu diesem Beispiel Begr. RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 24. 543 So auch Alexander, S. 527; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 12; BeckOK UWG/Eichelberger Rn. 43. 544 Vgl. OLG Frankfurt 4.12.2008 – 6 U 186/07 – GRUR-RR 2009, 265, 267 – Abo-Fallen. 545 Ohly/Sosnitza Rn. 16; BeckOK UWG/Eichelberger Rn. 49. 546 Zu der Unterscheidung zwischen unternehmensbezogenen und nicht unternehmensbezogenen Verhaltensnormen Poelzig, S. 462 ff. 547 Alexander, S. 619; BeckOK UWG/Eichelberger Rn. 50. 548 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 16. 375

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§ 10

Gewinnabschöpfung

2. Mehrheit von Zuwiderhandelnden 157 Haben mehrere Personen den Tatbestand des § 10 gemeinschaftlich erfüllt, liegen die Voraussetzungen der Gesamtschuldnerschaft gemäß/analog § 840 BGB regelmäßig nicht vor. Anders als etwa beim Schadensersatzanspruch muss jeder der Täter nach der anspruchsbegründenden Norm des § 10 lediglich den eigenen erzielten Gewinn abführen, so dass die Täter bereits von vornherein nicht auf denselben Gegenstand haften. So kann es erst gar nicht zu den Konstellationen der Doppelentschädigung kommen, die von § 840 BGB erfasst werden sollen.549 Im Ergebnis haftet demnach jeder der Zuwiderhandelnden nur auf Herausgabe des gerade von ihm erzielten Gewinns und nicht in entsprechender Anwendung des § 840 BGB auf den gesamten durch die gemeinschaftlich begangene Zuwiderhandlung erwirtschafteten Gewinn.550

3. Haftung für fremdes Verhalten 158 Werden die Tatbestandsvoraussetzungen des § 10 – die Zuwiderhandlung und die Gewinnerzielung – jeweils durch unterschiedliche Personen erfüllt, stellt sich die Frage nach der Zurechnung fremden Verhaltens. 159 Für Zuwiderhandlungen der Mitarbeiter oder Beauftragten, durch die das Unternehmen einen Gewinn erzielt hat, gibt es eine Zurechnungsnorm, wie sie § 8 Abs. 2 für den Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch vorsieht (hierzu § 8 Rn. 142 ff.),551 in § 10 nicht. Eine Haftung des Unternehmens über die entsprechende Anwendung des § 831 BGB, auf den der Gesetzgeber in seiner Begründung ausdrücklich hinweist,552 greift nur unter den engen Voraussetzungen, dass ein Verrichtungsgehilfe tätig geworden ist. Zudem kann sich der Geschäftsherr von der Haftung gemäß § 831 BGB exkulpieren, wenn er den Verrichtungsgehilfen nachweislich sorgfältig ausgewählt und überwacht hat.553 Eine analoge Anwendung des weiterreichenden § 8 Abs. 2 auf andere privatrechtliche An160 sprüche, insbesondere auch Gewinnabschöpfungsansprüche, wird gleichwohl überwiegend abgelehnt.554 Das hierfür teilweise als Begründung angeführte Prinzip nulla poena sine culpa, das in Art. 103 Abs. 2 GG verankert ist, steht der analogen Anwendung indes nicht entgegen,555 da der Gewinnabschöpfungsanspruch zwar Sanktions- und Präventionscharakter hat, nicht aber der Repression als Strafe für kriminelles Unrecht oder jedenfalls als strafähnliche Sanktion für sonstiges Unrecht dient. Nur für diese Fälle gelten die strafrechtsbezogenen Verfahrensgarantien des Art. 103 Abs. 2, 3 GG (vgl. Rn. 24 f.).556 Aus Art. 103 Abs. 2 GG können daher keine Aussagen für oder gegen eine analoge Anwendung des § 8 Abs. 2 gezogen werden. Gegen eine analoge Anwendung spricht aber der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers, § 8 Abs. 2 ausschließlich auf

549 Zu diesem Normzweck des § 840 BGB MüKo/Wagner § 840 BGB Rn. 1. 550 Alexander, S. 619. 551 Die Zurechnung erfolgt sogar für unlauteres Verhalten ohne Wissen oder gar gegen den Willen des Betriebsinhabers, vgl. BGH 29.6.2000 – I ZR 29/98 – GRUR 2000, 907, 909 – Filialleiterfehler; BGH 5.4.1995 – I ZR 133/93 – GRUR 1995, 605, 607 – Franchise-Nehmer. 552 RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 22. 553 Für eine Zurechnung nur bei Vorsatz des Geschäftsherrn Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 244. 554 RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 22, 23; BGH 9.2.2006 – I ZR 73/02 – GRUR 2006, 426 Tz. 24 – Direktansprache am Arbeitsplatz II; Harte/Henning/Goldmann Rn. 72, § 8 Rn. 573. Zum § 13 Abs. 4 a. F. BGH 6.4.2000 – I ZR 67/98 – GRUR 2001, 82, 83 – Neu in Bielefeld I; BGH 12.6.1997– I ZR 36/95 – GRUR 1998, 167, 168 f. – Restaurantführer; BGH 5.10.1979 – I ZR 140/77 – GRUR 1980, 116, 117 – Textildrucke; a.A. GK-UWG/Schünemann2 Einl Rn. 66 ff. 555 So aber Harte/Henning/Goldmann Rn. 72. 556 BVerfG 23.4.1991 – 1 BvR 1443/87 – BVerfGE 84, 82, 89; BVerfG 14.2.1973 – 1 BvR 112/65 – BVerfGE 34, 269, 293 – Soraya; Mangoldt/Klein/Starck/Nolte Art. 103 GG Rn. 109; Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann Art. 103 GG Rn. 195. Vgl. zu § 611a BGB BVerfG 16.11.1993 – 1 BvR 258/86 – NJW 1994, 647, 647 f. – geschlechtsbezogene Diskriminierung. Poelzig

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C. Rechtsfolgen

§ 10

Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche anzuwenden.557 Für eine Analogie fehlt es demnach an der notwendigen planwidrigen Regelungslücke.558 De lege ferenda wird gleichwohl eine entsprechende Zurechnungsregelung im Rahmen des 161 § 10 erwogen: Die weitreichende Zurechnungsregelung in § 8 Abs. 2 beruht auf dem Gedanken, dass der Betriebsinhaber nicht den Nutzen aus der organisatorischen Ausweitung seiner Geschäftstätigkeit durch Mitarbeiter oder externe Beauftragte ziehen soll, ohne zugleich die hiermit verbundenen Risiken aus der Tätigkeit Dritter tragen zu müssen.559 Hinzu kommt, dass der Betriebsinhaber die Risiken im Zusammenhang mit seinem Unternehmen am besten überblicken und beherrschen kann.560 Diese Erwägungen treffen zwar nicht nur auf den Unterlassungsund Beseitigungsanspruch, sondern gleichermaßen auf den Gewinnabschöpfungsanspruch zu.561 Die weitergehende Rechtsfolge des § 10 im Interesse der Allgemeinheit und nicht der einzelnen Geschädigten spricht aber gegen eine § 8 Abs. 2 entsprechende strikte Zurechnung, zumal die §§ 31, 830 f. BGB analog die Zurechnung fremden Verhaltens unter den dort genannten Voraussetzungen ermöglichen. Zwar gelten die §§ 31, 830 f. BGB nach ihrem Wortlaut ausdrücklich nur für die Zurechnung 162 im Rahmen von Schadensersatzansprüchen. Eine (doppelt)562 analoge Anwendung der Zurechnungsnormen auf § 10 lässt sich aber damit begründen, dass es sich bei der Gewinnabschöpfung um deliktsrechtliche Ansprüche eigener Art handelt (hierzu vgl. Rn. 55), die eine den §§ 31, 830 f. BGB zugrunde liegenden Handlungen vergleichbare Struktur aufweisen. Unternehmen müssen sich demnach die Zuwiderhandlungen Dritter, die zu einem Gewinn des Unternehmens führen, in analoger Anwendung der §§ 31, 831 BGB zurechnen lassen. Kann das Verhalten des Zuwiderhandelnden dem durch den Gewinn Begünstigen nicht auf 163 der Grundlage der §§ 31, 831 BGB analog zugerechnet werden – so etwa bei einer unlauteren Maßnahme eines Handelsvertreters zugunsten seines Geschäftsherrn563 oder einer unlauteren Werbung eines Herstellers (auch) zugunsten der Händler des Produkts – kommt es auf die Beteiligung des begünstigten Unternehmens an der fremden Zuwiderhandlung analog § 830 Abs. 2 BGB als Anstifter oder Gehilfe an.564

II. Aktivlegitimation Da die ständige Rechtsprechung vom Doppelcharakter des § 8 Abs. 3 Nr. 2–4 abzulehnen ist 164 (vgl. Rn. 48), ist die Klage bei Fehlen der Aktivlegitimation als unbegründet, nicht bereits als unzulässig abzuweisen.

557 RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 22. 558 Im Ergebnis ebenso Harte/Henning/Goldmann Rn. 72; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 6; im Zusammenhang mit § 9 BGH 11.3.2010 – I ZR 123/08 – GRUR 2010, 936 Tz. 22 – Espressomaschine; BGH 9.2.2006 – I ZR 73/02 – GRUR 2006, 426 Tz. 24 – Direktansprache am Arbeitsplatz II. 559 Zu § 13 Abs. 4 a. F. vgl. die Ausführungen des Bundesministers der Justiz in BVerfG 25.10.1966 – 2 BvR 506/ 63 – BVerfGE 20, 323, 329 – nulla poena sine culpa; ebenso BGH 5.10.1979 – I ZR 140/77 – GRUR 1980, 116, 117 – Textildrucke m. Anm. Schulze zur Wiesche; BGH 22.9.1972 – I ZR 19/72 – GRUR 1973, 208, 209 – Neues aus der Medizin m. Anm. Storch; BGH 6.6.1958 – I ZR 33/57 – GRUR 1959, 38, 44 – Buchgemeinschaft II m. Anm. Bußmann; RG 22.5.1936 – II 285/35 – RGZ 151, 287, 292 – Alpina. 560 BGH 29.6.2000 – I ZR 29/98 – GRUR 2000, 907, 909 – Filialleiterfehler; BGH 5.4.1995 – I ZR 133/93 – GRUR 1995, 605, 607 – Franchise-Nehmer. 561 So auch für alle privatrechtlichen Ansprüche des UWG Alexander, S. 665 ff. 562 Da § 31 BGB nach seinem Wortlaut nur für Vereine und nicht für alle Unternehmen, insbesondere nicht für Personengesellschaften gilt, ist eine analoge Anwendung nach gefestigter Rechtsprechung auf andere Unternehmen möglich (hierzu statt aller MüKo/Arnold § 31 BGB Rn. 15 ff). 563 Zu diesem Beispiel Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 16. 564 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 16; BeckOK UWG/Eichelberger Rn. 51; Alexander, S. 619. 377

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§ 10

Gewinnabschöpfung

1. Anspruchsberechtigte Institutionen 165 Aktivlegitimiert sind die in § 8 Abs. 3 Nr. 2–4 genannten Institutionen (ausführlich dazu § 8 Rn. 192 ff.), d. h. Wirtschaftsverbände (§ 8 Abs. 3 Nr. 2), Verbraucherverbände (§ 8 Abs. 3 Nr. 3), und die Industrie- und Handelskammern bzw. Handwerkskammern (§ 8 Abs. 3 Nr. 4). Im Falle der Verbraucherverbände genügt die Eintragung in die Liste qualifizierter Einrichtungen allein nicht, sondern zudem muss die Prozessführung im konkreten Einzelfall vom Satzungszweck des klagenden Verbands umfasst sein.565 Nicht zur Gewinnabschöpfung berechtigt sind Mitbewerber iSd. § 8 Abs. 3 Nr. 1. Diese hat 166 der Gesetzgeber bewusst von der Aktivlegitimation als „mit Blick auf den Sanktionscharakter […] nicht angemessen“ ausgenommen.566 Der Bund als Begünstigter der Gewinnabschöpfung ist ebenso wenig zur Geltendmachung berechtigt. Eine behördliche Abschöpfung – wie im Kartellrecht gemäß § 34 GWB – existiert damit im Lauterkeitsrecht nicht. Ausländische Wirtschaftsverbände sind einerseits unter den Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 Nr. 2 klagebefugt, andererseits auch unter den Voraussetzungen von internationalen oder bilateralen Abkommen.567 Ausländische Verbraucherverbände können über den Verweis auf das Verzeichnis der Kommission nach Art. 4 Abs. 3 RL 2009/22/EG zur Klage berechtigt sein.568

2. Gesamtgläubigerschaft 167 § 10 Abs. 3 verweist für den Fall, dass mehrere berechtigte Institutionen den Anspruch geltend machen, auf die allgemeinen Vorschriften des BGB zur Gesamtgläubigerschaft gemäß §§ 428– 430 BGB. Dadurch soll der Verpflichtete vor einer mehrfachen Inanspruchnahme geschützt werden. Die Verweisung auf die §§ 428–430 BGB wird häufig als verfehlt kritisiert, da unterschiedliche Interessenlagen bestehen569 und die Verweisung „unglücklich gestaltet“570 bzw. „weitgehend sinnlos“ ist.571 Angesichts des derzeit ohnehin geringen Klageanreizes (dazu Rn. 33 ff.) dürfte es sich hierbei aber um ein eher theoretisches als um ein praktisch relevantes Problem handeln. In aller Regel werden sich die anspruchsberechtigten Institutionen darüber einigen, welche von ihnen den Abschöpfungsanspruch geltend macht. Dies hat auch der Gesetzgeber erkannt, aber gleichwohl eine gesetzliche Regelung für erforderlich erachtet.572 168 Die zentrale Aussage der Verweisung liegt zunächst darin, dass gemäß § 428 Abs. 1 BGB die anspruchsberechtigten Institutionen die Gewinnabschöpfung jeweils in vollem Umfang verlangen können, der Zuwiderhandelnde aber gleichwohl nur einmal die Leistung zu bewirken hat. Im Übrigen ist den Besonderheiten des § 10 durch eine entsprechende Anwendung der Regelungen zur Gesamtgläubigerschaft Rechnung zu tragen. So fallen bei der Gewinnabschöpfung im Unterschied zu den von §§ 428 ff. BGB unmittelbar erfassten Ansprüchen der Berechtigte – die anspruchsberechtigten Institutionen – und der Begünstigte – der Bundeshaushalt – auseinander. Da der Gewinn stets an den Bundeshaushalt abzuführen ist, steht daher die Leistung an den einen oder anderen Gläubiger – entgegen § 428 S. 1 2. HS BGB – nicht im Belieben des

565 BGH, Urteil vom 9.5.2019 – I ZR 205/17 – NJW 2019, 2691 Tz. 15 – Prozessfinanzierer II; BGH 13.9.2018 – I ZR 26/17 – NJW 2018, 3581 Tz. 20 – Prozessfinanzierer.

566 Begr. RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 24. 567 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 96 mVa. BGH 25.6.1969 – I ZR 15/67 – GRUR 1969, 611, 612; BGH 16.12.1993– I ZR 277/ 91 – GRUR 1994, 307, 308 sowie Fezer/Büscher/Obergfell/Büscher § 8 Rn. 249 ua. mVa. BGH 4.6.1987 – I ZR 109/ 85 – GRUR 1988, 453, 455. 568 Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 112; Fezer/Büscher/Obergfell/Büscher § 8 Rn. 277 f.; Götting/Nordemann/Wündisch Rn. 6. 569 Alexander, S. 567. 570 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 260. 571 Teplitzky/Schraub Kap. 37 Rn. 15. 572 Begr. RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 24. Poelzig

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C. Rechtsfolgen

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Schuldners. Aufgrund dessen ist bei der Anwendung des § 429 Abs. 1 BGB auch zu berücksichtigen, dass es für den Annahmeverzug nicht auf das Verhalten der anspruchsberechtigten Institutionen als Gesamtgläubiger ankommen kann, sondern auf das Verhalten der zuständigen Stelle iSd. § 10 Abs. 5 abgestellt werden muss.573 Da der Abschöpfungsanspruch nicht durch Leistung an eine der anspruchsberechtigten Institutionen, sondern nur durch Abführung an den Bundeshaushalt erfüllt werden kann, ist die § 429 Abs. 2 BGB zugrunde liegende Situation, dass der Schuldner gewissermaßen an sich selbst als Gesamtgläubiger leistet, im Falle des § 10 nicht möglich. Daher führt die Konfusion bei einem der Gläubiger entgegen § 429 Abs. 2 BGB nicht zum Erlöschen der Abschöpfungsansprüche der übrigen aktivlegitimierten Institutionen.574 Darüber hinaus ist bei der Anwendung der §§ 428–430 BGB auch zu berücksichtigen, dass 169 die anspruchsberechtigten Institutionen bei der Geltendmachung des § 10 nicht im eigenen Interesse tätig werden, sondern zur wirksamen Prävention und Abschreckung575 im Allgemeininteresse an dem Schutz des Wettbewerbs.576 Die Verweisung des § 429 Abs. 3 BGB auf die §§ 422, 423, 425 BGB gilt daher nur, soweit dies dem Regelungszweck des § 10 nicht entgegensteht. Gesamtwirkung entfaltet auch im Rahmen der Gewinnabschöpfung die Erfüllung gemäß § 422 Abs. 1 S. 1 BGB. Durch die Gewinnabschöpfung, die zur Erfüllung des Anspruchs einer Institution erfolgt, sind die anderen berechtigten Institutionen nicht gehindert, einen ihrer Auffassung nach weitergehenden Gewinnabschöpfungsanspruch geltend zu machen.577 Entgegen der §§ 422 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, 423 BGB entfalten Aufrechnung und Erlass keine Gesamtwirkung, da den berechtigten Institutionen insoweit die Dispositionsbefugnis fehlt.578 Der Verweis des § 429 Abs. 3 S. 1 BGB auf § 425 BGB hat für § 10 lediglich klarstellende Bedeutung.579 Besonderheiten gelten auch für die Verweisung auf die Ausgleichungspflicht der Gesamt- 170 gläubiger untereinander gemäß § 430 BGB: Da der abgeschöpfte Gewinn nicht den anspruchsberechtigten Institutionen, sondern dem Bundeshaushalt zufließt, kann der abgeschöpfte Gewinn nicht gemäß § 430 BGB unter den berechtigten Institutionen verteilt werden. § 430 BGB ist aber entsprechend auf die Ansprüche der Institutionen auf Aufwendungsersatz gegen den Bundeshaushalt gemäß § 10 Abs. 4 anzuwenden. Soweit die erstattungsfähigen Aufwendungen aller Verbände und Kammern den abgeschöpften Gewinn als Grenze iSd. § 10 Abs. 4 S. 3 übersteigen, sind die Aufwendungen der berechtigten Institutionen nach Maßgabe des § 430 BGB zu gleichen Anteilen zu erstatten.580

3. Einschränkungen der Dispositionsbefugnis Die besondere Bedeutung des Gewinnabschöpfungsanspruchs als marktregulierendes Steue- 171 rungsinstrument zur verbesserten Durchsetzung der lauterkeitsrechtlichen Normen (vgl. Rn. 14 ff.) schränkt die grundsätzlich mit der Aktivlegitimation verbundene Dispositionsbefugnis ein.

573 Zu dem Hintergrund des § 429 I BGB als Pendant zu dem Recht des Schuldners gemäß § 428 S. 1 2. HS BGB, nach seinem Belieben an einen der Gläubiger zu leisten, vgl. MüKo/Bydlinski § 429 BGB Rn. 2. 574 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 18; BeckOK UWG/Eichelberger Rn. 55; Ahrens Wettbewerbsrecht Rn. 314; Alexander, S. 568; Sieme S. 80 f. 575 Begr. RegE UWG 2003, S. 34 f.; Micklitz/Stadler S. 92 ff. 576 Stadler/Micklitz WRP 2003, 559, 562: „[…] für die Staatskasse die Kastanien aus dem Feuer zu holen“. WimmerLeonhardt GRUR 2004, 12, 16: „[…] womit die Verbände im Ergebnis ein Geschäft des Bundes besorgen“. 577 Teplitzky/Schraub Kap. 37 Rn. 16. 578 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 18; Alexander, S. 569. Im Ergebnis ebenso Ohly/Sosnitza Rn. 14. 579 Alexander, S. 569 f. 580 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 18; a. A. Alexander, S. 568. 379

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§ 10

Gewinnabschöpfung

172 a) Verzichtbarkeit und Einwilligungsfähigkeit. Die anspruchsberechtigten Institutionen können auf die Ausübung des Abschöpfungsanspruchs grundsätzlich verzichten. Sie sind nicht zur Geltendmachung verpflichtet. Daran ändert auch der marktregulierende Charakter der Gewinnabschöpfung nichts. Ein Erlass gemäß § 397 Abs. 1 BGB entfaltet bereits nach allgemeinen schuldrechtlichen Grundsätzen nur relative Wirkung zwischen den am Erlass beteiligten Parteien und kann mangels Dispositionsbefugnis der einzelnen Institution auch keine Gesamtwirkung entfalten (vgl. Rn. 121); die Abschöpfungsansprüche der anderen aktivlegitimierten Institutionen bleiben durch den Erlass unberührt.581 Da jedoch die anspruchsberechtigten Institutionen selbst nicht durch das UWG geschützt werden (vgl. § 1), können sie mangels Dispositionsbefugnis darüber hinaus auch nicht in den Verstoß gegen die Norm einwilligen.582 Die Einwilligung der anspruchsberechtigten Institutionen ist daher nicht geeignet, die Unlauterkeit eines Verhaltens aufzuheben und andere privat- oder öffentlich-rechtliche Sanktionen auszuschließen.583

173 b) Abtretbarkeit. Der marktregulierende Charakter der Gewinnabschöpfungsansprüche begründet Einschränkungen ihrer Abtretbarkeit. Die Durchsetzung des Lauterkeitsrechts in Form der Gewinnabschöpfung hat der Gesetzgeber durch die enumerative Aufzählung der Anspruchsberechtigten in § 10 Abs. 1 iVm. § 8 Abs. 3 Nr. 2–4 bestimmten Institutionen übertragen und sich damit bewusst für einen abschließenden Kreis von Aktivlegitimierten entschieden.584 Diese bewusste gesetzgeberische Entscheidung kann nicht durch eine privatautonome Abtretung an andere nicht anspruchsberechtigte Privatrechtssubjekte umgangen werden.585 Daher handelt es sich bei der Gewinnabschöpfung um höchstpersönliche Ansprüche, deren Abtretung durch § 399 1. Alt. BGB ausgeschlossen ist.586 174 Die für einen Ausschluss der Abtretbarkeit maßgeblichen Gründe gelten allerdings nicht für eine Abtretung an Verbände oder Kammern, die selbst nach dem Gesetz anspruchsberechtigt sind. Schutzgut der Gewinnabschöpfung ist nicht ein primäres subjektives Recht der anspruchsberechtigten Institutionen, sondern Regelungszweck ist die verbesserte Durchsetzung des Lauterkeitsrechts und damit die Lauterkeit des Wettbewerbs. Deren Schutz obliegt aber sämtlichen gemäß § 10 anspruchsberechtigten Institutionen. Deshalb muss innerhalb dieses geschlossenen Kreises von Aktivlegitimierten eine Abtretung möglich sein. Dass es dadurch zu einer Vervielfachung der Ansprüche und damit der Streitgegenstände kommen kann, rechtfertigt nicht den Ausschluss der Abtretbarkeit gemäß § 399 1. Alt. BGB.587 Eine Abtretung muss daher im Verhältnis der ohnehin selbst anspruchsberechtigten Institutionen untereinander möglich sein.588 In diesen Fällen wird die bewusste Entscheidung des Gesetzgebers für einen begrenzten Kreis von Berechtigten respektiert.

581 Im Ergebnis ebenso Alexander, S. 492 f.; BeckOK UWG/Eichelberger Rn. 59. 582 Alexander, S. 684. Allgemein zu der Einwilligung MüKo/Wagner § 823 BGB Rn. 78, 911 ff. und insbesondere dem Erfordernis eines Verfügungsrechts Rn. 912. 583 Alexander, S. 685. 584 Für die lauterkeits- und kartellrechtlichen Abwehr- und Abschöpfungsansprüche Alexander, S. 490. 585 Zum Lauterkeitsrecht BGH 3.5.2007 – I ZR 19/05 – GRUR 2007, 978, 980 – Rechtsberatung durch Haftpflichtversicherer; BGH 23.9.1992 – I ZR 251/90 – GRUR 1993, 151, 152 – Universitätsemblem; BGH 17.2.1983 – I ZR 194/80 – GRUR 1983, 379, 381 – Geldmafiosi m. Anm. Jacobs; Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 167; Alexander, S. 490. 586 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.18; jurisPK-UWG/Koch Rn. 10. Allgemein für die lauterkeits- und kartellrechtlichen Abschöpfungsansprüche Alexander, S. 490. 587 So aber BGH 3.5.2007 – I ZR 19/05 – GRUR 2007, 978, 980 – Rechtsberatung durch Haftpflichtversicherer; Teplitzky/Büch Kap. 15 Rn. 4. 588 H. Koch KritVj 1989, 323, 330; Schlacke S. 363; BeckOK UWG/Eichelberger Rn. 60; a. A. für Unterlassungsansprüche Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.19 f.; für Abschöpfungsansprüche Alexander, S. 491. Poelzig

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C. Rechtsfolgen

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III. Abschöpfung von Gewinnen zugunsten des Bundeshaushalts Der abgeschöpfte Gewinn steht nicht den anspruchsberechtigten Institutionen, sondern dem 175 Bundeshaushalt zu. Anspruchsberechtigung und Begünstigung fallen damit auseinander. Den berechtigten Verbänden und Kammern steht gleichwohl ein eigener Anspruch auf Leistung an einen anderen zu, den sie mit einer Klage aus eigenem Recht und nicht lediglich in Prozessstandschaft durchsetzen können (siehe Rn. 47 f.).589 Eine Klage der aktivlegitimierten Institutionen auf Zahlung an sich selbst wäre deshalb als unbegründet abzuweisen. Der Gewinn ist unmittelbar an das Bundesamt für Justiz zu zahlen. Durch die Herausgabe des Gewinns an die aktivlegitimierte Institution tritt damit keine Erfüllung gemäß § 362 BGB ein.590

1. Zweck Hintergrund für die Begünstigung des Bundeshaushalts anstelle der aktivlegitimierten Insti- 176 tutionen ist die Befürchtung des Gesetzgebers, dass vor allem Verbände ihre Ansprüche aus § 10 zu dem sachfremden Ziel der Einnahmeerzielung missbrauchen und die Gerichte mit überflüssigen Verfahren überrollen könnten, wenn ihnen der abgeschöpfte Gewinn zuerkannt würde.591 Zudem sei die Abführung an den Bundeshaushalt auch deshalb angemessen, da „die Arbeit der Verbraucherschutzverbände zum Teil ohnehin aus öffentlichen Mitteln finanziert wird“.592 Der Gesetzgeber verweist auch auf die Erfahrungen mit den Unterlassungsansprüchen in § 8: Dort habe sich gezeigt, dass Verbände ihre Rechte auch dann aktiv ausüben, wenn sie hierdurch keinen finanziellen Vorteil erwarten können.593 Aus diesen Gründen hat der Gesetzgeber schließlich auf die zunächst vorgeschlagene Abführung der Gewinne an die klagebefugten Verbände in der endgültigen Fassung des § 10 verzichtet.594 Auch die alternativ vorgeschlagene Begünstigung einer Stiftung, die die Verbraucherschutzinteressen fördert, lehnte der Gesetzgeber ausdrücklich ab, weil er einen nicht unerheblichen Verwaltungsaufwand befürchtete.595 Da jedoch die anspruchsberechtigten Institutionen bei der derzeitigen Gestaltung der Ge- 177 winnabschöpfung einen allenfalls geringen Klageanreiz haben, sollte mit Blick auf Sinn und Zweck der Gewinnabschöpfung, die effektive Rechtsdurchsetzung zu verbessern, erwogen werden, jedenfalls einen Teil des abgeschöpften Gewinns als „Belohnung“ an die klagenden Verbände abzuführen (vgl. Rn. 42).

2. Zuständige Stelle Nachdem ursprünglich das Bundesverwaltungsamt als für den Zahlungsempfang zuständige 178 Stelle vorgesehen war, wurde durch Gesetz vom 17.12.2006 in Absatz 5 das Bundesamt für Justiz als die für den Zahlungsempfang zuständige Stelle bestimmt.596 Hierbei handelt es sich um eine

589 590 591 592 593 594

Harte/Henning/Goldmann Rn. 27. Alexander, S. 570. Begr. RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 43. Begr. RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 25. Begr. RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 43. Andere vermuten hinter dieser Regelung das Bemühen des Gesetzgebers, über die Vorteilsabschöpfung die Staatskasse aufzubessern (Sack WRP 2003, 549, 558; Stadler/Micklitz WRP 2003, 559, 562). 595 Begr. RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 25. 596 BGBl. I S. 3171. 381

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Gewinnabschöpfung

Bundesoberbehörde, die dem Bundesministerium der Justiz untersteht und ihren Sitz in Bonn hat.597

3. Auskunftsanspruch 179 Die Gläubiger sind gegenüber dem Bundesamt für Justiz als für den Zahlungsempfang zuständige Stelle iSd. § 10 Abs. 5 gemäß § 10 Abs. 4 S. 1 verpflichtet, Auskunft über die gerichtliche und außergerichtliche Geltendmachung von Gewinnabschöpfungsansprüchen gemäß § 10 Abs. 1 zu erteilen. Dadurch soll die zuständige Stelle Kenntnis erhalten, ob und inwieweit mit Gewinnen für den Bundeshaushalt gerechnet werden kann und welchen Gläubigern gegebenenfalls Aufwendungen gemäß § 10 Abs. 4 S. 2 und 3 zu erstatten sind. 180 Zudem soll das Bundesamt für Justiz die Möglichkeit bekommen, parallele Verfahren zu koordinieren und überflüssige Verfahren zu vermeiden. Hierfür ist das Bundesamt für Justiz allerdings auf die freiwillige Mithilfe der anspruchsberechtigten Institutionen angewiesen. Eine behördliche Kompetenz zur Koordinierung und Verhinderung überflüssiger Verfahren gibt es nicht. Der Auskunftsanspruch verjährt gemäß §§ 195, 199 BGB innerhalb von drei Jahren. § 11 181 Abs. 4 ist nicht anwendbar (dazu ausführlich Rn. 208).598

4. Aufwendungserstattungsanspruch 182 Gemäß § 10 Abs. 4 S. 2 hat die zuständige Stelle des Bundes, also das Bundesamt für Justiz, den Gläubigern die für die Geltendmachung des Anspruchs erforderlichen Aufwendungen zu erstatten, soweit die Gläubiger vom Schuldner keinen Ausgleich erlangen können. § 10 Abs. 4 S. 3 begrenzt den Erstattungsanspruch auf die Höhe des abgeführten Gewinns.

183 a) Erforderliche Aufwendungen. Aufwendungen iSd. § 10 Abs. 4 S. 2 sind freiwillige vermögenswerte Leistungen zur Geltendmachung des Gewinnabschöpfungsanspruchs.599 Erstattungsfähig sind Kosten, die durch die konkrete Rechtsverfolgung entstehen; die also ohne die Rechtsverfolgung nicht angefallen wären.600 Dazu zählen insbesondere die Prozesskosten iSd. § 91 ZPO, die durch die gerichtliche Rechtsverfolgung entstehen. Aber auch vorprozessuale Aufwendungen, die nicht in den Anwendungsbereich von § 91 ZPO fallen, sind erstattungsfähig, wenn die übrigen Voraussetzungen des § 10 Abs. 4 S. 2 vorliegen.601 Erstattungsfähig sind zudem die Verwaltungskosten der anspruchsberechtigten Verbände, soweit sie konkret durch die Rechtsverfolgung veranlasst sind. Ähnlich wie im Zusammenhang mit der Erstattungsfähigkeit von Abmahnkosten sind regelmäßig anfallende Fixkosten der anspruchsberechtigten Institutionen ohne konkreten Bezug zu der Geltendmachung des Gewinnabschöpfungsanspruchs – wie etwa für Miete, Sach- und Personalmittel usw. – grundsätzlich nicht erstattungsfähig.602 Kosten, die aber – wie Portokosten, Kosten für zusätzliche Arbeitsleistungen – ohne die Rechtsverfolgung im konkreten Fall nicht angefallen wären, sind gemäß § 10 Abs. 4 S. 2 wiederum zu erstatten. 597 Hierzu Gesetz zur Errichtung und zur Regelung der Aufgaben des Bundesamtes für Justiz vom 17. Dezember 2006 (BGBl. I S. 3171). 598 A. A. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 22. 599 Vgl. Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 265. 600 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 265. 601 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 23. 602 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 275. Poelzig

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Erstattungsfähig sind nur solche Aufwendungen, die zur erfolgreichen Rechtsdurchsetzung 184 objektiv erforderlich sind. Davon ist auszugehen, soweit die Aufwendungen nach den zu § 91 ZPO entwickelten Grundsätzen603 unter Berücksichtigung der Komplexität der Sach- und Rechtslage, des Umfangs der Zuwiderhandlung, des Gewinns sowie der verursachten Nachteile zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren.604 Auf die subjektive Sicht der klagenden Institution kommt es hierbei nicht an.605 Die Erforderlichkeit ist allerdings nach zutreffender Auffassung im Lichte des Normzwecks aus einer ex-ante Perspektive zu beurteilen.606 Erstattungsfähig sind insbesondere Prozesskosten, die die klagende Institution bei ihrem 185 Obsiegen vom Schuldner gemäß § 91 ZPO verlangen kann, die sie aber trotz der gebotenen Bemühungen tatsächlich nicht erhält.607 Problematisch ist, ob und inwieweit die klagende Institution auch die Prozesskosten nach § 10 Abs. 4 S. 2 erstattet verlangen kann, die sie im Verhältnis zu dem Beklagten gemäß §§ 91, 92 ZPO vollständig oder teilweise selbst zu tragen hat, wenn sie mit ihrer Klage auf Gewinnabschöpfung also unterliegt oder nur teilweise obsiegt. Wenn die aktivlegitimierten Institutionen teilweise obsiegen und teilweise unterliegen, können sie auch den Anteil der Prozesskosten erstattet verlangen, den sie im Verhältnis zu dem Beklagten nach den Grundsätzen des § 92 ZPO selbst zu tragen haben, wenn aus einer ex-ante Perspektive die Klage bei ihrer Einreichung Aussicht auf vollständigen Erfolg hatte. Bei einem vollständigen Unterliegen werden die Aufwendungen indes de facto nicht erstattet, da der Anspruch auf Erstattung auf den abgeschöpften Gewinn gemäß § 10 Abs. 4 S. 3 begrenzt ist. Da die aktivlegitimierten Institutionen somit dem Risiko ausgesetzt sind, im Falle ihres vollständigen Unterliegens letztendlich die Prozesskosten selbst tragen zu müssen, ohne diese durch den Bund erstattet zu bekommen, ist der Klageanreiz und damit die Wirksamkeit der Gewinnabschöpfung hierdurch erheblich beeinträchtigt.608 Ein hinreichend hoher Klageanreiz und damit eine effektive Normdurchsetzung können de lege ferenda nur erreicht werden, wenn die anspruchsberechtigten Institutionen ihre Kosten auch bei einem vollständigen Unterliegen erstattet bekämen, sofern sie im Zeitpunkt der Entscheidung über eine etwaige Klage aus einer ex-ante Perspektive berechtigterweise davon ausgehen konnten, die Prozesskosten erstattet zu bekommen. Dies hätte beispielsweise aus einem Sondervermögen des Bundes finanziert werden können, dessen Bildung für § 34a GWB zum Abbau von Klagehemmnissen zwar vorgeschlagen,609 mit der 8. GWB-Novelle im Jahre 2013 aber nicht weiter verfolgt wurde.610

b) Subsidiarität. Der Erstattungsanspruch gegen das Bundesamt für Justiz hat lediglich subsi- 186 diäre Bedeutung. Der Gläubiger kann Erstattung seiner Aufwendungen durch die zuständige Stelle nur verlangen, soweit er nicht Ausgleich von dem Schuldner erlangen kann. Der Gläubiger muss sich demnach bei vollständigem oder teilweisem Obsiegen vorrangig an den Schuldner halten, ihm insbesondere eine Frist zur Leistung setzen.611 Nicht erforderlich ist, dass der Gläu-

603 Ausführlich zu dem Kostenschonungsgebot und den Maßgaben im Zusammenhang mit § 91 ZPO im Einzelnen MüKo/Giebel § 91 ZPO Rn. 38 ff.

604 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 268. 605 Schmauß, S. 144 f.; Loschelder FS Büscher, 2018, 513, 523. Für eine subjektiv-objektive Sicht iSd. § 670 BGB Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 265; Alexander, S. 574; Harnos, GRUR 2020, 1034, 1040.

606 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 265; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 23. 607 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 23. 608 Emmerich Unlauterer Wettbewerb, § 23 Rn. 42; Mönch ZIP 2004, 2032, 2037; Wimmer-Leonhardt GRUR 2004, 12, 16. 609 Stellungnahme des Bundesrates BTDrucks 17/9852 S. 44 f. 610 Achtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 26.6.2013, BGBl. 2013, 1783, 1743, P. 20. 611 MüKo/Micklitz Rn. 177; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 23. Für § 34a GWB FK-GWB/Roth § 34a GWB Rn. 42. 383

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biger die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners erfolglos versucht hat.612 Der Gläubiger soll nicht dem Risiko zusätzlicher Kosten ausgesetzt werden.613

187 c) Begrenzung auf Höhe des abgeführten Gewinns. § 10 Abs. 4 S. 2 begrenzt den Aufwendungserstattungsanspruch auf die Höhe des abgeführten Gewinns. Sind die Gesamtkosten für die Aufwendungen mehrerer Gläubiger höher als der abgeführte Gewinn, ist der Gewinn in entsprechender Anwendung des § 430 BGB über die Verweisung in § 10 Abs. 3 nach gleichen Anteilen auf die Gesamtgläubiger zu verteilen (vgl. Rn. 122).614 Die nach a. A. vorgeschlagene Verteilung des Gewinns anteilig nach den jeweils angefallenen Kosten615 würde hingegen die kostenschonende Institution benachteiligen und ist daher abzulehnen. Das Gesetz äußert sich nicht zu der Situation, in der nach Erstattung der Aufwendungen 188 an die Gläubiger der bereits durch den Schuldner abgeführte Gewinn – etwa durch die Rückzahlung gemäß § 10 Abs. 2 S. 2 wegen nachträglicher Zahlungen des Schuldners – im Bundeshaushalt „aufgezehrt“ wird.616 Nach der derzeitigen Gesetzeslage wird den Gläubigern in einer solchen Situation mehr erstattet, als letztendlich Gewinn in den Bundeshaushalt abgeführt wurde. Ein solches Ergebnis steht indes im Widerspruch zu der Intention des § 10 Abs. 4 S. 3. Ein Anspruch des Bundeshaushalts gegen die Gläubiger auf Rückzahlung der bereits erstatteten Aufwendungen, die im Nachhinein durch die Rückzahlung an den Schuldner den Gewinn überschreiten, enthält § 10 nicht und lässt sich auch nicht mit § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB begründen, da die gesetzliche Regelung des § 10 Abs. 4 S. 2 einen Rechtsgrund für die Erstattung bietet. Teilweise wird vertreten, dass die Aufwendungen der Gläubiger aus dem Bundeshaushalt nur Zug-um-Zug gegen Abtretung des Aufwendungsersatzanspruchs des Gläubigers gegen den Schuldner zu erstatten sind.617 Eine gesetzliche Grundlage für eine cessio legis oder einen Anspruch auf Abtretung fehlt jedoch bislang. Eine Lösung ist daher nur durch eine gesetzliche Klarstellung möglich, etwa durch eine 189 cessio legis. Ohne eine solche Rückgriffsmöglichkeit des Bundeshaushalts könnte sich der Schuldner möglicherweise durch bloßes Zuwarten dem Anspruch des Gläubigers auf Erstattung der Aufwendungen entziehen, zumal der Anspruch gemäß § 10 Abs. 4 S. 2 nicht verlangt, dass der Gläubiger die Zwangsvollstreckung versucht hat.618 Unabhängig von dem hier in Frage stehenden konkreten Problem wird teilweise die Einführung eines Regressanspruchs des Bundeshaushalts gegen den Schuldner hinsichtlich der den Gläubigern erstatteten Aufwendungen erwogen.619

IV. Anrechnung anderer Leistungen 190 Gemäß § 10 Abs. 2 S. 1 sind auf den abzuschöpfenden Gewinn solche Leistungen anzurechnen, die der Schuldner wegen der Zuwiderhandlung bereits an Dritte oder den Staat erbracht hat.

612 613 614 615 616 617

So aber für § 34a GWB MüKo/Lübbig § 34a GWB Rn. 37. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 23. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 18. Teplitzky/Schraub Kap. 37 Rn. 22. Hierzu MüKo/Micklitz Rn. 180; Mönch ZIP 2004, 2032, 2036. Zur Parallelvorschrift des § 34a GWB FK-KartR/Roth § 34a GWB Rn. 42 Fn. 6; Langen/Bunte/Bornkamm § 34a GWB Rn. 21. 618 MüKo/Micklitz Rn. 177. 619 So MüKo/Micklitz Rn. 177. Poelzig

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1. Sinn und Zweck In der Anrechnungsregelung spiegelt sich erneut die marktregulierende Steuerungsfunktion 191 der Gewinnabschöpfung wider: Eine abschreckende Wirkung wird erzielt, wenn der Zuwiderhandelnde den Gewinn aus der Zuwiderhandlung vollständig verliert. Die Gewinnabschöpfung iSd. § 10 entfaltet ihre präventive Wirkung jedoch nicht isoliert neben anderen Sanktionen. So können auch privatrechtliche Schadensersatzansprüche oder öffentlich-rechtliche Sanktionen – etwa in Form des strafrechtlichen Verfalls gemäß § 73 StGB – dem Zuwiderhandelnden den Gewinn aus dem Wettbewerbsverstoß entziehen. Die verschiedenen Sanktionen sind im Falle eines normwidrigen Verhaltens regelmäßig nebeneinander anwendbar. Um eine unverhältnismäßige Inanspruchnahme des Zuwiderhandelnden über den erzielten Gewinn hinaus zu verhindern, sind gemäß Abs. 2 S. 1 auf die Höhe des Abschöpfungsanspruchs sämtliche Leistungen anzurechnen, die der Normadressat aufgrund des konkreten unlauteren Verhaltens bereits erbracht hat. Die lauterkeitsrechtliche Gewinnabschöpfung übernimmt eine Auffangfunktion, soweit andere Sanktionen nicht greifen, um den Gewinn aus einem unlauteren Verhalten möglichst vollständig zu entziehen und so auf ein normgemäßes Verhalten hinzuwirken. Die insoweit subsidiäre Bedeutung der Gewinnabschöpfung liegt darin begründet, dass es 192 sich bei den aktivlegitimierten Verbänden und Kammern um eigens geschaffene „künstliche“ Berechtigte handelt, die Vollzugsdefizite schließen sollen. Die Gewinnabschöpfung ist von der Befürchtung getragen, dass insbesondere im Fall von Streuschäden Normverstöße nicht wirksam verfolgt werden und so eine Vollzugslücke entsteht.620 Kann der erzielte Gewinn durch andere Sanktionen nicht vollständig bei dem Zuwiderhandelnden abgeschöpft werden, soll nachrangig und ergänzend die privatrechtliche Gewinnabschöpfung eingreifen. Ist umgekehrt eine wirksame Normdurchsetzung bereits dadurch gewährleistet, dass die einzelnen geschädigten Marktteilnehmer ihre Schadensersatzansprüche durchsetzen oder öffentlich-rechtliche Sanktionen ausreichend greifen, ist die Abschöpfung durch Verbände im Allgemeininteresse an dem Schutz des Marktes entbehrlich.

2. Anzurechnende Leistungen Anzurechnen sind sämtliche Leistungen, die der Schuldner auf Grund der Zuwiderhandlung an 193 Dritte oder an den Staat erbracht hat. Anrechenbar sind nur Leistungen in Geld oder geldwerte Leistungen.

a) Leistungen an Dritte. Anrechenbar sind Leistungen zur Erfüllung von Ansprüchen einzel- 194 ner Marktteilnehmer, die ihnen aufgrund der Zuwiderhandlung zustehen. Ansprüche dieser Art sind vor allem Schadensersatzansprüche von Mitbewerbern gemäß § 9. Dass der Schaden der Mitbewerber iSd. § 9 nicht mit den für § 10 maßgeblichen Nachteilen der Abnehmer korrespondiert,621 ist für die Anrechenbarkeit unerheblich, da es hierfür nur darauf ankommt, ob der Gewinn des Zuwiderhandelnden bereits auf andere Weise abgeschöpft und damit das Ziel des § 10 bereits anderweitig erreicht wird.622 Erfasst sind ferner auch vertragliche Schadensersatz-, Nacherfüllungs- und Rückge- 195 währansprüche sowohl von Mitbewerbern als auch von Abnehmern, wenn die maßgebliche Vertragspflichtverletzung zugleich eine lauterkeitsrechtlich relevante Zuwiderhandlung dar620 Zu § 10 UWG Begr. RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 23. Zu § 34 GWB Bechtold DB 2004, 235, 240; Veil ZGR 2005, 155, 185. 621 Vgl. Stellungnahme Bundesrat, RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 34 f. 622 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 13; Gärtner GRUR Int. 2008, 817, 820; Gärtner S. 113. 385

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Gewinnabschöpfung

stellt und diese nicht schon in der Gewinnberechnung berücksichtigt wurde. Solche Überschneidungen können insbesondere mit kaufvertraglichen Gewährleistungsansprüchen von Abnehmern auftreten, da sich die Beschaffenheit der Kaufsache u. a. auch nach den Angaben von Verkäufer und Hersteller in der Öffentlichkeit (vgl. § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB) richtet.623 Nach der im Vergleich zum RefE allgemeiner gehaltenen Formulierung des § 10 in seiner endgültigen Fassung sind auch Leistungen zur Zahlung einer verwirkten Vertragsstrafe anrechenbar.624

196 b) Leistungen an den Staat. Anrechenbar sind darüber hinaus Leistungen, die der Zuwiderhandelnde aufgrund der Zuwiderhandlung an den Staat erbracht hat:625 Anzurechnen sind nach h. M. Leistungen zur Begleichung von Geldstrafen und gegebenenfalls Bußgelder.626 Nach a. A. sind strafrechtliche Sanktionen und Bußgelder nicht (vollständig) anzurechnen, da sie ausschließlich der Prävention und Strafe, nicht aber der Abschöpfung dienen.627 Für die Anrechenbarkeit kommt es jedoch allein auf das Resultat an, dass der Gewinn dem Zuwiderhandelnden bereits auf andere Weise als durch § 10 entzogen ist; zu welchem Zweck dies geschehen ist, ist für die Anrechenbarkeit unerheblich.628 Problematisch ist das Verhältnis der Gewinnabschöpfung zu dem strafrechtlichen Verfall 197 iSd. §§ 73 ff. StGB: Nach der Rechtsprechung des BGH sind Leistungen auf der Grundlage des strafrechtlichen Verfalls iSd. §§ 73 ff. StGB bei der Gewinnabschöpfung gemäß § 10 Abs. 2 in Abzug zu bringen.629 Nach verbreiteter Auffassung im Schrifttum ist jedoch ein durch Anrechnung aufzulösendes Nebeneinander der Gewinnabschöpfung und des strafrechtlichen Verfalls nicht möglich, da § 10 als speziellere Vorschrift vorrangig anzuwenden sei.630 Gegen einen solchen Anwendungsvorrang des § 10 als lex specialis spricht jedoch, dass der Verfall und die Gewinnabschöpfung zwar gleichermaßen auf die Abschöpfung der rechtswidrig erzielten Gewinne gerichtet sind, aber dennoch unterschiedliche Regelungszwecke verfolgen. Im Gegensatz zu § 10 hat der Verfall nicht allein einen präventiven, sondern insbesondere nach dem Umschwenken von dem Netto- zum Bruttoprinzip jedenfalls auch strafähnlichen Charakter.631 Ein Anwendungsvorrang des § 10 folgt auch nicht aus § 73 Abs. 1 S. 2 StGB: Eine direkte Anwendung dieser Norm scheidet aus, da es sich bei § 10 nicht um einen dem Verletzten zustehenden Anspruch handelt. Zwar dient § 10 (auch) der Schließung von Durchsetzungslücken, die aus der Nichtgeltendmachung der Ansprüche einzelner Marktteilnehmer entstehen; die Gewinnabschöpfung tritt aber nicht an die Stelle der Individualansprüche.632 Verfall und Gewinnabschöpfung sind daher grundsätzlich nebeneinander anwendbar, so dass Zahlungen gemäß §§ 73 ff. StGB im Rahmen

623 Hierzu Bamberger/Roth/Faust § 434 BGB Rn. 80 ff.; Harte/Henning/Goldmann Rn. 159; Micklitz/Stadler S. 41. 624 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 252; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 13; Sosnitza GRUR 2003, 739, 741. Schon zum RefE Köhler GRUR 2003, 265, 266; a. A. Gloy/Loschelder/Erdmann/Melullis Handbuch des Wettbewerbsrechts § 81 Rn. 30; Mönch ZIP 2004, 2032, 2033. 625 Kritisch Mönch ZIP 2004, 2032, 2033. 626 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 13; Neuberger S. 111; Sieme S. 131; v. Raay S. 334 ff. 627 So etwa die Stellungnahme des Bundesrats im Gesetzgebungsverfahren RegE UWG 2003, S. 35. Außerdem Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß Rn. 28; Gärtner GRUR Int. 2008, 817, 821. Vgl. ferner Fezer FS Bornkamm S. 335, 345: „Wenig überzeugend“. 628 Zur kartellrechtlichen Parallelnorm des § 34a GWB Poelzig/Bauermeister NZKart 2017, 568, 570 f. 629 BGH 30.5.2008 – 1 StR 166/07 – BGHSt 52, 227 Tz. 135 (insoweit nicht abgedr.) = GRUR 2008, 818 Tz. 135 – Strafbare Werbung im Versandhandel. 630 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 257; MüKo/Micklitz Rn. 160; Alexander WRP 2004, 407, 419; Wimmer-Leonhardt GRUR 2004, 12, 20; Schmauß S. 97. Zu ähnlichen Einwendungen des Bundesrats im Gesetzgebungsverfahren allgemein gegen die Anrechenbarkeit strafrechtlicher Sanktionen Stellungnahme des Bundesrats (RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 34). 631 Schönke/Schröder/Eser Vorb § 73 StGB Rn. 19. 632 A. A. Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 257. Poelzig

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des § 10 Abs. 2 abzugsfähig sind.633 Insoweit ist eine analoge Anwendung des § 73 Abs. 1 S. 2 StGB nicht erforderlich, da das Risiko einer doppelten Inanspruchnahme durch die Anrechnung gemäß § 10 Abs. 2 bereits ausgeschlossen ist.634 Ordnungsgelder aus einer Unterlassungsvollstreckung gemäß § 890 ZPO sind ebenfalls 198 anzurechnen.635

c) Erbrachte Leistungen zur Erfüllung einer Leistungspflicht. Die Leistungen müssen zur 199 Erfüllung tatsächlich bestehender Ansprüche und Pflichten erbracht worden sein. Freiwillige oder überobligatorische Leistungen des Zuwiderhandelnden werden daher nicht angerechnet.636 Auch die Fehlvorstellung des Zuwiderhandelnden, zur Leistung aufgrund vermeintlicher Ansprüche verpflichtet zu sein, begründet nicht die Anrechenbarkeit. Im Rahmen des Gewinnabschöpfungsanspruchs muss daher inzident geprüft werden, ob für alle geleisteten Zahlungen iSd. § 10 Abs. 2 eine Rechtspflicht bestand. Für das Bestehen der zur Leistung verpflichtenden Ansprüche Dritter trägt der Zuwiderhandelnde die Darlegungs- und Beweislast.637 Liegt ein Titel gegen den Zuwiderhandelnden vor, genügt dies für die Anrechenbarkeit gemäß § 10 Abs. 2. Problematisch ist jedoch, wenn der Zuwiderhandelnde etwa in einem Versäumnisurteil zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt wurde. Nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB ist in einem solchen Fall eine Bindung des Gerichts, das über § 10 entscheidet, an das Versäumnisurteil grundsätzlich abzulehnen. Ist der Schuldner unverschuldet säumig, muss er jedenfalls von seinem Einspruchsrecht Gebrauch machen. Die Rechtsgrundlage für die Leistung an den Dritten oder den Staat muss nicht notwendi- 200 gerweise – beispielsweise im Fall einer Geldstrafe iSd. § 16 – an einen gleichgerichteten Verstoß gegen denselben lauterkeitsrechtlichen Tatbestand anknüpfen wie der in Frage stehende Gewinnabschöpfungsanspruch. Anzurechnen sind auch Sanktionen, die durch Verstöße gegen andere Verhaltensnormen ausgelöst werden, sofern ein und dieselbe Handlung Grundlage für die verschiedenen Sanktionen ist. Relevant wird dies vor allem im Zusammenhang mit kartellrechtliche Sanktionen, z. B. Geldbußen gemäß § 81 GWB oder der kartellbehördlichen Vorteilsabschöpfung gemäß § 34 GWB, wenn das Verhalten sowohl gegen die §§ 3, 7 als auch gegen kartellrechtliche Vorschriften verstößt. Zu weiteren Überschneidungen mit anderen Verhaltensnormen kann es auf der Grundlage des § 3a kommen. Es können nur Leistungen angerechnet werden, die der Zuwiderhandelnde tatsächlich 201 durch Erfüllung gemäß § 362 BGB oder in Form eines Erfüllungssurrogats erbracht hat.638 Es genügt nicht, dass Anspruchsberechtigte die Geltendmachung ernsthaft ankündigen oder bereits Klage erhoben haben. Sind die Ansprüche aber bereits rechtskräftig festgestellt, dürfte dies ebenfalls für die Anrechnung genügen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Erbringung bzw. Feststellung der Leistung an Dritte oder den Staat ist der Schluss der mündlichen Verhandlung zur Durchsetzung des § 10. Anrechenbare Leistungen, die nach diesem Zeitpunkt erbracht wurden, können mit der Vollstreckungsgegenklage gemäß § 767 ZPO geltend gemacht werden.639 Hat der Anspruchsgegner aber den vollständigen Gewinn bereits an das Bundesamt für Justiz abge633 Im Ergebnis ebenso Harte/Henning/Goldmann Rn. 161; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 13; Langen/Bunte/ Bornkamm, § 34a GWB Rn. 23.

634 BGH 30.5.2008 – 1 StR 166/07 – BGHSt 52, 227 Tz. 135 – insoweit nicht abgedr. = GRUR 2008, 818 Tz. 135 – Strafbare Werbung im Versandhandel; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 10 Rn. 13; Langen/Bunte/Bornkamm § 34a GWB Rn. 23; im Ergebnis ebenso Harte/Henning/Goldmann Rn. 161; a. A. Alexander WRP 2004, 407, 419; WimmerLeonhardt GRUR 2004, 12, 20. 635 Begr. RegE UWG 2003, S. 24; Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 254; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 13; Ohly/Sosnitza Rn. 12. 636 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 13; MüKo/Micklitz Rn. 157; v. Raay S. 330. 637 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 13. 638 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 13. 639 Vgl. Begr. RegE UWG 2003, S. 24. 387

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Gewinnabschöpfung

führt, muss dieses gemäß § 10 Abs. 2 S. 2 den Gewinn in Höhe der anrechenbaren Leistungen zurückerstatten (vgl. Rn. 155 f.).

202 d) Anrechenbarkeit von Kosten zur Rechtsverteidigung. Umstritten ist, ob die Kosten der auf Grund der Zuwiderhandlung geführten Rechtsstreitigkeiten abzugsfähig sind. Nach der Gesetzesbegründung soll dies ausdrücklich nicht der Fall sein, „da ansonsten der Zuwiderhandelnde einen Anreiz hätte, sich auf kostenträchtige Prozesse einzulassen“.640 Dem wird teilweise im Schrifttum entgegengehalten, dass es mit den Grundprinzipien eines Rechtsstaates offensichtlich unvereinbar sei, wenn „einem angeblich Zuwiderhandelnden die Klärung der Rechtslage“ erschwert werden würde.641 Gegen die Abzugsfähigkeit der Rechtsverteidigungskosten sprechen gleichwohl vor allem die allgemeinen Regeln zur Prozesskostenverteilung, die nach § 91 ZPO die Prozesskosten grundsätzlich der unterliegenden Partei auferlegen, um so auch unbegründete Klagen zu verhindern. Demnach würde die Abzugsfähigkeit eine nicht gerechtfertigte Begünstigung des Zuwiderhandelnden darstellen, die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundprinzipien widersprechen würde.642 Die Gewinnabschöpfung nach § 10 und die Prozesskostenverteilung nach § 91 ZPO verfolgen unterschiedliche Regelungszwecke, die nicht durch eine Anrechnung vermengt werden sollten. Etwas anderes kann auch nicht für die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverteidigung oder die Verteidigung gegen öffentlich-rechtliche Sanktionen gelten. Die Kosten, die dem Zuwiderhandelnden aus der Rechtsverteidigung entstehen, sind demnach nicht von dem Gewinn abzuziehen.643 Das Ergebnis wird durch einen Blick auf parallele Regelungen der Vorteilsabschöpfung bestätigt: Weder die kartellrechtliche Vorteilsabschöpfung gemäß §§ 34, 34a GWB noch die Vorteilsabschöpfung gemäß § 17 Abs. 4 OWiG oder die §§ 73 ff. StGB lassen den Abzug von Rechtsverteidigungskosten zu. Die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des Zuwiderhandelnden im Zusammenhang mit der Geltendmachung des Gewinnabschöpfungsanspruchs sind demnach keine anrechenbaren Leistungen.644 Dies gilt auch für gerichtliche und außergerichtliche Kosten, die der Zuwiderhandelnde für etwaige Verfahren zur Abwehr der Inanspruchnahme durch Dritte oder den Staat aufwenden musste.645

3. Rückerstattung 203 § 10 Abs. 2 S. 2 verpflichtet die zuständige Stelle des Bundes, die auch insoweit das Bundesamt für Justiz ist (vgl. Rn. 130), dem Zuwiderhandelnden den bereits abgeführten Gewinn in Höhe der nachgewiesenen Zahlungen zurückzuerstatten, soweit er erst nach Abführung des Gewinns an den Bundeshaushalt anrechenbare Leistungen an Dritte oder den Staat erbracht hat. Hintergrund hierfür ist, dass das Ausmaß der Gewinnabschöpfung nicht von der oftmals zufälligen Reihenfolge der Zahlungen abhängen soll. 204 Nicht gesetzlich geregelt ist der Fall, dass der Zuwiderhandelnde den Gewinn auf der Grundlage von § 10 an den Bundeshaushalt abgeführt hat und erst danach einzelne Geschädigte ihren Schadensersatzanspruch geltend machen, der Zuwiderhandelnde zu diesem Zeit640 641 642 643

Begr. RegE UWG 2003, S. 24. Sack WRP 2003, 549, 555. Schmauß S. 93. Harte/Henning/Goldmann Rn. 142; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 13; MüKo/Micklitz Rn. 133; Gärtner GRUR Int. 2008, 817, 819 f. 644 So die mittlerweile h. M. Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 256; Harte/Henning/Goldmann Rn. 142; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 7; MüKo/Micklitz Rn. 154; Mönch ZIP 2004, 2032, 2034; Bauer S. 177. Ebenso zu § 34a GWB Immenga/Mestmäcker/Emmerich § 34a GWB Rn. 23. 645 Vgl. Begr. RegE UWG 2003, S. 24. Poelzig

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punkt allerdings zahlungsunfähig ist. In diesem Fall wirkt sich die zufällige Reihenfolge der Zahlungen insoweit aus, dass die Geschädigten das Insolvenzrisiko des Zuwiderhandelnden tragen müssten. Dies widerspricht aber der Wertung des § 10 Abs. 2 S. 2, wonach die Gewinnabschöpfung subsidiär hinter den Individualansprüchen Dritter zurücktritt. Da der Staat dem Zuwiderhandelnden nicht zu Lasten der Geschädigten die finanziellen Ressourcen für die vorrangige Kompensation der Individualschäden entziehen darf,646 haben die Geschädigten in diesen Fällen einen unmittelbaren Anspruch gegen die zuständige Stelle iSd. § 10 Abs. 4 analog.647

D. Durchsetzung und Verfahren I. Zulässigkeit der Klage 1. Zuständigkeit Gemäß § 13 Abs. 1 ist das Landgericht sachlich zuständig; die Handelskammer ist funktional 205 zuständig. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach § 14, wonach das Gericht ausschließlich zuständig ist, in dessen Bezirk der Beklagte seine gewerbliche oder selbständige berufliche Niederlassung oder in Ermangelung einer solchen seinen Wohnsitz hat (§ 14 Abs. 1). Darüber hinaus begründet § 14 Abs. 2 S. 1 eine weitere ausschließliche Zuständigkeit am 206 Begehungsort. § 14 Abs. 2 S. 2 schränkt diese Wahlmöglichkeit im Zusammenhang mit Unterlassungsansprüchen allerdings ein: Demnach ist für die in § 8 Abs. 3 Nr. 2–4 genannten Berechtigten der Gerichtsstand des Begehungsortes nur gegeben, wenn der Beklagte im Inland weder eine gewerbliche oder selbstständige berufliche Niederlassung noch einen Wohnsitz hat. Diese Einschränkung des Wahlrechts durch § 14 Abs. 2 S. 2 ist auch auf Gewinnabschöpfungsansprüche anzuwenden.648 Zwar hat der Gesetzgeber mit der Einführung des § 10 die Regelung der örtlichen Zuständigkeit von § 24 a. F. auf § 14 übertragen, ohne den sachlichen Anwendungsbereich des § 14 Abs. 2 S. 2 auf Gewinnabschöpfungsansprüche zu erweitern. Die analoge Anwendung der einschränkenden Regelungen auch auf die Gewinnabschöpfung rechtfertigt sich aber aus der vergleichbaren Sachlage: Der „fliegende Gerichtsstand“ wurde durch § 24 Abs. 2 a. F. für Verbände eingeschränkt, um zu „verhindern, daß Ansprüche vorrangig vor den Gerichten am Sitz der Kläger, insbesondere klagender Wettbewerbsvereine, geltend gemacht werden, obwohl dort mit einer ernsthaften Beeinträchtigung der Wettbewerbsverhältnisse nicht gerechnet werden kann“.649 Die durch § 14 Abs. 2 S. 1 eröffnete Möglichkeit, dass die aktivlegimitierten Institutionen angebliche oder tatsächliche Wettbewerbsverstöße in erster Linie an ihrem Sitz erheben oder sich das für sie günstigere Gericht aussuchen, regelmäßig dasjenige, das mit seiner Rechtsprechung eher auf der Linie der klagenden Institution liegt,650 besteht bei Unterlassungs- und Gewinnabschöpfungsansprüchen in gleichem Maße. Demnach ist gemäß § 14 Abs. 2 S. 2 die Klage wahlweise am Gerichtsstand des Begehungsortes nur zulässig, wenn der Beklagte im Inland weder eine gewerbliche oder selbstständige berufliche Niederlassung noch einen Wohnsitz hat.

646 So für § 81 GWB Langen/Bunte/Raum § 81 GWB Rn. 208. Ebenso für § 34 GWB Frankfurter Kommentar/Roth § 34 GWB Rn. 32. 647 So auch für § 34 GWB Frankfurter Kommentar/Roth § 34 GWB Rn. 32. 648 Im Ergebnis ebenso MüKo/Micklitz Rn. 150; v. Raay S. 444. 649 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG-Änderungsgesetz – UWGÄndG) WRP 1994, 369, 373. 650 Zu dem Hintergrund der Einführung des § 24 Abs. 2 S. 2 a. F. Vogt NJW 1994, 2509, 2513. 389

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§ 10

Gewinnabschöpfung

2. Klageart 207 a) Leistungs- und Stufenklage. Der Gewinnabschöpfungsanspruch ist grundsätzlich im Rahmen einer Leistungsklage durchzusetzen, die auf die Herausgabe des kausal durch die Zuwiderhandlung erzielten Gewinns abzüglich der anrechenbaren Leistungen an das Bundesamt für Justiz gerichtet ist. Hierfür gelten die allgemeinen Voraussetzungen dieses Klagetyps. Der abzuschöpfende Gewinn ist grundsätzlich gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genau zu beziffern. Darüber hinaus ist unter den Voraussetzungen des § 287 ZPO ein unbezifferter Antrag zulässig, wenn der Vortrag des Klägers eine ausreichende Grundlage für die Schätzung des Gewinns durch das Gericht bietet (vgl. Rn. 195).651 In der Praxis wird der Gewinnabschöpfungsanspruch regelmäßig mit dem Auskunftsanspruch (vgl. Rn. 185 ff.) im Rahmen einer Stufenklage auf Auskunftserteilung und sodann auf Herausgabe des entsprechenden Gewinns verbunden, § 254 ZPO.652

208 b) Feststellungsklage. Kann der Anspruchsberechtigte im Wege einer Stufenklage sogleich auf Leistung klagen, fehlt für eine Feststellungsklage nach allgemeinen Grundsätzen das nach § 256 ZPO notwendige Feststellungsinteresse.653 Im Lauterkeitsrecht gilt der Vorrang der Stufenklage als Leistungsklage indes nur eingeschränkt. So wird im Falle des Schadensersatzanspruchs das berechtigte Interesse an der alsbaldigen Feststellung gemäß § 256 ZPO vor allem mit der zeitnah drohenden Verjährung begründet,654 die gemäß § 11 Abs. 1 bereits nach sechs Monaten eintritt (ausführlich hierzu § 11 Rn. 45 ff.). Zwar findet auf die Gewinnabschöpfung nicht die kurze Verjährungsfrist des § 11 Abs. 1, sondern die allgemeine Verjährungsfrist von drei Jahren gemäß §§ 195, 199 BGB Anwendung (dazu Rn. 208; § 11 Rn. 27 f.). Dennoch lässt sich aber auf der Grundlage der Rechtsprechung des BGH auch hier das Feststellungsinteresse aus prozessökonomischen Gründen bejahen: So habe „sich in der Praxis die Erhebung der Stufenklage im Wettbewerbsrecht wegen der kurzen Verjährungsfrist von sechs Monaten (§ 21), aber auch im sonstigen gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht im Hinblick auf die dreijährige Verjährungsfrist als besonders nachteilig erwiesen“,655 da die Begründung des Schadensersatzanspruchs häufig selbst nach erteilter Auskunft Schwierigkeiten bereite und eine eingehende sachliche Prüfung zur Berechnungsmethode des Schadens erfordere. Das Gericht begründet das Feststellungsinteresse also insbesondere mit den Schwierigkeiten bei der Schadensfeststellung auch nach Auskunft. Sofern sich solche Schwierigkeiten auch bei der Gewinnermittlung ergeben können, ist auch hier von einem berechtigten Interesse an der alsbaldigen Feststellung auszugehen.656 Da der Anspruchsberechtigte nach der Auskunft den Prozess weiter betreiben muss, um die Hemmung der Verjährung aufrechtzuerhalten,657 werden auch im Fall des § 10 in der Regel die Ungewissheit über Bestehen und Höhe des erzielten Gewinns das notwendige Feststellungs-

651 Zu einem Formulierungsvorschlag Harte/Henning/Goldmann Rn. 151 Fn. 231. 652 Zu einer Stufenklage auf Auskunft oder Rechnungslegung und Leistung OLG Stuttgart 2.11.2006 – 2 U 58/06 – GRUR 2007, 435 – Veralteter Matratzentest.

653 Zum Schadensersatzanspruch BGH 17.5.2001 – I ZR 189/99 – GRUR 2001, 1177 – Feststellungsinteresse II; BGH 3.4.1996 – VIII ZR 3/95 – NJW 1996, 2097, 2098. 654 So für die Schadensersatzfeststellungsklage BGH 23.4.1991 – X ZR 77/89 – GRUR 1992, 559 – Mikrofilmanlage. 655 BGH 15.5.2003 – I ZR 277/00 – GRUR 2003, 900 – Feststellungsinteresse III. 656 Zu den Schwierigkeiten bei der Gewinnermittlung v. Raay S. 490 f. 657 BGH 17.5.2001 – I ZR 189/99 – GRUR 2001, 1177, 1178 – Feststellungsinteresse II. Nach der Rechtsprechung des BGH gelten diese Erwägungen „nach der Neuregelung des Verjährungsrechts zum 1.1.2002 in noch stärkerem Maße, nachdem die Erhebung der Klage nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB nur eine Hemmung der Verjährung zur Folge hat, die gemäß § 204 Abs. 2 S. 1 und 2 BGB binnen sechs Monaten nach einem Stillstand des Verfahrens endet (BGH 15.5.2003 – I ZR 277/00 – GRUR 2003, 900 – Feststellungsinteresse III). Poelzig

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interesse iSd. § 256 ZPO begründen können.658 Eine Klage auf Feststellung der Zahlungspflicht ist dann neben einer Stufenklage möglich.659 Etwas anderes gilt, wenn die aktivlegitimierte Institution bereits im Zeitpunkt der Klageeinreichung aufgrund der erteilten Auskünfte den Gewinn berechnen und beziffern kann.660 Dann ist eine Feststellungsklage anstelle einer Stufenklage mangels Feststellungsinteresse unzulässig. Durch die Begrenzung auf den abgeführten Gewinn gemäß § 10 Abs. 4 S. 3 besteht bei einer 209 Feststellungsklage kein Anspruch des Klägers auf Erstattung der Aufwendungen gegen den Bundeshaushalt.661

3. Rechtsmissbrauch a) Allgemeines. Nach den Erfahrungen mit den sog. Abmahnvereinen, die auf der Grundlage 210 der weitreichenden Aktivlegitimation gemäß § 13 a. F. selbst geringfügige Wettbewerbsverstöße massenhaft abgemahnt und verfolgt haben, ist die Befürchtung nach wie vor groß, „dass Wettbewerbsverstöße nicht so sehr aus Gründen der Wettbewerbsordnung als vielmehr aus finanziellen Interessen verfolgt werden“.662 Dies war für den Gesetzgeber Grund genug, die abgeschöpften Gewinne nicht den aktivlegitimierten Institutionen, sondern dem Bundeshaushalt zuzuführen.663 Grundsätzlich kann es von der Durchsetzung der „richtigen“ Verhaltensregelungen aber nicht genug geben,664 da eine lückenhafte und unvollständige Durchsetzung die Wirkungskraft gesetzlicher Verhaltensnormen schwächt.665 Dem Ziel der wirksamen Normdurchsetzung kann es gleichwohl zuwiderlaufen, wenn die berechtigten Institutionen die Gewinnabschöpfungsansprüche allein deshalb wahrnehmen, weil sie sachfremde Ziele verfolgen. Da der Klageanreiz durch die Abführung des Gewinns an den Bundeshaushalt ohnehin gering ausfällt und der Gesetzgeber die Aktivlegitimation gezielt auf bestimmte Institutionen beschränkt hat, wird die Frage der Rechtsmissbräuchlichkeit in der Praxis allerdings von nur geringer Relevanz sein. Für den Unterlassungsanspruch sieht § 8c eine spezielle Regelung des Rechtsmissbrauchs 211 vor, wonach die Klage eines Mitbewerbers auf Unterlassung bzw. Beseitigung des wettbewerbswidrigen Verhaltens unzulässig ist, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist (§ 8 Rn. 249 ff.).666 Eine solche ausdrückliche Regelung existiert für die Gewinnabschöpfung nicht. Eine analoge Anwendung auf § 10,667 ist jedenfalls mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs mangels planwidriger Rege658 Harte/Henning/Goldmann Rn. 153. Zweifelnd allerdings Teplitzky/Schraub Kap. 37 Rn. 27. Allgemein zum Verhältnis zwischen Feststellungs- und Leistungsklage auf dem Gebiet des Lauterkeitsrechts BGH 19.11.1971 – I ZR 72/70 – GRUR 1972, 180, 183 – Cheri m. Anm. v. Falck; BGH 3.11.1959 – I ZR 120/58 – GRUR 1960, 193, 196 – Frachtenrückvergütung m. Anm. Schramm. 659 Harte/Henning/Goldmann Rn. 153. Zu § 34a GWB Langen/Bunte/Bornkamm § 34a GWB Rn. 18. 660 Vgl. BGH 2.10.2003 – I ZR 76/01 – GRUR 2004, 70, 71 – Preisbrecher. 661 Teplitzky/Schraub Kap. 37 Rn. 27. 662 Vgl. bereits Begr. RegE BTDrucks. 12/7345, S. 10 f. 663 RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 25. 664 Glöckner WRP 2007, 490, 494. 665 Glöckner WRP 2007, 490, 494. 666 BGH 17.11.2005 – I ZR 300/02 – GRUR 2006, 243, 244 – MEGA SALE; BGH 17.1.2002 – I ZR 241/99 – GRUR 2002, 357, 358 – Missbräuchliche Mehrfachabmahnung; BGH 10.12.1998 – I ZR 141/96 – GRUR 1999, 509, 510 – Vorratslücken; OLG Hamburg 12.7.2006 – 5 U 179/05 – GRUR-RR 2006, 374, 375; Fezer/Büscher/Obergfell/Büscher § 8 Rn. 283; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 632; Teplitzky/Büch Kap. 13 Rn. 50. Nach a. A. enthält § 8c (früher: § 8 Abs. 4) eine materiell-rechtliche rechtsvernichtende Einwendung, die zur Unbegründetheit der Klage führt (Köhler FS Schricker S. 725, 726 ff.; Rath/Hausen WRP 2007, 133, 134). 667 Ohly/Sosnitza Rn. 19; so auch noch die GK-UWG/Poelzig2 Rn. 163; ebenfalls noch Köhler/Bornkamm/Feddersen, 36. Aufl. 2018, Rn. 19; anders jetzt Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 19. 391

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§ 10

Gewinnabschöpfung

lungslücke nicht mehr möglich. Allerdings wendet der BGH stattdessen die allgemeinen Grundsätze des Rechtsmissbrauchs gem. § 242 BGB an, berücksichtigt hierin die Wertungen des § 8c und geht bei Rechtsmissbräuchlichkeit von der Unzulässigkeit der Klage aus.668 Letztlich kommt der BGH auf diesem Wege praktisch zu denselben Ergebnissen wie bei analoger Anwendung des § 8c. 212 Rechtsmissbräuchliches Verhalten liegt nach allgemeinen Grundsätzen vor, wenn der Berechtigte seine Rechte aus ausschließlich sachfremden Erwägungen wahrnimmt, ohne eigene schutzwürdige Interessen zu verfolgen, oder überwiegende Interessen eines anderen Beteiligten der Durchsetzung entgegen stehen.669 Da die Gewinnabschöpfung der effektiven Durchsetzung der §§ 3, 7 dient, muss sich auch die Beurteilung der Rechtsmissbräuchlichkeit an der institutionellen Zweckbindung des § 10 orientieren. Die Geltendmachung der Gewinnabschöpfung darf demnach unter Berücksichtigung des Allgemeininteresses an einer wirksamen Normdurchsetzung nicht außer Verhältnis zu den Interessen des Normadressaten stehen.670 Mit der Anerkennung der Gewinnabschöpfungsansprüche hat der Gesetzgeber bereits eine grundsätzliche Entscheidung zugunsten des Allgemeininteresses an einer effektiven Normdurchsetzung getroffen. Die hierfür den berechtigten Institutionen zugewiesene Durchsetzungsmacht kann daher nur ausnahmsweise eingeschränkt werden, wenn dies auch unter Berücksichtigung der institutionellen Zweckbindung der Gewinnabschöpfung geboten erscheint.671 213 Der Ausschluss des Gewinnabschöpfungsanspruchs wegen Rechtsmissbrauchs lässt sich dennoch nicht allein damit begründen, dass die aktivlegitimierten Institutionen auch eigene Vorteile anstreben.672 Die Gewinnabschöpfungsansprüche werden den Verbänden und Kammern nicht unter der Bedingung zuerkannt, dass sie nur zu einem bestimmten Zweck – namentlich zur Durchsetzung der Verhaltensnormen im Allgemeininteresse an einem funktionsfähigen Markt – wahrgenommen werden können. Ob die aktivlegitimierten Institutionen aus redlichen, achtbaren oder rein selbstsüchtigen Erwägungen Klage erheben, kann nicht ausschlaggebend sein.673 Die Grenze zum Rechtsmissbrauch ist indes überschritten, wenn die aktivlegitimierten Institutionen aus querulatorischen Motiven oder allein deshalb klagen, um den Beklagten in eine wirtschaftliche Bedrängnis zu bringen. Rechtsmissbräuchlich sind auch Klagen zu Ausforschungszwecken oder die Geltendmachung des § 10 gegen unlauteres Verhalten, das der Kläger durch unzulässige Testmaßnahmen provoziert hat.674 214 Ein Wechsel der Rechtsauffassung im Vortrag zu einer Rechtsfrage begründet regelmäßig nicht den Einwand des Rechtsmissbrauchs. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Zuwiderhandelnde „nach den gegebenen Umständen auf eine dem einmal eingenommenen Standpunkt entsprechende gleichbleibende Einstellung und demgemäß auf eine bestimmte Rechtslage vertrauen durfte, sich darauf eingerichtet hat und ihm eine Inanspruchnahme mit einer völlig veränderten rechtlichen Begründung nach Treu und Glauben nicht mehr zugemutet werden kann“.675 Auch ein im Verhältnis zu einem vorherigen Ordnungsmittelverfahren höherer angegebener Streitwert begründet nicht den Einwand des Rechtsmissbrauchs.676 668 BGH 13.9.2018 – I ZR 26/17 – NJW 2018, 3581 Rz. 36. Ebenso Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 19; BeckOKUWG/Eichelberger Rn. 112. 669 Statt aller MüKo/Schubert § 242 BGB Rn. 438. 670 Zu dem Erfordernis einer sorgfältigen Abwägung BGH 6.4.2000 – I ZR 76/98 – BGHZ 144, 165, 170 = GRUR 2000, 1089, 1091 ff. – Mißbräuchliche Mehrfachverfolgung. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 4.11. 671 Zu § 13 Abs. 2 a. F. Köhler WRP 1992, 359, 361. 672 Zur Verbandsklage Halfmeier S. 333. 673 Beater ZHR 159 (1995), 217, 221. 674 Vgl. BGH 18.11.1986 – KZR 41/85 – GRUR 1987, 304, 305 f. – Aktion Rabattverstoß. Ausführlich dazu Alexander, S. 694 ff. 675 Vgl. BGH 10.5.1957 – I ZR 33/56 – GRUR 1957, 499, 503 – Wipp m. Anm. Heydt. Ausführlich dazu Alexander, S. 697. 676 OLG Düsseldorf 7.2.2017 ‒ I-20 U 139/15 ‒ GRUR-RR 2017, 331 = BeckRS 2017, 106178, Rn. 57. Poelzig

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§ 10

b) Rechtsmissbrauch bei Finanzierung der Klage durch Dritte (Prozessfinanzierer). 215 Nach Auffassung des BGH ist die Klage auch bei Einschaltung eines Prozessfinanzierers rechtsmissbräuchlich, wenn der Prozessfinanzierer – wie üblich – im Falle des Obsiegens am abgeschöpften Gewinn beteiligt wird.677 In diesem Fall sei die Klageerhebung durch sachfremde Erwägungen beeinflusst, da sie von der gewinnorientierten Kosten-Nutzen-Analyse des Prozessfinanzierers abhänge.678 Verbände sind mangels ausreichender eigener finanzieller Mittel auf die Fremdfinanzierung regelmäßig angewiesen. Einen Verstoß gegen die Grundrechte der Verbraucherverbände gem. Art. 12 GG erkennt der BGH aber gleichwohl nicht, da der fehlende Klageanreiz bereits im Gesetz selbst angelegt sei.679 Außerdem stünde die Möglichkeit der Streitwertherabsetzung gem. § 12 Abs. 4 als ausreichendes Instrument zur Verfügung.680 Damit erklärt der BGH jede Form der Prozessfinanzierung per se für missbräuchlich.681 Die Entscheidung ist überwiegend aus guten Gründen auf Ablehnung gestoßen.682 Miss- 216 bräuchlichkeit liegt nur vor, „wenn Anspruchsberechtigte mit der Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgen und diese als die eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen“.683 Es kommt demnach maßgeblich darauf an, dass der Verband selbst mit der Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremden Erwägungen folgt.684 Es ist aber nicht stets und zwingend davon auszugehen, dass der Verband die Klage bei Einschaltung eines Prozessfinanzierers aus eigenen sachfremden Motiven erhebt,685 denn er selbst profitiert von der Klage weder im Fall des Unterliegens noch des Obsiegens.686 Die Einschaltung eines gewerblichen Prozessfinanzierers ermöglicht zunächst einmal nur Klagen, die anderenfalls nicht erhoben worden wären (Rn. 77).687 Die Rechtsmissbräuchlichkeit lässt sich nicht darauf stützen, dass der Prozesskostenfinanzierer am Gewinn beteiligt wird und “die Interessen der geschädigten Verbraucherinnen und Verbraucher […] letztlich keine, zumindest keine entscheidende Rolle mehr“ spielten.688 Zweck von § 10 ist weder der individuelle Schutz der einzelnen Geschädigten durch Kompensation noch die Abschöpfung des vollen Gewinns an den Bundeshaushalt.689 § 10 dient in erster Linie zur Abschreckung und Verhaltenssteuerung durch Ge-

677 BGH 9.5.2019 – I ZR 205/17 – NJW 2019, 2691 Tz. 18 ff. – Prozessfinanzierer II; BGH 13.9.2018 – I ZR 26/17 – NJW 2018, 3581 Tz. 38 – Prozessfinanzierer; hieran anschließend OLG Düsseldorf 4.7.2019 – 2 U 46/18 – juris Rn. 67. Zustimmend Köhler, WRP 2019, 139; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 19; BeckOK-UWG/Eichelberger Rn. 114. 678 BGH 13.9.2018 – I ZR 26/17 – NJW 2018, 3581 Tz. 42. 679 BGH 13.9.2018 – I ZR 26/17 – NJW 2018, 3581 Tz. 35. 680 BGH 13.9.2018 – I ZR 26/17 – NJW 2018, 3581 Tz. 46. 681 Ebenso Köhler/Bornkamm/Feddersen, Rn. 19 (anders noch Vorauflage); Köhler WRP 2019, 139. Kritisch hingegen Halfmeier WuB 2019, 27; Loschelder, GRUR-Prax 2018, 534; Römermann, AnwBl 2019, 86; Stadler JZ 2019, 203; Wolf/Flegler, NJW 2019, 3586. 682 OLG Schleswig 14.2.2019 – 2 U 4/18 – juris Tz. 40 ff.; BeckOGK BGB/Kähler, Std.: 1.12.2019, § 242 Rn. 1139; BeckOK BGB/Sutschet, 53. Ed., Std.: 1.2.2020, § 242 Rn. 9; Halfmeier WuB 2019, 27, 29 f.; Halfmeier WuB 2019, 519, 521 ff.; Harnos GRUR 2020, 1034, 1036; Herbold VuR 2019, 273, 274 ff.; Loschelder GRUR-Prax 2018, 534; Loschelder GRURPrax 2019, 361; Scherer VuR 2020, 83, 85 f.; Stadler JZ 2019, 203, 204 f.; Wolf/Flegler NJW 2018, 3586. Zustimmend hingegen OLG Düsseldorf 4.7.2019 – 2 U 46/18 – BeckRS 2019, 14868 Rn. 31 ff. – Prozessfinanzierer II; Büscher/ Hohlweck § 10 Rn. 28; Köhler WRP 2019, WRP 2019, 139, 140 ff.; Sattler IWRZ 2019, 78, 79. 683 BGH 13.9.2018 – I ZR 26/17 – NJW 2018, 3581 Tz. 40 mit Verweis auf BGH 6.4.2000 – I ZR 76/98, BGHZ 144, 165, 170 Rn. 19 – Mißbräuchliche Mehrfachverfolgung; BGH 6.10.2011 – I ZR 42/10 –GRUR 2012, 286 Rn. 13 – Falsche Suchrubrik. 684 Siehe auch Stadler JZ 2019, 203, 204 f. 685 Für eine differenzierende Betrachtung auch Halfmeier WuB 2019, 27, 29 f. 686 OLG Düsseldorf 7.2.2017 ‒ I-20 U 139/15 ‒ GRUR-RR 2017, 331 = BeckRS 2017, 106178, Rn. 38 ff.; OLG Schleswig 14.2.2019 – 2 U 4/18 –, juris Tz. 71 f. 687 OLG Schleswig 14.2.2019 – 2 U 4/18 – juris Tz. 72. 688 OLG Schleswig 14.2.2019 – 2 U 4/18 – juris Tz. 75. 689 OLG Schleswig 14.2.2019 – 2 U 4/18 – juris Tz. 75. 393

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§ 10

Gewinnabschöpfung

winnabschöpfung (Rn. 47 ff.),690 die aber durch die Beteiligung des Prozessfinanzierers an dem abgeschöpften Gewinn nicht beeinträchtigt, sondern vielmehr durch Erhöhung des Klageanreizes auf Seiten des Verbandes gefördert wird. Der BGH begründet die Rechtsmissbräuchlichkeit nicht zuletzt damit, dass der Verband nicht selbst über die Klageerhebung entscheidet, sondern der Prozessfinanzierer bei ausreichenden Gewinnaussichten.691 In der Regel ist jedoch davon auszugehen, dass der Verband zunächst selbst im ersten Schritt die Klageaussichten prüft und sich im zweiten Schritt dann um die Finanzierung durch einen Prozesskostenfinanzierer bemüht, nicht hingegen – wie vom BGH angenommen – im ersten Schritt der Prozessfinanzierer kontaktiert wird.692 In diesem Fall ist die Rechtsmissbräuchlichkeit grundsätzlich abzulehnen.693 Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Verband bei der Entscheidung über die Geltendmachung des Abschöpfungsanspruchs durch den Prozesskostenfinanzierer tatsächlich unsachgemäß beeinflusst wird und das Motiv des Prozessfinanzierers an der Einnahmeerzielung auf den klagenden Verband durchschlagen würde, dh. eine Einflussnahme des Prozesskostenfinanzierers auf den Verband zu besorgen wäre.694 Dass die Klage durch sachfremde Motive des Prozesskostenfinanzierer an der Einnahmeerzielung beeinflusst wird, ist zu vermuten, wenn er mit dem Verband entweder personell oder finanziell eng verbunden ist oder ihm im Fall des Obsiegens ein unüblich hoher Gewinnanteil zusteht.695 Problematisch sind auch Abschöpfungsklagen gegen Mitbewerber des Prozessfinanzierers. Diese differenzierte Betrachtung der Prozessfinanzierung von Abschöpfungsklagen gem. § 10 entspricht auch der europäischen Perspektive in Art. 10 Abs. 2 der Verbandsklagerichtlinie, wonach die Prozessfinanzierung durch Dritte grundsätzlich zulässig und nur ausnahmsweise untersagt sein soll (Rn. 34). Liegen die Voraussetzungen der Rechtsmissbräuchlichkeit vor, ist der Finanzierungsvertrag gem. § 138 BGB nichtig.696

217 c) Folgen der Rechtsmissbräuchlichkeit. Folge einer rechtsmissbräuchlichen Klage ist – sowohl auf Grundlage von § 8c (früher: § 8 Abs. 4 UWG) analog als auch nach der Rspr. des BGH gem. § 242 BGB697 – die Unzulässigkeit der Klage. Darüber hinaus sind im Ausnahmefall unter engen Voraussetzungen auch Schadensersatzansprüche gem. § 826 BGB gegen die rechtsmissbräuchlich klagende Institution denkbar. Im Hinblick auf die verfahrensrechtliche Legalität genügt eine missbräuchliche Klageerhebung allein nicht, um Schadensersatzansprüche zu begründen.698 Rechtsmissbrauch allein begründet kein Verschulden.699 Der unredliche Kläger ist jedoch dem Beklagten gemäß § 826 BGB zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er sich der Unbegründetheit seiner Klage bewusst ist und der Schaden des Beklagten aus der unbegründeten Klage nicht bereits durch die allgemeinen Kostenregeln gemäß §§ 91 ff. ZPO aufgefangen wird.700 690 691 692 693 694

Halfmeier, WuB 2019, 27, 29; Poelzig, S. 494 f. BGH 13.9.2018 – I ZR 26/17 – NJW 2018, 3581 Tz. 42. OLG Schleswig 14.2.2019 – 2 U 4/18 – juris Tz. 80. OLG Schleswig 14.2.2019 – 2 U 4/18 – juris Tz. 80. OLG Düsseldorf 7.2.2017 ‒ I-20 U 139/15 ‒ GRUR-RR 2017, 331 = BeckRS 2017, 106178, Rn. 38 ff.; OLG Schleswig 14.2.2019 – 2 U 4/18 – juris Tz. 71 f. 695 OLG Schleswig 23.11.2017 – 2 U 1/17 – juris Tz. 117; OLG Koblenz 17.12.2017 – 9 U 349/17 – juris Tz. 74; OLG Düsseldorf 7.2.2017 ‒ I-20 U 139/15 ‒ GRUR-RR 2017, 331 = BeckRS 2017, 106178, Tz. 39. 696 Stadler JZ 2019, 203, 205. 697 BGH 9.5.2019 – I ZR 205/17 – NJW 2019, 2691 Tz. 19 – Prozessfinanzierer II; BGH 13.9.2018 – I ZR 26/17 – NJW 2018, 3581 Tz. 33 – Prozessfinanzierer. 698 Hierzu Palandt/Sprau § 823 BGB Rn. 37; § 826 BGB Rn. 50. 699 BGH 9.5.2019 – I ZR 205/17 – NJW 2019, 2691 Tz. 24 – Prozessfinanzierer II. 700 BGH 11.11.2003 – VI ZR 371/02 – NJW 2004, 446, 447; BGH 12.5.1992 – VI ZR 257/91 – BGHZ 118, 201; BGH 13.3.1979 – VI ZR 117/77 – BGHZ 74, 9, 12; BGH 3.10.1961 – VI ZR 242/60 – BGHZ 36, 18, 21. Vgl. BVerfG 25.2.1987 – 1 BvR 1086/85 – BVerfGE 74, 257, 260; MüKo/Wagner § 826 BGB Rn. 239. Ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB wird häufig an dem Eingriff in ein geschütztes Rechtsgut scheitern (Palandt/Sprau § 823 BGB Rn. 37). In Einzelfällen Poelzig

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D. Durchsetzung und Verfahren

§ 10

4. Zulässigkeit von Mehrfachklagen Das Übermaß an Anspruchsberechtigten kann im konkreten Fall eine Vielzahl an Abschöpfungs- 218 ansprüchen und damit eine Anspruchsmehrheit begründen. Praktisch wird dies allerdings auf der Grundlage der derzeitigen Regelung kaum zu einer Vielzahl an Klagen führen, da der Klageanreiz auf Seiten der Verbände und Kammern mit Rücksicht auf die Abführung an den Bundeshaushalt ohnehin nur gering ist und sich die anspruchsberechtigten Institutionen regelmäßig darüber einigen werden, wer den Anspruch verfolgt.701 Eine Koordinierung zwischen den berechtigten Institutionen wird vor allem durch die Pflicht zur Auskunft über die Geltendmachung gegenüber dem Bundesamt für Justiz gemäß § 10 Abs. 4 erleichtert (vgl. Rn. 131 ff.).702 Fehlt es an einer Abstimmung zwischen den anspruchsberechtigten Institutionen, kann es 219 gleichwohl zu einer Mehrfachverfolgung kommen. Das Nebeneinander mehrerer aktivlegitimierter Institutionen wird auf der materiell-rechtlichen Ebene ausdrücklich in § 10 Abs. 3 durch die Verweisung auf die allgemeinen Bestimmungen zur Gesamtgläubigerschaft gemäß §§ 428–430 BGB geregelt (dazu Rn. 119 ff.). Das schließt aber die Zulässigkeit mehrerer Klagen durch verschiedene Institutionen nach h. M. nicht aus.703 Nach a. A. sind Mehrfachklagen von Verbänden aufgrund des einheitlichen Streitgegenstands als unzulässig abzuweisen.704 Für die h. M. spricht, dass die aktivlegitimierten Institutionen jeweils einen eigenen Anspruch geltend machen (vgl. Rn. 47) und den Klagen daher verschiedene Streitgegenstände zugrunde liegen. Die Zulässigkeit der jeweiligen Klage scheitert regelmäßig weder an dem Fehlen des Rechtsschutzbedürfnisses noch an einer anderweitigen Rechtshängigkeit.705 Die entsprechende Anwendung der §§ 428–430 BGB auf materiell-rechtlicher Ebene kann daher die erhebliche Kostenbelastung für den Zuwiderhandelnden und das Risiko widerstreitender Entscheidungen unterschiedlicher Gerichte nicht verhindern, die durch mehrfache Klagen eintreten können. Daher wird vereinzelt de lege ferenda die Unzulässigkeit von Mehrfachklagen gegen ein 220 und dieselbe Zuwiderhandlung unter Berufung auf das verfassungsrechtlich gewährleistete Verhältnismäßigkeitsgebot sowie das Prinzip der Waffengleichheit gefordert.706 Eine Einschränkung der Klagemöglichkeit ist im Zusammenhang mit § 10 grundsätzlich möglich, da die berechtigten Institutionen nicht unmittelbar in eigenen Individualinteressen durch das normwidrige Verhalten berührt sind,707 sondern allenfalls in ihrem Interesse an der Funktionsfähigkeit des Marktes. Die aktivlegitimierten Institutionen sind daher weniger schutzwürdig als etwa unmittelbar betroffene Mitbewerber, die auf Schadensersatz gemäß § 9 klagen.708 Mehrfachklagen liegen aber grundsätzlich im Allgemeininteresse an einer möglichst umfassenden Durchsetzung der objektiven Marktverhaltensnormen, da sie die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Fehlverhalten aufgedeckt, verfolgt und wirksam bekämpft werden kann.709 Daher ist die Zulässigkeit von ließ der BGH auch bereits die leichtfertige Einleitung eines unbegründeten Verfahrens genügen, um von einem sittenwidrigen Verhalten iSd. § 826 BGB auszugehen. So etwa im Falle einer grob leichtfertigen Verfahrenseinleitung durch eine mittellose Partei in der Kenntnis, dass der gegnerische Kostenerstattungsanspruch ungedeckt ist, BGH 26.6.2001 – IX ZR 209/98 – BGHZ 148, 175, 183 = NJW 2001, 3187. Zu der Begründung der Sittenwidrigkeit mit der Leichtfertigkeit der unbegründeten Verfahrenseinleitung MüKo/Wagner § 826 BGB Rn. 241. 701 Vgl. Begr. RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 24. 702 Alexander, S. 566. 703 BGH 5.1.1960 – I ZR 100/58 – GRUR 1960, 379, 380 f. – Zentrale m. Anm. Harmsen; RG 24.1.1928 – II 272/27 – RGZ 120, 47, 50. Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 260; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 18; Ohly/Sosnitza Rn. 14; Götting/Nordemann/Wündisch Rn. 7. Zu § 34a GWB: Immenga/Mestmäcker/Emmerich § 34a GWB Rn. 26; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann/Rehbinder § 34a GWB Rn. 5. 704 Allgemein zur Verbandsklage Halfmeier S. 275 ff., 303 ff. 705 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 18. 706 So zu § 13 Abs. 2 a. F. Köhler WRP 1992, 359, 360; Marotzke ZZP 98 (1985), 160, 172 f. 707 Vgl. Köhler WRP 1992, 359. 708 Fritzsche S. 264. 709 So für das UWG Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.2. 395

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§ 10

Gewinnabschöpfung

Mehrfachklagen auf Gewinnabschöpfung gegen ein und dieselbe Zuwiderhandlung grundsätzlich zu befürworten.710 221 Zudem lassen sich de lege lata die Risiken und Nachteile von Mehrfachklagen im konkreten Einzelfall ausreichend einfangen: Dem dient vor allem die Zuständigkeitskonzentration gemäß § 14 am Ort der Niederlassung bzw. am Wohnort des Beklagten. Das hiernach zuständige Gericht kann mehrere anhängige Verfahren gemäß § 145 ZPO zum Zwecke der gleichzeitigen Verhandlung und Entscheidung verbinden.711 Im Übrigen können die anspruchsberechtigten Institutionen als einfache Streitgenossen iSd. § 59 ZPO gemeinschaftlich klagen.712 Darüber hinaus bietet § 242 BGB einen rechtsdogmatischen Anknüpfungspunkt für die Unzulässigkeit von Mehrfachklagen in den Fällen, in denen weitere Klagen unter Berücksichtigung des institutionellen Schutzzwecks der Gewinnabschöpfung rechtsmissbräuchlich sind.713

II. Beweis 222 Die anspruchsbegründenden Tatsachen – insbesondere das vorsätzliche Fehlverhalten und die Gewinnerzielung zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern – hat grundsätzlich die aktivlegitimierte Institution darzulegen und soweit streitig zu beweisen.

1. Vorsätzliches Fehlverhalten 223 Die Darlegungs- und Beweislast für das vorsätzliche unlautere Verhalten als anspruchsbegründende Tatsache trägt die anspruchsstellende Institution. Das Vorliegen eines vorsatzausschließenden Rechtsirrtums muss der Zuwiderhandelnde darlegen und beweisen.714 Die Durchsetzung des Gewinnabschöpfungsanspruchs scheitert in der Praxis oft an dem Nach224 weis des Vorsatzes, insbesondere der Kenntnis von der Unlauterkeit.715 Für eine Beweislastumkehr fehlt es an einer Grundlage im Gesetz.716 Ein Anscheinsbeweis ist im Zusammenhang mit inneren Tatsachen nicht möglich, da diese einer durch Lebenserfahrung begründeten Typizität nicht zugänglich sind.717 Die Schwierigkeiten einer Verallgemeinerung bestätigen auch die unterschiedlichen Entscheidungen in der bisherigen Rechtsprechung zu § 10.718 Allerdings können sub-

710 711 712 713 714 715

So auch Lindacher ZZP 103 (1990), 397, 408. Hierzu Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 18. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 18. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 19; ausführlich zu § 13 a. F. Köhler WRP 1992, 359, 361 ff. Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 285 m. w. N. Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 176; Beuchler WRP 2006, 1288, 1289. Vgl. MüKo/Micklitz Rn. 78; Sieme S. 97 m. w. N. Vgl. beispielhaft LG Heilbronn 23.2.2006 – 23 O 136/05 KfH – VuR 2007, 73; zu einem auch aus Sicht der Richter „schlicht ungeeigneten Fall“ für § 10 LG Bonn 12.5.2005 – 12 O 33/05 – GRUR-RR 2006, 111 – Unzutreffendes Testurteil. 716 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 286. 717 LG Bonn 12.5.2005 – 12 O 33/05 – GRUR-RR 2006, 111 – Unzutreffendes Testurteil: Ausschluss eines allgemeinen Erfahrungssatzes, wonach die unrichtige Wiedergabe von Testurteilen jedenfalls bedingt vorsätzlich erfolgt sein muss; a. A. für offensichtliche und erhebliche Verstöße Gärtner S. 102 Fn. 497; bei vollständiger Ignoranz der rechtlichen Bewertung Bauer S. 112; Neuberger S. 91; nur bezüglich der Kenntnis der die Wettbewerbswidrigkeit ergebenden Umstände Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 286. Grundlegend zum Anscheinsbeweis etwa Zöller/Greger Vor § 284 ZPO Rn. 29 ff. m. w. N. 718 Vgl. OLG Frankfurt 20.5.2010 – 6 U 33/09 – GRUR-RR 2010, 482, 482 f.; OLG Frankfurt 4.12.2008 – 6 U 187/07 – CR 2009, 253 und Parallelverfahren OLG Frankfurt 4.12.2008 – 6 U 186/07 – GRUR-RR 2009, 265; OLG Hamm 14.2.2008 – 4 U 135/07 – GRUR-RR 2008, 435 – Zulassung in EU-Mitgliedstaat; OLG Stuttgart 2.11.2006 – 2 U 58/ 06 – GRUR 2007, 435 (inkl. Vorinstanz) – Veralteter Matratzentest. Poelzig

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D. Durchsetzung und Verfahren

§ 10

jektive innere Tatsachen wie der Vorsatz mit Hilfe von Indizien nachgewiesen werden,719 die der Richter gemäß § 286 Abs. 1 ZPO im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu bewerten und zu gewichten hat. So können insbesondere objektiv grobe Zuwiderhandlungen ein Indiz für bedingten Vorsatz sein. Indizwirkung hat auch die geschäftliche Erfahrung im Wettbewerb: Je länger der Zuwiderhandelnde bereits geschäftlich tätig ist, desto eher kann von der Kenntnis der ständigen Rechtsprechung und dem hierauf begründeten Unrechtsbewusstsein in Bezug auszugehen sein.720 Ein weiteres wesentliches Indiz für den Nachweis des Vorsatzes ist die Abmahnung des kon- 225 kreten oder eines vergleichbaren Verhaltens des Zuwiderhandelnden. Vor einer Abmahnung wird regelmäßig kein Vorsatz vorliegen, wenn der Zuwiderhandelnde auf einen entsprechenden fachkundigen Rechtsrat vertraut hat.721 Im Übrigen kann aber auch vor einer Abmahnung bei entsprechenden Anhaltspunkten bedingter Vorsatz anzunehmen sein.722 So hatte etwa das OLG Frankfurt in einem Verfahren, in dem es um eine Verletzung der Preisangabenverordnung im Internetauftritt durch versteckte Hinweise auf die Kostenpflichtigkeit des Angebots ging, den bedingten Vorsatz des Anbieters sowohl für die Zeit nach als auch vor der Abmahnung bejaht.723 Die Fortsetzung unlauteren Verhaltens nach einer Abmahnung oder einstweiligen Verfü- 226 gung gegen das konkrete oder ein vergleichbares Verhalten des Zuwiderhandelnden begründet nach teilweise vertretener Auffassung im Schrifttum stets Vorsatz.724 Allerdings sind durchaus Fälle denkbar, in denen der Abgemahnte weiterhin – etwa aufgrund einer entsprechenden Rechtsauskunft – auf die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens vertraut. Daher hat die Abmahnung nach zutreffender a. A. lediglich Indizwirkung, so dass eine abweichende Beurteilung im Einzelfall möglich bleibt.725 So ist auch in der bisherigen Rechtsprechung die Fortsetzung des unlauteren Verhaltens nach einer Abmahnung in aller Regel ein Indiz für die Vorsätzlichkeit.726 Die Indizwirkung der Abmahnung hängt von der Person des Abmahnenden und dem Inhalt des Abmahnschreibens ab. Während unlauteres Verhalten trotz einer inhaltlich nachvollziehbaren Abmahnung eines auf dem Gebiet des Lauterkeitsrechts langjährig tätigen und seriösen Verbandes ein regelmäßig ausreichendes Indiz für jedenfalls bedingten Vorsatz sein wird, wird die Abmahnung durch Konkurrenten häufig allein nicht als Indiz genügen.727 Das LG Berlin hatte bei der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung eines Internetportals für Klingelton-Abonnements die Indizwirkung von Abmahnungen vergleichbarer Verhaltensweisen sogar gänzlich abgelehnt.728 Indiz für das Vorliegen eines vorsatzausschließenden Rechtsirrtums, den der Zuwider- 227 handelnde darlegen und beweisen muss,729 ist die Auskunft in Form eines fachkundigen Rechtsrats, der die Rechtmäßigkeit des Verhaltens bescheinigt und auf den der Zuwiderhandelnde vertraut. Der fachkundige Rechtsrat entfaltet grundsätzlich auch dann Indizwirkung für das Vorliegen eines Rechtsirrtums, wenn der Rechtsberater auf ein geringes Restrisiko einer an-

719 Vgl. dazu ausführlich BGH 27.1.1994 – I ZR 326/91 – GRUR 1995, 693, 696 f. – Indizienkette; Fezer/Büscher/ Obergfell/v. Braunmühl Rn. 283 m. w. N.; Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 30. 720 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 176. 721 So etwa LG Hanau 1.9.2008 – 9 O 551/08 – MMR 2009, 142 Tz. 20. 722 Für die Abmahnung hingegen als zwingende Voraussetzung („gelbe Karte“) Köhler GRUR 2003, 265, 266. 723 OLG Frankfurt 4.12.2008 – 6 U 187/07 – CR 2009, 253, 257. 724 Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 44. 725 So auch Sieme S. 101; v. Raay S. 216 f.; ähnlich auch die Formulierungen in Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 285; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 6 („regelmäßig“); Neuberger S. 90; strenger MüKo/Micklitz Rn. 86 („vorsätzliche Handlung ist ohne weiteres anzunehmen“). 726 OLG Stuttgart 2.11.2006 – 2 U 58/06 – GRUR 2007, 435, 436 – Veralteter Matratzentest; dazu v. Raay VuR 2007, 47, 51 f. 727 Sieme S. 101. 728 LG Berlin 25.9.2007 – 16 O 115/06 – CR 2008, 192 m.krit. Anm. Klees; vgl. auch Sieme S. 101; zum ganz gezielt auf Intransparenz beruhenden Geschäftsmodell solcher „Abo-Fallen“ im Internet s. Meyer- v. Raay/Deitermann VuR 2009, 335, 340. 729 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 285 m. w. N. 397

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§ 10

Gewinnabschöpfung

derslautenden juristischen Bewertung hinweist.730 Hierfür spricht, dass der Gesetzgeber insbesondere Verhalten im Grenzbereich der Lauterkeit von der Gewinnabschöpfung ausnehmen wollte.731 Eine pauschale Prozentangabe zu der Höhe des Restrisikos für alle Fälle kann jedoch nicht gegeben werden.732 Die Grenze zum vorsatzbegründenden beachtlichen Restrisiko ist für jeden konkreten Einzelfall gesondert zu beurteilen.733 228 Problematisch weit geht jedoch die Rechtsprechung, wenn sie die vorsatzausschließende Indizwirkung eines die Rechtmäßigkeit bestätigenden fachkundigen Rechtsrats nach einer Abmahnung negiert. So hatte das OLG Frankfurt den Vorsatz angesichts der „Offensichtlichkeit des Wettbewerbsverstoßes“ spätestens mit dem Zugang der Abmahnung bejaht, obgleich die Beklagten geltend machten, von ihrem Rechtsanwalt so beraten worden zu sein, dass ihr Handeln zulässig sei. In Folge der Abmahnung hätten die Betreiber der in Frage stehenden Internetseite „keinen vernünftigen Grund“ mehr gehabt, darauf zu vertrauen, dass die Einschätzung ihres Rechtsanwalts richtig und die Auffassung des Abmahnenden falsch ist. Daher hätten sie spätestens ab der Abmahnung „bewusst auf eigenes Risiko“ und damit jedenfalls bedingt vorsätzlich gehandelt.734 Demnach verhält sich der Zuwiderhandelnde auch dann bedingt vorsätzlich, wenn er zwar auf der Grundlage eines fachkundigen Rechtsrats auf die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens vertraut hat, dem aber gewichtige gegenteilige Anhaltspunkte, insbesondere eine explizite Abmahnung, entgegen stehen.735 Auf dieser Linie liegt auch die Entscheidung des LG Hanau, in der es um ein gegen die Preisangabenverordnung verstoßendes Online-Portal ging. Das LG Hanau begründete den Vorsatz des Anbieters mit der vorhergehenden Abmahnung gegen ein ähnliches Portal, obgleich der Anbieter auch hier auf eine anderslautende anwaltliche Rechtsauskunft vertraut hatte. In einem vergleichbaren Fall hatte das LG Hanau den Vorsatz für den Zeitraum vor einer Abmahnung ausdrücklich verneint, da der Zuwiderhandelnde auf die Auskunft von fachkundigen Rechtsanwälten vertraut hatte, obgleich „sich die Rechtslage auch noch nach der anwaltlichen Beratung aus Sicht der Beklagten als zweifelhaft darstellen musste“.736 Erst mit Zugang des Abmahnschreibens ging das Gericht von einem bedingten Vorsatz aus, da dem Beklagten dann „klar sein [musste], dass die eingeholte Rechtsauskunft möglicherweise nicht richtig war, zumal es sich bei der Klägerin um den Bundesverband der Verbraucherzentrale handelt“. Durch die Fortsetzung der Zuwiderhandlung nach der Abmahnung habe die Beklagte ab diesem Zeitpunkt den Rechtsverstoß zumindest billigend in Kauf genommen.737 229 Richtigerweise wird man keine allgemeingültige Regel dahingehend aufstellen können, dass das Vertrauen auf eine die Rechtmäßigkeit bescheinigende Rechtsauskunft nach einer Abmahnung den Vorsatz niemals ausschließen wird. Maßgeblich ist stets eine Betrachtung im Einzelfall, so dass die Indizwirkung einer Abmahnung u. U. im Einzelfall durch das glaubhaft gemachte Vertrauen auf die Bestätigung der Rechtmäßigkeit durch einen erneut eingeholten fachkundigen Rechtsrat aufgehoben werden kann.738

730 Hierzu OLG Hamm 14.2.2008 – 4 U 135/07 – GRUR-RR 2008, 435, 437; a. A. Sosnitza GRUR 2003, 739, 745 (bedingter Vorsatz schon bei einem geringen juristischen Restrisiko).

731 So v. Raay S. 219. Siehe Begr. RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1587 S. 24. 732 So aber etwa Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 43a (kein Vorsatz bei Restrisiko unter 10 Prozent). 733 Nach Sieme liegt die maßgebliche Grenze zum jedenfalls bedingten Vorsatz zwischen etwa 10 bis 50 Prozent (Sieme S. 102 f.). Nordemann lehnt den Vorsatz bereits dann ab, wenn die Ansicht der Rechtmäßigkeit jedenfalls nicht unvertretbar ist (Nordemann Wettbewerbsrecht und Markenrecht, Rn. 960). Im Gegensatz hierzu geht Gärtner davon aus, dass die Rechtmäßigkeit nach der Rechtsauskunft gut vertretbar sein muss (Gärtner S. 95). 734 OLG Frankfurt 20.5.2010 – 6 U 33/09 – GRUR-RR 2010, 482, 483 – „heute gratis!“. 735 OLG Frankfurt 20.5.2010 – 6 U 33/09 – GRUR-RR 2010, 482, 483 – „heute gratis!“. 736 LG Hanau 1.9.2008 – 9 O 551/08 – MMR 2009, 142 Tz. 20. 737 LG Hanau 1.9.2008 – 9 O 551/08 – MMR 2009, 142 Tz. 20. 738 Harte/Henning/Goldmann § 9 Rn. 44 f.; Sieme S. 101. Poelzig

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D. Durchsetzung und Verfahren

§ 10

2. Gewinnerzielung zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern a) Beweislastverteilung. Die anspruchsstellende Institution muss grundsätzlich die Gewinn- 230 erzielung als anspruchsbegründende Tatsache und die Höhe des Gewinns darlegen und beweisen.739 Der Zuwiderhandelnde muss demgegenüber die Kosten darlegen und beweisen, die ausnahmsweise gewinnmindernd zu berücksichtigen sind.740 Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen anrechenbarer Leistungen an Dritte oder den Staat iSd. § 10 Abs. 2 trägt ebenfalls der Zuwiderhandelnde.741 Das ergibt sich für die Rückerstattung des abgeschöpften Gewinns bei nachträglichen Zahlungen aus dem Wortlaut des § 10 Abs. 2 S. 2 („nachgewiesene Zahlungen“). Für die übrigen Fälle der Anrechnung erbrachter Leistungen gemäß § 10 Abs. 2 S. 1 folgt dies aus allgemeinen Grundsätzen der Beweislastverteilung.742 Die in der Gemeinkostenanteil-Entscheidung durch den BGH zur Herausgabe des Verlet- 231 zergewinns entwickelten Grundsätze sind auch insoweit auf § 10 zu übertragen. Demnach sind Gemeinkosten nur abzugsfähig, soweit der Zuwiderhandelnde darlegen und beweisen kann, dass sie ausnahmsweise den schutzrechtsverletzenden Gegenständen unmittelbar zugerechnet werden können (ausführlich hierzu § 9 Rn. 71).743 Der Zuwiderhandelnde muss also Erlöse und Kosten möglichst lückenlos und schlüssig wiedergeben und belegen.744

b) Beweisanforderungen. Bei der klageweisen Durchsetzung des Gewinnabschöpfungsan- 232 spruchs werden die anspruchsberechtigten Institutionen häufig vor dem Problem stehen, dass der maßgebliche Gewinn betriebsinterne Informationen betrifft, die ihnen regelmäßig unzugänglich sind. Zu den Möglichkeiten, auf behördliche Erkenntnisse zuzugreifen vgl. Rn. 205 ff.

aa) Beweiserleichterungen. Je nach der konkreten Zuwiderhandlung kann der Beweis der 233 Gewinnerzielung als anspruchsbegründende Tatsache durch die Grundsätze des Anscheinsbeweises erleichtert werden: Der gewohnheitsrechtlich anerkannte prima facie Beweis ermöglicht einen Beweis von Ursächlichkeiten ohne eine entsprechende Tatsachengrundlage, wenn im konkreten Einzelfall ein typischer Geschehensablauf vorliegt, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder Folge hindeutet und so gewöhnlich und üblich erscheint, dass die besonderen individuellen Umstände an Bedeutung verlieren.745 Die Beweiserleichterung prima facie erlaubt demnach einen Rückschluss aufgrund von Erfahrungssätzen von der Zuwiderhandlung auf einen erzielten Gewinn, wenn es sich hierbei um einen typischen Geschehensablauf handelt.746 Insbesondere kostenintensive Zuwiderhandlungen werden nach allgemeiner Lebenserfahrung auf der Grundlage einer Kosten-Nutzen-Analyse nur begangen, wenn sich der Zuwiderhandelnde hiervon einen Gewinn verspricht.747 U.U. können aber auch weniger kostenintensive Zuwiderhandlungen – wie etwa Mogelpackungen – ein eigenes Gewinnpotential beinhalten. In diesen Fällen lässt der Nachweis der Zuwiderhandlung nach einer typisierenden Betrachtung den Schluss zu, dass hierdurch ein Gewinn erzielt wurde. Diesen 739 740 741 742 743

Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 14. Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 218; Gärtner S. 118 Fn. 568; Sieme S. 140. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 13; MüKo/Micklitz Rn. 155. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 14. BGH 2.11.2000 – I ZR 246/98 – BGHZ 145, 366 = GRUR 2001, 329, 331 – Gemeinkostenanteil; ausdrücklich für das UWG BGH 21.9.2006 – I ZR 6/04 – GRUR 2007, 431 Tz. 25 ff. – Steckverbindergehäuse. 744 v. Raay S. 350. Zum Schadensersatz Rojahn GRUR 2005, 623, 624. 745 BGH 18.3.1987 – IVa ZR 205/85 – BGHZ 100, 214, 216 = NJW 1987, 1944, 1944; Musielak/Voit/Foerste § 286 ZPO Rn. 23. 746 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 312; ebenso MüKo/Micklitz Rn. 134; Neuberger S. 126; Sieme S. 138; v. Raay S. 352. Allgemein zum Anscheinsbeweis Zöller/Greger Vor § 284 ZPO Rn. 29. 747 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 312. 399

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§ 10

Gewinnabschöpfung

Beweis kann der Anspruchsgegner dann dadurch erschüttern, dass er die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des erfahrungsgemäßen Ablaufs beweist. Beispiel hierfür ist etwa der Verkauf unter Einstandspreis gemäß § 4 Nr. 11 UWG iVm. § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB. 234 Eine weitergehende Beweislastumkehr ist hingegen abzulehnen, da im Hinblick auf die Beweiserleichterung durch Anscheinsbeweis und die regelmäßig bestehende Möglichkeit des Auskunftsanspruchs (vgl. Rn. 183 ff.) eine Abweichung von der gesetzlichen Beweislastverteilung nicht erforderlich erscheint.748

235 bb) Auskunfts- und Rechnungslegungsanspruch. Da die aktivlegitimierten Institutionen regelmäßig keinen Einblick in die betriebsinternen Abläufe des Zuwiderhandelnden haben, können sie in der Regel ohne Kenntnis der mit der Zuwiderhandlung erzielten Umsätze nicht darlegen und beweisen, dass und in welcher Höhe der Zuwiderhandelnde einen Gewinn erzielt hat. Das Gericht kann zwar gemäß § 142 ZPO den Beklagten auffordern, Unterlagen vorzulegen, auf die sich die klagende Institution bezogen hat. Die gemäß § 142 ZPO notwendige Bezugnahme749 wird den aktivlegitimierten Institutionen aber mangels Kenntnis regelmäßig nicht möglich sein, so dass die erheblichen Beweisproblemen hierdurch in der Praxis nicht beseitigt werden. 236 Die aktivlegitimierten Institutionen können aber u. U. Auskunft und Rechnungslegung verlangen.750 So ist auch die bisherige Rechtsprechung zu § 10 überwiegend zu Klagen ergangen, die auf einen solchen Auskunftsanspruch gerichtet waren.751 Zwar sieht § 10 selbst keinen eigenständigen Auskunftsanspruch vor. Grundlage hierfür bietet aber die allgemeine Regel gemäß § 242 BGB:752 Demnach kann der Berechtigte bei Bestehen eines Hauptanspruchs Auskunft über die zur Rechtsdurchsetzung notwendigen Informationen verlangen, die er aus eigenem Wissen nicht haben kann.753 Daher steht den gemäß § 10 aktivlegitimierten Institutionen nach allgemeinen Grundsätzen ge237 mäß § 242 BGB ein Auskunftsanspruch in erweiternder Auslegung der §§ 259, 260 BGB zu,754 wenn sie in entschuldbarer Weise über das Bestehen und den Umfang eines Gewinnabschöpfungsanspruchs im Ungewissen sind, sie sich die zur Vorbereitung und Durchsetzung des Gewinnabschöpfungsanspruchs notwendigen Auskünfte nicht auf zumutbare Weise selbst beschaffen können und der Verpflichtete sie unschwer, d. h. ohne unbillig belastet zu sein, zu geben vermag.755 Die hierfür

748 Zu den Anforderungen an eine Beweislastumkehr allgemein MüKo/Prütting § 286 ZPO Rn. 128; Musielak/Voit/ Foerste § 286 ZPO Rn. 34. 749 Hierzu Musielak/Voit/Stadler § 142 ZPO Rn. 4. 750 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 14. 751 Vgl. etwa OLG Schleswig 19.3.2015 ‒2 U 6/14 ‒ NJOZ 2015, 1515; LG Hannover 17.11.2015 ‒18 O 36/15 – juris; LG München I 17.9.2014 ‒ 37 0 16359/ 13 ‒ GRUR-RR 2015, 255; OLG Hamm 14.2.2008 – 4 U 135/07 – GRUR-RR 2008, 435; OLG Stuttgart 2.11.2006 – 2 U 58/06 – GRUR 2007, 435 = WRP 2007, 350; LG Berlin 25.9.2007 – 16 O 115/06 – CR 2008, 192. 752 Zu ihrer Anwendung auf § 10 vgl. OLG Düsseldorf 7.2.2017 ‒ I-20 U 139/15 ‒ GRUR-RR 2017, 331 = BeckRS 2017, 106178, Rn. 60; OLG Schleswig 19.3.2015 ‒ 2 U 6/14 ‒ NJOZ 2015, 1515 Rn. 74; 26.3.2013 ‒2 U 7/12 ‒ MMR 2013, 579, 583; OLG Stuttgart 2.11.2006 – 2 U 58/06 – GRUR 2007, 435 = WRP 2007, 350 – Veralteter Matratzentest. Außerdem Ahrens/Loewenheim Der Wettbewerbsprozess Kap. 72 Rn. 1 ff.; Teplitzky/Löffler Kap. 38 Rn. 1 ff. 753 RG 4.5.1923 – II 310/22 – RGZ 108, 1, 7. 754 Statt aller Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 312; Harte/Henning/Goldmann Rn. 155, Vorbemerkungen zu § 8 Rn. 13; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 15; MüKo/Micklitz Rn. 134; Ohly/Sosnitza Rn. 18. 755 Grundlegend zu dem Auskunftsanspruch BGH 28.10.1953 – II ZR 149/52 – BGHZ 10, 385, 387 = NJW 1954, 70, 71; RG 19.11.1938 – II 69/38 – RGZ 158, 377, 379 ff.; RG 4.5.1923 – II 310/22 – RGZ 108, 1, 7 und speziell für das Wettbewerbsrecht BGH 4.7.1975 – I ZR 115/73 – GRUR 1976, 367 – Ausschreibungsunterlagen m. Anm. Fritze; BGH 18.2.1972 – I ZR 82/70 – GRUR 1972, 558, 560 – Teerspritzmaschinen m. Anm. v. Falck; BGH 27.11.1964 – Ib ZR 23/ 63 – GRUR 1965, 313 – Umsatzauskunft m. Anm. Hoepffner. Allgemein zu den Voraussetzungen eines AuskunftsanPoelzig

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D. Durchsetzung und Verfahren

§ 10

notwendige besondere rechtliche Beziehung756 zwischen den berechtigten Institutionen und dem Zuwiderhandelnden ergibt sich aus dem Umstand, dass der Anspruch gemäß § 10 Abs. 1 dem Grunde nach feststeht.757 Die bloße Wahrscheinlichkeit eines solchen Anspruchs genügt nach allgemeinen Grundsätzen hingegen nicht.758 Ausnahmen sind nur unter engen Voraussetzungen möglich, wenn etwa nachgewiesene Zuwiderhandlungen aufgrund der besonderen Umstände eine hohe Wahrscheinlichkeit gleichartiger Verstöße begründen.759 Davon kann im Wettbewerbsrecht für künftige Verstöße aufgrund der besonderen Wiederholungsgefahr ausgegangen werden. Dass der Zuwiderhandelnde Gewinn erzielt hat, muss als anspruchsbegründende Tatbe- 238 standsvoraussetzung grundsätzlich von dem Auskunftsersuchenden nachgewiesen werden. Der Auskunftsanspruch erstreckt sich demnach nicht auf die Gewinnerzielung als solche.760 Lediglich die Höhe des Gewinns ist dem Auskunftsanspruch zugänglich.761 Allerdings sind an den Nachweis der Gewinnerzielung als solche keine allzu strengen Anforderungen zu stellen, da der Auskunftsanspruch im Hinblick auf die Gewinnhöhe anderenfalls faktisch leerliefe. Insoweit helfen die Grundsätze zum Anscheinsbeweis sowie die Möglichkeit der Schätzung gemäß § 287 ZPO analog (vgl. Rn. 195 ff.). Daher muss es für den Auskunftsanspruch genügen, dass der Zuwiderhandelnde konkrete Anhaltspunkte für eine Gewinnerzielung darlegen und beweisen kann. Die Unkenntnis der erforderlichen Informationen ist unverschuldet, wenn der berechtig- 239 ten Institution keine andere zumutbare Möglichkeit zur Informationsgewinnung zur Verfügung gestanden oder wenn sie eine nur frühere Möglichkeit ungenutzt verstreichen lassen hat und ihr die spätere Relevanz in diesem Zeitpunkt nicht erkennbar war.762 Für den Zuwiderhandelnden muss die Auskunft unter Berücksichtigung des Arbeitsaufwands sowie der Art der Zuwiderhandlung und der Beweisnot unschwer möglich sein.763 Der Auskunftsanspruch bezieht sich lediglich auf die Höhe des Gewinns, nicht auch auf 240 das Vorliegen des Gewinns.764 Der Inhalt der Auskunftspflicht richtet sich danach, welcher Angaben der Anspruchsberechtigte zur Feststellung und Bemessung des abzuschöpfenden Gewinns bedarf.765 Die Pflicht zur Auskunft erstreckt sich insbesondere auf den Umsatz im maßgeblichen Zeitraum oder in verschiedenen Vergleichszeiträumen, einzelne Rechenposten wie etwa Einkaufs- und Verkaufspreise oder Liefermengen,766 die abzugsfähigen Kosten, wie etwa variable Kosten für Sach- und Personalmittel, anrechenbare Leistungen gemäß § 10 Abs. 2 sowie gegebenenfalls Aufzeichnungen aus dem internen Controlling des Zuwiderhandelnden über die spruchs gemäß § 242 BGB vgl. BGH 2.2.1999 – KZR 11/97 – BGHZ 140, 342 = GRUR 1999, 1025, 1029 – Preisbindung durch Franchisegeber; BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322, 329 ff. = GRUR 1994, 630, 633 – Cartier-Armreif m. Anm. Jacobs; BGH 26.9.1991 – I ZR 149/89 – BGHZ 115, 210 = GRUR 1992, 176, 178 – Abmahnkostenverjährung; BGH 19.3.1987 – I ZR 98/85 – GRUR 1987, 647 – Briefentwürfe; BGH 5.6.1985 – I ZR 53/83 – BGHZ 95, 274, 278 f. – GEMA-Vermutung I; BGH 4.6.1981 – III ZR 31/80 – BGHZ 81, 21, 25 f. Ausführlich zum Auskunfts- und Rechnungslegungsanspruch beim immaterialgüterrechtlichen Anspruch auf Gewinnherausgabe Dreier/Schulze § 97 UrhG Rn. 100 ff.; Köhler NJW 1992, 1477, 1480 f.; Zahn Verletzergewinn, S. 137 m. w. N. 756 BGH 5.6.1985 – I ZR 53/83 – BGHZ 95, 274, 279 – GEMA-Vermutung I; zum Schadensersatzanspruch als Hilfsanspruch BGH 26.11.1987 – I ZR 123/85 – GRUR 1988, 307, 308 – Gaby. 757 Vgl. Harte/Henning/Goldmann Rn. 155, Vorbemerkungen zu § 8 Rn. 15 („aus dem durch den Wettbewerbsverstoß begründeten gesetzlichen Schuldverhältnis); Beuchler WRP 2006, 1288, 1289. 758 Allgemein zu den Grundsätzen des Auskunftsanspruchs im Wettbewerbsrecht Staudinger/Bittner § 260 BGB Rn. 31 f.; Teplitzky/Löffler Kap. 38 Rn. 1 ff. 759 Teplitzky/Löffler Kap. 38 Rn. 7 ff. 760 A. A. Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 299 f. 761 LG Hannover 17.11.2015 ‒ 18 O 36/15 – juris, Rn. 17. 762 Allgemein MüKo/Krüger § 260 BGB Rn. 18 f. 763 BGH 4.6.1981 – III ZR 31/80 – BGHZ 81, 21, 24 f. 764 A. A. Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 300 f. 765 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 306. So etwa zum Umfang des Auskunftsanspruchs für die Schadensberechnung bei einer Kennzeichenrechtsverletzung BGH 27.9.1990 – I ZR 87/89 – GRUR 1991, 153, 154 – Pizza & Pasta. 766 BGH 13.7.1973 – I ZR 101/72 – GRUR 1974, 53, 54 – Nebelscheinwerfer; Bauer S. 184 m. w. N. 401

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§ 10

Gewinnabschöpfung

angenommene Wirkung der Zuwiderhandlung.767 Dabei obliegt es dem Anspruchsgegner nicht, den Gewinn selbst zu berechnen; vielmehr muss er dem Anspruchsinhaber die notwendigen Daten zukommen lassen, damit dieser selbst in der Lage ist, die Höhe zu ermitteln.768 241 Bei der Bestimmung des Umfangs der Auskunftspflicht sind die Interessen der beteiligten Parteien, das Informationsinteresse der anspruchsberechtigten Institution einerseits und das Interesse des Zuwiderhandelnden an der Geheimhaltung interner Informationen andererseits, ausreichend zu berücksichtigen.769 Das Geheimhaltungsinteresse des Zuwiderhandelnden ist jedoch in der Regel ausreichend dadurch gewahrt, dass die Auskunft gegenüber unabhängig tätigen Institutionen iSd. § 8 Abs. 3 Nr. 2–4 erfolgt. Im Übrigen kann das Gericht bei besonders geheimhaltungsbedürftigen Informationen einen Wirtschaftsprüfervorbehalt anordnen (vgl. Rn. 193). Über den der bloßen Unterrichtung dienenden Auskunftsanspruch hinaus kann sich aus 242 den allgemeinen Grundsätzen von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB ausnahmsweise770 auch ein Rechnungslegungsanspruch ergeben,771 der auf eine genauere Information durch Vorlage einer geordneten Aufstellung der Einnahmen und gegebenenfalls Ausgaben gerichtet ist.772 Allerdings fasst die bisherige Rechtsprechung bereits den Auskunftsanspruch sehr weit und verlangt auf dieser Grundlage bereits detaillierte, rechnungslegungsähnliche Informationen.773 Im Hinblick auf die mögliche Anordnung zur Vorlage von Belegen, die auf der Grundlage 243 des Rechnungslegungsanspruchs oder nach der bisherigen Rechtsprechungspraxis bereits aufgrund des Auskunftsanspruchs ergehen kann, wird z. T. befürchtet, dass Konkurrenten des Zuwiderhandelnden vor allem Verbände instrumentalisieren, um so Geschäftsgeheimnisse der Zuwiderhandelnden auszuforschen.774 Um diese Gefahr zu verringern, kann das Gericht einen sog. Wirtschaftsprüfervorbehalt anordnen, wonach „die Auskünfte einer zur Verschwiegenheit verpflichteten Person erteilt werden müssen“.775 Ob ein Wirtschaftsprüfer tatsächlich hinzugezogen wird, entscheidet grundsätzlich der Zuwiderhandelnde; wer dann gegebenenfalls als Wirtschaftsprüfer hinzugezogen wird, bestimmt hingegen die auskunftsberechtigte Institution, § 87c Abs. 4 HGB analog.776 Die Kosten des Wirtschaftsprüfers trägt der Zuwiderhandelnde.777 767 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 306 f.; Harte/Henning/Goldmann Rn. 155, Vorbemerkungen zu § 8 Rn. 19 ff.; Gärtner S. 129; v. Raay S. 364. 768 OLG Schleswig 19.3.2015 ‒ 2 U 6/14 ‒ NJOZ 1515 Rn. 96 f. 769 Köhler NJW 1992, 1477, 1481. 770 In der Regel kein Rechnungslegungsanspruch BGH 13.2.1976 – I ZR 1/75 – GRUR 1978, 52 – Fernschreibverzeichnisse m. Anm. Schulze zur Wiesche; BGH 18.12.1968 – I ZR 130/66 – GRUR 1969, 292, 294 – Buntstreifensatin II m. Anm. Reimer. 771 Im Zusammenhang mit Schadensersatzansprüchen aus wettbewerbswidriger (identischer) Leistungsübernahme BGH 6.2.1986 – I ZR 243/83 – GRUR 1986, 673, 676 – Beschlagprogramm; BGH 23.1.1981 – I ZR 48/79 – GRUR 1981, 517, 520 – Rollhocker; BGH 19.1.1973 – l ZR 39/71 – GRUR 1973, 478, 480 – Modeneuheit m. Anm. Krieger; BGH 8.10.1971 – I ZR 12/70 – GRUR 1972, 189 – Wandsteckdose II m. Anm. Hefermehl und aus der Verletzung von Betriebsgeheimnissen nach § 9 i. V. m. §§ 17, 18 vgl. BGH 27.11.1964 – Ib ZR 23/63 – GRUR 1965, 313 – Umsatzauskunft m. Anm. Hoepffner; BGH 17.5.1960 – I ZR 34/59 – GRUR 1960, 554 – Handstrickverfahren m. Anm. v. Falck. 772 BGH 29.1.1985 – X ZR 54/83 – BGHZ 93, 327, 330 = GRUR 1985, 472 – Thermotransformator. 773 Vgl. etwa OLG Frankfurt 4.12.2008 – 6 U 187/07 – insoweit nicht abgedr. in CR 2009, 25; OLG Stuttgart 2.11.2006 – 2 U 58/06 – insoweit nicht abgedr. in GRUR 2007, 435 – Veralteter Matratzentest; v. Raay S. 365; Sieme S. 170 jeweils mit weiteren Verweisen auf unveröffentlichte Entscheidungen. 774 Engels/Salomon WRP 2004, 32, 43; Sack WRP 2003, 549, 555; vgl.zum Auskunftsverlangen die Stellungnahme des Bundesrates RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 34. 775 So die Gegenäußerung der Bundesregierung Begr. RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 43. Beispiel hierfür aus der Rechtsprechung ist LG Essen 20.7.2007 – 45 O 4/07 – Magazindienst 2007, 985. 776 So die Rechtsprechung zum Immaterialgüterrecht BGH 7.12.1979 – I ZR 157/77 – GRUR 1980, 227, 233 – Monumenta Germaniae Historica; BGH 23.2.1962 – I ZR 114/60 – GRUR 1962, 354, 357 – Furniergitterm. Anm. Friedrich; BGH 2.4.1957 – I ZR 58/56 – GRUR 1957, 336 – Rechnungslegung. Schaub GRUR 2005, 918, 919 m. w. N. Kritisch Teplitzky/Löffler Kap. 38 Rn. 29. 777 BGH 2.4.1957 – I ZR 58/56 – GRUR 1957, 336 – Rechnungslegung. Poelzig

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D. Durchsetzung und Verfahren

§ 10

Auskunfts- und Rechnungslegungsansprüche verjähren als Hilfsansprüche mit dem 244 Hauptanspruch auf Gewinnabschöpfung,778 also gemäß §§ 195, 199 BGB (dazu Rn. 208).

cc) Richterliche Schätzung gemäß § 287 ZPO. Lässt sich trotz Auskunft und Rechnungsle- 245 gung nicht beweisen, ob und in welcher Höhe der Zuwiderhandelnde einen Gewinn erzielt hat, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung analog § 287 ZPO. Zwar verweist die Gesetzesbegründung auf § 287 ZPO nur im Zusammenhang mit der streitigen Gewinnhöhe,779 richtigerweise ist § 287 ZPO aber entsprechend auch für die anspruchsbegründende Frage anzuwenden, ob überhaupt ein Gewinn erzielt wurde.780 Für die Gewinnschätzung gilt § 287 Abs. 2 ZPO, der auf die gerichtliche Schadensermittlung gemäß § 287 Abs. 1 ZPO verweist.781 Die Voraussetzung des § 287 Abs. 2 ZPO, wonach die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden sein muss, ist im Hinblick auf den Hinweis in der Gesetzesbegründung großzügig zu handhaben. Die Schätzung des Gewinns liegt im Ermessen des Richters, so dass sie in der Revision nur 246 daraufhin überprüft werden kann, ob sie auf grundsätzlich falschen oder offenbar unsachlichen Erwägungen beruht oder ob wesentliche, die Entscheidung bedingende Tatsachen außer Acht gelassen worden sind, insbesondere ob schätzungsbegründende Tatsachen, die von den Parteien vorgebracht worden sind oder sich aus der Natur der Sache ergeben, nicht gewürdigt wurden.782 Nach der Rechtsprechung des BGH zu der dreifachen Schadensberechnung im Immaterial- 247 güterrecht783 wirkt die Bemessung des Schadens durch richterliche Schätzung auf den Inhalt des Auskunftsanspruchs zurück. Art und Umfang der Auskunft müssen demnach in einem sinnvollen Verhältnis zu dem Wert stehen, den sie für die Schätzung des geltend gemachten Schadens haben.784 Diese auf Billigkeitserwägungen beruhende Rechtsprechung ist aber auf § 10 nur eingeschränkt zu übertragen, da die Interessen des Zuwiderhandelnden hier im Vergleich zu dem Schadensersatzanspruch angesichts des Vorsatzvorwurfs weniger schutzwürdig sind.785 Zudem ist der Zuwiderhandelnde grundsätzlich auch weniger schutzbedürftig, da die Auskunft den in § 8 Abs. 3 Nr. 2–4 genannten Institutionen und nicht Mitbewerbern gegenüber zu erteilen ist. Daher wird die dem Grunde nach bestehende Auskunftspflicht zur Durchsetzung des § 10 regelmäßig nicht dadurch eingeschränkt, dass der Gewinn durch Schätzung ermittelt werden soll.786 Das wird durch die bisherigen Entscheidungen der Gerichte bestätigt, die jeweils detaillierte Auskunft verlangen, obgleich sie sich für die Bemessung des Gewinns auf § 287 ZPO stützen.787

778 Vgl. BGH 28.9.1973 – I ZR 136/71 – GRUR 1974, 99, 101 – Brünova m. Anm. Malzer; BGH 18.2.1972 – I ZR 82/ 70 – GRUR 1972, 558, 560 – Teerspritzmaschinen m. Anm. v. Falck.

779 Begr. RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 24. 780 A. A. Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 292. 781 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 331. Für eine analoge Anwendung des § 287 ZPO hingegen Harte/ Henning/Goldmann Rn. 133; Neuberger S. 126 f.; Schmauß S. 102; Sieme S. 142 ff.; für die Einführung einer gesetzlichen Regelung Micklitz/Stadler Unrechtsgewinnabschöpfung S. 125, 129. 782 BGH 21.9.2006 – I ZR 6/04 – GRUR 2007, 431 Tz. 38 – Steckverbindergehäuse mit Verweisung auf BGH 6.10. 2005 – I ZR 266/02 – GRUR 2006, 136 Tz. 24 – Pressefotos. 783 BGH 13.7.1973 – I ZR 101/72 – GRUR 1974, 53 – Nebelscheinwerfer m. Anm. Henssler; BGH 16.2.1973 – I ZR 74/ 71 – GRUR 1973, 375 – Miss Petite m. Anm. v. Falck. Auch nach der Gemeinkostenanteil-Entscheidung BGH 6.10.2005 – I ZR 322/02 – GRUR 2006, 419 – Noblesse. 784 BGH 16.2.1973 – I ZR 74/71 – GRUR 1973, 375, 378 – Miss Petite m. Anm. v.Falck. 785 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 308; Sieme S. 169 f.; v. Raay S. 369. 786 v. Raay S. 369; a. A. Sieme S. 171. 787 So etwa OLG Frankfurt 4.12.2008 – 6 U 187/07 – insoweit nicht abgedr. in CR 2009, 25; OLG Stuttgart 2.11.2006 – 2 U 58/06 – insoweit nicht abgedr. in GRUR 2007, 435 – Veralteter Matratzentest. 403

Poelzig

§ 10

Gewinnabschöpfung

248 c) Kausalität zwischen Zuwiderhandlung und Gewinnerzielung. Die anspruchsstellende Institution muss auch die Kausalität zwischen der Zuwiderhandlung und der Gewinnerzielung zu Lasten der Abnehmer darlegen und beweisen.788 Da sich allerdings die Entscheidung eines Marktteilnehmers, die Leistung eines anderen nachzufragen, in aller Regel nicht auf eine einzelne, konkret bestimmbare Ursache zurückführen lässt, sondern häufig durch das Zusammenspiel vieler verschiedener, oft auch unbekannter Faktoren beeinflusst wird, lässt sich im Nachhinein oft – auch unter Zuhilfenahme von Sachverständigengutachten789 – nur schwer nachweisen, ob und wie ein unlauteres Verhalten zu der Abnahmeentscheidung und dem Gewinn beigetragen hat.790 Für den Nachweis der Kausalität können u. U. die Grundsätze über den Anscheinsbeweis he249 rangezogen werden.791 Die anspruchsberechtigte Institution muss lediglich den Erfolg im strengen Sinne beweisen, sofern die allgemeine Lebenserfahrung auf eine konkrete Ursache hinweist. Steigt etwa der Umsatz des Zuwiderhandelnden nach einer unlauteren Werbung spürbar an, spricht die allgemeine Lebenserfahrung für einen solchen Kausalzusammenhang.792 Der Anspruchsgegner kann den Anscheinsbeweis erschüttern, indem er Tatsachen behauptet und gegebenenfalls beweisen kann, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs ergibt.793 Zur Erleichterung der Beweisbarkeit wird teilweise erwogen, eine Beweislastumkehr durch 250 eine Vermutung der Kausalität anzunehmen.794 Hierfür spricht zwar die regelmäßig bestehende „Beweisnot“ der anspruchsstellenden Institution. Eine Beweislastumkehr durch Rechtsfortbildung gegen die Wertungen des Gesetzes ist allerdings nur unter – hier nicht erfüllten – strengen Voraussetzungen möglich, um offensichtlich ungerechte oder sozial unerträgliche Ergebnisse zu vermeiden.795 Eine solche Vermutung würde zudem die Kausalität als materielle Tatbestandsvoraussetzung praktisch entwerten, da der Zuwiderhandelnde regelmäßig nicht in der Lage sein wird, die Gewinnfaktoren aufzuschlüsseln.796 Daher wird eine Beweislastumkehr mit der h. M. zu Recht abgelehnt.797 Im Übrigen können die §§ 286, 287 ZPO für die Frage herangezogen werden, ob und inwie251 weit die Gewinnanteile auf der Zuwiderhandlung beruhen.798 Eine wesentliche Rolle spielt hierbei die richterliche Schätzung gemäß § 287 ZPO,799 auf die der Gesetzgeber in seiner Begründung ausdrücklich hinweist.800 Da die Rechtsprechung bei der Herausgabe des Verletzergewinns als Element der dreifa252 chen Schadensberechnung insbesondere im Rahmen des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes und im Kennzeichenrecht vor ähnlichen Schwierigkeiten steht, können die 788 MüKo/Micklitz Rn. 149; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 14; Götting/Nordemann/Wündisch Rn. 29; Neuberger S. 125; v. Raay S. 350. So auch der BGH für die Gewinnherausgabe als dritte Schadensberechnungsmethode im Immaterialgüterrecht BGH 14.5.2009 – I ZR 98/06 – GRUR 2009, 856 Tz. 45 – Tripp-Trapp-Stuhl. Zumindest für Beweiserleichterungen hingegen: Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 322. 789 Hierzu Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 335; Sieme S. 139. 790 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 322; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 14; Sack WRP 2003, 549, 553 f. 791 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 14.
 792 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 325; Neuberger S. 128. 793 BGH 3.7.1990 – VI ZR 239/89 – NJW 1991, 230, 231; BGH 18.12.1952 – VI ZR 54/52 – BGHZ 8, 239, 240; Musielak/ Voit/Foerste § 286 ZPO Rn. 23. 794 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 327 mit dem Hinweis auf Sack BB 1987, Beilage 2 S. 7 f. Ähnlich die Überlegungen zur dreifachen Schadensberechnung im Immaterialgüterrecht nach der Gemeinkostenanteil-Entscheidung von Zahn Verletzergewinn S. 131, 137; kritisch jedoch Haedicke GRUR 2005, 529, 534. 795 MüKo/Prütting § 286 ZPO Rn. 123. 796 So auch die Prognose Haedickes zur dritten Schadensberechnungsmethode im Immaterialgüterrecht Haedicke GRUR 2005, 529, 534. 797 Bauer S. 147; Neuberger S. 126; v. Raay S. 356 ff. 798 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 14; MüKo/Micklitz Rn. 141; Schmauß S. 102 m. w. N.; kritisch Engels/Salomon WRP 2004, 32, 43; Sack WRP 2003, 549, 553 f. 799 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 329; Harte/Henning/Goldmann Rn. 145; v. Raay S. 353 ff. 800 Begr. RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 24. Poelzig

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D. Durchsetzung und Verfahren

§ 10

hierzu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze als Vorbild für die Ermittlung des Gewinnanteils in § 10 auf der Grundlage des § 287 ZPO herangezogen werden.801 Vorbedingung für eine gerichtliche Schätzung ist demnach eine ausreichende Tatsachengrundlage, die der Kläger darlegen und beweisen muss.802 Mit Rücksicht auf die natürlichen Beweisschwierigkeiten im Lauterkeitsrecht sind hieran in Anlehnung an die Grundsätze zur immaterialgüterrechtlichen Figur des Verletzergewinns keine allzu hohen Anforderungen zu stellen.803 Bei der Beurteilung und der Gewichtung der Tatsachen haben die Gerichte einen Ermessensspielraum,804 der mit zunehmendem Verschuldensgrad größer wird und daher im Falle von vorsätzlichen Rechtsverstößen wie bei § 10 besonders weit ausfällt.805 Der Kausalzusammenhang ist nicht im Sinne einer adäquaten Kausalität, sondern „vergleichbar mit der Bemessung der Mitverschuldensanteile im Rahmen des § 254 BGB“, wertend zu verstehen.806 Gegebenenfalls soll parallel zu einem „wahrscheinlichen Mindestschaden“ ein „Mindestgewinn“ bestimmt werden. Ein Sachverständiger ist nur dann zu Rate zu ziehen, wenn die hierdurch entstehenden 253 Kosten in einem angemessenen Verhältnis zu dem Nutzen stehen.807 Nur sofern ausnahmsweise jeglicher Anhaltspunkt für die Höhe des kausalen Unrechtsgewinns fehlt, ist eine Schätzung ausgeschlossen.808 Dem Zuwiderhandelnden obliegt es, die Ursächlichkeit ausschließende Tatsachen substantiiert vorzutragen.

III. Wirkung des Urteils Eine allgemeine Bindungswirkung, die der Wirkung von Verbraucherverbandsklagen gemäß § 11 254 UKlaG entspricht, kommt der Gewinnabschöpfung nicht zu. Darüber hinaus fehlt es an einer Rechtskrafterstreckung auf nachfolgende Verfahren. Die Gerichte sind in Verfahren, die dieselbe Zuwiderhandlung zum Gegenstand haben, nicht an die vorhergehende Entscheidung anderer Gerichte gebunden. Das Vorliegen der Gesamtgläubigerschaft gemäß § 10 Abs. 3 iVm. §§ 428– 430 BGB kann keine Rechtskrafterstreckung auf andere Verfahren im Zusammenhang mit derselben Zuwiderhandlung begründen.809

IV. Follow-on-Klagen Zwar wird das UWG seit jeher vorwiegend durch weitreichende privatrechtliche Sanktionen 255 durchgesetzt, die behördliche Kontrolle wird aber zunehmend – insbesondere unter dem Einfluss des europäischen Unionsrechts – ausgeweitet. So erlaubt das EG-Verbraucherschutzdurchsetzungsgesetz (VSchDG) vom 21.12. 2006 bestimmten Behörden, in erster Linie dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), innergemeinschaftliche 801 Fezer/Büscher/Obergfell/v. Braunmühl Rn. 333. 802 Gärtner S. 137; Sieme S. 144 f. Zur immaterialgüterrechtlichen Figur des Verletzergewinns BGH 22.4.1993– I ZR 52/91 – BGHZ 122, 262 = GRUR 1993, 757, 758 – Kollektion „Holiday“. 803 Vgl. BGH 6.10.2005 – I ZR 322/02 – GRUR 2006, 419, 420 – Noblesse; BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 – BGHZ 119, 20, 30 f. – Tchibo/Rolex II. 804 BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 – BGHZ 119, 20, 30 f. – Tchibo/Rolex II; BGH 9.3.1966 – I ZR 36/64 – GRUR 1966, 570, 571 f. – Eisrevue III m. Anm. Utescher; Harte/Henning/Goldmann Rn. 105. 805 Harte/Henning/Goldmann Rn. 147 mit Verweis auf RG 24.6.1904 – II 435/03 – RGZ 58, 321, 324 – Klosettpapier; a. A. Reimer Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht S. 843. 806 BGH 21.9.2006 – I ZR 6/04 – GRUR 2007, 431, 434 – Steckverbindergehäuse; vgl. auch Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 9 Rn. 1.48 m. w. N. 807 BGH 22.4.1993 – I ZR 52/91 – GRUR 1993, 757, 760 – Kollektion „Holiday“. 808 Vgl. BGH 6.10.2005 – I ZR 322/02 – GRUR 2006, 419, 420 – Noblesse; BGH 7.2.2002 – I ZR 304/99 – BGHZ 150, 32, 43 = GRUR 2002, 532, 535 – Unikatrahmen; BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 – BGHZ 119, 20, 30 f. – Tchibo/Rolex II. 809 BGH 19.9.1985 – VII ZR 15/85 – NJW 1986, 1046, 1047; MüKo/Bydlinski § 428 BGB Rn. 16. 405

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§ 10

Gewinnabschöpfung

Verstöße gegen Gesetze zum Schutz der Verbraucherinteressen, zu denen auch das UWG gehört, zu verfolgen und verwaltungsrechtliche Entscheidungen zu erlassen (§ 5 VSchDG). Daher ist es seit der Einführung des VSchDG jedenfalls bei innergemeinschaftlichen Verstößen – ähnlich wie bei der kartellrechtlichen Vorteilsabschöpfung810 – denkbar, dass die aktivlegitimierten Institutionen ihre Klage auf Gewinnabschöpfung als sog. follow-on-Klage im Anschluss an ein behördliches Verfahren durch das BVL erheben. Das BVL kann die Maßnahmen ergreifen, die zur Feststellung, Beseitigung oder Verhütung künftiger innergemeinschaftlicher Verstöße gegen Gesetze zum Schutz der Verbraucherinteressen erforderlich sind (§ 5 Abs. 1 S. 1 VSchDG). Allerdings räumt § 7 VSchDG der privatrechtlichen Durchsetzung durch Verbände gegenüber dem behördlichen Tätigwerden grundsätzlich den Vorrang ein, so dass hiernach follow-on-Klagen auf Gewinnabschöpfung gemäß § 10 im Anschluss an ein behördliches Verfahren ausgeschlossen sind. Die behördliche Durchsetzung greift allerdings ausnahmsweise vorrangig ein, soweit staatliche Zwangsmaßnahmen zur Ermittlung notwendig sind811 oder eine ausländische Behörde die deutsche Behörde zum Einschreiten ersucht.812 In diesen Fällen sind follow-on-Klagen auf Gewinnabschöpfung möglich und es stellt sich die Frage nach der Verwertung der behördlichen Ermittlungserkenntnisse im nachfolgenden Verfahren vor den Zivilgerichten. 256 Eine tatbestandliche Feststellungswirkung – wie sie § 34a Abs. 5 GWB für die kartellrechtliche Vorteilsabschöpfung mit der Verweisung auf § 33 Abs. 4 GWB vorsieht – gibt es in § 10 nicht. Allerdings ist das VSchDG erst nach Einführung des § 10 in Kraft getreten. Mit der Einführung des VSchDG stellt sich die Situation nunmehr ähnlich dar wie im Kartellrecht. Zwar liegen lauterkeitsrechtliche Zuwiderhandlungen für andere Marktteilnehmer in der Regel leichter erkennbar zu Tage. Um die privatrechtliche Durchsetzung aber in Fällen zu stärken, in denen den Berechtigten ausnahmsweise die notwendigen Informationen fehlen, liegt der Rückgriff auf die behördliche Feststellung eines unlauteren Verhaltens nahe. Die Feststellung der Unlauterkeit durch das BVL entfaltet daher in entsprechender Anwendung von § 34a Abs. 5 GWB Bindungswirkung für nachfolgende zivilgerichtliche Klagen auf Gewinnabschöpfung, die gegen dieselbe Zuwiderhandlung gerichtet sind.813 257 Darüber hinaus können die behördlichen Ermittlungserkenntnisse in den nachfolgenden zivilgerichtlichen Verfahren beim Beweis der anspruchsbegründenden Tatsachen eine wesentliche Rolle spielen, etwa wenn einschlägige Erkenntnisse in den behördlichen Entscheidungen dokumentiert sind. Darüber hinaus hilft dann auch der grundsätzliche bestehende Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) weiter.814

V. Verjährung 258 Der Gesetzgeber hat die Gewinnabschöpfungsansprüche bewusst nicht der kurzen sechsmonatigen Verjährungsfrist gemäß § 11 Abs. 1 unterstellt.815 Nach verbreiteter Auffassung verjähren Gewinnabschöpfungsansprüche iSd. § 10 Abs. 1 daher gemäß der Auffangvorschrift des § 11 Abs. 4 ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des jeweiligen Berechtigten innerhalb

810 Hierzu Frankfurter Kommentar/Roth § 34a GWB Rn. 21. 811 Begr. RegE BTDrucks. 16/2930, S. 22. 812 Dann darf ein Dritter die Normdurchsetzung nur nach entsprechender Abstimmung zwischen beiden Behörden über die Eignung und Wirksamkeit des beauftragten Dritten übernehmen (Art. 8 Abs. 4 VO [EG] 2006/2004). Die ersuchte Behörde darf ein Durchsetzungsersuchen ablehnen, wenn bereits ein Gerichtsverfahren hinsichtlich des betreffenden grenzüberschreitenden Verstoßes anhängig ist (vgl. Art. 15 Abs. 2 lit. a VO [EG] 2006/2004). 813 Vgl. Art. 10 des Vorschlags für eine Richtlinie über Vertretungsklagen zum Schutz kollektiver Verbraucherinteressen, Com(2018)184 final. 814 Zu der Möglichkeit, auf amtliche Informationen im Rahmen der privatrechtlichen Normdurchsetzung zuzugreifen, ausführlich Poelzig, S. 519 ff. 815 So die Stellungnahme des Bundesrates RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 35. Poelzig

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E. Internationalrechtliche Fragen

§ 10

von drei Jahren von ihrer Entstehung an.816 Wortlaut und Systematik des § 11 sprechen jedoch gegen die Anwendung des § 11 Abs. 4. Die anderen Ansprüche iSd. § 11 Abs. 4 nehmen Bezug auf den vorhergehenden § 11 Abs. 3, der die Verjährung von Schadensersatzansprüchen regelt. Die Bedeutung von Absatz 3 und Absatz 4 liegt darin, dass sie im Vergleich zu Absatz 1 die Verjährung der in Absatz 1 genannten Ansprüche unabhängig von Kenntnis und grob fahrlässiger Unkenntnis bestimmen. Der sachliche Anwendungsbereich des § 11 Abs. 4 in Bezug auf die erfassten Ansprüche geht daher nicht über § 11 Abs. 1 hinaus. Andere Ansprüche iSd. § 11 Abs. 4 sind daher alle in Absatz 1 genannten Ansprüche mit Ausnahme der in Absatz 3 genannten Schadensersatzansprüche. Da Gewinnabschöpfungsansprüche nicht von Absatz 1 erfasst sind, gilt für sie auch nicht Absatz 4. Für die Nichtanwendung der kenntnisunabhängigen Verjährung spricht auch, dass eine Gewinnabschöpfung nach der Begründung des Bundesrats „nur dann sinnvoll [ist], wenn der gesamte Verletzungstatbestand bekannt und abgeschlossen ist“.817 Ihre Verjährung bestimmt sich nach den allgemeinen Vorschriften gemäß §§ 195, 199 259 BGB.818 Gewinnabschöpfungsansprüche verjähren demnach innerhalb der allgemeinen Verjährungsfrist von drei Jahren. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, wann der Gewinnabschöpfungsanspruch iSd. § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB entsteht, ob mit der Vornahme der unlauteren geschäftlichen Handlung, mit Realisierung des vollständigen Gewinns oder für jeden Teilgewinn separat. In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung zum Schadensrecht,819 die von dem Grundsatz der Schadenseinheit ausgeht, ist für die Verjährung des Abschöpfungsanspruchs bei mehreren Gewinnfolgen von dem Grundsatz der Gewinneinheit auszugehen. Demnach gilt der gesamte Gewinn, der auf einer einheitlichen unlauteren geschäftlichen Handlung beruht, mit dem ersten Vermögenszuwachs auf Seiten des Zuwiderhandelnden als eingetreten. Teilgewinne, die sich später realisieren, sind hiervon erfasst, soweit sie lediglich eine vorhersehbare Weiterentwicklung des ersten Teilgewinns darstellen.820

E. Internationalrechtliche Fragen I. Internationales Verfahrensrecht Bei Rechtsstreitigkeiten mit Auslandsbezug innerhalb der EU richtet sich die internationale Zu- 260 ständigkeit nach der EG-Verordnung Nr. 44/2001 (Brüssel Ia-VO).821 Auch wenn die Gewinnabschöpfung durch Verbände öffentlichen Interessen dient und damit ein hybrides Instrument der Normdurchsetzung darstellt (Rn. 49 ff., 93 f.), fällt sie als privatrechtlicher Anspruch grundsätzlich in den Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO.822 Neben dem allgemeinen Gerichtsstand am Sitz des Beklagten (Art. 4 Abs. 1, Art. 63 Brüssel Ia-VO) sind vor allem Art. 7 Nr. 2 Brüssel IaVO (Gerichtsstand der unerlaubten Handlung) und Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO (Gerichtsstand der Streitgenossenschaft) maßgeblich. Selbst wenn von einer wettbewerbswidrigen Praktik (vor 816 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.3; Ohly/Sosnitza § 11 Rn. 32; Ahrens/Bornkamm Der Wettbewerbsprozess Kap. 34 Rn. 21. 817 Stellungnahme des Bundesrates RegE UWG 2003, BTDrucks. 15/1487 S. 35. 818 Harte/Henning/Goldmann Rn. 22; MüKo/Fritzsche § 11 Rn. 39; Schulz WRP 2005, 274, 276. 819 Hierzu statt aller RG 11.12.1913 – II 505/13 – RGZ 83, 354, 360; RG 9.11.1915 – II 248/15 – RGZ 87, 306, 312; BGH 14.3.1968 – VII ZR 77/65 – BGHZ 50, 21, 23 f. = NJW 1968, 1324; BGH 27.11.1985 – IVa ZR 97/84 – NJW 1986, 1162 f.; BGH 20.6.1991 – IX ZR 226/90 – NJW 1991, 2833, 2834 f.; BGH 19.11.1997 – XII ZR 281/95 – NJW 1998, 1303, 1304; BGH 6.6.2008 – V ZR 52/07 – NJW 2008, 2912. MüKo/Grothe § 199 BGB Rn. 9. Kritisch zu diesem Prinzip im Schadensrecht Staudinger/Peters/Jacoby § 199 BGB Rn. 47 ff.; Peters JZ 1983, 121, 122 f. 820 Zum Schadensrecht BGH 18.12.1997 – IX ZR 180/96 – NJW 1998, 1488, 1489; BGH 16.11.1999 – VI ZR 37/99 – NJW 2000, 861. 821 Ausführlich hierzu Halfmeier Einl Teil E Rn. 129 ff. 822 EuGH 1.10.2002 – C-167/00 – EuZW 2002, 657 Rn. 25 ff. – VKI./.Henkel. Siehe auch Halfmeier Einl Teil E Rn. 134. 407

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§ 10

Gewinnabschöpfung

allem) Verbraucher betroffen wurden, ergibt sich kein zusätzlicher Verbrauchergerichtsstand nach den Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO. Der Verbrauchergerichtsstand kommt nach der EuGH-Rspr. bereits dann nicht zum Tragen, wenn Verbraucheransprüche abgetreten wurden,823 und kann somit erst recht auf einen losgelösten Gewinnabschöpfungsanspruch keine Anwendung finden. 261 Zu Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO: Zwar ist die Gewinnabschöpfung kein Anspruch auf Schadensersatz im eigentlichen Sinne, so dass umstritten ist, ob im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung auch Gewinnabschöpfungsansprüche geltend gemacht werden können.824 Maßgeblich für Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO ist jedoch lediglich, dass eine unerlaubte Handlung vorliegt, die zu einem schädigenden Ereignis führen kann. Seinem Wortlaut nach beschränkt sich Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO nicht auf Schadensersatzansprüche, sondern findet bei jeglichen Sanktionen Anwendung, die an eine unerlaubte Handlung anknüpfen.825 Anders als bei der Vorgängernorm des Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO ist es auch nicht erforderlich, dass ein Schaden bereits eingetreten ist; ein potentieller Schaden genügt. So kann Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO beispielsweise auch Unterlassungs- oder Feststellungsansprüche erfassen.826 Darüber hinaus liegt ein schädigendes Ereignis nicht erst dann vor, wenn einer Person ein konkret messbarer Schaden entstanden ist, sondern im Rahmen des Verbraucherschutzes bereits bei Angriffen auf die Rechtsordnung als solche.827 Schließlich darf die Sanktion nicht vertraglicher Natur sein.828 Davon ist vorliegend auszugehen, da die Gewinnabschöpfung an einen Verstoß gegen das UWG, eine unerlaubte Handlung, anknüpft und keinen Vertrag voraussetzt. Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO (Gerichtsstand der unerlaubten Handlung) begründet die Zuständigkeit der Gerichte des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Nach stRspr des EuGH sind dies sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort der unerlaubten Handlung.829 Da § 10 als marktregulierendes Instrument in erster Linie einer wirksamen Durchsetzung im Allgemeinwohlinteresse (Rn. 52 f.) und mittelbar dem Schutz von Individualinteressen dient, ist die Erfolgsortanknüpfung als Marktortanknüpfung zu verstehen (hierzu allgemein Halfmeier, Einl Teil E Rn. 181). Insoweit gelten für Verbandsklagen keine Besonderheiten (Halfmeier, Einl Teil E Rn. 193 ff.). Der Marktort liegt regelmäßig dort, wo sich die betroffenen Kunden befinden, und ausnahmsweise bei Auseinanderfallen von Absatz- und Werbemarkt dort, wo die Werbemaßnahme durchgeführt wird (Halfmeier, Einl Teil E Rn. 181). 262 Für Klagen gegen Beklagte aus Drittstaaten bestimmt sich die internationale Zuständigkeit nach völkerrechtlichen Verträgen, z. B. dem Luganer Übereinkommen, oder den nationalen Zuständigkeitsvorschriften

II. Internationales Privatrecht 263 Gemäß Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO ist auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus unlauterem Wettbewerbsverhalten das Recht des Staates anzuwenden, in dessen Gebiet die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt worden sind oder wahrscheinlich beeinträchtigt werden (ausführlich Klass, Einl Teil D Rn. 1 ff.). Die Rom II-VO gilt nach Art. 1 Abs. 1 Rom-II VO für außervertragliche Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen. Der Begriff des 823 EuGH 25.1.2018 – C-498/16 ‒ NJW 2018, 1003 Rn. 49 ‒ Schrems/Facebook. 824 Dafür Halfmeier Einl Teil E Rn. 162; Staudinger/Fezer/Koos IntWettbR Rn. 800; dagegen Fezer/Büscher/Obergfell/Hausmann/Obergfell IntLautVerfR Rn. 387. 825 EuGH 1.10.2002 – C-167/00 ‒ EuZW 2002, 657 Rn. 41 f. ‒ VKI./Henkel. 826 MüKo/Gottwald Art. 7 Brüssel IA-VO Rn. 51 f. 827 EuGH 1.10.2002 – C-167/00 ‒ EuZW 2002, 657 Rn. 42 ‒ VKI./Henkel. 828 EuGH 1.10.2002 – C-167/00 ‒ EuZW 2002, 657 Rn. 37 f. ‒ VKI./Henkel. 829 EuGH 5.2.2004 – C-18/02, Slg. 2004, I-1417 Rn. 40 = BeckRS 2004, 74722 – DFDS Torline; EuGH 30.11.1976 – C21/76, Slg. 1976, 1735 Rn. 15, 19 = BeckEuRS 1976, 53715 – Bier (jew. zum EuGVÜ). Poelzig

408

E. Internationalrechtliche Fragen

§ 10

„außervertraglichen Schuldverhältnisses“ ist grundsätzlich unionsrechtlich-autonom unabhängig von einem mitgliedstaatlichen Verständnis auszulegen (Erwägungsgrund 11 der Rom IIVO).830 Art. 6 Rom II-VO gilt nach einhelliger Auffassung für Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche gemäß §§ 8, 9.831 Doch auch auf Gewinnabschöpfungsansprüche ist die Rom II-VO anwendbar: So handelt es sich bei § 10 um eine zivilrechtliche und nicht um eine strafrechtliche Regelung. Zudem knüpft sie – wie die Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche – an ein unlauteres Wettbewerbsverhalten und damit eine unerlaubte Handlung an (zum deliktsrechtlichen Charakter eigener Art Rn. 103). Zudem gilt Art. 6 Rom II-VO ausweislich der Begründung der Kommission unabhängig davon, ob der Anspruch von einem Wettbewerber oder einem Verband geltend gemacht wird.832 Daher beurteilt sich auch die Anwendung der lauterkeitsrechtlichen Abschöpfungsansprüche iSd. § 10 nach dem Recht des Marktortes gemäß Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO.833 Demnach findet das Recht des Staates Anwendung, in dessen Gebiet die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt worden sind oder wahrscheinlich beeinträchtigt werden.

III. Anerkennung und Vollstreckbarkeit ausländischer Urteile Teilweise wird befürchtet, dass die Einführung der gesetzlichen Abschöpfungsansprüche im 264 Lauterkeits- und Kartellrecht und die hiermit verbundene Anerkennung der Präventionsfunktion zivilrechtlicher Sanktionen zu einer Aufweichung des ordre public führen und damit punitive damages Tür und Tor öffnen könnte, da nun auch ausländische Urteile auf Strafschadensersatz in Deutschland anzuerkennen und zu vollstrecken wären.834 Nach bisher ständiger Rechtsprechung sind ausländische Urteile, die punitive damages zuerkennen, mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts (ordre public) offensichtlich unvereinbar und daher gemäß § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nicht anzuerkennen.835 An dieser Rechtsprechung ändert auch die Einführung der Gewinnabschöpfung im deutschen Recht nichts: So hat der BGH bereits in seiner grundlegenden Entscheidung solche Urteile für anerkennungsfähig erklärt, in denen „mit der Verhängung von Strafschadensersatz […] vom Schädiger durch die unerlaubte Handlung erzielte Gewinne abgeschöpft werden sollen“.836 Anders als die Gewinnabschöpfung iSd. § 10 dienen punitive damages der Bestrafung und Abschreckung (punish and deter)837 und haben damit eine strafrechtsvertretende Aufgabe.838 Zweck der Gewinnabschöpfung ist – im Gegensatz zum Strafschadensersatz – nicht Vergeltung bzw. Repression, sondern allein Prävention und Abschreckung. Daher lässt die Einführung der Gewinnabschöpfung in § 10 keine Aussage darüber zu, inwieweit punitive damages mit dem deutschen ordre public vereinbar sind.839

830 MüKo/Junker Vor Art. 1 Rom II-VO Rn. 30; Wagner IPrax 2008, 1. 831 Statt aller Klass, Einl Teil D Rn. 167. Wagner IPrax 2008, 1. 832 Vgl. KOM (2003) 427 endg. S. 17 mit Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH. Vgl, EuGH 28.7.2016 ‒ C-191/ 15 ‒ EuZW 2016, 754 Rn. 38 ‒ VKI/Amazon. 833 Ausführlich: BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 29. 834 Engels/Salomon WRP 2004, 32, 43. 835 BGH 4.6.1992 – IX ZR 149/91 – BGHZ 118, 312, 338 ff. 836 BGH 4.6.1992 – IX ZR 149/91 – BGHZ 118, 312, 340. 837 Restatement (Second) Torts § 908 (1) (1979). 838 „Although compensatory damages and punitive damages are typically awarded at the same time by the same decisionmaker, they serve distinct purposes. […] The latter, which have been described as ‚quasicriminal‘, […] operate as private fines’ intended to punish the defendant and to deter future wrongdoing“ (Cooper Industries, Inc. v. Leatherman Tool Group, Inc., 532 U.S. 424, 443, 121 S.Ct. 1678, 149 L.Ed.2d 674 (2001)); vgl. auch Pacific Mutual Life Insurance Co. v. Haslip, 499 U.S. 1, 19 (1991); BMW of North America, Inc. v. Gore, 517 U.S. 559, 568 (1996); State Farm Mutual Automobile Insurance Co. v. Campbell, 538 U.S. 408, 416 (2003). 839 Harte/Henning/Goldmann Rn. 37 ff. 409

Poelzig

§ 11 Verjährung (1) Die Ansprüche aus den §§ 8, 9 und 13 Absatz 3 verjähren in sechs Monaten. (2) Die Verjährungsfrist beginnt, wenn 1. der Anspruch entstanden ist und 2. der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. (3) Schadensersatzansprüche verjähren ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in zehn Jahren von ihrer Entstehung, spätestens in 30 Jahren von der den Schaden auslösenden Handlung an. (4) Andere Ansprüche verjähren ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in drei Jahren von der Entstehung an.

Schrifttum Vor der UWG-Reform 2004 Baronikians Eilverfahren und Verjährung, WRP 2001, 121; Borck Die Zeit und ihr Vergehen im Hinblick auf die Vorschriften der §§ 21, 25 UWG und 935 ff. ZPO, WRP 1978, 519; ders. Zur Verjährung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche, WRP 1979, 341; ders. Vom Spiel mit der Verjährung, WRP 1979, 347; Dittmar Die Verjährungsunterbrechung wettbewerblicher Unterlassungsansprüche durch Urteil und einstweilige Verfügung, GRUR 1979, 288; Fabricius Zur Frage der Verjährung rechtskräftig festgestellter Unterlassungsansprüche, JR 1972, 452; Fritzsche Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage (2000); Hase Verjährung von wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüchen und Erledigung der Hauptsache im einstweiligen Verfügungsverfahren, WRP 1985, 254; Hillinger Nochmals zur Verjährung von Unterlassungsansprüchen, GRUR 1973, 254; Köhler Zur Verjährung des vertraglichen Unterlassungs- und Schadensersatzanspruchs, GRUR 1996, 231; U. Krieger Zur Verjährung von Unterlassungsansprüchen auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes, GRUR 1972, 696; Lindacher Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch, GRUR 1985, 423; Mees Schuldrechtsmodernisierung und Wettbewerbsrecht, WRP 2002, 135; Messer Neue Rechtsfragen zur Verjährung des wettbewerblichen Unterlassungs- und Schadensersatzanspruchs, FS Helm (2002) 111; Neu Die Verjährung der gesetzlichen Unterlassungs-, Beseitigungs- und Schadensansprüche des Wettbewerbs- und Warenzeichenrechts, GRUR 1985, 335; Nirk Zur Rechtsfigur des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes, GRUR 1993, 247; Oßenbrügge Die Verjährung von rechtskräftig festgestellten Unterlassungsansprüchen, WRP 1973, 320; Rogge Zur Frage der Verjährung von Unterlassungsansprüchen gemäß § 21 UWG, GRUR 1963, 345; Schabenberger Zur Hemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 9 in wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzungen, WRP 2002, 293; Teplitzky Zur Unterbrechung und Hemmung der Verjährung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche, GRUR 1984, 307; ders. Zu Meinungsdifferenzen über Urteilswirkungen im Verfahren der wettbewerblichen einstweiligen Verfügung, WRP 1987, 149; Traub Hemmung oder Unterbrechung der Verjährung durch eine wettbewerbsrechtliche Schlichtung? FS Vieregge (1995) 869; Ulrich Die analoge Anwendung des § 21 UWG, WRP 1996, 379.

Nach der UWG-Reform 2004 Köhler Zur Geltendmachung und Verjährung von Unterlassungsansprüchen, JZ 2005, 489; Ott Die Hemmung der Verjährung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche, WRP 2018, 539; Rohlfing Verjährungsfristbeginn im Wettbewerbsrecht bei grob fahrlässiger Unkenntnis, GRUR 2006, 735; Sack Das Verhältnis des UWG zum allgemeinen Deliktsrecht, FS Ullmann (2006) 825; Schulz Die neuen Verjährungsvorschriften des UWG, WRP 2005, 274; Toussaint Die Verjährung „anderer Ansprüche“ im Wettbewerbsrecht – Zur Auslegung von § 11 Abs. 4 UWG, FS Büscher (2018) 393; Ungewitter Zur Verjährung des Aufwendungsersatzanspruchs bei Abmahnungen, GRUR 2012, 697.

Zum Verjährungsrecht allgemein Eichel Verjährung in Dauerschuldverhältnissen, NJW 2015, 3265; ders. Die fortschreitende Konturierung des „neuen“ Verjährungsrechts, NJW 2019, 393; El-Gayar Verjährung und Erledigung der Hauptsache, MDR 1998, 698; Fritzsche Zum Verjährungsbeginn bei Unterlassungsansprüchen, FS Rolland (1999) 115; Kähler Verjährungshemmung nur bei Klage des Berechtigten? NJW 2006, 1769; Lakkis Der Verjährungsverzicht heute, ZGS 2003, 423; Lehmann Die Unterlassungs-

Toussaint https://doi.org/10.1515/9783110545968-007

410

§ 11

Übersicht

pflicht im Bürgerlichen Recht (1906); Mansel Die Neuregelung des Verjährungsrechts, NJW 2002, 89; Maurer Verjährungshemmung durch vorläufigen Rechtsschutz, GRUR 2003, 208; Ott Das neue Schuldrecht – Überleitungsvorschriften und Verjährung, MDR 2002, 1; Peters/Zimmermann, Verjährungsfristen, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts Bd. 1 (1981), S. 77; Peters Die Kenntnis vom Schaden als Verjährungsvoraussetzung bei § 852 I BGB, JZ 1983, 121; ders. Die Einrede der Verjährung als ein den Rechtsstreit in der Hauptsache erledigendes Ereignis, NJW 2001, 2289; Rieble Das Ende des Fortsetzungszusammenhangs im Recht der Vertragsstrafe, WM 1995, 828; ders. Verjährung „verhaltener Ansprüche“ – am Beispiel der Vertragsstrafe, NJW 2004, 2270; Scholz Offene Fragen um den Grundsatz der Schadenseinheit im Verjährungs- und Prozessrecht, JZ 2020, 231; Toussaint Verjährungshemmung durch selbständiges Beweisverfahren, FS Leenen (2012) 279; Ulrici Verjährung unterstützender Informationsansprüche, NJW 2018, 2001; Zimmermann/Leenen/Mansel/Ernst Finis Litium? Zum Verjährungsrecht nach dem Regierungsentwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, JZ 2001, 684.

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte

II.

Zweck der Verjährung

III. 1. 2.

7 Bedeutung und Systematik der Vorschrift 7 Verhältnis zu den §§ 194 ff. BGB 8 Aufbau der Vorschrift 8 a) Zwei gesetzliche Verjährungsfristen 10 b) Regelmäßige Verjährung 11 c) Verjährungshöchstfristen d) Weitere Verjährungsfrist für „andere An13 sprüche“?

1 b)

IV. 1.

2.

3.

411

5

16 Anwendungsbereich 16 Ansprüche nach dem UWG a) Beseitigungsanspruch (§ 8 Abs. 1 S. 1 Fall 17 1) 18 b) Unterlassungsansprüche aa) Verletzungsunterlassungsanspruch 19 (§ 8 Abs. 1 S. 1 Fall 2) bb) Vorbeugender Unterlassungsanspruch 21 (§ 8 Abs. 1 S. 2) 24 c) Schadensersatzanspruch (§ 9) d) Aufwendungsersatzanspruch für Abmah25 nungen (§ 13 Abs. 3) e) Sonstige wettbewerbsrechtliche Ansprü27 che aa) Gewinnabschöpfungsanspruch 27 (§ 10) bb) Auskunfts- und Rechnungslegungsan29 sprüche Mit UWG-Ansprüchen konkurrierende Ansprü31 che 31 a) Grundsatz 32 b) Deliktische Ansprüche 35 Vertragliche und titulierte Ansprüche 35 a) Unterlassungsansprüche

aa) Einzelner Unterlassungsanspruch 36 38 bb) Stammrecht auf Unterlassung 42 Sekundäransprüche 42 aa) Schadensersatzansprüche bb) Ansprüche auf verwirkte Vertrags43 strafe 44 cc) Ordnungsmittelverjährung 45

B.

Einzelheiten

I. 1.

2.

45 Regelmäßige Verjährung (Absätze 1, 2) 45 Beginn a) Objektive Voraussetzung (§ 11 Abs. 2 46 Nr. 1) 46 aa) Entstehung des Anspruchs 47 bb) Schadensersatzanspruch 50 cc) Unterlassungsansprüche (1) Gesetzliche (Abwehr-)Unterlas50 sungsansprüche (2) Vertragliche und titulierte Unter52 lassungsansprüche dd) Beseitigungs- und Erstattungsansprü53 che b) Subjektive Voraussetzung (§ 11 Abs. 2 55 Nr. 2) 55 aa) Allgemeines 57 bb) Subjektiver Bezugspunkt 60 cc) Objektiver Bezugspunkt dd) Kenntnis oder grob fahrlässige Un62 kenntnis 62 (1) Kenntnis (2) Grob fahrlässige Unkennt65 nis 69 Dauer und Fristberechnung

II. 1. 2.

Verjährungshöchstfristen (Absätze 3, 4) Schadensersatzansprüche (Absatz 3) 73 Andere Ansprüche (Absatz 4)

70 71

Toussaint

§ 11

III. 1. 2.

3.

Verjährung

Einwirkung auf den Lauf der Verjäh74 rung 74 Allgemeines 77 Hemmung der Verjährung 77 a) Verhandlungen (§ 203 BGB) b) Klageerhebung (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 80 BGB) aa) Leistungs- oder Feststellungs80 klage 82 bb) Klageerhebung 85 cc) Umfang der Hemmung 87 dd) Ende der Hemmung c) Einstweilige Verfügung (§ 204 Abs. 1 Nr. 9 88 BGB) d) Anrufung der Einigungsstelle (§ 15 91 Abs. 9) 92 Neubeginn der Verjährung a) Anerkenntnis (§ 212 Abs. 1 Nr. 1 92 BGB) b) Zwangsvollstreckung (§ 212 Abs. 1 Nr. 2 94 BGB)

IV. 1.

2.

97 Rechtsfolgen der Verjährung 97 Leistungsverweigerungsrecht 97 a) Inhalt b) Ausschluss des Leistungsverweigerungs101 rechts Herausgabeanspruch bei verjährtem Deliktsan103 spruch (§ 852 BGB) 104

C.

Verfahrensrechtliches

I.

Prozessuale Behandlung der Verjäh104 rung

II. 1.

106 Darlegungs- und Beweislast 107 Verjährungsbegründende Tatsachen 108 a) Entstehung des Anspruchs b) Subjektive Voraussetzungen des Verjäh109 rungsbeginns 110 Verjährungshindernde Tatsachen

2.

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte 1 Der Rechtsgedanke der Verjährung kann sich auf römische Wurzeln berufen, hat aber im römischen Recht noch keine institutionelle Ausprägung erfahren.1 Die Verjährung als Rechtsinstitut ist eine Schaffung des älteren gemeinen Rechts, das indessen hierunter alle durch den Zeitablauf bedingten Änderungen von Rechtsverhältnissen verstand und diese begrifflich in „auslöschende“ („praescriptio extinctiva“) und „erwerbende“ („praescriptio acquisitiva“, insbes. Ersitzung) Verjährung einteilte. Mit der dogmatischen Trennung dieser sehr unterschiedlichen Rechtswirkungen des Zeitablaufs2 zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist aus der „erlöschenden Verjährung“ das Rechtsinstitut der Verjährung in seiner heutigen Form entstanden.3 Dabei wurde die Verjährung – bedingt durch das aktionenrechtliche Denken der Zeit – zunächst noch als eine Klageverjährung verstanden. Die Herauslösung des materiellen Anspruchs aus der actio des gemeinen Rechts durch Windscheid4 führte dann Ende des 19. Jahrhunderts5 zu ihrem heutigen – in § 194 Abs. 1 BGB programmatisch zum Ausdruck gebrachten – Verständnis als Anspruchsverjährung. Einer solchen Verjährung unterliegt nach § 194 Abs. 1 BGB jeder Anspruch des bürgerlichen Rechts, sofern er nicht ausnahmsweise nach dem Gesetz (z. B. §§ 194 Abs. 2, 758, 898, 902, 924 BGB) unverjährbar ist. Dies gilt auch für Ansprüche nach dem UWG, so dass ein Regelungsbedarf insoweit nur besteht, wenn von den allgemeinen Vorschriften der §§ 194 ff. BGB (zu deren Anwendung vgl. Rn. 7) abgewichen werden soll. 1 Vgl. Historisch-kritischer Kommentar zum BGB/Hermann, Bd. I (2003) §§ 194–225 Rn. 7 m. w. N. 2 Deren begriffliche Verbindung habe nach v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. 5 (1841), § 237 (S. 266), „zu großem Verderben der Theorie, wie der Praxis“ geführt und sei „völlig verderblich“.

3 Vgl. Mot. I S. 288 f. = Mugdan Mat. zum BGB, Bd. I S. 511. 4 Windscheid Die Actio des römischen Civilrechts vom Standpunkte des heutigen Rechts (1856); ders. Die Actio, Abwehr gegen Dr. Theodor Muther (1857). 5 Vgl. etwa Windscheid Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 1, 6. Aufl. (1887), § 106 (S. 342 f.); Mot. I S. 289 ff. = Mugdan Mat. zum BGB, Bd. I, S. 512. Toussaint

412

§ 11

A. Einführung

Eine solche verjährungsrechtliche Sonderregelung enthielt bereits das UWG 1896. Des- 2 sen – auf den III. Regierungsentwurf vom 3.12.18956 zurückgehender – § 11 Abs. 1 bestimmte, dass „die in den §§ 1, 6, 8, 9 bezeichneten Ansprüche auf Unterlassung oder Schadensersatz … in sechs Monaten von dem Zeitpunkt an, in welchem der Anspruchsberechtigte von der Handlung und von der Person des Verpflichteten Kenntnis erlangt, ohne Rücksicht auf diese Kenntnis in drei Jahren von der Begehung der Handlung an“ verjähren. In der Begründung des III. Regierungsentwurfs heißt es hierzu, dass alle Gründe, die eine Festsetzung kurzer Verjährungsfristen für den geschäftlichen Verkehr überhaupt erheischen, auf die im Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs geregelten Ansprüche im besonderen Maße zuträfen, weil die Zulassung einer Klage nach Ablauf der Frist von sechs Monaten im allgemeinen nur der Schikane dienen könne, wobei keiner Hervorhebung bedürfe, dass jede neue Zuwiderhandlung einen neuen Anspruch erzeuge, der einer besonderen Verjährung unterliege.7 Den später angefügten Absatz 2, der vorsah, dass Schadensersatzansprüche nicht vor dem Zeitpunkt zu verjähren beginnen, in dem ein Schaden entstanden ist, hat die VI. Kommission zur Vorberatung des Gesetzes eingefügt.8 Begründet wurde dies damit, dass der Schadensersatzanspruch nicht entstehe, bevor ein Schaden verursacht sei, die Verjährung des Anspruchs vor seiner Entstehung daher nicht beginnen könne;9 der zweite Absatz sollte daher nur Selbstverständliches aussprechen. In das UWG 1909 wurde diese Vorschrift als § 21 übernommen. Die einzige Änderung gegen- 3 über der Vorgängervorschrift – sie galt nun für „die in diesem Gesetz bezeichneten Ansprüche auf Unterlassung oder Schadensersatz“ – diente der Anpassung an die Einfügung der Generalklausel und war so unbedeutend, dass sie im Entwurf10 nicht einmal begründet wurde. In § 11 des UWG 2004 sollte die Verjährungsregelung des § 21 a. F. zunächst noch weitgehend 4 unverändert übernommen werden.11 Die schließlich Gesetz gewordene und seither – insbesondere auch durch das UWG 2008 – unverändert gebliebene Fassung entspricht der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses.12 Dabei wurde ein Vorschlag des Bundesrats,13 dem sich die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung angeschlossen hatte,14 aufgegriffen, die kurze Verjährung – nach Verselbständigung des früheren § 21 Abs. 1 S. 1, 1. Hs. a. F. als neuer Absatz 1 – auf den Anspruch auf Ersatz der erforderlichen Aufwendungen für die Abmahnung (§ 13 Abs. 3) zu erstrecken. Die im Regierungsentwurf noch vorgesehene Geltung der kurzen Verjährung auch für den Gewinnabschöp6 Stenographische Berichte des Reichstags, Session 1895/1897, I. Anlagebd., S. 98 ff. (Aktenstück Nr. 35) = Lobe, Die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, Bd. 3 (1907), S. 41 ff.

7 Stenographische Berichte des Reichstags, Session 1895/1897, I. Anlagebd., S. 98 ff. (Aktenstück Nr. 35), 110 = Lobe, Die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, Bd. 3 (1907), S. 46 ff., 76.

8 Bericht der VI. Kommission, Stenographische Berichte des Reichstags, Session 1895/1897, II. Anlagebd., S. 1196 ff. (Aktenstück Nr. 192), 1214 = Lobe, Die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, Bd. 3 (1907), S. 158 ff., 213.

9 Bericht der VI. Kommission, Stenographische Berichte des Reichstags, Session 1895/1897, II. Anlagebd., S. 1196 ff. (Aktenstück Nr. 192), 1210 = Lobe, Die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, Bd. 3 (1907), S. 158 ff., 199 f. Seine endgültige sprachliche Fassung erhielt Absatz 2 (auf entsprechenden Abänderungsantrag des Abgeordneten Roeren vom 17.4.1896, Stenographische Berichte des Reichstags, Session 1895/1897, II. Anlagebd., S. 1531 (Aktenstück Nr. 272) = Lobe, a. a. O., S. 216), nach den Beschlüssen des Reichstags in zweiter Lesung, Stenographische Berichte des Reichstags, Session 1895/1897, II. Anlagebd., S. 1533 ff. (Aktenstück Nr. 281), 1536. 10 Vgl. Begr. zu § 18 UWG-E 1909, Stenographische Berichte des Reichstags, Session 1907/1909, Bd. 252, Aktenstück Nr. 1109. 11 Referentenentwurf (Stand 23.1.2003), GRUR 2003, 298, 299 f. (Gesetzestext), 303, 310; Regierungsentwurf vom 22.8.2003, BTDrucks. 15/1487 S. 8 (Gesetzestext), 13, 15. 12 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 26.3.2004, BTDrucks. 15/2795 S. 9. 13 Stellungnahme des Bundesrates vom 20.6.2003, BRDrucks. 301/03 S. 16 f. = BTDrucks. 15/1487 S. 35 (weitergehend sollte die kurze Verjährung auf alle mit den Ansprüchen aus den §§ 8 und 9 in einem unmittelbaren Zusammenhang stehenden Ansprüchen ausgedehnt werden). 14 Gegenäußerung Bundesregierung, BTDrucks. 15/1487 S. 44 (im Übrigen wurde der Vorschlag des Bundesrats, auch sonstige mit den Ansprüchen nach §§ 8, 9 in einem unmittelbaren Zusammenhang stehende Ansprüche zu erfassen, als zu ungenau und viel zu weitgehend abgelehnt). 413

Toussaint

§ 11

Verjährung

fungsanspruch (§ 10 Abs. 1) wurde dagegen vom Rechtsausschuss – wie zuvor schon vom Bundesrat15 – abgelehnt. Hierfür wurde zur Begründung angeführt, dass anderenfalls der Anspruch auf Gewinnabschöpfung voraussichtlich wenig effektiv sein würde, da es für die Gläubiger zum Teil außerordentlich schwierig wäre, die für die Geltendmachung des Anspruchs notwendigen Tatsachen innerhalb der kurzen Fristen zu ermitteln.16 Die Absätze 2–4 entsprechen den insoweit übereinstimmenden Vorschlägen von Bundesrat und Rechtsausschuss und dienen der Angleichung an § 199 Abs. 1, 3 und 4 BGB.17 Der frühere § 21 Abs. 2 a. F., der nach dem Regierungsentwurf noch übernommen (und um eine Regelung für den Gewinnabschöpfungsanspruch erweitert) werden sollte und dem schon bei seiner Schaffung allenfalls klarstellende Bedeutung beigemessen wurde (vgl. o. Rn. 2), ist vollständig entfallen.

II. Zweck der Verjährung 5 Die Verjährung wird durch bloßen Zeitablauf bewirkt. Sie sanktioniert die während des Laufs der Verjährungsfrist andauernde Säumigkeit des Gläubigers bei der Durchsetzung seines Anspruchs, an die zugleich die Vermutung geknüpft ist, dass ein nicht beizeiten geltend gemachter Anspruch tatsächlich gar nicht besteht. Sie dient dem Schutz des Schuldners vor möglicherweise unberechtigter Inanspruchnahme, den „die verdunkelnde Macht der Zeit“18 in Beweisnot geraten lässt,19 und damit letztlich dem Rechtsfrieden. Die Verjährung soll dem Schuldner eine pauschale Abwehr seiner Inanspruchnahme ermöglichen nach dem Ablauf einer Zeitspanne, nach der die Aufklärung der Tatsachenlage nicht mehr als möglich erscheint oder dafür auch kein Bedürfnis mehr anzuerkennen ist, weil der Gläubiger durch seine Säumigkeit bei der Anspruchsdurchsetzung sein Desinteresse bekundet und der Schuldner sein Verhalten darauf eingerichtet hat. Insofern erfüllt die Verjährung auch Aufgaben des Rechtsinstituts der Verwirkung (zur Verwirkung näher § 8c Rn. 25 ff.).20 Einen weiteren Zweck der Verjährung bildet die Entlastung der Gerichte. 6 Im Recht des unlauteren Wettbewerbs gewinnen diese Zwecke gesteigerte Bedeutung wegen der Schwierigkeiten der tatsächlichen Feststellbarkeit von Wettbewerbsverstößen und der Vielzahl potentieller Anspruchsinhaber. Der Schuldner, dem ein Wettbewerbsverstoß vorzuwerfen ist, kann von einer großen Zahl von Konkurrenten auf Unterlassung und – zumindest – Feststellung seiner Schadensersatzpflicht gerichtlich in Anspruch genommen werden; die Menge seiner möglichen Prozessgegner wird noch gesteigert um die Zahl der nach § 8 Abs. 3 Nr. 2– 4 klagebefugten Verbände und berufsständischen Organisationen.21 Dadurch gewinnt der schon in der Begründung des III. Regierungsentwurfs von 1895 angesprochene Zweck einer Vermeidung schikanöser Inanspruchnahme des Verpflichteten (vgl. o. Rn. 2) besonderes Gewicht. Dies rechtfertigt eine kurze Verjährung, die bezweckt, möglichst bald Wettbewerbsstreitigkeiten zum Austrag zu bringen und den Verletzer nach Aufgabe der verletzenden Handlung von der Gefahr einer Inanspruchnahme zu befreien.22

15 Stellungnahme des Bundesrates vom 20.6.2003, BRDrucks. 301/03 S. 16 f. = BTDrucks. 15/1487 S. 35; die Bundesregierung hat diesem Vorschlag in ihrer Gegenäußerung zugestimmt, BTDrucks. 15/1487 S. 44. 16 BTDrucks. 15/2795 S. 22; ähnlich Bundesrat, BRDrucks. 301/03 S. 17 = BTDrucks. 15/1487 S. 35. 17 Vgl. Bundesrat, BRDrucks. 301/03 S. 17 = BTDrucks. 15/1487 S. 35; Rechtsausschuss, BTDrucks. 15/2795 S. 22. 18 Mot. I S. 291 = Mugdan Mat. zum BGB, Bd. I S. 512. 19 BGH 16.6.1972 – I ZR 154/70 – BGHZ 59, 72, 74 = GRUR 1972, 721 – Kaffeewerbung; Teplitzky GRUR 1984, 307. 20 Zu den Zwecken der Verjährung im Allgemeinen vgl. Mot. I S. 291 = Mugdan Mat. zum BGB, Bd. I S. 512; Peters/ Zimmermann S. 189 f. 21 MünchKommUWG/Fritzsche § 11 Rn. 3. 22 BGH 10.1.1968 – Ib ZR 149/65 – GRUR 1968, 367, 370 – Corrida; BGH 26.1.1984 – I ZR 195/81 – GRUR 1984, 820, 823 – Intermarkt II. Toussaint

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III. Bedeutung und Systematik der Vorschrift 1. Verhältnis zu den §§ 194 ff. BGB Wettbewerbsverstöße sind unerlaubte Handlungen im Sinne des bürgerlichen Rechts,23 deren 7 Rechtsfolgen im UWG eine spezialgesetzliche Regelung erfahren haben. Die Ansprüche nach dem UWG sind bürgerlich-rechtliche Ansprüche und unterliegen als solche den allgemeinen Bestimmungen des BGB, soweit diese nicht durch abschließende Sonderregelungen des UWG verdrängt werden. Für sie gelten daher auch die allgemeinen Verjährungsvorschriften des BGB,24 soweit sich aus der verjährungsrechtlichen Sonderregelung des § 11 nichts Abweichendes ergibt. § 11 regelt abschließend nur die Verjährungsfrist und deren Beginn. Verdrängt werden damit die §§ 195, 199 BGB, nicht aber die Vorschriften über die Verjährung rechtskräftig festgestellter Ansprüche (§§ 197 Abs. 1 Nr. 3, 201 BGB), die Unzulässigkeit von Vereinbarungen über die Verjährung (§ 202 BGB) und – besonders wichtig – die Vorschriften über Hemmung, Ablaufhemmung und Neubeginn der Verjährung (§§ 203–213 BGB) sowie über die Rechtsfolgen der Verjährung (§§ 214–218 BGB).

2. Aufbau der Vorschrift a) Zwei gesetzliche Verjährungsfristen. Die Vorschrift regelt nach dem Vorbild des § 199 8 BGB (vgl. o. Rn. 4) zwei voneinander unabhängig laufende Verjährungen, nämlich – in der Terminologie der amtlichen Überschrift des § 199 BGB – zum einen die regelmäßige Verjährung (Absätze 1, 2) und zum anderen Verjährungshöchstfristen (Absätze 3, 4). Die regelmäßige Verjährung wird – wegen ihrer Abhängigkeit von subjektiven Umständen (Abs. 2 Nr. 2) – häufig auch als „relative Verjährung“ bezeichnet, während für die – allein von objektiven Umständen bestimmten – Verjährungshöchstfristen die (korrespondierende) Bezeichnung „absolute Verjährung“ verbreitet ist (jedenfalls die letztgenannte Bezeichnung ist wenig glücklich, weil sie verdeckt, dass auch die Verjährungshöchstfristen einer Hemmung, Ablaufhemmung oder dem Neubeginn der Verjährung unterliegen und daher verlängert werden können). Für die von § 11 erfassten Ansprüche beginnen die regelmäßige Verjährung und die (jewei- 9 lige) Verjährungshöchstfrist jeweils selbständig und laufen getrennt voneinander mit ihren jeweiligen Fristen ab. In welchem Verhältnis beide Verjährungen zueinander stehen, ist in § 11 nicht ausdrücklich geregelt, ergibt sich aber aus dem Zweck der (kenntnisunabhängigen) Verjährungshöchstfristen. Sie sollen verhindern, dass die Verjährung unbegrenzt aufgeschoben wird, wenn die regelmäßige Verjährung mangels Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen nicht beginnt.25 Für den Eintritt der Rechtsfolgen der Verjährung ist daher die früher ablaufende Frist maßgeblich (vgl. § 199 Abs. 3 S. 2 BGB, der allerdings unmittelbar nur das Verhältnis zwischen den beiden Varianten des § 199 Abs. 3 S. 1 BGB regelt). b) Regelmäßige Verjährung. Eine Regelung zur regelmäßigen Verjährung enthält § 11 nicht für 10 alle, sondern nur für die in seinem Absatz 1 aufgezählten Ansprüche nach dem UWG. Absatz 1 regelt (als verdrängende Spezialvorschrift zu § 195 BGB) die Fristdauer dieser regelmäßigen Ver23 BGH 22.12.1961 – I ZR 152/59 – BGHZ 36, 252, 254 = GRUR 1962, 310, 314 – Gründerbildnis; BGH 12.7.1995 – I ZR 176/93 – GRUR 1995, 678, 681 – Kurze Verjährungsfrist; BGH 14.1.1999 – I ZR 203/96 – GRUR 1999, 751, 754 – Güllepumpen; BGH 18.10.2001 – I ZR 22/99 – GRUR 2002, 618, 619 – Meißner Dekor I. 24 BGH 22.12.1961 – I ZR 152/59 – BGHZ 36, 252, 255 f. = GRUR 1962, 310, 314 – Gründerbildnis; BGH 14.1.1999 – I ZR 203/96 – GRUR 1999, 751, 754 – Güllepumpen; Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 5; Harte/Henning/Schulz § 11 Rn. 64; Ohly/Sosnitza § 11 Rn. 6. 25 Vgl. nur MünchKommBGB/Grothe § 199 Rn. 48. 415

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jährung und Absatz 2 (als verdrängende Spezialvorschrift zu § 199 Abs. 1 BGB) ihren Fristbeginn. Die beiden Absätze entsprechen inhaltlich dem 1. Halbsatz des früheren § 21 Abs. 1 S. 1 a. F. Anders als nach der Vorgängervorschrift beginnt die Verjährung jetzt aber nicht nur bei Kenntnis des Gläubigers von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners, sondern – in Angleichung an § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB – auch bei deren grob fahrlässigen Unkenntnis. Nicht in das UWG übernommen wurde – im Interesse einer möglichst raschen Verjährung – der mit der Schuldrechtsmodernisierung für die regelmäßige Verjährung in das BGB eingeführte Aufschub des Verjährungsbeginns auf das Jahresende (sog. Jahresendverjährung).26

11 c) Verjährungshöchstfristen. Eine (kenntnisunabhängige) Verjährungshöchstfrist – als notwendiges Korrektiv des subjektiven Beginns der regelmäßigen Verjährung – enthielt bereits § 21 Abs. 1, 2. Halbs. a. F. Für Schadensersatzansprüche ist sie nun in Absatz 3 geregelt. Gemeint sind die in Absatz 1 u. a. genannten Ansprüche nach § 9,27 die damit sowohl der regelmäßigen Verjährung nach Absatz 1, 2 als auch den Verjährungshöchstfristen des Absatzes 3 unterliegen. Nach dem Vorbild des § 199 Abs. 3 BGB kennt Absatz 3 zwei Verjährungshöchstfristen – zehn Jahre ab Entstehung des Schadensersatzanspruchs und (unabhängig von der Schadensentstehung) 30 Jahre ab der den Schaden auslösenden Handlung. Das Verhältnis beider Fristen zueinander ist nicht ausdrücklich geregelt, maßgeblich ist aber – wie nach § 199 Abs. 3 S. 2 BGB – die früher endende Frist. 12 Für „andere Ansprüche“ bestimmt Absatz 4 – wie früher § 21 Abs. 1, 2. Halbs. a. F. – eine Verjährungshöchstfrist von drei Jahren ab Anspruchsentstehung. Welche Ansprüche „andere Ansprüche“ i. S. d. Absatz 4 sind, ist allerdings – worauf nachfolgend noch zurückzukommen sein wird – unklar und umstritten. Wegen der Abhängigkeit des Beginns der regelmäßigen Verjährung von subjektiven Voraussetzungen muss es aber notwendigerweise für alle von Absatz 1 erfassten Ansprüche eine Verjährungshöchstfrist geben. Soweit diese nicht als Schadensersatzansprüche unter Absatz 3 fallen, müssen sie folglich als „andere Ansprüche“ (als Schadensersatzansprüche) unter Absatz 4 fallen, so dass „andere Ansprüche“ i. S. d. Absatz 4 (jedenfalls auch) die in Absatz 1 genannten Ansprüche nach §§ 8 und 13 Abs. 3 sind.28

13 d) Weitere Verjährungsfrist für „andere Ansprüche“? Nach weit verbreiteter Auffassung sind „andere Ansprüche“ i. S. d. Absatzes 4 aber nicht nur andere als die in Absatz 3 geregelten Schadensersatzansprüche, sondern darüber hinaus auch andere als die in Absatz 1 bezeichneten Ansprüche nach dem UWG.29 Damit würden UWG-Ansprüche, die nicht der regelmäßigen Verjährung nach den Absätzen 1 und 2 unterliegen, wie insbesondere der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 Abs. 1, nach Absatz 4 verjähren. 14 Das aber wäre zumindest ungewöhnlich, weil Absatz 4 an sich eine Verjährungshöchstfrist regelt (s. o. Rn. 12), mit der normalerweise eine regelmäßige Verjährungsfrist korrespondieren müsste. Eine solche regelmäßige Verjährungsfrist ist aber für andere als die in Absatz 1 genannten Ansprüche jedenfalls nicht im UWG geregelt und kann auch dem BGB schon deshalb nicht entnommen werden, weil die (ebenfalls dreijährige) regelmäßige Verjährungsfrist des § 199 Abs. 1 BGB wegen des subjektiven Verjährungsbeginns und des Jahresendprinzips des BGB im Allgemeinen dann später beginnen würde als die „Verjährungshöchstfrist“. 26 Vgl. Stellungnahme des Bundesrates vom 20.6.2003, BRDrucks. 301/03 S. 17. 27 Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 49; juris-PK/Ernst § 11 Rn. 27. 28 So auch etwa Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 50; Harte/Henning/Schulz § 11 Rn. 41; juris-PK/Ernst § 11 Rn. 28; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.18; MünchKommUWG/Fritzsche § 11 Rn. 152; Ohly/Sosnitza § 11 Rn. 5, 32; Büscher/Hohlweck § 11 Rn. 61; Schulz WRP 2005, 274, 277. 29 So etwa Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 51; juris-PK/Ernst § 11 Rn. 28; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.3, 1.18; Ohly/Sosnitza § 11 Rn. 32. Toussaint

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Eine Erstreckung des Absatzes 4 auf andere als die in Absatz 1 genannten UWG-Ansprüche hätte daher zur Folge, dass in ihm zwei gänzlich unterschiedliche Regelungen – eine Verjährungshöchstfrist für andere, in Absatz 1 genannte Ansprüche als Schadensersatzansprüche einerseits und eine (kenntnisunabhängige) regelmäßige Verjährungsfrist für andere Ansprüche als die in Absatz 1 Genannten andererseits – gesehen werden müssten. Der Wortlaut des Absatzes 4 mag ein solches Verständnis allerdings nicht ausschließen. Anders als der als Vorbild dienende § 199 Abs. 4 BGB (a. F.)30 erfasst jener nicht etwa nur „andere Ansprüche als Schadensersatzansprüche“, sondern ganz allgemein „andere Ansprüche“.31 Welche konkreten Vorstellungen der Gesetzgeber mit dieser Formulierung verbunden hat, lässt sich den Materialien aber nicht entnehmen. Die bewusste Anlehnung an § 199 Abs. 4 BGB mag für eine Beschränkung der „anderen Ansprüche“ auf den Kreis der in Absatz 1 Genannten sprechen, der Wunsch nach einer generell kurzen Verjährung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche hingegen für ein weiteres Verständnis. Allerdings wurde der Gewinnabschöpfungsanspruch, der nach dem Regierungsentwurf 15 noch der regelmäßigen Verjährung nach Absatz 1 unterliegen sollte (s. o. Rn. 4), im Gesetzgebungsverfahren gerade deshalb hiervon wieder ausgenommen, weil „es für die Gläubiger zum Teil außerordentlich schwierig wäre, die für die Geltendmachung des Anspruchs notwendigen Tatsachen innerhalb der kurzen Fristen zu ermitteln“, und „[e]ine Gewinnabschöpfung … nur dann sinnvoll [sei], wenn der gesamte Verletzungstatbestand bekannt und abgeschlossen ist.“32 Es kann daher nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber die Verjährung dieses Anspruchs gerade kenntnisunabhängig ausgestalten wollte.33 Der – parallel zu § 199 Abs. 4 BGB aufgebauten – Systematik der Vorschrift entsprechend ist daher der Auffassung Vorzug zu geben, nach der andere als die in Absatz 1 genannten Ansprüche nach dem UWG auch nicht unter Absatz 4 fallen.34 Ihre Verjährung richtet sich vielmehr ausschließlich nach dem BGB, so dass Verjährungsfrist und deren Beginn den §§ 195, 199 BGB zu entnehmen sind. Hierfür bedarf es keiner ausdrücklichen gesetzlichen Verweisung im UWG,35 weil die verjährungsrechtlichen Vorschriften des BGB für UWG-Ansprüche stets unmittelbar gelten, soweit sie nicht durch ausschließliche Spezialregelungen verdrängt sind (vgl. Rn. 7).

IV. Anwendungsbereich 1. Ansprüche nach dem UWG Anzuwenden ist die Verjährungsvorschrift (zu ihrem Absatz 4 vgl. allerdings Rn. 13 ff.) nach ih- 16 rem Absatz 1 auf Ansprüche aus den §§ 8, 9 und 13 Abs. 3. Damit ist der Anwendungsbereich in mehrfacher Hinsicht eingeschränkt: Unmittelbar erfasst werden nur gesetzliche Ansprüche (zur analogen Anwendung auf vertragliche Ansprüche und zur Verjährung titulierter Ansprüche vgl. Rn. 40 f.), und zwar nur solche nach dem UWG (zur Verjährung konkurrierender Ansprüche nach anderen Gesetzen vgl. Rn. 31 ff.), und von diesen wiederum nur die enumerativ aufge30 § 199 Abs. 4 BGB i. d. F. des SchuldRModG galt für „[a]ndere Ansprüche als Schadensersatzansprüche“. Der jetzige Wortlaut („Andere Ansprüche als die nach den Absätzen 2 bis 3a …“) beruht auf dem Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts v. 24.9.2009, BGBl. I S. 3142, und ist eine sprachliche Anpassung an die mit diesem Gesetz eingefügte Verjährungshöchstfrist für erbrechtliche Ansprüche (§ 199 Abs. 3a BGB). 31 Hierauf weist zu Recht Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 51 hin. 32 Gleichlautend Stellungnahme des Bundesrates vom 20.6.2003, BRDrucks. 301/03 S. 17, und Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 26.3.2004, BTDrucks. 15/2795 S. 22. 33 Vgl. Schulz WRP 2005, 274, 275 Fn. 7. 34 So auch Harte/Henning/Schulz § 11 Rn. 21 f., 85; MünchKommUWG/Fritzsche § 11 Rn. 39; Büscher/Hohlweck § 11 Rn. 63; Schulz WRP 2005, 274, 275; ausführlich Toussaint FS Büscher S. 393 ff.; ausdrücklich a. A. Fezer/Büscher/ Obergfell § 11 Rn. 51. 35 So aber Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 51. 417

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führten Beseitigungs-, Unterlassungs-, Schadensersatz- und Aufwendungsersatzansprüche (zur Verjährung anderer UWG-Ansprüche vgl. Rn. 27 ff.). Die Art der dem jeweiligen Anspruch zugrundeliegenden Verletzungshandlung spielt dabei keine Rolle. Auch Ansprüche aus ergänzendem wettbewerbsrechtlichem Leistungsschutz (§ 4 Nr. 9) unterliegen daher der kurzen Verjährung des § 11.36

17 a) Beseitigungsanspruch (§ 8 Abs. 1 S. 1 Fall 1). Der Beseitigungsanspruch ist seiner Rechtsnatur nach ein Anspruch auf Abwehr von Störungen der eigenen Rechte bzw. Rechtsgüter durch rechtswidrige Eingriffe und richtet sich inhaltlich (im Unterschied zu dem auf die Nichtvornahme künftiger Verletzungshandlungen gerichteten Abwehr-Unterlassungsanspruch) auf Beendigung des durch den rechtswidrigen Eingriff eingetretenen und fortwirkenden Störungszustand durch aktives Tun (§ 8 Rn. 104 ff.).37 Der – zunächst als Ergänzung und Weiterführung zum Unterlassungsanspruch gewohnheitsrechtlich anerkannte (vgl. § 8 Rn. 104) und jetzt in § 8 Abs. 1 S. 1 Fall 1 ausdrücklich geregelte – wettbewerbsrechtliche Beseitigungsanspruch dient der Abwehr andauernder Störungen aufgrund einer wettbewerbsrechtlich unzulässigen geschäftlichen Handlung. Dass er der kurzen wettbewerbsrechtlichen Verjährung unterliegt, war bereits zu § 21 a. F. anerkannt38 und ist seit der UWG-Reform 2004 – zusammen mit seiner erstmaligen Kodifikation – in § 11 Abs. 1 ausdrücklich ausgesprochen. Dies gilt für den Beseitigungsanspruch in allen seinen Ausgestaltungen etwa als Widerrufsanspruch,39 Löschungsanspruch40 oder allgemeiner Veröffentlichungsanspruch.41 Ob auch der besondere Veröffentlichungsanspruch nach § 12 Abs. 2 der kurzen Verjährung unterliegt,42 kann dahingestellt bleiben, weil er ohnehin an die gerichtliche Geltendmachung eines (der kurzen Verjährung unterliegenden) Unterlassungsanspruchs geknüpft ist.

18 b) Unterlassungsansprüche. Unterlassungsanspruch im allgemeinen Sinne ist jeder Anspruch gleich welchen Rechtsgrundes, dessen Leistungsgegenstand nicht ein aktives Tun, sondern ein Unterlassen des Schuldners ist (vgl. §§ 194 Abs. 1, 241 Abs. 1 BGB). Angesprochen in § 11 Abs. 1 sind nur die an (vorgenommene oder drohende) Zuwiderhandlungen gegen die §§ 3, 7 anknüpfende Unterlassungsansprüche des § 8, die der Abwehr von (weiteren oder erstmaligen) Störungen dienen. Ein solcher Abwehr-Unterlassungsanspruch weist Ähnlichkeiten zum Beseitigungsanspruch auf, richtet sich aber inhaltlich – im Unterschied zu dem auf aktives Tun gerichteten Beseitigungsanspruch – auf die Nichtvornahme künftiger Verletzungshandlungen. Ob Unterlassungsansprüche im Allgemeinen und die wettbewerbsrechtlichen Abwehr-Unterlassungsansprüche im Besonderen überhaupt verjähren können, ist in der Vergangenheit gelegentlich in Frage gestellt worden.43 Dementsprechend ist die ausdrückliche Nennung wettbewerbsrechtlicher Unterlas36 Allg.M., vgl. nur Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.12; MünchKommUWG/Fritzsche § 11 Rn. 79. Dies entsprach auch unter der Geltung des § 21 a. F. der h. M., vgl. nur BGH 14.1.1999 – I ZR 203/96 – GRUR 1999, 751, 754 – Güllepumpen m. w. N. Die zu § 21 a. F. von Nirk GRUR 1993, 247, 254, vertretene Gegenansicht dürfte jedenfalls mit der ausdrücklichen Regelung des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes im UWG 2004 ihre Grundlage verloren haben. 37 Vgl. außerdem etwa BGH 26.11.1997 – I ZR 109/95 – GRUR 1998, 415, 416 – Wirtschaftsregister m. w. N.; Teplitzky/ Kessen Kap. 22 Rn. 1 ff. 38 Vgl. nur BGH 28.9.1973 – I ZR 136/71 – GRUR 1974, 99, 100 – Brünova, mit zust. Anm. Malzer GRUR 1974, 101 f. 39 Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 16; juris-PK/Ernst § 11 Rn. 9; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.3; zu § 21 a. F. vgl. bereits BGH 28.9.1973 – I ZR 136/71 – GRUR 1974, 99, 100 – Brünova. 40 Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 16. 41 MünchKommUWG/Fritzsche § 11 Rn. 62. 42 So Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 16 (anders aber Rn. 51: Absatz 4); Gloy/Loschelder/Danckwerts/Schwippert § 83 Rn. 45. 43 Vgl. hierzu ausführlich mit Nachweisen GK-Erstauflage/Messer, § 21 Rn. 5. Toussaint

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sungsansprüche bereits in § 21 Abs. 1 a. F. vereinzelt gar als Redaktionsversehen bezeichnet worden.44 Für die gesetzlichen (Abwehr-)Unterlassungsansprüche des UWG hat diese Kontroverse heute – anders als für sonstige, insbesondere vertragliche oder titulierte Unterlassungsansprüche (vgl. hierzu Rn. 35 ff.) – aber keine praktische Bedeutung mehr.45

aa) Verletzungsunterlassungsanspruch (§ 8 Abs. 1 S. 1 Fall 2). Die Verjährbarkeit des in 19 § 8 Abs. 1 S. 1 Fall 2 geregelten sog. Verletzungsunterlassungsanspruchs wurde bereits unter der Geltung des § 21 a. F. von der Rechtsprechung bejaht46 und wird heute – zu Recht – nicht mehr bezweifelt.47 Grundsätzliche dogmatische Bedenken,48 die daraus resultieren, dass ein Unterlassungsanspruch auf eine künftige Leistung gerichtet ist (s. zum Problem Rn. 36 ff.), greifen gegenüber dem Verletzungsunterlassungsanspruch nicht durch. Denn dieser knüpft an das gegenwärtige Vorliegen einer Wiederholungsgefahr an, die als solche eine (gegenwärtige) Beeinträchtigung darstellt, deren Behebung Ziel des Unterlassungsanspruchs ist.49 Diese Wiederholungsgefahr – für deren Vorliegen eine Zuwiderhandlung gegen die §§ 3, 7 eine tatsächliche Vermutung begründet (vgl. nur § 8 Rn. 27)50 – ist nach heute wohl allg. M. keine Prozessvoraussetzung (i. S. d. §§ 257 ff. ZPO), sondern materiellrechtliche Tatbestandsvoraussetzung des Verletzungsunterlassungsanspruchs (vgl. nur § 8 Rn. 14, 22).51 Der Verletzungsunterlassungsanspruch entsteht folglich (erst) mit Eintritt der Wiederholungsgefahr und ist auf deren Beseitigung gerichtet (zu der sich hieraus ergebenden Konsequenz für den Verjährungsbeginn vgl. Rn. 50). Auch wenn er dies durch das Recht auf Unterlassung in der Zukunft erreicht, ist er damit doch auf Beseitigung einer gegenwärtigen Störung gerichtet. Er ist mithin tatsächlich auf eine gegenwärtige Leistung gerichtet52 oder steht doch jedenfalls auf eine gegenwärtige Leistung gerichteten Ansprüchen näher als solchen auf eine künftige Leistung. Bedenken, die an die Folgen der Verjährung eines Verletzungsanspruchs anknüpfen, sind 20 unbegründet. Die Verjährung eines Unterlassungsanspruchs, der aus einer bestimmten, die Wiederholungsgefahr begründenden Zuwiderhandlung gegen die §§ 3, 7 folgt, führt nicht dazu, dass der Gläubiger wiederholte Zuwiderhandlungen des Schuldners hinzunehmen hätte.53 Die Verjährungseinrede gewährt dem Schuldner nur ein Mittel zur Abwehr des konkreten, aus einem in der Vergangenheit vollendeten Sachverhalt herrührenden Unterlassungsanspruchs. Die gesetzlichen Verhaltenspflichten, wie sie aus den §§ 3, 7 folgen, bleiben hierdurch unberührt.

44 So OLG Schleswig 10.6.1954 – 1 U 199/53 – SchlHA 1955, 130; Tetzner UWG, 2. Aufl. (1957), § 21 Rn. 3 („unstreitig“). Dagegen ausdrücklich etwa OLG Hamm 30.9.1976 – 4 U 147/76 – WRP 1977, 345, 346; Borck WRP 1978, 519; Rogge GRUR 1963, 345. 45 Nach Teplitzky/Bacher Kap. 16 Rn. 1 ist die Streitfrage heute akademisch geworden. 46 BGH 29.9.1978 – I ZR 107/77 – GRUR 1979, 121, 122 – Verjährungsunterbrechung; BGH 5.12.1980 – I ZR 179/78 – GRUR 1981, 447, 448 – Abschlussschreiben; BGH 11.3.2004 – I ZR 81/01 – GRUR 2004, 517, 519 – E-Mail-Werbung. 47 Vgl. nur Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 12; Harte/Henning/Schulz § 11 Rn. 12; MünchKommUWG/Fritzsche § 11 Rn. 15; Ahrens/Bornkamm Kap. 34 Rn. 9. 48 So etwa noch Reimer, Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, 3. Aufl. (1954), Kap. 115 Rn. 7. 49 Vgl. zum ähnlich strukturierten § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB Mot. III S. 426 = Mugdan Mat. zum BGB, Bd. III S. 238: „Wenn jedoch das Zuwiderhandeln die zuständliche bis in die Gegenwart fortdauernde Folge hervorgebracht hat, daß weitere Beeinträchtigungen nach den Umständen zu besorgen sind, so muß die Beseitigung dieses Zustandes der Gefährdung mit der Negatorienklage ebensowohl zu erreichen sein, als die Beseitigung einer zuständlichen körperlichen Eigenthumsverletzung.“. 50 Vgl. etwa Teplitzky/Kessen Kap. 6 Rn. 6 ff. m. w. N. 51 Vgl. etwa Teplitzky/Kessen Kap. 6 Rn. 9 ff. m. w. N. 52 GK-Erstauflage/Messer § 21 Rn. 10. 53 So der Einwand von Reimer, Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, 3. Aufl. (1954), Kap. 115 Rn. 7 und – ihm folgend – OLG Schleswig 10.6.1954 – 1 U 199/53 – SchlHA 55, 130. Zu den Rechtsfolgen der Verjährungseinrede bei Unterlassungsansprüchen allg. s. Rn. 101. 419

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Verjährung

Solche allgemeinen Rechtspflichten können nicht verjähren,54 denn der Verjährung unterliegen nur Ansprüche (§ 194 Abs. 1 BGB), die auch im Falle der Abwehr-Unterlassungsansprüche erst durch die Verknüpfung der Person des Schuldners mit der des Gläubigers durch einen gegenwärtig bestehenden Sachverhalt entstehen können.55 Auch nach Verjährung des durch die erste Zuwiderhandlung begründeten Unterlassungsanspruchs kann daher eine wiederholte Zuwiderhandlung (als neuer Sachverhalt) einen neuen Unterlassungsanspruch gleichen Inhalts begründen (s. hierzu Rn. 51).

21 bb) Vorbeugender Unterlassungsanspruch (§ 8 Abs. 1 S. 2). Der – früher gewohnheitsrechtlich anerkannte und seit der UWG-Reform 2004 in § 8 Abs. 1 S. 1 geregelte – sog. vorbeugende Unterlassungsanspruch unterscheidet sich strukturell nicht vom Verletzungsunterlassungsanspruch, nur tritt als materiellrechtliche Voraussetzung an die Stelle der Wiederholungsgefahr die durch konkrete Umstände begründete Erstbegehungsgefahr (§ 8 Rn. 58).56 Er zielt auf die Behebung des in dieser Erstbegehungsgefahr liegenden Störungszustandes und ist damit – ebenso wie der Verletzungsunterlassungsanspruch – auf eine gegenwärtige Leistung gerichtet.57 Grundsätzliche Bedenken gegen die Verjährbarkeit des vorbeugenden Unterlassungsanspruchs bestehen daher ebenso wenig wie gegen die des Verletzungsunterlassungsanspruchs. 22 Gleichwohl nahmen die frühere Rechtsprechung58 und h. L.59 zu § 21 a. F. die Unverjährbarkeit des vorbeugenden Unterlassungsanspruchs an. Diese Annahme beruhte auf dem Umstand, dass der Fortbestand (bei prozessualer Geltendmachung: am Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen) der durch einen konkreten Umstand ausgelösten Erstbegehungsgefahr – anders als der einer durch eine Zuwiderhandlung begründeten Wiederholungsgefahr – nicht vermutet wird, sondern dargelegt werden muss (vgl. hierzu allg. § 8 Rn. 58). Hieraus wurde gefolgert, dass eine Verjährung des vorbeugenden Unterlassungsanspruchs nicht eintreten könne, weil entweder die fortbestehende Erstbegehungsgefahr ähnlich einer Dauerhandlung das Anlaufen der Verjährungsfrist verhindere oder aber die Erstbegehungsgefahr entfallen und der Unterlassungsanspruch damit materiellrechtlich erloschen sei.60 Diese Erwägungen zeigen indessen nur praktische Schwierigkeiten hinsichtlich des Eintritts einer Verjährung des Unterlassungsanspruchs, nicht aber dogmatische Gründe für eine generelle Unverjährbarkeit des Anspruchs auf. Daher hält die heute ganz h. M.61 dieser Auffassung – mit Recht – entgegen, dass sich Verletzungs- und vorbeugender Unterlassungsanspruch hinsichtlich der Verjährbarkeit strukturell nicht unterscheiden. 23 Von praktischer Bedeutung dürfte diese Auseinandersetzung nicht sein. Geht es um eine in verjährter Zeit begangene (abgeschlossene) Verletzungshandlung, die eine Erstbegehungsgefahr begründet, nimmt die heute h. M. Verjährung des vorbeugenden Unterlassungsan-

54 Staudinger/Peters/Jacoby, § 199 Rn. 107; Borck WRP 1978, 519, f.; ders. WRP 1979, 314, 343 (der insoweit von einem „Unterlassungsanspruch i. w. S.“ spricht); Dittmar GRUR 1979, 288, 289; Rogge GRUR 1963, 345, 346; vgl. auch Fritzsche S. 476. 55 Fritzsche S. 121 m. w. N. 56 Vgl. außerdem etwa Teplitzky/Kessen Kap. 9 Rn. 6 ff. m. w. N. 57 Vgl. BGH 26.4.1990 – I ZR 99/88 – GRUR 1990, 687, 689 – Anzeigenpreis II. 58 BGH 10.11.1965 – Ib ZR 101/63 – GRUR 1966, 623, 626 – Kupferberg; OLG Köln 9.7.1982 – 6 U 50/82 – WRP 1983, 44, 45; OLG Koblenz 28.1.1988 – 6 U 1602/87 – WRP 1988, 557, 558; OLG Stuttgart 28.7.1995 – 2 U 59/95 – NJWEWettbR 1996, 31, 32. 59 Teplitzky, 8. Aufl. (2002) Kap. 16 Rn. 4 m. w. N. zur älteren Literatur. Allg. verneint die Verjährbarkeit eines vorbeugenden Unterlassungsanspruchs Fritzsche S. 472. 60 Teplitzky, 8. Aufl. (2002) Kap. 16 Rn. 5. 61 Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 12; Harte/Henning/Schulz § 11 Rn. 14; juris-PK/Ernst § 11 Rn. 10; Köhler/Bornkamm § 11 Rn. 1.3; MünchKommUWG/Fritzsche § 11 Rn. 20; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 26; Ahrens/Bornkamm Kap. 34 Rn. 11; Teplitzky/Bacher Kap. 16 Rn. 5. Toussaint

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spruchs an.62 In der Rechtsprechung ist demgegenüber anerkannt, dass eine solche Verletzungshandlung – ohne das Hinzutreten weiterer Umstände – jedenfalls eine andauernde Erstbegehungsgefahr nicht mehr begründen kann.63 Im Ergebnis geht es daher nur darum, ob der aus einem in verjährter Zeit abgeschlossenen Umstand hergeleitete Unterlassungsanspruch verjährt oder materiellrechtlich erloschen ist.

c) Schadensersatzanspruch (§ 9). Bereits nach § 21 Abs. 1 a. F. unterfiel der wettbewerbs- 24 rechtliche Schadensersatzanspruch des UWG der kurzen Verjährung. Dementsprechend nimmt nun Absatz 1 auf § 9 Bezug, der den Mitbewerbern gegen denjenigen, der eine nach den §§ 3, 7 unzulässige geschäftliche Handlung vorsätzlich oder fahrlässig vornimmt, einen Schadensersatzanspruch gewährt. d) Aufwendungsersatzanspruch für Abmahnungen (§ 13 Abs. 3). Einen Anspruch auf Er- 25 satz der durch die Abmahnung verursachten Kosten des Abmahnenden gegen den Abgemahnten hat die Rechtsprechung in der Vergangenheit nicht nur auf der Grundlage eines wettbewerbsrechtlichen Schadensersatzanspruchs, sondern auch nach den Grundsätzen einer Geschäftsführung ohne Auftrag gewährt.64 Dabei machte es verjährungsrechtlich keinen Unterschied, auf welcher Grundlage der Aufwendungsersatzanspruch geltend gemacht wurde, denn auch den unter dem Gesichtspunkt einer Geschäftsführung ohne Auftrag geltend gemachten Anspruch hat der Bundesgerichtshof – der wohl einhelligen Literaturmeinung folgend – der kurzen Verjährung des § 21 a. F. unterstellt.65 Mit der UWG-Reform hat der Gesetzgeber die bisherige Rechtsprechung durch Schaffung eines eigenen Aufwendungsersatzanspruchs für Abmahnkosten in § 13 Abs. 3 kodifiziert.66 Entsprechend der bisherigen Rechtsprechung wurde dieser Anspruch auch – allerdings erst während des Gesetzgebungsverfahrens (vgl. o. Rn. 4) – durch Aufnahme in Absatz 1 der kurzen Verjährung des § 11 unterworfen. Ob auch ein Anspruch auf Erstattung der Kosten des Abschlussschreibens der kurzen 26 Verjährung unterliegt, hängt zunächst von der – streitigen (vgl. hierzu § 12 A Rn. 306 m. w. N.) – Frage der rechtlichen Grundlage dieses Anspruchs ab, ist aber im Ergebnis unabhängig hiervon zu bejahen.67 Bejaht man insoweit eine analoge Anwendung des § 13 Abs. 3, verjährt er gem. § 11 Abs. 1 wie der Kostenerstattungsanspruch für Abmahnkosten in kurzer Frist. Stützt man ihn hingegen weiterhin auf die Grundsätze der Geschäftsführung ohne Auftrag, ist nach den von der erwähnten Rechtsprechung68 zur Abmahnkostenverjährung entwickelten Grundsätzen die kurze wettbewerbsrechtliche Verjährung – durch analoge Anwendung des § 11 Abs. 1 – auf ihn zu erstrecken.

62 Harte/Henning/Schulz § 11 Rn. 15; Ohly/Sosnitza § 11 Rn. 21; vgl. auch OLG Stuttgart 7.8.1992 – 2 U 85/92 – WRP 1993, 351, 353 (zum früheren § 14 RabattG-DVO). 63 BGH 9.10.1986 – I ZR 158/84 – GRUR 1987, 125 – Berühmung; BGH 5.11.1987 – I ZR 212/85 – GRUR 1988, 313 – Auto F. GmbH; BGH 14.7.1993 – I ZR 189/91 – GRUR 1994, 57, 58 – Geld-zurück-Garantie; BGH 31.5.2001 – I ZR 106/ 99 – GRUR 2001, 1174, 1176 – Berühmungsaufgabe. 64 Ursprünglich § 12 Abs. 1 S. 3, vgl. hierzu ausführlich GK-Erstauflage/Kreft Vorb. § 13 C Rn. 139 ff. m. w. N. 65 BGH 26.9.1991 – I ZR 149/89 – BGHZ 115, 210 = GRUR 1992, 176 – Abmahnkostenverjährung m. w. N. zur Literatur. 66 Vgl. Begr. Regierungsentwurf, BTDrucks. 15/1487 S. 25. 67 Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 8; Büscher/Hohlweck § 11 Rn. 9; ohne weitere Begründung auch Harte/Henning/Schulz § 11 Rn. 23; Ohly/Sosnitza § 11 Rn. 14. 68 Vgl. Fn. 65. 421

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e) Sonstige wettbewerbsrechtliche Ansprüche 27 aa) Gewinnabschöpfungsanspruch (§ 10). Der mit der UWG-Reform 2004 neu geschaffene Gewinnabschöpfungsanspruch des § 10 unterliegt jedenfalls nicht der kurzen Regelverjährung des Absatzes 1. Der ursprüngliche Regierungsentwurf sah dies zwar zunächst noch vor, doch wurde hiervon im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens aus Effektivitätsgründen Abstand genommen (vgl. o. Rn. 4). 28 Welcher Verjährungsregelung der Gewinnabschöpfungsanspruch stattdessen unterfällt, ist streitig. Nach verbreiteter Ansicht ist er – weil nicht in Absatz 1 genannt – ein „anderer Anspruch“ i. S. d. Absatzes 4 und verjährt demzufolge kenntnisunabhängig in drei Jahren von seiner Entstehung an.69 Das überzeugt indessen aus den bereits dargelegten systematischen Gründen nicht (vgl. o. Rn. 13 ff.). Daher ist der Gegenansicht Vorzug zu geben, nach der es für den Gewinnabschöpfungsanspruch keine wettbewerbsrechtliche Sonderverjährung gibt.70 Der Anspruch verjährt daher nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 195, 199 Abs. 1, 4 BGB. Anders als nach Absatz 4 bestehen daher eine kenntnisabhängige und erst am Jahresschluss beginnende Regelverjährung und eine Verjährungshöchstfrist von zehn Jahren.

29 bb) Auskunfts- und Rechnungslegungsansprüche. Allgemein anerkannt ist, dass zur Vorbereitung und Durchsetzung eines Hauptanspruchs (insbesondere auf Schadensersatz) unter bestimmten Voraussetzungen ein („unselbständiger“) Anspruch auf Auskunft und u. U. auch auf Rechnungslegung bestehen kann (vgl. im Einzelnen § 9 Rn. 200 ff.). Die früher vorherrschende Ansicht nahm an, für diesen vorbereitenden Anspruch gelte wegen seiner Akzessorietät die Verjährungsfrist des Hauptanspruchs.71 Dem liegen zwei zu unterscheidende Überlegungen zugrunde. Zum einen geht es um die Frage einer generellen „akzessorischen Verjährung“ von Hilfsansprüchen. Eine solche kennt das Gesetz indessen nicht.72 Auch ein vorbereitender Auskunfts- oder Rechnungslegungsanspruch unterliegt daher jedenfalls einer eigenständigen Verjährung73 mit eigener Frist, eigenem Fristbeginn und nur für ihn eintretender Hemmung bzw. Unterbrechung. Zum anderen stellt sich die Frage, ob dem Charakter von Hilfsansprüchen nicht immerhin zu entnehmen ist, dass sie einerseits – auch wenn ihre eigenständige Verjährung noch nicht vollendet ist – nicht später als der Hauptanspruch,74 andererseits aber auch nicht vor dem Hauptanspruch verjähren können.75 Für die Beantwortung dieser Frage wird zu differenzieren sein: Im Grundsatz ist dem Gesetz eine solche verjährungsrechtliche Abhängigkeit – mit der Ausnahme des § 217 BGB – fremd und daher jedenfalls insoweit abzulehnen, als die Verjährung des Hauptanspruchs zu einer Verjährung des Auskunfts- oder Rechnungslegungsan-

69 Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 51; juris-PK/Ernst § 11 Rn. 11; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.3; Ohly/ Sosnitza § 11 Rn. 32; Ahrens/Bornkamm Kap. 34 Rn. 22; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Schwippert § 83 Rn. 52. 70 § 10 Rn. 258; Harte/Henning/Schulz § 11 Rn. 21; MünchKommUWG/Fritzsche § 11 Rn. 39 ff.; Büscher/Hohlweck § 11 Rn. 6; Schulz WRP 2005, 274, 275. 71 BGH 18.2.1972 – I ZR 82/70 – GRUR 1972, 558, 560 – Teerspritzmaschinen; OLG Stuttgart 28.9.2001 – 2 U 220/ 00 – GRUR-RR 2003, 21, 23; GK-Erstauflage/Messer § 11 Rn. 13 m. w. N.; heute noch Ohly/Sosnitza § 11 Rn. 24; offen gelassen von Gloy/Loschelder/Danckwerts/Schwippert § 83 Rn. 54. 72 So bereits BGH 2.11.1960 – V ZR 124/59 – BGHZ 33, 373, 379 = NJW 1961, 602, 604. 73 BGH 10.12.1987 – I ZR 198/85 – GRUR 1988, 533, 536 – Vorentwurf II; Harte/Henning/Goldmann Vorb. zu § 8 Rn. 91; Harte/Henning/Schulz § 11 Rn. 26; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.17; MünchKommUWG/Fritzsche § 11 Rn. 47; Teplitzky/Büch Kap. 38 Rn. 37. Allg. zu „unselbständigen“ Auskunftsansprüchen BGH 25.7.2017 – VI ZR 222/16 – NJW 2017, 2755 Tz. 8 m. w. N. 74 So BGH 2.11.1960 – V ZR 124/59 – BGHZ 33, 373, 379 = NJW 1961, 602, 604; BGH 23.2.1972 – IV ZR 135/70 – NJW 1972, 760, 761. 75 So jetzt BGH 25.7.2017 – VI ZR 222/16 – NJW 2017, 2755 Tz. 9 ff. Toussaint

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spruchs führen soll.76 Allenfalls kann die Verjährung des Hauptanspruchs dazu führen, dass ein (tatbestandliches) berechtigtes Informationsinteresse für einen vorbereitenden Auskunftsoder Rechnungslegungsanspruch zu verneinen ist.77 Andererseit kann dem Zweck des „unselbständigen“ Auskunfts- oder Rechnungslegungsanspruchs, der Durchsetzung des Hauptanspruchs zu dienen, nur genügt werden, wenn eine Verjährung des Auskunfts- bzw. Rechnungslegungsanspruchs vor dem Hauptanspruch ausgeschlossen wird.78 Da Auskunfts- und Rechnungslegungsansprüche nicht in Absatz 1 genannt sind, unterfal- 30 len sie jedenfalls nicht der kurzen Regelverjährung. Im Übrigen stellt sich auch hier wieder die Frage, ob sie als „andere Ansprüche“ i. S. d. Absatzes 479 in der dort geregelten Verjährungshöchstfrist oder aber nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 195, 199 Abs. 1, 4 BGB80 verjähren. Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt (vgl. o. Rn. 13 ff.), ist der letztgenannten Ansicht der Vorzug zu geben. Damit ist die Frist der regelmäßigen Verjährung eines vorbereitenden Auskunfts- oder Rechnungslegungsanspruchs länger als die des vorzubereitenden Schadensersatzanspruchs. Da die Verjährung des Schadensersatzanspruchs ungeachtet der Kenntnisabhängigkeit – wegen der Möglichkeit einer Feststellungsklage – auch durchaus vor Erteilung der Auskunft bzw. Rechnungslegung beginnen kann, kann somit der Schadensersatzanspruch vor dem Auskunfts- bzw. Rechnungslegungsanspruchs verjähren. Dies schließt aber ein fortbestehendes berechtigtes Informationsinteresse nicht ohne weiteres aus, weil gem. § 215 BGB auch mit dem verjährten Schadensersatzanspruch aufgerechnet werden könnte.81 Umgekehrt ist die Verjährungshöchstfrist des Schadensersatzanspruchs (Absatz 3: 30 Jahre) länger als die eines vorbereitenden Auskunfts- oder Rechnungslegungsanspruchs (§ 199 Abs. 4 BGB: 10 Jahre), so dass der Hilfsanspruch – bliebe es dabei – schon verjährt sein könnte, obwohl der Hauptanspruch noch unverjährt ist. Die hierin liegende Unstimmigkeit82 ist mit dem Bundesgerichtshof83 dahingehend auszuräumen, dass der Hilfsanspruch generell nicht vor dem Hauptanspruch verjähren kann, so dass sich das Ende der Verjährung des Auskunfts- oder Rechnungslegungsanspruchs ggfs. auf den Eintritt der Verjährung des Hauptanspruchs verschiebt.

2. Mit UWG-Ansprüchen konkurrierende Ansprüche a) Grundsatz. Besteht Anspruchskonkurrenz zwischen Ansprüchen nach dem UWG und An- 31 sprüchen nach anderen Gesetzen, so gilt zunächst der allgemeine Grundsatz, dass jeder Anspruch nach seinen eigenen Regeln verjährt.84 Dies gilt uneingeschränkt für Ansprüche nach

76 BGH 3.10.1984 – IVa ZR 56/83 – NJW 1985, 384; Ahrens/Bornkamm Kap. 34 Rn. 21; wohl auch Fezer/Büscher/ Obergfell § 11 Rn. 17. 77 BGH 3.10.1984 – IVa ZR 56/83 – NJW 1985, 384, 385; BGH 4.10.1989 – IVa ZR 198/88 – BGHZ 108, 393, 399 f. = NJW 1990, 180, 181; BGH 12.6.1991 – XII ZR 17/90 – NJW 1991, 3031, 3032; BGH 17.7.2008 – I ZR 109/05 – BGHZ 177, 319 Tz. 42 = GRUR 2008, 989 – Sammlung Ahlers; Harte/Henning/Goldmann Vorb. zu § 8 Rn. 91; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 11 Rn. 1.17; Ahrens/Bornkamm Kap. 34 Rn. 21; Teplitzky/Büch Kap. 38 Rn. 37. 78 BGH 25.7.2017 – VI ZR 222/16 – NJW 2017, 2755 Tz. 9 ff. 79 OLG Hamburg 11.2.2009 – 5 U 130/08 – MD 2010, 55, 65 – Smartsurfer; OLG Hamburg 15.4.2010 – 5 U 106/ 08 – MD 2010, 960, 968 – Tribenuronmethyl; juris-PK/Ernst § 11 Rn. 11; Ahrens/Bornkamm Kap. 34 Rn. 21; Köhler/ Bornkamm, 32. Aufl. (2014) § 11 Rn. 1.17. 80 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.17; Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 17; Harte/Henning/Goldmann Vorb. zu § 8 Rn. 91; Harte/Henning/Schulz § 11 Rn. 26; MünchKommUWG/Fritzsche § 11 Rn. 47; Schulz WRP 2005, 274, 275. 81 Harte/Henning/Goldmann Vorb. zu § 8 Rn. 91; Harte/Henning/Schulz § 11 Rn. 27; Teplitzky/Büch Kap. 38 Rn. 37. 82 So Harte/Henning/Schulz § 11 Rn. 28. 83 BGH 25.7.2017 – VI ZR 222/16 – NJW 2017, 2755 Tz. 9 ff. (allg. zu „unselbständigen“ Auskunftsansprüchen). 84 Vgl. hierzu allg. Staudinger/Peters/Jacoby § 195 Rn. 32 ff.; Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 6. 423

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dem MarkenG (§ 20 MarkenG i. V. m. §§ 195, 199 BGB) oder dem GWB (§§ 195, 199 BGB, § 33 Abs. 5 GWB) sowie für namens- und firmenrechtliche Ansprüche (§ 12 BGB, § 37 Abs. 2 HGB).85

32 b) Deliktische Ansprüche. Bei der Anspruchskonkurrenz zwischen UWG-Ansprüchen und deliktischen Ansprüchen bedarf es hingegen einer differenzierenden Betrachtungsweise. Da ein Wettbewerbsverstoß regelmäßig zugleich den Tatbestand einer Deliktsnorm erfüllt, würde eine uneingeschränkte Anwendung der allgemeinen Verjährungsvorschriften der §§ 195, 199 BGB auf solche konkurrierenden deliktischen Ansprüche die wettbewerbsrechtliche Sonderverjährung weitgehend leerlaufen lassen. Liegt der Schwerpunkt des Unrechtsgehalts im Lauterkeitsrecht, muss dem § 11 daher Vorrang gewährt werden;86 er ist dann entsprechend auch auf den deliktischen Anspruch anzuwenden. Das bedeutet im Einzelnen: Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung eines absoluten 33 Rechts oder eines geschützten Rechtsgutes sanktioniert den Verstoß gegen allgemeine, jedermann treffende Verhaltenspflichten, deren Bestand unabhängig von den besonderen wettbewerbsrechtlichen Verhaltenspflichten sind. Insbesondere deliktische Ansprüche wegen der Verletzung eines Namens- oder Firmenrechts verjähren daher auch bei Anspruchskonkurrenz mit UWG-Ansprüchen eigenständig nach §§ 195, 199 BGB.87 Dies gilt aber nicht uneingeschränkt. Da der (bloße) Wettbewerbsverstoß regelmäßig zugleich einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb darstellt, ist wegen der lediglich lückenfüllenden Funktion dieses Instituts der sich insoweit ergebende deliktische Schadensersatzanspruch durch den konkurrierenden Anspruch nach dem UWG verdrängt,88 unterliegt aber jedenfalls einer kurzen Verjährung entsprechend § 11.89 Anderes gilt insoweit aber wiederum, wenn der Eingriff in den Gewerbebetrieb über einen Wettbewerbsverstoß hinausreicht, wie dies herkömmlich bei einer unberechtigten Schutzrechtsverwarnung angenommen wird.90 Bei Schadensersatzansprüchen aus § 823 Abs. 2 BGB wegen einer Schutzgesetzverletzung 34 muss im Einzelfall geprüft werden, wo der Schwerpunkt des Unrechtsgehalts der Verletzung liegt; nur wenn sie im Lauterkeitsrecht liegt, ist § 11 entsprechend anzuwenden.91 Die Tatbestände der §§ 824, 826 BGB weisen dagegen stets über das Lauterkeitsrecht hinaus, so dass diese Schadensersatzansprüche auch bei Konkurrenz mit UWG-Ansprüchen stets eigenständig verjähren.92 85 Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 6; Harte/Henning/Schulz § 11 Rn. 56 ff.; juris-PK/Ernst § 11 Rn. 12; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.5–1.7; Ahrens/Bornkamm Kap. 34 Rn. 30; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Schwippert § 83 Rn. 56. 86 Vgl. BGH 10.2.2011 – I ZR 136/09 – BGHZ 188, 326 = GRUR 2011, 444 Tz. 57 – Flughafen Frankfurt-Hahn. 87 BGH 26.1.1984 – I ZR 195/81 – GRUR 1984, 820, 822 f. – Intermarkt II; abl. Neu GRUR 1985, 335, 344 f.; dagegen zutreffend GK-Erstauflage/Messer § 11 Rn. 45. 88 Sack FS Ullmann S. 825, 830. 89 BGH 22.12.1961 – I ZR 152/59 – BGHZ 36, 252, 257 = GRUR 1962, 310, 314 – Gründerbildnis (unter Aufgabe der gegenteiligen Auffassung in BGH 29.4.1958 – I ZR 56/57 – GRUR 1959, 31, 33 – Feuerzeug als Werbegeschenk); BGH 27.11.1963 – Ib ZR 49/62 – GRUR 1964, 218, 219 – Düngekalkhandel; BGH 28.9.1973 – I ZR 136/71 – GRUR 1974, 99, 100 – Brünova; BGH 23.1.1981 – I ZR 48/79 – GRUR 1981, 517, 520 – Rollhocker; OLG Köln 20.12.2000 – 6 U 88/00 – GRUR-RR 2001, 110 – Anspruchsverjährung; Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 7; Harte/Henning/Schulz § 11 Rn. 60; juris-PK/Ernst § 11 Rn. 12; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.8; Ohly/Sosnitza § 11 Rn. 11; Ahrens/Bornkamm Kap. 31; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Schwippert § 83 Rn. 56. 90 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.8; Ohly/Sosnitza § 11 Rn. 11, jeweils unter Hinweis auf BGH 15.7.2005 – GSZ 1/04 – BGHZ 164, 1 = GRUR 2005, 882 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung; a. A. Sack FS Ullmann S, 825, 835. 91 BGH 10.2.2011 – I ZR 136/09 – BGHZ 188, 326 = GRUR 2011, 444 Tz. 57 – Flughafen Frankfurt-Hahn; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.9. 92 BGH 22.12.1961 – I ZR 152/59 – BGHZ 36, 252, 256 = GRUR 1962, 310, 314 – Gründerbildnis; BGH 27.11.1963 – Ib ZR 49/62 – GRUR 1964, 218, 220 – Düngekalkhandel; BGH 18.2.1977 – I ZR 112/75 – GRUR 1977, 539, 543 – ProzessToussaint

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3. Vertragliche und titulierte Ansprüche a) Unterlassungsansprüche. Das Bestehen eines gesetzlichen Unterlassungsanspruchs nach 35 § 8 kann zur Begründung eines entsprechenden vertraglichen oder titulierten Unterlassungsanspruchs führen, weil zur Beseitigung der Wiederholungs- bzw. Erstbegehungsgefahr eine strafbewehrte Unterlassungsvereinbarung abgeschlossen oder aber der gesetzliche Unterlassungsanspruch gerichtlich geltend gemacht wird. Anders als der auf Behebung des gegenwärtigen Gefährdungszustandes gerichtete (Abwehr-)Unterlassungsanspruch des § 8 (vgl. Rn. 19, 21) dient der vertragliche oder titulierte („echte“) Unterlassungsanspruch der Durchsetzung eines bestimmten Verhaltens in der Zukunft.93 Ob und wie ein solcher vertraglicher oder titulierter Unterlassungsanspruch verjähren kann, bereitet Probleme, denen nur durch eine differenzierte Betrachtung begegnet werden kann. aa) Einzelner Unterlassungsanspruch. Der Unterlassungsanspruch als das Recht, von einem 36 anderen ein Unterlassen zu verlangen (§ 194 Abs. 1 BGB), berechtigt den Gläubiger, vom Schuldner in einem Zeitabschnitt die Nichtvornahme einer bestimmten Handlung zu fordern. Bezogen auf den einzelnen Zeitabschnitt kann der einzelne Unterlassungsanspruch seiner Natur nach nicht verjähren.94 Denn für jeden bereits verstrichenen Zeitabschnitt ist dieser Unterlassungsanspruch entweder durch Erfüllung oder Unmöglichkeit – eine Unterlassung für die Vergangenheit kann nicht mehr nachgeholt werden – untergegangen (die Aufhebung von durch eine Zuwiderhandlung eingetretenen und andauernden Störungen ist nicht Gegenstand eines Unterlassungs-, sondern eines Beseitigungsanspruchs). Rechtliche Bedeutung hat er daher nur für die noch nicht angebrochenen Zeitabschnitte und ist daher auf eine künftige Leistung gerichtet. Als ein solcher Anspruch ist er vor Anbruch des – ihn zugleich vernichtenden – jeweiligen Zeitabschnitts noch nicht fällig.95 Noch nicht fällige Ansprüche können aber im Allgemeinen nicht verjähren. Denn verjähren kann nur ein Anspruch, dessen Befriedigung rechtlich verlangt werden kann.96 Die gegenwärtige Erbringung einer erst für die Zukunft geschuldeten Leistung kann aber rechtlich nicht verlangt werden. Zwar kann u. U. nach Maßgabe der §§ 257 ff. ZPO auch auf künftige Leistung geklagt werden, doch kann auf diesem Wege nur die vorzeitige Titulierung der künftigen Leistungspflicht, nicht aber deren gegenwärtige Durchsetzung erreicht werden. Im Übrigen handelt es sich bei der Klage auf künftige Leistung um eine Sicherungsmöglichkeit zu Gunsten des Gläubigers, dem ihre unterlassene Nutzung verjährungsrechtlich nicht zum Nachteil gereichen kann.97 Dass insoweit für (negative) Unterlassungsansprüche etwas anderes gelten sollte als für (posi- 37 tive) Ansprüche auf künftiges Tun, ist nicht ersichtlich. Insbesondere lässt sich nicht etwa § 199 Abs. 5 BGB entnehmen, dass einzelne Unterlassungsansprüche abweichend vom allgemeinen rechner; Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 6; Harte/Henning/Schulz § 11 Rn. 61 f.; juris-PK/Ernst § 11 Rn. 12; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.10 f.; MünchKommUWG/Fritzsche § 11 Rn. 74 f.; Ohly/Sosnitza § 11 Rn. 12; Ahrens/ Bornkamm Kap. 34 Rn. 31; a. A. Vorauflage/Schünemann Einl. G Rn. 118 ff.; Sack FS Ullmann 825, 838 f.; Schulz WRP 2005, 274, 276. 93 Zur Notwendigkeit der Differenzierung zwischen den gesetzlichen Unterlassungsansprüchen des UWG einerseits und den vertraglichen bzw. titulierten Unterlassungsansprüchen andererseits vgl. Köhler JZ 2005, 489. Da es auch gesetzliche Unterlassungsansprüche gibt, die strukturell den vertraglichen und titulierten Unterlassungsansprüchen entsprechen (z. B. § 60 Abs. 1 HGB, vgl. hierzu RG 1.5.1906 – III 478/05 – RGZ 63, 252), läuft die Trennlinie nicht zwischen gesetzlichen und sonstigen Unterlassungsansprüchen, sondern zwischen (hier sog.) Abwehr-Unterlassungsansprüchen (zu denen auch etwa die Ansprüche gem. §§ 12 S. 2, 541, 590a, 862 Abs. 1 S. 2, 1004 Abs. 1 S. 2, 1053, 1134 Abs. 1 BGB gehören) und „allgemeinen“ (oder „echten“) Unterlassungsansprüchen. 94 Lehmann S. 321; vgl. auch etwa (bezogen auf den Unterlassungsanspruch aus § 1004 BGB nach der hier vertretenen Auffassung allerdings zu Unrecht, vgl. Rn. 19) MünchKommBGB/Raff § 1004 Rn. 308. 95 Rogge GRUR 1963, 345, 346. 96 Vgl. nur Mot. I S. 307 = Mugdan Mat. zum BGB, Bd. I S. 521. 97 Lehmann S. 320 m. w. N. 425

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Grundsatz bereits vor Fälligkeitseintritt verjähren könnten.98 Nach dieser Vorschrift tritt – ebenso wie vor der Schuldrechtsmodernisierung nach § 198 S. 2 BGB a. F. – bei Unterlassungsansprüchen für den Verjährungsbeginn an die Stelle der sonst maßgeblichen Entstehung des Anspruchs die Zuwiderhandlung. Grund der gesetzlichen Entkoppelung des Verjährungsbeginns von der Anspruchsentstehung ist gerade die aufgeschobene Fälligkeit von Unterlassungsansprüchen. Sie stellt sicher, dass der – für die Zukunft bestehende – Unterlassungsanspruch nicht bereits mit seiner Entstehung verjähren kann. Dies belegt auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift: Nach § 158 Abs. 1 des I. Entwurfs des BGB sollte die Verjährung „mit dem Zeitpunkte, in welchem die Befriedigung des Anspruchs rechtlich verlangt werden kann (Fälligkeit)“, beginnen. Nach der Vorstellung der I. Kommission sollte damit die Verjährung beginnen, „wenn das Recht auf ein Tun gerichtet ist, mit der Entstehung desselben, wenn es eine Unterlassung gebiete, mit der den Zustand des Befriedigtseins aufhebenden Zuwiderhandlung“.99 Die II. Kommission, auf die die jetzige Gesetzesfassung zurückgeht, hielt es nicht für ratsam, die Fälligkeit im Zusammenhang mit der Verjährung zu definieren, und entschied, stattdessen begrifflich – ohne inhaltliche Änderung – einerseits für positive Ansprüche an die Entstehung des Anspruchs, anderseits für negative Ansprüche an die (den Zustand des Befriedigtseins aufhebende) Zuwiderhandlung anzuknüpfen.100 Damit ist aber gerade – umgekehrt – zum Ausdruck gebracht, dass auch Unterlassungsansprüche jedenfalls nicht vor Eintritt ihrer Fälligkeit verjähren können.101

38 bb) Stammrecht auf Unterlassung. Das Recht, von einem anderen ein Unterlassen verlangen zu können, beschränkt sich indessen nicht auf den Anspruch auf ein einzelnes Unterlassen zu einer bestimmten logischen Sekunde in der Zukunft, sondern ist vielmehr ein Anspruch auf ein dauerndes (wenn auch ggf. befristetes) Unterlassen. Der Unterlassungsanspruch ist mithin ein Dauerschuldverhältnis.102 Die aus diesem Dauerschuldverhältnis laufend fällig werdenden Einzelansprüche auf Unterlassung werden dabei – anders als etwa die von einer Gegenleistung abhängigen Mietzahlungsansprüche – allein aufgrund des auf dauernde Unterlassung gerichteten Anspruchs begründet. Dieser auf dauernde Unterlassung gerichtete Anspruch ist daher etwa einem (durch Rentenversprechen, aber auch als Schadensersatzanspruch begründeten) Rentenrecht vergleichbar, aus dem sich laufend fällig werdende Einzelansprüche auf Rentenzahlung ergeben. Wie diesem liegt daher den einzelnen Ansprüchen auf (künftige) Unterlassung ein Stammrecht103 bzw. Gesamtanspruch auf (dauernde) Unterlassung zugrunde. 39 Die für die generelle Verjährbarkeit von Unterlassungsansprüchen entscheidende Frage ist daher nicht, ob die Einzelansprüche auf (künftige) Unterlassung verjähren können, sondern ob das Stammrecht der Verjährung unterliegt. Dem Gesetz lässt sich die Beantwortung dieser

98 A. A. Rogge GRUR 1963, 345, 346. 99 Mot. I S. 307 = Mugdan Mat. zum BGB, Bd. I S. 521. 100 Prot. I S. 209 ff. = Mugdan Mat. zum BGB, Bd. I S. 779 f. 101 Vgl. auch Fritzsche S. 481, wonach die Regelung eine verjährungsrechtliche Gleichbehandlung von Handlungsund Unterlassungsansprüchen bezweckt. Soweit Fritzsche FS Rolland S. 115, 118 f., den Materialien entgegen der hiesigen Darstellung entnimmt, hierfür sei der Verjährungsbeginn (vertraglicher) Unterlassungsansprüche abweichend von der Fälligkeit geregelt worden, dürfte dies auf einem von der Vorstellung des historischen (Verjährungs-) Gesetzgebers abweichenden Fälligkeitsbegriff, vgl. Fritzsche S. 357 f., beruhen. 102 So BGH 12.7.1995 – I ZR 176/93 – BGHZ 130, 288, 293 = GRUR 1995, 678, 680 – Kurze Verjährungsfrist; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.15; Köhler JZ 2005, 489, 491. 103 So auch etwa Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.15. Für generell gesetzesfremd und entbehrlich halten die Annahme eines Stammrechts etwa Staudinger/Peters/Jacoby § 194 Rn. 16. Jedenfalls für Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen dürfte sich die verjährungsrechtliche Abspaltung vom Stammrecht aber bereits aus § 197 BGB a. F. ergeben, vgl. BGH 10.1.2012 – VI ZR 96/11 – VersR 2012, 372 Tz. 15 m. w. N. Toussaint

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Frage nicht unmittelbar entnehmen.104 Die Verjährbarkeit von Stammrechten, aus denen sich laufend Zahlungsansprüche ergeben, kann nach Sinn und Zweck des Instituts der Verjährung nur bejaht werden: Denn „[e]s kann nicht“ – wie das Reichsgericht105 einmal formuliert hat – „im Sinn des Gesetzgebers gelegen haben, die wirtschaftliche und staatliche Aufgabe der Verjährungseinrichtung aus Erwägungen rechtsbegrifflicher Art weitgehend einzuschränken und seit langen Jahren in Vergessenheit geratene, der Bestimmung nach laufend wiederkehrende Rentenrechte niemals erlöschen zu lassen.“ Dementsprechend gehen Rechtsprechung106 und Literatur107 von der Verjährbarkeit solcher Stammrechte aus. Für Unterlassungsansprüche wird hingegen in der wettbewerbsrechtlichen Literatur vielfach das Stammrecht (bzw. generell der vertragliche oder titulierte Unterlassungsanspruch) als unverjährbar bezeichnet.108 Dahinter steht offenbar keine dogmatische Erwägung, sondern allein die Befürchtung, dass anderenfalls der Unterlassungsschuldner durch eine geringfügige Zuwiderhandlung gem. § 199 Abs. 5 BGB die Verjährung des gesamten Unterlassungsanspruchs in Gang setzen und sich auf diese Weise von seiner Verpflichtung befreien könnte.109 Diese Befürchtung ist indessen unbegründet. Denn eine einzelne Zuwiderhandlung ist regelmäßig nur eine teilweise Nichterfüllung des Unterlassungsanspruchs und kann daher auch nur für den nichterfüllten Teil des (Gesamt-)Unterlassungsanspruchs (einschließlich der aus ihm erwachsenden Einzelansprüche) die Verjährung in Gang setzen. Hat etwa der zur Unterlassung des Betriebs eines Handelsgewerbes Verpflichtete seiner Verpflichtung durch Eintritt als Gesellschafter in eine Handelsgesellschaft zuwidergehandelt, kann nur der Unterlassungsanspruch in Bezug auf diese Tätigkeit verjähren.110 Daher ist davon auszugehen, dass das Stammrecht auf (dauernde) Unterlassung im 40 Grundsatz zwar verjährbar ist, dass dies aber nur von geringer praktischer Auswirkung ist. Solange der Schuldner pflichtgemäß unterlässt, ist der Unterlassungsanspruch erfüllt und kann folglich auch nicht verjähren.111 Einem erfüllten Unterlassungsanspruch aus einem gerichtlichen Titel kann daher auch nach 30 Jahren nicht die Titelverjährung (§ 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB) entgegengehalten werden.112 Dass der Schuldner damit im Ergebnis auf „ewig“ einem – nicht befristeten – (vertraglichen oder titulierten) Unterlassungsanspruch

104 Anders noch § 160 des I. Entwurfs des BGB („Hängen wiederkehrende Leistungen von einem Hauptrecht nicht ab, so beginnt die Verjährung des Anspruchs im Ganzen mit dem Zeitpunkt, in welchem die Verjährung des Anspruchs auf eine Leistung begonnen hat.“); die II. Kommission strich die Vorschrift, weil „die Unterscheidung eines Gesamtanspruchs … nicht aus der Natur der Sache [fließe], … vielmehr auf künstlicher Fiktion“ beruhe, und „[p]raktische Nachteile … aus der Beseitigung der Vorschrift nicht erwachsen“ würden, Prot. I S. 212 = Mugdan Mat. zum BGB, Bd. I S. 782. Daraus wird indessen nicht deutlich, welche praktische Lösung die Kommission für richtig gehalten hat, RG 30.5.1932 – VIII 135/32 – RGZ 136, 427, 431. Die Notwendigkeit der verjährungsrechtlichen Annahme eines Gesamtanspruchs zeigt gerade der Unterlassungsanspruch. 105 RG 30.5.1932 – VIII 135/32 – RGZ 136, 427, 432. 106 Vgl. etwa RG 30.5.1932 – VIII 135/32 – RGZ 136, 427, 432; BGH 12.7.1960 – VI ZR 92/59 – VersR 1960, 949; BGH 11.7.1972 – VI ZR 85/71 – VersR 1972, 1078, 1079; BGH 3.7.1973 – VI ZR 38/72 – NJW 1973, 1684, 1685; BGH 17.10.1978 – VI ZR 213/77 – NJW 1979, 268. 107 Vgl. etwa Bamberger/Roth/Hau/Poseck/Henrich § 194 Rn. 19; MünchKommBGB/Grothe § 194 Rn. 3 m. w. N.; Palandt/Ellenberger § 194 Rn. 7; Soergel/Niedenführ, § 194 n. F. Rn. 4. 108 So etwa von Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.15; MünchKommUWG/Fritzsche § 11 Rn. 27 ff.; Ahrens/ Bornkamm Kap. 34 Rn. 27; Fritzsche S. 477 f.; Köhler GRUR 1996, 231, 232 f.; ders. JZ 2005, 489, 492. 109 Vgl. Köhler JZ 2005, 489, 495. 110 Vgl. RG 1.5.1906 – III 478/05 – RGZ 63, 252, 255 f. (zu § 60 Abs. 1 HGB). 111 BGH 16.6.1972 – I ZR 154/70 – BGHZ 59, 72, 74 f. = GRUR 1972, 721 – Kaffeewerbung (zu einem titulierten Unterlassungsanspruch); Harte/Henning/Schulz § 11 Rn. 30; Ohly/Sosnitza § 11 Rn. 7; Gloy/Loschelder/Danckwerts/ Schwippert § 83 Rn. 37, 60. 112 BGH 16.6.1972 – I ZR 154/70 – BGHZ 59, 72 = GRUR 1972, 721 – Kaffeewerbung; Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 32; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.18; Ohly/Sosnitza § 11 Rn. 8; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Schwippert § 83 Rn. 60; Hillinger GRUR 1973, 254; Köhler JZ 2005, 489, 495 (Titelverjährungsfrist läuft leer); Oßenbrügge WRP 427

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ausgesetzt ist,113 ist dabei lediglich Konsequenz des Dauerschuldcharakters des Anspruchs und einer fehlenden Befristung. Verjähren kann der Unterlassungsanspruch nur, soweit ihm zuwidergehandelt wird. Beschränkt sich die Nichterfüllung des Unterlassungsanspruchs auf eine einmalige, punktuelle Zuwiderhandlung, ist dies für die Verjährung des Unterlassungsanspruchs ohne Bedeutung, weil der in der Vergangenheit nichterfüllte Unterlassungsanspruch unmöglich geworden ist, und der in die Zukunft gerichtete Unterlassungsanspruch weiterhin erfüllt wird. Verjähren können insoweit nur durch die Zuwiderhandlung ausgelöste Sekundäransprüche (zu diesen vgl. Rn. 42 ff.). Es bedarf daher auch keiner Verjährungssicherung des Unterlassungsanspruchs durch Geltendmachung eines Abwehr-Unterlassungsanspruchs entsprechend § 8.114 Für einen solchen Anspruch ist auch kein Raum, weil – anders als in den Fällen des § 8 – der Unterlassungsanspruch aufgrund des Vertrages oder des gerichtlichen Titels bereits vorher und unabhängig von der Rechtsverletzung besteht.115 Wird der Unterlassungsanspruch durch eine dauernde Zuwiderhandlung nicht erfüllt, kann der (Teil-)Anspruch auf Unterlassung (nur) dieser Zuwiderhandlung verjähren.116 Auf vertragliche Unterlassungsansprüche, die an die Stelle eines gesetzlichen Anspruchs 41 nach § 8 treten, will die h. M. § 11 entsprechend anwenden,117 was aber nur dann in Betracht kommt, wenn der Vereinbarung nicht zu entnehmen ist, dass die vertragliche Regelung auch verjährungsrechtlich einer gerichtlichen Titulierung gleichstehen soll (vgl. hierzu Rn. 95). Zur Verjährungssicherung bedarf es auch insoweit keines Rückgriffs auf den Rechtsgedanken des § 8, weil der Gläubiger einen einfachen Erfüllungsanspruch hat, der – soweit es um das Abstellen der andauernden Zuwiderhandlung geht – auf eine gegenwärtige und fällige Leistung gerichtet ist. Ist der Unterlassungsanspruch wegen einer (an)dauernden Zuwiderhandlung verjährt, bleibt er aber im Übrigen – soweit er sich gegen andere oder erneute Zuwiderhandlungen richtet – unberührt und verjährt nicht.118

b) Sekundäransprüche 42 aa) Schadensersatzansprüche. Aus der Verletzung einer vertraglichen Unterlassungsverpflichtung, die an die Stelle eines gesetzlichen Unterlassungsanspruchs nach § 8 getreten ist, erwachsende (sekundäre) Schadensersatzansprüche unterliegen wie der vertragliche Unterlassungsanspruch

1973, 320. Der frühere Widerstand in der Literatur hiergegen, abl. etwa GK-Erstauflage/Messer § 21 Rn. 64; Fritzsche S. 492 ff.; ders. FS Rolland S. 115, 124 ff.; Dittmar GRUR 1979, 288, 290; Krieger GRUR 1972, 696, 697; Fabricius JR 1972, 452, dürfte im Hinblick auf die mit der Schuldrechtsmodernisierung geschaffene Regelung des § 201 S. 1 BGB (vgl. Rn. 52) verstummt sein. 113 Dies erscheint Köhler JZ 2005, 489, 495 „misslich“, ist aber auch bei einem (unbefristeten) Dauerschuldverhältnis, das auf ein (positives) Tun gerichtet ist, nicht anders. Zur Abänderung von Unterlassungstiteln bei Änderung der Sach- oder Rechtslage vgl. Volp GRUR 1984, 486. 114 So aber im Ergebnis Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.15; Köhler JZ 2005, 489, 492 ff. 115 So gerade auch Köhler GRUR 1996, 231, 232. Ob auf künftige Leistung geklagt werden kann, ist insoweit allein nach den §§ 257 ff. ZPO zu beurteilen. 116 Köhler JZ 2005, 489, 492, unterscheidet insoweit zwischen dem der Verjährung unterliegenden (durch die Zuwiderhandlung „begründeten“) „konkreten“ Unterlassungsanspruch und dem nicht verjährenden (durch den Vertrag usw. begründeten) „allgemeinen“ Unterlassungsanspruch. 117 BGH 12.7.1995 – I ZR 176/93 – BGHZ 130, 288, 293 ff. = GRUR 1995, 678, 680 – Kurze Verjährungsfrist; Harte/ Henning/Schulz § 11 Rn. 33; Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 15; juris-PK/Ernst § 11 Rn. 13; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.15 (kritischer ders. GRUR 1996, 231, 235); Ohly/Sosnitza § 11 Rn. 7; Gloy/Loschelder/Danckwerts/ Schwippert § 83 Rn. 37; Büscher/Hohlweck § 11 Rn. 12. 118 Vgl. Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 15; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Schwippert § 83 Rn. 37 Fn. 99; Köhler JZ 2005, 489, 496. Toussaint

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(vgl. Rn. 41) selbst in entsprechender Anwendung des § 11 der kurzen wettbewerbsrechtlichen Verjährung.119

bb) Ansprüche auf verwirkte Vertragsstrafe. Demgegenüber richtet sich die Verjährung ei- 43 nes Anspruchs auf verwirkte Vertragsstrafe nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs120 stets nach den allgemeinen Verjährungsvorschriften, also nach §§ 195, 199 BGB;121 § 11 ist insoweit nicht analog anzuwenden. Begründet hat er dies mit dem Sanktionscharakter, den die Vertragsstrafe neben ihrer Funktion als Mindestschadensersatz auch hat und der, würde man den Vertragsstrafeanspruch der kurzen wettbewerbsrechtlichen Verjährung unterwerfen, an Nachdruck und Gewicht verlieren würde.122

cc) Ordnungsmittelverjährung. Die Verjährung von vollstreckungsrechtlichen Ordnungsmit- 44 teln i. S. d. § 890 ZPO richtet sich nach Art. 9 EGStGB.123 Für die Festsetzung des Ordnungsmittels gilt die sog. Verfolgungsverjährung i. S. d. Art. 9 Abs. 1 EGStGB von zwei Jahren. Diese beginnt, sobald die (zu unterlassende oder zu duldende) Handlung beendet ist (Art. 9 Abs. 1 S. 3 EGStGB), und ruht, solange nach dem Gesetz das Verfahren zur Festsetzung des Ordnungsgeldes nicht begonnen oder nicht fortgesetzt werden kann (Art. 9 Abs. 1 S. 4 EGStGB). Bei einer Zuwiderhandlung gegen ein tituliertes wettbewerbsrechtliches Unterlassungsgebot beginnt sie daher grundsätzlich mit der Beendigung der Zuwiderhandlung gegen das Unterlassungsgebot.124 Enthält die Verurteilung zu einem Unterlassen oder einer Duldung die – auch unausgesprochene – vollstreckbare Verpflichtung zu einem positiven Tun, beginnt sie dagegen nicht, solange der Schuldner pflichtwidrig untätig bleibt.125 Sie endet mit der Festsetzung des Ordnungsmittels, auch wenn diese noch nicht rechtskräftig ist.126 Mit der Vollstreckbarkeit des Ordnungsmittels beginnt die Vollstreckungsverjährung i. S. d. Art. 9 Abs. 2 EGStGB von ebenfalls zwei Jahren. Wird gegen die Festsetzung Beschwerde eingelegt, ruht die Vollstreckungsverjährung gem. Art. 9 Abs. 2 S. 4 Nr. 1 EGStGB bis zum rechtskräftigen Abschluss des Beschwerdeverfahrens.127 Die Ordnungsmittelverjährung ist von Amts wegen zu berücksichtigen.128

119 BGH 12.7.1995 – I ZR 176/93 – BGHZ 130, 288, 291 ff. = GRUR 1995, 678, 679 f. – Kurze Verjährungsfrist; Harte/ Henning/Schulz § 11 Rn. 33; Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 15; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.15; Ahrens/ Bornkamm Kap. 34 Rn. 28; Fritzsche S. 487; Ulrich WRP 1996, 379, 381. 120 BGH 20.6.1991 – I ZR 277/89 – GRUR 1992, 61, 62 – Preisvergleichsliste I; BGH 12.7.1995 – I ZR 176/93 – BGHZ 130, 288, 295 f. = GRUR 1995, 678, 680 f. – Kurze Verjährungsfrist; zust. Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 15; Harte/ Henning/Schulz § 11 Rn. 34; juris-PK/Ernst § 11 Rn. 14; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.15; MünchKommUWG/Fritzsche § 11 Rn. 59; Ohly/Sosnitza § 11 Rn. 7; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Schwippert § 83 Rn. 38; Büscher/Hohlweck § 11 Rn. 13; kritisch Ulrich WRP 1996, 379, 381 f. 121 Zur Problematik des Beginns der Verjährung eines Vertragsstrafeanspruchs vgl. Rieble NJW 2004, 2270, und – a. A. – MünchKommBGB/Grothe § 199 Rn. 7 m. w. N. 122 BGH 12.7.1995 – I ZR 176/93 – BGHZ 130, 288, 296 = GRUR 1995, 678, 680 – Kurze Verjährungsfrist. 123 BGH 5.11.2004 – IXa ZB 18/04 – BGHZ 161, 60, 63 = GRUR 2005, 269 m. w. N.; BGH 17.8.2011 – I ZB 20/11 – GRUR 2012, 427 Tz. 7 – Aufschiebende Wirkung; BGH 7.3.2013 – IX ZR 123/12 – WM 2013, 711 Tz. 23; BGH 17.12.2020 ‒ I ZB 99/19 – GRUR 2021, 767, Tz. 58. 124 KG 29.11.2011 – 5 W 258/11 – GRUR-Prax 2012, 48. 125 BGH 25.1.2007 – I ZB 58/06 – WRP 2007, 1104 Tz. 23; OLG Hamburg 6.5.2009 – 5 W 33/09 – MD 2010, 312, 313 f. 126 BGH 5.11.2004 – IXa ZB 18/04 – BGHZ 161, 60, 64 f. = GRUR 2005, 269 f.; BGH 17.8.2011 – I ZB 20/11 – GRUR 2012, 427 Tz. 7 – Aufschiebende Wirkung. 127 BGH 17.8.2011 – I ZB 20/11 – GRUR 2012, 427 Tz. 8 ff. – Aufschiebende Wirkung. 128 Vgl. nur OLG Düsseldorf 27.12.1999 – 20 W 69/99 – WRP 2002, 464, 466; OLG Frankfurt 19.1.2004 – 6 W 159/ 03 – MD 2004, 391, 392. 429

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B. Einzelheiten I. Regelmäßige Verjährung (Absätze 1, 2) 1. Beginn 45 Die regelmäßige Verjährung der wettbewerbsrechtlichen Ansprüche ist in den Absätzen 1 und 2 geregelt (zum Unterschied zwischen regelmäßiger Verjährung und den Verjährungshöchstfristen der Absätze 3 und 4 vgl. o. Rn. 8 ff.). Nach Absatz 2 beginnt die regelmäßige Verjährung eines unter Absatz 1 fallenden Anspruchs mit seiner Entstehung (§ 11 Abs. 2 Nr. 1), zu der als weitere Voraussetzung hinzutreten muss, dass der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 11 Abs. 2 Nr. 2). Das kumulative Erfordernis objektiver und subjektiver Voraussetzungen entspricht dem bereits nach § 21 Abs. 1 a. F. (und auch nach § 852 Abs. 1 BGB a. F.) geltenden Prinzip. Die Voraussetzungen selbst sind allerdings an § 199 Abs. 1 BGB angeglichen worden (vgl. o. Rn. 4) und weichen daher, was bei der Heranziehung älterer Rechtsprechung und Literatur zu berücksichtigen ist, im Einzelnen von denen des § 21 a. F. ab.

a) Objektive Voraussetzung (§ 11 Abs. 2 Nr. 1) 46 aa) Entstehung des Anspruchs. Objektiver Anknüpfungspunkt für den Verjährungsbeginn in § 21 Abs. 1 a. F. war die (wettbewerbswidrige) „Handlung“.129 Nach Absatz 2 Nr. 1 kommt es dagegen darauf an, dass der (aus der nach den §§ 3, 7 unzulässigen geschäftlichen Handlung resultierende) Anspruch „entstanden“ ist. Mit der Neuregelung im UWG 2004 ist die allgemeine verjährungsrechtliche Regelung des § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB, deren Vorgänger wiederum § 198 S. 1 BGB a. F. ist, in das Lauterkeitsrecht übertragen worden. Auch wenn der Begriff der „Entstehung“ des Anspruchs damit eine lange verjährungsrechtliche Tradition hat, ist er doch eher irreführend. Im allgemeinen Sinne ist ein Anspruch entstanden, wenn der vom Gesetz zu seiner Entstehung verlangte Tatbestand vollständig verwirklicht ist, auch wenn der Gläubiger die Leistung in diesem Zeitpunkt noch nicht verlangen kann.130 Indessen kann ein Anspruch nicht verjähren, bevor der Gläubiger überhaupt Recht und Möglichkeit hat, dessen Befriedigung zu verlangen.131 Im verjährungsrechtlichen Sinne ist der Anspruch daher erst in dem Zeitpunkt entstanden, in welchem der Anspruch erstmalig geltend gemacht und notfalls im Wege der (auch: Feststellungs-)Klage132 (vgl. hierzu Rn. 47) durchgesetzt werden kann.133 Dies setzt neben der Entstehung des Anspruchs im allgemeinen Sinne regelmäßig seine Fälligkeit voraus.134 Wie insbesondere die zu Schadensersatzansprüchen entwickelten und anerkannten Grundsätze zeigen, auf die noch einzugehen sein wird (s. Rn. 48), kann sich die verjährungsrechtliche Entstehung eines Anspruchs aber auch auf noch nicht fällige Anspruchsteile135

129 Vgl. hierzu GK-Erstauflage/Messer § 21 Rn. 18 ff. Die Regelung entsprach insoweit § 852 Abs. 1 BGB a. F., der den Verjährungsbeginn des deliktischen Schadensersatzanspruchs objektiv an die unerlaubte Handlung anknüpfte. 130 Vgl. nur BGH 23.1.2001 – X ZR 247/98 – NJW 2001, 1724 m. w. N. 131 Vgl. BGH 16.6.1972 – I ZR 154/70 – BGHZ 59, 72, 74 = GRUR 1972, 721 – Kaffeewerbung. 132 Die Möglichkeit einer Klage auf künftige Leistung (§§ 257 ff. ZPO) genügt nicht, Soergel/Niedenführ § 199 n. F. Rn. 12. 133 Vgl. nur BGH 4.6.2002 – XI ZR 361/01 – BGHZ 151, 47, 51 = NJW 2002, 2707, 2708 m. w. N. 134 Vgl. nur BGH 23.1.2001 – X ZR 247/98 – NJW 2001, 1724, 1725 m. w. N. 135 Dagegen kann ein selbständiger Anspruch vor Eintritt seiner Fälligkeit nicht verjähren, irreführend daher Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 23. Toussaint

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B. Einzelheiten

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erstrecken.136 Begrifflich können verjährungsrechtliche Entstehung und Fälligkeit daher nicht gleichgesetzt werden.137

bb) Schadensersatzanspruch. Der Beginn der Verjährung eines Schadensersatzanspruchs 47 nach § 9 UWG erfordert in objektiver Hinsicht neben der nach §§ 3, 7 unzulässigen geschäftlichen Handlung auch die Entstehung eines Schadens. Nach den allgemeinen verjährungsrechtlichen Grundsätzen ist hierfür ausreichend, dass der Schaden als Verschlechterung der Vermögenslage wenigstens dem Grunde nach erwachsen ist, auch wenn er der Höhe nach noch nicht beziffert werden kann oder noch nicht feststeht, ob er bestehen bleibt und damit endgültig wird.138 In diesen Fällen kann der Gläubiger Feststellungsklage erheben und muss dies ggf. auch zur Verjährungssicherung seines Schadensersatzanspruchs tun. Solange dagegen noch offen ist, ob die Verletzungshandlung zu einem Schaden führt, mithin lediglich eine Vermögensgefährdung ohne Auswirkung auf die Bewertung des Gesamtvermögens eingetreten ist, ist der Schadensersatzanspruch im verjährungsrechtlichen Sinne noch nicht entstanden.139 Die Rechtsprechung fasst die durch eine in sich abgeschlossene Verletzungshandlung 48 ausgelösten Schadensfolgen verjährungsrechtlich als einheitliches Ganzes auf. Ist der Schadensersatzanspruch auch nur wegen irgendeines Teilschadens verjährungsrechtlich entstanden, wird nach diesem Verständnis eine einheitliche Verjährung für den Anspruch in Gang gesetzt, die sämtliche Schadensfolgen erfasst, auch wenn diese erst nachträglich eintreten.140 Ausgenommen sind nur solche künftigen Schadensfolgen, deren Eintritt nicht voraussehbar war.141 Dieser sog. Grundsatz der Schadenseinheit hat in der Literatur – von vereinzelten Stimmen142 abgesehen – breite Zustimmung gefunden143 und ist mit der heutigen Formulierung des § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB auch vom Gesetzgeber gebilligt worden.144 Ist ein Schadensersatzanspruch nur teilweise bezifferbar bzw. sind weitere Schadensfolgen voraussehbar, kann es daher ggf. erforderlich sein, wegen des weiteren, noch nicht zu beziffernden Schadens bzw. wegen des künftigen Schadens verjährungssichernde Maßnahmen – insbesondere die Erhebung einer entsprechenden Feststellungsklage – vorzunehmen. Mehrere selbständige (d. h. nicht als bloße unselbständige Vertiefung oder Wiederholung 49 einer ersten Verletzungshandlung anzusehende) Verletzungshandlungen begründen jeweils einen eigenständigen Schadensersatzanspruch, für den die Verjährung mit den jeweils durch

136 Vgl. Rechtsausschuss zu § 199 BGB-E, BTDrucks. 14/7052 S. 180. 137 Dementsprechend sind auch zwei Versuche des Gesetzgebers, den Verjährungsbeginn begrifflich an die Fälligkeit zu knüpfen, gescheitert. Zu § 158 Abs. 1 BGB E I vgl. bereits Rn. 37. Auch § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB in der Fassung des RegE verlangte, dass „der Anspruch fällig ist“. Im Hinblick auf die Rechtsprechung zur Schadenseinheit (Rn. 48), der die Grundlage nicht entzogen werden sollte, hat sich der Rechtsausschuss für die Beibehaltung des Begriffs der „Entstehung“ ausgesprochen, BTDrucks. 14/7052 S. 180. 138 St. Rspr., vgl. nur BGH 17.2.1971 – VIII ZR 4/70 – BGHZ 55, 340, 341 = NJW 1971, 979; BGH 11.10.2001 – III ZR 288/00 – NJW 2002, 888, 890, jeweils m. w. N. Zum Lauterkeitsrecht vgl. Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 24. 139 BGH 28.10.1993 – IX ZR 21/93 – BGHZ 124, 27, 30 = NJW 1994, 323, 325; BGH 8.7.2010 – III ZR 249/09 – BGHZ 186, 152 = NJW 2010, 3292 Tz. 24, jeweils m. w. N. 140 St. Rspr., vgl. nur BGH 1.12.2005 – IX ZR 115/01 – NJW-RR 2006, 694, 696; BGH 23.3.2011 – IX ZR 212/08 – NJW 2011, 2443 Tz. 10, jeweils m. w. N.; speziell zum Lauterkeitsrecht vgl. BGH 9.3.1989 – I ZR 189/86 – GRUR 1990, 221, 223 (in BGHZ 107, 117 insoweit nicht abgedr.) – Forschungskosten; BGH 27.4.1995 – I ZR 11/93 – GRUR 1995, 608, 609 – Beschädigte Verpackung II. 141 Vgl. hierzu BGH 16.11.1999 – VI ZR 37/99 – NJW 2000, 861, 862 m. w. N. 142 Staudinger/Peters/Jacoby § 199 Rn. 47 ff.; Peters JZ 1983, 121. 143 Etwa MünchKommBGB/Grothe § 199 Rn. 9; Soergel/Niedenführ § 199 n. F. Rn. 20, und zum Lauterkeitsrecht Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 24; Harte/Henning/Schulz § 11 Rn. 81; Teplitzky/Schaub Kap. 32 Rn. 4. 144 Vgl. Fn. 136. 431

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die anspruchsbegründende Handlung verursachten Schäden gesondert beginnt.145 Dies gilt auch, soweit mehrere Verletzungshandlungen jeweils für sich zu einem Gesamtschaden beigetragen haben.146 Strafrechtliche Begriffe wie die natürliche Handlungseinheit und die fortgesetzte Handlung spielen für die zivilrechtliche Beurteilung von Schadensersatzansprüchen keine Rolle.147 Auf Dauerhandlungen, die fortlaufend weiteren Schaden verursachen, sind – eine befriedigende Abgrenzung insbesondere zu wiederholten Handlungen lässt sich kaum finden und eine unterschiedliche Behandlung schwerlich rechtfertigen148 – diese Grundsätze zu übertragen. Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen aus solchen Dauerhandlungen beginnt daher – anders als bei Unterlassungsansprüchen (s. dazu Rn. 51) – nicht einheitlich erst mit ihrer Beendigung,149 sondern fortlaufend nach Zeitabschnitten.150

cc) Unterlassungsansprüche 50 (1) Gesetzliche (Abwehr-)Unterlassungsansprüche. Für den Verjährungsbeginn der gesetzlichen Unterlassungsansprüche des § 8 gilt – unabhängig davon, ob es sich um einen Verletzungsunterlassungsanspruch oder um einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch handelt – im Ausgangspunkt nichts anderes. Diese Ansprüche werden durch den Eintritt einer (regelmäßig aufgrund der Erstbegehung vermuteten) Wiederholungs- oder einer (konkret begründeten) Erstbegehungsgefahr – als auf gegenwärtige Leistung gerichtet (vgl. o. Rn. 18 ff.) – begründet und können dann mit Gefahreintritt geltend gemacht werden (vgl. § 8 Abs. 1 S. 1 Fall 2: „kann … bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden“; § 8 Abs. 1 S. 2: „Der Anspruch … besteht bereits dann, wenn eine derartige Zuwiderhandlung … droht.“). Damit sind sie auch im verjährungsrechtlichen Sinne entstanden.151 Auf eine „Zuwiderhandlung“ i. S. d. § 199 Abs. 5 BGB kommt es insoweit nicht an, sie liegt auch nicht vor.152 Dies gilt nicht nur für den vorbeugenden Unterlassungsanspruch. Auch die eine Wiederholungsgefahr auslösende Erstbegehung ist keine „Zuwiderhandlung“ in diesem Sinne, weil damit eine Verletzung des bestehenden (bis dahin ordnungsgemäß erfüllten) Unterlassungsanspruchs gemeint ist, die Erstbegehung den Verletzungsunterlassungsanspruch aber erst begründet.153 Dementsprechend

145 BGH 14.2.1978 – X ZR 19/76 – BGHZ 71, 86, 94 = GRUR 1978, 492, 495 – Fahrradgepäckträger II; BGH 26.1.1984 – I ZR 195/81 – GRUR 1984, 820, 822 – Intermarkt II; BGH 27.4.1995 – I ZR 11/93 – GRUR 1995, 608, 609 – Beschädigte Verpackung II; BGH 14.1.1999 – I ZR 203/96 – GRUR 1999, 751, 754 – Güllepumpen; Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 26. 146 BGH 24.3.2011 – III ZR 81/10 – NJW-RR 2011, 842 Tz. 11; BGH 22.9.2011 – III ZR 186/10 – NJW-RR 2012, 111 Tz. 9, jeweils m. w. N. 147 Vgl. BGH 14.2.1978 – X ZR 19/76 – BGHZ 71, 86, 94 = GRUR 1978, 492, 495 – Fahrradgepäckträger II; BGH 20.2.2003 – III ZR 224/01 – NJW 2003, 1308, 1313 (in BGHZ 154, 54 nicht abgedr.); Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 28; MünchKommUWG/Fritzsche § 11 Rn. 94. 148 Vgl. Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 30; MünchKommUWG/Fritzsche § 11 Rn. 114. 149 So aber GK-Erstauflage/Messer § 21 Rn. 24; ders. FS Helm S. 111, 120; Neu GRUR 1985, 335, 339. 150 BGH 23.1.1981 – I ZR 48/79 – GRUR 1981, 517, 520 – Rollhocker; Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 30; Harte/ Henning/Schulz § 11 Rn. 82; juris-PK/Ernst § 11 Rn. 18; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.21; MünchKommUWG/ Fritzsche § 11 Rn. 114; Ohly/Sosnitza § 11 Rn. 23; Ahrens/Bornkamm Kap. 34 Rn. 19; Teplitzky/Schaub Kap. 32 Rn. 5. Vgl. auch – zu § 102 UrhG – BGH 15.1.2015 – I ZR 148/13 – GRUR 2015, 780 Tz. 23 m. w. N. – Motorradteile. 151 Vgl. BGH 14.5.2009 – I ZR 82/07 – GRUR 2009, 1186 Tz. 13 – Mecklenburger Obstbrände; BGH 14.1.2016 – I ZR 65/14 – GRUR 2016, 946 Tz. 55 – Freunde finden. 152 Vgl. zu § 11 unter Hinweis auf die fehlende Übernahme einer dem § 199 Abs. 5 BGB entsprechende Regelung (hierzu Fn. 155) auch Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 12; Harte/Henning/Schulz § 11 Rn. 14. Dies gilt aber gleichermaßen für die (Abwehr-) Unterlassungsansprüche nach §§ 12 S. 2, 541, 590a, 862 Abs. 1 S. 2, 1004 Abs. 1 S. 2, 1053, 1134 Abs. 1 BGB. A. A. (§ 198 S. 2 BGB a. F./§ 199 Abs. 5 BGB ist auch auf Abwehr-Unterlassungsansprüche anwendbar) etwa Fritzsche S. 481 f.; ders. FS Rolland S. 115, 120 ff. 153 Vgl. bereits GK-Erstauflage/Messer § 21 Rn. 18. Toussaint

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ist im Gesetzgebungsverfahren auch davon Abstand genommen worden, § 11 um einen dem § 199 Abs. 5 BGB entsprechenden Absatz zu ergänzen.154 Einigkeit besteht darüber, dass wiederholte Verletzungshandlungen – auch bei völliger 51 Gleichartigkeit – jeweils einen neuen Unterlassungsanspruch begründen, der eigenständig verjährt.155 Dauerhandlungen können im Ergebnis nicht anders beurteilt werden, denn es kann für die Anspruchsverjährung keinen Unterschied machen, ob – um ein Beispiel aus der Literatur156 aufzugreifen – der Verletzer das wettbewerbswidrige Plakat einmal im Schaufenster für mehrere Monate sichtbar aufstellt, ob er das dort einmal aufgestellte Plakat jeden Morgen bei Geschäftsbeginn durch Öffnung der Rollläden sichtbar macht oder ob er es jeden Morgen erneut in sein Schaufenster stellt. Die Verjährung eines Unterlassungsanspruchs wegen einer solchen Dauerhandlung kann daher nicht vor dem Ende der Dauerhandlung beginnen. Auch hierüber dürfte im Ergebnis stets Einigkeit bestanden haben.157 Begründen lässt sich dies heute aber nicht mehr – wie unter der Geltung des § 21 a. F. – damit, dass erst mit der Beendigung die die Verjährung in Gang setzende „Handlung“ vollendet sei.158 Vielmehr ist jetzt davon auszugehen, dass mit der andauernden Verletzung der Unterlassungsanspruch laufend neu entsteht und dementsprechend neu verjähren kann.159 Dass er – anders als Schadensersatzansprüche (vgl. Rn. 49) – nicht ratierlich verjährt, liegt nicht in einer verjährungsrechtlichen Andersbehandlung von Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen,160 sondern alleine daran, dass der Unterlassungsanspruch seinem Inhalt stets nur auf die „ganze“ Unterlassung gerichtet sein kann. Von der Dauerhandlung abzugrenzen ist die (abgeschlossene) Einzelhandlung mit Dauerwirkung, bei der ein einheitlicher Unterlassungsanspruch bereits mit dem Ende der Einzelhandlung im verjährungsrechtlichen Sinne beginnt.161 Die Abgrenzung ist danach vorzunehmen, ob die andauernde Störung noch vom Verletzer (durch aktives Tun) beeinflusst wird oder (durch ein Unterlassen) beeinflusst werden kann.162 So sind z. B. wettbewerbsverletzende Firmenbezeichnungen,163 Ladenwerbungen oder Internetauftritte164 Dauerhandlungen, während etwa die Zusendung eines wettbewerbsverletzenden Rundschreibens,165 die unberechtigte Verwertung ei-

154 Vgl. die Antwort der Bundesregierung auf einen entsprechenden Vorschlag des Bundesrats, BTDrucks. 15/1487 S. 44. 155 BGH 11.3.2004 – I ZR 81/01 – GRUR 2004, 517, 519 – E-Mail-Werbung; BGH 14.1.2016 – I ZR 65/14 – GRUR 2016, 946 Tz. 55 – Freunde finden; OLG München 2.12.2004 – 29 U 3475/04 – MD 2005, 241, 246; OLG Köln 1.6.2007 – 6 U 232/06 – MD 2008, 526, 528; OLG Stuttgart 29.11.2012 – 2 U 64/12 – WRP 2013, 525, 531 f.; OLG Schleswig 19.3.2014 – 6 U 31/13 – WRP 2014, 746, 748; Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 26; MünchKommUWG/Fritzsche § 11 Rn. 109. 156 Neu GRUR 1985, 335, 337. 157 BGH 27.2.2003 – I ZR 25/01 – GRUR 2003, 448, 450 – Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft; OLG Köln 1.6.2007 – 6 U 232/06 – MD 2008, 526, 527; OLG Hamm 2.7.2009 – I-4 U 43/09 – GRUR-RR 2010, 216, 217; OLG Hamm 31.1.2012 – I-4 U 100/11 – GRUR-RR 2012, 285, 287; OLG Stuttgart 29.11.2012 – 2 U 64/12 – WRP 2013, 525, 526; OLG Hamburg 26.11.2020 ‒ 15 U 83/20 ‒ GRUR-RR 2021, 126 Tz. 50; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.21. 158 Vgl. etwa GK-Erstauflage/Messer § 21 Rn. 24. Im Ergebnis heute noch ähnlich Gloy/Loschelder/Danckwerts/ Schwippert § 83 Rn. 13. 159 Harte/Henning/Schulz § 11 Rn. 75; juris-PK/Ernst § 11 Rn. 18; MünchKommUWG/Fritzsche § 11 Rn. 103; Büscher/ Hohlweck § 11 Rn. 33; Ahrens/Bornkamm Kap. 34 Rn. 9; Schulz WRP 2005, 274, 278. 160 So aber GK-Erstauflage/Messer § 21 Rn. 24. 161 OLG Köln 1.6.2007 – 6 U 232/06 – MD 2008, 526, 527. 162 Vgl. OLG Köln 1.6.2007 – 6 U 232/06 – MD 2008, 526, 528; Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 26; juris-PK/Ernst § 11 Rn. 19; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Schwippert § 83 Rn. 15. Nach GK-Erstauflage/Messer § 21 Rn. 26 soll es darauf ankommen, ob die andauernden Wirkungen noch vom Verletzerwille gesteuert werden oder nicht. 163 Vgl. etwa BGH 26.1.1984 – I ZR 195/81 – GRUR 1984, 820, 822 – Intermarkt II; BGH 27.2.2003 – I ZR 25/01 – GRUR 2003, 448, 450 – Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft. 164 Vgl. etwa OLG Hamburg 24.2.2005 – 5 U 72/04 – MD 2005, 1197, 1204 – TFT-Display; OLG Hamm 25.9.2008 – I-4 U 91/08 – GRUR-RR 2009, 186, 189. 165 Vgl. etwa BGH 28.9.1973 – I ZR 136/71 – GRUR 1974, 99, 100 – Brünova. 433

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nes Forschungsergebnisses in einem Genehmigungsantrag166 oder eine wettbewerbswidrige Zeitungsannonce167 Einzelhandlungen mit Dauerwirkung sind.

52 (2) Vertragliche und titulierte Unterlassungsansprüche. Anders zu beurteilen sind („echte“) Unterlassungsansprüche, die unabhängig von einer Wiederholungs- oder Erstbegehungsgefahr unmittelbar durch Vertrag (insbesondere aufgrund einer Unterwerfungserklärung) oder Titulierung168 (aber auch durch Gesetz, vgl. z. B. § 60 Abs. 1 HGB)169 begründet werden (vgl. zu diesen Rn. 35 ff.). Diese Ansprüche können erst geltend gemacht werden, wenn (und soweit) sie nicht (mehr) erfüllt werden. Bei ihnen kann für den Verjährungsbeginn daher nicht an die Entstehung des Anspruchs (gemäß Gesetz, durch Vertrag oder aufgrund Vollstreckbarkeit des Urteils), sondern gem. § 199 Abs. 5 BGB (der gem. § 201 S. 2 BGB entsprechend auch für die Titelverjährung gilt)170 erst an eine Zuwiderhandlung gegen die – vereinbarte oder titulierte – Unterlassungspflicht angeknüpft werden.171

53 dd) Beseitigungs- und Erstattungsansprüche. Für den Beseitigungsanspruch gilt das zu den Schadensersatz- und Unterlassungsansprüchen des UWG Gesagte im Grundsatz entsprechend. Er entsteht im verjährungsrechtlichen Sinne, wenn die fortdauernde Beeinträchtigung vorauszusehen war und zum Gegenstand einer Beseitigungsklage gemacht werden konnte.172 Die Verjährung des Anspruchs erfasst daher – entsprechend dem Grundsatz der Schadenseinheit (vgl. zu diesem Rn. 48) – auch alle von dieser Störung ausgehenden, vorhersehbaren künftigen Beeinträchtigungen, was insbesondere dann von Bedeutung ist, wenn von einer einzelnen Verletzungshandlung Dauerwirkungen ausgehen (z. B. Widerrufsanspruch wegen bestimmter, fortwirkender Äußerungen). Wiederholte Verletzungshandlungen können jeweils neue Beseitigungsansprüche auslösen, die eigenständig verjähren. Bei einer Dauerhandlung kann die Verjährung – wie bei den Unterlassungsansprüchen des UWG (vgl. Rn. 51) – nicht vor deren Ende beginnen.173 54 Der Abmahnkostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 setzt eine Abmahnung i. S. d. § 13 Abs. 1 voraus und entsteht verjährungsrechtlich, wenn eine ordnungsgemäße Abmahnung an den Schuldner in einer Form abgesandt worden ist, die einen Zugang erwarten lässt.174

166 Vgl. etwa BGH 9.3.1989 – I ZR 189/86 – GRUR 1990, 221, 223 (in BGHZ 107, 117 insoweit nicht abgedr.) – Forschungskosten. 167 Die Verletzungshandlung ist mit ihrem Erscheinen abgeschlossen, OLG Köln 1.6.2007 – 6 U 232/06 – MD 2008, 526, 527 f.; Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 26; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.23; Gloy/Loschelder/ Danckwerts/Schwippert § 83 Rn. 15; a. A. (erst nach Ende der üblichen Ende der Lesezeit abgeschlossene Dauerhandlung) GK-Erstauflage/Messer § 21 Rn. 26. 168 Vgl. BGH 16.6.1972 – I ZR 154/70 – BGHZ 59, 72, 75 = GRUR 1972, 721 – Kaffeewerbung (wo offenbleibt, ob eine Zuwiderhandlung geeignet wäre, die Verjährung des titulierten Anspruchs auf fernere Unterlassung beginnen zu lassen). 169 Vgl. RG 1.5.1906 – III 478/05 – RGZ 63, 252. 170 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.18; Ahrens/Bornkamm Kap. 34 Rn. 14; Gloy/Loschelder/ Danckwerts/Schwippert § 83 Rn. 60. 171 Borck WRP 1979, 314, 346 f., und Rn. 32 m. w. N. 172 BGH 3.12.1968 – VI ZR 140/67 – GRUR 1969, 236, 238 f. – Ostflüchtlinge; BGH 28.9.1973 – I ZR 136/71 – GRUR 1974, 99, 100 – Brünova. 173 BGH 28.9.1973 – I ZR 136/71 – GRUR 1974, 99, 100 – Brünova; Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 29. 174 OLG Hamburg 15.4.2010 – 5 U 106/08 – MD 2010, 960, 967 – Tribenuronmethyl; Harte/Henning/Schulz § 11 Rn. 86; a.A. Ungewitter GRUR 2012, 697, 699: Abmahnkostenerstattungsanspruch ist Hilfsanspruch, dessen Verjährung zugleich mit der des auf Unterlassung gerichteten Hauptanspruchs beginnt. Toussaint

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B. Einzelheiten

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b) Subjektive Voraussetzung (§ 11 Abs. 2 Nr. 2) aa) Allgemeines. Nach Absatz 2 Nr. 2 muss für den Verjährungsbeginn zur Anspruchsentste- 55 hung die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Gläubigers von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners hinzukommen. Die Anknüpfung an die Kenntnis des Gläubigers ist nicht neu, denn bereits § 21 Abs. 1 a. F. ließ (ebenso wie die Vorgängervorschrift § 11 Abs. 1 UWG 1896) die Verjährung nicht beginnen, bevor der Gläubiger Kenntnis von Handlung und Person des Verpflichteten erlangt hat. § 21 Abs. 1 a. F. ähnelte insoweit § 852 Abs. 1 BGB a. F., so dass bereits in der Vergangenheit nahelag, für die nähere Bestimmung der Anforderungen an die Kenntnis des Gläubigers Literatur und Rechtsprechung zu § 852 Abs. 1 BGB a. F. zu berücksichtigen.175 Die jetzige Regelung in Absatz 2 ist zwar unmittelbar § 199 Abs. 1 BGB nachgebildet (s. Rn. 4). § 199 Abs. 1 BGB ist aber wiederum – soweit es um die Anknüpfung an die positive Kenntnis geht – dem Modell des früheren § 852 Abs. 1 BGB a. F. gefolgt.176 Es kann daher nicht nur für die Auslegung des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB,177 sondern auch für die des § 11 Abs. 2 Nr. 2178 (weiterhin) auf die Rechtsprechung zu § 852 Abs. 1 BGB a. F. (und natürlich die zu § 21 Abs. 1 a. F.) zurückgegriffen werden. Neu – in Absatz 2 Nr. 2 ebenso wie in dem insoweit nachgebildeten § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB – 56 hingegen ist, dass auch die grob fahrlässige Unkenntnis des Gläubigers genügt. Hieraus ergibt sich – zumal unter Berücksichtigung der Kürze der Verjährungsfrist – eine Erleichterung der Verjährung zu Lasten des Gläubigers. Allerdings hat auch die Rechtsprechung zu § 852 Abs. 1 BGB a. F. in Fällen, in denen es der Geschädigte versäumt hat, eine gleichsam auf der Hand liegende Kenntnismöglichkeit wahrzunehmen, und letztlich das Sichberufen auf die Unkenntnis als Förmelei erscheint, weil jeder andere in der Lage des Geschädigten unter denselben konkreten Umständen die Kenntnis gehabt hätte, dem Rechtsgedanken des § 162 BGB folgend die Verjährung bereits dann beginnen lassen, wenn es dem Geschädigten möglich war, sich die erforderlichen Kenntnisse in zumutbarer Weise ohne nennenswerte Mühe und ohne besondere Kosten zu beschaffen.179 An diese Rechtsprechung sowie an den Grundsatz der Schadenseinheit (s. hierzu Rn. 48), der die bloße Voraussehbarkeit von Schadensfolgen genügen lässt,180 hat der Gesetzgeber des SchuldRModG angeknüpft und gemeint, die Gleichstellung von positiver Kenntnis und grob fahrlässiger Unkenntnis sei vom früheren Maßstab des § 852 Abs. 1 BGB „nicht weit entfernt“.181 Gleichwohl sind aber die Voraussetzungen einer grob fahrlässigen Unkenntnis i. S. d. Absatzes 2 Nr. 2 und des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB jedenfalls im Ausgangspunkt (vgl. aber Rn. 66) eigenständig zu bestimmen.182 bb) Subjektiver Bezugspunkt. Die Voraussetzungen des Absatzes 2 Nr. 2 müssen in der Per- 57 son des Gläubigers des Anspruchs eintreten. Die (auch insoweit an § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB angeglichene) Gesetzesformulierung weicht hier von dem auf die Kenntnis des „Anspruchsberechtigten“ abstellenden § 21 Abs. 1 a. F. ab, eine inhaltliche Änderung ist damit aber nicht verbunden. Gläubiger in diesem Sinne ist nicht nur der Inhaber des Anspruchs, sondern auch derjenige,

175 176 177 178 179 180

Vgl. GK-Erstauflage/Messer § 21 Rn. 31. Vgl. Begr. SchuldRModG-E, BTDrucks. 14/6040 S. 102, 108. BGH 3.6.2008 – XI ZR 319/06 – NJW 2008, 2576 Tz. 27 m. w. N. BGH 14.5.2009 – I ZR 82/07 – GRUR 2009, 1186 Tz. 22 – Mecklenburger Obstbrände. Vgl. nur BGH 15.3.2011 – II ZR 204/09 – NJW 2011, 2427 Tz. 26 m. w. N. Kritisch hierzu GK-Erstauflage/Messer § 21 Rn. 34. Dogmatisch gehört der Grundsatz zur Schadenseinheit nicht zu den subjektiven Voraussetzungen der Verjährung, sondern zur Anspruchsentstehung als ihrer objektiven Voraussetzung und findet auch in Fällen des kenntnisunabhängigen Verjährungsbeginns (hier: Absätze 3, 4) Anwendung, MünchKommBGB/Grothe § 199 Rn. 9. 181 Begr. zu § 199 BGB-E, BTDrucks. 14/6040 S. 108. 182 MünchKommBGB/Grothe § 199 Rn. 31. 435

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§ 11

Verjährung

der unter Ausschluss einer konkurrierenden Befugnis des Inhabers allein über den Anspruch verfügungsbefugt ist, wie insbesondere der Insolvenzverwalter.183 Es kommt auf die Kenntniserlangung bzw. grobe Fahrlässigkeit i. S. d. Absatzes 2 Nr. 2 als Gläubiger an: Wird eine Forderung übertragen, wirkt eine zuvor aufgrund des Vorliegens der subjektiven Voraussetzungen in der Person des Zedenten bereits angelaufene Verjährung auch gegen den Zessionar; eine Kenntniserlangung durch den Zedenten nach der Übertragung ist dagegen folgenlos, dann kommt es allein auf die Person des Zessionars an.184 Entsprechendes gilt für den Übergang der Verfügungsbefugnis durch Eröffnung eines Insolvenzverfahrens.185 Haben wegen eines Wettbewerbsverstoßes mehrere Gläubiger – z. B. mehrere Mitbewerber – Ansprüche gegen den Schuldner, kommt es für jeden Anspruch auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des jeweiligen Gläubigers an, so dass die Verjährung jeweils unabhängig voneinander beginnt. Dies gilt auch im Verhältnis zwischen Mitbewerbern einerseits und nach § 8 Abs. 3 Nr. 2–4 klagebefugten Verbänden, Einrichtungen und Kammern andererseits. Da letztere eigene, von Ansprüchen etwaiger Informationsgeber unabhängige Ansprüche geltend machen, müssen sie sich eine vorherige Kenntnis eines Informationsgebers nicht zurechnen lassen.186 Die subjektiven Voraussetzungen für den Verjährungsbeginn müssen im Grundsatz in der 58 Person des Gläubigers selbst vorliegen.187 Ist der Gläubiger geschäftsunfähig oder nur beschränkt geschäftsfähig, kommt es auf Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis seines gesetzlichen Vertreters an.188 Handelt es sich um eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder um eine Personenhandelsgesellschaft, sind Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der vertretungsberechtigten Gesellschafter maßgeblich. Bei einer juristischen Person (auch einer des öffentlichen Rechts wie etwa die in § 8 Abs. 3 Nr. 4 genannten Kammern) als Gläubigerin entscheiden Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Vertretungsorgans.189 Dies gilt auch für die Verbände, Einrichtungen und Kammern i. S. d. § 8 Abs. 3 Nr. 2–4, so dass etwaige Kenntnisse ihrer Mitglieder unschädlich sind.190 Ist vom Gesetz oder aufgrund Gesellschaftsvertrags bzw. Satzung Gesamtvertretung angeordnet, genügt – in entsprechender Heranziehung des für die Passivvertretung geltenden allgemeinen Grundsatzes191 – das Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen des Verjährungsbeginns in der Person nur eines192 Vertreters bzw. Organmitglieds. Der Vertreter bzw. das Organmitglied, das selbst der Schuldner ist, kann indessen dem Gläubiger die für den Verjährungsbeginn erforderliche Kenntnis nicht vermitteln.193

183 Vgl. Staudinger/Peters/Jacoby § 199 Rn. 55. 184 Vgl. hierzu nur Bamberger/Roth/Hau/Poseck/Spindler § 199 Rn. 49; BGH 30.4.2014 – IV ZR 30/13 – ZEV 2014, 304, 305 Tz. 13 mit umfangreichen Nachweisen zur Rspr.

185 Offen gelassen von BGH 29.9.2008 – II ZR 234/07 – NJW 2009, 68 Tz. 21. 186 OLG Bamberg 27.9.2006 – 3 U 363/05 – GRUR 2007, 167 Gewerbe-E-Mail. Zu § 21 a. F. ebenso KG 7.1.1992 – 5 U 7 575/89 – WRP 1992, 564, 566. 187 Vgl. BGH 14.1.2016 – I ZR 65/14 – GRUR 2016, 946 Tz. 60 – Freunde finden. 188 Vgl. (jeweils zu § 852 Abs. 1 BGB a. F.) BGH 23.9.2004 – IX ZR 421/00 – NJW-RR 2005, 69 Tz. 10; BGH 10.10.2006 – VI ZR 74/05 – NJW 2007, 217 Tz. 21, jeweils m. w. N. 189 Vgl. etwa BGH 15.3.2011 – II ZR 301/09 – NJW-RR 2011, 832 Tz. 10 (zu § 199 BGB). 190 OLG Karlsruhe 9.1.2006 – 4 U 174/05 – GRUR-RR 2007, 51, 53. 191 Vgl. §§ 26 Abs. 2 S. 2, 1629 Abs. 1 S. 2 BGB, § 125 Abs. 2 S. 3 HGB, § 35 Abs. 2 S. 2 GmbHG, § 78 Abs. 2 S. 2 AktG, § 25 Abs. 1 S. 3 GenG, § 170 Abs. 3 ZPO und hierzu BGH 17.9.2001 – II ZR 378/99 – BGHZ 149, 28, 31. 192 BGH 8.12.1989 – V ZR 246/87 – BGHZ 109, 327, 331 = NJW 1990, 975, 976 m. w. N. Enger etwa MünchKommBGB/ Grothe § 199 Rn. 36: es „ist grundsätzlich die subjektive Situation desjenigen Organs maßgebend, dem die Vertretung im Prozess obliegt;“ im Ergebnis ähnlich BGH 20.1.1976 – VI ZR 15/74 – NJW 1976, 2344, 2345, der bei einem Anspruch eines minderjährigen Kindes die Kenntnis allein des – mit der Mutter gesamtvertretungsberechtigten, § 1629 Abs. 1 S. 1 BGB – Vaters (nur) dann (in entsprechender Anwendung der Grundsätze über den sog. Wissensvertreter) als ausreichend angesehen hat, wenn dieser im Wesentlichen allein mit der Wahrnehmung des Anspruchs befasst war und die Mutter ihm die ganze Angelegenheit überlassen hat. 193 Vgl. BGH 15.3.2011 – II ZR 301/09 – NJW-RR 2011, 832 Tz. 10 m. w. N. (zu § 199 BGB). Toussaint

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B. Einzelheiten

§ 11

Besonderheiten gelten bei arbeitsteiliger Organisation des Gläubigers. Hat dieser einen 59 Dritten mit der Tatsachenermittlung gerade zur Durchsetzung desjenigen Anspruchs beauftragt, um dessen Verjährung es konkret geht, kommt es auf die Kenntnis dieses sog. „Wissensvertreters“ an.194 Wissensvertreter in diesem Sinne sind etwa die Mitarbeiter der Stelle, die nach der betrieblichen Organisation für die Aufnahme und Weiterleitung wettbewerbsrechtlich relevanter Informationen zum Zwecke der Verfolgung von Wettbewerbsverstößen zuständig sind oder von denen dies aufgrund ihrer Stellung im Unternehmen typischerweise erwartet werden kann,195 auch aber etwa hiermit beauftragte oder sonst zuständige196 Externe, z. B. Rechtsanwälte. Eine solche „Wissensvertretung“ wirkt in zwei Richtungen: Zum einen muss sich der Gläubiger die Kenntnis seines Wissensvertreters analog § 166 Abs. 1 BGB (der unmittelbar nur Willenserklärungen betrifft) zurechnen lassen, so dass der Gläubiger so behandelt wird, als ob er selbst die Kenntnis seines Wissensvertreters erlangt hätte.197 Zum anderen führt das Vorhandensein eines Wissensvertreters aber auch dazu, dass bei routinemäßigen Vorgängen, die regelmäßig nicht der Befassung der Vertretungsorgane unterliegen und einer solchen auch nicht bedürfen,198 Kenntnisse, die ein Organmitglied privat erlangt, verjährungsrechtlich unschädlich sind.199 Die in diesem Zusammenhang häufig erörterte weitere Frage, ob und inwieweit eine fehlerhafte „Wissensorganisation“ zu einer weitergehenden Wissenszurechnung führen kann, stellt sich richtigerweise nur unter dem Aspekt einer grob fahrlässigen Unkenntnis des Gläubigers selbst.

cc) Objektiver Bezugspunkt. Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis müssen sich zu- 60 nächst auf die den Anspruch begründenden Umstände beziehen. Mit den anspruchsbegründenden Umständen meint das Gesetz den Lebenssachverhalt, der die Grundlage des Anspruchs bildet.200 Hierzu gehören im Ausgangspunkt alle Tatsachen, die erforderlich sind, um die tatbestandlichen Voraussetzungen des Anspruchs auszufüllen. Gegenstand der Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis müssen daher die tatsächlichen Umstände der Verletzungshandlung, die eine Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr begründenden Tatsachen, fälligkeitsbegründende Tatsachen,201 bei einem Schadensersatzanspruch auch der Schaden sowie – soweit tatbestandlich erforderlich – auch innere Tatsachen202 wie insbesondere ein Verschulden des Schuldners sein. Ausgenommen sind aber regelmäßig solche Umstände, die unter die Behauptungsund Beweislast des Schuldners fallen.203 Daher schließt die Unkenntnis von möglichen Einwendungen des Schuldners gegen den Klageanspruch die für den Verjährungsbeginn notwendige Kenntnis nicht aus. Anders ist dies nur, soweit konkrete Anhaltspunkte für solche Einwendungen vorliegen und es daher naheliegt, dass der Beklagte sich darauf berufen wird.204 194 Vgl. BGH 14.1.2016 – I ZR 65/14 – GRUR 2016, 946 Tz. 61 – Freunde finden; allg. (zu § 199 BGB) BGH 26.5.2020 – VI ZR 186/17 – NJW 2020, 2534 Tz. 15 m. w. N. 195 OLG Düsseldorf 13.4.2010 – I-20 U 25/09 – BeckRS 2010, 25156; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.27; Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 40 f.; Teplitzky/Bacher Kap. 16 Rn. 8a. 196 Vgl. zu § 7 EG-Verbraucherschutzdurchführungsgesetz BGH 4.11.2010 – I ZR 139/09 – GRUR 2011, 633 Tz. 39 – BIO TABAK. 197 OLG Naumburg 5.8.2005 – 10 U 5/05 (Hs) – OLGR Naumburg 2006, 316, 317; OLG Düsseldorf 13.4.2010 – I-20 U 25/09 – BeckRS 2010, 25156; zu § 199 BGB außerdem BGH 5.7.2011 – XI ZR 306/10 – WM 2011, 2088 Tz. 33 m. w. N. Zu einem Sonderfall einer – verneinten – Wissenszurechnung entsprechend § 166 Abs. 2 BGB vgl. BGH 4.11.2010 – I ZR 139/09 – GRUR 2011, 633 Tz. 39 – BIO TABAK. 198 Zu dieser Einschränkung Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 41. 199 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.27; vgl. außerdem – zur Wiederlegung der Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 1 – OLG Köln 13.11.1998 – 6 U 115/98 – WRP 1999, 222 f. A. A. MünchKommUWG/Fritzsche § 11 Rn. 143. 200 Erman/J. Schmidt-Räntsch, § 199 Rn. 21. 201 Erman/J. Schmidt-Räntsch, § 199 Rn. 21 m. w. N. 202 Vgl. BGH 10.11.2009 – VI ZR 247/08 – NJW-RR 2010, 681 Tz. 14 m. w. N. (zu § 199 BGB). 203 BGH 14.5.2009 – I ZR 82/07 – GRUR 2009, 1186, 1188 Tz. 22 m. w. N. – Mecklenburger Obstbrände. 204 BGH 14.5.2009 – I ZR 82/07 – GRUR 2009, 1186, 1188 Tz. 22 m. w. N. – Mecklenburger Obstbrände. 437

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§ 11

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Verjährung

Darüber hinaus müssen sich Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis auch auf die Person des Schuldners beziehen. Dabei geht es zum einen darum, wer überhaupt als Schuldner in Betracht kommt. Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis beziehen sich insoweit auf alle Tatsachen, die bei richtiger Verknüpfung und rechtlicher Subsumtion zur Feststellung der Passivlegitimation erforderlich sind.205 Ist neben dem Verletzerunternehmen ein dort Verantwortlicher persönlich in Anspruch zu nehmen, betrifft dies etwa die Funktion der betreffenden Person in dem Unternehmen.206 Zum anderen geht es um die Tatsachen, deren es bedarf, eine bestimmte Person als Schuldner in Anspruch nehmen zu können. Das sind regelmäßig der Name des Schuldners und seine aktuelle ladungsfähige Anschrift (die nicht unbedingt die Wohnanschrift sein muss).207, 208 Kommen mehrere Schuldner in Betracht, ist der kenntnisabhängige Verjährungsbeginn für jeden Schuldner gesondert zu beurteilen. Dies gilt auch dann, wenn – wie dies häufig bei Unterlassungsansprüchen der Fall ist – der Anspruch sich einerseits gegen ein Unternehmen, anderseits gegen Verantwortliche dieses Unternehmens persönlich richtet.209

dd) Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis 62 (1) Kenntnis. Kenntnis i. S. d. Absatzes 2 Nr. 2 Fall 1 ist nur die positive Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände und der Person des Schuldners. Die frühere Rechtsprechung, die im Rahmen des § 852 Abs. 1 BGB a. F. (vgl. Rn. 56), aber ebenso bei Anwendung des § 21 a. F.210 einen Gläubiger, der die Augen vor einer sich aufdrängenden Kenntnis verschließt, unter bestimmten Voraussetzungen so behandelte, als ob er Kenntnis hätte, hat ihre Bedeutung durch Absatz 2 Nr. 2 Fall 2 verloren, nach dem – weitergehend – auch eine grob fahrlässige Unkenntnis ausreicht.211 Die erforderliche Kenntnis liegt vor, wenn dem Gläubiger aufgrund der ihm bekannten Tat63 sachen zur Durchsetzung seines Anspruchs gegen eine bestimmte Person die Klageerhebung zumutbar ist.212 Zumutbar ist die Klageerhebung dann, wenn die für eine schlüssige Klage erforderlichen Tatsachen so vollständig und sicher bekannt sind, dass bei ihrer verständigen Würdigung die Klage zwar nicht risikolos ist, aber hinreichende Erfolgsaussicht hat.213 Hierfür bedarf es weder einer vollständigen Kenntnis aller Einzelheiten, die für die Beurteilung möglicherweise von Bedeutung sind, noch bereits vorliegender hinreichend sicherer Beweismittel.214 Zumutbarkeit liegt auch nicht erst dann vor, wenn eine abschließende Leistungsklage möglich ist, sondern bereits dann, wenn eine – auch künftige oder weitere, bislang unbekannte Folgen umfassende – Feststellungsklage erhoben werden kann. Das ist wegen des Grundsatzes der Schadenseinheit (s. o. Rn. 48) insbesondere für Schadensersatzansprüche von Bedeutung. Hier bedarf es keiner Kenntnis der einzelnen Schadensfolgen, sondern es genügt die allgemeine Kenntnis vom Eintritt eines Schadens; eine Ungewissheit über den Umfang und die Höhe des 205 206 207 208 209 210

Vgl. BGH 15.12.1987 – VI ZR 285/86 – NJW-RR 1988, 411, 412 (zu § 852 BGB a. F.). Vgl. BGH 12.12.2000 – VI ZR 345/99 – NJW 2001, 964, 965 (zu § 852 BGB a. F.). Vgl. Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 35. Vgl. BGH 23.9.2008 – XI ZR 395/07 – NJW 2009, 587 Tz. 12 m. w. N. (zu § 199 BGB). Vgl. BGH 12.12.2000 – VI ZR 345/99 – NJW 2001, 964 (zu § 852 BGB a. F.); Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 35. Vgl. BGH 18.9.1997 – I ZR 71/95 – GRUR 1998, 471, 475 – Modenschau im Salvatorkeller, und zu dieser Rechtsprechung GK-Erstauflage/Messer § 21 Rn. 34. 211 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.25; Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 39; Rohlfing GRUR 2006, 735, 736. 212 Vgl. BGH 27.11.1963 – Ib ZR 49/62 – GRUR 1964, 218, 219 – Düngekalkhandel (zu § 21 a. F.); BGH 10.11.2009 – VI ZR 247/08 – NJW-RR 2010, 681 Tz. 14; BGH 17.12.2020 ‒ VI ZR 739/20 ‒ NJW 2021, 918 Tz. 7 ff. m. w. N. (zu § 199 BGB). 213 BGH 14.5.2009 – I ZR 82/07 – GRUR 2009, 1186, 1188 Tz. 22 – Mecklenburger Obstbrände; BGH 25.4.2012 – I ZR 105/10 – GRUR 2012, 1279 Tz. 53 – DAS GROSSE RÄTSELHEFT; zu § 21 a. F.: BGH 27.11.1963 – Ib ZR 49/62 – GRUR 1964, 218, 219 – Düngekalkhandel; BGH 19.5.1988 – I ZR 170/86 – GRUR 1988, 832, 834 – Benzinwerbung. 214 Vgl. BGH 27.5.2008 – XI ZR 132/07 – NJW-RR 2008, 1495 Tz. 32; BGH 3.6.2008 – XI ZR 319/06 – NJW 2008, 2576 Tz. 27; BGH 8.2.2011 – XI ZR 168/08 – NJW-RR 2011, 1188 Tz. 51; BGH 3.5.2011 – XI ZR 373/08 – NJW-RR 2011, 1350 Tz. 63 (jeweils zu § 199 BGB). Toussaint

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B. Einzelheiten

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(Gesamt-)Schadens schließt folglich den Beginn der Verjährung nicht aus.215 Auf eine zutreffende rechtliche Würdigung der bekannten Tatsachen durch den Gläubiger kommt es für den Verjährungsbeginn regelmäßig nicht an.216 Ist die Rechtslage aber derart unsicher und zweifelhaft, dass selbst ein rechtskundiger Dritter sie nicht zuverlässig einzuschätzen vermag, kann es an der Zumutbarkeit der Klageerhebung fehlen.217 Eine einmal vorhandene Kenntnis kann durch nachträglich auftauchende Zweifel wieder 64 entfallen.218 Das ist dann anzunehmen, wenn der Gläubiger, der bereits ausreichende Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände und der Person des Schuldners hatte, nachträglich Kenntnis von weiteren Umständen erhält, die nunmehr eine Klageerhebung unzumutbar erscheinen lassen. Das kommt etwa in Betracht, wenn die bekanntgewordenen Umstände Einwendungen begründen, die der Schuldner naheliegender Weise erheben wird (vgl. Rn. 60). Denkbar ist aber auch, dass in einem aus Anlass eines Wettbewerbsverstoßes zunächst eingeleiteten Verfügungsverfahren durch eine (unrichtige) eidesstattliche Versicherung eine vorher begründete Kenntnis von der Verletzungshandlung wieder beseitigt wird.219 Entfällt in solchen Fällen die Zumutbarkeit der Klageerhebung wieder, beginnt die Verjährungsfrist erst mit erneuter Zumutbarkeit ein weiteres Mal; der zuvor bereits abgelaufene Teil der Verjährungsfrist ist rechtlich bedeutungslos.

(2) Grob fahrlässige Unkenntnis. Die Verjährung beginnt nicht nur zu dem Zeitpunkt, in 65 dem der Gläubiger die erforderliche Kenntnis tatsächlich erlangt hat, sondern nach Absatz 2 Nr. 2 Fall 2 auch zu dem Zeitpunkt, in dem er diese Kenntnis ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Das ist – allgemein formuliert – dann der Fall, wenn eine Möglichkeit der Kenntnisnahme bzw. -erlangung objektiv besteht, diese aber vom Gläubiger nicht wahrgenommen wird und dieses – regelmäßig in einem Unterlassen bestehende – Verhalten des Gläubigers zu diesem Zeitpunkt als grob fahrlässig zu beurteilen ist. Nun trifft allerdings den Gläubiger keine schuldrechtliche Pflicht gegenüber dem Schuldner, sich die für die Anspruchsdurchsetzung erforderlichen Kenntnisse in bestimmter Zeit zu verschaffen. Vielmehr handelt der Gläubiger insoweit ausschließlich im eigenen Interesse. Absatz 2 Nr. 2 Fall 2 knüpft aber an die Nichteinhaltung der am Maßstab der groben Fahrlässigkeit zu bestimmenden Sorgfalt mit dem kenntnisunabhängigen Verjährungsbeginn eine für den Gläubiger rechtlich nachteilige Folge und begründet so eine Obliegenheit des Gläubigers, bei der Kenntniserlangung die gebotene Sorgfalt aufzuwenden. Die grobe Fahrlässigkeit i. S. d. Absatzes 2 Nr. 2 Fall 2 ist mithin kein Verschulden des Gläubigers im technischen Sinne, sondern ein Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung und damit ein „Verschulden gegen sich selbst“.220 Grobe Fahrlässigkeit setzt eine Verletzung der im Verkehr (objektiv) erforderlichen Sorgfalt 66 (§ 276 Abs. 2 BGB) voraus, die objektiv besonders schwerwiegend (vgl. § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X) und subjektiv nicht entschuldbar ist. Grob fahrlässige Unkenntnis ist daher dann anzunehmen, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt 215 Vgl. BGH 15.3.2011 – VI ZR 162/10 – NJW 2011, 1799 Tz. 8 m. w. N. (zu § 199 BGB); Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.29 ff. 216 Vgl. BGH 10.11.2009 – VI ZR 247/08 – NJW-RR 2010, 681 Tz. 14; BGH 8.2.2011 – XI ZR 168/08 – NJW-RR 2011, 1188 Tz. 51; BGH 3.5.2011 – XI ZR 373/08 – NJW-RR 2011, 1350 Tz. 63; BGH 4.7.2017 – XI ZR 562/15 – BGHZ 215, 172 Tz. 86 = NJW 2017, 2986 (jeweils zu § 199 BGB und m. w. N.). 217 Vgl. BGH 19.3.2008 – III ZR 220/07 – NJW-RR 2008, 1237 Tz. 7; BGH 23.9.2008 – XI ZR 262/07 – NJW-RR 2009, 547 Tz. 15; BGH 20.1.2009 – XI ZR 504/07 – BGHZ 179, 260 = NJW 2009, 2046 Tz. 47; BGH 1.6.2011 – VIII ZR 91/10 – NJW 2011, 2570 Tz. 23 (jeweils zu § 199 BGB und m. w. N.). 218 Vgl. BGH 11.7.1973 – IV ZR 36/72 – BGHZ 61, 195, 198 f. = NJW 1973, 1875 f.; BGH 19.6.1985 – IVa ZR 114/83 – BGHZ 95, 76, 78 ff. = NJW 1985, 2945, 2946 f.; BGH 15.12.1987 – VI ZR 285/86 – NJW-RR 1988, 411, 412. Vgl. außerdem – zu § 102 UrhG – BGH 16.6.2016 – I ZR 222/14 – GRUR 2016, 1291 Tz. 42 m. w. N. – Geburtstagskarawane. 219 Vgl. GK-Erstauflage/Messer § 21 Rn. 35. 220 BGH 8.7.2010 – III ZR 249/09 – BGHZ 186, 152 = NJW 2010, 3292 Tz. 28; BGH 22.7.2010 – III ZR 203/09 – NJWRR 2010, 1623 Tz. 12; BGH 20.7.2017 – III ZR 296/15 – NJW 2017, 3367 Tz. 24 m. w. N. 439

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in ungewöhnlich grobem Maße verletzt und auch ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt hat oder das nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen.221 Nicht abschließend geklärt ist, ob und wie sich dies im Ergebnis von der früheren Rechtsprechung zu § 852 Abs. 1 BGB a. F. und § 21 a. F. unterscheidet, die den Gläubiger, der es versäumt hat, eine gleichsam auf der Hand liegende Kenntnismöglichkeit wahrzunehmen, die jedem anderen in der Lage des Gläubigers unter denselben konkreten Umständen die erforderliche Kenntnis verschafft hätte, so behandelt hat, als habe er die (nach damaliger Rechtslage allein den Verjährungsbeginn auslösende) Kenntnis (vgl. Rn. 56). Dass diese Rechtsprechung im Hinblick auf die damalige klare Rechtslage nicht auf den Maßstab grober Fahrlässigkeit (die, wie der Bundesgerichtshof in diesem Zusammenhang stets betont hat, eben nicht ausreichte),222 sondern auf den Rechtsgedanken des § 162 BGB gestützt wurde, muss nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Jedenfalls wird davon auszugehen sein, dass die jetzige Rechtslage nicht hinter der früheren Rechtslage zurückbleibt, so dass in den Fällen, in denen die frühere Rechtsprechung ein Berufen des Gläubigers auf Unkenntnis als rechtsmissbräuchlich und daher unbeachtlich angesehen hat, nach heutiger Rechtslage grob fahrlässige Unkenntnis anzunehmen wäre. Auch im Übrigen können die Maßstäbe der früheren Rechtsprechung für die Ermittlung der Kriterien einer grob fahrlässigen Unkenntnis jedenfalls fruchtbar gemacht werden.223 Allerdings wird die Schwelle für die Annahme einer grob fahrlässigen Unkenntnis niedriger anzusetzen sein als für eine „kenntnisgleiche Unkenntnis“ nach der früheren Rechtsprechung. 67 Der Fahrlässigkeitsvorwurf kann nur demjenigen gemacht werden, der die drohenden Negativfolgen (objektiv) voraussehen kann.224 Eine solche Voraussehbarkeit der Folgen einer Nichtwahrnehmung von Möglichkeiten der Kenntnisnahme bzw. -erlangung setzt voraus, dass für den Gläubiger überhaupt ein Anlass besteht, bestimmte Umstände zur Kenntnis zu nehmen bzw. zu ermitteln. Für den Gläubiger müssen daher konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs ersichtlich sein.225 Unabhängig hiervon trifft ihn keine allgemeine Nachforschungsobliegenheit, im Interesse des Schuldners an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Ermittlungen zu möglichen Ansprüchen zu betreiben.226 Er ist insbesondere nicht gehalten, ihm unbekannte Wettbewerbsverstöße erst aktiv zu ermitteln; es gibt keine allgemeine Marktbeobachtungspflicht.227 Nur wenn ein – deutlicher – Anlass für die Annahme eines Anspruchs besteht, kann den Gläubiger eine konkrete Nachforschungsobliegenheit treffen, will er dem Vorwurf grober Fahrlässigkeit entgehen. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn ihm zwar die anspruchsbegründenden Umstände – also etwa der Wettbewerbsverstoß – bekannt sind, nicht aber die Person des Schuldners.228 Auch dann ist er aber nicht gehal-

221 Vgl. BGH 23.9.2008 – XI ZR 262/07 – NJW-RR 2009, 547 Tz. 16; BGH 10.11.2009 – VI ZR 247/08 – NJW-RR 2010, 681 Tz. 13; BGH 8.7.2010 – III ZR 249/09 – BGHZ 186, 152 = NJW 2010, 3292 Tz. 28; BGH 22.7.2010 – III ZR 203/09 – NJW-RR 2010, 1623 Tz. 12; BGH 3.5.2011 – XI ZR 373/08 – NJW-RR 2011, 1350 Tz. 63 (jeweils zu § 199 BGB und m. w. N.). 222 Vgl. nur BGH 15.3.2011 – II ZR 204/09 – NJW 2011, 2427 Tz. 26 m. w. N. 223 Bamberger/Roth/Hau/Poseck/Spindler § 199 Rn. 19; Erman/J. Schmidt-Räntsch, § 199 Rn. 20; MünchKommUWG/Fritzsche § 11 Rn. 133. 224 Vgl. etwa BGH 21.5.1996 – VI ZR 161/95 – NJW-RR 1996, 981 m. w. N. 225 BGH 10.11.2009 – VI ZR 247/08 – NJW-RR 2010, 681 Tz. 16 m. w. N. 226 BGH 10.11.2009 – VI ZR 247/08 – NJW-RR 2010, 681 Tz. 15; BGH 8.7.2010 – III ZR 249/09 – BGHZ 186, 152 = NJW 2010, 3292 Tz. 28 m. w. N.; BGH 22.7.2010 – III ZR 203/09 – NJW-RR 2010, 1623 Tz. 12. 227 OLG Köln 26.2.2003 – 6 U 201/02 – GRUR-RR 2003, 187, 188; OLG Brandenburg 12.7.2005 – 6 U 108/04 – GRURRR 2006, 167, 168; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.28; Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 38 m. w. N.; Ohly/ Sosnitza § 11 Rn. 30; MünchKommUWG/Fritzsche § 11 Rn. 136. Zur Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 1 vgl. auch etwa OLG München 23.3.2006 – 29 U 5108/05 – MD 2006, 916, 922; OLG Hamburg 26.8.2010 – 3 U 158/09 – MD 2010, 1204, 1208; OLG Köln 15.7.2011 – I-6 U 34/11 – MD 2011, 810, 811 m. w. N.; OLG Jena 20.7.2011 – 2 U 211/11 – MD 2011, 747, 749 – Massagematten. 228 Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 38. Toussaint

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ten, aufwändige Ermittlungen zu betreiben.229 Vielmehr wird man von ihm – entsprechend den Grundsätzen der früheren Rechtsprechung zu § 852 Abs. 1 BGB a. F., § 21 a. F. – nicht mehr verlangen können, als dass er Nachforschungen anstellt, die sich im Rahmen des Üblichen halten230 und weder nennenswerte Mühe noch besondere Kosten verursachen.231 Fraglich ist, ob Mängel bei der internen „Wissensorganisation“ insbesondere von ar- 68 beitsteilig organisierten Gläubigern den Vorwurf einer grob fahrlässigen Unkenntnis begründen können. Bei einer Wissenszurechnung im Rahmen von Vertragsbeziehungen nimmt die Rechtsprechung an, dass zum Schutz außenstehender Dritter vor einer internen Wissensaufspaltung eine „Pflicht zur ordnungsgemäßen organisierten Kommunikation“ bestehen kann, die bei unterlassener Informationsweiterleitung an die intern zuständige Stelle zu einer umfassenden Wissenszurechnung führt.232 Eine Übertragbarkeit dieser Grundsätze auf die verjährungsrechtliche Kenntniserlangung insbesondere nach § 852 Abs. 1 BGB hat die Rechtsprechung stets verneint.233 Durch die Erweiterung des Verjährungsbeginns auch auf den Fall grob fahrlässiger Unkenntnis lässt sich diese kategorische Verneinung nicht mehr aufrechterhalten.234 Da der Organisationsmangel aber jedenfalls als ungewöhnlich grobe Obliegenheitsverletzung beurteilt werden müsste, dürfte die praktische Bedeutung dieser Frage gering sein.235

2. Dauer und Fristberechnung Die Dauer der regelmäßigen Verjährungsfrist beträgt sechs Monate (Absatz 1). Ihre Berechnung 69 erfolgt nach den §§ 186 ff. BGB und damit nach dem sog. „Grundsatz der Zivilkomputation“, der nur ganze Tage berücksichtigt, die um 0 Uhr beginnen und um 24 Uhr enden. Folglich wird der Tag, an dem die Voraussetzungen des Absatzes 2 für den Verjährungsbeginn (erstmals) vorliegen, gem. § 187 Abs. 1 BGB (vollständig) nicht mitgerechnet, während der letzte Tag der Frist noch vollständig zu berücksichtigen ist (vgl. § 188 BGB). Die Verjährungsfrist beginnt daher erst um 0 Uhr des auf den Verjährungsbeginn folgenden Tages und endet um 24 Uhr des Tages des Fristablaufs. Die Frist wird – soweit eine Hemmung nicht erfolgt (vgl. dazu Rn. 76) – nicht nach Tagen, sondern Monaten gerechnet (und kann daher – gerechnet nach Tagen – durchaus unterschiedlicher Länge sein). Sie beträgt mithin – unabhängig von der Tageszahl der jeweiligen Monate – sechs ganze Monate und endet folglich gem. § 188 Abs. 2 Fall 1 BGB um 24 Uhr des Tages des auf den Tag des Fristbeginns folgenden sechsten Monats, der durch seine Zahl dem Tag des Fristbeginns entspricht (liegen die Voraussetzungen des Absatzes 2 für den Verjährungsbeginn am 5. Januar vor, beginnt folglich die Verjährung am 6. Januar um 0 Uhr und endet am 5. Juli um 24 Uhr). § 193 BGB ist auf die Berechnung von Verjährungsfristen (nur) entsprechend (denn es handelt sich nicht um eine Frist, innerhalb derer eine Willenserklärung abzugeben oder eine Leistung zu bewirken ist) anzuwenden,236 so dass dann, wenn das Fristende auf einen Sonnabend, Sonntag oder am Ort der Vornahme einer Hemmungs- oder Unterbrechungshandlung staatlich anerkannten Feiertag fällt, die Verjährungsfrist erst am folgenden Werktag endet. 229 230 231 232 233

Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.28. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.28; Ohly/Sosnitza § 11 Rn. 30. Vgl. BGH 22.7.2010 – III ZR 99/09 – NZG 2011, 68 Tz. 16 m. w. N. Grundlegend BGH 2.2.1996 – V ZR 239/94 – BGHZ 132, 30, 35 ff. = NJW 1996, 1339, 1340 f. BGH 25.6.1996 – VI ZR 117/95 – BGHZ 133, 129, 139 = NJW 1996, 2508, 2510; BGH 28.11.2006 – VI ZR 196/05 – NJW 2007, 834 Tz. 7 m. w. N. 234 Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 43 m. w. N.; zust. MünchKommUWG/Fritzsche § 11 Rn. 144. Weiterhin ablehnend für deliktische Ansprüche aber BGH 20.10.2011 – III ZR 252/10 – NJW 2012, 447. 235 Vgl. Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 39. 236 RG 11.6.1936 – VI 480/35 – RGZ 151, 345, 348; BGH 3.2.1978 – I ZR 116/76 – WM 1978, 461, 464; BGH 6.12.2007 – III ZR 146/07 – NJW-RR 2008, 459 Tz. 13; BGH 22.9.2009 – XI ZR 230/08 – BGHZ 182, 284 = NJW 2010, 222 Tz. 21; MünchKommBGB/Grothe § 193 Rn. 8 m. w. N.; zu § 11 auch OLG Frankfurt 17.11.2005 – 6 U 17/05 – BeckRS 2009, 16703. 441

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II. Verjährungshöchstfristen (Absätze 3, 4) 70 Die – neben die regelmäßige Verjährung tretende (zum Verhältnis zwischen regelmäßiger Verjährung und den Verjährungshöchstfristen vgl. Rn. 8 f.) – (kenntnisunabhängige) Verjährungshöchstfrist der wettbewerbsrechtlichen Ansprüche ist (in Anlehnung an § 199 Abs. 2–4 BGB) nach Anspruchsart differenzierend in den Absätzen 3 und 4 geregelt.

1. Schadensersatzansprüche (Absatz 3) 71 Für Schadensersatzansprüche nach § 9 (zum Anwendungsbereich von Absatz 3 vgl. Rn. 11) enthält Absatz 3 (wie § 199 Abs. 3 S. 1 BGB) zwei unterschiedliche Verjährungshöchstfristen. Die erste Verjährungshöchstfrist beginnt mit der Entstehung des Anspruchs. Dies entspricht insoweit Absatz 2 Nr. 1 (zur Anspruchsentstehung vgl. Rn. 46 ff.), doch ist der Fristbeginn – anders als der der regelmäßigen Verjährung – unabhängig von den subjektiven Voraussetzungen des Absatzes 2 Nr. 2. Ihre Dauer beträgt zehn Jahre. Die Berechnung entspricht der der regelmäßigen Verjährung (vgl. Rn. 69). Sie endet gem. § 188 Abs. 2 Fall 1 BGB um 24 Uhr des Tages des auf den Tag des Fristbeginns folgenden zehnten Jahres, der durch seine Zahl dem Tag des Fristbeginns entspricht (ist der Anspruch am 5. Januar 2019 entstanden, endet die Verjährungshöchstfrist daher am 5. Januar 20239). 72 Daneben tritt eine zweite Verjährungshöchstfrist, die mit der den Schaden auslösenden Handlung beginnt. Der Fristbeginn knüpft damit allein an die Vornahme der geschäftlichen Handlung, auf die der Schadensersatzanspruch gestützt wird. Wann der hierdurch ausgelöste Schaden entsteht, ist unerheblich; es kommt mithin allein auf die Setzung der Schadensursache an.237 Die Dauer der zweiten Verjährungshöchstfrist beträgt 30 Jahre. Das Verhältnis zwischen beiden Verjährungshöchstfristen ist in Absatz 3 nicht ausdrücklich geregelt. Maßgeblich ist aber nach dem Zweck der Fristen entsprechend § 199 Abs. 3 S. 2 BGB hier die früher ablaufende Frist (vgl. Rn. 11).

2. Andere Ansprüche (Absatz 4) 73 Für andere Ansprüche (i. S. d. Absatzes 1, streitig, vgl. Rn. 12, 13 ff.) als Schadensersatzansprüche ist die Verjährungshöchstfrist (einheitlich) in Absatz 4 geregelt. Sie beginnt kenntnisunabhängig mit der Entstehung des Anspruchs i. S. d. Absatzes 2 Nr. 1 und beträgt – wie nach § 21 Abs. 1 a. F. – drei Jahre.

III. Einwirkung auf den Lauf der Verjährung 1. Allgemeines 74 Die Verjährung ist die rechtliche Konsequenz einer Versäumung der Rechtsverfolgung durch den Gläubiger. Sie ist nur gerechtfertigt, soweit dem Gläubiger eine Rechtsverfolgung rechtlich und tatsächlich überhaupt möglich ist, und gegenstandslos, sobald der Gläubiger seine Rechte (rechtzeitig) geltend macht. Dementsprechend sah das BGB in seiner ursprünglichen Fassung – gemeinrechtlichen Vorbildern folgend – vor, dass die Verjährung gehemmt ist, solange eine Anspruchsdurchsetzung aus rechtlichen, tatsächlichen oder familiären Gründen nicht in Betracht kommt, und dass sie durch Anerkenntnis (das ein Versäumnis des Gläubigers bei der Rechtsdurchsetzung bedeutungslos macht) oder durch Maßnahmen der Rechtsverfolgung (die die Verjährungsfrist als Rechtsdurchsetzungsfrist gleichsam „einhalten“) unterbrochen (besser 237 Vgl. Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 48. Toussaint

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eigentlich: „abgebrochen“) wird. Von diesem dogmatischen Konzept hat sich der Gesetzgeber des SchuldRModG gelöst und Maßnahmen der Rechtsverfolgung aus praktischen Erwägungen – der mit der Unterbrechung der Verjährung verbundene Neubeginn einer Verjährung ist in diesen Fällen entweder überflüssig oder aber sachlich nicht gerechtfertigt – nunmehr zu bloßen Hemmungstatbeständen gemacht.238 Damit führen nunmehr sowohl Umstände, die eine Anspruchsdurchsetzung unmöglich 75 oder (wie etwa im Falle schwebender Verhandlungen, § 203 BGB) untunlich machen, als auch die in § 204 Abs. 1 BGB aufgezählten Rechtsverfolgungsmaßnahmen zur Hemmung der Verjährung.239 Einen besonderen wettbewerbsrechtlichen Hemmungstatbestand enthält § 15 Abs. 9. Die Hemmung bewirkt gem. § 209 BGB, dass der Zeitraum, während dessen die Verjährung gehemmt ist, nicht in die Verjährungsfrist eingerechnet wird. Das bedeutet, dass zunächst die Zeit der Hemmung, während der der Lauf der Verjährungsfrist gleichsam angehalten ist, ermittelt werden muss. Diese Zeit ist keine Frist i. S. d. §§ 187 ff. BGB,240 sondern ein „natürlicher Zeitraum“. Die Hemmung beginnt daher sogleich mit dem Eintritt des hemmenden Ereignisses (also nicht, wie nach § 187 Abs. 1 BGB, erst um 0 Uhr des folgenden Tages) und endet unmittelbar mit dem Fortfall der Hemmungswirkung.241 Sodann ist die Verjährungsfrist um diese – nicht in die Verjährungsfrist einzurechnende – Zeit der Hemmung zu verlängern;242 § 191 BGB findet mithin keine Anwendung.243 Da die Verjährungsfrist nach dem Grundsatz der Zivilkomputation in ganzen, um 0 Uhr beginnenden und um 24 Uhr endenden Tagen zu berechnen ist, sind dabei auch die „angebrochenen“ Tage des Hemmungsbeginns und -endes jeweils als volle Tage zu addieren.244 Werden etwa bei einer am 16. Juni ablaufenden Verjährungsfrist nach § 203 BGB die Verjährung hemmende Verhandlungen (hierzu Rn. 78 f.) im Laufe des 21. März aufgenommen und scheitern diese im Laufe des 14. Juni, sind 88 Tage in den Fristlauf nicht einzurechnen und an das ursprüngliche Ende der Verjährungsfrist „anzuhängen“, so dass die Frist nicht vor Ablauf des 88. Tages nach dem 16. Juni (= 10. September) enden könnte, wegen des in § 203 S. 2 BGB angeordneten Ablaufs frühestens drei Monate nach dem Ende der Hemmung tatsächlich aber erst am 14. September endet. Fällt das Fristende auf einen Sonnabend, Sonntag oder am Ort der Vornahme einer Hemmungs- oder Unterbrechungshandlung staatlich anerkannten Feiertag, verschiebt sich der Ablauf der Verjährungsfrist entsprechend § 193 BGB auf den folgenden Werktag (vgl. Rn. 69 mit Nachweisen in Fn. 236). Der – sprachlich eher irreführende – Begriff der Unterbrechung der Verjährung ist mit der 76 Schuldrechtsmodernisierung durch den – die Wirkung deutlicher herausstellenden – Begriff des Neubeginns der Verjährung abgelöst worden. Zu einem solchen, die bis dahin bereits verstrichene Zeit bedeutungslos machenden (vgl. § 217 BGB a. F.) Neubeginn der Verjährung (um 0 Uhr des auf den Tag des Ereignisses folgenden Tages)245 führen jetzt nur noch das Anerkenntnis und Vollstreckungshandlungen (§ 212 BGB). Anders als nach früherem Recht führt die Einleitung von Rechtsverfolgungsmaßnahmen damit nicht mehr zum Neubeginn der Verjährung, wohl aber im Ergebnis die Titulierung einer Forderung, nämlich zum Beginn der rechtlich selbständigen Titelverjährung nach § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB. Schließlich kennt das Gesetz für Verjährungen, die gegen einen nicht voll Geschäftsfähigen (§ 210 BGB) oder einen Nachlass (§ 211 BGB) 238 239 240 241

Auf Vorschlag von Peters/Zimmermann, S. 260 ff.; vgl. Begr. § 204 BGB-E, BTDrucks. 14/6040 S. 113. Allgemein zur Hemmung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche vgl. Ott WRP 1018, 539. RG 8.6.1928 – III 426/27 – RGZ 120, 355, 362; RG 1.9.1939 – VII B 28/39 – RGZ 161, 125, 127. RG 1.9.1939 – VII B 28/39 – RGZ 161, 125, 127; BGH 11.2.2009 – XII ZR 114/06 – BGHZ 179, 361 = NJW 2009, 1488 Tz. 41. 242 Vgl. Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack/Budzikiewicz § 209 Rn. 8. 243 Bamberger/Roth/Hau/Poseck/Henrich § 209 Rn. 2; MünchKommBGB/Grothe § 209 Rn. 4; Staudinger/Peters/Jacoby § 209 Rn. 7; Soergel/Niedenführ § 209 n. F. Rn. 2. 244 Vgl. RG 1.9.1939 – VII B 28/39 – RGZ 161, 125, 127. Anders im Ansatz (ohne Auswirkung auf das Ergebnis) etwa Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack/Budzikiewicz § 209 Rn. 7; MünchKommBGB/Grothe § 209 Rn. 4, die bereits den Hemmungszeitraum (und nicht erst die Verlängerung der Verjährungsfrist) in ganzen Tagen berechnen wollen. 245 Vgl. nur Bamberger/Roth/Hau/Poseck/Henrich § 212 Rn. 15 m. w. N. 443

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laufen, eine Ablaufhemmung. Diese berührt nicht den Lauf der Verjährung, sondern führt dazu, dass die Verjährung nicht vor Ablauf von sechs Monaten nach Fortfall eines die Anspruchsdurchsetzung hindernden Ereignisses eintreten kann, schiebt also das Ende der (selbst unverlängerten) Verjährungsfrist hinaus.

2. Hemmung der Verjährung 77 a) Verhandlungen (§ 203 BGB). Nach § 203 BGB ist die Verjährung während des Schwebens von Verhandlungen zwischen Gläubiger und Schuldner über den Anspruch oder die anspruchsbegründenden Umstände gehemmt. Zweck der Vorschrift ist es, Verhandlungen, die günstigenfalls zur Vermeidung eines Rechtsstreits führen können, vom Zeitdruck zu befreien, und den Gläubiger dem Zwang zu entheben, noch während laufender Verhandlungen vorsorglich verjährungssichernde Maßnahmen wie etwa eine Klageerhebung vornehmen zu müssen.246 Der Gesetzgeber der Schuldrechtsmodernisierung hat damit eine – mit Wirkung zum 1.1.1978247 – mit § 852 Abs. 2 BGB a. F. zunächst für Ansprüche aus unerlaubter Handlung geschaffene Regelung übernommen. Bereits § 852 Abs. 2 BGB a. F. wurde als Ausprägung des allgemeinen Rechtsgedankens gesehen, der Schuldner dürfe nicht dadurch einen Vorteil erlangen, dass der Gläubiger sich auf Verhandlungen eingelassen hat, und entsprechend jedenfalls auf mit deliktischen Ansprüchen konkurrierende Schadensersatzansprüche angewandt.248 Auch eine analoge Anwendung auf wettbewerbsrechtliche Ansprüche wurde jedenfalls in der Literatur bejaht.249 Durch die Übernahme in das allgemeine Verjährungsrecht steht nun außer Zweifel, dass dieser Hemmungstatbestand auf alle250 wettbewerbsrechtlichen Ansprüche anzuwenden ist. 78 Die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (bereits zu § 852 Abs. 2 BGB a. F.) stellt an das Vorliegen von Verhandlungen nur geringe Anforderungen. Für den Beginn bedarf es zunächst einer Klarstellung des Gläubigers gegenüber dem Schuldner, dass er einen Anspruch geltend machen und worauf er ihn stützen will.251 Dieser Anspruch muss dabei noch nicht abschließend konkretisiert sein;252 Verhandlungen i. S. d. § 203 BGB können auch solche sein, die vor einer abgeschlossenen Sach- und Rechtsprüfung durch den Gläubiger der Aufklärung einer noch unklaren Tatsachengrundlage dienen.253 Dies alleine genügt indessen nicht (eine bloße Abmahnung kann mithin nicht bereits zur Hemmung der Verjährung führen).254 Hinzukommen müssen Erklärungen des Schuldners, die den Gläubiger zu der Annahme berechtigen, der Schuldner lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruchs ein.255 Eine Bitte des Schuldners um Fristverlängerung reicht hierfür nur dann aus, wenn der Gläubiger dieser entnehmen kann, dass der Schuldner sich zu der Forderung 246 BGH 14.5.2009 – I ZR 82/07 – GRUR 2009, 1186 Tz. 28 m. w. N. – Mecklenburger Obstbrände. 247 Durch das (1.) Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften v. 16.8.1977, BGBl. I S. 1577, 1579 f., das einen im Bereich der Gefährdungshaftung entwickelten Gedanken in das Deliktsrecht übertrug, vgl. BTDrucks. 8/108 S. 14, 17; BGH 28.11.1984 – VIII ZR 240/83 – BGHZ 93, 64, 68 = NJW 1985, 798, 799. 248 BGH 28.11.1984 – VIII ZR 240/83 – BGHZ 93, 64, 69 = NJW 1985, 798, 800. 249 GK-Erstauflage/Messer § 21 Rn. 49 ff. m. w. N.; Neu GRUR 1985, 335, 345; Teplitzky GRUR 1984, 307, 308 f.; Traub FS Vieregge S. 869, 878. 250 Zu Unterlassungsansprüchen vgl. BGH 14.5.2009 – I ZR 82/07 – GRUR 2009, 1186 Tz. 26 – Mecklenburger Obstbrände. 251 BGH 14.5.2009 – I ZR 82/07 – GRUR 2009, 1186 Tz. 27 – Mecklenburger Obstbrände; BGH 14.7.2009 – XI ZR 18/ 08 – BGHZ 182, 76 = NJW-RR 2010, 975 Tz. 16; BGH 3.2.2011 – IX ZR 105/10 – NJW 2011, 1594 Rn. 14, jeweils m. w. N. 252 MünchKommBGB/Grothe § 203 Rn. 7 m. w. N. 253 BGH 14.5.2009 – I ZR 82/07 – GRUR 2009, 1186 Tz. 28 – Mecklenburger Obstbrände. 254 Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 56. 255 Nachweise wie Fn. 251; die Hemmung wirkt dann auf den Zeitpunkt der Anspruchsgeltendmachung zurück, BGH 19.12.2013 – IX ZR 120/11 – VersR 2014, 597 Tz. 2 m. w. N. Toussaint

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tatsächlich inhaltlich erklären will.256 Dass der Schuldner eine Bereitschaft zum Vergleich oder zu einem sonstigen Entgegenkommen erkennen lässt, ist nicht erforderlich.257 Ausreichend ist damit im Ergebnis jeder Meinungsaustausch zwischen Gläubiger und Schuldner über den Anspruch und seine tatsächlichen Grundlagen, solange der Schuldner nicht sofort und eindeutig jede Verpflichtung ablehnt.258 Das Ende der Verhandlung tritt nach § 203 S. 1 BGB ein, sobald der eine oder andere Teil die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert. Ein solcher Verhandlungsabbruch muss durch klares und eindeutiges Verhalten zum Ausdruck gebracht werden.259 Andererseits lässt die Rechtsprechung aber auch ein „Einschlafen“ der Verhandlungen genügen. Hierfür genügt aber nicht, dass Gläubiger und Schuldner lediglich längere Zeit keinen Kontakt mehr hatten.260 Dies wird erst dann angenommen, wenn nach Treu und Glauben der nächste Schritt, insbesondere eine Äußerung der einen Seite auf die letzte Reaktion der anderen Seite, zu erwarten gewesen wäre, aber unterbleibt.261 Für welche Ansprüche die Verjährung durch eine Verhandlung gehemmt wird, richtet sich 79 nach dem – durch Auslegung der Parteierklärungen zu ermittelnden – Gegenstand der Verhandlung.262 Wird etwa nur über ein Unterlassungsbegehren des Gläubigers verhandelt, führt dies nicht zur Hemmung der Verjährung von Schadensersatzansprüchen, die aus derselben Wettbewerbsverletzung folgen. Verhandeln die Parteien dagegen allgemein über die rechtlichen Folgen aus einem bestimmten Lebenssachverhalt, erfasst die Verjährungshemmung alle aus diesem Lebenssachverhalt folgenden Ansprüche. Mit dem Ende der Verhandlung läuft auch die gehemmte Verjährung wieder an. Durch die in § 203 S. 2 BGB angeordnete zusätzliche Ablaufhemmung, nach der die Verjährung frühestens drei Monate nach dem Ende der Hemmung abläuft, wird der Gläubiger – insbesondere im Falle eines für ihn unerwarteten Abbruchs der Verhandlungen – davor geschützt, dass ihm u. U. keine ausreichende Zeit mehr für eine Vorbereitung seiner Anspruchsdurchsetzung verbleibt.

b) Klageerhebung (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB) aa) Leistungs- oder Feststellungsklage. Praktisch wichtigster Hemmungstatbestand ist die 80 Hemmung der Verjährung gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB durch die Erhebung der Klage auf Leistung oder auf Feststellung des Anspruchs, auf Erteilung der Vollstreckungsklausel oder auf Erlass des Vollstreckungsurteils.263 Setzt der Gläubiger seinen Anspruch mit den hierfür bereitstehenden zivilprozessualen Mitteln tatsächlich durch, ist eine mit den Verjährungsfolgen zu sanktionierende Säumigkeit des Gläubigers bei der Anspruchsdurchsetzung beendet und für eine Verjährung kein Raum mehr. Auch wenn damit an sich der bisherige Ablauf der Verjährungsfrist erledigt ist, hat der Gesetzgeber des SchuldRModG die klageweise Anspruchsdurchsetzung nicht mehr – wie bisher – als Unterbrechungs-, sondern aus praktischen Erwägungen als bloßen Hemmungstatbestand ausgestaltet (vgl. Rn. 75). Da rechtskräftig festgestellte Ansprüche gem. § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB aber einer eigenständigen dreißigjährigen Verjährung unterliegen, führt im Ergebnis aber immer noch die abschließende Titulierung des klageweise geltend gemachten Anspruchs zu einer Verjährungsunterbrechung. Verjährungssichernde Wirkung kann nur eine Klage haben, mit der der Gläubiger aktiv seinen 81 Anspruch prozessual durchsetzt. Es muss sich daher um eine Klage des materiell Berechtigten 256 257 258 259 260 261 262 263 445

Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 56. Nachweise wie Fn. 251. Nachweise wie Fn. 251. BGH 14.5.2009 – I ZR 82/07 – GRUR 2009, 1186 Tz. 30 m. w. N. – Mecklenburger Obstbrände. Vgl. BGH 28.10.2010 – VII ZR 82/09 – NJW-RR 2011, 98 Tz. 12. BGH 6.11.2008 – IX ZR 158/07 – NJW 2009, 1806 Tz. 10. MünchKommBGB/Grothe § 203 Rn. 7. Vgl. allgemein zu wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüchen Ott WRP 1018, 539. Toussaint

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selbst (bzw. eines seine Rechte prozessual wahrnehmenden Prozessstandschafters)264 handeln.265 Die Klage muss gegen den richtigen Schuldner gerichtet sein.266 In Betracht kommt vor allem eine – auf Feststellung des materiellrechtlichen Anspruchs und vollstreckbaren Befehl auf Bewirkung der nach dem Anspruch geschuldeten Leistung gerichteten – Leistungsklage. Genügend ist aber auch die auf bloße Feststellung des Anspruchs gerichtete Feststellungsklage. Wie sich aus Vorstehendem ergibt, muss es sich aber um eine (positive) Feststellungsklage des Gläubigers handeln. Die auf Abwehr gerichtete negative Feststellungsklage des Schuldners hat keine verjährungshemmende Wirkung für den Gläubiger und die Verteidigung des Gläubigers gegen eine solche Klage ist kein auf Anspruchsdurchsetzung gerichtetes Vorgehen.267 Wird allerdings die negative Feststellungsklage aus sachlichen Gründen rechtskräftig abgewiesen, ist – wenn Streitgegenstand ein bestimmter Anspruch war – rechtskräftig dessen Bestehen festgestellt,268 so dass der Anspruch dann (wenn er nicht bereits vorher verjährt ist) der dreißigjährigen Titelverjährung nach § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB unterliegt.269

82 bb) Klageerhebung. Die Hemmung beginnt durch die Erhebung der Klage. Diese erfolgt gem. § 253 Abs. 1 ZPO durch Zustellung der Klageschrift an den Beklagten.270 Die verjährungshemmende Wirkung tritt gem. § 167 ZPO bereits mit dem Eingang der Klageschrift bei Gericht ein, wenn die Zustellung „demnächst“ – d. h. ohne vom Kläger zu vertretende Verzögerung, die den Zeitraum von 14 Tagen überschreitet271 – erfolgt. Wird ein Anspruch im Verlauf eines bereits anhängigen Rechtsstreits nachträglich durch Widerklage oder durch spätere Klageänderung oder -erweiterung geltend gemacht, tritt die Verjährungshemmung mit der Antragstellung in der mündlichen Verhandlung bzw. mit einer vorherigen Zustellung eines entsprechenden Schriftsatzes an den (Wider-) Beklagten ein. Auch insoweit kommt eine Rückwirkung auf den Eingang des Schriftsatzes bei Gericht gem. § 167 ZPO in Betracht. 83 Bei der sog. Stufenklage (§ 254 ZPO), bei der ein Leistungsantrag auf Auskunft oder Rechnungslegung mit einem (Hilfs-)Antrag auf Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung und einem zunächst unbestimmten bzw. unbezifferten Herausgabe- oder Zahlungsantrag dergestalt verbunden wird, dass die übrigen Anträge bis zur Rechnungslegung bzw. Auskunftserteilung vorbehalten bleiben, wird auch der Zahlungs- bzw. Herausgabeantrag sogleich rechtshängig, allerdings nur in dem Umfang der später tatsächlich erfolgenden Bezifferung bzw. Konkretisierung, so dass in diesem Umfang auch für den Zahlungs- bzw. Herausgabe-

264 Die verjährungshemmende Wirkung der gewillkürten Prozessstandschaft tritt allerdings erst in dem Augenblick ein, in dem diese prozessual offen gelegt wird oder offensichtlich ist, BGH 7.6.2001 – I ZR 49/99 – NJW-RR 2002, 20, 22 m. w. N.; BGH 5.5.2011 – III ZR 305/09 – NVwZ 2011, 1150 Tz. 35. 265 BGH 29.10.2009 – I ZR 191/07 – NJW 2010, 2270 Tz. 38 m. w. N.; BGH 9.2.2010 – III ZR 56/10 – NJW 2011, 2193 Tz. 9; a. A. Kähler NJW 2006, 1769. 266 BGH 26.3.1981 – VII ZR 160/80 – BGHZ 80, 222, 226 = NJW 1981, 1953, 1954; BGH 10.4.2008 – VII ZR 58/07 – BGHZ 176, 128 = NJW 2008, 2429 Tz. 21. 267 BGH 21.3.1972 – VI ZR 110/71 – NJW 1972, 1043; BGH 7.7.1994 – I ZR 30/92 – GRUR 1994, 846, 848 – Parallelverfahren II; BGH 8.6.1978 – VII ZR 54/76 – BGHZ 72, 23, 25 ff. = NJW 1978, 1975 f.; BGH 29.4.1993 – III ZR 115/91 – BGHZ 122, 287, 293 = NJW 1993, 1847, 1848; Harte/Henning/Schulz § 11 Rn. 112; MünchKommBGB/Grothe § 204 Rn. 4; Teplitzky/Bacher Kap. 16 Rn. 39, jeweils m. w. N.; kritisch Teplitzky,10. Aufl. (2012) Kap. 16 Rn. 39. 268 Zur Rechtskraftwirkung eines die negative Feststellungsklage abweisenden Urteils vgl. BGH 26.6 2003 – I ZR 269/00 – NJW 2003, 3058, 3059; BGH 10.1.2007 – III ZR 294/05 – NJW-RR 2007, 457 Tz. 25, jeweils m. w. N. 269 BGH 21.3.1972 – VI ZR 110/71 – NJW 1972, 1043, 1044; BGH 12.12.1974 – II ZR 113/73 – NJW 1975, 1320, 1321; MünchKommBGB/Grothe § 197 Rn. 17; Soergel/Niedenführ § 197 n. F. Rn. 26; a. A. Staudinger/Peters/Jacoby § 197 Rn. 43. 270 Vgl. zur verjährungsrechtlichen Bedeutung der Klagezustellung Toussaint FS Leenen S. 279, 287 f. 271 Vgl. nur BGH 3.9.2015 – III ZR 66/14 – NJW 2015, 3101 Tz. 15; BGH 18.11.2016 – V ZR 266/14 – BGHZ 213, 30 Tz. 29 = NJW 2017, 2412; Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 60 f., jeweils m. w. N. Toussaint

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anspruch die Verjährung sogleich gehemmt wird.272 Wird mit einem Hilfsantrag ein Anspruch nur für den Fall des Misserfolgs des Hauptantrags zur Entscheidung gestellt, wird auch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch sogleich (durch den Erfolg des Hauptantrags auflösend bedingt) rechtshängig, so dass seine Verjährung mit Erhebung des Hilfsantrags und nicht erst mit Entscheidung über ihn gehemmt wird.273 Verjährungshemmende Wirkung hat nur eine wirksame Klage; die Klage muss mithin den 84 wesentlichen Formerfordernissen des § 253 Abs. 2 ZPO entsprechen.274 Erforderlich ist insbesondere eine hinreichend bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie ein hinreichend bestimmter Klageantrag (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Lässt sich der geltend gemachte Anspruch anhand der Angaben in der Klageschrift nicht zweifelsfrei identifizieren, tritt folglich keine Verjährungshemmung ein. Ein Antrag, der – bei erkennbarer Zielrichtung – lediglich zu unbestimmt gefasst ist, kann aber auch noch nach Ablauf der Verjährungsfrist konkretisiert werden.275 Auf die Zulässigkeit der Klage kommt es hingegen nicht an.276 Auch eine beim unzuständigen Gericht erhobene Klage oder eine Feststellungsklage, für die das notwendige Feststellungsinteresse fehlt, hemmen daher die Verjährung.277

cc) Umfang der Hemmung. Der Umfang der Hemmungswirkung einer Klage richtet sich im 85 Grundsatz nach dem den prozessualen Anspruch bildenden Streitgegenstand.278 Dieser wird bestimmt durch den Klageantrag, in dem sich die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und den Lebenssachverhalt (zu dem nach der Rechtsprechung des I. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs auch ein in Anspruch genommenes, konkretes Schutzrecht gehört), aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet.279 Unterschiedliche Streitgegenstände liegen nicht nur bei unterschiedlichen Lebenssachverhalten (z. B. mehrere Wettbewerbsverletzungen) vor, sondern auch, wenn der Kläger aus einem Lebenssachverhalt (z. B. einer einzelnen Wettbewerbsverletzung) verschiedene Rechtsfolgen (z. B. Unterlassungs-, Beseitigung- und Schadensersatzanspruch) für sich in Anspruch nimmt. Daher hemmt etwa die Unterlassungsklage nicht die Verjährung eines wegen desselben Verstoßes bestehenden Schadensersatzanspruchs.280 Aber auch die Klage auf Unterlassung einer wettbewerbswidrigen Äußerung hemmt nicht die Verjährung eines Anspruchs auf Beseitigung der Wettbewerbsverletzung durch Widerruf der Äußerung.281 Ebenso wenig hemmt die (vorbereitende) Klage auf Auskunft oder Rechnungslegung die Verjährung des Schadensersatzanspruchs, dessen Durchsetzung mit der Klage

272 BGH 8.2.1995 – XII ZR 24/94 – NJW-RR 1995, 770; BGH 22.3.2006 – IV ZR 93/05 – NJW-RR 2006, 948 Tz. 13 m. w. N. 273 BGH 7.5.1997 – VIII ZR 253/96 – NJW 1997, 3164, 3165 m. w. N. 274 BGH 14.5.1997 – XII ZR 140/95 – NJW-RR 1997, 1216, 1217 m. w. N. 275 BGH 23.10.1997 – I ZR 123/95 – GRUR 1998, 481, 483 – Auto ’94; BGH 11.3.2004 – I ZR 81/01 – GRUR 2004, 517, 519 – E-Mail-Werbung; OLG München – 20.10.2016 – 6 U 2046/16 – GRUR-RR 2017, 11 Tz. 47 m. w. N. 276 BGH 26.3.1981 – VII ZR 160/80 – BGHZ 80, 222, 226 = NJW 1981, 1953, 1954; BGH 10.4.2008 – VII ZR 58/07 – BGHZ 176, 128 = NJW 2008, 2429 Tz. 19; BGH 9.2.2010 – III ZR 56/10 – NJW 2011, 2193 Tz. 13, jeweils m. w. N. 277 Vgl. BGH 9.2.2010 – III ZR 56/10 – NJW 2011, 2193 Tz. 13 m. w. N. 278 BGH 17.2.2006 – V ZR 236/03 – NJW-RR 2006, 736 Tz. 23; BGH 9.1.2008 – XII ZR 33/06 – NJW-RR 2008, 521 Tz. 15; BGH 1.6.2010 – VI ZR 346/08 – NJW-RR 2010, 1683 Tz. 30, jeweils m. w. N. 279 Vgl. nur BGH 24.3.2011 – I ZR 108/09 – BGHZ 189, 56 = GRUR 2011, 521 Tz. 3 – TÜV I; BGH 17.8.2011 – I ZR 108/ 09 – GRUR 2011, 1043 Tz. 26 – TÜV II, jeweils m. w. N.; zu wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüchen Ott WRP 1018, 539. Zu dem sehr eng gefassten Streitgegenstandsbegriff des I. Zivilsenats des BGH vgl. etwa v. UngernSternberg GRUR 2009, 901, 1009; Teplitzky WRP 2010, 181; ders. GRUR 2011, 1091; Thole ZZP 124 (2011) S. 403. 280 BGH 26.1.1984 – I ZR 195/81 – GRUR 1984, 820, 822 – Intermarkt II; BGH 9.3.1989 – I ZR 189/86 – GRUR 1990, 221, 223 (in BGHZ 107, 117 insoweit nicht abgedr.) – Forschungskosten. 281 BGH 28.9.1973 – I ZR 136/71 – GRUR 1974, 99, 101 – Brünova. 447

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vorbereitet werden soll282 (zur Stufenklage vgl. Rn. 84). Mit einer Teilklage wird die Verjährung nur für den rechtshängig gemachten Teil des Anspruchs gehemmt.283 Dagegen hemmt die Feststellungsklage – etwa auf Feststellung der Ersatzpflicht für weiteren oder künftigen Schaden – die Verjährung des ganzen Anspruchs.284 Im Übrigen reicht die Hemmungswirkung der Klage soweit, wie ihre Rechtskraftwirkung reicht. Soweit die Rechtskraftwirkung einer gegen die konkrete Verletzungsform der Handlung gerichteten Unterlassungsklage auch alle kerngleichen Formen erfasst, gilt dies daher auch für ihre verjährungshemmende Wirkung.285 Die Beschränkung der verjährungshemmenden Wirkung der Klage auf ihren Streitgegen86 stand ist aber nur der Regelfall. So erstreckt § 213 BGB die Hemmungswirkung auch auf Ansprüche, die wahlweise neben dem geltend gemachten Anspruch oder an seiner Stelle gegeben sind, was indessen im Wettbewerbsrecht keine Bedeutung haben dürfte.286 Für einzelne Konstellationen ist in der Rechtsprechung außerdem anerkannt, dass die Wirkung der Klage auf den Lauf der Verjährung auch über ihren Streitgegenstand hinausgehen kann.287 Dies gilt einmal für mit dem Klageanspruch materiell wesensgleiche Ansprüche, die demselben Ziel wie der Klageanspruch dienen, sich nach Grund und Rechtsnatur als dessen Ausprägung darstellen und sich im Kern auf denselben Lebenssachverhalt stützen.288 So handelt sich bei den drei Berechnungsarten für die Berechnung des aus der Verletzung eines immateriellen Schutzrechts entstandenen Schadens – konkrete, den entgangenen Gewinn einschließende Schadensberechnung, Geltendmachung einer angemessenen Lizenzgebühr oder Herausgabe des Verletzergewinns – lediglich um Varianten für die Ermittlung des gleichen einheitlichen Schadens.289 Da der Gläubiger von der einen zur anderen Schadensberechnungsart übergehen kann, solange der nach einer bestimmten Berechnungsweise geltend gemachte Schadensersatzanspruch noch nicht erfüllt oder rechtskräftig zuerkannt worden ist,290 hemmt die auf eine Berechnungsart abgestellte Schadensersatzklage den ganzen Anspruch auch insoweit, als er nach einer anderen Berechnungsart auf eine höhere Summe gerichtet sein und später noch erweitert werden kann.291 Ebenso hemmt die wegen eines in der Belastung mit einer Verbindlichkeit bestehenden Schadens erhobene Zahlungsklage die Verjährung eines wegen dieser Verbindlichkeit bestehenden Freistellungsanspruchs.292 Zum anderen hemmt eine erkennbar auf Ersatz des Gesamtschadens gerichtete Zahlungsklage die Verjährung des gesamten Schadensersatzanspruchs auch insoweit, als sich nachträglich ergibt, dass der Schaden tatsächlich höher ist.293

87 dd) Ende der Hemmung. Das Ende der Hemmung setzt gem. § 204 Abs. 2 BGB die (formell, vgl. § 705 ZPO) rechtskräftige Entscheidung, eine anderweitige Beendigung (z. B. durch Vergleich, Erledigung oder Klagerücknahme) oder den Stillstand des Verfahrens durch Nichtbe282 BGH 28.6.2007 – I ZR 132/04 – GRUR 2008, 258 Tz. 17 – INTERCONNECT/T-InterConnect; OLG Stuttgart 24.1.1997 – 2 U 7/96 – WRP 1997, 605, 610; Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 59.

283 BGH 9.1.2008 – XII ZR 33/06 – NJW-RR 2008, 521 Tz. 15 f.; BGH 11.3.2009 – IV ZR 224/07 – NJW 2009, 1950, 1951, jeweils m. w. N. Dies gilt auch für die sog. „verdeckte Teilklage“, bei der weder für den Beklagten noch für das Gericht ersichtlich ist, dass der bezifferte Anspruch den Gesamtanspruch nicht abdeckt; vgl. hierzu aber auch die nachfolgende Rn. 284 Vgl. RG 18.2.1911 – VI 90/10 – RGZ 75, 302, 306. 285 Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 67; Teplitzky/Bacher Kap. 16 Rn. 38a. 286 Zu Anwendungsfällen vgl. etwa MünchKommBGB/Grothe § 213 Rn. 5 f. m. w. N. 287 Vgl. BGH 17.2.2006 – V ZR 236/03 – NJW-RR 2006, 736 Tz. 23 mit einer Übersicht und w. N. 288 BGH 5.5.1988 – VII ZR 119/87 – BGHZ 104, 268, 274 f. = NJW 1988, 1964, 1965; BGH 27.3.1996 – IV ZR 185/95 – BGHZ 132, 240, 243 f. = NJW 1996, 1743. 289 BGH 25.9.2007 – X ZR 60/06 – BGHZ 173, 374 = GRUR 2008, 93 Tz. 7 – Zerkleinerungsvorrichtung m. w. N. 290 BGH 25.9.2007 – X ZR 60/06 – BGHZ 173, 374 = GRUR 2008, 93 Tz. 8 – Zerkleinerungsvorrichtung m. w. N. 291 Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 63. 292 BGH 27.11.1984 – VI ZR 38/83 – NJW 1985, 1152, 1154. 293 Vgl. MünchKommBGB/Grothe § 204 Rn. 15 f. m. w. N. Toussaint

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treiben seitens der Parteien voraus. Die Hemmung endet dann aber nicht sofort, sondern erst nach Ablauf einer Nachlauffrist von sechs Monaten (§ 204 Abs. 2 S. 1 BGB). Wird der mit der Klage verfolgte Anspruch rechtskräftig festgestellt, beginnt mit der Rechtskraft eine neue dreißigjährige Verjährung (§ 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB), so dass die bis dahin abgelaufene Verjährung ihre rechtliche Bedeutung verliert.

c) Einstweilige Verfügung (§ 204 Abs. 1 Nr. 9 BGB). Einstweilige (Leistungs-)Verfügungen 88 auf Unterlassung sind im Wettbewerbsrecht von besonderer Bedeutung. Mit ihnen wird der wettbewerbsrechtliche Unterlassungsanspruch selbst und nicht lediglich seine vorläufige Sicherung geltend gemacht und eine vorläufige Befriedigung des Unterlassungsgläubigers erreicht. Gleichwohl hatten nach früherem Recht weder der Antrag auf Erlass einer Unterlassungsverfügung noch der Erlass der Verfügung bzw. deren Zustellungen verjährungssichernde Wirkung.294 Dies führte dazu, dass der Unterlassungsgläubiger u. U. gezwungen war, noch während des laufenden Verfügungsverfahren ein Hauptsacheverfahren zum Schutz seines Anspruchs vor der kurzen wettbewerbsrechtlichen Verjährung anhängig zu machen, selbst wenn die Erwartung besteht, dass der Unterlassungsschuldner den Inhalt einer Unterlassungsverfügung als endgültige Regelung anerkennen wird. Dies295 hat den Gesetzgeber des SchuldRModG bewogen, Arrest und einstweilige Verfügung – allgemein, also nicht beschränkt auf das Wettbewerbsrecht – in den Katalog der Hemmungstatbestände aufzunehmen (§ 204 Abs. 1 Nr. 9 BGB). Streitgegenstand des Verfügungsverfahrens ist allerdings nicht der zu sichernde oder vorläufig zu befriedigende (Unterlassungs-)Anspruch selbst, über den nur im Hauptsacheverfahren entschieden werden kann, sondern der prozessuale Anspruch auf vorläufige Sicherung bzw. Befriedigung des Anspruchs.296 Nach dem Zweck der Hemmungsvorschrift erfasst die Hemmungswirkung aber nicht nur diesen prozessualen Anspruch, sondern auch den materiellen Anspruch.297 Insoweit gilt im Übrigen dasselbe wie bei einer Hauptsacheklage auf Unterlassung (vgl. Rn. 86), so dass nur die Verjährung des zu sichernden Unterlassungsanspruchs gehemmt werden, nicht aber die anderer Ansprüche aus demselben Lebenssachverhalt – etwa auf Auskunft und Schadensersatz.298 Betreibt der Gläubiger ein einstweiliges Verfügungsverfahren, tritt nach § 204 Abs. 1 Nr. 9 89 BGB die Hemmung mit Zustellung des Antrags auf Erlass der Verfügung ein, wobei gem. § 167 ZPO bei alsbaldiger Zustellung diese Wirkung bereits mit dem Eingang des Antrags bei Gericht eintritt.299 Unterbleibt (wie regelmäßig) eine solche Zustellung, tritt die Hemmung mit der Zustellung der einstweiligen Verfügung ein, allerdings nur, wenn dies innerhalb eines Monats seit Verkündung der Verfügung oder deren Zustellung – und damit innerhalb der Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO300 – erfolgt. Dass der Gesetzgeber den Eintritt der Hemmungswirkung 294 BGH 29.9.1978 – I ZR 107/77 – GRUR 1979, 121 – Verjährungsunterbrechung; BGH 5.12.1980 – I ZR 179/78 – GRUR 1981, 447, 448 – Abschlussschreiben; OLG Hamm 30.9.1976 – 4 U 147/76 – WRP 1977, 345, 346; OLG Hamm 5.10.1976 – 4 U 113/76 – WRP 1977, 39, 40; OLG Hamm 4.11.1976 – 4 U 226/76 – WRP 1977, 500, 502; Teplitzky GRUR 1984, 307; zur Kritik hieran vgl. GK-Erstauflage/Messer § 21 Rn. 58 ff. m. w. N. 295 Vgl. Begr. zu § 204 BGB-E, BTDrucks. 14/6040 S. 115. Arrest und einstweilige Verfügung verjährungshemmende Wirkung zu geben, wurde auch von Peters/Zimmermann, S. 317, 312, und – beschränkt auf die einstweilige Verfügung mit besonderem Blick auf das Wettbewerbsrecht – von der 1995 vom BMJ eingesetzten Arbeitsgruppe „Überprüfung des Wettbewerbsrechts“, vgl. Bericht vom 17.12.1996, GRUR 1997, 201, 206, vorgeschlagen. 296 H. M., vgl. nur Ahrens/Jestaedt Kap. 46 Rn. 1; Teplitzky/Feddersen Kap. 53 Rn. 3; Maurer GRUR 2003, 208, 211, jeweils m. w. N. 297 MünchKommBGB/Grothe § 204 Rn. 51; Maurer GRUR 2003, 208, 211, jeweils m. w. N. 298 OLG Köln 9.2.2009 – 6 W 4/09 – WRP 2009, 863, 865; MünchKommBGB/Grothe § 204 Rn. 51; Maurer GRUR 2003, 208, 211; Schabenberger WRP 2002, 293, 298. 299 Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 69; Harte/Henning/Schulz § 11 Rn. 107; MünchKommUWG/Fritsche § 11 Rn. 199; Maurer GRUR 2003, 208, 209. 300 Der Entwurf sah ursprünglich eine Dreimonatsfrist vor, die sich gegen „Schubladenverfügungen“ richtete, vgl. BTDrucks. 14/6040 S. 115. Der Rechtsausschuss hat die Vollziehungsfrist erkannt und die Frist in § 204 Abs. 1 Nr. 9 449

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nicht an die Antragstellung als Geltendmachung des Anspruchs durch den Gläubiger, sondern an die Zustellung des Antrags bzw. der Verfügung an den Schuldner geknüpft hat, beruht auf der – verfehlten301 – Vorstellung, dass grundsätzlich nur solche Rechtsverfolgungsmaßnahmen verjährungsrechtliche Wirkung entfalten könnten, die dem Schuldner bekannt werden.302 Folge ist, dass die Hemmungsvorschrift ihren Zweck, einen parallelen Hauptsacheprozess zu vermeiden, verfehlt, wenn der Antrag vor Erlass der Verfügung zurückgenommen oder auch vom Gericht zurückgewiesen wird.303 Sofern sich kein rascher Erfolg im Verfügungsverfahren abzeichnet, wird der Gläubiger daher nicht umhinkommen, rechtzeitig das Hauptsacheverfahren anhängig zu machen. Die Unterbrechung endet gem. § 204 Abs. 2 BGB sechs Monate nach (formeller) Rechtskraft der Verfügung, anderweitiger Beendigung des Verfahrens oder – bei dessen Stillstand – der letzten Verfahrenshandlung. 90 Auf diese Hemmung beschränkt sich die verjährungsrechtliche Wirkung einer einstweiligen Verfügung. Die Beschränkung des Streitgegenstandes des Verfügungsverfahrens auf den prozessualen Anspruch auf vorläufige Sicherung bzw. Befriedigung hat zur Folge, dass auch nur dieser Anspruch, nicht aber der materielle Anspruch, um dessen Sicherung oder vorläufige Befriedigung es geht, rechtskräftig festgestellt wird. Der Erlass der einstweiligen Verfügung – auch durch Urteil – führt daher nicht dazu, dass der materielle (Unterlassungs-)Anspruch nunmehr der neuen, dreißigjährigen (Titel-)Verjährung des § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB unterläge.304 Nach Beendigung des Verfügungsverfahrens muss der materielle Anspruch daher erneut und anderweitig vor einer Verjährung gesichert werden. In Betracht kommt insbesondere eine Abschlusserklärung des Schuldners (vgl. hierzu allgemein § 12 A Rn. 311 ff.), mit der dieser die Regelung der einstweiligen Verfügung als endgültig verbindlich anerkennt. Das Anerkenntnis des Anspruchs als solches führt allerdings lediglich gem. § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB zum Neubeginn der Verjährung und damit nur zu einer neuen kurzen Verjährung nach Absatz 1 (vgl. Rn. 93). Da die Verjährung vertraglicher Unterlassungsansprüche erst mit einer (neuerlichen) Zuwiderhandlung des Schuldners beginnt (vgl. Rn. 52), mag dies hinzunehmen sein. Abschlussschreiben und -erklärung können aber auch zu einer Vereinbarung führen, nach der die Regelung der einstweiligen Verfügung ein rechtskräftiges Unterlassungsurteil i. S. d. § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB ersetzen und ihm – was nach § 202 BGB ohne weiteres zulässig ist – auch verjährungsrechtlich gleichstehen soll („titelersetzendes Anerkenntnis“).305

91 d) Anrufung der Einigungsstelle (§ 15 Abs. 9). Einen besonderen wettbewerbsrechtlichen Hemmungstatbestand enthält § 15 Abs. 9, der im Wesentlichen der früheren Regelung in § 27a Abs. 9 a. F. entspricht. Hiernach hemmt die Anrufung der Einigungsstelle (durch den Gläubiger, str.) die Verjährung in gleicher Weise wie eine Klageerhebung. Die Hemmung dauert bis zur Beendigung des Verfahrens – die, wenn kein Vergleich zustande kommt, von der Einigungsstelle festzustellen ist – an (zu Einzelheiten s. § 15 Rn. 292 ff.).

BGB hieran angepasst, vgl. BTDrucks. 14/7052 S. 181. Da die Frist des § 929 Abs. 2 ZPO aber auch mit formloser Aushändigung der Verfügung an den Gläubiger beginnt, ist eine vollständige Parallelität beider Fristen nicht sichergestellt, vgl. Maurer GRUR 2003, 208, 209 Fn. 12. 301 Vgl. Toussaint FS Leenen S. 279, 284 ff., und auch BGH 28.9.2004 – IX ZR 155/03 – BGHZ 160, 259, 265 = NJW 2004, 3772, 3774. Die Zustellung ist wegen der Möglichkeit der Ersatzzustellung oder der öffentlichen Zustellung ohnehin kein geeignetes Mittel, gerade eine Kenntnis des Empfängers sicherzustellen, vgl. BGH 13.3.1980 – VII ZR 80/79 – NJW 1980, 1458. Im Diskussionsentwurf des BMJ war noch vorgesehen, die Hemmung mit Antragseingang bei Gericht beginnen zu lassen, vgl. Baronikians WRP 2001, 121. 302 Vgl. Begr. zu § 204 BGB-E, BTDrucks. 14/6040 S. 114, 115. 303 Vgl. Harte/Henning/Schulz § 11 Rn. 107 f.; Maurer GRUR 2003, 208, 210. 304 Maurer GRUR 2003, 208, 212; Teplitzky WRP 1987, 149, 150 f.; kritisch hierzu Baronikians WRP 2001, 121, 122. 305 Vgl. BGH 26.5.1992 – VI ZR 253/91 – NJW 1992, 2228, 2229; BGH 26.2.2002 – VI ZR 288/00 – NJW 2002, 1791, 1792; Ahrens/Ahrens Kap. 58 Rn. 26. Toussaint

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3. Neubeginn der Verjährung a) Anerkenntnis (§ 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Die Verjährung beginnt nach § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB 92 (wie früher nach § 208 BGB a. F.) erneut, wenn der Schuldner dem Gläubiger gegenüber den Anspruch durch Abschlagszahlung, Zinszahlung, Sicherheitsleistung oder in anderer Weise anerkennt. Gerechtfertigt ist die verjährungsrechtliche Wirkung des Anerkenntnisses dadurch, dass mit ihm das bisherige Versäumnis des Gläubigers, seinen Anspruch durchzusetzen, ebenso wie die hieran geknüpfte Vermutung des Nichtbestehens des Anspruchs (vgl. Rn. 5) beseitigt werden. Ein solches Anerkenntnis kann auf Abmahnung hin ausdrücklich erklärt oder auch durch Befolgung der Abmahnung konkludent zum Ausdruck gebracht werden. Anerkenntnis ist ein Verhalten des Schuldners gegenüber dem Gläubiger, aus dem sich für diesen so unzweideutig ergibt, dem Schuldner sei das Bestehen der Schuld bewusst, dass der Gläubiger darauf vertrauen darf, der Schuldner werde sich nicht nach Ablauf der Verjährungsfrist alsbald auf Verjährung berufen.306 Die bloße Erfüllung des Anspruchs – etwa die Befolgung eines Unterlassungsanspruchs – genügt hierfür noch nicht.307 Vielmehr bedarf es etwa einer auf Abmahnung hin abgegebenen Unterwerfungserklärung,308 in der aber nicht ohne weiteres zugleich ein die Verjährung unterbrechendes Anerkenntnis eines aus dem Wettbewerbsverstoß folgenden Auskunfts- oder Schadenersatzanspruchs liegt.309 Ein verjährungshemmendes Anerkenntnis liegt nicht vor wenn der Verfügungsbeklagte die Wettbewerbsverletzung zugesteht, eine Wiederholungsgefahr aber bestreitet.310 Hat der Gläubiger gegen den Schuldner eine Unterlassungsverfügung erwirkt, liegt in 93 der Bezahlung der Kosten des Verfügungsverfahrens durch den Schuldner in der Regel noch kein Anerkenntnis des der Verfügung zugrunde liegenden Anspruchs,311 wohl aber in der Zurücknahme eines Rechtsmittels gegen die Verfügung nach richterlichem Hinweis auf dessen mangelnde Erfolgsaussicht.312 Ebenso kann ein verjährungshemmendes Anerkenntnis darin gesehen werden, dass der Verfügungsbeklagte nur den sogenannten Kostenwiderspruch erhebt, in seinem Widerspruchsschreiben also erklärt, der Widerspruch richte sich nur gegen die Kostenentscheidung der einstweiligen Verfügung – etwa deshalb, weil mangels vorhergehender Abmahnung kein Verfügungsgrund vorgelegen habe.313 Abschlussschreiben und Abschlusserklärung nach einer Unterlassungsverfügung führen ebenfalls zum Anerkenntnis des der Verfügung zugrunde liegenden Anspruchs, gehen aber regelmäßig durch verjährungsrechtliche Gleichstellung des anerkannten Anspruchs mit einem rechtskräftig titulierten Anspruch darüber hinaus.

b) Zwangsvollstreckung (§ 212 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Die Verjährung beginnt außerdem gem. 94 § 212 Abs. 1 Nr. 2 BGB (wie früher nach § 209 Abs. 2 Nr. 5 BGB a. F.) erneut, wenn eine gerichtliche oder behördliche Vollstreckungshandlung vorgenommen oder beantragt wird. Dies ermöglicht dem Gläubiger, seinen einmal vollstreckbar titulierten Anspruch durch aktive Durchsetzung auch weiterhin (ggf. durch wiederholte Vollstreckungshandlungen dauerhaft) vor der Verjährung zu sichern. Erforderlich ist daher zunächst ein Vollstreckungstitel. In Betracht kommt hierfür nicht nur ein Titel aus einem Hauptsacheverfahren, sondern auch eine Unterlassungsverfügung. Dieser muss sich auf den Anspruch selbst beziehen; die Zwangsvollstreckung 306 BGH 5.12.1980 – I ZR 179/78 – GRUR 1981, 447, 448 – Abschlussschreiben m. w. N. 307 OLG Hamm 30.9.1976 – 4 U 147/76 – WRP 1977, 345, 346. 308 KG 5.5.1989 – 5 U 6596/88 – GRUR 1990, 546 – Verjährungsunterbrechung; OLG Hamm 27.5.1999 – 4 U 20/ 99 – MD 1999, 1003, 1004 m. w. N. Vgl. BGH 20.6.1991 – I ZR 277/89 – GRUR 1992, 61, 63 – Preisvergleichsliste. OLG Koblenz 20.12.1984 – 6 U 1221/84 – GRUR 1985, 388 – Verjährungsunterbrechung. BGH 5.12.1980 – I ZR 179/78 – GRUR 1981, 447, 448 – Abschlussschreiben. OLG Bremen 26.9.1985 – 2 U 65/85 – GRUR 1986, 178 – Verjährungseinrede. KG 56.1.1982 – 5 W 5686/81 – WRP 1982, 465, 466.

309 310 311 312 313 451

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Verjährung

aus einer Nebenentscheidung wie z. B. einem Kostenfestsetzungsbeschluss hat keine verjährungssichernde Wirkung für den Hauptanspruch.314 Als Vollstreckungshandlung kommt jede Maßnahme der Zwangsvollstreckung in Betracht, die zur Durchsetzung des titulierten Anspruchs geeignet ist. Die Zwangsvollstreckung muss tatsächlich eingeleitet werden; die bloße Androhung von Vollstreckungsmaßnahmen durch den Gläubiger gegenüber dem Schuldner reicht nicht aus.315 Ebenso wenig genügen Maßnahmen, die einer Zwangsvollstreckung vorausgehen müssen, selbst aber noch keine Maßnahme der Zwangsvollstreckung sind. Dies betrifft vor allem die Zustellung als Zwangsvollstreckungsvoraussetzung (§ 750 Abs. 1 ZPO). Diese wird auch nicht dadurch zu einer Maßnahme der Zwangsvollstreckung, dass in dem Titel bereits Zwangsmittel für eine Vollstreckung nach § 890 ZPO angedroht werden (dagegen ist nachträgliche Androhung von Ordnungsmitteln durch gesonderten Beschluss nach § 890 Abs. 2 ZPO Vollstreckungshandlung i. S. d. § 212 Abs. 1 Nr. 2 BGB).316 Auch die Zustellung der einstweiligen Verfügung an den Schuldner genügt selbst dann nicht, wenn sie zum Zwecke der Vollziehung vorgenommen wird.317 Zum Neubeginn der Verjährung führende Handlung ist zunächst der Antrag des Gläubi95 gers an das zuständige Vollstreckungsorgan auf Vornahme der Zwangsvollstreckungsmaßnahme. Maßgeblich ist der Eingang bei Gericht; hierdurch wird der Gläubiger vor etwaigen Verzögerungen bei der Bearbeitung durch das Vollstreckungsorgan geschützt.318 Auf die Kenntnis des Schuldners kommt es hierbei nicht an.319 Wird dem Antrag nicht stattgegeben, wird er zurückgenommen oder wird die Vollstreckungsmaßnahme auf Antrag des Gläubigers oder wegen eines Mangels der gesetzlichen Voraussetzungen wieder aufgehoben, gilt allerdings gem. § 212 Abs. 3 BGB der Neubeginn der Verjährung als nicht eingetreten. Außer dem Antrag führt auch die Vornahme der Vollstreckungshandlung selbst zum Neubeginn der Verjährung. Gemeint war mit diesem aus § 209 Abs. 2 Nr. 5 BGB a. F. übernommenen Begriff ursprünglich der (nach früherer Rechtsauffassung privatrechtlich aufgefasste) Auftrag des Gläubigers an den Gerichtsvollzieher zur Vornahme einer Vollstreckungshandlung und damit letztlich eine dem Gläubiger (anders als die auf Antrag vorzunehmenden Handlungen) selbst zuzurechnende Anspruchsdurchsetzung.320 Unter der inzwischen gewandelten Rechtsauffassung zur Stellung des Gerichtsvollziehers wird nunmehr die Handlung des Vollstreckungsorgans darunter verstanden, wie zuletzt der Gesetzgeber der Schuldrechtsmodernisierung durch die gegenüber § 209 Abs. 2 Nr. 5 BGB a. F. abweichende Formulierung in § 212 Abs. 1 Nr. 2 BGB klargestellt hat.321 Wird die Vollstreckungshandlung auf Antrag des Gläubigers oder mangels einer gesetzlichen Voraussetzung wieder aufgehoben, gilt der Neubeginn der Verjährung gem. § 212 Abs. 2 BGB als nicht eingetreten. Sowohl Antrag als auch Vornahme haben verjährungsrechtlich keine Dauerwirkung, sondern führen zum unmittelbar anschließenden Neubeginn der Verjährung.322 Mit der Zwangsvollstreckung aus einem Unterlassungstitel wegen einer Zuwiderhandlung 96 wird zwar nur der konkret verletzte Einzelanspruch geltend gemacht (vgl. hierzu Rn. 35 ff.). Da aber auch in der Geltendmachung eines Einzelanspruchs die Geltendmachung des Stammrechts

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OLG Hamm 30.1.1979 – 4 U 259/78 – GRUR 1979, 326 f. – Verjährungseinrede. BGH 29.4.1993 – III ZR 115/91 – BGHZ 122, 287, 294 = NJW 1993, 1847, 1848. BGH 29.9.1978 – I ZR 107/77 – GRUR 1979, 121, 122 – Verjährungsunterbrechung. BGH 29.9.1978 – I ZR 107/77 – GRUR 1979, 121 – Verjährungsunterbrechung; BGH 5.12.1980 – I ZR 179/78 – GRUR 1981, 447, 448 – Abschlussschreiben; a. A. früher etwa OLG Hamm 4.11.1976 – 4 U 226/76 – WRP 1977, 500; OLG Hamm 21.6.1977 – 4 U 69/77 – WRP 1977, 816, 817; OLG Hamm 9.3.1978 – 4 U 282/77 – WRP 1978, 395, 398. 318 Vgl. Mot. I S. 329 = Mugdan Mat. zum BGB, Bd. I S. 533. 319 Staudinger/Peters/Jacoby § 212 Rn. 38; a. A. MünchKommBGB/Grothe § 212 Rn. 20. 320 Vgl. BGH 18.1.1985 – V ZR 233/83 – BGHZ 93, 287, 296 ff. – NJW 1985, 1711, 1713 f. m. w. N. 321 Begr. § 212 BGB-E, BTDrucks. 14/6040 S. 121. 322 BGH 29.9.1978 – I ZR 107/77 – GRUR 1979, 121 – Verjährungsunterbrechung; BGH 20.11.1997 – IX ZR 136/97 – BGHZ 137, 193, 198 = NJW 1998, 1058, 1059 m. w. N.; BGH 7.7.2004 – V ZB 61/03 – NJW-RR 2004, 1578, 1580. Toussaint

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B. Einzelheiten

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zum Ausdruck kommt,323 wird mit der Vollstreckungshandlung die Verjährung des Gesamtanspruchs auf dauernde Unterlassung gehemmt.

IV. Rechtsfolgen der Verjährung 1. Leistungsverweigerungsrecht a) Inhalt. Nach Eintritt der Verjährung ist der Schuldner gem. § 214 Abs. 1 BGB berechtigt, die 97 Leistung zu verweigern. Die Verjährung begründet mithin ein dauerndes Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners; ob und wann er dieses Gegenrecht geltend macht, steht in seinem Belieben.324 Bestand und Durchsetzbarkeit des Anspruchs werden allein durch den Eintritt der Verjährung nicht berührt.325 Der verjährte Anspruch bleibt weiterhin erfüllbar; das zu seiner Befriedigung – etwa aus Unkenntnis der Verjährung – (freiwillig)326 Geleistete (auf das der Gläubiger weiterhin einen – wenn auch einredebehafteten – Anspruch hat)327 kann nicht zurückverlangt werden, § 214 Abs. 2 BGB. Die Geltendmachung des durch die Verjährung begründeten Leistungsverweigerungsrechts 98 geschieht durch Erhebung der Einrede der Verjährung. Diese Einredeerhebung ist eine geschäftsähnliche Handlung des materiellen Rechts,328 auf die die Vorschriften für Willenserklärungen, soweit die Ähnlichkeit dies rechtfertigt, entsprechend anzuwenden sind (dies gilt insbesondere für den Zugang, §§ 130 ff. BGB, und die Auslegung, §§ 133, 157 BGB). Für die Einredeerhebung bedarf es keiner ausdrücklichen Erklärung. Genügend ist, dass der Schuldner gegenüber dem Gläubiger seinen Willen bekundet, die Leistung endgültig zu verweigern, und dies – jedenfalls sinngemäß – mit dem Ablauf der Verjährungsfrist begründet.329 Die Einredeerhebung wirkt materiellrechtlich auf den Zeitpunkt des Eintritts der Verjährung zurück, so dass ab diesem Zeitpunkt Verzug nicht mehr eintreten kann bzw. bereits eingetretener Verzug endet.330 Die Erhebung der Einrede lässt den verjährten Anspruch nicht untergehen und schließt seine weitere Erfüllbarkeit nicht aus. Sie lässt aber die Durchsetzbarkeit des Anspruchs entfallen.331 Unberührt bleibt aber auch dann die zu unverjährter Zeit begründete Möglichkeit, die Forderung gegen eine andere Forderung aufzurechnen oder ein Zurückbehaltungsrecht auf sie zu stützen, § 215 BGB. Der Schuldner kann die einmal erhobene Einrede der Verjährung wieder fallenlassen332 und den Anspruch damit wieder durchsetzbar machen. Die Verjährung eines Schadensersatzanspruchs bewirkt, dass der Schuldner nach Ablauf der 99 Verjährungsfrist den aus einer bestimmten Verletzungshandlung herrührenden Schaden nicht mehr zu ersetzen braucht und der Gläubiger den Ersatz dieses Schadens vom Schuldner, wenn dieser sich auf sein Leistungsverweigerungsrecht beruft, nicht mehr verlangen kann. Die Verjährung 323 RG 30.5.1932 – VIII 135/32 – RGZ 136, 427, 432; BGH – 12.7.1960 – VI ZR 92/59 – VersR 1960, 949; Soergel/ Niedenführ, § 194 n. F. Rn. 4.

324 Vgl. BGH 4.12.2007 – XI ZR 144/06 – NJW 2008, 1312 Tz. 18. 325 BGH 2.10.2003 – V ZB 22/03 – BGHZ 156, 269, 271 = NJW 2004, 164; BGH 27.1.2010 – VIII ZR 58/09 – BGHZ 184, 128 = NJW 2010, 2422 Tz. 27 m. w. N.

326 Vgl. BGH 19.11.2008 – X ZR 39/08 – WuM 2009, 57 Tz. 5 (Rückforderungsrecht bleibt erhalten, wenn lediglich zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil geleistet wurde).

327 Vgl. BGH 18.1.2006 – VIII ZR 94/05 – NJW 2006, 903 Tz. 12. 328 BGH 2.10.2003 – V ZB 22/03 – BGHZ 156, 269, 271 = NJW 2004, 164; BGH 4.12.2007 – XI ZR 144/06 – NJW 2008, 1312 Tz. 41.

329 BGH 2.10.2003 – V ZB 22/03 – BGHZ 156, 269, 271 = NJW 2004, 164. 330 BGH 24.1.1961 – VIII ZR 98/59 – BGHZ 34, 191, 195 = NJW 1961, 1011; BGH 12.7.1967 – VIII ZR 180/65 – BGHZ 48, 249, 250 = NJW 1967, 1808; BGH 16.3.1988 – VIII ZR 184/87 – BGHZ 104, 6, 11 = NJW 1988, 1778, 1979.

331 BGH 27.1.2010 – VIII ZR 58/09 – BGHZ 184, 128 = NJW 2010, 2422 Tz. 27. 332 Hierin liegt regelmäßig noch kein Verzicht auf die Einrede, so dass sie später erneut erhoben werden kann, vgl. BGH 29.11.1956 – III ZR 121/55 – BGHZ 22, 267 = NJW 1957, 383 (LS). 453

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§ 11

Verjährung

betrifft nur den Schaden aus der vor rechtsverjährter Zeit begangenen Verletzungshandlung. Löst eine neuerliche gleichartige Verletzungshandlung desselben Schuldners denselben Schaden erneut oder einen anderen Schaden aus, so beginnt für den dadurch ausgelösten Schadensersatzanspruch die Verjährungsfrist mit der neuen Verletzungshandlung und der Kenntnis des Gläubigers davon zu laufen (vgl. Rn. 49). Entsprechendes gilt für die Verjährung eines Beseitigungsanspruchs. 100 Besteht die geschuldete Leistung in einem Unterlassen, führt die Verjährung im Grundsatz dazu, dass der Schuldner die weitere Unterlassung verweigern, mithin die zu unterlassende Handlung nunmehr vornehmen kann. Dies berechtigt den Schuldner indessen nicht, auch außerhalb des Schuldverhältnisses allgemein durch das Gesetz (z. B. durch die §§ 3, 7) unerlaubte Handlungen vorzunehmen. Die Verjährung des gesetzlichen (Abwehr-)Unterlassungsanspruchs betrifft daher nur den aus einer konkreten, die Wiederholungs- oder Erstbegehungsgefahr begründenden Zuwiderhandlung folgenden Anspruch, lässt aber das (erneute) Entstehen eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs wegen einer wiederholten Zuwiderhandlung unberührt (vgl. Rn. 20). Wiederholt der Schuldner die Verletzungshandlung, so kann er einem neuen Unterlassungsbegehren desselben Gläubigers daher nicht mit der Verjährungseinrede begegnen.

101 b) Ausschluss des Leistungsverweigerungsrechts. Der Schuldner kann auf die Geltendmachung seines Leistungsverweigerungsrechts verzichten. Ein solcher Verjährungsverzicht ist ein abstraktes, einseitiges Verfügungsgeschäft des Schuldners.333 Es bedarf daher (anders als das durch zweiseitiges Rechtsgeschäft begründete sog. Stillhalteabkommen)334 lediglich einer einseitigen (empfangsbedürftigen) Erklärung des Schuldners gegenüber dem Gläubiger.335 Der Verzicht setzt kein bereits begründetes Leistungsverweigerungsrecht voraus und kann daher bereits vor Eintritt der Verjährung erklärt werden.336 Wird er nach Ablauf der Verjährungsfrist erklärt, ist der Verzicht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur wirksam, wenn der Schuldner bei Abgabe seiner Erklärung wusste oder zumindest für möglich hielt, dass die Verjährungsfrist schon abgelaufen und die Verjährung deshalb bereits eingetreten war.337 Auch nach bereits erhobener Einrede der Verjährung kann noch auf sie verzichtet werden.338 Da gem. § 202 Abs. 2 BGB die Verjährung durch Rechtsgeschäft nicht über eine Verjährungsfrist von 30 Jahren ab dem gesetzlichen Verjährungsbeginn hinaus erschwert werden kann, ist ein ohne Bestimmung eines Endzeitpunktes erklärter Verzicht regelmäßig dahin zu verstehen, dass er diese zeitliche Grenze einhält, soweit sich aus der Auslegung der Erklärung nichts Abweichendes ergibt.339 Der Verzicht kann aber ohne weiteres befristet erklärt werden; das durch den Eintritt der Verjährung begründete Leistungsverweigerungsrecht kann dann nach Ablauf der Frist wieder geltend gemacht werden.340 Die trotz Verzichts erhobene Einrede der Verjährung ist unbeachtlich.341 Auf den Lauf der Verjährungsfrist hat der Verzicht keine Auswirkung; insbesondere führt er nicht zum Neubeginn der Verjährung.342 Das durch den Eintritt der Verjährung begründete Leistungsverweigerungsrecht ist dem 102 Verwirkungseinwand ausgesetzt. Die Geltendmachung der Einrede muss sich an § 242 BGB messen lassen, dessen Anwendung dazu führen kann, dass gegenüber der Einrede der Einwand 333 Lakkis ZGS 2003, 423, 424 m. w. N. 334 Vgl. zu diesem etwa BGH 15.7.2010 – IX ZR 180/09 – NJW-RR 2011, 208 Tz. 15 m. w. N. 335 BGH 18.9.2007 – XI ZR 447/06 – WM 2007, 2230 Tz. 15; BGH 16.3.2009 – II ZR 32/08 – NJW 2009, 1598 Tz. 22, jeweils m. w. N. 336 BGH 18.9.2007 – XI ZR 447/06 – WM 2007, 2230 Tz. 15; BGH 16.3.2009 – II ZR 32/08 – NJW 2009, 1598 Tz. 22; Lakkis ZGS 2003, 423, 424 jeweils m. w. N. 337 BGH 22.4.1982 – VII ZR 191/81 – BGHZ 83, 382, 389 = NJW 1982, 1815, 1816 m. w. N. 338 Lakkis ZGS 2003, 423, 424. 339 BGH 18.9.2007 – XI ZR 447/06 – WM 2007, 2230 Tz. 16; Lakkis ZGS 2003, 423, 425, jeweils m. w. N. 340 BGH 16.3.2009 – II ZR 32/08 – NJW 2009, 1598 Tz. 22 m. w. N. 341 Lakkis ZGS 2003, 423, 426. 342 BGH 18.9.2007 – XI ZR 447/06 – WM 2007, 2230 Tz. 16; Lakkis ZGS 2003, 423, 426, jeweils m. w. N. Toussaint

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C. Verfahrensrechtliches

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der unzulässigen Rechtsausübung durchgreift. Unzulässig kann die Erhebung der Verjährungseinrede sein, wenn der Schuldner den Gläubiger hingehalten, ihn mit einer Handlungsweise von der rechtzeitigen Durchsetzung seines Anspruchs abgehalten hat, die den Gläubiger zu der Auffassung gelangen lassen durfte, der Schuldner werde sich nicht auf die Verjährung berufen, sondern den Anspruch entweder erfüllen oder mit sachlichen Mitteln bekämpfen.343 Dies war in der Vergangenheit in erster Linie dann von Bedeutung, wenn zwischen den Parteien Verhandlungen schwebten.344 Seit der Schuldrechtsmodernisierung führen solche schwebenden Verhandlungen aber bereits nach § 203 BGB zur Hemmung der Verjährung. Praktische Relevanz dürfte die Verwirkung der Verjährungseinrede daher heute kaum noch haben.

2. Herausgabeanspruch bei verjährtem Deliktsanspruch (§ 852 BGB) Auch nach Eintritt der Verjährung der Ansprüche nach den §§ 8, 9 kann der Gläubiger das durch 103 eine nach §§ 3, 7 unzulässige geschäftliche Handlung Erlangte als ungerechtfertigte Bereicherung herausverlangen. Da solche unzulässigen geschäftlichen Handlungen zugleich unerlaubte Handlungen i. S. d. §§ 823 ff. BGB sind (vgl. Rn. 32), ist § 852 BGB anwendbar.345 Nach § 852 S. 1 BGB bleibt der Schadensersatzpflichtige, der etwas durch die unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten erlangt hat, zu dessen Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung auch nach Eintritt der Verjährung des Schadensersatzanspruchs verpflichtet. Die Vorschrift findet nach heute hM346 nicht nur dann Anwendung, wenn der volle Tatbestand der Eingriffskondiktion nach § 812 BGB erfüllt ist. Vielmehr erfordert § 852 S. 1 BGB für den Bereicherungsanspruch (nur) dieselben Voraussetzungen wie der weitergehende verjährte Schadensersatzanspruch, ist also eine Rechtsfolgen- und keine Rechtsgrundverweisung. Ihm kommt die Wirkung einer Rechtsverteidigung gegenüber der Einrede der Verjährung des Schadensersatzanspruchs zu, wobei die Ersatzpflicht sich dem Umfange nach beschränkt auf das, was der Geschädigte erlangt hat.347 Das ist für den aus Wettbewerbsverstößen herrührenden Schadenersatzanspruch bedeutsam, weil der mit einem Wettbewerbsverstoß häufig verbundene Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Verletzten keine Rechtsposition mit Zuweisungsgehalt betrifft und deshalb den Tatbestand des § 812 Abs. 1 Satz 1, Fall 2 BGB (Bereicherung in sonstiger Weise) regelmäßig nicht erfüllt.348 In allen Fällen, in denen dem Schaden des Verletzten ein stoffgleicher Vorteil des Verletzers entspricht, unterliegt der Anspruch auf Herausgabe des Vorteils gem. § 852 S. 2 BGB einer regelmäßigen Verjährung von zehn Jahren ab Anspruchsentstehung und einer von der Anspruchsentstehung unabhängigen Verjährungshöchstfrist von 30 Jahren ab Begehung der Handlung.

C. Verfahrensrechtliches I. Prozessuale Behandlung der Verjährung Da die Verjährung nur ein Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners begründet (vgl. Rn. 98), 104 kann die Verjährung im Prozess vom Gericht nicht von Amts wegen berücksichtigt werden, 343 Vgl. nur Bamberger/Roth/Hau/Poseck/Henrich § 214 Rn. 9 ff. m. w. N. 344 Vgl. hierzu GK-Erstauflage/Messer § 21 Rn. 67 m. w. N. 345 BGH 12.7.1995 – I ZR 176/93 – BGHZ 130, 288, 297 = GRUR 1995, 678, 681 – Kurze Verjährungsfrist; BGH 14.1.1999 – I ZR 203/96 – GRUR 1999, 751, 754 – Güllepumpen.

346 BGH 14.2.1978 – X ZR 19/76 – BGHZ 71, 86, 98 = GRUR 1978, 492, 495 – Fahrradgepäckträger II; BGH 14.1.1999 – I ZR 203/96 – GRUR 1999, 751, 754 – Güllepumpen; MünchKommBGB/Wagner § 852 Rn. 5 m. w. N. 347 BGH 14.2.1978 – X ZR 19/76 – BGHZ 71, 86, 99 f. = GRUR 1978, 492, 495 – Fahrradgepäckträger II. 348 BGH 14.2.1978 – X ZR 19/76 – BGHZ 71, 86, 98 = GRUR 1978, 492 – Fahrradgepäckträger II. 455

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Verjährung

sondern nur, wenn der Schuldner die Einrede der Verjährung (zu dieser Rn. 99) erhebt. Auch wenn die Voraussetzungen für die Erhebung der Einrede aus Sicht des Gerichts vorliegen, darf das Gericht nicht auf die Möglichkeit der Einredeerhebung hinweisen; anderenfalls setzt es sich dem Vorwurf der Befangenheit aus.349 Unerheblich ist, ob der Schuldner die Einrede innerhalb oder außerhalb des Rechtsstreits erhoben wird; entscheidend ist allein, dass die Einredeerhebung in den Prozess eingeführt wird.350 Trägt also etwa der Gläubiger selbst vor, dass der Schuldner sich vorgerichtlich auf die Einrede der Verjährung berufen, ist dies vom Gericht zu beachten.351 Hat der Schuldner die Einrede der Verjährung einmal erhoben, bedarf es – ungeachtet der Möglichkeit, eine einmal erhobene Einrede (ausdrücklich) wieder fallen zu lassen352 – keiner Wiederholung in der nächsten Instanz.353 Wird die Verjährungseinrede erstmals in der Berufungsinstanz erhoben, ist sie unabhängig von den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 S. 1 ZPO zuzulassen, wenn die Erhebung der Verjährungseinrede und die den Verjährungseintritt begründenden tatsächlichen Umstände zwischen den Prozessparteien unstreitig sind.354 Ist dies allerdings nicht der Fall, hat sie unberücksichtigt zu bleiben.355 Die begründete Einrede der Verjährung führt zur Abweisung einer Leistungsklage und einer 105 positiven Feststellungsklage. Auf eine negative Feststellungsklage kann, da die Verjährung den Anspruch nicht erlöschen lässt, nicht festgestellt werden, dass dem Gläubiger der Anspruch nicht zusteht, sondern nur, dass der Schuldner zur Leistungsverweigerung berechtigt ist.356 Erhebt der Schuldner die Einrede der Verjährung erstmals während des Rechtsstreits, führt dieses Ereignis – ungeachtet der materiellrechtlichen Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Verjährungseintritts – zur Erledigung des Rechtsstreits i. S. d. § 91a ZPO.357 Von dieser nach objektiven Kriterien zu beurteilenden Frage zu unterscheiden ist die in einem solchen Falle bei übereinstimmenden Erledigungserklärungen gem. § 91a S. 1 ZPO „unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen“ vorzunehmende Kostenverteilung. Jedenfalls dann, wenn der Gläubiger die Verjährung kannte und nicht davon ausgehen durfte, dass der Schuldner die Verjährungseinrede nicht erheben würde, spricht einiges dafür, den Gläubiger auch dann an den Kosten zu beteiligen, wenn die Klage bei Eintritt der Rechtshängigkeit zulässig und begründet war.358

349 BGH 2.10.2003 – V ZB 22/03 – BGHZ 156, 269 = NJW 2004, 164; Ahrens/Bornkamm, Kap. 34 Rn. 2 m. w. N.; a. A. MünchKommUWG/Fritzsche, § 11 Rn. 166. 350 BGH 1.3.1951 – III ZR 205/50 – BGHZ 1, 234, 239 = NJW 1951, 557, 558. 351 BGH 22.4.1999 – IX ZR 364/98 – NJW 1999, 2120, 2123; BGH GSZ 23.6.2008 – GSZ 1/08 – BGHZ 177, 212 = NJW 2008, 3434 Tz. 16 m. w. N.; OLG Düsseldorf 5.2.1991 – 24 U 121/90 – NJW 1991, 2089, 2090. 352 Vgl. BGH 29.11.1956 – III ZR 121/55 – BGHZ 22, 267 = NJW 1957, 383 (LS). 353 BGH 15.12.1988 – IX ZR 33/88 – NJW 1990, 326, 327 m. w. N. 354 BGH GSZ 23.6.2008 – GSZ 1/08 – BGHZ 177, 212 = NJW 2008, 3434. 355 BGH 14.5.2009 – I ZR 208/06 – TranspR 2009, 477 Tz. 17 ff.; BGH 21.1.2010 – I ZR 206/07 – GRUR 2010, 828 Tz. 50 ff. – DiSC; BGH 12.1.2011 – VIII ZR 148/10 – NJW 2011, 842 Tz. 17 ff. 356 BGH 23.9.1968 – II ZR 67/66 – WM 1968, 1253; BGH 10.11.1982 – VIII ZR 156/81 – NJW 1983, 392 f. 357 BGH 27.1.2010 – VIII ZR 58/09 – NJW 2010, 2422 Tz. 28; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.53; Harte/Henning/Schulz § 11 Rn. 124; MünchKommUWG/Fritzsche § 11 Rn. 163; Ahrens/Bornkamm Kap. 33 Rn. 14 f.; Hase WRP 1985, 254, 256; Peters NJW 2001, 2289, 2290; a. A. (wegen Rückwirkung der Einrede auf den Verjährungseintritt sei die Klage von Anfang an unbegründet) juris-PK/Ernst § 11 Rn. 8; Wieczorek/Schütze/Smid/Hartmann § 91a Rn. 33; El-Gayar MDR 1998, 698, 699. Die früher im Vordergrund stehende Frage, ob die Verjährung des Anspruchs während eines einstweiligen Verfügungsverfahrens zu dessen Erledigung führt, vgl. hierzu ausführlich GK-Erstauflage/Messer § 21 Rn. 78 f. m. w. N., hat inzwischen ihre Bedeutung verloren, weil nach § 204 Abs. 1 Nr. 9 BGB jetzt auch das Verfügungsverfahren zur Verjährungshemmung führt, vgl. hierzu Rn. 89 ff. 358 Vgl. BGH 27.1.2010 – VIII ZR 58/09 – NJW 2010, 2422 Tz. 30 (Billigkeitsgesichtspunkte können Bedeutung erlangen); Harte/Henning/Schulz § 11 Rn. 127 (mindestens Kostenaufhebung); MünchKommUWG/Fritzsche § 11 Rn. 164 (u. U. Kostenaufhebung); Ahrens/Bornkamm Kap. 33 Rn. 14 (Kostenentscheidung zulasten des Beklagten nicht angezeigt); a. A. (volle Kostenbelastung des Schuldners) Peters NJW 2001, 2289, 2291. Toussaint

456

C. Verfahrensrechtliches

§ 11

II. Darlegungs- und Beweislast Nach den anerkannten allgemeinen Grundsätzen trägt im Prozess derjenige, der ein Recht gel- 106 tend macht, die Darlegungs- und Beweislast für die rechtsbegründenden Tatsachen, während derjenige, gegen den das Recht in Anspruch genommen wird, die (rechtshindernden) Umstände darzulegen und zu beweisen hat, die den rechtsbegründenden Tatsachen ihre Bedeutung oder Grundlage nehmen.359 Dies gilt auch für das durch Verjährung begründete Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners. Daher hat der Schuldner, der sich auf Verjährung beruft, die tatsächlichen Voraussetzungen, unter denen das durch Verjährung begründete Leistungsverweigerungsrecht regelmäßig entsteht, darzulegen und zu beweisen, während die Umstände, die trotz Zeitablaufs ein Leistungsverweigerungsrecht wegen Verjährung ausschließen, in die Darlegungs- und Beweislast des Gläubigers fallen.360

1. Verjährungsbegründende Tatsachen Die tatsächlichen Voraussetzungen für Beginn und (regelmäßigen) Ablauf der Verjährung 107 hat daher der Schuldner, der sich auf Verjährung beruft, darzulegen und ggf. zu beweisen.

a) Entstehung des Anspruchs. Dies gilt zunächst für die Entstehung des Anspruchs (s. hierzu 108 Rn. 46 ff.). Der Schuldner hat darzulegen und ggf. zu beweisen, dass der vom Gläubiger behauptete Anspruch bereits zu bzw. jedenfalls nicht vor einem bestimmten Zeitpunkt entstanden ist, der in Verbindung mit dem ungestörten Ablauf der für den Anspruch geltenden Verjährungsfrist zur Vollendung der in Anspruch genommenen Verjährung führt.361 Bei einem Schadensersatzanspruch gehört auch die Entstehung des Schadens hierzu. Hat eine (abgeschlossene) Verletzungshandlung mehrere Schadensfolgen, genügt nach dem Grundsatz der Schadenseinheit (vgl. Rn. 48) die Darlegung des Eintritts des ersten Teilschadens. Bei Dauerhandlungen (hierzu Rn. 51, 53) trägt der Schuldner die Darlegungs- und Beweislast für den Zeitpunkt ihrer Beendigung.

b) Subjektive Voraussetzungen des Verjährungsbeginns. Soweit der Verjährungsbeginn 109 zusätzlich von den subjektiven Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Nr. 2 abhängt (zu diesen Rn. 55 ff.), fällt auch deren Vorliegen in die Darlegungs- und Beweislast des Schuldners. Der Schuldner muss dann darlegen und ggf. beweisen, ab wann der Gläubiger die anspruchsbegründenden Umstände und die Person des Schuldners kannte oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte kennen müssen.362 Da es sich hierbei um innere Tatsachen aus dem Bereich des Gläubigers handelt, deren Darlegung dem Schuldner regelmäßig vor Schwierigkeiten stellen wird, trifft den Gläubiger hinsichtlich der Umstände aus seiner Sphäre eine Mitwirkungspflicht. Legt der

359 Vgl. nur BGH 27.11.2003 – I ZR 94/01 – GRUR 2004, 246, 247 – Mondpreise?; Baumgärtel/Laumen/Prütting Hdb. der Beweislast, Bd. I, 4. Aufl. (2019), Kap. 11 Rn. 20 ff., jeweils m. w. N. 360 Vgl. allgemein Baumgärtel/Laumen/Prütting/Kessen Hdb. der Beweislast, Bd. 2, 4. Aufl. (2019) Vorb. §§ 194 ff. Rn. 1 ff. m. w. N.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.54. 361 Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 81; Ohly/Sosnitza § 11 Rn. 52. 362 OLG München 2.12.2004 – 29 U 3475/04 – MD 2005, 241, 245 f.; OLG Jena 15.5.2007 – 2 W 610/06 – WRP 2007, 1121; Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 81; Harte/Henning/Schulz § 11 Rn. 128; juris-PK/Ernst § 11 Rn. 6; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.54; MünchKommUWG/Fritzsche § 11 Rn. 145; Ohly/Sosnitza § 11 Rn. 52; Rohlfing GRUR 2006, 735, 738; rechtspolitische Bedenken hiergegen äußern (zu § 199 Abs. 1 BGB) Zimmermann/Leenen/Mansel/Ernst JZ 2001, 684, 686 f. 457

Toussaint

§ 11

Verjährung

Schuldner (über bloße Verdachtsmomente hinausreichende)363 konkrete Tatsachen dar, die eine Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis des Gläubigers nahelegen, kann sich dieser nicht auf einfaches Bestreiten beschränken. Vielmehr trifft ihn dann eine sekundäre Darlegungslast dazu, ab wann er Kenntnis hatte und was er zur Ermittlung der Voraussetzungen seines Anspruchs und der Person des Schuldners getan hat.364 Macht also beispielsweise der wegen wettbewerbswidriger Zeitungswerbung in Anspruch genommene Schuldner geltend, der Gläubiger habe zum Zeitpunkt des gewöhnlichen Kiosk-Verkaufs von der Verletzungshandlung und dem Schuldner Kenntnis erlangt, ist dem Gläubiger einfaches Bestreiten für eine erfolgreiche Abwehr der Verjährungseinrede nicht gestattet; vielmehr muss er dann schon dartun, inwiefern er erst später auf die wettbewerbswidrige Anzeige aufmerksam geworden sei.

2. Verjährungshindernde Tatsachen 110 Die tatsächlichen Voraussetzungen von Umständen, die einer Verjährung entgegenstehen, hat dagegen der Gläubiger darzulegen und ggf. zu beweisen. Dies gilt zum einen für das Vorliegen von Gründen, die zur Hemmung oder zum Neubeginn der Verjährung führen.365 So trägt etwa der Gläubiger die Beweislast dafür, dass – nach § 203 BGB die Verjährung hemmende – Vergleichsverhandlungen (hierzu Rn. 78 ff.) über den von der Verjährungseinrede betroffenen Anspruch bzw. die ihn begründenden Umstände geführt worden sind oder dass der Schuldner auf die Verjährungseinrede verzichtet (hierzu Rn. 102) hat. Zum anderen gilt dies aber gleichermaßen für den Abschluss einer die Verjährung erschwerenden Vereinbarung über die Verjährung i. S. v. § 202 BGB366 sowie für Umstände, die eine Berufung auf die Verjährung als unzulässige Rechtsausübung (hierzu Rn. 103) erscheinen lassen.367 111 Dass solche der Verjährung entgegenstehenden Umstände wieder fortgefallen sind oder die Verjährung nicht gehindert haben, fällt demgegenüber wieder in die Darlegungs- und Beweislast des Gläubigers. Dieser hat daher insbesondere darzulegen und ggf. zu beweisen, dass eine Hemmung der Verjährung (rechtzeitig) geendet hat.368 Dies gilt etwa für die endgültige Beendigung oder das Scheitern von Vergleichsverhandlungen.369 Ebenso hat er etwa darzutun, dass ein Einredeverzicht oder eine Verjährungsvereinbarung aufgrund besonderer Umstände nicht wirksam war.370

363 Vgl. OLG Jena 15.5.2007 – 2 W 610/06 – WRP 2007, 1121, 1122, und allg. BGH, 19.9.1996 – I ZR 124/94 – GRUR 1997, 229, 230 – Beratungskompetenz; BGH 26.10.2006 – I ZR 33/04 – GRUR 2007, 247 Tz. 33 – Regenwaldprojekt I.

364 Fezer/Büscher/Obergfell § 11 Rn. 81; juris-PK/Ernst § 11 Rn. 6; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.54; MünchKommUWG/Fritzsche § 11 Rn. 146; Ohly/Sosnitza § 11 Rn. 52; Rohlfing GRUR 2006, 735, 738; zur gleichgelagerten Problematik bei § 199 Abs. 1 BGB vgl. etwa BGH 3.6.2008 – XI ZR 319/06 – NJW 2008, 2576 Tz. 25; a. A. nur OLG München 2.12.2004 – 29 U 3475/04 – MD 2005, 241, 246 (Erklärungspflicht des Gläubigers nur bei Zumutbarkeit, die stets besondere Anknüpfungspunkte durch die Art des vorangegangenen Tuns der beweisbegünstigten Partei oder ihrer persönlichen Verhältnisse und Beziehungen zum Gegner voraussetze). 365 juris-PK/Ernst § 11 Rn. 6; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.54; Ohly/Sosnitza § 11 Rn. 52. 366 Baumgärtel/Laumen/Prütting/Kessen Hdb. der Beweislast, Bd. 2, 4. Aufl. (2019), § 202 Rn. 1 m. w. N. 367 juris-PK/Ernst § 11 Rn. 6; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.54. 368 Vgl. (zu § 639 Abs. 2 a. F. BGB) BGH 30.10.2007 – X ZR 101/06 – NJW 2008, 576 Tz. 21. 369 Baumgärtel/Laumen/Prütting/Kessen Hdb. der Beweislast, Bd. 2, 4. Aufl. (2019), § 203 Rn. 1 m. w. N. 370 Baumgärtel/Laumen/Prütting/Kessen Hdb. der Beweislast, Bd. 2, 4. Aufl. (2019), § 202 Rn. 2. Toussaint

458

Kapitel 3 Verfahrensvorschriften Vorbemerkungen zu §§ 12–15a Übersicht 1

A.

Besonderheiten des Klageverfahrens

I.

Gerichtsbarkeit und Rechtsweg

II.

Insbesondere: Das Rechtsschutzbedürfnis für 36 die Unterlassungsklage

III.

Unterlassungsklage

IV.

Anderweitige Rechtshängigkeit und Klageände372 rung

V.

Besondere Klagearten

VI.

Beweis und Beweislast

IX.

Kosten

XI.

Vergleich

698 719 777

XII. Zwangsvollstreckung 1

B.

Aufbrauchfrist

I.

Einführung

II.

Rechtsgrundlage

5

III.

Voraussetzungen

21

IV.

Rechtsfolgen

V.

Dauer

VI.

Prozessuale Behandlung

62

433

VII. Verfahrensunterbrechungen VIII. Rechtskraft

1

X.

501 550

576

Erledigung der Hauptsache

1

29

30 34

656

A. Besonderheiten des Klageverfahrens I. Gerichtsbarkeit und Rechtsweg Schrifttum Ann/Loschelder/Grosch Praxishandbuch Know-how-Schutz (2010); Asendorf Wettbewerbs- und Patentstreitsachen vor Arbeitsgerichten? Die sachliche Zuständigkeit bei der Verletzung von Betriebsgeheimnissen durch Arbeitnehmer, GRUR 1990, 229; Becker/Schweitzer Schutz der Versicherten vor unlauterem Kassenwettbewerb, NJW 2014, 269; Bill Gesetzliche Krankenversicherung und Wettbewerb im Lichte des GKV Gesundheitsreformgesetzes 2000, SGb 2000, 359; Bosten Wettbewerb ohne Wettbewerbsrecht, WRP 1999, 9; Braun Unzulässigkeit der (weiteren) Beschwerde gem. § 17a GVG in Eilverfahren? NVwZ 2007, 49; Bumiller Zur Zuständigkeit der Sozialgerichte für kartellrechtliche Streitigkeiten, GRUR 2000, 484; Conrad Zulässigkeit und Folgen der Rechtswegrüge nach Erlass einer einstweilligen Verfügung im Beschlusswege, GRUR 2014, 1172; Diekmann/Wildberger Wettbewerbsrechtliche Ansprüche im Rahmen von § 69 SGB V, NZS 2004, 15; Ebert-Weidenfeller/Gromotke Krankenkassen als Normadressaten des Lauterkeits- und Kartellrechts, EuZW 2013, 937; Eichenhofer Die Rolle von öffentlichem und privatem Recht bei der Erbringung sozialer Dienstleistungen, SGb 2003, 365; Fischer Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten in UWG-Sachen, DB 1998, 1182; Fusbahn Marken, Medien, Märkte – geht’s eigentlich auch ohne die Gerichte? AnwBl 2015, 601; Greer/ Wambach In kleinen Schritten zu mehr Wettbewerb auf dem Krankenkassenmarkt, Perspektiven der Wirtschaftspolitik 2020, 19; Keßler Die gesetzliche Krankenversicherung als Ausnahmebereich im deutschen und europäischen Wettbewerbsrecht im Lichte der neueren Rechtsprechung, WRP 2006, 1283; ders. Die gesetzliche Krankenversicherung im Spiegel der normativen Wettbewerbsordnung – Weiterungen und Restriktionen, WRP 2007, 1030; Kissel Die neuen §§ 17 bis 17b GVG in der Arbeitsgerichtsbarkeit, NZA 1995, 345; Knispel Auswirkungen der Neuregelung der Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu den Leistungserbringern durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000, NZS 2001, 466; Köhler Mitgliederwerbung der Krankenkassen, NZS 1998, 153; ders. Neue

459 https://doi.org/10.1515/9783110545968-008

Ebersohl

Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Wettbewerbsgrundsätze der Aufsichtsbehörden der gesetzlichen Krankenversicherung, WRP 1998, 959; Kunze/Kreikebohm Sozialrecht versus Wettbewerbsrecht – dargestellt am Beispiel der Belegung von Rehabilitationseinrichtungen, NZS 2003, 5 und 62; Mayerhofer Rechtsweg oder sachliche Zuständigkeit? Das Verhältnis der ordentlichen Gerichte zu den Gerichten für Arbeitssachen nach dem Inkrafttreten des 4. VwGOÄndG, NJW 1992, 1602; Möschel Gesetzliche Krankenversicherung und das Kartellrecht, JZ 2007, 601; Mühlhausen Der Meinungsstand zur Anwendbarkeit des UWG auf wettbewerbsrelevantes Verhalten von Krankenkassen, insbesondere bei der Mitgliederwerbung, NZS 1999, 120; Müller-Glöge/Preis/Schmidt Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 12. Aufl. (2012); Oehler Gesundheitswesen ohne Wettbewerb – Zum Verlust einer rechtlichen Ordnungsidee, FS Priester (2007) 557; Otto Wettbewerbsrechtlicher Schutz gegen kommunale Wirtschaftstätigkeit, GewArch 2001, 360; Pagenkopf Einige Betrachtungen zu den Grenzen für privatwirtschaftliche Betätigung der Gemeinden – Grenzen für die Grenzzieher? GewArch 2000, 179; Piper Zum Wettbewerb der öffentlichen Hand, GRUR 1986, 574; Scholz Wettbewerbsrechtliche Klagen gegen Hoheitsträger: Zivil- oder Verwaltungsrechtsweg? NW 1978, 15; Schünemann Die wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand zwischen öffentlichem und privatem Wettbewerbsrecht, WRP 2000, 1001; Tetzlaff Wettbewerb von Sozialversicherungsträgern – Rechtswegfrage, WuW 1990, 1009.

Übersicht 1. 2.

Gerichtsbarkeit 1 Rechtswegzuständigkeit als Prozessvorausset2 zung 2 a) Allgemeines 5 b) Rechtswegentscheidung (§ 17a GVG) aa) Normzweck und Entstehungsge5 schichte bb) Allgemeines zur Rechtswegprü6 fung cc) Entscheidung bei Zulässigkeit des 8 Rechtswegs dd) Entscheidung bei Unzulässigkeit des 10 Rechtswegs 15 ee) Rechtsmittel ff) Entsprechende Anwendung in Eilver18 fahren 20 gg) Kosten

3.

4.

5.

Abgrenzung zu öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten, insbesondere zur Sozialgerichtsbar21 keit 21 a) Historische Entwicklung b) Abgrenzung zur Sozialgerichtsbarkeit nach 25 geltendem Recht c) Abgrenzung jenseits der Sonderfälle der So28 zialgerichtsbarkeit Abgrenzung zu arbeitsgerichtlichen Streitigkei29 ten 29 a) Abgrenzungskriterien 30 aa) Arbeitnehmerbegriff bb) Zusammenhang mit einem Arbeitsver31 hältnis 34 b) Zusammenhangsklagen 35 Schiedsgerichtsvereinbarungen

1. Gerichtsbarkeit 1 Gerichtsbarkeit meint die Befugnis der Gerichte (Art. 92 GG), „richterliche Gewalt“ i. S. d. § 1 GVG auszuüben.1 Diese Befugnis gilt innerhalb der territorialen Grenzen des Staates grundsätzlich unbeschränkt. Eine Ausnahme gilt für die in §§ 18 ff. GVG genannten Gerichtsfreien sowie im Allgemeinen für ausländische Staaten, soweit sie hoheitlich tätig werden (acta iure imperii). Demgegenüber erstreckt sich die inländische Gerichtsbarkeit auf die wirtschaftliche Betätigung ausländischer Staaten (acta iure gestionis).2 Gegenüber Wettbewerbsansprüchen kann ein ausländischer Staat praktisch nie Immunität geltend machen, da ein Handeln zu Wettbewerbszwecken der Natur nach nicht hoheitlich ist.3 Dies gilt insbesondere für die praktisch relevanten Bereiche der Fremdenverkehrsbüros und der Handelsförderungsbüros.4 Von der deutschen Ge1 Umfassend zur Gerichtsbarkeit GK-UWG/Jacobs1 vor § 13, D, Rn. 1–14 m. w. N. 2 BVerfG 30.4.1963 – 2 BvM 1/62 – BVerfGE 16, 27, 34 = NJW 1963, 1732, 1733; Geimer Rn. 666 ff.; Schack Rn. 148 ff.; Gloy/Loschelder/Erdmann/Schütze § 11 Rn. 1 ff. m. w. N.

3 GK-UWG/Jacobs1 vor § 13, D, Rn. 7; Gloy/Loschelder/Erdmann/Schütze § 11 Rn. 4. 4 Gloy/Loschelder/Erdmann/Schütze § 11 Rn. 5 f. m. w. N. Ebersohl

460

I. Gerichtsbarkeit und Rechtsweg

Vor §§ 12–15a A

richtsbarkeit sind daneben ausländische Staatsunternehmen ebenso wenig befreit wie ausländische Staatsbanken.5

2. Rechtswegzuständigkeit als Prozessvoraussetzung a) Allgemeines. Das UWG enthält keine Regelung zu Fragen der Rechtswegzuweisung wettbe- 2 werbsrechtlicher Streitigkeiten. Anzuknüpfen ist deshalb an die allgemeine Regelung des § 13 GVG. Wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten, die sich nach den Vorschriften des UWG beurteilen, stellen in der Regel bürgerliche Streitigkeiten dar.6 Beurteilt sich das streitige Rechtsverhältnis nach den Vorschriften des UWG und fehlt eine ausdrückliche gesetzliche Rechtswegzuweisung, ist daher regelmäßig der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gem. § 13 GVG eröffnet. Für Wettbewerbsstreitigkeiten relevante spezielle Rechtszuweisungen finden sich in der Sozialgerichtsbarkeit7 sowie in der Arbeitsgerichtsbarkeit.8 Die Rechtswegzuständigkeit stellt eine sowohl im Hauptsache- als auch im Verfügungsverfah- 3 ren von Amts wegen zu prüfende Sachentscheidungsvoraussetzung oder Prozessvoraussetzung dar.9 Ob eine bürgerliche Streitigkeit vorliegt, richtet sich nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird, d. h. nach dem Streitgegenstand.10 Für die Bestimmung des streitigen Rechtsverhältnisses und dessen Natur ist insoweit (allein) vom Klagevorbringen auszugehen.11 Die Frage, ob der daraus geltend gemachte Anspruch tatsächlich besteht, ist zwar eine solche der Begründetheit. Im Rahmen der Rechtswegeröffnung ist es dennoch nicht ausreichend, dass sich der Kläger allein (formal) auf eine zivilrechtliche Anspruchsgrundlage beruft.12 Andererseits ist es für die Rechtswegeröffnung ohne Belang, ob der Klageanspruch schlüssig dargetan ist. Maßgeblich ist vielmehr die wahre Natur des Anspruchs, wie er sich nach dem Parteivortrag darstellt. Auf dieser Grundlage müssen sich – die Richtigkeit des Vortrags unterstellt – solche Rechtsbeziehungen oder Rechtsfolgen ergeben, für die die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte besteht.13 5 Siehe dazu Gloy/Loschelder/Erdmann/Schütze § 11 Rn. 7 f. mit differenzierender Ansicht bzgl. ausländischer Staatsbanken.

6 Teplitzky/Schaub Kap. 45 Rn. 1; Piper/Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 44; Gloy/Loschelder/Erdmann/Spätgens § 85 Rn. 1. 7 Vgl. Rn. 21 ff. 8 Vgl. Rn. 29 ff. 9 Ahrens/Bornkamm Kap. 15 Rn. 3; Fezer/Büscher § 12 Rn. 220. 10 GmS-OGB 10.4.1986 – GmS-OGB 1/85 – BGHZ 97, 312 = NJW 1986, 2359; GmS-OGB 29.10.1987 – GmS-OGB 1/86 – BGHZ 102, 280, 283 = NJW 1988, 2295; BGH 22.3.1976 – GSZ 1/75 – BGHZ 66, 229, 232 = GRUR 1976, 658, 659 – Studenten-Versicherung m. Anm. Kraft; BGH 22.3.1976 – GSZ 2/75 – BGHZ 67, 81, 84 = GRUR 1977, 51, 52 – AutoAnalyzer m. Anm. Kraft; BGH 11.7.1996 – V ZB 6/96 – BGHZ 133, 240, 243 = NJW 1996, 3012; BGH 2.4.2009 – IX ZB 182/08 – NJW 2009, 1968 Tz. 10; BGH 27.10.2009 – VIII ZB 42/08 – BGHZ 183, 49, 54 Tz. 13 = NJW 2010, 873, 874 Tz. 13; BGH 27.10.2009 – VIII ZB 45/08 – NJOZ 2010, 2116, 2118 Tz. 13; OLG Köln 13.7.2018 – I-6 U 180/17 – GRUR-RR 2018, 461. 11 Ahrens/Bornkamm Kap. 15 Rn. 3; Fezer/Büscher § 12 Rn. 221. 12 GmS-OGB 10.4.1986 – GmS-OGB 1/85 – BGHZ 97, 312, 313 = NJW 1986, 2359; GmS-OGB 29.10.1987 – GmS-OGB 1/ 86 – BGHZ 102, 280, 283 = NJW 1988, 2295; GmS-OGB 10.7.1989 – GmS – OGB 1/88 – BGHZ 108, 284, 286 = NJW 1990, 1527; BGH 30.1.1997 – III ZB 110/96 – NJW 1997, 1636; BGH 27.1.2005 – III ZB 47/04 – BGHZ 162, 78, 80 = NVwZ 2006, 243, 244; BGH 24.1.2008 – IX ZR 216/06 – NJW-RR 2008, 610 Tz. 14; BGH 29.4.2008 – VIII ZB 61/07 –BGHZ 176, 222, 224 Tz. 8; BGH 17.9.2008 – III ZB 19/08 – WM 2008, 2153, 2154 Tz. 9; BGH 9.4.2009 – III ZR 200/08 – NVwZ 2009, 928 Tz. 3; BGH 27.10.2009 – VIII ZB 45/08 – NJOZ 2010, 2116, 2118 Tz. 13. 13 GmS-OGB 10.4.1986 – GmS-OGB 1/85 – BGHZ 97, 312, 313 = NJW 1986, 2359, 2360; GmS-OGB 29.10.1987 – GmSOGB 1/86 – BGHZ 102, 280, 283 = NJW 1988, 2295, 2296; GmS-OGB 10.7.1989 – GmS – OGB 1/88 – BGHZ 108, 284, 286 = NJW 1990, 1527; BGH 23.2.1988 – VI ZR 212/87 – BGHZ 103, 255, 257 = NJW 1988, 1731, 1732; BGH 29.4.2008 – VIII ZB 61/07 –BGHZ 176, 222, 224 Tz. 8; BGH 27.10.2009 – VIII ZB 42/08 – BGHZ 183, 49, 54 Tz. 13 = NJW 2010, 873, 874 Tz. 13; BAG 6.2.1958 – 2 AZR 493/57 – BAGE 5, 139, 141 = NJW 1958, 686; BVerwG 14.10.1958 – I C 59.57 – BVerwGE 7, 257, 258; BVerwG 28.1.1965 – II C 108.62 – BVerwGE 20, 199, 200 = NJW 1965, 929. 461

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Im Fall der negativen Feststellungsklage ist zusätzlich auch das Beklagtenvorbringen zu berücksichtigen.14 Dies ist erforderlich, da sich der Streitgegenstand nach der positiven Berühmung eines vom Beklagten beanspruchten Rechts bestimmt. Für die Frage des Rechtswegs ist deshalb zu klären, welcher Natur dieses beanspruchte Recht ist.

b) Rechtswegentscheidung (§ 17a GVG) 5 aa) Normzweck und Entstehungsgeschichte. Die Entscheidung über die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs erfolgt nach Maßgabe der am 1.1.1991 in Kraft getretenen Regelung des § 17a GVG.15 Die Vorschriften der §§ 17–17b GVG gelten für die ordentlichen Gerichte unmittelbar (§ 2 EGGVG) und für die Gerichte der anderen Gerichtsbarkeiten aufgrund gesetzlicher Anordnung entsprechend (§§ 173 VwGO, 202 SGG, 48 ArbGG und 155 FGO). Zweck des § 17a GVG ist, die Entscheidung über die Rechtswegzuständigkeit zu beschleunigen und zu vereinfachen.16 Hierzu wurde die aufdrängende Bindung einer Verweisung an ein Gericht eines anderen Rechtswegs eingeführt (Abs. 2 Satz 3) und die Möglichkeit der Klageabweisung aufgrund Unzulässigkeit des gewählten Rechtswegs abgeschafft.17 Ferner ist nach Abs. 5 die Zulässigkeit des Rechtswegs der Prüfung der Gerichte im allgemeinen Rechtsmittelverfahren entzogen. Eine Überprüfung der Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs erfolgt nach Abs. 4 Satz 3 vielmehr lediglich im Rahmen der sofortigen Beschwerde. Mithin wird gleich zu Beginn eines Verfahrens die Frage der Rechtswegzuständigkeit abschließend geklärt. Dadurch wird insbesondere der Gefahr vorgebeugt, dass ein Rechtsstreit erst die Instanzen durchläuft, um schlussendlich in einen anderen Rechtsweg verwiesen zu werden.18

6 bb) Allgemeines zur Rechtswegprüfung. Das angerufene Gericht prüft die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs von Amts wegen.19 Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG wird die Zulässigkeit durch eine nach Rechtshängigkeit eintretende Veränderung der sie begründenden Umstände nicht berührt. Vorausgesetzt, dass der Streitgegenstand nicht geändert wird, bleibt somit eine Klage, die einmal im zulässigen Rechtsweg erhoben war, ungeachtet künftiger Entwicklungen zulässig.20 Dies gilt auch in den Fällen einer nachträglichen Änderung der Gesetzeslage.21 Treten demgegenüber nachträglich Umstände ein, die erst die Zulässigkeit des Rechtswegs eröffnen, so sind diese bis zur rechtskräftigen Verweisung an einen anderen Gerichtszweig zu berücksichtigen.22 Vor der Zulässigkeit des Rechtswegs ist das Prozesshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit zu prüfen, und zwar nicht nur innerhalb der Zivilgerichtsbarkeit (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO), sondern auch bei Klagen in verschiedenen Rechtswegen (§ 17 Abs. 1 Satz 2 GVG).23 Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG gilt, dass das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechts7 streit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten entscheidet. Damit ist 14 GmS-OGB 29.10.1987 – GmS-OGB 1/86 – BGHZ 102, 280, 284 = NJW 1988, 2295, 2296; Ahrens/Bornkamm Kap. 15 Rn. 3; Fezer/Büscher § 12 Rn. 221. 15 Gesetz zur Neuregelung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vom 17.12.1990, BGBl. I, S. 2809, 2816 f. 16 Vgl. BTDrucks. 11/7030, S. 37. 17 Näher zur Gesetzesgeschichte und zum Normzweck Wieczorek/Schütze/Schreiber § 17a GVG Rn. 1 f. 18 BGH 18.9.2008 – V ZB 40/08 – NJW 2008, 3572 Tz. 9; Ahrens/Bornkamm Kap. 15 Rn. 6 mit Verweis auf GmSOGB 10.7.1989 – GmS – OGB 1/88 – BGHZ 108, 284, 286 = NJW 1990, 1527, wo der BGH das Verfahren an das örtlich zuständige Sozialgericht verwiesen hat. 19 Vgl. BTDrucks. 11/7030, S. 37. 20 Fezer/Büscher § 12 Rn. 244 m. w. N. 21 Vgl. hierzu BGH 11.12.2001 – KZB 12/01 – GRUR 2002, 464 – LDL Behandlung m. w. N. 22 BGH 3.4.1992 – V ZR 83/91 – NJW 1992, 1757; BGH 18.5.1995 – I ZB 22/94 – NJW 1995, 2295; Fezer/Büscher § 12 Rn. 244. 23 BGH 3.7.1997 – IX ZB 116/96 – NJW 1998, 231; Fezer/Büscher § 12 Rn. 244. Ebersohl

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jedoch keine Aussage getroffen für den Fall der objektiven Klagehäufung, mithin für den Fall, dass mehrere prozessuale Ansprüche – sei es kumulativ oder im Wege von Haupt- und Hilfsanträgen – geltend gemacht werden.24 Hier ist für jeden prozessualen Anspruch die Zulässigkeit des Rechtswegs gesondert zu prüfen.25 Bei kumulativer Geltendmachung sind die im unzulässigen Rechtsweg erhobenen prozessualen Ansprüche abzutrennen (durch die Zivilgerichte nach § 145 ZPO) und nach § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG zu verweisen. Bei haupt- und hilfsweiser Geltendmachung ist der Hauptanspruch maßgeblich. Nachdem dieser beschieden ist, ist das Verfahren, soweit über den Hilfsantrag noch zu entscheiden ist, auf den für den Hilfsantrag zuständigen Rechtsweg zu verweisen.26 Auch bei subjektiver Klagehäufung, also bei mehreren Streitgenossen auf Kläger- oder Beklagtenseite, hat eine selbstständige Prüfung der Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs zu erfolgen.27 Die äußerliche Verbindung der einzelnen Verfahren ändert nichts an deren Unabhängigkeit und Selbstständigkeit.28 Sind für die Streitgenossen verschiedene Rechtswege eröffnet, so kann nicht analog § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ein gemeinsamer Rechtsweg bestimmt werden, da die Rechtswegzuständigkeit im Einzelnen genau bestimmt ist und keine allgemeine Veranlassung besteht, Gerichte mit Rechtsstreitigkeiten anderer Rechtswege zu befassen.29

cc) Entscheidung bei Zulässigkeit des Rechtswegs. Hält das Gericht erster Instanz den 8 beschrittenen Rechtsweg für zulässig, so stehen grundsätzlich zwei Wege der Entscheidung zur Verfügung. So kann (unter bestimmten Voraussetzungen: muss) es zum einen nach § 17a Abs. 3 Satz 1 GVG eine Vorabentscheidung im Beschlusswege über die Zulässigkeit des Rechtswegs treffen. Zum anderen kann es im Rahmen seiner Entscheidung in der Hauptsache30 (ausdrücklich oder konkludent) über die Eröffnung des beschrittenen Rechtswegs entscheiden.31 Diese Entscheidung ist grundsätzlich unangreifbar (§ 17a Abs. 5 GVG), selbst wenn sie in der Sache unrichtig ist.32 Wegen der besonderen prozeduralen Ausgestaltung in § 17a Abs. 4 GVG kann das Gericht erster Instanz hingegen nicht positiv über die Rechtswegzuständigkeit durch Zwischenurteil entscheiden. Rügt eine Partei die Zulässigkeit des Rechtswegs, wobei zugleich § 282 Abs. 3 ZPO zu beach- 9 ten ist,33 muss das Gericht vorab durch Beschluss entscheiden (§ 17a Abs. 3 Satz 2 GVG). Da die Beteiligten die Rechtswegzuständigkeit in der Rechtsmittelinstanz nicht mehr rügen können (§ 17a Abs. 5 GVG), stellt sich § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG als Präklusionsregelung dar.34 Die Rechtswegzuständigkeit muss nicht ausdrücklich bestritten werden, doch müssen sich nach dem Parteivortrag Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Zuständigkeit zumindest in Frage gestellt wird.35 Die nach § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG getroffene Entscheidung ist rechtskraftfähig. Hinsichtlich der formellen Rechtskraft ist auf den Ablauf der Beschwerdefrist gemäß den Vorschriften 24 25 26 27 28 29 30 31

Fezer/Büscher § 12 Rn. 245. BGH 5.6.1997 – I ZB 42/96 – GRUR 1998, 506, 508 – Rechtsweg; Fezer/Büscher § 12 Rn. 245. BGH 17.12.1998 – IX ZB 59/97 – NJW-RR 1999, 1007, 1009; Fezer/Büscher § 12 Rn. 245. Fezer/Büscher § 12 Rn. 245, § 59 Rn. 11 und für § 61 Rn. 47. Vgl. MünchKommZPO/Schultes § 59 Rn. 22. BGH 24.3.1994 – X ARZ 902/93 – NJW 1994, 2032; Fezer/Büscher § 12 Rn. 245. Zum Begriff Rn. 16 f. BGH 19.11.1993 – V ZR 269/92 – NJW 1994, 387; BGH 19.11.1993 – V ZR 22/92AP – GVG § 17a Nr. 21; BGH 18 9.2008 – V ZB 40/08 – NJW 2008, 3572 Tz. 9; BAG 9.7.1996 – 5 AZB 6/96 – NJW 1996, 3430. 32 Siehe dazu näher Rn. 16 ff. 33 BGH 25.2.1993 – III ZR 9/92 – BGHZ 121, 367, 369 = NJW 1993, 1799; BGH 18.11.1998 – VIII ZR 269-97 – NJW 1999, 651; BGH 9.4.2009 – III ZR 200/08 – NVwZ 2009, 928 Tz. 4; Zöller/Lückemann § 17a Rn. 6; MünchKommZPO/ Zimmermann § 17a GVG Rn. 12; Fezer/Büscher § 12 Rn. 246. 34 Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner/Ehlers § 17a GVG Rn. 24. 35 Vgl. BGH 19.11.1993 – V ZR 269/92 – NJW 1994, 387; OLG Brandenburg 27.10.2008 – 6 U 20/07 – juris Tz. 34; a. A. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner/Ehlers § 17a GVG Rn. 25. 463

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der jeweils anzuwendenden Verfahrensordnung abzustellen (§ 17a Abs. 4 Satz 3 GVG), im Falle zivilprozessualer Streitigkeiten auf § 569 ZPO.

10 dd) Entscheidung bei Unzulässigkeit des Rechtswegs. Die Wahl des unzulässigen Rechtswegs führt nicht zu einem klageabweisenden Prozessurteil. Gem. § 17a Abs. 2 GVG spricht das Gericht nach Anhörung der Parteien die Unzulässigkeit des Rechtswegs durch Beschluss aus und verweist zugleich von Amts wegen den Rechtsstreit an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs. Eine mündliche Verhandlung ist nicht zwingend notwendig (§ 17a Abs. 4 Satz 1 GVG). Wegen § 17a Abs. 4 GVG kann – wie in Fällen der angenommenen Rechtswegzuständigkeit36 – nicht durch Zwischenurteil über die Rechtswegzuständigkeit entschieden werden. Eine Verweisung hat auch dann zu erfolgen, wenn die weiteren Prozessvoraussetzungen für das Verfahren vor diesem Gericht nicht erfüllt sind.37 Eine Teilverweisung ist wegen § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG, wonach das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten entscheidet, nur möglich, wenn zuvor eine Abtrennung (im Zivilrechtsweg nach § 145 ZPO) erfolgt ist.38 11 Der rechtskräftige Verweisungsbeschluss ist gem. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen wurde, hinsichtlich des Rechtswegs bindend. Die Verweisung hat somit aufdrängende, eine Rückverweisung ausschließende Wirkung39 und entfaltet darüber hinaus aufdrängende Kraft, die eine Weiterverweisung an ein Gericht eines dritten Rechtswegs ausschließt.40 Die Bindungswirkung ist indes auf die Rechtswegfrage beschränkt, sodass z. B. innerhalb des Rechtswegs wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit weiterverwiesen werden darf.41 Wird innerhalb des Rechtswegs, an den nach § 17a Abs. 2 GVG bereits einmal verwiesen wurde, an ein drittes Gericht weiterverwiesen, so besteht die Bindungswirkung im Hinblick auf den Rechtsweg aus § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG fort.42 12 Die Bindungswirkung nach § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG tritt unabhängig davon ein, ob die Verweisung gesetzwidrig erfolgt ist. Die durch § 17a Abs. 4 GVG eröffnete Beschwerdemöglichkeit schließt es auch bei einem schwerwiegenden Rechtsfehler, etwa der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, grundsätzlich aus, die Bindungswirkung der Verweisung zu durchbrechen.43 Dementsprechend entfaltet sogar eine gesetzwidrige Rückverweisung Bindungswirkung, wenn sie in Rechtskraft erwächst.44 Offen gelassen hat der BGH bislang die Frage, ob bei „extremen Verstößen“ die Bindungswirkung durchbrochen werden soll, etwa im Falle eines nicht mehr zu rechtfertigenden Verstoßes gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters.45 Angesichts der Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Ermittlung derartiger „extremer Verstöße“ und vor dem Hintergrund, dass eine Beschwerde nach § 17a Abs. 4 GVG in jedem Fall möglich ist, sollten vom Grundsatz der strengen Bindungswirkung keine Ausnahmen gemacht werden.46 13 Gem. § 17b Abs. 1 Satz 2 GVG bleiben die Wirkungen der Rechtshängigkeit auch bei Verweisung bestehen. Dies gilt sowohl für die prozessualen (§§ 261 ff. ZPO) als auch für die materi36 37 38 39 40 41 42 43

Vgl. dazu Rn. 8. Wieczorek/Schütze/Schreiber § 17a GVG Rn. 10 m. w. N. Hierzu Rn. 7. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner/Ehlers § 17a GVG Rn. 14. BTDrucks. 11/7030, S. 37; Wieczorek/Schütze/Schreiber § 17a GVG Rn. 14. BTDrucks. 11/7030, S. 37; Wieczorek/Schütze/Schreiber § 17a GVG Rn. 14. Wieczorek/Schütze/Schreiber § 17a GVG Rn. 14 m. w. N. BGH – 8.7.2003 – X ARZ 138/03 – NJW 2003, 2990; Wieczorek/Schütze/Schreiber § 17a GVG Rn. 15; Fezer/Büscher § 12 Rn. 249. 44 BGH 24.2.2000 – III ZB 33/99 – NJW 2000, 1343, 1344; Fezer/Büscher § 12 Rn. 249. 45 BGH 13.11.2001 – X ARZ 266/01 NJW-RR 2002, 713; BGH 8.7.2003 – X ARZ 138/03 – NJW 2003, 2990; für eine Durchbrechung der Bindungswirkung in diesen Fällen Fezer/Büscher § 12 Rn. 249. 46 Vgl. Wieczorek/Schütze/Schreiber § 17a GVG Rn. 15. Ebersohl

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ell-rechtlichen Wirkungen (z. B. §§ 291, 292, 407 Abs. 2, 818 Abs. 4 BGB). Der Grundgedanke der Vorschrift besteht darin, dass die Anrufung eines falschen Gerichts im Hinblick auf die Gleichrangigkeit der einzelnen Gerichtsbarkeiten nicht zu Lasten des Klägers gehen darf.47 Dementsprechend werden durch die Klageerhebung grundsätzlich auch sämtliche Fristen gewahrt.48 Eine Ausnahme ist für den Fall eines offenkundigen Rechtsmissbrauchs zu machen.49 Die Klagefrist wird durch den Eingang bei dem unzuständigen Gericht ferner nur dann gewahrt, wenn die Klage gerade an dieses Gericht gerichtet war und es sich nicht um einen Irrläufer handelt.50 Nach Eintritt der Rechtskraft des Verweisungsbeschlusses und mit Eingang der Akten tritt 14 bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht Anhängigkeit ein (§ 17b Abs. 1 Satz 1 GVG). Anhängigkeit bedeutet, dass das Gericht mit einem Verfahren befasst ist und damit die Verantwortung über den weiteren Verfahrensablauf übertragen erhält.51 Sie setzt insoweit – im Gegensatz zur Rechtshängigkeit (§§ 253 Abs. 1, 261 Abs. 1 ZPO) – nicht die Zustellung an den Beklagten voraus. Ab dem Zeitpunkt der Anhängigkeit ist das Gericht, an das verwiesen wird, für sämtliche Verfahrenshandlungen und Entscheidungen zuständig.

ee) Rechtsmittel. Gegen die nach § 17a Abs. 2 und 3 GVG getroffenen Beschlüsse kann soforti- 15 ge Beschwerde nach Maßgabe der jeweils anzuwendenden Verfahrensordnung (z. B. §§ 567 ff. ZPO) erhoben werden (§ 17a Abs. 4 Satz 3 GVG). Nach allgemeinen Grundsätzen ist eine Beschwer des Beschwerdeführers erforderlich.52 Richtigerweise ist dabei seitens des Klägers die formelle, seitens des Beklagten hingegen nur die – grundsätzlich gegebene53 – materielle Beschwer zu fordern, da der Kläger sich mit Klageerhebung verbindlich zum zu beschreitenden Rechtsweg geäußert hat, während der Gesetzeswortlaut eine derartige verbindliche Äußerung des Beklagten gerade nicht erfordert.54 Befindet das Beschwerdegericht, dass die Zulässigkeit des Rechtswegs zu Unrecht angenommen wurde, so spricht es selbst die Verweisung aus.55 Wird sofortige Beschwerde eingelegt, so ist das Hauptsacheverfahren entsprechend § 148 ZPO auszusetzen.56 Wurde Rechtsbeschwerde (z. B. §§ 574 ff. ZPO) zugelassen, ist auch diese statthaft. Der Wortlaut des § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG ist insoweit zu eng, als er die Möglichkeit der Rechtsbeschwerde nur für den Fall vorsieht, dass es sich bei dem Beschwerdegericht um ein Oberlandesgericht handelt. Dieses gesetzgeberische Versehen hat der BGH korrigiert und entschieden, dass Rechtsbeschwerde auch gegen Entscheidungen der Landgerichte erhoben werden kann, wenn sie zugelassen wurde.57 Jenseits der Beschwerde nach § 17a Abs. 4 GVG ist die Entscheidung des erstinstanzlichen 16 Gerichts über die Rechtswegzuständigkeit grundsätzlich unangreifbar. Hat das erstinstanzliche Gericht in einer Entscheidung in der Hauptsache die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs bejaht, so gilt nach § 17a Abs. 5 GVG, dass das Rechtsmittelgericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nicht mehr prüft, ob der 47 KG 12.12.2007 – 3 UF 88/07 – NJW-RR 2008, 744, 745; MünchKommZPO/Zimmermann § 17b GVG Rn. 7. 48 OVG Münster 29.8.1995 – 25 A 4760/95.A – NJW 1996, 334; KG 12.12.2007 – 3 UF 88/07 – NJW-RR 2008, 744, 745; vgl. auch BVerwG 20.1.1993 – 7 B 158/92 – DVBl. 1993, 562. 49 Vgl. KG 12.12.2007 – 3 UF 88/07 – NJW-RR 2008, 744, 745 zum Fall der Einreichung eines Scheidungsantrags beim Sozialgericht. 50 BVerwG 31.10.2001 – 2 C 37/00 – NJW 2002, 768. 51 Stein/Jonas/Schumann § 261 Rn. 2; MünchKommZPO/Zimmermann § 17b GVG Rn. 2. 52 Wieczorek/Schütze/Schreiber § 17a GVG Rn. 22; MünchKommZPO/Zimmermann § 17a GVG Rn. 32. 53 Vgl. insoweit auch MünchKommZPO/Zimmermann § 17a GVG Rn. 32. 54 Wieczorek/Schütze/Schreiber § 17a GVG Rn. 22. 55 Wieczorek/Schütze/Schreiber § 17a GVG Rn. 13. 56 Wieczorek/Schütze/Schreiber § 17a GVG Rn. 17 m. w. N. 57 BGH 10.7.2003 – III ZB 91/02 – BGHZ 155, 365 = NJW 2003, 2913, 2914; BGH 2.4.2009 – IX ZB 182/08 – NJW 2009, 1968 Tz. 6; BGH 17.12.2009 – III ZB 47/09 – NVwZ-RR 2010, 502, 503 Tz. 4; Prütting/Gehrlein/Bitz § 17a GVG Rn. 10; Fezer/Büscher § 12 Rn. 248; ablehnend allerdings Zöller/Lückemann § 17a GVG Rn. 16. 465

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

beschrittene Rechtsweg zulässig ist; dies gilt auch dann, wenn die Zulässigkeit des Rechtsweg stillschweigend angenommen bzw. eine etwaige Rechtswegproblematik gar nicht gesehen hat.58 Dies gilt für Berufung und Revision ebenso wie für andere Beschwerden wie die nach §§ 87 ff. und 92 ff. ArbGG.59 Entscheidung in der Hauptsache meint dabei eine Sachentscheidung, sodass auch selbstständige Nebenverfahren und die Hauptsache betreffende Beschwerdeverfahren erfasst sind.60 Eine Bindungswirkung nach § 17a Abs. 5 GVG besteht nicht im Fall des Widerspruchs gegen einstweilige Verfügungen oder Arreste, die im Beschlusswege angeordnet wurden, da der Widerspruch mangels Devolutiveffekts kein Rechtsmittel ist.61 An einer Sachentscheidung fehlt es, wenn die Klage gesetzwidrig wegen fehlender Rechts17 wegzuständigkeit als unzulässig abgewiesen wird; in diesem Fall ist das Rechtsmittelgericht nicht daran gehindert, die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs zu prüfen.62 Eine Bindung des Rechtsmittelgerichts nach § 17a Abs. 5 GVG besteht dann nicht, wenn das erstinstanzliche Gericht trotz Rüge keine Vorabentscheidung getroffen oder den Parteien nicht die Möglichkeit zur rechtzeitigen Rüge gegeben hat.63 Das Rechtsmittelgericht muss in diesem Fall die Rechtswegzuständigkeit eigenständig prüfen und das Verfahren nach § 17a Abs. 2 oder Abs. 3 GVG nachholen.64 Entbehrlich ist die nachgeholte Vorabentscheidung nur dann, wenn das Rechtsmittelgericht den beschrittenen Rechtsweg für zulässig erachtet und darüber hinaus im Falle der Vorabentscheidung keinen Anlass gesehen hätte, gem. § 17a Abs. 4 Sätze 4–6 GVG die Beschwerde an einen obersten Gerichtshof des Bundes zuzulassen.65 Wenn auch das Berufungsgericht die Rechtswegzuständigkeit trotz Rüge nicht selbstständig geprüft hat, so ist diese Prüfung vom Rechtsmittelgericht der Hauptsache auch noch in der Revisionsinstanz vorzunehmen.66

18 ff) Entsprechende Anwendung in Eilverfahren. § 17a GVG ist auch auf Eilverfahren, insbesondere auf einstweilige Verfügungsverfahren, anzuwenden.67 Dies gilt auch dann, wenn die Hauptsache schon anhängig und das mit dem Eilverfahren befasste Gericht das Gericht der Hauptsache (§§ 919, 937 Abs. 1 ZPO) ist.68 Die Rechtswegzuständigkeit ist auch hier Prozessvoraussetzung. Einer etwaigen Verzögerung des Rechtsstreits aufgrund der Anwendung von § 17a 58 59 60 61 62

BGH 18.9.2008 – V ZB 40/08 – NJW 2008, 3572 Tz. 17 ff.; BGH 16.6.2015 – KZR 83/13 – WRP 2015, 1230 – Tz. 71. Wieczorek/Schütze/Schreiber § 17a GVG Rn. 26. Wieczorek/Schütze/Schreiber § 17a GVG Rn. 26 m. w. N. in Fn. 83 f. Wieczorek/Schütze/Schreiber § 17a GVG Rn. 26. BGH 28.2.1991 – III ZR 53/90 – BGHZ 114, 1, 3 = NJW 1991, 1686; BGH 23.9.1992 – I ZB 3/92 – BGHZ 119, 246, 249 f. = GRUR 1993, 420, 421; BGH 19.11.1993 – V ZR 269/92 – NJW 1994, 387; BGH 3.7.1997 – IX ZB 116/96 –NJW 1998, 231, 232; BSG 16.6.1999 – B 9 V 24/98 R – NVwZ-RR 2000, 648; BSG 20.10.2010 – B 13 R 63/10 B – juris Tz. 28. 63 BGH 28.2.1991 – III ZR 53/90 – BGHZ 114, 1, 4 f. = NJW 1991, 1686; BGH 23.9.1992 – I ZB 3/92 – BGHZ 119, 246, 250 = GRUR 1993, 420, 421; BGH 25.2.1993 – III ZR 9/92 – BGHZ 121, 367, 370 f. = NJW 1993, 1799, 1800; BGH 19.11.1993 – V ZR 269/92 – NJW 1994, 387; BGH 18 9.2008 – V ZB 40/08 – NJW 2008, 3572, 3573 Tz. 12; BAG 15.4.1993 – 2 AZB 32/92 – NJW 1993, 2458, 2459; Fezer/Büscher § 12 Rn. 247; Wieczorek/Schütze/Schreiber § 17a GVG Rn. 27. 64 BGH 18.11.1998 – VIII ZR 269–97 – NJW 1999, 651; BayObLG 16.7.2001 – 5Z RR 73/98 – BayObLGZ 2001, 174, 176 f.; OLG Hamm 5.10.2000 – 21 U 76/99 – NJOZ 2001, 1770, 1771; OLG Brandenburg 27.10.2008 – 6 U 20/07 – juris Tz. 33; VGH München 14.6.2002 – 7 B 01.2030 – NVwZ 2002, 1392. 65 BGH 9.11.1995 – V ZB 27/94 – NJW 1996, 591; BGH 29.3.1996 – V ZR 326/94 – NJW 1996, 1890; BGH 18.11.1998 – VIII ZR 269–97 – NJW 1999, 651; Fezer/Büscher § 12 Rn. 247. 66 BGH 30.6.1995 – V ZR 118/94 – NJW 1995, 2851; Fezer/Büscher § 12 Rn. 247. 67 BGH 19.12.2002 – I ZB 24/02 – GRUR 2003, 549 – Arzneimittelversandhandel; BGH 29.7.2004 – III ZB 2/04 – NJW-RR 2005, 142; BGH 9.11.2006 – I ZB 28/06 – GRUR 2007, 535, 536 Tz. 5 – Gesamtzufriedenheit; BGH 4.12.2008 – I ZB 31/08 – GRUR 2009, 700 Tz. 7 – Integrierte Versorgung; BAG 24.5.2000 – 5 AZB 66/99 – NJW 2000, 2524; KG 3.3.1998 – 5 W 1129/98 – NJWE-WettbR 1998, 283, 284; KG 29.6.2001 – 5 W 24/01 – NJW 2002, 1504 = GRUR-RR 2002, 247; OLG Karlsruhe 14.4.2005 – 4 W 14/05 – BeckRS 2005, 05329 sub. II.; OLG Dresden 11.11.2011 − 4 W 1075/11 – MDR 2012, 246; Ahrens/Bornkamm Kap. 15 Rn. 7; Fezer/Büscher § 12 Rn. 243; Wieczorek/Schütze/Schreiber § 17a GVG Rn. 7. 68 BAG 24.5.2000 – 5 AZB 66/99 – NJW 2000, 2524. Ebersohl

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I. Gerichtsbarkeit und Rechtsweg

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GVG steht der Vorteil gegenüber, dass Klarheit über den Rechtsweg geschaffen wird.69 In der Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit wurde entschieden, dass eine Vorabentscheidung im Eilverfahren gem. § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG aufgrund des sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebenden Gebots effektiven Rechtsschutzes im Einzelfall entfallen könne, wenn eine schnelle Entscheidung geboten ist und dem Rechtsschutzsuchenden im Falle des Abwartens der Vorabentscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs ein schwerer und nicht wieder gut zu machender Schaden droht.70 Im Wettbewerbsrecht gilt für den praktisch wichtigen Fall, dass ohne Anhörung des Gegners entschieden werden soll, Folgendes: Nimmt das Gericht die Rechtswegzuständigkeit an, kann es im Beschlusswege ohne Anhörung des Gegners entscheiden.71 Hat das Gericht jedoch Bedenken, so ist es gehalten, mündliche Verhandlung anzuberaumen, um dem Gegner die Rügemöglichkeit des § 17a Abs. 3 GVG einzuräumen.72 Hat das Landgericht eine einstweilige Verfügung im Beschlussweg eine einstweilige Verfügung erlassen, hält dann aber den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten auf den Widerspruch des Antragsgegners für nicht eröffnet, so hat es neben der Verweisung an das Gericht des zulässigen Rechtswegs auch die Aufhebung der Beschlussverfügung auszusprechen.73 Der Umstand, dass im Verfahren der einstweiligen Verfügung gegen ein Berufungsurteil 19 die Revision gem. § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht statthaft wäre,74 steht im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung über die Frage des Rechtswegs der Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde im Fall des § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG i. V. m. § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO nicht entgegen.75 Die Entscheidung über den Rechtsweg im Eilverfahren entfaltet Bindungswirkung für das anschließende Hauptsacheverfahren.76 Die mit § 17a GVG angestrebten Ziele der Verfahrensvereinfachung sowie -beschleunigung könnten durch eine abweichende Beurteilung im Hauptsachverfahren konterkariert werden. Umgekehrt muss Entsprechendes gelten: Ist die Hauptsache schon anhängig und wurde dort die Rechtswegzuständigkeit nicht fristgemäß gerügt (§ 282 Abs. 3 ZPO), dann muss der Beklagte auch im Verfahren der einstweiligen Verfügung präkludiert sein.

69 KG 3.3.1998 – 5 W 1129/98 – NJWE-WettbR 1998, 283, 284; KG 29.6.2001 – 5 W 24/01 – NJW 2002, 1504 = GRURRR 2002, 247. Vgl. auch Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner/Ehlers § 17a GVG Rn. 47. 70 OVG Greifswald 2.3.2000 – 2 M 105/99 – NVwZ 2001, 446; LSG Nordrhein-Westfahlen 20.12.2007 – L 16B 127/07 KR ER – juris Tz. 20. 71 Vgl. OLG Frankfurt 4.3.1997 – 6 W 144/96 – WRP 1997, 592, 593; Ahrens/Bornkamm Kap. 15 Rn. 7. 72 Vgl. Ahrens/Bornkamm Kap. 15 Rn. 7. 73 Conrad GRUR 2014, 1172, 1175. 74 Siehe etwa BGH 27.2.2003 – I ZB 22/02 – BGHZ 154, 102 = GRUR 2003, 548 – Rechtsbeschwerde. 75 BGH 19.12.2002 – I ZB 24/02 – GRUR 2003, 549 – Arzneimittelversandhandel; BGH 29.7.2004 – III ZB 2/04 – NJW-RR 2005, 142; BGH 9.11.2006 – I ZB 28/06 – GRUR 2007, 535, 536 Tz. 5 – Gesamtzufriedenheit; BGH 4.12.2008 – I ZB 31/08 – GRUR 2009, 700 Tz. 7 – Integrierte Versorgung; Prütting/Gehrlein/Bitz § 17a GVG Rn. 10; Zöller/Lückemann § 17a GVG Rn. 16; a. A.: BVerwG 8.8.2006 – 6 B 65/06 – NVwZ 2006, 1291 Tz. 5 (krit. dazu Braun NVwZ 2007, 49; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner § 80 Rn. 452). Nach Auffassung des BGH (9.11.2006 – I ZB 28/06 – GRUR 2007, 535 Tz. 5 – Gesamtzufriedenheit) beruht die Rechtsprechung des BVerwG auf den zwischen der VwGO, die ein Rechtsbeschwerdeverfahren nicht vorsieht, und der ZPO bestehenden Unterschieden. Gleichwohl finden sich im Urteil des BVerwG in Tz. 5 auch Aussagen, die sich ebenso auf das einstweilige Verfügungsverfahren nach der ZPO übertragen ließen: „Ein Verfahren mit einer solchen Zielrichtung würde durch eine weitere Beschwerde mit dem Ziel der Klärung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nachgerade konterkariert. In einem auf die Beantwortung grundsätzlicher Rechtsfragen gerichteten Verfahren könnte ein Beschluss erst nach unter Umständen zeitraubender schriftsätzlicher Aufbereitung und unter Auswertung von Gesetzgebungsmaterialien, Rechtsprechung und wissenschaftlichen Äußerungen ergehen […]. Dies könnte zu einer folgenreichen Verzögerung der Entscheidung über den Antrag auf Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes führen. Es liegt im Wesen eines solchen Antrags, dass die Entscheidung des Gerichts möglichst ohne Verzögerung ergeht.“. 76 OLG Dresden 11.11.2011 − 4 W 1075/11 – MDR 2012, 246. Ebenso zum verwaltungsprozessualen Verfahren etwa VGH Kassel 18.7.1995 – 3 TG 1929/95 – NJW 1996, 474, 475; VGH München 29.7.2002 – 20 A 02.40066 und 20 A 02.40068 – NVwZ-RR 2003, 74; a. A.: KG 7.4.1998 – 5 U 3852/97 – KGR 1998, 323. 467

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

20 gg) Kosten. § 17b Abs. 2 GVG schreibt eine einheitliche Kostenentscheidung vor. Danach werden die Kosten im Verfahren vor dem angegangenen Gericht als Teil der Kosten behandelt, die bei dem Gericht erwachsen, an das der Rechtsstreit verwiesen wurde. Mithin ist allein das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen wurde, zur Kostenentscheidung berufen.77 Durch den Verweisungsbeschluss wird demgegenüber weder über die Kosten entschieden noch wird der Streitwert festgesetzt.78 Eventuelle Mehrkosten werden im Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 ff. ZPO) errechnet, wobei sich Anwaltsgebühren durch die Verweisung nicht erhöhen (vgl. § 20 RVG). Dem Kläger sind in jedem Fall die entstandenen Mehrkosten auch dann aufzuerlegen, wenn er in der Hauptsache obsiegt (§ 17b Abs. 2 Satz 2 GVG). Wie im Falle des § 281 Abs. 3 ZPO wird dadurch die Möglichkeit einer Kostentrennung eröffnet.79 Wird der Verweisbeschluss angegriffen (§ 17a Abs. 4 GVG), kommt nicht § 17b Abs. 2 GVG zur Anwendung; das Beschwerdegericht hat vielmehr gem. §§ 91 ff. ZPO über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden.80 Die Kosten dieses Beschwerdeverfahrens hat dann der dort unterliegende Teil zu tragen. Der Beschwerdewert entspricht einem Bruchteil von 1 /3 bis 1/5 des Hauptsachewerts.81

3. Abgrenzung zu öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten, insbesondere zur Sozialgerichtsbarkeit 21 a) Historische Entwicklung. Für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, zu denen auch Wettbewerbsstreitigkeiten gehören,82 ist nach § 13 GVG der ordentliche Rechtsweg eröffnet. Problematisch kann die Rechtswegeröffnung in solchen Fällen sein, in denen eine mögliche Unlauterkeit hoheitlichen Handelns in Rede steht, da hier eine Zuordnung zum Verwaltungs- bzw. Sozialrechtsweg in Frage kommt. Der Große Senat für Zivilsachen des BGH hat in zwei Entscheidungen aus dem Jahr 1976 den Grundsatz aufgestellt, wonach für die Eröffnung des Zivilrechtswegs einzig entscheidend ist, dass das Klagebegehren sich nach der ihm gegebenen tatsächlichen Begründung als Folge eines Sachverhalts darstellt, der nach bürgerlichem Recht zu behandeln ist, was bei wettbewerbswidrigem Verhalten schlechthin der Fall sei und damit auch, wenn hoheitliche oder schlicht verwaltende Tätigkeit des Staats in Rede steht.83 Zur Begründung wurde unter anderem die größere Sachnähe der Zivilgerichte herangezogen.84 An dieser Rechtspre-

77 BGH 17.6.1993 – V ZB 31/92 – NJW 1993, 2541, 2542; BVerwG 15.10.1993 – 1 DB 34/92 – NVwZ 1995, 84, 86; BSG 1.4.2009 – B 14 SF 1/08 R – juris Tz. 19 f.; LSG Berlin Brandenburg 6.12.2011 – L 5 AS 2040/11 B – juris Tz. 5. 78 VGH Mannheim 31.7.1991 – 5 S 1874/91 – NVwZ-RR 1992, 165; Zöller/Lückemann § 17b GVG Rn. 4; Musielak/ Wittschier § 17b GVG Rn. 5; Prütting/Gehrlein/Bitz § 17b GVG Rn. 3; Fezer/Büscher § 12 Rn. 250. 79 MünchKommZPO/Zimmermann § 17b GVG Rn. 11. 80 BGH 17.6.1993 – V ZB 31/92 – NJW 1993, 2541, 2542; BGH 11.1.2001 – V ZB 40/99 – NJW-RR 2001, 1007, 1008; BVerwG 15.10.1993 – 1 DB 34/92 – NVwZ 1995, 84, 86; OLG Düsseldorf 1.12.2011 – I-10 W 149/11 – juris Tz. 22; OLG Rostock 15.6.2005 – 1 W 64/03 – NVwZ-RR 2006, 223, 224; Musielak/Wittschier § 17b GVG Rn. 5; Prütting/Gehrlein/ Bitz § 17b GVG Rn. 3; Wieczorek/Schütze/Schreiber § 17a GVG Rn. 23; Fezer/Büscher § 12 Rn. 250. 81 BGH 30.1.1997 – III ZB 110/96 – NJW 1997, 1636, 1637; BGH 19.12.1996 – III ZB 105/96 – NJW 1998, 909, 910; BGH 27.10.2005 – III ZB 66/05 – NJW-RR 2006, 286 Tz. 7; BGH 9.6.2011 – IX ZB 247/09 – juris Tz. 9; OLG Celle 12.12.2008 – 11 W 43/08 – juris Tz. 19; OLG Naumburg 8.3.2010 – 1 W 8/10 – BeckRS 2010, 10535; siehe auch BGH 14.3.2000 – KZB 34/99 – GRUR 2000, 736 – Hörgeräteakustik; BGH 18 9.2008 – V ZB 40/08 – NJW 2008, 3572, 3573 Tz. 21; OLG Rostock 15.6.2005 – 1 W 64/03 – NVwZ-RR 2006, 223, 224; OLG Düsseldorf 1.12.2011 – I-10 W 149/11 – juris Tz. 22; Fezer/Büscher § 12 Rn. 250. 82 Teplitzky/Schaub Kap. 45 Rn. 1. 83 BGH 22.3.1976 GSZ 1/75 – GRUR 1976, 658 – Studenten-Versicherung; BGH 22.3.1976 – GSZ 2/75 – GRUR 1977, 51 – Auto-Analyzer. 84 BGH 22.3.1976 GSZ 1/75 – GRUR 1976, 658 – Studenten-Versicherung; BGH 22.3.1976 – GSZ 2/75 – GRUR 1977, 51 – Auto-Analyzer. Ebersohl

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I. Gerichtsbarkeit und Rechtsweg

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chung hielt der BGH – auch angesichts zum Teil deutlicher Kritik in der Literatur85 – über mehrere Jahrzehnte fest.86 Nachdem der BGH in einer Entscheidung aus dem Jahr 1981 für eine Klage mehrerer Augenoptiker gegen eine gesetzliche Krankenkasse, die an ihre Mitglieder Brillen abgegeben hatte, den Zivilrechtsweg für eröffnet angesehen hatte, mehrten sich die Konfliktfälle mit der Sozialgerichtsbarkeit, die in der Praxis des BGH nunmehr offenbar einen zu weit reichenden Eingriff in ihren Kompetenzbereich sah.87 Der Gemeinsame Senat der Obersten Bundesgerichte entschied wiederholt in derartigen Konfliktfällen, dass sich die Qualifikation des Rechtsstreits als öffentlich-rechtlich oder als bürgerlich danach beurteile, ob die an der Streitigkeit Beteiligten zueinander in einem Verhältnis der Über- und Unterordnung stehen und ob sich der Träger hoheitlicher Gewalt der besonderen, ihm zugeordneten Rechtssätze des öffentlichen Rechts bedient oder ob er sich den für jedermann geltenden zivilrechtlichen Regelungen unterstellt.88 Diese Grundsätze wendet die Rechtsprechung bis heute an.89 Im Fall einer Auseinandersetzung zwischen einer Ersatzkasse und einer AOK über die Zulässigkeit von Maßnahmen auf dem Gebiet der Mitgliederwerbung befand der Gemeinsame Senat demgegenüber den Sozialrechtsweg für eröffnet, weil öffentlich-rechtliche Normen die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen (einschließlich der Ersatzkassen) untereinander auch hinsichtlich der Mitgliederwerbung beherrschten.90 Die im vorstehenden Sinne durch den BGH und den Gemeinsamen Senat der Obersten Bun- 22 desgerichte entwickelten Abgrenzungskriterien wurden für die besonders praxisrelevanten Krankenkassenfälle obsolet, als der Gesetzgeber im Jahr 1989 die Vorschrift des § 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGG einführte.91 Hiernach entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung auch über privatrechtliche Streitigkeiten und zwar auch dann, wenn durch diese Streitigkeiten Dritte betroffen werden. Liegt eine „Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung“92 vor, muss mithin nicht mehr zwischen öffentlich-rechtlichen und bürgerlichen Streitigkeiten differenziert werden, da für beide Fälle nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 bzw. nach § 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGG der Sozialrechtsweg eröffnet ist.93 In der Folgezeit haben die Sozialgerichte von dieser Erweiterung ihrer Kompetenzen umfassend Gebrauch gemacht.94 Die gesetzgeberische Maßnahme auf Zuständigkeitsebene wurde einige Jahre später in Ge- 23 stalt des GKV-Gesundheitsreformgesetzes95 durch nicht minder einschneidende Maßnahmen auf dem Gebiet des materiellen Rechts flankiert. So ordnete die neu gefasste Bestimmung des § 69 85 Vgl. GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 D Rn. 33 m. w. N. 86 BGH 6.4.1976 – VI ZR 246/74 – GRUR 1976, 651 – Der Fall Bittenbinder; BGH 16.1.1981 – I ZR 29/79 – GRUR 1981, 596 – Apotheken-Steuerberatungsgesellschaft; BGH 19.6.1981 – I ZR 100/79 – GRUR 1981, 823 – Ecclesia Versicherungsdienst; BGH 18.12.1981 – I ZR 34/80 – GRUR 1982, 425 – Brillen-Selbstabgabestellen; BGH 4.10.1990 – I ZR 299/ 88 – GRUR 1991, 540 – Gebührenausschreibung; BGH 14.1.1993 – I ZB 24/91 – WRP 1993, 394 – Rechtswegprüfung II; BGH 18.5.1995 – I ZB 22/94 – NJW 1995, 2295 – Remailing; BGH 14.5.1998 – I ZB 17/98 – GRUR 1999, 88 – Ersatzkassen-Telefonwerbung. 87 Vgl. Teplitzky/Schaub Kap. 45 Rn. 2. 88 GmS-OGB 10.4.1986 – GmS-OGB 1/85 – BGHZ 97, 312 = NJW 1986, 2359; GmS-OGB 29.10.1987 – GmS-OGB 1/86 – BGHZ 102, 280, 283 = NJW 1988, 2295, 2296. 89 Vgl. etwa OLG Hamm 14.2.2019 – 4 W 87/18 – GRUR-RR 2020, 81. 90 GmS-OGB 10.7.1989 – GmS-OGB 1/88 – BGHZ 108, 284 = NJW 1990, 1527; kritisch hierzu Köhler NZS 1998, 153, 154 f. 91 Art. 32 des Gesundheitsreformgesetzes vom 29.12.1988, BGBl. I, S. 2477. 92 Zur Abgrenzung siehe Rn. 25. 93 BGH 4.12.2003 – I ZB 19/03 – GRUR 2004, 444, 445 – Arzneimittelsubstitution; BGH 9.11.2006 – I ZB 28/06 – GRUR 2007, 535, 536 Tz. 10 – Gesamtzufriedenheit; BGH 30.1.2008 – I ZB 8/07 – GRUR 2008, 447, 448 Tz. 13 – Treuebonus; BGH 4.12.2008 – I ZB 31/08 – GRUR 2009, 700 Tz. 12 – Integrierte Versorgung; BGH 17.8.2011 – I ZB 7/ 11 – GRUR 2012, 94 Tz. 8, 10 – Radiologisch-diagnostische Untersuchungen. 94 Teplitzky/Schaub Kap. 45 Rn. 2 m. w. N. in Fn. 15. 95 Gesetz vom 22.12.1989, BGBl. I, S. 2626. 469

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

SGB V an, dass auf die dort genannten Rechtsbeziehungen der gesetzlichen Krankenkassen und ihrer Verbände weder die Bestimmungen des UWG noch die des GWB anwendbar sind und zwar auch dann nicht, wenn durch diese Rechtsbeziehungen Rechte Dritter betroffen sind. Zuvor hatte der von den Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) gebildete Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (BÄK) vehement gesetzgeberische Maßnahmen zum Schutz vor kartellgerichtlichen Verbotsurteilen gefordert.96 Demgegenüber blieben kritische Stimmen97 im Gesetzgebungsverfahren ungehört. Im Hinblick auf die Geltung kartellrechtlicher Bestimmungen müssen die Vorbehalte gegenüber der Regelung in § 69 SGB V zwischenzeitlich relativiert werden. Zum einen befand der EuGH im Jahr 2004, dass die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland grundsätzlich keine Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen i. S. d. Art. 81 EG (heute Art. 101 AEUV) sind, weil sie an der Verwaltung des Systems der sozialen Sicherheit mitwirken und insoweit eine rein soziale Aufgabe wahrnehmen.98 Zum anderen ist mit einer Änderung des § 69 SGB V im Jahr 201099 der Katalog an (entsprechend) anzuwendenden Vorschriften des GWB erheblich erweitert worden, sodass der ursprünglich verfolgte Zweck, den Beteiligten und betroffenen Dritten den Rechtsschutz nach dem Kartellrecht zu entziehen, inzwischen aufgegeben worden ist.100 Im Hinblick auf das Lauterkeitsrecht blieb es angesichts § 69 SGB V lange bei dessen 24 grundsätzlicher Unanwendbarkeit in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung.101 Diese gesetzgeberische Wertung wurde durch die 8. GWB-Novelle,102 mit der die Bestimmung des § 4 Abs. 3 Satz 2 SGB V eingeführt wurde, wonach Krankenkassen die Unterlassung unzulässiger Werbemaßnahmen von anderen Krankenkassen verlangen können und wonach zwar die Verfahrensvorschriften des § 12 Abs. 1–3 UWG, nicht aber die materiell-rechtlichen Bestimmungen des UWG für entsprechend anwendbar erklärt wurden, zunächst zementiert. Indes waren der Reichweite von § 69 SGB V von jeher Grenzen gesetzt. So finden die Bestimmungen des Lauterkeits- und Kartellrechts Anwendung, wenn gesetzliche Krankenkassen gemäß § 194 Abs. 1a SGB V ihren Versicherten die Vermittlung von privaten Zusatzversicherungen anbieten, da dieses Handeln eine Nebentätigkeit im Rahmen privatwirtschaftlicher Betätigung darstellt.103 Ferner hat der EuGH in seinem Urteil in der Sache BKK Mobil Oil entschieden, dass auch gesetzliche Krankenkassen in den persönlichen Anwendungsbereich der UGP-Richtlinie fallen, sodass z. B. irreführende Aussagen gegenüber den Mitgliedern über die Nachteile eines Wechsels zu einer anderen Krankenkasse am Maßstab der UGP-Richtlinie zu messen sind.104 Angesichts der Entscheidung des EuGH musste bei Handlungen von gesetzlichen Krankenkassen gegenüber Verbrauchern – etwa ihren eigenen oder fremden Mitgliedern im Rahmen der Mitgliederwerbung – auch die Bestimmung des § 4 Abs. 3 Satz 2 SGB V am Maßstab der UGP-Richtlinie ausge-

96 Eingehend zur Genese des GKV-Gesundheitsreformgesetzes Kozianka/Millarg PharmR 2001, 138. 97 Vgl. die Eingabe der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht e.V. GRUR 1999, 968. 98 EuGH 16.3.2004 – C-264/01, C-306/01, C-354/01, C-355/01 – Slg. 2004, I-2493 – AOK-Bundesverband. Ebert-Weidenfeller/Gromotke, EuZW 2013, 937 wollen aus der Entscheidung des EuGH 3.10.2013 – C-59/12 – GRUR 2013, 1159 – BKK Mobil Oil zum Lauterkeitsrecht jedoch schlussfolgern, dass gesetzliche Krankenkassen auch als Normadressaten des Kartellrechts anzusehen seien. 99 Art. 1 Nr. 9 des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 2.12.2010, BGBl. I, S. 2262. 100 Zum alten Recht siehe BGH 16.1.2008 – KVR 26/07 – BGHZ 175, 333, 336 Tz. 18 = NJW-RR 2008, 1426, 1427 Tz. 18. 101 Vgl. BSG 25.9.2001 – B 3 KR 3/01 R – NJW-RR 2002, 1691, 1693 f.; BGH 2.10.2003 – I ZR 117/01 – GRUR 2004, 247 – Krankenkassenzulassung; BGH 23.2.2006 – I ZR 164/03 – GRUR 2006, 517 – Blutdruckmessungen. 102 Achtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 26.6.2013, BGBl. I, S. 1738. 103 BGH 18.9.2013 – I ZR 183/12 – GRUR 2013, 1250 Tz. 9 m. w. N. 104 EuGH 3.10.2013 – C-59/12 – GRUR 2013, 1159 – BKK Mobil Oil auf den Vorlagebeschluss BGH 18.1.2012 – I ZR 170/10 – GRUR 2012, 288 – Betriebskrankenkasse. Ebersohl

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I. Gerichtsbarkeit und Rechtsweg

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legt werden.105 Der BGH hat in der Folgezeit in einem Fall, der irreführende Angaben einer gesetzlichen Krankenkasse zu den Folgen eines Kassenwechsels zum Gegenstand hatte, die Eröffnung des Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten angenommen, ohne dies weiter zu thematisieren.106 Mit dem Gesetz für einen fairen Kassenwettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 22. März 2020107 wurde § 4 Abs. 3 Satz 2 SGB V aufgehoben und ein neuer § 4a SGB V eingeführt, nach dessen Abs. 2 unlautere geschäftliche Handlungen der Krankenkassen unzulässig sind. Damit bezieht der Gesetzgeber bewusst die Maßstäbe des Lauterkeitsrechts in das SGB V ein,108 was im Anwendungsbereich der UGP-Richtlinie nach der EuGH-Entscheidung BKK Mobil Oil ohnehin geboten war, jedoch nunmehr über den unionsrechtlichen Aspekt hinaus grundsätzlich gilt. In § 4a Abs. 4 SGB V wird das Bundesministerium für Gesundheit ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere über die Zulässigkeit von Werbemaßnahmen der Krankenkassen zu regeln. In § 4a Abs. 7 SGB V regelt das Gesetz nunmehr unmittelbar die Unterlassung- und Beseitigungsansprüche der Krankenkassen untereinander (einschließlich Regelungen zur Abmahnung, zum einstweiligen Rechtsschutz sowie zur Urteilsveröffentlichung), ohne wie die aufgehobene Bestimmung des § 4 Abs. 3 Satz 2 SGB V auf § 12 UWG zu verweisen.

b) Abgrenzung zur Sozialgerichtsbarkeit nach geltendem Recht. Nach geltendem Recht 25 ist in Fällen mit Bezug zu gesetzlichen Krankenkassen und ihren Verbänden für die Rechtswegzuordnung gem. § 51 SGG nur noch entscheidend, ob es sich um eine Streitigkeit in einer „Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung“ handelt. Davon soll nach Auffassung des BGH nur auszugehen sein, wenn Maßnahmen betroffen sind, die unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen nach dem SGB V obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgaben dienen.109 Keine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung sollte demgemäß vorliegen, wenn der wettbewerbsrechtliche Anspruch nicht auf einen Verstoß gegen Vorschriften des SGB V, sondern ausschließlich auf wettbewerbsrechtliche Normen gestützt wird, deren Beachtung auch jedem privaten Mitbewerber obliegt.110 Diese restriktive Handhabung traf in der wettbewerbsrechtlichen Literatur111 und Instanzrechtsprechung112 zurecht auf Zustimmung, weil sie im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben die Zuordnung zum sachnäheren Rechtsweg ermöglicht.113 Angesichts der nunmehr in § 4a Abs. 2 SGB V aufgenommenen Verweisung auf die Maßstäbe des Lauterkeitsrechts könnte sich indes die Frage stellen, ob die Begründung des BGH weiter trägt, weil nunmehr bei Verstößen gegen die Maßstäbe 105 So auch Köhler/Bornkamm/Feddersen, § 12 Rn. 1.3a. Vgl. auch Becker/Schweitzer, NJW 2014, 269, die den Gesetzgeber aufforderten, die Anwendbarkeit des UWG auf Mitgliederwerbung der Krankenkassen klarzustellen. 106 BGH 30.4.2014 – I ZR 170/10 – GRUR 2014, 1120 Tz. 20 – Betriebskrankenkasse II. Das LSG Berlin-Brandenburg 10.12.2014 – L 1 KR 361/12 – NZS 2015, 305 vertrat gleichwohl in Ansehung der Entscheidung des EuGH die Auffassung, dass die Zulässigkeit der Werbung von Krankenkassen sich auch aus dem UWG bestimmen könne. 107 BGBl. I, S. 604 ff. 108 So ausdrücklich der Entwurf der Bundesregierung, BTDrucks. 19/15662, S. 68 f. 109 BGH 9.11.2006 – I ZB 28/06 – GRUR 2007, 535, 536 Tz. 13 – Gesamtzufriedenheit; BGH 30.1.2008 – I ZB 8/07 – GRUR 2008, 447, 448 Tz. 14 – Treuebonus; BGH 17.8.2011 – I ZB 7/11 – GRUR 2012, 94 Tz. 9 – Radiologisch-diagnostische Untersuchungen. 110 BGH 9.11.2006 – I ZB 28/06 – GRUR 2007, 535, 536 Tz. 13 – Gesamtzufriedenheit; BGH 30.1.2008 – I ZB 8/07 – GRUR 2008, 447, 448 Tz. 14 – Treuebonus; BGH 4.12.2008 – I ZB 31/08 – GRUR 2009 700, 701 Tz. 13 – Integrierte Versorgung; BGH 17.8.2011 – I ZB 7/11 – GRUR 2012, 94 Tz. 9 – Radiologisch-diagnostische Untersuchungen; unausgesprochen auch in BGH 30.4.2014 – I ZR 170/10 – GRUR 2014, 1120 – Betriebskrankenkasse II. 111 Teplitzky/Schaub Kap. 45 Rn. 2; Ahrens/Bornkamm Kap. 15 Rn. 38; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.3. 112 OLG Celle 2.4.2009 – 13 W 16/09 – GRUR-RR 2010, 86; OLG Celle 9.9.2010 – 13 U 173/09 – GRUR-RR 2011, 111; OLG Hamburg 19.2.2009 – 3 U 225/06 – MD VSW 2003, 634. 113 Vgl. insoweit die Begründung des BGH in der Entscheidung 22.3.1976 – GSZ 2/75 – GRUR 1977, 51 – AutoAnalyzer. 471

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

des UWG stets (auch) ein Verstoß gegen § 4a SGB V vorliegt. Für die Position des BGH auch nach nunmehr geltendem Recht könnte sprechen, dass der Gesetzgeber ausweislich § 4a Abs. 7 SGB V als Angelegenheit der gesetzlichen Krankenkassen insoweit offenbar nur das Verhältnis der Krankenkassen untereinander im Blick hatte. Außerhalb der Rechtsbeziehungen der gesetzlichen Krankenkassen untereinander, für die der BGH ohnehin den Sozialrechtsweg für eröffnet hielt,114 ließe sich die Begründung des BGH daher weiterhin heranziehen. Der Sozialrechtsweg ist jedenfalls nicht eröffnet für Rechtsbeziehungen, bei denen Krankenkassen gegenüber Dritten wie jeder andere Teilnehmer am Rechtsverkehr auftreten, wie dies etwa bei alltäglichen Erwerbsvorgängen der Fall ist.115 Als Maßnahmen, die unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgaben dienen, sind auch Handlungen der Leistungserbringer anzusehen, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Erfüllung der gesetzgeberischen Ziele aufgrund des öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrags stehen.116 Wegen der nach § 51 SGG anzustellenden funktionalen Betrachtungsweise ist es ausreichend, wenn eine Partei gleichsam als Repräsentant von Leistungserbringern in Anspruch genommen wird, ohne selbst Leistungsträger oder Leistungserbringer der gesetzlichen Krankenversicherung zu sein.117 Seit der Novellierung von § 51 SGG im Jahr 1989 wurde der Sozialrechtsweg in folgenden 26 Fällen angenommen: – Klage einer gesetzlichen Krankenkasse gegen eine andere gesetzliche Krankenkasse wegen Mitgliederwerbung;118 – Klage eines ambulanten Pflegedienstes gegen einen Krankenhausbetreiber wegen Zusammenarbeit bei Patientenvermittlung;119 – Klage eines Pharmaunternehmens gegen die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände wegen Arzneimitteldatenbank;120 – Klage eines Pharmaunternehmens gegen Kassenärztliche Vereinigung und AOK auf Unterlassung der Verbreitung einer „Gemeinsamen Erklärung zur Arzneimittelversorgung“;121 – Klage einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, die für Zahnärzte Zahlungen mit den Krankenkassen abrechnet, gegen eine GmbH wegen der Vereinbarkeit eines Vertrages zwischen der GmbH und den Krankenkassen zur integrierten Versorgung nach § 140c SGB V mit berufsrechtlichen Vorschriften der Ärzte;122 – Klage eines Vertragsarztes gegen gesetzliche Krankenkasse auf Widerruf und Unterlassung wahrheitswidriger öffentlicher Erklärungen;123 – Klage gegen gesetzliche Krankenkasse wegen Sachleistungen an Versicherte;124

114 BGH 15.1.1998 – I ZB 20/97 – GRUR 1998, 744 – Mitgliederwerbung. Vgl. auch BGH 9.11.2006 – I ZB 28/06 – GRUR 2007, 535, 536 Tz. 14 – Gesamtzufriedenheit. 115 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.3. 116 BGH 30.1.2008 – I ZB 8/07 – GRUR 2008, 447, 448 Tz. 14 – Treuebonus Tz. 18; BGH 17.8.2011 – I ZB 7/11 – GRUR 2012, 94 Tz. 10 – Radiologisch-diagnostische Untersuchungen; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.3. 117 BGH 4.12.2003 – I ZB 19/03 – GRUR 2004, 444, 445 – Arzneimittelsubstitution. 118 BGH 15.1.1998 – I ZB 20/97 – GRUR 1998, 744 – Mitgliederwerbung. Vgl. auch BGH 9.11.2006 – I ZB 28/06 – GRUR 2007, 535, 536 Tz. 14 – Gesamtzufriedenheit; a. A. Köhler NZS 1998, 153. Hiervon zu unterscheiden sind die Fälle, in denen ein privater Krankenversicherer gegen Mitgliederwerbung eines gesetzlichen Krankenversicherers vorgeht, da dann der ordentliche Rechtsweg eröffnet ist (siehe Rn. 27; kritisch insoweit Piper/Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 48; Gloy/Loschelder/Erdmann/Spätgens, § 85 Rn. 4). 119 OLG Düsseldorf 8.5.2006 – W (Kart) 4/06 – NJW-RR 2007, 501. 120 BGH 4.12.2003 – I ZB 19/03 – GRUR 2004, 444 – Arzneimittelsubstitution. 121 BGH 15.9.1999 – I ZB 59/98 – GRUR 2000, 251 – Arzneimittelversorgung. 122 BGH 4.12.2008 – I ZB 31/08 – GRUR 2009, 700 – Integrierte Versorgung. 123 OLG Zweibrücken 8.9.1998 – 7 W 58–98 – NJW-RR 1999, 1739. 124 BGH 14.3.2000 – KZB 34/99 – GRUR 2000, 736 – Hörgerätakustik; BGH 8.9.2000 – I ZB 21/99 – GRUR 2001, 87 – Sondenernährung; siehe auch BGH 23.2.2006 – I ZR 164/03 – GRUR 2006, 517 – Blutdruckmessung. Ebersohl

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I. Gerichtsbarkeit und Rechtsweg

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Klage gegen gesetzliche Krankenkasse wegen Werbung gegenüber Mitgliedern für Arzneimittelversandhandel;125 – Klage der Wettbewerbszentrale gegen einen Krankenhausbetreiber wegen Durchführung und Abrechnung radiologisch-diagnostischer Untersuchungen als ambulante Leistungen nach § 116b SGB V;126 – Klage eines Kassenarztes gegen eine kassenärztliche Vereinigung wegen Weitergabe von Abrechnungsunterlagen an Mitbewerber des Klägers;127 – Klage einer gesetzlichen Krankenkasse gegen herabsetzende Äußerungen durch Vertragsärzte, auch wenn die Äußerungen als wettbewerbswidrig beanstandet wurden.128 27 Demgegenüber wurde in folgenden Fällen der ordentliche Rechtsweg angenommen: – Klage eines Apothekers gegen gesetzliche Krankenkasse wegen Angabe von Bezugsquellen;129 – Klage eines von Pflegedienstunternehmen privatrechtlich gegründeten Verbandes gegen gesetzliche Krankenkasse wegen Aufforderung an Kassenmitglieder, bestehende Pflegedienstverträge zu beenden;130 – Klagen privater Versicherer oder von Wettbewerbsverbänden gegen gesetzliche Versicherer wegen Mitgliederwerbung;131 – Klage einer Kassenärztlichen Vereinigung gegen gesetzliche Krankenkasse wegen Presseerklärung, die sich gegen das Verhalten der Kassenärztlichen Vereinigung wendet, wobei die Unterlassungsklage auf Normen des Privatrechts gestützt wird;132 – Klage u. a. gegen den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (§ 91 Abs. 1, 2 SGB V) wegen einer von diesem beschlossenen Richtlinie, aufgrund derer Gruppen von Arzneimitteln von der Verordnungsfähigkeit ausgeschlossen werden können;133 – Klage eines Intranet- bzw. „Virtual Private Net“-Betreibers gegen die Kassenärztliche Bundesvereinigung sowie die Bundesärztekammer bezüglich wettbewerbsrechtlicher Zulässigkeit ihrer Beteiligung an einem konkurrierenden Kommunikationsprojekt;134 – Klage eines Vereins gegen deutsches Versandhandelsunternehmen wegen Werbung einer niederländischen Versandapotheke;135 – Klage eines Apothekeninhabers gegen niederländische Versandapotheke wegen der wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit von Sonderzahlungen eines Apothekers an privat und gesetzlich Krankenversicherte bei Einlösung von Rezepten.136

c) Abgrenzung jenseits der Sonderfälle der Sozialgerichtsbarkeit. Jenseits der Fälle mit 28 Bezug zu den gesetzlichen Krankenkassen gelten bei der Abgrenzung der bürgerlichen Rechts-

125 126 127 128 129 130 131

BGH 19.12.2002 – I ZB 24/02 – GRUR 2003, 549 – Arzneimittelversandhandel. BGH 17.8.2011 – I ZB 7/11 – GRUR 2012, 94 – Radiologisch-diagnostische Untersuchungen. BGH 5.11.1998 – I ZB 50/98 – GRUR 1999, 520 – Abrechnungsprüfung. KG 29.6.2001 – 5 W 24/01 – NJW 2002, 1504 = GRUR-RR 2002, 247. OLG Frankfurt 1.7.1993 – 6 W 60/93 – GRUR 1994, 145 – Versorgungs-Scheckheft. OLG Düsseldorf 9.7.1998 – 20 W 30/98 – WRP 1998, 1091. BGH 14.5.1998 – I ZB 17/98 – GRUR 1999, 88 – Ersatzkassen-Telefonwerbung; BGH 9.11.2006 – I ZB 28/06 – GRUR 2007, 535 – Gesamtzufriedenheit; OLG Schleswig 23.9.2008 – 6 U 28/08 – WRP 2009, 494; OLG Celle 9.9.2010 – 13 U 173/09 – GRUR-RR 2011, 111 – Kassenwechsel. 132 BGH 26.11.2002 – VI ZB 41/02 – NJW 2003, 1192. 133 OLG München 20.1.2000 – U (K) 4428/99 – NJW-RR 2001, 1412. 134 OLG Köln 17.12.1999 – 6 U 15/98 – NJWE-WettbR 2000, 201. 135 OLG Hamburg 19.2.2009 – 3 U 225/06 – GRUR-RR 2010, 78 (LS) = BeckRS 2009, 20765. 136 BGH 30.1.2008 – I ZB 8/07 – GRUR 2008, 447 – Treuebonus; OLG München 2.7.2009 – 29 U 3992/08 – GRURRR 2010, 53 – Treuebonus II. 473

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

streitigkeiten von den öffentlich-rechtlichen Rechtsstreitigkeiten die allgemeinen Grundsätze137 weiter. In den Fällen der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand kommt es dementsprechend für die Rechtswegzuständigkeit darauf an, ob der Klageanspruch dem öffentlichen oder dem privaten Recht zuzuordnen ist. Dabei gelten im Grundsatz keine Unterschiede zwischen Passiv- und Aktivprozessen.138 Im Ausgangspunkt ist für wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten wegen der bürgerlichen Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen der Beteiligten regelmäßig der ordentliche Rechtsweg gegeben. Dies gilt auch für den Fall, dass sich die öffentliche Hand in Konkurrenz zu privaten Anbietern erwerbswirtschaftlich betätigt.139 Der ordentliche Rechtsweg wurde bejaht bei Klagen: – gegen Gemeinden wegen des Betriebs von Bestattungsunternehmen;140 – der Vergabe von Krankentransporten;141 – der Vermietung eines Ladengeschäfts neben der Kfz-Zulassungsstelle für einen Schilderprägebetrieb, ohne eine Ausschreibung vorzunehmen;142 – der Werbung in Amtsblättern;143 – der Vergabe von Subventionen;144 – des Angebots entgeltlichen Nachhilfeunterrichts im Rahmen der Volkshochschule;145 – der Honoraranfrage bei Ingenieuren;146 – des Betriebs und der Subvention einer Städtischen Musikschule;147 – gegen (Ärzte-, Apotheker-)Kammern wegen diskriminierender oder begünstigender Rundschreiben;148 – Werbeverboten;149 – gegen kirchliche Stellen wegen irreführender Werbung;150 – gegen das Bundeseisenbahnvermögen als Verpächter von Bahnhofs-Verkaufsstellen wegen der Duldung des Warenverkaufs außerhalb der gesetzlichen Ladenöffnungszeiten;151 – gegen öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten wegen Werbeverstößen;152 – fehlender Frequenzzuweisung.153

137 Vgl. hierzu Rn. 21. 138 Ahrens/Bornkamm Kap. 15 Rn. 27, 29; Fezer/Büscher § 12 Rn. 223; Piper/Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 45. 139 GmS-OGB 29.10.1987 – GmS-OGB 1/86 – BGHZ 102, 280= NJW 1988, 2295, 2296; BGH 26.4.1974 – I ZR 8/73 – GRUR 1974, 733 – Schilderverkauf; BGH 19.6.1986 – I ZR 54/84 – GRUR 1987, 116 – Bestattungswirtschaftsbetrieb I; BGH 8.7.1993 – I ZR 174/91 – BGHZ 123, 156 = GRUR 1993, 917 – Abrechnungssoftware; OLG Nürnberg 29.9.2009 – 1 U 264/09 – GRUR-RR 2010, 99, 100. 140 BGH 19.6.1986 – I ZR 54/84 – GRUR 1987, 116 – Bestattungswirtschaftsbetrieb I. 141 BGH 26.5.1987 – KZR 13/85 – BGHZ 101, 72 = GRUR 1987, 829 – Krankentransporte. 142 BGH 26.4.1974 – I ZR 8/73 – GRUR 1974, 733 – Schilderverkauf. 143 BGH 22.9.1972 – I ZR 73/71 – GRUR 1973, 530 – Crailsheimer Stadtblatt. 144 OLG Stuttgart 26.10.1979 – 2 U 76/79 – WRP 1980, 101; OLG Frankfurt 4.3.1997 – 6 W 144/96 – WRP 1997, 592. 145 OLG Düsseldorf 29.11.1996 – 2 U 182/96 – WRP 1997, 353 (auch wenn das Gericht, worauf es selbst hinwies, an die Bejahung der Rechtswegzuständigkeit gebunden war, machte es der Vollständigkeit halber Ausführungen zur Eröffnung des ordentlichen Rechtswegs). 146 BGH 2.5.1991 – I ZR 227/89 – GRUR 1991, 769 – Honoraranfrage m. Anm. Lehrmann. 147 OLG Nürnberg 29.9.2009 – 1 U 264/09 – GRUR-RR 2010, 99. 148 BGH 22.3.1976 – GSZ 2/75 – BGHZ 67, 81, 84 = GRUR 1977, 51, 52 – Auto Analyzer m. Anm. Kraft; 10.7.1986 – I ZR 59/84 – GRUR 1986, 905 – Innungskrankenkassenwesen. 149 BGH 21.10.1986 – KZR 28/85 – GRUR 1987, 178 – Guten Tag-Apotheke II. 150 BGH 19.6.1981 – I ZR 100/79 – GRUR 1981, 823 – Ecclesia-Versicherungsdienst. 151 BGH 23.3.1995 – I ZR 92/93 – GRUR 1995, 601 – Bahnhofs-Verkaufsstellen. 152 BGH 22.2.1990 – I ZR 78/88 – BGHZ 110, 278 = GRUR 1990, 611 – Werbung im Programm; BGH 19.3.1992 – I ZR 64/90 – BGHZ 117, 353 = GRUR 1992, 518 – Ereignis-Sponsorwerbung. 153 OLG Dresden 20.1.1998 – 14 W 1516–97 – NJW-RR 1998, 558. Ebersohl

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4. Abgrenzung zu arbeitsgerichtlichen Streitigkeiten a) Abgrenzungskriterien. Liegt eine bürgerliche Streitigkeit i. S. d. § 13 GVG vor, kann auf- 29 grund einer der in § 2 ArbGG abschließend154 genannten Sonderzuweisungen das Arbeitsgericht ausschließlich zuständig sein. Zentral ist in diesem Zusammenhang die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. d ArbGG, wonach die Arbeitsgerichte ausschließlich zuständig sind für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus unerlaubten Handlungen, soweit diese mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehen.

aa) Arbeitnehmerbegriff. Für den Begriff des Arbeitnehmers gilt zwar § 5 Abs. 1 ArbGG, doch 30 wird der Arbeitnehmerbegriff als solcher durch die Vorschrift kaum näher konkretisiert. Maßgeblich ist vielmehr der allgemein im Arbeitsrecht geltende Arbeitnehmerbegriff. Nach Rspr. und hL ist Arbeitnehmer danach, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags zur Arbeit im Dienste eines anderen verpflichtet ist.155 Hiervon abzugrenzen sind insoweit Mitarbeiter, die in einem freien Dienstverhältnis stehen,156 sowie nach Maßgabe des § 5 Abs. 3 ArbGG auch Handelsvertreter. Gem. § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG gelten ebenso die in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten (§ 1 HeimArbG) sowie sonstige Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbstständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind, als Arbeitnehmer i. S. d. ArbGG. Organe einer juristischen Person, z. B. Aktiengesellschaft, GmbH oder Verein, oder die geschäftsführenden Gesellschafter einer Personengesellschaft, z. B. OHG oder KG, gelten nicht als Arbeitnehmer (§ 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG). Das gilt auch dann, wenn das Organ oder der Gesellschafter geltend macht, er sei wegen seiner eingeschränkten Kompetenz in Wirklichkeit Arbeitnehmer gewesen.157 Dasselbe gilt für den Geschäftsführer einer Vor-GmbH158 oder den Geschäftsführer der Komplementär-GmbH einer GmbH & Co. KG.159 Schließlich sind auch Beamte keine Arbeitnehmer (§ 5 Abs. 2 ArbGG).

bb) Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis. Ob eine Wettbewerbsverletzung „im Zu- 31 sammenhang“ mit einem Arbeitsverhältnis steht, beurteilt sich nach objektiven Gesichtspunkten.160 § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. d ArbGG verlangt – anders als etwa § 2 Abs. 1 Nr. 4 ArbGG – weder einen unmittelbaren Zusammenhang noch eine bestimmte inhaltliche Ausrichtung.161 Es genügt dementsprechend ein „innerer Bezug“ der Verletzung zum Arbeitsverhältnis, der in der besonderen Eigenart des Arbeitsverhältnisses und den ihm eigentümlichen Reibungs- und Berührungspunkten wurzelt.162

154 Sonst wäre die Vorschrift des § 2 Abs. 3 ArbGG überflüssig (Germelmann/Matthes/Schlewing § 2 Rn. 5). 155 BAG 14.2.1974 – 5 AZR 298/73 – AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 12 m. Anm. Lieb; 15.3.1978 – 5 AZR 819/76 – AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 26; BAG 25.3.1992 – 7 ABR 52/91 – NZA 1992, 899, 899 f.; Hueck/Nipperdey I § 9 II; ErfKArbR/Preis § 611 BGB Rn. 35. 156 Vgl. BAG 20.7.1994 – 5 AZR 627/93 – BAGE 77, 226 = NZA 1995, 161; OLG Köln 15.9.1993 – 2 W 149/93 – NJW-RR 1993, 1526. 157 BAG 6.5.1999 – 5 AZB 22–98 – NJW 1999, 3068 (bzgl. des Geschäftsführers einer GmbH). 158 BAG 13.5.1996 – 5 AZB 27/95 – NJW 1996, 2678. 159 BAG 20.8.2003 – 5 AZB 79/02 – BAGE 107, 165 = NJW 2003, 3290; OLG München 10.4.2003 – 7 W 656/03 – GmbHR 2003, 776, 777; anders noch die frühere Rspr.: BAG 10.7.1980 – 3 AZR 68/79 – NJW 1981, 302; BAG 15.4.1982 – 2 AZR 1101/79 – NJW 1983, 2405; BAG 13.7.1995 – 5 AZB 37/94 – NJW 1995, 3338. 160 OLG Düsseldorf 19.7.2002 – 20 W 55/02 – GRUR-RR 2003, 63, 64 – Arbeitgeberanschwärzung; Fischer DB 1998, 1182; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.4. 161 OLG Düsseldorf 19.7.2002 – 20 W 55/02 – GRUR-RR 2003, 63, 64 – Arbeitgeberanschwärzung. 162 BAG 11.7.1995 – 5 AS 13/95 – AP ArbGG 1979 § 2 Nr. 32; OLG Schleswig 6.7.1998 – 16 W 93/98 – OLGR 1998, 383, 384; OLG Düsseldorf 19.7.2002 – 20 W 55/02 – GRUR-RR 2003, 63, 64 – Arbeitgeberanschwärzung; OLG Frank475

Ebersohl

Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Es ist nicht erforderlich, dass die unerlaubte Handlung noch während des bestehenden Arbeitsverhältnisses begangen worden ist.163 So können die Arbeitsgerichte auch dann zuständig sein, wenn der streitgegenständliche Wettbewerbsverstoß zugleich einen Verstoß gegen (nachwirkende) Treuepflichten darstellt164 oder wenn sich die Unzulässigkeit des Verhaltens aus einem Vertrauensbruch gegenüber dem Arbeitgeber ergibt (z. B. § 4 Nr. 9 lit. c oder §§ 17, 18).165 Besteht ein innerer Zusammenhang zwischen dem Arbeitsverhältnis und dem Wettbewerbs33 verstoß, ist die ausschließliche Zuständigkeit der Arbeitsgerichte eröffnet. Dies gilt auch dann, wenn die Klage ausschließlich auf wettbewerbsrechtliche Ansprüche gestützt ist.166 Wie auch bei der Frage, ob eine bürgerliche Streitigkeit i. S. d. § 13 GVG vorliegt, ist zwar vom Klagevorbringen auszugehen, doch erschöpft sich die Frage der Rechtswegeröffnung nicht im bloßen (formalen) Berufen auf eine Anspruchsgrundlage. Die Rechtswegeröffnung muss insoweit anhand objektiv-materieller Gesichtspunkte zum Zeitpunkt des Wettbewerbsverstoßes bestimmt werden.167

32

34 b) Zusammenhangsklagen. Die Arbeitsgerichte sind nach § 2 Abs. 3 ArbGG auch für sog. Zusammenhangsklagen zuständig. Das sind solche Klagen, für die an sich die ordentlichen Gerichte zuständig sind, die aber mit einem vor die Arbeitsgerichte gehörenden Anspruch „in rechtlichem oder unmittelbar wirtschaftlichem Zusammenhang“ stehen. Ein solcher Zusammenhang ist anzunehmen, wenn die arbeitsrechtliche Streitigkeit und die an sich vor die ordentlichen Gerichte gehörende Klage demselben Lebenssachverhalt entspringen.168 Im Interesse der Prozessökonomie und entsprechend dem Zweck der Vorschrift, eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung zusammengehörender Streitigkeiten vor dem Arbeitsgericht zu ermöglichen, ist der Begriff des Zusammenhangs grundsätzlich weit auszulegen.169 Nach der älteren Rechtsprechung sollte der erforderliche Zusammenhang auch gegeben sein, wenn ein Unternehmer gegen einen ausgeschiedenen Beschäftigten wegen Geheimnisverrats (§ 17 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 11) und gegen den neuen Arbeitgeber wegen unlauterer Nutzung des Geheimnisses vorging.170 Diese Rechtsprechung ist indes seit der Einführung des UWG 2004 überholt, weil § 13 UWG nunmehr eine ausschließliche Zuständigkeit eines anderen Gerichts i. S. d. § 2 Abs. 3 ArbGG (namentlich der Landgerichte) anordnet und somit Zusammenhangsklagen gegen Nichtarbeitnehmer vor den Gerichten für Arbeitssachen ausgeschlossen sind.171 furt 20.5.2004 – 6 W 44/05 – GRUR 2005, 792; Ahrens/Bornkamm Kap. 15 Rn. 16; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.4; a. A. Asendorf GRUR 1990, 234. 163 OLG Stuttgart 19.11.1996 – 2 W 64/96 – NZA-RR 1997, 267; OLG Zweibrücken 28.4.1997 – 2 W 7/97 – NZA-RR 1998, 225, 226; OLG Düsseldorf 19.7.2002 – 20 W 55/02 – GRUR-RR 2003, 63 – Arbeitgeberanschwärzung; OLG München 6.10.2003 – 29 W 2155/03 – NZA-RR 2004, 266, 267; KG 7.12.2004 – 5 W 153/04 – juris Tz. 7; OLG Frankfurt 20.5.2004 – 6 W 44/05 – GRUR 2005, 792; LAG Nürnberg 27.4.2005 – 2 Za 54/05 – juris Tz. 9; Ahrens/Bornkamm Kap. 15 Rn. 16; Harte/Henning/Brüning vor § 12 Rn. 4; Fischer DB 1998, 1184. 164 KG 7.12.2004 – 5 W 153/04 – juris Tz. 7; Ahrens/Bornkamm Kap. 15 Rn. 16, der außerdem darauf hinweist, dass sich die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte dann auch aus § 2 Nr. 3 lit. c ArbGG herleiten ließe; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 12 Rn. 1.4. 165 Ahrens/Bornkamm Kap. 15 Rn. 16; vgl. auch OLG Zweibrücken 28.4.1997 – 2 W 7/97 – NZA-RR 1998, 225, 226. 166 OLG Frankfurt 20.5.2004 – 6 W 44/05 – GRUR 2005, 792; OLG Frankfurt 23.9.2010 – 6 W 123/10 – NJOZ 2011, 384; Ahrens/Bornkamm Kap. 15 Rn. 16; Ann/Loschelder/Grosch Kap. 6 Rn. 214. 167 Ann/Loschelder/Grosch Kap. 6 Rn. 214. 168 BAG 11.9.2002 – 5 AZB 3/02 – AP ArbGG 1979 § 2 Nr. 82 = NZA 2003, 62; Germelmann/Matthes/Schlewing § 2 Rn. 116. 169 ErfKArbR/Koch § 2 ArbGG Rn. 37; Germelmann/Matthes/Schlewing § 2 Rn. 116. 170 OLG Zweibrücken 28.4.1997 – 2 W 7/97 – NZA-RR 1998, 225. 171 BAG 10.6.2010 – 5 AZB 3/10 – GRUR-RR 2010, 447, 448; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.4; Fezer/Büscher § 12 Rn. 239. A. A. Ahrens/Bornkamm Kap. 15 Rn. 17 mit der Begründung, dass § 2 Abs. 3 ArbGG die RechtswegEbersohl

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II. Insbesondere: Das Rechtsschutzbedürfnis für die Unterlassungsklage

Vor §§ 12–15a A

5. Schiedsgerichtsvereinbarungen Der ordentliche Rechtsweg wird durch eine wirksame Schiedsgerichtsvereinbarung (§ 1025 ZPO) 35 ausgeschlossen.172 Wettbewerbsrechtliche Ansprüche sind objektiv schiedsfähig (§ 1030 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Liegt eine wirksame Schiedsvereinbarung vor, so ist die gleichwohl erhobene Klage vor den ordentlichen Gerichten nur dann als unzulässig abzuweisen, wenn der Beklagte die Schiedseinrede erhebt (§ 1032 Abs. 1 ZPO). Dessen ungeachtet bleibt der Rechtsweg trotz der wirksamen Schiedsvereinbarung für einstweilige gerichtliche Maßnahmen (§ 1033 ZPO) eröffnet. Wurde eine Frist nach § 926 Abs. 1 ZPO zur Klageerhebung gesetzt, ist nach deren fruchtlosen Ablauf nicht das Schiedsgericht, bei dem die Klage zu erheben wäre, sondern allein das Gericht, das die einstweilige Verfügung erlassen hat, dazu befugt, eine einstweilige Verfügung gem. § 926 Abs. 2 ZPO oder gem. § 927 ZPO aufzuheben (§ 927 Abs. 2 Hs. 2 Alt. 1 ZPO).173 Der Rechtsweg bleibt ebenso für das Aufhebungsverfahren (§ 1059 ZPO) sowie für das Vollstreckungsverfahren (§ 1060 f. ZPO) eröffnet.

II. Insbesondere: Das Rechtsschutzbedürfnis für die Unterlassungsklage Schrifttum Allorio Rechtsschutzbedürfnis? ZZP 67 (1954), 321; Bacher Die Beeinträchtigungsgefahr als Voraussetzung für Unterlassungsklagen im Wettbewerbsrecht und in anderen Gebieten des Zivilrechts (1996); Blomeyer Zivilprozeßrecht, 2. Aufl. (1985); W. Brehm Rechtsschutzbedürfnis und Feststellungsinteresse, FG BGH (2000) 89; Doepner Wiederholungsgefahr – Ausräumung mit Drittwirkung? FS Mes (2009) 71; Fritzsche Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage (2000); Gloede Der deutsche Außenhandel und seine wettbewerbsrechtliche Beurteilung nach deutschem internationalem Privatrecht, GRUR 1960, 464; Grosch Rechtswandel und Rechtskraft bei Unterlassungsurteilen (2002); Grosch/ Schilling Rechnungslegung und Schadensersatzfeststellung für die Zeit nach der mündlichen Verhandlung? FS Eisenführ (2003) 131; Gruber Das Verhältnis der negativen Feststellungsklage zu den anderen Klagearten im deutschen Zivilprozess – Plädoyer für eine Neubewertung, ZZP 117 (2004), 133; Hoene Negative Feststellungsklage – Rechtsmissbrauch oder Verfahrenstaktik? WRP 2008, 44; Jacobs Anmerkung zu BGH 28.4.1988 – I ZR 27/87 – Örtliche Zuständigkeit, GRUR 1988, 786; E. Keller Negative Feststellungsklage, gegenläufige Leistungsklage und Verzicht auf deren Rücknahme, WRP 2000, 908; H. Köhler Vertragliche Unterlassungspflichten, AcP 190 (1990), 496; ders. Grenzen der Mehrfachklage und Mehrfachvollstreckung im Wettbewerbsrecht, WRP 1992, 359; ders. Zur Geltendmachung und Verjährung bei Unterlassungsansprüchen, JZ 2005, 489; Mugdan Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Bd. 3 (1899); Pastor Die Wiederholungsgefahr beim wettbewerblichen Unterlassungsanspruch, GRUR 1969, 331; Pawlowski Zum Verhältnis von Feststellungs- und Leistungsklage, MDR 1988, 630; Pohlmann Das Rechtsschutzbedürfnis bei der Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche, GRUR 1993, 361; Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht, 18. Aufl. (2018); Saenger Zivilprozessordnung, 8. Aufl. (2019); Schotthöfer Rechtliche Probleme im Verhältnis zwischen Feststellungsklage und Unterlassungsklage im Wettbewerbsrecht, WRP 1986, 14; Schreiber Klagearten in der ZPO, JURA 2009, 754; E. Schumann Die Prozessökonomie als rechtsethisches Prinzip, FS Larenz (1973) 271; Spengler Keine Verteidigung gegen frivole Unterlassungsklagen? – § 93 ZPO im gewerblichen Rechtsschutz, GRUR 1951, 434; Steinbeck Ist die negative Feststellungsklage Hauptsache im Sinne des § 937 I ZPO? NJW 2007, 1783; Teplitzky Zum Verhältnis von Feststellungs- und Leistungsklage im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes und des Wettbewerbsrechts, FS Lindacher (2007) 185; ders. Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 8. Aufl. (2002); ders. Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 10. Aufl. (2011); Tetzner Klagehäufung im Wettbewerbsrecht, GRUR 1981, 803; Zapfe Fortsetzung der BGH-Rechtsprechung Parallelverfahren I und II, WRP 2011, 1122.

zuständigkeit betreffe, § 13 UWG jedoch alleine die sachliche Zuständigkeit regle; so auch Becker GRUR-Prax 2010, 140. 172 Zur Bedeutung der Schiedsgerichtsbarkeit für Wettbewerbsstreitigkeiten siehe Gloy/Loschelder/Erdmann § 95 Rn. 1. 173 Berneke Rn. 117; Zöller/Vollkommer § 927 ZPO Rn. 10; Gloy/Loschelder/Erdmann § 95 Rn. 10. 477

Herrmann

II. Insbesondere: Das Rechtsschutzbedürfnis für die Unterlassungsklage

Vor §§ 12–15a A

5. Schiedsgerichtsvereinbarungen Der ordentliche Rechtsweg wird durch eine wirksame Schiedsgerichtsvereinbarung (§ 1025 ZPO) 35 ausgeschlossen.172 Wettbewerbsrechtliche Ansprüche sind objektiv schiedsfähig (§ 1030 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Liegt eine wirksame Schiedsvereinbarung vor, so ist die gleichwohl erhobene Klage vor den ordentlichen Gerichten nur dann als unzulässig abzuweisen, wenn der Beklagte die Schiedseinrede erhebt (§ 1032 Abs. 1 ZPO). Dessen ungeachtet bleibt der Rechtsweg trotz der wirksamen Schiedsvereinbarung für einstweilige gerichtliche Maßnahmen (§ 1033 ZPO) eröffnet. Wurde eine Frist nach § 926 Abs. 1 ZPO zur Klageerhebung gesetzt, ist nach deren fruchtlosen Ablauf nicht das Schiedsgericht, bei dem die Klage zu erheben wäre, sondern allein das Gericht, das die einstweilige Verfügung erlassen hat, dazu befugt, eine einstweilige Verfügung gem. § 926 Abs. 2 ZPO oder gem. § 927 ZPO aufzuheben (§ 927 Abs. 2 Hs. 2 Alt. 1 ZPO).173 Der Rechtsweg bleibt ebenso für das Aufhebungsverfahren (§ 1059 ZPO) sowie für das Vollstreckungsverfahren (§ 1060 f. ZPO) eröffnet.

II. Insbesondere: Das Rechtsschutzbedürfnis für die Unterlassungsklage Schrifttum Allorio Rechtsschutzbedürfnis? ZZP 67 (1954), 321; Bacher Die Beeinträchtigungsgefahr als Voraussetzung für Unterlassungsklagen im Wettbewerbsrecht und in anderen Gebieten des Zivilrechts (1996); Blomeyer Zivilprozeßrecht, 2. Aufl. (1985); W. Brehm Rechtsschutzbedürfnis und Feststellungsinteresse, FG BGH (2000) 89; Doepner Wiederholungsgefahr – Ausräumung mit Drittwirkung? FS Mes (2009) 71; Fritzsche Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage (2000); Gloede Der deutsche Außenhandel und seine wettbewerbsrechtliche Beurteilung nach deutschem internationalem Privatrecht, GRUR 1960, 464; Grosch Rechtswandel und Rechtskraft bei Unterlassungsurteilen (2002); Grosch/ Schilling Rechnungslegung und Schadensersatzfeststellung für die Zeit nach der mündlichen Verhandlung? FS Eisenführ (2003) 131; Gruber Das Verhältnis der negativen Feststellungsklage zu den anderen Klagearten im deutschen Zivilprozess – Plädoyer für eine Neubewertung, ZZP 117 (2004), 133; Hoene Negative Feststellungsklage – Rechtsmissbrauch oder Verfahrenstaktik? WRP 2008, 44; Jacobs Anmerkung zu BGH 28.4.1988 – I ZR 27/87 – Örtliche Zuständigkeit, GRUR 1988, 786; E. Keller Negative Feststellungsklage, gegenläufige Leistungsklage und Verzicht auf deren Rücknahme, WRP 2000, 908; H. Köhler Vertragliche Unterlassungspflichten, AcP 190 (1990), 496; ders. Grenzen der Mehrfachklage und Mehrfachvollstreckung im Wettbewerbsrecht, WRP 1992, 359; ders. Zur Geltendmachung und Verjährung bei Unterlassungsansprüchen, JZ 2005, 489; Mugdan Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Bd. 3 (1899); Pastor Die Wiederholungsgefahr beim wettbewerblichen Unterlassungsanspruch, GRUR 1969, 331; Pawlowski Zum Verhältnis von Feststellungs- und Leistungsklage, MDR 1988, 630; Pohlmann Das Rechtsschutzbedürfnis bei der Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche, GRUR 1993, 361; Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht, 18. Aufl. (2018); Saenger Zivilprozessordnung, 8. Aufl. (2019); Schotthöfer Rechtliche Probleme im Verhältnis zwischen Feststellungsklage und Unterlassungsklage im Wettbewerbsrecht, WRP 1986, 14; Schreiber Klagearten in der ZPO, JURA 2009, 754; E. Schumann Die Prozessökonomie als rechtsethisches Prinzip, FS Larenz (1973) 271; Spengler Keine Verteidigung gegen frivole Unterlassungsklagen? – § 93 ZPO im gewerblichen Rechtsschutz, GRUR 1951, 434; Steinbeck Ist die negative Feststellungsklage Hauptsache im Sinne des § 937 I ZPO? NJW 2007, 1783; Teplitzky Zum Verhältnis von Feststellungs- und Leistungsklage im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes und des Wettbewerbsrechts, FS Lindacher (2007) 185; ders. Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 8. Aufl. (2002); ders. Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 10. Aufl. (2011); Tetzner Klagehäufung im Wettbewerbsrecht, GRUR 1981, 803; Zapfe Fortsetzung der BGH-Rechtsprechung Parallelverfahren I und II, WRP 2011, 1122.

zuständigkeit betreffe, § 13 UWG jedoch alleine die sachliche Zuständigkeit regle; so auch Becker GRUR-Prax 2010, 140. 172 Zur Bedeutung der Schiedsgerichtsbarkeit für Wettbewerbsstreitigkeiten siehe Gloy/Loschelder/Erdmann § 95 Rn. 1. 173 Berneke Rn. 117; Zöller/Vollkommer § 927 ZPO Rn. 10; Gloy/Loschelder/Erdmann § 95 Rn. 10. 477

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Übersicht 1. 2. 3.

4. 5.

Grundlagen 36 37 Rechtsprechung und h.L. Prozessuale Deutung der Begehungsge37 fahr 37 a) Wortlaut 38 b) Teleologie c) Das Streitprogramm des Unterlassungspro39 zesses Zukunftsrechtsschutz und Rechtsschutzverkür40 zung 41 Anwendung der §§ 257, 259 ZPO? 41 a) Wertungsgrundlagen

6.

7. 8. 9.

42 b) Rechtsprechung 43 c) Diskussion Die Unterlassungsklage als Klage i. S. d. § 258 45 ZPO 46 a) Anspruch und actio b) Die Begehungsgefahr als Sachentschei47 dungsvoraussetzung 51 Doppelnatur der Begehungsgefahr? Die Begehungsgefahr als Voraussetzung des Zu52 kunftsrechtsschutzes 60 Ergebnis

1. Grundlagen 36 Mit der Unterlassungsklage begehrt der Kläger eine zwischen den Parteien verbindliche Klärung der dem Beklagten im Rahmen des substantiiert vorgetragenen Lebenssachverhaltes offen stehenden wettbewerblichen Handlungsmöglichkeiten. Wenn diese Klärung nicht durch einen Unterlassungsvertrag gelingt – insbesondere weil der Beklagte seine Unterlassungsverpflichtung bestreitet – ist der Kläger auf die hoheitliche Feststellung der rechtlichen Verhaltenspflichten des Beklagen angewiesen. Im Unterlassungsvertrag (strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung) legen die Parteien ebenfalls fest, welche Verhaltenspflichten zwischen ihnen in Bezug auf einen bestimmten Sachverhalt künftig gelten sollen. Sie schaffen auf privatautonomer Grundlage eine verbindliche und über das hiermit typischerweise verbundene Versprechen einer Vertragsstrafe sanktionierte Verhaltensnorm.

2. Rechtsprechung und h.L. Sachlich geht es im Unterlassungsvertrag und -urteil jeweils um eine in der Gegenwart (Zustandekommen des Vertrages, letzte mündliche Tatsachenverhandlung) zu treffende Festlegung künftiger Verhaltenspflichten.174 Dies bestimmt zugleich auch das Streitprogramm des Unterlassungsprozesses. Streitgegenstand ist „das prozessual zu definierende gegenwärtige Recht des Klägers auf Titulierung einer konkreten Verbotsnorm, durch welche das künftige Recht der Parteien (bis auf weiteres) durch eine Verbotsnorm geregelt wird“.175 Die inzwischen gefestigte Rechtsprechung und h. L. lehnen eine solche prozessrechtliche 37 Deutung des Gegenstandes des Unterlassungsprozesses hingegen nahezu einhellig ab.176 Die seit dem UWG 2004 in § 8 Abs. 1 geregelte Begehungsgefahr als Voraussetzung des Unterlassungsanspruchs wird als materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung verstanden, die abstrakt

174 Grosch/Schilling FS Eisenführ, S. 153. Demgegenüber stellt Ahrens, Kap. 36 Rn. 13 auf ein gegenwärtiges Verbot ohne Bezug zu künftigen Verhaltensweisen ab. Das künftige Wettbewerbsverhalten des Unterlassungsschuldners sei nicht selbst (als Prognose) Teil des Unterlassungsgebots. Damit wird aber ein inhaltsleeres Verbot postuliert. Der Gläubiger will ja gerade künftiges Verhalten untersagt wissen, das deshalb auch Teil der Verbotsnorm sein muss. 175 Grosch/Schilling FS Eisenführ, S. 153. Vgl. zum Streitgegenstandsbegriff auch unter Rn. 217 ff. 176 Ahrens, Kap. 36a Rn. 13; weitere Nachweise bei Paal § 8 Rn. 8; Fritzsche S. 150 f.; Teplitzky Kap. 6 Rn. 6 f.; a. A. Bacher S. 38 ff., 83 f., 159; Melullis Rn. 569 f. Herrmann

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II. Insbesondere: Das Rechtsschutzbedürfnis für die Unterlassungsklage

Vor §§ 12–15a A

bestehende Verhaltenspflichten zu einer konkreten Anspruchsbeziehung (§ 241 Abs. 1 Satz 2 BGB) verdichtet.177

3. Prozessuale Deutung der Begehungsgefahr Der Wortlaut des Gesetzes, der Wiederholungs- (§ 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2) und Erstbegehungsgefahr (§ 8 Abs. 1 Satz 2) jeweils als Voraussetzungen des materiell-rechtlichen Anspruchs normiert („[…] kann […] in Anspruch genommen werden“; „Der Anspruch auf Unterlassung […]“), scheint eine prozessuale Deutung des Streitprogramms des Unterlassungsprozesses positivrechtlich auszuschließen.178 Freilich entscheidet der Gesetzgeber nicht isoliert über dogmatische Einordnungsfragen.179 Maßgeblich kann für eine der Interessenjurisprudenz verpflichtete Rechtsanwendung nur sein, welche rechtsdogmatische Einordnung eines Merkmals von den damit verbundenen Rechtsfolgen her sachgerecht ist.180 Der Wortlaut des Gesetzes schließt es jedenfalls nicht aus, eine zunächst naheliegende Einordnung teleologisch zu korrigieren.

a) Wortlaut. Rechtsprechung und h. L. können einer eigens prozessrechtlichen Deutung des Merkmals der Begehungsgefahr zwar zunächst den Wortlaut des § 8 Abs. 1 entgegenhalten.181 Bedenkt man freilich, dass normativer Ausgangspunkt aller negatorischen Unterlassungsansprüche die ausdrücklich eine Unterlassungsklagemöglichkeit eröffnende Vorschrift des § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB war, muss der Gegensatz zwischen (materiell-rechtlichem) Anspruch und Klagemöglichkeit an Gewicht verlieren. Denn vor dem UWG 2004 sind Rechtsprechung182 und h. L.183 ungeachtet des insoweit gerade abweichenden Gesetzeswortlautes bereits von einem materiell-rechtlichen Verständnis der Begehungsgefahr ausgegangen. Bei jetzt veränderten normativen Vorzeichen kann das Wortlautargument gegenüber am Sinn und Zweck des gerichtlichen Unterlassungsrechtsschutzes orientierten Erwägungen nicht plötzlich allein ausschlaggebend sein.

b) Teleologie. Für eine teleologische Einordnung der Begehungsgefahr als Voraussetzung des 38 Unterlassungsrechtsschutzes ist wesentlich, dass sich der Unterlassungsanspruch durch seinen Bezug auf künftiges Schuldnerverhalten von sonstigen Leistungsansprüchen (insbes. Zahlungsansprüchen) unterscheidet. Sowohl der vorbeugende wie der Verletzungsunterlassungsanspruch schützen vor künftigen Verstößen des Schuldners gegen eine wettbewerbliche Verhaltenspflicht. Ein solcher Zukunftsbezug fehlt bei sonstigen Leistungsklagen, die einen Verstoß 177 Teplitzky/Kessen, Kap. 6 Rn. 7, Ahrens, Kap. 14 Rn. 1 mit Nachweisen. 178 Hierauf abstellend Teplitzky, FS Köhler, S. 757, 765 f. 179 Teplitzky/Kessen, Kap. 6 Rn. 7 hält dies für möglich („wohl“), Teplitzky (FS Köhler, S. 757, 765) nimmt es ausdrücklich an. 180 So auch Bacher (Bacher S. 84), der darauf hinweist, dass die dogmatische Einordnung insbesondere auch Bedeutung haben kann für die Behandlung im Prozess (Bacher S. 85 ff.), die Rechtskraft einer Entscheidung (Bacher S. 91 ff.), das Beweisrecht (Bacher S. 94 ff.), die Möglichkeit einer gesonderten Entscheidung über die Zulässigkeit gem. § 280 ZPO (Bacher S. 116 f.) sowie für die Behandlung in der Revision (Bacher S. 135 f.). 181 In diese Richtung argumentierend auch Teplitzky/Kessen, Kap. 6 Rn. 7 f. 182 BGH 26.4.1990 – I ZR 99/88 – GRUR 1990, 687, 689 – Anzeigenpreis II; BGH 16.1.1992 – I ZR 84/90 – GRUR 1992, 318, 319 – Jubiläumsverkauf; für die Wiederholungsgefahr: BGH 22.9.1972 – I ZR 19/72 – GRUR 1973, 208, 209 – Neues aus der Medizin; BGH 9.11.1979 – I ZR 24/78 – GRUR 1980, 241 – Rechtsschutzbedürfnis; BGH 7.10.1982 – I ZR 120/80 – GRUR 1983, 127, 128 – Vertragsstrafeversprechen. 183 Bacher S. 30 ff. m. w. N., S. 157 ff.; Grosch S. 49 f.; Baumbach/Hefermehl UWG (22. Aufl. 2001) Einl. Rn. 260; GKUWG/Köhler1 Vor § 13 UWG B Rn. 27; für die Wiederholungsgefahr vgl. Fritzsche S. 150 f. m. w. N.; Gloede GRUR 1960, 464, 471; Pastor GRUR 1969, 331, 336; Spengler GRUR 1951, 434, 436; Teplitzky (8. Aufl. 2002) Kap. 6 Rn. 7 m. w. N. 479

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

des Schuldners gegen rechtliche Verhaltenspflichten in der Vergangenheit feststellen und dem Gläubiger mit dem Vollstreckungstitel die Möglichkeit geben, diesen Pflichtverstoß notfalls auch gegen den Willen des Schuldners zu korrigieren. Mit Ausnahme der Unterlassungsklage sind Leistungsklagen mithin durch die Feststellung eines in der Vergangenheit liegenden Pflichtverstoßes und den Vollstreckungszwang zur Überwindung etwaigen Widerstandes des Schuldners charakterisiert. Künftiges Schuldnerverhalten ist regelmäßig gerade nicht Teil des Streitprogramms des Leistungsklageverfahrens.

39 c) Das Streitprogramm des Unterlassungsprozesses. Hiervon unterscheidet sich der Unterlassungsprozess prinzipiell. Der das zwischen den Parteien geltende Recht feststellende Teil des Unterlassungstenors entspricht zunächst dem üblichen Muster eines Leistungsprozesses. Jedes Unterlassungsurteil geht jedoch über diese zu sonstigen Leistungsprozessen parallele Feststellungswirkung hinaus. Das Gericht konkretisiert die Verhaltenspflichten des Beklagten im Unterlassungstenor und gibt dem Kläger durch die angedrohten Ordnungsmittel (§ 890 ZPO) die Möglichkeit, deren künftige Einhaltung im Wege der Zwangsvollstreckung zu erzwingen. Die im Tenor ausgesprochenen speziellen Verhaltenspflichten treten an die Stelle der aus der zugrundeliegenden Rechtsnorm folgenden allgemeinen Verhaltenspflichten. Der Kläger wird dadurch der Notwendigkeit enthoben, bei künftigen Verstößen gegen seinen im Urteil konkretisierten Unterlassungsanspruch erneut auf Unterlassung zu klagen; er kann ohne Weiteres vollstrecken.

4. Zukunftsrechtsschutz und Rechtsschutzverkürzung 40 In der die Vollstreckung bei künftigen Verhaltensverstößen ermöglichenden Funktion des Unterlassungsurteils liegt eine rechtfertigungsbedürftige Verkürzung des dem Schuldner sonst allgemein offenstehenden Rechtsschutzes. Beim Unterlassungsvertrag stellt sich die Legitimationsfrage nicht, weil der Schuldner der verbindlichen und strafbewehrten Konkretisierung seiner Verhaltenspflicht selbst zugestimmt und die Einschränkung künftiger Rechtsschutzmöglichkeiten somit privatautonom legitimiert hat. Wäre die Begehungsgefahr nur materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung, könnte die zukunftsgerichtete Rechtsschutzverkürzung nicht stimmig erklärt werden. Denn materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzungen gehören zum „feststellenden Teil“ des Leistungstenors. Sie tragen die gerichtliche Feststellung des gegenwärtig zwischen den Parteien geltenden Rechts und ermöglichen es dem Gläubiger, seinem Recht zwangsweise gegenüber dem Schuldner Geltung zu verschaffen. Für die Eröffnung einer ohne weiteres bestehenden Vollstreckungsmöglichkeit gegenüber künftigem Schuldnerverhalten genügt eine Feststellung des gegenwärtig geltenden Rechts indes nach allgemeinen Regeln gerade nicht. Ein Schuldner, der einen Darlehensrückzahlungsprozess verloren hat, muss auch dann bei einer kerngleichen künftigen Zahlungsverweigerung aus einem anderen Darlehen erneut auf Zahlung verklagt werden, wenn er durch sein den Gegenstand des Vorprozesses bildendes pflichtwidriges Verhalten zu erkennen gegeben hat, dass er vereinbarte Leistungspflichten u. U. auch künftig verletzen wird. Im Beispielsfall verhält sich das Zahlungsurteil nicht zu dem in künftigen Konfliktsituationen zwischen den Parteien geltenden Recht. Das Unterlassungsurteil könnte eine in die Zukunft gerichtete Rechtsschutzverkürzung nur durch die allen Leistungsurteilen gemeinsame Feststellungswirkung für das zwischen den Parteien gegenwärtig geltende Recht ebenfalls nicht legitimieren, wenn nicht durch ein zusätzliches Merkmal dieser erhebliche Eingriff in die prozessualen Verteidigungsrechte des Schuldners gerechtfertigt wäre. Dieses Merkmal ist die Begehungsgefahr. Sie muss (jedenfalls auch) eine Funktion außerhalb des materiell-rechtlichen Anspruchs haben, um eine über die Feststellungswirkung des gegenwärtigen Rechts hinausreichende prozessuale Funktion erfüllen zu können. Herrmann

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II. Insbesondere: Das Rechtsschutzbedürfnis für die Unterlassungsklage

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5. Anwendung der §§ 257, 259 ZPO? Der Kläger muss danach für die Unterlassungsklage darlegen und im Bestreitensfall beweisen, 41 warum er auch im eigens prozessrechtlichen Sinne gegenwärtig der hoheitlichen Festlegung der im Verhältnis zu dem Beklagten künftig geltenden Verhaltenspflichten bedarf, also auf gerichtlichen Rechtsschutz angewiesen ist. Hierin liegt eine Parallele zu den Zukunftsklagen (§§ 257–259 ZPO), die jeweils besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen für zukunftsgerichteten Rechtsschutz aufstellen.184 Während im Rahmen des §§ 257, 259 ZPO die Besorgnis nachgewiesen werden muss, der Schuldner werde sich seiner (dem Grunde nach bereits feststehenden) Leistungspflicht künftig entziehen,185 erfordert § 258 ZPO einen Anspruch auf wiederkehrende Leistungen.186 Die klageweise Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs entspricht funktional einer Klage auf künftig wiederkehrende Leistungen, da der Kläger die Titulierung einer Verbotsnorm für künftiges Verhalten anstrebt. Das entspricht dem Urteil auf wiederkehrende Leistungen nach § 258 ZPO, das ebenfalls eine Verhaltensnorm (= Leistungspflicht) für künftiges Verhalten aufstellt.

a) Wertungsgrundlagen. Die Frage nach den Voraussetzungen für eine Titulierung künftiger Unterlassungspflichten ist danach im Hinblick auf die Funktion des Unterlassungstenors als einer gegenwärtigen Feststellung künftiger Verhaltenspflichten zu beantworten. Auf eine vollstreckbare Konkretisierung ohnehin bestehender (materiell-rechtlicher) Verhaltenspflichten hat der Unterlassungskläger nur dann einen Anspruch, wenn es ihm nicht zuzumuten ist, nach einem künftigen Verstoß mit der gerichtlichen Durchsetzung erst zu beginnen. Dem korrespondiert eine „Verwirkung“ des regelmäßigen Rechtsschutzsystems, einschließlich des umfassenden rechtlichen Gehörs vor festzusetzenden Zwangsmaßnahmen durch den Unterlassungsschuldner, der durch sein Verhalten Anlass geboten haben muss, dem Gläubiger eine Verstärkung seines materiellen Rechts in Form des Unterlassungstenors an die Hand zu geben. b) Rechtsprechung. In diesem Zusammenhang wird in der Rechtsprechung zwischen ge- 42 setzlichen und vertraglichen Unterlassungsansprüchen differenziert.187 Danach sollen nur vertragliche Unterlassungsansprüche nach § 259 ZPO einen Anspruch auf künftige Leistung darstellen. Bei gesetzlichen Unterlassungsansprüchen entspricht es der nahezu einhelligen Auffassung,188 dass die sonst in § 259 ZPO enthaltenen Voraussetzungen gerichtlichen Zukunftsrechtsschutzes (künftig fällig werdende Leistung = Wiederholungsgefahr) Teil der materiellen Anspruchsvoraussetzung und nicht der Zulässigkeit der Klage seien.189 Der Wortlaut des allgemeinen gesetzlichen negatorischen Anspruchs in § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB („Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen“) scheint dies zu stützen.190 Auch § 8 Abs. 1 Satz 2 formuliert, dass der „Anspruch“ auf Unterlassung bereits dann bestehe, wenn eine Zuwiderhandlung gegen wettbewerbliche Verhal184 BGH 26.9.1996 – I ZR 265/95 – GRUR 1997, 382, 384 – Altunterwerfung I; Grosch S. 33; vgl. auch: Grosch/ Schilling FS Eisenführ, S. 149 ff.

185 MünchKomm/Becker-Eberhard § 259 ZPO Rn. 12. 186 MünchKomm/Becker-Eberhard § 258 ZPO Rn. 14. 187 BGH 21.1.1999 – I ZR 135/96 – GRUR 1999, 522, 524 – Datenbankabgleich; BGH 10.1.1956 – I ZR 14/55 – GRUR 1956, 238, 240 – Westfalen Zeitung. Zustimmend: Schreiber JURA 2009, 755 f.; Thomas/Putzo/Reichhold § 259 Rn. 4. Vgl. zur Übersicht: MünchKommZPO/Becker-Eberhardt § 259 ZPO Rn. 5 f. 188 Wieczorek/Schütze/Assmann § 259 ZPO Rn. 34; MünchKommZPO/Becker-Eberhardt § 259 Rn. 6; Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann § 259 ZPO Rn. 4; Köhler JZ 2005, 489; Thomas/Putzo/Reichold § 259 ZPO Rn. 4; Rosenberg/Schwab/Gottwald § 89 Rn. 20; Stein/Jonas/Roth § 259 ZPO Rn. 8. 189 MünchKommZPO/Becker-Eberhardt § 259 Rn. 6. 190 MünchKommZPO/Becker-Eberhardt § 259 Rn. 6. 481

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

tenspflichten droht. Demgegenüber fehlt es bei vertraglichen Unterlassungspflichten an einer rechtsinhaltlichen Beschränkung für die Geltendmachung zukunftsgerichteten Rechtsschutzes, so dass ein Bedürfnis für die Anwendung des § 259 ZPO entsteht. In der Entscheidung Datenbankabgleich191 hat der I. ZS dieser Differenzierung sachlich folgend auf die klageweise Durchsetzung eines vertraglichen Unterlassungsanspruchs unter dem Prüfungspunkt „Rechtsschutzbedürfnis“ die Voraussetzungen des § 259 ZPO angewandt.192

43 c) Diskussion. Die Differenzierung193 zwischen vertraglichen und gesetzlichen Ansprüchen wirkt künstlich, zumal beide Ansprüche auf dasselbe Rechtsschutzziel gerichtet sind.194 Deshalb in beiden Fällen eine Anwendung des § 259 ZPO abzulehnen,195 vermeidet zwar die Verwendung eines inkonsistenten Prüfungsmaßstabs, löst aber nicht das sachliche Problem der zukunftsgerichteten Wirkung des Unterlassungsurteils, das dem Schuldner Rechtsschutzmöglichkeiten nimmt und dem Gläubiger eine bequeme Vollstreckungsmöglichkeit schafft. Anders als sonstige Leistungsurteile stellt das Unterlassungsurteil nicht nur gegenwartsbezogen die Rechtslage im Verhältnis zwischen den Parteien fest, sondern gewährt mit der Schaffung des zukunftsgerichteten Vollstreckungstitels primär Schutz vor künftigen Verstößen gegen die festgestellte Verhaltenspflicht des Schuldners. Erklärungsbedürftig ist nicht die Möglichkeit, einen gegenwärtigen Anspruch mit der Leistungsklage durchzusetzen, sondern der angestrebte Rechtsschutz gegen künftige Zuwiderhandlungen. 44 Allerdings handelt es sich weder bei vertraglichen noch bei gesetzlichen Unterlassungsansprüchen um einen Anwendungsfall des § 259 ZPO.196 § 259 ZPO setzt voraus, dass der geltend gemachte Anspruch nicht erst künftig entsteht. Lediglich die Fälligkeit oder Wirksamkeit (z. B. der Eintritt einer Bedingung) dürfen noch von einem in den Urteilstenor aufzunehmenden Ereignis abhängig sein.197 Diese Voraussetzung ist bei dem Unterlassungsanspruch nicht erfüllt. Nach der h. M. handelt es sich bei dem Unterlassungsanspruch um einen gegenwärtig bestehenden (materiell-rechtlichen) Anspruch.198 Dabei kann sinnvollerweise nicht zwischen gesetzlichen und vertraglichen Ansprüchen mit demselben Inhalt differenziert werden. Das schließt die Anwendung des § 259 ZPO aus. Geht man von einem gegenwärtig bestehenden (materiell-rechtlichen) Anspruch aus, kann dessen Wirksamkeit oder Fälligkeit nicht gleichzeitig im Sinne des § 259 ZPO eingeschränkt sein. Soweit der Unterlassungsanspruch als prozessuales Recht auf Titulierung einer Verbotsnorm verstanden wird,199 passt § 259 ZPO ebenfalls nicht. Denn das Recht auf Titulierung der 191 BGH 21.1.1999 – I ZR 135/96 – GRUR 1999, 522, 524 – Datenbankabgleich. 192 Ebenso bereits BGH 10.1.1956 – I ZR 14/55 – GRUR 1956, 238, 240; vgl. dazu m. w. N. Grosch S. 49 f. 193 Becker-Eberhardt (MünchKommZPO/Becker-Eberhardt § 259 Rn. 7) unterscheidet bei vertraglichen Unterlassungsansprüchen weiter danach, ob bereits eine Verletzung der Unterlassungsverpflichtung vorgekommen ist oder nicht. Der erstmalige Verstoß gegen eine vertragliche Unterlassungsverpflichtung begründe die Wiederholungsgefahr, so dass unabhängig von den Voraussetzungen des § 259 ZPO auf Unterlassung geklagt werden könne. Fehle es hingegen an einem Erstverstoß, bewende es bei § 259 ZPO. 194 Köhler JZ 2005, 490; Teplitzky, FS Köhler, S. 757, 765. 195 So etwa: Köhler JZ 2005, 490 f.; Teplitzky Kap. 51 Rn. 59. 196 So auch Ahrens, Kap. 14 Rn. 2. 197 Zöller/Greger § 259 ZPO Rn. 1. 198 BGH 22.9.1972 – I ZR 19/72 – GRUR 1973, 208, 209 – Neues aus der Medizin; BGH 9.11.1979 – I ZR 24/78 – GRUR 1980, 241, 242 – Rechtsschutzbedürfnis; BGH 7.10.1982 – I ZR 120/80 – GRUR 1983, 127 = WRP 1983, 91, 92 = NJW 1983, 941, 943 – Vertragsstrafeversprechen; BGH 2.12.1982 – I ZR 121/80 – GRUR 1983 186, 187 = WRP 1983, 264, 265 – Wiederholte Unterwerfung; BGH 26.4.1990 – I ZR 99/88 – GRUR 1990, 687 – Anzeigenpreis II; Ahrens Kap. 14 Rn. 9; GK-UWG/Köhler1 Vor § 13 UWG B Rn. 27; Rosenberg/Schwab/Gottwald § 89 Rn. 6; Teplitzky Kap. 6 Rn. 6, Kap. 51 Rn. 59. 199 RGZ 114, 119; Doepner FS Mes, S. 91 ff.; Köhler JZ 2005, 491 f.; Melullis Rn. 569; Grosch/Schilling FS Eisenführ, S. 149 f. Herrmann

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II. Insbesondere: Das Rechtsschutzbedürfnis für die Unterlassungsklage

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Verbotsnorm besteht bei entsprechender Begehungsgefahr gegenwärtig und nicht erst in der Zukunft.

6. Die Unterlassungsklage als Klage i. S. d. § 258 ZPO Eine gegenwärtige Titulierung künftiger Verhaltenspflichten ermöglicht aber § 258 ZPO. Der An- 45 spruch auf Titulierung künftiger Verhaltenspflichten ist dann als gegenwärtiger (prozessualer) Anspruch mit Zukunftswirkung aufzufassen. Die Begehungsgefahr bildet dabei die legitimatorische Grundlage für die Zukunftswirkung und rechtfertigt es, den Unterlassungsanspruch den von § 258 ZPO unmittelbar geregelten Ansprüchen auf wiederkehrende Leistung gleichzustellen.

a) Anspruch und actio. Der gegenwärtige Meinungsstand zur Anwendbarkeit der §§ 257 ff. ZPO 46 auf Unterlassungsklagen erscheint als Folge der heute in der Zivilrechtsdogmatik vollständig vollzogenen Ablösung des Anspruchs von der actio (Klagerecht). Jeder materiell-rechtliche Anspruch (§ 194 BGB) kann auch ohne besondere Anordnung klageweise durchgesetzt werden, sofern nicht ausnahmsweise das Rechtsschutzinteresse als Sachentscheidungsvoraussetzung fehlt.200 Bei der Formulierung des allgemeinen negatorischen Unterlassungsanspruchs (§ 1004 BGB) herrschte indessen noch das Verständnis vor, der Anspruch auf künftige Unterlassung könne nur dann klageweise durchgesetzt werden, wenn das Gesetz die Klagemöglichkeit positiv anordnet.201 Die Fassung des § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB202 (= § 943 des 1. Entwurfs zum BGB) und die darin vertatbestandlichte Begehungsgefahr erscheinen damit als prozessuale Regelung der Möglichkeit, auf künftige Unterlassung zu klagen.203 Der Gesetzeswortlaut, der in § 1004 BGB nicht anordnet, dass der Gläubiger die künftige Unterlassung von dem Anspruchsgegner „verlangen“, sondern hierauf „klagen“ kann, lässt die prozessuale Herkunft des Merkmals der Widerholungsgefahr noch deutlich erkennen. Eine Regelung entsprechend § 258 ZPO erschien als redundant, weil die sachlichen Voraussetzungen dieser Norm bereits in § 1004 BGB enthalten sind.

b) Die Begehungsgefahr als Sachentscheidungsvoraussetzung. In § 8 Abs. 1 Satz 2, der 47 auf den „Anspruch“ auf Unterlassung abstellt, ist die Terminologie des wettbewerblichen Unterlassungsanspruchs an die allgemeine bürgerlich-rechtliche Dogmatik angepasst worden. Indessen hat § 8 Abs. 1 UWG 2004 den (vorbeugenden) Unterlassungsanspruch nicht neu begründet. Auch vor dem UWG 2004 haben Unterlassungsklagen den Wettbewerbsprozess dominiert. Der bloße Verweis auf den Gesetzeswortlaut vermag daher die Einordnungsfrage nicht zu entscheiden.204 Für eine Qualifikation der Begehungsgefahr als materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung wird deshalb im Ausgangspunkt zutreffend auf die Notwendigkeit verwiesen, gegenüber jedermann bestehende Verhaltenspflichten zu einer das Verhältnis gerade der Prozessparteien bestimmenden Anspruchsbeziehung zu konkretisieren.205 Die wettbewerblichen Verhaltenspflichten sind für alle Normadressaten verbindlich, können aber nicht von jedem potentiell Be-

200 201 202 203 204 205

Zur Funktion des Anspruchs vgl. auch Bacher S. 42 f. Vgl. Mugdan S. 426 und dazu Grosch S. 33. Siehe auch die Fassung des Besitzschutzanspruchs in § 862 BGB. Grosch S. 33. Anders Teplitzky, FS Köhler, S. 757, 765. Bacher S. 36 f.; Fritzsche S. 150 f.; vgl. auch Gloy/Loschelder/Erdmann/Fritzsche § 79 Rn. 6; Grosch S. 48 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.9. 483

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

troffenen auch gerichtlich durchgesetzt werden.206 Ohne Konkretisierung zu einer Anspruchsbeziehung zwischen den Prozessparteien wäre die Unterlassungsklage Popularklage, die das deutsche Zivilprozessrecht gerade nicht kennt. Die Begehungsgefahr macht aus dem an der Einhaltung wettbewerblicher Normen interessierten quivis ex populo einen tauglichen Unterlassungskläger, weil er durch Verweis auf die Begehungsgefahr eine konkrete Bedrohung geschützter eigener Rechtspositionen207 substantiiert behaupten kann. Ein rechtlich anzuerkennendes Bedürfnis einer verbindlichen Feststellung künftiger wettbewerblicher Verhaltenspflichten gerade gegenüber dem Beklagten besteht nur und erst dann, wenn dieser durch sein Verhalten Anlass zu einer entsprechenden Feststellung gegeben hat. Diese Zugangsvoraussetzungen gerichtlichen Rechtsschutzes (Vermeidung von Popularklagen) werden im Allgemeinen unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzbedürfnisses – und gerade nicht als Teil der materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen – erörtert. Wenn die Begehungsgefahr über die Konkretisierung der allgemeinen wettbewerbsrechtlichen Verhaltenspflichten zu einer inter partes bestehenden Anspruchsbeziehung die zulässige Unterlassungsklage von der unzulässigen Popularklage auf Normeinhaltung unterscheidet, erscheint die Einordnung der Begehungsgefahr unter die Sachentscheidungsvoraussetzungen – entgegen der h. L. – als natürliche Konsequenz. Diese Konsequenz wollen Rechtsprechung und h. L. freilich gerade nicht ziehen.208 In ihrer Logik begründet die Begehungsgefahr den materiell-rechtlichen Unterlassungsanspruch, für dessen klageweise Geltendmachung sodann – wie bei jedem anderen Leistungsanspruch auch – allein aufgrund seiner Nichterfüllung durch den Beklagten ein Rechtsschutzbedürfnis besteht.209 Die Grenzen dieses Ansatzes, der durch § 8 Abs. 1 sicherlich nahegelegt wird, zeigen sich jedoch, wenn man seine Belastbarkeit am Beispiel einer hypothetischen Feststellungsklage auf Bestehen eines Unterlassungsanspruchs überprüft. Dabei wird nicht verkannt, dass eine entsprechende Feststellungsklage angesichts der Subsidiarität gegenüber der (Unterlassungs-) Leistungsklage nur in seltenen Fällen (z. B. dann, wenn feststeht, dass ein öffentlich-rechtlicher Schuldner auch ohne Vollstreckungsdruck erfüllen wird) zulässig sein dürfte. Als materiell-rechtliche Voraussetzung des Unterlassungsanspruchs verstanden, müsste eine solche (hypothetische) Feststellungsklage bei fehlender Begehungsgefahr als unbegründet abzuweisen sein. Eine Abweisung als unbegründet kommt jedoch deshalb nicht in Betracht, weil es ohne Begehungsgefahr an einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis überhaupt fehlt, so dass eine solche Feststellungsklage unzulässig wäre. Gegenstand wäre allein die Jedermannspflicht zur Unterlassung von Wettbewerbsverstößen, die nicht tauglicher Streitgegenstand eines Unterlassungsprozesses sein kann. Die Jedermannspflichten zu klagbaren Ansprüchen konkretisierende Begehungsgefahr ist damit bei einer (hypothetischen) Klage auf Feststellung des Bestehens eines Unterlassungsanspruchs eine inhaltlich dem Rechtsschutzinteresse zuzuordnende Sachentscheidungsvoraussetzung. Für eine Leistungsklage auf Unterlassung, die notwendig einen Feststellungsteil mitumfasst210 und sich von der Feststellungsklage nur durch das unterschiedliche (weiterreichende) Rechtsschutzziel unterscheidet211 kann nichts anderes gelten. Auch hier muss die Begehungsgefahr als Grundlage für die Konkretisierung der abstrakt-generellen Verhaltenspflichten Teil der Sachentscheidungsvoraussetzungen sein. 206 Ahrens, Kap. 14, Rn. 10 stellt darauf ab, dass die Begehungsgefahr das Äquivalent der Verletzung bei „nachtatlichen Ansprüchen“ darstelle. 207 Diesen Gesichtspunkt betont mit Recht auch Ahrens, Kap. 14 Rn. 11. 208 Teplitzky, FS Köhler, S. 757, 764 ff.; Ahrens, Kap. 14 Rn. 11 mit Nachweisen. 209 BGH 9.11.1979 – I ZR 24/78 – GRUR 1980, 241, 242 – Rechtsschutzbedürfnis; BGH 7.10.1982 – I ZR 120/80 – GRUR 1983, 127, 128 – Vertragsstrafeversprechen; Ahrens, Kap. 14 Rn. 11. 210 Gruber ZZP 114 (2004), 133, 140. 211 RG 5.4.1909 – VI 244/08 – RGZ 71, 68, 74; BGH 28.11.1961 – I ZR 127/60 – GRUR 1962, 360, 361 – Trockenrasierer; BGH 7.7.1994 – I ZR 30/92 – NJW 1994, 3107, 3108 – Parallelverfahren II; Zöller/Greger § 256 Rn. 16; Schötthofer WRP 1986, 14, 16 f. Herrmann

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§ 8 Abs. 1 Satz 2 legt so verstanden fest, ab welchem Zeitpunkt frühestens angenommen 48 werden kann, eine gegenüber jedermann bestehende Verbotsnorm habe sich zu einer inter partes bestehenden Anspruchsbeziehung konkretisiert. Diese Festlegung ist (jedenfalls auch) prozessual zu begreifen, weil sie die Unterscheidung des Unterlassungsklägers von dem quivis ex populo ermöglicht, für dessen Klage auf Normeinhaltung kein Rechtsschutzbedürfnis besteht. Aus der Sicht des materiellen Rechts stellt § 8 Abs. 1 Satz 2 zugleich den zeitlichen Anwen- 49 dungsbereich des gesetzlichen Unterlassungsanspruchs dahin klar, dass er „bereits“ dann besteht, wenn eine Zuwiderhandlung (gegen die §§ 3 und 7) droht. Diese Klarstellung ist sinnvoll, weil ansonsten offen bliebe, ob die Unterlassungsklage – neben dem Drohen einer Zuwiderhandlung – weiteren und ggf. einschränkenden Voraussetzungen gerichtlichen Zukunftsrechtsschutzes unterliegt.212 Es ist daher zutreffend, wenn § 8 Abs. 1 Satz 2 als Voraussetzung verstanden wird, die eine 50 Konkretisierung des allgemeinen Verhaltensgebotes zu einem vollstreckbaren Verbot im Unterlassungsprozess ermöglicht.213 Die Begehungsgefahr macht aus einer gegenüber jedermann bestehenden (abstrakt-generellen) Verhaltensnorm einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch, der dem Kläger das Recht gibt, einen zukunftsgerichteten Unterlassungstitel zu erwirken.

7. Doppelnatur der Begehungsgefahr? Ob die Begehungsgefahr neben der Funktion, als Teil des Rechtsschutzinteresses den Zugang 51 zu gerichtlichem Zukunftsrechtsschutz zu eröffnen, sinnvoll auch als materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung betrachtet werden kann, ist an dieser Stelle nicht abschließend zu entscheiden. Denn um diese Frage zu beantworten, wäre zunächst klärungsbedürftig, ob Gegenstand des Unterlassungsprozesses überhaupt ein materiell-rechtlicher Anspruch (oder nur ein prozessual verstandenes Recht) ist.214 Hier genügt es, dass ohne eine prozessual verstandene Begehungsgefahr nicht stimmig erklärt werden könnte, warum der Unterlassungskläger neben der Feststellung der jeweiligen wettbewerblichen Verhaltenspflichten einen Vollstreckungstitel gegenüber künftigem Schuldnerverhalten erwirken kann. Die Voraussetzungen, unter denen bestehende rechtliche Verhaltenspflichten zu vollstreckbaren Ge- oder Verboten für künftiges Verhalten konkretisiert werden, beschreiben Anforderungen an die prozessuale Geltendmachung eines Anspruchs. Diese sind sachlich in § 258 ZPO enthalten.

8. Die Begehungsgefahr als Voraussetzung des Zukunftsrechtsschutzes Bei funktionaler Betrachtung ermöglichen § 258 ZPO und § 1004 BGB bzw. § 8 Abs. 1 Satz 2 je- 52 weils eine Klage auf künftige Unterlassung. Die Erstbegehungs- bzw. Wiederholungsgefahr ist teleologisch als Voraussetzung des Zukunftsrechtsschutzes mit dem Bestehen eines Anspruchs auf wiederkehrende Leistung im Sinne des § 258 ZPO identisch. Die Wiederholungs- oder Erstbegehungsgefahr rechtfertigt die gegenwärtige Verurteilung zur künftigen Unterlassung in gleicher Weise wie das Stammrecht auf wiederkehrende Leistungen (z. B. die Zahlung einer Unterhaltsrente) die Verurteilung zur künftigen Leistungserbringung auch vor Entstehen und Fälligkeit des Einzelanspruchs rechtfertigt. So verstanden ist das Kriterium der Erstbegehungs- bzw. Wiederholungsgefahr als eine Zugangsvoraussetzung des mit dem Unterlassungsurteil verbunde-

212 Die positivrechtliche Entscheidung des Gesetzgebers für eine materiell-rechtliche Einordnung (wenn man denn mit Teplitzky, FS Köhler, S. 757, 765 eine solche annehmen will) schließt es nicht aus, dass ein materiell-rechtliches Merkmal auch eine prozessuale Funktion erfüllt. 213 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.9; Ahrens, Kap. 14 Rn. 11. 214 Hierzu Grosch S. 49 ff. 485

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

nen Zukunftsrechtsschutzes zu verstehen. Es handelt sich sachlich um eine spezielle Regelung des Rechtsschutzbedürfnisses für Unterlassungsklagen. 53 Diese Einordnung ist unabhängig davon, ob materiell-rechtliche Grundlage ein gesetzlicher oder ein vertraglicher Unterlassungsanspruch ist. Bei vertraglichen Unterlassungsansprüchen ergibt sich die erforderliche Konkretisierung der wettbewerblichen Jedermannspflichten zu einer Anspruchsbeziehung inter partes aus dem Unterlassungsverpflichtungsvertrag selbst. Die Begehungsgefahr wird hier nicht zur Konkretisierung (bzw. Vervollständigung) des privatautonom begründeten Unterlassungsanspruchs benötigt. Die Einigung der Parteien trägt den Unterlassungsanspruch aus sich heraus. Eine materiell-rechtliche Deutung der Begehungsgefahr scheidet deshalb von vornherein aus. Gleichwohl hat die Rechtsprechung des BGH zutreffend die Darlegung einer Begehungsgefahr als für die Zulässigkeit einer auf einen Unterlassungsverpflichtungsvertrag gestützten Unterlassungsklage erforderlich angesehen.215 Da die Begehungsgefahr beim Unterlassungsverpflichtungsvertrag nicht Voraussetzung des materiell-rechtlichen Anspruchs sein kann, muss es sich um ein prozessual zu deutendes Merkmal handeln, das die in der Schaffung eines Unterlassungstitels liegende Verkürzung des dem Schuldner offen stehenden Rechtsschutzes legitimieren soll. Wenn aber das Ergebnis einer zulässigen und begründeten Unterlassungsklage aus einem Unterlassungsverpflichtungsvertrag ein gleich weit reichender Titel gegenüber künftigen Verstößen des Schuldners ist, können die Zugangsvoraussetzungen zu dem entsprechenden Verfahren ebenfalls nur einheitlich verstanden werden. Die gegenwärtige „Dichotomie der Unterlassungsdogmatik“216 würde mit einem einheitlich prozessualen Verständnis der Begehungsgefahr überwunden. Wenn in der herrschenden Lehre217 darauf verwiesen wird, das Rechtsschutzinteresse für 54 eine Unterlassungsklage folge ohne Weiteres aus der Nichterfüllung des materiell-rechtlichen Unterlassungsanspruchs, wird die Perspektive der Rechtsschutzverkürzung nicht hinreichend berücksichtigt. Es geht nicht allein um die Darlegung der gegenwärtigen Nichterfüllung des Unterlassungsanspruchs, sondern um die Rechtfertigung einer Konkretisierung künftiger Verhaltenspflichten.218 Bei einem (einmaligen) Zahlungsanspruch als Prototyp einer allgemeinen Leistungsklage fehlt die für den Unterlassungsanspruch charakteristische Zukunftsperspektive. Mit der gegenwärtigen Feststellung des Bestehens des Anspruchs und der Verurteilung des Beklagten zur Zahlung ist der Rechtsstreit materiell erledigt. Künftige Verhaltenspflichten des Schuldners werden nicht geregelt, eine Rechtsschutzverkürzung im Hinblick auf künftiges Verhalten findet nicht statt. Hier ist es gerechtfertigt, nur die schlüssige Darlegung der (gegenwärtigen) Nichterfüllung des (Zahlungs-) Anspruchs zu verlangen. Bei einem Unterlassungsanspruch ist es mit der Feststellung der Rechtslage bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt hingegen nicht getan, da der Unterlassungsanspruch zukunftsgerichtete Verhaltenspflichten erzeugt.219 Nur weil der Schuldner gegenwärtig eine ihm materiell-rechtlich obliegende Verhaltenspflicht verletzt, sind ihm nicht ohne weiteres auch künftige Rechtsschutzmöglichkeiten abzuschneiden. Aufgrund des – unvollständigen – Ausgangspunktes behandeln die Rechtsprechung des 55 BGH und die h. L. die Begehungsgefahr bei Unterlassungsklagen als eine Spezialfrage des er215 BGH 21.1.1999 – I ZR 135/96 – GRUR 1999, 522, 524 – Datenbankabgleich. 216 Grosch S. 51. 217 BGH 22.9.1972 – I ZR 19/72 – GRUR 1973, 208, 209 – Neues aus der Medizin m.w.N; BGH 9.11.1979 – I ZR 24/ 78 – GRUR 1980, 241, 242 – Rechtsschutzbedürfnis; BGH 24.4.1986 – I ZR 56/84 – GRUR 1987, 45, 46 – Sommerpreiswerbung; BGH 24.2.2005 – I ZR 101/02 – BGHZ 162, 246 = GRUR 2005, 519, 519 – Vitamin-Zell-Komplex; GK-UWG/ Jacobs1 Vor § 13 UWG D Rn. 61; Differenzierend Ahrens, Kap. 14 Rn. 11, der den herkömmlichen Ansatz dahin präzisieren will, dass es auf die behauptete Bedrohung der vom Unterlassungsgläubiger zu verfolgenden Rechtsposition ankomme (wobei offen bleibt, ob es um eine gegenwärtige oder eine künftige Rechtsposition geht); a. A.: Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 12 UWG Rn. 2.15; Köhler JZ 2005, 491; Pawlowski MDR 1988, 631. 218 Zutreffend weist Ahrens, Kap. 14 Rn. 11 auf den Charakter des vorbeugenden Rechtsschutzes hin und spricht damit sachlich die Perspektive der Rechtsschutzverkürzung ebenfalls an. 219 Diese stellt freilich Ahrens, Kap. 36a Rn. 13 in Abrede, wenn er die gegenwärtige Verbotsnorm betont. Herrmann

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II. Insbesondere: Das Rechtsschutzbedürfnis für die Unterlassungsklage

Vor §§ 12–15a A

forderlichen Vortragsinhalts zur schlüssigen Darlegung der Nichterfüllung des geltend gemachten Anspruchs.220 Im Ausgangspunkt soll danach zum schlüssigen Vortrag eines Unterlassungsanspruchs neben der Behauptung der Nichterfüllung einer gesetzlichen Verhaltenspflicht auch die Darlegung der Erstbegehungs- bzw. Wiederholungsgefahr gehören.221 Es wäre auch unabhängig von der zwischenzeitlichen Positivierung in § 8 Abs. 1 sachlich richtig, eine Erstbegehungs- bzw. Wiederholungsgefahr als Zugangsvoraussetzung zum gerichtlichen Unterlassungsrechtsschutz zu verlangen. Denn nur dann, wenn der Kläger darlegen kann, dass er gegenwärtig auf einen Vollstreckungstitel gegenüber künftigem Schuldnerverhalten angewiesen ist, ist es gerechtfertigt, den Rechtsschutz des Schuldners gegenüber den Interessen des Gläubigers hintanzustellen. Eine drohende Rechtsverletzung bzw. deren drohende Wiederholung erscheinen als paradigmatische Gründe für eine solche Höherbewertung der Gläubigerinteressen. Für die Rechtsprechung und h. L. ist dieses allgemein als sachgerecht empfundene Ergebnis 56 indes kaum widerspruchsfrei begründbar. Denn die Erstbegehungs- bzw. Wiederholungsgefahr wird nicht, wie hier, als Voraussetzung des Rechtsschutzinteresses, sondern als Teil der Begründetheit verstanden.222 Dennoch hat der BGH in der Entscheidung Datenbankabgleich223 zu Recht entschieden, dass die schlüssige Darlegung (d. h. im Bestreitensfall auch der Nachweis) der Nichterfüllung der (vertraglichen) Unterlassungspflicht für das Bestehen eines Rechtsschutzbedürfnisses erforderlich sei. Gleichzeitig hat er bekräftigt, dass ein vertraglicher Unterlassungsanspruch materiell-rechtlich nicht von dem zusätzlichen Erfordernis einer Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr abhängig sei. Damit hat der I. ZS die Begehungsgefahr zutreffend als Voraussetzung der Klagbarkeit des materiell-rechtlichen Vertragsunterlassungsanspruchs behandelt. Wie gezeigt224 lässt sich diese „Dichotomie der Unterlassungsdogmatik“225 nicht mit den in der Tat bestehenden Unterschieden zwischen gesetzlichen und vertraglichen Unterlassungsansprüchen rechtfertigen. Denn die Begehungsgefahr ist stets prozessuale Zugangsvoraussetzung des Unterlassungsrechtsschutzes, unabhängig davon, ob er inhaltlich mit einem gesetzlichen oder mit einem vertraglichen Anspruch begründet wird. Jeweils konkretisiert die Begehungsgefahr die allgemeine (gesetzliche oder vertragliche) Verhaltenspflicht des Schuldners zu einem klagbaren Anspruch.

220 Vgl oben Rn. 37. Die Zuordnung zur Begründetheit erfolgt in der h. L. unabhängig davon, ob es sich um einen gesetzlichen oder vertraglichen Unterlassungsanspruch handelt, vgl. Köhler AcP 190 (1990), 511 f.; Teplitzky Kap. 51 Rn. 59. 221 Da die Voraussetzungen des § 259 ZPO auf Unterlassungsansprüche entsprechend anzuwenden sind, ist die Unterlassungsklage nur zulässig, wenn Erstbegehungs- bzw. Wiederholungsgefahr tatsächlich vorliegen. Die schlüssige Behauptung genügt hier ebenso wenig wie im Rahmen des § 259 ZPO die Behauptung der Besorgnis künftiger Leistungsverweigerung ausreicht (Saenger, § 259 ZPO Rn. 4). 222 BGH 22.9.1972 – I ZR 19/72 – GRUR 1973, 208, 209 – Neues aus der Medizin; BGH 9.11.1979 – I ZR 24/78 – GRUR 1980, 241, 242 – Rechtsschutzbedürfnis; Ahrens Kap. 14 Rn. 7; Köhler AcP 190 (1990) 511; Köhler JZ 2005, 491 f.; Gloy/Loschelder/Erdmann/Spätgens § 86 Rn. 12; Teplitzky Kap. 6 Rn. 7 m. w. N.; Kap. 51 Rn. 59; a. A. Bacher S. 159; Doepner FS Mes, S. 91 ff.; Melullis Rn. 569 sowie – allerdings außerhalb des Wettbewerbsrechts – Pawlowski MDR 1988, 630, 631 f. mit Fn. 19. Pohlmann argumentiert in diesem Zusammenhang, dass es keinen Unterschied mache, ob die Erstbegehungs- und Wiederholungsgefahr i. R. d. Zulässigkeit oder der Begründetheit geprüft werde. Auch das Prozessurteil erwächst hinsichtlich der Verneinung der Sachurteilsvoraussetzungen in Rechtskraft, (vgl. dazu auch: BGH 6.3.1985 – IVb ZR 76/83 – NJW 1985, 2535) sodass der Kläger jedenfalls neue Tatsachen vortragen muss, die eine Erstbegehungs- bzw. Wiederholungsgefahr abbilden, um eine entgegenstehenden Rechtskraft zu vermeiden, Pohlmann GRUR 1993, 364 – das ist praktisch zutreffend, ändert aber nichts daran, dass die Wiederholungsgefahr nicht sinnvoll als Teil des materiell-rechtlichen Anspruchsinhalts verstanden werden kann. Zur Frage der Rechtskraft siehe auch Bacher S. 91 ff. 223 BGH 21.1.1999 – I ZR 135/96 – GRUR 1999, 522, 524 – Datenbankabgleich. 224 Vgl. oben Rn. 42. 225 Grosch S. 51. 487

Herrmann

Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Mit der Prämisse, für die Darlegung des Rechtsschutzinteresses genüge die Darlegung der Nichterfüllung eines materiell-rechtlichen Unterlassungsanspruchs, ist die Entscheidung Datenbankabgleich226 jedoch kaum zu vereinbaren.227 Wenn die Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr keine Voraussetzung des materiell-rechtlichen Anspruchs aufgrund Unterlassungsvertrags ist – wie der BGH ausdrücklich festgestellt hat – kann deren Darlegung auch nicht erforderlich sein, um die Nichterfüllung des entsprechenden Anspruchs zu belegen. 57 Um diesen Widerspruch aufzulösen, muss zwischen der Entstehung des Anspruchs (Unterlassungsversprechen) und der Klagbarkeit des hieraus resultierenden konkreten Anspruchs unterschieden werden, wobei für Letztere dann die Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr vorauszusetzen ist.228 Der Ansatz des BGH in der Entscheidung Datenbankabgleich229 entspricht dieser Trennung und ordnet die Erstbegehungs- bzw. Wiederholungsgefahr zutreffend (obschon nicht expressis verbis) als Teil der spezifischen Anforderungen an das Rechtsschutzinteresse bei Unterlassungsklagen aus Unterlassungsverpflichtungsvertrag ein. Auch außerhalb des Wettbewerbsrechts kann die schlüssige Behauptung eines Anspruchs unzureichend sein, um das Rechtsschutzbedürfnis annehmen zu können, wenn das Klagebegehren aus sonstigen Gründen eine Begründetheitsprüfung nicht erfordert oder der Kläger keinen Anspruch auf den Vollstreckungstitel hat. Im Bereich vertraglicher Unterlassungsleistungsversprechen hat der Gläubiger bereits eine zwischen den Parteien verbindliche Feststellung seiner Rechtsposition erreicht. Es fehlt jedoch die Möglichkeit der zwangsweisen Durchsetzung. Die (drohende) Nichterfüllung der Unterlassungsleistungspflicht, die substantiiert darzulegen ist, rechtfertigt es, von dem Bestehen eines strukturell auf wiederkehrende Leistung gerichteten Anspruchs auszugehen und dem Gläubiger die Möglichkeit zur Titulierung – über die Feststellung des gegenwärtigen Rechts hinaus – zu gewähren. Diese Einschränkung rechtfertigt sich auch aus dem Gesichtspunkt des Beklagtenschutzes, der eine gerichtliche Feststellung des für ihn heute geltenden Rechts sowie die Titulierung künftiger Verhaltenspflichten nur hinnehmen muss, wenn er zu einem entsprechenden Klageverfahren Veranlassung gegeben hat.230 Folgt man der Parallele zu § 258 ZPO, müssen die Voraussetzungen, die strukturell einem 58 Anspruch auf wiederkehrende Leistung entsprechen, tatsächlich vorliegen. Denn im Rahmen des § 258 ZPO ist anerkannt, dass der Anspruch auf wiederkehrende Leistung tatsächlich besteht und nicht lediglich behauptet wird.231 Dem entspricht es, wenn in § 8 Abs. 1 Satz 2 von einem (bereits) bei drohender Verletzung bestehendem Anspruch die Rede ist. Neben der Voraussetzung der Erstbegehungs- bzw. Wiederholungsgefahr hängt das 59 Rechtsschutzinteresse für Unterlassungsklagen nicht von den (weiteren) Voraussetzungen der §§ 257 ff. ZPO ab.232 Dieses besondere Rechtsschutzbedürfnis ist mit der Darlegung der Erst- bzw. Wiederholungsgefahr bereits abgedeckt.233 Zwar macht der Unterlassungskläger einen gegenwärtigen (materiell-rechtlichen) Unterlassungsanspruch geltend. Die zukunftsgerichtete Wirkung des Unterlassungstitels lässt die Unterlassungsklage jedoch sachlich als Klage auf künftige Leistung erscheinen.234 Versteht man die Erstbegehungs- bzw. Wiederholungsgefahr als spezielle Ausprägung des für diese Rechtsschutzform zu verlangenden 226 227 228 229 230 231 232

BGH 21.1.1999 – I ZR 135/96 – GRUR 1999, 522, 524 – Datenbankabgleich. So auch Teplitzky, FS Köhler, S. 757, 765. So ausdrücklich Köhler JZ 2005, 491. BGH 21.1.1999 – I ZR 135/96 – GRUR 1999, 522, 523 – Datenbankabgleich. Grosch S. 454 f. MünchKommZPO/Becker-Eberhardt § 258 Rn. 14 m. w. N. So aber noch: BGH 10.1.1956 – I ZR 14/55 – GRUR 1956, 238, 240 – Westfalen Zeitung. Hierzu Grosch S. 50 f., vgl. insbes. Fn. 209. 233 Köhler JZ 2005, 491. 234 Grosch S. 33. Herrmann

488

III. Unterlassungsklage

Vor §§ 12–15a A

Rechtsschutzinteresses, sind die Voraussetzungen der §§ 257 ff. ZPO indessen notwendig mit erfüllt. Der Einordnung als Klage auf künftige Leistung kommt dann keine weitergehende Bedeutung mehr zu.235

9. Ergebnis Maßstab für das Rechtsschutzbedürfnis bei der Unterlassungsklage ist somit, (1) ob der 60 Kläger gegenwärtig auf eine verbindliche Feststellung der Verhaltenspflichten des Beklagten angewiesen ist und (2) das Beklagtenverhalten die in dem vollstreckbaren Unterlassungstenor liegende Verkürzung von dessen Rechtsschutz im Hinblick auf künftiges Verhalten rechtfertigt. Anhand dieses Maßstabs lassen sich die in der Praxis auftretenden Zweifelsfälle bei Ergebniskontinuität inhaltlich überzeugender lösen. Juristische Dogmatik ist kein Selbstzweck und gerade auf dem Gebiet des Prozessrechts 61 verbieten sich „Glasperlenspiele“, die nur zu Unsicherheit führen und deshalb die Praxis behindern würden. Die materiell-rechtliche Einordnung der Begehungsgefahr hat sich in der Praxis eingespielt und verfestigt. Die gefundenen Ergebnisse überzeugen.236 Ohne widerspruchsfreie Begründung bleiben sie aber – abstrakt betrachtet – zufällig.237 Sortiert man die Begehungsgefahr mit der hier vertretenen Auffassung beim Rechtsschutzbedürfnis ein, drohen keine Brüche. Wenn eine mangels Begehungsgefahr erfolglose Klage statt als unbegründet als unzulässig abgewiesen wird, ergibt sich insbesondere eine gleichweit reichende Rechtskraftwirkung. Jeweils steht das abweisende Urteil einer erneuten Klage, die zusätzlichen Sachvortrag zur Begehungsgefahr enthält, nicht entgegen. Das eingespielte System von Abmahnung und Unterwerfung muss ebenfalls nicht geändert werden, nur weil die Begehungsgefahr zutreffend als Frage des Rechtsschutzbedürfnisses behandelt wird.238 Demgegenüber steht auf der „Habenseite“ einer Neuorientierung die Überwindung der „Dichotomie der Unterlassungsdogmatik“, da nunmehr die Voraussetzungen einer auf Vertrag wie auf Gesetz gestützten Unterlassungsklage harmonisiert werden können. Zudem ist es mit Blick auf das vom Unterlassungskläger verfolgte Rechtsschutzziel überzeugender, die Begehungsgefahr als Zugangsvoraussetzung des von ihm angestrebten Zukunftsrechtsschutzes zu begreifen. Denn nur diese prozessuale Einordnung wird der den Beklagtenrechtsschutz verkürzenden Dimension der Unterlassungsklage gerecht.

III. Unterlassungsklage Schrifttum Ahrens Unterlassungsanspruch im Lichte zweier Streitgegenstände, sowie einer Streitgegenstandsverengung, JZ 2006, 1184; ders. Die Bildung kleinteiliger Streitgegenstände als Folge des TÜV-Beschlusses, WRP 2013, 129; Althammer Die Streitgegenstandslehre Karl Heinz Schwabs: Retrospektive, Bestandsaufnahme und Fortentwicklung, ZZP 123 (2010), 178; ders. Streitgegenstand und Interesse – eine zivilprozessuale Studie zum deutschen und europäischen Streitgegenstandsbegriff (2012); Baumgärtel Zur Lehre vom Streitgegenstand, JuS 1974, 69; Bergmann Zur alternativen und kumulativen Begründung des Unterlassungsantrags im Wettbewerbsrecht, GRUR 2009, 224; Berneke Der enge Streitgegenstand von Unterlassungsklagen des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts in der Praxis, WRP 2007, 579; Bölling Unterlassungsantrag und Streitgegenstand im Falle der Störerhaftung, GRUR 2013, 1092; Borck Bestimmtheitsgebot und Kern der Verletzung, WRP 1979, 180; ders. Der Weg zum „richtigen“ Unterlassungsantrag, WRP 2000, 824; Bötticher

235 236 237 238

Zur Frage der Fälligkeit der gesetzlichen und vertraglichen Unterlassungsansprüche vgl. Köhler JZ 2005, 489 f. So zutreffend Teplitzky, FS Köhler, S. 757, 765. Bacher (Bacher S. 157 f.) qualifiziert die dogmatische Einordung i. E. als „weitgehend belanglos“. Insbesondere bleibt eine Drittwirkung einer Unterlassungserklärung – so man sie für sinnvoll hält – auch bei der hier vertretenen Einordnung möglich, da die Beseitigung der Begehungsgefahr nach der gesetzlichen Regelung den Unterlassungsanspruch (materiell-rechtlich) entfallen lässt. 489

Grosch

III. Unterlassungsklage

Vor §§ 12–15a A

Rechtsschutzinteresses, sind die Voraussetzungen der §§ 257 ff. ZPO indessen notwendig mit erfüllt. Der Einordnung als Klage auf künftige Leistung kommt dann keine weitergehende Bedeutung mehr zu.235

9. Ergebnis Maßstab für das Rechtsschutzbedürfnis bei der Unterlassungsklage ist somit, (1) ob der 60 Kläger gegenwärtig auf eine verbindliche Feststellung der Verhaltenspflichten des Beklagten angewiesen ist und (2) das Beklagtenverhalten die in dem vollstreckbaren Unterlassungstenor liegende Verkürzung von dessen Rechtsschutz im Hinblick auf künftiges Verhalten rechtfertigt. Anhand dieses Maßstabs lassen sich die in der Praxis auftretenden Zweifelsfälle bei Ergebniskontinuität inhaltlich überzeugender lösen. Juristische Dogmatik ist kein Selbstzweck und gerade auf dem Gebiet des Prozessrechts 61 verbieten sich „Glasperlenspiele“, die nur zu Unsicherheit führen und deshalb die Praxis behindern würden. Die materiell-rechtliche Einordnung der Begehungsgefahr hat sich in der Praxis eingespielt und verfestigt. Die gefundenen Ergebnisse überzeugen.236 Ohne widerspruchsfreie Begründung bleiben sie aber – abstrakt betrachtet – zufällig.237 Sortiert man die Begehungsgefahr mit der hier vertretenen Auffassung beim Rechtsschutzbedürfnis ein, drohen keine Brüche. Wenn eine mangels Begehungsgefahr erfolglose Klage statt als unbegründet als unzulässig abgewiesen wird, ergibt sich insbesondere eine gleichweit reichende Rechtskraftwirkung. Jeweils steht das abweisende Urteil einer erneuten Klage, die zusätzlichen Sachvortrag zur Begehungsgefahr enthält, nicht entgegen. Das eingespielte System von Abmahnung und Unterwerfung muss ebenfalls nicht geändert werden, nur weil die Begehungsgefahr zutreffend als Frage des Rechtsschutzbedürfnisses behandelt wird.238 Demgegenüber steht auf der „Habenseite“ einer Neuorientierung die Überwindung der „Dichotomie der Unterlassungsdogmatik“, da nunmehr die Voraussetzungen einer auf Vertrag wie auf Gesetz gestützten Unterlassungsklage harmonisiert werden können. Zudem ist es mit Blick auf das vom Unterlassungskläger verfolgte Rechtsschutzziel überzeugender, die Begehungsgefahr als Zugangsvoraussetzung des von ihm angestrebten Zukunftsrechtsschutzes zu begreifen. Denn nur diese prozessuale Einordnung wird der den Beklagtenrechtsschutz verkürzenden Dimension der Unterlassungsklage gerecht.

III. Unterlassungsklage Schrifttum Ahrens Unterlassungsanspruch im Lichte zweier Streitgegenstände, sowie einer Streitgegenstandsverengung, JZ 2006, 1184; ders. Die Bildung kleinteiliger Streitgegenstände als Folge des TÜV-Beschlusses, WRP 2013, 129; Althammer Die Streitgegenstandslehre Karl Heinz Schwabs: Retrospektive, Bestandsaufnahme und Fortentwicklung, ZZP 123 (2010), 178; ders. Streitgegenstand und Interesse – eine zivilprozessuale Studie zum deutschen und europäischen Streitgegenstandsbegriff (2012); Baumgärtel Zur Lehre vom Streitgegenstand, JuS 1974, 69; Bergmann Zur alternativen und kumulativen Begründung des Unterlassungsantrags im Wettbewerbsrecht, GRUR 2009, 224; Berneke Der enge Streitgegenstand von Unterlassungsklagen des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts in der Praxis, WRP 2007, 579; Bölling Unterlassungsantrag und Streitgegenstand im Falle der Störerhaftung, GRUR 2013, 1092; Borck Bestimmtheitsgebot und Kern der Verletzung, WRP 1979, 180; ders. Der Weg zum „richtigen“ Unterlassungsantrag, WRP 2000, 824; Bötticher

235 236 237 238

Zur Frage der Fälligkeit der gesetzlichen und vertraglichen Unterlassungsansprüche vgl. Köhler JZ 2005, 489 f. So zutreffend Teplitzky, FS Köhler, S. 757, 765. Bacher (Bacher S. 157 f.) qualifiziert die dogmatische Einordung i. E. als „weitgehend belanglos“. Insbesondere bleibt eine Drittwirkung einer Unterlassungserklärung – so man sie für sinnvoll hält – auch bei der hier vertretenen Einordnung möglich, da die Beseitigung der Begehungsgefahr nach der gesetzlichen Regelung den Unterlassungsanspruch (materiell-rechtlich) entfallen lässt. 489

Grosch

Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Streitgegenstand im Eheprozeß, FS Rosenberg (1949) 73; Brandner/Bergmann Zur Zulässigkeit „gesetzeswiederholender“ Unterlassungsanträge, WRP 2000, 842; Büscher Klagehäufung im gewerblichen Rechtsschutz – alternativ, kumulativ, eventuell? GRUR 2012, 16; ders. Aus der Rechtsprechung des EuGH und des BGH zum Wettbewerbsrecht in den Jahren 2011 bis 2013, GRUR 2013, 969; Georgiades Die Anspruchskonkurrenz im Zivilrecht und Zivilprozessrecht (1968); Götz Die Neuvermessung des Lebenssachverhalts, Der Streitgegenstand im Unterlassungsprozess, GRUR 2008, 401; Gröning Hintertüren für redaktionelle Werbung? Aufdeckung und Bekämpfung redaktioneller Werbung nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, WRP 1993, 685; Grosch Rechtswandel und Rechtskraft bei Unterlassungsurteilen (2002); ders. Zum Streitgegenstandsbegriff im Patentverletzungsprozess unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zum Wettbewerbs- und Markenprozess, FS Schilling (2007) 207; Kamlah/Ulmar Neues zum Streitgegenstand der Unterlassungsklage und seine Auswirkungen auf Folgeprozesse, Zugleich eine Anmerkung zur Entscheidung „Markenparfümverkäufe“ des Bundesgerichtshofs, WRP 2006, 967; Köhler Redaktionelle Werbung, WRP 1998, 349; Krüger Zum Streitgegenstandsbegriff, WRP 2013, 140; Kühnen Eine neue Ära bei der Antragsformulierung? Kritische Gedanken zur BGH-Entscheidung „Blasfolienherstellung“, GRUR 2006, 180; Larenz Über die Bindungswirkung von Präjudizien, FS Schima (1969) 247; Lehment Zur Bedeutung der Kerntheorie für den Streitgegenstand, WRP 2007, 169; Linstow/Büttner Nach Markenparfümverkäufen sind Reinigungsarbeiten erforderlich, WRP 2007, 169; Meier-Beck Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Patent- und Gebrauchsmusterrecht im Jahr 2005, GRUR 2007, 11; Mühl Die Bedeutung des Sachverhalts für den Begriff des Streitgegenstandes bei Leistungsklagen in der Rechtsprechung, NJW 1954, 1665; Musielak Der rechtskräftig entschiedene Lebenssachverhalt – Versuch einer Abgrenzung, NJW 2000, 3593; Nirk/Kurtze Verletzungshandlung und Verletzungsform bei Wettbewerbsverstößen, GRUR 1980, 645; Preuß Zur Bindung des erkennenden Gerichts an den Streitgegenstand und zur Bestimmung des Streitgegenstandes bei wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklagen, JR 2004, 204; Scharen „Catnic“ versus Kerntheorie? FS Erdmann (2002) 877; Scholz Praktische Fragen des Streitgegenstands in der ersten Instanz, GRUR-Prax 2010, 141; Schubert Klageantrag und Streitgegenstand bei Unterlassungsklagen, ZZP 85 (1972), 29; Schwab Der Streitgegenstand im Zivilprozess (1954); ders. Besprechung von J. Habscheid, Der Streitgegenstand im Zivilprozeß und im Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, ZZP 71 (1958), 155; ders. Der Stand der Lehre vom Streitgegenstand im Zivilprozeß, JuS 1965, 81; ders. Gegenwartsprobleme der deutsche Zivilprozeßrechtswissenschaft, JuS 1976, 69; ders. Noch einmal: Bemerkungen zum Streitgegenstand, FS Lüke (1997) 793; Schwippert Alternative Begründung des Unterlassungsanspruches mit unterschiedlichen Streitgegenständen, FS Loschelder (2010) 345; ders. Nach TÜV und Branchenbuch Berg, Oder: Die Teilklage im Wettbewerbsrecht, WRP 2013, 135; Stieper Klagehäufung im Gewerblichen Rechtsschutz – alternativ, kumulativ, eventuell?, GRUR 2012, 5; ders. Konkrete Verletzungsform reloaded – Die Rückkehr zum prozessualen Streitgegenstandsbegriff, WRP 2013, 561; Teplitzky Streitgegenstand und materielle Rechtskraft im wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsprozeß, GRUR 1980, 320; ders. Der Streitgegenstand in der neuesten Rechtsprechung des I. Zivilsenats des BGH, WRP 2007, 1; ders. Die jüngste Rechtsprechung des BGH zum wettbewerblichen Anspruchs- und Verfahrensrecht XI, GRUR 2007, 177; ders. „Markenparfümverkäufe“ und Streitgegenstand, WRP 2007, 397; ders. Gerichtliche Hinweise im einseitigen Verfahren zur Erwirkung einer einstweiligen Unterlassungsverfügung, GRUR 2008, 34; ders. Zum Streitgegenstand der wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklage, WRP 2010, 181; ders. Der Streitgegenstand der schutz- und lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsklage vor und nach den „TÜV“-Entscheidungen des BGH, GRUR 2011, 1091; ders. Wie weit führt der erste Schritt? Anmerkungen zur Streitgegenstandserweiterung im BGH-Urteil „Branchenbuch Berg“, WRP 2012, 261; v. Ungern-Sternberg Zur inhaltlichen Bestimmtheit von Kartellverwaltungsakten, FS Geiß (2000) 2655; ders. Grundfragen des Streitgegenstands bei wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklagen (Teil 1), GRUR 2009, 901; ders. Grundfragen des Streitgegenstands bei wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklagen (Teil 2), GRUR 2009, 1009; ders. Grundfragen des Klageantrags bei urheber- und wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklagen – Teil I, GRUR 2011, 375; ders. Grundfragen des Klageantrags bei urheber- und wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklagen – Teil II, GRUR 2011, 486.

Übersicht 1. 2.

Grundstrukturen der Unterlassungsklage und 62 des Unterlassungsanspruchs Bestimmtheitsgrundsatz 67 (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) a) Grundstrukturen der Bestimmtheitsprü68 fung aa) Bestimmtheit als Prozessvoraussetzung und gerichtliche Hinweis- und

Grosch

Erörterungspflichten (§ 139 68 ZPO) bb) Zeitpunkt der Klageerhebung und „Heilung“ des Mangels der Bestimmtheit durch nachfolgenden Vor72 trag (1) Auffassungen in Rechtspre72 chung und Schrifttum

490

Übersicht

(2) Stellungnahme 73 Bestimmtheit des Klageantrages und des Klagegrundes (Streitgegen74 stand) dd) Unterscheidung von abstrahierenden (bestimmter Unterlassungsantrag) und auf die konkrete Verletzungshandlung (bestimmter Klagegrund) 75 gerichteten Anträgen ee) Zur Terminologie: Konkrete Verletzungshandlung und konkrete Verletzungsform – konkretes und abstrahierendes 79 Unterlassungsbegehren ff) Die Bestimmtheitsprüfung des (abstrahierenden) Unterlassungsantrages (abstrahierendes Verbotsbegeh80 ren) gg) Eigenständige Bedeutung der Bestimmtheit des Antrages neben der Bestimmtheit des Streitgegenstandes – Zulässigkeit und Grenzen der Auslegung des Unterlassungsantra81 ges (1) Auslegung grundsätzlich mög82 lich (2) Beispielsfall BGH „marions-koch84 buch.de“ 86 (3) Grenzen der Auslegung 88 (4) Stellungnahme (a) Blick auf die Bestimmtheit des Unterlassungstitels als Vollstreckungsvorausset88 zung (b) Flexible Handha89 bung (c) Vergleich der prozessualen Praxis im Wettbewerbsrecht und Patentrecht (hier90 zu auch Rn. 138) Die Unterscheidung zwischen Bestimmtheitsgrundsatz und materiellem Konkreti93 sierungsgebot 93 aa) Die Rechtsentwicklung (1) Die Rechtsprechung des Reichs93 gerichts (2) Die frühe Rechtsprechung des 96 BGH 97 (a) BGH „Rohrbogen“ (b) BGH „Spitzenmus99 ter“ (c) BGH „Gründerbild101 nis“ (d) BGH „Mampe Halb und 102 Halb II“

(3)

cc)

b)

491

Vor §§ 12–15a A

c)

BGH Rechtsprechung der 1970er 103 Jahre (4) Genese der neueren BGH-Recht104 sprechung (a) BGH „adidas-Sportarti104 kel“ (b) BGH „Auslaufmodelle“ und 105 „Vorratslücken“ (c) Ist für das Charakteristische immer nur die rechtliche Beurteilung rele108 vant? 111 (d) Stellungnahme bb) Bewertung der Unterscheidung zwischen Bestimmtheitsgrundsatz und materiell-rechtlichem Konkretisie112 rungsgebot Auf die konkrete Verletzungshandlung gerichtete Anträge (konkretes Unterlassungs115 begehren) aa) Bestimmtheit der auf die konkrete Verletzungshandlung gerichteten An116 träge (1) BGH Rechtsprechung und herr116 schende Praxis (a) Verbot der Handlung, so wie sie begangen 116 wurde (b) Abstrakte Einleitungsteile bei gleichzeitiger Beschränkung auf die konkrete Verletzungshandlung („wenn dies geschieht wie“-An117 träge) (c) Erfordernis eines Hilfsan119 trages? (2) Schrifttum zum konkreten Unter123 lassungsbegehren (3) Kritische Stellung126 nahme (a) Gegenstand und Umfang der auf die konkrete Verletzungshandlung gerichteten 126 Verbotsnorm (b) Verdeutlichung anhand BGH „Erinnerungswer127 bung im Internet“ (c) Widerspruch des Gegenstandes der Verbotsnorm zur Prämisse der Bestimmt130 heit des Antrages (d) Anträge, die sich auf eine historische Verletzungshandlung beziehen, sind hinsichtlich des Antrages 135 nie bestimmt

Grosch

Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

(e)

d)

Grosch

Bestimmtheit der Verbotsmerkmale als Zielvor136 gabe (aa) Rechtsprechung zum ergänzenden Leis136 tungsschutz (bb) Seitenblick auf die Rechtsprechung des X. Zivilsenats zu „Fotokopieranträgen“ (hierzu auch 138 Rn. 90) (f) Erfordert die Bestimmtheit die bestimmte Aufnahme der Verbotsmerkmale in 139 den Antrag? bb) Alternative Klagehäufung unbestimmt („TÜV I“-Rechtspre141 chung) 141 (1) Problemstellung (2) Allgemeine zivilprozessuale Praxis zur Unzulässigkeit der alter143 nativen Klagehäufung (3) Behandlung der alternativen Klagehäufung im Wettbewerbspro145 zess vor „TÜV I“ (a) Praxis und Schrifttum vor 145 „TÜV I“ (b) Rechtfertigung des Ansatzes in der Litera146 tur (c) Entwicklung in der obergerichtlichen Rechtspre149 chung 150 (4) BGH „TÜV I“ 150 (a) Die Entscheidung (b) Bewertung der „TÜV I“152 Rechtsprechung (5) Sachliche Aufgabe der „TÜV I“Rechtsprechung für das Lauterkeitsrecht durch die Entscheidungen „Biomineralwasser“ und 157 „Branchenbuch Berg“ Bestimmtheit bei abstrahierenden Anträ162 gen 162 aa) Methodische Grundfragen bb) Fallgruppen der BGH-Rechtspre163 chung (1) Keine Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe innerhalb des Kerns der mit dem Verbot be164 gehrten Regelung (a) Verwendeter Begriff liegt außerhalb des Kerns der mit dem Verbot begehrten 165 Regelung

(2)

(aa) Inhalt und Bedeutung zwischen den Parteien nicht in 165 Streit (bb) „Theoretische Rand166 frage“ (b) Ausnahmen zur Gewährung eines wirksamen 173 Rechtsschutzes (aa) Rechtspre173 chung (bb) Stellung180 nahme (c) Ausnahme für Bestandteile, die für das Verbot nicht 183 konstitutiv sind (aa) „Ohne eindeutig oder unübersehbar darauf hinzuweisen, 183 dass“ (bb) Abstrahierung der konkreten Verletzungshandlung – BGH „vossius.de“, „Dauertiefpreise“, „Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker“, „Erinnerungswerbung im In185 ternet“ Gesetzeswiederholende An188 träge 188 (a) Grundsätzliches (b) BGH-Fälle zur Verdeutli189 chung (aa) BGH „Gesetzeswiederholende Unterlassungsan190 träge“ (bb) BGH „Erinnerungswerbung im Inter191 net“ (c) Gesetzeswiederholende Anträge, wenn der Anwendungsbereich im Streit 197 steht? (aa) BGH „Rechtsberatung durch Lebensmittel197 chemiker“ (bb) Schlussfolge199 rung (cc) Ausnahmen der älteren Rechtsprechung – BGH „Rückkehrpflicht 200 III“

492

Übersicht

3.

493

(dd) Literaturansichten zu gesetzeswiederholenden Anträ202 gen e) Bewertung der Bestimmtheitsrechtspre203 chung 208 Streitgegenstand a) Grundstrukturen der Entwicklung der BGH-Judikatur und Aufriss der praktischen 209 und dogmatischen Kernfragen aa) Ursprüngliche Linie des 209 BGH bb) Zweifel im Spektrum von „Markenparfümverkäufe“ bis zur Kritik am 211 „TÜV I“-Beschluss cc) „Biomineralwasser“ bis „Tiegelgröße“/„Betriebspsychologe“ und „So214 fort-Bonus II“ b) Allgemeine Lehren zum zivilprozessualen Streitgegenstand – der prozessuale Anspruch als klägerisches Rechtsschutzbegeh217 ren aa) Eingliedriger oder zweigliedriger 219 Streitgegenstandsbegriff bb) Die Abgrenzung des Lebenssachverhaltes – natürliche Betrachtungsweise oder materiell-rechtlicher Maß224 stab? c) Wettbewerbsrechtliche Praxis und Meinungsstand vor „Biomineralwas229 ser“ aa) Herrschende Auffassung vor „Biomineralwasser“: Ausrichtung an der ma230 teriellen Beanstandung (1) Zusammenhang zwischen Urteilsnorm (Kernbereichslehre) und Streitgegenstand – BGH Rechtsprechung bis „TÜV 230 I“ (a) BGH „dentalästhetika“: Durch Sachvortrag begrenzte Verletzungs234 form (b) BGH „Saugeinla238 gen“ (2) Herrschende Literaturauffas240 sung bb) Enge Bestimmung der Verbotsnorm und enge Bestimmung des Streitgegenstandes – Kritik an „TÜV 246 I“ d) Paradigmenwechsel BGH „Biomineralwas252 ser“ 252 aa) BGH „Biomineralwasser“ 253 (1) Der Sachverhalt

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(2)

e)

f)

g)

Rechtliche Würdigung des 255 BGH (a) Unzulässigkeit der alternativen Klagehäufung und „Praktikabilitätserwägun255 gen“ als Impetus (b) Die historische Verletzungshandlung als einheitlicher 258 Lebenssachverhalt (c) Konkrete Verletzungsform und abstrahierende An259 träge (d) Die Option des Klägers, über jede Beanstandung eine Entscheidung herbei261 zuführen bb) Die „Biomineralwasser“ vorbereitenden Entscheidungen: „TÜV II“ bis 262 „Branchenbuch Berg“ Aktuelle BGH Rechtsprechung Post-„Biomi264 neralwasser“: aa) „Erkennbar abweichende Ausgestaltung der zusammentreffenden Ansprüche durch Verselbständigung der 264 einzelnen Lebensvorgänge“ (1) BGH „Peek & Cloppenburg III 265 und IV“ (2) BGH „Betriebspsycho267 loge“ 269 bb) BGH „Tiegelgröße“ Bewertung und Neuausrichtung der Systematik von konkreten und abstrakten 273 Unterlassungsanträgen aa) Dispositionsmaxime per se nicht ge273 nug bb) Verschiedene Streitgegenstände sind bei einem einheitlichen, konkreten Unterlassungsantrag gegeben, wenn der Kernbereich der begehrten Verbotsnorm abhängig von der zugrundegelegten Beanstandung vari277 iert cc) Anträge, die auf die konkrete Verletzungsform unter Ausschluss jeder kerngleichen Abwandlung gerichtet sind, als absolute und systematische 282 Ausnahme dd) Abweichende Systematik gegenüber 285 „Biomineralwasser“ 340 Abstrakte Anträge 341 aa) BGH-Rechtsprechung (1) BGH „Anschriftenliste“: Abwandlung der konkreten Verletzungs342 form (2) BGH „Reinigungsarbei342 ten“

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

(3)

BGH „Freundschaftswerbung im Internet“: Verfolgen eines neuen 344 Anspruchs (4) BGH „Professorenbezeichnung in der Arztwerbung II“: Einschränkungslose Ver346 bote 347 bb) Bewertung (1) Änderung der begehrten Verbots347 norm als Maßstab (2) Übereinstimmung mit dem allgemeinen zivilrechtlichen Streitge348 genstandsbegriff (a) BGH „Lesezirkel II“: Sachverhalt und Entschei349 dung (b) BGH „Lesezirkel II“: Bewer350 tung (3) BGH „Leistungspakete im Preisvergleich“ – Unterschiedlicher Streitgegenstand zwischen abstrahierendem und auf die konkrete Verletzungsform gerichte352 ten Antrag? 352 (a) Position des BGH

353 (b) Bewertung Fälle der Störerhaftung und der 354 Prüfpflichten Unterschiedliche materielle Ansprüche 359 und Schutzrechte 359 aa) Zediertes und eigenes Recht bb) Absolute Rechte und Wettbewerbs361 recht (1) Unterschiedliche Schutzrechte: Herrschende Auffas361 sung (2) Schutzrechte und UWG-Ansprü363 che (3) Betriebsgeheimnisse und andere wettbewerbsrechtliche Ansprü364 che 365 (4) Kritik der Literatur (5) BGH „Feuerzeugbenzinbehälter“ – Erfordernis eigenständiger 366 Anträge (6) Gegenpositionen zur Kritik der 368 BGH-Rechtsprechung (7) Bewertung post BGH-„Biomine369 ralwasser“ (4)

h)

1. Grundstrukturen der Unterlassungsklage und des Unterlassungsanspruchs 62 In der wettbewerbsrechtlichen Praxis dominiert der Unterlassungsanspruch. Dieser bildet auch den Schwerpunkt der zum Streitgegenstand diskutierten Themen. Da der Unterlassungsantrag und der entsprechende Tenor in die Zukunft gerichtet sind und mithin Gerichte definitionsgemäß bis zu einem gewissen Grad abstrahieren müssen, stellen sich hier eine ganze Reihe von Fragen, die sich in den klassischen Bereichen des Zivilprozesses so nicht stellen. 63 In der Praxis und Dogmatik der letzten Dekaden hat sich die Lehre vom materiellen Unterlassungsanspruch ganz durchgesetzt. Der historische Gesetzgeber des BGB und der ZPO ging hingegen noch von einem prozessualen Rechtsinstitut der Unterlassungsklage aus, was etwa im Wortlaut des § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB zum Ausdruck kommt, der dem Eigentümer das Recht gibt, auf Unterlassung zu klagen. Insofern hatte man ursprünglich die Begehungsgefahr (Wiederholungsgefahr oder Erstbegehungsgefahr) als prozessuales Rechtsschutzbedürfnis eingeordnet.239 Mit der CPO-Novelle von 1898 wurden die Vorschriften über die Zukunftsklagen eingefügt (§§ 257 ff. CPO), die die Unterlassungsklage allerdings nicht ausdrücklich erwähnen; sie sollte aber wohl von der Generalklausel der Zukunftsklagen (§ 259 CPO) erfasst sein.240 64 Die heute gängige Dogmatik geht hingegen von einem gegenwärtigen und fälligen materiellen Unterlassungsanspruch aus, auch wenn das zu verbietende Verhalten, gegen das sich der Anspruch richtet, bestimmungsgemäß nur ein künftiges sein kann. Die Voraussetzungen des § 259 ZPO müssen also für die Zulässigkeit der Unterlassungsklage nicht vorliegen.241 Die Begehungsgefahr (Erstbegehungsgefahr oder Wiederholungsgefahr)242 wird insofern als materielles Tatbestandsmerkmal und damit als Frage der Begründetheit der Unterlassungsklage behan239 240 241 242

Dazu ausführlich Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 32 ff. m. w. N. Hellwig Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts I, § 57, III 4 a, S. 373. Vgl. etwa Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 59; Stein/Jonas/Roth § 259 Rn. 8. Vgl. etwa Teplitzky/Kessen Kap. 9 Rn. 5.

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delt und ein weitergehendes Rechtsschutzbedürfnis muss nach herrschender Auffassung nicht vorliegen. Deshalb wird auch eine Unterlassungsklage, die sich für den Unterlassungsanspruch auf Erstbegehungsgefahr stützt, als unbegründet und nicht als zur Zeit unbegründet abgewiesen.243 Etwas abweichend wird für den vertraglichen Unterlassungsanspruch verfahren. Auch dieser wird zwar als gegenwärtiger, fälliger und materieller Anspruch verstanden. Allerdings ist die Begehungsgefahr dort kein für die Entstehung des Anspruchs erforderliches materielles Tatbestandsmerkmal.244 Vielmehr sei dort im Rahmen des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses zu prüfen, ob überhaupt ein vertragswidriges Verhalten (also die Nichterfüllung) drohe.245 Dieser Streit ist in seiner historischen Entwicklung interessant, im Ergebnis aber eher von 65 heuristischer Relevanz.246 Entscheidend ist, dass die Sachgesichtspunkte gesehen und berücksichtigt werden. Hier zeigen sich grundlegende Unterschiede zu den sonstigen materiellen Ansprüchen im Sinne „statischer materieller Rechtslagen“.247 Das zeigt sich besonders bei der Behandlung von Unterlassungsurteilen nach § 767 ZPO, die ganz grundlegend von sonstigen Urteilen abweicht (hierzu Rn. 625), die „gewöhnliche“ materielle Ansprüche zum Gegenstand haben (hierzu Rn. 622). Ähnliches gilt für die Behandlung von Unterlassungsklagen mit Blick auf die Frage der Erledigung der Hauptsache, der insofern auch eine zeitliche Dimension innewohnt (vgl. Rn. 662, 813 ff., 818). Die Unterschiede zwischen einem aktionenrechtlich geprägten Verständnis und dem 66 deutschen materiellen Anspruchsverständnis haben sich im Übrigen erst unlängst wieder gezeigt, nämlich in der Diskussion um die Gestaltung des ersten Zivilprozessrechts auf supranationaler Ebene unter Einbeziehung der EU, dem Prozessrecht für das Einheitliche Patentgericht (Unified Patent Court, UPC). Dort ist der Sprachgebrauch vom anglo-amerikanischen Verständnis der injunction geprägt.248 Überlagert wird das von der weiteren sachlichen Problematik eines Ermessens des Gerichts beim Ausspruch dieser Rechtsfolge. Dieses Ermessen ist im anglo-amerikanischen Rechtsverständnis, nach dem der injunctive relief ein equitable relief ist, fest verankert.249 Dem deutschen Recht ist dies grundsätzlich fremd. Bei Vorliegen einer Rechtsverletzung ist die Unterlassung genau wie der Schadensersatzanspruch die automatische Rechtsfolge. Es stellen sich aber auch im deutschen Recht ähnliche Fragen, wenn es darum geht, ob ein Unterlassungsanspruch besteht, welchen Inhalt die Unterlassungspflichten haben und wie weit diese prozessual durchsetzbar sind. Das ist im Wettbewerbsrecht etwa bei der Frage der Prüfpflichten unter dem Topos der Störerhaftung von Relevanz. Gerade bei den Prüfpflichten im Rahmen der Störerhaftung wird auch der Grenzbereich zwischen Prozessrecht und materiellem Recht und der erhöhte Bedarf an Flexibilität besonders deutlich. Hier hat der BGH etwa – ob zu Recht oder zu Unrecht – deutliche Ausnahmen vom Bestimmtheitsgrundsatz zugelassen und damit eine Verlagerung der Festlegung der Prüfpflichten vom Erkenntnis- in das Vollstreckungsverfahren vorgenommen.250 Fragen des Ermessens unter Einbeziehung des Interesses der Parteien an der Durchsetzung von Unterlassungspflichten (die auch Handlungs-

243 244 245 246

BGH 26.4.1990 – I ZR 99/88 – GRUR 1990, 687, 689 sub c) – Anzeigenpreis II. BGH 12.1.1999 – I ZB 135/96 – GRUR 1999, 522, 524 sub V. 2. – Datenbankabgleich. BGH 12.1.1999 – I ZB 135/96 – GRUR 1999, 522, 524 sub V. 3. – Datenbankabgleich. Ich habe an anderer Stelle (Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 159 ff.) für eine stärker prozessuale Einordnung plädiert, weil damit den Sachgesichtspunkten besser Rechnung getragen wird. 247 Zur Terminologie Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 97 mit Fn. 391; hierzu unten Rn. 628. 248 Agreement on a Unified Patent Court, Chapter IV – Powers of the Court (also Befugnisse des Gerichts), in Art. 63 heißt es dann zu permanent injunctions (also Unterlassungsurteilen, die keine einstweiligen Verfügungen sind), dass das Gericht im Falle einer Patentverletzung eine Unterlassungsverfügung aussprechen „kann“ („may grant an injunction“). 249 Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 395 ff. 250 BGH 15.8.2013 – I ZR 80/12, GRUR 2013, 1030 Tz. 21 – File-Hosting-Dienst; dazu ausführlich unten Rn. 177 f. und 182. 495

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

pflichten erfassen können)251 mit Blick auf die tatsächliche Durchsetzung einer Unterlassungsverpflichtung können auch bei der Frage des Vollstreckungsschutzes (§ 712 ZPO) oder der Einstellung der Zwangsvollstreckung durch das Berufungsgericht nach § 719 Abs. 1 ZPO Platz greifen.252 Insgesamt gesehen wird die Praxis des UPC von erheblicher Bedeutung für die nationale Praxis des Zivilprozesses im gewerblichen Rechtsschutz, Urheberrecht und Wettbewerbsrecht sein, weil es das zukunftsweisende Bild einer einheitlichen europäischen Zivilrechtsjudikatur ist. Dieses historische Projekt wird es allen Beteiligten abverlangen, sich von formalen und terminologischen Fesseln zu lösen und den Blick auf die sachlichen Wertungskriterien zu richten, um einen eigenständigen, bisher nicht verfügbaren zivilrechtlichen und zivilprozessualen Unterbau zu schaffen.253

2. Bestimmtheitsgrundsatz (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) 67 Die vorliegende Darstellung gliedert sich im Sinne der durch Judikatur und Praxis geprägten kategorialen Unterscheidungen in zwei Hauptteile, von welchen einer die Rechtsschutzbegehren, die auf die konkrete Verletzungshandlung gerichtet sind (hierzu c), Rn. 115 ff.), und ein anderer die abstrahierenden Unterlassungsanträge (unter d), Rn. 162 ff.) behandelt. Im Sinne einer einheitlichen Terminologie wird hier im Folgenden auch von konkreten Rechtschutzbegehren und abstrahierenden Rechtsschutzbegehren gesprochen. Diese Unterscheidung geht systematisch einher mit der Differenzierung zwischen der Bestimmtheit des Klagegrundes (relevant für die konkreten Rechtsschutzbegehren) und der Bestimmtheit des Klageantrages (nach herrschender Lehre nur erheblich für die abstrakten Rechtsschutzbegehren). Die Grundlagen der Bestimmtheitsprüfung werden anhand dieser Unterscheidung vorab unter a), Rn. 68 ff. erörtert. Die Abgrenzung des Bestimmtheitsgrundsatzes vom materiell-rechtlichen Konkretisierungsgebot ist Gegenstand eines eigenständigen Zwischenschritts unter b), Rn. 93 ff.

a) Grundstrukturen der Bestimmtheitsprüfung 68 aa) Bestimmtheit als Prozessvoraussetzung und gerichtliche Hinweis- und Erörterungspflichten (§ 139 ZPO). Als Prozessvoraussetzung ist die Bestimmtheit in jeder Lage des Verfahrens, auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfen.254 Fehlt es an der Bestimmtheit, ist die Klage grundsätzlich als unzulässig abzuweisen.255 Das kommt aber praktisch nicht (mehr) vor. Fehlt es in der Klageschrift an einem bestimmten Antrag, so hat das Gericht nämlich regelmäßig im Wege seiner Hinweis- und Erörterungspflicht nach § 139 ZPO (richter251 Dass die Erfüllung gerichtlicher Verbotsurteile in vielen Fällen auch die Verpflichtung zum aktiven Tun erfordern wird, entspricht ständiger Rechtsprechung und herrschender Praxis vgl. nur BGH 22.10.1992 – IX ZR 36/92 – BGHZ 120, 73, 77 f. = NJW 1993, 1076, 1077 – Straßenverengung; OLG Köln 12.3.2008 – 6 W 21/08 – GRUR-RR 2008, 365 f. – Möbelhandel; Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 26c; Fezer/Büscher/Obergfell § 12 Rn. 392; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 12 Rn. 6.7; ausführlich dazu unten Rn. 868 ff. 252 Dazu ausführlich Rn. 795 ff. und 802 ff. 253 Zur Problematik des fehlenden europäischen Zivilrechts und Zivilprozessrechts bereits Haedicke/Grosch ZGE 2010, 196, 204 f. 254 BGH 5.10.2017 – I ZR 184/16 – GRUR 2018, 203 Tz. 9 – Betriebspsychologe; BGH 2.3.2017 – I ZR 194/15 – GRUR 2017, 537 Tz. 11 – Konsumgetreide; BGH 20.6.2013 – I ZR 55/12 – GRUR 2013, 1235 Tz. 12 – Restwertbörse II; BGH 17.3.2011 – I ZR 170/08 – GRUR 2011, 1050 f. Tz. 18 – Ford-Vertragspartner; BGH 12.7.2001 – I ZR 261/98 – GRUR 2002, 77, 78 – Rechenzentrum; BGH 20.2.1997 – I ZR 13/95 – BGHZ 135, 1, 6 = NJW 1997, 3440, 3441 – Betreibervergütung; BGH 11.5.2000 – I ZR 28/98 – BGHZ 144, 255, 263 = GRUR 2000, 1076, 1077 – Abgasemissionen; BGH 24.11.1999 – I ZR 189/97 – GRUR 2000, 438, 441 – Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge. 255 BGH 9.4.1992 – I ZR 171/90 – GRUR 1992, 561, 562 – Unbestimmter Unterlassungsantrag II; Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 62; MünchKommUWG/Ehricke Vor § 12 Rn. 33. Grosch

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liche Hinwirkungspflicht, § 139 Abs. 1 ZPO und Hinweispflicht, § 139 Abs. 2 bis 5 ZPO) darauf hinzuwirken, dass dem Erfordernis bei der Antragsstellung genüge getan wird;256 ein solcher Hinweis ist gegenüber der Bestimmtheitsprobleme behebenden Auslegung des Klageantrages (dazu unten Rn. 81) vorrangig.257 Die Anforderungen an die Bestimmtheit des Antrages und eine entsprechende Tenorierung sind dabei auch dann nicht einzuschränken, wenn im Bereich Know-How-Schutz gegenläufige Geheimhaltungsinteressen des Klägers bestehen.258 Diese Rechtsprechung zum Vorrang des Hinweises nach § 139 ZPO gegenüber der Klageab- 69 weisung, die ihren Anfang in der Entscheidung des BGH „Unbestimmter Unterlassungsantrag I“ fand und dort noch in den Besonderheiten des Einzelfalls begründet wurde,259 hat sich in den letzten beiden Dekaden deutlich verfestigt, so dass BGH-Entscheidungen wie „Unbestimmter Unterlassungsantrag II“, in der der BGH die Klage ohne Zurückverweisung an das Berufungsgericht als unzulässig abgewiesen hat (also auch die Unbestimmtheit nicht qua Auslegung „beseitigt“ hat), obwohl der Kläger in der Berufungsinstanz mit einem neu formulierten Antrag obsiegt hatte (das Berufungsgericht also hier keine Bedenken geäußert hatte), heute wohl nicht mehr denkbar sind. Auf einen Mangel der Bestimmtheit ist nach der neueren Linie des BGH gemäß § 139 ZPO durch das Gericht auch dann hinzuweisen, wenn der Beklagte die fehlende Bestimmtheit des Antrages gerügt hat.260 Allerdings ist nicht klar, ob das einschränkungslos gilt. Der BGH hat zuletzt ausgeführt, dass die Zulässigkeitsrügen des Beklagten den gerichtlichen Hinweis nicht ersetzten. Diese allgemeine Aussage wurde aber damit begründet (und insofern qualifiziert), dass der im entschiedenen Fall erstinstanzlich obsiegende Kläger ohne gerichtlichen Hinweis im Berufungsverfahren keinen Anlass hatte, seinen Antrag neu zu formulieren.261 Ein Hinweis ist jedenfalls immer dann erforderlich, wenn klar ist, dass der Kläger zumindest die „konkrete Verletzungsform“ zu verbieten begehrt (was als Minus in einem weitergehenden Antrag anzusehen ist) und mit einer begehrten weitergehenden Verurteilung (abstrahierendes Unterlassungsbegehren) auf Bestimmtheitsprobleme stößt; dann ist dem Kläger durch einen Hinweis Gelegenheit zu geben, Anträge zu stellen, die jedenfalls die konkrete Verletzungsform mit Bestimmtheit abdecken.262 In einer solchen Situation wird der Kläger in der Regel mit einem „Hilfsantrag“ reagieren, der dieses Minus artikuliert, ohne dadurch nach herrschender Auffassung263 einen eigenständigen Streitgegenstand einzuführen,264 was deshalb auch noch in der Revisionsinstanz möglich ist (zum Hilfsantrag ausführlich unten Rn. 119). In 256 BGH 4.11.2010 – I ZR 118/09 – GRUR 2011, 539 Tz. 18 – Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker; BGH 4.10.2007 – I ZR 143/04 – GRUR 2008, 84 Tz. 24 – Versandkosten; BGH 12.7.2001 – I ZR 261/98 – GRUR 2002, 77, 78 – Rechenzentrum; BGH 19.4.2000 – XII ZR 332/97 – NJW 2000, 2280, 2281; BGH 24.11.1999 – I ZR 189/97 – GRUR 2000, 438, 441 – Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge; BGH 5.6.1997 – I ZR 69/95 – GRUR 1998, 489, 492 – Unbestimmter Unterlassungsantrag III; BGH 11.10.1990 – I ZR 35/89 – GRUR 1991, 254, 257. 257 Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 10; Harte/Hennin/Brüning Vor § 12 Rn. 82. 258 Diesen kann durch prozessuale Maßnahmen, insbesondere den Ausschluss der Öffentlichkeit und die Verpflichtung zur Geheimhaltung §§ 172 Nr. 2, 173 Abs. II, 174 Abs. III GVG, angemessen Rechnung getragen werden, ohne die Bestimmtheitsanforderungen, nicht zuletzt zu Lasten des rechtlichen Gehörs, zu verkürzen. Siehe dazu ausführlich Ann/Loschelder/Grosch Kap. 6 Rn. 191 ff. m.w. N. auch zur Gegenauffassung. 259 BGH 11.10.1990 – I ZR 35/89 – GRUR 1991, 254, 257 – Unbestimmter Unterlassungsantrag, dort wurde berücksichtigt, dass der Kläger sich bei seiner Antragsfassung von der rechtsirrigen Auffassung des Berufungsgerichts über die Bestimmtheit des Klageantrages hatte leiten lassen. 260 BGH 24.11.1999 – I ZR 189/97 – GRUR 2000, 438, 441 – Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge, dort allerdings mit dem einschränkenden Hinweis, dass der Beklagte die Unbestimmtheit in der Instanz nur „beiläufig“ gerügt hatte. 261 BGH 4.11.2010 – I ZR 118/09 – GRUR 2011, 539 Tz. 18 – Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker. 262 BGH 4.11.2010 – I ZR 118/09 – GRUR 2011, 539 Tz. 18 – Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker. 263 BGH 30.4.2008 – I ZR 73/05 – GRUR 2008, 702 Tz. 32 – Internetversteigerung III; BGH 2.10.2003 – I ZR 117/ 01 – GRUR 2004, 247, 248 – Krankenkassenzulassung; BGH 8.6.2000 – I ZR 269/97 – GRUR 2001, 181, 182 – dentalästhetika; BGH 3.12.1998 – I ZR 74/96 – GRUR 1999, 760, 761 – Auslaufmodelle II. 264 Beispielsfall aus der Instanz für einen Hinweis nach § 139 ZPO und einen entsprechenden „Hilfsantrag“ des Klägers: OLG Köln 20.12.2013 – 6 U 188/12 – GRUR-Prax 2014, 44 m. Anm. Peifer – Tagesschau App. 497

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

einer solchen Antragsänderung liegt dann keine Änderung des Streitgegenstandes im Sinne des § 263 ZPO (dazu unten Rn. 411). Aufgrund der Notwendigkeit eines solchen Hinweises im Hinblick auf den Grundsatz des fairen Verfahrens, ergeben sich durch einen richterlichen Hinweis keine Probleme hinsichtlich der richterlichen Unabhängigkeit.265 70 Fehlt es an einem Hinweis in der Instanz, verweist der BGH die Sache auf die Revision zur Wahrung des Grundsatzes eines fairen Verfahrens zurück, um dem Kläger die Möglichkeit der Stellung bestimmter Anträge zu geben.266 Bei der nach der „TÜV“-Rechtsprechung unzulässigen alternativen Klagehäufung ist eine Änderung in eine hilfsweise Klagehäufung (hierzu unten Rn. 150) noch in der Revisionsinstanz möglich, nicht aber eine Änderung in eine kumulative Klagehäufung, weil darin eine in der Revisionsinstanz unzulässige Klageänderung liegt.267 Anders wird ferner dann verfahren, wenn das Revisionsgericht aufgrund bereits festgestellter Tatsachen vom Nichtbestehen der Klageansprüche überzeugt ist und die Klage abweist.268 Auffällig ist dabei allerdings, dass in der jüngeren Judikatur des I. Zivilsenats für Aufhebung und Zurückverweisung nur noch darauf abgestellt wird, ob dem Kläger der materielle Unterlassungsanspruch zusteht, und nicht mehr adressiert wird, ob das Berufungsgericht dem Kläger einen Hinweis gemäß § 139 Abs. 1 ZPO hätte geben müssen.269 Es genügt, dass es sich um „erstmals in der Revisionsinstanz festgestellte Mängel des Klageantrages“270 handelt. Man kann auf dieser Basis wohl sagen, dass die Klage nur noch dann mangels Bestimmtheit als unzulässig abgewiesen werden kann, wenn der Kläger sein Schicksal sehenden Auges herausfordert und trotz eines ausdrücklichen Hinweises mit Blick auf die fehlende Bestimmtheit und das Fehlen eines Antrages hinsichtlich der konkreten Verletzungsform auf eine „Sicherheitslösung“ bezüglich einer bestimmten Antragsformulierung verzichtet. Werden „Bedenken“ gegen die Antragsfassung im Berufungsurteil erstmalig zum Ausdruck gebracht, so hat der Kläger die Möglichkeit und wohl auch die Verpflichtung, diesen Verstoß gegen § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO mit der Revision zu rügen.271 Teil dieser Rüge müsste dann auch sein, welchen Antrag der Kläger bei entsprechendem Hinweis gestellt hätte.272

265 Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 2; ders. GRUR 2008, 34, 35 ff.; kritisch: Borck WRP 2000, 824, 829; Schubert ZZP 85 (1972), 29, 44. 266 BGH 20.6.2013 – I ZR 55/12 – GRUR 2013, 1235 Tz. 14 – Restwertbörse II; BGH 4.11.2010 – I ZR 118/09 – GRUR 2011, 539 Tz. 18 – Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker; BGH 4.10.2007 – I ZR 143/04 – GRUR 2008, 84 Tz. 24 – Versandkosten; BGH 12.7.2001 – I ZR 261/98 – GRUR 2002, 77, 78 – Rechenzentrum; BGH 19.4.2000 – XII ZR 332/97 – NJW 2000, 2280, 2281; BGH 24.11.1999 – I ZR 189/97 – GRUR 2000, 438, 441 – Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge; BGH 5.6.1997 – I ZR 69/95 – GRUR 1998, 489, 492 – Unbestimmter Unterlassungsantrag III; umfangreiche weitere Nachweise bei Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 1a in Fn. 9 und 10. 267 BGH 12.1.2017 – I ZR 253/14 – GRUR 2017, 397 Rn. 28 – World of Warcraft II; BGH 27.11.2014 – I ZR 1/11 – GRUR 2015, 689 Tz. 14 – Parfumflakon III; BGH 17.8.2011 – I ZR 108/09 – GRUR 2011, 1043 Tz. 37 – TÜV II. 268 BGH 17.7.2003 – I ZR 259/00 – BGHZ 156, 1, 8 = GRUR 2003, 958, 959 – Paperboy; anders als das Berufungsgericht hatte der BGH hier die Klage als unbestimmt und damit unzulässig abgewiesen, unter Hinweis darauf, dass eine Rückverweisung zwecks konkreter Antragsstellung hier mangels materiell-rechtlicher Unterlassungsansprüche entfalle. BGH 11.12.2003 – I ZR 74/01 – GRUR 2004, 344 = WRP 2004, 481, 482 – Treue-Punkte; hier war die den Klageanträgen zugrunde liegende Zugabeverordnung zwischenzeitlich entfallen, so dass mangels materiell-rechtlicher Unterlassungsansprüche auf eine Zurückverweisung verzichtet und die Klage als unbestimmt und unzulässig abgewiesen wurde. 269 BGH 26.1.2017 – I ZR 207/14 – GRUR 2017, 422 Tz. 23 – ARD Buffet; BGH 11.6.2015 – I ZR 226/13 – GRUR 2016, 88 Tz. 17 – Deltamethrin; BGH 20.6.2013 – I ZR 55/12 – GRUR 2013, 1235 Tz. 14 – Restwertbörse II. 270 BGH 5.11.2015 – I ZR 50/14 – GRUR 2016, 705 Tz. 15 – ConText. 271 BGH 8.3.2012 − I ZR 85/10 – GRUR 2012, 1153 Tz. 16 – Unfallersatzgeschäft. Im entschiedenen Fall ging es allerdings um die Begründetheit, nicht die Zulässigkeit des Antrages, weil die Frage betroffen war, ob der Antrag das Charakteristische der Verletzungsform aufwies. Das hat der BGH verneint. Der Antrag war also hinreichend bestimmt, aber zu breit und deshalb unbegründet, weil ein entsprechender materieller Unterlassungsanspruch nicht gegeben war. 272 BGH a. a. O. Unfallersatzgeschäft Tz. 17. Auch an dieser Hürde ist der Kläger im entschiedenen Fall gescheitert. Grosch

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Anders als nach der Judikatur des X. Zivilsenats273 ist nach der Praxis des I. Zivilsenats und 71 der Instanzgerichte in Wettbewerbssachen eine Anpassung des Antrages durch das Gericht ohne entsprechenden Antrag des Klägers zur Herstellung der Bestimmtheit nicht möglich. Es bleibt trotz der Hinweis- und Erörterungspflicht Sache des Klägers, einen zulässigen Antrag zu formulieren und es kann nicht dem Gericht überlassen werden, einem unbestimmten Antrag einen zulässigen Wortlaut und Inhalt zu geben.274 Möglich bleibt aber eine Auslegung des Klageantrages, die insbesondere dann in Betracht kommt, wenn sich Formulierungsfragen bei der zutreffenden Beschreibung der konkreten Verletzungsform nicht stellen. Beispielhaft für letztere Kategorie ist etwa die Entscheidung „Empfehlungs-E-Mail“.275 Solche Antragsformulierungen können auch in Gestalt von „unechten Hilfsanträgen“ erfolgen, mit denen etwa durch eine „insbesondere“-Formulierung jedenfalls die konkrete Verletzungsform zum Gegenstand des klägerischen Rechtsschutzbegehrens gemacht werden kann. Hilfsanträge dieser Art sind ausnahmsweise auch noch in der Revisionsinstanz möglich (hierzu unten Rn. 119). In gleicher Weise ist ein Hinweis erforderlich, wenn nach Auffassung des Gerichts mehrere Streitgegenstände vorliegen und in Anwendung der „TÜV I“-Rechtsprechung der Kläger die Reihenfolge der Prüfung der mehreren Klagegründe anzugeben hat, um den Bestimmtheitsanforderungen gerecht zu werden276 (hierzu unter Rn. 141 ff.).

bb) Zeitpunkt der Klageerhebung und „Heilung“ des Mangels der Bestimmtheit durch nachfolgenden Vortrag (1) Auffassungen in Rechtsprechung und Schrifttum. Die Bedeutung der Formulierung des 72 Gesetzeswortlauts (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) mit Blick auf die Erfüllung der Anforderungen in der Klageschrift hat praktisch kaum Relevanz.277 Die Fälle, in denen von der Zustellung der Klageschrift abgesehen wird, kommen praktisch nicht vor; es müsste schon der Antrag insgesamt fehlen oder die Begründung offensichtlich rudimentär sein.278 Es handelt sich beim Erfordernis der Bestimmtheit um eine Prozessvoraussetzung, die zum Schluss der mündlichen Verhandlung vorliegen muss, so dass nachfolgender, den Mangel der Klage korrigierender Vortrag des Klägers möglich ist und es auch der Zustimmung des Beklagten nicht bedarf.279 Bedeutung kann dem Zeitpunkt der Klageerhebung allein für die Frage der Verjährungsunterbrechung zukommen, weil die überwiegende Auffassung der Heilung des Bestimmtheitsmangels durch nachträglichen Vortrag des Klägers nur ex nunc Wirkung zubilligt.280

(2) Stellungnahme. Dem Abstellen auf den Zeitpunkt der Klageerhebung kann man unter 73 Berücksichtigung der Praxis und Ratio des Bestimmtheitsgrundsatzes nicht zustimmen. Es kann nicht überzeugen, dass ein nach den strengen Maßstäben des BGH unbestimmter Antrag in einer Klageschrift den prozessualen Anspruch für die Zwecke der Verjährungsunterbrechung nicht hinreichend bestimmt. Im Wege der Auslegung des Antrages anhand der Klagebegründung ist der Streitgegenstand in der Regel eindeutig zu bestimmen. Das Erforder273 Vgl. etwa BGH 11.10.2005 – X ZR 76/04 – BGHZ 164, 261 = GRUR 2006, 131 f. Tz. 37 – Seitenspiegel; Haedicke/ Timmann/Zigann § 11 Rn. 113; Benkard/Grabinski/Zülch § 139 Rn. 32. 274 BGH 11.10.1990 – I ZR 35/89 – GRUR 1991, 254, 257 – Unbestimmter Unterlassungsantrag I. 275 BGH 12.9.2013 – I ZR 208/12 – GRUR 2013, 1259 Tz. 13 f. – Empfehlungs-E-Mail. 276 BGH 24.3.2011 – I ZR 108/09 – BGHZ 189, 56, 59 ff. = GRUR 2011, 521, 523 Tz. 13 – TÜV I. 277 MünchKommZPO/Becker-Eberhard § 253 Rn. 67. 278 Hierzu Wieczorek/Schütze/Assmann, ZPO, § 253 Rn. 196. 279 BGH 26.11.1953 – III ZR 26/52 – BGHZ 11, 181, 184; BGH 29.11.1956 – III ZR 235/55 – BGHZ 22, 254, 257 = NJW 1957, 263; Stein/Jonas/Roth § 253 Rn. 61. 280 Stein/Jonas/Roth § 253 Rn. 61; MünchKommZPO/Becker-Eberhard § 253 Rn. 67. 499

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nis der Bestimmtheit des Antrages hat eine andere Zweckrichtung, bei der es um eine deutlichere Artikulierung der erstrebten Verbotsnorm geht (zum Ganzen sogleich Rn. 74–80). Anderes mag nur für die Fälle gelten, in denen der Streitgegenstand durch Auslegung schlicht nicht ermittelbar ist, ähnlich den Fällen, in denen die Vollstreckung mangels Bestimmtheit des Titels nicht zulässig ist (hierzu Rn. 824 ff., bes. Rn. 832). Präjudizien, die dieser Problematik im Wettbewerbsprozess Relevanz beigemessen hätten, sind auf dieser Linie auch nicht ersichtlich.

74 cc) Bestimmtheit des Klageantrages und des Klagegrundes (Streitgegenstand). Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Klageschrift neben der bestimmten Angabe des Klagegegenstandes und des Klagegrundes des erhobenen prozessualen Anspruchs einen bestimmten Antrag enthalten. Der Klagegrund ist der konkrete Lebenssachverhalt, aus dem der Kläger den Klageanspruch ableitet.281 Dem Erfordernis des „bestimmten Gegenstandes“ kommt neben dem Erfordernis des „bestimmten Antrags“ praktisch keine eigenständige Bedeutung zu, weil der Gegenstand des erhobenen Anspruchs bereits im Antrag zu nennen ist.282 Entscheidend sind also die Bestimmtheit des Klageantrages und des Klagegrundes des erhobenen Anspruchs. Der erhobene Anspruch, dessen Grund und dessen Gegenstand (im Antrag) mit Bestimmtheit anzugeben sind, ist der prozessuale Anspruch im Sinne des § 322 ZPO, also der Streitgegenstand und nicht der materielle Anspruch.283 Der prozessuale Anspruch (Streitgegenstand) ist nach der Rechtsprechung das klägerische Rechtsschutzbegehren, das durch den Klageantrag (Rechtsfolge) und den Lebenssachverhalt (Klagegrund), aus welchem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet, gebildet wird284 (hierzu Rn. 217–228). Durch § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO wird also im Ergebnis nichts anderes normiert, als dass der Kläger den Streitgegenstand mit Bestimmtheit anzugeben hat. Insofern wird im Schrifttum gesagt, dass der „Ordnungszweck“ sich ausschließlich darin erschöpfe, den Streitgegenstand mit der erforderlichen Bestimmtheit festzulegen.285 Diese einheitliche Festlegung wird der Ratio der wettbewerbsrechtlichen Bestimmtheitsprüfung allerdings nur begrenzt gerecht, weil bei abstrahierenden Verbotsbegehren (zur Unterscheidung sogleich Rn. 75 ff. und 79) eigenständige Anforderungen an die Bestimmtheit des Antrages gestellt werden (hierzu Rn. 80 und 81 ff.), die über die bestimmte Festlegung des Streitgegenstands hinausgehen.

75 dd) Unterscheidung von abstrahierenden (bestimmter Unterlassungsantrag) und auf die konkrete Verletzungshandlung (bestimmter Klagegrund) gerichteten Anträgen. Es gibt in der wettbewerbsrechtlichen Praxis mit Blick auf den Bestimmtheitsgrundsatz zwei grundsätzliche Kategorien der Antragsformulierung: Einmal diejenige, die auf die konkrete Verletzungshandlung gerichtet ist, und zum anderen jene, die von der konkreten Verletzungshandlung abstrahiert. Es ist einer der Dreh- und Angelpunkte der Rechtsprechung des I. Zivilsenats, dass sich Fragen der Bestimmtheit des Antrages nie stellen sollen, wenn sich der Antrag auf die

281 Thomas/Putzo/Seiler § 253 Rn. 10; Zöller/Greger § 253 Rn. 10. 282 Stein/Jonas/Roth § 253 Rn. 22; Wieczorek/Schütze/Assmann § 253 Rn. 53; Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR, § 96 Rn. 17; MünchKommZPO/Becker-Eberhard § 253 Rn. 70, der die Frage der Abgrenzbarkeit von Gegenstand und Antrag zurecht als „akademischer Natur“ bezeichnet, also einen Problempunkt, der keine praktischen Auswirkungen hat, was in einer „praktischen Wissenschaft“, die die Jurisprudenz ist, die Behandlung verbietet. 283 BGH 30.6.2011 – I ZR 157/10 – GRUR 2012, 184 Tz. 12 – Branchenbuch Berg. 284 BGH 19.11.2003 – VIII ZR 60/03 – BGHZ 157, 47 Tz. 9 = NJW 2004, 1252, 1253. 285 MünchKommZPO/Becker-Eberhard § 253 Rn. 66. Grosch

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konkrete Verletzungshandlung richtet (hierzu Rn. 116 ff.).286 Bestimmtheitsfragen mit Blick auf den Klageantrag stellen sich danach nur, wenn abstrahiert wird.287 Bei einer abstrahierenden Antragstellung den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung gerecht zu werden, ist hingegen nicht einfach, weshalb in der Praxis die Ausrichtung auf die konkrete Verletzungshandlung dominiert.288 Dabei läuft der Kläger allerdings Gefahr, seinen materiellen Unterlassungsanspruch nicht voll auszuschöpfen, also nicht alle Handlungen in das Verbot einzubeziehen, in denen das Charakteristische der konkreten Verletzungshandlung seinen Ausdruck findet (hierzu sogleich Rn. 93 ff., bes. Rn. 104 ff.).289 Bei den auf die konkrete Verletzungsform gerichteten Unterlassungsbegehren stellen sich Bestimmtheitsfragen nach der herrschenden Auffassung mithin grundsätzlich nur hinsichtlich des Klagegrundes, was praktische Bedeutung im Wesentlichen für die neuere Rechtsprechung zur Unzulässigkeit der alternativen Klagehäufung erlangt hat (dazu unten Rn. 141 ff.). Die klare Unterscheidung zwischen den auf die konkrete Verletzungshandlung gerichteten 76 und den davon abstrahierenden Anträgen wird allerdings in der Praxis wesentlich dadurch aufgelockert, dass der Kläger regelmäßig abstrahierende Bestandteile zum Element des Antrages macht, diesen aber gleichwohl auf die konkrete Verletzungsform beschränkt (durch die Beschränkung „wenn das geschieht wie“) (hierzu Rn. 117 f.). Die vorstehend beschriebene Dichotomie zwischen konkreten und abstrahierenden Anträgen wird dabei dadurch aufgebrochen, dass der BGH diesen abstrahierenden Elementen des Antrages wesentliche Bedeutung bei der Bestimmung des Rechtsschutzbegehrens (im Sinne des Gegenstands und Umfangs der erstrebten Verbotsnorm) beimisst, ohne diese abstrahierenden Elemente den Restriktionen des Bestimmtheitsgebots zu unterwerfen, die für rein abstrahierende Anträge (ohne die „wenn das geschieht wie“-Rückkopplung an die konkrete Verletzungshandlung) gelten (hierzu Rn. 856).290 Es handelt sich deshalb um einen praktisch und dogmatisch ganz wesentlichen Ansatzpunkt für die Fortentwicklung des gegenwärtigen Systems (hierzu Rn. 140), dem insbesondere im Anschluss an die Entscheidung „Biomineralwasser“291 (hierzu Rn. 157 f., 252 ff.) gesteigerte Bedeutung zukommen wird (hierzu Rn. 285). Man wird ferner auch bei der Klärung der Fragen der Bestimmtheit grundsätzlich nicht 77 außer Acht lassen können, dass die materiell-rechtliche Kernbereichslehre, die den Umfang des Unterlassungsanspruchs und damit das materielle Recht des Gläubigers auf einen prozessualen Verbotsausspruch bestimmt, auch ihre prozessuale Reflektion bei der Bestimmung des Umfangs eines auf die konkrete Verletzungshandlung gerichteten Verbots findet (vollstreckungsrechtliche Kernbereichslehre). Diese Bestimmung des Umfangs des gerichtlichen Ver-

286 Vgl. BGH 30.6.2011 – I ZR 157/10 – GRUR 2012, 184, 185 Tz. 12 – Branchenbuch Berg; BGH 29.4.2010 – I ZR 99/ 08 – GRUR 2011, 82 Tz. 14 – Preiswerbung ohne Umsatzsteuer; BGH 16.7.2009 – I ZR 56/07 – GRUR 2009, 1075 Tz. 10 – Betriebsbeobachtung („der Handlung, so wie sie begangen worden ist“); BGH 21.6.2001 – I ZR 69/99 – GRUR 2002, 75, 76 – SOOOO…BILLIG; BGH 7.6.2001 – I ZR 115/99 – GRUR 2002, 177, 178 – Jubiläumsschnäppchen; BGH 26.10.2000 – I ZR 180/98 – GRUR 2001, 453, 454 – TCM-Zentrum. 287 In diesen Fällen der Abstrahierung vom „konkreten wettbewerblichen Umfeld“ sprechen Cepl/Voß/Zigann/ Werner ZPO § 253 Rn. 63 von Anträgen, die auf ein „Schlechthinverbot“ gerichtet sind, also einem Verbot, das nicht von den Umständen des Einzelfalls, sondern nur von den abstrakten Merkmalen des Verbotstenors abhängt. 288 Vgl. Schwippert WRP 2013, 135, 137 l. Sp. oben.; Cepl/Voß/Zigann/Werner ZPO § 253 Rn. 63 bezeichnen das als den „Normalfall“; Brüning meint demgegenüber, dass sich der Kläger damit „häufig“ nicht zufriedengeben werde, sondern um eine verallgemeinernde Fassung des Antrages bemüht sein werde, Harte/Henning/Brüning Vorb zu § 12 Rn. 78. 289 Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 4. 290 Vgl. etwa zuletzt BGH 3.4.2014 – I ZB 42/11 – WRP 2014, 719 Tz. 11 – Reichweite des Unterlassungsgebots; BGH 19.5.2010 – I ZR 177/07 – GRUR 2010, 855 Tz. 17 = WRP 2010, 1035 – Folienrollos; BGH 2.6.2005 – I ZR 252/02 – GRUR 2006, 164, 165 Tz. 14 – Aktivierungskosten II. 291 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 – Biomineralwasser. 501

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bots wird im Wesentlichen durch einen Rückgriff auf die Gründe des Urteils erreicht,292 da sich dem Tenor in diesen Fällen durch seine bloße Bezugnahme auf die konkrete Verletzungshandlung per definitionem nichts darüber entnehmen lässt, was vom Gericht als kerngleich mitentschieden gelten kann (hierzu Rn. 130 ff. und 855 ff.). Teplitzky hatte insofern (systematisch bei der Frage der Vollstreckung eines Unterlassungsurteils nach § 890 ZPO) zutreffend darauf hingewiesen, dass es im Hinblick auf die gegen die Kernbereichslehre, insbesondere aus verfassungsrechtlicher Sicht vorgebrachten Bedenken, sinnvoll wäre, die kerngleichen Handlungen, die bei einer Abwandlung der Verletzungshandlung den Kern der konkreten Verletzungsform unberührt lassen, von vornherein auch explizit zum Gegenstand des Antrages zu machen.293 Dies ließe sich nur über eine entsprechende Ausgestaltung des Bestimmtheitsgrundsatzes erreichen, wenn man diesen dergestalt verstünde, dass er es erfordert, die für das gerichtliche Verbot konstitutiven Elemente von vornherein in den Antrag und Tenor zu gießen, weil ansonsten der Umfang des gerichtlichen Verbots nicht aus dem Antrag/Tenor erkennbar wäre. Letzeres entspricht allerdings nicht der vorherrschenden Praxis und der Rechtsprechung des BGH, wonach Anträge stets bestimmt sind, die unter Bezugnahme auf die historische Verletzungshandlung auf die konkrete Verletzungsform gerichtet sind (hierzu Rn. 116). Nur dann, wenn der Kläger abstrahiert, um den materiell-rechtlichen Unterlassungsanspruch seinem Umfang nach im Antrag voll auszuschöpfen, greifen die Bestimmtheitsanforderungen für die Antragsformulierung ein (hierzu Rn. 80 ff. und Rn. 162 ff.). Dass dieses System brüchig ist, zeigt sich gerade an der durch die „TÜV I“-Rechtsprechung294 zur mangelnden Bestimmtheit der alternativen Klagehäufung ausgelösten Diskussion295 und ihrem vorläufigen Abschluss in Gestalt der „Biomineralwasser“-Judikatur.296 Mit Blick auf die Bestimmtheitsanforderungen an abstrahierende Unterlassungsanträge ent78 stehen wesentliche Überlappungen zum materiell-rechtlichen Konkretisierungsgebot, weil die prozessuale Möglichkeit einer abstrahierenden Antragsfassung über die konkrete Verletzungsform hinaus ihren inneren Grund gerade darin hat, dass die materielle Wiederholungsgefahr, die den Umfang des Unterlassungsanspruchs bestimmt, nicht auf die konkrete Verletzungsform beschränkt ist, sondern alle Handlungen erfasst, in denen das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt.297

79 ee) Zur Terminologie: Konkrete Verletzungshandlung und konkrete Verletzungsform – konkretes und abstrahierendes Unterlassungsbegehren. Mit der konkreten Verletzungshandlung wird nach einer weithin verwendeten Terminologie, die an einen Beitrag von

292 Ganz herrschende Auffassung, vgl. Ahrens/Jestaedt Kap. 35 Rn. 18; Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 11 ff.; BGH 9.10.1986 – I ZR 138/84 – GRUR 1987, 172, 174 – Unternehmensberatungsgesellschaft I; BGH 16.2.1989 – I ZR 76/87– GRUR 1989, 445 – Professorenbezeichnung in der Arztwerbung; BGH 30.3.1989 – I ZR 85/87 – WRP 1989, 572, 574 – Bioäquivalenzwerbung. 293 So auch noch in der Neuauflage Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 16 mit weiteren Nachweisen dort in Fn 55. 294 BGH 24.3.2011 – I ZR 108/09 – BGHZ 189, 56, 59 ff. = GRUR 2011, 521, 523 Tz. 10 – TÜV I. 295 Dazu ausführlich unten Rn. 141 ff. 296 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 24 – Biomineralwasser; dazu ausführlich unten Rn. 229 ff., 252 ff. 297 St. Rspr., s. etwa BGH 19.5.2010 – I ZR 177/07 – GRUR 2010, 855 Tz. 17 – Folienrollos; BGH 10.12.2009 – I ZR 46/07 – BGHZ 183, 309 = GRUR 2010, 253, Tz. 30 – Fischdosendeckel; BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 32 – Erinnerungswerbung im Internet; BGH 18.6.2009 – I ZR 47/07 – GRUR 2010, 156 Tz. 25 – EIFEL-ZEITUNG; BGH 16.11.2006 – I ZR 191/03 – GRUR 2007, 607 Tz. 17 – Telefonwerbung für „Individualverträge“; BGH 4.9.2003 – I ZR 32/01, GRUR 2004, 72 – Coenzym Q10; BGH 29.6.2000 – I ZR 29/98 – GRUR 2000, 907, 909 sub a (4) – Filialleiterfehler; und h. M., vgl. etwa Teplitzky/Kessen Kap. 6 Rn. 9b mit Fn. 49 und Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 14 mit Fn. 112; GK-UWG/Jestaedt1 Vor § 13 a. F. E Rn. 24. Grosch

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Nirk/Kurtze298 anknüpft,299 die konkrete historische Wettbewerbshandlung bezeichnet, die die Wiederholungsgefahr begründet. Demgegenüber wird als konkrete Verletzungsform die Summe derjenigen Merkmale dieses Sachverhalts bezeichnet, die nach der zugrundegelegten materiellen Verbotsnorm die Rechtswidrigkeit der Handlung begründen. Es sind also diejenigen Merkmale, die für die Subsumtion hinsichtlich des geltend gemachten Wettbewerbsverstoßes konstitutiv sind.300 Der BGH hat diese Begrifflichkeit teilweise verwendet, indem er als konkrete Verletzungsform die Summe derjenigen Merkmale verstand, die das Charakteristische der konkreten Verletzungshandlung ausmachen, insofern sie also die Wiederholungsgefahr und damit den Umfang des Unterlassungsanspruchs abstecken.301 Der Sprachgebrauch wurde allerdings nicht konsequent durchgehalten und insbesondere in der neueren Rechtsprechung zum Streitgegenstand wird regelmäßig von der konkreten Verletzungsform gesprochen, wenn damit der Lebenssachverhalt der konkreten Verletzungshandlung insgesamt gemeint ist.302 Dies trifft insbesondere zu, wenn sich die Antragsfassung beschränkt auf das Verbot einer konkreten Wettbewerbshandlung, so wie sie „tatsächlich“ vorgenommen wurde.303 Mit der Verwendung dieser Terminologie soll in dieser Darstellung zunächst keine inhaltliche Schlussfolgerung präjudiziert werden. Es wird unter Orientierung an der Diktion des BGH mit dem auf die konkrete Verletzungsform gerichteten Rechtsschutzbegehren der Gegenstand bezeichnet, der an die konkrete Verletzungshandlung anknüpft und sich damit von den abstrahierenden Unterlassungsanträgen unterscheidet. Überzeugender wäre hingegen eine Terminologie, die sich auf den unterschiedlichen Gegenstand des Rechtsschutzbegehrens bezieht; insofern wird hier vorgeschlagen, von einem konkreten Rechtsschutzbegehren oder konkreten Verbotsbegehren einerseits und einem abstrahierenden Rechtsschutzbegehren oder abstrahierenden Verbotsbegehren andererseits zu sprechen.

ff) Die Bestimmtheitsprüfung des (abstrahierenden) Unterlassungsantrages (abstra- 80 hierendes Verbotsbegehren). Der praktische Schwerpunkt der Bestimmtheitsprüfung liegt auf der Formulierung des Unterlassungsantrages, wobei jedoch stets deren Funktion mit Blick auf die bestimmte Festlegung des Streitgegenstandes und damit des erstrebten (vollstreckbaren) Verbots in den Blick genommen wird. Insofern entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass der Zweck der Bestimmtheit des Antrages die Festlegung des Streitgegenstandes und des Umfangs der Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis des Gerichts (§ 308 ZPO) ist. Der Unterlassungsantrag gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO und die entsprechende Tenorierung gemäß

298 Nirk/Kurtze GRUR 1980, 645, 646 ff. 299 Dem folgend etwa Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 4; Ahrens/Jestaedt Kap. 22 Rn. 7 Fn. 22; GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 a. F. D Rn. 98. 300 Nirk/Kurtze a. a. O. S. 647: „Die rechtliche Beurteilung der Wettbewerbshandlung entscheidet darüber, ob sie wettbewerbswidrig ist. Maßgeblich hierfür sind nur diejenigen Tatbestandsmerkmale der Wettbewerbshandlung, aus denen sich die Wettbewerbswidrigkeit ergibt; sie bilden die ‚konkrete Verletzungsform‘.“. 301 BGH 15.3.1984 – I ZR 74/82 – GRUR 1984, 593 – adidas Sportartikel. Dazu ausführlicher unten Rn. 104 ff. 302 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 24 – Biomineralwasser. In der Entscheidung „Branchenbuch Berg“, auf die sich der BGH in „Biomineralwasser“ bezieht, spricht der BGH von der konkreten Verletzungshandlung, auf die sich das Unterlassungsbegehren „stützt“ und das deshalb bestimmt sei, gleich unter welchen rechtlichen Aspekten die Handlung beanstandet werde, BGH 30.6.2011 – I ZR 157/10 – GRUR 2012, 184, 185 Tz. 14, 15. Hierzu Rn. 116. 303 Vgl. etwa BGH 7.4.2011 – I ZR 34/09 – GRUR 2011, 742 Tz. 17 – Leistungspakete im Preisvergleich (ebenfalls von „Biomineralwasser“ in Bezug genommen); hier heißt es, dass Gegenstand eines auf die konkrete Verletzungsform bezogenen Antrages allein die „konkrete Werbeanzeige“ sein soll; besonders klar auch BGH 29.4.2010 – I ZR 202/ 07, GRUR 2010 – 749 Tz. 36 – Erinnerungswerbung im Internet; BGH 10.2.2011 – I ZR 183/09 – GRUR 2011, 340 Tz. 21 – Irische Butter. 503

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

§ 313 Abs. 1 Nr. 4 ZPO304 dürfen danach nicht derart undeutlich gefasst sein, dass Streitgegenstand und Umfang der Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis des Gerichts (§ 308 Abs. 1 ZPO) nicht erkennbar abgegrenzt und damit die Tragweite des begehrten Verbots und die Grenzen seiner Rechtskraft für den Beklagten nicht mehr erkennbar wären.305 Nur dann kann sich der Beklagte erschöpfend verteidigen und die Entscheidung darüber, was dem Beklagten verboten ist, wird im Erkenntnisverfahren getroffen und nicht dem Vollstreckungsgericht überlassen.306

81 gg) Eigenständige Bedeutung der Bestimmtheit des Antrages neben der Bestimmtheit

des Streitgegenstandes – Zulässigkeit und Grenzen der Auslegung des Unterlassungsantrages. In der Unterscheidung des Erfordernisses der Antragsbestimmtheit (der Antragsformel) in § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO von der Bestimmtheit des Klagegrundes (beide bilden den Streitgegenstand) unter gleichzeitiger Ausrichtung der Zweckrichtung der Vorschrift mit Blick auf die Bestimmtheit des Streitgegenstandes (dem prozessualen Rechtsschutzbegehren) ist das wesentliche Spannungsfeld der Festlegung der Anforderungen an die Bestimmtheit des Antrages bereits angelegt, weil der Antrag sich stets mit Blick auf die für diesen angegebene Begründung auslegen lässt und damit der begehrte Rechtsfolgenschluss regelmäßig klar und bestimmt würde. Eine Auslegung des Antrages ist dabei grundsätzlich zulässig und erforderlich (1), (2), aber dem sind Grenzen gesetzt (3). Insgesamt verdeutlicht dieses Spannungsfeld den eigentlichen Impetus der Bestimmtheitsanforderungen (4).

82 (1) Auslegung grundsätzlich möglich. Nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Auffassung in der Literatur ist der Unterlassungsantrag auszulegen,307 wobei nichts anderes

304 Die Anforderungen an die Bestimmtheit des Klageantrages nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 sind identisch mit denen an die Urteilsformel nach § 313 Abs. 1 Nr. 4 ZPO, vgl. die entsprechenden Formulierungen des BGH etwa in BGH 20.6.2013 – I ZR 55/12, GRUR 2013, 1235 Tz. 12 – Restwertbörse II; BGH 4.3.2004 – I ZR 221/01 – BGHZ 158, 174, 186 = GRUR 2004 696, 699 unter 4. vor C. – Direktansprache am Arbeitsplatz I; MünchKommUWG/Ehricke Vor § 12 Rn. 115. 305 BGH 5.10.2017 – I ZR 184/16 – GRUR 2018, 203 Tz. 10 – Betriebspsychologe; BGH 2.3.2017 – I ZR 194/15 – GRUR 2017, 537 Tz. 12 – Konsumgetreide; BGH 20.6.2013 – I ZR 55/12 – GRUR 2013, 1235 Tz. 12 – Restwertbörse II; BGH 23.2.2006 – I ZR 27/03 – BGHZ 166, 233, 241 f. = GRUR 2006, 504, 505 Tz. 28 – Parfümtestkäufe; BGH 4.3.2004 – I ZR 221/01 – BGHZ 158, 174, 186 = GRUR 2004, 696, 699 – Direktansprache am Arbeitsplatz I; BGH 17.7.2003 – I ZR 259/ 00 – BGHZ 156, 1, 8 = GRUR 2003, 958, 959 – Paperboy; BGH 4.7.2002 – I ZR 38/00 – GRUR 2002, 1088, 1089 – Zugabenbündel; BGH 18.9.1997 – I ZR 71/95 – GRUR 1998, 471, 474 – Modenschau im Salvatorkeller; BGH 11.10.1990 – I ZR 35/89 – GRUR 1991, 254, 256 – Unbestimmter Unterlassungsantrag I; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.35; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Brüning Vor § 12 Rn. 75; Ahrens Kap. 36 Rn. 6 und 9; Teplitzky/ Schwippert Kap. 51 Rn. 1, 8; Ohly/Sosnitza, § 12 Rn. 62; GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 a. F. D Rn. 96; jeweils m.w. Rechtsprechungsnachweisen. 306 BGH 5.10.2017 – I ZR 184/16 – GRUR 2018, 203 Tz. 10 – Betriebspsychologe; BGH 2.3.2017 – I ZR 194/15 – GRUR 2017, 537 Tz. 12 – Konsumgetreide; BGH 20.6.2013 – I ZR 55/12 – GRUR 2013, 1235 Tz. 12 – Restwertbörse II; BGH 4.11.2010 – I ZR 118/09 – GRUR 2011, 539 Tz. 11 – Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker; BGH 5.10.2010 – I ZR 46/09 – GRUR 2011, 433 Tz. 10 – Verbotsantrag bei Telefonwerbung; BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 21 – Erinnerungswerbung im Internet; BGH 9.7.2009 – I ZR 13/07 – GRUR 2009, 977, 979 Tz. 21 – Brillenversorgung; BGH 4.10.2007 – I ZR 143/04 – GRUR 2008, 84 Tz. 13 – Versandkosten; BGH 17.7.2003 – I ZR 259/00 – BGHZ 156, 1, 8 = GRUR 2003, 958, 960 – Paperboy; BGH 24.11.1999 – I ZR 189/97 – GRUR 2000, 438, 440 – Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.35; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/ Brüning Vor § 12 Rn. 76; Ahrens Kap. 36 Rn. 6 und 11; Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 5; GK-UWG/Jestaedt1 Vor § 13 a. F. E Rn. 24; jeweils m.w. Rechtsprechungsnachweisen. 307 BGH 12.7.1990 – I ZR 236/88 – GRUR 1991, 138 – Flacon; BGH 25.4.1991 – I ZR 192/89 – GRUR 1991, 774, 775 – Anzeigenrubrik II; BGH 8.2.1996 – I ZR 147/94 – WRP 1996, 720 – Effektivzins; BGH 5.6.1997 – I ZR 69/95 – GRUR 1998, 489, 492 – Unbestimmter Unterlassungsantrag III; BGH 7.5.1998 – I ZR 85/96 – GRUR 1998, 1041 = WRP 1998, 1068 – Verkaufsveranstaltung in Aussiedlerwohnheim; BGH 7.6.2001 – I ZR 115/99 – GRUR 2002, 177, 178 f. = WRP Grosch

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III. Unterlassungsklage

Vor §§ 12–15a A

gelten soll wie für die Auslegung des Urteilstenors anhand der Entscheidungsgründe.308 Die Auslegung erfolgt mithin primär nach der vom Kläger vorgetragenen Begründung.309 Dabei kann auch eine Anlage zur Klageschrift, welche dem Gericht „keine unzumutbare Sucharbeit abverlangt“, zur Klagebegründung gehören.310 Die Bezugnahme auf die Anlagen ist insbesondere in den Fällen der Beschränkung auf die konkrete Verletzungsform anzutreffen.311 Eine Klarstellung des mit dem Antrag gemeinten ist in der Berufungsinstanz dann ebenfalls zu berücksichtigen.312 In Einzelfällen können sonstige Umstände außerhalb der Klagebegründung selbst, wie etwa die Wettbewerbserfahrung eines gerichtsbekannten Verbandes,313 in die Auslegung des Antrages einbezogen werden. Für die Auslegung des Klageantrages darf nach der Rechtsprechung, genau wie bei materiell-rechtlichen Willenserklärung, nicht am Wortlaut gehaftet werden. Entscheidend ist nach der Rechtsprechung des BGH vielmehr der erklärte Wille, wie er sich aus Begleitumständen, nicht zuletzt der Interessenlage, ergibt.314 Im Zweifel gilt das, „was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der rechtverstandenen Interessenlage entspricht“.315 Liegt ein nicht überbrückbarer Widerspruch zwischen dem Tenor und den Gründen vor, so fehlt es dem Urteil an einem vollstreckungsfähigen Inhalt (hierzu unten Rn. 827) und ein entsprechender Klageantrag ist mangels Bestimmtheit unzulässig.316

2001, 1182, 1183 – Jubiläumsschnäppchen; BGH 31.10.2002 – I ZR 207/00 – BGHZ 152, 268, 274 = GRUR 2003, 242, 244 – Dresdner Christstollen; BGH 2.10.2003 – I ZR 117/01, GRUR 2004, 247 – Krankenkassenzulassung; BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – GRUR 2007, 890 Tz. 17 – Jugendgefährdende Medien bei eBay; BGH 22.7.2010 – I ZR 139/ 08 – GRUR 2011, 152 = WRP 2011, 223 Tz. 23 ff. – Kinderhochstühle im Internet; aus der Literatur: Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 10 m. w. N. in Fn. 103; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Spätgens § 88 Rn. 28; Harte/Henning/Brüning Vor § 12 Rn. 81; Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 64; MünchKommUWG/Ehricke Vor § 12 Rn. 34b. 308 BGH 30.4.2008 – I ZR 73/05 – GRUR 2008, 702, 705 Tz. 37 – Internet-Versteigerung III (dort für das Konkretisierungsgebot, also für die Frage, ob ein materiell-rechtlich für das Verbot notwendiges Merkmal im Antrag seinen Niederschlag gefunden hat, ob also der Antrag zu weit sei, was nach Auslegung verneint wurde); Gloy/Loschelder/ Danckwerts/Spätgens § 88 Rn. 28; MünchKommUWG/Ehricke Vor § 12 Rn. 116. 309 BGH 16.2.1989 – I ZR 76/87 – GRUR 1989, 445 – Professorenbezeichnung in der Arztwerbung I (im entschiedenen Fall war dem Antrag/Tenor nicht die Einschränkung der Verwendung für die „berufliche Tätigkeit“ zu entnehmen, das sei aber der Begründung als Einschränkung des Verbots klar zu entnehmen, was aus Sicht des BGH ausreichte); BGH 12.7.1990 – I ZR 236/88 – GRUR 1991, 138 – Flacon; BGH 25.4.1991 – I ZR 192/89 – GRUR 1991, 774, 775 – Anzeigenrubrik II; BGH 8.2.1996 – I ZR 147/94 – WRP 1996, 720 – Effektivzins; BGH 5.6.1997 – I ZR 69/95 – GRUR 1998, 489, 492 – Unbestimmter Unterlassungsantrag III; BGH 7.5.1998, GRUR 1998, 1041 = WRP 1998, 1068 – Verkaufsveranstaltung in Aussiedlerwohnheim; BGH 7.6.2001 – I ZR 115/99 – GRUR 2002, 177, 178 f. = WRP 2001, 1182, 1183 – Jubiläumsschnäppchen; BGH 31.10.2002 – I ZR 207/00 – BGHZ 152, 268, 274 = GRUR 2003, 242, 244 – Dresdner Christstollen; BGH 2.10.2003 – I ZR 117/01 – GRUR 2004, 247 – Krankenkassenzulassung; BGH 17.3.2011 – I ZR 170/08 – GRUR 2011, 1050 f. Tz. 17 – Ford-Vertragspartner; auch in der Literatur allgemein anerkannt, s. nur Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 10 m. w. N. in Fn. 103; Harte/Henning/Brüning Vor § 12 Rn. 81. 310 BGH 17.7.2003 – I ZR 295/00 – NJW-RR 2004, 639 = WRP 2003, 1458 f. 311 Vgl. etwa OLG Karlsruhe 9.9.2020 – VI U 38/19 Rn. 48– juris. 312 BGH 22.7.2010 – I ZR 139/08 – GRUR 2011, 152 = WRP 2011, 223 Tz. 23 ff. – Kinderhochstühle im Internet; BGH 26.4.2007 – I ZR 120/04 – GRUR 2007, 991 – Weltreiterspiele. 313 BGH 16.5.1991 – I ZR 218/89 – GRUR 1991, 929, 931 – Fachliche Empfehlung II. 314 BGH 21.3.2003 – V ZR 290/02 – WM 2003, 1908, 1909; BGH 26.6.1991 – VIII ZR 231/90 – NJW 1991, 2630, 2632; BGH 30.1.1979 – VI ZR 45/78 – VersR 1979, 373. 315 BGH 17.9.2015 – I ZR 92/14 – GRUR 2016, 395 Tz. 40 – Smartphone-Werbung; BGH 18.12.2008 – I ZR 63/06 – GRUR 2009, 515 – Motorradreiniger; BGH 7.6.2001 – I ZR 21/99 – GRUR 2001, 1036 – Kauf auf Probe; BGH 6.6.2000 – VI ZR 172/99 – NJW 2000, 3287, 3289; BGH 14.5.1997 – XII ZR 140/95 – NJW-RR 1997, 1216, 1217; BGH 22.5.1995 – II ZB 2/95 – NJW-RR 1995, 1183; BGH 26.6.1991 – VIII ZR 231/90 – NJW 1991, 2630, 2632; Cepl/Voß/Zigann/Werner ZPO § 253 Rn. 60; Fezer/Büscher/Obergfell § 12 Rn. 289; Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 10 m. w. N. in Fn. 105. 316 BGH 17.3.2011 – I ZR 170/08 – GRUR 2011, 1050 f. Tz. 17 – Ford-Vertragspartner. 505

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Vor §§ 12–15a A

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Die Auslegung des Antrages als Prozesserklärung ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH auch in der Revisionsinstanz möglich und erforderlich317 und hat dort ihren wesentlichen Platz. In der Instanz hat das Gericht primär durch seine Hinweispflicht auf Anträge hinzuwirken, die Auslegungsfragen gerade vermeiden.318

84 (2) Beispielsfall BGH „marions-kochbuch.de“. Besonders anschaulich werden die Folgen der Auslegung etwa in der urheberrechtlichen Entscheidung „marions-kochbuch.de“ des I. Zivilsenats.319 Im entschiedenen Fall hatte der Kläger beantragt, den Beklagten zu verbieten, die unter seiner Internetadresse (auf der Kochrezepte angeboten wurden) abrufbaren und vom Kläger erstellten Fotografien und/oder Teile davon ohne Erlaubnis öffentlich, insbesondere auf der Website der Beklagten, zugänglich zu machen. In der Vergangenheit war es mehrfach dazu gekommen, dass Dritte vom Kläger angefertigte Fotografien ohne dessen Wissen und Zustimmung auf der Internetseite der Beklagten einstellten. Unstreitig war dies aber nur bei den vom Kläger stammenden Fotografien „Schinkenkrustenbraten“, „Amerikaner“ und „Sigara Börek mit Hack“ der Fall. Der Antrag war nicht auf diese beschränkt, sondern hätte auch alle künftigen Fotografien erfasst. Gleichwohl hat der BGH in den Gründen seines Urteils schlicht ausgeführt, dass der Unterlassungsantrag nicht zu unbestimmt sei. Der Antrag selbst enthalte zwar keine Beschreibung der Verletzungsform, die für Rechtskraft und Vollstreckbarkeit ausreiche. Der BGH könne jedoch den Antrag im Lichte des Klägervortrags auslegen.320 Daraus ergebe sich, dass sich das Unterlassungsbegehren auf die drei genannten Fotografien beziehe; der Antrag sei also auf das Verbot einer „konkreten Verletzung“ gerichtet. Diese Aussage, dass der Unterlassungsantrag/tenor per se nicht für die Zwecke der Rechts85 kraft und Vollstreckung bestimmt genug sei, zeigt bereits, dass es hier nicht um eine unabänderliche, klar definierte Kategorie geht. Klar ist auch, dass die Instanzgerichte hier auf eine konkrete Antragstellung hätten hinwirken können und sollen, dass aber der BGH die Zurückverweisung als nicht prozessökonomisch angesehen hat. Ein klarer Antrag und Tenor hätten den nachfolgenden Streit über die Reichweite des Verbots321 wohl eher vermieden, nicht aber ausgeschlossen.322

86 (3) Grenzen der Auslegung. Wollte man den Grundsatz der Auslegung des Antrages allerdings konsequent anwenden, würden die Bestimmtheitsanforderungen, die gerade auslegungsbedürftige Begriffe in der Antragsformel reduzieren sollen, weitestgehend eliminiert.323 Das gilt unabhängig davon, ob der Antrag etwa lediglich das Gesetz wiederholt oder in anderer Form abstrakt ist, weil die Gründe hier konkreter subsumiert werden und damit im 317 BGH 7.6.2001 – I ZR 21/99 – GRUR 2001, 1036 – Kauf auf Probe; BGH 29.6.2000 – I ZR 29/98 – GRUR 2000, 907, 910 – Filialleiterfehler; BGH 16.12.1997 – VI ZR 279/96 – NJW 1998, 1496, 1497; BGH 24.1.1952 – III ZR 196/50 – BGHZ 4, 328, 334; weitere Nachweise bei Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 10 m. w. N. in Fn. 106. 318 Harte/Henning/Brüning Vor § 12 Rn. 81; GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 a. F. D Rn. 150; allg. Meinung im Zivilprozessrecht, s. MünchKommZPO/Becker-Eberhard § 253 Rn. 91; Musielak/Voit § 308 Rn. 3; Saenger § 308 Rn. 2. 319 BGH 12.11.2009 – I ZR 166/07 – GRUR 2010, 616 – marions-kochbuch.de. 320 BGH 12.11.2009 – I ZR 166/07 – GRUR 2010, 616 Tz. 16 – marions-kochbuch.de. 321 Im Folgenden hat das (natürlich) zum Streit über den Gegenstand der Verbotsnorm geführt, weil der Kläger/ Gläubiger im Verfahren nach § 890 ZPO geltend machte, dass die gleichen Handlungen mit Blick auf andere als die drei genannten Fotografien als kerngleiche Verstöße gegen den Unterlassungstitel zu behandeln seien. Das hat der BGH allerdings zu Recht abgelehnt, vgl. BGH 3.4.2014 – I ZB 42/11 – WRP 2014, 719 Tz. 10 ff. – Reichweite des Unterlassungsgebots; hierzu die ablehnende Anmerkungen von Kleinemenke GRUR-Prax 2014, 238. Vgl. dazu auch Rn. 231 und 860. 322 Die (unzutreffenden) Argumente für die Kerngleichheit, wie sie von Kleinemenke GRUR-Prax 2014, 238 artikuliert wurden, wären wohl auch bei einem klar beschränkten Antrag/Tenor in derselben Weise gültig. 323 Dieses Phänomen klar benennend Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 10. Grosch

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III. Unterlassungsklage

Vor §§ 12–15a A

Wege der Auslegung der bestimmte Umfang des Verbots und damit die Entscheidung über die Verbotsnorm im Erkenntnisverfahren gesichert wäre. Letztlich begehrt regelmäßig kein Kläger, selbst bei Wiederholung des Gesetzeswortlautes im Antrag, lediglich einen Rechtsfolgenschluss, bei dem gleichsam die gesetzliche Verbotsnorm in ihrem vollen Umfang mit einer gerichtlichen Strafbewehrung versehen würde. Es geht nach der Begründung immer um ein konkretes Verbot, bei dem die Frage zu stellen ist, wie deutlich seine Merkmale im Antrag zu identifizieren sind. Auf dieser Linie hatte etwa das Reichsgericht in der Entscheidung „Bärstangensiche- 87 rung“324 vertreten, dass auch Formulierungen wie das Verbot von Behauptungen „ähnlichen Inhalts“, die ansonsten grundsätzlich nicht bestimmt sind, zulässig sein können, wenn man den Inhalt des Antrages sinngemäß auslegen und auf einen konkreten Inhalt beschränken könne, auch wenn der Antrag „seinem Wortlaut nach vielleicht nicht ausreichend bestimmt war“.325 Das wäre mit den heutigen Bestimmtheitsanforderungen der Rechtsprechung des BGH nicht vereinbar.326 In diesem Sinne wird einer zu weit gehenden Auslegung ein Riegel vorgeschoben; die Verwendung genuin auslegungsbedürftiger Begriffe in Antrag und Tenor ist unzulässig, weil unbestimmt, auch wenn man diese mittels Rückgriff auf die Klagebegründung durchaus auslegen und konkret verstehen könnte.327

(4) Stellungnahme (a) Blick auf die Bestimmtheit des Unterlassungstitels als Vollstreckungsvorausset- 88 zung. Das nämliche Phänomen ist mit besonderer Deutlichkeit zu beobachten, wenn die Frage zu prüfen ist, inwiefern die Bestimmtheit des Unterlassungstenors Voraussetzung der Zwangsvollstreckung ist.328 Das wird weit überwiegend bejaht, aber es findet sich praktisch kein einziger Fall, in dem im Wettbewerbsrecht einem Unterlassungstitel die Vollstreckbarkeit mangels Bestimmtheit abgesprochen wurde, weil die Bestimmtheit mit Blick auf die Auslegung des Tenors im Lichte der Gründe praktisch immer bejaht wird. Ausnahmen werden etwa für einen unüberbrückbaren Widerspruch zwischen Tenor und Gründen der Entscheidung angenommen; hier soll das Urteil keinen vollstreckungsfähigen Inhalt haben,329 wobei das allerdings nicht in den Kontext der Bestimmtheit des Antrages gestellt wird (Rn. 82, 827).330 Die Problematik dieses Zusammenhangs wird letztlich in der wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum zu § 890 ZPO weitestgehend ignoriert. Das überrascht, weil es die originäre Zweckrichtung des Bestimmtheitserfordernisses im Erkenntnisverfahren sein soll, die Tragweite des begehrten Verbots gerade für dessen spätere Vollstreckung dem Beklagten hinreichend zu verdeutlichen. Dass gleichwohl aus diesen Titeln vollstreckt wird, belegt, dass das Bestimmtheitserfordernis, wie bereits gesagt, kein zwingendes Axiom ist. Sofern der Antrag und der spätere Tenor im Lichte der jeweiligen Begründung das begehrte Verbot klar erkennen lassen, ist der Streitgegenstand und damit auch die Kognitionskompetenz des Gerichts im Erkenntnisverfahren hinreichend deutlich und auch die Trennung zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren gewährleistet.

(b) Flexible Handhabung. Letztlich ist damit schon vorgegeben, dass es sich bei der Be- 89 stimmtheit des Antrages nicht um ein kategorisches Prinzip handelt, sondern es lediglich 324 RG 2.12.1932, GRUR 1933, 253 – Bärstangensicherung. 325 RG 2.12.1932, GRUR 1933, 253, 256 linke Spalte oben – Bärstangensicherung,. 326 Der BGH hat sich hierzu in Unbestimmter Unterlassungsantrag I (BGH 11.10.1990 – I ZR 35/89 – GRUR 1991, 254, 256) nicht ausdrücklich geäußert, sondern die Linie des Reichsgerichts nur zitiert. Dazu ausführlich unten Rn. 164 ff. Dazu ausführlich unten Rn. 824 ff. BGH 17.3.2011 – I ZR 170/08 – GRUR 2011, 1050 f. Tz. 17 – Ford-Vertragspartner. BGH 17.3.2011 – I ZR 170/08 – GRUR 2011, 1050 f. Tz. 10 f. – Ford-Vertragspartner.

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

um eine graduelle Anforderung gehen kann, die dem Kläger abverlangt, die Essenz dessen zu formulieren, worauf es zur Rechtfertigung des Verbots nach seinem Rechtsschutzbegehren ankommen soll und diese Elemente im Antrag zu benennen.331 Die Extraktion dessen aus den Gründen (sowohl für den Antrag aus der Klagebegründung als auch für die Urteilsformel aus der Urteilsbegründung) kann zwar fast immer geleistet werden. Aber die Festlegung im Antrag im Erkenntnisverfahren (in der Tatsacheninstanz) schärft den Blick der Prozessbeteiligten auf den eigentlichen Gegenstand des Verfahrens und erleichtert den späteren Umgang mit einem solchen Titel.332 Deshalb können die Gerichte bei diesen Formulierungsvorgängen großzügiger sein und haben diese mit Hinweisen zu unterstützen. Um eine Auslegung des Verbots im Lichte der Begründung wird man praktisch nie herum kommen. Sie ist insofern auch kein Notbehelf.333 Es gibt letztlich keinen Grundsatz, wonach ein begehrtes Verbot allein aus der Antragsformel (und korrespondierend aus der späteren Urteilsformel) heraus bestimmt sein müsste.334 Die Kristallisierung der Verbotsnorm mit ihren konstitutiven Merkmalen kann hier aber zu mehr Klarheit verhelfen.335 In diesem Sinne kommt es auch in der Praxis letztlich nicht vor, dass eine Unterlassungsklage mangels Bestimmtheit abgewiesen wird.

90 (c) Vergleich der prozessualen Praxis im Wettbewerbsrecht und Patentrecht (hierzu auch Rn. 138). Im Patentverletzungsprozess werden die Unterlassungsanträge (bei wortsinngemäßer Verwirklichung) in der Praxis weit überwiegend nach dem Wortlaut des Patentanspruchs – insofern also funktional gesetzeswiederholend – formuliert, was zulässig ist.336 Das wird auch von der neueren Rechtsprechung des BGH (X. Zivilsenat), die eine Konkretisierung auf die angegriffene Ausführungsform für richtig hält, nicht als unbestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO angesehen.337 Gleichwohl ist damit natürlich nicht der Patentanspruch in seinem nach § 14 PatG und Art. 69 EPÜ zu bestimmenden Schutzbereich tenoriert.338 Vielmehr wird auf die Gründe des Urteils im Erkenntnisverfahren gesehen und geprüft, welche technischen Merkmale der angegriffenen Ausführungsform aus Sicht des erkennenden Gerichts die jeweiligen Merkmale des Patentanspruchs verwirklicht haben, also für den Subsumtionsschluss tragend waren. Die Gründe des Urteils führen insofern zu einer abweichenden Bestimmung des „Schutzbereichs“ des Tenors gegenüber der Norm, auf deren Verletzung die tenorierte Verbotsnorm basiert (dem Patentanspruch in seiner Auslegung nach § 14 PatG), obwohl beide Normen (tenorierte Verbotsnorm und Patentanspruch) regelmäßig wortgleich sind. Der Streitgegenstand der Patentverletzungsklage ist also die üblicherweise als angegriffene Ausführungsform bezeichnete, tatsächliche Ausgestaltung eines bestimmten Produkts im Hinblick auf die Merkmale des geltend gemachten Patentanspruchs.339 Nur wenn Abwandlungen in anderweitigen Merkmalen oder dergestalt erfolgen, dass man auch diese Abwandlung als durch das Gericht im Erkenntnisverfahren mitgeprüft ansehen kann, wird die Abwandlung als in den 331 So zu Recht Meier-Beck GRUR 2007, 11, 17 sub 4. 332 Meier-Beck GRUR 1998, 276, 278. 333 So aber Meier-Beck GRUR 1998, 277, 278, der den Rückgriff auf die Gründe als „Notlösung“ beschreibt. Das überzeugt nicht und entspricht auch nicht der ständigen Rechtsprechung für die Ermittlung der sachlichen Grenzen der Rechtskraft, vgl. etwa BGH 21.2.2012 – X ZR 111/09 – GRUR 2012, 485 Tz. 11, 23 – Rohrreinigungsdüse II. 334 So aber Haedicke/Timmann/Zigann § 11 Rn. 108 f. 335 Zum Ganzen Grosch FS Schilling (2007) 207, 228 ff. 336 Grundlegend BGH 29.4.1986 – X ZR 28/85 – BGHZ 98, 12, 23 = GRUR 1986, 803, 805 – Formstein; so bereits RG 6.10.1934 – GRUR 1935, 36, 39; RG 2.2.1935 – GRUR 1935, 364; für die Literatur und gegenwärtige Düsseldorfer Praxis Schulte/Voß § 139 Rn. 265. 337 Vgl. BGH 30.3.2005 – X ZR 126/01 – GRUR 2005, 569, 570 – Blasfolienherstellung; ebenso die h. L. vgl. etwa Haedicke/Timmann/Zigann § 11 Rn. 113. 338 BGH 21.2.2012 – X ZR 111/09 – GRUR 2012, 485 Tz. 23 – Rohrreinigungsdüse II. 339 BGH 21.2.2012 – X ZR 111/09 – GRUR 2012, 485 Tz. 19 – Rohrreinigungsdüse II. Grosch

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III. Unterlassungsklage

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Schutzbereich der Urteilsnorm, also des Unterlassungstenors, fallend erachtet.340 Das entspricht der Linie des I. Zivilsenats, wonach kerngleiche Abwandlungen als „Prüfungsgegenstand des Erkenntnisverfahrens“ angesehen werden müssen, um als in den Schutzbereich des Unterlassungstitels fallend angesehen werden zu können.341 Wechselseitig zitiert wird zwischen dem I. und X. Zivilsenat praktisch nicht. Allerdings sind 91 in beiden „Systemen“ auch die entgegengesetzten Tendenzen auszumachen. So hat der X. Zivilsenat342 – mit wenig Erfolg (die Instanzgerichte folgen dem in den meisten Fällen nicht)343 – versucht, zumindest bei streitigen Merkmalen eine Konkretisierung auf die angegriffenen Ausführungsform zu erreichen (allerdings, wie bereits gesagt, ohne Rückgriff auf den Bestimmtheitsgrundsatz).344 Demgegenüber lässt der I. Zivilsenat in tendenziell mehr Fällen eine Formulierung nach dem Gesetzeswortlaut als Ausnahme zu.345 Letztlich geht es der wettbewerbsrechtlichen Judikatur zur Bestimmtheit des Klageantrages 92 bei abstrahierenden Anträgen darum, ein praktisch handhabbares Format zu etablieren, bei dem primär vermieden werden soll, dass der Antrag und der Tenor in nicht eindeutiger Weise über die Gründe des Urteils hinausgehen. Es geht also nicht darum, dass die Verbotsnorm in all ihren konstitutiven Merkmalen auch vollständig bestimmt tenoriert wird, sondern darum, zu vermeiden, dass die Verbotsnorm Formulierungen enthält, die in unbestimmter Weise über den Subsumtionsschluss der Urteilsgründe hinausgehen. Es kann also sein, dass die Verbotsnorm aus den Gründen des Urteils einen weiteren Schutzbereich erhält, als es nach dem Antrag/Tenor per se erscheinen könnte, aber es soll vermieden werden, dass der Tenor einen Schutzbereich erhält, der nicht mehr durch die Wertungen der Gründe getragen wird. Der Tenor soll also kein Einfallstor für Wertungen liefern, die nicht Gegenstand des Erkenntnisverfahrens waren. Sofern der Wertungsmaßstab, anhand dessen zu bestimmen ist, was das Erkenntnisgericht abgeurteilt hat, sich folglich aus dem Urteil erschließt, so dass die Einordnung auf dessen Erkenntnis zurückgeführt werden kann, bleibt die Aufgabenteilung zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsgericht gewahrt.346 Muss das Vollstreckungsgericht hingegen für die Bewertung einer Handlung (die im Erkenntnisverfahren definitionsgemäß als historische Handlung nicht bekannt sein konnte, weil sie nach Verkündung vorgenommen worden sein muss) Maßstäbe zugrunde legen, die sich nicht aus dem Urteil oder dem klaren Vorverständnis des Erkenntnisgerichts ergeben, so ist diese Aufteilung nicht mehr gegeben. Die Praxis ist für abstrahierende Anträge im Grund340 Vgl. Kühnen Hdb. Patentverletzung, Kap H Rn. 157; Grosch FS Schilling (2007) 207, 226 f. m. w. N. 341 BGH 3.4.2014 – I ZB 42/11 – WRP 2014, 719 Tz. 11 – Reichweite des Unterlassungsgebots. 342 BGH 21.2.2012 – X ZR 111/09 – GRUR 2012, 485 – Rohrreinigungsdüse II; BGH 11.10.2005 – X ZR 76/04 – BGHZ 164, 261 = GRUR 2006, 131 – Seitenspiegel; BGH 30.3.2005 – X ZR 126/01 – BGHZ 162, 365, 368 ff. = GRUR 2005, 569 – Blasfolienherstellung. 343 Dazu die Kritik von Kühnen (Vorsitzender einer der beiden der für Patentstreitsachen zuständigen Zivilsenate des OLG Düsseldorf) GRUR 2006, 180 f.; ablehnend ebenfalls Schulte/Voß (Vorsitzender einer der drei Patentstreitkammern des LG Düsseldorf) 139 Rn. 265; der Linie des BGH grundsätzlich zustimmend hingegen Haedicke/Timmann/Zigann (Vorsitzender einer der beiden Patentstreitkammern des LG München) § 11 Rn. 115 ff.; das OLG Karlsruhe (6. Zivilsenat, der für Patentstreitsachen zuständig ist) gibt regelmäßig vor der mündlichen Verhandlung Hinweise, wenn eine Konkretisierung des Antragswortlauts erforderlich erscheint; nach der Praxis der Patentstreitkammern des Landgerichts Mannheim ist eine Konkretisierung regelmäßig nicht erforderlich. 344 Erwähnt wird, dass die Konkretisierung dergestalt sein müsse, dass der entsprechende Tenor Grundlage der Zwangsvollstreckung sein könnte (vgl. BGH 30.3.2005 – X ZR 126/01 – BGHZ 162, 365, 368 ff. = GRUR 2005, 569, 572 – Blasfolienherstellung); dass ein nicht auf die Merkmale der angegriffenen Ausführungsform konkretisierter Tenor nicht vollstreckbar wäre, ist damit aber wohl nicht gesagt und wäre auch schwer vertretbar. Dann müsste nämlich jedenfalls ein entsprechender Antrag unbestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO sein. 345 BGH 5.10.2010 – I ZR 46/09 – GRUR 2011, 433 Tz. 10, 16 – Verbotsantrag bei Telefonwerbung; BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749, 751 Tz. 21 – Erinnerungswerbung im Internet; BGH 2.7.1998 – I ZR 77/ 96 – GRUR 1999, 272 – Die Luxusklasse zum Nulltarif; BGH 29.6.1995 – I ZR 137/93 – GRUR 1995, 832, 833 f. – Verbraucherservice. 346 So OLG Jena 30.9.2009 – 2 U 188/09 – GRUR-RR 2010, 113, 116 – Anzeigen-Treuerabatt; OLG München 27.4.2010 – 29 W 1209/10 – GRUR-RR 2011, 32, 33 – Jackpot-Werbung II; Ahrens/Jestaedt Kap. 35 Rn. 18; Fezer/ Büscher/Obergfell § 12 Rn. 365; GK-UWG/Jestaedt1 Vor § 13 a. F. E Rn. 23. 509

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

satz zu billigen, da der Kläger und das Gericht dadurch angehalten werden, die Umstände konkret zu benennen, die für den Subsumtionsschluss tragend sein sollen, und diese nicht lediglich durch offene Begriffe zu paraphrasieren. Die Rechtsprechung steigert insofern den Erkenntniswert, der für den Beklagten mit der Lektüre des Antrages/Tenors, mit Blick auf das eigentliche Rechtsschutzbegehren bzw. das tenorierte Verbot, verbunden ist.

b) Die Unterscheidung zwischen Bestimmtheitsgrundsatz und materiellem Konkretisierungsgebot aa) Die Rechtsentwicklung 93 (1) Die Rechtsprechung des Reichsgerichts. Das Reichsgericht hatte bereits in seiner frühen Rechtsprechung, mit der es die Unterlassungsklage als allgemeinen Rechtsbehelf über den negatorischen Rechtsschutz hinaus entwickelt hat, festgestellt, dass der Umfang der Verurteilung nicht auf mit der benannten Verletzungshandlung lediglich „ähnliche“ Handlungen erstreckt werden kann, „deren rechtliche Erlaubtheit in dem Rechtsstreite keiner Prüfung unterstanden hat“.347 Im entschiedenen Fall ging es um eine äußerungsrechtliche Streitigkeit, mit der der Kläger auf Grund einer konkreten üblen Nachrede auch Unterlassung „aller üblen Nachreden und Verleumdungen hinsichtlich der Geschäftsführung des Klägers in der genannten GmbH, insbesondere durch Verbreitung der gedruckten Strafanzeige vom 12.1.1911“348 verlangte. Das hielt das Reichsgericht für nicht zulässig. Ebenso wie die heutige Rechtsprechung349 ging es davon aus, dass der „insbesondere“-Teil keine konstitutive Beschränkung, sondern lediglich eine Exemplifizierung darstellt. Der Bestimmtheitsgrundsatz wurde zwar in der Entscheidung nicht namentlich erwähnt, seine Notwendigkeit war aber auch schon damals anerkannt und ergibt sich etwa aus der Zuordnung des § 253 ZPO zu der genannten Entscheidung in der amtlichen Sammlung des Reichsgerichts. Schon in dieser frühen Entscheidung wurde klar artikuliert, was der innere Grund für die beschränkende Wirkung des Bestimmtheitsgrundsatzes ist: Tenoriert und verboten werden können nur solche Handlungen, deren Rechtswidrigkeit im Erkenntnisverfahren bereits geprüft wurde, so dass das Vollstreckungsgericht keine eigene neue Prüfung, also eine solche nach materiellem Recht, vornehmen darf. 94 In ähnlicher Weise hat das Reichsgericht in seiner späteren Rechtsprechung unter Berufung auf den Bestimmtheitsgrundsatz aus § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO Klageanträge, die Behauptungen „ähnlichen Inhalts“ erfassen, grundsätzlich für nicht bestimmt erachtet.350 In der Entscheidung „Bärstangensicherung“ machte das Reichsgericht allerdings die Einschränkung, dass das nicht gelte, wenn man den Inhalt des Antrags sinngemäß auslegen und auf einen konkreten Inhalt beschränken könne, auch wenn der Antrag „seinem Wortlaut nach vielleicht nicht ausreichend bestimmt war“. Eine solche Auslegung war nach dem Reichsgericht auch mit § 308 ZPO vereinbar.351 In grundsätzlicher Weise äußerte sich das Reichsgericht in einem urheberrechtlichen Fall, 95 in dem der Kläger die Unterlassung der konzertmäßigen Aufführung von solchen Musikstücken begehrte, an denen dem Kläger die „Vergebung von Aufführungsrechten“ zustehe.352 Das hielt das Reichsgericht für unbestimmt. Gegenstand eines Unterlassungsanspruchs und Inhalt des „Urteilsgebots“ könnten in der Regel nur Zuwiderhandlungen sein, die auch tatsächlich stattge347 RG 15.3.1913 – RGZ 82, 59, 65. 348 RG 15.3.1913 – RGZ 82, 59, 60. 349 BGH 22.4.2009 – I ZR 216/06 – GRUR 2009, 845 Tz. 10, 11 – Internet-Videorecorder; BGH 4.10.2007 – I ZR 22/ 05 – GRUR 2008, 532 Tz. 16 – Umsatzsteuerhinweis; BGH 4.10.2007 – I ZR 143/04 – GRUR 2008, 84 Tz. 12 – Versandkosten; BGH 31.10.2002 – I ZR 207/00 – BGHZ 152, 268, 274 = GRUR 2003, 242, 244 – Dresdner Christstollen. 350 RG 2.12.1932 – GRUR 1933, 253, 255 f. – Bärstangensicherung. 351 RG 2.12.1932 – GRUR 1933, 253, 256 li. Sp. oben – Bärstangensicherung. 352 RG 16.2.1929 – RGZ 123, 307, 309 f. Grosch

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III. Unterlassungsklage

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funden hätten. Der „Anspruch“ müsse so genau gekennzeichnet werden, dass „jede Ungewissheit“ vermieden werde; entsprechend sei auch der Antrag „bestimmt zu begrenzen“. Der Antrag sei auf die Unterlassung „ganz bestimmter Handlungen zu richten“; das entsprechende Urteil müsse ausdrücklich sagen, welche Handlungen unterlassen werden sollen. Dieses Erfordernis ergebe sich daraus, dass der Beklagte sich erschöpfend müsse verteidigen können und dass die Unterscheidung zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren gewahrt werden müsse. Diese Begründungstopoi finden sich auch in der heutigen Rechtsprechung. Die Begründung dieser Entscheidung zeigt ferner, dass der Grundsatz, der Unterlassungsantrag und der Unterlassungsanspruch könnten sich nur gegen Handlungen richten, die tatsächlich stattgefunden haben, in der reichsgerichtlichen Judikatur sowohl für die materielle als auch für die prozessuale Kategorie herangezogen wurde, dass also zwischen dem prozessualen Bestimmtheitsgrundsatz und einem materiell-rechtlichen Konkretisierungsgebot (Wiederholungsgefahr) nicht unterschieden wurde.

(2) Die frühe Rechtsprechung des BGH. Auch in der frühen Rechtsprechung des BGH wurde 96 nicht zwischen Bestimmtheitsgebot und materiell-rechtlichem Konkretisierungsgebot unterschieden. Beispielhaft hierfür sind die nachfolgend dargestellten Entscheidungen „Rohrbogen“,353„Spitzenmuster“,354 „Gründerbildnis“355 und „Mampe halb und halb“.356

(a) BGH „Rohrbogen“. In der Entscheidung „Rohrbogen“357 ging es um den typischen Fall, in 97 dem der Kläger den Bestandteil einer Firmierung oder Geschäftsbezeichnung per se verbieten lassen wollte, obwohl dieser Bestandteil tatsächlich in der konkreten Verletzungshandlung lediglich als Teil einer mehrgliedrigen Geschäftsbezeichnung verwendet worden war. Ein solcher umfassender Ausschluss kann nach dem BGH auch erlaubte Verhaltensweisen erfassen, weil nämlich die Anweisung für das Vollstreckungsgericht klar ist und dieses keine eigenständige materielle Prüfung vornehmen darf.358 Ebenso wie in der gleich darzustellenden Entscheidung „Spitzenmuster“ formuliert der BGH in „Rohrbogen“, dass sich nach der vom BGH übernommenen Rechtsprechung des Reichsgerichts die Klage an die „angegriffene Ausführungsform anschließen“ müsse. Ferner sagt der BGH auch, dass der Beklagte sich nicht durch jede Änderung der angegriffenen Firmenbezeichnung der Rechtskraftwirkung des Verbots entziehen könne.359 Die Entscheidung „Rohrbogen“ betraf also einen Antrag, der heute unter das materiell- 98 rechtliche Konkretisierungsgebot gefasst würde und materiell-rechtlich als zu weitgehend angesehen wird, da er über das hinausgeht, was das Charakteristische der Verletzungshandlung ausmacht.360

(b) BGH „Spitzenmuster“. In der Entscheidung „Spitzenmuster“361 hatte das Berufungsgericht 99 in einer geschmacksmusterrechtlichen Streitigkeit der Beklagten verboten, die Klagemuster 353 354 355 356 357 358 359

BGH 20.10.1953 – GRUR 1954, 70 – Rohrbogen. BGH 22.11.1957 – GRUR 1958, 346 – Spitzenmuster. BGH 22.12.1961 – BGHZ 36, 252 = GRUR 1962, 310 – Gründerbildnis. BGH 16.10.1962 – GRUR 1963, 218 – Mampe halb und halb. BGH 20.10.1953 – GRUR 1954, 70 – Rohrbogen. BGH 20.10.1953 – GRUR 1954, 70, 72 – Rohrbogen vor III. BGH 20.10.1953 – GRUR 1954, 70, 72 – Rohrbogen, vor III; ebenso BGH 26.1.1960 – GRUR 1960, 296, 298 – Reiherstieg; BGH 18.6.1954 – GRUR 1955, 95, 97 – Buchgemeinschaft; BGH 26.1.1954 – GRUR 1954, 331, 333 – Alpah; BGH 22.2.1952 – GRUR 1952, 577 – Fischermännchen-Zwilling-Illing. 360 GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 a. F. D Rn. 131 ff.; Ahrens/Jestaedt Kap. 22 Rn. 33 ff.; Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 13 ff. 361 BGH 22.11.1957 – GRUR 1958, 346 – Spitzenmuster. 511

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

„nachzuahmen sowie Nachahmungen dieser Muster zu veräußern“. Das Abstellen auf den Begriff der Nachahmung wertete der BGH als „unbestimmt und allgemein gefasst“. Zwar sind nach dem BGH die Urteilsgründe zur Auslegung des Tenors heranzuziehen, so dass sich aus diesen noch ergeben hatte, dass weder lediglich unveränderte Nachbildungen erfasst werden sollten (das war die Position der Klägerin), noch ein generelles Nachahmungsverbot unabhängig vom Ausmaß der jeweiligen Veränderung verhängt werden sollte (wie die Beklagte im entschiedenen Fall meinte).362 Allerdings war mangels Konkretisierung des Maßstabes für die Bestimmung der Nachahmung der Tenor nicht eindeutig genug und „deshalb einer Vollstreckung nicht fähig“. Der Unterlassungsantrag muss sich stets gegen die „konkrete Verletzungsform“ richten. Es ließ sich aber im konkreten Fall bei der Vielfalt der möglichen Abwandlungen nicht von vornherein abstrakt feststellen, was noch dem Wirkungsbereich des Urteils zugerechnet werden konnte. Diese Beurteilung dürfe man nicht schlichthin der Vollstreckungsinstanz überlassen.363 Der BGH hat jedoch zugleich festgestellt, dass damit keine Beschränkung des Urteilstenors auf mit der angegriffenen Verletzungshandlung identische Handlungen erfolge. Die Rechtskraft erstrecke sich nach der etablierten Rechtsprechung des BGH vielmehr auch auf unbedeutende Abweichungen in der Formgestaltung, die ihrem Wesen nach den beanstandeten Verletzungsformen gleichen. Wann eine solche unbedeutende Abweichung vorliegt, sei durch Auslegung des Tenors zu ermitteln.364 Diese Argumentation findet sich bis heute noch genauso in der Rechtsprechung des BGH 100 wieder.365 Allerdings hat der BGH in den letzten Jahrzenten die Formulierung, dass ein Tenor mangels Konkretisierung nicht vollstreckungsfähig sei, nicht mehr gebraucht.

101 (c) BGH „Gründerbildnis“. In der Entscheidung „Gründerbildnis“366 wies der BGH einen Antrag als zu abstrakt gefasst zurück, ohne allerdings auf § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO Bezug zu nehmen. Die Urteilsformel stimmte hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs nicht mit dem Inhalt der Urteilsgründe überein.367 In dem vom BGH entschiedenen Fall über irreführende Werbung war beantragt und vom Berufungsgericht tenoriert worden, es zu unterlassen, bei der Verwendung für Sekt die Altersangabe „seit 1811“ zu verwenden oder „sonst nach Wort oder Sinn […] den Eindruck zu erwecken“ als ob die Sektherstellung seit 1811 oder noch früher betrieben worden sei. Nach Ansicht des BGH ist eine solche Formulierung geeignet, Zweifel an der Tragweite des Verbots hervorzurufen. Erfasst wurden von der Formulierung auch Werbeangaben, „die nicht Gegenstand der Beurteilung im vorliegenden Rechtsstreit sein konnten“.368 Einer solchen Verallgemeinerung hätte es im konkreten Fall auch nicht bedurft, um den Umfang der Rechtskraft eines auf die konkrete Verletzungsform abstellenden Verbots, also die Erstreckung auf kerngleiche Abwandlungen, klarzustellen. In Fortsetzung seiner bisherigen Rechtsprechung369 hat es der BGH damit für unzulässig erklärt, die daraus resultierende notwendige rechtliche Beurteilung etwaiger künftig benutzter Werbeangaben der Vollstreckungsinstanz zu überlassen.370 362 BGH 22.11.1957 – GRUR 1958, 346, 350 – Spitzenmuster. 363 BGH 22.11.1957 – GRUR 1958, 346, 350 – Spitzenmuster. 364 BGH 22.11.1957 – GRUR 1958, 346, 350 – Spitzenmuster; ebenso BGH 26.1.1954 – GRUR 1954, 331, 333 – Alpah; BGH 20.10.1953 – GRUR 1954, 70, 72 vor III – Rohrbogen; BGH 22.2.1952 – GRUR 1952, 577 – FischermännchenZwilling-Illing. 365 BGH 19.5.2010 – I ZR 177/07 – GRUR 2010, 855 Tz. 17 – Folienrollos; BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 21, 27 – Erinnerungswerbung im Internet; BGH 18.6.2009 – I ZR 47/07 – GRUR 2010, 156, Tz. 25 – EIFELZEITUNG; BGH 16.11.2006 – I ZR 191/03 – GRUR 2007, 607 Tz. 10 – Telefonwerbung für „Individualverträge“; BGH 2.6.2005 – I ZR 252/02 – GRUR 2006, 164 Tz. 14 – Aktivierungskosten II. 366 BGH 22.12.1961 – BGHZ 36, 252 = GRUR 1962, 310 – Gründerbildnis. 367 BGH 22.12.1961 – BGHZ 36, 252 = GRUR 1962, 310, 313 – Gründerbildnis. 368 BGH 22.12.1961 – BGHZ 36, 252 = GRUR 1962, 310, 313 – Gründerbildnis. 369 BGH 22.11.1957, GRUR 1958, 346, 350 – Spitzenmuster; BGH 12.7.1957, GRUR 1957, 606, 608 – Heilmittelvertrieb. 370 BGH 22.12.1961, BGHZ 36, 252 = GRUR 1962, 310, 313 – Gründerbildnis. Grosch

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III. Unterlassungsklage

Vor §§ 12–15a A

(d) BGH „Mampe Halb und Halb II“. Ein weiterer Etappenstein in der Entwicklung der Recht- 102 sprechung war die anschließende Entscheidung „Mampe Halb und Halb II“.371 Dort wurde ein Unterlassungsantrag, der sich in einer äußerungsrechtlichen Streitigkeit auf eine Vielzahl von möglichen Begleitumständen bezog, aufgrund mangelnder Bestimmtheit als unzulässig abgewiesen. Unter Verweis auf die oben dargestellte Rechtsprechung des Reichsgerichts372 stellte der BGH in dieser Entscheidung klar, dass der Klageantrag so umgrenzt sein müsse, dass sich der Beklagte erschöpfend verteidigen könne. Auch die Rechtskraftwirkung des Urteils und das Zwangsvollstreckungsverfahren erforderten ein genaues tatsächliches Vorbringen darüber, welches Verhalten verboten sein solle.373 Der BGH hat hier zu Recht festgestellt, dass es darauf ankomme, ob die in Betracht kommenden „Fallgruppen“ so vielfältig seien, dass die Beurteilung, ob die Gesamtumstände eines künftigen Einzelfalls ein Verbot rechtfertigen, einem weiteren Erkenntnisverfahren überlassen werden muss, oder ob sich bereits jetzt bestimmte Fallgruppen so klar herausschälen lassen, dass dem Gericht eine abschließende Beurteilung über sie möglich ist.374 Wenn Letzteres der Fall sei, so bestehe ein Anspruch auf eine Sachentscheidung. Damit wurden aber bereits Aspekte angesprochen, die die heutige Dogmatik sachlich dem materiellen Konkretisierungsgebot zuordnet. Der BGH hat dabei zu Recht als eigentliche Kernfrage formuliert, ob sich solche übergeordneten charakteristischen Elemente benennen lassen, die es rechtfertigen, über die konkrete Handlung hinaus eine bestimmte Gruppe von Fällen allein auf Grund der Übereinstimmung in charakteristischen Punkten, die das Rechtswidrigkeitsurteil tragen, zu verbieten. (3) BGH Rechtsprechung der 1970er Jahre. Der BGH hat in seiner Rechtsprechung relativ 103 lange die heute eindeutig dem Bereich des materiellen Konkretisierungsgebotes und der vollstreckungsrechtlichen Kernbereichslehre zuzurechnende Kategorie „das Charakteristische des festgestellten konkreten Verletzungstatbestandes“375 im Zusammenhang mit dem prozessualen Bestimmtheitsgrundsatz abgehandelt. So heißt es in der Entscheidung „Hausverbot II“, dass das Unterlassungsgebot grundsätzlich auf die konkrete Verletzungsform abzustellen habe und bestimmt zu fassen sei. Dabei könnten aber gewisse Verallgemeinerungen hingenommen werden, wenn das Charakteristische des festgestellten Verletzungstatbestandes zum Ausdruck komme.376 Letzteres wäre nach heutiger Auffassung der innere Grund für die Abstrahierung des Antrags von der konkreten Verletzungshandlung, aber nicht die sachliche Grenze des Bestimmtheitsgrundsatzes. (4) Genese der neueren BGH-Rechtsprechung (a) BGH „adidas-Sportartikel“. In klarer Weise hat der BGH dann in der Entscheidung „adi- 104 das-Sportartikel“ die Unterscheidung zwischen prozessualer Bestimmtheit und materiell-rechtlichem Konkretisierungsgebot ausgesprochen.377 Dort war in einem der Lockvogelfälle mit bestimmten adidas-Sportartikeln geworben worden, die dann nicht in ausreichendem Maße 371 372 373 374

BGH 16.10.1962, GRUR 1963, 218 – Mampe Halb und Halb II. RG 16.2.1929, RGZ 123, 307, 309. BGH 16.10.1962, GRUR 1963, 218, 220 – Mampe halb und halb. Vgl. ebenso OLG München 27.4.2010 – 29 W 1209/10 – GRUR-RR 2011, 32, 33 – Jackpot-Werbung II; OLG Jena 30.9.2009 – 2 U 188/09 – GRUR-RR 2010, 113, 116 – Anzeigen-Treuerabatt; OLG Nürnberg 1.10.2003 – 3 W 2509/03 – GRUR-RR 2004, 61, 62 – Fett-weg-Pille; OLG Düsseldorf 4.7.2000 – 20 U 140/99 – WRP 2000, 1420; OLG Köln 21.9.1988, WRP 1989, 334, 335 m. Anm. Teplitzky; GK-UWG/Jestaedt1 Vor § 13 a. F. E Rn. 23; Ahrens/Jestaedt Kap. 35 Rn. 18; Fezer/Büscher/Obergfell § 12 Rn. 365. 375 BGH 13.7.1979, GRUR 1979, 859, 860 m. Anm. Ohlgart – Hausverbot II. 376 BGH 13.7.1979, GRUR 1979, 859, 860 – Hausverbot II; ebenso BGH 24.10.1975, GRUR 1976, 197 – Herstellung und Vertrieb. 377 BGH 15.3.1984, GRUR 1984, 593, 594 m. Anm. Harte-Bavendamm – adidas-Sportartikel. 513

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

vorrätig waren. Den auf das Verbot der Werbung mit Sportartikeln gerichteten Antrag hielt der BGH zwar für hinreichend bestimmt; was unter Sportartikeln zu verstehen ist, war auch zwischen den Parteien nicht streitig. Allerdings hielt der BGH die Klage für nicht begründet, weil diese Generalisierung über das Charakteristische der Verletzungshandlung hinausginge. Charakteristisch für die Handlung war nämlich aus Sicht des BGH die Werbung mit Artikeln einer zugkräftigen Marke (adidas), wodurch der Verkehr angelockt wurde. Diese Anlockwirkung sei aber nicht jedem Sportartikel per se zu eigen.378

105 (b) BGH „Auslaufmodelle“ und „Vorratslücken“. Die vorstehende Differenzierung lässt sich anhand einer Vielzahl von weiteren Beispielsfällen exemplifizieren. Paradigmatisch sind hier die Fälle, in denen von konkreten Produkten auf übergeordnete Produktgattungen abstrahiert wird. Zu nennen sind hier etwa die Entscheidungen „Auslaufmodelle I“379 oder „Vorratslücken“.380 Im Fall „Auslaufmodelle I“ wurde bei einer Werbung für Videorecorder und Autoradios 106 nicht darauf hingewiesen, dass es sich um Modelle handelt, für die bereits Nachfolgemodelle im Handel waren. Der Antrag war auf Geräte der Unterhaltungselektronik bezogen. Der BGH stellte (zu Recht) fest, dass sich die Frage der rechtlichen Verpflichtung zum Hinweis auf die Eigenschaft als Auslaufmodell nicht für alle Geräte der Unterhaltungselektronik gleich beantworten lässt. So mag die Frage bei einfachen Radiogeräten und Kassettenrecordern (worüber das Gericht im Streitfall aber nicht zu entscheiden hatte) ganz anders zu stellen und zu beantworten sein, als bei hochwertigen Geräten.381 Der Anspruch und damit der Tenor waren damit auf die konkreten Gerätearten (Videorecorder und Autoradio) beschränkt. 107 Im Fall „Vorratslücken“ hatte der Kläger beantragt, der Beklagten zu verbieten, Waren eines EDV-Sortiments zu bewerben, die am Tag des Erscheinens der Werbung nicht vollständig vorrätig sind. Angeführt wurden dafür eine ganze Reihe an Beispielsfällen. Der BGH wies die Klage als nicht begründet ab, weil nicht dargetan war, dass eine Verbrauchervorstellung über den Warenvorrat am Erscheinungstag der Werbung unterschiedslos für alle Waren eines EDVSortiments und für jede Art der Werbung bestehe. Der Verbraucher erwarte bei hochwertigen oder individuell zu konfigurierenden EDV Produkten nicht, dass diese auch in allen Filialen vorrätig seien. Ferner sei eine Beschränkung auf die konkreten Handlungen als Minus nicht möglich, weil der Kläger auf der verallgemeinernden Fassung bestanden habe und ferner im Laufe des Verfahrens ständig weitere Handlungen angeführt wurden, die man nur als beispielhaft für das allgemeine Verbotsbegehren verstehen konnte. Hier wäre es Sache des Klägers gewesen, das Minus entsprechend zu konkretisieren.382

108 (c) Ist für das Charakteristische immer nur die rechtliche Beurteilung relevant? Wenn man das Charakteristische der Verletzungshandlung danach bestimmt, was für die Subsumtion erheblich ist, also nach dem für das Erkenntnisgericht rechtlich Relevanten, erkennt man im Fall „adidas-Sportartikel“ die Grenzen dieses Maßstabes: Ob Sportartikel von adidas besonders zugkräftig sind oder nicht war für die Subsumtion des Gerichts streng genommen ohne Bedeutung. Lockvogelwerbung, also Werbung mit Produkten, die nicht in ausreichendem Maße oder über einen ausreichenden Zeitraum vorgehalten werden, kann unabhängig von der Frage vorliegen, ob die Lockvogelprodukte tatsächlich besonders zugkräftig sind oder nicht. Die Irreführung

378 379 380 381 382

BGH 15.3.1984, GRUR 1984, 593, 594 Ziff. 3 – adidas-Sportartikel. BGH 3.12.1998, GRUR 1999, 757 – Auslaufmodelle I. BGH 10.12.1998, GRUR 1999, 509 – Vorratslücken. BGH 3.12.1998, GRUR 1999, 757, 759 – Auslaufmodelle I. BGH 10.12.1998, GRUR 1999, 509, 511 f. – Vorratslücken.

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III. Unterlassungsklage

Vor §§ 12–15a A

des Verkehrs in Bezug auf die Verfügbarkeit der beworbenen Produkte hängt schließlich nicht davon ab, ob der Artikel besonders zugkräftig ist. Der Fall „adidas-Sportartikel“383 unterscheidet sich insofern deutlich von den Gründen, die 109 der BGH in den Entscheidungen „Auslaufmodelle III“384 oder „Vorratslücken“385 angeführt hat. In letzteren wurde unmittelbar darauf abgestellt, dass für abweichende Produkte abweichende rechtliche Schlussfolgerungen möglich wären. Auf die Motivation des Klägers, eben diese Produkte anzugreifen, wurde gerade nicht Bezug genommen.386 Im Fall „adidas-Sportartikel“ wurde hingegen zu möglichen abweichenden rechtlichen Ergebnissen beim Anbieten von anderen Sportartikeln nichts gesagt. Es wurde nur festgestellt, dass die Zugkraft des Artikels für den Kläger der Grund gewesen sei, die Handlung anzugreifen.387 Das mag zwar der tatsächliche Grund gewesen sein; die rechtliche Relevanz dieses Umstandes wurde damit aber nicht thematisiert. Noch deutlicher wird dieser Aspekt in der Entscheidung „Verbotsantrag bei Telefonwer- 110 bung“.388 Im entschiedenen Fall hatte die Beklagte unverlangte Telefonanrufe gegenüber Verbrauchern getätigt, um diese zur Teilnahme an einem Lotto-System zu bewegen. Die Klägerin hatte beantragt, es der Beklagten zu verbieten, „im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Verbraucher ohne ihr vorheriges Einverständnis zu Werbezwecken anzurufen oder anrufen zu lassen.“389 Eine Beschränkung auf die konkrete Verletzungshandlung (Werbung für ein Lotto-System) hat der BGH für nicht erforderlich gehalten (zum Bestimmtheitserfordernis in diesem Fall unten Rn. 167). Nach der angewendeten gesetzlichen Norm, § 7 Abs. 2 Nr. 2 Fall 1, sei es unerheblich, wofür geworben werde, sofern der Werbeanruf ohne vorheriges Einverständnis des Verbrauchers erfolge. Bei dieser Begründung hat es der BGH aber nicht belassen. Er hat hinzugefügt, dass Werbeanrufe oft von Callcentern vorgenommen würden, bei denen der Gegenstand der Werbung austauschbar sei. Anderes gelte dann, wenn ein beklagtes Unternehmen für Waren oder Dienstleistungen seines Geschäftsbetriebes werbe; in jenen Fällen sei die Wiederholungsgefahr auf den Gegenstand des Geschäftsbetriebes beschränkt. Für eine solche Beschränkung sei im entschiedenen Fall nichts ersichtlich gewesen, so dass der umfassenden Wiederholungsgefahr nichts im Wege stehe.390

(d) Stellungnahme. Gerade die Entscheidung „Verbotsantrag bei Telefonwerbung“ verdeut- 111 licht, dass es sich bei der Festlegung der Wiederholungsgefahr um eine Wertung handelt, die sich sowohl aus den rechtlichen Aspekten speist, die für die Beurteilung im Erkenntnisverfahren tragend sind, als auch aus den tatsächlichen Aspekten, die die Wahrscheinlichkeit der Realisierung der zu verbietenden, künftigen Sachverhalte betreffen. Das überzeugt. Bei der Fokussierung auf die rechtlich relevanten Aspekte darf nämlich nicht außer Acht gelassen werden, dass für bestimmte, noch nicht aktualisierte Sachverhalte eine künftig abweichende rechtliche Bewertung möglich sein muss. Der Grund hierfür ist zum einen, dass weitere zusätzliche Sachverhaltselemente auftreten mögen, die eine eigenständige rechtliche Beurteilung dieser neuen Fallkonstellation erforderlich machen. Dann wäre im Übrigen auch regelmäßig ein eigenständiger Streitgegenstand gegeben, so dass schon aus diesem Grunde, auch bei breiterer Tenorierung, eine Bindung nicht gegeben wäre (hierzu unten Rn. 347 ff. und 589). Zum anderen, und 383 384 385 386

BGH 15.3.1984, GRUR 1984, 593, 594 m. Anm. Harte-Bavendamm – adidas-Sportartikel. BGH 6.10.1999 – I ZR 92/97 – GRUR 2000, 616 – Auslaufmodelle III. BGH 10.12.1998, GRUR 1999, 509 – Vorratslücken. BGH 10.12.1998, GRUR 1999, 509, 511 f. – Vorratslücken; BGH 6.10.1999, GRUR 2000, 616, 618 – Auslaufmodelle

III.

387 388 389 390 515

Vgl. BGH 15.3.1984, GRUR 1984, 593, 594 – adidas-Sportartikel. BGH 5.10.2010 – I ZR 46/09 – GRUR 2011, 433 – Verbotsantrag bei Telefonwerbung. BGH 5.10.2010 – I ZR 46/09 – GRUR 2011, 433, 434, Hauptantrag – Verbotsantrag bei Telefonwerbung. BGH 5.10.2010 – I ZR 46/09 – GRUR 2011, 433, 435 Tz. 27 – Verbotsantrag bei Telefonwerbung. Grosch

Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

das ist in diesem Kontext praktisch wichtiger, ist es zum Zeitpunkt der Aktualisierung auch bei unveränderter Gesetzeslage und vergleichbarem Sachverhalt durchaus denkbar, dass die gerichtliche Praxis zu diesem späteren Zeitpunkt anderen Wertungen folgt, auch ohne dass diese sich bereits in einer geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung niedergeschlagen hätten. In diesem Fall wäre bei einer umfassenderen Tenorierung eine „Durchbrechung“ der Rechtskraft, wie sie der BGH im Fall „Mescher weis“391 für eine geänderte höchstrichterliche Rechtsprechung für möglich erachtet hat (hierzu unten Rn. 638), zum Zeitpunkt der Aktualisierung des Sachverhalts (noch) nicht möglich, aber gleichwohl eine abweichende Entscheidung bei neuer Verhandlung denkbar. Die Rechtserkenntnis ist insofern immer an ihre jeweilige Zeit gebunden und die Ergebnisse des Einzelfalls mögen vor diesem Hintergrund unterschiedlich ausfallen, ohne dass sich das an einer Änderung des Sachverhalts, der legislatorischen und höchstrichterlichen Grundlagen festmachen ließe.392 Deshalb erscheint es zutreffend, den Beklagten nicht „unnötig“ auch für Sachverhalte festzulegen, wenn für deren Eintritt zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht auch eine gewisse tatsächliche Wahrscheinlichkeit spricht. Diese sollen dann entschieden werden, wenn hierfür ein konkreter Anlass besteht, also tatsächlich ein Streit der Parteien entschieden werden muss.

112 bb) Bewertung der Unterscheidung zwischen Bestimmtheitsgrundsatz und materiellrechtlichem Konkretisierungsgebot. Insbesondere Teplitzky hat sich stets für eine strikte Trennung zwischen Bestimmtheitsgrundsatz und Konkretisierungsgebot ausgesprochen.393 Nach dieser Auffassung betrifft die Frage, ob das klägerische Begehren auch kerngleiche Verletzungshandlungen umfasst, nur die materiell-rechtlichen Prüfung, sprich die Begründetheit. Demgegenüber hat etwa Jacobs in der 1. Auflage dieser Kommentierung darauf hingewiesen, dass die Grenzen zwischen Bestimmtheits- und Konkretisierungsgebot fließend sind.394 Zu berücksichtigen ist zunächst, dass zwar beide Grundsätze letztlich dieselbe Stoßrich113 tung haben, sich allerdings dogmatisch durchaus voneinander unterscheiden lassen. Wenn aufgrund des Bestimmtheitsgrundsatzes eine Generalisierung der Verletzungshandlung, insbesondere unter Annäherung an den rechtlichen Obersatz, verweigert wird, so geht es darum, zu vermeiden, dass dem Vollstreckungsgericht von vornherein die materiell-rechtliche Konkretisierung mit Blick auf weitere Fälle überantwortet wird. Ziel ist also die Wahrung der grundlegenden Teilung zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren. Hingegen geht es beim materiell-rechtlichen Konkretisierungsgrundsatz darum, zu vermeiden, dass der Tenor des Erkenntnisverfahrens von vornherein über das hinaus gefasst wird, was das Gericht im Erkenntnisverfahren tatsächlich entschieden hat. Ziel ist also, zu vermeiden, dass weitergehende Obersätze in einen Tenor gegossen werden, die dann auch Sachverhaltskonstellationen als zwischen den Parteien bindend entschieden erfassen würden, die bei tatsächlicher materiellrechtlicher Prüfung (also nach Aktualisierung des vormals letztlich hypothetischen Sachverhalts) einer abweichenden Beurteilung zugänglich wären. Der Entscheidungssatz soll nicht auf Sachverhalte ausgedehnt werden, die überhaupt nicht – also auch nicht durch das Vollstreckungsgericht – materiell-rechtlich geprüft wurden. In einem solchen Fall hätte das Vollstreckungsgericht deswegen keine Prüfung mehr vorzunehmen, weil das Erkenntnisgericht bereits im Tenor abstrakt entschieden hat, welche Fallgruppe materiell-rechtswidrig ist, obwohl tatsächlich überhaupt keine materiell-rechtliche Prüfung der entsprechenden Fallgruppe stattgefunden hat.

391 BGH 2.7.2009 – I ZR 146/07 – GRUR 2009, 1096 Tz. 9, 23 – Mescher weis. 392 Hierzu Grosch Rechtswandel und Rechtskraft 231 f., 279 f. sowie unten Rn. 648 f. 393 Teplitzky 7. Auflage, 1997, Kap. 51 Rn. 11 f. und jetzt weiterhin Teplitzky/Schwippert Rn. 11 mit umfangreichen Nachw. in Fn. 110 f.

394 GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 a. F. D Rn. 102. Grosch

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III. Unterlassungsklage

Vor §§ 12–15a A

Mithin geht es in beiden Fällen (Bestimmtheitsgrundsatz und Konkretisierungsgebot) um 114 die Sicherung der Entscheidung des konkreten Rechtsstreits nach materiellem Recht im Erkenntnisverfahren. Im Fall der Bestimmtheit geht es um die Vermeidung der Verlagerung dieser Streitentscheidung ins Vollstreckungsverfahren. Beim materiellen Konkretisierungsgebot geht es darum, dass nicht ein weiteres Erkenntnisverfahren nach aktualisiertem Sachverhalt nach den Maßstäben der dann geltenden Praxis und dann verfügbaren Informationen abgeschnitten wird. Überlagert wird die Problematik mit Blick auf das Konkretisierungsgebot allerdings ferner dadurch, dass auch bei Unterlassungsanträgen und entsprechend tenorierten Urteilen, die als konkrete Unterlassungsbegehren (vgl. Rn. 75 ff. und 79) den materiellen Unterlassungsanspruch in der Antrags-/Urteilsformel nicht vollständig ausschöpfen, die Rechtsprechung und die herrschende Auffassung in der Literatur dazu neigt, dem Urteil über die „Kernbereichslehre“ doch denselben Inhalt zu geben, den der Kläger auch durch eine weitergehende Antragsfassung hätte erreichen können (dazu ausführlich Rn. 854 ff.).

c) Auf die konkrete Verletzungshandlung gerichtete Anträge (konkretes Unterlas- 115 sungsbegehren). Bestimmtheitsfragen mit Blick auf den Unterlassungsantrag sollen sich nach der Rechtsprechung und herrschenden Lehre bei auf die Verletzungshandlung bezogenen Anträgen (konkretes Unterlassungsbegehren) nicht stellen (hierzu aa), Rn. 116 ff.). Hier geht es nach herrschender Auffassung also um die Bestimmtheit des Klagegrundes (hierzu bb), Rn. 141 ff.). Unter diesem Prüfungspunkt hat die „TÜV“-Rechtsprechung des BGH für einen Paradigmenwechsel gesorgt. Danach kann auch der auf eine konkrete Werbung gerichtete Antrag durch Bezugnahme auf verschiedene Klagegründe verschiedene Streitgegenstände begründen und erfassen, wenn der Kläger durch die Bezugnahme auf unterschiedliche Klagegründe Verbotsnormen verschiedenen Umfangs begehrt. In solchen Fällen ist nach BGH „TÜV I“ die alternative Klagehäufung, die dem Gericht die Auswahl des Klagegrundes und damit der zu erlassenden Verbotsnorm überlässt, unzulässig, weil unbestimmt.395 Dieser Prüfungspunkt ist der systematische Aufhänger für die grundlegenden Ausführungen zum Streitgegenstand in den BGH-Entscheidungen „Branchenbuch Berg“396 und „Biomineralwasser“.397

aa) Bestimmtheit der auf die konkrete Verletzungshandlung gerichteten Anträge (1) BGH Rechtsprechung und herrschende Praxis (a) Verbot der Handlung, so wie sie begangen wurde. Die Bestimmtheit des Unterlas- 116 sungsantrages ist nach allgemeiner Ansicht stets dann gegeben, wenn der Kläger lediglich ein Verbot der „konkret beanstandeten Handlung“ (nach der hiesigen Terminologie: konkretes Unterlassungsbegehren) begehrt.398 Dann kann für den Beklagten nicht unklar sein, was er zu unterlassen habe, denn diese Handlung hatte er in dieser konkreten Form schon einmal begangen.399 Grundlegend für dieses Prinzip ist die Entscheidung „TCM Zentrum“,400 auf die

395 396 397 398

BGH 24.3.2011 – I ZR 108/09 – BGHZ 189, 56, 59 ff. = GRUR 2011, 521, 523 Tz. 10 – TÜV I. BGH 30.6.2011 – I ZR 157/10 – GRUR 2012, 184 Tz. 12–15 – Branchenbuch Berg. BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 24 – Biomineralwasser. BGH 29.4.2010 – I ZR 99/08 – GRUR 2011, 82 Tz. 14 – Preiswerbung ohne Umsatzsteuer; BGH 16.7.2009 – I ZR 56/07 – GRUR 2009, 1075 Tz. 10 – Betriebsbeobachtung („der Handlung, so wie sie begangen worden ist“); BGH 21.6.2001 – I ZR 69/99 – GRUR 2002, 75, 76 – SOOOO…BILLIG; BGH 7.6.2001 – I ZR 115/99 – GRUR 2002, 177, 178 f. – Jubiläumsschnäppchen; BGH 26.10.2000 – I ZR 180/98 – GRUR 2001, 453, 454 – TCM-Zentrum; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 12 Rn. 2.36; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Brüning Vor § 12 Rn. 78; Ahrens Kap. 36 Rn. 57; Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 4; GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 a. F. D Rn. 97. 399 BGH 26.10.2000 – I ZR 180/98 – GRUR 2001, 453, 454 – TCM-Zentrum. 400 BGH 26.10.2000 – I ZR 180/98 – GRUR 2001, 453, 454 – TCM-Zentrum. 517

Grosch

Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

sich auch alle jüngeren Entscheidungen beziehen. Der BGH verwendet in allen jüngeren Entscheidungen zwar den Terminus der Beschränkung auf die „konkrete Verletzungsform“, meint damit aber, wie es etwa in „Erinnerungswerbung im Internet“ nochmals ausdrücklich gesagt wird,401 dass lediglich das Verbot derjenigen Handlung begehrt wird, so wie sie tatsächlich begangen wurde; das sei immer bestimmt. In all den Fällen, in denen der ursprüngliche Antrag des Klägers für unbestimmt erachtet wurde, ist deshalb der Rückzug auf die konkrete Verletzungshandlung der letzte Rettungsanker. Das wird vom BGH gerade in den Fällen der abstrahierenden Betrachtungsweise regelmäßig wiederholt.402 Die fehlende Bestimmtheit kann sich auch in dieser Fallgruppe allerdings dann ergeben, wenn die konkrete Verletzungshandlung etwa aufgrund unzureichender Kopien nicht richtig erkennbar ist und entsprechende bessere Kopien sich auch nicht bei den Gerichtsakten befinden.403 Der BGH hat inzwischen aber in verschiedenen Entscheidungen deutlich gemacht, dass diese Prämissen der Beschränkung auf die konkrete Verletzungsform mit Blick auf die Bestimmtheit des Klageantrages nicht dazu führen, dass die Reichweite („Schutzbereich“) des entsprechenden Unterlassungsurteils auf das Verbot genau dieser Handlung beschränkt sei. Vielmehr sei auch in diesen Fällen eine Anwendung auf kerngleiche Abwandlungen möglich404 und erforderlich und zwar insbesondere in den Fällen, in denen ein abstrakter Einleitungsteil des Tenors vorliegt.405 Insofern entspricht es also herrschender Auffassung, dass auch der auf die konkrete Verletzungsform gerichtete Unterlassungstitel grundsätzlich einen Schutzumfang hat, der sich auch auf kerngleiche Abwandlungen erstreckt und anderes nur dann gilt, wenn (ganz) ausnahmsweise das Klagebegehren und die entsprechende Entscheidung unter Ausschluss aller kerngleicher Handlungen allein auf die konkrete Verletzungsform beschränkt ist.406 Das wäre der reine „Photokopierantrag“. Der Kläger müsste aber schon ausdrücklich zu erkennen geben, dass er einen dergestalt beschränkten Unterlassungssantrag stellen will. Allein aus dem Bezug auf die konkrete Verletzungsform ergibt sich das gerade noch nicht.407 Auch Äußerungen in der mündlichen Verhandlung, wonach „nur“ die konkrete Verletzungsform angegriffen sei und man sich allgemein gegen die Bewerbung von Smartphones wende, genügen nicht, wenn der abstrakte Teil des Antrages anderes sagt.408

401 BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 36 – Erinnerungswerbung im Internet. 402 BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 32 – Erinnerungswerbung im Internet; BGH 16.11.2006 – I ZR 191/03 – GRUR 2007, 607 Tz. 17 – Telefonwerbung für Individualverträge.

403 So etwa im Fall BGH 20.6.2013 – I ZR 55/12 – GRUR 2013, 1235 Tz. 13 – Restwertbörse II. 404 Etwa BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 32 – Erinnerungswerbung im Internet: „Denn auch eine solche beschränkte Verurteilung erfasst nach der so genannten Kerntheorie immerhin alle Handlungsformen, in denen das Charakteristische der beanstandeten Werbung zum Ausdruck kommt.“ Das ist ständige Rechtsprechung, vgl. etwa weiter BGH 4.9.2003 – I ZR 32/01 – GRUR 2004, 72 – Coenzym Q 10; BGH 16.11.2006 – I ZR 191/03 – GRUR 2007, 607 Tz. 17 – Telefonwerbung für Individualverträge. 405 BGH 17.9.2015 – I ZR 92/14 – GRUR 2016, 395 Tz. 41 – Smartphone-Werbung; BGH 3.4.2014 – I ZB 42/11 – GRUR 2014, 706 Tz. 11 – Reichweite des Unterlassungsgebots: „Zwar umfasst das in einem Unterlassungstitel ausgesprochene Verbot über die mit der verbotenen Form identischen Handlungen hinaus auch im Kern gleichartige Abwandlungen, in denen das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt. Das gilt auch dann, wenn das Verbot auf die konkrete Verletzungsform beschränkt ist.“ 406 BGH 17.9.2015 – I ZR 92/14 – GRUR 2016, 395 Tz. 41 – Smartphone-Werbung; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.23g. 407 Vgl. Büscher/Schmidt, UWG, § 12 Anh. I Rn. 131; Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 16a a. E.; OLG Köln 28.9.2017 – 6 W 96/17 – juris Rn. 2: „Ein Antrag auf Unterlassung bezogen auf eine konkrete Verletzungsform, ohne präzise Verdeutlichung des Willens, kerngleiche Formen auszuschließen, erfasst diese nach hM regelmäßig mit.“. 408 BGH 17.9.2015 – I ZR 92/14 – GRUR 2016, 395 Tz. 41 – Smartphone-Werbung: „An diesem Ergebnis vermag auch die in der mündlichen Berufungsverhandlung abgegebene Erklärung der Kl. nichts zu ändern, sie wende sich nicht generell gegen die Werbung für Smartphones, sondern nur gegen die konkrete Verletzungsform, hier also die Werbung mit diesem Smartphone.“ Insofern war also das Verbot nicht auf den konkreten Smartphone-Typ der konkreten Verletzungshandlung beschränkt, auch wenn das im Verletzungstenor so in Bezug genommen war („hier…“). Grosch

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III. Unterlassungsklage

Vor §§ 12–15a A

(b) Abstrakte Einleitungsteile bei gleichzeitiger Beschränkung auf die konkrete Ver- 117 letzungshandlung („wenn dies geschieht wie“-Anträge). Das Vorliegen einer Beschränkung auf ein konkretes Unterlassungsbegehren wird vom BGH auch dann angenommen, wenn ein generalisierender Antragswortlaut ergänzt wird mit der Formulierung „wie dies in den Anzeigen des Beklagten geschehen ist“.409 Abgegrenzt wird diese Konstellation von solchen Antragsformulierungen, welche die konkrete Werbung nur als Beispiel heranziehen, wie das etwa bei „insbesondere“-Anträgen der Fall ist.410 In jenen Fallgestaltungen ist also der abstrahierende Teil für den Verbotstenor primär konstitutiv. Der „insbesondere“-Teil bedeutet keine Beschränkung des Unterlassungstitels auf die konkrete Verletzungsform, sondern ist lediglich als „Auslegungshilfe“ zu verstehen, dient insofern also der „Erläuterung“ des abstrahierenden Antragsteils.411 Insofern können „insbesondere“-Teile des Antrages ingesamt zum Verständnis des abstrahierenden Antrages beitragen und damit auch dessen Bestimmtheit (mit-)begründen. Dafür müssen sie allerdings auch selbst diesen Bestimmtheitsanforderungen genügen.412 Mittels eines „insbesondere“-Antrages, der sich auf die konkrete Verletzungsform richtet, wird sich typischerweise ein hinreichend bestimmtes Verständnis der abstrakteren Merkmale des Einleitungsteils aber nicht erreichen lassen.413 Die weitere Funktion des „insbesondere“-Antrages liegt in der eines auf die konkrete Verletzungsform gerichteten „unechten“ Hilfsantrages (dazu sogleich Rn. 119). Der BGH hat bei der Beschränkung des Antragsgegenstandes auf die konkrete Verletzungsform durch den Zusatz „wenn das geschieht wie …“ stets anerkannt, dass abstrakte Einleitungsteile (unbeschadet der Beschränkung auf die konkrete Verletzungsform) die Funktion haben „mögen“, den Kreis der als kerngleiche Abwandlungen geltenden Handlungen zu bestimmen.414 Dieses „Mögen“ hat der BGH in der Entscheidung „Irische Butter“ nicht mehr verwendet und dezidiert gesagt, dass solchen abstrakten Teilen diese Funktion zukomme.415 Ferner hat der BGH auch für diese weitergehenden Teile die Wiederholungsgefahr geprüft und damit klar ge-

409 BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 36 – Erinnerungswerbung im Internet; ähnlich BGH 29.4.2010 – I ZR 99/08 – GRUR 2011, 82 Tz. 14 – Preiswerbung ohne Umsatzsteuer; BGH 16.7.2009 – I ZR 56/07 – GRUR 2009, 1075 Tz. 10 – Betriebsbeobachtung; BGH 4.9.2003 – I ZR 32/01 – GRUR 2004, 72 – Coenzym Q 10; BGH 21.6.2001 – I ZR 69/99 – GRUR 2002, 75, 76 – SOOOO…BILLIG; BGH 26.10.2000 – I ZR 180/98 – GRUR 2001, 453, 454 – TCM-Zentrum; BGH 14.10.1999, BGHZ 142, 388, 390 = GRUR 2000, 228, 229 – Musical-Gala; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 12 Rn. 2.36 f.; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Brüning Vor § 12 Rn. 78; GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 a. F. D Rn. 97. 410 BGH 7.4.2011 – I ZR 34/09 – GRUR 2011, 742 Tz. 17 – Leistungspakete im Preisvergleich; BGH 2.6.2005 – I ZR 252/02 – GRUR 2006, 164 Tz. 14 = NJW-RR 2006, 257 = WRP 2006, 84 – Aktivierungskosten II; BGH 19.4.2007 – I ZR 57/05 – GRUR 2007, 981 Tz. 18 = NJW 2008, 231 = WRP 2007, 1337 – 150 % Zinsbonus; BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 36 = WRP 2010, 1030 – Erinnerungswerbung im Internet; BGH 29.4.2010 – I ZR 99/08 – GRUR 2011, 82 Tz. 34 = WRP 2011, 5 – Preiswerbung ohne Umsatzsteuer; BGH 10.2.2011 – I ZR 183/09 – GRUR 2011, 340 Tz. 21 = NJW-RR 2011, 398 = WRP 2011, 459 – Irische Butter. 411 BGH, 31.10.2018 – I ZR 73/17 – GRUR 2019, 82 Tz. 21 – Jogginghosen; BGH 2.2.2012 − I ZR 81/10 – GRUR 2012, 945 Tz. 16 – Tribenuronmethyl; BGH 12.7.2001 – I ZR 40/99 – GRUR 2002, 86, 88 – Laubhefter; Gloy/Loschelder/ Erdmann/Spätgens § 88 Rn. 10; Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 70. Siehe zu den „Insbesondere“-Anträgen auch sogleich Rn. 119 sowie Streitgegenstand, Rn. 283. 412 BGH 12.12.2019 – I ZR 117/17 – GRUR 2020, 405 Tz. 15 – Ökotest II; BGH 12.7.2001 – I ZR 40/99 – GRUR 2002, 86, 88 – Laubhefter. 413 Beispielhaft der Fall BGH Jogginghosen a. a. O. Tz. 22. 414 BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 36 – Erinnerungswerbung im Internet.; ebenso BGH 19.5.2010 – I ZR 177/07, GRUR 2010, 855, 856 Tz. 17 – Folienrollos; BGH 2.6.2005 – I ZR 252/02 – GRUR 2006, 164, 165 Tz. 10 – Aktivierungskosten II; von der Decken/Heim GRUR 2011, 746 Anm. zu BGH 7.4.2011 – I ZR 34/09 – GRUR 2011, 742 – Leistungspakete im Preisvergleich. Hierzu unten Rn. 856. 415 Ständige Rechtsprechung vgl. etwa BGH 17.9.2015 – I ZR 92/14 – GRUR 2016, 395 Tz. 41 Smartphone-Werbung; BGH 10.2.2011 – I ZR 183/09 – GRUR 2011, 340 Tz. 21 – Irische Butter. Im entschiedenen Fall war im Antrag (der eine Irreführung wegen unzureichender Bevorratung mit der beworbenen Ware betraf) neben der Bezugnahme auf 519

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

macht, dass dieser Gegenstand der Sache nach Teil des Rechtsschutzbegehrens ist.416 Auf dieser Basis wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung inzwischen sogar geäußert, dass die Formulierung „wenn das geschieht wie“ gerade zum Ausdruck bringe, dass sich der Umfang des Unterlassungstitels nicht auf Verletzungsfälle beschränkt, die mit der verbotenen Form identisch sind.417 Damit ist man also der Sache nach beim Bedeutungsgehalt einer „insbesondere wenn“Gestaltung, mit der rein formalen Abgrenzung, dass diese Antragsformulierung keinen Beschränkungen mit Blick auf die Bestimmtheit unterliegt (hierzu auch unten Rn. 126, 856, 860). 118 Eine weitergehende Bedeutung hat diese Antragsformulierung durch die Entscheidung „Biomineralwasser“418 erhalten, die im Rahmen der Erörterung des Streitgegenstandes und der alternativen Klagehäufung noch ausführlicher behandelt wird. In dem Urteil „Biomineralwasser“ hat der BGH die mit „TCM-Zentrum“419 begründete Linie im vollen Umfang reaktiviert und bei einem auf eine Verletzungshandlung gerichteten Antrag, der sich auf mehrere materielle Beanstandungen stützt, einen einheitlichen Streitgegenstand dergestalt angenommen, dass das Gericht ein Verbot auf der Grundlage lediglich einer Beanstandung aussprechen kann, also die weiteren Beanstandungen nicht zu prüfen gezwungen ist.420 Der BGH hat dem Kläger allerdings die Möglichkeit eingeräumt, durch die Fassung der jeweiligen Beanstandungen in gesonderte Anträge, welche kumulativ zur Entscheidung gestellt werden können, jede Beanstandung mit Blick auf dieselbe Handlung vom Gericht gesondert prüfen zu lassen. Das soll durch einen abstrakten Einleitungsteil und einen sich anschließenden Bezug auf die konkrete Verletzungshandlung in Gestalt von „wenn dies geschieht, wie“ möglich sein. Das wäre also genau die hier erörterte Antragsformulierung.421 Hierzu wird noch ausführlicher unter dem Gesichtspunkt des Streitgegenstandes solcher Anträge Stellung genommen.422

119 (c) Erfordernis eines Hilfsantrages? Eine solche Beschränkung auf die konkrete Verletzungshandlung setzt regelmäßig einen konkreten, entsprechend formulierten Antragswortlaut voraus. Zwar ist die Beanstandung der konkreten Verletzungshandlung als Minus in einem abstrakt gefassten und zu weit gehenden (unbestimmten) Unterlassungsantrag enthalten.423 Gleichwohl verlangt der BGH die Vorlage eines bestimmten, entsprechend formulierten Antrags, was regelmäßig durch Hilfsanträge geschieht. Grund hierfür ist, dass die (Um-)Formulierung der Klageanträge in eine Richtung, in der diese Erfolg haben (könnten), nicht Sache des Gerichts ist (dazu bereits oben Rn. 69). Das Gericht kann nur im Rahmen seiner Hinweispflicht gemäß § 139

die konkrete Verletzungshandlung die weitere Bedingung hinzugefügt: „wenn diese Produkte nicht zumindest am ersten Geltungstag der Werbung vorgehalten werden“. In der konkreten, historischen Verletzungshandlung war die Ware zwischen 12.00 und 13.00 Uhr des ersten Geltungstages nicht mehr verfügbar. Es handelte sich also bei der weiteren „Bedingung“ um eine Abstrahierung, wenngleich diese in die Form einer näheren Beschreibung der Verletzungshandlung gefasst war. Der BGH macht in der Bewertung aber zu Recht keinen Unterschied, sondern zitiert die Rechtsprechung zu den abstrakten Einleitungsteilen des Antrages. 416 BGH 10.2.2011 – I ZR 183/09 – GRUR 2011, 340 Tz. 22 – Irische Butter. So auch die ständige Rechtsprechung des BGH, BGH 3.4.2014 – I ZB 42/11, GRUR 2014 – 706 Tz. 11 – Reichweite des Unterlassungsgebots. 417 OLG Düsseldorf 14.2.2019 – 20 W 26/18 – GRUR-RR 2019, 278 Tz. 17 – Tinnitus-Präparat. 418 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 m. Anm. Teplitzky – Biomineralwasser. 419 BGH 26.10.2000 – I ZR 180/98 – GRUR 2001, 453, 455 – TCM-Zentrum. 420 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 24 a. E.– Biomineralwasser. 421 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 25 – Biomineralwasser. 422 Siehe unten Rn. 261 und 277 ff. 423 BGH 30.4.2008 – I ZR 73/05 – GRUR 2008, 702 Tz. 21 – Internetversteigerung III; BGH 10.12.1998, GRUR 1999, 509, 511 – Vorratslücken; BGH 17.10.1996, GRUR 1997, 308, 311 – Wärme fürs Leben; BGH 23.6.1994, BGHZ 126, 287, 295 f. = GRUR 1994, 844, 845 – Rotes Kreuz. Grosch

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III. Unterlassungsklage

Vor §§ 12–15a A

ZPO auf eine erfolgsversprechende Formulierung hinwirken.424 Es handelt sich dabei aber nach der Einordnung und Diktion des BGH gleichwohl um einen „unechten Hilfsantrag“425 im Sinne eines bereits als Minus des Hauptantrages anhängigen Teils des übergeordneten Streitgegenstandes.426 Ein solcher „unechter Hilfsantrag“ kann insbesondere in einem „insbesondere“Antragsteil liegen,427 was aber stets einer Würdigung des Einzelfalls bedarf.428 Insofern wird empfohlen, „unechte Hilfsanträge“ von echten Hilfsanträgen auch der Formulierung nach deutlich abzugrenzen und als „insbesondere“-Anträge zu fassen.429 Aus den genannten Grundsätzen ergibt sich nach der Rechtsprechung des BGH, dass mit einem „insbesondere“-Antrag nur „Verdeutlichungen“ des abstrakteren Teils angegriffen werden können. Der „insbesondere“-Teil muss also als Konkretisierung der Verallgemeinerung des abstrakteren Teils verstanden werden können, ansonsten ist der Antrag insgesamt wegen Widersprüchlichkeit unbestimmt und zulässig.430 Das ist dann der Fall, wenn schlicht nach dem Antragswortlaut unter Streichung des „insbesondere“-Teils tenoriert werden kann.431 Die Formulierung dieses „Hilfsantrags“ lässt der BGH noch in der Revisionsinstanz zu 120 (hierzu näher unten Rn. 424), da im Gegensatz zu einem echten prozessualen Hilfsantrag kein neuer Streitgegenstand eingeführt wird, sondern es sich in einem solchen Fall lediglich um eine „modifizierte Einschränkung des Hauptantrages handelt und der zugrunde liegende Sachverhalt bereits tatrichterlich gewürdigt wurde“.432 Jedenfalls wäre aber in einer solchen Situation zurückzuverweisen, wenn es in der Berufungsinstanz an einem entsprechenden Hinweis gefehlt hat.433 Die Unterscheidung zwischen echten und unechten Hilfsanträgen erfolgt in der Rechtspre- 121 chung des BGH letztlich gerade mit Blick auf die damit verbundenen prozessualen Folgen, insbesondere mit Blick auf die Zulässigkeit der Antragsänderung in der Revisionsinstanz.434 Es handelt sich in den meisten Beispielen gleichwohl gerade um die klassischen Fälle eines 122 Hilfsantrages, weil der engere Antrag gerade nur für den Fall der fehlenden Zulässigkeit des Hauptantrages beschieden werden soll. Der Fall „Champagner Sorbet II“ ist hierfür ein gutes Beispiel: Der generalisierende Hauptantrag war auf das Verbot der Bezeichnung „Champagner Sorbet“ per se gerichtet, wohingegen der „unechte Hilfsantrag“ sich die konkrete Verletzungsform also die Verwendung der Bezeichnung Champagner Sorbet in der konkreten Aufmachung 424 BGH 12.7.2001 – I ZR 40/99 – GRUR 2002, 86, 88 – Laubhefter; BGH 16.3.2000 – I ZR 229/97 – GRUR 2002, 187, 188 – Lieferstörung; BGH 10.12.1998, GRUR 1999, 509, 512 – Vorratslücken; BGH 17.10.1996, GRUR 1997, 308, 311 – Wärme fürs Leben; BGH 23.6.1994, BGHZ 126, 287, 295 f. = GRUR 1994, 844, 846 – Rotes Kreuz; KG 11.9.2007 – 5 W 85/06, GRUR-RR 2008, 29, 30; Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 30. 425 BGH 19.7.2018 – I ZR 268/14 – GRUR 2019, 185 – Champagner Sorbet II. 426 BGH 30.4.2008 – I ZR 73/05 – GRUR 2008, 702 Tz. 32 – Internetversteigerung III; BGH 2.10.2003 – I ZR 117/ 01 – GRUR 2004, 247, 248 – Krankenkassenzulassung; BGH 8.6.2000 – I ZR 269/97 – GRUR 2001, 181, 182 – dentalästhetika; BGH 3.12.1998, GRUR 1999, 760, 761 – Auslaufmodelle II; Beispielsfall aus der Instanz: OLG Köln 20.12.2013 – 6 U 188/12 – GRUR-Prax 2014, 44 m. Anm. Peifer – Tagesschau App; Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 30. 427 BGH 12.12.2019 – I ZR 117/17 – GRUR 2020, 405 Tz. 15– Ökotest II; BGH 31.10.2018 – I ZR 73/17 – GRUR 2019, 82 Tz. 21 – Jogginghosen; BGH 14.1.2016 – I ZR 61/14 – GRUR 2016, 516 Tz. 41 – Wir helfen im Trauerfall; BGH 28.11.2013 – I ZR 7/13 – GRUR 2014, 398 Tz. 16 – Online Versicherungsvermittlung; BGH 12.7.2001 – I ZR 40/99 – GRUR 2002, 86, 88 – Laubhefter. 428 Abgelehnt etwa in BGH, 2.2.2012 − I ZR 81/10 – GRUR 2012, 945 Rn. 16 – Tribenuronmethyl. 429 Ahrens/Jestaedt Kap. 22 Rn. 56. 430 BGH 12.12.2019 – I ZR 117/17 – GRUR 2020, 405 Tz. 16– Ökotest II; BGH 5.11.2015 – I ZR 50/14 – GRUR 2016, 705 Tz. 13 – ConText. 431 BGH 12.12.2019 – I ZR 117/17 – GRUR 2020, 405 Tz. 63– Ökotest II. 432 BGH 30.4.2008 – I ZR 73/05 – GRUR 2008, 702 Tz. 33 – Internetversteigerung III; BGH 1.4.1998, NJW 1998, 1857, 1860; BGH 13.6.1988, NJW 1988, 3149, 3151. 433 BGH 4.11.2010 – I ZR 118/09 – GRUR 2011, 539 Tz. 18 – Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker. 434 Auf diesen praktisch wesentlichen Unterschied weist zurecht Schwippert hin (Teplitzky/Schwippert Kap 51 Rn. 35 a). 521

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

zum Gegenstand gemacht hat.435 Anders entschieden wurde der kennzeichenrechtliche Fall „ConText“.436 Dort wurde mit dem Hauptantrag die Verwendung von „ConText“ in Alleinstellung und mit dem Hilfsantrag die Verwendung unter Nennung von „ConText“ als Teil einer Gesamtbezeichnung angegriffen. Hiermit sei ein eigenständiger Streitgegenstand betroffen, weil der abstraktere Inhalt den „inbesondere“-Teil nicht mehr erfasse, sich also der „insbesondere“-Teil nicht als Konkretisierung des abstrakteren Teils verstehen lassen könne. Überzeugend wäre das aber nur dann, wenn man die Benutzung von „ConText“ in der Gesamtbezeichnung nicht als kerngleiche Abwandung der Benutzung von „ConText“ in Alleinstellung einordnen könnte. Nur dann könnte man von einem anderen Streitgegenstand sprechen und daraus folgern, dass der „insbesondere“-Teil nicht von dem abstrakteren Antrag erfasst wäre. Das war im entschiedenen Fall jedoch durchaus zweifelhaft. Der „unechte Hilfsantrag“ ist in seiner Bedingung aber nicht auf den Fall der fehlenden Zulässigkeit des Hauptantrages beschränkt, sondern kann genauso auch bei der fehlenden Begründetheit des Hauptantrags, etwa mangels Wiederholungsgefahr, zur Entscheidung kommen, ohne dass die Klägerin diese Differenzierung überhaupt benennen müsste. Im BGH-Fall „Ökotest II“ wurde mit dem abstrakten Teil die Verwendung der klägerischen Marke für die Bewerbung der Produkte der Beklagten angegriffen und im „insbesondere“Teil die konkrete Verletzungshandlung, bei der allerdings keine identische Verwendung der klägerischen Marke vorlag. Der BGH hielt das gleichwohl für zulässig, weil mit dem abstrakten Antrag jede verletzende Verwendung der klägerischen Marke (also auch die nicht identische Verwendung einer bekannten Marke) angegriffen werden sollte. Warum das nicht wiederum selbst unbestimmt sein sollte (weil praktisch die Verletzungssubsumtion dem Vollstreckungsgericht überlassen wäre, also ein Fall eines gesetzeswiederholenden Antrages vorläge) hat der BGH nicht adressiert, sondern den abstrakten Antrag mangels Wiederholungsgefahr in dieser Breite (weil auch identische Zeichenverwendungen erfassend) für unbegründet erachtet. Es wurde dann schlicht nach dem „insbesondere“-Antrag in seiner Funktion als Hilfsantrag erkannt, also unter Streichung des „insbesondere“ aus dem Antragswortlaut tenoriert.437

123 (2) Schrifttum zum konkreten Unterlassungsbegehren. Der Grundsatz, dass der Antrag, der auf das Verbot der Verletzungshandlung, „so wie sie begangen wurde“, abzielt, unter Bestimmtheitsgrundsätzen regelmäßig unproblematisch ist, wird in der Literatur praktisch nicht angezweifelt. So schreibt Jestaedt, es sei die „erste und oberste Grundregel des Unterlassungsantrags“, dass dessen Gegenstand bei Vorliegen eines auf Wiederholungsgefahr basierenden Unterlassungsanspruchs die „konkrete Verletzungshandlung“ sei, also das Verbot der Handlung, die die Wiederholungsgefahr begründet. Mit der konkreten Verletzungshandlung wird nach diesem Sprachgebrauch auf die oben dargelegte Unterscheidung zwischen Verletzungshandlung als historischem Vorgang und der Verletzungsform als Summe der die Rechtswidrigkeit begründenden Merkmale abgestellt.438 Schwierigkeiten mit Blick auf die Bestimmtheit ergäben sich nur bei Abstrahierung von dieser Handlung, um die konkrete Verletzungsform besser zu beschreiben und den Unterlassungsanspruch damit voll auszuschöpfen. Das Verbot der „eigentlichen Verletzungshandlung“ sei in der Regel „problemlos“ und werde nur deshalb „vermieden“, weil der Unterlassungsanspruch damit nicht voll ausgeschöpft werde.439

435 Fälle dieser Art werden von Schwippert zurecht als „klassicher Hilfantrag“ eingeordnet, vgl. Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 34. BGH 5.11.2015 – I ZR 50/14 – GRUR 2016, 705 – ConText. BGH 12.12.2019 – I ZR 117/17 – GRUR 2020, 405 Tz. 63– Ökotest II. Ahrens/Jestaedt Kap. 22 Rn. 7 Fn. 22, unter Verweis auf Nirk/Kurtze GRUR 1980, 645, 646 ff. Teplitzky/Schwippert, Kap. 51 Rn. 4; Büscher/Schmidt, UWG, § 12 Anh. I Rn. 131 f.; Harte/Henning/Brüning Vorb zu § 12 Rn. 78 f.

436 437 438 439

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III. Unterlassungsklage

Vor §§ 12–15a A

Die fehlende Kritik des Schrifttums an dieser grundsätzlichen Linie des BGH ist 124 bemerkenswert, weil im Rahmen der Prüfung des Umfangs der tenorierten Verbotsnorm durchaus gesehen wird, dass es problematisch ist, wenn Antrag/Tenor nicht den tatsächlichen Umfang der Verbotsnorm erkennen lassen, weil die Ermittlung der kerngleichen Abwandlungen den Rückgriff auf die Gründe voraussetzt (hierzu bereits oben Rn. 77 und 88 ff. sowie unten Rn. 855). Insofern postuliert Teplitzky, dass es erstrebenswert wäre, dass der Tenor schon die konkrete Verletzungsform tatsächlich erkennen lässt, also klar macht, welche Abwandlungen kerngleich sind und die konkrete Verletzungsform unberührt lassen.440 Auf dieser Linie fordert Jestaedt, dass es das „oberste Ziel“ sein müsse, das Rechtsschutzziel des Unterlassungsantrages so genau und umfassend im Antrag zu benennen, dass ein Urteil mit einem entsprechenden Tenor das klägerische Rechtsschutzbegehren auch tatsächlich durchzusetzen vermag.441 Die beiden möglichen Hebel, um das prozessual umzusetzen, sind der Bestimmtheitsgrundsatz, der einem abstrakten Verbotsantrag die Eindeutigkeit abverlangt, oder alternativ die (tatsächliche) Beschränkung des erstrebten Verbots auf die konkrete Verletzungshandlung. Setzt man mittels der Bestimmtheit keine Grenzen und erlaubt dann doch die Erweiterung des konkreten Verbots auf Abwandlungen, dann wird man dieser Maxime der Schaffung von Klarheit in Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren jedenfalls nicht bestmöglich gerecht. Die Ansicht Teplitzkys nimmt sich bereits zur Prämisse, dass ein Unterlassungsurteil, das 125 auf das Verbot der konkreten Verletzungshandlung gerichtet ist, im Wege der Kernbereichslehre die gesamte konkrete Verletzungsform erfasst. Damit scheidet der Weg der Beschränkung auf dieser Ebene aus. Ahrens ist hingegen der Auffassung, dass ein solches Urteil, welches das Verbot der konkreten Verletzungshandlung tenoriert, einen engeren Schutzbereich hat. Nach Ahrens soll die Rechtskraft- und Vollstreckungswirkung eines solchen Tenors auf die konkrete Handlung beschränkt bleiben, also auf eine vollständig identische Wiederholung, was insbesondere eine Erweiterung unter Rückgriff auf die Kernbereichslehre ausdrücklich ausschließen soll.442 Ahrens443 beruft sich hierzu unter anderem auf Büscher.444 Büscher hingegen sagt zwar, dass der Verbotsinhalt bei Beschränkung des Antrages auf die „konkrete Verletzungsform“445 regelmäßig nicht darüber hinausgehe. Es sei aber die Auslegung eines solchen Antrags möglich und diese könne ergeben, dass auch kerngleiche Abwandlungen erfasst sein sollen. Letztere sind nach Büscher dann auch tatsächlich vom Urteil erfasst, wenn sie Gegenstand der Prüfung im Erkenntnisverfahren waren. Ahrens und Büscher verweisen für ihre Auffassungen ferner auf Teplitzky.446 Teplitzky vertritt aber die Auffassung, dass auch ein auf die „konkrete Verletzungsform“ gerichteter Antrag kerngleiche Abwandlungen erfasse und nur dann, wenn der Kläger das in der Klageschrift ausdrücklich sagt, der Verbotsinhalt auf die identische Wiederholung beschränkt sei. Die bloße Beschränkung des Antrages könne diese Folge nicht haben.447

(3) Kritische Stellungnahme (a) Gegenstand und Umfang der auf die konkrete Verletzungshandlung gerichteten 126 Verbotsnorm. Bei der Prüfung der Bestimmtheit geht es, wie der BGH im Ansatz zu Recht sagt, um die Erkennbarkeit der Tragweite des begehrten Verbots bereits im Erkenntnisverfah440 441 442 443 444 445

Teplitzky, 10. Auflage, Kap. 57 Rn. 16. Ahrens/Jestaedt Kap. 22 Rn. 1. Ahrens Kap. 36 Rn. 59 Fn. 156. Ahrens Kap. 36 Rn. 59 Fn. 157. Wieczorek/Schütze/Büscher § 322 Rn. 147. Büscher verwendet also nicht die terminologische Unterscheidung zwischen Verletzungshandlung und konkreter Verletzungsform. 446 Teplitzky GRUR 1998, 320, 323. 447 Teplitzky GRUR 1998, 320, 323, sowie auch Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 16a. 523

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

ren. Das ist auch die Prämisse des BGH im Rahmen der Bestimmtheitsfeststellung eines auf die konkrete Verletzungshandlung gerichteten Antrages. Diese wird deshalb bejaht, weil ein Verbot der Handlung begehrt werde, so wie sie tatsächlich begangen wurde; damit könne dem Beklagten nicht unklar sein, was ihm verboten werde. Diese, die gesamte Systematik der Rechtsprechung des I. Zivilsenats tragende, Annahme ist aber nicht ganz zutreffend. Sie wäre es nur dann, wenn es überhaupt keine Abweichung in der Wiederholung des historischen Vorgangs geben dürfte. Das ist nach der BGH-Judikatur aber – wie oben bereits ausgeführt (Rn. 117 sowie unten Rn. 856 f.) – gerade nicht der Fall: Im Rahmen der Bestimmtheitsprüfung von abstrakt gefassten Anträgen sagt der BGH sogar regelmäßig, dass es für einen zu abstrakten und deshalb unbestimmten Antrag auch unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes keinen Grund gäbe, weil der Kläger sich auf die konkrete Verletzungsform beschränken könne und sich auch in diesen Fällen das Unterlassungsurteil in Anwendung der Kernbereichslehre auf alle Handlungen erstrecken würde, in denen auch das Charakteristische der konkret umschriebenen Verletzungshandlung zum Ausdruck kommt.448 Das wird auch in der Literatur ausdrücklich geteilt.449 Man müsse nicht einen abstrahierenden Antrag stellen, um einen Schutzumfang auch unter Einbeziehung kerngleicher Abwandlungen zu erlangen.450 Die Rechtsprechung zur Bestimmung des Charakteristischen der Verletzungshandlung mit Blick auf § 890 ZPO einerseits und mit Blick auf die „Kerntheorie bei der Wiederholungsgefahrvermutung“ wird im Schrifttum sogar ausdrücklich nebeneinander zitiert.451

127 (b) Verdeutlichung anhand BGH „Erinnerungswerbung im Internet“. In diesem Sinne stellt der BGH in der Entscheidung „Erinnerungswerbung im Internet“ unter Berufung auf „TCMZentrum“452 zwar fest, dass der Kläger nur darauf abziele, künftig jegliche Werbung, die eben aus der gesamten Anzeige bestehe, zu unterlassen, so dass der Antrag keine Bestimmtheitsprobleme aufwerfe.453 Gleichzeitig sagt der BGH aber auch, dass sich das Charakteristische der Werbeanzeige nicht nur auf das dort konkret beworbene Präparat, sondern auch auf andere nicht genannte Arzneimittel erstrecke.454 Dieser Fall zeigt dabei paradigmatisch, wie der BGH den Schutzumfang eines auf die konkrete Verletzungsform bezogenen Urteils versteht. Im entschiedenen Fall war zu klären, ob es sich um eine zulässige Erinnerungswerbung 128 handelte und deshalb die Pflichtangaben nach dem Arzneimittelgesetz nicht erforderlich waren. Die beiden konkreten Verletzungshandlungen, die aus Sicht des Klägers die Wiederholungsgefahr begründeten, waren zwei Werbeanzeigen für zwei bestimmte Arzneimittel (A. und F.) mit jeweils unterschiedlichen Begleittexten, welche für die Frage der zulässigen Erinnerungswerbung Bedeutung hatten. Der auf die konkrete Verletzungsform bezogene Antrag (der zweite Hilfsantrag im Verfahren)455 war wie folgt formuliert: „Weiter hilfsweise hat der Kl. beantragt, die Bekl. unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftli448 Vgl. etwa BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 32 – Erinnerungswerbung im Internet: „Denn auch eine solche beschränkte Verurteilung erfasst nach der so genannten Kerntheorie immerhin alle Handlungsformen, in denen das Charakteristische der beanstandeten Werbung zum Ausdruck kommt.“ Das ist ständige Rechtsprechung, vgl. etwa weiter BGH 4.9.2003 – I ZR 32/01 – GRUR 2004, 72 – Coenzym Q 10; BGH 16.11.2006 – I ZR 191/03 – GRUR 2007, 607 Tz. 17 – Telefonwerbung für Individualverträge. 449 Vgl. etwa Harte/Henning/Brüning Vorb zu § 12 Rn. 78. 450 Büscher/Schmidt, UWG, Anh. I § 12 Rn. 131; Cepl/Voss/Zigann/Werner ZPO § 253 Rn. 79. 451 Vgl. Büscher/Ahrens, UWG, Anh. § 12 II Rn. 55 FN 62. 452 BGH 26.10.2000 – I ZR 180/98 – GRUR 2001, 453, 454 – TCM-Zentrum. 453 BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 36 – Erinnerungswerbung im Internet. 454 BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 44 – Erinnerungswerbung im Internet,; BGH 26.10.2000 – I ZR 180/98 – GRUR 2001, 453, 454 – TCM-Zentrum; ebenso Harte/Henning/Brüning Vor § 12 Rn. 78; Gloy/Loschelder/ Danckwerts/Fritzsche § 78 Rn. 13 ff. 455 Die abstrahierenden und vom BGH für unbestimmt gehaltenen, vorgelagerten Anträge werden unten, Rn. 191 ff., ausführlicher behandelt. Grosch

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III. Unterlassungsklage

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chen Verkehr mit Ausnahme des zugelassenen Arzneimittels ‚A.®‘ für zugelassene Arzneimittel (§ 21 AMG), insbesondere das Arzneimittel ‚F.®‘ zu werben, sofern die gem. § 4 Absatz 1 Nrn. 1, 3–8 HWG vorgeschriebenen Pflichtangaben insgesamt fehlen, wie dies aus den Anlagen K 2 und K 10 ersichtlich ist, es sei denn, es wird ausschließlich mit der Bezeichnung des Arzneimittels oder zusätzlich mit dem Namen, der Firma, der Marke des pharmazeutischen Unternehmers, dem Hinweis ‚Wirkstoff:‘ oder mit der Angabe des Arzneimittelpreises oder der Packungsgröße geworben.“456 Es wurde in der Antragsfassung insofern abstrahiert, als die Werbung für „zugelassene Arz- 129 neimittel“ zum Gegenstand gemacht, also keine Beschränkung auf die Arzneimittel A. und F. vorgenommen wurde, sondern das Arzneimittel A. gerade ausgenommen und das Arzneimittel F. nur als Exemplifizierung angeführt wurde. Gleichwohl war das nach dem BGH ein Antrag, der auf die konkrete Verletzungsform gerichtet war, was sich durch die konkrete Begründung sowohl praktisch als auch dogmatisch plastisch verdeutlichen lässt: Wie in der Praxis durchaus häufiger anzutreffen, hatte der Beklagte nach Rechtshängigkeit eine Unterlassungsverpflichtungserklärung abgegeben, die sich nur auf die konkreten Anzeigen bezog. Diese Unterwerfungserklärung umfasste dabei nur das Bewerben der konkret genannten Arzneimittel A. und F.; sie war nach der Erklärung der Beklagten ausdrücklich auf diese beschränkt, so dass eine erweiternde vertragliche Ausdehnung auf andere Arzneimittel auf der Linie der Kernbereichslehre nicht möglich war. Deshalb hatte der Kläger hinsichtlich des einen ausdrücklich genannten Arzneimittels die Klage für erledigt erklärt (Arzneimittel A), nicht aber für das weitere (Arzneimittel F.), weshalb die Klage insofern wegen Fehlens der Wiederholungsgefahr vom BGH abgewiesen wurde. Der Kläger drang aber im Umfang der Generalisierung (weitere Arzneimittel außer A. und F.) aufgrund der Kernbereichslehre mit seiner Klage durch, weil aus Sicht des BGH das Charakteristische der konkreten Verletzungsform auch für weitere Arzneimittel gegeben war und nicht nur für A. und F. Insofern hat der BGH auch ausdrücklich klargestellt, dass ein auf die konkrete Verletzungsform gerichteter Titel (hier also auf die Werbeanzeigen mit A. und F.) im Wege der Kernbereichslehre auch die Abwandlungen erfassen würde, in denen das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck komme.457 Hätte der Kläger also, für den Fall ohne Unterwerfungserklärung, nur einen Antrag gerichtet auf die konkrete Verletzungsform gestellt (Werbeanzeigen nach K 2 und K 10 mit Arzneimittel A. und F.), so hätte dieser Unterlassungstitel mithin auch weitere Arzneimittel erfasst, nicht anders als wenn der Kläger das wie im entschiedenen Fall generell für Arzneimittel beantragt hätte.

(c) Widerspruch des Gegenstandes der Verbotsnorm zur Prämisse der Bestimmtheit 130 des Antrages. Wenn der BGH also im Zuge der Bestimmtheit des auf die konkrete Verletzungsform gerichteten Antrages sagt, dem Beklagten könne nicht unklar sein, was er zu unterlassen hat, wenn nur die konkrete Verletzungshandlung so wie sie vorgefallen ist verboten werde, so ist das schlicht ein logischer Widerspruch zur weiteren Aussage, dass auch kerngleiche Abwandlungen erfasst werden. Dann sagt der ausschließlich auf die konkrete Verletzungsform bezogene Antrag nämlich über den tatsächlichen Umfang des Verbots nichts aus. Entscheidend ist, dass der Beklagte wissen kann, was er an seinem Verhalten ändern muss, um sich rechtmäßig zu verhalten. Das kann er nur aus den Gründen extrahieren. Allein durch die Analyse und Feststellung der für den gerichtlichen Subsumtionsschluss erheblichen 456 BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749, 750 – Erinnerungswerbung im Internet. 457 BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 45 – Erinnerungswerbung im Internet: „Zwar erstreckt sich eine die konkrete Verletzungsform wiedergebende Unterwerfungserklärung ebenso wie ein entsprechender Unterlassungstitel im Allgemeinen nicht nur auf identische, sondern auf alle Handlungen, die gleichfalls das Charakteristische der verletzenden Handlung aufweisen […].“ Die Ausführungen stehen im Zusammenhang mit der Erwägung, dass die Unterlassungsverpflichtungserklärung ausnahmsweise nicht diesen Umfang hat, weil eine eindeutige vertragliche Erklärung nur beschränkt auf A. und F. vorlag. 525

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Tatsachen in den Gründen des Urteils kann der Beklagte wissen, was er an seinem Verhalten ändern muss, wie weit ihm also sein Verhalten verboten ist.458 Aus dem Antrag ergibt sich dafür gar nichts. Der BGH hat diesen inneren Widerspruch zwischen dem obersten Grundsatz des Bestimmtheitsgebots für Unterlassungsanträge, nämlich der Erkennbarkeit des gerichtlichen Verbots für den Beklagten, und der Realität des tatsächlichen Umfangs der Verbotsnorm wohl auch gesehen und teilweise vertreten, dass der Anwendung der Kernbereichslehre mit Blick auf den Sanktionscharakter des § 890 ZPO enge Grenzen gezogen seien, wenn der Antrag eng auf die konkrete Verletzungshandlung beschränkt sei.459 Was mit den engen Grenzen gemeint ist, ist aber ebenfalls nicht bestimmt. Für die Aussage der engen Grenzen der Kernbereichslehre bei Beschränkung auf die konkrete Verletzungsform hat sich der BGH unter anderem auf Ahrens460 bezogen. Wie oben bereits ausgeführt, soll nach ihm die Anwendung der Kernbereichslehre aber ausgeschlossen sein.461 Ahrens unterstützt die Linie des BGH also gerade nicht, wenn auch dessen Ausführungen widersprüchlich sind, weil Ahrens zugleich sagt, dass die enge Tenorierung im Sinne eines „Fotokopierantrages“ erfordere, dass „der Titelschuldner das rechtlich Charakteristische des Verbots (dessen „Kern“) klar erkennen kann.“,462 was aber nichts anderes als die Anwendung der Kerntheorie impliziert.463 Der BGH zitiert für diese Auffassung ferner Büscher.464 Dieser stellt aber auf die Auslegung des Klagebegehrens und Urteils im Einzelfall ab. Der BGH verweist ferner auf Teplitzky,465 auf den sich sowohl Ahrens als auch Büscher zur Stützung ihrer Auffassung berufen. Wie bereits oben ausgeführt (Rn. 125), vertritt Teplitzky aber die Ansicht, dass ein Antrag, der sich auf die konkrete Verletzungsform richtet, grundsätzlich auch kerngleiche Abwandlungen erfasse und nur dann, wenn der Kläger das in der Klageschrift ausdrücklich sage, der Verbotsinhalt auf die identische Wiederholung beschränkt sei.466 Ferner wird in der Diskussion um den neuen Streitgegenstandsbegriff nach „TÜV I“ im Schrifttum schlicht behauptet, dass ein auf die konkrete Verletzungsform bezogener Titel nach der Rechtsprechung des BGH nicht qua Kernbereichslehre erweitert werden könne, sondern stets nur die identische Wiederholung der Verletzungshandlung verbiete.467 Das hat der BGH aber so nie gesagt. Im Gegenteil ist, wie gerade gezeigt, die Prämisse des BGH stets, dass auch bei diesen Anträgen die Kernbereichslehre zur Bestimmung des Verbotsinhalts zur Anwendung kommt. Damit kann man sagen, dass bei der Beschränkung auf ein konkretes Unterlassungsbegehren nach der Rechtsprechung des BGH und der wohl überwiegenden Auffassung in der Literatur die Anwendung der Kernbereichslehre nicht ausgeschlossen ist (vgl. auch oben Rn. 117 sowie unten Rn. 856, 860 f.). Verboten sind damit also nicht nur die identische Wiederholung der konkreten Verletzungshandlung, sondern auch Abwandlungen, wobei die Reichweite des Verbots im Einzelnen nicht geklärt ist. Möglich wäre eine ausdrückliche Beschränkung des Klägers auf die konkrete Verletzungshandlung, also auf ihre identische Wiederholung. Diese verlangt der BGH aber zur Herstellung der Bestimmtheit gerade nicht. Damit kann man jedenfalls sagen, dass der vom BGH herangezogene Satz, die Bestimmtheit bei Beschränkung des

458 459 460 461

So auch Ahrens Kap. 36 Rn. 67. BGH 22.10.2009 – I ZR 58/07 – GRUR 2010, 454 Tz. 12 – Klassenlotterie. Hierzu ausführlich unten Rn. 860 ff. Ahrens Kap. 36 Rn. 59. Ahrens a. a. O. Rn. 59 Fn. 156: „Die Einschränkung kann nicht unter Berufung auf die Kerntheorie überwunden werden“. 462 Ahrens Kap. 36 Rn. 60. 463 Hierzu Büscher/Ahrens, UWG, § 12 Anh. II Rn. 55. 464 Wieczorek/Schütze/Büscher § 322 Rn. 147. 465 Teplitzky GRUR 1998, 320, 323. 466 Teplitzky a. a. O.; Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 16a. 467 So insbesondere Stieper GRUR 2012, 5, 8 mit Fn. 46. Grosch

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III. Unterlassungsklage

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Antrages auf die konkrete Verletzungsform sei immer gegeben, weil der Beklagte wisse, was er zu unterlassen habe, weniger überzeugend ist, als es auf den ersten Blick den Anschein haben mag. Der Beklagte weiß es aufgrund des Antrages nicht, weil er den Umfang der Verbotsnorm aus dem Antrag heraus gerade nicht kennt. Welche Abwandlungen noch innerhalb des Verbots liegen, kann er allenfalls aus den Gründen heraus ermitteln. Damit ist dieser Antrag nicht bestimmt im Sinne der eigenen Prämissen des BGH und der herrschenden Auffassung.

(d) Anträge, die sich auf eine historische Verletzungshandlung beziehen, sind hin- 135 sichtlich des Antrages nie bestimmt. Grundsätzlich ist die rein deskriptive Bezugnahme auf eine Handlung nie bestimmt, auch dann nicht, wenn man die Kernbereichslehre ausschließen wollte. Auch eine noch so enge Handhabung hilft hier nicht weiter, weil sich die historische Verletzungshandlung schon per definitionem nicht so wiederholen kann. Sie ist ein einmaliger Vorgang in der Zeit. Für eine neue Handlung bedarf es eines Maßstabes, der die Vergleichbarkeit herstellt. Dieser steht aber nicht zur Verfügung. Das habe ich an früherer Stelle bereits vertreten und begründet.468 Diese Antragsfassung ist nicht weniger bestimmt als die bloße Wiedergabe des Gesetzeswortlauts. Tatsächlich ist sie sogar unbestimmter, weil die Wiederholung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale zumindest indiziert, in welchen Aspekten die Rechtswidrigkeit gegeben ist, wohingegen der Antrag unter Bezugnahme auf die konkrete Verletzungshandlung dazu schweigt.

(e) Bestimmtheit der Verbotsmerkmale als Zielvorgabe (aa) Rechtsprechung zum ergänzenden Leistungsschutz. Letztlich muss es für die An- 136 wendung des Bestimmtheitsgrundsatzes das Ziel sein, dass die Merkmale, die das Verbot kennzeichnen, in der Klage und im Urteil klar zum Ausdruck kommen (vgl. hierzu auch Rn. 88 ff., 334 f. und 862). Das sollte bevorzugt durch den Antrag und Tenor geschehen, das ist aber nicht zwingend, weil es um die Bestimmtheit des Rechtsschutzbegehrens, also des Streitgegenstandes geht. In Urteilen des ergänzenden Leistungsschutzes hat der BGH etwa Abbildungen der angegriffenen Ausführungsform im Tenor genügen lassen, aber zugleich angemerkt, dass sich aus der Begründung die Merkmale ergeben, in denen der Kläger „die Grundlage und den Anknüpfungspunkt des Wettbewerbsverstoßes und damit des Unterlassungsgebots“ sieht.469 In der zitierten Entscheidung „Laubhefter“ hat der BGH festgehalten, dass zwar der Gegenstand eines Verbots grundsätzlich auch mit Hilfe von Abbildungen festgelegt und damit den Bestimmtheitsanforderungen genügt werden kann. Der Klageantrag und entsprechend der Urteilsausspruch müssten dann aber auch in einem solchen Fall, zumindest unter Heranziehung des Klagevortrags, unzweideutig erkennen lassen „in welchen Merkmalen des angegriffenen Erzeugnisses die Grundlage und der Anknüpfungspunkt des Wettbewerbsverstoßes und damit des Unterlassungsgebots liegen soll.“470 Das ist zum Teil dahin verstanden worden, dass „die übernommenen Merkmale der Verfügungsform, die die wettbewerbliche Eigenart begründen, im Antrag enthalten sind“.471 Insofern hatte der 20. Zivilsenat des OLG Düsseldorf in seiner Begründung zurecht darauf hingewiesen, dass der Kläger/Antragsteller „mit seiner Angabe der Merkmale den Verbotsumfang bestimmt“. Der BGH hat hinge468 Grosch FS Schilling (2007) 207, 233 f.; zustimmend v. Ungern-Sternberg GRUR 2011, 486, 488 ff. 469 BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795 Tz. 18 – Handtaschen; BGH 12.7.2001 – I ZR 40/99 – GRUR 2002, 86, 88 – Laubhefter; BGH 29.4.1966 – GRUR 1966, 617, 618 – Saxophon; OLG Hamburg 24.7.2008 – 3 U 2/07; siehe auch Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.89; Ohly/Sosnitza § 4 Rn. 3/91. 470 BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04, GRUR 2007, 795 Tz. 18 – Handtaschen; BGH 12.7.2001 – I ZR 40/99, GRUR 2002, 86, 88 – Laubhefter; ebenso BGH 29.4.1966, GRUR 1966, 617, 618 – Saxophon; OLG Hamburg 24.7.2008 – 3 U 2/07; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.89; Ohly/Sosnitza § 4 Rn. 3/91. 471 OLG Düsseldorf 12.1.2010 – I-20 U 155/09 – juris Tz. 19. 527

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

gen in seiner Entsscheidung „Regalsysteme“ noch einmal klargestellt, dass für den Fall, dass sich das „begehrte Verbot gegen eine ganz konkrete Verletzungsform“ richtet, eine verbale Beschreibung der vom angegriffenen Produkt nach Auffassung des Klägers übernommenen, wettbewerblich eigenartigen Merkmale nicht erforderlich sei. Eine bildliche Darstellung genügt für diesen Fall, wenn sich unter Heranziehung der Klagegründe eindeutig ergibt, welche Merkmale des angegriffenen Erzeugnisses den Wettbewerbsverstoß begründen und das Unterlassungsgebot tragen sollen.472 Genauso hat der I. Zivilsenat das für den Bereich des Schutzes technischer Betriebsgeheimnisse gesehen: Der Klageantrag beziehe sich auf die konkrete Verletzungsform, deren Gestaltung zwischen den Parteien unstreitig sei, und der Klagevortrag lasse keinen Zweifel daran, „in welchen Merkmalen des angegriffenen Erzeugnisses die Grundlage und der Anknüpfungspunkt des Wettbwerbsverstoßes und damit des Unterlassungsanspruchs liegen soll“.473 Hieran sind zwei Aspekte essentiell: Zum einen gilt das nur, wenn eine „ganz konkrete Verletzungsform“ angegriffen ist, also nicht dann, wenn der Kläger ein abstrakteres Verbot begehrt. Zum anderen wird aber zugleich gesagt, dass der Umfang auch einer solchen auf eine ganz konkrete Verletzungsform gerichteten Verbotsnorm nicht auf diesen natürlichen Lebenssachverhalt beschränkt ist, sondern dass die vom angegriffenen Erzeugnis übernommenen, die wettbewerbliche Eigenart des Originalprodukts begründenden Merkmale für die Verbotsnorm und damit deren Umfang konstitutiv sind. Klarer hätte es der BGH nicht sagen können: Die Bestimmtheit ergibt sich nicht daraus, dass der Beklagte weiß, dass er ein spezifisches, reales Produkt oder genau die gesamte Werbeanzeige unterlassen muss (so der BGH in „TCM-Zentrum“),474 sondern erst daraus, dass der Kläger benennt, worin der eigentliche Wettbewerbsverstoß und damit der tragende Grund des Unterlassungsgebots liegen soll. In der Entscheidung zum Know-How-Schutz „Hohlfasermembranspinnanlage II“ hat der BGH auch darauf hingewiesen, dass eine weitere Spezifierung, welche Details das Betriebsgeheimnis „verkörpern“, nicht nur für die Zulässigkeit, sondern auch für die Begründetheit des auf die konkrete Verletzungsform gerichteten Unterlassungsantrages keine Relevanz hätte, sondern lediglich für dessen Reichweite, also für die Anwendung der Kernbereichslehre auf diesen Verbotstenor.475 Auch das verdeutlicht nur noch einmal die hier vertretene Auffassung, wonach der Verbotstenor auch bei einer vorgeblich auf die konkrete Verletzungsform gerichteten Antragstellung letztlich nicht auf das Verbot desselben natürlichen Lebenssachverhalts gerichtet ist, sondern dass es sich auch hier um eine abstrakte Verbotsnorm handelt, deren Umfang sich dann aus der Begründung des Antrages und des Tenors mit Bestimmtheit ergeben muss. 137 Im Sinne der Zielvorgabe der Bestimmtheit wäre es allerdings sinnvoller, dem Kläger abzuverlangen, diese Merkmale auch im Antrag zu benennen. Das dient sicherlich der Klarheit und „Disziplinierung“ bei der Gestaltung des „Prozessprogramms“. Verfehlt sind jedenfalls Auffassungen, die einer Verbalisierung der für die Verletzungssubsumtion entscheidenden Merkmale überhaupt keine Bedeutung zusprechen. So hat etwa das OLG Hamburg in der geschmacksmusterrechtlichen Entscheidung „Totenkopfflasche“ die Auffassung vertreten, dass die Benennung bestimmter Merkmale neben der Abbildung des Verletzungsmusters für den Streitgegenstand keinerlei Bedeutung habe, weil der Gegenstand des Verbotsantrages durch die bildliche Konkretisierung „von vornherein auf die konkrete Verletzungsform des angegriffenen Verletzungsmus472 BGH 24.1.2013 – I ZR 136/11 – GRUR 2013, 951 f. Tz. 11 – Regalsysteme; ebenso BGH 17.7.2013 – I ZR 21/12 – GRUR 2013, 1052, 1053 Tz. 12 – Einkaufswagen. Dem folgend OLG Frankfurt 31.10.2019 – 6 U 91/18 – GRUR-RR 2020, 122 Tz. 13 – Rotations-Ausrichtungssystem. 473 BGH 22.3.2018 – I ZR 118/16 – GRUR 2018, 1161 Rn. 18 – Hohlfasermembranspinnanlage II. 474 BGH 26.10.2000 – I ZR 180/98 – GRUR 2001, 453, 455 – TCM-Zentrum. 475 BGH 22.3.2018 – I ZR 118/16 – GRUR 2018, 1161 Rn. 33 a. E. – Hohlfasermembranspinnanlage II. Richtigerweise sollte man gerade wegen der mit der Anlayse der tragenden Gründe verbundenen Schwierigkeiten dem Kläger abverlangen, diese Merkmale in den Antragswortlaut aufzunehmen, vgl. hierzu für den Bereich des Know-HowSchutzes: Ann/Loschelder/Grosch Kap. 6 Rn. 18 ff. Grosch

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III. Unterlassungsklage

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ters beschränkt“ sei, so dass also die ausdrücklich benannten Merkmale „überflüssig“ seien, „weil damit lediglich versucht wurde, das zu verbalisieren, was auf der Abbildung ohnehin (und besser) zu erkennen ist.“476 Das widerspricht der gerade zitierten Rechtsprechung des BGH aus „Regalsystem“. Ein schlichter, wertungsfreier Vergleich des bildlich Erkennbaren kann nicht Gegenstand der Prüfung der Verletzung des Klagemusters sein. Gleich welchen materiellen Maßstäben man für die Schutzbereichsbestimmung und die Verletzungsprüfung folgt, müssen diese sich per definitionem als normative Selektion der einschlägigen Merkmale (auch in Ihrer Gesamtschau) darstellen; das trägt die Verbotsnorm und das muss jedenfalls aus dem Klagevorbringen mit Bestimmtheit erkennbar sein.

(bb) Seitenblick auf die Rechtsprechung des X. Zivilsenats zu „Fotokopieranträgen“ 138 (hierzu auch Rn. 90). Der vorstehend beschriebene Problemkreis der Herstellung der Bestimmtheit des Klageantrages durch die Benennung der für den Verbotstenor konstitutiven Merkmale anstelle oder in Ergänzung zu einer deskriptiven/bildlichen Darstellung der angegriffenen Ausführungsform zeigt sich für das Patentrecht in identischerweise etwa in der BGHEntscheidung „Baumscheibenabdeckung“.477 Dort hatte die Vorinstanz (OLG Hamburg) im Tenor die angegriffene Ausführungsform – entgegen der üblichen Praxis – mit einer Abbildung zu konkretisieren versucht.478 Der BGH hat demgegenüber in der Revision entschieden, dass ein solcher Antrag grundsätzlich (seiner Formel nach) nicht bestimmt sei, weil man nicht erkennen könne, welche technischen Merkmale denn für das Verbotsurteil, also für die Subsumtion unter den Patentanspruch, maßgeblich seien. Nur weil sich aus den Gründen ergebe, warum der Kläger die angegriffene Ausführungsform für patentverletzend erachtet und damit das erstrebte Verbot mit Blick auf diese Patentverletzung begründet, ergebe sich die Bestimmtheit des Antrages.479 Das ist genau auf der Linie des BGH („Laubhefter“, vgl. hierzu oben Rn. 136) zum ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz, belegt aber wiederum, dass der Antrag nicht die Tragweite des Verbots erkennen lässt. Die Abbildung macht den Antrag nicht bestimmt.

(f) Erfordert die Bestimmtheit die bestimmte Aufnahme der Verbotsmerkmale in den 139 Antrag? Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass Bestimmtheit für praktische Zwecke auch herstellbar ist, wenn sich die Verbotsmerkmale erst unter Heranziehung der vom Kläger für die Begründetheit des Antrages angegebenen Gründe ergeben. Es geht nicht um die Bestimmtheit der Antragsformel, sondern um die Bestimmtheit des begehrten Verbots; das ist das Rechtsschutzziel. Das ist der oben dargestellte Grundsatz, dass die Bestimmtheitsanforderungen nach § 253 Abs. 3 Nr. 2 ZPO der Bestimmung des Streitgegenstandes dienen (oben Rn. 74) und der Antrag der Auslegung zugänglich ist (oben Rn. 81 ff.) und korreliert ferner mit dem Grundsatz, dass es für die Bestimmtheit des Unterlassungsurteils (als Zwangsvollstreckungsvoraussetzung) auf den im Lichte der Gründe auszulegenden Tenor ankommt.480 Die Urteilsformel muss also nicht per se bestimmt sein, sondern es ist die Bestimmtheit der tenorierten Verbotsnorm zu ermitteln. Gleiches gilt für die Ermittlung des Gegenstandes der Entschei-

476 OLG Hamburg 29.8.2012 − 5 U 152/11 – GRUR-RR 2013, 138, 139 f. Hierzu auch die Anmerkung von Hartwig, GRUR-RR 2013, 143 f.

477 BGH 25.10.2005 – X ZR 136/03 – GRUR 2006, 311 – Baumscheibenabdeckung. 478 OLG Hamburg 4.9.2003 – 3 U 67/01 – MittdtschPatAnw 2004, 417. 479 BGH 25.10.2005 – GRUR 2006, 311 Tz. 8–10 – Baumscheibenabdeckung; hierzu Haedicke/Timmann/Zigann § 11 Rn. 111 f.

480 Hierzu ausführlich Rn. 824 ff. 529

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

dung, insbesondere der sachlichen Grenzen der Rechtskraft.481 Wenn es anders wäre, wenn man tatsächlich die Anforderungen, die teilweise an die Bestimmtheit des Antrages im Erkenntnisverfahren gestellt werden, auch für die Bestimmtheit des Vollstreckungstitels fordern wollte, so wären viele Unterlassungstitel tatsächlich nicht vollstreckbar. 140 Es ist allerdings sicherlich das Erstrebenswerte und die entsprechende Mühe sollte man dem Kläger auch grundsätzlich abverlangen, diese Merkmale auch in den Antragswortlaut zu gießen (hierzu auch oben Rn. 89 und 863). Die Anforderungen hieran sollte man jedoch nicht überspannen. Als praktisch sinnvoller Mittelweg bietet sich deshalb der abstrakte Einleitungsteil eines auf die konkrete Verletzungshandlung gerichteten Antrages an. Es wurde bereits gesagt, dass der BGH aus diesem Teil keine dem Kläger nachteiligen Schlüsse für die Bestimmtheit zieht, weil sich der Antrag auf die konkrete Verletzungsform richtet. Der BGH räumt aber ausdrücklich ein, dass dieser Antragsteil die Funktion hat, die kerngleichen Abwandlungen zu benennen. Damit hat der abstrakte Einleitungsteil aber keine andere Funktion, als die Verbotsmerkmale tatsächlich zu präzisieren und damit den Umfang des Rechtsschutzbegehrens zu definieren. Rein praktisch nimmt der BGH durch diese Ausgestaltung lediglich den ohnehin nicht zu erfüllenden Druck vom Kläger, hier eine vollständige und genaue Formulierung vorzulegen und schafft dem Kläger mehr Freiheit durch Ausschluss der oft rigiden Bestimmtheitsanforderungen für abstrahierende Anträge. Da hiermit aber kerngleiche Abwandlungen und damit der Umfang der Verbotsnorm bestimmt werden, kann man jedoch meines Erachtens nicht vollständig auf die Bestimmtheitsanforderungen verzichten. Zweck ist es ja gerade, für eine mögliche Zwangsvollstreckung aus einem entsprechend tenorierten Titel mit Bestimmtheit zu klären, was dem Schuldner verboten ist. Man wird hier aber weniger streng sein können als bei einem rein abstrahierenden Antrag. Das muss dann aber damit korrelieren, dass der Umfang eines solchen Verbotstenors im Vollstreckungsverfahren enger sein muss als der eines rein abstrahierenden Antrages. Dabei kann als Richtschnur gelten, dass dem abstrakten Einleitungsteil umso mehr an Gewicht für die Bestimmung des Umfangs der Verbotsnorm beizulegen ist, je konkreter und bestimmter er gefasst ist (hierzu auch unten Rn. 206).

bb) Alternative Klagehäufung unbestimmt („TÜV I“-Rechtsprechung) 141 (1) Problemstellung. Die Problematik der alternativen Klagehäufung betrifft den Fall, dass der Kläger einem einzigen einheitlichen Antrag mehrere Klagegründe zugrunde legt. Mit seinem vielbeachteten Hinweisbeschluss „TÜV I“482 hat der BGH entschieden, dass die alternative Klagehäufung wegen Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO unzulässig ist, sofern es sich um unterschiedliche Klagegründe im Sinne unterschiedlicher Streitgegenstände handelt. Der Kläger kann dem Gericht nicht mehrere Streitgegenstände zur Auswahl stellen, auch wenn diese auf ein „einheitliches Klagebegehren“ gestützt werden.483 Der eigentlich relevante Sachpunkt dieser Entscheidung ist aber nicht so sehr die Befassung 142 mit der Frage nach der Zulässigkeit der alternativen Klagehäufung, sondern mit der Vorfrage, ob und inwiefern bei einem einheitlichen Antrag unterschiedliche Streitgegenstände vorliegen können, weil der Kläger trotz des einheitlichen Antrages unterschiedliche Verbotsnormen mit unterschiedlichem Umfang begehrt. Die ganze Argumentation um die „TÜV I“-Rechtsprechung 481 BGH 21.2.2012 – X ZR 111/09 – GRUR 2012, 485 Tz. 11 – Rohrreinigungsdüse II: „[…] zur Auslegung der Urteilsformel, d. h. zur Klärung, wieweit über den erhobenen Anspruch entschieden worden ist, sind Tatbestand und Entscheidungsgründe des Urteils heranzuziehen.“ 482 BGH 24.3.2011 – I ZR 108/09 – BGHZ 189, 56, 59 ff. = GRUR 2011, 521 – TÜV I. 483 BGH 24.3.2011 – I ZR 108/09 – BGHZ 189, 56, 59 ff. = GRUR 2011, 521 Tz. 11 – TÜV I; BGH 12.1.2017 – I ZR 253/ 14 – GRUR 2017, 397 Tz. 28 – World of Warcraft II; BGH 27.11.2014 – I ZR 1/11 – GRUR 2015, 689 Tz. 14 – Parfumflakon III. Grosch

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III. Unterlassungsklage

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kann deshalb nicht losgelöst von diesem eigentlichen Kern betrachtet werden. Genau an diesem Punkt setzt dann auch die neuere Rechtsprechung des BGH in „Biomineralwasser“484 und „Branchenbuch Berg“485 zum Streitgegenstand an und korrigiert die Linie aus „TÜV I“ mittels der Stellschraube der Bestimmung des Streitgegenstandes (keine Mehrzahl von Streitgegenständen), wobei die Kernaussage der „TÜV I“-Rechtsprechung (Unzulässigkeit der alternativen Klagehäufung) formal intakt bleibt.

(2) Allgemeine zivilprozessuale Praxis zur Unzulässigkeit der alternativen Klagehäu- 143 fung. Außerhalb des Wettbewerbsrechts war es bereits lange Zeit ständige Rechtsprechung und herrschende Auffassung, dass die alternative Klagehäufung nicht den Bestimmtheitserfordernissen genügt. Ist das geltend gemachte Rechtsschutzziel also zwar einheitlich, wird es aber etwa auf ein originäres eigenes Recht und alternativ auf einen zedierten Anspruch, der dem Kläger vor einem Dritten abgetreten worden sei, oder gar auf ein fremdes Recht, dass in eigenem Namen geltend gemacht wird (gewillkürte Prozessstandschaft),486 gestützt, so kann der Kläger nicht offenlassen, in welcher Reihenfolge er diese unterschiedlichen Streitgegenstände entschieden haben will (Eventualverhältnis).487 Ferner muss der Kläger, wenn er einen bezifferten Antrag auf mehrere Klagegründe stützt, gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO angeben, wie sich die geltend gemachte Gesamtsumme betragsmäßig auf die verschiedenen prozessualen Ansprüche verteilt, oder zumindest die Reihenfolge bestimmen, in welcher die Ansprüche bis zu der geltend gemachten Gesamtsumme gefordert werden.488 Diese Rechtsprechung ist insbesondere bei der Teilleistungsklage von Bedeutung.489 Wäre eine alternative Klagehäufung zulässig, würden sich unüberwindbare Schwierigkeiten bei der Festlegung des Streitgegenstandes und damit zusammenhängend bei Fragen der materiellen Rechtskraft und der Verjährung ergeben. In der Literatur finden sich auch Gegenstimmen für die Fallgruppe der „alternativen Klagegründe“ (im Gegensatz zur „alternativen Antragstsellung“), sofern der Kläger den Inhalt des Begehrens nur einmal fordern kann,490 was bei der hier interessierenden Konstellation des Unterlassungsanspruchs mit einem einheitlichen Rechtsschutzbegehren der Fall wäre. Diese Lösung überzeugt grundsätzlich. Wenn der Antrag und der Grund des erhobenen 144 Anspruchs bestimmt sein müssen, kann nicht bei einer Teilleistungsklage offen bleiben, in welcher Reihenfolge die prozessualen Ansprüche dem Gericht zur Entscheidung gestellt werden. Denn dann würde letztlich das Gericht selbst entscheiden, über welchen Streitgegenstand es entscheiden will. Die Entscheidung, welchen Streitgegenstand das Gericht nun zuerst prüft, würde aber letztlich willkürlich getroffen werden. Darin liegt der sachliche Kern der Begründung der Unzulässigkeit der alternativen Klagehäufung.

484 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 24 – Biomineralwasser. 485 BGH 30.6.2011 – I ZR 157/10 – GRUR 2012, 184 Tz. 12 – Branchenbuch Berg. 486 Hierbei handelt es sich nach herrschender Lehre und der Rechtsprechung des BGH jeweils um verschiedene Streitgegenstände, ausführlich hierzu unten Rn. 359. 487 BGH 27.11.2013 – III ZR 371/21 – BeckRS 2014, 01621. 488 BGH 22.5.1984 – VI ZR 228/82 – NJW 1984, 2346; BGH 19.4.2012 – III ZR 224/10 – NZG 2012, 711, 712; BGH 17.7.2008 – IX ZR 96/06 – NJW 2008, 3142, 3143; BGH 19.6.2000 – II ZR 319/98 – NJW 2000, 3718, 3719; BGH 8.12.1989 – V ZR 174/88 – NJW 1990, 2068, 2069; BGH 22.5.1984 – VI ZR 228/82 – NJW 1984, 2346, 2347; BGH 3.12.1953, BGHZ 11, 192, 194, 197; Zöller/Greger § 260 Rn. 5; Saenger § 260 Rn. 14 f.; Wieczorek/Schütze/Assmann § 260 Rn. 23 f. 489 BGH 17.7.2008 – IX ZR 96/06 – NJW 2008, 3142, 3143; BGH 9.10.2006 – II ZR 193/05 – ZIP 2007, 79, 80; BGH 18.11.1993, BGHZ 124, 164, 166 = MDR 1994, 1040, 1041; BGH 8.12.1989, NJW 1990, 2068, 2069; BGH 22.5.1984, NJW 1984, 2346, 2347. 490 Stein/Jonas/Roth § 260 Rn. 11. 531

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

(3) Behandlung der alternativen Klagehäufung im Wettbewerbsprozess vor „TÜV I“ 145 (a) Praxis und Schrifttum vor „TÜV I“. Demgegenüber ging die Praxis im Wettbewerbsrecht früher überwiegend von der Zulässigkeit der alternativen Klagehäufung aus.491 Nach dieser Auffassung konnte also das Gericht die Klage nur dann abweisen, wenn es das Vorliegen aller zur Entscheidung gestellter „Klagegründe“ verneint hatte, wohingegen für eine Verurteilung die Bejahung eines der mehreren Klagegründe ausreichend war, den sich das Gericht wiederum aussuchen konnte. Dies führte dazu, dass unter Umständen nicht alle Klagegründe beschieden werden mussten.492 Mit den allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen war diese Praxis nicht vereinbar.493

146 (b) Rechtfertigung des Ansatzes in der Literatur. Zur Rechtfertigung der Zulässigkeit der alternativen Klagehäufung im Wettbewerbsrecht wurde teilweise vertreten, dass die weiteren Klagegründe unter der auflösenden Bedingung des Erfolgs eines Klagegrundes gestellt seien.494 Dem hatte Schwippert zu Recht entgegengehalten, dass das letztlich nur eine dogmatische Beschreibung des Vorgangs sei, also eigentlich nur heuristischen Wert habe. Damit werde aber nicht die Frage beantwortet, weshalb das Gericht im Fall alternativer Klagehäufung berechtigt ist, sich selbst (willkürlich) den Streitgegenstand auszusuchen, den es zuerst prüft.495 Nach der Ansicht Schwipperts kann man letztlich die Zulässigkeit der alternativen Klagehäufung nur mit den Besonderheiten der wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklage begründen. Diese zeichne sich gegenüber anderen Rechtsbereichen dadurch aus, dass die „Ansprüche auch bei unterschiedlichem Streitgegenstand zu einem verbal identischen Inhalt führen“. Ferner sei der den Streitgegenständen zugrunde liegende Lebenssachverhalt jeweils derselbe und der Verbotstenor erzeuge eine „identische Wirkung“.496 147 Nach anderer vielfach (vor „TÜV I“) vertretener Auffassung konnte man die Zulässigkeit der alternativen Klagehäufung letztlich schon aus prozessökonomischen Gründen nicht in Zweifel ziehen.497 Prozessökonomisch soll das wohl deshalb sein, weil es erstens für den Kläger besonders einfach ist, wenn sich das Gericht aus mehreren Klagegründen selbst denjenigen aussucht, der Erfolg hat, und nicht der Kläger selbst eine Auswahl treffen muss, welcher von mehreren Klagegründen erfolgsversprechender ist. Zweitens kann das Gericht denjenigen Anspruch wählen, aufgrund dessen das einheitliche Klagebegehren am einfachsten zu bejahen ist, so dass hinsichtlich der weiteren Streitgegenstände kein weiterer Begründungsaufwand mehr erforderlich wird. Läge eine kumulative Klagehäufung vor, so müsste das Gericht über all diese Ansprüche entscheiden. Bei einer Eventualklage, bei der die Streitgegenstände im Hilfsverhältnis stehen, müsste das Gericht möglicherweise mehr prüfen als erforderlich, wenn die Klage erst nach einem der Hilfsanträge erfolgreich wäre. Demgegenüber hätte es sich im Falle einer alternativen Klagehäufung direkt den zweiten Anspruch – den Hilfsanspruch bei der Eventualklage – herausgreifen können. 491 BGH 12.11.2009 – I ZR 183/07 – GRUR 2010, 642 Tz. 15, 17 – WM-Marken (Anspruch auf mehrere Marken gestützt, Klage jedoch abgewiesen); BGH 5.11.2008 – I ZR 39/06 – GRUR 2009, 766 Tz. 9 – Stofffähnchen (ebenfalls Geltendmachung mehrerer Marken, jedoch Klageabweisung in der Revisionsinstanz); BGH 28.6.2007 – I ZR 132/04 – GRUR 2008, 258 Tz. 9 ff. – INTERCONNECT/T-InterConnect; BGH 26.10.2000 – I ZR 180/98 – GRUR 2001, 453, 455 – TCM-Zentrum. 492 Vgl. Bergmann GRUR 2009, 224, 225. 493 Ebenso Schwippert FS Loschelder (2010) 345, 346 f. 494 Scholz GRUR-Prax 2010, 141; Bergmann GRUR 2009, 224, 225; Götz GRUR 2008, 401, 407 f.; Köhler/Bornkamm, 28. Aufl. (2010), § 12 Rn. 2.23a; ebenso OLG Köln 25.9.2009 – 6 U 66/09 – GRUR-RR 2010, 202 – Rotes Sparbuch für Gewinner. 495 Schwippert FS Loschelder (2010) 345, 353. 496 Schwippert FS Loschelder (2010) 345, 354. 497 Scholz GRUR Prax 2010, 141, 142; v. Ungern-Sternberg GRUR 2009, 1009, 1014; Fezer/Büscher/Obergfell § 12 Rn. 285; Köhler/Bornkamm 28. Aufl. (2010), § 12 Rn. 2.23a. Grosch

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III. Unterlassungsklage

Vor §§ 12–15a A

Götz hat im Hinblick auf die zivilprozessuale Judikatur außerhalb des Wettbewerbsrechts 148 die Auffassung vertreten, dass diese nur von der Unzulässigkeit von Alternativanträgen, nicht von der Unzulässigkeit der alternativen Klagehäufung schlechthin ausgehen würde.498 Solche Alternativanträge seien aber im Wettbewerbsprozess nicht gegeben, wenn der Antrag die Unterlassung einer genau beschriebenen Verletzungshandlung verlange, so dass die allgemeine zivilprozessuale Judikatur nach der Ansicht von Götz wohl gar nicht im Widerspruch zur Judikatur des I. Senats stand, da diese nur von der Zulässigkeit verschiedener Klagegründe für denselben bestimmten Antrag ausgeht.499 In diese Richtung muss man wohl auch die Ausführungen von v. Ungern-Sternberg verstehen. Danach stehe es dem Kläger frei, mit seinem Antrag die Verhaltensweise als konkrete Verletzungsform zu umschreiben.500 Ergehe aufgrund eines solchen einheitlichen Klagebegehrens, mit dem das Verbot eines bestimmten Verhaltens als solches verlangt wird, ein antragsgemäßes Unterlassungsurteil, so sei jedenfalls die Wiederholung des untersagten Verhaltens in unveränderter Form verboten,501 so dass sich die Frage unterschiedlicher Streitgegenstände und damit der alternativen Klagehäufung nicht stellt. Im gleichen Atemzug sagt v. Ungern-Sternberg aber, dass die Frage, inwieweit auch Abwandlungen „als kerngleich“ erfasst seien, sich danach richten würde, aus welchem der vom Kläger genannten unterschiedlichen Klagegründen heraus die Verurteilung erfolgt sei.502 Deshalb kann man wohl nicht sagen, dass der Kläger bei diesen Fällen der alternativen Klagehäufung dasselbe Begehren nur auf unterschiedliche Klagegründe stützt, weil der Inhalt des Begehrens sich abhängig vom Klagegrund ändert.

(c) Entwicklung in der obergerichtlichen Rechtsprechung. Dem waren allerdings in den 149 letzten Jahren vor „TÜV I“ nicht alle Oberlandesgerichte gefolgt. Unter Bezugnahme auf die allgemeine prozessuale Judikatur hatte sich insofern in den letzten Jahren vor „TÜV I“ ein Schisma in der Rechtsprechung verschiedener Oberlandesgerichte herausgebildet,503 wonach etwa die Oberlandesgerichte München, Düsseldorf und Hamm solche alternative Klagehäufungen für nicht zulässig erachteten,504 wohingegen etwa die Oberlandesgerichte Köln und Hamburg505 weiter von der Zulässigkeit derselben ausgingen.

(4) BGH „TÜV I“ (a) Die Entscheidung. Im Hinweisbeschluss „TÜV I“ hat der BGH grundlegend entschieden, 150 dass es nicht mit dem Bestimmtheitsgrundsatz vereinbar ist, dem Gericht die Auswahl des richtigen Streitgegenstandes zu überlassen.506 Der I. Zivilsenat hat dabei der Konkordanz mit 498 Götz GRUR 2008, 401, 407. 499 Richtig ist, dass etwa Roth in seiner Kommentierung im Stein/Jonas von der Zulässigkeit der alternativen Klagegründe ausgeht, wenn der Kläger den Inhalt des zur Entscheidung gestellten Rechtsschutzbegehrens nur einmal fordern kann (Stein/Jonas/Roth § 260 Rn. 11). Es ist aber gerade die Frage, ob das beim Unterlassungsbegehren wirklich der Fall ist, weil der Verbotstenor je nach Klagegrund einen anderen Inhalt hat. 500 v. Ungern-Sternberg GRUR 2009, 1009, 1017 f. 501 v. Ungern-Sternberg GRUR 2009, 1009, 1018. 502 v. Ungern-Sternberg GRUR 2009, 1009, 1018; ebenso Bergmann GRUR 2009, 224, 225. Vgl. dazu auch oben Rn. 126. 503 Vgl. Schwippert FS Loschelder (2010) 345, 347. 504 OLG Düsseldorf 2.10.2008 – I-7 U 82/07 – OLG Hamm 3.8.2009 – 8 U 237/07 – OLG München 23.1.2003 – 29 U 4096/02 – ZUM 2003, 505, 506; OLG München 25.4.2002 – 29 U 3717/01 – NJOZ 2002, 2265. 505 OLG Hamburg 21.9.2011 – 5 U 164/08 – OLG Köln 25.9.2009 – 6 U 66/09 – GRUR-RR 2010, 202 – Rotes Sparbuch für Gewinner. 506 Seit dem ständige Rechtsprechung: BGH 12.1.2017 – I ZR 253/14 – GRUR 2017, 397 Tz. 28 – World of Warcraft II; BGH 27.11.2014 – I ZR 1/11 – GRUR 2015, 689 Tz. 14 – Parfumflakon III; BGH 17.8.2011 – I ZR 108/09 – GRUR 2011, 1043, Tz. 27 – TÜV II. 533

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

der sonstigen Rechtsprechung im Zivilprozessrecht den Vorzug vor einem Sonderweg für die wettbewerbsrechtliche Unterlassungsklage gegeben. Die Situation ist nach Auffassung des BGH im Wettbewerbsrecht nicht anders als in den oben beschriebenen Fällen der Teilleistungsklage. Andernfalls sei es für den Beklagten bis zur Verurteilung unklar, welche Reichweite das erstrebte Verbot haben wird. Mit der Auswahl eines aus mehreren Streitgegenständen entscheide das Gericht nämlich gleichzeitig über die Reichweite des Verbots.507 Dies zeigt sich nach dem BGH besonders drastisch in dem Fall, in dem der Klage mehrere Schutzrechte zugrundegelegt wurden, da das Erlöschen nur eines Schutzrechts das Verbot unberührt lässt, wenn das Gericht die Verurteilung auf mehrere Schutzrechte gestützt hatte, wohingegen das Verbot gegenstandslos wird, wenn nur aufgrund der Verletzung eines Schutzrechtes verurteilt worden war, welches jetzt erloschen ist.508 Nichts anderes gilt für das Verbot einer „bestimmten Werbung“, die unter mehreren Aspekten angegriffen wurde: Das, was der Beklagte an der beanstandeten Werbung ändern muss, beurteilt sich gerade danach, worauf, also auf welchen Klagegrund, die Verurteilung gestützt wurde. Die Reichweite des Verbots der Wahl des Gerichts zu überlassen, ist nicht mit dem Bestimmtheitsgrundsatz vereinbar.509 Man könnte natürlich argumentieren, dass es für den Beklagten keine Rolle spielen kann, 151 ob er erst mit Verkündung des Urteils erfährt, welche Reichweite das Verbot hat, da er aufgrund der Klage von vornherein damit rechnen musste, dass das Urteil auf jeden oder eben auch auf alle dem Gericht angebotenen Streitgegenstände gestützt werden kann.510 Insofern ergänzt der BGH seine Begründung aber dahin, dass es für den Beklagten klar sein muss, gegen welchen dieser Streitgegenstände er seine Rechtsverteidigung in erster Linie zu richten hat, wie er also seine Verteidigung angemessen priorisiert.511 Weiter greift der BGH auf den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit zurück. Denn der Kläger würde bei Zulässigkeit der alternativen Klagehäufung keinerlei Kostenrisiko tragen, selbst wenn nur einer von mehreren Streitgegenständen das Verbot materiell-rechtlich tragen kann, wohingegen der Beklagte in allen Punkten obsiegen muss, um der Kostentragungslast zu entgehen.512

152 (b) Bewertung der „TÜV I“-Rechtsprechung. Der „TÜV“-Entscheidung kann man mit Blick auf § 253 ZPO nur zustimmen.513 Wenn unterschiedliche Streitgegenstände vorliegen, so muss der Kläger angeben, ob diese kumulativ zur Entscheidung gestellt werden, ob er also ein Verbot gestützt auf alle (und damit letztlich mehrere Verbote) erreichen will. Dann muss das Gericht auch alle prüfen und die Klage teilweise abweisen, falls nur ein prozessualer Anspruch begründet ist. Entscheidet sich der Kläger für ein Eventualverhältnis, so ist die Klage teilweise abzuweisen, falls einer der vorrangig zur Entscheidung gestellten Anträge nicht begründet ist. 153 Ebenfalls zutreffend ist, dass es nicht der Willkür der Gerichte überlassen sein kann, welcher Streitgegenstand geprüft wird und welcher nicht. Diese Auswahl muss vielmehr der Kläger treffen, indem er die Reihenfolge (kumulativ oder eventual) festlegt, in der die Streitgegenstände zu prüfen sind. 154 Die Argumentation, wonach der Beklagte wissen müsse, wie er sich zur verteidigen habe, ist allerdings in der Tat nicht ganz überzeugend, weil er das auch bei einer alternativen Klage-

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BGH 24.3.2011 – I ZR 108/09 – BGHZ 189, 56 = GRUR 2011, 521 Tz. 10 – TÜV I. BGH 24.3.2011 – I ZR 108/09 – BGHZ 189, 56 = GRUR 2011, 521 Tz. 10, 11 – TÜV I. BGH 24.3.2011 – I ZR 108/09 – BGHZ 189, 56 = GRUR 2011, 521 Tz. 10 – TÜV I. So Schwippert FS Loschelder (2010) 345, 353; v. Ungern-Sternberg GRUR 2011, 486, 492; Teplitzky GRUR 2011, 1091, 1094. 511 BGH 24.3.2011 – I ZR 108/09 – BGHZ 189, 56, 59 ff. = GRUR 2011, 521 Tz. 11 – TÜV I. 512 BGH 24.3.2011 – I ZR 108/09 – BGHZ 189, 56 = GRUR 2011, 521 – TÜV I, ebenso Teplitzky GRUR 2011, 1091, 1094. 513 Ebenso Büscher GRUR 2012, 16; Teplitzky GRUR 2011, 1091, 1094. Grosch

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III. Unterlassungsklage

Vor §§ 12–15a A

häufung weiß. Aufgrund des klägerischen Vorbringens ist nämlich klar, dass eine Verurteilung nach allen Streitgegenständen in Betracht kommt. Die eigentliche Problematik der gesamten Argumentation in diesem Kontext liegt aber in 155 der Verwendung des Begriffs des „einheitlichen Klagebegehrens“, den auch der BGH im „TÜV I“-Beschluss verwendet.514 Gemeint ist damit der Sache nach, dass ein einheitlicher Antrag mit demselben Gegenstand auf verschiedene Begründungen gestützt wird. Gerade daran knüpft die Kritik der Literatur an, die in Fällen, in denen der Gegenstand des Klagebegehrens nur einmal verlangt werden kann, alternative Klagegründe für zulässig erachtet.515 Ein bestimmtes Verhalten könne man aber „naturgemäß“ nur einmal unterlassen516 und ferner sei bei auf die konkrete Verletzungsform gerichteten Anträgen auch eine „erweiternde Auslegung“ des Unterlassungsantrages/Verbotstenors auf kerngleiche Ausführungsformen nur in sehr engen Grenzen möglich.517 Diese Prämisse trägt aber nicht, weil es sich trotz des definitionsgemäß identischen Antragswortlauts gerade nicht um ein „einheitliches Klagegebegehren“ handelt. Denn das Klagebegehren ist das Rechtsschutzbegehren, also das begehrte Verbot. Dieses ist aber gerade nicht einheitlich, wenn das Verbot je nach Lebenssachverhalt, auf den es sich stützt, einen unterschiedlichen Regelungsgehalt und vor allem Regelungsumfang aufweist. Lebenssachverhalt meint hier das jeweilige Schutzrecht bzw. bei wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen die unterschiedlichen Sachverhaltsaspekte, aufgrund derer eine Handlung als wettbewerbswidrig eingeordnet wird. Der einheitliche Antrag kann also nichts daran ändern, dass aufgrund der unterschiedlichen Rechtsschutzbegehren und der daraus resultierenden unterschiedlichen Regelungsgehalte der Verbote auch mehrere Klagebegehren vorliegen. Wenn der Kläger also einen einheitlichen Antrag stellt und diesen mit Verwirklichung des § 4 Nr. 9 einerseits und gestützt auf ein gewerbliches Schutzrecht oder ein Urheberrecht andererseits begründet, liegen darin stets mehrere Klagebegehren im Sinne mehrerer Rechtsschutzbegehren bezüglich verschiedener Verbote mit verschiedenen Regelungsgehalten. Zwar erkennen auch die Befürworter der alternativen Klagehäufung genau das. So schreibt Schwippert, dass sich im Zwangsvollstreckungsverfahren der unterschiedliche Schutzumfang des Verbots bei der Frage auswirke, welche Abwandlungen vom Verbot noch erfasst sind, da die „verbal identischen Verbotsaussprüche materiell-rechtlich unterschiedlich verankert sind“. Je nach zugrunde gelegter Norm sei die Frage nach dem Schutzumfang unterschiedlich zu beantworten.518 Inkonsequent ist es aber gerade deshalb, wenn Schwippert gleichzeitig schreibt, dass die Ansprüche „verbal identischen Inhalt“ hätten, der Verletzungssachverhalt derselbe sei und der Verbotstenor eine „jeweils identische Wirkung erzeuge“.519 Insofern sagt v. Ungern-Sternberg an sich zu Recht, dass sich die Reichweite des Verbots bei 156 Verurteilung aus nur einem Streitgegenstand von der aus mehreren „lediglich bei der Frage [unterscheidet], ob das rechtskräftig gewordene Verbot auch bei Abwandlungen des im Tenor bezeichneten Verhaltens eingreift“.520 Der Zusatz „lediglich“ ist allerdings unzutreffend, denn bei der Frage, welche Abwandlungen von der im Tenor bezeichneten Handlung noch erfasst sind, handelt es sich gerade um die Kernfrage des Verbots. Ein Verbot ist nämlich nur dann bestimmt, wenn es die Abgrenzung von erlaubten und verbotenen Handlungsweisen zulässt (so auch die Grundlagen zur Bestimmtheit, vgl. oben Rn. 80 ff.). Hinsichtlich dieser Abgrenzung unterscheiden sich aber die erstrebten Verbote und zwar per definitionem, weil eben unter514 BGH 24.3.2011 – I ZR 108/09 – BGHZ 189, 56 = GRUR 2011, 521 Tz. 6 – TÜV I und erster Leitsatz. 515 Stein/Jonas/Roth § 260 Rn. 11 mit Fn. 37 (gegen BGH TÜV I); Stieper GRUR 2012, 5, 7; Götz GRUR 2008, 401, 407.

516 Stieper GRUR 2012, 5, 7; Götz GRUR 2008, 401, 408, siehe dazu auch Rn. 148. 517 Stieper GRUR 2012, 5, 7 sub b) bb). 518 Schwippert FS Loschelder (2010) 345, 349; ebenso v. Ungern-Sternberg GRUR 2011, 486, 492; Bergmann GRUR 2009, 224, 225.

519 Schwippert FS Loschelder (2010) 345, 354. 520 v. Ungern-Sternberg GRUR 2011, 486, 492. 535

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

schiedliche Streitgegenstände vorliegen. Dies erkennt wohl auch v. Ungern-Sternberg, indem er weiter unten ausführt, dass die alternative Klagehäufung gegen ein bestimmtes Verhalten nicht immer der Königsweg sei, weil die Feststellung, welche Handlungen als kerngleich mitverboten sind, davon abhänge, auf welche Schutzrechte die gerichtliche Entscheidung gestützt wird.521 Die Begründung des BGH in „TÜV I“ ist daher an diesem Punkt vollständig überzeugend.

157 (5) Sachliche Aufgabe der „TÜV I“-Rechtsprechung für das Lauterkeitsrecht durch die Entscheidungen „Biomineralwasser“ und „Branchenbuch Berg“. Im Anschluss an die „TÜV I“-Rechtsprechung hatte sich eine Diskussion darüber entwickelt, ob man mit dem „kleinteiligen Streitgegenstandsbegriff“ praktisch noch zu Recht komme, wenn nach dem Urteil „TÜV I“ die alternative Klagehäufung nicht mehr zulässig ist. Die sachliche Substanz der Problematik wird also schlicht dogmatisch zum Streitgegenstandsbegriff verlagert, so dass man die Prämissen aus „TÜV I“ unangetastet lassen konnte (zum Streitgegenstandsbegriff unten Rn. 229 ff.). Das ändert aber nichts daran, dass man damit der Sache nach die gerade etablierte „TÜV I“-Rechtsprechung wieder aufgibt. Der BGH kommt schließlich in „TÜV I“ überhaupt nur deshalb zur Prüfung und Verneinung der Zulässigkeit der alternativen Klagehäufung, weil ein auf ein Verbot einer konkreten Verletzungshandlung (etwa eine einheitliche Werbung, wie sie vom BGH in „TÜV I“ angenommen wird) gerichtetes Rechtsschutzbegehren je nach geltend gemachter Beanstandung mehrere Streitgegenstände begründen kann. Es ist also die unabdingbare Prämisse dieser Judikatur, dass verschiedene Beanstandungen derselben historischen Verletzungshandlung unter verschiedenen materiellen Aspekten unterschiedliche „Klagegründe“ im Rechtssinne begründen können. Begründet wird das, wie oben dargestellt, mit dem unterschiedlichen Inhalt bzw. Umfang der begehrten und tenorierten Verbotsnorm in Abhängigkeit von der sie jeweils begründenden materiellen Beanstandung und der insofern für die Subsumtion erforderlichen Tatsachenaspekte. Die Kernaussage von „TÜV I“ ist insofern: „Mit dem Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist aber nicht zu vereinbaren, dass die Reichweite des Verbots der Wahl des Gerichts überlassen bleibt.“522 Diese Kernaussage von „TÜV I“ ist durch „Biomineralwasser“523 und „Branchenbuch 158 Berg“524 jedoch revidiert worden (hierzu unten Rn. 214 ff., 245 und 262 ff.). In beiden Entscheidungen geht der BGH davon aus, dass bei einem auf die konkrete Verletzungshandlung gerichteten Verbotsantrag nur ein einheitlicher Streitgegenstand vorliegt, weil es sich bei natürlicher Betrachtungsweise um einen einheitlichen Lebenssachverhalt (die Verletzungshandlung) handelt. Das gelte unabhängig davon, ob die Handlung, etwa ein Werbeschreiben in der Entscheidung „Branchenbuch Berg“, unter unterschiedlichen materiellen Aspekten beanstandet werde. Im entschiedenen Fall ging es um zwei selbständige Irreführungstatbestände in einem einheitlichen Werbeschreiben, zum einen um die Verschleierung eines neuen Vertragsschlusses durch die Suggestion, es gehe für den Adressaten um die Verlängerung eines bestehenden Vertragsverhältnisses, und zum anderen durch die Preisangabe nach Monaten aufgeschlüsselt um eine Irreführung darüber, dass tatsächlich ein jährlicher Betrag fällig wird. Hier kann das Gericht sich also aussuchen, auf welchen der materiellen Gründe es das Verbot des konkreten Werbeschreibens stützen will. Wenn es aber, wie oben aufgezeigt, auch weiterhin gilt, wogegen nichts in den Entscheidungen des BGH spricht, dass auch das auf die konkrete Verletzungshandlung gerichtete Unterlassungsurteil kerngleiche Abwandlungen erfasst (hierzu Rn. 860 ff., Rn. 117 ff., Rn. 130 ff.), dann hat das Verbotsurteil einen anderen Umfang, je nachdem auf welche materielle Beanstandung das Verbot gestützt wird. Je nach Beanstandung, auf die sich das Gericht stützt, wären andere Abwandlungen noch von der Verbotsnorm erfasst. Damit überließe man 521 522 523 524

v. Ungern-Sternberg GRUR 2011, 486, 492 f. BGH 24.3.2011 – I ZR 108/09 – BGHZ 189, 56 = GRUR 2011, 521 Tz. 10 a. E. – TÜV I. BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 24 – Biomineralwasser. BGH 30.6.2011 – I ZR 157/10 – GRUR 2012, 184 Tz. 12 – Branchenbuch Berg.

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III. Unterlassungsklage

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in der Sache die Reichweite des Verbots der Auswahl des Gerichts. Es ist also die Kernaussage der „TÜV I“-Entscheidung durch die Urteile „Biomineralwasser“ und „Branchenbuch Berg“ revidiert. Das wird auch durch die Begründung des „TÜV I“-Beschlusses bestätigt, wenn man sich 159 diese genauer ansieht. Der grundlegende Fall, der die Bestimmtheit des auf die konkrete Verletzungshandlung bezogenen Antrages bejaht und die Auswahl der materiellen Beanstandung dem Gericht überlässt, ist nämlich die Entscheidung „TCM-Zentrum“. In „TÜV I“ ordnet der BGH diesen Fall als einen solchen ein, in dem er in der Vergangenheit die alternative Klagehäufung für zulässig erachtet hat, was jetzt nicht mehr möglich sein soll.525 Tatsächlich hat sich der BGH in „TCM-Zentrum“ aber gar nicht ausdrücklich mit der entscheidenden Vorfrage befasst, ob überhaupt verschiedene Streitgegenstände vorliegen. Der BGH hat das in „TÜV I“ deshalb angenommen, weil je nach Auswahl der materiellen Beanstandung als Basis des gerichtlichen Verbots sich die Reichweite desselben nach der Kernbereichslehre ändert und deshalb aus Sicht des BGH in „TÜV I“ dort verschiedene Klagegründe im Rechtssinne vorliegen. Das soll aber nach „Biomineralwasser“ gerade nicht mehr gelten. Im Ergebnis ergibt sich damit also die Unzulässigkeit der alternativen Klagehäufung 160 in der Praxis des Lauterkeitsrechts nur noch selten, weil nach „Biomineralwasser“ bei der konkreten Verletzungshandlung wegen des einheitlichen Lebenssachverhalts immer ein Streitgegenstand vorliegt. Die alternative Klagehäufung bleibt aber grundsätzlich unzulässig, etwa in den Fällen, in denen der Kläger ein einheitliches Klageziel im Fall der Behinderung sowohl auf eigenes Recht als auch auf die Prozessführungsbefugnis für einen Dritten stützt.526 Der BGH hat in „Biomineralwasser“ allerdings die Aufgabe von „TÜV I“ für das Lauterkeits- 161 recht nicht angesprochen. Im Gegenteil. Die Prämisse scheint gerade die Unabänderlichkeit dieser Linie zu sein. Weil man die alternative Klagehäufung für unzulässig erachtet, sei es aus praktischen Gründen erforderlich, den kleinteiligen Streitgegenstandsbegriff aufzugeben. Das ist allerdings, wie gerade aufgezeigt, eine rein formale Begriffslogik. In der Sache wird „TÜV I“ aufgegeben. Das hätte der BGH auch aussprechen können.

d) Bestimmtheit bei abstrahierenden Anträgen aa) Methodische Grundfragen. Von der konkreten Verletzungshandlung abstrahierende An- 162 träge dienen nach allgemeiner Meinung dazu, den materiellen Unterlassungsanspruch dadurch in seiner Breite voll auszuschöpfen, dass der Antrag nicht nur die konkrete Verletzungshandlung erfasst, sondern zudem alle Handlungen, in denen das für die konkrete Verletzungshandlung Charakteristische zum Ausdruck kommt. Letztlich geht es hier also darum, die konkrete Verletzungsform im Sinne des hier verwendeten Sprachgebrauchs richtig zu fassen, also die Aufgabe zu leisten, die bei zutreffender Annahme das Ziel der Antragsfassung nach dem Bestimmtheitsgrundsatz sein muss, nämlich im Antrag und im Tenor die Aspekte zu benennen, die für den Subsumtionsschluss tragend sind. Antrag und Tenor stellen sich insofern als Extrakt der Begründung dar, die die wesentlichen Umstände, die das Verbot tragen, benennen.527 Wie bereits oben gesagt, ist der wesentliche Teil dieser Aufgabe aber nicht beim Bestimmtheitsgebot verortet, sondern beim materiell-rechtlichen Konkretisierungsgebot. Der Antrag kann bestimmt sein, aber nicht alle Merkmale der konkreten Verletzungsform enthalten und deshalb unbegründet sein.

525 BGH 24.3.2011 – I ZR 108/09 – BGHZ 189, 56 = GRUR 2011, 521 Leitsätze und Tz. 8 – TÜV I. 526 BGH 12.1.2017 – I ZR 253/14 – GRUR 2017, 397 Tz. 27 – World of Warcraft II. 527 Vgl. Thomas/Putzo/Seiler § 313 Rn. 8; Zöller/Feskorn § 313 Rn. 8. 537

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

163 bb) Fallgruppen der BGH-Rechtsprechung. Welchen Anforderungen die Konkretisierung des Unterlassungsantrages genügen muss, lässt sich aber nur unter Berücksichtigung des jeweils einschlägigen materiellen Rechts und der Besonderheiten des Einzelfalls festlegen.528 Es ist im Einzelfall eine Abwägung des schützenswerten Interesses des Beklagten an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit mit dem ebenfalls schützenswerten Interesse des Klägers an einem effektiven Rechtsschutz vorzunehmen.529 Dabei lässt es sich nicht ganz vermeiden, dass das Vollstreckungsgericht bei der Klärung, ob ein Verstoß im Einzelfall vorliegt, selbst Wertungen vornehmen muss.530 Folgende Fallgruppen lassen sich dabei nach der Systematik des BGH unterscheiden.

164 (1) Keine Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe innerhalb des Kerns der mit dem Verbot begehrten Regelung. Der BGH hat festgestellt, dass Anträge, die auslegungsbedürftige Formulierungen wie „nach Farbe, Form, Abmessungen, Gesamtaussehen zu Verwechslungen geeignet“,531 „Anzeigen der nachfolgend eingeblendeten Art“,532 dem Klagezeichen „zum Verwechseln ähnliches Kennzeichen“,533 „ähnlich wie“,534 „andere verwechslungsfähige Bezeichnungen“535 enthalten, grundsätzlich unbestimmt sind und daher nicht verwendet werden dürfen, sofern sie den Kern der mit dem Verbot begehrten Regelung betreffen.536 Grund hierfür ist, dass es für den Beklagten eine nicht erträgliche Unsicherheit bedeuten würde, wenn die zu unterlassenden Handlungen nur ihrer Art nach entsprechend charakterisiert würden und wenn demgemäß erst das Vollstreckungsgericht entscheiden müsste, wie weit das Unterlassungsgebot reicht.537 Auf dieser Linie hat der BGH auch entschieden, dass ein Antrag, der auf das Verbot der „Vermittlung von Versicherungsverträgen ohne Genehmigung nach § 34d GewO“ gerichtet ist, unbestimmt sei, wenn sich die Parteien gerade darüber streiten, ob bestimmte vom Kläger beanstandete Internetangebote als „Vermittlung von Versicherungsverträgen“ zu verstehen seien.538 In diese Kategorie ist auch der Fall einzuordnen, in dem der Kläger, der sich gegen eine Verdachtberichtserstattung auf der Basis von §§ 823, 1004 BGB wehrt, einen Unterlassungstitel begehrt, wonach es dem Beklagten verboten wird, „identifizierend über den Kläger – wie in dem streitgegenständlichen Artikel geschehen – zu berichten“.539 Durch den Verweis auf die gesamte Berichterstattung bleibt gerade offen, was konkret in der Berichterstattung „identifizierend“ ist.540

528 BGH 4.7.2002 – I ZR 38/00 – GRUR 2002, 1088, 1089 – Zugabenbündel; jeweils zur immissionsrechtlichen Unterlassungsklage BGH 5.2.1993, BGHZ 121, 248, 251 = NJW 1993, 1656, 1657; BGH 30.10.1998, BGHZ 140, 1, 3 = NJW 1999, 356, 357 f.; sowie v. Ungern-Sternberg FS Geiß (2000) 2655, 2659. 529 BGH 24.2.2005 – I ZR 128/02 – GRUR 2005, 604, 605 – Fördermittelberatung; BGH 4.9.2003 – I ZR 23/01 – BGHZ 156, 126, 131 = GRUR 2004, 151, 152 – Farbmarkenverletzung I; BGH 4.7.2002 – I ZR 38/00 – GRUR 2002, 1088, 1089 – Zugabenbündel. 530 BGH 4.7.2002 – I ZR 38/00 – GRUR 2002, 1088, 1089 – Zugabenbündel; BGH 12.7.2001 – I ZR 40/99 – GRUR 2002, 86, 88 – Laubhefter; BGH 9.10.1986, GRUR 1987, 172, 174 – Unternehmensberatungsgesellschaft I. 531 BGH 12.7.2001 – I ZR 40/99 – GRUR 2002, 86, 88 – Laubhefter. 532 BGH 26.10.2000 – I ZR 180/98 – GRUR 2001, 453 – TCM-Zentrum. 533 BGH 23.6.1994, BGHZ 126, 287, 295 f. = GRUR 1994, 844, 845 – Rotes Kreuz. 534 BGH 16.7.1998, GRUR 1999, 235, 237 – Wheels Magazine; BGH 11.10.1990 – I ZR 35/89 – GRUR 1991, 254 – Unbestimmter Unterlassungsantrag I. 535 BGH 13.7.1979, GRUR 1979, 859, 860 – Hausverbot II; BGH 3.4.1963, GRUR 1963, 430, 431 – Erdener Treppchen. 536 Siehe auch Rn. 86 f. 537 BGH 12.7.2001 – I ZR 89/99 – GRUR 2002, 72, 73 – Preisgegenüberstellung im Schaufenster; BGH 26.10.2000 – I ZR 180/98 – GRUR 2001, 453, 455 – TCM-Zentrum; BGH 5.6.1997, GRUR 1998, 489, 491 – Unbestimmter Unterlassungsantrag III. 538 BGH 28.11.2013 – I ZR 7/13 – GRUR 2014, 398 Tz. 15 – Online-Versicherungsvermittlung. 539 OLG Düsseldorf 21.2.2019 – 16 U 179/17 – juris Tz. 34. 540 OLG Düsseldorf 21.2.2019 – 16 U 179/17 – juris Tz. 34. Grosch

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III. Unterlassungsklage

Vor §§ 12–15a A

(a) Verwendeter Begriff liegt außerhalb des Kerns der mit dem Verbot begehrten Regelung (aa) Inhalt und Bedeutung zwischen den Parteien nicht in Streit. Allerdings kann auch 165 der Gebrauch von Begriffen, deren Bedeutung nicht abschließend feststeht und nicht immer gleich sein muss, hinnehmbar oder im Interesse einer sachgerechten Titulierung zweckmäßig oder sogar geboten sein, wenn im Einzelfall über den Sinngehalt der verwendeten Begriffe oder Bezeichnungen kein Zweifel besteht und objektive Maßstäbe zur Abgrenzung vorliegen.541 So sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung Formulierungen wie „Behauptungen ähnlichen Inhalts“,542 „im geschäftlichen Verkehr“543 oder „warenzeichenmäßiger Gebrauch“544 oder „markenmäßig“545 für zulässig erachtet worden, weil die verwendeten Begriffe, obwohl sie an sich auslegungsfähig und damit mehrdeutig sind, im konkreten Fall nach Inhalt und Bedeutung nicht umstritten waren und damit ihr Sinngehalt und die Reichweite von Antrag und Urteil festgestanden hätten. Anderes gilt, wenn mit Blick auf diesen Begriff gerade die für die Subsumtion des beanstandeten Verhaltens entscheidende Auslegungsfrage zwischen den Parteien im Streit steht.546 Ob die Bedeutung von Begriffen zwischen den Parteien „in Streit steht“, kann dabei zwischen den Parteien durchaus unterschiedlich beurteilt werden. Beispielhaft hierfür ist die BGHEntscheidung „Segment-Struktur“, die den ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz betrifft.547 Der antragsgemäß angegriffene Verletzungsgegenstand betraf im entschiedenen Fall „pharmazeutische Großhandelsdaten in einer durch bloße Teilung von Segmenten geschaffenen Ableitung der Gebietsaufteilung des RPM 1860 gemäß Anlage A mit oder ohne Konvertierungssoftware oder anderen Konvertierungsanleitungen“. Die Besonderheit des entschiedenen Falles liegt darin, dass die Gebietsaufteilung nach Anlage A letztlich den „Schutzgegenstand“, also das wettbewerbsrechtlich geschützte Leistungsergebnis der Klägerin, zeigt und nicht die angegriffene Verletzungsform. Diese ist aber nach Auffassung des BGH dadurch hinreichend bestimmt in Bezug genommenen, dass die Verletzungsform eine „Ableitung“ der geschützten Gebietsstruktur 1860 darstellt, welche durch Teilung derer Segmente entstanden ist. Entscheidend ist dabei, dass diese Verletzungsform durch ein Rückgängigmachen der Teilung wieder auf die geschützte Segmentstruktur rückführbar ist. Diese Rückführbarkeit ist nach Auffassung des BGH eine „objektiv feststellbare Eigenschaft des angegriffenen Marktberichts“548 und macht damit den Antrag hinreichend bestimmt, auch wenn ex ante eine unbestimmte Viezahl von möglichen Ausführungsformen darunterfällt. Unklar bleibt allerdings, ob der BGH im entschiedenen Fall davon ausgegangen ist, dass ausnahmsweise zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes die Verwendung von auslegungsbedürftigen Begriffen im Kernbereich des Verbots zulässig sein soll549 (hierzu unten Rn. 173 ff.) oder ob es sich um eine Fallgestaltung handelt, bei der tatsächlich (also auf der Basis der Tatsachengrundlage) zwischen den Partein über die Auslegung gar kein Streit besteht.550 Richtigerweise wird man sagen müssen, dass es sich natürlich um einen abstrakten Begriff im Unterlassungsantrag handelt („Ableitung“), unter den dann im Einzelfall subsumiert werden muss. Die für die Bestimmung des Inhalts maßgeblichen Punkte („Rückführbarkeit“) sind aber zwischen den Parteien nicht in Streit. 541 BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 20 – Segmentstruktur; BGH 10.2.2011 – I ZR 164/09 – GRUR 2011, 936 Tz. 17 – Double-opt-in-Verfahren; BGH 26.10.2000 – I ZR 180/98 – GRUR 2001, 453, 455 – TCM-Zentrum; BGH 5.6.1997, GRUR 1998, 489, 491 – Unbestimmter Unterlassungsantrag III; vgl. auch Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 8c. 542 RG 2.12.1932, GRUR 1933, 253 – Bärstangensicherung. 543 BGH 22.12.1961, BGHZ 36, 252 = GRUR 1962, 310, 313 – Gründerbildnis. 544 BGH 26.5.1988, GRUR 1988, 776, 777 – PPC. 545 BGH 12.7.1990, GRUR 1991, 138 – Flacon. 546 BGH 28.11.2013 – I ZR 7/13 – GRUR 2014, 398 Tz. 15 – Online Versicherungsvermittlung. 547 BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 20 ff. – Segmentstruktur. 548 BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 27 – Segmentstruktur. 549 BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 24 – Segmentstruktur. 550 BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 20 – Segmentstruktur. 539

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

166 (bb) „Theoretische Randfrage“. Es kommt dabei maßgeblich darauf an, ob die benutzten Begriffe sich auf den Kern der mit dem begehrten Verbot zu treffenden Regelung beziehen, oder nur auf eine mehr oder weniger theoretische Randfrage.551 In der Entscheidung „Zugabenbündel“552 wurde beispielsweise die Benutzung des Begriffs „Warenbeigabe“, welcher gleichbedeutend mit dem gesetzlichen Begriff der „Zugabe“ (Zugabeverordnung) ist, als hinreichend bestimmt erachtet. Dieser gesetzliche Begriff ist zwar in Randbereichen auslegungsbedürftig, betraf aber im zu entscheidenden Fall nicht den Kern des Rechtsstreit. Überdies war der Begriff „Warenbeigabe“ durch die besonderen Umstände des Einzelfalles konkretisiert: Die erfassten Warenbeigaben hatten sich schon deshalb von der Hauptware unterschieden, weil es sich bei letzteren um Waren aus dem Sortiment des beklagten Apothekers gehandelt hatte, also regelmäßig um Arzneimittel. Aus diesem Begründungsmuster des BGH wird meines Erachtens aber deutlich, dass Sachverhalte, bei denen genau dieser Aspekt nicht zutrifft und bei denen sich dann tatsächlich ein Streit über die Qualität als Warenbeigabe entzünden würde, anders zu beurteilen sein könnten. 167 Auf dieser Linie hat der BGH in einem anderen Fall auch die Formulierung „im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken Verbraucher anzurufen“ unbeanstandet gelassen, weil zwischen den Parteien nicht streitig war, dass die Beklagte bei Anrufen, die sie getätigt hatte, um die Angerufenen zur Teilnahme an einem Lotto-System zu bewegen, in diesem Sinne im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken gehandelt hatte. Ferner kann der Begriff auch ansonsten in der Rechtsprechung im Wesentlichen als geklärt erachtet werden.553 Zu der Frage, ob auch über das Angebot zur Teilnahme am Lotto-System hinaus jegliche Anrufe zu Wettbewerbszwecken verboten werden könnten, hat sich der BGH in diesem Fall dahingehend geäußert, dass dies nicht eine Frage der Bestimmtheit des Klageantrages, sondern eine solche des materiellen Konkretisierungsgebots sei. Anhand diesem müsse das Vorliegen der Wiederholungsgefahr und der Umfang des Unterlassungsanspruchs bestimmt werden (dazu bereits oben Rn. 110). Im entschiedenen Fall wurde der Antrag für begründet erachtet, weil nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 Fall 1 nicht entscheidend sei, für was mit dem Telefonanruf geworben wird, sondern lediglich, dass es sich um einen unverlangten Werbeanruf gegenüber einem Verbraucher handle.554 168 In diesem Sinne hat der BGH ferner in der Entscheidung „Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge“ die Verwendung des Begriffs „werben“ nicht als unbestimmt angesehen.555 Es ist im Allgemeinen nicht zweifelhaft, ob eine Maßnahme als Werbung anzusehen ist oder nicht. Darüber hinaus bestand im entschiedenen Fall über diese Frage kein Streit. Nicht unbestimmt wird der Tenor ferner dadurch, dass im Tenor selbst „beispielhaft“ bestimmte Verletzungshandlungen angeführt werden. Dadurch wird der Antrag nicht auf „ähnliche“ Verletzungshandlungen erstreckt, sondern es wird, wie bei einem „insbesondere“-Antrag, vom allgemeinen Verbotsantrag auf die konkret beanstandeten Verletzungsformen verwiesen, in denen das Charakteristische des begehrten Verbots zum Ausdruck kommt, ohne dass der Antrag darauf beschränkt wäre.556 169 Abgegrenzt hat der BGH hiervon die Fälle, in denen der Kern des Streits der Parteien gerade die Frage der Werbung betraf, also etwa die Fälle der redaktionellen Werbung, wie im Fall „Faltenglätter“.557 Im Gegensatz zur Entscheidung „Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge“ hat der BGH in diesem Urteil festgestellt, dass es gerade eine Frage des Einzelfalls sei und 551 BGH 4.7.2002 – I ZR 38/00 – GRUR 2002, 1088, 1089 – Zugabenbündel; BGH 12.7.2001 – I ZR 89/99 – GRUR 2002, 72, 73 – Preisgegenüberstellung im Schaufenster; BGH 15.12.1999, GRUR 2000, 337 – Preisknaller; vgl. auch Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 8c. 552 BGH 4.7.2002 – I ZR 38/00 – GRUR 2002, 1088, 1089 – Zugabenbündel. 553 BGH 5.10.2010 – I ZR 46/09 – GRUR 2011, 433 Tz. 10, 18 – Verbotsantrag bei Telefonwerbung. 554 BGH 5.10.2010 – I ZR 46/09 – GRUR 2011, 433 Tz. 11, 27 – Verbotsantrag bei Telefonwerbung. 555 BGH 24.11.1999, GRUR 2000, 438, 440 – Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge. 556 BGH 3.4.2008 – I ZR 73/05 – GRUR 2008, 702, 704 – Internetversteigerung III. 557 BGH 18.2.1993, GRUR 1993, 565 – Faltenglätter. Grosch

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III. Unterlassungsklage

Vor §§ 12–15a A

nicht im Allgemeinen feststehe, ob redaktionelle Werbung vorliege oder nicht. Zudem fehlte bei der Formulierung „die inhaltlich Werbung sind“, eine Konkretisierung, anhand welcher deutlich wurde, dass nur unzulässig getarnte Werbung vom Verbot umfasst sein sollte.558 Ebenso hat der BGH in der Entscheidung „Unbestimmter Unterlassungsantrag I“ in einem 170 Fall redaktioneller Werbung die Formulierung des Verbots der Veröffentlichung der Anzeigen Dritter „ähnlich wie“ die konkrete Anzeige für unbestimmt und damit unzulässig gehalten.559 In der Entscheidung „Herz-Kreislaufstudie“ hat der BGH die Verwendung des Begriffs „re- 171 daktionell gestaltete Anzeige“ in Anwendung dieser Grundsätze nur für solche Anträge als unbestimmt eingeordnet, bei denen es dem Kläger gerade um ein Verbot redaktioneller Werbung ging.560 In denjenigen Anträgen, bei denen sich der Unterlassungsanspruch auf einen Verstoß gegen heilmittelwerberechtliche Vorschriften stützte, war die Verwendung dieser Formulierung hingegen unschädlich, weil wegen des auf das HWG gestützten Angriffs davon auszugehen war, dass die Formulierung nur der näheren Umschreibung der konkreten Verletzungsform diente.561 Wenn man die eben genannten Entscheidungen zum Begriff des „Werbens“ bzw. der „re- 172 daktionellen Werbung“ vergleicht, liegt also in der Rechtsprechung des BGH zumindest eine einheitliche Linie dergestalt vor, dass der Begriff des „Werbens“ allgemein geklärt ist. Steht also nicht gerade in Streit, ob eine Handlung als Werben einzuordnen ist, so ist die Verwendung dieses Begriffes im Antragswortlaut unproblematisch. Geht es hingegen gerade um das Verbot einer „redaktionellen Werbung“, so ist dies eine Einzelfallfrage, die stets einer Konkretisierung bedarf, weil ansonsten ein abstrakter Obersatz, um dessen Verwirklichung die Parteien gerade streiten, tenoriert würde.

(b) Ausnahmen zur Gewährung eines wirksamen Rechtsschutzes (aa) Rechtsprechung. Ausnahmen vom Grundsatz, dass unbestimmte Begriffe im Kernbereich 173 der mit dem Verbot begehrten Regelung nicht zulässig sind, hat der BGH zugelassen, sofern das zu Gewährung eines wirksamen Rechtsschutzes für den Kläger erforderlich ist.562 So hatte der Kläger in der Entscheidung „Zugabenbündel“563 die Erstreckung des Verbots 174 von den konkret benannten Zugaben zur Hauptware (Arzneimittel) auf „ähnliche Gegenstände“ begehrt, die „im Bündel aus der Sicht des Verkehrs einen Wert von mehr als 1 DM“ hatten. 558 BGH 18.2.1993, GRUR 1993, 566 – Faltenglätter; bestätigt durch BGH 24.11.1999, GRUR 2000, 438, 440 – Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge; BGH 1.2.1996, GRUR 1996 502, 507 – Energiekosten-Preisvergleich; vgl. auch LG Hamburg 4.12.2009 – 324 O 338/09 – KG Berlin 12.4.1991 – 5 U 5945/89 – juris; Köhler WRP 1998, 349, 356; Gröning WRP 1993, 685, 692 f. 559 BGH 11.10.1990 – I ZR 35/89 – GRUR 1991, 254, 256 – Unbestimmter Unterlassungsantrag I; ebenso BGH 30.4.2008 – I ZR 73/05 – GRUR 2008 702 Tz. 26 – Internetversteigerung III; BGH 7.6.2001 – I ZR 115/99 – GRUR 2002 177, 178 – Jubiläumsschnäppchen; BGH 26.10.2000 – I ZR 180/98 – GRUR 2001, 453, 454 – TCM-Zentrum; BGH 16.7.1998, GRUR 1999 235, 238 – Wheels Magazine; OLG Hamburg 8.5.2003 – 5 U 175/02 – GRUR-RR 2004, 46 – Rexona; zustimmend Ahrens GRUR 1995, 307, 317 f.; a. A. OLG Hamm 15.11.1988, WRP 1989, 260, 261. 560 BGH 9.11.2000 – I ZR 167/98 – GRUR 2001, 529, 531 – Herz-Kreislaufstudie. 561 BGH 9.11.2000 – I ZR 167/98 – GRUR 2001, 529, 531 – Herz-Kreislaufstudie. 562 Vgl. BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 24 – Segmentstruktur; BGH 4.11.2010 – I ZR 118/09 – GRUR 2011, 539 Tz. 13 – Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker; BGH 5.10.2010 – I ZR 46/09 – GRUR 2011, 433 Tz. 10 – Verbotsantrag bei Telefonwerbung; BGH 9.7.2009 – I ZR 13/07 – GRUR 2009, 977 Tz. 22 – Brillenversorgung; BGH 16.11.2006 – I ZR 191/03 – GRUR 2007, 607 Tz. 16 – Telefonwerbung für „Individualverträge“; BGH 24.2.2005 – I ZR 128/02 – GRUR 2005, 604, 605 – Fördermittelberatung; BGH 9.9.2004 – I ZR 93/02 – GRUR 2005 443, 445 f. – Ansprechen in der Öffentlichkeit II; BGH 4.3.2004 – I ZR 221/01 – BGHZ 158, 174, 186 = GRUR 2004 696, 699 – Direktansprache am Arbeitsplatz I; BGH 4.7.2002 – I ZR 38/00 – GRUR 2002 1088, 1089 – Zugabenbündel; BGH 12.7.2001 – I ZR 40/99 – GRUR 2002 86, 88 – Laubhefter; Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 8a (mit kritischen Einschränkungen); Teplitzky LMK 2005 60, 61 (gleichfalls einschränkend); Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.36. 563 BGH 4.7.2002 – I ZR 38/00 – GRUR 2002, 1088 – Zugabenbündel. 541

Grosch

Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Das hat der BGH für zulässig gehalten, weil ansonsten das Verbot durch den Austausch der Werbebeigabe der Art nach zu leicht umgangen werden könnte. Das Urteil wäre andernfalls für den Kläger praktisch wertlos gewesen, da er bei jeder Umgehung durch den Beklagten nochmal neu hätte klagen müssen. Effektiver Rechtsschutz wäre so nicht zu gewähren gewesen.564 175 Auf dieser Linie hat der BGH in der Entscheidung „Direktansprache am Arbeitsplatz“ entschieden, dass ein Unterlassungsantrag dergestalt formuliert werden dürfe, dass es der Beklagten untersagt wurde, „Mitarbeiter der Klägerin erstmals und unaufgefordert an ihrem betrieblichen Arbeitsplatz zum Zweck der Abwerbung mit einem Telefongespräch anzusprechen, das über eine erste Kontaktaufnahme hinausgeht“.565 Zwar hat der BGH konzediert, dass die Formulierung „nicht über eine erste Kontaktaufnahme hinausgeht“ auslegungsbedürftig ist, gleichzeitig aber festgestellt, dass die Urteilsgründe selbst eine Vielzahl von Kriterien für die Auslegung des Begriffs vorgeben würden, die sich nicht allein nach der Zeitdauer des Anrufs richten würden.566 Eine weitere Konkretisierung, die alle maßgeblichen Umstände des Einzelfalls einbezogen hätte, war der Klägerin nach der Auffassung des BGH im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes nicht zuzumuten. Ebenso wie im Fall „Zugabenbündel“ wäre ein Antrag, der jeweils nach den Besonderheiten des festgestellten Einzelfalls formuliert werden würde, für den Kläger praktisch ohne Nutzen, weil sich all diese Umstände des Einzelfalls nicht wiederholen würden.567 Der Kläger müsste also wiederum jeden konkreten Einzelfall neu einklagen, was zu Lasten eines wirksamen Rechtsschutzes gehen würde. Daher ist es nach Meinung des BGH in solchen Fällen in Kauf zu nehmen, dass das Vollstreckungsgericht Wertungen vorzunehmen hat und prüfen muss, ob neue Verstöße tatsächlich noch vom Unterlassungstenor erfasst sind.568 Die Rechtsverteidigung des Beklagten und sein schützenswertes Interesse an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit hinsichtlich der Entscheidungswirkungen werden dadurch nicht unzumutbar beeinträchtigt.569 Warum Letzteres nicht der Fall ist, hat der BGH allerdings in keinem der Fälle begründet. In diesem Sinne hat der BGH auch einige Monate später in „Ansprechen in der Öffentlich176 keit II“570 entschieden. In dieser Fallgruppe ist es unter der Ägide des neuen UWG nicht per se als unzumutbare Belästigung im Sinne von § 7 Abs. 1 gewertet worden, wenn der Werbende von vornherein eindeutig als solcher erkennbar ist.571 Mit der Zurückverweisung, die erfolgte, um der Klägerin mit Blick auf die neue Rechtslage Gelegenheit zur Antragsanpassung zu geben, hat der BGH dem Berufungsgericht mit auf den Weg gegeben, dass ein Antrag, der darauf abstellt, ob der Werbende eindeutig als solcher erkennbar ist, nicht als unbestimmt gewertet werden könne. Wenn in Fällen dieser Art auf die Besonderheiten des Einzelfalls in der Tenorierung abgestellt werden müsste und der Schutzbereich des Verbots entsprechend begrenzt sei, wäre der Unterlassungstitel für den Kläger in aller Regel nutzlos, weil sich die konkrete Situation so kaum mehr wiederholen werde. Es sei deshalb zur Gewährung wirksamen Rechtsschutzes hinzunehmen, dass das Vollstreckungsgericht Wertungen vornehme, also prüfe, ob im Einzelfall

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BGH 4.7.2002 – I ZR 38/00 – GRUR 2002, 1088, 1089 – Zugabenbündel. BGH 4.3.2004 – I ZR 221/01 – BGHZ 158, 174 = GRUR 2004, 696 – Direktansprache am Arbeitsplatz I. BGH 4.3.2004 – I ZR 221/01 – BGHZ 158, 174 = GRUR 2004, 696, 699 – Direktansprache am Arbeitsplatz I. BGH 4.3.2004 – I ZR 221/01 – BGHZ 158, 174 = GRUR 2004, 696, 699 – Direktansprache am Arbeitsplatz I. BGH 4.3.2004 – I ZR 221/01 – BGHZ 158, 174 = GRUR 2004, 696 – Direktansprache am Arbeitsplatz I; ebenso BGH 4.7.2002 – I ZR 38/00 – GRUR 2002, 1088, 1089 – Zugabenbündel.; BGH 12.7.2001 – I ZR 40/99 – GRUR 2002, 86, 88 – Laubhefter; BGH 14.10.1999, BGHZ 142, 388, 391 ff. = GRUR 2000, 228, 229 – Musical-Gala; BGH 9.10.1986, GRUR 1987, 172, 174 – Unternehmensberatungsgesellschaft I; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.36; Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 63 a. E. 569 BGH 4.3.2004 – I ZR 221/01 – BGHZ 158, 174, 186 = GRUR 2004, 696, 699 – Direktansprache am Arbeitsplatz I. 570 BGH 9.9.2004 – I ZR 93/02 – GRUR 2005, 443 – Ansprechen in der Öffentlichkeit II. 571 BGH 9.9.2004 – I ZR 93/02 – GRUR 2005, 443, 445 sub c) vor 4 – Ansprechen in der Öffentlichkeit II. Grosch

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III. Unterlassungsklage

Vor §§ 12–15a A

der Werbende als solcher erkennbar sei oder nicht. Die Rechtsverteidigung des Beklagten würde damit nicht unzumutbar beeinträchtigt.572 Auf dieser Linie liegt auch die neuere Rechtsprechung des BGH zur Tenorierung bei Stö- 177 rerhaftung und den damit verbundenen Prüfpflichten, wie sie unlängst in der Entscheidung „File-Hosting-Dienst“573 zum Ausdruck gekommen ist, auch wenn sich der BGH dort nicht ausdrücklich auf die vorgenannte Entscheidungslinie beruft. Das mutet prima facie zwar eigentümlich an, deutet aber bereits darauf hin, dass in dieser neueren Rechtsprechung eine neue Kategorie zu sehen ist. Der I. Zivilsenat hält in einer lang etablierten Rechtsprechung an einer aus § 1004 Abs. 1 BGB hergeleiteten Störerhaftung neben einer Haftung aus Täterschaft und Teilnahme (Anstiftung oder Beilhilfe, vgl. § 830 Abs. 2 BGB) fest, wohingegen der X. Zivilsenat sich dahingehend geäußert hat, dass die Störerhaftung neben derjenigen der fahrlässigen Nebentäterschaft entbehrlich sei.574 Die Störerhaftung wurde in den letzten Jahren im Wesentlichen bei den Verletzungen von Marken und Urheberrechten im Kontext des Internets relevant. Mit Blick auf die Störerhaftung ist es anerkannt, dass diese die Verletzung von Prüfpflichten voraussetzt, um die Haftung nicht „über Gebühr auf Dritte zu erstrecken, die die rechtswidrige Beeinträchtigung nicht selbst vorgenommen haben.“575 Der Umfang dieser Pflichten ermittelt sich nach der Rechtsprechung allgemein nach dem Zumutbarkeitsprinzip und wird für Diensteanbieter im Sinne der §§ 8 bis 10 TMG auch durch die Privilegierung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 TMG im Sinne der Verneinung einer allgemeinen, anlassunabhängigen Prüfpflicht überlagert. In den hier jeweils zur Entscheidung stehenden Fällen ist also regelmäßig eine Sachverhaltsprüfung nötig, bei der die Verfügbarkeit technischer Mittel zur Identifizierung von bestimmten rechtsverletzenden Handlungen Dritter, etwa das Hochladen eines urheberrechtsverletzenden Werkes zum Download für Dritte, im Mittelpunkt steht. Der BGH hat hierzu unlängst in „File-Hosting-Dienst“ entschieden, dass es der Bestimmt- 178 heitsgrundsatz nicht erfordere, dass sich die konkreten Sorgfalts- und Prüfpflichten aus dem Tenor ergeben.576 Es sei ausreichend, wenn aus dem Tenor hervorgeht, dass die Verurteilung sich auf Störerhaftung stützt, was im entschiedenen Fall durch die Verwendung des Begriffs „öffentlich zugänglich machen zu lassen“ ausreichend geschehen sei. Die Entscheidungsgründe müssten sich in diesem Fall allerdings „zentral mit den Prüf- und Handlungspflichten des Störers befassen“, um den formalen Anforderung nach § 547 Nr. 6 ZPO an die Begründung des Unterlassungstenors zu genügen.577 Im Übrigen ließe sich im Erkenntnisverfahren nicht näher präzisieren, was dem Beklagten zuzumuten sei, weil künftige Verletzungen in ihrer Gestalt „nicht konkret abzusehen sind“. Die Verlagerung des Streits mit Blick auf diesen Punkt in das Vollstreckungsverfahren sei nicht zu vermeiden, „wenn nicht der auf einen durchsetzbaren Unterlassungsanspruch zielende Rechtsschutz geopfert werden soll.“578 Der BGH beruft sich hierfür in „File-Hosting-Dienst“ zwar auf die Entscheidung „Internetversteigerung III“. Dort hatte der I. Zivilsenat aber lediglich angemerkt, dass es unschädlich 572 Teplitzky hat in seiner Anmerkung zu dieser Entscheidung, LMK 2005, Nr. 60 sub 2, allerdings zurecht darauf hingewiesen, dass die Zurückverweisung im entschiedenen Fall nicht erforderlich war, weil der vom BGH geforderte Antrag als Minus in dem gestellten Antrag ohne weiteres erkennbar war und eine weitere Gestaltungsmöglichkeit im entschiedenen Fall gerade nicht bestand. 573 BGH 15.8.2013 – I ZR 80/12 – GRUR 2013, 1030 Tz. 56 ff. – File-Hosting-Dienst. 574 BGH 7.9.2009 – Xa ZR 2/08 – GRUR 2009, 1142 f. Tz. 38 – MP3 Player Import. Bei Delikten, die auch fahrlässig begangen werden können, sei es letztlich unerheblich, ob man den wegen einer pflichtwidrigen Förderung oder Ermöglichung einer unmittelbaren Handlung Verantwortlichen als Täter oder Störer bezeichne. Die Unterscheidung mit Blick auf die Schadensersatzverpflichtung, die es nach der Rechtsprechung zur Störerhaftung dort nicht gibt hingegen bei der täterschaftlichen Haftung zu bejahen wäre, war im entschiedenen Fall nicht entscheidungserheblich. 575 Vgl. etwa BGH 15.8.2013 – I ZR 80/12 – GRUR 2013, 1030 Tz. 30 – File-Hosting-Dienst. 576 BGH 15.8.2013 – I ZR 80/12 – GRUR 2013, 1030 – File-Hosting-Dienst. 577 BGH 15.8.2013 – I ZR 80/12 – GRUR 2013, 1030 Tz. 13 – File-Hosting-Dienst. 578 BGH 15.8.2013 – I ZR 80/12 – GRUR 2013, 1030 Tz. 21 – File-Hosting-Dienst. 543

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

sei, dass die konkreten Prüfmaßnahmen, nämlich dass die Beklagte die Markenverletzungen in einem vorgeschalteten Filterverfahren und eventuell anschließender manueller Kontrolle mit zumutbarem Aufwand erkennen konnte, nicht tenoriert waren, weil sich diese auch ohne ausdrückliche Aufnahme in den Tenor hinreichend deutlich aus den Urteilsgründen ergeben hätten.579 Das heißt aber gerade nicht, dass die Prüfpflichten insgesamt erst im Vollstreckungsverfahren geprüft, sondern im Gegenteil, dass die konkreten Prüfpflichten bereits im Erkenntnisverfahren festgestellt würden und es lediglich formal nicht erforderlich war, diese auch zu tenorieren. Auch die weitere Bezugnahme auf den ähnlich gelagerten Fall „Alone in the Dark“ gibt zur Stützung des vom BGH in „File-Hosting-Dienst“ formulierten Grundsatzes nichts her. Der I. Zivilsenat äußert sich in den angegebenen Passagen580 nicht zu dieser Frage der Tenorierung oder Klärung im Vollstreckungsverfahren. Im Gegenteil: In „Alone in the Dark“ hatte der BGH noch festgestellt, dass der dortige Antrag („auf sonstige Art und Weise öffentlich zugänglich zu machen, zu verbreiten und/oder wiederzugeben oder diese Handlungen durch Dritte vornehmen zu lassen“) die „konkrete Verletzungsform verfehle“, weil hier auf eine täterschaftliche Handlung abgestellt und nicht der für die Störerhaftung maßgebliche Tatbeitrag, das Speichern der von Dritten rechtswidrig angebotenen Programme, in Bezug genommen werde.581 Das hat der BGH in „File-Hosting-Dienst“ ohne Begründung abweichend gesehen. Man muss insofern von einer sehr weitgehenden Neuorientierung der BGH-Rechtsprechung im Kontext der Störerhaftung und der damit verbundenen Prüfpflichten ausgehen, die die durch den Bestimmtheitsgrundsatz zu wahrende Trennung zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren insofern dezidiert und explizit aufhebt. In ähnlicher Weise hat der BGH angenommen, dass die Beseitigungspflichten des Schuldners, die der BGH im Wege der Auslegung dem Unterlassungstenor entimmt, in ihrer Konkretheit (objektive Möglichkeit, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit) erst im Vollstreckungsverfahren nach § 890 ZPO festgestellt werden können, also nicht bereits im Erkenntnisverfahren überhaupt angesprochen werden müssen, ohne dass das der Bestimmtheit des Antrages (und eines entsprechenden Unterlassungstitels) abträglich wäre.582 Der Vollständigkeit halber sei noch angemerkt, dass der BGH sich in den soeben besproche179 nen Entscheidungen regelmäßig auch auf die Entscheidung „Musical Gala“ beruft.583 Dort wird in der Tat auch im Kontext der Bestimmtheit der Topos der Gewährung wirksamen Rechtsschutzes adressiert. Es ging im entschiedenen Fall aber nur um die Frage, ob es mit dem Bestimmtheitsgrundsatz vereinbar ist, im Tenor auf eine Anlage Bezug zu nehmen, die mit dem Urteil nicht fest verbunden ist, im entschiedenen Fall, einer Urheberrechtssache, ein Video. Das hat der BGH bejaht. Diese Frage hat allerdings mehr mit praktischen Anforderungen zu tun und nicht mit der Frage der Aufteilung der Kognitionskompetenz zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren, wie es das vornehmliche und hier adressierte Ziel des Bestimmtheitsgrundsatzes ist.

180 (bb) Stellungnahme. Soweit die maßgeblichen materiellen Wertungen mit Blick auf die Einordnung einer späteren Handlung als Zuwiderhandlung gegen den gerichtlichen Verbotstenor nicht vom Vollstreckungsgericht getroffen werden, ist gegen eine großzügere Handhabung des Bestimmtheitsgrundsatzes nichts zu erinnern. Es kommt also nicht darauf an, ob die Sachverhaltskonstellationen für mögliche Zuwiderhandlung bereits im Erkenntnisverfahren abschlie579 580 581 582

BGH 30.4.2008 – I ZR 73/05 – GRUR 2008, 702, Tz. 27, 53 – Internetversteigerung III. BGH 15.8.2013 – I ZR 80/12 – GRUR 2013, 1030 Tz. 13 ff. – File-Hosting-Dienst. BGH 12.7.2012 – I ZR 18/11 – GRUR 2013, 370, 373 Tz. 43 – Alone in the Dark. BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 20 ff. – Produkte zur Wundversorgung; BGH, 4.5.2017 – I ZR 208/15 – GRUR 2017, 823 Tz. 26 – Luftentfeuchter; BGH 29.9.2016 – I ZB 34/15 – GRUR 2017, 208 Tz. 24 – Rückruf von RESCUE-Produkten; BGH, 19.11.2015 – I ZR 109/14– GRUR 2016, 720 Tz. 34 – Hot Sox. 583 BGH 14.10.1999 – I ZR 117/97 – BGHZ 142, 388, 391 = GRUR 2000, 228 – Musical Gala. Grosch

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III. Unterlassungsklage

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ßend feststehen oder ob die im Antrag verwendeten Begriffe in dem Sinne „auslegungsbedürftig“ sind, dass eine unbestimmte Vielzahl von Sachverhalten hierunter subsumiert werden könnte. Entscheidend ist vielmehr, ob die Kriterien für diesen im Vollstreckungsverfahren vorzunehmenden Subsumtionsvorgang bereits im Erkenntnisverfahren geklärt und entsprechend erkennbar der Tenorierung zugrundegelegt werden. Auch wenn also etwa die Frage, was unter erster Kontaktaufnahme zu verstehen ist, im 181 Einzelfall zu beantworten und daher in der Regel auslegungsbedürftig ist, nimmt das Vollstreckungsgericht dabei dennoch keine eigenständige materielle Prüfung vor. Es wendet vielmehr die Aspekte an, die das Erkenntnisgericht in seine Wertungen hat einfließen lassen und aufgrund derer die konkrete Verletzungshandlung als wettbewerbswidrig eingeordnet wurde. Insofern sind diese Fälle nicht zu unterscheiden von denen, bei denen die Auslegung zwischen den Parteien im Ergebnis nicht streitig ist, wie das oben für den Fall „Segmentstruktur“584 gezeigt wurde (Rn. 165). Tauchen weitere Aspekte in neuen Sachverhaltskonstellationen auf, deren Einfluss auf die Bewertung der Entscheidung des Prozessgerichts unklar erscheint, so liegt darin ein neuer Streitgegenstand, der auch durch die Verwendung des auslegungsbedürftigen Begriffs nicht als mitentschieden angesehen werden kann. Die Entscheidung des Vollstreckungsgerichts, in der es eine Verletzung ablehnt, bedeutet deshalb auch nicht, dass dieses Verhalten jetzt zulässig ist, sondern lediglich, dass es nicht vom Unterlassungsurteil, also vom Subsumtionsschluss des Prozessgerichts, erfasst ist. Dem Gläubiger bleibt es dann unbenommen, ein neues Erkenntnisverfahren einzuleiten. Anderes gilt für die Fälle der Störerhaftung in Gestalt der Entscheidung „File-Hosting- 182 Dienst“. In den genannten Fällen ist es gerade die entscheidende materielle Frage, wieweit die Prüfpflichten gehen und ob die beklagte Partei diesen im jeweiligen Fall gerecht geworden ist. Wenn man dies dem Vollstreckungsverfahren überantwortet, dann heißt das nichts anderes, als die Trennung vollständig aufzugeben. Das Vollstreckungsgericht müsste dann für ganz neue Konstellationen prüfen, ob und wann die Grenzen der Zumutbarkeit erreicht sind. Das kann nicht überzeugen. Eine solche Prüfung ist im Erkenntnisverfahren vorzunehmen, das darauf verfahrenstechnisch eingerichtet ist, nicht im Vollstreckungsverfahren. Es ist in den entschiedenen Fällen also nicht anders als sonst: Dem Beklagten wird sein Tatbeitrag verboten, also das Bereithalten der entsprechenden Programme auf seinen Servern. Es liegt dann am Beklagten, durch das Ergreifen neuer Maßnahmen einerseits einen neuen Streitgegenstand zu etablieren und andererseits materiell den Prüfpflichten gerecht zu werden. Das ist nicht anders wie auch bei den Irreführungsfällen, etwa durch die Aufnahme zusätzlicher Hinweise. Die Frage ist also, wann durch die Änderung des Lebenssachverhalts ein neuer Streitgegenstand etabliert wird und so durch das Ergreifen weiterer Maßnahmen ein neues Erkenntnisverfahren erforderlich wäre. Das ist dann der Fall, wenn sich durch die Maßnahmen in Anbetracht der Gründe des Urteils eine abweichende materielle Einordnung seitens des Erkenntnisgerichts als möglich erweist (hierzu Rn. 111, 589, 625, 854 ff.). Wenn also die Prüfung des Erkenntnisgerichts ergeben hat, dass die Prüfung nur bestimmter Linksammlungen nicht ausreicht, um den Prüfpflichten gerecht zu werden, sondern dass darüber hinaus auch die Prüfung allgemeiner Suchmaschinen wie Google erforderlich ist, dann muss eine entsprechende Änderung vorgenommen werden. Wenn daraufhin aber allgemeine Suchmaschinen einbezogen werden, so kann es nicht Aufgabe des Vollstreckungsgerichts sein, zu prüfen, durch welche Maßnahmen genau der Vollstreckungsschuldner seine materiellen Verpflichtungen erfüllt. Das wäre dann zum Gegenstand eines neuen Erkenntnisverfahrens zu machen. Das ist auch nicht unpraktikabel oder unüblich. Diese Situation ergibt sich in jedem Verfahren, in dem die Änderung des angegriffenen Verhaltens betroffen ist. In Patentverletzungssachen etwa ist das ein ganz üblicher Vorgang. Eine andere Frage ist, ob der Kläger die Möglichkeit hat, einen abstrahierenden Antrag zu stellen, der über die konkrete Verletzungsform hinausgeht, und ob das konkrete Unterlassungsbegehren nicht deutlich enger zu verstehen ist als noch vor „Biomineralwasser“ (hierzu Rn. 273 ff., 860 ff.). 584 BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 20 – Segmentstruktur. 545

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Im Übrigen ist insofern anzumerken, dass das Erkenntnisgericht die Reichweite der Rechtskraft nicht durch vorsorgliche Anmerkungen zu den Prüfpflichten erweitern kann. Wenn der BGH solche Anmerkungen macht, dann ist das Element seiner Aufgabe als Revisionsgericht, aber es kann nicht als bindend im Sinne der Rechtskraft angesehen werden, wenn der BGH sagt, dass die Prüfung bestimmter Linksammlungen erforderlich wäre. Ob diese dann im Einzelfall wirklich ausreichen oder nicht, ist zu prüfen, wenn sich dieser Sachverhalt tatsächlich streitig stellt.

(c) Ausnahme für Bestandteile, die für das Verbot nicht konstitutiv sind 183 (aa) „Ohne eindeutig oder unübersehbar darauf hinzuweisen, dass“. Besonders differenzierend ist die Rechtsprechung im Hinblick auf die Begriffe „eindeutig“, „unübersehbar“ oder „ohne deutlich und unübersehbar darauf hinzuweisen, dass“, sofern diese Begriffe den Kernbereich des Rechtsstreits betreffen. Diese Begriffe sollen in diesem Zusammenhang nämlich nur dann unbestimmt sein, wenn sie als Antrags-/Tenorteil für das Verbot konstitutiv sind. Soll durch diese Begriffe für den Fall einer irreführenden Werbung lediglich klargestellt werden, dass durch einen entsprechenden Hinweis die Irreführung beseitigt werden kann, so soll deren Verwendung möglich sein.585 Das vorstehend Ausgeführte betrifft nach der Rechtsprechung allerdings lediglich die Fälle, 184 bei denen in der konkreten Verletzungshandlung ein solcher Hinweis (etwa auf die Beschädigung der Verpackung oder die Eigenschaft als Webteppich) gänzlich fehlte, so dass nicht darüber gestritten wurde, ob ein Hinweis tatsächlich deutlich und unübersehbar, also rechtlich zur Ausräumung der Irreführungsgefahr geeignet war.586 In diesen Fällen ist die Einschränkung des Antragswortlauts nicht für das Verbot konstitutiv, sondern verdeutlicht lediglich, dass die Werbung nicht per se, sondern nur bei einer Gestaltung ohne entsprechenden Hinweis irreführend ist. Nicht zulässig ist die Verwendung der genannten Begriffe demnach, wenn ein solcher Hinweis tatsächlich vorhanden war, also im Erkenntnisverfahren darüber gestritten wurde, ob der Hinweis in seiner konkreten Ausgestaltung ausreicht oder nicht.

185 (bb) Abstrahierung der konkreten Verletzungshandlung – BGH „vossius.de“, „Dauer-

tiefpreise“, „Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker“, „Erinnerungswerbung im Internet“. Unzulässig ist es nach dem BGH, abstrahierende Antragsformulierungen in den Fällen zu verwenden, in denen es aufgrund einer von der konkreten Verletzungshandlung abstrahierenden Fassung des Antrages zu einer Einbeziehung von erlaubten Verhaltensweisen käme. In der namensrechtlichen Streitigkeit „vossius.de“587 wurde beantragt, die Verwendung der 186 Domain vossius.de zu unterlassen. Der BGH hatte den Unterlassungsanspruch nach §§ 5, 15 MarkenG gegen die konkrete Verwendung der Domain wegen bestehender Verwechslungsgefahr bejaht. Der BGH meinte aber, dass dies nicht zwingend die „Aufgabe der Internetdomain“ bedeuten müsse, sondern dass durch mildere Maßnahmen (etwa einem Hinweis auf der ersten

585 Vgl. BGH 4.10.2007 – I ZR 143/04 – GRUR 2008, 84 Tz. 16 – Versandkosten; BGH 4.5.2005 – I ZR 127/02 – GRUR 2005, 692, 693 f. – „statt“-Preis; BGH 20.10.1999 – I ZR 167/97 – GRUR 2000, 619, 620 – Orient-Teppichmuster; BGH 15.7.1999 – I ZR 204/96 – GRUR 1999, 1017, 1018 – Kontrollnummernbeseitigung; BGH 30.10.1997 – I ZR 142/95 – NJWE-WettbR 1998, 169, 170; BGH 20.2.1992 – I ZR 32/90 – GRUR 1992, 406 – Beschädigte Verpackung I; BGH 11.10.1990 – I ZR 35/89 – GRUR 1991, 254, 256 – Unbestimmter Unterlassungsantrag I; BGH 29.9.1978 – I ZR 122/76 – GRUR 1979, 116, 117 – Der Superhit; BGH 7.7.1978 – I ZR 169/76 – GRUR 1978, 649, 650 – Elbe-Markt; OLG Naumburg 9.9.2010 – 1 U 13/10 – WRP 2010, 1567, 1571 – Irreführende Blickfangwerbung; ebenso Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.37 ff.; Harte/Henning/Brüning Vor § 12 Rn. 88; GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 a. F. D Rn. 107. 586 Vgl. vorstehende Rspr.-Nachweise; ebenso Ahrens/Jestaedt Kap. 22 Rn. 18 f.; Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 8c; GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 a. F. D Rn. 106 f. 587 BGH 11.4.2002 – I ZR 317/99, GRUR 2002, 706 – vossius.de. Grosch

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III. Unterlassungsklage

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Seite) die Verwechslungsgefahr ausgeschlossen werden könnte.588 Diese Einschränkung des Unterlassungsgebots sei im Urteil auszusprechen („falls nicht dem Benutzer auf der ersten sich öffnenden Internet-Seite der Bekl. deutlich gemacht wird, dass es sich nicht um die Homepage der Kl. handelt“). Zwar sei es grundsätzlich nicht Sache des Gerichts, dem Verletzer Wege aufzuzeigen, die aus dem Verbot herausführen.589 Dies gelte aber nur, wenn das Verbot die konkrete Verletzungsform beschreibe. Wenn es, wie im entschiedenen Fall, abstrakt gefasst sei, müssten derartige Einschränkungen in den Tenor aufgenommen werden, da ansonsten auch erlaubte Verhaltensweisen vom Verbot eingeschlossen würden. Ob diese Linie generell auch für die Fälle der Irreführung im Lauterkeitsrecht gilt, ist unklar geblieben. Für einschlägig gehalten wurde diese Konstellation vom BGH im Anschluss an das Urteile 187 zu „vossius.de“ etwa für die Formulierung „Dauertiefpreise“, weil diese zweideutig sei und bei Klarstellung des Discounterprinzips in der Werbung eine Irreführung ausgeschlossen werden könne.590 Ebenso hat der BGH in Fällen entschieden, in denen grundsätzliche gesetzliche Verbote mit Ausnahmetatbeständen versehen sind, etwa für das Rechtsdienstleistungsgesetz591 und das Heilmittelwerbegesetz (zulässige Erinnerungswerbung ohne Pflichtangaben).592 Gleiches hat der BGH für einen Verbotsantrag entschieden, der einem Rechtsanwalt die Verwendung der Bezeichnung „Steuerbüro“ unabhängig von den konkreten Umständen untersagen sollte.593 Dieser Antrag erfasse auch Tatbestände, in denen keine Irreführung vorliege, weil durch konkrete Hinweise darüber aufgeklärt werden könne, dass kein Steuerberater in der Kanzlei tätig ist. Hingegen hatte der BGH den Verbotsantrag mit Blick auf die Verwendung eines Professorentitels im Rahmen der beruflichen Tätigkeit als abstrakten Antrag zugelassen (dazu auch unten Rn. 346), wegen Irreführung für begründet gehalten und den Beklagten darauf verwiesen, im Vollstreckungsverfahren darzutun und zu beweisen, dass aufgrund der Umstände des Einzelfalls keine Irreführung vorliege.594

(2) Gesetzeswiederholende Anträge (a) Grundsätzliches. Der BGH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Anträge, die 188 den bloßen Wortlaut des Gesetzes wiedergeben, grundsätzlich unbestimmt sind.595 Aber auch im Hinblick auf die Ausnahmen zu diesem Grundsatz hat sich in der Rechtsprechung des BGH eine nahezu unüberschaubare Einzelfallkasuistik entwickelt. So soll ein gesetzeswiederholender Unterlassungsantrag dann zulässig sein, wenn bereits der gesetzliche Tatbestand selbst 588 BGH 11.4.2002 – I ZR 317/99, GRUR 2002, 706, 708 – vossius.de. 589 BGH 11.4.2002 – I ZR 317/99, GRUR 2002, 706, 708 – vossius.de; ebenso BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 25 – Erinnerungswerbung im Internet; BGH 31.10.2002 – I ZR 132/00 – GRUR 2003, 252, 253 – Widerrufsbelehrung IV; BGH 27.6.2002 – I ZR 86/00 – GRUR 2002, 1093, 1094 – Kontostandsauskunft; BGH 20.10.1999 – I ZR 167/97 – GRUR 2000, 619, 620 – Orient-Teppichmuster; BGH 15.7.1999 – I ZR 294/96 – GRUR 1999, 1017, 1018 – Kontrollnummernbeseitigung; BGH 29.5.1991 – I ZR 284/89KG – GRUR 1991, 860, 862 – Katovit; BGH 16.2.1989 – I ZR 76/87 – GRUR 1989, 445, 446 – Professorenbezeichnung in der Arztwerbung; BGH 5.5.1983 – I ZR 49/81 – GRUR 1983, 512, 514 – Heilpraktikerkolleg; Harte/Henning/Brüning Vor § 12 Rn. 108; Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 25. 590 BGH 11.12.2003 – I ZR 50/01 – GRUR 2004, 605, 607 – Dauertiefpreise, ebenso Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5 Rn. 3.183. 591 BGH 4.11.2010 – I ZR 118/09 – GRUR 2011, 539 Tz. 16 – Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker. 592 BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 23 – Erinnerungswerbung im Internet. 593 BGH 18.10.2012 – I ZR 137/11 – GRUR 2013, 409, 410 Tz. 22. – Steuerbüro. 594 BGH 9.4.1992 – I ZR 240/90 – GRUR 1992, 525, 526 Abs. 2 – Professorenbezeichnung in der Arztwerbung II. 595 St. Rspr.; vgl. BGH 2.3.2017 – I ZR 194/15 – GRUR 2017, 537 Tz. 12 – Konsumgetreide, BGH 4.10.2007 – I ZR 143/ 04 – GRUR 2008, 84 Tz. 14 – Versandkosten; BGH 16.11.2006 – I ZR 191/03 – GRUR 2007, 607 – Telefonwerbung für „Individualverträge“; BGH 13.3.2003 – I ZR 143/00 – GRUR 2003, 886, 887 – Erbenermittler; BGH 12.7.2001 – I ZR 261/98 – GRUR 2002, 77, 78 – Rechenzentrum; BGH 24.11.1999 – I ZR 189/97 – GRUR 2000, 438, 440 – Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge; ebenso Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.40; HarteHenning/Brüning Vor § 12 Rn. 92; Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 8b; Ahrens/Jestaedt Kap. 22 Rn. 23. 547

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

eindeutig und konkret gefasst596 oder sein Anwendungsbereich durch eine gefestigte Auslegung geklärt ist.597 Ferner soll ein solcher Antrag dann zulässig sein, wenn der Kläger hinreichend deutlich macht, dass er nicht ein Verbot im Umfang des Gesetzeswortlautes beanspruche, sondern sich mit seinem Unterlassungsbegehren an der konkreten Verletzungshandlung orientiere.598 Die Bejahung der Bestimmtheit setzt aber regelmäßig voraus, dass zwischen den Parteien kein Streit darüber besteht, dass das beanstandete Verhalten das fragliche Tatbestandsmerkmal erfüllt.599 Ferner sind gesetzeswiederholende Anträge dann zulässig, wenn sie sich trotz des gesetzeswiederholenden Einleitungsteils tatsächlich auf die konkrete Verletzungsform beziehen.600 Das muss nicht unbedingt durch einen „wenn das geschieht wie“-Teil erfolgen, sondern kann auch durch andere, auf die konkrete Verletzungsform ausgerichtete Modifikationen zum Ausdruck kommen, wie etwa im BGH-Fall „Konsumgetreide“ durch die Nennung der im Streitfall betroffenen Getreidesorten Gerste und Weizen.601 Es darf in diesen Fällen aber kein Streit zwischen den Parteien mit Blick auf den Sachverhalt vorliegen, der die Verletzungsform kennzeichnet, und es muss unter Berücksichtigung des Klagevorbringens „eindeutig“ zu ermitteln sein, dass der Kläger ein Verbot diesen Inhalts begehrt, so dass also der Streit zwischen den Parteien nur die rechtliche Einordnung dieses Sachverhalts betrifft.602

189 (b) BGH-Fälle zur Verdeutlichung. Unter welchen Voraussetzungen ausnahmsweise gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge zulässig sind und wann es beim oben skizzierten Grundsatz bleibt, lässt sich gut anhand eines Vergleichs der BGH-Fälle „Gesetzeswiederholende Unter-

596 BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 21 – Erinnerungswerbung im Internet; BGH 4.10.2007 – I ZR 22/05 – GRUR 2008, 532 Tz. 16 – Umsatzsteuerhinweis; BGH 16.11.2006 – I ZR 191/03 – GRUR 2007, 607 Tz. 16 – Telefonwerbung für „Individualverträge“; BGH 12.11.2002 – KZR 16/00 – GRUR 2003, 250 – Massenbriefsendungen aus dem Ausland; BGH 16.4.2002 – X ZR 127/99 – GRUR 2002, 801, 802 – Abgestuftes Getriebe; BGH 29.6.1995 – I ZR 137/93 – GRUR 1995, 832, 833 – Verbraucherservice; BGH 22.6.1989 – I ZR 171/87 – GRUR 1989, 835 – Rückkehrpflicht III; OLG München 11.9.2008 – 29 U 3629/08 – WRP 2008, 1471, 1473; OLG Hamm 15.8.2006 – 4 U 78/06 – MMR 2007, 54; OLG Köln 10.12.1971 – 6 W 38/71 – GRUR 1972, 370 – Werbefaltblatt; LG Stuttgart 8.4.2005 – 31 O 24/ 05 KfH – WRP 2005, 1041; ebenso Ahrens/Jestaedt Kap. 22 Rn. 24; GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 a. F. D Rn. 112; Teplitzky/ Schwippert Kap. 51 Rn. 8b; Brandner/Bergmann WRP 2000, 842, 843 f. 597 BGH 13.1.2011 – I ZR 111/08 – GRUR 2011, 345 Tz. 18 – Hörgeräteversorgung II; BGH 9.7.2009 – I ZR 13/07 – GRUR 2009, 977 Tz. 27 – Brillenversorgung I; BGH 4.10.2007 – I ZR 22/05 – GRUR 2008, 532 Tz. 16 – Umsatzsteuerhinweis; ebenso Ahrens/Jestaedt Kap. 22 Rn. 24; GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 a. F. D Rn. 112; Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 8b; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.40a. 598 BGH 15.5.2014 – I ZR 137/12 – GRUR 2014, 791 Tz. 13 – Teil-Berufsausübungsgemeinschaft; BGH 21.12.2011 − I ZR 190/10 – NJW 2012, 2276 Tz. 12 – Neue Personenkraftwagen; BGH 7.4.2011 – I ZR 34/09 – GRUR 2011, 742 Tz. 17 – Leistungspakete im Preisvergleich; BGH 10.2.2011 – I ZR 183/09 – GRUR 2011, 340 Tz. 21 – Irische Butter; BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 21 – Erinnerungswerbung im Internet; BGH 4.10.2007 – I ZR 22/05 – GRUR 2008, 532 Tz. 16 – Umsatzsteuerhinweis; BGH 16.11.2006 – I ZR 191/03 – GRUR 2007, 607 Tz. 16 – Telefonwerbung für „Individualverträge“; BGH 19.4.2007 – I ZR 57/05 – GRUR 2007, 981 Tz. 10 – 150 % Zinsbonus; BGH 13.3.2003 – I ZR 143/00 – GRUR 2003, 886, 887 – Erbenermittler; ebenso Ahrens/Jestaedt Kap. 22 Rn. 24; GK-UWG/ Jacobs1 Vor § 13 a. F. D Rn. 112; Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 8b; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.40a. 599 BGH 15.5.2014 – I ZR 137/12 – GRUR 2014, 791 Tz. 13 – Teil-Berufsausübungsgemeinschaft; BGH 10.2.2011 – I ZR 164/09 – GRUR 2011, 936, 937 – Double-opt-in Verfahren; BGH 5.10.2010 – I ZR 46/09 – GRUR 2011, 433, 434 Tz. 10 – Verbotsantrag bei Telefonwerbung; BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749, 751 Tz. 21 – Erinnerungswerbung im Internet; BGH 16.11.2006 – I ZR 191/03 – GRUR 2007, 607, 608 f. – Telefonwerbung für „Individualverträge“; OLG Hamm 16.10.2007 – 4 U 91/07 – WRP 2008, 254, 256 – Lust auf Werbung?; ebenso Ahrens/Jestaedt Kap. 22 Rn. 24; GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 a. F. D Rn. 112; Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 65; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.40a. 600 BGH 2.3.2017 – I ZR 194/15, GRUR 2017, 537 Tz. 12 – Konsumgetreide. 601 BGH 2.3.2017 – I ZR 194/15, GRUR 2017, 537 Tz. 14 – Konsumgetreide. 602 BGH 2.3.2017 – I ZR 194/15, GRUR 2017, 537 Tz. 12 – Konsumgetreide. Grosch

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III. Unterlassungsklage

Vor §§ 12–15a A

lassungsanträge“ und „Erinnerungswerbung im Internet“ zu § 4 Abs. 1 und Abs. 6 HWG sowie „Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker“ zu § 5 Abs. 1 RDG erläutern:

(aa) BGH „Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge“. In dieser Entscheidung603 190 hat der BGH einen Antrag, der auf ein Verbot von Werbung für Arzneimittel gerichtet war, welche ohne die Pflichtangaben im Sinne des § 4 Abs. 1 HWG erfolgte, als unbestimmt zurückgewiesen. Das begehrte Verbot war anhand von § 4 Abs. 1 und Abs. 4 HWG formuliert, wobei deren Anforderungen nicht vollständig in den Antrag aufgenommen wurden. Die Auslegung des Antrags ergab, dass nicht die in § 4 Abs. 6 HWG geregelten Fälle der Erinnerungswerbung erfasst sein sollten.604 Mit diesem Inhalt war daher der Antrag, der in seinem Hauptteil in keiner Weise mehr von der konkreten Verletzungshandlung ausging, unbestimmt. Die Frage, ob im Einzelfall eine zulässige Erinnerungswerbung vorliegt oder nicht, durfte nicht dem Vollstreckungsgericht überlassen bleiben.605

(bb) BGH „Erinnerungswerbung im Internet“. Mit derselben Frage hat sich der BGH in der 191 Entscheidung „Erinnerungswerbung im Internet“606 auseinandergesetzt. Im Gegensatz zur Entscheidung „Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge“ hat der BGH hier die Bestimmtheit auch mit Blick auf § 4 Abs. 6 HWG bejaht. Die Entscheidung des BGH. Der Kläger hatte im entschiedenen Fall beantragt, der Beklag- 192 ten im geschäftlichen Verkehr die Werbung für zugelassene Arzneimittel zu verbieten, sofern die gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 3 bis 8 HWG erforderlichen Pflichtangaben fehlten, es sei denn es lag ausschließlich eine Erinnerungswerbung im Sinne des § 4 Abs. 6 HWG vor. Die Tatbestandsmerkmale wurden im Antrag aufgezählt. Der Kläger vertrat dabei die Auffassung, dass die Tatbestandsmerkmale des § 4 Abs. 6 HWG die Elemente, die eine zulässige Erinnerungswerbung enthalten dürfe, im Einzelnen abschließend aufzählen.607 Der BGH hat zunächst die Bezugnahme auf die fehlenden Pflichtangaben für hinrei- 193 chend bestimmt erachtet. Zwischen den Parteien bestehe kein Streit, dass diese Angaben bei der Verletzungshandlung fehlten und es würden durch diese konkrete Normierung auch nicht eine „unüberschaubare Anzahl möglicher Verletzungshandlungen“ erfasst. Soweit sich aus der Entscheidung „Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge“ etwas anderes ergebe, werde daran nicht festgehalten.608 In jenem Fall hatte der BGH aber in den tragenden Gründen nur auf die fehlende Bestimmtheit wegen des Bezuges auf § 4 Abs. 6 HWG verwiesen und die Bezugnahme auf die fehlenden Pflichtangaben nicht direkt beanstandet („Jedenfalls mit diesem Inhalt [scil. kein Fall des § 4 Abs. 6 HWG] ist der Antrag […] unbestimmt.“). Mit Blick auf die vom Verbot ausgenommene zulässige Erinnerungswerbung ist der BGH 194 unter Berufung auf die Rechtsprechung aus den Fällen „vossius.de“609 und „Dauertiefpreise“610 auch von dem Grundsatz ausgegangen, dass bei einer Abstrahierung der konkreten Verletzungshandlung im (Haupt-)Antrag eine dem Bestimmtheitsgrundsatz genügende Einschränkung des Verbots erforderlich ist.611 Diesen Anforderungen war im entschiedenen Fall aber Genüge getan worden. Zwischen den Parteien hatte kein Streit darüber bestanden, welche 603 604 605 606 607 608 609 610 611 549

BGH 24.11.1999, GRUR 2000, 438 – Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge. BGH 24.11.1999, GRUR 2000, 438, 441 – Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge. BGH 24.11.1999, GRUR 2000, 438, 441 – Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge. BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 – Erinnerungswerbung im Internet. BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 23 – Erinnerungswerbung im Internet. BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 22 – Erinnerungswerbung im Internet. BGH 11.4.2002 – I ZR 317/99 – GRUR 2002, 706 – vossius.de. BGH 11.12.2003 – I ZR 50/01 – GRUR 2004, 605 = WRP 2004, 735 – Dauertiefpreise. BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 26 – Erinnerungswerbung im Internet. Grosch

Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Bedeutung diese wortlautgemäßen Merkmale des § 4 Abs. 6 HWG im Einzelnen hatten und dass sie in der angegriffenen Werbung nicht erfüllt waren. Der rechtliche Streit zwischen den Parteien bestand vielmehr darüber, ob in § 4 Abs. 6 HWG die zulässige Erinnerungswerbung abschließend umschrieben ist.612 Da der Kläger diese Rechtsauffassung vertrat, war es nach Ansicht des BGH auf dieser Basis schwerlich möglich, die Merkmale des § 4 Abs. 6 HWG genauer zu definieren.613 Daher konnte eine verbleibende Auslegungsbedürftigkeit hingenommen werden, wenn auch der Hauptantrag aus anderen Gründen nicht durchdrang. 195 Beim ersten Hilfsantrag war zwar nach Meinung des BGH die Verwendung der Begriffe „Arzneimittelpreis“ und „Packungsgröße“ nicht zu beanstanden, da die Begriffe hinreichend bestimmt sind.614 Allerdings ging auch dieser Antrag (wie der Hauptantrag) zu weit, da nicht nur Angaben über den Arzneimittelpreis oder die Packungsgröße freigestellt sein können, sondern auch andere nicht auf die Verwendungsmöglichkeiten des Mittels bezogene Hinweise zulässig sind, die keinen in medizinischer Hinsicht relevanten Inhalt aufweisen.615 Zwar kann nach der Ansicht des BGH vom Kläger nicht verlangt werden, den Unterlassungsantrag hinsichtlich aller denkbaren Ausnahmen vom Verbot nach § 4 Abs. 1 HWG einzuschränken. Dessen bedurfte es aber im konkreten Fall zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes auch nicht, da sich der Kläger ohne Weiteres auf die konkrete Verletzungsform hätte beschränken können. So hat der BGH dann auch den zweiten Hilfsantrag des Klägers verstanden. Durch die Bezugnahme „wie“ wurde im Gegensatz zu „insbesondere“ deutlich, dass allein die konkrete Werbeanzeige Gegenstand des Antrags sein sollte.616 Allerdings haben die abstrakteren Merkmale die Funktion, den Bereich kerngleicher Verletzungsformen zu bestimmen.617 Weil sich dieser Antrag auf die konkrete Verletzungsform bezog, sind Einschränkungen, die zulässige Verhaltensweisen beschreiben, nicht erforderlich.618 Stellungnahme. Wenn man die Argumentationslinie des BGH in dieser Entscheidung be196 rücksichtigt, hätte der Kläger in seinem ersten Hilfsantrag demnach beantragen müssen, dass „die Erinnerungswerbung mit lediglich in medizinischer Hinsicht nicht relevantem Inhalt ausgenommen ist“. Diese Formulierung wäre aber vom BGH wohl wiederum als nicht hinreichend bestimmt beurteilt worden, weil es sich vor allem bei der Formulierung „in medizinischer Hinsicht nicht relevantem Inhalt“ um einen unbestimmten Rechtsbegriff handeln dürfte, der eine Vielzahl von Einzelfällen einschließt, deren Ausgestaltung vorab nicht abschließend festgestellt werden kann.

(c) Gesetzeswiederholende Anträge, wenn der Anwendungsbereich im Streit steht? 197 (aa) BGH „Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker“. Im Fall „Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker“619 hat der BGH demgegenüber entschieden, dass ein Verweis auf die Erlaubnistatbestände der §§ 5 bis 8 RDG bei einem verallgemeinernd abstrakt gefassten Unterlassungsantrag zur hinreichenden Konkretisierung der Merkmale nicht ausreichen würde. Die Beantwortung der Frage, ob eine zulässige Rechtsberatung als Nebenleistung zum Berufs- oder Tätigkeitsbild vorliegt, erfordere eine Beurteilung nach Inhalt, Umfang und sachlichem Zusam612 613 614 615 616

BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 26 – Erinnerungswerbung im Internet. BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 26 – Erinnerungswerbung im Internet. BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749, 752 – Erinnerungswerbung im Internet. BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 74, 752 – Erinnerungswerbung im Internet. BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749, 752 – Erinnerungswerbung im Internet; ähnlich BGH 7.6.2001 – I ZR 115/99 – GRUR 2002, 177, 179 – Jubiläumsschnäppchen; BGH 23.10.1997 – I ZR 123/95 – GRUR 1998, 481, 482 – Auto ’94; BGH 18.9.1997 – I ZR 71/95 – WRP 1998, 164, 168 – Modenschau im Salvatorkeller. 617 BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749, 752 – Erinnerungswerbung im Internet; ebenso BGH 19.5.2010 – I ZR 177/07 – GRUR 2010, 855, 856 Tz. 17 – Folienrollos; BGH 2.6.2005 – I ZR 252/02 – GRUR 2006, 164, 165 Tz. 10 – Aktivierungskosten II. 618 BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749, 752 – Erinnerungswerbung im Internet. 619 BGH 4.11.2010 – I ZR 118/09 – GRUR 2011, 539 – Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker. Grosch

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III. Unterlassungsklage

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menhang mit der Haupttätigkeit unter Berücksichtigung der Rechtskenntnisse, die für die Haupttätigkeit erforderlich sind. Diese erforderlichen Abwägungsfragen seien mit dem Bestimmtheitsgrundsatz nicht mehr vereinbar.620 Der Unterschied zu § 4 Abs. 6 HWG leuchtet meines Erachtens ein, weil im Fall „Erinne- 198 rungswerbung im Internet“ gerade kein Streit darüber bestand, dass die Ausnahme nach dem Wortlaut nicht gegeben war. Das war im Fall „Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker“ anders. Auf dieser Linie liegt auch die Entscheidung „Online Versicherungsvermittlung“, mit der der BGH den Verbotsantrag mit Blick auf die „Vermittlung von Versicherungsverträgen ohne Erlaubnis nach § 34d GewO“ für unbestimmt gehalten hat, weil zwischen den Parteien gerade Streit darüber bestand, ob die beanstandeten Internetauftritte eines Kaffeehändlers als „Vermittlung“ von Versicherungsverträgen zu werten waren.621

(bb) Schlussfolgerung. Nach der neueren Rechtsprechung kommt demnach die Verwendung 199 des Gesetzeswortlauts jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn über die Verwirklichung des Tatbestandsmerkmals einer Norm durch die beanstandete Verletzungshandlung gerade gestritten wird.622 Hier muss regelmäßig eine größere Anstrengung bei der Formulierung des Antrages/Tenors unternommen werden, so dass deutlich wird, was als Normverstoß eingeordnet und damit verboten werden soll. Wenn über einen auslegungsbedürftigen Rechtsbegriff in seiner konkreten Realisierung mit Blick auf die beanstandete Verletzungshandlung Streit besteht, ist allerdings die Fassung eines noch bestimmten, abstrakter als die Verletzungshandlung gefassten Antrages nach der neueren Rechtsprechung nur schwer zu bewerkstelligen. In der Entscheidung „Internetversteigerung III“ war die Beklagte die Anbieterin einer Plattform für Internetversteigerungen, im Rahmen derer von Dritten (Anbietern) auch gefälschte bekannte Markenartikel, Rolexuhren, im geschäftlichen Verkehr angeboten wurden. Der BGH hatte bereits in einem vorangegangenen Revisionsurteil entschieden, dass die Beklagte nicht selbst Markenverletzerin, sondern nur Störerin sein könne, also nur auf Unterlassung nach § 1004 Satz 2 BGB in Anspruch genommen werden könne, und zwar nur dann, wenn es für sie erkennbar war, dass die Dritten (Anbieter) im geschäftlichen Verkehr handelten und die Beklagte insofern ihre Prüfpflichten verletzt hatte. Die Klägerin versuchte diese Erkennbarkeit des Handelns der Anbieter im geschäftlichen Verkehr konkret anhand bestimmter Merkmale zu fassen, nämlich anhand des „wiederholten Auftretens oder Anbietens“, des „häufigen Feedbacks“ oder des „Fehlens eindeutig auf ein privates Geschäft hinweisender Angaben“. Diese Merkmale hielt der BGH ebenfalls für zu unbestimmt.623

(cc) Ausnahmen der älteren Rechtsprechung – BGH „Rückkehrpflicht III“. Allerdings 200 sind in der älteren Rechtsprechung noch Fälle zu finden, in denen der BGH trotz Streits der Parteien über die Verwirklichung eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmals die Verwendung gesetzeswiederholender Anträge als hinreichend bestimmt angesehen hat. So hatte der BGH in „Rückkehrpflicht III“624 etwa mit Blick auf das Personenbeförderungsgesetz entschieden, dass § 49 Abs. 4 Satz 3 PBefG und die dort normierte Verpflichtung zur unverzüglichen Rückkehr zum Betriebssitz nach Durchführung eines Beförderungsantrages hinreichend konkret sei, um

620 BGH 4.11.2010 – I ZR 118/09 – GRUR 2011, 539, 540 – Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker. 621 BGH 28.11.2013 – I ZR 7/13 – GRUR 2014, 398 Tz. 15 – Online-Versicherungsvermittlung. 622 BGH 16.11.2006 – I ZR 191/03 – GRUR 2007, 607 Tz. 16 – Telefonwerbung für „Individualverträge“; BGH 5.10.2010 – I ZR 46/09 – GRUR 2011, 433 Tz. 10, 16 – Verbotsantrag bei Telefonwerbung; BGH 4.11.2010 – I ZR 118/ 09 – GRUR 2011, 539 Tz. 28 – Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker. 623 BGH 30.4.2008 – I ZR 73/05, GRUR 2008, 702, Tz. 35 – Internetversteigerung III. 624 BGH 22.6.1989 – I ZR 171/87, GRUR 1989, 835 – Rückkehrpflicht III. 551

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Gegenstand eines Unterlassungsantrages und eines entsprechenden Tenors zu werden.625 Im entschiedenen Fall bestand die konkrete Verletzungshandlung darin, dass der Fahrer nach Durchführung eines Beförderungsauftrags neun Minuten gewartet hatte, um notwendige Fahreintragungen vorzunehmen, bevor er zum Betriebssitz zurückkehrte. Das hat der BGH – im Sinne des Klägers und entgegen der Auffassung des Beklagten – als schuldhaftes Zögern gewertet, weil die Durchführung erforderlicher Additionen und anderer Eintragungen nicht unmittelbar nach Abschluss des Beförderungsauftrags durchgeführt werden müssten, sondern auch nach Rückkehr an den Betriebssitz vorgenommen werden könnten.626 Trotz der Tatsache, dass die Verwirklichung des Tatbestandsmerkmals „unverzüglich“ also 201 zwischen den Parteien streitig war und es sich bei dieser Frage um den Kern des Rechtsstreits handelte, erachtete der BGH gleichwohl eine Tenorierung nach dem Wortlaut des Gesetzes für zulässig. Grund hierfür könnte gewesen sein, dass der Begriff „unverzüglich“ aufgrund der einheitlichen Auslegung in allen Rechtsgebieten in der Rechtsprechung bereits so gefestigt war, dass keine vernünftigen Zweifel über die Auslegung im konkreten Fall aufkommen konnten, weswegen der BGH den Streit über die Auslegung als unbeachtlich angesehen haben könnte. Ob es sich hierbei um eine nach wie vor anerkannte Ausnahme von dem mehrfach beschriebenen Grundsatz handelt, scheint allerdings fraglich. Zwar hat der BGH in seinen späteren Entscheidungen diese Rechtsprechung nie ausdrücklich aufgegeben, allerdings stets betont, dass es in allen Fällen gesetzeswiederholender Unterlassungsanträge unabdingbar sei, dass die Erfüllung des jeweiligen Tatbestandsmerkmals zwischen den Parteien nicht streitig ist.

202 (dd) Literaturansichten zu gesetzeswiederholenden Anträgen. Das Schrifttum zu dieser Antragsform beschränkt sich meist auf die Nachzeichnung der Rechtsprechungsentwicklung.627 Eine dezidierte Auseinandersetzung mit der BGH-Rechtsprechung findet sich aber etwa bei Brandner und Bergmann, die dem BGH vorhalten, er habe im Urteil „Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge“ die „naheliegende“ Prüfung unterlassen, ob nicht die dort vom Kläger in Bezug genommenen HWG-Vorschriften ihrerseits bereits hinreichend bestimmt sind.628

203 e) Bewertung der Bestimmtheitsrechtsprechung. Es bleibt nun die abschließende Frage, welchen Sinn die subtile Dogmatik und die Vielzahl von Entscheidungen zur Bestimmtheit abstrahierender Anträge eigentlich haben, wenn es doch auch anders gehen soll, nämlich entweder mit der Bezugnahme auf die konkrete Verletzungshandlung, so die Rechtsprechung des I. Zivilsenats, oder am anderen Ende der Skala mit dem allgemeinen „Normwortlaut“ (Patentanspruch), so die grundsätzliche patentrechtliche Praxis zur Formulierung nach dem Wortlaut des Patentanspruchs. Beides ist mit Blick auf den Antrag im selben Maße unbestimmt, weil der Beklagte (aus dem Antragswortlaut) nichts über den eigentlichen Umfang des begehrten Verbots erfährt. Dort könnte auch stehen: „Der Beklagte wird verurteilt, die beanstandeten Handlungen zu unterlassen.“ 204 Für den Wettbewerbsprozess stellt sich die Frage in besonderem Maße, weil der BGH – wie bereits mehrfach gesagt – auch bei Bezugnahme auf die konkrete Verletzungshandlung davon ausgeht, dass dieses Urteil qua Kernbereichslehre auch die abweichenden Handlungen erfasst, solange in diesen das Charakteristische der beanstandeten Verletzungshandlung zum Ausdruck kommt (hierzu Rn. 116, 130 ff., 854 ff.). Mehr hätte der Kläger aber im Erkenntnisverfahren auch

625 BGH 22.6.1989 – I ZR 171/87, GRUR 1989, 835 – Rückkehrpflicht III. 626 BGH 22.6.1989 – I ZR 171/87, GRUR 1989, 835, 836 – Rückkehrpflicht III. 627 S. etwa Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.40 f.; Harte/Henning/Brüning Vor § 12 Rn. 92; Gloy/Loschelder/ Danckwerts/Spätgens § 88 Rn. 29.

628 Brandner/Bergmann WRP 2000, 842, 844; ihnen teilweise zustimmend Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 8b. Grosch

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III. Unterlassungsklage

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nicht zugesprochen bekommen, weil dieselben Maßstäbe für die Bestimmung des Umfangs der Wiederholungsgefahr gelten würden.629 Ich halte es gleichwohl grundsätzlich für überzeugend, am Bestimmtheitsgrundsatz für 205 den Unterlassungsantrag festzuhalten. Zwar ist das nicht schlechthin erforderlich, um den Entscheidungsinhalt des Prozessgerichts zu ermitteln. Das kann, wie die Kernbereichslehre zeigt, stets anhand der Gründe geschehen. Der Beklagte sollte aber regelmäßig genau wissen, warum der Kläger die benannte Verletzungshandlung rechtlich beanstandet und eben auch, warum diese verboten ist. Das ist aus Gründen des rechtlichen Gehörs erforderlich. Es sollte deshalb im Erkenntnisverfahren bereits klar sein, welches Rechtsschutzbegehren der Kläger tatsächlich zur Entscheidung stellt, insbesondere also, ob bei einem auf die konkrete Verletzungsform gerichteten Unterlassungsantrag auch kerngleiche Abwandlungen erfasst sein sollen oder nicht. Bei der den Entscheidungsgegenstand feststellenden, ihrer Genese nach bei § 890 ZPO verorteten „Kerntheorie“ handelt es sich nämlich der Sache nach um nichts anderes als eine „nachvollziehende Streitgegenstandsbestimmung“.630 Genau dieser Punkt ist allerdings durch die primär am natürlichen Lebenssachverhalt ausgerichtete Bestimmung des Streitgegenstandes nach der BGH-Linie „Biomineralwasser“ in der Systematik der BGH-Judikatur problematisch geworden. Diese Linie aus „Biomineralwasser“ könnte nur dann überzeugen, wenn man den Umfang des begehrten Unterlassungstitels tatsächlich nicht auf kerngleiche Abwandlungen, die sich nur unter Berücksichtigung der jeweiligen materiellen Beanstandung (materielle Verbotsnorm) ermitteln lassen, beschränkten wollte. Das ist aber derzeit gerade nicht die gerichtliche Praxis, weder die des BGH noch der Instanzgerichte, vielmehr ist im Zweifel auch bei einem auf die konkrete Verletzungsform gerichteten Unterlassungsurteil davon auszugehen, dass dieses auch kerngleiche Abwandlungen erfasst und zwar auch dann, wenn dort keine abstrahierenden Einleitungsteile vorgesehen sind.631 Auf der Basis dieser Prämisse wäre dann aber auch der Streitgegenstand des Verfahrens je nach materieller Beanstandungsnorm ein anderer, jedenfalls dann, wenn die jeweils vorgetragenen subsumtionsrelevanten Tatsachen keinen gemeinsamen Kern haben (hierzu ausführlich unten Rn.). Deutlich dogmatisch konsistenter und für die Praxis besser handhabbar wäre es hingegen (hierzu auch bereits oben Rn. 139, 140), wenn der abstrahierende Charakter, der einem konkreten Unterlassungsurteil qua Kernbereichslehre tatsächlich zukommen soll, vom Kläger in den Anträgen des Erkenntnisverfahrens bereits kenntlich gemacht würde und der Kläger zumindest den Versuch zu unternehmen verpflichtet wäre, zu identifizieren, was die Elemente sind, welche die Rechtswidrigkeit der von ihm angegriffenen Handlung begründen, welche also für das begehrte Verbot konstitutiv sind632 (vgl. Rn. 89, 92, 136 ff., 862 ff.). Diese Möglichkeit ist in der Rechtsprechung des BGH auch bereits angelegt, wenn nämlich abstrakten Merkmalen in einem Antrag, der mit „wenn das geschieht, wie“ auf die konkrete Handlung Bezug nimmt, zugleich die Funktion zugebilligt wird, die kerngleichen Abwandlungen zu bestimmen (vgl. oben Rn. 117 und unten Rn. 860 ff.). Die Problematik liegt nur darin, dass der BGH in diesem Fall gerade nicht verlangt, dass die abstrakten Einleitungsteile den Bestimmtheitsanforderungen genügen.633 Da diesen aber Bedeutung für die Bestimmung des Umfang des gerichtlichen Verbots (Kernbereichslehre) beigemessen wird, kann man das systematisch stimmig nur dann akzeptieren, wenn man im Sinne eines beweglichen Systems annimmt, dass der Einfluss auf die Bestimmung 629 Siehe Rn. 78 m. w. N. 630 So überzeugend Büscher/Ahrens, UWG, § 12 Anh. II Rn. 55. 631 Ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BGH 17.9.2015 – I ZR 92/14 – GRUR 2016, 395 Tz. 41 – Smartphone-Werbung; BGH 6.2.2013 – I ZB 79/11 – GRUR 2013, 1071 – Umsatzangaben; BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 32 – Erinnerungswerbung im Internet: „Denn auch eine solche beschränkte Verurteilung erfasst nach der so genannten Kerntheorie immerhin alle Handlungsformen, in denen das Charakteristische der beanstandeten Werbung zum Ausdruck kommt.“; weitere Nachweise aus Rechtsprechung und Literatur unten Rn. 854. 632 In diese Richtung insbesondere Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 16. 633 Vgl. etwa BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 26 – Erinnerungswerbung im Internet. 553

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des Schutzumfangs desto größer ist, je bestimmter die abstrakten Einleitungsteile formuliert sind. Kommt der Kläger dem gar nicht nach, sieht er also entweder von abstrakten Einleitungsteilen ab oder sind diese gänzlich unbestimmt, so bleibt es bei einem engen, an der konkreten Verletzungshandlung ausgerichteten Schutzumfang und eine am materiellen Subsumtionsschluss des Gerichts im Erkenntnisverfahren ausgerichtete ex post-Abstrahierung im Vollstreckungsverfahren wäre damit ausgeschlossen (vgl. hierzu ausführlich Rn. 860 ff.). Nur diese Sichtweise ist aus meiner Sicht konsistent damit, dass der BGH dem „insbesondere“-Teil eines Antrages Bedeutung für die Erläuterung des für das Verbot konstitutiven abstrakten Teils des Antrages bzw. Tenors beimisst, sofern dieser „insbesondere“-Teil selbst den Bestimmtheitsanforderungen genügt (vgl. oben Rn. 117). 206 Meier-Beck, der (vormalige) Vorsitzende des X. Zivilsenats (jetzt des XIII. Zivilsenats), hatte insofern in seiner Rechtfertigung des Judikats „Blasfolienherstellung“634 zu Recht darauf hingewiesen, dass sich der Versuch der antragsgemäßen Anpassung an die Verletzungsform schon deshalb lohne, weil er „die Aufmerksamkeit des Formulierenden auf diejenigen Sachverhaltselemente lenkt, auf die es zur Rechtfertigung des angestrebten Verbots wirklich ankommen soll.“635 Diese von Meier-Beck gemeinte Disziplinierungsfunktion ist es, der man auch im Bereich 207 des Wettbewerbsrechts durch eine sachgerechte Anwendung des Bestimmtheitsgrundsatzes Rechnung tragen sollte. Dabei können aufgrund der Schwierigkeit der Materie keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden. Dennoch sind zumindest selbständige Verbotstatbestände mit Blick auf eine Handlung auch antragsgemäß in ihren Merkmalen zu benennen, wenn der Klageantrag und der entsprechende Tenor ihre grundlegenden prozessualen Funktionen, das Streitprogramm und die entsprechende Entscheidung zu verdeutlichen und von anderen Sachverhalten abzugrenzen, auch mit Blick auf die wettbewerbsrechtliche Unterlassungsklage erfüllen sollen.

3. Streitgegenstand 208 Die gegenwärtige Judikatur zum Streitgegenstand lässt sich nur aus ihrer historischen und inhaltlichen Entwicklung heraus sinnvoll verstehen. Im Folgenden werden deshalb zunächst die Grundstrukturen der Entwicklung der BGH-Judikatur seit Beginn dieses Jahrhunderts bis zum aktuellen Stand kurz zusammengefasst (a), Rn. 209 ff.). Danach werden die allgemeinen Lehren zum zivilprozessualen Streitgegenstandsbegriff in ihren Grundzügen dargestellt (b), Rn. 217 ff.), bevor zur ursprünglichen, gefestigten Rechtsprechung und Lehre zum Streitgegenstandsbegriff im Wettbewerbsprozess näher ausgeführt wird, was für das Verständnis der gegenwärtigen Diskussion unerlässlich ist (c), Rn. 229 ff.). Darauf aufbauend wird zunächst der durch die BGH-Entscheidung „Biomineralwasser“ eingetretene Paradigmenwechsel behandelt (d), Rn. 252), bevor die davon ausgehende weiterführende Neujustierung des Streitgegenstandsbegriffs bei der konkreten Verletzungsform in der aktuellen Judikatur des BGH (insbesondere „Tiegelgröße“ und „Betriebspsychologe“) dargestellt wird. (e), Rn. 264 ff.). Vor diesem Hintergrund wird unter Diskussion verschiedener offener Fragen aus der obergerichtlichen Rechsprechung ein System des wettbewerbsrechtlichen Streitgegenstandsbegriffs für die praktisch wesentlichen Fälle der auf die konkrete Verletzungsform ausgerichteten Unterlassungsanträge unter Einbeziehung kerngleicher Abwandlungen in seiner Ausrichtung auf die Leitentscheidungen „TÜV I“ und „Biomineralwasser“ sowie „Tiegelgröße“ und „Betriebspsychologe“ vorgestellt (f), Rn. 273 ff.). Die hier vorgeschlagene und in den jüngsten BGH-Entscheidungen angelegte Systematik ist insbesondere auch konsistent mit der BGH-Rechtsprechung zum Streitgegenstand bei abstrahierenden Unterlassungsanträgen, was sich insbesondere anhand der neueren Entscheidung „Sofort-Bonus II“ zeigen lässt (g), 634 BGH 30.3.2005 – X ZR 126/01 – BGHZ 162, 365, 368 ff. = GRUR 2005, 569, 570 ff. – Blasfolienherstellung. 635 Meier-Beck GRUR 2007, 11, 17. Grosch

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Rn. 340 ff.). Unter h), Rn. 359 ff., werden die Fallgruppen der Auswirkung unterschiedlicher Begründungen der Aktivlegitimation und der Prozessführungsbefugnis sowie das Zusammenfallen von Ansprüchen aus absoluten Rechten und UWG behandelt.

a) Grundstrukturen der Entwicklung der BGH-Judikatur und Aufriss der praktischen und dogmatischen Kernfragen aa) Ursprüngliche Linie des BGH. Der BGH hatte sich in der letzten Dekade zunächst konse- 209 quent einen Streitgegenstandsbegriff erarbeitet, der den prozessualen Anspruch im Sinne des klägerischen Rechtsschutzbegehrens nach der vom Kläger begehrten Verbotsnorm definiert, also letztlich auf materielle Aspekte rekurriert, die für diese tragend sind. Die Entscheidungen „dentalästhetika“,636 „Reinigungsarbeiten“637 und „Anschriftenliste“638 sind beispielhaft für diese Judikatur.639 Dabei hatte der BGH zur Definition des Klagegrundes mithin auf die vom Kläger identifizierte konkrete Verletzungsform als Summe derjenigen Merkmale der historischen Verletzungshandlung abgestellt, aus denen der Kläger die Wettbewerbswidrigkeit ableitet. Die materielle Beanstandung war also für die Bestimmung des Streitgegenstandes entscheidend, ohne dass es allerdings erforderlich gewesen wäre, dass diese Aspekte sich in entsprechender Weise auch im Antrag manifestiert hätten. Es war in diesem Sinne letztlich nicht erheblich, ob der klägerische Antrag sich auf das Verbot der konkreten Verletzungsform richtete oder in abstrahierender Weise gestellt war. Auch bei dem auf die konkrete Verletzungsform gerichteten Antrag wurde der Streitgegenstand nach der materiellen Beanstandung bestimmt und der Umfang der Verbotsnorm war in Anwendung der Kernbereichslehre in entsprechendem Maße festgelegt. Das wurde oben im Rahmen des Bestimmtheitsgrundsatzes bereits dargestellt (Rn. 117 ff., 130 ff. sowie 860) und lässt sich paradigmatisch mit der BGH-Entscheidung „TCM-Zentrum“640 assoziieren. Mithin gab es für den Kläger in der Praxis wenig Anreize, abstrahierende Anträge zu stellen und sich damit auf die Risiken der hohen Bestimmtheitsanforderungen einzulassen, weil das auf die konkrete Verletzungsform gerichtete Urteil ohnehin qua Abstraktion des Subsumtionsschlusses entsprechend erweitert wurde. Erforderlich war es allerdings, dass die materielle Beanstandung konkret benannt wurde. Es genügte also nicht die Bezugnahme auf die Verletzungshandlung, um damit alle möglichen materiellen Verstöße und entsprechende Unterlassungsansprüche zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.641 Diese Rechtsprechung hat ihren Höhepunkt im „TÜV I“-Beschluss642 gefunden, mit dem 210 der BGH die alternative Klagehäufung wegen Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz für unzulässig erachtet hat, weil – gerade auf das Wettbewerbsrecht bezogen – der Kläger nicht dem Gericht die Auswahl zwischen verschiedenen zu tenorierenden Verbotsnormen, mit je nach zugrundeliegender materieller Verbotsnorm unterschiedlichem Umfang, überlassen könne. Insofern war der enge Streitgegenstandsbegriff, der auch bei einer natürlichen Verletzungshandlung unterschiedliche Streitgegenstände je nach Beanstandung annimmt oder jedenfalls annehmen kann, gerade die Kernprämisse der „TÜV“-Rechtsprechung und ist von deren Kernpetitum (der Unzulässigkeit der alternativen Klagehäufung) konzeptionell nicht trennbar.643 636 637 638 639 640 641 642

BGH 8.6.2000 – I ZR 269/97 – GRUR 2001, 181 – dentalästhetika; vgl. dazu unter Rn. 234 f. BGH 3.4.2003 – I ZR 1/01 – BGHZ 154, 342 = GRUR 2003, 716 f – Reinigungsarbeiten; vgl. dazu unter Rn. 342 f. BGH 29.6.2006 – I ZR 235/03 – GRUR 2006, 960 f. – Anschriftenliste; vgl. dazu unter Rn. 341. Vgl. zur Entwicklung auch Teplitzky GRUR 2011, 1091 m. w. N. BGH 26.10.2000 – I ZR 180/98 – GRUR 2001, 453 – TCM-Zentrum. Dazu BGH 13.7.2006 – I ZR 222/03 – GRUR 2007, 161 – dentalästhetika II und näher dazu unten Rn. 236 f. BGH 24.3.2011 – I ZR 108/09 – BGHZ 189, 56 = GRUR 2011, 521 – TÜV I; BGH 17.8.2011 – I ZR 108/09 – GRUR 2011, 1043 – TÜV II; vgl. dazu unter Rn. 150 f. 643 Zutreffend Ahrens WRP 2013, 129 Rn. 5, 16 ff. 555

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

211 bb) Zweifel im Spektrum von „Markenparfümverkäufe“ bis zur Kritik am „TÜV I“-Beschluss. Zweifel an diesem in der Sache etablierten System hatte im Jahr 2006 die Entscheidung „Markenparfümverkäufe“644 aufkommen lassen. In jener Entscheidung hatte der BGH die Auffassung vertreten, der Streitgegenstand (und damit die Rechtskraft) beziehe sich grundsätzlich auf die konkrete historische Verletzungshandlung, so dass die Benennung einer weiteren, zeitlich später liegenden historischen Verletzungshandlung, und sei sie auch kerngleich, stets, auch bei unverändertem Rechtsschutzziel (Klageantrag), einen anderen Streitgegenstand in das Verfahren einführe und damit entweder eine Klageänderung sei (obiter dictum) oder, sofern eine weitere Klage unter Bezugnahme auf diese weitere Handlung zwischen den Parteien erhoben werde, jener nicht der Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit oder, nach rechtskräftiger Entscheidung des Erstverfahrens, nicht die Rechtskraftsperre entgegenstehe (ratio decidendi).645 V. Ungern-Sternberg646 hat diese Linie über die Entscheidungsgründe hinaus ausführlich gerechtfertigt und dabei weitere Unterscheidungen gemacht, die jedoch die herrschende Auffassung647 nicht überzeugen konnten. Letztlich wurde die Linie aus „Markenparfümverkäufe“ in der instanzgerichtlichen Praxis nicht rezipiert; außerhalb des Markenund Wettbewerbsrechts (etwa im Patentrecht, wo die Fragestellungen dieselben sind) noch nicht einmal erwähnt. Die dieser Entscheidung notwendig immanente Folge, dass nämlich der Klageabweisung letztlich überhaupt keine Bindungswirkung mehr zukäme, weil man sich für eine neue Klage immer auf eine neue, nach Schluss der mündlichen Verhandlung liegende Handlung berufen könnte, konnte letztlich nicht überzeugen. 212 Der BGH hat deshalb diese Auffassung auch nicht wiederholt, sondern hat mit der Entwicklung bis „TÜV I“ das genaue Gegenteil vertreten, wonach nicht die historische Verletzungshandlung, sondern die für das begehrte Verbot maßgeblichen Aspekte derselben für den Streitgegenstand konstitutiv sind.648 In diesem Kontext ist also die mit „TÜV I“ verbundene Linie im Vergleich zu „Markenparfümverkäufe“ eine deutlich breitere Bestimmung des Streitgegenstandes, weil nicht die Festlegung auf eine bestimmte Handlung entscheidet, sondern die Abstrahierung der für das erstrebte Verbot konstitutiven Kriterien. Wenn insofern Identität besteht, besteht auch Identität des Streitgegenstandes. Für „Markenparfümverkäufe“ war hingegen die Identität des zur Begründung der Wiederholungsgefahr in Bezug genommenen historischen Lebenssachverhalts das Entscheidende. Die weitere Diskussion hat darunter gelitten, dass diese Differenzierung vom BGH selbst nie beim Namen genannt wurde. „Markenparfümverkäufe“ wurde schlicht ignoriert. 213 Die Auffassung des BGH bis einschließlich „TÜV I“ wurde von der Literatur als zu enger Streitgegenstandsbegriff kritisiert,649 obwohl sie natürlich gegenüber dem Streitgegenstandsbegriff aus „Markenparfümverkäufe“ als breiter zu beurteilen ist.650 Die auf die materiell-rechtliche Sichtweise abstellende Betrachtung – also auf die materiell-rechtlich erheblichen, für das Verbot konstitutiven Merkmale der Verletzungshandlung – sei mit einer nach den allgemeinen prozessrechtlichen Lehren gebotenen natürlichen Betrachtungsweise des zugrundeliegenden Lebenssachverhalts nicht vereinbar. Die gebotene natürliche Sichtweise führe zu einem breiteren

644 645 646 647

BGH 23.2.2006 – I ZR 272/02 – BGHZ 166, 253 = GRUR 2006, 421 – Markenparfümverkäufe. BGH 23.2.2006 – I ZR 272/02 – BGHZ 166, 253 = GRUR 2006, 421, 422 f. – Markenparfümverkäufe. v. Ungern-Sternberg GRUR 2009, 1009, 1016 f. Ahrens JZ 2006, 1184, 1186 f.; Kamlah/Ulmar WRP 2006, 967, 970; Büttner FS Doepner (2008) 107, 109; Grosch FS Schilling (2007) 207, 216 ff.; Teplitzky GRUR 2011, 1091, 1092 m. w. N. in Fn. 29. 648 Vgl. zu dieser Entwicklung die Nachweise bei Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 2g und ders. GRUR 2011, 1091, 1093 in Fn. 31. 649 Ausführlich dazu unter Rn. 246 ff. 650 Das ist der Ansatz von Teplitzky GRUR 2011, 1092, 1095. Grundsätzlich ist mit verallgemeinernden Aussagen hinsichtlich der Enge oder Breite des Gegenstandsbegriffs sehr vorsichtig umzugehen. Die Diskussionsbeiträge gehen hier meist aneinander vorbei und bringen keinen Erkenntniswert. Grosch

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III. Unterlassungsklage

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Streitgegenstandsbegriff,651 der dann auch viele Folgeprobleme aus der vom BGH in „TÜV I“ für unzulässig gehaltenen alternativen Klagehäufung652 vermeide.

cc) „Biomineralwasser“ bis „Tiegelgröße“/„Betriebspsychologe“ und „Sofort-Bo- 214 nus II“. Der BGH hatte in der Folge nach „TÜV I“ mit der Entscheidung „Biomineralwasser“ seine „engere“ Betrachtungsweise des Streitgegenstandes aufgegeben und sich damit der im Anschluss an die „TÜV I“-Rechtsprechung geäußerten Kritik an jener Streitgegenstandslehre für die auf die konkrete Verletzungsform gerichtete Klage angeschlossen.653 Diese Linie hatte sich deutlich in der Entscheidung „Branchenbuch Berg“654 und etwas versteckter bereits in der Entscheidung „Leistungspakete im Preisvergleich“655 angekündigt. Ein zu „feingliedriger“ Streitgegenstandsbegriff setze sich in Widerspruch zu den allgemeinen zivilprozessualen Lehren des Streitgegenstandes, nach denen es auf eine natürliche Betrachtungsweise hinsichtlich des zugrundeliegenden Lebenssachverhalts ankomme. Der Streitgegenstand werde vielmehr durch den gesamten historischen Lebensvorgang bestimmt, auf den sich das Rechtsschutzbegehren des Klägers beziehe.656 Die Bewährungsprobe dieser neuen Judikatur liegt in der praktisch und dogmatisch ent- 215 scheidenden Frage, wie der BGH den Umfang eines solchen Rechtsschutzbegehrens und einer entsprechend tenorierten Verbotsnorm bestimmt. Wenn man sich hier strikt an dem natürlichen Lebenssachverhalt orientiert, so würde das letztlich im Wesentlichen die Anwendung der Kernbereichslehre für solche Urteile ausschließen, die auf die konkrete Verletzungshandlung bezogen sind. Damit käme man zwar zu einem prima facie breiten, im Ergebnis aber sehr engen, weil ganz konkret auf die historische Verletzungshandlung bezogenen und nicht abstrahierenden, Streitgegenstandsbegriff. Wollte man das nicht tun und an der Kernbereichslehre für diese Fälle festhalten, was der I. Zivilsenat inzwischen auch ausdrücklich getan hat,657 so ist dafür letztlich die Orientierung an den Merkmalen erforderlich, die für den Subsumtionsschluss des Klägers bzw. Gerichts konstitutiv sind (hierzu unten Rn. 855 ff.). Rein formal wäre das allenfalls dann konsistent, wenn man die vollstreckungsrechtliche Ebene von der des Streitgegenstandes trennen wollte und damit zumindest vordergründig die Vereinbarkeit des Verbots der alternativen Klagehäufung mit der unveränderten Anwendung der Kernbereichslehre bei auf die konkrete Verletzungsform gerichteten Urteilen hergestellt hätte. Das wäre dann in der Sache die Wiederbelebung von „Markenparfümverkäufe“,658 also jener Entscheidung, die weit überwiegend auf Ablehnung gestoßen war und vom BGH in den Kernsätzen auch nicht mehr zustimmend zitiert wurde. Letztlich hat der BGH den Weg aus „Biomineralwasser“ auch nicht derart konsequent fortge- 216 führt, sondern insbesondere den Ausnahmetatbestand weiterentwickelt (hierzu ausführlich unten Rn. 264). Danach liegen verschiedene Streitgegenstände vor, wenn „die materiell-rechtliche Regelung die zusammentreffenden Ansprüche durch eine Verselbstständigung der einzelnen Lebensvorgänge erkennbar unterschiedlich ausgestaltet.“659 Das hat der BGH im Fall „Betriebspsychologe“660 deutlich ausgebaut. Der BGH hat im entschiedenen Fall mit Blick auf die Bestim651 652 653 654 655 656 657

Vgl. hierzu unter Rn. 229 a. E. und 246 ff. Vgl. zur alternativen Klagehäufung unter Rn. 141 ff. BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 19 ff. m. Anm. Teplitzky – Biomineralwasser. BGH 30.6.2011 – I ZR 157/10 – GRUR 2012, 184 – Branchenbuch Berg, vgl. hierzu unter Rn. 262 sowie Rn. 157. BGH 7.4.2011 – I ZR 34/09 – GRUR 2011, 742 f. – Leistungspakete im Preisvergleich. BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 26 m. Anm. Teplitzky – Biomineralwasser. BGH 29.9.2016 – I ZB 34/15 – GRUR 2017, 208 Tz. 35 – Rückruf von RESCUE-Produkten; ferner auch (obiter) BGH 6.2.2013 – I ZB 79/11 – GRUR 2013, 1071, 1072 Tz. 14 – Umsatzangaben. Vgl. hierzu ferner Rn. 860, 177 ff., 130 ff., 158. 658 BGH 23.2.2006 – I ZR 272/02 – BGHZ 166, 253 = GRUR 2006, 421 – Markenparfümverkäufe. 659 So schon BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 19 a. E. – Biomineralwasser. 660 BGH 5.10.2017 – I ZR 184/16 – GRUR 2018, 203 Tz. 17 f. – Betriebspsychologe. 557

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

mung des Streitgegenstandes beim wettbewerbsrechtlichen Irreführungstatbestand ausgeführt, dass der „für die Festlegung des Klagegrundes maßgebliche Lebensvorgang mithin maßgeblich durch die Fragen bestimmt [wird], durch welche […] Angabe welcher konkrete Verkehrskreis angesprochen wird, welche Vorstellungen die Angabe bei diesem angesprochenen Verkehrskreis auslöst und ob diese Vorstellung unwahr ist.“661 Das sind aber letztlich alle wesentlichen materiell-rechtlichen Merkmale des Irreführungstatbestandes. Wenn also wesentliche Unterschiede in den zur Subsumtion unter verschiedene (materielle) Beanstandungen (hier Irreführungstatbestände) erforderlichen Sachverhaltsmerkmalen mit Blick auf eine Verletzungshandlung vorliegen, dann wären auch verschiedene Streitgegenstände gegeben. Das relativiert den Schwerpunkt der „natürlichen“ Betrachtungsweise mit Blick auf die Verletzungshandlung als Lebenssachverhalt und einheitlichem Klagegrund bei konkreten Unterlassungsanträgen, welche die Entscheidung „Biomineralwasser“ zugrundelegt, deutlich. Die Entscheidung „Biomineralwasser“ wurde insofern in „Betriebspsychologe“ nur noch dafür zitiert, dass nicht „jede auch nur geringfügig abweichende, durch ein und dieselbe Werbeaussage bewirkte Fehleinschätzung der Verbraucher“ zu verschiedenen Streitgegenständen führt. Damit wird das Regel-Ausnahme-Verhältnis aus „Biomineralwasser“ letztlich umgekehrt. Grundsätzlich kommt es für die Annahme eigenständiger Klagegründe darauf an, ob sich der mit Blick auf die Subsumtion unter die (zur Begründung der beantragten Verbotsnorm) herangezogene materielle Verbotsnorm angeführte Sachverhalt unterscheidet. Sind also andere Fehlvorstellungen oder andere Verkehrskreise betroffen, so liegt ein anderer Klagegrund vor. Ausnahmsweise gilt das aber nicht, wenn die Abweichungen letzlich geringfügig sind und insbesondere durch dieselbe Werbeaussage betroffen sind. Man könnte auch sagen, dass ein Streitgegenstand nur vorliegt, wenn die subsumtionsrelevanten Tatsachen einen gemeinsamen Kern haben. Das Gegenbeispiel hat der BGH unlängst in der Entscheidung „Tiegelgröße“ formuliert. Dort wurde mit Blick auf zwei unterschiedliche Fehlvorstellungen ein Streitgegenstand angenommen und zur Begründung angeführt, dass beide Fehlvorstellungen die Relation des Inhalts zur Umverpackung zum Gegenstand haben. Insofern besteht also in den subsumtionsrelevanten Tatsachen ein gemeinsamer Kern. Das rechtfertigt die Annahme eines Streitgegenstandes. Eine weitere Differenzierung ist hier praktisch nicht möglich. Auch die Beklagteninteressen werden dabei nach der Linie des BGH geschützt, weil trotz des einheitlichen Streitgegenstandes der Kläger aufgrund der Dispositionsmaxime substantiiert zu beiden Fehlvorstellungen vortragen muss. Das Gericht kann diese nicht ohnen Vortrag selbst prüfen.662 Man kann also sagen, dass sich die Tragweite der Entscheidung „Biomineralwasser“ in Gestalt der heutigen BGH-Judikatur deutlich relativiert und in ihren Wertungen hin zur vormaligen Judikatur verschoben hat. Diese sich abzeichnende neuere Linie des BGH überzeugt, weil das klägerische Rechtsschutzbegehren auch in Fällen der Beschränkung des Antrages auf die konkrete Verletzungsform im Grundsatz auch kerngleiche Abwandlungen einbezieht und für die Bestimmung der kerngleichen Abwandlungen (und damit des eigentlichen Inhalts der jeweiligen Verbotsnorm) auf die Begründung des Tenors zu rekurrieren ist. Damit ist das klägerische Rechtsschutzbegehren (der prozessuale Anspruch) unmittelbar an den Sachvortrag mit Blick auf die jeweilige materielle Beanstandung gekoppelt und kann deshalb (von Ausnahmefällen abgesehen) bei der Bestimmung des Streitgegenstandes per definitionem nicht außer Betracht gelassen werden (hierzu ausführlich unten Rn. 269 ff.). Mit der Entscheidung „Sofort-Bonus II“663 hat der BGH ferner belegt, dass diese Systematik auch für die abstrakten Unterlassungsanträge und die korrespondierenden Urteile gelten kann. Im entschiedenen Fall wurden zwei Streitgegenstände bei einem einheitlichen abstrakten Unterlassungsantrag (Verbot der Werbung mit einem Sofort-Bonus gegenüber privatversicherten Ver-

661 BGH 5.10.2017 – I ZR 184/16 – GRUR 2018, 203 Tz. 18 – Betriebspsychologe. 662 BGH 11.10.2017 – I ZR 78/16 – GRUR 2018, 431 Tz. 16 – Tiegelgröße. 663 BGH 20.2.2020 – I ZR 5/19 GRUR 2020, 550 – Sofort Bonus II. Grosch

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brauchern) angenommen.664 Das liegt auf der BGH-Linie für konkrete Unterlassungsanträge, weil die von der Klägerin im entschiedenen Fall in Bezug genommenen materiellen Anspruchsgrundlagen (Verstoß gegen die unternehmerische Sorgfaltspflicht einerseits und gegen das Irreführungsverbot andererseits) an wesentlichen Punkten Unterschiede aufweisen und insofern der von der Klägerin in Bezug genommene subsumtionserhebliche Sachverhalt an einem wesentlichen Punkt (Bonus auf dem bei dem privaten Krankenversicherer für die Kostenerstattung eingereichten Rezept angegeben oder nicht) abgewandelt war. Hingegen war der mögliche weitere Verstoß gegen die Arzneimittelpreisbindung für beide Konstellationen eine zur Begründung des beantragten Verbots auch ohne Hinweis der Klägerin vom Gericht zu prüfende Anspruchsgrundlage (i. V. m. § 3 a UWG),665 welche keinen eigenen Streitgegenstand begründete. Insofern gilt also „jura novit curia“.

b) Allgemeine Lehren zum zivilprozessualen Streitgegenstand – der prozessuale An- 217 spruch als klägerisches Rechtsschutzbegehren. Um den Diskussionsstand des Wettbewerbsrechts nachzuvollziehen und einzuordnen, ist es erforderlich, sich in einem ersten Schritt einen Überblick über die Praxis und den Meinungsstand im allgemeinen Zivilprozessrecht zu verschaffen. Nach § 322 ZPO sind Urteile der Rechtskraft nur fähig, soweit über den mit der Klage oder 218 Widerklage erhobenen Anspruch entschieden ist. Als gesichert kann gelten, dass damit nicht der materielle Anspruch gemeint ist, sondern der prozessuale Anspruch.666 Mit Blick auf den prozessualen Anspruch formuliert der BGH treffend, dass es sich dabei um das klägerische Rechtsschutzbegehren oder die klägerische Rechtsfolgenbehauptung handelt.667 Das Gericht kann damit dieses prozessuale Rechtsschutzbegehren unter allen rechtlichen Aspekten würdigen (iura novit curia). Der Streitgegenstand ist also grundsätzlich nicht auf einen materiellen Anspruch begrenzt. Für dessen Abgrenzung ist es also nicht entscheidend, ob das materielle Recht unterschiedliche Anspruchsgrundlagen ausbildet, die vom Kläger für die Begründetheit seines Rechtsschutzbegehrens herangezogen werden.

aa) Eingliedriger oder zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff. Nach der Lehre vom ein- 219 gliedrigen Streitgegenstandsbegriff668 bestimmt allein der Antrag den Streitgegenstand, so dass also bei einem Antrag grundsätzlich ein Streitgegenstand vorliegt. Hingegen ist nach der Lehre vom zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff neben dem Antrag zusätzlich der vom Kläger vorgetragene Lebenssachverhalt, aus dem die Rechtsfolgenbehauptung (das Rechts-

664 BGH 20.2.2020 – I ZR 5/19 GRUR 2020, 550 Rn. 12 – Sofort Bonus II. 665 BGH 20.2.2020 – I ZR 5/19 GRUR 2020, 550 Rn. 13 ff. – Sofort Bonus II. 666 Nach anfänglichen Unsicherheiten, vgl. nur RG 9.2.1891 – II 196/90 – RGZ 27, 385, 387 = juris, bereits vom RG judiziert: RG 2.5.1906 – V 455/05 – RGZ 63, 268, 269 = juris; RG 14.10.1927 – VII 122/27, RGZ 118, 209, 210 = juris; dazu Mühl NJW 1954, 1665. So auch st. Rspr. des BGH, vgl. nur BGH 18.11.1982 – IX ZR 91/81 – NJW 1983, 388, 389; BGH 17.5.2001 – IX ZR 256/99 – NJW 2001, 3713, 3713; BGH 21.10.2008 – XI ZR 466/07 – NJW 2009, 56 Tz. 15; BGH 8.5.2007 – XI ZR 278/06 – NJW 2007, 2560 Tz. 16; Stein/Jonas/Roth vor § 253 Rn. 30 ff. m. w. N.; MünchKommZPO/ Becker-Eberhard Vor §§ 253 Rn. 32. 667 BGH 19.11.2003 – VIII ZR 60/03 – BGHZ 157, 47 Tz. 9 = NJW 2004, 1252: „Streitgegenstand eines Rechtsstreits ist nicht ein bestimmter materiell-rechtlicher Anspruch, sondern der als Rechtsschutzbegehren oder Rechtsfolgenbehauptung verstandene, eigenständige prozessuale Anspruch, der durch den Klageantrag (Rechtsfolge) und den Lebenssachverhalt (Klagegrund), aus dem der Kl. die begehrte Rechtsfolge herleitet, bestimmt wird (st. Rspr.; BGHZ 117, 1, 5 = NJW 1992, 1172 m.w. Nachw.).“ 668 Erstmals zum Eheprozess entwickelt von Bötticher Festgabe Rosenberg (1949) 73, 84 ff. und insbesondere vertreten von Schwab Der Streitgegenstand im Zivilprozess, passim; ders. JuS 1965, 81; JuS 1976, 69, 71; vgl. auch Schwab FS Lüke (1997) 793, 800 ff. 559

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

schutzbegehren) abgeleitet und der auch als Klagegrund in Bezug genommen wird, ein selbständiges, den Streitgegenstand determinierendes Element.669 Die herrschende Auffassung und die gefestigte Judikatur folgen dem zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff.670 Auch die Lehre vom eingliedrigen Streitgegenstandsbegriff kommt allerdings nicht ohne Rekurs auf den zur Begründung vorgetragenen Lebenssachverhalt aus, der zur Auslegung des Antrages herangezogen wird, wenn der Antrag nicht eindeutig gefasst ist oder nicht eindeutig gefasst werden kann.671 Im Wettbewerbsrecht wäre dieser Rückgriff sicherlich auch für die Vertreter des eingliedrigen Streitgegenstandsbegriffs unausweichlich, gerade dann, wenn der Antrag nur auf die historische (konkrete) Verletzungshandlung Bezug nimmt (konkretes Rechtsschutzbegehren).672 In vielen Fällen macht diese dogmatische Distinktion deshalb keinen praktischen Unterschied.673 Zum Teil wird vertreten, dass unterschiedliche Streitgegenstandsbegriffe für unterschiedliche Zwecke einschlägig sein sollten (sog. „relative Theorie“).674 So sei etwa für die Rechtshängigkeitssperre (vgl. zu diesem Meinungsstreit auch Rn. 378 ff.) und die Klageänderung grundsätzlich ein weiterer Streitgegenstandsbegriff am Platze, um eine unnötige Dopplung von Prozessen zu vermeiden, wohingegen für die Fragen der Rechtskraft ein engerer Streitgegenstandsbegriff (nach der zweigliedrigen Lehre) indiziert sei:675 Ansonsten bestünde die Tendenz, dass der Prozessstoff ausgeweitet wird, um einer späteren Rechtskraftpräklusion vorzubeugen. Die herrschende Lehre geht hingegen von einem einheitlichen Streitgegenstandsbegriff für alle Zwecke aus.676 Das hat der I. Zivilsenat in der Entscheidung „Biomineralwasser“ explizit bestätigt und darauf hingewiesen, dass bei der Definition des Streitgegenstandes dem Sinn und Zweck aller Rechtsinstitute, die an diesen anknüpfen, also Rechtshängigkeit, Rechtskraft, die Klagehäufung und die Klageänderung, Rechnung zu tragen und deren gegenläufige Ziele auszubalancieren seien.677 Die einheitliche Bestimmung überzeugt. Der Prozess ist ein einheitliches System. Man kann den Gegenstand des Urteils nicht anders verstehen als den Gegenstand der Klage. Nur über 669 Stein/Jonas/Roth vor § 253 Rn. 18; MünchKommZPO/Becker-Eberhard Vor §§ 253 ff. Rn. 32; Saenger Einführung Rn. 109; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.23a; Fezer/Büscher/Obergfell § 12 Rn. 275 ff.; Harte/Henning/Brüning Vor § 12 Rn. 18; Ahrens Kap. 36 Rn. 16; Büscher/Dittmer/Schiwy § 14 MarkenG Rn. 693 ff.; Ahrens WRP 2013, 1, 2; in der Rspr. anfangs noch uneinheitlich, vgl. BGH 9.2.1953 – VI ZR 249/53 – BGHZ 9, 22 Tz. 20 = NJW 1953, 663, 664 (ein Streitgegenstand trotz vorliegen zweier Klageanträge); BGH 12.7.1962 – II ZR 161/61 – BGHZ 37, 371, 372 f. = NJW 1962, 1616, 1617 (eingliedriger Streitgegenstandbegriff); BGH 2.5.1966 – II ZR 179/65 – NJW 1967, 107, 109 (eingliedriger Streitgegenstandsbegriff) m. Anm. Schlechtriem; dann aber eindeutige und st. Rspr.: BGH 22.5.1981 – V ZR 111/80 – NJW 1981, 2306, 2306; BGH 19.12.1991 – IX ZR 96/91 – BGHZ 117, 1, 5 = NJW 1992, 1172, 1173; BGH 7.7.1993 – VIII ZR 103/92 – BGHZ 123, 137, 139 f. = NJW 1993, 2684, 2685; BGH 27.3.1996 – IV ZR 185/95 – BGHZ 132, 240 = NJW 1996, 1743, 1743; BGH 14.5.1997 – XII ZR 140/95 – NJW-RR 1997, 1216, 1217; BGH 20.3.2000 – II ZR 250/ 99 – NJW 2000, 1958, 1958; BGH 23.2.2006 – I ZR 272/02 – BGHZ 166, 253 = GRUR 2006, 421 Tz. 25 – Markenparfümverkäufe; BGH 23.7.2008 – XII ZR 158/06 – NJW 2008, 2922 Tz. 20; BGH 16.9.2008 – IX ZR 172/07 – NJW 2008, 3570 Tz. 9; BGH 21.10.2008 – XI ZR 466/07 – NJW 2009, 56 Tz. 15; BGH 5.11.2009 – IX 239/07 – BGHZ 183, 77, 80 = NJW 2010, 2210, 2211 Tz. 10. 670 Siehe Nachweise vorherige Fußnote. 671 Vgl. MünchKommZPO/Becker-Eberhard Vor §§ 253 Rn. 35 m. w. N.; Stein/Jonas/Roth vor § 253 Rn. 26; Musielak/ Voit Einl. Rn. 74. 672 Dazu oben Rn. 67 und 79. 673 Wieczorek/Schütze/Prütting Einl. Rn. 78; Musielak/Voit Einl. Rn. 68. 674 U.a. Stein/Jonas/Roth vor § 253 Rn. 41; Wieczorek/Schütze/Prütting Einl. Rn. 77; Althammer ZZP 123 (2010), 178 ff.; Musielak/Voit Einl. Rn. 70, 74 a. E. 675 Baumgärtel JuS 1974, 69, 72 f. 676 Überzeugend Büscher GRUR 2012, 16, 24; ebenso Wieczorek/Schütze/Büscher § 322 Rn. 115; BGH 19.11.2003 – VIII ZR 60/03 – BGHZ 157, 47, 50 = NJW 2004, 1252; BGH 22.5.1981 – V ZR 111/80 – NJW 1981, 2306; MünchKommZPO/ Gottwald § 322 Rn. 112 f.; Zöller/Vollkommer Vor § 322 Rn. 38, 39; vgl. auch Rosenberg/Schwab/Gottwald § 93 Rn. 10 ff. 677 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 21 – Biomineralwasser. Grosch

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III. Unterlassungsklage

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den Gegenstand des Streits zwischen den Parteien kann das Gericht entscheiden. Es wäre somit nicht konsistent, den Streitgegenstand mit Blick auf den anhängigen Rechtsstreit anders zu verstehen als mit Blick auf die Rechtskraftwirkung der Entscheidung. Aus demselben Grund heraus überzeugt es allerdings nicht, auf die Zwecke der vom Streitgegenstandsbegriff abhängigen Rechtsinstitute bei der Bestimmung des Umfangs des Streitgegenstands abzustellen, also diese Bestimmung gleichsam folgeorientiert vorzunehmen. Diese Rechtsinstitute knüpfen deshalb an den Streitgegenstand an, weil dieser zum Ausdruck bringt, was zwischen den Parteien in Streit steht und worüber das Gericht daher mit Bindungswirkung für die Parteien entscheiden kann und muss. Wenn man etwa – wie der BGH in „Biomineralwasser“ – sagt, ein weiter Streitgegenstandsbegriff liefe den Interessen des Beklagten zuwider, weil damit für den Kläger im Verfahren eine Änderung der „Angriffsrichtung“ leichter möglich wäre, da die Vorschriften der §§ 263, 264 ZPO keine Anwendung finden, so ist das eine eher formale Betrachtungsweise.678 Der Streitgegenstand wird nicht zu dem Zweck enger definiert, damit der Beklagte sich gegen eine Änderung im Verfahren wehren kann, sondern dem Beklagten steht die Möglichkeit, seine Einwilligung zu verweigern, dann und deshalb zu, weil und soweit sich durch die Veränderung der Angriffsrichtung das Programm des Rechtsstreits dergestalt ändert, dass das Rechtsschutzbegehren ein anderes ist, gegen das sich der Beklagte anders verteidigen können muss, weil der Inhalt der Streitentscheidung ein anderer wäre.

bb) Die Abgrenzung des Lebenssachverhaltes – natürliche Betrachtungsweise oder 224 materiell-rechtlicher Maßstab? Die wesentliche Frage bei der Anwendung des zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriffs ist, wie der zugrunde liegende Lebenssachverhalt abzugrenzen ist. Hier wird in der Rechtsprechung und nach der herrschenden Auffassung grundsätzlich auf eine „natürliche Betrachtungsweise“ abgestellt. So hat der BGH außerhalb des Wettbewerbsrechts etwa formuliert, dass der Streitgegenstand durch den „gesamten historischen Lebensvorgang“ bestimmt werde, auf den sich das klägerische Rechtsschutzbegehren beziehe und zwar unabhängig davon, ob einzelne Tatsachen dieses Lebenssachverhalts von den Parteien vorgetragen worden sind oder ob die Parteien diese Tatsachen überhaupt hätten vortragen können.679 Diese Rechtsprechung hat insbesondere Relevanz für die Präklusion von im Erkenntnisver- 225 fahren nicht eingeführten, aber objektiv vor Schluss der mündlichen Verhandlung eingetretenen Tatsachen, sofern diese „bei natürlicher Anschauung zu dem im Vorprozess vorgetragenen Lebenssachverhalt gehören“.680 Danach könnte also etwa ein Kläger, der durch rechtskräftiges Urteil mit dem Begehren, die Kaufsache Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises aufgrund einer behaupteten Wandlung wegen eines Unfallschadens der Kaufsache zurückzugewähren, abgewiesen worden war, dieses Begehren nicht im Zweitprozess auf eine nunmehr behauptete arglistige Täuschung bei Abschluss desselben Kaufvertrages stützen.681 Die behauptete 678 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 22 – Biomineralwasser. 679 St. Rspr. BGH 15.10.1986 – IVb ZR 78/85 – BGHZ 98, 353 Tz. 30 f. = NJW 1987, 1201, 1202 f.; BGH 13.12.1989 – IVb ZR 19/89 – NJW 1990, 1795, 1796; BGH 24. 6.1993 – III ZR 43/92 – NJW 1993, 3204, 3204; BGH 18.7.2000 – X ZR 62/98 – NJW 2000, 3492, 3493; BGH 15.10.1986 – IVb ZR 78/85 – BGHZ 123, 137 Tz. 8 f.; BGH 19.11.2003 – VIII ZR 60/03 – NJW 2004, 1252, 1253 m. w. N.; BGH 25.10.2012 – IX ZR 207/11 – WM 2012, 2242 Tz. 14; MünchKommZPO/ Gottwald § 322 Rn. 115; Zöller/Vollkommer Vor § 322 Rn. 70; Rosenberg/Schwab/Gottwald § 155 Rn. 2 f.; vgl. hierzu auch v. Ungern-Sternberg GRUR 2009, 901, 905 f.; Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 2b ff. (mit kritischen Einschränkungen). 680 St. Rspr. BGH 24.9.2003 – XII ZR 70/02 – NJW 2004, 294, 295; BGH 19.11.2003 – VIII ZR 60/03 – BGHZ 157, 47 Tz. 6 ff. = NJW 2004, 1252, 1253 f.; BGH 15.10.1986 – IVb ZR 78/85 – BGHZ 98, 353 Tz. 30 f. = NJW 1987, 1201, 1202 f.; BGH 7.7.1993 – VIII ZR 103/92 – BGHZ 123, 137, 139 f. = NJW 1993, 2684, 2685. 681 Auch wenn die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung erst nach Rechtskraft des Ersturteils erfolgte, was allerdings wiederum ein Sonderproblem der zeitlichen Grenzen materieller Rechtskraft ist, vgl. BGH 19.11.2003 – VIII ZR 60/03 – BGHZ 157, 47 = NJW 2004, 1252. 561

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

arglistige Täuschung über einen Unfallschaden der Kaufsache ist eine Tatsache, die während des Vorprozesses bereits vorgelegen haben musste. Diese gehöre bei „natürlicher Anschauung“ zu dem im Vorprozess vorgetragenen Lebensvorgang, weil sie in „engem tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang“ mit der vom Kläger begehrten Wandlung wegen des Unfallschadens gestanden habe.682 226 Die Bezugnahme auf den „rechtlichen Zusammenhang“ zeigt aber schon, dass die „natürliche Betrachtung“ ihre Grenzen hat. Ohne Bezugnahme auf das vom Kläger festgelegte materiell-rechtliche Programm, das sein Rechtsschutzbegehren stützen soll, lässt sich eine Abgrenzung von Lebenssachverhalten nicht leisten.683 In diesem Sinne hat der BGH in anderen Entscheidungen auch außerhalb des Wettbewerbsrechts darauf abgestellt, ob die jeweiligen materiell-rechtlichen Regelungen die zusammentreffenden Ansprüche erkennbar unterschiedlich ausgestaltet haben.684 In diesem Sinne hält es auch eine in der Literatur im Vordringen befindliche Auffassung für unentbehrlich, rechtliche Maßstäbe für die Abgrenzung des Streitgegenstandes zur Anwendung zu bringen.685 Musielak formuliert insofern: „Zu dem Lebenssachverhalt, der für den Streitgegenstand maßgebend ist, gehören alle Tatsachen, die den Geschehensablauf bilden, auf den es für die Anwendung des den Klageantrag rechtfertigenden Rechtssatzes ankommt.“686 Das sei zutreffend, weil es auf den schlüssigen Vortrag dieser Tatsachen für den sachlichen Erfolg der Klage ankomme. Alle weiteren Tatsachen, die lediglich in einem natürlichen Zusammenhang mit diesen für die Schlüssigkeit erforderlichen Fakten stünden, aber dafür nicht erforderlich seien, lägen außerhalb des für den Streitgegenstand maßgeblichen Lebenssachverhalts. 227 Die Bezugnahme auf die Schlüssigkeit lässt weiterhin die Frage aufkommen, inwiefern sich ein solcher Streitgegenstandsbegriff noch vom materiellen Anspruchsbegriff unterscheidet.687 Auch stellt sich die Frage, aus wessen Perspektive sich entscheidet, ob es für die Anwendung des den Klageantrag rechtfertigenden Rechtssatzes auf den Geschehensablauf ankommt. In vielen Fällen ist es gerade streitig, ob bestimmte weitere Tatsachen rechtlich relevant sind oder nicht. Das wird sich gerade in den wettbewerbsrechtlichen Fällen zeigen.688 Sicherlich kann hier nicht die klägerische Perspektive den abschließenden Maßstab bilden, weil die Sicht des Klägers materiell-rechtlich nicht überzeugend sein mag. Auch die Perspektive des Gerichts kann nicht abschließend sein, weil es nicht darauf ankommen kann, welche materiell-rechtliche Auffassung aus Sicht des Gerichts letztlich zutrifft, ob also gewisse Sachverhaltskomplexe für den Rechtsschutzanspruch relevant sind oder nicht. Richtigerweise kann es nur darauf ankommen, ob durch eine Änderung des Sachverhalts ein abweichender Geschehensablauf identifiziert wird, wodurch eine selbstständige rechtliche Beurteilung möglich erscheint, so dass ein neuer Streitstoff begründet wird. In diesem Sinne wird im Wettbewerbsrecht bei einem neuen Sachverhalt auch nicht darauf abgestellt, ob dieser für die Rechtsfolge im Ergebnis einen Unterschied macht, sondern ob er aufgrund seiner Besonderheiten eigenständig zu würdigen ist, ob also darüber gestritten und dieser Streit eigenständig entschieden werden muss. 682 Entsprechend auch zuletzt in BGH 25.10.2012 – IX ZR 207/11 – WM 2012, 2242 f. 683 Ahrens betont dennoch, dass die richterliche Bestimmung des Streitgegenstands die natürliche Betrachtungsweise nicht gänzlich verlassen dürfe, dennoch aber stets der Streitgegenstand im Einzelfall die prozessuale Aufgabenerfüllung angemessen ermöglichen muss, Ahrens Anm. zu BGHZ 166, 253 – Markenparfümverkäufe, JZ 2006, 1184. 684 BGH 27.5.1993 – III ZR 59/92 – BGHZ 122, 363 = NJW 1993, 2173; BGH 16.9.2008 – IX ZR 172/07 – NJW 2008, 3570 Tz. 9; sowie neuerdings auch im Wettbewerbsrecht BGH 24.1.2013 – I ZR 60/11 – GRUR 2013, 397 Tz. 13 – Peek & Cloppenburg III, dazu näher unten Rn. 265 f. 685 Schwab FS Lüke (1997) 793, 800 f.; Musielak/Voit Rn. 72, 76; Musielak NJW 2000, 3593, 3595 ff.; Teplitzky/ Schwippert Kap. 46 Rn. 2c und 2d m. w. N. 686 Musielak/Voit Einl. Rn. 76. 687 Vgl. ausführlich zu den unterschiedlichen Ansätzen der zunehmenden Materialisierung des Streitgegenstandsbegriffs Stein/Jonas/Roth vor § 253 Rn. 30 ff. 688 Dazu sogleich c) bis e), Rn. 229 ff., 252 ff., 265 ff. Grosch

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III. Unterlassungsklage

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Daneben kann es nicht richtig sein, dass lediglich der Austausch bestimmter Sachverhalts- 228 elemente, die zu einer abweichenden Schlussfolgerung führen, bereits einen anderen Streitgegenstand begründet. Dann würde das Verfahren den Streit der Parteien über das klägerische Rechtsschutzbegehren regelmäßig nicht beenden. Musielak sagt deshalb auch zu Recht, dass die neuen Tatsachen den Geschehensablauf in seinem „Kerngehalt“ derart verändern müssen, dass sie einen der selbständigen rechtlichen Bewertung zugänglichen eigenständigen Geschehensablauf bilden.689 Eine solche Aufspaltung ist also etwa im immer wieder herangezogenen Schulbeispiel des „Straßenbahnfalls“,690 bei dem Ansprüche aus Vertrag, Delikt und Gefährdungshaftung in Betracht kommen, nicht möglich. Dies gilt, auch wenn sich die Tatbestandsmerkmale der materiell-rechtlichen Normen durchaus unterscheiden, weil vertragliche Ansprüche etwa die durch den Vertrag oder die Geschäftsanbahnung begründete Sonderbeziehung voraussetzten, der deliktische Anspruch das Verschulden, welches der Gefährdungstatbestand nicht benötigt, das aber wiederum abweichend von der vertraglichen Anspruchsgrundlage geregelt ist (§ 278 BGB im Gegensatz zu § 831 BGB). Stets liegt dem Rechtsschutzbegehren der Kernsachverhalt der Verletzung durch den Betrieb der Straßenbahn mit dem dadurch entstandenen Schaden zugrunde. Musielak sagt deshalb überzeugend, dass die materiell-rechtlichen Normen „Orientierungspunkte“ bilden.691

c) Wettbewerbsrechtliche Praxis und Meinungsstand vor „Biomineralwasser“. Die im 229 Wettbewerbsrecht herrschende Praxis hatte sich ursprünglich deutlich stärker als die vorstehend dargelegte herrschende Auffassung zu den allgemeinen zivilprozessualen Lehren zur Bestimmung des Streitgegenstandes an materiell-rechtlichen Kategorien orientiert, nämlich an der materiellen Beanstandung, die der Kläger mit Blick auf die Verletzungshandlung vorgebracht hat (hierzu aa), Rn. 230 ff.). Die dagegen geäußerte Kritik berief sich vornehmlich auf die Abweichung gegenüber der im allgemeinen Zivilprozessrecht herrschenden Definition unter Rekurs auf den natürlichen Lebenssachverhalt (hierzu bb), Rn. 246 ff.).

aa) Herrschende Auffassung vor „Biomineralwasser“: Ausrichtung an der materiellen Beanstandung (1) Zusammenhang zwischen Urteilsnorm (Kernbereichslehre) und Streitgegenstand – 230 BGH Rechtsprechung bis „TÜV I“. Die herrschende Auffassung vom Streitgegenstand ist untrennbar mit dem Gegenstand des Antrages und dem Schutzbereich eines entsprechend tenorierenden Verbots verbunden.692 Der BGH hat hierzu inzwischen klar ausgesprochen, dass der Schutzumfang des Unterlassungstenors, also der Bereich der Vollstreckung, auf das beschränkt ist, was Prüfungsgegenstand des Erkenntnisverfahrens war.693 Die Frage des „Schutzbereichs“ des Urteilstenors richtet sich nach herrschender Auffassung 231 nach der Kernbereichslehre, die bei § 890 ZPO verortet wird. Insofern kann auf die oben im Kontext der Ausführungen zum Bestimmtheitsgrundsatz dargestellte ständige Rechtsprechung des BGH und die instanzgerichtliche Praxis verwiesen werden, wonach die Kernbereichslehre 689 Musielak/Voit Einl. Rn. 76; vgl. dazu auch die ausführliche Zusammenfassung bei Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 2c und 2d mit den Fn. 14–20.

690 So etwa von Georgiades § 13 Rn. 113 ff.; Schwab JuS 1965, 81, 82; Stein/Jonas/Roth vor § 253 Rn. 24; Lüke FS Schwab (1990) 310, 312.

691 Musielak/Voit Einl. Rn. 76; ders. NJW 2000, 3593, 3596; vgl. zum Problem auch Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 2a-2e.

692 Vgl. hierzu neuerdings etwa Büscher GRUR 2013, 969, 985 a. E. 693 BGH 3.4.2014 – I ZB 42/11 – WRP 2014, 719 Tz. 10 ff. – Reichweite des Unterlassungsgebots; hierzu die ablehnende Anmerkung von Kleinemenke GRUR-Prax 2014, 238; Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 2h; Feddersen Kap. 57 Rn. 11 ff.; Grosch FS Schilling (2007) 207, 224 f. 563

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

auch zur Anwendung kommt, wenn es sich um einen auf die konkrete Verletzungsform gerichteten Tenor handelt.694 Danach sind auch Abwandlungen vom Schutzbereich des Unterlassungsurteils erfasst, sofern immer noch das Charakteristische der Verletzungshandlung in der beanstandeten Zuwiderhandlung gegeben ist. Das Charakteristische der Verletzungshandlung wurde dabei (jedenfalls vor „Biomineralwasser“) grundsätzlich mit Blick auf die materielle Beanstandung bestimmt, die dem Urteilstenor zugrunde liegt.695 Bleibt also eine bestimmte Irreführung, auf die sich die Verurteilung stützt, unverändert, so wäre es grundsätzlich unerheblich, ob die Werbeanzeige in anderen, damit nicht zusammenhängenden Punkten verändert wird. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Kläger sich im Erkenntnisverfahren nicht dezidiert auf bestimmte Ausführungsformen beschränkt hat und eine Ausweitung im Erkenntnisverfahren gerade ausgeschlossen werden sollte.696 Das ist die Linie, die der BGH auch in „TÜV I“ seiner Rechtsprechungsänderung zur alter232 nativen Klagehäufung zugrunde gelegt hat: „Nichts anderes gilt, wenn das Klagebegehren auf das Verbot einer bestimmten Werbung gerichtet ist, die der Kl. alternativ unter mehreren Gesichtspunkten, die selbständige prozessuale Ansprüche (Streitgegenstände) darstellen, als unlauter beanstandet. Auch in einem solchen Fall entscheidet das Gericht mit der Auswahl des Streitgegenstands über die Reichweite des Verbots. Denn je nachdem, auf welchen Streitgegenstand das Gericht das Verbot der einheitlichen Werbung stützt, beurteilt sich, was der Bekl. an der beanstandeten Werbung ändern muss, um nicht gegen das ausgesprochene Verbot zu verstoßen.“697 233 Auf dieser Linie der Differenzierung je nach der das Rechtsschutzziel tragenden materiellen Beanstandung lag auch im Wesentlichen die Rechtsprechung des BGH der vergangenen Dekade. Beispielhaft hierfür sind die beiden „dentalästhetika“-Entscheidungen698 sowie die „Saugeinlagen“-Entscheidung.699 Diese sollen hier kurz dargestellt werden, weil der BGH sie in „Biomineralwasser“ ausdrücklich aufgegeben hat.

234 (a) BGH „dentalästhetika“: Durch Sachvortrag begrenzte Verletzungsform. In „dentalästhetika“ beanstandete die Klägerin in dem hier interessierenden Teil eine Werbeanzeige als konkrete Verletzungsform, die die Beklagte in einer Illustrierten geschaltet hatte.700 Die Klägerin behauptete einen Verstoß i. S. d. § 3 Satz 2 Nr. 2 lit. a HWG der Beklagten durch ein unzulässiges Werben mit einem Erfolgsversprechen. In zweiter Instanz hatte das OLG Düsseldorf dem Unterlassungsbegehren entsprochen, die Verurteilung jedoch auch auf einen Verstoß gegen § 3 (irreführende Werbung) gestützt.701 Der BGH hob die Verurteilung auf, weil diese mit Blick auf die vom Kläger nicht identifi235 zierten Irreführungen über die gestellten Klageanträge hinausging (§ 308 ZPO). Bei einer auf Irreführung gestützten Klage setze sich der maßgebliche Lebenssachverhalt aus der beanstandeten Werbemaßnahme und der dadurch erzeugten Fehlvorstellung der angesprochenen Verkehrskreise zusammen. Der Kläger müsse also bei einer Werbeanzeige genau identifizieren, welcher Aspekt in welcher Art geneigt ist, eine Irreführung zu begründen. Indem der Kläger eine 694 Siehe Rn. 116 ff., bes. Rn. 129 a. E. 695 H.L. vgl. Schwippert FS Loschelder (2010) 345, 348 f. sub c); Bergmann GRUR 2009, 224, 225 sub II. 3; Teplitzky/ Feddersen Kap. 57 Rn. 12. 696 So etwa im Fall BGH 3.4.2014 – I ZB 42/11 – WRP 2014, 719 Tz. 10 ff. – Reichweite des Unterlassungsgebots; hierzu die ablehnenden Anmerkungen von Kleinemenke GRUR-Prax 2014, 238; zum vorhergehenden BGH-Fall „marions-kochbuch.de“ oben Rn. 84 f. 697 BGH 24.3.2011 – I ZR 108/09 – BGHZ 189, 56 = GRUR 2011, 521 Tz. 10 – TÜV I. 698 BGH 8.6.2000 – I ZR 269/97 – GRUR 2001, 181 = WRP 2001, 28 – dentalästhetika; bestätigt in BGH 13.7.2006 – I ZR 222/03 – GRUR 2007, 161 – dentalästhetika II. 699 BGH 20.9.2007 – I ZR 171/04 – GRUR 2008, 443 – Saugeinlagen. 700 BGH 8.6.2000 – I ZR 269/97 – GRUR 2001, 181 = WRP 2001, 28 – dentalästhetika. 701 BGH 8.6.2000 – I ZR 269/97 – GRUR 2001, 181, 182 = WRP 2001, 28, 29 – dentalästhetika. Grosch

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solche Irreführung nicht vorgetragen habe, sondern einen Verstoß gegen § 3 Satz 2 Nr. 2 lit. a HWG, habe er den Streitgegenstand hierauf eingegrenzt. Die Verurteilung des Gerichts nach § 3 betreffe also einen nicht vom Kläger beantragten Streitgegenstand und verstoße deshalb gegen § 308 ZPO.702 Ferner nahm der BGH in „dentalästhetika II“ bei verspäteter Beanstandung einer geson- 236 derten Fehlvorstellung (durch den Kläger nach Zurückverweisung an das Berufungsgericht) Verjährung an, weil dieser prozessuale Anspruch noch nicht mit der auf eine andere Fehlvorstellung gestützten Klage rechtshängig geworden war.703 Der BGH hat ferner als weitere Begründungslinie angemerkt, dass der Tatrichter nicht schon 237 deshalb über diese Fehlvorstellungen entscheiden könne, weil er zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehört. Wenn die relevanten Sachverhaltsaspekte (die weiteren Fehlvorstellungen) vom Kläger nicht vorgetragen wurden, stelle sich die Beweisfrage gar nicht.704 Inwiefern das fortgilt, ist in der BGH-Rechtsprechung nach „Biomineralwasser“ bisher offengeblieben und wird unten zu erörtern sein.

(b) BGH „Saugeinlagen“. Im entschiedenen Fall vertrieben die Parteien Saugeinlagen für die 238 Verpackungen von frischem Fleisch.705 Die Beklagte hatte an die Abnehmer der Klägerin geschrieben und die Vorteile ihres Produkts hervorgehoben, sowie Nachteile des klägerischen Produkts deutlich gemacht.706 Das wurde von der Klägerin als unzulässiger Werbevergleich gesehen und sie begehrte für diese konkrete Handlung der Vergangenheit Schadensersatz.707 Das Berufungsgericht wies die Klage ab, weil der Vergleich nicht in unangemessener Weise abfällig, abwertend oder unsachlich gewesen sei, sondern die Empfänger nur über die Gefahren des Produkts der Klägerin habe aufklären wollen.708 Die Frage, ob die Behauptungen der Beklagten unrichtig gewesen seien, weil die Produkte der Klägerin lebensmittelrechtlich unbedenklich wären, sei nicht Streitgegenstand des entschiedenen Falles gewesen.709 Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben.710 Der BGH hat dabei allerdings die Auffas- 239 sung des Berufungsgerichts geteilt, dass die Schadensersatzansprüche wegen eines herabsetzenden Werbevergleichs einerseits (§§ 3, 6 Abs. 2 Nr. 5) und einer irreführenden Werbung (§§ 3, 5) andererseits unterschiedliche Streitgegenstände seien.711 Der I. Senat bildet dabei denselben rechtlichen Obersatz wie der Kartellsenat in der Entscheidung „Lesezirkel II“,712 dass also der Streitgegenstand sich nach Antrag und Lebenssachverhalt bestimme und dass ein einheitlicher Lebenssachverhalt vorliege, wenn trotz neuen Tatsachenvortrages der Kern des in der Klage angeführten Sachverhalts unverändert bleibe.713 Je nachdem, ob durch eine abträgliche Wortwahl in dem beanstandeten Schreiben die Produkte der Klägerin herabgesetzt würden, oder ob in der Sache unzutreffend behauptet werde, von diesen Produkten ginge eine Gesundheitsgefahr aus, seien im Kern unterschiedliche Lebenssachverhalte betroffen.714 Deshalb lägen 702 BGH 8.6.2000 – I ZR 269/97 – GRUR 2001, 181, 182 f. = WRP 2001, 28, 29 – dentalästhetika; vgl. hierzu auch BGH 20.9.2007 – I ZR 171/04 – GRUR 2008, 443 – Saugeinlagen, dazu sogleich. BGH 13.7.2006 – I ZR 222/03 – GRUR 2007, 161 Tz. 8 ff. – dentalästhetika II. BGH 8.6.2000 – dentalästhetika, a. a. O. 183. BGH 20.9.2007 – I ZR 171/04 – GRUR 2008, 443, 444 – Saugeinlagen. BGH 20.9.2007 – I ZR 171/04 – GRUR 2008, 443, 444 – Saugeinlagen. BGH 20.9.2007 – I ZR 171/04 – GRUR 2008, 443, 444 – Saugeinlagen. BGH 20.9.2007 – I ZR 171/04 – GRUR 2008, 443, 444 – Saugeinlagen. BGH 20.9.2007 – I ZR 171/04 – GRUR 2008, 443, 444 Tz. 11 – Saugeinlagen. BGH 20.9.2007 – I ZR 171/04 – GRUR 2008, 443, 444 Tz. 12 – Saugeinlagen. BGH 20.9.2007 – I ZR 171/04 – GRUR 2008, 443, 444 Tz. 21 – Saugeinlagen. BGH 11.10.2006 – KZR 45/05 – GRUR 2007, 172 Tz. 11 – Lesezirkel II; ebenso dann auch weitere Entscheidungen des I. Zivilsenats. 713 BGH 20.9.2007 – I ZR 171/04 – GRUR 2008, 443, 444 Tz. 22 – Saugeinlagen. 714 BGH 20.9.2007 – I ZR 171/04 – GRUR 2008, 443, 444 Tz. 23 – Saugeinlagen.

703 704 705 706 707 708 709 710 711 712

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auch bei identischem Antrag unterschiedliche Lebenssachverhalte vor.715 Diese beiden Lebenssachverhalte hatte die Klägerin im entschiedenen Fall auch hinreichend deutlich zur Entscheidung gestellt, weil sie sich ausdrücklich darauf bezogen hatte, dass ihre Produkte entgegen der Behauptung der Beklagten in jeder Hinsicht lebensmittelrechtlichen Anforderungen genügten und gesundheitlich unbedenklich seien.716

240 (2) Herrschende Literaturauffassung. Auf dieser Linie hatte auch die in der Literatur vorherrschende Auffassung verschiedene Streitgegenstände bei einem Angriff auf der Grundlage derselben konkreten Verletzungshandlung angenommen, wenn der Kläger eine einheitliche Werbung unter verschiedenen rechtlichen Aspekten beanstandete und zwar auch, wenn es um dieselbe Angabe innerhalb derselben Werbung ging, etwa einen Verstoß gegen das Irreführungsverbot einerseits und gegen die Preisangabenverordnung andererseits.717 Durch die Bezugnahme auf verschiedene Beanstandungen beschränke der Kläger sein Rechtsschutzbegehren und damit auch den zur Begründung des gegen dasselbe Verhalten gerichteten Verbots vorgetragenen Lebenssachverhalt dergestalt, dass das Gericht nach der Dispositionsmaxime gehindert sei, sich auf andere Sachverhaltsaspekte zu beziehen, die für die geltend gemachte rechtliche Beanstandung nicht erheblich sind. Es wird also insofern nur ein Teil des Sachverhalts, nämlich die für die Subsumtion des Klägers erheblichen Elemente, zur Entscheidung gestellt.718 241 Ich hatte mich dazu an verschiedenen Stellen schon ausführlich geäußert und diese Linie ausführlich begründet.719 Entscheidend dabei ist, dass das Verbot der Handlung, sowie sie begangen worden ist, nicht möglich ist, weil sich dieselbe Handlung so nicht wiederholen wird, phänomenologisch nicht wiederholen kann; man steigt, wie Heraklit sagt, nicht zweimal in denselben Fluss (panta rhei). In diesem Sinne hatte bereits das Reichsgerichts formuliert, dass es „bei der Vielgestaltigkeit der Lebensvorgänge nicht zu erwarten [ist], dass es jemals zu einer sich unter denselben Umständen abspielenden neuen Verletzungshandlung kommen werde. Entscheidend für den Umfang eines Unterlassungsanspruchs kann nur sein, ob die Wiederholung eines Verhaltens wahrscheinlich ist, das in seiner das Wesen der beanstandeten Rechtsverletzung ausmachenden Bedeutung dem gleicht, was sich bereits zugetragen hat.“720 Das Ergebnis des Unterlassungsverfahrens kann also nur selbst eine Norm sein und kein klassischer Rechtsfolgenausspruch. Dass das Unterlassungsurteil eine Norm ist, zeigt sich im Vollstreckungsverfahren nach § 890 ZPO. Es ist ein Sachverhalt unter eine Norm zu subsumieren, nämlich den Tenor, zu dessen Auslegung die Gründe des Urteils heranzuziehen sind (hierzu unten Rn. 854 ff.). 242 Diese Auffassung ist besonders im Kontext der Auseinandersetzung mit der BGH Entscheidung „Markenparfümverkäufe“721 stark verteidigt und in ihrer Rechtfertigung gerade auch unter Bezugnahme auf die allgemeinen zivilprozessualen Lehren, etwa die Beiträge von Musielak und Larenz,722 vertieft worden.723

715 716 717 718

BGH 20.9.2007 – I ZR 171/04 – GRUR 2008, 443, 444 Tz. 23 – Saugeinlagen. BGH 20.9.2007 – I ZR 171/04 – GRUR 2008, 443, 444 Tz. 24 – Saugeinlagen. Beispiel bei Bergmann GRUR 2009, 224, 225 sub d). Hierzu ausführlich Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 3a-4a, der sich im Ergebnis der Auffassung von der möglichen Mehrheit von Streitgegenständen bei unterschiedlichen materiellen Beanstandungen einer Verletzungshandlung anschließt. 719 Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 72 ff.; ders. FS Schilling 207, 223 ff. 720 RG 6.3.1936, GRUR 1936, 885, 889 – Fahrradreifen. 721 BGH 23.2.2006 – I ZR 272/02 – BGHZ 166, 253 = GRUR 2006, 421 – Markenparfümverkäufe. 722 Musielak NJW 2000, 3593; Larenz FS Schima (1969) 247. 723 Hierzu insbesondere Teplitzky, WRP 2007, 1, 3 f. und Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 2g m. w. N. in Fn. 32; ausführlich Grosch FS Schilling (2007) 207, 221 ff. Grosch

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Der Wiederhall dieser Diskussion findet sich auch in der Auseinandersetzung mit „TÜV 243 I“.724 So hat etwa Teplitzky nach „TÜV I“ zur Handhabung der als praktisch nachteilig empfundenen Folgen der „TÜV“-Judikatur empfohlen, gerade unter diesem Blick einen nicht zu engen Streitgegenstandsbegriff zu sichern.725 Dieser „weitere“ Streitgegenstandsbegriff sei in Anwendung der Kernbereichslehre darin zu finden, dass durch die Festlegung auf die für den Subsumtionsschluss maßgeblichen Merkmale auch weitere Handlungen in den Streitgegenstand einbezogen werden, auch wenn diese nach Zeit und Ort oder anderen für den begehrten Subsumtionsschluss unerheblichen Aspekten von der vom Kläger benannten Verletzungshandlung unterschieden seien.726 Das versteht Teplitzky als konkrete Verletzungsform im Unterschied zur konkreten Verletzungshandlung. Die Unterscheidung entspricht der bereits oben erörterten Terminologie von Nirk/Kurtze,727 nach der als konkrete Verletzungshandlung die konkrete historische Wettbewerbshandlung bezeichnet wird, die die Wiederholungsgefahr begründet. Als konkrete Verletzungsform wird demgegenüber die Summe derjenigen Merkmale dieses Sachverhalts bezeichnet, die nach der zugrunde gelegten materiellen Verbotsnorm die Rechtswidrigkeit der Handlung begründen. Es sind also diejenigen Merkmale, die für die Subsumtion hinsichtlich des geltend gemachten Wettbewerbsverstoßes konstitutiv sind.728 Wichtig für die Beurteilung ist insofern, dass Teplitzky diesen Streitgegenstandsbegriff als 244 „weiter“ versteht, weil er sich von dem Streitgegenstandsbegriff aus „Markenparfümverkäufe“ abgrenzt, wonach jede neue Handlung schon wegen deren historischer Unterscheidbarkeit von der benannten Verletzungshandlung einen eigenen Streitgegenstand begründe. Weitergehende Änderungen im Sinne einer Lösung von den durch den Kläger vorgegebenen materiellen Beanstandungen werden hingegen nicht konkret gefordert, wenn auch allgemein in den Raum gestellt wird, dass die „Aufsplitterung“ der Streitgegenstände schon vor „TÜV I“ eine unerwünschte Erscheinung gewesen sei.729 Bemerkenswert an der Einordnung von „TÜV“ durch Teplitzky – und repräsentativ für die 245 weiteren Bewertungen der Entscheidung – ist allerdings, dass nicht gesehen wird, dass der „TÜV“-Rechtsprechung das Verständnis von Teplitzky mit Blick auf den Streitgegenstand bereits zwingend immanent ist, weil nach „TÜV“ die Verbotsnorm hinsichtlich des einheitlichen Antrages auf der Basis derselben Verletzungshandlung je nach zugrunde gelegter Beanstandung unterschiedlich definiert wird. Es ist also nicht zutreffend, wenn man sagt, dass auf der Basis von „TÜV“ durch die Anpassung des Streitgegenstandsbegriffs bei Fällen der konkreten Verletzungsform unterschiedliche, aber mit „TÜV“ konsistente Ergebnisse erzielt werden könnten.730 Ändern könnte man allein die Prämissen von „TÜV“ zum Streitgegenstand bei der konkreten Verletzungsform. Das hat der BGH dann in „Biomineralwasser“731 getan, allerdings auch ohne diesen Widerspruch zu „TÜV“ auszusprechen. „TÜV“ wird bei dieser Sichtweise letztlich allein auf das Verbot der alternativen Klagehäufung reduziert, und es wird sodann mehr formal argumentiert, dass man mit diesem Verbot besser umgehen könne, wenn man dessen Tatbestandsmerkmal, nämlich das Vorliegen unterschiedlicher Streitgegenstände, adaptiere.

bb) Enge Bestimmung der Verbotsnorm und enge Bestimmung des Streitgegenstan- 246 des – Kritik an „TÜV I“. Die Kritiker der „TÜV I“-Rechtsprechung sprechen hingegen bei dem von „TÜV I“ zugrunde gelegten und von Teplitzky (gegenüber „Markenparfümverkäufe“) als 724 725 726 727 728 729 730 731 567

BGH 24.3.2011 – I ZR 108/09 – BGHZ 189, 56 = GRUR 2011, 521 – TÜV I. Teplitzky GRUR 2011, 1091, 1095. Teplitzky GRUR 2011, 1091, 1095 sub 3b. Nirk/Kurtze GRUR 1980, 645, 646 ff.; siehe dazu oben Rn. 79. Dazu ausführlich oben Rn. 79. Teplitzky GRUR 2011, 1092, 1094 a. E. Teplitzky GRUR 2011, 1091, 1094 f. BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 m. Anm. Teplitzky – Biomineralwasser. Grosch

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„weiter“ bezeichneten Streitgegenstandsbegriff von einem engen Streitgegenstandsbegriff,732 weil nicht der gesamte Lebenssachverhalt, der die Verletzungshandlung bildet, als Streitgegenstand gesehen werde, sondern nur die für die jeweilige Beanstandung maßgeblichen Aspekte, deren Zusammenschau, wie bereits gesagt, von Teplitzky als konkrete Verletzungsform bezeichnet wird. Insofern richtet sich diese Kritik an der „TÜV“-Entscheidung letztlich gegen deren Prämissen mit Blick auf den Streitgegenstand.733 Dabei wird allerdings der Zusammenhang zwischen dem Umfang der Verbotsnorm und dem abweichenden Streitgegenstandsbegriff auf der Basis einer natürlichen Betrachtungsweise erkannt: In diesem Sinne hat bereits Stieper, der nach „TÜV I“ und vor „Biomineralwasser“ und „Branchenbuch Berg“ der Rechtsprechung aus „TÜV I“ entgegengetreten ist, die Auffassung vertreten, dass nach der Rechtsprechung des BGH bei Titeln, die auf die konkrete Verletzungsform gerichtet sind, nur die identische Wiederholung des Verhaltens verboten und im Wesentlichen keine Erweiterung solcher Titel qua Kernbereichslehre zulässig sei. Ähnlich hat Ahrens in der Entscheidung „Branchenbuch Berg“ noch keinen Systemwechsel erkannt, wie er nun in „Biomineralwasser“ ausgesprochen wurde, weil es sich um einen Fotokopierantrag handelte, der die „engste Form, in der ein Lebenssachverhalt überhaupt Gegenstand eines Unterlassungsantrags sein kann“, bezeichne.734 Deshalb sei der Entscheidung keine weitergehende Wirkung beizumessen und sie sei mit der früheren Rechtsprechung des BGH wie etwa aus „dentalästhetika“ vereinbar.735 Mit den Formulierungen „weiter“ und „enger“ mit Blick auf den Streitgegenstandsbegriff muss man mithin vorsichtig operieren. Wenn man den Umfang der Verbotsnorm durch die Beschränkung auf den Lebenssachverhalt in seiner Gesamtheit beschränkt und damit Handlungen, die nach der klassischen Kernbereichslehre vom Urteil erfasst worden wären, vom Schutzbereich des Tenors ausschließt, ist der Streitgegenstand insofern enger. Weiter wäre er insofern, als eine Beschränkung auf die klägerseits definierte materielle Beanstandung nicht mehr vorläge (was in der Literatur insbesondere nach „TÜV I“ als „kleinteilige“ Betrachtung bei der Streitgegenstandslehre kritisiert wurde). Für ein engeres Verständnis der Verbotsnorm (und damit des Streitgegenstandes) und eine Orientierung an der Verletzungshandlung auf der Basis einer natürlichen Betrachtungsweise gaben bereits einige BGH-Urteile vor „TÜV I“ Anlass (hierzu auch unten Rn. 860): Beispielhaft ist etwa die BGH-Entscheidung „0.00 Grundgebühr“.736 Der BGH hielt im entschiedenen Fall grundsätzlich die Kernbereichslehre für einschlägig und hat ausgeführt, dass ein einheitlicher Lebenssachverhalt ungeachtet unterschiedlichen Tatsachenvortrages im Detail vorliege, wenn der Kern des in der Klage angeführten Sachverhalts unverändert bleibt.737 Es könne aber offen bleiben, ob unterschiedliche Werbeträger den Kern des Sachverhalts unverändert ließen.738 Es lägen nämlich schon deshalb unterschiedliche Streitgegenstände vor, weil in den beiden in Rede stehenden Verfahren unterschiedliche Anträge gestellt worden waren, nämlich einmal gerichtet gegen eine Plakatwerbung und zum anderen gegen eine Werbung mit Handzetteln.739 „Die auf die konkrete Verletzungsform beschränkten Klageanträge erfassen nicht die jeweils andere Verletzungsform.“740

732 Vgl. etwa Stieper GRUR 2012, 5, 13 sub V. 733 So ausdrücklich Stieper a. a. O., wonach die Argumente gegen die Unzulässigkeit der alternativen Klagehäufung sich genauso gut gegen die Annahme einer Mehrheit von Streitgegenständen ins Feld führen ließen. 734 Ahrens WRP 2013, 129, 131 Rn. 24 ff.; a. A. Teplitzky WRP 2012, 261, 262 ff. 735 Ahrens a. a. O. Rn. 25. 736 BGH 22.4.2009 – I ZR 14/07, GRUR 2009, 1180 – 0,00 Grundgebühr. 737 BGH 22.4.2009 – I ZR 14/07, GRUR 2009, 1180 Tz. 15 – 0,00 Grundgebühr. 738 BGH 22.4.2009 – I ZR 14/07, GRUR 2009, 1180 Tz. 16 – 0,00 Grundgebühr. 739 BGH 22.4.2009 – I ZR 14/07, GRUR 2009, 1180 Tz. 16 – 0,00 Grundgebühr. 740 BGH 22.4.2009 – I ZR 14/07, GRUR 2009, 1180 Tz. 16 – 0,00 Grundgebühr. Grosch

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Die Entscheidung wird von den Befürwortern eines engen (aus deren Sicht weiten), auf 251 die historische Verletzungshandlung ausgerichteten Streitgegenstandsbegriffs für auf die konkrete Verletzungsform gerichtete Anträge herangezogen, um zu begründen, dass der BGH dieser Auffassung folge, weshalb sich in diesen Fällen, je nach Beanstandung, auf die sich die Verurteilung stützt, keine unterschiedliche Verbotsnorm ergebe und damit auch das Verbot der alternativen Klagehäufung nicht greife.741 Hingegen würden Vertreter der Gegenauffassung – wie etwa Teplitzky – die Entscheidung für verfehlt halten müssen, weil sie den Streitgegenstand durch die Begrenzung der Verbotsnorm zu eng definiert.

d) Paradigmenwechsel BGH „Biomineralwasser“ aa) BGH „Biomineralwasser“. Mit der Entscheidung „Biomineralwasser“742 schien der BGH 252 die Bestimmung des Streitgegenstandes auf eine gänzlich neue Basis743 gestellt zu haben, um sich den vorstehend dargestellten, allgemeinen zivilprozessualen Lehren anzunähern744 und um die Folgen der „TÜV“-Rechtsprechung einfacher in den Griff zu bekommen.

(1) Der Sachverhalt. Im entschiedenen Fall hatte die Klägerin die Verwendung der Bezeich- 253 nung „Biomineralwasser“ angegriffen. Dieser Angriff nach dem Hauptantrag erfolgte unabhängig von der konkreten Art der Verwendung, also der konkreten Gestaltung der Bezeichnung und losgelöst vom konkreten wettbewerblichen Umfeld.745 Gestützt wurde dieser einheitliche Antrag auf drei unterschiedene rechtliche Aspekte:746 Erstens wurde die Bezeichnung als unzulässige Werbung mit einer Selbstverständlichkeit, also als Verstoß gegen das Irreführungsverbot angegriffen. Zweitens sei die Verwendung der Bezeichnung deshalb irreführend, weil sie den Eindruck einer amtlichen Zertifizierung erwecke. Drittens handle es sich um eine Verkehrsbezeichnung, die nicht den Vorgaben der Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung entspreche, also gestützt auf §§ 3, 4 Nr. 11 i. V. m. §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 LMKV, § 8 MTVO als Anspruchsgrundlage. Rechtlicher Aufhänger der Prüfung war das Bestimmtheitsgebot. Der BGH hielt den ein- 254 heitlichen Antrag, bei dem die drei Angriffe nicht in eine Reihenfolge der Prüfung gestellt wurden, nicht für unbestimmt.747 Der Kläger sei auch nach der „TÜV I“-Rechtsprechung nicht gezwungen, die drei Anspruchsgrundlagen in ein Eventualverhältnis zu bringen, weil es sich um einen einheitlichen Streitgegenstand und nicht um drei verschiedene Streitgegenstände handle.748 (2) Rechtliche Würdigung des BGH (a) Unzulässigkeit der alternativen Klagehäufung und „Praktikabilitätserwägungen“ 255 als Impetus. Die Begründung des BGH in „Biomineralwasser“ geht weit über die konkreten Aspekte des entschiedenen Falles hinaus. Der BGH beruft sich zunächst auf die oben geschilderte natürliche Betrachtungsweise vom Standpunkt der Parteien, die nach dem zweigliedri741 Stieper GRUR 2012, 5, 8 r. Sp. unten. 742 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 m. Anm. Teplitzky – Biomineralwasser. 743 Teplitzky WRP 2012, 261, 262 und Anm. zu BGH – Biomineralwasser GRUR 2013, 409, erkennt demgegenüber ein zumindest partielles Wiederanknüpfen an früher bereits Vertretenes. 744 Hierzu Gottwald FS Köhler 173, 174. 745 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 26 m. Anm. Teplitzky – Biomineralwasser, a. a. O. Tz. 26. 746 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 17 m. Anm. Teplitzky – Biomineralwasser. 747 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 16 m. Anm. Teplitzky – Biomineralwasser. 748 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 26 f. m. Anm. Teplitzky – Biomineralwasser. 569

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

gen Streitgegenstandsbegriff von der herrschenden Lehre zur Bestimmung des Lebenssachverhalts (Klagegrund) angewendet wird. Der BGH habe demgegenüber in Wettbewerbssachen in der Vergangenheit eine eher enge Sichtweise zugrundegelegt, nach der auch die Verwirklichung verschiedener Verbotsnormen, oder auch unterschiedlicher „Erscheinungsformen“ derselben Verbotsnorm, selbständige Klagegründe etablieren könnten.749 Daran halte der BGH nicht mehr fest.750 Der zu feingliedrige Streitgegenstandsbegriff entspräche nicht der gebotenen „natürli256 chen Betrachtungsweise“ der herrschenden Auffassung zum allgemeinen zivilprozessualen Streitgegenstandsbegriff.751 Dieser Einwand war natürlich schon vorher bekannt. Den eigentlichen Grund für die Revision der Rechtsprechung macht der BGH an der Unzu257 lässigkeit der alternativen Klagehäufung fest, wie sie in der „TÜV“-Rechtsprechung ausgesprochen wurde.752 Hier will man dem Kläger offensichtlich nicht zu viel abverlangen, indem man ihn zwingt, die verschiedenen Beanstandungen als selbständige „Klagegründe“, also prozessuale Ansprüche, entsprechend in ein Hilfsverhältnis zu stellen oder kumulativ geltend zu machen. Hier ergäben sich „Abgrenzungsschwierigkeiten“.753 Der BGH bezieht sich dabei im Ausgangspunkt insbesondere auf die Rechtsprechung zu den Irreführungsfällen, wie sie in „dentalästhetika I und II“ etabliert worden war. Ausdrücklich behandelt wird das Beispiel „Original Kanchipur“,754 wo man auch mit Blick auf denselben konkreten Sachverhalt, nämlich die Gegenüberstellung von Einführungspreisen mit durchgestrichenen Preisen, zwei Streitgegenstände annehmen müsste, wenn diese Gegenüberstellung einerseits als Irreführung wegen der fehlenden zeitlichen Begrenzung der Einführungspreise und andererseits als Irreführung mit Blick auf die fehlende Angabe, wann die durchgestrichenen Preise gefordert werden, beanstandet wird. Der BGH hält das schon aus „Praktikabilitätserwägungen“ für nicht vertretbar.755 Es könne nicht jede auch nur geringfügige Abweichung im Verständnis einer Werbeaussage einen abweichenden Irreführungstatbestand und damit einen eigenständigen Streitgegenstand begründen.756

258 (b) Die historische Verletzungshandlung als einheitlicher Lebenssachverhalt. Die „Praktikabilitätserwägungen“ bilden sodann die entscheidende und systembildende Argumentationsweiche des BGH in „Biomineralwasser“: Wenn man einmal erkannt habe, dass man eine Werbeaussage in den genannten Fällen auch hinsichtlich verschiedener Fehlvorstellungen zu einem Streitgegenstand zusammenziehen müsse, so ergäben sich – wohl als nicht lösbar eingestufte – Abgrenzungsprobleme, wenn mit Blick auf dieselbe Anzeige noch weitere Beanstandungen vorgebracht würden.757 Gemeint sind dann also die Fälle, in denen die Beanstandungen, anders als in „Original Kanchipur“, nicht unmittelbar zusammenhängen (dort die Preisgegenüberstellung, einmal mit Blick auf die Einführungspreise und einmal mit Blick auf gegenübergestellte durchgestrichene Preise).

749 Für diese engere Sichtweise zitiert der BGH in Biomineralwasser die Entscheidungen BGH 20.9.2007 – I ZR 171/04, GRUR 2008, 443 Tz. 23 – Saugeinlagen; 8.6.2000 – I ZR 269/97, GRUR 2001, 181, 182 – dentalästhetika I; 13.7.2006 – I ZR 222/03 – GRUR 2007, 161 Tz. 9 – dentalästhetika II. 750 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 20 m. Anm. Teplitzky – Biomineralwasser. 751 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11, GRUR 2013, 401 Tz. 23 m. Anm. Teplitzky – Biomineralwasser. 752 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 20 m. Anm. Teplitzky – Biomineralwasser. 753 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 20 m. Anm. Teplitzky – Biomineralwasser, a. a. O. Tz. 23. 754 BGH 17.3.2011 – I ZR 81/09 – GRUR 2011, 1151 – Original Kanchipur. 755 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 23 m. Anm. Teplitzky – Biomineralwasser. 756 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 23 m. Anm. Teplitzky – Biomineralwasser. 757 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 23 m. Anm. Teplitzky – Biomineralwasser. Grosch

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III. Unterlassungsklage

Vor §§ 12–15a A

(c) Konkrete Verletzungsform und abstrahierende Anträge. Deshalb sei in dem Fall, in 259 dem mit der Klage die konkrete Verletzungsform angegriffen werde, das konkret umschriebene Verhalten bei natürlicher Betrachtungsweise der für den Klagegrund bestimmende Lebenssachverhalt.758 Gemeint ist damit also die gesamte historische Verletzungshandlung. Wenn der Kläger in diesem Sinne eine konkrete Werbeanzeige angreift und unter verschiedenen Aspekten beanstandet, so überlasse es der Kläger (in zulässiger Weise) dem Gericht, auf welchen der Aspekte es das Verbot stützen wolle.759 Diese Ausführungen des BGH mit Blick auf den Angriff der konkreten Verletzungsform 260 sind obiter dicta, weil im entschiedenen Fall die konkrete Verletzungsform gar nicht angegriffen war.760 Nichts anderes gelte aber nach dem BGH, wenn, wie im entschiedenen Fall, auf der Basis der historischen Verletzungshandlung ein vom konkreten Umfeld losgelöstes Verbot (Verwendung der Bezeichnung „Biomineralwasser“) erstrebt werde. Auch in diesem Fall zähle der gesamte historische Lebensvorgang mit allen weiteren Umständen des Wettbewerbsauftritts und dessen gesamte Wahrnehmung (Irreführung) zum Streitgegenstand und zwar unabhängig davon, was von den Parteien hierzu vorgetragen wurde und ob die Parteien davon Kenntnis hatten oder hätten Kenntnis haben können.761

(d) Die Option des Klägers, über jede Beanstandung eine Entscheidung herbeizufüh- 261 ren. Wenn dem Kläger beim Angriff auf die konkrete Verletzungsform daran gelegen ist, dass das Gericht eine Entscheidung über jeden der beanstandeten Aspekte trifft, so muss der Kläger nach „Biomineralwasser“ verschiedene Anträge für jede der Beanstandungen stellen. Der Kläger kann dabei jeweils zum Zwecke der Verdeutlichung auf die konkrete Verletzungsform abstellen, indem diese mit „wie geschehen in …“ in Bezug genommen wird. Der Spruchkörper muss dann jede dieser gesondert zur Entscheidung gestellten Beanstandungen prüfen.

bb) Die „Biomineralwasser“ vorbereitenden Entscheidungen: „TÜV II“ bis „Branchen- 262 buch Berg“. Im Sinne eines von der konkreten Beanstandung unabhängigen Streitgegenstandes beim Angriff auf die konkrete Verletzungsform hatte sich der BGH bereits in der Entscheidung „Branchenbuch Berg“762 geäußert (hierzu bereits oben Rn. 158). Im entschiedenen Fall wurde ein Werbeschreiben beanstandet und zwar zum einen deshalb, weil es suggeriere, dass zwischen den Parteien bereits ein Vertragsverhältnis bestand, dass es zu verlängern gelte,763 und zum anderen, weil die Angabe „89 Euro p.m.“ in dem Schreiben irreführend suggeriere, die Gebühren seien monatlich zu tragen, was nicht zutraf.764 Der BGH forderte, ebenso wie in „Biomineralwasser“, keine Differenzierung zwischen beiden Beanstandungen in Gestalt einer Eventualklagehäufung, weil es sich um einen Streitgegenstand handle. Durch die Bezugnahme auf nur eine Verletzungshandlung sei nur ein einziger Lebenssachverhalt zur Begründung des Unterlassungsbegehrens eingeführt worden.765 Dass dieser eine Lebenssachverhalt zugleich mehrere Verbotsnormen verwirkliche, sei für die Bestimmung des Streitgegenstandes nicht relevant, weil die „rechtliche Würdigung der beanstandeten konkreten Verletzungshandlung Sache des Gerichts ist“.766 Dies ist ein klares Bekenntnis zur Anwendung des Grund758 759 760 761 762 763 764 765 766 571

BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 24 m. Anm. Teplitzky – Biomineralwasser. BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 24 m. Anm. Teplitzky – Biomineralwasser. BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 25 m. Anm. Teplitzky – Biomineralwasser. BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 26 m. Anm. Teplitzky – Biomineralwasser. BGH 30.6.2011 – I ZR 157/10 – GRUR 2012, 184 – Branchenbuch Berg. Weshalb der Werbecharakter des Schreibens verschleiert werde. BGH 30.6.2011 – I ZR 157/10 – GRUR 2012, 184 – Branchenbuch Berg. BGH 30.6.2011 – I ZR 157/10 – GRUR 2012, 184 Tz. 15 – Branchenbuch Berg. BGH 30.6.2011 – I ZR 157/10 – GRUR 2012, 184 Tz. 15 – Branchenbuch Berg. Grosch

Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

satzes „iura novit curia“ und so ist die Entscheidung auch überwiegend in der Literatur gedeutet worden.767 Die obergerichtliche Rechtsprechung hatte sich dem bereits vor „Biomineralwasser“ angeschlossen.768 Ahrens hatte darin hingegen noch keine Abkehr von der etablierten Rechtsprechung sehen können, weil es sich im entschiedenen Fall um einen eng auf die konkrete Verletzungsform gerichteten Antrag gehandelt habe, bei dem der Schutzbereich der Verbotsnorm dann eng auf diese Handlung beschränkt sei, also die Anwendung der Kernbereichslehre ausgeschlossen sei.769 Die dargestellte Linie aus „Biomineralwasser“ und „Branchenbuch Berg“ hatte sich bereits 263 in einigen kurz vorher erlassenen Entscheidungen (nach „TÜV I“) angekündigt. So hatte der BGH, jedenfalls obiter, bereits im Urteil „TÜV II“770 verneint dass der zeichenrechtliche Identitätsschutz und der Verwechslungsschutz unterschiedliche Streitgegenstände begründen.771 Nachdem der BGH in „TÜV I“772 und „TÜV II“773 noch offen gelassen hatte, ob die zeichenrechtlichen Verletzungstatbestände der Verwechslungsgefahr (§ 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG und § 15 Abs. 2 MarkenG) einerseits und des Bekanntheitsschutzes andererseits (§ 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG und 15 Abs. 3 MarkenG) unterschiedliche Streitgegenstände begründen, hat der BGH ferner in „OSCAR“774 ohne weitere Begründung entschieden, dass es sich um einen Streitgegenstand handele. Das wurde nachfolgend auch für die entsprechenden wettbewerbsrechtlichen Tatbestände nach § 4 Nr. 9 lit. a/b UWG bestätigt.775 Dem hatte sich die obergerichtliche Judikatur für das Wettbewerbsrecht in Teilen bereits schon vor „Biomineralwasser“ angeschlossen.776

e) Aktuelle BGH Rechtsprechung Post-„Biomineralwasser“: 264 aa) „Erkennbar abweichende Ausgestaltung der zusammentreffenden Ansprüche durch Verselbständigung der einzelnen Lebensvorgänge“. Bereits in der Entscheidung „Biomineralwasser“ hatte der BGH einleitend bei der Darstellung der allgemeinen zivilprozessualen Streitgegenstandslehren777 angeführt, dass eine Mehrheit von Streitgegenständen dann nicht vorliege, „wenn die materiell-rechtliche Regelung die zusammentreffenden Ansprüche durch eine Verselbstständigung der einzelnen Lebensvorgänge erkennbar unterschiedlich ausgestaltet.“778 Zur möglichen Relevanz dieser Einschränkung für die Fälle eines begehrten Verbots der konkreten Verletzungsform hat sich der BGH hingegen in „Biomineralwasser“ nicht geäußert. Die Entscheidung „Biomineralwasser“ liest sich vielmehr so, dass in diesen Fällen stets nur ein Streitgegenstand gegeben sei und es somit dem Gericht überlassen bleibe, auf welche Beanstandungen es sich stützen will.779

767 Stieper WRP 2013, 561, 563 Rn. 7; Krüger WRP 2013 140 f. Rn. 2 und 16; Teplitzky WRP 2012, 261, 262 ff. 768 Vgl. etwa OLG Hamburg, 3.5.2012 – 3 U 155/11 – WRP 2012, 1594, 1595 Tz. 30 f. – Zustellung einer Beschlussverfügung. Ahrens WRP 2013, 129 Rn. 24. BGH 17.8.2011 – I ZR 108/09 – GRUR 2011, 1043 – TÜV II. BGH 17.8.2011 – I ZR 108/09 – GRUR 2011, 1043 Tz. 27 – TÜV II. BGH 24.3.2011 – I ZR 108/09 – BGHZ 189, 56 = GRUR 2011, 521 – TÜV I. BGH 17.8.2011 – I ZR 108/09 – GRUR 2011, 1043 – TÜV II. BGH 8.3.2012 – I ZR 75/10 – GRUR 2012, 621 f. – OSCAR; ebenso für die wettbewerbsrechtlichen Tatbestände des § 4 Nr. 9 lit. a) und b) UWG: BGH 24.1.2013 – I ZR 136/11 – GRUR 2013, 951 f. Tz. 10 – Regalsysteme; ebenso BGH 17.7.2013 – I ZR 21/12 – GRUR 2013, 1052, 1053 Tz. 10. – Einkaufswagen. 775 BGH 24.1.2013 – I ZR 136/11 – GRUR 2013, 951 f. Tz. 10 – Regalsysteme. 776 Vgl. für § 4 Nr. 9a) und b) UWG sowie § 5 Abs. 2 UWG: OLG Köln 10. 8. 2012 – 6 U 17/12 – GRUR-RR 2013, 24 f. – Gute Laune Drops. 777 Hierzu mit weiteren Nachweisen oben Rn. 226. 778 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 19 a. E. – Biomineralwasser. 779 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 24 – Biomineralwasser.

769 770 771 772 773 774

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III. Unterlassungsklage

Vor §§ 12–15a A

(1) BGH „Peek & Cloppenburg III und IV“. Diesen Aspekt der „erkennbar“ unterschiedlichen 265 Ausgestaltung der materiellen Ansprüche „durch eine Verselbständigung der einzelnen Lebensvorgänge“ hat der BGH schon unmittelbar nach „Biomineralwasser“ auch für die konkrete Verletzungsform aufgegriffen. In der Entscheidung „Peek & Cloppenburg III“780 war der Antrag auf die konkrete Verletzungshandlung bezogen, indem, wie üblich, der Zusatz „wenn dies wie in der Anlage 1 […] geschieht“ im Antrag vorgesehen war.781 Es ging um die Verwendung einer geschäftlichen Bezeichnung in zwei konkreten Anzeigen.782 Die Ansprüche wurden auf § 15 MarkenG, auf das Irreführungsverbot sowie auf eine vertragliche, zwischen den Parteien des Rechtsstreits geschlossene Abgrenzungsvereinbarung gestützt.783 Der BGH hat zunächst klargestellt, dass die Ansprüche aus der geschäftlichen Bezeichnung und diejenigen aus dem wettbewerbsrechtlichen Irreführungsverbot zwei Streitgegenstände bilden.784 Das entspricht der ständigen Rechtsprechung.785 Das gelte im entschiedenen Fall entgegen der Regel aber auch für das Verhältnis zwischen dem gesetzlichen und dem vertraglichen Unterlassungsanspruch, weil dieser Unterlassungsanspruch vertraglich gegenüber dem gesetzlichen Anspruch erkennbar unterschiedlich ausgestaltet sei.786 Zitiert wird hierfür in „Peek & Cloppenburg III“ die gerade auch in der Entscheidung „Biomineralwasser“ angeführte allgemeine zivilprozessuale Judikatur, die trotz der grundsätzlichen Deutungshoheit der „natürlichen Betrachtungsweise“ dem materiellen Recht das entscheidende Gewicht bei der Wertung für zwei Streitgegenstände einräumt, falls „die zusammentreffenden Ansprüche erkennbar unterschiedlich ausgestaltet“ sind.787 Wo die Grenzen dieser erkennbar unterschiedlichen Ausgestaltung zu ziehen sind, wird nicht angegeben, vielmehr wird letztlich mit der Selbstevidenz der Prämisse gearbeitet, wonach sich eine vertragliche Abgrenzungsvereinbarung durch Aufteilung in zwei geographische Wirtschaftsräume von den gesetzlichen Regelungen des Rechts der geschäftlichen Bezeichnung und des Rechts der Gleichnamigen eben unterscheidet. Nicht adressiert wird dabei, dass es sich bei der Abgrenzungsvereinbarung gerade um eine vertragliche Umsetzung der gesetzlichen Handlungsspielräume handeln sollte. Keine Begründung findet sich zur Abgrenzung von „Biomineralwasser“. In der Entscheidung „Peek & Cloppenburg IV“ hält der BGH an dieser Auffassung fest, 266 ohne sich insofern nochmal abgrenzend mit „Biomineralwasser“ auseinanderzusetzen.788 Gleichzeitig wird aber angemerkt, dass die wettbewerbsrechtlichen Beanstandungen der konkreten Verletzungsform basierend auf §§ 3, 5 Abs. 2 UWG (Verwechslungsgefahr mit Blick auf die Unternehmenskennzeichen der Parteien) einerseits und § 5a Abs. 6 UWG (Verschleierung des Werbecharakters der Anzeige) andererseits nach der Linie „Biomineralwasser“ keine unterschiedlichen Streitgegenstände seien. Für diese Einordnung sei es nicht erheblich, dass für die Beanstandungen jeweils unterschiedlicher Sachvortrag erforderlich sei.789 Die Auseinandersetzung damit, wann und inwieweit eine „Verselbstständigung der einzelnen Lebensvorgänge“ durch die abweichende Ausgestaltung der materiellen Ansprüche vorliegt, die sich im entschiedenen Fall beim Zusammentreffen dieser Konstellationen aufgedrängt hätte, findet sich nicht.

780 781 782 783 784 785 786 787 788 789 573

BGH 24.1.2013 – I ZR 60/11 – GRUR 2013, 397 – Peek & Cloppenburg III. BGH 24.1.2013 – I ZR 60/11 – GRUR 2013, 397 – Peek & Cloppenburg III. BGH 24.1.2013 – I ZR 60/11 – GRUR 2013, 397 – Peek & Cloppenburg III. BGH 24.1.2013 – I ZR 60/11 – GRUR 2013, 397 – Peek & Cloppenburg III. BGH 24.1.2013 – I ZR 60/11 – GRUR 2013, 397 Tz. 14 f. – Peek & Cloppenburg III. Siehe hierzu unten Rn. 363. BGH 24.1.2013 – I ZR 60/11 – GRUR 2013, 397 Tz. 14 f. – Peek & Cloppenburg III. BGH 24.1.2013 – I ZR 60/11 – GRUR 2013, 397 Tz. 13 – Peek & Cloppenburg III. BGH 24.9.2013 – I ZR 64/11 – GRUR-RR 2014, 201 Tz. 13 – Peek & Cloppenburg IV. BGH 24.9.2013 – I ZR 64/11 – GRUR-RR 2014, 201 Tz. 13 a. E.– Peek & Cloppenburg IV. Grosch

Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

267 (2) BGH „Betriebspsychologe“. Das Merkmal der „erkennbar unterschiedlichen Ausgestaltung der zusammentreffenden Ansprüche“ ist genau der Kernpunkt und das Einfallstor für die Korrektur der Linie aus „Biomineralwasser“. Damit ist letztlich nichts anderes gesagt, als dass es auf die natürliche Betrachtung des Lebenssachverhalts in bestimmten Fällen doch nicht ankommt. Eine abweichende und stark erweiternde Formulierung dieses Ansatzpunktes hat der BGH dann in der Entscheidung „Betriebspsychologe“ gewählt. Im entschiedenen Fall beanstandete die Klägerin die Werbung für bestimmte Lehrgänge der Beklagten mit der Berufsbezeichnung „Betriebspsychologe“ als irreführend. Das Berufungsgericht hatte sich aber für seine Entscheidung nicht auf eine Irreführung der Adressaten der Werbung, sondern auf eine spätere Irreführung der potentiellen Patienten der Lehrgangsabsolventen gestützt. Insofern war aus Sicht des BGH ein Verstoß gegen § 308 ZPO gegeben. Zur Begründung führt der I. Zivilsenat in Anknüpfung an die gerade genannte Ausnahme von der „erkennbar“ unterschiedlichen Ausgestaltung der zusammentreffenden materiellen Ansprüche durch eine Verselbständigung der einzelnen Lebensvorgänge an, dass bei einem auf eine Irreführung nach § 5 UWG gestützten Unterlassungsanspruch, „der durch die materiell-rechtliche Regelung des § 5 Abs. 1 UWG verselbständigte, für die Festlegung des Klagegrundes maßgebliche Lebensvorgang mithin maßgeblich durch die Fragen bestimmt [wird], durch welche […] Angabe welcher konkrete Verkehrskreis angesprochen wird, welche Vorstellungen die Angabe bei diesem angesprochenen Verkehrskreis auslöst und ob diese Vorstellung unwahr ist […]“.790 Das sind aber natürlich gerade die Tatbestandsmerkmale des Irreführungsverbots. Wenn es also bei zwei zusammentreffenden Irreführungstatbeständen genügt, dass die Lebenssachverhalte sich nur insofern unterscheiden, dann ist das im Wesentlichen der ursprüngliche, an der materiellen Beanstandung orientierte Streitgegenstandsbegriff der Rechtsprechung vor „Biomineralwasser“. Qualifiziert wird das in den Gründen von „Betriebspsychologe“ nur insofern, dass keine strenge Orientierung am Lebenssachverhalt dergestalt erfolgen dürfe, dass „jede Variante – beispielsweise jede auch nur geringfügig abweichende, durch ein und dieselbe Werbeaussage bewirkte Fehleinschätzung der Verbraucher“791 – einen eigenständigen Streitgegenstand begründet. Dieser Wortlaut ist zwar in der Tat auch in „Biomineralwasser“ zu finden, aber das Regel-Ausnahme-Verhältnis ist durch die zitierte Formulierung der Orientierung an der materiellen Ausgestaltung letztlich umgekehrt. In der Tat ist es auch fraglich, ob man auf der Basis eines Begriffs vom „natürlichen Lebenssachverhalt“ wirklich von unterschiedlichen Streitgegenständen im entschiedenen Fall hätte ausgehen können. Das Berufungsgericht hatte sich letztlich darauf gestützt, dass das „Geschäftsmodell“ der Beklagten, welches in der Werbung zum Ausdruck komme, darauf ausgelegt sei, den Teilnehmern der Lehrgänge zu „Titeln zu verhelfen, die von den ehemaligen Teilnehmern auch tatsächlich geführt werden“.792 Diesen Lebenssachverhalt hätte man jedenfalls als Verstoß gegen wettbewerbsrechtliche Schutzpflichten werten können, infolge dessen es zu vermeidbaren Irreführungen durch die Teilnehmer (gegenüber deren Kunden) kommt. Der BGH meint in seinen Hinweisen im Zuge der Zurückverweisung an das Berufungsgericht, dass das die Klage nicht rechtfertigen könne, weil der Kläger das nicht beanstandet habe.793 Die entscheidende Frage ist aber, ob man eine solche materielle Beanstandung vorbringen muss, wenn man den einschlägigen Lebenssachverhalt vorgetragen hat und sich gegen die entsprechende Werbung richtet, die man sicherlich als Ausprägung eines Verstoßes gegen solche Schutzpflichten verstehen könnte. 268 In der Literatur794 wurde in diesem inhaltlichen Kontext, mit Blick auf die Differenzierung zwischen Störerhaftung und täterschaftlicher Haftung, die Auffassung vertreten, dass es sich um unterschiedliche Streitgegenstände handeln müsse, weil der „Verhaltensvorwurf“ in bei790 791 792 793 794

BGH 5.10.2017 – I ZR 184/16 – GRUR 2018, 203 Tz. 18 – Betriebspsychologe. BGH 5.10.2017 – I ZR 184/16 – GRUR 2018, 203 Tz. 18 – Betriebspsychologe. BGH 5.10.2017 – I ZR 184/16 – GRUR 2018, 203 Tz. 16 – Betriebspsychologe. BGH 5.10.2017 – I ZR 184/16 – GRUR 2018, 203 Tz. 37 – Betriebspsychologe. Böhling GRUR 2013, 1092, 1095 sub III.

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III. Unterlassungsklage

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den Fällen in eine unterschiedliche Richtung gehe, nämlich einmal dahin, dass der Beklagte die Verletzung selbst als Täter verwirkliche und zum anderen dahin, dass er durch die unzureichende Erfüllung von Prüfpflichten zur täterschaftlichen Verletzung Dritter beigetragen habe.795 Das ist ebenfalls das Ergebnis des BGH, wenn das auch mit Blick auf diesen Aspekt in „Betriebspsychologe“ nicht explizit gemacht wird.

bb) BGH „Tiegelgröße“. Anwendungsbereich für einen Klagegrund bei unterschiedlichen Be- 269 anstandungen sowie Vortragserfordernis aus der Dispositionsmaxime. Es stellt sich also gerade nach „Betriebspsychologe“ die Frage, was noch auf der anderen Seite der Abgrenzung bleibt, wann also verschiedene Fehlvorstellungen nicht zur Begründung unterschiedlicher Klagegründe ausreichen und inwiefern sich die Komplexität eines natürlichen Lebenssachverhalts dann auswirkt. Ferner stellt sich die hiervon unabhängige Frage, welche Sachverhaltsmerkmale der Kläger schon aufgrund der Dispositionsmaxime ausdrücklich benennen muss. Ich habe in der Vorauflage hierzu die Auffassung vertreten, dass insbesondere beim Irreführungsverbot ein konkreter Sachvortrag zu den Fehlvorstellungen erforderlich ist: „Eine umfassende Bewertung vorzunehmen, mit Blick auf verschiedenste Vorstellungen, die durch die Aussage hervorgerufen werden können, ist nicht Aufgabe des Gerichts. Die Dispositionsmaxime erfordert, dass der Kläger ein bestimmtes Fehlverständnis vorträgt, das der Beklagte bestreiten kann und über welches das Gericht im Falle einer streitigen Tatsache dann entscheidet, entweder aufgrund eigener Sachkunde oder auf der Basis des Sachverständigenbeweises. Wenn man diesen Punkt anders beurteilen wollte, verschöbe sich die Aufgabenteilung des Zivilprozesses grundlegend: Der Kläger müsste nur noch eine Werbeanzeige oder Werbeangabe benennen und behaupten, diese sei irreführend, und das Gericht müsste dann den Bedeutungsgehalt der Aussage und die möglichen Fehlvorstellungen umfassend prüfen. Der Beklagte könnte sich gegen die pauschale Behauptung der Irreführung praktisch nicht verteidigen – ohne nicht selbst die eigentlich klägerische Aufgabe der Benennung möglicher Fehlvorstellungen zu erledigen –, sondern müsste auf entsprechende Hinweise des Gerichts warten, welche diese zu geben wiederum nach den Grundsätzen des rechtlichen Gehörs verpflichtet wäre.“796 Der BGH hat sich dieser Linie in der Entscheidung „Tiegelgröße“797 angeschlossen und mit 270 dieser Entscheidung zugleich ein typisches Beispiel und Kriterien für die von „Betriebspsychologe“ abgrenzbare Fallgruppe geliefert, bei der man trotz verschiedener Fehlvorstellungen von einem Streitgegenstand (ein Klagegrund) ausgehen muss. Im entschiedenen Fall beantragte der Kläger das Verbot des Anbietens und Inverkehrbringens einer Creme, wenn die Umverpackung 7 cm hoch und der Tiegel mit der Creme 4 cm hoch ist und 50 ml Volumen fasst. Die Klägerin beanstandete das als „Mogelpackung“, die gegen § 7 Abs. 2 Eichgesetz (Geltung bis 31.12.2014) und § 43 Abs. 2 Mess- und Eichgesetz (Geltung ab 1.1.2015) sowie gegen das Irreführungsverbot gem. § 5 Abs. 1 UWG verstoße, weil die Beklagte eine größere Füllmenge vortäusche. Die Umverpackung suggeriere äußerlich eine weitaus größere Füllmenge. Die Verbrauchererwartung über die Füllmenge und die Tiegelgröße werde enttäuscht. Der Verbraucher erhalte einen Tiegel, der nur etwa halb so groß sei wie die Verpackung. Das Berufungsgericht hat die Klageanträge unter dem Gesichtspunkt der Irreführung gem. §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UWG für begründet erachtet, aber einen Verstoß gegen § 7 Abs. 2 EichG/§ 43 Abs. 2 MessEG abgeleht. Der Verkehr unterliege keiner Fehlvorstellung über die Füllmenge (50 ml), jedoch werde seine Vorstellung davon, einen Tiegel in der Größe der Umverpackung zu erhalten, enttäuscht. Mit der Revision wurde – genau wie im Fall „Betriebspsychologe“ – ein Verstoß gegen § 308 ZPO geltend gemacht. Dieser wäre nur dann gegeben, wenn das Berufungsgericht etwas

795 Dem folgend Gottwald FS Köhler, 173, 178; dagegen Büscher/Ahrens, § 12 Anh. I Rn. 87. 796 Vorauflage Rn. 281. 797 BGH 11.10.2017 – I ZR 78/16 – GRUR 2018, 431 – Tiegelgröße. 575

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

zugesprochen hätte, also das Verbot auf einen Klagegrund gestützt hätte, den der Kläger nicht geltend gemacht, also nicht zur Entscheidung gestellt hätte (anderer Streitgegenstand). 271 Das hat der BGH für den vorliegenden Fall verneint. Die Analyse basiert dabei auf den identischen Obersätzen, die auch im Fall „Betriebspsychologe“ zugrundegelegt wurden. Insbesondere die Abfolge der Formulierung mit Blick auf die Präzisierung der Verselbstständigung der Lebenssachverhalte durch die Bezugnahme auf die materiellen Tatbestandsmerkmale des Irreführungstatbestandes ist im Wortlaut identisch mit dem, was in „Betriebspsychologe“ ausgeführt wird. Nur die Folgerung ist eine andere. Die Begründung des BGH überzeugt: „Beide Fehlvorstellungen betreffen die Relation von äußerer Umverpackung und deren Inhalt“.798 Dem kann man sich auch auf der Basis des hier vertretenen Streitgegenstandsbegriffs, der sich wie in „TÜV I“ maßgeblich an dem Umfang der begehrten Verbotsnorm orientiert, nur anschließen. Der Umfang der Verbotsnorm wäre, auch unter Einbeziehung der Kernbereichslehre, identisch, weil es für die Subsumtion mit Blick auf die irreführende Werbung auf die Sachverhaltsmerkmale der Relation zwischen Umverpackung und deren Inhalt ankommt. 272 Der BGH hat ferner entschieden, dass für die Fehlvorstellung mit Blick auf die Tiegelgröße (also nicht die Füllmenge im engeren Sinne) ein konkreter Sachvortrag des Klägers erforderlich ist. Selbst wenn also ein Streitgegenstand vorliegt, also ein natürlicher Lebenssachverhalt, folgt daraus nicht, dass der Kläger von seiner Substantiierungslast, die sich der Dispositionsmaxime ergibt, entbunden wäre und sich der Beklagte damit gleichsam proaktiv mit möglichen weiteren Folgen aus dem vorgetragenen Sachverhalt auseinandersetzen müsste. Insofern führt der BGH unter zustimmendem Verweis auf die hier vertretene Auffassung aus: „Der weitgefasste Streitgegenstandsbegriff darf nicht dazu führen, dass der Bekl. neuen Angriffen des Kl. gegenüber schutzlos gestellt (vgl. BGHZ 194, 314 Tz. 22 = GRUR 2013, 401 – Biomineralwasser) oder gezwungen wird, sich von sich aus gegen eine Vielzahl von lediglich möglichen, vom Kl. aber nicht konkret geltend gemachten Irreführungsaspekten zu verteidigen (vgl. BGHZ 154, 342 [348] = GRUR 2003, 716 – Reinigungsarbeiten; Großkomm. UWG/Grosch, 2. Aufl., § 12 A Rn. 281). Der Kl. ist daher gehalten, in der Klage substanziiert diejenigen Irreführungsaspekte darzulegen und zu den gem. § 5 I UWG dafür maßgeblichen Tatbestandsvoraussetzungen einer irreführenden geschäftlichen Handlung konkret vorzutragen, auf die er seinen Klageangriff stützen will“.799

f) Bewertung und Neuausrichtung der Systematik von konkreten und abstrakten Unterlassungsanträgen 273 aa) Dispositionsmaxime per se nicht genug. Die Entscheidung „Tiegelgröße“ überzeugt vollständig. Die beiden Irreführungsaspekte haben einen gemeinsamen Tatsachenkern (Relation der Umverpackung zur Tiegelgröße), der für beide Irreführungstatbestände subsumtionsrelevant ist. Deshalb liegt hier keine erkennbar unterschiedliche Ausgestaltung der beiden Ansprüche durch eine Verselbstständigung der Lebenssachverhalte vor. Die erstrebte Verbotsnorm hat auch unter Berücksichtigung kerngleicher Abwandlungen im Wesentlichen denselben Umfang. Unabhängig von diesem gemeinsamen Tatsachenkern muss der Kläger die für die Subsumtion unter jede materielle Anspruchsgrundlage erforderlichen Tatsachen vollständig und substantiiert vortragen und ohne diesen Vortrag kann der Spruchkörper nicht ohne Verstoß gegen die Dispositionsmaxime nach dem klägerischen Antrag erkennen. Dabei handelt es sich allerdings um die Ebene der materiellen Begründetheit, nicht um die Frage, ob das Gericht etwas zugesprochen hat, was der Kläger gar nicht beantragt hat (§ 308 ZPO). 798 BGH 11.10.2017 – I ZR 78/16 – GRUR 2018, 431 Tz. 14 a. E. – Tiegelgröße. 799 BGH 11.10.2017 – I ZR 78/16 – GRUR 2018, 431 Tz. 16 – Tiegelgröße; so auch schon OLG Hamburg 13.9.2012 – 3 U 107/11 – juris Tz. 59; OLG Frankfurt a. M. 4.4.2013 – 6 W 85/12 – GRUR-RR 2013, 302; hiergegen: Krüger WRP 2013, 140 Rn. 13 f.; Stieper WRP 2013, 561, 564 Rn. 13 mit der unzutreffenden Begründung, die Fehlvorstellung sei wie die Verkehrsauffassung eine Rechts- und keine Tatfrage, hierzu meine Ausführungen in der Vorauflage Rn. 280. Grosch

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III. Unterlassungsklage

Vor §§ 12–15a A

Dieser Ansatzpunkt überzeugt, weil er den Streitgegenstandsbegriff dadurch nicht 274 schlicht qua „natürlicher“ Betrachtungsweise für die konkrete Verletzungsform ins uferlose ausweitet, sondern eine Klammer mit Blick auf den subsumtionsrelevanten Sachverhalt erfordert (also im entschiedenen Fall die Relation der Umverpackung zum Tiegel). Die Dispositionsmaxime allein wäre hingegen für den Schutz des Beklagten nur von begrenztem Nutzen. Aus der Dispositionsmaxime ergibt sich nämlich nur, dass der subsumtionsrelevante Sachverhalt von den Parteien vorzutragen ist, nicht aber, dass die Parteien die jeweilige „Beanstandung“ – also die materielle Anspruchsgrundlage – vorzutragen hätten. Wenn also der Sachverhalt mit Blick auf die konkrete Verletzungsform insgesamt vorgetragen wäre und man diese als Streitgegenstand betrachtete, so wäre es erforderlich, dass das Gericht auch ohne Benennung der Anspruchsgrundlage durch den Kläger alle möglichen materiellen Verbotstatbestände, welche durch den vorgetragen Sachverhalt verwirklicht würden und deshalb das Verbot der so verstandenen konkreten Verletzungsform stützen könnten, auch ohne weitere Ausführungen der Parteien prüft, „iura novit curia“. Genau so hatte es der BGH auch in „Branchenbuch Berg“ formuliert: „Dass der vorgetragene Lebenssachverhalt zugleich die Voraussetzungen mehrerer Verbotsnormen erfüllt, ist für die Frage, ob nur ein Streitgegenstand vorliegt oder mehrere Streitgegenstände gegeben sind, nicht maßgeblich, da die rechtliche Würdigung der beanstandeten konkreten Verletzungshandlung Sache des Gerichts ist“. Darauf berufen sich Teile der obergerichtlichen Judikatur auch, um zu begründen, dass das Gericht sich für die Verurteilung auch auf Anspruchsgrundlagen/Beanstandungen stützen kann, die der Kläger gar nicht benannt hat, für deren Verwirklichung er aber den Sachverhalt vorgetragen hat.800 Der Kläger müsste danach also nur angeben, dass er die konkrete Verletzungshandlung zu verbieten begehre und den entsprechenden Lebenssachverhalt vortragen. Das Gericht müsste diesen Lebenssachverhalt dann auch ohne ausdrückliche konkrete Beanstandung in eine konkrete Richtung umfänglich auf seine Wettbewerbswidrigkeit hin prüfen.801 So wäre also etwa im Fall „TCM-Zentrum“802 das begehrte Verbot der konkrten Verletzungsform auch dann zu erlassen gewesen, wenn der Kläger nicht ausdrücklich beanstandet hätte, dass die dort abgebildeten Personen in Arztbekleidung bei Behandlungen zu sehen waren, weil sich der für die Subsumtion unter die vormalige Generalklausel § 1 UWG i. V. m. mit dem (inzwischen weggefallenen) § 11 Nr. 4 HWG allein aus dem vorgelegten Artikel und den dort enthaltenen Abbildungen ergab.803 Damit nicht zu vereinbaren ist hingegen die Auffassung, die aus der Dispositionsmaxi- 275 me folgte, dass sich das Gericht nur auf solche Beanstandungen stützen dürfe, die der Kläger auch vorgetragen habe. Das ist insbesondere die Linie des OLG Frankfurt.804 Diese Formulierungen gehen zurück auf die Entscheidung „Zählrate“ des OLG Frankfurt,805 die auch der BGH in „Tiegelgröße“ zustimmend zitiert.806 Dort führt das OLG Frankfurt aus: „Das ändert jedoch nichts daran, dass ein gerichtliches Verbot nur auf diejenigen tatsächlichen Beanstandungen gestützt werden kann, die vom Kl. im Verfahren erhoben werden. Insbesondere darf das Gericht die konkrete Verletzungsform nicht mit dem Vorwurf der Irreführung über eine bestimmte Tatsache begründen, wenn diese Irreführungsgefahr zwar zum Streitgegenstand in dem dargestellten weiten Sinn gehört, der Kl. selbst sich auf diese konkrete Irreführungsgefahr jedoch nicht berufen hat. Dies wäre mit der Dispositionsmaxime unvereinbar, die die Berücksichtigung nicht vorgetragener Tatsachen selbst dann verbietet, wenn sie 800 OLG Köln 10.8.2012 – 6 U 27/12 – WRP 2013, 95, 96 Tz. 15, 16 – Abbruch einer Rabattaktion; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 12 Rn. 2.23 f. Zu „Branchenbuch Berg“ Schwippert WRP 2013 135, 136 Rn. 5 f. BGH 26.10.2000 – I ZR 180/98 – GRUR 2001, 453 – TCM-Zentrum. Was sich aus der Subsumtion des BGH in der Entscheidung (a. a. O. S. 454 f.) mit besonderer Klarheit ergibt. OLG Frankfurt 16.2.2020 – 6 W 116/19 – juris; OLG Frankfurt 17.7.2014 – 6 U 92/14 – WRP 2014, 1482. OLG Frankfurt 4.4. 2013 – 6 W 85/12 – GRUR-RR 2013, 302 – Zählrate. BGH 11.10.2017 – I ZR 78/16 – GRUR 2018, 431 Tz. 16 – Tiegelgröße.

801 802 803 804 805 806 577

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

offenkundig sind“. Der zweite Teil dieser Ausführungen, die mit „Insbesondere…“ eingeleitet werden, ist zutreffend und das entspricht genau den Ausführungen des BGH aus „Tiegelgröße“. Auch der abstraktere Einleitungssatz ist zutreffend, weil dort von den „tatsächlichen Beanstandungen“ die Rede ist. Lässt man hingegen diese Einschränkung weg, so sind die Ausführungen nicht mehr zutreffend, weil damit auch gemeint wäre, dass der Kläger die rechtlichen Verbotstatbestände benennen müsste. So hat das OLG Frankfurt in einem Fall, in dem die Verwendung von bestimmten Garantiebedingungen angegriffen wurde, die rechtlichen Beanstandungen des Klägers mit Blick auf den konkreten Sachverhalt aufgelistet, insbesondere den Verstoß gegen § 479 Abs. 1 Nr. 2 BGB (keine Nennung des Garantiegebers, Marktverhaltensregeln im Sinne von § 3a UWG) sowie eine Irreführung, weil bestimmte Vorteile versprochen würden, obwohl die Bedingungen hinter den gesetzlichen Gewährleistungsrechten zurückblieben.807 Es wird dann ausgeführt, dass unabhängig von diesen Beanstandungen jeweils ein Streitgegenstand vorliege und dass sich das Berufungsgericht unabhängig von der Begründung der Vorinstanz oder von der vom Kläger vorgegebenen Reihenfolge aussuchen könne, auf welche Anspruchsgrundlage das Verbot gestützt werden solle. Auch müssten nicht alle vom Kläger angeführten Verbotstatbestände geprüft werden. Mit Blick auf die Dispositionsmaxime dürfe das Gericht „aber ein Verbot nur auf solche Beanstandungen stützen, die der Kläger auch vorgetragen hat“.808 Damit wird letztlich gesagt, dass das Gericht im entschiedenen Fall ein Verbot nach § 3a UWG i. V. m. § 479 Abs. 1 Nr. 2 BGB wegen fehlender Nennung des Garantiegebers aufgrund der Dispositionsmaxime nicht hätte erlassen dürfen, wenn der Kläger diese Anspruchsgrundlage nicht benannt hätte. Das ist aber nicht zutreffend und wird weder durch die Entscheidung „Tiegelgröße“ noch durch die Entscheidung „Zählrate“ gestützt. Die Dispositionsmaxime sagt nur, dass der für die Subsumtion erforderliche Sachverhalt vollständig vorzutragen ist. Das war aber im entschiedenen Fall gegeben. Wenn man den Streitgegenstand so fassen will, dass man das Verbot der konkreten Verletzungsform als natürlich verstandener Handlung als begehrt ansehen will, dann müsste das Gericht den vorgetragenen Sachverhalt auf jede mögliche materielle Anspruchsgrundlage/ Verbotstatbestand hin prüfen. Nur dann wäre es auch richtig, dass das Gericht sich die materielle Anspruchsgrundlage „aussuchen“ dürfte, weil das gerade nicht vom Kläger vorzutragen ist und gerade nicht sein Rechtsschutzbegehren (prozessualer Anspruch nach § 322 ZPO) konstitutiv beschränkt. Dazu hätte also eine umfassende Prüfung der Garantiebedingungen stattfinden müssen. 276 Das wäre allerdings keine überzeugende Lösung. Noch gravierender wären die Folgen einer solchen Auffassung etwa in Fällen von Versicherungsbedingungen, die nach dem Unterlassungsklagengesetz wegen unangemessener Benachteiligung des Verbrauchers (§ 307 Abs. 1 BGB) oder Verstoßes gegen das gesetzliche Leitbild (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB) beanstandet werden. Man könnte dann schlicht die kompletten Bedingungen vorlegen und insgesamt prüfen lassen. Auch insofern kann eine Entscheidung des OLG Frankfurt809 als Beispiel dienen. Dort hatte der Kläger verschiedene Klauseln von Versicherungsbedingungen unter verschiedenen Aspekten als unangemessene Benachteiligung (§ 307 Abs. 1 BGB) nach dem Unterlassungsklagengesetz angegriffen. Hierzu führte das OLG Frankfurt aus: „Der Streitgegenstand eines derartigen gegen eine konkrete Verletzungsform gerichteten Antrags umfasst sämtliche Beanstandungen, zu denen die konkrete Verletzungsform Anlass geben kann; beanstandet der Kläger in einem solchen Fall die konkrete Verletzungsform unter mehreren Gesichtspunkten, ist es dem Gericht überlassen, auf welchen dieser Aspekte – soweit sie vom Kläger zur Begründung des Klagebegehrens herangezogen worden sind – es das Unterlassungsgebot stützt. Dieses Wahlrecht besteht auch für das Berufungsgericht unabhängig davon, wie das Landgericht ein etwa ausgesprochenes

807 OLG Frankfurt 16.2.2020 – 6 W 116/19 – juris Rn. 17–20 a. E. 808 OLG Frankfurt 16.2.2020 – 6 W 116/19 – juris Rn. 21 a. E. 809 OLG Frankfurt 9.4.2015 – 6 O 271/14 – WRP 2015, 755 – Zwangsmediationsversuch. Grosch

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III. Unterlassungsklage

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Verbot begründet hat.“810 Wiederum gilt, dass sich die Beschränkung der gerichtlichen Kognition auf die vom Kläger zur Begründung des Klagebegehrens herangezogenen „Gesichtspunkte“ nicht mit der Dispositionsmaxime begründen lässt. Diese Beschränkung gilt nur für den entscheidungserheblichen Sachverhalt. Dieser ist mit den jeweiligen Klauseln aber praktisch vorgetragen. Alles weitere sind Rechtsfagen, so dass das Gericht auch andere Klauseln auf unangemessene Benachteiligungen prüfen und der Beklagte sich von vornherein darauf einstellen müsste. Das stellt sich nur dann anders da, wenn die unterschiedlichen Beanstandungen trotz des einheitlichen, auf die konkrete Verletzungsform gerichteten Antrages auch unterschiedliche Streitgegenstände begründen; dazu sogleich.

bb) Verschiedene Streitgegenstände sind bei einem einheitlichen, konkreten Unter- 277 lassungsantrag gegeben, wenn der Kernbereich der begehrten Verbotsnorm abhängig von der zugrundegelegten Beanstandung variiert. Unterschiedliche Streitgegenstände liegen vor, wenn der Kläger abhängig von der zur Begründung des einheitlichen, auf die konkrete Verletzungsform bezogenen Unterlassungsantrags vorgetragenen Beanstandungen Verbotstitel mit unterschiedlichem Umfang, nämlich unter Einbeziehung abweichender kerngleicher Abwandlungen erhält. Dann variiert das klägerische Rechtsschutzbegehren (das auf einen Unterlassungstitel, also eine konkrete Verbotsnorm, gerichtet ist) abhängig von der materiellen Beanstandung und es liegt per definitionem ein anderer Streitgegenstand vor. Das wiederum muss man für Fälle, in denen die Beanstandungen keinen gemeinsamen, subsumtionsrelevanten Tatsachenkern haben (also anders als in „Tiegelgröße“), regelmäßig annehmen. Genau hier hat auch der Streitgegenstand seine Funktion. Er definiert das Programm des Rechtsstreits und verdeutlicht, in welchem Rahmen sich die Parteien äußern müssen. Der Kläger muss also angeben, mit Blick auf welche Sachverhaltsmerkmale er das Verbot des die konkrete Verletzunghandlung bildenden Sachverhalts begehrt, sonst ist die konkrete Verbotsnorm (Unterlassungstenor), um die sich die Parteien streiten, nicht sinnvoll verstehbar. Der Kläger muss das zwar nicht im Antrag selbst tun, das ist der eigentliche Kern der 278 Lehre von der Bestimmtheit des Antrages, der sich auf die konkrete Verletzungsform richtet.811 Auch mit einem solchen Antrag erhält der Kläger grundsätzlich einen Unterlassungstitel, der auch kerngleiche Abwandlungen erfasst.812 Insofern muss sich der Kläger aber zumindest in der Begründung der Klage zur jeweiligen materiellen Beanstandung – genauer zu den aufgrund dieser subsumtionsrelevanten Tatsachenmerkmalen – verhalten und gleiches gilt dann entsprechend für die Urteilsgründe. Deshalb kann und muss man auch die Begründung des Urteils für die Bestimmung des Umfangs des Unterlassungstenors heranziehen (Kernbereichslehre, § 890 ZPO), das ist ganz herrschende Auffassung (hierzu unten Rn. 855 ff.). Einer solchen Begründung bedarf es insofern immer, weshalb beim Fehlen von Urteilsgründen auf die Klagebegründung Bezug genommen wird (hierzu unten Rn. 855). Der Umfang des so verstandenen Tenors muss aber mit dem Umfang des Streitgegenstandes 279 übereinstimmen. Insofern schreibt Ahrens zurecht, dass die „Kerntheorie“ nichts anderes ist, als eine „nachvollziehende Streitgegenstandsbestimmung“.813 Nicht nur die Vollstreckbarkeit und deren Umfang, sondern auch die auf den Streitgegenstand bezogene Rechtskraftwirkung

810 OLG Frankfurt 9.4.2015 – 6 O 271/14 – WRP 2015, 755 Tz. 6 – Zwangsmediationsversuch. 811 Ganz h. L., vgl. Büscher/Schmidt, UWG, § 12 Anh. I E Rn. 131. 812 Etwa BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 32 – Erinnerungswerbung im Internet: „Denn auch eine solche beschränkte Verurteilung erfasst nach der so genannten Kerntheorie immerhin alle Handlungsformen, in denen das Charakteristische der beanstandeten Werbung zum Ausdruck kommt.“ Das ist ständige Rechtsprechung, vgl. etwa weiter BGH 4.9.2003 – I ZR 32/01 – GRUR 2004, 72 – Coenzym Q 10; BGH 16.11.2006 – I ZR 191/03 – GRUR 2007, 607 Tz. 17 – Telefonwerbung für Individualverträge. Vgl. ferner die Darstellung oben Rn. 116 ff. 813 Büscher/Ahrens, UWG, § 12 Anh. II Rn. 55. 579

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

erstreckt sich deshalb auf die kerngleichen Abwandlungen.814 Der vollstreckungsfähige Inhalt des Unterlassungsurteils, also der Umfang der Verbotsnorm, rechtfertigt sich prozessual und verfassungsrechtlich allein dadurch, dass dieser Inhalt auch Streitgegenstand war.815 Allein bei diesem Verständnis, also der Rückkopplung an den Streitgegenstand des Erkenntnisverfahrens, sind die gegen die Kerntheorie vorbegrachten Einwände aus Art. 103 Abs. 2 GG nicht durchgreifend.816 Die Anwendung der Kernbereichslehre ist also nichts anderes als die Bestimmung des Streitgegenstands im Unterlassungsverfahren. Sie ist kein vollstreckungsrechtliches Instrumentarium, durch das die „Umgehung“ des Unterlassungsurteils verhindert werden soll, sondern sie dient der Bestimmung dessen, worüber im Verfahren gestritten wird.817 Das hat der BGH inzwischen auch ausdrücklich bestätigt.818 Auch die Kernbereichslehre 280 rechtfertige keine Erstreckung auf Handlungen, die nicht als Gegenstand der Erkenntnis des rechtskräftigen Urteils angesehen werden können: „Das rechtlich Charakteristische der konkreten Verletzungsform, das für die Bestimmung des Kerns der verbotenen Handlung maßgeblich ist, ist daher auf das beschränkt, was bereits Prüfungsgegenstand im Erkenntnisverfahren gewesen ist“.819 Im entschiedenen Fall ging es zwar um die Sonderproblematik der Erweiterung der Erkenntnis auf die gleichartige Verletzung weiterer Schutzrechte (Urheberrechte), welche zum Zeitpunkt des Erkenntnisverfahrens noch nicht entstanden waren. Gleichwohl ist diese Aussage allgemeingültig – und vom BGH auch so formuliert. Der Beklagte musste wissen, gegen welches Rechtsschutzbegehren er sich im Erkenntnisverfahren verteidigt. Das Rechtsschutzbegehren ist aber auf eine Verbotsnorm gerichtet und mithin kann es, ohne deren Inhalt zu kennen, keine dem rechtlichen Gehör genügende Streitentscheidung geben. Ferner käme es zur oben bereits adressierten Ungleichbehandlung der Parteien: Der obsiegende Kläger könnte mit Blick auf solche Handlungen vollstrecken – weil diese qua Kernbereichslehre in den Schutzbereich der Verbotsnorm fallen – wohingegen im Fall der Klageabweisung keine Rechtskraftwirkung zugunsten des Beklagten bestünde, der Kläger also von Neuem klagen könnte.820 Jede Trennung von vollstreckungsrechtlicher Kernbereichslehre und Streitgegenstand führt also definitionsgemäß zu einem strukturellen Ungleichgewicht und einer Ungleichbehandlung der Parteien in dem zentralen Punkt des Prozesses, nämlich der Streitentscheidung. Die Streitentscheidung wäre faktisch allein zugunsten des Klägers erweitert und das ausschließlich aufgrund eines rein formalen Arguments, nämlich der Trennung von Vollstreckung und Rechtskraft, dem insofern keine materiellen Wertungserwägungen zugrundeliegen. 281 Mithin ist der Umfang der Verbotsnorm auch bei Fällen des Verbots der konkreten Verletzungsform grundsätzlich an die Begründung mit Blick auf die konkrete Beanstandung gekoppelt und zwar nicht nur mit Blick auf eine „natürliche“ Betrachtungsweise, sondern gerade mit Blick auf die Konkretisierung der subsumtionserheblichen Teile des zur Entscheidung 814 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.113; Teplitzky/Feddersen, Kap. 57 Rn. 16a; OLG Stuttgart 13.11.2008 – 2 U 39/08 – juris Tz. 43: „Nach diesen Grundsätzen reicht die Rechtskraftwirkung der Präklusion eines erneuten Verfahrens so weit, wie über den Anspruch entschieden worden ist. Erfasst der Anspruch des Gläubigers von vornherein alle kerngleichen Formen, so ist – wenn er ohne eindeutige Beschränkung des Klagebegehrens (durch zulässigen Ausschluss der Einbeziehung anderer Formen als der konkreten) geltend gemacht worden ist – mit dem Urteil auch das Gebot der Unterlassung aller kerngleichen Formen ausgesprochen (…). Denn die Rechtskraftwirkung erstreckt sich auf Änderungen der Verletzungsform, soweit sie den Kern der Verbotsform unberührt lassen.“. 815 Vgl. dazu auch schon Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 2h m. w. N. in Fn. 36; Grosch FS Schilling (2007) 207, 217 ff. 816 Vgl. hierzu Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 14 bis 16. 817 Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 2h; Büscher/Dittmer/Schiwy § 14 MarkenG, Rn. 708 a. E.; Grosch FS Schilling (2007) 207, 216 ff. 818 BGH 3.4.2014 – I ZB 42/11 – WRP 2014, 719 Tz. 10 ff. – Reichweite des Unterlassungsgebots; hierzu die ablehnenden Anmerkungen von Kleinemenke GRUR-Prax 2014, 238. 819 BGH 3.4.2014 – I ZB 42/11 – WRP 2014, 719 Tz. 13 – Reichweite des Unterlassungsgebots. 820 Vgl. Ann/Loschelder/Grosch Kap. 6 Rn. 63. Grosch

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III. Unterlassungsklage

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vorgetragenene und vom Gericht der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts. Der entscheidende Unterschied zu den Fällen der allgemeinen zivilprozessualen Lehren zu § 322 ZPO liegt darin, dass dort von Fällen ausgegangen wird, in denen sich das klägerische Rechtsschutzbegehren auf denselben Inhalt richtet. Das wurde oben bereits zur Verteidigung der BGH-Linie aus „TÜV I“ ausgeführt. Das ist aber bei einem wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsurteil nicht der Fall, wenn man auch für dieses annimmt, dass sich dessen Umfang nach den Grundsätzen der Kernbereichslehre und damit abhängig von der vom Gericht zugrundegelegten Beanstandung bestimmt.

cc) Anträge, die auf die konkrete Verletzungsform unter Ausschluss jeder kernglei- 282 chen Abwandlung gerichtet sind, als absolute und systematische Ausnahme. Abweichendes gilt, wenn der Umfang der Verbotsnorm wirklich nur auf die natürliche Handlung ausgerichtet und nicht in ihrem „Kernbereich“ (Schutzumfang des Tenors) von der vom Gericht letztlich tatsächlich erkannten Verbotsnorm abhängig ist. Dann wäre auch der Beklagte hierdurch in seinen prozessualen Rechten (insbesondere seinem prozessualen Grundrecht auf rechtliches Gehört, Art. 103 Abs. 2 GG) nicht beeinträchtigt, weil er durch jede Änderung des natürlichen Lebenssachverhalts aus dem Verbotstenor heraus käme. Solche Konstellationen werden aber nach herrschender Lehre zurecht als absolute Ausnah- 283 me betrachtet. Sie sind nur dann gegeben, wenn (ganz) ausnahmsweise das Klagebegehren und die entsprechende Entscheidung unter Ausschluss aller kerngleicher Handlungen allein auf die konkrete Verletzungsform beschränkt ist.821 Das wäre der reine „Photokopierantrag“. Der Kläger müsste aber schon ausdrücklich zu erkennen geben, dass er einen dergestalt beschränkten Unterlassungssantrag stellen will.822 Allein aus dem Bezug auf die konkreten Verletzungsform ergibt sich das gerade noch nicht.823 Wollte das Gericht den Kläger so verstehen, so müsste man in der Regel einen entsprechenden Hinweis geben (§ 139 Abs. 1 ZPO). Ein solcher enger Antrag und enger Streitgegenstand, hätte dann zwar mit Blick auf die durch ihn abgedeckten materiellen Verbotstatbestände eine gewisse „Weite“ – weil er nur durch den natürlichen Lebenssachverhalt als Inhalt der Verbotsnorm begrenzt ist –, das resultiert aber in einer ganz engen Verbotsnorm. Der vorgebliche weite Streitgegenstand nach „Biomineralwasser“ wäre also tatsächlich sehr eng. Auch hierfür bietet die genannte Entscheidung des OLG Frankfurt a. M. ein gutes Beispiel: 284 dort wurden die Garantiebedingungen einmal in Papierform beim Direktvertrieb beigelegt und dann auch beim Produktangebot online „präsentiert“. Wegen dieser unterschiedlichen Form sieht das OLG Frankfurt a. M. darin unterschiedliche natürliche Lebenssachverhalte; es handelt sich um unterschiedliche konkrete Verletzungsformen und deshalb um verschiedene Streitgegenstände.824 Die Klage wurde mit Blick auf den Onlinebetrieb abgewiesen, weil nicht glaubhaft gemacht werden konnte, dass die Garantiebedingungen dort in der beanstandeten Weise präsentiert wurden. Für den Offline-Vertrieb wurde die Beklagte verurteilt. Wenn die Beklagte jetzt in der Folge die Garantiebedingungen genau mit dem vom Gericht für den Offline-Vertrieb verbotenen Inhalt verwenden würde, dann wäre das Urteil insofern per definitionem nicht vollstreckbar, weil das ein anderer Streitgegenstand wäre und somit eine Anwendung von § 890 ZPO ausgeschlossen wäre. Ob dem Kläger dieser Zusammenhang zwischen Streitgegenstand und Vollstreckbarkeit nach § 890 ZPO bewusst war, kann man bezweifeln. Richtig wäre es, die 821 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.23g. 822 BGH 17.9.2015 – I ZR 92/14 – GRUR 2016, 395 Tz. 41 – Smartphone-Werbung; Büscher/Schmidt, UWG, § 12 Anh. I Rn. 131; Telitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 16a a. E. 823 Vgl. OLG Köln 28.9.2017 – 6 W 96/17 – juris Rn. 2: „Ein Antrag auf Unterlassung bezogen auf eine konkrete Verletzungsform, ohne präzise Verdeutlichung des Willens, kerngleiche Formen auszuschließen, erfasst diese nach hM regelmäßig mit.“. 824 OLG Frankfurt a. M. 16.2.2020 – 6 W 116/19 – juris. Rn. 21 a. E. 581

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

konkrete Verwendung der Garantiebedingungen ohne Hinweis auf den Garantiegeber als klägerisches Rechtsschutzbegehren zu werten. Danach kann nur erkannt werden, wenn genau diese Beanstandung vorliegt, dieser Subsumtionsschluss begehrt wird. Mit diesem Urteil kann dann auch vollstreckt werden, wenn genau diese Bedingungen online anstatt offline verwendet werden. Stützt sich der Kläger noch auf andere Beanstandungen wie etwa das Irreführungsverbot durch die angebliche Gewährung bestimmter Vorteil der Garantie, die hinter den gesetzlichen Ansprüchen zurückbleiben, dann ist das erkennbar anders ausgestaltet und insofern der Lebenssachverhalt verständigt. Die Verbotsnorm hätte hier einen anderen Inhalt. Wenn der Kläger sich auf beide Beanstandungen stützt, so liegt eine kumulative Klagehäufung vor, auch wenn nur ein Antrag vorliegt. Das Gericht muss beide prüfen; wird ein Punkt verneint, so erfolgt eine teilweise Klageabweisung. Der Beklagte weiß damit, gegen was er sich verteidigen muss. Und soweit er mit seiner Verteidigung obsiegt und damit den Erlass einer Verbotsnorm mit anderem Umfang/Inhalt abwendet, hat das für den Beklagten entsprechende Kostenvorteile. Das Gericht kann und muss ferner aufklären, ob die Beanstandungen tatsächlich kumulativ oder eventualiter (in welcher Reihenfolge) zur Entscheidung gestellt werden. Nicht möglich ist es, die alternative Klagehäufung – also die Entscheidung, ob und was geprüft wird – dem Gericht zu überlassen. Das ist der Kernpunkt der „TÜV“-Rechtsprechung.

285 dd) Abweichende Systematik gegenüber „Biomineralwasser“. Insofern liegt der Unterschied zur Systematik der Entscheidung „Biomineralwasser“ letztlich darin, dass nach „Biomineralwasser“ bei einem auf die konkrete Verletzungsform gerichteten Antrag im Zweifel von einem ganz eng auf den natürlichen Lebenssachverhalt ausgerichteten Verbotsnorm auszugehen wäre, deren Umfang dann auch von der zugrundegelegten Beanstandung unabhängig wäre. Der Kläger kann davon aber abweichen, wenn er die Beanstandungen zum Gegenstand eigener Anträge macht. Erst durch diese antragsgemäße Festlegung auf verschiedene Beanstandungen könnte der Kläger diese Verbotsnormen mit abweichendem Inhalt (abweichenden kerngleichen Abwandlungen) als getrennte Klageziele im Wege der kumulativen Klagehäufung erreichen.825 Nach der hier vertretenen Lösung bedüfte es dessen nicht, weil auch bei einem einheitlichen Antrag, der sich gegen die konkreten Verletzungsform richtet und auf unterschiedliche Beanstandungen derselben gestützt ist, grundsätzlich davon auszugehen ist (im Einklang mit der herrschenden Praxis), dass damit auch kerngleiche Abwandlungen nicht ausgeschlossen werden, die aber wiederum von der jeweiligen Beanstandung abhängen, so dass verschiedene Verbotsnormen begehrt werden und damit per definitionem unterschiedliche Streitgegenstände vorliegen. 286 Die unbefriedigende Wirkung eines eng auf die natürliche Verletzungshandlung bezogenen Streitgegenstandsbegriffs zeigt sich auch in den Fällen der Klageabweisung. So hat das OLG Frankfurt826 in Anwendung der „Biomineralwasser“-Judikatur unterschiedliche Streitgegenstände schon dann angenommen, wenn der Kläger unterschiedliche Anzeigen auf unterschiedlichen Werbeträgern als konkrete Verletzungsform in verschiedenen Verfahren angegriffenen hat: „Die Antragstellerin hat ihre Unterlassungsanträge in beiden Eilverfahren jeweils auf die Werbeanzeigen bezogen und somit jeweils die konkrete Verletzungsform zum Streitgegenstand gemacht, so dass dem hiesigen Eilverfahren andere Streitgegenstände zugrunde liegen.“ Dem zeitlich nachfolgenden Verfahren stehe schon deshalb nicht der Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit entgegen. Weil man das in der Sache (zurecht) als unbefriedigend empfand, wurde dann aber auf das Fehlen des Rechtsschutzbedürfnisses rekurriert. Weil der im zweiten Verfahren angegriffene, in einem Shop platzierte Aufsteller inhaltlich identisch sei mit der durch die vorangegangene Verfügung des Landgerichts verbotenen Zeitungs-(werbe-)anzeige, lägen 825 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 25 m. Anm. Teplitzky – Biomineralwasser; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 12 Rn. 2.23j.

826 OLG Frankfurt 14.3.2013 – 6 U 227/12 – WRP 2014, 101 Tz. 3. Grosch

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III. Unterlassungsklage

Vor §§ 12–15a A

kerngleiche Verletzungshandlungen vor, die in ihrer Zielrichtung und ihrem Aussagewert nur unbedeutend voneinander abwichen und beide Teil einer breit angelegten Werbekampagne seien. Auch läge bei den beiden Werbemedien keine völlig unterschiedliche Wahrnehmungssituation vor, wie das von der Antragstellerin behauptet worden war. Deshalb fehle es am Rechtsschutzbedürfnis.827 Damit würden also kerngleiche Verstöße nicht als vom Streitgegenstand erfasst und folglich als nicht Gegenstand der Entscheidung angesehen. Gleichwohl wäre eine neue Klage unzulässig, weil es am Rechtsschutzbedürfnis fehle. Das überzeugt nicht. Richtigerweise wird man annehmen müssen, dass der Verbotstenor des ersten Verfahrens auch kerngleiche Abwandlungen erfasst. Dann sind diese auch Teil des Streitgegenstandes und der zweiten Klage steht nach rechtskräftiger Abweisung der ersten Klage die Rechtskraft des ersten Urteils entgegen (oder die Rechtshängigkeitssperre während der Dauer des ersten Verfahrens). Wenn man das ausnahmsweise anders sehen wollte, also den Streitgegenstand des Erstverfahrens tatsächlich auf den natürlichen Lebenssachverhalt beschränken wollte, dann fehlte mit Blick auf die zweite Klage natürlich auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Alles andere wäre letztlich ein Zurückfallen auf die Linie aus „Markenparfümverkäufe“,828 die 287 in der Rechtsprechung und Literatur heute zurecht überwiegend abgelehnt wird. Die Entscheidung „Markenparfümverkäufe“ ist mit Blick auf diese Trennung von Streitgegenstand und Rechtskraft einerseits und Vollstreckungswirkung andererseits überwiegend auf Ablehnung gestoßen.829 Diese Auffassung würde letztlich dazu führen, dass dem Unterlassungsurteil jedenfalls für Handlungen nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung überhaupt keine Bindungswirkung mehr zukäme830 und das Urteil insofern eine rechtskraftlose Vollstreckungshülse wäre. Ob man auf dieser Basis aber noch annehmen könnte, dass es sich in der Konstellation 288 von „Branchenbuch Berg“ auch um einen Klagegrund handelt, ist hingegen zweifelhaft. Beide Beanstandungen/Fehlvorstellungen waren in ihrem Kern in der genannten Entscheidung (hierzu oben Rn. 262) nicht so eng miteinander verknüpft, dass man Änderungen des Sachverhalts nicht für beide unabhängig voneinander betrachten könnte. Zwar kamen beide im selben Werbeschreiben vor, aber einmal wurde beanstandet, dass suggeriert worden sei, dass zwischen den Parteien bereits ein Vertragsverhältnis bestand, das es zu verlängern gelte,831 und zum anderen wurde beanstandet, dass die Angabe „89 Euro p.m.“ in dem Schreiben irreführend suggeriere, die Gebühren seien monatlich zu tragen.832 Das sind mithin unterschiedliche Fehlvorstellen, denen der Sachverhaltskonnex, der in „Tiegelgröße“ herausgestellt wurde (Relation des Inhalts zur Umverpackung), gerade fehlt. Ein Konnex, der sich nur darauf bezieht, dass beide Fehlvorstellungen durch unterschiedliche Angaben in demselben Medium hervorgerufen werden, kann nicht genügen. Anderes könnte, wie bereits ausgeführt, nur dann gelten, wenn man annehmen wollte, dass sich im entschiedenen Fall der Schutzumfang der Verbotsnorm ganz eng an dem natürlichen Sachverhalt ausrichten würde, also eine Verbotsnorm unter Ausschluß aller kerngleicher Abwandlungen. Wenn also jede Abwandlung genügt – auch wenn sie mit Blick auf die anderen Aspekte erfolgte, die der Kläger zwar seinem Klageantrag in der Begründung zugrundegelegt hat, aber nach denen das Gericht nicht erkannt hat – um aus dem Schutzumfang der Verbotsnorm herauszukommen, dann wäre gegen die Linie des BGH aus

827 OLG Frankfurt 14.3.2013 – 6 U 227/12 – WRP 2014, 101 Tz. 8. 828 BGH 23.2.2006 – I ZR 272/02 – BGHZ 166, 253 = GRUR 2006, 421 Tz. 22–32 – Markenparfümverkäufe. 829 Ahrens JZ 2006, 1184; Kamlah/Ulmar WRP 2006, 967; Götz GRUR 2008, 401; Teplitzky WRP 2007, 1 und 397; ders. GRUR 2011, 1091 m. w. N. in Fn. 29; Grosch FS Schilling 207, 215 ff.; Ann/Loschelder/Grosch Kap. 6 Rn. 61 ff.; Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 2b ff. m. w. N.; Teplitzky GRUR 2011, 1091, 1092 f. a. A. Lehment WRP 2007, 237; v. Ungern-Sternberg GRUR 2009, 1009, 1016. 830 v. Linstow/Büttner WRP 2007, 169; vgl. auch Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 18 f.; Teplitzky WRP 2010, 181, 185 m. w. N. in Fn. 53. 831 Weshalb der Werbecharakter des Schreibens verschleiert werde. 832 BGH 30.6.2011 – I ZR 157/10 – GRUR 2012, 184 – Branchenbuch Berg. 583

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

„Branchenbuch Berg“ nichts einzuwenden. Dafür gab es aber im entschiedenen Fall keine Anhaltspunkte. 289–339 Nicht vergeben

340 g) Abstrakte Anträge. Die vorstehende Analyse bezieht sich primär auf die in der Praxis wesentliche Fallgruppe, in der das Verbot der konkreten Verletzungsform begehrt und tenoriert wird, was insbesondere durch den Zusatz „wenn das geschieht wie“ indiziert wird. Man könnte ad hoc der Auffassung sein, dass sich die dort behandelten Problemstellungen bei der Fallgruppe der abstrahierenden Antragstellung nicht in vergleichbarer Weise ergeben sollten, weil der abstrahierende Antrag per definitionem die Beschränkung auf die Elemente des Sachverhalts aufweist und nicht lediglich auf einen natürlichen Lebenssachverhalt Bezug nimmt. Das ist aber nicht zutreffend, weil sich auch hier Unterschiede aus Abweichungen der materiellen Beanstandungsgrundlagen ergeben können. Auch hier ist der vom Kläger vorgetragene Sachverhalt mithin in Bezug zu den materiellen Grundlagen der Beanstandung zu setzen und zu prüfen, ob derselbe abstrahierende Antrag mit Blick auf andere Elemente des Sachverhalts aufgrund subsumtionsrelevanter Unterschiede, die sich aus verschiedenen materiellen Beanstandungsgrundlagen ergeben, verschiedene Streitgegenstände begründen kann. Ein instruktives Beispiel aus der jüngsten Rechtsprechung des BGH bildet die Entscheidung „Sofort Bonus II“.833 Im entschiedenen Fall hatte die Klägerin beantragt, der Beklagten (einer Versandapotheke) zu verbieten, gegenüber privatversicherten Verbrauchern mit einem Sofortbonus von 30 Euro für jedes Rezept zu werben. In der Begründung trug die Klägerin vor, dass es sich für den Fall, in dem der Bonus auf dem Rezept nicht ausgewiesen werde, bei der Werbung um einen Verstoß gegen die unternehmerische Sorgfalt handle (§§ 2 Nr. 7, 3 I, 3 II UWG), weil die Beklagte ihre Kunden dazu verleite, den Bonus gegenüber ihrer privaten Krankenversicherung vertragswidrig nicht anzugeben. Wenn der Bonus hingegen auf dem Rezept ausgewiesen sein sollte, so wäre die Werbung irreführend, weil die Krankenversicherung dann bei der Erstattung den Bonus in Abzug bringen würde, der Verbraucher also letztlich keinen Bonus erhalte. Der BGH sieht darin zurecht trotz des einheitlichen abstrakten Antrages zwei Streitgegenstände, die vom Kläger zur Entscheidung gestellt werden.834 Näher begründet wird das nicht, es ist aber zutreffend, weil das abstrakte Verbot jeweils von der vom Kläger zugrundegelegten materiellen Verbotsnorm und des hierfür in Bezug genommenen subsumtionsrelevanten Sachverhalts aus betrachtet werden muss. Zwar kommt der BGH rechtlich zu dem Ergebnis, dass der Verbraucher den „Bonus“ gegenüber seinem Versicherer nicht angegeben muss835 (§§ 2 Nr. 7, 3 I, 3 II UWG) und ferner dass auch keine Grundlage für eine entsprechenden Abzug bei Angabe des Bonus bestünde (also keine Irreführung vorliegt),836 so dass beide Anspruchsgrundlagen aus denselben rechtlichen Anknüpfungsgründen heraus nicht greifen. Gleichwohl ist der subsumtionserhebliche Sachverhalt, auf den sich die Klägerin für die beiden Konstellationen zur Begründung des abstrahierenden Verbots jeweils bezogen hatte, unterschiedlich ausgestaltet und die beantragte Verbotsnorm hat insofern einen anderen Inhalt und Umfang. Insofern waren beide Sachverhaltsaspekte (Bonus auf dem Rezept angegeben oder nicht und die sich daraus möglicherweise weiter ergebenden Fehlvorstellungen) vom Kläger auch vorzutragen. Anderes gilt, wie der BGH im entschiedenen Fall ebenfalls zurecht festgestellt hat, für die weitere rechtliche Begründung auf der Basis von § 3 a UWG in Verbindung mit einem Verstoß gegen die Arzneimittelpreisbindung. Diese weitere materielle Beanstandungsgrundlage konnte unabhängig von den weiteren Sachverhaltsunterschieden der beiden Streitgegenstände zur Begründung der Verbote herangezogen werden. Insofern musste sich der Kläger darauf auch nicht ausdrücklich stützen und das Gericht hatte nach dem 833 834 835 836

BGH 20.2.2020 – I ZR 5/19 GRUR 2020, 550 – Sofort Bonus II. BGH a. a. O. Rn. 13 ff. BGH a. a. O. Rn. 35 ff. BGH a. a. O. Rn. 56.

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III. Unterlassungsklage

Vor §§ 12–15a A

Grundsatz jura novit curia diese materielle Grundlage (ohne Verstoß gegen § 308 ZPO) zu prüfen.837 Das ist auch auf der Basis der hier herausgearbeiteten Kriterien zutreffend, weil für diese materielle Verbotsnorm keine weiteren Sachverhaltsgesichtspunkte als die Werbung mit dem „Sofort Bonus“ subsumtionserheblich sind. Der Inhalt und Umfang der Verbotsnorm ändert sich mithin nicht. Die hierfür erforderlichen Sachverhaltsmerkmale waren zur Begründung dieses Verbots vorgetragen. Dass die Klägerin die Anspruchsgrundlage und die Arzneimittelpreisbindung nicht genannt hat, ist demgegenüber nicht erheblich und kann keine abweichende Bestimmung des Streitgegenstandes begründen.

aa) BGH-Rechtsprechung. Die hier vertretene Auffassung führt also im Ergebnis dazu, dass 341 der „Normfall“ des auf die konkrete Verletzungsform gerichteten Antrages, also der Fall, in dem die begehrte Verbotsnorm auch einen die Kerngleichheit einbeziehenden Umfang hat, strukturell nicht anders behandelt wird, als die Fälle mit abstrakten Anträgen. Letztlich lassen sich Unterlassungsanträge, die auf die konkrete Verletzungsform gerichtet sind, und solche, die davon abstrahieren, auch nur begrenzt trennen. Ein Beispiel hierfür bietet die Entscheidung „ENERGY & VODKA“. Im entschiedenen Fall wendete sich der Kläger gegen die Vewendung der Bezeichnung „ENERGY & VODKA“ für ein alkoholhaltiges Energygetränk, beschränkte das aber auf die konkrete Verletzungsform („wenn das geschieht, wie“). Insofern wäre also bei einer rein natürlichen Betrachtungsweise der gesamte Lebenssachverhalt Streitgegenstand, unabhängig von der materiellen Beanstandung. Gleichwohl konnte sich der Kläger in der Revisionsinstanz nicht mehr auf ein durch die Zusammensetzung des Getränks bedingtes allgemeines Verkehrsverbot desselben stützen, weil das „nicht mehr die konkrete Verletzungsform“ sei und somit eine in der Revisionsinstanz unzulässige Klageänderung darstelle.838 Die Entscheidung überzeugt, weil auch für die Bestimmung des begehrten Verbots einer „natürlichen“ Verletzungshandlung die wertenden Kriterien der klägerischen Beanstandung (der subsumtionsrelevante Sachverhalt) nicht außer Betracht bleiben können und insofern das beantragte Verbot letztlich immer auch abstrahieren muss.839 Entscheidend ist in beiden Fallgruppen (konkrete und abtrakte Unterlassungsanträge), ob durch eine Änderung des Antrages oder des Klagegrundes der Umfang der begehrten Verbotsnorm geändert wird (§ 263 ZPO) oder ob das Gericht eine Verbotsnorm zuspricht, die einen anderen Umfang als die vom Kläger begehrte Verbotsnorm hat (§ 308 ZPO). Das belegt auch die weitere Analyse der BGH-Judikatur zu abstrahierenden Unterlassungsanträgen.

(1) BGH „Anschriftenliste“: Abwandlung der konkreten Verletzungsform. Im entschiedenen Fall840 hatte der Kläger beantragt, den beklagten Rechtsanwälten zu verbieten, Personen ohne deren Zustimmung anzuschreiben. Hierin sah die Klägerin einen Verstoß gegen das Verbot, für die Erteilung eines Auftrages im Einzelfall zu werben, § 43b BRAO. Das Berufungsgericht hat diesen Verstoß abgelehnt, aber eine wettbewerbswidrige Handlung deshalb angenommen, weil die Anschreiben eine Anschriftenliste vorausgesetzt haben müssten, die von der betroffenen Fondsgesellschaft erstellt und unter Verstoß gegen das BDSG an die Beklagten übermittelt worden sein müsse. Mit dieser Einschränkung hinsichtlich der Anschriftenliste hat das Berufungsgericht die Beklagten verurteilt. Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht habe unter Verletzung von § 308 ZPO dem Kläger etwas anderes zugesprochen, als dieser mit seinem Rechtsschutzbegehren geltend gemacht habe. Die Änderung des Streitgegenstandes liege darin, dass die Verletzungsform durch Einfügung 837 838 839 840 585

BGH a. a. O. Rn. 11. BGH 9.10.2014 – I ZR 167/12 – GRUR 2014, 1224 Tz. 26 f. – ENERGY & VODKA. Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 5 ordnet den Fall auch als „abstrakt formulierten“ Antrag ein. BGH 29.6.2006 – I ZR 235/03 – BGHZ 168, 179 = GRUR 2006, 960 f. – Anschriftenliste. Grosch

Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

zusätzlicher Merkmale abgewandelt worden sei. Zur Beurteilung der getroffenen Einschränkungen auf bestimmte Verhaltensweisen sei die Prüfung weiterer Sachverhaltselemente erforderlich gewesen. Diese Sachverhaltselemente waren für den ursprünglichen Antrag des Klägers jedoch nicht von Relevanz. In dieser Hinzufügung von Merkmalen liege zwar gedanklich ein Minus, nicht aber unter prozessualen Gesichtspunkten.841 Damit liege also kein Fall des § 264 Nr. 2 ZPO842 vor, sondern der eines Aliuds. Da der Kläger im entschiedenen Fall Art und Weise der Anschriftenbeschaffung nicht zum Gegenstand seines Klagebegehrens gemacht habe, sei § 308 ZPO verletzt.843

342 (2) BGH „Reinigungsarbeiten“. Auf dieser Linie hatte der BGH bereits in „Reinigungsarbeiten“844 entschieden. Die dortige Beklagte 1 war von der Beklagten 2 (der Stadt D) sowie der Beklagten 3, einem Privatunternehmen, gegründet worden und führte fortan Reinigungsdienstleistungen für die Beklagte 2 durch, wobei sie diese Aufträge ohne die Durchführung von Vergabeverfahren erhalten hatte. Die Klägerin begehrte die Feststellung, dass die Gründung der Beklagten 1 wegen Verstoßes gegen kartellrechtliche und gemeinderechtliche Vorschriften unwirksam war und beantragte zudem, der Beklagten ihre geschäftliche Tätigkeit im Rahmen ihres Gesellschaftsvertrages zu untersagen. Das Berufungsgericht verneinte diese grundlegenden Verstöße, sah aber ein wettbewerbs343 widriges Verhalten der Beklagten 1 (Verstoß gegen § 1 UWG a. F.), insofern sich diese den Rechtsbruch der Beklagten 2, der in der fehlenden Beachtung vergaberechtlicher Bestimmungen lag, zunutze mache. Mithin „beschränkte“ es das Verbot mit dem weiteren Merkmal, dass dieses nur für das Durchführen von Dienstleistungen gelte, sofern vorher kein öffentlich-rechtliches Vergabeverfahren durchgeführt worden war. Der BGH hat das Berufungsurteil zu Recht aufgehoben. Auch hier sei das eingeschränkte Verbot zwar gedanklich ein Minus, weil es sich auf einen Teil der umfassenderen Geschäftstätigkeit der Beklagten gegenüber Gebietskörperschaften beziehe, nicht aber rechtlich, weil das Verbot von weiteren Voraussetzungen abhänge, die eigenständig zu prüfen seien und vom Kläger nicht zum Gegenstand seines Klagebegehrens gemacht worden waren.

344 (3) BGH „Freundschaftswerbung im Internet“: Verfolgen eines neuen Anspruchs. An dieser Rechtsprechung hat der BGH in „Freundschaftswerbung im Internet“845 festgehalten. Das ursprünglich beantragte Verbot ging dahin, der Beklagten zu untersagen, Dritten eine Produktempfehlung zu senden.846 Damit war der Kläger erstinstanzlich unterlegen, die Klage wurde abgewiesen. Mit ihrer Berufung beantragte die Klägerin, die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs auf Empfehlung eines Dritten und auf Grund der von diesem in der Internet-Seite der Beklagten eingetragenen Empfängerangaben eine persönliche Nachricht des Dritten mit einer Produktempfehlung und Werbung der

841 So auch Teplitzky WRP 2007, 1, 2. 842 Vgl. zur Klageänderung und § 264 Nr. 2 ZPO ausführlich unter Rn. 412 ff. 843 Ebenso bereits in BGH 3.4.2003 – I ZR 1/01 – BGHZ 154, 342 = GRUR 2003, 716 f. – Reinigungsarbeiten. Hier soll der Grund für die Unterschiedlichkeit der Streitgegenstände darin gelegen haben, dass die zugrundeliegenden Verbotsnormen unterschiedliche materiell-rechtliche Schutzrichtungen verfolgten. Dies soll darin begründet liegen, dass die andere Verbotsnorm auf ein anderes materiell-rechtliches Ziel gerichtet ist, Götz GRUR 2008, 401, 401. 844 BGH 3.4.2003 – I ZR 1/01 – BGHZ 154, 342 = GRUR 2003, 716 f. – Reinigungsarbeiten. 845 BGH 29.5.2008 – I ZR 189/05 – GRUR 2008, 1121 – Freundschaftswerbung im Internet. 846 Vgl. dazu Tz. 4: Erstinstanzlich war beantragt, der Beklagten zu verbieten „im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs auf Empfehlung eines Dritten auf Grund dessen in der Internet-Seite der Bekl. eingetragenen Empfängerangaben von diesem eine persönliche Nachricht mit einer Produktempfehlung zu Gunsten der Bekl. über den Server der Bekl. an Internet-Nutzer ohne deren vorherige Einwilligung zu versenden.“ Grosch

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III. Unterlassungsklage

Vor §§ 12–15a A

Beklagten über ihren Server an Internet-Nutzer ohne deren vorherige Einwilligung per E-Mail zu versenden. Der BGH hielt die Berufung der Klägerin für unzulässig, weil die Klageänderung nicht das 345 alleinige Rechtsschutzziel der Berufung sein kann. Verfolgt der Kläger vielmehr mit der Berufung einen anderen Anspruch als den, der bisher Gegenstand des Verfahrens war, so ist die Berufung unzulässig. Der Kläger erstrebe damit nicht die Beseitigung der in der Abweisung liegenden Beschwer, stelle also nicht die Richtigkeit des abweisenden Urteils in Frage; vielmehr verfolge er einen neuen prozessualen Anspruch. In der Aufnahme des Elements „und Werbung der Beklagten“ liege damit eine Klageänderung. Zwar hat der BGH offengelassen, in welchem Umfang die Klägerin den Inhalt der zu Beweiszwecken eingereichten E-Mail gemäß Anlage zum Gegenstand ihres Sachvortrags erster Instanz gemacht hatte: Dieser E-Mail war nicht nur eine Produktempfehlung zu entnehmen, sondern auch eine entsprechende Werbung der Beklagten angehängt. Jedenfalls habe die Klägerin auf den aus der E-Mail ersichtlichen Werbeanhang ihr Unterlassungsbegehren in erster Instanz nicht, auch nicht zumindest hilfsweise, gestützt. Die Vorlage der E-Mail habe lediglich dem Zweck gedient, die behauptete und durch den Klageantrag und dessen Begründung umschriebene Verletzungshandlung zu belegen. Sowohl nach dem Klageantrag als auch nach dessen Begründung sollten sich die beanstandete Verletzungshandlung sowie das darauf bezogene Unterlassungsbegehren nicht auf den Anhang der E-Mail erstrecken. Mithin lag der Fall für den BGH nicht anders, als wenn mit Antrag und Begründung der Klage nur eine bestimmte Werbeanzeige aus einem mehrseitigen Werbeprospekt beanstandet wird. In diesem Fall beschränke sich der Streitgegenstand auch dann auf diese bestimmt bezeichnete Werbeanzeige, wenn zu deren Beweis der gesamte Prospekt mit weiteren, möglicherweise wettbewerbswidrigen Anzeigen vorgelegt wird.

(4) BGH „Professorenbezeichnung in der Arztwerbung II“: Einschränkungslose Verbo- 346 te. In bestimmten Fällen hat der BGH bei Irreführung „Schlechthin-Verbote“ gebilligt, also etwa das Verbot der Führung eines Professorentitels im Rahmen der beruflichen Tätigkeit, unabhängig von der Führung in Alleinstellung.847 Es sei dann Sache des Beklagten im Vollstreckungsverfahren zu zeigen, ob aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls eine Irreführung nicht vorliege.848 Dies impliziert, dass durch eine solche Änderung der konkrete Umstände ein anderer Streitgegenstand vorliegt, der von dem des abstrakten Rechtsschutzbegehrens nicht erfasst ist.

bb) Bewertung (1) Änderung der begehrten Verbotsnorm als Maßstab. Die Rechtsprechung des BGH aus 347 „Anschriftenliste“, „Reinigungsarbeiten“ und „Freundschaftswerbung im Internet“ hat Zustimmung in der Literatur gefunden.849 Der BGH prüft in diesen Fallgruppen, ob in der Änderung des Wortlauts des Antrages850 oder des Tenors gegenüber dem Antrag,851 eine Änderung 847 BGH 9.4.1992 – I ZR 240/90 – GRUR 1992, 525 – Professorenbezeichnung in der Arztwerbung II. Zur Frage wann ein solches Verbot zu weit geht, also materiell nicht begründet ist, vgl. oben Rn. 185 ff. 848 BGH 9.4.1992 – I ZR 240/90 – GRUR 1992, 525, 526 Abs. 2 – Professorenbezeichnung in der Arztwerbung II. 849 Teplitzky WRP 2007, 1, 2; Preuß JR 2004, 204; Walker LMK 2003, 157. 850 BGH 4.2.1993 – I ZR 42/91 – BGHZ 121, 242 = GRUR 1993, 556, 557 – TRIANGLE; BGH 29.5.2008 – I ZR 189/05 – GRUR 2008, 1121 – Freundschaftswerbung im Internet; BGH 29.4.2010 – I ZR 99/08 – GRUR 2011, 82, 85 – Preiswerbung ohne Umsatzsteuer; OLG Braunschweig 7.3.2012 – 2 U 90/11 – GRUR-RR 2012, 431, 432 – Kernspinresonanztherapie. 851 BGH 29.6.2006 – I ZR 235/03 – BGHZ 168, 179 = GRUR 2006, 960 – Anschriftenliste; BGH 3.4.2003 – I ZR 1/ 01 – BGHZ 154, 342 = GRUR 2003, 716 – Reinigungsarbeiten; BGH 11.7.1991 – I ZR 33/90 – GRUR 1992, 117, 120 – IECPublikation; BGH 12.3.1992 – I ZR 58/90 – GRUR 1992, 527, 529 – Plagiatsvorwurf II; BGH 2.4.1992 – I ZR 146/90 – GRUR 1992, 552, 554 – Stundung ohne Aufpreis. 587

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

des Streitgegenstandes liegt. Zu diesem Zwecke hat der BGH in den genannten Entscheidungen konsequent ermittelt, ob das Verbot von der Prüfung weiterer Voraussetzungen abhängig gemacht wird, also letztlich, ob die begehrte Verbotsnorm durch die Abweichung einen anderen Regelungsgehalt erhält. Auch wurde hier der Rückbezug auf den Lebenssachverhalt hergestellt, weil die Prüfung weiterer Sachverhaltsmerkmale erforderlich gemacht wurde, von denen der bisherige Antrag nicht abhängig war. Das gilt auch dann, wenn man den geänderten Antrag oder das vom Gericht tenorierte Verbot als gedankliches Minus, also als eine Beschränkung durch die Aufnahme weiterer Merkmale, verstehen kann. Darin liege gleichwohl kein Minus im Sinne von § 264 Nr. 2 ZPO, sondern ein Aliud. Dem kann man zustimmen, weil grundsätzlich eine Vielzahl von Sachverhaltselementen als weitere Beschränkungen möglich sind und insofern keine zwingende Konvergenz vorliegt. Wenn alldie einschränkenden Merkmale von vornherein auf der Linie liegen, die in der Begründung des breiteren Antrages angelegt ist, dann kann man eine solche absehbare Verengung des Antrages durchaus auch als privilegierte Klageänderung im Sinne des § 264 Nr. 2 ZPO verstehen. Nichts anderes würde gelten, wenn allein der neue Sachvortrag zu beurteilen wäre, also der Antrag unverändert bliebe. Eine solche Änderung des Sachverhalts liegt in den Fällen vor, in denen ein „Schlechthin-Verbot“ erlassen wurde und der Beklagte jetzt durch neue Hinweise und Zusätze die Irreführung auszuräumen sucht, wie das etwa in der Entscheidung „Professorenbezeichnung in der Arztwerbung II“ adressiert wurde.852 Solche Änderungen können einen neuen Streitgegenstand begründen, wenn sie eine materiell-rechtliche Bewertung der Irreführung erforderlich machen. Auch hier wäre zu prüfen, ob dadurch der Inhalt der begehrten Verbotsnorm geändert würde, also diese von anderen Voraussetzungen abhängig gemacht werden soll. Hier geht es allerdings systematisch zu weit, wenn der BGH ausführt, dass der Beklagte im Vollstreckungsverfahren zu beweisen hätte, dass die Irreführung ausgeräumt sei. Im Vollstreckungsverfahren ist eine abschließende materiell-rechtliche Erkenntnis nicht zulässig. Entscheidend ist, ob die Änderungen sich so darstellen, dass eine abweichende materiell-rechtliche Beurteilung im Erkenntnisverfahren ernsthaft möglich erscheint. Dann liegt ein neuer Streitgegenstand vor, der in einem möglichen neuen Erkenntnisverfahren mit den dort verfügbaren Mitteln zu beurteilen wäre. Das zeigt im Übrigen, dass die Frage des Schlechthin-Verbots nicht derart apodiktisch ist, dass ein Schlechthin-Verbot immer umfassend und ausnahmslos ist. Auch das so abstrahierende Verbot bleibt an den Klagegrund gekoppelt. Deshalb ist es auch nicht überzeugend, wenn der BGH solche Anträge generalisierend als zu weit gehend bezeichnet, weil sie (theoretisch) auch Fallgestaltungen erfassen, in denen die Irreführung durch konkrete Hinweise ausgeräumt würde.853 Das kann dem Erlass nur dann entgegenstehen, wenn solche Konstellationen im Erkenntnisverfahren konkret aufgezeigt wurden.

348 (2) Übereinstimmung mit dem allgemeinen zivilrechtlichen Streitgegenstandsbegriff. Die vorstehenden Grundsätze setzen sich auch nicht in Widerspruch zu den allgemeinen zivilprozessualen Lehren. Das lässt sich gut anhand der Entscheidung „Lesezirkel II“ des Kartellsenats verdeutlichen. Im entschiedenen Fall854 war nach dem klägerischen Rechtsschutzbegehren darüber zu entscheiden, ob ein kartellrechtlicher Belieferungsanspruch zu den Bedingungen der Beklagten für Lesezirkel gegeben ist. Entscheidungsgegenstand war also, ob ein Anspruch mit Blick auf eine bestimmte Fallgruppe – Lesezirkel bestimmter Art – gegeben ist und nicht lediglich ein Anspruch auf Annahme eines bestimmten konkretisierten Angebots für eine bestimmte Belieferung. Damit teilt das Streitprogramm das für abstrahierte Unterlassungsurteile signifikante Programm der Entscheidung über Verhalten bestimmter Art, das nicht durch

852 BGH 9.4.1992 – I ZR 240/90 – GRUR 1992, 525, 526 Abs. 2 – Professorenbezeichnung in der Arztwerbung II. 853 Dazu oben Rn. 185. 854 BGH 11.10.2006 – KZR 45/05 – GRUR 2007, 172 – Lesezirkel II. Grosch

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III. Unterlassungsklage

Vor §§ 12–15a A

Bezugnahme auf einen konkreten Sachverhalt abschließend beschrieben werden kann, sondern nur nach den für solches Verhalten charakteristischen Merkmalen.

(a) BGH „Lesezirkel II“: Sachverhalt und Entscheidung. Im entschiedenen Fall855 ging es 349 um einen kartellrechtlichen Belieferungsanspruch. Die Klägerin begehrte von dem beklagten Verlag die Belieferung mit bestimmten Zeitschriften für einen Lesezirkel. Dabei wurde der ALesezirkel in der ersten Instanz als Beispiel eingeführt. In der Berufungsinstanz stützt sich die Klägerin auch auf den B-Lesezirkel. Das Berufungsgericht hatte im B-Lesezirkel einen „ganz neuen Sachverhalt“ gesehen, weil für die Rechtsfragen der Diskriminierung der A-Lesezirkel abweichend zu behandeln sei. Während der A-Lesezirkel ein abweichendes Modell betreibe und ihm eher die Funktion eines „Sponsors“ zukomme, handele es sich bei dem B-Lesezirkel um einen „normalen Lesezirkel“. Der BGH hat das Urteil aufgehoben. Das Berufungsgericht habe durch die fehlende Prüfung des B-Lesezirkel-Sachverhalts das rechtliche Gehör der Beklagten verletzt. Die Klägerin habe auch in erster Instanz keine Belieferung für den A-Lesezirkel beansprucht.856 Die Bezeichnung sei lediglich in den Werbeunterlagen, nicht aber im Klagevorbringen gewählt. Ferner habe die Klägerin entgegen der Feststellung des Berufungsgerichts auch in erster Instanz die Auslieferung nicht durch den Außendienst der A-AG vorgetragen, sondern durch dasselbe Logistikunternehmen wie beim B-Lesezirkel. Durch das Vorbringen zum B-Lesezirkel sei lediglich eine weitere Erläuterung des in seinem Kern gleichgebliebenen Sachverhalts hinzugefügt worden. Dieser Kern sei dadurch gekennzeichnet, dass die Klägerin Lesezirkel betreiben möchte, die „von bestimmten Unternehmen wie A oder B als Werbemittel eingesetzt und dementsprechend insbesondere durch Teilnehmerakquisition aus deren Abnehmerkreis gefördert werden sollen.“857 In der ersten Instanz habe die Klägerin darin nur eine unbeachtliche Abweichung zu den „herkömmlichen Lesezirkeln“ gesehen. Dagegen wurde in zweiter Instanz gesagt, dass dies in keinem Widerspruch zu dem Betrieb eines herkömmlichen Lesezirkels stehe, weil es auch dort seit Jahren üblich sei, die Lesezirkelumschläge als Anzeigeflächen zu vermarkten. Mit der Zurückverweisung hat der BGH dem Berufungsgericht insbesondere die Feststellung dazu aufgetragen, welche Anforderungen der beklagte Verlag üblicherweise an die von ihm belieferten Lesezirkel stelle. Dabei sollte ein besonderer Fokus auf die Frage gerichtet werden, ob der Lesezirkel nur Unternehmen beliefere, die sich nicht an einen bestimmten Vertragspartner binden858 und welche Anforderungen an die Akquisitionstätigkeit des Lesezirkels gestellt werden.859

(b) BGH „Lesezirkel II“: Bewertung. Der Fall zeigt paradigmatisch die Fragestellungen, mit 350 denen man es auch bei der wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklage zu tun hat:860 Die Klägerin begehrt die Belieferung nicht für einen bestimmten Lesezirkel, sondern für Lesezirkel einer 855 BGH 11.10.2006 – KZR 45/05 – GRUR 2007, 172 – Lesezirkel II. 856 Allerdings hatte die Klägerin erst in der Berufungsinstanz klargestellt, dass der geplante Lesezirkel nicht als A-Lesezirkel bezeichnet werden sollte. Damit sei die Basis für die Annahme wegfallen, dass A als Träger oder Sponsor des Lesezirkels in Erscheinung träte, BGH 11.10.2006 – KZR 45/05 – GRUR 2007, 172 Tz. 15 – Lesezirkel II. 857 BGH 11.10.2006 – KZR 45/05 – GRUR 2007, 172 Tz. 10 – Lesezirkel II. 858 BGH 11.10.2006 – KZR 45/05 – GRUR 2007, 172 Tz. 19 – Lesezirkel II. 859 Weil ansonsten die angeblich fehlende Flächendeckung beim A-Lesezirkel kein Argument sei, BGH 11.10.2006 – KZR 45/05 – GRUR 2007, 172 Tz. 16 – Lesezirkel II. 860 Aus diesem Grund wird die Lesezirkel II-Entscheidung des Kartellsenats auch regelmäßig im Zusammenhang mit Fragen des Streitgegenstands der wettbewerblichen Unterlassungsklage diskutiert und zitiert, vgl. nur v. Ungern-Sternberg GRUR 2009, 901, 906; Teplitzky GRUR 2007, 177, 182; Teplitzky WRP 2007, 1, 3 f.; Teplitzky GRUR 2011, 1091, 1093; v. Ungern Sternberg GRUR 2009, 1009, 1013; Bergmann GRUR 2009, 224, 226; oder auch allgemein zu Fragen des Streitgegenstands im Unterlassungsprozess: Götz GRUR 2008, 401, 404 ff.; Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 2 ff. 589

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

bestimmten Art. Es sind also die Sachverhaltskriterien zu ermitteln, auf die es für die rechtliche Beurteilung grundsätzlich ankommt. Darunter können dann eine unbestimmte Vielzahl von Projekten fallen, auch wenn diese sich in anderen Aspekten unterscheiden, solange nur die Kernaspekte, die vom BGH hierfür formuliert wurden, dieselben seien, nämlich dass der Lesezirkel von einem Vertragspartner der Klägerin als Werbemittel zur Bindung von dessen Kunden eingesetzt wird und sich der Lesezirkel deshalb Abonnenten aus diesem Kundenkreis rekrutieren soll. Das sei der Kern, über den gestritten werde. 351 Diese Entscheidung verdeutlicht, dass ohne Rückgriff auf die materiellen Anspruchsgrundlagen und die Frage, welche Elemente für die materiell-rechtliche Prüfung entscheidend sind, überhaupt kein tauglicher Maßstab vorliegt.861 Eine natürliche Betrachtungsweise hätte im vorliegenden Fall sogar eher dazu geführt, dass man unterschiedliche Lebenssachverhalte annehmen könnte. Darum geht es aber rechtlich nicht, wenn die Belieferung für in bestimmter Weise charakterisierte Lesezirkel begehrt wird.

(3) BGH „Leistungspakete im Preisvergleich“ – Unterschiedlicher Streitgegenstand zwischen abstrahierendem und auf die konkrete Verletzungsform gerichteten Antrag? 352 (a) Position des BGH. Im entschiedenen Fall, bei Rn. 587a ff. ausführlich dargestellt, hatte der Kläger im Erstverfahren mit einem abstrahierenden Antrag ein Verbot begehrt, wonach dem Beklagten untersagt werden sollte, für Paketangebote (Telefon- und Internetzugang) ohne die Angabe der Grundkosten des Kabelanschlusses zu werben. Der Antrag wurde abgewiesen, weil eine solche Werbung dann nicht irreführend sei, wenn sie sich ausschließlich an Inhaber eines Kabelanschlusses richte. Der BGH meint in „Leistungspakete im Preisvergleich“, dass es auf der Hand liege, dass der Gegenstand nicht mit dem Gegenstand des Zweitverfahrens identisch sei, weil der vormalige Antrag sich auf ein generelles Verbot gerichtet habe und der jetzige Antrag auf die konkrete Verletzungsform, bei der die irreführende Werbung ohne die Angabe der Grundkosten des Kabelanschlusses im Rahmen einer Werbung erfolgte, die auch einen damit inhaltlich nicht notwendig zusammenhängenden Werbevergleich enthalte.

353 (b) Bewertung. Die Ausführungen des BGH überzeugen nicht. Wenn die Werbung ohne die Angaben der Grundkosten per se verboten werden soll, also gerade ohne Rücksicht auf die Umstände, so wäre von einem solchen Verbot grundsätzlich jede Form erfasst, in der die Werbung des Anschlusspakets ohne Angaben der Grundkosten erfolgt. Wenn das anders wäre, so hätte ein entsprechendes, abstrahierendes Urteil keinen Wert. Dann muss aber auch die Klageabweisung eine entsprechende Wirkung haben und der Kläger kann mit einer neuerlichen Beanstandung nicht mehr gehört werden. Das gilt natürlich nur dann, wenn die neuerliche Beanstandung mit derjenigen des Erstverfahrens identisch ist: Das war sie im entschiedenen Fall aber gerade nicht. Der entscheidende Unterschied lag darin, dass die vormals begehrte generalisierende Verbotsnorm auch die Fälle erfasste, in denen die Werbung ausschließlich an Inhaber eines Kabelanschlusses gerichtet war. Das war die im Zweitverfahren angegriffene Werbung nicht. Deshalb erachtete der BGH diese auch als Verstoß gegen die Preisangabenverordnung sowie als irreführend, weil es sich um eine zur Täuschung über den Preis geeignete Angabe handelte. Das wurde vom BGH ausdrücklich behandelt, sowohl mit Blick auf die Bewertung des im Zweitverfahren angegriffenen Verhaltens862 als auch mit Blick auf den im Erstverfahren

861 Ahrens Kap. 36 Rn. 66 f.; Ann/Loschelder/Grosch Kap. 6 Rn. 65; Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 2b f. m. w. N. 862 BGH 7.4.2011 – I ZR 34/09 – GRUR 2011, 742 f. m. Anm. von der Decken/Heim Tz. 26 ff. – Leistungspakete im Preisvergleich. Grosch

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abgewiesenen generalisierenden Antrag.863 Allein in der Bewertung dieses Unterschiedes für die Zwecke der Rechtskraftpräklusion fehlt der BGH.

(4) Fälle der Störerhaftung und der Prüfpflichten. Diese Systematik kann auch auf die 354 oben angesprochenen Fälle der Störerhaftung angewendet werden. Es wurde im Zuge der Diskussion der Bestimmtheitsanforderungen bereits kritisch angemerkt, dass eine Auflösung der Unterteilung zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren nicht sachgerecht ist (oben Rn. 182). Was im Erkenntnisverfahren materiell-rechtlich nicht mit Blick auf den konkreten Fall geprüft wurde, kann im Vollstreckungsverfahren nicht nachgeholt werden. Das Vollstreckungsgericht kann nur nachvollziehen, was im Erkenntnisverfahren geprüft wurde, nicht aber neue Sachverhaltskonstellationen eigenständigen materiellen Wertungen unterziehen. Wenn also der Kläger seinen Antrag auf die konkrete Verletzungsform richtet, dann sind Sachverhaltsänderungen, also neu etablierte Prüfmaßnahmen, schon dann relevant, wenn sie nach den tragenden Entscheidungsgründen einen Unterschied in der rechtlichen Bewertung des Erkenntnisgerichts hätten machen können. Das ist dann eine wesentliche Änderung des Sachverhalts. Das kann im Übrigen auch nicht dadurch umgangenen werden, dass das Gericht im Erkenntnisverfahren weitergehende Anmerkungen als obiter dicta macht. Wenn also der BGH in „File-Hosting-Dienst“864 sagt, dass die Prüfung allgemeiner Linksammlungen wie Google, Yahoo oder Twitter, erforderlich sei, so ist damit nicht bindend festgelegt, dass genau diese auch zur Erfüllung der Prüfpflichten erforderlich sind. Diese Aussagen haben natürlich ihr Gewicht, aber sie haben dieses nur als Präjudiz des BGH und damit als höchstrichterliche Rechtsprechung, nicht als bindende Entscheidung des Einzelfalls. Wenn der Kläger hier eine bindende Festlegung will, muss er im Antrag abstrahieren. Er muss im Unterlassungsantrag festlegen, dass das Verbot gilt, wenn nicht bestimmte, konkret zu benennende Maßnahmen (Bestimmtheit) getroffen werden. Das ist dann ein konstitutives Element des Verbots und verbreitert im Sinne einer Abstrahierung den Schutzbereich der Norm. Der Beklagte weiß dann, gegen was er sich verteidigen muss und was ihm verboten wird. Ob die Spezifizierung solcher Prüfmaßnahmen auch begründet ist, ist eine Frage der Wiederholungsgefahr. Diese wird wohl nur dann gegeben sein, wenn es im entscheidungserheblichen Verletzungssachverhalt gerade um die Prüfung von Linksammlungen ging und ob diese materiell-rechtlichen Anforderungen genügt. Wenn es um die konkrete Verletzungsform geht, kann nur gesagt werden, ob diese konkreten Maßnahmen hinreichend sind oder nicht. Die Abstrahierung kann diese Prüfung und die entsprechende Tenorierung erweitern. Darauf muss sich der Kläger dann aber auch festlegen und die Abstrahierung durch entsprechende Anträge zum Ausdruck bringen. 355–358 Nicht vergeben h) Unterschiedliche materielle Ansprüche und Schutzrechte aa) Zediertes und eigenes Recht. Nach der Rechtsprechung des BGH sind unterschiedliche 359 Streitgegenstände trotz einheitlichem Klageziel auch dann gegeben, wenn der Kläger dieses auf originäres eigenes Recht und auf zediertes Recht stützt.865 Das hat der III. Zivilsenat in einem Hinweisbeschluss für den Fall eines auf einen Lizenzvertrag gestützten eigenen Anspruch des Lizenznehmers (es muss sich also um eine ausschließliche Lizenz handeln, bei der eigene An863 BGH 7.4.2011 – I ZR 34/09 – GRUR 2011, 742 f. m. Anm. von der Decken/Heim Tz. 19 – Leistungspakete im Preisvergleich. 864 BGH 15.8.2013 – I ZR 80/12 – GRUR 2013, 1030 Tz. 56 ff. – File-Hosting-Dienst. 865 BGH 27.9.2006 – VIII 19/04 – NJW 2007, 2014 f. Tz. 8; BGH 17.11.2005 – IX ZR 8/04 – NJW-RR 2006, 275, Tz. 15; BGH 4.5.2005 – VIII ZR 93/04 – NJW 2005, 2004 (sub II 3); BGH 13.4.1994, NJW-RR 1994, 1143 (sub unter II 1); BGH 29.11.1990, NJW 1991, 1683 (sub unter I 2a). 591

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sprüche des Lizenznehmers entstehen; bei der einfachen Lizenz ist das nicht der Fall)866 im Verhältnis zu einem vom Schutzrechtsinhaber zedierten Anspruch entschieden.867 Bei zutreffender Antragsfassung ist dieser Unterschied auch unmittelbar im Antrag zu erkennen, weil für den Schadensersatzfeststellungsantrag danach zu differenzieren ist, wem der Schaden entsteht: Macht der ausschließliche Lizenznehmer eigene Schadensersatzansprüche geltend, was nur für den Zeitraum nach Erteilung der Lizenz möglich ist, so begehrt er Ersatz des Schadens, der ihm entstanden ist und noch entsteht, wohingegen er bei einem vom Schutzrechtsinhaber zedierten Anspruch Ersatz des Schadens (an den Kläger selbst, also keine Prozessstandschaft) begehrt, der dem Schutzrechtsinhaber entstanden ist und noch entsteht.868 Der erste Zivilsenat hat sich inzwischen dieser Rechtsprechung (unterschiedliche Streitgegenstände) auch für die Fallgestaltung angeschlossen, in der ein einheitliches Klageziel aus eigenem Recht der Klägerin sowie aus gewillkürter Prozessstandschaft für einen Dritten (beides wegen wettbewerbswidriger Behinderung) geltend gemacht wird.869 Ob dasselbe gilt, wenn ein fremdes Recht im eigenen Namen geltend gemacht wird (Pro360 zessstandschaft) und dann auf eine Abtretung gestützt wird, ist zweifelhaft, weil es sich jeweils um dasselbe materielle Recht handelt. Diese Unterscheidungen können durchaus von Relevanz sein. So mag der Kläger, gestützt auf eine gewillkürte Prozessstandschaft, erstinstanzlich gewonnen haben und das Urteil vom Gegner mit der Berufung angefochten worden sein, unter anderem mit der Begründung, dass die Prozessstandschaft wegen der Möglichkeit einer Abtretung nicht zulässig sei. Wenn der Kläger sich der Berufung nicht innerhalb der Berufungserwiderungsfrist anschließt (§ 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO), so wäre eine später erfolgende Klageänderung in Gestalt der Umstellung auf einen zedierten Anspruch wohl nicht mehr zulässig; die Klage müsste abgewiesen und der zedierte Anspruch eigenständig eingeklagt werden.

bb) Absolute Rechte und Wettbewerbsrecht 361 (1) Unterschiedliche Schutzrechte: Herrschende Auffassung. Unterschiedliche Schutzrechte begründen nach der Rechtsprechung des BGH stets eigene Streitgegenstände, auch wenn sie als Begründung eines einheitlichen Antrages (Klageziels) geltend gemacht werden.870 Das war auch die Prämisse in der „TÜV I“-Entscheidung des BGH.871 Es kann insofern nicht offen bleiben, ob die Schutzrechte kumulativ geltend gemacht werden sollen oder in einem Eventualverhältnis sowie, wenn Letzteres zutrifft, in welcher Reihenfolge über die Schutzrechte zu erkennen ist.872 Das entspricht auch der ständigen Praxis in Patentverletzungssachen. Unabhängig davon, 362 ob verschiedene Schutzrechte wortlautidentische Ansprüche haben, werden sie als eigenständige Streitgegenstände betrachtet, so dass der Kläger sich (auch bei einheitlichem Antrag) auf die kumulative oder eventuelle Geltendmachung festlegen muss und eine alternative Geltendmachung unzulässig, weil unbestimmt, ist.873 Auch ist die Abtrennung nach § 145 ZPO möglich und

866 Hierzu Ann/Loschelder/Grosch Praxishandbuch, Know-how-Schutz, Kap. 6 Rn. 138. 867 BGH 27.11.2013 – III ZR 371/12 – BeckRS 2014, 01621 (GRUR-Prax 2014, 117); so auch bestätigt durch das Urteil in demselben Verfahren: BGH 8.5.2014 – III ZR 371/12 – BeckRS 2014, 11030 Tz. 17.

868 Hierzu Ann/Loschelder/Grosch Praxishandbuch, Know-how-Schutz, Kap. 6 Rn. 69 ff. 869 BGH, 12.1.2017 – I ZR 253/14 – GRUR 2017, 397 Rn. 27 – World of Warcraft II. 870 BGH 15.3.2012 – I ZR 137/10 – GRUR 2012, 630, 631 Tz. 14 – CONVERSE II; BGH 7.12.2000 – I ZR 146/98 – GRUR 2001, 755, 756 f. – Telefonkarte; BGH 20.9.2007 – I ZR 6/05 – GRUR 2007, 1071 Tz. 56 – Kinder II; BGH 9.11.2011 – I ZR 150/09 – GRUR 2012, 304 Tz. 18 – Basler Haarkosmetik. 871 BGH 24.3.2011 – I ZR 108/09 – BGHZ 189, 56, 59 ff. = GRUR 2011, 521, 523 Tz. 10, 11 – TÜV I. 872 BGH 15.3.2012 – I ZR 137/10 – GRUR 2012, 630, 631 Tz. 15 – CONVERSE II. 873 Vgl. nur Kühnen Hdb. Patentverletzung, Kap. D Rn. 264 ff. Grosch

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wird regemäßig bei Geltendmachung verschiedener Schutzrechte vorgenommen, auch wenn es gemäß § 145 PatG erforderlich war, diese in einer Klage geltend zu machen.

(2) Schutzrechte und UWG-Ansprüche. Gleiches gilt, wenn ein Schutzrecht (Urheberrecht, 363 Marke oder technisches Schutzrecht) neben Ansprüchen wegen ergänzendem wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz geltend gemacht wird,874 was in der Praxis häufiger vorkommt, aber auch wenn Schutzrechte (insbesondere Marken) neben wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen unter dem Gesichtspunkt der Irreführung (§ 5 Abs. 2) geltend gemacht werden.875 Ganz allgemein gilt das immer dann, wenn UWG-Ansprüche neben Ansprüchen wegen Urheberrechtsverletzung oder der Verletzung gewerblicher Schutzrechte geltend gemacht werden.876 Dasselbe gilt für Ansprüche aus § 12 BGB und wettwerbsrechtliche Ansprüche. In all diesen Fällen liegen trotz eines möglicherweise einheitlichen Klagebegehrens verschiedene Streitgegenstände vor, weil die materiell-rechtliche Regelung die zusammentreffenden Ansprüche durch eine Verselbstständigung der einzelnen Lebensvorgänge erkennbar unterschiedlich ausgestaltet.877 (3) Betriebsgeheimnisse und andere wettbewerbsrechtliche Ansprüche. Dasselbe muss 364 meines Erachtens auch dann gelten, wenn der Kläger Ansprüche wegen Verletzung eines technischen Betriebsgeheimnisses (§ 17 i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB bzw. § 4 Nr. 11) neben Ansprüchen wegen ergänzendem Leistungsschutz geltend macht.878 Beim Schutz des technischen Betriebsgeheimnisses879 geht es um die Verletzung durch die Verwertung der „Grundelemente“ des Betriebsgeheimnisses, auf die es sich reduzieren lässt.880 Entscheidend ist, ob die angegriffene Ausführungsform eine Verwertung des technischen Betriebsgeheimnisses begründet.881 Darauf ist der Antrag zu richten und diese Merkmale sind in den angegriffenen Handlungen zu identifizieren. Das ist die „Schutzbereichsbestimmung im Know-How-Schutz“.882 Damit ist diese Prüfung ähnlich der bei der Verletzung technischer Schutzrechte, nur dass die Merkmale nicht anspruchsgemäß definiert sind. Hier ist die antragsgemäße Festlegung der Merkmale die zentrale Stellschraube.883 Davon unterscheidet sich die Prüfung von Ansprüchen aus § 4 Nr. 9 nach Voraussetzungen und Rechtsfolgen grundlegend. Ansprüche nach § 4 Nr. 9 sind auf das Marktverhalten ausgerichtet. Es kann nur das Anbieten, nicht wie bei § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 17 ff. auch das Herstellen und Gebrauchen verboten werden.884 Ferner werden die die wettbewerbliche Eigenart begründenden Merkmale in der Regel ganz andere sein, weil es bei ihnen (gemäß der Ratio des Marktverhaltensrechts) darauf ankommt, ob diese geeignet sind, auf die betriebliche Herkunft oder die Besonderheiten des Originalprodukts hinzuweisen.885 Da es sich hierbei regelmäßig um sichtbare Merkmale han874 BGH 7.12.2000 – I ZR 146/98 – GRUR 2001, 755, 756 f. – Telefonkarte. 875 BGH 2.4.2009 – I ZR 78/06 – GRUR 2009, 672, 678 – OSTSEE-POST. 876 BGH 30.4.2014 – I ZR 224/12 – GRUR 2014, 785 Tz. 21 – Flugvermittlung im Internet; BGH 22.1.2014 – I ZR 164/ 12 – GRUR 2014, 393 Tz. 14 – wetteronline.de. BGH 22.1.2014 – I ZR 164/12 – GRUR 2014, 393 Tz. 14 – wetteronline.de. Ann/Loschelder/Grosch Kap. 6 Rn. 2 ff. Zum Folgenden ausführlich Ann/Loschelder/Grosch. Kap. 6 Rn. 2 bis 27. Ann/Loschelder/Grosch, Kap. 6 Rn. 26 a. E. Ann/Loschelder/Grosch Kap. 6 Rn. 26. Das wird dort im Kontext möglicher Abwandlungen anhand der Prüfung des BGH in der Entscheidung BGH 19.12.1984, GRUR 1985, 294, 296 – Füllanlage, erläutert. 882 Ann/Loschelder/Grosch, Kap. 6 Rn. 26 a. E. 883 Ann/Loschelder/Grosch, Kap. 6 Rn. 17. 884 Ann/Loschelder/Grosch Kap. 6 Rn. 32. 885 BGH 28.10.2004 – I ZR 326/01, GRUR 2005, 166, 167 – Puppenausstattung; Ann/Loschelder/Grosch Kap 6 Rn. 37 ff., 40.

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deln muss, die für die Kaufentscheidung von Bedeutung sein können,886 sind hier Überlappungen mit dem Betriebsgeheimnis strukturell ausgeschlossen. Anderes würde für § 4 Nr. 9 lit. c (unredliche Erlangung von Vorlagen) gelten, wenn man mit Blick auf diesen Tatbestand die wettbewerbliche Eigenart als Tatbestandsvoraussetzung ablehnte.887 Für die § 4 Nr. 9 lit. a (Herkunftstäuschung) und lit. b (Rufausbeutung) sind jedenfalls auch die die Unlauterkeit begründenden Merkmale materiell-rechtlich derart abweichend gestaltet, dass man aufgrund dieser Unterschiede zum Schutz des Betriebsgeheimnisses von unterschiedlichen Streitgegenständen ausgehen muss. Die grundlegend abweichende materiell-rechtliche Ausgestaltung rechtfertigt auch nach der Entscheidung „Biomineralwasser“ einen eigenständigen Streitgegenstand (dazu oben Rn. 285 ff.).888

365 (4) Kritik der Literatur. Diese Auffassung ist (aber noch vor BGH „Biomineralwasser“) kritisiert worden. Sie überzeuge jedenfalls für die Fälle des Angriffs auf die konkrete Verletzungsform nicht.889 Bei einem einheitlichen Klagebegehren sei auch bei Begründung mit unterschiedlichen Schutzrechten ein einheitlicher Streitgegenstand gegeben. Mithin sei in diesen Fällen eine alternative Klagebegründung möglich; es gelte der Grundsatz „iura novit curia“. Ferner seien alle zur Begründung desselben Klageantrages geeigneten Schutzrechte durch die rechtskräftige Entscheidung „verbraucht“, was „im Interesse künftigen Rechtsfriedens“ liege. Für eine Klagekonzentration spreche ferner § 145 PatG, der bei verschiedenen technischen Schutzrechten, selbst bei gleichartigen Verletzungshandlungen, eine Klagekonzentration vorschreibt, was dann erst recht bei identischen Handlungen gelten müsse.890 Für Teplitzky konnte diese Linie der h. L. nach der von ihm noch betreuten 10. Auflage seines Handbuchs zumindest „hingenommen“ werden. Diese Auffassung beruht aber primär auf dem vom BGH vor „Biomineralwasser“ angenommenen, an der materiell-rechtlichen Beanstandung orientierten Streitgegenstandsbegriff. Insofern sei die Annahme von unterschiedlichen Streitgegenständen bei unterschiedlichen Schutzrechten „unvermeidbar“, weil die für den Subsumtionsschluss maßgeblichen Tatbestandsmerkmale verschiedener Schutzrechte grundsätzlich verschieden seien.891 Zweifelhaft sei dieses Ergebnis aber, wenn es sich um verschiedene Schutzrechte derselben Kategorie handle (also etwa Marken und Geschmacksmuster), weil das die „missliche“ Folge einer Vervielfältigung von Streitgegenständen habe.892

366 (5) BGH „Feuerzeugbenzinbehälter“ – Erfordernis eigenständiger Anträge. Kaum beachtet wird in diesem Kontext eine ältere Rechtsprechung des ersten Zivilsenates, die im Kontext der Zulässigkeit eines Teilurteils nach § 301 ZPO unter dem Stichwort „Feuerzeugbenzinbehälter“ ergangen ist.893 In der Entscheidung hat der BGH die Zulässigkeit eines Teilurteils mit Blick auf verschiedene Schutzrechte (Patent und Gebrauchsmuster) sowie mit Blick auf ein technisches Schutzrecht und die auf ergänzenden Leistungsschutz gestützte Begründung verneint, wenn ein einheitlicher Klageantrag vorliegt, der sich zur Begründung auf die Schutzrechte bzw. auf ein Schutzrecht und wettbewerbsrechtliche Ansprüche stützt. In diesem Fall sei auch 886 BGH 7.2.2002 – I ZR 289/99 – GRUR 2002, 820, 822 – Bremszangen; Ann/Loschelder/Grosch Kap 6. Rn. 43. 887 So etwa Ohly/Sosnitza § 4 Rn. 3/33; Eickmeier/Fischer-Zernin GRUR 2008, 755, 761 f.; in diese Richtung auch Ann/Loschelder/Grosch Kap 6 Rn. 41 f. 888 Vergl. BGH 24.1.2013 – I ZR 60/11 – GRUR 2013, 397 Tz. 13 – Peek & Cloppenburg III; Musielak NJW 2000, 3593, 3595 f. Speziell für den Fall verschiedener Schutzrechte (aber vor Biomineralwasser) Büscher GRUR 2012, 16. 889 Stieper GRUR 2012, 5, 14 f. 890 McGuire, GRUR 2011, 767, 773. 891 Teplitzky, 10. Auflage, Kap. 46 Rn. 5a. 892 Teplitzky, 10. Auflage, Kap. 46 Rn. 5a. 893 BGH 20.9.1960, GRUR 1961, 79, 80 f. m. Anm. Moser v. Filseck. Grosch

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eine Abtrennung nach § 145 ZPO unzulässig, weil keine verschiedenen prozessualen Ansprüche vorliegen, sondern lediglich ein prozessualer Anspruch, der auf verschiedene Begründungen gestützt wird. Diese Rechtsprechung wird teilweise noch zustimmend zitiert, so etwa in der Kommentie- 367 rung von Rogge/Grabinski im Benkard.894 Das entspricht nach meiner Erfahrung allerdings nicht dem gegenwärtigen Stand der Praxis des Patentverletzungsprozesses, wonach auch bei einheitlichem Antrag eine kumulative Klagehäufung vorliegt, die sich dann aus den Gründen des Urteils ergibt,895 und dem Gericht nicht die Auswahl verschiedener Patente als Klagegründe für die Begründung des einheitlichen Antrages überlassen werden darf (unzulässige alternative Klagehäufung).896

(6) Gegenpositionen zur Kritik der BGH-Rechtsprechung. Dieser Kritik an der Rechtspre- 368 chung des BGH ist unter anderem Büscher entgegengetreten.897 Selbst bei Schutzrechten derselben Art, wie bei mehreren Marken, unterliegen Entstehung und Fortbestand sowie Schutzumfang der Schutzrechte einem gesonderten Schicksal. Selbst identische Markenrechte sind mit Blick auf Priorität, Verfall mangels rechtserhaltender Benutzung oder räumlichem Schutzbereich bei identischen Gemeinschafts- und nationalen Marken oder IR-Marken eigenständig zu beurteilen und können insofern ein abweichendes Schicksal haben.898 § 145 PatG spricht nach Büscher für und nicht gegen diese Auffassung, weil er gerade voraussetze, dass bei Klagen aus verschiedenen Patenten nicht derselbe Streitgegenstand vorliege. Auch diese Auffassung von Büscher erfolgt allerdings noch auf dem Boden des Streitgegenstandsbegriffs vor der durch „Biomineralwasser“ begründeten Rechtsprechungsänderung.899

(7) Bewertung post BGH-„Biomineralwasser“. Im Ergebnis überzeugt die herrschende Auf- 369 fassung. Sie wäre zwar bei konsequenter Anwendung der Linie aus „Biomineralwasser“ für die konkreten Unterlassungsbegehren in der Tat fraglich, weil sich danach der Schutzumfang dieses konkreten Verbots gerade unabhängig von der materiellen Beanstandung bestimmen würde. Das ist aber, wie schon oben ausgeführt, nicht überzeugend. Die unterschiedliche materielle Ausgestaltung des Lebenssachverhalts (also letztlich die normativen Grundlagen der „Beanstandung“) sind auch bei einem konkreten Unterlassungsantrag für die Bestimmung des Streitgegenstandes erheblich. Das überzeugt gerade für die Fälle, in denen Schutzrechte nebeneinander oder neben wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen als Anspruchsgrundlage für den konkreten Unterlassungsantrag angeführt werden: Bei einem Schutzrecht als Klagegrund unterliegt die Basis der materiellen Verpflichtung einem eigenständigen Schicksal, das durch den Bestand und die zeitlichen Grenzen des Schutzrechts bestimmt wird. Wenn der Kläger hier dem Gericht überlassen kann, auf welches Schutzrecht es das begehrte Verbot stützt, so wären die Grenzen des Verbots durch die Auswahl des Gerichts und nicht durch die des Klägers bestimmt. Fiele das Schutzrecht, auf welches das Verbot gestützt wird, nachträglich weg, so wäre das Verbot hinfällig, fiele ein anderes der geltend gemachten Schutzrecht weg, so bestünde es fort. Wollte man hier den Grundsatz „iura novit curia“ strikt anwenden, wäre es ferner so, dass das Gericht eigenständig prüfen müsste, welche Schutzrechte noch bestehen, auch wenn diese gar nicht aus894 Benkard/Grabinski/Zülch § 145 Rn. 3 („ein einheitliches Klagebegehren, das nur auf mehrere Patente als mehrere Klagegründe“ gestützt wird, bilde keine mehreren prozessualen Ansprüche im Sinne des § 322 ZPO). 895 So ausdrücklich Kühnen Hdb. Patentverletzung, Kap. D Rn. 265. 896 Kühnen Hdb. Patentverletzung, Kap. D Rn. 270. 897 Büscher GRUR 2012, 16, 25 ff.; ebenso Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 5 a. 898 Büscher GRUR 2012, 16, 25. 899 Büscher GRUR 2012, 16, 24 f. 595

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

drücklich geltend gemacht worden sind, genau wie es eine materielle Anspruchsgrundlage für einen prozessualen Anspruch bejahen könnte, auch wenn diese vom Kläger nicht ausdrücklich benannt worden ist. Das ist aber kein vertretbares Ergebnis. Der Kläger muss die Entscheidung, welches Schutzrecht er geltend machen will, in der Hand haben. Diese Entscheidung muss er dann auch treffen und sich dazu erklären, ob er die benannten Schutzrechte kumulativ oder in einem (und welchem) Hilfsverhältnis entschieden sehen will. Mit dieser Begründung gilt dieses Ergebnis mithin auch für Schutzrechte gleicher Kategorie. 370 Insbesondere kann diese Einordnung auch nicht, wie es die Entscheidung „Feuerzeugbenzinbehälter“ wohl sieht, von der formalen Stellung verschiedener Anträge abhängen. Es ist dem Kläger zwar in der Praxis zu empfehlen, gesonderte Anträge zu stellen, auch wenn diese sich (wie etwa bei parallelem Patent und Gebrauchsmuster) ihrem Wortlaut nach nicht unterscheiden mögen (das dient der Klarheit, gerade für die Fälle einer Abtrennung). Zwingend ist das aber nicht. Es wäre ein reiner Formalismus, die rechtlichen Folgerungen für den Streitgegenstand davon abhängig zu machen. Die gesonderte Antragsstellung verdeutlicht nur, dass man es auch bei einem Antrag/Tenor mit unterschiedlichen Rechtsschutzbegehren/Verboten zu tun hat. Allerdings ist die getrennte Antragstellung in vielen Fällen für den Kläger wünschenswert und vermeidet Ergebnisse wie etwa im Fall „Schweißmodulgenerator“, wo ein Antrag gestellt war und dieser neben § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 17 auch auf § 4 Nr. 9 gestützt wurde, das Berufungsgericht Letzteres jedoch nicht mehr geprüft hatte, weil es der (vom BGH für unzutreffend erkannten) Auffassung war, der Kläger hätte diese Ansprüche in der Berufungsinstanz nicht mehr geltend gemacht.900 371 Entscheidend ist also lediglich, ob nach dem Vortrag des Klägers jeder der Klagegründe für sich genommen die begehrte Rechtsfolge eigenständig begründen soll, also letztlich mehrere Verbote begehrt werden. Ist das der Fall, so liegt jeweils ein Streitgegenstand vor, auch wenn nur ein Antrag gestellt wird. Bei dieser Konstellation könnte der Kläger genauso gut gesonderte (identische) Anträge für jeden Klagegrund formulieren. Es würde am sachlichen Ergebnis nichts ändern. Anderes gilt, wenn zur Begründung des einen Klageantrages auf zwei Klagegründe in ihrer Gesamtheit Bezug genommen wird. Das ist möglich und vom Gericht zu beachten. Es handelt sich dann nicht – obwohl es begrifflich auch passen würde – um eine kumulative Klagehäufung. Bei jener sind die beiden Klagegründe selbständig und nebeneinander zu prüfen. Hier ist es hingegen so, dass die beiden Klagegründe in ihrer Verbindung den Rechtsfolgenausspruch tragen sollen. Das lässt sich am besten anhand eines Patentbeispiels zeigen: Wenn das Klagepatent die Merkmale a) bis d) hat und das Klagepatent 2 die Merkmale e) bis h) und der Antrag die Unterlassung mit Blick auf eine Ausführungsform mit den Merkmalen a) bis h) verlangt, dann liegt ein Rechtsfolgenausspruch vor, der auf zwei Schutzrechte gestützt wird. Das kann nur ein Streitgegenstand sein, weil beide Schutzrechte zur Bejahung der Rechtsfolge erforderlich sind.

IV. Anderweitige Rechtshängigkeit und Klageänderung Schrifttum Bettermann Rechtshängigkeit und Rechtsschutzform (1949); Bosch Rechtskraft und Rechtshängigkeit im Schiedsverfahren (1991); Gruber Das Verhältnis der negativen Feststellungsklage zu den anderen Klagearten im deutschen Zivilprozeß – Plädoyer für eine Neubewertung, ZZP 117 (2004), 133; Habscheid Der Streitgegenstand im Zivilprozess und im Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (1956); Haas Rechtshängigkeitssperre und Sachzusammenhang, FS Ishikawa (2001) 165; Kleinbauer Rechtshängigkeit im Zivilprozess, JA 2007, 416; Leitzen Comeback des „Torpedo“, GRUR Int. 2004, 1010; Reuß Internationale Rechtshängigkeit im Zivilprozess, Jura 2008, 1; Rüßmann Die Streitgegenstandslehre und die Rechtsprechung des EuGH – nationales Recht unter gemeineuropäischem Einfluß? ZZP 111 (1998), 399; Schwab Besprechung von J. Habscheid, Der Streitgegenstand im Zivilprozeß und im Streitverfah-

900 BGH 13.12.2007 – I ZR 71/05, GRUR 2008, 727 f. Hierzu Ann/Loschelder/Grosch Kap. 6 Rn. 59. Grosch

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drücklich geltend gemacht worden sind, genau wie es eine materielle Anspruchsgrundlage für einen prozessualen Anspruch bejahen könnte, auch wenn diese vom Kläger nicht ausdrücklich benannt worden ist. Das ist aber kein vertretbares Ergebnis. Der Kläger muss die Entscheidung, welches Schutzrecht er geltend machen will, in der Hand haben. Diese Entscheidung muss er dann auch treffen und sich dazu erklären, ob er die benannten Schutzrechte kumulativ oder in einem (und welchem) Hilfsverhältnis entschieden sehen will. Mit dieser Begründung gilt dieses Ergebnis mithin auch für Schutzrechte gleicher Kategorie. 370 Insbesondere kann diese Einordnung auch nicht, wie es die Entscheidung „Feuerzeugbenzinbehälter“ wohl sieht, von der formalen Stellung verschiedener Anträge abhängen. Es ist dem Kläger zwar in der Praxis zu empfehlen, gesonderte Anträge zu stellen, auch wenn diese sich (wie etwa bei parallelem Patent und Gebrauchsmuster) ihrem Wortlaut nach nicht unterscheiden mögen (das dient der Klarheit, gerade für die Fälle einer Abtrennung). Zwingend ist das aber nicht. Es wäre ein reiner Formalismus, die rechtlichen Folgerungen für den Streitgegenstand davon abhängig zu machen. Die gesonderte Antragsstellung verdeutlicht nur, dass man es auch bei einem Antrag/Tenor mit unterschiedlichen Rechtsschutzbegehren/Verboten zu tun hat. Allerdings ist die getrennte Antragstellung in vielen Fällen für den Kläger wünschenswert und vermeidet Ergebnisse wie etwa im Fall „Schweißmodulgenerator“, wo ein Antrag gestellt war und dieser neben § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 17 auch auf § 4 Nr. 9 gestützt wurde, das Berufungsgericht Letzteres jedoch nicht mehr geprüft hatte, weil es der (vom BGH für unzutreffend erkannten) Auffassung war, der Kläger hätte diese Ansprüche in der Berufungsinstanz nicht mehr geltend gemacht.900 371 Entscheidend ist also lediglich, ob nach dem Vortrag des Klägers jeder der Klagegründe für sich genommen die begehrte Rechtsfolge eigenständig begründen soll, also letztlich mehrere Verbote begehrt werden. Ist das der Fall, so liegt jeweils ein Streitgegenstand vor, auch wenn nur ein Antrag gestellt wird. Bei dieser Konstellation könnte der Kläger genauso gut gesonderte (identische) Anträge für jeden Klagegrund formulieren. Es würde am sachlichen Ergebnis nichts ändern. Anderes gilt, wenn zur Begründung des einen Klageantrages auf zwei Klagegründe in ihrer Gesamtheit Bezug genommen wird. Das ist möglich und vom Gericht zu beachten. Es handelt sich dann nicht – obwohl es begrifflich auch passen würde – um eine kumulative Klagehäufung. Bei jener sind die beiden Klagegründe selbständig und nebeneinander zu prüfen. Hier ist es hingegen so, dass die beiden Klagegründe in ihrer Verbindung den Rechtsfolgenausspruch tragen sollen. Das lässt sich am besten anhand eines Patentbeispiels zeigen: Wenn das Klagepatent die Merkmale a) bis d) hat und das Klagepatent 2 die Merkmale e) bis h) und der Antrag die Unterlassung mit Blick auf eine Ausführungsform mit den Merkmalen a) bis h) verlangt, dann liegt ein Rechtsfolgenausspruch vor, der auf zwei Schutzrechte gestützt wird. Das kann nur ein Streitgegenstand sein, weil beide Schutzrechte zur Bejahung der Rechtsfolge erforderlich sind.

IV. Anderweitige Rechtshängigkeit und Klageänderung Schrifttum Bettermann Rechtshängigkeit und Rechtsschutzform (1949); Bosch Rechtskraft und Rechtshängigkeit im Schiedsverfahren (1991); Gruber Das Verhältnis der negativen Feststellungsklage zu den anderen Klagearten im deutschen Zivilprozeß – Plädoyer für eine Neubewertung, ZZP 117 (2004), 133; Habscheid Der Streitgegenstand im Zivilprozess und im Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (1956); Haas Rechtshängigkeitssperre und Sachzusammenhang, FS Ishikawa (2001) 165; Kleinbauer Rechtshängigkeit im Zivilprozess, JA 2007, 416; Leitzen Comeback des „Torpedo“, GRUR Int. 2004, 1010; Reuß Internationale Rechtshängigkeit im Zivilprozess, Jura 2008, 1; Rüßmann Die Streitgegenstandslehre und die Rechtsprechung des EuGH – nationales Recht unter gemeineuropäischem Einfluß? ZZP 111 (1998), 399; Schwab Besprechung von J. Habscheid, Der Streitgegenstand im Zivilprozeß und im Streitverfah-

900 BGH 13.12.2007 – I ZR 71/05, GRUR 2008, 727 f. Hierzu Ann/Loschelder/Grosch Kap. 6 Rn. 59. Grosch

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Übersicht

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ren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, ZZP 71 (1958), 155; Teplitzky Zum Verhältnis von Feststellungs- und Leistungsklage im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes und des Wettbewerbsrechts, FS Lindacher (2007) 185; Thiele Anderweitige Rechtshängigkeit im Europäischen Zivilprozessrecht – Rechtssicherheit vor Einzelfallgerechtigkeit, RIW 2004, 285; Thode Windhunde und Torpedos – Anderweitige Rechtshängigkeit im europäischen Zivilprozess, BauR 2005, 1533; Walker Die Streitgegenstandslehre und die Rechtsprechung des EuGH – nationales Recht unter gemeineuropäischem Einfluß, ZZP 111 (1998), 429; Zeuner Zum Verhältnis zwischen internationaler Rechtshängigkeit nach Art. 21 EuGVÜ und Rechtshängigkeit nach den Regeln der ZPO, FS Lüke (1997) 1003.

Übersicht 1. 2.

3.

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Einleitung 372 373 Anderweitige Rechtshängigkeit 373 a) Allgemeines 374 b) Parteiidentität 376 c) Art. 29, 30 EuGVVO d) Besondere Problematik zur Rechtshängigkeitssperre: Zusammenspiel von Feststel378 lungs- und Leistungsklage 379 aa) Herrschende Meinung bb) Andere Ansichten in der Litera380 tur 382 cc) Stellungnahme 384 Klageänderung 384 a) Allgemeines aa) Bedeutung für den Wettbewerbspro384 zess bb) Der gesetzliche Regelungskon385 text cc) Historie, Regelungszweck und Rechts387 folgen (1) Historische Entwick388 lung (2) Folgen der Klageände390 rung (a) Keine Einleitung eines neuen Verfahrens erforder390 lich (b) Verwertbarkeit des bisherigen Prozessergebnis391 ses (3) Ratio im Kontext der Folgen und 392 der Sachdienlichkeit 393 dd) Systematische Unterteilung b) Nachträgliche objektive Klagehäu394 fung 395 aa) Objektive Klagehäufung (1) Mehrere prozessuale Ansprü395 che (2) Anfängliche und nachträgliche 396 Klagehäufung (3) Ratio des § 260 ZPO im Kontext 398 des § 145 ZPO (4) Keine selbständige Anfechtbar399 keit

c)

d)

e)

f)

bb) Nachträgliche Klagehäufung und An400 wendung des § 263 ZPO 400 (1) Meinungsstand 401 (2) Stellungnahme Streitgegenstandsänderung als Klageände402 rung 402 aa) Grundsätze bb) Keine Anwendung von BGH „Marken403 parfümverkäufe“ cc) Kumulative und alternative Klagehäu404 fung 409 § 264 ZPO aa) § 264 Nr. 1 ZPO – Gesetzliche Klarstellung, wann keine Klageänderung vor409 liegt (1) Präzisierungen oder Akzentverschiebungen zum Klage409 grund (2) Fälle der Antragsände410 rung bb) § 264 Nr. 2 ZPO – Privilegierte Klage412 änderung (1) Quantitative und qualitative Än412 derungen (2) Einschränkung abstrahierender 413 Verbotsbegehren (3) Erledigung der Hauptsa415 che Anforderungen an die zulässige Klageände416 rung 417 aa) Einwilligung, § 267 ZPO 418 bb) Sachdienlichkeit Form, Zeitpunkt und Folgen der Klageände420 rung aa) Form und Rechtsnatur der Erklä420 rung 421 bb) Zeitpunkt und Präklusion 422 cc) Berufungsinstanz 424 dd) Revisionsinstanz 425 ee) Folgen (1) Zulässige Klageände426 rung (2) Unzulässige Klageände428 rung

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g)

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Entscheidung über die Zulässigkeit der Kla430 geänderung

h)

Anfechtbarkeit

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1. Einleitung 372 Sowohl für die anderweitige Rechtshängigkeit (hierzu Rn. 373 ff.) als auch für die Klageänderung (hierzu Rn. 384 ff.) ist der Streitgegenstandsbegriff die zentrale Stellschraube. Insofern wird für den Großteil der folgenden Darstellung auf die obigen Ausführungen zum Streitgegenstand (hierzu Rn. 208–371) verwiesen. Der dritte Aspekt, welcher mit Blick auf den Streitgegenstand die zentrale Rolle spielt, ist der der Rechtskraft, welche in Rn. 576–655 gesondert behandelt wird. Den genannten Rechtsinstituten ist es gemein, dass sie alle sicher einen gewissen inhaltlichen Gleichlauf zwischen dem aktenzeichenmäßig identifizierten Verfahren (Prozess) und seinem Gegenstand (Streitgegenstand) etablieren. Die anderweitige Rechtshängigkeit stellt sicher, dass während der Dauer des Prozesses der dort zur Entscheidung gestellte Gegenstand nicht zum Gegenstand eines anderen Verfahrens gemacht wird. Die Rechtskraft stellt sicher, dass nach rechtskräftiger Beendigung des Verfahrens die rechtskräftige Entscheidung zwischen den Parteien auch für weitere Prozesse maßgeblich ist, indem kein weiteres Verfahren mit diesem Gegenstand zulässig ist (ne bis in idem, Wiederholungsverbot) und auch eine von der rechtskräftig festgestellten Rechtsfolge abweichende Entscheidung in einem Verfahren mit einem anderen Gegenstand nicht zulässig ist (Präjudizialität). Die Klageänderung sieht besondere Anforderungen vor, wenn der einmal rechtshängig gemachte Streitgegenstand vom Kläger geändert wird. Damit wird ein gewisser inhaltlicher Zusammenhang zwischen dem Streitgegenstand und dem aktenzeichenmäßigen Verfahren hergestellt, so dass der Kläger nicht willkürlich einen gänzlich anderen Gegenstand in das Gewand eines anhängigen Verfahrens kleiden kann.

2. Anderweitige Rechtshängigkeit 373 a) Allgemeines. Die in § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO geregelte anderweitige Rechtshängigkeit ist eine negative Prozessvoraussetzung, deren Fehlen also Zulässigkeitsvoraussetzung der Klage ist.901 Es handelt sich mithin nach ganz h. L. nicht um eine prozessuale Einrede, sondern um eine von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens (auch in der Revisionsinstanz) zu prüfende Zulässigkeitsvoraussetzung. Voraussetzung ist die doppelte Rechtshängigkeit, also Rechtshängigkeit beider Verfahren. Die Klage wird mit deren Erhebung, also mit Zustellung (§ 253 ZPO), rechtshängig (§ 261 Abs. 1 ZPO). Wird die Klage aber beim Verwaltungsgericht erhoben, dann tritt die Rechtshängigkeit mit der Einreichung der Klage ein (§ 90 VwGO). Auch die Geltendmachung von zivilrechtlichen Ansprüchen in einem anderem Rechtsweg begründet die Rechtshängigkeit nach dort geltenden Regeln.902 Dieser Zeitpunkt bleibt auch nach Verweisung an die Gerichte des zuständigen Rechtswegs, also die Zivilgerichtsbarkeit, erhalten, § 17b I Satz 2 GVG. Dieses Vorgehen kann für den Kläger vorteilhaft sein, wenn die Rechtshängigkeit nach anderen Vorschriften ein zeitkritischer Faktor ist.903 Für während der Dauer eines Verfahrens erhobene Ansprüche gilt § 261 Abs. 2 ZPO, die Rechtshängigkeit tritt also mit Antragsstellung in der mündlichen Verhandlung oder mit der Zustellung eines Schriftsatzsatzes gemäß 901 Stein/Jonas/Roth § 261 Rn. 22; MünchKommZPO/Becker-Eberhard § 261 Rn. 42. Der BGH verwendete teilweise den Begriff „Prozesshindernis“ (vgl. etwa BGH 3.7.1997 – IX ZB 116/96 – NJW 1998, 231; BGH 17.5.2001 – IX ZR 256/ 99 – NJW 2001, 3713), der aber hier nicht zutrifft, weil es kein echtes Prozesshindernis ist, das der Durchführung des Verfahrens entgegenstünde, vgl. MünchKommZPO/Becker-Eberhard § 261 Rn. 42; Stein/Jonas/Roth § 261 Rn. 22. 902 BeckOK ZPO/Bacher § 261 Rn. 7. 903 Hierzu mit weiteren Nachweisen Cepl/Voß/Zigann/Werner, ZPO, § 261 Rn. 4. Grosch

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IV. Anderweitige Rechtshängigkeit und Klageänderung

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§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ein (Klageerweiterung, Klageänderung, nachträgliche Klagehäufung, Widerklage). Die prozessualen Wirkungen der Rechtshängigkeit treten unabhängig davon ein, ob die Prozessvoraussetzungen gegeben sind. Die Zuständigkeit des Gerichts, die Prozessfähigkeit oder die Vertretungsmacht spielen also keine Rolle.904 Inhaltlich ist die Identität des Streitgegenstandes beider Verfahren erforderlich. Bezüglich des Streitgegenstands kann insofern grundsätzlich auf die obigen Ausführungen verwiesen werden (Rn. 208 ff.).

b) Parteiidentität. Voraussetzung ist grundsätzlich Parteiidentität, wobei es auf die Parteirol- 374 le (Kläger oder Beklagter) nicht ankommt. Erfasst werden aber nicht nur die nämlichen Parteien des Verfahrens, sondern auch diejenigen Personen, auf die sich die Rechtskraft nach §§ 325 ff. ZPO erstreckt.905 Es wird also auch die Person des Rechtsträgers erfasst, dessen Recht in (gesetzlicher oder gewillkürter) Prozessstandschaft in einem anderen Verfahren geltend gemacht wird.906 Das wahrt Konsistenz mit dem Umfang der Rechtskraft der Entscheidung. Insofern kann grundsätzlich auf die allgemeinen Kommentare zur ZPO verwiesen werden. Ergänzend anzumerken ist aber, dass nach einer Entscheidung des X. Zivilsenats des BGH 375 §§ 265 Abs. 2 Satz 1, 325 ZPO, also der Fall der gesetzlichen Prozessstandschaft bei Veräußerung des streitbefangenen Gegenstandes während der Dauer des Verfahrens, auch dann einschlägig sein sollen, wenn der Schutzrechtsinhaber während der Dauer eines Verletzungsverfahrens einem Dritten eine ausschließliche Lizenz erteilt.907 Wenn dieser ausschließliche Lizenznehmer also während der Dauer des Verletzungsverfahrens des Schutzrechtsinhabers eine Verletzungsklage aus eigenem Recht rechtshängig macht, so steht dem nach der BGH-Entscheidung „Wundverband“ der Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit nach § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO entgegen. Zwar gerät durch die Erteilung der ausschließlichen Lizenz die Aktivlegitimation des Schutzrechtsinhabers nicht in Wegfall, weil dem ausschließlichen Lizenznehmer eigene Rechte aus seiner verdinglichten Rechtsposition zustehen908 und der Schutzrechtsinhaber weiter aus seinem Recht Ansprüche herleiten kann,909 jedenfalls dann, wenn ein eigenständiger Schaden möglich ist,910 was etwa bei der Vergabe einer Umsatzlizenz der Fall ist.911 Insofern sind die Rechtspositionen von Schutzrechtsinhaber und ausschließlichem Lizenznehmer also voneinander unabhängig. Gleichwohl sei der ausschließliche Lizenznehmer für diese Zwecke Rechtsnachfolger des Schutzrechtsinhabers, weil seine Position von dem Schutzrechtsinhaber abgeleitet sei und ihm durch die Einräumung der Lizenz gegenüber Dritten keine Rechtsposition verschafft werden könne, die nicht zuvor dem Schutzrechtsinhaber zugestanden hätte.912 Das bedeutet wohl einen Bruch mit der bisher herrschenden Auffassung,913 wonach der ausschließliche Lizenznehmer nicht Rechtsnachfolger des Schutzrechtsinhabers ist, sondern eine eigenständige originäre Rechtsposition erwirbt, und § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO nur dann zur Anwendung kommt, wenn die Aktivlegitimation des Klägers durch die Übertragung in Wegfall gerät.914 Dem wird auf der Begründungslinie des BGH entgegengehalten, dass § 265 Abs. 2 904 905 906 907 908 909

Stein/Jonas/Roth § 261 Rn. 17 m. w. N. H.L., vgl. nur MünchKommZPO/Becker-Eberhard § 261 Rn. 51. MünchKommZPO/Becker-Eberhard § 261 Rn. 51. BGH 19.2.2013 – X ZR 70/12 – GRUR 2013, 1269 f. Tz. 13 – Wundverband. Hierzu BGH 20.5.2008 – X ZR 180/05 – BGHZ 176, 311 Tz. 35 = GRUR 2008, 896 – Tintenpatrone. BGH 20.5.2008 – X ZR 180/05 – BGHZ 176, 311 Tz. 24 = GRUR 2008, 896 – Tintenpatrone: „Als Inhaberin des Klagegebrauchsmusters steht der Kl. ohne Weiteres der Unterlassungsanspruch nach § 24 I GebrMG zu.“ 910 BGH 19.2.2013 – X ZR 70/12 – GRUR 2013, 1269 f. Tz. 12 – Wundverband; BGH 24.1.2012 – X ZR 94/10 – BGHZ 192, 245 Tz. 15 f. = GRUR 2012, 430 – Tintenpatrone II; BGH 5.4.2011 – X ZR 86/10 – BGHZ 189, 112 Tz. 13 = GRUR 2011, 711 – Cinch-Stecker. 911 Ausführlich dazu Kühnen FS Schilling (2007) 311 ff. 912 BGH 19.2.2013 – X ZR 70/12 – GRUR 2013, 1269 f. Tz. 13 – Wundverband. 913 Auf dieser Linie noch die Vorinstanz OLG Düsseldorf 26.4.2012 – I-2 U 18/12 – BeckRS 2013, 07800. 914 Hierzu Nieder GRUR 2013, 1195 f. m. w. N. aus Rechtsprechung und Literatur. 599

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Satz 2 ZPO auch die Vervielfältigung der Aktivlegitimation erfassen sollte.915 Problematisch an diesem Ergebnis des BGH ist, dass für den Fall der Einräumung vor Rechtshängigkeit zwei voneinander unabhängige Verfahren möglich sind, was ansonsten in den Fällen der Übertragung gerade nicht der Fall ist, weil die Aktivlegitimation durch die Übertragung wegfällt. Die Vervielfältigung der Rechtspositionen ist insofern der Erteilung der ausschließlichen Lizenz immanent. Als problematisch an der Gegenauffassung wird eine unterschiedliche Behandlung der Rechtskrafterstreckung und der Parteiidentität nach § 261 Abs. 1 ZPO gesehen.916 Der Unterschied liegt hier allerdings darin, dass bei einer rechtskräftigen Entscheidung vor Erteilung der ausschließlichen Lizenz die Ansprüche des Schutzrechtsinhabers insgesamt Gegenstand der Entscheidung waren, wohingegen bei Erteilung während des Verfahrens eine Entscheidung mit Blick auf den Patentinhaber nur noch ergeht, soweit dieser in seiner Rechtsposition trotz der Erteilung der ausschließlichen Lizenz noch betroffen ist.917

376 c) Art. 29, 30 EuGVVO. Art. 29 der EU Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung (EuGVVO, VO 44/2011) verdrängt in seinem Anwendungsbereich § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO.918 Gemäß Art. 29 Abs. 1 EuGVVO setzt das später angerufene Gericht das Verfahren aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. Letzteres ist erst mit einer rechtskräftigen Entscheidung der Fall, mit der das zuerst angerufene Gericht (oder ein im Rechtsmittelzug diesem übergeordnetes Gericht) die Zuständigkeit bejaht. Steht die Zuständigkeit dergestalt fest, so hat sich das später angerufene Gericht für unzuständig zu erklären (Art. 29 Abs. 2 EuGVVO). Unterschiede zum nationalen Recht ergeben sich hier insbesondere deshalb, weil der Begriff „desselben Anspruchs“ autonom zu interpretieren ist.919 Danach ist für die Bestimmung „desselben Anspruchs“ insbesondere die Orientierung daran maßgeblich, Parallelprozesse zu vermeiden, die zu miteinander „unvereinbaren“ Entscheidungen im Sinne des Art. 45 EuGVVO führen.920 Das führt zu einem weiten Gegenstandsbegriff, der unvereinbare Entscheidungen möglichst vermeiden soll.921 Insbesondere soll es danach nicht auf die Identität der Klageanträge ankommen, sondern darauf abzustellen sein, ob die Kernpunkte beider Verfahren identisch sind.922 Anders als nach nationalem Recht ist danach die Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage nicht nachrangig923 (dazu auch sogleich unten Rn. 378 ff.). Den Zeitpunkt der Anhängigkeit regelt Art. 32 EuGVVO nunmehr autonom, nämlich unabhängig vom Zeitpunkt der Begründung der Rechtshängigkeit nach nationalem Recht (dazu unten Rn. 382 f.). 377 Ferner kann das später angerufene Gericht den Rechtsstreit gemäß Art. 30 Abs. 1 EuGVVO aussetzen, wenn die Klage mit einer früheren Klage vor einem anderen Gericht der Gemeinschaft in Zusammenhang steht. Dieser Zusammenhang ist in Art. 30 Abs. 3 EuGVVO dahingehend legal definiert, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheinen muss, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen können. Anzumerken ist hier, dass der Begriff „widersprechend“ nicht identisch mit dem Begriff „unvereinbar“ im Sinne von Art. 45 EuGVVO zu verstehen 915 Nieder GRUR 2013, 1195, 1197. 916 Hierzu Nieder GRUR 2013, 1195, 1196 sub III; das OLG Düsseldorf hatte in der Vorinstanz für den hypothetischen Fall einer Erteilung nach Rechtskraft eine Bindung des ausschließlichen Lizenznehmers qua § 325 ZPO bejaht (obiter dictum), OLG Düsseldorf 26.4.2012 – I-2 U 18/12 – BeckRS 2013, 07800 Tz. 41. 917 OLG Düsseldorf 26.4.2012 – I-2 U 18/12 – BeckRS 2013, 07800 Tz. 41. 918 Vgl. OLG Köln 31.3.2004 – 6 U 135/03 – GRUR-RR 1995, 36 f. – Fußballwetten. 919 EuGH 6.12.1994 – Rs. C-406/92 – EuZW 1995, 309 ff. Tz. 47 – Tatry. 920 EuGH 8.12.1987, Slg. 1987, 4861 = NJW 1989, 665 Tz. 8, 13 – Gubisch Maschinenfabrik; BGH 6.2.2002 – VIII ZR 106/01 – NJW 2002, 2795 f. 921 Zöller/Geimer Anh I, Art. 29 EuGVVO Rn. 25; Kühnen Hdb. Patentverletzung, Kap E Rn. 102. 922 EuGH 8.12.1987, Slg. 1987, 4861 = NJW 1989, 665 Tz. 16 f. – Gubisch Maschinenfabrik; BGH 6.2.2002 – VIII ZR 106/01 – NJW 2002, 2796; OLG Köln 31.3.2004 – 6 U 135/03 – GRUR-RR 1995, 36 f. – Fußballwetten. 923 EuGH 6.12.1994 – Rs. C-406/92 – EuZW 1995, 309 ff. Tz. 45 – Tatry. Grosch

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IV. Anderweitige Rechtshängigkeit und Klageänderung

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ist (obwohl in der englischen Fassung für beide „irreconcilable“ verwendet wird).924 Bei Art. 30 Abs. 1 EuGVVO gehe es um die bessere Koordinierung der Rechtsprechungstätigkeit innerhalb der Gemeinschaft und um die Vermeidung von Inkohärenz und Widersprüchen zwischen Entscheidungen, auch wenn diese getrennt vollstreckt werden können.925 Insgesamt wird der „Zusammenhang“ deshalb also weit ausgelegt.926 Es handelt sich aber, anders als bei Art. 29 EuGVVO, um eine Ermessensentscheidung. Es ist deshalb erforderlich, die Interessen der Parteien umfassend gegeneinander abzuwägen. Das ermöglicht es, in den Torpedo-Sachverhalten (dazu sogleich weiter unten Rn. 383) von einer Aussetzung abzusehen.927 Erforderlich ist jedenfalls eine Identität der Lebenssachverhalte dergestalt, dass die Ergebnisse der Verfahren im jeweils anderen verwertet werden können.928 In Patentverletzungssachen wurde die Anwendbarkeit etwa dann bejaht, wenn Art. 29 EuGVVO mangels Parteiidentität nicht anwendbar war, weil im zuerst anhängig gemachten negativen Feststellungsverfahren (dort vor einem schwedischen Gericht) die Gesellschaft Kläger war und im nachfolgenden Leistungsverfahren (vor einem deutschen Gericht) der Patentinhaber/ausschließliche Lizenznehmer die Geschäftsführer verklagt hatte.929 Das gilt jedenfalls dann, wenn der Geschäftsführer nicht außerhalb seines am Erstprozess als Partei beteiligten Unternehmens am Markt tätig ist, also mit dem Titel für den Kläger des Zweiverfahrens kein eigenständiger Vorteil gegenüber der zu erwartenden Entscheidung des Erstverfahrens verbunden ist.930

d) Besondere Problematik zur Rechtshängigkeitssperre: Zusammenspiel von Feststel- 378 lungs- und Leistungsklage. Im Hinblick auf die Streitgegenstandsidentität wird – wie bereits oben ausgeführt (Rn. 221 mit weiteren Nachweisen) – teilweise vertreten, dass aufgrund der Ratio der Rechtshängigkeitssperre, nämlich der Vermeidung einer Vervielfältigung von Verfahren, die sich mit demselben Gegenstand befassen, ein breiteres Verständnis des Streitgegenstandes in Anwendung des eingliedrigen Streitgegenstandsbegriffes für die Zwecke des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO erforderlich sei (relativer Streitgegenstandsbegriff).931 Nach dieser Auffassung soll insbesondere die Rechtsschutzform aus dem Streitgegenstandsbegriff ausgegliedert werden.932 Nach herrschender Auffassung ist hingegen von einem einheitlichen Streitgegenstandsbegriff für alle Zwecke auszugehen, bei dessen Bestimmung die Ratio der verschiedenen von ihm abhängigen Rechtsinstitute insgesamt zu berücksichtigen ist.933 Diese unterschiedliche Betrachtung ist vor allem für das Zusammenspiel von Feststellungsklage und Leistungsklage relevant, dem in der Praxis des gewerblichen Rechtsschutzes besondere Bedeutung zukommt. In diesem Fall macht der Kläger eine negative Feststellungsklage in einem Forum geltend und der dortige Beklagte erhebt seine Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche dann später in einem anderen Forum.

924 925 926 927 928 929

EuGH 6.12.1994 – Rs. C-406/92 – EuZW 1995, 309 ff. Tz. 55 ff. – Tatry. EuGH 6.12.1994 – Rs. C-406/92 – EuZW 1995, 309 ff. Tz. 55 – Tatry. Kühnen Hdb. Patentverletzung, Kap E Rn. 116. Kühnen Hdb. Patentverletzung, Kap E Rn. 117 ff. Zöller/Geimer Anh I, Art. 30 EuGVVO Rn. 4 und 9 f.; Kühnen Hdb. Patentverletzung, Kap E Rn. 118 f. Vgl. LG Düsseldorf 19.4.2011 – 4a O 153/10 – BeckRS 2013, 7801 sowie LG Mannheim 26.10.2010 und 10.1.2011 – 2 O 234/09. Das betrifft den Verfahrenskomplex, der im weiteren Instanzenzug in Teilen beim BGH endete (BGH 19.2.2013 – X ZR 70/12 – GRUR 2013, 1269 f. – Wundverband). 930 Kühnen Hdb. Patentverletzung, Kap E Rn. 121. 931 Stein/Jonas/Roth Vor § 253 Rn. 60. 932 Stein/Jonas/Roth § 261 Rn. 28. 933 Vgl. BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 21 – Biomineralwasser; Büscher GRUR 2012, 16, 24; weitere Nachweise Rn. 221. 601

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

379 aa) Herrschende Meinung. Nach herrschender Auffassung steht der nachfolgenden Leistungsklage nicht die Rechtshängigkeit der vorher anhängig gemachten Feststellungsklage entgegen.934 Aufgrund der Zieldivergenz von Feststellungs- und Leistungsklage bestehe keine Streitgegenstandsidentität.935 Dies gelte aber nicht als allgemeiner Grundsatz, sondern nur für den Fall der nachfolgenden Leistungsklage, weil deren Rechtsschutzziel über das der Feststellungsklage hinausgehe, diese also mit umfasse. Für den umgekehrten Fall, nämlich den einer nachfolgenden Feststellungsklage, sei Streitgegenstandsidentität gegeben und somit die Rechtshängigkeitssperre für die nachfolgende Feststellungsklage zu bejahen.936 Der Kläger der zuerst erhobenen negativen Feststellungsklage verliert allerdings sein Feststellungsinteresse, sobald der Kläger der nachfolgenden Leistungsklage diese nicht mehr einseitig, d. h. ohne Zustimmung des Beklagten, zurücknehmen kann937 (wenn also gemäß § 269 Abs. 1 ZPO bereits zur Hauptsache mündlich verhandelt wurde); es gilt also praktisch der Vorrang der Leistungsklage.938 Ausnahmen gelten dann, wenn das negative Feststellungsverfahren bereits entscheidungsreif ist oder im Wesentlichen zur Entscheidungsreife fortgeschritten ist und zu diesem Zeitpunkt die Entscheidungsreife im Verfahren der Leistungsklage noch nicht eingetreten ist.939 Das Feststellungsinteresse kann aber jedenfalls dann nicht mehr bestehen, wenn eine Entscheidung über die Leistungsklage bereits ergangen ist, nicht aber über die Feststellungsklage.940 Prozessuale Folge ist, dass der Feststellungskläger den Rechtsstreit wegen nachträglichen Wegfalls des Feststellungsinteresses für erledigt erklären muss, um der Abweisung der Klage als unzulässig zu entgehen.941

380 bb) Andere Ansichten in der Literatur. Dieser Auffassung ist entgegengehalten worden, dass sie einseitig die Interessen des Leistungsklägers im Blick habe und insbesondere dazu führe, dass das bisherige Prozessergebnis des Feststellungsverfahrens nicht verwertbar sei.942 Teilweise ist deshalb vertreten worden, dass der nachfolgende Leistungsprozess gemäß § 148 ZPO bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Feststellungsverfahrens auszusetzen sei 934 Vgl. BGH 28.11.1961 – I ZR 127/60 – GRUR 1962, 360, 361 m. Anm. v. Falck – Trockenrasierer; BGH 21.12.2005 – X ZR 17/03 – GRUR 2006, 217 Tz. 12 – Detektionseinrichtung I; Teplitzky/Schwippert Kap. 52 Rn. 20 f. m. w. N.

935 BGH 10.10.1952 – V ZR 159/51 – NJW 1952, 1375; BGH 7.7.1994 – I ZR 162/92 (KG) – GRUR 1994, 823, 824 unter II, 1 – Preisrätselgewinnauslobung II m. w. N.; h. L., vgl. Wieczorek/Schütze/Assmann § 256 Rn. 251; Teplitzky FS Lindacher (2007) 185, 189 f.; so auch für die Rechtskraft BGH 17.2.1983 – III ZR 184/81 – NJW 1983, 2032 sub III 1. 936 BGH 20.1.1989 – V ZR 173/87 – NJW 1989, 2064, 2065; BGH 11.12.1986 – IX ZR 165/85 – NJW-RR 1987, 683; BGH 7.7.1994 – I ZR 162/92 – GRUR 1994, 823, 824 unter II, 1 – Preisrätselgewinnauslobung II; BGH 7.7.1994 – I ZR 30/ 92 – GRUR 1994, 846, 848 – Parallelverfahren II; Habscheid 261, 270 ff.; Schwab ZZP 71 (1958), 155, 170; Teplitzky FS Lindacher (2007) 185, 189 m. w. N. in Fn. 22. 937 BGH 21.12.2005 – X ZR 17/03 – GRUR 2006, 217 f. Tz. 12 – Detektionseinrichtung I; BGH 4.4.1984 – VIII ZR 129/ 83 – BGHZ 91, 37, 41 = NJW 1984, 1754; BGH 22.1.1987 – I ZR 230/85 – BGHZ 99, 340. 341 f. = GRUR 1987, 402 = NJW 1987, 2680 – Parallelverfahren I; BGH 20.6.1984 – I ZR 61/82 – GRUR 1985, 41, 44 – REHAB; BGH 13.5.1987 – I ZR 75/85 – GRUR 1987, 938 = NJW-RR 1987, 1522 – Videorechte; BGH 21.12.1989 – IX ZR 234/88 – NJW-RR 1990, 1532 = WM 1990, 695; BGH 7.7.1994 – I ZR 30/92 – GRUR 1994, 846, 847 = NJW 1994, 3107 – Parallelverfahren II; h. L., vgl. die Nachw. bei Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.20. 938 BGH 21.12.2005 – X ZR 17/03 – GRUR 2006, 217 f. Tz. 12 – Detektionseinrichtung I; BGH 22.1.1987, BGHZ 99, 340, 342 f. = GRUR 1987, 402 = NJW 1987, 2680 – Parallelverfahren I; Haedicke/Timmann/Zigann Handbuch § 11 Rn. 373. 939 BGH 21.12.2005 – X ZR 17/03 – GRUR 2006, 217 f. Tz. 12 – Detektionseinrichtung I; BGH 22.1.1987 – I ZR 230/ 85 – BGHZ 99, 340 = GRUR 1987, 402 = NJW 1987, 2680 – Parallelverfahren I; BGH 11.12.1996 – VIII ZR 154/95 – BGHZ 134, 201, 209 = NJW 1997, 870; BGH 21.6.1955 – I ZR 74/54 – BGHZ 18, 22, 41 f. = NJW 1955, 1437 m. w. N.; BGH 21.12.1989 – IX ZR 234/88 – NJW-RR 1990, 1532 = WM 1990, 695; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.20; Teplitzky/Schwippert Kap. 52 Rn. 20a. 940 BGH 21.12.2005 – X ZR 17/03 – GRUR 2006, 217 f. Tz 12 – Detektionseinrichtung I. 941 GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 91; zur Erledigungserklärung im Wettbewerbsprozess siehe die Kommentierung unten Rn. 656 ff., bes. Rn. 679. 942 Stellvertretend für viele Stein/Jonas/Roth § 256 Rn. 97; Gruber ZZP 117 (2004) 133, 142. Grosch

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IV. Anderweitige Rechtshängigkeit und Klageänderung

Vor §§ 12–15a A

und dann bei dessen Fortführung qua materieller Rechtskraft das Ergebnis des Feststellungsverfahrens auch die Erkenntnis im Leistungsverfahren präjudiziere.943 Nach der Auffassung Roths soll auch hier Streitgegenstandsidentität anzunehmen sein, 381 so dass die nachfolgende Leistungsklage unzulässig sei.944 Dabei wird aber eine weitere Differenzierung vorgenommen. Unzulässig sei nur die Leistungsklage „vor einem anderen Gericht“.945 Bei einer Leistungsklage vor demselben Gericht könne man die Verfahren nach § 147 ZPO verbinden.946 Hingegen sei die Leistungswiderklage (§ 33 ZPO) stets zulässig, trotz des identischen Streitgegenstandes.947 Deshalb schreibt Roth in der Kommentierung zu § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO, dass seine Auffassung dazu zwinge, die nachfolgende Leistungsklage „im Forum der negativen Feststellungsklage zu erheben“.948 Diese „Konzentrationslast des Beklagten des Erstprozesses“ wird primär mit Gründen der Prozessökonomie gerechtfertigt.949

cc) Stellungnahme. Die Auffassung Roths ist nicht überzeugend (vgl. auch oben Rn. 223). Die 382 Rechtshängigkeitssperre ist zunächst nicht davon abhängig, ob die zweite Klage in demselben Gericht oder einem anderen geltend gemacht wird.950 Wenn es im Gesetzestext heißt „anderweitig geltend gemacht werden“, dann meint das nicht an anderen Orten, was sprachlich auch möglich ist, sondern in sonstiger Art oder Form. Es geht bei § 261 ZPO darum, zu verhindern, dass derselbe prozessuale Anspruch noch einmal geltend gemacht wird. Dabei steht nicht abstrakt die Vermeidung der Doppelbeschäftigung der Gerichte und die Schonung judizieller Ressourcen per se im Vordergrund. Es wird vielmehr durch die gesetzliche Regelung in § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO die Zufälligkeit des Zeitpunkts des zuerst erfolgenden Eintritts der Rechtskraft für die Maßgeblichkeit des Urteilsspruchs einer der beiden Verfahren aus der Gleichung eliminiert. Abgestellt wird stattdessen auf den definitiven und von den Parteien (im Wesentlichen) steuerbaren Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit. Es gibt kein arbiträres und nicht kontrollierbares „Rennen“ um den zuerst erfolgenden rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens und zudem werden auf diesem Weg auch Ressourcen gespart. Insofern ist die Ratio der Rechtshängigkeitssperre streng auf die Rechtskraft als Verfahrensziel bezogen. Mithin wäre auch eine abweichende Behandlung des Streitgegenstandsbegriffes für diese beiden Kategorien systemwidrig. Der h. L. ist auch hinsichtlich der Behandlung der später erhobenen Leistungsklage zuzu- 383 stimmen. Wenn der negativen Feststellungsklage bei früherer Einreichung Priorität eingeräumt würde, wie das etwa im Rahmen der Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung (EuGVVO, VO 44/2011) – und dort auch schon mit Folgen wie der berüchtigten „Torpedo“-Problematik951 – getan wird (Art. 29 EuGVVO),952 dann käme es regelmäßig zu einem „Belauern“ der Parteien in der vorgerichtlichen Phase, weil beide verhindern wollen, dass der zuerst aktiv werdende Kläger das Forum abschließend bestimmen kann. Das hatte im Anwendungsbereich der EuGVVÜ (vor der EuGVVO) schon dazu geführt, dass Zivilklagen vor dem Verwaltungsgericht erhoben wurden, um sich den früheren Rechtshängigkeitszeitpunkt (§ 90 943 944 945 946 947 948

OLG Stuttgart 24.1.1992, WRP 1992, 513, 516; Walker ZZP 111 (1998), 429, 440 f. Stein/Jonas/Roth § 261 Rn. 29 a. E. Stein/Jonas/Roth § 256 Rn. 95 f. Stein/Jonas/Roth § 256 Rn. 95 f. Stein/Jonas/Roth § 256 Rn. 95 f. Stein/Jonas/Roth § 261 Rn. 32 mit Fn. 129; Zeuner in FS Lüke (1997) 1003, 1013 ff.; Haas in FS Ishikawa (2001) 165, 177 f. 949 Stein/Jonas/Roth Vor § 253 Rn. 54. 950 Vgl. etwa MünchKommZPO/Becker-Eberhard § 261 Rn. 42. 951 Vgl. dazu ausführlich Kühnen Hdb. Patentverletzung, Kap C Rn. 195 ff.; Teplitzky/Schaub Kap. 45 Rn. 21c m. w. N.; Leitzen GRUR Int. 2004, 1010 ff.; Thode BauR 2005, 1533 ff. 952 Die Feststellungsklage ist hier also nicht nachrangig, sondern betrifft denselben Gegenstand wie die Leistungsklage, vgl. EuGH 6.12.1994 – Rs. C-406/92 – EuZW 1995, 309 ff. Tz. 45 – Tatry. 603

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

VwGO) auch für den Zivilprozess (nach Verweisung) zu sichern.953 Die praktischen Probleme stellen sich auch in den US-amerikanischen Verfahren, wo streng darauf geachtet werden muss, ab wann der mögliche Verletzer ein Feststellungsinteresse hat und deshalb seinerseits eine Klage (declaratory judgment action) vor einem Bundesgericht mit Sitz in einem ihm möglicherweise geneigteren Staat der Union (oder auch eines entsprechenden Districts in demselben) anhängig machen könnte, wodurch wiederum der Leistungskläger blockiert wäre. Das sind alles sachfremde Erwägungen, die die Entscheidung dieser Fragen nicht kontrollieren sollten. Der Leistungskläger sollte immer Vorrang haben. Die negative Feststellungsklage ist letztlich nur das Mittel, um dem Feststellungskläger die Einleitung eines Verfahrens und eine Klärung einer ungewissen Rechtslage überhaupt zu ermöglichen, wenn der potentielle Leistungskläger sich nicht rührt. Diesem Zweck wird man auch gerecht, wenn die Feststellungsklage für erledigt erklärt werden muss, sobald die Leistungsklage nicht mehr einseitig zurückgenommen werden kann. Dann muss auf jeden Fall entschieden werden und der Leistungsbeklagte ist hierfür nicht mehr vom Willen des Leistungsklägers abhängig. Die negative Feststellungsklage hat insofern ihren Zweck erfüllt. Die herrschende Auffassung überzeugt mithin.

3. Klageänderung a) Allgemeines 384 aa) Bedeutung für den Wettbewerbsprozess. Fragen der Klageänderung und ihrer Abgrenzung sind im Wettbewerbsprozess häufig von praktischer Relevanz, weil sowohl der Unterlassungsantrag als auch der zugrunde gelegte Sachverhalt und die rechtliche Begründung für den geltend gemachten prozessualen Anspruch Änderungen während der Dauer des Verfahrens unterworfen sind, die zur bestimmteren Fassung des Klageantrages (Rn. 67 ff. und 115 ff.) sowie zur vollständigen Ausschöpfung des materiellen Unterlassungsanspruchs oder zur klareren Konkretisierung des Rechtsschutzbegehrens (hierzu Rn. 93 ff. und 208 ff.) erforderlich sind.954 Die Zulässigkeit und Grenzen der Klageänderung richten sich dabei nach den allgemeinen zivilprozessualen Maßstäben.955

385 bb) Der gesetzliche Regelungskontext. Die Klageänderung ist Gegenstand des § 263 ZPO. Danach ist nach Eintritt der Rechtshängigkeit die Klageänderung nur zulässig, wenn der Beklagte einwilligt oder die Klageänderung sachdienlich ist. Anders als bei der Klagerücknahme ist die Einwilligung also nicht erst nach mündlicher Verhandlung zur Hauptsache erforderlich.956 § 263 ZPO ist im Zusammenhang mit § 264 ZPO zu lesen, der die Grenzen der Klageänderung klarstellt (§ 264 Nr. 1 ZPO) und bestimmte Klageänderungen von den Voraussetzungen des § 263 ZPO befreit (§ 264 Nr. 1 und 2 ZPO); dazu unten Rn. 409 ff. Die Regelungen der Klageänderung werden ergänzt durch die Spezifizierung der Einwilligung (§ 267 ZPO), hierzu unter Rn. 416 ff., und die Privilegierung der änderungsfreundlichen Entscheidung mit Blick auf deren Anfechtung (§ 268 ZPO), hierzu Rn. 420 ff. Für die Klageänderung hat bei Beschränkungen des Rechtsschutzbegehrens ferner noch § 269 ZPO Bedeutung, auch hierzu Rn. 409 ff., bes. Rn. 414. 953 Hierzu Kühnen Hdb. Patentverletzung, Kap C Rn. 196 mit Fn. 446; BVerwG 5.2.2001 – 6 B 8/01 – NJW 2001, 1513 = MittdtPatA 2001, 136. Heute ist das gelöst durch Art. 30 EuGVVO, nach dem es einheitlich immer auf die Einreichung ankommt, unabhängig davon, wie die nationalen Prozessordnungen die Rechtshängigkeit gestalten (dazu Kühnen a. a. O.). 954 Vgl. etwa Ahrens/Jestaedt Kap. 23 Rn. 1; Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 11. 955 Allgemeine Meinung, vgl. etwa Ahrens/Jestaedt Kap. 23 Rn. 1. 956 BGH 22.4.1960 – V ZR 42/59 – NJW 1960, 1950. Grosch

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IV. Anderweitige Rechtshängigkeit und Klageänderung

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Für die Berufungsinstanz gilt § 533 ZPO, der die Regelung des § 263 ZPO dahin ergänzt, dass 386 die Klageänderung nur auf solche Tatsachen gestützt werden kann, die das Berufungsgericht überhaupt nach § 529 ZPO zu berücksichtigen hat (hierzu Rn. 422). Für die Revisionsinstanz ist § 559 ZPO zu beachten (hierzu Rn. 424).

cc) Historie, Regelungszweck und Rechtsfolgen. Die Ratio der Klageänderung (hierzu (3)) 387 kann man nur vor dem Hintergrund der Folgen einer zulässigen Klageänderung (hierzu (2)) beurteilen; ferner ist die geschichtliche Entwicklung für diese Fragen erhellend (hierzu (1)).

(1) Historische Entwicklung. In der ursprünglichen Fassung der CPO von 1877 war ein unein- 388 geschränktes Verbot der Klageänderung ohne Einwilligung des Beklagten vorgesehen. Durch die grundlegende Novelle des Jahres 1898 konnte erstmals das Gericht die Klageänderung auch ohne Einwilligung zulassen, wenn dadurch die Verteidigung des Beklagten nicht wesentlich erschwert wurde. Die Sachdienlichkeit als die Einwilligung ersetzende Zulässigkeitsalternative wurde durch die Novelle des Jahres 1924 eingeführt. Für die Berufungsinstanz entsprach die Regelung seit 1950 der Regelung für die erste Instanz. Das wurde im Zuge der Änderung des Berufungsrechts durch das ZPO-RG des Jahres 2002 (und der damit verbundenen Beschränkung der Funktion als voller zweiter Tatsacheninstanz hin zu einer Fehlerkorrektur) durch § 533 und den Verweis auf § 529 ZPO systematisch stimmig beschränkt.957 Insgesamt wurden die Anforderungen an eine zulässige Klageänderung also immer gerin- 389 ger. Im diesem Sinne wurde auch Handhabung und Auslegung der Vorschriften zugunsten der Zulässigkeit der Klageänderung großzügiger.958 Dabei ist auch zu beachten, dass die schon in der ursprünglichen CPO von 1877 enthaltene Vorschrift des § 268 ZPO (dort § 242 CPO, neugefasst durch die Novelle von 1898) durch die Änderungen dieser Vorschriften ebenfalls einen neuen Sinngehalt erfahren hat, weil trotz der Möglichkeit der Zulässigkeit der Klageänderung auch ohne Einwilligung des Beklagten eine Anfechtung der änderungsfreundlichen Entscheidung nicht stattfindet. (2) Folgen der Klageänderung (a) Keine Einleitung eines neuen Verfahrens erforderlich. Die grundsätzlichste Folge einer 390 zulässigen Klageänderung besteht darin, dass der Kläger für den geänderten Gegenstand kein neues, eigenständiges Verfahren rechtshängig machen muss. Ohne die Möglichkeit der Klageänderung müsste der Kläger das nämlich tun. Das mag selbstverständlich klingen und wird gemeinhin nicht als besonderer Vorteil erwähnt. Es gibt allerdings verschiedene Konstellationen, in denen schon das Ingangbringen des Verfahrens, insbesondere die Erwirkung der Zustellung im Ausland mit großem Aufwand verbunden und mit Unwägbarkeiten behaftet ist. Insofern ist jede Klageänderung in einem anhängigen Verfahren für den Kläger ein klarer Effizienzgewinn. Die Zustellung kann (und muss) direkt an die Prozessbevollmächtigten des Beklagten erfolgen und kann von den Anwälten des Klägers auch direkt im Wege der Zustellung von Anwalt zu Anwalt vorgenommen werden.959

(b) Verwertbarkeit des bisherigen Prozessergebnisses. Der zweite Aspekt ist die Ver- 391 wertbarkeit des bisherigen Prozessergebnisses. Bei zulässiger Klageänderung bleibt das gesamte bisherige Prozessergebnis verwertbar, also Beweiserhebungen, prozessuale Erklärun957 Zur historischen Entwicklung auch ausführlich Stein/Jonas/H. Roth § 263 Rn. 19. 958 Stein/Jonas/H. Roth § 263 Rn. 1 mit Nachweisen aus der reichsgerichtlichen Judikatur. 959 St. Rspr., vgl. nur BGH 27.2.1992 – I ZR 35/90 – NJW 1992, 2235 f. 605

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

gen (Geständnisse) oder Zwischenentscheidungen bleiben erhalten. Das dient auch dem Schutz des Beklagten, weil der Kläger durch eine Klageänderung nicht das bisherige Prozessergebnis obsolet machen kann.960 Das ist nur sinnvoll, wenn überhaupt ein Sachzusammenhang besteht, als Voraussetzung dafür, die Verwertbarkeit nutzen zu können. Deshalb kann es ein Aspekt gegen die Zulässigkeit der Klageänderung sein, wenn eine Verwertbarkeit überhaupt nicht in Betracht kommt (dazu unten Rn. 418). Prozesshandlungen, die gerade mit Blick auf den ursprünglichen Streitgegenstand erfolgten, insbesondere etwa ein Anerkenntnis (§ 307 ZPO) oder ein Verzicht (§ 306 ZPO), können jedoch regelmäßig keinen Bestand haben.961

392 (3) Ratio im Kontext der Folgen und der Sachdienlichkeit. Grundsätzlich bestimmt der Kläger den Streitgegenstand. Dem werden allerdings zum Schutz des Beklagten Grenzen gesetzt, wenn der Kläger den Streitgegenstand bereits rechtshängig gemacht hat, wenn die Klage dem Beklagten also zugestellt wurde. Dann hat der Beklagte grundsätzlich einen Anspruch auf die Entscheidung über den gegen ihn vorgebrachten prozessualen Anspruch und er soll sich nicht gegen einen erst im Laufe des Verfahrens geänderten Streitgegenstand ohne weiteres verteidigen müssen.962 Wenn der Beklagte sich also auf den so zur Entscheidung gestellten Gegenstand einmal einlassen muss, dann kann der Kläger diesen im Laufe des Verfahrens nicht mehr beliebig, also willkürlich ändern. Es ist die Einwilligung des Beklagten erforderlich oder das Gericht muss die Klageänderung als sachdienlich befinden. Insofern wird vermieden, dass der Kläger den Streitgegenstand im Extremfall schlicht austauscht. Der Kläger verdient eine Privilegierung dann, wenn die Änderung aus prozessökonomischen Gründen geboten erscheint, um den Streitstoff zwischen den Parteien auszuräumen und damit weiteren Verfahren vorzubeugen.963 Das wird äußerst großzügig gehandhabt (dazu unten Rn. 418 a. E.). Der Prozesswirtschaftlichkeit wird Vorrang eingeräumt vor den Interessen des Beklagten (hierzu ausführlich unten Rn. 418 f.). Hier liegt auch ein wesentlicher Unterschied der gesetzgeberischen Konzeption der Klageänderung zu der der Klagerücknahme, bei der nach mündlicher Verhandlung stets die Einwilligung des Beklagten in die Klagerücknahme erforderlich ist (§ 269 ZPO). Insofern stellen sich hier auch grundlegende Fragen der parallelen Anwendbarkeit von § 269 ZPO neben § 263 ZPO und § 264 Nr. 2 ZPO.

393 dd) Systematische Unterteilung. Die Klageänderung wird zumeist in die objektive und die subjektive Klageänderung unterteilt. Die objektive Klageänderung964 ist die Änderung des Streitgegenstandes ohne Ansehung der Parteien, wohingegen die subjektive Klageänderung (gewillkürter Parteiwechsel oder Parteiänderung) eine Änderung mit Blick auf die Parteien des Rechtsstreits erstrebt. Vorliegend wird nur die objektive Klageänderung behandelt, welche in einer Änderung des Streitgegenstandes (hierzu Rn. 402 ff.) oder im Hinzufügen eines weiteren Streitgegenstandes (hierzu Rn. 394) liegen kann. Inwiefern und wieweit die subjektive Klageänderung den Vorschriften des § 263 ZPO unterliegt, ist streitig; jedenfalls gelten hier weitgehende Sonderregelungen, für die auf die allgemeinen zivilprozessualen Kommentare verwiesen werden kann, da sich hier keine Besonderheiten für den Wettbewerbsprozess ergeben.

960 961 962 963 964

MünchKommZPO/Becker-Eberhard § 263 Rn. 50. Zutreffend MünchKommZPO/Becker-Eberhard § 263 Rn. 51; Stein/Jonas/H. Roth § 263 Rn. 35 a. E. BGH 11.7.1996 – IX ZR 80/95 – NJW 1996, 2869 f.; MünchKommZPO/Becker-Eberhard § 263 Rn. 1. Grundlegend BGH 17.1.1951 – II ZR 16/50 – BGHZ 1, 65, 71 (juris Tz. 22). Die Begrifflichkeit wird auch in der Rechtsprechung des BGH verwendet, vgl. nur BGH 27.1.2012 – V ZR 92/11 – BeckRS 2012, 05392 Tz. 11. Grosch

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IV. Anderweitige Rechtshängigkeit und Klageänderung

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b) Nachträgliche objektive Klagehäufung. Das Verständnis und die Behandlung der nach- 394 träglichen objektiven Klagehäufung im Anwendungsbereich des § 263 ZPO (hierzu bb)) erfordert die Befassung mit den Grundsätzen der objektiven Klagehäufung nach § 260 ZPO (hierzu aa)): aa) Objektive Klagehäufung (1) Mehrere prozessuale Ansprüche. Gemäß § 260 ZPO können mehrere Ansprüche gegen 395 denselben Beklagten, auch wenn sie auf verschiedenen Gründen beruhen, in einer Klage verbunden werden, wenn für diese Ansprüche das Prozessgericht zuständig ist und dieselbe Prozessart zulässig ist. Das wird als objektive Klagehäufung, als eine Mehrheit von prozessualen Ansprüchen (§ 322 ZPO), die sich nach ihrem objektiven Gegenstand, nicht nach dem Anspruchsgegner unterscheiden, bezeichnet. Die objektive Klagehäufung ist insofern als kumulative oder eventuale Klagehäufung möglich, die Ansprüche können also nebeneinander geltend gemacht werden (kumulativ) oder in einem Hilfsverhältnis stehen (eventual). Die alternative Klagehäufung, bei der der Kläger offen lässt, auf welchen Klagegrund das Gericht den geltenden Rechtsfolgenausspruch stützt, ist, wie bereits oben ausgeführt (Rn. 141 ff.), unzulässig, weil den Bestimmtheitsanforderungen nicht genügend.

(2) Anfängliche und nachträgliche Klagehäufung. Möglich ist die anfängliche Klagehäu- 396 fung, die durch die Geltendmachung der mehreren prozessualen Ansprüche in einer Klage begründet wird, oder die für die Fragen der Klageänderung interessierende nachträgliche Klagehäufung, die durch die Zustellung eines erweiternden Schriftsatzes begründet wird (§ 261 Abs. 2 ZPO). Letzteres wird in der Praxis regelmäßig als „Klageerweiterung“ bezeichnet,965 was terminologisch nicht ganz korrekt ist, weil das Gesetz diesen Begriff in § 264 Nr. 2 ZPO gerade für einen Sachverhalt belegt hat, der nicht die Fälle der Ergänzung um einen selbständigen Streitgegenstand erfasst. Gleichwohl ist der Begriff ganz üblich. § 260 ZPO nennt ausdrücklich nur die anfängliche Klagehäufung, da von einer Verbindung in einer „Klage“ die Rede ist, erfasst also in unmittelbarer Anwendung nicht die Fälle der nachträglichen Klagehäufung. Die nachträgliche Klagehäufung ist im Anwaltsprozess auch im Wege der Zustellung von 397 Anwalt zu Anwalt möglich (§ 195 ZPO), da hier keine gesonderte Terminierung erforderlich ist (§ 195 Abs. 1 Satz 1 ZPO, keine „gerichtliche Anordnung“). Das ist in der Praxis häufig, weil die Zustellung damit schneller vonstattengeht, ist allerdings auch mit gewissen Risiken verbunden, wenn ein nachlässiger Vertreter des Beklagten das Empfangsbekenntnis – trotz seiner standesrechtlichen Verpflichtung – nicht zeitnah unterschreibt. Das schriftliche Empfangsbekenntnis ist nämlich nach einer Auffassung auch nach dem Zustellungsreformgesetz entgegen dem Wortlaut des § 195 Abs. 2 ZPO nicht nur eine Urkunde zum Nachweis der Zustellung, sondern integraler und notwendiger Bestandteil des Zustellungsvorgangs.966 Dieselbe Problematik stellt sich allerdings wohl auch für die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis durch das Gericht gemäß § 174 ZPO. Für den Streitstand kann hier auf die allgemeine zivilprozessuale Literatur verwiesen werden.967 (3) Ratio des § 260 ZPO im Kontext des § 145 ZPO. § 260 ZPO verlangt keinen rechtlichen 398 oder wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen den verschiedenen prozessualen Ansprüchen. Die Möglichkeit der gemeinsamen Geltendmachung dient gleichwohl der Prozessökonomie, 965 Vgl. etwa BGH 10.4.2003 – I ZR 291/00 – GRUR 2003, 890 = WRP 2003, 1217, 1220 – Buchclub-Kopplungsangebot.

966 Vgl. Musielak/Voit/Wittschier § 195 Rn. 5. 967 Ausführlich etwa MünchKommZPO/Häublein § 174 Rn. 8, der sich für eine reine Nachweisfunktion des Empfangsbekenntnisses ausspricht. Dagegen nach neuer Rechtslage Zöller/Schultzky § 174 Rn. 13 ff. 607

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

soll also eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung ermöglichen, wenn das praktisch sinnvoll ist. Ist das nicht der Fall, bestehen also sachliche Gründe für die getrennte Verhandlung und Entscheidung, kann das Gericht nach seinem Ermessen gemäß § 145 ZPO die verschiedenen Ansprüche abtrennen. Ein solcher sachlicher Grund ist regelmäßig dann gegeben, wenn eine schnellere Entscheidung in einem der abgetrennten Verfahren zu erwarten steht.

399 (4) Keine selbständige Anfechtbarkeit. Weder gegen den Abtrennungsbeschluss noch gegen die Verweigerung der Abtrennung ist ein Rechtsmittel gegeben. Die Prozesstrennung ist eine Maßnahme der sachlichen Prozessleitung, die nicht selbständig anfechtbar ist,968 auch dann nicht, wenn in prozessrechtswidriger Weise kein rechtliches Gehör gewährt wurde.969 Besonderer Gegenvorstellungen bedarf es schon aus praktischen Gründen nicht, weil das Gericht eine Verfahrenstrennung jederzeit gemäß § 150 ZPO wieder aufheben kann. Überprüfbar ist die Abtrennung mit dem Rechtsmittel gegen das Urteil, auch im Revisionsverfahren bei Abtrennung in der Berufungsinstanz.970 Das spielt allerdings in der Praxis keine wesentliche Rolle. Das Rechtsmittelgericht kann die Verfahren letztlich auch nur wiederverbinden, wenn alle Verfahren beim Rechtsmittelgericht anhängig sind, oder ein Urteil aufheben und zum Zweck der Verbindung zurückverweisen.971

bb) Nachträgliche Klagehäufung und Anwendung des § 263 ZPO 400 (1) Meinungsstand. Die herrschende Auffassung und die ständige Rechtsprechung des BGH unterstellen die nachträgliche objektive Klagehäufung den Vorschriften über die Klageänderung, wobei teilweise von einer entsprechenden Anwendung gesprochen wird,972 teilweise nicht klar differenziert wird („wie eine Klageänderung zu behandeln“),973 im Ergebnis aber doch Einigkeit besteht.974

401 (2) Stellungnahme. Grundsätzlich ist die Frage praktisch nicht von wesentlicher Bedeutung, weil jedenfalls die erste Instanz das Verfahren bei fehlendem Zusammenhang unmittelbar abtrennen kann, § 145 ZPO. Das ist allerdings in der Berufungsinstanz nicht mehr so unproblematisch, weil damit eine Instanz verloren ginge, würde der abgetrennte Gegenstand nicht zurückverwiesen. Insofern wäre es bedenklich, für die nachträgliche Klagehäufung keine Anforderungen an die Zulässigkeit zu stellen. Richtigerweise sollte man mithin die Vorschriften über die Klageänderung anwenden, aber jedenfalls bei möglicher Abtrennung besonders großzügig handhaben.

968 OLG München 15.6.1984 – 25 W 1873/84 – NJW 1984, 2227; MünchKommZPO/Fritsche § 145 Rn. 10; Zöller/Greger § 145 Rn. 6a.

969 OLG Stuttgart 23.3.2011 – 3 W 12/11 – Die Justiz 2011, 289. 970 BGH 6.7.1995 – I ZR 20/93 – NJW 1995, 3120 f. 971 Im entschiedenen Fall, BGH 6.7.1995 – I ZR 20/93 – NJW 1995, 3120 f., war die nach altem Recht einschlägige Revisionssumme von 60.000 DM für die Einzelverfahren nicht mehr erreicht. Das wertete der BGH als einschneidende Folge, die durch keine verfahrensökonomischen Vorteile des entschiedenen Falles gerechtfertigt war. Deshalb wurde die Revisionssumme als erreicht angesehen und vom BGH nach Verbindung der Verfahren eine Sachprüfung vorgenommen, die zur Zurückverweisung wegen fehlender Tatsachenfeststellungen führte. 972 Zöller/Greger § 263 Rn. 2. 973 BGH 27.9.2006 – VIII ZR 19/04 – NJW 2007, 2414 Tz. 8. 974 Vgl. nur BGH 27.9.2006 – VIII ZR 19/04 – NJW 2007, 2414 Tz. 8; BGH 19.3.2004 – V ZR 104/03 – BGHZ 158, 295, 305 = NJW 2004, 2152; BGH 15.6.2005 – VIII ZR 74/04 – NVwZ-RR 2006, 109 (unter II 5, juris Tz. 34); BGH 10.1.1985, NJW 1985, 1841 (unter 4). Grosch

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IV. Anderweitige Rechtshängigkeit und Klageänderung

Vor §§ 12–15a A

c) Streitgegenstandsänderung als Klageänderung aa) Grundsätze. Eine Klageänderung liegt bei einer Änderung des Streitgegenstandes vor.975 402 Insofern kann auf die obigen Ausführungen zum Streitgegenstand verwiesen werden (Rn. 208 ff.). Eine Klageänderung kann also nach dem zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff sowohl in einer Änderung des Antrages also auch in einer Änderung des Lebenssachverhalts liegen. Entscheidend ist, ob sich durch solche Änderungen das klägerische Rechtsschutzbegehren ändert, ob also eine Verbotsnorm (Unterlassungstitel) mit anderem Inhalt/Umfang begehrt wird. Insofern kann auf die obigen Ausführungen zum Streitgegenstand verwiesen werden.

bb) Keine Anwendung von BGH „Markenparfümverkäufe“. Die Einführung einer weiteren 403 Verletzungshandlung in das Erkenntnisverfahren begründet also per se noch keine Klageänderung, wie es der BGH in der Entscheidung „Markenparfümverkäufe“976 noch angenommen hatte (zur Linie aus „Markenparfümverkäufe“ oben Rn. 211). Die bloße Unterscheidung nach Zeit und Ort kann hierfür nicht genügen, weil ansonsten dem Unterlassungsurteil oder der Klageabweisung überhaupt keine Rechtskraft zukäme und man die Vollstreckungswirkung des Unterlassungsurteils von seiner Rechtskraftwirkung trennen müsste, was mit der herrschenden Auffassung abzulehnen ist. Entscheidend ist, ob mit der Einführung weiterer Handlungen auch eine abweichende Verbotsnorm, also ein Unterlassungstitel mit einem anderen Inhalt begehrt wird.

cc) Kumulative und alternative Klagehäufung. Den Übergang von der alternativen zur kumu- 404 lativen Klagehäufung sieht die Rechtsprechung des BGH als Klageänderung an.977 Hingegen ist der Übergang von der alternativen zur eventualen Klagehäufung nicht als Klageänderung zu werten. Der Kläger kann also auch erstmalig in der Revisionsinstanz eine bestimmte Prüfungsreihenfolge angeben.978 Einschränkungen des Wahlrechts können sich aber aus Treu und Glauben ergeben, wenn der Kläger sich in der Revisionsinstanz primär auf einen Streitgegenstand stützt, den das Berufungsgericht nicht geprüft hat.979 Ändert hingegen der Kläger bei der eventualen Klageänderung die Reihenfolge, macht er einen Hilfsantrag zum Hauptantrag, so stellt das eine Klageänderung dar.980 405–408 Nicht vergeben d) § 264 ZPO aa) § 264 Nr. 1 ZPO – Gesetzliche Klarstellung, wann keine Klageänderung vorliegt (1) Präzisierungen oder Akzentverschiebungen zum Klagegrund. Nach den vorstehenden 409 Grundsätzen ergibt sich auch die Abgrenzung zur Ergänzung oder Berichtigung der tatsächlichen oder rechtlichen Ausführungen im Sinne von § 264 Nr. 1 ZPO.981 Hierbei handelt es sich 975 Ganz h. L., vgl. nur Stein/Jonas/Roth § 263 Rn. 4 ff. 976 BGH 23.2.2006 – I ZR 272/02 – BGHZ 166, 253 = GRUR 2006, 421 – Markenparfümverkäufe. 977 BGH 6.12.2006 – XII ZR 97/04 – BGHZ 170, 152 Tz. 30 = NJW 2007, 909; BGH 17.8.2011 – I ZR 108/09 – GRUR 2011, 1043 Tz. 32 – TÜV II. 978 BGH 3.12.1953 – III ZR 66/52 – BGHZ 11, 192, 195 = NJW 1954, 757; BGH 21.12.1959 – III ZR 137/58 – ZZP 78 (1960), 463, 465; BGH 24.3.2011 – I ZR 108/09 – GRUR 2011, 521 Tz. 13 – TÜV I. 979 Vgl. Büscher GRUR 2012, 16, 21. 980 BGH 18.9.1958 – II ZR 332/56 – BGHZ 28, 131, 136 f. = NJW 1958, 1867; BGH 6.12.2006 – XII ZR 190/06 – BGHZ 170, 176 Tz. 15 = NJW 2007, 913. 981 Vgl. nur BGH 11.10.2006 – KZR 45/05 – GRUR 2007, 172 – Lesezirkel II; BGH 3.4.2003 – I ZR 1/01 – BGHZ 154, 342, 348 f. = GRUR 2003, 716 – Reinigungsarbeiten; BGH 19.9.1996 – I ZR 76/95 – GRUR 1997, 141 – Kompetenter Fachhändler. 609

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

lediglich um eine gesetzliche Klarstellung, dass in den dort genannten Änderungen keine Klageänderungen zu sehen sind.982 Für eine Änderung des Streitgegenstandes ist bei neuem Tatsachenvortrag erforderlich, dass der Kern des in der Klage angeführten Lebenssachverhalts verändert wird; es muss sich um eine wesentliche Abweichung handeln. Bloße Akzentverschiebungen der rechtlichen Bewertung genügen nicht, Änderungen des Tatsachenvortrages im Detail gleichfalls nicht. Für die Aufhebung des Klagegrundes ist es erforderlich, dass neuer Sachvortrag zu einer anderen rechtlichen Bewertung führt (dazu oben Rn. 347).

410 (2) Fälle der Antragsänderung. Unter § 264 ZPO hat der BGH (X. Zivilsenat) auch den Fall gefasst – ohne allerdings eine genaue Zuordnung zum Fall Nr. 1 vorzunehmen983 –, dass aus dem Klagevorbringen erkennbar war, dass der Kläger auch den Fall der mittelbaren Patentverletzung erfasst sehen wollte, aber der Antrag nicht zutreffend gefasst war und nunmehr auf Hinweis des Gerichts geändert wurde.984 Ferner hat der BGH (I. Zivilsenat) die Fälle, in denen der Kläger Bestimmtheitsmängel durch eine neue Antragsfassung beseitigt, als Fall des § 264 Nr. 1 ZPO eingeordnet.985 Gleiches wird angenommen bei Konkretisierung des Antrages zur Anpassung an die konkrete Verletzungsform,986 wenn dieser Antrag in einem (materiell-rechtlich) zu weitgehenden Hauptantrag bereits als Minus erfasst war; dann kann das auch noch in der Revisionsinstanz geschehen987 und ein entsprechender „Hilfsantrag“ führt keinen neuen Streitgegenstand ein (dazu bereits oben Rn. 68 f. sowie Rn. 119). 411 Dem ist insofern zuzustimmen, als bei fehlender Änderung des Streitgegenstandes bereits keine Klageänderung vorliegt. Das kann auch bei Änderungen des Antragswortlauts der Fall sein, was etwa im Wettbewerbsprozess regelmäßig gelten wird, wenn der Kläger auf einen Hinweis des Gerichts gemäß § 139 ZPO Mängel der bestimmten Antragsfassung durch eine Neufassung der Antragsformel ausräumt. Darin liegt aber regelmäßig keine Änderung des Streitgegenstandes, so dass eine Klageänderung deshalb ausscheidet. Eines Rückgriffs auf § 264 ZPO bedarf es hier nicht. Die Fälle des § 264 ZPO passen nicht auf diese Fallgestaltung. Der Fall des § 264 Nr. 1 ZPO erfasst lediglich die Fälle des Klagegrundes. Für eine analoge Anwendung besteht kein Bedürfnis.

bb) § 264 Nr. 2 ZPO – Privilegierte Klageänderung 412 (1) Quantitative und qualitative Änderungen. In den Fällen des § 264 Nr. 2 ZPO liegt eine privilegierte Klageänderung vor. Es gilt also nicht als Klageänderung und bedarf insofern keiner Einwilligung des Beklagten, wenn der Kläger den Klageantrag erweitert oder beschränkt, obwohl das regelmäßig wegen der Antragsänderung eine Änderung des Streitgegenstandes ist. Die Erweiterung oder Beschränkung kann in einer quantitativen Erhöhung oder Ermäßigung ebenso wie in einem qualitativen Mehr oder Weniger liegen.988 Letzteres ist etwa beim Übergang zwischen Leistungs- und Feststellungsklage gegeben,989 aber auch

982 Ganz h. L., vgl. nur MünchKommZPO/Becker-Eberhard § 264 Rn. 6 f.; Thomas/Putzo/Seiler § 264 Rn. 1. 983 So allerdings Stein/Jonas/H. Roth § 264 Rn. 4, ohne weitere Begründung, warum diese Fallgruppe hier einschlägig sein soll.

984 BGH 11.1.2005 – X ZR 233/01 – GRUR 2005, 407, 409 – T-Geschiebe. 985 BGH 23.1.2003 – I ZR 18/00 – GRUR 2003, 786, 787 – Innungsprogramm. 986 Ahrens/Jestaedt Kap. 23 Rn. 6 (aber jeweils ohne die Einschränkung, dass das konkrete Unterlassungsbegehren bereits als Minus des abstrahierenden Begehrens zu sehen sein müsste); Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 20; GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 a. F. D Rn. 257; MünchKommUWG/Ehricke § 8 Rn. 50 f. 987 BGH 30.4.2008 – I ZR 73/05 – GRUR 2008, 702 Tz. 33 – Internetversteigerung III; Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 20. 988 Thomas/Putzo/Seiler § 264 Rn. 3. 989 BGH 12.5.1992 – VI ZR 118/91 – NJW 1992, 2296 f.; vgl. Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 23 m. w. N. Grosch

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IV. Anderweitige Rechtshängigkeit und Klageänderung

Vor §§ 12–15a A

beim Übergang von der Rechnungslegungs- (oder Auskunfts-)klage zur Leistungs- oder Feststellungsklage.990

(2) Einschränkung abstrahierender Verbotsbegehren. Bei Änderungen eines abstrahieren- 413 den Antrages, infolge derer das Verbotsbegehren enger wird, liegt nach der Rechtsprechung des BGH kein Fall des § 264 Nr. 2 ZPO vor. Es handelt sich zwar um ein gedankliches Minus, aber nicht um ein prozessuales Minus, weil die Begründung des Verbots nunmehr von tatsächlichen Voraussetzungen abhängt, die vorher nicht Gegenstand des Verfahrens waren991 (zu diesen Fällen ausführlich oben Rn. 341 ff. sowie Rn. 347). Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Sie hat den Vorteil, dass damit die Anwendung des 414 § 269 ZPO, der nach mündlicher Verhandlung die Einwilligung des Beklagten in die Klagerücknahme verlangt, ebenfalls ausgeschlossen ist. Die h. L. geht nämlich von der parallelen Anwendbarkeit des § 269 ZPO in den Fällen einer privilegierten Klagebeschränkung aus und zwar sowohl für die quantitative als auch für die qualitative Klagebeschränkung (Kumulationstheorie);992 nach anderer Auffassung gilt das nicht für den Fall der qualitativen Klagebeschränkung.993 Diesen Meinungsstreit kann man mithin dahinstehen lassen, wobei die Beschränkung der Anwendung des § 269 ZPO auf die Fälle der quantitativen Klageänderung sinnvoller erscheint, da die Privilegierung gemäß § 264 Nr. 2 ZPO ansonsten praktisch überwiegend leer laufen würde. Zwar bliebe noch der Anwendungsbereich für den Zeitraum bis zur mündlichen Verhandlung. Allerdings wird in den Fällen des § 264 Nr. 2 ZPO die Sachdienlichkeit ohnehin praktisch immer zu bejahen sein. Anderes würde hingegen nach der strengen Kumulationstheorie gelten, die § 269 ZPO immer in den Fällen des § 263 ZPO mit Blick auf den ursprünglichen Streitgegenstand zur Anwendung bringen will.994 Das wird von der h. L. zu Recht abgelehnt.995 (3) Erledigung der Hauptsache. Widerspricht der Beklagte der vom Kläger erklärten Erledi- 415 gungserklärung, so entfällt die Rechtshängigkeit nicht wie bei der übereinstimmenden Erledigungserklärung, sondern es liegt eine Klageänderung vor, nach der der Kläger nunmehr die Feststellung begehrt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist. Das wird von der herrschenden Auffassung als gemäß § 264 Nr. 2 ZPO zulässige Klageänderung eingeordnet (dazu ausführlich Rn. 666).

e) Anforderungen an die zulässige Klageänderung. Die Klageänderung ist zulässig, wenn 416 der Beklagte einwilligt oder wenn das Gericht die Klageänderung für sachdienlich hält. aa) Einwilligung, § 267 ZPO. Die Einwilligung wird angenommen, wenn der Beklagte sich in 417 der mündlichen Verhandlung rügelos auf die Klage eingelassen hat. Es handelt sich um eine 990 RG 16.10.1897, RGZ 40, 7, 9; RG 2.3.1934, RGZ 144, 71, 74; BGH 22.4.1960 – V ZR 42/59 – NJW 1960, 1950; BGH 2.6.1969 – II ZB 5/68 – BGHZ 52, 169 = NJW 1969, 1486; BGH 8.11.1978 – VIII ZR 199/77 – NJW 1979, 925; Zöller/ Greger § 264 Rn. 3–3b und Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.29; Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 23. 991 BGH 29.6.2006 – I ZR 235/03 – BGHZ 168, 179 = GRUR 2006, 960 f. Rn. 16 – Anschriftenliste; BGH 3.4.2003 – I ZR 1/01 – BGHZ 154, 342 = GRUR 2003, 716 f. – Reinigungsarbeiten; ebenso die Literatur vgl. etwa Ahrens/Jestaedt Kap. 23 Rn. 7. 992 Zöller/Greger § 264 Rn. 4a. 993 MünchKommZPO/Becker-Eberhardt § 264 Rn. 23; Pawlowski FS Rowedder (1994) 310, 318 ff. 994 Stein/Jonas/Roth § 263 Rn. 31 u. § 264 Rn. 17. 995 MünchKommZPO/Becker-Eberhardt § 263 Rn. 47. 611

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Prozesshandlung (Bewirkungshandlung), die nach den allgemeinen Grundsätzen deshalb bedingungsfeindlich ist, weil sonst nicht klar wäre, ob der neue Streitgegenstand rechtshängig geworden ist.996 Ferner ist die einmal erklärte Einwilligung unwiderruflich. Rügeloses Einlassen kann bereits in der Antragstellung liegen,997 wenn der Beklagte damit nicht implizit auf seine schriftsätzlich erklärte Rüge Bezug nimmt.998

418 bb) Sachdienlichkeit. Die Beurteilung der Sachdienlichkeit erfordert eine Berücksichtigung, Bewertung und Abwägung der beiderseitigen Interessen.999 Nach ständiger Rechtsprechung1000 kommt es für die Frage der Sachdienlichkeit allein auf eine objektive Beurteilung an, nämlich auf die Prozessökonomie, und nicht auf die subjektiven Interessen der Parteien.1001 Entscheidend ist, ob die Zulassung der Klageänderung den sachlichen Streitstoff im Rahmen des anhängigen Rechtsstreits ausräumt und so ein möglicher weiterer Rechtsstreit vermieden wird.1002 Die Erledigung der Streitpunkte zwischen den Parteien hat dabei Vorrang vor der Beschleunigung des anhängigen Verfahrens. Deshalb steht es der Sachdienlichkeit nicht entgegen, dass im Falle der Zulassung der Klageänderung Beweiserhebungen nötig werden und dadurch die Erledigung des Prozesses verzögert wird.1003 Die Sachdienlichkeit kann deshalb im Allgemeinen nur dann verneint werden, wenn ein völlig neuer Streitstoff in den Rechtsstreit eingeführt werden soll, bei dessen Beurteilung das Ergebnis der bisherigen Prozessführung nicht verwertet werden kann.1004 419 Diese Maßstäbe gelten auch im Anwendungsbereich des § 533 Nr. 1 ZPO für die Berufungsinstanz; daran hat sich durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27.7.2001 (BGBl. I, 1887) nichts geändert, da der Gesetzgeber die bereits nach bisherigem Recht (§ 523 ZPO a. F. i. V. mit § 263 ZPO) geltenden Zulässigkeitsvoraussetzungen einer zweitinstanzlichen Klageänderung übernehmen wollte.1005 Insofern entspricht es ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass der Verlust einer zweiten Tatsacheninstanz keine gesonderte Erwägung ist, die für die Frage der Prozesswirtschaftlichkeit von Bedeutung wäre.1006 Das wird grundsätzlich auch für den Wettbewerbsprozess so gesehen,1007 allerdings abgeschwächt, indem darauf hingewiesen wird, dass in Einzelfällen der Verlust der ersten Instanz (etwa bei einer Kammer für Handelssachen in erster Instanz oder einer Verlagerung einer umfangreichen Beweisaufnahme) doch bei der Prozessökonomie zu

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H.L., vgl. Stein/Jonas/Roth § 263 Rn. 22. BGH 21.12.1989 – VII ZR 84/89 – NJW-RR 1990, 505, 506. Zöller/Greger § 267 Rn. 2. BGH 19.10.1999 – XI ZR 308/98 – NJW 2000, 143 (unter II 2a); BGH 27.9.2006 – VIII ZR 19/04 – NJW 2007, 2414 Tz. 11. 1000 BGH 15.6.2005 – VIII ZR 74/04 – NVwZ-RR 2006, 109 (unter II 5a, juris Tz. 36); BGH 30.11.1999 – VI ZR 219/ 98 – BGHZ 143, 189, 197 f. = NJW 2000, 800 m. w. N. 1001 Grundlegend BGH 17.1.1951 – II ZR 16/50 – BGHZ 1, 65, 71 (juris Tz. 22); st. Rspr. BGH 27.9.2006 – VIII ZR 19/ 04 – NJW 2007, 2414 Tz. 11; BGH 11.1.2005 – X ZR 233/01 – GRUR 2005, 407, 409 – T-Geschiebe; BGH 21.2.1975 – V ZR 148/73 – NJW 1975, 1228, 1229 (juris Tz. 19); BGH 10.1.1985 – III ZR 93/83 – NJW 1985, 1841, 1842; Zöller/Greger § 263 Rn. 13; GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 264. 1002 BGH 17.1.1951 – II ZR 16/50 – BGHZ 1, 65, 71 (juris Tz. 22) = NJW 1951, 311; BGH 13.4.1994 – XII ZR 168/92 – NJW-RR 1994, 1143; BGH 21.12.1989 – VII ZR 84/89 – NJW-RR 1990, 505; BGH 10.1.1985 – III ZR 93/83 – NJW 1985, 1841, 1842; BGH 30.11.1999 – VI ZR 219/98 – NJW 2000, 800, 803; GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 262. 1003 BGH 30.11.1999 – VI ZR 219/98 – NJW 2000, 800, 803; Zöller/Greger § 263 Rn. 13. 1004 BGH 27.9.2006 – VIII ZR 19/04 – NJW 2007, 2414 Tz. 10; BGH 30.11.1999 – VI ZR 219/98 –NJW 2000, 800, 803; BGH 10.1.1985 – III ZR 93/83 – NJW 1985, 1841, 1842 m. w. N.; Stein/Jonas/Roth § 263 Rn. 24; Zöller/Greger § 263 Rn. 13. 1005 BGH 27.9.2006 – VIII ZR 19/04 – NJW 2007, 2414 Tz. 11. 1006 Grundlegend BGH 17.1.1951 – II ZR 16/50 – BGHZ 1, 65, 71 (juris Tz. 22) = NJW 1951, 311; so bereits RG Seuff Arch 92 Nr. 104; Rosenberg SJZ 1949, 124. 1007 Vgl. etwa BGH 14.6.1963 – KZR 5/62 – BGHZ 40, 135 = GRUR 1964, 154, 156 – Trockenrasierer II; GK-UWG/ Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 264. Grosch

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IV. Anderweitige Rechtshängigkeit und Klageänderung

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berücksichtigen sein könne.1008 Ich sehe diese gesonderte Behandlung des Wettbewerbsprozesses nicht als gerechtfertigt, da diese Punkte nicht auf den Wettbewerbsprozess beschränkt sind.

f) Form, Zeitpunkt und Folgen der Klageänderung aa) Form und Rechtsnatur der Erklärung. Die Klageänderung kann entweder durch Antrag- 420 stellung in der mündlichen Verhandlung oder durch Zustellung eines Schriftsatzes erfolgen (§ 261 Abs. 2 ZPO), die auch im Wege der Zustellung von Anwalt zu Anwalt vorgenommen werden kann1009 (dazu oben Rn. 390). Die Klageänderung ist eine Parteiprozesshandlung. Insofern ist sie bedingungsfeindlich und unwiderruflich. Wird die Klageänderung unter eine Bedingung gestellt, so ist sie unwirksam.

bb) Zeitpunkt und Präklusion. Die Klageänderung kann nicht mehr nach Erlass des Urteils er- 421 folgen, weil damit die Instanz abgeschlossen ist und die Selbstbindung gemäß § 318 ZPO besteht.1010 Sie ist aber auch nach Schluss der mündlichen Verhandlung unbeachtlich. Zwar handelt es sich nicht um ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel, so dass § 296a ZPO nicht unmittelbar zur Anwendung kommt.1011 Jedoch müssen Anträge in der mündlichen Verhandlung verlesen werden (§ 297 ZPO) oder im schriftlichen Verfahren bis zum maßgeblichen Zeitpunkt nach § 128 Abs. 2 Satz 2 ZPO schriftlich eingereicht werden. Belegt wird das ferner durch § 261 Abs. 2 ZPO und § 256 ZPO, die für die Erhebung eines weiteren prozessualen Anspruchs bzw. einer Zwischenfeststellungsklage auf die Dauer der mündlichen Verhandlung abstellen. Der BGH hat das im Kontext der Widerklage ausdrücklich als allgemeinen zivilprozessualen Grundsatz bestätigt.1012 Da es sich nicht um ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel, sondern um den „Angriff“ selbst handelt, ist eine Präklusion nach § 296 ZPO hingegen ausgeschlossen.1013 Das gilt im Übrigen auch dann, wenn es sich lediglich um eine aus Bestimmtheitsgründen erforderliche Umformulierung des Antrags handelt, die mangels Änderung des Streitgegenstandes keine Klageänderung ist.1014 cc) Berufungsinstanz. Für die Berufungsinstanz gilt, wie bereits mehrfach ausgeführt, § 533 ZPO 422 (oben Rn. 386 und 419). Für § 533 Nr. 1 gelten dieselben Grundsätze zur Sachdienlichkeit, die bereits für § 263 ZPO ausgeführt wurden (oben Rn. 418 f.). Ferner kommt hinzu, dass es sich um Tatsachen handeln muss, auf die das Berufungsgericht seine Entscheidung nach § 529 ZPO überhaupt stützen darf. Für die Praxis wichtig ist der Grundsatz, dass die Klageänderung nicht das alleinige Rechts- 423 schutzziel einer Berufung sein kann; eine solche Berufung ist unzulässig,1015 was auch im Wettbewerbsprozess durchaus vorkommt, wenn der Kläger den Klagegrund oder den Antrag mit 1008 Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 26; Ahrens/Jestaedt Kap. 23 Rn. 10; in diese Richtung bereits Pastor Der Wettbewerbsprozess, 3. Auflage (1980), 705. St. Rspr., vgl. nur BGH 27.2.1992 – I ZR 35/90 – NJW 1992, 2235 f. Stein/Jonas/Roth § 263 Rn. 17. Stein/Jonas/Thole § 296a Rn. 22. BGH 12.5.1992 – XI ZR 251/91 – NJW-RR 1992, 1085. St. Rspr., vgl. nur BGH 14.1.1993 – VII ZR 118/91 – NJW 1993, 1393 f.; BGH 23.4.1986 – VIII ZR 93/85 – NJW 1986, 2257, 2258; BGH 18.1.1955 – I ZR 119/53 – NJW 1955, 707; für die Literatur: Stein/Jonas/Thole § 296 Rn. 46. 1014 BGH 14.1.1993 – VII ZR 118/91 – NJW 1993, 1393 f. 1015 BGH 6.5.1999 – IX ZR 250–98 – NJW 1999, 2118 f.; BGH 12.7.1994 – VI ZB 43/93 – NJW-RR 1994, 1404; BGH 9.11.1995 – IX ZB 65/95 – NJW 1996, 320; BGH 14.2.1996 – VIII ZR 68/95 – NJW-RR 1996, 765; BGH 13.6.1996 – III ZR 40/96 – NJW-RR 1996, 1276; BGH 18.6.1996 – VII ZR 143/94 – NJW-RR 1996, 1210, 1211; BGH 13.11.1997 – VII ZR 100/ 97 – NJW-RR 1998, 1006.

1009 1010 1011 1012 1013

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

seiner Berufung anpasst.1016 Die Berufung dient nämlich wie jedes Rechtsmittel der Beseitigung einer Beschwer, sodass also der erstinstanzlich abgewiesene prozessuale Anspruch zumindest teilweise weiterverfolgt werden muss. Die Gegenauffassung1017 hat der BGH zu Recht abgelehnt.1018 Erfolgt die Klageänderung im Rahmen der Berufung des Beklagten, so ist sie nur als Anschlussberufung möglich1019 und deshalb auch nur innerhalb der für die Anschlussberufung nach § 524 Abs. 2 ZPO geltenden Frist zulässig.1020 Hierfür ist es auch nicht erheblich, ob nur der Klagegrund (Sachverhalt) geändert wird oder ob eine Änderung des Antrages erfolgt.1021 Dazu ist eine entsprechende Belehrung über die Rechtsfolgen der Fristversäumung nach §§ 524 Abs. 3 Satz 2, 521 Abs. 2 Satz 2, 277 Abs. 2 ZPO erforderlich. Die Einlegung der Anschlussberufung muss allerdings nicht als solche bezeichnet werden; sie kann auch konkludent durch die Einführung des neuen Klagegrundes erfolgen.1022

424 dd) Revisionsinstanz. In der Revisionsinstanz ist die Klageänderung wegen § 559 ZPO grundsätzlich unzulässig,1023 weil die Anträge, wie bereits gesagt, in der mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz zu stellen sind. Ausnahmen werden allerdings für den Fall der Erledigung gemacht (dazu Rn. 667). Handelt es sich hingegen nur um Modifikationen oder Beschränkungen des Antrages, die auf tatrichterlich bereits gewürdigte Sachverhalte gestützt werden, so liegt darin keine unzulässige Klageänderung.1024 Damit ist insbesondere der Fall erfasst, dass der bereits im abstrahierenden Hauptantrag als Minus enthaltene Angriff auf die konkrete Verletzungsform in der Revision im Wege eines unechten Hilfsantrages explizit gemacht wird1025 (vgl. dazu oben Rn. 119). Darunter können auch die Fälle eingeordnet werden, in denen zulässigerweise eine qualitative Beschränkung im Sinne des § 264 Nr. 2 ZPO durch Aufnahme weiterer „absehbarer“ und vom Tatrichter bereits gewürdigter Einschränkungen in den abstrahierenden Verbotsantrag vom Kläger vorgenommen wird (hierzu oben Rn. 414 und 347).

425 ee) Folgen. Bei den Folgen der Klageänderung wird zwischen zulässiger und unzulässiger Klageänderung unterschieden:

426 (1) Zulässige Klageänderung. Der geänderte Streitgegenstand ersetzt den ursprünglichen Streitgegenstand, über den nicht mehr entschieden werden kann. Einzelfragen ergeben sich zum Zeitpunkt des Anspruchswechsels: Bereits mit schriftsätzlicher Einwilligung tritt der Anspruchswechsel ein.1026 Ansonsten gilt grundsätzlich der Zeitpunkt der rechtskräftigen Beja-

1016 Vgl. etwa BGH 29.5.2008 – I ZR 189/05 – GRUR 2008, 1121 – Freundschaftswerbung im Internet. 1017 Stein/Jonas/Althammer Einl. vor § 511 Rn. 72 f.; Altmeppen ZIP 1992, 449, 454, 459 und Altmeppen ZIP 1993, 65, 66 f.; Oellers EwiR 1992, 407, jew. m. w. N. 1018 BGH 9.11.1995 – IX ZB 65/95 – NJW 1996, 320. 1019 H.L.; BGH 9.6.2011 – I ZR 41/10 – GRUR 2012, 180 Tz. 22 – Werbegeschenk; OLG Düsseldorf 21.2.2019 – 2 U 3/ 18 – juris Rn. 109. 1020 BGH 9.6.2011 – I ZR 41/10 – GRUR 2012, 180 Tz. 24 ff. – Werbegeschenk. 1021 BGH 9.6.2011 – I ZR 41/10 – GRUR 2012, 180 Tz. 22 a. E. – Werbegeschenk. 1022 BGH 9.6.2011 – I ZR 41/10 – GRUR 2012, 180 Tz. 26 – Werbegeschenk. 1023 Vgl. etwa BGH 10.4.2003 – I ZR 291/00 – GRUR 2003, 890 = WRP 2003, 1217, 1220 – Buchclub-Kopplungsangebot; Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 12 und Kap. 51 Rn. 35 a; Zöller/Greger § 559 Rn. 10. 1024 BGH 28.9.1989 – IX ZR 180/88 – NJW-RR 1990, 122 = WM 1989, 1873, 1874 f.; BGH 13.6.1988 – II ZR 324/87 – NJW 1988, 3149, 3150; Stein/Jonas/Jacobs, § 559 Rn. 46. 1025 BGH 30.4.2008 – I ZR 73/05 – GRUR 2008, 702 Tz. 33 – Internetversteigerung III. 1026 BGH 27.2.1992 – I ZR 35/90 – NJW 1992, 2235 f. Grosch

614

IV. Anderweitige Rechtshängigkeit und Klageänderung

Vor §§ 12–15a A

hung der Zulässigkeit wegen Sachdienlichkeit;1027 bei Bejahung durch (wegen § 268 ZPO nicht anfechtbares) Zwischenurteil ist auf diesen Zeitpunkt abzustellen.1028 Anderes wird unter dem Stichwort der „strengen Kumulationstheorie“ angenommen. Da- 427 nach ist für den ursprünglichen Streitgegenstand auch bei zulässiger Klageänderung eine Klagerücknahme erforderlich, um dessen Rechtshängigkeit zu beenden. Mithin ist also nach erfolgter mündlicher Verhandlung die Einwilligung des Beklagten erforderlich, welche nicht durch Sachdienlichkeit ersetzbar ist.1029 Nach herrschender Lehre ist § 269 ZPO hingegen neben § 263 ZPO nur in den Fällen der Klagebeschränkung nach § 264 Nr. 2 ZPO anwendbar (dazu oben Rn. 414). Bis zum Anspruchswechsel bleibt der ursprüngliche Streitgegenstand rechtshängig und die Rechtshängigkeit des neuen Antrages ist durch die Unzulässigkeit der Klageänderung auflösend bedingt.1030

(2) Unzulässige Klageänderung. Verneint das Gericht die Zulässigkeit der Klageänderung, 428 so endet die eingetretene Rechtshängigkeit ex tunc mit der (rechtskräftigen) Verneinung der Zulässigkeit und es ist über den ursprünglichen Streitgegenstand zu entscheiden, dessen Rechtshängigkeit noch fortbesteht. Anderes gilt, wenn der Kläger den ursprünglichen Streitgegenstand/Antrag nicht aufrechterhalten will, was nach § 139 ZPO zu klären ist. Möglich ist es, den ursprünglichen Antrag hilfsweise für den Fall der Unzulässigkeit der Klageänderung zu stellen,1031 so dass also im Falle der Unzulässigkeit der Klageänderung über den ursprünglichen Streitgegenstand zu entscheiden ist, was der Regelfall sein wird.1032 Jedoch kann der Kläger sich nicht durch eine unzulässige Klageänderung der Entschei- 429 dung über den ursprünglichen Streitgegenstand entgegen den Wertungen des § 269 ZPO ohne Einwilligung des Beklagten entziehen. Der Kläger muss also die Klage zurücknehmen; verweigert der Kläger die Rücknahme, so hat das Gericht die Klage insgesamt als unzulässig durch Prozessurteil abzuweisen, womit das ursprüngliche Rechtsschutzbegehren abgesprochen wird und die geänderte Klage als unzulässig abgewiesen wird.1033 Als unzulässig durch Prozessurteil ist die Klageänderung auch abzuweisen, wenn die Rechtshängigkeit des ursprünglichen Streitgegenstandes durch Klagerücknahme oder übereinstimmende Erledigungserklärung endet.1034

g) Entscheidung über die Zulässigkeit der Klageänderung. Es handelt sich um eine be- 430 sondere Sachurteilsvoraussetzung, die vorrangig und von Amts wegen zu prüfen ist. Erst danach ist auf weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen einzugehen.1035 Wäre die geänderte Klage aber aus anderen Gründen unzulässig, so ist die Sachdienlichkeit zu verneinen, weil der Streitstoff nicht durch eine rechtskräftige Entscheidung beseitigt werden könnte.1036 Die positive Entscheidung über die Zulassung der Klageänderung kann durch ein nicht 431 selbständig anfechtbares Zwischenurteil gemäß § 303 ZPO getroffen werden oder schlicht in den Gründen des Endurteils, was der Regelfall ist. Das Gericht kann aber auch über den geänderten Streitgegenstand entscheiden, ohne sich zur Zulässigkeit zu äußern. Bei der Verneinung 1027 1028 1029 1030 1031 1032 1033 1034 1035 1036 615

BGH 1.6.1990 – V ZR 48/89 – NJW 1990, 2682; Zöller/Greger § 263 Rn. 16. MünchKommZPO/Becker-Eberhard § 263 Rn. 48 a. E. Stein/Jonas/Roth § 263 Rn. 31. MünchKommZPO/Becker-Eberhard § 263 Rn. 48. MünchKommZPO/Becker-Eberhard § 263 Rn. 55. Vgl. etwa BGH 24.9.1987 – VII ZR 187/86 – NJW 1988, 128. Zöller/Greger § 263 Rn. 17. MünchKommZPO/Becker-Eberhard § 263 Rn. 55. Stein/Jonas/Roth § 263 Rn. 3 und 21. Stein/Jonas/Roth § 263 Rn. 26. Grosch

Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

der Zulässigkeit ist ebenfalls durch Zwischenurteil oder in den Gründen des Endurteils zu entscheiden, wenn über den ursprünglichen Streitgegenstand noch zu entscheiden ist. Ist Letzteres nicht der Fall, so ist die Klage durch Prozessurteil abzuweisen.

432 h) Anfechtbarkeit. Die änderungsfreundliche Entscheidung ist gemäß § 268 ZPO nicht anfechtbar. Lediglich die die Zulässigkeit verneinende Entscheidung kann mit dem Endurteil angefochten werden. Für die Berufung spielt das keine Rolle, weil das Berufungsgericht die Klageänderung selbst zulassen kann. Das Revisionsgericht muss hingegen prüfen, ob die Tatsacheninstanz (letztlich also immer das Berufungsgericht) den Begriff der Sachdienlichkeit verkannt oder die Grenzen seines Ermessens überschritten hat.1037 Das ist der Fall, wenn das Berufungsgericht für die Beurteilung wesentliche Umstände außer Acht gelassen hat oder Gesichtspunkte in die Abwägung eingeflossen sind, die so nicht hätten berücksichtigt werden dürfen.

V. Besondere Klagearten Schrifttum Beyerlein Gaby./. Nicola – Keine zeitliche Begrenzung von Schadensersatz- und Auskunftsanspruch durch die vom Gläubiger nachgewiesene erste Verletzungshandlung, WRP 2007, 1310; Borck Die Vollziehung und die Vollstreckung von Unterlassungstiteln, WRP 1993, 374; Fezer Markenschutz durch Wettbewerbsrecht – Anmerkungen zum Schutzumfang des subjektiven Markenrechts, GRUR 1986, 485; Grosch/Schilling Schadensersatzfeststellung und Rechnungslegung für die Zeit nach Schluss der mündlichen Verhandlung? FS Eisenführ (2003) 131; H. Köhler Die wettbewerbsrechtlichen Abwehransprüche (Unterlassung, Beseitigung, Widerruf), NJW 1992, 137; H. Köhler Die Begrenzung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, GRUR 1996, 82; Lindacher Das Verhältnis der wettbewerbsrechtlichen Abwehransprüche im Spiegel des Erkenntnisverfahrens-, Vollstreckungs- und Verjährungsrechts, GRUR 1985, 423; Nemeczek Gibt es einen unmittelbaren Leistungsschutz im Lauterkeitsrecht? WRP 2010, 1204; ders. Rechtsübertragungen und Lizenzen beim wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz – Zugleich ein Beitrag gegen den unmittelbaren Leistungsschutz, GRUR 2011, 292; Nirk Zur Rechtsfigur des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes, GRUR 1993, 247; Ohly Hartplatzhelden.de oder: Wohin mit dem unmittelbaren Leistungsschutz? GRUR 2010, 487; Pastor Die Wiederholungsgefahr beim wettbewerblichen Unterlassungsanspruch, GRUR 1969, 331; Picker Der negatorische Beseitigungsanspruch (1972); ders. Positive Forderungsverletzung und culpa in contrahendo – Zur Problematik der Haftungen „zwischen“ Vertrag und Delikt, AcP 183 (1983), 369; Schröer Der unmittelbare Leistungsschutz, (2010); Steinbeck „Windsor Estate“ – eine Anmerkung, GRUR 2008, 110; Teplitzky Das Verhältnis des objektiven Beseitigungsanspruchs zum Unterlassungsanspruch im Wettbewerbsrecht, WRP 1984, 365; ders. Die Durchsetzung des Schadensersatzzahlungsanspruchs im Wettbewerbsrecht, GRUR 1987, 215; ders. Anmerkung zu BGH, Urt. vom 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 408.

Übersicht 1.

Beseitigungsklage 433 433 a) Einführung und Rechtsgrundlage aa) Entwicklung der Beseitigungsklage in 433 der Rechtsprechung bb) Verhältnis zum Unterlassungsan435 spruch

cc)

b)

Abgrenzung zum Schadensersatzan440 spruch Voraussetzungen und Rechtsfol443 gen 443 aa) Voraussetzungen

1037 BGH 27.9.2006 – VIII ZR 19/04 – NJW 2007, 2414 f. Tz. 11; BGH 15.6.2005 – VIII ZR 74/04 – NVwZ-RR 2006, 109; BGH 19.10.1999 – XI ZR 308/98 – NJW 2000, 143 (unter II 2b, juris Tz. 12); BGH 7.7.1993 – IV ZR 190/92 – BGHZ 123, 132, 137 = NJW 1993, 3072. Herrmann

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

der Zulässigkeit ist ebenfalls durch Zwischenurteil oder in den Gründen des Endurteils zu entscheiden, wenn über den ursprünglichen Streitgegenstand noch zu entscheiden ist. Ist Letzteres nicht der Fall, so ist die Klage durch Prozessurteil abzuweisen.

432 h) Anfechtbarkeit. Die änderungsfreundliche Entscheidung ist gemäß § 268 ZPO nicht anfechtbar. Lediglich die die Zulässigkeit verneinende Entscheidung kann mit dem Endurteil angefochten werden. Für die Berufung spielt das keine Rolle, weil das Berufungsgericht die Klageänderung selbst zulassen kann. Das Revisionsgericht muss hingegen prüfen, ob die Tatsacheninstanz (letztlich also immer das Berufungsgericht) den Begriff der Sachdienlichkeit verkannt oder die Grenzen seines Ermessens überschritten hat.1037 Das ist der Fall, wenn das Berufungsgericht für die Beurteilung wesentliche Umstände außer Acht gelassen hat oder Gesichtspunkte in die Abwägung eingeflossen sind, die so nicht hätten berücksichtigt werden dürfen.

V. Besondere Klagearten Schrifttum Beyerlein Gaby./. Nicola – Keine zeitliche Begrenzung von Schadensersatz- und Auskunftsanspruch durch die vom Gläubiger nachgewiesene erste Verletzungshandlung, WRP 2007, 1310; Borck Die Vollziehung und die Vollstreckung von Unterlassungstiteln, WRP 1993, 374; Fezer Markenschutz durch Wettbewerbsrecht – Anmerkungen zum Schutzumfang des subjektiven Markenrechts, GRUR 1986, 485; Grosch/Schilling Schadensersatzfeststellung und Rechnungslegung für die Zeit nach Schluss der mündlichen Verhandlung? FS Eisenführ (2003) 131; H. Köhler Die wettbewerbsrechtlichen Abwehransprüche (Unterlassung, Beseitigung, Widerruf), NJW 1992, 137; H. Köhler Die Begrenzung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, GRUR 1996, 82; Lindacher Das Verhältnis der wettbewerbsrechtlichen Abwehransprüche im Spiegel des Erkenntnisverfahrens-, Vollstreckungs- und Verjährungsrechts, GRUR 1985, 423; Nemeczek Gibt es einen unmittelbaren Leistungsschutz im Lauterkeitsrecht? WRP 2010, 1204; ders. Rechtsübertragungen und Lizenzen beim wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz – Zugleich ein Beitrag gegen den unmittelbaren Leistungsschutz, GRUR 2011, 292; Nirk Zur Rechtsfigur des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes, GRUR 1993, 247; Ohly Hartplatzhelden.de oder: Wohin mit dem unmittelbaren Leistungsschutz? GRUR 2010, 487; Pastor Die Wiederholungsgefahr beim wettbewerblichen Unterlassungsanspruch, GRUR 1969, 331; Picker Der negatorische Beseitigungsanspruch (1972); ders. Positive Forderungsverletzung und culpa in contrahendo – Zur Problematik der Haftungen „zwischen“ Vertrag und Delikt, AcP 183 (1983), 369; Schröer Der unmittelbare Leistungsschutz, (2010); Steinbeck „Windsor Estate“ – eine Anmerkung, GRUR 2008, 110; Teplitzky Das Verhältnis des objektiven Beseitigungsanspruchs zum Unterlassungsanspruch im Wettbewerbsrecht, WRP 1984, 365; ders. Die Durchsetzung des Schadensersatzzahlungsanspruchs im Wettbewerbsrecht, GRUR 1987, 215; ders. Anmerkung zu BGH, Urt. vom 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 408.

Übersicht 1.

Beseitigungsklage 433 433 a) Einführung und Rechtsgrundlage aa) Entwicklung der Beseitigungsklage in 433 der Rechtsprechung bb) Verhältnis zum Unterlassungsan435 spruch

cc)

b)

Abgrenzung zum Schadensersatzan440 spruch Voraussetzungen und Rechtsfol443 gen 443 aa) Voraussetzungen

1037 BGH 27.9.2006 – VIII ZR 19/04 – NJW 2007, 2414 f. Tz. 11; BGH 15.6.2005 – VIII ZR 74/04 – NVwZ-RR 2006, 109; BGH 19.10.1999 – XI ZR 308/98 – NJW 2000, 143 (unter II 2b, juris Tz. 12); BGH 7.7.1993 – IV ZR 190/92 – BGHZ 123, 132, 137 = NJW 1993, 3072. Herrmann

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V. Besondere Klagearten

c)

bb) Rechtsfolge und Abgrenzung zur Un447 terlassungsklage cc) Vorbeugende Beseitigungs452 klage 454 Prozessuale Behandlung 454 aa) Antragsformulierung bb) Insbesondere: Die Widerrufs455 klage 459 cc) Vollstreckung dd) Kein Einfluss auf rechtlich verobjekti468 vierte Verfahren

2. 3. 4.

Vor §§ 12–15a A

469 Feststellungsklage 478 Leistungsklage auf Schadensersatz Klage auf Auskunft und Rechnungsle480 gung 481 a) Einführung und Rechtsgrundlage b) Voraussetzungen und Rechtsfol487 gen 494 c) Prozessuale Behandlung

1. Beseitigungsklage a) Einführung und Rechtsgrundlage aa) Entwicklung der Beseitigungsklage in der Rechtsprechung. Aus der Perspektive des 433 materiellen Rechts soll der Unterlassungsanspruch den Gläubiger vor künftigen Beeinträchtigungen schützen. Diese Abwehrmöglichkeit bliebe jedoch unvollkommen, wenn der Gläubiger nicht zusätzlich die Möglichkeit erhielte, unmittelbar gegen die Ursache künftiger Beeinträchtigungen vorzugehen. Der Schadensersatzanspruch, der zudem Verschulden voraussetzt, ist kein Abwehranspruch im eigentlichen Sinne, da er auf die Beseitigung der Folgen eines zum Ersatz verpflichtenden Verhaltens für den Geschädigten abzielt und nicht auf den Schutz vor künftigen Verletzungshandlungen. Freilich kann die Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1 BGB) als regelmäßige Folge des zum Schadensersatz verpflichtenden Verhaltens mit der Beseitigung der Ursache des Schadens zusammenfallen.1038 Wenn der Schuldner beispielsweise fahrlässig die Fassade seines Verkaufslokals in wettbewerbswidriger Weise mit demselben ornamentalen Design ausgestattet hat wie der Gläubiger,1039 umfasst die geschuldete Naturalrestitution die Beseitigung der fahrlässig hergestellten Fassadengestaltung. Das Zusammenfallen von Schadensfolgen und -ursache bleibt jedoch bei einem allein dem Integritätsinteresse verpflichteten Schadensersatzrecht1040 zufällig. Wiederherzustellen ist der ohne das schädigende Ereignis (hypothetisch) bestehende Vermögenszustand des Geschädigten.1041 Bezugspunkt der erforderlichen Differenzbetrachtung ist notwendig der Geschädigte und dessen Vermögen, nicht ein von dem Schädiger zu verantwortender Zustand, der zu weiteren (künftigen) Beeinträchtigungen führen kann. Die Beseitigung der Ursache (möglicher) künftiger Beeinträchtigungen ist daher als Anspruchsinhalt von dem Schadensersatzanspruch prinzipiell zu unterscheiden. Die Wahrung des Integritätsinteresses des Gläubigers ist Gegenstand und Ziel des Schadensersatzanspruches, aber nur Rechtsreflex des Beseitigungsanspruches. Wenn die ältere Rechtsprechung des RG1042 Beseitigungsansprüche nur unter den Voraus- 434 setzungen eines Schadensersatzanspruches gewährt hat,1043 muss dies als Annäherung an das Phänomen quasi-negatorischer Ansprüche verstanden werden, deren vom Schadensersatzrecht unabhängige Funktion zu diesem Zeitpunkt noch nicht juristisches Allgemeingut geworden war. Mit der Erkenntnis, dass Schadensersatzansprüche in der Vergangenheit abgeschlossene Ereignisse betreffen, die nach der Differenzhypothese zu einer Vermögensbeeinträchtigung des Ge1038 1039 1040 1041 1042 1043 617

Teplitzky Kap. 22 Rn. 1. Wie im Fall BGH 28.1.1977 – I ZR 109/75 – GRUR 1977, 614, 616 – Gebäudefassade. HK-BGB/Schulze § 249 Rn. 1; Jauernig/Teichmann § 249 Rn. 1. BGH 4.12.1984 – VI ZR 225/82 – NJW 1985, 793; Palandt/Grüneberg § 249 Rn. 2; HK-BGB/Schulze § 249 Rn. 1. RG 28.9.1911 – VI 407/10 – RGZ 77, 217, 218 ff. Hierzu auch Teplitzky Kap. 22 Rn. 1. Herrmann

Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

schädigten geführt haben, während eine verschuldensunabhängige Störungsbeseitigung bei einer gegenwärtigen und fortwirkenden Störungsursache – unabhängig von einem gegenwärtigen Vermögensschaden des Betroffenen – anknüpfen muss, setzte sich die Verortung des (wettbewerblichen) Beseitigungsanspruches bei dem Rechtsgedanken des § 1004 BGB (als quasinegatorischer) Anspruch durch.1044 Damit war der Beseitigungsanspruch als Teil der wettbewerblichen Abwehransprüche1045 und von dem Schadensersatzanspruch getrennter Anspruch dogmatisch zutreffend erfasst. Die Anlehnung an § 1004 BGB als einer dem Schutz des Sacheigentums dienenden Vorschrift war jedoch nicht als Herauslösung des Beseitigungsanspruches aus dem wettbewerbsrechtlichen Kontext (und der hier geltenden Sonderverjährung), sondern vorrangig als dogmatische Einordnungshilfe zu verstehen.1046 Entscheidend war, dass der Achtungsanspruch der Schutzgüter des Wettbewerbsrechts neben dem Unterlassungs- auch einen verschuldensunabhängigen Beseitigungsanspruch erforderte. Dessen gewohnheitsrechtliche Anerkennung1047 auch vor der ausdrücklichen Positivierung entsprach deshalb dem allgemeinen Verständnis der Systematik wettbewerblicher Abwehransprüche.1048

435 bb) Verhältnis zum Unterlassungsanspruch. § 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 UWG enthält nunmehr einen neben den Unterlassungsanspruch (§ 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2) tretenden (quasi-)negatorischen Beseitigungsanspruch. Diese Positivierung des Beseitigungsanspruches als eines von dem Unterlassungsanspruch verschiedenen materiellen Anspruches scheint die in der Vergangenheit intensiv geführte Diskussion um eine dogmatisch überzeugende Abgrenzung beider Ansprüche durch den berühmten Federstrich des Gesetzgebers obsolet zu machen.1049 § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG regelt zwei Ansprüche, die sich in ihren Voraussetzungen unterscheiden, da nur der Unterlassungsanspruch eine Begehungsgefahr voraussetzt. Versteht man das Merkmal der Begehungsgefahr als zusätzliche materiell-rechtliche Voraussetzung des Unterlassungsanspruches,1050 ergeben sich für Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch notwendig unterschiedliche Streitgegenstände. Der die Unterlassungsklage tragende Lebenssachverhalt umfasst bei dieser Sichtweise ein zusätzliches Merkmal (die Begehungsgefahr), so dass sich selbst dann, wenn man eine identische Antragsfassung zuließe,1051 ein anderer Streitgegenstand ergeben muss. 436 Wie an anderer Stelle dargelegt,1052 ist die Einordnung der Begehungsgefahr als materiell-rechtliche Voraussetzung des Unterlassungsanspruches indes nicht zweifelsfrei.1053 Denn die grundsätzliche Verpflichtung, ein wettbewerbswidriges Verhalten zu unterlassen, ist be1044 RG 15.11.1935 – II 110/35 – JW 1936, 806, 807; BGH 13.11.1953 – I ZR 79/52 – GRUR 1954, 163, 165; BGH 12.3.1954 – I ZR 201/52 – GRUR 1954, 337, 342 – Radschutz; BGH 10.5.1955 – I ZR 177/53 – GRUR 1955, 487, 488 – Alpha; BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563, 566 f. – Sektwerbung; zur rechtlichen Entwicklung z. B. Ahrens/Loewenheim Kap. 73 Rn. 2; Teplitzky Kap. 22 Rn. 2. 1045 BGH 28.9.1973 – I ZR 136/71 – GRUR 1974, 99, 100 – Brünova; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.69; GKUWG/Köhler1 Vor § 13 B Rn. 127; Harte/Henning/Seitz § 8 Rn. 145. 1046 In diese Richtung BGH 28.9.1973 – I ZR 136/71 – GRUR 1974, 99, 100 – Brünova. 1047 GK-UWG/Köhler1 Vor § 13 B Rn. 125; Teplitzky Kap. 22 Rn. 2. 1048 BTDrucks. 15/1487, S. 22 zu Abs. 1; Köhler/Piper Vor § 13 Rn. 33. 1049 Teplitzky Kap. 22 Rn. 3. 1050 So die h. M.: BGH 22.9.1972 – I ZR 19/72 – GRUR 1973, 208, 209 – Neues aus der Medizin; BGH 7.10.1982 – I ZR 120/80 – GRUR 1983, 127, 128 – Vertragsstrafeversprechen; BGH 10.2.1994 – I ZR 16/92 – GRUR 1994, 443, 445 – Versicherungsvermittlung im öffentlichen Dienst; Harte/Henning/Bergmann § 8 Rn. 10, 34 f.; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 8 Rn. 1.10; Piper/Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 6; Teplitzky Kap. 6 Rn. 7 m. w. N. 1051 Was die h. M. konsequent ablehnt, vgl. Harte/Henning/Seitz § 8 Rn. 148; Teplitzky Kap. 22 Rn. 8. 1052 Vgl. hierzu die Kommentierung des Rechtsschutzbedürfnisses für Unterlassungsklagen, § 12 Rn. 36 ff. 1053 So z. B. BGH 12.7.1963 – Ib ZR 174/61 – GRUR 1964, 82, 86 f. – Lesering; BGH 25.5.1965 – VI ZR 19/64 – GRUR 1966, 157, 159 – Wo ist mein Kind?. Herrmann

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V. Besondere Klagearten

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reits im Normbefehl der wettbewerblichen Verhaltensnormen enthalten und die Begehungsgefahr konkretisiert lediglich die wettbewerblichen Jedermannspflichten zu einer klageweise durchsetzbaren Anspruchsbeziehung. Nicht von ungefähr haben Rechtsprechung und hL bereits vor der Positivierung der Beseitigungsklage in § 8 Abs. 1 UWG den zugrundeliegenden Abwehranspruch unmittelbar aus den wettbewerblichen Verhaltensnormen abgeleitet.1054 In gleicher Weise ließe sich aus den wettbewerblichen Verhaltensgeboten auch ein Unterlassungsanspruch ableiten, der die Begehungsgefahr nur als Kriterium zur Vermeidung von Popularklagen begreift. Prozessual verstanden ermöglicht die Begehungsgefahr hingegen die Konkretisierung der 437 gesetzlichen Verhaltensnorm zu einem zukunftsgerichteten, vollstreckbaren Gebot an den Schuldner.1055 Die Begehungsgefahr, also die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer künftigen Zuwiderhandlung gegen wettbewerbliche Verhaltenspflichten, legitimiert die in der Schaffung eines zukunftsgerichteten Unterlassungstitels liegende Rechtsschutzverkürzung. Das Unterlassungsurteil ist somit sachlich ein Urteil auf künftig wiederkehrende Leistungen (§ 258 ZPO)1056 und die Begehungsgefahr eröffnet durch die hieraus folgende besondere Schutzbedürftigkeit des Gläubigers den Zugang zu einer entsprechenden Zukunftsklage. Für eine Beseitigungsklage müssen die zusätzlichen Voraussetzungen gerichtlichen Zu- 438 kunftsrechtsschutzes nicht erfüllt sein. Das Klägervorbringen und sein entsprechendes Rechtsschutzbegehren beschränken sich auf den gegenwärtigen Störungszustand (als Folge wettbewerbswidrigen Verhaltens des Beklagten) und die angestrebte Verurteilung des Schuldners zu dessen Beseitigung.1057 Ob ein zu beseitigender Störungszustand besteht, ist – anders als die Verpflichtung zur Unterlassung künftiger Wettbewerbsverstöße – ein im Erkenntnisverfahren feststellbarer Sachverhalt, an den sich die gesetzliche Rechtsfolge der Beseitigungspflicht knüpft. Anders als die Unterlassungsklage ist die Beseitigungsklage damit prozessual kein Fall des Zukunftsrechtsschutzes. Der Beseitigungsanspruch ist jedoch inhaltlich zukunftsbezogen, da er auf die Beseitigung eines fortwirkenden Zustandes gerichtet ist.1058 Obschon somit sowohl Beseitigungs- wie Unterlassungsklage an einen begangenen Wett- 439 bewerbsverstoß als materieller Anspruchsvoraussetzung anknüpfen (können), unterscheiden sich die Rechtsschutzziele und dementsprechend die nach § 253 Abs. 2 ZPO zu fordernden, inhaltlich bestimmten Antragsfassungen, die bei der Unterlassungsklage auf künftiges Schuldnerverhalten und bei der Beseitigungsklage auf die Beseitigung der fortdauernden Folgen vergangenen Schuldnerverhaltens gerichtet sind. Bei gleichem Lebenssachverhalt ergibt sich aus den unterschiedlichen Rechtsschutzzielen/Antragsfassungen ein abweichender Streitgegenstand.1059

cc) Abgrenzung zum Schadensersatzanspruch. Von dieser prozessualen ist die materiell- 440 rechtliche Einordnung des Beseitigungsanspruches zu unterscheiden. Um eine Abgrenzung zu (verschuldensabhängigen) Schadensersatzansprüchen (§ 9 UWG) zu gewährleisten, kann Gegen-

1054 BGH 4.2.1993 – I ZR 42/91 – BGHZ 121, 242 = GRUR 1993, 556, 558 – TRIANGLE; BGH 25.1.2001 – I ZR 120/ 98 – GRUR 2001, 420, 422 – SPA; GK-UWG/Köhler1 Vor § 13 B Rn. 125; Ahrens/Loewenheim Kap. 73 Rn. 2; Teplitzky Kap. 22 Rn. 2. 1055 So auch Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.9. 1056 Grosch/Schilling FS Eisenführ, S. 149 ff. 1057 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.51; Melullis Rn. 1000. 1058 Fezer/Büscher § 8 Rn. 9; GK-UWG/Köhler1 Vor § 13 B Rn. 126; Harte/Henning/Seitz § 8 Rn. 147; Teplitzky Kap. 22 Rn. 3 m. w. N.; Teplitzky WRP 1984, 366. 1059 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.51; Harte/Henning/Brüning Vorb. § 12 Rn. 135; Ahrens/Loewenheim Kap. 73 Rn. 1; Teplitzky Kap. 22 Rn. 7. 619

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stand eines wettbewerblichen Beseitigungsanspruches nur eine fortwirkende Störung sein.1060 Der Beseitigungsanspruch ist verschuldensunabhängig.1061 Diese begrenzte Legitimation schließt es aus, mit dem Beseitigungsanspruch die dem verschuldensabhängigen Schadensersatzanspruch vorbehaltene Restitution zum Schutz des Integritätsinteresses zu betreiben. Möglich bleibt allein, ein Abwehrziel zu verfolgen. Der Gläubiger wehrt mit dem Beseitigungsanspruch Rechtsbeeinträchtigungen auf Grund eines von dem Schuldner durch einen Wettbewerbsverstoß geschaffenen, rechtswidrigen Störungszustandes ab. 441 Die Abgrenzung zwischen (quasi-)negatorischem Beseitigungsanspruch und der Restitution dienenden Schadensersatzansprüchen ist im eigentlichen Anwendungsbereich der Negatoria einer fallweisen Konkretisierung vorbehalten geblieben.1062 Den manifesten Schutzbedürfnissen des faktisch aufgrund des Schuldnerverhaltens beeinträchtigten Eigentümers trägt dies oft entsprechend einer weit verstandenen Billigkeit Rechnung. Demgegenüber hat der von Picker1063 und Gursky1064 vertretene Ansatz, der negatorische Beseitigungsansprüche auf rechtliche Beeinträchtigungen des Eigentums beschränken und bloße Folgen eines beeinträchtigenden Handelns ausschließen will, den Vorteil einer dogmatisch klaren Abgrenzung zum Schadensersatz. Auf negatorischem Weg kann nach dieser Sichtweise nur verlangt werden, dass der Anspruchsgegner die fortgesetzte Inanspruchnahme geschützter Rechtspositionen des Gläubigers aufgibt. Die relevante Beeinträchtigung liegt – im Unterschied zum Schaden – darin, dass der Beseitigungsschuldner durch sein Verhalten einen Teil einer dem Gläubiger zugeordneten Rechtsposition für sich beansprucht und der Gläubiger zur Wiederherstellung der dem materiellen Recht entsprechenden Güterordnung seinerseits einer rechtlichen Legitimationsgrundlage bedarf.1065 Ein (deliktischer) Schädiger beansprucht hingegen nicht eine dem Geschädigten gebührende Rechtsposition für sich. Sein Verhalten hat sich in der Missachtung dieser Rechtsposition erschöpft, wirkt aber nicht im Sinne einer fortdauernden Rechtsbeeinträchtigung fort. 442 Ob dem Ansatz Pickers für den Gesamtbereich negatorischer Ansprüche zu folgen ist, kann an dieser Stelle dahinstehen. Im Wettbewerbsrecht ist indes für jeden Beseitigungsanspruch eine fortwirkende rechtliche (und nicht nur faktische) Beeinträchtigung unverzichtbar. Denn die zu beseitigende Beeinträchtigung muss in einer Überschreitung wettbewerbsrechtlicher Verhaltensgrenzen bestehen (sonst bestünde keine wettbewerbliche Veranlassung, sie zu beseitigen). Mit der Beseitigungsklage wehrt der Gläubiger künftige Wettbewerbsverstöße ab, die aus der erfolgten Wettbewerbsverletzung resultieren würden. Dies kann nur anhand einer rechtlichen Bewertung des in Frage kommenden Störungszustands am Maßstab der wettbewerblichen Verhaltensnormen entschieden werden. Nur dann, wenn künftige Wettbewerbsverstöße drohen, besteht ein wettbewerblicher Beseitigungsanspruch. Der Beseitigungsschuldner nimmt somit notwendig ihm wettbewerbsrechtlich nicht gebührende Handlungsfreiheit für sich in Anspruch, indem er einen von ihm zu verantwortenden Störungszustand nicht beseitigt. Jedenfalls in dem Spezialfall des wettbewerblichen Beseitigungsanspruches ist danach eine rechtliche Beeinträchtigung des Gläubigers durch eine fortdauernde Usurpation von dessen wettbewerblicher Schutzposition vorausgesetzt. Wo es hieran fehlt, bleibt nur der (verschuldensabhängige) Schadensersatzanspruch. 1060 BGH 4.2.1993 – I ZR 319/90 – WRP 1993, 396, 397 – Maschinenbeseitigung; BGH 23.2.1995 – I ZR 15/93 – GRUR 1995, 424, 426 – Abnehmerverwarnung; BGH 26.11.1997 – I ZR 109/95 – GRUR 1998, 415, 416 – Wirtschaftsregister; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.51; Gloy/Loschelder/Erdmann/Fritzsche § 79 Rn. 59; GK-UWG/Köhler1 Vor § 13 B Rn. 129; vgl. auch Melullis Rn. 1001. 1061 BGH 6.7.1954 – I ZR 38/53 – BGHZ 14, 163 = GRUR 1955, 97, 99 – Constanze II; BGH 23.2.1995 – I ZR 75/93 – GRUR 1995, 427, 428 – Schwarze Liste; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.69; Fezer/Büscher § 8 Rn. 12; Gloy/ Loschelder/Erdmann/Fritzsche § 79 Rn. 59; GK-UWG/Köhler1 Vor § 13 B Rn. 131; Ahrens/Loewenheim Kap. 73 Rn. 1; Piper/Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 69; Harte/Henning/Seitz § 8 Rn. 182; Teplitzky Kap. 22 Rn. 2. 1062 Vgl. RG 5.1.1905 – VI 38/04 – RGZ 60, 6, 7. 1063 Picker S. 49 ff.; Picker AcP 183 (1983), 513. 1064 Staudinger/Gursky § 1004 Rn. 4 ff., 135 ff. 1065 Picker S. 49 ff. Herrmann

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b) Voraussetzungen und Rechtsfolgen aa) Voraussetzungen. Die Tatbestandsvoraussetzungen des Beseitigungsanspruches im Ein- 443 zelnen werden im Rahmen der Kommentierung zu § 8 UWG behandelt. Hierauf kann und muss an dieser Stelle verwiesen werden.1066 Anstelle einer Parallelkommentierung der eigentlichen Anspruchsvoraussetzungen werden nachstehend nur die für die Beseitigungsklage wesentlichen Aspekte aufgegriffen. Wie dargelegt erfordert die wettbewerbliche Beseitigungsklage (§ 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 UWG) 444 die fortgesetzte Inanspruchnahme (Usurpation) einer dem Anspruchsgegner nach der Rechtsordnung nicht gebührenden Rechtsposition.1067 Im unmittelbaren Anwendungsbereich der allgemeinen zivilrechtlichen Beseitigungsklage (§ 1004 BGB) beeinträchtigt der Anspruchsgegner durch sein Verhalten das Eigentum oder ein sonstiges absolut geschütztes Rechtsgut des Klägers.1068 Die geschuldete Unterlassung unlauteren Verhaltens begründet zwar kein absolut geschütztes Recht eines Wettbewerbers oder klagebefugten Verbandes, da es sich hierbei lediglich um Marktverhaltensregelungen handelt.1069 Auch (bloße) Marktverhaltensregeln grenzen jedoch den jedem Marktteilnehmer zukommenden Verhaltensspielraum ein. Wer sich wettbewerbswidrig verhält, überschreitet diesen Spielraum und nimmt damit eine Position ein, die das materielle Recht ihm gerade verwehrt. Der in § 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 UWG geregelte Beseitigungsanspruch, der zuvor bereits gewohnheitsrechtlich anerkannt war,1070 schafft ein mit der objektiven Marktverhaltensregelung korrespondierendes subjektives Recht, das dem Gläubiger die Abwehr der Usurpation einer jedenfalls nicht dem Beseitigungsschuldner zukommenden wettbewerblichen Rechtsposition ermöglicht. Die Anspruchsinhalte von Beseitigungs- und Unterlassungsklage sind auf der Ebene des 445 materiellen Rechts parallel gelagert. Es wird jeweils von dem Anspruchsgegner verlangt, dass er von einem als wettbewerbswidrig erkannten Verhalten Abstand nimmt. Bei der Beseitigungsklage begehrt der Kläger jedoch nicht einen Titel zur Abwehr künftig drohenden Verhaltens, sondern Folgenbeseitigung in Form der Beseitigung eines vom Schuldner geschaffenen und fortdauernden Störungszustandes.1071 Die Fortwirkung des bestehenden Störungszustandes ist materielle Anspruchsvoraussetzung, nicht Sachentscheidungsvoraussetzung. Fehlt es an einem fortwirkenden Störungszustand, bleibt die Beseitigungsklage gleichwohl zulässig; sie wäre allerdings unbegründet. Die Fortdauer des Störungszustandes unterscheidet sich insoweit von der Wiederholungsgefahr, die als prozessuales Merkmal den Zugang zum gerichtlichen Zukunftsrechtsschutz eröffnet.1072 Fällt der einer Beseitigungsklage zugrundeliegen-

1066 § 8 Rn. 67 ff. 1067 Picker S. 49 ff. sowie BTDrucks. 15/1487, S. 22 zu Absatz 1, wonach eine Änderung der Voraussetzungen des Beseitigungsanspruchs mit der in § 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 UWG eingeführten ausdrücklichen Regelung nicht bezweckt war. 1068 BGH 13.3.1998 – V ZR 190/97 – NJW 1998, 2058, 2059; MünchKommBGB/Baldus § 1004 Rn. 6 ff.; Palandt/ Bassenge § 1004 Rn. 4; Staudinger/Gursky § 1004 Rn. 14 ff. m. w. N. 1069 Vgl. Fezer/Fezer Einleitung E Rn. 223; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 9.4; Piper/Ohly/Sosnitza Einführung Rn. 1; speziell beispielsweise für § 4 Nr. 9 UWG siehe Nirk GRUR 1993, 249 ff. 1070 RG 5.6.1935 – II 332/34 – RGZ 148, 114, 123 – Gummi-Waren m. w. N.; BGH 4.2.1993 – I ZR 42/91 – BGHZ 121, 242 = GRUR 1993, 556, 558 – TRIANGLE; BGH 25.1.2001 – I ZR 120/98 – GRUR 2001, 420, 422 – SPA: Beseitigungsanspruch wird unmittelbar aus der wettbewerbsrechtlichen Verbotsnorm abgeleitet; Gloy/Loschelder/Erdmann/Fritzsche § 79 Rn. 59; GK-UWG/Köhler1 Vor § 13 B Rn. 125; Ahrens/Loewenheim Kap. 73 Rn. 2; Piper/Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 67. Noch auf eine Analogie zu § 1004 BGB abstellend: BGH 10.5.1955 – I ZR 177/53 – GRUR 1955, 487, 488 – Alpha; BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563, 567 – Sektwerbung. 1071 BGH 14.11.1958 – I ZR 91/57 – GRUR 1959, 143, 144 – Blindenseife; BGH 4.2.1993 – I ZR 42/91 – BGHZ 121, 242 = GRUR 1993, 556, 558 – TRIANGLE; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.51; Fezer/Büscher § 8 Rn. 9. 1072 A. A. ist freilich die ganz herrschende Meinung in Rechtsprechung und h. L. – vgl. § 12 Rn. 37 ff. 621

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de Störungszustand weg, wird die Klage unbegründet.1073 Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Beseitigungskläger durch sein Prozessverhalten zu einem Wegfall des Störungszustandes durch Zeitablauf beigetragen hat.1074 446 Der Störungszustand, der Veranlassung für eine Beseitigungsklage gibt, muss rechtswidrig sein, d. h. der Gläubiger darf nicht zur Duldung verpflichtet sein.1075 Hingegen ist unerheblich, ob die vorangegangene Verletzungshandlung selbst rechtswidrig1076 oder schuldhaft1077 war. Ferner muss die begehrte Störungsbeseitigung erforderlich und verhältnismäßig sein.1078 Versteht man die zu beseitigende Beeinträchtigung als rechtswidrige Inanspruchnahme (Usurpation) einer dem Beseitigungsschuldner nicht gebührenden wettbewerblichen Rechtsposition, wird aus Zumutbarkeitsgründen nur ausnahmsweise eine Einschränkung durch die Gewährung einer Beseitigungsfrist in Frage kommen.1079 Wie sonst auch kommt es darauf an, ob der Gläubiger in Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 904 BGB verpflichtet ist, eine vorübergehende Fortdauer der Beeinträchtigung hinzunehmen.

447 bb) Rechtsfolge und Abgrenzung zur Unterlassungsklage. Mit einer erfolgreichen Unterlassungsklage erreicht der Kläger zwei Rechtsschutzziele: Das Gericht stellt zum einen das im Verhältnis der Parteien gegenwärtig geltende Recht fest.1080 Zum anderen gibt der Unterlassungstitel dem Kläger die Möglichkeit, bei künftigen Zuwiderhandlungen unmittelbar, d. h. ohne vorhergehendes (weiteres) Klageverfahren Vollstreckungszwang anzuwenden.1081 Damit kann der Kläger zwar künftige Rechtsverletzungen abwenden. Die Beseitigung eines bestehenden wettbewerbswidrigen Zustandes im Sinne einer Folgenbeseitigung ermöglicht indessen erst die Beseitigungsklage.1082 Sie ist ein Spezialfall der negatorischen Klage (§ 1004 BGB)1083 und zielt darauf ab, den Beklagten zur Beseitigung einer fortdauernden Überschreitung wettbewerblicher Grenzen durch aktives Tun anzuhalten. Durch einen erfolgreichen Unterlassungsantrag wird dem Schuldner zwar auch untersagt, durch sein Verhalten wettbewerbswidrige Zustände neu zu schaffen oder aufrecht zu erhalten, was im Einzelfall ebenso ein aktives Tun erfordern kann.1084 Diese faktische Überschneidung in den Folgen eines Unterlassungs- wie eines Beseiti-

1073 BGH 4.2.1993 – I ZR 319/90 – WRP 1993, 396, 398 – Maschinenbeseitigung; BGH 3.4.2008 – I ZR 49/05 – GRUR 2008, 1002, 1005 – Schuhpark; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.79; Fezer/Büscher § 8 Rn. 13; Ahrens/ Loewenheim Kap. 73 Rn. 3; Harte/Henning/Seitz § 8 Rn. 167; Teplitzky Kap. 22 Rn. 18. 1074 KG 11.5.2001 – 5 U 9292/00 – GRUR-RR 2002, 337, 339 – T-offline. 1075 BTDrucks. 15/1487 S. 22 zu Absatz 1; BGH 12.1.1960 – I ZR 30/58 – GRUR 1960, 500, 502 f. – Plagiatsvorwurf; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.78; Fezer/Büscher § 8 Rn. 12; GK-UWG/Köhler1 Vor § 13 B Rn. 132; Ahrens/ Loewenheim Kap. 73 Rn. 3; Piper/Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 76; Teplitzky Kap. 22 Rn. 14 m. w. N. 1076 Fezer/Büscher § 8 Rn. 12; Piper/Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 76; Harte/Henning/Seitz § 8 Rn. 178; Teplitzky Kap. 22 Rn. 14. 1077 Fezer/Büscher § 8 Rn. 12; GK-UWG/Köhler1 Vor § 13 B Rn. 131; juris-PK/Seichter § 8 Rn. 87; Harte/Henning/ Seitz § 8 Rn. 182. 1078 BGH 29.9.1964 – Ib ZR 88/63 – GRUR 1966, 35, 38 – multikord; BGH 26.9.1980 – I ZR 69/78 – GRUR 1981, 60, 64 – Sitex; BGH 23.2.1995 – I ZR 15/93 – GRUR 1995, 424, 426 – Abnehmerverwarnung; BGH 26.11.1997 – I ZR 109/ 95 – GRUR 1998, 415, 417 – Wirtschaftsregister; GK-UWG/Köhler1 Vor § 13 B Rn. 134; Köhler GRUR 1996, 85 ff.; Ahrens/Loewenheim Kap. 73 Rn. 4; Piper/Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 79; Teplitzky Kap. 22 Rn. 16. 1079 Ahrens/Loewenheim Kap. 73 Rn. 4. 1080 Grosch S. 49 f., 347; Pastor GRUR 1969, 332. 1081 Borck WRP 1993, 376 f.; Harte/Henning/Brüning Vorb. § 12 Rn. 286; Piper/Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 238. 1082 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.51. 1083 BGH 10.5.1955 – I ZR 177/53 – GRUR 1955, 487, 488 – Alpha; BGH 12.7.1963 – Ib ZR 174/61 – GRUR 1964, 82, 87 – Lesering; Gloy/Loschelder/Erdmann/Fritzsche § 79 Rn. 59; Ahrens/Loewenheim Kap. 73 Rn. 2; Melullis Rn. 1001; Harte/Henning/Seitz § 8 Rn. 162; Teplitzky Kap. 22 Rn. 2. 1084 BGH 6.7.1954 – I ZR 38/53 – GRUR 1955, 97, 99 f.; Harte/Henning/Brüning Vorb. § 12 Rn. 135; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.51. Herrmann

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gungsurteils ändert aber nichts an der prinzipiellen Unterscheidung der jeweils zugrunde liegenden Titel. Das Unterlassungsurteil beinhaltet eine vollstreckbare Fallnorm,1085 deren Subsumtionsschluss sich der Schuldner je nach Lage des Falles nur durch eine Verhaltensänderung entziehen kann. Der Gläubiger soll die Fortsetzung des wettbewerbswidrigen Verhaltens, das den Anlass für die Schaffung des zukunftsgerichteten Unterlassungstitels gegeben hat, notfalls durch Vollstreckungszwang unterbinden können. Die Verhaltensänderung des Schuldners, der vor Erlass des Unterlassungstitels zu erkennen gegeben hat, dass er die wettbewerblichen Spielregeln (auch) künftig missachten wird, ist gerade Ziel und Legitimation dieser Form des wettbewerblichen Zukunftsrechtsschutzes. Soweit die Umsetzung dieser Verhaltensänderung eine Veränderung bereits bei Titelerlass bestehender Umstände erfordert (weil es sonst notwendig zu erneuten Wettbewerbsverstößen käme), handelt es sich um eine nur im Phänomen besondere Form des Unterlassungsrechtsschutzes. Der Gläubiger muss sich entscheiden, ob er neben dem zukunftsgerichteten Unterlassungsrechtsschutz auch eines „gewöhnlichen“ Leistungstitels auf Beseitigung eines konkreten existierenden Störungszustandes bedarf. In der Rechtsprechung wurden Fälle scheinbaren Gleichlaufes zwischen Unterlassungsund Beseitigungsanspruch als Frage des Rechtsschutzbedürfnisses behandelt.1086 Wenn das Rechtsschutzziel des Beseitigungsanspruches (zufällig) auch durch die Vollstreckung eines vorhandenen Unterlassungstitels erreicht werden kann, soll es an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse für eine parallele oder spätere Beseitigungs(leistungs)klage fehlen.1087 Auch wenn das so gefundene Ergebnis zunächst den Anforderungen der Praxis zu entsprechen scheint, ist dies letztlich nicht überzeugend. Es mag sein, dass im Einzelfall die Vollstreckung eines Unterlassungsurteils zu demselben Ergebnis führen kann wie die Vollstreckung aus einem zu erwirkenden Beseitigungsurteil.1088 Allerdings schließt Ergebnisidentität nach allgemeinen Regeln ein Rechtsschutzinteresse nur aus, wenn ein bestehender Titel bei einer Gesamtwürdigung tatsächlich gleichwertig ist.1089 Das ist bei einem Unterlassungsurteil im Vergleich zu einem Beseitigungstitel strukturell nie der Fall. Der Unterlassungstitel gibt dem Gläubiger gegenüber künftigen Wettbewerbsverstößen eine Vollstreckungsmöglichkeit. Er erwächst indessen, wie andere Titel über künftig wiederkehrende Leistungen auch, nach sehr streitiger Ansicht nicht in materielle Rechtskraft.1090 Der Unterlassungstitel schließt deshalb schon mangels gleichwertiger Rechtskraftwirkung das Rechtsschutzbedürfnis für eine separate oder parallele Beseitigungsklage nicht aus. Hinzu kommt, dass ein Unterlassungsurteil (nur) nach § 890 ZPO vollstreckt werden kann,1091 während bei Beseitigungsurteilen die Möglichkeit der Ersatzvornahme (§ 887 ZPO) und, bei unvertretbaren Handlungen, der Erzwingung über § 888 Abs. 1 ZPO besteht.1092 Dem 1085 Grosch S. 72 ff. 1086 So noch BGH 6.7.1954 – I ZR 38/53 – BGHZ 14, 163 = GRUR 1955, 97, 100 – Constanze II; BGH 15.1.1957 – I ZR 190/55 – GRUR 1957, 278, 279 – Evidur; OLG Hamburg 18.9.1997 – 3 U 39/97 – BeckRS 1997, 08184; vgl. auch Teplitzky Kap. 22 Rn. 7. 1087 Fezer/Büscher § 8 Rn. 9; vgl. auch Teplitzky Kap. 22 Rn. 7, der dies als Ausnahme ansieht unter Hinweis darauf, dass dies jedoch auf dem allgemeinen Grundsatz beruht, dass es an einem Rechtsschutzbedürfnis mangelt, sollte das Ziel auf einem anderen Weg einfacher erreichbar sein; vgl. zu diesem Gesichtspunkt auch BGH 22.9.1972 – I ZR 19/72 – GRUR 1973, 208, 209 m. Anm. Storch; BGH 4.2.1993 – I ZR 42/91 – GRUR 1993, 556, 558 – TRIANGLE. 1088 BGH 28.1.1977 – I ZR 109/75 – GRUR 1977, 614, 616 – Gebäudefassade; Piper/Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 73. 1089 BGH 23.5.1962 – V ZR 187/60 – NJW 1962, 1392; BGH 9.10.1975 – 10 U 140/75 – NJW 1976, 246; BGH 14.3.1979 – IV ZR 98/78 – NJW 1979, 1508; BGH 24.2.1994 – IX ZR 10/93 – NJW 1994, 1351, 1352; Zöller/Greger Vor § 253 Rn. 18 ff. 1090 Anders die im Wettbewerbsrecht h. M. – vgl. § 12 Rn. 51. Im hier vertretenen Sinn – allerdings nicht zum Wettbewerbsrecht – BGH 18.1.1985 – V ZR 233/83 – BGHZ 93, 287 = NJW 1985, 1711, 1712 sowie ausführlich Grosch S. 82 ff., 324 ff., 347 ff., 356 ff., 379 ff.; Musielak § 322 Rn. 9. 1091 Harte/Henning/Brüning Vorb. § 12 Rn. 136; Köhler NJW 1992, 139; Ahrens/Loewenheim Kap. 73 Rn. 1. 1092 Harte/Henning/Brüning Vorb. § 12 Rn. 136; Fezer/Büscher § 8 Rn. 44; Köhler NJW 1992, 139; Ahrens/Loewenheim Kap. 73 Rn. 1; Teplitzky Kap. 58 Rn. 6 ff. 623

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Gläubiger ist es gegenüber einem renitenten Schuldner nicht zuzumuten, gegebenenfalls mehrfach ein Ordnungsgeldverfahren durchlaufen zu müssen.

452 cc) Vorbeugende Beseitigungsklage. Teilweise wird zusätzlich zur Beseitigungsklage – und anstelle einer Unterlassungsklage – auch eine vorbeugende Beseitigungsklage für möglich gehalten.1093 Das erscheint allerdings zweifelhaft.1094 Ein bereits bestehender fortwirkender Störungszustand ist materielle Anspruchsvoraussetzung des Beseitigungsanspruches. Liegt noch keine Störung vor, ist der Bestand des Beseitigungsanspruches selbst (und nicht nur dessen Fälligkeit) ungewiss. Für eine vorbeugende Beseitigungsklage kann zwar nach allgemeinen Regeln ein Rechtsschutzbedürfnis bestehen. Eine solche Klage kann jedoch als Klage auf künftige Leistung nach § 259 ZPO nur in der Sache erfolgreich sein, wenn der Bestand des geltenden Anspruches sicher ist.1095 Bevor es zu einem Störungszustand gekommen ist, kann dies aber nicht angenommen werden. Ansonsten würde der drohende Störungszustand einer eingetretenen Störung gleichgesetzt werden, was die Grenzen des zugrundeliegenden materiell-rechtlichen Anspruches verschiebt. Die Klagen nach §§ 257, 259 ZPO enthalten einen „prozessualen Überschuss“,1096 indem sie dem Kläger ermöglichen, noch nicht fällige Ansprüche geltend zu machen. Allerdings wird vorausgesetzt, dass die Leistungspflicht bei Erlass des Urteils feststeht und nur die Fälligkeit von einem künftigen Ereignis oder dem Eintritt einer Bedingung abhängt.1097 Die Klagen nach §§ 257, 259 ZPO schaffen indessen – anders als die Unterlassungsklage, die sachlich – nach streitiger Ansicht – eine Klage auf künftig wiederkehrende Leistungen im Sinne des § 258 ZPO darstellt – keinen Titel für erst künftig entstehende Ansprüche. Wie jedes Leistungsurteil stellt auch ein Urteil nach §§ 257, 259 ZPO das gegenwärtig geltende Recht im Verhältnis der Parteien fest.1098 Hierauf erstreckt sich die materielle Rechtskraft. Dies würde für eine vorbeugende Beseitigungsklage – wenn man sie zuließe – ebenso gelten. Die unterschiedlichen Rechtskraftwirkungen von Unterlassungs- und Beseitigungsklage 453 schließen es danach aus, unter dem Gesichtspunkt des (fehlenden) Rechtsschutzinteresses der Unterlassungsklage Vorrang vor der vorbeugenden Beseitigungsklage einzuräumen.1099 Nur die (vorbeugende) Beseitigungsklage als Leistungsklage nach §§ 257, 259 ZPO vermag materielle Rechtskraft zu schaffen. Sie kann daher nicht deshalb mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig sein, weil der Gläubiger Unterlassungsklage erheben könnte. Jedoch muss eine vorbeugende Beseitigungsklage nach der Regelung des § 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 UWG mangels materiellrechtlichen Beseitigungsanspruches notwendig in der Sache ohne Erfolg bleiben. Ließe man sie zu, wäre sie mangels zu beseitigendem Störungszustand in aller Regel als unbegründet abzuweisen. Sinnvoll erscheint die Zulassung einer solchen Klage deshalb nicht.

1093 BGH 4.2.1993 – I ZR 42/91 – BGHZ 121, 242 = GRUR 1993, 556, 558 – TRIANGLE; Harte/Henning/Brüning Vorb. § 12 Rn. 136; GK-UWG/Köhler1 Vor § 13 B Rn. 130; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.51; Lindacher GRUR 1985, 424; Melullis Rn. 1003; Teplitzky Kap. 22 Rn. 14. 1094 Kritisch auch Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.72 und 1.77; differenzierend Fezer/Büscher § 8 Rn. 11, der eine vorbeugende Beseitigungsklage im Fall einer Zeichenanmeldung, die noch nicht zu einer Registereintragung geführt hat, zulassen möchte, einen umfassenden vorbeugenden Beseitigungsanspruch hingegen ablehnt; eingehend hierzu Gloy/Loschelder/Erdmann/Fritzsche § 79 Rn. 62. 1095 RG 14.8.1941 – II 49/41 – RGZ 168, 321, 325; BGH 16.12.1964 – VIII ZR 47/63 – NJW 1965, 440, 441; BGH 13.3.2003 – IX ZR 181/99 – NJW-RR 2003, 850, 856; BGH 12.7.2006 – VIII ZR 235/04 – NJW-RR 2006, 1485, 1486; MünchKommZPO/Becker-Eberhard § 259 Rn. 4; Musielak/Foerste § 259 Rn. 2. 1096 Grosch/Schilling FS Eisenführ, S. 143. 1097 BGH 14.12.1998 – II ZR 330/97 – NJW 1999, 954, 955; Musielak/Foerste § 259 Rn. 2. 1098 Grosch/Schilling FS Eisenführ, S. 147. 1099 Vgl. hierzu Rn. 51 ff. Herrmann

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V. Besondere Klagearten

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c) Prozessuale Behandlung1100 aa) Antragsformulierung. Wie für jede Klage ist auch für die Beseitigungsklage ein bestimm- 454 ter Antrag (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) erforderlich. Neben den allgemeinen Bestimmtheitsfragen im Wettbewerbsprozess1101 ist beim Beseitigungsanspruch die Konkretisierung der von dem Anspruchsgegner verlangten Beseitigungshandlung von besonderer Bedeutung. Regelmäßig wird es mehr als eine Handlungsmöglichkeit für den Beseitigungsschuldner geben. Ein wettbewerbswidriger Prospekt kann beispielsweise insgesamt vernichtet oder lediglich in den als problematisch erkannten Abschnitten geschwärzt werden.1102 Entscheidend für die erforderliche Antragsfassung ist hier das materielle Recht.1103 Richtet sich der Anspruch – wie regelmäßig – auf die Beseitigung eines wettbewerbswidrigen Zustandes schlechthin, muss dem Schuldner die Art und Weise der Beseitigung selbst überlassen bleiben.1104 Die Rechtsprechung1105 entscheidet hier freilich anders und gibt vielfach eine oder mehrere in Betracht kommende Beseitigungsmaßnahmen vor.1106 In der Entscheidung Radschutz1107 hatte der I. Zivilsenat eine Verurteilung akzeptiert, die dem Beklagten konkret aufgegeben hatte, bestimmte Passagen eines Prospekts nach seiner Wahl unkenntlich zu machen, den Prospekt zu vernichten oder die getroffenen Sachaussagen zu widerrufen. Hierüber noch hinausgehend verlangte der BGH in einer späteren Entscheidung1108 aus Bestimmtheitsgründen eine Festlegung der konkret begehrten Beseitigungsmaßnahme in Klageantrag und Urteil. Dem entspricht es, wenn für die Fassung eines Widerrufstenors die Bindung des Gerichts an die Antragsfassung (§ 308 Abs. 1 ZPO) betont und eine möglichst exakte Bestimmung der zu widerrufenden Aussage verlangt wird.1109 Eine Konkretisierung auf eine bestimmte Beseitigungshandlung wäre zwar bei abstrakter Betrachtung wünschenswert, da sie vermeidet, den Streit über die geschuldete Handlung in das Vollstreckungsverfahren zu verlagern. Das Prozessrecht dient jedoch allein der Verwirklichung des materiellen Rechts und kann keine zusätzlichen Anspruchspositionen für den Kläger schaffen oder den Handlungsspielraum des Beklagten über das materielle Recht hinaus einschränken.1110 Es ist nicht zu verkennen, dass bei einem Beseitigungsantrag, der dem Beklagten die Auswahl des geeigneten Mittels bzw. der Art und Weise der Beseitigung überlässt, leicht Streit darüber entstehen kann, ob der Schuldner vollständig erfüllt hat. Aus diesem Grund die in Betracht kommenden Beseitigungshandlungen nach Haupt- und Hilfsanträgen zu staffeln,1111 würde zwar das Bestimmtheitsproblem lösen, aber zugleich den Spielraum des Schuldners ohne Grundlage im materiellen Recht einschränken.1112 Die Angabe eines konkreten Beseitigungsmittels ist danach nur zu verlangen, wenn es auch materiell-rechtlich lediglich einen Weg zur Be-

1100 1101 1102 1103 1104

Zu vollstreckungsrechtlichen Fragen vgl. § 12 Rn. 898 ff. Vgl. hierzu Rn. 67 ff. BGH 12.3.1954 – I ZR 201/52 – GRUR 1954, 337, 342 – Radschutz. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.84; Ahrens/Loewenheim Kap. 73 Rn. 5. OLG Stuttgart 6.8.1998 – 2 W 6/98 – NJW-RR 1999, 792; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.81; Gloy/ Loschelder/Erdmann/Fritzsche § 79 Rn. 70; Piper/Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 81 m. w. N.; Melullis Rn. 1005; a. A. GK-UWG/ Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 210 f.; Ahrens/Loewenheim Kap. 73 Rn. 5. 1105 Nachweise bei Teplitzky Kap. 24 Rn. 7 mit Fn. 16. 1106 In diesem Sinne auch § 12 Rn. 899. 1107 BGH 12.3.1954 – I ZR 201/52 – GRUR 1954, 337, 342. 1108 BGH 31.5.1957 – I ZR 163/55 – GRUR 1958, 30, 32 – Außenleuchte. 1109 BGH 12.3.1992 – I ZR 58/90 – GRUR 1992, 527, 529 – Plagiatsvorwurf II. 1110 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.84 f. 1111 Teplitzky Kap. 24 Rn. 8. 1112 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.52. 625

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seitigung der Störung gibt.1113 Im Einzelfall kann es erforderlich sein, mehrere Beseitigungsmöglichkeiten mit dem Zusatz, dass der Beklagte das Wahlrecht zwischen diesen hat, im Antrag ausdrücklich zu nennen, wenn dies die einzigen vernünftigerweise in Betracht kommenden Beseitigungshandlungen sind und die Wahlfreiheit des Schuldners nicht über das materielle Recht hinaus eingeschränkt wird.1114 Es wäre allerdings verfehlt, wenn man von den dargestellten Sonderfällen einer ausnahmsweise erforderlichen Konkretisierung der begehrten Beseitigungshandlung ableiten wollte, dass der Kläger regelmäßig zu einer solchen Konkretisierung auch verpflichtet sei. Das ist gerade nicht der Fall.1115 Grundlage der ausnahmsweise bestehenden Pflicht, die begehrte Beseitigung näher zu konkretisieren, ist § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, der einen bestimmten Klageantrag verlangt, um den Streitgegenstand festzulegen. Der Streitgegenstand wird nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes1116 auch im Wettbewerbsprozess durch den wesentlichen Kern1117 des historischen Lebensvorgangs bestimmt, auf den sich das Rechtsschutzbegehren der Klagepartei bezieht, unabhängig davon, ob einzelne Tatsachen dieses Lebenssachverhalts von den Parteien vorgetragen worden sind oder nicht, und auch unabhängig davon, ob die Parteien die nicht vorgetragenen Tatsachen des Lebensvorgangs kannten und hätten vortragen können. Eine Mehrzahl von Streitgegenständen, die angesichts des Verbots der alternativen Klagebegründung1118 durch eine entsprechend bestimmte Antragsfassung voneinander abgegrenzt werden müssten, liegt deshalb nur dann vor, wenn das materielle Recht die aus dem historischen Lebenssachverhalt folgenden Ansprüche unterschiedlich ausgestaltet und dadurch auch die einzelnen Lebensvorgänge rechtlich verselbständigt.1119 Bei der Beseitigungsklage wird das Rechtsschutzbegehren des Klägers durch den fortdauernden Störungszustand geprägt. Hieran knüpft das materielle Recht einen einheitlichen Beseitigungsanspruch (§ 8 Abs. 1 UWG), der solange allein mit dem angestrebten Beseitigungserfolg hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) beschrieben ist, wie nicht die in Betracht kommenden Beseitigungshandlungen so unterschiedlich ausgestaltet sind, dass die Identität des weit verstandenen Lebenssachverhaltes zerstört wird. Wenn es nach materiellem Recht nur eine Möglichkeit gibt, den Störungszustand zu beseitigen, wird die Identität des anspruchsbegründenden Lebenssachverhaltes durch die hieraus abgeleitete Rechtsfolge mitbestimmt. Erst die bestimmte Angabe auch der Rechtsfolge ergibt dann einen bestimmten Antrag. Hier ist deshalb zu verlangen, dass der Kläger die begehrte Beseitigungshandlung in den Antrag mit aufnimmt. Das trifft insbesondere für den Widerrufsanspruch gegenüber unrichtigen Tatsachenbehauptungen zu. Bei einem komplexen Text, der rechtsverletzende Aussagen enthält, muss der Kläger konkret angeben, hinsichtlich welcher Aussagen er einen Widerruf beansprucht. Denn der Umfang des begehrten Widerrufs bestimmt, welche Aussagen und damit auch welcher Aussagetenor vom Beklagten weiter verwendet werden darf. Der

1113 Harte/Henning/Brüning Vorb. § 12 Rn. 139; Fezer/Büscher § 12 Rn. 41; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.52; Piper/Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 81; Piper/Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 74; im Rahmen einer Unterlassungsklage ist nicht anzugeben, welches positive Tun notwendig ist: BGH 4.2.1993 – I ZR 42/91 – GRUR 1993, 556, 557; Ahrens/ Loewenheim Kap. 73 Rn. 5; Teplitzky Kap. 24 Rn. 8. 1114 BGH 12.3.1954 – I ZR 201/52 – GRUR 1954, 337, 338 – Radschutz; Harte/Henning/Brüning Vorb. § 12 Rn. 139; Gloy/Loschelder/Erdmann/Fritzsche § 79 Rn. 70; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.52; Ahrens/Loewenheim Kap. 73 Rn. 5; Piper/Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 81; Piper/Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 75; Teplitzky Kap. 24 Rn. 8. 1115 A. A. § 12 Rn. 899. 1116 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 19 mit Anm. Teplitzky – Biomineralwasser. 1117 Die Formulierung des BGH (Urteil vom 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 19 – Biomineralwasser) ist insoweit missverständlich, als der I. Zivilsenat dort auf den „gesamten“ historischen Geschehensablauf abstellt. Aus dem Kontext der Entscheidungsgründe ergibt sich jedoch, dass der „wesentliche Kern“ des Lebenssachverhalts gemeint gewesen sein muss, vgl. Teplitzky GRUR 2013, 408. 1118 BGH 17.8.2011 – I ZR 108/09 – GRUR 2011, 1043 Tz. 37 – TÜV II. 1119 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 20 mit Anm. Teplitzky – Biomineralwasser. Herrmann

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Umfang und die Art und Weise des begehrten Widerrufs bedingt in diesen Fällen eine Separierung des streitgegenständlichen Lebenssachverhaltes. Von dieser Konstellation einer rechtlich notwendigen Konkretisierung der geschuldeten Beseitigungshandlung sind die Fälle zu unterscheiden, in denen eine solche Angabe zweckmäßig sein kann. Wird der Streitgegenstand – wie regelmäßig – durch die geschuldeten Beseitigungshandlung nicht mitbestimmt, kann es für den Kläger dennoch sinnvoll sein, konkrete Angaben zu machen. Genauso wie es dem Unterlassungskläger freisteht,1120 mehrere in einem Lebenssachverhalt verwirklichte Rechtsverletzungen im Wege der kumulativen Klagehäufung gesondert anzugreifen oder den Umfang des Klageangriffs entsprechend einzuschränken, muss es auch möglich sein, auf der Rechtsfolgenseite Einschränkungen vorzunehmen und beispielsweise nur zwei in Betracht kommende Beseitigungshandlungen konkret geltend zu machen.

bb) Insbesondere: Die Widerrufsklage. Wird der Widerruf einer Äußerung verlangt, muss 455 der Adressatenkreis der Widerrufserklärung aus Bestimmtheitsgründen benannt werden.1121 Der Inhalt der Widerrufserklärung als solcher muss im Antrag nur dann benannt werden, wenn es lediglich einen möglichen Weg zur Erfüllung der Widerrufsverpflichtung gibt oder die Art und Weise des Widerrufs den Streitgegenstand bestimmt. Ansonsten muss die Art und Weise der Erfüllung der Wahl des Schuldners überlassen bleiben. Soweit dies zweifelhaft sein kann, ist im Antrag klarzustellen, dass Werturteile ausgenommen sind.1122 Der Beseitigungstenor darf nicht weiter reichen als die materiell-rechtliche Beseitigungspflicht des Schuldners.1123 Ergibt sich als Ergebnis eines beantragten Widerrufs als unwahr eine Unsicherheit über den Inhalt der betroffenen Äußerung, sind ergänzende Zusätze des Schuldners gestattet.1124 Die Durchsetzung eines uneingeschränkten Widerrufs setzt eine Verhältnismäßigkeitsabwä- 456 gung voraus.1125 Nur dann, wenn mildere Mittel nicht ausreichen, kann der Gläubiger verlangen, dass der Schuldner eine Äußerung durch Widerruf zurücknimmt. Eine vermeidbare und erst recht eine als Selbstzweck angestrebte Demütigung des Schuldners sind jedoch niemals erforderlich, um einen fortdauernden Störungszustand zu beseitigen. Die Demütigung des Schuldners geht über den legitimen Inhalt eines Beseitigungsanspruchs hinaus und kann daher auch nicht verlangt werden. Bedenkt man, dass der Gläubiger nur die Beendigung eines fortdauernden Störungszustan- 457 des verlangen kann, erscheint der eingeschränkte Widerruf und die mit ihm verbundene Klarstellung der Sachlage als nachgerade prototypische Beseitigungshandlung. Wenn der Schuldner erklärt, er halte eine bestimmte Äußerung nicht aufrecht, gibt er von ihm – zu Unrecht – beanspruchten wettbewerblichen Handlungsspielraum frei. Eine fortwirkende Inanspruchnahme solchen Handlungsspielraums ist aber nach der hier vertretenen Auffassung für einen (quasi-negatorischen) Beseitigungsanspruch vorausgesetzt. Freilich kommt ein eingeschränkter Widerruf nur gegenüber Tatsachenbehauptungen in Betracht.1126 Bei Werturteilen ist es ausgeschlossen,

1120 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Leitsatz 1 – Biomineralwasser. 1121 BGH 1.12.1965 – Ib ZR 155/63 – GRUR 1966, 272, 273 f. – Arztschreiber; Harte/Henning/Brüning Vorb. § 12 Rn. 140; Ahrens/Loewenheim Kap. 73 Rn. 13.

1122 BGH 12.3.1992 – I ZR 58/90 – GRUR 1992, 527, 529 – Plagiatsvorwurf II; Harte/Henning/Brüning Vorb. § 12 Rn. 141.

1123 BGH 29.9.1965 – Ib ZR 88/63 – GRUR 1966, 35, 38 – multikord; BGH 26.9.1980 – I ZR 69/78 – GRUR 1981, 60, 64 – Sitex; Harte/Henning/Brüning Vorb. § 12 Rn. 141; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.53.

1124 HansOLG Hamburg 27.3.2002 – 5 U 206/01 – GRUR-RR 2002, 298, 299 – PC-Spiele-Magazin. 1125 Teplitzky Kap. 26 Rn. 10. 1126 Teplitzky Kap. 26 Rn. 18. 627

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die Sachlage richtigzustellen. Zudem kann ein eingeschränkter Widerruf nur vom Schuldner selbst ausgesprochen und nicht durch das Urteil1127 ersetzt werden.1128 458 Aus dem Presserecht ist neben dem eingeschränkten Widerruf die Gegendarstellung geläufig. An die Stelle einer Korrektur durch den in Anspruch genommenen Verletzer tritt hier die Veröffentlichung einer entgegengesetzten Aussage des Verletzten selbst. Die zunehmende Bedeutung der Gegendarstellung als Spielart des quasi-negatorischen Beseitigungsrechtsschutzes erscheint außerhalb des Presserechts jedoch intuitiv unrichtig. Im Presserecht eröffnet der Anspruch auf Gegendarstellung dem Betroffenen einen gesicherten Zugang zu dem Medium, mit dem die ihn beeinträchtigende Äußerung verbreitet worden war. Er kann so mit seiner Gegenäußerung denselben Adressatenkreis erreichen. Presserechtlich kann durch die Gegendarstellung ein verhältnismäßiger Ausgleich zwischen den prinzipiell gleichrangigen und jeweils verfassungsrechtlich verbürgten Freiheitsrechten von Presse und Betroffenem gewährleistet werden. Bei einer Störung des Leistungswettbewerbs durch Äußerungen ist ein Gegendarstellungsanspruch zunächst nicht deshalb erforderlich, um dem Betroffenen den Zugang zu einem bestimmten Äußerungsmedium zu eröffnen. Jeder Betroffene kann auch ohne materiell-rechtliche oder gerichtliche Ermächtigung seine Sicht der Dinge in der ihm geeignet erscheinenden Art und Weise darstellen. Dementsprechend werden die Adressaten der Gegendarstellung des Betroffenen auch keine der richtigzustellenden Äußerung überlegene Richtigkeitsgewähr beimessen. Allerdings scheint die Rechtsprechung – jedenfalls unter Schadensersatzgesichtspunkten – ein Stufenverhältnis zwischen Widerruf, eingeschränktem Widerruf und Gegendarstellung anzunehmen, wobei die Gegendarstellung den Rechtsbehelf mit der geringsten Eingriffsintensität bildet.1129 Die Übertragung dieses eigens presserechtlichen Instrumentariums auf das Wettbewerbsrecht wäre nicht sachgerecht. Die Gegendarstellung beseitigt die von einer wettbewerbswidrigen Behauptung ausgehenden Störungen überhaupt nicht und ist daher als Rechtsfolge des Beseitigungsanspruchs ungeeignet. Denn die fortdauernde Störung besteht gerade darin, dass der Störer eine ihm rechtlich nicht zukommende wettbewerbliche Handlungsfreiheit beansprucht. Ohne hoheitliche Zurückweisung dieser Grenzüberschreitung besteht die Störung fort und dem eine Gegendarstellung abgebenden Betroffenen bliebe nur die Hoffnung, dass sich seine Position durchsetzt. Aus anwaltlicher Vorsicht dürfte es sich regelmäßig empfehlen, wegen der Gegendarstellungsansprüche als Ausweg begünstigenden Rechtsprechung neben einem (ggf. eingeschränkten) Widerruf eine Verurteilung zur Veröffentlichung einer Gegendarstellung im Wege eines Hilfsantrages zu verlangen. Dies mag psychologisch die Neigung des Gerichts fördern, als eine Art Kompromiss unter Zurückweisung weitergehender Anträge die Gegendarstellung zuzusprechen. Rechtlich fassbar wäre eine solche Ausweichtendenz indessen nicht.

459 cc) Vollstreckung.1130 Die Vollstreckung eines Beseitigungstitels richtet sich zunächst nach dem Inhalt der geschuldeten Beseitigungshandlung. Der Gläubiger kann die verlangte Beseitigungshandlung in seinem Antrag bezeichnen, er muss dies aber nur dann tun, wenn die Beseitigungshandlung zur Bestimmung des Streitgegenstandes erforderlich ist.1131 Grundsätzlich genügt für das Erkenntnisverfahren die Angabe des Rechtsschutzziels, sofern nicht aus Gründen des materiellen Rechts eine bestimmte Beseitigungshandlung als Rechtsfolge zu einer erkennbaren Differenzierung der Sachverhaltsgrundlagen (Lebenssachverhalt) führt.1132 Wenn ein nur 1127 1128 1129 1130 1131 1132

Zur Vollstreckung von Widerrufsansprüchen vgl. allgemein auch § 12 Rn. 906. Teplitzky Kap. 26 Rn. 18. Nachweise bei Teplitzky Kap. 26 Rn. 20, Fn. 60 und 63. Hierzu allgemein § 12 Rn. 894 ff. Vgl oben Rn. 454. BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 19 f. mit Anm. Teplitzky – Biomineralwasser.

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das Beseitigungsziel benennender Antrag den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügt, muss er auch taugliche Grundlage für ein hieraus zu betreibende Zwangsvollstreckung sein. Hiervon zu unterscheiden sind die Anforderungen, die an Anträge des Gläubigers im Vollstreckungsverfahren zu stellen sind.1133 Das Vollstreckungsgericht kann beispielsweise über den Antrag auf eine Ermächtigung zur Ersatzvornahme und Kostenvorschuss (§ 887 Abs. 2 ZPO) nur dann sachgerecht entscheiden, wenn die konkrete Maßnahme, zu deren Vornahme der Gläubiger ermächtigt werden soll, im Vollstreckungsantrag bezeichnet wird.1134 Auch kann nur anhand eines konkreten, bestimmten Antrags beurteilt werden, ob die Handlung, deren Vornahme der Gläubiger erzwingen will, vertretbar oder unvertretbar ist. Das bedeutet nicht, dass an Anträge im Vollstreckungsverfahren „höhere“ Anforderungen als im Erkenntnisverfahren zu stellen wären.1135 Die Bestimmtheitsanforderungen sind vielmehr je nach Verfahrensstadium unterschiedlich. Ein Schuldner, der materiell die Beseitigung einer fortwirkenden Störungsursache schuldet, kann im Erkenntnisverfahren regelmäßig nicht gezwungen werden, eine bestimmte von mehreren in Betracht kommenden und für das Klägerinteresse gleichwertigen Maßnahmen zu wählen, weil der Gläubiger materiell-rechtlich keinen Anspruch auf eine konkrete Beseitigungshandlung, sondern nur auf den Beseitigungserfolg hat. Das grundsätzlich bestehende Wahlrecht des Schuldners unter mehreren gleich geeigneten Beseitigungsmitteln geht bei einer vertretbaren Handlung erst dann auf den Gläubiger über, wenn er einen bestimmten Antrag auf Ermächtigung zur Ersatzvornahme stellt. Da dieser Antrag den Titelinhalt für die Zwecke der Vollstreckung konkretisiert, muss er die betroffene Maßnahme genau bezeichnen. Besteht die erforderliche Beseitigungshandlung in einer rechtsgeschäftlichen Erklärung des 460 Schuldners oder in einer Verfahrenshandlung (z. B. Zustimmung zur Löschung einer Registereintragung), erfolgt die Vollstreckung nach § 894 ZPO. Da die Vollstreckung im Rahmen des § 894 ZPO ohne zusätzliche Verfahrenshandlung des Vollstreckungsgerichts über eine Abgabefiktion erfolgt, muss die Schuldnererklärung bereits im Erkenntnisverfahren konkret bezeichnet werden. Der Beseitigungserfolg kann hier nur auf einem Wege (bestimmte Erklärung des Schuldners) erreicht werden. Damit wirken die vollstreckungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen in das Erkenntnisverfahren hinein und müssen bereits bei der Antragstellung beachtet werden. Die Verurteilung zur Beseitigung muss im Tenor die zu beseitigende Störung eindeutig be- 461 schreiben. Die Vollstreckung erfolgt grundsätzlich nach § 888 Abs. 1 ZPO. Der Widerruf ist eine nicht vertretbare Handlung, da nur eine Gegenäußerung gerade des Schuldners die fortdauernde Störung beseitigen kann. Anders als im Rahmen der Unterlassungsvollstreckung (§ 890 ZPO) findet eine Androhung des Zwangsmittels nicht statt.1136 Aus pragmatischen Erwägungen wurde vielfach vertreten,1137 dass eine Vollstreckung des 462 Widerrufstenors über § 894 ZPO (in analoger Anwendung) vorzugswürdig sei. Zwar erspart die Erklärungsfiktion des § 894 ZPO dem Schuldner die in der persönlichen Abgabe der Erklärung häufig liegende Unannehmlichkeit. Allerdings korrespondiert der Erleichterung für den Schuldner eine verringerte Rechtsschutzintensität für den Gläubiger. Anders als im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 894 ZPO ist die Fiktion der Abgabe der verlangten Erklärung nicht notwendig gleichbedeutend mit deren Abgabe gerade durch den Schuldner. Während beispielsweise ein Anspruch auf Abgabe einer grundbuchrechtlichen Eintragungsbewilligung ohne Rechtsverlust für den Gläubiger nach § 894 ZPO vollstreckt werden kann, ist die Beseitigungswirkung einer nur fingierten Widerrufserklärung mangels unmittelbarer Distanzierung des Verrufers geringer.1138 1133 1134 1135 1136 1137 1138 629

OLG Stuttgart 6.8.1998 – 2 W 6–98 – NJW-RR 1999, 792. OLG Stuttgart 6.8.1998 – 2 W 6–98 – NJW-RR 1999, 792. Vgl. die Nachweise bei Teplitzky Kap. 58 Rn. 5 mit Fn. 11. Musielak/Lackmann § 888 ZPO Rn. 10. Nachweise in der GK-UWG/Köhler1 Vor § 13 B Rn. 183. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.109; Teplitzky Kap. 26 Rn. 16. Herrmann

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Neben der Zurücksetzung der Gläubigerinteressen spricht gegen die Heranziehung des § 894 ZPO, dass es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt. Das Gesetz sieht eine Vollstreckung unvertretbarer Handlungen in § 888 Abs. 1 ZPO vor. Der Ausweg über die für rechtsgeschäftliche oder rechtsgeschäftsähnliche Erklärungen gedachten Bestimmung des § 894 ZPO ist deshalb versperrt. Eine Vollstreckung über § 894 ZPO könnte zudem nur die eigentliche Widerrufserklärung erfassen. Sofern der Widerruf in einer bestimmten Weise oder gegenüber bestimmten Adressaten erfolgen muss, um die fortwirkende Störung zu beseitigen, scheidet eine Vollstreckung nach § 894 ZPO von vornherein aus. Schließlich könnte eine in einem Prozessvergleich vereinbarte Widerrufserklärung keinesfalls nach der nur für Urteile geltenden Vorschrift des § 894 ZPO vollstreckt werden. Der Gläubiger müsste dann einen erneuten Leistungsprozess führen, nur um eine Vollstreckungsmöglichkeit über § 894 ZPO zu erlangen. Das würde den Gläubiger aber grundlos weiter benachteiligen. Es sollte daher bei der Vollstreckung von Widerrufstiteln über § 888 ZPO bleiben.1139 Das Vollstreckungsverfahren unterscheidet sich sodann danach, ob die von dem Schuldner 463 vorzunehmende Handlung vertretbar ist oder nicht (§§ 887, 888 ZPO).1140 Die Handlung ist nach allgemeinen Grundsätzen vertretbar, wenn sie ein Dritter mit gleichem wirtschaftlichem Ergebnis, d. h. ohne Nachteil für das Gläubigerinteresse vornehmen kann.1141 Vor der Entscheidung des Vollstreckungsgerichts ist der Schuldner zu hören (§ 891 Abs. 1 Satz 2 ZPO). In Zweifelsfällen gibt das Gläubigerinteresse den Ausschlag.1142 Ist eine Mitwirkung des Schuldners erforderlich, zwingt dies nicht stets zur Annahme einer unvertretbaren Handlung, da auch die Anordnung von Maßnahmen nach § 892 ZPO in Betracht kommt, um den Widerstand des Schuldners zu brechen. Schuldet der Schuldner beispielsweise die Beseitigung einer als wettbewerbswidrig erkannten Fassadengestaltung,1143 ist zwar die Mitwirkung des Schuldners (Dulden der Einwirkung, Betreten seines Grundstücks etc.) erforderlich. Dies führt indessen nicht zur Annahme einer unvertretbaren Handlung, da die Mitwirkung des Schuldners durch § 892 ZPO ersetzt bzw. dessen Widerstand gebrochen werden kann. Die Vollstreckung erfolgt daher durch Ermächtigung des Gläubigers zur Ersatzvornahme. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erfordert, dass die Ermächtigung zur Ersatzvornahme auf die den Schuldner bei gleicher Erfolgsaussicht am wenigsten belastende Maßnahme beschränkt wird.1144 Der Vollstreckungstitel ermächtigt nach allgemeinen Regeln nur zu Eingriffen in Rechte des 464 Schuldners. Ist die Mitwirkung eines Dritten erforderlich, kann eine Vollstreckung nur erfolgen, wenn der Dritte zustimmt oder aufgrund eines gegen ihn erwirkten Titels zur Duldung verpflichtet ist.1145 Die erforderliche Mitwirkung eines Dritten macht deshalb eine ansonsten vertretbare Handlung zu einer unvertretbaren, deren Vollstreckung über § 888 ZPO erfolgen muss.1146 Hier wird es oftmals zweckmäßig sein, einen zur Mitwirkung nicht bereiten Dritten unmittelbar auf Beseitigung in Anspruch zu nehmen.1147 Gegenüber der Vollstreckung eines Unterlassungstitels hat die Durchsetzung eines Beseiti465 gungsanspruches den (möglichen) Nachteil, dass das Zwangsgeld bei unvertretbaren Handlungen auf A 25.000 beschränkt ist (§ 888 Abs. 1 Satz 2 ZPO); ein Betrag, der international tätige Unternehmen u. U. nicht notwendig zu einem titelgerechten Verhalten motivieren wird. 1139 1140 1141 1142 1143 1144 1145 1146 1147

Jetzt ganz h. M.; vgl. dazu die Nachweise bei Teplitzky, Kap. 26 Rn. 16 in Fn. 49. Hierzu auch § 12 Rn. 904 ff. Vgl. die Kommentierungen zu §§ 887, 888 ZPO sowie § 12 Rn. 904 ff. GK-UWG/Jestaedt1 Vor § 13 E Rn. 94; Teplitzky Kap. 58 Rn. 8. BGH 28.1.1977 – I ZR 109/75 – GRUR 1977, 614, 616 – Gebäudefassade. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.52. BGH 27.11.2008 – I ZB 46/08 – NJW-RR 2009, 443, 444. BGH 27.11.2008 – I ZB 46/08 – NJW-RR 2009, 443, 444. Teplitzky Kap. 58 Rn. 16.

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V. Besondere Klagearten

Vor §§ 12–15a A

Nach wie vor nicht abschließend geklärt ist, ob der Schuldner im Vollstreckungsverfahren 466 die Erfüllung der geschuldeten Handlungspflicht einwenden kann.1148 Der Bundesgerichtshof1149 lässt den Erfüllungseinwand zu, sofern er vor Rechtskraft eines Beschlusses im Rahmen der §§ 887 f. ZPO erhoben wird. Nach Rechtskraft eines solchen Beschlusses bleibt allein der Weg der Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO).1150 Die Nichterfüllung der dem Schuldner obliegenden Handlungspflicht ist Tatbestandsvoraussetzung für die Festsetzung von Vollstreckungsmaßnahmen (vgl. § 887 ZPO: „Erfüllt der Schuldner die Verpflichtung nicht, eine Handlung vorzunehmen […]“). Daran ändert nichts, dass der Schuldner mit dem Erfüllungseinwand einen materiell-rechtlichen Einwand geltend macht.1151 Dennoch bleibt die materiell-rechtliche Natur des Erfüllungseinwandes für die Beweislastverteilung erheblich. Nach allgemeinen Regeln muss der Schuldner die Voraussetzungen für ein von ihm geltend gemachtes Erlöschen des Anspruchs durch Erfüllung nachweisen.1152 Obschon der Wortlaut des § 887 ZPO die Nichterfüllung als positive Zugangsvoraussetzung zu den Zwangsmaßnahmen der §§ 887 f. ZPO formuliert und damit den Gläubiger mit dem Nachweis zu belasten scheint, bestimmt sich die Beweislastverteilung nach dem materiellen Recht. Auch soweit der Erfüllungseinwand im Verfahren nach §§ 887 f. ZPO erhoben werden kann, 467 fehlt einer gleichwohl erhobenen Vollstreckungsabwehrklage nicht das Rechtsschutzinteresse.1153 Mit der Vollstreckungsabwehrklage kann der Schuldner die Vollstreckbarkeit des Titels insgesamt beseitigen, während die Zurückweisung eines Antrags des Gläubigers nach §§ 887 f. ZPO den Titel in seinem Bestand unberührt lässt.

dd) Kein Einfluss auf rechtlich verobjektivierte Verfahren. Die Unterbindung oder Beein- 468 flussung von Verfahrenshandlungen des Beklagten ist kein zulässiges Rechtsschutzziel einer Unterlassungsklage. Auch für die Beseitigungsklage gilt diese Beschränkung. Eine mit dem Ziel, in rechtlich verobjektivierte Verfahren einzugreifen, erhobene Beseitigungsklage ist deshalb unzulässig.1154 Die Berichtigung oder der Widerruf von Aussagen zum Stand der Technik in einer Patentschrift kann daher nicht aus §§ 4 Nr. 2, 3 Abs. 1 i. V. m. § 8 Abs. 1 UWG verlangt werden. Die Prüfung der Patentschrift obliegt allein den Patentbehörden bzw. den Rechtsmittelgerichten, die beispielsweise über eine Nichtigkeitsklage zu entscheiden haben.1155 Beseitigungsklagen, die diese Grenzen missachten, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis. Zum Rechtsschutzbedürfnis für eine Leistungsklage auf Beseitigung, wenn bereits ein Unterlassungstitel vorliegt vgl. auch oben Rn. 51. 2. Feststellungsklage Feststellungsklagen begegnen im Wettbewerbsprozess vor allem als (positive) Schadensersatz- 469 feststellungsklage und als (negative) Feststellungsklage gerichtet auf die Feststellung des Nichtbestehens eines Unterlassungsanspruchs nach vorausgegangener Abmahnung.1156 Erhebliche Relevanz hat die Feststellungsklage auch in Fällen einseitiger Erledigung der Hauptsache, die 1148 Hierzu auch § 12 Rn. 900. 1149 BGH 5.11.2004 – IXa ZB 32/04 – NJW 2005, 367, 369; BGH 26.4.2007 – I ZB 82/06 – NJW-RR 2007, 1475 Tz. 16; weitere Nachweise bei Teplitzky Kap. 58 Rn. 13 mit Fn. 25–27. 1150 Stein/Jonas/Brehm, § 887 ZPO Rn. 27; Zöller/Stöber, § 888 ZPO Rn. 11. 1151 BGH 5.11.2004 – IXa ZB 32/04 – NJW 2005, 367, 369. 1152 BGH 26.4.2007 – I ZB 82/06 – NJW-RR 2007, 1475 Tz. 19. 1153 Kritisch Teplitzky Kap. 58 Rn. 13 mit Fn. 32. 1154 BGH 10.12.2009 – I ZR 46/07 – BGHZ 183, 309 = GRUR 2010, 253, 254 f. – Fischdosendeckel. 1155 BGH 10.12.2009 – I ZR 46/07 – BGHZ 183, 309 = GRUR 2010, 253, 255 – Fischdosendeckel. 1156 Teplitzky Kap. 52 Rn. 9 f. 631

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

zu einer Klageänderung auf Feststellung führt.1157 Streitgegenstand ist jeweils das Bestehen oder Nichtbestehen eines gegenwärtigen Rechtsverhältnisses, also einer bestimmten, rechtlich geregelten Beziehung einer Person zu anderen Personen oder einer Person zu einer Sache.1158 Das schließt es aus, die Beantwortung von abstrakten Rechtsfragen (z. B. Bestehen oder Nichtbestehen eines Anspruchs des Beklagten bei Vornahme einer bestimmten Handlung seitens des Klägers) zum Gegenstand einer Feststellungsklage zu machen.1159 Das Rechtsverhältnis kann auch zu einem Dritten bestehen, wenn der Kläger auf dessen Feststellung gerade im Verhältnis zu dem Beklagten einen Anspruch hat.1160 Das den Gegenstand einer Feststellungsklage bildende Rechtsverhältnis muss im Klageantrag so genau beschrieben werden, dass über seine Identität und den Umfang der Rechtskraft kein Zweifel bestehen kann.1161 Dabei dürfte es angesichts der Entscheidung Biomineralwasser1162 solange nicht auf die das Rechtsverhältnis prägenden Normen ankommen, wie nicht das materielle Recht die aus einem Lebenssachverhalt folgenden Ansprüche so unterschiedlich ausgestaltet, dass dadurch die einzelnen Lebensvorgänge auch rechtlich verselbständigt werden.1163 Das Gericht hat – wie sonst auch – auf eine sachgerechte Antragstellung hinzuwirken (§ 139 ZPO) und ggf. eine Konkretisierung des Feststellungsantrags anzuregen.1164 Gegenüber der rechtsschutzintensiveren Leistungsklage ist die Feststellungsklage grundsätzlich subsidiär. Sofern der Kläger einen Leistungstitel erlangen kann, besteht regelmäßig kein rechtliches Interesse an der Feststellung. Zwar trifft es zu, dass auch die Leistungsklage ein Feststellungselement umfasst. Da aber nur die Feststellungsklage eine Vollstreckungsmöglichkeit gegenüber einem unwilligen Schuldner beinhaltet, muss es dem Beklagten insbesondere einer negativen Feststellungsklage unbenommen bleiben, seinerseits Leistungsklage zu erheben. Ein Vorrang der Feststellungsklage ist zudem auch deshalb ausgeschlossen, weil nur die Leistungsklage – nicht aber die Verteidigung gegen eine negative Feststellungsklage umgekehrten Rubrums – die Verjährung hemmt.1165 Aus Gründen der Prozessökonomie kann sich nach Rechtshängigkeit einer negativen Feststellungsklage eine Einschränkung des Gerichtsstandswahlrechts für eine Leistungsklage auf Unterlassung ergeben, wenn der Feststellungsbeklagte nicht unverzüglich nach Rechtshängigkeit der negativen Feststellungsklage umgekehrten Rubrums Leistungsklage in einem Wahlgerichtsstand erhebt. Eine verzögerte Erhebung der Leistungsklage beschränkt den Leistungskläger dann auf die Erhebung einer Leistungswiderklage im Feststellungsgerichtsstand. Erhebliche praktische Relevanz in Wettbewerbsprozessen hat die positive Feststellungsklage gerichtet auf die Feststellung einer Schadensersatzpflicht. Hier gelten im Grundsatz die allgemeinen Regeln. Ein Feststellungsinteresse besteht, wenn nach der Lebenserfahrung die Entstehung eines Schadens denkbar und möglich ist.1166 Bei Eingriffen in vermögenswerte Rechte ist ein Schaden nicht nur wahrscheinlich, sondern sicher. Denn der Verletzte muss den Eingriff in seine Rechte nicht hinnehmen und kann Schadensersatz nach der Lizenzanalogie verlangen.1167

1157 1158 1159 1160 1161 1162 1163 1164 1165 1166

Vgl. hierzu die allgemeinen ZPO-Kommentare. BGH 7.6.2001 – I ZR 21/99 – GRUR 2001, 1036 – Kauf auf Probe. BGH 7.6.2001 – I ZR 21/99 – GRUR 2001, 1036 – Kauf auf Probe. BGH 30.3.2004 – KZR 24/02 – GRUR 2004, 616, 617 – Wegfall der Freistellung. BGH 22.11.2007 – I ZR 12/05 – GRUR 2008, 357 Tz. 21 – Planfreigabesystem; Teplitzky Kap. 52 Rn. 11a. BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 20 mit Anm. Teplitzky – Biomineralwasser. BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 20 mit Anm. Teplitzky– Biomineralwasser. Teplitzky Kap. 52 Rn. 11a. Teplitzky Kap. 16 Rn. 39; allg. Meinung. BGH 23.4.1991 – X ZR 77/89 – GRUR 1992, 559 – Mikrofilmanlage; BGH 20.6.1991 – I ZR 277/89 – GRUR 1992, 61, 63 – Preisvergleichsliste; BGH 6.3.2001 – KZR 32/98 – GRUR 2001, 849, 850 – Remailing-Angebot; MünchKommUWG/Ehricke Vor § 12 Rn. 25; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.55. 1167 BGH 19.7.2007 – I ZR 93/04 – GRUR 2007, 887, 880 – Windsor Estate; weitere Nachweise bei Teplitzky Kap. 52 Rn. 29 mit Fn. 126–129. Herrmann

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V. Besondere Klagearten

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Sofern es sich bei der festzustellenden Ersatzpflicht um primäre Vermögensschäden han- 474 delt, soll nach einer von mehreren BGH-Senaten vertretenen Meinung die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts bereits Voraussetzung des Feststellungsinteresses und damit Sachentscheidungsvoraussetzung sein.1168 Das erscheint wenig überzeugend und steht auch im Widerspruch zur Rechtsprechung des I. und des X. Zivilsenats sowie des Kartellsenats.1169 Als Sachentscheidungsvoraussetzung für eine Schadensersatzfeststellungsklage ist nur zu verlangen, dass das den Schadensersatzanspruch tragende Rechtsverhältnis hinreichend konkretisiert ist und die allgemeinen Anforderungen an ein Feststellungsinteresse (z. B. Bestreiten der Einstandspflicht durch den Beklagten) gegeben sind. Nur wenn ein Schaden nach dem Klägervortrag als ausgeschlossen erscheint, ist das Feststellungsinteresse zu verneinen.1170 Die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ist ansonsten eine Frage der Begründetheit der Feststellungsklage. Die Klage auf Feststellung einer Schadensersatzpflicht aus begangenem Wettbewerbsver- 475 stoß erfasst auch künftige Zuwiderhandlungen gegen einen korrespondieren Unterlassungstenor.1171 Die Schadensersatzfeststellungsklage ist funktional auf den Unterlassungsanspruch bezogen. Sie vermeidet, dass sich der Gläubiger nach erfolgreichem Abschluss des Unterlassungsprozesses in einem Schadensersatzprozess erneut mit der Behauptung des Schuldners auseinandersetzen muss, sein Wettbewerbsverhalten sei nicht rechtswidrig gewesen. Ein solcher Einwand wäre ohne Feststellungsurteil möglich. Denn nach der Rechtsprechung 476 des BGH1172 soll von dem Unterlassungstitel keine Feststellungswirkung für einen nachfolgenden Schadensersatzprozess ausgehen.1173 Das zukunftsgerichtete Feststellungsurteil vermeidet dies. Die Richtigkeit der Annahme solcher Zukunftswirkung des Urteils auf Feststellung einer Schadensersatzpflicht belegt folgende Kontrollüberlegung:1174 Wäre die Feststellungswirkung nur auf den Zeitpunkt der dem Urteil vorangehenden mündlichen Verhandlung bezogen, stünde der erfolgreiche Feststellungskläger im Ergebnis schlechter als der Gläubiger eines vertraglichen Unterlassungsversprechens. Bei Verletzung eines Unterlassungsverpflichtungsvertrages steht fest, dass der Schuldner rechtswidrig gehandelt hat. Ein entsprechendes Ergebnis muss auch im gerichtlichen Klageverfahren über die Verbindung des Unterlassungsantrages mit einer Schadensersatzfeststellung erreichbar sein.1175 Die Schadensersatzfeststellungsklage im Wettbewerbsprozess ist somit in gleicher Weise zukunftsgerichtet wie die Unterlassungsklage, auf die sie sich bezieht. Dem steht nicht entgegen, dass der Schadensersatzanspruch erst mit dem zugrunde liegenden Wettbewerbsverstoß entsteht.1176 Ebenso wie der Unterlassungsanspruch der Sache nach (über § 258 ZPO)1177 künftige Wettbewerbsverstöße erfasst, muss auch eine hieran 1168 BGH 24.1.2006 – XI ZR 384/03 – NJW 2006, 830 Tz. 27 – Kirch/Deutsche Bank; BGH 15.10.1992 – IX ZR 43/ 92 – NJW 1993, 648, 653.

1169 BGH 23.4.1991 – X ZR 77/89 – GRUR 1992, 559 Leitsatz 1 – Mikrofilmanlage; BGH 6.7.1995 – I ZR 58/93 – GRUR 1995, 744, 749 – Feuer, Eis & Dynamit; BGH 6.3.2001 – KZR 32/98 – GRUR 2001, 849, 850 – Remailing-Angebot; vgl. dazu auch Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.55 und Teplitzky Kap. 52 Rn. 29 mit Fn. 126. 1170 Vgl. die Nachweise in der letzten Fn. 1171 BGH 4.5.2004 – X ZR 234/02 – BGHZ 159, 66 = GRUR 2004, 755, 756 – Taxameter. 1172 RG 3.7.1901 – I 141/01 – RGZ 49, 33, 36; RG 15.3.1939 – II 80/38 – RGZ 160, 163, 165 f.; BGH 17.3.1964 – Ia ZR 193/63 – BGHZ 42, 340 = GRUR 1965, 327, 329 ff. – Gliedermaßstäbe; BGH 2.5.2002 – I ZR 45/01 – GRUR 2002, 1046, 1047 – Faxkarte; Harte/Henning/Brüning Vorb. § 12 Rn. 247; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.115. 1173 A. A. Grosch S. 379 ff.; Grosch/Schilling FS Eisenführ, S. 157. 1174 Grosch/Schilling FS Eisenführ, S. 157. 1175 Grosch/Schilling FS Eisenführ, S. 157. 1176 BGH 25.2.1992 – X ZR 41/90 – BGHZ 117, 264 = GRUR 1992, 612, 616 – Nicola; BGH 19.7.2007 – I ZR 93/04 – BGHZ 173, 269 = GRUR 2007, 877, 879 – Windsor Estate. 1177 Auf § 259 ZPO kann nicht abgestellt werden, weil für eine Klage auf künftige Leistung nach dieser Vorschrift vorausgesetzt ist, dass das Bestehen des Anspruches selbst feststeht. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, da die Schadensersatzfeststellungsklage auf den Unterlassungstitel bezogen ist, bei dem notwendig offen bleibt, ob es künftig zu Verstößen kommt. 633

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

anschließende Feststellung der Schadensersatzpflicht unter gleichen Voraussetzungen zulässig sein. Der BGH hat dies für Auskunftsansprüche, die auf künftige Verletzungshandlungen bezogen sind und Schadensersatzansprüche vorbereiten, anerkannt.1178 Für die Schadensersatzfeststellungsklage kann nichts anderes gelten.1179 477 Den Interessen des Schuldners ist dadurch Rechnung zu tragen, dass ihm eine Abänderung nach Maßgabe von § 323 ZPO gestattet wird, die zugleich die Grenzen der Bindungswirkung eines entsprechenden Feststellungsurteils bestimmt.1180

3. Leistungsklage auf Schadensersatz 478 Die Leistungsklage auf Schadensersatz1181 ist im Wettbewerbsprozess zwar selten, kommt aber durchaus vor. Ihre eher randständige Bedeutung beruht zunächst auf den – wirklichen oder vermeintlichen – Schwierigkeiten bei der Bestimmung der konkreten Schadenshöhe.1182 Dieser Befund ist an sich nicht selbstverständlich. Denn die materiell-rechtlichen (§ 252 S. 2 BGB) und verfahrensrechtlichen (§ 287 ZPO) Instrumentarien würden, sofern nicht bereits Erleichterungen wie die Erweiterung der Lizenzanalogie auf bestimmte Fallgestaltungen in Frage kommen,1183 durchaus das Potential für eine größere Bedeutung dieses Rechtsbehelfs bieten.1184 Soweit dem Kläger eine Bezifferung des konkret entstandenen Schadens im Einzelnen nicht möglich ist, kommt zudem eine Leistungsklage ohne bezifferten Antrag als Ausweg in Betracht,1185 die sonst im Rahmen des Gewinnabschöpfungsanspruchs nach § 10 UWG diskutiert wird.1186 Freilich ist bei diesen Erleichterungen stets zu bedenken, dass sie nur dazu dienen können, die Durchsetzung eines bestehenden Schadens in der Praxis zu ermöglichen. Wenn ein Schaden aber tatsächlich konkret nicht entstanden (und nicht nur nicht nachweisbar) ist, helfen auch keine Darlegungs- und Durchsetzungserleichterungen. Die Dynamik des Leistungswettbewerbs und das grundsätzliche Fehlen eines schutzfähigen „Besitzstandes“ können dazu führen, dass es an einem konkreten Schaden eines von Wettbewerbsverstößen betroffenen Mitbewerbers überhaupt fehlt. Die Schwierigkeit der Bezifferung eines konkreten wettbewerblichen Schadens kann deshalb sowohl Ausdruck der bestehenden Durchsetzungsschwierigkeiten sein als auch das Fehlen eines ersatzfähigen Schadens indizieren. Zum wettbewerblichen Schadensersatzanspruch muss an dieser Stelle jedoch auf die Kommentierung zu § 9 UWG verwiesen werden. Wenn ein Schaden aber überhaupt fehlen kann oder sogar wahrscheinlich fehlt, ist ein zurückhaltender Einsatz von Schätzungsmöglichkeiten durchaus sachgerecht, da auf diese Weise das Risiko einer „Schätzung“ eines überhaupt fehlenden Schadens begrenzt wird. 479 Kann ein wettbewerblicher Schaden hingegen ganz oder für abgrenzbare Teilbereiche (insbes. Zahlung einer Vertragsstrafe oder für Kosten der Rechtsverfolgung) beziffert werden, ist eine (Teil-)Leistungsklage erforderlich, für die die allgemeinen Regeln gelten. Für eine Schadensersatzfeststellungslage fehlt das Feststellungsinteresse, soweit eine Bezifferung eines abgrenzbaren Teilschadens möglich ist. Soweit eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO in Be-

1178 BGH 25.2.1992 – X ZR 41/90 – BGHZ 117, 264 = GRUR 1992, 612, 616 – Nicola; BGH 4.5.2004 – X ZR 234/02 – BGHZ 159, 66 = GRUR 2004, 755, 756 – Taxameter; BGH 19.7.2007 – I ZR 93/04 – BGHZ 173, 269 = GRUR 2007, 877, 878 f. – Windsor Estate. 1179 BGH 25.2.1992 – X ZR 41/90 – BGHZ 117, 264 = GRUR 1992, 612, 616 – Nicola; BGH 4.5.2004 – X ZR 234/02 – BGHZ 159, 66 = GRUR 2004, 755, 756 – Taxameter. 1180 Grosch/Schilling FS Eisenführ, S. 149, 156 f. 1181 Zur Gewinnabschöpfung vgl. die Kommentierung zu § 10. 1182 Ausführlich Teplitzky GRUR 1987, 215 ff.; Teplitzky Kap. 52 Rn. 30 ff.; Ahrens/Loewenheim Kap. 69 Rn. 3–8. 1183 Hierzu § 9 Rn. 92. 1184 So bereits eingehend Teplitzky GRUR 1987, 215 ff.; Teplitzky Kap. 52 Rn. 30 ff. 1185 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.57; Fezer/Büscher § 12 Rn. 315. 1186 Z. B. Harte/Henning/Goldmann § 10 Rn. 151. Herrmann

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V. Besondere Klagearten

Vor §§ 12–15a A

tracht kommt,1187 muss der Kläger jedenfalls die Grundlagen der Schätzung unter Ausschöpfung ihm zu Gebote stehender Substantiierungsmöglichkeiten darlegen und an dem Beweisverfahren mitwirken.1188

4. Klage auf Auskunft und Rechnungslegung Die materiell-rechtlichen Grundlagen der wettbewerblichen Ansprüche auf Auskunft und Rech- 480 nungslegung werden im Rahmen der Kommentierung zu § 8 UWG behandelt.1189 Gegenstand der folgenden Erörterungen sind allein prozessuale Besonderheiten ihrer Durchsetzung.

a) Einführung und Rechtsgrundlage. Auskunftsansprüche bereiten die Durchsetzung von 481 Schadensersatzansprüchen, Gewinnabschöpfungsansprüchen, Beseitigungsansprüchen und weiteren Nebenansprüchen vor.1190 Anspruchsgegner des vorzubereitenden Schadensersatzoder sonstigen Nebenanspruches können neben dem Auskunftsschuldner auch dessen gewerbliche Abnehmer sein (sog. Drittauskunft). Im Fall der Drittauskunft ist das Vermögen des Auskunftsschuldners von dem geltend gemachten Anspruch nicht betroffen, so dass auch seine Insolvenz nicht zur Unterbrechung (§ 240 ZPO) des Drittauskunftsverfahrens führt.1191 Auskunftsansprüche über Vertriebs- und Absatzwege kommen als sog. Drittauskunft nur 482 in Betracht, wenn dies – wie beim ergänzenden lauterkeitsrechtlichen Leistungsschutz – zur Vorbereitung von Schadensersatz- und/oder Unterlassungsansprüchen gegen gewerbliche Abnehmer des Anspruchsgegners erforderlich ist.1192 Die Auskunft über den Umfang der Verletzungshandlung soll dagegen Ansprüche gegen den Auskunftsschuldner selbst vorbereiten. Daran anschließende Rechnungslegungsansprüche dienen unmittelbar der Bezifferung von möglichen Ersatzansprüchen gegen den Unterlassungsschuldner wegen dessen wettbewerbswidrigen Verhaltens. Verfahren, die Ansprüche auf Auskunftserteilung über von dem Auskunftsschuldner selbst vorgenommene Verletzungshandlungen betreffen, werden durch die Insolvenz des Auskunftsschuldners unterbrochen.1193 Rechtsgrundlage für (akzessorische) Auskunftsansprüche ist sowohl im Falle der Auskunft 483 über Verletzungshandlungen des Unterlassungsschuldners wie im Falle der Drittauskunft über Vertriebswege und Bezugsquellen jeweils § 242 BGB in Verbindung mit dem Unlauterkeitstatbestand, der den Hauptanspruch, dessen effektiver Verwirklichung die Auskunft dienen soll, legitimiert.1194 Da es an einer rechtsgeschäftsähnlichen Sonderverbindung zwischen Auskunftskläger und -beklagtem regelmäßig fehlt, kommt als Hauptanspruch regelmäßig ein Schadensersatzanspruch aufgrund Wettbewerbsverstoßes in Betracht. Im Einzelfall kann ein – verschuldensunab1187 Hierzu § 10 Rn. 195 ff. 1188 BGH 18.2.1977 – I ZR 112/75 – GRUR 1977, 539, 542 – Prozessrechner; BGH 6.3.1980 – X ZR 49/78 – BGHZ 77, 16 = GRUR 1980, 841, 842 f. – Tolbutamid; BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 – BGHZ 119, 20 = GRUR 1993, 55, 59 – Tchibo/ Rolex II; BGH 6.2.2007 – X ZR 117/04 – GRUR 2007, 532, 533 – Meistbegünstigungsvereinbarung; Harte/Henning/ Brüning Vorb. § 12 Rn. 143; Ahrens/Loewenheim Kap. 69 Rn. 8; Piper/Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 82; Teplitzky Kap. 38 Rn. 15 f., Kap. 52 Rn. 33 ff. 1189 Vgl. § 8. 1190 BGH 29.6.2000 – I ZR 29/98 – GRUR 2000, 907, 910 – Filialleiterfehler; BGH 6.3.2001 – KZR 32/98 – GRUR 2001, 849, 851 – Remailing-Angebot; BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26 = GRUR 2001, 841, 842 f. – Entfernung der Herstellungsnummer II; BGH 1.10.2009 – I ZR 94/07 – GRUR 2010, 343, 344 – Oracle; Fezer/Büscher § 8 Rn. 307; Teplitzky Kap. 38 Rn. 5. 1191 BGH 1.10.2009 – I ZR 94/07 – GRUR 2010, 343, 344 – Oracle; Fezer/Büscher § 8 Rn. 311. 1192 BGH 1.10.2009 – I ZR 94/07 – GRUR 2010, 343, 346 – Oracle. 1193 BGH 1.10.2009 – I ZR 94/07 – GRUR 2010, 343, 344 – Oracle. 1194 BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322 – GRUR 1994, 630, 632 – Cartier-Armreif; vgl. auch BGH 1.10.2009 – I ZR 94/07 – GRUR 2010, 343, 345 – Oracle. 635

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

hängiger – Beseitigungsanspruch als Hauptanspruch ausreichen.1195 Der – mittlerweile schon als Gewohnheitsrecht anerkannte1196 – Rückgriff auf den Grundsatz von Treu und Glauben ist notwendig, weil der Auskunftsanspruch im UWG nicht ausdrücklich geregelt und eine analoge Anwendung der durch das Produktpirateriegesetz1197 geschaffenen sondergesetzlichen Regelungen1198 nach h. M. ausgeschlossen ist.1199 Nach allgemeinen Regeln kann im Rahmen jedes Rechtsverhältnisses Auskunft über diejenigen Tatsachen nach Treu und Glauben verlangt werden, die der Gläubiger zur Durchsetzung seiner Rechte kennen muss und über die er in entschuldbarer Weise im Ungewissen ist.1200 Auf Grundlage des § 242 BGB ist das Bestehen einer Sonderverbindung zwischen Schuldner 484 und Gläubiger für Auskunftsansprüche vorausgesetzt. Erst dadurch werden Leistungstreue- und Nebenpflichten begründet. Der Wettbewerbsverstoß selbst ist eine deliktische Handlung, die zwar für sich genommen keine unmittelbaren Leistungstreue- und Nebenpflichten begründet, aber zu einem gesetzlichen Schuldverhältnis zwischen Unterlassungsschuldner und Unterlassungsgläubiger führt.1201 Rechtsgrundlage des Auskunftsanspruches ist danach nicht der Wettbewerbsverstoß selbst, sondern das hiermit begründete gesetzliche Schuldverhältnis.1202 Auf § 687 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 681, 666 f. BGB kann der Auskunftsanspruch nach h. M. nicht 485 gestützt werden. Unlauteres Wettbewerbsverhalten kann grundsätzlich nicht als Führung eines Geschäftes des Unterlassungsgläubigers angesehen werden. Eine Analogie würde das freilich nicht ausschließen. Zwar betont die Rechtsprechung sowie die h. L. in Fällen ergänzenden lauterkeitsrechtlichen Leistungsschutzes zutreffend, dass das UWG keine absoluten (Immaterialgüter-)Rechte für den Unterlassungsgläubiger begründet.1203 Etwas anderes soll nach teilweise vertretener Ansicht für Fälle des sog. unmittelbaren Leistungsschutzes gelten, wobei die Anerkennung dieser Analogie in Fällen sog. unmittelbaren Leistungsschutzes heftig umstritten ist.1204 Zwingend erscheint eine Argumentation, die das Bestehen eines absolut geschützten Rechts 486 als Voraussetzung für ein „fremdes“ Geschäft im Sinne des § 687 Abs. 2 BGB ansieht und wettbewerbliche Grenzüberschreitungen nicht ausreichen lässt, indessen nicht. Da die wettbewerblichen Normen auch subjektive Anspruchspositionen für Wettbewerber und klageberechtigte Verbände begründen, ließe sich ein Wettbewerbsverstoß auch als Eingriff in den Rechtskreis des durch die verletzte Verhaltensnorm Geschützen begreifen. Selbst wenn die wettbewerblichen 1195 BGH 18.2.1972 – I ZR 82/70 – GRUR 1972, 558, 560 – Teerspritzmaschinen; BGH 23.2.1995 – I ZR 75/93 – GRUR 1995, 427, 428 – Schwarze Liste. So bereits BGH 7.12.1979 – I ZR 157/77 – GRUR 1980, 227, 232 – Monumenta Germaniae Historica. BGBl. 1990 I, 422. § 19 MarkenG, § 46 GeschMG, § 140b PatG, § 24b GebrMG. BGH 7.12.1979 – I ZR 157/77 – GRUR 1980, 227, 232 – Monumenta Germaniae Historica; BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322 – GRUR 1994, 630, 632 – Cartier-Armreif; BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26 = GRUR 2001, 841, 842 – Entfernung der Herstellungsnummer II; Fezer/Büscher § 8 Rn. 307; Ahrens/Loewenheim Kap. 72 Rn. 1; Teplitzky Kap. 38 Rn. 5. 1200 BGH 5.6.1985 – I ZR 53/83 – BGHZ 95, 274 = GRUR 1986, 62, 64 – GEMA-Vermutung I; BGH 14.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 329 – GRUR 1994, 630, 632 – Cartier-Armreif; BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26 = GRUR 2001, 841, 843 – Entfernung der Herstellungsnummer II; BGH 6.2.2007 – X ZR 117/04 – GRUR 2007, 532, 533 – Meistbegünstigungsvereinbarung; Ahrens/Loewenheim Kap. 72 Rn. 1. 1201 BGH 18.1.1978 – VIII ZR 262/76 – NJW 1978, 1002; BGH 5.6.1985 – I ZR 53/83 – BGHZ 95, 274 = GRUR 1986, 62, 64 – GEMA-Vermutung I; BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322 – GRUR 1994, 630, 633 – Cartier-Armreif; Ahrens/Loewenheim Kap. 72 Rn. 2; Teplitzky Kap. 38 Rn. 6 m. w. N. 1202 BGH 23.2.1995 – I ZR 75/93 – GRUR 1995, 427, 429 – Schwarze Liste; BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26 = GRUR 2001, 841, 842 f. – Entfernung der Herstellungsnummer II; BGH 1.10.2009 – I ZR 94/07 – GRUR 2010, 343, 346 – Oracle; Fezer/Büscher § 8 Rn. 311. 1203 BGH 28.3.1996 – I ZR 11/94 – GRUR 1996, 508, 509 – Uhren-Applikation; BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795, 799 – Handtaschen; Fezer GRUR 1986, 491; Nirk GRUR 1993, 249. 1204 Für dessen Anerkennung etwa Ohly GRUR 2010, 487 ff.; a. A.: Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 9.5c; Nemeczek WRP 2010, 1204 ff.; Nemeczek GRUR 2011, 292 ff.

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V. Besondere Klagearten

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Marktverhaltensregeln keine absoluten Rechte für die Gläubiger der entsprechenden wettbewerblichen Ansprüche begründen, schränken sie doch die Handlungsfreiheit des Verletzers mit absolutem Geltungsanspruch ein. Aus dessen Sicht ist der Wettbewerbsverstoß somit durchaus als „fremdes Geschäft“ anzusehen. Um einen Auskunftsanspruch zu begründen, bedarf es aber angesichts der seit langem anerkannten Grundlage in § 242 BGB des Umweges über eine Analogie zu § 687 Abs. 2 BGB nicht.

b) Voraussetzungen und Rechtsfolgen. Der Auskunftsschuldner muss die von ihm verlang- 487 te Auskunft „unschwer“ erteilen können.1205 Das bedingt zwar eine im Rahmen des § 242 BGB ohnehin erforderliche Interessenabwägung, ermöglicht dem Auskunftsschuldner aber nicht, den Auskunftsanspruch unter Verweis auf einen – unter Umständen erheblichen – Aufwand an Zeit und Geld abzuwehren. Betrifft die Auskunft Betriebsgeheimnisse des Auskunftsschuldners, kann er einen Wirtschaftsprüfervorbehalt geltend machen.1206 Nach allgemeinen Regeln kann das Gericht einen Wirtschaftsprüfervorbehalt (mit der Kostenfolge des § 92 Abs. 2 ZPO) auch ohne einen entsprechenden Antrag des Beklagten aufnehmen, da dies als Minus im Klageabweisungsantrag mit enthalten ist.1207 Indessen wird ein Wirtschaftsprüfervorbehalt, den die Rechtsprechung neuerdings auch beim sekundären Auskunftsanspruch nur noch unter engen Voraussetzungen zubilligt,1208 gegenüber einem primären Auskunftsanspruch, der eine Rechtsdurchsetzung gegen Dritte vorbereiten soll, grundsätzlich nicht mehr gewährt;1209 allenfalls in besonderen Ausnahmefällen kann er noch in Betracht kommen.1210 Da der Auskunftsanspruch auf weitere Ansprüche bezogen ist (Schadensersatz und/oder 488 Unterlassung), reicht er nicht weiter als die entschuldbare Ungewissheit des Auskunftsgläubigers über diejenigen Tatsachen, die er zur Substantiierung seines Folgeanspruchs benötigt. Für die Drittauskunft sind deshalb nur Auskünfte über den konkreten Verletzungsfall, der Anlass der Auskunftserteilung ist und mit diesem kerngleiche künftige Verletzungshandlungen – sofern diese ebenfalls schuldhaft begangen wurden1211 – erfasst.1212 Auch für die Auskunft zur Vorbereitung von Ansprüchen gegen den Auskunftsschuldner selbst ist die Auskunftserteilung

1205 BGH 13.6.1985 – I ZR 35/83 – GRUR 1986, 66, 67 – GEMA-Vermutung II; BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – GRUR 2001, 841, 842 – Entfernung der Herstellungsnummer II; BGH 6.2.2007 – X ZR 117/04 – GRUR 2007, 532, 533 – Meistbegünstigungsvereinbarung; Fezer/Büscher § 8 Rn. 315; Ahrens/Loewenheim Kap. 72 Rn. 3. 1206 BGH 13.2.1976 – I ZR 1/75 – GRUR 1978, 52, 53 – Fernschreibverzeichnisse; BGH 7.12.1979 – I ZR 157/77 – GRUR 1980, 227, 233 – Monumenta Germaniae Historica; BGH 13.2.1981 – I ZR 111/78 – GRUR 1981, 535 – Wirtschaftsprüfervorbehalt; BGH 10.11.1983 – I ZR 125/81 – GRUR 1984, 530, 534 – Valium Roche; Harte/Henning/Brüning Vorb. zu § 12 Rn. 155; Fezer/Büscher § 8 Rn. 319; Ahrens/Loewenheim Kap. 72 Rn. 10, 23; Teplitzky § 38 Rn. 28–32. 1207 BGH 22.11.1957 – I ZR 144/56 – GRUR 1958, 346, 348 – Spitzenmuster; BGH 13.2.1976 – I ZR 1/75 – GRUR 1978, 52, 53 – Fernschreibverzeichnisse; BGH 7.12.1979 – I ZR 157/77 – GRUR 1980, 227, 233 – Monumenta Germaniae Historica; BGH 13.2.1981 – I ZR 111/78 – GRUR 1981, 535 – Wirtschaftsprüfervorbehalt; BGH 10.11.1983 – I ZR 125/ 81 – GRUR 1984, 530, 534 – Valium Roche; Fezer/Büscher § 8 Rn. 319; Ahrens/Loewenheim Kap. 72 Rn. 23. 1208 Vgl. etwa BGH 2.2.1999 – KZR 11/97 – GRUR 1999, 1025, 1030 – Preisbindung durch Franchisegeber; BGH 8.1.1999 – I ZR 299/98 – NJWE-WettbR 1999, 238, 239; OLG München 17.10.1996 – 6 U 2652/96 – NJWE-WettbR 1998, 64; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 Rn. 4.20; Teplitzky FS für W. Tilmann, S. 913, 921. 1209 BGH 20.12.1994 – X ZR 56/93 – GRUR 1995, 338, 341 f. – Kleiderbügel; BGH 21.2.2002 – I ZR 140/99 – GRUR 2002, 709, 713 – Entfernung der Herstellungsnummer III; Ströbele/Hacker § 19 Rn. 40; Lange Marken- und Kennzeichenrecht, Rn. 5920 und 5930. 1210 BGH 20.12.1994 – X ZR 56/93 – GRUR 1995, 338, 342 – Kleiderbügel; Fezer/Büscher § 8 Rn. 324; Ströbele/ Hacker § 19 Rn. 40; Teplitzky § 38 Rn. 28. 1211 BGH 23.2.2006 – I ZR 27/03 – BGHZ 166, 233 = GRUR 2006, 504, 506 – Parfümtestkäufe; Teplitzky Kap. 38 Rn. 7b. 1212 BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26 = GRUR 2001, 841, 844 – Entfernung der Herstellungsnummer II; BGH 23.2.2006 – I ZR 27/03 – BGHZ 166, 233 = GRUR 2006, 504, 506 – Parfümtestkäufe. 637

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

auf die konkreten Verletzungshandlungen und mit diesen kerngleichen Handlungen begrenzt.1213 489 Erfasst der Tenor des Unterlassungsanspruches – wie regelmäßig – auch in verallgemeinernder Form kerngleiche künftige Verletzungshandlungen, kommt es richtigerweise für einen hierauf (d. h. auf nach der mündlichen Verhandlung, auf die das Unterlassungsurteil ergeht, liegende Handlungen)1214 bezogenen Auskunftsanspruch nicht darauf an, ob das Rechtsverhältnis als Grundlage der Auskunftserteilung bereits besteht (Wiederholungsgefahr) oder nur droht (Erstbegehungsgefahr). Beruht der Unterlassungsanspruch auf einer dargelegten Erstbegehungsgefahr, scheint es 490 indes, als müssten Auskunftsansprüche ausscheiden, da es vor einem tatsächlich erfolgten Verstoß an einem Rechtsverhältnis fehlt, aus dem nach § 242 BGB Nebenansprüche abgeleitet werden könnten.1215 Soweit es bereits zu einem Verstoß gekommen ist, soll hingegen anders zu entscheiden sein, so dass Auskunftsansprüche in Betracht kommen.1216 Diese Differenzierung überzeugt nicht. Für eine Zukunftswirkung der Auskunftsklage entsprechend den Entscheidungen Nicola1217 491 und Windsor Estate1218 ist erforderlich, dass ein übergreifendes, dauerndes Rechtsverhältnis besteht, das fortlaufend Unterlassungsansprüche hervorbringt bzw. hervorbringen kann.1219 Bei gewerblichen Schutzrechten begründet das Schutzrecht selbst und der aus ihm folgende Achtungsanspruch ein solches dauerndes Rechtsverhältnis zwischen den Parteien, das auch zukunftsgerichtete Auskunftsansprüche (parallel zu entsprechenden Unterlassungsansprüchen) legitimiert.1220 Wettbewerbliche Ansprüche begründen jedoch keine den gewerblichen Schutzrechten vergleichbaren absolut geschützten Rechtspositionen. Fehlt es an einem Erstverstoß gegen wettbewerbliche Verhaltenspflichten, wird man materiell-rechtlich noch kein gesetzliches Schuldverhältnis als Grundlage für künftig ggf. entstehende Ansprüche annehmen können. Das trifft freilich auch dann zu, wenn es bereits zu einem Erstverstoß gekommen ist. Denn das gesetzliche Schuldverhältnis aus der Wettbewerbsverletzung (also einem Delikt) ist zunächst auf den begangenen Verstoß selbst bezogen. Dieser kann sich denknotwendig als ein in der Vergangenheit abgeschlossenes Ereignis nicht wiederholen. Es wäre daher inkonsequent, wenn zukunftsgerichtete Auskunftsansprüche bei Wiederholungsgefahr bejaht, bei Erstbegehungsgefahr hingegen verneint würden. Vielmehr sind zukunftsgerichtete Auskunftsansprüche in beiden Fällen möglich. Das insoweit erforderliche übergreifende Rechtsverhältnis ergibt sich aus dem prozessualen Recht des Klägers, seinen Unterlassungsanspruch als konkrete Verbotsnorm titulieren zu lassen.1221 Dieses Recht wäre unvollständig und praktisch entwertet, wenn die auf den Unterlassungsanspruch bezogenen Annexansprüche (Schadensersatzfeststellung, Auskunft und Rechnungslegung) engeren zeitlichen Grenzen unterliegen würden. Der Auskunftsanspruch umfasst deshalb nicht lediglich bei Urteilserlass bereits begangene Wettbewerbsverstöße, sondern auch 1213 BGH 1.2.1996 – I ZR 50/94 – GRUR 1996, 502, 507 – Energiekosten-Preisvergleich I; BGH 29.6.2000 – I ZR 29/ 98 – GRUR 2000, 907, 910 – Filialleiterfehler; Piper/Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 83.

1214 Ein Auskunftsanspruch im Hinblick auf vor Titelerlass erfolgte Verstöße kommt naturgemäß nur in Betracht, wenn es vor Titelerlass bereits zu Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbliche Verhaltenspflichten gekommen ist.

1215 BGH 29.6.2000 – I ZR 29/98 – GRUR 2000, 907, 910 – Filialleiterfehler; eingehend hierzu Steinbeck GRUR 2008, 111 f.

1216 BGH 29.6.2000 – I ZR 29/98 – GRUR 2000, 907, 910 – Filialleiterfehler; Steinbeck GRUR 2008, 111 f. 1217 BGH 25.2.1992 – X ZR 41/90 – BGHZ 117, 264 = GRUR 1992, 612 – Nicola. 1218 BGH 19.7.2007 – I ZR 93/04 – BGHZ 173, 269 = GRUR 2007, 877 – Windsor Estate; mit dieser Entscheidung hat der I. Zivilsenat die seit dem Urteil vom 26.11.1987 – I ZR 123/85 – GRUR 1988, 307 – Gaby in ständiger Rechtsprechung vertretene (und lange Zeit auch herrschende) Gegenmeinung aufgegeben; vgl. zur historischen Entwicklung und Kritik Teplitzky Kap. 38 Rn. 7 f. m. w. N. 1219 Grosch/Schilling FS Eisenführ, S. 158. 1220 BGH 19.7.2007 – I ZR 93/04 – BGHZ 173, 269 = GRUR 2007, 877 – Windsor Estate. 1221 Grosch S. 72 ff.; Grosch/Schilling FS Eisenführ, S. 158. Herrmann

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V. Besondere Klagearten

Vor §§ 12–15a A

alle künftigen, von dem Unterlassungstenor umfassten, Zuwiderhandlungen gegen die streitgegenständliche wettbewerbliche Verhaltenspflicht. Angaben zu einem etwaigen Verletzergewinn1222 sowie zu Gemeinkosten und der Kalku- 492 lation des Unterlassungsschuldners können nur verlangt werden, wenn ein hierauf bezogener Anspruch aufgrund des Wettbewerbsverstoßes bestehen kann. Das ist aber nur der Fall, wenn der Wettbewerbsverstoß aus einer Zuwiderhandlung gegen § 4 Nr. 3 UWG i. V. m. § 3 Abs. 1 UWG (ergänzender wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz) oder einer Verletzung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen (§§ 17, 18 UWG oder § 3 Abs. 1 UWG) besteht. Im Übrigen ist der Auskunftsanspruch auf das zur Vorbereitung der Durchsetzung des Hauptanspruchs Erforderliche begrenzt.1223 Eine Auskunft ist also nur in dem Umfang geschuldet, wie dies erforderlich ist, um die Grundlagen für eine Schadensschätzung (§ 287 ZPO) zu legen.1224 Der Umfang der geschuldeten Auskunft bestimmt sich deshalb nach den Umständen des Einzelfalls, die fallgruppenweise konkretisiert werden.1225 Angaben zu Namen und Anschriften von Abnehmern oder Empfängern können verlangt 493 werden, wenn dies im Rahmen einer Drittauskunft für ein Vorgehen gegen diese Personen erforderlich ist1226 oder wenn die Konkretisierung der Auskunft deshalb erforderlich ist, um die erteilte Auskunft auf Richtigkeit und Vollständigkeit überprüfen zu können.1227 Kann der Gläubiger Rechnungslegung verlangen, gehört hierzu auch die Herausgabe vollständiger Belege.1228 Die Art der verlangten Belege ist im Antrag so genau zu bezeichnen, dass das Vollstreckungsgericht ohne weiteres beurteilen kann, ob die vorgelegten Belege den tenorierten Anspruch erfüllen.1229 Ist die Auskunft nach Auffassung des Klägers unvollständig, kann er deren Ergänzung bzw. die Versicherung der Richtigkeit an Eides Statt verlangen.1230 Ein Anspruch auf Überprüfung durch einen Wirtschaftsprüfer besteht nicht.1231

c) Prozessuale Behandlung. Auskunftsklagen werden in der Praxis in der Regel mit Klagean- 494 trägen zur Durchsetzung derjenigen Ansprüche, deren Vorbereitung die Auskunft dient, verbunden.1232 Dies kann in der Form einer Stufenklage (§ 254 ZPO) geschehen, wenn der Hauptanspruch bereits beziffert und deshalb unmittelbar die Leistung des nach der Auskunft geschuldeten verlangt werden kann. Regelmäßig wird der Auskunftsantrag jedoch mit einem 1222 Zu dessen Ersatzfähigkeit vgl. die Kommentierung zu § 9 Rn. 69 ff. 1223 Teplitzky Kap. 38 Rn. 11. 1224 BGH 16.2.1973 – I ZR 74/71 – GRUR 1973, 375, 377 f. – Miss Petite; BGH 13.2.1976 – I ZR 1/75 – GRUR 1978, 52, 53 – Fernschreibverzeichnisse; BGH 14.1.1977 – I ZR 170/75 – GRUR 1977, 491, 494 – Allstar; BGH 14.11.1980 – I ZR 138/78 – GRUR 1981, 286, 288 – Goldene Karte I; BGH 3.4.1981 – I ZR 72/79 – GRUR 1981, 592, 594 – Championne du Monde; BGH 12.2.1987 – I ZR 70/85 – GRUR 1987, 364, 365 – Vier-Streifen-Schuh; BGH 27.9.1990 – I ZR 87/89 – GRUR 1991, 153, 155 – Pizza und Pasta; Teplitzky Kap. 38 Rn. 15 m. w. N. 1225 Nachweise bei Teplitzky Kap. 38 Rn. 16.20. 1226 BGH 9.11.1995 – I ZR 220/95 – GRUR 1996, 78, 79 – Umgehungsprogramm; Teplitzky Kap. 38 Rn. 27 m. w. N. 1227 BGH 13.2.1976 – I ZR 1/75 – GRUR 1978, 52, 53 – Fernschreibverzeichnisse; Teplitzky Kap. 38 Rn. 27 m. w. N. 1228 BGH 21.2.2002 – I ZR 140/99 – GRUR 2002, 709, 712 – Entfernung der Herstellungsnummer III; BGH 23.1.2003 – I ZR 18/01 – GRUR 2003, 433, 434 – Cartier Ring; Fezer/Büscher § 8 Rn. 325 m. w. N. 1229 BGH 15.2.2007 – I ZR 114/04 – GRUR 2007, 871, 872 – Wagenfeld-Leuchte; BGH 22.11.2007 – I ZR 12/05 – GRUR 2008, 357, 358 – Planfreigabesystem; Fezer/Büscher § 12 Rn. 314; Teplitzky Kap. 38 Rn. 27 m. w. N. in Fn. 118. 1230 BGH 13.7.1973 – I ZR 101/72 – GRUR 1974, 53 f. – Nebelscheinwerfer; BGH 3.7.1984 – X ZR 34/83 – BGHZ 92, 62 = GRUR 1984, 728, 729 – Dampffrisierstab II; BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322 = GRUR 1994, 630, 632 – Cartier-Armreif; OLG Hamburg 31.1.2002 – 3 U 72/01 – NJW-RR 2002, 1292; Harte/Henning/Brüning Vorb. zu § 12 Rn. 156 f.; Ahrens/Loewenheim Kap. 72 Rn. 14; Teplitzky Kap. 38 Rn. 36. 1231 BGH 3.7.1984 – X ZR 34/83 – BGHZ 92, 62 = GRUR 1984, 728, 729 – Dampffrisierstab II; BGH GRUR 1995, 338, 342 – Kleiderbügel (auch zu möglichen Ausnahmen); Harte/Henning/Brüning Vorb. zu § 12 Rn. 156; Teplitzky Kap. 38 Rn. 28 (zu Fn. 125); Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.63; für einen selbständigen Auskunftsanspruch Fezer/ Büscher § 8 Rn. 309, 324. 1232 Teplitzky Kap. 52 Rn. 4. 639

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Antrag auf Schadensersatzfeststellung verbunden, ohne dass eine echte Stufenklage anhängig gemacht wird. Auch dann soll der Auskunftsantrag jedoch in der Weise mit dem Schadensersatzfeststellungsantrag verbunden sein, dass ein Teilurteil über den Auskunftsanspruch nur ergehen darf, wenn zugleich positiv über den Grund des Schadensersatzanspruchs entschieden wird.1233 Bei der häufigen Kombination von Auskunftsanspruch und unbeziffertem Antrag auf Feststellung der Schadensersatzpflicht scheidet der Erlass eines Grundurteils jedoch aus.1234 Deshalb müsste dann, wenn ein Teilurteil sachgerecht erscheint, zugleich auch insgesamt über die Schadensersatzfeststellungsklage entschieden werden. Aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit wird es als zulässig angesehen, mit dem Auskunftsantrag im Wege der Stufenklage den Antrag auf eine eidesstattliche Versicherung zu verbinden.1235 Über den Antrag auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung kann jedoch stets erst nach Erteilung der Auskunft entschieden werden.1236 Der Klageantrag muss in zeitlicher Hinsicht und wegen des Gegenstandes, d. h. hinsichtlich der begehrten Informationen, die begehrte Auskunftserteilung genau konkretisieren (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).1237 Häufig unterbleibt die erforderliche Konkretisierung des Auskunftsantrags in der Praxis jedoch und es wird schlicht auf die von dem primär verfolgten Unterlassungsantrag umfassten Handlungen abgestellt. Dies ist grundsätzlich nicht ausreichend, da sich die erforderlichen Angaben für den Auskunftsantrag aus der Fassung des Unterlassungsantrags regelmäßig nicht entnehmen lassen werden.1238 Sofern aus Antrag und Sachvortrag (bzw. Tenor und Entscheidungsgründen) nichts anderes zu entnehmen ist, wird man allerdings in der Regel davon ausgehen können, dass eine zukunftsgerichtete Verurteilung zur Auskunftserteilung angestrebt bzw. beabsichtigt war.1239 Der Kläger muss nicht darlegen, dass es bereits zu einer Verletzungshandlung gekommen ist; die Erstbegehungsgefahr genügt.1240 Die Voraussetzungen des § 259 ZPO müssen nicht erfüllt sein, weil es um einen gegenwärtigen Auskunftsanspruch geht, und nicht um einen künftigen. Dass Gegenstand der Auskunft die nach dem Schluss der letzten mündlichen Verhandlung liegenden (künftige) Sachverhalte sind, ist für § 259 ZPO ohne Belang.1241 Kann der Kläger die begehrte Auskunft nicht wie beantrag beanspruchen, handelt es sich bei einer weniger weit reichenden Auskunft um ein Minus, kein Aliud.1242 Die Erteilung der geschuldeten Auskunft während des Rechtsstreites – auch wenn sie unauffällig in Form eines scheinbar „gewöhnlichen“ Schriftsatzes erfolgt – führt zur Erledigung der Hauptsache, soweit der Auskunftsanspruch betroffen ist. Die Versicherung der Richtigkeit der erteilten Auskunft an Eides Statt kann nach allgemeinen Regeln nur verlangt werden, wenn Grund zu der Annahme besteht, die Auskunft sei nicht mit der erforderlichen Sorgfalt erteilt worden. Der entsprechende Antrag kann im Wege der Stufenklage (§ 254 ZPO) verfolgt werden.

1233 1234 1235 1236 1237

BGH 23.10.1997 – I ZR 98/95 – GRUR 1998, 1043, 1044 – GS Zeichen. BGH 27.1.2000 – IX ZR 45/98 – NJW 2000, 1572, 1573. BGH 29.4.2010 – I ZR 68/08 – GRUR 2010, 623, 628 – Restwertbörse. BGH 29.4.2010 – I ZR 68/08 – GRUR 2010, 623, 628 – Restwertbörse. BGH 15.2.2007 – I ZR 114/04 – BGHZ 171, 151 = GRUR 2007, 871, 872 – Wagenfeld-Leuchte; BGH 22.11.2007 – I ZR 12/05 – GRUR 2008, 357 Tz. 21–25 – Planfreigabesystem; BGH 16.7.2009 – I ZR 56/07 – GRUR 2009, 1075 Tz. 12 – Betriebsbeobachtung; Fezer/Büscher § 12 Rn. 311; GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 227; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.61; Piper/Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 83; Teplitzky Kap. 52 Rn. 5. 1238 Teplitzky Kap. 38 Rn. 5. 1239 BGH 4.5.2004 – X ZR 234/02 – BGHZ 159, 66 = GRUR 2004, 755, 756 – Taxameter. 1240 BGH 25.2.1992 – X ZR 41/90 – BGHZ 117, 264 = GRUR 1992, 612, 616 – Nicola; BGH 19.7.2007 – I ZR 93/04 – BGHZ 173, 269 = GRUR 2007, 877, 879 – Windsor Estate; Beyerlein WRP 2007, 1310 ff.; Fezer/Büscher § 8 Rn. 332; Steinbeck GRUR 2008, 111 f. 1241 BGH 4.5.2004 – X ZR 234/02 – BGHZ 159, 66 = GRUR 2004, 755, 756 – Taxameter; Teplitzky Kap. 52 Rn. 5; a. A. Harte/Henning/Brüning Vorb. zu § 12 Rn. 154; Ahrens/Loewenheim Kap. 72 Rn. 13. 1242 Teplitzky Kap. 52 Rn. 6 m. w. N. Herrmann

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Übersicht

Vor §§ 12–15a A

Hat der Schuldner eine vom Kläger als unzureichend angesehene Auskunft vorprozessual 500 erteilt, muss er bei dem Schuldner „nachfassen“, um die Kostenfolge des § 93 ZPO bei einem sofortigen Anerkenntnis zu vermeiden.1243

VI. Beweis und Beweislast Schrifttum Ahrens Verwirrtheiten juristischer Verkehrskreise zum Verbraucherleitbild einer „normativen“ Verkehrsauffassung, WRP 2000, 812; Becker, Das demoskopische Gutachten als zivilprozessuales Beweismittel, 2002; Böhm Die Beweiswürdigung demoskopischer Gutachten im Rahmen von § 3 UWG, GRUR 1986, 290; Bornkamm Die Feststellung der Verkehrsauffassung im Wettbewerbsprozess, WRP 2000, 830; Eichmann Gegenwart und Zukunft der Rechtsdemoskopie, GRUR 1999, 939; Fritze Die Umkehr der Beweislast, GRUR 1975, 61; Hacker Methodenlehre und Gewerblicher Rechtsschutz – dargestellt am Beispiel der markenrechtlichen Verwechslungsgefahr, GRUR 2004, 537; Helm Das Verbraucherleitbild des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesgerichtshofs im Vergleich, FS Tilmann (2003) 135; ders. Der Abschied vom „verständigen“ Verbraucher, WRP 2005, 931; Jahn/Palzer Werbung gegenüber Kindern – „Dos“ and don’ts. Zugleich Besprechung von BGH „Runes of Magic“, GRUR 2014, 332; Kemper/Rosenow Der Irreführungsbegriff auf dem Weg nach Europa, WRP 2001, 370; Kur Beweislast und Beweisführung im Wettbewerbsprozeß, 1981; Lindacher Gegenbeweisliche Widerlegung gerichtskundiger Tatsachen, BB 1991, 1524; ders. Beweisrisiko und Aufklärungslast der nicht risikobelasteten Partei in Wettbewerbssachen, WRP 2000, 950; ders. Die gerichtliche InAuftrag-Gabe demoskopischer Gutachten. Struktur- und Dogmatikfragen, GRUR 2016, 242; Niedermann/Noelle-Neumann Die Bedeutung der gegabelten Befragung mit Kontrollgruppe als Erkenntnistechnik in Umfragen zum gewerblichen Rechtsschutz, FS Tilmann (2003) 857; ders. „Verkehrsdurchsetzung“ und „bekannte Marke“ – Die empirische Ermittlung in Deutschland und auf EU-Ebene, GRUR 2014, 634; Oberheim Beweiserleichterung im Zivilprozeß, JuS 1996, 636; Omsels Kritische Anmerkungen zur Bestimmung der Irreführungsgefahr, GRUR 2005, 548; Pantle Beweiserhebung über offenkundige Tatsachen? MDR 1993, 1166; Pflüger Rechtsdemoskopische Gutachten – Fallstricke bei der Verkehrsbefragung, GRUR 2017, 992; Scherer Normative Bestimmung von Verwechslungs- und Irreführungsgefahr im Markenrecht, GRUR 2000, 273; Risthaus Erfahrungssätze im Kennzeichenrecht, 2. Aufl. (2007); Spätgens Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen demoskopischer Umfragen, FS Traub (1994) 375; Teplitzky Zu Anforderungen an Meinungsforschungsgutachten, WRP 1990, 145; ders. Die jüngste Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum wettbewerblichen Anspruchs- und Verfahrensrecht III, GRUR 1991, 709; Tilmann Aktuelle Probleme des Schutzes geographischer Herkunftsangaben, GRUR 1986, 593; Ullmann Der Verbraucher – ein Hermaphrodit, GRUR 1991, 789; Westermann Bekämpfung irreführender Werbung ohne demoskopische Gutachten, GRUR 2002, 403.

Übersicht 1.

2.

Grundlagen 501 a) Anwendung der allgemeinen zivilprozes501 sualen Grundsätze 502 b) Beweismittel 503 c) Rechtsfragen und Tatfragen 505 d) Beweisbedürftigkeit e) Beweiserhebung und Beweiswürdi506 gung 506 aa) Voraussetzungen 507 bb) Anordnung cc) Erneute Beweisaufnahme durch das 508 Berufungsgericht dd) Verwertung von Beweismit509 teln 513 Feststellung der Verkehrsauffassung

a) b) c)

Verbraucherleitbild und Verkehrsauffas513 sung 515 Irreführungsquorum Bestimmung der Verkehrsauffassung kraft 518 eigener Sachkunde aa) Grundlagen und Rechtsentwick518 lung bb) Problematik der richterlichen Feststellung kraft eigener Sach521 kunde 523 cc) Fallgruppen 523 (1) Lebenserfahrung 525 (2) Sachkunde 526 (3) Sonderwissen

1243 Teplitzky Kap. 52 Rn. 4 mit Fn. 11. 641

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Vor §§ 12–15a A

Hat der Schuldner eine vom Kläger als unzureichend angesehene Auskunft vorprozessual 500 erteilt, muss er bei dem Schuldner „nachfassen“, um die Kostenfolge des § 93 ZPO bei einem sofortigen Anerkenntnis zu vermeiden.1243

VI. Beweis und Beweislast Schrifttum Ahrens Verwirrtheiten juristischer Verkehrskreise zum Verbraucherleitbild einer „normativen“ Verkehrsauffassung, WRP 2000, 812; Becker, Das demoskopische Gutachten als zivilprozessuales Beweismittel, 2002; Böhm Die Beweiswürdigung demoskopischer Gutachten im Rahmen von § 3 UWG, GRUR 1986, 290; Bornkamm Die Feststellung der Verkehrsauffassung im Wettbewerbsprozess, WRP 2000, 830; Eichmann Gegenwart und Zukunft der Rechtsdemoskopie, GRUR 1999, 939; Fritze Die Umkehr der Beweislast, GRUR 1975, 61; Hacker Methodenlehre und Gewerblicher Rechtsschutz – dargestellt am Beispiel der markenrechtlichen Verwechslungsgefahr, GRUR 2004, 537; Helm Das Verbraucherleitbild des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesgerichtshofs im Vergleich, FS Tilmann (2003) 135; ders. Der Abschied vom „verständigen“ Verbraucher, WRP 2005, 931; Jahn/Palzer Werbung gegenüber Kindern – „Dos“ and don’ts. Zugleich Besprechung von BGH „Runes of Magic“, GRUR 2014, 332; Kemper/Rosenow Der Irreführungsbegriff auf dem Weg nach Europa, WRP 2001, 370; Kur Beweislast und Beweisführung im Wettbewerbsprozeß, 1981; Lindacher Gegenbeweisliche Widerlegung gerichtskundiger Tatsachen, BB 1991, 1524; ders. Beweisrisiko und Aufklärungslast der nicht risikobelasteten Partei in Wettbewerbssachen, WRP 2000, 950; ders. Die gerichtliche InAuftrag-Gabe demoskopischer Gutachten. Struktur- und Dogmatikfragen, GRUR 2016, 242; Niedermann/Noelle-Neumann Die Bedeutung der gegabelten Befragung mit Kontrollgruppe als Erkenntnistechnik in Umfragen zum gewerblichen Rechtsschutz, FS Tilmann (2003) 857; ders. „Verkehrsdurchsetzung“ und „bekannte Marke“ – Die empirische Ermittlung in Deutschland und auf EU-Ebene, GRUR 2014, 634; Oberheim Beweiserleichterung im Zivilprozeß, JuS 1996, 636; Omsels Kritische Anmerkungen zur Bestimmung der Irreführungsgefahr, GRUR 2005, 548; Pantle Beweiserhebung über offenkundige Tatsachen? MDR 1993, 1166; Pflüger Rechtsdemoskopische Gutachten – Fallstricke bei der Verkehrsbefragung, GRUR 2017, 992; Scherer Normative Bestimmung von Verwechslungs- und Irreführungsgefahr im Markenrecht, GRUR 2000, 273; Risthaus Erfahrungssätze im Kennzeichenrecht, 2. Aufl. (2007); Spätgens Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen demoskopischer Umfragen, FS Traub (1994) 375; Teplitzky Zu Anforderungen an Meinungsforschungsgutachten, WRP 1990, 145; ders. Die jüngste Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum wettbewerblichen Anspruchs- und Verfahrensrecht III, GRUR 1991, 709; Tilmann Aktuelle Probleme des Schutzes geographischer Herkunftsangaben, GRUR 1986, 593; Ullmann Der Verbraucher – ein Hermaphrodit, GRUR 1991, 789; Westermann Bekämpfung irreführender Werbung ohne demoskopische Gutachten, GRUR 2002, 403.

Übersicht 1.

2.

Grundlagen 501 a) Anwendung der allgemeinen zivilprozes501 sualen Grundsätze 502 b) Beweismittel 503 c) Rechtsfragen und Tatfragen 505 d) Beweisbedürftigkeit e) Beweiserhebung und Beweiswürdi506 gung 506 aa) Voraussetzungen 507 bb) Anordnung cc) Erneute Beweisaufnahme durch das 508 Berufungsgericht dd) Verwertung von Beweismit509 teln 513 Feststellung der Verkehrsauffassung

a) b) c)

Verbraucherleitbild und Verkehrsauffas513 sung 515 Irreführungsquorum Bestimmung der Verkehrsauffassung kraft 518 eigener Sachkunde aa) Grundlagen und Rechtsentwick518 lung bb) Problematik der richterlichen Feststellung kraft eigener Sach521 kunde 523 cc) Fallgruppen 523 (1) Lebenserfahrung 525 (2) Sachkunde 526 (3) Sonderwissen

1243 Teplitzky Kap. 52 Rn. 4 mit Fn. 11. 641

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d)

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

dd) Unerheblichkeit des Ergebnisses der 528 Irreführungsprüfung ee) Entkräftung des Erfahrungswis529 sens 530 ff) Revisibilität Ermittlung der Verkehrsauffassung durch 533 Beweisaufnahme aa) Ermittlung der Verkehrsauffassung durch Meinungsforschungsgutach533 ten (1) Bedeutung und Problema533 tik 534 (2) Anwendungsbereich 535 (3) Verfahren (a) Beweisantrag und Beweis535 beschluss

(b)

3.

Korrekte Fragestel538 lung (c) Aufgaben des Gutachters und Beweiswürdi542 gung bb) Ermittlung der Verkehrsauffassung 545 durch Auskünfte Allgemeines zur Darlegungs- und Beweis546 last 546 a) Grundsatz 547 b) Ausnahmen vom Grundsatz c) Vermutungen und Anscheinsbe548 weis d) Beweiserleichterungen zugunsten des Klä549 gers

1. Grundlagen 501 a) Anwendung der allgemeinen zivilprozessualen Grundsätze. Der Wettbewerbsprozess ist ein Zivilprozess, und auch im Hinblick auf das Beweisverfahren gelten damit die Regeln der ZPO. Somit kann im Grundsatz auf die Kommentierungen zum Beweisverfahren der §§ 284 ff. ZPO verwiesen werden. Jedoch haben sich im Wettbewerbsprozess einige Besonderheiten zur Beweiserhebung und zur Beweislast herausgebildet, die den spezifischen Bedürfnissen des Wettbewerbsrechts Rechnung tragen. Insbesondere gilt dies für die Ermittlung der für zahlreiche lauterkeitsrechtliche Ansprüche maßgeblichen Verkehrsauffassung.1244 Aber auch im Hinblick auf die Beweis- und Darlegungslast haben sich – vor dem Hintergrund, dass wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzungen nicht selten unternehmensinterne Sachverhalte zugrunde liegen – eigenständige Strukturen herausgebildet, die dem grundsätzlich darlegungs- und beweispflichtigen Kläger die Beweisführung erleichtern bzw. erst ermöglichen.1245 Auf der Darstellung dieser Besonderheiten liegt der Schwerpunkt der nachstehenden Kommentierung.

502 b) Beweismittel. Die Beweismittel des Wettbewerbsprozesses sind, wie im gewöhnlichen Zivilprozess auch, die Inaugenscheinnahme (§ 371 ZPO),1246 der Zeugenbeweis (§ 373 ZPO), das Sachverständigengutachten (§ 402 ZPO), der Urkundsbeweis (§ 420 ZPO) und die Parteivernehmung (§ 445 ZPO) sowie die Einholung „amtlicher Auskünfte“ – etwa bei Ämtern, Behörden oder Kammern. Mit der ausdrücklichen Erwähnung in einzelnen Bestimmungen der ZPO (§§ 273 Abs. 2 Nr. 2, 358a Nr. 2 ZPO) dürfte sich der frühere Meinungsstreit, ob es sich bei amtlichen Auskünften um Sachverständigengutachten oder ein Beweismittel sui generis handelt,1247 zugunsten der letzteren Auffassung entschieden haben. Die Einholung von Auskünften privater Verbände und Korporationen durch das erkennende Gericht ist hingegen kein Bestandteil des abschließenden Katalogs der zugelassenen Beweismittel. Den Parteien bleibt es unbenommen, Verbandsauskünfte insbesondere über den Zeugenbeweis, der freilich nur auf Antrag erhoben wird, sowie ggf. auch über den Urkundsbeweis in das Verfahren einzuführen.1248 Derartige Auskünfte können, wenn sie im Rahmen der Verbandsarbeit etwa aufgrund von Meldungen und Berichten der 1244 1245 1246 1247 1248

Hierzu Rn. 513 ff. Hierzu Rn. 546 ff. Hierzu gehören auch Screenshots einer Website, vgl. OLG Jena 28.11.2018 – 2 U 524/17 – WRP 2019, 255. Vgl. hierzu GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 D Rn. 342. Vgl. Ahrens/Bähr Kap. 27 Rn. 20 f., der eine Gleichstellung mit der amtlichen Auskunft befürwortet.

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VI. Beweis und Beweislast

Vor §§ 12–15a A

Mitglieder gewonnen wurden, als Bekundung von „Verwaltungswissen“1249 verwertet werden und sind in diesem Fall nicht als bloße Bekundung von Hörensagen anzusehen.1250 Die Inaugenscheinnahme (etwa das Betrachten der vermeintlichen Nachahmung oder des angegriffenen Werbespots) spielt in Wettbewerbsverfahren eine nicht unerhebliche Rolle. Jedoch ist insoweit nicht jede Inaugenscheinnahme durch das erkennende Gericht auch eine solche im Sinne von § 371 ZPO. Dies ist vielmehr nur dann der Fall, wenn es insoweit um die Klärung streitigen Sachvortrags geht. Vielfach aber wird der Beklagte des Wettbewerbsprozesses gar nicht bestreiten, dass er ein bestimmtes Produkt vertrieben hat oder einen bestimmten Werbespot hat ausstrahlen lassen. In diesen Fällen ist der richterliche Augenschein nur Teil der Wahrnehmung des Sachvortrags. Die Einholung von Sachverständigengutachten spielt im Rahmen des Wettbewerbsprozesses insbesondere bei der Ermittlung der Verkehrsauffassung eine wichtige praktische Rolle.1251 Für Zeugen- und Urkundsbeweis gelten im Wettbewerbsprozess keine Besonderheiten. Eine Parteivernehmung von Amts wegen kann gerade in den so genannten „Testfällen“ angezeigt sein.1252

c) Rechtsfragen und Tatfragen. Dem Beweis zugänglich sind ausschließlich Tatsachen. Gera- 503 de im Wettbewerbsrecht kann jedoch die Abgrenzung zwischen Tatfrage und Rechtsfrage Schwierigkeiten bereiten.1253 So wird teilweise vertreten, angesichts des normativ geprägten Verbraucherleitbilds des EuGH sei auch die Bestimmung der aus diesem Leitbild gewonnenen Verkehrsauffassung normativ – mithin als reine Rechtsfrage, die dem Beweis unzugänglich ist – zu verstehen. Dies mag bei erster Näherung zumindest nicht völlig fernliegen. Denn betrachtet man den Verbraucher als bloßes normatives „Kunstprodukt“, so können zumindest Zweifel daran bestehen, dass die Vorstellungswelt dieses „Kunstprodukts“ – mithin die Verkehrsauffassung – empirisch ermittelt werden kann. Gleichwohl vertreten nur einige wenige Autoren, dass die Verkehrsauffassung keine Tatfrage sei.1254 Sie berufen sich insbesondere auf Erwägungsgrund 18 der UGPRL, wonach der Begriff des Durchschnittsverbrauchers nicht auf einer statistischen Grundlage beruht und die nationalen Gerichte und Verwaltungsbehörden sich bei der Beurteilung der Frage, wie der Durchschnittsverbraucher in einem gegebenen Fall typischerweise reagieren würde, auf ihre eigene Urteilsfähigkeit verlassen müssen. Dabei wird übersehen, dass nach demselben Erwägungsgrund die dem nationalen Gericht obliegende Beurteilung „unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs“ zu erfolgen hat. Der EuGH lässt indes die Einholung von Sachverständigengutachten zur Ermittlung der Verkehrsauffassung ausdrücklich zu – wenn auch nur für den Fall, dass das nationale Gericht besondere Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Verkehrsauffassung hat.1255 Außerdem verkennt die Mindermeinung, dass der Begriff des Durchschnittsverbrauchers zwar selbst normativ geprägt sein mag; die Verkehrsauffassung spiegelt indes wider, was sich ein derart definierter Verbraucher tatsächlich vorstellt.1256 Richtigerweise ist daher der normative Verbraucherbegriff als Vorgabe für die Durchführung der Beweisaufnahme zu verstehen,1257 nicht jedoch steht er der Ermittlung der Verkehrsauffassung im Rahmen der Beweisaufnahme entgegen. 1249 1250 1251 1252 1253

Vgl. zum Begriff BGH 9.5.1985 – I ZR 99/83 – GRUR 1985, 1059, 1060 – Vertriebsbindung m. Anm. Lehmpfuhl. Vgl. Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 14 f. Hierzu Rn. 533 ff. Hierzu Rn. 511. Zur Einordnung ausländischen Rechts vgl. Spickhoff ZZP 112 (1999), 265 sowie Hess/Hübner NJW 2009, 3132,

3135.

1254 Harte/Henning/Dreyer § 5 Rn. 16; Omsels GRUR 2005, 558; vgl. zum Markenrecht Scherer GRUR 2000, 273. A. A. Helm WRP 2005, 931 m. w. N.

1255 EuGH 16.7.1998 – C-210/96 – Slg. 1998, I-4657, I-4692 Tz. 35 = WRP 1998, 848, 851 Tz. 35 – Gut Springenheide. 1256 EuGH 13.1.2000 – C-220/98 – Slg. 2000, I-117, I-146 Tz. 29 = WRP 2000, 289, 292 Tz. 29 – Lifting-Creme; Ahrens/ Bähr Kap. 27 Rn. 10. Vgl. hierzu auch Rn. 514.

1257 Ahrens WRP 2000, 813; Ahrens/Bähr Kap. 27 Rn. 10. 643

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Auch der BGH hält an der Einordnung der Verkehrsauffassung als Tatfrage, die einer Beweiserhebung zugängig ist, ungebrochen fest.1258 Dabei stellt er klar, dass es sich bei der Verkehrsauffassung nicht um eine Tatsache i. S. v. § 291 ZPO, sondern um „Erfahrungswissen“ handelt. Die praktische Folge der Einordnung der Verkehrsauffassung als Erfahrungswissen – und nicht als Tatsache – ist, dass zu ihrer Ermittlung lediglich der Beweis durch Sachverständigengutachten (allenfalls durch Einholung von Auskünften) zulässig ist und dass die Verkehrsauffassung niemals offenkundig i. S. v. § 291 ZPO sein kann.1259 Diese Rechtsprechung des BGH, der sich die h. L. angeschlossen hat,1260 überzeugt. Die Verkehrsauffassung ist als „Ergebnis verschiedener Schlussfolgerungen“1261 gerade nicht ein Umstand, der als solcher feststellbar oder gerichtsbekannt sein kann. Hinzu kommt, dass etwa in Irreführungsfällen materiell-rechtlich nicht entscheidend ist, ob tatsächlich der „Erfolg“ der Irreführung eingetreten, sondern ob die Werbeaussage zur Irreführung geeignet ist. Somit ist eine Prognoseentscheidung über das Verständnis des Verkehrs von einer Verkehrsaussage zu treffen, die naturgemäß keine Tatsache sein kann.1262 Obgleich eine Tatfrage, kann das Gericht die streitige Verkehrsauffassung unter bestimmten Umständen auch ohne Beweiserhebung feststellen.1263 Dies lässt sich wie erwähnt nicht auf eine Offenkundigkeit der Verkehrsauffassung stützen; vielmehr ist eine Feststellung ohne Beweisaufnahme dann möglich, wenn das Gericht glaubt, auf Grund eigenen Erfahrungswissens selbst über die erforderliche Sachkunde zu verfügen.1264

505 d) Beweisbedürftigkeit. Beweis ist zu erheben über entscheidungserhebliche und beweisbedürftige Tatfragen. Sind Tatsachen nicht bestritten (§ 138 Abs. 3 ZPO), zugestanden (§ 288 ZPO) oder offenkundig (§ 291 ZPO), so sind sie nicht beweisbedürftig. Offenkundig sind solche Tatsachen, die entweder allgemeinkundig oder vom Gericht amtlich wahrgenommen und damit gerichtskundig sind. Der Grundsatz rechtlichen Gehörs gebietet, dass den Parteien Gelegenheit eingeräumt wird, sich zu den Tatsachen und der Frage der Offenkundigkeit in der mündlichen Verhandlung zu äußern.1265 Nach Auffassung von BGH und Literatur sind offenkundige Tatsachen ferner dem Gegenbeweis zugänglich.1266 Vor diesem Hintergrund wird offenbar, dass die

1258 Vgl. BGH 12.11.1998 – I ZR 173/96 – GRUR 1999, 594, 597 – Holsteiner Pferd; BGH 2.10.2003 – I ZR 150/01 – BGHZ 156, 250, 252 = GRUR 2004, 244, 245 – Marktführerschaft; BGH 17.9.2009 – I ZR 103/07 – GRUR 2010, 365, 366 – Quersubventionierung von Laborgemeinschaften II. 1259 Vgl. Ahrens/Spätgens Kap. 28 Rn. 6; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 4. Zur praktischen Auswirkung der Abkehr von der Offenkundigkeit siehe Rn. 505. 1260 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.65; Fezer/Büscher § 12 Rn. 319; Harte/Henning/Brüning vor § 12 Rn. 159 ff.; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 4; Ahrens/Bähr Kap. 27 Rn. 4 ff. Kritisch Henning/Harte/Dreyer § 5 Rn. 9 ff.; Omsels GRUR 2005, 273, 275 f. 1261 Ahrens/Bähr Kap. 27 Rn. 13. 1262 Ahrens/Spätgens Kap. 28 Rn. 6. Vgl. insoweit auch Westermann GRUR 2002, 405, der aus diesem Umstand jedoch ableiten will, dass die Ermittlung der Verkehrsauffassung jedenfalls in Irreführungsfällen überhaupt keiner Beweiserhebung zugänglich ist. 1263 Hierzu Rn. 518 ff. 1264 BGH 2.10.2003 – I ZR 150/01 – BGHZ 156, 250, 254 = GRUR 2004, 244, 245 – Marktführerschaft; bestätigend BGH 29.3.2007 – I ZR 122/04 – GRUR 2007, 1079, 1082 Tz. 36 = WRP 2007, 1346, 1351 Tz. 36 – Bundesdruckerei; BGH 15.4.2010 – I ZR 145/08 – GRUR 2010, 1125, 1129 Tz. 50 – Femur-Teil. Vgl. auch bereits Lindacher BB 1991, 1524 und Bornkamm WRP 2000, 830 ff. 1265 BVerfG 3.11.1959 – 1 BvR 13/59 – BVerfGE 10, 177, 182 = NJW 1960, 31; BVerfG 18.12.1962 – 2 BvR 396/62 – BVerfGE 15, 214, 218; BVerfG 4.11.1971 – 2 BvR 767/70 – BVerfGE 32, 195, 197; BVerfG 19.4.1978 – 1 BvR 596/77 – BVerfGE 48, 207, 209; BGH 8.10.1959 – VII ZR 87/58 – BGHZ 31, 43, 45 = NJW 1959, 2213; BGH 6.5.1993 – I ZR 84/ 91 – NJW-RR 1993, 1122, 1123; Stein/Jonas/Leipold § 291 Rn. 12; MünchKommZPO/Prütting § 291 Rn. 13. 1266 BGH 29.3.1990 – I ZR 74/88 – GRUR 1990, 607, 608 = BB 1991, 1524 – Meister-Kaffee m. Anm. Lindacher; Bornkamm WRP 2000, 833; Stein/Jonas/Leipold § 291 Rn. 7; Oberheim JuS 1996, 639; MünchKommZPO/Prütting § 291 Rn. 19; a. A. Pantle MDR 1993, 1166 ff. Ebersohl

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VI. Beweis und Beweislast

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vom BGH in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung1267 ausdrücklich entschiedene Frage, ob die Verkehrsauffassung eine Tatsache ist, die offenkundig sein kann,1268 nicht lediglich akademischer Natur ist. Vielmehr wäre das erkennende Gericht bei Annahme von Offenkundigkeit i. S. v. § 291 ZPO gezwungen, immer dann auf Antrag einer Partei eine Verkehrsbefragung vorzunehmen, wenn es glaubte, aufgrund eigener Sachkunde die Verkehrsauffassung feststellen zu können.1269 Ferner würde sich die höchst strittige Frage stellen, ob das Gericht die Verkehrsauffassung als offenkundige Tatsache auch ohne Behauptung durch die Parteien zum Gegenstand des Prozesses machen dürfte.1270 Mit der Einordnung der Verkehrsauffassung als „Erfahrungswissen“, das niemals offenkundig sein kann, stellen sich all diese Fragen im Zusammenhang mit der Feststellung der Verkehrsauffassung durch eigene Sachkunde nicht. Dabei ist zu beachten, dass einzelne Tatsachenelemente, die das Gericht zur Annahme einer bestimmten Verkehrsauffassung bewegen, als „gewöhnliche“ Tatsachen dem Zeugenbeweis zugänglich und auch offenkundig sein können.1271

e) Beweiserhebung und Beweiswürdigung aa) Voraussetzungen. Voraussetzung der Beweisaufnahme über eine beweisbedürftige Tatfra- 506 ge ist der Beweisantritt (Beweisantrag) der beweisbelasteten Partei. Dabei ist ein gewisser Grad an Substantiierung des Tatsachenvortrags erforderlich. Hieran fehlt es indes – mit der Folge, dass die Beweisaufnahme abzulehnen ist –, wenn die unter Beweis gestellte Tatsache so ungenau bezeichnet ist, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann, oder wenn zwar eine bestimmte Behauptung formuliert wird, diese aber „ins Blaue“ aufgestellt, mithin „aus der Luft gegriffen“ ist und sich daher als Rechtsmissbrauch darstellt.1272 Der BGH mahnt hierbei zur Zurückhaltung bei der Annahme von Willkür und hält sie in der Regel nur bei Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte für die behauptete Tatsache für gegeben.1273 Dementsprechend liegt ein unzulässiger Ausforschungsbeweis nicht bereits dann vor, wenn Grundlage der Behauptung eine bloße Vermutung ist. Dies würde die Rechtsverfolgung im deutschen Zivilprozess – dem eine Informationsbeschaffung im Sinne etwa der anglo-amerikanischen „Discovery“ fremd ist – in unzumutbarer Weise erschweren. Vielmehr erkennt die Rechtsprechung ausdrücklich an, dass eine Partei häufig Tatsachen behaupten muss, über die sie keine Kenntnis haben kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält. Solche Behauptungen kann die Partei in den Prozess einführen und eine Beweisaufnahme darüber erwirken.1274 Aus diesem Grund ist auch der Antrag einer Partei auf Einholung einer Verkehrsbefragung kein unzulässiger Ausforschungsbeweis oder Beweisermittlungsantrag.1275 Nicht ausreichend ist demgegenüber etwa die bloße Behauptung des Klägers, der sich auf ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz beruft, dass seine Produkte wettbewerbliche Eigenart 1267 BGH 29.3.1990 – I ZR 74/88 – GRUR 1990, 607, 608 = BB 1991, 1524 – Meister-Kaffee m. Anm. Lindacher. 1268 Vgl. hierzu Rn. 503 f. 1269 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5 Rn. 1.229 f., die zutreffend darauf verweisen, dass der BGH diese Folgeproblematik seiner Meister-Kaffee-Entscheidung mit den Entscheidungen BGH 20.2.1992 – I ZR 32/90 – GRUR 1992, 406, 407 – Beschädigte Verpackung I; BGH 1.4.1993 – I ZR 136/91 – GRUR 1993, 677, 678 – Bedingte Unterwerfung, rasch entschärft hatte. Nach diesen beiden Entscheidungen sollte eine offenkundige Tatsache nur dann vorliegen, wenn das erkennende Gericht die Verkehrsauffassung nach eigener Sachkunde beurteilte, ohne zu den angesprochenen Verkehrskreisen zu zählen. 1270 Vgl. hierzu MünchKommZPO/Prütting § 291 Rn. 13. 1271 Ahrens/Bähr Kap. 27 Rn. 13. 1272 BGH 23.4.1991 – X ZR 77/89 – GRUR 1992, 559, 560 – Mikrofilmanlage. 1273 BGH 12.7.1984 – VII ZR 123/83 – NJW 1984, 2888, 2889; BGH 19.9.1985 – IX ZR 138/84 – NJW 1986, 246, 247; BGH 23.4.1991 – X ZR 77/89 – GRUR 1992, 559, 560 – Mikrofilmanlage. 1274 BGH 19.9.1985 – IX ZR 138/84 – NJW 1986, 246, 247. 1275 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.67. 645

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aufweisen. Denn dem Kläger ist ohne Weiteres möglich und zumutbar, diejenigen Umstände darzulegen, aus denen sich die wettbewerbliche Eigenart ableiten soll (etwa den Abstand zum wettbewerblichen Umfeld). Unterlässt er dies und zieht sich auf das bloße Postulat der wettbewerblichen Eigenart zurück, ist nach den Grundsätzen des BGH wegen Fehlens jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte die Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten abzulehnen.

507 bb) Anordnung. Die Anordnung der Beweisaufnahme erfolgt in der Regel durch förmlichen Beweisbeschluss (§ 358 ZPO bzw. im Fall der Parteivernehmung § 450 Abs. 1 ZPO). Etwas anderes gilt nur, wenn der Beweis in der mündlichen Verhandlung sofort erhoben werden kann; dann ergeht formloser Beschluss. Hinsichtlich der Inaugenscheinnahme und der Einholung eines Sachverständigengutachtens (§ 144 ZPO), der Parteivernehmung (§ 448 ZPO) sowie der Vorlage von bestimmten Urkunden (§§ 142, 143, 273 Abs. 2 Nr. 1, 2 ZPO) kann das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen die Beweisaufnahme von Amts wegen anordnen.

508 cc) Erneute Beweisaufnahme durch das Berufungsgericht. Nach § 529 Abs. 1 ZPO ist das Berufungsgericht im Grundsatz an die Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz gebunden. Dies gilt indes nur, „soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten“. Bei Zweifeln, die sich schon aus der Möglichkeit einer abweichenden Wertung ergeben können, ist das Berufungsgericht angesichts Art. 103 Abs. 1 GG zur erneuten Beweisaufnahme nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet.1276 Dementsprechend muss eine erneute Zeugenvernehmung erfolgen, wenn das Landgericht einer Zeugenaussage einen bestimmten, vom Wortlaut der protokollierten Aussage getragenen Sinn entnommen hat und das Berufungsgericht der Aussage einen anderen, vom Wortlaut abweichenden Sinngehalt beilegen will.1277 Eine erneute Vernehmung muss auch erfolgen, wenn das Berufungsgericht von der Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen, die das erstinstanzliche Gericht vorgenommen hat, abweichen will.1278

509 dd) Verwertung von Beweismitteln. Testkäufe oder die testweise Inanspruchnahme von Dienstleistungen sind nach stRspr. des BGH und der h. L. wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden, sofern die Testperson sich wie ein normaler Nachfrager verhält.1279 Denn wer etwa ein Ladengeschäft eröffnet oder Dienstleistungen für den allgemeinen Verkehr anbietet, bringt zum Ausdruck, dass er dies unbeschadet der Zwecke tut, die der Kunde verfolgt.1280 Die Vernehmung 1276 BVerfG 22.11.2004 – 1 BvR 1935/03 – NJW 2005, 1487 m. w. N. in Ziff. II.1.a). Zur Frage, wann konkrete Anhaltspunkte i. S. d. § 529 Abs. 1 ZPO vorliegen vgl. Zöller/Heßler § 529 ZPO Rn. 7 f. m. w. N. sowie Greger NJW 2003, 2882 und Rixecker NJW 2004, 705, 708 f. 1277 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.69 und Harte/Henning/Retzer vor § 12 Rn. 169 unter Verweis auf die zum alten Berufungsrecht ergangene Entscheidung BGH 6.12.1990 – I ZR 25/89 – GRUR 1991, 401, 402 – Erneute Vernehmung; ferner Zöller/Heßler, § 529 ZPO Rn. 8 mit Hinweis auf BVerfG 14.9.2010 – 2 BvR 2638/09 – NJW 2011, 49. 1278 BGH 20.6.1991 – I ZR 277/89 – GRUR 1992, 61, 63 – Preisvergleichsliste. 1279 BGH 14.4.1965 – Ib ZR 72/63 – BGHZ 43, 359, 367 = GRUR 1965, 612, 614 m. Anm. Hefermehl; BGH 18.5.1966 – Ib ZR 60/64 – GRUR 1966, 564, 565 – Hausverbot m. Anm. Dietze; BGH 13.7.1979 – I ZR 138/77 – GRUR 1979, 859, 860 – Hausverbot II m. Anm. Ohlgart; BGH 26.6.1981 – I ZR 71/79 – GRUR 1981, 827, 828 – Vertragswidriger Testkauf m. Anm. Jacobs; BGH 3.11.1988 – I ZR 231/86 – GRUR 1989, 113, 114 – Mietwagen-Testfahrt; BGH 5.10.1989 – I ZR 201/87 – VersR 1989, 1319 – Beförderungsauftrag; BGH 25.4.1991 – I ZR 283/89 – GRUR 1991, 843 – Testfotos m. Anm. Krings; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 29; Ahrens/Bähr Kap. 27 Rn. 26; GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 D Rn. 349; Harte/Henning/Brünning vor § 12 Rn. 172; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.70. 1280 Vgl. BGH 25.4.1991 – I ZR 283/89 – GRUR 1991, 843 – Testfotos m. Anm. Krings. Ebersohl

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der Testpersonen ist beweisrechtlich ohne Weiteres zulässig.1281 Sie kann auch nicht durch Unterlassungsklagen gegen die Testperson verhindert werden.1282 Hat die Testperson dem beklagten Wettbewerber eine „Falle“ gestellt und ihn dabei zu 510 wettbewerbswidrigem Handeln angestiftet,1283 so steht dies zwar der Verwertbarkeit nicht im Wege. Wohl aber können die Klageansprüche materiell-rechtlich ausgeschlossen sein.1284 Letzteres ist aber nur dann der Fall, wenn die Anstiftung tatsächlich ursächlich für den Wettbewerbsverstoß des Beklagten war, dieser den Verstoß also nicht auch ohne die „Falle“ der Testperson begangen hätte.1285 Von den Provokationsfällen abzugrenzen sind diejenigen Fälle, in denen die Testperson 511 sich in rechtswidriger Weise Beweismittel verschafft hat. Hier stellt sich die auch im allgemeinen Zivilprozess seit jeher umstrittene Frage der Verwertbarkeit. Nach der Rechtsprechung des BGH – der in diesem Zusammenhang auch darauf abstellt, dass es ein wesentlicher Grundsatz des Zivilprozesses sei, die Wahrheit zu erforschen und ein richtiges Urteil zu sprechen1286 – sind rechtswidrig geschaffene oder erlangte Beweismittel im Zivilprozess nicht schlechthin unverwertbar. Vielmehr soll auf Grund einer Interessen- und Güterabwägung nach den im Einzelfall gegebenen Umständen über die Frage der Verwertbarkeit entschieden werden.1287 So ist etwa die Verwertung heimlicher Tonaufnahmen (vgl. § 201 StGB) zwar grundsätzlich unzulässig; bei einer „notwehrähnlichen Lage“ soll laut BGH jedoch eine Verwertung in Frage kommen, wenn aufgrund einer Güterabwägung das Interesse an der Wahrheitsfindung das Schutzanliegen des gesprochenen Worts deutlich übersteigt.1288 In einem anderen Fall hielt der BGH die Vernehmung eines Zeugen, der ein Gespräch über eine Darlehenshingabe unter vier Augen belauscht hatte, für unzulässig.1289 Hier befand er, dass eine Güterabwägung im Einzelfall ergebe, dass dem verletzten Persönlichkeitsrecht des Belauschten der Vorrang gegenüber dem Beweisführungsinteresse des anderen gebühre. Dabei stellte der BGH insbesondere darauf ab, dass derjenige, der es versäumt habe, sich die Darlehenshingabe quittieren zu lassen, sich den Beweis nicht auf eine Weise beschaffen dürfe, die das Persönlichkeitsrecht des anderen verletze.1290 Hieraus ergibt sich, dass bei der Entscheidung über die Verwertbarkeit der Beweismittel die Möglichkeit der anderweitigen Beweisführung und ein mögliches Verschulden an der Beweisnot in besonderem Maße zu berücksichtigen sind. Hier ist auch an die Möglichkeit der Parteivernehmung von Amts wegen nach § 448 ZPO zu denken.1291 Die Möglichkeit der anderweitigen Beweisführung ist auch für die Fallgruppe der Testfotos relevant. Sind etwa in Ge1281 Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 29; Ahrens/Bähr Kap. 27 Rn. 26; Harte/Henning/Brünning vor § 12 Rn. 172; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.70.

1282 BGH 9.4.1987 – I ZR 44/85 – GRUR 1987, 568 = NJW 1987, 3138 – Gegenangriff; BGH 11.12.2007 – VI ZR 14/ 07 – WRP 2008, 359, 362.

1283 Vgl. die Sachverhalte in BGH 3.11.1988 – I ZR 231/86 – GRUR 1989, 113 – Mietwagen-Testfahrt; BGH 25.2.1992 – X ZR 41/90 – GRUR 1992, 612 – Nicola; BGH 15.7.1999 – I ZR 204/96 – GRUR 1999, 1017 – Kontrollnummernbeseitigung; KG 7.12.1976 – 5 U 452/76 – WRP 1977, 712. 1284 Ahrens/Bähr Kap. 27 Rn. 33. 1285 BGH 19.12.1984 – I ZR 181/82 – GRUR 1985, 447, 450 – Provisionsweitergabe durch Lebensversicherungsmakler. 1286 Vgl. BGH 10.12.2002 – VI ZR 378/01 – BGHZ 153, 165, 170 f. = NJW 2003, 1123, 1125. 1287 BGH 24.11.1981 – VI ZR 164/79 – GRUR 1982, 181 – Tonbandaufnahme II; BGH 14.12.1990 – V ZR 223/89 – NJW 1991, 1180; BGH 27.1.1994 – I ZR 326/91 – GRUR 1995, 693, 697 – Indizienkette; BGH 3.6.1997 – VI ZR 133/96 – NJW 1998, 155; umfassend zur Interessenabwägung Ahrens/Bähr Kap. 27 Rn. 34 ff. 1288 BGH 24.11.1981 – VI ZR 164/79 – GRUR 1982, 181 – Tonbandaufnahme II, für den Fall des zivilrechtlichen Ehrenschutzprozesses. In der Entscheidung BGH 18.2.2003 – XI ZR 165/02 – NJW 2003, 1727 hat der BGH demgegenüber bei einem mitgehörten Telefonat die Verwertbarkeit abgelehnt, weil das bloße Beweisinteresse nach „überraschendem Bestreiten“ derartige Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht nicht rechtfertige. 1289 BGH 14.12.1990 – V ZR 223/89 – NJW 1991, 1180. 1290 BGH 14.12.1990 – V ZR 223/89 – NJW 1991, 1180. 1291 Vgl. Ahrens/Bähr Kap. 27 Rn. 38. 647

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

schäftsräumen des Beklagten ohne Genehmigung Fotos angefertigt worden, so ist dieses Verhalten – da es sich von demjenigen des normalen Nachfragers unterscheidet – grundsätzlich wettbewerbswidrig.1292 Hier wird wohl überwiegend befürwortet, dass die auf diesem Weg erlangten Beweismittel gleichwohl verwertet werden können.1293 Hiergegen spricht indes, dass der Beweis ebenfalls durch Zeugenvernehmung der Testperson geführt werden kann. Für diejenigen Fälle, in denen aber der Beweis ausschließlich durch Foto geführt werden kann – etwa weil die hinreichend bestimmte Darlegung des Wettbewerbsverstoßes die genaue Wiedergabe der beanstandeten Werbeangaben erfordert – hält der BGH die Anfertigung der Testfotos für nicht wettbewerbswidrig.1294 In diesen Fällen können die Fotos mithin ohne Weiteres verwertet werden. 512 Ein Sachverständigengutachten ist unverwertbar, wenn der Gutachter die wesentlichen Tatsachengrundlagen seines Gutachtens nicht offenlegt. Dies gilt selbst dann, wenn Geschäftsgeheimnisse einer Partei betroffen sind.1295

2. Feststellung der Verkehrsauffassung 513 a) Verbraucherleitbild und Verkehrsauffassung. Die Wahrnehmung und Interpretation geschäftlicher Handlungen durch den angesprochenen Verkehr ist in zahlreichen wettbewerbsrechtlichen Konstellationen – wie etwa bei der Frage, ob eine Werbeaussage irreführend ist – entscheidungserheblich. Bei der in diesem Zusammenhang regelmäßig zitierten „Verkehrsauffassung“ handelt es sich um einen über Jahrzehnte kultivierten Rechtsbegriff des deutschen Wettbewerbsrechts, der keine begriffliche Entsprechung im europäischen Verbraucherschutzrecht hat.1296 Der EuGH löst vielmehr derartige Fälle alleine über den Begriff des Durchschnittsverbrauchers, wie er in der UGPRL (vgl. Art. 5 Abs. 2 lit. b, Art. 6 Abs. 1, 2, Art. 7 Abs. 1, 2 sowie Art. 8) verwendet wird. Die grundlegende Definition des Begriffs des Durchschnittsverbrauchers als „durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Verbraucher“ hat der EuGH in der Entscheidung Gut Springenheide1297 aufgestellt und seither in allen Fällen herangezogen, in denen die Wahrnehmung geschäftlicher Handlungen zu bewerten war. Der EuGH verwendet etwa seine Definition nicht nur in Irreführungsfällen,1298 sondern stellt auf seinen Durchschnittsverbraucher auch dann ab, wenn Fragen der (kennzeichenrechtlichen) Verwechslungsgefahr zu beantworten sind.1299 Für den EuGH kann der Durchschnittsverbraucher selbst dann relevant sein, wenn es sich um rein markenrechtliche, 1292 BGH 25.4.1991 – I ZR 283/89 – GRUR 1991, 843 – Testfotos m. Anm. Krings; BGH 23.5.1996 – I ZR 122/94 – WRP 1996, 1099 – Testfotos II. Harte/Henning/Retzer vor § 12 Rn. 172; wohl auch Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.70. BGH 25.1.2007 – I ZR 133/04 – GRUR 2007, 802, 805 – Testfotos III. BGH 12.11.1991 – KZR 18/90 – GRUR 1992, 191, 194 – Amtsanzeiger. Gloy/Loschelder/Erdmann/Lubberger § 41 Rn. 1. In der Entscheidung „Gut Springenheide“ EuGH 16.7.1998 – C-210/96 – Slg. 1998, I-4657, I-4692 Tz. 35 = WRP 1998, 848, 851 Tz. 35 – Gut Springenheide, in der der EuGH die Grundlagen des heutigen Verbraucherleitbilds legte, hatte das vorlegende BVerwG auch gefragt, ob man einen „prozentualen Anteil“, also eine Irreführungsquote, bestimmen könne. Der EuGH antwortete, dass das Gericht, falls es eine solche Befragung für erforderlich hält, nach seinem nationalen Recht den Prozentsatz der durch eine Werbeaussage getäuschten Verbraucher zu bestimmen hat, der ein Verbot dieser Werbeaussage zu rechtfertigen vermag. 1298 Vgl. hierzu EuGH 13.1.2000 – C-220/98 – Slg. 2000, I-117, I-146 Tz. 27 = WRP 2000, 289, 292 Tz. 27 – LiftingCreme; EuGH 4.4.2000 – C-465/98 – Slg 2000, I-2297, I-2333 Tz. 20 = WRP 2000, 489, 491 Tz. 20 = GRUR Int. 2000, 756, 757 Tz. 20 – Darbo m. Anm. Hartwig; EuGH 12.10.2000 – C3/99 – Slg. 2000, I-8749, I-8781 Tz. 53 = ZLR 2000, 8749 Tz. 53 – Cidrerie Ruwet; EuGH 24.10.2002 – C-99/01 – Slg. 2002, I-9375, I-9404 Tz. 31 = EWS 2003, 135 Tz. 31 – Linhart. 1299 Vgl. hierzu EuGH 22.6.1999 – C-342/97 – Slg. 1999, I-3819, I-3841 Tz. 26 = WRP 1999, 806, 809 Tz. 26 – Lloyd/ Loints.

1293 1294 1295 1296 1297

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nicht verbraucherschützende Sachverhalte handelt.1300 Ist eine geschäftliche Handlung an Fachkreise gerichtet, überträgt der EuGH seine Grundsätze zum Verbraucherleitbild und spricht insoweit von einer durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen „Person“.1301 Sofern das deutsche Recht demgegenüber – in der Rechtsprechung ebenso wie im Gesetz, 514 vgl. § 5a – auf die „Verkehrsauffassung“ abstellt, besteht hierin nur scheinbar ein Konflikt mit der Rechtsprechung des EuGH. Denn die neuere Rechtsprechung des BGH legt der Ermittlung der Verkehrsauffassung das normative Verbraucherleitbild des EuGH – wenn auch mit leichten begrifflichen Abwandlungen1302 – zugrunde. So stellt der BGH auf den durchschnittlich informierten, situationsadäquat aufmerksamen und verständigen Verbraucher (oder sonstigen Marktteilnehmer) ab,1303 und die einschlägige deutsche Literatur hat diese verdeutlichende Modifikation nahezu einhellig übernommen.1304 Verbraucherleitbild und Verkehrsauffassung sind dabei weder Synonyme, noch stehen die beiden Begriffe zueinander in Widerspruch. Vielmehr gibt das Verbraucherleitbild des Durchschnittsverbrauchers die Umstände der Wahrnehmung vor (Wessen Wahrnehmung ist entscheidend?), während die Verkehrsauffassung sich mit ihrem Ergebnis beschäftigt (Was nimmt der Durchschnittsverbraucher wahr?).1305 Letztlich erweitert die deutsche Rechtsprechung den Durchschnittsverbraucher nur um die tatsächliche Komponente, die – unausgesprochen – auch der EuGH-Rechtsprechung zugrunde liegt. Denn auch der EuGH stellt darauf ab, was der Durchschnittsverbraucher sich tatsächlich vorstellt.1306

b) Irreführungsquorum. Vor der Einführung des mit normativen Elementen versehenen Be- 515 griffs des Durchschnittsverbrauchers ging die ältere Rspr.1307 sowie die früher ganz h. L.1308 von 1300 Vgl. EuGH 8.4.2003 – verb. Rs. C-53/01 bis C-55/01, C-54/01, C-55/01 – Slg 2003, I-3161, I-3194 Tz. 41 = GRUR 2003, 514, 517 Tz. 41 – Zur Unterscheidungskraft einer Marke.

1301 Vgl. EuGH 25.10.2001 – Rs. C-112/99 – Slg. 2001, I-7945, I-7991 Tz. 52 = GRUR 2002, 354, 356 Tz. 52 – Toshiba Europe. 1302 Trotz leichter sprachlicher Abweichungen kann von einem einheitlichen Begriff ausgegangen werden, vgl. EuGH 16.9.2004 – C-329/02 – Slg. 2004, I-8338, 8347 Tz. 24 = GRUR 2004, 943, 944 Tz. 24 – SAT.1; EuG 17.1.2006 – T-398/04 – GRUR Int. 2006, 326, 328 Tz. 28; Helm FS Tilmann, S. 135, 145; Helm WRP 2005, 938. A. A., allerdings noch vor den vorgenannten klarstellenden Entscheidungen von EuGH und EuG: Kemper/Rosenow WRP 2001, 376. 1303 BGH 18.10.2001 – I ZR 193/99 – GRUR 2002, 550, 552 = WRP 2002, 527, 529 – Elternbriefe; BGH 20.12.2001 – I ZR 215/98 – GRUR 2002, 715, 716 – Scanner-Werbung; BGH 24.10.2002 – I ZR 100/00 – GRUR 2003, 361, 362 = WRP 2003, 1224, 1225 – Sparvorwahl; BGH 2.10.2003 – I ZR 150/01 – BGHZ 156, 250, 252 = GRUR 2004, 244, 245 – Marktführerschaft; BGH 9.6.2011 – I ZR 113/10 – GRUR 2012, 215 – Zertifizierter Testamentsvollstrecker; BGH 24.7.2014 – I ZR 221/12– GRUR 2014, 1013 – Original Bach-Blüten. 1304 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.71; Fezer/Büscher § 12 Rn. 319; wohl stärker auf die Definition des EuGH abstellend Henning/Harte/Brüning vor § 12 Rn. 174. Vgl. auch Bornkamm WRP 2000, 830, 836, der zutreffend darauf hinweist, dass der EuGH in der französischen und der englischen Sprachfassung der Entscheidung Gut Springenheide (s. Fn. 1257) auf den „in vernünftigem Umfang aufmerksamen und verständigen Verbraucher“ abstellt, was letztlich das Kriterium der Situationsadäquanz in der Formel des BGH rechtfertigt. 1305 Gloy/Loschelder/Erdmann/Lubberger § 41 Rn. 11. 1306 EuGH 13.1.2000 – C-220/98 – Slg. 2000, I-117, I-146 Tz. 30 = WRP 2000, 289, 292 Tz. 30 – Lifting-Creme: „Wenn auch auf den ersten Blick wenig dafür spricht, daß ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher erwartet, daß eine Creme, deren Bezeichnung das Wort,Lifting‘ enthält, dauerhafte Wirkung hat, so ist es doch Sache des nationalen Gerichts, unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte zu prüfen, wie es sich im vorliegenden Fall verhält.“. 1307 Vgl. etwa die Entscheidungen BGH 6.4.1979 – I ZR 35/77 – GRUR 1979, 716, 718 – Kontinent Möbel; BGH 6.6.1980 – I ZR 97/98 – GRUR 1981, 71, 74 – Lübecker Marzipan; BGH 21.2.1991 – I ZR 106/89 – GRUR 1992, 66, 68 – Königl.-Bayerische Weisse m. Anm. Knaak; BGH 27.5.1993 – I ZR 115/91 – GRUR 1993, 920 – Emilio Adani II, in denen jeweils die Quote der irregeführten Verbraucher thematisiert wird. Dieser Prüfung liegt die Prämisse einer uneinheitlichen Wahrnehmung zugrunde. 1308 Vgl. GK-UWG/Lindacher1 § 3 Rn. 98 ff.; Büttner GRUR 1996, 533 jeweils m. w. N. 649

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

einer uneinheitlichen Verkehrsauffassung aus. Dies lag darin begründet, dass Werbung häufig einen weitgespannten und vielschichtigen Personenkreis anspricht und dass die einzelnen Verbraucher – abhängig davon, wie aufmerksam, informiert und verständig sie sind – eine Werbung unterschiedlich auffassen können. Vor diesem Hintergrund spielte das Irreführungsquorum, das erreicht sein musste, um eine rechtlich relevante Irreführung anzunehmen, eine zentrale Rolle. Die ältere Rspr. hielt es dabei für ausreichend, dass ein nicht völlig unbeachtlicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise irregeführt wurde, wobei nach allgemeiner Meinung eine Irreführungsquote von 10 bis 15 % zu fordern war.1309 Nach dem heute geltenden Verbraucherleitbild ist das Nebeneinander von Durch516 schnittsverbraucher und Verkehrsauffassung im Idealfall nicht spürbar, weil sich eine singuläre Wahrnehmung des Durchschnittsverbrauchers ermitteln lässt. Dann ist das – zutreffend ermittelte – eine Verständnis des Durchschnittsverbrauchers identisch mit der Verkehrsauffassung. Anders verhält es sich in solchen Fällen, in denen verschiedene Durchschnittsverbraucher eine geschäftliche Handlung unterschiedlich auffassen können. Dass derartige Fälle denkbar sind, hat der BGH in der Entscheidung Mindestverzinsung1310 zunächst ausdrücklich festgestellt und dabei entschieden, dass für die Annahme einer unlauteren Irreführung ausreicht, wenn die Werbeaussage geeignet ist, einen erheblichen Teil der durchschnittlich informierten und verständigen Verbraucher1311 irrezuführen. Wenn die Gesamtheit der Durchschnittsverbraucher in ihrem Verständnis vom Aussagegehalt einer geschäftlichen Handlung gespalten ist, erfordert die Ermittlung der Verkehrsauffassung die Einbeziehung einer Irreführungsquote. Dies steht auch nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des EuGH, der an keiner Stelle fordert, dass der Durchschnittsverbraucher als normatives Kunstprodukt ausschließlich ein Ergebnis im Sinne eines einzigen Verständnisses der geschäftlichen Handlung liefern darf. Im Gegenteil hat der EuGH mehrfach ausgesprochen, dass es Sache des nationalen Gerichts sei zu bestimmen, welcher Prozentsatz der Verbraucher mindestens durch eine Aussage irregeführt werden muss, damit ein Verbot gerechtfertigt ist.1312 In der Entscheidung Original Bach-Blüten1313 hat der BGH jedoch dem Konzept der gespaltenen Verkehrsauffassung insoweit eine Absage erteilt, als innerhalb eines einzigen angesprochenen Verkehrskreises nicht zwischen verschieden informierten Gruppen unterschieden werden dürfe. Eine eindeutige Ablehnung des Quorums liegt hierin zwar nicht. Wohl aber dürfte damit der früher vom BGH angewendete „Kunstgriff“ obsolet geworden sein, wonach bei Verbrauchergruppen unterschiedlichen Kenntnisstandes von der Bestimmung des Durchschnittsverbrauchers abgesehen wurde und stattdessen mehrere Verkehrskreise gebildet wurden, wobei die Täuschung eines Kreises für ausreichend erachtet wurde.1314 517 Der BGH hat sich nie ausdrücklich zu der Frage geäußert, welche Irreführungsquote erreicht sein muss. Mit der Entscheidung Mindestverzinsung1315 ist aber zumindest geklärt, dass eine Quote von 15 bis 20 % nicht ausreicht. Ob man darüber hinaus der Entscheidung auch 1309 Vgl. die Entscheidungen in Fn. 1264. Zu den geringeren Anforderungen an das Irreführungsquorum bei Werbung mit Gesundheitsbezug vgl. BGH 2.7.1992 – I ZR 215/90 – GRUR 1992, 874 – Hyanit.

1310 BGH 2.10.2003 – I ZR 252/01 – GRUR 2004, 162, 163 – Mindestverzinsung. 1311 Wenn sich Produkt an eine abgrenzbaren Teil des angesprochenen Verkehrs richtet, ist die Irreführung nicht unerheblicher Teile dieser abgrenzbaren Gruppe ausreichend, vgl. OLG Karlsruhe 23.1.2013 – 6 U 38/12 – GRUR-RR 2013, 327 für Lebensmittel, die speziell in türkischen Lebensmittelgeschäften angeboten werden. 1312 EuGH 16.7.1998 – C-210/96 – Slg. 1998, I-4657, I-4692 Tz. 36 = WRP 1998, 848, 851 Tz. 36 – Gut Springenheide; EuGH 13.1.2000 – C-220/98 – Slg. 2000, I-117, I-146 Tz. 31 = WRP 2000, 289, 292 Tz. 31 – Lifting-Creme. 1313 BGH 24.7. 2014 – I ZR 221/12 – GRUR 2014, 1013 – Bach-Blüten. Der BGH hält eine andere Bewertung nur ausnahmsweise dann für gerechtfertigt, wenn eine Geschäftspraxis sich speziell – allein oder zumindest auch – an eine eindeutig identifizierbare Gruppe von Verbrauchern richtet, die besonders schutzbedürftig ist, und durch diese Geschäftspraxis voraussichtlich und vorhersehbar allein das geschäftliche Verhalten dieser Verbrauchergruppe wesentlich beeinflusst wird. 1314 Vgl. BGH 20.12.2001 – I ZR 215/98 – GRUR 2002, 715, 716 – Scanner-Werbung. 1315 BGH 2.10.2003 – I ZR 252/01 – GRUR 2004, 162, 163 – Mindestverzinsung. Ebersohl

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VI. Beweis und Beweislast

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entnehmen kann, dass eine Quote von 50 % nicht erforderlich ist, weil der BGH die Täuschung eines „erheblichen Teils“ der durchschnittlich informierten und verständigen Verbraucher statt der Mehrheit fordert,1316 erscheint indes zweifelhaft. Denn auf diese Weise würde bei gespaltener Auffassung der Durchschnittsverbraucher das Verbot zur Regel und es wären nahezu wieder die Verhältnisse hergestellt, die vor Einführung des europäischen Verbraucherleitbildes herrschten. Richtigerweise ist daher grundsätzlich eine Täuschung der Mehrheit der durchschnittlich informierten und verständigen Verbraucher zu fordern. Unabhängig davon, ob eine Mehrheit der angesprochenen Verkehrskreise getäuscht wird, sind nach der Rechtsprechung des BGH objektiv unrichtige Angaben, insbesondere die so genannten „dreisten Lügen“, zu verbieten.1317

c) Bestimmung der Verkehrsauffassung kraft eigener Sachkunde aa) Grundlagen und Rechtsentwicklung. Die Ermittlung der Verkehrsauffassung im Wege 518 der Beweisaufnahme ist für die Parteien mit einer Reihe von Nachteilen verbunden. So verursachen Meinungsforschungsgutachten nicht unerheblichen Kosten, die ab A 15.000 und im Einzelfall bis zu A 50.000 betragen können.1318 Ferner steht die Einholung eines Gutachtens angesichts der damit verbundenen deutlich erhöhten Dauer des Verfahrens im Widerspruch zum Interesse des Klägers an einem effektiven Rechtsschutz. Denn das Verfahren wird nicht nur durch die eigentliche Bearbeitungszeit des Sachverständigen verzögert, sondern insbesondere dadurch in die Länge gezogen, dass die Sache in der Regel erst nach drei Terminen entscheidungsreif ist und nicht – wie es ohne Beweisaufnahme der Regel entspricht – nach einem einzigen Verhandlungstermin.1319 Schließlich ist das Verfahren angesichts der Schwierigkeit, richtige Fragestellungen zu formulieren,1320 der Gefahr des Misslingens ausgesetzt.1321 Vor diesem Hintergrund hat die Rechtsprechung schon früh Leitlinien für eine Ermittlung der Verkehrsauffassung ohne Beweisaufnahme entwickelt. Bereits das RG1322 hat entschieden, dass das Gericht die Verkehrsauffassung vom Gehalt 519 einer bestimmten Aussage auch ohne Inanspruchnahme fremder Hilfe beurteilen kann, was im Allgemeinen gelte, wenn die Richter selbst den zur Beurteilung berufenen Verkehrskreisen angehören. In der Folgezeit hat der BGH die den Richtern grundsätzlich eröffnete Möglichkeit, die Verkehrsauffassung aufgrund eigener Lebenserfahrung und Sachkunde festzustellen, in ständiger Rechtsprechung bestätigt und die Voraussetzungen hierfür konkretisiert.1323 Bemer-

1316 So Gloy/Loschelder/Erdmann/Lubberger § 41 Rn. 12. 1317 BGH 24.5.2000 – I ZR 222/97 – GRUR 2001, 78, 79 – Falsche Herstellerpreisempfehlung; BGH 20.12.2001 – I ZR 215/98 – GRUR 2002, 715, 716 – Scanner-Werbung.

1318 Vgl. Gloy/Loschelder/Erdmann/Pflüger § 42 Rn. 6; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 16 Fn. 89. 1319 Vgl. zum Verfahren Rn. 535 ff., aber auch die hierzu abweichende Meinung bei Gloy/Loschelder/Erdmann/ Pflüger § 42 Rn. 9.

1320 Hierzu Rn. 538 ff. 1321 BGH 5.7.1990 – I ZR 164/88 – GRUR 1990, 1053, 1054 f. – Versäumte Meinungsumfrage; BGH 15.2.1996 – I ZR 9/ 94 – GRUR 1996, 910, 913 – „der meistverkaufte Europas“ m. Anm. Doepner; BGH 17.6.1999 – I ZR 149/97 – GRUR 2000, 239, 240 – Last-Minute-Reise; BGH 29.3.2007 – I ZR 122/04 – GRUR 2007, 1079, 10812 Tz. 31 – Bundesdruckerei; BGH 11.2.2010 – I ZR 154/08 – WRP 2010, 759, 760 – Firmenbestandteil „Bundes-“; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 16; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.76. 1322 RG 8.2.1939 – II 107/38 – GRUR 1939, 486, 489 – Original Bergmann. 1323 Vgl. BGH 30.11.1951 – I ZR 9/50 – GRUR 1952, 511, 516 – Urkölsch; BGH 15.5.1956 – I ZR 148/54 – GRUR 1956, 550, 552 – Tiefenfurter Bauernbrot; BGH 13.4.1959 – II ZR 39/58 – GRUR 1959, 375, 376 f. – Doktortitel; BGH 29.10.1969 – I ZR 63/68 – GRUR 1970, 461 – Euro-Sprituosen; BGH 19.6.1970 – I ZR 72/68 – GRUR 1971, 29, 31 – Deutscher Sekt; BGH 2.4.1971 – I ZR 22/70 GRUR 1971, 365, 367 – Wörterbuch; BGH 21.5.1975 – I ZR 43/74 – GRUR 1975, 658 – Sonnenhof; BGH 27.2.1980 – I ZR 8/78 – GRUR 1980, 797, 798 – Topfit-Boonekamp; BGH 10.2.1982 – I ZR 65/80 – GRUR 1982, 491, 492 – Möbelhaus; BGH 11.5.1983 – I ZR 64/81 – GRUR 1984, 467, 468 – Das unmögliche 651

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

kenswert ist dabei insbesondere die Bärenfang-Entscheidung1324 aus dem Jahr 1962, wonach die Feststellung der Verkehrsauffassung aufgrund eigener Lebenserfahrung oder Sachkunde regelmäßig nur bei Bejahung der Irreführungsgefahr in Betracht kommen sollte, weil ihre Verneinung häufig die Erfassung eines so weitgespannten und vielschichtigen Personenkreises umfasse, dass das Gericht ein zuverlässiges Bild nicht ohne fremde Hilfe gewinnen könne. Dieser strenge Maßstab wurde in der Entscheidung Elternbriefe1325 angesichts des nunmehr normativ geprägten Prüfungsmaßstabs des Durchschnittsverbrauchers ausdrücklich aufgegeben, sodass fortan unabhängig vom Ergebnis der Irreführungsprüfung der Weg zur Feststellung kraft eigener Sachkunde offenstand.1326 Eine weitere wichtige Entwicklung im Zusammenhang mit der Feststellung der Verkehrsauffas520 sung ohne Beweisaufnahme gilt der Vergemeinschaftung und Typisierung richterlicher Lebenserfahrung im Wege so genannter Erfahrungssätze.1327 Diese Entwicklung hat ihren Ursprung im Kennzeichenrecht, wo die Verkehrsauffassung für eine Fülle von Tatbestandsmerkmalen – wie etwa den kennzeichenmäßigen Gebrauch, die Unterscheidungskraft oder die Verwechslungsgefahr1328 – relevant ist.1329 Gleichwohl wird im Kennzeichenrecht die Verkehrsauffassung häufig ohne Beweisaufnahme festgestellt, und zwar indem mittels Erfahrungssätzen vom Vorliegen bestimmter Kriterien auf eine bestimmte Verkehrsauffassung geschlossen wird.1330 Ein Beispiel hierfür ist etwa der Erfahrungssatz, wonach der Verkehr dazu neige, Bezeichnungen in einer die Merkbarkeit und Aussprechbarkeit erleichternden Weise zu verkürzen.1331 Auch die lauterkeitsrechtliche Rechtsprechung wendet zur Konkretisierung des Begriffs des Durchschnittsverbrauchers und zur Ermittlung der Verkehrsauffassung Erfahrungssätze an.1332 Hierzu gehört etwa im Bereich des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes der Erfahrungssatz, dass der Verkehr die in Rede stehenden Produkte regelmäßig nicht gleichzeitig wahrnimmt und miteinander vergleicht, sondern seine Auffassung auf Grund eines Erinnerungseindrucks gewinnt.1333

521 bb) Problematik der richterlichen Feststellung kraft eigener Sachkunde. Zwar trifft das aktuell große Vertrauen der Rechtsprechung in die Feststellung der Verkehrsauffassung aufgrund eigener Sachkunde nicht zuletzt unter Effizienzgesichtspunkten auf verbreitete Zustimmung in der Literatur.1334 Gleichwohl darf nicht verkannt werden, dass auch die Verwendung von Erfahrungswissen und Erfahrungssätzen fehlerbehaftet und auch Hinblick auf ihre Revisibilität nicht unproblematisch ist. So weist Lubberger1335 zurecht darauf hin, dass es dem Richter schwer fallen mag, den ihm auferlegten „Rollenwechsel“ vorzunehmen, zumal er sich zum Zeitpunkt der Entscheidung, nachdem er sich eingehend mit der Akte und den Standpunkten der Parteien beschäftigt hat, weit von der Wahrnehmungssituation des Durchschnittsverbrauchers entfernt hat. Nicht zuletzt angesichts dieser der Methode immanenten Fehleranfälligkeit wendet Möbelhaus; BGH 1.2.1990 – I ZR 161/87 – GRUR 1990, 532, 533 – Notarieller Festpreis; BGH 20.2.1992 – I ZR 32/90 – GRUR 1992, 406, 407 – Beschädigte Verpackung; BGH 25.6.1992 – I ZR 60/91GRUR 1992, 707, 709 – Erdgassteuer. 1324 BGH 13.7.1962 – I ZR 43/61 – GRUR 1963, 270, 273 – Bärenfang m. Anm. Hefermehl. 1325 BGH 18.10.2001 – I ZR 193/99 – GRUR 2002, 550, 552 = WRP 2002, 527, 529 – Elternbriefe. 1326 Hierzu Rn. 528. 1327 Zum Begriff vgl. Gloy/Loschelder/Erdmann/Lubberger § 41 Rn. 24 sowie Hacker GRUR 2004, 537, 545. 1328 Vgl. Ahrens/Bähr Kap. 27 Rn. 5; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 5; Ingerl/Rohnke § 14 MarkenG Rn. 440 ff. 1329 Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 5. 1330 Vgl. GK-UWG/Teplitzky1 § 16 Rn. 380 f. 1331 BGH 29.10.1957 – I ZR 108/56 – GRUR 1958, 604 – Wella-Perla. 1332 Vgl. hierzu Omsels GRUR 2005, 548, 555 f.; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 6. 1333 Vgl. BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795 – Handtaschen. 1334 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.73; Fezer/Büscher § 12 Rn. 325; Harte/Henning/Brünning vor § 12 Rn. 178; Ahrens/Bähr Kap. 27 Rn. 10; Ullmann GRUR 2003, 817, 818 f.; Lettl GRUR 2004, 449, 458; Ulbrich WRP 2005, 940 ff. Kritisch Sack WRP 2004, 521 ff.; Omsels GRUR 2005, 548. 1335 Gloy/Loschelder/Erdmann/Lubberger § 41 Rn. 17. Ebersohl

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VI. Beweis und Beweislast

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der BGH Maßnahmen der Fehlerkontrolle an, die bei erster Näherung überraschen mögen. So ist zu beobachten, dass in der Revisionsinstanz tatrichterliche Feststellungen zur Verkehrsauffassung aufgehoben werden und der BGH sodann unter Zugrundelegung einer anderen, selbst ermittelten Verkehrsauffassung durcherkennt.1336 Diese Praxis mag wie ein Widerspruch zur begrenzten Überprüfbarkeit tatrichterlicher Feststellungen in der Revisionsinstanz erscheinen.1337 Sie lässt sich jedoch mit der besonderen Rechtsnatur der Erfahrungssätze erklären. Das persönliche Erfahrungswissen eines Richters hängt häufig von Zufällen ab und ist nicht repräsentativ; dementsprechend dürfen die Richter sich nicht ausschließlich auf ihr persönliches Erfahrungswissen stützen, sondern müssen auf Erfahrungssätze zurückgreifen.1338 Diese sind, wenn sie auch keine Rechtsnormen sind,1339 jedenfalls Hilfsmittel der Gesetzesauslegung und damit revisionsrechtlich wie Rechtsnormen zu behandeln.1340 Dort wo (ausgesprochen oder unausgesprochen) in eine instanzgerichtliche Entscheidung Erfahrungssätze eingeflossen sind – oder dort wo Erfahrungssätze missachtet wurden –, steht dem Revisionsgericht mithin die Überprüfung und zutreffende Anwendung der Erfahrungssätze offen.1341 Die Revision kann Erfahrungssätze auch in solchen Fällen einfließen lassen, in denen das Berufungsgericht dies – aufgrund abweichender Rechtsauffassung – überhaupt nicht getan hat; dies gilt indes nur insoweit, als die Entscheidung auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen möglich ist.1342 Es obliegt der eigenverantwortlichen Entscheidung des Gerichts, die Verkehrsauffassung 522 entweder kraft eigener Sachkunde bzw. Lebenserfahrung zu bestimmen oder durch Beweisaufnahme zu ermitteln. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass auch die neuere Rechtsprechung und Literatur weiterhin die Frage stellen, wann das Gericht die Verkehrsauffassung ohne Beweisaufnahme ermitteln kann. Dies steht mit den Vorgaben des EuGH – der die Beweisaufnahme als Ausnahme betrachtet – nicht in Einklang. Der EuGH hat bereits in der Entscheidung Gut Springenheide – auf eine Vorlagefrage des BVerwG – entschieden, dass das Gemeinschaftsrecht dem nationalen Gericht eine Ermittlung der Verkehrsauffassung im Wege des Sachverständigengutachten „nicht verbiete“, wenn das nationale Gericht „besondere Schwierigkeiten“ bei der Beurteilung der Irreführung habe.1343 Für den EuGH ist mithin die Festsetzung der Verkehrsauffassung durch den Tatrichter die Regel, von der nur in begründeten Fällen, nämlich bei „besonderen Schwierigkeiten“, abgewichen werden darf. In Konsequenz dieser Linie wäre also nicht zu fragen, wann die Verkehrsauffassung ohne Beweisaufnahme festgestellt werden kann, sondern wann sie ohne Beweisaufnahme festgestellt werden muss. Die praktischen Auswirkungen der Befolgung dieses Paradigmas wären nicht unbeträchtlich. Nach der heute ganz herrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Lehre muss der Tatrichter bei Zweifeln an der eigenen Sachkunde die verfügbaren Beweismittel ausschöpfen;1344 unterlässt er dies, liegt ein revisibler Verfahrensfehler vor.1345 Nähme man das Regel-Ausnahme-Verhältnis des EuGH und 1336 1337 1338 1339

Vgl. Bornkamm WRP 2000, 830, 831 m. w. N. in Fn. 2. Vgl. Bornkamm WRP 2000, 830, 831, der von einer „kritisch-skeptischen Beobachtung“ spricht. Vgl. Gloy/Loschelder/Erdmann/Lubberger § 41 Rn. 24. So aber das Verständnis des Reichsgerichts, vgl. 7.5.1920 – VII 12/20 – RGZ 99, 70, 71 zur Verkehrsauffassung über die Ermächtigung des Portiers, eingebrachtes Geld i. S. d. § 701 Abs. 2 BGB entgegenzunehmen. 1340 Hacker GRUR 2004, 537, 545 m. w. N. 1341 Vgl. Bornkamm WRP 2000, 830, 834; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5 Rn. 1.236; Fezer/Büscher § 12 Rn. 326. 1342 BGH 12.12.2013 – I ZR 192/12 – GRUR 2014, 686 (Tz. 34) – Goldbärenbarren. 1343 EuGH 16.7.1998 – C-210/96 – Slg. 1998, I-4657, I-4692 Tz. 34 f. = WRP 1998, 848, 851 Tz. 34 f. – Gut Springenheide. 1344 BGH 2.2.1984 – I ZR 219/81 – GRUR 1984, 465, 467 – Natursaft; BGH 12.2.1987 – I ZR 54/85 – GRUR 1987, 444, 446 – Laufende Buchführung; BGH 12.11.1998 – I ZR 173/96 – GRUR 1999, 594, 597 – Holsteiner Pferd; Teplitzky/ Schwippert Kap. 47 Rn. 7a; GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 D Rn. 369; Spätgens FS für Traub, S. 375, 386. A. A. Westermann GRUR 2002, 405, der zumindest in Irreführungsfällen stets die richterliche Sachkunde ausreichen lassen will. 1345 BGH 19.1.1995 – I ZR 197/92 – GRUR 1995, 354, 357 – Rügenwalder Teewurst II; BGH 21.3.2000 – VI ZR 158/ 99 – NJW 2000, 1946, 1947; BGH 2.10.2003 – I ZR 150/01 – BGHZ 156, 250, 252 = GRUR 2004, 244, 245 – Marktführer653

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

das Erfordernis der begründeten besonderen Schwierigkeiten ernst, so ließe sich durchaus vertreten, dass die Ermittlung der Verkehrsauffassung ohne Beweisaufnahme bei bloßen Zweifeln an der Sachkunde des Instanzgerichts noch keinen revisiblen Verfahrensfehler begründen. Im Ergebnis wären damit tatrichterliche Feststellungen der Verkehrsauffassung, die auf wackligen – weil von zweifelhafter Sachkunde getragenen – Beinen stehen, jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des Verfahrensfehlers nicht revisibel.1346 Ferner ist fraglich, ob dem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG noch Genüge getan wäre, wenn eine Partei erhebliche Tatsachen zur Erschütterung einer bestimmten, vom Gericht ins Auge gefassten Verkehrsauffassung vorgebracht hat, das Gericht aber gleichwohl ohne Beweisaufnahme an seiner Auffassung festhielte.1347 Vor diesem Hintergrund tun die deutschen Gerichte gut daran, auch angesichts der Rechtsprechung des EuGH weiter zu fragen, wann die Verkehrsauffassung ohne Beweisaufnahme festgestellt werden kann, nicht muss.

cc) Fallgruppen 523 (1) Lebenserfahrung. Grundsätzlich kann das Gericht stets dann die Verkehrsauffassung auf der Grundlage seiner eigenen Lebenserfahrung feststellen, wenn die Richter von der streitgegenständlichen Werbung selbst angesprochen sind.1348 Dies ist insbesondere der Fall bei Gegenständen des allgemeinen Bedarfs,1349 ohne dass es sich hierbei jedoch um ein notwendiges Erfordernis handeln würde.1350 Von Werbung für Konsumgüter ist das Gericht auch dann angesprochen, wenn die Richter die Produkte nicht selbst kaufen;1351 denn es ist gerade eine der grundlegenden Zielrichtungen der Werbung, auch Neu- und Erstkunden anzusprechen.1352 Der vorstehende Grundsatz muss für solche Fälle eingeschränkt werden, in denen das Ver524 ständnis eines bestimmten in der angegriffenen Werbung verwendeten Begriffs maßgeblich ist. Hier ist zusätzlich erforderlich, dass es sich um einen solchen Begriff handelt, dessen Verständnis in einem bestimmten Sinn einfach und naheliegend ist.1353 Dies ist dann nicht der Fall, wenn zunächst Kenntnisse und sodann Denkprozesse im Zusammenhang mit diesen Kenntnisschaft; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5 Rn. 1.238; GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 D Rn. 369; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 7a; Spätgens FS Traub, S. 375, 386; a. A. Westermann GRUR 2002, 403, 405. 1346 Freilich kann das sachlich nicht vertretbare Ergebnis insoweit korrigiert werden, als die Beurteilung nicht frei von Widersprüchen mit Denkgesetzen und Erfahrungssätzen ist, vgl. BGH 5.7.1990 – I ZR 164/88 – GRUR 1990, 1053, 1054 – Versäumte Meinungsumfrage; BGH 18.10.2001 – I ZR 193/99 – GRUR 2002, 550, 552 = WRP 2002, 527, 530 – Elternbriefe; BGH 11.12.2003 – I ZR 50/01 – GRUR 2004, 605, 606 – Dauertiefpreise; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5 Rn. 3.1.236; Fezer/Büscher § 12 Rn. 326; Gloy/Loschelder/Erdmann/Lubberger § 41 Rn. 19. 1347 Vgl. zum Anspruch auf rechtliches Gehör in diesem Zusammenhang Gloy/Loschelder/Erdmann/Lubberger § 41 Rn. 23 m. w. N. 1348 BGH 17.10.1984 – I ZR 187/82 – GRUR 1985, 140, 141 – Größtes Teppichhaus der Welt m. w. N.; BGH 1.2.1990 – I ZR 161/87 – GRUR 1990, 532, 533 – Notarieller Festpreis; BGH 20.2.1992 – I ZR 32/90 – GRUR 1992, 406, 407 – Beschädigte Verpackung; BGH 12.11.1998 – I ZR 173/96 – GRUR 1999, 594, 597 – Holsteiner Pferd; BGH 17.6.1999 – I ZR 149/97 – GRUR 2000, 239, 240 – Last-Minute-Reise; BGH 9.6.2011 – I ZR 113/10 – GRUR 2012, 215 – Zertifizierter Testamentsvollstrecker; BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 – Biomineralwasser; BGH 24.7.2014 – I ZR 221/12– GRUR 2014, 1013 – Original Bach-Blüten; Fezer/Büscher § 12 Rn. 321; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 7. 1349 BGH 20.2.1992 – I ZR 32/90 – GRUR 1992, 406, 407 – Beschädigte Verpackung; BGH 9.5.1996 – I ZR 107/94 – GRUR 1996, 800, 801 – EDV-Geräte; BGH 17.6.1999 – I ZR 149/97 – GRUR 2000, 239, 240 – Last-Minute-Reise. 1350 Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 7. 1351 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.71. 1352 Dementsprechend verwenden Rspr. und Literatur auch die Formel von den „angesprochenen Verkehrskreisen“, die im Hinblick auf das tatsächliche Konsumverhalten neutral ist, vgl. die Nachweise in Fn. 1308. 1353 BGH 10.2.1982 – I ZR 65/80 – GRUR 1982, 491, 492 – Möbelhaus; BGH 11.5.1983 – I ZR 64/81 – GRUR 1984, 467, 468 – Das unmögliche Möbelhaus; BGH 20.2.1992 – I ZR 32/90 – GRUR 1992, 406, 407 – Beschädigte Verpackung; BGH 10.8.2000 – I ZR 126/98 – GRUR 2001, 73, 75 – Stich den Buben m. w. N.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.71; Fezer/Büscher § 12 Rn. 321 ff.; Harte/Henning/Brüning vor § 12 Rn. 175 ff.; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 7; Gloy/Loschelder/Erdmann/Lubberger § 41 Rn. 22; GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 D Rn. 369 m. w. N. Ebersohl

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VI. Beweis und Beweislast

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sen erforderlich sind, die nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden können und von denen die Richter nicht annehmen können, dass sie tatsächlich bei einem nennenswerten Teil des Verkehrs vorliegen bzw. erfolgen werden.1354 An einem einfachen und naheliegenden Verständnis des maßgeblichen Begriffs fehlt es auch dann, wenn die wortlautgetreue Interpretation jedenfalls unzutreffend wäre.1355

(2) Sachkunde. Das Gericht kann unter Umständen auch dann die Verkehrsauffassung ohne 525 Beweisaufnahme feststellen, wenn die Richter nicht zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehören.1356 Denn aufgrund ihrer besonderen Erfahrung in Wettbewerbssachen können die Richter grundsätzlich auch über die erforderliche Sachkunde verfügen, um das Verständnis einer Aussage durch die angesprochenen Fachkreise1357 oder angesprochene Adressatenkreise wie Kinder1358 zu beurteilen. Etwas anderes gilt, wenn dieses Verständnis besondere Kenntnisse in dem jeweiligen Fachgebiet (Sonderwissen) erfordert.

(3) Sonderwissen. Bei geschäftlichen Handlungen, die sich an Fachkreise richten, hängen 526 Wahrnehmung und Interpretation mitunter von spezifischem Fachwissen aus dem entsprechenden Gebiet ab. Dies ist z. B. der Fall, wenn die angegriffene Werbeaussage ihrerseits auf Fachterminologie zurückgreift. Auch in diesen Fällen ist denkbar, dass das Gericht auf der Grundlage eigenen Erfahrungswissens entscheidet; das Gericht muss dieses spezifische Wissen aber darlegen und begründen.1359 Denkbar ist hier etwa, dass der zur Entscheidung berufene Spruchkörper regelmäßig mit Sachverhalten aus der entsprechenden Branche betraut ist und hierdurch besonderes Erfahrungswissen erlangt hat. In den einschlägigen Entscheidungen hat der BGH nicht ausdrücklich ausgesprochen, ob 527 das besondere Erfahrungswissen in diesen Fallgestaltungen bei allen Richtern des Spruchkörpers vorhanden sein muss oder ob es ausreicht, dass ein Richter hierüber verfügt. In der Entscheidung Holsteiner Pferd1360 führte der BGH aus, es sei nicht ersichtlich, dass „die Richter“ mit den Besonderheiten des Pferdemarkts vertraut seien. Demgegenüber hielt der BGH in der Entscheidung Marktführerschaft eine Beweiserhebung häufig dann für geboten, „wenn keiner 1354 BGH 19.1.1995 – I ZR 197/92 – GRUR 1995, 354, 357 – Rügenwalder Teewurst II; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 7.

1355 BGH 17.6.1999 – I ZR 149/97 – GRUR 2000, 239, 240 – Last-Minute-Reise; Gloy/Loschelder/Erdmann/Lubberger § 41 Rn. 22.

1356 BGH 2.10.2003 – I ZR 150/01 – BGHZ 156, 250, 252 = GRUR 2004, 244, 245 – Marktführerschaft; BGH 29.3.2007 – I ZR 122/04 – GRUR 2007, 1079, 1082 Tz. 36 = WRP 2007, 1346, 1351 Tz. 36 – Bundesdruckerei; BGH 17.7.2013 – I ZR 21/12 – GRUR 2013, 1052 – Einkaufswagen III; BGH 15.12.2016 – I ZR 197/15 – GRUR 2017, 734 – Bodendübel; Fezer/Büscher § 12 Rn. 264; Harte/Henning/Brüning vor § 12 Rn. 175; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.71; Piper/Ohly/Sosnitza § 5 Rn. 144. Jedoch können sich gerade dann, wenn die Richter nicht zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehören, die in Gloy/Loschelder/Erdmann/Lubberger § 41 Rn. 17 aufgezeigten Gefahren manifestieren. 1357 BGH 12.7.2001 – I ZR 261/98 – GRUR 2002, 77, 79 – Rechenzentrum; BGH 2.10.2003 – I ZR 150/01 – BGHZ 156, 250, 252 = GRUR 2004, 244, 245 – Marktführerschaft; BGH 6.5.2004 – I ZR 275/01 – GRUR 2004, 793, 796 = WRP 2004, 1024, 1027 – Sportlernahrung II; BGH 20.2.2013 – I ZR 175/11 – GRUR 2013, 1058 – Kostenvergleich bei Honorarfactoring; OLG Hamburg 23.4.2009 – 3 U 211/08 – GRUR-RR 2010, 67, 70 f.; Bornkamm WRP 2000, 830, 833 m. w. N.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.71 sowie Fezer/Büscher § 12 Rn. 322 m. w. N. aus der OLG-Rspr. 1358 BGH 18.9.2014 – I ZR 34/12 – GRUR 2014, 1211 – Runes of Magic II. 1359 BGH 29.11.1974 – I ZR 117/73 – GRUR 1975, 377, 379 – Verleger von Tonträgern m. Anm. Nordemann; BGH 23.5.1990 – I ZR 176/88 – GRUR 1990, 1035, 1037 – Urselters II; BGH 12.11.1998 – I ZR 173/96 – GRUR 1999, 594, 597 – Holsteiner Pferd; BGH 15.4.2010 – I ZR 145/08 – GRUR 2010, 1125, 1129 Tz. 50 – Femur-Teil; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 12 Rn. 1.74; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 7. 1360 BGH 12.11.1998 – I ZR 173/96 – GRUR 1999, 594, 597 – Holsteiner Pferd. 655

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

der erkennenden Richter durch die fragliche Werbung angesprochen wird“.1361 Diese Formulierung deutet darauf hin, dass der BGH Sonderwissen eines einzelnen Mitglieds des Spruchkörpers für ausreichend erachtet. Da die Gerichte eine Mehrheitsentscheidung treffen können (§ 196 Abs. 1 GVG) und damit das Mitglied des Spruchkörpers, das über das erforderliche Erfahrungswissen verfügt, theoretisch überstimmt werden könnte, ist indes zu fordern, dass besonderes Erfahrungswissen bei allen Richtern vorhanden ist. Dabei sollte jedoch ein Wissenstransfer von einem Richter auf die übrigen möglich sein.1362

528 dd) Unerheblichkeit des Ergebnisses der Irreführungsprüfung. Bis zur Einführung des europäischen Verbraucherleitbilds und der Maßgeblichkeit des Durchschnittsverbrauchers sollte nach der mit der Bärenfang-Entscheidung1363 begründeten strengen Rechtsprechung des BGH die Feststellung der Verkehrsauffassung aufgrund eigener Lebenserfahrung oder Sachkunde regelmäßig1364 nur in Betracht kommen, wenn die Irreführungsgefahr bejaht wurde.1365 Da bereits die Irreführung eines nicht ganz unerheblichen Teils des Verkehrs ein Verbot rechtfertigte,1366 wurde den Richtern die Sachkunde abgesprochen, für fast den gesamten von einer Werbemaßnahme angesprochenen Personenkreis (ca. 85 bis 90 %) eine Irreführung ausschließen zu können.1367 Da mit der neueren Rechtsprechung auf den durchschnittlich informierten, situationsadäquat aufmerksamen und verständigen Verbraucher (bzw. sonstigen Marktteilnehmer) abzustellen ist und somit grundsätzlich nur noch die Vorstellung dieser einen normativen Figur zu ermitteln ist, kann heute eine Irreführungsgefahr ohne Beweisaufnahme gleichermaßen bejaht wie verneint werden.1368

529 ee) Entkräftung des Erfahrungswissens. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH kann eine Beweiserhebung über die Verkehrsauffassung dann geboten sein, wenn Umstände vorliegen, die eine bestimmte Auffassung als bedenklich erscheinen lassen.1369 Legt etwa eine Partei ein nach den Regeln der Kunst durchgeführtes (Partei-)Gutachten eines renommierten Meinungsforschungsinstituts vor, so sollte das erkennende Gericht sich in der Regel nicht ohne 1361 BGH 2.10.2003 – I ZR 150/01 – BGHZ 156, 250, 252 = GRUR 2004, 244, 245 – Marktführerschaft. 1362 Fezer/Büscher § 12 Rn. 322 und Bornkamm WRP 2000, 830, 833 lassen ausdrücklich die Aneignung des Sonderwissens etwa durch Literaturstudium zu. Es besteht kein sachlicher Grund, einen Wissenstransfer von Richter zu Richter nicht in gleicher Weise zuzulassen. 1363 BGH 13.7.1962 – I ZR 43/61 – GRUR 1963, 270, 273 – Bärenfang m. Anm. Hefermehl. 1364 Vgl. zu den Ausnahmefällen, in denen die Irreführung ohne Beweisaufnahme verneint wurde BGH 7.7.1971 – I ZR 23/71 – GRUR 1972, 360, 361 – Kunststoffglas m. Anm. Storch; BGH 25.6.1992 – I ZR 60/91 – GRUR 1992, 707, 709 – Erdgassteuer. 1365 BGH 13.7.1962 – I ZR 43/61 – GRUR 1963, 270, 273 – Bärenfang m. Anm. Hefermehl; BGH 22.3.1967 – Ib ZR 88/ 65 – GRUR 1967, 600, 603 – Rhenodur I m. Anm. Droste; BGH 12.2.1987 – I ZR 54/85 – GRUR 1987, 444, 446 – Laufende Buchführung; BGH 13.2.1992 – I ZR 79/90 – GRUR 1992, 450, 452 – Beitragsrechnung; BGH 20.2.1992 – I ZR 32/90 – GRUR 1992, 406, 407 – Beschädigte Verpackung. Die Praxis der Instanzgerichte war gleichwohl häufig weit weniger streng, vgl. Bornkamm WRP 2000, 830, 833 („in der täglichen Praxis der Wettbewerbsgerichte weitgehend unbeachtet geblieben“). 1366 Siehe hierzu Rn. 515. 1367 Vgl. die Nachweise in Fn. 1324. 1368 BGH 18.10.2001 – I ZR 193/99 – GRUR 2002, 550, 552 = WRP 2002, 527, 529 – Elternbriefe; BGH 26.9.2002 – I ZR 89/00 – GRUR 2003, 247 – THERMAL BAD; BGH 2.10.2003 – I ZR 150/01 – BGHZ 156, 250, 252 = GRUR 2004, 244, 245 – Marktführerschaft; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.73; Fezer/Büscher § 12 Rn. 325; Harte/Henning/ Brüning vor § 12 Rn. 178; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 8; Ullmann GRUR 2003, 817, 818 f.; Ulbrich WRP 2005, 940 ff.; Lettl GRUR 2004, 449, 458; Westermann GRUR 2002, 403, 405; siehe auch bereits Bornkamm WRP 2000, 832 f. Kritisch Omsels GRUR 2005, 548; Sack WRP 2004, 521 ff. 1369 BGH 18.10.2001 – I ZR 193/99 – GRUR 2002, 550, 552 = WRP 2002, 527, 530 – Elternbriefe; BGH 2.10.2003 – I ZR 150/01 – BGHZ 156, 250, 252 = GRUR 2004, 244, 245 – Marktführerschaft. Vgl. auch bereits die Entscheidungen vor Ebersohl

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VI. Beweis und Beweislast

Vor §§ 12–15a A

Beweiserhebung über das Ergebnis dieses Gutachtens hinwegsetzen; etwas anderes gilt freilich, wenn dem Parteigutachten Mängel anhaften.1370 Zweifel sind auch angezeigt, wenn die Verkehrsauffassung in verschiedenen Instanzen unterschiedlich beurteilt werden soll1371 oder im Falle einer entgegenstehenden Branchenübung.1372

ff) Revisibilität. Der BGH hat in der Entscheidung Elternbriefe1373 die Formel aufgestellt, wo- 530 nach die Beurteilung, ob die Feststellung der Verkehrsauffassung kraft eigener richterlicher Sachkunde möglich ist oder eine Beweisaufnahme erfordert, tatrichterlicher Natur ist und daher in der Revisionsinstanz nur daraufhin überprüft wird, ob die Vorinstanz den Tatsachenstoff verfahrensfehlerfrei ausgeschöpft und ihre Beurteilung frei von Widersprüchen mit Denkgesetzen und Erfahrungssätzen vorgenommen hat. Die Formulierung des BGH ist insoweit missverständlich als der zweite Punkt – also die Überprüfung auf Freiheit von Widersprüchen mit Denkgesetzen und Erfahrungssätzen – das Ergebnis der tatrichterlichen Feststellungen im Blick hat und nicht die Frage betrifft, ob die Verkehrsauffassung überhaupt ohne Beweiserhebung möglich ist. Somit ist eine gerichtliche Entscheidung, in deren Rahmen die Verkehrsauffassung ohne Beweisaufnahme festgestellt wurde, in zweierlei Hinsicht überprüfbar, nämlich darauf hin, (1) ob das Gericht einen Verfahrensfehler begangen hat, indem es ohne Beweiserhebung kraft eigenen Erfahrungswissens entschied, und (2) ob es zu einem erfahrungswidrigen Ergebnis gelangt ist.1374 Ein Verfahrensfehler liegt nicht nur dann vor, wenn der Tatrichter nicht hinreichend sach- 531 kundig für die eigenständige Feststellung der Verkehrsauffassung war, sondern auch dann, wenn eine angesichts der Umstände des Falls nicht selbstverständliche – gleichwohl mögliche – eigene Sachkunde nicht dargelegt wurde.1375 Im Zusammenhang mit dem Ergebnis der tatrichterlichen Feststellungen ist auch die Ver- 532 einbarkeit mit der Lebenserfahrung zu prüfen.1376 Besondere Bedeutung kommt hierbei der Prüfung der Übereinstimmung der tatrichterlichen Feststellungen zur Verkehrsauffassung mit den anerkannten Erfahrungssätzen des Lauterkeitsrechts zu.1377 Allerdings beschränkt der BGH sich nicht stets auf eine Prüfung am Maßstab anerkannter Erfahrungssätze. So nahm er etwa in der Entscheidung Bundesdruckerei1378 an, dass der Verkehr mit dem Firmenbestandteil „Bundes“ die Annahme einer (im Fall nicht gegebenen) Gesellschaftereigenschaft des Bundes und damit die faktische Insolvenzfestigkeit dieses Unternehmens verknüpfe. Demgegenüber war das Berufungsgericht noch davon ausgegangen, dass eventuelle Fehlvorstellungen des Verkehrs Einführung des europäischen Verbraucherleitbilds BGH 29.9.1982 – I ZR 25/80 – GRUR 1983, 32, 33 f. – Stangenglas I; BGH 25.11.1982 – I ZR 145/80 – GRUR 1983, 245, 246 – naturrot; BGH 11.5.1983 – I ZR 64/81 – GRUR 1984, 467, 468 – Das unmögliche Möbelhaus. Zustimmend Harte/Henning/Brüning vor § 12 Rn. 175; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 7b; vgl. auch bereits GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 D Rn. 369. 1370 Zu den Anforderungen an das Gutachten und die zugrunde liegende Fragestellung siehe Rn. 539 ff. 1371 Vgl. BGH 5.7.1984 – I ZR 88/82 – GRUR 1984, 741, 742 – PATENTED; Harte/Henning/Brüning vor § 12 Rn. 175; GK-UWG/Lindacher1 § 3 Rn. 994; GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 D Rn. 369; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 7b. 1372 BGH 17.6.1999 – I ZR 149/97 – GRUR 2000, 239 – Last-Minute-Reise; Harte/Henning/Brüning vor § 12 Rn. 175. 1373 BGH 18.10.2001 – I ZR 193/99 – GRUR 2002, 550, 552 = WRP 2002, 527, 530 – Elternbriefe. 1374 Vgl. hierzu auch Gloy/Loschelder/Erdmann/Lubberger § 41 Rn. 19 und Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5 Rn. 1.236. 1375 BGH 21.3.2000 – VI ZR 158/99 – NJW 2000, 1946, 1947; BGH 2.10.2003 – I ZR 150/01 – BGHZ 156, 250, 252 = GRUR 2004, 244, 245 – Marktführerschaft; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5 Rn. 1.236. 1376 BGH 3.5.2001 – I ZR 318/98 – GRUR 2002, 182, 184 = WRP 2002, 74, 76 – Das Beste jeden Morgen; BGH 24.10.2002 – I ZR 100/00 – GRUR 2003, 361, 362 = WRP 2003, 1224, 1225 – Sparvorwahl; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5 Rn. 1.236; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 7b. 1377 Hierzu Rn. 521. 1378 BGH 29.3.2007 – I ZR 122/04 – GRUR 2007, 1079 – Bundesdruckerei. Auf diese Entscheidung verweist auch Gloy/Loschelder/Erdmann/Lubberger § 41 Rn. 19 Fn. 3. 657

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

über eine Beteiligung des Bundes und die Bonität des Unternehmens aufgrund der Gesellschaftsform (GmbH) relativiert seien. Hier hatte der BGH die Feststellungen des Berufungsgerichts als erfahrungswidrig eingestuft und seiner Zurückverweisung die eigene Feststellung der Verkehrsauffassung zugrunde gelegt.1379 Ein Austausch instanzgerichtlichen Erfahrungswissens durch revisionsrichterliches Erfahrungswissen jenseits anerkannter Erfahrungssätze ist indes nicht unproblematisch, weil hier der Grundsatz der eingeschränkten Revisibilität tatrichterlicher Feststellungen1380 durchbrochen wird. Richtiger erscheint daher, vor dem Hintergrund unterschiedlicher Auffassungen zweier Gerichte über die Verkehrsauffassung die Sache zum Zwecke der Nachholung der Beweisaufnahme zurückzuverweisen.1381

d) Ermittlung der Verkehrsauffassung durch Beweisaufnahme aa) Ermittlung der Verkehrsauffassung durch Meinungsforschungsgutachten 533 (1) Bedeutung und Problematik. Sachverständigengutachten kommen namentlich in Form von Meinungsforschungsgutachten in Betracht, für die die Vorschriften der §§ 402–413 ZPO gelten. Das Meinungsforschungsgutachten stellt nach Ansicht des BGH ein Beweismittel besonderer Art dar1382 und ist deshalb spezifischen prozessualen Regeln unterworfen.1383 Die zahlenmäßige Bedeutung des Meinungsforschungsgutachtens ist umstritten;1384 jedenfalls in großen und wirtschaftlich bedeutenden Verfahren wird es nicht selten eingeholt.1385 Angesichts der Nachteile, die mit der Einholung von Meinungsforschungsgutachten für die Parteien verbunden sind,1386 ist sorgfältig zu prüfen, ob eine Beweisaufnahme tatsächlich erforderlich ist. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass die Ermittlung der Verkehrsauffassung einer Beweisaufnahme dann nicht bedarf, wenn die Lebenserfahrung oder das Sonderwissen des erkennenden Gerichts eine eigene Feststellung ermöglichen,1387 werden durch die Instanzgerichte mitunter überflüssige Gutachten eingeholt.1388

534 (2) Anwendungsbereich. Während normative Elemente, die nicht primär auf die Verkehrsauffassung abstellen, zumeist das Schwergewicht der Beispielstatbestände der §§ 4, 6 und 7 bilden,1389 erlangt die Einholung von Sachverständigengutachten in Form von Meinungsforschungsgutachten insbesondere im Rahmen der Irreführungsverbote der §§ 5, 5a Bedeutung. Kann das erkennende Gericht die Verkehrsauffassung nicht aufgrund eigener Sachkunde oder eigenen Sonderwissens ermitteln1390 oder liegen Umstände vor, die eine bestimmte Auffassung als bedenklich erscheinen

1379 BGH 29.3.2007 – I ZR 122/04 – GRUR 2007, 1079, 1082 Tz. 28. 1380 Vgl. Gloy/Loschelder/Erdmann/Lubberger § 41 Rn. 19 m. w. N. 1381 Vgl. hierzu auch Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 7b, der zur Vorsicht mahnt, wenn die Verkehrsauffassung von zwei Instanzen unterschiedlich beurteilt wird.

1382 BGH 5.7.1990 – I ZR 164/88 – GRUR 1990, 1053, 1054 f. – Versäumte Meinungsumfrage. 1383 Siehe hierzu Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 17. 1384 Vgl. Böhm GRUR 1986, 290, 301 f.; Gloy/Loschelder/Erdmann/Pflüger § 42 Rn. 3 f.; Kur S. 101 spricht von 14 Gutachten in 3.000 Akten. 1385 So auch Böhm GRUR 1986, 290, 301 f.; Teplitzky WRP 1990, 145. 1386 Hierzu Rn. 518. 1387 Hierzu Rn. 523 ff. 1388 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.76 sowie BGH 20.12.1974 – I ZR 12/74 – GRUR 1975, 441 – Passion; BGH 31.1.1991 – I ZR 71/89 – GRUR 1992, 48, 52 – frei öl; BGH 21.2.1991 – I ZR 106/89 – GRUR 1992, 66, 68 – Königl.Bayerische Weisse m. Anm. Knaak. Vgl. auch BGH 19.9.1996 – I ZR 124/94 – GRUR 1997, 229 = WRP 1997, 183 – Beratungskompetenz. 1389 Ausnahmen stellen etwa § 4 Nr. 9 lit. a sowie lit. b dar. 1390 Hierzu Rn. 523 ff. Ebersohl

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VI. Beweis und Beweislast

Vor §§ 12–15a A

lassen,1391 kommt die Einholung eines Sachverständigengutachtens in Betracht. Auch im Kennzeichenrecht, namentlich für die Feststellung der Verkehrsbekanntheit einer Marke oder der Verkehrsdurchsetzung einer berühmten Marke, wird seit langem auf Meinungsforschungsgutachten zurückgegriffen.1392 In Eilverfahren ist für die Einholung eines Sachverständigengutachtens grundsätzlich kein Raum,1393 es sei denn, es liegen atypische, besondere Umstände vor, die eine sachgemäße Entscheidung ohne ein solches schlechterdings nicht erlauben. Davon ist jedoch wegen des Gebots effektiven Rechtsschutzes nur höchst selten auszugehen.

(3) Verfahren (a) Beweisantrag und Beweisbeschluss. Grundsätzlich setzt die Einholung eines Meinungs- 535 forschungsgutachtens einen Beweisantrag voraus. Dennoch braucht die beweisbelastete Partei nicht bereits im ersten Rechtszug einen solchen Antrag zu stellen, wenn nach ihrer Ansicht Anhaltspunkte dafür bestehen, sie werde auch ohne ein solches Gutachten obsiegen.1394 Ein Meinungsforschungsgutachten kann ebenso von Amts wegen eingeholt werden (§ 144 Abs. 1 ZPO),1395 doch kommt dies angesichts der aufgezeigten Nachteile des Verfahrens allenfalls als ultima ratio in Betracht.1396 Hält das Gericht die Einholung eines Meinungsforschungsgutachtens für erforderlich, ist diese tunlichst in Abstimmung mit den Parteien vorzunehmen (§ 404 Abs. 3 ZPO).1397 Hält das erstinstanzliche Gericht ein Meinungsforschungsgutachten für erforderlich, ohne dies 536 selbst von Amts von wegen einholen zu wollen (§ 144 Abs. 1 ZPO), muss es die beweisbelastete Partei gem. § 139 ZPO hierauf unzweideutig hinweisen.1398 Stellt die beweisbelastete Partei ohne einen richterlichen Hinweis den Beweisantrag nicht, kann sie ihn nach h. L. im Berufungsverfahren nachholen.1399 Die Zulässigkeit dieses Antrags hat der BGH im Geltungsbereich von § 528 Abs. 2 ZPO a. F. ausdrücklich bestätigt.1400 Zwar sind die Anforderungen an die Zulassung neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO n. F. dadurch verschärft, dass nunmehr bereits bei einfacher Nachlässigkeit – und nicht erst bei grober Nachlässigkeit – die Präklusionswirkung eintritt. Die Partei, die darauf vertraut, dass das Gericht seiner Hinweispflicht nachkommt bzw. von der Möglichkeit nach § 144 Abs. 1 ZPO Gebrauch macht, handelt jedoch überhaupt nicht nachlässig. Sollte das Gericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens für nicht erforderlich halten, steht es den Parteien frei, auf die richterliche Meinungsbildung – sofern dies im Rahmen des Fristenregimes des Verfahrens noch möglich ist – durch selbst eingeholte Gutachten einzuwirken. Ebenso können private Gutachten bereits im Zusammenhang mit den vorbereitenden Schriftsätzen in das Verfahren eingeführt werden. Diese sind in die richterliche Würdigung ein-

1391 1392 1393 1394

Hierzu Rn. 529. Vgl. GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 D Rn. 374. OLG Bremen 9.4.2010 – 2 U 7/10 – juris Tz. 30. BGH 5.7.1990 – I ZR 164/88 – GRUR 1990, 1053, 1054 f. – Versäumte Meinungsumfrage; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 17; GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 D Rn. 372. 1395 BGH 2.10.2003 – I ZR 150/01 – BGHZ 156, 250, 252 = GRUR 2004, 244, 245 – Marktführerschaft. 1396 Vgl. Ahrens/Bähr Kap. 27 Rn. 23 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.76; Ahrens/Schmidt/Spätgens Kap. 28 Rn. 16; Ullmann GRUR 1991, 795; weniger streng Fezer/Büscher § 12 Rn. 331 und Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 17. 1397 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.77; Ahrens/Bähr Kap. 27 Rn. 23; Ullmann GRUR 1991, 795. 1398 BGH 5.7.1990 – I ZR 164/88 – GRUR 1990, 1053, 1054 f. – Versäumte Meinungsumfrage; Ahrens/Bähr Kap. 27 Rn. 23 f.; Ahrens/Schmidt/Spätgens Kap. 28 Rn. 18; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 17. 1399 BGH 5.7.1990 – I ZR 164/88 – GRUR 1990, 1053, 1054 f. – Versäumte Meinungsumfrage; Fezer/Büscher § 12 Rn. 331; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.76; Ahrens/Schmidt/Spätgens Kap. 28 Rn. 9; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 17a. 1400 BGH 5.7.1990 – I ZR 164/88 – GRUR 1990, 1053, 1054 f. – Versäumte Meinungsumfrage; zustimmend GK-UWG/ Jacobs1 vor § 13 D Rn. 372. 659

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

zubeziehen, sofern sie den Anforderungen der demoskopischen Wissenschaft genügen.1401 Es handelt sich hierbei nicht um ein Beweismittel, sondern um qualifizierten Parteivortrag.1402 537 In jedem Fall tragen die Gerichte die alleinige Verantwortung für das Verfahren von der Beweisanordnung über die Formulierung der Fragestellung bis hin zu den Vorgaben für den Ablauf der Befragung.1403 Diese Verantwortung wird nicht durch etwaige Zustimmungserklärungen der Parteien gemindert, und es bleibt einer Partei unbenommen, in der Revisionsinstanz auch solche Fehler im Zusammenhang mit der Beweisaufnahme zu rügen, die sie selbst mitverursacht bzw. gebilligt hat.1404 Zurecht wird dementsprechend vor zu starkem Harmoniebemühen seitens der Richter gewarnt.1405 Die Richter müssen sich daher möglichst eigenständig in die spezifische Materie und Methodik der Demoskopie einarbeiten.1406

538 (b) Korrekte Fragestellung. Die Ausarbeitung der „richtigen“, für die Verkehrsbefragung zu verwendenden Fragestellung ist die unverzichtbare Grundlage eines verwertbaren Sachverständigengutachtens.1407 Zunächst hat die beweisbelastete Partei die Tatsachen vorzutragen, die erforderlich sind, um entsprechende Fragestellungen überhaupt erst zu ermöglichen. Sodann empfiehlt sich das folgende Vorgehen:1408 Der Beweisantrag wird erörtert und das relevante Beweisthema wird formuliert.1409 Das Gericht erlässt den Beweisbeschluss, in dem das entsprechende Beweisthema sowie der Sachverständige bestimmt werden.1410 Es teilt sodann das Beweisthema dem Sachverständigen mit und fordert ihn dazu auf, einen konkreten Befragungsvorschlag (Fragenkatalog und Methode) zu unterbreiten. Der Vorschlag wird den Parteien zur Stellungnahme übermittelt, welche wiederum dem Sachverständigen zur Kenntnis mitgeteilt wird. Bei gewichtigen Einwänden der Parteien sollte dem Sachverständigen die Möglichkeit eröffnet werden, einen abgeänderten Vorschlag vorzulegen. Schließlich sollte die Fragestellung in einem Erörterungstermin (§ 404a ZPO) endgültig festgelegt werden. Die Ausarbeitung der korrekten Fragestellung steht – ungeachtet der gebotenen Anhörung und Mitwirkung der Parteien – letztlich in der Verantwortung des erkennenden Gerichts.1411 Dementsprechend bleibt auch eine mit Zustimmung der Parteien erstellte fehlerhafte Fragestellung revisibel.1412

1401 BGH 1.10.1986 – I ZR 126/84 – GRUR 1987, 171 – Schlussverkaufswerbung; BGH 31.1.1991 – I ZR 71/89 – GRUR 1992, 48, 51 – frei öl; BGH 15.2.1996 – I ZR 9/94 – GRUR 1996, 910, 914 – „der meistverkaufte Europas“ m. Anm. Doepner; OLG Hamburg 7.2.2008 – 3 U 156/07 – BeckRS 2010, 11000 sub. B. IV. 2. c). 1402 BGH 17.4.1997 – X ZR 2/96 – GRUR 1997, 741, 744 – Chinaherde; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 16a. 1403 Ahrens/Schmidt/Spätgens Kap. 28 Rn. 20; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 18; Teplitzky WRP 1990, 145; Spätgens FS Traub, S. 375, 385 f. 1404 BGH 1.10.1986 – I ZR 126/84 – GRUR 1987, 171 – Schlussverkaufswerbung; 9.4.1987 – I ZR 201/84 – GRUR 1987, 535, 538 – Wodka „Woronoff“; Ahrens/Schmidt/Spätgens Kap. 28 Rn. 20; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 18a; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.78; vgl. auch BGH 7.3.2001 – X ZR 176/99 – GRUR 2001, 770, 772 – Kabeldurchführung II; 11.10.2005 – X ZR 76/04 – GRUR 2006, 131 Tz. 19 – Seitenspiegel. 1405 Vgl. Teplitzky WRP 1990, 145, 146; zustimmend Ahrens/ Schmidt/Spätgens Kap. 28 Rn. 20. 1406 Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 18; Teplitzky WRP 1990, 146. 1407 Vgl. Eichmann GRUR 1999, 941; Teplitzky Kap. 47 Rn. 18; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.78. 1408 Siehe dazu instruktiv Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 20 sowie Fezer/Büscher § 12 Rn. 332 f.; Harte/Henning/ Brüning vor § 12 Rn. 187 ff.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.78 ff.; GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 D Rn. 377 ff.; Spätgens FS Traub, S. 375, 389 ff. 1409 BGH 10.12.1992 – I ZR 262/90 – GRUR 1993, 488, 490 – Verschenktexte II; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.78. 1410 GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 D Rn. 377 empfiehlt, im Beweisbeschluss zunächst nur zur Abgabe von Vorschlägen für einen Sachverständigen aufzufordern, was angesichts der begrenzten Zahl in Frage kommender Meinungsforschungsinstitute und des Umstandes, dass die Parteien zuvor bereits Privatgutachten eingeholt haben können oder laufende Beziehungen mit einem bestimmten Institut unterhalten können, angezeigt sein kann. 1411 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.78. 1412 BGH 9.4.1987 – I ZR 201/84 – GRUR 1987, 535, 538 – Wodka „Woronoff“. Ebersohl

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VI. Beweis und Beweislast

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Zunächst ist entscheidend, dass die Befragung darauf gerichtet ist, die eigene Meinung des 539 Befragten einzuholen. Dies bedeutet zum einen, dass suggestive Fragen jedweder Art – sei es durch den Inhalt oder Ton der Fragestellung1413 – zu unterbleiben haben.1414 Zum anderen darf der Befragte auch nicht zum Raten oder zur Wahrung des Sozialprestiges veranlasst werden.1415 Insbesondere soll der Befragte nicht den Eindruck gewinnen, er solle ermitteln, welche Aussage der Werbende tatsächlich treffen wollte.1416 Vor diesem Hintergrund ist geboten, jeder Befragung „offene“ Fragestellungen – also Fragen ohne vorgegebene Antworten1417 – voranzustellen.1418 Hierdurch wird eine unbeeinflusste erste Äußerung des Befragten eingeholt, der jedenfalls Indizwirkung1419 für das Verkehrsverständnis zukommt. Eine offene Befragung alleine wird in den seltensten Fällen, zu denken wäre hier an die 540 Ermittlung der bloßen Verkehrsgeltung, zur sachgerechten Ermittlung der Verkehrsauffassung ausreichen. Denn zum einen werden auch naheliegende Antworten in der Befragungssituation schlicht vergessen.1420 Zum anderen lassen sich sehr konkrete Vorstellungsmöglichkeiten mittels offener Fragestellungen nur schwer ergründen.1421 Mithin lässt sich ein Bezug zum konkreten Untersuchungsgegenstand nur schwer herstellen.1422 Dementsprechend empfiehlt es sich in aller Regel, auf eine einleitende offene Fragestellung hin durch gestützte Fragen – also solche mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten, die auch als Bilder- oder Kartensatz vorgelegt werden können1423 – nachzufassen.1424 Bei der Formulierung dieser gestützten Fragen ist neben den bereits aufgezeigten Prinzipien sicherzustellen, dass möglichst alle naheliegenden Antwortmöglichkeiten berücksichtigt werden.1425 Anderenfalls wird der Befragte auf ähnliche – oder ähnlich erscheinende – Antwortmöglichkeiten ausweichen, auch wenn diese sich mit seiner eigentlichen Vorstellung nicht decken.1426 Soweit die Relevanz einer möglicherweise irreführenden Werbung für den Kaufentschluss ermittelt werden soll, ist die Fragestellung rechtsfehlerhaft, wenn sie die Annahme des Befragten nahelegt oder erlaubt, es werde nach der Bedeutung ei-

1413 Vgl. hierzu Spätgens. FS Traub, S. 375, 394. 1414 BGH 1.12.1988 – I ZR 160/86 – GRUR 1989, 440, 442 – Dresdner Stollen I m. Anm. Tilmann; 1.2.1990 – I ZR 108/88 – GRUR 1990, 461, 462 – Dresdner Stollen II; BGH 21. 7.2016 – I ZB 52/15 – GRUR 2016, 1167 (Tz. 43) – Sparkassen-Rot. 1415 GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 D Rn. 380. 1416 Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 22. 1417 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.79; siehe näher Gloy/Loschelder/Erdmann/Pflüger § 42 Rn. 63. 1418 BGH 1.12.1988 – I ZR 160/86 – GRUR 1989, 440, 442 – Dresdner Stollen I; BGH 1.2.1990 – I ZR 108/88 – GRUR 1990, 461, 462 – Dresdner Stollen II; OLG Hamburg 22.7.1993 – 3 U 98/90 – WRP 1994, 42, 44 f.; Eichmann GRUR 1999, 941; Spätgens FS Traub, S. 375, 390 ff.; Tilmann GRUR 1986, 593; vgl. aber auch Niedermann/Noelle-Neumann FS Tilmann, S. 857, 860 ff. Ausführlich zu den Vor- und Nachteilen offener und geschlossener Befragung Ahrens/ Schmidt/Spätgens Kap. 28 Rn. 26 ff. sowie Gloy/Loschelder/Erdmann/Pflüger § 42 Rn. 64 ff. 1419 Vgl. BGH 1.12.1988 – I ZR 160/86 – GRUR 1989, 440, 442 – Dresdner Stollen I sowie Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 22. 1420 Ahrens/Schmidt/Spätgens Kap. 28 Rn. 26. 1421 BGH 21.2.1991 – I ZR 106/89 – GRUR 1992, 66, 68 – Königl.-Bayerische Weisse m. Anm. Knaak; BGH 28.2.1991 – I ZR 94/89 – GRUR 1991, 680, 681 – Porzellanmanufaktur; BGH 25.5.1993 – I ZR 115/91 – GRUR 1993, 920, 922 – Emilio Adani II; Ahrens/Schmidt/Spätgens Kap. 28 Rn. 26. 1422 GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 D Rn. 382. 1423 GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 D Rn. 382. 1424 Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 22; GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 D Rn. 382. 1425 BGH 21.2.1991 – I ZR 106/89 – GRUR 1992, 66, 69 – Königl.-Bayerische Weisse m. Anm. Knaak; BGH 2.5.1991 – I ZR 258/89 – GRUR 1992, 70, 71 – 40 % weniger Fett; BGH 25.5.1993 – I ZR 115/91 – GRUR 1993, 920, 922 – Emilio Adani II; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 22; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.82; GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 D Rn. 383. 1426 BGH 25.5.1993 – I ZR 115/91 – GRUR 1993, 920, 922 – Emilio Adani II; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 22; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.82. 661

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

ner – über die tatsächliche mögliche Irreführung erheblich hinausgehenden – Abweichung der Vorstellung von Verhältnissen gefragt, die im konkreten Fall nicht gegeben sind.1427 541 Im Einzelfall kann angezeigt sein, so genannte gegabelte oder Split-Befragungen durchzuführen, mithin zwei Befragungen mit unterschiedlichen Fragestellungen.1428 Hierdurch kann die Gewichtung einzelner Elemente – etwa einzelner Ausstattungselemente – genauer ermittelt werden, indem diese in einer Fragestellung weggelassen werden. Split-Befragungen kommen insbesondere bei der Ermittlung der Verkehrsbekanntheit einzelner Gestaltungselemente sowie in Verwechslungs- und sonstigen Irreführungssachverhalten in Betracht, bei denen die Kausalität des angegriffenen Elements der Werbung für eine bestimmte Vorstellung zu ermitteln ist.1429

542 (c) Aufgaben des Gutachters und Beweiswürdigung. Der Sachverständige darf sich nicht auf eine bloße Zusammenstellung der Umfrageergebnisse beschränken, sondern muss eine sachverständige Interpretation und Bewertung – etwa eine begründete Gewichtung der einzelnen Antworten – leisten.1430 Dies erfolgt zweckmäßiger Weise im Rahmen des Gutachtens; erforderlichenfalls im Rahmen des Erörterungstermins nach § 411 Abs. 3 ZPO. Auch das erkennende Gericht darf nicht die Ergebnisse aus dem Gutachten unbesehen übernehmen, sondern hat dieses gegebenenfalls mit Hilfe des Sachverständigen nach § 286 ZPO eigenständig zu würdigen.1431 Insbesondere muss es dabei das Ergebnis der Befragung an der allgemeinen Lebenserfahrung messen.1432 Aus der Eigenverantwortung des Gerichts folgt zugleich, dass es selbst dann, wenn es dem Sachverständigen folgt, eine nachvollziehbare Begründung zu liefern hat.1433 543 Bei der richterlichen Würdigung der Umfrageergebnisse sind – wegen der möglichen Beeinflussung und Suggestivwirkung – gestützte Fragestellungen gegebenenfalls mit Abstrichen zu gewichten.1434 Dies kann durch Abzüge der ermittelten Prozentsätze erfolgen.1435 Abstriche sind auch zu machen, wenn die gegebenen Antworten mehrdeutig erscheinen.1436 Ferner kommen Korrekturen auch wegen Unschärfen der gestellten Fragen1437 oder wegen Mehrdeutigkeit gegebener Antworten in Betracht.1438 Bei der Gewichtung der Umfrageergebnisse verbieten sich 1427 BGH 29.5.1991 – I ZR 204/89 – GRUR 1991, 852, 855 – Aquavit. Vgl. auch GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 D Rn. 381, der in diesem Fall die Durchführung einer Splitbefragung für angezeigt hält.

1428 Vgl. BGH 12.7.1967 – Ib ZR 47/65 – BB 1967, 1353 – Blunazit; 9.4.1987 – I ZR 201/84 – GRUR 1987, 535, 537 – Wodka Woronoff; Niedermann/Noelle-Neumann FS Tilmann, S. 857, 865 ff.; Ahrens/Schmidt/Spätgens Kap. 28 Rn. 25; GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 D Rn. 384; siehe jedoch zu Problemen Gloy/Loschelder/Erdmann/Pflüger § 42 Rn. 40. 1429 Vgl. Ahrens/ Schmidt/Spätgens Kap. 28 Rn. 25; GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 D Rn. 384. 1430 BGH 1.12.1988 – I ZR 160/86 – GRUR 1989, 440, 442 – Dresdner Stollen I; 1.2.1990 – I ZR 108/88 – GRUR 1990, 461, 462 – Dresdner Stollen II; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.86; Gloy/Loschelder/Erdmann/Pflüger § 42 Rn. 76 ff.; Ahrens/Schmidt/Spätgens Kap. 28 Rn. 41; GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 D Rn. 385. Lediglich in Ausnahmefällen – etwa wenn die Zahlenergebnisse eindeutig und zweifelsfrei sind – ist eine Interpretation oder Erläuterung durch den Sachverständigen entbehrlich, vgl. Teplitzky WRP 1990, 147. 1431 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.87. 1432 BGH 1.10.1986 – I ZR 126/84 – GRUR 1987, 171 – Schlussverkaufswerbung; BGH 1.2.1990 – I ZR 108/88 – GRUR 1990, 461, 462 – Dresdner Stollen II; BGH 2.5.1991 – I ZR 258/89 – GRUR 1992, 70, 72 – 40 % weniger Fett; BGH 29.5.1991 – I ZR 204/89 – GRUR 1991, 852, 855 – Aquavit; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.87. 1433 Vgl. BGH 7.3.2001 – X ZR 176/99 – GRUR 2001, 770, 772 – Kabeldurchführung II; BGH 11.10.2005 – X ZR 76/ 04 – GRUR 2006, 131 Tz. 19 – Seitenspiegel. 1434 BGH 21.2.1991 – I ZR 106/89 – GRUR 1992, 66, 68 – Königl.-Bayerische Weisse m. Anm. Knaak; BGH 2.5.1991 – I ZR 258/89 – GRUR 1992, 70, 71 – 40 % weniger Fett; Spätgens FS Traub, S. 375, 398; Teplitzky WRP 1990, 147 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.87; a. A. Eichmann GRUR 1999, 943 und 954; Niedermann/Noelle-Neumann FS Tilmann, S. 857, 863. 1435 BGH 2.5.1991 – I ZR 258/89 – GRUR 1992, 70, 71 – 40 % weniger Fett. 1436 BGH 21.2.1991 – I ZR 106/89 – GRUR 1992, 66, 68 – Königl.-Bayerische Weisse m. Anm. Knaak. 1437 OLG Hamburg 22.7.1993 – 3 U 98/90 – WRP 1994, 42, 45. 1438 BGH 21.2.1991 – I ZR 106/89 – GRUR 1992, 66, 68 f. – Königl.-Bayerische Weisse m. Anm. Knaak; Spätgens FS Traub S. 375, 398; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.87. Ebersohl

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VI. Beweis und Beweislast

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Beweislasterwägungen. Die – erfahrungsgemäß stets vorhandene – Gruppe der Befragten, die bei Alternativfragen mit „Weiß nicht“ geantwortet hat, darf mithin nicht einer bestimmten Antwort zugerechnet werden.1439 Mitunter werden bei dem erkennenden Gericht begründete Zweifel an den Ergebnissen des Sachverständigengutachtens vorliegen. Anlass zu Zweifeln besteht beispielsweise bei abweichenden Gerichtsentscheidungen1440 oder wenn das Ergebnis nach einer Befragung nach der allgemeinen Lebenserfahrung in ungewöhnlichem Maße überrascht.1441 Es wird vertreten, dass dem Gericht in diesem Fall die Möglichkeit eröffnet ist, eine von den Ergebnissen des Gutachtens abweichende Verkehrsauffassung festzustellen.1442 Allerdings kann dies nicht uneingeschränkt gelten.1443 Denn indem das Gericht zunächst die Beweisaufnahme angeordnet hat, hat es zu erkennen gegeben, die Verkehrsauffassung gerade nicht ohne weiteres kraft eigener Sachkunde feststellen zu können. Warum ausgerechnet nach Durchführung der Beweisaufnahme diese Sachkunde vorhanden sein soll, bedarf mithin der besonderen Begründung. Hat eine Partei ein Gutachten in Auftrag gegeben, ist auch dieses, wenn es sachgerecht 544 durchgeführt und dies entsprechend dargelegt wurde, in der richterlichen Würdigung zu berücksichtigen.1444 Weichen die Ergebnisse des Parteigutachtens von der gerichtlich angeordneten Umfrage ab, ist die Methodik jeweils sorgfältig und kritisch zu überprüfen.1445 Liegt ein methodisch wie inhaltlich nicht zu beanstandendes Parteigutachten vor, so ist – ohne den besonderen Begründungsaufwand, der in dem Fall besteht, dass das gerichtliche Sachverständigengutachten das einzige Gutachten ausmacht1446 – dem Gericht die Möglichkeit eröffnet, bei hinreichender Begründung von den Ergebnissen des gerichtlichen Gutachtens abzuweichen und denjenigen des Privatgutachtens zu folgen.

bb) Ermittlung der Verkehrsauffassung durch Auskünfte. Neben der Einholung von Sach- 545 verständigengutachten in Form von Meinungsforschungsgutachten kommt in Wettbewerbsverfahren auch die Einholung von Auskünften in Betracht. Während amtliche Auskünfte als eigenständiges Beweismittel anerkannt sind, stellt die Auskunft privater Stellen kein Beweismittel dar. Für die Einholung von amtlichen Auskünften kommen insbesondere Kammern, d. h. Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern oder Kammern der freien Berufe,1447 aber auch Spitzenverbände, z. B. der DIHT, oder Fach- und Berufsverbände1448 sowie Verbraucherverbände in Betracht.1449 Da es sich jeweils um Verwaltungswissen handelt, sind Einflussnahmen durch 1439 1440 1441 1442

BGH 7.12.2000 – I ZR 158/98 – GRUR 2001, 450 – Franzbranntwein-Gel. BGH 1.10.1986 – I ZR 126/84 – GRUR 1987, 171 – Schlussverkaufswerbung. Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 23. Vgl. Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 24 mit Verweis auf die – nicht wettbewerbsrechtliche – Entscheidung BGH 4.7.1989 – VI ZR 309/88 – NJW 1989, 2948. 1443 In diesem Sinne fordert Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 24, dass das Gericht erkennen lässt, dass seine Beurteilung nicht von einem Mangel an Sachkunde beeinflusst ist. 1444 BGH 1.10.1986 – I ZR 126/84 – GRUR 1987, 171 – Schlussverkaufswerbung; BGH 31.1.1991 – I ZR 71/89 – GRUR 1992, 48, 51 – frei öl; BGH 15.2.1996 – I ZR 9/94 – GRUR 1996, 910, 914 – „der meistverkaufte Europas“ m. Anm. Doepner; OLG Hamburg 7.2.2008 – 3 U 156/07 – BeckRS 2010, 11000 sub. B. IV. 2. c); Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.87; GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 D Rn. 386. 1445 BGH 1.10.1986 – I ZR 126/84 – WRP 1987, 242 – Schlussverkaufswerbung; BGH 1.12.1988 – I ZR 160/86 – GRUR 1989, 440, 443 – Dresdner Stollen I m. Anm. Tilmann; BGH 1.2.1990 – I ZR 108/88 – GRUR 1990, 461, 462 – Dresdner Stollen II; BGH 31.1.1991 – I ZR 71/89 – GRUR 1992, 48, 51 – frei öl; BGH 2.5.1991 – I ZR 258/89 – GRUR 1992, 70, 71 – 40 % weniger Fett; Teplitzky WRP 1990, 145, 148; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.87; GK-UWG/ Jacobs1 vor § 13 D Rn. 386. 1446 Hierzu Rn. 543. 1447 BGH 17.6.1999 – I ZR 149/97 – GRUR 2000, 239, 240 – Last-Minute-Reise. 1448 BGH 16.1.1997 – I ZR 225/94 – GRUR 1997, 669, 670 – Euromint. 1449 Fezer/Büscher § 12 Rn. 328. 663

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

das Gericht auf die konkrete Fragestellung eigentlich nicht vorgesehen.1450 Aus praktischen Gründen ist es jedoch vorteilhaft, wenn das Gericht von vornherein nicht lediglich das Beweisthema formuliert und es der befragten Stelle alleine überlässt, wie sie sich die relevanten Kenntnisse verschafft, sondern konkret formulierte und je nach Einzelfall mehr oder weniger detaillierte Fragen stellt oder zur Weiterstellung vorgibt.1451 Diese Vorgaben sind beweisrechtlich nicht bindend. Ob die befragte Stelle hiervon abweicht, kann lediglich bei der richterlichen Würdigung berücksichtigt werden.1452 In der Regel ist der Beweiswert von Auskünften gering und kommt nicht an den Beweiswert eines Meinungsforschungsgutachtens heran.1453 Problematisch kann auch sein, dass bei den Befragten ein eigenes Interesse an einem bestimmten Ausgang des Verfahrens vorliegen kann.1454

3. Allgemeines zur Darlegungs- und Beweislast 546 a) Grundsatz. Bei Wettbewerbsstreitigkeiten gelten bezüglich der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast die allgemeinen Grundsätze.1455 Demnach muss der Kläger die rechtsbegründenden Tatsachen darlegen und beweisen, der vorgebliche Verletzer hingegen diejenigen Umstände, die den rechtsbegründenden Tatsachen ihre Bedeutung oder Grundlage nehmen.1456 Dies gilt nach mittlerweile unbestrittener Auffassung auch für Klagen wegen Irreführung (§§ 5, 5a).1457

547 b) Ausnahmen vom Grundsatz. Eine gesetzlich normierte Beweislastumkehr gilt gemäß § 5 Abs. 4. Hiernach wird vermutet, dass es irreführend ist, mit der Herabsetzung eines Preises zu werben, sofern der Preis nur für eine unangemessen kurze Zeit gefordert worden ist. Ist der Zeitraum, in dem der angeblich herabgesetzte Preis gefordert worden ist, streitig, so trifft die Beweislast den Werbenden. Eine weitere Ausnahme zu Gunsten des Klägers gilt im Fall der Irreführung aufgrund fachlich umstrittener Behauptungen, deren Richtigkeit oder wissenschaftliche Vertretbarkeit von dem darzulegen und zu beweisen ist, der sie aufgestellt hat.1458 Hierzu muss der Kläger jedoch zunächst substantiiert darlegen, dass die Behauptung des Beklagten überhaupt fachlich umstritten ist.1459 Eine Ausnahme von der gewöhnlichen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast gilt fer-

1450 Vgl. Teplitkzy Kap. 47 Rn. 15 m. w. N. 1451 Fezer/Büscher § 12 Rn. 329; Harte/Henning/Brüning vor § 12 Rn. 181; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.75; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 15; GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 D Rn. 373. 1452 Ahrens/Bähr Kap. 27 Rn. 18 f.; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 15. 1453 Fezer/Büscher § 12 Rn. 329; Harte/Henning/Brüning vor § 12 Rn. 181; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 15; GKUWG/Jacobs1 vor § 13 D Rn. 373. 1454 Fezer/Büscher § 12 Rn. 329. 1455 BGH 27.1.2003 – I ZR 94/01 – GRUR 2004, 246, 247 – Mondpreise?; OLG Naumburg 20.7.2007 – 10 U 28/07 – juris Tz. 45; Fezer/Büscher § 12 Rn. 335; ausführlich Kur S. 1–102 sowie GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 D Rn. 351–363. 1456 BGH 19.9.1996 – I ZR 124/94 – GRUR 1997, 229, 230 – Beratungskompetenz; vgl. auch Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 189; GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 Rn. 354 f. m. w. N. 1457 BGH 17.10.1984 – I ZR 187/82 – GRUR 1985, 140, 142 – Größtes Teppichhaus der Welt; BGH 7.3.1991 – I ZR 127/ 89 – GRUR 1991, 848, 849 – Rheumalind II; BGH 27.1.2003 – I ZR 94/01 – GRUR 2004, 246, 247 – Mondpreise; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 30 m. w. N. in Fn. 109. Zur anderen, im Rahmen von § 3 UWG a. F. vertretenen Auffassung vgl. Fritze GRUR 1975, 61; Kur S. 213 ff. 1458 BGH 7.3.1991 – I ZR 127/89 – GRUR 1991, 848, 849 – Rheumalind II; OLG Frankfurt 22.5.2003 – 6 U 6/03 – GRUR-RR 2003, 295; BGH 8.5.2013 – I ZR 94/09 – GRUR-RR 2013, 496 (LS); Ahrens/Bähr Kap. 27 Rn. 46; Fezer/ Büscher § 12 Rn. 342; Harte/Henning/Brüning vor § 12 Rn. 212; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.91, 1.95; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 30. 1459 OLG Frankfurt 21.7.2005 – 6 U 48/05 – GRUR-RR 2005, 394; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.95; GKUWG/Jacobs1 vor § 13 D Rn. 361; a. A. Harte/Henning/Brüning vor § 12 Rn. 212, der vom Kläger verlangt, dass er Ebersohl

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VI. Beweis und Beweislast

Vor §§ 12–15a A

ner, wenn der Beklagte geltend macht, die Verkehrsauffassung habe sich geändert1460 oder eine ursprünglich unrichtige Aussage sei wegen veränderter Tatsachen richtig geworden.1461 Mit den vorgenannten Ausnahmen genügt das deutsche Recht auch den Anforderungen aus Art. 7 der IrreführungsRL 2006 bzw. Art. 12 der UGPRL, wonach es dem Gericht möglich sein muss, vom Werbenden Beweis für die Richtigkeit von in der Werbung enthaltenen Tatsachenbehauptungen zu verlangen, wenn ein solches Verlangen unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Werbenden und anderer Verfahrensbeteiligter im Hinblick auf die Umstände des Einzelfalls angemessen erscheint.1462 Keine Ausnahme von der gewöhnlichen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast gilt dann, wenn der beklagte Unternehmer die Preise des Klägers für standardisierte Dienstleistungen zum Gegenstand eines Preisvergleichs gemacht hat und der Kläger sich darauf berufen will, dass der genannte Preis nicht der regelmäßig von ihm verlangte sei; hierfür trifft den sachnäheren Kläger die Darlegungs- und Beweislast.1463

c) Vermutungen und Anscheinsbeweis. Beim Unterlassungsanspruch wird die Wiederho- 548 lungsgefahr gewohnheitsrechtlich vermutet, soweit ein Unternehmer tätig wird.1464 Der Anscheinsbeweis ist zulässig bei typischen Geschehensabläufen, die nach der Lebenserfahrung bestimmte Folgen auslösen.1465 Beispielsweise wird bei einem Handeln eines Unternehmers, das äußerlich in seinen gewerblichen Tätigkeitsbereich fällt, vermutet, dass der Unternehmer „im geschäftlichen Verkehr“ handelt.1466 Ferner gilt die Vermutung der Wettbewerbsabsicht bei solchen Handlungen eines Unternehmers, die objektiv geeignet sind, seinen Absatz oder Bezug von Waren oder Dienstleistungen zu fördern.1467 Darüber hinaus wird vermutet, dass ein Wettbewerbsverstoß beim unmittelbar Betroffenen einen Schaden verursacht hat.1468 Der Anscheinsbeweis kann durch den Gegenbeweis der ernsthaften Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs entkräftet werden.1469

d) Beweiserleichterungen zugunsten des Klägers. Zugunsten des Klägers ist die Darle- 549 gungs- und Beweislast eingeschränkt, soweit Tatsachen betroffen sind, die von ihm nicht oder nur unter größten Schwierigkeiten im Einzelnen darzulegen und zu beweisen sind, über die den streitigen Charakter der Behauptung erforderlichenfalls auch beweist, wobei er die Vorlage wissenschaftlicher Veröffentlichungen, aus denen sich der umstrittene Charakter ergibt, ausreichen lässt. Im Ergebnis auch BGH 8.5.2013 – I ZR 94/09 – GRUR-RR 2013, 496 (LS), wobei der BGH wiederum eine Beweislastumkehr zu Lasten des Beklagten zulässt, wenn der Beklagte mit einer fachlich umstrittenen Meinung geworben hat, ohne die Gegenmeinung zu erwähnen. 1460 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 189. 1461 BGH 12.5.1961 – I ZR 12/60 – GRUR 1961, 541, 543 – Buschbohne; BGH 2.1.1965 – Ib ZR 109/63 – GRUR 1965, 368, 372 – Kaffee C; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 189. 1462 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 187. So auch bereits GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 Rn. 356 zur IrreführungsRL 1984. 1463 BGH 20.2.2013 – I ZR 175/11 – GRUR 2013, 1058 – Kostenvergleich bei Honorarfactoring. 1464 BGH 16.2.1989 – I ZR 76/87 – GRUR 1989, 445, 446 – Professorenbezeichnung in der Arztwerbung I; Teplitzky/ Kessen Kap. 6 Rn. 9 m. w. N. 1465 Vgl. BGH 6.10.2016 – I ZR 154/15 – GRUR 2017, 386 – Afterlife, wo der BGH einen solchen Schluss von der Inhaberschaft an einem Internetanschluss auf die Täterschaft des Inhabers für die mit diesem Anschluss begangenen Urheberrechtsverstöße ablehnt. Siehe auch Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.90 m. w. N. 1466 BGH 22.4.1993 – I ZR 75/91 – GRUR 1993, 761, 762 – Makler-Privatangebot m. Anm. Gröning. 1467 BGH 27.6.2002 – I ZR 86/00 – GRUR 2002, 1093, 1094 – Kontostandsauskunft; 11.1.2007 – I ZR 87/04 – GRUR 2007, 805, 806 f. – Irreführender Kontoauszug; BGH 13.2.2003 – I ZR 41/00 – Schachcomputerkatalog – GRUR 2003, 800, 801; Harte/Henning/Brüning vor § 12 Rn. 206. 1468 Vgl. BGH 17.6.1992 – I ZR 107/90 – GRUR 1993, 55, 57 – Tchibo/Rolex; BGH 14.2.2008 – I ZR 135/05 – GRUR 2008, 933, 935 – Schmiermittel; Harte/Henning/Brüning vor § 12 Rn. 206, wo jeweils von einem „Erfahrungssatz“ gesprochen wird. 1469 Harte/Henning/Brüning vor § 12 Rn. 206. 665

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

sich der Beklagte aber unschwer erklären kann.1470 Dies setzt jedoch voraus, dass der Kläger zunächst Tatsachen vorgetragen und unter Beweis gestellt hat, die über bloße Verdachtsmomente hinausgehen und die für ein wettbewerbswidriges Handeln des Beklagten sprechen.1471 Dies gilt zunächst für innerbetriebliche Vorgänge, wenn dem außerhalb des Geschehensablaufs stehenden Kläger eine genaue Kenntnis der rechtserheblichen Tatsachen fehlt, dem Beklagten dagegen die erforderliche Aufklärung leicht möglich und zumutbar ist.1472 Unzumutbarkeit liegt etwa bei überwiegenden Geheimhaltungsinteressen vor; jedoch ist insoweit die Einschaltung eines zur Verschwiegenheit verpflichteten Sachverständigen (§ 144 ZPO) möglich.1473 Modifizierungen des allgemeinen Grundsatzes gelten auch bei Allein- oder Spitzenstellungsbehauptungen, weil sich die beklagte Partei entsprechende Kenntnisse, z. B. über die Größenverhältnisse ihrer Mitbewerber, vor Aufstellung ihrer Behauptung ohnehin verschafft haben muss.1474 Der klagende Mitbewerber verfügt regelmäßig nicht über diese Information, weil die Allein- oder Spizenstellungswerbung des Beklagten typischerweise nicht nur den Betrieb des Klägers, sondern die Betriebe weiterer Wettbewerber mit einschließt; jedenfalls über diese Betriebe kann keine Kenntnis des Klägers verlangt werden. Besonderheiten gelten schließlich auch im Rahmen vergleichender Werbung (§ 6) bezüglich solcher Tatsachen, die der außerhalb des Geschehensablaufs stehende Kläger nicht oder nur mit größten Schwierigkeiten darlegen und beweisen kann, während es dem Beklagten möglich und auch zumutbar ist, die erforderliche Aufklärung vorzunehmen.1475 Die beklagte Partei trifft in solchen Fällen eine prozessuale Erklärungspflicht bzw. sekundäre Darlegungslast,1476 für die § 138 Abs. 3 ZPO gilt.1477 Ferner kann das Gericht nach § 286 ZPO in freier Beweiswürdigung Schlüsse aus der

1470 BGH 26.10.2006 – I ZR 33/04 – GRUR 2007, 247, 251 Tz. 33 – Regenwaldprojekt; BGH 26.10.2006 – I ZR 97/ 04 – GRUR 2007, 251, 253 Tz. 31 – Regenwaldprojekt II; siehe auch BGH 28.6.1974 – I ZR 62/72 – GRUR 1975, 78, 79 – Preisgegenüberstellung; BGH 19.9.1996 – I ZR 124/94 – GRUR 1997, 229 – Beratungskompetenz; Fezer/Büscher § 12 Rn. 337; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 31; GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 D Rn. 358 ff.; Lindacher WRP 2000, 952 ff. 1471 BGH 19.9.1996 – I ZR 124/94 – GRUR 1997, 229, 230 – Beratungskompetenz; BGH 17.2.2000 – I ZR 239/97 – GRUR 2000, 820, 822 – Space Fidelity Peep-Show; BGH 27.1.2003 – I ZR 94/01 – GRUR 2004, 246, 247 – Mondpreise?; Fezer/Büscher § 12 Rn. 276; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.91; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 190; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 31. 1472 BGH 20.1.1961 – I ZR 79/59 – GRUR 1961, 356, 359 – Pressedienst; BGH 13.7.1962 – I ZR 43/61 – GRUR 1963, 270, 272 f. – Bärenfang; BGH 29.10.1969 – I ZR 63/68 – GRUR 1970, 461, 461 – Euro-Spirituosen; BGH 13.11.1970 – I ZR 49/69 – GRUR 1971, 164, 167 – Discount-Geschäft; BGH 28.6.1974 – I ZR 62/72 – GRUR 1975, 78, 79 – Preisgegenüberstellung I; BGH 5.5.1983 – I ZR 46/81 – GRUR 1983, 650, 651 – Kamera; BGH 3.12.1992 – I ZR 276/90 – GRUR 1993, 980, 983 – Tariflohnunterschreitung m. Anm. Ring; BGH 27.1.2003 – I ZR 94/01 – GRUR 2004, 246, 247 – Mondpreise?; Fezer/Büscher § 12 Rn. 340; Harte/Henning/Brüning vor § 12 Rn. 209; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.92 f.; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 31; GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 D Rn. 359 ff.; Lindacher WRP 2000, 952 f. 1473 BGH 21.4.2005 – I ZR 201/02 – GRUR 2005, 1059, 1061 – Quersubventionierung von Laborgemeinschaften; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.92. 1474 BGH 7.7.1972 – I ZR 96/71 – GRUR 1973, 594, 596 – Ski-Sicherheitsbindung; BGH 20.12.1977 – I ZR 1/76 GRUR 1978, 249, 250 – Kreditvermittlung m. Anm. Droste; BGH 7.7.1983 – I ZR 119/81 – GRUR 1983, 779, 781 – Schuhmarkt m. Anm. Schulte-Franzheim; BGH 17.10.1984 – I ZR 187/82 – GRUR 1985, 140, 142 – Größtes Teppichhaus der Welt; BGH 3.7.2014 – I ZR 84/13 – GRUR 2015, 186 – Wir zahlen Höchstpreise; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.94; Harte/Henning/Brüning vor § 12 Rn. 211; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 31; siehe auch Lindacher WRP 2000, 953. 1475 BGH 19.9.1996 – I ZR 124/94 – GRUR 1997, 229, 230 – Beratungskompetenz; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.96. Nach Auffassung von Lindacher WRP 2000, 953 f. hat der Werbende stets die Richtigkeit seiner Tatsachenbehauptungen zu beweisen. 1476 BGH 26.10.2006 – I ZR 33/04 – GRUR 2007, 247, 251 Tz. 33 – Regenwaldprojekt; BGH 26.10.2006 – I ZR 97/ 04 – GRUR 2007, 251, 253 Tz. 31 – Regenwaldprojekt II; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.91; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 31. 1477 BGH 15.11.1960 – I ZR 58/57 – GRUR 1961, 85, 90 – Pfiffikus-Dose; BGH 20.12.1977 – I ZR 1/76 – GRUR 1978, 249, 250 – Kreditvermittlung m. Anm. Droste; Harte/Henning/Brüning vor § 12 Rn. 208; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.91; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 190. Ebersohl

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unterlassenen Erklärung des Beklagten ziehen.1478 Rechtsdogmatisch leitet der BGH die Einschränkungen der Darlegungs- und Beweislast aus den Grundsätzen von Treu und Glauben her.1479 Sie begründen indes keine Beweislastumkehr.1480 Einen (vorprozessualen) materiellrechtlichen Auskunftsanspruch vermittelt die Erklärungspflicht nicht.1481

VII. Verfahrensunterbrechungen Schrifttum App Vorlage an den EuGH im deutschen Gerichtsverfahren, DZWiR 2002, 232; Bamberger/Roth Beck‘scher Onlinekommentar BGB, 25. Aufl. (2012); Beyerlein, Das Verfahren wird ausgesetzt – Überlegungen zur Reichweite des § 148 ZPO im gewerblichen Rechtsschutz vor europäischem Hintergrund; WRP 2006, 731; Bornkamm Das Wettbewerbsverhältnis und die Sachbefugnis des Mitbewerbers, GRUR 1996, 527; E. Braun Insolvenzordnung, 8. Aufl. (2020); Eyber Auslandsinsolvenz und Inlandsrechtsstreit, ZInsO 2009, 1225; Fastenrath Der Europäische Gerichtshof als gesetzlicher Richter – zur verfassungsrechtlichen Kontrolle der Einhaltung völker- und europarechtlicher Verpflichtungen sowie zum Prüfungsmaßstab bei Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG, FS Ress (2005) 461; Frege/Keller/Riedel Insolvenzrecht, 8. Aufl. (2015); Grosch Rechtswandel und Rechtskraft bei Unterlassungsurteilen (2002); Grosch/Schilling Rechnungslegung und Schadensersatzfeststellung für die Zeit nach Schluss der mündlichen Verhandlung? FS Eisenführ (2003) 131; Gundlach/Frenzel/ Schmidt Die Verfahrensunterbrechung durch Insolvenzeröffnung, NJW 2004, 3222; Heß, Die Einwirkungen des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 177 EGV auf das deutsche Zivilprozessrecht; ZZP 108 (1995), 59; H. Hess Insolvenzrecht Kommentar, 4. Aufl. (2007); E. Jaeger Insolvenzordnung (2007); Jarass, Bedeutung der EU-Rechtsschutzgewährleistung für nationale und EU Gerichte; NJW 2011, 1393; Koch, Zur Vorlagepflicht nationaler Gerichte an den EuGH in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, NJW 1995, 2331; Kraßer/Neuburger Die Unterbrechung des Verfahrens vor dem DPMA im Fall der Insolvenz eines Beteiligten, GRUR 2010, 588; H. Koch Auslandskonkurs und Unterbrechung des Inlandsprozesses, NJW 1989, 3072; Lenz/Borchardt EU-Verträge Kommentar, 6. Aufl. (2012); Nerlich/Römermann Insolvenzordnung Kommentar, 39. Aufl. (2019); G. Lüke Zu neueren Entwicklungen im deutschen internationalen Konkursrecht, KTS 1986, 1; Mußlang, Ist der EuGH als gesetzlicher Richter i. S. des Art. 101 I 2 GG in Frage gestellt?; EuZW 1996, 69 T. Pfeiffer Keine Beschwerde gegen EuGH-Vorlagen? NJW 1994, 1996; Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht, 18. Aufl. (2018); Riesenfeld Das neue Gesicht des deutschen internationalen Konkursrechts aus ausländischer Sicht, FS Merz (1992) 497; Saenger Zivilprozessordnung, 8. Aufl. (2019); Schima, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH, 3. Aufl. 2015; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf Kommentar zum Grundgesetz (GG), 12. Aufl. (2011); K. Schmidt Liquidationszweck und Vertretungsmacht des Liquidatoren, AcP 174 (1974) 54; K. Schmidt Unterlassungsanspruch, Unterlassungsklage und deliktischer Ersatzanspruch im Konkurs, ZZP 90 (1977) 38; M. Schröder Die Vorlagepflicht zum EuGH aus europarechtlicher und nationaler Perspektive, EuR 2011, 808; Streinz EUV/AEUV, 3. Aufl. (2018); Streinz/Herrmann, Vorabentscheidungsverfahren und Vorlagepflicht im europäischen Markenrecht, GRUR Int 2004, 459; Uhlenbruck Insolvenzordnung Kommentar, 14. Aufl. (2015); Vorwerk/Wolf Beckscher Onlinekommentar ZPO, 33. Aufl. (2019); Wägenbaur, Stolpersteine des Vorabentscheidungsverfahrens; EuZW 2000, 37; Warnke, Die Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 in der Rechtsprechungspraxis des BVerfG, 2004; Zieres Die Straffestsetzung zur Erzwingung von Unterlassungen und Duldungen, NJW 1972, 751.

1478 BGH 29.10.1969 – I ZR 63/68 – GRUR 1970, 461 – Euro-Spirituosen; 20.12.197.7 – I ZR 1/76 – GRUR 1978, 249 – Kreditvermittlung; Harte/Henning/Brüning vor § 12 Rn. 208; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.91; Gloy/ Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 190. 1479 BGH 27.1.2003 – I ZR 94/01 – GRUR 2004, 246, 247 – Mondpreise?; BGH 26.10.2006 – I ZR 33/04 – GRUR 2007, 247, 251 Tz. 33 – Regenwaldprojekt; BGH 26.10.2006 – I ZR 97/04 – GRUR 2007, 251, 253 Tz. 31 – Regenwaldprojekt II; vgl. auch die weiteren Nachw. bei Teplitzky, 10. Aufl., Kap. 47 Rn. 32. 1480 BGH 6.2.1997 – I ZR 234/94 – GRUR 1997, 758, 760 – Selbsternannter Sachverständiger; BGH 17.2.2000 – I ZR 239/97 – GRUR 2000, 820, 822 – Space Fidelity Peep-Show; BGH 4.12.2008 – I ZR 3/06 – GRUR 2009, 871, 873 Tz. 27 – Ohrclips; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.91; Harte/Henning/Brüning vor § 12 Rn. 207; Teplitzky, 10. Aufl., Kap. 47 Rn. 32; a. A. Fritze GRUR 1975, 62; Kur S. 210 f., Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 193 für den Fall der Alleinstellungswerbung sowie wohl auch Teplitzky/Schwippert, Kap. 47 Rn. 32. 1481 BGH 4.3.1977 – I ZR 117/75 – GRUR 1978, 54, 55 – Preisauskunft; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.91; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 194. 667

Herrmann

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Vor §§ 12–15a A

unterlassenen Erklärung des Beklagten ziehen.1478 Rechtsdogmatisch leitet der BGH die Einschränkungen der Darlegungs- und Beweislast aus den Grundsätzen von Treu und Glauben her.1479 Sie begründen indes keine Beweislastumkehr.1480 Einen (vorprozessualen) materiellrechtlichen Auskunftsanspruch vermittelt die Erklärungspflicht nicht.1481

VII. Verfahrensunterbrechungen Schrifttum App Vorlage an den EuGH im deutschen Gerichtsverfahren, DZWiR 2002, 232; Bamberger/Roth Beck‘scher Onlinekommentar BGB, 25. Aufl. (2012); Beyerlein, Das Verfahren wird ausgesetzt – Überlegungen zur Reichweite des § 148 ZPO im gewerblichen Rechtsschutz vor europäischem Hintergrund; WRP 2006, 731; Bornkamm Das Wettbewerbsverhältnis und die Sachbefugnis des Mitbewerbers, GRUR 1996, 527; E. Braun Insolvenzordnung, 8. Aufl. (2020); Eyber Auslandsinsolvenz und Inlandsrechtsstreit, ZInsO 2009, 1225; Fastenrath Der Europäische Gerichtshof als gesetzlicher Richter – zur verfassungsrechtlichen Kontrolle der Einhaltung völker- und europarechtlicher Verpflichtungen sowie zum Prüfungsmaßstab bei Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG, FS Ress (2005) 461; Frege/Keller/Riedel Insolvenzrecht, 8. Aufl. (2015); Grosch Rechtswandel und Rechtskraft bei Unterlassungsurteilen (2002); Grosch/Schilling Rechnungslegung und Schadensersatzfeststellung für die Zeit nach Schluss der mündlichen Verhandlung? FS Eisenführ (2003) 131; Gundlach/Frenzel/ Schmidt Die Verfahrensunterbrechung durch Insolvenzeröffnung, NJW 2004, 3222; Heß, Die Einwirkungen des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 177 EGV auf das deutsche Zivilprozessrecht; ZZP 108 (1995), 59; H. Hess Insolvenzrecht Kommentar, 4. Aufl. (2007); E. Jaeger Insolvenzordnung (2007); Jarass, Bedeutung der EU-Rechtsschutzgewährleistung für nationale und EU Gerichte; NJW 2011, 1393; Koch, Zur Vorlagepflicht nationaler Gerichte an den EuGH in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, NJW 1995, 2331; Kraßer/Neuburger Die Unterbrechung des Verfahrens vor dem DPMA im Fall der Insolvenz eines Beteiligten, GRUR 2010, 588; H. Koch Auslandskonkurs und Unterbrechung des Inlandsprozesses, NJW 1989, 3072; Lenz/Borchardt EU-Verträge Kommentar, 6. Aufl. (2012); Nerlich/Römermann Insolvenzordnung Kommentar, 39. Aufl. (2019); G. Lüke Zu neueren Entwicklungen im deutschen internationalen Konkursrecht, KTS 1986, 1; Mußlang, Ist der EuGH als gesetzlicher Richter i. S. des Art. 101 I 2 GG in Frage gestellt?; EuZW 1996, 69 T. Pfeiffer Keine Beschwerde gegen EuGH-Vorlagen? NJW 1994, 1996; Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht, 18. Aufl. (2018); Riesenfeld Das neue Gesicht des deutschen internationalen Konkursrechts aus ausländischer Sicht, FS Merz (1992) 497; Saenger Zivilprozessordnung, 8. Aufl. (2019); Schima, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH, 3. Aufl. 2015; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf Kommentar zum Grundgesetz (GG), 12. Aufl. (2011); K. Schmidt Liquidationszweck und Vertretungsmacht des Liquidatoren, AcP 174 (1974) 54; K. Schmidt Unterlassungsanspruch, Unterlassungsklage und deliktischer Ersatzanspruch im Konkurs, ZZP 90 (1977) 38; M. Schröder Die Vorlagepflicht zum EuGH aus europarechtlicher und nationaler Perspektive, EuR 2011, 808; Streinz EUV/AEUV, 3. Aufl. (2018); Streinz/Herrmann, Vorabentscheidungsverfahren und Vorlagepflicht im europäischen Markenrecht, GRUR Int 2004, 459; Uhlenbruck Insolvenzordnung Kommentar, 14. Aufl. (2015); Vorwerk/Wolf Beckscher Onlinekommentar ZPO, 33. Aufl. (2019); Wägenbaur, Stolpersteine des Vorabentscheidungsverfahrens; EuZW 2000, 37; Warnke, Die Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 in der Rechtsprechungspraxis des BVerfG, 2004; Zieres Die Straffestsetzung zur Erzwingung von Unterlassungen und Duldungen, NJW 1972, 751.

1478 BGH 29.10.1969 – I ZR 63/68 – GRUR 1970, 461 – Euro-Spirituosen; 20.12.197.7 – I ZR 1/76 – GRUR 1978, 249 – Kreditvermittlung; Harte/Henning/Brüning vor § 12 Rn. 208; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.91; Gloy/ Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 190. 1479 BGH 27.1.2003 – I ZR 94/01 – GRUR 2004, 246, 247 – Mondpreise?; BGH 26.10.2006 – I ZR 33/04 – GRUR 2007, 247, 251 Tz. 33 – Regenwaldprojekt; BGH 26.10.2006 – I ZR 97/04 – GRUR 2007, 251, 253 Tz. 31 – Regenwaldprojekt II; vgl. auch die weiteren Nachw. bei Teplitzky, 10. Aufl., Kap. 47 Rn. 32. 1480 BGH 6.2.1997 – I ZR 234/94 – GRUR 1997, 758, 760 – Selbsternannter Sachverständiger; BGH 17.2.2000 – I ZR 239/97 – GRUR 2000, 820, 822 – Space Fidelity Peep-Show; BGH 4.12.2008 – I ZR 3/06 – GRUR 2009, 871, 873 Tz. 27 – Ohrclips; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.91; Harte/Henning/Brüning vor § 12 Rn. 207; Teplitzky, 10. Aufl., Kap. 47 Rn. 32; a. A. Fritze GRUR 1975, 62; Kur S. 210 f., Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 193 für den Fall der Alleinstellungswerbung sowie wohl auch Teplitzky/Schwippert, Kap. 47 Rn. 32. 1481 BGH 4.3.1977 – I ZR 117/75 – GRUR 1978, 54, 55 – Preisauskunft; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.91; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 194. 667

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Übersicht 1. 2.

Allgemeines 550 Unterbrechung des Unterlassungsprozesses 552 durch Insolvenz 553 a) Massebetroffenheit 554 b) Verfahrenseröffnung 558 c) Einzelfragen 558 aa) Verbandsklagen 560 bb) Vollstreckungsverfahren cc) Besonderheiten bei Insolvenz des Un561 terlassungsklägers dd) Besonderheiten bei Insolvenz des Un562 terlassungsbeklagten

3.

4. 5.

ee) Wiederaufnahme des Verfah563 rens Aussetzung des Wettbewerbsprozesses und Vor564 lage an den EuGH 564 a) Allgemeines b) Insbesondere: Vorlage an den Gerichtshof 566 der Europäischen Union c) Insbesondere: Aussetzung nach Art. 16 der 571 VO 1/2003/EG Aussetzung im Verfahren einstweiliger Verfü572 gung 575 Prozessuale Behandlung

1. Allgemeines 550 Auch im Wettbewerbsprozess kann es zu einem rechtlichen Stillstand des Verfahrens kommen. Im Gegensatz zum faktischen Verfahrensstillstand durch (verfahrenswidriges) Nichtbetreiben des Rechtsstreits führt der rechtliche Stillstand durch Unterbrechung, Aussetzung oder Ruhen des Verfahrens zur Suspendierung verfahrensrechtlicher Fristen (§ 249 ZPO).1482 Die Vorschriften zur Verfahrensunterbrechung gehen jeweils von einem vorübergehenden Stillstand des Rechtsstreits aus, der nach Beseitigung des Hindernisses oder Abschluss des vorgreiflichen Rechtsstreits fortzusetzen ist.1483 Faktisch kann eine Unterbrechung jedoch dazu führen, dass eine Fortsetzung des unterbrochenen Rechtsstreits infolge Zeitablaufs wirtschaftlich sinnlos wird. Auch angesichts des grundsätzlich auf schnelle Anspruchsklärung ausgelegten Streitprogramms des Wettbewerbsprozesses müssen ermessensabhängige Verfahrensunterbrechungen im weiteren Sinne (insbes. durch Aussetzung nach § 148 ZPO) deshalb die Ausnahme bleiben. 551 Zu den Voraussetzungen sowie zu Beginn und Ende eines rechtlichen Stillstands des Verfahrens im Allgemeinen kann auf die Kommentierungen zur ZPO verwiesen werden.1484 Wettbewerbsverfahrensrechtliche Besonderheiten ergeben sich jedoch aus dem Streitgegenstand des Unterlassungsprozesses bei einer Insolvenzeröffnung. Ebenso gesondert zu erörtern sind Fragen des Vorlageverfahrens nach Art. 267 AEUV, der Aussetzung des Wettbewerbsprozesses nach Art. 16 VO 1/2003/EG1485 sowie der Zulässigkeit einer Aussetzung von Verfahren einstweiliger Verfügung.

2. Unterbrechung des Unterlassungsprozesses durch Insolvenz 552 Die am stärksten in das Verfahrensgeschehen eingreifende Form eines rechtlichen Stillstandes ist die Unterbrechung des Verfahrens.1486 Sie ist u. a. vorgesehen bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei (§ 240 Satz 1 ZPO) und soll dem Verwalter die für 1482 Prütting/Gehrlein/Anders § 249 ZPO Rn. 4; MünchKommZPO/Gehrlein § 249 Rn. 10; Rosenberg/Schwab/Gottwald § 124 Rn. 6. 1483 BGH 27.10.2003 – II ZA 9/02 – MDR 2004, 231; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 240 ZPO Rn. 15. 1484 Prütting/Gehrlein/Anders § 240 ZPO Rn. 1; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 240 ZPO Rn. 1; MünchKommZPO/Gehrlein § 240 Rn. 1; Stein/Jonas/Roth § 240 ZPO Rn. 1; Musielak/Stadler § 240 ZPO Rn. 1. 1485 Verordnung 1/2003/EG des Rates vom 16.12.2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. EG L 1 v. 4.1.2003). 1486 MünchKommZPO/Gehrlein Vorb. §§ 239 ff. Rn. 5. Herrmann

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VII. Verfahrensunterbrechungen

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eine Entscheidung über die Verfahrensfortsetzung erforderliche Bedenkzeit verschaffen.1487 Die Unterbrechung des Verfahrens bei Insolvenzeröffnung sichert zugleich das Recht des Verwalters auf rechtliches Gehör.1488 Vorausgesetzt ist deshalb, dass das Verfahren zumindest mittelbar die Insolvenzmasse (§§ 35, 36 InsO)1489 und nicht das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners betrifft.1490

a) Massebetroffenheit. Für den Unterlassungsprozess ist heute1491 unstreitig, dass die Insol- 553 venzmasse – von Sonderkonstellationen im Bereich des Ehrenschutzes abgesehen – sowohl bei Aktiv- wie auch bei Passivprozessen des Schuldners im Sinne des § 240 Satz 1 ZPO „betroffen“ ist.1492 Das ist alles andere als selbstverständlich. Der Unterlassungsanspruch des Schuldners ist weder übertragbar noch pfändbar,1493 noch kann er in einen Geldanspruch (§ 45 InsO) übergehen und gehört somit im Ausgangspunkt nicht zur Soll-Masse im Sinne des § 35 InsO. Desgleichen richtet sich der gegen den Schuldner erhobene Unterlassungsanspruch auf dessen Unterlassung, nicht auf das Verhalten des Verwalters, der nach Insolvenzeröffnung allein für das Unternehmen des Schuldners handlungsbefugt ist.1494 Bei funktionaler Betrachtung der Unterbrechung durch Insolvenzeröffnung wird jedoch klar, dass Unterlassungsklageverfahren (auf Aktiv- wie auf Passivseite) grundsätzlich erfasst sein müssen. Gegenstand des Unterlassungsprozesses ist das (nach hier vertretener Auffassung) prozessual1495 verstandene Recht des Klägers auf Titulierung einer konkreten Verbotsnorm zur Regelung des künftigen Wettbewerbsverhaltens der Parteien.1496 Dabei ist sekundär, ob diesem Recht, was bei Kontinuität des Unternehmens des Schuldners trotz Insolvenzeröffnung in der Regel zutreffen dürfte, vermögensmäßige Relevanz zukommt. Entscheidend ist, dass der Unterlassungsprozess zu einer Erweiterung oder Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten des insolvenzbetroffenen Schuldnerunternehmens und/oder der Verwertbarkeit der Insolvenzmasse führen kann. Die Entscheidung hierüber betrifft die Aufgaben des Verwalters somit mindestens potentiell. Ihm muss daher auch nach der Ratio des § 240 ZPO die Entscheidung über die Aufnahme des Unterlassungsprozesses vorbehalten bleiben. Das gilt auch für den Passivprozess, bei dem es sich der Sache nach um einen Aussonderungsstreit im Sinne des § 47 InsO handelt.1497

1487 MünchKommZPO/Gehrlein § 240 Rn. 1; Wieczorek/Schütze/Gerken § 240 Rn. 1; Kraßer/Neuburger GRUR 2010, 588; Musielak/Stadler § 240 ZPO Rn. 1. 1488 MünchKommZPO/Gehrlein § 240 Rn. 1. 1489 BGH 1.10.2009 – I ZR 94/07 – NJW 2010, 2213 Tz. 17 – Oracle; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 240 ZPO Rn. 5; Gundlach/Frenzel/Schmidt NJW 2004, 3222; Rosenberg/Schwab/Gottwald § 125 Rn. 25; Stein/Jonas/Roth § 240 ZPO Rdnr. 11; MünchKommInsO/Schumacher Vorb. §§ 85 bis 87 Rn. 22; Götting/Nordemann/Trepper Vorb. § 12 Rn. 95. 1490 Frege/Keller/Riedel Rn. 1149; E. Braun/Kroth Vor §§ 85–87 InsO Rn. 11; MünchKommInsO/Schumacher Vorb. §§ 85 bis 87 Rn. 24. 1491 BGH 1.10.2009 – I ZR 94/07 – NJW 2010, 2213 Tz. 17 – Oracle. 1492 RG 6.1.1932 – I 295/30 – RGZ 134, 279, 378; BGH 21.10.1965 – Ia ZR 144/63 – NJW 1966, 51 – Dia-Rähmchen III; OLG Köln 31.8.2007 – 6 U 80/02 – ZIP 2008, 518, 519; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 240 ZPO Rn. 12; Götting/Nordemann/Trepper Vorb. § 12 Rn. 96; Uhlenbruck/Uhlenbruck § 85 InsO Rn. 11. 1493 RG 23.2.1915 – II 498/14 – RGZ 86, 252, 253; RG 15.6.1935 – RGZ 148, 146, 147; im Falle des Namensrechts BGH 23.9.1992 – I ZR 251/90 – BGHZ 119, 237 = GRUR 1993, 151, 152; Piper/Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 64; MünchKommBGB/ Roth § 399 Rn. 21. 1494 K. Schmidt ZZP 90 (1977), 41; Teplitzky Kap. 48 Rn. 4. 1495 Die Rechtsprechung geht freilich einhellig von einem materiell-rechtlichen Verständnis des Gegenstandes des Unterlassungsprozesses aus. Vgl. Rn. 37. 1496 Grosch/Schilling FS Eisenführ, S. 153. 1497 K. Schmidt ZZP 90 (1977), 46. 669

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

554 b) Verfahrenseröffnung. Der Eröffnung des (deutschen) Hauptinsolvenzverfahrens gleichgestellt sind die Bestellung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters in den Fällen des § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO (§ 240 Satz 2 ZPO), sowie angesichts des Universalitätsprinzips,1498 die Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens, wenn das anwendbare ausländische Recht eine Verfahrensunterbrechung vorsieht und das Inlandsvermögen des Schuldners erfasst.1499 Diese Fragen sind von dem deutschen Wettbewerbsgericht ohne Bindung an den ausländischen Eröffnungsbeschluss in eigener Verantwortung zu prüfen. Ein im Inland anzuerkennendes Insolvenzverfahren im EU-Ausland und in Dänemark i. S. d. § 343 InsO, Art. 3, 16 f. EuInsVO wird über § 352 Abs. 1 Satz 1 InsO in Verbindung mit § 240 Satz 1 ZPO automatisch erfasst.1500 Aus der Sicht des Internationalen Insolvenzrechts bestehen für Wettbewerbsprozesse keine Besonderheiten.1501 555 Maßstab für die Betroffenheit der Insolvenzmasse ist allein der geltend gemachte Hauptsacheanspruch.1502 Kostenerstattungsansprüche, die in jeder Lage des Verfahrens aufschiebend oder auflösend bedingt bestehen, sollen außer Betracht bleiben.1503 Das wird teilweise kritisiert,1504 weil der Kostenerstattungsanspruch für die Insolvenzmasse von erheblichem Wert sein kann. Allerdings ist der Kostenerstattungsanspruch nicht selbst Gegenstand, sondern (nur) Folge des Verfahrens. Nach dem Wortlaut des § 240 Satz 1 ZPO kommt es für die Unterbrechungswirkung aber nur auf das „Verfahren“ (und dessen Gegenstand) und nicht auf dessen Folgen an. Zwar ist richtig, dass der Kostenerstattungsanspruch zur Insolvenzmasse gehört, wenn der die Erstattungsforderung begründende Sachverhalt vor oder während des Insolvenzverfahrens verwirklicht wurde.1505 Deshalb ist es auch ausschließlich Sache des Insolvenzverwalters darüber zu befinden, ob der zur Insolvenzmasse gehörende Kostenerstattungsanspruch im Wege der Freigabe aus dem Insolvenzbeschlag gelöst und wieder der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners unterstellt wird.1506 Dies bedeutet aber nicht, dass deshalb jedes Verfahren nur wegen des (aufschiebend oder auflösend) bedingten Kostenerstattungsanspruchs unabhängig von der Massebetroffenheit durch den eigentlichen Verfahrensgegenstand nach § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen ist. Vielmehr bleibt der Kostenerstattungsanspruch Annexanspruch, dessen verfahrensrechtliche Behandlung dem eigentlichen Verfahrensgegenstand folgt und nicht umgekehrt. Wollte man hier anders entscheiden, würde notwendig jedes Verfahren, an dem der Schuldner beteiligt ist, durch die Insolvenzeröffnung unabhängig von der Massebetroffenheit unterbrochen. Denn theoretisch kann für die Masse in jedem solchen Verfahren ein Kostenerstattungsanspruch entstehen. Die in § 240 Satz 1 ZPO angelegte Differenzierung nach der Massebetroffenheit durch den Verfahrensgegenstand würde dann der Sache nach durch eine rein wirtschaftliche 1498 Demnach folgt aus dem Universalitätsprinzip eine Anerkennung des Auslandskonkurses auch im Inland, wenn nach dem Konkursstatut auch das ausländische Vermögen zur Konkursmasse gehören soll; BGH 11.7.1985 – IX ZR 178/84 – BGHZ 95, 256 = NJW 1985, 2897, 2898; G. Lüke KTS 1986, 3; Riesenfeld FS Merz, S. 499. 1499 Std. Rspr. des BGH seit BGH 11.7.1985 – IX ZR 178/84 – BGHZ 95, 256 = NJW 1985, 2897, 2898; BGH 13.10.2009 – X ZR 79/06 – GRUR 2010, 861 Tz. 8; konkretisierend BGH 20.12.2011 – VI ZR 14/11 – NZI 2012, 573; OLG Karlsruhe 11.5.1990 – 10 U 70/89 – EzInsR Art. 102 EGInsO Nr. 5; OLG München 24.1.1996 – 25 W 2281/95 – ZIP 1996, 385; vgl. in der Literatur auch Koch NJW 1989, 3072 f.; G. Lüke KTS 1986, 1; H. Hess/H. Hess § 85 InsO Rn. 21; Riesenfeld FS Merz, S. 498; Musielak/Stadler § 240 Rn. 4; Uhlenbruck/Uhlenbruck § 85 InsO Rn. 11. 1500 Eyber ZInsO 2009, 1225; MünchKommZPO/Gehrlein § 240 Rn. 11; G. Lüke KTS 1986, 14; Musielak/Stadler § 240 ZPO Rn. 4. 1501 Nerlich/Römermann/Commandeur Vorbemerkung zu Art. 102 Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1346/ 2000 über Insolvenzverfahren Rn. 1. 1502 MünchKommInsO/Schumacher Vorb. §§ 85 bis 87 Rn. 23. 1503 So die Entscheidung RG 24.6.1886 – IIIa 18/86 – RGZ 16, 358, 362. 1504 Kritisch auch Teplitzky Kap. 48 Rn. 5 f. 1505 BGH 1.2.2007 – IX ZR 178/05 – NJW-RR 2007, 1205, 1205; OLG Nürnberg 21.10.2010 – 12 W 1990/10 – MDR 2011, 322, 323; Uhlenbruck/Hirte § 35 InsO Rn. 171. 1506 BGH 1.2.2007 – IX ZR 178/05 – NJW-RR 2007, 1205. Herrmann

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VII. Verfahrensunterbrechungen

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Betrachtung nach der Bedeutung des (bedingten) Erstattungsanspruchs für die Masse ersetzt. Eine solche quantitative Betrachtung mit dem Ziel, wirtschaftlich unbedeutende Erstattungsansprüche auszuscheiden und bei wirtschaftlich bedeutenden Erstattungsansprüchen eine Verfahrensunterbrechung anzunehmen, hätte nicht nur keine Grundlage im Gesetz, sondern würde auch zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führen. Die Differenzierung danach, ob der Streitgegenstand die Masse betrifft, erscheint daher im Ergebnis als alternativlos. Verfahren, die nur den Kostenerstattungsanspruch zum Gegenstand haben (z. B. Kostenfest- 556 setzungsverfahren), sind hingegen mit Insolvenzeröffnung unterbrochen.1507 Dies gilt insbesondere auch für die übereinstimmende Erledigungserklärung (§ 91a Abs. 1 ZPO),1508 nicht jedoch für die einseitige Erledigung. Denn nach einer einseitigen Erledigungserklärung ist der Kostenerstattungsanspruch selbst nicht Verfahrensgegenstand,1509 das nunmehr auf Feststellung der ursprünglichen Zulässigkeit und Begründetheit der Klage gerichtet ist. Bei Klagen von und gegen einen Mitbewerber auf der Grundlage des § 5 UWG wegen 557 der Unterlassung irreführender geschäftlicher Handlungen kann die Massebetroffenheit zweifelhaft sein, stehen hier doch Interessen der Allgemeinheit, beispielsweise an der Vermeidung von irreführender Werbung, im Vordergrund.1510 Indes erscheint es als wenig praktikabel für die auf Rechtssicherheit ausgelegten Vorschriften zur Verfahrensunterbrechung, auf den Schutzzweck der konkret als verletzt gerügten wettbewerblichen Verhaltensnorm abzustellen. Es sollte genügen, wenn der Prozessausgang die wettbewerbliche Handlungsfreiheit des Schuldnerunternehmens beeinflussen kann. Ob die Beeinträchtigung bzw. Erweiterung des Handlungsspielraums bei wirtschaftlicher Betrachtung unerheblich ist, bleibt auch hier außer Betracht.

c) Einzelfragen aa) Verbandsklagen. Klagebefugte Verbände (§ 8 Abs. 3 Nrn. 2, 3 UWG) in der Form des e.V. 558 sind mit Insolvenzeröffnung aufgelöst (§ 42 Abs. 1 Satz 1 BGB). Sie bestehen zwar bis zur Vollbeendigung als aufgelöster rechtsfähiger Verein fort (§ 49 Abs. 2 BGB), jedoch nur soweit der Zweck der Liquidation dies erfordert. Rechtsprechung und Literatur1511 entnehmen hieraus den Grundsatz einer auf den Abwicklungszweck (§ 49 Abs. 1 BGB) beschränkten Rechtsfähigkeit. Das ist nicht zweifelsfrei. Denn mit der Annahme einer beschränkten Rechtsfähigkeit würde im Ergebnis die dem deutschen Recht der Körperschaften fremde ultra-vires-Lehre rezipiert,1512 was im Hinblick auf den gebotenen Verkehrsschutz unstimmig erscheint.1513 Auch dann, wenn man mit der heute wohl hL von einer grundsätzlich fortbestehenden1514 vollen Rechtsfähigkeit ausgeht, würde jedoch mit Insolvenzeröffnung die Klagebefugnis nach § 8 Abs. 3 UWG entfallen, da die dort vorausgesetzte Nachhaltigkeit der Verfolgung des Verbandszweckes nicht mehr gegeben ist. Im Ergebnis führt daher die Insolvenzeröffnung – unabhängig von dem jeweils zu-

1507 BGH 29.6.2005 – XII ZB 195/04 – NZI 2006, 128; OLG Stuttgart 16.11.1998 – 8 W 621/98 – ZIP 1998, 2066, 2067; OLG Brandenburg 29.9.2000 – 7 W 47/00 – MDR 2001, 471, 471 f.

1508 MünchKommInsO/Schumacher § 85 Rn. 8; Teplitzky Kap. 48 Rn. 6 Fn. 25; E. Jaeger/Windel § 85 InsO Rn. 3. 1509 Vorwerk/Wolf/Kratz § 494a ZPO Rn. 17. 1510 Bornkamm GRUR 1996, 527; ebenso kritisch dazu Götting/Nordemann/Trepper Vorb. § 12 Rn. 95; Teplitzky Kap. 48 Rn. 6.

1511 BGH 22.3.2001 – IX ZR 373/98 – NJW-RR 2001, 1552, 1553; Palandt/Ellenberger § 49 BGB Rn. 2; MünchKommBGB/Reuter § 49 Rn. 10; Bamberger/Roth/Schöpflin § 49 BGB Rn. 4; Staudinger/Weick § 49 BGB Rn. 17; Erman/ Westermann § 49 BGB Rn. 5. 1512 Soergel/Hadding § 49 BGB Rn. 11; K. Schmidt AcP 174 (1974), 67; Staudinger/Weick § 49 BGB Rn. 17. 1513 Soergel/Hadding § 49 BGB Rn. 11; MünchKommBGB/Reuter § 49 Rn. 11; Staudinger/Weick § 49 BGB Rn. 17. 1514 Jedenfalls dann, wenn eine Liquidation durchgeführt wird und das Vereinsvermögen nicht an den Fiskus fällt (§ 46 BGB), MünchKommBGB/Reuter § 49 Rn. 11. 671

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

grunde gelegten Verständnis des § 49 Abs. 2 BGB – zur Unzulässigkeit einer von dem insolventen Verband erhobenen Klage.1515 559 Die Masse kann deshalb von dem Gegenstand der von dem insolventen Verband erhobenen Klage nicht betroffen sein, weshalb eine Unterbrechung ausscheidet.1516 Der Kostenerstattungsanspruch bleibt auch hier außer Betracht,1517 und eine Erledigungserklärung, die nach teilweise vertretener Auffassung1518 den Kostenerstattungsanspruch zum wirtschaftlichen Verfahrensgegenstand mit der Folge entsprechender Massebetroffenheit machen soll, ist dem Insolvenzverwalter mangels Aufnahmemöglichkeit verwehrt. Ohnedies ist auch bei einer Erledigungserklärung der Kostenerstattungsanspruch gerade nicht Gegenstand des Rechtsstreits, sondern bleibt dessen (bloße) Folge.1519 Gegenstand des Rechtsstreits nach Erledigungserklärung ist ein Anspruch auf Feststellung der ursprünglichen Zulässigkeit und Begründetheit der Klage, der für Zwecke der Massebetroffenheit nicht anders bewertet werden kann, als der Streitgegenstand des für erledigt erklärten Klageverfahrens.1520

560 bb) Vollstreckungsverfahren. Das Vollstreckungsverfahren soll nach hM durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners1521 nicht unterbrochen werden.1522 Die Vollstreckung betrifft nur das Verhalten der vor Insolvenzeröffnung für das Schuldnerunternehmen handlungsbefugten Personen. Eine Vollstreckung gegen den Insolvenzverwalter ist nicht möglich,1523 und Ordnungsgelder zur Erzwingung der Unterlassung sind nicht Gegenstand der Vollstreckung, sondern Mittel zu deren Durchführung.1524 Das überzeugt nicht.1525 Mit Insolvenzeröffnung verliert der Schuldner die Handlungsbefugnis. Die Vollstreckung gegen ihn wäre daher ohne Sinn. Zwar ist ein Rechtsschutzinteresse für die Durchführung der Unterlassungsvollstreckung nicht erforderlich.1526 Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird die Fortsetzung der Unterlassungsvollstreckung gegen den Schuldner jedoch in der Regel rechtsmissbräuchlich sein.1527 Ohnedies müsste die Zwangsvollstreckung auf eine Klage des Schuldners (je nach dogmatischem Grundverständnis des Unterlassungstitels gem. § 323 ZPO oder gem. § 767 ZPO)1528 auf den Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung für unzulässig erklärt werden.

561 cc) Besonderheiten bei Insolvenz des Unterlassungsklägers. Der Unterlassungsanspruch gegenüber Wettbewerbshandlungen Dritter betrifft stets das Unternehmen des Schuldners bzw. die 1515 KG 6.7.1990 – 5 U 74/89 – GRUR 1991, 562 (LS) = NJW-RR 1991, 41; Teplitzky Kap. 48 Rn. 6 mit Fn. 25. 1516 KG 6.7.1990 – 5 U 74/89 – GRUR 1991, 562 (LS) = NJW-RR 1991, 41; MünchKommZPO/Feiber § 240 Rn. 17; MünchKommInsO/Schumacher Vorb. §§ 85 bis 87 Rn. 36. 1517 RGZ 24.6.1886 – IIIa 18/86 – RGZ 16, 358, 362; KG 6.7.1990 – 5 U 74/89 – GRUR 1991, 562 (LS) = NJW-RR 1991, 41; H. Hess/H. Hess § 85 InsO Rn. 49. 1518 MünchKommInsO/Schumacher § 85 Rn. 23; Teplitzky Kap. 48 Rn. 6 Fn. 26; E. Jaeger/Windel § 85 InsO Rn. 3. 1519 Vgl. Rn. 469. 1520 Vgl. Rn. 555. 1521 Bei Aktivprozessen kann der Verwalter das Vollstreckungsverfahren nach Klauselumschreibung gem. § 727 ZPO fortsetzen. 1522 BGH 28.3.2007 – VII ZB 25/05 – BGHZ 172, 16 = NJW 2007, 3132, 3133; KG 17.12.1999 – 5 W 5591/99 – GRUR 2000, 1112; anders bei der Vollstreckungsabwehrklage BGH 14.8.2008 – VII ZB 3/08 – NJW-RR 2009, 60, 61; E. Jaeger/Windel § 85 InsO Rn. 69; Saenger/Wöstmann § 240 ZPO Rn. 7. 1523 Entsprechend zu entnehmen aus E. Jaeger/Windel § 80 InsO Rn. 193. 1524 KG 17.12.1999 – 5 W 5591/99 – GRUR 2000, 1112. 1525 Kritisch auch K. Schmidt ZZP 90 (1977), 41. 1526 Laut MünchKommZPO/Gruber § 890 Rn. 31 beinhaltet die vollstreckbare Titulierung bereits das Rechtsschutzbedürfnis; ebenso Stein/Jonas/Brehm § 890 ZPO Rn. 52; Zöller/Stöber § 890 ZPO Rn. 11; Zieres NJW 1972, 751. 1527 Grosch S. 97 ff.; Grosch/Schilling FS Eisenführ, S. 153. 1528 So die ganz h. M., vgl. z. B. BGH 2.7.2009 – I ZR 146/07 – GRUR 2009, 1096 Tz. 22 – Mescher weis. Herrmann

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VII. Verfahrensunterbrechungen

Vor §§ 12–15a A

Verwertbarkeit der Insolvenzmasse. Eine Differenzierung nach dem wirtschaftlichen Grad der Betroffenheit oder dem Schutzzweck der zur Begründung des Klageanspruchs angeführten Norm würde die Unterbrechungsfrage mit Auslegungsunsicherheiten belasten. Für Unterlassungsklagen, die den persönlichen Ehrenschutz des Schuldners (als natürlicher Person) zum Gegenstand haben, mag man anders entscheiden.1529 Dies dürfte indessen die Ausnahme bleiben.

dd) Besonderheiten bei Insolvenz des Unterlassungsbeklagten. In der Insolvenz des Un- 562 terlassungsbeklagten gelten dieselben Regeln, wie in der Klägerinsolvenz. Mit Ausnahme von Ehrenschutzklagen führt die Insolvenzeröffnung zur Unterbrechung der Unterlassungsklage.1530 ee) Wiederaufnahme des Verfahrens. Die Regeln zur Wiederaufnahme des Verfahrens unter- 563 scheiden danach, ob es sich um einen Aktiv- oder einen Passivprozess handelt (§§ 85, 86 InsO). Dabei ist die Parteirolle des Schuldners unerheblich. Es kommt vielmehr darauf an, ob eine vermögenswerte Position zur (Teilungs-) Masse gezogen (= Aktivprozess) oder eine solche Position aus der Insolvenzmasse ausgesondert werden soll (= Passivprozess). In der älteren Rechtsprechung sind Unterlassungsprozesse gegen den Schuldner als Aktivprozesse behandelt worden.1531 Das erscheint intuitiv unrichtig, ist vom BGH aber erst im Jahre 2010 in der Entscheidung Modulgerüst II1532 aufgegeben worden. Der Unterlassungsprozess zielt darauf ab, dem Kläger eine Vollstreckungsmöglichkeit gegenüber künftigem Beklagtenverhalten zu verschaffen. Besteht eine solche Vollstreckungsmöglichkeit, sind die Handlungsmöglichkeiten des Schuldnerunternehmens de facto um den titelbetroffenen Bereich vermindert. Es ist deshalb richtig, Unterlassungsklagen gegen den Schuldner als Passivprozesse zu behandeln. Hierfür spricht nicht zuletzt auch die teleologische Überlegung, dass nicht einzusehen ist, warum der möglicherweise in seinen Rechten verletzte Unterlassungskläger keine eigene Aufnahmemöglichkeit haben soll. 3. Aussetzung des Wettbewerbsprozesses und Vorlage an den EuGH a) Allgemeines. Für den Wettbewerbsprozess vorgreifliche Parallelverfahren können zur (er- 564 messensabhängigen) Aussetzung nach § 148 ZPO führen.1533 Dabei genügt es jedoch nicht, wenn in einem Parallelverfahren dieselbe Rechtsfrage zur Entscheidung ansteht.1534 In geeigneten Fällen können die Parteien jedoch eine „Musterprozessabrede“ treffen und unter Verjährungsverzicht übereinstimmend das Ruhen des Verfahrens beantragen. Die Verfahrensaussetzung nach § 148 ZPO ist im UWG-Prozess selten, da anders als in Verfahren über die Verletzung gewerblicher Schutzrechte1535 keine vorgreiflichen Verfahren über den Rechtsbestand des Klageschutzrechts in Betracht kommen. Das kann sicherlich zu einer mehrfachen Prüfung derselben Rechts1529 Zur Frage der vermögensrechtlichen Natur eines auf Ehrverletzung klagenden Unterlassungsanspruchs BGH 20.11.1984 – VI ZR 79/83 – NJW 1985, 809.

1530 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.99; Teplitzky Kap. 48 Rn. 7; Uhlenbruck/Uhlenbruck § 85 InsO Rn. 18. 1531 RG 6.1.1932 – I 295/30 – RGZ 134, 378, 379; BGH 21.10.1965 – I a ZR 144/63 – NJW 1966, 51 – Dia-Rähmchen III; BGH 19.11.1982 – I ZR 99/80 – GRUR 1983, 179, 180 – Stapel-Automat; KG 26.1.2001 – 5 U 4102/99 – GRUR-RR 2002, 125, 126; Harte/Henning/Brüning Vorb. zu § 12 Rn. 218; zu der Annahme, dass es sich um einen Passivprozess handelt, kam bereits K. Schmidt ZZP 90 (1977), 54; vgl. auch Teplitzky Kap. 48 Rn. 13. 1532 BGH 18.3.2010 – I ZR 158/07 – GRUR 2010, 536 – Modulgerüst II; OLG Köln 31.8.2007 – 6 U 80/02 – ZIP 2008, 518, 519; Teplitzky Kap. 48 Rn. 13 m. w. N. 1533 Einzelheiten bei Teplitzky Kap. 48 Rn. 17–19. 1534 BGH 30.3.2005 – X ZB 26/04 – BGHZ 162, 373 = GRUR 2005, 615, 616; im Umkehrschluss aus BVerfG 8.10.2003 – 2 BvR 1309/03 – NJW 2004, 501, 502; Wieczorek/Schütze/Smid § 148 ZPO Rn. 43; Musielak/Stadler § 148 ZPO Rn. 5. 1535 Teplitzky Kap. 48 Rn. 20–23 m. w. N. 673

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

frage durch die Gerichte führen. Vorgreifliche Rechtsfragen begründen jedoch kein die Aussetzung ermöglichendes Rechtsverhältnis im Sinne des § 148 ZPO.1536 Ist eine für das anhängige Verfahren erhebliche Rechtsnorm Gegenstand eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Union, kommt eine Aussetzung in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO in Betracht. Denn die Gerichte der Mitgliedsstaaten sind verpflichtet, loyal mit dem EuGH zusammenzuarbeiten. Dies kann es im Einzelfall erfordern, den Ausgang eines Vorabentscheidungsverfahrens abzuwarten.1537 Dabei ist freilich vorausgesetzt, dass die in dem auszusetzenden Verfahren entscheidungserhebliche Auslegungsfrage mit dem Gegenstand des Vorlageverfahrens identisch ist.1538 Bei nur ähnlichen Rechtsfragen oder Vorfragen muss das Gericht entweder selbst dem EuGH vorlegen oder den Rechtsstreit ohne Vorlage entscheiden. 565 Vorlagen an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV werden üblicherweise bei der Erörterung von Verfahrensunterbrechungen mitbehandelt. Genau genommen führt die Vorlage an den EuGH aber nicht zu einer Aussetzung des Verfahrens, da die Beantwortung einer vorgreiflichen Rechtsfrage des Unionsrechts im Rahmen eines Zwischenstreits erfolgt.1539 Das Vorabentscheidungsverfahren erscheint als Teil des Ausgangsprozesses, so dass es an einem rechtlichen Verfahrensstillstand fehlt. Sachlich entspricht das durchaus der Praxis der deutschen Gerichte, da eine sofortige Beschwerde (§ 252 ZPO) gegenüber einem Vorlagebeschluss als unzulässig angesehen wird.1540 Wäre der Vorlagebeschluss mit einer Aussetzungsentscheidung verbunden, müsste eine sofortige Beschwerde statthaft sein. Im Ergebnis überzeugt es, Vorlageentscheidungen sachlich als Zwischenstreit ohne Möglichkeit eines Rechtsmittels zu behandeln. Gegenstand ist die Klärung einer für den Rechtsstreit erheblichen Frage des Unionsrechts. Die Parteien können durch ein solches objektives Klärungsverfahrens nicht in Rechten verletzt sein, die es erfordern würden, Rechtsmittel zuzulassen.

566 b) Insbesondere: Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union. Zur Vorlage an den EuGH in Vorabentscheidung ist jedes Gericht eines Mitgliedstaates berechtigt. Letztinstanzlich entscheidende Gerichte sind hierzu verpflichtet (Art. 267 Abs. 3 AEUV), wobei es darauf ankommt, ob das über die Vorlage entscheidende Gericht in concreto letztinstanzlich entscheidet, nicht ob es im Instanzenzug per se die Stellung eines letztinstanzlichen (Revisions-)Gerichts hat.1541 Diese konkrete Betrachtungsweise entspricht der Rechtsprechung des EuGH und wird auch durch den Wortlaut des Art. 267 Abs. 3 AEUV nahegelegt.1542 Nach nationalem Verfassungsrecht (Art. 101 GG) besteht mittelbar eine Vorlageverpflichtung, 567 da der EuGH gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 GG ist.1543 Im Verfassungsbeschwerdeverfahren kann indessen nur eine „objektiv willkürliche“ Nichtvorlage gerügt werden.1544 Das mag

1536 BGH 30.3.2005 – X ZB 26/04 – GRUR 2005, 615, 616 – Aussetzung wegen Parallelverfahren; Teplitzky Kap. 48 Rn. 18.

1537 OLG Düsseldorf 2.12.1992 – 18 W 58/92 – NJW 1993, 1661; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 201; Teplitzky Kap. 48 Rn. 18; Beyerlein WRP 2006, 731, 734.

1538 OLG Düsseldorf 2.12.1992 – 18 W 58/92 – NJW 1993, 1661. 1539 LG Darmstadt 29.10.2008 – 7 S 200/08 – NJW-RR 2009, 858; Lenz/Borchardt Art. 267 AEUV Rn. 54; Teplitzky Kap. 48 Rn. 25 m. w. N.

1540 OLG Köln 13.5.1977 – 6 W 80/76 – WRP 1977, 734, 735; OLG Celle 10.10.2008 – 9 W 78/08 – NJW-RR 2009, 857; MünchKommZPO/Gehrlein § 252 Rn. 16; kritisch dazu T. Pfeiffer NJW 1994, 1997.

1541 BGH 2.10.2002 – I ZB 27/00 – GRUR 2003, 546, 548 – TURBO-TABS; Streinz/Ehricke Art. 267 AEUV Rn. 41. 1542 EuGH 4.6.2002 – Rs. C-99/00 – EuZW 2002, 476 Tz. 16 – Kenny Roland Lyckeskog; Streinz/Herrmann GRUR Int. 2004, 459, 460.

1543 BVerfG 21.5.2008 – 2 BvR 893/08 – EuZW 2008, 679, 680; BVerfG 6.7.2010 – 2 BvR 2661/06 – BVerfGE 126, 286 = EuZW 2010, 828 Tz. 88 – Honeywell.

1544 BayVerfGH 8.2.1985 – Vf 57 – VI – 84 – NJW 1985, 2894, 2895; BVerfG 21.5.2008 – 2 BvR 893/08 – EuZW 2008, 679, 680; Fastenrath FS Ress, S. 471; Streinz/Ehricke Art. 267 AEUV Rn. 52. Herrmann

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VII. Verfahrensunterbrechungen

Vor §§ 12–15a A

man für unzureichend halten, entspricht aber der vom BVerfG im Verfassungsbeschwerdeverfahren ausgeübten begrenzten Kontrolle.1545 Die Vorlage an den EuGH dient der Sicherung einer einheitlichen Anwendung des Unions- 568 rechts. Es handelt sich somit um ein objektives Verfahren und keine Erweiterung subjektiver Rechtsschutzmöglichkeiten.1546 Eine Vorlage hat zu unterbleiben, wenn die Frage zur Auslegung des Unionsrechts entweder 569 von dem Gerichtshof bereits entschieden ist („acte éclairé“) oder kein vernünftiger Zweifel daran besteht, wie der Gerichtshof entscheiden würde („acte claire“).1547 Wegen der Einzelheiten muss auf die Kommentierungen zu Art. 267 AEUV verwiesen werden, da es sich nicht um eigens wettbewerbsrechtliche Fragestellungen handelt. Im Eilrechtsschutz besteht grundsätzlich keine Vorlageverpflichtung.1548 Das Gericht muss 570 deshalb die im Eilrechtsschutz relevante Frage des Unionsrechts grundsätzlich selbst entscheiden.1549 Soweit keine Vorlageverpflichtung besteht, ist das Gericht wegen des Eilcharakters des Verfügungsverfahrens zur Vorlage auch nicht berechtigt.1550 Jedoch muss dann eine Vorlageverpflichtung auch im Eilverfahren bestehen, wenn nicht gewährleistet ist, dass beide Parteien eine Überprüfung der im Eilverfahren relevanten Frage des Unionsrechts in einem nachfolgenden Hauptsacheverfahren erzwingen können. Denn Eilverfahren sind nur deshalb von der Vorlagepflicht ausgenommen, weil eine Klärung der relevanten Fragen in einem Hauptsacheverfahren erfolgen und es deshalb nicht zu einer Verfestigung einer instanzgerichtlichen Auslegung unionsrechtlicher Fragen ohne Vorlagemöglichkeit kommen kann. Diese Fallgruppe ist in der Rechtsprechungspraxis bislang, soweit ersichtlich, noch nicht anerkannt worden. Eine EuGH-Vorlage auch in Eilverfahren kann beispielsweise bei Gerichtsstandsfragen und bei Fragen der internationalen Zuständigkeit entscheidungserheblich werden, wenn nämlich der Kläger durch Erhebung der Hauptsacheklage vor einem zweifelsfrei zuständigen (insbesondere auch ausländischen) Gericht die erneute Prüfung der im Eilrechtsschutz nur vorläufig beantworteten Frage des Unionsrechts verhindern kann.1551

c) Insbesondere: Aussetzung nach Art. 16 der VO 1/2003/EG. Die Aussetzung von Wett- 571 bewerbsverfahren wegen vorgreiflicher Kartellverfahren hat bis zur Aufhebung des § 96 Abs. 2 GWB in der Praxis eine nicht unerhebliche Rolle gespielt.1552 Nach geltendem Recht kann eine Verfahrensaussetzung nunmehr in Betracht kommen, wenn die Entscheidung eines anhängigen 1545 Zu den Voraussetzungen einer willkürlichen Nichtvorlage vgl. Teplitzky Kap. 48a Rn. 4–6 m. w. N. 1546 Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf/Müller-Terpitz Art. 101 GG Rn. 13. 1547 EuGH 6.10.1982 – Rs. 283/81 – Slg. 1982, 3415 = NJW 1983, 1257, 1258 – CILFIT; Streinz/Ehricke Art. 267 AEUV Rn. 47; M. Schröder EuR 2011, 808.

1548 EuGH 27.10.1982 – verb. Rs. 35/82, 36/82 – Slg. 1982, 3723 = NJW 1983, 2751 – Morson; Wieczorek/Schütze/ Smid § 148 ZPO Rn. 14; Calliess/Ruffert/Wegener Art. 267 AEUV Rn. 30.

1549 Vgl. hierzu die Kommentierung von Schwippert § 12 Rn. 169; sowie die Nachweise bei Teplitzky Kap. 55 Rn. 21 mit Fn. 121. 1550 HansOLG Hamburg 10.4.2002 – 5 U 63/01 – GRUR-RR 2002, 360, 361 – Pigmentiergerät; OLG Karlsruhe 22.9.1993 – 6 U 92/93 – GRUR 1994, 283, 285 – Eileen Gray; OLG München 17.4.1986 – 6 U 6192/85 – OLGZ 1988, 230, 231; OLG Düsseldorf 24.7.2012 – I-20 W 141/11 – NJOZ 2012, 1930 Tz. 58; Berneke Rn. 153 m. w. N.; Teplitzky Kap. 55 Rn. 21 m. w. N. in Fn. 120. 1551 A. A. jedoch OLG Düsseldorf 24.7.2012 – I-20 W 141/11 – NJOZ 2012, 1930 Tz. 58: „Ein einzelstaatliches Gericht […] ist daher nicht verpflichtet, dem Gerichtshof eine Auslegungsfrage vorzulegen, wenn sich die Frage in einem Verfahren der einstweiligen Anordnung stellt und die zu erlassende Entscheidung das Gericht, […] nicht bindet, sofern es jeder Partei unbenommen bleibt, – auch vor den Gerichten eines anderen Gerichtszweigs – ein Hauptverfahren, in dem jede im summarischen Verfahren vorläufig entschiedene Frage des Unionsrechts erneut geprüft werden und den Gegenstand einer Vorlage nach Art. 267 AEUV bilden kann, entweder selbst einzuleiten oder dessen Einleitung zu verlangen.“. 1552 Zur Aussetzung nach § 96 II GWB a. F. LG Wuppertal 12.6.1996 – 17 O 470/93 – CR 1996, 732, 734. 675

Herrmann

Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Rechtsstreits zu einem Widerspruch mit einer ergangenen oder beabsichtigten Entscheidung der Kommission der Europäischen Union in einem Kartellverfahren steht oder stehen würde (Art. 16 der VO 1/2003/EG). Erlangt das deutsche Wettbewerbsgericht Kenntnis von einem Kommissionsverfahren, das den Gegenstand des vor ihm anhängigen Verfahrens betrifft, wird es sich regelmäßig bei der Kommission über den Stand und die voraussichtliche Entscheidung der Kommission zu erkundigen und zu diesem Zweck das bei ihm anhängige Verfahren auszusetzen haben.1553

4. Aussetzung im Verfahren einstweiliger Verfügung 572 Eine Aussetzung kommt im Verfahren einstweiliger Verfügung grundsätzlich nicht in Betracht.1554 Nur soweit das Verfügungsverfahren faktisch an die Stelle des Hauptsacheverfahrens tritt (insbesondere in Ehrenschutzsachen), kann das Gericht des Eilrechtsschutzes zur Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG berechtigt und verpflichtet sein.1555 Dies gilt auch außerhalb der Ehrenschutzfälle stets dann, wenn nicht beide Parteien des Eilverfahrens die entscheidungserhebliche Vorfrage in einem nachfolgenden Hauptsacheverfahren zur erneuten Überprüfung (auch im Wege einer Vorlage nach Art. 100 GG oder nach Art. 267 AEUV) stellen können. Eine Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG ist ferner insbesondere dann erforder573 lich, wenn das Ergebnis des Eilverfahrens sachlich die Hauptsache vorwegnimmt.1556 Bei einer wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsverfügung ist dies für die Dauer ihrer Geltung indessen stets anzunehmen, da unterlassene Handlungen nicht nachgeholt werden können.1557 Da das BVerfG aber keine Superrevisionsinstanz ist, muss das Gericht des Eilrechtsschutzes dennoch im Einzelfall prüfen, ob die Verweisung auf ein Hauptsacheverfahren und die dort zweifelsfrei bestehende Vorlagepflicht geboten ist.1558 Kommt das Gericht im Verfahren einstweiliger Verfügung zu dem Ergebnis, dass eine 574 entscheidungserhebliche Norm zwar verfassungswidrig sei, eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG aber gleichwohl im Eilverfahren nicht in Betracht komme, ist das Gericht berechtigt, im Eilverfahren selbst die aus seiner Sicht gebotenen Folgen aus der von ihm erkannten Verfassungswidrigkeit der Norm zu ziehen.1559 Die Fachgerichte sind nach Auffassung des BVerfG durch Art. 100 GG nicht gehindert, schon vor der im Hauptsacheverfahren einzuholenden Entscheidung des BVerfG auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn dies nach den Umständen des Falles im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten erscheint und die Hauptsacheentscheidung dadurch nicht vorweggenommen wird.1560 Bei erkannter Verfassungswidrigkeit einer anspruchsbegründenden Norm muss der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung deshalb zurückgewiesen werden.1561

1553 EuGH 14.12.2000 – C-344/98 – Slg. 2000, I-11369 = GRUR Int. 2001 Tz. 27 – Masterfoods; Immenga/Mestmäcker Einleitung Rn. 54.

1554 HansOLG Hamburg 10.4.2002 – 5 U 63/01 – GRUR-RR 2002, 360, 361 – Pigmentiergerät; OLG Karlsruhe 22.9.1993 – 6 U 92/93 – GRUR 1994, 283, 285 – Eileen Gray; OLG München 17.4.1986 – 6 U 6192/85 – OLGZ 1988, 230, 231; OLG Düsseldorf 24.7.2012 – I-20 W 141/11 – NJOZ 2012, 1930 Tz. 58; Berneke Rn. 153 m. w. N.; Teplitzky Kap. 55 Rn. 21 m. w. N. in Fn. 118 und 120; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 148 ZPO Rn. 14; MünchKommZPO/Wagner § 148 Rn. 3. 1555 Teplitzky Kap. 55 Rn. 22. 1556 Teplitzky Kap. 55 Rn. 22. 1557 Teplitzky Kap. 55 Rn. 22; Berneke Rn. 152. 1558 Hierzu GK-UWG/Schwippert § 12 Rn. 188. 1559 BVerfG 24.6.1992 – 1 BvR 1028/91 – NJW 1992, 2749, 2750. 1560 BVerfG 24.6.1992 – 1 BvR 1028/91 – NJW 1992, 2749, 2750. 1561 Hierzu auch GK-UWG/Schwippert § 12 Rn. 189. Herrmann

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Übersicht

Vor §§ 12–15a A

5. Prozessuale Behandlung Den Eintritt einer Verfahrensunterbrechung stellt das Gericht durch Zwischenurteil (§ 303 ZPO) 575 fest, das nicht selbständig, sondern nur zusammen mit dem Endurteil anfechtbar ist.1562 Aussetzungsentscheidungen ergehen demgegenüber in Beschlussform. Sie sind nach § 252 ZPO mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar. Vorlageentscheidungen (nach Art. 100 GG oder nach Art. 267 AEUV) sind nicht selbständig anfechtbar, weil es sich – wie bereits in Rn. 565 ausgeführt und belegt – nicht um Aussetzungsentscheidungen im Sinne des § 252 ZPO handelt. Sie leiten vielmehr einen Zwischenstreit ein, ohne dass es zu einem rechtlichen Verfahrensstillstand kommt.1563

VIII. Rechtskraft Schrifttum Bötticher Kritische Beiträge zur Lehre der materiellen Rechtskraft im Zivilprozess (1930); Gaul Die Erstreckung und Durchbrechung der Urteilswirkungen nach §§ 19, 20 AGBG, FS Beitzke (1979) 997; Grosch Rechtswandel und Rechtskraft bei Unterlassungsurteilen (2002); Grosch/Schilling Rechnungslegung und Schadensersatzfeststellung für die Zeit nach Schluss der mündlichen Verhandlung? FS Eisenführ (2003) 131; Grunsky Grundlagen des Verfahrensrechts, eine vergleichende Darstellung von ZPO, FGG, VwGO, FGO, SGG, 2. Aufl. (1974); Henckel Prozeßrecht und materielles Recht (1970); ders. Der vorbeugende Rechtsschutz im Zivilrecht, ACP 174 (1974), 97; Lindacher Unterlassungsurteil und Rechtsprechungsänderung, GS M. Wolf (2011) 473; Reischl Die objektiven Grenzen der Rechtskraft im Zivilprozeß (2002); Rüßmann Die Bindungswirkung rechtskräftiger Unterlassungsurteile, FS Lüke (1997) 675; Schilken Verfahrensrechtliche Probleme nach dem AGB-Gesetz, Eine Untersuchung zu §§ 19, 31 AGBG, Recht und Wirtschaft, Osnabrück Rechtswissenschaftliche Abhandlungen (1985), 99; Schwab Der Streitgegenstand im Zivilprozess (1954); ders. Die Bedeutung der Entscheidungsgründe, FS Bötticher (1954) 321; ders. Besprechung von J. Habscheid, Der Streitgegenstand im Zivilprozeß und im Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, ZZP 71 (1958), 155; Teplitzky Streitgegenstand und materielle Rechtskraft im wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsprozess, GRUR 1998, 320; Ulrich Die Vollstreckungsabwehrklage in Wettbewerbssachen, FS Traub (1994) 423; ders. Abänderungsklage (§ 323 ZPO) oder/und Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) bei „unrichtig gewordenen“ Unterlassungstiteln? WRP 2000, 1054.

Übersicht 1.

2.

Grundbegriffe und Systematik der Rechts576 kraft a) Rechtskraft als notwendiges Element materieller Rechtsprechung zur Klärung 576 ungewissen Rechts aa) Die Offenheit des Rechtssys576 tems bb) Die rechtskräftige Entscheidung des streitigen Einzelfalls – Der Prozess als 578 finites Verfahren cc) Grenzen der Rechtsprechung und der Rechtskraft als Entscheidung streiti580 ger Einzelfälle b) Grundbegriffe der Rechtskraftsystema581 tik 585 Ne bis in idem

a)

Grundsätze 585 aa) Rechtskraft als negative Prozessvo586 raussetzung 587 bb) Derselbe Streitgegenstand 587 (1) Grundsätze (2) Ausnahmen für konkrete Unterlassungsurteile unter Ausschluss aller kerngleicher Abwandlun587 gen (3) BGH „Leistungspakete im Preisvergleich“ – Enger Streitgegenstandsbegriff ohne Bezug auf den Umfang der Verbots587a norm 590 cc) Kontradiktorisches Gegenteil

1562 BGH 21.4.2010 – IX ZB 205/03 – NJW 2005, 290, 291. 1563 Lenz/Borchardt Art. 267 AEUV Rn. 54. 677

Grosch

Übersicht

Vor §§ 12–15a A

5. Prozessuale Behandlung Den Eintritt einer Verfahrensunterbrechung stellt das Gericht durch Zwischenurteil (§ 303 ZPO) 575 fest, das nicht selbständig, sondern nur zusammen mit dem Endurteil anfechtbar ist.1562 Aussetzungsentscheidungen ergehen demgegenüber in Beschlussform. Sie sind nach § 252 ZPO mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar. Vorlageentscheidungen (nach Art. 100 GG oder nach Art. 267 AEUV) sind nicht selbständig anfechtbar, weil es sich – wie bereits in Rn. 565 ausgeführt und belegt – nicht um Aussetzungsentscheidungen im Sinne des § 252 ZPO handelt. Sie leiten vielmehr einen Zwischenstreit ein, ohne dass es zu einem rechtlichen Verfahrensstillstand kommt.1563

VIII. Rechtskraft Schrifttum Bötticher Kritische Beiträge zur Lehre der materiellen Rechtskraft im Zivilprozess (1930); Gaul Die Erstreckung und Durchbrechung der Urteilswirkungen nach §§ 19, 20 AGBG, FS Beitzke (1979) 997; Grosch Rechtswandel und Rechtskraft bei Unterlassungsurteilen (2002); Grosch/Schilling Rechnungslegung und Schadensersatzfeststellung für die Zeit nach Schluss der mündlichen Verhandlung? FS Eisenführ (2003) 131; Grunsky Grundlagen des Verfahrensrechts, eine vergleichende Darstellung von ZPO, FGG, VwGO, FGO, SGG, 2. Aufl. (1974); Henckel Prozeßrecht und materielles Recht (1970); ders. Der vorbeugende Rechtsschutz im Zivilrecht, ACP 174 (1974), 97; Lindacher Unterlassungsurteil und Rechtsprechungsänderung, GS M. Wolf (2011) 473; Reischl Die objektiven Grenzen der Rechtskraft im Zivilprozeß (2002); Rüßmann Die Bindungswirkung rechtskräftiger Unterlassungsurteile, FS Lüke (1997) 675; Schilken Verfahrensrechtliche Probleme nach dem AGB-Gesetz, Eine Untersuchung zu §§ 19, 31 AGBG, Recht und Wirtschaft, Osnabrück Rechtswissenschaftliche Abhandlungen (1985), 99; Schwab Der Streitgegenstand im Zivilprozess (1954); ders. Die Bedeutung der Entscheidungsgründe, FS Bötticher (1954) 321; ders. Besprechung von J. Habscheid, Der Streitgegenstand im Zivilprozeß und im Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, ZZP 71 (1958), 155; Teplitzky Streitgegenstand und materielle Rechtskraft im wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsprozess, GRUR 1998, 320; Ulrich Die Vollstreckungsabwehrklage in Wettbewerbssachen, FS Traub (1994) 423; ders. Abänderungsklage (§ 323 ZPO) oder/und Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) bei „unrichtig gewordenen“ Unterlassungstiteln? WRP 2000, 1054.

Übersicht 1.

2.

Grundbegriffe und Systematik der Rechts576 kraft a) Rechtskraft als notwendiges Element materieller Rechtsprechung zur Klärung 576 ungewissen Rechts aa) Die Offenheit des Rechtssys576 tems bb) Die rechtskräftige Entscheidung des streitigen Einzelfalls – Der Prozess als 578 finites Verfahren cc) Grenzen der Rechtsprechung und der Rechtskraft als Entscheidung streiti580 ger Einzelfälle b) Grundbegriffe der Rechtskraftsystema581 tik 585 Ne bis in idem

a)

Grundsätze 585 aa) Rechtskraft als negative Prozessvo586 raussetzung 587 bb) Derselbe Streitgegenstand 587 (1) Grundsätze (2) Ausnahmen für konkrete Unterlassungsurteile unter Ausschluss aller kerngleicher Abwandlun587 gen (3) BGH „Leistungspakete im Preisvergleich“ – Enger Streitgegenstandsbegriff ohne Bezug auf den Umfang der Verbots587a norm 590 cc) Kontradiktorisches Gegenteil

1562 BGH 21.4.2010 – IX ZB 205/03 – NJW 2005, 290, 291. 1563 Lenz/Borchardt Art. 267 AEUV Rn. 54. 677

Grosch

Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

(1) (2)

3.

4.

Grundsätze 590 Leistungsklage und Feststel591 lungsklage (3) Abweisung der Unterlassungs592 klage b) Ausnahmen vom Wiederholungsver595 bot 595 aa) Verlust des Titels bb) Zweifel am Umfang des Titels und feh596 lende Bestimmtheit 596 (1) Titelfeststellungsklage 598 (2) Leistungsklage 600 (3) Bewertung 605 cc) Drohende Verjährung 606 Präjudizialität a) Maßgeblichkeit der festgestellten Rechts606 folge 607 b) Bindungswirkung c) Feststellungsurteil für nachfolgendes Leis608 tungsurteil präjudiziell d) Zur präjudiziellen Wirkung zwischen Unterlassungs- und Schadensersatzur609 teil aa) BGH „Faxkarte“ – gesetzliche Unter609 lassungsansprüche bb) BGH „Gliedermaßstäbe“ – Vertragli611 che Unterlassungsansprüche cc) Neuere BGH-Rechtsprechung zum all612 gemeinen Zivilrecht dd) Zeuners Lehre von der Präjudizialität 613 bei Sinnzusammenhängen 614 ee) Weiteres Schrifttum 615 ff) Stellungnahme Zeitliche Grenzen der Rechtskraft und die Statthaftigkeit nachträglicher Änderungen gegen622 über dem rechtskräftigen Urteil 622 a) Grundsätze b) Besonderheiten bei Unterlassungsurtei625 len

c)

d)

Rechtsvernichtende materielle Einwendun626 gen bei Unterlassungsansprüchen aa) Wegfall der Begehungsgefahr als rechtsvernichtende Einwen626 dung 628 bb) Stellungnahme Neue Wertungen als Basis für rechtsver630 nichtende Einwendungen aa) Problemstellung und Grund630 sätze 634 bb) Gesetzesänderung cc) Änderung der Rechtspre636 chung (1) Allgemeine Auffassung zum 637 Kern der Rechtskraft (2) BGH „Mescher weis“ zu wettbewerbsrechtlichen Unterlas638 sungsurteilen (3) Bewertungswandel mit Blick auf Tatsachenfeststellun639 gen dd) Anwendbarkeit von § 767 ZPO, keine Anwendbarkeit von 643 § 323 ZPO ee) Schrifttum zur Änderung rechtskräftiger Unterlassungsurteile aufgrund 645 neuer Wertungen 648 ff) Stellungnahme (1) Neue Wertungen grundsätzlich 648 berücksichtigungsfähig (2) Keine Beschränkung auf eine neue höchstrichterliche Recht649 sprechung (3) Zum maßgeblichen Zeit651 punkt (4) Zum zulässigen Rechtsbe655 helf

1. Grundbegriffe und Systematik der Rechtskraft a) Rechtskraft als notwendiges Element materieller Rechtsprechung zur Klärung ungewissen Rechts 576 aa) Die Offenheit des Rechtssystems. Außerhalb eines Prozesses und unabhängig von einem Richterspruch kann man (und der Anwalt muss es als Berater und der Jurist muss es als Rechtswissenschaftler jeden Tag) Erwägungen darüber anstellen, was nach materiellem Recht richtig oder falsch ist. Man kann und muss in diesem Kontext auch Richtersprüche aufgrund ihrer Begründung bewerten1564 und die gerichtlichen Entscheidungen sind, kraft ihrer Begründung als Präjudizien Teil des gesamten Argumentationskontextes, Elemente des Gesamtsystems 1564 Man tut dies insofern allerdings vom Standpunkt des Beobachters des Verfahrens, nicht als Handelnder desselben, hierzu Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 4. Grosch

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VIII. Rechtskraft

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des heute geltenden Rechts. Es fehlt aber in einem „offenen System“ des rechtswissenschaftlichen Verfahrens1565 ein absolutes Richtigkeitskriterium1566 für jede dieser Aussagen und es fehlt diesen Aussagen an einer Legitimation für einen Letztverbindlichkeitsanspruch. Solche Aussagen können und müssen regelmäßig aufgrund besserer Erkenntnisse revidiert werden. Es gibt, wie Pawlowski zutreffend formuliert hat,1567 in der rechtswissenschaftlichen Diskussion keine rechtskräftigen Entscheidungen. Insofern kann und muss auch eine feststehende Rechtsprechungslinie geändert werden 577 können.1568 Das gilt unabhängig davon, ob man eine formale Bindungswirkung von Präjudizien (stare decisis)1569 wie im common law bejaht oder wie im deutschen Recht verneint. Dabei muss dann gerade nicht auf eine konkrete Änderung der Tatsachen Bezug genommen werden, es muss also nicht gezeigt oder begründet werden, dass sich neue Umstände entwickelt haben, die es aus Gründen der Konsistenz erforderlich machen, heute anders zu entscheiden. Das wird bei Abgrenzungen von früheren Entscheidungen – im common law „distinguishing“ genannt – zwar oft der Fall sein. Doch kommt auch eine Rechtsprechungsänderung im Sinne einer reinen Änderung der Wertungen oder der „besseren Erkenntnis“ in Betracht1570 (im common law würde man von einem „overruling“ eines „precedent“ sprechen). Auch eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung kann aufgrund eines reinen Erkenntnisfortschritts geändert werden.1571 Ferner ist es oft nicht genau zu artikulieren – und wird auch nicht immer vollständig benannt – worin der Grund für einen geänderten oder abgewandelten „Obersatz“ liegt, ob also die frühere Linie, die aufgegeben wird, schon ursprünglich unzutreffend war (das wäre der reine Erkenntnisfortschritt) oder ob im System des heute geltenden Rechts (mit allen zu beachtenden Vorentscheidungen) Änderungen eingetreten sind, die diese Linie jedenfalls heute bei konsistenter Handhabung des Gesamtsystems als nicht mehr zutreffend erscheinen lassen.1572 Man kann auch die Parteien eines Verfahrens nicht an solche Obersätze dauerhaft binden, weil diese sonst von der allgemeinen Entwicklung abgekoppelt würden. Zwischen den Parteien würde ein Rechtssatz festgeschrieben, der künftige Tatsachen und künftige Subsumtion erfasst, der aber nur aus dem System des zum Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Rechts verstehbar und zu rechtfertigen ist.

1565 Hierzu Canaris Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, § 3 Die Offenheit des Systems, S. 61 ff.; ebenso Coing Grundzüge der Rechtsphilosophie, 4. Auflage, S. 350 ff., 353.

1566 Ein solches fehlt erkenntnistheoretisch immer, Aussagen kann man falsifizieren, nicht aber verifizieren, man kann bessere von schlechteren Argumenten unterscheiden, es gibt aber kein absolutes Wahrheits- und kein absolutes Richtigkeitskriterium; so überzeugend die Wissenschaftstheorie des kritischen Rationalismus, insbesondere vertreten von Karl Popper Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Band II Anhänge „Tatsachen, Maßstäbe und Wahrheit – Eine weitere Kritik des Relativismus“ Ziff. 13, S. 479 f. 1567 Pawlowski Methodenlehre, Rn. 173b. 1568 Stein/Jonas/Althammer § 322 Rn. 74 f. 1569 Stare decisis et non quieta movere. Diese Doktrin bezieht sich immer nur ganz eng auf die ratio decidendi des Urteils, nie auf obiter dicta oder für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht erforderliche Verallgemeinerungen, hierzu bereits eine frühe Entscheidung des U.S. Supreme Courts aus dem Jahre 1821: Cohens v. Virginia 19 U.S. (6 Wheat.) 264, 399 ff. = 5.E.d. 257 (1821) sowie U.S. v. R.J. Saunders, 42 C.C.P.A. 128, 136 (1955); aus der jüngeren Rechtsprechung etwa Patterson v. McLean Credit Union, 491 U.S. 164, 172 = 109 S.Ct. 2362 = 105 L.Ed.2d 132 (1989); ausführlich hierzu Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 406 ff. 1570 Canaris spricht hier von einem „wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt“, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 62, Pawlowski vom „Fortschritt der Rechtserkenntnis im engeren Sinne“, Methodenlehre, Rn. 423, 540. 1571 Wenn auch aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes hier eine höhere Hürde zu nehmen ist. Der Große Zivilsenat hat hierzu formuliert, dass „deutlich überwiegende oder sogar schlechthin zwingende Gründe“ für diese Abweichung sprechen müssen, BGH 4.10.1982, BGHZ 85, 64, 66 = NJW 1983, 228. 1572 Zum Ganzen ausführlich Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 311, 314. 679

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

578 bb) Die rechtskräftige Entscheidung des streitigen Einzelfalls – Der Prozess als finites Verfahren. Die Jurisprudenz unterscheidet sich allerdings wesentlich von anderen Wissenschaften, indem sie Verfahren zur letztverbindlichen Klärung streitigen Rechts (eines Einzelfalls) zwischen den Parteien des Verfahrens durch einen neutralen Dritten etablieren muss. Dem Richterspruch als Ergebnis dieses Verfahrens muss ein Letztverbindlichkeitsanspruch in Gestalt der Rechtskraft zukommen. Dieser Letztverbindlichkeitsanspruch einer gerichtlichen Entscheidung ist der Definition materieller Rechtsprechung im Sinne des Art. 92 GG immanent.1573 Er nährt sich allerdings nicht aus der bloßen staatlichen Autorität, die sich etwa im Vollstreckungszwang äußert, sondern aus der Organisation des gerichtlichen Verfahrens, die den Grundsätzen des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), als der prozessual strukturbildenden Norm, genügt1574 und die auf die Klärung des außerhalb des Verfahrens ungewissen Rechts zielt.1575 Deshalb wird auch Schiedssprüchen diese Letztverbindlichkeit zugebilligt (§ 1055 ZPO),1576 während sich die Bestandskraft von Verwaltungsakten, die nicht Ergebnis eines Prozesses, sondern exekutive Rechtsanwendung sind, von der Rechtskraft ganz grundlegend unterscheidet.1577 579 Die Rechtskraft des Urteils ist mithin das jedem gerichtlichen Streitverfahren zur Klärung ungewissen Rechts zwingend immanente Ziel.1578 Die Rechtskraft ist zwar in ihrer Reichweite grundsätzlich der gesetzgeberischen Ausgestaltung zugänglich. Ohne einen Mindestbestand von letztverbindlicher Bindungswirkung ist aber ein gerichtliches Streitverfahren, das auf eine Entscheidung angelegt ist, nicht denkbar.1579 In diesem Sinne hat das BVerfG in seinem Urteil vom 1.7.19531580 in einer ausdrücklich für alle „Rechtsfindungsverfahren“ Geltung beanspruchenden Weise formuliert, dass eine gesetzliche Regelung, welche die Wiederaufnahme in Fällen geänderter Auffassung vom richtigen Recht erlaube, verfassungswidrig, weil mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar sei.1581 Der Instanzenzug muss an einem bestimmten Punkt enden und das zwischen den Parteien streitige Recht für einen bestimmten Zeitpunkt dergestalt 1573 Vgl. die Definitionen bei v. Münch/Kunig/Meyer GG, 6. Aufl., Art. 92 Rn. 19 a. E.; Heyde Handbuch des Verfassungsrechts § 33 Rn. 15; Stern Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland § 43 I 4e); Wilke Handbuch des Staatsrechts V, 3. Aufl., § 112 Rn. 72. 1574 Es entspricht herrschender Auffassung und ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass Art. 103 Abs. 1 GG auf zwei wesentlichen Erwägungen beruht; es konstituiert nicht nur das „prozessuale Urrecht des Menschen“, sondern ein „objektivrechtliches Verfahrensprinzip, das für ein gerichtliches Verfahren im Sinne des Grundgesetzes konstitutiv und grundsätzlich unabdingbar ist“, BVerfG 9.7.1980, BVerfGE 55, 1, 6; hierzu mit weiteren Nachweisen Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 292 ff. 1575 Grundlegend zur objektiven Ungewissheit des Rechts außerhalb des gerichtlichen Verfahrens und zur Rechtskraft als kategorialer Wirklichkeit des Rechts Binder Prozess und Recht, S. 199 ff., 212, 234 ff.; hierzu Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 274 f. 1576 Die Wirkungen des Schiedsspruchs mit Blick auf die Rechtskraft sind dieselben wie die eines staatlichen Gerichts, es gibt keine „Rechtskraft 2. Klasse“, Zöller/Geimer § 1055 Rn. 3; zur Qualität des Schiedsverfahrens als Rechtsprechung, BGH, 3.7.1975, BGHZ 65, 59, 61; 19.12.1968, BGH 51, 255, 258 f.; Stein/Jonas/Schlosser vor § 1025 Rn. 4; anders noch die früher herrschende Auffassung nach Inkrafttreten der CPO, vgl. Wach Handbuch des Deutschen Civilprozessrechts, 1885, § 7 I, S. 64 f. Das staatliche Gewaltmonopol drückt sich erst in der Vollstreckung aus, für die es ebenso wie für ein ausländisches Urteil einer staatlichen Vollstreckbarkeitserklärung bedarf (für den Schiedsspruch § 1060 Abs. 1 ZPO, für das ausländische Urteil § 723 Abs. 1 ZPO). 1577 Die Verwendung des Begriffs „Rechtskraft“ für Verwaltungsakte verbietet sich, weil sich gerade hierin die Rechtsanwendung der Exekutive, gegen die der Rechtsweg nach Art. 19 Abs. 4 GG zu den Gerichten (materielle Rechtsprechung im Sinne des Art. 92 GG) gegeben ist, unterscheidet, grundlegend Bettermann Gedächtnisschrift für Jellinek, S. 361, 383 sub 7c; Bettermann FS Lent (1957) 17, 24; hierzu Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 259 f.; ausführlich Smid Rechtsprechung, § 6, S. 363 ff., 371 ff. 1578 Hierzu Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 305 m. w. N. 1579 Vgl. bereits Mendelssohn-Bartholdy Die Rechtskraftwirkung des Schiedsspruchs, FS Franz Klein, S. 145, 154 f.; Stein/Jonas/Schumann Einl. I C Rn. 11 mit Fn. 21 (20. Auflage). 1580 BVerfG 1.7.1953, BVerfGE 2, 380, 396. 1581 BVerfG 1.7.1953, BVerfGE 2, 380, 403. Grosch

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VIII. Rechtskraft

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festgestellt werden, dass es nicht in anderen Verfahren zwischen den Parteien wieder erneut prozessiert und entschieden werden kann. Ansonsten wäre der Prozess kein finites Verfahren und hätte seinen Zweck verfehlt.1582 Rechtskraft ist also primär Rechtsgewissheit.1583 Die Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen ist mithin nicht lediglich eine rein am Maßstab der Zweckmäßigkeit orientierte Kategorie, sondern sie ist dem Begriff der Rechtsprechung und der streitentscheidenden gerichtlichen Entscheidung immanent.

cc) Grenzen der Rechtsprechung und der Rechtskraft als Entscheidung streitiger Ein- 580 zelfälle. Der Funktion der Rechtskraft gemäß kann eine solche Entscheidung mit Letztverbindlichkeitsanspruch aber nur einen streitigen Einzelfall betreffen und nicht eine abstrakte Rechtsfrage. Eine wesentliche Funktion an diesem für den Rechtsprechungsbegriff konstitutiven Punkt haben gerade auch das Feststellungsinteresse bei der Feststellungsklage (§ 256 ZPO)1584 sowie die Begehungsgefahr bei der Unterlassungsklage.1585 Durch deren richtige Handhabung wird sichergestellt, dass das gerichtliche Erkenntnisverfahren Streitentscheidung eines konkreten Einzelfalls bleibt und damit bindend (Rechtskraft) nur ein konkreter Subsumtionsschluss festgestellt wird. Immer dann, wenn das Ergebnis des Verfahrens soweit generalisiert, dass neue Sachverhalte unter das Ergebnis (Urteilstenor) subsumierbar wären, die das Gericht im Erkenntnisverfahren nicht geprüft hat, ist der Bereich dessen, was mit der der Rechtskraft eigenen Endgültigkeit entschieden werden kann, grundsätzlich verlassen. Insofern wird auch bei der Anwendung der Kernbereichslehre, nach der sich der Umfang der Rechtskraft bei Unterlassungsurteilen bestimmt, gefordert, dass der zu beurteilende Sachverhalt als im Erkenntnisverfahren mitentschieden erachtet werden kann (vgl. Rn. 855). Wenn die Rechtskraft weiter bemessen würde, wären die Folgen der Entscheidung für die Parteien nicht absehbar, was mit den Grundlagen des rechtlichen Gehörs nicht vereinbar wäre; den Parteien muss klar sein, worüber gestritten und entschieden wird.1586 Dass abstrakte Rechtsfragen keiner rechtskräftigen Entscheidung zugänglich sind, ist also nicht lediglich ein nicht begründbares Axiom, sondern hat seinen in den Grundlagen des rechtlichen Gehörs als der Strukturnorm des Prozesses wurzelnden notwendigen Grund.

b) Grundbegriffe der Rechtskraftsystematik. Das Ende des Prozesses zwischen den Partei- 581 en wird durch die Festlegung und Beschränkung von Rechtsmitteln festgelegt. Wenn ein Urteil mit Rechtsmitteln oder dem Einspruch (Versäumnisurteil) nicht mehr angegriffen werden kann oder die Rechtsmittelfrist – stets als Notfrist ausgestaltet – fruchtlos verstrichen ist, tritt formelle Rechtskraft ein (§ 705 ZPO). Das konkrete, mit einem Aktenzeichen bezeichnete Verfahren hat sein Ende; der „aktenmäßige Bestand“1587 der Entscheidung ist damit gesichert. Der Eintritt der formellen Rechtskraft wird durch die Einlegung eines Rechtsmittels (bei Urteilen Berufung oder Revision) oder des Einspruchs gehemmt. Die Rechtsmittelschrift (Berufungsschrift, § 519 Abs. 1 ZPO; Revisionsschrift § 549 Abs. 1 ZPO) muss insofern noch keine Anträge aufweisen, aus 1582 Vgl. hierzu Smid Rechtsprechung, S. 369 sub 3a). 1583 Ebenso Stein/Jonas/Althammer § 322 Rn. 28. 1584 Es entspricht ganz h. L., dass abstrakte Rechtsfragen kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis bilden, vgl. etwa BGH 7.6.2001 – I ZR 21/99 – GRUR 2001, 1036 – Kauf auf Probe. Hierzu und zum funktionalen Vergleich zwischen Feststellungsinteresse und Begehungsgefahr Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 85 ff. 1585 Besonders deutlich wird das auch bei der Erstbegehungsgefahr. Auch hier wird – ähnlich dem Feststellungsinteresse bei § 256 ZPO – ausgeschlossen, dass lediglich ein Rechtsgutachten judiziert wird. Es muss vielmehr ein konkreter Sachverhalt einer Verletzung vorliegen, der ähnlich der bereits vorgefallenen Verletzungshandlung das erforderliche Tatsachensubstrat für die Prüfung bildet, warum ein konkretes Verhalten rechtswidrig ist und deshalb verboten werden soll. 1586 In diesem Sinne auch Stein/Jonas/Althammer § 322 Rn. 69, allerdings ohne den Rückbezug zum rechtlichen Gehör. 1587 Bötticher Kritische Beiträge zur Lehre von der materiellen Rechtskraft im Zivilprozess, 1930, S. 94. 681

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

denen sich der Umfang der Anfechtung ergibt. Erforderlich ist nur die Bezeichnung des Urteils und die Erklärung, dieses mit dem Rechtsmittel anzufechten (für die Berufung § 519 Abs. 2 ZPO, für die Revision § 549 Abs. 2 ZPO). Hat ein Urteil mehrere prozessuale Ansprüche zum Gegenstand, erstreckt sich die Hemmungswirkung des Rechtsmittels grundsätzlich auf das gesamte Urteil, erfasst also auch diejenigen Teile, die nach den folgenden Rechtsmittelanträgen nicht angefochten werden.1588 Es würde nur dann teilweise formell rechtskräftig werden, wenn die Rechtsmittelschrift insoweit eine Beschränkung im Sinne eines teilweisen Rechtsmittelverzichts enthielte.1589 Das gilt auch dann, wenn ein selbständiger Streitgegenstand für die obsiegende Partei mangels Beschwer gar nicht angefochten werden kann. Auch insofern bleibt es nämlich bei der Möglichkeit einer Anschlussberufung durch den Prozessgegner.1590 Eine Entscheidung wird insofern nach ständiger Rechtsprechung hinsichtlich der nicht ausdrücklich angefochtenen Teile erst dann rechtskräftig, wenn jede Möglichkeit ihrer Änderung im Rechtsmittelzuge ausgeschlossen ist.1591 Insofern ist zu beachten, dass die Möglichkeit der Anschlussberufung nach dem JuMoG (gültig seit 1.9.2004) in § 524 Abs. 2 S. 2 ZPO nur noch innerhalb der Berufungserwiderungsfrist besteht.1592 Nach den eben genannten Grundsätzen müsste mithin für den prozessualen Anspruch, mit dem der Rechtsmittelführer obsiegt hat, mit Ablauf der Berufungserwiderungsfrist ohne Einlegung der Anschlussberufung durch den Prozessgegner formelle Rechtskraft eintreten. 582 Damit wäre natürlich kein wirklicher Fortschrift verbunden, wenn das Ergebnis in anderen Verfahren wieder in Zweifel gezogen werden könnte. Die Sicherung des Urteilsspruchs in anderen Verfahren, seine Bindungswirkung für diese, stellt die materielle Rechtskraft her. Diese verbietet zum einen die „neue Verhandlung und Entscheidung über denselben Streitgegenstand“1593 (ne bis in idem, hierzu sogleich 2., Rn. 585 ff.); zum anderen kann in keinem anderen Verfahren mit anderem Streitgegenstand von der rechtskräftigen Entscheidung abgewichen werden, wenn diese Entscheidung dort als Vorfrage relevant wird (Präjudizialität, hierzu 3., Rn. 606 ff.). Die objektiven Grenzen der Rechtskraft bezeichnen die sachlichen Grenzen, also den 583 Gegenstand des Urteils. Diese korrespondieren mit dem Streitgegenstand, so dass insofern auf Rn. 208–371 verwiesen werden kann. Der so ermittelte Gegenstand des Urteils und seiner Wirkungen ist ferner identisch mit dem Schutzbereich des Unterlassungstitels, der im Rahmen der Prüfung des Vorliegens einer Zuwiderhandlung bei der Begründetheit eines Ordnungsmittelantrages nach § 890 ZPO ermittelt wird. Wie dort dargestellt ist bei Unterlassungsurteilen zur Bestimmung des Umfangs der gerichtlichen Verbotsnorm nicht nur auf die Urteilsformel abzustellen, sondern deren Auslegung ist anhand der Entscheidungsgründe und des Tatbestandes vorzunehmen, sofern eine Bestimmung des Entscheidungsinhalts aufgrund des Tenors allein nicht möglich ist. Das ist bei Unterlassungsurteilen aus den dort dargestellten Gründen evident, ist aber auch in den allgemeinen zivilprozessualen Lehren zur Bestimmung der sachlichen Grenzen der Rechtskraft aner1588 RG 19.11.1903, RGZ 56, 31, 34; BGH 14.7.1952, BGHZ 7, 143, 144 = NJW 1952, 1295; BGH 13.12.1962, NJW 1963, 444; BGH 4.7.1988, NJW 1989, 170; OLG Karlsruhe 5.4.1983, MDR 1983, 676; in Bezug auf die Revisionsinstanz s. VI. Senat, BGH 19.11.1957, NJW 1958, 343; BGH 12.5.1992, NJW 1992, 2296. 1589 BGH 14.7.1952, BGHZ 7, 143, 144 = NJW 1952, 1295; BGH 19.11.1957, NJW 1958, 343; BGH 4.7.1988, NJW 1989, 170; BGH 12.5.1992, NJW 1992, 2296. 1590 BGH 12.5.1992, NJW 1992, 2296 f. 1591 RG 19.11.1903, RGZ 56, 31, 34; BGH 14.7.1967, MDR 1968, 135; BGH 12.5.1992 – VI ZR 118/91 – NJW 1992, 2296 f. 1592 Ursprünglich war die Anschlussberufung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung möglich. Das wurde durch das ZPO-RG 2002 dahingehend beschränkt, dass die Anschlussberufung nur innerhalb einer Frist von einem Monat nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist zulässig war. Die Geltungsdauer dieser Regelung war jedoch beschränkt, da es für den Berufungsbeklagten nicht sinnvoll ist, sich mit Blick auf die Anschlussberufung schon vor Einreichung der Berufungserwiderung (für die regelmäßig großzügigere Fristverlängerungen gewährt werden) festzulegen. 1593 BGH 18.1.1985, BGHZ 93, 287, 288 f.; BGH 16.6.1993, BGHZ 123, 30, 34; BGH 7.7.1993, BGHZ 123, 137, 139. Grosch

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VIII. Rechtskraft

Vor §§ 12–15a A

kannt.1594 Insofern ist bei bestimmten Urteilstypen, insbesondere dem Anerkenntnis-, Verzichtsund Versäumnisurteil, eine Bezugnahme auf das Parteivorbringen zur Ermittlung des rechtskräftigen Entscheidungsinhalts unerlässlich1595 (siehe weitere Nachweise unten Rn. 855). Genau auf dieser Linie bewegt sich auch die Judikatur des ersten Senats über das wettbewerbsrechtliche Unterlassungsurteil hinaus.1596 Die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft sind sachlich ein Element der objektiven Grenzen der Rechtskraft. Bezeichnet wird damit, inwiefern durch nachträgliche Änderungen die Grenzen der Bindungswirkung verlassen werden. Das hat gerade für die wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsurteile wesentliche Bedeutung und soll deshalb hier gesondert unter 4., Rn. 622 ff., behandelt werden. Die subjektiven Grenzen der Rechtskraft bezeichnen die Parteien, die an die Rechtskraft- 584 wirkungen gebunden sind. Hier ergeben sich kaum Besonderheiten für den Wettbewerbsprozess, so dass auf die allgemeinen Kommentare verwiesen werden kann. Ferner sei auf Rn. 375 verwiesen, wo die BGH-Entscheidung „Wundverband“1597 zu §§ 265, 325 ZPO bei Einräumung einer ausschließlichen Lizenz behandelt ist.

2. Ne bis in idem a) Grundsätze. Unzulässig (hierzu aa)) ist ein Verfahren mit demselben Streitgegenstand (hier- 585 zu bb)), was dessen kontradiktorisches Gegenteil einschließt (hierzu cc)). aa) Rechtskraft als negative Prozessvoraussetzung. Das Gericht hat von Amts wegen in 586 jeder Lage des Verfahrens zu prüfen, ob eine rechtskräftige Entscheidung denselben Streitgegenstand betreffend vorliegt (negative Prozessvoraussetzung). Liegt eine solche Entscheidung vor, so ist die Klage durch Prozessurteil als unzulässig abzuweisen.1598 bb) Derselbe Streitgegenstand (1) Grundsätze. Mit Blick auf die Bestimmung des Streitgegenstandes kann auf die obige Dar- 587 stellung verwiesen werden (oben Rn. 208 ff.). Entscheidend ist, ob eine Überstimmung mit Blick auf die vom Kläger jeweils begehrten Verbotsnormen besteht, ob also der begehrte Unterlassungstitel seinem Inhalt und Umfang nach derselbe ist. Das kann auch dann der Fall sein, wenn in zwei zeitlich aufeinanderfolgenden Verfahren auf unterschiedliche historische Verletzungshandlungen Bezug genommen wird. Die bloße Tatsache, dass eine Verletzungshandlung zeitlich nach einer anderen liegt, kann auch bei konkreten Unterlassungsurteilen noch keinen Unterschied mit Blick auf deren Gegenstand begründen. Eine andere Auffassung könnte man nur vertreten, wenn man den Gegenstand der rechtskräftigen Entscheidung vom Umfang der Vollstreckbarkeit trennen wollte, wie das letztlich von der überwiegend abgelehnten BGH-Entscheidung „Markenparfümverkäufe“ angenommen wurde. Das wird aber von der herrschenden Auffassung zu Recht abgelehnt (vgl. hierzu oben Rn. 211, 279 f.). Genau wie das Einführen einer neuen historischen Verletzungshandlung per se entgegen „Markenparfümverkäufe“ keine Klageänderung begründet (hierzu oben Rn. 403), liegt insofern auch für die Zwecke der Rechtskraft 1594 1595 1596 1597 1598

Vgl. etwa Stein/Jonas/Althammer § 322 Rn. 169. Stein/Jonas/Althammer § 322 Rn. 183 („nicht streitige Urteile“). Etwa BGH 24.7.2014 – I ZR 27/13 – GRUR 2015, 269 Rn. 19 – K-Theory. BGH 19.2.2013 – X ZR 70/12 – GRUR 2013, 1269 f. – Wundverband. Ganz h. L., vgl. BGH 23.9.1992, NJW 1993, 333, 334 – Dauernd billig; BGH 24.1.2008 – VII ZR 46/07 – NJWRR 2008, 762 Tz. 13; Musielak/Voit § 322 Rn. 9; Stein/Jonas/Althammer § 322 Rn. 188; Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 50. 683

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

kein anderer Streitgegenstand vor. Der Streitgegenstand ist für alle Zwecke gleich zu bestimmen (vgl. oben Rn. 222). Wie oben ausgeführt rechnet auch und gerade der im Wege der „Kernbereichslehre“ ermittelte Umfang des Unterlassungstenors zum Streitgegenstand, so dass auch mit Blick auf die insofern erfassten kerngleichen Formen die Geltendmachung eines weiteren Unterlassungsanspruchs präkludiert ist1599 (hierzu ausführlich Rn. 861 ff.). Insbesondere ist hier also keine Ausweichlösung qua Rechtsschutzbedürfnis erforderlich.1600 Ferner können auch bei Urteilen, die auf das Verbot der konkreten Verletzungsform gerichtet sind, unterschiedliche Streitgegenstände gegeben sein.

(2) Ausnahmen für konkrete Unterlassungsurteile unter Ausschluss aller kerngleicher Abwandlungen. Ausnahmen bestehen allein dann, wenn ein auf das Verbot der konkreten Verletzungsform gerichteter Unterlassungstitel tatsächlich einen engen Umfang unter Ausschluss aller kerngleicher Abwandlungen aufweisen sollte. Das ist aber, wie oben gesagt, die absolute Ausnahme und würde eine entsprechende Festlegung des Klägers im Erkenntnisverfahren erfordern (ausführlich hierzu Rn. 282 f.).1601 Anknüpfend an seinen kritischen Beitrag gegenüber BGH „TÜV I“ hat sich Stieper nach „Biomineralwasser“ mit Blick auf die Grenzen der Rechtskraft im Sinne einer engen Bestimmung der Verbotsnorm geäußert.1602 Wenn der Kläger eine bestimmte Werbeanzeige wegen dreier Aspekte (A, B, C) als irreführend beanstande und das Gericht das Verbot wegen A für begründet erachtet, so könne der Kläger aus dem Unterlassungsurteil gleichwohl nicht gegen eine Abwandlung vorgehen, bei der zwar A vorliegt, aber nicht auch B und C. Hierbei handle es sich um eine neue konkrete Verletzungsform, so dass der Klage gegen die konkrete Verletzungsform nur wegen der Beanstandung A „ne bis in idem“ nicht entgegenstünde. Die Rechtskraft des Urteils wäre insofern eng an der tatsächlich beurteilten konkreten Verletzungsform auszurichten. Das ist, worauf Stieper zurecht hinweist, die notwendige Folge der Prämisse des BGH aus „Biomineralwasser“, wonach bei einer Klageabweisung eine neue Klage gestützt auf dieselbe konkrete Verletzungsform unter keinem denkbaren Gesichtspunkt mehr möglich sei, weil sich der Streitgegenstand nach „Biomineralwasser“ unabhängig davon bestimme, unter welchem Aspekt der Kläger die angegriffene konkrete Verletzungsform beanstande. Wie oben ausgeführt, überzeugt das für die meisten Fälle nicht und wäre auch mit der Auffassung unvereinbar, wonach ein das Verbot der konkreten Verletzungsform gerichteter Unterlassungstitel diesen engen Umfang gerade nicht hat.

587a (3) BGH „Leistungspakete im Preisvergleich“ – Enger Streitgegenstandsbegriff ohne Bezug auf den Umfang der Verbotsnorm. Gut verdeutlichen lassen sich die vorstehend genannten Punkte bei einer kritischen Analyse der Entscheidung „Leistungspakete im Preisvergleich“.1603 Dort hatte der BGH schon im Vorgriff auf „Biomineralwasser“ im Zusammenhang mit Fragen der Rechtskraft und des Rechtsschutzinteresses deutlich gemacht, dass der Streitgegenstand eng am historischen Lebenssachverhalt zu verstehen sei und damit die Anwendung der Kernbereichslehre, die sich an der materiellen Beanstandung orientiert, jedenfalls zur Bestimmung des Streitgegenstandes ausgeschlossen. Im entschiedenen Fall hatte der BGH über den typischen Fall eines auf die konkrete Verlet587b zungsform bezogenen Antrages mit einem abstrakten Einleitungsteil zu entscheiden. Der abstraktere Teil des Klageantrages bezog sich lediglich auf das Verbot eines Vergleichs zwischen 1599 1600 1601 1602 1603

Vgl. etwa Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 16a. Vgl. etwa Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 16a Fn. 57 sowie ausführlich oben Rn. 353. Vgl. etwa Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 16a a. E. Stieper WRP 2013, 561, 564 Rn. 21. BGH 7.4.2011 – I ZR 34/09 – GRUR 2011, 742 f. m. Anm. von der Decken/Heim – Leistungspakete im Preisver-

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VIII. Rechtskraft

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auf Kabelanschluss basierenden Paketangeboten mit solchen, die festnetzbezogen sind, „ohne auch den Grundpreis für den Kabelanschluss mit einzubeziehen“. Im zweiten Teil des Antrages hieß es dann „wenn das geschieht wie mit dem Preisvergleich der auf S. 3 der in Fotokopie in der Anlage K 1 beigefügten Werbung abgedruckt ist“. Diese konkrete Bewerbung wurde neben der fehlenden Benennung des Grundpreises für den Kabelanschluss in der Klagebegründung auch deshalb beanstandet, weil sie wegen Auslassung eines günstigeren Angebots der Beklagten gegen das Irreführungsverbot verstoßen habe (§ 5 Abs. 3); im Antrag hatte der letztere Aspekt keinen Niederschlag gefunden. Der BGH hat die Verurteilung nach dem genannten Antrag bestätigt. Gegenstand des kläge- 587c rischen Begehrens sei dabei allerdings nicht der abstrakte Einleitungsteil der Verbotsnorm, sondern lediglich die konkrete Verletzungsform (hierzu bereits oben Rn. 352 f.).1604 Gestützt wurde die Verurteilung sowohl auf den im abstrakten Teil des Klageantrages genannten Verstoß gegen die Preisangabenverordnung als auch auf die lediglich in der Klagebegründung angeführte Irreführung durch Auslassung der Benennung des günstigeren Konkurrenzangebotes der Klägerin. Dass diese Irreführung mit Blick auf die Auslassung des günstigeren Angebots der Beklagten im Antragswortlaut keinen unmittelbaren Niederschlag gefunden hatte, sei nicht abträglich. Durch die Formulierung, „wenn diese geschieht wie“ in der konkreten Werbeanzeige (Kopierantrag), werde klargestellt, dass Gegenstand des Antrages allein die konkrete Werbeanzeige sei.1605 Zum Gegenstand eines solchen Klageantrages gehöre auch der Lebenssachverhalt, mit dem das Klagebegehren begründet wird.1606 Hierzu hat der BGH in dem entschiedenen Fall den Teil der Werbung gerechnet, der sich auf den irreführenden Vergleich wegen Auslassung eines günstigeren Angebots der Beklagten bezieht. Dass der BGH auch den Aspekt des Werbevergleichs prüft, obgleich der abstrakte Teil des Antrages diesen nicht erwähnt, ist mit der BGHRechtsprechung von „Biomineralwasser“ konsistent. Schließlich nimmt der Kläger in der Begründung ausdrücklich darauf Bezug.1607 Der BGH ist zwar expressis verbis nicht darauf eingegangen, ob es sich um zwei Streit- 587d gegenstände handelt. Er hatte jedoch die Frage zu prüfen, ob wegen einer früheren Entscheidung zwischen denselben Parteien über eine Werbung, die ebenfalls unter dem Aspekt der fehlenden Einbeziehung des Grundpreises des Kabelanschlusses angegriffen war und auch verboten wurde, der Klage im entschiedenen Verfahren der Einwand der Rechtskraft entgegenstünde. Im früheren Fall waren ebenfalls bestimmte Werbeanzeigen Gegenstand der Klage und der Verurteilung (nach dem dortigen Hilfsantrag),1608 wobei es sich aber nicht um einen Werbevergleich handelte. Der BGH hat die entgegenstehende Rechtskraft verneint, weil es sich um unterschiedli- 587e che Streitgegenstände gehandelt habe. Der BGH führt aus, dass der Gegenstand der beiden Anträge nicht übereinstimme, weil beide sich auf die konkrete Verletzungsform gerichtet hätten und im entschiedenen Fall, anders als im Vorverfahren, neben der Einbeziehung der Grundkosten des Kabelanschlusses auch die Frage erfasst sei, ob das zum Vergleich herangezogene Angebot der Klägerin zutreffend und vollständig wiedergegeben wurde. Die Frage des Werbevergleichs hat zwar mit dem gesonderten Tatbestand der fehlenden Einbeziehung der Grundkosten des Kabelanschlusses materiell-rechtlich nichts zu tun, gleichwohl soll aufgrund des abweichenden Lebenssachverhalts ein unterschiedlicher Streitgegenstand gegeben sein, weil sich im entschiedenen Fall, anders als im Vorverfahren, auch die Frage stelle, ob der Werbevergleich zutreffend ist. 1604 1605 1606 1607

BGH 7.4.2011 – I ZR 34/09 – GRUR 2011, 742 f. Tz. 17 – Leistungspakete im Preisvergleich. BGH 7.4.2011 – I ZR 34/09 – GRUR 2011, 742 f. Tz. 17 – Leistungspakete im Preisvergleich. BGH 7.4.2011 – I ZR 34/09 – GRUR 2011, 742 f. Tz. 18 – Leistungspakete im Preisvergleich. Vgl. hierzu auch BGH 2.4.1992 – I ZR 146/90 – GRUR 1992, 552 – Stundung ohne Aufpreis; BGH 20.9.2007 – I ZR 171/04 – GRUR 2008, 443, 445 Tz. 24 – Saugeinlage; BGH 2.6.2005 – I ZR 252/02 – GRUR 2006, 164 Tz. 15 – Aktivierungskosten II m. w. N. 1608 Der im Erstverfahren abgewiesene Hauptantrag war abstrahierend gestellt und wird unter Rn. 352 behandelt. 685

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Der BGH prüft die Zulässigkeit des Zweitverfahrens zwar grundsätzlich unter dem Aspekt der Präklusion qua ne bis in idem und bejaht insofern die Zulässigkeit der Zweitklage, weil ein anderer Streitgegenstand gegeben sei. In einem weiteren Prüfungsschritt prüft der BGH allerdings auch das Rechtsschutzbedürfnis für die Zweitklage. Hier führt der BGH aus, dass der Kläger möglicherweise gegen die jetzt angegriffene Handlung (den Werbevergleich) auch aufgrund des Ersttitels hätte vollstrecken können, also ein Ordnungsmittelantrag nach § 890 ZPO insofern erfolgreich gewesen wäre.1609 Da die Erfolgsaussichten wegen der Unterschiede der Werbeanzeigen allerdings ungewiss seien, könne man den Kläger wegen der drohenden Verjährung nicht auf den Weg des Ordnungsmittelantrages gestützt auf das erste Urteil verweisen. Ferner könne man das Rechtsschutzbedürfnis schon deshalb nicht verneinen, weil der Kläger nunmehr das Verbot nicht nur wegen der fehlenden Angabe der Kosten des Kabelanschlusses, sondern auch wegen des fehlenden günstigeren Angebots der Klägerin im Werbevergleich angegriffen habe. 587g Diese Prüfung ist systematisch nicht stimmig. Wenn der Zweitklage nicht der Einwand der rechtskräftigen Entscheidung über den Streitgegenstand des Zweitverfahrens entgegensteht, dann müsste dem Kläger für die Zweitklage stets und notwendigerweise das Rechtsschutzbedürfnis zugebilligt werden. Es bedürfte hier keiner besonderen Prüfung und keiner besonderen Voraussetzungen für die Annahme des Rechtsschutzbedürfnisses mehr. Das wäre nur dann der Fall, wenn der erste Titel tatsächlich denselben Streitgegenstand beträfe, aber wegen möglicher Zweifel am Umfang des ersten Titels und drohender Verjährung dem Kläger ausnahmsweise die Erlangung eines zweiten (eindeutigeren) Titels zugebilligt werden kann. Anderes könnte man nur annehmen, wenn man die Vollstreckungsebene von der Rechtskraftebene trennen wollte, was – wie oben ausgeführt (Rn. 587) – unzutreffend wäre. Berücksichtigt man allerdings, dass der BGH in der Sache sagt, dass das Rechtsschutzbedürfnis schon deshalb gegeben sei, weil der Kläger mit der Zweitklage auch den irreführenden Werbevergleich beanstande, also das Element, das aus Sicht des BGH für den neuen Streitgegenstand konstitutiv ist, dann könnte man sagen, dass die Prüfung des Rechtsschutzbedürfnisses schlicht ein in der Sache nicht erheblicher dogmatischer Schlenker ist. 587h Für Letzteres könnte auch sprechen, dass der BGH für seinen Prüfungspunkt des Rechtsschutzbedürfnisses auf die Entscheidung „Folienrollos“1610 Bezug nimmt. Dort ging es um die Frage, inwiefern eine Abschlusserklärung der Zulässigkeit einer nachfolgenden Hauptsacheklage entgegensteht. Eine Abschlusserklärung soll eine Unterlassungsverfügung mit den Wirkungen einer Hauptsacheentscheidung versehen. Diese Wirkung baut aber natürlich auf der Erklärung des Schuldners auf und kann deshalb nicht wie ein Urteil eine rechtskräftige Sachentscheidung für prozessuale Zwecke ersetzen. Allein deshalb ist der Prüfungspunkt bei einer vorangegangenen Abschlusserklärung das Rechtsschutzbedürfnis.1611 Da im entschiedenen Fall „Leistungspakete im Preisvergleich“ ein rechtskräftiges Urteil im Erstverfahren vorlag, wäre insofern das Rechtsschutzbedürfnis schon deshalb gar nicht betroffen gewesen. Richtigerweise hätte der BGH in „Leistungspakete im Vergleich“ annehmen müssen, dass die zweite Klage einen teilweise mit dem früheren, rechtskräftigen entschiedenen Verfahren identischen Streitgegenstand aufweist, nämlich soweit das beantragte Verbot auf die konkrete Beanstandung gestützt war (Einbeziehung des Grundpreises des Kabelanschlusses). Insofern 587f

1609 BGH 7.4.2011 – I ZR 34/09 – GRUR 2011, 742 Tz. 20 m. Anm. von der Decken/Heim – Leistungspakete im Preisvergleich.

1610 BGH 19.5.2010 – I ZR 177/07 – GRUR 2010, 855 Tz. 17 = LMK 2010, 306927 m. Anm. Teplitzky – Folienrollos. 1611 Weil es anders als bei einer strafbewehrten Unterlassungserklärung die Gleichstellung mit den Wirkungen des Hauptsacheurteils gibt und der Kläger aus der Verfügung im Wege der Zwangsvollstreckung gemäß § 890 ZPO vorgehen kann, also über einen gerichtlichen Vollstreckungstitel verfügt, fällt nicht nur der Unterlassungsanspruch weg, was zur fehlenden Begründetheit führen würde (so im Fall der strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung), sondern es fehlt nach herrschender Auffassung bereits am Rechtsschutzbedürfnis für eine neuerliche Klage. Grosch

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VIII. Rechtskraft

Vor §§ 12–15a A

wäre die Klage also teilweise abweisungsreif gewesen. Eine teilweise Klageabweisung wäre auch bei einem einheitlichen, auf die konkrete Verletzungsform gerichteten Verbotsantrag möglich, wenn die Klage auf unterschiedliche Beanstandungen gestützt und insofern die beantragte Verbotsnorm davon abhängig einen unterschiedlichen Inhalt hat. Da der BGH aber die Erfolgsaussichten für ein Vorgehen aus dem ersten Titel (§ 890 ZPO) auch insofern wegen des geänderten Sachverhalts (Werbevergleich) für ungewiss hielt, wäre es dann systematisch und sachlich stimmig gewesen, dem Kläger gleichwohl das Rechtsschutzinteresse für die Unterlassungsklage auch insofern zuzubilligen und einheitlich wegen beider Beanstandungen zu verurteilen. Dann wären die Ausführungen zum Rechtsschutzbedürfnis sachlich zutreffend und dogmatisch stimmig. Die Crux der Entscheidung liegt nur darin, dass der BGH im Ausgangspunkt unzutreffend insgesamt von verschiedenen Streitgegenständen ausgegangen ist. Dann hätten sich aber überhaupt keine Frage mehr gestellt. Das war in der Sache nicht überzeugend und deshalb hat der BGH gleichwohl das Rechtsschutzinteresse geprüft, was im Ergebnis aber nur belegt, dass die Prämisse der Argumentation zum Streitgegenstand nicht überzeugt. Ergänzend ist zu bemerken, dass bei klageabweisenden Urteilen den Entscheidungsgrün- 588 den die entscheidende Funktion der Ermittlung der Grenzen der Rechtskraft zukommt.1612 Über welchen Gegenstand entschieden und womit der Kläger forthin präkludiert ist, lässt sich nur aufgrund der Entscheidungsgründe bestimmen. Noch mehr als bei einer Verurteilung ist also für das eine Unterlassungsklage abweisende Urteil zu ermitteln, welche geänderten Sachverhaltskonstellationen „mitentschieden“ wurden. Hier gilt nichts anderes als bei der Ermittlung kerngleicher Abwandlungen im Rahmen des § 890 ZPO (hierzu Rn. 854 ff.). Wie bereits oben ausführt, ist die Auffassung, die dem klageabweisenden Unterlassungsurteil gar keine Rechtskraftfähigkeit zubilligen will, abzulehnen (hierzu oben Rn. 211 ff.). Bei Fehlen der Erstbegehungsgefahr ist nach der überzeugenden Auffassung des BGH keine 589 Abweisung als „zur Zeit unbegründet“ erforderlich.1613 Der Unterlassungsanspruch wird als gegenwärtiger Anspruch geltend gemacht und als solcher als unbegründet abgewiesen (hierzu bereits oben Rn. 64). Das wird in den Urteilsgründen klar gemacht. Wenn sich der maßgebliche Sachverhalt ändert, also ein neuer Sachverhalt eine konkrete Begehungsgefahr begründet und insofern eine wesentliche Änderung gegenüber dem beurteilten Sachverhalt eingetreten ist, die also nicht als von den Gründen des Ersturteils erfasst angesehen werden kann, dann liegt ein neuer Streitgegenstand vor. Nur so ist die Äußerung des BGH in „Anzeigenpreis II“ zu verstehen. Im entschiedenen Fall begehrte der Kläger ein zu weit gehendes Verbot, ein entsprechender Tenor hätte auch Preisgestaltungen erfasst, die noch nicht aktuell waren und für die daher keine Begehungsgefahr vorlag. Der BGH entschied, dass für die Bestimmung der Grenzen der Rechtskraft des begehrten Urteils die Entscheidungsgründe heranzuziehen sind und eine neue Sachlage, die hier in einer neuen Preisgestaltung hätte liegen können, nicht als vom Urteil erfasst anzusehen wäre.1614 Die hieran von Ahrens geübte Kritik1615 ist nicht nachvollziehbar. Auch nach der Begründung des BGH kommt der Klageabweisung Rechtskraftwirkung zu, nämlich soweit sich der beurteilte Sachverhalt lediglich dergestalt ändert, dass er unter Heranziehung der Gründe genauso zu beurteilen wäre. Droht hingegen ein anderer Sachverhalt (andere Preisgestaltung), über die im Urteil nicht entschieden wurde, so ist eine neue Klage möglich. Warum die Auffassung des BGH dazu führen soll, dass dem die Unterlassungsklage mangels Rechtsverletzung (und nicht mangels Begehungsgefahr) abweisenden Urteil die Rechtskraftwirkung abgesprochen würde, ist nicht erkennbar. Wie immer bei klageabweisenden Urteilen ergibt die Prüfung der Urteilsgründe den Umfang der Rechtskraft.

1612 MünchKommZPO/Gottwald § 322 Rn. 87. 1613 BGH 26.4.1990, GRUR 1990, 687, 689 – Anzeigenpreis II; Wieczorek/Schütze/Büscher § 322 Rn. 149; Teplitzky/ Kessen Kap. 9 Rn. 3 und 8.

1614 BGH 26.4.1990, GRUR 1990, 687, 689 – Anzeigenpreis II. 1615 Ahrens Kap. 36 Rn. 118. 687

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

cc) Kontradiktorisches Gegenteil 590 (1) Grundsätze. Unzulässig ist eine Klage auch, soweit sich das Rechtsschutzbegehren auf das kontradiktorische Gegenteil des rechtskräftig entschiedenen Gegenstandes richtet.1616 Hier liegt Identität des Streitgegenstandes/Urteilsgegenstandes vor, weil die rechtskräftige Feststellung des Anspruchs zugleich die Feststellung des Nichtvorliegens des Anspruchs beinhaltet.1617 Die Klage ist mithin durch Prozessurteil als unzulässig abzuweisen,1618 also auch dann, wenn ein Fall der Säumnis vorliegt.1619

591 (2) Leistungsklage und Feststellungsklage. Für die Leistungsklage ist es anerkannt, dass eine nachfolgende negative Feststellungsklage nicht mehr zulässig ist, wenn diese das kontradiktorische Gegenteil eines positiven Leistungsurteils betrifft. Umgekehrt erfasst allerdings die rechtskräftig entschiedene Feststellungsklage nicht denselben Streitgegenstand wie die nachfolgende Leistungsklage, weil Letztere in ihrem Rechtsschutzziel über die Feststellungsklage hinausgeht.1620 Das wäre dann ein Anwendungsfall der Präjudizialität1621 (dazu Rn. 608).

592 (3) Abweisung der Unterlassungsklage. Für die Abweisung der Unterlassungsklage, sofern diese über die Rechtswidrigkeit des Verhaltens geurteilt hat, wird vertreten, dass dieser die Wirkung zukomme, dass der Beklagte zur Vornahme des Verhaltens, das Gegenstand des beantragten Verbots gewesen war, nunmehr berechtigt sei.1622 Der Beklagte genieße gegenüber dem abgewiesenen Kläger eine entsprechende „Handlungsfreiheit“, die ihm nur bei einem anderen Streitgegenstand beschnitten werden dürfe.1623 Diese Aussage wird den prozessualen Gegebenheiten nur begrenzt gerecht. Die Abweisung 593 der Unterlassungsklage stellt nämlich kein Recht zur Vornahme der Handlung fest. Der Beklagte ist allein vor einer neuen Unterlassungsklage gleichen Streitgegenstandes geschützt. Das kontradiktorische Gegenteil wäre als Gegenstand einer Feststellungsklage denkbar, mit der die Rechtswidrigkeit der Handlung festgestellt werden sollte.1624 So werden allerdings Feststellungsanträge in Wettbewerbssachen oder im gewerblichen Rechtsschutz regelmäßig nicht formuliert. Hier geht es um konkrete Ansprüche, die als Rechtsverhältnis feststellungsfähig sind und allein feststellungsfähig sein sollten. So sind die (praktisch allein relevanten) negativen Feststellungsanträge formuliert – und zu formulieren. Der Kläger kann deshalb nur einen neuen Unterlassungsanspruch qua Leistungsklage erheben (die positive Feststellungsklage wäre hier schon mangels Feststellungsinteresses unzulässig) und diese Klage ist ohne Vortrag eines neuen Streitgegenstandes unzulässig. 594 Ferner kann der unterlegene Kläger weitere Ansprüche geltend machen, etwa Schadensersatzansprüche. Ob die Abweisung der Unterlassungsklage hierfür relevant ist, ist dann keine Frage des Wiederholungsverbots (ne bis in idem), sondern der Präjudizialität – und dort ist die 1616 BGH 21.12.1988, NJW 1989, 2133; BGH 7.7.1993, BGHZ 123, 137, 139 = NJW 1993, 2684; Stein/Jonas/Althammer § 322 Rn. 186; Wieczorek/Schütze/Büscher § 322 Rn. 52; Thomas/Putzo/Seiler § 322 Rn. 11. Stein/Jonas/Althammer § 322 Rn. 186. BGH 7.7.1993, BGHZ 123, 137 = NJW 1993, 2684. Thomas/Putzo/Seiler § 322 Rn. 11. BGH 17.2.1983, NJW 1983, 2032 sub III 1; so auch in anderem Zusammenhang BGH 7.7.1994, GRUR 1994, 823, 824 unter II, 1 – Preisrätselgewinnauslobung II m. w. N. und die h. L., vgl. Wieczorek/Schütze/Assmann § 256 Rn. 251; Wieczorek/Schütze/Büscher § 322 Rn. 55; Teplitzky FS Lindacher (2007) 185, 189 f. Siehe dazu ausführlich Rn. 378 ff. 1621 Vgl. etwa BGH 14.2.2006 – VI ZR 322/04 – NJW-RR 2006, 712, 714; Stein/Jonas/Althammer § 322 Rn. 195. 1622 Wieczorek/Schütze/Büscher § 322 Rn. 150. 1623 Ahrens Kap. 36 Rn. 107 und 23. 1624 So etwa das Beispiel bei Ahrens Kap. 36 Rn. 108 aus einer wegerechtlichen Streitigkeit, BGH 14.10.1964, NJW 1965, 42.

1617 1618 1619 1620

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VIII. Rechtskraft

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Frage, wie sogleich zu erörtern ist (Rn. 609 ff.), höchst streitig. Es ist also bei der Frage der Rechtskraftwirkung stets auf die Entscheidung über die geltend gemachten prozessualen Ansprüche zu sehen; Verallgemeinerungen mit Blick auf ein Recht zur Vornahme einer Handlung überzeugen nicht.

b) Ausnahmen vom Wiederholungsverbot aa) Verlust des Titels. Ausnahmen bestehen nach herrschender Auffassung dann, wenn der 595 rechtskräftige Titel verloren gegangen oder vernichtet worden ist und nicht wiederhergestellt werden kann.1625 Dabei bleibt allerdings die Bindung an die rechtskräftige Feststellung bestehen, wenn der Inhalt des Titels festgestellt werden kann. Anderenfalls ist de novo zu prüfen. bb) Zweifel am Umfang des Titels und fehlende Bestimmtheit (1) Titelfeststellungsklage. Nach der Rechtsprechung des BGH ist im Falle des unbestimm- 596 ten oder unklaren Titels grundsätzlich die Feststellungsklage das richtige Mittel zur Klärung des Streits über die Reichweite des Titels.1626 Die Feststellungsklage, die auch als negative Feststellungsklage möglich ist,1627 soll dem Titelgläubiger eine zuverlässige Grundlage zur Durchsetzung des rechtskräftig zugesprochenen Anspruchs in der Zwangsvollstreckung verschaffen.1628 Bei der Titelfeststellungsklage besteht grundsätzlich kein Widerspruch zum Wiederholungsverbot, weil der Streitgegenstand in der Auslegung des Titels in bestimmter Hinsicht liegt. Insbesondere hindert auch ein Ordnungsmittelantrag eine solche Entscheidung nicht, weil letzterer keine Rechtskraftwirkung mit Blick auf den Titelumfang entfaltet.1629 Ferner hat der Feststellungskläger unabhängig vom Ausgang des Ordnungsmittelverfahrens, das eine vergangene Zuwiderhandlung zum Gegenstand hat, ein berechtigtes Interesse an der Feststellung mit Blick auf die Zulässigkeit künftigen Verhaltens.1630 Teilweise wird unter Berufung auf den BGH behauptet, dass die Titelfeststellungsklage zu- 597 lässig sei, wenn der Titel zu unbestimmt sei, um als Grundlage der Zwangsvollstreckung zu dienen.1631

(2) Leistungsklage. Einer erneuten Leistungsklage steht grundsätzlich das Wiederholungsver- 598 bot entgegen und eine Ausnahme hiervon ist im Grundsatz zu verneinen, auch weil andernfalls die Gefahr einer doppelten Titulierung ein und desselben prozessualen Anspruchs besteht.1632 Ist der Gläubiger aber mit einer Entscheidung im Ordnungsmittelverfahren bereits gescheitert, so hält der BGH die Leistungsklage für zulässig und verweist den Kläger nicht auf die Titelfeststellungsklage, weil dann das Risiko einer Doppeltitulierung – das regelmäßig für den Vorrang der Titelfeststellungsklage spricht – praktisch gesehen nicht mehr gegeben ist (da das Vollstreckungsgericht den Anwendungsbereich des ersten Titels verneint hat).1633 1625 BGH 4.5.2004 – X ZR 234/02 – GRUR 2004, 755 – Taxameter, unter Berufung auf BGH 3.12.1957, GRUR 1958, 359 – Sarex; Wieczorek/Schütze/Büscher § 322 Rn. 58; Thomas/Putzo/Seiler § 322 Rn. 12.

1626 BGH 29.9.1961, BGHZ 36, 11, 14 = NJW 1962, 109; BGH 4.5.2004 – X ZR 234/02 – GRUR 2004, 755, 757 – Taxameter; Musielak/Voit § 322 Rn. 9 a. E. Hierzu BGH 8.11.2007 – I ZR 172/05 – GRUR 2008, 360 Tz. 21 ff. – Euro-Schwarzgeld. BGH 4.5.2004 – X ZR 234/02 – GRUR 2004, 755, 757 – Taxameter. BGH 8.11.2007 – I ZR 172/05 – GRUR 2008, 360 Tz. 23 – Euro-Schwarzgeld. BGH 8.11.2007 – I ZR 172/05 – GRUR 2008, 360 Tz. 24 – Euro-Schwarzgeld. Vgl. etwa Musielak/Voit § 322 Rn. 9 a. E. BGH 29.9.1961, BGHZ 36, 11, 14 = NJW 1962, 109; BGH 4.5.2004 – X ZR 234/02 – GRUR 2004, 755, 757 – Taxameter. 1633 BGH 4.5.2004 – X ZR 234/02 – GRUR 2004, 755, 756 – Taxameter.

1627 1628 1629 1630 1631 1632

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Teilweise wird eine großzügige Ausnahme vom Wiederholungsverbot bejaht, wenn aufgrund einer Abwandlung der konkreten Verletzungsform unklar ist, ob das Vollstreckungsgericht die neue Verletzungsform noch als vom Titel erfasst sehen würde.1634 Der BGH hat insofern, wie bereits oben ausgeführt (Rn. 587a ff.), in der Entscheidung „Leistungspakete im Preisvergleich“ darauf hingewiesen, dass es dem Gläubiger in Fällen ungewissen Ausgangs des Vollstreckungsverfahrens insbesondere dann nicht zuzumuten sei, aus dem alten Titel vorzugehen, wenn Verjährung des möglicherweise noch nicht titulierten Anspruchs droht.1635 Welche Maßstäbe hier genau zu stellen sind, ist allerdings streitig. Nach Teplitzky müsse es objektiv zweifelhaft sein, ob das Gericht im Erkenntnisverfahren die Abwandlung ebenso beurteilt hätte, wie die konkret gewürdigte Verletzungsform.1636 Nach anderer, wohl überwiegender Auffassung ist die Zulässigkeit der neuen Leistungsklage nur ausnahmsweise zu verneinen,1637 nämlich dann, wenn die Abwandlung der ausdrücklich beurteilten Handlung so nahekommt, dass „(unabhängig von ihrer rechtlichen Bewertung) in tatsächlicher Hinsicht eigentlich gar kein Streit aufkommen kann, dass die Handlungen sich entsprechen.“1638

600 (3) Bewertung. Hinsichtlich der Rechtskraft müssen grundsätzlich strenge Maßstäbe gelten. Ausnahmen vom Wiederholungsverbot sind nicht erforderlich. Die bloße Ungewissheit des Ausgangs des Vollstreckungsverfahrens genügt für die Zulässigkeit der Klage, also für die Bejahung der Ausnahme der negativen Prozessvoraussetzung, nicht. Im Grundsatz ist nach objektiven Maßstäben im Zweitverfahren zu prüfen, ob die Handlungen Gegenstand der Erstentscheidung waren. Hierfür ist in der Tat entscheidend, ob die Abwandlung noch zum Streitgegenstand zu rechnen ist, was nach den oben dargelegten Grundsätzen zu beurteilen ist (vorstehend Rn. 587 ff.). Ist das der Fall, so ist die Klage grundsätzlich unzulässig. Hier ist eine Begünstigung des Gläubigers nicht indiziert. Wenn das nicht der Fall ist, ist die Klage zulässig, ohne dass es der weiteren Prüfung eines Rechtsschutzbedürfnisses bedürfte. 601 Dem kann man auch nicht dadurch begegnen, dass man dem Wiederholungsverbot einen engen Anwendungsbereich gibt, indem man die Kernbereichslehre davon ausnimmt und sie allein dem Zwangsvollstreckungsrecht zuweist.1639 Hier kann auf die obige Darstellung verwiesen werden (Rn. 211 f. sowie unten Rn. 403). 602 Ob der Gläubiger aus dem ersten Titel vollstrecken kann, ist damit nicht präjudiziert. Er kann auch im Vollstreckungsverfahren aus dem ersten Titel mit einer anderen Begründung scheitern, obwohl die weitere Hauptsacheklage als unzulässig abgewiesen wurde. Es besteht insofern keine wechselseitige Bindungswirkung.1640 Auch sind Äußerungen des Prozessgerichts im Vollstreckungsverfahren über den Inhalt des Tenors nicht zur Auslegung des Titels heranzuziehen.1641 In Zweifelsfällen muss der Gläubiger zwei Verfahren parallel anstrengen, um Risiken zu minimieren. Ein zweites Erkenntnisverfahren und ein Ordnungsmittelverfahren parallel zu verfolgen ist insofern nicht rechtsmißbräuchlich, für den Kläger ist aber ein Kostenrisiko unabwendbar, weil der Kläger zwingend eines der beiden Verfahren verlieren wird. Alternativ muss der Gläubiger eine Titelfeststellungsklage einreichen. 603 Wenn allerdings der Titel für die Zwecke der Zwangsvollstreckung zu unbestimmt ist, dann hilft auch die Titelfeststellungsklage nicht weiter. Unbestimmt ist der Titel natürlich nur, wenn 1634 Ahrens Kap. 36 Rn. 134; OLG Frankfurt/M. 12.11.1996, WRP 1997, 51 = NJW-WettR 1997, 59; Nirk/Kurtze Rn. 593; Rüßmann FS Lüke (1997) 688; Stein/Jonas/Bartels § 890 Rn. 12. BGH 7.4.2011 – I ZR 34/09 – GRUR 2011, 742 Tz. 20 – Leistungspakete im Preisvergleich. Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 16c. Rüßmann FS Lüke (1997) 675, 688 f.; Mellulis Rn. 48. OLG Düsseldorf 10.12.1992, GRUR 1994, 81, 82 – Kundenzeitschriften. So das OLG Düsseldorf 10.12.1992, GRUR 1994, 81, 82 – Kundenzeitschriften. BGH 4.5.2004 – X ZR 234/02 – GRUR 2004, 755, 756 – Taxameter; Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 16c a. E. BGH 9.4.1992 – I ZR 240/90 – GRUR 1992, 525, 526 – Professorenbezeichnung in der Arztwerbung II.

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er es unter Rückgriff auf die zulässigen Auslegungsmittel ist (hierzu ausführlich Rn. 828 f.). Wenn er aber nach diesen Grundsätzen bestimmt ist, dann liegt kein unbestimmter Titel vor und es kann und muss diese Bestimmtheit natürlich auch im Zwangsvollstreckungsverfahren, also insbesondere im Ordnungsmittelverfahren nach § 890 ZPO, geprüft und festgestellt werden. Die Titelfeststellungsklage als Hauptsacheklage ist hier allein deshalb ein für den Gläubiger sinnvoller Rechtsbehelf, weil in diesem Verfahren mit Bindungswirkung für die Parteien (nämlich qua Rechtskraft) entschieden wird, welchen Umfang der Titel hat; das ist nämlich der Streitgegenstand dieses Verfahrens, anders als bei einer Zwangsvollstreckungsentscheidung. Ein Titel, dem es an der für die Zwecke der Zwangsvollstreckung erforderlichen Bestimmt- 604 heit mangelt, ist auch nicht der materiellen Rechtskraft fähig. Hier müssen einheitliche Maßstäbe gelten.1642 Das kann bei einer gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 unzulässigen, weil unbestimmten alternativen Klagehäufung der Fall sein, wenn das Urteil ohne Gründe ergeht (etwa Anerkenntnis- oder Versäumnisurteil) und deshalb nicht klar ist, auf welchen Klagegrund sich das Gericht für das Verbot überhaupt bezieht.1643 Insofern kann auf die ausführliche Darstellung mit weiteren Nachweisen bei der Unterlassungsvollstreckung verwiesen werden (Rn. 824 ff. sowie Rn. 855).

cc) Drohende Verjährung. Der BGH hat ferner eine Ausnahme vom ne bis in idem Grundsatz 605 bejaht, wenn zwar ein rechtskräftiges Leistungsurteil vorliegt, aber die erneute Feststellungsklage erforderlich ist, um die Verjährung zu unterbrechen (nach neuem Recht zu hemmen).1644 Das hat allerdings für das rechtskräftige Unterlassungsurteil dann keine Relevanz, wenn man mit dem BGH und der Neuregelung des BGB (§ 199 Abs. 5) davon ausgeht, dass hier die 30-jährige Verjährungsfrist nicht vor einer Zuwiderhandlung zu laufen beginnen kann.1645 3. Präjudizialität a) Maßgeblichkeit der festgestellten Rechtsfolge. Präjudizielle Bindungswirkung qua ma- 606 terieller Rechtskraft wird nach herrschender Lehre dann angenommen, wenn und soweit die rechtskräftig festgestellte Rechtsfolge für die Feststellungen des Gerichts des Folgeverfahrens tragendes Element des Subsumtionsschlusses ist, auf dem die dort begehrte Rechtsfolge beruht. Die Rechtskraft beschränkt sich mithin auf die Rechtsfolge, die den Entscheidungssatz bildet, den das Gericht aus dem Sachverhalt durch dessen Subsumtion unter das objektive Recht erschlossen hat.1646 Hingegen existiert keine Bindungswirkung der Gründe eines Urteils. Die tatsächlichen Feststellungen und die Beurteilung dieses als vorgreiflich angesehenen Rechtsverhältnisses erwachsen als Urteilselemente nicht in Rechtskraft.1647 Die tragenden Urteilselemente 1642 1643 1644 1645

BGH 18.11.1993 – IX ZR 244/92 – NJW 1994, 460 f. Büscher GRUR 2012, 16. BGH 18.1.1985 – V ZR 233/83 – BGHZ 93, 285 ff. = NJW 1985, 1711 f.; h. L. vgl. Ahrens Kap. 36 Rn. 148 f. Vgl. hierzu: BGH 16.6.1972, BGHZ 59, 72 = GRUR 1972, 721 – Kaffeewerbung; Zur Frage der Verjährung von Unterlassungsansprüchen ausführlich Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 99 ff. sowie zur zitierten BGH Entscheidung 105 ff. So jetzt auch die gesetzliche Regelung durch § 201 Satz 2 BGB i. V. m. § 199 Abs. 5 BGB, übereinstimmend mit der früheren, seit BGH 16.6.1972, BGHZ 59, 72 = GRUR 1972, 721 – Kaffeewerbung ständigen Rechtsprechung des BGH (dazu kritisch Krieger GRUR 1972, 696); vgl. dazu Ahrens/Bornkamm Kap. 34 Rn. 14 (wo zurecht darauf hingewiesen wird, dass diese gesetzliche Neuregelung regelmäßig übersehen wird, allerdings auch in Ahrens Kap. 36 Rn. 147); Teplitzky/Bacher Kap. 16 Rn. 15; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.18; Gloy/Loschelder/ Danckwerts/Schwippert § 83 Rn. 60; Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 105 ff. 1646 BGH 24.6.1993 – III ZR 43/92 – NJW 1993, 3204, 3205; BGH 17.2.1983, NJW 1983, 2032 m. krit. Anm. Tiedtke NJW 1983, 2011; BGH 17.3.1964, BGHZ 42, 340 (349) = NJW 1965, 688 = GRUR 1965, 327 m. Anm. Reimer. 1647 BGH 14.7.1995 – V ZR 171/94 – NJW 1995, 2993; BGH 30.1.1985, BGHZ 93, 330 (335) = NJW 1985, 1340; BGH 25.2.1985, BGHZ 94, 29 (35) = NJW 1985, 2481; BGH 7.7.1993, BGHZ 123, 137 (140) = NJW 1993, 2684 je m. w. N. 691

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erwachsen nicht in „absolute Rechtskraft“,1648 wie das etwa der Lehre Savignys entsprochen hatte.1649 Wenn ein vorgreifliches Rechtsverhältnis mit Bindungswirkung festgestellt werden soll, so ist es zum Gegenstand einer Zwischenfeststellungsklage gemäß § 256 Abs. 2 ZPO zu machen, für die dann ein gesondertes Feststellungsinteresse nicht erforderlich ist.

607 b) Bindungswirkung. Es besteht eine Bindungswirkung, die bei der Begründetheit der im Zweitverfahren zur Entscheidung gestellten Ansprüche zu beachten ist; anders als beim Wiederholungsverbot geht es nicht um die Zulässigkeit der Klage.1650 Allerdings ist auch diese Bindungswirkung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten.1651 Damit ist jede Verhandlung, Beweiserhebung und Entscheidung über die rechtskräftig entschiedene Vorfrage unzulässig.1652

608 c) Feststellungsurteil für nachfolgendes Leistungsurteil präjudiziell. Ein klassischer Fall der Präjudizialität ist der einer Feststellungsklage, die das Nichtbestehen eines Unterlassungsanspruchs (negative Feststellungsklage) oder das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs (positive Feststellungsklage) dem Grunde nach zum Gegenstand hat. Wird nach Rechtskraft Leistungsklage erhoben, also Unterlassungsklage oder bezifferte Schadensersatzklage, so ist die Feststellung des materiellen Anspruchs (Bestehen oder Nichtbestehen) präjudiziell.1653 Hingegen besteht, wie bereits oben gesagt (Rn. 591, siehe auch ausführlich Rn. 379 ff.), wegen der fehlenden Identität des Streitgegenstandes beider Verfahren – aufgrund des überschießenden Rechtsschutzzieles der Leistungsklage – keine Rechtshängigkeitssperre und auch nicht der Rechtskrafteinwand (ne bis in idem). Ebenso verhält es sich mit der Feststellung des Schadensersatzanspruchs dem Grunde nach für eine nachfolgende, bezifferte Leistungsklage. Ist allerdings eine abweichende Entscheidung von vornherein ausgeschlossen – etwa bei rechtskräftiger Abweisung der Feststellungsklage und nachfolgender Leistungsklage – so kann es der Leistungsklage auch am Rechtsschutzbedürfnis fehlen.1654

d) Zur präjudiziellen Wirkung zwischen Unterlassungs- und Schadensersatzurteil 609 aa) BGH „Faxkarte“ – gesetzliche Unterlassungsansprüche. Im Rahmen der Präjudizialität stellt sich insbesondere die Frage, ob die Feststellung eines Wettbewerbsverstoßes im Rahmen der Unterlassungs- oder Schadensersatzklage wechselseitig präjudiziell wirken. Das kommt in der Praxis selten vor, weil in der Regel beide Ansprüche in einem Verfahren geltend gemacht werden. Wird aber zunächst der Schadensersatzanspruch geltend gemacht und dieser mangels Rechtsverletzung abgewiesen, so stellt sich die Frage, ob dies bereits für die Parteien bindend die fehlende Rechtswidrigkeit auch für eine Unterlassungsklage feststellt. Der BGH hat das in der Entscheidung „Faxkarte“ in einem urheberrechtlichen Fall verneint.1655 Im entschiedenen Fall war die bezifferte Schadensersatzklage mangels Erweislichkeit der Rechts-

1648 1649 1650 1651 1652 1653 1654

Schwab FS Bötticher (1969) 321, 325. Savigny System des heutigen Römischen Rechts, Bd. VI, §§ 291 ff. Vgl. etwa BGH 14.7.1995 – V ZR 171/94 – NJW 1995, 2993; Zöller/Vollkommer Vor § 322 Rn. 22. BGH 16.1.2008 – XII ZR 216/05 – NJW 2008, 1227 Rn. 9. Thomas/Putzo/Seiler § 322 Rn. 9; BGH 6.3.1985, NJW 1985, 2535. BGH 17.2.1983, NJW 1983, 2032 sub III 1. Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 56a (der Verweis auf Vollkommer in Zöller ist allerdings nicht ergiebig, weil dieser am angegebenen Ort, vor § 322 Rn. 19, zum Fehlen des Rechtsschutzbedürfnisses in diesen Fällen nichts sagt). 1655 BGH 2.5.2002, NJW-RR 2002, 1617, 1618 – Faxkarte. Grosch

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verletzung abgewiesen worden.1656 Der Kläger machte nun einen Besichtigungsanspruch mit Blick auf den Quellcode geltend (§ 809 BGB), um die Rechtsverletzung beweisen zu können.1657 Der BGH stellte in diesem Zusammenhang fest, dass der Besichtigungsanspruch für den Unterlassungsanspruch relevant sein könnte, weil dieser nicht durch die Abweisung der Schadensersatzklage präjudiziert sei.1658 Zur Begründung führte der BGH aus, der sich auf die Wiederholungsgefahr stützende Unterlassungsanspruch stütze sich zwar auch – zur Begründung der Wiederholungsgefahr – auf eine in der Vergangenheit liegende Verletzungshandlung. Gleichwohl beträfe der Unterlassungsanspruch seinem Gegenstand nach eine künftige Handlung, während der Schadensersatzanspruch allein auf die Vergangenheit gerichtet sei.1659 Ferner sei es so, dass der Kläger je nach dem verfolgten Rechtsschutzziel den Prozess mit unterschiedlichem Aufwand betreiben möge, weil ihm an dem einen Rechtsschutzziel weniger liegen möge als an dem anderen.1660 Aus dieser Begründung heraus erweitert der Leitsatz den angewendeten Rechtssatz auch auf die umgekehrte Situation, nach der also ein Urteil über eine Unterlassungsklage auch für eine spätere Schadensersatzklage nicht präjudiziell sei.1661 Das war auch die bereits früh vom Reichsgericht eingenommene Position, wobei sich hier 610 allerdings nur Urteile zur zuletzt genannten Position, also einem nachfolgenden Schadensersatzprozess, finden. Das Unterlassungsurteil habe hier keine präjudizielle Wirkung, weil die Rechtswidrigkeit der Handlung nur ein Urteilselement des Unterlassungsurteils sei und somit an der Rechtskraftwirkung nicht teilhabe.1662 Der Schadensersatzanspruch sei kein durch den Unterlassungsanspruch bedingtes Rechtsverhältnis, sondern beide stünden gleichberechtigt nebeneinander und knüpften nur an die Verletzung desselben Rechtsgutes an. Anders wurde es freilich für den Fall eines Feststellungsurteils gesehen, dessen Gegenstand die Rechtswidrigkeit einer bestimmten Verletzungsform war. Hier finde sich die Feststellung der Rechtswidrigkeit in der Urteilsformel und nicht lediglich in den Gründen, so dass das für den nachfolgenden Schadensersatzanspruch bindend sei.1663

bb) BGH „Gliedermaßstäbe“ – Vertragliche Unterlassungsansprüche. In der BGH Ent- 611 scheidung „Gliedermaßstäbe“ sprach sich der vormalige Ia. Zivilsenat (heutiger X. Zivilsenat) obiter dictum gegen die reichsgerichtliche Linie aus, weil diese die jedem Urteil innewohnende Feststellungswirkung mit Blick auf den mit der Klage erhobenen materiellen Anspruch nicht genügend berücksichtige.1664 Das Leistungsurteil unterscheide sich vom Feststellungsurteil allein durch den Leistungsbefehl, der neben die Feststellungswirkung trete und somit das Feststellungsurteil „vollstreckbar“ mache.1665 Im entschiedenen Fall ging es allerdings um einen vertraglichen Unterlassungsanspruch, so dass der BGH in der Begründung bei der tradierten Sichtweise der voneinander abhängigen Rechtsverhältnisse bleiben konnte: Der vertragliche Unterlassungsanspruch bilde die Voraussetzung eines sekundären Schadensersatzanspruchs, so dass er als vorgreifliches Rechtsverhältnis rechtskräftig festgestellt sei. Mit Blick auf den Zeitraum der Bindungswirkung hat der BGH den Zeitraum ab Rechtshängigkeit für maßgeblich erachtet. Diese Auffassung gilt dann aber von vornherein nur für das Verhältnis eines rechtskräftigen Unterlassungsanspruchs und eines nachfolgenden Schadensersatzan1656 1657 1658 1659 1660 1661 1662 1663 1664 1665 693

BGH 2.5.2002, NJW-RR 2002, 1617, 1618 – Faxkarte. BGH 2.5.2002, NJW-RR 2002, 1617 – Faxkarte. BGH 2.5.2002, NJW-RR 2002, 1617, 1618 – Faxkarte. BGH 2.5.2002, NJW-RR 2002, 1617, 1618 f.– Faxkarte. BGH 2.5.2002, NJW-RR 2002, 1617, 1619 – Faxkarte. BGH 2.5.2002, NJW-RR 2002, 1617 – Faxkarte. RG 3.7.1901, RGZ 49, 33; RG 20.2.1937, JW 1937, 1895, 1897 r. Sp.; RG 15.3.1939, RGZ 160, 163, 165 f. RG 13.6.1928, RGZ 121, 287, 289. BGH 17.3.1964, NJW 1965, 689, 691 = GRUR 1965, 327, 329 – Gliedermaßstäbe. BGH 17.3.1964, GRUR 1965, 327, 329 – Gliedermaßstäbe. Grosch

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

spruchs.1666 Der BGH hatte in „Intermarkt II“ die Ausdehnung auf die gesetzlichen Unterlassungsansprüche noch offen gelassen.1667 Mit „Faxkarte“1668 ist dieser Ausdehnung nunmehr ein Riegel vorgeschoben und die Begründung der Entscheidung „Faxkarte“ würde auch der Fortsetzung der Linie aus „Gliedermaßstäbe“ entgegenstehen, weil die vom BGH in „Faxkarte“ genannten Aspekte genauso auch für den vertraglichen Unterlassungsanspruch und seine Feststellung gelten.

612 cc) Neuere BGH-Rechtsprechung zum allgemeinen Zivilrecht. In neueren Urteilen haben sich sowohl der I. Zivilsenat1669 als auch der IX. Zivilsenat1670 dezidiert gegen jede Erweiterung der Rechtskraftwirkung über den unmittelbaren Anspruchsgegenstand auf rechtliche „Sinnzusammenhänge“ hinaus ausgesprochen. Der IX. Zivilsenat wertet die Entscheidung „Faxkarte“ dabei so, dass diese auch die Linie aus „Gliedermaßstäbe“ für die vertraglichen Unterlassungsansprüche abgelehnt habe,1671 wohingegen die wettbewerbsrechtliche Literatur die Entscheidung überwiegend und zu Recht allein so liest, dass damit die Verneinung der Präjudizialität für die gesetzlichen Unterlassungsansprüche ausgesprochen ist.1672

613 dd) Zeuners Lehre von der Präjudizialität bei Sinnzusammenhängen. In der Literatur hatte vor allem Zeuner bereits vor „Gliedermaßstäbe“ eine Abkehr von einem rein begrifflichkonstruktiven Ansatz zugunsten einer Lehre von materiell-rechtlichen Sinnzusammenhängen für die Bestimmung der Rechtskraftwirkung gefordert.1673 Man könne die Rechtswidrigkeit der Handlung im Unterlassungsverfahren nicht anders beurteilen als im Schadensersatzprozess.1674 Das sei besonders evident für die Handlungen, die zeitlich nach der Entscheidung liegen, weil das Unterlassungsurteil gerade auf die Prävention derselben gerichtet sei. Es gelte aber darüber hinaus auch für den zurückliegenden Zeitraum, weil es im Unterlassungsverfahren um die Feststellung einer einheitlichen Rechtspflicht gehe. Mithin sei eine Bindungswirkung bis zurück zur ersten, die Wiederholungsgefahr begründenden Handlung anzunehmen.1675

614 ee) Weiteres Schrifttum. Das weitere Schrifttum ist der Auffassung Zeuners ursprünglich gefolgt,1676 wobei jedoch in Anknüpfung an Henckel1677 die Auffassung vertreten wurde, dass eine Bindung erst für Handlungen nach Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz gegeben sei.1678 Jacobs hielt in der Vorauflage demgegenüber die Begrenzung der zeitlichen Rückwirkung selbst auf den Zeitpunkt der Klageerhebung für nicht überzeugend.1679 Heute ist 1666 Insofern konnte der BGH in Faxkarte die Entscheidung für seine Auffassung heranziehen. Für die weiteren Folgerungen (wie im Leitsatz ausgedrückt) und die Begründung der Auffassung jedoch nicht. BGH 26.1.1984, GRUR 1984, 820, 821, sub II 1 – Intermarkt II. BGH 2.5.2002 – I ZR 45/01 – GRUR 2002, 1046 – Faxkarte. BGH 26.6.2003 – I ZR 269/00 – NJW 2003, 3058, 3059 (speditionsrechtlicher Fall). BGH 5.11.2009 – IX ZR 239/07 – BGHZ 183, 77 Tz. 21 = NJW 2010, 2210 – Restschuldbefreiung. BGH 5.11.2009 – IX ZR 239/07 – BGHZ 183, 77 Tz. 21 a. E. = NJW 2010, 2210 – Restschuldbefreiung. Teplitzky/Schaub Kap. 30 Rn. 2; Ahrens Kap. 36 Rn. 183 f. Zeuner Die objektiven Grenzen der Rechtskraft im Rahmen rechtlicher Sinnzusammenhänge (1959). Zeuner Die objektiven Grenzen der Rechtskraft im Rahmen rechtlicher Sinnzusammenhänge (1959) § 7 S. 58 ff. Zeuner Die objektiven Grenzen der Rechtskraft im Rahmen rechtlicher Sinnzusammenhänge (1959) § 7 S. 60. Stein/Jonas/Althammer § 322 Rn. 207; w. N. bei Teplitzky GRUR 1998, 320, 323 in Fn. 46. Henckel ACP 174 (1974), 97, Fn. 34, sowie Henckel Prozeßrecht und materielles Recht, S. 191 sub 12a). MünchKommZPO/Gottwald § 322 Rn. 54; Musielak/Voit § 322 Rn. 37; Benkard/Grabinski/Zülch § 139 Rn. 148; Teplitzky GRUR 1998, 320, 323 f.; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Brüning Vor § 12 Rn. 246; a. A. Fezer/Büscher/ Obergfell § 12 Rn. 364: ab Rechtshängigkeit der Klage. 1679 GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 435.

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insgesamt, auf der Linie der neueren BGH-Rechtsprechung, eine stärkere Verneinung der Präjudizialität für alle Fallgruppen auszumachen,1680 wobei jedoch ein erheblicher Teil der Literatur auf der Linie von „Gliedermaßstäbe“ eine Bindungswirkung nur für die vertraglichen Unterlassungsansprüche bejaht und für die gesetzlichen Ansprüche verneint.1681

ff) Stellungnahme. In der Tat stört es bei gänzlicher Ablehnung der Bindungswirkung am 615 meisten, dass ein Verstoß gegen ein rechtskräftiges Unterlassungsurteil zwar ein Ordnungsgeld, aber keine Schadensersatzpflicht nach sich ziehen könnte, weil das Gericht im Schadensersatzprozess die Rechtswidrigkeit der Handlung anders beurteilen könnte. Darauf hatte der BGH in „Gliedermaßstäbe“ ausdrücklich hingewiesen1682 und einen entsprechenden Vorbehalt, mit Blick auf die Verneinung der Bindungswirkung, hatte bereits das Reichsgericht gemacht.1683 Der Argumentationswert dieses Gleichlaufs wird auch von Vertretern, der sich gegen die Annahme von Präjudizialität richtenden Auffassung anerkannt.1684 Ich hatte in diesem Kontext an anderer Stelle auf § 890 Abs. 3 ZPO hingewiesen, nach dem der Gläubiger für den durch weitere Zuwiderhandlungen gegen das Urteil drohenden Schaden Sicherheitsleistung verlangen kann.1685 Der Schadensersatzanspruch kann nur ein materiell-rechtlicher sein, weil das Ordnungsgeld nicht an den Gläubiger, sondern an den Fiskus geht. Insofern deutet diese Regelung auf einen Gleichlauf von Verstoß gegen das Urteil und Schadensersatzverpflichtung hin. Ich hatte ferner die Auffassung vertreten, dass das Abstellen auf diesen Gleichlauf eine Anknüpfung an den Zeitpunkt der Rechtskraft oder zumindest der Bindung an das Unterlassungsurteil erfordere, also einen Beschluss nach § 890 Abs. 2 ZPO und jedenfalls die Zustellung des Urteils, weil es vorher nicht zu einer Zuwiderhandlung im Sinne des § 890 Abs. 3 ZPO, für die Sicherheit zu leisten ist, kommen kann.1686 Im Ergebnis überzeugt diese Auffassung allerdings nicht. Wenn es eine Bindungswirkung 616 gäbe, so könnte diese nur aus der Feststellungswirkung des tenorierten Subsumtionsschlusses erwachsen. Für diese ist aber jedenfalls nach § 767 Abs. 2 und § 323 Abs. 2 ZPO der Schluss der mündlichen Verhandlung der maßgebliche Zeitpunkt. Es belegt allerdings zugleich, dass das Unterlassungsurteil eine andere Art der Rechtskraft als sonstige Urteile entfaltet (hierzu auch Rn. 630 ff., 648 f.). Es entfaltet Bindungswirkung für künftige Handlungen, die heute noch nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen sein konnten.1687 Diese Auffassung wäre auch noch vereinbar mit der Begründung, die der BGH in „Faxkarte“ 617 für die grundsätzliche Ablehnung der Bindungswirkung gegeben hat. Der BGH hat im entschiedenen Fall nämlich hauptsächlich darauf abgestellt, dass das Unterlassungsurteil sich mit künftigen Handlungen befasse, während das Schadensersatzurteil auf vergangene Handlungen bezogen sei. Für künftige Handlungen würde diese Begründung mithin gerade für das Gegenteil streiten.

1680 Ausführlich Ahrens Kap. 36 Rn. 166 ff.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.115; Zöller/Vollkommer Vor § 322 Rn. 27.

1681 Vgl. etwa Teplitzky/Schaub Kap. 30 Rn. 2 m. w. N. – auch zur Gegenmeinung – in Fn. 9; Wieczorek/Schütze/ Büscher § 322 Rn. 70 f.; a. A. für die gesetzlichen Unterlassungsansprüche Stein/Jonas/Althammer § 322 Rn. 207, weil die Schadensersatzpflicht der Sache nach nichts anderes sei als eine Sanktion der gesetzlichen Unterlassungspflicht, die Teil des absoluten Rechts sei. 1682 BGH 17.3.1964 – Ia ZR 193/63 – BGHZ 42, 340, 357 sub 4. 1683 RG 3.7.1901, RGZ 49, 33, 37. 1684 Vgl. etwa Ahrens Kap. 36 Rn. 175. 1685 Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 388. 1686 Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 387. 1687 Weshalb teilweise eine solche Bindungswirkung für die Zeit nach Schluss der mündlichen Verhandlung schlechthin abgelehnt wird, vgl. v. Ungern-Sternberg GRUR 2009, 1009, 1015. Dem ist allerdings nicht zu folgen (vgl. oben Rn. 211 ff.). 695

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Im Übrigen müsste diese Auffassung aber auch für den umgekehrten Fall gelten, nämlich für die Wirkung eines Schadensersatzfeststellungsurteils auf ein nachfolgendes Unterlassungsverfahren. Soweit das Feststellungsurteil in die Zukunft wirkt, müsste es auch Bindungswirkung für das nachfolgende Unterlassungsverfahren entfalten. Da die Feststellungswirkung auch in Zukunft greift, gäbe es keinen sachlichen Grund, ihr insofern eine Bindungswirkung für ein nachfolgendes Unterlassungsverfahren zu verweigern, sofern der Zeitraum nach Schluss der mündlichen Verhandlung betroffen ist. Ein anderes Ergebnis wäre rein formalistisch. Nach herrschender Auffassung wirkt die Schadensersatzfeststellung aber in die Zukunft,1688 so dass hier ein Gleichlauf erforderlich wäre.1689 Diese Wirkung des Schadensersatzfeststellungsurteils wird aber von der herrschenden Lehre verneint oder überwiegend überhaupt nicht erst adressiert. 619 Im Übrigen könnte man den Fall der Klageabweisung nicht anders behandeln wie den Fall der gerichtlichen Erkenntnis nach dem klägerischen Antrag. Wenn man insofern vertreten will, dass die rechtskräftige Abweisung der Unterlassungsklage die Handlungsfreiräume des Beklagten festlege und dies nicht durch einen nachfolgenden Schadensersatzprozess konterkariert werden könne, so kann man dem korrespondierenden rechtskräftigen Unterlassungsurteil eine entsprechende präjudizielle Bindungswirkung für das nachfolgende Schadensersatzverfahren nicht verweigern.1690 Das alles zeigt, dass es äußert schwierig ist, bei Bejahung der Präjudizialität ein wer620 tungskonsistentes System beizubehalten. Insbesondere wäre die Annahme der Bindungswirkung des Schadensersatzfeststellungsurteils auf den nachfolgenden Unterlassungsprozess zwingend, wenn man diese Wirkung für den umgekehrten Fall annehmen wollte. Das wird in der Literatur überhaupt nicht gesehen, weil man sich vor „Taxameter“ zu dieser Frage in der Regel keine Gedanken gemacht hatte1691 und diese Frage auch danach wegen ihres spezifischen Kontexts im Patentverletzungsprozess ein blinder Fleck bei allen Kommentatoren geblieben ist. Ich meine deshalb, unter Aufgabe meiner früheren Auffassung,1692 dass es überhaupt keine 621 Bindungswirkung geben sollte. Zwar ist das Argument des BGH, wonach der Kläger mit dem einen Anspruch mehr an Wert für seine Position verbinden könnte als mit dem anderen und sich deshalb anders positionieren würde, zirkulär, weil natürlich bei einer Erstreckung der Rechtskraft beide Positionen in ihrem Kern von vornherein Verfahrensgegenstand wären und sich die Parteien darauf einstellen müssten. Das zeigt aber gerade, dass hier Klarheit benötigt wird. Diese Klarheit streitet im Zweifel für die Ablehnung einer weitergehenden Bindungswirkung über den Bereich der unmittelbar betroffenen Ansprüche mit ihren abweichenden Rechtsschutzzielen. Wenn eine der Parteien das Programm des Rechtsstreits ändern will, kann sie es ausdrücklich tun, indem sie von § 256 Abs. 2 ZPO Gebrauch macht. 618

4. Zeitliche Grenzen der Rechtskraft und die Statthaftigkeit nachträglicher Änderungen gegenüber dem rechtskräftigen Urteil 622 a) Grundsätze. Die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft beziehen sich, wie sich bereits aus § 767 Abs. 2 ZPO ergibt, auf den Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz. 1688 BGH 4.5.2004 – X ZR 234/02 – GRUR 2004, 755 – Taxameter. 1689 Vgl. Benkard/Grabinski/Zülch PatG, § 139 Rn. 148. 1690 So aber wohl Ahrens Kap. 36 Rn. 175, der zur Begründung allein angibt, dass seine Auffassung auf einer „eigenständigen Beurteilung der Klageabweisung im Unterlassungsprozess“ beruhe und nicht „voreilig auf andere Prozesslagen“ übertragen werden dürfe. 1691 Hierzu etwa vor BGH 4.5.2004 – X ZR 234/02 – GRUR 2004, 755 – Taxameter im Wesentlichen nur Grosch/ Schilling in FS Eisenführ (2003) 131. 1692 Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 385 ff., insbes. 388. Grosch

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VIII. Rechtskraft

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Der Schuldner kann nur mit neuen Tatsachen, die nach diesem Zeitpunkt eingetreten sind, gegenüber dem rechtskräftigen Urteil gehört werden. In § 767 Abs. 2 ZPO manifestiert sich insofern das allgemeine Prinzip der zeitlichen Grenzen der Rechtskraft.1693 Rosenberg sprach von einer sachlich zu § 322 ZPO gehörenden lex fugitiva.1694 In der gängigen Dogmatik müssen nach diesem Zeitpunkt objektiv neue Tatsachen eingetreten sein. Mit objektiv bereits vor diesem Zeitpunkt gegebenen Tatsachen sind die Parteien unabhängig von einer Vorwerfbarkeit präkludiert.1695 Neue Tatsachen sind allerdings nur dann relevant, wenn durch diese, die im rechtskräftigen 623 Urteil festgestellte materielle Rechtslage geändert wird. Das beurteilt sich vor dem Hintergrund der Feststellungen der rechtskräftigen Entscheidung.1696 Entscheidend ist, ob die zum rechtskräftigen Urteil führenden materiellen Einordnungen des Erstgerichts durch die neue Tatsache eine Änderung erfahren.1697 Bei der Abweisung einer Klage ist folglich zu prüfen, warum die Klage abgewiesen wurde. Ist sie mangels Fälligkeit abgewiesen worden, wobei eine Tenorierung der Abweisung als „derzeit unbegründet“ nicht erforderlich ist, so kann dieser Mangel durch den zeitlich späteren Eintritt der Fälligkeit behoben werden,1698 dazu oben Rn. 588 f. Wird der Klage stattgegeben, so ist der materielle Anspruch für diesen Zeitpunkt als unbedingt bestehend zu erachten, er kann aber durch nachfolgende Ereignisse, etwa die Erfüllung (§ 362 BGB), erlöschen. Es entspricht insofern ständiger Rechtsprechung, dass nur rechtsvernichtende oder rechts- 624 hemmende Einwendungen für die Klage gemäß § 767 ZPO beachtlich sein sollen, nicht aber rechtshindernde Einwendungen; Umstände, die den rechtskräftig festgestellten Klageanspruch selbst betreffen und zu einem Wegfall der anspruchsbegründenden Tatsachen führen würden, rechtfertigen die Vollstreckungsgegenklage mithin grundsätzlich nicht.1699 Von § 767 ZPO werden daher nur die eigentlichen rechtshemmenden und rechtsvernichtenden Einwendungen und Einreden im Sinne des materiellen Rechts erfasst.1700

1693 BGH 19.11.2003, NJW 2004, 1252, 1253 f.; Musielak/Voit § 322 Rn. 28; Zöller/Herget § 767 Rn. 14; Stein/Jonas/ Althammer § 322 Rn. 232. 1694 Rosenberg SJZ 1950, 313 r. Sp. sub III 1, sowie Rosenberg Die Beweislast (1965) § 9 V. S. 109; ferner Rosenberg Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 1. Auflage, 1927, § 156 III 2, S. 475. Dieser Grundsatz wird für alle Verfahrensordnungen gleichermaßen akzeptiert. 1695 BGH 16.2.1961, BGHZ 34, 274, 279 = NJW 1961, 1067, 1068; BGH 30.3.1994, BGHZ 125, 351, 353; MünchKommZPO/Schmidt/Brinkmann § 767 Rn. 77; Musielak/Voit/Lackmann § 767 Rn. 33. Ob es sich dabei um rechtskraftfremde Präklusion handelt, weil sich die materielle Rechtskraft auf die Tatsachen beschränken müsse, über die tatsächlich entschieden wurde, ist streitig gewesen, vgl. für eine rechtskraftfremde Präklusion, etwa Habscheid, Der Streitgegenstand im Zivilprozeß, S. 291 ff., dagegen Schwab, Streitgegenstand, S. 169 f. Sachlich ändert dieser Meinungsstreit nichts. 1696 Stein/Jonas/Althammer § 322 Rn. 248. 1697 Vgl. etwa Musielak in FS Nakamura (1996) 424, 438; Stein/Jonas/Althammer § 322 Rn. 247. Dieser Grundsatz wird für alle Verfahrensordnungen gleichermaßen akzeptiert. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, § 47 V 2 f), S. 532. „Die dargestellten zeitlichen Grenzen der materiellen Rechtskraft gelten in allen Verfahren gleichermaßen. Hat sich der entscheidungserhebliche Sachverhalt verändert, so kann immer ein neues Verfahren anhängig gemacht werden“. 1698 BGH 26.4.1990, GRUR 1990, 687, 689 – Anzeigenpreis II; Wieczorek/Schütze/Büscher § 322 Rn. 203; Stein/ Jonas/Althammer § 322 Rn. 249. 1699 BGH 6.3.1987, MDR 1992, 334 m. Anm. Deichfuß. Im entschiedenen Fall soll die Abänderungsklage nach § 323 ZPO helfen. Vgl. Stein/Jonas/Althammer § 323 Rn. 74 ff. m. w. N. Ebenfalls für eine Anwendung des § 323 OLG Karlsruhe 4.5.1989, NJW 1990, 1738. A. A. etwa Deichfuß, MDR 1992, 334. 1700 Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, 12. Aufl. (2010), § 40 V 1, S. 731: „Für die Vollstreckungsgegenklage gegen Urteile kommen nur ‚rechtshemmende‘ oder ‚rechtsvernichtende‘, niemals ‚rechtshindernde‘ Einwendungen in Frage“; Wieczorek/Schütze/Spohnheimer § 767 Rn. 57. 697

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

625 b) Besonderheiten bei Unterlassungsurteilen. Es wurde bereits oben begründet, dass diese Grundsätze für Unterlassungsurteile nicht einfach übernommen werden können, weil sie definitionsgemäß ausschließlich künftiges Verhalten des Schuldners, also nach Schluss der mündlichen Verhandlung, erfassen. Das Rechtsschutzziel bezieht sich allein auf ein Verhalten, das, weil es sich zeitlich noch nicht aktualisiert hatte, im Erkenntnisverfahren identisch noch nicht geprüft werden konnte. Das Erkenntnisgericht kann nur eine konkrete Verbotsnorm aufstellen, die in Anknüpfung an ein vergangenes oder erstmalig drohendes Verhalten gewonnen wird. Die Auffassung, dass Unterlassungsurteile für die Zeit nach Schluss der mündlichen Verhandlung keine Rechtskraftwirkung entfalten, ist gleichwohl abzulehnen und entspricht nicht der herrschenden Auffassung. Unterlassungsurteilen kommt Rechtskraft gerade (und ausschließlich) für die Handlungen nach Schluss der mündlichen Verhandlung zu (vgl. Rn. 287, 861 f.). Mit Blick auf die erfassten künftigen Sachverhalte gelten die obigen Ausführungen zum Streitgegenstand, Rn. 272 ff. Es ist zu prüfen, ob diese von dem im Erkenntnisverfahren zugrunde gelegten Sachverhalt dergestalt differieren, dass eine abweichende Beurteilung durch das Erkenntnisgericht möglich wäre. Ob Änderungen des Sachverhalts eine abweichende materielle Erkenntnis im Ergebnis rechtfertigen, kann keine Relevanz haben.1701 Das ist die Essenz der „Kernbereichslehre“ (vgl. Rn. 854 ff.). Hierzu gelten, entgegen der noch herrschenden Auffassung und der Rechtsprechung des BGH, die oben gemachten Einschränkungen (Rn. 82 f. sowie unten Rn. 862 ff.), dass die Rechtskraftwirkung enger ist, wenn der Kläger das ausdrücklich bestimmt. Dann ist bei Beschränkung des Streitgegenstands auf den Lebenssachverhalt nach einer natürlichen Betrachtungsweise – wie sie vom BGH vertreten wurde (hierzu ausführlich Rn. 252 ff.) – eine nachträgliche Ausdehnung der Rechtskraftwirkung auf „kerngleiche“ Handlungen nicht konsistent, weil der Kläger durch die Beschränkung seines Antrages im Erkenntnisverfahren gerade die Zulässigkeitshürden des Bestimmtheitsgrundsatzes, die für eine weiter generalisierende Regelung zu Recht aufgestellt sind, nicht zu nehmen brauchte und damit das Programm des Erkenntnisverfahrens entsprechend beschränkt hat (hierzu Rn. 126 ff., 130 f., 136, 862 f. und bereits 88 ff.). Ein daraufhin ergehendes Urteil kann nicht ohne Verstoß gegen § 308 ZPO über einen weiteren Streitgegenstand erkennen, und ein Urteil, das entsprechend den engen Vorgaben erkennt, kann nicht eine weitergehende Rechtskraftwirkung auf nachfolgende, von der konkreten Verletzungsform abweichende Handlungen haben (vgl. Rn. 282).

c) Rechtsvernichtende materielle Einwendungen bei Unterlassungsansprüchen 626 aa) Wegfall der Begehungsgefahr als rechtsvernichtende Einwendung. Im Sinne dieser systematischen Vorgaben (Rn. 624) wird der Wegfall der Begehungsgefahr – aus welchem Grund auch immer – von der herrschenden Auffassung als rechtsvernichtende Einwendung verstanden.1702 Allerdings führt nach inzwischen herrschender Auffassung schon der rechtskräftige Unter627 lassungstitel zum Wegfall der Begehungsgefahr. Diese Problematik hat zwar regelmäßig für die Frage erga omnes Relevanz, also für das Entfallen mit Drittwirkung, wird aber genauso auch für das Verhältnis zwischen den Prozessparteien angenommen. Darin soll gleichwohl kein Umstand liegen, der die Vollstreckungsgegenklage begründen könne, weil es sich um einen innerprozessualen Umstand handle, auf den sich der Unterlassungsschuldner nicht berufen könne.1703 Mit 1701 Für den Patentverletzungsprozess etwa Haedicke/Timmann/Zigann, Handbuch des Patentrechts, § 11 Rn. 64. 1702 Teplitzky/Kessen Kap. 7 Rn. 1, bei dem der Gegensatz besonders deutlich wird: „Entfällt die Wiederholungsgefahr wieder, so fehlt es an einem Tatbestandsmerkmal des Unterlassungsanspruchs. Dies hat zur Folge, daß der Unterlassungsanspruch erlischt.“ Wie der Anspruch erlöschen kann, wenn es an einem Tatbestandsmerkmal „fehlt“ ist aber gerade die Frage, die es zu klären gilt. Das Erlöschen baut nämlich notwendig auf der Prämisse einer bis zu diesem Ereignis bestehenden rechtlichen Identität auf. 1703 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.60. Grosch

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dem Unterlassungsurteil sei das Rechtsschutzziel erreicht und das Erreichen desselben könne nicht zugleich Grund für die Aufhebung des Urteils sein.1704 Weil die Begehungsgefahr mit dem Urteil wegfalle, sei auch kein Raum mehr für den nachfolgenden Wegfall der Begehungsgefahr durch Handlungen, wie etwa die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung.1705 Nach anderer Auffassung soll auch für die Annahme, dass das Urteil die Wiederholungsgefahr nicht beseitige, davon ausgegangen werden, dass die Abgabe der strafbewehrten Unterlassungserklärung kein tauglicher Grund für die Vollstreckungsgegenklage sei, wenn diese auch während des Prozesses hätte abgegeben werden können. Das sei dann in entsprechender Anwendung des § 767 Abs. 2 ZPO keine neue, die rechtsvernichtende Einwendung tragende Tatsache.1706

bb) Stellungnahme. Diese Auffassungen zum nachträglichen Wegfall der Wiederholungsge- 628 fahr zeigen, dass mit der schlichten Einordnung als rechtsvernichtende materielle Einwendung für das Ergebnis noch nichts gewonnen ist. Das ist eine Kategorie, die für den rechtskräftig festgestellten materiellen Unterlassungsanspruch nicht passt. Während für einen gängigen, im Urteil festgestellten materiellen Anspruch nach materiellem Recht geprüft werden kann, ob eine rechtsvernichtende oder rechtshemmende Einwendung für einen zum Schluss der mündlichen Verhandlung abschließend entstandenen und für diesen Zeitpunkt abschließend erfüllbaren Anspruch vorliegt (Erfüllung etc.), gibt es diesen Maßstab für das Unterlassungsurteil nicht, weil es künftiges Verhalten regelt. Anders als der normale materielle Anspruch ist der Unterlassungsanspruch keine „statische materielle Rechtslage“,1707 die zu einem Zeitpunkt entsteht und mit dem Entstehungstatbestand bis zum Eintritt weiterer materieller Tatbestände unverändert bleibt. Es handelt sich vielmehr um eine „zeitlich fortdauernde Rechtslage“.1708 Auf der Basis der rechtsvernichtenden Einwendung müsste man etwa für den auf Erstbegehungsgefahr begründeten Unterlassungsanspruch davon ausgehen, dass bei einer nachträglichen Änderung des Sachverhalts, der zur Annahme der Erstbegehungsgefahr geführt hat, der Unterlassungsanspruch in Wegfall gerät. Wenn also der Schuldner von seiner Berühmung aufgrund des rechtskräftigen Unterlassungsurteils Abstand nimmt (actus contrarius), was regelmäßig zum Fortfall der Erstbegehungsgefahr führt,1709 könnte er die Vollstreckbarkeit des rechtskräftigen Urteils wieder beseitigen, indem er sich im Wege der Vollstreckungsgegenklage auf eine nachträgliche rechtsvernichtende Einwendung berufen würde. Das überzeugt genauso wenig, wie bei dem auf Wiederholungsgefahr gründenden Verletzungsunterlassungsanspruch. Daraus folgt nicht, dass die Vollstreckungsgegenklage nie der richtige Rechtsbehelf wäre, 629 aber die bloße terminologische Verkürzung auf eine rechtsvernichtende Einwendung trägt zum Problembewusstsein und zur richtigen Handhabung nichts bei, sondern ist bloßer Formalismus. d) Neue Wertungen als Basis für rechtsvernichtende Einwendungen aa) Problemstellung und Grundsätze. Weitere Probleme in Anbetracht der besonderen Qua- 630 lität der Unterlassungsurteile stellen sich bei der Frage der Berücksichtigungsfähigkeit von Änderungen, die nicht lediglich subsumtionsrelevante Tatsachen betreffen, sondern Änderungen 1704 1705 1706 1707

Fritzsche Unterlassungsanspruch S. 199. Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 51. KG 29.7.2005 – 5 W 93/05– MD VSW 2005, 1052 f. Eine von mir in diesem Kontext geprägte Begrifflichkeit, hierzu Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 97 f. (rekurriert auf eine von James Goldschmidt in anderem Zusammenhang begründete Terminologie, Goldschmidt, Zivilprozessrecht, § 23, S. 5, hierzu Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 97 f. Fn. 391). 1708 So etwa die Begrifflichkeit von Rüßmann FS Lüke (1997) 675. 1709 Vgl. Nachweise bei Teplitzky/Kessen Kap. 10 Rn. 21 f. 699

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der Wertungen, insbesondere Änderungen der Rechtslage, der Rechtsprechung und neue Erkenntnisse mit Blick auf subsumtionserhebliche Tatsachen. Das wird regelmäßig mit Blick auf rechtskräftige Unterlassungsurteile diskutiert, gilt aber ebenso, wenn es um die Frage des Umfangs der zeitlichen Rechtskraft von klageabweisenden Urteilen geht. Für Unterlassungsurteile wird diese Fragestellung dadurch verschärft, dass diese, anders als andere Urteile, der 30-jährigen Verjährung nicht schon ab Titulierung, sondern erst ab der ersten Zuwiderhandlung unterliegen,1710 also das Verbot gleichsam auf ewige Zeiten festgelegt wird (hierzu auch Rn. 605 a. E.). Das verdeutlicht aber letztlich nur die Problematik. Strukturell läge der Abänderungsbedarf nicht anders, wenn die Bindung „lediglich“ 30 Jahre betrüge. 631 Allgemein wird aufgrund der „langfristigen Bindung“ an Unterlassungstitel eine Korrekturbedürftigkeit ausgemacht, wenn sich die tatsächlichen Umstände, die höchstrichterliche Rechtsprechung oder die Gesetzeslage ändern.1711 Diskutiert wird das im allgemeinen anhand der Statthaftigkeit des Rechtsbehelfs der Vollstreckungsgegenklage gegen rechtskräftige Unterlassungstitel, also anhand der Frage, ob eine Änderung als taugliche Einwendung im Sinne des § 767 ZPO gelten kann. Das setzt sich allerdings in Widerspruch zu einem allgemein anerkannten Prinzip, wonach 632 nur eine Änderung der Tatsachen oder die Verfügbarkeit neuer Erkenntnisse über vormals bestehende Tatsachen, nicht aber ein reiner Bewertungs- oder Erkenntniswandel die Begrenzung oder Durchbrechung materieller Rechtskraft rechtfertigen kann. Insofern ist bei der systematischen Einordnung und der praktischen Handhabung das Spannungsfeld im Verhältnis zu diesem Grundsatz zu berücksichtigen. Mit Blick auf neue Wertungen, im Unterschied zu neuen Tatsachen, als Grundlage für eine 633 Einwendung im Sinne von § 767 ZPO können die Fallgruppen der Gesetzesänderung (hierzu bb)), der Rechtsprechungsänderung (hierzu cc)) und neuer Erkenntnisse mit Blick auf die Bewertung subsumtionsrelevanter Tatsachen (neue Beweismittel, sub cc) Rn. 639 ff.), unterschieden werden. In diesem Zusammenhang ist ferner die Frage zu klären, ob § 767 ZPO oder § 323 ZPO der richtige Rechtsbehelf zur Geltendmachung solcher Änderungen ist (hierzu dd)). Im Folgenden wird zunächst die höchstrichterliche Rechtsprechung dargestellt. Unter ee) werden die hierzu im Schrifttum vertretenen Auffassungen dargestellt; unter ff) erfolgt eine zusammenfassende Stellungnahme zur Problematik.

634 bb) Gesetzesänderung. Die grundlegenden Unterschiede bei der Behandlung rechtskräftiger Unterlassungsurteile setzen sich bei der Behandlung einer Gesetzesänderung fort. Grundsätzlich ist anerkannt, dass Änderungen der das vollstreckbare, rechtskräftige Urteil tragenden gesetzlichen Vorschriften keine tauglichen Einwendungen bilden, welche mit der Klage gemäß § 767 Abs. 1 ZPO gegen die Vollstreckbarkeit des Urteils vorgebracht werden können.1712 Für Unterlassungsurteile wird hingegen eine Ausnahme gemacht. Wenn das verbotene Ver635 halten durch die Gesetzesänderung heute erlaubt wird, sei die Klage gemäß § 767 Abs. 1 ZPO gegen das Urteil statthaft und begründet.1713 Auch hier wird gesagt, es handle sich um eine nachträgliche rechtsvernichtende Einwendung.1714 Diese Konstellation sei letztlich ähnlich einer 1710 So jetzt auch die gesetzliche Regelung durch § 201 Satz 2 BGB i. V. m. § 199 Abs. 5 BGB, übereinstimmend mit der früheren, seit BGH 16.6.1972, BGHZ 59, 72 = GRUR 1972, 721 – Kaffeewerbung ständigen Rechtsprechung des BGH (dazu kritisch Krieger GRUR 1972, 696) und der h. L.; vgl. dazu Ahrens/Bornkamm Kap. 34 Rn. 14; Teplitzky/ Bacher Kap. 16 Rn. 15; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.18; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Schwippert § 83 Rn. 60; Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 105 ff. 1711 Ahrens Kap. 36a Rn. 1. 1712 MünchKommZPO/Schmidt-Brinkmann § 767 Rn. 70; Zöller/Herget § 767 Rn. 13. 1713 Wieczorek/Schütze/Spohnheimer § 767 Rn. 70; BGH 23.2.1973, GRUR 1973, 429 – Idee-Kaffee sowie OLG Köln 27.4.1987, NJW-RR 1987, 1471. 1714 Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 51. Grosch

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nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung eintretenden Erfüllung des titulierten Anspruchs durch den Vollstreckungsschuldner zu behandeln.1715 Für das Wettbewerbsrecht hat der BGH in der Altunterwerfungsrechtsprechung (obiter) ausdrücklich zugrundegelegt, dass die Gesetzesänderung, die das materielle Verbot in Wegfall bringt, mittels der Vollstreckungsgegenklage gegen das rechtskräftige Urteil geltend gemacht werden kann. Der BGH ordnete das Unterlassungsurteil dabei als Urteil auf wiederkehrende Leistung ein und verwies auf die „Zukunftswirkung“ derselben, aus der sich ergebe, dass dessen Anpassung ex nunc erforderlich sei.1716 Das wäre dann allerdings der Wegfall einer anspruchsbegründenden Voraussetzung und nicht eine nachträgliche rechtsvernichtende Einwendung. Warum die Gesetzesänderung bei Urteilen auf wiederkehrende Leistung beachtlich ist und warum § 767 ZPO und nicht § 323 ZPO der geeignete Rechtsbehelf sein soll, blieb offen.

cc) Änderung der Rechtsprechung. Noch pointierter wird die Problematik bei der Frage nach 636 der Relevanz einer Rechtsprechungsänderung.

(1) Allgemeine Auffassung zum Kern der Rechtskraft. Das eine Änderung der Rechtspre- 637 chung oder ein allgemeiner Bewertungswandel die Rechtskraft eines Urteils nicht berühren könne, dass Rechtsbehelfe, die mit einer solchen Begründung auf eine Änderung des Urteils zielen, stets unstatthaft sind, gilt als der unabänderliche Grundsatz des Kerns der Rechtskraft schlechthin. Eine geänderte Rechtsprechung qualifiziert man als geänderte Wertung, die gegenüber der Rechtskraft immer unbeachtlich sei. Das rechtskräftige Urteil ist nach der axiomatisch argumentierenden Auffassung für die Parteien auch dann nicht angreifbar, wenn die zugrundeliegenden Präjudizien inzwischen ausdrücklich aufgegeben wurden.1717 Mit einem Wandel der Rechtsprechung berufe man sich auf die ursprüngliche Unrichtigkeit des rechtskräftigen Urteils. Dieser Angriff sei durch die Rechtskraft aber immer ausgeschlossen.1718 Werde dieser Grundsatz abgeschwächt, so sei ein „Dammbruch“ (Grunsky)1719 zu befürchten, weil man die Änderung einer herrschenden Rechtsauffassung im Schrifttum, die für ein rechtskräftiges Urteil bestimmend war, sachlich nicht anders behandeln könne als eine Rechtsprechungsänderung. Das BVerfG hat diesen Grundsatz in seinem Urteil vom 1. Juli 19531720 in einer ausdrücklich für alle „Rechts1715 KG 16.4.1996, GRUR 1996, 997, 998. 1716 BGH 26.9.1996, BGHZ 133, 316, 323 f. – Altunterwerfung I: „Anders als der auf eine einmalige Leistung gerichtete, etwa auf Zahlung eines bestimmten Betrags, gerichtete Titel wirkt ein Titel auf wiederkehrende Leistungen, namentlich ein Unterlassungstitel, in die Zukunft und kann in dieser Wirkung von einer späteren Gesetzesänderung betroffen sen.“ Ahrens meint, es sei eine meiner „eigenwilligen interpretatorischen Eckdaten“, die Unterlassungsklage § 258 ZPO zu unterstellen (Kap. 36a Rn. 11 Fn. 18 mit Blick auf meine Ausführungen in Rechtswandel und Rechtskraft). Wie gerade gezeigt, ist das ein vom BGH selbst zugrundegelegtes Eckdatum, aus dem dann die Anwendbarkeit des § 767 ZPO hergeleitet wird und die Zulässigkeit der Gesetzesänderung als nachträgliche Einwendung bejaht wird. 1717 Grunsky Grundlagen des Verfahrensrechts, § 47 IV 1cc), S. 511; ganz h. L., vgl. aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung: ebenso bereits das Reichsgericht für den zeichenrechtlichen Fall (wiederholte Löschungsklage) RG 25.6.1929, RGZ 125, 159, 162 erster Absatz – Scharlachberg; BGH 23.11.1983, BGHZ 89, 114, 120 f.; BGH 28.11.1996, NJW 1997, 670 r.Sp. sub II 1.; MünchKommZPO/Gottwald § 322 Rn. 156; Stein/Jonas/Althammer § 322 Rn. 255; Zöller/ Herget § 767 Rn. 13; Wieczorek/Schütze/Spohnheimer § 767 Rn. 70; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, 12. Aufl. (2010), § 40 V 1d; Schuschke/Walker/Kessen/Thole/Raebel § 767 Rn. 25 (die Unterlassungstitel dort aber schon ausnehmend). Aus der weiteren höchstrichterlichen Rechtsprechung zu anderen Verfahrensordnungen: BVerwG 8.12.1992, BVerwGE 91, 256, 259 f., 260; BAG 20.3.1996, BB 1996, 2469, 2471 l. Sp. 1718 MünchKommZPO/Schmidt-Brinkmann § 767 Rn. 70; zum Zweck der Rechtskraft auch Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht, § 152 Rn. 1 f. 1719 Grunsky Grundlagen des Verfahrensrechts § 47 IV 1cc, S. 511 f. 1720 BVerfG 1.7.1953, BVerfGE 2, 380, 396. 701

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findungsverfahren“ Geltung beanspruchenden Weise formuliert. Die Missachtung dieses Grundsatzes würde die Rechtsprechung ihres eigentlichen Sinnes berauben. Mithin sei auch eine gesetzliche Regelung, welche die Wiederaufnahme in Fällen geänderter Auffassung vom richtigen Recht erlaube, verfassungswidrig, weil mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar.1721

638 (2) BGH „Mescher weis“ zu wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsurteilen. Der BGH hat diese für wettbewerbsrechtliche Unterlassungsurteile lange umstrittene Frage in der Entscheidung „Mescher weis“ dahingehend geklärt, dass jedenfalls eine höchstrichterliche Rechtsprechung, nach der das untersagte Verhalten eindeutig als rechtmäßig zu beurteilen wäre, ebenso wie eine Gesetzesänderung eine Einwendung im Sinne von § 767 ZPO begründet.1722 Zur Begründung hat sich der BGH auf die Rechtsprechung zu § 323 ZPO berufen. Danach ist eine Rechtsprechungsänderung, die in ihren Auswirkungen einer Gesetzesänderung oder Änderung der Rechtslage durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gleichkommt, ein sachlicher Grund für die Anpassung des Titels auf wiederkehrende Leistung,1723 weshalb auch die Anpassung bei Änderung einer höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt ist.1724 Dass jedenfalls die Änderung einer „gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung“ ein tauglicher Abänderungsgrund ist, entspricht der ganz h. L. zu § 323 ZPO.1725 Der BGH hat sich ferner auf die ratio des § 10 UKlaG (früher § 19 AGBGB) berufen, wonach der zur Unterlassung bestimmter Klauseln verurteilte Schuldner, das Recht zur Vollstreckungsgegenklage hat, wenn der BGH die verbotenen Klauseln in einem anderen Verfahren als rechtmäßig beurteilt hat und das Festhalten an dem Titel den Geschäftsbetrieb des Schuldners in unzumutbarer Weise beeinträchtigen würde. Damit sollen gleiche Wettbewerbsbedingungen gewährleistet werden. Das sei auch dann erforderlich, wenn das durch einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungstitel verbotene Verhalten nunmehr grundsätzlich erlaubt sei.1726

639 (3) Bewertungswandel mit Blick auf Tatsachenfeststellungen. Ähnliche Fragen wie bei der Änderung der Rechtsprechung stellen sich bei der Änderung der Bewertung von Tatsachen, insbesondere wenn neue Beweismittel verfügbar werden. Auch hier entspricht es ganz herrschender Auffassung, dass keine Einwendung entstehen kann, auf die sich die Vollstreckungsgegenklage stützen könnte. Diskutiert wird in diesem Zusammenhang einzig, ob nicht bei (natur-)wissenschaftlichem Erkenntnisfortschritt die Restitutionsklage in rechtsfortbildender Anwendung von § 580 Nr. 7b ZPO gegeben sein soll.1727 Hier geht es aber bereits um die Durchbrechung der Rechtskraft, nicht um die Nachvollziehung ihrer Grenzen nach § 767 Abs. 2 ZPO. Auch hier hat der BGH für wettbewerbsrechtliche Unterlassungsurteile mit Blick auf die 640 Wettbewerbsgleichheit abweichend entschieden.1728 Im entschiedenen Fall wurden dem Unterlassungsschuldner im Jahre 1935 durch rechtskräftig gewordenes Urteil bestimmte Werbeaussa-

1721 BVerfG 1.7.1953, BVerfGE 2, 380, 403. 1722 BGH 2.7.2009 – I ZR 146/07 – GRUR 2009, 1096, 1098 Tz. 23 – Mescher weis. 1723 BGH 5.9.2001 – XII ZR 108/00 – BGHZ 148, 368, 378 = NJW 2001, 3618; BGH 5.2.2003 – XII ZR 29/00 – BGHZ 153, 372, 383 = NJW 2003, 1796; BGH 5.11.2004 – IXa ZB 57/04 – BGHZ 161, 73, 78 = NJW-RR 2005, 222; Wieczorek/ Schütze/Büscher § 323 Rn. 80; Stein/Jonas/Althammer § 323 Rn. 43; MünchKommZPO/Gottwald § 323 Rn. 55, 60. 1724 BGH 5.11.2004 – IXa ZB 57/04 – BGHZ 161, 73, 78 = NJW-RR 2005, 222. 1725 Vgl. etwa weiter Zöller/Vollkommer § 323 Rn. 37 a. E.; ferner auch BGH 23.5.2012 – XII ZR 147/10 – NJW 2012, 2514 Rn. 16 ff. 1726 BGH 2.7.2009 – I ZR 146/07 – GRUR 2009, 1096 Tz. 24 – Mescher weis. 1727 Vgl. hierzu etwa Foerste NJW 1996, 345: „Die Aufdeckung eines Fehlurteils mit Hilfe der Naturwissenschaft ruft geradezu nach einer Wiederaufnahme des Verfahrens.“. 1728 BGH 23.2.1973, GRUR 1973, 429 – Idee-Kaffee. Grosch

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gen, die sich auf die Bekömmlichkeit von Kaffee bezogen, verboten.1729 Circa 35 Jahre später1730 wandte sich der Schuldner im Wege der Vollstreckungsgegenklage gegen die Vollstreckbarkeit des Urteils, weil neue wissenschaftliche Erkenntnisse die Stimmigkeit der Aussagen nunmehr belegen könnten. Eine Irreführung sei mithin nicht gegeben und habe nie vorgelegen. Das Berufungsgericht hatte die Vollstreckungsgegenklage bereits als unstatthaft abgewiesen, da keine auf neuen Tatsachen beruhende materielle Einwendung gegen den im Urteil festgestellten Unterlassungsanspruch vorgebracht worden sei. Ein Angriff gegen die Beweiswürdigung des rechtskräftigen Urteils sei durch die Rechtskraft ausnahmslos ausgeschlossen. Das entsprach, wie bereits gesagt, auch der heute noch herrschenden Auffassung; hier gilt und galt nichts anderes als für Angriffe gegen die rechtliche Würdigung des Urteils. Der BGH hat das in „Idee-Kaffee“ anders entschieden. Dem rechtskräftig verurteilten 641 Schuldner könne nicht forthin etwas verboten bleiben, was jedem Dritten aufgrund heutiger Erkenntnis erlaubt sei. Der BGH hat dabei den Grundsatz herangezogen, dass bei Unterlassungsansprüchen „der Erwerb des Rechts zur Handlung die Klage nach § 767 ZPO rechtfertige …“.1731 Die Linie aus „Idee-Kaffee“ wird überwiegend zustimmend zitiert, wobei auf das in Anbe- 642 tracht der langfristigen Bindung und Zukunftswirkung bestehendes Korrekturbedürfnis verwiesen wird.1732 Dabei ist von Bedeutung, dass nach Auffassung des BGH der rechtskräftige Unterlassungstitel nicht der 30-jährigen Verjährung unterliegt.1733

dd) Anwendbarkeit von § 767 ZPO, keine Anwendbarkeit von § 323 ZPO. Mit Blick auf 643 die Frage, mit welchem Rechtsbehelf der Schuldner nachträgliche Änderungen gegenüber dem rechtskräftigen Unterlassungsurteil vorbringen könne, gleich ob diese tatsächlicher oder rechtlicher Art sind, ist zu entscheiden, ob § 767 ZPO oder § 323 ZPO einschlägig sind. Letzteres ist insbesondere deshalb diskussionswürdig, weil der BGH sich mehrfach auf die Parallele zu den Urteilen auf wiederkehrende Leistung bezieht. Nach der nunmehr als gefestigt geltenden höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Unterlassungsurteilen ist hier allein § 767 ZPO – unabhängig von der Qualität der Einwendung – der richtige Rechtsbehelf und nie § 323 ZPO. Das hat wesentliche Bedeutung, weil beide Rechtsbehelfe sich gegenseitig ausschließen und die Abänderungsklage auch nicht in eine Vollstreckungsgegenklage umgedeutet werden kann. Der V. Zivilsenat hat in einer ausführlich begründeten Entscheidung die Auffassung ver- 644 treten, dass rechtskräftige Unterlassungsurteile bei nachträglichen Änderungen nur qua § 767 ZPO und nie im Wege der Abänderungsklage nach § 323 ZPO angreifbar seien.1734 Es bestehe keine planwidrige Regelungslücke für Unterlassungsurteile. Ferner seien diese mit den Urteilen auf wiederkehrende Leistung auch nicht vergleichbar. Zwar hätten die Unterlassungsurteile auch Zukunftswirkung, weil sie das künftige Verhalten des Schuldners erfassten. Sie basierten aber, anders als die Urteile nach § 258 ZPO, nicht auf einer Prognoseentscheidung mit Blick auf die künftigen Tatsachen. Vielmehr werde allein für den Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz das Bestehen des Unterlassungsanspruchs festgestellt und die Rechtskraft beziehe sich nur und genauso, wie bei einem Urteil auf wiederkehrende Leistung, auf diesen Zeitpunkt und nicht in die Zukunft. Anders als bei 1729 Idee-Kaffee sei für Nervöse und rufe keine Schlafstörungen hervor etc. 1730 Wie bereits oben gesagt, war nach Auffassung des BGH zu diesem Zeitpunkt der im Unterlassungsurteil festgestellte Anspruch noch nicht gemäß § 218 I BGB verjährt. BGH 23.2.1973, GRUR 1973, 429, 430 – Idee-Kaffee. Ahrens Kap. 36 Rn. 148 und Kap. 36a Rn. 1 f. BGH 16.6.1972, BGHZ 59, 72 = GRUR 1972, 721 – Kaffeewerbung; vgl. dazu schon die Nachweise bei Rn. 630. BGH 14.3.2008 – V ZR 16/07 – NJW 2008, 1446 m.w.N zur gleichen Meinung in Tz. 10; ihm zustimmend aus der Literatur etwa Schuschke/Walker/Kessen/Thole/Raebel § 767 Rn. 6 m. w. N. und Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 55 und 57, ebenfalls m. w. N.

1731 1732 1733 1734

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

§§ 258, 323 ZPO sei es also nicht erforderlich, eine „Zukunftsrechtskraft“ zu durchbrechen.1735 Der Schuldner könne Einwendungen, die aufgrund neuer Tatsachen nach Schluss der mündlichen Verhandlung entstanden sind und den Wegfall des Unterlassungsanspruchs begründen, mit der Vollstreckungsabwehrklage geltend machen. Der I. Zivilsenat hat sich dieser Auffassung in „Mescher weis“ angeschlossen.1736

645 ee) Schrifttum zur Änderung rechtskräftiger Unterlassungsurteile aufgrund neuer Wertungen. Im Schrifttum war die Erforderlichkeit einer Anpassung im Falle einer Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits vor „Mescher weis“ gefordert worden.1737 Grundlegend waren dabei die Ausführungen von Braun, der in seiner Habilitationsschrift den besonderen Charakter und die Korrekturbedürftigkeit von „Vorausentscheidungen als Funktion der Zeit“1738 deutlich gemacht hat. Zu diesen Vorausurteilen rechnet Braun nicht nur die Urteile auf wiederkehrende Leistung, sondern auch die Unterlassungsurteile, bei denen er von Rechtskraft minderer Intensität spricht.1739 Der Rezeption der Braunschen Lehre hat dabei sicherlich im Wege gestanden, dass diese auf einer gänzlichen Umdeutung des Rechts der Wiederaufnahme beruht und die Korrektur von Vorausurteilen mit der Restitutionsklage nach § 580 Nr. 7b ZPO erreichen will. Die sachlichen Argumente sind allerdings voll tragfähig. Der Unterlassungsschuldner trägt den Nachteil, dass er sich zu einem Zeitpunkt auf die verbindliche Klärung der Rechtslage für die Zukunft einlassen muss, in dem per definitionem dem Spruchkörper und den Parteien nicht alle Informationen über die künftige Rechtslage zur Verfügung stehen. Ich hatte mich in Anknüpfung an diese Linie ebenfalls für eine weitgehende Anpassungsmöglichkeit bei rechtskräftigen Unterlassungsurteilen auf der Basis von § 323 ZPO ausgesprochen.1740 Im weiteren Schrifttum wurden insbesondere die wettbewerbliche Chancengleichheit und 646 die Gleichbehandlung einer Rechtsprechungsänderung mit einer Gesetzesänderung hervorgehoben. Zur Herstellung gleicher Wettbewerbschancen sei es geboten, dem Titelschuldner die Handlungsfreiheit zurückzugeben.1741 Wobei eine analoge Anwendung des § 10 UKlaG1742 oder jedenfalls die Heranziehung dessen Rechtsgedankens bejaht wird.1743 In diesem Zusammenhang verweist Ahrens auch auf das bislang etwas zu kurz gekommene Merkmal der Unzumutbarkeit. § 10 UKlaG verlangt seinem Wortlaut nach nicht nur eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, sondern auch, dass die (weitere) Vollstreckung gegen den Titelschuldner angesichts dieser Rechtsprechung „in unzumutbarer Weise seinen Geschäftsbetrieb beeinträchtigen würde“. Nach Ahrens trägt dieses Merkmal der „unverzichtbaren Zurückhaltung“ bei der Beachtung einer Rechtsprechungsänderung Rechnung.1744

1735 BGH 14.3.2008 – V ZR 16/07 – NJW 2008, 1446 f. Tz. 17. 1736 BGH 2.7.2009 – I ZR 146/07 – GRUR 2009, 1096, 1098 Tz. 17 und 23 – Mescher weis. 1737 Vgl. dazu die Nachw. in BGH 2.7.2009 – I ZR 146/07 – GRUR 2009, 1096, 1098 Tz. 20 – Mescher weis und den Meinungsüberblick – auch zur Gegenmeinung – bei Ulrich FS Traub (1994) 423, 428 in Fn. 24.

1738 Grundlegend für alle Urteile mit Zukunftswirkung Braun Rechtskraft und Restitution Teil II, Die Grundlagen des geltenden Restitutionsrechts (1985) 324.

1739 Braun Rechtskraft und Restitution Teil II, Die Grundlagen des geltenden Restitutionsrechts (1985) 278. 1740 Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 361 f., 389 f. 1741 Pastor/Ahrens Wettbewerbsprozeß, 4. Auflage, 1999, Kap. 40 Rn. 163, so jetzt auch zustimmend zur Entscheidung „Mescher weis“ Ahrens Kap. 36a Rn. 23; Schuschke/Walker/Kessen/Thole/Raebel § 767 Rn. 25 zu Fn. 159; Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 51 in Fn. 248; Lindacher FS M. Wolf (2011) 473 ff. 1742 Baur/Stürner Zwangsvollstreckungsrecht I, 12. Aufl. (1995), Rn. 45.13 für eine analoge Anwendung des § 19 AGBG auf alle wettbewerbsrechtlichen Unterlassungstitel, „wenn geänderte Rechtslage oder geänderte Rechtsanschauungen nach Jahren [sic!] ein Recht zur entsprechenden Handlung gewähren.“. 1743 Ahrens Kap. 36a Rn. 24 f. 1744 Ahrens Kap. 36a Rn. 25. Grosch

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VIII. Rechtskraft

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Teilweise wurde jede analoge Anwendung der Vorgängernorm § 19 AGBG, die auch als eine 647 „absolute Ausnahmeregelung“,1745 eine „eigenartige Klage“,1746 eine „aus der Hast geborene dogmatische Nachlässigkeit“1747 charakterisiert wurde, abgelehnt,1748 weil sich diese Klageform in Widerspruch zu dem sich aus den §§ 323, 767 und 580 ZPO1749 ergebenden „Prozessrechtsgrundsatz“1750 setze, wonach ausschließlich Änderungen von Tatsachen und nie ein reiner Bewertungs- oder Erkenntniswandel die materielle Rechtskraft durchbrechen könne. Diese Regelung sei „ganz abnorm“,1751 eine „rein positivistische Entscheidung des AGB-Gesetzgebers“.1752 Es könne niemand bestreiten, dass „§ 19 AGBGB wegen seiner Eigenheiten nicht unter die Institute der ZPO einzuordnen ist.“1753

ff) Stellungnahme (1) Neue Wertungen grundsätzlich berücksichtigungsfähig. Im Ergebnis liegt es auf der 648 Hand, dass auch die nachträgliche Änderung des Bewertungswandels einem rechtskräftigen Unterlassungsurteil entgegenhalten werden können muss. Die dem Unterlassungsurteil für die Zukunft zuzubilligende Rechtskraftwirkung kann man nur vertreten, wenn man damit die Parteien nicht dauerhaft von der allgemeinen Rechtsentwicklung abkoppelt (vgl. auch oben Rn. 577 a. E.). Die vom BGH (V. Zivilsenat) im Rahmen der Abgrenzung von § 767 ZPO zu § 323 ZPO vertretene Auffassung, es stellten sich bei Unterlassungsurteilen anders als bei Urteilen auf wiederkehrende Leistung keine Problem der Zukunftsrechtskraft, weil sich die Rechtskraft bei Unterlassungsurteilen wie bei anderen Urteilen nur auf den Schluss der mündlichen Verhandlung beziehe (hierzu oben Rn. 644), kann nicht überzeugen. Es ist, wie schon mehrfach ausgeführt, gerade der Kern der Rechtskraft des Unterlassungsurteils, dass diese ausschließlich für künftige Sachverhalte wirkt und die Rechtslage für die Parteien mit Blick auf das Verbot für die Zukunft festlegt. Weil dem so ist, muss man auch begründen, wo die Grenzen dieser Festlegung liegen. Diese Fragen stellen sich für die normalen Urteile nicht. Deshalb ist auch die Abweichung von dem zu Recht als unabänderlich bezeichneten Grundsatz der Unbeachtlichkeit geänderter Wertungen oder Präjudizien gegenüber dem rechtskräftigen Urteil gerechtfertigt und geboten. Die Parteien werden durch ein heutiges Verfahren mit Blick auf ihre künftigen Rechte und Pflichten 1745 Soergel/Stein 12. Aufl. (1990) § 19 AGBG, Rn. 1. 1746 Ulmer/Brandner/Hensen 9. Aufl. (2001) § 19 Rn. 4. 1747 Schlosser/Coester-Waltjen/Graba, AGBG, 1977, § 19 Rn. 1; ähnlich Staudinger/Schlosser, 13. Bearb. (1995), § 19 ABGB Rn. 1.

1748 Gaul FS Beitzke (1979) 997, 1044 f, Urbanzcyk Die Verbandsklage im Zivilprozess (1979) 216. 1749 Vgl. Wolf/Horn/Lindacher AGBG, 4. Aufl. (1999), § 19 Rn. 6: „… Änderungen der Rspr. rechtfertigen nach allgemeinen Grundsätzen weder die Klage nach § 767 ZPO noch aus § 323 ZPO, noch eine Restitutionsklage …“; Soergel/ Stein, 12. Aufl. (1990), § 19 AGBG Rn. 1: „… absolute Ausnahmeregelung…als sie im Ergebnis eine Durchbrechung der materiellen Rechtskraft … bei nachträglicher Änderung der Rspr. und damit aus Gründen zulassen, auf die nach geltender Rechtsauffassung weder eine Vollstreckungsabwehrklage nach ZPO § 767, noch eine Abänderungsklage nach ZPO § 323, noch eine Restitutionsklage nach ZPO §§ 580 ff. mit Erfolg gestützt werden kann …“; Erman/Werner 10. Aufl. (2000), § 19 AGBG Rn. 1: „§ 19 AGBG bedeutet eine Ausnahme von dem Grundsatz, daß eine spätere entgegenstehende Entscheidung keine Restitutionsklage (§ 580 ZPO), keine Abänderungsklage (§ 323 ZPO) und auch keine Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) rechtfertigt.“. 1750 Gaul FS Beitzke (1979) 997, 998: „Der Gesetzgeber hat damit zugleich den Prozeßrechtsgrundsatz durchbrochen, daß ein nachträglicher Wandel der Rechtsprechung die Urteilswirkungen unangetastet läßt.“; vgl. ferner Schilken Verfahrensrechtliche Probleme nach dem AGB-Gesetz, S. 99: „Es ist leicht zu verdeutlichen, daß der Gesetzgeber mit diesen Regelungen gefestigte Grundregeln des Zivilprozeßrechts beiseite geschoben hat.“; ferner Palandt/Heinrichs 60. Aufl. (2001), § 19 AGBG Rn. 1: „Von dem allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, dass eine spätere Änderung der Rechtsprechung weder eine Klage aus ZPO 767, noch aus ZPO 323, noch eine Restitutionsklage rechtfertigt, macht § 19 eine Ausnahme.“. 1751 MünchKommBGB/Gerlach 3. Aufl. (1998), § 19 AGBG, Rn. 1. 1752 Gaul FS Beitzke (1979) 997, 1047. 1753 Ulmer/Brandner/Hensen AGBG, 9. Aufl. (2001), § 19 Rn. 3 a. E. 705

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

festgelegt. Das ist nur vertretbar, wenn eine Rückkopplung an das sich weiter entwickelnde Rechtssystem besteht. Ich habe deshalb an anderen Orten von einer rechtskraftfremden Präklusion gesprochen, weil eine Erkenntnis über das heute geltende Recht für die Zukunft wirkt und man die Grenzen dieser Bindungswirkung positiv begründen muss.1754 Das ist aber letztlich mehr von heuristischem Interesse. Ob man von einer normalen Rechtskraftwirkung sprechen will, die sich dann verschiedenen Einschränkungen, die der Rechtskraft ansonsten grundsätzlich fremd sind, ausgesetzt sieht, oder ob man von einer positiven Begründung einer Bindungswirkung eigener Art sprechen will, ist letztlich eine terminologische oder formale Frage. Entscheidend sind die Sachgesichtspunkte des Umfangs der Bindungswirkung.

649 (2) Keine Beschränkung auf eine neue höchstrichterliche Rechtsprechung. Die eindeutigen Fälle machen dabei am wenigsten Schwierigkeiten. Wenn sich die Gesetzeslage ändert oder der BGH eine Verhaltensweise eindeutig als rechtmäßig einordnet, kann es aus Gründen der Gleichbehandlung nicht überzeugen, dem Unterlassungsschuldner nur deshalb auf Dauer ein Verhalten zu untersagen, weil sein Fall zufälligerweise zu einem früheren Zeitpunkt entschieden wurde. Es stellt sich aber die Frage, ob die Änderung auf diesen Punkt beschränkt sein kann. Ob ein Fall zum BGH kommt und dort entschieden – und nicht etwa verglichen wird – hängt vom Zufall ab. Im Extremfall können bestimmte Fälle gar nicht mehr zum BGH kommen, weil eine Verhaltensweise von der obergerichtlichen Rechtsprechung, die gerade im Wettbewerbsrecht wegen der Begrenzung des Instanzenzuges im einstweiligen Verfügungsverfahren erhebliche praktische Bedeutung hat, als rechtmäßig angesehen wird und deshalb keine Hauptsacheverfahren mehr bis in die Revision getragen werden. In solchen Fällen auf eine Entscheidung des BGH zu warten, ist mit dem Gedanken der Gleichbehandlung des sachlich Gleichen nicht vereinbar. Dabei geht es nicht nur um die Wettbewerbsgleichheit oder Chancengleichheit im Wettbewerb im Besonderen, sondern um die allgemeine Frage der sachlichen Gleichbehandlung bei Vorausurteilen. Allerdings kann nicht jedes Präjudiz oder jede neue Literaturmeinung genügen. Erforderlich ist eine „wesentliche Änderung“, wie das auch § 323 ZPO fordert. Diese muss derart sein, dass ernsthaft bezweifelt werden muss, dass das Erkenntnisgericht den Fall unter Einbeziehung der neuen Erkenntnis genauso entschieden hätte. Das wird insbesondere dann der Fall sein, wenn Präjudizien oder sonstige Rechtsauffassungen, auf die sich das Urteil maßgeblich gestützt hat, aufgegeben werden. Darauf sind die Fälle aber nicht beschränkt. Es wird allgemein darauf abzustellen sein, ob sich gegenüber dem Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung Präjudizien oder gefestigte Literaturmeinungen so deutlich geändert haben, dass die Urteilsgründe nicht mehr als sinnvolle Auseinandersetzung mit diesen neuen Positionen gewertet werden können. Wenn sich also etwa die obergerichtliche Rechtsprechung in einem OLG Bezirk ändert, kann das gerade für ein rechtskräftiges landgerichtliches Urteil, das sich auf die aufgegebene Rechtsprechung stützt, ein statthafter Einwand sein. Eine geänderte gefestigte Literturmeinung ohne flankierende Änderung der Rechtsprechung wird demgegenüber rein praktisch selten als Änderungsgrund in Betracht kommen, wenn das auch rechtlich nicht ausgeschlossen ist. Sollte sich ein rechtskräftiges Urteil auf eine solche Auffassung gestützt haben und sich diese nachträglich insgesamt ändern, ohne dass die Rechtsprechung diese Rechtsfrage adressieren würde, so kann auch das als Abänderungsgrund in Betracht kommen. 650 Diese Ausweitung über die Änderung einer höchstrichterlichen Rechtsprechung hinaus ist auch im Schrifttum zu § 10 UKlaG (bzw. zur Vorgängernorm § 19 AGBG) vertreten worden, wird aber in der Literatur zur wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklage nicht diskutiert.

1754 Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 359. Grosch

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So sollen nicht nur abweichende Urteile des BGH in Verbandsklageverfahren,1755 sondern auch solche in Individualverfahren, welche nur inzidenter die Unwirksamkeit der Klausel feststellen, die Aufhebung des rechtskräftigen Urteils nach § 19 AGBG begründen, sofern das neue Urteil im Individualverfahren zu einer Änderung der Rechtspraxis führt.1756 Gleiches wird vereinzelt für Fälle einer „schleichenden Änderung“ der Rechtspraxis vertreten. In beiden Fällen fordere der Zweck der Gleichbehandlung der Wettbewerber eine analoge Anwendung des § 19 AGBG.1757 Im Übrigen kann nicht nur ein „Wandel“ der Rechtsprechung eine taugliche Einwendung bilden. Auch eine erstmalige Klärung muss insofern ausreichen. Entscheidend ist aber, dass sich eine eindeutige Änderung manifestiert und nicht lediglich eine bereits zur Zeit des Erkenntnisverfahrens geführte rechtliche Diskussion fortsetzt.

(3) Zum maßgeblichen Zeitpunkt. Ferner ist die Frage des maßgeblichen Zeitpunkts zu klä- 651 ren: Ist der Schuldner gemäß § 767 Abs. 2 ZPO mit neuen Präjudizien präkludiert, die zum Schluss der mündlichen Verhandlung bereits verkündet, aber noch nicht veröffentlich waren? Nach Schilken liege eine nachträglich ergangene höchstrichterliche Entscheidung im Sinne 652 des § 10 UKlaG (vormals § 19 AGBG) nur vor, wenn diese selbst nach Erlass des rechtskräftigen Urteils, d. h. nach dessen Verkündung, nicht nach Rechtskraft, verkündet wurde; § 767 Abs. 2 ZPO sei auf neue Tatsachen zugeschnitten und passe bei § 19 AGBG nicht, weil der Grundsatz „iura novit curia“ bis zur Verkündung der Entscheidung (im Verbandsklageverfahren) einschlägig sei.1758 Nach anderer Auffassung ist hingegen entsprechend § 767 Abs. 2 ZPO der Schluss der mündlichen Verhandlung maßgeblich.1759 Nach wieder anderer Auffassung kommt es darauf an, ob die Entscheidung im Verfahren nach § 19 AGBG dem Gericht bereits „bekannt“ war.1760 Ferner wird vertreten, es komme auf die „Zugänglichkeit“ der Entscheidung im Verbandsklageverfahren an,1761 wobei teilweise als Maßstab der Zeitpunkt der Eintragung in das Register des Bundeskartellamts nach § 20 AGBG herangezogen wird.1762

1755 Es gilt als ausgemacht, dass der etwas unglückliche Wortlaut („logisches Monstrum“, Staudinger/Schlosser 13. Bearb. (1995), § 19 AGBG Rn. 7) des § 19 AGBG („eine Entscheidung…., welche die Verwendung dieser Bestimmung für dieselbe Art von Rechtsgeschäften nicht untersagt“), ein eine Verbandsklage gegen einen anderen Verwender aus sachlichen Gründen abweisendes Urteil meint, Staudinger/Schlosser 13. Bearb. (1995), § 19 AGBG Rn. 7. 1756 Staudinger/Schlosser 13. Bearb. (1995), § 19 AGBG, Rn. 12: „Hat sich eine aus einem Individualprozeß hervorgegangene höchstrichterliche Rechtsansicht in der Rechtspraxis verfestigt, dann ist es einem Einzelunternehmer ebenfalls nicht mehr zumutbar, an einem abweichenden Unterlassungsurteil festgehalten zu werden.“ Schlosser weist zugleich darauf hin, daß die Aufrechterhaltung im Individualverfahren nicht aufgrund der „kundenfreundlichsten Auslegung“ in Anwendung des § 5 AGBG erfolgt sein darf; insoweit findet im Verbandsklageverfahren der Grundsatz der „kundenfeindlichsten Auslegung“ Anwendung, vgl. Staudinger/Schlosser 13. Bearb. (1995), § 13 AGBG Rn. 23; Wolf/Horn/ Lindacher 4. Aufl. (1999), AGBG, § 19 Rn. 15, sofern das die Unwirksamkeit der Klausel inzidenter feststellende Urteil nicht auf die besonderen. Umstände des Einzelfalls abstellt; ebenso MünchKommBGB/Gerlach 3. Aufl. (1998), § 19 AGBG Rn. 15; a. A. etwa Ulmer/Brandner/Hensen 9. Aufl. (2001), AGBG, § 19 Rn. 8. 1757 Staudinger/Schlosser 13. Bearb. (1995), § 19 AGBG Rn. 13: „Auch dann können Situationen eintreten, in welchen es dem verurteilten Beklagten aus Konkurrenzgründen füglich nicht zugemutet werden kann, sich als einziger auf dem Markt iSd gegen ihn erlassenen Gerichtsentscheidung zu verhalten.“; ebenso Wolf/Horn/Lindacher AGBG, § 19 Rn. 16 bei Herausbildung eines „festgefügte[n] conträre[n] Richterrecht[s]“. 1758 Schilken Verfahrensrechtliche Probleme nach dem AGB-Gesetz, S. 106 f.; dem folgend Ulmer/Brandner/Hensen 9. Aufl. (2001), AGBG, § 19 Rn. 10. 1759 Palandt/Grüneberg § 10 UKlaG Rn. 4. 1760 Staudinger/Schlosser 13. Bearb. (1995), § 19 AGBG Rn. 11. 1761 MünchKommBGB/Gerlach 3. Aufl. (1998), § 19 AGBG Rn. 18: „Möglichkeit zur Kenntnisnahme durch die Partei oder ihren Prozeßvertreter“. 1762 So etwa Kellner Probleme um die Vollstreckungsabwehrklage nach § 19 AGBG (Diss. 1979) S. 65 f.; dem folgend Wolf/Horn/Lindacher ABGB, 4. Aufl. (1999), § 19 Rn. 18. 707

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Richtigerweise ist auf den Schluss der mündlichen Verhandlung im Erstprozess, also auf § 767 ZPO, und nicht auf die Verkündung des abzuändernden Urteils abzustellen. Nur bis zu diesem Zeitpunkt können sich die Parteien mit den verfügbaren rechtlichen Materialien auseinandersetzen. Der Grundsatz „iura novit curia“ verdeckt insoweit, dass auch das vom Gericht angewendete materielle Recht, der konkrete Rechtssatz im technischen Sinne (Fallnorm), erst gemeinsam mit den Parteien im Verfahren „erarbeitet“ wird. Allerdings ist hier die Ausnahme zu machen, dass der Schluss der Verhandlung in der Revisionsinstanz maßgeblich ist, sofern ein Revisionsverfahren durchgeführt wurde. Entscheidend ist dabei, wie ich an anderer Stelle schon begründet habe,1763 ob das neue 654 Präjudiz zu diesem Zeitpunkt mit seinen Gründen schon veröffentlicht war; die „Autorität“ eines Präjudiz’ nährt sich ausschließlich aus der Überzeugungskraft der vom Gericht gegebenen Begründung und diese muss zugänglich gewesen sein, wenn das Präjudiz als Vorentscheidung des heute geltenden Rechts die Rechtsanwendung prägen soll. 653

655 (4) Zum zulässigen Rechtsbehelf. Ob man hierfür die Vollstreckungsgegenklage1764 oder die Abänderungsklage1765 als einschlägigen Rechtsbehelf wertet, ist letztlich eine formale Frage. Meines Erachtens ist die Abänderungsklage der zutreffende Rechtsbehelf. Dort ist das „Wesentlichkeitskriterium“ ausdrücklich gesetzlich geregelt. Ferner ist dort die Abänderung auf den Zeitpunkt der Klageerhebung begrenzt (§ 323 Abs. 3 ZPO). Auch das ist eine sinnvolle Beschränkung. Ähnlich kommt es bei vertraglichen Unterwerfungserklärungen auf den Zeitpunkt der Kündigung an.

IX. Erledigung der Hauptsache Schrifttum Becker-Eberhard § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO – Die Neueröffnung der Debatte um die richtige Behandlung der einseitigen Erledigungserklärung; FS Gerhard (2004) 25; Bergerfurth Erledigung der Hauptsache im Zivilprozess, NJW 1992, 1655; Bernreuther Zusammentreffen von Unterlassungserklärung und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, GRUR 2001, 400; Borck Wieso erledigt die Unterwerfungserklärung den Unterlassungsanspruch? WRP 1974, 372; ders. Erledigung der Hauptsache durch Unterwerfung zu Gunsten Dritter? WRP 1978, 7; ders. Die einseitige Erledigungserklärung im Unterlassungsrechtsstreit, WRP 1987, 8; Bornkamm Unterlassungstitel und Wiederholungsgefahr, FS Tilmann (2003) 769; Erdmann Die zeitliche Begrenzung des ergänzenden wettbewerblichen Leistungsschutzes, FS Vieregge (1995) 197; Fritsche Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage (2000); Lange Erledigungserklärung und Erledigungsfeststellungsantrag NJW 2001, 2150; Peters Die Einrede der Verjährung als ein den Rechtsstreit in der Hauptsache erledigendes Ereignis, NJW 2001, 2289; Rüßmann Die Bindungswirkung rechtskräftiger Urteile, FS Lüke (1997) 675; Teplitzky Die Rechtsfolgen der Ablehnung einer strafbewerten Unterlassungserklärung, GRUR 1983, 609; ders. Unterwerfung oder Unterlassungsurteil, WRP 1996, 171; Ulrich Die Erledigung der Hauptsache im Wettbewerbsprozeß, GRUR 1982, 14; ders. Die „Erledigung“ des einstweiligen Verfügungsverfahrens durch nachlässige Prozessführung, WRP 1990, 651.

1763 Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 222 f. 1764 So jetzt die h. L.; vgl. BGH 14.3.2008 – V ZR 16/07 – NJW 2008, 1446 m. w. N. zu dieser Meinung in Tz. 10; BGH 2.7.2009 – I ZR 146/07 – GRUR 2009, 1096, 1098 Tz. 17 und 23 – Mescher weis; aus der Literatur etwa Schuschke/Walker/Kessen/Thole/Raebel § 767 Rn. 6 und Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 55 und 57 und früher schon Ulrich WRP 2000, 1054, 1056 mit älteren Nachweisen in Fn. 22. 1765 Vgl. dazu die Darstellungen bei Ulrich WRP 2000, 1054 f. unter III und IV und Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 56, jeweils m. w. N. Grosch

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Richtigerweise ist auf den Schluss der mündlichen Verhandlung im Erstprozess, also auf § 767 ZPO, und nicht auf die Verkündung des abzuändernden Urteils abzustellen. Nur bis zu diesem Zeitpunkt können sich die Parteien mit den verfügbaren rechtlichen Materialien auseinandersetzen. Der Grundsatz „iura novit curia“ verdeckt insoweit, dass auch das vom Gericht angewendete materielle Recht, der konkrete Rechtssatz im technischen Sinne (Fallnorm), erst gemeinsam mit den Parteien im Verfahren „erarbeitet“ wird. Allerdings ist hier die Ausnahme zu machen, dass der Schluss der Verhandlung in der Revisionsinstanz maßgeblich ist, sofern ein Revisionsverfahren durchgeführt wurde. Entscheidend ist dabei, wie ich an anderer Stelle schon begründet habe,1763 ob das neue 654 Präjudiz zu diesem Zeitpunkt mit seinen Gründen schon veröffentlicht war; die „Autorität“ eines Präjudiz’ nährt sich ausschließlich aus der Überzeugungskraft der vom Gericht gegebenen Begründung und diese muss zugänglich gewesen sein, wenn das Präjudiz als Vorentscheidung des heute geltenden Rechts die Rechtsanwendung prägen soll. 653

655 (4) Zum zulässigen Rechtsbehelf. Ob man hierfür die Vollstreckungsgegenklage1764 oder die Abänderungsklage1765 als einschlägigen Rechtsbehelf wertet, ist letztlich eine formale Frage. Meines Erachtens ist die Abänderungsklage der zutreffende Rechtsbehelf. Dort ist das „Wesentlichkeitskriterium“ ausdrücklich gesetzlich geregelt. Ferner ist dort die Abänderung auf den Zeitpunkt der Klageerhebung begrenzt (§ 323 Abs. 3 ZPO). Auch das ist eine sinnvolle Beschränkung. Ähnlich kommt es bei vertraglichen Unterwerfungserklärungen auf den Zeitpunkt der Kündigung an.

IX. Erledigung der Hauptsache Schrifttum Becker-Eberhard § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO – Die Neueröffnung der Debatte um die richtige Behandlung der einseitigen Erledigungserklärung; FS Gerhard (2004) 25; Bergerfurth Erledigung der Hauptsache im Zivilprozess, NJW 1992, 1655; Bernreuther Zusammentreffen von Unterlassungserklärung und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, GRUR 2001, 400; Borck Wieso erledigt die Unterwerfungserklärung den Unterlassungsanspruch? WRP 1974, 372; ders. Erledigung der Hauptsache durch Unterwerfung zu Gunsten Dritter? WRP 1978, 7; ders. Die einseitige Erledigungserklärung im Unterlassungsrechtsstreit, WRP 1987, 8; Bornkamm Unterlassungstitel und Wiederholungsgefahr, FS Tilmann (2003) 769; Erdmann Die zeitliche Begrenzung des ergänzenden wettbewerblichen Leistungsschutzes, FS Vieregge (1995) 197; Fritsche Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage (2000); Lange Erledigungserklärung und Erledigungsfeststellungsantrag NJW 2001, 2150; Peters Die Einrede der Verjährung als ein den Rechtsstreit in der Hauptsache erledigendes Ereignis, NJW 2001, 2289; Rüßmann Die Bindungswirkung rechtskräftiger Urteile, FS Lüke (1997) 675; Teplitzky Die Rechtsfolgen der Ablehnung einer strafbewerten Unterlassungserklärung, GRUR 1983, 609; ders. Unterwerfung oder Unterlassungsurteil, WRP 1996, 171; Ulrich Die Erledigung der Hauptsache im Wettbewerbsprozeß, GRUR 1982, 14; ders. Die „Erledigung“ des einstweiligen Verfügungsverfahrens durch nachlässige Prozessführung, WRP 1990, 651.

1763 Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 222 f. 1764 So jetzt die h. L.; vgl. BGH 14.3.2008 – V ZR 16/07 – NJW 2008, 1446 m. w. N. zu dieser Meinung in Tz. 10; BGH 2.7.2009 – I ZR 146/07 – GRUR 2009, 1096, 1098 Tz. 17 und 23 – Mescher weis; aus der Literatur etwa Schuschke/Walker/Kessen/Thole/Raebel § 767 Rn. 6 und Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 55 und 57 und früher schon Ulrich WRP 2000, 1054, 1056 mit älteren Nachweisen in Fn. 22. 1765 Vgl. dazu die Darstellungen bei Ulrich WRP 2000, 1054 f. unter III und IV und Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 56, jeweils m. w. N. Grosch

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IX. Erledigung der Hauptsache

Vor §§ 12–15a A

Übersicht 1. 2.

3.

Historie und Systematik der Erledigung der 656 Hauptsache Die übereinstimmende Erledigungserklä659 rung 660 a) Die Erklärung b) Wegfall der Rechtshängigkeit ex 661 tunc c) Entfallen von Vollstreckungstiteln und zeitlich beschränkte Erledigungserklä662 rung d) Kein Ausschluss eines neuen Verfah663 rens 664 e) Kostenentscheidung 666 Einseitige Erledigungserklärung 666 a) Feststellungsverfahren 667 b) Zeitpunkt und Änderbarkeit 668 c) Hilfsweiser Erledigungsstreit? 668 aa) Rechtsprechung des BGH 669 bb) Stellungnahme 670 d) Streitgegenstand des Verfahrens 671 e) Erledigendes Ereignis 671 aa) Allgemeines bb) Zeitpunkt des erledigenden Ereignis672 ses cc) Ereignisse aus dem Verantwortungs673 bereich des Klägers dd) Erledigung des Hauptantra674 ges ee) Unterlassungsverpflichtungserklä675 rung

ff)

f)

Einstweilige Verfügung mit Abschluss678 erklärungen gg) Nachträglicher Fortfall des Feststellungsinteresses bei Feststellungskla679 gen 680 hh) Vergleichsabschluss 681 ii) Erfüllung des Anspruchs 682 jj) Stufenklage 683 kk) Erledigung durch Zeitablauf (1) Herrschende Auffassung – Zeitablauf erledigendes Ereig683 nis (2) Kein erledigendes Ereig684 nis 687 (3) Stellungnahme 688 ll) Gesetzesänderungen 689 mm) Rechtsprechungsänderung (1) Rechtsprechung des BGH – Kei689 ne Erledigung (2) Abweichung aufgrund BGH „Me690 scher weis“? 691 (3) Stellungnahme nn) Verlust des wirtschaftlichen Interes694 ses 695 Kostenentscheidung 695 aa) Allgemeines 696 bb) Beispiele cc) Rechtsbeschwerde gegen Kostenent697 scheidungen

1. Historie und Systematik der Erledigung der Hauptsache Eine dezidierte Regelung zur Erledigung der Hauptsache war in der ZPO nicht vorgesehen. Erst 656 lange nach Inkrafttreten der ZPO1766 wurde mit § 91a ZPO eine teilweise Normierung der Erledigung aufgenommen, die sich jedoch nur mit der Kostentragung bei übereinstimmenden Erledigungserklärungen befasst. Aufgrund des partiellen Regelungscharakters des § 91a ZPO sind die systematischen Grundfragen nicht abschließend beantwortet, so dass sich an vielen Stellen unterschiedliche Meinungen ausmachen lassen,1767 die hier aber im Wesentlichen nur diskutiert werden, sofern sie für den Wettbewerbsprozess praktisch erheblich sind. Tritt nach Rechtshängigkeit ein Ereignis ein, durch das die Klage unzulässig oder unbe- 657 gründet wird (erledigendes Ereignis), so muss der Kläger – will er eine kostenpflichtige Abweisung seiner Klage vermeiden – darauf reagieren, indem er den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Bei wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklagen ist die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung oder einer Abschlusserklärung der typische Fall, in dem eine Erledigung in der Hauptsache zu prüfen ist. UWG-spezifisch ist auch die Situa1766 Dritte VereinfachungsVO vom 16.5.1942, RGBl. I, 333, Neubekanntmachung der ZPO i. d. F. der Bek. v. 12.9.1950 (BGBl. I S. 533).

1767 Vgl. MünchKommZPO/Schulz § 91a Rn. 1 ff.; Musielak/Voit/Flockenhaus § 91a Rn. 9; Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 33 f.; GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 268; Ahrens/Bornkamm Kap. 33 Rn. 1. 709

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

tion, in der die für die Begründung der Aktivlegitimation erforderliche Mitbewerberstellung (§ 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG) vor Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz durch Geschäftsaufgabe weggefallen ist.1768 Erledigung des Rechtsstreits in der „Hauptsache“ meint in diesem Zusammenhang nicht, dass die Erledigung auf ein Hauptsacheverfahren beschränkt wäre. Die Grundsätze gelten für jedes kontradiktorische Verfahren, das der Parteiherrschaft unterliegt und einer Kostengrundentscheidung bedarf, und damit auch für den einstweiligen Rechtsschutz.1769 Für die Anwendung der nachfolgenden Regeln ist einzig und allein entscheidend, ob die Erledigung eine Hauptsache in Abgrenzung zu einer bloßen Nebenentscheidung betrifft.1770 Im Verfügungsverfahren meint „Hauptsache“ dabei den prozessualen Anspruch (§ 322 ZPO) auf Sicherung des materiellen Anspruchs, so dass eine Erledigungserklärung im Verfügungsverfahren auf dieses zu beschränken ist und keine Wirkung für ein entsprechendes Hauptsacheverfahren hat, und vice versa.1771 Erklärt der Kläger oder Antragsteller den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt, so 658 unterscheiden sich die Folgen der Erklärung grundlegend danach, ob sich der Beklagte oder Antragsgegner der Erklärung anschließt (übereinstimmende Erledigungserklärung der Parteien) oder nicht (einseitige Erledigungserklärung).

2. Die übereinstimmende Erledigungserklärung 659 Schließt sich der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers an, so liegt eine übereinstimmende (beidseitige) Erledigungserklärung vor. § 91a ZPO regelt wörtlich nur die beidseitige Erledigungserklärung. Von übereinstimmenden Erklärungen ist dabei nach § 91a Abs. 1 Satz 2 ZPO auch dann auszugehen, wenn der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers nicht innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen seit der Zustellung des Schriftsatzes widerspricht, sofern der Beklagte zuvor auf diese Folge hingewiesen worden ist.

660 a) Die Erklärung. Die Erledigungserklärung ist Prozesshandlung. Sie ist eine Erwirkungshandlung, sie ist also bis zur Zustimmung des Beklagten frei widerruflich. Die übereinstimmende Erledigungserklärung, also nach Zustimmung des Beklagten, gestaltet das Prozessrechtsverhältnis hingegen um (dazu sogleich) und ist insofern unwiderruflich und nicht anfechtbar.1772 Da es sich um eine Prozesshandlung handelt, sind nach ständiger BGH-Rechtsprechung die für Willenserklärungen geltenden Vorschriften über Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit wegen Willensmängeln nicht entsprechend anwendbar. Als Prozesshandlung kann die Erledigungserklärung nach Zustimmung des Beklagten nur bei Vorliegen eines Restitutionsgrundes im Sinne des § 580 ZPO widerrufen werden.1773 Insofern ist die Erledigungserklärung auch bedingungsfeindlich. Eine hilfsweise erklärte Erledigung der Hauptsache, die für den Fall der Abweisung des Hauptantrages abgegeben wird, ist deshalb unzulässig.1774 Sie kann aber in einen hilfsweisen Antrag auf teilweise Aufhebung eines 1768 Vgl. hierzu BGH 10.3.2016 – I ZR 183/14 – GRUR 2016, 1187 Rn. 16 – Stirnlampen; BGH 12.7.1995 – I ZR 85/ 93 – GRUR 1995, 697, 699.

1769 Zur direkten oder entsprechenden Anwendung von § 91a ZPO in verschiedenen Verfahrensarten, die diesen Voraussetzungen gerecht werden, vergleiche insbesondere Zöller/Althammer § 91a Rn. 7; Musielak/Voit/Flockenhaus § 91a Rn. 2 ff.; zur einstweiligen Verfügung siehe v. a. Zöller/Althammer § 91a Rn. 58. 1770 Vgl. nur Ahrens/Singer Kap. 54 Rn. 5. 1771 Ahrens/Singer Kap. 54 Rn. 5 a. E. 1772 BGH 14.5.2013 – II ZR 262/08 – MDR 2013, 927 Tz. 7. 1773 BGH 14.5.2013 – II ZR 262/08 – MDR 2013, 927 Tz. 7; BGH 13.12.2006 – XII ZB 71/04 – NJW 2007, 1460 Tz. 13; MünchKommZPO/Schulz § 91a Rn. 33; Stein/Jonas/Muthorst § 91a Rn. 22. 1774 BGH 16.3.2006 – I ZR 92/03 – GRUR 2006, 879, 880 Tz. 20 – Flüssiggastank; BGH 8.2.1989 – IVa ZR 98/87 – BGHZ 106, 359, 368 ff. = NJW 1989, 2885; BGH 19.3.1998 – I ZR 264/95 – GRUR 1998, 1045, 1046 = WRP 1998, 739 – Brennwertkessel. Grosch

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IX. Erledigung der Hauptsache

Vor §§ 12–15a A

Titels umzudeuten sein, nämlich auf zeitlich beschränkte Aufhebung nach dem Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses. Das hat Bedeutung für die Fälle, in denen einem Titel bereits zuwidergehandelt wurde und der Kläger nach seiner Hauptposition den Eintritt des erledigenden Ereignisses verneint, aber hilfsweise jedenfalls eine Aufhebung des Unterlassungstitels nur für die Zeit nach dem Eintritt des erledigenden Ereignisses erreichen will (dazu unten Rn. 662).

b) Wegfall der Rechtshängigkeit ex tunc. Die übereinstimmende Erledigungserklärung führt 661 genauso wie die Klagerücknahme eo ipso zum Wegfall der Rechtshängigkeit ex tunc. Sie ist Ausfluss der Dispositionsmaxime der Parteien.1775 Insofern prüft das Gericht bei übereinstimmender Erledigungserklärung nicht, ob ein erledigendes Ereignis tatsächlich eingetreten ist.1776 Deshalb wird die übereinstimmende Erledigungserklärung in der Praxis im Rahmen einer vergleichsweisen Beilegung oft auch als Alternative zur Klagerücknahme gewählt. Die übereinstimmende Erledigungserklärung kann in jedem Stadium des Verfahrens ab Klageeinreichung (Anhängigkeit),1777 also auch noch während des Revisionsverfahrens1778 und im Verfahren über eine Nichtzulassungsbeschwerde1779 erklärt werden. Zu differenzieren ist jedoch der Zeitpunkt der Erklärungsabgabe vom Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Erklärung. Das Wirksamwerden der Erklärung setzt nach vorherrschender Auffassung ein Prozessverhältnis voraus und kann daher nicht mit bloßer Anhängigkeit, sondern erst mit Rechtshängigkeit eintreten.1780 Von beiden Zeitpunkten wiederum ist der Moment des Eintritts einer materiell-rechtlichen Erledigung zu unterschieden. Wie bereits beschrieben, wird das tatsächliche Vorliegen eines erledigenden Ereignisses bei übereinstimmender Erledigungserklärung qua Dispositionsmaxime nicht geprüft; dementsprechend ist auch der Eintrittszeitpunkt irrelevant.1781 Er kann bereits vor Anhängigkeit liegen.1782

c) Entfallen von Vollstreckungstiteln und zeitlich beschränkte Erledigungserklärung. 662 Die beiderseitige Erledigungserklärung führt neben der Prozessbeendigung in der Hauptsache – der Prozess bleibt lediglich hinsichtlich der Kosten rechtshängig – grundsätzlich zum Entfallen eines in dem Verfahren ergangenen, noch nicht rechtskräftigen Titels.1783 Dieser Titel kann keine Grundlage für die Zwangsvollstreckung mehr sein, auch wenn die Zuwiderhandlung bereits vor dem erledigenden Ereignis oder der Abgabe der Erklärungen lag.1784 Das ist für den Fall der übereinstimmenden, unbeschränkten Erledigungserklärung zwingend, weil es für 1775 BGH 23.2.2012 – I ZB 28/11 – WRP 2012, 829 Tz. 8 f.; Zöller/Althammer § 91a Rn. 9. 1776 BGH 8.2.1989 – IVa ZR 98/87 – BGHZ 106, 359, 366 = NJW 1989, 2885, 2886; BGH 15.1.1982 – V ZR 50/81 – BGHZ 83, 12 = NJW 1982, 1598; MünchKommZPO/Schulz § 91a Rn. 25; GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 268. 1777 Musielak/Voit/Flockenhaus § 91a Rn. 15; Thomas/Putzo/Hüßtege § 91a Rn. 14. 1778 BGH 8.2.1989 – IVa ZR 98/87 – NJW 1989, 2885, 2887; BGH 24.10.2011 – IX ZR 244/09 – NJW-RR 2012, 688; Thomas/Putzo/Hüßtege § 91a Rn. 8; Zöller/Althammer § 91a Rn. 18; Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 43 m. w. N.; Gottwald Die Revisionsinstanz als Tatsacheninstanz (1975), 388 f. 1779 BGH 1.3.2007 – I ZR 249/02 – GRUR 2007, 448 – LottoT; BGH 11.2.2010 – I ZR 154/08 – WRP 2010, 759, 760 – Firmenbestandteil „Bundesdruckerei“; Zöller/Althammer § 91a Rn. 18; MünchKommZPO/Schulz § 91a Rn. 39. 1780 OLG Nürnberg 27.5.1975 – 6 W 31/75 – NJW 1975, 2206, 2207; OLG Brandenburg 2.8.2000 – 9 WF 90/00 – NJW-RR 2001, 1436, 1436 f.; eine a. A. vertritt jedoch bei übereinstimmender Erledigungserklärung vor Rechtshängigkeit einen stillschweigenden Verzicht auf Klagezustellung durch den Beklagten, vgl. OLG Köln 9.3.2000 – 7 W 3/ 00 – NJW-RR 2000, 1456. 1781 Zöller/Althammer § 91a Rn. 12 f. 1782 Bergerfurth NJW 1992, 1655, 1655 f.; Zöller/Althammer § 91a Rn. 16. 1783 BGH 12.4.2011 – VI ZB 44/10 – MDR 2011, 810; BGH 23.2.2012 – I ZB 28/11 – WRP 2012, 829 Tz. 8; Zöller/ Althammer § 91a Rn. 12; Thomas/Putzo/Hüßtege § 91a Rn. 17. 1784 H. M.; BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264, 266 sub 5b aa) – Euro-Einführungsrabatt; BGH 23.2.2012 – I ZB 28/11 – WRP 2012, 829 Tz. 8. 711

Grosch

Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

die Festsetzung eines Ordnungsgeldes als Maßnahme der Zwangsvollstreckung zum Zeitpunkt der Festsetzung eines Titels bedarf, §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO.1785 Der Kläger kann aber die Erledigungserklärung zeitlich auf den Zeitraum nach Eintritt des erledigendes Ereignisses beschränken (eingeschränkte Erledigungserklärung), wenn vorangegangene Verstöße noch geahndet werden sollen.1786 Ist in diesem Fall bereits ein Titel ergangen, bleibt er für die Vergangenheit bestehen und kann als Grundlage für die Zwangsvollstreckung herangezogen werden.1787 Die Erledigungserklärung ist dabei nach den Umständen des Einzelfalls auszulegen und deshalb wird eine zeitliche Beschränkung als erklärt anzusehen sein, wenn das den berechtigten Gläubigerinteressen entspricht, auch wenn es nicht ausdrücklich erklärt worden sein mag.1788 Für die weiteren Einzelheiten des Streitstandes ist auf die Kommentierung zur Unterlassungsvollstreckung zu verweisen (Rn. 813 ff., bes. Rn. 818). Wie oben bereits gesagt, muss es dem Kläger möglich sein, diese Position auch hilfsweise geltend zu machen, also in erster Linie zu vertreten, dass kein erledigendes Ereignis eingetreten ist. Ob sich der Beklagte dieser so verstandenen Erklärung anschließen will, ist ebenfalls durch Auslegung zu ermitteln, weil der Beklagte eine Möglichkeit haben muss, den Vollstreckungstitel insgesamt zu beseitigen. Geht der Beklagte also davon aus, dass die Klage auch vorher unzulässig oder unbegründet war, so stellt er insofern einen Abweisungsantrag und es ist über die Kosten nach § 91 ZPO zu entscheiden. Die Kostenentscheidung für den für erledigt erklärten Teil richtet sich in diesem Fall nach der Kostenentscheidung aus § 91a ZPO.

663 d) Kein Ausschluss eines neuen Verfahrens. Genau wie bei der Klagerücknahme schließt die Beendigung des Verfahrens durch übereinstimmende Erledigungserklärung ein neues Verfahren nicht aus. Abweichendes kann sich allein aus einem zugrundeliegenden Vergleich ergeben. In solchen Regelungen ist es üblich, dass die Parteien auf eine Kostenentscheidung verzichten oder diese nach einer vorher getroffenen Regelung beantragen. In diesen Fällen prüft das Gericht dann nicht, wer nach § 91 a ZPO die Kosten zu tragen hat. Deshalb ermäßigen sich die Gerichtsgebühren genau wie bei der Klagerücknahme (vgl. KV 1211 Nr. 4 für den ersten Rechtszug).

664 e) Kostenentscheidung. Erklären die Parteien nicht den Verzicht auf eine Kostenregelung oder geben diese nicht vor, so muss das Gericht für die Kostenentscheidung summarisch und nach billigem Ermessen auf der Basis des bis zur Erledigungserklärung verfügbaren Sach- und Streitstandes prüfen, welchen Ausgang das Verfahren ohne die Erledigungserklärung genommen hätte. Dabei ist das Gericht nicht gezwungen, schwierige Rechtsfragen grundsätzlicher Art abschließend zu entscheiden.1789 Es genügt eine summarische Prüfung und die Feststellung

1785 BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264, 266 sub 5b aa) – Euro-Einführungsrabatt; OLG Hamm 18.4.1989 – 4 W 117/89 – GRUR 1990, 306 ff.; OLG Köln 2.8.1991 – 6 W 79/86 – GRUR 1992, 476, 477 – Rückzahlung von Ordnungsgeld; ebenso bereits Baur JZ 1967, 763, 764 l. Sp.; Musielak/Voit/Lackmann § 890 Rn. 16; Zöller/Seibel § 890 Rn. 24; Stein/Jonas/Bartels § 890 Rn. 27; Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 132 f.; a. A. etwa OLG Düsseldorf 29.8.1994 – 2 W 75/94 – BeckRS 1995, 06480; GK-UWG/Jestaedt1 Vor § 13 E Rn. 74; zum Meinungsstand vor Euro-Einführungsrabatt ausführlich Ahrens Kap. 66 Rn. 21–24. 1786 BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264, 266 sub cc) (1) – Euro-Einführungsrabatt; OLG Hamm 18.4.1989 – 4 W 117/89 – GRUR 1990, 306 ff.; Stein/Jonas/Bartels § 890 Rn. 29; Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 134. 1787 BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264, 266 ff. – Euro-Einführungsrabatt; Zöller/ Althammer § 91a Rn. 12. 1788 BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264, 266 ff. – Euro-Einführungsrabatt. 1789 BGH 28.10.2008 – VIII ZB 28/08 – NJW-RR 2009, 422 Tz. 5; BGH 7.10.2008 – XI ZB 24/07 – NJW-RR 2009, 425 f. Tz. 9. Grosch

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IX. Erledigung der Hauptsache

Vor §§ 12–15a A

einer „überwiegenden Wahrscheinlichkeit“.1790 Der tatsächliche Streitstand bei Eingang der Zustimmung zur Erledigungserklärung ist maßgebend. Anschließender neuer Vortrag ist in der Regel nicht zu berücksichtigen. Auch eine Beweisaufnahme wird in der Regel nicht in Betracht kommen, ist aber in Ausnahmefällen nicht ausgeschlossen.1791 Im Rahmen des § 91a ZPO gilt nach ganz herrschender Auffassung auch der Rechtsgedanke 665 des § 93 ZPO.1792 Das gilt insbesondere für die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung des Beklagten nach Rechtshängigkeit. Hatte der Kläger den Beklagten vorgerichtlich nicht abgemahnt, also nicht zur Abgabe einer solchen Erklärung aufgefordert, so trägt der Kläger im Rahmen der Entscheidung nach § 91a ZPO die Kosten, wenn der Beklagte die Klage sofort anerkennt. Im Übrigen gilt § 93 ZPO auch reziprok zulasten des Beklagten, falls die durch das Verhalten des Beklagten objektiv veranlasste Klage von Anfang an unzulässig oder unbegründet war,1793 beispielsweise wenn dieser dem Kläger vor Klageeinreichung verschwiegen hat, dass er sich einem Dritten unterworfen hatte und dadurch die Wiederholungsgefahr weggefallen war.1794

3. Einseitige Erledigungserklärung a) Feststellungsverfahren. Erklärt der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt 666 und schließt der Beklagte sich dem nicht an, so kommt es zu einem Feststellungsstreit. Die Erklärung des Klägers wird dann in einen Feststellungsantrag umgedeutet, der darauf gerichtet ist, festzustellen, dass die Klage in der Hauptsache erledigt ist, dass also die ursprünglich zulässige und begründete Klage durch den Eintritt eines erledigenden Ereignisses nach Rechtshängigkeit unzulässig oder unbegründet geworden ist1795 (Klageänderungstheorie).1796 Es handelt sich dabei nach der vorherrschenden Ansicht um eine nach § 264 Nr. 2 ZPO stets zulässige Klageänderung (Beschränkung).1797

b) Zeitpunkt und Änderbarkeit. Die Erledigung kann grundsätzlich in allen Verfahrensstadi- 667 en abgegeben werden, auch noch im Revisionsverfahren, jedenfalls dann, wenn das erledigende 1790 BGH 16.9.1993 – V ZR 246/92 – NJW 1994, 256 f.; BGH 16.11.1999 – KVR 10/98 – BB 2000, 482, 483; BGH 8.6.2005 – XII ZR 177/03 – BGHZ 163, 195, 197 = NJW 2005, 2385; Zöller/Althammer § 91a Rn. 27.

1791 Zöller/Althammer § 91a Rn. 26; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.34. 1792 BGH 9.2.2006 – IX ZB 160/04 – NJW-RR 2006, 773, 774, Tz. 9; Musielak/Voit/Flockenhaus § 91a Rn. 23; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.34; Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 49 m. w. N. in Fn. 172–174.

1793 MünchKommZPO/Schulz § 91a Rn. 44; Musielak/Voit/Flockenhaus § 91a Rn. 23. 1794 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.34. 1795 BGH 15.1.1982 – V ZR 50/81 – BGHZ 83, 12 = NJW 1982, 1598; BGH 6.12.1984 – VII ZR 64/84 – NJW 1986, 588, 589; OLG Hamm 5.9.1989 – 4 U 150/89 – GRUR 1989, 931, 932 – Vollziehungsfrist; OLG Köln 28.5.1986 – 6 U 207/ 85 – WRP 1987, 55, 56; BGH 19.10.1989 – I ZR 63/88 – GRUR 1990, 381 – Antwortpflicht des Abgemahnten; BGH 27.2.1992 – I ZR 35/90 – GRUR 1992, 474, 475 – btx Werbung II; BGH 18.4.2002 – I ZR 72/99 – GRUR 2002, 1074, 1075 – Original Oettinger; BGH 18.12.2003 – I ZR 84/01 – GRUR 2004, 349 – Einkaufsgutschein II; BGH 19.5.2010 – I ZR 177/07 – GRUR 2010, 855, 856 – Folienrollos; Stein/Jonas/Muthorst § 91a Rn. 47. 1796 St. Rspr., BGH 26.5.1994 – I ZB 4/94 – NJW 1994, 2363, 2364; BGH 7.6.2001 – I ZR 157/98 – NJW 2002, 442, 442. Für die h. L. Bergerfurth NJW 1992, 1655, 1658; Thomas/Putzo/Hüßtege § 91a Rn. 32; Zöller/Althammer § 91a Rn. 34; Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 33a m. w. N. in Fn. 116. A. A.: Einordnung als ein Klageverzicht (OLG München 4.2.1957, MDR 1957, 298, 298; Lindacher JurA 1970, 687, 705) oder ein Institut sui generis, das lediglich einen Zwischenstreit über den Fortgang des Verfahrens auslöst (MünchKommZPO/Schulz § 91a Rn. 75 ff.). 1797 St. Rspr.: BGH 10.3.2016 – I ZR 183/14 – GRUR 2016, 1187 Rn. 12 – Stirnlampen; BGH 7.6.2001 – I ZR 157/98, NJW 2002, 442, 442; BGH 19.6.2008 – IX ZR 84/07, NJW 2008, 2580 Tz. 8; OLG Nürnberg 9.3.1987 – 9 W 3496/86, NJW-RR 1987, 1278. Für die h. L.: Bergerfurth NJW 1992, 1655, 1658; Zöller/Greger § 264 Rn. 4a; Musielak/Voit/Flockenhaus § 91a Rn. 29; Knöringer JuS 2010, 569, 570. A. A. gegen eine Anwendung des § 264: Mössner NJW 1970, 175, 176 (stattdessen für Zulässigkeit der Klageänderung kraft Gewohnheitsrechts); Lüke FS Weber (1975) 323, 332 (stattdessen aufgrund Ermessensreduzierung auf Null zwingende Zulassung als sachdienlich i. S. d. § 263). 713

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Ereignis als solches außer Streit steht.1798 Dieses Feststellungsverfahren ist auch im einstweiligen Verfügungsverfahren zulässig.1799 Von der einseitigen Erledigungserklärung geht keine unmittelbar prozessgestaltende Wirkung aus, solange sich der Beklagte dieser nicht angeschlossen hat. Der Kläger kann diese mithin jederzeit widerrufen. Hat der Beklagte dieser widersprochen und der Kläger damit seinen Antrag in den Feststellungsantrag geändert, kann er gemäß § 264 Nr. 2 ZPO in jeder Lage des Verfahrens wieder zu seinen ursprünglichen Anträgen zurückkehren, solange das Gericht noch keine Entscheidung über die Erledigung der Hauptsache getroffen hat.1800

c) Hilfsweiser Erledigungsstreit? 668 aa) Rechtsprechung des BGH. Wie bereits oben gesagt, ist die einseitige Erledigungserklärung bedingungsfeindlich. Nach der Rechtsprechung des BGH1801 fehlt einem hilfsweise gestellten Feststellungsantrag, wonach die Hauptsache erledigt ist, regelmäßig das Feststellungsinteresse, weil die günstige Kostenfolge der Entscheidung wegen der Abweisung des Hauptantrages nicht mehr zu erreichen ist.1802

669 bb) Stellungnahme. Diese Diskussion ist etwas verkürzt und berücksichtigt die klägerischen Interessen nicht vollständig, weil sie der zeitlichen Dimension des Unterlassungsantrages und des Unterlassungstitels nicht Rechnung trägt: Insofern hat der II. Zivilsenat in seiner aktienrechtlichen Entscheidung zu Recht die Frage gestellt, ob nicht ausnahmsweise ein über den Kostenpunkt hinausgehendes Interesse an der Feststellung der Zulässigkeit und Begründetheit der Klage bis zum erledigenden Ereignis besteht.1803 Das hat der BGH im entschiedenen Fall verneint, weil im aktienrechtlichen Anfechtungsprozess gemäß § 244 S. 2 AktG eine zeitlich beschränkte Nichtigkeitserklärung möglich ist, was dem gegebenenfalls bestehenden rechtlichen Interesse des Klägers Rechnung trägt.1804 Die Ratio dieser Begründung ist gerade auch im Unterlassungsprozess von Bedeutung. Typisch ist etwa die Situation, in der nach Ergehen einer Beschlussverfügung zunächst vom Schuldner gegen den Titel verstoßen und dann mit dem Widerspruch eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung abgegeben wurde. Hält der Kläger/Gläubiger die strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung – aus welchen Gründen auch immer – für zur Beseitigung der Wiederholungsgefahr nicht geeignet, so muss er an seinem Hauptantrag (Antrag auf Bestätigung der Beschlussverfügung) festhalten. Das Gericht mag das aber anders sehen und müsste dann die einstweilige Verfügung aufheben, was die Problematik des Erfordernisses des Vollstreckungstitels für den Antrag nach § 890 ZPO zur Folge hat. Hält der Gläubiger die Unterlassungsverpflichtungserklärung für ausreichend, wird dem dadurch Rechnung getragen, dass er die Hauptsache zeitlich beschränkt für erledigt erklären kann (dazu Rn. 815). Das Ergebnis muss aber auch erreichbar sein, wenn der Kläger die Erklärung nach seiner primä1798 1799 1800 1801

BGH 18.12.2003 – I ZR 84/01 – GRUR 2004, 349 – Einkaufsgutschein II. Ahrens Kap. 61 Rn. 37 ff. m. w. N. BGH 7.6.2001 – I ZR 157/98 – GRUR 2002, 287 = WRP 2002, 94, 95 – Widerruf der Erledigungserklärung. BGH 16.3.2006 – I ZR 92/03 – GRUR 2006, 879, 880 Tz. 20 – Flüssiggastank; anders noch die Überlegungen des ersten Senats in BGH 8.2.1989 – IVa ZR 98/87 – BGHZ 106, 359, 368 ff. = NJW 1989, 2885; BGH 19.3.1998 – I ZR 264/95 – GRUR 1998, 1045, 1046 = WRP 1998, 739 – Brennwertkessel; ebenso für die aktienrechtliche Anfechtungsklage: BGH 8.2.2011 − II ZR 206/08 – NJW-RR 2011, 618 f. Tz. 22 – Wella; dem folgend Zöller/Althammer § 91a Rn. 35; Stein/Jonas/Muthorst § 91a Rn. 19 und 46; MünchKommZPO/Schulz § 91a Rn. 80; a. A. BGH 19.3.1998 – I ZR 264– 95 – NJW-RR 1998, 1571, 1572 f. 1802 Zur Entwicklung der BGH-Rechtsprechung ausführlich Ahrens/Bornkamm Kap. 33 Rn. 33 bis 35 und Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 41–42a. 1803 BGH 8.2.2011 – II ZR 206/08 – NJW-RR 2011, 618 f. Tz. 22 – Wella. 1804 BGH 8.2.2011 – II ZR 206/08 – NJW-RR 2011, 618 f. Tz. 22 – Wella. Grosch

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IX. Erledigung der Hauptsache

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ren Position nicht für ausreichend hält. Dem ist dadurch Rechnung zu tragen, dass der Kläger hilfsweise die zeitlich beschränkte Aufhebung der Beschlussverfügung seit der Abgabe der strafbewerten Unterlassungsverpflichtungserklärung beantragt. Ein hilfsweise gestellter Erledigungsantrag oder eine hilfsweise Erledigungsklärung ist entsprechend zu deuten, jedenfalls hat das Gericht den Kläger auf die Stellung eines sachdienlichen Antrages hinzuweisen und darauf hinzuwirken, § 139 Abs. 1 ZPO. Nichts anderes gilt für die Antragstellung in der Rechtsmittelinstanz.

d) Streitgegenstand des Verfahrens. Der Streitgegenstand der Feststellungsklage, wonach 670 sich die Hauptsache erledigt hat, erfasst nach der Rechtsprechung des BGH auch die vormals geltend gemachten Ansprüche. Die Leistungsansprüche, die der Kläger für erledigt hält, kann dieser also nicht ohne Verstoß gegen § 261 Abs. 1 Nr. 3 ZPO vor einem anderen Gericht anhängig machen.1805 e) Erledigendes Ereignis aa) Allgemeines. Ein erledigendes Ereignis ist ein solcher Umstand, der eine ursprünglich 671 zulässige und begründete Klage unzulässig oder unbegründet macht.1806 Im Wettbewerbsprozess sind das primär Ereignisse, die das Rechtsschutzbedürfnis (Zulässigkeit) oder die Begehungs- bzw. Wiederholungsgefahr (Begründetheit) der Klage betreffen. bb) Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses. Das erledigende Ereignis muss vor der Erle- 672 digungserklärung liegen.1807 Tritt ein erledigendes Ereignis zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit ein, so kann der Kläger seit 1.1.2002 die Klagerücknahme erklären und nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO eine Kostenfolge nach denselben Grundsätzen wie in § 91a ZPO herbeiführen. Es handelt sich insofern um eine privilegierte Klagerücknahme, bei der der Kläger anders als im Fall des § 91a ZPO einer Zustimmung des Beklagten nicht bedarf.1808 Der Streit um die Frage, ob die Erledigung bei einer bloß einseitigen Erklärung erst nach Rechtshängigkeit eingetreten sein muss, da es zuvor am Prozessrechtsverhältnis fehlt,1809 hat damit seine praktische Relevanz verloren und wird hier nicht erörtert.1810 cc) Ereignisse aus dem Verantwortungsbereich des Klägers. Nach herrschender Auffas- 673 sung ist das Vorliegen eines erledigenden Ereignisses unabhängig davon festzustellen, ob dessen Eintritt in den Verantwortungsbereich des Klägers fällt oder von diesem herbeigeführt worden ist. Macht der Kläger eine Forderung geltend, gegen die die Erhebung der Einrede der Verjährung möglich ist, so bildete das – vom Kläger bei Klageerhebung in Kauf genommene – 1805 BGH 19.2.2013 – X ZR 70/12 – GRUR 2013, 1269, 1271 Tz. 17 – Wundverband. 1806 BGH 15.1.1982 – V ZR 50/81 – BGHZ 83, 12 = NJW 1982, 1598; BGH 6.12.1984 – VII ZR 64/84 – NJW 1986, 588, 598; OLG Hamm 5.9.1989 – 4 U 150/89 – GRUR 1989, 931, 932 – Vollziehungsfrist; OLG Köln 28.5.1986 – 6 U 207/ 85 – WRP 1987, 55, 56; BGH 19.10.1989 – I ZR 63/88 – GRUR 1990, 381 – Antwortpflicht des Abgemahnten; BGH 27.2.1992 – I ZR 35/90 – GRUR 1992, 474, 475 – btx Werbung II; BGH 18.4.2002 – I ZR 72/99 – GRUR 2002, 1074, 1075 – Original Oettinger; BGH 18.12.2003 – I ZR 84/01 – GRUR 2004, 349 – Einkaufsgutschein II; BGH 19.5.2010 – I ZR 177/07 – GRUR 2010, 855, 856 – Folienrollos; Stein/Jonas/Muthorst § 91a Rn. 5. 1807 BGH 27.2.1992 – I ZR 35/90 – GRUR 1992, 474, 475 – btx Werbung II. 1808 Siehe hierzu Zöller/Althammer § 91a Rn. 1. 1809 So die Rechtsprechung, BGH 19.10.1989 – I ZR 63/88 – GRUR 1990, 381, 382 – Antwortpflicht des Abgemahnten; BGH 15.1.1982 – V ZR 50/81 – BGHZ 83, 12 = NJW 1982, 1598. 1810 Siehe zum Streitstand Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 40 m. w. N. 715

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Erheben der Verjährungseinrede gleichwohl ein erledigendes Ereignis.1811 In diesem Sinne hat auch der BGH entschieden, dass der Wegfall des Titelschutzrechts, das die Grundlage der geltend gemachten Ansprüche bildete, durch Nichtbenutzung des Klägers ebenfalls – unabhängig von Billigkeitserwägungen – als erledigendes Ereignis einzuordnen ist.1812 Das überzeugt, weil den Billigkeitserwägungen mit Blick auf die Kostenentscheidung im Rahmen des § 91 a ZPO bestimmungsgemäß Rechnung getragen werden kann und muss,1813 wobei das allerdings von einer überwiegenden obergerichtlichen Linie verneint wird.1814

674 dd) Erledigung des Hauptantrages. Über einen Hilfsantrag ist regelmäßig auch zu entscheiden, wenn der Kläger den Hauptantrag für erledigt erklärt und es daraufhin zu keiner Entscheidung im Sinne des Hauptbegehrens kommt.1815

675 ee) Unterlassungsverpflichtungserklärung. Die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung ist im Wettbewerbsprozess immer noch1816 der praktisch häufigste Erledigungsgrund.1817 Die Erledigung im Rahmen einer Unterlassungsklage tritt mit Abgabe einer ausreichenden Unterwerfungserklärung durch den Wegfall der Wiederholungsgefahr ein.1818 Mit Wegfall der Wiederholungsgefahr wird die Klage unbegründet.1819 Mit Blick auf die Erledigung ist besonderes Augenmerk auf die sachliche Breite der Unter676 werfungserklärung zu richten. Die Reichweite der Unterwerfungserklärung darf nicht hinter der des geltend gemachten Anspruchs und damit des Streitgegenstandes zurückbleiben. Es müssen damit auch kerngleiche Abwandlungen erfasst sein, wenn diese auch vom Verbotsantrag und einem entsprechenden Tenor als miterfasst angesehen werden.1820 Die Reichweite der Unterwerfungserklärung ist dabei nach vertragsrechtlichen Gesichtspunkten, also im Wege der Auslegung zu klären. Der Umfang des gesetzlichen Unterlassungsanspruchs ist dabei nur insofern von Relevanz, als in der Regel davon auszugehen ist, dass eine auf die konkrete Verletzungsform bezogene Unterwerfungserklärung, die der Beseitigung der Wiederholungsgefahr

1811 BGH 27.1.2010 – VIII ZR 58/09 – NJW 2010, 2422, 2422 ff.; OLG Frankfurt 8.2.2002 – 6 W 9/02 – GRUR-RR 2002, 183, 183 m. w. N.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.53; Peters NJW 2001, 2289, 2290; Ohly/Sosnitza § 11 Rn. 49; Ahrens/Bornkamm Kap. 33 Rn. 15; MünchKommZPO/Schulz § 91a Rn. 133 ff.; a. A.: Borck WRP 1987, 8, 12. 1812 BGH 13.5.1993 – I ZR 113/91 – GRUR 1993, 769, 771 – Radio Stuttgart. 1813 Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 38a; OLG Hamburg 5.11.1981 – 3 U 81/81 – WRP 1982, 161; OLG Hamburg 24.11.1988 – 3 U 106/88 – WRP 1989, 403; OLG Schleswig 3.9.1985 – 6 U 32/85 – NJW-RR 1986, 38, 39; Melullis Rn. 242. 1814 OLG Celle 3.9.1986 – 13 U 105/86 – GRUR 1987, 716; OLG Celle 5.4.2001 – 13 W 3/01 – GRUR-RR 2001, 285 = OLGR 2001, 246; OLG Koblenz 25.6.1996 – 4 U 113/96 – NJW-RR 1996, 1520; OLG Stuttgart 3.4.1996 – 2 W 63/95 – WRP 1996, 799 = NJW-RR 1996, 1520. 1815 BGH 3.7.2003 – I ZR 270/01 – GRUR 2003, 903 = WRP 2003, 1138 – ABC der Naturheilkunde. 1816 So schon GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 270. 1817 Siehe auch Ahrens/Bornkamm Kap. 33 Rn. 3. 1818 BGH 8.3.1990 – I ZR 116/88 – GRUR 1990, 530, 532 – Unterwerfung durch Fernschreiben; BGH 22.6.1989 – I ZR 120/87 – GRUR 1989, 758, 759 – Gruppenprofil; BGH 11.12.1981 – I ZR 150/79 – GRUR 1982, 313, 314 – Rezeptsammlung für Apotheker; BGH 9.11.1979 – I ZR 24/78 – GRUR 1980, 241, 242 – Rechtsschutzbedürfnis; BGH 13.7.1959 – I ZR 96/58 – GRUR 1959, 544, 545 – Modenschau; BGH 26.6.1970 – I ZR 14/69 – GRUR 1970, 558, 559 – Sanatorium: Hier lag dennoch ein Rechtschutzbedürfnis vor, da die Beklagte nach der Erklärung wiederholt gegen § 1 und § 3 UWG verstieß und die Verstöße bestritt. 1819 BGH 24.11.1983 – I ZR 192/81 – GRUR 1984, 214, 216 – Copy Charge; BGH 12.7.1984 – I ZR 123/82 – GRUR 1985, 155, 156 – Vertragsstrafe bis zu … I; Ahrens/Bornkamm Kap. 33 Rn. 6; Borck WRP 1987, 8, 13; zuvor vertreten wurde auch, dass die Klage aufgrund entfallenden Rechtsschutzinteresses unzulässig wird, vgl. die Nachweise bei GKUWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 271 mit Fn. 855. 1820 BGH 9.11.1995 – I ZR 212/93 – GRUR 1996, 290, 291 – Wegfall der Wiederholungsgefahr. Grosch

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IX. Erledigung der Hauptsache

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dient, auch das Charakteristische der Verletzungsform, also auch kerngleiche Abwandlungen erfassen soll.1821 Ausreichend ist auch die Abgabe einer Unterlassungserklärung einem Dritten gegenüber, 677 da die Frage nach dem Vorliegen einer Wiederholungsgefahr nur einheitlich beantwortet werden kann.1822 Der Schuldner liefe andernfalls Gefahr, von mehreren Mitbewerbern oder Verbänden wegen derselben Handlung auf Unterlassung in Anspruch genommen zu werden.1823

ff) Einstweilige Verfügung mit Abschlusserklärungen. Gibt der Schuldner einer einstweili- 678 gen Verfügung eine Abschlusserklärung ab, mit der die einstweilige Verfügung einem Hauptsachetitel gleichgestellt wird, so fehlt dem Gläubiger der einstweiligen Verfügung in einem Hauptsacheverfahren gegen den Schuldner das Rechtsschutzbedürfnis.1824 Insofern tritt ein die Hauptsache erledigendes Ereignis ein, weil die Klage unzulässig wird. Gegenüber Dritten fällt mit der Erklärung die Wiederholungsgefahr weg,1825 so dass sich ein anhängiger Rechtsstreit (einstweiliges Verfügungsverfahren oder Hauptsache) deshalb erledigt, weil die Klage unbegründet wird. gg) Nachträglicher Fortfall des Feststellungsinteresses bei Feststellungsklagen. Bei 679 Feststellungsklagen kann das von § 256 ZPO geforderte Feststellungsinteresse nachträglich entfallen und die Klage so unzulässig werden. Ein häufiger Fall betrifft die negative Feststellungsklage, auf die der Feststellungsbeklagte mit einer eigenen Leistungsklage antwortet. Nach h. M. entfällt das Feststellungsinteresse der Feststellungsklage, sobald die Leistungsklage nicht mehr einseitig zurückgenommen werden kann.1826 Anderes gilt nur dann, wenn die Feststellungsklage schon entscheidungsreif ist.1827 Erklärt der Feststellungskläger die Klage nicht für erledigt, wird diese als unzulässig abgewiesen. Dagegen wird vorgebracht, eine selbstständige Leistungsklage sei wegen der entgegenstehenden Rechtshängigkeit der Feststellungsklage gar nicht möglich und nur eine Leistungswiderklage zuzulassen.1828 Die überwiegende Meinung geht aber davon aus, dass die Streitgegenstände beider Klagen nicht identisch seien, da die Leistungsklage mit ihrem Antrag über das Rechtsschutzziel der Feststellungsklage hinaus-

1821 BGH 17.7.1997 – I ZR 40/95 – GRUR 1997, 931, 932 – Sekundenschnell; BGH 10.7.1997 – I ZR 62/95 – GRUR 1998, 483, 485 – Der M.-Markt packt aus; BGH 11.9.2008 – I ZR 58/06 – GRUR 2009, 418 Tz. 18 – Fußpilz; BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 45 – Erinnerungswerbung im Internet. 1822 BGH 22.6.1989 – I ZR 120/87 – GRUR 1989, 758 – Gruppenprofil; BGH 13.5.1987 – I ZR 79/85 – GRUR 1987, 640, 641 – Wiederholte Unterwerfung II; OLG Hamm 27.9.1983 – 4 U 223/83 – GRUR 1984, 68 – Verfrühte Jubiläumsfeier; Ahrens/Bornkamm Kap. 33 Rn. 7. 1823 BGH 6.4.2000 – I ZR 76/98 – BGHZ 144, 165, 169 = GRUR 2000, 1089, 1092 – Mißbräuchliche Mehrfachverfolgung. 1824 BGH 5.7.1990 – I ZR 148/88 – GRUR 1991, 76, 77 – Abschlusserklärung; BGH 19.5.2010 – I ZR 177/07 – GRUR 2010, 855, 856 – Folienrollos; BGH 7.6.2001 – I ZR 115/99 – GRUR 2002, 177, 179 – Jubiläumsschnäppchen. 1825 OLG Karlsruhe 22.2.1995 – 6 U 250/94 – GRUR 1995, 510, 513 – Ginkgo-biloba-Präparat; OLG Frankfurt 15.8.1996 – 6 U 74/96 – WRP 1997, 44, 45; dazu Ahrens/Bornkamm Kap. 33 Rn. 7; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.33. 1826 BGH 20.6.1984 – I ZR 61/82 – GRUR 1985, 41, 44 – REHAB; BGH 21.12.2005 – X ZR 17/03 – BGHZ 165, 305 = GRUR 2006, 217 Tz. 12 – Detektionseinrichtung I; Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 35, Kap. 52 Rn. 20; Ahrens/Bornkamm Kap. 33 Rn. 11; GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 272. 1827 BGH 21.12.1989 – IX ZR 234/88 – NJW-RR 1990, 1532; BGH 22.1.1987 – I ZR 230/85 – GRUR 1987, 402, 403 – Parallelverfahren; BGH 21.12.2005 – X ZR 17/03 – BGHZ 165, 305 = GRUR 2006, 217 Tz. 12 – Detektionseinrichtung I; Teplitzky/Schwippert Kap. 52 Rn. 20a; MünchKommZPO/Becker-Eberhard § 256 Rn. 66 m. w. N. 1828 MünchKommZPO/Becker-Eberhard § 256 Rn. 67. 717

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

geht.1829 Für die hierzu vertretenen abweichenden Auffassungen wird auf die obige Darstellung zur anderweitigen Rechtshängigkeit verwiesen.1830

680 hh) Vergleichsabschluss. Ein endgültiger und nicht bloß temporärer Vergleichsabschluss1831 führt zur Erledigung, soweit der Umfang des Vergleiches reicht.1832 Eine Kostenentscheidung nach § 91a ZPO1833 ist wegen § 98 ZPO bei gerichtlichen Vergleichen hinfällig, denn wenn die Parteien sich über die Kosten geeinigt haben, geht diese Einigung vor;1834 haben die Parteien im Vergleich keine Kostenvereinbarung getroffen, so ist dies gerade der typische Anwendungsfall von § 98 ZPO.1835 Nur wenn die Parteien ausdrücklich eine Kostenentscheidung „nach dem bisherigen Sach- und Streitstand wünschen“, kommt eine Heranziehung von § 91a ZPO in Betracht.1836

681 ii) Erfüllung des Anspruchs. Eine Erledigung durch Anspruchserfüllung ist im Wettbewerbsprozess die Ausnahme, da Unterlassungsansprüche nicht während der Dauer des Erkenntnisverfahrens erfüllt werden können. Das funktionale Substitut für die Erfüllung bildet die strafbewehrte Unterlassungserklärung.1837 Erfüllung ist allerdings bei Auskunftsansprüchen häufiger anzutreffen.1838

682 jj) Stufenklage. Die Erledigung auf der ersten Stufe einer Stufenklage – also der Auskunftsklage – ist nur eine Teilerledigung. Ergibt sich aber auf der ersten Stufe der Auskunftserteilung, dass kein Schaden entstanden ist, so ist die Klage auf Schadensersatz von Anfang an unbegründet,1839 sodass sich zumindest nichts nachträglich „erledigt“ hat.1840

kk) Erledigung durch Zeitablauf 683 (1) Herrschende Auffassung – Zeitablauf erledigendes Ereignis. Nach herrschender Auffassung im wettbewerbs- und markenrechtlichen Schrifttum stellt der Ablauf der Schutzdauer eines Klageschutzrechts (einschließlich des Ablaufs der urheberrechtlichen Schutzfrist) ebenso wie der Ablauf eines zeitlich begrenzten wettbewerbsrechtlichen Schutzes (für Modeneuheiten) ein erledigendes Ereignis dar.1841 Gleiches wird überwiegend angenommen, wenn dem Verbot 1829 BGH 7.7.1994 – I ZR 162/92 – GRUR 1994, 823, 824 unter II, 1 – Preisrätselgewinnauslobung II; BGH 7.7.1994 – I ZR 30/92 – GRUR 1994, 846, 848 – Parallelverfahren II; Wieczorek/Schütze/Assmann § 256 Rn. 251; Teplitzky FS Lindacher (2007) 185, 189 f. 1830 Siehe oben unter Rn. 378. 1831 Siehe zum Vergleich ausführlich Rn. 719 ff. 1832 Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 35; Ahrens/Bornkamm Kap. 33 Rn. 19; GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 273. 1833 Siehe Kostenentscheidung Rn. 695. 1834 BGH 14.7.1969 – X ZR 40/65 – NJW 1969, 1814; MünchKommZPO/Schulz § 98 Rn. 33; Stein/Jonas/Muthorst § 98 Rn. 8. 1835 BGH 15.3.2006 – XII ZR 209/05 – NJW-RR 2006, 1000 m. w. N. in Tz. 4. 1836 MünchKommZPO/Schulz § 98 Rn. 33. 1837 Siehe oben Rn. 675 ff. 1838 BGH 17.3.2011 – I ZR 81/09 – GRUR 2011, 934 – Original Kanchipur; Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 35; Ulrich GRUR 1982, 14, 16. 1839 BGH 5.5.1994 – III ZR 98/93 – GRUR 1994, 666, 667 – Negative Auskunft. 1840 So auch: Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 35; Ahrens/Bornkamm Kap. 33 Rn. 10; Musielak/Voit/Flockenhaus § 91a Rn. 36; a. A. noch GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 276, der in einem solchen Fall von einer „Erledigung“ der übrigen Stufen spricht. 1841 Vgl. nur Ahrens/Bornkamm Kap. 33 Rn. 18; Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 39. Grosch

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IX. Erledigung der Hauptsache

Vor §§ 12–15a A

seinem Sinn nach nur zu einem bestimmten Zeitpunkt zuwidergehandelt werden konnte, etwa für Wettbewerbsverstöße, die nur auf einer bestimmten Veranstaltung (etwa einer Messe) drohten. Auch hier liege im Zeitablauf ein erledigendes Ereignis.1842

(2) Kein erledigendes Ereignis. Die hiervon abweichende Auffassung des BGH (X. Zivilse- 684 nat) wird hierbei regelmäßig nicht erwähnt. In „Ethofumesat“ hat der BGH festgestellt, dass der Ablauf der Schutzrechtshöchstdauer (Patent, 20 Jahre, § 16 PatG) kein erledigendes Ereignis darstelle, weil diese Beschränkung dem Antrag und Tenor regelmäßig immanent sei.1843 Eine Erledigungserklärung würde insofern nur Schwierigkeiten für die Vollstreckung wegen vergangener Verstöße gegen den Titel begründen. Eine ausdrückliche Zeitbeschränkung enthält dabei in der Praxis weder der Antrag noch das Urteil; gleichwohl wird sie hinsichtlich des Urteils in Patentverletzungssachen bereits seit der Entscheidung des Reichsgerichts vom 3.4.19011844 „mitgelesen“.1845 Es bedürfe insofern auch keiner Beseitigung der Vollstreckbarkeit mehr; die Vollstreckungsgegenklage ist überflüssig.1846 Auch im prozessualen und wettbewerbsrechtlichen Schrifttum ist die Auffassung vertreten 685 worden, nach der kein erledigendes Ereignis vorliegt, wenn das Unterlassungsurteil von vornherein zeitlich befristet war oder seinem Sinn nach nur zu einem bestimmten Zeitpunkt zuwider gehandelt werden konnte.1847 Kaum erwähnt wird im wettbewerbsrechtlichen Schrifttum regelmäßig auch,1848 dass der I. Zivilsenat sich in „Euro-Einführungsrabatt“ obiter der Linie aus „Ethofumesat“ angeschlossen und festgestellt hat, dass bei Unterlassungstiteln, die von vorne herein befristet waren oder denen nach den Umständen nur in einem bestimmten Zeitraum zuwidergehandelt werden konnte, kein erledigendes Ereignis vorliege.1849 Übereinstimmung besteht hingegen darüber, dass beim Wegfall eines Schutzrechts vor Ablauf der Höchstdauer, sofern dieser ex nunc erfolgt, ein erledigendes Ereignis gegeben ist und eine entsprechende (Teil-)Erledigungserklärung des Klägers erforderlich ist.1850 Anderes gelte bei Vernichtung ex tunc, also etwa der Vernichtung oder dem Widerruf eines Klagepatents. In diesen Fällen ist die Klage von vornherein unbegründet und hat sich damit nicht durch ein nachträgliches Ereignis erledigt. Folge ist hier also die Abweisung, der der Kläger nicht durch eine Erledigungserklärung entgehen kann.1851 Anders wird vom BGH für die patentamtliche Löschung einer Marke we1842 Ahrens/Bornkamm Kap. 33 Rn. 12. 1843 BGH 21.2.1989 – X ZR 53/87 – BGHZ 107, 46, 60 = GRUR 1990, 997 – Ethofumesat; bestätigt durch BGH 29.7.2010 – Xa ZR 118/09 – GRUR 2010, 996, 997 Tz. 15 – Bordako.

1844 RG 3.4.1901, RGZ 48, 384, 386. 1845 Ganz h. L., vgl. Benkard/Grabinski/Zülch § 139 Rn. 33 m. w. N. 1846 Benkard/Grabinski/Zülch § 139 Rn. 34, der anderes nur dann annimmt, wenn das Klagepatent ausnahmsweise vor Ablauf der gesetzlichen Schutzdauer abläuft.

1847 Stein/Jonas/Bartels § 890 Rn. 31: „Konnte der Unterlassungspflicht nur einmal oder nur befristet zuwidergehandelt werden, vor allem, wenn der Unterlassungsanspruch schon laut Titel zeitlich beschränkt ist, und hat der Schuldner nach wirksamer Androhung hiergegen verstoßen, so ist das in einem gegen den Titel gerichteten Verfahren für sich allein entgegen der HM weder ein erledigendes Ereignis im üblichen Sinne noch Anlaß zur Klagerücknahme, sondern im Gegenteil gerade der Grund, weshalb ein befristeter Unterlassungstitel im Erkenntnisverfahren voll aufrechtzuerhalten ist.“ Zöller/Vollkommer § 91a Rn. 58 Stichwort: Arrest und einstweilige Verfügung: „desgleichen ist der Ablauf des Verbotszeitraums keine Erledigung bei einem befristeten Verbot …“ Aus der Rechtsprechung OLG Nürnberg 20.10.1995 – 3 W 2862/95 – WRP 1996, 145 = GRUR 1996, 79: „Der Ablauf des Verbotszeitraumes stellte aber kein erledigendes Ereignis dar, weil durch ihn der Verfügungsantrag und der Verbotsausspruch in der Beschlußverfügung nicht gegenstandslos geworden ist.“ 1848 Vgl. etwa Ahrens/Bornkamm Kap. 33 Rn. 18. 1849 BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – GRUR 2004, 264, 266 sub cc) (1) – Euro-Einführungsrabatt. Hierzu auch unten Rn. 814 ff. 1850 BGH 29.7.2010 – Xa ZR 118/09 – GRUR 2010, 996, 997 Tz. 15 – Bordako. 1851 Ganz herrschende Praxis. Aus dem Schrifttum etwa Ahrens/Bornkamm Kap. 33 Rn. 18. 719

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

gen Verfall angenommen (§§ 50, 54 MarkenG), dass diese für den parallelen Zivilprozess mit demselben Rechtsschutzziel ein erledigendes Ereignis darstellt, obwohl die Löschung ex tunc erfolgt.1852 686 Die patentrechtliche Praxis fasst die Konstellation aus „Ethofumesat“ als eine Erledigung im Instanzenzug auf, nachdem bereits eine antragsgemäße Verurteilung in der Vorinstanz erfolgte.1853 Insofern wird regelmäßig bei fehlendem Vorliegen einer Unterlassungsverurteilung nach Erreichen der Schutzrechtshöchstdauer vom Kläger eine Erledigungserklärung erwartet, um eine teilweise Klageabweisung zu vermeiden.

687 (3) Stellungnahme. Die Auffassung des BGH aus „Ethofumesat“ und dem obiter dictum aus „Euro-Einführungsrabatt“ steht letztlich allein im Kontext der Vermeidung der Aufgabe des Vollstreckungstitels wegen vergangener Verstöße. Insofern kritisiert Kühnen1854 zu Recht, dass dafür die Verneinung eines erledigenden Ereignisses nicht erforderlich sei, weil der Kläger eine zeitlich begrenzte Erledigungserklärung, die sich auch aus den Umständen ergeben kann, abgeben könne. Diesen Weg hat der I. Zivilsenat in der Entscheidung „Euro-Einführungsrabatt“ in seiner ratio decidendi selbst festgestellt (hierzu unten Rn. 814 ff.). Insgesamt erscheint es daher mit Kühnen richtig, dass eine Erledigungserklärung in jedem Stadium des Verfahrens erforderlich ist. Es bringt für die Parteien zu viel Rechtsunsicherheit, wenn man sich auf eine dem Titel immanente Beschränkung verlassen soll und diese Grundsätze dann auch noch für die Instanzenzüge unterschiedlich gehandhabt werden. Das Rechtsschutzziel der Unterlassung kann nach Ablauf der Schutzrechtsdauer nicht mehr erreicht werden, sodass eine (einschränkungslose) Bestätigung des Unterlassungsurteils im Rechtsmittelwege nicht zu überzeugen vermag.

688 ll) Gesetzesänderungen. Gesetzesänderungen, welche den Klageanspruch unbegründet werden lassen, sind ebenfalls ein Erledigungsgrund.1855 Lässt eine Gesetzesänderung die Klagebefugnis entfallen, wird die Klage unzulässig und erledigt sich dadurch.1856 In Ausnahmefällen trifft der Gesetzgeber dabei selbst gesetzliche Kostenregelungen.1857

mm) Rechtsprechungsänderung 689 (1) Rechtsprechung des BGH – Keine Erledigung. Die Handhabung einer Rechtsprechungsänderung verursacht insofern größere Begründungsschwierigkeiten. Der BGH hat hierzu in der Entscheidung „Einkaufsgutschein II“ dezidiert festgestellt, dass die Änderung der Rechtsprechung nach Rechtshängigkeit nie ein erledigendes Ereignis darstellen könne.1858 Das Risiko einer sich während des Verfahrens wandelnden Rechtsprechung liege beim Kläger. Dieser profitiere auch von einer Änderung in die umgekehrte Richtung und der Beklagte könne auch hier der nachteiligen Kostenfolge nicht durch ein sofortiges Anerkenntnis entgehen (keine Anwendung

1852 BGH 10.4.2008 – I ZR 167/05 – GRUR 2009, 60, Tz. 32 f. – LOTTOCARD; hierzu Ahrens/Bornkamm Kap. 33 Rn. 18.

1853 Vgl. etwa Kühnen GRUR 2009, 288, 289 f.; BGH 29.7.2010 – Xa ZR 118/09 – GRUR 2010, 996, 997 Tz. 15 – Bordako, behandelt die Erledigung im Instanzenzug. 1854 Kühnen GRUR 2009, 288, 289. 1855 BGH 11.12.2003 – I ZR 68/01 – GRUR 2004, 350, 350 – Pyrex, BGH 18.12.2003 – I ZR 84/01 – GRUR 2004, 349, 349 – Einkaufsgutschein II; BGH 22.4.2004 – I ZR 21/02 – GRUR 2004, 701, 702 – Klinikpackung II. In den beiden letztgenannten Urteilen „Einkaufsgutschein II“ und „Klinikpackung II“ war die Klage jedoch bereits unter der vorherigen Gesetzeslage unbegründet, so dass keine Erledigung eintrat. Vgl. Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 39. 1856 BGH 9.5.1996 – I ZR 107/94 – GRUR 1996, 800 = WRP 1996, 897 – EDV-Geräte. 1857 Stein/Jonas/Muthorst § 91a Rn. 63. 1858 BGH 18.12.2003 – I ZR 84/01 – GRUR 2004, 349, 349 = NJW 2004, 1665, 1666 – Einkaufsgutschein II. Grosch

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IX. Erledigung der Hauptsache

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des Rechtsgedankens des § 93 ZPO).1859 Dem stimmt die h. L. zu. Insbesondere sei eine Gleichstellung mit einer Gesetzesänderung nicht gerechtfertigt, weil anders als bei einer Gesetzesänderung kein gestaltender Eingriff in die Rechtslage vorliege, diese also nicht konstitutiv ex nunc verändert, sondern nur die schon immer geltende, zutreffende Rechtslage artikuliert werde.1860 Die Klage war also anders als bei einer Gesetzesänderung von Anfang an unbegründet. Gleiches gelte, wenn das Bundesverfassungsgericht eine gesetzliche Norm für nichtig erklärt.1861

(2) Abweichung aufgrund BGH „Mescher weis“? Schwippert vertritt hierzu die Auffassung, 690 dass das im Anschluss an die BGH-Entscheidung „Mescher weis“1862 sich so nicht mehr uneingeschränkt werde halten lassen.1863 In „Mescher weis“ hat der BGH, wie oben dargestellt, einen nachträglichen Wandel der höchstrichterlichen Rechtsprechung, durch den die verbotene Verhaltensweise als eindeutig erlaubt anzusehen ist, als taugliche Einwendung für eine Vollstreckungsgegenklage eingeordnet.1864 Dort wird ausdrücklich auf die Gleichstellung der Änderung einer höchstrichterlichen Rechtsprechung mit einer Gesetzesänderung abgestellt. (3) Stellungnahme. Ich meine gleichwohl, dass eine Anpassung der Erledigungsgrundsätze 691 dadurch nicht erforderlich wird. Allerdings ist die Begründung der herrschenden Auffassung in der Tat widersprüchlich und es zeigt sich, dass schon bei „Mescher weis“ die bloße Vergleichbarkeit einer Rechtsprechungsänderung mit einer Gesetzesänderung kein tragfähiger, verallgemeinerungsfähiger Grund für das Korrekturbedürfnis ist. Der Grund für die Nichtberücksichtigung als Erledigungsgrund liegt meines Erachtens im Wesentlichen darin, dass sich die Rechtsprechung nicht nur während des Verfahrens, sondern auch durch das Verfahren selbst ändern kann. Auch dann muss der Kläger die Kosten tragen und kann sich nicht darauf berufen, dass die Klage ursprünglich als begründet eingeordnet worden wäre.1865 Maßgeblich für die Rechtslage ist der Schluss der mündlichen Verhandlung in der Revisionsinstanz. Änderungen, die sich bis dahin, also während des Verfahrens, ergeben oder durch das Verfahren selbst entstehen, liegen im originären Risikobereich der Parteien. Das ist keine Besonderheit der Unterlassungsansprüche, sondern gilt für alle Ansprüche. Hingegen ist die nachträgliche Änderung der Rechtsprechung, also nach dem Schluss 692 der mündlichen Verhandlung, ein Risikofaktor, der bei den Unterlassungsurteilen eine eigene Qualität hat, weil diese Urteile im Gegensatz zu anderen Entscheidungen die Parteien mit Blick auf ihr künftiges Recht festlegen. Die Parteien müssen hier also eine Vorausentscheidung akzeptieren, obwohl sie sich nie zu dem künftigen Recht zum Zeitpunkt der prospektiven Aktualisierung ihrer Rechtslage haben äußern können. Sie von der allgemeinen Rechtsentwicklung abzukoppeln, bedeutete letztlich eine Verkürzung rechtlichen Gehörs. Das ist bei der Erledigungsfrage gänzlich anders. Hier wird den Parteien definitionsgemäß gerade rechtliches Gehör hinsichtlich der Neuentwicklungen gewährt. Die Parteien können sich damit im Verfahren auseinandersetzen und gegebenenfalls die Rechtsentwicklung durch ihr Ver1859 BGH 18.12.2003 – I ZR 84/01 – GRUR 2004, 349, 349 = NJW 2004, 1665, 1666 – Einkaufsgutschein II. Dies gilt auch bei EuGH-Entscheidungen: KG 9.11.2004 – 5 U 300/01 – GRUR-RR 2005, 170, 174 f. – DocMorris; Ahrens/Bornkamm Kap. 33 Rn. 17. 1860 Ahrens/Bornkamm Kap. 33 Rn. 17. 1861 Ahrens/Bornkamm Kap. 33 Rn. 17; BGH 22.4.2004 – I ZR 21/02 – GRUR 2004, 701, 702 – Klinikpackung II; BGH 9.10.1964 – Ib ZR 183/62 – NJW 1965, 296; Stein/Jonas/Muthorst § 91a Rn. 8; Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 39; im Übrigen auch GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 279. 1862 BGH 2.7.2009 – I ZR 146/07 – GRUR 2009, 1096 f. – Mescher weis. 1863 Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 39. 1864 Ausführlich dazu bereits oben unter Rn. 638. 1865 So bereits Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 131 sub II. 1. 721

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

fahren und die Auseinandersetzung mit den neuen Präjudizien auch wieder beeinflussen; sei es im Wege einer Abgrenzung von der Rechtsprechung, sei es, indem sie zeigen, dass die Änderung nicht überzeugt. Eine formale Bindung an Präjudizien gibt es im deutschen Recht bekanntlich nicht. Letztlich geht es bei der Frage der Erledigung nur um die Kostenfolge. Davon ist die Problematik der Vollstreckungsgegenklage nicht betroffen. Es handelt sich gerade nicht um eine Restitutionsklage, mit der die Richtigkeit der vormaligen Entscheidung insgesamt einschließlich der Kostenentscheidung überprüft werden könnte. Nach alldem ist eine Änderung der Praxis nicht indiziert. 693 Es sei allerdings darauf hingewiesen, dass die Anmerkung des BGH in „Einkaufsgutschein II“, wonach der Kläger auch von einer Rechtsprechungsänderung in die umgekehrte Richtung profitiere, weil der Beklagte der Verurteilung auch nicht durch ein sofortiges Anerkenntnis entgeht, insofern einzuschränken ist, dass nach der Rechtsprechung des ersten Senats in einem solchen Fall für den Unterlassungsanspruch regelmäßig keine Wiederholungsgefahr angenommen werden kann. Werde durch die Entscheidung selbst erstmalig höchstrichterlich die Klärung der Wettbewerbswidrigkeit des angegriffenen Verhaltens herbeigeführt, so sei nicht davon auszugehen, dass der Beklagte den Verstoß im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit wiederholen werde.1866 Damit trägt dann der Kläger die Kosten des Verfahrens. Ich halte das für nicht überzeugend. Der Beklagte trägt genau wie der Kläger das Risiko der Bewertung seines Verhaltens durch die Rechtsprechung und der Veränderung während des Verfahrens.1867

694 nn) Verlust des wirtschaftlichen Interesses. Der Verlust des wirtschaftlichen Interesses an der Durchsetzung des Anspruchs erledigt eine Klage nicht.1868 Abzustellen ist nicht auf die wirtschaftlichen, sondern die rechtlichen Dimensionen, um eine Erledigung zu begründen.

f) Kostenentscheidung 695 aa) Allgemeines. § 91a ZPO regelt nur die beidseitige Erledigungserklärung. Bleibt die Erledigungserklärung einseitig, kommen §§ 92, 93 ZPO zum Zuge.1869 § 91a ZPO ist Ausdruck des Veranlassungs- und Risikoübernahmeprinzips.1870 Der Grundgedanke des § 93 ZPO findet also auch bei der Ermessensentscheidung nach § 91a ZPO Beachtung, gerade dann, wenn etwa der Beklagte vor Klageerhebung nicht abgemahnt wurde und danach sofort eine Unterwerfungserklärung abgibt. So muss der Beklagte etwa darüber aufklären, wenn er einem Dritten gegenüber eine Unterwerfungserklärung hinsichtlich der klagegegenständlichen Handlung abgibt.1871

696 bb) Beispiele. Hat sich eine Klage aufgrund einer Gesetzesänderung erledigt, so trägt derjenige die Kosten, welcher ohne die Gesetzesänderung unterlegen wäre.1872 Erklären die Parteien eine vor dem unzuständigen Gericht erhobene, in der Sache aber begründete Unterlassungsklage übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt, nachdem der Beklagte die 1866 BGH 10.2.1994 – I ZR 16/92 – GRUR 1994, 443 f. – Versicherungsvermittlung im öffentlichen Dienst; vgl. zur Kritik an dieser Entscheidung Teplitzky/Kessen Kap. 7 Rn. 5 m. w. N. in Fn. 14. So bereits Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 117 f. und 131 sub II 1. BGH 13.9.2005 – X ZR 62/03 – GRUR 2006, 223, 223 f. – Laufzeit eines Lizenzvertrages. Siehe Einseitige Erledigungserklärung unter Rn. 666 f. MünchKommZPO/Schulz § 91a Rn. 1. BGH 19.6.1986 – I ZR 65/84 – GRUR 1987, 54 m. Anm. Lindacher – Aufklärungspflicht des Abgemahnten; ebenso schon GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 297. 1872 BGH 11.12.2003 – I ZR 68/01 – GRUR 2004, 350, 350 – Pyrex; BGH 22.4.2004 – I ZR 21/02 – GRUR 2004, 701; vgl. auch Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 39.

1867 1868 1869 1870 1871

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Übersicht

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Unzuständigkeit gerügt und sodann eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hat, sind die Kosten des Rechtsstreits dem Beklagten aufzuerlegen.1873 Erfüllt der Beklagte einen Zahlungsanspruch, so begibt er sich laut BGH „in die Rolle des Unterlegenen“ und hat damit im Regelfall die vollen Prozesskosten zu tragen.1874 Bei gerichtlichen Vergleichen ist eine Kostenentscheidung nach § 91a ZPO wegen § 98 ZPO hinfällig.1875 Können sich die Parteien im Rahmen eines Vergleichs nicht über die Kosten einigen und erlässt das Gericht daraufhin einen Beschluss nach § 91a ZPO, ist der Rechtsschutzversicherer daran auch dann gebunden, wenn die Entscheidung nicht der Quote des Obsiegens und Unterliegens entspricht.1876

cc) Rechtsbeschwerde gegen Kostenentscheidungen. Wurde aus Sicht einer Partei bei der 697 Kostenentscheidung inzident rechtlich fehlerhaft entschieden, so stellt sich die Frage einer Rechtsbeschwerde. Laut BGH ist eine Rechtsbeschwerde gegen Kostenentscheidungen des Berufungsgerichts nach § 91a ZPO nicht geeignet, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären oder das Recht fortzubilden, soweit es um Fragen des materiellen Rechts geht.1877 X. Kosten Schrifttum Borck Andere Ansichten in Kostenfragen, WRP 2001, 20; Dittmar Die Berücksichtigung vorprozessual entstandener Anwaltskosten im Kostenfestsetzungsverfahren, NJW 1986, 2088; Enders Die neuen §§ 15a und 55 Abs. 5 RVG – Teil I, JurBüro 2009, 393; Hansens Drei berichtigende Absätze des Gesetzgebers zur Gebührenanrechnung, AnwBl 2009, 535; Henke Anrechnung der Geschäftsgebühr auf Übergangsfälle, AnwBl 2009, 709; Hess Unterwerfung als Anerkenntnis? WRP 2003, 353; Kallenbach Bundestag entschärft mit neuem § 15a RVG Anrechnungsproblem, AnwBl 2009, 442, Mes Testkauf zur Vorbereitung des Prozesses im gewerblichen Rechtsschutz und Wettbewerbsrecht, GRUR 2013, 767; Nickel Anrechnung der Geschäftsgebühr: Klärung durch § 15a RVG auch für Altfälle? FamRB 2009, 324; Schultze-Rhonhof Ersatz der außergerichtlichen Geschäftsgebühr bei erfolgreicher Klage, RVG-Report 2005, 374; Teplitzky Die jüngste Rechtsprechung des BGH zum wettbewerbsrechtlichen Anspruchs- und Verfahrensrecht X, GRUR 2003, 272; Tilmann Kostenhaftung und Gebührenberechnung bei Unterlassungsklagen gegen Streitgenossen im gewerblichen Rechtsschutz, GRUR 1986, 691; Vossler Das sofortige Anerkenntnis im Zivilprozess nach In-KraftTreten des Ersten Justizmodernisierungsgesetzes, NJW 2006, 1034.

Übersicht 1.

Kostenentscheidung 698 699 a) Teilweises Obsiegen b) Erledigung durch Abgabe einer strafbe700 wehrten Unterlassungserklärung 701 c) Sofortiges Anerkenntnis d) Erfolglose Angriffs- und Verteidigungsmittel; Obsiegen aufgrund neuen Vor703 bringens 704 e) Streitgenossen

2.

705 Erstattungsfähigkeit einzelner Kosten 706 a) Prozessvorbereitung 706 aa) Testkäufe 707 bb) Detektivkosten 708 cc) Abmahnung 710 b) Verfahrenskosten aa) Reisekosten des Prozessbevollmäch710 tigten bzw. der Partei

1873 1874 1875 1876 1877

BGH 18.3.2010 – I ZB 37/09 – GRUR 2010, 1037, 1037 f. – Unzuständigkeitsrüge. BGH 16.10.2012 – VI ZR 127/12 – BeckRS 2012, 21991. Siehe Erledigungsgründe Rn. 680; siehe zum Prozessvergleich Rn. 768 ff. OLG Hamm 8.12.2004 – 20 U 151/04 – NJW-RR 2005, 331. BGH 17.3.2004 – IV ZB 21/02 – NJW-RR 2004, 1219, 120; BGH 28.3.2006 – XI ZR 388/04 – NJW-RR 2006, 1508; Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 44 m. w. N. in Fn. 173.

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Ebersohl

Übersicht

Vor §§ 12–15a A

Unzuständigkeit gerügt und sodann eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hat, sind die Kosten des Rechtsstreits dem Beklagten aufzuerlegen.1873 Erfüllt der Beklagte einen Zahlungsanspruch, so begibt er sich laut BGH „in die Rolle des Unterlegenen“ und hat damit im Regelfall die vollen Prozesskosten zu tragen.1874 Bei gerichtlichen Vergleichen ist eine Kostenentscheidung nach § 91a ZPO wegen § 98 ZPO hinfällig.1875 Können sich die Parteien im Rahmen eines Vergleichs nicht über die Kosten einigen und erlässt das Gericht daraufhin einen Beschluss nach § 91a ZPO, ist der Rechtsschutzversicherer daran auch dann gebunden, wenn die Entscheidung nicht der Quote des Obsiegens und Unterliegens entspricht.1876

cc) Rechtsbeschwerde gegen Kostenentscheidungen. Wurde aus Sicht einer Partei bei der 697 Kostenentscheidung inzident rechtlich fehlerhaft entschieden, so stellt sich die Frage einer Rechtsbeschwerde. Laut BGH ist eine Rechtsbeschwerde gegen Kostenentscheidungen des Berufungsgerichts nach § 91a ZPO nicht geeignet, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären oder das Recht fortzubilden, soweit es um Fragen des materiellen Rechts geht.1877 X. Kosten Schrifttum Borck Andere Ansichten in Kostenfragen, WRP 2001, 20; Dittmar Die Berücksichtigung vorprozessual entstandener Anwaltskosten im Kostenfestsetzungsverfahren, NJW 1986, 2088; Enders Die neuen §§ 15a und 55 Abs. 5 RVG – Teil I, JurBüro 2009, 393; Hansens Drei berichtigende Absätze des Gesetzgebers zur Gebührenanrechnung, AnwBl 2009, 535; Henke Anrechnung der Geschäftsgebühr auf Übergangsfälle, AnwBl 2009, 709; Hess Unterwerfung als Anerkenntnis? WRP 2003, 353; Kallenbach Bundestag entschärft mit neuem § 15a RVG Anrechnungsproblem, AnwBl 2009, 442, Mes Testkauf zur Vorbereitung des Prozesses im gewerblichen Rechtsschutz und Wettbewerbsrecht, GRUR 2013, 767; Nickel Anrechnung der Geschäftsgebühr: Klärung durch § 15a RVG auch für Altfälle? FamRB 2009, 324; Schultze-Rhonhof Ersatz der außergerichtlichen Geschäftsgebühr bei erfolgreicher Klage, RVG-Report 2005, 374; Teplitzky Die jüngste Rechtsprechung des BGH zum wettbewerbsrechtlichen Anspruchs- und Verfahrensrecht X, GRUR 2003, 272; Tilmann Kostenhaftung und Gebührenberechnung bei Unterlassungsklagen gegen Streitgenossen im gewerblichen Rechtsschutz, GRUR 1986, 691; Vossler Das sofortige Anerkenntnis im Zivilprozess nach In-KraftTreten des Ersten Justizmodernisierungsgesetzes, NJW 2006, 1034.

Übersicht 1.

Kostenentscheidung 698 699 a) Teilweises Obsiegen b) Erledigung durch Abgabe einer strafbe700 wehrten Unterlassungserklärung 701 c) Sofortiges Anerkenntnis d) Erfolglose Angriffs- und Verteidigungsmittel; Obsiegen aufgrund neuen Vor703 bringens 704 e) Streitgenossen

2.

705 Erstattungsfähigkeit einzelner Kosten 706 a) Prozessvorbereitung 706 aa) Testkäufe 707 bb) Detektivkosten 708 cc) Abmahnung 710 b) Verfahrenskosten aa) Reisekosten des Prozessbevollmäch710 tigten bzw. der Partei

1873 1874 1875 1876 1877

BGH 18.3.2010 – I ZB 37/09 – GRUR 2010, 1037, 1037 f. – Unzuständigkeitsrüge. BGH 16.10.2012 – VI ZR 127/12 – BeckRS 2012, 21991. Siehe Erledigungsgründe Rn. 680; siehe zum Prozessvergleich Rn. 768 ff. OLG Hamm 8.12.2004 – 20 U 151/04 – NJW-RR 2005, 331. BGH 17.3.2004 – IV ZB 21/02 – NJW-RR 2004, 1219, 120; BGH 28.3.2006 – XI ZR 388/04 – NJW-RR 2006, 1508; Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 44 m. w. N. in Fn. 173.

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

bb) Kosten eines Verkehrsan715 walts 716 cc) Kosten eines Patentanwalts dd) Private Gutachten und Übersetzun717 gen

ee) Mehrkosten durch getrennte Geltend718 machung von Ansprüchen

1. Kostenentscheidung 698 Die Kostenentscheidung im Wettbewerbsprozess erfolgt nach den einschlägigen zivilprozessualen Bestimmungen in §§ 91 ff. ZPO sowie den Bestimmungen zur Rücknahme von Klagen und Rechtsmitteln in § 269 Abs. 3 Satz 2 und 3, § 516 Abs. 3 Satz 1 und § 565 ZPO. Es gilt der Grundsatz des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, wonach die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat. Dies schließt insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten ein, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind in §§ 93, 96 und 97 Abs. 2 ZPO geregelt. Nach § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO sind bei teilweisem Obsiegen und Unterliegen die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Nach § 97 Abs. 1 ZPO fallen die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels der Partei zur Last, die das Rechtsmittel eingelegt hat. In § 100 ZPO ist die Haftung der Streitgenossen geregelt. Nachstehend sei lediglich auf einige praktisch besonders häufige Konstellationen des Wettbewerbsprozesses und deren spezifische Probleme eingegangen; im Übrigen wird auf die allgemeinen Kommentierungen zu §§ 91 ff. ZPO verwiesen.

699 a) Teilweises Obsiegen. Die in wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklagen häufig anzutreffenden Eventual- oder „insbesondere“-Anträge bedingen, dass die Kostengrundentscheidung oftmals nicht eindeutig zu Lasten einer Partei ausfällt. Da sich Fehler bei der Kostengrundentscheidung angesichts der regelmäßig hohen Streitwerte im Lauterkeitsrecht im besonderen Maße auswirken, sollte auf die Ermittlung der richtigen Kostenquote größtmögliche Sorgfalt verwendet werden.1878 Die Problematik der richtigen Kostenquotelung hatte angesichts der TÜVEntscheidungen des BGH,1879 mit denen die alternative Klagebegründung aufgegeben wurde, weiter an Brisanz gewonnen. Einheitliche Klagebegehren, die auf verschiedene Rechtsgrundlagen gestützt werden, müssen nach dieser Rechtsprechung im Eventualverhältnis bzw. kumulativ geltend gemacht werden.1880 Dieser Grundsatz wurde zwar durch die Entscheidung Biomineralwasser1881 wieder eingeschränkt, soweit der Kläger die konkrete Verletzungsform zum Gegenstand seines Antrags macht, weil hier unabhängig von der rechtlichen Begründung der Klageansprüche ein einheitlicher Streitgegenstand vorliegen soll; er gilt jedoch bei abstrahierenden Klagebegehren weiter.1882 Theoretisch kann selbst den in der Sache erfolgreichen Kläger im Anwendungsbereich der TÜV-Rechtsprechung unter Anwendung von § 92 ZPO eine erhebliche Kostenlast treffen, die davon abhängt, mit welchem seiner Hilfsanträge er durchdringt bzw. wie

1878 Vgl. Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 60 f., der mit Recht darauf verweist, dass durch Fehler bei der Quotelung im Hinblick auf die Unterlassungsklage die Entscheidung über den Schadensersatzanspruch gleichsam entwertet werden kann. 1879 BGH 24.3.2011 – I ZR 108/09 – GRUR 2011, 521 – TÜV I; BGH 17.8.2011 – I ZR 108/09 – GRUR 2011, 1043 – TÜV II. 1880 BGH 24.3.2011 – I ZR 108/09 – GRUR 2011, 521 – TÜV I; BGH 17.8.2011 – I ZR 108/09 – GRUR 2011, 1043 – TÜV II. 1881 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 – Biomineralwasser m. Anm. Teplitzky. 1882 Zum Streitgegenstandsbegriff und der faktischen Aufgabe der TÜV-Rechtsprechung durch die Entscheidung Biomineralwasser vgl. Rn. 157 ff. Ebersohl

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X. Kosten

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viele seiner kumulativ geltend gemachten Ansprüche begründet sind.1883 Denn den Kläger trifft nach allgemeinen Grundsätzen insoweit eine Kostenlast, als der Wert seines erfolgreichen Klagebegehrens hinter dem Gesamtstreitwert zurückbleibt.1884 Eine im Nachgang zu den TÜV-Entscheidungen in diesem Sinne ergangene Entscheidung des OLG Frankfurt,1885 in der die Streitwerte der Eventualanträge addiert wurden – wodurch die Quote des Obsiegens des Klägers besonders klein werden kann –, stieß in der Literatur auf zum Teil heftige Kritik.1886 Zwischenzeitlich hat das OLG Frankfurt seine Rechtsprechung wieder aufgegeben und nimmt eine maßvolle Erhöhung des Hauptanspruchs von regelmäßig 10 % vor.1887 Macht der Kläger eine Verallgemeinerung der angegriffenen Handlung und mit einem „insbesondere“-Zusatz die konkrete Handlung zum Gegenstand seines Unterlassungsantrags, so ist der „insbesondere“-Teil ebenfalls als Hilfsantrag zu verstehen.1888 Verurteilt das Gericht dann nur wegen der konkreten Verletzungsform, so hat der Kläger lediglich teilweise obsiegt i. S. v. § 92 ZPO; Selbiges gilt, wenn der Kläger nur einen nicht beschränkten Antrag gestellt hat.1889 Auch ein Fall des Teilobsiegens ist es, wenn das Klagebegehren zunächst zu weit gefasst ist und erst nachträglich, etwa in der Rechtsmittelinstanz, eingeschränkt wird,1890 oder wenn der Vollstreckungsgläubiger im Rahmen eines Antrags nach § 890 ZPO die Höhe des festzusetzenden Ordnungsgeldes in das Ermessen des Gerichts stellt, aber gleichzeitig einen Mindestbetrag beziffert, wenn das Gericht bei der Verhängung des Ordnungsgeldes unter diesem Mindestbetrag bleibt.1891

b) Erledigung durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung. Nicht sel- 700 ten gibt der Beklagte während des Verfahrens eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, mit der Folge, dass das Verfahren von beiden Seiten übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt wird. Das Gericht hat dann nach § 91a ZPO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen durch Beschluss zu entscheiden. Alleine aus der Unterwerfung des Beklagten dürfen dabei keine nachteiligen Kostenfolgen (unter dem Aspekt des freiwilligen Begebens in die Rolle des Unterlegenen) abgeleitet werden.1892 Das Gericht hat vielmehr den Ausgang des Verfahrens – seine Fortsetzung unterstellt – summarisch zu ermitteln; hierbei kann es grundsätzlich davon absehen, in einer rechtlich schwie-

1883 Vgl. etwa das Beispiel bei Schwippert GRUR-Prax 2011, 233, in dem der Kläger, der mit dem 7. Hilfsantrag durchdringt, 7/8 der Kosten trägt. Vgl. MünchKommZPO/Schulz § 92 Rn. 6, 8. OLG Frankfurt 4.6.2012 – 6 W 60/12 – GRUR-RR 2012, 367. Vgl. Stieper GRUR 2012, 5, 12; Labesius GRUR-RR 2012, 317. OLG Frankfurt 11.12.2013 – 6 U 218/13 – GRUR-RR 2014, 280. Die Aufgabe erfolgte in Ansehung der Entscheidung BGH 12.9.2013 – I ZR 58/11 – WRP 2014, 192 – Streitwert für die Revisionsinstanz. Zum Streitwert bei der kumulativen Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen s. § 12 C Rn. 44 ff. 1888 Ahrens/Büttner Kap. 40 Rn. 64. Vgl. auch BGH 25.4.1991 – I ZR 134/90 – GRUR 1991, 772 –Anzeigenrubrik I; BGH 2.6.2005 – I ZR 252/02 – GRUR 2006, 164 – Aktivierungskosten II. 1889 BGH 11.6.1992 – I ZR 226/90 – GRUR 1992, 625, 627 – Therapeutische Äquivalenz. Hier hatte die Vorinstanz nicht etwa die Anwendbarkeit von § 92 ZPO verkannt, sondern hatte den Klageantrag dahingehend ausgelegt, dass er nur der konkreten Verletzungsform gelte. 1890 Vgl. Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 61 m. w. N. 1891 OLG Köln 27.6.2013 – 6 W 77/13 – GRUR-RR 2014, 48. 1892 OLG Celle 30.5.1986 – 13 W 36/86 – NJW-RR 1986, 1061; OLG Karlsruhe 27.6.1984 – 6 U 297/83 – WRP 1985, 102, 103; OLG Koblenz 8.3.1988 – 6 W 102/88 – GRUR 1988, 566 – Wirkung der Unterwerfungserklärung; OLG Frankfurt 13.1.1977 – 6 W 116/76 – WRP 1977, 270; OLG Frankfurt 18.6.1979 – 6 W 43/79 – GRUR 1979, 808, 809; OLG Hamburg 8.6.1972 – 3 W 59/72 – WRP 1972, 537, 538; OLG Köln 17.2.1989 – 6 U 187/88 – GRUR 1989, 705 – Unaufgeklärte Sachlage; OLG Stuttgart 4.4.1984 – 2 W 105/83 – WRP 1984, 576; OLG Stuttgart 23.12.1985 – 2 W 80/85 – WRP 1986, 433; Harte/Henning/Brünning vor § 12 Rn. 61; Hess WRP 2003, 353; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.34; Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 45.

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

rigen Sache alle für den Ausgang bedeutsamen Rechtsfragen abzuhandeln.1893 Dementsprechend wird zu Recht vertreten, bei offenem Ausgang des Verfahrens regelmäßig die Kosten gegeneinander aufzuheben.1894 Im Rahmen der Entscheidung nach § 91a ZPO ist nach einhelliger Meinung auch der Rechtsgedanke des § 93 ZPO anzuwenden, sodass die Frage der Veranlassung der Klageerhebung durch den Beklagten in die Entscheidung einzufließen hat.1895 Hat der Beklagte sich vor Klageerhebung gegenüber einem Dritten strafbewehrt zur Unterlassung verpflichtet (sodass die Wiederholungsgefahr insgesamt entfallen war), dies aber dem abmahnenden Kläger verschwiegen, so hat der Beklagte die Klageerhebung veranlasst.1896 Umgekehrt gilt: Hat der Beklagte im Laufe des Rechtsstreits eine ausreichende Unterwerfungserklärung abgegeben, die der Kläger zu unrecht als unzureichend abgelehnt hat, und gibt der Beklagte sodann in der mündlichen Verhandlung eine weitere Unterwerfungserklärung ab, die zur übereinstimmenden Erledigungserklärung führt, so sind dem Kläger die Kosten aufzuerlegen.1897 Gegen die Kostenentscheidung ist nach § 91a Abs. 2 ZPO die sofortige Beschwerde eröffnet. Nach neuerer Rechtsprechung des BGH1898 kann außerdem die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 ZPO zugelassen werden. Der BGH hat dabei klargestellt, dass die Zulassung aus materiell-rechtlichen Gründen nicht erfolgen dürfe, weil es der Zweck einer Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits nach § 91a ZPO sei, die Auslegung von § 91a ZPO durch das Berufungsgericht zu überprüfen, und nicht das materielle Recht fortzubilden.1899 In einstweiligen Verfügungsverfahren ist wegen § 584 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 542 Abs. 2 ZPO die Rechtsbeschwerde nicht zulässig.1900 Eine Kostenentscheidung nach § 91a ZPO, die wegen teilweiser Erledigung in Urteilsform ergangen ist, ist auch dann nicht revisibel, wenn die Revision insgesamt zugelassen wurde. Anderenfalls würde eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Erweiterung des Instanzenzugs vorgenommen.1901

701 c) Sofortiges Anerkenntnis. Nach § 93 ZPO fallen dem Kläger die Prozesskosten zur Last, wenn der Beklagte durch sein Verhalten keinen Anlass zur Klage gegeben hat und der Beklagte den Anspruch sofort anerkennt. Dem Erfordernis der Sofortigkeit ist dann Genüge getan, wenn das Anerkenntnis bei der ersten sich bietenden prozessualen Möglichkeit erfolgt. Bei Anberaumung eines frühen ersten Termins (§ 275 ZPO) ist umstritten, ob das Anerkenntnis noch im

1893 BGH 8.11.1976 – NotZ 1/76 – BGHZ 67, 343, 345 = NJW 1977, 436; BGH 8.5.2003 – I ZB 40/02 – GRUR 2003, 724 – Rechtsbeschwerde II; BGH 12.10.2004 – X ZR 176/02 – GRUR 2005, 41 – Staubsaugersaugrohr; Teplitzky/ Schwippert Kap. 46 Rn. 46; a. A. Harte/Henning/Brüning vor § 12 Rn. 56; Wieczorek/Schütze/Steiner § 91a Rn. 12. 1894 BGH 8.6.2005 – XII ZR 177/03 – BGHZ 163, 195, 201; Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 47 m. w. N. in Fn. 266. 1895 BGH 11.12.2003 – I ZR 68/01 – GRUR 2004, 350 – Pyrex; OLG Celle 31.7.1986 – 4 W 65/86 – WRP 1974, 155; OLG Celle 20.1.1975 – 13 W 3/75 – WRP 1975, 242, 243; OLG Frankfurt 26.8.1976 – 6 O 33/76 – WRP 1976, 618, 621; OLG Frankfurt 27.9.1979 – 6 U 74/79 – WRP 1979, 799, 801; OLG Hamburg 8.6.1972 – 3 W 59/72 – WRP 1972, 537, 538; OLG Hamm 31.7.1986 – 4 W 65/86 – NJW-RR 1987, 425; OLG Köln 6.1.1985 – 6 W 69/85 – WRP 1986, 426; OLG München 18.12.1975 – 6 W 2261/75 – WRP 1976, 264; Stein/Jonas/Bork § 91a Rn. 29; GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 Rn. 297; a. A. OLG Koblenz 14.11.1985 – 6 U 1104/85 – NJW-RR 1986, 1443. 1896 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.34. 1897 OLG Frankfurt 28.9.2015 – 6 W 90/15 – GRUR-RR 2016, 264. 1898 BGH 21.12.2006 – IX ZR 66/05 – NJW 2007, 1591; BGH 22.11.2007 – I ZR 12/05 – GRUR 2008, 357 – Planfreigabesystem (Tz. 16); BGH 25.11.2009 – VIII ZR 322/08 – WM 2010, 156 (Tz. 9); BGH 18.3.2010 – I ZB 37/09 – GRUR 2010, 1037 – Unzuständigkeitsrüge (Tz. 4). 1899 BGH 21.12.2006 – IX ZR 66/05 – NJW 2007, 1591 (Tz. 22); BGH 18.3.2010 – I ZB 37/09 – GRUR 2010, 1037 – Unzuständigkeitsrüge (Tz. 4). 1900 So auch ausdrücklich BGH 21.12.2006 – IX ZR 66/05 – NJW 2007, 1591 (Tz. 22). 1901 BGH 21.12.2006 – IX ZR 66/05 – NJW 2007, 1591 (Tz. 24) zum neuen Recht nach der ZPO-Reform 2002. Dies entspricht auch der BGH-Rspr. zum alten Revisionsrecht, vgl. BGH 22.5.1989 – VIII ZR 192/88 – BGHZ 107, 315, 317 f. = NJW 1989, 2053, 2054; BGH 21.2.1991 – I ZR 92/90 – BGHZ 113, 362, 364 = NJW 1991, 2020, 2021; BGH 13.12.2001 – IX ZR 306/00 – NJW 2002, 1500. Ebersohl

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X. Kosten

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Termin (jedoch vor Beginn der streitigen Verhandlung) erfolgen kann1902 oder ob die Klageerwiderungsfrist die maßgebliche zeitliche Grenze bildet.1903 Die Auffassung, die ein Anerkenntnis noch im Termin zulässt, konnte sich vor der Neufassung von § 307 ZPO zum 1.9.2004 noch darauf stützen, dass ein Anerkenntnis im Verfahren nach § 275 ZPO nur in der mündlichen Verhandlung ergehen konnte, die Verhandlung mithin den ersten prozessual möglichen Zeitpunkt für ein wirksames Anerkenntnis bedeutete. Nach § 307 Satz 2 ZPO n. F. gilt jedoch, dass das Anerkenntnisurteil keine mündliche Verhandlung voraussetzt. Dementsprechend führt das Zuwarten auf eine Verhandlung zu einer Verzögerung des Verfahrens, sodass das Kriterium der Sofortigkeit nicht mehr erfüllt sein kann.1904 Im schriftlichen Vorverfahren ist ausreichend, dass das Anerkenntnis innerhalb der Klageerwiderungsfrist erfolgt.1905 Nicht abschließend geklärt ist, ob die Ankündigung eines Klageabweisungsantrags in der Verteidigungsanzeige der Annahme der Sofortigkeit entgegensteht. Zwar führt auch der angekündigte Klageabweisungsantrag zu keiner Verzögerung des Rechtsstreits; gleichwohl scheint die Rechtsprechung tendenziell dem Beklagten die Privilegierung durch § 93 ZPO zu versagen, wenn er bereits in der Verteidigungsanzeige Sachanträge ankündigt.1906 Eine besonders kostenrelevante Frage ist, ob der Beklagte Veranlassung zur Klage gegeben 702 hat, wenn der Kläger zuvor nicht abgemahnt und zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung aufgefordert hat.1907 Im Verfügungsverfahren kann der Antragsgegner, der nicht abgemahnt wurde, den Verfügungsanspruch im Wege des Kostenwiderspruchs anerkennen und sich unter Berufung auf § 93 ZPO gegen die Kostentragung wehren.1908 Eine Klage bzw. ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ohne vorherige Abmahnung ziehen bei sofortigem Anerkenntnis des Schuldners dann nicht die Kostenfolge des § 93 ZPO nach sich, wenn eine vorherige Abmahnung voraussichtlich erfolglos geblieben wäre, wobei auf die objektivierte Sicht des Gläubigers abzustellen ist.1909 Ebenfalls kostenrelevant – und höchst umstritten – ist, ob der Beklagte Anlass zur Klage gegeben hat, wenn die Klage gleichzeitig mit einem Antrag

1902 So etwa OLG Bremen 22.11.1982 – 3 W 11/82 – JurBüro 1983, 625; OLG Celle 13.7.2000 – 13 W 45/00 – OLGReport 2001, 15; OLG Frankfurt 26.8.1976 – 6 O 33/76 – WRP 1976, 618, 622; OLG Frankfurt 31.8.1989 – 6 W 610/89 – GRUR 1989, 934 (LS) = NJW-RR 1990, 1535; OLG Hamburg 8.6.1972 – 3 W 59/72 – WRP 1972, 537; OLG München 3.6.1985 – 6 W 1238/85 – WRP 1985, 446. 1903 OLG Jena 30.5.2007 – 2 W 173/07 – GRUR 2008, 456 (LS) = GRUR-RR 2008, 108, 109; Vossler NJW 2006, 1034. Offen gelassen in BGH 30.5.2006 – VI ZB 64/05 – BGHZ 168, 57, 62 Tz. 21 = NJW 2006, 2490, 2492 Tz. 21. 1904 Vgl. Vossler NJW 2006, 1034, 1035; a. A. MünchKommZPO/Schulz § 93 Rn. 13. 1905 Vgl. BGH 30.5.2006 – VI ZB 64/05 – BGHZ 168, 57, 62 ff. Tz. 21 ff. = NJW 2006, 2490, 2492 Tz. 21 ff.; KG 16.2.2006 – 20 W 52/05 – NJW-RR 2006, 1078; OLG Brandenburg 15.2.2005 – 6 W 41/05 – MDR 2005, 1310; OLG Karlsruhe 2.12.2003 – 11 W 75/03 – OLGR 2004, 513, 514; OLG Köln 16.1.2007 – 6 W 1/07 – OLGR 2007, 424. A. A. vor der Entscheidung der Streitfrage durch den BGH: OLG Celle 3.11.1997 – 5 W 48–97 – NJW-RR 1998, 1370; OLG Frankfurt 16.9.1991 – 25 W 68/91 – NJW-RR 1993, 126, 127; OLG Zweibrücken 19.2.2001 – 4 W 2/01 – NJW-RR 2002, 138. 1906 Offen lassend: BGH 30.5.2006 – VI ZB 64/05 – BGHZ 168, 57, 62 f. Tz. 22 = NJW 2006, 2490, 2492 (Tz. 22). Gegen die Annahme von Sofortigkeit: OLG Karlsruhe 8.11.2002 – 2 WF 205/01 – OLGR 2003, 198; OLG München 7.10.2004 – 9 W 2449/04 – OLGR 2004, 422 sowie MünchKommZPO/Schulz § 93 Rn. 14. A. A. OLG Celle – 24.3.2011 – 6 U 138/10 – FamRZ 2011, 1748. Differenzierend OLG Frankfurt 7.3.2008 – 19 W 10/08 – OLGR 2008, 813, wonach das Anerkenntnis auch bei Ankündigung eines Klageabweisungsantrags auch dann noch „sofort“ sein kann, wenn in der Verteidigungsanzeige deutlich gemacht wird, dass der Klageanspruch noch nicht abschließend geprüft worden ist. 1907 Harte/Henning/Brünning vor § 12 Rn. 256; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.118. Vgl. auch BTDrucks. 15/1487, S. 25: „Wird eine mögliche und zumutbare Abmahnung unterlassen, riskiert der Kläger jedoch, dass er die Kosten zu tragen hat, wenn der Beklagte den Anspruch sofort anerkennt (§ 93 ZPO).“. 1908 Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 9 ff. m. w. N. 1909 Vgl. Teplitzky/Bacher Kap. 41 Rn. 21a, 23, der zurecht ausführt, dass diese Fallgruppe keine große praktische Rolle spielt; Harte/Henning/Brüning § 12 Rn. 6, 14; Fezer/Büscher § 12 Rn. 26. Hierzu gehören insbesondere auch die Fälle der erfolglosen berechtigten Drittabmahnung (vgl. Teplitzky/Bacher Kap. 41 Rn. 27–27b) wobei laut BayVerfGH 727

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

auf Erlass einer einstweiligen Verfügung eingereicht wurde1910 oder wenn die Klage nach Erlass einer einstweiligen Verfügung und darauf folgendem Widerspruch eingereicht wurde,1911 sodass Verfügungs- und Hauptsacheverfahren nebeneinander geführt werden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Kommentierung zur Abmahnung1912 und zum Rechtsmissbrauch1913 verwiesen.

703 d) Erfolglose Angriffs- und Verteidigungsmittel; Obsiegen aufgrund neuen Vorbringens. Zwei in der Praxis häufig vernachlässigte Bestimmungen sind diejenigen des § 96 und des § 97 Abs. 2 ZPO.1914 Nach § 96 ZPO können die Kosten eines erfolglosen Angriffs- oder Verteidigungsmittels der Partei auferlegt werden, die es geltend gemacht hat, auch wenn sie in der Hauptsache obsiegt. Nach § 97 Abs. 2 ZPO sind die Kosten des Rechtsmittelverfahrens der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie aufgrund neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war. Dies gilt auch dann, wenn der Kläger mit eigenen Ansprüchen in erster Instanz unterliegt und sodann mit einem in Prozessstandschaft geltend gemachten Anspruch in zweiter Instanz obsiegt, sofern die Ermächtigungserklärung zumutbarer Weise bereits in der ersten Instanz hätte beschafft und vorgelegt werden können und es absehbar war, dass es auf die Geltendmachung der Rechte Dritter aufgrund von Zweifeln am Bestand eigener Rechte ankommen könnte.1915

704 e) Streitgenossen. Nach § 100 Abs. 4 ZPO gilt, dass mehrere Beklagte, die als Gesamtschuldner verurteilt werden, auch für die Kostenerstattung als Gesamtschuldner haften. Werden mehrere Beklagte wegen einer gemeinschaftlich begangenen unerlaubten Handlung auf Unterlassung sowie Auskunft und Rechnungslegung in Anspruch genommen, so haften sie zwar insoweit nicht als Gesamtschuldner.1916 Gleichwohl wird vertreten, sie für die Kostenlast in entsprechender Anwendung von § 100 Abs. 4 ZPO gesamtschuldnerisch haften zu lassen.1917 Dem ist entgegenzuhalten, dass die einzelnen Unterlassungs- und/oder Auskunftsansprüche gegen die verschiedenen Beklagten – etwa die Gesellschaft und ihre Organe – unterschiedliche Streit-

26.10.2012 – Vf. 101-VI-11 – GRUR 2013, 299 im Fall der unberechtigten Drittabmahnung jedenfalls kein Verstoß gegen das Willkürverbot vorliegen soll, wenn dem Beklagten trotz unterlassener Abmahnung des Klägers die Kosten nach § 93 ZPO auferlegt werden, sofern der Kläger aufgrund der Reaktion des Beklagten auf die Drittabmahnung davon ausgehen durfte, der Beklagte werde ohne Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens den Unterlassungsanspruch nicht erfüllen. 1910 So OLG Hamm 4.2.1991 – 4 W 138/90 – GRUR 1991, 336; OLG Köln 25.7.1996 – 6 W 36/96 – WRP 1996, 1214, 1215; OLG Köln 14.10.1998 – 6 W 93/97 – NJWE-WettbR 1999, 92, 93. A. A. OLG Dresden 30.1.1996 – 12 W 1134/95 – WRP 1996, 432, 433: die Klage ist nur veranlasst, wenn die strafbewehrte Unterlassungserklärung eindeutig abgelehnt wurde. 1911 Dies soll laut OLG Nürnberg 20.7.2004 – 3 W 1324/04 – GRUR-RR 2004, 336 – Verfahrensdurchführung gegebenenfalls rechtsmissbräuchlich sein. 1912 § 13 Rn. 1 ff. 1913 § 8c Rn. 1 ff. 1914 Vgl. Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 61. 1915 BGH 7.11.1991 – I ZR 272/89 – GRUR 1992, 108, 109 – Oxygenol. 1916 BGH 15.4.2008 – X ZB 12/06 – WRP 2008, 952, 953; KG 9.11.2010 − 5 W 188/10 – NJOZ 2010, 1029 m. Anm. Hess; OLG Düsseldorf 30.12.1999 – 20 W 40/99 – GRUR 2000, 825 – ComTech; OLG Frankfurt 21.11.2001 – 6 W 217/ 01 – MDR 2002, 236; OLG Hamburg 13.7.2006 – 5 W 89/06 – GRUR-RR 2006, 392 – Docking Stations; OLG Koblenz 16.8.1984 – 6 U 771/84 – WRP 1985, 45; OLG Köln 19.9.2005 – 17 W 188/05 – OLGR 2006, 134; OLG München 10.11.1992 – 21 W 2023/92 – MDR 1993, 286; OLG München 18.6.2001 – 21 W 1705/01 – OLGR 2001, 291; OLG Stuttgart 16.12.1997 – 8 W 409/96 – JurBüro 1998, 302; OLG Zweibrücken 12.3.1999 – 2 W 13/98 – AnwBl 2000, 695; Ahrens/ Büttner Kap. 40 Rn. 70; Teplitzky/Büch Kap. 38 Rn. 36 m. w. N. in Fn. 170; GK-UWG/Köhler1 vor § 13 B Rn. 434. 1917 Harte/Henning/Brüning vor § 12 Rn. 267 unter Verweis auf stRspr des 3. Zivilsenats des OLG Hamburg; Tilmann GRUR 1986, 696 f. Ebersohl

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X. Kosten

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werte haben können1918 und sich bereits aus diesem Grund eine gesamtschuldnerische Haftung für einen wie auch immer gebildeten Gesamtstreitwert verbietet.

2. Erstattungsfähigkeit einzelner Kosten Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die zur Kostentragung verpflichtete Partei die Kosten des Geg- 705 ners insoweit zu erstatten, als diese zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Hierzu gehören nicht nur Kosten der Führung des Rechtsstreits selbst – wie etwa die Kosten der Vertretung durch einen Rechtsanwalt –, sondern in gewissem Umfang auch Kosten der Vorbereitung des Verfahrens. Kosten sind nach der Rechtsprechung des BGH dann zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig, wenn eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die die Kosten auslösende Maßnahme im Zeitpunkt ihrer Veranlassung als sachdienlich ansehen durfte, wobei die Partei ihr berechtigtes Interesse verfolgen und die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte ergreifen darf; eine Einschränkung gilt nur insoweit, als die Partei gehalten ist, unter mehreren gleichartigen Maßnahmen die kostengünstigste auszuwählen.1919 Der BGH stellt dabei klar, dass bei der Prüfung der Notwendigkeit einer bestimmten Maßnahme eine typisierende Betrachtungsweise geboten ist, da der Gerechtigkeitsgewinn, der bei einer übermäßig differenzierenden Betrachtung im Einzelfall zu erzielen ist, in keinem Verhältnis zu den sich einstellenden Nachteilen stehe, wenn in nahezu jedem Einzelfall darüber gestritten werden kann, ob die Kosten einer bestimmten Maßnahme zu erstatten sind oder nicht.1920 Die typischerweise hohen Streitwerte in Wettbewerbssachen sowie die nicht selten vorliegende Komplexität des Sach- und Streitstoffs sprechen dafür, im Rahmen einer derartigen Typisierung im Wettbewerbsprozess das Kriterium der Notwendigkeit großzügig zu handhaben, da die Parteien regelmäßig bereit sind, für den Prozesserfolg einen hohen Aufwand zu betreiben.1921 Dies vorausgeschickt sei nachstehend die Erstattungsfähigkeit von im Wettbewerbsprozess besonders relevanten Kosten kommentiert. Im Übrigen wird auch hier auf die allgemeine zivilprozessuale Kommentarliteratur verwiesen.

a) Prozessvorbereitung aa) Testkäufe. Kosten für Testkäufe sind grundsätzlich erstattungsfähig, wenn sie zulässiger 706 Weise1922 mit Blick auf einen zu führenden Rechtsstreit getätigt werden.1923 Der gezielte Testkauf, der zumindest ein Verdachtsmoment voraussetzt, ist dabei abzugrenzen von der bloßen 1918 Vgl. hierzu § 12 C Rn. 26. 1919 BGH 16.10.2002 – VIII ZB 30/02 – NJW 2003, 898, 900; BGH 11.11.2003 – VI ZB 41/03 – NJW-RR 2004, 430; BGH 9.9.2004 – I ZB 5/04 – GRUR 2005, 84, 85 – Unterbevollmächtigter II; BGH 2.12.2004 – I ZB 4/04 – GRUR 2005, 271 – Unterbevollmächtigter III; BGH 16.12.2004 – I ZB 23/04 – WRP 2005, 505 – Baseball Caps; BGH 13.9.2005 – X ZB 30/04 – GRUR 2005, 1072 – Auswärtiger Rechtsanwalt V; BGH 18.5.2006 – I ZB 57/05 – GRUR 2006, 702, 704 Tz. 24 – Kosten des mitwirkenden Patentanwalts im Übergangsverfahren; BGH 11.12.2007 – X ZB 21/07 – WRP 2008, 363, 364 – erstattungsfähige Reisekosten. 1920 BGH 12.12.2002 – I ZB 29/02 – WRP 2003, 391, 392 – Auswärtiger Rechtsanwalt I; BGH 9.9.2004 – I ZB 5/04 – GRUR 2005, 84, 85 – Unterbevollmächtigter II; BGH 2.12.2004 – I ZB 4/04 – GRUR 2005, 271 – Unterbevollmächtigter III; BGH 16.12.2004 – I ZB 23/04 – WRP 2005, 505 – Baseball Caps; BGH 13.9.2005 – X ZB 30/04 – GRUR 2005, 1072 – Auswärtiger Rechtsanwalt V; BGH 11.12.2007 – X ZB 21/07 – WRP 2008, 363, 364 – erstattungsfähige Reisekosten. 1921 Vgl. insoweit auch Ahrens/Büttner Kap. 42 Rn. 3. 1922 Zur Abgrenzung vgl. Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 29 m. w. N. 1923 So bereits in einem obiter dictum BGH 20.10.2005 – I ZB 21/05 – GRUR 2006, 439 – nicht anrechenbare Geschäftsgebühr (Tz. 11) und nunmehr ausdrücklich bestätigt in BGH 2.12.2015 – I ZR 176/14 – GRUR 2016, 730 (Tz. 75) sowie für das Markenrecht BGH 30.3.2017 – I ZR 263/15 – GRUR 2017, 1160; OLG Düsseldorf 25.4.1984 – 2 W 729

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Marktbeobachtung. Stößt der Testkäufer im Rahmen der unspezifischen Marktbeobachtung zufällig auf einen Wettbewerbsverstoß, so sind diese Kosten nicht erstattungsfähig.1924 Die Kosten des Testkaufs müssen ferner im Einzelfall erforderlich gewesen sein. Dabei ist der Maßstab einer auf Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit bedachten Partei anzulegen.1925 Dies schließt im Bereich gewerblicher Verkäufe jedoch nicht aus, dass zur Vermeidung von Misstrauen des vermeintlichen Verletzers Käufe im Umfang eines typischen „echten“ Auftrags getätigt werden.1926 Testkäufe können ausnahmsweise dann nicht erstattungsfähig sein, wenn weniger aufwendige Beweismittel zur Verfügung gestanden hätten.1927 Hier ist jedoch wegen des potenziell geringeren Beweiswerts von Fotografien oder Zeugenaussagen Zurückhaltung geboten,1928 sodass in aller Regel die Kosten eines Testkaufs als erstattungsfähig anzusehen sind. Bei Ermittlung der zu erstattenden Kosten ist neben den Ausgaben für die Beschaffung des Beweismittels auch der Vorteil zu berücksichtigen, den der Besitz und das Eigentum an der gekauften Sache nach Durchführung des Wettbewerbsprozesses für den Kläger noch hat.1929 Somit gilt, dass die Festsetzung sämtlicher Auslagen für den Testkauf nur Zug um Zug gegen Herausgabe der Kaufsache erfolgen kann.1930 Bei einer Quotelung der Kostenlast hat die Herausgabe der Kaufsache Zug um Zug gegen die anteilsmäßige Erstattung der Auslagen zu erfolgen.1931

707 bb) Detektivkosten. Kosten für die Einschaltung eines Detektivs sind nach dem allgemeinen Grundsatz, wonach von mehreren Maßnahmen die kostengünstigere auszuwählen ist, nur dann erstattungsfähig, wenn dieselbe Tätigkeit nicht auch durch Mitarbeiter des Klägers hätte durchgeführt werden können.1932

708 cc) Abmahnung. Die Frage, ob die Kosten einer erfolglosen Abmahnung zu den Kosten des Rechtsstreits i. S. v. § 91 ZPO zählen und im Kostenfestsetzungsverfahren festgesetzt werden können, war in Literatur und Rechtsprechung über viele Jahre höchst umstritten.1933 Im Jahr 2006 entschied der BGH, dass Abmahnkosten keine Kosten des Rechtsstreits sind, weil sie nicht der Vorbereitung, sondern gleichsam im Gegenteil der Vermeidung eines Rechtsstreits – bzw. der 35/85 – WRP 1986, 33; OLG Frankfurt 18.1.1985 – 6 W 170/84 – GRUR 1985, 401; OLG Frankfurt 2.1.2001 – 6 W 203/ 00 – JurBüro 2001, 259; KG 23.1.1976 – 1 W 955/75 – JurBüro 1976, 668; OLG Koblenz 2.2.1979 – 14 W 41/79 – VersR 1980, 433; OLG München 24.11.1975 – 11 W 1901/75 – Rpfleger 1976, 219; OLG München 10.2.1992 – 11 W 2504/91 – GRUR 1992, 345 – Fangprämie; OLG Stuttgart 14.9.1995 – 14 U 27/95 – JurBüro 1995, 37; OLG Zweibrücken 1.4.2004 – 4 W 42/04 – GRUR 2004, 1064 (LS) = GRUR-RR 2004, 343 – Testkaufkosten; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.123; Ahrens/Büttner Kap. 42 Rn. 10 f. 1924 OLG Zweibrücken 1.4.2004 – 4 W 42/04 – GRUR 2004, 1064 (LS) = GRUR-RR 2004, 343 – Testkaufkosten; Harte/Henning/Brüning vor § 12 Rn. 275. 1925 OLG Frankfurt 18.1.1985 – 6 W 170/84 – GRUR 1985, 401, u. a. zur Erstattungsfähigkeit der Kosten zweier Testkäufer, die nicht am Wohnsitz des Beklagten ansässig waren und den Beklagten mehrfach kontaktierten. 1926 OLG Frankfurt 18.1.1985 – 6 W 170/84 – GRUR 1985, 401, wobei klargestellt wird, dass ein „Auskaufen“ des Verletzungsgegenstandes zum Zwecke der Vorwegnahme eines Vernichtungsanspruchs nicht mehr gedeckt ist. 1927 Harte/Henning/Brüning vor § 12 Rn. 275; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.123. 1928 Vgl. hierzu OLG Stuttgart 29.4.1986 – 8 W 61/86 – NJW-RR 1986, 978. 1929 OLG Stuttgart 29.4.1986 – 8 W 61/86 – NJW-RR 1986, 978. 1930 OLG Stuttgart 29.4.1986 – 8 W 61/86 – NJW-RR 1986, 978; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.123; a. A. OLG Koblenz 2.2.1979 – 14 W 41/79 – VersR 1980, 433; OLG Koblenz 2.2.1979 – 14 W 41/79 – WRP 1979, 813 f.; Harte/ Henning/Brüning vor § 12 Rn. 275 („in der Regel“); GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 D Rn. 451; Mes GRUR 2013, 767. 1931 OLG Stuttgart 29.4.1986 – 8 W 61/86 – NJW-RR 1986, 978. 1932 OLG Frankfurt 9.2.1970 – 6 W 447/69 – WRP 1970, 154, die Erstattungsfähigkeit der Detektivkosten verneinend bei der Überprüfung eines Wettbewerbers im Rahmen der Durchführung einer Kaffeefahrt. 1933 Die Erstattungsfähigkeit bejahend: KG 3.4.1981 – 5 W 28/81 – WRP 1982, 25; OLG Dresden 22.10.1997 – 14 W 820/96 – GRUR 1997, 318 – Vorgerichtliche Abmahnung; OLG Düsseldorf 4.9.2000 – 20 W 57/00 – AnwBl 2001, 187; OLG Köln 7.2. 1969 – 6 W 71/68 – WRP 1969, 248 = NJW 1969, 935; OLG München 16.4.1982 – 11 W 1594/81 – JurBüro Ebersohl

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X. Kosten

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Vermeidung nachteiliger Kostenfolgen gem. § 93 ZPO – dienen.1934 Abmahnkosten müssen daher auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Erstattungsanspruchs aus § 13 Abs. 3 eingeklagt werden.1935 Auch die Kosten für ein vorgerichtliches Abwehrschreiben stellen, soweit sie auf die Verfahrensgebühr nicht anrechenbar sind, keine notwendigen Kosten der Rechtsverteidigung dar, da auch hier der Zweck in der Vermeidung der gerichtlichen Auseinandersetzung liegt.1936 Materiell-rechtlich sind die Kosten des Abwehrschreibens weder in unmittelbarer noch in analoger Anwendung von § 13 Abs. 3 erstattungsfähig, sondern zum einen nach § 13 Abs. 5 sowie – in Ausnahmefällen – über § 826 BGB.1937 Insoweit sind Abmahnung und Abwehrschreiben von der Schutzschrift abzugrenzen, die vorsorglich zur Verteidigung gegen einen erwarteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung eingereicht worden ist; deren Kosten sind grundsätzlich erstattungsfähig, wenn ein entsprechender Verfügungsantrag tatsächlich eingeht.1938 Hat der Antragsgegner im Hinblick auf den fliegenden Gerichtsstand Schutzschriften bei mehreren oder gar allen deutschen Landgerichten eingereicht hat, kann er jedoch nur Erstattung derjenigen Kosten verlangen, die durch die Einreichung der Schutzschrift bei dem Gericht angefallen sind, bei dem der Verfügungsantrag gestellt wurde.1939 Erhält der Rechtsanwalt bei Erfolglosigkeit der Abmahnung Klageauftrag, so bleibt die ent- 709 standene Geschäftsgebühr für die Abmahnung unangetastet und wird zur Hälfte – jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75 – auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet (Vorb. 3 Abs. 4 zu Nr. 3100 VV RVG). Zunächst vertraten mehrere Zivilsenate des BGH die Auffassung, dass sich auch der Prozessgeg-ner auf diese Bestimmung berufen könne und dementsprechend nur eine verminderte Verfahrensgebühr festzusetzen sei.1940 Dies sollte unabhängig davon gelten, ob die Geschäftsgebühr für die Abmahnung auf materiell-rechtlicher Grundlage vom Prozessgegner überhaupt zu erstatten ist und ob sie unstreitig, geltend gemacht, tituliert oder bereits beglichen ist.1941 Mit der Einführung von § 15a RVG am 5.8.20091942 wurde diese Auffassung obsolet, und es vollzog sich auch im Hinblick auf Altfälle 1982, 1192; OLG Nürnberg 30.4.1992 – 3 W 845/92 – WRP 1992, 588 = JurBüro 1992, 615 m. Anm. Mümmler; Borck WRP 2001, 23 f.; Dittmar NJW 1986, 2089 f.; GK-UWG/Kreft1 vor § 13 C Rn. 184. A. A. OLG Frankfurt 6.12.1984 – 6 W 154/84 – GRUR 1985, 328; OLG Hamburg 11.1.1993 – 8 W 3/93 – MDR 1993, 388; OLG Hamm 20.5.1996 – 23 W 87/ 96 – MDR 1997, 205; OLG Karlsruhe 23.1.1997 – 6 W 158/96 – AnwBl 1997, 681; OLG Rostock 21.5.1996– 1 W 73/96 – WRP 1996, 790 = NJW-RR 1996, 1342. 1934 BGH 20.10.2005 – I ZB 21/05 – GRUR 2006, 439 – nicht anrechenbare Geschäftsgebühr. Zustimmend nun auch die neuere Literatur, vgl. Ahrens/Scharen Kap. 11 Rn. 3 sowie Ahrens/Büttner Kap. 42 Rn. 20; Teplitzky/Bacher Kap. 41 Rn. 90; Gloy/Loschelder/Erdmann, § 92 Rn. 8; Zöller/Herget § 91 ZPO Rn. 13 – Stichwort „Abmahnung“. 1935 Zur Frage, ob eine 1, 3 oder eine 1, 5 Geschäftsgebühr anzusetzen ist vgl. BGH 11. 7.2012 − VIII ZR 323/11 – GRUR-RR 2012, 491 – Toleranzbereich sowie 3.11.2013 – X ZR 171/12 – GRUR 2014, 206 – Einkaufskühltasche. Zur Qualifizierung des Anspruchs als Freistellungs- oder Zahlungsanspruch sowie zur Fälligkeit OLG Hamm 3.9.2013 – 4 U 58/13 – GRUR 2014, 133. 1936 BGH 6.12.2007 – I ZB 16/07 – GRUR 2008, 639 – Kosten eines Abwehrschreibens. Zustimmend Köhler/Bornkamm/Feddersen § 13 Rn. 97; Teplitzky/Bacher Kap. 41 Rn. 90. 1937 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 13 Rn. 97. 1938 BGH 13.2.2003 – I ZB 23/02 – GRUR 2003, 456 – Kosten einer Schutzschrift. 1939 OLG Hamburg 23.10.2013 – 4 W 100/13 – GRUR-RR 2014, 96. 1940 BGH 7.3.2007 – VIII ZR 86/06 – NJW 2007, 2049, 2050 Tz. 11; BGH 14.3.2007 – VIII ZR 184/06 – NJW 2007, 2050, 2052 Tz. 19; BGH 11.7.2007 – VIII ZR 310/06 – NJW 2007, 3500, 3501 Tz. 11; BGH 22.1.2008 – VIII ZB 57/07 – NJW 2008, 1323, 1324 Tz. 6; BGH 30.4.2008 – III ZB 8/08 – NJW-RR 2008, 1095 Tz. 4; BGH 14.8.2008 – I ZB 103/07 – AGS 2008, 574 Tz. 11 = BeckRS 2008, 20015 Tz. 11; BGH 24.9.2008 – IV ZB 26/07 – BeckRS 2008, 22194 Tz. 6 f.; BGH 25.9.2008 – VII ZB 93/07 – BeckRS 2008, 21860 Tz. 5; BGH 2.10.2008 – I ZB 30/08 – WRP 2009, 75 Tz. 10 f. Vgl. bereits auch VGH München 6.3.2006 – 19 C 06.268 – NJW 2006, 1990; Schultze-Rhonhof RVG-Report 2005, 374. 1941 BGH 22.1.2008 – VIII ZB 57/07 – NJW 2008, 1323, 1324 Tz. 6; 30.4.2008 – III ZB 8/08 – NJW-RR 2008, 1095 Tz. 4. 1942 Art. 10 Satz 2 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 30.7.2009, BGBl. I, S. 2449. 731

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

ein Meinungswechsel bei mehreren Zivilsenaten des BGH, einschließlich dem I. Zivilsenat. Nach § 15a Abs. 2 RVG kann sich ein Dritter auf die Anrechnung nur berufen, soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat, wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht oder beide Gebühren in demselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht werden. Eine Übergangsregelung ordnete der Gesetzgeber nicht an, woraufhin überwiegend angenommen wurde, dass § 15a RVG nur geltendes Recht konkretisieren und keine Änderung der Rechtslage herbeiführen sollte.1943 Dementsprechend wird nunmehr für die Zeit vor und nach Inkrafttreten des § 15a Abs. 2 RVG angenommen, dass eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr zu Gunsten des Prozessgegners nur in den in § 15a Abs. 2 RVG genannten Fällen erfolgt.1944

b) Verfahrenskosten 710 aa) Reisekosten des Prozessbevollmächtigten bzw. der Partei. Die – naturgemäß begrenzten – Reisekosten eines Rechtsanwalts am Ort des Prozessgerichts sind ohne Weiteres erstattungsfähig.1945 Infolge der Aufgabe der Singularzulassung und begünstigt durch fliegende Gerichtsstände – die eine taktisch motivierte Auswahl des angerufenen Gerichts ermöglichen – beauftragen die Parteien des Wettbewerbsprozesses indes häufig einen Rechtsanwalt, der nicht am Ort des Gerichts ansässig ist. Nicht selten ist der Anwalt dabei auch nicht am Ort der Partei, sondern an einem dritten Ort ansässig. In diesen Fällen stellt sich die Frage nach der Erstattungsfähigkeit der Reisekosten des Rechtsanwalts zum Prozessgericht. Nach Aufgabe der Singularzulassung hat sich in der Rechtsprechung die Tendenz herausgebildet, den Prozessparteien auch kostenrechtlich die Inanspruchnahme des Anwalts ihres Vertrauens1946 zuzubilligen, indem die Mehrkosten der Inanspruchnahme eines nicht am Prozessgericht ansässigen Prozessbevollmächtigten grundsätzlich – wenngleich mit den nachstehend erörterten Einschränkungen – als erstattungsfähig angesehen werden.1947 Sind die Reisekosten des Prozessbevollmächtigten grundsätzlich erstattungsfähig, so sind richtigerweise auch die Kosten einer Flugreise (in der Economy-Klasse) zu erstatten, sofern hierdurch eine rele-

1943 BGH 2.9.2009 – II ZB 35/07 – NJW 2009, 3101 Tz. 8; OLG Düsseldorf 20.8.2009 – 3 WF 144/09 – AGS 2009, 372, 373; OLG Koblenz 1.9.2009 – 14 W 553/09 – NJOZ 2010, 52; OLG Köln 14.9.2009 – 17 W 195/09 – JurBüro 2009, 640 Tz. 9; OLG Stuttgart 11.8.2009 – 8 W 339/09 – AGS 2009, 371, 372; LG Saarbrücken 3.9.2009 – 5 T 434/09 – BeckRS 2009, 28918 Tz. 14; AG Bremen 22.9.2009 – 9 C 213/09 – AGS 2009, 566 = BeckRS 2009, 25822 Tz. 6; OVG Münster 11.8.2009 – 4 E 1609/08 – AGS 2009, 447, 448 = BeckRS 2009, 37678; VG Osnabrück 3.9.2009 – 5 A 273/ 08 – BeckRS 2009, 39895 Tz. 14; Enders JurBüro 2009, 400; Hansens AnwBl 2009, 540; Henke AnwBl 2009, 709; Kallenbach AnwBl 2009, 442; Nickel FamRB 2009, 324. A. A. KG 13.10.2009 – 27 W 98/09 – NJOZ 2010, 51; 13.8.2009 – 2 W 128/09 – NJOZ 2009, 4593, 4594 f.; OLG Celle 26.8.2009 – 2 W 240/09 – OLGR 2009, 749 = BeckRS 2009, 23988; OLG Celle 19.10.2009 –2 W 280/09 – OLGR 2009, 930 = BeckRS 2009, 29045; OLG Bamberg 15.9.2009 – 4 W 139/09 – BeckRS 2010, 02999; OLG Frankfurt 10.8.2009 – 12 W 91/09 – NJOZ 2009, 4577, 4577 f.; OLG Hamm 25.9.2009 – 25 W 333/09 – BeckRS 2009, 28919. 1944 BGH 10.8.2010 – VIII ZB 15/10 – NJOZ 2011, 1028, 1029 Tz. 10; BGH 15.9.2010 – IV ZB 5/10 – AGS 2010, 474 Tz. 11 = BeckRS 2010, 23614 Tz. 11; BGH 7.2.2011 – I ZB 96/09 – GRUR-RR 2011, 200 (LS) = BeckRS 2011, 04939 – Abzug der Geschäftsgebühr; BGH 3.2.2011 – I ZB 47/10 – GRUR-RR 2011, 232 (LS) = BeckRS 2011, 09190 – Abzug der Geschäftsgebühr II; BGH 28.4.2011 – I ZB 61/08 – GRUR-RR 2011, 288 (LS) = BeckRS 2011, 13140 – Abzug der Geschäftsgebühr III; BGH 22.6.2011 – I ZB 86/10 – GRUR-RR 2011, 392 (LS) = BeckRS 2011, 19846 – Abzug der Geschäftsgebühr IV; BGH 28.9.2011 – I ZB 29/10 – GRUR-RR 2012, 136 (LS) = BeckRS 2011, 27328 – Abzug der Geschäftsgebühr V. 1945 Vgl. Ahrens/Büttner Kap. 42 Rn. 29. 1946 Auch die Aufgabe der Postulationsschranken wurde explizit damit begründet, dass das persönliche Vertrauen der Parteien bei der Auswahl ihrer Prozessbevollmächtigten eine maßgebliche Rolle spiele, vgl. BTDrucks. 12/4993, S. 43, 53. 1947 Vgl. MünchKommZPO/Schulz § 91 Rn. 62. Ebersohl

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X. Kosten

Vor §§ 12–15a A

vante Zeitersparnis erzielt wird;1948 hierdurch wird auch dem Umstand Rechnung getragen, dass Rechtsanwälte im gewerblichen Rechtsschutz typischerweise nach Stundensätzen und mit einer Reduzierung der Reisezeit unter Umständen zugunsten der vertretenen Partei eine Kostenersparnis erzielt werden kann. Beauftragt eine Partei einen Anwalt an ihrem Wohn- oder Geschäftsort, so sind die Kos- 711 ten für die Reise des Anwalts zum Gerichtsort regelmäßig zu erstatten.1949 Dies gilt unabhängig davon, ob die Partei sich in der Rolle der Beklagten befindet oder ob sie als Klägerin auftritt und damit den auswärtigen Gerichtsort gleichsam freiwillig herbeigeführt hat.1950 Die grundsätzliche Erstattungsfähigkeit wird damit begründet, dass ein persönliches Informations- und Beratungsgespräch zwischen Partei und Anwalt mindestens zu Beginn eines Mandats in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle erforderlich und sinnvoll ist.1951 Die Reisekosten des sachbearbeitenden Anwalts sind richtigerweise auch dann zu erstatten, wenn die Partei eine überörtliche Sozietät beauftragt und am Gerichtsort oder in dessen Nähe andere Sozietätsmitglieder ansässig sind.1952 Dem steht nicht entgegen, dass formal in aller Regel ein Auftragsverhältnis mit der Gesamtsozietät besteht; vielmehr ist das Vertrauensverhältnis der Partei mit dem ortsansässigen sachbearbeitenden Rechtsanwalt schützenswert.1953 Eine Ausnahme von der regelmäßigen Erstattungsfähigkeit der Reisekosten des ortsansässigen Anwalts besteht lediglich, wenn bereits bei Beauftragung feststeht, dass ein eingehendes Mandantengespräch für die Rechtsverfolgung oder -verteidigung nicht erforderlich sein wird. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn die Partei über eine eigene, die Sache bearbeitende Rechtsabteilung verfügt, weil der Rechtsstreit dann durch die Mitarbeiter der Rechtsabteilung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vorbereitet wird und das Unternehmen in der Lage ist, einen am Gerichtsort ansässigen Rechtsanwalt umfassend schriftlich zu instruieren.1954 Klagebefugte Verbände sind insoweit Unternehmen mit Rechtsabteilungen gleichgestellt.1955 Gehören Sonderrechtsgebiete wie das Wettbewerbsrecht

1948 BGH 6.11.2014 – I ZB 38/14 – GRUR 2015, 509. 1949 BGH 16.10.2002 – VIII ZB 30/02 – NJW 2003, 898; BGH 12.12.2002 – I ZB 29/02 – WRP 2003, 391, 392 – Auswärtiger Rechtsanwalt I; BGH 18.12.2003 – I ZB 21/03 – GRUR 2004, 447 – Auswärtiger Rechtsanwalt III; BGH 9.9.2004 – I ZB 5/04 – GRUR 2005, 84 – Unterbevollmächtigter II; BGH 2.12.2004 – I ZB 4/04 – GRUR 2005, 271 – Unterbevollmächtigter III; BGH 25.1.2007 – VII ZB 74/06 – NJW 2007, 1532; BGH 16.4.2008 – XII ZB 214/04 – WRP 2008, 948 – Auswärtiger Anwalt in überörtlicher Sozietät. Vgl. auch bereits KG 23.1.2001 – 1 W 8967/00 – NJW-RR 2001, 1002; OLG Bremen 7.6.2001 – 2 W 54/01 – JurBüro 2001, 532, 533; OLG Düsseldorf 21.12.2000 – 10 W 112/00 – NJW-RR 2001, 998, 999; OLG Düsseldorf 14.12.2000 – 10 W 107/00 – NJW-RR 2001, 1000; 10.7.2001 – 10 W 67/01 – MDR 2002, 116. 1950 Der BGH spricht insoweit in stRspr von der „klagenden oder beklagten Partei“, vgl. etwa BGH 16.10.2002 – VIII ZB 30/02 – NJW 2003, 898, zur Kostenerstattung des Antragsstellers, der einen Prozessbevollmächtigten am eigenen Ort beantragt. 1951 BGH 23.3.2004 – VIII ZB 145/03 – NJOZ 2004, 1586; BGH 16.10.2002 – VIII ZB 30/02 – NJW 2003, 898; BGH 9.9.2004 – I ZB 5/04 – GRUR 2005, 84 – Unterbevollmächtigter II; BGH 2.12.2004 – I ZB 4/04 – GRUR 2005, 271 – Unterbevollmächtigter III; MünchKommZPO/Schulz § 91 Rn. 68. 1952 BGH 16.4.2008 – XII ZB 214/04 – WRP 2008, 948 – Auswärtiger Anwalt in überörtlicher Sozietät. 1953 BGH 16.4.2008 – XII ZB 214/04 – WRP 2008, 948 – Auswärtiger Anwalt in überörtlicher Sozietät. Vgl. auch bereits BGH 11.3.2004 – VII ZB 27/03 – NJW-RR 2004, 858 sowie 16.10.2002 – VIII ZB 30/02 – NJW 2003, 898, 901. Zustimmend für den Fall der am fremden Ort prozessierenden Partei MünchKommZPO/Schulz § 91 Rn. 74. 1954 BGH 10.4.2003 – I ZB 36/02 – GRUR 2003, 725, 726 – Auswärtiger Rechtsanwalt II; BGH 18.12.2003 – I ZB 18/ 03 – GRUR 2004, 448 = WRP 2004, 495 – Auswärtiger Rechtsanwalt IV; BGH 6.5.2004 – I ZB 27/03 – GRUR 2004, 886 = WRP 2004, 1169 – Auswärtiger Rechtsanwalt im Berufungsverfahren; BGH 2.12.2004 – I ZB 4/04 – GRUR 2005, 271 – Unterbevollmächtigter III. 1955 BGH 18.12.2003 – I ZB 18/03 – GRUR 2004, 448 = WRP 2004, 495 – Auswärtiger Rechtsanwalt IV; BGH 21.9.2005 – IV ZB 11/04 – NJW 2006, 301, 303; OLG Köln 8.10.2007 – 17 W 137/07 – OLGR 2008, 407; OLG Nürnberg 22.4.2004 – 3 W 1302/04 – GRUR-RR 2004, 312 – GEMA Reisekosten; Ahrens/Büttner Kap. 42 Rn. 39; MünchKommZPO/Schulz § 91 Rn. 72. A. A. OLG Celle 12.3.2004 – 8 W 105/04 – GRUR-RR 2005, 72 (LS) = NJOZ 2004, 1236 – Verbraucherschutzverein; OLG Düsseldorf 16.3.2004 – 10 W 12/04 – NJW-RR 2005, 709. 733

Ebersohl

Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

nicht zum Tätigkeitsbereich der Rechtsabteilung, so kann ein persönliches Gespräch gleichwohl erforderlich sein.1956 712 Wird ein Anwalt am Ort des Prozessgerichts beauftragt, befindet sich die Partei aber an einem anderen Ort, so sind neben den problemlos erstattungsfähigen Reisekosten des Anwalts zum Prozessgericht auch die Reisekosten der Partei für ein persönliches Informations- und Beratungsgespräch zu erstatten.1957 Für die Notwendigkeit eines solchen Gesprächs gelten die oben dargestellten Grundsätze. Wird ein Anwalt beauftragt, der weder am Wohn- bzw. Geschäftsort der Partei noch am 713 Ort des Prozessgerichts ansässig ist, so sind jedenfalls die fiktiven Kosten einer Informationsreise zu einem Anwalt am Ort des Prozessgerichts zu erstatten.1958 Übt der im Ausland ansässige Kläger sein Wahlrecht nach § 35 ZPO dahingehend aus, dass er weder im Gerichtsstand des Beklagten noch im Sitz seiner Prozessbevollmächtigten Klage erhebt, so liegt hierin alleine kein Rechtsmissbrauch, welcher der Erstattungsfähigkeit der Reisekosten des klägerischen Rechtsanwalts entgegenstehen würde.1959 Ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Partei und Anwalt wird in Rechtsprechung und Literatur grundsätzlich nicht für ausreichend gehalten, um die Notwendigkeit der Mandatierung dieses Anwalts zu begründen.1960 In der Praxis ist indes gerade bei Verfahren des gewerblichen Rechtsschutzes mit hohen Streitwerten und zwischen streiterfahrenen Parteien – die beide regelmäßig auf dieselben Prozessbevollmächtigten zugreifen – eine abweichende Handhabung dergestalt anzutreffen, dass die Erstattungsfähigkeit der Reisekosten der anderen Seite jeweils nicht angegriffen wird. Es stellt sich insgesamt die Frage, ob angesichts der innerhalb Deutschlands ohnehin nur in einem begrenzten Rahmen anfallenden Reise- und Übernachtungskosten hier nicht eine großzügigere Handhabung angezeigt wäre, um der Lebenswirklichkeit Rechnung zu tragen, dass Parteien gerade in wichtigen Verfahren des Lauterkeitsrechts wie auch des gewerblichen Rechtsschutzes im Allgemeinen auf Anwälte ihres Vertrauens bzw. solche mit besonderer Expertise zugreifen und diese eben häufig weder am Ort der Partei noch dem Gerichtsort ansässig sind. 714 Die Reisekosten einer Partei zum Verhandlungstermin sind regelmäßig zu erstatten, und zwar unabhängig davon, ob das persönliche Erscheinen angeordnet wurde oder nicht.1961 Eine Erstattung soll jedoch dann nicht in Betracht kommen, wenn von vornherein erkennbar ist, dass eine gütliche Einigung ausscheidet oder die Partei zur Klärung des Sachverhalts aus persönlicher Kenntnis nichts beitragen kann.1962 Dies ist etwa der Fall, wenn es sich nur um einen Verkündungstermin handelt oder weil auf Grund des vorausgegangenen Verhaltens des 1956 Vgl. OLG Jena 20.12.2004 – 9 W 398/04 – JurBüro 2005, 264; OLG Köln 14.4.2004 – 17 W 95/04 – JurBüro 2004, 435. Zustimmend MünchKommZPO/Schulz § 91 Rn. 72, der alleine die tatsächliche Organisation der Parteien für maßgeblich hält. Dies überzeugt, da ein Kostenfestsetzungsverfahren kaum dafür geeignet sein dürfte, die Angemessenheit einer konkreten Unternehmensorganisation zu überprüfen. Kritisch zu dieser Begünstigung von Unternehmen, die ihre Rechtsabteilungen klein halten, Ahrens/Büttner Kap. 42 Rn. 37. Nicht auf die tatsächliche Organisation abstellend Karczewski MDR 2005, 481, 483. 1957 BGH 21.9.2005 – IV ZB 11/04 – NJW 2006, 301, 303. 1958 BGH 18.12.2003 – I ZB 21/03 – GRUR 2004, 447 – Auswärtiger Rechtsanwalt III; BGH 2.12.2004 – I ZB 4/04 – GRUR 2005, 271 – Unterbevollmächtigter III; BGH 13.9.2005 – X ZB 30/04 – GRUR 2005, 1072 Tz. 2 – Auswärtiger Rechtsanwalt V; BGH 23.1.2007 – I ZB 42/06 – GRUR 2007, 726, 727 Tz. 13 – Auswärtiger Rechtsanwalt VI; Ahrens/ Büttner Kap. 42 Rn. 51. 1959 BGH 12.9.2013 – I ZB 39/13 – GRUR 2014, 607. 1960 Ahrens/Büttner Kap. 42 Rn. 55 m. w. N. unter Verweis auf eine großzügigere obergerichtliche Handhabung in Eilsachen. 1961 BGH 13.12.2007 – IX ZB 112/05 – NJW-RR 2008, 654, 655 Tz. 11; OLG Brandenburg 25.5.2000 – 12 W 17/00 – MDR 2000, 1216; OLG Celle 8.8.2003 – 8 W 271/03 – NJW 2003, 2994; OLG München 18.7.2003 – 11 W 1732/03 – NJWRR 2003, 1584; OLG Stuttgart 11.6.2002 – 8 W 603/01 – JurBüro 2002, 536; Zöller/Herget § 91 Rn. 13 „Reisekosten der Partei“; Ahrens/Büttner Kap. 42 Rn. 26; Thomas/Putzo/Hüßtege § 91 Rn. 16; Musielak/Wolst § 91 Rn. 63. 1962 BGH 13.12.2007 – IX ZB 112/05 – NJW-RR 2008, 654, 655 Tz. 12; OLG München 18.7.2003 – 11 W 1732/03 – NJW-RR 2003, 1584. Ebersohl

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X. Kosten

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Gegners mit einem Versäumnis- oder Anerkenntnisurteil zu rechnen ist.1963 Im Übrigen sollte dieser Ausnahmetatbestand nur mit Zurückhaltung angewendet werden, da die Anwesenheit der Partei angesichts der Verpflichtung des Gerichts, in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits hinzuwirken (§ 278 Abs. 1 ZPO), generell angezeigt ist. Ausnahmen von der grundsätzlichen Erstattungsfähigkeit der Reisekosten der Parteien sind in der Praxis der Instanzgerichte ferner gemacht worden, wenn die Kosten außer Verhältnis zur persönlichen bzw. wirtschaftlichen Bedeutung des Prozesses für die Partei standen,1964 wenn es erkennbar nur um Rechtsfragen ging,1965 wenn Gegenstand eine Routineangelegenheit war1966 und wenn es sich um einen zweiten Termin handelte und im ersten ausführlich die Sach- und Rechtslage besprochen worden war.1967

bb) Kosten eines Verkehrsanwalts. Nach Aufgabe der Singularzulassung spielt die Beauftra- 715 gung von Verkehrsanwälten, mithin von Anwälten, die den Verkehr zwischen der Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten führen (vgl. Nr. 3400 VV RVG), praktisch nur noch eine untergeordnete Rolle, weil die Parteien regelmäßig unabhängig vom Ort des Verfahrens den Rechtsanwalt ihres Vertrauens als Prozessbevollmächtigen beauftragen. Die Kosten des Verkehrsanwalts sind somit nur ausnahmsweise erstattungsfähig.1968 Fallen Wohn- bzw. Geschäftsort der Partei und der Ort des Prozessgerichts auseinander und beauftragt die Partei einen Prozessbevollmächtigten am Gerichtsort, so sind die Kosten eines am Ort der Partei ansässigen Verkehrsanwalts insoweit erstattungsfähig, als auch die Kosten einer fiktiven Informationsreise von der Partei zu dem am Gerichtsort ansässigen Rechtsanwalt bzw. die fiktiven Reisekosten des Prozessbevollmächtigten am Ort der Partei erstattungsfähig wären.1969

cc) Kosten eines Patentanwalts. Anders als in den Spezialgesetzen des gewerblichen Rechts- 716 schutzes (§ 143 Abs. 4, Abs. 5 PatG, § 27 Abs. 5 GebrMG, § 52 Abs. 2 GeschmMG, § 38 Abs. 4 SortSchG, § 140 Abs. 3 MarkenG) findet sich im UWG keine gesetzliche Be-stimmung zur Erstattung der gerichtlichen1970 Kosten für die Hinzuziehung eines Patentanwalts. Dementsprechend sind Patentanwaltskosten im Wettbewerbsprozess grundsätzlich nicht erstattungsfähig und nur dann festzusetzen, wenn die Hinzuziehung des Patentanwalts ausnahmsweise i. S. v. § § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war.1971 Nach Auffassung des KG soll die Verfahrensgebühr des mitwirkenden Patentanwalts bei 1963 OLG München 18.7.2003 – 11 W 1732/03 – NJW-RR 2003, 1584. 1964 OLG Brandenburg 25.5.2000 – 12 W 17/00 – MDR 2000, 1216; OLG Düsseldorf 2.5.1996 – 2 W 17/96 – NJW-RR 1996, 1342; OLG Hamm 24.4.1991 – 23 W 588/90 – Rpfleger 1992, 83; OLG Köln 11.8.1992 – 17 W 29/91 – MDR 1993, 182; OLG Stuttgart 18.3.1992 – 8 W 433/91 – Rpfleger 1992, 448; Ahrens/Büttner Kap. 42 Rn. 26. 1965 OLG Düsseldorf 2.5.1996 – 2 W 17/96 – NJW-RR 1996, 1342; OLG Koblenz 16.8.1994 – 14 W 415/94 – MDR 1995, 424. 1966 OLG Düsseldorf 2.5.1996 – 2 W 17/96 – NJW-RR 1996, 1342; OLG Hamm 24.4.1991 – 23 W 588/90 – Rpfleger 1992, 83; OLG Köln 11.8.1992 – 17 W 29/91 – MDR 1993, 182. 1967 OLG Hamm 24.4.1991 – 23 W 588/90 – Rpfleger 1992, 83. 1968 Vgl. Ahrens/Büttner Kap. 42 Rn. 64 ff.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.122; Gloy/Loschelder/Erdmann § 92 Rn. 47. 1969 OLG München 28.2.2007 – 11 W 2796/06 – OLGR 2007, 966; Ahrens/Büttner Kap. 42 Rn. 65. 1970 Durch BGH 24.2.2011 – I ZR 181/09 – GRUR 2011, 754 Rn. 16–19 – Kosten des Patentanwalts II ist die dort in Tz. 16 umfangreich belegte Streitfrage, ob auch die außergerichtlichen Kosten des Patentanwalts nach § 140 Abs. 3 MarkenG ohne Prüfung der Erforderlichkeit stets zu erstatten sind, dahingehend entschieden, dass dem nicht der Fall ist, weil für eine solche Privilegierung der patentanwaltlichen gegenüber der rechtsanwaltlichen Tätigkeit kein Grund bestehe. 1971 Zu diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis vgl. OLG Jena 12.3.2002 – 2 W 45/02 – GRUR-RR 2003, 30; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.121; Ahrens/Büttner Kap. 42 Rn. 80 ff.; Gloy/Loschelder/Erdmann § 92 Rn. 46. 735

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Geltendmachung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche nach § 140 Abs. 5 MarkenG erstattungsfähig sein, wenn die Streitsache zumindest auch unter kennzeichenrechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen ist.1972 Vor dem Hintergrund der Aufgabe der alternativen Klagebegründung und angesichts des Umstands, dass es sich bei den markenrechtlichen und den lauterkeitsrechtlichen Ansprüchen um verschiedene Streitgegenstände handelt,1973 erscheint diese Auffassung indes nicht mehr haltbar. Somit kommt eine Erstattungsfähigkeit allenfalls in Betracht, wenn die geltend gemachten lauterkeitsrechtlichen Ansprüche selbst dem typischen Tätigkeitsgebiet des Patentanwalts so nahe kommen, dass seine Hinzuziehung angezeigt ist. Insoweit kann auf die Rechtsprechung zur Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Patentanwaltskosten in Schutzrechtssachen zurückgegriffen werden, wo ebenfalls Prüfungsmaßstab ist, ob der Patentanwalt Tätigkeiten übernommen hat, die zum typischen Einsatzgebiet eines Patentanwalts gehören.1974 Dies ist etwa denkbar in Fällen der unberechtigten Schutzrechtsberühmung.1975 In Fällen des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes hingegen erscheint die Hinzuziehung eines Patentanwalts regelmäßig1976 nicht erforderlich, jedenfalls dann nicht, wenn ausschließlich ästhetische Fragestellungen betroffen sind.1977 Die Terminsgebühr des Patentanwalts ist jedenfalls dann nicht zu erstatten, wenn er sich im Termin durch einen Rechtsanwalt vertreten lässt.1978 Selbst wenn die Hinzuziehung des Patentanwalts im Erkenntnisverfahren notwendig war, ist für das Zwangsvollstreckungsverfahren eine gesonderte Prüfung vorzunehmen.1979

717 dd) Private Gutachten und Übersetzungen. Kosten eines den Rechtsstreit vorbereitenden Privatgutachtens können ausnahmsweise1980 dann erstattungsfähig sein, wenn die Rechtsverfolgung anderweitig nicht sachgerecht vorbereitet werden konnte, wenn also die Partei andernfalls nicht hätte schlüssig vortragen können.1981 Dies kann z. B. der Fall sein bei komplizierten technischen Sachverhalten.1982 Voraussetzung ist in jedem Fall die Prozessbezogenheit, an der es z. B. fehlt, wenn das Gutachten zur Vorbereitung eines anderen Rechtsstreits oder zum Zwecke der außergerichtlichen Streitbeilegung erstellt worden ist.1983 Nicht erstattungsfähig sind indes die Kosten, die dem Kläger im Hauptsacheverfahren für ein privates Meinungsforschungsgutachten entstanden sind, das zur Darlegung einer bestimmten Verkehrsauffassung dienen soll. Denn zum einen obliegt die Erhebung des Sachverständigenbeweises dem Gericht

1972 KG 14.1.2000 – 25 W 2536/99 – GRUR 2000, 803 – Mitwirkender Patentanwalt. 1973 Vgl. BGH 17.8.2011 – I ZR 108/09 – GRUR 2011, 1043 – TÜV II Tz. 24 ff. m. Anm. Harte-Bavendamm. 1974 Vgl. BGH 21.12.2011 – I ZR 196/10 – GRUR 2012, 756 – Kosten des Patentanwalts III und BGH 10.5.2012 – I ZR 70/11 – GRUR 2012, 759 – Kosten des Patentanwalts IV.

1975 Vgl. OLG Frankfurt 2.2.1989 – 6 W 166/88 – GRUR 1989, 375 (LS) = JurBüro 1989, 1129; OLG Frankfurt 1.9.1992 – 6 W 93/92 – GRUR 1993, 161 – Französischer Rechtsanwalt; OLG Koblenz 22.1.1987 – 14 W 53/87 – GRUR 1987, 941 = WRP 1988, 126; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.121. 1976 Zu möglichen Ausnahmen vgl. Ahrens/Büttner Kap. 42 Rn. 82 m. w. N., wobei insbesondere bei der dort aufgeführten Fallgruppe der unberechtigten Schutzrechtsberühmung die Erstattungsfähigkeit der Patentanwaltskosten plausibel erscheint, und Gloy/Loschelder/Erdmann § 92 Rn. 46. 1977 Vgl. OLG Jena 12.3.2002 – 2 W 45/02 – GRUR-RR 2003, 30. Nach OLG Frankfurt 12.10.2010 – 6 W 132/10 – GRUR-RR 2011, 118 soll jedoch die Durchführung einer Formenschatzrecherche als typische patentanwaltliche Tätigkeit die Erstattungsfähigkeit der Patentanwaltskosten begründen. 1978 OLG Braunschweig 4.10.2011 – 2 W 96/11 – GRUR-RR 2012, 133. 1979 Vgl. OLG Köln 15.8.2012 – 17 W 135/12 – GRUR-RR 2012, 492 für einen geschmacksmusterrechtlichen Fall. 1980 Zum Regelfall vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.126 und Rn. 1.88 sowie Zöller/Herget § 91 ZPO Rn. 13 – Stichwort „Privatgutachten“. 1981 Vgl. Ahrens/Büttner Kap. 42 Rn. 13 ff. m. w. N. 1982 OLG Frankfurt 29.3.1994 – 6 W 17/94 – GRUR 1994, 532. 1983 OLG Frankfurt 29.3.1994 – 6 W 17/94 – GRUR 1994, 532; OLG Hamburg 14.1.1988 – 8 W 6/88 – JurBüro 1988, 1022; OLG Koblenz 1.3.1989 – 14 W 169/89 – JurBüro 1990, 1974; OLG Köln 31.10.2003 – 17 W 279/02 – JurBüro 2003, 313. Ebersohl

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X. Kosten

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und zum anderen kann die Verkehrsauffassung in vielen Fällen ohnehin ohne Sachverständigengutachten ermittelt werden.1984 Etwas anderes mag im Verfügungsverfahren gelten, wenn die Vorlage des vorprozessual eingeholten Gutachtens zur Glaubhaftmachung erforderlich ist.1985 Auch für den Beklagten kann die Vorlage eines privaten Gutachtens zur zweckentsprechenden Verteidigung notwendig im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO sein. Legt etwa der Kläger zur Darlegung einer bestimmten Verkehrsauffassung ein privates Meinungsforschungsgutachten vor, so spricht vieles dafür, die Anfertigung und Vorlage eines Gegengutachtens – ungeachtet der Erstattungsfähigkeit der klägerischen Kosten – regelmäßig als zur zweckentsprechenden Verteidigung notwendig anzusehen, weil ein einfaches Bestreiten oder das Aufdecken von Fehlern im gegnerischen Gutachten in der Praxis häufig nicht für ausreichend befunden wird.1986 Kosten eines privaten Rechtsgutachtens sind grundsätzlich nicht erstattungsfähig. Eine Ausnahme kann für Gutachten zum Inhalt ausländischen Rechts gelten, sofern dies für den Rechtsstreit relevant ist.1987 Wörtliche Übersetzungen des Prozessstoffs sind immer dann notwendig und erstattungsfähig, wenn eine ausländische Partei die Übersetzungen zur sachgerechten Teilnahme am Prozessgeschehen benötigt.1988

ee) Mehrkosten durch getrennte Geltendmachung von Ansprüchen. Macht der Kläger 718 gleichartige Ansprüche gegen mehrere Beklagte (etwa gegen die Gesellschaft und ihre Organe) in parallelen Verfahren geltend oder verteilt er Ansprüche gegen denselben Beklagten auf verschiedene Verfahren, so können im Kostenfestsetzungsverfahren auch in Wettbewerbssachen1989 die durch das getrennte Vorgehen entstandenen Mehrkosten auf ihre Notwendigkeit hin überprüft werden.1990 Die Gegenauffassung hält dem entgegen, dass eine Missbräuchlichkeit der Mehrfachklage jedenfalls für Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche bereits Gegenstand der Zulässigkeitsprüfung nach § 8 Abs. 4 war, sodass eine erneute Prüfung im Kostenfestsetzungsverfahren nicht erfolgen dürfe.1991 Gegen diese Auffassung spricht indes, dass die Begriffe der Missbräuchlichkeit aus § 8 Abs. 4 und der Notwendigkeit zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung aus § 91 Abs. 1 ZPO nicht deckungsgleich sind. Ein Kostenfestsetzungsverlangen ist dann nicht als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren, wenn die von demselben Prozessbevollmächtigten vertretenen Antragsteller den Antragsgegner zeitlich gestaffelt in Anspruch nehmen und ihr Vorgehen dazu bestimmt und geeignet ist, das Prozessrisiko insgesamt zu reduzieren.1992

1984 So auch GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 D Rn. 459 ff.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.88. A. A. wohl Ahrens/ Büttner Kap. 42 Rn. 15, der hervorhebt, dass das private Gutachten die Darlegung des Anspruchs wesentlich erleichtern könne. 1985 Vgl. KG 13.2.1987 – 1 W 4941/85 – GRUR 1987, 473, 474; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.88. 1986 A. A. Ahrens/Büttner Kap. 42 Rn. 17, der den Beklagten zunächst darauf verweist, eben solche Fehler aufzuspüren und seine Erwiderung darauf zu gründen. 1987 OLG Frankfurt 1.9.1992 – 6 W 93/92 – GRUR 1993, 161 – Französischer Rechtsanwalt; OLG Naumburg 18.9.2013 – 2 W 51/12 – GRUR 2014, 304 (LS); Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.126. 1988 Vgl. OLG Düsseldorf 23.7.2012 – I-2 W 20/12 – GRUR-RR 2012, 493 mit der Klarstellung, dass dies auch für instanzbeendende Schriftsätze gilt, weil auch hier im Hinblick auf den Umfang der Rechtskraft wichtige Berichtigungen oder Ergänzungen erforderlich sein können. 1989 Außerhalb dieses Bereichs ist es die vorherrschende Meinung, vgl. etwa die Nachweise bei Ahrens/Büttner Kap. 42 Rn. 85 in Fn. 163. 1990 Dies liegt unausgesprochen der Entscheidung BGH 20.5.2014 – VI ZB 9/13 – GRUR 2014, 709 – Festsetzung von Mehrkosten zugrunde. Vgl. auch KG 4.7.1989 – 1 W 1439/89 – JurBüro 1989, 1697; 29.6.2006 – 1 W 186/06 – OLGR 2007, 79; OLG Düsseldorf 26.1.1972 – 10 W 159/71 – GRUR 1973, 51 = MDR 1972, 522; OLG München 26.3.1987 – 11 W 976/87 – MDR 1987, 677; OLG München 20.2.2001 – 11 W 3250/00 – GRUR-RR 2002, 119 = MDR 2001, 652. 1991 Ahrens/Büttner Kap. 42 Rn. 86. 1992 BGH 20.5.2014 – VI ZB 9/13 – GRUR 2014, 709 – Festsetzung von Mehrkosten. 737

Ebersohl

Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

XI. Vergleich Schrifttum Borck Über unrichtig gewordene Unterlassungstitel und deren Behandlung, WRP 2000, 9; Dornis/Förster Die Unterwerfung: Rechtsnatur und Rechtsnachfolge, GRUR 2006, 195; Ehmann Schuldanerkenntnis und Vergleich (2005); Gottschalk Wie kann eine Unterlassungsvereinbarung erlöschen? GRUR 2004, 827; Grabitz/Hilf/Nettesheim Das Recht der Europäischen Union, 66. Aufl. (2019); Grosch Rechtswandel und Rechtskraft bei Unterlassungsurteilen (2002); Jansen/Johannsen Die Bewertung von Vergleichsvereinbarungen in Patentstreitigkeiten nach dem europäischen Kartellverbot, EuZW 2012, 893; Klaka Anmerkung zu BGH 21.4.1983 – I ZR 201/80 – GRUR 1983, 602 – Vertragsstraferückzahlung –, GRUR 1983, 604; H. Köhler Zur Verjährung des vertraglichen Unterlassungs- und Schadensersatzanspruchs, GRUR 1996, 231; Lindacher Gesicherte Unterlassungserklärung, Wiederholungsgefahr und Rechtsschutzbedürfnis, GRUR 1975, 413; Michael Die vertragsstrafenbewehrte Unterwerfung im Prozessvergleich, WRP 2001, 117; Nieder Die vertragsstrafenbewehrte Unterwerfung im Prozessvergleich, WRP 2001, 117; B. Oppermann Unterlassungsantrag und zukünftige Verletzungshandlung – gleichzeitig eine Anmerkung zu OLG Hamm, WRP 1989, 260, WRP 1989, 713; Rieble Wegfall wettbewerblicher Vertragsstrafen durch das UWG-Änderungsgesetz? GRUR 1995, 252; Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht 18. Aufl. (2018); A. Schäfer Das Abstraktionsprinzip beim Vergleich (1992); K. Schmidt Der Vergleichsvertrag unter Konkurrenten: ein Kartell? JuS 1978, 736; Teplitzky Unterwerfung und „konkrete Verletzungsform“, WRP 1990, 26; Volp Änderung der Rechts- oder Sachlage bei Unterlassungstiteln, GRUR 1984, 486; Wiedemann Handbuch des Kartellrechts, 2. Aufl. (2008).

Übersicht 1. 2.

Einführung 719 Rechtsnatur, Voraussetzungen und Rechtsfolgen 722 des Vergleichs 722 a) Rechtsnatur 725 b) Wirksamkeitsvoraussetzungen 725 aa) Verfügungsbefugnis bb) Verstoß gegen Verbotsgesetze, insbes. 726 Kartellverbot 726 (1) Grundsatz 727 (2) Kartellrechtswidrigkeit (3) Gegenseitiges Nachge735 ben 737 cc) Form 740 dd) Prozessvergleich

741 Rechtsfolgen 741 aa) Allgemeines bb) Sonderregelung des § 779 744 BGB cc) Nachträgliche Änderung der Rechts746 lage 753 dd) Novierender Charakter Inhalte eines Vergleiches in Wettbewerbssa756 chen a) Unterlassungsverpflichtung mit Vertrags756 strafeversprechen 766 b) Regelung von Nebenansprüchen 767 c) Aufbrauchfrist 768 Besonderheiten des Prozessvergleiches c)

3.

4.

1. Einführung 719 Der Vergleich (§ 779 BGB)1993 als privatautonome Feststellung eines streitigen Rechtsverhältnisses ist auch im Lauterkeitsrecht von erheblicher praktischer Bedeutung.1994 Die Möglichkeit, einen Titel aufgrund privatautonomer Vereinbarung zu erlangen (bei Prozessvergleichen bzw. vollstreckbaren Anwaltsvergleichen oder Vergleichen vor der Einigungsstelle), bietet ungeachtet der Effizienz der staatlichen Wettbewerbsgerichte nicht zuletzt durch die allenfalls reduzierte Beteiligung der Öffentlichkeit in der Hauptsache und die erreichbare Beschleunigung erhebliche Anreize zu einem Vergleichsschluss. Es liegt zudem nicht notwendig im Interesse der Beteiligten, über eine bestimmte streitige Rechtsfrage eine gerichtliche Entscheidung zu provozieren, deren Inhalt und Folgewirkungen für künftige Verfahren nicht immer mit der erforderlichen

1993 Zum Einigungsstellenvergleich und dessen Rechtsnatur vgl. Nippe § 15 Rn. 221 ff. 1994 Gloy/Loschelder/Erdmann § 90 Rn. 1, 29; Ahrens/Singer Kap. 32 Rn. 1. Herrmann

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XI. Vergleich

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Sicherheit vorhergesagt werden können.1995 Dass Wettbewerbsprozesse häufig von Unternehmen geführt werden, erleichtert durch die damit einhergehende Professionalisierung grundsätzlich das Finden von wirtschaftlich vernünftigen Lösungen.1996 Nicht selten fehlt aber auch jede Vergleichsbereitschaft, insbesondere wenn das Verfahren Teil einer größeren Auseinandersetzung zwischen den Parteien ist und deshalb beispielsweise ein auf den deutschen Marktort begrenzter Vergleich im Hinblick auf eine global ausgetragene Auseinandersetzung als nicht sinnvoll erscheint. Vergleiche können in jeder Phase der streitigen Auseinandersetzung abgeschlossen werden. 720 Häufig wird ein Vergleich im Anschluss an eine Abmahnung zustande kommen, um eine gerichtliche Auseinandersetzung zu vermeiden. Während eines anhängigen Verfahrens kann zu jedem Zeitpunkt gerichtlich oder außergerichtlich eine Streitbeilegung oder jedenfalls eine Konzentration auf bestimmte Aspekte ebenso vereinbart werden wie eine private Musterprozessabsprache, die – ohne Rechtskrafterstreckung – das Ergebnis eines zwischen Dritten geführten Verfahrens als verbindlich festlegt.1997 Auch nach rechtskräftigem Abschluss eines Verfahrens kann noch ein Vergleich geschlossen werden, der den Inhalt des Vollstreckungstitels modifiziert. Ein Vergleich kann jedoch frühestens dann geschlossen werden, wenn ein streitiges 721 Rechtsverhältnis zwischen den Parteien (jedenfalls nach deren Vorstellungen1998) entstanden ist, also die Rechtsbeziehungen1999 soweit konkretisiert sind, dass eine vergleichsweise Feststellung der wechselseitigen Rechte und Pflichten überhaupt möglich ist.2000 Ein dem Vergleichsschluss zugängliches Rechtsverhältnis ist in diesem Sinne entstanden, wenn unter sonst gleichen Umständen auch eine Feststellungsklage (§ 256 ZPO) erhoben werden könnte.

2. Rechtsnatur, Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Vergleichs a) Rechtsnatur. Entsprechend der besonderen Bedeutung des Vergleiches im Wettbewerbs- 722 recht kommen zahlreiche unterschiedliche Vergleichstypen in der Praxis vor. Inhalt ist häufig die Abgabe einer (ggf. strafbewehrten) Unterlassungserklärung gegen die Gewährung einer Aufbrauchfrist und der Verzicht auf Auskunfts- und Schadensersatzansprüche.2001 Erhebliche praktische Bedeutung kommt auch dem Kostenvergleich im Unterlassungsprozess nach außergerichtlichem Vergleichsschluss zu.2002 Der Vergleich ist stets (auch) ein kausaler Änderungsvertrag, indem er mit Wirkung zwi- 723 schen den Vergleichsparteien unabhängig von der objektiv bestehenden Rechtslage die Rechte und Pflichten feststellt.2003 Daneben kann einem Vergleich auch schuldumschaffende (novierende) Wirkung zukommen.2004 Bei einem Vergleich über wettbewerbliche Unterlassungsansprüche wird eine Novation, für die ansonsten besondere Anhaltspunkte erforderlich sind, regelmäßig naheliegen.2005 Der vertragliche Unterlassungsanspruch ersetzt dann im Verhältnis 1995 1996 1997 1998 1999 2000

Gloy/Loschelder/Erdmann § 90 Rn. 1. GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 462. Gloy/Loschelder/Erdmann § 90 Rn. 2. MünchKommBGB/Habersack § 779 Rn. 4. Nur soziale/gesellschaftliche Beziehungen sind nicht ausreichend, MünchKommBGB/Habersack § 779 Rn. 4. BGH 28.5.1979 – III ZR 89/78 – NJW 1980, 889, 890; MünchKommBGB/Habersack § 779 Rn. 4; Staudinger/ Marburger § 779 Rn. 4. 2001 Harte/Henning/Brüning Vorb. § 12 Rn. 277; MünchKommUWG/Ehricke Vor § 12 Rn. 142; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 12 Rn. 2.127. 2002 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.129; Gloy/Loschelder/Erdmann § 90 Rn. 1. 2003 PWW/Brödermann § 779 Rn. 2; MünchKommBGB/Habersack § 779 Rn. 31; Palandt/Sprau § 779 Rn. 2; differenzierend: Staudinger/Marburger § 779 Rn. 37. 2004 Erman/Müller § 779 Rn. 24; siehe hierzu Rn. 753. 2005 Dazu Rn. 33. 739

Herrmann

Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

der Parteien den gesetzlichen Anspruch. Im Unterlassungsvertrag werden auf dessen Abschlusszeitpunkt die Verhaltenspflichten des Unterlassungsschuldners verbindlich festgelegt. Soweit das durch den Vergleich geregelte Rechtsverhältnis bei objektiver Betrachtung, die die Parteien freilich gerade vermeiden wollen, tatsächlich andere Rechte und Pflichten als die in dem Vergleich vereinbarten vorsieht, hat der Vergleich notwendig auch Verfügungscharakter (Inhaltsänderung eines Rechts).2006 Ohne weitere Vollzugshandlung wird dann dieses Rechtsverhältnis inhaltlich neu geregelt.2007 Geltungsgrund der Verhaltenspflichten des Schuldners ist nicht mehr das materielle Recht, sondern die privatautonom getroffene Regelung. 724 Gegenseitiger Vertrag ist der Vergleich nur, wenn er selbst synallagmatische Leistungspflichten begründet, also nicht lediglich die Leistungspflichten zwischen den Parteien feststellt.2008 Die §§ 320 ff. BGB sind ausschließlich nach Maßgabe des im Vergleich geregelten Ausgangsrechtsverhältnisses anwendbar, nicht aufgrund des Vergleichsschlusses. Das im Wortlaut des § 779 BGB enthaltene Erfordernis „gegenseitigen Nachgebens“2009 beinhaltet kein Gegenseitigkeitsverhältnis von Leistung und Gegenleistung.2010

b) Wirksamkeitsvoraussetzungen 725 aa) Verfügungsbefugnis. Angesichts der mit dem Vergleich angestrebten Verfügung über das streitige Rechtsverhältnis ist die Verfügungsbefugnis der Vergleichsschließenden vorausgesetzt. Sie fehlt, wenn das zu regelnde Rechtsverhältnis der Parteidisposition entzogen ist (z. B. § 311b Abs. 4 BGB) oder die vergleichsbetroffenen Ansprüche den Parteien nicht (mehr) zustehen.

bb) Verstoß gegen Verbotsgesetze, insbes. Kartellverbot 726 (1) Grundsatz. Wie jede privatautonome Regelung muss auch der Vergleich die allgemeinen Gestaltungsgrenzen (insbes. §§ 134, 138 Abs. 1 BGB) einhalten.2011 Ein Vergleich ist nach § 134 BGB in Verbindung mit einem Verbotsgesetz nichtig, wenn er seinem Inhalt nach primär bezweckt, dem Verbotsgesetz zuwiderzuhandeln. Die Nichtigkeitsfolge kommt daneben auch in Betracht, wenn bereits das vergleichsweise zu regelnde Rechtsverhältnis nichtig ist.2012

727 (2) Kartellrechtswidrigkeit. Die im Wettbewerbsrecht besonders bedeutsamen Vergleichsvereinbarungen über Unterlassungsansprüche können das Kartellverbot (Art. 101 AEUV, § 1 GWB) berühren, wenn sie unter Wettbewerbern2013 geschlossen werden. Vergleichen sich die Parteien beispielsweise über einen Unterlassungsanspruch wegen eines Boykottaufrufs (§ 4 Nr. 10 UWG) durch ein marktbeherrschendes Unternehmen, kann die vergleichsweise getroffene Rege-

2006 2007 2008 2009 2010

Staudinger/Marburger § 779 Rn. 42 f. MünchKommBGB/Habersack § 779 Rn. 36; Staudinger/Marburger § 779 Rn. 42. Staudinger/Marburger § 779 Rn. 49, 51; Palandt/Sprau § 779 Rn. 2. Siehe Rn. 16 f. MünchKommBGB/Habersack § 779 Rn. 36; Staudinger/Marburger § 779 Rn. 49; Palandt/Sprau § 779 Rn. 2; a. A. A. Schäfer S. 206 ff. 2011 MünchKommBGB/Habersack § 779 Rn. 56 f., 59; Gloy/Loschelder/Erdmann § 90 Rn. 10; Staudinger/Marburger § 779 Rn. 75–77; Ahrens/Singer Kap. 32 Rn. 10; Thomas/Putzo/Seiler § 794 Rn. 16; Palandt/Sprau § 779 Rn. 22; Zöller/ Stöber § 794 Rn. 15. 2012 MünchKommBGB/Habersack § 779 Rn. 58; Staudinger/Marburger § 779 Rn. 78. 2013 Ob jedenfalls potenzieller Wettbewerb besteht, ist kritisch zu prüfen und wird nicht selten zu verneinen sein, vgl. BGH 15.12.2015 – KZR 92/13 – GRUR-Prax 2016, 274 Pelican/Pelikan zu einer Markenabgrenzungsvereinbarung. Herrmann

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lung, soweit sie dem Marktbeherrscher Handlungsspielraum lässt oder verschafft, ihrerseits kartellrechtswidrig und damit unwirksam sein.2014 In der Entscheidung Thermalquelle2015 hat der Kartellsenat des BGH es als möglich angesehen, in einer Vergleichsvereinbarung (potentiell) kartellrechtswidrige Regelungen zu treffen oder zu sanktionieren, wenn „ein ernsthafter, objektiv begründeter Anlass zur Bejahung des geltend gemachten Anspruchs besteht und die wettbewerbsbeschränkenden Absprachen sich innerhalb der Grenzen desjenigen halten, was bei objektiver Beurteilung ernsthaft zweifelhaft sein kann.“2016 Gegenstand des Vergleiches ist dann seiner subjektiven Zielrichtung nach nicht der Verstoß gegen das Kartellverbot, sondern die Beseitigung der Unsicherheit, ob es überhaupt eingreift.2017 Ein Vergleich mit objektiv wettbewerbsbeschränkendem Inhalt soll deshalb zulässig bleiben, wenn ein ernsthafter, objektiv begründeter Anlass zu der Annahme besteht, der begünstigte Vertragspartner habe einen Anspruch auf Unterlassung der durch den Vergleich untersagten Handlung, so dass bei Durchführung eines Rechtsstreits ernstlich mit dem Ergebnis zu rechnen wäre, dass dem Wettbewerber das umstrittene Vorgehen untersagt werde.2018 Das entspricht, wie zuletzt in der Leitentscheidung Abgasreinigungsvorrichtung2019 bestätigt, der ständigen Rechtsprechung des BGH.2020 Es besteht zweifellos ein praktisches Bedürfnis dafür, einen Vergleich über die Reichweite eines Schutzrechtes oder einer lauterkeitsrechtlichen Verhaltenspflicht auch und gerade dann abschließen zu können, wenn objektiv die Möglichkeit besteht, dass die Vergleichsregelung über den Schutzrechtsinhalt oder die Verhaltenspflicht hinausreicht. Bestünde keine solche Unsicherheit, hätten die Parteien von vornherein keine Veranlassung, einen Vergleich abzuschließen. Versagt man aber wegen des möglichen Kartellverstoßes dem Vergleich die rechtliche Anerkennung, würden die Parteien ungeachtet ihrer Vergleichsbereitschaft in einen Rechtsstreit gezwungen. Das erscheint ineffizient. Der BGH2021 betont zu Recht die praktische Sinnlosigkeit eines Rechtsstreits bei bestehender Vergleichsbereitschaft. Für sich genommen genügt dies indessen nicht, um den beim Vergleichsschluss angenommenen weiteren Handlungsspielraum zu legitimieren. Eine Legitimationsgrundlage für die Anerkennung möglicherweise (objektiv) kartellrechtswidriger Vergleiche lässt sich zunächst nicht aus einer Vorverlagerung prozessualer Dispositionsmöglichkeiten ableiten. Unterstellt man, die Parteien würden anstelle des Vergleiches einen Prozess über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Unterlassungsanspruches führen, stünde es ihnen zwar frei, durch Anerkenntnis (§ 307 ZPO) oder Verzicht (§ 306 ZPO) eine rechtskräftige Entscheidung mit einem parteibestimmten Inhalt herbeizuführen. Denn weder bei einem Anerkenntnis- noch bei einem Verzichtsurteil kommt es darauf an, ob die anerkannte Rechtsfolge

2014 Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Nordermann § 1 Rn. 183; Immenga/Mestmäcker/Zimmer § 1 Rn. 189. 2015 BGH 22.5.1975 – KZR 9/74 – BGHZ 65, 147 = GRUR 1976, 323 – Thermalquelle. 2016 BGH 22.5.1975 – KZR 9/74 – BGHZ 65, 147 = GRUR 1976, 323, Leitsatz – Thermalquelle; so auch BGH 21.4.1983 – I ZR 201/80 – GRUR 1983, 602, 603 – Vertragsstraferückzahlung; MünchKommBGB/Habersack § 779 Rn. 10; Gloy/Loschelder/Erdmann § 90 Rn. 4 und 23; vgl. Staudinger/Marburger § 779 Rn. 12; K. Schmidt JuS 1978, 736 ff.; Teplitzky Kap. 11 Rn. 2 und 20 Rn. 11. 2017 BGH 15.2.1955 – I ZR 86/53 – BGHZ 16, 296, 304 = GRUR 1955, 418, 420 – Rote Herzwandvase; BGH 22.5.1975 – KZR 9/74 – BGHZ 65, 147 = GRUR 1976, 323, 324 – Thermalquelle; BGH 5.7.2005 – X ZR 14/03 – GRUR 2005, 845, 847 – Abgasreinigungsvorrichtung. 2018 BGH 22.5.1975 – KZR 9/74 – BGHZ 65, 147 = GRUR 1976, 323 – Thermalquelle. 2019 BGH 5.7.2005 – X ZR 14/03 – GRUR 2005, 845 – Abgasreinigungsvorrichtung. 2020 BGH 22.5.1975 – KZR 9/74 – BGHZ 65, 147 = GRUR 1976, 323 – Thermalquelle; BGH 21.4.1983 – I ZR 201/80 – GRUR 1983, 602, 603 – Vertragsstraferückzahlung; BGH 5.7.2005 – X ZR 14/03 – GRUR 2005, 845 – Abgasreinigungsvorrichtung. 2021 BGH 5.10.1951 – I ZR 74/50 – BGHZ 3, 193, 197 = GRUR 1952, 141, 144 – Tauchpumpe; BGH 15.2.1955 – I ZR 86/53 – BGHZ 16, 296, 303 = GRUR 1955, 418, 420 – Rote Herzwandvase. 741

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bzw. die Klageabweisung der materiellen Rechtslage entspricht.2022 Die Herbeiführung eines Anerkenntnis- oder Verzichtsurteils – als Entscheidungsformen, die keine gerichtliche Prüfung des geltend gemachten Anspruches beinhalten – bleibt in der Sache eine parteibestimmte Feststellung von Verhaltenspflichten. Eine allgemeine Befreiung vom Kartellverbot würde jedoch nicht allein deshalb gewährt, weil eine Einigung im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens erzielt oder mit Mitteln des Verfahrensrechtes (Prozesshandlung) umgesetzt wurde.2023 Desgleichen lässt sich aus der Schiedsfähigkeit von Sachverhalten, die einen kartellrechtlichen Bezug haben,2024 nichts für die Möglichkeit eines die objektiven kartellrechtlichen Grenzen verschiebenden Vergleiches ableiten. Kartellrechtsrelevante Ansprüche mögen zwar grundsätzlich schiedsfähig sein,2025 jedoch ist dann das Schiedsgericht selbst gehalten, das Wettbewerbsrecht anzuwenden. Wenn das Schiedsgericht die kartellrechtlichen Grenzen für das Wettbewerbsverhalten der Parteien nicht beachtet, unterliegt der Schiedsspruch der Aufhebung wegen eines Ordre Public-Verstoßes.2026 Den Schlüssel zur Lösung des Problems der möglichen Kartellrechtswidrigkeit von Unter732 lassungsvergleichen bietet das Kriterium der „objektiven Unsicherheit“ über die Rechtslage.2027 Wenn die Rechtslage eindeutig ist – was naturgemäß eine Frage des Einzelfalles bleibt – besteht kein Anlass für einen Vergleichsschluss, der von der Rechtslage abweicht. Die Vergleichsform wird für die in Wahrheit beabsichtigte Marktaufteilung missbraucht. Insoweit besteht kein Anlass zu einer irgendwie gearteten Privilegierung. Ob die Parteien um die zutreffende rechtliche Beurteilung des vergleichsweise zu regelnden Sachverhaltes wussten, muss außer Betracht bleiben. Ist die Rechtslage indes „objektiv unsicher“, kann in der hierauf bezogenen Vergleichsver733 einbarung auch kein Gesetzesverstoß liegen. Die Parteien beteiligen sich gewissermaßen mit ihrer Vereinbarung an der Klärung der unsicheren Rechtslage. Diese durch Vereinbarung festgestellte Rechtslage bleibt solange verbindlich, wie es nicht zu einer hiervon abweichenden Klärung durch Gerichte oder (Kartell-)Behörden kommt. Indem der BGH auf die „objektive Unsicherheit“ über die Rechtslage im Vergleichszeitpunkt abstellt, wird zugleich die zeitliche Dimension des den Parteien eröffneten Gestaltungsspielraumes definiert. Nur solange die Rechtslage objektiv ungewiss ist, können die Parteien im Verhältnis zueinander das „Recht“ feststellen. Nach abschließender Klärung der Rechtslage – mit Wirkung ex nunc – wird das Festhalten an einem objektiv kartellrechtswidrigen Vergleich einen Kartellverstoß begründen.2028 Auf das Wissen der Parteien um einen Kartellverstoß kommt es in keinem Fall an. Art. 101 734 AEUV enthält keine subjektive Komponente,2029 so dass der gute Glaube der Parteien an die Rechtmäßigkeit ihrer Absprachen für deren Wirksamkeit oder Unwirksamkeit unerheblich ist. Im Ergebnis gelten für den Unterlassungsvertrag bzw. -vergleich im Hinblick auf kartellrechtli2022 BGH 17.3.1993 – XII ZR 256/91 – NJW 1993, 1717, 1719 m. w. N.; OLG Düsseldorf 12.2.1998 – 6 U 87/97 – NJWRR 1999, 68, 69 f.; Musielak/Voit § 307 Rn. 15 (zum Anerkenntnis); Thomas/Putzo/Reichold § 307 Rn. 7 (zum Anerkenntnis). 2023 Jansen/Johannsen EuZW 2012, 893. 2024 Wiedemann/Bumiller § 61 Rn. 14. 2025 BGH 7.6.1962 – KZR 6/60 – BGHZ 37, 194, 198 = GRUR 1963, 43, 45 – Spar; BGH 6.12.1962 – KZR 1/62 – GRUR 1963, 331, 333 – Basaltlava; BGH 1.7.1964 – KZR 12/61 – GRUR 1965, 260, 261 – Flußspat; BGH 25.10.1966 – KZR 7/ 65 – BGHZ 46, 365 – NJW 1967, 1178 – Schweißbolzen. 2026 EuGH 1.6.1999 – C-126/97 – GRUR Int 1999, 737, 739 – Eco Swiss/Benetton; BGH 25.10.1966 – KZR 7/65 – NJW 1967, 1178 – Schweißbolzen. 2027 BGH 5.10.1951 – I ZR 74/50 – BGHZ 3, 193, 197 = GRUR 1952, 141, 144 – Tauchpumpe; BGH 15.2.1955 – I ZR 86/53 – BGHZ 16, 296, 303 f. = GRUR 1955, 418, 420 – Rote Herzwandvase; BGH 22.5.1975 – KZR 9/74 – GRUR 1976, 323, 325 – Thermalquelle; BGH 5.7.2005 – X ZR 14/03 – GRUR 2005, 845, 846 – Abgasreinigungsvorrichtung. 2028 Teplitzky Kap. 11 Rn. 2; Grosch S. 170; Klaka GRUR 1983, 605. 2029 Schwarze/Brinker Art. 101 Rn. 42; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Stockenhuber Art. 101 Rn. 88; Callies/Ruffert/Weiß Art. 101 Rn. 104–106. Herrmann

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che Grenzen keine Sonderregeln. Es wird auch kein Dispens vom Kartellverbot erteilt, der eine gutgläubig-grenzverschiebende Vergleichsregelung gestatten würde. Beginnend mit der Entscheidung Tauchpumpe2030 hat die Rechtsprechung nur dem Umstand Rechnung getragen, dass die objektiven Grenzen der Regelungsmöglichkeiten der Parteien ex ante nicht in jedem Fall feststehen. Rückblickend, insbesondere in Kenntnis einer höchstrichterlichen Entscheidung, wird die Rechtslage vielfach eindeutig erscheinen. Eine solche dem Vergleichsschluss nachfolgende Erkenntnis automatisch auf diesen Zeitpunkt zurück zu beziehen, würde jedoch unbeachtet lassen, dass die Rechtslage bei Vergleichsschluss gerade offen war und nicht mit Sicherheit vorausgesagt werden konnte, wie der vorliegende Sachverhalt von den hierfür zuständigen Stellen beurteilt werden würde.

(3) Gegenseitiges Nachgeben. Streit oder Ungewissheit über Bestehen oder Durchsetzbarkeit 735 eines Anspruches sollen beim Vergleich2031 vertragstypusbedingt nur durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt werden können. Auch eine vollständige Durchsetzung der Position einer Partei könne jedoch Vereinbarungsform annehmen, obschon es sich dann nicht um einen Vergleich im Sinne des § 779 BGB handeln soll.2032 Die herrschende Meinung sieht eine weder qualitativ noch quantitativ zu bewertende2033 mindestens teilweise Aufgabe einer vor Vergleichsschluss eingenommenen Position durch beide Parteien als unverzichtbar an.2034 Ein nur einseitiges Nachgeben (z. B. durch Anerkenntnis des geltend gemachten Anspruches) wird als nicht ausreichend betrachtet.2035 Hinreichend sei hingegen bereits der Verzicht auf einen Vollstreckungstitel nach materiell-rechtlichem Anerkenntnis, ein Nachgeben in der Frage der Kostentragung oder die Unterwerfung unter die Entscheidung in einer Parallelsache.2036 Denn es ist unstreitig nicht erforderlich, dass die jeweiligen Zugeständnisse der Parteien einander gleichwertig sein müssen.2037 Das Nachgeben muss sich nicht auf das streitige Rechtsverhältnis beziehen. Es genügt, wenn irgendeine zuvor vertretene Position ganz oder teilweise aufgegeben wird. Die in der vorigen Rn. angeführten Beispiele für ein „ausreichendes“ gegenseitiges Nachge- 736 ben zeigen, dass die herrschende Lehre keine in sich stimmige Position zu diesem Merkmal hat finden können. Es ist deshalb naheliegend, wenn dieses Erfordernis teilweise für überflüssig gehalten wird.2038 Hierfür spricht zunächst, dass das Merkmal des „gegenseitigen Nachgebens“

2030 BGH 5.10.1951 – I ZR 74/50 – BGHZ 3, 193, 197 f. = GRUR 1952, 141, 144 – Tauchpumpe. 2031 Nicht hingegen beim Einigungsstellenvergleich, vgl. Nippe § 15 Rn. 223; Teplitzky Kap. 42 Rn. 24; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 15 Rn. 26; GK-UWG/Köhler1 § 27a Rn. 96; MünchKommUWG/Ottofülling § 15 Rn. 105; Ottofülling WRP 2006, 410, 422; Ahrens Kap. 13 Rn. 43; Harte/Henning/Retzer/Tolkmitt § 15 Rn. 35; Götting/Nordemann/ Schwipps § 15 Rn. 40; Lehmler § 15 Rn. 22; Büscher/Dittmer/Schiwy/Lehmler § 15 Rn. 23; Melullis Rn. 78; Nieder S. 79. 2032 Vgl. Dornis/Förster GRUR 2006, 195, 196; Melullis Rn. 619; Ahrens/Singer Kap. 32 Rn. 1; Teplitzky Kap. 8 Rn. 5; a. A. Harte/Henning/Brüning § 12 Rn. 121. 2033 BGH 31.1.1963 – III ZR 117/62 – BGHZ 39, 60 = NJW 1963, 637 m. w. N.; BGH 13.4.1970 – III ZR 75/69 – NJW 1970, 1122, 1124; BGH 6.11.1991 – XII ZR 168/90 – NJW-RR 1992, 363, 364; BGH 28.9.2005 – IV Z 288/03 – NJW-RR 2006, 644, 645; Erman/Müller § 779 Rn. 19; vgl. PWW/Brödermann § 779 Rn. 12; Gloy/Loschelder/Erdmann § 90 Rn. 5; Palandt/Sprau § 779 Rn. 9. 2034 RG 12.2.1927 – V 435/26 – RGZ 116, 143, 146; RG 22.1.1935 – VII 254/34 – RGZ 146, 355, 358; BAG 19.9.1958 – 2 AZR 487/55 – NJW 1958, 2085; Dornis/Förster GRUR 2006, 195, 196; Melullis Rn. 619; Ahrens/Singer Kap. 32 Rn. 1; Teplitzky Kap. 8 Rn. 5; PWW/Brödermann § 779 Rn. 12; Staudinger/Marburger § 779 Rn. 27 f.; Erman/Müller § 779 Rn. 19; Palandt/Sprau § 779 Rn. 10. 2035 Erman/Müller § 779 Rn. 19; vgl. PWW/Brödermann § 779 Rn. 12; Gloy/Loschelder/Erdmann § 90 Rn. 5; Staudinger/Marburger § 779 Rn. 27 f.; Palandt/Sprau § 779 Rn. 10; für den Prozessvergleich Ahrens/Singer Kap. 32 Rn. 2 und allgemein in Rn. 1; ebenso auch wieder die anderen drei der ersten in Fn. 37 zitierten Autoren. 2036 Vgl. BGH 31.1.1963 – III ZR 117/62 – BGHZ 39, 60 = NJW 1963, 637; Gloy/Loschelder/Erdmann § 90 Rn. 5; Staudinger/Marburger § 779 Rn. 27; Ahrens/Singer Kap. 32 Rn. 2; Palandt/Sprau § 779 Rn. 9. 2037 MünchKommBGB/Habersack § 779 Rn. 26; Gloy/Loschelder/Erdmann § 90 Rn. 5; Erman/Müller § 779 Rn. 19. 2038 Ehmann S. 124 ff.; differenzierend A. Schäfer S. 206 ff. 743

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heute lediglich als Relikt des gemeinrechtlichen Vergleichsverständnisses erscheint,2039 ohne dass dem Nachgeben der Parteien inhaltlich besondere Bedeutung beigemessen würde. Richtig ist auch, dass es den Parteien freisteht, ihre Rechtsverhältnisse unabhängig von den Tatbestandsmerkmalen des § 779 BGB durch rechtsfeststellende Vereinbarungen zu regeln.2040 Bei dem Tatbestandsmerkmal des gegenseitigen Nachgebens handelt es sich um einen überholten Rechtsformalismus, für den kein Sachgrund besteht. Die weite Auslegung dieses angeblichen Merkmals belegt das Unbehagen der Praxis gegenüber einem solchen Formalismus. Die gebotene Reaktion ist jedoch nicht ein Lippenbekenntnis zu einem überholten Tatbestandsmerkmal, sondern dessen teleologische Reduktion.

737 cc) Form. § 779 BGB sieht für den Vergleichsvertrag keine besondere Form vor. In der Praxis dürften Vergleiche in Wettbewerbssachen jedoch wohl ausnahmslos jedenfalls in Textform abgeschlossen werden. Ein Formerfordernis kann sich jedoch aus den Modalitäten seines Abschlusses oder aus den vergleichsweise getroffenen Regelungen ergeben. Ein vor der Einigungsstelle (§ 15 UWG) geschlossener Vergleich bedarf der Schriftform (§ 15 738 Abs. 7 UWG).2041 Er muss das Datum seines Zustandekommens enthalten und von den bei Abschluss mitwirkenden Mitgliedern der Einigungsstelle sowie von den Parteien unterzeichnet sein. Ein ohne Beachtung dieser Form geschlossener Vergleich ist zwar materiell-rechtlich wirksam, denn das Gesetz spricht vor Statuierung der Formanforderungen davon, dass ein Vergleich bereits „zustande gekommen“ sein muss.2042 Er kann jedoch nicht nach § 15 Abs. 7 Satz 2 Hs. 2 UWG i. V. m. § 797a ZPO mit einer Vollstreckungsklausel versehen werden.2043 Darüber hinaus kann ein Vergleichsschluss nach allgemeinen Regeln formbedürftig sein, 739 wenn darin getroffene Vereinbarungen aus sich heraus formbedürftig sind.2044 Soweit der Vergleich ein Schuldanerkenntnis enthält, muss die dafür geltende Schriftform nicht gewahrt werden (§ 782 BGB). Hingegen bedarf auch im unternehmerischen Verkehr die Vereinbarung einer Schiedsklausel im Vergleichswege der Form des § 1031 ZPO.

740 dd) Prozessvergleich. Für den Prozessvergleich, der stets auch Prozesshandlung ist, müssen die Prozesshandlungsvoraussetzungen erfüllt sein. Die prozessuale Form (Protokollierung) ersetzt im Übrigen alle weiteren Formanforderungen.

c) Rechtsfolgen 741 aa) Allgemeines. Beim außergerichtlichen Vergleich bestimmen sich die Rechtsfolgen nach dem – ggf. durch Auslegung ermittelten – Vergleichsinhalt.2045 Möglich sind neben der Feststellungswirkung auch Verfügungsgeschäfte (Verzicht, Anerkenntnis, Erlass).2046 Unmittelbare Auswirkungen auf ein anhängiges Verfahren hat der außergerichtliche Ver742 gleich nicht.2047 Oft enthält er jedoch Verpflichtungen, bestimmte Prozesshandlungen vorzu2039 2040 2041 2042 2043 2044 Sprau

2045 2046 2047

Dazu MünchKommBGB/Habersack § 779 Rn. 1. MünchKommBGB/Habersack § 779 Rn. 1. Vgl. Nippe § 15 Rn. 221 ff. A. A. Harte/Henning/Retzer/Tolkmitt § 15 Rn. 35. Nippe § 15 Rn. 225. BGH 18.12.2007 – XI ZR 76/06 – NJW-RR 2008, 643, 645; MünchKommBGB/Habersack § 779 Rn. 39; Palandt/ § 779 Rn. 3. Vgl. Rn. 723 ff. Gloy/Loschelder/Erdmann § 90 Rn. 8; Staudinger/Marburger § 779 Rn. 45 f. Vgl. Voraufl./Jacobs Vor § 13 D Rn. 471; Ahrens/Singer Kap 32 Rn. 12.

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nehmen (z. B. Klage- oder Rechtsmittelrücknahme, Erledigterklärung) oder nicht vorzunehmen (z. B. Stellen eines Kostenantrages, weiteres Betreiben des Verfahrens). Der Prozessvergleich ist materiell-rechtlicher Vertrag und Prozesshandlung zugleich.2048 So- 743 weit der Vergleichsgegenstand mit dem Streitgegenstand identisch ist, beendet er unmittelbar das anhängige Verfahren. Der Prozessvergleich ist, soweit er einen vollstreckungsfähigen Inhalt hat, Vollstreckungstitel (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

bb) Sonderregelung des § 779 BGB. Neben den bereits angesprochenen allgemeinen Un- 744 wirksamkeitsgründen2049 enthält § 779 BGB eine Sonderregelung der Rechtsfolgen bei Fehlen der Geschäfts- oder Vergleichsgrundlage. Damit werden Fälle erfasst, die sachlich zur heute in § 313 Abs. 2 BGB geregelten Geschäftsgrundlage zählen, also Umstände, die von den Vergleichsschließenden nicht als streitig angesehen werden, die aber den Regelungshintergrund des Vergleiches mitbestimmen. Deren Fehlen führt nach herkömmlichem Verständnis – abweichend von den Regeln zum Wegfall der Geschäftsgrundlage – ohne Weiteres zum Scheitern der beabsichtigten Rechtsfeststellung, weil eine unzutreffende Grundlage vereinbart und die Rechtsfeststellung deshalb selbst fehlerhaft ist.2050 Die amtliche Überschrift des § 779 BGB („Irrtum über die Vergleichsgrundlage“) erfasst die 745 Wirkungsweise der Vorschrift nur unvollkommen. Denn auf einen Irrtum kommt es gerade nicht an. Es ist wesentlich, die Vergleichsregelung von der Vergleichsgrundlage zu abstrahieren. Irrtümer oder sonstige Fehlvorstellungen über die Stärke der eigenen Position innerhalb des streitigen Rechtsverhältnisses sind immanente Risiken eines jeden Vergleiches.2051 cc) Nachträgliche Änderung der Rechtslage. Außerhalb der Sonderregelung des § 779 ste- 746 hen nachträgliche Änderungen der bei Vergleichsschluss noch zutreffenden gesetzlichen Rahmenbedingungen. Hat der Schuldner gegenüber einem nach Neufassung des § 13 Abs. 2 UWG nicht mehr klagebefugten Verband eine Unterlassungserklärung vergleichsweise abgegeben, kann der Wegfall der Klagebefugnis eine außerordentliche Kündigung der Unterlassungsvereinbarung rechtfertigen,2052 nicht aber einen ipso iure eintretenden Wegfall des Unterlassungsvertrages. Es ist jedoch durch Auslegung der Vergleichsvereinbarung zu klären, ob das Risiko einer späteren Gesetzes- oder Rechtsprechungsänderung nicht von dem Unterlassungsschuldner ausdrücklich übernommen wurde.2053 Für den Regelfall angenommen werden kann dies nicht. Der Schuldner hat keine Veranlassung, die dauernde Unterlassung eines Verhaltens zu versprechen, das Dritten und insbesondere auch dem Gläubiger – nach einer Änderung der Rechtslage – ohne Weiteres erlaubt ist. Die vergleichsweise übernommene Verpflichtung zur Unterlassung stellt das Bestehen einer 747 Unterlassungsverpflichtung auf den Zeitpunkt des Vergleichsschlusses außer Streit. Dabei sind indessen der Fortbestand der gesetzlichen Rahmenbedingungen sowie der sie interpretierenden Rechtsprechung selbst in der Regel nicht Vergleichsgegenstand. Kommt es hier zu einer Ände-

2048 BGH 10.3.1955 – II ZR 201/53 – BGHZ 16, 388 = NJW 1955, 705; BGH 14.5.1987 – III ZR 267/85 – NJW 1988, 65; BGH 21.3.2000 – IX ZR 39/99 – NJW 2000, 1942, 1943; BGH 22.6.2005 – VIII ZR 214/04 – NJW-RR 2005, 1323, 1324; BGH 30.9.2005 – V ZR 275/04 – NJW 2005, 3576, 3577 – Erklärungsadressat für Widerruf eines Prozessvergleichs; Ahrens/Singer Kap. 32 Rn. 2; Zöller/Stöber § 794 Rn. 3; Schuschke/Walker § 794 Rn. 1. 2049 Rn. 726 ff. 2050 Vgl. dazu MünchKommBGB/Habersack § 779 Rn. 62; Gloy/Loschelder/Erdmann § 90 Rn. 10. 2051 MünchKommBGB/Habersack § 779 Rn. 62; Gloy/Loschelder/Erdmann § 90 Rn. 10. 2052 BGH 26.9.1996 – I ZR 265/95 – BGHZ 133, 316 = GRUR 1997, 382, 383 – Altunterwerfung I; BGH 26.9.1996 – I ZR 194/95 – BGHZ 133, 331 = GRUR 1997, 386, 388 – Altunterwerfung II; BGH 5.3.1998 – I ZR 202/95 – GRUR 1998, 953, 954 – Altunterwerfung III; BGH 6.7.2000 – I ZR 243/97 – GRUR 2001, 85, 86 – Altunterwerfung IV. 2053 Gottschalk GRUR 2004, 829; Gloy/Loschelder/Erdmann § 90 Rn. 11. 745

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rung, soll nach § 242 BGB ein Lösungsrecht geboten sein.2054 Will sich der Schuldner auf eine geänderte Rechtsprechung berufen, soll nicht jede abweichende Entscheidung eines „Instanzgerichtes“ ausreichen. Vielmehr sei regelmäßig eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu verlangen.2055 748 Die dargestellten – in der Sache weithin anerkannten – Regeln zur Lösung von einer Vergleichsvereinbarung bleiben jedoch unvollkommen, weil sie eine übergreifende rechtsinhaltliche Rechtfertigung vermissen lassen und die Bedeutung einer Rechtsprechungsänderung nicht stimmig erklären. In der Entscheidung Mescher weis2056 hat der Bundesgerichtshof mit Recht betont, dass es unbillig sei, den Unterlassungsschuldner an einer Verpflichtung festzuhalten, die ihm Wettbewerbshandlungen verbietet, die seinen Mitbewerbern zweifelsfrei erlaubt sind. Hieraus hat er die Konsequenz gezogen, eine höchstrichterliche Entscheidung einer Gesetzesänderung gleichzustellen und dem Unterlassungsschuldner eine Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) zu ermöglichen.2057 Die Zukunftsgerichtetheit des Unterlassungstitels, der eben nicht allein das zwischen den Parteien geltende Recht feststellt, sondern bestimmungsgemäß künftiges Wettbewerbsverhalten regelt, lässt die starren Rechtskraftgrenzen als unangemessen erscheinen und erfordert es, spätere Änderung in weiterem Umfang zu berücksichtigen.2058 Folgerichtig ist auch die Überlegung des BGH,2059 dass Unterlassungstitel strukturell Titeln auf künftig wiederkehrende Leistungen gleichstehen, bei denen ebenfalls (nur) eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Abänderungsklage nach § 323 ZPO2060 rechtfertigen kann.2061 Die Bestandsaufnahme des BGH ist ebenso überzeugend wie die Einschränkung der materi749 ellen Rechtskraft des Unterlassungstitels. In der Literatur war dies für Unterlassungstitel auch zuvor bereits gefordert worden.2062 Warum allein Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung relevant sein sollen, lässt sich hiermit jedoch nicht begründen. Schon im ersten Zugriff erscheint es unrichtig, das Lösungsrecht des Schuldners im Unterlassungsvergleich von einer Änderung gerade der höchstrichterlichen Rechtsprechung2063 abhängig zu machen. Denn es ist letztlich rein zufällig, ob der BGH mit einer bestimmten Streitfrage befasst wird. Hat sich eine Rechtsprechung erst einmal verfestigt, wird die Bereitschaft der Parteien, einen Streitfall bis zum BGH auszuprozessieren, nicht besonders ausgeprägt sein. Zudem ist nicht vorhersehbar, ob ein vom Sachverhalt her „passender“ Fall noch einmal zur Entscheidung ansteht. Ob ein Verfahren vor den staatlichen Gerichten über alle Instanzen geführt wird, kann auch deshalb nicht allein ausschlaggebend für eine relevante Rechtsprechungsänderung sein, weil auch der BGH kein neues Recht setzt, sondern einen Einzelfall zu entscheiden hat. Die Überzeugungskraft der Entscheidungsgründe und das Gebot, wesentlich Gleiches auch gleich zu behandeln, werden zwar ungeachtet der fehlenden formellen Präjudizienbindung in aller Regel für eine Befolgung einer höchstrichterlichen Entscheidung sorgen. Für die Annahme einer verbindlichen Rechtssetzung reicht das aber nicht aus, zumal auch Instanzgerichte, die Einzelfälle entschei2054 BGH 21.4.1983 – I ZR 201/80 – GRUR 1983, 602, 604 – Vertragsstraferückzahlung; BGH 5.9.2001 – XII ZR 108/ 00 – NJW 2001, 3618, 3619.

2055 BGH 2.7.2009 – I ZR 146/07 – GRUR 2009, 1096 Tz. 21 – Mescher weis; Teplitzky Kap 57 Rn. 51; Grosch S. 166 ff.; GK-UWG/Köhler1 Vor § 13 B Rn. 108; vgl. auch Gloy/Loschelder/Erdmann § 90 Rn. 11. BGH 2.7.2009 – I ZR 146/07 – GRUR 2009, 1096 Tz. 21 – Mescher weis. BGH 2.7.2009 – I ZR 146/07 – GRUR 2009, 1096 Tz. 21 – Mescher weis. Der Entscheidung Mescher weis zustimmend auch Teplitzky Kap. 57 Rn. 51 mit Fn. 241. BGH 2.7.2009 – I ZR 146/07 – GRUR 2009, 1096 Tz. 22 – Mescher weis, BGH 8.5.2014 – I ZR 210/12 – GRUR 2014, 797 Rn. 24 – fishtailparka. 2060 Obschon die Rechtsprechung auf § 767 ZPO abstellt; zustimmend Ahrens, Kap. 36a, Rn. 10–14 jedoch auf Inkonsistenzen hinweisend (a. a. O., Rn. 22). 2061 BGH 2.7.2009 – I ZR 146/07 – GRUR 2009, 1096 Tz. 22 – Mescher weis; BGH 8.5.2014 – I ZR 210/12 – GRUR 2014, 797 Rn. 24 – fishtailparka. 2062 Borck WRP 2000, 9, 14; Ahrens Kap. 36 Rn. 198; Ahrens, Kap. 36a Rn. 22. 2063 So BGH 8.5.2014 – I ZR 210/12 – GRUR 2014, 797 Rn. 24 – fishtailparka.

2056 2057 2058 2059

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den, an den Gleichbehandlungssatz gebunden sind und über die Überzeugungskraft ihrer Entscheidungsgründe an dem allgemeinen Diskurs über die richtige Rechtsanwendung teilnehmen.2064 Jeder Vergleich stellt das heutige Recht2065 der Parteien in ihrem Verhältnis zueinander fest. 750 Die „objektive Rechtslage“ ist irrelevant, weil die Parteien eine Streitentscheidung durch ein Gericht gerade vermeiden wollen. Sie schaffen durch ihre Privatautonomie aber auch eine für sie verbindliche normative Grundlage künftigen Verhaltens, die den Rückgriff auf die „objektive Rechtslage“ genauso präkludiert, wie dies bei einem rechtskräftigen Unterlassungsurteil der Fall wäre.2066 Denn der für Vergleiche in Wettbewerbssachen prototypische Unterlassungsvergleich beinhaltet vor allem die Verpflichtung des Schuldners, ein bestimmtes Verhalten, dessen Wettbewerbswidrigkeit der Vergleich auf den Zeitpunkt seines Abschlusses feststellt, künftig zu unterlassen. Damit ist der Unterlassungsvergleich immer auch Dauerschuldverhältnis, soweit er künftige Verhaltenspflichten regelt.2067 Demgegenüber ist nicht überzeugend, das Unterlassungsgebot von dem zu unterlassenden künftigen Verhalten zu trennen.2068 Ein von seinem sachlichen Substrat losgelöstes Verhaltensgebot bzw. eine entsprechende Verpflichtung bliebe ohne Inhalt. Denn ohne das im Wege der Prognose in die geschaffene privatrechtsgestaltende Urteilsnorm (bzw. die entsprechende privatautonom geschaffene Verpflichtung) einzubeziehende Wettbewerbsverhalten ließe sich deren Umfang ebenso wenig bestimmen, wie der Streitgegenstand ohne die Sachverhaltskomponente. In dem Vergleich stellen die Parteien die Rechtslage zwar bezogen auf den Zeitpunkt seines 751 Abschlusses außer Streit. Eine Präjudizierung für alle Zukunft ist damit aber nicht verbunden, da die Rechtsentwicklung dynamisch ist und sich das Recht, auch durch Gesetzesänderung, aber vor allem durch neue Wertungen oder einen „change of the general legal climate“,2069 laufend verändert. Wann eine solche Änderung der Rechtslage eingetreten ist, bleibt Einzelfallentscheidung. Sie ist unabhängig davon zu treffen, ob der Gläubiger nach geltendem Recht (immer noch) 752 einen Anspruch auf Unterlassung hat. Dabei kommt es auch nicht darauf an, ob bei künftigen Zuwiderhandlungen gegen die vertragliche Unterlassungsverpflichtung neben den vertraglichen auch gesetzliche Unterlassungsansprüche entstehen. Hiervon gehen Rechtsprechung2070 und h. L.2071 freilich aus. Denn der strafbewehrte Unterlassungsvergleich erfasst mit seiner Novationswirkung jedenfalls den bei Vergleichsschluss bereits entstandenen materiell-rechtlichen (gesetzlichen) Unterlassungsanspruch.2072 Ändert sich das geltende Recht2073 nach Vergleichsschluss, ist der Schuldner zur außerordentlichen Kündigung der Vergleichsvereinbarung mit Wirkung für die Zukunft berechtigt.2074 Ob er zur rechtsgestaltenden Kündigung verpflichtet ist oder sich auf einen ohne Weiteres eintretenden Wegfall der zukunftsgerichteten Bindungswirkung berufen kann, hängt davon ab, ob der Gläubiger ungeachtet der veränderten Umstände ohne Kündigungserklärung auf den Fortbestand der Vergleichsvereinbarung vertrauen durf-

2064 Für eine „wesentliche Änderung“ Ahrens, Kap. 36a Rn. 22; BGH 8.5.2014 – I ZR 210/12 – GRUR 2014, 797 Rn. 24 – fishtailparka stellt auf eine abweichende „höchstrichterliche Leitentscheidung“ ab.

2065 Grosch S. 121; Staudinger/Marburger § 779 Rn. 37, 70. 2066 Diesen Ansatz ausdrücklich ablehnend Ahrens, Kap. 36 Rn. 13 u. Fn. 18. 2067 Gottschalk GRUR 2004, 827; Grosch S. 178 f., S. 186 f.; für die Unterlassungsvereinbarung Volp GRUR 1984, 490.

2068 2069 2070 2071 2072 2073

So Ahrens, Kap. 36 Rn. 13 unter zustimmendem Verweis auf Zöllner, in: FS für Dölle I, 295, 311 f. Grosch S. 192 ff. BGH 12.7.1993 – I ZR 176/1993 – BGHZ 130, 288 = GRUR 1995, 678, 680 – Kurze Verjährungsfrist. Teplitzky Kap. 12 Rn. 11. BGH 12.7.1993 – I ZR 176/1993 – BGHZ 130, 288 = GRUR 1995, 678, 680 – Kurze Verjährungsfrist. Entgegen BGH 2.7.2009 – I ZR 146/07 – GRUR 2009, 1096 Tz. 21 – Mescher weis ist von einer Änderung des geltenden Rechts nicht nur im Falle einer Änderung gerade der höchstrichterlichen Rechtsprechung auszugehen. 2074 Grosch S. 204 ff. 747

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

te.2075 Ist dies nicht der Fall, entfällt die Bindungswirkung ab dem Zeitpunkt, zu dem die relevante Rechtsänderung eingetreten ist.

753 dd) Novierender Charakter. Unabhängig davon, ob die Unterlassungsverpflichtung mit dem Versprechen einer Vertragsstrafe gesichert wird, was praktisch fast immer geschieht, hat der Unterlassungsvergleich stets novierenden Charakter. Das ist offenkundig, soweit das strafbewehrte Unterlassungsversprechen vorprozessual (z. B. auf Abmahnung hin) abgegeben wird.2076 Das Ziel besteht hier darin, die Wiederholungsgefahr auszuschließen. Das vertragliche Unterlassungsversprechen muss deshalb an die Stelle des gesetzlichen Anspruches treten, da dieser mangels Wiederholungsgefahr nicht mehr gerichtlich festgestellt werden kann.2077 Auch dann, wenn ausnahmsweise keine Vertragsstrafe versprochen wird, bleibt es bei der Novationswirkung des Vergleiches, die von dem sichernden Vertragsstrafeversprechen unabhängig ist.2078 754 Nach hM soll konstruktiv eine nur feststellend (deklaratorisch) wirkende Vereinbarung möglich sein.2079 Den Bedürfnissen der Praxis und dem Regelungswillen der Parteien entspricht eine solche Annahme indessen regelmäßig nicht. Denn es soll dem Gläubiger gerade nicht mehr möglich sein, aufgrund des gesetzlichen Anspruches gegen den Schuldner vorzugehen.2080 Gesetzliche Unterlassungsansprüche Dritter bleiben hiervon unberührt. 755 Im Ergebnis hält auch der BGH einen nur deklaratorisch wirkenden Unterlassungsvertrag für nicht sachgerecht, da die Möglichkeit einer Kündigung aus wichtigem Grund2081 ein vertragliches Dauerschuldverhältnis voraussetzt. Ein gesetzliches Schuldverhältnis kann nicht durch privates Gestaltungsrecht aufgehoben werden. Unabhängig von der im Wesentlichen theoretischen Frage einer novierenden Wirkung des Unterlassungsvergleiches besteht Einigkeit darüber, dass ein unmittelbarer Rückgriff auf die ohne den Vergleichsschluss bestehende Rechtslage ausgeschlossen ist.2082 Das im Vergleich enthaltene Unterlassungsversprechen ist von der „in Wahrheit“ bestehenden Rechtslage abstrakt.2083 Auch eine Kondiktion (§ 812 Abs. 1 BGB) ist bei Änderung der Rechtslage ausgeschlossen. Rechtsgrund des Unterlassungsversprechens ist nicht das Bestehen des gesetzlichen Unterlassungsanspruches, sondern die mit dem Vergleich beabsichtigte Streitbeilegung.2084

3. Inhalte eines Vergleiches in Wettbewerbssachen 756 a) Unterlassungsverpflichtung mit Vertragsstrafeversprechen. Der Unterlassungsvertrag ist die praktisch häufigste Form des Vergleiches in Wettbewerbssachen. Die Unterlassungsverpflichtung ersetzt die zwischen den Parteien streitige gesetzliche Verpflichtung.2085 In der Ge2075 2076 2077 2078 2079

Grosch S. 204 ff. BGH 12.7.1993 – I ZR 176/1993 – BGHZ 130, 288 = GRUR 1995, 678, 680 – Kurze Verjährungsfrist. Köhler GRUR 1996, 231 f. Köhler GRUR 1996, 232. BGH 12.7.1995 – I ZR 176/93 – GRUR 1995, 678, 680 – Kurze Verjährungsfrist; für den Regelfall auch Gloy/ Loschelder/Erdmann § 90 Rn. 8. 2080 Köhler GRUR 1996, 232; zu weiterer Kritik vgl. auch Teplitzky Kap. 12 Rn. 3. 2081 BGH 26.9.1996 – I ZR 265/95 – BGHZ 133, 316 = GRUR 1997, 382, 383 f. – Altunterwerfung I; BGH 26.9.1996 – I ZR 194/95 – BGHZ 133, 331 = GRUR 1997, 386, 388 – Altunterwerfung II; BGH 5.3.1998 – I ZR 202/95 – GRUR 1998, 953, 954 – Altunterwerfung III. 2082 Gottschalk GRUR 2004, 827; Rieble GRUR 1995, 254. 2083 Gottschalk GRUR 2004, 827; MünchKommBGB/Habersack § 779 Rn. 31; Gloy/Loschelder/Erdmann § 90 Rn. 8; Staudinger/Marburger § 779 Rn. 37; Rieble GRUR 1995, 254. 2084 BGH 5.3.1998 – I ZR 202/95 – GRUR 1998, 953, 954 – Altunterwerfung III; Köhler GRUR 1996, 232; Staudinger/ Marburger § 779 Rn. 45 m. w. N. 2085 Gloy/Loschelder/Erdmann § 90 Rn. 30; Staudinger/Marburger § 779 Rn. 37; Teplitzky Kap. 11 Rn. 5. Herrmann

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XI. Vergleich

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staltung empfiehlt es sich in jedem Fall, das Verhältnis der Ansprüche zueinander ausdrücklich klarzustellen.2086 Weil der Unterlassungsvergleich auf seinen Abschlusszeitpunkt das zwischen den Parteien geltende Recht feststellt, bleibt kein Raum für einen Rückgriff auf daneben bestehende materiell-rechtliche Ansprüche gleichen Inhalts.2087 Der Unterlassungsvergleich würde ansonsten seine Funktion verfehlen. Für den Inhalt des Unterlassungsvergleichs gilt zunächst, d. h. außerhalb eines Bezuges zu 757 einer abzuwendenden gerichtlichen Anspruchsdurchsetzung, der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Die Parteien im Rahmen der §§ 134, 138 BGB können grundsätzlich beliebige Unterlassungspflichten vereinbaren.2088 Solche Vergleichsvereinbarungen sind auch dann nicht einschränkend auszulegen, wenn sie mit einer Vertragsstrafe abgesichert werden.2089 Freilich wird ein Unterlassungsvergleich regelmäßig mit dem Ziel abgeschlossen, die Wiederholungsgefahr als Voraussetzung für eine gerichtliche Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs zu beseitigen. Für einen solchen prozessvermeidenden Unterlassungsverpflichtungsvertrag gelten ergänzende Anforderungen, wenn er die Wiederholungsgefahr als Voraussetzung der gerichtlichen Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs beseitigen soll. In einem prozessvermeidenden Unterlassungsverpflichtungsvertrag sollte der Unterlassungsanspruch in Anlehnung an den Wortlaut des § 890 Abs. 1 Satz 1 ZPO formuliert werden und muss das zu regelnde Wettbewerbsverhalten mit hinreichender Bestimmtheit seinem Kern nach konkret erfassen. Weil Ziel und Ergebnis2090 der durch Vergleichsschluss zu vermeidenden gerichtlichen Anspruchsklärung ein Titel wäre, der alle mit der den Streitanlass bildenden konkreten Verletzungshandlung kerngleichen Zuwiderhandlungen erfasst, muss der Unterlassungsanspruch im Unterlassungsverpflichtungsvertrag so beschrieben werden, dass eine gleich weit reichende Klärung der wettbewerblichen Verhaltenspflichten gelingt. Denn nur dann entfällt die Wiederholungsgefahr. Dieser typischen Interessenlage würde es widersprechen, die Reichweite einer vergleichsweise übernommenen Unterlassungsverpflichtung auf die konkrete Verletzungsform einer begangenen Verletzungshandlung zu beschränken. Um Zweifel auszuschließen – die einem Wegfall der Wiederholungsgefahr entgegenstehen würden – sind Vergleichsfassungen, die sich an der konkreten Verletzungsform orientieren, nicht unproblematisch. Sie erreichen das Ziel der Prozessvermeidung nicht sicher und sollten nur verwendet werden, wenn eine Erstreckung auf kerngleiche Verstöße gerade vermieden werden soll. Teilweise wird vertreten, dass sich die Bestimmtheitsanforderungen an die Beschreibung 758 des Wettbewerbsverhaltens im prozessvermeidenden Unterlassungsvergleich danach unterscheiden, ob die Unterlassungsverpflichtung in einem Prozessvergleich oder in einem außergerichtlichen Vergleich getroffen wurde.2091 Überzeugend ist das nicht. Gegen eine abweichende Auslegung außergerichtlicher Vergleichsvereinbarung spricht zunächst der rechtspolitische Gesichtspunkt, diese Form der Streitbeilegung nicht durch zusätzliche Auslegungsunsicherheit zu belasten.2092 Pragmatische Erwägungen genügen jedoch nicht, um die prinzipiellen Friktionen aufzulösen. Zwar ist nicht falsch, dass der Unterlassungsvergleich als privatautonome Vereinbarung nicht am Maßstab der für Sanktionsnormen geltenden Bestimmtheitsanforderungen gemessen werden kann. Hieraus Folgerungen für die konkrete Rechtsanwendung zu ziehen, ist jedoch reine Begriffsjurisprudenz. Es ist nicht einzusehen, warum wesentlich Gleiches – Feststellung des zwischen den Parteien geltenden Rechtes – bei Auslegungszweifeln ungleich behandelt werden soll. Nach den Interessen der Parteien kann es allein darauf ankommen, wel2086 2087 2088 2089 2090

Gloy/Loschelder/Erdmann § 90 Rn. 30. Grosch S. 121; vgl. Staudinger/Marburger § 779 Rn. 37. BGH 20.6.1991 – I ZR 277/89 – GRUR 1992, 61, 62 – Preisvergleichsliste; Teplitzky Kap. 12 Rn. 6. Teplitzky Kap. 8 Rn. 16; ders. WRP 1990, 26. Zur Reichweite des Unterlassungsanspruchs (Erfassung aller kerngleichen Zuwiderhandlungen) vgl. etwa BGH 10.6.2009 – I ZR 37/07 – GRUR 2010, 167 Tz. 22 – Unrichtige Aufsichtsbehörde sowie Teplitzky Kap. 8 Rn. 16. 2091 GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 473; Oppermann WRP 1989, 717. 2092 Teplitzky WRP 1990, 28. 749

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ches Regelungsziel mit dem geschlossenen prozessvermeidenden Unterlassungsvergleich verfolgt wurde. Ist dies – wie regelmäßig – die verbindliche Feststellung der Verhaltenspflichten des Unterlassungsschuldners, müssen auch dieselben Auslegungsmaßstäbe gelten, die für die das gleiche Ziel verfolgende gerichtliche Klärung herangezogen würden. Abweichende Auslegungsregeln wären zudem auch deshalb nicht sachgerecht, weil der vertragsstrafebewehrte Unterlassungsvergleich eine gerichtliche Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs ausschließt. Nach hier vertretener Auffassung führt ein solcher Unterlassungsvergleich zum Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses für eine Unterlassungsklage. Die weitaus herrschende Literatur sowie die gesamte Rechtsprechung gelangen zwar zu demselben Ergebnis (keine Erfolgsaussichten für eine gerichtliche Anspruchsdurchsetzung nach Unterlassungsvergleich), gehen allerdings von einem fortbestehenden Rechtsschutzbedürfnis bei Wegfall der materiellen Anspruchsvoraussetzung der Unterlassungsgefahr aus.2093 Auf diese Unterschiede kommt es hier nicht an. Wenn der Unterlassungsvergleich eine gerichtliche Klärung ausschließt, muss er auch inhaltlich gleich weit reichen. 759 Da der Prozessvergleich als Vollstreckungstitel Normcharakter hat, kann eine darin enthaltene Unterlassungsverpflichtung auch im Wege der Auslegung nur kerngleiche Verstöße erfassen.2094 Es gelten insoweit die allgemeinen Grundsätze zur Bestimmung des Inhaltes von Unterlassungstiteln. Bei einem außergerichtlichen Vergleich gelten die aus der Kerntheorie2095 folgenden Auslegungsgrenzen entsprechend.2096 Die bei einem Verstoß verwirkte Vertragsstrafe ist zwar nicht staatliches Zwangsmittel, sondern privatautonom vereinbarte Rechtsfolge. Obschon deshalb im Grundsatz die allgemeinen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) gelten, sind diese teleologisch so anzuwenden, dass Ergebnisgleichheit erzielt wird. Anderes kann nur in dem Ausnahmefall eines über das konkret streitige Rechtsverhältnis hinausreichenden Vergleiches gelten. Hier kann Veranlassung bestanden haben, eine Unterlassungsverpflichtung mit einer (potentiellen) Reichweite einzugehen, die gerichtlich nicht in gleicher Weise entschieden werden könnte. Der Unterlassungsvergleich entspricht funktional dem Unterlassungsurteil, soweit er auf den Abschlusszeitpunkt das zwischen den Parteien geltende Recht feststellt. Deshalb darf die Auslegung eines außergerichtlichen Vergleiches ungeachtet des abweichenden normativen Auslegungsmaßstabes nicht zu abweichenden Ergebnissen führen. Soweit der Vergleichsgegenstand weitere Sachverhalte mitumfasst, kann eine abweichende Auslegung des Unterlassungsvergleiches erforderlich sein. 760 Bei einer vertraglich übernommenen Unterlassungsverpflichtung hat der Schuldner nach allgemeinen Regeln auch das Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) zu vertreten,2097 während dies im Rahmen des § 890 ZPO nicht der Fall ist.2098 Die Festsetzung eines Ordnungsmittels bedeutet eine strafähnliche Sanktion für den Schuldner und setzt daher per2093 Hierzu Rn. 37. 2094 Grosch S. 71 f.; Staudinger/Marburger § 779 Rn. 110; Michael WRP 2001, 121; Ahrens/Singer Kap. 32 Rn. 6; Zöller/Stöber § 794 Rn. 14a; vgl. zur Auslegung auch BGH 31.3.1993 – XII ZR 234/91 – NJW 1993, 1995, 1996 m. w. N. 2095 RG 2.2.1935 – I 120/34 – RGZ 147, 27, 31; BGH 22.2.1952 – I ZR 117/51 – BGHZ 5, 189 = GRUR 1952, 577, 580 – Zwilling; BGH 19.12.1960 – I ZR 14/59 – GRUR 1961, 288, 294 – Zahnbürsten; BGH 23.2.2006 – I ZR 272/02 – GRUR 2006, 421, 422 – Markenparfümverkäufe; MünchKommZPO/Becker-Eberhard § 253 Rn. 133 ff.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 890 Rn. 4. 2096 HansOLG Hamburg 18.12.1986 – 3 U 138/86 – GRUR 1988, 240 (LS); Oppermann WRP 1989, 717. 2097 BGH 3.4.2014 – I ZB 3/12 – GRUR 2014, 909 Rn. 11 – Ordnungsmittelandrohung nach Prozessvergleich; BGH 15.5.1985 – I ZR 25/83 – GRUR 1985, 1065, 1066 – Erfüllungsgehilfe; BGH 30.4.1987 – I ZR 8/85 – GRUR 1987, 648, 649 – Anwalts-Eilbrief; BGH 30.3.1988 – I ZR 40/86 – GRUR 1988, 561, 562 – Verlagsverschulden; BGH 7.12.1989 – I ZR 237/87 – GRUR 1990, 534 – Abruf-Coupon; BGH 22.1.1998 – I ZR 18/96 – GRUR 1998, 963, 964 – Verlagsverschulden II; OLG München 3.3.1977 – 6 U 1716/76 – WRP 1977, 359, 360; Fezer/Büscher/Obergfell/Büscher § 8 Rn. 202; Gloy/Loschelder/Erdmann § 90 Rn. 32 m. w. N.; Melullis Rn. 640; Ahrens/Singer Kap. 32 Rn. 8 m. w. N.; Teplitzky Kap. 20 Rn. 15 m. w. N. 2098 BGH 15.5.1985 – I ZR 25/83 – GRUR 1985, 1065, 1066 – Erfüllungsgehilfe; OLG Köln 14.10.2008 – 6 W 104/ 08 – GRUR 2009, 192, 193; MünchKommZPO/Gruber § 890 Rn. 22; Musielak/Voit/Lackmann § 890 Rn. 5; Ahrens/ Singer Kap. 32 Rn. 8. Herrmann

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XI. Vergleich

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sönliches Verschulden voraus.2099 Der Schuldner kann sich deshalb in einem Ordnungsmittelverfahren unter Umständen mit der Einrede entlasten, er habe alles ihm Zumutbare getan, um einen Verstoß gegen die Unterlassungsverpflichtung zu verhindern.2100 Ein dem § 890 ZPO entsprechendes Zurechnungsregime würde bei einem Vertragsstrafeversprechen eine ausdrückliche Vereinbarung erfordern,2101 die selten zu bewerkstelligen sein dürfte. Die Höhe einer verwirkten Vertragsstrafe bestimmt sich nach dem Inhalt des Vertragsstrafe- 761 versprechens. Dabei unterliegt die nähere Bestimmung der Verletzungshandlung, für deren Begehung eine Vertragsstrafe versprochen wird, der Parteidisposition.2102 Um Unsicherheiten der einzelfallbezogenen2103 Bestimmung der erfassten Verletzungshandlung zu vermeiden, sollte ausdrücklich geregelt werden, ob die Vertragsstrafe bei mehreren Verstößen mehrfach verwirkt ist oder ob eine Zusammenfassung von Einzelereignissen zulässig ist.2104 Fehlt eine ausdrückliche Vereinbarung, so sind Sinn und Zweck der Vertragsstrafe entscheidend.2105 Für die Zusammenfassung mehrerer Handlungen kann eine hohe Vertragsstrafe sprechen, während ein wirtschaftliches Gleichgewicht oder eine vorsätzliche Begehung dem entgegenstehen.2106 Im kaufmännischen Verkehr ist eine richterliche Herabsetzung einer verwirkten Ver- 762 tragsstrafe nach § 343 Abs. 1 Satz 1 BGB zwar grundsätzlich ausgeschlossen (§ 348 HGB). § 348 HGB stellt jedoch dispositives Recht dar. Seine Abbedingung bedeutet die Inanspruchnahme eines gesetzlich vorgesehenen Kontrollmechanismus und stellt die „Ernstlichkeit“ eines Unterlassungsversprechens nicht in Frage.2107 Steht eine vereinbarte Vertragsstrafe in einem außerordentlichen Missverhältnis zur Bedeutung der Zuwiderhandlung, kann ihre Herabsetzung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 BGB auch ohne Abbedingung des § 348 HGB geboten sein.2108 In diesem Fall ist die Vertragsstrafe allerdings nicht auf die nach § 343 BGB angemessene Höhe, sondern nur auf das Maß zu reduzieren, das ein Eingreifen des Gerichtes nach § 242 BGB noch nicht rechtfertigen würde, so dass eine erhöhte Eingriffsschwelle verbleibt.2109 Es dürfte sich deshalb regelmäßig für Kaufleute empfehlen, bei Abgabe eines strafbewehrten Unterlassungsversprechens § 348 HGB ausdrücklich und unmissverständlich abzubedingen.2110 Eine unmittelbare Vollstreckung eines Vertragsstrafeversprechens ist auch bei Aufnahme 763 in einen Prozessvergleich nicht möglich. Es handelt sich um einen materiell-rechtlichen Anspruch, der erst in einem anschließenden Erkenntnisverfahren durchgesetzt werden muss. 2099 2100 2101 2102 2103

BGH 15.5.1985 – I ZR 25/83 – GRUR 1985, 1065, 1066 – Erfüllungsgehilfe; Ahrens/Singer Kap. 32 Rn. 8. Vgl. BGH 15.5.1985 – I ZR 25/83 – GRUR 1985, 1065, 1066 – Erfüllungsgehilfe. Melullis Rn. 640. BGH 10.12.1992 – I ZR 186/90 – BGHZ 121, 13 = NJW 1993, 721, Leitsatz 1 – Fortsetzungszusammenhang. BGH 25.1.2001 – I ZR 323/98 – BGHZ 146, 318 = GRUR 2001, 758, 759 – Trainingsvertrag; Fezer/Büscher/ Obergfell/Büscher § 8 Rn. 203; Gloy/Loschelder/Erdmann § 90 Rn. 33. 2104 Vgl. zu mehreren Zuwiderhandlungen BGH 20.9.1960 – I ZR 77/59 – BGHZ 33, 163 = GRUR 1961, 307 – Krankenwagen II; BGH 10.12.1992 – I ZR 186/90 – BGHZ 121, 13 = NJW 1993, 721, 722 – Fortsetzungszusammenhang; BGH 17.7.2008 – I ZR 168/05 – GRUR 2009, 181 – Kinderwärmekissen; ausführlich Ahrens/Achilles Kap. 7 Rn. 28 ff.; Gloy/ Loschelder/Erdmann § 90 Rn. 33; ausführlich Teplitzky Kap. 20 Rn. 16 ff. 2105 Fezer/Büscher/Obergfell/Büscher § 8 Rn. 203. 2106 Vgl. Gloy/Loschelder/Erdmann § 90 Rn. 33. 2107 Ausführlich Teplitzky Kap. 8 Rn. 30b mit Nachweisen. 2108 BGH 17.7.2008 – I ZR 168/05 – GRUR 2009, 181, 183 f. – Kinderwärmekissen: Die Herabsetzung einer Vertragsstrafe nach § 242 BGB kommt auch dann in Betracht, wenn sie von einem Kaufmann im Betreiben seines Handelsgewerbes versprochen ist, und mithin eine Herabsetzung nach § 343 HGB aufgrund von § 348 HGB ausgeschlossen wäre, vgl. insoweit auch BGH 18.9.1997 – I ZR 71/95 – GRUR 1998, 471, 474: das „Sammeln“ von Verstößen in der Absicht, einen hohen Vertragsstrafeanspruch entstehen zu lassen, verstößt gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wobei § 348 HGB einer Herabsetzung auf Grund von § 242 BGB nicht entgegensteht; vgl. auch Staudinger/ Marburger § 779 Rn. 87. 2109 BGH 17.7.2008 – I ZR 168/05 – GRUR 2009, 181, 184 – Kinderwärmekissen: Bei der Bestimmung der Höhe kann das Doppelte der nach § 343 HGB angemessenen Vertragsstrafe als Anhaltspunkt dienen. 2110 Teplitzky Kap. 8 Rn. 30b. 751

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Vertragsstrafe und Ordnungsmittel verfolgen unterschiedliche Zwecke.2111 Während die gesetzlichen Ordnungsmittel eine strafähnliche Sanktion für den Verstoß gegen einen vollstreckbaren Unterlassungstitel darstellen, kommt der Vertragsstrafe auch eine Kompensationsfunktion zu.2112 Sie soll als schuldrechtliche Vereinbarung die Vertragserfüllung sichern2113 und dient zugleich der Schadenspauschalierung.2114 Angesichts der unterschiedlichen Zielrichtung kann der Gläubiger grundsätzlich sowohl die Vertragsstrafe verlangen als auch die Festsetzung eines Ordnungsmittels beantragen.2115 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordert indessen regelmäßig eine Berücksichtigung des ersten festgesetzten Zwangsmittels (i. w. S.) jedenfalls bei der Bemessung der Höhe des zweiten.2116 Da das Ordnungsgeld der Staatskasse zufließt, wird ein Gläubiger, der beide Möglichkeiten ausnutzen will, zunächst die Vertragsstrafe verlangen und erst nach deren rechtskräftiger Titulierung einen Ordnungsmittelantrag stellen.2117 Gegen ein solches Prozessverhalten ist rechtlich nichts einzuwenden.2118 765 Die Unterlassungsverpflichtung ist hingegen aus einem Prozessvergleich unmittelbar vollstreckbar. Sie erfordert allerdings eine vorherige Androhung des Ordnungsmittels durch das Prozessgericht erster Instanz (§ 890 Abs. 2 ZPO). Als Hoheitsakt kann die Androhung der Festsetzung von Ordnungsmitteln nicht im Prozessvergleich selbst erfolgen, sondern erfordert einen selbständigen Beschluss des Prozessgerichtes erster Instanz.2119 Bei Vergleichsschluss in erster Instanz kann dieser Beschluss im Anschluss an die Protokollierung des Vergleiches verkündet werden.

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2111 BGH 3.4.2014 – I ZB 3/12 – GRUR 2014, 909 Rn. 11 – Ordnungsmittelandrohung nach Prozessvergleich. 2112 BGH 3.4.2014 – I ZB 3/12 – GRUR 2014, 909 Rn. 11 – Ordnungsmittelandrohung nach Prozessvergleich; BGH 12.7.1995 – I ZR 176/93 – GRUR 1995, 678, 680 f. – Kurze Verjährungsfrist; BGH 5.2.1998 – III ZR 103/97 – BGHZ 138, 67 = GRUR 1998, 1053, 1054 – Vertragsstrafe/Ordnungsgeld; Fezer/Büscher/Obergfell/Büscher § 8 Rn. 211. 2113 BGH 18.9.1997 – I ZR 71/95 – GRUR 1998, 471, 474 – Modenschau im Salvatorkeller: Sinn ist, dem Schuldner frühzeitig vor Augen zu führen, dass der Gläubiger auf die Einhaltung der Unterlassungsverpflichtung besteht und nicht, den Schuldner in finanzielle Schwierigkeiten zu treiben. 2114 So BGH 20.9.1960 – I ZR 77/59 – BGHZ 33, 163 = GRUR 1961, 307, 309 – Krankenwagen II; BGH 30.9.1993 – I ZR 54/91 – GRUR 1994, 146, 147 – Vertragsstrafebemessung; BGH 5.2.1998 – III ZR 103/97 – BGHZ 138, 67 = GRUR 1998, 1053, 1054 – Vertragsstrafe/Ordnungsgeld; OLG Frankfurt 30.4.2004 – 11 U 10/04 – GRUR-RR 2004, 375, 376 – Unklare Unterlassungserklärung; Fezer/Büscher/Obergfell/Büscher § 8 Rn. 211; Palandt/Grüneberg § 339 Rn. 1; Ahrens/Singer Kap. 32 Rn. 8; Teplitzky Kap. 20 Rn. 1. 2115 BGH 3.4.2014 – I ZB 3/12 – GRUR 2014, 909 Rn. 11 – Ordnungsmittelandrohung nach Prozessvergleich; BGH 5.2.1998 – III ZR 103/97 – BGHZ 138, 67 = GRUR 1998, 1053, 1054 – Vertragsstrafe/Ordnungsgeld; BGH GRUR 2010, 355 Tz. 32 – Testfundstelle; vgl. auch BGH 1.6.1983 – I ZR 78/81 – GRUR 1984, 72 = WRP 1984, 14, 16 = NJW 1984, 919, 920 f. – Vertragsstrafe für versuchte Vertreterabwerbung; OLG Karlsruhe 17.11.1995 – 4 W 99/95 – WRP 1996, 445, 447 – Durchführungsverbot; OLG Köln 26.5.1986 – 6 W 36/86 – GRUR 1986, 688 – Vertragsstrafe und Bestrafung; Harte/Henning/Brüning Vorb. § 12 Rn. 282; Fezer/Büscher/Obergfell/Büscher § 8 Rn. 211; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 12 Rn. 2.128; Gloy/Loschelder/Erdmann § 90 Rn. 22; Melullis Rn. 644; Ahrens/Singer Kap. 32 Rn. 8; Teplitzky Kap. 20 Rn. 22. 2116 BGH 3.4.2014 – I ZB 3/12 – GRUR 2014, 909 Rn. 11 – Ordnungsmittelandrohung nach Prozessvergleich; BGH GRUR 2010, 355 Tz. 32 – Testfundstelle; BGH 5.2.1998 – III ZR 103/97 – GRUR 1998, 1053, 1054 – Vertragsstrafe/ Ordnungsgeld; OLG Köln 26.5.1986 – 6 W 36/86 – GRUR 1986, 688, 689 – Vertragsstrafe und Bestrafung; siehe auch Harte/Henning/Brüning Vorb. § 12 Rn. 282 mit der Empfehlung, zunächst die Vertragsstrafe geltend zu machen, da so das Ordnungsgeld, welches der Staatskasse zufließt, herabgesetzt wird; MünchKommUWG/Ehricke Vor § 12 Rn. 144; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.128: das Interesse des Gläubigers an einem Mindestschadensersatz ist insoweit zu berücksichtigen; Nieder WRP 2001, 119; Ahrens/Singer Kap. 32 Rn. 9; Teplitzky Kap. 20 Rn. 22. 2117 Vgl. auch Harte/Henning/Brüning Vorb. § 12 Rn. 282. 2118 BGH 3.4.2014 – I ZB 3/12 – GRUR 2014, 909 Rn. 14 – Ordnungsmittelandrohung nach Prozessvergleich. 2119 BGH GRUR 2012, 957 Tz. 7 ff. – Vergleichsabschluss im schriftlichen Verfahren (erforderlich auch dann, wenn der Vergleich gemäß § 278 ZPO zustande kommt); Köhler/Bornkamm/Feddersen, § 12 Rn. 2.128; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 890 Rn. 7; Zöller/Stöber § 890 Rn. 12a, 14. Herrmann

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XI. Vergleich

Vor §§ 12–15a A

b) Regelung von Nebenansprüchen. Die Nebenansprüche auf Schadensersatz, Auskunft und 766 Rechnungslegung werden bei Wettbewerbsverstößen in einem Vergleich regelmäßig nur in der Weise geregelt, dass der Gläubiger auf diese Ansprüche verzichtet. Schadensersatzansprüche für begangene Wettbewerbsverstöße sind praktisch ohnedies nur schwer mit vertretbarem Aufwand durchsetzbar und bieten sich deshalb als Verhandlungsmasse bei einem Vergleichsschluss an. Dies gilt auch für die Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung, da sie die Durchsetzung eines Schadensersatzanspruches vorbereiten. Wenn der Gläubiger diese Ansprüche positiv regeln will – statt auf sie zu verzichten – dürfte der Schuldner nicht bereit sein, überhaupt einen Vergleich zu schließen.

c) Aufbrauchfrist.2120 Sie zu erlangen, wird häufig Hauptmotivation des Schuldners zum Ver- 767 gleichsschluss sein. Im Rahmen einer vereinbarten Aufbrauchfrist kann der Schuldner das als wettbewerbswidrig außer Streit gestellte Verhalten zunächst fortsetzen. Ohne ausdrückliche Regelung erfasst die Einräumung einer Aufbrauchfrist Schadensersatz- und Auskunftsansprüche nicht. Es empfiehlt sich daher, diese in der Vergleichsvereinbarung ausdrücklich mit aufzunehmen.2121

4. Besonderheiten des Prozessvergleiches Der Prozessvergleich hat eine Doppelnatur als materiell-rechtlicher Vertrag einerseits und als 768 Prozesshandlung andererseits.2122 Er regelt nicht nur das streitige Rechtsverhältnis zwischen den Parteien, sondern wirkt auch unmittelbar auf das Prozessrechtsverhältnis ein. Dabei stehen das materiell-rechtliche und das prozessuale Element nicht beziehungslos nebeneinander, sondern bedingen einander.2123 Ein Prozessvergleich ist deshalb nur dann wirksam, wenn sowohl die materiell-rechtlichen als auch die prozessualen Voraussetzungen erfüllt sind.2124 Die (anfängliche) Unwirksamkeit entweder des prozessualen oder des materiell-rechtli- 769 chen Teils (§ 779 BGB) eines Prozessvergleiches hat dessen Gesamtunwirksamkeit zur Folge. Das Verfahren ist dann nicht beendet, sondern durch Antrag auf Terminbestimmung fortzusetzen. Wendet der Schuldner hingegen eine von ihm erklärte außerordentliche Kündigung der im Vergleich enthaltenen Unterlassungsvereinbarung, einen Wegfall der Geschäftsgrundlage oder einen sonstigen nachträglich eingetretenen Umstand ein, ändert dies nichts an der prozessbeendenden Wirkung des Vergleichs. Die entsprechende Einwendung ist vielmehr in einem neuen Verfahren (z. B. § 767 ZPO) geltend zu machen. Eine Differenzierung zwischen anfänglicher (insbes. § 779 Abs. 1 BGB) und nachträglicher Un- 770 wirksamkeit eines Prozessvergleichs2125 scheint zunächst mit dessen Doppelnatur unvereinbar zu sein.2126 Es erscheint prima facie sachlich nicht angemessen, bei Fehlen der Vergleichsgrundlagen den „alten“ Prozess fortzusetzen, während bei einer außerordentlichen Kündigung aufgrund eines 2120 Zur Aufbrauchfrist vgl. D. 2121 Gloy/Loschelder/Erdmann § 90 Rn. 36. 2122 BGH 10.3.1955 – II ZR 201/53 – BGHZ 16, 388 = NJW 1955, 705; BGH 25.1.1980 – I ZR 60/78 – NJW 1980, 1753, 1754; BGH 3.12.1980 – VIII ZR 274/79 – BGHZ 79, 71 = NJW 1981, 823, 823 f.; BGH 21.3.2000 – IX ZR 39/99 – NJW 2000, 1942, 1943; BGH 22.6.2005 – VIII ZR 214/04 – NJW-RR 2005, 1323, 1324; BGH 30.9.2005 – V ZR 275/04 – BGHZ 164, 190 = NJW 2005, 3576, 3577; Staudinger/Marburger § 779 Rn. 91; Ahrens/Singer Kap. 32 Rn. 2; Palandt/Sprau § 779 Rn. 29; Zöller/Stöber § 794 Rn. 3; zum Meinungsstand vgl. auch Rosenberg/Schwab/Gottwald § 130 Rn. 29 ff. 2123 Ahrens/Singer Kap. 32 Rn. 2; Zöller/Stöber § 794 Rn. 3. 2124 BGH 30.9.2005 – V ZR 275/04 – BGHZ 164, 190 = NJW 2005, 3576, 3577 – Erklärungsadressat für Widerruf eines Prozessvergleichs; Gloy/Loschelder/Erdmann § 90 Rn. 16; Palandt/Sprau § 779 Rn. 30. 2125 Vgl. dazu die Nachweise bei Staudinger/Marburger § 779 Rn. 114. 2126 Eine Differenzierung ablehnend: Staudinger/Marburger § 779 Rn. 115; vgl. auch Gloy/Loschelder/Erdmann § 90 Rn. 27. 753

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

strukturell ebenfalls als Wegfall der Geschäftsgrundlage zu begreifenden Ereignisses hingegen ein neues Verfahren zu verlangen wäre. Obschon der Grundsatz der Prozessökonomie unterschiedslos dafür spricht, einen aufgetretenen Streit in dem alten Verfahren auszutragen,2127 ist die Differenzierung zwischen anfänglichen und nachträglichen Unwirksamkeitsgründen trotzdem richtig. Bei anfänglicher Unwirksamkeit ist der Rechtsstreit durch den Vergleich nur scheinbar beendet worden und blieb aufgrund der Unwirksamkeit des Vergleiches als Prozesshandlung dennoch anhängig. Angesichts der fortbestehenden Rechtshängigkeit muss ein Unwirksamkeitsgrund im „alten“ Verfahren geltend gemacht werden. War der Prozessvergleich hingegen zunächst wirksam, hat er auch die Rechtshängigkeit des Verfahrens beendet. Für dessen „Fortsetzung“ fehlt es an einem Prozessrechtsverhältnis, das wieder aufgenommen werden könnte. Der Prozessvergleich ist Vollstreckungstitel, soweit die darin enthaltenen Verpflichtungen einen vollstreckungsfähigen Inhalt haben. Ist eine Unterlassungsverpflichtung vereinbart, erfordert deren Vollstreckung noch die Androhung des Ordnungsmittels (§ 890 Abs. 2 ZPO) durch Beschluss des Vollstreckungsgerichtes.2128 Wird der Vergleich vor dem Prozessgericht erster Instanz geschlossen, wird es sich anbieten, die Ordnungsmittelandrohung im Anschluss an die Protokollierung des Vergleiches durch Beschluss mit zu erledigen. Einen Teilvergleich nur für ein Verfahren einstweiliger Verfügung abzuschließen, ist zwar theoretisch möglich, dürfte aber regelmäßig nicht sinnvoll sein. Vorzugswürdig ist es, bei einem Vergleichsschluss im Verfügungsverfahren auch das mögliche Hauptsacheverfahren zu erledigen. Die Auslegung eines im Verfügungsverfahren geschlossenen Vergleichs wird regelmäßig ergeben, dass die Parteien eine Gesamterledigung des streitigen Rechtsverhältnisses und nicht nur des Eilverfahrens erreichen wollten. Notwendig ist dies indessen nicht, zumal auch eine Regelung nur des Zwischenzeitraums bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache Gegenstand eines Vergleichs sein kann.2129 Eine Klarstellung des Vergleichsgegenstandes sollte deshalb in jedem Fall Bestandteil der Vergleichsregelung sein. Sofern ausnahmsweise ein Teilvergleich nur über den Gegenstand des Verfügungsverfahrens gewollt ist, sollte dieser auch eine eigenständige Kostenregelung enthalten. Die Vereinbarung einer automatischen Erstreckung der Kostenentscheidung der Hauptsache ist sachwidrig, da bei Vergleichsschluss im Verfügungsverfahren noch nicht feststeht, welche Ansprüche genau Gegenstand einer Hauptsache sein werden.2130 Prozessvergleiche werden häufig unter dem Vorbehalt des Widerrufs abgeschlossen. Darin liegt die Vereinbarung einer aufschiebenden Bedingung.2131 Die Widerrufsfrist kann von den Parteien in eigener Verantwortung verlängert werden.2132 Eine Wiedereinsetzung bei Fristversäumnis kommt deshalb nicht in Betracht.2133 Der Prozessvergleich bedarf der Aufnahme in das Protokoll (§ 160 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) und muss den Beteiligten vorgelesen sowie von ihnen genehmigt werden (§ 162 Abs. 1 ZPO). Wird diese Form nicht gewahrt, kann der Vergleich u. U. als außergerichtlicher Vergleich aufrechterhalten bleiben, wenn dies dem Parteiwillen entspricht.2134 2127 2128 2129 2130 2131 2132

Rosenberg/Schwab/Gottwald § 130 Rn. 49; Staudinger/Marburger § 779 Rn. 115 m. w. N. Vgl. schon Rn. 765. Teplizky Kap. 55 Rn. 34. Teplizky Kap. 55 Rn. 34. Ahrens/Singer Kap. 32 Rn. 4. BGH 15.11.1973 – VII ZR 56/73 – BGHZ 61, 394 = NJW 1974, 107, 108; BGH 25.1.1980 – I ZR 60/78 – NJW 1980, 1753, 1754; Ahrens/Singer Kap. 32 Rn. 4. 2133 BGH 15.11.1973 – VII ZR 56/73 – BGHZ 61, 394 = NJW 1974, 107, 107 f.; BGH 1.12.1994 – IX ZR 131/94 – NJW 1995, 521, 522 m. w. N.; MünchKommBGB/Habersack § 779 Rn. 84; Gloy/Loschelder/Erdmann § 90 Rn. 18; Staudinger/ Marburger § 779 Rn. 108 m. w. N.; Thomas/Putzo/Seiler § 794 Rn. 23; a. A. Stein/Jonas/Roth § 233 Rn. 12: analoge Anwendung der Vorschriften über die Wiedereinsetzung, jedoch empfiehlt er aufgrund der entgegenstehenden Rechtsprechung eine Vereinbarung der analogen Anwendung der §§ 230 ff. ZPO im Prozessvergleich. 2134 BGH 24.10.1984 – IVb ZR 35/83 – NJW 1985, 1962, 1963; MünchKommBGB/Habersack § 779 Rn. 87; Gloy/ Loschelder/Erdmann § 90 Rn. 28; Ahrens/Singer Kap. 32 Rn. 10; Zöller/Stöber § 794 Rn. 15. Herrmann

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XI. Vergleich

Vor §§ 12–15a A

Für die Kosten gilt § 98 ZPO. Danach sind die Kosten von Vergleich und erledigtem Rechts- 775 streit als gegeneinander aufgehoben anzusehen. Den Parteien bleibt es natürlich unbenommen, eine abweichende Kostenregelung zu treffen. Sie müssen dies allerdings ausdrücklich tun,2135 z. B. indem sie eine negative Kostenregelung treffen oder eine übereinstimmende Erledigterklärung nach § 91a ZPO vereinbaren. Mangels ausdrücklicher Regelung im Vergleich bleibt es bei § 98 ZPO.2136 Die aus „optischen Gründen“ nicht selten gewünschte Kostenaufhebung hat den Nachteil, dass leicht über die erfassten Kostenpositionen (z. B. Gutachterkosten, Kosten eines Patentanwalts) Streit entstehen kann. Eine möglichst detaillierte Regelung der Kostentragung kann dies vermeiden. Häufig wird der eigentliche Prozessvergleich nach Annahme einer außergerichtlich angebo- 776 tenen Unterwerfungserklärung auf die Kostenregelung beschränkt (sog. Kostenvergleich). Wenn die Unterwerfungserklärung die Wiederholungsgefahr beseitigt hat, ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. Schließt sich dann der Unterlassungsschuldner der Erledigterklärung des Klägers an, ist ein Vergleich über die Kostentragung in aller Regel sinnvoll. Ansonsten müsste der in der Sache bereits beigelegte Rechtsstreit für die Zwecke der Festlegung der Kostenquoten doch noch streitig entschieden werden. Den kostenmäßigen Vorteilen eines in dieser Weise beschränkten Vergleiches steht das Fehlen eines Vollstreckungstitels für die Unterlassungsverpflichtung als möglicher Nachteil gegenüber.

XII. Zwangsvollstreckung Schrifttum Altmeppen Die Bindung des Schuldners an Unterlassungsurteile in ihrer Abhängigkeit von der Sicherheitsleistung und der Veranlasserhaftung des Gläubigers, WM 1989, 1157; Böhm Die Bestrafung nach § 890 ZPO, MDR 1974, 441; Borck Ab wann ist die Zuwiderhandlung gegen eine Unterlassungsverfügung sanktionierbar gem. § 890 ZPO? WRP 1989, 360; ders. Der Streit um den Titelfortfall und immer noch kein Ende? WRP 1994, 656; Brehm Die Zwangsvollstreckung nach §§ 888, 890 n. F. ZPO, NJW 1975, 249; ders. Die Vollstreckung der Beseitigungspflicht nach § 890 ZPO – zugleich ein Beitrag zur Abgrenzung des Unterlassungsanspruchs vom Beseitigungsanspruch, ZZP 89 (1976), 178; ders. § 890 n. F. ZPO: Sprachregelung oder sachliche Änderung? NJW 1976, 1730; Dietrich Die Individualvollstreckung: Materielle und methodische Probleme der Zwangsvollstreckung nach den §§ 883–898 ZPO (1976); Fritzsche Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage (2000); Grosch Rechtswandel und Rechtskraft bei Unterlassungsurteilen (2002); Henckel Gedanken zur Entstehung und Geschichte der Zivilprozeßordnung, FS Bruns (1980) 111; ders. Vorbeugender Rechtsschutz im Zivilrecht, AcP 74 (1974), 97; Kannowski/Distler Der Erfüllungseinwand im Vollstreckungsverfahren nach § 887 ZPO, NJW 2005, 865; Kramer Der richterliche Unterlassungstitel im Wettbewerbsrecht; Lindacher Zur Natur der Strafe nach § 890 ZPO, ZPP 85 (1972), 239; Lindacher Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch – Das Verhältnis der wettbewerbsrechtlichen Abwehransprüche im Spiegel des Erkenntnisverfahrens-, Vollstreckungs- und Verjährungsrechts, GRUR 1985, 423; Meyer Zwangsvollstreckung zur Erwirkung von Unterlassungen, ZZP 15 (1891), 477; Münzberg Zur Zwangsvollstreckung nach Wegfall des Titels durch Erledigungserklärung, WRP 1990, 425; Oppermann Unterlassungsanspruch und materielle Gerechtigkeit im Wettbewerbsprozeß – Zur Entstehung und Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen im Wettbewerbsrecht und im gewerblichen Sonderrechtsschutz (1993); Pastor Der neue Strafcharakter wettbewerblicher Unterlassungsvollstreckung nach § 890 ZPO, WRP 1981, 299; ders. Die Unterlassungsvollstreckung nach § 890 ZPO, 3. Aufl. (1982); Pietzcker Unterlassungsvollstreckung nach § 890 ZPO (1982); Stein Zu dem Gesetzesentwurf, betreffend die Abänderung der Civilprozessordnung, ZZP 24 (1898), 209; Teplitzky Das Verhältnis des objektiven Beseitungsanspruchs zum Unterlassungsanspruch im Wettbewerbsrecht, WRP 1984, 365; Ulrich Der Streit um den Titelfortfall – und ein Ende? WRP 1992, 147; ders. Die Vollstreckungsabwehrklage in Wettbewerbssachen, FS Traub (1994) 423.

2135 Ist der Vergleich (ausnahmsweise) auf das Verfügungsverfahren beschränkt, sollte in jedem Fall auch eine autonome Kostenregelung im Vergleich selbst getroffen werden. Der Verweis auf das Hauptsacheverfahren und dessen Ausgang ist mit vielen Unwägbarkeiten behaftet, zumal nicht einmal sicher ist, dass dort überhaupt eine Kostenentscheidung getroffen wird, vgl. Teplitzky/Feddersen, Kap. 55 Rn. 34, Ahrens/Singer, Kap. 32 Fn. 50. 2136 Vgl. BGH 8.12.2006 – V ZR 249/05 – NJW 2007, 835, 836; Zöller/Herget § 98 Rn. 6; Ahrens/Singer Kap. 32 Rn. 11. 755

Grosch

XI. Vergleich

Vor §§ 12–15a A

Für die Kosten gilt § 98 ZPO. Danach sind die Kosten von Vergleich und erledigtem Rechts- 775 streit als gegeneinander aufgehoben anzusehen. Den Parteien bleibt es natürlich unbenommen, eine abweichende Kostenregelung zu treffen. Sie müssen dies allerdings ausdrücklich tun,2135 z. B. indem sie eine negative Kostenregelung treffen oder eine übereinstimmende Erledigterklärung nach § 91a ZPO vereinbaren. Mangels ausdrücklicher Regelung im Vergleich bleibt es bei § 98 ZPO.2136 Die aus „optischen Gründen“ nicht selten gewünschte Kostenaufhebung hat den Nachteil, dass leicht über die erfassten Kostenpositionen (z. B. Gutachterkosten, Kosten eines Patentanwalts) Streit entstehen kann. Eine möglichst detaillierte Regelung der Kostentragung kann dies vermeiden. Häufig wird der eigentliche Prozessvergleich nach Annahme einer außergerichtlich angebo- 776 tenen Unterwerfungserklärung auf die Kostenregelung beschränkt (sog. Kostenvergleich). Wenn die Unterwerfungserklärung die Wiederholungsgefahr beseitigt hat, ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. Schließt sich dann der Unterlassungsschuldner der Erledigterklärung des Klägers an, ist ein Vergleich über die Kostentragung in aller Regel sinnvoll. Ansonsten müsste der in der Sache bereits beigelegte Rechtsstreit für die Zwecke der Festlegung der Kostenquoten doch noch streitig entschieden werden. Den kostenmäßigen Vorteilen eines in dieser Weise beschränkten Vergleiches steht das Fehlen eines Vollstreckungstitels für die Unterlassungsverpflichtung als möglicher Nachteil gegenüber.

XII. Zwangsvollstreckung Schrifttum Altmeppen Die Bindung des Schuldners an Unterlassungsurteile in ihrer Abhängigkeit von der Sicherheitsleistung und der Veranlasserhaftung des Gläubigers, WM 1989, 1157; Böhm Die Bestrafung nach § 890 ZPO, MDR 1974, 441; Borck Ab wann ist die Zuwiderhandlung gegen eine Unterlassungsverfügung sanktionierbar gem. § 890 ZPO? WRP 1989, 360; ders. Der Streit um den Titelfortfall und immer noch kein Ende? WRP 1994, 656; Brehm Die Zwangsvollstreckung nach §§ 888, 890 n. F. ZPO, NJW 1975, 249; ders. Die Vollstreckung der Beseitigungspflicht nach § 890 ZPO – zugleich ein Beitrag zur Abgrenzung des Unterlassungsanspruchs vom Beseitigungsanspruch, ZZP 89 (1976), 178; ders. § 890 n. F. ZPO: Sprachregelung oder sachliche Änderung? NJW 1976, 1730; Dietrich Die Individualvollstreckung: Materielle und methodische Probleme der Zwangsvollstreckung nach den §§ 883–898 ZPO (1976); Fritzsche Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage (2000); Grosch Rechtswandel und Rechtskraft bei Unterlassungsurteilen (2002); Henckel Gedanken zur Entstehung und Geschichte der Zivilprozeßordnung, FS Bruns (1980) 111; ders. Vorbeugender Rechtsschutz im Zivilrecht, AcP 74 (1974), 97; Kannowski/Distler Der Erfüllungseinwand im Vollstreckungsverfahren nach § 887 ZPO, NJW 2005, 865; Kramer Der richterliche Unterlassungstitel im Wettbewerbsrecht; Lindacher Zur Natur der Strafe nach § 890 ZPO, ZPP 85 (1972), 239; Lindacher Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch – Das Verhältnis der wettbewerbsrechtlichen Abwehransprüche im Spiegel des Erkenntnisverfahrens-, Vollstreckungs- und Verjährungsrechts, GRUR 1985, 423; Meyer Zwangsvollstreckung zur Erwirkung von Unterlassungen, ZZP 15 (1891), 477; Münzberg Zur Zwangsvollstreckung nach Wegfall des Titels durch Erledigungserklärung, WRP 1990, 425; Oppermann Unterlassungsanspruch und materielle Gerechtigkeit im Wettbewerbsprozeß – Zur Entstehung und Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen im Wettbewerbsrecht und im gewerblichen Sonderrechtsschutz (1993); Pastor Der neue Strafcharakter wettbewerblicher Unterlassungsvollstreckung nach § 890 ZPO, WRP 1981, 299; ders. Die Unterlassungsvollstreckung nach § 890 ZPO, 3. Aufl. (1982); Pietzcker Unterlassungsvollstreckung nach § 890 ZPO (1982); Stein Zu dem Gesetzesentwurf, betreffend die Abänderung der Civilprozessordnung, ZZP 24 (1898), 209; Teplitzky Das Verhältnis des objektiven Beseitungsanspruchs zum Unterlassungsanspruch im Wettbewerbsrecht, WRP 1984, 365; Ulrich Der Streit um den Titelfortfall – und ein Ende? WRP 1992, 147; ders. Die Vollstreckungsabwehrklage in Wettbewerbssachen, FS Traub (1994) 423.

2135 Ist der Vergleich (ausnahmsweise) auf das Verfügungsverfahren beschränkt, sollte in jedem Fall auch eine autonome Kostenregelung im Vergleich selbst getroffen werden. Der Verweis auf das Hauptsacheverfahren und dessen Ausgang ist mit vielen Unwägbarkeiten behaftet, zumal nicht einmal sicher ist, dass dort überhaupt eine Kostenentscheidung getroffen wird, vgl. Teplitzky/Feddersen, Kap. 55 Rn. 34, Ahrens/Singer, Kap. 32 Fn. 50. 2136 Vgl. BGH 8.12.2006 – V ZR 249/05 – NJW 2007, 835, 836; Zöller/Herget § 98 Rn. 6; Ahrens/Singer Kap. 32 Rn. 11. 755

Grosch

Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Übersicht 1.

Unterlassungsvollstreckung 777 777 a) Allgemeines 777 aa) Historie bb) Die Rechtsnatur des Ordnungsmit778 tels cc) Verfassungsgerichtliche Rechtspre779 chung 780 dd) Gliederung 781 b) Vollstreckungsvoraussetzungen 782 aa) Titel und Vollstreckbarkeit 783 (1) Urteile (a) Vorläufig vollstreckbare oder rechtskräftige Ur783 teile (b) Einzelheiten der Sicher784 heitsleistung (aa) Zweck und Höhe der Sicherheitsleis784 tung (bb) Teilsicherheitsleis786 tung 787 (cc) § 718 ZPO (dd) Art der Sicherheitsleistung und Nachweis der Erbrin791 gung (c) Vollstreckungsschutz und Einstellung der Zwangsvoll794 streckung (aa) Vollstreckungsschutz nach § 712 795 ZPO (aaa) Rechtsnatur des Vollstreckungsschutzantrages und Verfah795 ren (bbb) Nicht zu ersetzender Nach798 teil (ccc) Ausnahmen für Vollstreckungsschutz gegen OLG Ur799 teile? (ddd) Stellung800 nahme (bb) § 719 Abs. 1 802 ZPO (aaa) Grund802 sätze (bbb) Vorläufige (einstweilige)

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(2) (3) (4) (5)

Einstel805 lung (ccc) Erforderlichkeit eines Antrages nach § 712 ZPO in erster Ins806 tanz? (ddd) Wiederholte Antragstellung und Anfecht808 barkeit (cc) Einstellung durch das Revisionsgericht § 719 811 Abs. 2 ZPO (d) Wegfall des Titels und Einstellung oder Aufhebung der Zwangsvollstreckung nach erfolgter Zuwider813 handlung (aa) Uneingeschränktes Erfordernis eines Vollstreckungsti813 tels (bb) Zeitlich beschränkte Aufhebung oder Erledigungserklä814 rung (cc) Auslegung der Erledigungserklärung mit Blick auf die Umstände der erfolgten Zuwi818 derhandlung (dd) Titelwegfall nach Ordnungsmittelbe819 schluss (ee) Stellung820 nahme Besonderheiten einstweiliger Be821 schlussverfügungen 822 Weitere Titel Bestimmte Bezeichnung der Par823 teien Bestimmtheit des Unterlassungs824 titels (a) Gerichtliche Unterlassungs824 urteile (aa) Rechtsprechung des Bundesverfassungsge825 richts (bb) Allgemeine zivilprozessuale Judikatur und Schrift826 tum

756

Übersicht

c)

757

(cc) Judikatur und Schrifttum zum Wettbe827 werbsprozess (dd) Auslegung des Titels (hierzu auch oben 828 Rn. 604) (ee) Konkrete Unterlassungsverfügung (Beschlussverfügung) ohne Begrün829 dung (ff) Stellung830 nahme (gg) Verfahrensrechtliche 833 Fragen 834 (b) Prozessvergleiche 836 bb) Vollstreckungsklausel 839 cc) Zustellung des Titels 839 (1) Urteile 840 (2) Beschlussverfügungen (a) Zustellung im Parteibe840 trieb (b) Einzelheiten der Zustel841 lung (aa) Übergabe der beglaubigten Abschrift oder der Ausferti841 gung (bb) Einzelheiten der Be843 glaubigung (cc) Zustellung von Anwalt zu Anwalt (§ 195 844 ZPO) dd) Androhung gemäß § 890 Abs. 2 845 ZPO (1) Einzelheiten der wirksamen An845 drohung (2) Die selbständige Androhung als Beginn der Zwangsvollstreckung – Einzelheiten zum Pro846 zessvergleich 847 Zuwiderhandlung aa) Vollstreckbarer Titel zum Zeitpunkt 848 der Zuwiderhandlung (1) Kein Titel zum Zeitpunkt der Zu848 widerhandlung (2) Einstellung oder Aufhebung des Titels nach Zuwiderhand849 lung (3) Ordnungsmittel bei befristeten Titeln oder fehlender Gefahr erneuter Zuwiderhandlun850 gen (4) Leistung der Sicherheit vor Zuwi851 derhandlung

Vor §§ 12–15a A

(5)

Keine Zustellung des Titels oder Klauselerteilung erforder852 lich (6) Keine Zustellung von einstweiligen Urteilsverfügungen vor Zuwiderhandlung erforder853 lich 854 bb) Titelverstoß (1) Kernbereichslehre nach herr854 schender Praxis (a) Alle Handlungen, in denen das Charakteristische der Verletzungshandlung zum 854 Ausdruck kommt (b) Bewertung des rechtlich Charakteristischen auf der Basis der Urteilsgründe und des abstrakten Einleitungsteils des Te855 nors 857 (c) Beispielsfälle (2) Grenzen der Kernbereichslehre bei konkreten Verboten (konkre860 te Verletzungsform) 862 (3) Stellungnahme 864 cc) Verschulden (1) Grundsatz des eigenen, strafrechtlichen Verschul864 dens (2) Organisationsverschul866 den (3) Pflicht zum aktiven 868 Tun 868 (a) Grundsätze (b) Pflicht zum aktiven Tun auch mit Blick auf nicht 869 verbundene Dritte (c) Diskussion in Rechtsprechung und Litera870 tur 871 (d) Bewertung 872 (4) Verbotsirrtum 872 (a) Grundsätze 873 (b) Stellungnahme dd) Rechtsnachfolger des Titelschuld874 ners 875 (1) § 779 ZPO (2) Gesellschaftsrechtliche Rechts876 nachfolge 877 ee) Darlegungs- und Beweislast 878 ff) Einwendungen (1) Materielle Einwendun878 gen (2) Verfolgungs- und Vollstreckungs879 verjährung, § 9 EGStGB

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Vor §§ 12–15a A

d)

e)

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Art und Höhe des Ordnungsmit881 tels 881 aa) Allgemeine Grundsätze bb) Keine schematische Ausrichtung am 882 Streitwert der Hauptsache cc) Eine Zuwiderhandlung und die Bewertung mehrerer Zuwiderhandlun883 gen (1) Natürliche Handlungsein883 heit (2) Lehre vom Fortsetzungszusam884 menhang dd) Tatrichterliches Ermessen und Überprüfung in der Rechtsbe885 schwerde 886 Verfahren 886 aa) Erste Instanz 886 (1) Zuständigkeit 888 (2) Anwaltszwang

(3)

2.

Anhörung und mündliche Ver889 handlung 890 bb) Rechtsmittel 890 (1) Beschwerde 890 (a) Zuständigkeit (b) Aufschiebende Wir891 kung 892 (2) Rechtsbeschwerde Vollstreckung anderer Ansprüche aus dem 894 UWG a) Rechtsgrundlagen der Vollstre896 ckung 898 b) Verfahren 899 c) Bestimmtheitsgebot 900 d) Einwände des Schuldners e) Vollstreckung vertretbarer Handlungen 902 (§ 887 ZPO) f) Vollstreckung nicht vertretbarer Handlun905 gen (§ 888 ZPO)

1. Unterlassungsvollstreckung a) Allgemeines 777 aa) Historie. Die Unterlassungsvollstreckung ist im 8. Buch der ZPO in § 890 ZPO geregelt. Die Vorschrift war bereits in der ursprünglichen Fassung der ZPO (CPO von 1877)2137 vorgesehen, in § 775 CPO.2138 Die CPO-Novelle von 18982139 fügte zur Anpassung der ZPO an das BGB 190 Paragraphen neu ein und änderte die Nummerierung.2140 § 890 ZPO wurde ferner durch das EGStGB vom 2.3.1974 (BGBl. I S. 469, in Kraft seit 1.1.1975) neu gefasst. Vormals war dort von „Strafe“, nicht von einem „Ordnungsmittel“ die Rede und so wurden diese Sanktionen vom Reichsgericht unter der alten Rechtslage auch als „echte Strafe“ eingeordnet.2141

778 bb) Die Rechtsnatur des Ordnungsmittels. Die Änderung des § 890 ZPO des Jahres 1974 warf die Frage auf, ob sich die Rechtsnatur des „Vollstreckungsmittels“ insofern geändert habe, insbesondere ob weiterhin ein Verschulden im strafrechtlichen Sinne für die Festsetzung eines Ordnungsmittels erforderlich sei.2142 Nach der Rechtsprechung des BVerfG zum alten Recht war das der Fall.2143 Das Bundesverfassungsgericht hat das auch für die Neufassung des § 890 ZPO (Ordnungsmittel) bestätigt.2144 Insofern entspricht es heute ständiger Rechtsprechung und herr2137 2138 2139 2140

Vom Kaiser Wilhelm I. vollzogen am 30.1.1877 und in Kraft getreten am 1.10.1879. Hierzu Meyer ZZP 15 (1891), 477 bis 492. RGBl. Nr. 21 v. 27.5.1898; S. 256. Vgl. zum Regierungsentwurf v. 9.12.1897 Stein ZZP 24 (1898), 209 ff. Einen kurzen Überblick über die Änderungen der ZPO gibt MünchKommZPO/Rauscher Einl. Rn. 78; vgl. auch Henckel Gedanken zur Entstehung und Geschichte der Zivilprozeßordnung, GS R. Bruns (1980) 111 ff. 2141 RG 23.1.1896, RGZ 36, 417; RG 23.1.1897, RGZ 38, 423, 424 f.; RG 4.11.1898, RGZ 43, 396, 398; Stein/Jonas/ Bartels § 890 Rn. 3. 2142 Vgl. dazu Brehm NJW 1976, 1730 f., Brehm NJW 1975, 249 f.; zum Theorienstreit vor Inkrafttreten des EGStGB vgl. Lindacher ZZP 85 (1972), 239 ff. 2143 Vgl. BVerfG 25.10.1966, BVerfGE 20, 323, 332 = NJW 1967, 195. 2144 Vgl. BVerfG 14.7.1981, BVerfGE 58, 159, 162 = NJW 1981, 2457, sowie BVerfG 23.4.1991, BVerfGE 84, 82 = NJW 1991, 3139. Aus dem Schrifttum Borck WRP 1979, 28 ff. Gegen eine solche strafrechtliche Qualifikation Pastor WRP 1981, 299, 302; Böhm MDR 1974, 441 ff. Grosch

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XII. Zwangsvollstreckung

Vor §§ 12–15a A

schender Auffassung,2145 dass dem Ordnungsmittel eine Doppelnatur zukommt, es also nicht nur der Erzwingung des geschuldeten, künftigen Verhaltens dient, sondern auch eine Strafe für die begangene Zuwiderhandlung ist.2146 Teilweise wird dabei zwar der repressive Charakter anerkannt, aber der Vorbehalt gemacht, es könne sich nach der Gesetzesänderung des Jahres 1974 nicht mehr um eine Strafe handeln, weil eine solche nach § 5 EGStGB die Androhung der Strafe im Gesetz erfordert.2147 Diese grundsätzliche Frage der rechtlichen Einordnung der Rechtsnatur des Ordnungsmittels gewinnt als übergeordneter Topos bei einer Reihe von Einzelfragen Bedeutung, so insbesondere beim Bestimmtheitserfordernis des Unterlassungstitels (Rn. 824 ff.), dem Verschulden (Rn. 864 ff.) sowie bei der Frage der Ahndung von Titelverstößen, wenn keine Zuwiderhandlungen mehr drohen können oder der Titel nachträglich aufgehoben wurde (Rn. 813 ff. und Rn. 850).

cc) Verfassungsgerichtliche Rechtsprechung. Da eine Strafe ohne Schuld oder unter Ver- 779 stoß gegen das Bestimmtheitserfordernis (Art. 103 Abs. 2 GG) gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) verstößt und den Schuldner somit in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) beeinträchtigt, gibt es mit Blick auf Ordnungsmittelbeschlüsse nach § 890 ZPO regelmäßig verfassungsgerichtliche Entscheidungen,2148 die für die fachgerichtliche Praxis von Bedeutung sind und in der folgenden Darstellung besonders miteinbezogen werden. dd) Gliederung. Die Voraussetzungen für die Verhängung eines Ordnungsmittels können in 780 die formalen Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen (hierzu b) Rn. 781 ff.) und die sachlichen Voraussetzungen der Zuwiderhandlung gegen den Unterlassungstitel (hierzu c), Rn. 847 ff.) untergliedert werden. Die Bestimmung der Art und Höhe des Ordnungsmittels ist Gegenstand der Ausführungen in Abschnitt d), Rn. 881 ff.; die Ausführungen zum Verfahren finden sich abschließend unter e), Rn. 886 ff.

b) Vollstreckungsvoraussetzungen. Die Festsetzung eines Ordnungsmittels gemäß § 890 781 Abs. 1 ZPO ist eine Maßnahme der Vollstreckung, so dass die allgemeinen Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen vorliegen müssen. Diese sind grundsätzlich Titel (hierzu aa), Rn. 782 ff.), Klausel (hierzu bb), Rn. 836 ff.) und Zustellung (§ 750 Abs. 1 ZPO, § 724 ZPO, hierzu cc), Rn. 839 ff.). Hinzu kommen besondere Vollstreckungsvoraussetzungen, insbesondere die der vorläufigen Vollstreckbarkeit (§§ 708 ff. ZPO) und der Vollziehung von einstweiligen Verfügungen (§ 929 Abs. 2 ZPO); hierzu ebenfalls unter aa). Gesondert behandelt wird die bei Unterlassungstiteln praktisch erhebliche Frage der Bestimmtheit des Vollstreckungstitels (hierzu Rn. 824 ff.). Eine weitere besondere Voraussetzung für die Unterlassungsvollstreckung ist die vorherige Androhung des Ordnungsmittels (§ 890 Abs. 2 ZPO), hierzu dd), Rn. 849 f.

2145 BVerfG 9.1.2014 – 1 BvR 299/13 – BB 2014, 559; BVerfG 4.12.2006 – 1 BvR 1200/04 – GRUR 2007, 618 – Organisationsverschulden; BGH 25.1.2001 – I ZR 323/98 – BGHZ 146, 318, 323 = NJW 2001, 2622 – Trainingsvertrag; BGH 30.9.1993 – I ZR 54/91 – GRUR 1994, 146, 147 f. – Vertragsstrafebemessung; BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264, 267 – Euro-Einführungsrabatt; so auch die herrschende Auffassung in der Literatur vgl. nur Zöller/Seibel § 890 Rn. 6; Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 24. 2146 Ausführlich zur Diskussion um den „Doppelcharakter“ des Ordnungsmittels nach § 890 ZPO Oppermann, Unterlassungsanspruch, S. 87 ff. 2147 Stein/Jonas/Bartels § 890 Rn. 3. 2148 Zuletzt etwa BVerfG 9.1.2014 – 1 BvR 299/13 – BB 2014, 559 (zu Art. 103 Abs. 2 GG); BVerfG 4.12.2006 – 1 BvR 1200/04 – NJW-RR 2007, 860 (zum Verschulden). 759

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

782 aa) Titel und Vollstreckbarkeit. Im Folgenden werden primär Urteile behandelt, (1), Rn. 783 ff., für die auch die Frage der vorläufigen Vollstreckbarkeit und der Sicherheitsleistung sowie der Einstellung der Zwangsvollstreckung und des Wegfalls des Titels nach Zuwiderhandlung kommentiert werden. Unter (2), Rn. 821 werden Besonderheiten der Beschlussverfügung als Vollstreckungstitel behandelt; unter (3), Rn. 822 werden die weiteren Vollstreckungstitel angesprochen.

(1) Urteile 783 (a) Vorläufig vollstreckbare oder rechtskräftige Urteile. Die ZPO regelt die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung ausführlich für Urteile (§§ 704 ff. ZPO). Nach § 704 ZPO findet die Zwangsvollstreckung aus rechtskräftigen oder für vorläufig vollstreckbar erklärten Endurteilen statt. Unterlassungsurteile erster Instanz werden gegen Sicherheitsleistung gemäß § 709 ZPO für vorläufig vollstreckbar erklärt. Bei OLG Urteilen wird die vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung ausgesprochen, weil es sich um eine vermögensrechtliche Streitigkeit2149 handelt (§ 708 Nr. 10 ZPO). Die Sicherheitsleistung ist in letztem Fall nicht erforderlich, weil dem Schuldner bei ungerechtfertigter Vollstreckung aus einem solchen Urteil, das also nachträglich aufgehoben oder abgeändert wird, kein Schadensersatzanspruch nach § 717 Abs. 2 ZPO zusteht, sondern gemäß § 717 Abs. 3 ZPO nur ein Bereicherungsausgleich erfolgt.

(b) Einzelheiten der Sicherheitsleistung 784 (aa) Zweck und Höhe der Sicherheitsleistung. Zweck der Sicherheitsleistung ist es, den Schuldner gegen Nachteile und Schäden der Vollstreckung zu sichern, wenn sich die Zwangsvollstreckung aus dem vorläufig vollstreckbaren Titel nachträglich als unberechtigt erweist.2150 Hier ist insbesondere ein Vollstreckungsschaden zu berücksichtigen, mit Blick auf den dem Schuldner bei nachträglicher Aufhebung oder Abänderung des vorläufig vollstreckbaren Titels gemäß § 717 Abs. 2 ZPO ein Schadensersatzanspruch zusteht. Zu beachten ist dabei, dass dieser mögliche Ersatzanspruch auf solche Ursachen begrenzt ist, die bis zum Zeitpunkt des Berufungsurteils gesetzt wurden, auch wenn die Vermögenseinbußen erst danach eintreten. Das Berufungsurteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar, so dass ein bloßes Aufrechterhalten der Vollstreckung (Fortdauer des durch die Vollstreckung geschaffenen Zustandes über die Berufungsinstanz hinaus) keinen Schadensersatzgrund im Sinne von § 717 Abs. 2 ZPO begründet.2151 Bestimmte Aufwendungen des Schuldners nach dem Berufungsurteil zum Zwecke der Wiederaufnahme der verbotenen Handlungen (Wiedergewinnung eines verlorenen Kundenkreises) können ihre Ursache aber in der Vollstreckung des erstinstanzlichen Urteils finden.2152 785 Der Streitwert des Erkenntnisverfahrens bietet in der Praxis regelmäßig auch für Unterlassungsansprüche den wesentlichen Anhaltspunkt für die Bemessung der Sicherheitsleistung,2153 weil für die Festsetzung deren Streitwerts neben dem Wert der Rechtsposition für den Kläger auch der Umfang der angegriffenen Handlungen zu berücksichtigen ist. Der Umfang der angegriffenen Handlungen korrespondiert mit der Schwere des Eingriffs in die Rechtsposition des Klägers/Gläubigers, so dass sich sein für den Streitwert bestimmendes Interesse entspre-

2149 2150 2151 2152

Vgl. Ahrens/Büttner/Spätgens Kap. 64 Rn. 28. Zöller/Herget § 108 Rn. 4; Kühnen Hdb. Patentverletzung, Kap. H Rn. 9. BGH 25.10.1977 – VI ZR 166/75 – NJW 1978, 163, 164. BGH 25.10.1977 – VI ZR 166/75 – NJW 1978, 163, 164; OLG Düsseldorf 4.5.2006 – 2 U 112/05 – NJOZ 2007, 451, 452 – Kaffeepads. 2153 Haedicke/Timmann/Zigann Handbuch des Patentrechts, § 11 Rn. 333 mit Fn. 956. Grosch

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XII. Zwangsvollstreckung

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chend erhöht.2154 Abweichende Anhaltspunkte für einen höheren Schaden können und sind vom Schuldner konkret vorzutragen und gegebenenfalls glaubhaft zu machen; der Streitwert und der mögliche Vollstreckungsschaden müssen nicht deckungsgleich sein,2155 etwa wenn die Marktposition der Beteiligten sich deutlich unterscheidet.2156 Zu diesem Zweck kann es also für den Beklagten erforderlich sein, sich schon in erster Instanz, in der eine Verurteilung naturgemäß noch nicht vorliegt, mit Umsatz- und Gewinnverhältnissen auseinanderzusetzen. Die Schuldnerinteressen (insbesondere an der Geheimhaltung von Geschäftsinformationen) sind dabei aber dergestalt zu berücksichtigen, dass es zur Glaubhaftmachung des Vollstreckungsschadens in der Regel keiner detaillierten Rechnungslegung bedarf, sondern eine generalisierende, aber nachvollziehbare Darstellung, die auf Plausibilität prüfbar ist, ausreicht.2157 Hier wird es nach der überzeugenden Rechtsprechung des II. Zivilsenats des OLG Düsseldorf oft ausreichen, auf öffentlich zugängliche Unterlagen wie veröffentlichte Geschäftsberichte zurückzugreifen oder entsprechende eidesstattliche Versicherungen der maßgeblichen Mitarbeiter des Schuldners vorzulegen.2158

(bb) Teilsicherheitsleistung. Der Gläubiger muss die Sicherheit auch dann in voller Höhe 786 erbringen, wenn er nur bestimmte Teile des Tenors vollstreckt, also etwa nur die Unterlassung und nicht die Rechnungslegung. Ausdrücklich gesetzlich geregelt ist lediglich die Teilsicherheitsleistung bei Vollstreckung eines Teilbetrages der tenorierten Forderung (§ 752 ZPO), wodurch dem Gläubiger die Möglichkeit der Leistung einer dem Verhältnis des Teilbetrages zum Gesamtbetrag entsprechend erniedrigten Sicherheit gegeben wird, auch wenn das nicht ausdrücklich tenoriert wurde.2159 Um das zu vermeiden, sollte der Kläger bereits im Erkenntnisverfahren eine gesonderte Festsetzung der Sicherheit für die einzelnen Teile des Tenors beantragen (Teilsicherheiten). § 709 S. 1 ZPO ist nicht so zu lesen, dass nur eine einzige Sicherheit festgesetzt werden könnte. Die näheren Umstände der Sicherheitsleistung stehen gemäß § 108 Abs. 1 ZPO im Ermessen des Gerichts.2160 Zwar wird man im Grundsatz einen berechtigten Grund für die Festsetzung von Teilsicherheiten fordern müssen.2161 Dieser ist aber für eindeutig trennbare prozessuale Ansprüche und Teile des Tenors, insbesondere Unterlassung und Rechnungslegung, regelmäßig gegeben und muss nach ganz überwiegender Praxis auch nicht begründet werden. Die Festsetzung von Teilsicherheiten gibt dem Gläubiger deutlich mehr Flexibilität und vermeidet auch, dass er durch die Zustellung einer Gesamtsicherheit für die Unterlassungsvollstreckung in die Haftung nach § 717 Abs. 2 ZPO kommt.2162 (cc) § 718 ZPO. Hat der Schuldner gegen das vorläufig vollstreckbare Urteil Rechtsmittel ein- 787 gelegt, so kann er gemäß § 718 ZPO den Antrag stellen, über die vorläufige Vollstreckbarkeit 2154 OLG Düsseldorf 4.5.2006 – 2 U 112/05 – NJOZ 2007, 451, 452 – Kaffeepads; Kühnen Hdb. Patentverletzung, Kap. H Rn. 12. Zutreffend Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Retzer/Tolkmitt § 12 Rn. 792. Ahrens/Singer Kap. 31 Rn. 6. OLG Düsseldorf 14.2.2008 – I-2 U 90/07 – InstGE 47, 53 Tz. 12 – Zahnimplantat. OLG Düsseldorf 14.2.2008 – I-2 U 90/07 – InstGE 47, 53 Tz. 12 – Zahnimplantat. § 752 ZPO neu gefasst durch Gesetz vom 17.12.1997, BGBl. I S. 3039. Dafür bereits nach der alten Rechtslage: OLG Frankfurt a. M. 7.5.1996 – 5 U 219/95 – NJW-RR 1997, 620, 621; OLG Köln 21.7.1995, NJW-RR 1995, 1280; MünchKommZPO/Krüger 1. Aufl. (1992), § 709 Rn. 5; Thomas/Putzo 19. Aufl. (1995), Vorb. §§ 708–720 Rn. 11; Oetker ZZP 102 (1989), 449, 462 m. w. N. in Fn. 74. 2160 OLG Frankfurt a. M. 7.5.1996 – 5 U 219/95 – NJW-RR 1997, 620, 621; Kühnen Hdb. Patentverletzung, Kap. H Rn. 13 f. 2161 OLG Frankfurt a. M. 7.5.1996 – 5 U 219/95 – NJW-RR 1997, 620, 621. 2162 Kühnen Hdb. Patentverletzung, Kap. H Rn. 13 und 15; a. A. LG Düsseldorf 12.1.2010 – 4a O 125/09 unter Berufung auf OLG Frankfurt a. M. 7.5.1996 – 5 U 219/95 – NJW-RR 1997, 620, 621.

2155 2156 2157 2158 2159

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

vorab zu verhandeln. In diesem Verfahren kann nicht ausschließlich über die Art der Sicherheitsleistung verhandelt werden. Hierfür ist ein Abänderungsantrag beim Ausgangsgericht zu stellen (hierzu sogleich Rn. 793). Das Berufungsgericht ist dabei für eine Entscheidung über die Art der Sicherheitsleistung nur zuständig, wenn es gemäß § 718 ZPO auch über die Höhe der Sicherheitsleistung entscheidet.2163 Das Verfahren dient der Korrektur einer fehlerhaften Entscheidung der ersten Instanz mit Blick auf die Höhe der Sicherheitsleistung, die entweder ursprünglich fehlerhaft war oder sich durch nachträgliche Änderung der Umstände als fehlerhaft erwiesen hat. Insofern entspricht es herrschender Auffassung, dass der Antragsteller mit Sachvortrag, der bereits in erster Instanz unverändert hätte vorgebracht werden können und der in der Berufungsinstanz bestritten wird, zur Begründung der Erhöhung der Sicherheit präkludiert ist.2164 Das gilt insbesondere für die Fälle, in denen vom Vordergericht der Streitwert als Regelfall für die Bemessung der Sicherheit angenommen wurde (hierzu oben Rn. 785).2165 Diese Präklusion bedürfe in Anbetracht der Funktion der Berufungsinstanz als Mittel zur Fehlerkontrolle und Fehlerbeseitigung nach der Neufassung der §§ 529, 531 ZPO nicht der ausdrücklichen Regelung.2166 Nach einer Gegenauffassung bestehe hingegen keine solche Präklusion.2167 Die Festsetzung der Höhe der Sicherheitsleistung erfolgt von Amts wegen, so dass eine Präklusion nicht möglich sei, insbesondere § 714 ZPO keine Anwendung finde und die Präklusion ohne gesetzliche Vorschrift das verfassungsrechtlich verbürgte Grundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletze.2168 Mittels § 718 ZPO kann auch eine nachträgliche Festsetzung von Teilsicherheiten für 788 die einzelnen Teile des Tenors erreicht werden. Allerdings soll dieses Recht nach der gerade behandelten Auffassung von der § 718 ZPO immanenten Präklusion eine Begrenzung auf solche Fälle erfahren, in denen sich nachträglich, also nach Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz, herausstellt, dass die Festsetzung von Teilsicherheiten erforderlich ist. Zur Begründung wird insofern angeführt, dass ohne eine solche Änderung die erstinstanzliche Entscheidung nicht als „fehlerhaft“ zu bewerten ist, nur weil es dem Gläubiger inzwischen zweckmäßiger erscheint, Teilsicherheiten festsetzen zu lassen.2169 Neue Umstände, die einen solchen Antrag rechtfertigen, sollen etwa darin zu sehen sein, dass ursprünglich die Unterlassungsvollstreckung nicht relevant war, weil der Schuldner die angegriffenen Handlungen im Erkenntnisverfahren bereits eingestellt hatte oder dass die Rechnungslegung nachträglich erfüllt wird.2170 Genannt wird ferner, dass sich nach Schluss der mündlichen Verhandlung vorher nicht absehbare Verhandlungen mit dem Schuldner ergeben, deren Zweck nicht gefährdet werden solle.2171 Abgelehnt wird diese Auffassung von den Vertretern der Ansicht, die eine Präklusion im Rahmen des § 718 ZPO mangels gesetzlicher Grundlage als Verfassungsverstoß grundsätzlich ablehnen.2172 Nicht überzeugend ist die Auffassung, die im Rahmen des § 718 ZPO dem Schuldner die 789 Möglichkeit geben will, Anträge nach § 714 ZPO, insbesondere einen Vollstreckungsschutzan2163 2164 2165 2166

OLG Frankfurt 24.3.1981, MDR 1981, 677; Zöller/Herget § 718 Rn. 1; Schneider MDR 1983, 906. OLG Karlsruhe 27.9.2017 – 6 U 34/17 BeckRS 2017 148733 Rn. 3 ff.; Zöller/Herget § 718 Rn. 11 ff. OLG Karlsruhe 27.9.2017 – 6 U 34/17 BeckRS 2017 148733 Rn. 14. Ausführlich OLG Düsseldorf 14.2.2008 – I-2 U 90/07 – InstGE 47, 53 Tz. 10 ff. – Zahnimplantat; OLG Düsseldorf 3.7.2008 – I-2 U 7/08 – InstGE 11, 16 f. Tz. 5 – Strahlregler; so wohl auch OLG Frankfurt a. M. 7.5.1996 – 5 U 219/95 – NJW-RR 1997, 620, 621 (für den Fall der Teilsicherheitsfestsetzung). 2167 OLG Köln 17.11.1999, GRUR 2000, 253 – Anhebung der Sicherheitsleistung; Stein/Jonas/Münzberg § 718 Rn. 2; Haedicke/Timmann/Chakraborty Handbuch des Patentrechts, § 11 Rn. 621. 2168 OLG Köln 17.11.1999, GRUR 2000, 253; Haedicke/Timmann/Chakraborty Handbuch des Patentrechts, § 11 Rn. 621. 2169 OLG Frankfurt a. M. 7.5.1996 – 5 U 219/95 – NJW-RR 1997, 620, 621; OLG Düsseldorf 3.7.2008 – I-2 U 7/08 – InstGE 11, 16 f. – Strahlregler, mit ausführlicher Begründung. 2170 OLG Düsseldorf 3.7.2008 – I-2 U 7/08 – InstGE 11, 16 f. Tz. 5 – Strahlregler. 2171 OLG Düsseldorf 8.3.2012 – I-2 U 65/11 – BeckRS 2012, 8567 Tz. 24. 2172 Haedicke/Timmann/Chakraborty Handbuch des Patentrechts, § 11 Rn. 587. Grosch

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XII. Zwangsvollstreckung

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trag, die in erster Instanz nicht gestellt wurden, „nachzuholen“.2173 Das Verfahren nach § 718 ZPO ist nicht der richtige Ort für solche Anträge. Der Schuldner kann eine Einstellung nach § 719 ZPO beantragen oder einen Antrag nach § 712 ZPO in der Berufungsinstanz stellen. Im Verfahren nach § 718 ZPO ist die mündliche Verhandlung der gesetzliche Regelfall (im 790 Gegensatz zu einem Beschluss nach § 719 ZPO, vgl. § 128 Abs. 4 ZPO). Die Entscheidung ergeht durch Teilurteil, welches durch die spätere Hauptsacheentscheidung auflösend bedingt ist.2174

(dd) Art der Sicherheitsleistung und Nachweis der Erbringung. Sofern nichts anderes 791 bestimmt ist, ist die Sicherheitsleistung durch Bankbürgschaft gemäß § 108 Abs. 1 S. 2 ZPO oder Hinterlegung zu erbringen. Die Sicherheitsleistung ist gemäß § 751 Abs. 2 ZPO durch öffentliche oder öffentlich beglau- 792 bigte Urkunde nachzuweisen und eine Abschrift dieser Urkunde spätestens mit Beginn der Zwangsvollstreckung dem Schuldner zuzustellen. Das ist bei der üblichen Bankbürgschaft mit der Zustellung durch den Gerichtsvollzieher (und der entsprechenden Zustellungsurkunde) der Fall, wobei die Zustellung von Anwalt zu Anwalt (§ 195 ZPO) durch Empfangsbekenntnis genügt.2175 Die Bürgschaft entsteht, wenn die Bürgschaftserklärung dem Schuldner in Urschrift zugeht (§ 130 BGB). Die Zustellung einer beglaubigten Abschrift (§ 132 Abs. 1 BGB i. V. m. §§ 192 ff. ZPO) genügt nicht, wenn die Bürgschaft durch die Rückgabe der Urkunde auflösend bedingt ist,2176 was regelmäßig der Fall sein wird. Es handelt sich bei der Prozessbürgschaft um einen Zwangsvertrag, bei dem der Schuldner zur Annahme verpflichtet ist, sofern die Bürgschaft den gerichtlichen und gesetzlichen Anforderungen entspricht. Eine Annahmeerklärung ist materiell-rechtlich nicht erforderlich; sie wird durch die gerichtliche Zulassung der Bürgschaft als Sicherheitsleistung ersetzt.2177 Über die Art der Sicherheitsleistung kann im Urteil selbst oder ohne mündliche Verhand- 793 lung durch Beschluss entschieden werden. Eine solche Entscheidung kann auch nach Einlegung des Rechtsmittels von dem Gericht, das sie getroffen hat, auf Antrag ergänzt oder geändert werden.2178 Das ist auch dann einschlägig, wenn es um den Austausch einer bereits geleisteten Sicherheit geht. Hatte das Gericht die Leistung der Sicherheit in Form einer Bürgschaft einer „deutschen Großbank“ (Formulierung nach alter Rechtslage) angeordnet und der Gläubiger die Bürgschaft einer bestimmten Bank geleistet und will er diese durch die Bürgschaft einer anderen Bank austauschen, so hat er nach der Rechtsprechung des BGH eine Änderung des Beschlusses über die Sicherheitsleistung zu beantragen, wonach anstelle der bisher zulässigen Bürgschaft jeder „deutschen Großbank“ nur die Sicherheit durch die jetzt vom Gläubiger identifizierte Bank zulässig ist.2179 Mit der Zustellung der neuen Sicherheit hat der Schuldner die alte Bürgschaftsurkunde zurückzugeben, der Gläubiger kann das Verfahren nach § 109 ZPO nutzen, wenn der Schuldner dem nicht nachkommt.2180 Wird der Antrag auf eine bestimmte Sicherheit abgelehnt, so steht dem Antragsteller das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zu. Für den Antragsgegner fehlt es nach überwiegender Auffassung an der Beschwer. Er könne aber einen Abände-

2173 Ahrens/Bähr Kap. 29 Rn. 85 f. 2174 OLG Karlsruhe 27.9.2017 – 6 U 34/17 BeckRS 2017 148733 Rn. 9. 2175 H.L. vgl. Zöller/Herget § 108 Rn. 11; Musielak/Voit/Foerste § 108 Rn. 11; MünchKommZPO/Schulz § 108 Rn. 36 f.; a. A. LG Aurich 21.10.1988, DGVZ 90, 10.

2176 Zöller/Herget § 108 Rn. 11; OLG München MDR 1979, 1029; gegen die Zulässigkeit der Zustellung einer beglaubigten Abschrift Foerste NJW 2010, 3611; OLG Köln 19.1.2007 – 6 W 146/06 – OLGR 2007, 481. BayObLG 14.11.1975, MDR 1976, 410; Zöller/Herget § 108 Rn. 10. BGH 24.2.1994 – IX ZR 120/93 – NJW 1994, 1351 sub I 1. BGH 24.2.1994 – IX ZR 120/93 – NJW 1994, 1351 sub I 1. BGH 24.2.1994 – IX ZR 120/93 – NJW 1994, 1351 f. sub I 1.

2177 2178 2179 2180 763

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

rungsantrag mit Blick auf die Zulassung einer bestimmten Sicherheitsleistung stellen und bei negativer Bescheidung in die sofortige Beschwerde gehen.2181

794 (c) Vollstreckungsschutz und Einstellung der Zwangsvollstreckung. Gerade bei der Unterlassungsvollstreckung haben Vollstreckungsschutzanträge gemäß § 712 ZPO sowie Einstellungsanträge nach § 719 ZPO immer häufiger praktische Relevanz, insbesondere, wenn es um Vertriebsverbote im Rahmen des ergänzenden Leistungsschutzes geht.

(aa) Vollstreckungsschutz nach § 712 ZPO 795 (aaa) Rechtsnatur des Vollstreckungsschutzantrages und Verfahren. Das Gericht (erster Instanz oder Berufungsinstanz) kann auf Antrag Vollstreckungsschutz gewähren, wenn dem Schuldner durch die Vollstreckung des vorläufig vollstreckbaren Urteils, das noch mit Rechtsmitteln angegriffen werden kann (§ 713 ZPO), ein nicht zu ersetzender Nachteil droht. § 712 ZPO betrifft also Vollstreckungsschutz, den die erste Instanz für die Berufungsinstanz gewährt und die Berufungsinstanz für die Revisionsinstanz (sofern jeweils Rechtsmittel eingelegt werden). Es geht demnach immer um Vollstreckungsschutz gegen den eigenen Rechtsfolgenausspruch, nicht um die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts über die Einstellung der Zwangsvollstreckung mit Blick auf das angegriffene und vorläufig vollstreckbare Urteil des Untergerichts; das ist Gegenstand der Anträge nach § 719 Abs. 1 (Berufungsinstanz) und Abs. 2 ZPO (Revisionsinstanz). Die Anträge nach § 712 ZPO sind mithin für die erste Instanz und die Berufungsinstanz gesondert zu stellen. Die Beachtung dieser grundsätzlichen Kategorien ist für eine Reihe von Streitpunkten von Relevanz. 796 Aufgrund dieser Unterscheidung kann man nicht von einem „Nachholen“ des Antrages nach § 712 ZPO in der Berufungsinstanz sprechen. Dort ist nur ein originärer Antrag möglich. Verwendet wird diese Terminologie im Rahmen der Diskussion der Frage, ob der erstinstanzliche Antrag Zulässigkeitsvoraussetzung für einen Antrag in der Berufungsinstanz ist. Das ergibt sich weder aus § 714 Abs. 1 ZPO, der die Antragstellung in der jeweiligen Instanz meint, noch aus einer anderen Vorschrift. Man kann das nicht mit einem „Nachholen“ des erstinstanzlichen Antrages oder mit einer Verlagerung der Verhandlung/Entscheidung dieses Antrages in die Berufungsinstanz begründen,2182 weil es sich um einen genuinen Antrag der Berufungsinstanz handelt. Allerdings wird man bei unveränderter Interessenlage dem Fehlen des Antrages in erster Instanz indizielle Bedeutung für das Fehlen eines nicht zu ersetzenden Nachteils beimessen können.2183 Praktische Relevanz hat diese Frage wegen der Möglichkeit des Antrages nach § 719 Abs. 1 ZPO im Wesentlichen nicht. Dort ist dann aber ebenfalls zu diskutieren und zu entscheiden, ob das Fehlen des erstinstanzlichen Antrages nach § 712 ZPO Bedeutung für den Erfolg des Antrages nach § 719 Abs. 1 ZPO hat, was zutreffenderweise zu verneinen ist (hierzu unten Rn. 806 ff.). 797 Die Anträge gemäß § 712 und § 719 ZPO beeinflussen sich nicht wechselseitig. Mithin kann (und muss) also auch bei Einstellung der Zwangsvollstreckung durch das Berufungsgericht gemäß § 719 Abs. 1 ZPO ein Vollstreckungsschutzantrag in der Berufungsinstanz gemäß § 712 ZPO gestellt werden (Vollstreckungsschutz mit Blick auf das zu unterlassende Berufungsur-

2181 Zöller/Herget § 108 Rn. 16; teilweise wird die Befugnis für einen Abänderungsantrag insgesamt verneint (OLG München 2.11.1983, MDR 1984, 321) oder auf den Fall neuer Umstände begrenzt (OLG Nürnberg 21.8.1985, MDR 1986, 241); teilweise wird auch auf § 718 ZPO zurückgegriffen (OLG Frankfurt 24.3.1981, MDR 1981, 677), der aber nur die Höhe der Sicherheitsleistung betrifft. 2182 So aber Haedicke/Timmann/Chakraborty Handbuch des Patentrechts, § 11 Rn. 615. 2183 Zur Rechtsprechung des BGH zu § 719 Abs. 2 ZPO und dem Erfordernis eines Antrages nach § 712 in der Berufungsinstanz, vgl. unten Rn. 811. Grosch

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XII. Zwangsvollstreckung

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teil), wenn ein Vollstreckungsschutz für die Revisionsinstanz erreicht werden soll.2184 Der Antrag ist als Sachantrag in der mündlichen Verhandlung zu stellen (§ 297 ZPO).2185 Übergeht das Gericht den Antrag, so muss der Schuldner die Ergänzung des Urteils gemäß §§ 716, 321 ZPO beantragen.

(bbb) Nicht zu ersetzender Nachteil. Die Anforderungen an diesen nicht zu ersetzenden 798 Nachteil werden aufgrund des gesetzlichen Leitbildes, das den Interessen des Gläubigers bei Sicherheitsleistung Vorrang einräumt, in der Rechtsprechung sehr hoch angesetzt und sollen nur dann erfüllt sein, wenn die Existenz des Beklagten unmittelbar greifbar gefährdet ist.2186 Das wird in Wettbewerbssachen in der Regel nur bei Vertriebsverboten aus ergänzendem Leistungsschutz möglich, aber auch dort die Ausnahme sein. (ccc) Ausnahmen für Vollstreckungsschutz gegen OLG Urteile? Mit Blick auf den Antrag 799 in der Berufungsinstanz, also den Vollstreckungsschutz gegen das OLG Urteil, wird vertreten, dass in Anbetracht der fehlenden Schadensersatzverpflichtung und bloßen Bereicherungshaftung bei Vollstreckung solcher Urteile, die sich später als unrichtig erweisen (§ 717 Abs. 3 ZPO), großzügiger von der Möglichkeit der Einstellung während der Dauer der Anfechtbarkeit bzw. der Revisionsinstanz Gebrauch gemacht werden solle, insbesondere wenn in die Produktion und den Vertrieb oder den „Firmenbestand“ des Schuldners eingegriffen wird.2187 § 717 Abs. 3 ZPO sei auf Geldforderungen zugeschnitten, bei denen die Vorteile und Nachteile für Kläger und Beklagten mit Blick auf die Vollstreckung bzw. Nichtvollstreckung in der Regel weit weniger divergieren werden als das bei der Unterlassungsvollstreckung der Fall ist. Maßstab solle danach sein, wessen Interessen am ehesten durch Geld ausgeglichen werden könnten.2188 Diese Auffassung ist deshalb problematisch, weil die Vorschrift des § 717 Abs. 3 ZPO, die den Kläger/ Gläubiger privilegiert, zu seinem Nachteil herangezogen wird. (ddd) Stellungnahme. Das halte ich für nicht überzeugend. Das gesetzliche System der feh- 800 lenden Schadensersatzverpflichtung bei der Vollstreckung von OLG Urteilen kann nicht über die Gewährung von Vollstreckungsschutz ausgehebelt werden. Zwar mag § 717 Abs. 3 ZPO Geldforderungen im Blick haben; die Vorschrift gilt gleichwohl unterschiedslos für alle (Vermögens-) Forderungen, zu denen eben auch Unterlassungsurteile rechnen. Das könnte man nur ändern, wenn man Unterlassungsurteile vom Anwendungsbereich der Vorschrift ausnehmen wöllte, also hier auch für die Vollstreckung von OLG Urteilen eine Schadensersatzverpflichtung gemäß § 712 Abs. 2 ZPO annehmen wöllte, was in Anbetracht der klaren gesetzlichen Regelung keine ernsthafte Option ist. Wenn man also den Schuldnerinteressen in weiterem Umfang Rechnung tragen wöllte, so 801 wäre das nur für § 712 ZPO im Allgemeinen, also für Anträge in erster und in zweiter Instanz möglich, indem die Anforderungen an den nicht zu ersetzenden Nachteil reduziert würden. In der Tat ist die greifbare Existenzgefährdung sehr weitgehend. Es sollte der Vollstreckungsschutz auch bei anderen Ausnahmefällen in Betracht kommen, die den Fall als vom gesetzlichen Regelbild abweichend erscheinen lassen. § 712 ZPO kann damit ein Regulativ darstellen, um dem Gericht beim strengen Unterlassungsausspruch ein gewisses Ermessen einzuräumen, dass es 2184 Vgl. hierzu BGH 5.6.1996, NJW 1996, 2103 (das ist Voraussetzung für einen Antrag nach § 719 Abs. 2 ZPO beim Revisionsgericht). BGH 2.10.2002 – XII ZR 173/02 – FamRZ 2003, 598; Ahrens/Singer Kap. 31 Rn. 16. Vgl. etwa Zöller/Herget § 712 Rn. 1. Ahrens/Bähr Kap. 29 Rn. 81 ff. Ahrens/Bähr Kap. 29 Rn. 82.

2185 2186 2187 2188 765

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

nach der deutschen Rechtsordnung – im Gegensatz zur anglo-amerikanischen – beim Ausspruch dieser materiellen Rechtsfolge im Grundsatz nicht hat (vgl. hierzu bereits oben Rn. 66). Obwohl die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels grundsätzlich für § 712 ZPO unbeachtlich sind, kann eine besonders streitige Rechtslage ausnahmsweise in diese Abwägung einbezogen werden. Da der Schuldner stets die Möglichkeit eines Antrages nach § 719 ZPO hat, ist es allerdings nicht erforderlich, den Anwendungsbereich des § 712 ZPO allzu großzügig auszuweiten.

(bb) § 719 Abs. 1 ZPO 802 (aaa) Grundsätze. Während der Dauer des Berufungsverfahrens kann das Berufungsgericht die Zwangsvollstreckung gemäß § 719 Abs. 1 i. V. m. § 707 Abs. 1 ZPO einstellen. Die Einstellung erfolgt regelmäßig nur gegen Sicherheitsleistung. Nur wenn der Schuldner zu deren Erbringung nicht in der Lage ist oder die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil brächte, kann ausnahmsweise ohne Sicherheitsleistung des Schuldners eingestellt werden, § 707 Abs. 1 S. 1 und S. 2 ZPO. Für den Antrag genügt es, wenn ein vollstreckbarer Titel vorliegt; es muss also nicht der Beginn der Zwangsvollstreckung abgewartet werden.2189 § 719 Abs. 1 ZPO erfordert eine Interessenabwägung, die sich zwar am gesetzlichen Leit803 bild der Priorisierung der Gläubigerinteressen orientieren muss, aber auch, von diesem Leitbild abweichend, die im Einzelfall möglichen, gravierenden Folgen einer Vollstreckung für den Schuldner in die Abwägung einstellen muss. § 719 Abs. 1 ZPO fordert hier allerdings, anders als § 712 ZPO und (grundsätzlich) § 719 Abs. 2 ZPO, keinen nicht zu ersetzenden Nachteil des Schuldners.2190 Das hat seinen Grund darin, dass das Berufungsgericht die Erfolgsaussichten der Berufung in die Entscheidung einbeziehen kann und muss, was dem Erstgericht regelmäßig verwehrt ist (es müsste sich ansonsten von seiner eigenen Entscheidung distanzieren). Der Evidenz der Erfolgsaussichten der Berufung kommt mithin überragende Bedeutung für die Interessenabwägung zu. Über die Erfolgsaussichten kann regelmäßig erst etwas nach Vorliegen der Berufungsbegründung gesagt werden, so dass diese in der Praxis zumeist mit dem Einstellungsantrag vorgelegt wird.2191 Zwingend ist das allerdings nicht, wenn der Einstellungsantrag die Erfolgsaussichten hinreichend substantiiert.2192 Es handelt sich bei richtiger Handhabung um ein bewegliches System: Je evidenter die Erfolgsaussichten der Berufung sind – was in einem frühen Stadium nicht einfach zu begründen ist – desto weniger gewichtig müssen die aufgrund der Vollstreckung für den Schuldner entstehenden Nachteile sein. Umgekehrt gilt, je weniger deutlich die Erfolgsaussichten sind, desto gewichtiger müssen die dem Schuldner entstehenden Nachteile sein. In jedem Fall müssen aber hinreichende Erfolgsaussichten gegeben sein und es müssen dem Schuldner nicht unerhebliche Nachteile entstehen. Beide Aspekte zusammengenommen, Erfolgsaussichten und Nachteile für den Schuldner, müssen nicht nur geeignet sein, eine Abweichung vom gesetzlichen Leitbild zu rechtfertigen, es müssen auch die Interessen des Gläubigers im konkreten Fall überwiegen. Im Verfahren gemäß § 719 Abs. 1 ZPO kommt deshalb der Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast der Parteien besondere Bedeutung zu. Es muss gelingen, die Erfolgsaussichten (oder deren Fehlen) evident zu machen und die bei der Vollstreckung oder beim Einstellen derselben betroffenen Interessen hinreichend deutlich zu identifizieren und gegebenenfalls glaubhaft zu machen. Insgesamt ist bei der Anwendung der Vorschrift Zurückhaltung geboten; der Schuldner muss die Abweichung primär begründen. Der Gläubiger muss aber reagieren, wenn der Schuldner hinreichend vorträgt. Auch kann es bei der Handhabung keinen Formalismus geben, nach dem die Einstellung praktisch 2189 Vgl. Ahrens/Singer Kap. 31 Rn. 1; MünchKommZPO/Götz § 707 Rn. 9; Musielak/Voit/Lackmann § 707 Rn. 5. 2190 Ein solcher ist bei § 719 Abs. 1 ZPO wegen des Verweises auf § 707 ZPO nur erforderlich, wenn die Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung eingestellt werden soll, vgl. Ahrens/Singer Kap. 31 Rn. 8.

2191 OLG Köln 8.9.1986, NJW-RR 1987, 189; OLG Saarbrücken 24.7.1997, MDR 1997, 1157; MünchKommZPO/Götz § 707 Rn. 12.

2192 Ahrens/Singer Kap. 31 Rn. 3 a. E. Grosch

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nicht in Betracht kommt. Bei seiner Entscheidung über einstweilige Einstellung wird das Berufungsgericht regelmäßig trotz der Bedeutung der Erfolgsaussichten der Berufung für die Interessenabwägung bei deren Benennung und Einordnung die gebotene Zurückhaltung üben, weil das Berufungsverfahren zumeist an dessen Anfang steht und sich das Berufungsgericht nicht inhaltlich präjudizieren sollte. Dem Berufungsgericht und den Parteien muss klar sein, dass der Ausgang des Verfahrens und die inhaltliche Ausrichtung des Berufungsgerichts offen bleiben müssen. Das Berufungsgericht kann also im Endurteil die Sache selbst anders beurteilen als in dem Einstellungsbeschluss, über den es unter Zeitdruck und ohne die Hilfe weiterer Schriftsätze und einer mündlichen Verhandlung nach dem Gesetz zu entscheiden gezwungen war. Insofern kann eine Einstellung aber gerade dann in Betracht kommen, wenn unter Verstoß gegen die Grundsätze des rechtlichen Gehörs (etwa evident fehlerhafter Anwendung von Präklusionsvorschriften) Parteivortrag oder Beweisantritte übergangen wurden und bei deren Berücksichtigung ein abweichendes Ergebnis konkret möglich erscheint. Damit hat das Berufungsgericht sich noch nicht auf ein Ergebnis, das erst nach Durchführung des Verfahrens unter Berücksichtigung des Vortrages und einer möglichen Beweiserhebung und Beweiswürdigung feststeht, festgelegt. Zugleich wird nicht sehenden Auges ein Urteil vollstreckt, das unter Verstoß gegen die Grundsätze des rechtlichen Gehörs zustande gekommen ist. Dieses Prinzip kann auch bei Überraschungsentscheidungen unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG Anwendung finden. Dieses Vorgehen wird durch den Grundsatz gestützt, dass Verfassungsverstöße möglichst bereits im fachgerichtlichen Instanzenzug zu korrigieren und ihre Auswirkungen zu beschränken sind. Ähnliches kommt in Betracht, wenn das Gericht sich ohne irgendeine tatsächliche Grundlage eine spezifische Sachkunde angemaßt hat, die für die Feststellungen von streitigen Tatsachen erforderlich wäre, anstatt Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens einzuholen. Auch hier kann die Einstellung gerechtfertigt sein, wenn konkrete Zweifel am Ergebnis mit Blick auf diese tatsächlichen Feststellungen bestehen und dieser Aspekt insgesamt für den Verfahrensausgang erheblich ist. Schon weil es in diesen Fällen an einer rechtlichen Auseinandersetzung mit dem unzulässig ungeprüften oder ausgeschlossenen Sachverhalt fehlt, kann man in diesen Fällen keine Feststellung verlangen, wonach der Berufungsführer und Antragssteller obsiegen wird.2193 Es gilt aber ferner ganz allgemein, dass die Prüfung im Rahmen eines Einstellungsantrages sich auf die tragenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen des Vordergerichts (oder dem Fehlen derselben) bezieht, ohne dass es auf alternative Begründungen ankäme, weil jene alternativen Begründungen (mit denen das Berufungsgericht zum selben Ergebnis kommen könnte) nicht das Vertrauen genießen, das die vorläufige Vollstreckbarkeit des erstinstanzlichen Urteils und damit den grundsätzlichen Vorrang der Interessen des obsiegenden Klägers rechtfertigt. Wenn sich also die tatsächlichen Feststellungen oder rechtlichen Erwägungen, auf denen die erstinstanzliche Entscheidung beruht, als nicht tragfähig darstellen, spricht dies im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung für eine vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung.2194 Anderes kann in Fällen gelten, in denen die alternative Begründung zur Rechtfertigung des landgerichtlichen Urteils evident ist. Die Einstellung ist regelmäßig nur gegen Sicherheitsleistung zulässig. Die Sicherheit soll 804 den Gläubiger vor einem Schaden schützen, der dadurch eintritt, dass er den Gläubiger aufgrund der Einstellung der Zwangsvollstreckung nicht von der Vornahme der zum Schadensersatz verpflichtenden Handlung abhalten kann.2195 Die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ist nämlich eine rein prozessuale Maßnahme, die die materiellen Schadensersatzansprüche des Gläubigers unberührt lässt.

2193 Auf dieser Linie etwa OLG Düsseldorf 1.7.2009 – I-2 U 51/08 – InstGE 11, 164 Tz. 3 – Prepaid Verfahren; Kühnen Hdb. Patentverletzung, Kap. H Rn. 36.

2194 OLG Karlsruhe, 13.10.2014, Az. 6 U 118/14, GRUR-RR 2015, 50 Rn. 11 ff. – Leiterbahnstrukturen; 8. September 2016, Az. 6 U 58/18, BeckRS 2016, 17467, Rn. 25 – Decodiervorrichtung.

2195 Zutreffend Ahrens/Singer Kap. 31 Rn. 13. 767

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

805 (bbb) Vorläufige (einstweilige) Einstellung. Die im Rahmen einer Einstellungsentscheidung vorzunehmende Prüfung kann komplex sein und in manchen Fällen sogar Monate in Anspruch nehmen. In diesen Fällen ist eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung „bis zur Entscheidung des Senats über den Einstellungsantrag der Beklagten“2196 oder „bis zur besseren Prüfung“2197 in Betracht zu ziehen.2198 Teilweise wird die Rechtsgrundlage für eine solche einstweilige Einstellung in Zweifel gezogen. Es fehle an einer planwidrigen Regelungslücke, weil die Zeitdauer für einen Einstellungsbeschluss in der Regel schon nicht unter einem bis zwei Monate liege und für diese Regelzeit keine Suspendierung in der ZPO vorgesehen sei.2199 Das kann man in dieser Grundsätzlichkeit nicht sagen. Die gerade zitierte Spruchpraxis des OLG München betrifft Patentstreitsachen, die zumeist aufgrund ihrer Komplexität eine längere Prüfungsdauer bedingen. Das ist aber bei weitem nicht in allen Fällen, die der historische Gesetzgeber der ZPO vor Augen hatte, der Fall, insbesondere nicht in allen UWG-Sachen. Der Gesetzgeber hat sich mit dieser praktischen Frage offensichtlich nicht befasst, weil man wohl davon ausgegangen ist, dass typischerweise gerade eine sehr zügige Entscheidung möglich sein und bis dorthin nicht vollstreckt werden würde. Das ist aber nicht immer der Fall, insbesondere auch deshalb, weil die Lebenssachverhalte der modernen Welt technisch und wirtschaftlich immer komplexer werden. Letztlich kommt es darauf aber auch nicht entscheidend an, weil die Annahme einer Regelungslücke nicht erforderlich ist. Es handelt sich bei einer „einstweiligen“ oder „vorläufigen“ Einstellung der Zwangsvollstreckung nicht um eine analoge Anwendung des § 719 Abs. 1 ZPO: Entscheidungen nach § 719 Abs. 1 ZPO sind grundsätzlich revidierbar und an „bessere Erkenntnisse“ anpassbar (siehe unten Rn. 808). Es gibt also keine „abschließende“ oder „finale“ Entscheidung nach § 719 Abs. 1 ZPO im rechtstechnischen Sinne. Deshalb ist bei näherer Betrachtung auch eine Befristung oder ein Vorbehalt einer „einstweiligen“ Einstellung (bis zur besseren Prüfung oder ähnlich) nicht erforderlich, sondern hat allenfalls heuristischen Wert bei der Einordnung der Entscheidung mit Blick auf den Grad der vorgenommenen Prüfung. Ob nun bereits in einem frühen Prüfungsstadium des Berufungsgerichts eine (dann nach weiterer Prüfung auch ohne Vorbehalt revidierbare) Einstellungsentscheidung erforderlich ist, hängt also von denselben Faktoren ab, die oben (Rn. 803) bereits als Grundsätze für das „bewegliche System“ des Normalfalls einer Einstellungsentscheidung genannt wurden: Je offensichtlicher bestimmte Mängel sind und je gewichtiger und schwerer wieder behebbar Nachteile der vorläufigen Vollstreckung für den Schuldner wären, desto eher und früher kommt eine Einstellung der Zwangsvollstreckung in Betracht. Sind also ad hoc keine Mängel „greifbar“ und irreversible Nachteile nicht dargetan, so kommt auch eine vorläufige Einstellung nicht in Betracht, selbst wenn der Sachverhalt komplex und eine „abschließende“ Prüfung der Einstellung mehr Zeit benötigt. Wenn das anders ist, insbesondere wenn gewichtige Nachteile für den Schuldner qua Schadensersatz (§ 717 Abs. 2 ZPO) ex post nur schwer ausgeglichen werden könnten, muss auch eine einstweilige Einstellung in Betracht kommen. Ansonsten würde der Sinn und Zweck der Kontrolle durch einen Instanzenzug konterkariert, weil der Beklagte unter dem Druck der Zwangsvollstreckung und der damit eingehenden Schäden

2196 Vgl. etwa OLG Karlsruhe 16.3.2009, Az. 6 U 38/09, einstweilige Einstellung „bis zur Entscheidung des Senats über den Einstellungsantrag der Beklagten“, welche dann mit Beschluss vom 11. Mai 2009 erfolgte – patentrechtlicher Fall betreffend standardessentielle Patente mit zu jenem Zeitpunkt nicht abschließend geklärten kartellrechtlichen Rechtsfragen betreffend den FRAND-Einwand. 2197 Ahrens/Singer Kap. 31 Rn. 2; Zöller/Herget § 707 Rn. 10, 18. 2198 Kühnen, Handbuch, Kap. H. Rn. 56 spricht von einer „Sofort-Einstellung“, die aber nur zulässig sein soll, wenn sich (bei Einstellungsentscheidung ohne Anhörung des Gläubigers auf der Basis des einseitigen Parteivortrags des Schuldners) sicher absehen lässt, dass das Urteil des Landgerichts keinen Bestand haben wird. So auch die entsprechende Praxis des patentrechtlichen „Kühnen-Senats“ beim OLG Düsseldorf (vgl. etwa 9.7.2015 – Az. I-2 U 25/15). 2199 OLG München 20.1.2020 – 6 U 7129/19 Gründe S. 10 f. Grosch

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XII. Zwangsvollstreckung

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insgesamt nachgeben und seine Rechtsposition etwa im Wege eines umfassenden Vergleichs aufgeben müsste. Insofern können insbesondere die Fälle problematisch sein, in denen die Sicherheitsleistung vom Vordergericht zu niedrig angesetzt war und der Beklagte deshalb einen Antrag nach § 718 Abs. 1 ZPO auf Erhöhung der Sicherheitsleistung beim Berufungsgericht stellen muss (hierzu ausführlich oben Rn. 787). Vor der Einstellungsentscheidung ist dem Gläubiger rechtliches Gehör zu gewähren. Eine mündliche Verhandlung ist zulässig, aber nicht erforderlich, da das Gericht gemäß § 719 Abs. 3 ZPO durch Beschluss über den Einstellungsantrag entscheidet (§ 128 Abs. 4 ZPO). Kann der Gläubiger jedoch nicht rechtzeitig angehört werden, so ist ausnahmsweise eine „einstweilige“ Einstellung ohne Anhörung des Gläubigers möglich.2200 Das ist nicht anders als bei einstweiligen Beschlussverfügungen. Wiederum gilt auch für diese „einstweilige“ Einstellung, dass sie jederzeit aufgrund besserer Erkenntnisse, insbesondere aus der Anhörung des Gläubigers resultierend, korrigierbar ist. Deshalb ist auch eine entsprechende Befristung der Einstellung nicht erforderlich. Wegen der Eilbedürftigkeit kann eine solche Einstellungsentscheidung typischerweise (zunächst) ohne Begründung ergehen.

(ccc) Erforderlichkeit eines Antrages nach § 712 ZPO in erster Instanz? Zum Teil wird 806 in der obergerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum die Auffassung vertreten, dass ein Antrag nach § 719 Abs. 1 ZPO zur Voraussetzung habe, dass der Schuldner in erster Instanz einen Antrag nach § 712 ZPO gestellt habe.2201 Nach der wohl überwiegenden Rechtsprechung, Praxis und dem Schrifttum ist das hingegen nicht der Fall.2202 Wenn § 714 ZPO sagt, dass der Antrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt 807 werden muss, dann meint das den Antrag, der gemäß § 712 ZPO bei der ersten Instanz zu stellen ist und präjudiziert damit nicht einen Antrag nach § 719 Abs. 1 ZPO. Die gegenteilige Auffassung kann schon deshalb nicht überzeugen, weil der Antrag nach § 719 Abs. 1 ZPO anderen Voraussetzung unterliegt, insbesondere nicht von einem nicht zu ersetzenden Nachteil abhängig ist. Warum der Schuldner hierfür in erster Instanz einen Antrag nach § 712 ZPO, der in den meisten Fällen wegen der hohen Anforderungen an den gesetzlichen Nachteil keine Erfolgsaussichten hat (und in der Praxis eigentlich nie Erfolg hat), zu stellen gezwungen sein soll, ist nicht begründbar. Das gilt insbesondere deshalb, weil für die Prüfung des Antrages nach § 719 ZPO die Gründe des Urteils wesentlich sind (für die Bemessung der Erfolgsaussichten der Berufung), die zum letztmöglichen Zeitpunkt für den Antrag nach § 712 ZPO (§ 714 ZPO, Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz) definitionsgemäß noch nicht vorliegen. Insofern überzeugt es auch nicht, wenn die Vertreter der Auffassung vom Erfordernis des erstinstanzlichen Antrages sich zur Begründung hierfür auf die Rechtsprechung des BGH zur Zulässigkeit des Antrages nach § 719 Abs. 2 ZPO in der Revisionsinstanz berufen. Dieser letztgenannte Antrag unterliegt nämlich demselben Erfordernis des nicht zu ersetzenden Nachteils wie der Antrag nach § 712 ZPO, so dass hier wegen des Gleichlaufs die Forderung nach einem entsprechenden Antrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz möglich ist.2203 Ferner liegt diese Zulässigkeitsanforderung, die der BGH für den § 719 Abs. 2 ZPO Antrag stellt, darin begründet, dass dieser Antrag in der Revisionsinstanz der „last resort“, das letzte 2200 Ahrens/Singer Kap. 31 Rn. 2; Wieczorek/Schütze/Hess § 707 Rn. 16; MünchKommZPO/Götz § 707 Rn. 10; Zöller/Herget § 707 Rn. 10, 18. 2201 OLG Koblenz 22.12.1998, FamRZ 2000, 1165; OLG Karlsruhe 26.1.1989, NJW-RR 1989, 1470; OLG Frankfurt 19.9.1984, NJW 1984, 2955; OLG Frankfurt 16.1.1986, NJW-RR 1986, 486; OLG Frankfurt 29.3.1988, GRUR 1989, 373; so auch GK-UWG/Jacobs1 vor § 13 UWG D Rn. 486. 2202 OLG Karlsruhe 11.5.2009 – 6 U 38/09 – GRUR-RR 2010, 120, 121; KG 11.10.2004 – 12 U 198/04 – MDR 2005, 117; OLG Jena 26.10.2001 – 4 U 234/01 – MDR 2002, 289; MünchKommZPO/Götz § 719 Rn. 6; Thomas/Putzo/Seiler § 719 Rn. 3; Zöller/Herget § 719 Rn. 3. 2203 Überzeugend Ahrens/Singer Kap. 31 Rn. 10. 769

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Hilfsmittel des Schuldners sein soll. Deshalb ist es erforderlich, dass er vorangegangene Möglichkeiten nicht ungenutzt gelassen hat, sofern die Interessenlage zu jenem Zeitpunkt keine andere war.2204

808 (ddd) Wiederholte Antragstellung und Anfechtbarkeit. Die wiederholte Antragsstellung nach § 719 Abs. 1 ZPO ist zulässig. Es gibt keine Rechtskraft des Zurückweisungsbeschlusses und auch das Berufungsgericht ist an seine Auffassung nicht gebunden. Es kann sich also im Rahmen eines wiederholten Antrages „eines Besseren“ besinnen. Allerdings wird bei unveränderter Sach- und Rechtslage keine weitere Begründung für die erneute Zurückverweisung erforderlich sein. Möglich soll auch sein, dass das Berufungsgericht ohne Antrag von Amts wegen einen Beschluss gemäß § 719 Abs. 1 ZPO ändert.2205 Letzteres halte ich im Rahmen eines Zivilprozesses aber für zu weitgehend. Der Einstellungsbeschluss oder seine Zurückweisung sind nicht anfechtbar (§ 719 809 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 707 Abs. 2 S. 2 ZPO). Die Rechtsbeschwerde ist selbst dann unzulässig, wenn das Berufungsgericht sie unrichtigerweise zugelassen hat, weil der BGH an die Zulassung eines nicht vorgesehenen Rechtsmittels nicht gebunden ist.2206 Auch die gesetzlich nicht geregelte Beschwerde wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit scheidet aus.2207 Ob eine Gegenvorstellung oder eine Gehörsrüge gemäß § 321a ZPO zulässig ist, wenn das 810 Berufungsgericht erhebliches Parteivorbringen übergangen hat,2208 erscheint mir in Anbetracht der grundsätzlich möglichen wiederholten Antragstellung keine sachliche Relevanz zu haben, ist aber zu bejahen. Jedenfalls wäre es dem Antragsteller anzuraten, bei wiederholter Antragstellung wegen Grundrechtsverstößen auf § 321a ZPO hinzuweisen, um bei einer möglicherweise folgenden Verfassungsbeschwerde Bedenken mit Blick auf die Subsidiarität mangels Ausschöpfung des fachgerichtlichen Rechtszuges von vornherein auszuräumen. Bei einer möglichen Verfassungsbeschwerde (etwa Willkürverbot Art. 3 Abs. 1 GG oder rechtliches Gehört Art. 103 Abs. 1 GG) wäre genau darauf zu achten, ob die Entscheidung des Landgerichts (Verurteilung) oder die Zurückweisung des Einstellungsantrages durch das Oberlandesgericht den Grundrechtsverstoß begründet. Eine außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit ist nach der Rechtsprechung des BGH nicht mehr möglich.2209

811 (cc) Einstellung durch das Revisionsgericht § 719 Abs. 2 ZPO. Das Revisionsgericht kann die Zwangsvollstreckung gemäß § 719 Abs. 2 ZPO einstellen, wenn dem Schuldner ein nicht zu ersetzender Nachteil droht. Damit unterliegt der Antrag in der Revisionsinstanz demselben Erfordernis wie der Vollstreckungsschutz nach § 712 ZPO. Deshalb, sowie mit der Begründung, dass es sich um das letzte Hilfsmittel des Schuldners handelt, fordert der BGH einen Antrag nach § 712 ZPO in der Berufungsinstanz und zudem, dass dieser Antrag nicht nur formal gestellt wurde, sondern die maßgeblichen Aspekte auch in der Begründung substantiiert benannt und glaubhaft gemacht wurden. Ansonsten kann der Antrag aus § 719 Abs. 2 ZPO beim BGH nicht auf diese Punkte gestützt werden.2210 Anderes gilt aber (natürlich) dann, wenn der Schuldner die Einstellungsgründe, auf die er den Antrag nach § 719 Abs. 2 ZPO stützt, mit dem 2204 BGH 25.8.1978, GRUR 1978, 726 – Unterlassungsvollstreckung; BGH 28.3.1996, GRUR 1996, 512 – Fehlender Vollstreckungsschutzantrag II; BGH 2.4.1997, GRUR 1997, 545, 546 – Einstellungsbegründung II. Ahrens/Singer Kap. 31 Rn. 14 Abs. 3. Ahrens/Singer Kap. 31 Rn. 14. Ahrens/Singer Kap. 31 Rn. 14 Abs. 2 m. w. N. Hierzu Ahrens/Singer Kap. 31 Rn. 14 Abs. 3. Streitig, Nachweise bei Zöller/Herget § 707 Rn. 22 i. V. m. § 321a Rn. 4 und 17 a.E. und 21. BGH 2.4.1997, GRUR 1997, 545 – Einstellungsbegründung II; BGH 8.8.1991, GRUR 1991, 943 – Einstellungsbegründung.

2205 2206 2207 2208 2209 2210

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XII. Zwangsvollstreckung

Vor §§ 12–15a A

Antrag nach § 712 ZPO beim Berufungsgericht nicht hatte vortragen oder glaubhaft machen können.2211 Ein solcher Fall liegt etwa vor, wenn ein Klageschutzrecht (Marke oder Patent), erstinstanzlich erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz des Verletzungsverfahrens vernichtet wird. In der Berufungsinstanz kann der Beklagte im Verletzungsverfahren nur Aussetzung nach § 148 ZPO beantragen. Einen zusätzlichen Antrag nach § 712 ZPO mit der Begründung zu stellen, dass der BGH die Vollstreckung einstellen müsste, wenn das Schutzrecht später (nicht rechtskräftig) vernichtet würde, wäre sinnentleert (und wird in der Praxis auch nicht gestellt). Der BGH hatte das in der Entscheidung „Nicht zu ersetzender Nachteil“2212 anders gesehen und auf seine ständige Rechtsprechung verwiesen. Es sei kein Ausnahmefall gegeben, in dem es dem Schuldner nicht zumutbar oder möglich gewesen wäre, den Antrag gemäß § 712 ZPO in der Berufungsinstanz zu stellen.2213 Ferner hat der BGH (X. Zivilsenat) in der genannten Entscheidung festgehalten, dass die erstinstanzliche (vollständige) Vernichtung des Klageschutzrechts per se die Einstellung nicht begründen könne, wenn kein weiterer nicht zu ersetzender Nachteil vorliege. Die erstinstanzliche Vernichtung des Klageschutzrechts sei, für sich genommen, keine „so gravierende Zäsur“, die eine Einstellung nach § 719 Abs. 2 ZPO rechtfertigen könne.2214 Die Beklagte des Verfahrens hat gegen diese Entscheidung Anhörungsrüge erhoben (§ 321a ZPO) und diese darauf gestützt, dass bei einer solchen Anwendung von § 719 Abs. 2 ZPO eine nicht mehr hinnehmbare Verkürzung des rechtlichen Gehörs der Beklagten gegeben sei, weil es einseitig zu ihren Lasten geht, dass das Gericht im Rechtsbestandsverfahren so lange für die Entscheidung braucht, dass das Verfahren in der Verletzung schon beim BGH ist. Hätte das Bundespatentgericht aber früher entschieden, vor Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz, so hätte das Berufungsgericht nach ständiger Praxis der Oberlandesgerichte das Verfahren ausgesetzt (§ 148 ZPO) und die Zwangsvollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil nach § 719 Abs. 1 ZPO eingestellt.2215 Die bloße Zufälligkeit des späten Zeitpunkts der Entscheidung des Bundespatentgerichts (ein Umstand, der sowieso schon zu Lasten des Beklagten im Verletzungsprozess geht) würde hier also dazu führen, dass der Beklagte eine weitere Vollstreckung während der Dauer des BGH-Verfahrens (Nichtigkeitsberufung) hinzunehmen hätte. Bei der Anhörungsrüge hat der Senatsvorsitzende die Parteien darauf hingewiesen,2216 dass der BGH die teleologische Reduktion des § 719 Abs. 2 ZPO dergestalt erwägt, dass der BGH in diesen Fällen nach den für das Berufungsgericht geltenden Maßstäben entscheiden würde, so dass also regelmäßig einzustellen wäre und nur ausnahmsweise nicht (wenn etwa die Entscheidung des Gerichts im Rechtsbestandsverfahren das Klageschutzrecht betreffend evident unrichtig wäre, was sich nur auf der Basis der Gründe des Urteils bestimmen lässt). Nach Vorliegen der Gründe des patentgerichtlichen Urteils hat der BGH die Anhörungsrüge mit seinem Beschluss vom 16.9.2014 als Gegenvorstellung umgedeutet und die Zwangsvollstreckung antragsgemäß (gegen Sicherheitsleistung) eingestellt.2217 Die Ratio des § 719 Abs. 2 ZPO liege in der erhöhten Richtigkeitsgewähr des Berufungsurteils, die auch in den §§ 708 Nr. 10 und 717 Abs. 3 ZPO zum Ausdruck komme. Mit Blick auf die der Aussetzungsentscheidung gemäß § 148 ZPO zugrundeliegende Prognoseentscheidung des Verletzungsgerichts/Oberlandesgerichts, die sich auf die Entscheidung der Bundespatentgerichts bezieht, sei diese Richtigkeitsgewähr allerdings von vornherein nicht im selben Maße gegeben. Durch ein den Rechtsbestand des Klagepatents verneinendes Urteil des Patentgerichts werde die Richtig2211 BGH 26.9.1991, GRUR 1992, 65 – Fehlender Vollstreckungsschutzantrag I; BGH 31.10.2000 – XII ZR 3/00 – NJW 2001, 375; GK-UWG/Jestaedt (1. Auflage) Vor § 13 E Rn. 84. BGH 8.7.2014 – X ZR 61/13 – GRUR 2014, 1028 – Nicht zu ersetzender Nachteil. BGH 8.7.2014 – X ZR 61/13 – GRUR 2014, 1028 Tz. 4 – Nicht zu ersetzender Nachteil. BGH 8.7.2014 – X ZR 61/13 – GRUR 2014, 1028 Tz. 6 – Nicht zu ersetzender Nachteil. Vgl. nur OLG Düsseldorf 7.7.2008 – I-2 U 90/06 – InstGE 9, 173 f. Tz. 6 – Herzklappenringprothese; Kühnen Hdb. Patentverletzung, Kap. H Rn. 42. 2216 Verfügung vom 13.8.2014 – X ZR 61/13. 2217 BGH 16.9.2014 – X ZR 61/13 – BGHZ 202, 288 = GRUR 2014, 1237.

2212 2213 2214 2215

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

keit des die Aussetzung verneinenden oberlandesgerichtlichen Urteils durch ein äußeres Ereignis dergestalt erschüttert, dass eine Regelungslücke im System des § 719 Abs. 2 ZPO vorliege, die durch eine analoge Anwendung des § 719 Abs. 1 ZPO zu schließen sei. Es ist also im Regelfall einzustellen und nur ausnahmsweise, wenn die Gründe des patentgerichtlichen Urteils einen offensichtlichen Fehler erkennen lassen, ist dem Beklagten/Vollstreckungsschuldner die Einstellung zu verweigern. Das überzeugt. 812 Hat der Schuldner von der Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO keinen Gebrauch gemacht, so kann der Antrag nach § 719 Abs. 2 ZPO nur dann (ausnahmsweise) Erfolg haben, wenn der Schuldner zeigen kann, dass damit zu rechnen war, dass der Gläubiger im Anschluss daran seinerseits Sicherheit geleistet und die Zwangsvollstreckung eingeleitet haben würde.2218

(d) Wegfall des Titels und Einstellung oder Aufhebung der Zwangsvollstreckung nach erfolgter Zuwiderhandlung 813 (aa) Uneingeschränktes Erfordernis eines Vollstreckungstitels. Wenn der zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlung bestehende Titel nachträglich uneingeschränkt weggefallen ist, kann die Zwangsvollstreckung gemäß § 775 Nr. 1 ZPO nicht mehr fortgesetzt werden. Die Zwangsvollstreckung setzt einen bestehenden Titel voraus, dieser ist also für die Festsetzung des Ordnungsmittels erforderlich, auch wenn die Zuwiderhandlung zum Zeitpunkt des Bestehens des Titels erfolgte (dazu unten Rn. 848).2219 Die Gegenauffassung2220 hat der BGH als mit den Grundlagen des Zwangsvollstreckungsrechts (Erfordernis eines Titels) als unvereinbar erklärt und damit abgelehnt. Ein solcher Wegfall liegt etwa bei einer uneingeschränkten Erledigungserklärung vor, weil mit dieser die Rechtshängigkeit grundsätzlich ex tunc entfällt und damit entsprechende Titel wie bei der Klagerücknahme entfallen. Gleiches gilt für eine uneingeschränkte Aufhebung des Unterlassungsurteils mit ex tunc Wirkung wie etwa die Aufhebung in der Rechtsmittelinstanz, die Aufhebung wegen Versäumung der Vollziehungsfrist (§ 929 Abs. 2 ZPO) oder wegen der Versäumung der Frist zur Hauptsacheklage (§ 926 Abs. 2 ZPO).2221

814 (bb) Zeitlich beschränkte Aufhebung oder Erledigungserklärung. Die grundsätzliche Verneinung der Vollstreckung führt zu nicht überzeugenden Ergebnissen. Das wird etwa dann besonders augenscheinlich, wenn der Schuldner durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung das erledigende Ereignis selbst herbeiführt und damit die Vollstreckung gegen vorangegangene Zuwiderhandlungen unmöglich machen würde.2222 Deshalb wird vertreten, dass in diesen Fällen wegen des repressiven Charakters des Ordnungsmittels gleichwohl die Ahndung einer vorher erfolgten Zuwiderhandlung möglich sein muss.2223 Der BGH kommt in „Euro-Einführungsrabatt“ ebenfalls zu dem überzeugenden Ergebnis, 815 dass eine Ahndung der vergangenen Zuwiderhandlung möglich ist, wenn man die zeitliche Dimension des Unterlassungstitels und seines Wegfalls in Betracht zieht. So kann der Gläubiger (Kläger) die Erledigung im Erkenntnisverfahren zeitlich befristet erklären, also für den Zeitraum 2218 BGH 25.4.2012 − I ZR 136/11 – GRUR 2012, 959 = GRUR-Prax 2012, 397 m. Anm. Danckwerts. Der Schuldner muss dann also von der Abwendungsbefugnis Gebrauch machen.

2219 BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264, 265 – Euro-Einführungsrabatt; OLG Hamm 18.4.1989, WRP 1990, 423 m. Anm. Münzberg; Stein/Jonas/Bartels § 890 Rn. 28; Zöller/Seibel § 890 Rn. 9 f., 24; Schuschke/Walker/Kessen/Thole/Sturhahn § 890 Rn. 13; Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 38; Melullis Rn. 955 ff.; Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 254; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 6.16; Fritsche 667 ff.; Ulrich WRP 1992, 147; Kühnen Hdb. Patentverletzung, Kap. H Rn. 131. 2220 GK-UWG/Jestaedt (1. Auflage) Vor § 13 E Rn. 46; Ahrens Kap. 66 Rn. 19, 21 ff.; Borck WRP 1994, 656. 2221 H.L. Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 38; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 6.16. 2222 So die Konstellation, die dem Beschluss OLG Düsseldorf 11.1.2001 – 20 W 78/00 – Mitt. 2001, 322 zugrundelag. In diesem Sinne auch Melullis Rn. 956; Kühnen Hdb. Patentverletzung, Kap. H Rn. 178. 2223 OLG Düsseldorf 11.1.2001 – 20 W 78/00 – Mitt. 2001, 322, 323; Kühnen Hdb. Patentverletzung, Kap. H Rn. 178. Grosch

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XII. Zwangsvollstreckung

Vor §§ 12–15a A

nach Eintritt des erledigenden Ereignisses und damit die Vollstreckung für die vergangene Zuwiderhandlung sichern.2224 Der BGH hat in „Euro-Einführungsrabatt“ ferner angemerkt (obiter), dass der bloße Zeitablauf bei einem Titel, der von vornherein befristet war oder dem nach den Umständen nur in einem bestimmten Zeitraum zuwidergehandelt werden konnte, kein erledigendes Ereignis begründet, so dass eine Erledigungserklärung nicht erforderlich sei.2225 Insofern kann auf die obigen Ausführungen zur Erledigung verwiesen werden. Selbst wenn man die Erledigungserklärung mit der wohl h. L. – und gegen das obiter dictum aus „Euro-Einführungsrabatt“ – in diesen Fällen für erforderlich hält,2226 so ist diese mit der entsprechenden zeitlichen Beschränkung zu erklären und damit bleibt die Vollstreckung für vergangene Zuwiderhandlungen gegen den Titel möglich. Insofern kann auf die Kommentierung im Rahmen der Erledigung der Hauptsache verwiesen werden.2227 Verneint der Beklagte den Eintritt eines erledigenden Ereignisses, weil er etwa der Auffas- 816 sung ist, dass die Klage oder der Verfügungsantrag schon ursprünglich unzulässig oder unbegründet war (etwa schon vor Abgabe einer nach Beschlussverfügung oder erstinstanzlicher Urteilsverfügung abgegebenen strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung), so liegt kein Fall der umfassenden übereinstimmenden Erledigungserklärung vor, sondern das Gericht muss darüber entscheiden, ob die Beschlussverfügung bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses zu bestätigen ist oder die Urteilsverfügung nur für den Zeitraum danach abzuändern ist. Entsprechend ist dann auch zu tenorieren, so dass bejahendenfalls der Titel für die Zwecke der Zwangsvollstreckung fortbesteht.2228 Nur mit Blick auf den Zeitraum danach fällt die Rechtshängigkeit weg. Dasselbe Ergebnis muss dann für solche Aufhebungen des Unterlassungstitels gelten, 817 denen ihrem Sinngehalt nach nur ex nunc Wirkung zukommt.2229 So wird man eine Aufhebungsentscheidung gemäß § 927 ZPO wegen veränderter Umstände als zeitlich beschränkt für den Zeitraum ab Eintritt der veränderten Umstände ansehen müssen.2230 Eine andere Lösung ist mit der vom BGH vertretenen Auffassung schwer in Einklang zu bringen, weil der Gläubiger wegen der veränderten Umstände den Rechtsstreit genauso gut in der Hauptsache für erledigt erklären könnte und diese Erklärung dann als zeitlich beschränkt anzusehen wäre. Insofern überzeugt es gerade nicht, eine abweichende Auffassung unter Berufung auf § 775 Nr. 1 ZPO im Lichte von BGH „Euro-Einführungsrabatt“ zu vertreten.2231 Auch hier ist allerdings darauf zu achten, wie weit die Entscheidung aufgehoben wurde. Auch nach § 927 ZPO kann die Entschei-

2224 BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264, 266 – Euro-Einführungsrabatt; OLG Hamm 18.4.1989, WRP 1990, 423, 424 m. Anm. Münzberg; KG 31.7.1998, GRUR 1999, 191 – Fremdwährungspreis; Stein/ Jonas/Bartels § 890 Rn. 29 f.; Baumbach/Hefermehl Einl. Rn. 587b; Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 254; Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 38a; Melullis Rn. 957 ff.; Fritzsche Unterlassungsanspruch, S. 667 f.; Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 134; so wohl auch Kühnen Hdb. Patentverletzung, Kap. H Rn. 179 f. 2225 BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264, 266 – Euro-Einführungsrabatt; vgl. ferner Stein/Jonas/Bartels § 890 Rn. 31; Melullis Rn. 958; Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 134; Münzberg WRP 1990, 425, 426. 2226 So etwa Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 39; a. A. Stein/Jonas/Bartels § 890 Rn. 31; Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 131 ff. 2227 Siehe Rn. 683. 2228 Dieser Aspekt der Problematik, also die Beklagteninteressen, werden im Schrifttum fast ausschließlich ausgeblendet. 2229 Vgl. Stein/Jonas/Bartels § 890 Rn. 29, der aber wohl eine ausdrückliche zeitliche Beschränkung der Aufhebung verlangt. Das erscheint mir jedenfalls mit den Wertungen aus Euro-Einführungsrabatt nicht vereinbar, dazu sogleich. 2230 A. A. OLG München 1.9.2005 – 6 W 2984/04 – InstGE 6, 55 – Rohrleitungsverdichter; Kühnen Hdb. Patentverletzung, Kap. H Rn. 121 (Titel müsse zum Zeitpunkt der Vollstreckung bestehen; dem widerspricht Kühnen aber für die parallele Erledigungsproblematik, vgl. Hdb. Patentverletzung, Kap. H Rn. 177 f.). 2231 So jedoch Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 6.16. 773

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

dung ex tunc aufgehoben werden, so etwa wenn das Verfügungspatent rechtskräftig vernichtet wird.2232

818 (cc) Auslegung der Erledigungserklärung mit Blick auf die Umstände der erfolgten Zuwiderhandlung. Bedeutsam ist dabei auch, dass der BGH den Erklärungswert der Erledigungserklärung nicht nur nach ihrem strikten Wortlaut beurteilt. Zu ermitteln ist vielmehr der erklärte Wille, wie er auch aus den Begleitumständen und nicht zuletzt der Interessenlage hervorgehen kann. Mangels abweichender Umstände gilt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht.2233 Daraus folge regelmäßig, dass eine Erledigterklärung wegen Beendigung der die Begehungsgefahr begründenden Handlung (etwa eine Sonderverkaufsveranstaltung) als zeitlich beschränkt auf den Zeitraum nach Beendigung der Handlung zu verstehen ist, diese Erklärung also nur für die Zukunft gelten soll.2234 Teilweise wird das weniger weitgehend gesehen, insbesondere wenn der Schuldner das Ordnungsmittelverfahren nicht erwähnt hat.2235 Letztlich müssen das Gericht und die Gegenpartei als Adressaten der Erklärung ihren Sinngehalt deuten können. Wenn also etwa ein Rechtsstreit durch Vergleich beendet wird und in diesem Rahmen eine Erledigungserklärung abgegeben wird, so müsste der Kläger schon ausdrücklich Abweichendes erklären, wenn er eine Beschränkung in zeitlicher Hinsicht wollte. Gleiches gilt, wenn der Ordnungsmittelantrag der Gegenpartei noch nicht zugestellt wurde oder vom Gläubiger bei der Erledigungserklärung nicht adressiert wurde.

819 (dd) Titelwegfall nach Ordnungsmittelbeschluss. Fällt der Titel nachträglich uneingeschränkt weg, so sind Ordnungsmittelbeschlüsse gemäß § 776 ZPO aufzuheben und Ordnungsgelder zurückzuerstatten. Das gilt auch dann, wenn die Beschlüsse bereits rechtskräftig geworden waren.2236 Wenn der Ordnungsmittelantrag zurückgenommen wurde, so ist hingegen der Beschluss wirkungslos und die Wirkungslosigkeit ist gemäß § 269 Abs. 4 ZPO analog auszusprechen.2237 Möglich ist die Rücknahme aber nur bis zur Rechtskraft des Ordnungsmittelbeschlusses.2238

820 (ee) Stellungnahme. Insgesamt führt die Linie des BGH aus „Euro-Einführungsrabatt“ zu einem sachgerechten Ergebnis, das die Vollstreckung wegen vergangener Zuwiderhandlungen 2232 Schwieriger sind die Fälle zu beurteilen, in denen die Aufhebung wegen einer nicht rechtskräftigen Vernichtung vorliegt, so der Fall OLG München 1.9.2005 – 6 W 2984/04 – InstGE 6, 55 – Rohrleitungsverdichter. Auch hier wird man allerdings regelmäßig von einer rückwirkenden Aufhebung ausgehen müssen, weil sich die Prognoseentscheidung als unzutreffend erwiesen hat. 2233 Vgl. BGH 7.6.2001 – I ZR 21/99 – GRUR 2001, 1036 = WRP 2001, 1231 – Kauf auf Probe; BGH 14.11.2002 – I ZR 199/00 – GRUR 2003, 231, 232 = WRP 2003, 279 – Staatsbibliothek. 2234 BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264, 267 sub c) – Euro-Einführungsrabatt; so bereits OLG Düsseldorf 11.1.2001 – 20 W 78/00 – Mitt. 2001, 322, 323. 2235 KG 31.7.1998 – 5 W 4012/98 – GRUR 1999, 191, 192 – Fremdwährungspreis; Melullis Rn. 958, nach dem von einem solchen Willen nicht zwangsläufig und ohne weiteres ausgegangen werden könne. 2236 OLG Düsseldorf 31.3.2008 – I-2 W 29/07 – InstGE 9, 56 Tz. 2 – Rücknahme des Ordnungsmittelantrages; Kühnen Hdb. Patentverletzung, Kap. H Rn. 139. 2237 OLG Düsseldorf 31.3.2008 – I-2 W 29/07 – InstGE 9, 56 Tz. 1 – Rücknahme des Ordnungsmittelantrages; Kühnen Hdb. Patentverletzung, Kap. H Rn. 139; OLG Hamm 29.6.1976, NJW 1977, 1203, 1204; Zöller/Seibel § 890 Rn. 13; Schuschke/Walker/Kessen/Thole/Koranyi § 888 Rn. 24 a. E.; Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle/Schmidt § 890 Rn. 13; Stein/Jonas/Bartels § 890 Rn. 36, 45; Thomas/Putzo/Seiler § 890 Rn. 6 f. i. V. m. § 887 Rn. 5. 2238 H.L.; OLG Düsseldorf 31.3.2008 – I-2 W 29/07 – InstGE 9, 56 Tz. 2 – Rücknahme des Ordnungsmittelantrages; Kühnen Hdb. Patentverletzung, Kap. H Rn. 139. Grosch

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XII. Zwangsvollstreckung

Vor §§ 12–15a A

regelmäßig ermöglicht und nur in Ausnahmefällen ausschließt, wenn das der Erklärung des Schuldners entspricht. Sie ist auch konform mit der Funktion des Ordnungsmittels als Ahndung von vergangenem Unrecht (repressive Funktion), der man ansonsten nicht gerecht werden könnte.2239

(2) Besonderheiten einstweiliger Beschlussverfügungen. Einstweilige Beschlussverfü- 821 gungen bilden gemäß § 794 Nr. 3 ZPO die Grundlage für die Zwangsvollstreckung. Einstweilige Unterlassungsverfügungen, gleich ob in Urteils- oder Beschlussform (ohne mündliche Verhandlung erlassen), bedürfen im Gegensatz zu Hauptsacheurteilen keines Ausspruchs der vorläufigen Vollstreckbarkeit. Dies ergibt sich aus der Natur des im einstweiligen Rechtsschutz erstrittenen Titels, welcher sofort vollstreckbar ist.2240 Erforderlich für die Vollstreckbarkeit ist hier allerdings die Vollziehung der Verfügung gemäß §§ 936, 929 ZPO. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Vollziehung auch für die Annahme einer Zuwiderhandlung erforderlich ist; hierzu unten Rn. 853. (3) Weitere Titel. Weitere praktisch relevante Unterlassungstitel sind insbesondere der Pro- 822 zessvergleich (§ 794 Nr. 1 ZPO) und die vollstreckbare Urkunde (§ 794 Nr. 5 ZPO). Prozessvergleiche sind in Wettbewerbssachen häufiger anzutreffen und hier stellen sich Fragen der Konkurrenz von Ordnungsmittel und Vertragsstrafe; diese Aspekte werden unten im Kontext der Androhung des Ordnungsmittel gemäß § 890 Abs. 2 ZPO im Zusammenhang behandelt (Rn. 846). Auf die Zwangsvollstreckung aus den in § 794 ZPO genannten Titeln sind die Vorschriften der §§ 724 bis 793 ZPO entsprechend anzuwenden. Das gilt insbesondere für die Vollstreckungsklausel (§§ 724 ff. ZPO i. V. m. § 797a ZPO, Ausnahme für einstweilige Verfügungen, §§ 929 Abs. 1, 936 ZPO) sowie für die Zustellung (§ 750 ZPO).

(4) Bestimmte Bezeichnung der Parteien. Gläubiger und Schuldner müssen in dem Titel so 823 genau bezeichnet sein, dass deren Identität sicher festgestellt werden kann. Das hat nach der Rechtsprechung des BGH für den Unterlassungstitel besondere Bedeutung, da es hier nicht nur darum gehe, die Inanspruchnahme Unbeteiligter auszuschließen, sondern gegenüber dem Antragsgegner zweifelsfrei klarzustellen, dass sich die gerichtliche Anordnung gegen ihn richtet.2241 Gleichwohl ist eine Auslegung des Titels möglich, für die nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei der Unterlassungsvollstreckung, die durch das Prozessgericht des ersten Rechtszuges erfolgt, auch außerhalb des Titels liegende Umstände berücksichtigt werden dürfen. Eine „kleinliche Handhabung“ sei hier nicht indiziert.2242 Insbesondere kann sich auch aus der Verletzungshandlung, die unstreitig vom Schuldner durchgeführt worden war und weshalb er außergerichtlich abgemahnt wurde, die Identität des Schuldners zweifelsfrei ergeben, wenn er wegen dieser Handlung zur Begründung der Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen wurde.2243

2239 BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264, 267 sub (2) – Euro-Einführungsrabatt; mittlerweile auch h. L., vgl. die umfangreichen Nachweise bei Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 38a in Fn. 222–225.

2240 BGH 17.10.2019 – I ZB 19/19 – GRUR-RS 2019, 35642 Tz. 12 – Tinnitus Präparat; allgemeine Meinung auch im Schrifttum vgl. etwa Ahrens/Büttner/Spätgens Kap. 64 Rn. 28.

2241 BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264, 265 – Euro-Einführungsrabatt. 2242 BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264, 265 – Euro-Einführungsrabatt; MünchKommZPO/Heßler § 750 Rn. 24 ff.; Musielak/Voit/Lackmann § 750 Rn. 9; Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/ Gehle/Weber § 750 Rn. 4; Thomas/Putzo/Seiler Vorbem § 704 Rn. 22, jew. m. w. N. 2243 BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264, 265 – Euro-Einführungsrabatt. 775

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

(5) Bestimmtheit des Unterlassungstitels 824 (a) Gerichtliche Unterlassungsurteile. Inwiefern die Bestimmtheit des Unterlassungstitels Zwangsvollstreckungsvoraussetzung ist, ist umstritten.

825 (aa) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Das Bundesverfassungsgericht hatte zunächst offen gelassen, ob das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG im Rahmen des § 890 ZPO anwendbar ist.2244 Jedenfalls verlange der Bestimmtheitsgrundsatz insofern aber allein, dass das Vollstreckungsgericht dem Unterlassungsurteil im Rahmen der Auslegung einen für den Schuldner vorhersehbaren Umfang zugrundegelegt habe, was im entschiedenen Fall für einen typischen Fall der Kernbereichslehre bejaht wurde. In einer zu einem Ordnungsgeld nach § 335 HGB ergangenen Entscheidung2245 hat das Bundesverfassungsgericht dann entschieden, dass das strenge Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG auch für Ordnungsmittelbeschlüsse gelten soll, wobei sich die Entscheidung in der Begründung auch auf solche nach § 890 ZPO bezieht.2246 Aufgrund des Doppelcharakters dieses Ordnungsmittels liege es nahe, Art. 103 Abs. 2 GG stets anzuwenden. Zu entscheiden hatte das Verfassungsgericht diese Frage allerdings nur für einen Fall, in welchem die Beugung des Schuldnerwillens (Erzwingungseffekt) nicht mehr zu erreichen war, so dass ausschließlich der repressive Strafcharakter in Rede stand. Jedenfalls für diese Fälle müsse Art. 103 Abs. 2 GG Geltung beanspruchen.2247 Der BGH hat demgegenüber 2017 (ohne Diskussion der gerade zitierten Entscheidung des BVerfG) entschieden, dass Art. 103 Abs. 2 GG auf die Unterlassungsvollstreckung keine Anwendung finde, weil diese der Durchsetzung privatrechtlicher Verpflichtungen zwischen Privaten diene und insofern nicht auf dem staatlichen Gewaltmonopol beruhe.2248 Die Komplexität privatrechtlicher Verpflichtungen würde eine enge Betrachtung auch gar nicht zulassen, ohne die Effektivität der Durchsetzung privater Rechte in staatlichen Verfahren (welche verfassungsrechtlich gerade aufgrund des Gewaltmonopols des Staates gewährleistet sein muss) in nicht akzeptabler Weise zu beeinträchtigen. Letzteres stützt sich auf die Judikatur des Verfassungsgerichts zum Anscheinsbeweis für die Feststellung einer Zuwiderhandlung (hierzu unten Rn. 877).

826 (bb) Allgemeine zivilprozessuale Judikatur und Schrifttum. Auch in der allgemeinen prozessrechtlichen Literatur wird die Bestimmtheit des Titels als Zwangsvollstreckungsvoraussetzung betont. Der vollstreckungsfähige Inhalt muss danach bestimmt sein.2249 Die Bestimmtheit sei im Zwangsvollstreckungsverfahren selbständig zu prüfen und es bestehe keine Bindung an die im Erkenntnisverfahren bereits erfolgte Prüfung nach § 253 Abs. 1 ZPO.2250 Für Unterlassungsurteile ist dabei vertreten worden, dass aus diesen bei fehlender Bestimmtheit die Zwangsvollstreckung nicht stattfinden könne, insbesondere wenn diese nur den Gesetzeswortlaut wiederholten.2251

2244 BVerfG 4.12.2006 – 1 BvR 1200/04 – GRUR 2007, 618 Tz. 16 – Organisationsverschulden. 2245 BVerfG 9.1.2014 – 1 BvR 299/13 – BB 2014, 559. 2246 Was durch die ausdrückliche Bezugnahme auf die § 890 ZPO betreffende Entscheidung BVerfG 4.12.2006 – 1 BvR 1200/04 – NJW-RR 2007, 860 deutlich wird, siehe BVerfG 9.1.2014 – 1 BvR 299/13 – BB 2014, 559, 560.

2247 Wenn allein noch dem sanktionierenden Zweck der Bestimmung Rechnung getragen werden müsse, stehe die Anwendbarkeit des Art. 103 Abs. 2 GG außer Frage, BVerfG 9.1.2014 – 1 BvR 299/13 – BB 2014, 559, 560. BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 295 Tz. 24 – Produkte zur Wundversorgung. Thomas/Putzo/Seiler Vorbem IV § 704 Rn. 16; Zöller/Seibel § 890 Rn. 9; Stein/Jonas/Bartels § 890 Rn. 10. OLG Stuttgart 6.8.1998, NJW-RR 1999, 792. OLG Düsseldorf 26.8.1998, NJW-RR 1999, 791.

2248 2249 2250 2251

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XII. Zwangsvollstreckung

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(cc) Judikatur und Schrifttum zum Wettbewerbsprozess. Die wettbewerbsrechtliche Lite- 827 ratur und Judikatur verhält sich dazu praktisch kaum. Das hat sicherlich damit zu tun, dass der BGH sich aufgrund des Instanzenzuges regelmäßig nur zum Erkenntnisverfahren äußern kann, also zur Bestimmtheit nach § 253 ZPO. Dort wird besonderes Augenmerk darauf gelegt, dass für den Beklagten im späteren Vollstreckungsverfahren der Umfang und die Tragweite des Verbots klar sein müssen und der Rechtsstreit nicht durch unbestimmte Begriffe ins Zwangsvollstreckungsverfahren getragen werden dürfe.2252 Das schließt, wie oben zur Unterlassungsklage ausgeführt,2253 insbesondere gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge als unbestimmt und damit unzulässig aus. Diese Grundsätze sind in der Rechtsprechung der Instanzgerichte und in der ganz herrschenden Auffassung im Schrifttum anerkannt.2254 Gleichwohl wird praktisch nicht ausdrücklich adressiert, ob ein Titel, der unter Verstoß gegen diese Grundsätze zustande gekommen ist, einen vollstreckungsfähigen Inhalt hat. In Anbetracht der subtilen und sehr ausdifferenzierten Rechtsprechung des BGH werden diese Fälle nicht selten sein. Insofern scheint es relativ klar zu sein, dass in der Judikatur für die vollstreckungsrechtlich erforderliche (minimale) Bestimmtheit nicht dieselben Maßstäbe angelegt werden, wie das bei der Prüfung der Zulässigkeit der Klage der Fall ist. Bei Prüfung der Zulässigkeit nach § 253 ZPO geht es eher darum, den Wortlaut des Tenors von unklaren und unbestimmten Begriffen frei zu halten. Bei der Frage, ob der Tenor einen vollstreckungsfähigen Inhalt hat, wird man hingegen stets im Wege der Auslegung weitreichende Versuche zu unternehmen haben, den bestimmten Inhalt des Titels zu klären. So hat der BGH in der Entscheidung „Piadina-Rückruf“ ausgeführt, dass die Auslegung des Titels unerlässlich ist, wenn ein am reinen Wortlaut orientiertes Verständnis zu keinem „sinnvollen Inhalt des Verbotstenors“ führe. Diese Auslegung müsse mit Blick auf die „vollstreckungsrechtlich unverzichtbare Bestimmtheit des Titels“ ein klares und eindeutiges Ergebnis erzielen.2255 Regelmäßig wird die Auslegung anhand der Gründe und des Parteivorbringens in der Praxis ein solches Ergebnis zeitigen. Im entschiedenen Fall (es ging um einen Schadensersatzanspruch nach § 945 ZPO wegen der Vollstreckung einer Beschlussverfügung) war dem Verbotstitel (Verbot, bestimmte „Piadina“-Brote mit italienischen Herkunftshinweisen anzubieten) die Einschränkung hinzugefügt worden „solange diese Produkte nicht tatsächlich in Italien hergestellt worden sind“. Das war nach Auffassung des BGH objektiv auslegungsbedürftig. Sofern der Zusatz so zu verstehen gewesen wäre, dass offen bliebe, ob die tatsächlich bezeichneten Brote in Italien herstellt worden seien oder nicht, und ob damit ein „aktuell eingreifendes Verbot“ vorläge oder nicht, sei das Verbot „unzulässig“. In jenem Fall hätte das Verbot also (wohl) keinen vollstreckungsfähigen Inhalt. Die Auslegung anhand der Antragsschrift und der Anlagen ergab aber nach Ansicht des BGH eindeutig, dass das Landgericht mit der Beschlussverfügung jedenfalls den Vertrieb der konkret bezeichneten Brote als nicht in Italien hergestellt habe verbieten wollen.2256 Der Zusatz bezeichnet also lediglich ein für den Verbotsumfang irrelevantes Begründungselement. Letzteres hätte der BGH im Erkenntnisverfahren als unbestimmt und damit unzulässig aufheben können, im Vollstreckungsverfahren führt hingegen die Auslegung zum richtigen Ergebnis. Ausdrücklich adressiert – allerdings nur obiter – hat der BGH den Fall der fehlenden Bestimmtheit in der Entscheidung „Ford-Vertragspartner“ nur für den Fall eines klaren Widerspruchs zwischen Tenor und Gründen. In diesem Fall habe der Titel keinen „vollstreckungsfähigen Inhalt“.2257 Obiter war die genannte Äußerung deshalb, weil sie im Erkenntnisverfahren in der Revisionsinstanz mit Blick auf das Berufungsur2252 BGH in st. Rspr.; vergl. etwa BGH 9.10.1986 – I ZR 138/84 – GRUR 1987, 172, 174 – Unternehmensberatungsgesellschaft I.

2253 Siehe Rn. 188 ff. 2254 Vgl. nur beispielhaft Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.35 und Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 8b, jeweils m. w. N.

2255 BGH 30.7.2015 – I ZR 250/12 – GRUR 2016, 406 Tz. 33 – Piadina-Rückruf. 2256 BGH 30.7.2015 – I ZR 250/12 – GRUR 2016, 406 Tz. 33, 34 – Piadina-Rückruf. 2257 BGH 17.3.2011 – I ZR 170/08 – GRUR 2011, 1050 Tz. 17 – Ford-Vertragspartner. 777

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

teil getroffen wurde. Die Verurteilung wurde insofern auch nicht wegen fehlender Bestimmtheit des Antrages aufgehoben, sondern weil das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen habe, dass die Beklagte den durch den Tenor untersagten Verstoß überhaupt begangenen habe, eben weil hier ein entsprechender Widerspruch zu den Gründen des Urteils bestand.2258 Büscher äußerte sich zur fehlenden materiellen Rechtskraftfähigkeit von Unterlassungsurteilen ohne Urteilsgründe (Anerkenntnis-, Versäumnisurteile sowie Beschlussverfügungen ohne Gründe). Wenn der Kläger in diesen Fällen sein Klagebegehren entgegen der „TÜV“ -Rechtsprechung des BGH (dazu oben Rn. 141 ff.) alternativ begründet habe, so könne auch unter Heranziehung des klägerischen Vorbringens nicht ermittelt werden, über welchen Streitgegenstand das Gericht entschieden hat, so dass es dem Titel an der materiellen Rechtskraftfähigkeit fehle.2259 Insofern beruft sich Büscher zu Recht auf ein Urteil des IX. Zivilsenats,2260 wonach einem solchem, unter Verstoß gegen § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zustande gekommenen Urteil, bei dem sich auch nicht aus den Gründen ermitteln lässt, über was das Gericht entschieden hat, mangels Bestimmtheit die Rechtskraftfähigkeit und damit auch die Vollstreckbarkeit fehle. Anderes gilt hingegen, wenn das Gericht sich in den Gründen einen bestimmten Klagegrund ausgesucht hat, auch wenn der Kläger das in unzulässiger Weise im Erkenntnisverfahren dem Gericht überlassen hat.2261 Die Möglichkeit der Unbestimmtheit des Titels in den Fällen der Beschlussverfügung aufgrund alternativer Begründungen in der Antragsschrift soll aber nicht dazu führen, dass die Antragsschrift nicht zur Auslegung herangezogen werden kann.2262

828 (dd) Auslegung des Titels (hierzu auch oben Rn. 604). Bei objektiv zweideutigem Wortlaut eines Verbotstitels ist mithin dessen Auslegung erforderlich. Hierfür gelten dieselben Grundsätze, die allgemein für die Ermittlung der vom Titel erfassten Verhaltensweisen gelten. Die Auslegung des Verbotstitels erfolgt also grundsätzlich „unter Berücksichtigung der gesamten Entscheidung“,2263 also insbesondere der Entscheidungsgründe.2264 Umstände, die außerhalb des Titels liegen, dürfen hingegen grundsätzlich nicht herangezogen werden. Allerdings kann das Vollstreckungsgericht (als Prozessgericht des ersten Rechtszuges im Erkenntnisverfahren, § 890 Abs. 1 ZPO) sein Wissen aus dem Erkenntnisverfahren verwerten. Daraus rechtfertigt sich insbesondere, dass bei Beschlussverfügungen auch die Antragsschrift sowie streitiges oder glaubhaft gemachtes Vorbringen der Parteien aus dem Erkenntnisverfahren berücksichtigt werden dürfen.2265 Diese Grundsätze gelten für die Auslegung des Titels durch das Beschwerdegericht im Ordnungsmittelverfahren entsprechend.2266 Aus diesen Erwägungen erklärt sich der regelmäßig zitierte Grundsatz der ganz herrschenden Auffassung, wonach bei Beschlussverfügungen für die objektive Auslegung des Verbotstenors auf die Antragsschrift und die beigefügten Anlagen 2258 2259 2260 2261

BGH 17.3.2011 – I ZR 170/08 – GRUR 2011, 1050 Tz. 10 ff. – Ford-Vertragspartner. Büscher GRUR 2012, 16, 19 mit Fn. 15. BGH 18.11.1993, BGHZ 124, 164 = NJW 1994, 460 f. Vgl. OLG Hamm 5.3.1992, NJW-RR 1992, 1279 (für den Fall eines einzigen Zahlungsanspruchs, der alternativ auf zwei unterschiedliche Klagegründe – eigenen Kaufvertrag und abgetretenes Recht aus Werkliefervertrag – gestützt wird); ebenso für die hier interessierenden Fälle unter Verweis auf diese Entscheidung, Büscher GRUR 2012, 16, 19 mit Fn. 15. 2262 OLG Frankfurt a. M. 25.6.2018 – 6 w 9/18 – BeckRS 2018, 16577 Tz. 15. 2263 BGH 19.5.2010 – I ZR 177/07 – GRUR 2010, 855 Tz. 17 – Folienrollos. 2264 BGH 25.2.2014 – X ZB 2/13 – GRUR 2014, 605 Tz. 18 – Flexitanks; BGH 19.5.2010 – I ZR 177/07 – GRUR 2010, 855 Tz. 17 – Folienrollos; BGH 9.10.1986 – I ZR 138/84 – GRUR 1987, 172, 174 – Unternehmensberatungsgesellschaft I; BGH 25.9.1978 – VII ZR 281/77 – NJW 1979, 720; BGH 27.2.1961, BGHZ 34, 337, 339 = NJW 1961, 917; BGH 14.2.1962, BGHZ 36, 365, 367 = NJW 1962, 1109; allg. M., vgl. etwa Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 5 m. w. N. 2265 BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264, 265 b) aa) – Euro-Einführungsrabatt (betreffend die Ermittlung der im Titel bezeichneten Partei, dazu auch unten Rn. 839); BGH 26.11.2009 – VII ZB 42/98 – NJW 2010, 2137 Rn. 12; OLG Frankfurt a. M. 1.8.2018 – 6 W 53/18 – GRUR 2018, 1085 Tz. 10 – Kennzeichnungsfrei. 2266 OLG Frankfurt a. M. 25.6.2018 – 6 W 9/18 – BeckRS 2018, 16577 Tz. 14 – Made in Germany. Grosch

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XII. Zwangsvollstreckung

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abzustellen ist.2267 Auch insofern handelt es sich aber aus Gründen der Rechtssicherheit um eine „objektive“ Auslegung, so dass nicht entscheidend sein könne, wie das Prozessgericht (als Vollstreckungsgericht) seinen Titel „verstanden wissen will“.2268 Die eigene Auslegung des Titels durch das Prozessgericht im Vollstreckungsverfahren nach § 890 ZPO hat also schon deshalb keine Bindungswirkung.2269 Bei einem Anerkenntnisurteil ist zu ermitteln, was die Parteien gewollt und erklärt haben, wobei die Erklärungen der Parteien nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen der §§ 133, 157 BGB zu würdigen sind.2270 Um den Parteiwillen vorliegend zu ermitteln, ist nach der Rechtsprechung des BGH auf die „Prozessgeschichte“ zu rekurrieren.2271 Bei Versäumnisurteilen ist mangels Entscheidungsgründen auf das Klagevorbringen abzustellen.2272 Teilweise hatte der BGH allerdings im Ausgangspunkt enger angenommen, dass für die Auslegung ausschließlich auf den Titel selbst Bezug genommen werden dürfe.2273 Das wurde dann allerdings entscheidend durch die Annahme relativiert, dass bei einer dem Klageantrag entsprechenden Tenorierung, der Tenor regelmäßig so auszulegen sei wie der Klageantrag. Es sei also regelmäßig das zugesprochen, was für Gericht und Gegenseite erkennbar mit der Klage gewollt gewesen sei.2274 Da der Klageantrag im Urteil wiedergegeben sei, widerspreche das auch nicht dem Grundsatz, dass es für die Auslegung regelmäßig nur auf den Titel selbst ankomme.

(ee) Konkrete Unterlassungsverfügung (Beschlussverfügung) ohne Begründung. Ein 829 Sonderfall ist in Wettbewerbssachen gegeben, wenn eine Beschlussverfügung, die auf die konkrete Verletzungsform gerichtet ist (konkretes Unterlassungsbegehren, hierzu oben Rn. 79) – wie regelmäßig der Fall – ohne Gründe erlassen wird und der Antragsteller diese Beschlussverfügung durch Zustellung vollzieht, ohne dass dabei die Antragsschrift mit zugestellt wird. Hier wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertreten, dass das den Titel nicht unbestimmt mache. Die Bestimmtheit sei bei konkreten Unterlassungsgeboten immer gegeben2275 und die Beschlussverfügung könne ohne Begründung erlassen werden; es sei Sache des Schuldners, sich die Antragsschrift zu beschaffen, um Zuwiderhandlungen zu vermeiden.2276 Nach der Praxis anderer Obergerichte wird dem Antragsteller aufgegeben, die Antragsschrift mit zuzustellen oder diese wird sogleich im Tenor erwähnt und mit dem Beschluss fest verbunden (weitere Nachweise unten Rn. 855).

2267 BGH 30.7.2015 – I ZR 250/12 – GRUR 2016, 406 Tz. 34 – Piadina-Rückruf; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 6.4. 2268 OLG Frankfurt a. M. 25.6.2018 – 6 W 9/18 – BeckRS 2018, 16577 Tz. 14 – Made in Germany. 2269 BGH 9.4.1992 – I ZR 240/90 – GRUR 1992, 525, 526 Abs. 1 – Professorenbezeichnung in der Arztwerbung II. Dazu auch oben Rn. 603. 2270 RG 2.2.1935, RGZ 147, 27, 29 f.; BGH 22.2.1952, BGHZ 5, 189, 193 f. = GRUR 1952, 577 – Fischermännchen. 2271 BGH 22.2.1952, BGHZ 5, 189, 192 f. = GRUR 1952, 577 – Fischermännchen; für den Rückgriff auf die Antragsschrift LG Düsseldorf 22.7.2005 – 4b O 327/04 – InstGE 6, 30, 33 f. Rn. 10 ff. – Rotordüse. 2272 BGH 18.11.1993, NJW 1994, 460; BGH 25.9.1972, NJW 1972, 2268, 2269; BGH 12.1.1987, NJW-RR 1987, 831. 2273 BGH 4.5.2004 – X ZR 234/02 – GRUR 2004, 755, 756 – Taxameter; BGH 6.11.1985 – IVb ZR 73/84 – NJW 1986, 1440; in diese Richtung auch der erste Zivilsenat, BGH 9.4.1992 – I ZR 240/90 – GRUR 1992, 525, 526 Abs. 1 – Professorenbezeichnung in der Arztwerbung II: „[…] denn eine Auslegung des Urteils kann im Hinblick auf das Erfordernis eines aus sich heraus verständlichen und bestimmten Vollstreckungstitels allein auf der Grundlage dessen erfolgen, was im Urteil selbst objektiv Ausdruck gefunden hat.“. 2274 BGH 4.5.2004 – X ZR 234/02 – GRUR 2004, 755, 756 – Taxameter. 2275 Im Einklang mit der Rechtsprechung und herrschenden Auffassung zur Bestimmtheit bei konkreten Unterlassungsbegehren, hierzu Rn. 116 und 123. 2276 OLG Hamburg 3.5.2012 – 3 U 155/11 – WRP 2012, 1594, 1595 Tz. 33 – Zustellung einer Beschlussverfügung. Zu den verschiedenen Übungen der Obergerichte vgl. Klein GRUR 2016, 899 ff. 779

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

830 (ff) Stellungnahme. Auf der Basis der Titelauslegung unter Berücksichtigung der Entscheidungsgründe werden sich in der Regel alle Auslegungsfragen klären lassen. Es kommt für die Bestimmtheit nicht auf die Urteilsformel per se oder in ihrer Isoliertheit, sondern auf die Bestimmtheit des Verbots an, dass durch Auslegung zu ermitteln ist. Es überzeugt deshalb keineswegs, einem gesetzeswiederholenden Tenor die Bestimmtheit schlechthin abzusprechen. Nach der Rechtsprechung des BGH mag ein entsprechender Antrag im Erkenntnisverfahren im Regelfall nicht den Bestimmtheitsanforderungen genügen. Diese Bestimmtheitsanforderungen des Erkenntnisverfahrens können aber im Vollstreckungsverfahren nicht gelten. Wäre das der Fall, so wäre ein nicht unerheblicher Teil der Unterlassungstitel nicht vollstreckbar, weil man, wie oben gezeigt, im Dickicht der schwer übersehbaren Kasuistik zur Bestimmtheit bei abstrahierenden Anträgen (Rn. 163 ff.) leicht verloren gehen kann. Letztlich gäbe es damit dann keine abschließende Entscheidung über diese Fragen, weil nach dem Erkenntnisverfahren stets aufs Neue die Bestimmtheit geprüft werden könnte und müsste. Das kann nicht überzeugen. 831 Dass die Bestimmtheitsanforderungen des Erkenntnisverfahrens nicht ohne weiteres auf das Vollstreckungsverfahren zu übertragen sind, überzeugt nicht nur wegen des praktischen Ergebnisses. Sinn und Zweck der Bestimmtheitsanforderungen im Erkenntnisverfahren ist es, einen möglichst gut handhabbaren Tenor zu erlangen, der die tragenden Gründe des Urteils, mit Blick auf die relevanten Punkte des Subsumtionsschlusses und damit der Elemente der Urteilsnorm, möglichst deutlich artikuliert (hierzu ausführlich Rn. 80). Hier gibt es letztlich nicht schwarz oder weiß, sondern die Unterschiede sind zumeist gradueller Art. Entscheidend bleibt aber letztlich auch hier die Bestimmung der Urteilsnorm anhand der Gründe des Urteils. Erst die Gründe geben darüber Aufschluss, was tatsächlich verboten ist. Das ist kein Notbehelf, sondern für Unterlassungsurteile zwingend (hierzu Rn. 89, 139 und 828). Das gilt im Übrigen auch, wie bereits oben ausgeführt, für Kopieranträge, die sich deskriptiv auf die konkrete Verletzungshandlung der Vergangenheit beziehen. Jede Abweichung der konkreten Beschreibung kann nur aufgrund eines Referenzmaßstabes der Gründe des Urteils bewertet werden. Ein bestimmter Unterlassungstitel erleichtert also nur die Arbeit des Vollstreckungsgerichts, kann sie aber nie ganz vermeiden. 832 Wenn die Auslegung allerdings in diesem Sinne „scheitert“, dann führt an der Verneinung der Bestimmtheit kein Weg vorbei. Es ist keineswegs so, dass man erst dann von einer Titelstreitigkeit sprechen kann, wenn die Auslegung zu keinem Ergebnis führt (hierzu oben Rn. 604). Eine solche liegt vor, wenn die Auslegung des Titels in Streit steht. Führt diese zu keinem eindeutigen Ergebnis, kann die Vollstreckung nicht stattfinden. Das ist schon aus verfassungsrechtlichen Gründen zwingend erforderlich (hierzu bereits oben Rn. 825). Das werden allerdings Ausnahmefälle bleiben, in denen die Gründe derart kryptisch sind, dass schlicht nicht ermittelbar ist, welches Verhalten konkret verboten sein soll, oder wenn, wie im BGH-Fall „Fordvertragspartner“,2277 ein offener Widerspruch zwischen Tenor und Gründen besteht. Gleiches gilt, wenn das Gericht bei einem abstrahierenden Verbot und mehreren selbständigen Klagegründen es hat dahinstehen lassen, auf welchen die Verurteilung gestützt wird. Hier ändert sich nämlich mit der Auswahl des Klagegrundes der Gehalt der Verbotsnorm, was für den BGH in „TÜV“ der Grund war, die alternative Klagehäufung als nicht bestimmt und damit unzulässig einzuordnen (dazu ausführlich oben Rn. 150 f.); mithin ist auch der Titel unbestimmt.2278 Eine Auslegung ist für den Schuldner ferner nicht möglich, wenn eine Beschlussverfügung sich lediglich durch die deskriptive Bezugnahme auf die konkrete Verletzungshandlung auszeichnet, aber ohne Antragsbegründung zugestellt wurde.2279 Das gilt jedenfalls dann, wenn man ein solches konkretes Verbot qua Kernbereichslehre auch auf kerngleiche Abwandlungen ausweiten will, die sich nur anhand der Begründung des Verbots/Antrages bestimmen lassen 2277 BGH 17.3.2011 – I ZR 170/08 – GRUR 2011, 1050 f. Tz. 17 – Ford-Vertragspartner. 2278 So auch Büscher GRUR 2012, 16, 19 mit Fn. 15. 2279 Zur Frage der fehlenden Bestimmtheit eines solchen Antrags/Verbots ohne Rückgriff auf die Gründe vgl. Rn. 124, 139 sowie Rn. 829. Grosch

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XII. Zwangsvollstreckung

Vor §§ 12–15a A

(vgl. Rn. 854 ff.). Insofern ist das Verbot ohne die Antragsschrift nicht bestimmt. Es kann nicht überzeugen, dem Schuldner die Herstellung der Bestimmtheit durch Beschaffung der Antragsschrift aufzubürden. Ein bestimmter Titel ist dem Schuldner zuzustellen. Das ist Voraussetzung der Zwangsvollstreckung. Ohne die Antragsschrift ist ein solcher Titel aber nicht bestimmt, so dass die Linie des OLG Hamburg2280 abzulehnen ist.

(gg) Verfahrensrechtliche Fragen. Mit Blick auf die Einzelheiten zur Titelfeststellungsklage 833 sowie der Konkurrenz zu den vollstreckungsrechtlichen Verfahren und einer neuen Hauptsacheklage sei auf die Ausführungen unter Rn. 596 ff. verwiesen. Ergänzend sei an dieser Stelle noch bemerkt, dass nach der Rechtsprechung des BGH dem Schuldner in analoger Anwendung des § 767 ZPO die Vollstreckungsabwehrklage gegen einen der materiellen Rechtskraft und damit auch der Vollstreckungsfähigkeit nicht zugänglichen Titel gegeben ist.2281

(b) Prozessvergleiche. Größere Schwierigkeiten können sich bei anderen Titeln, insbeson- 834 dere bei Prozessvergleichen ergeben. Hier entspricht es der herrschenden Auffassung im allgemeinen zivilprozessualen Schrifttum, dass für die Auslegung der titulierten Unterlassungsverpflichtung allein der protokollierte Inhalt des Vergleichs, also der „isolierte Vollstreckungstitel“, maßgeblich sein soll, was einen Rückgriff auf die Prozessakten und die Anträge der Parteien ausschließe.2282 Diese Auffassungen werden praktisch zu allen Fällen vertreten, in denen nicht das Pro- 835 zessgericht des ersten Rechtszuges das Vollstreckungsgericht ist. Dort ist es in der Tat schwierig, dem Vollstreckungsorgan eine Prüfung unter Heranziehung der Prozessakten zu übertragen. Für Unterlassungsverpflichtungen in Prozessvergleichen gilt das in der Regel2283 nicht, weil hier das Prozessgericht des ersten Rechtszuges das zuständige Vollstreckungsorgan ist. Es kann die Unterlassungsverpflichtung unter Rückgriff auf die Prozessakten auslegen. Jedes andere Ergebnis wäre auch unpraktikabel, denn die Parteien formulieren in der Regel die Unterlassungsverpflichtungserklärung derart, dass sie erst vor dem Hintergrund des Prozessvorbringens verständlich wird. Der Vergleich zum Patentverletzungsprozess mag wiederum als Plausibilitätskontrolle dienen: Auch hier wird regelmäßig der Anspruchswortlaut für die Formulierung der Unterlassungsverpflichtung herangezogen, ohne dass dadurch gewollt gewesen wäre, den Schutzbereich des Klagepatents zu titulieren. Auch hier bezieht sich die Erklärung nur auf den Streitgegenstand des verglichenen Verfahrens, sofern sich keine Anhaltspunkte für einen abweichenden Parteiwillen ergeben. bb) Vollstreckungsklausel. Maßnahmen der Zwangsvollstreckung sind nur zulässig, wenn 836 dem Vollstreckungsantrag eine vollstreckbare Ausfertigung beigefügt ist. Das gilt auch für einen Antrag nach § 890 ZPO.2284 Die vollstreckbare Ausfertigung ist eine mit der Vollstreckungsklausel versehene Ausfertigung des Unterlassungsurteils (§ 724 Abs. 1 ZPO). Die Vollstreckungsklausel ist ein dem Urteil am Schluss anzufügender Vermerk, wonach die vorstehende Ausfertigung dem nach seiner Parteibezeichnung im Urteilsrubrum zu bezeichnenden Gläubiger zum Zwecke der Zwangsvollstreckung erteilt wird (§ 725 ZPO).

2280 OLG Hamburg 3.5.2012 – 3 U 155/11 – WRP 2012, 1594, 1595 Tz. 33 – Zustellung einer Beschlussverfügung. 2281 Ausführlich begründet in BGH 18.11.1993, BGHZ 124, 164 = NJW 1994, 460 f. 2282 KG 29.7.1988, NJW-RR 1988, 1406 f.; OLG Frankfurt 22.9.1994, VersR 1995, 1061; OLG Koblenz 7.2.2002, JurBüro 2002, 551; OLG Stuttgart 17.4.1997, Rpfleger 97, 446; Zöller/Geimer § 794 Rn. 14a.

2283 Die in § 797a ZPO geregelten Ausnahmen können als praktisch unbedeutend außer Betracht bleiben. 2284 OLG Karlsruhe 19.9.2007 – 20 WF 104/07 – NJW 2008, 450. 781

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Einstweilige Unterlassungsverfügungen bedürfen (gleich ob Urteils- oder Beschlussverfügungen) als Vollstreckungstitel des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich keiner Vollstreckungsklausel. Anderes gilt gemäß §§ 929 Abs. 1, 936 ZPO nur dann, wenn die Zwangsvollstreckung für oder gegen einen anderen als den namentlich im Urteil oder Beschluss bezeichneten Gläubiger bzw. Schuldner erfolgen soll. Dann ist gemäß § 727 Abs. 1 ZPO, wie bei jedem anderen Urteil auch, die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung für oder gegen diesen Gläubiger bzw. Schuldner, gegen den die Zwangsvollstreckung erfolgen soll, erforderlich. Das Zwangsvollstreckungsrecht erfordert hier die Eindeutigkeit der Bezeichnung. Die Erteilung ist gemäß § 727 Abs. 1 ZPO nur für den Rechtsnachfolger des Gläubigers sowie gegen den Rechtsnachfolger des Schuldners möglich. Ferner ist die Klauselerteilung gegen denjenigen Rechtsnachfolger des Schuldners im streitbefangenen Gegenstand möglich, gegen den das Urteil gemäß § 325 ZPO wirksam ist. Die Voraussetzungen sind dem zuständigen Urkundsbeamten der Geschäftsstelle durch öffentlich beglaubigte Urkunden nachzuweisen, sofern sie nicht offensichtlich sind (§ 727 Abs. 1 ZPO). 838 Die vollstreckbare Ausfertigung muss lediglich für die Maßnahmen der Zwangsvollstreckung vorliegen, sie muss nicht selbst dem Schuldner zugestellt worden sein.2285 Anderes gilt nur für die qualifizierten Fälle einer Klauselerteilung, wie etwa dem nach § 727 ZPO (§ 750 Abs. 2 ZPO). 837

cc) Zustellung des Titels 839 (1) Urteile. Die Zwangsvollstreckung erfordert nach § 750 Abs. 1 ZPO, dass die Personen, gegen die sie stattfindet, in dem Urteil namentlich bezeichnet sind und die Zustellung an diese zumindest gleichzeitig mit der Zwangsvollstreckung erfolgt. Erfolgt die Zwangsvollstreckung gegen eine andere als die im Urteil namentlich bezeichnete Person, so ist deren Bezeichnung in der gemäß § 727 ZPO zu erteilenden Vollstreckungsklausel sowie zusätzlich die Zustellung der vollstreckbaren Ausfertigung erforderlich, § 750 Abs. 2 ZPO. Die vom Gesetz geforderte „namentliche“ Bezeichnung ist nach der Rechtsprechung des BGH allerdings nicht wörtlich zu nehmen. Es genügt, wenn Gläubiger und Schuldner in dem Titel so genau bezeichnet sind, dass sie sicher festgestellt werden können.2286 Es ist also grundsätzlich eine Auslegung der namentlichen Bezeichnung „nach allgemeinen Regeln“2287 möglich und erforderlich. Dabei ist zwar wegen der Formalisierung des Vollstreckungsverfahrens kein Rückgriff auf außerhalb des Titels liegende Umstände zulässig.2288 Anderes gilt aber für die Fälle, in denen das Vollstreckungsgericht das Prozessgericht des ersten Rechtszuges ist und es in dieser Eigenschaft den Vollstreckungstitel selbst geschaffen hat; hier sollen auch außerhalb des Titels liegende Umstände Berücksichtigung finden dürfen.2289 Beispielhaft hierfür ist die Entscheidung „Euro-Einführungsrabatt“. Im entschiedenen Fall wurde die „C-Mode ges. vertreten durch ihre Geschäftsführer, B-Straße D“. Gemeint war die in D ansässige KG mit dieser Firma. Einige Jahre zuvor war in D auch eine C-Mode GmbH ansässig. Diese andere Gesellschaft war inzwischen an einen anderen Ort verzogen. Trotz des fehlenden Rechtsformzusatzes und der Namensgleichheit mit der GmbH sowie der Erwähnung der gesetzlichen Vertretung durch die Geschäftsführer hat der BGH angenommen, dass durch die angegriffenen Handlungen und die prozessuale Vorgeschichte (Abmahnung) eindeutig gewesen sei, dass die KG gemeint war. In der genannten Entscheidung wurden diese außerhalb des Titels liegenden Umstände aber nicht weiter eingegrenzt. In der Entscheidung des VII. Senats aus dem Jahr 2009 wird die Entscheidung „Euro-Einführungsrabatt“ zwar zustimmend zitiert, aber zugleich eine wesentliche Beschränkung vorgenommen, nämlich dergestalt, dass das Prozessgericht „sein Wissen aus dem Erkenntnisver2285 2286 2287 2288 2289

Berneke/Schüttpelz/Schüttpelz, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, Rn. 591a. BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264, 265 b) aa) – Euro-Einführungsrabatt. BGH 26.11.2009 – VII ZB 42/08 – NJW 2010, 2137 Tz. 11. BGH 26.11.2009 – VII ZB 42/08 – NJW 2010, 2137 Tz. 11. BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264, 265 b) aa) – Euro-Einführungsrabatt.

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XII. Zwangsvollstreckung

Vor §§ 12–15a A

fahren bei der Auslegung des Titels mit heranziehen [kann] und damit auch Umstände berücksichtigen [kann], die außerhalb des Titels liegen“.2290 In der Entscheidung „Euro-Einführungsrabatt“ hat sich der BGH hingegen allein auf die Feststellungen des Beschwerdegerichts mit Blick auf die prozessuale Vorgeschichte berufen und nicht darauf, dass das schon im Erkenntnsiverfahren dem Prozessgericht bekannt gewesen sei. Die Zustellung einer Ausfertigung ist nach Änderung von § 317 Abs. 1 ZPO zum 1.7.2014 nicht mehr erforderlich.

(2) Beschlussverfügungen (a) Zustellung im Parteibetrieb. Die Zustellung der einstweiligen Beschlussverfügung erfolgt 840 im Parteibetrieb, §§ 922 Abs. 2, 936 ZPO. Darin liegt sowohl die Zustellung im Sinne des § 750 Abs. 1 ZPO (i. V. m. § 795 ZPO) als auch die Vollziehung im Sinne von §§ 929 Abs. 2, 936 ZPO. Die Zustellung im Parteibetrieb ist in den §§ 191 ff. ZPO geregelt. Sie erfolgt entweder durch den Gerichtsvollzieher (§§ 192 bis 194 ZPO) oder im Wege der Zustellung von Anwalt zu Anwalt (§ 195 ZPO).

(b) Einzelheiten der Zustellung (aa) Übergabe der beglaubigten Abschrift oder der Ausfertigung. Zugestellt wurde die 841 Beschlussverfügung nach alter Rechtslage (bis 1.7.2014) nur durch Übergabe einer beglaubigten Abschrift der Urschrift oder einer beglaubigten Abschrift der Ausfertigung (die Ausfertigung tritt im Rechtsverkehr an die Stelle der Urschrift).2291 Das ist auch weiterhin möglich, wenn dem Gläubiger eine (vollständige Fassung der) Ausfertigung zugestellt wird, was allerdings nur auf Antrag erfolgt (§ 317 Abs. 2 ZPO); dieser Antrag kann im Verfügungsantrag enthalten sein. Möglich war und ist auch die Übergabe einer (weiteren) Ausfertigung,2292 wenn diese dem Gläubiger auf Antrag mehrfach zur Verfügung gestellt wird. Die Ausfertigung oder Urschrift muss dem Gerichtsvollzieher für den Zustellungsvorgang vorliegen (§ 192 Abs. 2 S. 1 ZPO) und er hat auf dieser oder auf einem – mit derselben zu verbindenden – Formular die Ausführung der Zustellung nach § 182 Abs. 2 ZPO mit der Person, in deren Auftrag er zugestellt hat, zu vermerken, § 193 Abs. 1 ZPO. Für den Empfänger wird der Tag der Zustellung auf der übergebenen beglaubigten Abschrift vermerkt oder eine beglaubigte Abschrift der Zustellungsurkunde übergeben (§ 193 Abs. 3 ZPO). Mit der Gesetzesänderung zum 1.7.2014 durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen 842 Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10.10.2013 wurde § 317 Abs. 1 S. 1 ZPO so geändert, dass den Parteien grundsätzlich nicht mehr eine Ausfertigung eines Urteils, sondern nur noch eine Abschrift desselben zugestellt wird; diese kann auch maschinell erstellt werden, wobei das Gerichtssiegel die Unterschrift ersetzt (§ 169 Abs. 3 ZPO). Eine Ausfertigung wird nur noch auf Antrag erteilt (§ 317 Abs. 2 S. 1 ZPO). Ganz auf dieser Linie wird auch bei Beschlussverfügungen nur noch eine beglaubigte Abschrift zugestellt.2293 Deshalb ist nach der nunmehr vorherrschenden Auffassung nur noch die Zustellung der beglaubigten Abschrift durch den Gläubiger zur Wahrung der Vollziehungsfrist erforderlich.2294 Das ist zutreffend, wenn beachtet wird, von welcher „beglaubigten Abschrift“ man spricht: Richtig ist, dass die Zustellung der durch das Gericht beglaubigten und an den Gläubiger zugestellten Abschrift ausreichend ist. Das ist die für die 2290 BGH 26.11.2009 – VII ZB 42/08 – NJW 2010, 2137 Tz. 12. 2291 Da gesetzlich nichts anderes vorgesehen ist, ist die Übergabe der beglaubigten Abschrift der normale Weg der Zustellung einer Urkunde, vgl. Zöller/Schultzky § 166 Rn. 9.

2292 Die Übergabe einer Ausfertigung anstatt einer beglaubigten Abschrift ist immer ausreichend, vgl. BGH 29.9.1954, BGHZ 14, 342, 344 = NJW 54, 1722; Zöller/Schultzky § 166 Rn. 9.

2293 Harte/Henning/Retzer, § 12 Rn. 532a. 2294 Harte/Henning/Retzer, § 12 Rn. 532a; Berneke/Schüttpelz/Schüttpelz, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, Rn. 591 und 591a. 783

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Zustellung maßgebliche „Urschrift“ (das „zuzustellende Schriftstück“ im Sinne des § 192 Abs. 2 ZPO), die dem Gerichtsvollzieher für die Zustellung zu übergeben ist.2295 Der Gerichtsvollzieher beglaubigt die Abschriften von dieser Urschrift und übergibt zum Zwecke der Zustellung die von ihm erstellte beglaubigte Abschrift an den Zustellungsempfänger. Zugestellt wird also die vom Gericht beglaubigte Abschrift durch Übergabe einer beglaubigten Abschrift.

843 (bb) Einzelheiten der Beglaubigung. Die Beglaubigung der Abschrift der Ausfertigung musste nach früher herrschender Auffassung den Ausfertigungsvermerk erfassen, dieser muss also vollständig sichtbar sein und die Beglaubigung sich hierauf beziehen. Entsprechend muss nach der neuen Rechtslage (Zustellung der beglaubigten Abschrift genügt) der Beglaubigungsvermerk zu erkennen sein.2296 Für die Beglaubigung ist ansonsten keine besondere Form vorgeschrieben,2297 jedoch muss sie sich unzweideutig auf das gesamte Schriftstück erstrecken, insbesondere auch den (sichtbaren) Ausfertigungsvermerk erfassen. Hierfür ist es erforderlich, dass die Blätter als Einheit derart verbunden sind, dass die körperliche Verbindung als dauernd gewollt erkennbar und nur durch Gewaltanwendung zu lösen ist.2298 Dem genügt es nach der Rechtsprechung des BGH, wenn die aus mehreren Blättern bestehende Abschrift der Beschlussverfügung mit mehreren Heftklammern zusammengeheftet ist2299 und der Beglaubigungsvermerk sich auf dem letzten Blatt befindet und sich damit auf das gesamte zugestellte Schriftstück bezieht.

844 (cc) Zustellung von Anwalt zu Anwalt (§ 195 ZPO). Für die Zustellung von Anwalt zu Anwalt im Sinne des § 195 ZPO ist regelmäßig Prozessvollmacht der Anwälte auf beiden Seiten erforderlich, die Vollmacht kann sich jedoch auch auf die bloße Mitwirkung an der Zustellung beschränken.2300 Das wird regelmäßig nur dann der Fall sein, wenn der Schuldner eine Schutzschrift eingereicht hat oder sich der Rechtsanwalt in der vorgerichtlichen Korrespondenz für den Schuldner ausdrücklich als zustellungsbevollmächtigt bezeichnet hat. Mit dem Einreichen der Schutzschrift hat sich der Rechtsanwalt des Schuldners als Prozessbevollmächtigter bestellt, so dass dieser im Rubrum aufzunehmen ist und die Zustellung der Beschlussverfügung durch den Schuldner an diesen vorgenommen werden muss (§ 172 ZPO).2301 Allerdings setzt das Kenntnis des Gläubigers voraus. Hat das Prozessgericht dem Gläubiger die Schutzschrift nicht übermittelt und den Prozessbevollmächtigten des Schuldners nicht in das Rubrum aufgenommen, so ist die Zustellung im Parteibetrieb an den Schuldner persönlich wirksam.2302 Die Zustellung von Anwalt zu Anwalt ist in der Praxis wegen des für die Wirksamkeit der Zustellung erforderlichen Empfangsbekenntnisses und der entsprechend erforderlichen Mitwirkung des Ge2295 Zöller/Schultzky, ZPO § 192 Rn. 7. 2296 Zöller/Schultzky, ZPO § 192 Rn. 8. 2297 BGH 7.10.1959, BGHZ 31, 32, 36 = NJW 59, 2307; BGH 2.11.1961, BGHZ 36, 62, 64 = NJW 1961, 2307; BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264, 265 f. – Euro-Einführungsrabatt.

2298 BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264, 265 f. – Euro-Einführungsrabatt; BGH 27.5.1974, NJW 1974, 1383, 1384.

2299 BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264, 265 f. – Euro-Einführungsrabatt; der Verwendung des Plurals „Heftklammern“ kommt hier wohl keine Bedeutung zu, weil der BGH auch eine Heftklammer hat ausreichen lassen, BGH 27.5.1974, NJW 1974, 1383, 1384; ebenso BGH 29.4.1974, NJW 1974, 128; vgl. ferner OLG Celle, OLG-Rep. 1999, 328, 329; OLG Bamberg, OLG-Rep. 2002, 239, 240; Zöller/Schultzky § 169 Rn. 9; Graf Lambsdorff Rn. 269; Berneke Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 2. Aufl., Rn. 318. 2300 Zöller/Schultzky § 195 Rn. 4. 2301 H.L., vgl. OLG Karlsruhe 27.11.1991, NJW-RR 1992, 700, 701; OLG Hamburg 7.7.1994, NJW-RR 1995, 444; Zöller/ Schultzky § 172 Rn. 6; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 43 m. w. N. 2302 Überzeugend OLG Frankfurt 12.9.1985, NJW-RR 1986, 587; im Ergebnis übereinstimmend mit der h. L., vgl. die Nachweise bei Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 43 in Fn. 231. Grosch

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XII. Zwangsvollstreckung

Vor §§ 12–15a A

genanwalts für die Vollziehung der einstweiligen Verfügung typischerweise nicht der präferierte Weg.

dd) Androhung gemäß § 890 Abs. 2 ZPO (1) Einzelheiten der wirksamen Androhung. Die vorherige Androhung des Ordnungsmittels 845 kann und wird regelmäßig bereits im Urteil vorgenommen. Sie kann aber auch in einem nachträglichen Beschluss des Prozessgerichts des ersten Rechtszuges erfolgen. Die Androhung kann hingegen nicht wirksam in einer notariellen Urkunde vorgenommen werden, auch wenn diese ein Vollstreckungstitel nach § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO ist.2303 Ferner kann nur der Gläubiger diesen Antrag stellen, nicht aber der Schuldner,2304 weshalb ohne Einvernehmen mit dem Gläubiger über die Stellung dieses Antrages die Beseitigung der Wiederholungsgefahr für den Unterlassungsanspruch nicht möglich ist.2305 Die Androhung muss die gesetzlich in § 890 Abs. 1 ZPO genannten Ordnungsmittel konkret angeben, weil sie das Ausmaß des drohenden hoheitlichen Zwangs erkennen lassen muss. Die Androhung „der gesetzlichen Ordnungsmittel nach § 890 ZPO“ genügt also nicht, sondern es ist eine Präzisierung erforderlich, also „Ordnungsgeld bis zu 500.000 DM, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten.“2306 Eine Antragstellung des Klägers/Gläubigers, die auf die gesetzlichen Ordnungsmittel gerichtet ist, ist allerdings zulässig und das Gericht an diesen nicht hinreichenden Wortlaut nicht gebunden.2307 Gebunden ist das Gericht allerdings an einen Antrag, der die Ordnungsmittel niedriger als gesetzlich vorgesehen angibt. Dann ist auch nur eine entsprechende Festsetzung in diesem Rahmen möglich. Unschädlich ist es hingegen, wenn die Androhung der Ordnungsmittel über das gesetzlich vorgesehene Maß hinausgeht, insbesondere wenn Ordnungsgeld und Ordnungshaft kumulativ und nicht alternativ angedroht werden.2308 Die Androhung der Ordnungsmittel soll dem Schuldner die möglichen Folgen eines Verstoßes gegen das Unterlassungsgebot deutlich vor Augen führen und ihn dadurch dazu anhalten, die Unterlassungspflicht zu erfüllen.2309 Eine Androhung von Ordnungsmitteln in einem das gesetzliche Maß übersteigenden Umfang wird deshalb als wirksam angesehen, weil in einem solchen Fall noch weniger die Gefahr besteht, dass der Schuldner die Bedeutung der Ordnungsmittelandrohung unterschätzt.2310 Bei juristischen Personen genügt es, wenn die Vollziehung der Ordnungs-

2303 H.L. Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 25; a. A. Köhler GRUR 2010, 6 Fn. 14, weil es sich nur um eine Information des Schuldners handle, welcher Sanktionen drohen können (zustimmend zitiert von Löffel, GRUR-Prax 2018, 389 l. Sp.). Diese Auffassung bildet auch die Grundlage der höchstrichterlichen Judikatur, vgl. BGH 7.6.2018 – I ZB 117/ 17 – GRUR 2018, 973 – Ordnungsmittelandrohung durch den Schuldner. 2304 BGH 7.6.2018 – I ZB 117/17 – GRUR 2018, 973 – Ordnungsmittelandrohung durch den Schuldner. 2305 Die Wiederholungsgefahr entfällt erst mit der Zustellung des Androhungsbeschlusses nach § 890 Abs. 2 ZPO, BGH 21.4.2016 – I ZR 100/15 – GRUR 2016, 1316 Tz. 33 ff. – Notarielle Unterlassungserklärung. Zudem wird das Rechtsschutzinteresse des Gläubigers zur gerichtlichen Durchsetzung seines Anspruchs bejaht (BGH 21.4.2016 – I ZR 100/15 – GRUR 2016, 1316 Tz. 16 ff.). 2306 Vgl. BGH 6.7.1995, GRUR 1995, 744, 749 r. Sp. a. E. – Feuer, Eis und Dynamit I; seither h. L., vgl. etwa Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 6.3 m. w. N. 2307 Ahrens/Büttner/Spätgens Kap. 64 Rn. 32; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 6.3; Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 25. 2308 BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264, 265 – Euro-Einführungsrabatt; Teplitzky/ Feddersen Kap. 57 Rn. 25a; a. A. GK-UWG/Jestaedt (1. Auflage) Vor § 13 E Rn. 18; Ahrens/Büttner/Spätgens Kap. 64 Rn. 33; Melullis Rn. 939. 2309 BGH 3.4.2014 – I ZB 3/12 – WRP 2014, 861, Tz. 7 – Ordnungsmittelandrohung nach Prozessvergleich. 2310 BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264, 265 – Euro-Einführungsrabatt; OLG Hamm 24.2.1983, GRUR 1983, 606, 607 – Zu hohe Strafandrohung; Stein/Jonas/Bartels § 890 Rn. 15; Schuschke/Walker/ Kessen/Thole/Sturhahn § 890 Rn. 17; Berneke Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 2. Aufl., Rn. 164. 785

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

haft an deren gesetzlichen Vertretern angedroht wird. Diese müssen nicht namentlich benannt werden.2311

846 (2) Die selbständige Androhung als Beginn der Zwangsvollstreckung – Einzelheiten zum Prozessvergleich. Die selbständige Androhung ist Beginn der Zwangsvollstreckung, so dass zu diesem Zeitpunkt auch die Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen vorliegen müssen.2312 Anderes gilt naturgemäß für die im Urteil enthaltene Androhung, für welche die Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen nicht vorliegen müssen.2313 Die selbständige Androhung ist insbesondere für Unterlassungstitel, die keine Urteile sind, relevant, was in praxi regelmäßig der gerichtliche Vergleich (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) sein wird. Im Vergleich selbst kann die Androhung nicht wirksam vorgenommen werden;2314 das gilt auch für den Vergleichsschluss im schriftlichen Verfahren gemäß § 278 Abs. 6 ZPO.2315 Es handelt sich ferner um eine zwingende Schuldnerschutzvorschrift, auf die regelmäßig im Voraus nicht verzichtet werden kann.2316 Dadurch entsteht auch keine Rechtsschutzlücke für den Gläubiger mit Blick auf Zuwiderhandlungen zwischen der Zustellung des Vergleichs (also Zwangsvollstreckungsvoraussetzung) und der Androhung, weil der Gläubiger im Vergleich auch eine Vertragsstrafe vorsehen kann.2317 Darauf sollte der Gläubiger mithin bei Vergleichen auch bestehen. Die Androhung bedarf ferner keines besonderen Rechtsschutzinteresses und insbesondere keiner bereits erfolgten Zuwiderhandlung.2318 Ob das auch gilt, wenn eine Vertragsstrafe im Prozessvergleich vorgesehen ist, war längere Zeit streitig.2319 Die überwiegende Auffassung hatte sich dafür ausgesprochen. Die Gegenauffassung, die etwa vom 6. Zivilsenat des OLG Karlsruhe2320 vertreten wurde, hatte hiergegen argumentiert, dass mit der Strafbewehrung der Unterlassungsverpflichtung die Wiederholungsgefahr entfalle. Ferner sei an sich die Zuwiderhandlung eine weitere Vollstreckungsvoraussetzung bei § 890 ZPO. Wenn es nicht zu einer weiteren Zuwiderhandlung komme, sei überhaupt nicht klar, ob die Unterlassungsvollstreckung erforderlich sei, um die geschuldete Unterlassung zu erzwingen; deshalb fehle es am Rechtsschutzinteresse.2321 Dem ist der BGH zu Recht nicht gefolgt.2322 Der Wegfall der Wiederholungsgefahr spielt 2311 BGH 16.5.1991 – I ZR 218/89 – GRUR 1991, 929, 931 – Fachliche Empfehlung II; Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 25b m. w. N.

2312 Ganz h. L., vgl. nur BGH 29.9.1978, NJW 1979, 217 r. Sp. sub 3; Zöller/Seibel § 890 Rn. 12; Thomas/Putzo/Seiler § 890 Rn. 19.

2313 BGH 22.1.2009 – I ZB 115/07 – GRUR 2009, 890, 891 Tz. 14 – Ordnungsmittelandrohung. 2314 BGH 3.4.2014 – I ZB 3/12 – WRP 2014, 861, Tz. 8 – Ordnungsmittelandrohung nach Prozessvergleich; BGH 2. 2.2012 − I ZB 95/10 – GRUR 2012, 957 Tz. 7 – Vergleichsschluß im schriftlichen Verfahren; RG 19.1.1898, RGZ 40, 413, 415; OLG Köln 26.2.2007 – 6 W 26/07 – OLG-Report 2007, 707; OLG Frankfurt a. M. 6.3.2006 – 6 WF 33/06 – NJW-RR 2006, 1441; OLG Stuttgart 10.9.1975, WRP 1976, 119; KG 21.9.1982, JurBüro 1983, 781, 783; KG 11.11.1986, NJW-RR 1987, 507; OLG Karlsruhe 25.3.1957, GRUR 1957, 447; Musielak/Voit/Lackmann § 890 Rn. 7; Saenger/Kießling § 890 Rn. 15; Schuschke/Walker/Kessen/Thole/Sturhahn § 890 Rn. 16; Wieczorek/Schütze/Rensen § 890 Rn. 31; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 6.3; Fezer/Büscher/Obergfell § 12 Rn. 383; Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 25; a. A. LG Berlin 26.10.1966, MDR 1967, 134; Blomeyer ZivilprozessR – Vollstreckungsverfahren (1975) § 95 I 2; Baur Der schiedsrichterliche Vergleich (1971) Rn. 112; Hasse NJW 1969, 23, 24; Schlosser JZ 1972, 639. 2315 BGH 2.2.2012 – I ZB 95/10 – GRUR 2012, 957 Tz. 12 – Vergleichsschluß im schriftlichen Verfahren. 2316 BGH 2.2.2012 – I ZB 95/10 – GRUR 2012, 957 Tz. 13 − Vergleichsschluß im schriftlichen Verfahren. 2317 BGH 2.2.2012 – I ZB 95/10 – GRUR 2012, 957 Tz. 9 – Vergleichsschluß im schriftlichen Verfahren. 2318 BGH 3.4.2014 – I ZB 3/12 – WRP 2014, 861 Tz. 8 – Ordnungsmittelandrohung nach Prozessvergleich; Zöller/ Seibel § 890 Rn. 12; MünchKommZPO/Gruber § 890 Rn. 26, 31; Musielak/Voit/Lackmann § 890 Rn. 17; Saenger/Kießling § 890 Rn. 16; Thomas/Putzo/Seiler § 890 Rn. 19; Gloy/Loschelder/Danckwerts § 93 Rn. 5; GK-UWG/Jestaedt (1. Auflage) Vor § 13 E Rn. 16. 2319 BGH 3.4.2014 – I ZB 3/12 – WRP 2014, 861 Tz. 19 – Ordnungsmittelandrohung nach Prozessvergleich. 2320 OLG Karlsruhe 28.12.2001 – 6 W 101/01 – juris Tz. 7. 2321 OLG Karlsruhe 28.12.2001 – 6 W 101/01 – juris Tz. 7. 2322 BGH 3.4.2014 – I ZB 3/12 – WRP 2014, 861 Tz. 14, 19 – Ordnungsmittelandrohung nach Prozessvergleich. Grosch

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XII. Zwangsvollstreckung

Vor §§ 12–15a A

bei einer vertraglichen Unterlassungsverpflichtung, die hier tituliert wird, keine Rolle. Ferner ist die „Zuwiderhandlung“ entgegen dem OLG Karlsruhe auch keine weitere Voraussetzung der Zwangsvollstreckung, sondern lediglich Voraussetzung für die Festsetzung eines Ordnungsmittels. Der BGH hat zu Recht angemerkt, dass die Parteien zwar vollstreckungsbeschränkende Abreden treffen können. Der Gläubiger kann also auf eine Vollstreckung gemäß § 890 ZPO verzichten, wenn eine Vertragsstrafe vorgesehen ist. Das wird aber ohne ausdrückliche Vereinbarung oder sonstige Hinweise darauf regelmäßig nicht angenommen werden können.2323 Die Vertragsstrafe und das Ordnungsmittel schließen sich auch grundsätzlich nicht gegenseitig aus, da beide von unterschiedlichen Voraussetzungen abhängen, insbesondere mit Blick auf das Verschulden, und deshalb nebeneinander geltend gemacht werden können.2324 Die Schuldnerinteressen werden dadurch nicht ungebührlich beeinträchtigt, weil bei der Festsetzung der späteren Sanktion die frühere Sanktion zu berücksichtigen ist.2325 Wenn der Schuldner das vermeiden will, so muss er also auf einer ausdrücklichen, die Vollstreckung des Prozessvergleichs qua § 890 ZPO zugunsten des Vertragsstrafeversprechens ausschließenden Abrede bestehen.

c) Zuwiderhandlung. Es muss ein schuldhafter (hierzu cc), Rn. 864 ff.) Verstoß (hierzu bb), 847 Rn. 854 ff.) gegen einen vollstreckbaren Titel (hierzu aa), Rn. 848 ff.) vorliegen. Ferner muss ein Verstoß des Titelschuldners vorliegen, gegen den die Festsetzung beantragt ist (hierzu dd), Rn. 874 ff.). Zu berücksichtigen sind ferner die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast (hierzu ee), Rn. 877) sowie mögliche Einwendungen des Schuldners (hierzu ff), Rn. 878 ff.). aa) Vollstreckbarer Titel zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlung (1) Kein Titel zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlung. Die Zuwiderhandlung setzt voraus, 848 dass bereits im Zeitpunkt der Zuwiderhandlung ein vollstreckbarer Titel vorlag. Die Festsetzung eines Ordnungsmittels ist ausgeschlossen, wenn zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlung der Unterlassungstitel oder seine vorläufige Vollstreckbarkeit aufgehoben oder die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt oder eingestellt worden war (§ 775 Nr. 1 ZPO). Gleiches gilt, wenn die Zwangsvollstreckung einstweilig eingestellt wurde oder die Vollstreckung nur gegen Sicherheitsleistung fortgesetzt werden darf (§ 775 Nr. 2 ZPO). Die Festsetzung kommt auch dann nicht in Betracht, wenn die Einstellung später wieder aufgehoben wird oder der ursprüngliche Titel in der Rechtsmittelinstanz wieder erlassen wird.2326 Gleiches gilt, wenn der Unterlassungstitel einschränkungslos, nämlich ex tunc aufgehoben wird, etwa wegen Versäumung der Vollziehungsfrist (§ 929 Abs. 2 ZPO) oder der Versäumung der Frist zur Erhebung der Hauptsacheklage (§ 926 Abs. 2 ZPO).2327 Gleiches gilt aber nicht für eine Aufhebung ex nunc, wie etwa bei der Aufhebung wegen veränderter Umstände gemäß § 927 ZPO2328 oder nach der oben (Rn. 815 ff. sowie Rn. 662) bereits ausführlich behandelten Erledigungserklärung mit ex nunc Wirkung. 2323 BGH 3.4.2014 – I ZB 3/12 – WRP 2014, 861 Tz. 14, 19 – Ordnungsmittelandrohung nach Prozessvergleich; BGH 5.2.1998, BGHZ 138, 67, 71; OLG Saarbrücken 21.11.1978, NJW 1980, 461; MünchKommZPO/Gruber § 890 Rn. 31.

2324 BGH 5.2.1998, BGHZ 138, 67, 70 = GRUR 1998, 1053 m. w. N.; BGH 17.9.2009 – I ZR 217/07 – GRUR 2010, 355 Tz. 32 = WRP 2010, 649 – Testfundstelle; BGH 2.2.2012 – I ZB 95/10 – GRUR 2012, 957 Tz. 9 – Vergleichsschluss im schriftlichen Verfahren; OLG Köln 20.6.1986, NJW-RR 1987, 360; Teplitzky/Schaub Kap. 20 Rn. 22; Ahrens/Singer Kap. 32 Rn. 8; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Brüning § 12 Rn. 243; Saenger/Kießling § 890 Rn. 14. 2325 BGH 3.4.2014 – I ZB 3/12 – WRP 2014, 861 Tz. 14, 19 – Ordnungsmittelandrohung nach Prozessvergleich; BGH 5.2.1998, BGHZ 138, 67, 70 f. = GRUR 1998, 1053; BGH 17.9.2009 – I ZR 217/07 – GRUR 2010, 355 Tz. 32 = WRP 2010, 649 – Testfundstelle; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.128; Teplitzky/Schaub Kap. 20 Rn. 22; Ahrens/Singer Kap. 32 Rn. 9; Ahrens/Achilles Kap. 10 Rn. 15; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Brüning § 12 Rn. 243; MünchKommUWG/Ehricke Vor § 12 Rn. 144; Nieder WRP 2001, 117, 118. 2326 H.L. Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 26 Fn. 120, a. A. GK-UWG/Jestaedt (1. Auflage) Vor § 13 E Rn. 12. 2327 Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 38; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 6.16. 2328 So aber Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 6.16. Dazu oben Rn. 817. 787

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Dann liegt für den Zeitpunkt der Zuwiderhandlung weiter ein wirksamer Titel vor und auch für die Zwecke des § 775 Nr. 1 ZPO sind die Anforderungen an das Bestehen des Titels gegeben (dazu oben Rn. 813).

849 (2) Einstellung oder Aufhebung des Titels nach Zuwiderhandlung. Erfolgt die Zuwiderhandlung vor der Einstellung oder Aufhebung des Titels, so kann sie sanktioniert werden, wenn die Einstellung später wieder aufgehoben wird oder der Titel in der Rechtsmittelinstanz erneut erlassen wird. Letzteres kommt dann in Betracht, wenn eine Beschlussverfügung auf den Widerspruch hin durch Urteil aufgehoben wird und das Berufungsgericht dann die einstweilige Verfügung im ursprünglichen Umfang wieder erlässt. Nach zutreffender Auffassung ist das zwar keine „Bestätigung“ der ursprünglichen Verfügung, welche durch das erstinstanzliche Urteil eo ipso ihre Wirksamkeit erhält,2329 sondern ein Neuerlass derselben ohne Rückwirkung.2330 Die Rückwirkung sei für die Ahndung nicht erforderlich, wenn die neue einstweilige Verfügung denselben Streitgegenstand/Schutzumfang habe. Dieses Ergebnis ist zur Wahrung des Sanktions- und Beugecharakters des Ordnungsmittels geboten;2331 ferner weiß der Schuldner, dass um die Einstellung oder Aufhebung im weiteren Verfahren wieder gedreht werden kann und diese Entscheidungen gerade nicht endgültig sind.2332 Entscheidend ist dann, dass zum Zeitpunkt der Zwangsvollstreckung wieder ein entsprechender Titel vorliegt (§ 775 Nr. 1 ZPO), der auch zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlung vorgelegen hatte.

850 (3) Ordnungsmittel bei befristeten Titeln oder fehlender Gefahr erneuter Zuwiderhandlungen. Kann einem Vollstreckungstitel nur einmal zuwidergehandelt werden oder ist aus sonstigen Gründen mit erneuten Zuwiderhandlungen nicht mehr zu rechnen, so wurde teilweise vertreten, dass wegen des ausschließlichen Beugecharakters der Sanktion nach § 890 ZPO die Festsetzung eines Ordnungsmittels nicht mehr in Betracht komme.2333 Zu gleichen Ergebnissen kommt man, wenn man den Zeitablauf als erledigendes Ereignis sieht und mit der Erledigterklärung wegen des ex tunc Fortfalls des Titels jede Zwangsvollstreckung für unzulässig hält.2334 Die herrschende Meinung geht hingegen von einem Doppelcharakter des Ordnungsmittels aus und nimmt deshalb, also wegen des repressiven Charakters,2335 sowie aus „generalpräventiven“ Erwägungen an, dass auch in den Fällen, in denen eine Zuwiderhandlung nicht mehr in Betracht kommt, die Festsetzung eines Ordnungsmittels für die Zuwiderhandlung zulässig und erforderlich sei.2336 Wurde wegen des Zeitablaufs das Verfahren in der Hauptsache

2329 OLG München 21.12.1999 – 29 W 2861/99 – NJW-WettRE 2000, 147, 148 – Lamulux; h. L. Stein/Jonas/Bartels § 890 Rn. 27 a. E.; Ahrens Kap. 66 Rn. 18.

2330 Das gilt auch dann, wenn das Berufungsgericht unrichtig eine „Bestätigung“ tenoriert, OLG Düsseldorf 11.7.1995, WRP 1995, 732, 735; näher dazu Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 15 und 15a m. w. N.

2331 OLG München 21.12.1999 – 29 W 2861/99 – NJW-WettRE 2000, 147, 148 – Lamulux. 2332 Ahrens Kap. 66 Rn. 18 a. E. 2333 So etwa die frühere Rechtsprechung des OLG Hamm 19.2.1965, MDR 1965, 585; OLG Hamm 28.2.1979, NJW 1980, 1399 = WRP 1979, 566 je m. w. N. und Darstellungen des Streitstandes; offengelassen in OLG Hamm 28.1.1986 – 14 W 112/84; OLG Karlsruhe 22.7.1975, WRP 1975, 533, 534 f. 2334 So wohl Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 38 f. i. V. m. Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 39, wo der Zeitablauf als erledigendes Ereignis genannt wird. 2335 So BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264, 267 sub (2) – Euro-Einführungsrabatt; ebenso bereits OLG Hamm 20.2.1990 – 14 W 94/89 – NJW-RR 1990, 1086 f. – Ordnungsmittel trotz Wegfalls der Wiederholungsgefahr. 2336 OLG Hamm 20.2.1990 – 14 W 94/89 – NJW-RR 1990, 1086 f. – Ordnungsmittel trotz Wegfalls der Wiederholungsgefahr. Grosch

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XII. Zwangsvollstreckung

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für erledigt erklärt, so ist diese Erklärung regelmäßig als zeitlich beschränkt für die Zukunft zu verstehen.2337

(4) Leistung der Sicherheit vor Zuwiderhandlung. Bei einem nur gegen Sicherheitsleistung 851 vorläufig vollstreckbaren Titel muss die Sicherheitsleistung bereits zu diesem Zeitpunkt geleistet sein.2338 Ob sie auch im Sinne des § 750 Abs. 2 ZPO dem Schuldner nachgewiesen sein muss, ist streitig.2339 In der Praxis wird aber jedenfalls eine Benachrichtigung des Schuldners über die Erbringung der Sicherheitsleistung2340 erforderlich sein, weil man anderenfalls kein Verschulden wird annehmen können. Zur Begründung des Erfordernisses der Erbringung der Sicherheitsleistung hat der BGH nämlich zu Recht angeführt, dass die in § 890 ZPO vorgesehenen Ordnungsmittel ausschließlich der Vollstreckung dienen und eine solche nicht stattfindet, solange der Schuldner nicht durch die vom Gläubiger zu leistende Sicherheit gegen die ihm aus der Erfüllung des Unterlassungsgebots entstehenden nachteiligen Folgen geschützt ist. Solange der Schuldner von diesem Schutz noch nichts weiß, kann man jedenfalls keine schuldhafte Zuwiderhandlung annehmen. (5) Keine Zustellung des Titels oder Klauselerteilung erforderlich. Es ist nicht erforder- 852 lich, dass der Titel zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlung bereits zugestellt war oder dass bereits eine Vollstreckungsklausel erteilt war. Das sind lediglich Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung, die bei Einleitung der Zwangsvollstreckung und jeder Maßnahme der Zwangsvollstreckung vorliegen müssen, die also für den Antrag nach § 890 ZPO und für die Festsetzung des Ordnungsmittels erforderlich sind. Die Zuwiderhandlung ist hingegen nicht Teil der Zwangsvollstreckung.2341 Mithin ist bereits mit der Verkündung des Unterlassungsurteils und vor dessen Zustellung eine Zuwiderhandlung möglich, wenn das Urteil rechtskräftig ist oder durch Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar wurde. Die Sicherheitsleistung erfolgt durch Zustellung an den Prozessbevollmächtigten des Schuldners. (6) Keine Zustellung von einstweiligen Urteilsverfügungen vor Zuwiderhandlung er- 853 forderlich. Bei einstweiligen Verfügungen ist keine Sicherheitsleistung erforderlich; diese sind, wie bereits ausgeführt,2342 sofort vollstreckbar. Fraglich ist allerdings, ob die Vollziehung der Verfügung gemäß §§ 929 Abs. 2, 936 ZPO Voraussetzung für eine Zuwiderhandlung ist, ob diese also für die Bindung des Schuldners an den Unterlassungstenor erforderlich ist. Das ist bei der Beschlussverfügung regelmäßig kein Problem, weil diese nicht verkündet wird und nur dem Gläubiger zugestellt wird, der diese dann im Parteibetrieb an den Schuldner zustellen muss (§ 922 Abs. 2 ZPO). Die Zustellung nach § 922 Abs. 2 ZPO ist insofern also schon Voraussetzung für die Wirksamkeit der gerichtlichen Entscheidung und eine nicht wirksame gerichtliche Entscheidung muss der Schuldner nicht beachten, wenn der Gläubiger dem Schuldner diese form-

2337 Dazu oben Rn. 687. 2338 BGH 30.11.1995 – IX ZR 115/94 – GRUR 1996, 812 – Unterlassungsurteil gegen Sicherheitsleistung; OLG Hamm 13.9.1976, BB 1978, 1283 f. m. zust. Anm. Bülow; Stein/Jonas/Bartels § 890 Rn. 20; Zöller/Seibel § 890 Rn. 5; Melullis Rn. 948; GK-UWG/Jestaedt (1. Auflage) Vor § 13 E Rn. 40; Altmeppen, WM 1989, 1157, 1159; Bork WRP 1989, 360, 361 f. 2339 Dagegen Stein/Jonas/Bartels § 890 Rn. 20; dafür ohne Begründung und unter nicht zutreffender Bezugnahme auf BGH 30.11.1995, GRUR 1996, 812 Zöller/Seibel § 890 Rn. 5. 2340 Bei der Bankbürgschaft stellt sich diese Frage allerdings nicht, sondern lediglich für die Hinterlegung. 2341 H.L., ausdrücklich BGH 22.1.2009 – I ZB 115/07 – GRUR 2009, 890 Tz. 14 – Ordnungsmittelandrohung, ebenso BGH 17.10.2019 – I ZB 19/19 – GRUR-RS 2019, 35642 Tz. 12 – Tinnitus Präparat. 2342 Siehe dazu oben Rn. 821. 789

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

los übermittelt hat.2343 Anderes gilt für Urteilsverfügungen. Ob bei Urteilsverfügungen schon mit Verkündung und vor Zustellung eine Zuwiderhandlung möglich ist, war lange streitig. Zwar bedürfen auch Urteilsverfügungen der Vollziehungen im Sinne des §§ 929 Abs. 2, 936 ZPO.2344 Gleichwohl ist bereits mit der Verkündung der Urteilsverfügung das Verbot zu beachten, also eine Zuwiderhandlung möglich.2345 Hingegen vertritt eine beachtliche Auffassung in der Literatur die Meinung, dass erst mit Zustellung im Parteibetrieb, also mit Vollziehung der Verfügung, eine Zuwiderhandlung in Betracht kommt.2346 Das hat seinen Grund in der Schadensersatzverpflichtung des § 945 ZPO. Diese könne erst greifen, wenn der Gläubiger seinen Vollzugswillen zum Ausdruck gebracht habe. Dem hat der BGH widersprochen. Zwar müsse der Schuldner von dem Zeitpunkt an durch § 945 ZPO geschützt sein, von dem ab er die Unterlassungsverfügung zu beachten hat. Dieser liege dann aber bereits mit Verkündung vor und vor Vollziehung der Verfügung durch den Gläubiger. Die Ratio des § 945 ZPO liege nur darin, zu vermeiden, dass der Gläubiger eine Verfügung auf Vorrat erwirkt und dann erst sehr viel später und unter veränderten Umständen durchsetzt.2347 Er müsse sich hier also innerhalb der Monatsfrist entscheiden. Die Vermeidung der Schadensersatzpflicht sei hingegen nicht die Ratio der Vorschrift. Um diese zu vermeiden, könne der Gläubiger auch schlicht auf einen Antrag nach § 890 Abs. 2 ZPO im Erkenntnisverfahren verzichten.2348

bb) Titelverstoß 854 (1) Kernbereichslehre nach herrschender Praxis. (a) Alle Handlungen, in denen das Charakteristische der Verletzungshandlung zum Ausdruck kommt. Zur Feststellung eines Titelverstoßes ist zu prüfen, ob der Schuldner dem Verbotstenor zuwidergehandelt hat. Das ist nach herrschender Auffassung jedenfalls dann der Fall, wenn die beanstandete Handlung mit derjenigen identisch ist, die im Tenor verboten wurde.2349 Gemeint sind damit die Fälle, in denen sich der Tenor dadurch auszeichnet, dass er auf die die Grundlage für die Wiederholungsgefahr bildende Verletzungshandlung Bezug nimmt,2350 also nach anderer Terminologie auf die konkrete Verletzungsform gerichtet ist (hier als konkretes Verbotsbegehren bezeichnet, vgl. oben Rn. 79). In diesen Fällen seien aber auch alle diejenigen Handlungen vom Verbot miterfasst, die den Kern der Verletzungsform unberührt lassen, in denen also Kerngleichheit und nicht bloße Ähnlichkeit besteht;2351 das gilt für Rechtskraft und Vollstreckung gleichermaßen.2352 Der BGH hat, wie bereits oben ausgeführt, auch in seiner jüngsten Rechtsprechung ausdrücklich 2343 BGH 10.7.2014 – I ZR 249/12 – GRUR 2015, 196 Tz. 17 – Nero. 2344 Auch die Amtszustellung ist kein Vollziehungsmittel, vgl. BGH 22.10.1992, BGHZ 120, 73, 78 f.; OLG Hamburg 24.10.1996, WRP 1997, 53, 54; h. L., vgl. etwa Ahrens Kap. 66 Rn. 9 und die w. N. bei Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 42 in Fn. 218; a. A. OLG Celle NJW-RR 1990, 1088; OLG Stuttgart OLG 1994; 364, 365. 2345 BGH 22.1.2009 – I ZB 115/07 – GRUR 2009, 890, 891 Tz. 14 – Ordnungsmittelandrohung; BGH 10.7.2014 – I ZR 249/12 – GRUR 2015, 196 Tz. 22 – Nero. 2346 Ahrens Kap. 66 Rn. 9 ff. 2347 BGH 22.1.2009 – I ZB 115/07 – GRUR 2009, 890, 891 Tz. 15 – Ordnungsmittelandrohung. 2348 BGH 22.1.2009 – I ZB 115/07 – GRUR 2009, 890, 891 Tz. 16 – Ordnungsmittelandrohung; ausführlich und m. w. N. dazu Teplitzky/Schwippert Kap. 36 Rn. 31 f. 2349 Ahrens/Büttner/Spätgens Kap. 64 Rn. 59. 2350 Ahrens/Büttner/Spätgens Kap. 64 Rn. 59; Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 12. 2351 Ständige Rechtsprechung und herrschende Literaturauffassung, vgl. nur BGH 22.2.1952, BGHZ 5, 189, 193 f. = GRUR 1952, 577 – Fischermännchen; MünchKommUWG/Ehricke Vor § 12 Rn. 155; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Brüning Vor § 12 Rn. 295; Gloy/Loschelder/Danckwerts § 93 Rn. 26; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 6.4.; Stein/Jonas/Bartels § 890 Rn. 34; hierzu auch Grosch Rechtswandel und Rechtskraft, 76 f. 2352 BGH 3.4.2014 – I ZB 42/11 – WRP 2014, 719 Tz. 13 – Reichweite des Unterlassungsgebots; hierzu die ablehnenden Anmerkungen von Kleinemenke GRUR-Prax 2014, 238; OLG Jena 22.3.2006 – 2 U 1136/05 – GRUR-RR 2006, 247 f. – „in der Ausgabe …“. Grosch

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XII. Zwangsvollstreckung

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bestätigt, dass Unterlassungsurteile, die auf die konkrete Verletzungsform gerichtet sind, auch kerngleiche Abwandlungen erfassen2353 (hierzu bereits oben Rn. 126 ff.). Dieses Korrektivs bedürfe es, damit das auf die konkrete Verletzungsform gerichtete Unterlassungsurteil nicht zu einer „leeren Formalität“ werde;2354 es soll eine „Umgehung“ des Verbots verhindert werden;2355 der Schuldner könne sich der Verurteilung nicht dadurch entziehen, dass er zwar „dem Buchstaben nach der Unterlassungspflicht nachkommt“, aber doch gegen den „Kern“ des Unterlassungstenors verstößt.2356

(b) Bewertung des rechtlich Charakteristischen auf der Basis der Urteilsgründe und 855 des abstrakten Einleitungsteils des Tenors. Zum Kernbereich rechnen dabei alle Handlungen, in denen das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt. Das geht in der Sache meist über die Vermeidung einer rein formalen Umgehung hinaus. Es ist damit nämlich der Terminologie und der Sache nach die Kategorie eingeführt, die auch im Erkenntnisverfahren den Umfang der Wiederholungsgefahr und damit den Umfang des materiell-rechtlichen Unterlassungsanspruchs bestimmt2357 (hierzu Rn. 104 ff. sowie Rn. 112 ff.). Beide Gruppen werden insofern auch im Schrifttum auch explizit nebeneinandergestellt: Der Umfang der Wiederholungsgefahr bestimmt auch den Kernbereich eines auf die konkrete Verletzungsform gerichteten Verbotstitels.2358 Hierbei geht es nach herrschender Prüfungsmethodik nämlich primär um die Ermittlung des für den Unrechtsgehalt der konkreten Verletzung rechtlich Charakteristischen.2359 Teilweise wird betont, dass weniger die Rechtsnormen, deren Verletzung beanstandet wurde, maßgeblich seien, als die charakteristischen Tatumstände.2360 Das trifft insofern zu, als es auf die für den Subsumtionsschluss im Erkenntnisverfahren maßgeblichen tatsächlichen

2353 Vgl. etwa BGH 17.9.2015 – I ZR 92/14 – GRUR 2016, 395 Tz. 41 – Smartphone-Werbung; BGH 6.2.2013 – I ZB 79/11 – GRUR 2013, 1071 – Umsatzangaben; BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 32 – Erinnerungswerbung im Internet: „Denn auch eine solche beschränkte Verurteilung erfasst nach der so genannten Kerntheorie immerhin alle Handlungsformen, in denen das Charakteristische der beanstandeten Werbung zum Ausdruck kommt.“; BGH 19.5.2010 – I ZR 177/07 – GRUR 2010, 855 Tz. 17 – Folienrollos; BGH 10.12.2009 – I ZR 46/07 – GRUR 2010, 253 Tz. 30 – Fischdosendeckel; BGH 16.11.2006 – I ZR 191/03 – GRUR 2007, 607 Tz. 17 – Telefonwerbung für Individualverträge; BGH 4.9.2003 – I ZR 32/01 – GRUR 2004, 72 – Coenzym Q 10. 2354 Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 12. 2355 Stein/Jonas/Bartels § 890 Rn. 34. 2356 Baur/Stürner/Bruns Zwangsvollstreckungsrecht, § 40 Rn. 40.2. 2357 BGH 30.4.2008 – I ZR 73/05 – GRUR 2008, 702, Tz. 55 – Internetversteigerung III; BGH 6.4.2006 – I ZR 125/ 03 – GRUR 2006, 776 Tz. 28 – Werbung für Klingeltöne; BGH 7.6.2001 – I ZR 115/99 – GRUR 2002, 177, 178 r.Sp. = NJW 2001, 3710 – Jubiläumsschnäppchen; BGH 15.7.1999, NJW 1999, 2638, 2639 sub III 1 – Kontrollnummernbeseitigung: „Es ist allerdings anerkannt, daß bei einem wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsantrag und dementsprechend bei der Verurteilung im Interesse eines hinreichenden Rechtsschutzes gewisse Verallgemeinerungen gestattet sind, sofern auch in dieser Form das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt. Dem liegt die Erwägung zugrunde, daß eine in bestimmter Form begangene Verletzungshandlung nicht nur die Wiederholung der genau identischen Verletzungsform vermuten läßt, sondern auch eine Vermutung für die Begehung zwar leicht abgewandelter, aber in ihrem Kern gleicher Handlungen begründet.“; BGH 10.7.1997, GRUR 1998, 483, 484 r.Sp. – Der MMarkt packt aus; BGH 25.6.1992, NJW-RR 1992, 1318 = GRUR 1992, 858, 859 f. – Clementinen; BGH 9.5.1996, NJW 1996, 2729 = GRUR 1996, 800, 802 – EDV-Geräte, sowie oben BGH 15.3.1984, GRUR 1984, 594 f. – adidas-Sportartikel; BGH 9.11.1995, NJW 1996, 723, 724 = GRUR 1996, 290 – Wegfall der Wiederholungsgefahr I; BGH 15.12.1999, GRUR 2000, 337, 338 – Preisknaller; BGH 29.6.2000 – I ZR 29/98 – GRUR 2000, 907, 909 l.Sp. – Filialleiterfehler; BGH 16.2.1989, GRUR 1989, 445, 446 = NJW 1989, 1545 – Professorenbezeichnung in der Arztwerbung I; BGH 25.4.1991, GRUR 1991, 772, 774 = NJW 1991, 3029 – Anzeigenrubrik I; BGH 1.4.1993, GRUR 1993, 579, 581 r.Sp. = NJW-RR 1993, 934 – Römer GmbH. 2358 Vgl. etwa Büscher/Schmidt, UWG, § 12 An. I Rn. 130; Büscher/Ahrens, UWG, § 12 Anh. II Rn. 55 mit Fn. 62. 2359 Ahrens/Achilles Kap. 8 Rn. 5. 2360 Stein/Jonas/Bartels § 890 Rn. 34. 791

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Aspekte ankommt.2361 Die Bewertung, was für die Verletzungshandlung rechtlich Charakteristisch ist, ist also nicht auf der Grundlage einer eigenständigen materiellen Prüfung des Vollstreckungsgerichts zu vollziehen, sondern auf der Basis der Einordnung der Urteilsgründe. Rechtlich charakteristisch im Sinne der Kernbereichslehre können nur Aspekte sein, die das Gericht im Erkenntnisverfahren der Bewertung zugrunde gelegt hat.2362 In diesem Sinne ist es erforderlich, dass die zu beurteilende Handlung als vom Vollstreckungsgericht im Erkenntnisverfahren „mitentschieden“ erachtet werden kann.2363 Die Kerntheorie ist also nicht lediglich ein Schutz gegen eine formalistische „Umgehung“ des Unterlassungsurteils, sondern sie reflektiert die eigentliche Inhaltsbestimmung des Verbots und ist damit mit der Bestimmung des Streitgegenstandes nach § 322 ZPO identisch.2364 Sofern die Kerntheorie sich nicht mehr als Bestimmung des Streitgegenstandes des Erkenntnisverfahrens rechtfertigen kann, etwa weil die Bestimmung der Wiederholungsgefahr aufgrund materiell-rechtlicher Erwägungen über die in den Gründen der Entscheidung reflektierte Kognition des Prozessgerichts hinausgeht, verstößt sie gegen die Grundsätze des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), weil der Beklagte dann an ein Verbot gebunden wäre, gegen das er sich so im Erkenntnisverfahren nicht wehren konnte.2365 Die Auslegung des Verbotstitels muss für die Bestimmung des Inhalts der Verbotsnorm (Schutzumfang des Unterlassungstitels) also grundsätzlich „unter Berücksichtigung der gesamten Entscheidung“,2366 insbesondere der Entscheidungsgründe, erfolgen.2367 Auch die Gründe eines ein Rechtsmittel zurückweisenden Urteils sind zu berücksichtigen und treten unter Umständen (partiell) an die Stelle der erstinstanzlichen Gründe.2368 Umstände, die außerhalb des Titels liegen, dürfen hingegen grundsätzlich nicht herangezogen werden. Allerdings kann das Vollstreckungsgericht (als Prozessgericht des ersten Rechtszuges im Erkenntnisverfahren, § 890 Abs. 1 ZPO) sein Wissen aus dem Erkenntnisverfahren verwerten.2369 Daraus rechtfertigt sich insbesondere, dass bei Beschlussverfügungen auch die Antragsschrift sowie streitiges oder glaubhaft gemachtes Vorbringen der Parteien aus dem Erkenntnisverfahren berücksichtigt werden dürfen,2370 was insbesondere dann gilt, wenn sich die Gründe der Beschlussverfügung in 2361 Grosch FS Schilling (2007) 206, 225. 2362 Paradigmatisch für die in der Praxis vorherrschende, zutreffende Handhabung sind etwa die Ausführungen des 6. Zivilsenats des OLG Frankfurt 1.8.2018 – 6 W 53/18 – GRUR 2018, 1085 Tz. 14 a. E. – Kennzeichnungsfrei: „Auch die Kontrollüberlegung, ob die dann erfassten Verstöße als „gedanklich mitgeprüft“ anzusehen sind, bestätigt dieses Ergebnis. In der rechtlichen Bewertung der Werbung mit „X mit Sicherheit kennzeichnungsfrei“ und „kennzeichnungsfrei“ besteht nämlich keinerlei Unterschied“. 2363 BGH 3.4.2014 – I ZB 42/11 – WRP 2014, 719 Tz. 13 – Reichweite des Unterlassungsgebots; hierzu die ablehnende Anmerkungen von Kleinemenke GRUR-Prax 2014, 238; Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 12. 2364 Ausführlich dazu oben Rn. 277 ff. mit weiteren Nachweisen. Büscher/Ahrens, UWG, § 12 Anh. II Rn. 55 spricht von einer „nachvollziehenden Streitgegenstandsbestimmung“. 2365 Zu den Grenzen und der Kritik an der Kernbereichslehre ausführlich unten Rn. 860 ff. 2366 BGH 19.5.2010 – I ZR 177/07 – GRUR 2010, 855 Tz. 17 – Folienrollos. 2367 BGH 25.2.2014 – X ZB 2/13 – GRUR 2014, 605 Tz. 18 – Flexitanks; BGH 19.5.2010 – I ZR 177/07 – GRUR 2010, 855 Tz. 17 – Folienrollos; BGH 9.10.1986 – I ZR 138/84 – GRUR 1987, 172, 174 – Unternehmensberatungsgesellschaft I; BGH 25.9.1978 – VII ZR 281/77 – NJW 1979, 720; BGH 27.2.1961, BGHZ 34, 337, 339 = NJW 1961, 917; BGH 14.2.1962, BGHZ 36, 365, 367 = NJW 1962, 1109; allg. M., vgl. etwa Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 5 m. w. N.; Gloy/Loschelder/ Danckwerts § 93 Rn. 26; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 6.4; Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 95 (mit der Einschränkung, dass die Auslegung nur „in engen Grenzen“ möglich sei). MünchKommUWG/Ehricke Vor § 12 Rn. 154 a. E.; HarteBavendamm/Henning-Bodewig/Brüning Vor § 12 Rn. 294; Gloy/Loschelder/Danckwerts § 93 Rn. 26; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 6.4. 2368 Stein/Jonas/Althammer § 322 Rn. 173 (Das BGH-Zitat in Fn. 360 scheint diese Auffassung allerdings nicht zu stützen). 2369 Büscher/Ahrens, UWG, § 12 Anh. II Rn. 56. 2370 BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264, 265 b) aa) – Euro-Einführungsrabatt. (betreffend die Ermittlung der im Titel bezeichneten Partei, dazu auch unten Rn. 839); BGH 26.11.2009 – VII ZB 42/98 – NJW 2010, 2137 Tz. 12; OLG Frankfurt a. M. 1.8.2018 – 6 W 53/18 – GRUR 2018, 1085 Tz. 10 – Kennzeichnungsfrei. Grosch

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XII. Zwangsvollstreckung

Vor §§ 12–15a A

einem Verweis auf die Antragsschrift erschöpfen.2371 Diese Grundsätze gelten für die Auslegung des Titels durch das Beschwerdegericht im Ordnungsmittelverfahren entsprechend.2372 Aus diesen Erwägungen erklärt sich der regelmäßig zitierte Grundsatz der ganz herrschenden Auffassung, wonach bei Beschlussverfügungen für die objektive Auslegung des Verbotstenors auf die Antragsschrift und die beigefügten Anlagen abzustellen ist.2373 Auch insofern handelt es sich aber aus Gründen der Rechtssicherheit um eine „objektive“ Auslegung, so dass nicht entscheidend sein könne, wie das Prozessgericht (als Vollstreckungsgericht) seinen Titel „verstanden wissen will“.2374 Die eigene Auslegung des Titels durch das Prozessgericht im Vollstreckungsverfahren nach § 890 ZPO hat also schon deshalb keine Bindungswirkung.2375 Bei einem Anerkenntnisurteil ist zu ermitteln, was die Parteien gewollt und erklärt haben, wobei die Erklärungen der Parteien nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen der §§ 133, 157 BGB zu würdigen sind.2376 Um den Parteiwillen für diesen besonderen Fall zu ermitteln, ist nach der Rechtsprechung des BGH auf die „Prozessgeschichte“ zu rekurrieren.2377 Diese Rechtsprechung wurde vom BGH im gerade zitierten „Fischermännchen-Urteil“ im Rahmen des § 890 ZPO begründet und wird zu Recht aber auch für die Ermittlung der Rechtskraft in Bezug genommenen.2378 Für die Inhaltsbestimmung des Urteilsgegenstandes muss Gleichlauf zwischen Rechtskraft und Zwangsvollstreckung bestehen (hierzu oben Rn. 279). Auch bei Versäumnisurteilen ist mangels Entscheidungsgründen auf das Klagevorbringen abzustellen;2379 auch hier kann auf die korrespondierende Rechtsprechung zur Bestimmung der Rechtskraft Bezug genommen werden.2380 Teilweise ist für Beschlussverfügungen auch darauf verwiesen worden, dass die Antragsschrift mit dem Beschluss „urkundlich fest verbunden“ wird und sich somit manifestiert, dass diese die Begründung des Gerichts ersetzen solle.2381 Diese urkundliche feste Verbindung bei der Herstellung von Ausfertigungen ist allerdings rechtlich nicht erforderlich, sondern lediglich eine Option, wie sie typischerweise in der Praxis des Landgerichts Frankfurt a. M. zur Anwendung kommt.2382 Nach der Hamburger Praxis wird beispielsweise nur der Beschluss ohne Antragsschrift zugestellt und im Beschluss regelmäßig auch nicht auf die Antragsschrift Bezug genommen.2383 Hierin kann möglicherweise mit Blick auf das rechtliche Gehör ein Begründungsmangel liegen und man kann über die Folgen für die Vollziehung der einstweiligen Verfügung diskutieren.2384 Es bleibt aber dabei, dass auch in diesen Fällen für die Bestimmung des Inhalts der Beschlussverfügung auf die Antragsschrift abzustellen ist. Die Frage des Verschuldens und 2371 KG 19.3.2019 – 5 W 33/19 – BeckRS 2019, 10559 Rn. 13 – Osteoarthrosebehandlung. 2372 OLG Frankfurt a. M. 25.6.2018 – 6 W 9/18 – BeckRS 2018, 16577 Tz. 14 – Made in Germany. 2373 BGH 30.7.2015 – I ZR 250/12 – GRUR 2016, 406 Tz. 34 – Piadina-Rückruf; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 6.4; MünchKommUWG/Ehricke Vor § 12 Rn. 154 a. E.; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Brüning Vor § 12 Rn. 294; Gloy/Loschelder/Danckwerts § 93 Rn. 26; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12. 2374 OLG Frankfurt a. M. 25.6.2018 – 6 W 9/18 – BeckRS 2018, 16577 Tz. 14 – Made in Germany. 2375 BGH 9.4.1992 – I ZR 240/90 – GRUR 1992, 525, 526 Abs. 1 – Professorenbezeichnung in der Arztwerbung II. Dazu auch oben Rn. 603. 2376 RG 2.2.1935 – I 120/34 – RGZ 147, 27, 29 f.; BGH 22.2.1952 – I ZR 117/51 – BGHZ 5, 189, 193 f. = GRUR 1952, 577 – Fischermännchen. 2377 BGH 22.2.1952 – I ZR 117/51 – BGHZ 5, 189, 192 f. = GRUR 1952, 577 – Fischermännchen; für den Rückgriff auf die Antragsschrift LG Düsseldorf 22.7.2005 – 4b O 327/04 (ZV) – InstGE 6, 30, 33 f. Rn. 10 ff. – Rotordüse. 2378 Vgl. etwa BGH 24.7.2014 – I ZR 27/13 – GRUR 2015, 269 Tz. 19 – K-Theory; Musielak/Voith/Lackmann § 890 Rn. 53; Saenger § 322 Rn. 40; Stein/Jonas/Althammer § 322 Rn. 183. 2379 Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 246. 2380 BGH 18.11.1993 – IX ZR 244/92 – BGHZ 124, 164 = NJW 1994, 460; BGH 25.9.1972 – VIII ZR 81/71 – NJW 1972, 2268, 2269; BGH 12.1.1987 – II ZR 154/86 – NJW-RR 1987, 831. 2381 OLG Frankfurt a. M. 25.6.2018 – 6 W 9/18 – BeckRS 2018, 16577 Tz. 16 – Made in Germany. 2382 Vgl. zur „Franfurter Schule“ Klein GRUR 2016, 899 ff. 2383 Hierzu Klein GRUR 2016, 899, 901 ff. 2384 Büscher/Ahrens, UWG, § 12 Anh. II Rn. 56 meint, dass es „sachgerecht“ sei, die Zustellung der Antragsschrift „bei Beschlussverfügungen stets zur Voraussetzung zu machen“. Die Frage bleibt allerdings offen zur Voraussetzung für was. 793

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

alle weiteren Aspekte sind davon getrennt zu behandeln. Der Schutzbereich des Unterlassungstitels, der ohne Begründung ergeht und etwa nur unter Bezugnahme auf die Antragsschrift im Falle einer Beschlussverfügung verständlich wird, wird aber oft enger sein. Wenn dieser Titel nach dem Tenor auf die konkrete Verletzungsform gerichtet ist und der Antragsteller seinen Antrag alternativ auf mehrere Beanstandungen (etwa verschiedene Aspekte der Irreführung) stützt – was nach der neueren Rechtsprechung des BGH „Biomineralwasser“ wegen des einheitlichen Streitgegenstands möglich ist – so ist der Schutzbereich des Antrages bereits dann verlassen, wenn der Schuldner den Sachverhalt mit Blick auf nur eine Beanstandung ändert.2385 Das war im Übrigen auch schon nach der Rechtsprechung vor „TÜV I“ und „Biomineralwasser“ so,2386 was wieder belegt, dass die Rechtsprechung aus „Biomineralwasser“ insofern nichts anderes bewirkt als die „TÜV“-Rechtsprechung zu revidieren (hierzu oben Rn. 157 f.). 856 Ein für die Praxis wesentliches Element ist neben den Entscheidungsgründen der abstrakte Einleitungsteil eines konkreten Unterlassungstenors, der durch die Formel „wenn das geschieht wie […]“ nach der Rechtsprechung des BGH auf die konkrete Verletzungsform gerichtet ist. Hier wird der abstrakte Einleitungsteil zur Bestimmung kerngleicher Abwandlungen herangezogen (zum ganzen bereits oben Rn. 117 f.).2387 In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird insofern auch dezidiert gesagt, dass mit der Formulierung „wenn das geschieht wie“ zum Ausdruck komme, dass sich der Umfang des Unterlassungstitels nicht auf Verletzungsfälle beschränke, die mit der verbotenen Form identisch sind, sondern auch Verhalten erfasse, welches (lediglich) das Charakteristische der konkreten Verletzungsform erkennen lasse.2388 Ein Beispielsfall ist etwa die BGH-Entscheidung „Irische Butter“.2389 Im entschiedenen Fall war im Antrag (der eine Irreführung wegen unzureichender Bevorratung mit der beworbenen Ware betraf) neben der Bezugnahme auf die konkrete Verletzungshandlung die weitere Bedingung hinzugefügt: „wenn diese Produkte nicht zumindest am ersten Geltungstag der Werbung vorgehalten werden“. In der konkreten, historischen Verletzungshandlung war die Ware zwischen 12.00 Uhr und 13.00 Uhr des ersten Geltungstages nicht mehr verfügbar. Es handelte sich also bei der weiteren „Bedingung“ um eine Abstrahierung, wenngleich diese auch in der Form einer näheren Beschreibung der Verletzungshandlung gefasst ist. Der BGH macht in der Bewertung aber zu Recht keinen Unterschied, sondern zitiert die Rechtsprechung zu den abstrakten Einleitungsteilen des Antrages. Es wäre also eine Abwandlung, bei der die Ware erst um 15.00 Uhr des Nachmittages nicht mehr verfügbar war, als kerngleich zu werten; dieser Sachverhalt wurde mitentschieden. Es kommt ferner aber auch in Betracht, dass eine über den abstrakten Einleitungsteil des Tenors hinausgehende Kerngleichheit angenommen wird. So wurden in der Entscheidung des OLG Frankfurt a. M. „Kennzeichnungsfrei“ im abstrakten Einleitungsteil zwei bestimmte Arten der Werbung für die Kennzeichnungsfreiheit eines Sanitärreinigungsprodukts angeführt (gefolgt von der Beschränkung auf die konkrete Verletzungshandlung „wenn das geschieht wie“): Aus der der Beschlussverfügung zugrundeliegenden Antragsschrift ergab sich jedoch aus Sicht des OLG Frankfurt a. M., dass die Antragstellerin jedwede Form der Werbung mit „Kennzeichnungsfreiheit“ habe verbieten lassen wollen.2390 Ähnlich hat das OLG Frankfurt a. M. in der Entscheidung „Made in Germany“2391 zur Klärung der Bedeutung einer „und/oder“-Verknüpfung zweier

2385 OLG Frankfurt a. M. 27.5.2019 – 6 W 95/18 – BeckRS 2019, 15400 Tz. 4 – 402 % ige Preiserhöhung. 2386 OLG Frankfurt a. M. 28.4.2009 – 6 W 49/09 – BeckRS 2013, 22762. 2387 BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 36 – Erinnerungswerbung im Internet; ebenso BGH 19.5.2010 – I ZR 177/07 – GRUR 2010, 855, 856 Tz. 17 – Folienrollos; BGH 2.6.2005 – I ZR 252/02 – GRUR 2006, 164, 165 Tz. 10 – Aktivierungskosten II; von der Decken/Heim GRUR 2011, 746 Anm. zu BGH 7.4.2011 – I ZR 34/09 – GRUR 2011, 742 – Leistungspakete im Preisvergleich; OLG Frankfurt a. M. 1.8.2018 – 6 W 53/18 – GRUR 2018, 1085 Tz. 14 – Kennzeichnungsfrei. 2388 OLG Düsseldorf 14.2.2019 – 20 W 26/18 – GRUR-RR 2019, 278 Tz. 17 – Tinnitus-Präparat. 2389 BGH 10.2.2011 – I ZR 183/09 – GRUR 2011, 340 Tz. 21 – Irische Butter. 2390 OLG Frankfurt a. M. 1.8.2018 – 6 W 53/18 – GRUR 2018, 1085 Tz. 14 – Kennzeichnungsfrei. 2391 OLG Frankfurt a. M. 25.6.2018 – 6 W 9/18 – BeckRS 2018, 16577 Rn. 20 – Made in Germany. Grosch

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XII. Zwangsvollstreckung

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Handlungsalternativen im abstrakten Einleitungsteil des Tenors (die beide in der konkreten Verletzungsform verwirklicht waren, auf welche wiederum der Tenor qua „wenn das geschieht, wie“ beschränkt worden war) auf die der Beschlussverfügung mit dem Unterlassungstenor zugrundeliegende Antragsschrift verwiesen.

(c) Beispielsfälle. Von der Kernbereichslehre werden zunächst die Fälle erfasst, in denen es 857 sich um die Verwendung abweichender Begrifflichkeiten handelt. Aber auch in diesen Fällen ist die genaue Prüfung der Urteilsgründe erforderlich. Ermittelt werden muss, warum das Gericht im Erkenntnisverfahren das Verbot erlassen hat, welche Sachverhaltsaspekte also für die Subsumtion relevant waren. Wenn etwa in Anwendung des wettbewerbsrechtlichen Irreführungsverbots die Verwendung der Bezeichnung „Internationale Apotheke“ verboten wird, dann ist bei Beanstandung des Begriffs Internationale Pharmazie2392 im Vollstreckungsverfahren zu prüfen, warum die Verwendung von „Internationale Apotheke“ im Erkenntnisverfahren als irreführend gewertet wurde. War das deshalb der Fall, weil damit der Eindruck erweckt wurde, die Schuldnerin hebe sich vom Rest des Wettbewerbs durch die Größe und Organisation ihres Geschäftsbetriebes sowie durch ihre ausländischen Geschäftsbeziehungen ab, so muss die Verwendung von „Internationaler Pharmazie“ als kerngleich gewertet werden, weil hier dieselbe Irreführung hervorgerufen würde. Für den so begründeten Subsumtionsschluss macht die Verwendung von Pharmazie anstatt Apotheke keinen Unterschied, weil der Verkehr gerade im internationalen Kontext Pharmazie als Äquivalent für Apotheke kennt. Wenn der Unterlassungstitel das Werben für eine Magnetfeldtherapie für das Anwendungsgebiet „Arthrose“ verbietet, dann fäll auch eine Werbung, die auf die „Wirksamkeit der Magnetfeldtherapie bei Osteoarthrose“ abstellt in den Schutzbereich des Unterlassungstitels.2393 Das gilt auch dann, wenn die Werbung die Aussage mit Blick auf die wissenschaftliche Eindeutigkeit der Erkenntnis von der therapeutischen Wirksamkeit einschränkt, indem sie diese als umstritten einordnet. Dass die Wirksamkeit wissenschaftlich nicht abgesichert ist, bildete im entschiedenen Fall nicht den Kern des Unterlassungsgebots (also nicht die Fehlvorstellung bei den angesprochenen Verkehrskreisen), sondern war im Erkenntnisverfahren vom Antragsteller lediglich zur Begründung der Unwahrheit der Werbeaussage vorgetragen worden.2394 Insofern betraf die Abwandlung also nicht das Charakteristische der Verletzungshandlung. Das Verbot der Verwendung eines zusammengeschriebenen Suchwortes („ringtaxi“) erfasst auch die Verwendung in getrennter Schreibweise („ring“ und „taxi“), sofern das auch zur Anzeige einer Adword-Anzeige führt, welche die zusammengesetzte Schreibweise zeigt.2395 Ein Gegenbeispiel bildet der Fall „Palettenlose Verpackung“2396 des OLG Düsseldorf: Dort 858 hatte das Gericht im Erkenntnisverfahren dem Schuldner die Spitzenstellungswerbung „No 1 für palettenlose Verpackungen“ verboten. Der Schuldner warb im Anschluss daran (sinngemäß) mit der Aussage „Nummer 1 für palettenlose Sackverpackungen“, was der Gläubiger als Verstoß gegen den Unterlassungstitel beanstandete. Anlagen für palettenlose Sackverpackungen stellen eine bestimmte Untergruppe der palettenlosen Verpackungen dar. Das Gericht im Erkenntnisverfahren hatte nach den Urteilsgründen die Spitzenstellungswerbung verboten, weil es im Wege der Beweisaufnahme festgestellt hatte, dass ein Mitbewerber mehr Anlagen zur paletten2392 So etwa der Fall OLG Düsseldorf 4.7.2000 – 20 U 140/99 – WRP 2000, 1420 f. Dem entschiedenen Fall lag zwar eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung zugrunde. Die Prüfungsmethodik ist aber dieselbe. Im entschiedenen Fall wurde darauf abgestellt, warum der Gläubiger die Unterlassung des Verhaltens in seiner Abmahnung gefordert habe und auf dieser Basis das rechtlich Charakteristische des abgemahnten Verhaltens ermittelt. 2393 KG 19.3.2019 – 5 W 33/19 – BeckRS 2019, 10559 Rn. 28 – Osteoarthrosebehandlung. 2394 KG 19.3.2019 – 5 W 33/19 – BeckRS 2019, 10559 Rn. 23 – Osteoarthrosebehandlung. 2395 OLG Frankfurt a. M. 5.6.2018 – 6 W 43/18 – GRUR-RR 2018, 390 – Ringtaxi. 2396 OLG Düsseldorf 4.7.1984 – 2 W 10/84 – WRP 1985, 27 f. 795

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

losen Folienverpackung verkauft hatte als der Schuldner. Die Situation mit Blick auf die Sackverpackungen war also nicht geprüft worden und kann deshalb nicht als mitentschieden erachtet werden. Mithin schied eine Bewertung als kerngleich zu Recht aus. 859 Bei Werbeanzeigen ist genau zu prüfen, welches die Aussagen in denselben sind, die zur Einordnung der Rechtswidrigkeit geführt haben. Wenn also, wie in der Entscheidung „Fett-wegPille“2397, im Erkenntnisverfahren die Rechtswidrigkeit einer konkreten Werbeanzeige damit begründet wurde, dass die Werbeanzeige auf die (irreführende) „Kernaussage“ reduziert werden konnte, dass der Verbraucher durch Einnahme des beworbenen Produkts das Körpergewicht ohne jede Änderung der Essgewohnheiten verringern kann, dann sind Aussagen wie: „Sie müssen sich nicht kasteien, denn S entzieht ihrer Nahrung nachhaltig das überschüssige Fett“ oder „Muss ich streng hungern oder fasten? Auf keinen Fall“ nicht als kerngleich zu werten, da nicht mehr behauptet wird, dass keine Änderung der Essgewohnheiten erforderlich ist, sondern lediglich, dass eine unangenehme strikte Diät nicht erforderlich sei. Ob das irreführend ist, wurde vom Prozessgericht im Erkenntnisverfahren nicht geprüft; vom Vollstreckungsgericht ist es ebenfalls nicht zu prüfen; es ist in einem weiteren Erkenntnisverfahren festzustellen.

860 (2) Grenzen der Kernbereichslehre bei konkreten Verboten (konkrete Verletzungsform).2398 Der BGH hat allerdings der Anwendung der Kernbereichslehre in jüngster Zeit Grenzen gesetzt, indem betont wurde, dass bei konkreten Unterlassungsgeboten (also solchen, die auf die konkrete Verletzungsform gerichtet sind)2399 die Feststellung erforderlich ist, dass die kerngleichen Handlungen auch Prüfungsgegenstand im Erkenntnisverfahren waren, was dann nicht der Fall ist, wenn der Kläger sich klar auf bestimmte Handlungen im Erkenntnisverfahren festlegt.2400 Dem kann man dann nicht mehr entgegenhalten, dass andere Handlungen genauso zu bewerten gewesen wären, wie die ausdrücklich gewürdigten Handlungen.2401 Dann hätte der Kläger im Erkenntnisverfahren ein abstrahierendes Unterlassungsbegehren zur Entscheidung stellen müssen.2402 Das muss nach der Auffassung des BGH aber kein echter abstrakter Antrag sein, sondern es sollen auch abstrakte Einleitungsteile für einen auf die konkrete Verletzungsform beschränkten Tenor genügen, weil diesem gerade die Funktion zukomme, den Kreis der kerngleichen Abwandlungen zu bestimmen.2403 In sachlich ähnlicher Weise aber mit Blick auf den Sanktionscharakter des § 890 ZPO hat der BGH in der Vergangenheit bereits betont, dass der Anwendung der Kernbereichslehre enge Grenzen gesetzt seien, wenn der Antrag/ Tenor eng auf die konkrete Verletzungshandlung beschränkt ist.2404 Dazu ausführlich und mit weiteren Nachweisen aus dem Schrifttum oben Rn. 131 f. In „0,00 Grundgebühr“ hat der BGH auf dieser Linie ausgeführt, dass unterschiedliche Streitgegenstände vorliegen, weil in den beiden in Rede stehenden Verfahren unterschiedliche Anträge gestellt worden waren, nämlich einmal gerichtet gegen eine Plakatwerbung und zum anderen gegen eine Werbung mit Handzetteln.2405 „Die auf die konkrete Verletzungsform beschränkten Klageanträge erfassen nicht die jeweils andere Verletzungsform.“2406 Auch in der obergerichtlichen Judikatur wurde in dieser

2397 2398 2399 2400

OLG Nürnberg 1.10.2003 – 3 W 2509/03 – GRUR-RR 2004, 61 ff. Zur Terminologie oben Rn. 79. Hierzu Rn. 79. BGH 3.4.2014 – I ZB 42/11 – WRP 2014, 719 Tz. 10 ff. – Reichweite des Unterlassungsgebots; hierzu die ablehnende Anmerkung von Kleinemenke GRUR-Prax 2014, 238. 2401 So aber Kleinemenke GRUR-Prax 2014, 238. 2402 Dazu auch oben Rn. 84 f. mit Fn. 292. 2403 BGH 3.4.2014 – I ZB 42/11 – WRP 2014, 719 Tz. 11 a. E. – Reichweite des Unterlassungsgebots. 2404 BGH 22.10.2009 – I ZR 58/07 – GRUR 2010, 454 Tz. 12 – Klassenlotterie, ähnlich eng: BGH 22.4.2009 – I ZR 14/07 – GRUR 2009, 1180 – 0,00 Grundgebühr. 2405 BGH 22.4.2009 – I ZR 14/07 – GRUR 2009, 1180 Tz. 16 – 0,00 Grundgebühr. 2406 BGH 22.4.2009 – I ZR 14/07 – GRUR 2009, 1180 Tz. 16 – 0,00 Grundgebühr. Grosch

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Richtung vertreten,2407 dass bei konkreten Verboten in einer Abwandlung lediglich bei „unmittelbarer Vergleichbarkeit“ Kerngleichheit mit der vormals beurteilten Handlung vorliegen könne, bei einem aus Gründen redaktioneller Werbung verbotenen Artikel beispielsweise allenfalls bei „leichten Modifikationen“ desselben, etwa Kürzungen und Erweiterung des ansonsten unverändert gebliebenen Textes.2408 Zum ganzen auch mit weiteren Nachweisen Rn. 250 f. Diese Linie des BGH kommt einer Kritik entgegen, nach der es sachlich nicht gerechtfertigt 861 ist, die für den Umfang der Wiederholungsgefahr geltenden Maßstäbe des rechtlich Charakteristischen auch für die vollstreckungsrechtliche Kernbereichslehre zur Anwendung zu bringen.2409 Die vollstreckungsrechtliche Kerntheorie sei danach auf „glatte Umgehungshandlungen“ zu beschränken.2410 Ahrens vertritt in diese Richtung gehend die Auffassung, dass dem mutlosen Kläger im Vollstreckungsverfahren nicht ein Schutzumfang des Unterlassungstitels zugebilligt werden könne, den er im Erkenntnisverfahren nicht zu erstreiten gewagt hatte.2411 Mit der Minimierung seiner Prozessrisiken durch die Beschränkung auf die konkrete Verletzungsform korreliere der engstmögliche Schutzbereich des dadurch erstrittenen Unterlassungstitels, der nur eine völlig identische Wiederholung untersage und jede Variation somit außerhalb des Schutzbereichs liege.2412 Teilweise wurde die Kernbereichslehre weitergehend als verfassungswidrig kritisiert, weil sie mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 2 GG nicht vereinbar sei und der Schuldner letztlich nicht wisse, was verboten sei.2413

(3) Stellungnahme. Die Kritik an den Grundsätzen der Kernbereichslehre ist teilweise be- 862 rechtigt, vor allem wenn man sie in den Kontext der neueren Rechtsprechung des BGH zum Streitgegenstand bei konkreten Unterlassungsbegehren/Verboten stellt („Biomineralwasser“). Allerdings kann sich ein Verhalten, wie es sich in der Vergangenheit zugetragen hat, so nicht wiederholen. Das ist ein Postulat der Logik. Man steigt nicht zwei Mal in denselben Fluss (pantha rei). Jede Wiederholung wird deshalb logisch zwingend Abweichungen aufweisen und es bedarf der Festlegung von Kriterien für die Vergleichbarkeit. Deshalb ist mit der Bezugnahme auf eine in der Vergangenheit vorgenommene Handlung nicht viel gewonnen; sie ist, wie oben ausgeführt, genauso unbestimmt oder bestimmt wie die Wiederholung des Gesetzeswortlauts (vgl. oben Rn. 135). Das hat der X. Zivilsenat mit Blick auf einen Antrag, der auf eine Abbildung der angegriffenen Ausführungsform Bezug nimmt, zu Recht gesagt.2414 Deshalb bedarf es hier eines Maßstabes, der die relevanten Aspekte eingrenzt. Die Kernbereichslehre ist insofern nichts anderes als die Bestimmung der Merkmale dieser Verbotsnorm. Sie ist keine Erweiterung des wörtlichen Verbots, keine Analogie,2415 sondern die genuine Bestimmung seines Inhalts, dessen, was im Erkenntnisverfahren entschieden wurde. Sie ist die Bestimmung des

2407 OLG Jena 22.3.2006 – 2 U 1136/05 – GRUR-RR 2006, 247 f. – „in der Ausgabe …“. 2408 OLG Jena 22.3.2006 – 2 U 1136/05 – GRUR-RR 2006, 247 f. – „in der Ausgabe …“. 2409 Vgl. insbesondere Scharen FS Erdmann (2002) 877, 886 f. (Abstrahierung im Erkenntnisverfahren und Kerntheorie im Vollstreckungsverfahren auf Ausnahmefälle beschränkt). Dazu auch oben Rn. 249 ff.

2410 Lindacher FS Rüßmann (2013) 567 ff. sub III. 2411 Ahrens Kap. 65 Rn. 3 sowie Kap. 36 Rn. 12. 2412 Ahrens Kap. 36 Rn. 59. Das steht allerdings im Widerspruch zu den Ausführungen, wonach die Herausarbeitung der für den Unrechtsgehalt der konkreten Verletzungsform rechtlichen Charakteristika für den Kernbereichslehre bestimmend seien, Ahrens Kap. 65 Rn. 9. Sobald man auf das abstellt, was für das Gericht im Erkenntnisverfahren rechtlich relevant war, also für den Subsumtionsschluss tragend, ist man in genau der Prüfung, die der Kläger durch einen entsprechenden Antrag bereits im Erkenntnisverfahren hätte für die Tenorierung seines Rechtsschutzbegehrens erstreiten können. 2413 Vgl. etwa Schmitt-Gaedke/Schmidt, GRUR-Prax 2018, 161, 162 f.; Kramer S. 32 ff.; w. N. bei Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 13 in Fn. 44. 2414 BGH 25.10.2005 – X ZR 136/03 – GRUR 2006, 311 – Baumscheibenabdeckung; hierzu oben Rn. 138. 2415 Zutreffend Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 14. 797

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Streitgegenstandes (hierzu ausführlich oben Rn. 855). Nicht nur die Vollstreckbarkeit und deren Umfang, sondern auch die auf den Streitgegenstand bezogene Rechtskraftwirkung erstreckt sich deshalb auf die kerngleichen Abwandlungen.2416 Der vollstreckungsfähige Inhalt des Unterlassungsurteils, also der Umfang der Verbotsnorm, rechtfertigt sich prozessual und verfassungsrechtlich allein dadurch, dass dieser Inhalt auch Streitgegenstand war.2417 Allein bei diesem Verständnis, also der Rückkopplung an den Streitgegenstand des Erkenntnisverfahrens, sind die gegen die Kerntheorie vorgebrachten Einwände aus Art. 103 Abs. 2 GG nicht durchgreifend.2418 Die Anwendung der Kernbereichslehre ist also nichts anderes als die Bestimmung des Streitgegenstands im Unterlassungsverfahren. Sie ist kein vollstreckungsrechtliches Instrumentarium durch das die „Umgehung“ des Unterlassungsurteils verhindert werden soll, sondern sie dient der Bestimmung dessen, worüber im Verfahren gestritten wird.2419 Das hat der BGH inzwischen auch ausdrücklich bestätigt.2420 Auch die Kernbereichslehre rechtfertige keine Erstreckung auf Handlungen, die nicht als Gegenstand der Erkenntnis des rechtskräftigen Urteils angesehen werden können: „Das rechtlich Charakteristische der konkreten Verletzungsform, das für die Bestimmung des Kerns der verbotenen Handlung maßgeblich ist, ist daher auf das beschränkt, was bereits Prüfungsgegenstand im Erkenntnisverfahren gewesen ist“.2421 Im entschiedenen Fall ging es zwar um die Sonderproblematik der Erweiterung der Erkenntnis auf die gleichartige Verletzung weiterer Schutzrechte (Urheberrechte), welche zum Zeitpunkt des Erkenntnisverfahrens noch nicht entstanden waren. Gleichwohl ist diese Aussage allgemeingültig – und vom BGH auch so formuliert. Der Beklagte musste wissen, gegen welches Rechtsschutzbegehren er sich im Erkenntnisverfahren verteidigt. Das Rechtsschutzbegehren ist aber auf eine Verbotsnorm gerichtet und mithin kann es, ohne deren Inhalt zu kennen, keine dem rechtlichen Gehör genügende Streitentscheidung geben. Ferner käme es zur oben bereits adressierten Ungleichbehandlung der Parteien: Der obsiegende Kläger könnte mit Blick auf solche Handlungen vollstrecken – weil diese qua Kernbereichslehre in den Schutzbereich der Verbotsnorm fallen –, wohingegen im Fall der Klageabweisung keine Rechtskraftwirkung zugunsten des Beklagten bestünde, der Kläger also von neuem klagen könnte.2422 Jede Trennung von vollstreckungsrechtlicher Kernbereichslehre und Streitgegenstand führt also definitionsgemäß zu einem strukturellen Ungleichgewicht und einer Ungleichbehandlung der Parteien in dem zentralen Punkt des Prozesses, nämlich der Streitentscheidung. Die Streitentscheidung wäre faktisch allein zugunsten des Klägers erweitert und das ausschließlich aufgrund eines rein formalen Arguments, nämlich der Trennung von Vollstreckung und Rechtskraft, dem insofern keine materiellen Wertungserwägungen zugrundeliegen. Der inhaltliche Maßstab ist, wie oben dargestellt, nach der klassischen Kernbereichslehre in den Entscheidungsgründen zu finden, die die rechtlich relevanten Aspekte der die Wiederholungsgefahr begründenden Handlung subsumieren. Bei konkreten Unterlassungsbegeh2416 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.113; Teplitzky/Feddersen, Kap. 57 Rn. 16 a; OLG Stuttgart 13.11.2008 – 2 U 39/08 – juris Tz. 43: „Nach diesen Grundsätzen reicht die Rechtskraftwirkung der Präklusion eines erneuten Verfahrens so weit, wie über den Anspruch entschieden worden ist. Erfasst der Anspruch des Gläubigers von vornherein alle kerngleichen Formen, so ist – wenn er ohne eindeutige Beschränkung des Klagebegehrens (durch zulässigen Ausschluss der Einbeziehung anderer Formen als der konkreten) geltend gemacht worden ist – mit dem Urteil auch das Gebot der Unterlassung aller kerngleichen Formen ausgesprochen (…). Denn die Rechtskraftwirkung erstreckt sich auf Änderungen der Verletzungsform, soweit sie den Kern der Verbotsform unberührt lassen.“. 2417 Vgl. dazu auch schon Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 2h m. w. N. in Fn. 36; Grosch FS Schilling (2007) 207, 217 ff. 2418 Vgl. hierzu Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 14 bis 16. 2419 Teplitzky/Schwippert Kap. 46 Rn. 2h; Büscher/Dittmer/Schiwy § 14 MarkenG, Rn. 708 a. E.; Grosch FS Schilling (2007) 207, 216 ff. 2420 BGH 3.4.2014 – I ZB 42/11 – WRP 2014, 719 Tz. 10 ff. – Reichweite des Unterlassungsgebots; hierzu die ablehnenden Anmerkungen von Kleinemenke GRUR-Prax 2014, 238. 2421 BGH 3.4.2014 – I ZB 42/11 – WRP 2014, 719 Tz. 13 – Reichweite des Unterlassungsgebots. 2422 Vgl. Ann/Loschelder/Grosch Kap. 6 Rn. 63. Grosch

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XII. Zwangsvollstreckung

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ren wäre aber nach der BGH Entscheidung „Biomineralwasser“ der Streitgegenstand nicht mehr aufgrund der für die klägerische Beanstandung materiell-rechtlich maßgeblichen Aspekte zu bestimmen.2423 Wenn die Entscheidung „Biomineralwasser“2424 richtig sein soll, kann mithin die Kernbereichslehre in Gestalt des Rückgriffs auf den Subsumtionsschluss der Gründe für diese Art des Unterlassungstitels nicht aufrechterhalten werden (oben Rn. 283). Der BGH postuliert ausdrücklich, dass der Streitgegenstand, also der prozessuale Anspruch, das klägerische Rechtsschutzbegehren, nicht mit Blick auf die klägerische Beanstandung beurteilt werden könne. Es sind also gerade nicht die vom Kläger für den Rechtswidrigkeitsschluss benannten Aspekte für die Bestimmung des Streitgegenstandes maßgeblich. Dann können sie es auch nicht im Vollstreckungsverfahren sein. Anderenfalls würde gegen eine Handlung vollstreckt, die nicht Streitgegenstand des Verletzungsverfahrens war, was abzulehnen ist (vgl. oben Rn. 282 ff.). Wenn es also richtig sein soll, dass – wie etwa in der Entscheidung „Branchenbuch Berg“2425 – einzelne Aussagen in einer einheitlichen Werbung keine gesonderten Streitgegenstände sind, wenn der Kläger die Unterlassung der Handlung (einheitliche Werbung) beantragt, dann kann es nicht richtig sein, wie es nach der traditionellen Kernbereichslehre der Fall wäre, wenn eine neue Handlung, die mit lediglich einer dieser Behauptungen vorgenommen wird, noch als Verstoß gegen den Unterlassungstitel gewertet wird. Diese Handlung war nicht Streitgegenstand des Erkenntnisverfahrens, wie der BGH klar gesagt hat. Streitgegenstand war lediglich die Werbung mit den mehreren Aussagen. Eine andere Auffassung kann man nur vertreten, wenn man einen variablen oder relativen Streitgegenstandsbegriff vertreten will. Das schiene mir aber nicht vertretbar. Wenn man der Auffassung des BGH aus „Biomineralwasser“2426 für die Bestimmung des Streitgegenstandes folgen will, dann heißt das also zwingend, dass man diesen auch im Vollstreckungsrecht beachten muss. Der Maßstab für die Verbotsnorm ist dann also auch die Abweichung vom Lebenssachverhalt bei natürlicher Betrachtungsweise und nicht die rechtliche Betrachtungsweise, also die Ermittlung dessen, was für den Subsumtionsschluss des Erkenntnisgerichts rechtlich tragend war. Das führt sicherlich im Zweifel zu einem engen Schutzumfang des Urteils, was der BGH in jüngerer Zeit auch zu vertreten scheint.2427 Insofern wären also auf der Linie der bereits oben zitierten Literaturstimmen im Wesentlichen nur offensichtliche Umgehungstatbestände, die am Lebenssachverhalt auf der Basis einer natürlichen Betrachtungsweise nichts ändern, noch vom Schutzbereich des Unterlassungsurteils erfasst. Das geht konform mit der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, welches die Kernbereichslehre gebilligt hat,2428 da sie der effektiven Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen diene, die wesentlich erschwert wäre, wenn lediglich Verhalten zu unterlassen wäre, das dem Wortlaut des Titels entspricht. Das sei für den Unterlassungsschuldner auch erkennbar. Will man dem Kläger hingegen – mit der ganz überwiegenden Praxis – zutreffenderweise 863 auch bei konkreten Verletzungsurteilen einen Verbotstitel zubilligen, der auch genuine kerngleiche Abwandlungen erfasst, so muss man davon ausgehen, dass diese auch Streitgegenstand des Erkenntnisverfahrens waren. Nach der hier vertretenen und oben ausführlich begründeten Auffassung ist das aber grundsätzlich der Fall. Allenfalls dann, wenn der Kläger ausdrücklich Gegenteiliges zu erkennen gibt, kann ein anderer Maßstab (der von „Biomineralwasser“) zur Anwendung kommen. Insofern kann auf die ausführliche Darstellung zum Streitgegenstand verwiesen werden, vgl. oben Rn. 282 ff. und Rn. 75 ff. sowie Rn. 203 ff.).

2423 2424 2425 2426 2427

Siehe hierzu oben unter Rn. 252 ff., bes. Rn. 259, 262 f. BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 m. Anm. Teplitzky – Biomineralwasser. BGH 30.6.2011 – I ZR 157/10 – GRUR 2012, 184 Tz. 12 – Branchenbuch Berg. BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 m. Anm. Teplitzky – Biomineralwasser. BGH 3.4.2014 – I ZB 42/11 – WRP 2014, 719 Tz. 10 ff. – Reichweite des Unterlassungsgebots; hierzu die ablehnende Anmerkungen von Kleinemenke GRUR-Prax 2014, 238; BGH 22.10.2009 – I ZR 58/07 – GRUR 2010, 454 Tz. 12 – Klassenlotterie. Dazu auch oben Rn. 84 f. und Rn. 860. 2428 BVerfG 4.12.2006 – 1 BvR 1200/04 – GRUR 2007, 618 – Organisationsverschulden. 799

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Mit Blick auf die konkreten Verbotsbegehren mit einem abstrakten Einleitungsteil gilt ebenfalls das bereits oben zur Bestimmtheit (hierzu Rn. 139 f.) und zum Streitgegenstand (Rn. 203 f.) gesagte: Der Schutzbereich eines solchen Verbotstenors ist im Zweifel umso enger je unbestimmter die abstrakten Merkmale formuliert sind. Für eine weitere Betrachtung hingegen bleibt mehr Raum, wenn die Merkmale bestimmt formuliert sind und somit der Beklagte wissen konnte, gegen welche Verbotsnorm er sich im Erkenntnisverfahren wirklich verteidigen musste. Bei konkreten Unterlassungsurteilen ohne jeden abstrakten Einleitungsteil ist die Anwendung der Kerntheorie zwar nicht ausgeschlossen, muss aber im Interesse des Beklagten auf das begrenzt werden, was nach den Gründen eindeutig als mitentschieden erachtet werden kann.

cc) Verschulden 864 (1) Grundsatz des eigenen, strafrechtlichen Verschuldens. Nach herrschender Auffassung erfordert die Ahndung der Zuwiderhandlung nach dem verfassungsgerichtlich verankerten Grundsatz nulla poena sine culpa strafrechtliches Verschulden, nämlich Vorsatz oder Fahrlässigkeit.2429 Die Zuwiderhandlung muss dem Schuldner objektiv und subjektiv zurechenbar sein.2430 Dabei kommt es auf das eigene Verschulden des Titelschuldners an. Die Zurechnung fremden Verschuldens nach § 278 ZPO oder § 8 Abs. 2 UWG kommt nicht in Betracht. § 8 Abs. 2 UWG kann also einen materiell zurechenbaren Verstoß und einen entsprechenden Unterlassungsanspruch begründen und mithin einen entsprechenden Titel nach sich ziehen; diese Zurechnung kann aber nicht das Verschulden des Schuldners im Vollstreckungsverfahren ersetzen.2431 Das Verschulden ergibt sich ferner nicht nur aus der repressiven Funktion des Ordnungsmittels, sondern auch aus seiner präventiven Funktion, den Willen des Schuldners zu beugen. Nur bei Vorwerfbarkeit des Verstoßes liegt ein Anlass vor, den Willen des Schuldners zu beugen.2432 865 Bei juristischen Personen ist in Anwendung des § 31 BGB auf die Organe derselben (also Vorstand oder Geschäftsführung), oder andere verfassungsgemäß zur Vertretung der juristischen Person berufene Personen abzustellen.

866 (2) Organisationsverschulden. Das verfassungsrechtliche Erfordernis des eigenen strafrechtlichen Verschuldens des Titelschuldners bedeutet in der Umsetzung jedoch keine allzu erhebliche Einschränkung der Praxis der Fachgerichte, weil es in verfassungsgemäßer Weise auch in einem Organisationsverschulden des Schuldners liegen kann. Insbesondere ist es auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, eine Organisations- und Einwirkungspflicht auch mit Blick auf Dritte, also nicht abhängig Beschäftigte der juristischen Person, anzunehmen.2433 Es ist nach der neueren Rechtsprechung des Verfassungsgerichts verfassungsrechtlich zu billigen, wenn die Fachgerichte Pflichten des Unterlassungsschuldners weit bemessen, weil das der effektiven Durchsetzung der Ansprüche des Gläubigers dient. Dabei ist es auch kein verfas-

2429 BVerfG 25.10.1966, BVerfGE 20, 323, 332 = NJW 1967, 195; BVerfG 14.7.1981, BVerfGE 58, 159, 161 ff. = NJW 1981, 2457; BVerfG 23.4.1991, BVerfGE 84, 82, 87 = NJW 1991, 3139; BVerfG 4.12.2006 – 1 BvR 1200/04 – GRUR 2007, 618 Tz. 12 – Organisationsverschulden; GK-UWG/Jestaedt (1. Auflage) Vor § 13 E Rn. 7; MünchKommZPO/Gruber § 890 Rn. 9; Stein/Jonas/Bartels § 890 Rn. 23; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 6.5; Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 26b; Zöller/Seibel § 890 Rn. 6. 2430 Zöller/Seibel § 890 Rn. 6. 2431 Ganz h. L. BVerfG 25.10.1966, BVerfGE 20, 323, 332 = NJW 1967, 195; OLG Hamm 14.10.1977, WRP 1978, 386; OLG Bremen 5.2.1979, WRP 1979, 205; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 6.6; Stein/Jonas/Bartels § 890 Rn. 26; Ahrens/Büttner/Spätgens Kap. 64 Rn. 70. 2432 Ahrens/Büttner/Spätgens Kap. 64 Rn. 69; Schuschke/Walker/Kessen/Thole/Sturhahn § 890 Rn. 30. 2433 BVerfG 4.12.2006 – 1 BvR 1200/04 – GRUR 2007, 618 Tz. 14 f. – Organisationsverschulden. Grosch

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sungsrechtlich durchgreifendes Argument, den Gläubiger darauf zu verweisen, dass er auch die beteiligten Dritten hätte direkt verklagen können.2434 Ein Organisationsverschulden wird dann angenommen, wenn der Schuldner die zur Erfül- 867 lung der Unterlassungsverpflichtung erforderlichen Maßnahmen und Anordnungen vorwerfbar nicht getroffen hat. Die Sorgfaltsanforderungen werden hier in der obergerichtlichen Rechtsprechung „äußerst streng“ bemessen.2435 Jedenfalls reicht es nicht aus, Mitarbeiter lediglich über einen Verbotstitel zu informieren. Erforderlich ist ein gewisser „Nachdruck“.2436 Ob insofern eine mündliche Information stets unzulänglich ist und die Androhung von rechtlichen Konsequenzen unabdingbar ist, wird nicht einheitlich beantwortet. Nach der Rechtsprechung des OLG Frankfurt a. M. muss die Belehrung schriftlich erfolgen und sie müsse auf die dienstrechtlichen Nachteile für die Mitarbeiter ebenso hinweisen wie auf die Folgen eines Verstoßes in der Zwangsvollstreckung.2437

(3) Pflicht zum aktiven Tun (a) Grundsätze. Die Unterlassungsverpflichtung umfasst auch die Vornahme von Handlun- 868 gen zur Beseitigung eines zuvor geschaffenen Störungszustandes, wenn allein dadurch dem Unterlassungsgebot Folge geleistet werden kann.2438 Wenn der Schuldner in der Vergangenheit eine Ursache gesetzt hat, die jetzt zu einer drohenden Verwirklichung eines Verletzungsfalls durch das Handeln Dritter führt, dann muss er aktiv tätig werden, um die Verwirklichung „nach Kräften“ zu verhindern.2439 Diese bereits etablierten Grundsätze hat der BGH in den letzten Jahren weiter verfestigt und ausgebaut. Abweichend vom reinen Wortlaut des Begriffs des „Unterlassens“ nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist danach dem Tenor im Wege der Auslegung zu entnehmen, zu welchen Verhaltensweisen des aktiven Tuns der Unterlassungstitel den Schuldner verpflichtet. Insofern ergibt die Auslegung des Unterlassungstitels für den Fall eines fortdauernden Störungszustandes mangels abweichender Anhaltspunkte regelmäßig, dass außer der Unterlassung im engeren Sinne auch die Vornahme möglicher und zumutbarer Verhaltensweisen zur Beseitigung des Störungszustandes geschuldet ist.2440 Solche möglichen und zumutbaren Beseitigungsmaßnahmen wurden schon vor der neueren Rechtsprechung des BGH zum Themenkomplex der „Rückrufbeseitigung“ dann angenommen, wenn der Einflussbereich des Schuldners auch nach dem Setzen der Ursache noch betroffen ist. So war es etwa im entschiedenen Fall „Straßenverengung“ erforderlich, dass der Schuldner einen vorher schon gegebenen Auftrag an Drittunternehmer zur Durchführung der verbotenen Bauarbeiten widerruft oder die Durchführung verhindert.2441 Ähnlich ist es in dem Fall, in dem der Schuldner an seine Außendienstmitarbeiter schon das jetzt verbotene Werbematerial ausgegeben hatte, erforderlich, dass der Schuldner konkrete Anweisungen erteilt, die sicherstellen, dass das Material vernichtet oder an die Zentrale zurückgegeben wird. Pauschale Anweisungen, das Material nicht mehr zu nutzen, reichen nicht aus.2442 Wenn Verlage die Anzeigen des Schuldners nicht im 2434 2435 2436 2437

BVerfG 4.12.2006 – 1 BvR 1200/04 – GRUR 2007, 618 Tz. 15 – Organisationsverschulden. OLG Frankfurt a. M. 9.11.2017 – 6 W 96/17 – GRUR-RS 2017, 134633. H.L. Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 26b mit Fn. 130–132. OLG Frankfurt a. M. 9.11.2017 – 6 W 96/17 – GRUR-RS 2017, 134633 Tz. 11; OLG Nürnberg 19.8.1998 – 3 W 106– 98 – NJW-RR 1999, 723. 2438 BGH 22.10.1992 – IX ZR 36/92 – BGHZ 120, 73, 77 f. = NJW 1993, 1076, 1077 – Straßenverengung. 2439 OLG Köln 12.3.2008 – 6 W 21/08 – GRUR-RR 2008, 365 f. – Möbelhandel; Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 26c; Fezer/Büscher/Obergfell § 12 Rn. 392; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 6.7. 2440 BGH 12.7.2018 – I ZB 86/17 – GRUR 2018, 1183 Tz. 9 – Wirbel um Bauschutt; BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 20 ff. – Produkte zur Wundversorgung; BGH 4.5.2017 – I ZR 208/15 – GRUR 2017, 823 Tz. 26 – Luftentfeuchter; BGH 29.9.2016 – I ZB 34/15 – GRUR 2017, 208 Tz. 24 – Rückruf von RESCUE-Produkten; BGH 19.11.2015 – I ZR 109/14 – GRUR 2016, 720 Tz. 34 – Hot Sox. 2441 BGH 22.10.1992 – IX ZR 36/92 – NJW 1993, 1076, 1077 ff. – Straßenverengung. 2442 OLG Hamburg 31.8.1988 – 3 W 84/88 – GRUR 1989, 150, 151 – Werbematerial. 801

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

gewünschten Sinne drucken, so muss der Schuldner im Zweifel Regressansprüche durchsetzen oder die Geschäftsbeziehung abbrechen, wenn er keinen Weg sieht, eine verbotskonforme Veröffentlichung durch seinen Auftraggeber zu erreichen.2443 Es ist also ein substantiierter Vortrag erforderlich, aus dem sich ergibt, dass dem Schuldner die Sache ernst ist und er sich Möglichkeiten wie Vertragsstrafen oder Kündigung der Geschäftsbeziehung mit dem Kunden vorbehält, um die Einhaltung des Unterlassungsgebots durch sein Einwirken auf den Dritten sicherzustellen.2444 Eine solche Pflicht zum aktiven Tätigwerden hatte auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung aus dem Jahre 2006 gebilligt; Eigenverschulden im Sinne des § 890 ZPO könne aus verfassungsrechtlicher Sicht zulässigerweise auch in der fehlenden zumutbaren Einwirkung auf Dritte bestehen2445 Im entschiedenen Fall arbeitete der Schuldner mit mehreren Verlagen zusammen und gab mit diesen die fraglichen Telefonbücher heraus, war sogar mit diesen in einer BGB-Gesellschaft tätig. Der Gläubiger hatte hier einen Verbotstitel erwirkt, der dem Schuldner bestimmte Äußerungen mit Blick auf die geschäftliche Tätigkeit des Gläubigers bezüglich des Geschäfts mit Anzeigenkunden des Schuldners und der mit diesem zusammenarbeitenden Verlage untersagte.2446 Wenn diese Verlage dann die dem Schuldner verbotenen Äußerungen weiter verbreiten und zwar auch nach nochmaligem Hinweis gegenüber dem Schuldner, dann muss der Schuldner hier striktere Maßnahmen ergreifen. Diese sind ihm möglich und das Handeln der Verlage ist ihm auch wegen der geschäftlichen Verbundenheit mit denselben zurechenbar.2447 In dieser Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht ferner festgestellt, dass die Kerntheorie grundsätzlich mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar ist, weil die Auslegung des Tenors qua Kernbereichslehre für den Schuldner „vorhersehbar“ sei.2448 Offengelassen wurde dabei aber, ob das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG im Rahmen des § 890 ZPO überhaupt gilt.2449

869 (b) Pflicht zum aktiven Tun auch mit Blick auf nicht verbundene Dritte. Schon vor der neueren Rechtsprechung des BGH war in der obergerichtlichen Judikatur die aktive Handlungspflicht auch auf die Fälle erstreckt worden, in denen der Schuldner vor dem vollstreckbaren Titel eine Ursache gesetzt hat, der Dritte aber nach dem Zeitpunkt des vollstreckbaren Titels nicht mehr seiner Einflusssphäre unterliegt. So wird im Fall eines Vertriebsverbots (gleich ob auf wettbewerbsrechtlicher oder markenrechtlicher Basis) angenommen, dass der Schuldner auch dafür Sorge zu tragen habe, dass die angegriffenen Ausführungsformen, die auf der letzten Handelsstufe noch nicht abgesetzt sind, dem Endverbraucher nicht mehr angeboten werden.2450 Der BGH hat diese Linie fortentwickelt. Zwar haftet der Schuldner im Rahmen des § 890 ZPO nicht für Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB). Jedoch hat der Schuldner durch das Einschalten von für ihn tätigen Dritten, welche seine Handlungsmöglichkeiten erweitern, eine gesteigerte Gefahrenlage geschaffen, für die er auch im Rahmen der ihn treffenden Unterlassungsverpflichtung einzustehen hat.2451 Beispielhaft hierfür sei etwa der Fall einer Vertriebskette, 2443 2444 2445 2446 2447 2448 2449 2450

KG 20.2.1989 – 25 W 7770/88 – GRUR 1989, 707 – Zeitungswerbung. OLG Frankfurt a. M. 5.6.2018 – 6 W 43/18 – GRUR-RR 2018, 390 f. Rn. 13 f.– Ringtaxi. BVerfG 4.12.2006 – 1 BvR 1200/04 – GRUR 2007, 618 – Organisationsverschulden. BVerfG 4.12.2006 – 1 BvR 1200/04 – GRUR 2007, 618 – Organisationsverschulden. BVerfG 4.12.2006 – 1 BvR 1200/04 – GRUR 2007, 618 Tz. 14 f. – Organisationsverschulden. BVerfG 4.12.2006 – 1 BvR 1200/04 – GRUR 2007, 618 Tz. 19 f. – Organisationsverschulden. BVerfG 4.12.2006 – 1 BvR 1200/04 – GRUR 2007, 618 Tz. 20 – Organisationsverschulden. OLG Köln 12.3.2008 – 6 W 21/08 – GRUR-RR 2008, 365 f. – Möbelhandel; ähnlich OLG Zweibrücken 25.5.1999 – 3 W 114/99 – GRUR 2000, 921 – Chronoslim: Rückruf aus verschiedenen Handelsstufen aufgrund des Unterlassungstitels erforderlich; zustimmend Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 26c. 2451 BGH 12.7.2018 – I ZB 86/17 – GRUR 2018, 1183 Tz. 19 – Wirbel um Bauschutt, unter Verweis auf Feddersen FS Büscher S. 471, 473, sub 2 Abs. 3, der insofern von einer „Garantenstellung“ des Schuldners spricht und die Fälle mithin der Kategorie der „Ingerenz“ zuordnet. Grosch

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XII. Zwangsvollstreckung

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wenn also der Schuldner das verletzende (oder verletzend gekennzeichnete) Produkt nicht direkt an die Endabnehmer verkauft, sondern an Weiterverkäufer veräußert hat. Solche Produkte sind regelmäßig zurückzurufen, um den Weitervertrieb (Störungszustand) zu beseitigen.2452 Es kommt für die Bejahung der sich daraus ergebenden Beseitigungspflichten im Rahmen der Unterlassungsvollstreckung insofern nicht darauf an, ob dem Schuldner rechtliche Ansprüche gegen den Dritten zustehen, ob der Schuldner also vom Dritten eine entsprechende Umsetzung der Beseitigung der Störung verlangen kann. Es reicht aus, wenn dem Schuldner gegen einen Dritten, dessen Handeln dem Schuldner wirtschaftlich zugutekommt und bei dem der Schuldner mit weiteren Verstößen ernstlich rechnen muss, eine tatsächliche Einwirkung möglich ist.2453 Diese Verpflichtung zur tatsächlichen Einwirkung wird (neben der objektiven Unmöglichkeit2454) durch die Grundsätze der Erforderlichkeit und Zumutbarkeit begrenzt. Hat sich der Schuldner im Erkenntnisverfahren nicht damit verteidigt (und ergibt sich auch nichts dafür aus dem Vortrag des Gläubigers im Erkenntnisverfahren), die Beseitigungsverpflichtung sei ihm unmöglich oder unzumutbar, so könne von dem Grundsatz abgewichen werden, dass diese Fragen im Erkenntnisverfahren zu klären seien.2455 Diese Fragen sind dann im Vollstreckungsverfahren zu prüfen. Das gilt insbesondere für die Beschlussverfügungen, weil sich der Schuldner in diesen Fällen per definitionem noch nicht zu diesen Fragen geäußert hat.2456 Diese Pflichten können nach der Rechtsprechung des BGH aber nicht weitergehen als die gesetzlich kodifizierten Rückrufansprüche. Der Schuldner schuldet also nicht den Erfolg des Rückrufs, sondern ist lediglich verpflichtet, gegenüber seinen Abnehmern mit Nachdruck und Ernsthaftigkeit sowie unter Hinweis auf den rechtsverletzenden Charakter der Erzeugnisse deren Rückerlangung zu versuchen.2457 Neben dem Rückruf kommen auch andere Beseitigungspflichten in Betracht, insbesondere die Änderung von Werbematerialien oder die Änderung der konkreten Produktaufmachung sowie das Hinwirken auf die Änderung von Sucheinträgen oder sonstigen Internetverzeichnissen.2458 Insofern sind dabei die materiellen Erwägungen, die den Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB stützen und begrenzen, letztlich im Vollstreckungsverfahren nach § 890 ZPO für die im Wege der Auslegung dem Verbotstenor zu entnehmende Beseitigungsverpflichtung zu prüfen.2459 Beispielhaft ist der Fall „Kennzeichnungsfrei“ des OLG Frankfurt a. M., in dem qua Beschlussverfügung die Werbung mit einer gefahrstoffrechtlichen Kennzeichnungsfreiheit für die Rezeptur eines Sanitärreinigers verboten wurde. Mit der Beseitigung dieser Werbeangaben sei die primäre Unterlassungsverpflichtung zwar erfüllt. Gleichwohl wurde im entschiedenen Fall aber angenommen, dass auch die Endverkäufer des Sanitärreinigers über das Verbot zu informieren seien, um die Fortwirkung der Irreführung zu beseitigen. Diese Verpflichtung zum Widerruf einer irreführenden Angabe gegenüber Dritten bestehe zwar grundsätzlich nicht, weil das die Anforderungen aus der Unterlassung „überspannen“ würde. Jedoch gelte dann anderes, wenn – analog den Grundsätzen zum Beseitigungsanspruch – angenommen werden 2452 BGH 12.7.2018 – I ZB 86/17 – GRUR 2018, 1183 Tz. 19 – Wirbel um Bauschutt; BGH 19.11.2015 – I ZR 109/14 – GRUR 2016, 720 Tz. 35 – Hot Sox.

2453 BGH 12.7.2018 – I ZB 86/17 – GRUR 2018, 1183 Tz. 11 – Wirbel um Bauschutt; BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 25 – Produkte zur Wundversorgung; BGH 4.5.2017 – I ZR 208/15 – GRUR 2017, 823 Tz. 29 – Luftentfeuchter. 2454 Der allgemeine Grundsatz, dass Unmögliches nicht verlangt werden kann, gilt auch hier, vgl. Feddersen FS Büscher S. 471, 474 Abs. 2; Sakowski, GRUR 2017, 355, 357. 2455 BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 21 – Produkte zur Wundversorgung. 2456 BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 37 – Produkte zur Wundversorgung. 2457 BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 32 – Produkte zur Wundversorgung. 2458 Feddersen FS Büscher S. 471, 475 und 476. 2459 Vgl. etwa den Hinweis von Feddersen FS Büscher S. 476 auf die Entscheidung des VI. Zivilsenats BGH 28.7.2015 – VI ZR 340/14 – GRUR 2016, 104 ff. – „recht§billig“. Der entschiedene Fall betraf kein Vollstreckungsverfahren nach § 890 ZPO, sondern ein Erkenntnisverfahren, in dem für die Prüfung der vom Kläger begehrten Beseitigungsverpflichtung materiell an die Unterlassungsverpflichtung angeknüpft wurde. 803

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

müsse, dass die Äußerung sich dergestalt im Gedächtnis Dritter eingeprägt habe, „dass sie in ihnen geistig fortlebt“.2460 Hierfür bedarf es im Einzelfall konkreter Anhaltspunkte, so etwa wenn es sich bei der Werbeangabe um den „unique selling point“ handle.2461 Die Grenzen dieser Zurechnung im Rahmen der Unterlassungsvollstreckung mit Blick auf das Korrektiv, wonach das Handeln des Dritten dem Schuldner wirtschaftlich zugute kommen muss, lassen sich beispielhaft etwa anhand der BGH Entscheidung „Wirbel um Bauschutt“2462 aufzeigen. Im entschiedenen Fall war die Schuldnerin dazu verurteilt worden, verschiedene Äußerungen im Zusammenhang mit einer Berichterstattung unter dem Titel „Wirbel um belasteten Bauschutt in Hannover“ zu unterlassen. Daraufhin hat die Schuldnerin (Rundfunkanstalt) den Beitrag aus der von ihr bereitgestellten Mediathek im Internet entfernt. Internetbeiträge werden aber auch von Internetsuchdiensten wie Google gespeichert, so dass diese bei einer Internetsuche über den betreffenden Dienst auch aus dem Speicher des Suchmaschinenbetreibers abrufbar sind (in der Entscheidung „Speicherung im Suchmaschinen-Cache“ genannt). Das Wirken des Suchmaschinenbetreibers, die Nutzer auf die Inhalte von Unternehmen hinzuweisen, liege im wirtschaftlichen Interesse solcher Unternehmen, hier also des Schuldners. Deshalb müsse der Schuldner auch auf den Suchmaschinenbetreiber einwirken, den Beitrag auch aus dem „Suchmaschinen-Cache“ zu löschen.2463 Hingegen hat der BGH eine aktive Einwirkungspflicht mit Blick auf die Unterbindung einer Veröffentlichung im Videoportal „YouTube“ verneint. Die Erweiterung des Zuschauerkreises über YouTube führe nicht zu einem relevanten wirtschaftlichen Vorteil des Schuldners, sondern wirke sich eher zum Nachteil der Nutzung seines eigenen Internetangebots (Mediathek) aus. Ferner würden durch die nicht autorisierte Nutzung der Werke des Schuldners auch dessen Urheberrechte verletzt, so dass diese Tätigkeit des Dritten dem Schuldner nicht zu einem wirtschaftlichen Vorteil gereiche. Der BGH differenziert für die Frage der Handlungspflichten ferner zwischen Unterlassungsurteilen im Hauptsacheverfahren und Unterlassungsverfügungen des einstweiligen Rechtsschutzes.2464 Da der einstweilige Rechtsschutz grundsätzlich nur der Sicherung der materiellen Ansprüche des Gläubigers diene, komme die Annahme einer Verpflichtung zum Rückruf im Rahmen der Zwangsvollstreckung grundsätzlich nicht in Betracht, weil damit der Anspruch des Gläubigers befriedigt werde. Nur dann, wenn im Wege der Interessenabwägung festgestellt werde, dass die Interessen des Gläubigers die des Schuldners deutlich überwiegen, weil der Rückruf für den Gläubiger besonders dringlich und die Gefahr einer zu Unrecht vollzogenen Verpflichtung zum Rückruf gering sei, könne auch aufgrund einer Unterlassungsverfügung ausnahmsweise eine Verpflichtung zum Rückruf angenommen werden.2465 Ausdrücklich erwähnt wird vom BGH ferner der Fall, in dem sich der Schuldner durch eine schnelle Weiterveräußerung der angegriffenen Ausführungsform der Vollstreckung faktisch zu entziehen versucht. Zudem nennt der BGH den Fall der „Produktpiraterie“.2466 Von diesen Ausnahmefällen abgesehen, kann nach der Rechtsprechung des BGH vom Schuldner kein Rückruf verlangt werden, sondern lediglich eine Aufforderung des Schuldners gegenüber seinen Abnehmern, die Ware mit Blick auf die einstweilige Verfügung vorläufig nicht weiter zu vertreiben.2467 Diese Verpflichtung sei auch zumutbar, weil den Schuldner aus dem Kaufvertrag mit seinen Abnehmern eine Nebenpflicht treffe, diese darauf hinzuweisen, dass beim Weitervertrieb der Ware auch den Abnehmern eine

2460 OLG Frankfurt a. M. 1.8.2018 – 6 W 53/18 – GRUR 2018, 1085 Tz. 18 – Kennzeichnungsfrei; ebenso bereits OLG Frankfurt a. M. 23.11.2017 – 6 U 197/16 – GRUR-RR 2018, 122 Tz. 20 ff. – Nickelfreie Edelstahlschließe. OLG Frankfurt a. M. 1.8.2018 – 6 W 53/18 – GRUR 2018, 1085 Tz. 19 – Kennzeichnungsfrei. BGH 12.7.2018 – I ZB 86/17 – GRUR 2018, 1183 – Wirbel um Bauschutt. BGH 12.7.2018 – I ZB 86/17 – GRUR 2018, 1183 Tz. 15 – Wirbel um Bauschutt. Zuletzt BGH 17.10.2019 – I ZB 19/19 – GRUR-RS 2019, 35642 Tz. 19 – Tinnitus Präparat. BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 35 – Produkte zur Wundversorgung. BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 36 – Produkte zur Wundversorgung. BGH 17.10.2019 – I ZB 19/19 – GRUR-RS 2019, 35642 Tz. 19 – Tinnitus Präparat.

2461 2462 2463 2464 2465 2466 2467

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XII. Zwangsvollstreckung

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einstweilige Unterlassungsverfügung drohen kann.2468 Von dieser Verpflichtung kann im Einzelfall dann abgesehen werden, wenn davon ausgegangen werden kann, dass die Abnehmer auch ohne eine solche Information des Schuldners eine entsprechende Kenntnis erlangt haben.2469 Ferner kommt diese Verpflichtung nicht in Betracht, wenn sich die Produkte bereits bei den Endabnehmern befinden, bei denen kein weiterer Vertrieb zu erwarten ist.2470 Der Widerruf einer irreführenden Angabe gegenüber den Abnehmern – sofern er denn ausnahmsweise aus der tenorierten Unterlassungsverpflichtung folgt – ist nach der obergerichtlichen Judikatur ebenfalls zumutbar, auch wenn darin eine endgültige Befriedigung liege.2471

(c) Diskussion in Rechtsprechung und Literatur. Dieser weitergehenden Auffassung war 870 das OLG Düsseldorf (2. Zivilsenat)2472 in einem gleichgelagerten patentrechtlichen Fall mit Blick auf die Verpflichtung zum Rückruf entgegengetreten. Das OLG Düsseldorf hat insofern darauf abgestellt, dass es einen Unterschied macht, ob der Dritte in die Vertriebsorganisation des Schuldners etwa als Handelsvertreter oder Vertriebsunternehmen oder auch als sonstiger vertraglich gebundener Vertriebspartner2473 eingebunden ist, oder ob es sich lediglich um eine reine Käufer-Verkäufer-Beziehung handelt, die mit dem Umsatzgeschäft abgeschlossen ist. Es könne nicht ausreichen, dass der Schuldner vor Erlass des Titels eine Ursache für den späteren Erfolg gesetzt hat. Es sei vielmehr erforderlich, dass der Dritte auch dem Einflussbereich des Schuldners dergestalt zuzurechnen ist, dass seine Handlungen dem Schuldner noch zugerechnet werden können. Anderenfalls würde man allein an eine Handlung anknüpfen, nämlich das Inverkehrbringen, die vor dem (vollstreckbaren) Titel lag und als solche nicht gemäß § 890 ZPO sanktioniert werden kann. Damit werde ein allgemeiner Rückrufanspruch auf der Basis der Unterlassungsverpflichtung begründet. Das könne nicht überzeugen, weil der Gesetzgeber hierfür nur für bestimmte Rechtsgebiete, etwa für das Patentrecht, eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage geschaffen habe, vgl. § 140a Abs. 3 PatG. Der BGH verneint hingegen eine „Sperrwirkung“ der spezialgesetzlich geregelten Rückruf- 871 ansprüche (neben § 140a Abs. 3 PatG auch § 98 Abs. 2 UrhG, § 18 Abs. 2 MarkenG; § 43 Abs. 2 DesignG; § 24a Abs. 2 GebrMG, § 37a Abs. 2 SortG).2474 Diese Vorschriften ließen zum einen keine Vorrangwirkung erkennen. Ferner sei auch ihr Anwendungsbereich anders ausgestaltet, weil es für ihre Anwendung nicht darauf ankommt, dass der Weitervertrieb der rechtsverletzend gestalteten, gekennzeichneten oder aufgemachten Erzeugnisse konkret zu erwarten ist.2475 Im wettbewerbsrechtlichen Schrifttum ist die Linie des BGH insbesondere deshalb kritisiert worden, weil damit ein Verlust an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit einhergehe, weil die konkrete Einzelfallabwägung mit Blick auf die Beseitigungsverpflichtungen vom Erkenntnis- in das Vollstreckungsverfahren verschoben werde.2476 Das führe zu einer Schwächung der Position des Schuldners, die mit der materiell-rechtlich vorgegebenen Aufteilung in Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche, die dann mit gesonderten Anträgen im Erkenntnisverfahren durchzusetzen seien, nicht zu vereinbaren sei.2477

2468 2469 2470 2471 2472

BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 39 – Produkte zur Wundversorgung. BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 42 – Produkte zur Wundversorgung. Vgl. etwa LG Hamburg 19.3.2018 – 327 O 321/17 – GRUR-RR 2018, 319 – Dialysekonzentrat. OLG Frankfurt a. M. 1.8.2018 – 6 W 53/18 – GRUR 2018, 1085 Tz. 21 – Kennzeichnungsfrei. OLG Düsseldorf 22.9.2013 – I-2 W 37/11 – BeckRS 2013, 21057, also vor der neueren Judikatur des I. ZS des BGH, siehe oben. 2473 Vgl. hierzu LG Düsseldorf 19.10.2007 – 4a O 113/07 – GRUR-RR 2008, 110. 2474 BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 29 f. – Produkte zur Wundversorgung. 2475 BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 31 – Produkte zur Wundversorgung. 2476 Vgl. etwa den „Zwischenruf“ des Ausschusses für Wettbewerbs- und Markenrecht der GRUR, GRUR 2017, 885. 2477 GRUR 2017, 885, 887. 805

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

In der obergerichtlichen Judikatur ist wiederum das OLG Düsseldorf (zunächst der 15. Zivilsenat, also einer der beiden patentrechtlichen Senate) dem BGH post-„Produkte zur Wundversorgung“ nicht gefolgt und hat die Auslegung eines Unterlassungstitels im Sinne der Rückrufbeseitigung abgelehnt.2478 Wenn im Erkenntnisverfahren die „Einwirkungsmaßnahmen“ auf Dritte vom Gläubiger nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden seien, so könne man einen entsprechenden Titel auch nicht so auslegen, weil der Schuldner keine Veranlassung gehabt hätte, zu den etwaigen Pflichten vorzutragen, die über das bloße Unterlassen hinausgehen.2479 Es stehe dem Verletzten frei, Rückrufansprüche geltend zu machen. Wenn er diese nicht ausdrücklich geltend mache, dann müsse der Schuldner (gerade wenn man davon ausgehen wöllte, dass dieser Anspruch grundsätzlich auch im Wege der einstweiligen Verfügung geltend gemacht werden könnte) davon ausgehen, dass die Rückrufbeseitigung nicht Verfahrensgegenstand sei.2480 Auch sei die Verpflichtung des Schuldners zur Aufforderung seiner Abnehmer, die beanstandeten Ausführungsformen vorläufig nicht weiterzuvertreiben, entgegen der Auffassung des BGH einem Unterlassungstitel im einstweiligen Verfügungsverfahren nicht im Wege der Auslegung zu entnehmen.2481 Dem hat sich auch der für Wettbewerbssachen zuständige 20. Zivilsenat des OLG Düsseldorf angeschlossen.2482 Insbesondere entspreche die Verhängung des Ordnungsgeldes nicht „strafrechtlichen Prinzipien“, weil der Schuldner dem Titel nicht entnehmen könne, wie er sich zu verhalten habe.2483 Ferner werde die Linie des BGH durch das etablierte Institut der Abschlusserklärung vor unüberwindbare Probleme gestellt, weil diese ohne weitere Spezifizierung nicht im Sinne der Auslegung des BGH verstanden werden könne, dann aber hinter dem gesetzlichen Anspruch des Gläubigers zurückbliebe, so dass eine außergerichtliche Streitbeilegung auf diesem Wege nicht erfolgen könne.2484 Der BGH hat die Entscheidung inzwischen aufgehoben und die Linie des OLG Düsseldorf als nicht überzeugend eingeordnet. Insbesondere spreche der Problemkreis der Abschlusserklärung nicht gegen die BGH-Linie. Hierzu positioniert sich der BGH inhaltlich wie folgt: Wenn der Inhalt einer einstweiligen Verfügung gemäß den genannten Grundsätzen der Titelauslegung entsprechend begrenzt sei (also etwa auf eine Verpflichtung zur Benachrichtigung der Abnehmer), dann könne auch die Abschlusserklärung, die diesen Titel rechtlich zwischen den Parteien so wie ein Hauptsacheurteil gelten lässt, dem Titel keinen anderen Inhalt geben. Wenn der Gläubiger mehr wolle, dann müsse er das gerichtlich durchsetzen; der Schuldner muss also zur Vermeidung eines gerichtlichen Verfahrens gegebenenfalls eine entsprechend strafbewehrte Verpflichtungserklärung gegenüber dem Gläubiger abgeben, um die Wiederholungsgefahr zu beseitigen.2485 Ahrens hat die Linie des BGH hingegen grundsätzlich gestützt. Insbesondere seien bei der Annahme einer Verpflichtung zur Rückrufbeseitig aus der Unterlassungsverpflichtung keine Bestimmtheitsprobleme (mit Blick auf § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) erkennbar. Beseitigungsmaßnahmen müssten stets nur „dem Ziel nach fixiert werden“. Damit werde dem Prinzip der „schonenden Vollstreckung“ Rechnung getragen. Welches Beseitigungsziel aber erreicht werden müsse, das könne nicht zweifelhaft sein, weil dem Schuldner die „Störung in Form des an Dritte gelieferten Besitzes rechtswidriger Ware“ bekannt sei.2486 Fragen strafrechtlicher oder verfassungsrechtlicher Bestimmtheitserfordernisse werden nicht diskutiert. In weiteren Beiträgen wird die Rechtsprechung des BGH vor allem, ähnlich wie in der gerade behandelten Entscheidung des OLG 2478 2479 2480 2481 2482 2483 2484 2485 2486

OLG Düsseldorf 30.4.2018 – I-15 W 9/18 – GRUR 2018, 855 – Rasierklingeneinheiten. OLG Düsseldorf 30.4.2018 – I-15 W 9/18 – GRUR 2018, 855 Tz. 38 – Rasierklingeneinheiten. OLG Düsseldorf 30.4.2018 – I-15 W 9/18 – GRUR 2018, 855 Tz. 48, 49 – Rasierklingeneinheiten. OLG Düsseldorf 30.4.2018 – I-15 W 9/18 – GRUR 2018, 855 Tz. 55 ff. – Rasierklingeneinheiten. OLG Düsseldorf 14.2.2019 – 20 W 26/18 – GRUR-RR 2019, 278 – Tinnitus-Präparat. OLG Düsseldorf 14.2.2019 – 20 W 26/18 – GRUR-RR 2019, 278 Tz. 14 – Tinnitus-Präparat. OLG Düsseldorf 14.2.2019 – 20 W 26/18 – GRUR-RR 2019, 278 Tz. 15 – Tinnitus-Präparat. BGH 17.10.2019 – I ZB 19/19 – GRUR-RS 2019, 35642 Tz. 21 – Tinnitus Präparat. Ahrens a. a. O. S. 376 sub IV 2.

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XII. Zwangsvollstreckung

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Düsseldorf (20. Zivilsenat), mit Blick darauf kritisiert, dass für den Schuldner nicht vorhersehbar sei, welche Verpflichtungen er habe. Das wird primär beim verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot,2487 aber auch beim Rückwirkungsverbot verortet, weil der Schuldner zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens der Ware noch nichts von dem späteren Verbot habe wissen können.2488

(d) Bewertung. Man kann bezweifeln, ob die mit der neuen BGH Judikatur zur Rückrufbeseitigung erzeugten materiell-rechtlichen Friktionen im Abgrenzungsbereich zwischen Unterlassung und Beseitigung wirklich erforderlich waren, um eine interessengerechte Lösung herzustellen. Sofern der Gläubiger ein aktives Tun im Sinne der Beseitigung von Folgen einer in der Vergangenheit vorgenommen Handlung des Schuldners fordern will, wäre es überzeugender gewesen, dem Gläubiger abzuverlangen, dieses Rechtsschutzbegehren bereits als Kläger im Erkenntnisverfahren auch zum Gegenstand eines dezidierten Antrages zu machen und eine entsprechende materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage zur Begründung des Antrages zu benennen (hier also der Beseitigungsanspruch nach § 8 Abs. 1 S. 1 UWG). Das erfüllt die eigentliche Funktion materiell-rechtlicher Ansprüche an der Schnittstelle zwischen materiellem Recht und Prozessrecht, nämlich eine im Erkenntnisverfahren abgrenzbare und eindeutige Basis für den prozessualen Rechtsfolgenausspruch (der begehrte Subsumtionsschluss als prozessualer Anspruch im Sinne des § 322 ZPO) zu liefern, welche sich in das Gesamtsystem des materiellen Rechts als systematische Struktur eingliedert und somit eine Rechtfertigung des mittels staatlichen Zwanges umsetzbaren Titels im materiellen Recht begründet. Nachdem der BGH seine Rechtsprechung nun allerdings – wie gerade beschrieben – dergestalt verfestigt und § 890 ZPO insofern ausgefüllt hat, könnten nur zwingende, jedenfalls aber deutlich überwiegende Gründe für eine Änderung dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung herangezogen werden.2489 Solche Gründe könnten allenfalls zwingende Erwägungen des Bestimmtheitsgrundsatzes sein. Solche sind aber nicht ersichtlich. Wie bereits oben ausgeführt (Rn. 825) hat das Bundesverfassungsgericht zwar in einer jüngst zu einem Ordnungsgeld nach § 335 HGB ergangenen Entscheidung2490 erkannt, dass das strenge Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG auch für Ordnungsmittelbeschlüsse gelten soll; die Begründung der Entscheidung bezieht sich ausdrücklich auch auf Beschlüsse nach § 890 ZPO.2491 Das Bundesverfassungsgericht hatte allerdings bereits in seiner Rechtsprechung zur Kernbereichslehre gesagt, dass aus der verfassungsrechtlich erforderlichen Bestimmtheit allenfalls folgt, dass der Verbotsumfang für den Schuldner vorhersehbar sein muss: „Die Gerichte dürfen den Tenor des Unterlassungsurteils nicht in einer Weise auslegen, die für den Betroffenen nicht vorhersehbar ist.“2492 Die Vorhersehbarkeit ergibt sich jedoch nie ohne weiteren Kontext aus dem Verbotstenor selbst. Vorhersehbar ist der Verbotsumfang nur, wenn man die Rechtsprechung zur Bestimmung des Verbotsinhalts kennt. Das zeigt sich gerade bei der Kernbereichslehre. Ob das Urteil nur identische Wiederholungen erfasst, auch wenn es heißt, „wenn das geschieht wie“, oder auch Abwandlungen, die das Charakteristische der historischen Verletzungshandlung erkennen lassen, kann man nur sagen, wenn man die Rechtsprechung zu diesen Fragen kennt. Man kann auch nur sagen, wie das zu bestimmen ist, wenn man weiß, ob man die Entscheidungsgründe heranziehen kann und muss, oder gar die Antragsschrift (in den Fällen der Beschlussverfügung). Nicht anders, letztlich weniger komplex, verhält es sich mit den Fragen der Rückruf2487 Hermanns GRUR 2017, 977, 983 sub b), ferner Schmitt-Gaedke/Schmidt, GRUR-Prax 2018, 161, 163. 2488 Hermanns GRUR 2017, 977, 983 sub c). 2489 Vgl. etwa aus der neueren Judikatur BGH 14.9.2018 – V ZR 213/17 – WM 2019, 376; BGH 4.10.1982 – GSZ 1/ 82 – BGHZ 85, 64, 66 = NJW 1983, 228; aus dem Schrifttum Grosch, Rechtswandel und Rechtskraft S. 312 ff.

2490 BVerfG 9.1.2014 – 1 BvR 299/13 – BB 2014, 559. 2491 Was durch die ausdrückliche Bezugnahme auf die § 890 ZPO betreffende Entscheidung, BVerfG 4.12.2006 – 1 BvR 1200/04 – NJW-RR 2007, 860 deutlich wird, siehe BVerfG 9.1.2014 – 1 BvR 299/13 – BB 2014, 559, 560.

2492 BVerfG 4.12.2006 – 1 BvR 1200/04 – GRUR 2007, 618 Tz. 19 a. E. – Organisationsverschulden. 807

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

pflichten. Welchen Inhalt die Unterlassungsverpflichtung konkret hat, ob man also auf Dritte einwirken muss oder nicht und wenn ja in welcher Weise, lässt sich nur anhand der Judikatur klären. Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich gebilligt, dass die Auslegung des Unterlassungstitels auch das aktive Einwirken auf Dritte erfassen kann (hierzu ausführlicher oben Rn. 861); Eigenverschulden im Sinne des § 890 ZPO könne in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise auch in der fehlenden zumutbaren Einwirkung auf Dritte bestehen.2493 Wenn man das aber zulässt, dann bedarf es stets bestimmter weiterer Kriterien, um diese Pflichtenkreise und die Zumutbarkeit festzulegen. Die Vorhersehbarkeit kann sich nur unter Kenntnis der Rechtsprechung hierzu bemessen. Die Rechtsprechung zu diesen Pflichten ist aber höchstrichterlich eindeutig geklärt und das Terrain klar vermessen. Mit Blick auf die zivilprozessuale Bestimmtheit ist zu sagen, dass sich die Trennung zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren für die Unterlassung nie in derselben klaren Weise ziehen lassen wird, wie das für die Rechtsfolgenaussprüche möglich ist, die keine prospektiven Sachverhalte regeln. Der Unterlassungstitel ist und bleibt strukturell eine Norm und ist damit kein typischer Subsumtionsschluss, der in den „Normalfällen“ der Gegenstand der rechtskräftigen Entscheidung ist. Insofern kann sich diese Rechtsprechung zu den aktiven Handlungspflichten bis zu einem gewissen Grad an die neuere Rechtsprechung zum Umfang des Verbotstenors mit Blick auf die Störerhaftung anlehnen. Hierzu hat der BGH in „File-HostingDienst“ entschieden, dass der Bestimmtheitsgrundsatz nicht erfordere, dass sich die konkreten Sorgfalts- und Prüfpflichten aus dem Tenor ergeben.2494 Die Entscheidungsgründe müssen sich in diesen Fällen zwar „zentral mit den Prüf- und Handlungspflichten des Störers befassen“, um den formalen Anforderungen nach § 547 Nr. 6 ZPO an die Begründung des Unterlassungstenors zu genügen.2495 Im Übrigen lässt sich aber im Erkenntnisverfahren nach Auffassung des BGH nicht näher präzisieren, was dem Beklagten zuzumuten ist, weil künftige Verletzungen in ihrer Gestalt „nicht konkret abzusehen sind“. Die Verlagerung des Streits mit Blick auf diesen Punkt in das Vollstreckungsverfahren sei nicht zu vermeiden, „wenn nicht der auf einen durchsetzbaren Unterlassungsanspruch zielende Rechtsschutz geopfert werden soll“.2496 Für die Rückrufbeseitigung fordert der BGH eine solche Befassung in den Urteilsgründen zwar gerade nicht. Dort handelt es sich insofern aber um typisierte Sachverhalte, für die allgemeine Regeln aufgestellt werden können und aufgestellt wurden. Zentral ist aber auch hier, dass sowohl Gläubiger als auch Schuldner die Möglichkeit haben, bereits im Erkenntnisverfahren steuernd einzuwirken. Der Schuldner kann die fehlende Möglichkeit oder Zumutbarkeit bestimmter Beseitigungsmaßnahmen einwenden und das Gericht muss sie dann auch prüfen.2497 Zwar ist im Erkenntnisverfahren nach diesen Prämissen gerade noch unbekannt, welche Maßnahmen der Kläger bzw. Gläubiger später im Vollstreckungsverfahren in Betracht ziehen wird, jedoch sind die typischen Fälle des Rückrufs oder des Hinwirkens auf Dritte, die im Zusammenhang mit der Verbreitung von Informationen tätig sind (Internet), für den Schuldner regelmäßig bereits erkennbar. Auch der Gläubiger kann seinen Antrag dezidiert beschränken (etwa um Schadensersatzverpflichtungen nach § 945 ZPO oder § 717 Abs. 2 ZPO zu vermeiden) oder auch spezifische Beseitigungsmaßnahmen zum Antragsgegenstand machen.2498

(4) Verbotsirrtum 872 (a) Grundsätze. Die Berufung auf einen Verbotsirrtum ist grundsätzlich möglich, jedoch sind die Hürden für den Schuldner hoch. Hierbei wird in der Regel die Rechtsprechung zum 2493 2494 2495 2496 2497 2498

BVerfG 4.12.2006 – 1 BvR 1200/04 – GRUR 2007, 618 – Organisationsverschulden. BGH 15.8.2013 – I ZR 80/12 – GRUR 2013, 1030 – File-Hosting-Dienst. BGH 15.8.2013 – I ZR 80/12 – GRUR 2013, 1030 Tz. 13 – File-Hosting-Dienst. BGH 15.8.2013 – I ZR 80/12 – GRUR 2013, 1030 Tz. 21 – File-Hosting-Dienst. Feddersen FS Büscher S. 471, 478 oben. Feddersen FS Büscher S. 471, 478 sub 2.

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XII. Zwangsvollstreckung

Vor §§ 12–15a A

Rechtsirrtum bei der Frage der den Schadensersatzanspruch begründenden Verantwortlichkeit herangezogen.2499 Danach ist ein Rechtsirrtum nur dann entschuldigt, wenn der Irrende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte.2500 Auf dieser Basis exkulpiert auch ein abweichender Rechtsrat nicht, wenn der Schuldner bei Anwendung der erforderlichen und gebotenen Sorgfalt die Bedenklichkeit seines Handelns erkennen konnte.2501

(b) Stellungnahme. Mit Blick auf den anwaltlichen Rat ist die Exkulpation in der Tat zweifel- 873 haft. Sie kann nur in Ausnahmefällen einer klaren anwaltlichen Falschberatung in Betracht kommen. Wenn der Anwalt seiner Sorgfaltspflicht entsprechend, was regelmäßig der Fall sein wird, auf die konkrete Möglichkeit der abweichenden Beurteilung aufmerksam gemacht hat, so kann man das Verschulden nicht wegen der Einholung des Rechtsrates verneinen, auch wenn der Rechtsanwalt die Zuwiderhandlung im Ergebnis als rechtmäßig eingeordnet hat. Hatte der Anwalt hingegen ausnahmsweise die Qualifikation als Zuwiderhandlung von vornherein ausgeschlossen, was nach den Prämissen objektiv unrichtig wäre, so kann das dem Schuldner nicht angelastet werden. Richtigerweise wird man in diesen Fällen darauf abstellen, ob es sich um einen rechtlich schwierig gelagerten Fall handelt, in dem man mit guten Gründen eine abweichende Auffassung objektiv vertreten konnte. Das wird gerade im Anwendungsbereich der Kernbereichslehre durchaus vorkommen können. Liegt ein solcher rechtlicher Zweifelsfall vor, in dem auch die Auffassung der fehlenden Zuwiderhandlung sehr gut vertretbar ist, so kann das Verschulden jedenfalls bis zur erstinstanzlichen Entscheidung im Vollstreckungsverfahren ausnahmsweise entfallen.

dd) Rechtsnachfolger des Titelschuldners. Die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen 874 den Rechtsnachfolger des Titelschuldners erfordern eine Vollstreckungsklausel, die den Rechtsnachfolger als neuen Titelschuldner ausdrücklich benennt (§ 727 Abs. 1 ZPO und § 929 Abs. 1 ZPO). Ist die Rechtsnachfolge nach Zuwiderhandlung eingetreten, so kommt eine Festsetzung gegen den Rechtsnachfolger jedoch auch bei Vorliegen der umschreibenden Klausel nicht in Betracht. Dafür ist es unerheblich, ob eine gesellschaftsrechtliche (hierzu (2)) oder erbrechtliche Universalsukzession eingetreten ist (hierzu (1)). (1) § 779 ZPO. § 779 ZPO bestimmt zwar, dass die zur Zeit des Todes des Schuldners begon- 875 nene Zwangsvollstreckung in seinen Nachlass fortgesetzt wird. Das gilt jedoch nach herrschender Lehre nicht für die Festsetzung eines Ordnungsmittels nach Eintritt des Erbfalls.2502 Die Vollstreckung kann den Willen des Schuldners nicht mehr beugen und die repressive Ahndung strafrechtlichen Charakters ist gegen seinen Rechtsnachfolger nicht möglich. Es handelt sich um eine persönliche Verantwortlichkeit des verstorbenen Schuldners. Das steht in Einklang mit der Rechtsprechung des BGH zum Erkenntnisverfahren, wonach die auf Grund des persönlichen Verhaltens des Unterlassungsschuldners begründete Wiederholungsgefahr als ein in seiner Person begründeter tatsächlicher Umstand nicht auf den Rechts-

2499 Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 27. 2500 BGH 6.5.1999 – I ZR 199/96 – GRUR 1999, 923, 928 – Tele-Info-CD. 2501 KG 19.3.2019 – 5 W 33/19 – BeckRS 2019, 10559 Rn. 36 ff. – Osteoarthrosebehandlung; Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 27 m. w. N. in Fn. 157; Ahrens/Büttner/Spätgens Kap. 64 Rn. 74.

2502 OLG Hamm 30.3.1985 – 4 W 104/84 – WRP 1985, 573 – Tod des Schuldners eines Unterlassungstitels; Zöller/ Geimer § 779 Rn. 2, 5; Musielak/Voit/Lackmann § 779 Rn. 1; Stein/Jonas/Münzberg § 779 Rn. 5; Schuschke/Walker/ Kessen/Thole/Raebel § 779 Rn. 1. 809

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

nachfolger übergeht.2503 In Analogie zu strafrechtlichen Grundsätzen ist das Verfahren zu beenden. Hinsichtlich eines noch nicht rechtskräftigen Titels gilt der Tod als persönlicher („Straf“-)Aufhebungsgrund.2504 Verfahrensmäßig gilt, dass die ansonsten nur für das Erkenntnisverfahren geltenden Unterbrechungs- und Aussetzungstatbestände der §§ 239, 246 ZPO ausnahmsweise analoge Anwendung finden.2505 Der Erbe des Schuldners ist am Verfahren zu beteiligen und der Antragsteller muss das Verfahren für erledigt erklären. Dem kann sich der Rechtsnachfolger anschließen, so dass gemäß § 91a ZPO noch über die Kosten zu entscheiden ist. Schließt sich der Rechtsnachfolger nicht an, so kommt es zum Feststellungsstreit.2506

876 (2) Gesellschaftsrechtliche Rechtsnachfolge. Nichts anderes gilt, wenn es um einen gesellschaftsrechtlichen Rechtsnachfolgetatbestand, insbesondere nach dem Umwandlungsgesetz, geht. Eine Zuwiderhandlung, die von dem im Wege einer Verschmelzung erloschenen Rechtsträger begangen wurde, kann nicht durch Festsetzung gegen den Rechtsnachfolger (die aufnehmende Gesellschaft) geahndet werden.2507 Es gelten dieselben Erwägungen, die für den Tod des Schuldners angeführt werden.2508 Ferner ist diese Auffassung konsistent mit der vom BGH zum Erkenntnisverfahren vertretenen Linie, wonach die Zuwiderhandlung der erloschenen Gesellschaft keine Wiederholungsgefahr für deren Rechtsnachfolger begründet, weil es sich dabei um einen tatsächlichen, in der Person des Zuwiderhandelnden begründeten Umstand handelt, der für die Verhältnisse (den Willenszustand) der anderen Person des Rechtsnachfolgers nichts präjudiziert.2509

877 ee) Darlegungs- und Beweislast. Die Darlegungs- und Beweislast liegt sowohl für die Zuwiderhandlung also auch für das Verschulden grundsätzlich beim Gläubiger.2510 Glaubhaftmachung genügt nicht. Vollbeweis ist auch dann erforderlich, wenn es sich um einen Verfügungstitel handelt. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch bereits Anfang der 90er Jahre ausdrücklich gebilligt, dass die Grundsätze des Anscheinsbeweises für das Vorliegen einer schuldhaften Zuwiderhandlung zur Anwendung kommen.2511 Die genannte Entscheidung war dabei auch nicht auf das Verschulden beschränkt, sondern befasste sich dem Sachverhalt nach gerade mit dem objektiven Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen den Titel.2512 Das Verfassungsgericht hat zurecht ausgeführt, dass dieser Einordnung der strafrechtliche Charakter des Ordnungsmittels schon deshalb nicht entgegenstehe, weil es sich um die Durchsetzung privatrechtlicher Verpflichtungen in einem Verfahren zwischen Privaten handelt. Dem Gläubiger stehen keine staatlichen Ermittlungsbefugnisse und korrespondierende Zwangsmittel zur Feststellung des Sachverhalts zur Verfügung. Richtigerweise kann der Gläubiger sich deshalb auch für das Vorliegen einer objektiven Zuwiderhandlung etwa auf die Grundsätze des Anscheinsbeweises berufen. So war im entschiedenen Fall aufgrund der Photographien und der Zitate in einem Artikel nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, 2503 BGH 16.3.2006 – I ZR 92/03 – GRUR 2006, 879, 880 Tz. 17 – Flüssiggastank; h. L.: Teplitzky/Büch Kap. 15 Rn. 12; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 153; Fezer/Büscher/Obergfell § 8 Rn. 156. 2504 OLG Hamm 30.3.1985 – 4 W 104/84 – WRP 1985, 573, 574 – Tod des Schuldners eines Unterlassungstitels. 2505 OLG Hamm 30.3.1985 – 4 W 104/84 – WRP 1985, 573, 574 – Tod des Schuldners eines Unterlassungstitels. 2506 OLG Hamm 30.3.1985 – 4 W 104/84 – WRP 1985, 573, 574 – Tod des Schuldners eines Unterlassungstitels. 2507 OLG Köln 14.10.2008 – W 104/08 – GRUR-RR 2009 192, 193 – Bestrafungsverfahren gegen Rechtsnachfolger. 2508 OLG Köln 14.10.2008 – W 104/08 – GRUR-RR 2009 192, 193 – Bestrafungsverfahren gegen Rechtsnachfolger. 2509 BGH 26.4.2007 – I ZR 34/05 – GRUR 2007, 995 Tz. 11 – Schuldnachfolge. 2510 Grundsätzlich h. L. vgl. Stein/Jonas/Bartels § 890 Rn. 39; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 6.8 und Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 28 in Fn. 160. 2511 BVerfG 23.4.1991 – 1 BvR 1443/87 – BVerfGE 84, 82 = NJW 1991, 3139. 2512 Wohl anders aber mit demselben Ergebnis die Deutung des OLG Frankfurt a. M. 25.6.2018 – 6 W 9/18 – BeckRS 2018, 16577 Rn. 23 – Made in Germany. Grosch

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XII. Zwangsvollstreckung

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dass der Schuldner an dem Artikel über seine Tätigkeit als Heilpraktiker (in bestimmtem Kontext) mitgewirkt hat, was ihm durch den Unterlassungstitel verboten worden war. In einem solchen Fall ist das bloße Bestreiten der Mitwirkung nicht genug, sondern es wäre weiterer substantiierter Vortrag erforderlich gewesen, der die fehlende Mitwirkung zu belegen geeignet gewesen wäre. In ähnlicher Weise wurde in der obergerichtlichen Rechtsprechung angenommen, dass eine sekundäre Darlegungs- und Beweislast für die im Quelltext hinterlegten Such- und Schlüsselwörter bestehe, wenn die Eingabe eines vom Tenor leicht abweichenden Begriffs („ring“ und „taxi“ anstatt „ringtaxi“) zur Anzeige derselben Adword-Anzeige mit „ringtaxi“ führe.2513 Zumeist werden sich die Fragen der Darlegungs- und Beweislast allerdings auf das Verschulden beziehen, wenn eine objektive Zuwiderhandlung belegt wurde. Insofern entspricht es zurecht der überwiegenden Auffassung, dass der Schuldner dartun muss, warum er trotz des objektiven Verstoßes mangels Verschulden nicht haftet.2514 Das überzeugt zunächst schon deshalb, weil der Gläubiger schlicht keine Möglichkeit hat, Negativtatsachen mit Blick auf das Verschulden, also die Absenz exkulpierender Umstände, vorzutragen. Insofern hat der Schuldner also die Darlegungslast. Die Beweislast trägt er nach allgemeinen Regeln der sekundären Beweislast zumindest für Umstände, die in seiner Sphäre liegen.2515 Hierzu werden typischerweise alle Fragestellungen zählen, die mit der Einschaltung Dritter durch den Schuldner sowie mit dem Organisationsverschulden zusammenhängen.

ff) Einwendungen (1) Materielle Einwendungen. Materiell-rechtliche Einwendungen des Schuldners, die den 878 materiellen Anspruch betreffen, sind im Verfahren gemäß § 890 ZPO nicht zulässig. Sie sind im Wege der Vollstreckungsgegenklage geltend zu machen. Das gilt auch für die Verjährung des Unterlassungsanspruchs, sollte sie überhaupt in Betracht kommen.

(2) Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung, § 9 EGStGB. Etwas anderes gilt für die 879 Verfolgungsverjährung gemäß § 9 Abs. 1 EGStGB. Sie beträgt 2 Jahre und beginnt, sobald die maßgebliche Handlung beendet ist. Sie kommt nach der Rechtsprechung des BGH dann nicht mehr in Betracht, wenn ein Ordnungsmittel festgesetzt ist, auch dann, wenn diese Festsetzung nicht rechtskräftig ist, weil der Beschluss mit der Beschwerde angegriffen ist.2516 Die Ordnungsmittelfestsetzung schließt die Verfolgungsverjährung gemäß § 9 Abs. 1 EGStG mithin grundsätzlich aus. In Betracht kommt ferner die Vollstreckungsverjährung des § 9 Abs. 2 EGStGB. Danach 880 ist die Vollstreckung eines festgesetzten Ordnungsmittels ausgeschlossen, wenn seit der Festsetzung 2 Jahre vergangen sind. Dieser Einwand hat signifikant an Bedeutung verloren, seit der BGH entschieden hat, dass der sofortigen Beschwerde gegen den Festsetzungsbeschluss aufschiebende Wirkung zukommt, so dass der Ausnahmetatbestand des § 9 Abs. 2 S. 4 Nr. 1 EGStGB gegeben ist, weil die Vollstreckung aufgrund der aufschiebenden Wirkung nicht fortgesetzt werden kann.2517

2513 OLG Frankfurt a. M. 5.6.2018 – 6 W 43/18 – GRUR-RR 2018, 390 – Ringtaxi. 2514 Vgl. die Darstellungen bei Ahrens/Büttner/Spätgens Kap. 64 Rn. 78; Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 28 m. w. N.; Stein/Jonas/Bartels § 890 Rn. 39. 2515 So auch Stein/Jonas/Bartels § 890 Rn. 39 sowie die herrschende Auffassung, vgl. Ahrens/Büttner/Spätgens Kap. 64 Rn. 78. 2516 BGH 5.11.2004 – IXa ZB 18/04 – GRUR 2005, 269 – Verfolgungsverjährung. 2517 BGH 17.8.2011 – I ZB 20/11 – GRUR 2012, 427 f. – Aufschiebende Wirkung. 811

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

d) Art und Höhe des Ordnungsmittels 881 aa) Allgemeine Grundsätze. Aufgrund des strafähnlichen Sanktionscharakters des Ordnungsmittels nach § 890 ZPO ist es nach der Rechtsprechung des BGH erforderlich, die Bemessung primär mit Blick auf das Verhalten des Schuldners vorzunehmen.2518 Entscheidend ist dabei der Unwertgehalt des Titelverstoßes, wofür aber neben dem Verschuldensgrad auch die Folgen für den Gläubiger in Betracht zu ziehen sind. Ferner dürfe sich der Titelverstoß für den Schuldner wirtschaftlich nicht lohnen, so dass weitere Zuwiderhandlungen auch schon deshalb unterbleiben (präventive Funktion).2519 Insofern ist also auch der Vorteil des Schuldners aus dem Titelverstoß mit in Betracht zu ziehen.2520 Für den Unwertgehalt entscheidend sind ferner Art, Umfang und Dauer des Verstoßes.2521

882 bb) Keine schematische Ausrichtung am Streitwert der Hauptsache. Nach diesen Grundsätzen ist insbesondere eine schematische Bemessung des Ordnungsgeldes unter Ausrichtung am Streitwert des Erkenntnisverfahrens nicht zulässig, weil der Streitwert des Ausgangsverfahrens sich nach dem wirtschaftlichen Interesse des Klägers an den dort geltend gemachten Ansprüchen richtet und damit nichts über die Schwere der konkreten Zuwiderhandlung, den Grad des Verschuldens und den mit dem Verstoß für den Schuldner verbundenen wirtschaftlichen Vorteil indiziert.2522

cc) Eine Zuwiderhandlung und die Bewertung mehrerer Zuwiderhandlungen 883 (1) Natürliche Handlungseinheit. Zunächst ist zu ermitteln, wann überhaupt eine selbständige Zuwiderhandlung vorliegt. Dabei wird regelmäßig bereits eine wertende Betrachtungsweise erforderlich sein, die in der Judikatur und im Schrifttum unter dem strafrechtlich geprägten Begriff der „natürlichen Handlungseinheit“ behandelt wird. Zu einer natürlichen Handlungseinheit können danach für die Zwecke des § 890 ZPO mehrere Verhaltensweisen zusammengefasst werden, die auf Grund ihres räumlich-zeitlichen Zusammenhangs so eng miteinander verbunden sind, dass sie bei natürlicher Betrachtungsweise als ein einheitliches, zusammengehörendes Tun erscheinen.2523 Das ist etwa bei der Verteilung einer Vielzahl verbotswidriger Werbeprospekte der Fall.2524

884 (2) Lehre vom Fortsetzungszusammenhang. Die Zusammenfassung mehrerer Zuwiderhandlungen nach der vormals im Strafrecht geltenden, inzwischen vom BGH für das Strafrecht

2518 BGH 30.9.1993, GRUR 1994, 146, 147 f. – Vertragsstrafebemessung. 2519 BGH 30.9.1993, GRUR 1994, 146, 147 f. – Vertragsstrafebemessung; OLG Köln 27.5.1987, WRP 1987, 569; GKUWG/Jestaedt (1. Auflage) Vor § 13 E Rn. 63 m. w. N. in Fn. 108; Köhler WRP 1993, 666, 673 ff.

2520 BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264, 265 – Euro-Einführungsrabatt. 2521 BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264, 265 – Euro-Einführungsrabatt; h. L., vgl. etwa Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 34 m. w. N.

2522 BGH 30.9.1993, GRUR 1994, 146, 147 f. – Vertragsstrafebemessung; GK-UWG/Jestaedt (1. Auflage) Vor § 13 E Rn. 63; Köhler WRP 1993, 666, 675 unter III 3.

2523 BGH 18.12.2008 – I ZB 32/06 – GRUR 2009, 427, 428 – Mehrfachverstoß gegen Unterlassungstitel; vgl. BGH 20.9.1960, BGHZ 33, 163, 167 f. = GRUR 1961, 307 – Krankenwagen II; BGH 25.1.2001 – I ZR 323/98, BGHZ 146, 318, 326 = GRUR 2001, 758 – Trainingsvertrag; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.220 und Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 12 Rn. 6.4. 2524 OLG Nürnberg 19.8.1998 – 3 W 106-98 – NJW-RR 1999, 723, 725 vor e). Grosch

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XII. Zwangsvollstreckung

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aufgegebenen2525 Lehre vom Fortsetzungszusammenhang hat der BGH für § 890 ZPO inzwischen zu Recht abgelehnt.2526 Es ist kaum zu rechtfertigen, dass der Täter, der von vornherein vorsätzlich die Begehung mehrerer Taten ins Auge gefasst hat, privilegiert wird.2527 Gleichwohl könnten bestimmte Wertungskriterien, die gegen eine Zusammenrechnung von Sanktionen wegen Einzelverstößen, also für deren Zusammenfassung sprechen, auch weiterhin bei der Bemessung der Höhe des Ordnungsmittels berücksichtigt werden.2528 Die Höhe des Ordnungsmittels ist stets durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beschränkt.2529 Mehrere Teilakte innerhalb einer juristischen Person, insbesondere eines Mitarbeiters, können auf nur ein Organisationsverschulden zurückzuführen sein.2530 Mit der Kenntnis von diesen Verstößen durch Einreichung eines Ordnungsmittelantrages wird dieser Zusammenhang aber unterbrochen.2531 Bei der Festsetzung sollen unbekannt gebliebene Zuwiderhandlungen auch weiterhin als miterledigt gelten.2532 Letzteres kann meines Erachtens nur überzeugen, wenn ein enger Zusammenhang mit den beurteilten Zuwiderhandlungen vorliegt. Für andere Fälle schützt den Schuldner die Verfolgungsverjährung nach § 9 Abs. 1 EGStGB. Er hatte keinen Anlass, davon auszugehen, dass auch nicht gleichartige Verstöße mit abgegolten sein sollten.

dd) Tatrichterliches Ermessen und Überprüfung in der Rechtsbeschwerde. Die Wahl 885 und die Bemessung des Ordnungsmittels liegen im Ermessen des Tatrichters, dessen Ausübung sich von den vorstehenden Gesichtspunkten leiten lassen muss. Die tatrichterliche Entscheidung kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nur darauf überprüft werden, ob alle wesentlichen Umstände rechtsfehlerfrei gewürdigt worden sind und ob von dem Ermessen gemäß dem Gesetzeszweck unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Gebrauch gemacht worden ist.2533 Sofern keine Feststellung mit Blick auf die maßgeblichen Umstände getroffen worden sind, ist die Entscheidung aufzuheben und zur erneuten Verhandlung an die Tatsacheninstanz (Beschwerdegericht) zurückzuverweisen.2534

e) Verfahren aa) Erste Instanz (1) Zuständigkeit. Zuständig ist das Prozessgericht des ersten Rechtszuges, § 890 Abs. 1 886 ZPO, also das Gericht, welches den Titel im Erkenntnisverfahren erlassen hat; wurde der Titel in der Rechtsmittelinstanz erlassen, ist auch hier das Gericht erster Instanz zuständig. Nichts anderes gilt für Prozessvergleiche. Zuständig ist das Prozessgericht des ersten Rechtszuges, in dem Verfahren, das durch den Vergleich beendet wurde, gleich ob das in erster Instanz oder in der Rechtsmittelinstanz geschehen ist. 2525 BGH 3.5.1994, BGHSt 40, 138 = NJW 1994, 1663; BGH 20.6.1994, BGH 20.6.1994, BGHSt 40, 195, 197 = NJW 1994, 2368; BGH 19.12.1995, BGHSt 41, 385, 393 ff. = NJW 1996, 1973; BGH 17.7.1997, BGHSt 43, 149, 152 = NJW 1997, 3322; BGH 19.11.1997, BGHSt 43, 312, 315 = NJW 1998, 1652. 2526 BGH 18.12.2008 – I ZB 32/06 – GRUR 2009, 427, 428 Tz. 14 – Mehrfachverstoß gegen Unterlassungstitel. So auch die h. L. Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 35; Fezer/Büscher/Obergfell § 12 Rn. 408; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Brüning Vor § 12 Rn. 296 und § 12 Rn. 218; MünchKommUWG/Ehricke Vorb. § 12 Rn. 156 a. E.; Melullis Rn. 906, 946; Stein/Jonas/Bartels § 890 Rn. 41; einschränkend Ahrens Kap. 66 Rn. 4: Anwendung bei § 890 möglich. 2527 So bereits zur Vertragsstrafe BGH 25.1.2001 – I ZR 323/98 – NJW 2001, 2622, 2623 ff. – Trainingsvertrag. 2528 BGH 18.12.2008 – I ZB 32/06 – GRUR 2009, 427, 428 Tz. 14 – Mehrfachverstoß gegen Unterlassungstitel. 2529 OLG Nürnberg 19.8.1998, NJW-RR 1999, 723, 725; Ahrens Kap. 66 Rn. 4. 2530 BGH 18.12.2008 – I ZB 32/06 – GRUR 2009, 427, 428 Tz. 14 – Mehrfachverstoß gegen Unterlassungstitel. 2531 BGH 18.12.2008 – I ZB 32/06 – GRUR 2009, 427, 428 Tz. 14 – Mehrfachverstoß gegen Unterlassungstitel. 2532 Ahrens Kap. 66 Rn. 5; OLG Stuttgart GRUR 1986, 335. 2533 BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264, 265 – Euro-Einführungsrabatt. 2534 BGH 30.9.1993, GRUR 1994, 146, 147 f. – Vertragsstrafebemessung. 813

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A. Besonderheiten des Klageverfahrens

Das Prozessgericht ist hier nicht als „Vollstreckungsgericht“ im Sinne des § 764 ZPO tätig, sondern als Vollstreckungsorgan. Die Beschlüsse nach § 890 ZPO unterliegen damit immer der sofortigen Beschwerde, auch wenn der Schuldner gesetzeswidrig nicht gehört wurde.2535

888 (2) Anwaltszwang. Für das Verfahren nach § 890 ZPO herrscht, bei Verfahren vor den Landgerichten, auch dann Anwaltszwang, wenn das im Erkenntnisverfahren (bei einer einstweiligen Beschlussverfügung) nicht der Fall war. Das ergibt sich daraus, dass die Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle für § 890 ZPO, anders als für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, nicht vorgesehen ist, § 78 Abs. 5 ZPO.2536

889 (3) Anhörung und mündliche Verhandlung. Die vorherige Anhörung des Schuldners ist erforderlich, eine mündliche Verhandlung hingegen nicht, § 128 Abs. 4 ZPO. In der Praxis finden mündliche Verhandlungen in diesen Fällen auch nur selten statt.

bb) Rechtsmittel (1) Beschwerde 890 (a) Zuständigkeit. Da die Entscheidung gemäß § 890 ZPO ohne mündliche Verhandlung ergehen kann, ist gemäß § 793 ZPO die sofortige Beschwerde das Rechtsmittel gegen den Beschluss gemäß § 890 ZPO. Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 569 Abs. 1 ZPO binnen einer Notfrist von zwei Wochen beim iudex a quo, das Gericht dessen Entscheidung angefochten wird, oder beim iudex ad quem, dem Beschwerdegericht, einzulegen. Da das Untergericht der Beschwerde abhelfen kann (§ 572 ZPO) empfiehlt sich aus praktischen Gründen die Einlegung der Beschwerde beim iudex a quo.

891 (b) Aufschiebende Wirkung. Nach dem klaren Wortlaut des § 570 Abs. 1 ZPO in der Neufassung durch das ZPO-Reformgesetz des Jahres 2002 hat die sofortige Beschwerde nunmehr aufschiebende Wirkung.2537 Das ist teilweise abweichend gesehen worden, weil sich aus der amtlichen Begründung ergebe, dass der Gesetzgeber insofern eine Erweiterung der Ausnahmeregelungen – grundsätzlich hat die sofortige Beschwerde keine aufschiebende Wirkung – nicht gewollt habe.2538 Das hat der BGH überzeugend abweichend beurteilt. Die Gesetzesbegründung ist hier nämlich keineswegs eindeutig; den eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 570 Abs. 1 ZPO kann man deshalb nicht als bloßes „Redaktionsversehen“ unbeachtet lassen.2539 Im Lichte der eindeutigen Klärung durch den BGH hat sich diese Streitfrage aber letztlich erübrigt.

892 (2) Rechtsbeschwerde. In den §§ 574 bis 577 ZPO ist durch das ZPO-Reformgesetz des Jahres 2002 erstmals die Möglichkeit der Rechtsbeschwerde eingeführt worden. Die Rechtsbeschwerde 2535 Stein/Jonas/Bartels § 891 Rn. 5. 2536 H.L. Stein/Jonas/Bartels § 891 Rn. 1; Ahrens/Büttner/Spätgens Kap. 67 Rn. 31, der allerdings Brehm unrichtigerweise für die Gegenauffassung zitiert; a. A. OLG Köln 4.5.1987, NJW-RR 1988, 254.

2537 BGH 17.8.2011 − I ZB 20/11 – NJW 2011, 3791, 3792. 2538 Vgl. OLG Köln 7.1.2003 – 25 WF 209/02 – NJW-RR 2003, 716716; MünchKommZPO/Lipp § 570 Rn. 3; Prütting/ Gehrlein/Lugani § 888 Rn. 54 u. § 890 Rn. 38; Thomas/Putzo/Reichold § 570 Rn. 1; Thomas/Putzo/Seiler § 888 Rn. 18 u. § 890 Rn. 40; Schuschke/Walker/Kessen/Thole/Koranyi § 888 Rn. 52; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, ZwangsvollstreckungsR, § 38 Rn. 21. 2539 Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 37a zitiert die BGH-Rechtsprechung in Fn. 211 und sieht den Streit daher als entschieden an; Ahrens/Büttner/Spätgens Kap. 67 Rn. 12 mit Fn. 14; Zöller/Seibel § 888 Rn. 17. Grosch

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XII. Zwangsvollstreckung

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gilt auch für Ordnungsmittelbeschlüsse gemäß § 890 ZPO, die wegen Zuwiderhandlung gegen einen Titel des einstweiligen Rechtsschutzes erfolgen.2540 Zwar verweist § 574 Abs. 1 S. 2 auf die entsprechende Anwendung des § 542 Abs. 2 ZPO, wonach die Revision gegen Urteile im einstweiligen Rechtsschutz nicht stattfindet. Diese entsprechende Anwendung gilt aber nach h. L. nur für Entscheidungen im einstweiligen Verfügungsverfahren selbst, also Beschlüsse des Oberlandesgerichts, nicht aber für Folgesachen.2541 Da die Rechtsbeschwerde durch Gesetz gegen Beschlüsse nach § 890 ZPO nicht ausdrück- 893 lich vorgesehen ist, muss sie gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO durch das Beschwerdegericht in dem angefochtenen Beschluss ausdrücklich zugelassen werden. Sie ist gemäß § 574 Abs. 2 ZPO zuzulassen, wenn die Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung ist (Nr. 1) oder es die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern (Nr. 2). An diese Entscheidung ist das Rechtsbeschwerdegericht gebunden. Insbesondere gibt es keine Nichtzulassungsbeschwerde.2542 Das Rechtsbeschwerdegericht ist ausschließlich der BGH.

2. Vollstreckung anderer Ansprüche aus dem UWG In der Praxis des Wettbewerbsrechts ist der – obgleich von § 8 Abs. 1 S. 1 an erster Stelle genann- 894 te – Beseitigungsanspruch gegenüber dem Unterlassungsanspruch von nachrangiger Bedeutung.2543 Gegenstand des Beseitigungsanspruchs sind Maßnahmen zur Ausräumung des durch die wettbewerbswidrige Handlung eingetretenen Störungszustands,2544 also etwa die Richtigstellung einer irreführenden Werbung durch berichtigende Veröffentlichungen oder Versendung von Aufklärungsschreiben2545 oder – als Sonderform des Beseitigungsanspruchs2546 bei wettbewerbswidrigen Tatsachenbehauptungen – der Widerruf.2547 Soweit der Störungszustand durch Registereintragung (z. B. einer Firma oder Marke) ausgelöst worden ist, richtet sich der Beseitigungsanspruch auf Löschung bzw. Einwilligung in die Löschung der Registereintragung.2548 Auskunfts- und Rechnungslegungsansprüche sind hingegen auch im Wettbewerbspro- 895 zess an der Tagesordnung. Häufig flankieren sie einen Schadensersatzfeststellungsantrag, können aber auch der Vorbereitung eines Beseitigungsanspruchs dienen.2549

a) Rechtsgrundlagen der Vollstreckung. Die Vollstreckung eines auf Vornahme einer Hand- 896 lung gerichteten Titels richtet sich nach dem Charakter der Handlung. Ist die Handlung vertretbar, so erfolgt ihre Vollstreckung nach § 887 ZPO; die nicht vertretbare Handlung wird nach 2540 So schon – ohne Begründung – BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264, 265 – EuroEinführungsrabatt; jetzt z. B. Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Brüning Vor § 12 Rn. 326; Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 37b; Ahrens/Büttner/Spätgens Kap. 67 Rn. 15–20. 2541 BGH 18.12.2008 – I ZB 32/06 – GRUR 2009, 427, 428 Tz. 10 – Mehrfachverstoß gegen Unterlassungstitel m. w. N.; Musielak/Voit/Ball § 542 Rn. 5; Zöller/Heßler § 542 Rn. 8; Ahrens/Büttner/Spätgens Kap. 67 Rn. 17 in Fn. 19. 2542 Allg. Meinung; vgl. Ahrens/Büttner/Spätgens Kap. 67 Rn. 18; Zöller/Heßler § 574 Rn. 16. 2543 GK-UWG/Jestaedt1 Vor § 13 E Rn. 94; Teplitzky/Kessen Kap. 58 Rn. 1. 2544 S. § 8 Rn. 104 ff. sowie – speziell auch schon zu Fragen der Vollstreckung solcher Maßnahmen – § 12 Rn. 433 ff. 2545 KG 27.3.2013 – 5 U 112/11 – VersorgW 2013, 275; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.127. 2546 S. § 8 Rn. 118. 2547 Einen weiteren Sonderfall stellt der Anspruch auf Urteilsveröffentlichung bei wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsklage nach § 12 Abs. 3 dar, der zwar funktional ein Beseitigungsanspruch, formal aber prozessuale Nebenentscheidung des Unterlassungsausspruchs ist, durch die der Gläubiger zur Urteilsveröffentlichung auf Kosten des Schuldners befugt wird; s. im Einzelnen § 12 B Rn. 3 u. 37. 2548 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.128. 2549 BGH 18.2.1972 – I ZR 82/70 – GRUR 1972, 558, 560 – Teerspritzmaschinen; BGH 9.11.1995 – I ZR 220/95 – GRUR 1996, 78, 79 – Umgehungsprogramm; Harte/Henning/Seitz § 8 Rn. 150; Teplitzky/Büch Kap. 38 Rn. 6. 815

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

§ 888 ZPO vollstreckt.2550 Der Anspruch auf Einwilligung in die Löschung einer Registereintragung unterfällt – weil auf die Abgabe einer Willenserklärung gerichtet – der Spezialvorschrift des § 894 ZPO, der die Abgabe der Erklärung mit Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung fingiert.2551 897 Soweit es um die Vollstreckung von Handlungspflichten geht, die aus einem Unterlassungstitel resultieren, weil ihre Nichtvornahme die titulierte Unterlassungspflicht verletzt2552 (klassische Beispiele sind die Beseitigung von Firmenschildern oder Werbeplakaten;2553 heutzutage z. B. auch die Beseitigung von Internet-Suchmaschinen-Einträgen, die auf Handlungen des Schuldners zurückgehen2554), so kommt neben der Unterlassungsvollstreckung nach § 890 ZPO auch die Handlungsvollstreckung nach den §§ 887, 888 ZPO in Betracht.2555 Angesichts der klaren gesetzgeberischen Entscheidung für die Trennung zwischen Unterlassungs- und Handlungsvollstreckung sollte es – und so sieht es auch die ganz überwiegende Rechtsprechung2556 – im Falle des Unterlassungstitels jedoch bei der ausschließlichen Anwendung des § 890 ZPO verbleiben.2557 Ob der Titel ein Unterlassungs- oder Handlungsgebot enthält, ist ggf. im Wege der Auslegung zu ermitteln.2558

898 b) Verfahren. Für den Vollstreckungsantrag ausschließlich zuständiges Gericht ist gemäß § 887 Abs. 1, § 888 Abs. 1 Satz 1 ZPO i. V. m. § 802 ZPO das Prozessgericht des ersten Rechtszugs, das dem Schuldner vor dem Beschluss rechtliches Gehör zu gewähren hat (§ 891 Satz 1 ZPO). Das Gericht prüft die allgemeinen Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen, nicht aber die materielle Richtigkeit des Titels.2559 Die Kostenentscheidung richtet sich nach den allgemeinen Regeln (§ 891 Satz 3 ZPO i. V. m. §§ 91 bis 93, 95 bis 100, 106, 107 ZPO). Gegen den Beschluss eines Amts- oder Landgerichts ist gemäß § 793 ZPO i. V. m. § 567 Abs. 1 ZPO die sofortige Beschwerde gegeben, die – sofern das erstinstanzliche Prozessgericht ein Landgericht war – dem Anwaltszwang unterliegt.2560 Die Beschwerde hat im Falle der Festsetzung von Zwangsmitteln aufschiebende Wirkung.2561

2550 BGH 30.1.2014 – I ZR 19/13 – WM 2014, 1322 – Gebundener Versicherungsvermittler; OLG Hamburg 18.9.1997 – 3 U 39/97 – OLGR 1998, 13; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.103; Teplitzky/Kessen Kap. 58 Rn. 6.

2551 GK-UWG/Jestaedt1 Vor § 13 E Rn. 94; Teplitzky/Kessen Kap. 58 Rn. 6. 2552 S. Rn. 868 ff. 2553 OLG Düsseldorf 25.6.1969 – 2 W 40/69 – GRUR 1970, 376; OLG Hamburg 28.9.1972 – 3 W 90/72 – MDR 1973, 415.

2554 Vgl. BGH 13.11.2013 – I ZR 77/12 – GRUR 2014, 595 Tz. 29 – Vertragsstrafenklausel (betreffend eine entsprechende vertragliche Unterlassungsverpflichtung).

2555 Für ein Wahlrecht des Gläubigers Lindacher GRUR 1985, 423, 426 ff.; für die Anwendung der §§ 887, 888 ZPO auch schon Henckel AcP 74 (1974), 97, 102 und Brehm ZZP 89 (1976), 178, 189 ff.

2556 BGH 25.1.2007 – I ZB 58/06 – NJW-RR 2007, 863; BAG 28.2.2006 – 1 AZR 460/04 – BAGE 117, 137 = DB 2006, 1381; BayObLG 6.5.1999 – 2Z BR 47/99 – NZM 1999, 769; OLG Hamburg 20.12.1966 – 3 W 101/66 – GRUR 1967, 618; OLG Hamburg 28.9.1972 – 3 W 90/72 – WRP 1973, 276; OLG Koblenz 8.7.1964 – 2 W 183/64 – MDR 1965, 51; OLG Köln 7.3.1994 – 2 W 32/94 – OLGZ 1994, 599; OLG München 22.9.1992 – 6 W 2048/92 – GRUR 1993, 510; OLG Stuttgart 30.11.1979 – 2 W 51/79 – WRP 1980, 104; a. A. OLG Hamm 7.9.1973 – 14 W 67/73 – OLGZ 1974, 63; OLG München 22.2.1972 – 6 W 611/72 – GRUR 1972, 502; OLG Zweibrücken 21.11.2003 – 3 W 104/03 – OLGR 2004, 100. 2557 Harte/Henning/Seitz § 8 Rn. 150; Schuschke/Walker/Sturhahn § 890 Rn. 2; Teplitzky WRP 1984, 365, 366 ff.; Teplitzky Kap. 58 Rn. 4. 2558 Vgl. OLG Saarbrücken 6.4.2000 – 5 W 22/00 – NJW-RR 2001, 163; GK-UWG/Jestaedt1 Vor § 13 E Rn. 2; Schuschke/Walker/Sturhahn § 890 Rn. 2; Teplitzky/Kessen Kap. 58 Rn. 4a. 2559 Schuschke/Walker § 887 Rn. 14. 2560 Zöller/Stöber § 887 Rn. 13. 2561 BGH 17.8.2011 – I ZB 20/11 – NJW 2011, 3791 Tz. 8 ff. – Aufschiebende Wirkung I; BGH 16.5.2012 – I ZB 52/11 – Aufschiebende Wirkung II. Feddersen

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XII. Zwangsvollstreckung

Vor §§ 12–15a A

c) Bestimmtheitsgebot. Das schon im Erkenntnisverfahren gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu 899 prüfende Erfordernis der Bestimmtheit des Klageantrags wirkt in das Vollstreckungsverfahren hinüber, denn nur ein hinsichtlich der Parteien sowie des Inhalts und Umfangs der geschuldeten Leistung bestimmter Titel ist vollstreckungsfähig.2562 Eine möglichst konkrete Bezeichnung der Beseitigungshandlung ist danach geboten.2563 Der materiellrechtliche Inhalt des Beseitigungsanspruchs ist allerdings häufig2564 nicht auf eine spezifische Maßnahme gerichtet, sondern kennzeichnet lediglich den – ggf. auf verschiedene Arten und Weisen zu erreichenden – Beseitigungserfolg, wobei dem Schuldner zur Vermeidung einer unverhältnismäßigen Belastung die Auswahl unter mehreren Handlungsmöglichkeiten zusteht.2565 Im Falle solchermaßen bestehender Handlungsalternativen ist das Bestimmtheitsgebot gewahrt, wenn dem Schuldner alternativ die Vornahme einer der bezeichneten Handlungen in der Weise auferlegt wird, dass er verurteilt wird, nach seiner Wahl eine der spezifisch bezeichneten Handlungen vorzunehmen.2566 Um eine unzulässige alternative Klagenhäufung handelt es sich hierbei nicht, denn der Antrag konkretisiert lediglich das dem Schuldner obliegende abstrakte Handlungsgebot, das nun einmal auf verschiedene Weisen vollzogen werden kann, und hält sich deshalb innerhalb desselben Streitgegenstands.2567 d) Einwände des Schuldners. Dass der Schuldner den Erfüllungseinwand im Vollstre- 900 ckungsverfahren nach den §§ 887, 888 ZPO nicht (mehr) geltend machen kann, wenn der Beschluss über die Anordnung der Zwangsvollstreckung rechtskräftig geworden ist, steht außer Frage.2568 Unterschiedlich wird hingegen beurteilt, ob dies vor Rechtskraft des Beschlusses möglich ist. Stellt man – wie Teile der älteren Rechtsprechung und Literatur2569 – darauf ab, dass der Erfüllungseinwand materiellrechtlicher Natur ist, so ist es konsequent, den Schuldner auf die Vollstreckungsgegenklage gemäß § 767 ZPO zu verweisen. Teilweise wird der Einwand im Vollstreckungsverfahren unter Hinweis auf die Vorschrift des § 775 Nr. 4 u. 5 ZPO für zulässig gehalten, wenn die Erfüllung in tat-sächlicher Hinsicht unstreitig oder „liquide beweisbar“ ist.2570 Demgegenüber hält der Bundesgerichtshof die Erhebung des Erfüllungseinwands im Vollstreckungsverfahren vor Rechtskraft des Beschlusses gemäß §§ 887, 888 ZPO für zulässig, weil nach dem Wortlaut des § 887 ZPO, an welchen auch die Vorschrift des § 888 ZPO anknüpfe, die Nichterfüllung tatbestandliche Voraussetzung der Zwangsvollstreckung sei und die Zulassung des Einwands auch prozessökonomisch sinnvoll sein könne.2571 Angesichts der vorstehen-

2562 BGH 6.11.1985 – IVb ZR 73/84 – NJW 1986, 1440; Zöller/Stöber § 704 Rn. 2. 2563 Harte/Henning/Brüning Vorb. zu § 12 Rn. 345; Teplitzky/Kessen Kap. 24 Rn. 8 u. Kap. 58 Rn. 5. 2564 So etwa in BGH 21.9.1960 – V ZR 89/59 – NJW 1960, 2335, 2335 und BGH 22.10.1976 – V ZR 36/75 – BGHZ 67, 252, 253 = NJW 1977, 146, nicht aber in BGH 28.1.1977 – I ZR 109/75 – GRUR 1977, 614, 616 – Gebäudefassade m. Anm. Fezer. 2565 S. § 8 Rn. 107. 2566 BGH 12.3.1954 – I ZR 201/52 – GRUR 1954, 337 – Radschutz; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.119; Ohly/ Sosnitza § 8 Rn. 81; Teplitzky/Kessen Kap. 24 Rn. 8. 2567 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.120; Teplitzky/Kessen Kap. 24 Rn. 8. 2568 OLG Karlsruhe 19.7.2005 – 20 WF 65/05 – MDR 2006, 472; Stein/Jonas/Münzberg § 887 Rn. 27; Zöller/Stöber § 888 Rn. 11; Teplitzky/Kessen Kap. 58 Rn. 13. 2569 OLG Bamberg 1.10.1982 – 5 W 39/82 – RPfleger 1983, 79; OLG Düsseldorf 2.11.1981 – 20 W 35/81 – BauR 1982, 196; OLG Hamm 21.3.1984 – 26 W 4/84 – OLGZ 1984, 254 = MDR 1984, 591; OLG Koblenz 2.10.1990 – 5 W 619/90 – MDR 1991, 547; Baur/Stürner Rn. 40.9; Schuschke/Walker § 887 Rn. 15. 2570 KG 18.9.2002 – 24 W 199/02 – NJW-RR 2003, 214; OLG Köln 28.10.1992 – 19 W 39/92 – MDR 1993, 579; OLG München 26.3.2002 – 7 W 691/02 – NJW-RR 2002, 1034; Schuschke/Walker § 887 Rn. 15. 2571 BGH 5.11.2004 – IXa ZB 32/04 – BGHZ 161, 67 mit kritischer Besprechung Kannowski/Distler NJW 2005, 865; BGH 26.4.2007 – I ZB 82/06 – NJW-RR 2007, 1475; Harte/Henning/Brüning Vorb. zu § 12 Rn. 350; Zöller/Stöber § 887 Rn. 7; Teplitzky/Kessen Kap. 58 Rn. 13; Schuschke/Walker § 887 Rn. 16. 817

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Vor §§ 12–15a A

A. Besonderheiten des Klageverfahrens

den Kontroverse ist dem Schuldner jedoch auch für eine parallel zum Vollstreckungsverfahren erhobene Klage nach § 767 ZPO ein Rechtsschutzbedürfnis zuzubilligen.2572 901 Der Einwand, die Vornahme der Handlung sei objektiv unmöglich, ist im Vollstreckungsverfahren ebenfalls zuzulassen. Denn Unmögliches kann vom Schuldner, der insoweit darlegungs- und beweispflichtig ist,2573 schlechterdings nicht verlangt und deshalb auch im Wege der Zwangsvollstreckung nicht durchgesetzt werden.2574 Tatbestandliche Anhaltspunkte dafür, dass die Möglichkeit der Handlung Vollstreckungsvoraussetzung ist, geben sowohl § 887 Abs. 1 ZPO („deren Vornahme durch einen Dritten erfolgen kann“) als auch § 888 Abs. 1 Satz 1 ZPO („wenn sie [die Handlung] ausschließlich von dem Willen des Schuldners abhängt“).2575 Subjektive Unmöglichkeit (Unvermögen) entlastet den Schuldner nur, wenn der Schuldner darlegen und beweisen kann, dass es ihm – und sei es auch aufgrund eigenen Verschuldens2576 – nicht möglich ist, die Handlung von einem Dritten vornehmen zu lassen; finanzielle Leistungsunfähigkeit schützt den Schuldner vor Vollstreckung aber nicht.2577 Fehlende Zumutbarkeit der Handlungsvornahme ist hingegen kein valider Einwand im Vollstreckungsverfahren.2578 Dies gilt auch für weitere Einwände, mit denen der Schuldner etwa geltend macht, der Gläubiger sei infolge Abtretung oder Pfändung nicht mehr Forderungsinhaber oder sie sei wegen Verzichts oder Aufrechnung erloschen.2579

902 e) Vollstreckung vertretbarer Handlungen (§ 887 ZPO). Die Pflicht zur Vornahme einer vertretbaren Handlung wird gemäß § 887 ZPO durch Ersatzvornahme in der Weise vollstreckt, dass das Gericht den Gläubiger dazu ermächtigt, die Handlung selbst oder durch Beauftragte – ggf. nach Erwirkung eines Kostenvorschusstitels nach § 887 Abs. 2 ZPO – durchzuführen.2580 Vertretbar ist eine Handlung, wenn sie durch einen Dritten vorgenommen werden kann, ohne dass das Erfüllungsinteresse des Gläubigers berührt wird, weil sich aus seiner Sicht am wirtschaftlichen Leistungserfolg und -charakter nichts ändert.2581 Dies sind typischerweise Handlungen mechanischer oder technischer Art, wie sie Gegenstand von Dienst- oder Arbeitsverträgen sein können.2582 Die Herausgabe oder Leistung von Sachen ist nach § 887 Abs. 3 ZPO keine vertretbare Handlung im Sinne der Vorschrift. 903 Eine Handlung, die die Zustimmung eines Dritten erfordert (etwa weil für die Durchführung der Handlung die Inanspruchnahme des Nachbargrundstücks erforderlich ist2583 oder ein Werbeschild von dem einem Dritten gehörenden Gebäude entfernt werden muss2584), ist nur dann eine vertretbare Handlung im Sinne des § 887 ZPO, wenn der Dritte der Handlung zugestimmt 2572 BGH 6.10.2005 – I ZR 322/02 – GRUR 2006, 419 unter II.7 – Noblesse; Teplitzky/Kessen Kap. 58 Rn. 13b. 2573 Stein/Jonas/Brehm § 887 Rn. 23. 2574 Stein/Jonas/Brehm § 887 Rn. 23; Harte/Henning/Brüning Vorb. zu § 12 Rn. 351; GK-UWG/Jestaedt1 Vor § 13 E Rn. 100 (zu § 888 ZPO); a. A. Schuschke/Walker § 887 Rn. 17. 2575 Vgl. OLG Hamm 18.2.1988 – 14 W 147/87 – NJW-RR 1988, 1087; OLG Zweibrücken 17.3.1998 – 3 W 53/98 – NJW 1998, 1767; LG Dessau-Roßlau 3.5.2012 – 5 T 36/12 – JurBüro 2012, 441; Stein/Jonas/Brehm § 888 Rn. 10. Der BGH 7.4.2005 – I ZB 2/05 – NJW-RR 2006, 202 hat allerdings einem Schuldner, der als ehemaliger Mieter zur Beseitigung von Wohnungsmängeln verurteilt war, im Vollstreckungsverfahren den Einwand verwehrt, dass die Mängelbeseitigung aufgrund der maroden Bausubstanz des Gebäudes nicht zum Erfolg führen könne, also unmöglich sei. 2576 BGH 18.12.2008 – I ZB 68/08 – GRUR 2009, 794 Tz. 20 – Auskunft über Tintenpatronen (zu § 888 ZPO). 2577 Stein/Jonas/Brehm § 887 Rn. 23. 2578 BGH 7.4.2005 – I ZB 2/05 – NJW-RR 2006, 202; Schuschke/Walker § 887 Rn. 17. 2579 Stein/Jonas/Brehm § 887 Rn. 27; Schuschke/Walker § 887 Rn. 17. 2580 Schuschke/Walker § 887 Rn. 25, 27. 2581 OLG Bamberg 2.2.1983 – 2 WF 14/83 – MDR 1983, 499; OLG Düsseldorf 9.2.1998 – 9 W 7/98 – NJW-RR 1998, 1768; Stein/Jonas/Brehm § 887 Rn. 6; Zöller/Stöber § 887 Rn. 2; Schuschke/Walker § 887 Rn. 2. 2582 Stein/Jonas/Brehm § 887 Rn. 10. 2583 OLG Frankfurt 15.4.1982 – 20 W 125/82 – MDR 1983, 141. 2584 OLG Koblenz 14.1.1982 – 6 W 549/81 – WRP 1982, 427. Feddersen

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hat oder zu ihrer Duldung verurteilt ist; das Bestehen einer (nicht titulierten) Zustimmungsverpflichtung des Dritten gegenüber dem Schuldner reicht nicht aus.2585 Fehlt die Zustimmung, richtet sich die Vollstreckung nach § 888 ZPO, denn die ggf. notwendige gerichtliche Geltendmachung durch den Schuldner ist eine nicht vertretbare Handlung.2586 Zur Vermeidung dieser Komplikationen wird empfohlen, der Gläubiger möge – soweit ein eigener Anspruch des Gläubigers etwa unter dem Gesichtspunkt der Teilnahme besteht – sogleich auch den Dritten gerichtlich in Anspruch nehmen.2587 Ein Verschulden des Schuldners an der Nichterfüllung ist für die Anordnung der Ersatzvor- 904 nahme, die allein die Durchsetzung der Beseitigungsmaßnahme bezweckt, nicht aber Sanktionscharakter hat, nicht erforderlich.2588

f) Vollstreckung nicht vertretbarer Handlungen (§ 888 ZPO). Eine nicht vertretbare 905 Handlung im Sinne des § 888 ZPO liegt vor, wenn ein Dritter die Handlung nicht vornehmen darf oder die Vornahme durch ihn mit dem (auch wirtschaftlich betrachteten) Inhalt der Verpflichtung unvereinbar ist.2589 Ein wichtiger Fall der nicht vertretbaren Handlung ist im wettbewerbsrechtlichen Kontext die Vornahme einer nur vom Willen des Schuldners abhängenden Auskunft und Rechnungslegung.2590 Ist für die Handlung die Mitwirkung eines Dritten erforderlich, so muss der Schuldner alle ihm zustehenden tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten bis zur – tendenziell hoch anzusetzenden – Zumutbarkeitsgrenze ausschöpfen, um den Dritten zur Mitwirkung zu bewegen.2591 Im Falle der Auskunftserteilung muss sich etwa die auskunftsverpflichtete Konzerngesellschaft darum bemühen, die bei ihr fehlenden, bei einer anderen Konzerngesellschaft aber vorhandenen Kenntnisse zu erlangen und hierzu notfalls auch den Rechtsweg beschreiten.2592 Nicht vertretbar ist auch der Widerruf2593 wettbewerbswidriger Tatsachenbehauptun- 906 2594 Nach a. A. soll diese Konstellation der Vorschrift des § 894 ZPO unterfallen, die Abgabe gen. des Widerrufs also bei Rechtskraft der Entscheidung fingiert werden, weil der persönliche Zwang zum expliziten Widerruf das Persönlichkeitsrecht des Schuldners unverhältnismäßig be2585 BGH 27.11.2008 – I ZB 46/08 – NJW-RR 2009, 443 Rn. 8; Stein/Jonas/Brehm § 887 Rn. 10; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 12 Rn. 5.21; Teplitzky/Kessen Kap. 58 Rn. 15.

2586 GK-UWG/Jestaedt1 Vor § 13 E Rn. 96; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 5.21; Teplitzky/Kessen Kap. 58 Rn. 15.

2587 GK-UWG/Jestaedt1Vor § 13 E Rn. 98; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 5.22; Teplitzky/Kessen Kap. 58 Rn. 16, der zutreffend darauf hinweist, dass die früher in diesem Zusammenhang gleichfalls genannte Inanspruchnahme des Dritten als (Mit-)Störer aufgrund der Aufgabe der Störerhaftung im Wettbewerbsrecht durch den Bundesgerichtshof (s. BGH 22.7.2010 – I ZR 139/08 – GRUR 2011, 152 Tz. 48 – Kinderhochstühle im Internet I; BGH 12.7.2012 – I ZR 54/11 – GRUR 2013, 301 Tz. 49 – Solarinitiative; BGH 18.6.2014 – I ZR 242/12 – Geschäftsführerhaftung) an Bedeutung verloren hat. 2588 GK-UWG/Jestaedt1 Vor § 13 E Rn. 98; Teplitzky/Kessen Kap. 58 Rn. 14. 2589 Stein/Jonas/Brehm § 888 Rn. 4. 2590 BGH 18.12.2008 – I ZB 68/08 – GRUR 2009, 794 Tz. 20 – Auskunft über Tintenpatronen; Stein/Jonas/Brehm § 887 Rn. 14, § 888 Rn. 5; Teplitzky/Kessen Kap. 58 Rn. 8. 2591 BGH 18.12.2008 – I ZB 68/08 – GRUR 2009, 794 Tz. 21 – Auskunft über Tintenpatronen; Stein/Jonas/Brehm § 888 Rn. 13; Teplitzky/Kessen Kap. 58 Rn. 15. 2592 BGH 18.12.2008 – I ZB 68/08 – GRUR 2009, 794 Tz. 21 – Auskunft über Tintenpatronen; Stein/Jonas/Brehm § 888 Rn. 13; Teplitzky/Kessen Kap. 58 Rn. 15; s. auch OLG Hamburg 22.7.2003 – 14 W 56/03 – ZMR 2003, 863; OLG Karlsruhe 27.11.1998 – 18 WF 82/98 – FamRZ 1999, 1436. 2593 Zu den materiellrechtlichen Voraussetzungen des Widerrufs s. § 8 Rn. 118 ff. 2594 OLG Frankfurt 23.10.1997 – 16 W 43/97 – MDR 1998, 986; OLG Köln 18.9.1991 – 11 W 52/91 – MDR 1992, 184; OLG Zweibrücken 6.4.1990 – 3 W 50/90 – NJW 1991, 304; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.143; GK-UWG/ Jestaedt1 Vor § 13 E Rn. 105; Teplitzky/Kessen Kap. 26 Rn. 16. Der BGH 3.5.1977 – VI ZR 36/74 – BGHZ 68, 331, 336 = NJW 1977, 1288, 1290 – Abgeordnetenbestechung – hat diese Frage offengelassen. 819

Feddersen

Vor §§ 12–15a B

B. Aufbrauchfrist

einträchtige.2595 Dem ist entgegenzuhalten, dass das berechtigte Interesse des Gläubigers an einer Beseitigung der durch eine unwahre Tatsachenbehauptung eingetretenen Störung durch eine rechtliche Fiktion nur ungenügend befriedigt wird; dem Persönlichkeitsrecht des Schuldners kann durch inhaltliche Gestaltung des Widerrufs Rechnung getragen und so eine nicht angebrachte Demütigung vermieden werden.2596 907 Die Vollstreckung nicht vertretbarer Handlungen erfolgt durch das Beugemittel des Zwangsgelds. Mangels Sanktionscharakters bedarf es auch hier keines Verschuldens.2597

B. Aufbrauchfrist Schrifttum Berlit Zur Frage der Einräumung einer Aufbrauchsfrist im Wettbewerbsrecht, Markenrecht und Urheberrecht, WRP 1998, 250; Borck Abschied von der „Aufbrauchsfrist“, WRP 1967, 7; Ehlers Die Aufbrauchsfrist und ihre Rechtsgrundlage, GRUR 1967, 77; von Gamm Warenzeichengesetz (1965); Heydt Anmerkung zu BGH 20.1.1961 – I ZR 110/59 – GRUR 1961, 283 – Mon Chéri II, GRUR 1961, 284; Kisseler Die Aufbrauchsfrist im vorprozessualen Abmahnverfahren, WRP 1991, 693; H. Köhler Begrenzung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, GRUR 1996, 82; Pastor Der Wettbewerbsprozess 3. Auflage (1980); ders. Die Aufbrauchsfrist bei Unterlassungsverurteilungen, GRUR 1964, 245; Seligsohn Streitfragen des Zeichenrechts und die Stetigkeit der Rechtsprechung, GRUR 1927, 636; Spätgens Drittwirkung bei Bewilligung einer Aufbrauchsfrist, WRP 1994, 693; Ulrich Die Aufbrauchsfrist in Verfahren der einstweiligen Verfügung, GRUR 1991, 26.

I. Einführung 1. Allgemeines 1 Ein sofort vollstreckbarer Unterlassungsanspruch wird in den Geschäftsbetrieb des Schuldners regelmäßig in erheblichem Umfang eingreifen. Der Abbruch einer geplanten Werbekampagne mit als unlauter erkanntem Inhalt oder eine Korrektur des Internetauftritts mögen noch kurzfristig ohne unverhältnismäßige Einbußen umsetzbar sein. Existenzgefährdende Ausmaße können indessen erreicht werden, wenn aufgrund eines Wettbewerbsverstoßes eine ganze Produktionsserie, z. B. bei Unterlassungsansprüchen aufgrund ergänzenden lauterkeitsrechtlichen Leistungsschutzes (§ 4 Nr. 3 UWG), nicht abgesetzt werden kann. Entsprechende Beispiele für die Eingriffsfolgen eines Unterlassungsgebotes für den Betrieb des Schuldners ließen sich leicht vermehren.1 Obschon ein Unterlassungsurteil bzw. eine entsprechende einstweilige Verfügung die vorgesehene regelmäßige Rechtsfolge eines Verstoßes gegen wettbewerbliche Verhaltenspflichten darstellen, erscheinen sie wegen der Auswirkungen eines übergangslosen Verbots im Einzelfall intuitiv unbillig.2 Dabei ergibt sich die Unbilligkeit jeweils aus dem Fehlen einer Anpassungsfrist für den redlichen Schuldner. Wenn ein unmittelbar wirksames Unterlassungsgebot den Schuldner und dessen wirtschaftli2 che Interessen unverhältnismäßig belasten würde, wird der Gläubiger regelmäßig eine entspre2595 OLG Frankfurt 25.9.1981 – 13 W 43/81 – NJW 1982, 113; OLG Hamm 12.3.1991 – 9 U 202/90 – NJW-RR 1992, 634; GK-UWG/Köhler1 Vor § 13 B Rn. 183; Stein/Jonas/Brehm § 888 Rn. 5 f. möchte ohne Rückgriff auf § 894 ZPO die Veröffentlichung des rechtskräftigen Urteils ausreichen lassen. 2596 BVerfG 28.1.1970 – 1 BvR 719/68 – BVerfGE 28, 1 = NJW 1970, 651 unter B.3; BGH 14.6.1977 – VI ZR 111/75 – BGHZ 69, 181 = NJW 1977, 1681 unter II.1 – Heimstättengemeinschaft; OLG Frankfurt 15.3.1993 – 6 W 11/93 – GRUR 1993, 697; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.143; Teplitzky/Kessen Kap. 26 Rn. 10. 2597 GK-UWG/Jestaedt1 Vor § 13 E Rn. 102; Teplitzky/Kessen Kap. 58 Rn. 14. 1 GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 175. 2 GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 175. Herrmann

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B. Aufbrauchfrist

einträchtige.2595 Dem ist entgegenzuhalten, dass das berechtigte Interesse des Gläubigers an einer Beseitigung der durch eine unwahre Tatsachenbehauptung eingetretenen Störung durch eine rechtliche Fiktion nur ungenügend befriedigt wird; dem Persönlichkeitsrecht des Schuldners kann durch inhaltliche Gestaltung des Widerrufs Rechnung getragen und so eine nicht angebrachte Demütigung vermieden werden.2596 907 Die Vollstreckung nicht vertretbarer Handlungen erfolgt durch das Beugemittel des Zwangsgelds. Mangels Sanktionscharakters bedarf es auch hier keines Verschuldens.2597

B. Aufbrauchfrist Schrifttum Berlit Zur Frage der Einräumung einer Aufbrauchsfrist im Wettbewerbsrecht, Markenrecht und Urheberrecht, WRP 1998, 250; Borck Abschied von der „Aufbrauchsfrist“, WRP 1967, 7; Ehlers Die Aufbrauchsfrist und ihre Rechtsgrundlage, GRUR 1967, 77; von Gamm Warenzeichengesetz (1965); Heydt Anmerkung zu BGH 20.1.1961 – I ZR 110/59 – GRUR 1961, 283 – Mon Chéri II, GRUR 1961, 284; Kisseler Die Aufbrauchsfrist im vorprozessualen Abmahnverfahren, WRP 1991, 693; H. Köhler Begrenzung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, GRUR 1996, 82; Pastor Der Wettbewerbsprozess 3. Auflage (1980); ders. Die Aufbrauchsfrist bei Unterlassungsverurteilungen, GRUR 1964, 245; Seligsohn Streitfragen des Zeichenrechts und die Stetigkeit der Rechtsprechung, GRUR 1927, 636; Spätgens Drittwirkung bei Bewilligung einer Aufbrauchsfrist, WRP 1994, 693; Ulrich Die Aufbrauchsfrist in Verfahren der einstweiligen Verfügung, GRUR 1991, 26.

I. Einführung 1. Allgemeines 1 Ein sofort vollstreckbarer Unterlassungsanspruch wird in den Geschäftsbetrieb des Schuldners regelmäßig in erheblichem Umfang eingreifen. Der Abbruch einer geplanten Werbekampagne mit als unlauter erkanntem Inhalt oder eine Korrektur des Internetauftritts mögen noch kurzfristig ohne unverhältnismäßige Einbußen umsetzbar sein. Existenzgefährdende Ausmaße können indessen erreicht werden, wenn aufgrund eines Wettbewerbsverstoßes eine ganze Produktionsserie, z. B. bei Unterlassungsansprüchen aufgrund ergänzenden lauterkeitsrechtlichen Leistungsschutzes (§ 4 Nr. 3 UWG), nicht abgesetzt werden kann. Entsprechende Beispiele für die Eingriffsfolgen eines Unterlassungsgebotes für den Betrieb des Schuldners ließen sich leicht vermehren.1 Obschon ein Unterlassungsurteil bzw. eine entsprechende einstweilige Verfügung die vorgesehene regelmäßige Rechtsfolge eines Verstoßes gegen wettbewerbliche Verhaltenspflichten darstellen, erscheinen sie wegen der Auswirkungen eines übergangslosen Verbots im Einzelfall intuitiv unbillig.2 Dabei ergibt sich die Unbilligkeit jeweils aus dem Fehlen einer Anpassungsfrist für den redlichen Schuldner. Wenn ein unmittelbar wirksames Unterlassungsgebot den Schuldner und dessen wirtschaftli2 che Interessen unverhältnismäßig belasten würde, wird der Gläubiger regelmäßig eine entspre2595 OLG Frankfurt 25.9.1981 – 13 W 43/81 – NJW 1982, 113; OLG Hamm 12.3.1991 – 9 U 202/90 – NJW-RR 1992, 634; GK-UWG/Köhler1 Vor § 13 B Rn. 183; Stein/Jonas/Brehm § 888 Rn. 5 f. möchte ohne Rückgriff auf § 894 ZPO die Veröffentlichung des rechtskräftigen Urteils ausreichen lassen. 2596 BVerfG 28.1.1970 – 1 BvR 719/68 – BVerfGE 28, 1 = NJW 1970, 651 unter B.3; BGH 14.6.1977 – VI ZR 111/75 – BGHZ 69, 181 = NJW 1977, 1681 unter II.1 – Heimstättengemeinschaft; OLG Frankfurt 15.3.1993 – 6 W 11/93 – GRUR 1993, 697; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.143; Teplitzky/Kessen Kap. 26 Rn. 10. 2597 GK-UWG/Jestaedt1 Vor § 13 E Rn. 102; Teplitzky/Kessen Kap. 58 Rn. 14. 1 GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 175. 2 GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 175. Herrmann

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Vor §§ 12–15a B

B. Aufbrauchfrist

einträchtige.2595 Dem ist entgegenzuhalten, dass das berechtigte Interesse des Gläubigers an einer Beseitigung der durch eine unwahre Tatsachenbehauptung eingetretenen Störung durch eine rechtliche Fiktion nur ungenügend befriedigt wird; dem Persönlichkeitsrecht des Schuldners kann durch inhaltliche Gestaltung des Widerrufs Rechnung getragen und so eine nicht angebrachte Demütigung vermieden werden.2596 907 Die Vollstreckung nicht vertretbarer Handlungen erfolgt durch das Beugemittel des Zwangsgelds. Mangels Sanktionscharakters bedarf es auch hier keines Verschuldens.2597

B. Aufbrauchfrist Schrifttum Berlit Zur Frage der Einräumung einer Aufbrauchsfrist im Wettbewerbsrecht, Markenrecht und Urheberrecht, WRP 1998, 250; Borck Abschied von der „Aufbrauchsfrist“, WRP 1967, 7; Ehlers Die Aufbrauchsfrist und ihre Rechtsgrundlage, GRUR 1967, 77; von Gamm Warenzeichengesetz (1965); Heydt Anmerkung zu BGH 20.1.1961 – I ZR 110/59 – GRUR 1961, 283 – Mon Chéri II, GRUR 1961, 284; Kisseler Die Aufbrauchsfrist im vorprozessualen Abmahnverfahren, WRP 1991, 693; H. Köhler Begrenzung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, GRUR 1996, 82; Pastor Der Wettbewerbsprozess 3. Auflage (1980); ders. Die Aufbrauchsfrist bei Unterlassungsverurteilungen, GRUR 1964, 245; Seligsohn Streitfragen des Zeichenrechts und die Stetigkeit der Rechtsprechung, GRUR 1927, 636; Spätgens Drittwirkung bei Bewilligung einer Aufbrauchsfrist, WRP 1994, 693; Ulrich Die Aufbrauchsfrist in Verfahren der einstweiligen Verfügung, GRUR 1991, 26.

I. Einführung 1. Allgemeines 1 Ein sofort vollstreckbarer Unterlassungsanspruch wird in den Geschäftsbetrieb des Schuldners regelmäßig in erheblichem Umfang eingreifen. Der Abbruch einer geplanten Werbekampagne mit als unlauter erkanntem Inhalt oder eine Korrektur des Internetauftritts mögen noch kurzfristig ohne unverhältnismäßige Einbußen umsetzbar sein. Existenzgefährdende Ausmaße können indessen erreicht werden, wenn aufgrund eines Wettbewerbsverstoßes eine ganze Produktionsserie, z. B. bei Unterlassungsansprüchen aufgrund ergänzenden lauterkeitsrechtlichen Leistungsschutzes (§ 4 Nr. 3 UWG), nicht abgesetzt werden kann. Entsprechende Beispiele für die Eingriffsfolgen eines Unterlassungsgebotes für den Betrieb des Schuldners ließen sich leicht vermehren.1 Obschon ein Unterlassungsurteil bzw. eine entsprechende einstweilige Verfügung die vorgesehene regelmäßige Rechtsfolge eines Verstoßes gegen wettbewerbliche Verhaltenspflichten darstellen, erscheinen sie wegen der Auswirkungen eines übergangslosen Verbots im Einzelfall intuitiv unbillig.2 Dabei ergibt sich die Unbilligkeit jeweils aus dem Fehlen einer Anpassungsfrist für den redlichen Schuldner. Wenn ein unmittelbar wirksames Unterlassungsgebot den Schuldner und dessen wirtschaftli2 che Interessen unverhältnismäßig belasten würde, wird der Gläubiger regelmäßig eine entspre2595 OLG Frankfurt 25.9.1981 – 13 W 43/81 – NJW 1982, 113; OLG Hamm 12.3.1991 – 9 U 202/90 – NJW-RR 1992, 634; GK-UWG/Köhler1 Vor § 13 B Rn. 183; Stein/Jonas/Brehm § 888 Rn. 5 f. möchte ohne Rückgriff auf § 894 ZPO die Veröffentlichung des rechtskräftigen Urteils ausreichen lassen. 2596 BVerfG 28.1.1970 – 1 BvR 719/68 – BVerfGE 28, 1 = NJW 1970, 651 unter B.3; BGH 14.6.1977 – VI ZR 111/75 – BGHZ 69, 181 = NJW 1977, 1681 unter II.1 – Heimstättengemeinschaft; OLG Frankfurt 15.3.1993 – 6 W 11/93 – GRUR 1993, 697; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.143; Teplitzky/Kessen Kap. 26 Rn. 10. 2597 GK-UWG/Jestaedt1 Vor § 13 E Rn. 102; Teplitzky/Kessen Kap. 58 Rn. 14. 1 GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 175. 2 GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 175. Herrmann

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I. Einführung

Vor §§ 12–15a B

chend modifizierte Unterlassungserklärung akzeptieren und so den Interessenausgleich – auch in einem bereits anhängigen gerichtlichen Verfahren – im Vereinbarungswege herstellen.3 Wo dies nicht freiwillig oder durch den heute möglich gewordenen Druck4 gelingt, besteht ein praktisches Bedürfnis, auch im streitigen Verfahren den Unterlassungsanspruch auf das zur Sicherung eines fairen Leistungswettbewerbs gebotene Maß unter Rücksichtnahme auf überwiegende Schuldnerinteressen zu begrenzen.5 Denn ohne gerichtliche Handlungsmöglichkeit bliebe der Unterlassungsschuldner allein auf das Wohlwollen des Gläubigers angewiesen. Seit mehr als 85 Jahren6 schränken die Wettbewerbsgerichte die Verurteilung zur Unterlas- 3 sung wettbewerbswidrigen Verhaltens in inhaltlicher oder zeitlicher Hinsicht durch die Gewährung von Aufbrauch-, Umstellungs- und Beseitigungsfristen ein.7 Die intuitive Richtigkeit im Einzelfall zu gewährender zeitlicher Einschränkungen des Unterlassungsgebotes hat dabei das Fehlen einer unmittelbar einschlägigen normativen Grundlage8 zurücktreten lassen.

2. Begriff Begriffsbildend war das Bedürfnis, dem Schuldner das „Aufbrauchen“ von ihm in gutem Glau- 4 ben hergestellter oder beschaffter Materialien zu gestatten.9 Die sofortige Durchsetzung eines Unterlassungsgebotes würde in diesen Fällen notwendig eine Wertvernichtung bedeuten, die unverhältnismäßig sein kann. Wird eine solche Aufbrauchfrist im engeren Sinn gewährt, bedeutet dies sachlich die – befristete – Duldung neuerlicher Wettbewerbsverstöße durch den Schuldner.10 Die sonstigen in der Praxis anerkannten Varianten einer Aufbrauchfrist im weiteren Sinne (Beseitigungs- und Umstellungsfristen) unterscheiden sich hiervon nicht grundsätzlich, sondern nur in der Erscheinungsform. Sie kommen in Betracht, wenn die Unterlassung eines Wettbewerbsverstoßes von dem Schuldner ein aktives Tun (z. B. Änderung eines wettbewerbswidrigen Internet-Auftritts, Änderung der Firma) verlangt.11 Sachgrund für die befristete Duldung eines wettbewerbsrechtlichen Dauerdelikts ist hier regelmäßig eine unverhältnismäßige Gefährdung von Kundenbeziehungen durch allzu abrupte Änderungen. Jeweils wird die ein3 Gloy/Loschelder/Erdmann § 90 Rn. 5; GK-UWG/Schultz-Süchting1 § 25 Rn. 112. 4 Zum einseitigen Vorbehalt einer Aufbrauchfrist in einer Unterwerfungserklärung vgl. § 12 Rn. 119 sowie Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.58; Teplitzky Kap. 57 Rn. 17. Eine in dieser Weise qualifizierte Unterwerfungserklärung beseitigt das Rechtsschutzbedürfnis für eine Unterlassungsklage für die Dauer der vorbehaltenen Aufbrauchfrist naturgemäß nur dann, wenn die Voraussetzungen für die Gewährung einer Aufbrauchfrist tatsächlich vorliegen, s. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.58. 5 Vgl. GK-UWG/Schultz-Süchting1 § 25 Rn. 112 f. 6 Vgl. RG 5.11.1926 – II 43/26 – GRUR 1927, 121, 124. 7 BGH 31.5.1957 – I ZR 93/56 – GRUR 1957, 561, 564 – REI-Chemie; BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563, 567 – Sektwerbung; BGH 20.1.1961 – I ZR 110/59 – GRUR 1961, 283 – Mon Chéri II; BGH 15.4.1966 – Ib ZR 85/64 – GRUR 1966, 495, 498 – UNIPLAST; BGH 16.11.1973 – I ZR 98/72 – GRUR 1974, 474, 476 – Großhandelshaus; BGH 10.5.1974 – I ZR 80/73 – GRUR 1974, 735, 737 – Pharmamedan; BGH 18.12.1981 – I ZR 34/80 – BGHZ 82, 375 = GRUR 1982, 425, 431 – Brillen-Selbstabgabestellen; BGH 14.3.1985 – I ZR 66/83 – GRUR 1985, 930, 932 – JUS-Steuerberatungsgesellschaft; BGH 25.1.1990 – I ZR 19/87 – BGHZ 110, 156 = GRUR 1990, 522, 528 – HBV Familien- und Wohnungsrechtsschutz. 8 GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 179. 9 Z. B. BGH 31.5.1957 – I ZR 93/56 – GRUR 1957, 561, 564 – REI-Chemie; BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563, 567 – Sektwerbung; BGH 20.1.1961 – I ZR 110/59 – GRUR 1961, 283 – Mon Chéri II; BGH 16.11.1973 – I ZR 98/ 72 – GRUR 1974, 474, 476 – Großhandelshaus. 10 § 8 Rn. 24. 11 Gloy/Loschelder/Erdmann § 91 Rn. 3; vgl. auch Borck WRP 1964, 11, der zwischen Aufbrauchfrist und Beseitigungsfrist differenziert und die Gewährung einer Aufbrauchfrist im Fall eines Verstoßes gegen §§ 1 bis 12 UWG a. F. ablehnt (Fn. 22), gestützt darauf, dass es sich bei der Aufbrauchfrist um Unterlassungsansprüche handelt, während bei einer Beseitigungsfrist ein aktives Tun des Schuldners erforderlich ist, sodass die ablehnende Argumentation nicht übertragen werden kann. 821

Herrmann

Vor §§ 12–15a B

B. Aufbrauchfrist

schneidende Wirkung eines ansonsten eingreifenden Unterlassungsgebotes suspendiert.12 Während das praktische Ergebnis heute13 allgemein anerkannt wird, bestehen über die rechtlichen Grundlagen nach wie vor erhebliche Meinungsunterschiede.14

II. Rechtsgrundlage 5 Die Rechtsgrundlage für die Gewährung von Aufbrauch-, Umstellungs- oder Beseitigungsfristen ist nach wie vor streitig.15

1. Übersicht 6 Der BGH war zunächst16 von einer im Vollstreckungsverfahren wirksamen Einrede des Schuldners ausgegangen; eine Sichtweise, die heute nur noch von einer Minderheit17 vertreten wird. Auch vor Einführung des heute als Grundlage für eine prozessuale Lösung der Aufbrauchfrist in Frage kommenden § 765a ZPO im Jahre 195318 konnte aus Billigkeitsgründen ein Vollstreckungsaufschub gewährt werden.19 Die genaue Identifikation einer entsprechenden Rechtsgrundlage im Verfahrensrecht spielte deshalb auch in der Rechtsprechung nur eine untergeordnete Rolle.20 Die aktuelle Rechtsprechung des BGH21 verweist auf den von Amts wegen als Einwendung zu beachtenden § 242 BGB, lässt aber bislang offen, ob aus dem Grundsatz von Treu und Glauben eine materiellrechtliche oder eine vollstreckungsrechtliche Beschränkung des Unterlassungsanspruchs folgen soll.22 Die herrschende Lehre findet die Rechtsgrundlage für die Gewährung einer Aufbrauchfrist überwiegend ebenfalls in § 242 BGB,23 legt sich aber auf eine Deutung als materiell-rechtliche Ein-

12 BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563, 567 – Sektwerbung; KG Berlin 20.4.1971 – 5 U 360/71 – WRP 1971, 326, 327 – Zur Aufbrauchfrist; Teplitzky Kap. 57 Rn. 18. 13 Zu früheren abweichenden Meinungen vgl. von Gamm Warenzeichengesetz § 24 Rn. 54 sowie die Nachweise bei Ehlers GRUR 1967, 78. 14 Ahrens/Bähr Kap. 38 Rn. 5; Teplitzky Kap. 57 Rn. 18. 15 Vgl. Melullis Rn. 893; Teplitzky Kap. 19 Rn. 20 und Kap. 57 Rn. 18 m. w. N. 16 BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563, 567 – Sektwerbung. 17 Harte/Henning/Brüning Vor § 12 Rn. 236; MünchKommUWG/Ehricke Vor § 12 Rn. 119. 18 Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiete der Zwangsvollstreckung vom 20.8.1953, BGBl. I S. 952; siehe dazu sogleich Rn. 8. 19 Zum Normzweck des § 765a ZPO vgl. MünchKommZPO/Heßler § 765a Rn. 1 m. w. N. 20 Z. B. BGH 31.5.1957 – I ZR 93/56 – GRUR 1957, 561, 564 – REI-Chemie; BGH 10.5.1957 – I ZR 33/56 – GRUR 1957, 499, 504 – Wipp; vgl. GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 179; siehe auch OLG Düsseldorf 10.10.1985 – 2 U 114/85 – GRUR 1986, 197 – Rechtsmittel gegen Aufbrauchfrist: „bei der Gewährung einer Aufbrauchfrist [handelt es sich] um einen Fall der Gesetzesanwendung, wobei dahingestellt bleiben kann, ob es sich dabei um eine Anwendung des § 242 BGB oder aber um die Anwendung der prozessualen Vorschrift in § 765a ZPO handelt.“ Vgl. auch schon RG 20.12.1929 – II 199/1929 – GRUR 1930, 331, 333 – Loewe; RG 11.2.1930 – II 315/29 – GRUR 1930, 535, 537; RG 18.11.1930 – II 27/30 – GRUR 1931, 274, 275: „Übergangsfrist“; RG 12.7.1932 – II 36/32 – GRUR 1932, 1052, 1055: „Beseitigungsfrist“; RG 31.3.1933 – II 322/32 – GRUR 1933, 583, 586 – Johann Maria Farina; RG 15.4.1943 – II 121/ 42 – GRUR 1943, 307, 310 f. 21 BGH 29.3.2007 – I ZR 122/04 – GRUR 2007, 1079, 1082 f. – Bundesdruckerei; BGH 18.12.1981 – I ZR 34/80 – BGHZ 82, 375 = GRUR 1982, 425, 431 – Brillen-Selbstabgabestellen; so auch schon BGH 20.1.1961 – I ZR 110/59 – GRUR 1961, 283 – Mon Chéri II; BGH 15.4.1966 – Ib ZR 85/64 – GRUR 1966, 495, 498 – UNIPLAST; BGH 16.11.1973 – I ZR 98/ 72 – GRUR 1974, 474, 476 – Großhandelshaus; BGH 10.5.1974 – I ZR 80/73 – GRUR 1974, 735, 737 – Pharmamedan. 22 Vgl. Teplitzky Kap. 19 Rn. 20 Fn. 89. 23 Berlit WRP 1998, 252; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.58; Fezer/Büscher § 8 Rn. 164; MünchKommUWG/ Fritzsche § 8 Rn. 121; Piper/Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 39; Teplitzky Kap. 57 Rn. 18. Herrmann

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Vor §§ 12–15a B

B. Aufbrauchfrist

schneidende Wirkung eines ansonsten eingreifenden Unterlassungsgebotes suspendiert.12 Während das praktische Ergebnis heute13 allgemein anerkannt wird, bestehen über die rechtlichen Grundlagen nach wie vor erhebliche Meinungsunterschiede.14

II. Rechtsgrundlage 5 Die Rechtsgrundlage für die Gewährung von Aufbrauch-, Umstellungs- oder Beseitigungsfristen ist nach wie vor streitig.15

1. Übersicht 6 Der BGH war zunächst16 von einer im Vollstreckungsverfahren wirksamen Einrede des Schuldners ausgegangen; eine Sichtweise, die heute nur noch von einer Minderheit17 vertreten wird. Auch vor Einführung des heute als Grundlage für eine prozessuale Lösung der Aufbrauchfrist in Frage kommenden § 765a ZPO im Jahre 195318 konnte aus Billigkeitsgründen ein Vollstreckungsaufschub gewährt werden.19 Die genaue Identifikation einer entsprechenden Rechtsgrundlage im Verfahrensrecht spielte deshalb auch in der Rechtsprechung nur eine untergeordnete Rolle.20 Die aktuelle Rechtsprechung des BGH21 verweist auf den von Amts wegen als Einwendung zu beachtenden § 242 BGB, lässt aber bislang offen, ob aus dem Grundsatz von Treu und Glauben eine materiellrechtliche oder eine vollstreckungsrechtliche Beschränkung des Unterlassungsanspruchs folgen soll.22 Die herrschende Lehre findet die Rechtsgrundlage für die Gewährung einer Aufbrauchfrist überwiegend ebenfalls in § 242 BGB,23 legt sich aber auf eine Deutung als materiell-rechtliche Ein-

12 BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563, 567 – Sektwerbung; KG Berlin 20.4.1971 – 5 U 360/71 – WRP 1971, 326, 327 – Zur Aufbrauchfrist; Teplitzky Kap. 57 Rn. 18. 13 Zu früheren abweichenden Meinungen vgl. von Gamm Warenzeichengesetz § 24 Rn. 54 sowie die Nachweise bei Ehlers GRUR 1967, 78. 14 Ahrens/Bähr Kap. 38 Rn. 5; Teplitzky Kap. 57 Rn. 18. 15 Vgl. Melullis Rn. 893; Teplitzky Kap. 19 Rn. 20 und Kap. 57 Rn. 18 m. w. N. 16 BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563, 567 – Sektwerbung. 17 Harte/Henning/Brüning Vor § 12 Rn. 236; MünchKommUWG/Ehricke Vor § 12 Rn. 119. 18 Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiete der Zwangsvollstreckung vom 20.8.1953, BGBl. I S. 952; siehe dazu sogleich Rn. 8. 19 Zum Normzweck des § 765a ZPO vgl. MünchKommZPO/Heßler § 765a Rn. 1 m. w. N. 20 Z. B. BGH 31.5.1957 – I ZR 93/56 – GRUR 1957, 561, 564 – REI-Chemie; BGH 10.5.1957 – I ZR 33/56 – GRUR 1957, 499, 504 – Wipp; vgl. GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 179; siehe auch OLG Düsseldorf 10.10.1985 – 2 U 114/85 – GRUR 1986, 197 – Rechtsmittel gegen Aufbrauchfrist: „bei der Gewährung einer Aufbrauchfrist [handelt es sich] um einen Fall der Gesetzesanwendung, wobei dahingestellt bleiben kann, ob es sich dabei um eine Anwendung des § 242 BGB oder aber um die Anwendung der prozessualen Vorschrift in § 765a ZPO handelt.“ Vgl. auch schon RG 20.12.1929 – II 199/1929 – GRUR 1930, 331, 333 – Loewe; RG 11.2.1930 – II 315/29 – GRUR 1930, 535, 537; RG 18.11.1930 – II 27/30 – GRUR 1931, 274, 275: „Übergangsfrist“; RG 12.7.1932 – II 36/32 – GRUR 1932, 1052, 1055: „Beseitigungsfrist“; RG 31.3.1933 – II 322/32 – GRUR 1933, 583, 586 – Johann Maria Farina; RG 15.4.1943 – II 121/ 42 – GRUR 1943, 307, 310 f. 21 BGH 29.3.2007 – I ZR 122/04 – GRUR 2007, 1079, 1082 f. – Bundesdruckerei; BGH 18.12.1981 – I ZR 34/80 – BGHZ 82, 375 = GRUR 1982, 425, 431 – Brillen-Selbstabgabestellen; so auch schon BGH 20.1.1961 – I ZR 110/59 – GRUR 1961, 283 – Mon Chéri II; BGH 15.4.1966 – Ib ZR 85/64 – GRUR 1966, 495, 498 – UNIPLAST; BGH 16.11.1973 – I ZR 98/ 72 – GRUR 1974, 474, 476 – Großhandelshaus; BGH 10.5.1974 – I ZR 80/73 – GRUR 1974, 735, 737 – Pharmamedan. 22 Vgl. Teplitzky Kap. 19 Rn. 20 Fn. 89. 23 Berlit WRP 1998, 252; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.58; Fezer/Büscher § 8 Rn. 164; MünchKommUWG/ Fritzsche § 8 Rn. 121; Piper/Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 39; Teplitzky Kap. 57 Rn. 18. Herrmann

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II. Rechtsgrundlage

Vor §§ 12–15a B

schränkung des Unterlassungsanspruchs24 fest.25 Der allgemeine Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der über § 242 BGB auch im Zivilrecht zu beachten ist, führe zu einer inhaltlichen oder zeitlichen Einschränkung des Unterlassungsanspruchs.26 Zur Begründung der Begrenzung des Unterlassungsanspruchs wird teilweise auch auf § 275 Abs. 2 Satz 1 BGB verwiesen,27 der dem Schuldner als eigens schuldrechtliche Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine dilatorische Einrede gewähren soll.28 Ein verwandter Ansatz findet sich in der Vorauflage, wo auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes des Unterlassungsschuldners verwiesen wird.29 Die unterbliebene Klärung der Rechtsgrundlage für die Gewährung einer Aufbrauchfrist hat 7 die Praxis nicht gestört. Es genügt, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung die Aufbrauchfrist seit langem anerkennt und aus Billigkeitsgründen entsprechende Übergangsfristen im Einzelfall einräumt. Ohne dogmatische Verortung dieses Instituts können jedoch praktisch relevante Einzelfragen (z. B. Bestehen eines Schadensersatzanspruchs gegenüber „Aufbrauchhandlungen“,30 Erfordernis eines gesonderten Antrags des Schuldners,31 Abhängigkeit der Aufbrauchfrist vom prozessualen Geschehen) nicht zuverlässig aus einem allgemeinen Prinzip abgeleitet werden.32 Die gefundenen Ergebnisse bleiben so, auch wenn sie sachlich überzeugen, letztlich beliebig.

2. Vollstreckungsrechtlicher Ansatz (§ 765a ZPO/§ 242 BGB) Eine vollstreckungsrechtliche Lösung liegt im ersten Zugriff nicht fern, zumal die für ihre Ge- 8 währung sprechenden Erwägungen außerhalb des im Erkenntnisverfahren zu klärenden materiell-rechtlichen Unterlassungsanspruchs liegen oder doch zu liegen scheinen. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts33 und (mindestens) die ältere Judikatur des BGH34 sind hiervon ausgegangen. Allerdings könnte ein Vollstreckungsaufschub nach § 765a ZPO oder nach § 242 BGB nur 9 durch das Vollstreckungsgericht35 und erst dann gewährt werden, wenn die Zwangsvollstreckung bereits begonnen hat. Die Androhung von Zwangsmitteln im Unterlassungstenor gehört noch zum Erkenntnisverfahren und nicht zum Vollstreckungsverfahren.36 Das Prozessgericht 24 § 8 Rn. 50. Ahrens/Bähr Kap. 38 Rn. 7; Harte/Henning/Bergmann/Goldmann § 8 Rn. 51; Berlit WRP 1998, 252; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.59; Fezer/Büscher § 8 Rn. 165; Kisseler WRP 1991, 694; Köhler GRUR 1996, 90; Gloy/Loschelder/Erdmann § 91 Rn. 5; Melullis Rn. 894; Teplitzky Kap. 19 Rn. 20 und Kap. 57 Rn. 18; Ulrich GRUR 1991, 27. So auch bereits Borck WRP 1967, 12, der die Aufbrauchfrist jedoch für Ansprüche aus §§ 1 bis 12 a. F. UWG ablehnt, da die Handlung verboten ist, jedenfalls gegen die guten Sitten verstößt; ausführlich zur materiell-rechtlichen Begründung Ehlers GRUR 1967, 77. 25 Anders GK-UWG/Jestaedt1 Vor § 13 E Rn. 83. 26 § 8 Rn. 48, 50 f. 50; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.55, 1.59; Fezer/Büscher § 8 Rn. 165; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 116 f.; Köhler GRUR 1996, 89 f.; Piper/Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 38. 27 Piper/Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 39; siehe dazu sogleich Rn. 11. 28 Piper/Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 39. 29 GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 180; siehe dazu sogleich Rn. 12. 30 Siehe Rn. 9, 14. 31 Siehe Rn. 25 f. 32 Ein Überblick über die geschichtliche Entwicklung und die verschiedenen Ansätze zur Rechtsgrundlage der Aufbrauchfrist findet sich in Berlit WRP 1998, 250. 33 RG 16.9.1930 – II 541/1929 – GRUR 1930, 1194, 1197. 34 BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563, 567 – Sektwerbung: „prozessuale Maßnahme“; BGH 2.12.1980 – X ZR 16/79 – GRUR 1981, 259, 260 – Heuwerbungsmaschine II (in einem Patentstreitverfahren; für einen Wettbewerbsprozess gilt aber nichts anderes). 35 Vgl. zur Problematik auch Borck WRP 1967, 11, der sich mit der von Pastor GRUR 1964, 247 f. vorgeschlagenen Lösung über § 765a ZPO auseinandersetzt; siehe auch RG 16.9.1930 – II 41/1929 – GRUR 1930, 1194, 1197: „Im Übrigen muss wegen einer etwaigen Fristbewilligung das Erforderliche dem Vollstreckungsrichter überlassen bleiben.“. 36 BGH 16.5.1991 – I ZR 218/89 – GRUR 1991, 929, 931 – Fachliche Empfehlung II m. w. N. 823

Herrmann

Vor §§ 12–15a B

B. Aufbrauchfrist

müsste also zunächst ein uneingeschränktes (ggf. mit Ordnungsmittelandrohung versehenes) Unterlassungsgebot erlassen und könnte dieses erst bei einem allfälligen Bestrafungsantrag aufgrund des § 765a ZPO auf Antrag des Schuldners durch die Gewährung einer Aufbrauchfrist „aussetzen“. Der Schuldner wäre dann mit dem staatlichen Unterlassungsgebot belastet, das er, rechtstreues Verhalten vorausgesetzt, auch ohne Zwangsvollstreckung zu erfüllen hat. Das ist nicht zumutbar und auch wertungswidersprüchlich, weil das Prozessgericht ein uneingeschränktes Unterlassungsgebot gegen seine Überzeugung erlassen müsste.37 Gegen eine Heranziehung von § 765a ZPO spricht zudem, dass durch die Gewährung von 10 Vollstreckungsschutz der materiell-rechtliche (titulierte) Anspruch nicht endgültig verkürzt werden darf.38 Da Unterlassungen nicht nachholbar sind, bedeutet die Einschränkung des Unterlassungsanspruchs über die Gewährung einer Aufbrauchfrist notwendig eine Einschränkung des titulierten Anspruchs selbst und nicht lediglich seiner Durchsetzung. Für die Dauer der Aufbrauchfrist ist der Unterlassungsanspruch vielmehr insgesamt ausgeschlossen,39 was einer Inhaltsänderung des tenorierten Anspruchs gleichkommt.40 Das überschreitet die Grenzen des § 765a ZPO.41 Angesichts der unvermeidlichen Modifikation des materiell-rechtlichen Unterlassungsanspruchs für die Dauer der Aufbrauchfrist (der während dieses Zeitraumes ausgeschlossen sein muss) kann eine Lösung auf der Ebene des Vollstreckungsrechts nicht überzeugen.

3. Allgemeine Billigkeitserwägungen (§ 242 BGB) 11 Der BGH stützt die Gewährung von Aufbrauchfristen in ständiger Rechtsprechung auf den Grundsatz von Treu und Glauben, wobei in der neueren Rechtsprechung offen bleibt, ob ein materiell-rechtlicher Einwand oder eine Einrede gegen die Zwangsvollstreckung angenommen wird.42 Obschon § 242 BGB als allgemeiner Rechtsgrundsatz auch den Pflichteninhalt gesetzli12 cher Schuldverhältnisse mitbestimmt43 und verfassungsrechtliche Wertungen über diese Vorschrift private Rechte und Pflichten beschränken können, bleibt der pauschale Rückgriff auf den Grundsatz von Treu und Glauben unbefriedigend.44 Ohne den begrenzenden Rahmen einer seit langem anerkannten Fallgruppe des Arglisteinwandes bedeutet die Anwendung des § 242 BGB einen ansonsten allgemein abgelehnten Verhältnismäßigkeitsvorbehalt für die zivilrechtliche Anspruchsdurchsetzung.45 Das ist im Wettbewerbsrecht ebenso wenig überzeugend wie in anderen Rechtsgebieten. Stünde dem Unterlassungsschuldner im Falle der Gewährung einer Aufbrauchfrist eine Einwendung aus § 242 BGB zur Seite, ließe sich 37 Im Ergebnis auch Feddersen § 12 Rn. 119, der darauf hinweist, dass es nicht einleuchte, dass der Schuldner mit der Aufbrauchfrist materiell über die dem Gericht vorbehaltene Vollstreckungsmaßnahme disponiert. 38 MünchKommZPO/Heßler § 765a Rn. 9. 39 BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563, 567 – Sektwerbung: „zeitliche Beschränkung des im Urteil ausgesprochenen Verbots“; BGH 2.12.1980 – X ZR 16/79 – GRUR 1981, 259, 260 – Heuwerbungsmaschine II. 40 KG Berlin 20.4.1971 – 5 U 360/71 – WRP 1971, 326, 327 – Zur Aufbrauchfrist; ebenso OLG Düsseldorf 10.10.1985 – 2 U 114/85 – GRUR 1986, 197 – Rechtsmittel gegen Aufbrauchfrist. 41 Vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 765a Rn. 2: nicht die Vernichtung des Vollstreckungstitels, sondern der derzeitige Schutz vor einem dem Rechtsgefühl widersprechenden Eingriff ist Zweck der Norm; Prütting/ Gehrlein/Scheuch § 765a Rn. 2: eine Beseitigung der Bindung an den Vollstreckungstitel wird nicht durch § 765a ermöglicht; MünchKommZPO/Heßler § 765a Rn. 9: § 765a ZPO lockert nicht die Bindung an den Titel; Stein/Jonas/ Münzberg § 765a Rn. 8: Bindung des Vollstreckungsgerichts an den Vollstreckungstitel. 42 Vgl. BGH 10.5.1974 – I ZR 80/73 – GRUR 1974, 735, 737 – Pharmamedan: „Rechtswohltat, die nur den Unterlassungsanspruch beschränkt“; BGH 25.1.1990 – I ZR 19/87 – GRUR 1990, 522, 528 – HBV-Familien- und Wohnungsrechtsschutz: „Einschränkung des Klagebegehrens“; siehe auch Melullis Rn. 893; Teplitzky Kap. 19 Rn. 20. 43 MünchKommBGB/Roth/Schubert § 242 Rn. 9. 44 Vgl. Borck WRP 1967, 10 m. w. N., der § 242 BGB als rechtliche Grundlage für „nicht tragfähig“ erachtet. 45 Vgl. zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit z. B. Köhler GRUR 1996, 82. Herrmann

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II. Rechtsgrundlage

Vor §§ 12–15a B

zudem nicht begründen, wie der Gläubiger gleichwohl Schadensersatz geltend machen kann. Letzteres wird aber von der Rechtsprechung46 und h. L.47 mit Recht vorausgesetzt. Die zur Auflösung dieses Widerspruchs vorgeschlagene48 Trennung zwischen Tatbestands- und Rechtsfolgenseite erscheint insoweit nur als juristischer Kunstgriff (die in einer Norm angeordneten Rechtsfolgen beruhen auf der Verwirklichung des Tatbestandes) und nicht als überzeugender Lösungsansatz. Die Bedenken gegen eine auf den Grundsatz von Treu und Glauben gestützte Gewährung 13 von Aufbrauchfristen bestehen in gleicher Weise gegenüber einer prozessualen Deutung der Arglisteinrede. § 242 BGB beschränkt zwar auch die prozessualen Handlungsmöglichkeiten einer Partei.49 Die Gewährung einer Aufbrauchfrist kann jedoch ohne Einordnung in die anerkannte Fallgruppendogmatik des § 242 BGB nicht als Einschränkung der prozessualen Handlungsbefugnisse des Unterlassungsgläubigers erklärt werden.50 Wer die Aufbrauchfrist als aus Treu und Glauben abgeleitete Rechtswohltat51 prozessualen Charakters begreift,52 lässt die Begründung für diese Einordnung letztlich offen. Ausgehend von einer prozessualen Einordnung der Aufbrauchfrist, könnte die damit einhergehende Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten des Unterlassungsgläubigers sowohl im Erkenntnisverfahren als auch im Vollstreckungsverfahren ansetzen. Weder die Verortung im Erkenntnisverfahren noch die im Vollstreckungsverfahren vermögen jedoch zu überzeugen. Um eine prozessual verstandene Einwendung aus § 242 BGB im Erkenntnisverfahren be- 14 rücksichtigen zu können, müsste die Antragstellung selbst als unzulässig erklärt werden, soweit keine Aufbrauchfrist berücksichtigt wird. Dies wäre jedoch systemwidrig und mit den Mitteln der allgemeinen Prozessrechtslehre nicht erklärbar. Schließlich ist es nicht treuwidrig, einen Antrag zu stellen oder aufrecht zu erhalten, der nicht, zeitweise nicht oder nicht in vollem Umfang zu gewähren ist oder dem sonst Einreden entgegenstehen.53 Die Prozesshandlung der Antragstellung kann nicht treuwidrig sein, wenn mit ihr die Durchsetzung eines dem Kläger zustehenden materiell-rechtlichen Anspruchs begehrt wird. Ein Verständnis als Einrede im Vollstreckungsverfahren steht vor der Schwierigkeit, dass 15 Unterlassungen nicht nachgeholt werden können, die Gewährung einer Aufbrauchfrist also für ihre Dauer notwendig den Anspruch selbst ausschließt. Dies ist unabhängig davon, ob man die vollstreckungsrechtliche Einwendung allgemein auf § 242 BGB oder aber auf § 765a ZPO stützt.54

46 Z. B. BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563, 567 – Sektwerbung; BGH 10.5.1974 – I ZR 80/73 – GRUR 1974, 735, 737 – Pharmamedan; BGH 2.12.1980 – X ZR 16/79 – GRUR 1981, 259, 260 – Heuwerbungsmaschine II (Entscheidung erging in einem Patentstreitverfahren, der BGH nimmt aber Bezug zum Wettbewerbsrecht und vermag keinen Unterschied in dieser Frage zu erkennen); BGH 11.3.1982 – I ZR 58/80 – GRUR 1982, 420, 423 – BBC/ DDC. 47 Teplitzky Kap. 57 Rn. 18; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.60; Ahrens/Bähr Kap. 38 Rn. 12; MünchKommUWG/Fritzsche, § 8 Rn. 134; Harte/Henning/Brüning, Vor § 12 Rn. 236; Kisseler WRP 1991, 691, 694; Berlit WRP 1998, 250, 251. 48 Z. B. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.60. 49 MünchKommBGB/Roth/Schubert § 242 Rn. 103. 50 Ulrich GRUR 1991, 26. 51 BGH 10.5.1974 – I ZR 80/73 – GRUR 1974, 735, 737 – Pharmamedan; Kisseler WRP 1991, 694 sieht in der Aufbrauchfrist ebenfalls eine Rechtswohltat, jedoch mit materiellem Charakter; Seligsohn GRUR 1927, 647 sah die Aufbrauchfrist als ein „ganz außerhalb des Gesetzes liegendes Gnadenrecht“ an. 52 GK-UWG/Jestaedt1 Vor § 13 E Rn. 83; anders freilich GK-UWG/Teplitzky1 § 16 Rn. 542. 53 Vgl. Ulrich GRUR 1991, 26; vgl. zum Verstoß gegen Treu und Glauben im Zivilprozess auch Stein/Jonas/Brehm Vor § 1 Rn. 227 ff. 54 Vgl. Rn. 20. 825

Herrmann

Vor §§ 12–15a B

B. Aufbrauchfrist

4. Unmöglichkeit (§ 275 BGB) 16 § 275 Abs. 2 Satz 1 BGB begrenzt im Wege eines Kosten-Nutzen-Vergleichs55 die Anstrengungen, die der Schuldner nach dem Inhalt des Schuldverhältnisses unternehmen muss, um das Gläubigerinteresse zu befriedigen.56 Für § 275 Abs. 2 BGB als Rechtsgrundlage der Aufbrauchfrist spricht, dass die Möglichkeit der Leistungsverweigerung aufgrund eines groben Missverhältnisses des Schuldneraufwandes zum Gläubigerinteresse den Rechtsgedanken der Aufbrauchfrist präziser wiedergibt als der allgemeine Rückgriff auf § 242 BGB.57 Für wettbewerbliche Unterlassungsansprüche passt dieser Maßstab nicht, denn die schlichte Unterlassung eines als wettbewerbswidrig erkannten Verhaltens übersteigt nicht die einem Schuldner zumutbaren Anstrengungen. Da es sich um ein gesetzliches Schuldverhältnis handelt, kann auch nicht eine dem Vertrag immanente Risikoverteilung als begrenzender Faktor angeführt werden. Schließlich ist § 275 Abs. 2 BGB nicht auf eine nur temporäre Erschwerung der Leistungserbringung zugeschnitten, sondern setzt grundsätzlich ein dauerndes Leistungshindernis voraus.58

5. Prinzip des Vertrauensschutzes 17 Der Gesichtspunkt eines dem Schuldner zu gewährenden Vertrauensschutzes59 beschreibt die rechtsinhaltliche Legitimation von Aufbrauchfristen im Ausgangspunkt zutreffend, indem er eine Abwägung von Schuldner- und Gläubigerinteressen ermöglicht. Allerdings nimmt Jacobs eine Zwischenposition ein, wenn er, ungeachtet der von ihm für richtig gehaltenen materiellrechtlichen Deutung der Aufbrauchfrist, den Unterlassungsanspruch für die Tenorierung des Unterlassungsurteils nicht einschränken will.60 Eine gewährte Aufbrauchfrist erscheint so als gegenläufige Anspruchsposition des Unterlassungsschuldners, die ihm – ungeachtet des vollen Umfangs zuzusprechenden Unterlassungsanspruchs – eine eng begrenzte Gegenposition eröffnet.61 Hieran ist zutreffend, dass der Erhalt bestimmter (begrenzter) Handlungsmöglichkeiten des Schuldners einer normativen Grundlage bedarf. Diese Grundlage ist indes mit dem Verweis auf zu gewährenden Vertrauensschutz nur unzureichend beschrieben. Der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ermöglicht für sich genommen, d. h. ohne Anbindung an eine entsprechende Abwägungen eröffnende Norm, ebenso wenig die Ableitung konkreter Rechtsfolgen wie der allgemeine Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Auch erscheint der Gedanke einer zum fortbestehenden Unterlassungsanspruch gegenläufigen Rechtsposition des Unterlassungsschuldners unstimmig. Soweit die (angenommene) gegenläufige, auf Vertrauensschutzerwägungen beruhende Rechtsposition des Unterlassungsschuldners reicht, muss der Unterlassungsanspruch begrenzt sein.62 Da Unterlassungen nicht nachgeholt werden können, bedeutet jede Einschränkung des Unterlassungsanspruchs in dem jeweiligen Umfang dessen endgültigen Ausschluss.

6. Anlehnung an den Angriffsnotstand (§ 904 BGB) 18 Der Sache nach geht es bei der Gewährung einer Aufbrauchfrist darum, dem Schuldner eine vorübergehende Inanspruchnahme von Schutzrechten (gleich einer faktischen Lizenz) bzw. die 55 56 57 58 59 60 61 62

MünchKommBGB/Ernst § 275 Rn. 69. MünchKommBGB/Ernst § 275 Rn. 69, 74. Piper/Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 39. MünchKommBGB/Ernst § 275 Rn. 96. GK-UWG/Jacobs1Vor § 13 D Rn. 180. GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 180. GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 180. So im Ergebnis auch GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 180.

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II. Rechtsgrundlage

Vor §§ 12–15a B

vorübergehende Überschreitung der Grenzen eines fairen Leistungswettbewerbs zu gestatten. In jedem Fall nimmt der Schuldner – vorübergehend – Rechtspositionen des Gläubigers für sich in Anspruch, welcher deshalb im Grundsatz die Unterlassung des Schuldnerverhaltens verlangen kann. Den Eingriff in an sich (absolut) geschützte Rechte Dritter regelt der Angriffsnotstand (§ 904 Satz 1 BGB). Der Rechtsinhaber kann danach die Inanspruchnahme seiner Rechtsgüter dann nicht abwehren,63 wenn überwiegende Belange des Eingreifers64 dies rechtfertigen und sofortige Abhilfe65 geboten ist. Der § 904 BGB zugrundeliegende Rechtsgedanke einer Rechtfertigung von Rechtsgutsverlet- 19 zungen bei situativ überwiegendem Interesse des Eingreifers kann auf die Gewährung von Aufbrauchfristen übertragen werden. § 904 Satz 1 BGB enthält bereits die regulativen Prinzipien der Erforderlichkeit, Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit. Zudem gewährt § 904 Satz 2 BGB, der ebenfalls entsprechend heranzuziehen ist, dem Unterlassungsgläubiger ungeachtet der Rechtfertigung des Schuldnerverhaltens während der Aufbrauchfrist einen Schadensersatzanspruch.66 Stützt man die Gewährung von Aufbrauch-, Umstellungs- und Beseitigungsvorschriften, wie hier vorgeschlagen, auf eine entsprechende Anwendung von § 904 Satz 1 BGB, würde auch das ansonsten auftretende Problem einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Unterlassungsschuldners (z. B. § 16 UWG, § 143 MarkenG) gelöst, denn der Schuldner würde zwar die gerichtlich festgestellten Grenzen zulässigen Marktverhaltens wissentlich und willentlich überschreiten, bliebe jedoch gerechtfertigt. Der Tatbestand eines wettbewerbswidrigen Verhaltens bleibt bei entsprechender Anwen- 20 dung des § 904 Satz 1 BGB bestehen.67 Die Annahme eines Rechtfertigungsgrundes (entsprechend § 904 Satz 1 BGB) gestattet jedoch eine widerspruchsfreie Einordnung der gewünschten Rechtsfolgen in das System des Wettbewerbsrechts. Die teilweise vorgeschlagene Trennung zwischen Tatbestands- und Rechtsfolgenseite68 beschreibt das gewünschte Ergebnis zwar zutreffend. Ohne Rechtsnorm, die die gewünschten Rechtsfolgen anordnet bzw. die Rechtsfolge (Unterlassungsverpflichtung) der verletzten Wettbewerbsnorm aufhebt, bleibt ein solcher Lösungsansatz indessen unvollständig, zumal es gerade die Funktion des Tatbestandes ist, die Voraussetzungen für die in einer Rechtsnorm angeordneten Rechtsfolgen zu definieren. Jede Trennung zwischen Tatbestand und Rechtsfolge durchbricht diesen normlogisch vorausgesetzten Zusammenhang und bedarf daher seinerseits einer normativen Grundlage, wie sie beispielsweise Rechtfertigungsgründe enthalten.

63 64 65 66

Palandt/Bassenge § 904 Rn. 4; MünchKommBGB/Säcker § 904 Rn. 13. Palandt/Bassenge § 904 Rn. 3; MünchKommBGB/Säcker § 904 Rn. 10. MünchKommBGB/Säcker § 904 Rn. 4. Die Rechtsprechung sieht Schadensersatzansprüche durch die Gewährung einer Aufbrauchfrist nicht als eingeschränkt an – vgl. BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563, 567 – Sektwerbung; BGH 10.5.1974 – I ZR 80/73 – GRUR 1974, 735, 737 – Pharmamedan. Anders GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 185, der den Schadensersatz- sowie den Auskunftsanspruch des Gläubigers für Handlungen im Rahmen einer gewährten Aufbrauchfrist ausschließen will. Das vermeidet den Widerspruch, ungeachtet der Einschränkung des materiell-rechtlichen Unterlassungsanspruchs an die fortbestehende Rechtswidrigkeit des Wettbewerbsverhaltens Sanktionen anzuknüpfen, überzeugt aber in der Sache nicht. Denn der Unterlassungsschuldner soll nur vor unverhältnismäßig hohen Schäden aus der sofortigen Umsetzung des Unterlassungsgebotes geschützt werden, nicht aber aus der Fortsetzung wettbewerbswidrigen Verhaltens (weitere) Vorteile auf Kosten des Unterlassungsgläubigers ziehen dürfen. Der Ausschluss von Ersatzansprüchen sowie hierauf bezogenen Annexansprüchen wäre durch die Verhältnismäßigkeitserwägungen, die die Aufbrauchfrist legitimieren, nicht mehr gedeckt. Die früher stark vertretene Ansicht, die die Aufbrauchfrist vollstreckungsrechtlich deutet (hierzu heute Harte/Hennig/Brüning Vor § 12 Rn. 236), konnte dieser Schwierigkeit ausweichen, da sie den materiell-rechtlichen Anspruch nicht als eingeschränkt ansieht. 67 Vgl. zum Betreffen der Rechtsfolgenseite Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.60. 68 § 8 Rn. 50; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.60. 827

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Vor §§ 12–15a B

B. Aufbrauchfrist

III. Voraussetzungen 21 Die Voraussetzungen für eine „klassische“ Aufbrauchfrist entsprechen materiell den Anforderungen für Umstellungs- oder Beseitigungsfristen. Es verschiebt sich lediglich der Abwägungsmaßstab. Erweist sich beispielsweise die Firma einer Gesellschaft als irreführend,69 kann die Gewährung einer Übergangsfrist für die Etablierung einer neuen Unternehmensbezeichnung in Betracht kommen. Die insoweit erforderliche Verhältnismäßigkeitsabwägung erfordert, neben dem Aufwand der unmittelbaren Beseitigung der Rechtsverletzung (z. B. der Änderung der Firma) auch die hiermit verbundenen wirtschaftlichen Folgen einzubeziehen.70 Regelmäßig wird der Aufwand einer Änderung überschaubar und dem Schuldner zumutbar sein, denn der wirtschaftliche Vorteil aus der Weiternutzung einer wettbewerbswidrigen (insbes. irreführenden) Firmierung,71 Produktbezeichnung etc. muss unberücksichtigt bleiben.

1. Unverhältnismäßige Nachteile für den Schuldner, keine unzumutbare Beeinträchtigung geschützter Interessen 22 Eine Aufbrauchfrist kann nur gewährt werden, wenn einerseits dem Unterlassungsschuldner – ausnahmsweise – durch ein sofort zu beachtendes Verbot unverhältnismäßige Nachteile entstehen würden und andererseits die Interessen des Gläubigers oder, falls mitbetroffen, der Allgemeinheit durch eine befristete Fortsetzung des als wettbewerbswidrig erkannten Verhaltens nicht unzumutbar beeinträchtigt werden.72 Eine Aufbrauchfrist im engeren Sinn kommt zunächst dann in Betracht, wenn der Unterlassungsschuldner im Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit seines Wettbewerbsverhaltens oder jedenfalls ohne positive Kenntnis der Wettbewerbswidrigkeit Produkte auf Vorrat produziert und mit einer rechtlich zu beanstandenden Ausstattung (z. B. Werbeaussage) versehen hat.73 Derartige Fälle dürften Ausgangspunkt für die Anerkennung von Aufbrauchfristen gewesen sein. Über die schlichte Unterlassung künftiger Wettbewerbsverstöße hinaus würde der wirtschaftliche Wert der vorausproduzierten Waren entzogen. 23 Ob unverhältnismäßige Nachteile für den Schuldner drohen, ist anhand der (hypothetischen) Folgen einer sofortigen Vollstreckung des Unterlassungstitels zu beurteilen. Es ist zu fragen, ob eine sofortige Vollstreckung den Schuldner existentiell bedrohen oder jedenfalls erhebliche Nachteile für sein Unternehmen bedeuten würde.74 Der eigentliche Befolgungsaufwand für die Anpassung des Schuldnerverhaltens an das konkretisierte Verhaltensgebot ist demgegenüber nicht unmittelbar abwägungsrelevant.75 Angesichts des mit der Aufbrauchfrist verbundenen Eingriffs in Rechte Dritter, muss ihre 24 Gewährung die durch eine sorgfältige Güterabwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu rechtfertigende Ausnahme bleiben.76 Die Gewährung einer Aufbrauch-, Beseitigungs- oder Umstellungsfrist darf die durch das jeweilige Unterlassungsgebot geschützten Inte69 BGH 29.3.2007 – I ZR 122/04 – GRUR 2007, 1079, 1083 – Bundesdruckerei. 70 BGH 18.12.1981 – I ZR 34/80 – BGHZ 82, 375 = GRUR 1982, 425, 431 – Brillen-Selbstabgabestellen; OLG Oldenburg 29.7.1999 – 1 U 65/99 – LMRR 1999, 49. 71 OLG Stuttgart 16.3.2006 – 2 U 147/05 – NJW 2006, 2273, 2275 – Bodenseekanzlei. 72 BGH 15.4.1966 – Ib ZR 85/64 – GRUR 1966, 495, 498 – UNIPLAST; BGH 16.11.1973 – GRUR 1974, 474, 476 – Großhandelshaus; BGH 10.5.1974 – I ZR 80/73 – GRUR 1974, 735, 737 – Pharmamedan; BGH 18.12.1981 – I ZR 34/ 80 – BGHZ 82, 375 = GRUR 1982, 425, 431 – Brillen-Selbstabgabestellen; BGH 29.3.2007 – I ZR 122/04 – GRUR 2007, 1079, 1083 – Bundesdruckerei. 73 Zu Beispielen siehe MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 118 und 122 m. w. N.; Gloy/Loschelder/Erdmann § 91 Rn. 2; Spätgens WRP 1994, 696; Teplitzky Kap. 57 Rn. 20. 74 MünchKommUWG/Fritsche § 8 Rn. 126. 75 Anders offenbar KG Berlin 18.9.1998 – WRP 1999, 339, 342 – Werbevergleich. 76 Fezer/Büscher § 8 Rn. 164; Gloy/Loschelder/Erdmann § 91 Rn. 8; Piper/Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 43; Teplitzky Kap. 57 Rn. 21. Herrmann

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III. Voraussetzungen

Vor §§ 12–15a B

ressen Dritter (auch der Allgemeinheit) nicht unzumutbar beeinträchtigen.77 Interessen der Allgemeinheit sind bei Wettbewerbsverstößen stets mitbetroffen (§ 1 Satz 2 UWG). Dieser Gesichtspunkt ist somit Teil der Ratio der wettbewerbsregulierenden Normen des UWG, kann aber, insbesondere bei irreführender Werbung, in der Abwägung der Belange einer Aufbrauchfrist entgegenstehen.78

2. Ausschluss bei bewusster Regelverletzung Während das Vertrauen des Schuldners in die Verwendbarkeit möglicherweise wettbewerbswid- 25 rig ausgestatteter Ware als prinzipiell schutzwürdig erscheint, wird der Vertrauensschutz bei bewusster Regelverletzung je nach dem Grad des Verschuldens zunehmend und bis hin zum Ausschluss reduziert.79 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsabwägung (§ 904 Satz 1 a. E. BGB) ist eine fortdauernde Inanspruchnahme fremder Wettbewerbspositionen umso weniger geboten, als der Schuldner den in der Güterabwägung zu lösenden Rechtsgutskonflikt selbst zu vertreten hat.80 Ebenso wie sonst eine Rechtfertigung ausscheidet oder die Handlungsmöglichkeiten des im Notstand Handelnden verhältnismäßig eingeschränkt werden, wenn der Verletzer eine Notstands- oder Notwehrlage provoziert hat, kommt auch die Gewährung einer Aufbrauchfrist nicht in Betracht, wenn der Unterlassungsschuldner das Bedürfnis hierfür erst geschaffen hat.81

3. Aufbrauchfrist nach Unterlassungsurteil bzw. -verfügung Allein die Möglichkeit, dass ein bestimmtes Wettbewerbsverhalten später als unlauter qualifi- 26 ziert werden könnte, schließt den Vertrauensschutz allerdings auch dann nicht aus, wenn ein Wettbewerber oder klageberechtigter Verband bereits Klage eingereicht hat.82 Musste der Schuldner indes konkret mit einem Verbot rechnen, wird Vertrauensschutz allenfalls unter besonderen Voraussetzungen zu gewähren sein. Hat bereits eine Tatsacheninstanz ein Unterlassungsgebot ohne Zubilligung einer Aufbrauchfrist ausgesprochen,83 kommt die spätere Gewährung einer Aufbrauchfrist nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung aus dem bestehenden Unterlassungstitel noch nicht oder nicht mehr vorliegen. Entgegen einem vollstreckbaren Unterlassungstitel kann kein überwiegendes Schuldnerinte77 BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563, 567 – Sektwerbung; BGH 18.12.1981 – I ZR 34/80 – BGHZ 82, 375 = GRUR 1982, 425, 431 – Brillen-Selbstabgabestellen; BGH 29.3.2007 – I ZR 122/04 – GRUR 2007, 1079, 1083 – Bundesdruckerei; Ahrens/Bähr Kap. 38 Rn. 3; Harte/Henning/Bergmann/Goldmann § 8 Rn. 52; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 8 Rn. 1.65; Fezer/Büscher § 8 Rn. 164; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 130; Gloy/Loschelder/Erdmann § 91 Rn. 8; Melullis Rn. 896; Piper/Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 42; Teplitzky Kap. 57 Rn. 21. 78 LG Hamburg 19.4.1973 – 15 O 233/73 – WRP 1973, 427, 429 – Werbung für Zigaretten; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 131; Melullis Rn. 896; Teplitzky Kap. 57 Rn. 21. 79 OLG Karlsruhe 26.6.2008 – 4 U 187/07 – NJW-RR 2009, 270, 274 – Strom aus Kraft-Wärme-Kopplung; Ahrens/ Bähr Kap. 38 Rn. 3; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.61; Fezer/Büscher § 8 Rn. 164; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 125; Gloy/Loschelder/Erdmann § 91 Rn. 9; Teplitzky Kap. 57 Rn. 21. 80 Vgl. ohne Bezug auf § 904 BGB Harte/Henning/Bergmann/Goldmann § 8 Rn. 52; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.61 und 1.62. 81 OLG Karlsruhe 26.6.2008 – 4 U 187/07 – NJW-RR 2009, 270, 274 – Strom aus Kraft-Wärme-Kopplung. 82 Vgl. BGH 29.3.2007 – I ZR 122/04 – GRUR 2007, 1079, 1083 – Bundesdruckerei. 83 BGH 15.4.1966 – Ib ZR 85/64 – GRUR 1966, 495, 498 – UNIPLAST; BGH 16.11.1973 – I ZR 98/72 – GRUR 1974, 474, 476 – Großhandelshaus; BGH 18.12.1981 – I ZR 34/80 – BGHZ 82, 375 = GRUR 1982, 425, 431 – Brillen-Selbstabgabestellen; KG Berlin 18.9.1998 – 25 U 6073/97 – WRP 1999, 339, 341 f. – Werbevergleich; OLG Naumburg 29.5.2009 – 10 U 56/08 (Hs) – Magazindienst 2009, 678; OLG Köln 18.12.1998 – 6 U 56/98 – NJWE-WettbR 2000, 209, 211 – LottoTeam; vgl. zum umgekehrten Fall der Klageabweisung OLG Köln 5.4.1991 – 6 U 150/90 – GRUR 1992, 538, 542 – Bildröhrendiagonale. 829

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Vor §§ 12–15a B

B. Aufbrauchfrist

resse an der Fortsetzung des – vollstreckbar – untersagten Verhaltens entstehen.84 Dies bedeutet nicht, dass eine – fehlerhafte – Versagung der Aufbrauchfrist in I. oder II. Instanz nicht im Rechtsmittelverfahren korrigiert werden könnte. Das Rechtsmittelgericht wird lediglich bei seiner Interessenabwägung zu berücksichtigen haben, dass eine die Gewährung von Aufbrauchfristen erfordernde Vertrauensbetätigung ab Wirksamkeit eines Unterlassungstitels nicht mehr in Betracht kommt. Bereits vor Erlass des instanzgerichtlichen Titels produzierte Waren können bei entsprechender Entscheidung der Rechtsmittelinstanz noch „aufgebraucht“ werden. In dem Zwischenzeitraum zwischen Erlass der instanzgerichtlichen Entscheidung und deren (teilweiser) Korrektur durch nachträgliche Einräumung einer Aufbrauchfrist im Widerspruch zu dem Unterlassungsgebot hergestellte oder ausgestattete Produkte werden von einer Aufbrauchfrist keinesfalls erfasst.85 Aus demselben Grund kommt auch für die Bemessung einer etwa zu gewährenden Umstellungsfrist der Zwischenzeitraum seit Erlass einer vollstreckbaren Unterlassungsentscheidung nicht in Betracht und vermindert die potentiell im Rechtsmittelverfahren noch einzuräumende Umstellungsfrist entsprechend.

4. Sicherheitsleistung 27 Ein dem Unterlassungsgläubiger drohender Vermögensschaden steht der Gewährung einer Aufbrauchfrist nicht in jedem Fall entgegen. Der Anspruch hierauf bleibt dem Gläubiger ohnehin erhalten (nach hier vertretener Auffassung entsprechend § 904 Satz 2 BGB) und kann zudem durch eine Sicherheitsleistung des Schuldners gewährleistet werden.86 In geeigneten Fällen wird der Schuldner deshalb – auf Hinweis des Gerichts (§ 139 ZPO) – eine Sicherheitsleistung anzubieten haben, um in der Verhältnismäßigkeitsprüfung die Chance auf die Gewährung einer Aufbrauchfrist zu erhalten. Demgegenüber könnte mangels Rechtsgrundlage eine Sicherheitsleistung ohne entsprechendes Schuldnerangebot nicht angeordnet werden.87 Die vom Schuldner zu tragende Konsequenz wäre die Verurteilung zur Unterlassung ohne Berücksichtigung einer Aufbrauchfrist. 28 Allerdings wird es für den Gläubiger – wie sonst auch bei wettbewerblichen Schadensersatzansprüchen – nicht leicht sein, die gebotene Höhe einer Sicherheitsleistung zu beziffern.88 Wenn der Nachweis eines aus dem Wettbewerbsverstoß folgenden Schadens scheitert, fehlt auch jeder Anhaltspunkt für eine Schätzung (§ 287 ZPO) der festzulegenden Sicherheitsleistung. Eine analoge Anwendung von § 251 Abs. 2 Satz 1 BGB in dem Sinne, den Schuldner als „Gegenleistung“ für die Rechtswohltat einer Aufbrauchfrist zur Leistung einer billigen Entschädigung in Geld zu verpflichten,89 erscheint nur bei ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten für

84 Zwar steht erst mit Rechtskraft des Unterlassungsurteils fest, ob der Schuldner auf eine Aufbrauchfrist angewiesen ist. Denn bis zur Rechtskraft bleibt eine Abweisung des Unterlassungsanspruchs möglich. Ein (auch: vorläufig) vollstreckbares Unterlassungsurteil begründet für den Schuldner jedoch bereits die Konfliktlage, die eine Aufbrauchfrist erfordert, zumal eine Einstellung der Zwangsvollstreckung (§§ 707, 719 ZPO) nur auf Antrag durch das Rechtsmittelgericht gewährt werden kann und somit mindestens eine Zeitverzögerung entsteht. Als materiell-rechtliche Einwendung (bzw. Rechtfertigungsgrund) bleibt die Aufbrauchfrist von dem prozessualen Geschehen insgesamt unberührt. Das bedeutet umgekehrt auch, dass der Schuldner sein etwaiges Kontingent an Umstellungs- bzw. Aufbrauchzeit auch vor Rechtskraft des Unterlassungsurteils bereits erschöpfen kann. 85 BGH 16.11.1973 – I ZR 98/72 – GRUR 1974, 474, 476 – Großhandelshaus. 86 Vgl. ohne Bezug auf § 904 BGB Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.64; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 128; Gloy/Loschelder/Erdmann § 91 Rn. 4: gegen Sicherheitsleistung; Ahrens/Bähr Kap. 38 Rn. 12: Sicherheitsinteressen sind bei Gewährung der Aufbrauchfrist zu berücksichtigen. 87 Ahrens/Bähr Kap. 38 Rn. 12: Gewährung einer Aufbrauchfrist kann nicht von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. 88 Köhler GRUR 1996, 90. 89 Köhler GRUR 1996, 90 f. Herrmann

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V. Dauer

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einen drohenden Schaden sinnvoll.90 Bei zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten besteht aber auch die Möglichkeit einer Schätzung (§ 287 ZPO) der Höhe einer Sicherheitsleistung. Fehlt es freilich an greifbaren Anhaltspunkten für einen Schaden, besteht auch keine Veranlassung, Maßnahme zu dessen Sicherung zu ergreifen, so dass weder eine Sicherheitsleistung erforderlich ist, noch (und erst recht nicht) von dem Schuldner die Leistung einer billigen Geldentschädigung verlangt werden kann.

IV. Rechtsfolgen Kann der Schuldner eine Aufbrauchfrist beanspruchen, darf er das als wettbewerbswidrig er- 29 kannte Verhalten (auf eigenes Risiko, § 904 Satz 2 BGB) für die Dauer der eingeräumten Frist fortsetzen, d. h. bereits produzierte Waren benutzen und anbieten etc. Das Unterlassungsgebot ist solange ausgeschlossen. Soweit mit der Unterlassungsverpflichtung ein Folgenbeseitigungsanspruch verbunden ist, wird auch dieser für die Dauer der Aufbrauchfrist ausgeschlossen.91 Entsteht dem Gläubiger aus dem fortgesetzten, tatbestandsmäßigen Wettbewerbsverstoß ein Vermögensschaden, ist der Schuldner zu dessen Ersatz verpflichtet.92 Zu dessen Bezifferung steht dem Gläubiger auch ein Auskunftsanspruch nach allgemeinen Regeln zu.93

V. Dauer Auf die Frage, welcher Zeitraum für eine Aufbrauchfrist angemessen ist, gibt es keine Einheits- 30 antwort. Wie die grundsätzliche Gewährung einer Aufbrauchfrist, hängt auch deren Dauer vom Ergebnis der Verhältnismäßigkeitsprüfung ab. In der Rechtsprechung finden sich dementsprechend Aufbrauch- bzw. Umstellungsfristen zwischen vier Wochen und elf Monaten.94 Berücksichtigt man, dass Aufbrauchfristen schon rechtssystematisch die Ausnahme bilden, wird es besonderer Umstände bedürfen, um eine über drei bis sechs Monate hinausreichende Aufbrauchfrist zu rechtfertigen.95 Als materiell-rechtliche Einschränkung des Unterlassungsanspruchs ist die Aufbrauchfrist 31 im Grundsatz von dem prozessualen Geschehen unabhängig. Freilich kann ein vollstreckbares 90 So auch Köhler GRUR 1996, 90. 91 Da der Schadensersatzanspruch fortbesteht, muss auch dieser, soweit er auf Naturalrestitution (§ 249 BGB) gerichtet ist, für die Dauer der Aufbrauchfrist auf Ersatz des Vermögensschadens in Geld beschränkt werden (§ 251 Abs. 1 BGB). Angesichts der Rechtfertigung des Schuldnerverhaltens (entsprechend § 904 S. 1 BGB) ist für die Dauer der Aufbrauchfrist eine Wiederherstellung in Natur rechtlich unmöglich. 92 BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563, 567 – Sektwerbung; BGH 10.5.1974 – I ZR 80/73 – GRUR 1974, 735, 737 – Pharmamedan; BGH 11.3.1982 – I ZR 58/80 – GRUR 1982, 420, 423 – BBC/DDC; Ahrens/Bähr Kap. 38 Rn. 12; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.60; Harte/Henning/Brüning Vor § 12 Rn. 236; MünchKommUWG/Ehricke Vor § 12 Rn. 119; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 134; Gloy/Loschelder/Erdmann § 91 Rn. 4; Melullis Rn. 902; Teplitzky Kap. 57 Rn. 18; die Lösungsmöglichkeiten diskutierend Köhler GRUR 1996, 90; a. A. noch GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 185; Spätgens WRP 1994, 696. 93 A. A. GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 185. 94 BGH 18.12.1981 – I ZR 34/80 – BGHZ 82, 375 = GRUR 1982, 425, 431 – Brillen-Selbstabgabestellen (sechs Monate); BGH 14.3.1985 – I ZR 66/83 – GRUR 1985, 930, 932 – JUS-Steuerberatungsgesellschaft (neun Monate); BGH 25.1.1990 – I ZR 19/87 – BGHZ 110, 156 = GRUR 1990, 522, 528 – HBV Familien- und Wohnungsrechtsschutz (elf Monate); OLG Koblenz 13.4.1995 – 6 U 130/95 – GRUR 1995, 499, 500 – Änderung der Wettbewerbslage (vier Wochen); OLG München 19.6.2008 – 29 U 5133/03 – BeckRS 2010, 09548 – nachfolgend zu BGH 29.3.2007 – I ZR 122/ 04 – GRUR 2007, 1079 – Bundesdruckerei (sechs Monate); vgl. zum Beginn des Fristlaufs spätestens ab Zustellung OLG Karlsruhe 10.4.1991 – 6 U 164/90 – GRUR 1991, 619, 621 – Erbenermittlung. 95 Ahrens/Bähr Kap. 38 Rn. 18; Harte/Henning/Bergmann/Goldmann § 8 Rn. 53 und Fn. 123; MünchKommUWG/ Fritzsche § 8 Rn. 133; Gloy/Loschelder/Erdmann § 91 Rn. 16; Piper/Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 44; Teplitzky Kap. 57 Rn. 21. 831

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V. Dauer

Vor §§ 12–15a B

einen drohenden Schaden sinnvoll.90 Bei zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten besteht aber auch die Möglichkeit einer Schätzung (§ 287 ZPO) der Höhe einer Sicherheitsleistung. Fehlt es freilich an greifbaren Anhaltspunkten für einen Schaden, besteht auch keine Veranlassung, Maßnahme zu dessen Sicherung zu ergreifen, so dass weder eine Sicherheitsleistung erforderlich ist, noch (und erst recht nicht) von dem Schuldner die Leistung einer billigen Geldentschädigung verlangt werden kann.

IV. Rechtsfolgen Kann der Schuldner eine Aufbrauchfrist beanspruchen, darf er das als wettbewerbswidrig er- 29 kannte Verhalten (auf eigenes Risiko, § 904 Satz 2 BGB) für die Dauer der eingeräumten Frist fortsetzen, d. h. bereits produzierte Waren benutzen und anbieten etc. Das Unterlassungsgebot ist solange ausgeschlossen. Soweit mit der Unterlassungsverpflichtung ein Folgenbeseitigungsanspruch verbunden ist, wird auch dieser für die Dauer der Aufbrauchfrist ausgeschlossen.91 Entsteht dem Gläubiger aus dem fortgesetzten, tatbestandsmäßigen Wettbewerbsverstoß ein Vermögensschaden, ist der Schuldner zu dessen Ersatz verpflichtet.92 Zu dessen Bezifferung steht dem Gläubiger auch ein Auskunftsanspruch nach allgemeinen Regeln zu.93

V. Dauer Auf die Frage, welcher Zeitraum für eine Aufbrauchfrist angemessen ist, gibt es keine Einheits- 30 antwort. Wie die grundsätzliche Gewährung einer Aufbrauchfrist, hängt auch deren Dauer vom Ergebnis der Verhältnismäßigkeitsprüfung ab. In der Rechtsprechung finden sich dementsprechend Aufbrauch- bzw. Umstellungsfristen zwischen vier Wochen und elf Monaten.94 Berücksichtigt man, dass Aufbrauchfristen schon rechtssystematisch die Ausnahme bilden, wird es besonderer Umstände bedürfen, um eine über drei bis sechs Monate hinausreichende Aufbrauchfrist zu rechtfertigen.95 Als materiell-rechtliche Einschränkung des Unterlassungsanspruchs ist die Aufbrauchfrist 31 im Grundsatz von dem prozessualen Geschehen unabhängig. Freilich kann ein vollstreckbares 90 So auch Köhler GRUR 1996, 90. 91 Da der Schadensersatzanspruch fortbesteht, muss auch dieser, soweit er auf Naturalrestitution (§ 249 BGB) gerichtet ist, für die Dauer der Aufbrauchfrist auf Ersatz des Vermögensschadens in Geld beschränkt werden (§ 251 Abs. 1 BGB). Angesichts der Rechtfertigung des Schuldnerverhaltens (entsprechend § 904 S. 1 BGB) ist für die Dauer der Aufbrauchfrist eine Wiederherstellung in Natur rechtlich unmöglich. 92 BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563, 567 – Sektwerbung; BGH 10.5.1974 – I ZR 80/73 – GRUR 1974, 735, 737 – Pharmamedan; BGH 11.3.1982 – I ZR 58/80 – GRUR 1982, 420, 423 – BBC/DDC; Ahrens/Bähr Kap. 38 Rn. 12; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.60; Harte/Henning/Brüning Vor § 12 Rn. 236; MünchKommUWG/Ehricke Vor § 12 Rn. 119; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 134; Gloy/Loschelder/Erdmann § 91 Rn. 4; Melullis Rn. 902; Teplitzky Kap. 57 Rn. 18; die Lösungsmöglichkeiten diskutierend Köhler GRUR 1996, 90; a. A. noch GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 185; Spätgens WRP 1994, 696. 93 A. A. GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 185. 94 BGH 18.12.1981 – I ZR 34/80 – BGHZ 82, 375 = GRUR 1982, 425, 431 – Brillen-Selbstabgabestellen (sechs Monate); BGH 14.3.1985 – I ZR 66/83 – GRUR 1985, 930, 932 – JUS-Steuerberatungsgesellschaft (neun Monate); BGH 25.1.1990 – I ZR 19/87 – BGHZ 110, 156 = GRUR 1990, 522, 528 – HBV Familien- und Wohnungsrechtsschutz (elf Monate); OLG Koblenz 13.4.1995 – 6 U 130/95 – GRUR 1995, 499, 500 – Änderung der Wettbewerbslage (vier Wochen); OLG München 19.6.2008 – 29 U 5133/03 – BeckRS 2010, 09548 – nachfolgend zu BGH 29.3.2007 – I ZR 122/ 04 – GRUR 2007, 1079 – Bundesdruckerei (sechs Monate); vgl. zum Beginn des Fristlaufs spätestens ab Zustellung OLG Karlsruhe 10.4.1991 – 6 U 164/90 – GRUR 1991, 619, 621 – Erbenermittlung. 95 Ahrens/Bähr Kap. 38 Rn. 18; Harte/Henning/Bergmann/Goldmann § 8 Rn. 53 und Fn. 123; MünchKommUWG/ Fritzsche § 8 Rn. 133; Gloy/Loschelder/Erdmann § 91 Rn. 16; Piper/Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 44; Teplitzky Kap. 57 Rn. 21. 831

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V. Dauer

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einen drohenden Schaden sinnvoll.90 Bei zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten besteht aber auch die Möglichkeit einer Schätzung (§ 287 ZPO) der Höhe einer Sicherheitsleistung. Fehlt es freilich an greifbaren Anhaltspunkten für einen Schaden, besteht auch keine Veranlassung, Maßnahme zu dessen Sicherung zu ergreifen, so dass weder eine Sicherheitsleistung erforderlich ist, noch (und erst recht nicht) von dem Schuldner die Leistung einer billigen Geldentschädigung verlangt werden kann.

IV. Rechtsfolgen Kann der Schuldner eine Aufbrauchfrist beanspruchen, darf er das als wettbewerbswidrig er- 29 kannte Verhalten (auf eigenes Risiko, § 904 Satz 2 BGB) für die Dauer der eingeräumten Frist fortsetzen, d. h. bereits produzierte Waren benutzen und anbieten etc. Das Unterlassungsgebot ist solange ausgeschlossen. Soweit mit der Unterlassungsverpflichtung ein Folgenbeseitigungsanspruch verbunden ist, wird auch dieser für die Dauer der Aufbrauchfrist ausgeschlossen.91 Entsteht dem Gläubiger aus dem fortgesetzten, tatbestandsmäßigen Wettbewerbsverstoß ein Vermögensschaden, ist der Schuldner zu dessen Ersatz verpflichtet.92 Zu dessen Bezifferung steht dem Gläubiger auch ein Auskunftsanspruch nach allgemeinen Regeln zu.93

V. Dauer Auf die Frage, welcher Zeitraum für eine Aufbrauchfrist angemessen ist, gibt es keine Einheits- 30 antwort. Wie die grundsätzliche Gewährung einer Aufbrauchfrist, hängt auch deren Dauer vom Ergebnis der Verhältnismäßigkeitsprüfung ab. In der Rechtsprechung finden sich dementsprechend Aufbrauch- bzw. Umstellungsfristen zwischen vier Wochen und elf Monaten.94 Berücksichtigt man, dass Aufbrauchfristen schon rechtssystematisch die Ausnahme bilden, wird es besonderer Umstände bedürfen, um eine über drei bis sechs Monate hinausreichende Aufbrauchfrist zu rechtfertigen.95 Als materiell-rechtliche Einschränkung des Unterlassungsanspruchs ist die Aufbrauchfrist 31 im Grundsatz von dem prozessualen Geschehen unabhängig. Freilich kann ein vollstreckbares 90 So auch Köhler GRUR 1996, 90. 91 Da der Schadensersatzanspruch fortbesteht, muss auch dieser, soweit er auf Naturalrestitution (§ 249 BGB) gerichtet ist, für die Dauer der Aufbrauchfrist auf Ersatz des Vermögensschadens in Geld beschränkt werden (§ 251 Abs. 1 BGB). Angesichts der Rechtfertigung des Schuldnerverhaltens (entsprechend § 904 S. 1 BGB) ist für die Dauer der Aufbrauchfrist eine Wiederherstellung in Natur rechtlich unmöglich. 92 BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563, 567 – Sektwerbung; BGH 10.5.1974 – I ZR 80/73 – GRUR 1974, 735, 737 – Pharmamedan; BGH 11.3.1982 – I ZR 58/80 – GRUR 1982, 420, 423 – BBC/DDC; Ahrens/Bähr Kap. 38 Rn. 12; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.60; Harte/Henning/Brüning Vor § 12 Rn. 236; MünchKommUWG/Ehricke Vor § 12 Rn. 119; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 134; Gloy/Loschelder/Erdmann § 91 Rn. 4; Melullis Rn. 902; Teplitzky Kap. 57 Rn. 18; die Lösungsmöglichkeiten diskutierend Köhler GRUR 1996, 90; a. A. noch GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 185; Spätgens WRP 1994, 696. 93 A. A. GK-UWG/Jacobs1 Vor § 13 D Rn. 185. 94 BGH 18.12.1981 – I ZR 34/80 – BGHZ 82, 375 = GRUR 1982, 425, 431 – Brillen-Selbstabgabestellen (sechs Monate); BGH 14.3.1985 – I ZR 66/83 – GRUR 1985, 930, 932 – JUS-Steuerberatungsgesellschaft (neun Monate); BGH 25.1.1990 – I ZR 19/87 – BGHZ 110, 156 = GRUR 1990, 522, 528 – HBV Familien- und Wohnungsrechtsschutz (elf Monate); OLG Koblenz 13.4.1995 – 6 U 130/95 – GRUR 1995, 499, 500 – Änderung der Wettbewerbslage (vier Wochen); OLG München 19.6.2008 – 29 U 5133/03 – BeckRS 2010, 09548 – nachfolgend zu BGH 29.3.2007 – I ZR 122/ 04 – GRUR 2007, 1079 – Bundesdruckerei (sechs Monate); vgl. zum Beginn des Fristlaufs spätestens ab Zustellung OLG Karlsruhe 10.4.1991 – 6 U 164/90 – GRUR 1991, 619, 621 – Erbenermittlung. 95 Ahrens/Bähr Kap. 38 Rn. 18; Harte/Henning/Bergmann/Goldmann § 8 Rn. 53 und Fn. 123; MünchKommUWG/ Fritzsche § 8 Rn. 133; Gloy/Loschelder/Erdmann § 91 Rn. 16; Piper/Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 44; Teplitzky Kap. 57 Rn. 21. 831

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Vor §§ 12–15a B

B. Aufbrauchfrist

Unterlassungsgebot die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Aufbrauchfrist betreffen. Entgegen einem vollstreckbaren Unterlassungsgebot kann schutzwürdiges Vertrauen in die Rechtmäßigkeit eines Wettbewerbsverhaltens nicht (mehr) entstehen.96 32 Als Gegenrecht benötigt wird eine Aufbrauchfrist von dem Schuldner indessen erst dann, wenn das wettbewerbliche Unterlassungsgebot durch einen mindestens vorläufig vollstreckbaren Titel konkretisiert worden ist. Für den Beginn der Aufbrauchfrist maßgeblich ist somit der Zeitpunkt, ab dem die Vollstreckung aus dem Unterlassungstitel möglich ist, d. h. regelmäßig mit dessen Zustellung an den Schuldner.97 Auch wenn der Schuldner bis zur Rechtskraft des Unterlassungsurteils noch darauf hoffen kann, in der Sache zu obsiegen, wird er sich dennoch mit dem möglichen Vollstreckungsbeginn auf ein mögliches Unterliegen einzustellen haben. Der Gesichtspunkt eines fehlenden Anpassungszeitraums streitet dann nicht mehr für den Schuldner. Seine Interessen erhalten in der Verhältnismäßigkeitsabwägung weniger Gewicht, so dass materiell-rechtlich die Rechtfertigungsgrundlage für eine Aufbrauchfrist zunehmend verbraucht wird.98 33 Wird gegen ein Urteil, das dem Schuldner eine Aufbrauchfrist gewährt hat, von dem Gläubiger ein Rechtsmittel eingelegt, muss das Rechtsmittelgericht den Zeitablauf seit Zustellung der angefochtenen Entscheidung bei der Prüfung, ob weiterhin eine Aufbrauchfrist vorzusehen ist, berücksichtigen. Die von dem Instanzgericht eingeräumte Aufbrauchfrist ist auf den Zeitpunkt der diesem Urteil vorausgehenden mündlichen Verhandlung bezogen und kann deshalb für die Verhältnismäßigkeitsabwägung des Rechtsmittelgerichts nicht mehr maßgebend sein. Das bedeutet nicht, dass die von dem Instanzgericht eingeräumte Aufbrauchfrist bis zur Rechtskraft des Urteils noch keine Wirkungen erzeugen könnte. Unterstellt man, nur der Schuldner würde Rechtsmittel gegen das mit Aufbrauchfrist ausgestattete Unterlassungsurteil einlegen, könnte das Rechtsmittelgericht wegen des Verbots der reformatio in peius keine verkürzte Aufbrauchfrist zum Nachteil des Schuldners und Berufungsklägers anordnen. Die Annahme einer erst nach Rechtskraft des Unterlassungsurteils wirksamen Aufbrauchfrist würde dem Schuldner dann eine mit Zurückweisung seiner Berufung beginnende (und damit überschießende) Aufbrauchfrist eröffnen. Um hier Unsicherheiten zu vermeiden, empfiehlt es sich, Beginn und Ende einer gewährten Aufbrauchfrist im Unterlassungstenor stets kalendermäßig festzuhalten.

VI. Prozessuale Behandlung 1. Antrag und Beweislast 34 Ein auf die Gewährung einer Aufbrauchfrist gerichteter Antrag des Beklagten ist bei (zutreffender) Einordnung als materiell-rechtliche Einwendung gegen den Unterlassungsanspruch nicht erforderlich.99 Die stets erforderliche Interessenabwägung kann freilich nur auf der Grundlage substantiierten Sachvortrags zu den Folgen eines sofort wirksamen Unterlassungsgebotes und der Zumutbarkeit einer Suspendierung der Unterlassungsanspruchs für den Gläubiger erfolgen,100 der sich dem Klägervortrag wohl nur im Ausnahmefall wird entnehmen lassen. Wer die Aufbrauchfrist bei § 765a ZPO verortet, wird einen Antrag des Schuldners an 35 das Vollstreckungsgericht verlangen müssen. Bei der herkömmlichen materiell-rechtlichen Einordnung (§ 242 BGB, Vertrauensschutz, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit) liegt eine Einwendung vor, die von dem Gericht dann zu beachten ist, wenn die zugrundeliegenden Tatsa96 Vgl. Rn. 18. 97 Vgl. OLG Karlsruhe 10.4.1991 – 6 U 164/90 – GRUR 1991, 619, 621 – Erbenermittlung. 98 Vgl. Rn. 16. 99 Zutreffend GK-UWG/Teplitzky1 § 16 Rn. 542. 100 Fezer/Büscher § 8 Rn. 164 und 166; Piper/Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 40. Herrmann

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B. Aufbrauchfrist

Unterlassungsgebot die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Aufbrauchfrist betreffen. Entgegen einem vollstreckbaren Unterlassungsgebot kann schutzwürdiges Vertrauen in die Rechtmäßigkeit eines Wettbewerbsverhaltens nicht (mehr) entstehen.96 32 Als Gegenrecht benötigt wird eine Aufbrauchfrist von dem Schuldner indessen erst dann, wenn das wettbewerbliche Unterlassungsgebot durch einen mindestens vorläufig vollstreckbaren Titel konkretisiert worden ist. Für den Beginn der Aufbrauchfrist maßgeblich ist somit der Zeitpunkt, ab dem die Vollstreckung aus dem Unterlassungstitel möglich ist, d. h. regelmäßig mit dessen Zustellung an den Schuldner.97 Auch wenn der Schuldner bis zur Rechtskraft des Unterlassungsurteils noch darauf hoffen kann, in der Sache zu obsiegen, wird er sich dennoch mit dem möglichen Vollstreckungsbeginn auf ein mögliches Unterliegen einzustellen haben. Der Gesichtspunkt eines fehlenden Anpassungszeitraums streitet dann nicht mehr für den Schuldner. Seine Interessen erhalten in der Verhältnismäßigkeitsabwägung weniger Gewicht, so dass materiell-rechtlich die Rechtfertigungsgrundlage für eine Aufbrauchfrist zunehmend verbraucht wird.98 33 Wird gegen ein Urteil, das dem Schuldner eine Aufbrauchfrist gewährt hat, von dem Gläubiger ein Rechtsmittel eingelegt, muss das Rechtsmittelgericht den Zeitablauf seit Zustellung der angefochtenen Entscheidung bei der Prüfung, ob weiterhin eine Aufbrauchfrist vorzusehen ist, berücksichtigen. Die von dem Instanzgericht eingeräumte Aufbrauchfrist ist auf den Zeitpunkt der diesem Urteil vorausgehenden mündlichen Verhandlung bezogen und kann deshalb für die Verhältnismäßigkeitsabwägung des Rechtsmittelgerichts nicht mehr maßgebend sein. Das bedeutet nicht, dass die von dem Instanzgericht eingeräumte Aufbrauchfrist bis zur Rechtskraft des Urteils noch keine Wirkungen erzeugen könnte. Unterstellt man, nur der Schuldner würde Rechtsmittel gegen das mit Aufbrauchfrist ausgestattete Unterlassungsurteil einlegen, könnte das Rechtsmittelgericht wegen des Verbots der reformatio in peius keine verkürzte Aufbrauchfrist zum Nachteil des Schuldners und Berufungsklägers anordnen. Die Annahme einer erst nach Rechtskraft des Unterlassungsurteils wirksamen Aufbrauchfrist würde dem Schuldner dann eine mit Zurückweisung seiner Berufung beginnende (und damit überschießende) Aufbrauchfrist eröffnen. Um hier Unsicherheiten zu vermeiden, empfiehlt es sich, Beginn und Ende einer gewährten Aufbrauchfrist im Unterlassungstenor stets kalendermäßig festzuhalten.

VI. Prozessuale Behandlung 1. Antrag und Beweislast 34 Ein auf die Gewährung einer Aufbrauchfrist gerichteter Antrag des Beklagten ist bei (zutreffender) Einordnung als materiell-rechtliche Einwendung gegen den Unterlassungsanspruch nicht erforderlich.99 Die stets erforderliche Interessenabwägung kann freilich nur auf der Grundlage substantiierten Sachvortrags zu den Folgen eines sofort wirksamen Unterlassungsgebotes und der Zumutbarkeit einer Suspendierung der Unterlassungsanspruchs für den Gläubiger erfolgen,100 der sich dem Klägervortrag wohl nur im Ausnahmefall wird entnehmen lassen. Wer die Aufbrauchfrist bei § 765a ZPO verortet, wird einen Antrag des Schuldners an 35 das Vollstreckungsgericht verlangen müssen. Bei der herkömmlichen materiell-rechtlichen Einordnung (§ 242 BGB, Vertrauensschutz, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit) liegt eine Einwendung vor, die von dem Gericht dann zu beachten ist, wenn die zugrundeliegenden Tatsa96 Vgl. Rn. 18. 97 Vgl. OLG Karlsruhe 10.4.1991 – 6 U 164/90 – GRUR 1991, 619, 621 – Erbenermittlung. 98 Vgl. Rn. 16. 99 Zutreffend GK-UWG/Teplitzky1 § 16 Rn. 542. 100 Fezer/Büscher § 8 Rn. 164 und 166; Piper/Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 40. Herrmann

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VI. Prozessuale Behandlung

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chen entweder unstreitig oder von dem Schuldner glaubhaft gemacht/bewiesen sind.101 Für die hier vorgeschlagene Einordnung als Rechtfertigungsgrund entsprechend § 904 Satz 1 BGB gilt nichts anderes. Stützt man die Gewährung einer Aufbrauchfrist auf § 275 Abs. 2 BGB, muss sich der Schuldner auf diese Einrede ausdrücklich oder konkludent berufen.102 Jeweils ist der uneingeschränkte Unterlassungsantrag teilweise abzuweisen, wobei regelmäßig die Voraussetzungen des § 92 Abs. 2 ZPO erfüllt sein dürften.103 Ein Sachantrag auf Einräumung einer Aufbrauchfrist ist nicht erforderlich, aber unschädlich.104 Das entsprechende Begehren des Schuldners ist im Klagabweisungsantrag (als Minus) enthalten.105 Wesentlich ist der substantiierte Vortrag derjenigen Tatsachen, die die Einräumung einer Aufbrauchfrist rechtfertigen.106 Hierzu gehören neben der erforderlichen Vertrauensbetätigung auch die abwägungsrelevanten Tatsachen. Soweit die Interessen des Unterlassungsgläubigers in die Abwägung einzubeziehen sind, trifft diesen nach allgemeinen Regeln eine sekundäre Darlegungslast für solche Tatsachen, die der ansonsten darlegungsbelastete Schuldner billigerweise nicht substantiiert darlegen kann. Die Gewährung einer Aufbrauchfrist ist nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt. Sind 36 ihre Voraussetzungen vom Schuldner bewiesen bzw. glaubhaft gemacht oder unstreitig, muss das Gericht dem Schuldner eine Aufbrauchfrist einräumen.107 Die Einräumung einer Aufbrauchfrist bedeutet ein teilweises Unterliegen des Unterlas- 37 sungsklägers. Bei Erreichen der Berufungssumme oder Zulassung des Rechtsmittels kann der Unterlassungskläger im Urteilsverfahren die Gewährung einer Aufbrauchfrist mit der Berufung angreifen.108 Das OLG Düsseldorf und das KG109 unterscheiden – folgerichtig – danach, auf welcher Rechtsgrundlage die Aufbrauchfrist gewährt wurde. Hat das Erstgericht die Aufbrauchfrist auf § 765a ZPO gestützt oder einen Vollstreckungsaufschub nach § 242 BGB gewährt, ist die sofortige Beschwerde der richtige Rechtsbehelf. Bei einer materiell-rechtlichen Einwendung gegen den Unterlassungsanspruch muss Berufung eingelegt werden. Fehlt eine eindeutige Rechtsgrundlage in der angegriffenen Entscheidung, kann nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz Berufung eingelegt werden.110

101 § 8 Rn. 55. 102 Piper/Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 45. 103 Ahrens/Bähr Kap. 38 Rn. 14; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.66; Fezer/Büscher § 8 Rn. 166; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 140; Gloy/Loschelder/Erdmann § 91 Rn. 12; Melullis Rn. 900; Piper/Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 45. 104 BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563, 567 – Sektwerbung; BGH 20.1.1961 – I ZR 110/59 – GRUR 1961, 283 – Mon Chéri II; BGH 11.3.1982 – I ZR 58/80 – GRUR 1982, 420, 423 – BBC/DDC; BGH 14.3.1985 – I ZR 66/83 – GRUR 1985, 930, 932 – JUS-Steuerberatungsgesellschaft; OLG Frankfurt 1.10.1987 – 6 U 62/87 – GRUR 1988, 46, 49 – Flughafenpassage; Ahrens/Bähr Kap. 38 Rn. 21; Köhler/Bornkamp § 8 Rn. 1.66; Fezer/Büscher § 8 Rn. 166; Gloy/ Loschelder/Erdmann § 91 Rn. 10; Melullis Rn. 895; Piper/Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 45; Teplitzky Kap. 57 Rn. 19; Ulrich GRUR 1991, 27. 105 Melullis Rn. 895; ebenso Heydt GRUR 1961, 284 und somit widersprechend der a. A. BGH 20.1.1961 – I ZR 110/ 59 – GRUR 1961, 283 – Mon Chéri II. 106 BGH 19.2.1957 – I ZR 13/55 – GRUR 1957, 488, 491 – MHZ; BGH 20.1.1961 – I ZR 110/59 – GRUR 1961, 283 – Mon Chéri II; BGH 11.3.1982 – I ZR 58/80 – GRUR 1982, 420, 423 – BBC/DDC; BGH 14.3.1985 – I ZR 66/83 – GRUR 1985, 930, 932 – JUS-Steuerberatungsgesellschaft; vgl. OLG Stuttgart 16.3.2006 – 2 U 147/05 – NJW 2006, 2273, 2275 – Bodenseekanzlei; Fezer/Büscher § 8 Rn. 166; Melullis Rn. 895; GK-UWG/Teplitzky1 § 16 Rn. 542. 107 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.66; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 139; Köhler GRUR 1996, 90; Piper/Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 45; a. A. wohl Melullis Rn. 897. 108 OLG Düsseldorf 10.10.1985 – 2 U 114/85 – GRUR 1986, 197 – Rechtsmittel gegen Aufbrauchfrist. 109 KG Berlin 20.4.1971 – 5 U 360/71 – WRP 1971, 326, 326 f. – Zur Aufbrauchfrist. 110 KG Berlin 20.4.1971 – 5 U 360/71 – WRP 1971, 326, 326 f. – Zur Aufbrauchfrist; OLG Düsseldorf 10.10.1985 – 2 U 114/85 – GRUR 1986, 197 – Rechtsmittel gegen Aufbrauchfrist. 833

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Vor §§ 12–15a B

B. Aufbrauchfrist

2. Gewährung einer Aufbrauchfrist im Rechtsmittelverfahren 38 Nach allgemeinen Regeln kann auch ein Rechtsmittelgericht eine Aufbrauchfrist gewähren. Denn materiell-rechtliche Einreden sind in jeder Lage des Verfahrens zu berücksichtigen. Voraussetzung ist, dass der zugrundeliegende Sachverhalt prozessual berücksichtigt werden kann, also insbesondere nicht verspätet ist. Wurde in erster Instanz ein Unterlassungsgebot ohne Aufbrauchfrist ausgesprochen, kann in der Rechtsmittelinstanz eine Aufbrauchfrist nur gewährt werden, soweit die für die Güterabwägung erforderliche Vertrauensbetätigung vor Erlass des (vollstreckbaren) Unterlassungsgebotes bzw. nach Beseitigung der Vollstreckbarkeit erfolgte.111 Eine Aufbrauchfrist kann auch noch durch das Revisionsgericht gewährt werden.112 Da dem 39 Revisionsgericht aber neue tatsächliche Feststellungen versagt sind, setzt dies voraus, dass die Tatumstände, auf Grund derer die hierfür erforderliche Abwägung der Interessen beider Parteien vorgenommen werden kann, entweder unstreitig oder in den Tatsacheninstanzen festgestellt worden sind.113

3. Aufbrauchfristen im Verfahren einstweiliger Verfügung 40 Unter welchen Voraussetzungen im Verfahren einstweiliger Verfügung ebenfalls Aufbrauchfristen eingeräumt werden können, ist noch nicht abschließend geklärt.114 Das Erfordernis eines Eilgrundes und die gleichzeitige Einräumung einer ggf. monatelangen Aufbrauchfrist sind nicht ohne weiteres miteinander zu vereinbaren.115 Die Bedenken vor allem der älteren Rechtsprechung der Oberlandesgerichte belegen dies.116 Zwar ist richtig, dass materiell-rechtliche Einwendungen unabhängig von der Verfahrensart geltend gemacht werden können. Dies bedeutet aber nicht, dass bei erfolgreicher Darlegung und Glaubhaftmachung der tatsächlichen Voraussetzungen einer Aufbrauchfrist stets eine entsprechend modifizierte einstweilige Verfügung erlassen werden kann.117 Vielmehr kommt es darauf an, ob die erforderliche Aufbrauchfrist das Wirksam111 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.67; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 141. 112 So schon RG 31.3.1933 – II 322/32 – GRUR 1933, 583, 586 – Johann Maria Farina; siehe auch BGH 19.2.1957 – I ZR 13/55 – GRUR 1957, 488, 491 – MHZ; BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563, 567– Sektwerbung. 113 BGH 15.4.1966 – GRUR 1966, 495, 498 – UNIPLAST; BGH 16.11.1973 – GRUR 1974, 474, 476 – Großhandelshaus. Unklar Paal § 8 Rn. 56, der meint, in der Revisionsinstanz könne eine Aufbrauchfrist „vor allem“ dann in Betracht kommen, wenn deren Voraussetzungen unstreitig oder den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts entnommen werden können. 114 Zur grundsätzlichen Zulässigkeit im Verfahren der einstweiligen Verfügung: OLG Koblenz 13.4.1995 – 6 U 130/ 95 – GRUR 1995, 499, 500 – Änderung der Wettbewerbslage; Berlit WRP 1998, 250, 252 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.68; siehe MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 142 m. w. N. zum Streitstand; Gloy/Loschelder/Erdmann § 91 Rn. 13; Ulrich GRUR 1991, 28 ff.; a. A. Pastor S. 423; dem folgend OLG Düsseldorf 10.10.1985 – 2 U 114/ 85 – GRUR 1986, 197, 198 – Rechtsmittel gegen Aufbrauchfrist: „Bewilligung einer Aufbrauchfrist bei erstinstanzlichen Urteilen im einstweiligen Verfügungsverfahren (kommt) dann, wenn die Antragsgegnerin sich noch nicht endgültig zur Unterlassung verpflichtet hat, regelmäßig nicht in Betracht“. 115 OLG Frankfurt 1.10.1987 – 6 U 62/87 – GRUR 1988, 46, 49 – Flughafenpassage; Gloy/Loschelder/Erdmann § 91 Rn. 13; Teplitzky Kap. 57 Rn. 23 m. w. N.; a. A. OLG Naumburg 29.5.2009 – 10 U 56/08 (Hs) – Magazindienst 2009, 678: der Eilcharakter der einstweiligen Verfügung steht einer Aufbrauchfrist nicht entgegen mit Verweis auf Hefermehl/Köhler/Bornkamm27 § 8 Rn. 1.68 m. w. N. 116 Vgl. z. B. OLG Düsseldorf 10.10.1985 – 2 U 114/85 – GRUR 1986, 197, 197 f. – Rechtsmittel gegen Aufbrauchfrist: „die Gewährung einer Aufbrauchfrist (widerspricht) an sich dem Wesen einer Unterlassungsverfügung“; OLG Frankfurt 1.10.1987 – 6 U 62/87 – GRUR 1988, 46, 49 – Flughafenpassage: Aufbrauchfrist mit Sinn und Zweck einer Unterlassungsverfügung unvereinbar; OLG Koblenz 28.3.1991 – 6 W 65/91 – WRP 1991, 599, 602 – Medizinischer Ratgeber; OLG Koblenz 13.4.1995 – 6 U 130/95 – GRUR 1995, 499, 500 – Änderung der Wettbewerbslage: trotz grundsätzlicher Unzulässigkeit Einräumung einer Aufbrauchfrist, da Antragstellerin ausdrücklich keine Einwände erhoben hat. 117 In diese Richtung offenbar Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.68. Herrmann

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VI. Prozessuale Behandlung

Vor §§ 12–15a B

werden des Unterlassungsgebotes soweit hinausschiebt, dass die Dringlichkeitsvermutung (§ 12 Abs. 2 UWG) widerlegt ist. Würde das Unterlassungsgebot noch innerhalb des Dringlichkeitsrahmens des § 12 Abs. 2 UWG wirksam, kann eine einstweilige Verfügung mit der Maßgabe einer festzusetzenden Aufbrauchfrist erlassen werden. Da hierin eine Teilzurückweisung liegt, kann sich der Gläubiger gegen die Gewährung einer Aufbrauchfrist mit der sofortigen Beschwerde wehren. Eine Beschwerdesumme (entsprechend § 511 Abs. 2 ZPO) ist, obschon systematisch nicht ganz stimmig, nicht erforderlich. Häufig werden im Verfahren einstweiliger Verfügung allerdings die Sachgründe, die für eine 41 Aufbrauchfrist sprechen, nicht bekannt sein, so dass aus diesem Grund eine unbeschränkte Unterlassungsverfügung zu erlassen ist.118 Der Schuldner mag dann mit dem Ziel Widerspruch erheben, eine Aufbrauchfrist zu erhalten. Im Einzelfall kann auch Veranlassung bestehen, dem Schuldner vor Verfügungserlass rechtliches Gehör zu gewähren, wenn die einstweilige Verfügung nach dem Vortrag des Antragstellers in den laufenden Geschäftsbetrieb des Schuldners erheblich eingreifen würde.119

118 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.68; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 Rn. 142. 119 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.68. 835

Herrmann

§ 12 Einstweiliger Rechtsschutz, Veröffentlichungsbefugnis, Streitwertminderung (1) Zur Sicherung der in diesem Gesetz bezeichneten Ansprüche auf Unterlassung können einstweilige Verfügungen auch ohne die Darlegung und Glaubhaftmachung der in den §§ 935 und 940 der Zivilprozessordnung bezeichneten Voraussetzungen erlassen werden. (2) 1Ist auf Grund dieses Gesetzes Klage auf Unterlassung erhoben worden, so kann das Gericht der obsiegenden Partei die Befugnis zusprechen, das Urteil auf Kosten der unterliegenden Partei öffentlich bekannt zu machen, wenn sie ein berechtigtes Interesse dartut. 2Art und Umfang der Bekanntmachung werden im Urteil bestimmt. 3Die Befugnis erlischt, wenn von ihr nicht innerhalb von drei Monaten nach Eintritt der Rechtskraft Gebrauch gemacht worden ist. 4Der Ausspruch nach Satz 1 ist nicht vorläufig vollstreckbar. (3) 1Macht eine Partei in Rechtsstreitigkeiten, in denen durch Klage ein Anspruch aus einem der in diesem Gesetz geregelten Rechtsverhältnisse geltend gemacht wird, glaubhaft, dass die Belastung mit den Prozesskosten nach dem vollen Streitwert ihre wirtschaftliche Lage erheblich gefährden würde, so kann das Gericht auf ihren Antrag anordnen, dass die Verpflichtung dieser Partei zur Zahlung von Gerichtskosten sich nach einem ihrer Wirtschaftslage angepassten Teil des Streitwerts bemisst. 2Die Anordnung hat zur Folge, dass 1. die begünstigte Partei die Gebühren ihres Rechtsanwalts ebenfalls nur nach diesem Teil des Streitwerts zu entrichten hat, 2. die begünstigte Partei, soweit ihr Kosten des Rechtsstreits auferlegt werden oder soweit sie diese übernimmt, die von dem Gegner entrichteten Gerichtsgebühren und die Gebühren seines Rechtsanwalts nur nach dem Teil des Streitwerts zu erstatten hat und 3. der Rechtsanwalt der begünstigten Partei, soweit die außergerichtlichen Kosten dem Gegner auferlegt oder von ihm übernommen werden, seine Gebühren von dem Gegner nach dem für diesen geltenden Streitwert beitreiben kann. (4) 1Der Antrag nach Absatz 3 kann vor der Geschäftsstelle des Gerichts zur Niederschrift erklärt werden. 2Er ist vor der Verhandlung zur Hauptsache anzubringen. 3Danach ist er nur zulässig, wenn der angenommene oder festgesetzte Streitwert später durch das Gericht heraufgesetzt wird. 4Vor der Entscheidung über den Antrag ist der Gegner zu hören.

Schrifttum Addicks Welche Anforderungen gibt es bei der Zustellung und Vollziehung von einstweiligen Verfügungen?, MDR 1994, 225; Ahrens, Der Schadensanspruch nach § 945 ZPO im Streit der Zivilsenate, Festschrift für H. Piper, 1996, S. 31; ders. Die Abschlusserklärung – Zur Simulation der Rechtskraft von Verfügungstiteln, WRP 1997, 907; ders. Die fristgebundene Vollziehung einstweiliger Verfügungen. Für eine Neuinterpretation des § 929 Abs. 2 ZPO, WRP 1999, 1; ders. Die Bildung kleinteiliger Streitgegenstände als Folge des TÜV-Beschlusses, WRP 2013, 129; ders. Beseitigung kraft Unterlassungstitels: berechtigter Aufstand gegen den BGH? GRUR 2018, 34; Alexander Schadensersatz und Abschöpfung im Lauterkeits- und Kartellrecht, 2010; Amschewitz Kostentragung bei Sequestrationsverfügungen ohne vorherige Abmahnung, WRP 2012, 401 ff.; Anders Die Zustellung einstweiliger Verfügungen nach dem Zustellungreformgesetz, WRP 2003, 204; Bacher Das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs, MDR 2014, 998; ders. Das elektronische Schutzschriftenregister MDR 2015, 1329; Balzer Die Darlegung der Prozessbefugnis und anderer anspruchsbezogener Sachurteilsvoraussetzungen im Zivilprozess, NJW 1992, 2721; Baur Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, 1967; Berneke Neues Vorbringen im Berufungsverfahren zu Arrest und einstweiliger Verfügung, Festschrift für W. Tilman, 2003, S. 775; ders. Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 2. Aufl. 2003; Bernreuther, Zusammentreffen von Unterlassungserklärung und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, GRUR 2001, 400; ders. Der negative Feststellungantrag im einstweiligen Verfügungsverfahren, WRP 2010, 1191; ders. Titelgläubiger, Vertragsgläubiger und erneuter

Schwippert https://doi.org/10.1515/9783110545968-009

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Unterlassungsschuldner, WRP 2012, 796; ders. Zur rechtlichen Einordnung der Vollziehungshandlungen gemäß § 9 128. ZPO und zum Umfang der Heilung von Zustellungsmängeln gemäß § 189 ZPO, WRP 2019, 1143; Beyerlein (K)eine zweite Chance – wiederholter Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung als Dringlichkeitsproblem, WRP 2005, 1463; Blomeyer Die Unterscheidung von Zulässigkeit und Begründetheit bei der Klage und beim Antrag auf Anordnung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung, ZZP 81 (1968), 20; Böttger Deutsche einstweilige Verfügungen: Durchsetzung im europäischen Ausland, GRUR-Prax 2013, 484; Borck Prinzipielles Befriedigungsverbot und obligatorische mündliche Verhandlung, WRP 1972, 238; ders. Obliegt es dem Opfer, den Täter zu warnen?, WRP 1974, 541; ders. Grenzen richterlicher Formulierungshilfe bei Unterlassungsverfügungen, WRP 1977, 457; ders. Über die Vollziehung von Unterlassungsverfügungen, WRP 1977, 556; ders. Kostenfestsetzung aufgrund von Schutzschrift-Hinterlegung? WRP 1978, 262; ders. Die Zeit und ihr Vergehen im Hinblick auf die Vorschriften §§ 21, 25 UWG 935 ff. ZPO, WRP 1978, 519; ders. Zur Zurückverweisung des Verfügungsantrags ohne mündliche Verhandlung, WRP 1978 641; ders. Zur Glaubhaftmachung des Unterlassungsanspruches, WRP 1978, 776 ff.; ders. Kunstfehler und kalkulierte Risiken beim Umgang mit Unterlassungsverfügungen, WRP 1979, 274 ff.; ders. Vom Spiel mit der Verjährung, WRP 1979, 347; ders. Rückwärtsgewandte Feststellungsklage und Fristsetzung nach „Erledigung der Hauptsache“?, Einige konservative Bemerkungen zu den §§ 256, 926, 945 ZPO, WRP 1980, 1; ders. Das rechtliche Gehör im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, MDR 1988, 908 ff.; ders. Ab wann ist die Zuwiderhandlung gegen eine Unterlassungsverfügung sanktionierbar gem. § 890 ZPO?, WRP 1989, 360 ff.; ders. Die Vollziehung und die Vollstreckung von Unterlassungstiteln, WRP 1993, 374; ders. Ein letztes Mal noch: Zur Unterlassungvollstreckung, WRP 1996, 181; ders. Zuständigkeitserklärung qua negativer Feststellungsklage, WRP 1997, 265; Bornkamm Die unbegründete Unterlassungsverfügung – Wann bedarf die einstweilige Verfügung einer Begründung? Festschrift für H. Köhler (2014), S. 47; ders. Die Dringlichkeitsfalle – Entbehrlichkeit eines Verfügungsgrundes? – Sonderstellung des § 12 Abs. 2 UWG, Liber amicorum für M. Hecker 2016, S. 37; ders. Befreit die einstweilige Verfügung von den Fesseln des Arrestes! WRP 2019, 1242; ders, Das Ende der ex-parte-Verfügung auch im Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht. Machtwort des BVerfG zum rechtlichen Gehör im Verfügungsverfahren, GRUR 2020, 735; Brannekämper Wettbewerbsstreitigkeiten mit Auslandsbeziehung im Verfahren der einstweiligen Verfügung, WRP 1994, 661; Bülow Zur prozessrechtlichen Stellung des Antragsgegners im Beschlussverfahren von Arrestund einstweiliger Verfügung, ZZP 98 (1985) 274; Brückmann Klageänderung und „Umformulierung“ von Unterlassungsanträgen im Wettbewerbsprozess, WRP 1983, 656; Brüggemann Unausgebildete Gegenerschaftsverhältnisse, ZZP 81 (1968), 457; Burchert/Goerl Die Wahrung der Frist des § 926 ZPO im Wettbewerbsverfahren, WRP 1976, 661; Büscher Aus der Rechtsprechung des EuGH und des BGH zum Lauterkeitsrecht seit Ende 2017, GRUR 2019, 233; Castendiek Die Amtszustellung als Vollziehung von Urteilsverfügungen mit Unterlassungsgebot, WRP 1979, 527; Dankwerts Die Entscheidungen über den Eilantrag, GRUR 2008, 763; ders. Aktuelle Entscheidungen zur Dringlichkeit – Welche Risiken birgt ein Vollstreckungsverzicht?, GRUR-Prax 2010, 473; ders. Klagehäufung im UWG, Anwaltsbl. 2013, 252; Demuth Neue Maßstäbe für einstweilige Verfügungsverfahren in Wettbewerbssachen GRUR 2011, 404; Dethloff, Ausländisches Wettbewerbdrecht im einstweiligen Rechtschutz, RabelsZ 1998, 386; Deutsch, Die Schutzschrift in Theorie und Praxis, GRUR 1990, 327; ders. Anspruchskonkurrenzen im Marken- und Kennzeichenrecht, WRP 2000, 854; Du Mesnil de Rochemont Die Notwendigkeit eines bestimmten Antrages bei der Unterlassungsverfügung und die Bindung des Gerichtes an einen solchen Antrag, 1993; Dittmar Die Verjährungsunterbrechung wettbewerbs-rechtlicher Unterlassungsansprüche durch Urteil und einstweilige Verfügung, GRUR 1979, 288; Doepner Urteilsanmerkung zu OLG Karlsruhe (WRP 1974, 691 ff) WRP 1974, 693; ders. Selbstwiderlegung der Dringlichkeit im wettbewerbsrechtlichen Verfügungsverfahren: wider eine feste Zeitspanne, WRP 2011, 1384; Dötsch Statthaftigkeit einer Gegenverfügung im Verfahren betreffend den Erlass einer einstweiligen Verfügung, MDR 2012, 623; ders. Zentrales Schutzschriftenregister – was muss ein Beschwerdegericht beachten? MDR 2016, 495; Drettmann, Die Berücksichtigung „öffentlicher“ Interessen bei Prüfung der Eilbedürftigkeit des einstweiligen Verfügungsverfahrens nach § 25 UWG, GRUR 1979, 602; Eichmann Die Durchsetzung des Anspruchs auf Drittauskunft, GRUR 1990, 575 ff.; Eikelau Unzulässige wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche gegen Markenanmeldungen, MarkenR 2001, 41; Einsiedler Geschäftsführung ohne Auftrag bietet keine Anspruchsgrundlage für die Erstattung der Kosten wettbewerbsrechtlicher Abmahnschreiben und Abschlussschreiben, WRP 2003, 354; Engelschall Änderung der Verfahrensvorschriften bei Erwirkung einstweiliger Verfügungen, GRUR 1972, 103 ff.; Eser Probleme der Kostentragung bei der vorprozessualen Abmahnung und beim Abschlussschreiben in Wettbewerbsstreitigkeiten, GRUR 1986, 35; v.Falck Einstweilige Verfügungen in Patent- und Gebrauchsmustersachen, Mitt. 2002, 429; Feddersen Unterlassen durch Beseitigen: Beseitigungshandlungen als Bestandteil des Unterlassungsanspruches, FS für Büscher 2018, S. 471; G. Fischer Hat das im einstweiligen Rechtsschutz ergangene rechtskräftige Urteil Bedeutung für den Schadensersatzanspruch aus § 945 ZPO?, Festschrift für F. Merz, 1992, S. 81; §§ 916 ff.,; Fritze Fehlerhafte Zustellung von Arresten und einstweiligen Verfügungen, Festschrift für Gerhard Schiedermair, 1976, S. 141 ff.; ders. Bemerkungen zur einstweiligen Verfügung im Bereich der gewerblichen Schutzrechte und im Wettbewerbsrecht, GRUR 1979, 290 ff.; ders. Die Anordnung von Handlungen, insbesondere Erklärungen zur Beendigung einer andauernden Beeinträchtigung durch einstweilige Verfügung, Festschrift für F. Traub, 1994, S. 113; ders. Gut gemeint – Ziel verfehlt – Negative Feststellungs-

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Einstweiliger Rechtsschutz, Veröffentlichungsbefugnis, Streitwertminderung

klage als Hauptsache im Sinne des § 937 Abs. 1 ZPO, GRUR 1996, 571; Fürst Einseitige Antragsrücknahme nach Erlass einer einstweiligen Verfügung ohne mündliche Verhandlung, BB 1974, 890 ff.; v. Gamm Vermutung der Dringlichkeit in Wettbewerbssachen, WRP 1968, 312 ff.; Ganselmayer Die einstweilige Verfügung im Zivilverfahren, 1991; Gleußner, Die Vollziehung von Arrest und einstweiliger Verfügung in ihren zeitlichen Grenzen, 1999; v. Goetze Zurückweisung eines Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung?, WRP 1978, 433; Greiner Dringlichkeitserfordernis bei der Vollziehung einstweiliger Verfügungen, GRUR-Prax 2017, 477; Gruber Der wettbewerbsrechtliche Unterlassungsanspruch nach einem „ Zweitverstoß“, WRP 1991, 279; ders. Die tatsächliche Vermutung der Wiederholungsgefahr als Beweiserleichterung, WRP 1991, 368; ders. Grundsatz des Wegfalls der Wiederholungsgefahr durch Unterwerfung, WRP 1992, 71 ff.; Graf von der Groeben Zuwiderhandlungen gegen die einstweilige Verfügung zwischen Verkündung und Vollziehung des Unterlassungsurteils, GRUR 1999, 674; Gröning „Im Brennpunkt“: Die Kosten des Verfügungsverfahrens nach abgewiesener oder zurückgenommener Hauptklage, WRP 1992, 679; Grunsky Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, JuS 1976, 277 ff.; ders. Die Vollziehungsfrist des § 929 II nach Durchführung eines Widerspruchs- oder Berufungsverfahrens, ZZP 104 (1991), 1; Günther Die Schubladenverfügung – Stolperfalle Dringlichkeit?, WRP 2006, 407; Guhn Richterliche Hinweise und „forum shopping“ im einstweiligen Verfügungsverfahren, WRP 2014, 27; Gutsche Vorläufiger Rechtsschutz im Urheberrecht, FS für W. Nordemann, 1999, S. 75; Hadding Zur einstweiligen Verfügung im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, ZHR 130 (1968), 1 ff.; Hall Die Vollstreckung von deutschen Ordnungsgeldbeschlüssen in einem anderen EU-Mitgliedstaat, FS für Bornkamm, 2014, S. 1045; Heil der Antrag auf Verweisung an die Kammer für Handelssachen (§ 98 Abs. 1 GVG) in einer Schutzschrift, WRP 2014, 24; Hartisch/Nacken Produktpiraterie bei ungeprüften Schutzrechten, WRP 1989, 1; Hase Verjährung von wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüchen und Erledigung der Hauptsache im einstweiligen Verfügungsverfahren, WRP 1985, 254 ff.; Hees Erstattung der Kosten des Eilverfahrens nach Obsiegen in der Hauptsache, MDR 1994, 438; Hegmanns Die funktionelle Zuständigkeit der Berufungsgerichte zum Erlass von Arrest und einstweiliger Verfügung bei versäumter Vollziehungsfrist, WRP 1984, 120 ff.; Hermanns Der Unterlassungsanspruch als verkappter Rückrufanspruch? GRUR 2017, 977; Herr Vom Sinn und Unsinn der Schutzschriften, GRUR 1986, 436 f; ders. Keine Begründungspflicht für Arrest oder einstweilige Verfügung anordnende Beschlüsse, NJW 1993, 2287; Hilgard Die Schutzschrift im Wettbewerbsrecht, 1985; Himmelsbach Taktisches Vorgehen im Wettbewerbsverfahren wird schwieriger, GRUR-Prax 2010, 71; Hirtz Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast im einstweiligen Rechtsschutz, NJW 1986, 110; Hofmann Unterlassungsanspruch und Verhältnismäßigkeit – Beseitigung, Löschung und Rückruf NJW 2018, 1290; Holzapfel Zum einstweiligen Rechtsschutz im Wettbewerbs- und Patentrecht, GRUR 2003, 287; Irmen Die Zurückweisung verspäteten Vorbringens im einstweiligen Verfügungs- und Arrestverfahren, 1990; Isele Von Urschriften und Vollziehungsmängeln WRP 2015, 824; ders. Das Betreiben von Ordnungsmittelverfahren und seine Auswirkung auf die Dringlichkeitsvermutung nach § 12 Abs. 2 UWG, WRP 2017, 1050; Jauernig, Der zulässige Inhalt einstweiliger Verfügungen, ZZP 79 (1966), 312; ders. Zum Prüfungs- und Entscheidungsvorrang von Prozessvoraussetzungen, Festschrift für G. Schiedermair, 1976, S. 289; Jestaedt Sortenschutz und einstweilige Verfügung, GRUR 1981, 152; ders. Der Streitgegenstand des wettbewerbsrechtlichen Verfügungsverfahrens, GRUR 1985, 480 ff.; Juretzek Kein Verfügungsgrund bei rechtsmissbräuchlichem „forum shopping“, GRUR-Prax 2017, 58; Kalaitzis Haftungsfall Empfangsbekenntnis, NJW 2016, 1542; Kehl Einstweilige Verfügung – ähnliche neue Werbung – Was tun?, WRP 1999, 46; ders. Von der Marktbeobachtung bis zur Nichtvollziehung – wann ist es dem Anspruchsteller „nicht so eilig“?, Festschrift für M. Loschelder, 2010, S. 139; Kieser/ Sapemann Vollstreckung von Unterlassungsverfügungen in EU-Staaten: Bestrafungsverfahren in Deutschland wird attraktiver, GRUR-Prax 2012, 155; Kisseler Die Aufbrauchsfrist im vorprozessualen Abmahnverfahren, WRP 1991, 691; Klaka, Die einstweilige Verfügung in der Praxis, GRUR 1979, 593; Klein Hauptsacheverfahren oder Eilverfahren – worauf bezieht sich die Abmahnung? GRUR 2012, 88; ders. Begründung von Beschlussverfügungen? GRUR 2016, 899; Klette Zur (regelmäßig nicht zulässigen) einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung aus Unterlassung-Urteilsverfügungen, GRUR 1982, 471; Klute Strategische Prozessführung im Verfügungsverfahren, GRUR 2003, 34; ders. Eine Streitschrift wider die Kenntniserlangung – Zustellungsmängel von Beschlussverfügungen und deren Heilung, GRUR 2005, 924; Knieper Die Vollziehung von Unterlassungsverfügungen, WRP 1997, 815, 817; Koch Besonderheiten der wettbewerbsrechtlichen Verfahrenspraxis beim OLG Rostock WRP 2002, 191; Kochendörfer Der Nachweis der frühzeitigen Kenntnis vom Wettbewerbsverstoß – Beweiserleichterungen für die Widerlegung der Dringlichkeitsvermutung, WRP 2005, 1459; Koch/Vykydal Immer wieder dringlich? Die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG in den Fällen gleichartiger Wettbewerbsverstöße, WRP 2005, 688 ff.; Krahe Die Schutzschrift. Kostenerstattung und Gebührenanfall, 1991; Krenz Die Geschäftsführung ohne Auftrag beim wettbewerbsrechtlichen Abschlussschreiben, GRUR 1995, 31; Krieger Zur Dringlichkeit von einstweiligen Verfügungen im Wettbewerbsrecht, GRUR 1975, 168; Krüger Das Privatgutachten im Verfahren der einstweiligen Verfügung, WRP 1991, 68; ders. Zum Streitgegenstandsbegriff WRP 2013, 140; Kunath Zur Auslegung des Begriffs „dringender Fall“ iSd. § 942 Abs. 1 ZPO, WRP 1991, 65 ff.; Kur Irreführende Werbung und Umkehr der Beweislast, GRUR 1982, 663; Kurtz Die Vollziehung der einstweiligen Verfügung durch Zustellung an den Anwalt der Antragsgegnerin, WRP 2016, 305; Leipold Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, 1971; ders. Die

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Schutzschrift zur Abwehr einstweiliger Verfügungen gegen Streiks, RdA 1983, 164; Lerach Waffengleichheit im UWGVerfügungsverfahren GRUR-Prax 2020, 401; Lindacher Gesicherte Unterlassungserklärung, Wiederholungsgefahr und Rechtsschutzbedürfnis, GRUR 1975, 413 ff.; ders. Praxis und Dogmatik der wettbewerblichen Abschlusserklärung, BB 1984, 639; ders. Der „Gegenschlag“ des Abgemahnten, Festschrift für v. Gamm 1990, 83ff.; ders. Internationale Unterlassungsvollstreckung, Festschrift für H.F. Gaul, 1997, S. 399; ders. Einstweiliger Rechtsschutz in Wettbewerbssachen unter dem Geltungsregime von Brüssel I, Festschrift für D. Leipold, 2009, S. 251; Lippold Nochmals: Begründungspflicht für Arrest oder einstweilige Verfügung anordnende Beschlüsse, NJW 1994, 1110; Lipps Gestaltungsmöglichkeiten der einstweiligen Verfügung im Wettbewerbsprozess, NJW 1970, 226; Löffel Bleibt alles anders? – Prozessuale Waffengleichheit im einstweiligen Verfügungsverfahren: Auch und gerade im Wettbewerbsrecht, WRP 2019, 8; Lubberger Zu Risiken und Nebenwirkungen kontaktieren Sie Ihren Anwalt oder Richter GRUR 2018, 378; Lüke Abschlussschreiben und Schutzschrift bei Unterlassungsverfügungen, Festschrift für G. Jahr, 1993, S. 293; Mädrich Das Verhältnis der Rechtsbehelfe des Antragsgegners im einstweiligen Verfügungsverfahren, 1980; Mantz Das Recht auf Waffengleichheit und die Praxis im Verfahren der einstweiligen Verfügung, NJW 2019, 953; May Die Schutzfrist im Arrest- und einstweiligen Verfügungsverfahren, 1983; Meier-Beck Die Einstweilige Verfügung wegen Verletzung von Patent- und Gebrauchsmusterrechten, GRUR 1988, 861 ff.; Meinhardt Aktuelles Wettbewerbsverfahrensrecht, WRP 2020, 150 und 273; Meister Das Phänomen Produktpiraterie, WRP 1989, 559; Melullis Zur Bestimmung des Zustellungsempfängers bei Beschlussverfügungen, WRP 1982, 249; Mes Kenntnis Dritter und Dringlichkeitsvermutung des § 25 UWG, Festschrift für R. Nirk, 1992, S. 661; Münzberg Der Schutzbereich der Normen §§ 717 Abs. 2, 945 ZPO, Festschrift für H. Lange, 1992, S. 599; Nägele Muss der einen Arrest oder eine einstweilige Verfügung anordnende Beschluss begründet werden?, NJW 1993, 1045; Nieder Aufbrauchsfrist via Unterwerfungserklärung?, WRP 1976, 289; ders. Der Kostenwiderspruch gegen wettbewerbliche einstweilige Verfügungen, WRP 1979, 350; Nill Sachliche Zuständigkeit bei Geltendmachung der Kosten von Abschlussschreiben, GRUR 2005, 740; Pastor Die Schutzschrift gegen wettbewerbliche einstweilige Verfügungen, WRP 1972, 229; ders. Die Vollziehung von Urteilsverfügungen (§ 929 ZPO) und deren Amtszustellung nach § 317 ZPO, WRP 1978, 639; Peters Gilt die Dringlichkeitsvermutung im Markenrecht? Mitt. 1999, 48; ders. Die Einrede der Verjährung als ein den Rechtsstreit in der Hauptsache erledigendes Ereignis, NJW 2001, 2289; Piehler Einstweiliger Rechtsschutz und materielles Recht, 1980; Pietzcker Die Gefahr analoger Ausdehnung der Haftung nach § 945 ZPO, GRUR 1980, 442; Pohlmann Wann ist ein Titel im Sinne von § 929 Abs. 2 ZPO und § 945 ZPO vollzogen?, WM 1994, 1277; ders. Die Wahrung der Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO bei Arrest und einstweiliger Verfügung, KTS 1994, 49; Rehart Widerklage auf Aufhebung einer einstweiligen Verfügung – wirklich zulässig?, WRP 2017, 1307; Retzer Widerlegung der „Dringlichkeitsvermutung“ durch Interessenabwägung?, Festschrift für K.-J. Melullis, GRUR 2009, 329; Roth Die Kosten des Abschlussschreibens bei Wettbewerbsstreitigkeiten, DB 1982, 1916; Ruhl Vollziehung einer Beschlussverfügung aufgrund nachträglich erteilter Prozessvollmacht und treuwidrige Berufung auf die Versäumung der Vollziehungsfrist, WRP 2016, 638; Rüppell/Fuchs die Zustellung von Anwalt zu Anwalt im Parteibetrieb – eine neue Haftungsfälle?, Anwaltsblatt 2016, 893; Sakowski Unterlassung durch Rückruf –„ Hot Sox“ und „Rescue-Produkte“ und die Folgen; Schabenberger Zur Hemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 9 BGB in wettbewerblichen Auseinandersetzungen, WRP 2002, 293; Schellmoser/Haberl Das BVerfG macht Politik – und alle sehen zu, GRUR-Prax 2020, 199; Schilken Die Befriedigungsverfügung, Zulässigkeit und Stellung im System des einstweiligen Rechtsschutzes, 1976; ders. Grundfragen zum Schadensersatzanspruch nach § 945 ZPO in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft, Bd. III, 2000 (zitiert: Festgabe), S. 593; Schlingloff Das elektronische Schutzschriftenregister und die Schutzschriftenregisterverordnung, WRP 2016, 301; Schlüter Die Erfüllung der Forderung als Erledigungsgrund im Arrestverfahren, ZZP 80 (1967), 447; Schmidhuber/Haberer Rücknahme und Neueinreichung des Verfügungsantrags – ein rechtsmißbräuchliches Auslaufmodell?, WRP 2013, 436; Schmidt M. Streitgegenstand und Kernbereich der konkreten Verletzungsform in lauterkeitsrechtlichen Verfügungsverfahren, GRUR-Prax 2012, 179; Schmidt-v.Rhein Die Vollziehung der auf Unterlassung gerichteten einstweiligen Verfügung, NJW 1976, 792; Schmitt-Gaedtke Der Kostenerstattungsanspruch des Hinterlegers einer Schutzschrift, WRP 2012, 60; Schmitz Inhalt und Umfang des Schadensersatzanspruchs nach § 945 ZPO, 1989; Schneider Der Anspruch auf Widerruf im Verfügungsverfahren, AfP 1984, 127; ders. Verspätungsrecht im Eilverfahren, MDR 1988, 1024 ff.; Schote/Lührig Prozessuale Besonderheiten der Einstweiligen Verfügung – Präclusion, Schriftsatzfrist und Prüfungsumfang des Berufungsgerichts, WRP 2008, 1281; Schröler Vollstreckung und Durchsetzung von Unterlassungsverfügungen im EU-Ausland, WRP 2012, 185; Schütze Zur Zustellung nach § 176 ZPO im einstweiligen Verfügungsverfahren, BB 1978, 589 ff.; ders. Einstweilige Verfügungen und Arreste im internationalen Rechtsverkehr, insbesondere mit Inanspruchnahme von Bankgarantien, WM 1980, 1438; Schumann Keine Geheimverfahren bei einstweiligen Verfügungen in Pressesachen JZ 2019, 398; Schulte-Franzheim Vom Umgang mit der Dringlichkeit des Newcomers, WRP 1999, 70; Schultz-Süchting Einstweilige Verfügungen in Patent- und Gebrauchsmustersachen, GRUR 1988, 571 ff.; A. Schulz Einstweiliger Rechtsschutz gegen Markenanmeldungen, WRP 2000, 258; ders. Schubladenverfügung und die Kosten der nachgeschobenen Anmahnung, WRP 2007, 589; ders. Die Rechte des Hinterlegers einer Schutzschrift, WRP 2009, 1472; Schwerdtner Bindungswirkungen im Arrestprozess, NJW

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Einstweiliger Rechtsschutz, Veröffentlichungsbefugnis, Streitwertminderung

1970, 597; Schwippert Nach TÜV und Branchenbuch Berg WRP 2013, 135; ders. Staatliches elektronisches Register für Schutzschriften, Markenrecht 2014, 6; ders. Fallstricke im Abschlussverfahren WRP 2020, 1237; Spätgens Anmerkungen zur so genannten Schubladenverfügung und zur Zurückweisung anwaltlicher Abmahnungen ohne Originalvollmacht, Festschrift für M. Loschelder, 2010, S. 355; Spehl Abschlussschreiben und Abschlusserklärung im Wettbewerbsverfahrensrecht, 1987; Spernath Die Schutzschrift im zivilrechtlichen Verfahren, 2009; Steigüber/Kaneko Automatischer Verfall der einstweiligen Verfügung nach ihrem Erlass?, WRP 2013, 873; Steinbeck Ist die negative Feststellungsklage Hauptsache i. S. von § 937 I ZPO?, NJW 2007, 1783; Sticken Die „neue“ materielle Prozessleitung (§ 139 ZPO) und die Unparteilichkeit des Richters, 2004; Stolz Einstweiliger Rechtsschutz und Schadensersatzpflicht, 1989; Teplitzky Erfasst die Vermutung des § 25 UWG auch den „dringenden Fall“ im Sinn des § 937 Abs. 2 ZPO?, GRUR 1978, 286; ders. Zur (fehlerhaften) Berücksichtigung der Öffentlichkeits- oder Verbraucherinteressen bei der Prüfung des Verfügungsgrundes, WRP 1978, 117; ders. Schutzschrift, Glaubhaftmachung und „besondere“ Dringlichkeit bei § 937 Abs. 2 ZPO – drei Beispiele für Diskrepanzen zwischen Theorie und Praxis, WRP 1980, 373; ders. Die „Schutzschrift“ als vorbeugendes Verteidigungsmittel gegen einstweilige Verfügungen, NJW 1980, 1667 f; ders. Arrest und einstweilige Verfügung, JuS 1980. 882; 1981, 122; 435 ff.; ders. Arrest und einstweilige Verfügung 3.Teil, JuS 1981, 435; ders. Streitfragen beim Arrest und bei der einstweiligen Verfügung, DRiZ 1982, 41; ders. Zur Bindungswirkung gerichtlicher Vorentscheidungen im Schadensersatzprozess nach § 945 ZPO, NJW 1984, 850; ders. Zur Unterbrechung und Hemmung der Verjährung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche, GRUR 1984, 307; ders. Das Verhältnis des objektiven Beseitigungsanspruchs zum Unterlassungsanspruch im Wettbewerbsrecht, WRP 1984, 365; ders. Ist die den Verfügungsanspruch verneinende summarische Entscheidung im Schadensersatzprozess nach § 945 ZPO bindend?, DRiZ 1985, 179; ders. Die Durchsetzung des Schadensersatzzahlungsanspruchs im Wettbewerbsrecht, GRUR 1987, 215; ders. Zu Meinungsdifferenzen über Urteilswirkungen im Verfahren der wettbewerblichen einstweiligen Verfügung, WRP 1987, 149; ders. Besprechung von Spehl (siehe oben) WRP 1989, 349; ders. Unterwerfung und „konkrete Verletzungsform“, WRP 1990, 26; ders. Die jüngste Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum wettbewerblichen Anspruchs- und Verfahrensrecht IV, GRUR 1992, 821, und VI, GRUR 1994, 765; ders. Unterwerfung oder Unterlassungsurteil?, WRP 1996, 171; ders. Neue Entwicklungenbeim wettbewerbs- und markenrechtlichen Auskunftsanspruchs, Festschrift für Winfried Tilmann 2003, 913; ders. Die Vollziehung der einstweiligen Verfügung auf Auskunftserteilung, Festschrift für Gerhart Kreft, 2004, S. 163; ders. Aktuelle Probleme der Abmahnung und Unterwerfung sowie des Verfahrens der einstweiligen Verfügung im Wettbewerbs und Markenrecht, WRP 2005, 654; ders. Die Regelung der Abmahnung in § 12 Abs. 1 UWG, ihre Reichweite und einige ihrer Folgen, Festschrift für E. Ullmann, 2006; ders. Gerichtliche Hinweise im einseitigen Verfahren zur Erwirkung einer einstweiligen Unterlassungsverfügung, GRUR 2008, 34ff.; ders. Zur Verwirkung des Verfügungsgrunds in Verfahren der einstweiligen Verfügung nach dem UWG und im Markenrecht, Festschrift für M. Loschelder, 2010, S. 391; ders. Zu Formen rechtsmißbräuchlichen Gläubigerverhaltens gemäß § 8 Abs. 4 UWG, 100 Jahre Wettbewerbszentrale, (2012) S. 195; ders. Rücknahme und Neueinreichung des Verfügungsantrags – Eine Erwiderung WRP 2013; ders. Gewohnheitsunrecht? Anmerkungen zum Einfluss der normativen Kraft des faktischen auf die einstweilige Unterlassungsverfügung, Festschrift für Bornkamm (2014) S. 1073; ders. Zur Problematik der Umsetzung sogenannter Verfahrensgrundrechte im Zivilprozess, Festschrift für Ahrens, 2016 S. 559; ders. Unzulässiges forum-“hopping“ nach gerichtlichen Hinweisen, WRP 2016, 917; Neuer Rechtsschutz gegen die Verletzung von Verfahrensgrundrechten beim Erlass einstweiliger Verfügungen, WRP 2017, 1163; Thesen, Eintritt und Einrede der Verjährung im Verfügungsverfahren als Erledigung der Hauptsache, WRP 1981, 304 ff.; Tilmann Das Haftungsrisiko der Verbraucherverbände, NJW 1975, 1913; ders. Der Schutz gegen Produktpiraterie nach dem Gesetz von 1990, BB 1990, 1565; Traub Eilverfahren und Verjährung nach § 21 UWG, WRP 1979, 186 ff.; ders. Wettbewerbliche Verfahrenspraxis, 2. Auflage, 1991; ders. Verlust der Eilbedürftigkeit durch prozessuales Verhalten des Antragstellers, GRUR 1996, 707; ders. Der Anwendungsbereich des § 25 UWG, WRP 2000, 1046; Treffer, Zur Vollziehungsfrist gemäß § 929 Abs. 2 ZPO, MDR 1998, 951; Ullmann Die Antragsrücknahme im Eilverfahren, BB 1975, 236; Ulrich Die Erledigung der Hauptsache im Wettbewerbsprozess, GRUR 1982, 14 ff.; ders. Die Beweislast in Verfahren des Arrestes und der einstweiligen Verfügung, GRUR 1985, 201 ff.; ders. Die „Erledigung“ der einstweiligen Verfügungsverfahren durch nachlässige Prozessführung, WRP 1990, 651; ders. Die Aufbrauchsfrist in Verfahren der einstweiligen Verfügung, GRUR 1991, 26 ff.; ders. Die Befolgung und Vollziehung einstweiliger Unterlassungsverfügungen sowie der Schadensersatzanspruch gem. § 945 ZPO, WRP 1991, 361 ff.; ders. Der Streit um den Titelfortfall – und ein Ende?, WRP 1992, 147 ff.; ders. Die unterbliebene Vollziehung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsverfügungen und ihre Folgen, WRP 1996, 84; ders. Die Geltendmachung von Ansprüchen auf Erteilung einer Auskunft im Verfahren der einstweiligen Verfügung, WRP 1997, 135; ders. Ersatz des durch die Vollziehung entstandenen Schadens gemäß § 945 ZPO auch ohne Vollziehung, WRP 1999, 82; Vinck Sachgerechtes Verhalten des Antragsgegners im wettbewerblichen Verfügungsverfahren, WRP 1975, 80 ff.; Völp Änderung der Rechts- oder Sachlage bei Unterlassungstiteln, GRUR 1984, 486 ff.; Vogg Einstweiliger Rechtsschutz und vorläufige Vollstreckbarkeit, 1991; Vogt Anmahnung – Eilbedürfnis – Wiederholungsgefahr, NJW 1980, 1499 ff.; Vohwinkel Neuer Vollziehungsbegriff für § 945 ZPO – Auswirkungen auf § 929 ZPO?, GRUR 2010, 977; Vollkommer Erstattung der Kosten des Verfügungsverfahrens nach Klageabweisung in der

Schwippert

840

Übersicht

§ 12

Hauptsache, WM 1994, 51; Vykydal siehe Koch/Vykydal; Weber Die Vollziehung einstweiliger Verfügungen auf Unterlassung, DB 1981, 877 ff.; ders. Gegenverfügungen im Eilverfahren, WRP 1985, 527 ff.; ders. Die Verdrängung des Hauptsacheverfahrens durch den einstweiligen Rechtsschutz in Deutschland und Frankreich, 1993; Wedemeyer Vermeidbare Klippen des Wettbewerbsrechts, NJW 1979, 293 ff.; Wehlau Die Schutzschrift, 2011; Wehlau/Kalbfus Die Versicherung an Eides Statt als Mittel der Glaubhaftmachung, Mitt. 2011, 165; dies. Die Schutzschrift – Funktion, Gestaltung und prozesstaktische Erwägungen, WRP 2012, 395 ff.; Weisert Rechtsprobleme der Schubladenverfügung, WRP 2007, 504; Wenzel Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, GRUR 1959, 414 ff.; Wilke Verbraucherverbände und Dringlichkeit, WRP 1972, 245 ff.; ders. Abmahnung und Schutzschrift im gewerblichen Rechtsschutz, 1991; Wüstenberg Zur Vollziehung aus Unterlassungsverfügungsurteilen, WRP 2010, 1237; Zindel/Vorländer Vom Ende der Schubladenverfügung, WRP 2017, 276.

Übersicht A.

Einstweilige Verfügung, Abschlusserklärung 1 und Abschlussschreiben

I.

Einleitung

II. 1. 2.

3 Zuständigkeit 3 Antrag ohne vorherige Klage 6 Antrag nach Klageeinreichung 6 a) Klage im Inland 7 b) Klage im Ausland Antrag nach Einreichung, vor Erhebung der 8 Klage 9 Antrag bei Klage in höherer Instanz Antrag nach abgeschlossenem und bei ausge11 setztem Klageverfahren Antrag nach negativer Feststellungs12 klage Durch Rechtsmissbrauch erschlichene Zustän15 digkeit Rechtshängigkeit eines weiteren identischen An16 trags 17 Eilzuständigkeit des Amtsgerichts

3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

1

7.

18 Inadäquater Verfügungsanspruch 18 Klärung der Begriffe 19 Auskunft 20 a) Immaterialgüterrecht b) Ergänzender wettbewerbsrechtlicher Leis21 tungsschutz 22 c) Drohende Existenzvernichtung 23 Willenserklärung 24 Widerruf 25 Veröffentlichungsanspruch 26 Allgemeiner Beseitigungsanspruch a) Beseitigungspflichten aus Unterlassungste26 nor b) Beschreibung der Beseitigungspflicht im 27 Unterlassungstenor 29 Feststellungsantrag

IV.

Verfügungsgrund

III. 1. 2.

3. 4. 5. 6.

1. 2. 3.

4.

5.

6.

7.

841

30

30 Terminologie 31 Prozessvoraussetzung Vermutung des § 12 Abs. 1 für Unterlassungsan32 sprüche 32 a) Historischer Hintergrund 33 b) Verteilung der Darlegungslast 36 c) Selbstwiderlegung 37 d) Interessenabwägung e) Analoge Anwendung auf andere UWG-An39 sprüche? 40 aa) Beseitigungsansprüche 41 bb) Auskunftsansprüche f) Analoge Anwendung auf Ansprüche außer42 halb des UWG? aa) Entsprechung in § 5 Unterlassungskla43 gegesetz 44 bb) Vertragliche Ansprüche 45 cc) Urheberrecht dd) Markenrecht und Geschäftsgeheimnis46 gesetz 50 Fortfall wegen Zeitverlust 51 a) Grundproblem 52 b) Regelfristen 53 aa) Elastische Fristen 54 bb) Starre Fristen 55 cc) Bemessung der Frist 62 dd) Überschreiten der Regelfrist 63 ee) Kein Verbandsprivileg Fristbeginn schon bei grob fahrlässiger Unkennt64 nis? 65 a) Marktbeobachtungspflicht 66 b) Indiztatsachen für Kenntnis c) Entsprechende Anwendung des § 11 Abs. 2 68 UWG? Wessen Kenntnis oder grob fahrlässige Unkennt70 nis entscheidet? a) Kenntnisstand des verantwortlichen Mitar71 beiters 73 b) Kenntnisse Dritter 75 Worauf bezieht sich die Kenntnis? 76 a) Kenntnis der relevanten Umstände

Schwippert

§ 12

Einstweiliger Rechtsschutz, Veröffentlichungsbefugnis, Streitwertminderung

b)

8.

9. 10. 11.

12. 13. 14.

15.

16.

17. V. 1.

Kenntnis von der ersten Verletzungshand77 lung 78 Fristbeginn und Erstbegehungsgefahr a) Dringlichkeitsfrist bei Erstbegehungsge79 fahr b) Verletzungshandlung folgt auf Erstbege80 hungsgefahr 81 Fristbeginn bei einem Marktneuling Geduldete Verletzungshandlung eines Drit83 ten 87 Zeitlich gebundene Verstöße 87 a) Zeitablauf während des Verfahrens b) Zeitferne Möglichkeit einer neuen Verlet89 zungshandlung Verfügungsantrag zeitlich nach Hauptsache90 klage 91 Aufbrauchfrist 92 Dringlichkeitsverlust im Verfahren 93 a) Grundproblematik 94 b) Risikoreiche Prozesshandlungen 95 c) Stellungnahme 97 d) Säumnis im Termin 98 e) Antrag auf Schriftsatznachlass f) Ausschöpfung der Vollziehungsfrist bei 99 Schubladenverfügung g) Ausnutzung der Berufungs- und Berufungs102 begründungsfrist h) Verlängerung der Berufungsbegründungs103 frist i) Anschlussberufung des Gläubi105 gers 106 j) Hilfsantrag k) Getrennte Angriffe gegen verschiedene Aussagen in einer konkreten Verletzungshand108 lung 110 Forum Shopping 110 a) Problemlage 112 b) Bewertung Verfügungsgrund bei neuer Verletzungshand114 lung nach rechtskräftigem Titel 114 a) Problemlage 115 b) Der Stand der Rechtsprechung 116 c) Stellungnahme 117 Kein Kriterium: Eignung des Verfahrens 118 Das Gerichtsverfahren Verfahren ohne mündliche Verhand118 lung a) Rechtshängigkeit mit Antragsein118 gang b) Alleinentscheidung des Vorsitzen119 den c) Voraussetzungen der Beschlussverfü122 gung d) Schriftliche Stellungnahme des Schuld128 ners

Schwippert

e)

2.

Ankündigung, nicht ohne mündliche Ver130 handlung zu entscheiden 130 aa) Forensische Praxis 131 bb) Rechtmäßigkeit 132 cc) Zuleitung an Antragsgegner? 134 f) Dokumentation von Hinweisen 135 g) Schutzschrift 135 aa) Überblick 139 bb) Verfahrensgang 144 h) Glaubhaftmachung 151 i) Förmlichkeiten des Antrags 154 j) Abweisender Beschluss 155 k) Stattgebender Beschluss 158 l) § 938 Abs. 1 ZPO m) Formblatt bei Tenorierung mit Vervollstän160 digung durch die Geschäftsstelle 161 n) Zustellung des Beschlusses 162 o) Rechtsmittelverfahren 162 aa) Grundsätze 164 bb) Abhilfeverfahren cc) Anwaltszwang für Be165 schwerde? dd) Beschwerde mit Erledigungserklä166 rung 168 Widerspruchsverfahren 169 a) Zuständiges Gericht 170 b) Anwaltszwang 171 c) Fristenfreiheit 172 d) Widerspruch vor Zustellung 173 e) Widerspruchsbegründung 174 f) Terminbestimmung 175 g) Verfahrensgrundsätze 176 h) Kostenwiderspruch 181 i) Anfechtbarkeit der Terminierung 182 j) Richterliche Verfahrensleitung 185 k) Ruhen des Verfahrens 186 aa) Vorlage an den EuGH 187 bb) Vorlage an das BVerfG 190 l) Verweisung 191 m) Glaubhaftmachung 191 aa) Grundsätze bb) Verteilung der Darlegungs192 last cc) Mittel der Glaubhaftma193 chung 194 dd) Wahrscheinlichkeitsgrad ee) Gegenstand der Glaubhaftma196 chung 198 n) Antragsrücknahme 198 aa) Grundsätze bb) Anwendung des § 269 Abs. 3 S. 3 201 ZPO? cc) Unterrichtung des Antragsgeg203 ners? 204 o) Erledigungserklärung 205 aa) Zeitliche Differenzierung

842

Übersicht

p) q) r) s)

t)

VI. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16.

bb) Bezug zum Hauptsacheverfah207 ren cc) Erledigung vor Antragseinrei208 chung 209 dd) Erledigendes Ereignis 211 Anerkenntnis 213 Vergleich 216 Gegenverfügung 217 Urteil 217 aa) Probleme der Tenorierung 220 bb) Aufbrauchfrist 222 Berufungsverfahren aa) Anwendung von Verspätungsvor223 schriften 228 bb) Antragserweiterung 229 cc) Probleme der Tenorierung

Anordnung der Klageerhebung (§ 926 230 ZPO) Verteidigungsmöglichkeiten außerhalb des Ver230 fahrens Formalien des Antrags und Zuständig231 keit Antrag vor Beginn des Verfügungsverfah232 rens 234 Anhörung des Gläubigers Vorheriger Abschluss des Hauptsacheverfah235 rens Antrag nach Aufhebung der Beschlussverfü236 gung 237 Rechtsschutzinteresse 238 a) Historische Entwicklung 239 b) Fallgruppen aa) Erledigungserklärung und Ver239 zicht bb) Zweifelsfreier Fortfall des An240 spruchs 241 cc) Verjährung 242 c) Stellungnahme Entscheidung über den Antrag und Rechtsbe245 helfe 246 Bemessung der Klagefrist 248 Klage nach Aufhebung der Verfügung 249 Gerichtsstand für Hauptsacheklage Identität von Klageantrag und Verfügungsan250 trag Glaubhaftmachung rechtzeitiger Klageerhe251 bung 252 Zulässigkeit des Aufhebungsantrags 255 Begründetheit des Aufhebungsantrags 256 Rechtsfolgen der Aufhebung

257 VII. Der Aufhebungsantrag (§ 927 ZPO) 1. Verfahrensgrundsätze und Rechtsbehelfsmög257 lichkeiten 259 2. Zuständigkeit

843

3. 4.

5. 6. 7. 8.

VIII. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

IX. 1. 2. 3.

§ 12

260 Rechtsschutzinteresse 263 Begründetheit des Antrags a) Rechtskräftige Beendigung des Hauptsa264 cheverfahrens b) Klageverfahren mit stattgebendem, nicht 265 rechtskräftigen Instanzurteil c) Nicht rechtskräftige Klageabwei266 sung d) Markenverletzungsverfahren und nachträg268 liche Markenlöschung 269 e) Ablauf der Vollziehungsfrist f) Ablauf der nach § 926 Abs. 1 gesetzten 270 Frist g) Erlöschen des Verfügungsan271 spruchs 273 h) Erhebung der Verjährungseinrede i) Änderung der Gesetzeslage oder der höchstrichterlichen Rechtspre274 chung j) Neue Tatsachen, neue Mittel der Glaubhaft277 machung Aufrechterhaltung der Eilentscheidung mit ande278 rer Begründung 283 Wirkung der Aufhebungsentscheidung 286 Kostenentscheidung Vollstreckbarkeit des Aufhebungsur288 teils 289 Das Abschlussschreiben 289 Grund des Abschlussschreibens 291 Notwendiger Inhalt 292 Eventuelle Begründungspflicht Form und Zeitpunkt des Abschlussschrei293 bens 295 Bemessung der Frist zur Beantwortung Formulierungsvorschlag für die Abschlusserklä296 rung Notwendigkeit des Abschlussschreibens zur Ver298 meidung des § 93 ZPO Erfordernis eines zweiten Abschlussschrei301 bens Darlegungs- und Beweislast für Zugang des Ab303 schlussschreibens 305 Kosten des Abschlussschreibens 305 a) Grundlagen 306 b) Anspruch aus GoA c) Teilweise unberechtigtes Abschlussschrei309 ben 310 d) Notwendigkeit anwaltlicher Hilfe 311 Die Abschlusserklärung 311 Anlass für eine Abschlusserklärung Wahl zwischen Abschluss- und Unterwerfungs312 erklärung 313 Inhalt der Abschlusserklärung

Schwippert

§ 12

Einstweiliger Rechtsschutz, Veröffentlichungsbefugnis, Streitwertminderung

a)

4.

5. 6. 7. 8. 9. 10.

X. 1. 2. 3. 4.

5. 6.

7.

Verzicht auf die Rechte aus §§ 924, 926, 313 927 ZPO 316 b) Identität des Anspruchs 317 Grenzen der Abschlusserklärung 317 a) Nicht tenorierter Hilfsantrag b) Dem Eilverfahren nicht zugängliche An318 sprüche 319 Bedingte Erklärungen 320 Erklärung ohne Kostenübernahme 321 Schriftform? 322 Beweislast für Zugang Erfordernis der Annahme der Erklä323 rung? Rechtsfolgen der ordnungsgemäßen Erklä324 rung Die Vollziehung der einstweiligen Verfü327 gung 327 Grundgedanke 328 Notwendigkeit 329 Wiederholte Vollziehung 331 Sicherheitsleistung 331 a) Meinungsstand 332 b) Stellungnahme 333 Entbehrlichkeit der Vollziehung 334 Erste Vollziehungsmaßnahme a) Parteizustellung beim Unterlassungsan335 spruch b) Zustellung des Antrags auf Verhängung ei335 nes Ordnungsgeldes c) Zustellung durch andere formalisierte Maß336 nahmen? d) Zustellung einer beglaubigten Ab337 schrift 339 e) Vollziehung vor Zustellung f) Parteizustellung nicht nur bei Unterlas340 sungsverfügungen aa) Zuwiderhandlung als Vollstreckungs340 voraussetzung bb) Parteizustellung bei Anordnung rea341 ler Maßnahmen? cc) Parteizustellung bei Auskunftsertei342 lung? 344 Vollziehungsfrist 345 a) Keine Dispositionsbefugnis b) Schuldlose Fristversäumung: keine Wieder345 einsetzung 347 c) Fristbeginn 348 d) Heilung von Mängeln aa) Anwendbarkeit des § 189 348 ZPO bb) Zustellungswille des zuständigen Or349 gans cc) Heilung bei Unvollständigkeiten im 350 Dokument? 351 e) Fristwahrung über § 167 ZPO

Schwippert

353 Auslandszustellung 353 aa) Grundlagen 354 bb) Einschreiben mit Rückschein cc) Titel mit Strafandrohung bei Zustel355 lung außerhalb der EU dd) Titel mit Strafandrohung bei EU-Zu356 stellung g) Einstellung der Zwangsvollstre357 ckung 358 Formalien der Zustellung 358 a) Zustellungsadressat 362 b) Art und Weise der Zustellung aa) Zustellung von Anwalt zu An362 walt bb) Zustellung durch den Gerichtsvollzie363 her c) Übereinstimmung von Originaltitel und zu364 gestelltem Dokument 367 Folgen der Fristversäumung 367 a) Unwirksamkeit der Vollziehung 368 b) Neuer Eilantrag? f)

8.

9.

XI. 1. 2.

369 Schadensersatz nach § 945 ZPO Grundgedanke und Rechtsnatur der Haf369 tung 371 Haftungsvoraussetzungen 371 a) Erlass einer Verfügung b) (1. Alternative): Fehlende Rechtfertigung 373 von Anfang an 373 aa) Grundlagen 374 bb) Unbegründeter Antrag 377 cc) Unzulässiger Antrag c) Bindung des Schadensersatzrichters an 378 Vorentscheidungen aa) Rechtskräftige Entscheidungen im 379 Hauptsacheverfahren bb) Rechtskräftige Entscheidungen im Eil381 verfahren 383 cc) Divergierende Anträge d) (2. und 3. Alternative) Frist zur Klageerhe384 bung versäumt 384 aa) Grundlagen bb) Titelverzicht im Aufhebungsverfah385 ren 386 cc) Normativer Schadensbegriff dd) Versäumung der Vollziehungs387 frist 388 e) Vollziehungsschaden aa) Vollziehungsbegriff in §§ 929 Abs. 2, 388 945 ZPO bb) Schadenskausalität der Vollzie390 hung 394 cc) Schadenshöhe 395 f) Mitverschulden 400 g) Aufrechnung 401 h) Verjährung des Ersatzanspruchs

844

Übersicht

3. 4.

Darlegungs- und Beweislast 405 Konkurrenzfragen

404

XII. Die Zwangsvollstreckung aus der einstweiligen 407 Verfügung 407 1. Grundlagen der Vollstreckung 408 a) Wirksamkeit des Verbots b) Androhung eines Ordnungsmit410 tels 411 c) Vollstreckbarer Titel 2. Vollstreckung gegen ausländische Perso412 nen 412 a) Vollstreckung im Inland b) Ausländische Anerkennung eines ohne Anhörung des Antragsgegners ergangenen 413 Verfügungsbeschlusses 415 c) Ordnungsgeldverfahren im Inland d) Anerkennungsverfahren für Vollstreckung gegen ausländische Person im In416 land XIII. Die Rechtskraft der einstweiligen Verfü418 gung 1. Abgrenzung zur Rechtskraft des Hauptsachever418 fahrens 2. Neues Verfügungsverfahren bei neuen Tatsa420 chen und Glaubhaftmachungsmitteln 3. Neues Verfügungsverfahren nach Versäumung 423 der Vollziehungsfrist 4. Neues Verfügungsverfahren bei neuer Verlet424 zungshandlung 1

B.

Urteilsveröffentlichung (§ 12 Abs. 2)

I. 1. 2. 3.

1 Einleitung 2 Normentwicklung 3 Dogmatische Einordnung 7 Verwandte Ansprüche a) Negatorischer Veröffentlichungsan7 spruch 9 b) Schadensersatz 10 c) Widerruf 11 d) Gegendarstellung e) Weitere gesetzliche Regelungen der Urteils12 veröffentlichung

II. 1. 2. 3. 4. 5.

15 Tatbestandsvoraussetzungen 15 Unterlassungsklage nach dem UWG 19 Gegenstand der Veröffentlichung 20 Obsiegende Partei 21 Berechtigtes Interesse 27 Ermessensentscheidung

III. 1. 2.

Art und Umfang der Bekanntmachung 29 Veröffentlichungsgegenstand 32 Modalitäten der Veröffentlichung

845

28

§ 12

35

3.

Antragsfassung

IV.

Veröffentlichungsfrist

V. 1. 2.

Kosten und Vollstreckung 37 Kosten 38 Vollstreckung

C.

Streitwert und Streitwertbegünstigung, § 12 1 Abs. 3 u. 4

I. 1.

1 Der volle Streitwert 1 Allgemeines 1 a) Arten des Streitwerts b) Grundlagen der Streitwertbemes4 sung 4 aa) Grundzüge der Schätzung 7 bb) Maßgeblicher Zeitpunkt 8 cc) Parteiangaben dd) Streitwert des Rechtsmittelverfah10 rens ee) Verfahren der Streitwertfestset11 zung 11 (1) Festsetzungsverfahren 15 (2) Beschwerdeverfahren Streitwerte bei den einzelnen Klage- und Verfah19 rensarten 19 a) Unterlassungsklage 19 aa) Klage des Mitbewerbers (1) Kriterien zur Bemessung des wirtschaftlichen Klägerinteres19 ses (2) Berücksichtigung parteiübergrei23 fender Interessen (3) Mehrheit von Klägern oder Be25 klagten (4) Erledigung des Rechts27 streits 30 bb) Verbandsklage (1) Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen (§ 8 Abs. 3 30 Nr. 2) (2) Qualifizierte Einrichtungen (§ 8 33 Abs. 3 Nr. 3) (3) Kammern (§ 8 Abs. 3 35 Nr. 4) 36 b) Beseitigungsklage 37 c) Urteilsveröffentlichung 38 d) Schadensersatzfeststellung 42 e) Auskunft und Rechnungslegung 44 f) Klagehäufung 50 g) Bezifferte Klagen 51 h) Negative Feststellungsklage 52 i) Verfügungsverfahren 56 j) Vollstreckungsverfahren

2.

36 37

Schwippert

§ 12 A

II. 1.

Einstweiliger Rechtsschutz, Veröffentlichungsbefugnis, Streitwertminderung

Streitwertbegünstigung 59 59 Einführung 59 a) Entstehungsgeschichte b) Inhalt und Zweck der Regelung 67 c) Anwendungsbereich

2.

64

3. 4. 5.

Erhebliche Gefährdung der wirtschaftlichen 70 Lage 74 Anpassung des Streitwerts 76 Verfahren 78 Rechtsfolgen

A. Einstweilige Verfügung, Abschlusserklärung und Abschlussschreiben I. Einleitung 1 Es ist guter Standard, bei den Kommentierungen der einstweiligen Verfügung im Wettbewerbsrecht zu betonen, dass diese Verfahren in der Regel zu einer abschließenden Klärung der Streitigkeit führen. Unterwerfung oder Abschlusserklärung machen das anschließende Klageverfahren in vielen Fällen entbehrlich.1 Dementsprechend war bis zur jetzigen gegenteiligen Regelung in § 51 Abs. 4 GKG die Auffassung verbreitet, der Streitwert des einstweiligen Verfügungsverfahrens entspreche meist dem Gegenstandswert des Klageverfahrens.2 Kehl hat 2010 für das LG Köln das Verhältnis der Verfügungsverfahren zu den Klageverfahren auf zwei Drittel geschätzt.3 Die praktische Bedeutung des Instituts findet im Umfang seiner gesetzlichen Regelung keine Entsprechung. Europarechtliche Vorgaben gibt es für den Bereich des in diesem Werk zu besprechenden Lauterkeitsrechts4 praktisch nicht. Art. 11 der RL über unlautere Geschäftspraktiken verlangt lediglich ein beschleunigtes Verfahren mit vorläufiger oder endgültiger Wirkung. Das UWG beschränkt sich in § 12 Abs. 2 auf die lakonische Aussage, dass einstweilige Verfügungen zur Sicherung der in dem Gesetz bezeichneten Unterlassungsansprüche auch ohne die Darlegung und Glaubhaftmachung der in den §§ 935, 940 ZPO bezeichneten Voraussetzungen erlassen werden können. Immerhin kann aus diesem Hauch einer Regelung die letzte Gewissheit gewonnen werden, dass die aus dem UWG resultierenden Unterlassungsansprüche überhaupt im Rahmen des Verfügungsverfahrens geltend gemacht werden können, nachdem die Sicherungsverfügung des § 935 ZPO und die Regelungsverfügung des § 940 ZPO nicht maßgeschneidert auf die wettbewerbsrechtliche Unterlassungsverfügung passen.5 Ohnehin ist auch die ZPO-Regelung rudimentär und unglücklich aufgebaut, indem sie nur Huckepack – Bestimmungen als Annex zum Arrestverfahren enthält. Zudem sind beide Eilverfahren unter dem Buch „Zwangsvollstreckung“ eingeordnet, obgleich es darum geht, einen Titel erst zu erstreiten, und wir uns daher nicht im Vollstreckungs-, sondern im Erkenntnisverfahren befinden. Die Kombination des sparsamen Regelungswerkes und der großen praktischen Bedeutung bedingt erhebliche Anforderungen an die beteiligten Anwälte und Richter. Streitfragen gibt es zuhauf; das Fehlen einer Revisionsinstanz (§ 542 Abs. 2 ZPO) begünstigt eine föderalistische Vielfalt sowohl der Terminologie als auch der Problemlösung. Welche brisanten Interessenkonflikte es zu bewältigen gibt, zeigt das Gesetz selbst auf. Es ermöglicht einerseits – eine Todsünde des Erkenntnisverfahrens – einen vollstreckbaren Titel ohne Anhörung des Schuldners (vgl. §§ 921, 922 ZPO). Es setzt andererseits den siegreichen Verfügungsgläubiger einer kein Verschulden verlangenden Risikohaftung aus (§ 945 ZPO), so wie wenn er ein gefährliches Produkt auf den Markt gebracht hätte. Darin offenbart sich das Spannungsverhältnis, das über dem Eilverfahren liegt, weil es nach einem plastischen Wort Leipolds6 Rechtsschutz ohne vollwertigen Prozess gewährt. 1 2 3 4

Vgl. Ahrens/Jestaedt Kap. 43 Rn. 3; Teplitzky/Feddersen Kap. 53 Rn. 1 f. Vgl. Spätgens UWG-Hdb. 4. Aufl. § 97 Rn. 61 f. mit Nachweisen in Fn. 143; OLG Köln 6.5.2013 – 6 W 72/13. Kehl FS Loschelder S. 139 Fn 1. Für das Recht des Geistigen Eigentums deutet sich eine andere Entwicklung an, Ahrens WRP 2020, 387 im Hinblick auf § 945 ZPO. 5 Teplitzky/Feddersen Kap. 53 Rn. 6. 6 Leipold ZZP 90 (1977), 258, 260. Schwippert

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In der Vorauflage ist an dieser Stelle betont worden, dass die Bearbeitung in zahlreichen 2 Einzelheiten von der Kommentierung Schultz-Süchtings in der Erstauflage abweiche. Das liege nicht allein an der Verschiedenheit der Verfasser, sondern sei in erheblichem Ausmaß dem Zeitgeist geschuldet. In der Erstauflage seien an vielen Stellen im Einklang mit der damals überwiegenden Meinung gute Argumente zusammengetragen worden, die eine Sachbehandlung aus Sicht des Verfügungsgläubigers plausibel machten. Inzwischen sei – nicht zuletzt aufgrund zahlreicher Arbeiten Teplitzkys – die Sensibilität für die nicht zu missachtenden Belange des Schuldners deutlich gewachsen. Auf eine ausgewogene Verfahrensbalance werde heute allenthalben mehr geachtet als vor 20 Jahren. Diese Tendenz wird sich aufgrund der Entscheidungen des BVerfGs vom 30.9.2018 weiter verstärken, in denen die Beachtung des Gebots des rechtlichen Gehörs und der Waffengleichheit zwischen den in einem Eilverfahren streitenden Parteien dringend eingefordert worden ist.7 Sie betreffen presserechtliche Verfahren; die dort festgestellten Missstände fachgerichtlicher Verfahrenspraxis haben indessen einen Wiedererkennungswert, indem sie an gelegentliche ähnliche Mechanismen in Wettbewerbsprozessen erinnern. Die Bedeutung dieser Entscheidungen für die wettbewerbsrechtlichen Eilverfahren wird denn auch von niemandem unterschätzt.8 Es überrascht daher nicht, dass das BVerfG seine dort entwickelten Grundsätze jetzt auf lauterkeitsrechtliche Verfahren ausdrücklich übertragen hat.9

II. Zuständigkeit Für den Erlass einstweiliger Verfügungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig (§ 937 ZPO). Diese Vorschrift hat eine unterschiedliche Bedeutung, je nachdem, ob die Hauptsacheklage bereits erhoben ist oder noch nicht.

1. Antrag ohne vorherige Klage Im Regelfall ist eine Hauptsacheklage noch nicht eingereicht, wenn der Antrag auf Erlass einer 3 einstweiligen Verfügung gestellt wird. Dann gilt für die Gerichtszuständigkeit all das, was auch bei der Erhebung einer Hauptsacheklage zu beachten wäre. Insofern sind alle Ausführungen in diesem Kommentar10 zur örtlichen und sachlichen Zuständigkeit der bei Klagen angerufenen Gerichte unverändert auf das Eilverfahren übertragbar. Von einer danach bestehenden Wahlfreiheit11 kann somit auch der Antragsteller im Verfügungsverfahren Gebrauch machen.12 Erwähnung verdienen nur zwei Gesichtspunkte: Eine nachträgliche Hauptsacheklage berührt nicht die einmal begründete Zuständigkeit des 4 angerufenen Gerichtes.13 Der Antragsteller hätte es sonst in der Hand, bei ungünstigem Verlauf des Verfügungsverfahrens die Hauptsacheklage bei einem anderen Gericht zu erheben und – weil das Verfügungsgericht jetzt unzuständig geworden wäre – die Verweisung des Eilverfah-

7 BVerfG 30.9.2018 –1 BvR 1783/17 – GRUR 2018, 1288, 1291 – Die F.-Tonbänder. 8 Teplitzky WRP 2016, 1181; Teplitzky WRP 2017, 1163; Löffel WRP 2019, 8; Büscher GRUR 2019, 217, 234; Bornkamm WRP 2019, 1242; Mantz NJW 2019, 953; Spätgens/Danckwerts UWG Hdb § 97 Rn. 23; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 332. 9 BVerfG 27.7.2020 – 1 BvR 1379/20 – WRP 2020, 1179 Tz. 6. 10 Lerach §§ 13, 14. 11 Zu deren möglicher Abschaffung vgl. Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 85 Rn. 29. 12 FBO/Büscher § 12 Rn. 109; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.4; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 8 i. V. m. Teplitzky/Schaub Kap. 45 Rn. 13: allg.M. 13 OLG Karlsruhe 14.4.2010 – 6 U 5/10 – WRP 2010, 793 – Örtliche Zuständigkeit; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 7; Stein/Jonas/Grunsky § 919 ZPO Rn. 10: allg. M. 847

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rens an das Hauptsachegericht zu beantragen. Der Gedanke des § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO ist daher sinngemäß anwendbar. 5 Zum Zweiten ist anzumerken, dass § 937 Abs. 1 ZPO nur besagt, dass die Zuständigkeit im Eilverfahren der Zuständigkeit im Hauptsacheverfahren folgt. Umgekehrt gilt das nicht. Die in einem Eilverfahren begründete Zuständigkeit hat auf die gesetzliche Zuständigkeitsregelung für das Hauptsacheverfahren keinen Einfluss.14

2. Antrag nach Klageeinreichung 6 a) Klage im Inland. Liegt bei Einreichung des Verfügungsantrags bereits eine Klage zur Hauptsache vor, so versteht sich die Vorschrift des § 937 Abs. 1 ZPO dahin, dass dem Antragsteller eine nach den allgemeinen Zuständigkeitsbestimmungen an sich gegebene Möglichkeit, zwischen mehreren Standorten eine Auswahl zu treffen, genommen ist. Er muss den Verfügungsantrag dort einreichen, wo er auch sein Hauptsachebegehren verfolgt wissen will. Dabei ist folgendes im Auge zu behalten:

7 b) Klage im Ausland. Vorgreiflich ist allein eine im Inland15 eingereichte Klage. Das ist freilich dem Wortlaut des § 937 Abs. 1 ZPO nicht zu entnehmen. Dem deutschen Gesetzgeber fehlt indessen schlicht die Kompetenz, einem im Ausland befindlichen Gericht einen – noch dazu ausschließlichen – Gerichtsstand zuzuweisen. Das Ergebnis, wonach eine im Ausland erhobene Hauptsacheklage die innerstaatlich gegebenen Zuständigkeiten für ein korrespondierendes Eilverfahren nicht berührt, befindet sich im Einklang mit Art. 35 EuGVVO, wonach die im Recht eines Mitgliedstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen bei den Gerichten dieses Staates auch dann beantragt werden können, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Mitgliedstaates zuständig ist.

3. Antrag nach Einreichung, vor Erhebung der Klage 8 Nach allgemeiner Ansicht kommt es zur Vorgreiflichkeit des Gerichtsstandes der Hauptsache nicht erst mit der Erhebung der Klage, also dem Zeitpunkt der Zustellung der Klageschrift an den Beklagten, sondern bereits mit dem Zeitpunkt der Anhängigkeit der Klage, also der Einreichung der Klageschrift bei Gericht.16 Selbstverständlich ist das nicht. Hat ein Kläger nach der gesetzlichen Ausgangslage die Wahl zwischen mehreren ihm angebotenen Gerichtsorten,17 so ist das Wahlrecht nach § 35 ZPO erst verbraucht, wenn die Klage bei dem angerufenen Gericht rechtshängig geworden ist. Bis zu diesem Zeitpunkt hat der Kläger die Möglichkeit, ein anderes Gericht aus der Palette der Wahlzuständigkeiten anzurufen und die zuvor woanders eingereichte Klage zurückzunehmen. Auch ist eine Klage unzulässig nur bei anderweitiger Rechtshängigkeit, nicht bei anderweitiger Anhängigkeit. Soweit sich Begründungen finden, warum demgegenüber in § 937 Abs. 1 ZPO auf die Anhängigkeit der Klage abzustellen sein soll, sind sie von nur verhaltener Durchschlagskraft. Ein Fingerzeig mag sich daraus ergeben, dass nach § 943 ZPO als Gericht der Hauptsache das Berufungsgericht anzusehen ist, wenn die Hauptsache in der Berufungsinstanz anhängig ist oder 14 Ahrens Kap. 48 Rn. 12; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 357; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 8; Büscher/Schmidt § 12 Rn. 320; Stein/Jonas/Grunsky § 937 ZPO Rn. 1. 15 Stein/Jonas/Grunsky § 919 ZPO Rn. 9; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 359; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 7. 16 Stein/Jonas/Grunsky § 937 ZPO Rn. 3; Zöller/Vollkommer § 937 ZPO Rn. 3; Wieczorek/Schütze/Thümmel § 937 ZPO Rn. 4; FBO/Büscher § 12 Rn. 106. 17 ⇢ Lerach § 14 Rn. 84–86. Schwippert

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anhängig gewesen ist.18 Indessen spielt in den Rechtsmittelinstanzen der Unterschied zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit keine Rolle. Das eingereichte Rechtsmittel ist dem Rechtsmittelgegner zuzustellen und es beginnen alsdann Fristen mit prozessualen Obliegenheiten zu laufen; damit hat es aber sein Bewenden. Schultz-Süchting hat die Auffassung, es komme nur auf die Anhängigkeit der Hauptsacheklage an, mit der Erwägung begründet, dass auch eine zugleich mit dem Verfügungsantrag erhobene Hauptsacheklage zuständigkeitsbegründend sei, sie zum Zeitpunkt des Eingangs des Antrags bei Gericht aber noch nicht zugestellt sein könne.19 Dieses Argument erschöpft sich in einem Zirkelschluss. Die Zuständigkeitsbegründung der zeitgleich erhobenen Hauptsacheklage, die es zu Grunde legt, entfällt, wenn die Anhängigkeit der Hauptsacheklage nicht genügt, sondern die Rechtshängigkeit erforderlich ist. Der damit nicht zwingend begründeten und wohl auch nicht zwingend begründbaren allgemeinen Auffassung sollte dennoch gefolgt werden. § 937 Abs. 1 ZPO beruht auf der prozessökonomischen Erwägung, neben dem Hauptsacheverfahren mit den dort zu gewinnenden Erkenntnissen nicht hinterher ein anderes Gericht in ein weiteres Verfahren zu schicken, in welchem summarische Einsichten genügen. Ferner hat der Gläubiger von der ihm eingeräumten Option, zwischen mehreren Gerichtsständen den ihm angenehmsten auszusuchen, mit der Wahl des Klagestandortes bereits Gebrauch gemacht; diese Wahl soll auch für das Eilverfahren verbindlich sein. Diese Überlegungen sind nicht erst mit der Rechtshängigkeit der Klage legitim.

4. Antrag bei Klage in höherer Instanz Wie sich aus § 943 Abs. 1 ZPO unmittelbar ergibt, ist das erstinstanzliche Gericht für das Eilverfah- 9 ren zuständig, wenn die Hauptsache noch in der ersten Instanz schwebt. Aus der Vorschrift folgt darüber hinaus, dass das Berufungsgericht für den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zuständig ist, wenn sich das Hauptsacheverfahren in der zweiten Instanz befindet.20 Dies hat zur Folge, dass das Verfügungsverfahren in dieser Instanz seinen Anfang nimmt und sein Ende findet (§ 542 Abs. 2 S. 1 ZPO). Das ist im Eilverfahren nichts Ungewöhnliches. Wird der Verfügungsantrag vom erstinstanzlichen Gericht ohne Zustellung der Antragsschrift und Anhörung des Gegners zurückgewiesen, so beginnt auf die Beschwerde – sofern auch sie nicht kurzerhand zurückgewiesen wird – das kontradiktorische Verfahren ebenfalls erst in der zweiten Instanz. § 943 ZPO enthält keine Regelung für den Fall, dass sich das Hauptsacheverfahren beim 10 BGH befindet. Eine Zuständigkeit des BGH für das Verfügungsverfahren scheidet nach dem Sinngehalt des § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO aus. Das Revisionsgericht wäre sonst gehalten, sich mit der Tatsachenermittlung zu befassen. Bei dieser Konstellation ist vielmehr wieder das Gericht der ersten Hauptsacheinstanz dazu berufen, über den Verfügungsantrag zu entscheiden.21 Gegen die Erörterung dieser Frage scheint sich der Einwand aufzudrängen, es handele sich um ein Glasperlenspiel erfindungsreicher Kommentatoren. Es sei doch schlechterdings unvorstellbar, die Dringlichkeit eines Eilverfahrens noch zu bejahen, nachdem sich das Hauptverfahren bereits in der höchsten Instanz befinde. Indessen können neue Verstöße, welche der Antragsteller nun eilig unterbunden wissen will, im Sachverhalt leicht variieren, so dass sich die Frage stellt, ob es sich um ein kerngleiches Wettbewerbsverhalten handelt oder nicht; letzterenfalls wäre die Frage des Verfügungsgrundes nicht tangiert. Es überrascht daher nicht, dass es in der Rechtsprechung bereits Anlass gegeben hat, die Problematik zu behandeln.22 18 Vgl. Teplitzky, 10. Aufl. Kap. 54 Rn. 2 Fn. 3. 19 GK-UWG/Schultz-Süchting1 § 25 Rn. 26. 20 OLG Düsseldorf 29.6.2017 – 15 U 41/17 –, juris; OLG Köln 25.6.1976 – 6 U 122/75 – GRUR 1977, 220, 221 – „Charlie“; Büscher/Schmidt § 12 Rn. 319; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 352. 21 Berneke/Schüttpelz Rn. 258; FBO/Büscher § 12 Rn. 111; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 352. 22 OLG Köln 25.6.1976 – 6 U 122/75 – GRUR 1977, 220, 221; OLG Karlsruhe 22.8.1979 – 6 U 131/79 – GRUR 1980, 314. 849

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5. Antrag nach abgeschlossenem und bei ausgesetztem Klageverfahren 11 Gericht der Hauptsache im Sinne des § 937 Abs. 1 ZPO ist immer nur ein Gericht, das mit der Hauptsache aktuell befasst ist. Ist das Hauptsacheverfahren rechtskräftig abgeschlossen, ist die Wahl des vormaligen Gerichtsortes für die Zuständigkeitsregelung im Eilverfahren ohne Bedeutung. Eine Aussetzung des Hauptverfahrens ändert dagegen nichts daran, dass das Verfahren bei dem aussetzenden Gericht weiter anhängig ist. Dem steht es gleich, wenn in dem Klageverfahren innezuhalten ist, weil nach einer Vorlage zum EuGH dessen Entscheidung abgewartet wird.23 Eine Zuständigkeit des EuGH für die Entscheidung über den Eilantrag zu begründen liegt genauso fern wie die oben behandelte und abgelehnte Zuständigkeit des BGH für den Fall, dass sich das Hauptsacheverfahren in der Revisionsinstanz befindet. Ein Anlass, dem Antragsteller stattdessen wegen der Vorlage an den EuGH die volle Wahlfreiheit unter verschiedenen Gerichtsstandorten wiederzugeben und ihm die Bindung an § 937 ZPO zu nehmen, besteht nicht.

6. Antrag nach negativer Feststellungsklage 12 Das bedeutsamste Problem betrifft die Frage, ob § 937 ZPO voraussetzt, dass die Parteirollen im Hauptsacheverfahren und im Eilverfahren gleich verteilt sind, oder ob die Bestimmung auch dann Anwendung findet, wenn sich der Verfügungsschuldner zum Kläger des Hauptsacheverfahrens macht und eine negative Feststellungsklage erhebt. Die Frage ist außerordentlich umstritten. Teilweise wird sie in der Rechtsprechung und im zivilprozessualen Schrifttum vorbehaltlos bejaht.24 Das hat zum Ergebnis, dass der Gläubiger den Verfügungsantrag nur bei dem Gericht stellen kann, bei dem der Schuldner die negative Feststellungsklage eingereicht hat. Damit hat es der Schuldner in der Hand, dem Gläubiger den von ihm gewünschten Gerichtsstand aufzuzwingen. Im Wettbewerbsrecht ist dieser Umstand besonders misslich, weil der Gläubiger den Schuldner zur Vermeidung von Kostennachteilen vor Einleitung des Gerichtsverfahrens abzumahnen hat und für den so unterrichteten Schuldner der Gegenschlag der negativen Feststellungsklage wohlfeil ist. Es war das ausdrückliche Anliegen des BGH in der Entscheidung Parallelverfahren II,25 diese Konsequenz zu vermeiden und es dem Verletzer zu verwehren, nach einer Abmahnung durch die Erhebung einer negativen Feststellungsklage den endgültigen Standort für das Hauptsacheverfahren festlegen zu können. 13 In der Rechtsprechung hat man vereinzelt gemeint, das sei alles nicht beklagenswert, weil der Antragsteller eine Hauptsacheklage erheben könne, bei der er nach der Entscheidung Parallelverfahren II an den vom Schuldner gewählten Gerichtsstand für dessen negative Feststellungsklage gerade nicht gebunden sei.26 Das ist indessen kein guter Ausweg. Der daraus resultierende Zwang für den Antragsteller, fast zeitgleich mit dem Verfügungsverfahren auch das Hauptsacheverfahren anzustrengen, konterkariert die allfälligen Bemühungen der Rechtsprechung, eine leichtfertige Gleichzeitigkeit von Eilverfahren und Klageverfahren über das Institut des Rechtsmissbrauchs zu vermeiden.27 Zum anderen wäre es auch ein abstruses Ergebnis, die 23 Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 6; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 352; Berneke/Schüttpelz Rn. 260. 24 OLG Frankfurt a. M. 6.3.1997 – GRUR 1997, 485; LG Bonn 13.12.2006 – 1 O 360/06 – BeckRS 2006, 15269; Musielak/Voit/Huber § 937 ZPO Rn. 3; Stein/Jonas/Grunsky § 919 ZPO Rn. 3; Zöller/Vollkommer § 937 ZPO Rn. 1; Wieczorek/ Schütze/Thümmel § 937 ZPO Rn. 2; Schuschke/Walker § 937 Rn. 2. 25 BGH 7.7.1994 – I ZR 30/92 – GRUR 1994, 846, 848 = WRP 1994, 810. 26 OLG Frankfurt a. M. GRUR 1997, 485; ebenso GK-UWG/Schultz-Süchting1 § 25 Rn. 29. 27 BGH 6.4.2000 – I ZR 76/98 – BGHZ 144, 165 = GRUR 2000, 1089, 1091 – Missbräuchliche Mehrfachverfolgung; BGH 6.4.2000 – I ZR 67/98 – GRUR 2001, 82 – Neu in Bielefeld I; BGH 6.4.2000 – I ZR 114/98 – GRUR 2001, 84 – Neu in Bielefeld II; BGH 20.12.2001 – I ZR 215/98 – GRUR 2002, 715, 716 f. – Scanner-Werbung; dazu Teplitzky 100 Jahre Wettbewerbszentrale S. 195, 202 f. Schwippert

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Notwendigkeit gleich mehrerer Gerichtsverfahren zu postulieren, um die Auslegungsergebnisse bei einer Vorschrift erträglich zu machen, die aus prozessökonomischen Gründen die Bündelung des Eilverfahrens und des Hauptsacheverfahrens an einem Gerichtsstandort vorsieht. Eine im Wettbewerbsrecht häufig anzutreffende Meinung vertritt zur Vermeidung dieser Re- 14 sultate die Auffassung, ein durch ein Feststellungsverfahren begründeter Gerichtsstand der einstweiligen Verfügung sei für den Gläubiger nur fakultativ.28 Zwar treffe es im Grundsatz zu, dass eine negative Feststellungsklage Hauptsache im Sinne des § 943 ZPO sei. Der Gläubiger sei aber im Wettbewerbsprozess berechtigt, den Verfügungsantrag überall dort einzureichen, wo er nach den gesetzlichen Bestimmungen auch die Hauptsacheklage erheben dürfe. Damit ist ein richtiges Ergebnis erzielt; eine tragfähige Begründung ist aber nicht zu erkennen. Die Wortwahl der nur fakultativen Bindung ist eine sprachliche Raffinesse, die zu verschleiern versucht, dass dem Gesetz schlicht der Gehorsam verweigert wird. Fast immer wird der Antragsteller ohnehin die Möglichkeit haben, den für die negative Feststellungsklage ausgewählten Standort nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen auch für den eigenen Verfügungsantrag zu bevorzugen. Für den Normalfall kommt daher im Verständnis der h. M. § 943 ZPO im Wettbewerbsverfahrensrecht bei der Feststellungsklage keinerlei Bedeutung zu. Für diese Fallkonstellation wäre dann § 943 ZPO nicht fakultativ anwendbar, sondern obsolet. Die (wohl sehr theoretische) Möglichkeit, dass der Antragsteller an dem von dem Verletzer gewählten Gerichtsstand der negativen Feststellungsklage an sich keinen Verfügungsantrag einreichen konnte, weil es dort nicht zu einer Verletzungshandlung gekommen war, dort aber sein eigener Wohnsitz-Gerichtsstandort liegt, würde allerdings in der Tat einen weiteren fakultativen Gerichtsstandort begründen. Dann hätte es die Auslegungskunst fertiggebracht, dem Hauptsachekläger für das Eilverfahren einen zusätzlichen Gerichtsstandsort im Rahmen einer Vorschrift zu verschaffen, welche seine Wahlfreiheit (eigentlich) einschränken wollte. Wenn denn – was von der h. M. vorausgesetzt wird – aus § 943 ZPO zu folgern ist, dass auch eine negative Feststellungsklage den Gerichtsstand für das Eilverfahren grundsätzlich festlegt, so hat das auch für wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten zu gelten. Mit Steinbeck29 verdient die Auffassung den Vorzug, dass unter die „Hauptsache“ im Sinne des § 943 ZPO die negative Feststellungsklage von vornherein nicht fällt. Sind die Parteirollen im Verfügungsverfahren und im Haupsacheverfahren gleich verteilt, liegt die von § 943 ZPO verordnete Beschneidung der Wahlfreiheit für den Gerichtsstandort des Eilverfahrens auf der Hand. Der Gläubiger hat das ihm eingeräumte Wahlrecht bei der Einreichung der Hauptsacheklage einmal ausgeübt. Sein Interesse, aus irgendwelchen taktischen Erwägungen heraus für das Eilverfahren woanders vorzugehen, hat hinter dem Gedanken der Prozessökonomie zurückzutreten. Diese Erwägungen gelten bei einer dem Eilverfahren vorausgeschickten negativen Feststellungsklage gerade nicht. Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist daher bei der negativen Feststellungsklage nicht eröffnet. Auf den formalen Gesichtspunkt, dass bei der Feststellungsklage spiegelverkehrt über das Bestehen eines identischen Anspruchs entschieden wird, kommt es nicht an.

7. Durch Rechtsmissbrauch erschlichene Zuständigkeit Nach einer insbesondere in der Erstauflage dieses Kommentars vertretenen Meinung30 soll die 15 Anhängigkeit der Hauptsacheklage die sachliche Zuständigkeit für das Eilverfahren dann nicht 28 KG Magazindienst 2006, 351; OLG Karlsruhe 14.4.2010 – 6 U 5/10 – WRP 2010, 793; OLG Köln 20.4.2012 – 6 W 23/12 – WRP 2012, 983 Ls.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.3; FBO/Büscher § 12 Rn. 107; Melullis Rn. 186; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 321; Schuschke/Walker § 937 Rn. 2; Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 97 Rn. 14; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 355. 29 Steinbeck NJW 2007, 1783; ebenso OLG Köln 20.4.2012 – 6 W 23/12 – WRP 2012, 983; LG Düsseldorf 20.4.1999 – 4 O 108/99 – GRUR 2000, 611; OLG Hamburg WRP 2001, 361 – als obiter dictum; Fritze GRUR 1996, 571; Berneke/ Schüttpelz Rn. 255. 30 GK-UWG/Schultz-Süchting1 § 25 Rn. 30. 851

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begründen, wenn sie bei einem eindeutig unzuständigen Gericht eingelegt und nur deswegen erhoben worden ist, um die Zuständigkeit des Gerichtes für das Eilverfahren rechtsmissbräuchlich zu erschleichen. In dieser Allgemeinheit ist dem nicht beizupflichten, weil die Gerichtszuständigkeit von dem schwammigen Begriff einer „evidenten Unzuständigkeit“ abhängig gemacht wird. Die insoweit herangezogene Referenzentscheidung31 handelt auch nur von dem Sonderfall, dass das Hauptsachegericht trotz anderweitig gegebener Rechtshängigkeit desselben Streitgegenstandes angerufen worden war. Bei einem derartigen, in der Tat rechtsmissbräuchlichen Vorgehen des Klägers ist das gewünschte Ergebnis indessen mit der einfachen Erwägung zu erreichen, dass § 943 ZPO nur eine einzige Hauptsacheklage im Blick hat und nicht bei gleichzeitigen mehreren Klagen diverse Zuständigkeiten für das Eilverfahren begründen will. Mit der Erhebung einer ersten Hauptsacheklage erwächst dort eine Zuständigkeit auch für das Eilverfahren; nachfolgende weitere (wegen schon anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässige) Klagen eröffnen den Weg für ein Eilverfahren nicht.32

8. Rechtshängigkeit eines weiteren identischen Antrags 16 Die Zuständigkeit kann nicht deshalb verneint werden, weil ein Verfügungsantrag eingereicht worden ist, welcher mit identischem Streitgegenstand bereits bei einem anderen Gericht anhängig ist. Das später angerufene Gericht hat den Antrag als unzulässig abzuweisen, weil er bereits anderweitig anhängig ist, nicht aber, weil die eigene Zuständigkeit fehlt.33

9. Eilzuständigkeit des Amtsgerichts 17 Nach § 942 ZPO „kann das Amtsgericht, in dessen Bezirk sich der Streitgegenstand befindet“, in dringenden Fällen eine einstweilige Verfügung erlassen. Die Vorschrift hat für wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten keine nennenswerte praktische Bedeutung erlangt. Sie ist mit dem Pferdefuß verbunden, dass das Amtsgericht mit dem Erlass der Verfügung eine Frist zu bestimmen hat, innerhalb derer der Antragsteller die Ladung des Gegners zur mündlichen Verhandlung über die Rechtmäßigkeit der einstweiligen Verfügung bei dem Gericht der Hauptsache zu beantragen hat. Nach fruchtlosem Ablauf der Frist hat das Amtsgericht die erlassene Verfügung auf Antrag aufzuheben (Abs. 3).

III. Inadäquater Verfügungsanspruch 1. Klärung der Begriffe 18 Die in einem Eilverfahren ergangenen Urteile unterscheiden in der Regel zwischen der Behandlung des Verfügungsgrundes, der sich mit der Zulässigkeit des Antrags befasst, und dem Verfügungsanspruch, der die Begründetheit des Anspruchs erörtert. In den Kommentierungen des wettbewerbsrechtlichen Eilverfahrens findet sich hingegen regelmäßig ein Gliederungspunkt, der mit Verfügungsanspruch überschrieben ist, sich aber nicht über die Begründetheit von Ansprüchen verhält, sondern allein über die Frage, ob der geltend gemachte Anspruch für eine Zuerkennung in einem Eilverfahren taugt. Das ist nach dem Grundgedanken des vorläufigen Rechtsschutzes nicht der Fall, wenn ein stattgebendes Urteil zu vollendeten Tatsachen führt, die anschließend nicht mehr aus der Welt zu schaffen sind. Das wäre mit der Philosophie des Eilverfahrens, nur eine später wieder revisible vorläufige Regelung zu treffen, unvereinbar. Unter den „inadäquaten“ Verfügungs31 OLG Hamburg 6.11.1980 – 3 U 151/79 – WRP 1981, 325. 32 Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 4; Büscher/Schmidt § 12 Rn. 319. 33 A. A. GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 31. Schwippert

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ansprüchen werden in diesem Abschnitt also Ansprüche verstanden, die vom Gericht auf ihre Begründetheit hin erst gar nicht geprüft werden, weil sie faits accomplis schaffen. Die Umsetzung der einleuchtenden Grundidee bereitet Schwierigkeiten. Der Vorzeigeanspruch des wettbewerbsrechtlichen Eilverfahrens ist der aus dem UWG resultierende Unterlassungsanspruch; er ist in § 12 Abs. 2 ausdrücklich genannt. Auch die Verurteilung zur Unterlassung bestimmter Handlungen schafft aber vollendete Tatsachen für die vom Erlass der Eilentscheidung bis zu deren späterer Kassation dauernde Übergangszeit. Für diesen Zeitraum sind die Handlungsmöglichkeiten des Unterlassungsschuldners unwiederbringlich dahin.

2. Auskunft Gänzlich unvereinbar mit dem Grundgedanken, im Eilverfahren nur später noch reparable An- 19 ordnungen zu treffen, ist die Verurteilung zur Erteilung einer Auskunft.34 Mit der erteilten Auskunft wird ein Wissen an den Gläubiger weitergereicht, das unter keinen Umständen mehr „zurückgeholt“ werden kann.

a) Immaterialgüterrecht. Gleichwohl ist ausgehend von dem 1990 erlassenen Produktpirate- 20 riegesetz und verfeinert im Durchsetzungsgesetz ab 1.9.2008 für sämtliche Immaterialgüterrechte gesetzlich geregelt, dass die Auskunft bei „offensichtlicher Rechtsverletzung“ angeordnet werden kann (§ 19 Abs. 7 MarkenG; § 46 Abs. 7 DesignG; § 101 Abs. 7 UrheberG; § 140b Abs. 7 PatG; § 24b Abs. 7 GebrauchsmusterG; § 37b Abs. 7 SortenschutzG). Mit dem Erfordernis der „Offensichtlichkeit“ der Rechtsverletzung soll dafür Sorge getragen werden, dass es nicht zu einer späteren Divergenz der Beurteilung durch ein anderes Gericht kommt. Es ist daher zu fordern, dass sowohl die Würdigung der Tatsachen als auch die rechtliche Beurteilung zu einem ganz eindeutigen Ergebnis führen.35 Eine derartige Evidenz kann nur durch eine vorherige Anhörung des Antragsgegners gewonnen werden.36

b) Ergänzender wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz. Eine entsprechende Anwen- 21 dung dieser spezialgesetzlichen Vorschriften auf Eilverfahren, in denen Ansprüche aus dem UWG geltend gemacht werden, ist abzulehnen. Das ist im Grundsatz allgemeine Meinung. Diskutiert wird die Frage allein bei Ansprüchen aus ergänzendem Leistungsschutz (§ 4 Nr. 3):37 insoweit hat die Rechtsprechung schon seit längerem wegen der Ähnlichkeiten der Fallgestaltung die lauterkeitsrechtliche Schadensberechnung an die Methoden, die bei der Verletzung 34 KG 28.8.1987 – 5 U 3581/87 – GRUR 1988, 403, 404; OLG Schleswig 27.10.2000 – 6 W Kart 35/00 – WRP 2001, 304; FBO/Büscher § 12 UWG Rn. 95; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 UWG Rn. 3.10; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 265. 35 Vgl. Begründung des RegE BTDrucks. 11/4792, S. 32; OLG Frankfurt a. M. 14.3.2002 – 6 U 254/01 – MarkenR 2002, 296; OLG Köln 19.4.2002 – 6 U 137/01 – GRUR–RR 2003, 32 Ls.; OLG Hamburg 28.4.2005 – 5 U 156/04 – GRUR-RR 2005, 209, 213; Berneke/Schüttpelz Rn. 81; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 278; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 11b; Ahrens/Jestaedt Kap. 56 Rn. 13 bezieht die Eindeutigkeit nur auf die rechtliche Beurteilung. 36 OLG Köln 12.6.2003 – 6 W 35/03 – GRUR–RR 2003, 296; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 11b; Harte/Henning/ Retzer § 12 Rn. 278; im Grundsatz ebenso Berneke/Schüttpelz Rn. 84, der aber nicht ausschließen will, dass ausnahmsweise auch eine vorprozessuale Äußerung des Antragsgegners genügt. 37 Die Analogie verneinen: OLG Hamburg 19.3.2007 – 5 W 33/07 – WRP 2007, 1253; KG 28.8.1987 –5 U 3581/87 – GRUR 1988, 403; OLG Frankfurt a. M. 12.4.2001 – 24 U 58/01 – OLGR 2001, 253; OLG Schleswig 27.10.2000 – 6 W Kart 35/00 – GRUR-RR 2001, 70; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.10; FBO/Büscher § 12 Rn. 95; Hess in: jurisPK-UWG § 12 Rn. 148; Berneke/Schüttpelz Rn. 83; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 332; Büscher/Schmidt Rn. 265.Die Analogie bejahen: LG Düsseldorf 30.4.1996 – 4 O 126/96 – WRP 1997, 253; Ulrich WRP 1997, 135, 138 und – bei genereller Ablehnung – für eventuelle Ausnahmen Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 11c. 853

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von Immaterialgüterrechten angewandt werden, angeglichen. Auch in diesem Bereich ist einer Analogie indessen nicht das Wort zu reden. Die Verurteilung zur Auskunft in einem summarischen Verfahren stellt einen Systembruch dar, den der Gesetzgeber zum Schutz wichtiger Immaterialgüterrechte hingenommen hat. Die lauterkeitsrechtlichen Ansprüche aus ergänzendem Leistungsschutz in Teilbereichen den Immaterialgüterrechten anzunähern, ist vertretbar und richtig. Eine Gleichstellung in allem und jedem verbietet sich, nachdem der Gesetzgeber im Zuge der Novellierung des UWG 2004 entsprechende Vorschläge nicht aufgegriffen hat.38 Teplitzky39 hat – eine generelle analoge Anwendung ablehnend – eine entsprechende Anwendung des § 19 Abs. 3 MarkenG dann befürwortet, wenn eine dem Kennzeichenrecht gleichwertige und gleichermaßen schutzwürdige Rechtsposition verletzt sei. Indessen wird man trefflich darüber streiten können, unter welchen Bedingungen das anzunehmen sein soll. Es ist schwer vorstellbar, dass die erforderliche subtile Bewertung zu einem Resultat führt, von dem sich vermuten lässt, dass in einem nachfolgenden Hauptsacheverfahren eine andere Beurteilung so gut wie ausgeschlossen und daher auch die zu fordernde offensichtliche Richtigkeit der Beurteilung gegeben sei.

22 c) Drohende Existenzvernichtung. Eine wieder andere Frage stellt sich dahin, ob eine Auskunftserteilung im Eilverfahren dann verlangt werden kann, wenn sonst die Existenzvernichtung des Auskunftsgläubigers droht. Dies hat die Rechtsprechung40 in einem nicht wettbewerbsrechtlichen Fall angenommen, in welchem der Antragsteller des Eilverfahrens Forderungen des insolventen Zedenten und Antragsgegners abgetreten erhalten hatte und befürchten musste, die neuen Schuldner würden an ihre alten Gläubiger mit befreiender Wirkung zahlen, weil er die Namen dieser Schuldner nicht kannte und sie über den Forderungsübergang nicht selbst unterrichten konnte. Tritt man dem für Ansprüche aus dem UWG bei,41 so hat das mit einer – abzulehnenden – Analogie zu den Bestimmungen der Immaterialgütergesetze nichts zu tun, sondern ist allein dem verfassungsrechtlichen Grundsatz geschuldet, dass der Rechtsstaat bei der durch rechtswidriges Verhalten eines Dritten drohenden Existenzvernichtung eines Gläubigers einen eiligen Rechtsschutz zur Verfügung zu stellen hat. Die Auskunftsverpflichtung kann in derartigen Fällen nur nach einer gründlichen Abwägung der Parteiinteressen ausgesprochen werden. Sie wird nur wieder in evidenten Rechtsverletzungsfällen eine Verurteilung des Schuldners ermöglichen.

3. Willenserklärung 23 Nicht anders als bei der Auskunft verträgt sich auch die Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung nicht mit der Vorläufigkeit des Eilverfahrens. Mit der Abgabe der Willenserklärung ist eine rechtsgestaltende Wirkung verbunden, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Derartige Willenserklärungen führen entweder sofort zu einer Rechtsgestaltung oder, wenn weitere gestaltende Mitwirkungsakte erforderlich sind, zur unerlässlichen Vorbereitung einer rechtsgestaltenden Wirkung. § 894 Abs. 1 S. 1 ZPO macht die Fiktion der Abgabe der Willenserklärung nach einer entsprechenden Verurteilung des Schuldners infolgedessen von der Rechtskraft des Urteils abhängig. Es ist keine Gerichtsentscheidung ersichtlich, die für den Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes jemals den Schuldner zur Abgabe einer Willenserklärung ver38 Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, 1323. 39 Teplitzky FS Tilmann S. 913, 917 f. 40 OLG Karlsruhe 15.3.1984 – 15 W 14/84 – NJW 1984, 1905, 1906; vgl. auch OLG Hamm 29.11.1991 – 26 W 15/91 – NJW-RR 1992, 640. 41 Zustimmend: FBO/Büscher § 12 Rn. 95; Köhler/Bornkamm/Feddersen. § 12 Rn. 3.10; Schuschke/Walker vor § 935 ZPO Rn. 34; Teplitzky FS Tilmann S. 913, 917 f.; wohl auch Berneke/Schüttpelz Rn. 79. Schwippert

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urteilt hätte. Auch das wettbewerbsrechtliche Schrifttum lehnt diese Möglichkeit fast einhellig ab.42 Es soll daher hier der Hinweis genügen, dass für andere Rechtsbereiche die Beurteilung nicht einheitlich ist. Es wird kontrovers diskutiert, ob § 894 ZPO auf Titel aus Verfügungsverfahren überhaupt anwendbar ist oder zumindest für Beschlussverfügungen nicht passt.43

4. Widerruf Der Widerrufsanspruch als Spezialfall eines Beseitigungsanspruchs hat zum Zweck, den durch 24 eine unzulässige Äußerung in der Vergangenheit entstandenen Schaden auszugleichen. Ein derartiger Schadensausgleich ist grundsätzlich nicht Sache eines Verfügungsverfahrens. Ein Widerruf ist dem Wortsinn nach eine kompromisslose Distanzierung von früheren Äußerungen. Er kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Der theoretisch denkbare Widerruf des Widerrufs44 ist dafür schon deshalb nicht geeignet, weil ein Widerruf in der Öffentlichkeit ernst genommen wird, während ein Widerruf des Widerrufs im wesentlichen Kopfschütteln hervorrufen dürfte. Ausnahmen sollten auch nicht gemacht werden, wenn die zu widerrufenden Äußerungen „nur rein wirtschaftliche Vorgänge“ betreffen.45 Damit ist nichts gegen einen von den Gerichten gelegentlich eingeschlagenen Mittelweg gesagt, durch den die Verpflichtung des Antragsgegners ausgesprochen wird, öffentlich zu erklären, dass eine bestimmte Behauptung bis zur endgültigen Klärung durch die Gerichte nicht wiederholt oder derzeit nicht aufrechterhalten wird.46 Dieser Praxis wird zu Unrecht entgegengehalten,47 es handele sich dabei um nichts anderes als um eine verkappte Unterlassungsverfügung. Sie lässt es nämlich nicht dabei bewenden, dass der Schuldner die Behauptung in Zukunft nicht wiederholt, sondern gibt ihm auf, es auch in der Öffentlichkeit deutlich zu machen. Im Auge ist aber zu behalten, dass diesen im Eilverfahren zulässigen Geboten, bestimmte Erklärungen vorzunehmen, die prozessuale Momentaufnahme zu eigen ist. Mit einem Widerruf haben sie nichts zu tun; dieser Begriff sollte im Verfügungstenor vermieden werden und auch nicht in misslichen Wendungen wie „zeitlich befristeter Widerruf“ auftauchen.

5. Veröffentlichungsanspruch Ein weiterer spezieller Unterfall des Beseitigungsanspruchs ist der materiell-rechtliche Veröf- 25 fentlichungsanspruch. Er darf nicht verwechselt werden mit der prozessualen, in § 12 Abs. 2 geregelten Veröffentlichungsbefugnis des Gerichtes – eine Bestimmung, die in Eilverfahren kei42 Berneke/Schüttpelz Rn. 88; FBO/Büscher § 12 Rn. 96; Götting/Nordemann/Kaiser § 12 Rn. 184; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.11; Melullis Rn. 148; Ahrens/Jestaedt Kap. 56 Rn. 12; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 11; vgl. aber auch Teplitzky JuS 1980, 882, 885 f.; die abweichenden Meinungen außerhalb des gewerblichen Rechtsschutzes wohl nur referierend und nicht übernehmend MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 333; vorsichtig zustimmend Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 281, 282. 43 Vgl. Jauernig NJW 1973, 1670 und NJW 1975, 1419; Stein/Jonas/Grunsky vor § 935 ZPO Rn. 50 f.; Wieczorek/Schütze/Thümmel § 938 ZPO Rn. 10. 44 So die Formulierung von Spätgens Hdb. des Wettbewerbsrechts, 4. Aufl. § 98 Rn. 7. 45 Anders OLG Stuttgart 10.6.1988 – 2 U 62/88 – WRP 1989, 202, 204 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.9; Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 109 und wohl auch Berneke/Schüttpelz Rn. 72. 46 OLG Freiburg 23.7.1951 – 2 U 41/51, 2 W 67/51 – JZ 1951, 751; OLG Stuttgart 9.3.1961 – 2 U 31/61 – MDR 1961, 1024; OLG Hamburg 26.3.1970 – 3 U 7/70 – AfP 1971, 35; OLG Köln 23.6.1972 – 2 W 53/72 – AfP 1972, 331; zustimmend Teplitzky JuS 1980, 882, 886; Berneke/Schüttpelz Rn. 72; FBO/Büscher § 12 Rn. 94; Schuschke/Walker vor § 935 Rn. 35; Ahrens/Jestaedt Kap. 56 Rn. 19; Fritze FS Traub S. 113, 115 ff.; Götting/Nordemann/Kaiser § 12 Rn. 183; nur referierend Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 11d. 47 Grunsky JurA 1970, 724, 729; Jauernig ZZP 79 (1966) 320, 345; ganz ablehnend auch Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 270. 855

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ne Anwendung finden sollte.48 Auf den Veröffentlichungsanspruch kann ein Gläubiger angewiesen sein, weil der Schuldner eine für die Zukunft ausreichende Unterlassungserklärung abgegeben hat, der Schaden aus früheren Veröffentlichungen damit aber nicht behoben ist. Nach diffamierenden Berichten über Personen des öffentlichen Lebens49 mag die Durchsetzung eines derartigen Anspruchs auch in einem Eilverfahren vonnöten seien, um einem brodelnden Hexenkessel Einhalt zu gebieten, weil mit einer Klärung nach jahrelangem Klageverfahren nicht mehr zu helfen ist. Die Rechtsprechung hat für die Notwendigkeit, auch in UWG-Prozessen Veröffentlichungsansprüche per einstweiliger Verfügung zuzusprechen, bisher kein Anschauungsmaterial liefern können.

6. Allgemeiner Beseitigungsanspruch 26 Der allgemeine Beseitigungsanspruch überschneidet sich vielfach mit dem Unterlassungsanspruch.

a) Beseitigungspflichten aus Unterlassungstenor. Ist der Schuldner verurteilt worden, den Vertrieb einer Ware zu unterlassen, so ist ihm damit auch eine aktive Tätigkeit auferlegt, falls er das Produkt in der Handelskette bereits weiterveräußert hat: Er muss im Rahmen der ihm rechtlich gegebenen Möglichkeiten auf seine Abnehmer einwirken, die Ware nicht ihrerseits weiter zu veräußern. Die aus einem entsprechenden Tenor in einem Klageverfahren eventuell herauszulesende Pflicht, die Ware auch zurückzurufen – womit wieder vollendete Tatsachen geschaffen würden – hat er im Eilverfahren nicht.50 Wird der Schuldner verurteilt, eine Werbung zu unterlassen, die auf einem stationär befestigten Werbeträger zu lesen ist, so muss er wiederum aktiv tätig werden, um dieser Verpflichtung zu entsprechen. Inwiefern ein Gläubiger in einem Klageverfahren zwischen dem Anspruch auf Unterlassen und Beseitigen wählen kann, ist hier nicht zu erörtern. Für das Eilverfahren ist klar, dass bei mehreren denkbaren Alternativen immer auf eine Interimslösung zuzugreifen ist. Grundsätzlich kann der Gläubiger im Verfügungsverfahren daher nicht den Beseitigungsanspruch, sondern nur den Unterlassungsanspruch verfolgen.51

27 b) Beschreibung der Beseitigungspflicht im Unterlassungstenor. Der Unterlassungsschuldner hat grundsätzlich die Wahl, was er im Einzelnen zur Beseitigung des von ihm geschaffenen Störungszustandes unternimmt. Im vorgenannten Beispielsfall kann er etwa die Lesbarkeit der stationären Werbung beseitigen (durch Überkleben oder Verhängen) oder aber den Werbeträger komplett entfernen. Demgegenüber hat in der Erstauflage dieses Kommentars Schultz-Süchting52 (obwohl er im Grundsatz betont hat, dass dem Schuldner die Wahl offen bleiben müsse, welche Vorkehrungen eher zur Vermeidung weiterer Verletzungshandlungen treffen wolle) die Ansicht vertreten, im Verfügungstenor solle das Gericht festhalten, welche aktiven Maßnahmen der Schuldner ergreifen müsse, um seiner Unterlassungsverurteilung entsprechen zu können. Diese Hilfestellung sei vonnöten, weil er oft im Unklaren darüber sei, was an aktivem Tun von ihm erwartet werde, um 48 GK-UWG/Feddersen § 12 B Rn. 17. 49 Vgl. den Beispielsfall – kein Eilverfahren – BGH 25.11.1986 – VI ZR 57/89 – GRUR 1987, 189 (Bezeichnung eines Ministers als „Oberfaschist“). 50 BGH 29.9.2016 – I ZB 34/15 – GRUR 2017, 208 Tz. 24 f. – Rückruf von RESCUE-Produkten; BGH 11.10.2017 – I ZB 26/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 17, 34 – Produkte zur Wundversorgung; BGH 17.10.2019 – I ZB 19/19 – WRP 2020, 324. 51 Vgl. Ahrens/Jestaedt Kap. 56 Rn. 6; Berneke/Schüttpelz Rn. 71; Hess in: juris-PK-UWG § 12 Rn. 147; Teplitzky/ Feddersen Kap. 54 Rn. 11; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 268. 52 GK-UWG/Schulz-Süchting1 § 25 Rn. 111. Schwippert

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Zwangsgeldmaßnahmen zu entgehen. Dabei war nicht an mangelnde Hinweise rechtlich unverbindlicher Art in den Entscheidungsgründen gedacht, sondern an eine (einen Gläubigerantrag voraussetzende) Tenorierung, die auch zu Zwangsvollstreckungsmöglichkeiten nach den §§ 887 f. ZPO führen sollte. Diese Auffassung hat seither an Aktualität gewonnen und – generell auf das Erkenntnisverfahren bezogen – neue Anhänger gefunden.53 Der BGH hat indessen daran festgehalten, dass die Prüfung der Handlungspflichten des Schuldners dem Vollstreckungsverfahren jedenfalls dann überlassen werden kann, wenn die Problematik im Erkenntnisverfahren nicht thematisiert worden ist.54 In einer Kommentierung des Eilverfahrens ist zu betonen, dass es nicht angeht, den Schuldner nach einer summarischen Überprüfung fester an die Kandare zu nehmen als in einem ordentlichen Klageverfahren und ihm hier stärker als dort die eigene Wahl zu verwehren, mit welchen Maßnahmen er künftige Verletzungshandlungen ausschließen will. In der Rechtsprechung ist allerdings anerkannt,55 dass es Fälle geben kann, in denen dem 28 Gläubiger mit dem in die Zukunft weisenden Unterlassungsanspruch nicht hinreichend geholfen ist; dann kann nach einer umfassenden Interessenabwägung auch ein Beseitigungsanspruch im Eilverfahren durchsetzbar sein. Ein Hersteller ist daher verurteilt worden, seine Abnehmer aufzufordern, irreführende Angaben auf der gelieferten Ware zu entfernen. Es dürfen aber keine abschließenden Tatsachen geschaffen werden. Eine Löschung von Registereinträgen hat deshalb zu unterbleiben wie auch die Vernichtung von Gegenständen: Im Eilverfahren ist immer nur eine Sequestration zu erreichen.56

7. Feststellungsantrag Die Zulässigkeit eines (anfänglichen) Feststellungsantrags im Verfügungsverfahren – dass auf 29 ein Feststellungsbegehren umgestellt werden kann, wenn sich das Verfahren (wie durch eine Unterwerfungserklärung des Schuldners) zwischenzeitlich erledigt, ist unstreitig57 – ist bislang in der Rechtsprechung nicht anerkannt worden. Sie wird auch im Schrifttum ganz überwiegend abgelehnt58 und dies nur gelegentlich bedauert.59 Zuletzt hat Bernreuther im Zusammenhang mit Abnehmerverwarnungen ein Bedürfnis für negative Feststellungsanträge erblickt.60 Begrifflich ausgeschlossen wäre ein Feststellungbegehren im Eilverfahren nicht. Die Rechtskraft dieser Entscheidung würde eine gegenteilige Beurteilung in einem den nämlichen Streitgegenstand betreffenden Verfügungsverfahren ausschließen, eine andere Beurteilung im Klageverfahren aber selbstverständlich zulassen. Das Problem liegt vielmehr im Verfügungsgrund. Angesichts dessen, dass der Gläubiger ohnehin gehalten ist, seine Ansprüche im Eilverfahren rasch geltend zu machen, wenn er denn auf diese Verfahrensart überhaupt noch zugreifen kann, ist nur 53 Goldmann GRUR 2016, 724, 725; Sakowski GRUR 2017, 355; Hermanns GRUR 2017, 977; Lubberger GRUR 2018, 378, 379; Hofmann NJW 2018, 1290, 1292; Feddersen FS Büscher S. 471.

54 BGH 29.9.2016 – I ZB 34/15 – GRUR 2017, 208 Tz. 24 f. – Rückruf von RESCUE-Produkten; BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Tz. 17, 34 – Produkte zur Wundversorgung; seine Rechtsprechung bestätigend BGH 17.10.2019 – I ZB 19/19 – WRP 2020, 324. 55 OLG Koblenz 16.7.1987 – 6 U 765/87 – GRUR 1987, 730; vgl. auch OLG Frankfurt a. M. 19.9.1988 – 6 W 103/88 – GRUR 1989, 74 (ebenfalls Erklärungen gegenüber Kunden); OLG Naumburg 2.2.1996 – 2 W 1/96 – NJWE-WettbR 1996, 155 (Mandatsniederlegung); OLG Hamburg 18.9.1997 – 3 U 39/97 – Magazindienst 1998, 192, 193 f. 56 OLG Frankfurt a. M. 13.11.1975 – 12 U 189/75 – GRUR 1976, 663, 665; Ahrens/Jestaedt Kap. 56 Rn. 16; Berneke/ Schüttpelz Rn. 71; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.9; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 11a. 57 Vgl. KG 20.2.1996 – 5 U 7617/95 – WRP 1996, 556; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 24 b, c. 58 Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 283 mit Hinweisen auf unveröffentlichte Rechtsprechung in Fn. 549; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 334; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.11; Melullis Rn. 150; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 11a. 59 Vgl. Kohler ZZP 1990, 184; Vogg NJW 1993, 1357; differenzierend auch Schuschke/Walker § 938 Rn. 35, der für arbeits- und gesellschaftsrechtliche Fälle Ausnahmen zulassen will. 60 Bernreuther WRP 2010, 1191. 857

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schwer ein Rechtsschutzbedürfnis für den Schuldner zu erkennen, seinerseits dem mit einem negativ formulierten Feststellungseilantrag zuvorzukommen. Bernreuther will dieses Interesse des Schuldners mit der Erwägung begründen, eine zu Gunsten des Gläubigers auf dessen Antrag ergangene Eilentscheidung könne unrichtig sein und ein mit dem negativen Feststellungsantrag befasster anderer Richter zu einem besseren Ergebnis kommen. Lägen in derselben Sache zwei divergierende Eilentscheidungen vor, müsste dann die Zwangsvollstreckung aus dem für den Gläubiger ergangenen Unterlassungstitel eingestellt werden. Das kann nicht überzeugen. Für die Korrektur einer unrichtigen Entscheidung ist der Rechtsmittelzug vorgesehen, nicht aber die Anhäufung von divergierenden Erkenntnissen auf derselben instanziellen Ebene.

IV. Verfügungsgrund 1. Terminologie 30 Das zuständige Gericht hat über die Zulässigkeit des angestrengten Eilverfahrens zu entscheiden. Ob und wie die Zulässigkeitsvoraussetzungen terminologisch zu gliedern sind, ist streitig. Der Sprachgebrauch variiert. Teilweise findet sich die Zweiteilung Allgemeines Rechtsschutzinteresse – Verfügungsgrund.61 Innerhalb dieses – engeren – Begriffs des Verfügungsgrundes mag dann wieder zwischen einem Zeitmoment und einem Umstandsmoment unterschieden werden. Das Zeitmoment (der Verfügungsantrag ist unzulässig, weil sich der Antragsteller zu viel Zeit gelassen hat) mag man als Frage der Dringlichkeit bezeichnen und den erforderlichen umfassenden Interessenausgleich als Umstandsmoment.62 Im Schrifttum verbreiteter findet sich die Terminologie, wonach der Verfügungsgrund der Oberbegriff für sämtliche Zulässigkeitsvoraussetzungen ist, von der Frage der Gerichtszuständigkeit abgesehen.63 Diese Varianten ändern nichts daran, dass die Begriffe Verfügungsgrund und Dringlichkeit wie Synonyme verwendet werden.64 Tut man dies, so kann der Verfügungsantrag als unzulässig mangels Dringlichkeit abzuweisen sein, obgleich der Gläubiger alles getan hat, um das Verfahren zügig einzuleiten. Das kann als unglücklich bedauert werden, weil im allgemeinen Sprachgebrauch dringlich und eilig gleichgesetzt werden und dieses Verständnis verabschiedet wird, wenn dem Dringlichkeitsbegriff der Zeitfaktor genommen wird. Ist der Leser sich über diesen Umstand aber im Klaren, richtet die Terminologie einen Schaden nicht an. Ohnehin gilt, dass die Art, wie Begriffe verwendet werden, keine Vorentscheidung über die Lösung von Sachfragen beinhalten darf. Der nachfolgende Text unterscheidet innerhalb des Verfügungsgrundes zwischen Zeitmomenten und Umstandsmomenten. Letztere betreffen Gesichtspunkte, die mit dem Zeitplan des Antragstellers nichts zu tun haben: beispielsweise den Gläubiger, der in hohem Tempo sein Ziel rechtsmissbräuchlich verfolgt.

2. Prozessvoraussetzung 31 Ob ein Verfügungsgrund vorliegt, ist nach einer im Wettbewerbsrecht allgemein vertretenen Auffassung ein Zulässigkeitsproblem, das mit der Begründetheit des geltend gemachten An61 Ahrens/Singer Kap. 44 Rn. 11 ff., Rn. 25; Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 100 Rn. 9, 15; MünchKommUWG/ Schlingloff § 12 Rn. 345, 367 ff.; Schuschke/Walker § 935 Rn. 14, 23.

62 Kehl FS Loschelder S. 140 hält die Unterscheidung in UWG-Verfahren – anders als im Markenrecht (S. 141 Fn. 11) – für müßig; Teplitzky spricht von der Dringlichkeit im weiteren und engeren Sinn, FS Loschelder S. 394, 398. 63 Vgl. Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 14; Büscher/Schmidt § 12 Rn. 162; Stein/Jonas/Grunsky vor § 935 ZPO Rn. 17 sowie § 940 ZPO Rn. 7. 64 Teplitzky FS Loschelder S. 391; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 368; Harte/Henning/Retzer Rn. 304; Melullis Rn. 151; Ahrens/Singer Kap. 44 Rn. 25 sowie Kap. 45 Rn. 8; Götting/Nordemann/Kaiser § 12 Rn. 157; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.12; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 15. Schwippert

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spruchs nichts zu tun hat.65 Im späteren Klageverfahren kommt es auf den Verfügungsgrund nicht an. Er verhält sich demnach über spezielle Voraussetzungen für eine bestimmte Verfahrensart und kann daher mit der Begründetheit des geltend gemachten Anspruchs nicht zusammenhängen. Er ist eine Prozessvoraussetzung, die von Amts wegen zu prüfen ist. Fehlt sie, ist der Eilantrag unzulässig. Das erkennende Gericht ist allerdings nicht gehalten, den logischen Vorrang der primären Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen stets zu beachten; es kann aus prozessökonomischen Gründen den Antrag als unbegründet abweisen, ohne den Verfügungsgrund geprüft zu haben.66 Sofern im prozessrechtlichen Schrifttum außerhalb des Wettbewerbsrechts die Ansicht vertreten wird, Verfügungs- und Arrestgrund seien keine Sonderformen des Rechtsschutzinteresses, sondern nur eine materiell-rechtliche Voraussetzung für die Begründetheit des Gesuchs, wird das im Wesentlichen mit folgender Erwägung begründet: Erst wenn der für die Begründetheit des Gesuchs erforderliche Anspruch geprüft sei, lasse sich feststellen, ob dessen Durchsetzung gefährdet sei. Mit dem Charakter eines Eilverfahrens sei es unvereinbar, wenn selbst bei offensichtlicher Unbegründetheit des Antrags mangels Anspruchs der möglicherweise zweifelhafte Verfügungs- oder Arrestgrund zunächst aufwändig geprüft werden müsse.67 Da nun aber die Gegenmeinung die Primärprüfung des Verfügungsgrundes in den Fällen, in denen evident der Verfügungsanspruch zu verneinen ist, nicht für erforderlich hält, handelt es sich um einen klassischen Streit um des Kaisers Bart.

3. Vermutung des § 12 Abs. 1 für Unterlassungsansprüche a) Historischer Hintergrund. In § 25 a. F. hieß es: „Zur Sicherung der in diesem Gesetz bezeich- 32 neten Ansprüche auf Unterlassung können einstweilige Verfügungen erlassen werden, auch wenn die in den §§ 935, 940 ZPO bezeichneten Voraussetzungen nicht zutreffen“. Der Wortlaut der Vorschrift gestattete ein Verständnis, wonach es für Eilverfügungen im Wettbewerbsrecht eines Verfügungsgrundes überhaupt nicht bedürfe. In der Tat ist diese Auffassung vertreten und in der Erstauflage geteilt worden.68 Damit waren allerdings nun nicht alle Auslegungsprobleme entfallen; sie wurden stattdessen unter dem Stichwort des allgemeinen Rechtsschutzinteresses behandelt.69 Die ganz überwiegend vertretene und in der Rechtsprechung praktizierte Ansicht70 betrachtete den Wortlaut dieser Vorschrift als misslungen und legte ihn dahin aus, dass nicht der Verfügungsgrund entbehrlich sei, sondern allein die Dringlichkeit vermutet werde. Um dies klarzustellen, hat § 12 Abs. 2 bei der Reform 2004 den jetzigen Wortlaut erhalten.71 b) Verteilung der Darlegungslast. Damit ist vom Gesetz die Vermutung aufgestellt, das Be- 33 dürfnis für eine eilige Regelung sei bei dem Gläubiger vorhanden. Er braucht dazu in seiner Antragsschrift nichts vorzutragen. Es ist Aufgabe seines Gegners, Tatsachen zu schildern, welche die 65 OLG Köln 21.5.1980 – 6 U 47/80 – WRP 1980, 503; OLG Frankfurt a. M. 22.3.2001 – 6 W 67/01 – GRUR-RR 2002, 44; Teplitzky JuS 1981, 122, 123; FBO/Büscher § 12 Rn. 98; Ahrens/Singer Kap. 45 Rn. 1; Berneke/Schüttpelz Rn. 104; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 299; Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 100 Rn. 17; Melullis Rn. 152; Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 114; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 15 mit weiteren Nachweisen aus der älteren Rechtsprechung. 66 OLG Köln 8.10.2004 – 6 U 113/04 – GRUR-RR 2005, 228 – Set-Top-Box; Berneke/Schüttpelz Rn. 104; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 369; MünchKommZPO/Drescher § 917 Rn. 2; FBO/Büscher § 12 Rn. 98; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.12; Büscher/Schmidt § 12 Rn. 164; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 15; Büscher/Dittmer/ Schiwy UWG Rn. 108. 67 Schuschke/Walker § 917 Rn. 1; Stein/Jonas/Grunsky § 917 Rn. 2. 68 GK-UWG/Schultz-Süchting1 § 25 Rn. 16 f. mit Nachweisen. 69 Vgl. GK-UWG/Schultz-Süchting1 § 25 Rn. 38. 70 Nachweise bei Melullis Rn. 159. 71 BTDrucks. 15/1487 S. 25. 859

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Vermutung aus der Welt schaffen.72 Ist ihm das gelungen, obliegt es wieder dem Gläubiger, im Einzelnen darzutun, warum ein Verfügungsgrund doch existiert. Hat beispielsweise der Schuldner aufgezeigt, dass der Gläubiger von dem gerügten Wettbewerbsverstoß bereits vor geraumer Zeit erfahren und damit die bei dem angerufenen Gericht grundsätzlich akzeptierten Fristen überschritten hat, so ist es nunmehr an dem Gläubiger vorzutragen, dass er nicht rascher hat vorgehen können, weil er etwa die zur Glaubhaftmachung erforderliche eidesstattliche Versicherung eines Zeugen wegen dessen Auslandsaufenthaltes nicht früher hat beibringen können. 34 Demgegenüber berichtet Meinhardt,73 teilweise verlangten Instanzgerichte – soweit sie auf der Einhaltung von Dringlichkeitsfristen bestünden – der Antragsteller müsse von sich aus den Zeitpunkt der erstmaligen Kenntniserlangung darlegen und glaubhaft machen. Diese Praxis hält er für richtig. Eigentlich sei es zwar Sache des Antragsgegners, Umstände vorzutragen, die zur Widerlegung der Dringlichkeitsvermutung führten. Es sei aber zu beachten, dass regelmäßig nur der Antragsteller wisse, seit wann die erforderliche Kenntnis vorgelegen habe, weshalb es durchaus gerechtfertigt erscheine, ihm die Darlegung und Glaubhaftmachung dieses Umstandes aufzuerlegen. Dem kann nicht beigetreten werden. Der vom Gesetz aufgestellten Vermutung würde auf diese Weise der Boden entzogen. Der Umstand, dass oft genaue Kenntnisse über relevante Umstände nur bei einer Partei vorliegen, führt immer wieder dazu, dass die primär darlegungsbelastete Partei mit ihrem Vortrag nur gewisse Zweifel zu säen braucht, welche die andere Partei wegen der sie treffenden sekundären Darlegungslast alsdann auszuräumen hat.74 Dagegen hätte Meinhardts Vorschlag zur Folge, dass trotz einer entgegenstehenden gesetzlichen Vermutung die primäre Darlegungslast dem Antragsteller auferlegt würde. 35 Etwas ganz anderes wäre es, wenn sich ein Gericht zu einer Beschlussverfügung ohne vorherige Anhörung des Schuldners nur dann entschließt, sofern sich aus dem Vorbringen des Gläubigers ergibt, dass er nicht mit gezinkten Karten spielt. Das wäre eine Kompensation für das (zunächst) verweigerte rechtliche Gehör, und vielleicht geht es bei der geschilderten Gerichtspraxis eben darum.

36 c) Selbstwiderlegung. Die von § 12 Abs. 2 UWG statuierte Verteilung der Darlegungslast schließt es nicht aus, dass die Vermutung bereits durch den eigenen Vortrag des Gläubigers oder durch von ihm beigefügte Unterlagen entkräftet wird.75 Ergibt sich etwa aus einem von dem Gläubiger vorgelegten Abmahnschreiben, das seine Kenntnis von dem gerügten Verstoß geraume Zeit zurückliegt, hat er selbst die Tatsachen beizubringen, aus denen sich der Verfügungsgrund ergibt – gerade so, als wenn es keine gesetzliche Dringlichkeitsvermutung gäbe. Man spricht dann überwiegend von einer Selbstwiderlegung der Vermutung durch den Gläubiger.76

37 d) Interessenabwägung. Die vertraute Redewendung von der „Dringlichkeitsvermutung“ legt nahe, dass sich die Vermutung nur auf ein Zeitmoment beziehe. Nach ganz h. M.77 gehört zum 72 So gut wie allgemeine Meinung: BGH 1.7.1999 – I ZB 7/99 – GRUR 2000, 151, 152 – Späte Urteilsbegründung (noch zu § 25a. F.); OLG Hamburg 12.2.2007 – 5 U 189/06 – WRP 2007, 675, 676 – Titelseite; OLG Hamburg 26.4.2018 – 3 U 96/17 – GRUR-RR 2018, 479 Tz. 47; OLG Stuttgart 5.7.2018 – 2 U 167/17 – WRP 2018, 1252 Tz. 19; FBO/Büscher § 12 Rn. 78; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 304; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.13; Ahrens/Singer Kap. 45 Rn. 7; MünchkommUWG/Schlingloff; Büscher/Schmidt § 12 Rn. 161; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 18; Spätgens/ Danckwerts UWG-Hdb. § 100 Rn. 21; Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 115. 73 Meinhardt WRP 2020, 273, 280 Rn. 45. 74 Vgl. Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 31 ff. mit Rechtsprechungsnachweisen. 75 Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 304; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 379; Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 100 Rn. 25. 76 –MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 379; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 304. Kritisch zu diesem Ausdruck, weil er die subjektive Sicht des Gläubigers überbetone, Traub GRUR 1996, 707, 708 f. und Teplitzky FS Loschelder S. 391, 396 Fn. 26. 77 Berneke/Schüttpelz Rn. 109; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 300; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 368; Melullis Rn. 161; Ahrens/Singer Kap. 45 Rn. 5; Retzer GRUR 2009, 329, 332 f.; Holzapfel GRUR 2003, 287 ff. Schwippert

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IV. Verfügungsgrund. A. Einstw. Verf., Abschlusserklärung u. -schreiben

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Verfügungsgrund neben der Betrachtung des verflossenen Zeitablaufs aber auch eine umfassende Interessenabwägung, in welche die Gewissheit der in einem summarischen Verfahren gewonnenen Erkenntnisse, die Ungewissheit, wie neue Rechtsfragen höchstrichterlich entschieden werden mögen, und vor allem eventuell drohende existenzielle Beschädigungen der jeweiligen Parteien durch die zu treffende Entscheidung einzufließen haben. Soweit in der einschlägigen Kommentarliteratur gelegentlich unerwähnt bleibt, dass der Verfügungsgrund eine Interessenabwägung mit umfasst,78 wird aus diesem Schweigen nicht geschlossen werden dürfen, dass die Abwägung nicht vorgenommen werden dürfe. Ganz überwiegend79 wird mit Recht davon ausgegangen, dass sich die in § 12 Abs. 2 aufge- 38 stellte Vermutung auch auf die Interessenabwägung beziehe. Lediglich Holzapfel hat in jüngerer Zeit die Meinung vertreten, zwischen dem Verfügungsgrund und der Interessenabwägung sei begrifflich streng zu trennen;80 die in § 12 Abs. 2 aufgestellte Vermutung gelte nur für den Verfügungsgrund, für die Interessenabwägung jedoch nicht. Diese These hat weitere Anhänger nicht gefunden. In der Terminologie der §§ 935–940 ZPO findet sich die von ihm befürwortete strikte Trennung der Begriffe Verfügungsgrund und Interessenabwägung nicht. Vor allem macht ein gesetzlicher Vermutungstatbestand wenig Sinn, der sich nur auf ein einzelnes Moment (Eilbedürftigkeit) bezieht, während die umfassende Abwägung sämtlicher Interessen – die das Ausmaß der Eilbedürftigkeit mit einzubeziehen hätte – von dem Gläubiger unverändert vollständig darzulegen ist. Dem entspricht die gängige forensische Praxis. Die Entscheidungen enthalten regelmäßig keine Ausführungen zu einer grundsätzlichen Interessenabwägung, wenn sich dazu auch der Parteivortrag ausgeschwiegen hatte. Festzuhalten bleibt, dass sich die Dringlichkeitsvermutung auch auf die Interessenabwägung bezieht, die mit dem Zeitablauf bis zur Anrufung des Gerichts nichts zu tun hat; sie ist keine reine Vermutung der Eilbedürftigkeit.

e) Analoge Anwendung auf andere UWG-Ansprüche? Nach § 12 Abs. 2 gilt die Dringlich- 39 keitsvermutung nur für die im UWG bezeichneten Ansprüche auf Unterlassung. Eine analoge Anwendung auf andere Ansprüche, die aus dem UWG resultieren, ist abzulehnen.

aa) Beseitigungsansprüche. Das gilt zunächst für Beseitigungsansprüche. § 8 unterscheidet 40 ausdrücklich zwischen „Beseitigung“ und „Unterlassung“. Ein Beseitigungsverlangen belastet den Schuldner grundsätzlich stärker als ein Unterlassungsbegehren, weil ihm bestimmte Handlungen zwingend aufgegeben werden sollen. Ein Beseitigungsanspruch ist daher nur nach sorgfältiger Abwägung im Eilverfahren durchsetzbar.81 Aus diesen Gründen lehnt es die ganz überwiegende Meinung ab, § 12 Abs. 2 auf Beseitigungsansprüche entsprechend anzuwenden.82 Demgegenüber unterscheidet Schuschke83 zwischen isolierten und ausgegliederten Beseitigungsansprüchen; letztere sollen von der Dringlichkeitsvermutung erfasst werden. Ausgegliederte Beseitigungsansprüche sind nach seinem Verständnis Ansprüche, die aus Unterlassungsansprüchen abgeleitet worden sind, weil für den Schuldner nur durch eine konkrete Beseitigungsmaßnahme die Möglichkeit besteht, für die Zukunft seiner Unterlassungsverpflichtung gerecht zu werden. Das überzeugt nicht. 78 Vgl. FBO/Büscher § 12 Rn. 97–99; Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 112 ff.; Spätgens/Danckwerts § 100 Rn. 15 ff. 79 Ahrens/Singer Kap. 45 Rn. 8; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.13; Berneke/Schüttpelz Rn. 125 i. V. m. Rn. 109. 80 GRUR 2003, 287, 291 f. im Anschluss an Schultz-Süchting GRUR 1988, 571. 81 Rn. 26. 82 LG Berlin 7.6.2005 – 16 O 288/05 – GRUR–RR 2005, 325, 327; Ahrens/Singer Kap. 45 Rn. 65; Berneke/Schüttpelz Rn. 135; FBO/Büscher § 12 Rn. 75; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 334; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 374; Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 100 Rn. 23; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.14; Teplitzy/Feddersen Kap. 54 Rn. 21. 83 Schuschke/Walker vor § 935 ZPO Rn. 88. 861

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Die ausgegliederten Beseitigungsansprüche lassen wie alle Beseitigungsansprüche dem Schuldner keine Wahl, wie er zukünftig die inkriminierte Verletzungshandlung vermeiden will. Sie belasten ihn daher stärker als ein Unterlassungsanspruch, so dass die analoge Anwendung der Dringlichkeitsvermutung nicht gerechtfertigt erscheint. Wird beispielsweise die Beseitigung eines Reklameschildes mit einer unzulässigen Werbebehauptung verlangt, so gilt die Dringlichkeitsvermutung für die Unterlassung dieser Werbung, nicht auch für die Beseitigung des Schildes; dem Unterlassungstitel könnte auch durch eine Verdeckung des Schildes entsprochen werden.84 Vereinzelte gegenteilige Rechtsprechung85 ist antiquiert.

41 bb) Auskunftsansprüche. Erst recht verbietet sich eine analoge Anwendung auf Auskunftsansprüche.86 Ihre Durchsetzung im Verfügungsverfahren kann nur ausnahmsweise zugelassen werden. Werden sie erfüllt, ist die Hauptsache vorweggenommen; es wäre verfehlt, den Gläubiger dann auch noch von der Last zu befreien, das Vorliegen des Verfügungsgrundes darlegen zu müssen. § 12 Abs. 2 ist nach allem wörtlich zu nehmen: Die Vermutung gilt nur für Unterlassungsansprüche.

42 f) Analoge Anwendung auf Ansprüche außerhalb des UWG? Im Hinblick auf eine entsprechende Anwendung des § 12 Abs. 2 auf nicht aus Vorschriften des UWG hergeleitete Ansprüche gilt folgendes:

43 aa) Entsprechung in § 5 Unterlassungsklagegesetz. § 5 UKlaG ordnet ausdrücklich eine entsprechende Anwendung des § 12 Abs. 2 auf die Unterlassungsklagen gegen Vorschriften in Allgemeinen Geschäftsbestimmungen an.

44 bb) Vertragliche Ansprüche. Es ist allgemeine Meinung, dass die Dringlichkeitsvermutung für Unterlassungsansprüche nicht gilt.87 Die Gegenposition88 ist seit vielen Jahrzehnten nicht mehr vertreten worden.

45 cc) Urheberrecht. Auch die Anwendung des § 12 Abs. 2 auf Ansprüche aus dem Urheberrecht wird von der ganz h. M. abgelehnt.89 Die Gegenmeinung90 ist in die Jahre gekommen. Sie beruft 84 Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 21. 85 OLG Frankfurt a. M. 27.9.1951 – 6 U 9/51 – GRUR 1952, 246, 249; OLG Hamburg WRP 1962, 370, 371. 86 OLG Köln 12.6.2003 – 6 W 35/03 – WRP 2003, 1008; OLG Hamburg 19.3.2007 – 5 W 33/07 – WRP 2007, 1253; Ahrens/Singer Kap. 45 Rn. 65; MünchKommZPO/Drescher § 935 Rn. 106; Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 100 Rn. 23; Schuschke/Walker vor § 935 ZPO Rn. 87; Teplitzky FS Tilmann S. 913, 919. 87 OLG Düsseldorf 9.6.1998 – U (Kart) 8/98 – OLGR 1999, 143; Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 100 Rn. 25; Ahrens/Singer Kap. 45 Rn. 65; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 334; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 374; FBO/Büscher § 12 Rn. 77; Berneke/Schüttpelz Rn. 135; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 21 mit Fn. 112; Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 113. 88 OLG Koblenz 18.1.1952 – 2 U 377/51 – GRUR 1952, 246; KG 10.8.1954 – 5 U 904/54 – GRUR 1955, 252. 89 OLG Hamm 20.8.1980 – 4 U 98/80 – GRUR 1981, 130; OLG Frankfurt a. M. 5.1.1989 – 6 W 1/89 – GRUR 1989, 227; OLG Köln 30.12.1999 – 6 U 151/99 – GRUR 2000, 417; KG 3.12.2002 – 5 U 245/02 – GRUR-RR 2003, 262; OLG Hamburg 5.9.2005 – 5 W 90/05 – Magazindienst 2006, 475; OLG Stuttgart 25.2.2009 – 4 U 204/08 – OLGR 2009, 633; OLG Naumburg 24.5.2012 – 9 U 9/12 – GRUR-RR 2013, 135; OLG Frankfurt a. M. 4.4.2017 – 11 W 41/16 – WRP 2017, 1519, 1521 – Werbefilm; Berneke/Schüttpelz Rn. 129; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 375; Schuschke/Walker vor § 935 Rn. 87 a. E. 90 OLG Karlsruhe 13.6.1994 – 6 U 52/94 – GRUR 1994, 726, 728; GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 347. Schwippert

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sich auf folgendes: Wenn schon Produkte nach dem ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz den § 12 Abs. 2 für sich in Anspruch nehmen könnten, so müsse das erst recht für das Urheberrecht gelten, das als absolutes Recht geschützt sei. Hält man das für richtig, so wäre auf alle Ansprüche aus absoluten Rechten § 12 Abs. 2 analog anwendbar. Eine solitäre Ausnahmevorschrift würde qua analoger Anwendung flächendeckend gelten. Auch beruht § 12 Abs. 2 nicht auf dem Gedanken, ein besonders robustes Recht schützen zu müssen. Die Vorschrift wurzelt in dem Bewusstsein, im Lauterkeitsrecht gehe es häufig um ein bloßes Tagesgeschehen. Nach einiger Zeit, jedenfalls vor einer erstinstanzlichen Entscheidung im Hauptsacheverfahren, habe die Auseinandersetzung in vielen Fällen für die Parteien das wirtschaftliche Interesse eingebüßt. Wer eine analoge Anwendung des § 12 Abs. 2 für urheberrechtliche Ansprüche und andere Ansprüche aus Immaterialgüterrechten befürwortet, wird infolgedessen darzulegen haben, dass diese Flüchtigkeit der rechtlichen Interessenlage bei der Verfolgung von Immaterialgüterrechten ebenso die Regel ist. Solange das unterbleibt, wird die analoge Anwendung des § 12 Abs. 2 auf urheberrechtliche Ansprüche mit Recht verneint. Damit hat sich auch das Thema für andere Ansprüche aus Immaterialgüterrechten (Patentrecht, Gebrauchsmusterrecht) oder aus absoluten Rechten wie dem Namensrecht (§ 12 BGB) sowie § 823 Abs. 1 BGB – das Markenrecht zunächst ausgenommen – erledigt. Schuschke hat seine eigenwillige Position, die Analogie für das Urheberrecht zu verneinen, sie aber für Namens- und Firmenrechte, für das Gebrauchsmustergesetz und auch für Unterlassungsansprüche aus § 26 Abs. 2 GWB zu bejahen, nicht begründet.91

dd) Markenrecht und Geschäftsgeheimnisgesetz. Anders lagen die Dinge im Markenrecht. 46 Unter der Herrschaft des Warenzeichengesetzes und auch in den ersten Jahren nach Inkrafttreten des Markengesetzes befürwortete die h. M. eine entsprechende Anwendung des § 12 Abs. 2 auf kennzeichenrechtliche Ansprüche.92 Das entsprach einer verbreiteten obergerichtlichen Rechtsprechung.93 In den 1990er Jahren begann sich der Wind zu drehen. Das Schrifttum hielt schließlich überwiegend eine Analogie für nicht angebracht,94 wobei sich deren Befürworter95 eher in den Kommentierungen zum Markengesetz als zum UWG fanden. Die obergerichtliche Rechtsprechung war gespalten.96 91 Schuschke/Walker vor § 935 Rn. 87. 92 GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 347 mit Nachw. in Fn. 976, der auf der Gegenposition lediglich Teplitzky ausmacht. 93 KG 19.12.2000 – 5 U 7808/00 – WRP 2001, 551; OLG Bremen 18.12.1986 – 2 U 100/86 – GRUR 1987, 241; OLG Dresden 29.9.1998 – 14 U 433/98 – OLGR 1999, 35; OLG Hamburg 12.7.2001 – 3 U 294/00 – GRUR 2002, 446 – Eprex; OLG Köln 12.1.2001 – 6 U 98/00 – GRUR 2001, 424; OLG Nürnberg 27.11.2001 – 3 U 3017/01 – WRP 2002, 345 – NIKESportschuhe. 94 Teplitzky WRP 2005, 654, 659 ff. und FS Bornkamm S. 1073, 1081 f.; FBO/Büscher § 12 Rn. 76; Harte/Henning/ Retzer § 12 Rn. 337; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 376; Spätgens UWG-Hdb. 4. Aufl. § 100 Rn. 31; MünchKommZPO/Drescher § 935 Rn. 60; Thierig, GRUR-RR 2013, 370, 371; Zöller/Vollkommer § 940 Rn. 8 – Gewerblicher Rechtsschutz; PG/Fischer § 935 Rn. 9; Lange Rn. 3392; Rn. 1083; Graf Lambsdorff Rn. 176; Traub WRP 2000, 1046, 1047. 95 Fezer, Markenrecht § 14 Rn. 1081 f.; Ströbele/Hacker § 14 Rn. 326; Ingerl/Rohnke, vor §§ 14–19 Rn. 194 f.; Schuschke/Walker vor § 935 Rn. 87; Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß UWG Rn. 106; Melullis Rn. 158; Peters Mitt. 1999, 48, 49 mit sorgfältiger Begründung. 96 Eine Analogie lehnten ab: OLG Düsseldorf 13.11.2001 – 20 U 114/01 – GRUR-RR 2002, 212 – TopTicket; OLG Frankfurt a. M. 9.8.2002 – 6 W 103/02 – WRP 2002, 1457 – Dringlichkeit im Markenrechtsstreit; OLG Hamburg 16.11.2009 – 3 W 120/09 – WRP 2010, 953, 954 – Springender Pudel; OLG Hamm 12.1.1999 – 4 U 199/98 – K&R 2000, 90; OLG München 24.8.2006 – 6 U 4455/05 – GRUR 2007, 174 – Wettenvermittlung; OLG München 16.5.2013 – 6 W 411/13 – GRUR-RR 2013, 388, 389 sub 2 – Kleine Partysonne. Eine Analogie befürworteten: OLG Hamburg 4.5.2006 – 3 U 180/04 – GRUR-RR 2007, 73 – Preispiraten; OLG Stuttgart 21.10.2004 – 2 U 65/04 – GRUR-RR 2005, 307 – emotion/iMOTION; OLG Stuttgart 12.10.2017 – 2 U 162/16 – WRP 2018, 369 – Merchandising-Artikel; OLG Zweibrücken 29.5.2008 – 4 U 22/08 – GRUR-RR 2008, 346 – namensgleiche Neugründung. 863

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Einstweiliger Rechtsschutz, Veröffentlichungsbefugnis, Streitwertminderung

Die Bereitschaft zur entsprechenden Anwendung des § 12 Abs. 2 speiste sich ursprünglich aus dem Umstand, dass das Markenrecht teilweise, so beim Schutz der berühmten Marke, aus dem Lauterkeitsrecht entwickelt worden war. Der in § 16 UWG a. F. geregelte Schutz des Unternehmenskennzeichens fand in den §§ 5, 15 MarkenG eine neue Heimat. Es wollte zunächst nicht einleuchten, warum diese bloße Standortverlagerung zu verfahrensrechtlichen Änderungen hätte führen sollen. Die Bedeutung dieses Arguments schwächelte von Jahr zu Jahr mehr. Das Markenrecht konnte nicht länger als verselbstständigter Ableger des Lauterkeitsrechts betrachtet werden. Wie scharf die Trennungslinie geworden war, zeigte die Rechtsprechung des BGH, der eine Störerhaftung im Markenrecht als einem Immaterialgüterrecht unverändert für möglich hält, sie bei UWG-Ansprüchen inzwischen aber ausschließt.97 Eine im Ausgangspunkt methodisch vergleichbare Diskussion wird sich jetzt mutmaßlich bei der Frage nach der analogen Anwendbarkeit des § 12 Abs. 2 UWG auf die Unterlassungsansprüche nach dem Geschäftsgeheimnisgesetz entwickeln, durch das die bis dato geltenden §§ 17–19 UWG ein eigenständiges Regelwerk erhalten haben.98 48 Zu einer nicht erwarteten Wendung kam es durch die Novellierung des Markengesetzes mit Beginn des Jahres 2019. Ein im Regierungsentwurf nicht vorgesehener § 140 Abs. 3 MarkenG bestimmt jetzt – deckungsgleich mit § 12 Abs. 2 UWG – dass einstweilige Verfügungen „zur Sicherung der in diesem Gesetz bezeichneten Ansprüche auf Unterlassung auch ohne die Darlegung der in §§ 935 und 940 genannten Voraussetzungen erlassen werden können“.99 Mit der neuen Regelung ist ein praktischer Vorteil verbunden. In vielen Verfahren wird der 49 geltend gemachte Anspruch sowohl – seit der TÜV-Entscheidung des BGH notwendig in einem Eventualverhältnis100 – auf markenrechtliche als auch auf lauterkeitsrechtliche Ansprüche (ergänzender wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz, Irreführung) gestützt. Die Gerichte, die vor der jetzigen Novellierung eine analoge Anwendung des § 12 Abs. 2 UWG im Markenrecht verneinten, hatten für die markenrechtlichen Anspruchsgrundlagen einen Vortrag des Gläubigers zur Dringlichkeit zu verlangen, der für die lauterkeitsrechtlichen Ansprüche entbehrlich war. Auf diese verfahrensrechtliche Feinheit kommt es nicht länger an. 47

4. Fortfall wegen Zeitverlust 50 Ein Verfügungsgrund besteht nicht, wenn der Antragsteller mit der Einleitung des Eilverfahrens zu lange gewartet hat. Die Beantwortung der Frage, wann er zu lange gewartet hat, hängt von der Beantwortung zweier anderer Fragen ab. Welcher Zeitrahmen steht ihm zur Verfügung? Ab wann beginnt die bemessene Frist zu laufen?

51 a) Grundproblem. Eine Frist für die Antragstellung kennt das Gesetz nicht. Andere Verfahrensvorschriften in der ZPO, die Fristen für die Einlegung von Rechtsmitteln, für eine Begründung von Rechtsmitteln101 oder für ein Wiedereinsetzungsgesuch enthalten, sind nicht verwertbar. Sie haben mit der Frage, wie lange ein Antragsteller seine Waffen schmieden darf, um für den Überfall im Eilverfahren gut gewappnet zu sein, nichts zu tun. Auch die Erwägung, dass sechs Monate grundsätzlich zur Verfügung gestellt werden sollten, weil solange der Anspruch 97 BGH 22.7.2010 – I ZR 139/08 – GRUR 2011, 152 Rn. 48 – Kinderhochstühle im Internet – 98 Erwägend OLG München 8.8.2019 – 29 W 940/19 – WRP 2019, 1375 Ls. 1 und Rn. 12 f.; in Anm. S. 1378 Rn. 2 lehnt Löffel die analoge Anwendung mangels Regelungslücke ab. 99 Gesetz vom 11.12.2018 (BGBl. I S. 2357). 100 BGH 24.3.2011 – I ZR 108/09 – BGHZ 189, 56 Rn. 6 ff. = GRUR 2011, 521 – TÜV I. 101 Für eine Orientierung an der Zwei-Monatsfrist des § 520 Abs. 2 ZPO plädiert MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 397. Schwippert

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nicht verjährt sei,102 geht fehl. Es leuchtet zwar unmittelbar ein, dass die Geltendmachung verjährter Ansprüche schwerlich eilbedürftig sein kann;103 der umgekehrte Schluss, die Dringlichkeit sei immer dann zu bejahen, solange der Anspruch noch nicht verjährt sei, verfängt indessen nicht. Auf welche Frist man sich festlegen will, unterliegt daher einem weiträumigen richterlichen Ermessen; manche sprechen von willkürlicher Festsetzung.104 Es hat sich bei vielen Wettbewerbsgerichten dennoch eingebürgert, der eigenen Rechtsprechung bestimmte Fristen zugrundezulegen, nach deren Ablauf die verfahrensrechtlichen Obliegenheiten des Antragstellers zunehmen. Damit entsprechen sie dem Bedürfnis der Rechtssuchenden, die einen einigermaßen überschaubaren Anhaltspunkt benötigen, wie viel Zeit ihnen zur Vorbereitung des Verfahrens zur Verfügung steht.105

b) Regelfristen. Die damit verbundenen zeitlichen Limits werden oft als Regelfristen bezeich- 52 net. Da es an einer prägenden höchstrichterlichen Rechtsprechung fehlt, segeln unter diesem Begriff mehrere Varianten mit jeweils unterschiedlichem Bedeutungsgehalt. Die Frist kann elastisch gehandhabt werden oder starr.

aa) Elastische Fristen. Die elastische Frist kann partiell oder vollständig flexibel sein. Die partiell flexible Frist versteht sich dogmatisch als einen Zeitraum, nach deren Ablauf die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 widerlegt ist mit der Folge, dass der Antragsteller die Voraussetzungen für das Vorliegen des Verfügungsgrundes im Einzelnen darzutun hat und nunmehr eine offene Interessenabwägung stattfindet. Es ist dann seine Aufgabe zu schildern, warum die Tücken der Materie eine frühere Einleitung des Verfahrens nicht gestatteten oder jedenfalls untunlich erscheinen ließen. Gelingt ihm das, wird der Verfügungsgrund bejaht, obgleich die Regelfrist überschritten ist. Die Frist wird hingegen nicht flexibel gehandhabt, soweit der Antragsteller sie nicht ausgenutzt hat. Beträgt die bei dem angerufenen Gericht praktizierte Regelfrist einen Monat, so kann er sich fest darauf verlassen, dass ihm kein übergroßer Zeitverlust vorgehalten wird, wenn er den Antrag vier Wochen nach Kenntniserlangung von dem Wettbewerbsverstoß einreicht. Die vollständig flexible Frist ist hingegen mit den Worten Köhlers106 „oben und unten“ offen. Sie gibt nur eine Richtschnur für die bei den durchschnittlich gelagerten Fällen tolerierten Zeiträume. Bei sehr einfach strukturierten Fällen darf diese Frist nicht ausgeschöpft werden, bei schwierigen wird sie verlängert. In dieser Weise praktiziert das KG seine Leitlinie,107 wonach ein Zuwarten, das nicht länger als zwei Monate dauert, regelmäßig nicht als dringlichkeitsschädlich anzusehen sei. Im Einzelfall kann das zu üppig bemessen und die Dringlichkeit nach 7–8 Wochen verloren gegangen sein.108 Dem Antragsteller wird eine derartige beidseitige Flexibilität weniger gefallen, weil er die Einschätzung, ob sein Fall noch sehr einfach gelagert oder schon durchschnittlich ist, auf eigenes Risiko vornimmt und er nicht weiß, was ihn erwartet.

102 So früher OLG Hamburg 5.12.1985 – 3 U 144/85 – NJW-RR 1986, 716. 103 Melullis Rn. 172 mit Nachw. aus der älteren Rechtsprechung in Fn. 5; auch bei Verjährung das Eilverfahren nicht völlig ausschließen wollen GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 50 und ihm folgend Doepner WRP 2011, 1384, 1392. 104 So Holzapfel GRUR 2003, 287, 289. 105 So zutreffend Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 315; Köhler GRUR-RR 2007, 337, 345; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 307; Holzapfel GRUR 2003, 287, 289; Klaka GRUR 1979, 596. 106 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.15 unter „Dauer des Zuwartens“. 107 KG 25.10.2011 – 5 U 23/10 – Magazindienst 2012, 39, 40; KG 17.10.2014 – 5 U 63/14, GRUR-RR 2015, 181, 182. 108 KG 14.12.2010 – 5 W 225/10 – Magazindienst 2011, 803; so will auch OLG Koblenz 23.2.2011 – 9 W 698/10 – GRUR 2011, 451, 452 – Kurze Regelfrist – seine Regelfrist verstanden wissen. 865

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54 bb) Starre Fristen. Die starren Fristen legen fest, dass das Eilverfahren nicht mehr betrieben werden kann, wenn ein bestimmtes Zeitbudget erschöpft ist. Derartige Fristen sind nicht legitim,109 auch wenn sie wie alle schematischen Regelungen die Rechtsprechung vorhersehbar machen.110 Sie laufen auf eine Ergänzung des § 12 Abs. 2 durch einen S. 2 hinaus, der besagt, dass der Verfügungsgrund entfällt, wenn (X) Monate nach Kenntniserlangung von dem fraglichen Wettbewerbsverstoß (oder einer etwa gleichzustellenden grob fahrlässigen Unkenntnis) vergangen sind, ohne dass ein Antrag bei Gericht eingegangen ist. Es ist nicht die Aufgabe eines Richters, wie ein Gesetzgeber abstrakt geltende Rechtssätze aufzustellen. Auch wenn sich keine Entscheidungen finden, in denen ein Gericht eine derartige Befugnis ausdrücklich für sich reklamiert hätte: Eine Praxis, die dem Antragsteller nach Ablauf der judizierten Frist die Darlegung entschuldigender Umstände fast ausnahmslos abschneidet, läuft im Ergebnis auf dasselbe hinaus. Wird diese Frist dann auch noch schneidig auf einen Monat bestimmt, so wird den verletzten Gläubigern das Eilverfahren bei kompliziert gelagerten Sachverhalten von vornherein aus der Hand geschlagen. Ob es in der Wirklichkeit des Gerichtsalltags gelegentlich zu einem solchen Missstand kommt, kann von außen nicht beurteilt werden.111 Er wäre nur dann nicht unerträglich, wenn die Gläubiger die Wahl haben, einen anderen Gerichtsstand aufzusuchen.

55 cc) Bemessung der Frist. Wie die Zeitdauer zu bemessen ist, nach deren Ablauf die Dringlichkeitsvermutung nicht mehr gilt, ist eine der großen, oft liebevoll aufbereiteten Fragen des einstweiligen Verfügungsverfahrens. Schultz–Süchting ist ihr in der Erstauflage ausführlich nachgegangen und zu dem Ergebnis gekommen, dass das Sicherungsinteresse für das Eilverfahren bei komplizierten Verfahren nach sechs Monaten noch vorliegen könne, bei einfachen Sachverhalten ohne das Erfordernis einer intensiven Aufbereitung dagegen nach 3–4 Monaten entfallen sei. Er sah es als maßgebenden Gesichtspunkt an, dass ein Eilverfahren so lange zulässig bleiben müsse, wie ein Urteil in einem Hauptklageverfahren mutmaßlich noch nicht habe erstritten werden können.112 Diese Zeitvorstellungen unterschieden sich seinerzeit nicht markant von erheblichen Teilen der Rechtsprechung. Inzwischen steckt die obergerichtliche Rechtsprechung den Rahmen deutlich enger.113 Etliche Gerichte haben sich in den vergangenen Jahren zu einer Regelfrist von einem Monat bekannt. Wer mit der Einleitung des Verfahrens 3–4 Monate gewartet hat, läuft überall in Deutschland Gefahr, dass die Dringlichkeit seines Antrags verneint wird. 56 Doepner114 hat eine entsprechende Kehrtwende des OLG Koblenz115 im Jahr 2011 zum Anlass genommen, diese Entwicklung hart zu kritisieren. Sie leugne das berechtigte Interesse des Verfügungsgläubigers an einer sorgfältigen Verfahrensvorbereitung, scheue die notwendige Interessenabwägung anhand der konkreten Fallkonstellation und erkläre sich mutmaßlich mit dem richterlichen Bestreben, sich die Arbeit tunlichst vom Hals zu schaffen. Dem ist entgegenzutreten. Dem Gläubiger ist es in der Regel zuzumuten, die Verfahrensvorbereitung mit großer Konzentration zu betreiben. In dem nachfolgenden Eilverfahren wird bei den meisten Gerichten ein hohes Tempo angeschlagen, dessen Druck dann in erster Linie nicht der sorgfältig vorbereitete Gläubiger, sondern der Schuldner zu tragen hat. Der elementare Gesichtspunkt einer einigermaßen gewährleisteten Waffengleichheit der Parteien steht daher einer großzügigen Gewährung von Vorbereitungszeit vor der Antragstellung entgegen. Fehl geht der 109 Dagegen vehement Doepner WRP 2011, 1384. 110 Vgl. Köhler GRUR-RR 2007, 337, 345; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 307. 111 Die geringe Ausnahmefreudigkeit der Wettbewerbsgerichte in Bayern hat verfassungsrechtlichen Bedenken standgehalten, Bayerischer Verfassungsgerichtshof 6.8.1992 – Vf. 80 – VI – 91 – NJW-RR 1993, 365. § 25 Rn. 42, 48 ff. Vgl. Berneke/Schüttpelz Rn. 154. Doepner WRP 2011, 1384. OLG Koblenz 23.2.2011 – 9 W 698/10 – GRUR 2011, 451.

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Hinweis, die Gerichte unterließen die notwendige Abwägung der Einzelumstände. Das Gegenteil trifft zu. Ist der Vermutungstatbestand der Dringlichkeit durch Zeitablauf der Regelfrist aus der Welt, so steht damit zunächst nur fest, dass es nicht bei der schematischen Bejahung der Dringlichkeit bewenden kann. Vielmehr ist jetzt in die offene Interessenabwägung einzusteigen, ob es nach Lage der Dinge richtig ist, dem Verletzten ein Eilverfahren an die Hand zu geben.116 Umso weniger trägt der Vorwurf, die Monatsfrist sei als Instrument der Arbeitsentlastung erfunden worden, zumal bekannt ist, dass die Verwaltung über einen Pensenschlüssel verfügt und aus anderen Materien hinreichenden Ersatz herbeischaffen kann. Schließlich: Die Monatsfrist kann nicht als abwegig kurz betrachtet werden. Typische Verfahren betreffen nicht beachtete Informationspflichten, Kennzeichnungsfehler, irreführende Werbung etc. mit oft unstreitigem Sachverhalt. Sie sind wesentlich häufiger als Auseinandersetzungen mit pharmakologisch- medizinischem Hintergrund, die nach einer anderen zeitlichen Bewertung verlangen. Die Monatsfrist wäre allerdings dann gefährlich, wenn aus ihr mittelbar eine (leicht höher bemessene) starre Frist abgeleitet würde, die nach dem inneren Gefühl der amtierenden Richter auch bei einer offenen Interessenabwägung nicht überschritten werden könnte – etwa dass die Regelfrist nicht verdoppelt werden dürfte. Wenn sich der Antragsteller nach Lage der Dinge die Zeit genommen hat, die er brauchte, um mit einem hinreichenden Sachvortrag und den notwendigen Mitteln der Glaubhaftmachung an den Start zu gehen, kann ihm der Verfügungsgrund nicht mit der Begründung abgesprochen werden, er sei zu saumselig verfahren. Wer die Frist so versteht, dass sie nur zum Fortfall der Vermutung der Dringlichkeit führt und fortan weiterer Vortrag des Antragstellers mit offenem Ausgang erforderlich ist, kann nicht mit Leidenschaft über die Frage streiten, ob die Frist besser mit einem oder mit zwei Monaten bemessen ist. Wie man sich auch entscheidet: Einen Wahrheitsgehalt hat die Antwort nicht. Mit Leidenschaft ist aber zu betonen, dass die Dauer der dem Antragsteller belassenen Zeit Einfluss auf die richterliche Verfahrensleitung haben muss. Der Richter, der dem Antragsteller auch in einfachen Angelegenheiten einige Monate Zeit lässt, sollte sich gehindert sehen, in dem endlich eingeleiteten Verfahren unter Abkürzung aller Einlassungsfristen Beschleunigungsrekorde aufzustellen, um seine blendende Erledigungsstatistik beizubehalten. Weil die Regelfristen sich nicht aus dem Gesetz ableiten lassen, hat es in der Vergangenheit erhebliche Unterschiede in der Rechtsprechung der deutschen Oberlandesgerichte gegeben, die mangels höchstrichterlicher Zuständigkeiten immer nur zu einer Vereinheitlichung im jeweiligen konkreten Gerichtsbezirk, nicht aber im Bundesgebiet geführt hat. Fast alle kommentierenden Bearbeitungen des Wettbewerbsrechts enthalten Übersichten über die Unterschiede der obergerichtlichen Rechtsprechung. Dabei ist große Vorsicht geboten. Die umfangreichste und sorgfältigste Zusammenstellung stammt von Traub aus dem Jahre 1991, in der insbesondere die Rechtsprechung aus den 1980er Jahren geordnet worden ist. Seitdem haben in den Spruchkörpern mehrere Richtergenerationen den Stab übergeben. Kein Anwalt darf sich ungeprüft darauf verlassen, dass die damalige Rechtsprechung der modernen Praxis immer noch zu Grunde liegt. Zudem werden Entscheidungen leicht falsch verstanden. Beispielsweise hat das OLG Hamburg in einem Beschluss aus dem Jahr 2002117 dem Verletzer nicht sechs Monate Bedenkzeit nach Kenntnisnahme von der Verletzungshandlung zugebilligt,118 sondern die Dringlichkeit nicht entfallen lassen, obgleich der Verletzte erst sechs Monate nach der Verletzungshandlung von ihr Kenntnis genommen hatte. Auch aktuelle Entscheidungen sind mit Vorsicht zu genießen. Zum einen wird oft nicht deutlich gesagt, ob nur die Dringlichkeitsvermutung widerlegt und damit nur weiterer Vortrag des Antragstellers gefragt ist, oder ob die Dringlichkeit, also der Verfügungsgrund, bereits abschließend verneint ist. Dieser Umstand hat dazu geführt, dass das OLG Köln den Vorwurf 116 So auch das von ihm kritisierte OLG Koblenz, Doepner WRP 2011, 1384, 1385. 117 OLG Hamburg 28.2.2002 – 3 U 347/01 – GRUR-RR 2002, 277. 118 So aber Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß UWG § 12 Rn. 126; der Beschluss ist zutreffend referiert bei Harte/ Henning/Retzer Anhang zu § 12 Rn. 951. 867

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Doepners, in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung lege es jetzt eine starre Monatsfrist zu Grunde,119 mit Unverständnis zurückgewiesen hat.120 Zum zweiten kann undeutlich sein, was ein Gericht unter der von ihm gesetzten Regelfrist versteht – die in Rn. 50–52 aufgeführten Verständnismöglichkeiten müssen enträtselt werden. 61 Unter dem Vorbehalt, dass die geschilderten terminologischen Unzulänglichkeiten zu Missverständnissen einladen, wird folgender Überblick über die obergerichtliche Rechtsprechung als Momentaufnahme gegeben. Dabei wird auf die Erwähnung älterer Entscheidungen bewusst verzichtet.121 In Nordrhein-Westfalen legen die Oberlandesgerichte Hamm122 und Köln123 eine Frist von einem Monat zu Grunde, das Oberlandesgericht Düsseldorf124 eine Frist von zwei Monaten. Es handelt sich jeweils um elastische Fristen, bei deren Überschreiten nicht die Dringlichkeit entfällt, sondern allein der Vermutungstatbestand des § 12 Abs. 2 widerlegt ist. Die Ein-Monatsfrist wird auch in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte München,125 Nürnberg,126 Bamberg,127 Karlsruhe,128 Koblenz129, Saarbrücken130 und Thüringen131 praktiziert. Die bayerischen Gerichte sollen einer ausnahmsweisen Bejahung des Verfügungsgrundes trotz Überschreitens dieser Frist besonders zurückhaltend gegenüberstehen.132 Mit einer Zwei– Monatsfrist wie das OLG Düsseldorf arbeitet auch das KG.133 Die Informationen über die Praxis des OLG Dresden sind nicht einheitlich. Teils wird von einer Zweimonatsfrist berichtet,134 andererseits aber von einer einmonatigen Regelfrist.135 Das OLG Stuttgart lehnt eine starre Frist als unvereinbar mit dem Gesetzeswortlaut ausdrücklich ab.136 Eine Zeitspanne von unter einem Monat hält es regelmäßig für unschädlich, sieht aber bei einem Zuwarten von über acht Wochen die Dringlichkeitsvermutung grundsätzlich als widerlegt an. Besonderheiten des Streitfalles können indessen jeweils zu einer anderen Beurteilung führen. Das OLG Hamburg137 hat seine 119 Doepner WRP 2011, 1384 Fn. 28; auch Nordemann/Nordemann/Nordemann-Schiffel, Wettbewerbsrecht Markenrecht Rn. 1559, meinen, die Kölner Frist sei starr. 120 OLG Köln 14.3.2012 – 6 W 42/12 – GRUR-RR 2012, 480. 121 Umfangreiche Nachweise aus der Zeit vor 1990 finden sich bei GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 41–63; zu aktuellen Nachweisen vgl. Büscher/Schmidt § 12 Rn. 188–199; Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 100 Rn. 31, 32; Harte/Henning/Retzer; Anhang zu § 12 Rn. 942 ff.; Hess in: juris-PK-UWG § 12 Rn. 131; Berneke/Schüttpelz Rn. 157–176. 122 OLG Hamm 20.9.2011 – 4 U 73/11 – Magazindienst 2012, 199, 203; OLG Hamm 2.12.2012 – 4 U 168/11 – Magazindienst 2012, 508, 510; OLG Hamm 24.1.2013 – 4 U 186/12 – WRP 2013, 1073 Rn. 34 f. 123 OLG Köln 14.3.2012 – 6 W 42/12 – GRUR-RR 2012, 480; s. auch OLG Köln 22.9.1999 – 3 U 193/99 – GRUR 2000, 167. 124 OLG Düsseldorf 5.10.2010 – I-20 U 126/10 – GRUR-RR 2011, 315, 316; OLG Düsseldorf 21.12.2010 – 20 U 129/10 – Magazindienst 2011, 220. 125 OLG München 24.2.2000 – 6 U 4995/99 – Magazindienst 2000, 660, 667 f.; OLG München 13.8.2007 – 29 W 2073/07 – Magazindienst 2007, 973, 975 f.; OLG München 20.10.2016 – 6 U 2046/16 – GRUR-RR 2017, 11, 14. 126 OLG Nürnberg 13.11.2001 – 3 U 3189/01 – MDR 2002, 533. 127 OLG Bamberg 12.2.2014 – 3 U 192/13 – WRP 2014, 609 Rn. 35. 128 OLG Karlsruhe 25.4.2007 – 6 U 43/07 – WRP 2007, 822, 823. 129 OLG Koblenz 23.2.2011 – 9 W 698/10 – GRUR 2011, 451 mit zustimmender Anm. von Demuth GRUR 2011, 404. 130 OLG Saarbrücken 31.8.2016 – 1 U 150/15 – GRUR-RR 2017, 80. 131 OLG Thüringen 26.11.2010 – 2 U 190/10 – Magazindienst 2011, 755; OLG Thüringen 19.2.2014 – 2 U 668/13 – GRUR-RR 2014, 294, 296; OLG Thüringen 13.4.2016 – 2 U 33/16 – juris Rn. 6. 132 Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 25; Doepner WRP 2011, 1384, 1385. 133 Vgl. Rn. 89, 90 sowie LG Berlin 19.7.2011 – 15 O 183/11 – Magazindienst 2011, 759, 763. 134 So der Bericht von Marx WRP 2004, 970 f. 135 juris-PK/Hess sowie Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 100 Rn. 31 unter Hinweis auf eine (unveröffentlichte) Entscheidung vom OLG Dresden 23.10.2006 – 14 W 1083/06; siehe aber auch OLG Dresden 27.11.2018 – 4 U 1282/ 18 – juris Rn. 11. 136 OLG Stuttgart 12.10.2017 – 2 U 162/16 – WRP 2018, 369 Rn. 42. 137 OLG Hamburg 12.2.2007 – 5 U 189/06 – WRP 2007, 675; OLG Hamburg 15.8.2007 – 5 U 173/06 – WRP 2007, 1251, 1252; OLG Hamburg 10.4.2008 – 3 U 78/07 – GRUR-RR 2008, 366, 367; OLG Hamburg 21.3.2019 – 3 U 105/18 – WRP 2019, 917 Rn. 19 (meist 6–8 Wochen); Büscher/Schmidt § 12 Rn. 195. Schwippert

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in der Erstauflage138 geschilderte Rechtsprechung, dem Antragsteller stets viele Monate Zeit zu lassen, längst aufgegeben. Es arbeitet nicht mit Regelfristen. Der Antragsteller darf sich in einfach gelagerten Sachen nicht darauf verlassen, acht Wochen Zeit zu haben. Auch das OLG Frankfurt a. M.139 lehnt starre Fristen ab und spricht von einem groben Zeitrahmen von sechs Wochen. Das OLG Zweibrücken140 nennt keine Regelfristen und betont die Notwendigkeit der Prüfung des einzelnen Falles.

dd) Überschreiten der Regelfrist. Die Gründe, die trotz Überschreitens der bei dem jeweili- 62 gen Gericht angewandten Regelfrist nicht zum Dringlichkeitsverlust führen, können vielfältig sein. Je kürzer das Gericht die Frist bemisst, umso eher sollte es Ausnahmen zulassen. Zwischenzeitliche Weihnachtsfeiertage fallen bei einer Ein-Monatsfrist ins Gewicht – sollten aber auch hier unberücksichtigt bleiben, wenn sich der Gläubiger nicht mit einer Abmahnung aufgehalten hat –, bei einer dreimonatigen Spanne nicht.141 Die Beschaffung von eidesstattlichen Versicherungen kann wegen Urlaubs oder Auslandsaufenthaltes maßgeblicher Zeugen zeitraubend sein. Bestimmte Verfahren mit technisch oder wissenschaftlich schwierigen Fragestellungen lassen sich oft nicht erfolgreich betreiben, ohne ein privates Sachverständigengutachten einzureichen.142 In aller Regel wird dem Gläubiger nicht zuzumuten sein, das Verfahren in der Hoffnung zu beginnen, das Gutachten bis zur mündlichen Verhandlung noch nachreichen zu können; das würde die Verteidigungsmöglichkeiten des Gegners zudem beschränken. Wer sich allerdings einen Gutachter auswählt, der deutlich erklärt hat, in den nächsten zwei Monaten mit anderen Arbeiten vollständig ausgelastet zu sein, wird auf Milde nicht hoffen dürfen. Mit der Frist ist auch dann elastisch umzugehen, wenn der Schuldner nach der Abmahnung ein Vergleichsgespräch angeboten und dadurch eine entscheidende Verzögerung bewirkt hat.143 Waren die nachfolgenden Verhandlungen ernsthaft, so erklärt das hinreichend den Zeitverlust. Hat der Schuldner die Gesprächsbereitschaft nur vorgetäuscht und dem Gläubiger eine Falle gestellt, wäre es falsch, ihn dafür mit der Erkenntnis zu belohnen, ein Eilverfahren sei wegen Dringlichkeitsverlust nicht mehr statthaft. Eine zu große Bierruhe des Gläubigers toleriert die Rechtsprechung allerdings nicht.144

ee) Kein Verbandsprivileg. Verbraucherschutzverbänden ist bei der Fristbemessung nach 63 jetzt allgemeiner Meinung kein Privileg mit der Begründung einzuräumen, sie verfolgten allgemeine Interessen.145 Vereinzelte gegenteilige Rechtsprechung liegt viele Jahrzehnte zurück.146 Wie andere Gläubiger auch bleibt es ihnen unbenommen, geltend zu machen, sie seien im Ein138 GK-UWG/Schultz-Süchting1 § 25 Rn. 48 mit Fn. 76. 139 OLG Frankfurt a. M. 11.6.2013 – 6 W 61/13 – WRP 2013, 1068 Rn. 2; OLG Frankfurt a. M. 13.9.2018 – 6 U 74/18 – GRUR-RR 2019, 63; OLG Frankfurt a. M. 5.12.2019 – 6 U 151/19 – WRP 2020, 362 Rn. 6. 140 OLG Zweibrücken 29.5.2008 – 4 U 22/08 – GRUR-RR 2008, 346 – namensgleiche Neugründung. 141 Vgl. zur Bedeutung von Feiertagen KG 7.11.1997 – 5 U 4717/97 – NJWE–WettbR 1998, 269; OLG Thüringen 26.11.2010 – 2 U 190/10 – Magazindienst 2011, 755. 142 Daher Verlängerung der Regelfrist: OLG Köln 14.3.2012 – 6 W 42/12 – WRP 2013, 98. 143 KG 11.3.1980 – 5 W 831/80 – WRP 1980, 491, 492; OLG Köln 26.9.1975 – 6 U 59/75 – WRP 1975, 745, 746; OLG Köln 9.5.1980 – 6 U 31/80 – WRP 1980, 502, 503; OLG Stuttgart 13.1.1978 – 2 U 120/77 – GRUR 1978, 538, 540 – „Vorsaisonpreise“; OLG Hamburg 31.8.2000 – 3 U 272/99 – WRP 2001, 956; Melullis Rn. 171a. 144 KG 20.10.1992 – 5 U 3558/92 – GRUR 1993, 929 (Ls.); OLG Bremen 6.9.1990 – 2 U 67/90 – NJW-RR 1991, 44; OLG Frankfurt a. M. 18.12.1978 – 6 W 140/78 – GRUR 1979, 325; Berneke/Schüttpelz Rn. 159. 145 OLG Koblenz 17.5.1985 – 6 U 302/85 – WRP 1985, 578, 579; OLG Düsseldorf 14.7.1988 – 2 U 35/88 – WRP 1989, 171; OLG Frankfurt a. M. 29.6.1988 – 6 W 73/88 – GRUR 1988, 849; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 UWG Rn. 3.17; Berneke/Schüttpelz Rn. 180; Ahrens/Singer Kap. 45 Rn. 34; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 32. 146 OLG Stuttgart 16.1.1970 – 2 U 125/69 – GRUR 1970, 613; OLG Hamburg 14.5.1987 – 3 U 8/87 – GRUR 1987, 721; OLG Frankfurt a. M. 29.6.1988 – 6 W 73/88 – GRUR 1988, 849. 869

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zelfall auf besondere Schwierigkeiten gestoßen, die auch darauf beruhen mögen, dass ihre personellen und sachlichen Ressourcen eine höhere Beschleunigung nicht erlaubt hätten.147

5. Fristbeginn schon bei grob fahrlässiger Unkenntnis? 64 Beginnt die Frist mit der Kenntnis des Gläubigers von der Verletzungshandlung zu laufen oder bereits bei grob fahrlässiger Unkenntnis? Lange Zeit war ausgemacht, dass die Kenntnis des Gläubigers maßgeblich sei. In der Erstauflage148 konnte für diese Auffassung eine fast allgemeine Meinung reklamiert werden. Dort wurde lediglich von Gamm149 für die Forderung zitiert, den Fristbeginn auf den Zeitpunkt einer grob fahrlässigen Nichtbeachtung der Verletzungshandlung vorzuverlegen. Nach § 21 Abs. 1 UWG a. F. setzte auch die Verjährungsfrist der Ansprüche auf Unterlassung oder Schadensersatz mit der Kenntnis des Anspruchsberechtigten von der Verletzungshandlung und der verletzenden Person ein. Seit der UWG-Reform aus dem Jahre 2004 beginnt die Verjährungsfrist nach § 11 Abs. 2 auch dann zu laufen, wenn der Gläubiger die Kenntnis erlangt hätte, sofern er nicht grob fahrlässig die Augen verschlossen hätte. Nun stellt sich die Frage, ob darauf auch bei der Prüfung des Verfügungsgrundes abzustellen ist; sie wird in zunehmendem Maße bejaht.150 Nicht selten ist alles nur ein Streit um Worte, weil in der Beurteilung der Fallgruppen wieder Einigkeit besteht.151 Relevante Divergenzen in den Ergebnissen wurzeln weniger in dem unterschiedlichen Ansatz „Kenntnis versus grobe Fahrlässigkeit“ als in der Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Ausmaß es dem Gläubiger obliegt, den Markt zu beobachten.152 Von verschiedenen Autoren werden teilweise identische Beispiele einerseits als Beleg für grobe Fahrlässigkeit, andererseits aber als Indizien gewertet, die den Rückschluss auf die positive Kenntnis zulassen sollen.153 147 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 UWG Rn. 3.17; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 33; a. A. Harte/Henning/Retzer § 12 UWG Rn. 318. 148 GK-UWG/Schultz–Süchting1 § 25 Rn. 60 mit Fn.118; a. A. früher OLG Stuttgart 16.1.1970 – 2 U 125/69 – GRUR 1970, 613, 615; OLG Frankfurt a. M. 24.8.1972 – 6 U 21/72 – WRP 1972, 532. 149 v. Gamm WRP 1968, 312, 313 f. 150 OLG Düsseldorf 13.2.2014 – 6U 84/13 – GRUR-RR 2014, 273; OLG Bamberg 12.2.2014 – 3 U 192/13 – WRP 2014, 609 Rn. 35; OLG Bremen 18.9.2015 – 2U 33/15 – GRUR-Prax 2016, 11; OLG Köln 13.12.2013 – 6 U 100/13 – GRUR-RR 2014, 127; OLG Köln 10.12.2010 – 6 U 112/10 – WRP 2011, 362, 363, anders früher OLG Köln 26.2.2003 – 6 U 201/ 02 – GRUR-RR 2003, 187, 188 – Weinbrandpraline; OLG Frankfurt a. M. 28.5.2013 – 6 U 226/12 – GRUR-RR 393, 394 (selbstverständliche Prüfung der groben Fahrlässigkeit); OLG Frankfurt a. M. 28.4.2016 – 6 U 214/15 – WRP 2016, 902, 903; OLG Stuttgart 4.7.2013 – 2 U 257/12 – Magazindienst 2013, 764, 766 – Mark Brandenburg; OLG Stuttgart 27.1.2016 – 4U 167/15 – juris Rn. 80; OLG Thüringen 29.3.2012 – 2 U 82/12 – WRP 2012, 846, anders aber noch OLG Thüringen 20.7.2011 – 2 U 211/11 – Magazindienst 2011, 747, 749; OLG Hamm 13.1.2011 – 4 W 84/11 – Magazindienst 2011, 993, 995; OLG Karlsruhe 14.4.2010 – 6 U 5/10 – WRP 2010, 793, 794 – Örtliche Zuständigkeit; OLG Hamburg 29.1.2009 – 3 U 107/08 – Magazindienst 2009, 935, 939; OLG München 13.8.2007 – 29 W 2073/07 – Magazindienst 2007, 973; OLG München 17.11.2016 – 29 U 3281/16 –Magazindienst 2017, 183 – Epigenetik; Teplitzky FS Loschelder S. 391, 393 f.; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 28 f.; Kehl FS Loschelder S. 139, 143 ff.; Ahrens/Singer Kap. 45 Rn. 19 f.; Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 100 Rn. 38 f.; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 390; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.15; Ohly/Sosnitza UWG § 12 Rn. 115; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 312, allerdings im Gegensatz zu Rn. 308; Nordemann/Nordemann/Nordemann-Schiffler, Wettbewerbsrecht Markenrecht Rn. 1559; jetzt auch juris-PK/ Hess § 12 Rn. 123; MünchKommZPO/Drescher § 935 Rn. 19.Grobe Fahrlässigkeit lassen nicht genügen: OLG Frankfurt a. M. 13.9.2018 – 6 U 74/18 – WRP 2019, 97 Rn. 10; OLG Rostock 25.5.2011 – 2 U 2/11 – Magazindienst 2011, 647, 648; OLG Hamburg 20.9.2007 – 3 U 30/07 – WRP 2008, 149, 150; FBO/Büscher § 12 Rn. 80; Nordemann/Götting/Kaiser § 12 Rn. 161; Kochendörfer WRP 2005, 1459, 1460; den Meinungsstreit referiert Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 173. 151 Die praktische Relevanz für gering halten Berneke/Schüttpelz Rn. 146 sowie Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 29a; auch Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. Rn. 39 vermuten die Verwendung unterschiedlicher Begriffe bei Einigkeit in der Sache. 152 OLG Frankfurt a. M. 28.5.2013 – 6 U 266/12 – WRP 2013, 1380 verneint denn auch im Streitfall eine grobe Fahrlässigkeit, weil keine Marktbeobachtungspflicht hinsichtlich eines sechstägigen TV-Spots bestanden habe. 153 Vgl. Kehl FS Loschelder S. 139, 144 f. (grobe Fahrlässigkeit); Kochendörfer WRP 2005, 1459 (positive Kenntnis). Schwippert

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a) Marktbeobachtungspflicht. Als die überwiegende Meinung noch auf die Kenntnis als Stich- 65 tag abgestellte, wurde in der Kommentierung regelmäßig zusätzlich betont, dass den Gläubiger keine Marktbeobachtungspflicht treffe. Dabei handelte es sich freilich nicht um eine weitere Einsicht. Es war lediglich eine zwingende Folgerung daraus, dass erst die Kenntnis von der Verletzungshandlung die Frist beginnen lassen konnte; denn es machte keinen Sinn, eine Pflicht zur Marktbeobachtung zu postulieren, deren Nichtbeachtung keine Konsequenzen nach sich zog. Führte sie zu Konsequenzen, so war das Beharren auf der positiven Kenntnis ein bloßes Lippenbekenntnis.154 Das ist anders, wenn es auf grobe Fahrlässigkeit ankommen soll. Die Frage, welche fundamentalen Anforderungen an die Aufmerksamkeit des Gläubigers gestellt sind, gewinnt nun eine zentrale Bedeutung. Es macht deshalb bei den Befürwortern der Ansicht, es sei auf grobe Fahrlässigkeit abzustellen, einen markanten Unterschied aus, ob eine Marktbeobachtung in alter Tradition unverändert verneint155 oder jetzt – in welchem Ausmaß auch immer – bejaht wird. Nur dann wird im Ergebnis einer einschneidenden Änderung der alten Rechtsprechung das Wort geredet. Eine derartige Änderung ist bislang nicht feststellbar. Die Gerichte sind bei der Annahme einer Marktbeobachtungspflicht zurückhaltend geblieben.156

b) Indiztatsachen für Kenntnis. Wenn die Kenntnis des Gläubigers entscheidend ist, kann es 66 im Streitfall Nachweisschwierigkeiten geben. Die subjektive Tatsache der Kenntnis muss aus objektiven Indizien abgeleitet werden. Dabei kann ein Richter mutig sein und den Schluss auf die Kenntnis aus den vorhandenen äußeren Tatsachen gegen die Beteuerungen des Gläubigers ziehen; er sollte das tun. Ist er an dieser Stelle sehr ängstlich, so braucht sich der Gläubiger die Kenntnis regelmäßig nur entgegenhalten zu lassen, wenn sie schriftlich dokumentiert ist. Die verschwiegene Kenntnis führt alsdann zu unfairen Vorteilen. Kochendörfer157 hat einen Katalog von Indizien aufgestellt, die häufig – Vorsicht vor einer schematischen Anwendung! – einen Rückschluss auf die Kenntnis des Gläubigers zulassen. Dazu zählt er einen langen Zeitraum der Nichtbeanstandung des Wettbewerbsverstoßes, einen beiderseitigen Messeauftritt, die Werbung in Massenmedien, intensive Parteibeziehungen und übersichtliche Marktverhältnisse. Sprechen derartige Umstände gegen den Gläubiger, so ist es seine Sache, plausibel darzulegen und glaubhaft zu machen, warum er trotz allem nicht Bescheid gewusst hat. Die Rechtsprechung arbeitet oft mit der diplomatischen Wendung, der Kenntnis stehe es 67 gleich, wenn der Verletzte sich den ihm bekannten Tatsachen „entziehe“oder „verschliesse“. Hier mag die Argumentation leichter fallen, wenn man einerseits die grobe Fahrlässigkeit zum zutreffenden Anknüpfungspunkt erklärt, andererseits aber eine Marktbeobachtungslast ablehnt. Es muss nicht recherchiert werden; wer vor den dennoch zu ihm gelangten Tatsachen die Augen zumacht, tut dies grob fahrlässig. Im Endergebnis gibt das keinen Frontverlauf her. Der Streit gewinnt erst Kontur, wenn der Ansatz „grobe Fahrlässigkeit“ mit der Forderung nach einer einigermaßen strikten Marktbeobachtung des Gläubigers gekoppelt wird. c) Entsprechende Anwendung des § 11 Abs. 2 UWG? Die entsprechende Anwendung des 68 § 11 Abs. 2 UWG wird regelmäßig mit dem Hinweis begründet, nur so könnten schwer erträgliche Wertungswidersprüche vermieden werden.158 Der bestechend klingende Satz, ansonsten werde – 154 So Spätgens UWG-Hdb.4 § 100 Rn. 45, 46. 155 Vgl. OLG Frankfurt a. M. 28.5.2013 – 6 U 266/12 – GRUR-RR 2013, 393, 394 a. E. 156 OLG Frankfurt a. M. 28.5.2013 – 6 U 266/12 – GRUR-RR 2013, 393, 394; OLG Frankfurt a. M. 1.6.2017 – 6 U 17/ 17 – GRUR-RR 2017, 404; OLG Frankfurt a. M. 5.12.2019 – 6 U 151/19 – WRP 2020, 362 Rn. 6 – Wasserpfeifentabak; OLG Köln 13.12.2013 – 6 U 100/13 – GRUR-RR 2014, 127 Rn. 12; OLG Düsseldorf 13.2.2014 – I-6 U 84/13 – GRUR-RR 2014, 273, 275; OLG Thüringen 13.4.2016 – 2 U 33/16 – Magazindienst 2016, 664; OLG Hamburg 16.2.2017 – 3 U 194/ 15 – WRP 2017, 1129 Rn. 36 ff.; OLG Nürnberg 14.9.2018 – 3 U 1138/18 – WRP 2018, 1535. 157 Kochendörfer WRP 2005, 1459, 1461 f. 158 Vgl. Harte/Henning/Retzer § 12 UWG Rn. 312; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 28: Kehl FS Loschelder S. 139, 145. 871

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welches Paradox – die Dringlichkeit für die Durchsetzung verjährter Forderungen bejaht, verfängt jedoch nicht. Es leuchtet ein, dass für verjährte Forderungen kein Eilverfahren verfügbar sein kann. Wer die ihm zustehende Forderung hat verjähren lassen, hat die Dringlichkeitsvermutung selbst widerlegt. 69 Die Übertragung des Rechtsgedankens des § 11 Abs. 2 UWG drängt sich nicht auf, weil die jeweiligen Fristen – insbesondere, nachdem die Monatsfrist verstärkt in Mode gekommen ist – sehr unterschiedlich sind. Wenn nach dem Willen des Gesetzgebers die wettbewerbsrechtlichen Ansprüche gegen den Willen des Schuldners nach dem Ablauf von sechs Monaten seit grob fahrlässiger Unkenntnis nicht mehr durchsetzbar sind, ist die Schlussfolgerung, ein oder zwei Monate nach diesem Zeitpunkt sei die Durchführung eines Eilverfahrens nicht mehr zulässig, wenig überzeugend. Wer auf die Kenntnis abhebt, besitzt einen guten Grund, dem Gläubiger bis zur Antragstellung nicht beliebig viel Zeit einzuräumen. Es verstößt gegen den grundlegenden Gedanken der Waffengleichheit, ihn seine Gewehre in Ruhe laden zu lassen, auf dass er den Schuldner umso besser durch das Eilverfahren hetzen kann. Wer keine Kenntnis von der Verletzungshandlung hat, schmiedet demgegenüber die Waffen für das Eilverfahren nicht: grobe Fahrlässigkeit hin oder her. Aus diesem Grund hinkt die Analogie.

6. Wessen Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis entscheidet? 70 Es versteht sich, dass die Dringlichkeitsfrist zu laufen beginnt, wenn der Gläubiger selbst oder sein gesetzlicher Vertreter von der Verletzungshandlung Kenntnis erlangt oder sich ihr verschlossen hat. Dabei kann es in großen arbeitsteilig organisierten Unternehmen nicht sein Bewenden haben. Hier kommt es entscheidend auf das Verhalten der im eigenen Organisationsbereich tätigen, intern zuständigen Mitarbeiter an. Aber auch der Informationsstand Dritter außerhalb des eigenen Organisationsbereichs kann in Ausnahmefällen zugerechnet werden.

71 a) Kenntnisstand des verantwortlichen Mitarbeiters. Bei der Frage, welches im eigenen Organisationsbereich entstandene Wissen für die Kenntnis von der Verletzungshandlung verwertbar ist, orientiert sich das Schrifttum seit der grundlegenden Untersuchung von Mes159 an den Grundsätzen, die der BGH in entsprechender Anwendung des § 166 Abs. 1 BGB über die Wissenszurechnung entwickelt hat.160 Die für das rechtsgeschäftliche Handeln zum Zwecke der Verkehrssicherheit entwickelten Regeln sollten aber nicht unverändert auf das Wettbewerbsrecht übertragen werden; sie gehen dort zu weit.161 Richtiger ist es, auf die Grundsätze abzustellen, die vom BGH im Rahmen des Verjährungsbeginns nach § 852 Abs. 1 BGB erarbeitet worden sind.162 Danach kommt es auf das Wissen der Mitarbeiter an, denen die Entscheidung obliegt, ob wettbewerbsrechtliche Ansprüche geltend gemacht werden, und/oder sie die Aufgabe haben, derartige Verstöße festzustellen.163 In den vergangenen Jahren hat sich indessen verstärkt die Tendenz gezeigt, den Kreis der Wissensvertreter breiter zu ziehen und um Sachbearbeiter zu erweitern, von denen nach ihrer Funktion erwartet werden durfte, die Wettbewerbsrelevanz des 159 Mes FS Nirk, S. 661, 672 ff.; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 29b; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 313; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 391; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.15; ebenso OLG Frankfurt a. M. 11.6.2013 – 6 W 61/13 – WRP 2013, 1068 Rn. 4. 160 BGH 2.2.1996 – V ZR 239/94 – BGHZ 132, 30 = NJW 1996, 1339; BGH 15.4.1997 – XI ZR 105/96 – BGHZ 135, 202 = NJW 1997, 1917. 161 Ahrens/Singer Kap. 45 Rn. 28; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 29b. 162 BGH 25.6.1996 – VI ZR 117/95 – BGHZ 134, 343 = NJW 1996, 2508; BGH 4.2.1997 – VI ZR 306/95 – BGHZ 134, 343 = NJW 1997, 1584; BGH 28.11.2006 – VI ZR 196/05 – NJW 2007, 834. 163 OLG Hamburg 12.7.2006 – 5 U 179/05 – GRUR-RR 2006, 374, 376 – 200. Neueröffnung; OLG Köln 25.7.2014 – I6 U 197/13 – WRP 2014, 1085 – L-Thyrox; OLG Frankfurt a. M. 27.3.2014 – 6 U 243/13 – WRP 2014, 981. Schwippert

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Verhaltens der Konkurrenz zu erkennen und diese Einsicht an die maßgeblichen Personen des Unternehmens weiterzugeben.164 Das kann im Einzelfall richtig sein, bei einer unvorsichtigen Generalisierung aber auf eine Überforderung der Mitarbeiter hinauslaufen.165 Zweifelsfrei ist indessen auf die Kenntnis des Anwalts abzustellen, der zur Abwehr einer Abmahnung eingeschaltet worden ist und in diesem Zusammenhang von Verstößen der Gegenseite erfährt.166 Keine Rolle spielen hingegen Informationen, die der Anwalt bei der Bearbeitung eines Auftrags für einen anderen Mandanten erhalten hat.167 Liegt die Entscheidungskompetenz bei mehreren Mitarbeitern, kommt es auf die Kenntnisnahme beim ersten an.168 Ist die Organisation darauf ausgerichtet, dass mehrere Personen zusammenarbeiten, so müssen sie zügig kooperieren. Keinesfalls kann jeder Mitarbeiter die volle Regelfrist jeweils wieder neu für sich selbst beanspruchen. Bedient sich der Prinzipal für die Verfolgung von Rechtsverletzungen bei einem selbständigen Rechtsanwalt als seiner ausgelagerten Rechtsabteilung, so beginnt die Frist nicht etwa erst dann zu laufen, wenn er den Anwalt von der Verletzungshandlung in Kenntnis setzt.169 Es stünde sonst in seinem Belieben, wie er den Start des Eilverfahrens hinausschiebt. Nach diesen Grundsätzen sind Außendienstmitarbeiter grundsätzlich keine Wissensvertreter.170 Sie sollen aquirieren und die Kunden zufrieden stellen, nicht aber wettbewerbspolizeilich tätig sein. Entsprechendes gilt grundsätzlich für Detektive, Testkäufer,171 Techniker und Einkäufer. Ist allerdings nicht deren Routinegeschäft betroffen, sondern sind sie auf einen speziellen Fall mit konkreten Vorgaben angesetzt worden, wird zu prüfen sein, ob der Streitfall eine andere Beurteilung rechtfertigt.172 Kontrovers wird eine Entscheidung des OLG Köln aus dem Jahre 1998 debattiert.173 In der 72 Rechtsabteilung eines Unternehmens war ein Leiter einer so genannten Auswertungstelle installiert, in der die überregionalen Zeitungen und Zeitschriften auf die dort veröffentlichte Werbung von Konkurrenten überprüft werden sollten. Die zu beanstandende Werbung war in dringlichkeitsschädlicher Vorzeit bereits in drei großen deutschen überregionalen Zeitungen in auffälliger Weise erschienen. Das Gericht unterstellt, dass die Vorstandsmitglieder diese Werbung seinerzeit zur Kenntnis genommen hätten, während der verantwortliche Mann der Rechtsabteilung über die Werbung erstmals durch eine weitere Zeitungsveröffentlichung sechs Wochen später ins Bild gesetzt worden sei. Auf dessen Kenntnis komme es jedoch an. Die Vorstandsmitglieder hätten darauf vertrauen dürfen, dass die Auswertungsstelle ihre Informationen selbstständig und zuverlässig sammele. Dem im Schrifttum sehr umstrittenen letzten Satz wird man zustimmen müssen. Ohne Delegation geht es in einem Großunternehmen nicht ab; sie verliert ihren Sinn, wenn die Leitungsebene ihre auf allgemein zugänglichen Kanälen gewonnenen Informationen gleichwohl an die Abteilungen und Unterabteilungen weiterzuleiten hat. Der Schwachpunkt der Entscheidung liegt an einer anderen Stelle. War die Werbung so unübersehbar, dass die Vorstandsmitglieder auf die Tätigkeit ihrer Auswertungsstelle blind vertrauen durften, so 164 Vgl. OLG Brandenburg 14.4.2011 – 6 U 79/10 – WRP 2012, 747 Rn. 25; OLG Köln 13.12.2013 – 6 U 100/13 – GRURRR 2014, 127 f.; OLG Frankfurt a. M. 26.9.2018 – 6 U 49/18 – WRP 2019, 99. 165 Zu Vorsicht mahnen auch Ahrens/Singer Kap. 45 Rn. 29; jurisPK/Hess § 12 UWG Rn. 124; Ahrens/Schmidt § 12 Rn. 179; der Rechtsprechung stimmen dagegen zu Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. Rn. 40. 166 OLG Frankfurt a. M. 11.6.2013 – 6 W 61/13 – WRP 2013, 1068 Rn. 4. 167 OLG Hamburg 16.2.2017 – 3 U 194/15 – WRP 2017, 1129. 168 OLG München 16.11.1995 – 6 U 2983/95 – OLGR 1996, 99. 169 OLG Köln 22.1.2010 – 6 W 149/09 – GRUR-RR 2010, 493, 494. 170 OLG Hamburg 14.2.2013 – 3 U 34/12 – GRUR-RR 2013, 344, 347 sub 4.; zurückhaltend auch Kehl FS Loschelder S. 144, allerdings in gewissem Gegensatz zu S. 146 (unter 4.). 171 Vgl. Mes FS Traub S. 661, 674 f. 172 Vgl. die Fallgestaltung bei OLG Stuttgart 26.10.1984 – 2 U 67/84 – WRP 1985, 242, 243 (Wissenszurechnung beim Verjährungsbeginn). 173 OLG Köln 13.11.1998 – 6 U 115/98 – WRP 1999, 222, 223; ablehnend Kehl FS Loschelder S. 139, 146 Fn. 34; Zurückhaltung bei Ahrens/Singer Kap. 45 Rn. 26; nur referierend Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 313; eher zustimmend Berneke/Schüttpelz Rn. 144; Melullis Rn. 167. 873

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war auch ein Vermutungstatbestand für rechtzeitige Kenntnis in dieser Stelle geschaffen.174 Dem Sachverhalt ist nicht zu entnehmen, aufgrund welcher Einzelheiten – eine unsubstantiierte eidesstattliche Versicherung durfte nicht reichen – diese Vermutung wieder hat ausgeräumt werden können.

73 b) Kenntnisse Dritter. Die Kenntnisse Dritter außerhalb des eigenen Organisationsbereichs sind dem Gläubiger grundsätzlich nicht zuzurechnen. Das gilt auch für selbständige juristische Personen im Konzernverbund;175 freilich entsteht die bei der Muttergesellschaft verloren gegangene Dringlichkeit nicht wieder neu durch die Gründung einer Tochter.176 Auch versteht es sich, dass es auf die bei einer nach Abschluss des Gründungsvertrages bestehenden Vor-GmbH entstandenen Kenntnisse auch nach der Registereintragung weiter ankommt.177 Anders liegen die Dinge aber, wenn der Dritte einen Mitbewerber mit der Verfolgung der Verletzungshandlung ins Rennen schickt, nachdem er selbst seit deren Kenntnis zu lange gewartet hat. Problematisch ist freilich nicht dieser Rechtssatz, sondern der Umstand, dass von derartigen Vorgängen der Gegner und das Gericht meistens nichts wissen. 74 Streitig ist die Behandlung der Fälle, in denen ein nach § 8 Abs. 3 UWG legitimierter Verband von einem Mitbewerber des Verletzers, der selbst den Dringlichkeitsverlust zu beklagen hat, unterrichtet wird. Teilweise hat die Rechtsprechung apodiktisch auf die Kenntnis dieses Mitbewerbers abgestellt.178 In der Mehrzahl der einschlägigen Entscheidungen ist dessen Kenntnis nur mit der zusätzlichen Voraussetzung für maßgeblich erklärt worden, dass der Verband von ihm vorgeschoben worden sei und mit dem Verfahren keine eigenen Interessen verfolge.179 Steht die Unterrichtung des Verbandes durch einen Mitbewerber des Verletzers mit Dringlichkeitsverlust fest, sollte der Verband danach darzulegen haben, welche eigenen Interessen ihn zur Rechtsverfolgung animieren.180 Der Schuldner wird dazu regelmäßig nichts beitragen können.181

7. Worauf bezieht sich die Kenntnis? 75 Zu klären bleibt, auf welche Einzelheiten sich das Wissen des Gläubigers erstrecken muss, um von einer Kenntnis der Verletzungshandlung sprechen zu können.

174 Rn. 66. 175 OLG Stuttgart 24.11.1995 – 2 U 178/95 – NJWE-WettbR 1996, 111; Berneke/Schüttpelz Rn. 144; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 391. 176 OLG Hamburg 17.2.2000 – 3 U 224/99 – OLGR 2000, 259. 177 OLG Köln 21.8.1992 – 6 U 107/92 – GRUR 1993, 685. 178 OLG Karlsruhe 5.5.1993 – 6 W 23/93 – GRUR 1993, 697. 179 OLG Hamburg 14.5.1987 – 3 U 8/87 – GRUR 1987, 721, 722; OLG Frankfurt a. M. 19.1.1989 – 6 U 186/88 – GRUR 1989, 375 (Ls.); OLG Frankfurt a. M. 5.2.1991 – 6 W 183/90 – GRUR 1991, 471; OLG Köln 15.1.1993 – 6 U 88/92 – GRUR 1993, 698 (Ls.); ebenso im Schrifttum Berneke/Schüttpelz Rn. 144; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 35; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.17; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 319; Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 100 Rn. 40; Ahrens/Singer Kap. 45 Rn. 32; Melullis Rn. 162 (als Strohmann eingeschalteter Verband); nur referierend MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 394. 180 So OLG Frankfurt a. M. 19.1.1989 – 6 U 186/88 – GRUR 1989, 375 (Ls.); OLG Frankfurt a. M. 5.2.1991 – 6 W 183/ 90 – GRUR 1991, 471; a. A. OLG Köln 15.1.1993 – 6 U 88/92 – GRUR 1993, 698 (Ls.) – Darlegungslast beim Schuldner; OLG Hamburg 10.10.1991 – 3 U 58/91 – WRP 1992, 186, 187; OLG Celle 23.6.2005 – 13 U 82/05 – Magazindienst 2005, 911, 913. Mit einem aus den Besonderheiten des Streitfalls entwickelten Vermutungstatbestand zulasten des Verbandes arbeitet OLG Hamburg 14.5.1987 – 3 U 8/87 – GRUR 1987, 721, 722. 181 Im Schrifttum sehen die Darlegungslast beim Antragsgegner Berneke/Schüttpelz Rn. 181; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 181; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.17; Ahrens/Singer Kap. 45 Rn. 32. Schwippert

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a) Kenntnis der relevanten Umstände. Fristen beginnen nur dann zu laufen, wenn der Gläu- 76 biger Kenntnis von allen Umständen hat, welche die Beurteilung einer Handlung als wettbewerbswidrig erlauben und ein Vorgehen gegen den Verletzer ermöglichen. Nebensächliche Details, die für diese Beurteilung gleichgültig sind, also den Kern der Verletzungshandlung nicht ausmachen, müssen ihm nicht geläufig sein. Es genügt demnach die Kenntnis vom Vertrieb und dem Design eines Produktes, das dem des Gläubigers zum Verwechseln ähnlich ist, wenn aus dem Gesichtspunkt des ergänzenden Leistungsschutzes vorgegangen werden soll. Ist der Gläubiger darüber unterrichtet, dass eine GmbH nur einen Geschäftsführer hat und steht eine wichtige unternehmenspolitische Leitentscheidung wie die Aufnahme einer neuen Produktpalette in Rede, so kennt er alle für die persönliche Haftung auch des Geschäftsführers notwendigen Fakten.182 Die Kenntnis vom Vertrieb eines Produktes genügt aber nicht, wenn der Verletzungstatbestand erfordert, dass es über die notwendige behördliche Zulassung nicht verfügt. Eine die Dringlichkeitsspanne betreffende Kenntnis hat der Gläubiger in einem solchen Fall erst dann, wenn er auch über die fehlende Zulassung unterrichtet ist. Entsprechendes gilt, wenn sich erst im Laufe der Zeit herausstellt, dass eine schon früher veröffentlichte Werbung inhaltlich unrichtig war.183 So liegt es regelmäßig bei Aktionstagen, die mit festen Fristen als einmalige Veranstaltung angekündigt, aber kurze Zeit später wiederholt werden.184 Ist der Gläubiger im Besitz der in diesem Sinne notwendigen Informationen, kommt es nicht darauf an, ob er richtig subsumiert und vom Bestehen eines Unterlassungsanspruchs gegen den Verletzer überzeugt ist, ihn für möglich oder für unwahrscheinlich hält. Auch wer überhaupt nicht auf den Gedanken kommt, dass ein ihm bekanntes Vorgehen wettbewerbsrechtlich bedenklich sein könnte, kann nicht mehr zum Eilverfahren greifen, wenn er lange Zeit später über seine Ansprüche belehrt wird.185 b) Kenntnis von der ersten Verletzungshandlung. Die Frist beginnt mit der Kenntnis von 77 der ersten Verletzungshandlung zu laufen. Wird diese Handlung – was in völlig identischer Form zumindest zeitlich nie möglich ist – in kerngleicher Weise wiederholt, beginnt grundsätzlich keine neue Dringlichkeitsfrist.186 Wer auf ein Vorgehen gegen eine in der FAZ erschienene Werbung verzichtet hat, kann nicht viele Monate später losschlagen, wenn sie in der TAZ wortgleich wiederholt wird. Von diesem Grundsatz sind indessen Ausnahmen zu machen, wenn die jüngere Verletzungshandlung den Verletzten empfindlicher trifft als es die ältere getan hat. Wer eine Werbung im Bückeburger Landboten hat passieren lassen, darf später noch zum Eilverfahren greifen, wenn eine im übrigen wortgleiche Anzeige in der Süddeutschen Zeitung erscheint. Vielleicht durfte bei der ersten Verletzungshandlung der Kleinunternehmer noch Narrenfreiheit genießen, während er Monate später als ernsthafter Konkurrent eine Attacke wert ist.187 Trotz Kerngleichheit führt die gesteigerte Intensität der Verletzungshandlung zu einer neuen Kenntnis mit dem Lauf einer neuen eigenen Dringlichkeitsfrist.188 182 OLG Köln 29.5.2020 – 6 U 288/19 – WRP 2020, 1225 Rn. 14 f. 183 OLG Frankfurt a. M. 17.11.1983 – 6 U 86/83 – GRUR 1984, 365; OLG Hamburg 19.9.1985 – 3 U 108/85 –WRP 1986, 107; OLG Köln 13.6.1997 – 6 W 40/97 – WRP 1997, 872; Ahrens/Singer Kap. 45 Rn. 37; Melullis Rn. 170. 184 Vgl. die Entscheidungen BGH 7.7.2011 – I ZR 173/09 – GRUR 2012, 208 – 10 % Geburtstags-Rabatt; BGH 7.7.2011 – I ZR 181/10 – GRUR 2012, 213 – Frühlings-Special. 185 OLG Hamm 4.11.1980 – 4 U 209/80 – WRP 1981, 473; OLG Hamburg 12.2.2007 – 5 U 189/06 – WRP 2007, 675; Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 100 Rn. 35. 186 OLG Saarbrücken 18.10.2000 – 1 U 480/00 – OLGR 2001, 65; OLG Hamburg 11.8.2005 – 5 U 19/05 – WRP 2005, 1301 – Startguthaben; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 UWG Rn. 3.19; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 37; Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 100 Rn. 42; juris-PK/Hess § 12 Rn. 142. 187 Vgl. OLG Koblenz 13.4.1995 – 6 U 130/95 – WRP 1995, 651, 652. 188 OLG Frankfurt a. M. 20.4.1978 – 6 U 191/77 – WRP 1978, 467 und OLG Frankfurt a. M. 15.3.1984 – 6 U 105/83 – WRP 1984, 618; OLG Koblenz 30.3.1973 – 2 U 8/73 – WRP 1973, 484; OLG Koblenz 31.8.1978 – 6 U 537/78 – WRP 1978, 835; OLG Karlsruhe 20.5.1976 – 4 U 11/76 – WRP 1976, 713; OLG Köln 25.6.1976 – 6 U 122/75 – GRUR 1977, 220 875

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8. Fristbeginn und Erstbegehungsgefahr 78 Streitig ist, ob die Frist auch dann erst mit der Kenntnis von der Verletzungshandlung zu laufen beginnt, wenn der Gläubiger im einzelnen über Vorbereitungshandlungen informiert war, die eine Erstbegehungsgefahr begründen. In diesem Zusammenhang sind zwei verschiedene Fragestellungen deutlich auseinanderzuhalten.

79 a) Dringlichkeitsfrist bei Erstbegehungsgefahr. Soweit ersichtlich ist es allgemeine Auffassung,189 dass auch mit der Geltendmachung eines auf Erstbegehungsgefahr gegründeten vorbeugenden Unterlassungsanspruchs nicht zu lange gewartet werden darf, wenn ein Eilverfahren noch betrieben werden soll. Die Dringlichkeitsfristen gelten im Grundsatz ebenso wie für einen auf Wiederholungsgefahr gestützten Unterlassungsanspruch. Allerdings ist im Auge zu behalten, dass anders als nach einer Verletzungshandlung, für deren Wiederholung eine Vermutung spricht, die Erstbegehungsgefahr ernsthafte und greifbare tatsächliche Anhaltspunkte für eine in naher Zukunft konkret drohende Rechtsverletzung voraussetzt und der Gläubiger alle Umstände darlegen und glaubhaft machen muss, aus denen sie sich im konkreten Fall ergeben soll. Für diese Beurteilung sind zwar objektive Maßstäbe entscheidend und nicht die subjektive Einschätzung des Gläubigers.190 Auch die objektive Betrachtungsweise findet aber gelegentlich Grauzonen vor, bei der verschiedene Beurteilungen vertretbar erscheinen.191 Der Gläubiger, der in einer derartigen Lage noch einen Entwicklungsschritt abgewartet hat, um die Voraussetzungen des vorbeugenden Unterlassungsanspruches besser unterfüttern zu können, sollte dafür nicht mit dem Verlust des Eilverfahrens bestraft werden. Angebliche Verfechter einer Auffassung, wonach bei auf das Markenrecht gestützten vorbeugenden Unterlassungsansprüchen die üblichen Dringlichkeitsfristen keine Anwendung finden könnten, bekämpfen bei Licht betrachtet allein die Rechtsprechung, wonach bereits die bloße Markenanmeldung eine Erstbegehungsgefahr für deren Benutzung entstehen lasse;192 wenn dann ein vorbeugender Unterlassungsanspruch überhaupt nicht besteht, kann selbstredend auch keine Dringlichkeitsfrist beginnen.

80 b) Verletzungshandlung folgt auf Erstbegehungsgefahr. Daran schließt sich die nächste Frage an, ob eine neue Frist zu laufen beginnt, wenn es später zu einer Verletzungshandlung kommt und sich der Unterlassungsanspruch jetzt auf die Vermutung der Wiederholungsgefahr stützen kann. Ihre Beantwortung ist in der Rechtsprechung unterschiedlich ausgefallen.193 Auch und OLG Köln 11.5.1977 – 6 U 17/77 – WRP 1978, 556; OLG Stuttgart 22.8.1975 – 2 W 35/75 – WRP 1976, 54 und OLG Stuttgart 15.5.1981 – 2 U 47/81 – WRP 1981, 668; KG 22.9.1978 – 5 U 2982/78 – WRP 1978, 888; OLG München 8.6.2000 – U (K) 6126/99 u. a. – GRUR-RR 2001, 92; OLG Düsseldorf 13.2.2014 – I-6 U 84/13 – GRUR-RR 2014, 273, 275; OLG Stuttgart 27.1.2016 – 4 U 167/15 – juris Rn. 84; Koch/Vykydal WRP 2005, 688 ff.; Berneke/Schüttpelz Rn. 182 mit weiteren Beispielen; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 37; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.19; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 332; Ahrens/Singer Kap. 45 Rn. 60; Melullis Rn. 173; a. A. Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 234 (neuer Fristenlauf nur bei anderem Streitgegenstand). 189 OLG Frankfurt a. M. 5.12.2019 – 6 U 151/19 – WRP 2020, 362 Rn. 7; OLG Hamburg 10.6.1982 – 3 U 49/82 – WRP 1982, 478; KG 9.2.2001 – 5 U 9667/00 – NJW-RR 2001, 1201; OLG Stuttgart 25.10.1996 – 2 U 108/96 – WRP 1997, 60; Berneke/Schüttpelz Rn. 143; Ahrens/Singer Kap. 45 Rn. 63. 190 Statt aller Teplitzky/Kessen Kap. 10 Rn. 2, 3, 8 mit umfangreichen Nachweisen. 191 Vgl. Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 203. 192 Wie Schulz WRP 2000, 258, 259; vgl. auch Eikelau Markenrecht 2001, 41. 193 Verneinend (es beginnt keine neue Frist): OLG Frankfurt a. M. 17.1.2013 – 6 U 88/12 – GRUR-RR 2014, 82, 83; OLG Frankfurt a. M. 5.12.2019 – 6 U 151/19 – WRP 2020, 362 Rn. 7 und Ls. 1; OLG Hamburg 10.6.1982 – 3 U 49/82 – WRP 1982, 478, 479; OLG Hamburg 12.7.2007 – 3 U 39/07 – GRUR-RR 2008, 100, 101; KG 9.2.2001 – 5 U 9667/00 – NJW-RR 2001, 1201, 1202; OLG Stuttgart 25.2.2009 – 4 U 204/08 – GRUR-RR 2009, 447 (Ls.) – Ordenssammlung; Schwippert

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das Schrifttum ist geteilter Meinung.194 Teplitzky195 hat vorgeschlagen, zwischen verschiedenen Fallgruppen zu differenzieren. Bei Markenanmeldungen und Titelschutzanzeigen realisiere sich die Begehungsgefahr häufig nicht; die spätere Benutzung stelle hier regelmäßig eine andere Art von Intensität dar, was den Neubeginn einer Dringlichkeitsfrist rechtfertige. Bei anderen Fallgestaltungen könne es an dieser Intensivierung fehlen und es daher nicht angebracht sein, die Frist neu beginnen zu lassen. Diese abwägende Betrachtungsweise verdient den Vorzug.196 Die auf Erstbegehungsgefahr bzw. Wiederholungsgefahr gestützten Ansprüche stellen, sofern sie nicht auf einem einheitlichen Lebenssachverhalt beruhen,197 unterschiedliche Streitgegenstände dar.198 Um kerngleiche Verletzungshandlungen geht es dann nicht. Die Wiederholungsgefahr kann – solange es nicht durch rechtskräftigen Titel geschehen ist – nur durch eine strafbewehrte Unterlassungserklärung aus der Welt geschafft werden, die Erstbegehungsgefahr schon durch einfache Verpflichtungserklärung oder einen ernst gemeinten actus contrarius.199 Ob das erkennende Gericht die vom Gläubiger gesammelten Indizien für eine Erstbegehungsgefahr ausreichen lässt oder nur von rechtlich noch unbedeutenden Vorbereitungsschritten spricht, kann schwer zu taxieren sein.200 Dann ist es plausibel, eine spätere Verletzungshandlung abzuwarten. Andererseits kann es sich um einen Gläubiger handeln, der – obgleich schon zweifelsfrei im Besitz eines vorbeugenden Unterlassungsanspruchs – frohgemut in der Deckung abgewartet hat, um den Schuldner bei seinem Marktauftritt umso empfindlicher zu treffen. Sich mit dem Schlaghammer für eine strikte Regel zu entscheiden, wäre daher falsch.201 Der verständliche Wunsch vieler Verfahrensbeteiligter, feste Rahmenbedingungen vorzufinden, kann nicht immer erfüllt werden.

9. Fristbeginn bei einem Marktneuling Einem Marktneuling, dem ein früheres Vorgehen gegen eine bereits längere Zeit zurückliegen- 81 de Verletzungshandlung verwehrt war, weil es an einem Wettbewerbsverhältnis fehlte, kann der Verfügungsgrund keinesfalls mit der Begründung abgesprochen werden, er habe in Kenntnis von der Verletzungshandlung oder in einer grobfahrlässigen Verzögerung mit der Durchsetzung seines Anspruchs gewartet.202 Schultz–Süchting203 ist in der Erstauflage dafür bejahend (neue Frist beginnt): OLG Hamburg 18.4.2002 – 3 U 363/01 – GRUR-RR 2002, 345 – SAP; OLG München 6.11.1997 – 6 U 4477/97 – MittdtschPatAnw 1999, 223, 227. 194 Für neuen Fristbeginn: Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 315; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.19; Ahrens/ Singer Kap. 45 Rn. 61; Nordemann/Nordemann/Nordemann-Schiffler Wettbewerbsrecht Markenrecht Rn. 1559; Ströbele/Hacker § 14 Rn. 480. Dagegen: Fezer Markengesetz § 14 Rn. 1078; Spätgens UWG-Hdb. 4. Auflage § 100 Rn. 41. 195 Teplitzky FS Loschelder S. 391, 397 f.; Teplitzky WRP 2005, 654, 661. 196 Reserven gegen eine starre Handhabung auch bei Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 315; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 37a; Büscher/Schmidt § 12 Rn. 200–204; Melullis Rn. 170a. 197 BGH 23.9.2015 – I ZR 15/14 – GRUR 2016, 83 Rn. 41 – Amplidect/ampliteq; BGH 10.3.2016 – I ZR 183/14 – GRUR 2016, 1187 Rn. 20 – Stirnlampen. 198 BGH 26.1.2006 – I ZR 129/03 – GRUR 2006, 429 Rn. 22 – Schlank-Kapseln; BGH 13.3.2008 – I ZR 151/05 – GRUR 2008, 912 Rn. 17 – Metrosex. 199 Ständige höchstrichterliche Rechtsprechung: BGH 31.5.2001 – I ZR 106/99 – GRUR 2001, 1174, 1176 – Berühmungsaufgabe; BGH 13.3.2008 – I ZR 151/05 – GRUR 2008, 912 Rn. 30 – Metrosex; BGH 15.1.2009 – I ZR 57/07 – GRUR 2009, 841 Rn. 23 – Cybersky; auch im Schrifttum ganz h. M.: Fritzsche UWG-Hdb. § 79 Rn. 47; Teplitzky/Kessen Kap. 10 Rn. 21; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 127c; a. A. Köhler GRUR 2011, 879. 200 GK-UWG/Schultz-Süchting1 § 25 Rn. 56. 201 Differenzierend auch Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 37a; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 202. 202 OLG Hamburg 5.2.1976 – 3 U 191/75 – GRUR 1977, 161; OLG Hamburg 24.8.2000 – 3 U 178/00 – OLGR 2001, 136; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 315; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 309; Ahrens/Singer Kap. 45 Rn. 35. 203 GK-UWG/Schultz-Süchting1 § 25 Rn. 61. 877

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eingetreten, eine Endfrist zu setzen, nach deren Ablauf ein gleichbleibendes, nicht völlig verstecktes Wettbewerbsverhalten von niemandem mehr mit einer einstweiligen Verfügung angegriffen werden könne. Er hat dafür eine Frist von 2–3 Jahren vorgeschlagen, weil dann auch die Verwirkungseinrede im Hauptklageprozess schon relevant sein könne. Damit hat er zu Recht kein Gehör gefunden. Nur der Gesetzgeber ist legitimiert, starre vom Einzelfall unabhängige Fristen zu setzen, nach deren Ablauf ein bestimmtes gerichtliches Vorgehen ausgeschlossen sein soll. 82 Indessen sind prekäre Fälle denkbar, die eine sorgfältige Abwägung der Interessen der Parteien erfordern. Der Marktneuling muss kein unbedarfter Anfänger sein. Ein Unternehmer kann seinen Geschäftsbereich erweitert und das neue Marktsegment vor seinem Start intensiv beobachtet haben. Dann ist er in der Lage, das Eilverfahren von langer Hand zu planen und – bei rechtlich und tatsächlich komplizierten Fallgestaltungen – über Vorteile zu verfügen, gegen die sich der Antragsgegner im Eilverfahren nicht mit gleicher Klinge wehren kann. Droht Letzterer dann noch einen wichtigen Besitzstand einzubüßen, wird die Interessenabwägung zu seinen Gunsten ausfallen und der Gläubiger auf ein Hauptsacheverfahren verwiesen werden müssen.204

10. Geduldete Verletzungshandlung eines Dritten 83 Die Frage, ob die Dringlichkeit verloren gehen kann, weil der Gläubiger eine sehr ähnliche Verletzungshandlung von Dritten hingenommen hat, ohne von ihnen Sanktionen einzuholen, wird ebenfalls unterschiedlich beantwortet. 84 Die herrschende Meinung205 ist der Ansicht, es komme nur auf das Innenverhältnis der jeweiligen Streitparteien an. Der Gläubiger habe am Markt die freie Auswahl, gegen wen er Front mache. Die Dringlichkeit sei eine Prozessvoraussetzung, für die allein das Verhältnis zwischen den streitenden Parteien erheblich sei.206 Die Rechtsprechung ist dem meistens gefolgt,207 hat von diesem Grundsatz aber namentlich dann Ausnahmen gemacht, wenn es um mehrere Beteiligte in einer Lieferkette ging und der Gläubiger nun gegen einen Händler zu Felde zog, nachdem er in der Vergangenheit davon abgesehen hatte, den Hersteller oder Alleinimporteur in Anspruch zu nehmen.208 Selbst der Umstand, dass der Hersteller seinen Sitz im Ausland hatte, wurde angesichts der Zuständigkeit der deutschen Gerichte nicht zu Gunsten des Gläubigers gewertet.209 Das OLG Karlsruhe hat ein Vorgehen gegen eine Medikamentenwerbung für nicht mehr dringlich erachtet, weil gleich gelagerte frühere Bewerbungen Dritter jeweils zu Still204 Im Ergebnis (über Rechtsmissbrauch) ebenso Schulte-Franzheim WRP 1999, 70 ff.; Melullis Rn. 169 mit Fn. 3. 205 FBO/Büscher § 12 Rn. 18; Berneke/Schüttpelz Rn. 185 (mit Respektierung von Ausnahmen); Melullis Rn. 161; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 383; Köhler/Bornkamm/Feddersen will § 12 Rn. 3.19; juris-PK/Hess § 12 Rn. 126; Schuschke/Walker vor § 935 Rn. 80a; referierend Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 320; a.A. MünchKommZPO/ Drescher § 935 Rn. 19. 206 OLG Stuttgart 21.10.2004 – 2 U 65/04 – GRUR-RR 2005, 307 – e-motion/iMOTION; ebenso Köhler GRUR-RR 2006, 73, 77. 207 OLG Düsseldorf 14.7.1988 – 2 U 35/88 – GRUR 1989, 120; OLG Frankfurt a. M. 22.11.2001 – 6 U 153/01 – GRUR 2002, 236, 237 – Eilbedürfnis in Patentsachen; OLG Hamm 18.4.1991 – 4 U 48/91 – GRUR 1991, 635 (Ls.); OLG Hamburg 28.1.1999 – 3 U 207/98 – OLGR 2000, 13; OLG Hamburg 4.7.2013 – 3 U 161/11 – WRP 2013, 1209 Rn. 16; OLG Hamm 7.6.1990 – 4 U 75/90 – GRUR 1991, 480 (Ls.); OLG Stuttgart 29.9.1995 – 2 U 135/95 – WRP 1996, 147; Berneke/Schüttpelz Rn. 187 unter Hinweis in Fußnote 354 auf (nicht veröffentlichte) Urteile des OLG Düsseldorf 6.11.2012 – I-20 U 4/12 und OLG Düsseldorf 8.4.2014 – I-20 U2 107/13; vgl. auch LG Ulm 12.9.2013 – 10 0 75/13 KfH – Magazindienst 2013, 1086, 1091 f.: Dringlichkeitsverlust im Streitfall verneint. 208 OLG Koblenz 26.5.1988 – 6 U 436/88 – WRP 1988, 479; OLG München 19.5.1994 – 29 U 2520/94 – OLGR 1994, 233; OLG München 6.6.2002 – 29 U 2131/02 – GRUR-RR 2002, 357, 358 – MARKE Ulmer Münster; OLG Frankfurt a. M. 4.12.2014 – 6 U 141/14 – GRUR 2015, 279; OLG Frankfurt a. M. 5.12.2019 – 6 U 151/19 – WRP 2020, 362 Rn. 9. 209 OLG Koblenz 26.5.1988 – 6 U 436/88 – WRP 1988, 479. Schwippert

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halteabkommen geführt hatten. Es mache einen entscheidenden Unterschied aus, ob es die Kräfte eines Gläubigers übersteige, gegen jedwede Verletzungen vorzugehen, oder ob er mit mehreren Konkurrenten vorübergehend paktiere, um gegen andere einzuschreiten.210 Nach Teplitzky211 ist zu unterscheiden, ob der Gläubiger ein Immaterialgüterrecht vorweisen 85 kann oder einen Verstoß gegen das UWG ahnden lassen will. Der Inhaber eines Immaterialgüterrechts könne Dritten ein Benutzungsrecht einräumen; es sei daher sein verbürgtes Recht, selektive Maßnahmen zu treffen. Bei lauterkeitsrechtlichen Verstößen erschließe sich aber nicht, warum der Gläubiger, der gleichartige Handlungen eines anderen geduldig hingenommen habe, gleichwohl auf ein summarisches Verfahren zugreifen dürfe. Richtig sei es, von der grundsätzlichen Beachtlichkeit eines Tolerierungsverhaltens gegenüber Dritten auszugehen, von dem Gläubiger angeführte plausible Gründe für sein differenziertes Verhalten aber zu respektieren. Dem ist zuzugeben, dass das Argument, der Gläubiger habe die freie Entscheidung, wen er 86 sich herausgreife, auf tönernen Füßen steht. Es handelt sich dabei um einen schulmäßigen Zirkelschluss, weil die Frage, ob die bewusst hingenommene Verletzungshandlung Dritter die Dringlichkeit beschädigt, ohne inhaltliche Änderung auch so formuliert werden könnte, ob der Gläubiger die freie Wahl habe, wen er sich zum Angriff aussuche. Es verbietet sich indessen eine schematische Betrachtungsweise. Hat ein Gewerbetreibender herabsetzende, unzutreffende Behauptungen eines Konkurrenten hingenommen, kann es nicht befriedigen, ihm das Eilverfahren zu verwehren, wenn nun andere Konkurrenten die Falschbehauptung aufgreifen. Bei einer Marktbereinigung mit partiellen Stillhalteabkommen und einzelnen Feldzügen gegen ausgesuchte Gegner wird schon das Institut des Rechtsmissbrauchs helfen. Hat aber der Gläubiger erstmals einen Adressaten, gegen den er einen Titel auch in Deutschland vollstrecken könnte, so sollte ihm die Dringlichkeit nicht abgesprochen werden, weil ihm das Gefecht gegen einen im Ausland beheimateten Verletzer als zu beschwerlich erschienen ist.

11. Zeitlich gebundene Verstöße Besondere Probleme werfen Verletzungshandlungen auf, die nicht oder jedenfalls nicht zeitnah wiederholt werden können.

a) Zeitablauf während des Verfahrens. Bei zeitlich gebundenen Wettbewerbsverstößen, die 87 nicht mehr wiederholt werden können, besteht keine Dringlichkeit, wenn das maßgebliche Ereignis bei Einreichung des Verfügungsantrags bereits abgelaufen ist212 oder abgelaufen sein wird, bis die Beschlussverfügung eine Vollstreckung erlaubt.213 Tritt die Beendigung während des laufenden Verfahrens ein, ist streitig, ob der Gläubiger das Verfahren nunmehr für erledigt erklären muss214 oder ob die Prozessökonomie dessen Fortsetzung erlaubt.215 Richtig ist es, bei einem zeitlich befristeten Titel eine Erledigungserklärung zur Hauptsache zu verlangen, weil 210 OLG Karlsruhe 11.4.1991 – 4 U 214/80 – WRP 1991, 670, 671. 211 Teplitzky WRP 2013, 1414 Rn. 3–9; Teplitzky, FS Loschelder S. 391, 395 ff.; ähnlich Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 24. 212 OLG Hamm 30.10.1980 – 4 U 177/80 – WRP 1981, 224; OLG Koblenz 31.8.1978 – 64537/78 – GRUR 1978, 718 – Eröffnungsangebot; OLG Rostock 3.1.1993 – 2 U 29/93 (zitiert von Koch WRP 2002, 191, 195); Berneke/Schüttpelz Rn. 138; Ahrens/Singer Kap. 45 Rn. 13; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 333; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 382 und 457. 213 OLG Hamm 5.2.1985 – 4 W 23/85 – WRP 1985, 435 f. 214 OLG Koblenz 15.11.1984 – 6 U 1092/84 – GRUR 1985, 326; Ulrich GRUR 1982, 19; Berneke/Schüttpelz Rn. 138. 215 OLG Düsseldorf 9.11.1973 – 2 U 82/73 – WRP 1974, 94; OLG Hamburg 27.2.1978 – 3 W 36/78 – WRP 1978, 909; OLG Karlsruhe 20.5.1976 – 4 U 11/76 – WRP 1976, 713; OLG Stuttgart 2.7.1982 – 2 U 83/82 – WRP 1982, 604; OLG Stuttgart 18.12.1987 – 2 U 237/87 – WRP 1988, 398; OLG Stuttgart 17.11.1995 – 2 U 175/95 – WRP 1996, 469; Spätgens/ Danckwerts UWG-Hdb. § 100 Rn. 57. 879

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ein erledigendes Ereignis eingetreten ist: Der ursprünglich zulässige Antrag – seine Begründetheit soll hier unterstellt werden – ist unzulässig geworden, weil der Verfügungsgrund entfallen ist. Dem Gläubiger wurde früher von Teilen der Rechtsprechung und des Schrifttums die Fortsetzung des streitigen Verfahrens dennoch gestattet, weil er sonst den in der Vergangenheit erkämpften Titel mit eventuell noch aktuellen Möglichkeiten der Zwangsvollstreckung verliere.216 Dieses Argument ist indessen nicht mehr verkehrsfähig, seitdem der BGH217 klargestellt hat, dass sich die Erklärung, der Rechtsstreit sei erledigt, nicht notwendig rückwirkend auf den Verfahrensbeginn beziehen muss, sondern auf die Zeit seit Eintritt des erledigenden Ereignisses beschränkt werden kann. Der Auffassung, mit der in die Zukunft gerichteten Erledigungserklärung sei für das in in der Vergangenheit liegende Unterlassungsbegehren ex tunc der Verfügungsgrund entfallen, kann nicht zugestimmt werden.218 Die früheren zahlreichen Problemfälle speisten sich überwiegend aus den in §§ 7, 8 UWG 88 a. F. enthaltenen Sonderregelungen über Schlussverkäufe. Entsprechende Konstellationen sind indessen auch jetzt nicht völlig ausgeschlossen, wenn es sich etwa um eine besondere Werbeaktion für ein Jubiläum, ein außergewöhnliches Sportereigniss oder hohe Festtage handelt. Auch dann ist die Falle meist mit einer professionellen Antragstellung zu vermeiden. Ein sehr abstrakt formulierter Antrag kommt mit der Dringlichkeit regelmäßig nicht ins Gehege; er kann allerdings Gefahr laufen, als unbegründet – weil zu weit gefasst – abgewiesen werden. Der ausschließlich auf die konkrete Verletzungsform bezogene Antrag (Fotokopierantrag) bezieht sich auch auf kerngleiche Verletzungshandlungen, so dass das Verbot der Sonderwerbung an Weihnachten oder anlässlich der Fußballeuropameisterschaft eine entsprechende Werbung an den Ostertagen oder anlässlich der in Kürze bevorstehenden Handballweltmeisterschaft mit einschließen kann. Dann haben wir es zwar mit zeitlich gebundenen Veranstaltungen, aber mit bald wiederholbaren und damit nicht im Sinne unserer Erörterung zeitlich gebundenen Wettbewerbsverstößen zu tun. Kritisch wird es aber dann, wenn in dem vor der konkreten Verletzungsform wiedergegebenen verbalisierten Vorspann die angegriffene Veranstaltung sehr detailliert beschrieben wird oder sogar Daten genannt werden, die vor Beginn oder doch während des Verfahrens ablaufen.

89 b) Zeitferne Möglichkeit einer neuen Verletzungshandlung. Wenn es sich bei der Verletzungshandlung nicht um einen schlechterdings unwiederholbaren Vorgang handelt, eine vergleichbare Veranstaltung aber erst in Jahresfrist zu erwarten ist, soll nach einer verbreiteten Auffassung die Dringlichkeit für ein Eilverfahren nicht bestehen, weil bis dahin mutmaßlich auch in einem Hauptsacheverfahren ein erster Titel erstritten worden sei.219 Das ist schon deshalb nicht sonderlich überzeugend, weil der Titel aus einem Hauptsacheverfahren nach § 709 ZPO nur gegen eine Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist. Zudem sind Prognosen über die eventuelle Dauer des Klageverfahrens eine sehr luftige Angelegenheit; wer will vorhersagen, ob eine Beweisaufnahme notwendig wird und wie zeitraubend sie ausfällt? Die Dringlichkeit

216 Ahrens/Schmukle6 Kap. 45 Rn. 14. 217 BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264 – Euro-Einführungsrabatt; zutreffend Berneke/ Schüttpelz Rn. 138.

218 So aber OLG Köln 10.9.1993 – 6 U 157/93 – WRP 1994, 50, 51 mit der etwas befremdlichen zusätzlichen Erwägung, der Gläubiger habe die ihm angebotene unzureichende Unterlassungserklärung nicht anzunehmen brauchen, habe also eine Erledigungserklärung vermeiden können; der Entscheidung zustimmend offenbar Spätgens/ Danckwerts UWG-Hdb. § 100 Rn. 57. 219 OLG Karlsruhe 19.9.1974 – 4 U 87/74 – WRP 1974, 691; KG 29.7.1980 – 5 U 1866/80 – WRP 1981, 211; OLG Saarbrücken 12.7.1978 – 1 U 22/78 – WRP 1979, 76; OLG Stuttgart 16.4.1999 – 2 U 254/98 – OLGR 1999, 324; Harte/ Henning/Retzer § 12 Rn. 333; Ahrens/Singer Kap. 45 Rn. 14; Berneke/Schüttpelz Rn. 139; Melullis Rn. 164; anders OLG Köln 12.4.2002 – 6 U 142/01 – GRUR-RR 2002, 309 – Zerowatt. Schwippert

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sollte daher nur der verneinen, der sich gewiss ist, dass bis zur nächstfolgenden Verletzungshandlung auch bereits ein Berufungsurteil erstritten ist.

12. Verfügungsantrag zeitlich nach Hauptsacheklage Dem Gläubiger, der ein Eilverfahren betreiben möchte, ist dringend davon abzuraten, vorher 90 Klage zur Hauptsache zu erheben. Unabhängig von der – an dieser Stelle nicht zu diskutierenden – Frage, ob es sich um eine rechtsmissbräuchliche Verdoppelung von Verfahren handelt, läuft er damit nach der Rechtsprechung Gefahr, dass der Verfügungsgrund verneint wird.220 Der Gläubiger habe durch die Klageerhebung zu erkennen gegeben, dass es ihm nicht besonders eilig sei; er habe in Kauf genommen, längere Zeit bis zur Erlangung eines Titels warten zu müssen. Die Dringlichkeit könne nur bei unerwarteten Wendungen im Klageverfahren wieder aufleben.221 Überzeugen kann das allerdings nicht.222 Eine zusätzliche Klage verlängert das Verfügungsverfahren auch dann nicht, wenn sie ein paar Tage früher als der Verfügungsantrag eingereicht wird. Es kann sinnvoll sein, mit der Einreichung des Verfügungsantrages noch zuzuwarten, weil die erforderlichen Mittel, um den Anspruch glaubhaft zu machen, noch nicht präsent sind. Der Gläubiger kann auch zuerst geschwankt haben, ob er im Eilverfahren das Risiko des § 945 ZPO auf sich nehmen will. Der Satz, dass die Klagerhebung die fehlende Eilbedürftigkeit indiziere, ist daher eine Fiktion. Anders verhält es sich, wenn der Gläubiger eine erhobene Hauptsacheklage zurückgenommen hat. Ein fallengelassenes Rechtsschutzbegehren bedarf keiner vorläufigen Sicherung.223

13. Aufbrauchfrist Die Einräumung einer Aufbrauchfrist224 wird teilweise als mit dem Eilverfahren grundsätzlich 91 unvereinbar abgelehnt.225 Dem ist entgegenzutreten.226 Deren Bewilligung stellt nach ganz überwiegender Auffassung eine materiell-rechtliche Einschränkung dar227 mit der Folge, dass der Verfügungsantrag, sofern er diese Einschränkung nicht schon selbst enthält, als teilweise unbegründet abzuweisen ist.228 Es ist daher nicht verständlich, was mit der Warnung gemeint ist, der Gläubiger dürfe, wolle er einen Dringlichkeitsverlust vermeiden, der Aufbrauchfrist nicht 220 OLG Celle 26.6.1996 – 13 U 47/96 – OLGR 1996, 237; OLG Hamm 20.12.1984 – 4 U 325/84 – GRUR 1985, 454; OLG Karlsruhe 13.9.2000 – 6 U 78/00 – WRP 2001, 425, 426; Berneke/Schüttpelz Rn. 188; FBO/Büscher § 12 Rn. 88; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 384; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.19; Nordemann/Nordemann/Nordemann-Schifffler Wettbewerbsrecht Markenrecht Rn. 1560; vgl. auch Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 326. 221 OLG Hamm 20.12.1984 – 4 U 325/84 – GRUR 1985, 454; OLG Karlsruhe 13.9.2000 – 6 U 78/00 – WRP 2001, 425; Ahrens/Singer Kap. 45 Rn. 50. 222 Dagegen auch GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 136 mit Fn. 356. 223 So zutreffend OLG Brandenburg 14.4.2011 – 6 U 79/10 – WRP 2012, 747, 748. Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 255. 224 Ausführlich (nicht nur zur Dringlichkeitsfrage) Rn. 220, 221 sowie GK-UWG/Herrmann Vor §§ 12 Rn. 40. 225 OLG München 18.3.1985 – 6 W 3182/84 – WRP 1985, 364; OLG Düsseldorf 10.10.1985 – 2 U 114/85 – GRUR 1986, 197; OLG Frankfurt a. M. 1.10.1987 – 6 U 62/87 – GRUR 1988, 46 – Flughafenpassage; OLG Koblenz 28.3.1991 – 6 W 65/91 – WRP 1991, 599; Wieczorek/Schütze/Thümmel ZPO § 940 Rn. 65. 226 Die Möglichkeit, eine Aufbrauchfrist einzuräumen, bejahen OLG Frankfurt a. M. 16.1.2020 – 6 W 116/19 – GRUR-RR 2020, 167; Köhler/Bornkamm/Feddersen UWG § 8 Rn. 1.98; Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 99 Rn. 29; Berneke/Schüttpelz Rn. 354. 227 BGH 10.5.1974 – I ZR 80/73 – GRUR 1974, 735, 737 – Pharmamedam; BGH 25.1.1990 – I ZR 19/87 – GRUR 1990, 522, 528 – HBV-Familien- und Wohnungsrechtsschutz; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 UWG Rn. 1.89; a. A. BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563, 567 – Sektwerbung. 228 GK-UWG/Herrmann Vor §§ 12 B. Rn. 34; MünchKommUWG/Fritzsche § 8 UWG Rn. 140; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 18. 881

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„zustimmen“.229 Ist die Bewilligung der Frist angebracht, hält sich der Antrag im Rahmen dessen, was dem Gläubiger überhaupt nur zusteht. Das Dringlichkeitserfordernis kann nicht die Stellung partiell unbegründeter Anträge verlangen.230 Zu diskutieren ist nur über Fälle, in denen die im Antrag genannte Aufbrauchfrist länger ist als die, welche das Gericht eigentlich für angemessen erachtet. Minimale Unterschiede in der Betrachtungsweise sollten keine Rolle spielen. Stellt indessen der Antrag eine nicht mehr nachvollziehbare Großzügigkeit dar, kann er verdeutlichen, dass der Gläubiger auf das Eilverfahren nicht angewiesen ist. Vorsicht ist daher für den Gläubiger geboten, der einen Widerrufsvergleich mit einer großzügig bemessenen Aufbrauchfrist schließt: Wird das Verfahren nach einem Widerruf fortgesetzt, droht ihm die Abweisung seines Antrags, weil er selbst zu erkennen gegeben habe, dass ihm die Sache nicht dringlich sei.

14. Dringlichkeitsverlust im Verfahren 92 Ein bei Einleitung des Verfahrens vorhandener Verfügungsgrund kann in dessen Verlauf verloren gehen. Solange der Gläubiger noch nicht im Besitz eines vollstreckbaren Titels ist, ist er gehalten, auf die Beschleunigung des Verfahrens zu achten. Ist er durch einen Titel gesichert, kann er es ruhiger angehen lassen, ohne aber Narrenfreiheit zu genießen. Vereinbarungen, auf die Vollstreckung aus dem Titel für geraume Zeit zu verzichten, sind nicht ratsam.

93 a) Grundproblematik. Das Bestreben, die dem Gläubiger vor Einreichung des Verfügungsantrages zustehende Zeit nicht ausufern zu lassen, hat seinen inneren Grund in der Einsicht, den Schuldner nicht mit einem unfairen Vorteil für den Gegner zu konfrontieren, dessen lange Vorbereitungszeit sich mit den kurzen Einlassungsfristen des Eilverfahrens nicht verträgt. Insofern tritt mit dem Zeitpunkt, in welchem der Schuldner am Verfahren beteiligt wird, ein Paradigmenwechsel ein. Verfahrensverzögerungen sind für den Schuldner jetzt, vor allem, wenn ein Titel noch nicht in der Welt ist, eher von Vorteil.231 Er kann die zusätzlich gewonnene Zeit zu weiteren Verteidigungsanstrengungen nutzen. Indessen verfährt die Rechtsprechung mit einem Gläubiger, der bei der Verfahrensbeschleunigung nicht alle denkbaren Anstrengungen walten lässt, obgleich er noch nicht im Besitz eines Vollstreckungstitels ist, seit langem sehr streng. Wenn er, wie die gängige Formel lautet, zu erkennen gegeben hat, dass es ihm selbst nicht eilig ist – was auch aus einer kumulativen Betrachtung mehrerer erheblicher Verfahrensschritte zu folgern sein kann –,232 wird ihm der Verfügungsgrund regelmäßig abgesprochen. Das wird sich, wenn denn jetzt der Gedanke der Waffengleichheit nicht mehr herangezogen werden kann, mit den Besonderheiten der Rechtsschutzart rechtfertigen lassen. Der Staat stellt kein Eilverfahren zur Verfügung, um die Parteien in die Lage zu versetzen, je nach eigener Einschätzung die verfahrensadäquate Tempoverschärfung einzufordern oder einen gemütlichen Spaziergang vorzuziehen. Der Gläubiger kann, wie Kehl233 es treffend formuliert hat, angesichts der gesetzlichen Grundwertung nicht beides erreichen – eine schnelle Entscheidung und eine Risikominimierung, die dem Damoklesschwert des § 945 ZPO zu entgehen sucht. Die Dringlichkeit geht daher zweifelsfrei verloren, wenn die Parteien einvernehmlich das Ruhen des Verfahrens beantra-

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So aber Berneke/Schüttpelz Rn. 204, 355. A. A. GK-UWG/Herrmann Vor §§ 12 B. Rn. 40. Vgl. GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 52. OLG Hamburg 21.3.2019 – 3 U 105/18 – WRP 2019, 917 Ls. 3, Rn. 19 ff. Kehl FS Loschelder S. 139, 147.

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gen.234 Das muss auch dann gelten, wenn der Gläubiger über einen Titel verfügt.235 Es steht den Parteien nicht frei, über den Verfügungsgrund als einer von Amts wegen zu prüfenden Prozessvoraussetzung zu disponieren.236 Dabei hat die Rechtsprechung jedoch Augenmaß zu beweisen und vernünftige Verfahrensanträge nicht mit dem Dringlichkeitsverlust zu bestrafen. Erhebliche Verzögerungen, die auf das Konto der Gerichte gehen, sollten nicht dem Gläubiger angelastet werden mit der Folge, dass er zu um so größerer Beschleunigung verpflichtet ist.237 Es wäre kein faires Verfahren, dem Gläubiger zur Konkretisierung seines Vortrages Fristen zu setzen, um ihm anschließend zu bedeuten, mit der Ausschöpfung der Frist sei sein fehlendes Eilbedürfnis manifestiert worden.238 Auch sollte die Ansicht, ein zögerliches vorprozessuales Verhalten sei in aller Regel großzügiger zu behandeln, das verschleppende Verhalten im Prozess dagegen strenger,239 auf Skepsis stoßen. Der Satz, jeder Griff in die Trickkiste offenbare das fehlende Eilbedürfnis,240 ist immer dann falsch, wenn dieser Griff nur deshalb erfolgt, um eine sonst gewisse Niederlage zu vermeiden.

b) Risikoreiche Prozesshandlungen. Der Gläubiger, der noch keinen Titel hat, muss nach 94 der Rechtsprechung davon ausgehen, dass folgende Verfahrensschritte für ihn tödlich sind: Antrag auf oder Einverständis mit Terminsverlegung,241 Vertagungsantrag,242 Versäumung einer durch richterlichen Hinweis gesetzten Frist zur Konkretisierung des Antrags,243 Stellung eines eine angedrohte Vertagung nach sich ziehenden Hilfsantrages,244 Säumnis im Termin,245 Antrag auf Schriftsatznachlass,246 haltlose – nicht auch die vertretbare, obgleich erfolglose247 – Ablehnung der Richter wegen Befangenheit,248 unsinniger Berichtigungsantrag,249 Terminsverlegungsantrag plus Einreichung einer Beschwerdebegründung nach Ablauf der Beschwerdefrist mit einer Gesamtverzögerung von acht Wochen,250 Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist.251.

234 Vorherrschende Meinung: Traub GRUR 1996, 707, 711; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 399; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 323; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 27.

235 A.A. OLG Karlsruhe 23.10.1985 – 6 U 155/85 – WRP 1986, 232, 234; Berneke/Schüttpelz Rn. 210, wie hier beim Parallelfall einvernehmlicher Anträge auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist OLG Frankfurt a. M. 5.7.1990 – 6 U 156/88 – NJW 1991, 49. 236 Kehl FS Loschelder S. 139, 148; a.A. GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 62. 237 Zutreffend Traub GRUR 1996, 707, 711. 238 Damit liebäugelt allerdings OLG Hamburg 21.3.2019 – 3 U 105/18 – WRP 2019, 917 Ls. 4, Rn. 24. 239 Traub GRUR 1996, 707, 710. 240 Traub GRUR 1996, 707, 710; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.16. 241 OLG Hamm 28.7.1992 – 4 U 83/92 – GRUR 1992, 864; OLG Hamm 14.11.1995 – 4 U 124/95 – NJWE-WettbR 1996, 164. 242 OLG Düsseldorf 10.7.1997 – 2 U 9/97 – WRP 1997, 968. 243 OLG München 22.11.2018 – 6 U 1331/18 – WRP 2019, 379 Rn. 17 ff.; OLG Hamburg 21.3.2019 – 3 U 105/18 – WRP 2019, 917 Rn. 23. 244 OLG Düsseldorf 10.7.1997 – 2 U 9/97 – WRP 1997, 968, 970. 245 OLG Hamm 31.8.2006 – 4 U 124/06 – GRUR 2007, 173, 174; OLG Frankfurt a. M. 20.3.1995 – 6 U 310/93 – WRP 1995, 502; OLG Düsseldorf 20.12.1991 – 20 U 114/91 – GRUR 1992, 189, 190 mit kritischer Anm. Ahrens. 246 OLG Hamm 2.6.1992 – 4 U 74/92 – GRUR 1993, 512. 247 OLG München 20.12.2006 – 29 W 2904/06 – WRP 2007, 349, 350; OLG Naumburg 3.3.2011 – 1 U 92/10 – GRURRR 2012, 34, 35 – Schaden-Card; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 323. 248 OLG München 20.12.2006 – 29 W 2904/06 – WRP 2007, 349, 350; s. a. OLG Düsseldorf 6.3.2019 – I-11 W 70/18 – GRUR 2019, 664; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 27. 249 OLG Hamm 14.11.1995 – 4 U 124/95 – NJWE-WettbR 1996, 164. 250 OLG Frankfurt a. M. 28.5.2013 – 11 W 13/13 – GRUR-RR 2013, 496 (Ls.) = BeckRS 2013, 10983 (Volltext). 251 KG 16.4.2009 – 8 U 249/08 – MDR 2009, 888, eingehender dazu Rn. 102. 883

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Auch der Gläubiger, der im Besitz eines Titels ist, muss aufpassen: Brandgefährlich ist es, bei einer Schubladenverfügung die Vollziehungsfrist auszuschöpfen,252 eine üppige Aufbrauchfrist zu bewilligen,253 mit einem Vollstreckungsverzicht bis zum rechtskräftigen Abschluss des Eilverfahrens254 einverstanden zu sein oder belegbaren Zuwiderhandlungen des Schuldners gegen den Titel zuzusehen, ohne ein Ordnungsmittelverfahren in die Wege zu leiten.255

95 c) Stellungnahme. Diese Rechtsprechung verdient teilweise Kritik. Sie spricht dem Gläubiger den Verfügungsgrund ab, weil er selbst zu erkennen gegeben habe, dass es ihm nicht eilig sei. Ihm wird also angelastet, um die Erlangung eines Titels nicht so beschleunigt bemüht gewesen zu sein, wie es möglich gewesen wäre, oder aber die Vollstreckung auf die zu lange Bank geschoben zu haben. Es verhält sich hier demnach anders als bei dem Begriff der Dringlichkeit, der mit dem anderen Begriff des Verfügungsgrundes synonym verwandt wird und Interessenabwägungen einschließt, die mit dem reinen Zeitbudget nichts zu tun haben. Die nachfolgende distanzierende Betrachtung einiger gerichtlicher Erkenntnisse untersucht nur, ob die Nachteile für den Gläubiger mit dem Denkmuster der Zeitverzögerung zutreffend erfasst sind. Die Verneinung dieser Frage schließt es nicht immer aus, mit anderen Überlegungen zu einem ähnlichen Endergebnis zu gelangen. 96 Es ist nicht gerechtfertigt, jedweden Antrag des Gläubigers, einen Termin ein wenig nach hinten zu verlegen, mit dem Verlust der Dringlichkeit zu ahnden. Bei kurzfristigen Terminierungen kann es Kollisionen mit anderen Verpflichtungen des Anwalts oder der Partei selbst geben, und das Entsenden von Vertretern kann wenig hilfreich sein, wenn der Gegner im Termin Überraschungen bereithält. Die Gepflogenheit erfahrener Anwälte, auf die Terminsladung mit dem Hinweis zu antworten, dass sie leider verhindert seien und der Termin deshalb vorverlegt werden möge in der oft berechtigten Hoffnung, das Gericht werde angesichts der eine Vorverlegung ausschließenden Belastung den Termin nach hinten verschieben, zeigt das Dilemma deutlich auf. Wenn zwischen der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils und seiner Zustellung an die Parteien 40 Tage vergangen sind und nach Eingang der Berufungsbegründung der Termin zur Berufungsverhandlung drei Monate später und mitten in der Urlaubszeit (21. Juli) angesetzt wird, klingt die richterliche Äußerung, der Gläubiger habe selbst zu erkennen gegeben, dass es ihm mit der Erringung eines Titels nicht eilig sei, weil sein Anwalt gebeten habe, angesichts der eigenen Verhinderung den Termin entweder auf ein früheres oder aber späteres Datum zu verlegen, fast zynisch.256

97 d) Säumnis im Termin. Wer einen angesetzten Termin unentschuldigt verpasst, wird sich nicht wundern dürfen, wenn sein Einspruch gegen das daraufhin ergangene Versäumnisurteil mit der Begründung zurückgewiesen wird, der Verfügungsgrund sei entfallen. Dem, der nach einem richterlichen Hinweis bewusst nicht auftritt, um ein abweisendes Urteil fürs Erste zu vermeiden, wird man noch sagen können, er habe das erstinstanzliche Verfahren verzögert und

252 OLG Düsseldorf 11.3.1999 – 2 U 165/98 – WRP 1999, 865. 253 OLG Düsseldorf 27.9.1990 – 2 U 87/90 – Anwaltsblatt 1991, 46; vgl. aber Rn. 91. 254 OLG Köln 29.1.2010 – 6 U 177/09 – GRUR-RR 2010, 448, 449 f.; OLG Frankfurt a. M. 25.3.2010 – 6 U 219/09 – BeckRS 2010, 16885; KG 17.10.2014 – 5U 63/14 – GRUR-RR 2015, 181, 183; ausführlich Kehl FS Loschelder S. 139, 147 f.; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 27; vgl. auch Kehl FS Loschelder S. 139, 147 f.; mit anderem Ergebnis OLG Karlsruhe 23.10.1985 – 6 U 155/85 – WRP 1986, 232, 234 bei einem gerichtlichen Zwischenvergleich und OLG Düsseldorf 13.2.2014 – 6 U 84/13 – GRUR-RR 2014, 273, 276 bei Zuwarten im Ordnungsmittelverfahren. 255 OLG Hamburg 20.8.2018 – 3 U 141/17 – GRUR-RR 2019, 288 (im Streitfall Dringlichkeitsverlust wegen unzureichenden Kenntnisstandes des Gläubigers verneint). 256 So die Konstellation bei OLG Hamm 28.7.1992 – 4 U 83/92 – GRUR 1992, 864, wo freilich danach um nochmalige Terminverlegung wegen Verhinderung des Geschäftsführers gebeten wurde. Schwippert

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damit auch einen eventuellen Erfolg im Berufungsverfahren. Der Anwalt des Gläubigers aber, dem nach erfolgreicher erster Instanz im Berufungsverfahren vom Gericht bedeutet wird, seinem Mandanten fehle die Aktivlegitimation, und der deshalb zur Vermeidung der rechtskräftigen Abweisung des Verfügungsantrags nicht auftritt, muss sich verhöhnt vorkommen, wenn er in dem Berufungsurteil, mit dem sein Einspruch gegen das Versäumnisurteil zurückgewiesen wird, zu lesen bekommt, er habe selbst zu erkennen gegeben, dass es ihm nicht eilig gewesen sei.257 Sofern in einer derartigen Verfahrenssituation Verspätungsvorschriften nicht greifen sollten, ist das Verfahren eben fortzusetzen.

e) Antrag auf Schriftsatznachlass. Nicht anders verhält es sich, wenn der Schuldner im 98 zweitinstanzlichen Termin neue Tatsachen vorbringt, die den Verfügungsanspruch, falls sie zutreffen, zu Fall bringen, und dem Gläubiger eine sofortige Antwort nicht möglich ist.258 Der in dieser Situation gestellte Antrag des Gläubigers, ihm einen Schriftsatznachlass zu gewähren, macht wiederum nicht deutlich, dass es ihm nicht eilig ist, den Titel zu erstreiten, sondern lässt im Gegenteil nur erkennen, dass er eine sofortige Niederlage vermeiden möchte. f) Ausschöpfung der Vollziehungsfrist bei Schubladenverfügung. Eine seit etwa 20 Jah- 99 ren im Schrifttum vorgedrungene und vom Kampf gegen Auswüchse der Schubladenverfügung motivierte Auffassung lässt den Gläubiger, der, ohne den Schuldner abgemahnt zu haben, im Besitz einer Schubladenverfügung ist, den Verfügungsgrund verlieren, wenn er die einmonatige Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO ausschöpft, ohne den Schuldner alsbald abzumahnen – dies solle unverzüglich, spätestens nach zehn Tagen geschehen259 – oder ihm die Beschlussverfügung sogleich im Parteibetrieb zuzustellen.260 Der Begründungsansatz bei den Verfechtern dieser Meinung ist unterschiedlich. Teils wird das Schwergewicht auf die Obliegenheit zur unverzüglichen Abmahnung gelegt261 und damit der Sache nach verlangt, dass der Schuldner von der erstrittenen Beschlussverfügung alsbald unterrichtet wird; das kann durch die Zustellung dieser Verfügung geschehen. Teils wird der nachträglichen Abmahnung wegen ihrer bloß monetären Motivation – Vermeidung des § 93 ZPO – die Bedeutung abgesprochen, aber eine baldige Vollziehung ohne Ausschöpfung der Frist des § 929 Abs. 2 ZPO verlangt,262 oder es wird von dem Gläubiger erwartet, den Schuldner sowohl schleunigst abzumahnen als auch sofort danach ihm die Verfügung zuzustellen.263 Das ist alles nicht sehr überzeugend.264 Warum jetzt ohne unverzügliche Abmahnung der Verfügungsgrund verloren gehen soll, leuchtet nicht ein. Der Gläubiger, der die bei dem angerufenen Gericht praktizierte Regelfrist ohne Abmahnung des Schuldners ausnutzt, hätte danach die Dringlichkeitsvermutung weiter für sich; er hätte den Verfügungsgrund aber eingebüßt, wenn er sich eine Woche nach Kenntnis von der Verletzungshandlung eine Schubladenverfügung besorgt und nicht einige Tage später die Abmahnung folgen lässt. Wer hingegen die rasche Vollziehung verlangt, schafft praeter legem für die Fallgruppe der Schubladenverfügungen eine von § 929 Abs. 2 ZPO abweichende Sonderfrist.265 Das lässt

257 258 259 260

OLG Frankfurt a. M. 20.3.1995 – 6 U 310/93 – WRP 1995, 502. Fallkonstellation bei OLG Hamm 2.6.1992 – 4 U 74/92 – GRUR 1993, 512. Günther WRP 2006, 407, 409. Günther WRP 2006, 407, 409; Ahrens WRP 1999, 1, 4; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 24c; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 12 Rn. 3.16a; Spätgens FS Loschelder S. 355, 363; Rehart WRP 2011, 1041; a. A. Weisert WRP 2007, 504, 506 f.; Nordemann/Nordemann/Nordemann-Schiffler Wettbewerbsrecht Markenrecht Rn. 1560 (S. 804). 261 Günther WRP 2006, 407, 409. 262 So Rehart WRP 2011, 1041, 1043. 263 So Spätgens FS Loschelder S. 355, 363. 264 Vgl. Ahrens/Singer Kap. 45 Rn. 52. 265 Gegen besondere Fristen bei einer Schubladenverfügung auch Spätgens FS Loschelder S. 355, 362. 885

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sich nicht mit der Erwägung rechtfertigen,266 die Frage der Dringlichkeit habe mit der Vollziehungsfrist genauso wenig zu tun wie mit den Rechtsmittelfristen. Anders als diese ist die Vollziehungsfrist speziell für das Eilverfahren statuiert und legt fest, wie viel Zeit sich der Gläubiger, der in den Besitz einer Beschlussverfügung gelangt ist, bis zu deren Vollziehung lassen kann.267 100 Die Rechtsprechung ist den geschilderten Vorschlägen des Schrifttums bislang nur vereinzelt gefolgt.268 Das von ihm gewissermaßen als Kronzeuge aufgerufene Urteil des OLG Düsseldorf269 betraf einen Sonderfall, der zu Unrecht verallgemeinert wird. Dort hatte ein Telefonanbieter in der Werbung angekündigt, an einem bestimmten Sonntag könne bei ihm kostenlos telefoniert werden. Der Konkurrent erhielt drei Tage vorher die beantragte Beschlussverfügung, stellte sie jedoch dem Gegner erst zehn Tage nach der Aktion zu. Das OLG ging davon aus, dass der Antragsgegner eine entsprechende Offerte wegen der großen Kostenintensität erst nach vielen Monaten werde wiederholen können, und erinnerte an den Rechtssatz, dass bei zeitgebundenen Wettbewerbshandlungen die Dringlichkeit für ein Eilverfahren nicht bestehe, wenn bis zum Wiederholungszeitpunkt ein Hauptsacheverfahren in erster Instanz mutmaßlich beendet wäre. Wer eine Verfügung besitze, aber keinen Versuch unternehme, die noch andauernde Verletzungshandlung zu unterbinden, verliere die Dringlichkeit und müsse auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werden. Aus dieser Entscheidung lässt sich keine generelle Obliegenheit ableiten, als Inhaber einer Schubladenverfügung den Schuldner unverzüglich abzumahnen (noch ist die Kritik berechtigt,270 es laufe der Wertung des Gesetzgebers in § 929 Abs. 2 ZPO diametral zuwider, wenn eine Vollziehung innerhalb einer Frist von zwei Wochen als nicht mehr rechtzeitig erachtet werde). 101 Wäre es daher nicht richtig, dem Inhaber einer Schubladenverfügung eine generelle Obliegenheit zur unverzüglichen Abmahnung oder Vollziehung aufzugeben, so ist die andere Frage, ob der Gläubiger die jeweils von einem Gericht angewandte Regelfrist für die Einreichung des Antrags nach Kenntniserlangung von der Verletzungshandlung und die Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO schlechthin addieren darf. Das allerdings sollte verneint werden, wenn sonst asymmetrische Vorbereitungszeiten für die Parteien auf die Verhandlung im Eilverfahren entstehen. Zu konstatieren ist jedoch, dass die praktische Bedeutung der angesprochenen Fragen nicht mehr groß ist. Die Schubladenverfügung hat im Gerichtsalltag mehr oder weniger „ausgespielt“, weil der Gläubiger die Kosten einer nachträglichen Abmahnung nicht mehr erstattet erhält271 und immer weniger Gerichte bereit sind, eine Beschlussverfügung ohne Anhörung des Schuldners zu erlassen, sofern in der Antragsschrift zu einer Abmahnung und deren Beantwortung nichts vorgetragen ist.272

102 g) Ausnutzung der Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist. Die obergerichtliche Rechtsprechung sieht die Dringlichkeit im allgemeinen nicht als gefährdet an, wenn der in der ersten Instanz unterlegene Gläubiger die gesetzlichen Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung bis zum letzten Tag ausnutzt.273 Das versteht sich allerdings nicht von selbst; denn 266 Teplitzky10 Rn. 24a, Fn. 153; Rehart WRP 2011, 1041, 1043. 267 A. A. Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 24c. 268 Ausdrücklich ablehnend KG 30.3.2009 – 24 U 145/08 – WRP 2010, 129, 136 – JACKPOT; anders aber KG 8.4.2011 – 5 U 140/10 – WRP 2011, 932. 269 OLG Düsseldorf 11.3.1999 – 2 U 165/98 – WRP 1999, 865. 270 Nordemann/Nordemann/Nordemann-Schiffler Wettbewerbsrecht Markenrecht Rn. 1560. 271 BGH 7.10.2009 – I ZR 216/07 – GRUR 2010, 257 Rn. 8–19 – Schubladenverfügung. 272 Vgl. Zindel/Vorländer WRP 2017, 276; Berneke/Schüttpelz Rn. 311. 273 OLG Bremen 2.9.2011 – 2 U 58/11 – GRUR-RR 2011, 466 – Energiekontor; OLG Bremen 10.4.2015 – 2 U 132/14 – GRUR-RR 2015, 345 – rent a renter; OLG Düsseldorf 15.7.2002 – 20 U 74/02 – GRUR-RR 2003, 31 – Taxi Duisburg; OLG Frankfurt a. M. 22.11.2001 – 6 U 153/01 – GRUR 2002, 236; OLG Hamburg 10.1.2002, Magazindienst 2002, 500, 503 sowie OLG Hamburg 3.12.2003 – 5 U 36/03 – GRUR-RR 2004, 198, 199 – Benutzungsmarke „Gelb“; OLG Hamm Schwippert

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es wird mit Recht betont, dass diese für alle Berufungsverfahren geltenden Bestimmungen mit der besonderen Dringlichkeit in einem Eilverfahren nichts zu tun haben.274 Wenn Sie dennoch mit der Dringlichkeitsfrist parallel behandelt werden, so allein aus pragmatischen Gründen.275 Um dem Gläubiger irgendeine Kalkulationsgrundlage an die Hand zu geben, müssten die einzelnen Berufungsgerichte wie vor der Einreichung des Verfügungsantrags Regelfristen entwickeln; angesichts der Erfahrungen mit den Regelfristen der ersten Generation eine Schreckensvorstellung. Stattdessen kann die starre Bindung an die Rechtsmittelfristen hingenommen werden. Anders als bei der Bemessung der Zeitspannen, die dem Gläubiger vor Einleitung des Verfahrens zugebilligt werden und ihm, je länger sie ausfallen, einen einseitigen Vorteil in der Vorbereitung des Verfahrens verschaffen können, kann jetzt auch der Antragsgegner die Zwischenzeit nutzen, um die eigene Waffenkammer zu bestücken. Es trifft daher nicht zu, dass die in der Rechtsprechung obsiegenden Praktikabilitätsgedanken zu einem Gerechtigkeitsverstoß führen und dem ohnehin bevorteilten Antragsteller weitere zwei Monate „geschenkt“ werden.276 Auf einem anderen Blatt steht, dass ein Richter den Verfügungsbeklagten nicht fair behandelt, der den Gläubiger die Rechtsmittelfristen hat ausnutzen lassen, asdann aber schneidig terminiert, weil es sich doch um ein eiliges Verfahren handele. Ein vorsichtiger Gläubiger wird in einfach gelagerten Fällen zur Risikominimierung aber nicht bis zum letzten Tag mit der Begründung der Berufung warten wollen: Es könnte sich jedenfalls dann negativ auswirken, wenn andere kleine verzögernde Verfahrensschritte später hinzukommen.277

h) Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist. Dagegen läuft bei vielen Berufungsge- 103 richten ins offene Messer, wer einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stellt mit der Erklärung, der die Sache bearbeitende Anwalt sei überlastet oder die Partei habe sich um die Beschaffung ergänzender Informationen bislang nicht kümmern können.278 Anders liegt es natürlich, wenn der Schriftsatz aufgrund unvorhersehbarer Umstände (Erkrankung etc.) nicht rechtzeitig hat fertiggestellt werden können.279 Teilweise findet sich die missverständliche Formulierung, ein Verlängerungsantrag schade nicht, wenn die verlängerte Frist nicht voll ausgeschöpft werde.280 Offensichtlich kann es aber nicht richtig sein, eine um drei Wochen verlängerte und bis zum letzten Tag ausgenutzte Frist für schädlich und – bei sonst gleich gelagerten Sachverhalten – eine nach drei Wochen vorgelegte Begründung für unschädlich zu halten, weil die Frist antragsgemäß um einen Monat verlängert worden war. Es kann allein darauf ankomAufgabe der früheren Rechtsprechung; für volle Fristenausschöpfung auch Traub GRUR 1990, 707, 711; FBO/Büscher § 12 Rn. 84; Hess juris-PK § 12 UWG Rn. 134; Berneke/Schüttpelz Rn. 208; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 221; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 400; Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 100 Rn. 45; a. A. OLG Düsseldorf 13.6.1996 – 2 U 2/96 – NJWE-WettbR 1997, 27; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 27; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.16; Harte/Henning/ Retzer § 12 Rn. 328. 274 Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 27; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.16; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 328. 275 Traub GRUR 1990, 707, 711. 276 So aber Teplitzky WRP 2013, 1414, 1417 Rn. 10–18; Teplitzky FS Bornkamm, S. 1073, 1080 f. 277 Vgl. OLG Hamm 2.6.1992 – 4 U 74/92 – GRUR 1993, 512. 278 OLG Düsseldorf 15.7.2002 – 20 U 74/02, I-20 U 74/02 – GRUR–RR 2003, 31; OLG München 9.8.1990 – 6 W 1757/ 90 – GRUR 1992, 328; OLG Nürnberg 14.7.1987 – 3 U 1135/87 – GRUR 1987, 727; KG 16.4.2009 – 8 U 249/08 – MDR 2009, 888; OLG Hamburg 18.8.2017 – 7 U 72/17 – WRP 2017, 1413; anders OLG Hamburg 17.8.1995 – 3 U 87/95 – WRP 1996, 27; OLG Hamburg 3.12.2003 – 5 U 36/03 – GRUR-RR 2004, 198 – Benutzungsmarke „Gelb“; OLG Hamburg 20.9.2012– 3 U 53/11 – Magazindienst 2013, 3237 unter d); OLG Hamburg 16.2.2017 – 3 U 194/15 – WRP 2017, 1129, 1132. 279 OLG Karlsruhe 9.6.2005 – 4 U 164/04 – WRP 2005, 1188, 1189 – Erkrankung; OLG Bremen 2.9.2011 – 2U 58/11– GRUR-RR 2011, 466 – Energiekontor. 280 OLG Karlsruhe 9.6.2005 – 4 U 164/04 – WRP 2005, 1188, 1189. 887

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men, ob nach der Ansicht des Gerichts die Berufungsbegründung so rechtzeitig eingereicht worden ist, dass ein fehlendes Eilbedürfnis daraus nicht abgeleitet werden kann. 104 In der Praxis ist es nicht unüblich,281 entsprechend der Empfehlung von Schlingloff282 dem Berufungsführer bei Eintreffen eines schädlichen Verlängerungsantrags einen warnenden Hinweis zu erteilen, falls die Berufungsbegründungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Gerechtfertigt ist das nur dann, wenn nicht bereits in der Stellung des Antrags, sondern erst in der späteren Versäumung der gesetzlichen Begründungsfrist die konkludente Erklärung gesehen wird, es nicht so eilig zu haben, und darüber hinaus Grund zu der Annahme besteht, bei dem aus Kanzleiroutine gestellten Verlängerungsantrag sei übersehen worden, dass es sich um ein noch titelloses Eilverfahren handele. Sonst würde der Richter einseitig zu Gunsten einer Partei in das Verfahren eingreifen. Abzulehnen ist jedenfalls die Ansicht,283 das Gericht habe bei Eingang eines entsprechenden Verlängerungsantrags nach § 139 ZPO stets die Pflicht darauf hinzuweisen, es werde ein Ausschöpfen der verlängerten Frist als dringlichkeitsschädlich werten. Eine derartige Notwendigkeit bestünde nur dann, wenn es gerade im Begriff wäre, auf diese Weise seine bekannte gegenteilige Rechtsprechung aufzugeben.

105 i) Anschlussberufung des Gläubigers. Wer als Gläubiger eine partielle erstinstanzliche Niederlage zunächst hinnimmt und erst nach dem Rechtsmittel der Gegenseite zur Anschlussberufung greift, widerlegt nach der Rechtsprechung des OLG Frankfurt a. M. die Dringlichkeitsvermutung selbst.284 Das sollte keine Schule machen. Es berührt die Waffengleichheit im Verfahren diesmal zulasten des Gläubigers. Der Schuldner, der mit dem erstinstanzlich Erreichten glaubt auskommen zu können, verfügt über die Möglichkeit der Anschlussberufung, der Gläubiger nicht. Auch prozessökonomisch ist es unglücklich, wenn letzterem die selbständige Berufung eine Obliegenheit in allen Fällen sein muss, in denen er nicht selbst dem Rechtsmittel jede Erfolgsaussicht abspricht. Auf diese Weise die anfängliche Kompromissbereitschaft des Gläubigers zu bestrafen ist umso weniger geboten, als eine scharfe Anwendung des Dringlichkeitsgedankens zum Schutze des Schuldners in der gegebenen Verfahrenssituation anders als zu Zeiten der einseitigen Aufrüstung des Gläubigers vor Einleitung des Verfahrens nicht mehr notwendig ist.

106 j) Hilfsantrag. Eine differenzierende Antwort ist auf die Frage zu geben, ob ein Hilfsantrag eo ipso verrät, dass dem Gläubiger das mit ihm verfolgte Petitum nicht dringlich ist. Das ist zu Recht in einem Fall bejaht worden, in welchem der Gläubiger das Erscheinen einer Zeitschrift unter zwei verschiedenen Aspekten verhindert haben wollte. Der Hauptantrag hatte auf bestimmte Merkmale abgestellt, die zugaberechtlich bedenklich schienen. Mit dem erst während des erstinstanzlichen Verfahrens gestellten Hilfsantrag wurde eine unzureichende Trennung der Werbung vom redaktionellen Inhalt bemängelt. Die Anträge waren abstrakt formuliert; sie richteten sich nicht mit getrennter Begründung gegen das Erscheinen eines bereits konkret konzipierten Heftes, und betrafen daher verschiedene Streitgegenstände. Der Hauptantrag hatte seine Dringlichkeit verloren, weil er nach einem ausdrücklichen Hinweis des Gerichts eine Vertagung erforderlich machte, der Gläubiger aber auf den Hilfsantrag gleichwohl nicht verzichten wollte. Dem Hilfsantrag wurde die Dringlichkeit vor allem deshalb abgesprochen, weil der Gläubiger 281 Vgl. den (erfolglosen) Hinweis bei OLG Nürnberg 14.7.1987 – 3 U 1135/87 – GRUR 1987, 727; OLG Frankfurt a. M. 24.9.2015 – 6 U 60/15 – GRUR-RR 2016, 274, 275 – Drohkulisse.

282 MünchKommUWG § 12 Rn. 401. 283 Götting/Nordemann/Kaiser § 12 Rn. 171; dahin tendieren offenbar auch Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 100 Rn. 45.

284 OLG Frankfurt a. M. 17.1.2012 – 6 U 159/11 – GRUR-Prax 2012, 197 (Ls.); ebenso OLG Jena 29.10.2008 – 2 U 339/ 08 – GRUR-RR 2009, 368; im Grundsatz auch Berneke/Schüttpelz Rn. 209. Schwippert

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hauptsächlich mit einem anderen Begehren, nämlich dem Hauptantrag, habe durchdringen wollen und schon damit zu erkennen gegeben habe, dass es ihm mit dem Hilfsantrag nicht eilig sei.285 Die Entscheidung war richtig, weil die abstrakt gehaltenen Anträge verschiedene Anliegen verfolgten und sich auch partiell nicht überschnitten; sie hätten kumulativ geltend gemacht werden müssen, um dem Dringlichkeitsgebot gerecht zu werden. Anders werden die Fälle zu entscheiden sein, in denen der Gläubiger darauf abzielt, eine kon- 107 kret eingeblendete Werbemaßnahme, ein Kennzeichen oder ein bestimmtes Produkt aus dem Markt zu nehmen. Der identisch formulierte Unterlassungsantrag kann oft auf mehrere Anspruchsgrundlagen gestützt werden, die unterschiedliche Streitgegenstände abgeben – Urheberrecht, Geschmacksmusterrecht, Markenrecht, Lauterkeitsrecht. Sie können nach den TÜV – Entscheidungen des BGH286 dem Gericht nicht mehr alternativ angeboten werden. Die Ansprüche kumulativ geltend zu machen, macht im Eilverfahren in aller Regel keinen Sinn. Auf Unterschiede in der jeweiligen Schadensberechnung kommt es bei den allein in Rede stehenden Unterlassungsansprüchen nicht an. Soweit bei den verschiedenen Anspruchsgrundlagen unterschiedliche Veränderungen aus dem jeweiligen Schutzbereich heraus führen, ist auch das oft nicht von ausschlaggebender Bedeutung: Es geht im Eilverfahren allein darum, die momentane Konfiguration zu bekämpfen. Es ist also das Gebot der Stunde, Haupt- und Hilfsanträge zu stellen. Angesichts des identischen Petitums sollten die Hilfsanträge nicht als unzulässig mit der Begründung abgewiesen werden, ihre mangelnde Eilbedürftigkeit gehe aus ihrem Charakter als bloßer Hilfsantrag hervor. Als Anträge mit alternativen Streitgegenständen noch für hinreichend bestimmt erachtet wurden, ist niemand auf den Gedanken gekommen, einen entsprechenden Verfügungsantrag als unzulässig abzuweisen, weil der Antragsteller bei jeder einzelnen Anspruchsgrundlage zu erkennen gegeben habe, so eilig sei es nicht: Er habe ja dem Gericht die freie Auswahl überlassen. Es wäre merkwürdig, wenn eine Änderung der Rechtsprechung zur Bestimmtheit von Verfahrensanträgen, die mit dem Eilverfahren nichts zu tun hatte, dort zu neuen Erkenntnissen in der Dringlichkeitsfrage führen würde.

k) Getrennte Angriffe gegen verschiedene Aussagen in einer konkreten Verletzungs- 108 handlung. Das gilt mit umgekehrtem Vorzeichen für die Fallgestaltungen, in denen im Lauterkeitsrecht nach Änderungen in der Rechtsprechung zum Streitgegenstand verschiedene Angriffe gegen unterschiedliche Textpassagen in einer Werbeschrift nur noch einen Streitgegenstand betreffen.287 Greift ein Antrag eine bestimmte Preisangabe in einer Werbebroschüre als irreführend in der Weise an, dass dieser Umstand im Antrag selbst umschrieben wird und nicht nur eine empfohlene Begründung für einen Fotokopierantrag darstellt,288 so wäre ein später gestellter weiterer Antrag, mit dem eine andere Angabe in derselben Broschüre, die einen unrichtigen Vergleich mit den Konkurrenten enthält, gesondert auf die Dringlichkeit zu prüfen.289 Genauso verhält es sich, wenn in der Bewerbung eines Mobilfunknetzes sowohl Angaben zur maximalen Übertragungsgeschwindigkeit als auch zu deren flächendeckender Erreichbarkeit gemacht werden, mit dem Verfügungsantrag aber zunächst nur einer dieser beiden Aspekte aufgenommen 285 OLG Düsseldorf 10.7.1997 – 2 U 9/97 – WRP 1997, 968, 970, 972 unter 3; dagegen Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/ Plaß § 12 Rn. 131.

286 BGH 24.3.2011 – I ZR 108/09 – BGHZ 189, 56 Rn. 6 ff. – TÜV I; BGH 17.8.2011 – I ZR 108/09 – GRUR 2011, 1043 Rn. 30 – TÜV II. 287 BGH 30.6.2011 – I ZR/10 – GRUR 2012, 184 – Branchenbuch Berg mit Anm. Heil; BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 – Biomineralwasser mit Anm. von Teplitzky. Vgl. auch Teplitzky WRP 2012, 261; Ahrens WRP 2013, 129; Stieper WRP 2013, 561. 288 Dann kann das Gericht sich unter den verschiedenen Begründungen eine herausgreifen: OLG Hamburg, 3.5.2012 – 3 U 155/10 – WRP 2012, 1594 – Zustellung einer Beschlussverfügung. 289 Ebenso OLG Hamburg 14.9.2017 – 3 U 115/16 – WRP 2018, 861, 862 (4. Leitsatz). Nach der in Ahrens WRP 2013, 135 dargestellten Auffassung des Verfassers hätte es sich bei dem ersten Antrag um eine Teilklage respektive im Eilverfahren um einen Teilantrag gehandelt. 889

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wird.290 Nicht entscheidend ist, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung jetzt davon ausgeht, dass insoweit nur ein einziger Streitgegenstand gegeben ist. Die Angriffe richten sich jeweils gegen verschiedene Bestandteile, die isoliert attackiert werden können.291 Wer einzelne dieser Aussagen zunächst nicht, oder – sei es auch zeitgleich mit dem Hauptantrag – nur mit Hilfsanträgen angreift, macht deutlich, dass er mit ihnen noch eine Zeit lang leben kann und insoweit auf ein Eilverfahren nicht angewiesen ist. 109 Davon strikt zu unterscheiden ist die Situation, in der sich der Antrag gegen eine konkrete Textpassage richtet und mit im Laufe des Verfahrens ergänztem Sachvortrag dargelegt wird, dass das Verbot nicht nur auf den schon in der Antragsschrift herangezogenen rechtlichen Gesichtspunkt, sondern auf eine weitere Verletzungsnorm gestützt werden könne. Dann steht nicht die Dringlichkeitsproblematik in Rede,292 sondern allenfalls die andere Frage, ob das nachgeschobene Vorbringen irgendwelchen Präklusionsregeln unterliegt.

15. Forum Shopping 110 a) Problemlage. Der Verfügungsgrund kann dem Gläubiger fehlen, auch wenn ihm kein Tempoverlust anzukreiden ist. Es ist immer dann der Fall, wenn die Interessenabwägung ergibt, dass es nicht richtig wäre, dem Gläubiger die Verfolgung seiner Ziele in einem Eilverfahren zu gestatten. Ein immer noch brisantes Problem betrifft die Frage, ob ein Gläubiger, der zwischen mehreren Gerichtsständen wählen kann, berechtigt ist, ein Eilverfahren nacheinander bei mehreren Gerichten anzustrengen, bis er schließlich einen Richter gefunden hat, der seinem Antrag wohl gesonnen ist. Nach einem plastischen, erstmals von Spätgens293 benutzten Bild mag man die erste freie Auswahlentscheidung forum shopping, den mehrmaligen Versuch bei verschiedenen Standorten forum hopping nennen. 111 Bei einer Hauptsacheklage ist es allgemeine Meinung, dass die einmal getroffene Wahl mit der Zustellung der Klage an den Beklagten für das begonnene Verfahren verbindlich ist – ein Verweisungsantrag von dem angerufenen zuständigen Gericht zu einem anderen (ursprünglich) zuständigen Gericht ist nicht möglich. Es besteht aber auch Einigkeit darüber, dass mit einer Klagerücknahme die ursprüngliche Wahlfreiheit wieder auflebt mit der Folge, dass der Kläger es nun an einem anderen Standort versuchen darf.294 Bei Übertragung dieser Grundsätze auf das Eilverfahren hätte der Gläubiger bei einem zweiten und dritten Versuch wieder die freie Wahl. Das kann im Eilverfahren zu deutlich unerfreulicheren Konsequenzen als bei den Klagen führen. Substanzielle richterliche Hinweise ergehen in den Hauptsacheverfahren in aller Regel erst zu einem Zeitpunkt, zu dem die Klage nicht mehr ohne Zustimmung des Gegners zurückgenommen werden kann oder eine auf die Rückname sich anschließende erneute Klage an einem anderen Gerichtsstandort wegen der inzwischen abgelaufenen kurzen lauterkeitsrechtlichen Verjährungsfrist nicht mehr attraktiv ist. Im Verfügungsverfahren sieht das anders aus.295 Hier wird der Antragsteller oft auf etwaige Bedenken gegen den Erfolg seines Antrags sehr zeitnah hingewiesen. Ihm erscheint es dann reizvoll, die schnelle, von der Zustimmung des Gegners

290 OLG Frankfurt a. M. 19.7.2018 – 29 U 3493/17 – GRUR-RR 2019, 106 Rn. 11 f. – EU-Klausel. 291 BGH 11.10.2017 – I ZR 78/16 – GRUR 2018, 431 Rn. 16 – Tiegelgröße. 292 Anders OLG Hamburg – 13.9.2012 – 3 U 107/11– Magazindienst 2013, 39, 43 f.; aus den in WRP 2013, 127 allein abgedruckten Leitsätzen erschließt sich der Sachverhalt nicht. Zutreffende Kritik an dieser Entscheidung von Krüger WRP 2013, 140, 142 f.; Zustimmung aber bei Berneke/Schüttpelz Rn. 196 mit Fn. 454. 293 Spätgens UWG-Hdb. 4. Aufl. § 101 Rn. 88 i. V. m. Fn. 166. 294 MüKoZPO/Patzina § 35 Rn. 3; Stein/Jonas/Roth § 35 Rn. 6, 7; Zöller/Vollkommer § 35 Rn. 3; Musielak/Voit/Heinrich § 35 Rn. 3; Thomas/Putzo/Hüßtege § 35 Rn. 3. 295 Die von Schmidhuber/Haberer WRP 2013, 436, 440 Rn. 24 gestellte Frage, ob etwas missbräuchlich sein könne, was im Klageverfahren als unbedenklich gelte, ist damit beantwortet. Vgl. zu diesem Beitrag die zutreffende Erwiderung von Teplitzky WRP 2013, 839; ebenso Teplitzky WRP 2016, 917. Schwippert

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nicht abhängige Antragsrücknahme mit dem sofortigen Gang zu einem anderen Gericht zu verbinden. Den Antragstellern, die so verfahren, bläst seit einiger Zeit indessen der Wind verstärkt ins Gesicht,296 und zwar mit Recht.

b) Bewertung. Der Versuch, dem Gläubiger die geschilderten Optionen zu nehmen, ist anfäng- 112 lich mit dem – auch hier wieder unglücklichen – Satz begründet worden, er habe durch die Rücknahme des ersten Verfügungsantrages selbst zu erkennen gegeben, dass es ihm nicht eilig sei.297 Diese Erklärung ist immer dann wenig hilfreich, wenn das Vorgehen des Gläubigers dadurch bestimmt ist, dass er einer vom Gericht angekündigten und kurz bevorstehenden Niederlage entgehen möchte. Nur mit dieser Niederlage ist es ihm nicht eilig, den angestrebten Titel so schnell wie möglich zu erstreiten ist ihm ein Anliegen.298 Daher ist mit Teplitzky299 zu betonen, dass das tief sitzende Unbehagen, dem Gläubiger die geschilderte Taktik zu gestatten, auf der unfairen Kartenverteilung an die beiden Kontrahenten beruht. Der jedenfalls bei Verfahrensbeginn ohnehin bevorteilte Gläubiger hätte dann nicht nur die Wahl des Gerichtsortes, sondern darüber hinaus bis zum Ende der Regelfrist einen sich wiederholenden Griff in die Lotterietrommel, ob er nicht doch das Gewinnlos zieht. Deshalb ist dem Gläubiger der Verfügungsgrund abzusprechen, wenn er nach einem Hinweis des zunächst angerufenen Gerichts oder einer Antragsabweisung – nur dann! – den Antrag zurücknimmt und woanders den nächsten Test startet. Weniger bedeutsam ist, ob dieses Ergebnis unter dem Etikett des besonderen Rechtsschutzinteresses300 oder des Rechtsmissbrauchs301 verbucht wird – ein bei Letzterem zu forderndes subjektives Element kann angesichts des intensiven Diskussionsstandes zum forum shopping nicht zu verneinen sein. Betrachtet man mit einigen obiter dicta aus der Biomineralwasserentscheidung des BGH302 den nicht weiter differenzierten Angriff gegen die konkrete Verletzungshandlung einerseits und andererseits Anträge, die Einzelformen aus derselben Verletzungshandlung verbalisieren, als

296 Gegen die Zulässigkeit eines Zweitantrags: OLG Düsseldorf 31.1.2019 – I-20 U 87/18, 20 U 87/18 – GRUR 2019, 438 – verweigerter Hinweis; OLG Frankfurt a. M. 22.3.2001 – 6 W 67/01 – WRP 2001, 716; OLG Frankfurt a. M. 14.7.2005 – 16 U 23/05 – GRUR 2005, 972; OLG Frankfurt a. M. 2.1.2014 – 6 U 228/13 – WRP 2014, 479 – Schneller kann keiner (kein Verfügungsgrund bei noch nicht rechtskräftiger Abweisung eines kerngleichen Antrags bei einem anderen Gericht, was allerdings besser mit Unzulässigkeit wegen anderweitiger Rechtshängigkeit begründet worden wäre); OLG München 27.12.2010 – 6 U 4816/10 – WRP 2011, 364, 365 f.; OLG Hamburg 6.12.2006 – 5 U 67/06 – GRUR 2007, 614 f.; OLG Hamburg 26, 11, 2009 – 3 U 60/09 – WRP 2010, 790, 792 für die Fallgestaltung, dass die Rücknahme des Erstantrags erst nach Anhängigkeit des Zweitantrags erfolgt; Teplitzky GRUR 2008, 34, 36 ff.; Teplitzky WRP 2013, 839; Danckwerts GRUR 2008, 763, 766 f.; Laucken/Oehler ZUM 2009, 824, 829; Retzer GRUR 2009, 329, 332; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.16a; Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb.§ 100 Rn. 12; Ekey/Klippel/Kotthoff/ Plaß § 12 Rn. 128; Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 117; Zöller/Vollkommer § 935 Rn. 5, § 940 Rn. 8; Musielak/Voit/Huber § 140 Rn. 25; Götting/Nordemann/Kaiser § 12 Rn. 166; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 399 mit Fn.277; abwägend Berneke/Schüttpelz Rn. 123c. Für die Zulässigkeit: OLG Hamburg 7.3.2002 – 3 U 325/01 – GRUR-RR 2002, 226 – berlin location; OLG Düsseldorf 13.4.2006 – U (Kart) 23/05 – GRUR 2006, 782, 785 – Lottofonds; Beyerlein WRP 2005, 1463, 1466 f.; Klute NJW 2008, 2965, 2971; Ahrens/Singer Kap. 45 Rn. 49; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 248–250; Schuschke/Walker vor §§ 916–945 Rn. 30. 297 OLG Frankfurt a. M. 22.3.2001 – 6 W 67/01 – WRP 2001, 716, 717 zu Beginn der Begründung; OLG Hamburg 7.3.2002 – 3 U 325/01 – GRUR-RR 2002, 226 – berlin location; OLG Düsseldorf 13.4.2006 – U (Kart) 23/05 – GRUR 2006, 782, 785 – Lottofonds; Beyerlein WRP 2005, 1463, 1466 f.; Der kritischen Bewertung dieses Arguments durch Schmidhuber/Haberer WRP 2013, 436, 439 Rn. 22 ist beizupflichten. 298 Schmidhuber/Haberer WRP 2013, 436, 439 Rn. 22; Berneke/Schüttpelz Rn. 199. 299 Teplitzky WRP 2013, 839 Rn. 3 ff. 300 Dafür Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 24c; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.16a; Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 100 Rn. 12. 301 Dafür Zöller/Vollkommer § 935 ZPO Rn. 5; Musielak/Voit/Huber § 935 ZPO Rn. 25. 302 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Rn. 25 = WRP 2011, 78 – Biomineralwasser. 891

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unterschiedliche Streitgegenstände, wird die Argumentation gegen ein forum shopping allerdings deutlich erschwert.303 113 Den Argumenten gegen ein forum shopping lässt sich nicht entgegenhalten, dass auch der Gläubiger ein Anspruch auf ein faires Verfahren habe und die auf richterlichen Hinweis vorgenommene Rücknahme des Erstantrags mit einem Neustart bei einem anderen Gericht dem wohlverstandenen Interesse der Partei entspreche.304 Es ist nicht zu sehen, inwiefern der Gläubiger kein faires Verfahren zur Verfügung hat, der den Prozess am Gerichtsort seiner Wahl beginnt, ihn bis zu dem für ihn guten oder schlechten Ende durch die Instanzen führen oder bei mutmaßlicher Erfolglosigkeit den Antrag Kosten sparend zurücknehmen kann. Es ist auch kein gutes Gegenargument,305 darauf hinzuweisen, dass § 269 Abs. 1 ZPO, der die Rücknahme der Hauptsacheklage nach dem Beginn der mündlichen Verhandlung von der Zustimmung des Beklagten abhängig macht, im Verfügungsverfahren nach h. M. nicht anwendbar ist. Denn die Probleme, um die es geht, fußen gerade auf der Kombination306 dieser allfälligen Rücknahmemöglichkeit und gerichtlichen Hinweisen, die eine einigermaßen verlässliche Prognose gestatten, wie das angerufene Gericht zu entscheiden gedenkt.

16. Verfügungsgrund bei neuer Verletzungshandlung nach rechtskräftigem Titel 114 a) Problemlage. Scheinbar einfach ist die Frage zu beantworten, ob dem Gläubiger ein Verfügungsgrund (im Gewand des besonderen Rechtsschutzinteresses) zuzubilligen ist, wenn er bereits über einen formell rechtskräftigen Titel verfügt, sei es aus einem vorangegangenen Eilverfahren, sei es aus einem Klageverfahren. Es drängt sich die dogmatisch unangreifbare Antwort auf, dass der Einwand der res iudicata ein neues Verfahren unzulässig mache. Indessen lehrt die Erfahrung, dass es auch unter alten Wettbewerbsjuristen streitig sein kann, ob der in einem anderen Verfahren ergangene Titel mit dort anderen Begleitumständen dennoch als kerngleich anzusehen ist und damit denselben Streitgegenstand betrifft. Dann läuft der Gläubiger, der sich für ein Zwangsvollstreckungsverfahren entschieden hat, Gefahr, dort mit einer Niederlage zu enden, weil das Vollstreckungsgericht die Kerngleichheit verneint. Nach der zweitinstanzlichen Abweisung des Ordnungsmittelantrags kann es für einen neuen Verfügungsantrag zu spät sein. Ob der Gläubiger auf ein Gericht trifft, dass die sonst von ihm angewandte Regelfrist während der Dauer des Vollstreckungsverfahrens als gehemmt ansieht – was es tun sollte – ist sehr zweifelhaft. Beginnt der Gläubiger zuerst ein Verfügungsverfahren, und würde das angerufene Gericht den Antrag als unzulässig abweisen, weil es die Kerngleichheit des neuen Verstoßes bejaht, so ist der Sieg in einem nachfolgenden Vollstreckungsverfahren dennoch nicht sicher. Das Vollstreckungsgericht hat selbstständig zu prüfen, ob der gerügte neue Verstoß dem vorhandenen Titel unterfällt. Diese Probleme treffen den Gläubiger auch dann, wenn evident ist, dass die neue Verletzungshandlung gegen geltendes Recht verstoßen hat. Eine puritanisch gepflegte Dogmatik kann daher zu nicht hinnehmbaren Ergebnissen führen.

115 b) Der Stand der Rechtsprechung. Die Rechtsprechung, die zum Schutze des Gläubigers immer wieder Ausnahmen von dem Grundsatz ne bis in idem gestattet hat,307 hat daher bei 303 304 305 306

Vgl. Danckwerts AnwBl. 2013, 252, 254; Schwippert WRP 2014, 8 Rn. 13. FBO/Büscher § 12 Rn. 87. Ahrens/Singer Kap. 45 Rn. 50; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 248. Was von Schmidhuber/Haberer WRP 2013, 436, 440 Rn. 24 f. nicht hinreichend beachtet wird; vgl. auch Teplitzky WRP 2013, 839. 307 BGH 17.1.1952 – 17.1.1952 – BGHZ 4, 314, 321; BGH 18.1.1985 – V ZR 233/83 – BGHZ 93, 287, 289; BGH 4.5.2004 – X ZR 234/02 – GRUR 2004, 755, 757 – Taxameter. Schwippert

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objektiv ernsthaften Zweifeln, ob die neue Zuwiderhandlung mit einem Vollstreckungsverfahren aus einem vorliegenden Titel geahndet werden kann, den Verfügungsgrund für ein neues Eilverfahren bejaht.308 Die daran in der Zwischenzeit geäußerten grundsätzlichen Bedenken309 sind in der forensischen Praxis nicht mehr aufgegriffen worden, nachdem der BGH310 die Zulässigkeit dieser Vorgehensweise (zur Vermeidung des Verjährungseintritts) bejaht hat.311 Eine Sonderstellung nimmt die Rechtsprechung des OLG Frankfurt a. M. ein. Es bejaht die Zulässigkeit eines neuen Verfügungsverfahrens – auch wo die angegriffene Verletzungshandlung in den Kernbereich eines bereits titulierten Verbots fällt – bereits dann, wenn der Schuldner die Auffassung vertritt, die neue Handlung sei von dem bestehenden Verbot nicht erfasst und, noch weitergehend, wenn objektiv Grund zu der Vermutung besteht, er werde sich demnächst auf diesen Standpunkt stellen.312 Es prüft nicht, ob eine objektive Betrachtungsweise Zweifel an der Auslegung des Titels gestattet.

c) Stellungnahme. Es ist zu wünschen, dass die Rechtsprechung des OLG Frankfurt a. M. keine 116 Schule macht. Sofern objektive Zweifel an dem Verbotsumfang des vorliegenden Titels nicht gerechtfertigt sind, kann dem Gläubiger zugemutet werden, sich für den richtigen Weg zu entscheiden. Ihm dennoch die Option zwischen einer Zwangsvollstreckung aus dem alten Titel und dem Erstreiten eines neuen Verfügungstitels zu überlassen, nur weil der Schuldner eine nicht vertretbare Verteidigungsposition eingenommen hat, führt zu einer unnötigen Vervielfältigung von Verfahren. Deren jeweiliger Fortgang kann Probleme eigener Art aufwerfen. Hat der Gläubiger eines der beiden Verfahren siegreich beendet, muss er das andere für erledigt erklären.313 Ein rasch erstinstanzlich zu Gunsten des Gläubigers abgeschlossenes Vollstreckungsverfahren, in welchem objektiv unrichtig die neue Verletzungshandlung dem Schutzbereich des alten Titels zugeordnet worden ist, wird umgekehrt den Gläubiger hindern, anschließend noch ein neues Eilverfahren zu beginnen; die vorzunehmende Interessenabwägung würde ergeben müssen, dass kein Verfügungsgrund besteht, auch wenn die regelmäßige Dringlichkeitsfrist noch nicht abgelaufen sein sollte. Doch auch, wenn mit der ganz überwiegenden Rechtsprechung ein doppeltes Vorgehen nur bei objektiv vertretbaren ernsthaften Zweifeln an der Titelauslegung ermöglicht wird, ist Vorsicht geboten, sofern ein Gläubiger die neue Zuwiderhandlung zu einem Geschäft machen will, indem er zunächst einen durch die Abschlusserklärung des Schuldners gesicherten neuen Verfügungstitel erstreitet, um anschließend das Zwangsvollstreckungsverfahren aus dem alten Titel mit der Begründung zu starten, die neue Zuwiderhandlung befinde sich in dessen Verbotsbereich.314

308 OLG Karlsruhe 20.5.1976 – 4 U 25/76 – WRP 1977, 41, 43; OLG Düsseldorf 10.12.1992 – 2 U 149/92 – WRP 1993, 487, 488; OLG Hamm 18.3.1993 – 4 U 257/92 – WRP 1994, 46; OLG Frankfurt a. M. 12.11.1996 – 6 W 145/96 – WRP 1997, 51; grundsätzlich zustimmend das Schrifttum mit allerdings unterschiedlicher Bereitschaft, Ausnahmen zuzulassen: Berneke/Schüttpelz Rn. 121; Ahrens Kap. 36 Rn. 139; Ahrens/Singer Kap. 44 Rn. 17; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 372; Melullis Rn. 558 iVm Rn. 553a bis c; Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 100 Rn. 11; zur Zurückhaltung mahnen Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 16a ff. und besonders Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 251 ff., 254. 309 Kehl WRP 1999, 46; Zurückhaltung auch bei OLG Köln 19.11.2001 – 6 W 81/01 – Magazindienst 2002, 293; OLG Köln 25.7.2003 – 6 U 32/03 – Magazindienst 2003, 1147, 1148 f.; OLG Stuttgart 13.11.2008 – 2 U 39/08 – Magazindienst 2009, 88, 89 f.; OLG Rostock 16.6.1999 – 2 U 91/98 sowie 2 U 1/99, mitgeteilt von Koch WRP 2002, 191, 200 f.; Teplitzky GRUR 1998, 320, 322 f. 310 BGH 19.5.2010 – I ZR 177/07 – GRUR 2010, 855 Rn. 23 – Folienrollos; BGH 7.4.2011 – I ZR 34/09 – GRUR 2011, 742 Rn. 20 – Leistungspakete im Preisvergleich. 311 Vgl. OLG Frankfurt a. M. 24.1.2011 – 6 U 209/10 – juris; OLG Köln 24.8.2012 – 6 U 72/12 – GRUR-RR 2013, 1480. 312 OLG Frankfurt a. M. 12.11.1996 – 6 W145/06 – WRP 1997, 51; OLG Frankfurt a. M. – 6 U 227/12 – WRP 2014, 101; OLG Frankfurt a. M. 23.11.2017 – 6 U 121/17 – WRP 2018, 361 (Rn. 2: „Senatsrechtsprechung“). 313 OLG Frankfurt a. M. 23.11.2017 – 6 U 121/17 – WRP 2018, 361. 314 Fallkonstellation OLG Köln 19.11.2001 – 6 W 81/01 – Magazindienst 2002, 293. 893

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17. Kein Kriterium: Eignung des Verfahrens 117 Wer sich zu der Auffassung bekennt, dass in die Prüfung des Verfügungsgrundes eine umfassende Abwägung der Interessen der Parteien integriert ist, hat keinen Platz für eine weitere Prüfung, ob das Verfügungsverfahren für den geltend gemachten Anspruch geeignet ist. Teilweise werden im Schrifttum unter dieser Kategorie Fälle erfasst, die im tatsächlichen oder rechtlichen Bereich außerordentlich schwierig sind.315 Für die tatsächlichen Schwierigkeiten wird namentlich angeführt, dass eine notwendige Klärung durch wissenschaftliche Gutachten im Verfügungsverfahren nicht möglich sei. Sofern das Gericht derartige Fragen nicht selbst beurteilen kann und ihm der Gläubiger kein vernünftiges Privatgutachten an die Hand gegeben hat, ist der Verfügungsantrag indessen als unbegründet abzuweisen, weil dem Antragsteller die ihm obliegende Glaubhaftmachung der entscheidungserheblichen Tatsachen nicht gelungen ist.316 Soweit die Streitentscheidung die Beantwortung hoch umstrittener, höchstrichterlich noch unbeantworteter Fragestellungen erfordert, wird das erkennende Gericht wie sonst auch seine eigene Linie finden müssen. Die notwendige Interessenabwägung kann allerdings zu dem Resultat führen, dass dem Schuldner mit dem Erlass der Verfügung ein gewaltiger Schaden droht, eine anderslautende spätere höchstrichterliche Beurteilung der Rechtsfrage mit ungefähr ausgeglichenen Chancen zu erwarten ist und der Gläubiger in seiner Existenz nicht bedroht ist, wenn er auf einen Titel im Hauptsacheverfahren zu warten hat. In Anbetracht dessen leistet eine selbstständige Kategorie Eignung der Verfahrensart keine zusätzliche Erkenntnis.317 Ihre weitere Verwendung stiftet nur Schaden, weil sie diese Nützlichkeit suggeriert.

V. Das Gerichtsverfahren 1. Verfahren ohne mündliche Verhandlung 118 Mit Eingang des Verfügungsantrags bei Gericht wird das Eilverfahren rechtshängig.318

a) Rechtshängigkeit mit Antragseingang. Es verhält sich hier anders als bei der Einreichung einer Klage, die nur die Anhängigkeit des Verfahrens bewirkt und erst deren vom Gericht veranlasste Zustellung an den Beklagten zur Rechtshängigkeit führt. Die Rechtshängigkeit erst mit der formellen Beteiligung des Antragsgegners am Verfahren entstehen zu lassen, ist nicht möglich, weil das Gericht nach § 937 Abs. 1 ZPO berechtigt sein kann, ohne Anhörung des Antragsgegners durch Beschluss zu entscheiden. Ein Beschluss in einer Sache, die nicht rechtshängig ist, wäre ein wunderliches Phänomen. Das hat zur Folge, dass später eingereichte Anträge bei anderen Verfügungsgerichten – sofern nicht der erste Antrag zuvor zurückgenommen worden ist – unzulässig sind, weil ihnen

315 Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 100 Rn. 3–8; Ahrens/Schmukle, 7. Auflage Kap. 44 Rn. 6, 7; auch Doepner WRP 2011, 1384, 1392 a. E. misst der Geeignetheit des Verfahrens ersichtlich ein selbstständiges Kriterium bei; ebenso LG Aschaffenburg Magazindienst 2014, 285, 290 (ungeeignet wegen Komplexität). 316 Vgl. OLG Frankfurt a. M. 21.3.2016 – 6 W 21/16 – WRP 2016, 905 Rn. 6; KG 2.6.2017 – 5 U 196/16 – Magazindienst 2017, 723 Rn. 12 – Coolsculpting. 317 Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 343; Berneke/Schüttpelz Rn. 113 bemerkt zutreffend, die Bezeichnung „ungeeignet“ bedeute, dass die Interessenabwägung das Fehlen eines Verfügungsgrundes ergebe. Plastisches Beispiel OLG Frankfurt a. M. 5.1.1989 – 6 W 1/89 – GRUR 1989, 227, 228 – Opernaufführung: Keine Glaubhaftmachung, Verfügungsgrund fehlt, Eilverfahren nicht geeignet. 318 BGH 19.12.2002 – I ZB 24/02 – GRUR 2003, 549 – Arzneimittelversandhandel; OLG Hamburg 13.12.1976 – 3 W 116/76 – WRP 1977, 495; OLG Düsseldorf 22.9.1981 – 6 W 43/81 – NJW 1981, 2824; OLG München 28.2.1983 – 6 W Schwippert

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V. Das Gerichtsverfahren. A. Einstw. Verf., Abschlusserklärung u. -schreiben

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nach § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO der Einwand anderweitiger Rechtshängigkeit entgegensteht.319 Für spätere Eilanträge bei demselben Gericht gilt nichts anderes.320

b) Alleinentscheidung des Vorsitzenden. Nach § 937 Abs. 2 ZPO kann ohne mündliche Ver- 119 handlung – also durch Beschluss – entschieden werden, wenn der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen ist, sonst nur „in dringenden Fällen“. Eine dem Antrag auch nur teilweise entsprechende Entscheidung des Spruchkörpers ist demnach nur gestattet, wenn Not am Mann ist. Überraschenderweise heißt es in § 944 ZPO, dass der Vorsitzende in dringenden Fällen über den Antrag allein entscheiden kann. Offensichtlich hat die schon in § 937 Abs. 2 ZPO identisch benutzte Wendung nicht in beiden Vorschriften die nämliche Bedeutung. Vielmehr sind drei Dringlichkeitsstufen auseinanderzuhalten. Die Ausgangsstufe ist beim Verfügungsgrund anzutreffen: Ohne spezifisches Eilbedürfnis ist das Verfügungsverfahren nicht zulässig. Nur wenn ein noch intensiveres Eilbedürfnis vorliegt, kann die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergehen; und allein bei einer darüber noch hinausgehenden Zeitnot ist der Vorsitzende zur Alleinentscheidung ermächtigt.321 Die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 bezieht sich allein auf die Ausgangsstufe und betrifft die in §§ 937 Abs. 2 und 944 ZPO geregelten Verfahrensgestaltungen nicht.322 Der Vorsitzende ist dann befugt, über den Antrag anstelle der gesamten Kammer oder des ge- 120 samten Senates allein zu beschließen, wenn die Entscheidung zu spät käme, falls die nächstmögliche Zusammenkunft des vollständigen Gremiums abgewartet würde. Spätgens/Danckwerts323 formulieren als Faustregel zutreffend, dass § 937 Abs. 2 ZPO die Zumutbarkeit von Tages – und Wochenfristen, § 944 ZPO die von Stundenfristen im Blick habe. Praktische Bedeutung hat § 944 ZPO vor allem für die Vorsitzenden der Kammern für Handelssachen.324 Streitig ist, ob die Vorschrift dem Vorsitzenden nur eine stattgebende Entscheidung gestattet oder ihn auch ermächtigt, den Antrag im Beschlusswege zurückzuweisen. Letzteres wird von der wohl überwiegenden Meinung ausnahmsweise bejaht, falls der Antragsteller ersichtlich auf eine rasche Entscheidung des Rechtsmittelgerichts angewiesen sei.325 Indessen liegt der Sinn des § 944 ZPO darin, dem Gläubiger noch rechtzeitig einen Titel zu verschaffen, bevor er ihm nichts mehr nützt, nicht aber darin, zügiger den Instanzenzug abzu-

805/83 – WRP 1983, 358; KG 4.9.1984 – 5 W 2633/84 – GRUR 1985, 325; OLG Köln 12.1.2001 – 6 U 98/00 – GRUR 2001, 424, 425; Berneke/Schüttpelz Rn. 215; Harte/Henning/Retzer Rn. 369; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 1; Zöller/ Vollkommer § 920 Rn. 12. 319 OLG Koblenz 29.7.1980 – 6 U 591/80 – GRUR 1981, 91, 93; OLG Karlsruhe 15.7.1981 – 6 U 40/81 – WRP 1982, 44; OLG Hamm 16.11.1995 – 4 W 69/95 – WRP 1996, 581; Berneke/Schüttpelz Rn. 216; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 372; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 1; Schuschke/Walker, vor §§ 916–945 Rn. 22; Zöller/Vollkommer, vor § 916 Rn. 5. 320 OLG Koblenz 29.7.1980 – 6 U 5911 80 – GRUR 1980, 1022, 1023; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 1; MünchKommZPO/Becker-Eberhard § 261 Rn. 4. 321 Spätgens/Danckwerts § 101 Rn. 30; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 2b; Ahrens/Scharen Kap. 54 Rn. 25; Berneke/Schüttpelz Rn. 307; Schuschke/Walker § 944 Rn. 3; Zöller/Vollkommer § 944 Rn. 1; a. A. Ahrens, Wettbewerbsverfahren S. 175. 322 Teplitzky GRUR 1978, 286 f.; FBO/Büscher § 12 Rn. 121; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 375; Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 101 Rn. 30; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 2b; Zöller/Vollkommer § 944 Rn. 1. 323 Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 101 Rn. 30. 324 Vgl. Ahrens/Scharen Kap. 51 Rn. 27; Stein/Jonas/Grunsky § 944 Rn. 1. 325 KG 28.8.2012 – 5W 175/12 – Magazindienst 2013, 507; OLG Karlsruhe 15.4.1987 – NJW-RR 1987, 1206; Schuschke/ Walker § 944 Rn. 4; MünchKommZPO/Drescher § 944 Rn. 4; Stein/Jonas/Grunsky § 944 Rn. 4; Ahrens/Scharen Kap. 51 Rn. 29 i. V. m. Fn.71 (allerdings im Gegensatz zu Rn. 24 a. E.); Spätgens UWG-Hdb. 4. Aufl. § 101 Rn. 93; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 2b. 895

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schließen.326 Es wäre daher keinesfalls gerechtfertigt, wenn der Vorsitzende kurz vor Beginn des Wochenendes den Antrag allein zurückweist, damit am nächsten Arbeitstag das Beschwerdegericht anstelle der Kammer über den Antrag befinden kann. Denkbar bleiben danach lediglich Fälle, in denen fundamentale Mängel des Geschäftsverteilungsplans einem zügigen Zusammentreffen des Gremiums selbst unter Berücksichtigung von Vertretungsregelungen entgegenstehen. 121 Entschieden abzulehnen ist die Auffassung von Scharen, der Vorsitzende könne allein beschließen, dass nicht ohne vorherige mündliche Verhandlung entschieden werden solle.327 Dann kann die Angelegenheit nämlich weder besonders dringlich sein noch ist dieses Vorgehen damit zu vereinbaren, dass § 944 ZPO das Entscheidungsrecht des Vorsitzenden auf die Erledigung der Fälle beschränkt, die eine mündliche Verhandlung nicht erfordern.328

122 c) Voraussetzungen der Beschlussverfügung. Die Zurückweisung des Antrags durch einen Beschluss ist möglich, wenn sich aus der Begründung des Antrags ergibt, dass er entweder unzulässig ist oder der geltend gemachte Verfügungsanspruch nicht besteht. Bei einem schlüssigen Vortrag des Verfügungsanspruchs kann eine Zurückweisung des Antrags nicht darauf gestützt werden, dass die maßgeblichen Tatumstände nicht glaubhaft gemacht sind. Nur streitige Tatsachen müssen, wie in Klageverfahren, bewiesen oder, wie in Eilverfahren, glaubhaft gemacht werden. Bei fehlender Glaubhaftmachung ist daher in jedem Fall die Anhörung des Gegners erforderlich um herauszufinden, was streitig ist und was nicht.329 Das moderne Schrifttum – die ältere Auffassung, wettbewerbsrechtliche Ansprüche seien 123 immer besonders dringlich,330 ist seit langem nicht mehr verteidigt worden – war sich darüber einig, dass gemäß § 937 Abs. 2 ZPO eine Entscheidung nach mündlicher Verhandlung die Regel und eine stattgebende Entscheidung ohne vorherige Anhörung des Gegners die Ausnahme darstellen soll.331 Mit dem BVerfG sind indessen die Fragen, ob die Beschlussverfügung ohne mündliche Verhandlung ergehen soll und ob dem Schuldner vor ihrem Erlass rechtliches Gehör zu gewähren ist, strikt auseinander zu halten.332 Bei der Entscheidung, ob ein dringender Fall im Sinne des § 937 Abs. 2 ZPO vorliegt, steht den Fachgerichten ein weiter Wertungsrahmen zur Verfügung. Es darf berücksichtigt werden, dass das im Streitfall in Rede stehende Rechtsgebiet von einer grundsätzlichen Eilbedürftigkeit gekennzeichnet ist. Dagegen ist die vorherige Gewäh-

326 Die Frage verneinen daher Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. Rn. 31; Stein/Jonas/Grunsky § 944 Rn. 1; Zöller/ Vollkommer § 944 Rn. 1.

327 Ahrens/Scharen Kap. 51 Rn. 24. 328 Vgl. Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. Rn. 31: Ausnahmesituation, die das erforderlich macht, „kaum vorstellbar“.

329 OLG Stuttgart 5.11.1997 – WRP 1998, 433; KG 2.3.2011 – 5 W 21/11 – WRP 2011, 611 – Hotel ohne Pool; KG 30.1.2015 – 5 W 11/15 – Magazindienst 2015, 330, 334; FBO/Büscher § 12 Rn. 103; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.21; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 43; Berneke/Schüttpelz Rn. 306; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 300; Schuschke/Walker § 920 Rn. 20; Zöller/Vollkommer vor § 916 Rn. 6a; a. A. OLG Frankfurt a. M. 9.9.2019 – 6 W 81/19 – WRP 2020, 218 Tz. 7, das die Frage mit unzutreffenden Verweisen auf Köhler und Teplitzky/Feddersen für umstritten hält. 330 Engelschall GRUR 1972, 103; Borck WRP 1978, 641; Pietzcker GRUR 1970, 520; Klaka GRUR 1979, 593; OLG Hamburg 20.4.1995 – 3 U 25/95 – WRP 1995, 854 neben anderen tragenden Gründen. 331 Teplitzky WRP 1980, 373, 374; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.23; FBO/Büscher § 12 Rn. 121; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 374; Ahrens/Scharen Kap. 51 Rn. 2; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 2b; Schuschke/Walker § 922 Rn. 5; MünchKommZPO/Drescher § 937 Rn. 5. 332 BVerfG 30.9.2018 – 1 BvR 1783/17 – GRUR 2018, 1288 Tz. 18, 19; BVerfG 30.9.2018 – 1 BvR 2421/17 – GRUR 2018, 1291 Tz. 31, 32; BVerfG 3.6.2020 – 1 BvR 1246/20 – GRUR 2020, 773 Tz. 16, 17. Schwippert

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V. Das Gerichtsverfahren. A. Einstw. Verf., Abschlusserklärung u. -schreiben

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rung des rechtlichen Gehörs (sei es auch auf anderem Wege als durch eine mündliche Verhandlung) in der Regel verfassungsrechtlich geboten.333 In den beiden traditionellen Paradebeispielen für den gebotenen Verzicht auf das rechtliche Gehör verbietet sich die Anhörung des Schuldners, weil entweder ernsthaft zu besorgen ist, dass er sie zum Anlass nehmen würde, um belastendes Material beiseite zu schaffen, oder weil sonst die Verfügung nicht mehr zu einem Zeitpunkt vollzogen werden könnte, der für eine Unterbindung der inkriminierten Handlung geeignet wäre.334 Daran wird auch nach den Interventionen des Bundesverfassungsgerichts festzuhalten sein. Bei anderen diskutierten Fallkonstellationen wird das eher verneint werden müssen. Aus praktischen Erwägungen wurde der Erlass einer Beschlussverfügung ohne vorherige Anhörung des Gegners für sinnvoll erachtet, wenn sich aus einer von dem Gläubiger vorgelegten Antwort auf das Abmahnschreiben oder der eingereichten Schutzschrift ergibt, dass die Einwände des Schuldners allesamt nicht greifen.335 Auch mochte eine sich bereits bei den Akten befindende Werbemaßnahme so evident irreführend sein, dass ein erheblicher Verteidigungseinwand kaum vorstellbar schien.336 In all diesen Fällen kann eine sofortige Beschlussverfügung im Interesse des Schuldners liegen, der einsehen muss, dass er sich auf hoffnungslosem Terrain bewegt, und die Niederlage bei geringer Kostenlast akzeptiert.337 Auch wenn er sich später gegen die Verfügung zur Wehr setzt, weil er an der Verletzungshandlung nicht beteiligt gewesen ist, erwächst ihm kein unmittelbarer Schaden, nachdem ihm das Gericht nur etwas untersagt hat, was er ohnehin nicht tun durfte und zu tun beabsichtigte.338 Gleichwohl ist das Verfahren mit der Bestimmung des § 937 Abs. 2 ZPO kaum zu vereinbaren. Die von der Vorschrift geforderte besondere Dringlichkeit hat mit einer bereits weitgehend abgesicherten Erkenntnis, die Verteidigung des Antragsgegners sei hoffnungslos, nichts zu tun. Teplitzky hat die Lage prägnant beschrieben, indem er von einer diskutablen Zulässigkeit der sofortigen Beschlussverfügung „extra legem“ gesprochen hat.339 Es war seit langem ein Allgemeinplatz, dass das theoretische Regel – Ausnahmeverhältnis 124 von mündlicher Verhandlung und Beschlussverfügung (nicht selten ohne Anhörung des Gegners) mit einer Wirklichkeit kontrastierte, in der die Beschlussverfügung die Regel und die mündliche Verhandlung die Ausnahme darstellt.340 Diese Verfahrensweise konnte für sich das fast unschlagbare Argument der Effizienz ins Feld führen. Die Erledigungsquote war immer hoch, weil viele Antragsgegner die Beschlussverfügung per Abschlusserklärung akzeptieren oder es bei einem Kostenwiderspruch belassen.341 Verstöße gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs im Einzelfall wirken sich im Fortgang des Verfahrens nicht aus und können in der Berufungsinstanz nicht mit Erfolg gerügt werden, sofern das schließlich zweiseitige Verfahren zu einer Bestätigung der Beschlussverfügung führt.342 Dem hat das BVerfG inzwischen mit massiven Worten einen Riegel vorgeschoben. Der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit mache in aller Regel die Anhörung des Schuldners vor dem Erlass der einstweiligen Verfügung

333 BVerfG 30.9.2018 – 1 BvR 1783/17 – GRUR 2018, 1288 Tz. 19; BVerfG 30.9.2018 – 1 BvR 2421/17 – GRUR 2018, 1291 Tz. 32; BVerfG 3.6.2020 – 1 BvR 1246/20 – GRUR 2020, 773 Tz. 16.

334 Berneke/Schüttpelz Rn. 300; MünchKommZPO/Drescher § 937 Rn. 5. 335 Ahrens/Scharen Kap. 51 Rn. 4; Melullis Rn. 197; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 435; Götting/Nordemann/Kaiser § 12 UWG Rn. 195. 336 Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 2. 337 Vgl. Deutsch GRUR 1990, 327; Berneke/Schüttpelz Rn. 304; GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 83–90; Ahrens/ Scharen Kap. 51 Rn. 4, 5; Melullis Rn. 196, 197; Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 101 Rn. 29. 338 Dieses Argument betont insbesondere Danckwerts im Anschluss an Borck MDR 1988, 908, 912. 339 Teplitzky10 Kap. 55 Rn. 2. 340 Teplitzky WRP 2016, 1181 Rn. 9; Meinhardt WRP 2017, 1180, 1186; Löffel WRP 2019, 8, 9; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 375; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 330; Berneke/Schüttpelz Rn. 304; Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 101 Rn. 27. 341 Eingehend GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 83. 342 OLG Düsseldorf 27.2.2019 – 15 U 45/18 – WRP 2019, 773 Ls. 2, Tz. 7 f., Tz. 14 f. (Pressesache). 897

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unabdingbar erforderlich.343 Übergehen die Fachgerichte die Vorschrift systematisch, kann das mit der Verfassungsbeschwerde per Feststellungsantrag gerügt werden.344 Seitdem steht mit den Worten von Bornkamm in der forensischen Praxis des Eilverfahrens „kein Stein mehr auf dem anderen.“345 Der rasche Griff zur Beschlussverfügung ist oft mit dem Argument gerechtfertigt worden, 125 die hohe Arbeitsbelastung des Spruchkörpers lasse eine häufige mündliche Verhandlung in den Verfügungsverfahren nicht zu.346 In der Tat kann bei der Beurteilung der Frage, ob die besondere Dringlichkeit für eine Beschlussverfügung vorliegt, die Möglichkeit einer zeitnahen Terminierung unter Berücksichtigung des übrigen Arbeitsanfalls nicht außer acht gelassen werden. Je größer der zeitliche Abstand zur nächstmöglichen Verhandlung ist, umso eher kann es dann für einen praktisch noch verwendbaren Titel des Gläubigers zu spät sein. Andererseits ist im Auge zu behalten, dass damit ein System der sich selbst erfüllenden Prophezeiung geschaffen ist. Je häufiger ein Gericht den Titel im Beschlusswege hergibt, desto höher wird die Attraktivität dieses Gerichtsstandortes für die Antragsteller mit der Folge, dass die Zahl der Eingänge weiter steigt und es immer schwieriger wird, in einer beträchtlichen Zahl von Fällen eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Unerlässlich bleibt daher eine sorgfältige Abwägung der sich gegenüberstehenden Parteiinteressen.347 Ein besonders geringer Anlass, dem Gläubiger mit einer Beschlussverfügung unter die Arme zu greifen, besteht dann, wenn er eine bei dem angerufenen Gericht großzügig bemessene Regelfrist nach frühzeitiger Kenntnis von der Verletzungshandlung weitgehend ausgeschöpft hat. 126 Das rechtliche Gehör muss nicht notwendigerweise im Gang des gerichtlichen Verfahrens selbst gewährt werden. Es kann ausreichen, dass der Schuldner mit den gegen ihn erhobenen Vorwürfen in einem Abmahnschreiben konfrontiert worden ist. Ein verfassungsrechtlich zulässiger Erlass der einstweiligen Verfügung im Beschlusswege wird auf diesem Weg aber nur dann ermöglicht, wenn der Gläubiger sein Abmahnschreiben und eine Antwort des Schuldners zu den Gerichtsakten überreicht hat und das Unterlassungsbegehren aus der vorprozessualen Abmahnung mit dem nachfolgend gestellten Verfügungsantrag identisch ist.348 Die Ausführungen in der Antragsschrift dürfen überdies gegenüber den Darlegungen in der Abmahnung keine neuen Argumentationslinien in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht enthalten. Ist das doch der Fall, ist dem Schuldner die Antragsschrift vor dem Erlass einer Beschlussverfügung zur Kenntnis zu bringen.349 127 Das Gericht beurteilt nach § 937 Abs. 2 ZPO selbstständig, ob die Dringlichkeit der Angelegenheit eine Beschlussverfügung erfordert. Es ist daher berechtigt, den Beschluss zu erlassen, auch wenn der Gläubiger den Verzicht auf eine mündliche Verhandlung nicht beantragt hatte.350 Ein dennoch gestellter „Antrag“ ist lediglich eine – aus taktischen Gründen oft sinnvolle351 – Anregung, die nur dann Substanz hat, wenn mit ihr die Umstände glaubhaft gemacht 343 Vgl. Lerach GRURPrax 2020, 401. 344 BVerfG 30.9.2018 – 1 BvR 1783/17 – GRUR 2018, 1288 Tz. 23; BVerfG 3.6.2020 – 1 BvR 1246/20 – GRUR 2020, 773 Tz. 12; BVerfG 17.6.2020 – 1 BvR 1380/20 – WRP 2020, 1177 Tz. 12; BVerfG 27.7.2020 – 1 BvR 1379/20 – GRUR 2020, 1119 Tz. 9 f. 345 Bornkamm WRP 2019, 1242 Rn. 3. 346 Insbesondere Deutsch GRUR 1990, 327; Klaka GRUR 1979, 598; Berneke/Schüttpelz Rn. 3. 347 Berneke/Schüttpelz Rn. 301; Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 101 Rn. 29; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 376; Ahrens/Scharen Kap. 51 Rn. 4. 348 BVerfG 30.9.2018 – 1 BvR 2421/17 – GRUR 2018, 1291 Tz. 35; BVerfG 30.9.2018 – 1 BvR 1783/17 – GRUR 2018, 1288 Tz. 23; BVerfG 27.7.2020 – 1 BvR 1379/20 – GRUR 2020, 1119 Tz. 13 (bei nur geringfügigen Ergänzungen ohne Änderung des Streitgegenstandes kann aber das Feststellungsinteresse für die Verfassungsbeschwerde fehlen, Tz. 19–24; ebenso BVerfG 17.6.2020 – 1 BvR 1617/20 – WRP 2020, 1292; BVerfG – 1 BvR 1422/20 – WRP 2020, 1293). 349 BVerfG 17.6.2020 – 1 BvR 1380/20 – WRP 2020, 1177 Tz. 16. 350 MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 418; Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. Rn. 28; a. A. Berneke/Schüttpelz Rn. 310; wohl auch Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 138 und Melullis Rn. 197. 351 Vgl. ausführlich und zutreffend GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 81; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 377. Schwippert

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sind, die ein längeres Abwarten für den Gläubiger nicht zumutbar erscheinen lassen.352 Von der Glaubhaftmachung ausgenommen sind freilich die Verzögerungen, die aufgrund des bei dem angerufenen Spruchkörper angefallenen Arbeitsanfalls eine zeitnahe mündliche Verhandlung ausschließen.353 Das erkennende Gericht weiß über diese internen Vorgänge besser Bescheid als der Antragsteller.

d) Schriftliche Stellungnahme des Schuldners. § 937 Abs. 2 ZPO schweigt zu der Frage, ob 128 auf eine mündliche Verhandlung (zunächst) verzichtet, der Antragsgegner aber dennoch von dem Antrag unterrichtet und zur Stellungnahme aufgefordert werden kann. Sie wurde von der ganz überwiegenden Meinung schon seit längerem bejaht,354 war aber strittig.355 Dieser Streit sollte jetzt jedenfalls im forensischen Alltag keine Rolle mehr spielen, nachdem das BVerfG diese Art der Anhörung ausdrücklich als Möglichkeit betont hat, dass verfassungsrechtliche Gebot des rechtlichen Gehörs zu wahren.356 Zunächst erscheint die Annahme verwunderlich, es könne verboten sein, rechtliches Gehör zu gewähren. Indessen kann dafür mit einer gewissen Plausibilität die Bestimmung des § 922 Abs. 3 ZPO ins Feld geführt werden, die es dem Gericht untersagt, den Beschluss, durch den ein Antrag zurückgewiesen wird, dem Gegner mitzuteilen.357 Dagegen muss offenbar verstoßen werden, wenn der Zurückweisung des Antrags eine Anhörung des Gegners vorangegangen ist. Ersichtlich macht es keinen Sinn, ihn nicht von dem Ausgang eines Verfahrens zu unterrichten, an dem er zuvor offiziell beteiligt worden ist. Dem wird entgegengehalten, dass § 922 Abs. 3 ZPO auf das Arrestverfahren zugeschnitten ist und für die wettbewerbsrechtliche Unterlassungsverfügung nicht passt.358 Es kommt folgendes hinzu: Die gesetzliche Regelung bietet dem Gläubiger keine Gewähr, dass eine seinen Antrag zurückweisende Entscheidung dem Schuldner nicht zur Kenntnis gelangt. Die aktive Beteiligung des Schuldners am Verfahren liegt in der Hand des Richters, der unabhängig darüber zu befinden hat, ob die Dringlichkeit des Falles diese Beteiligung erlaubt. Ein von vornherein abweisungsreifer und abgewiesener Antrag des Gläubigers hat gewissermaßen dessen Geheimnis zu bleiben – mehr besagt § 922 Abs. 3 ZPO nicht. Diese eher exotische Bestimmung verträgt keine erweiternde Auslegung dahingehend, dass sie – einen elementaren Verfassungsgrundsatz überwindend – die Versagung des rechtlichen Gehörs einfordern würde, obgleich die Zeit für eine schriftliche Stellungnahme des Schuldners vorhanden wäre. Eine schriftliche Anhörung des Schuldners ohne Bestimmung einer mündlichen Verhand- 129 lung erweist sich im Nachhinein als besonders praktikabel, wenn der Antragsgegner nichts Erhebliches vortragen kann. Die darauf folgende Beschlussverfügung wird in aller Regel von dem Schuldner nicht mit einem Widerspruch angegriffen werden, sofern er nicht verspätet bemerkt, dass er seine Verteidigung noch auf ein anderes Standbein stellen kann, oder sich die Befassung des Beschwerdegerichts mit ungeklärten Rechtsfragen lohnt. Macht der Antragsgegner hingegen erhebliche Einwendungen glaubhaft, wird es ausgeschlossen sein, den Verfügungsantrag durch 352 Melullis Rn. 195. 353 Ahrens/Scharen Kap. 51 Rn. 3; Musielak/Voit/Huber § 921 Rn. 6. 354 OLG Hamburg 13.12.1976 – 3 W 116/76 – WRP 1977, 495; OLG Hamburg 6.12.2006 – 5 U 67/06 – GRUR 2007, 614, 616 – forum-shopping; OLG Frankfurt a. M. 28.6.2010 – 6 W 91/10 – GRUR-RR 2011, 31, 32; Danckwerts GRUR 2008, 763, 765; Schote/Lührig WRP 2008, 1281; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.23 und 3.40; Harte/Henning/ Retzer § 12 Rn. 378; Büscher/Dittmer/Schiwy vor § 12 UWG Rn. 120; Zöller/Vollkommer § 922 Rn. 1; Stein/Jonas/Grunsky § 922 Rn. 1; MünchKommZPO/Drescher § 922 Rn. 4; Schuschke/Walker § 937 Rn. 6; PG/Fischer § 922 Rn. 6; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 3 und 3a; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 334. 355 Verneinend Ahrens/Scharen Kap. 51 Rn. 19–23; Melullis Rn. 283; Borck MDR 1988, 908, 912 f.; Nirk/Kurtze Rn. 324. 356 BVerfG 30.9.2018 – 1 BvR 2421/17 – GRUR 2018, 1291 Tz. 38. 357 Ahrens/Scharen Kap. 51 Rn. 4 (besonders ausführlich); Spätgens UWG-Hdb. 4. Aufl. § 101 Rn. 91; vgl. auch – in anderem Zusammenhang – OLG Düsseldorf 18.6.1980 – 2 W 48/80 – WRP 1980, 561, 562. 358 Namentlich Danckwerts GRUR 2008, 763, 765; Bornkamm WRP 2019, 1242; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 3. 899

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Beschluss zurückzuweisen; vielmehr muss dem Gläubiger Gelegenheit zur Erwiderung gegeben werden.359 Nunmehr wird Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt werden müssen, weil ein weiteres schriftliches Verfahren mit dem Risiko behaftet wäre, immer wieder neu die jeweils andere Seite hören zu müssen.360

e) Ankündigung, nicht ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden 130 aa) Forensische Praxis. Bei den Wettbewerbsgerichten ist es eine verbreitete Übung, durch einen Beschluss darauf hinzuweisen, dass nicht ohne mündliche Verhandlung entschieden werden soll.361 Erfahrungsgemäß verlieren alsdann nicht wenige Antragsteller die Lust, das Verfahren weiterzubetreiben, weil sie von seinem erfolgreichen Ausgang nicht länger überzeugt sind. Sie nehmen ihren Antrag zurück– eine bereits mit der Antragsschrift aufschiebend bedingte Rücknahmeerklärung für den Fall eines solchen Beschlusses ist nicht wirksam362 – oder zeigen, wenn in dem Beschluss ausgeführt ist, dass ohne eine entsprechende Anregung des Antragstellers kein Termin bestimmt wird, so lange keine Reaktion, bis das Verfahren nach der Aktenordnung als erledigt betrachtet wird. Anders als bei einer Klage, die später mit Aussicht auf Erfolg weiterbetrieben werden kann, ist das bei einem Verfügungsantrag nicht möglich: Er wäre, wenn der Gläubiger nach Monaten wieder aktiv würde, als unzulässig abzuweisen, weil die Dringlichkeit verloren gegangen ist.

131 bb) Rechtmäßigkeit. Es ist allgemeine Meinung, dass ein derartiger Beschluss von den Gerichten erlassen werden darf. Es handelt sich dabei um einen Hinweis nach § 139 ZPO. Die Vorschrift ist auch in einem einseitigen Verfahren anwendbar; es kann sich auch hier als nötig erweisen, dass das Gericht die Partei belehrt, weil die Antragsschrift offensichtlich behebbare Schwachstellen aufweist und eine kommentarlose Zurückweisung des Antrags nicht sachgerecht wäre.363 Die vor vielen Jahren artikulierte Gegenmeinung, welche der Vorschrift im anfänglich einseitigen Stadium des Verfügungsverfahrens die Geltung abgesprochen hatte,364 ist bedeutungslos geworden, nachdem auch das BVerfG die Erteilung derartiger Hinweise für unproblematisch hält.365 Sie führen nicht zu einer vollständigen Selbstbindung des Gerichts. Es darf sich daher nach einem weiteren Vorbringen des Gläubigers dazu bewegen lassen, entgegen der ursprünglichen Verfahrensplanung die Beschlussverfügung nach einer – allerdings unabdingbaren366 – vorherigen schriftlichen Anhörung des Schuldners dennoch zu erlassen.367

132 cc) Zuleitung an Antragsgegner? Nicht einvernehmlich wird beurteilt, ob der Beschluss dem Antragsgegner zuzuleiten ist, zugeleitet werden darf oder ob das durch § 922 Abs. 3 ZPO unter359 So zutreffend Danckwerts GRUR 2008, 763, 765 f.; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 3. 360 Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 378; a. A. Danckwerts GRUR 2008, 763, 765 f., der noch eine schriftliche Replik des Antragstellers abwarten will.

361 Vgl. Teplitzky FS Bornkamm, S. 1073, 1085; Berneke/Schüttpelz Rn. 309; Spätgens/Danckwerts § 101 Rn. 34. 362 H. M.: Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 377; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 5e; MünchKommZPO/Drescher § 929 Rn. 3; Zöller/Vollkommer §§ 921 Rn. 1; Wieczorek/Schütze/Thümmel § 921 Rn. 7; Thomas/Putzo/Reichold § 921 Rn. 1; a. A. Schuschke/Walker § 922 Rn. 8; Stein/Jonas/Grunsky § 921 Rn. 2. 363 Teplitzky GRUR 2008, 34, 36 f.; Danckwerts GRUR 2008, 763, 766; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 5c; besonders ausführlich Ahrens/Scharen Kap. 51 Rn. 7–18; Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 101 Rn. 36. 364 Borck WRP 1977, 457, 458; Brückmann WRP 1983, 656. 365 BVerfG 30.9.2018 – 1 BvR 2421/17 – GRUR 2018, 1291 Tz. 36. 366 BVerfG 30.9.2018 – 1 BvR 2421/17 – GRUR 2018, 1291 Tz. 36. 367 OLG Stuttgart 12.9.1956 – 4 U 100/56 – NJW 1956, 1931; Ahrens/Scharen Kap. 51 Rn. 9; Berneke/Schüttpelz Rn. 314 geht von einer Bindung nur bei unveränderter Sachlage aus; a. A. Nirk/Kurtze Rn. 344. Schwippert

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sagt wird. Die Gerichte teilen die Entschließung, da der Antragsgegner formell am Verfahren noch nicht beteiligt ist, in aller Regel nur dem Antragsteller mit.368 Das ist auf Kritik gestoßen, weil es den Antragsteller in die Lage versetzt, den Antrag zurückzunehmen und bei einem anderen Gericht neu einzureichen, ohne dass der Antragsgegner in der Lage wäre, dem ein missbräuchliches forum shopping entgegenzuhalten – er hat von dem zuerst eingeleiteten Verfahren keine Kenntnis.369 Teilweise wird daher verlangt, den Beschluss dem Antragsgegner unverzüglich zuzuleiten,370 teilweise wird gefordert, den Antragsgegner jedenfalls von einer nachfolgenden Antragsrücknahme des Gläubigers zu unterrichten.371 § 922 Abs. 3 ZPO verbietet es, den Antragsgegner über den für den Antragsteller negativen 133 Ausgang des einseitig gebliebenen Verfahrens in Kenntnis zu setzen. Die Vorschrift bezweckt, für den Gläubiger bei einem weiteren Vorgehen gegen den Schuldner – sei es im Weg des Rechtsmittels, sei es über einen zulässigen neuen Antrag – den Vorzug des Überraschungseffekts zu erhalten und eine Vorwarnung des Schuldners zu vermeiden.372 Dieser Grundgedanke ist nicht mehr berührt, wenn das Gericht befunden hat, das Verfahren nur unter Beteiligung der Gegenseite fortzuführen. Dann droht keine den Antrag zurückweisende Entscheidung, die mit einer Beschwerde angreifbar wäre. Auf dem Boden der Auffassung, dass ein neuer Antrag an einem anderen Gerichtsort nach dem Hinweis im Erstverfahren, den erwünschten Verfügungsbeschluss nicht erstreiten zu können, unzulässig ist,373 kann auch die Erwägung keine Rolle mehr spielen, dass der Schuldner wegen eines denkbaren Zweitverfahrens nicht vorgewarnt werden dürfe.374 Die den Grundsatz des rechtlichen Gehörs beschneidende Bestimmung des § 922 Abs. 3 ZPO ist infolgedessen bei dieser Verfahrensgestaltung nicht anwendbar, da eine teleologische Reduktion geboten ist.375 Der gerichtlichen Praxis ist indessen eindringlich zu empfehlen, den Beschluss so eindeutig zu fassen, dass in dem Gläubiger nicht die Erwartung geweckt werden kann, entsprechend früheren Gepflogenheiten werde – gewissermaßen als Entgegenkommen für eine geräuschlose Erledigung – der Beschluss und auch eine spätere Antragsrücknahme vor dem Schuldner geheim gehalten. Einem Vorschlag von Spätgens376 folgend sollte daher in dem Beschluss klargestellt werden, dass der Schuldner spätestens von einer nachfolgenden Antragsrücknahme (oder auch, was wegen der entfallenden Sperrwirkung des § 922 Abs. 3 ZPO zulässig wäre: sofort von dem Beschluss) unterrichtet werde.

f) Dokumentation von Hinweisen. Hinweise an die antragstellende Partei brauchen nicht 134 im Beschlusswege zu erfolgen. Sie sind auch durch eine Verfügung des Vorsitzenden oder des Berichterstatters möglich, sofern dem eine interne Entscheidung des gesamten Spruchkörpers zu Grunde liegt,377 und angesichts der heutigen technischen Möglichkeiten der Kom368 Vgl. Berneke/Schüttpelz Rn. 309. 369 Vor allem Teplitzky FS Bornkamm, S. 1073, 1084 f.; Teplitzky GRUR 2008, 34, 38; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 5c; Vgl. dazu auch Ahrens/Scharen Kap. 51 Rn. 9; Spätgens/Danckwerts § 101 Rn. 24 f. 370 Teplitzky GRUR 2008, 34, 38; Berneke/Schüttpelz Rn. 309 sowie Rn. 456a (spätestens nach drei Monaten). 371 Vgl. Ahrens/Scharen Kap. 51 Rn. 4; Spätgens UWG-Hdb.4 § 101 Rn. 91 (nach vorherigem Hinweis an den Antragsteller, dass so verfahren werde). 372 Schuschke/Walker § 922 Rn. 27 mit Hinweisen auf die Gesetzesmaterialien in Fn. 82; MünchKommZPO/Drescher 922 Rn. 13 a. E.; Wieczorek/Schütze/Thümmel § 922 Rn. 13; Zöller/Vollkommer § 922 Rn. 1. 373 Rn. 112 ff. 374 Nach BVerfG 30.9.2018 – 1 BvR 1783/17 – GRUR 2018, 1288 Tz. 24 können Informationspflichten aus Gründen der Waffengleichheit auch im Hinblick auf ein anderes Verfahren zwischen denselben Streitparteien bestehen. 375 Für diese Reduktion auch OLG München 8.8.2019 – 29 W 940/19 – WRP 2019, 1375 Tz. 28–30 mit zustimmender Anm. Löffel WRP 2019, 1379 Rn. 6 f.; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 3; Mantz NJW 2019, 953, 955; vgl. aber auch Schumann JZ 2019, 398, 402. 376 UWG-Hdb.4 § 101 Rn. 88. 377 Zöller/Greger § 139 Rn. 12; Wieczorek/Schütze/Smid4 § 139 Rn. 56–58. 901

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munikation auch dann praktikabel, wenn keine Zeit verloren werden darf. Nach § 139 Abs. 4 ZPO sind die Hinweise aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Inhaltslose Vermerke wie „Bedenken erörtert“ sind unzureichend.378 Den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Dokumentation kann mit der Kopie eines Faxes oder dem Ausdruck einer Mail unschwer entsprochen werden. Heikler sind die Hinweise, die per Telefon erteilt werden. Gegen diese als Telefonseelsorge379 bezeichnete Art der Beratung hat sich insbesondere Teplitzky mit Entschiedenheit ausgesprochen;380 Das BVerfG hält es für möglich, dass derartige Hinweise je nach ihrem Inhalt mit dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit unvereinbar sein können.381 Der Begriff der Telefonseelsorge übergeht allerdings, dass die Richter häufiger zum Hörer greifen, um den Gläubigervertreter zur Rücknahme seines Antrags zu bewegen als einem unschlüssigen Begehren in den Sattel zu helfen.382 Auch wäre gegen einen geschäftsmäßig gehaltenen kurzen Hinweis, mit dem das Gespräch begonnen und sogleich beendet ist und der sich in einem Aktenvermerk wortgetreu festhalten lässt, nichts Fundamentales einzuwenden. Die Erfahrung lehrt jedoch, dass es dabei meistens nicht sein Bewenden hat. Die gewohnten Höflichkeitsformen, mitunter auch persönliche Bekanntschaften, führen dazu, dass der kurze Anfangshinweis zu einer telefonischen Sachdiskussion mutiert, die einer einigermaßen zuverlässigen Dokumentation in einem Aktenvermerk nicht mehr zugänglich und schon deshalb unzulässig ist.383 Die Hinweiserteilung per Mail anstelle des telefonischen Gesprächs ist angesichts dessen unbedingt vorzuziehen. Der von Teplitzky geforderten Benachrichtigung des Antragsgegners384 über den (wie auch immer) erteilten Hinweis steht, wenn er zweifelsfrei im Stadium des einseitigen Verfahrens erteilt worden ist, § 922 Abs. 3 ZPO entgegen. Der weitere Verfahrensfortgang ist vollständig offen: Die Rücknahme des Antrags, eine erfolgreiche Ergänzung des Vorbringens oder das Beharren des Antragstellers auf einer sofortigen Entscheidung mit der Folge einer abweisenden Beschlussverfügung sind allesamt möglich. Der von § 922 Abs. 3 ZPO garantierte Überraschungseffekt bei einer zweitinstanzlichen Beschwerde muss gewahrt bleiben. Anders ist es, wenn der erteilte Hinweis zu einer aus Sicht des Gerichts erfolgreichen Nachbesserung des Vorbringens führt: Dann ist es verfassungsrechtlich geboten, den Schuldner vor Erlass einer Entscheidung zeitnah über den erteilten Hinweis zu unterrichten.385

g) Schutzschrift 135 aa) Überblick. Der Schuldner, der den Erlass einer gegen ihn gerichteten einstweiligen Verfügung befürchtet, hat die Möglichkeit, bei Gericht vorsorglich eine schriftliche Darstellung der Gründe einzureichen – eine Schutzschrift–, die aus seiner Sicht dem Erlass einer einstweiligen Verfügung entgegenstehen. Sie kann tatsächliche Behauptungen und/oder rechtliche Erwägungen enthalten. Sie unterliegt ebenso wenig wie der Verfügungsantrag dem Anwaltszwang.386 Die Schutzschrift ist eine Präventivmaßnahme gegen die nicht auszuschließende gerichtliche 378 BVerfG 30.9.2018 – 1 BvR 2421/17 – GRUR 2018, 1291 Tz. 39. 379 AK-ZPO/Schmidt § 139 Rn. 56. 380 Teplitzky GRUR 2008, 34, 38 f.; s. auch Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 5a mit umfangreichen Nachweisen von einer telefonische Beratung ablehnenden Stimmen im Schrifttum. 381 BVerfG. 30.9.2018 – 1 BvR 2421/17 – GRUR 2018, 1291 Tz. 39. 382 Vgl. die Darstellung bei Ahrens/Scharen Kap. 51 Rn. 34 über die frühere Praxis bei Wettbewerbskammern in Düsseldorf und Köln. 383 Vgl. Schulz WRP 2009, 1472, 1473 mit Fn. 3. 384 384 Vgl. Schulz WRP 2009, 1472, 1473 mit Fn. 3. zky/Feddersen Kap. 55 Rn. 5c. 385 BVerfG 27.7.2020 – 1 BvR 1379/20 – WRP 2020, 1170 Tz. 16. 386 Allgemeine Meinung, vgl. nur Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 610; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 279; Hess in: juris-PK-UWG § 12 Rn. 106; FBO/Büscher § 12 Rn. 117; Spätgens/Danckwerts § 97 Rn. 31. Schwippert

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Bestätigung des vom Gläubiger reklamierten Anspruchs ohne Anhörung des Schuldners und außerhalb des Gesetzes entwickelt worden in dem Bestreben, die Zahl der Vollstreckungstitulierung ohne vorherige Gewährung des rechtlichen Gehörs zu reduzieren. Sie war schließlich so verbreitet und respektiert,387 dass von einem gewohnheitsrechtlich verankerten Institut gesprochen wurde.388 Inzwischen hat der Gesetzgeber das Rechtsinstitut ausdrücklich anerkannt.389 Der Bundes- 136 tag hat am 10.10.2013 das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten beschlossen390 und die ZPO um einen § 945a (Einreichung von Schutzschriften) ergänzt. Nach dessen Abs. 1 führen die Länder ein zentrales, länderübergreifendes elektronisches Register für Schutzschriften, die als vorbeugende Verteidigungsschriftsätze gegen erwartete Anträge auf Arrest oder einstweilige Verfügung definiert werden. Nach dessen Abs. 2 gilt eine Schutzschrift als bei allen ordentlichen Gerichten der Länder eingereicht, sobald sie im Schutzschriftenregister eingestellt ist. Sie ist sechs Monate nach ihrer Einstellung zu löschen. Die Gerichte erhalten Zugriff auf das Register über ein automatisiertes Abrufverfahren (Abs. 3). Das Bundesministerium der Justiz hat auf der Grundlage von § 945b ZPO in der Schutzschriftenregisterverordnung (SRV) mit Zustimmung des Bundesrates nähere Detailbestimmungen getroffen, die seit dem 1.1.2017 gelten. Als flankierende Maßnahme ist in die BRAO ein neuer § 49c eingefügt worden, der den 137 Rechtsanwalt verpflichtet, Schutzschriften ausschließlich zum Schutzschriftenregister nach § 945a ZPO einzureichen. Eine Verletzung dieser standesrechtlichen Vorschrift wird freilich nichts daran ändern, dass eine bei einem Gericht in Papierform eingereichte Schutzschrift wirksam vorgelegt worden ist.391 Seine standesrechtliche Pflicht wird indessen der Anwalt tunlichst beachten. Er weiß in aller Regel nicht, welchen von den ihm meist zur Verfügung stehenden mehreren Gerichtsstandorten der Gläubiger auswählt. Es obliegt ihm dann, – so war es vor der Einführung des elektronischen Registers Usus – die Schutzschrift bei allen ernsthaft infrage kommenden Gerichten zu hinterlegen.392 Das ist nicht nur ein logistischer Aufwand; die Kosten für die Einreichung der Schutzschrift werden nur bei dem Gericht erstattet, bei dem ein korrespondierender Verfügungsantrag tatsächlich eingereicht wird.393 Vor allem aber ist anders als bei einer Hinterlegung in das elektronische Register394 weit weniger gewährleistet, dass sie dem Gericht vor dessen Entscheidung über die beantragte Beschlussverfügung vorliegt. Für einen daraus für den Schuldner resultierenden Schaden hätte der Anwalt wegen Verletzung seiner Sorgfaltspflichten einzustehen. Einen Anlass für eine Schutzschrift hat der Schuldner nur, sofern er konkrete Anhaltspunk- 138 te für ein gerichtliches Vorgehen des Gläubigers besitzt. In aller Regel wird das nur bei einer vorherigen Abmahnung der Fall sein.395 Deren aus der Sicht des Schuldners existierenden Schwachstellen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht sollte die Schutzschrift aufzeigen. Der Aufbau einer Gegenargumentation kann schwierig sein, wenn die knapp gehaltene Abmahnung manches offen gelassen hat und vorausgeahnt werden muss, welche Verfeinerung die zu erwartende Antragsschrift enthalten wird. Begegnet ein Gericht dieser Ausgangslage, wird es aber 387 Teplitzky NJW 1980, 1667; Schulz WRP 2009, 1472; Wehlau Rn. 10; Wehlau/Kalbfus WRP 2012, 395; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 606; Ahrens/Spätgens Kap. 6 Rn. 1 ff.; Spätgens UWG-Hdb.4 § 97 Rn. 26 ff.; FBO/Büscher § 12 Rn. 116 f.; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 406 f.; Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 133. 388 Melullis Rn. 43. 389 Vgl. dazu im einzelnen Schwippert MarkenR 2014, 6. 390 BGBl. I Nr. 62, 3786. 391 Vgl. Schwippert MarkenR 2014, 6, 7; Bacher MDR 2015, 1329; Schlingloff WRP 2016, 301; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 52c; Zöller/Vollkommer § 945a Rn. 2; a. A. wohl Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 790 Rn. 31. 392 Wehlau/Kalbfus WRP 2012, 359, 397; Spätgens UWG-Hdb., 4. Auflage, § 97 Rn. 30. 393 OLG Hamburg, 23.10.2013 – 4 W 100/13 – GRUR-RR 2014, 96. 394 Vgl. dazu BVerfG 30.9.2018 – 1 BvR 2421/17 – GRUR 2018, 1291 Tz. 34. 395 Zu Ausnahmen vgl. GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 173; Schulz WRP 2009, 1472, 1473 f.; Harte/Henning/ Retzer § 12 Rn. 608. 903

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darin (hoffentlich) bei der vorzunehmenden Abwägung ein Argument gegen den Erlass einer sofortigen Beschlussverfügung erblicken.

139 bb) Verfahrensgang. Das erkennende Verfügungsgericht muss sich mit dem Inhalt der Schutzschrift in allen rechtlich relevanten Punkten, auch den Fragen der Zulässigkeit, auseinandersetzen;396 denn mit dem Eingang des Verfügungsantrags ist die Schutzschrift zu einem Schriftsatz des Verfahrens geworden. Auch ein dort gestellter Antrag auf Verweisung an die Kammer für Handelssachen ist, anfänglich nur eine Anregung, mit dem Eingang des Verfügungsantrags zu einem wirksamen Verfahrensantrag erstarkt und daher zu berücksichtigen.397 Wird eine Schutzschrift mit erheblichen Einwendungen übersehen – vor einer für den Gläubiger günstigen Sachentscheidung muss im Register nachgeforscht werden398 – und aufgrund dessen eine Beschlussverfügung erlassen, wird der darin liegende Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs im anschließenden Widerspruchsverfahren im allgemeinen geheilt. Irreparabel ist jedoch ein Schaden, der dem Antragsgegner dadurch entsteht, dass er das gerichtliche Verbot in der Zeit zwischen seiner Zustellung an ihn und seiner Aufhebung nach der mündlichen Verhandlung zu beachten hatte. Alsdann kommt ein Amtshaftungsanspruch nach § 839 Abs. 1 BGB in Betracht, der jedenfalls dann nicht am Spruchrichterprivileg des § 839 Abs. 2 S. 1 BGB scheitert, wenn, wie es regelmäßig der Fall sein dürfte, für die Unachtsamkeit ein Beamter auf der Geschäftsstelle verantwortlich war.399 Eine Übermittlung der Schutzschrift an den Antragsteller vor Eingang eines Verfügungs140 antrages hat mangels eines Prozessrechtsverhältnisses zu unterbleiben.400 Allerdings haben die Gläubiger die Möglichkeit, das elektronische Register darauf durchzusehen, ob in ihm eine Schutzschrift des Kontrahenten geführt wird.401 Ein Recht, die Schutzschrift einzusehen, haben sie nicht. § 299 ZPO ist nicht anwendbar, weil noch kein Prozessrechtsverhältnis besteht.402 Nach Eingang des Verfügungsantrags kann das Gericht zweifelsfrei anordnen, eine vorhandene Schutzschrift dem Gläubiger zuzuleiten. Der weitergehenden Auffassung, dazu sei es verpflichtet,403 sollte nicht beigetreten werden. Weist das Gericht den eingereichten Verfügungsantrag zurück, hat das Verfahren nach § 922 Abs. 3 ZPO vorerst einseitig zu bleiben. Dann geht es aber nicht an, den Antragsteller über die Maßnahmen des Schuldners im Einzelnen unterrichten, gegenüber dem Schuldner aber die Existenz und den Fortgang des Verfahrens verschweigen zu müssen.404

396 BGH 13.2.2003 – I ZB 23/02 – GRUR 2003, 450 – Kosten der Schutzschrift I; OLG Düsseldorf 2.1.1995 – 10 W 137/94 – WRP 1995, 499; Ahrens/Spätgens Kap. 6 Rn. 21 mit zahlreichen Nachweisen zur älteren obergerichtlichen Rechtsprechung; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 283; Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 97 Rn. 30; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 52a; Schuschke/Walker/Kessen Anhang zu §§ 935 B. Rn. 4; a. A. früher Nirk/Kurtze Rn. 157. 397 Heil WRP 2014, 24 ff. (von Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 97 Rn. 34 Fn. 81 zu Unrecht der Gegenmeinung zugerechnet); a. A. OLG Stuttgart 7.6.2018 – 2 U 156/17 – WRP 2018, 1248; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 282; laut Berneke/Schüttpelz Rn. 290 ist die Gerichtspraxis uneinheitlich. 398 Schlingloff WRP 2016, 301. 399 Vgl. dazu Wehlau Rn. 156–159, der m. E. aber zu Unrecht für möglich hält, dass über die Anwendung einer zu § 945 ZPO entwickelten Rechtsprechung – die mit der verschuldensabhängigen Amtshaftung nichts zu tun hat – Schäden, die allein auf einen fehlenden Verfügungsgrund zurückzuführen seien, nicht ersatzfähig sein könnten. 400 Wehlau Rn. 167 f. mit anschließender ausführlicher Darstellung von Informationsrechten; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 284; Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 97 Rn. 40 401 Wehlau Rn. 169 f. 402 Wehlau Rn. 171 f.; Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 97 Rn. 40; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 284; MünchKommZPO/Drescher § 937 Rn. 10. 403 Zöller/Vollkommer § 945a Rn. 3. 404 Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 284. Schwippert

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Enthält die Schutzschrift erhebliche Einwendungen, so kann der entsprechende Tatsachen- 141 vortrag, auch wenn er mit tauglichen Mitteln glaubhaft gemacht ist, nicht einfach einer abweisenden Entscheidung zu Grunde gelegt werden. Vielmehr hat jetzt der Antragsteller Anspruch auf die Gewährung rechtlichen Gehörs. Die Schutzschrift ist ihm nun zuzuleiten und zwar verbunden mit einer Terminsbestimmung oder der Aufforderung zu einer befristeten schriftlichen Erwiderung.405 Andererseits können mit einer Schutzschrift auch Eigentore geschossen werden.406 Auf eine ungenügende Glaubhaftmachung in der Antragsschrift kommt es nicht mehr an, wenn sich nach der Lektüre der Schutzschrift der relevante Sachverhalt als unstreitig erweist und die beantragte Verfügung daher entgegen der ersten Einschätzung ohne mündliche Verhandlung erlassen werden kann.407 Keinesfalls kann aber wegen des Inhalts einer Schutzschrift ein dem Antrag stattgebender Beschluss bei einem unschlüssigen Gläubigervortrag ergehen.408 Die moderne Kommentarliteratur erörtert mit unterschiedlichem Ergebnis die Frage, ob er- 142 hebliche Einwendungen in der Schutzschrift dann nicht zu berücksichtigen sind, wenn ein besonderes Eilinteresse des Antragstellers eine sofortige Entscheidung gebietet.409 Die Frage wird rein abstrakt erörtert, weil offenbar die Judikatur verwertbares Fallmaterial bisher nicht an den Tag gebracht hat. Die Diskussion ist daher wenig fruchtbar. Es wird im Streitfall eine Interessenabwägung erforderlich sein, deren Ausgang offen ist.410 Insbesondere wäre ein Auge darauf zu richten, inwiefern einerseits die Eilbedürftigkeit eminent sein kann, andererseits aber eine Schutzschrift des Antragsgegners vor dem Verfügungsantrag bei Gericht eingetroffen ist; es gilt dann, den Verdacht auszuräumen, der Antragsteller habe mit der Einreichung des Antrags solange gewartet, bis die unabweisbare Dringlichkeit eine Berücksichtigung gegnerischer Einlassungen schlechthin nicht mehr erlaube. Gelingt das nicht, wird die Interessenabwägung schwerlich zu Gunsten des Antragstellers ausfallen können. Weil die Schutzschrift ohne vorgegebenes gesetzliches Korsettt entwickelt worden ist, sind 143 der Fantasie bei ihrer Gestaltung keine engen Grenzen gesetzt. Der Spielraum für taktische Überlegungen bei ihrer Abfassung ist groß. Die aus anwaltlicher Sicht anzustellenden Überlegungen sind in der Erstauflage von Schultz–Süchting ausführlich dargestellt worden.411

h) Glaubhaftmachung. Der Antragsteller hat nach den §§ 920 Abs. 2, 936 ZPO den Verfügungs- 144 grund und den Verfügungsanspruch glaubhaft zu machen. Es besteht weitgehend Einigkeit, dass unter „Verfügungsgrund“ in dieser Vorschrift entgegen dem engen Wortlaut sämtliche Zulässigkeitsvoraussetzungen zu verstehen sind, insbesondere auch die Prozessführungsbefugnis.412

405 Hilgard Die Schutzschrift im Wettbewerbsrecht, S. 39 f.; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 52a; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.40; Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 97 Rn. 30; Schuschke/Walker/Kessen Anhang zu § 935 B Rn. 5; zur regelmäßigen mündlichen Verhandlung tendieren Berneke/Schüttpelz Rn. 294; Melullis Rn. 47; KG 26.2.1999 – 25 W 3617/98 – WRP 1999, 547, 548 in einer kostenrechtlichen Entscheidung; Borck MDR 1988, 908, 912. 406 Vgl. Wehlau/Kalbfus WRP 2012, 395, 400 unter Z. 4a. 407 Deutsch GRUR 1990, 327, 328; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 283; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 52; Harte/ Henning/Retzer § 12 Rn. 620; Berneke/Schüttpelz Rn. 294; a. A. Borck MDR 1988, 908, 913. 408 So zutreffend Melullis WRP 1982, 249, 250 mit dem in Fn. 11 allerdings unrichtig belegten Vorwurf an einige Obergerichte, diesen Grundsatz missachtet zu haben; Berneke/Schüttpelz Rn. 294. 409 Nicht zu berücksichtigen: May S. 58; Berneke2 Rn. 129; in kaum denkbaren Ausnahmefällen: Berneke/ Schüttpelz 294; immer zu berücksichtigen: Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 623; Schuschke/Walker/Kessen Anhang zu § 935 B. Rn. 4. 410 MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 409. 411 GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 167–169. 412 OLG Koblenz 9.4.1979 – 6 U 1044/78 – GRUR 1979, 496, 498; Teplitzky JuS 1981, 122, 124; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 44; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 416; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.21; Ahrens/Scharen 905

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Unstreitig ist, dass aus § 920 Abs. 2 ZPO eine doppelte Botschaft abzuleiten ist. Zum einen sind eidesstattliche Versicherungen zugelassen – von Zeugen, der antragstellenden Partei und deren Anwalt413 –, die im einseitigen Verfahren die nicht mögliche Vernehmung von Zeugen und Parteien vollständig ersetzen. Zweitens genügt statt der sonst notwendigen Überzeugung des Richters von der Wahrheit einer streitigen Begründung die Feststellung einer gewissen Wahrscheinlichkeit.414 Im einseitigen Verfahren kann die Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast nicht genauso 146 verteilt werden wie die Darlegungs- und Beweislast bei einer Klage. Der Umstand, dass der Schuldner am Verfahren nicht beteiligt ist, gebietet es, dem Verfügungsgläubiger mehr an Darlegung und Glaubhaftmachung aufzubürden als dem Kläger an Darlegung und Beweis. Es herrscht inzwischen nahezu Einverständnis, dass in der Antragsschrift auch darzulegen (und glaubhaft zu machen) ist, dass Einwendungen, die nach den Umständen des Falles nahe liegen, tatsächlich nicht bestehen.415 In vielen Erläuterungswerken werden den Einwendungen Einreden wie selbstverständlich gleichgestellt.416 Andere Autoren machen für die Einreden, auf die sich der Schuldner berufen muss, ausdrücklich eine Ausnahme.417 Nach ihrer Auffassung kann eine Verjährungseinrede im einseitigen Verfahren nur berücksichtigt werden, wenn sie bereits aktenkundig ist – sei es durch eine von dem Antragsteller selbst vorgelegte Erwiderung auf die Abmahnung, sei es durch eine Schutzschrift. In der vorliegenden Kommentierung ist bei der Erörterung des Verfügungsgrundes die Auffassung vertreten worden, dass die Dringlichkeit qua Selbstwiderlegung der Dringlichkeitsvermutung stets fehlt, wenn der geltend gemachte Anspruch schon verjährt ist, ohne dass es auf die Erhebung der Verjährungseinrede ankäme.418 Wer dem folgt, hat es in dem jetzt behandelten Kontext nicht mit einer Einrede zu tun, die erst erhoben werden muss, um Beachtung zu finden, sondern mit einer die Zulässigkeit des Antrags vernichtenden Einwendung. Legen mithin die bekannten Daten die Annahme nahe, die Forderung sei verjährt, hat der Gläubiger darzutun, dass dem nicht so ist, wenn er eine Beschlussverfügung erstreiten will. Der Streit, ob es im späteren zweiseitigen Verfahren bei der Verteilung der Darlegungslast, wie sie im einseitigen Verfahren vorgenommen worden ist, bleibt,419 soll hier noch nicht interessieren. 147 Beispiele aus der Rechtsprechung, in denen der Antrag abgewiesen wurde, weil ein Vortrag des Gläubigers zum Ausschluss naheliegender Einwendungen fehlte, sind allerdings rar. In dem von dem OLG Celle entschiedenen Schulfall420 hatte der Antragsteller zu einer gezielten Behinderung des Antragsgegners, der nach einer beworbenen Rabattaktion die verbilligten Fernsehgeräte des Antragstellers vollständig aufgekauft hatte, schlüssig vorgetragen. Nach den Umständen des Falles war es aber plausibel, dass er mit seinem von dem Antragsgegner ausgenutzten 145

Kap. 50 Rn. 2–15 mit großer Ausführlichkeit zur Prozessführungsbefugnis; Schuschke/Walker § 920 Rn. 18; Stein/ Jonas/Grunsky § 936 Rn. 3; Zöller/Vollkommer § 936 Rn. 2; a. A. Leipold S. 52 ff. (volle Beweisführung). 413 OLG Köln 16.8.1985 – 6 W 55/85 – GRUR 1986, 196; OLG Braunschweig 22.10.2019 – 2 W 76/19 – GRUR-RR 2020, 3; Ahrens/Scharen Kap. 50 Rn. 30; Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 100 Rn. 84. 414 Vgl. FBO/Büscher § 12 Rn. 102; Spätgens/Danckwerts § 100 Rn. 80; Zöller/Vollkommer § 294 Rn. 1. 415 Teplitzky WRP 1980, 373, 374; KUR GRUR 1982, 663, 668; FBO/Büscher § 12 Rn. 103; Spätgens/Danckwerts UWGHdb. § 100 Rn. 87; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 418; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.21; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 45; Melullis Rn. 191a; Berneke/Schüttpelz Rn. 241; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 300; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 445; Stein/Jonas/Grunsky § 920 Rn. 11; Schuschke/Walker § 920 Rn. 22; mit Vorbehalten referierend allerdings Zöller/Vollkommer vor § 916 Rn. 6a; a. A. GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 80; Ulrich GRUR 1985, 210, 211. 416 Differenzierter Teplitzky JuS 1981, 122, 125. 417 Ahrens/Scharen Kap. 50 Rn. 18 bei Fn. 74; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 445; Schuschke/Walker § 920 Rn. 22. 418 Rn. 68. 419 Vgl. Ahrens/Scharen Kap. 50 Rn. 19 (nein); Hirtz NJW 1986, 110, 112 f. (ja). 420 OLG Celle 15.2.1974 – 13 W 4/74 –WRP 1974, 277, 279. Schwippert

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Zeitungsinserat ein unzulässiges Lockvogelangebot geschaltet hatte, gegen das sein Konkurrent nicht zu beanstandende Abwehrmaßnahmen ergriffen hatte. Der Verfügungsantrag blieb ohne Erfolg, weil nicht dargelegt und glaubhaft gemacht sei, dass kein Lockvogelangebot vorgelegen habe. Für den Antragsteller ist die Lage im einseitigen Verfahren auch dann schwierig, wenn die 148 Beurteilung der Wettbewerbswidrigkeit einer Handlung von Einzelheiten abhängt, über die nur der Antragsgegner zuverlässig Bescheid weiß– weil er beispielsweise Vorzüge des eigenen Unternehmens gerühmt hat –, so dass Letzteren eine sekundäre Darlegungslast trifft. Kann der Antragsteller keine Indiztatsachen vortragen, die den gewünschten Schluss zulassen, wird eine Beschlussverfügung nicht in Betracht zu ziehen sein.421 Schultz–Süchting hat die Auffassung, der Gläubiger habe im einseitigen Verfahren die nahe 149 liegenden Einwendungen auszuräumen, mit der Begründung abgelehnt, es sei nur schwer auszumachen, wo eine Grenze zwischen den nahe liegenden und den nicht nahe liegenden Einwendungen gezogen werden könne.422 Das ist richtig; gleichwohl sind schwierige Differenzierungen tägliches juristisches Brot und verdienen den Vorzug gegenüber einem Ergebnis, dass dem Gläubiger zu einem raschen Titel verhilft, obgleich unschwer vorauszusehen ist, mit welcher Einwendung der im Widerspruchsverfahren angehörte Schuldner den Anspruch zu Fall bringen wird. Indessen offenbart sich die Problematik an der seit langem vorgetragenen Forderung von 150 Teplitzky,423 der Gläubiger habe, sofern weitere Gerichtsstände in Betracht kämen, darzulegen und glaubhaft zu machen, also eidesstattlich zu versichern, dass der Verfügungsantrag nur bei dem angerufenen Gericht anhängig gemacht worden sei. Der Vorschlag beruht auf dem verständlichen Wunsch, den Missgeburten des forum shopping Einhalt zu gebieten. Es fragt sich aber, ob es tatsächlich „nahe liegt“, dass demnächst der Schuldner mit seinem Einwand erfolgreich sein wird, der Gläubiger habe die ihm ermöglichte Standortwahl zu einer mehrfachen Einreichung des gleichen Antrags und damit zum versuchten Prozessbetrug genutzt. Der Umstand, dass derartige Praktiken schon festzustellen waren, ändert nichts an der (hoffentlich begründeten) Vermutung, dass es sich bei statistischen Ermittlungen um eine verschwindend geringe Prozentzahl handeln würde. Es ist daher verständlich, dass sich Teplitzkys Vorschlag im Gerichtsalltag bislang nicht durchgesetzt hat.424

i) Förmlichkeiten des Antrags. Der das Verfügungsverfahren einleitende Antrag kann schrift- 151 lich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden (§§ 920 Abs. 3, 936 ZPO). Angesichts dessen unterliegt er nach § 78 Abs. 5 ZPO nicht dem Anwaltszwang. Die Vollstreckung einer Unterlassungsverfügung, wie sie im Wettbewerbsrecht typisch ist, 152 setzt nach § 890 Abs. 2 ZPO die vorherige Androhung eines Ordnungsmittels voraus. Der Verfügungsantrag ist wirksam, auch wenn er diesen für die Vollstreckung bedeutsamen Antrag nicht enthält. Gleichwohl ist es zu empfehlen, den Antrag auf Androhung von Ordnungsmitteln zugleich mit dem Verfügungsantrag zu stellen, weil die Zustellung einer einstweiligen Verfügung, welche die Androhung noch nicht enthält, nach gesicherter Rechtsprechung keine wirksame Vollziehung im Sinne des § 929 ZPO darstellt.425

421 GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 78; Ahrens/Scharen Kap. 50 Rn. 20; Berneke/Schüttpelz Rn. 241. 422 GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 80 bei Fn. 176. 423 Teplitzky WRP 1980, 373, 374; ebenso Danckwerts GRUR 2008, 763, 767; Ahrens/Scharen Kap. 51 Rn. 3; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 45; damit sympathisierend MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 445. 424 Ablehnend FBO/Büscher § 12 Rn. 121; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 307 („Generalverdacht nicht gerechtfertigt“). 425 BGH 2.11.1995 – IX ZR 141/94 – BGHZ 131, 141 = WRP 1996, 104, 105 – Einstweilige Verfügung ohne Strafandrohung; OLG Hamm 20.12.1990 – 4 U 194/90 – GRUR 1991, 336, 337; OLG Hamburg 6.6.1996 – 3 U 9/96 – GRUR 1997, 907

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Für die Fassung des Verfügungsantrages bestehen gegenüber der Fassung des Klageantrags keine Besonderheiten. Er hat den Anforderungen an die Bestimmtheit des Antrags im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu genügen.426 Antragsfehler, die im Eilverfahren noch ungerügt geblieben sind, können sich in einem über § 926 Abs. 1 ZPO eingeleiteten Hauptsacheverfahren nachteilig auswirken, weil die nach dieser Vorschrift gesetzte Frist nur mit einem dem Verfügungsantrag inhaltlich entsprechenden Klageantrag gewahrt werden kann.427

154 j) Abweisender Beschluss. Das Gericht kann das einseitige Verfahren durch einen Beschluss (zunächst) beenden. Wenn der Verfügungsantrag unzulässig oder unschlüssig begründet ist, wird er ohne mündliche Verhandlung zurückgewiesen (§ 937 Abs. 2 ZPO). Dieser Beschluss muss aus rechtsstaatlichen Gründen mit einer Argumentation versehen werden, woran das Begehren gescheitert ist. Der Antragsteller ist darüber zu informieren, mit welchen Gegengründen es sich lohnt, die nächste Instanz anzurufen, und das Beschwerdegericht muss wissen, welche Gedanken es zu bestätigen oder zu verwerfen hat.428

155 k) Stattgebender Beschluss. Wird die beantragte Verfügung erlassen, weil das Gericht eine besondere Eilbedürftigkeit der Angelegenheit annimmt, bedarf der Beschluss grundsätzlich keiner Begründung.429 Das folgt aus § 922 Abs. 1 S. 2 ZPO, der eine Begründungspflicht (nur) für Entscheidungen vorsieht, die im Ausland geltend gemacht werden sollen.430 Etwas Gegenteiliges lässt sich weder aus der Rechtsprechung des BVerfGs431 noch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte432 ableiten, weil es um eine vorläufige Entscheidung in einem Eilverfahren ohne Beteiligung des Gegners geht, der aber die Möglichkeit hat, gegen diese Entscheidung noch in derselben Instanz vorzugehen. Freilich war es schon vor 1988, als § 922 Abs. 1 S. 2 ZPO in das Gesetz eingefügt wurde, gängige Praxis, einen dem Antrag in vollem Umfang stattgebenden Beschluss im Regelfall nicht zu begründen.433 Sie entsprach den Anforderungen der Prozessökonomie in einem Eilverfahren434 und erleichterte es den beteiligten Richtern, in einem Widerspruchsverfahren die von dem Antragsgegner vorgetragenen Gesichtspunkte unbefangen zu prüfen, ohne schriftlich festgelegte Positionen wieder revidieren zu müssen.435 147, 148; eine teilweise gegenteilige ältere Rechtsprechung, z. B. OLG Celle 24.7.1986 – 5 U 139/86 – GRUR 1987, 66 ist nach der eben zitierten Entscheidung des BGH nicht wiederbelebt worden. Das Schrifttum stimmt der Rechtsprechung inzwischen einhellig zu, vgl. Ahrens WRP 1999, 1, 5; FBO/Büscher § 12 Rn. 155; Berneke/Schüttpelz Rn. 584; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 41 mit weiteren Nachweisen. 426 OLG Koblenz 21.1.1993 – 6 U 1489/92 – WRP 1993, 343, 344; OLG Celle 6.5.2010 – 13 U 194/09 – Magazindienst 2010, 708, 710 – Cranberry-Saft; FBO/Büscher § 12 Rn. 113; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 367; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 12 Rn. 3.6; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 297; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 38. 427 BGH 1.4.1993 – I ZR 70/91– BGHZ 122, 172, 176 = GRUR 1991, 998, 999– Verfügungskosten; Harte/Henning/ Retzer § 12 Rn. 563; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 39. 428 Melullis Rn. 209a; Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 101 Rn. 46; Berneke/Schüttpelz Rn. 376. 429 H. M.: Ahrens/Scharen Kap. 51 Rn. 41; Berneke/Schüttpelz Rn. 371; FBO/Büscher § 12 Rn. 123; Spätgens/ Danckwerts UWG-Hdb. § 101 Rn. 46; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 390; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.23; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 5. 430 Herr NJW 1993, 2287; Melullis Rn. 209. 431 So Nägele NJW 1993, 1045, 1046; dagegen zutreffend Herr NJW 1983, 2286; insoweit Herr zustimmend Lippold NJW 1994, 1110. 432 So allerdings Lippold NJW 1994, 1110, der sich auf die Entscheidung des EGMR 16.12.1992 – 12945/87, 69/1991/ 321/393 – NJW 1993, 1697 – Hajanastassiou/Griechenland beruft, wo es um eine erstinstanzliche militärstrafrechtliche Verurteilung ging; dagegen zutreffend Melullis Rn. 209. 433 Vgl. OLG Nürnberg 10.2.1976 – 3 U 170/75 – NJW 1976, 1101; OLG Düsseldorf 29.9.1983 – 2 U 79/83 – GRUR 1984, 78. 434 Vgl. Melullis Rn. 209; Herr NJW 1983, 2286. 435 Vgl. die Erwägungen bei GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 12 Rn. 125. Schwippert

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Dennoch sollte der Beschluss (nobile officium) eine wenigstens stichwortartig skizzierte Be- 156 gründung enthalten, wenn der Schuldner schon in diesem Stadium des Verfahrens (sei es in der Schutzschrift, sei es in einer vom Gericht angeforderten Stellungnahme) zu Gehör gekommen ist. Er hat einen kurzen Hinweis verdient, warum seine Einwände nicht greifen. In vielen Fällen, in denen im Unterlassungsantrag (Fotokopierantrag) wie im Verfügungstenor nur die konkrete Verletzungsform eingeblendet ist, empfiehlt es sich, als mittelbare Begründung des Gerichts dem Beschluss die Antragsschrift beizufügen, damit der Antragsgegner über den vom Antragsteller angeführten und vom Gericht ersichtlich übernommenen Grund für die Wettbewerbswidrigkeit der angegriffenen Handlung ins Bild gesetzt wird.436 Die Beifügung der Antragsschrift alleine genügt aber nicht, wenn darin das erstrebte Verbot 157 alternativ auf verschiedene Gesichtspunkte, wie etwa eine gleichzeitige Irreführung über verschiedene Umstände, gestützt worden ist. Dann hat das Gericht in einer zusätzlichen Begründung deutlich zu machen, welcher der vorgebrachten Aspekte zum Erlass der Verfügung geführt hat.437 Erst damit wird dessen Schutzumfang erkennbar. Unterbleibt dieser Hinweis, ist der Beschluss zwar nicht unwirksam:438 Er umschreibt hinreichend bestimmt, welche konkrete Maßnahme der Antragsgegner nicht wiederholen darf. Der Schuldner gelangt aber aus dem Schutzbereich des Verbotes heraus, wenn er die vom Gläubiger angegriffene Wettbewerbshandlung so variiert, dass sie (nur) eine der vom Gläubiger in der Antragsschrift wahlweise attackierten Angriffsflächen nicht mehr bietet. Ordnungsmittel können dann gegen diese neue Maßnahme nicht verhängt werden, obgleich sie möglicherweise den Verletzungstatbestand wiederholt, der das Gericht zum Erlass des Verbotes veranlasst hat – was aber mangels richterlicher Begründung durch keine Auslegungsmethode zu ermitteln ist. Eine bei derartigen Fallgestaltungen fehlende Begründung führt, wie alle Erfahrung lehrt, oft zu praktischen Turbulenzen, weil die Parteien und das Vollstreckungsgericht den Rätsel aufgebenden Beschlusstenor in der Weise interpretieren, dass sie alle in der Antragsschrift wahlweise genannten Verbotsgründe kumulativ verwerten. Der Antragsteller erhält dann de facto das Verbot in einem deutlich weiteren Umfang, als er es beantragt hat.

l) § 938 Abs. 1 ZPO. Im modernen Schrifttum439 und in der Rechtsprechung440 überwiegt die 158 Auffassung, dass auch im wettbewerbsrechtlichen Eilverfahren bei dem Erlass von Leistungsverfügungen, die den Löwenanteil der Streitigkeiten ausmachen, ungeachtet der Vorschrift des § 938 Abs. 1 ZPO das Verbot gilt (§ 308 Abs. 1 ZPO), dem Antragsteller mehr oder etwas anderes zuzusprechen als er beantragt hat. Von dem größeren Spielraum des § 938 Abs. 1 ZPO könnten die Gerichte nur bei der Ausgestaltung einer Regelungs- oder Sicherungsverfügung Gebrauch machen. Dagegen gelte § 308 Abs. 1 ZPO uneingeschränkt für den wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch, dessen zeitweise Befolgung durch den Schuldner stets zu einer partiellen Erfüllung führt. § 938 Abs. 1 ZPO gestatte hier keine größeren Freiheiten. Erlaubt sei lediglich die redaktionelle Glättung 436 Zöller/Vollkommer § 920 Rn. 10 hält das bei fehlender Begründung stets für notwendig; ähnlich MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 439; vgl. auch GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 125.

437 Klein GRUR 2016, 899, 906; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 390; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 340; Spätgens/ Danckwerts UWG-Hdb. § 101 Rn. 48; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 5.

438 Zutreffend OLG Hamburg 3.5.2012 – 3 U 155/10 – WRP 2012, 1594 – Zustellung einer Beschlussverfügung; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 341; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 5; a. A. Bornkamm FS Köhler S. 47, 50.

439 FBO/Büscher § 12 Rn. 113; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 368; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.6; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 38; Berneke/Schüttpelz Rn. 344; Spätgens UWG-Hdb.4 § 101 Rn. 13; im zivilprozessualen Schrifttum ebenso Schuschke/Walker § 938 Rn. 9; Zöller/Vollkommer § 938 Rn. 2; anders aber MüKoZPO/Drescher § 938 Rn. 5. 440 OLG Koblenz 21.1.1993 – 6 U 1489/92 – WRP 1993, 343, 344; OLG Celle 6.5.2010 – 13 U 194/09 – Magazindienst 2010, 708, 710 – Cranberry-Saft; OLG Düsseldorf 6.3.2019 – I-11 W 70/18 – GRUR 2019, 664 Tz. 10 (richterlicher Hinweis, wie die Klage mit alternativem Vortrag schlüssig gemacht werden könnte); umfangreiche Nachweise zur älteren Rechtsprechung bei Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 38 Fn. 235. 909

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sprachlicher Fehler oder offensichtlicher Falschbezeichnungen. Gelegentlich findet sich indessen in einem Atemzug mit der Erklärung, § 938 ZPO passe auf die Regelungsverfügung nicht, die (damit schwer vereinbare) Feststellung, bei den richterlichen Korrekturarbeiten an dem gestellten Antrag bestünden „geringfügig“ größere Möglichkeiten als im normalen Klageverfahren.441 159 Gegen diese enge Bindung des Wettbewerbsrichters im Eilverfahren an den gestellten Antrag haben Schultz–Süchting442 und Jestaedt443 Stellung bezogen. Sie haben eine Fallgestaltung im Auge, in der sich der gestellte Antrag auf die konkrete Verletzungsform beschränkt, das Gericht aber zu einer angemessenen Verallgemeinerung greift (und greifen dürfen soll), die ein abstrahiertes Verbot enthält und die konkrete Verletzungsform nur in einem mit „insbesondere“ eingeleiteten Nachsatz aufnimmt. Beide sehen offenbar– was nicht zutreffen dürfte – in der abstrahierten Antragsfassung kein weitergehendes Petitum als in dem auf die konkrete Verletzungsform beschränkten Begehren, da sie übereinstimmend der Meinung sind, dass Verbot dürfe auch unter der Regie des § 938 Abs. 1 ZPO nicht weiter reichen als der gestellte Antrag. Unabhängig davon stellt sich die Frage, inwiefern das Gericht zulasten des Antragsgegners ein verallgemeinertes Verbot auszusprechen berechtigt sein darf, das zu beantragen der Gläubiger selbst nicht riskiert hat. Auf der anderen Seite erhöht das Gericht bei dieser Vorgehensweise das Risiko des Gläubigers, in einem nachfolgenden Hauptsacheverfahren mit dem abstrahierten Antrag zu unterliegen – obgleich die konkrete Verletzungshandlung rechtswidrig war – und alsdann einem Schadensersatz nach § 945 ZPO ausgesetzt zu sein.444 Das alles spricht dagegen, aus § 938 Abs. 1 ZPO die Befugnis des Richters abzuleiten, das beantragte Verbot der konkreten Verletzungsform in ein abstrakt formuliertes Verbot zu transferieren. Unverkennbar ist jedoch, dass in der Rechtsprechung nicht ganz selten auf § 938 ZPO im Rahmen von Leistungsverfügungen zurückgegriffen wird, ohne die hier behandelte grundsätzliche Problematik anzusprechen.445 Teilweise lässt der veröffentlichte Teil der Entscheidungen nicht erkennen,446 ob sich die vorgenommenen Berichtigungen im Rahmen dessen halten, was auch im Klageverfahren § 308 ZPO gestattet.447 Andere Entscheidungen vermitteln den Eindruck, dass zwar der Umfang des ausgesprochenen Gebots mit § 308 ZPO im Einklang steht, weil es als minus im Antrag enthalten448 oder in einem (ausdrücklich oder konkludent gestellten) Hilfsantrag begehrt worden war,449 die handwerklich notwendige teilweise Abweisung des Antrags aber unterblieben ist. Der gedankenlose Rückgriff auf § 938 ZPO führt alsdann zu einer Benachteiligung des Schuldners, weil die Kostenentscheidung nicht an § 92 Abs. 1 ZPO ausgerichtet ist.

160 m) Formblatt bei Tenorierung mit Vervollständigung durch die Geschäftsstelle. Es war lange Zeit forensischer Alltag, für die Beschlussverfügung ein Formblatt zu benutzen, bei dessen Ausfüllung sich der Richter die vollständige Arbeit bei der Wiedergabe der streitenden Parteien und des Antrags ersparte, indem er auf entsprechende Seiten der Akten verwies (einrücken wie 441 442 443 444

So Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 38. GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 103. Ahrens/Jestaedt Kap. 56 Rn. 3, 4; vgl. Ahrens GRUR 1985, 480 ff. Die von beiden Autoren für ihre Auffassung bemühten Entscheidungen (GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 103, Jestaedt bei Ahrens/Jestaedt Kap. 56 Rn. 3, 4) BGH 25.4.1991 – I ZR 134/90 – GRUR 1991, 772 – Anzeigenrubrik I und KG 16.6.1987 – 5 U 2688/87 – GRUR 1988, 78 bekräftigen allein den bekannten Umstand, dass abstrahierte Anträge mit einem insbesondere-Zusatz zulässig sind und geben für eine richterliche Gestaltungsfreiheit nichts her. 445 Vgl. Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 101 Rn. 10 mit umfangreichen Nachweisen in Fn.12. 446 KG 11.10.2017 – 5 W 221/17 – WRP 2018, 98, 99 – Influencer Marketing, Schlechwerbung in sozialen Medien; KG 17.10.2017 –5 W 233/17 – WRP 2018, 224, 225. 447 Vgl. Zöller/Vollkommer § 308 Rn. 2. 448 OLG Frankfurt a. M. 19.9.2016 – 6 W 74/16 – WRP 2017, 100, 102 – Quarantäne-Buchung. 449 OLG Hamburg 16.11.2009 – 3 W 120/09 – GRUR-RR 2010, 201 – Springender Pudel; OLG Frankfurt a. M. 27.3.2014 – 6 U 243/13 – WRP 2014, 981, 982. Schwippert

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Blatt…). Die zuvor streitige Frage, ob diese ökonomische Vorgehensweise rechtlich zulässig ist, hat der BGH 2003 verneint.450 Einer nachgeordneten, zur Entscheidungsfindung nicht befugten Person könne die Anweisung, die fehlenden Angaben eigenverantwortlich nachzuholen, nicht übertragen werden. Das ist überzeugend; die praktische Relevanz ist freilich nicht hoch, weil der Fehler nicht zur Unwirksamkeit des Beschlusses führt und aus ihm die Zwangsvollstreckung betrieben werden kann. Zudem ist der offensichtliche Fehler einer Berichtigung nach § 319 Abs. 1 ZPO zugänglich.451 Ist ausnahmsweise eine Berichtigung nicht möglich (Ausscheiden des Richters, Ablauf der Fünfmonatsfrist der §§ 517, 548 ZPO) wird eine Feststellungsklage begründet sein, dass der Beschluss keinen wirksamen Titel darstellt.452

n) Zustellung des Beschlusses. Weist der Beschluss den gestellten Antrag in vollem Umfang 161 zurück, oder gibt er dem Antrag nur unter der Voraussetzung statt, dass der Gläubiger vor der Vollstreckung eine Sicherheitsleistung erbringt, ist er dem Antragsteller zuzustellen (§ 329 Abs. 3 ZPO), da er mit der sofortigen Beschwerde gemäß § 567 Abs. 2 Nr. 2 ZPO angegriffen werden kann. Der Antragsgegner erhält von ihm nach § 922 Abs. 3 ZPO keine Mitteilung. Diese Bestimmung setzt ein bis dahin einseitiges Verfahren voraus. Ist der Schuldner durch schriftliche Anhörung am Verfahren formell beteiligt worden, darf er auch von dessen Ausgang unterrichtet werden.453 Wird dem Verfügungsantrag entsprochen, ist auch dieser Beschluss nur dem Antragsteller zuzustellen (vgl. § 329 Abs. 2 S. 2 ZPO, 929 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 ZPO).454 o) Rechtsmittelverfahren aa) Grundsätze. Wird der Antrag durch Beschluss zurückgewiesen, steht dem Antragsteller 162 nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO die sofortige Beschwerde zur Verfügung, die innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen ab Zustellung des Beschlusses einzulegen ist (§ 569 Abs. 1 ZPO). Zunächst hat das Ausgangsgericht zu prüfen, ob die Beschwerde begründet ist. Bejaht es das, so kann es entweder der Beschwerde abhelfen und seine erste Entscheidung ändern oder auch einen Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmen und damit die Vorgehensweise wählen, die § 937 Abs. 2 ZPO zur Regel macht.455 Die Begründung der in der Kommentarliteratur gelegentlich vertretenen Gegenmeinung,456 wonach die Abhilfeentscheidung in derselben Entscheidungsart ergehen müsse wie die angefochtene Entscheidung, ist sehr formalistisch und führt zu einer wenig sinnhaften Verlagerung einer gebotenen mündlichen Verhandlung in die zweite Instanz. Hält es die Beschwerde für unbegründet, so ist sie unverzüglich an das Beschwerdege- 163 richt weiterzuleiten (§ 572 Abs. 1 ZPO). Solange das Verfahren einseitig bleibt, richtet es sich nach denselben Grundsätzen wie in der ersten Instanz. Das Beschwerdegericht kann den Antragsgegner zu einer schriftlichen Stellungnahme auffordern457 und hat im übrigen nach 450 BGH 27.6.2003 – IXa ZB 72/03 – NJW 2003, 3136, 3137. 451 BGH 23.10.1997 – IX ZR 249/96 – BGHZ 137, 49, 53. 452 Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 5a plädiert für eine Aufhebung der Verfügung auf Anfechtung bei Niederschlagung der Gerichtskosten. 453 Zur teleologischen Reduktion dieser Vorschrift Rn. 133. 454 Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 5; Schuschke/Walker § 922 Rn. 13; Stein/Jonas/Grunsky § 922 Rn. 5b; Zöller/ Vollkommer § 122 Rn. 11. 455 OLG Hamburg, 27.2.2013 – 8 U 10/13 – Magazindienst 2013, 843 unter Hinweis auf KG 19.8.2003 – 2 W 154/03 – juris Tz. 5; Berneke/Schüttpelz Rn. 383. 456 Stein/Jonas/Grunsky ZPO § 922 Rn. 8; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO § 922 Rn. 9; Musielak/Voit/ Huber § 922 Rn. 10. 457 Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 7; a. A. Berneke/Schüttpelz Rn. 386. 911

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§ 937 Abs. 2 ZPO zu verfahren.458 Es stellen sich einige Fragen, die nicht einheitlich beantwortet werden:

164 bb) Abhilfeverfahren. § 572 Abs. 1 ZPO sieht ein regelmäßiges Abhilfeverfahren durch den Erstrichter vor. Die nach § 569 Abs. 1 S. 1 ZPO zulässige Einlegung des Rechtsbehelfs beim Beschwerdegericht führt daher zu einer Verzögerung des Verfahrens, weil die Beschwerdeschrift zunächst dem Ausgangsgericht zuzuleiten ist, damit es über die Abhilfe befinden kann. Ausnahmen, die das Abhilfeverfahren entbehrlich machen, werden im Gesetz nicht erwähnt. Es wird deshalb die Auffassung vertreten, die primäre Abhilfeentscheidung des Ausgangsgerichts sei auch in dringenden Fällen obligatorisch.459 Dem kann nicht zugestimmt werden. Die Vorschriften der §§ 567 ff. gelten für sämtliche Beschwerden, die in der ZPO geregelt sind; sie sind nicht auf spezielle Eilverfahren zugeschnitten. Die Vorschriften über das Verfahren der einstweiligen Verfügung räumen dem Prinzip des effektiven Rechtsschutzes bei großer Zeitnot absoluten Vorrang ein, so dass fundamentale Grundsätze wie die Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 937 Abs. 2 ZPO) und des gesetzlichen Richters (§ 944 ZPO) Einschränkungen erfahren. Das generelle Abhilfeverfahren in § 572 Abs. 1 ZPO beruht auf dem Bestreben, zu einer Entlastung der Beschwerdegerichte beizutragen. Im Konfliktfall hat der Aspekt des schonenden Einsatzes von Ressourcen hinter dem in den speziellen Vorschriften normierten und rechtsstaatlich geforderten Gebot der Rechtsschutzgewährung hintanzustehen. Das Beschwerdegericht ist daher berechtigt, über die bei ihm eingegangene Beschwerde sogleich selbst zu befinden, wenn es dies unter dem Blickwinkel der Dringlichkeit für sachgerecht erachtet.460

165 cc) Anwaltszwang für Beschwerde? Heftig umstritten ist seit langem die Frage, ob die Beschwerde dem Anwaltszwang unterliegt. Das ist deshalb zweifelhaft, weil nach § 920 Abs. 3 i. V. m. § 936 ZPO der Verfügungsantrag vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden kann, wozu eine Partei keinen Anwalt benötigt (§ 78 Abs. 5 ZPO). Auch die sofortige Beschwerde kann durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden, wenn der Rechtsstreit im ersten Rechtszug nicht als Anwaltsprozess zu führen ist oder war (§ 569 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Die überwiegende Meinung zieht daraus den Schluss, dass die Einlegung der Beschwerde vom Anwaltszwang befreit ist.461 Die Gegenmeinung462 hat seit jeher den Gedanken bemüht, dass § 920 Abs. 3 ZPO nur einen einzigen Verfahrensschritt vom Anwaltszwang ausnimmt. Dem ist indessen stets mit Recht entgegengehalten worden, dass bei einem in erster Instanz durch sofortigen Beschluss abgewiesenen Antrag, der durch Protokollerklärung gestellt werden kann, der Antragsteller insgesamt in der ersten Instanz einen Anwalt nicht benötigt. Das OLG Frankfurt a. M.463 hat die Debatte mit der Erwägung bereichert, auch eine vom Gericht angeordnete Be458 Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 6, 7. 459 Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 396. 460 Im Ergebnis ebenso Schmidt MDR 2010, 725; FBO/Büscher § 12 Rn. 129; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 7; Zöller/Vollkommer § 572 Rn. 4. 461 KG 15.8.1991– 25 W 4373/91 – GRUR 1991, 944, 945; OLG Karlsruhe 5.5.1993 – 6 W 23/93 – GRUR 1993, 697; OLG München 20.10.1993 – 26 W 2449/93 – NJW 1994, 60; OLG Dresden 10.2.1997 – 14 W 1118/96 – GRUR 1997, 856; GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 359; Ahrens/Scharen Kap. 51 Rn. 7; Berneke/Schüttpelz Rn. 381; FBO/Büscher § 12 Rn. 128; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 431; Spätgens/Held § 105 Rn. 1; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 394; Hess in: juris PK-UWG § 12 Rn. 192; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.38; Melullis Rn. 282; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 465; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 7 (referierend); MüKoZPO/Drescher § 922 Rn. 15; Schuschke/Walker § 922 Rn. 31; Stein/Jonas/Grunsky § 922 Rn. 8; Thomas/Putzo/Reichold § 922 Rn. 7; Zöller/Vollkommer § 922 Rn. 13. 462 OLG Stuttgart 25.6.1982 – 2 W 30/82, 2 W 32/82 – WRP 1982, 604; OLG Frankfurt a. M. 1.11.1982 – 17 W 51/82 – MDR 1983, 233; OLG Hamm 29.11.2007 – 8 W 40/07 – MDR 2008, 708; ebenso im Ergebnis OLG Köln 12.5.2014 – 6 W 63/14, nicht veröffentlicht. 463 OLG Frankfurt a. M. 28.6.2010 – 6 W 91/10 –GRUR-RR 2011, 31 f. – Anwaltszwang im Verfügungsverfahren. Schwippert

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schwerdeerwiderung könne, wenn die Beschwerde vom Anwaltszwang befreit sei, gemäß § 571 Abs. 4 S. 2 ZPO zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden. Das schriftliche Beschwerdeverfahren damit insgesamt aus dem Anwaltszwang herauszunehmen, während erstinstanzlich allein das Gesuch ohne Anwalt erklärt werden könne, sei widersprüchlich. Dieses Ergebnis, das in der Tat unbefriedigend wäre, ist jedoch nicht nur dadurch zu vermeiden, dass die Beschwerdeeinlegung dem Anwaltszwang unterworfen wird, sondern noch einfacher dadurch, dass § 571 Abs. 4 S. 2 ZPO auf die erstinstanzliche schriftliche Erwiderung entsprechend angewandt wird, weil die Vorschrift die Waffengleichheit anordnet: Solange sich der Antragsteller selbst vertreten kann, darf es der Antragsgegner auch.464 Die Diskussion hatte in der Vergangenheit allerdings einen anderen praktischen Stellenwert, als mit diesem Ergebnis – die Einlegung der Beschwerde ist anwaltsfrei – der Hausanwalt, der nicht über die erforderliche Simultanzulassung verfügte, die Dinge regeln konnte. Heute geht es nur noch darum, eine von der Partei selbst verfasste Beschwerde zuzulassen, die erfahrungsgemäß eine nachvollziehbare Auseinandersetzung mit den erstinstanzlichen Entscheidungsgründen nur sehr selten enthält.

dd) Beschwerde mit Erledigungserklärung. Im Meinungskampf steht auch die Frage, ob die 166 Beschwerde zulässig ist, wenn der erstinstanzliche Verfügungsantrag nicht weiterverfolgt wird, sondern das Verfahren mit dem Ziel einer den Antragsgegner belastenden Kostenentscheidung für erledigt erklärt wird.465 In einem Berufungsverfahren ist ein derartiges Vorgehen anerkanntermaßen möglich.466 Seine Zulässigkeit im Rahmen der Beschwerde wird teils mit wenig einleuchtenden, teils mit guten Gründen verneint. Unbefriedigend ist der Hinweis, mit der Zurückweisung des Antrags sei zunächst kein Verfahren mehr anhängig gewesen, in dem eine Erledigung hätte eintreten können.467 Vor Ablauf der Rechtsbehelfsfrist war das Verfahren nicht formell rechtskräftig abgeschlossen und mithin noch anhängig; wäre das Argument tragfähig, müsste es für das Berufungsverfahren in gleicher Weise gelten. Die weitere Überlegung, es fehle jetzt der Verfügungsgrund, weil das Ringen um eine günstige Kostenentscheidung nie dringlich sein könne,468 überzeugt ebenfalls nicht. Bei einer Erledigungserklärung kommt es immer nur darauf an, ob der Verfügungsgrund bis dato bestanden hat;469 für Kostenentscheidungen nach § 91a ZPO wäre sonst in Eilverfahren nie Raum. Die Zulässigkeit dieser Vorgehensweise sollte dennoch verneint werden, wenn der Antragsgegner am erstinstanzlichen Verfahren nicht beteiligt gewesen ist. Es macht keinen Sinn, ihn erstmals – und darin liegt der Unterschied zu einem Berufungsverfahren – in der zweiten Instanz in ein Verfahren hineinzuziehen,470 von dem er erstinstanzlich nicht unterrichtet worden ist und nicht unterrichtet werden durfte (§ 922 Abs. 3 ZPO). Wer für diese Konstellation die Möglichkeit einer Beschwerde mit einem Erledigungsantrag 167 und dem Wunsch einer Kostenentscheidung nach § 91a ZPO ablehnt, wird auch keine Beschwerde verbunden mit dem Antrag einer über die analoge Anwendung des § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO 464 GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 359 hat mit diesem Argument die seinerzeit noch nicht existente Bestimmung des § 571 Abs. 4 S. 2 ZPO gewissermaßen vorweggenommen. 465 Unzulässig: OLG Hamm 25.10.1984 – 4 W 143/84 – WRP 1985, 227, 228; OLG Karlsruhe 10.12.1997 – 4 W 131/ 97 – WRP 1998, 429, 430; OLG Stuttgart 22.8.1997 – 2 W 57/97 – NJWE-WettbR 1998, 91; OLG Bamberg 18.4.2002 – 3 W 36/02 – OLGR 2002, 462, 463; OLG Koblenz 18.12.2002 – 4 W 747/02 – OLGR 2003, 144; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 12 Rn. 3.38; Melullis Rn. 281; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 6; Schuschke/Walker § 935 Rn. 34. Zulässig: OLG Frankfurt a. M. 21.3.1991 – 6 W 17/91 – NJW-RR 1992, 493; Ahrens/Scharen Kap. 51 Rn. 73; Berneke/Schüttpelz Rn. 380; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 397; Zöller/Vollkommer § 922 Rn. 4. 466 Vgl. Zöller/Vollkommer § 511 Rn. 15 mit weiteren Nachweisen. 467 Einziges Argument bei Schuschke/Walker § 935 Rn. 34. 468 Vgl. Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 6. 469 Das betont mit Recht Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 397. 470 So die zutreffende Argumentation bei OLG Hamm 25.10.1984 – 4 W 143/84 – WRP 1985, 227, 228. 913

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ermöglichten Kostenentscheidung für zulässig halten können.471 Auch dann würde der notwendigerweise anzuhörende Schuldner erstmals in der zweiten Instanz mit einem Verfahren befasst, in dem es allein um die erstinstanzlichen Kosten geht. Der Antragsteller hat daher, wenn sich sein Petitum zwischenzeitlich erledigt hat, die Niederlage im Eilverfahren hinzunehmen und etwaige Schadensersatzansprüche gesondert geltend zu machen, wenn der Verfügungsanspruch in Wirklichkeit doch bestanden hatte. Ist aber der Antragsgegner erstinstanzlich vom Gericht zu einer schriftlichen Stellungnahme aufgefordert worden und der Antrag danach durch Beschluss zurückgewiesen worden, besteht allerdings kein Grund mehr, eine mit der Erledigungserklärung verbundene Beschwerde als unzulässig anzusehen. Ein tragfähiger Unterschied zu der mit der Berufung verbundenen Erledigungserklärung besteht dann nicht mehr.

2. Widerspruchsverfahren 168 Ist die einstweilige Verfügung durch Beschluss erlassen worden, kann der Schuldner dagegen Widerspruch einlegen. Damit beginnt das zweiseitige Verfahren, wenn der Antragsgegner nicht bereits vorher angehört worden ist.

169 a) Zuständiges Gericht. Der Widerspruch ist im Grundsatz bei dem Gericht einzulegen, dass die einstweilige Verfügung erlassen hat. Davon gibt es zwei Ausnahmen: Hat aufgrund einer erfolgreichen Beschwerde das Beschwerdegericht die einstweilige Verfügung erlassen, so ist der Widerspruch dennoch an das Ausgangsgericht zu richten.472 Aus dem Gesetz ergibt sich das nicht. Es ist aber seit Jahrzehnten eine von den Gerichten geübte Praxis, weil es sonst bei einer Verhandlung vor dem Beschwerdegericht bliebe und den Parteien eine Instanz verloren ginge. Das kann sich vor allem für den Antragsgegner ungünstig auswirken, weil er manchmal eine zweite Instanz benötigt, um in der Schnelle der Zeit seinen Sachvortrag und die Mittel zur Glaubhaftmachung auf die Reihe zu bekommen.473 An eine in der Beschwerdeentscheidung (die eine Begründung enthalten sollte, um nicht im Widerspruchsverfahren zum Rätselraten der Verfahrensbeteiligten zu führen) geäußerte Rechtsauffassung ist das Ausgangsgericht nicht gebunden.474 Es kann infolgedessen die Beschwerdeentscheidung abändern, auch wenn sich seither an den tatsächlichen Grundlagen nichts geändert hat. Zur zweiten Ausnahme kommt es, wenn die einstweilige Verfügung nach § 942 Abs. 1 ZPO vom Amtsgericht erlassen worden ist. In diesem Fall ist das Gericht der Hauptsache für die Entscheidung über den Widerspruch zuständig.475

471 Anders Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 6. 472 Weit überwiegende Meinung: OLG Düsseldorf 15.12.1983 – 10 U 159/83 – MDR 1984, 324; OLG Hamm 26.2.1987 – 4 U 7/87 – MDR 1987, 593; KG 27.11.2007 – 5 W 278/07 – NJW-RR 2008, 520; OLG Hamburg – 27.2.2013 – 8 U 10/13 – Magazindienst 2013, 843; Teplitzky JuS 1981, 435; Ahrens/Scharen Kap. 51 Rn. 78; Berneke/Schüttpelz Rn. 391; FBO/ Büscher § 12 Rn. 135; Spätgens/Held UWG-Hdb. § 105 Rn. 3; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 470; Hess in: juris-PKUWG § 12 Rn. 195; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 8; PG/Fischer § 924 Rn. 8; Stein/Jonas/Grunsky § 924 Rn. 18; Thomas/Putzo/Reichold § 924 Rn. 2; Zöller/Vollkommer § 924 Rn. 6; a. A. Schuschke/Walker § 924 Rn. 9. 473 Argument gegen Schuschke/Walker § 924 Rn. 9; Stein/Jonas/Grunsky § 922 Rn. 9 hält es deshalb für notwendig, bei einer Widerspruchsentscheidung durch das Beschwerdegericht dennoch ein Berufungsverfahren zuzulassen! 474 Allg. Meinung, vgl. nur Berneke/Schüttpelz Rn. 391; Spätgens/Held § UWG-Hdb. 105 Rn. 3; Harte/Henning/ Retzer § 12 Rn. 470; Schuschke/Walker § 924 Rn. 9, der darüber Unbehagen empfindet. 475 OLG Schleswig 12.2.1997 – 2 W 11/97 – NJW-RR 1997, 829; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 8; Zöller/Vollkommer § 942 Rn. 4. Schwippert

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b) Anwaltszwang. Findet das Widerspruchsverfahren bei einem Landgericht statt, ist der Wi- 170 derspruch schriftlich durch einen Anwalt einzulegen. Dieser sonst allgemein vertretenen Auffassung476 hat Schultz–Süchting in der Erstauflage widersprochen.477 Die Einlegung des Widerspruchs durch den Hausanwalt des Antragsgegners müsse genügen, wenn sich nicht schnell genug ein bei dem Widerspruchsgericht zugelassener Rechtsanwalt finde. Diese Erwägung hat sich mit den Änderungen des anwaltlichen Zulassungsrechts erledigt.

c) Fristenfreiheit. Der Widerspruch ist an keine Frist gebunden. Gelegentlich hält es ein 171 Schuldner für taktisch klug, den Gläubiger zunächst in Sicherheit zu wiegen und mit der Einlegung des Widerspruchs so lange zu warten, bis der in Rede stehende Unterlassungsanspruch verjährt ist.478 Das ist seit der Einführung des § 204 Abs. 1 Nr. 9 BGB zeitaufwendiger als früher, nach § 204 Abs. 2 BGB aber unverändert denkbar. Es ist auch möglich, einen Widerspruch zurückzunehmen und zu einem späteren Zeitpunkt neu einzulegen.479 Nun ist es allerdings paradox, ein Eilverfahren zu betreiben, für das sich die Parteien jahrelang nicht interessiert haben. Die Gerichte haben denn auch die Möglichkeit eines Widerspruchs als verwirkt angesehen, wenn sich der Antragsgegner zweieinhalb oder mehr Jahre mit seinem Rechtsbehelf Zeit gelassen hat.480 Mit einem auf der Gegenseite entstandenen Vertrauensschutz, auf den es sonst beim Verwirkungstatbestand ankommt, kann das allerdings nur dann etwas zu tun haben, wenn der Schuldner den Gläubiger durch verzichtsähnliche Erklärungen481 von weiteren Maßnahmen abgehalten hat: Der Gläubiger hat es sich sonst selbst zuzuschreiben, wenn er nicht über ein Abschlussschreiben und eine Hauptsacheklage für eine Klärung der Verhältnisse sorgt. d) Widerspruch vor Zustellung. Der Schuldner, der von der einstweiligen Verfügung bereits 172 erfahren hat, obgleich sie ihm vom Gläubiger noch nicht zugestellt worden ist, kann nach richtiger Auffassung den Widerspruch einlegen, ohne erst die Zustellung abwarten zu müssen.482 Gegen ihn ist ein Titel in die Welt gesetzt worden, aus dem die Zwangsvollstreckung betrieben werden kann. Er hat ein Interesse an der Beseitigung dieses Titels und muss den Beginn der Vollstreckung nicht abwarten. Dagegen wird eingewandt, eine wirksame einstweilige Verfügung sei erst mit der Zustellung gegeben und das Fehlen der Vollziehung sei von Amts wegen zu beachten.483 Diese Überlegung geht fehl. Aus § 929 Abs. 2 ZPO folgt nicht, dass eine einstweilige Verfügung erst mit der Parteizustellung an den Schuldner wirksam wird, sondern allein, dass mit ergebnislosem Ablauf der Monatsfrist die Verfügung ihre Wirksamkeit verliert und von ihr

476 OLG Koblenz 22.7.1980 – 6 W 139/80 – NJW 1980, 2588, 2589; OLG München 31.7.1997 – 11 W 1370/97 – MDR 1997, 1067; Berneke/Schüttpelz Rn. 392; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 471; Zöller/Vollkommer § 924 Rn. 7. 477 GK-UWG/Schultz-Süchting1 § 25 Rn. 354. 478 Im Fall OLG Köln – 2.9.2013 – 6 W 114/13 – GRUR-RR 2014, 319 wurde mit der Begründung des Widerspruchs so lange zugewartet, bis die Verjährung (§ 204 Abs. 2 S. 2 BGB) eingetreten war. 479 OLG München 31.7.1997 – 11 W 1370/97 – MDR 1997, 1067; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 471; Schuschke/ Walker § 924 Rn. 16; Zöller/Vollkommer § 924 Rn. 8. 480 OLG Celle – 18.7.1980 – 9 U 93/80 – GRUR 1980, 945; KG – 2.10.1984 – 5 W 4650/84 – GRUR 1985, 237; vgl. Berneke/Schüttpelz Rn. 396; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.38; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 8; Schuschke/Walker § 924 Rn. 14; Stein/Jonas/Grunsky § 924 Rn. 11. 481 Vgl. Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 440; Schuschke/Walker § 924 Rn. 14, der zusätzlich eine Verwirkung für möglich hält, wenn der Schuldner untätig bleibt, obwohl er vernünftigerweise etwas zur Rechtswahrung hätte unternehmen müssen. 482 Berneke/Schüttpelz Rn. 393; MünchKommZPO/Drescher § 924 Rn. 8; Schuschke/Walker § 924 Rn. 13; Stein/Jonas/Grunsky § 994 Rn. 10; Zöller/Vollkommer § 924 Rn. 4; a. A. Ahrens/Scharen Kap. 51 Rn. 50. 483 Vgl. Ahrens/Scharen Kap. 51 Rn. 50. 915

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vollstreckungsrechtlich kein Gebrauch mehr gemacht werden kann. Wenn, was unstreitig ist,484 nach dem Ablauf der Frist des § 929 Abs. 2 ZPO ein Widerspruch zulässig ist und wegen der unterbliebenen Parteizustellung zur Aufhebung der einstweiligen Verfügung führt, kann ein Widerspruch vor der erfolgten, aber noch fristgerecht möglichen Zustellung nicht mit der Begründung für unzulässig erklärt werden, eine rechtlich wirksame einstweilige Verfügungen existiere noch überhaupt nicht.

173 e) Widerspruchsbegründung. Der Antragsgegner hat nach §§ 924 Abs. 2, 936 ZPO in dem Widerspruch die Gründe darzulegen, die er für die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung geltend machen will. Im Schrifttum ist unstreitig, dass die Bestimmung nicht die spätere Ergänzung mit Argumenten ausschließt, die in der Widerspruchsschrift noch nicht angeklungen sind.485 Es wäre nicht zu rechtfertigen, dem Gläubiger eine ordentliche Vorbereitungszeit vor der Antragstellung zuzubilligen und eine spätere Ergänzung des Vortrages bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zu gestatten, den Antragsgegner aber auf ein Vorbringen in einem einzigen Schriftsatz zu beschränken. Streitig ist indessen, ob der mit keinem Wort begründete Widerspruch die Unwirksamkeit des eingelegten Rechtsbehelfs mit sich bringt.486 Obgleich die Versäumung irgendwelcher Fristen damit nicht droht, ist die Frage von praktischer Bedeutung, weil ein unwirksamer Widerspruch den Richter nicht zu einer Terminierung der Sache verpflichten487 und – zutreffender! – berechtigen kann. Der Verzicht auf eine Begründung für die Wirksamkeit des Rechtsbehelfs macht aus § 924 Abs. 2 S. 1 ZPO eine Kannvorschrift, ohne dass der Wortlaut der Bestimmung dazu eine Handhabe gäbe. Auch der systematische Zusammenhang mit der in § 924 Abs. 2 S. 2 geregelten Verpflichtung, nach Eingang des begründeten Widerspruchs Termin zur mündlichen Verhandlung zu bestimmen, spricht für eine Begründungspflicht, weil das Fehlen jeglicher Begründung eine sinnvolle Terminsvorbereitung für den Gläubiger und den Richter ausschließt.

174 f) Terminbestimmung. Im Hinblick auf die Terminierung finden sich Klagen über die Gewohnheiten mancher Gerichte, die Angelegenheit nach dem Erlass der Verfügung für nicht mehr besonders eilig zu halten und weiträumig zu planen. Auf diese Weise werde das Interesse des Schuldners an einer raschen Beseitigung des gegen ihn ergangenen Titels sträflich vernachlässigt.488 Dem kann im Grundsatz zugestimmt werden. In tatsächlich einfach gelagerten Fällen wird es dem Schuldner in der Tat mit der Terminbestimmung nicht schnell genug gehen können. Allerdings gibt es auch Verfahren, in denen ein komplizierter Sachverhalt aufzubereiten ist, die zur Verteidigung notwendige eidesstattliche Versicherung eines Zeugen nicht sofort beschafft werden kann oder die Hilfestellung eines privaten Sachverständigen vonnöten ist, um dem Gericht technische oder wissenschaftliche Vorfragen verständlich zu präsentieren. Je umfangreicher die Vorbereitungszeit für den Antragsteller bemessen worden ist, um so eher kann 484 Schuschke/Walker § 929 Rn. 37; Zöller/Vollkommer § 929 Rn. 22; Berneke/Schüttpelz Rn. 398, 604; Ahrens/Büttner Kap. 57 Rn. 56. 485 Vgl. Ahrens/Scharen Kap. 51 Rn. 54; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 472, obgleich sie den nicht begründeten Widerspruch für unwirksam halten. A. A. allein LG München 18.1.1995 – 1 HK O 23542/94 – WRP 1996, 252, 253, wo dem Widerspruchsführer das Nachschieben von bereits bei Widerspruchseinlegung bekannten Gründen über Treu und Glauben verwehrt wird. 486 Dafür Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 472; Ahrens/Scharen Kap. 51 Rn. 54; GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 186; anders die überwiegende Meinung: Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 442; Berneke/Schüttpelz Rn. 401; FBO/ Büscher § 12 Rn. 134; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 471; Schuschke/Walker § 924 Rn. 12; Stein/Jonas/Grunsky § 924 Rn. 21; Wieczorek/Schütze/Thümmel § 924 Rn. 5; Zöller/Vollkommer § 924 Rn. 7; Vorbehalte gegen die letztgenannte Ansicht auch bei Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 8. 487 So Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 472; Spätgens/Held UWG-Hdb. § 105 Rn. 4. 488 GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 185; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 8a. Schwippert

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in solchen Konstellationen eine schneidige Terminierung zu einer schiefen Schlachtordnung führen.489 Dem Antragsgegner ist anzuraten, in der Widerspruchsschrift deutlich zu machen, ob ihm an einem baldigen Termin gelegen ist oder ob er für ein waffengleiches Gefecht eine gewisse Vorbereitungszeit benötigt. Wird das plausibel begründet, sollte der Termin nicht auf den nächstfolgenden Sitzungstag bestimmt werden; dass es ein Eilverfahren bleibt und sich ein Termin im nächsten Quartal verbietet, ist selbstverständlich.

g) Verfahrensgrundsätze. Für das Widerspruchsverfahren gelten im übrigen die allgemeinen 175 Regeln des Zivilprozessrechts. Der Widerspruch muss die einstweilige Verfügung nicht vollständig angreifen, sondern kann die Anfechtung auf individualisierbare Teile beschränken.490 Maßgebend für die Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung.491 Liegt dann eine strafbewehrte Unterlassungserklärung des Antragsgegners vor, die die Wiederholungsgefahr beseitigt hat, besteht der Verfügungsanspruch nicht mehr. Der Antragsteller ist gehalten, zur Vermeidung einer Niederlage das Verfahren für erledigt zu erklären,492 um über § 91a ZPO eine günstige Kostenentscheidung zu erstreiten. Ist der Schuldner vor Einleitung des Verfahrens nicht abgemahnt worden, kann er sich auf § 93 ZPO aber nur berufen, wenn die Unterwerfungserklärung der Widerspruchsschrift beigelegen hat;493 von einem „sofortigen“ Anerkenntnis kann sonst nicht gesprochen werden.

h) Kostenwiderspruch. Der Antragsgegner hat die Möglichkeit, einen bloßen Kostenwider- 176 spruch einzulegen mit dem Ziel, die einstweilige Verfügung ausschließlich in ihrer Kostenentscheidung mit einem auf das Kosteninteresse reduzierten Streitwert anzugreifen. Das ist für ihn sinnvoll, wenn er eine weitergehende Rechtsverteidigung nicht für aussichtsreich hält oder an einer Wiederholung der untersagten Wettbewerbshandlung wirtschaftlich nicht interessiert ist. Die Kostenentscheidung kann gleichwohl zu Gunsten des Schuldners über § 93 ZPO zu korrigieren sein, wenn er vom Gläubiger nicht abgemahnt worden ist. § 99 Abs. 1 ZPO steht der Zulässigkeit eines Kostenwiderspruchs nicht entgegen, weil die Beschlussverfügung nicht auf einer mündlichen Verhandlung beruht und der Widerspruch kein Rechtsmittel ist.494 Die Zulässigkeit des Kostenwiderspruchs steht nicht mehr im Streit.495 Mit dem Kostenwiderspruch wird zumindest konkludent die Erklärung verbunden, den Be- 177 schluss in der Sache nicht anzugreifen. Darin liegt ein Verzicht auf die Möglichkeit des Vollwiderspruchs. Wer den Widerspruch zweifelsfrei auf die Kosten beschränkt hat, hat diesen Rechts-

489 So im Ausgangspunkt zutreffend auch Hirtz NJW 1986, 100, 113 mit der allerdings sehr weit gehenden Forderung, die Darlegung und Glaubhaftmachung sämtlicher anspruchsbegründender Tatsachen dem Antragsteller aufzuerlegen. 490 Unstreitig, vgl. ausführlich Ahrens/Scharen Kap. 51 Rn. 51. 491 Spätgens/Held UWG-Hdb. § 105 Rn. 19; ausführlich GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 180. 492 OLG Köln – 12.1.2001 – 6 U 98/00 – GRUR 2001, 424, 425; OLG Hamburg 3.5.2001 – 3 W 45/01 – NJW-RR 2002, 215, 216 und OLG Hamburg 31.1.2005 – 5 W 150/04 – Magazindienst 2005, 1355, 1358 – Fristverlängerung für Unterwerfung; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 10. 493 Ahrens/Scharen Kap. 51 Rn. 64. 494 Spätgens/Held UWG-Hdb. § 105 Rn. 9, 10. 495 BGH 22.5.2003 – I ZB 38/02 – WRP 2003, 1000 – Prozessgebühr beim Kostenwiderspruch; vgl. Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 454; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 480; Hess in: juris-PK-UWG § 12 Rn. 198; a. A. früher OLG München 13.1.1975 – 6 W 1955/74 – WRP 1975, 180, 181; OLG München 25.1.1985 – 6 W 2953/84 – GRUR 1985, 327 – SweatShirts, aber aufgegeben seit OLG München 17.1.1990 – 29 W 3006/89 – GRUR 1990, 482 – Anfechtung der Kostenentscheidung; v. Gamm NJW 1961, 1048, 1050. 917

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behelf gegen die Sachentscheidung nicht mehr zu Verfügung. Wird er trotzdem eingelegt, ist er als unzulässig zurückzuweisen. Das ist unstreitig.496 178 Unstreitig ist auch geworden, dass die Beschränkung auf den Kostenwiderspruch nicht notwendig eine Anerkennung des materiell-rechtlichen Anspruchs zur Hauptsache beinhaltet. Die Erklärung, gegen den im Eilverfahren ergangenen Titel sachlich nichts einwenden zu wollen, sagt für sich genommen nichts darüber, dass auch im Hinblick auf ein Klageverfahren die Waffen gestreckt werden. Für diese Verfahrensart können die Aussichten wegen anderer Beweismöglichkeiten und eines anderen Instanzenzuges günstiger zu prognostizieren sein.497 Auf einem ganz anderen Blatt steht, dass die Kostenwiderspruchsschrift weitere Erklärungen enthalten kann, aus denen auf ein Anerkenntnis auch des Hauptsacheanspruchs zu schließen ist. Wer gegen seine Kostenlast ins Feld führt, einer vorherigen Abmahnung hätte er mit einer strafbewehrten Unterlassungserklärung entsprochen, macht hinreichend deutlich, dass er auf die Rechte aus § 926 ZPO nicht zurückkommen und auch keine negative Feststellungsklage erheben werde. Die früher auch von der Rechtsprechung häufig geäußerte Ansicht, einen derartigen konkludenten Verzicht enthalte ein Kostenwiderspruch immer dann, wenn diese Rechte nicht ausdrücklich vorbehalten würden,498 wird nur noch vereinzelt vertreten.499 179 Wer sich auf den Kostenwiderspruch beschränkt, kann nicht mehr geltend machen, er müsse die Kosten des Verfahrens schon deshalb nicht tragen, weil der Antrag unzulässig gewesen sei oder der geltend gemachte Anspruch nicht bestehe.500 Gehör finden nur noch Gründe, die trotz eines Unterliegens in der Sache die Überbürdung der Kostenlast auf den Antragsteller rechtfertigen, also die Anwendbarkeit des § 93 ZPO tragen. Einwendungen zur Dringlichkeit oder zum Verfügungsanspruch mit dem Kostenwiderspruch vorzubringen ist indessen nicht nur nutzlos, sondern auch gefährlich. Sie können beim Gericht Zweifel aufkommen lassen, ob nicht doch in Wirklichkeit ein Vollwiderspruch beabsichtigt ist.501 Führt die Auslegung der Widerspruchsschrift zu diesem Ergebnis, können spätere Erläuterungen, der Antragsgegner beschränke sich jetzt auf einen Kostenwiderspruch, nicht mehr helfen; es würde sich nicht mehr um ein „sofortiges“ Anerkenntnis handeln.502 180 Über den Kostenwiderspruch ist mündlich zu verhandeln (§ 925 Abs. 1 ZPO) und danach durch Urteil zu entscheiden. Die Entscheidung kann nach § 99 Abs. 2 ZPO mit der sofortigen

496 BGH 22.5.2003 – I ZB 38/02 – WRP 2003, 1000 – Prozessgebühr beim Kostenwiderspruch; OLG Hamburg 10.11.1995 – 3 W 106/95 – WRP 1996, 442; OLG Hamm 25.9.1990 – 4 U 199/90 – GRUR 1991, 633, 634; Ahrens/Scharen Kap. 51 Rn. 56; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 479; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 454; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 11. 497 Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 11a. 498 OLG Frankfurt a. M. 26.8.1976 – 6 U 33/76 – WRP 1976, 618, 622; OLG Frankfurt a. M. 5.10.1981 – 6 W 60/81 – WRP 1982, 226; OLG Koblenz 13.7.1978 – 6 W 233/78 – WRP 1978, 664, 665; KG 5.1.1982 – 5 W 5686/81 – WRP 1982, 465, 467. 499 Spätgens UWG-Hdb.4 § 105 Rn. 16, der die Erwähnung des § 93 ZPO für den konkludenten Verzicht genügen lässt, sich dafür aber in Fn. 60 zu Unrecht auf zahlreiche Mitstreiter beruft; früher noch Liesegang JR 1980, 95 ff.; Nieder WRP 1979, 350, 351; a. A. – konkludenter Verzicht verlangt weitergehende Erklärungen: Ahrens/Scharen Kap. 51 Rn. 57; Ahrens/Singer Kap. 54 Rn. 23; Loschelder UWG-Hdb. § 96 Rn. 9; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 11, 12; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 484; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 480; Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 148; FBO/ Büscher § 12 Rn. 136; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.42; Melullis Rn. 248; Berneke/Schüttpelz Rn. 420. 500 Allgemeine Meinung: OLG Frankfurt a. M. 21.1.1985 – 6 W 160/84 – WRP 1985, 563; OLG Stuttgart 24.10.1986 – 2 W 29/86 – WRP 1987, 406, 407; OLG Hamburg 10.11.1995 – 3 W 106/95 – WRP 1996, 442, 443; OLG Hamm 23.1.2003 – 27 W 41/02 – OLGR 2003, 232; Ahrens/Scharen Kap. 51 Rn. 61; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 457; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 480. 501 OLG Schleswig 24.6.1986 – 6 U 2/86 – GRUR 1986, 840; OLG Stuttgart 24.10.1986 – 2 W 29/86 – WRP 1987, 406, 407; LG Duisburg 17.4.2002 – 25 O 90/01 – WRP 2002, 1196; Spätgens/Held UWG-Hdb. § 105 Rn. 11; Ahrens/ Scharen Kap. 51 Rn. 61. 502 Ausführlich GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 196; Spätgens/Held UWG-Hdb. § 105 Rn. 12; Hess in: juris-PKUWG § 12 Rn. 200. Schwippert

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Beschwerde angegriffen werden.503 Eine Berufung ist nach einhelliger Meinung nicht möglich.504 Ein mit „Berufung“ bezeichneter Schriftsatz kann in eine sofortige Beschwerde umgedeutet werden, falls das angesichts der unterschiedlichen Rechtsmittelfristen (§ 569 Abs. 1 S. 1 ZPO einerseits und § 517 ZPO andererseits) einen Sinn macht.505 Anders verhält es sich allerdings dann, wenn eine gemischte Sach/Kostenentscheidung getroffen worden ist, weil der Verfügungsbeschluss verschiedene individualisierbare Verbote ausgesprochen hat, die teilweise mit einem Vollwiderspruch, teilweise mit einem Kostenwiderspruch angegriffen worden sind. In diesem Fall kann die Partei, die vollständig unterlegen ist, die gesamte Entscheidung mit der Berufung angreifen.506 Es gilt dann einheitlich die Frist des § 517 ZPO. Gibt es bei der Sachentscheidung und dem Kostenpunkt unterschiedliche Sieger, kann die bei den Kosten unterlegene Partei (soweit sie auf den Kostenwiderspruch entfallen) diese Niederlage wieder allein mit der sofortigen Beschwerde anfechten. Bei einer Berufungseinlegung durch den Gegner sind die beiden Verfahren in entsprechender Anwendung des § 147 ZPO miteinander zu verbinden.507

i) Anfechtbarkeit der Terminierung. Die Terminbestimmung kann als verfahrensrechtlicher 181 Zwischenschritt im Grundsatz nicht angefochten werden. Die Rechtsprechung hat ausnahmsweise – sogar in Hauptsacheverfahren – eine Beschwerde für zulässig angesehen, wenn die mündliche Verhandlung so weit hinausgeschoben worden war, dass sie erst nach dem Ereignis stattfinden konnte, auf dessen Unterbindung der Antrag abzielte.508

j) Richterliche Verfahrensleitung. Auch im Verfügungsverfahren gilt die Ladefrist des § 217 182 ZPO, die aber auf Antrag ohne vorherige Anhörung der Gegenseite abgekürzt werden kann (§ 226 Abs. 1 ZPO). Einlassungsfristen gibt es nicht. § 132 ZPO ist nicht anwendbar. In der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung kann daher kein Vorbringen als verspätet zurückgewiesen werden.509 Vorbereitende richterliche Maßnahmen nach § 273 ZPO sind, wie die Ladungen von schriftsätzlich benannten Zeugen – deren Ausbleiben im Termin nicht zu einer Vertagung führen kann (§ 294 Abs. 2 ZPO) –, rechtlich zulässig; von dieser Möglichkeit wird in wettbewerbsrechtlichen Verfahren jedoch so gut wie nie Gebrauch gemacht. Das Fehlen von Einlassungsfris503 OLG Zweibrücken 4.12.2006 – 7 W 40/06 – OLGR 2007, 262; MünchKommZPO/Drescher § 924 Rn. 7 mit weiteren Nachweisen zur älteren Rechtsprechung in Fn. 19; Schuschke/Walker § 924 Rn. 11; a. A. Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann § 925 Rn. 15 und § 99 Rn. 5: es sei kein Rechtsmittel statthaft, weil schon der Widerspruch kein Rechtsmittel gewesen sei. 504 Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 463; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 13; Zöller/Vollkommer § 924 Rn. 5, § 925 Rn. 11. 505 KG 8.3.2011 – 5 U 155/10 – Magazindienst 2011, 499; OLG Frankfurt a. M. 22.3.2012 – 6 U 41/12 – NJW-RR 2012, 1018; OLG Koblenz 23.10.2017 – 9 U 895/17 – WRP 2017, 1522; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 482; Harte/ Henning/Retzer § 12 Rn. 486; Melullis Rn. 255; FBO/Büscher § 12 Rn. 138; Hess in: juris-PK-UWG § 12 Rn. 204; Berneke/Schüttpelz Rn. 430; den Meinungsstand referierend Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 13. 506 OLG Hamm 19.6.1986 – 4 U 354/85 – NJW-RR 1987, 426; KG 23.1.1987 – 5 U 5933/86 – GRUR 1988, 933 (Ls.); Berneke/Schüttpelz Rn. 429; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 487; Ahrens/Bähr Kap. 53 Rn. 1; MünchKommZPO/Drescher § 925 Rn. 11. 507 Vgl. Ahrens/Bähr Kap. 53 Rn. 3; Stein/Jonas/Bork § 99 Rn. 14. 508 BVerfG 26.5.2015 – M 5 S 15.30710 – BeckRS 2015, 52533; OLG Köln 23.6.1981 – 4 WF 93/81 – NJW 1981, 2263; OLG Schleswig 26.6.1981 – 1 W 94/81 – NJW 1982, 246; OLG Stuttgart 28.7.1983 – 2 W 66/83 – WRP 1983, 711; OLG Düsseldorf 26.9.2006 – 24 W 59/06 – OLGR 2007, 533; KG 28.11.2007 – 12 W 73/07 – MDR 2008, 226; Teplitzky/ Feddersen Kap. 55 Rn. 17; Berneke/Schüttpelz Rn. 318; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.25; FBO/Büscher § 12 Rn. 99; Ahrens/Bähr Kap. 52 Rn. 6; Stein/Jonas/Roth § 216 Rn. 32; Zöller/Stöber § 216 Rn. 21. 509 Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 440; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 19; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.25; a. A. E. Schneider MDR 1988, 1024; differenzierend Stein/Jonas/Grunsky § 922 Rn. 23 (Verspätungsvorschriften sind nur bei einer nicht sofort möglichen Beweisaufnahme unanwendbar). 919

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ten führt dazu, dass die Entwicklung des Streitstandes bis zur mündlichen Verhandlung oft unkalkulierbar ist und Vorbereitungsmaßnahmen infolgedessen „regelmäßig Stückwerk“510 bleiben. 183 Mit der Struktur eines Eilverfahrens ist die Vertagung der mündlichen Verhandlung oder die Gewährung eines Schriftsatznachlasses zu neuem Sachvortrag grundsätzlich unvereinbar.511 Es gehört daher zu den dringenden Obliegenheiten der Parteien in einem Verfügungsverfahren, sich für denkbare neue Entwicklungen in der mündlichen Verhandlung zu munitionieren und sachkundige Personen am Termintag für den Notfall bereitzuhalten. Den Anwalt, der zu neuem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung redlicherweise nichts erwidern, aber es auch nicht mit Nichtwissen bestreiten kann, wenn seine Partei einschlägige Kenntnisse hat (§ 138 Abs. 4 ZPO), ohne Beistand in die Verhandlung zu entsenden, zeugt von Leichtsinn. Gelegentlich werden diese Grundsätze trickreich dazu genutzt, um – nachdem Vortrag und 184 Glaubhaftmachung vorher bewusst unterblieben sind – die Gegenseite in der mündlichen Verhandlung auszukontern. Gegen solche Überrumpelungsmanöver mag gelegentlich helfen, dass die maßgeblichen Tatsachen den eigenen Wahrnehmungsbereich der betroffenen Partei nicht berühren, so dass sie mit Nichtwissen bestritten werden können (§ 138 Abs. 1 ZPO), und dass bei der Würdigung, ob die Glaubhaftmachung der strittigen Tatsache gelungen sei, etwaige Zweifel wegen des auffallend prozesstaktischen Verhaltens besonders ins Gewicht fallen (§ 286 ZPO).512 Wenn auf diesem Weg ein befriedigendes Ergebnis nicht zu erzielen ist, kann ein rechtsmissbräuchlich zurückgehaltenes Vorbringen unberücksichtigt bleiben.513 Damit ist freilich nicht zu helfen, wenn plausibel gemacht werden kann, dass der neue und überraschende Vortrag mangels hinreichender Kenntnisse nicht früher hat präsentiert werden können; die Beweislast für das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchstatbestandes hat der, der sich auf ihn beruft.514 Kann dann der Gegner nicht auf der Stelle parieren, ohne dass dafür eine ungenügende Terminvorbereitung die Ursache ist, wird das Gericht ausnahmsweise zu einer kurzfristigen Vertagung oder einem Schriftsatznachlass515 mit der latenten Möglichkeit einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung greifen müssen. Wenn das Prinzip der Eilbedürftigkeit des Verfahrens mit dem Postulat des rechtlichen Gehörs kollidiert, verlangt das Erfordernis des Gehörs den Vortritt (vgl. § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).516

185 k) Ruhen des Verfahrens. Das Ruhen des Verfahrens gemäß § 251 ZPO kann auch bei Einverständnis der Parteien nicht angeordnet werden. Das würde die gesamte Verfahrensstruktur konterkarieren.517 Im Grundsatz scheidet auch eine Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO aus. Es ist prinzipiell ausgeschlossen, den Ausgang anderer Prozesse zur Beantwortung vorgreiflicher Fragen abzuwarten. Es sind aber zwei denkbare Ausnahmefälle zu erörtern:

186 aa) Vorlage an den EuGH. Die Entscheidung über den Verfügungsantrag kann die Beantwortung ungeklärter europarechtlicher Fragen erfordern. Nachdem der EuGH schon früh entschie510 Ahrens/Bähr Kap. 52 Rn. 12. 511 Ahrens/Bähr Kap. 52 Rn. 11, 30; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 441, 442; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 351; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 19; Spätgens/Kessen UWG-Hdb. § 101 Rn. 61.

512 Davon verspricht sich einiges Ahrens/Bähr Kap. 52 Rn. 29. 513 OLG Koblenz 5.2.1987 – 6 U 1319/86 – GRUR 1987, 319, 322; Klute GRUR 2003, 34, 36; MünchKommUWG/ Schlingloff § 12 Rn. 429; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 19; Berneke/Schüttpelz Rn. 327.

514 Klute GRUR 2003, 34, 37. 515 Dafür plädieren Schote/Lührig WRP 2008, 1281, 1283 f. 516 Teplitzky JuS 1981, 352, 353; Schote/Lührig WRP 2008, 1281, 1282; Berneke/Schüttpelz Rn. 327; Harte/Henning/ Retzer § 12 Rn. 443; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 422; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 19; a. A. Ahrens/ Bähr Kap. 52 Rn. 18. 517 Bornkamm/Köhler/Feddersen § 12 Rn. 3.28; Spätgens/Kessen UWG-Hdb. § 101 Rn. 58. Schwippert

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den hatte,518 dass Art. 234 EGV – heute Art. 267 AEUV – seine Einschaltung in Eilverfahren nicht zwingend erfordere, hat sich in Deutschland die Auffassung durchgesetzt, dass die Vorlage zu unterbleiben und das Verfügungsgericht über die Fragen des Europarechts selbst zu befinden habe.519 Mit einer Entscheidung des EuGH im ersten Jahr nach der Vorlage ist nicht zu rechnen. Dieser Zeitaufschub ist im Eilverfahren nicht akzeptabel. Das Verfügungsgericht hat infolgedessen die in Rede stehenden europarechtlichen Fragen selbst zu beantworten.520

bb) Vorlage an das BVerfG. Nicht abschließend geklärt ist die richtige Antwort auf die 187 Frage, wie sich Art. 100 Abs. 1 GG mit den Prinzipien des Eilverfahrens verträgt. Der Wortlaut der Vorschrift sieht zwingend eine Vorlage an das BVerfG vor, wenn es nach Auffassung des Fachgerichts für die Entscheidung des Rechtsstreits auf die Anwendung einer Norm ankommt, die es selbst für verfassungswidrig erachtet. Die Vorlage in einem einstweiligen Verfügungsverfahren scheitert nicht bereits an der in § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG geforderten vorherigen Erschöpfung des Rechtsweges. Entscheidungen im Eilverfahren sind grundsätzlich selbstständig mit der Verfassungsbeschwerde angreifbar; der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde kann nur im Einzelfall etwas anderes gebieten, wenn eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung im Hauptsacheverfahren aussichtsreich erscheint.521 Die Vorlagepflicht kann wiederum mit der Forderung nach einem effektiven Rechtsschutz, die gleichfalls Verfassungsrang hat, in einen nicht auflösbaren Widerspruch geraten. Bis die Entscheidung des Verfassungsgerichts vorliegt, kann die Zeit das Anliegen des Antragstellers überholt haben. Wenn das zu befürchten ist und die Vorlage aus diesem Grund unterbleibt, stellt sich die weitere Frage, ob das Fachgericht zur Anwendung des einfachrechtlichen Gesetzes verpflichtet ist oder in Abkehr von Art. 100 Abs. 1 GG über dessen Verfassungswidrigkeit selbst befinden darf. Das BVerfG522 hat in einem Fall, der eine presserechtliche Gegendarstellung betraf, die in 188 einem Eilverfahren erfolgte Vorlage des Fachgerichts für zulässig erklärt, weil das Gegendarstellungsrecht kein Hauptverfahren kenne und eine verfassungsrechtliche Kontrolle durch das dafür vorgesehene Gerichtsorgan ausnahmslos entfalle, wenn die Vorlage im Verfügungsverfahren nicht zulässig sei. Die Möglichkeit, dass die Entscheidung im Ausgangsverfahren schließlich zu spät komme (zwischen dem Vorlagebeschluss und der Entscheidung des BVerfGs lagen rund sechs Monate), müsse hingenommen werden. Daraus lässt sich für ein Eilverfahren, dem ein Hauptverfahren folgen kann, nichts gewinnen, zumal auch die bejahte Zulässigkeit einer erfolgten Vorlage noch nicht die Pflicht zur Vorlage umfasst. Es verbleibt daher bei den vom BVerfG zuvor aufgestellten Grundsätzen, dass in Eilverfahren die Vorlage durch die Fachgerichte jedenfalls dann zu erfolgen habe, wenn die beantragte Regelung die endgültige Entscheidung weitgehend vorwegnehmen und damit etwas gewähren würde, auf das ein im Hauptsacheverfahren durchsetzbarer Anspruch nach Auffassung des Fachgerichts wegen Verfassungswidrigkeit der zugrunde zu legenden Norm nicht bestehe.523 Inwieweit die mit jedem Unterlassungsgebot ver518 EuGH 24.5.1977 – 107/76, C-107/76 – WRP 1977, 598, 600 – Hoffmann-Laroche/Centrafarm; EuGH 27.10.1982 – RS 35, 36/82 – NJW 1983, 2751.

519 OLG Frankfurt a. M. 31.5.2001 – 6 U 240/00 – GRUR-RR 2001, 250 – Internet-Apotheke II; OLG Saarbrücken 30.5.2001 – 1 U 171/01 – 41, 1 U 171/01 – OLGR 2001, 453; OLG Hamburg 10.4.2002 – 5 U 63/01 – GRUR-RR 2002, 360 – Pigmentiergerät; Berneke/Schüttpelz Rn. 153 mit vielen Nachweisen zu älterer Rechtsprechung; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 445; Ahrens/Bähr Kap. 52 Rn. 20; Spätgens/Kessen UWG-Hdb. § 101 Rn. 59; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 21; Zöller/Vollkommer vor § 916 Rn. 11. 520 Berneke/Schüttpelz Rn. 338. 521 BVerfG 11.5.1976 – 1 BvR 163/72 – BverfGE 42, 163, 168 = NJW 1976, 1680; BVerfG 18.2.1991 – 1 BvR 547/89, 1 BvR 574/89 – NJW 1991, 3023, 3024. 522 BVerfG 8.2.1983 – 1 BvL 20/81 – BverfGE 63, 161 = NJW 1983, 1179. 523 BVerfG 5.10.1977 – 2 BvL 10/75 – BverfGE 46, 43, 51 = NJW 1978, 37. 921

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bundene partielle Vorwegnahme der Hauptsache als „weitgehend“ im Sinne dieser Rechtsprechung anzusehen ist, muss im Einzelfall geprüft werden.524 189 Kaum diskutiert ist die Frage, von welchen Rechtsgrundlagen das Fachgericht auszugehen hat, wenn die Vorlage aus Zeitgründen unterbleibt. Es herrscht die Auffassung vor, das Fachgericht könne die einstweilige Verfügung nicht auf eine Norm stützen, die es für verfassungswidrig halte;525 sie führt, wenn andere Anspruchsgrundlagen nicht bereitstehen, zur Abweisung des Antrags als unbegründet. Für die unterlegene Partei hält Bähr den Trost bereit, ihr Schutz sei gewahrt, weil sie die Rechtsmittel im Eilverfahren habe und gegen die letzte fachgerichtliche Entscheidung im Verfügungsverfahren Verfassungsbeschwerde eingelegt werden könne. War nach Lage der Dinge eine Aussetzung des Verfahrens aus Zeitgründen untunlich, wird eine nachträgliche Verfassungsbeschwerde allerdings nicht mehr viel helfen können. Schuschke/Walker526 ist der Ansicht, wegen der „mit einer an sich erforderlichen Aussetzung verbundenen Verzögerung“ bestehe kein Rechtsschutzinteresse mehr an der Durchführung des Eilverfahrens. Das Rechtsschutzinteresse mit dem Ergebnis bestimmter materiell-rechtlicher Überlegungen des erkennenden Gerichts entfallen zu lassen wäre freilich eine Novität, auf die verzichtet werden sollte.

190 l) Verweisung. Die Verweisung des Eilverfahrens wegen gegebener Unzuständigkeit an ein zuständiges anderes Gericht (§ 281 ZPO) ist unproblematisch möglich, solange noch kein Vollstreckungstitel in die Welt gesetzt worden ist.527 Hoch streitig ist dagegen die Frage, wie zu verfahren ist, wenn sich erst im Widerspruchs- oder Berufungsverfahren (nach stattgebendem erstinstanzlichen Urteil) die Unzuständigkeit des titulierenden Gerichts herausstellt. Eine starke Mindermeinung528 lehnt für diese Fälle die Möglichkeit einer Verweisung nach § 281 ZPO ab. Die mit einer Verweisung verbundene Verzögerung führe dazu, dass die Eilanordnung für einen unter Umständen längeren Zeitraum aufrechterhalten bleibe, obwohl sie von einem unzuständigen Gericht getroffen worden sei. Diese Auffassung führt notwendig zur Aufhebung des Titels mit der Abweisung des Verfügungsantrags als unzulässig. Mehrheitlich wird die Ansicht vertreten, auf den entsprechenden Antrag des Gläubigers sei die Verweisung auszusprechen. Sie findet sich aber in drei verschiedenen Varianten. Der Verweisungsbeschluss kann nämlich verbunden werden mit der Aufhebung der erlassenen Verfügung529 oder der Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung (§§ 924 Abs. 3 S. 2, 936, 707 Abs. 1 S. 1 ZPO im Widerspruchsverfahren, §§ 719 Abs. 1 S. 1, 707 Abs. 1 ZPO im Berufungsverfahren); er kann schließlich auch isoliert ergehen,530 so dass alle weiteren Maßnahmen dem Adressatgericht überlassen bleiben. Die erste Spielart läuft mit der Aufhebung der getroffenen Anordnung im Wesentlichen auf dasselbe hinaus, was mit der Verneinung der Verweisungsmöglichkeit erreicht wird. Diese Lö524 Vgl. Hermanns GRUR 2017, 977, 984; Spätgens/Kessen UWG-Hdb. § 101 Rn. 60; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 22. 525 OLG Hamburg 23.5.1980 – 1 U 4/79 – JZ 1983, 67 mit Anm. von Goerlich JZ 1983, 57; Ahrens/Bähr Kap. 52 Rn. 22; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 446; aus dem staatsrechtlichen Schrifttum vgl. Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfau/Müller-Terpitz, Grundgesetz11, 2008, Art. 100 Rn. 20; Epping/Hillgruber/Morgenthaler Grundgesetz, 2009, Art. 100 Rn. 18. 526 Schuschke/Walker Vor § 916–945 Rn. 45. 527 Allg. Meinung, vgl. nur Berneke/Schüttpelz Rn. 266; Spätgens/Kessen UWG-Hdb. § 101 Rn. 58; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 20; Schuschke/Walker vor § 916–945 Rn. 42. 528 Teplitzky DRiZ 1982, 41, 42; Schuschke/Walker vor § 916–935 ZPO Rn. 42 und § 924 Rn. 10; Alternativkommentar ZPO/Damm § 924 Rn. 4; Musielak/Voit/Huber § 925 Rn. 5. 529 So LG Berlin 23.6.1971 – 16 O 35/17 – BB 1972, 336, 337; LG Arnsberg 22.10.1992 – 8 O 48/92 – NJW–RR 1993, 318, 319; Berneke/Schüttpelz Rn. 266; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 20. 530 GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 34; Ahrens/Bähr Kap. 52 Rn. 40, 41. Im zivilprozessualen Schrifttum h. M.: Stein/Jonas/Grunsky § 924 Rn. 19; Zöller/Vollkommer § 924 Rn. 6; Wieczorek/Schütze/Thümmel § 924 Rn. 4; Thomas/ Putzo/Reichold § 925 Rn. 1. Schwippert

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sung befriedigt in den Fällen nicht, in denen das wettbewerbswidrige Verhalten des Antragsgegners offen zu Tage liegt und er sich im Ergebnis gratulieren kann, das weitere Zuwiderhandlungen bis zu einem neuen Erlass der Anordnung durch das zuständige Gericht sanktionslos bleiben.531 Andererseits impliziert die Verweisung nach der Schaffung eines Titels die Erkenntnis, dass die vorausgegangene Entscheidung unhaltbar ist, weil sie ein unzuständiges Gericht getroffen hat. Mit der Verweisung ist daher die Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung zu verbinden. Dem Schuldner ist nicht zuzumuten, dass der Titel solange vollstreckbar bleibt, bis sich das neu mit der Sache befasste Gericht in den Streitstoff eingearbeitet hat.

m) Glaubhaftmachung aa) Grundsätze. Es ist die Aufgabe des Antragstellers, den Verfügungsgrund und den Verfü- 191 gungsanspruch glaubhaft zu machen. Einen Vollbeweis braucht er nicht zu führen. Diese Erleichterung gilt für sämtliche Prozessvoraussetzungen.532 Nach § 294 Abs. 1 ZPO sind Versicherungen an Eides statt zugelassen. Nur präsente Beweismittel dürfen verwertet werden (§ 294 Abs. 2 ZPO). Sind sie präsent, kommt die gesamte Palette der in der ZPO genannten Beweismittel in Frage, mithin die Vernehmung von Zeugen – auch der Anwälte, soweit sie über eigene Kenntnisse verfügen533 –, Sachverständigen, der Parteien, die Einnahme des Augenscheins und der Einblick in vorhandene Urkunden. Bei Letzteren kann es sich auch um Vernehmungsprotokolle von Zeugen handeln, die, ohne in der Berufungsverhandlung präsent gewesen zu sein, erstinstanzlich534 oder in anderen Verfahren vernommen worden sind.535 bb) Verteilung der Darlegungslast. Im Verfahren der einstweiligen Verfügung richtet sich, 192 sobald der Antragsgegner rechtliches Gehör erhalten hat, die Verteilung der Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast nach denselben Regeln, die für die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im ordentlichen Klageverfahren gelten.536 Teile der älteren Rechtsprechung537 und frühere Autoren538 haben es zur Herstellung der Waffengleichheit für erforderlich gehalten, dem mit dem Eilverfahren regelmäßig überforderten Antragsgegner zu helfen. Der Antragsteller müsse daher, wie es auch der Wortlaut des § 920 Abs. 2 ZPO bereits nahelege, die Darlegungslast 531 Zutreffendes Argument von Ahrens/Bähr Kap. 52 Rn. 41. 532 OLG Frankfurt a. M. 14.7.1989 – 6 W 60/89 – GRUR 1990, 58; KG 15.9.1988 – 25 U 3335/88 – WRP 1989, 234; OLG Koblenz 5.9.1988 – 6 W 559/88 – WRP 1989, 120; Teplitzky JuS 1981, 122, 124; Ahrens/Scharen Kap. 50 Rn. 1; Berneke/Schüttpelz Rn. 226; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 416; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.21; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 44; MünchKommZPO/Drescher § 920 Rn. 12; Schuschke/Walker § 920 Rn. 18; Stein/Jonas/ Grunsky § 920 Rn. 15. 533 OLG Braunschweig 22.10.2019 – 2 W 76/19 – GRUR-RR 2020, 3. 534 OLG München 26.1.2017 – 29 U 3841/16 – WRP 2017, 730, 731. 535 OLG Brandenburg 14.4.2011 – 6 U 79/10 – WRP 2012, 747. 536 OLG Karlsruhe 10.11.1982 – 6 U 105/82 – WRP 1983, 170; OLG Karlsruhe 27.5.1987 – 6 U 9/87 – WRP 1988, 631 (Ls.); OLG Stuttgart 26.10.1990 – 2 U 180/90 – WRP 1991, 268, 269; OLG Frankfurt a. M. 25.9.1990 – 5 U 109/90 – NJW-RR 1991, 174, 175; Teplitzky WRP 1980, 373, 374; Teplitzky JuS 1981, 122, 124; Ahrens/Scharen Kap. 50 Rn. 19; Berneke/Schüttpelz Rn. 226; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.21; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 444; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 419; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 44; Schuschke/Walker § 920 Rn. 21, 22; Zöller/ Vollkommer vor § 916 Rn. 6a. 537 RG 19.10.1907 – 578/07 I – JW 1907, 750; OLG Düsseldorf 20.6.1958 – 2 U 5/58 – GRUR 1959, 550 – Rippenstreckmetall II; OLG Düsseldorf 6.6.1958 – 2 U 175/57 – GRUR 1959, 606; OLG Stuttgart 2.8.1961 – 4 U 75/61 – GRUR 1962, 526 – Kodak-Markenfilme; OLG Celle 15.2.1974 – 13 W 4/74 – WRP 1974, 277. 538 Pastor, Der Wettbewerbsprozess, 3. Aufl. (1980), S. 294, 298; Fenge JurA 1970, 561. 923

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für alles haben, also auch für das Nichtbestehen von in Betracht kommenden Einreden und Einwendungen. Die Lastenverteilung, wie sie allgemein für richtig gehalten wird, solange das Verfahren betrieben wird, ohne dem Schuldner rechtliches Gehör zu geben, wäre dann perpetuiert. Nachdem Hirtz539 im Jahr 1986 für diese Auffassung noch einmal lebhaft plädiert hatte, hat sich zu ihrer Verteidigung niemand mehr zu Wort gemeldet. Die Gerichte haben mit Augenmaß darauf zu achten, dass sich der Antragsgegner vernünftig verteidigen kann. Eine Änderung der Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast mit der Folge, dass der Antragsteller alle von seinem Gegner vorgebrachte Einwendungen und Einreden – ein Spiel mit vielen taktischen Möglichkeiten – auszuräumen hat, bedarf es dazu nicht.540

193 cc) Mittel der Glaubhaftmachung. Von den Mitteln der Glaubhaftmachung weist besondere Schwachpunkte die eidesstattliche Versicherung von Zeugen auf. Über deren Persönlichkeitsstruktur und Erinnerungsvermögen kann sich das Gericht kein persönliches Bild machen. Wenn die Versicherung, wie es nahezu die Regel ist, von dritter Seite ganz oder teilweise vorformuliert worden ist, hat sie allein dann eine relevante Aussagekraft, wenn sie plastische Details enthält, die vermutlich nicht erfunden worden sind.541 Es empfiehlt sich daher aus anwaltlicher Vorsorge stets, die Zeugen im Termin präsent zu halten, auch wenn bereits eine von ihnen unterzeichnete eidesstattliche Versicherung vorgelegt worden ist. Auf einem anderen Blatt steht, dass gerade die neutralen Zeugen, die weder beruflich noch privat einer der beiden Parteien besonders verbunden sind, oft nicht bereit sind, ohne gerichtliche Ladung freiwillig zum Termin zu erscheinen.

194 dd) Wahrscheinlichkeitsgrad. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für sie spricht.542 Es können mehr Zweifel verbleiben als bei einem Vollbeweis im Hauptsacheverfahren. In einer Pattsituation, in der das Gericht das eine so gut für möglich hält wie das andere, ist die Glaubhaftmachung nicht gelungen. Sie ist aber auch dann gescheitert, wenn für den Sachvortrag des Antragstellers nur ein wenig mehr spricht als für den des Gegners.543 Das folgt mittelbar aus § 921 S. 1 ZPO, wonach ein Arrest (und über § 936 ZPO eine einstweilige Verfügung) gegen Sicherheitsleistung auch dann angeordnet werden kann, wenn die Glaubhaftmachung nicht gelungen ist. Die Vorschrift geht ersichtlich davon aus, dass nicht jede über 50 % liegende Wahrscheinlichkeit zur Glaubhaftmachung genügt; sie ist nämlich nicht anwendbar, wenn mehr für das Vorbringen des Antragsgegners spricht.544 195 Nach ganz überwiegender Meinung hängt der Grad der Wahrscheinlichkeit, der für die Glaubhaftmachung erforderlich ist, von dem Gewicht ab, den die Eilentscheidung für die Parteien hat.545 Bei einer existenziellen Bedeutung des Verbotsausspruchs für den Antragsgegner dürfen die bestehenden Zweifel weniger laut sein als dann, wenn der Verbotsausspruch den Antragsgegner nicht einschneidend belastet, für den Antragsteller hingegen von großer 539 Hirtz NJW 1986, 110 ff. 540 Gegen Hirtz auch GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 80 bei Fn. 177; Berneke/Schüttpelz Rn. 242; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.21. 541 Zu besonderer Vorsicht mahnen auch Teplitzky JuS 1981, 122, 125; Melullis Rn. 193; Berneke/Schüttpelz Rn. 238; Ahrens/Scharen Kap. 50 Rn. 31; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 429; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 53; geringere Zurückhaltung bei GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 72. 542 BGH 11.9.2003 – IX ZB 37/03 – BGHZ 156, 139 = NJW 2003, 3558; Spätgens/Kessen UWG-Hdb. § 100 Rn. 80; Ahrens/Scharen Kap. 50 Rn. 25 mit weiteren umfangreichen Nachweisen in Fn. 91. 543 H. A. vgl. nur Schuschke/Walker § 920 Rn. 15. 544 MünchKommUWG/Drescher § 929 Rn. 2; Schuschke/Walker § 929 Rn. 4; Stein/Jonas/Grunsky § 921 Rn. 5. 545 So auch: OLG Köln 25.6.1976 – 6 U 122/75 – GRUR 1977, 220 – Charlie; KG 21.11.1997 – 5 U 5398/97 – NJWEWettbR 1998, 110; OLG Frankfurt a. M. 22.1.2001 – 6 U 153/01 – GRUR 2002, 236; Jestaedt GRUR 1981, 153, 155; Ulrich Schwippert

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wirtschaftlicher Bedeutung ist. Feste Prozentsätze für die hinreichende Wahrscheinlichkeit sind nicht errechenbar. Ein Gericht wird daher niemals Anlass haben auszuführen, an sich verlange es zur ausreichenden Glaubhaftmachung eine Gewissheit von 70 %, es begnüge sich aber im Streitfall mit einem etwas geringeren Prozentsatz. Der das summarische Verfahren beherrschende Gedanke einer umfassenden Interessenabwägung kommt bei der Entscheidung, ob ein Tatsachenvortrag glaubhaft gemacht worden ist oder nicht, zum Tragen.

ee) Gegenstand der Glaubhaftmachung. Nur Tatsachen können glaubhaft gemacht wer- 196 den. Die anstehenden Rechtsfragen sind von dem Gericht nicht summarisch zu überprüfen, sondern mit derselben Gründlichkeit wie in einem Hauptsacheverfahren.546 Bei Zeitknappheit hat eine radikale Straffung der schriftlich niedergelegten Begründung Vorrang vor einer amputierten rechtlichen Prüfung. Gleichwohl heißt es gelegentlich in den Entscheidungen, die überaus komplexe Rechtslage habe angesichts der außergewöhnlichen Dringlichkeit des Anliegens keine Prüfung aller Verästelungen gestattet.547 Anzuwendendes ausländisches Recht hat das Gericht nach § 293 ZPO selbständig zu ermit- 197 teln. Es gibt Fälle, in denen über das eigene Kommentarstudium eine einigermaßen verlässliche Gewissheit, wie die fremde Rechtsordnung den Streitfall lösen würde, nicht zu gewinnen ist. Ein Sachverständigengutachten zur Klärung der Frage, das alsdann eigentlich erforderlich wäre, kann im Eilverfahren nicht eingeholt werden. Die antragstellende Partei ist gut beraten, für diese Konstellationen ein Privatgutachten einzureichen. Wie zu verfahren ist, wenn das nicht geschieht, ist umstritten. Die Ladung eines Sachverständigen zum Verhandlungstermin, in dem er sein Gutachten mündlich erstattet, ist rechtlich zulässig;548 ob sich ein Sachverständiger finden lässt, der in der Kürze der Zeit eine verantwortbare Stellungnahme zu dem maßgeblichen ausländischen Recht erarbeiten kann, ist eine andere Frage. Vor allem aber besteht ebenso wenig wie bei der Ladung eines benannten Zeugen549 eine verfahrensrechtliche richterliche Pflicht zur Ladung. In der forensischen Praxis wird von dieser Möglichkeit kein Gebrauch gemacht. Der Ausweg, dass sich die Parteien übereinstimmend auf eine bestimmte Rechtsanwendung des ausländischen Rechts in dem maßgeblichen Punkt einigen, wird sich nur ausnahmsweise eröffnen. In der dann entstehenden Not empfehlen einige Autoren, als letztes Mittel deutsches Recht zugrundezulegen.550 Das kann gerade in Fällen des gewerblichen Rechtsschutzes nicht befriedigen.551 Wenn es hier auf die Besonderheiten des nationalen Rechts ankommt, weil kein harmonisiertes Recht anzutreffen ist, steht entweder materiell-rechtlich die Rechtsordnung in einem Land infrage, das nicht zu den unmittelbaren Nachbarn zählt und daher große Unterschiede zu dem deutschen Rechtssystem haben kann, oder es geht um verfahrensrechtliche Besonderheiten, bei der die Anwendung des deutschen Rechts keine Treffsicherheit bietet, ob sie mit den Resultaten des ausländischen Rechts übereinstimmt. So wäre die Annahme, das Wettbewerbsverfahrensrecht in Russland kenne wie das deutsche einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch gegen den Störer, nichts anderes als russisches Roulette.552 Dann erscheint es richtiger, in entsprechender Anwendung des § 294 Abs. 1 ZPO den Verfügungsantrag GRUR 1985, 201, 210; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 308; MünchKommZPO/Drescher § 920 Rn. 16; Schuschke/Walker § 935 Rn. 9; Stein/Jonas/Grunsky § 935 Rn. 9; Zöller/Vollkommer § 935 Rn. 8. Dagegen: Krüger WRP 1991, 68, 71; Ahrens/Scharen Kap. 50 Rn. 25. 546 GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 75; Berneke/Schüttpelz Rn. 341; Schuschke/Walker § 920 Rn. 18 mit zahlreichen Nachweisen in Fn. 56. 547 Vgl. OLG Hamm 9.11.1978 – 4 U 218/78 – NJW 1979, 1713; OLG Frankfurt a. M. 5.1.1989 – 6 W 1/89 – GRUR 1989, 227; OLG Düsseldorf 23.3.2010 – I-20 U 183/09 – GRUR-RR 2010, 291 – Bekömmlichkeit. 548 Zutreffend Ahrens/Scharen Kap. 50 Rn. 45. 549 Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 424; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 51. 550 Brannekaemper WRP 1994, 661, 667 ff.; Sammerlad/Schrey NJW 1991, 1377, 1382; Kreuzer NJW 1983, 1943, 1945 ff.; Ahrens/Scharen Kap. 50 Rn. 45. 551 Deutliches Unbehagen auch bei Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 437; Berneke/Schüttpelz Rn. 342. 552 Vgl. BGH 25.4.2012 – I ZR 235/10 – GRUR 2012, 1263 Rn. 25, 26 – Clinique happy. 925

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zurückzuweisen.553 Der Antragsteller hätte die Möglichkeit gehabt, durch die Vorlage eines überzeugenden Privatgutachtens für Klarheit zu sorgen; wenn er das unterlässt, hat er die Konsequenzen wie bei einem nicht glaubhaft gemachten Tatsachenvortrag zu tragen.

n) Antragsrücknahme 198 aa) Grundsätze. Der Verfügungsantrag kann in jeder Lage des Verfahrens ohne Einwilligung des Antragsgegners zurückgenommen werden. § 269 Abs. 1 ZPO, der mit dem Beginn der mündlichen Verhandlung zur Hauptsache die Wirksamkeit der Rücknahme von einer Einwilligung des Beklagten abhängig macht, findet im Eilverfahren keine entsprechende Anwendung.554 Die Bestimmung beruht auf der Erwägung, dass der Beklagte ein schützenswertes Interesse an einer rechtskräftigen, den Klageanspruch ein für alle Mal aus der Welt schaffende Entscheidung hat. Im Verfügungsverfahren findet sich dafür keine Entsprechung, weil der Antragsteller nach der Rücknahme des Antrags ohnehin noch auf das Klageverfahren zugreifen darf und auch die Rechtskraft einer abweisenden Eilentscheidung den Antragsteller nicht hindert, denselben Antrag bei veränderter Sachlage erneut zu stellen.555 Der Antragsgegner bedarf des Schutzes umso weniger, je breiter sich die Auffassung durchsetzt, dass ein zweiter Verfügungsantrag unter dem Aspekt des missbräuchlichen forum shopping unzulässig ist, wenn der zunächst gestellte Antrag nach einem richterlichen Hinweis zurückgenommen worden ist.556 199 Mit der Rücknahme des Antrags ist das Verfahren als nicht anhängig geworden anzusehen. Ein bereits ergangenes Urteil oder eine Beschlussverfügung werden mit der Rücknahme wirkungslos; eine Aufhebung der Entscheidung ist nicht notwendig und hat nur deklaratorischen Charakter. § 269 Abs. 3 S. 1 ZPO findet entsprechende Anwendung. 200 Aufgrund der Rücknahme hat der Antragsteller grundsätzlich die Kosten des Verfahrens zu tragen; es stößt auf keine Bedenken, § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO entsprechend anzuwenden. Bei dieser Kostenregelung bleibt es auch dann, wenn ein nachfolgendes Hauptsacheverfahren zu Gunsten des vormaligen Antragstellers ausgeht.557

201 bb) Anwendung des § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO? Dagegen ist streitig, ob auf das Verfügungsverfahren auch die Vorschrift des § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO entsprechend angewendet werden kann.558 Die Analogie bereitet schon deshalb Schwierigkeiten, weil die Bestimmung darauf abstellt, dass 553 Ebenso OLG Frankfurt a. M. 7.11.1968 – 6 U 78/68 – GRUR 1970, 35 und OLG Frankfurt a. M. 1.9.1992 – 6 W 93/ 92 – GRUR 1993, 161; (anders jetzt OLG Frankfurt a. M. 30.1.2020 – 6 W 9/20 – WRP 2020, 1065 Rn. 6 ff., das – ohne seine ältere Rechtsprechung zu erwähnen – für eine wenig überzeugende Mischung aus summarischer Schlüssigkeitsprüfung und Interessenabwägung plädiert); OLG Hamburg 8.6.1989 – 6 U 135/88 – VersR 1989, 1164; OLG Hamm 11.11.1969 – 4 U 236/69 – WRP 1970, 77; wohl auch Melullis Rn. 204; Berneke/Schüttpelz Rn. 342 erwägt alternativ die Anordnung einer Sicherheitsleistung. 554 Ganz h. M.: OLG Düsseldorf 13.7.1982 – 2 U 54/82 – NJW 1982, 2452; OLG Frankfurt a. M. 22.3.2001 – 6 W 67/ 01 – WRP 2001, 716; OLG Koblenz 10.2.1998 – 4 U 1564/97 – OLGR 1998, 500; OLG Koblenz 7.7.1998 3 U 198/98 – OLGR 1999, 45; OLG Saarbrücken 25.9.2013 – 1 U 42/13 – GRUR-RR 2014, 91; anders noch OLG Koblenz 29.7.1980 – 6 U 591/80 – WRP 1980, 646, 648 in einem begründungslosen obiter dictum; Beyerlein WRP 2005, 1463, 1466; Berneke/Schüttpelz Rn. 456; Spätgens/Danckwerts UWG-Hdb. § 101 Rn. 37; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 460; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 450; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 1a; MünchKommZPO/Drescher § 920 Rn. 11; Schuschke/Walker § 920 Rn. 12; Zöller/Vollkommer § 920 Rn. 13; a. A. Ahrens/Jestaedt Kap. 49 Rn. 15; GKUWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 99; Fürst BB 1975, 890. 555 Schuschke/Walker § 920 Rn. 12; Berneke/Schüttpelz Rn. 220. 556 Vgl. Rn. 110–112. 557 BGH 18.1.1952 – I ZB 13/51 – NJW 1952, 425; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 1a; Zöller/Vollkommer § 920 Rn. 13. 558 Grundsätzlich ablehnend Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 1a; grundsätzlich befürwortend die überwiegende Meinung: OLG Karlsruhe 23.1.2012 – 6 W 92/11 – WRP 2012, 591, 592; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 460; MünchSchwippert

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der Anlass zur Einreichung der Klage vor Eintritt der Rechtshängigkeit entfallen ist. Die Rechtshängigkeit einer Klage beginnt mit der Zustellung der Klageschrift (§§ 253 Abs. 1, 261 Abs. 1 ZPO). Ist die Klage zugestellt, und entfällt jetzt erst der Anlass für die Klageerhebung, kann der Kläger sein Kosteninteresse wahren, indem er das Verfahren, an welchem der Beklagte inzwischen beteiligt ist, für erledigt erklärt. Daher beschränkt das Gesetz die Möglichkeit einer Billigkeitsentscheidung über die Kosten auf die Fälle, in denen der Anlass für die Klage vor Rechtshängigkeit entfällt. Das Verfügungsverfahren wird bereits mit der Einreichung des Antrags rechtshängig.559 Die Rechtshängigkeit fällt nicht mit der formellen Beteiligung des Gegners am Verfahren zusammen. Das erklärt, warum bei den Befürwortern einer analogen Anwendung zwei Spielarten anzutreffen sind. Zum einen kann die Analogie auf die Fälle beschränkt werden, in denen der Klagegrund bereits vor Eintritt der Rechtshängigkeit, also dem Eingang des Verfügungsantrags, entfallen ist.560 Sie kann zum anderen erweitert werden bis zu dem Augenblick, in dem der Antragsgegner formell am Verfahren beteiligt wird561 – sei es durch Zustellung des Verfügungsbeschlusses, durch Ladung zu der mündlichen Verhandlung oder durch schriftliche Anhörung, weil das auch der Zeitpunkt ist, auf den das Gesetz mit dem bei der Klage anderen Begriff der Rechtshängigkeit abstellt. Diese erweiterte analoge Anwendung ist schon wegen des Fehlens einer planwidrigen Rege- 202 lungslücke abzulehnen. Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit einer Kostenregulierung über § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO bei einer Klagerücknahme mit dem Eintritt der Rechtshängigkeit enden lassen, weil der Kläger bei einem erledigenden Ereignis, das danach eintritt, seine Kosteninteressen mit einer Erledigungserklärung durchsetzen kann. Da nach inzwischen weit überwiegender Auffassung562 im Eilverfahren eine einseitige Erledigungserklärung bereits dann zum Erfolg führt, wenn das erledigende Ereignis im Stadium des einseitigen Verfahrens, mithin zwischen Einreichung des Antrags und Beteiligung der Gegenseite, eintritt, bedarf der Antragsteller keines weiteren Flankenschutzes.563 Die engere Analogie ist hingegen zu befürworten. § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO findet seinem Wortlaut entsprechend auch dann Anwendung, wenn sich die Klage bereits vor ihrer Einreichung erledigt hat.564 Entsprechendes hat dann auch bei einem Verfügungsantrag zu gelten.

cc) Unterrichtung des Antragsgegners? Von der Antragsrücknahme ist der Antragsgegner 203 zweifelsfrei zu unterrichten, wenn er am Verfahren durch Zuleitung von Schriftstücken oder einer Terminladung bereits beteiligt war. Erfolgt die Rücknahme in einem Verfahrensstadium, in dem es einseitig geführt wurde, kollidiert die Unterrichtung des Antragsgegners mit dem

KommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 450; MünchKommZPO/Drescher § 920 Rn. 11; Schuschke/Walker § 920 Rn. 12; Zöller/ Vollkommer § 920 Rn. 13. 559 Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 1; s. Rn. 118. 560 Vgl. OLG Brandenburg 13.9.2011 – 6 W 73/11 – Baurecht 2012, 556 gegen die Analogie; OLG Karlsruhe 23.1.2012 – 6 W 92/11 – WRP 2012, 591 dafür, wenn der Anlass des Antrags zwischen dessen Aufgabe zur Post und dem Eingang bei Gericht entfällt und der Antragsteller davon erst nach Einreichung des Antrags erfährt; ebenso Berneke/Schüttpelz Rn. 457. 561 Gegen die Analogie KG 7.4.2009 – 9 W 96/08 – WRP 2009, 765; OLG Brandenburg 13.9.2011 – 6 W 73/11 – Baurecht 2012, 556; MünchKommZPO/Drescher § 920 Rn. 11; Musielak/Voit/Huber § 922 Rn. 10a. Für die Analogie OLG Stuttgart 8.11.2006 – 10 W 74/06 – NJW-RR 2007, 527; Schuschke/Walker § 920 Rn. 12; Schuschke/Walker § 935 Rn. 30; Zöller/Vollkommer § 920 Rn. 13. Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 460 und MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 450 erwähnen die Möglichkeit dieser erweiterten Analogie nicht. 562 OLG Köln 12.1.2001 – 6 U 98/00 – GRUR 2001, 424, 425; Ahrens/Singer Kap. 54 Rn. 6; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 451; Berneke/Schüttpelz Rn. 474; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 24a. 563 Zutreffend MünchKommZPO/Drescher § 920 Rn. 11. 564 Elzer NJW 2002, 2006, 2008; Zöller/Greger § 269 Rn. 18d. 927

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Wortlaut des § 922 Abs. 3 ZPO.565 Wenn der Beschluss, mit dem der Antrag zurückgewiesen wird, dem Gegner nicht mitzuteilen ist, scheint das für die einseitige Beendigung durch Antragsrücknahme gleichfalls zu gelten. Die moderne gegenteilige Auffassung566 hält aber eine Mitteilung an den Antragsgegner dann für notwendig, wenn der Gläubiger den Antrag nach einem für ungünstig erachteten gerichtlichen Hinweis zurückgenommen hat, damit der Schuldner bei einem von dem Antragsteller eingeleiteten Zweitverfahren über das Argument des missbräuchlichen forum shopping verfügen kann. Dem steht bei der angebrachten teleologischen Reduktion die Bestimmung des § 922 Abs. 3 ZPO nicht entgegen. Aus den oben567 dargestellten Gründen geht es in dieser Vorschrift um die Vermeidung einer obligatorischen Vorwarnung des Schuldners vor einer dem Antrag des Gläubigers stattgebenden Entscheidung. Zu diesem von dem Gläubiger angestrebten Resultat kann es nach der Antragsrücknahme und der zum unzulässigen forum shopping entwickelten Regeln indessen nicht mehr kommen, so dass der „normale“ und selbstverständliche Grundsatz, einen formell am Verfahren Beteiligten von dessen Ausgang zu unterrichten, sein Recht beansprucht.568

204 o) Erledigungserklärung. Für die übereinstimmende und die einseitige Erledigungserklärung gelten im Grundsatz die Regeln, wie sie für das Klageverfahren entwickelt worden sind. Geht sie im Verfügungsverfahren zu einem Zeitpunkt bei Gericht ein, zu dem der Antragsgegner über dessen Gang noch nicht informiert worden war, so hat das einseitige Verfahren jetzt ein notwendiges Ende gefunden. Antragsschrift und Erledigungserklärung sind dem Antragsgegner zuzuleiten, damit er eine Stellungnahme abgeben kann, ob er sich der Erledigungserklärung anschließt oder ihr widerspricht.569

205 aa) Zeitliche Differenzierung. Dabei kann die vom BGH570 eröffnete Möglichkeit, die Erledigungserklärung im Hinblick auf einen Unterlassungsantrag zeitlich zu teilen, besondere Bedeutung gewinnen. Verfügte der Antragsteller bereits über einen vollstreckbaren Titel, als durch eine Unterwerfungserklärung des Antragsgegners die Wiederholungsgefahr entfiel und der Unterlassungsanspruch damit erlosch, ist es nicht in seinem Interesse, den Rechtsstreit insgesamt für erledigt zu erklären. Tut er dies und schließt sich der Gegner der Erledigungserklärung an,571 verliert er die Vollstreckungsmöglichkeit auch für die Vergangenheit und kann zwischenzeitliche Zuwiderhandlungen des Antragsgegners nicht länger ahnden.572 Es empfiehlt sich daher für ihn, das Verfahren erst ab dem Zeitpunkt für erledigt zu erklären, in welchem die Unterwer-

565 Ebenso im Ausgangspunkt Spätgens UWG Hdb.4 § 101 Rn. 100, der allerdings in den forumshopping-Fällen für die Unterrichtung des Schuldners plädiert: § 101 Rn. 88.

566 Federführend Teplitzky GRUR 2008, 34, 37; Teplitzky FS Loschelder S. 391, 398–401; ebenso Ahrens/Scharen Kap. 51 Rn. 9 i. V. m. Rn. 34; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 1b. 567 Rn. 132. 568 Berneke/Schüttpelz Rn. 456a will die Unterrichtung des Schuldners nach Ablauf von drei Monaten gestatten; damit ist freilich im Kampf gegen das forum shopping nichts gewonnen. 569 Ahrens/Singer Kap. 54 Rn. 6; Berneke/Schüttpelz Rn. 474 mit Nachweisen zu nicht mehr vertretenen Gegenmeinungen; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 24a; Schuschke/Walker § 935 Rn. 30. 570 BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264 – Euro-Einführungsrabatt. 571 Anders bei einer einseitigen Erledigungserklärung, die eine gerichtliche Entscheidung über die Berechtigung des geltend gemachten Anspruchs bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses nach sich zieht, BGH 23.2.2012 – I ZB 28/11 – WRP 2012, 829 Rn. 10 f. mit Anm. von Teplitzky S. 831. 572 BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264, 267 – Euro-Einführungsrabatt; Büscher/ Schmidt § 12 UWG Rn. 331; Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 38a; Schuschke/Walker § 890 Rn. 13. Schwippert

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fungserklärung ihre Wirksamkeit entfaltet hat.573 Hat er das unterlassen, kann ihm aber je nach Lage der Dinge mit der Annahme einer konkludenten Beschränkung auf die Zukunft geholfen werden, was dann nahe liegt, wenn das Ordnungsmittelverfahren vor der Erledigungserklärung bereits in Gang gesetzt worden ist.574 Bislang nicht befriedigend geklärt ist freilich die Frage, wie es sich mit dem nicht für erle- 206 digt erklärten Teil des Verfahrens verhält. Es kann nicht vollständig beendet worden sein, weil sich die Erledigungserklärung auf einen fest umrissenen Zeitraum aus der Vergangenheit ausdrücklich nicht bezieht.575 Der alte Unterlassungsantrag kann indessen nicht mehr aufrechterhalten werden, weil er sprachlich notwendig auf ein Geschehen in der Zukunft gerichtet war. Der BGH hat davon gesprochen, dass „Gegenstand des anhängig gebliebenen Teils des Verfahrens das Bestehen eines Anspruchs auf Sicherung des materiell-rechtlichen Unterlassungsanspruchs für die Zeit bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses“ sei. Diese Umschreibung des Streitgegenstandes kann nicht als Vorschlag einer Antragsformulierung verstanden werden. Sinn macht nur ein geänderter Klageantrag mit dem Feststellungsbegehren, dass der Verfügungsantrag in der Vergangenheit bis zu einem bestimmten Datum begründet gewesen ist.576 Dagegen kann nicht mit Erfolg eingewandt werden, dass ein Feststellungsantrag im summarischen Verfahren ausscheide, weil er nicht eilbedürftig sein könne. Es handelt sich um einen der Ausnahmefälle, die einen Übergang aus einem eiligen Verfahren in ein Feststellungsbegehren gestatten.577 Wird dieser Antrag nicht gestellt, ist nach Auffassung des BGH das Verfahren als beendet zu betrachten und durch eine Kostenentscheidung nach § 91a ZPO abzuschließen.578 Das mag als praktikabel durchgehen. Gedanklich bleibt es jedoch ein Rätsel,579 warum an eine Erklärung, den Rechtsstreit nur teilweise erledigen zu wollen, die weitere ausdrückliche Erklärung folgen muss, das Verfahren teilweise fortführen zu wollen, und bei der Anwendung des § 91a ZPO so zu tun, als sei (fiktiv) das Verfahren doch insgesamt für erledigt erklärt worden.

bb) Bezug zum Hauptsacheverfahren. Die Erklärung, dass das Verfügungsverfahren in der 207 Hauptsache erledigt ist, ist nicht mit der Erklärung zu verwechseln, dass ein daneben anhängiges Hauptsache (Klage –) Verfahren erledigt ist.580 Die Erledigungserklärung ist eine Prozesshandlung, die sich ausschließlich auf das Verfahren bezieht, in dem sie vorgenommen wird. Wird im Rahmen einer vergleichsweisen Gesamtbereinigung auch eine Erledigungserklärung hinsichtlich des Klageverfahrens ausgesprochen, ist damit die im Klageverfahren notwendige Prozesshandlung noch nicht vorgenommen. Es handelt sich lediglich um eine innerparteiliche obligatorische Verbindlichkeit, eine entsprechende Erklärung im Hauptprozess unverzüglich abzugeben.

573 Nach BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = GRUR 2004, 264, 267 – Euro-Einführungsrabatt ist das im Zweifel anzunehmen; demgegenüber verlangen eine eindeutige Erklärung OLG Frankfurt a. M. 29.10.2009 – 6 W 170/09; Ruess NJW 2004, 485, 488; Teplitzky LM 2004, 53, 54; Schuschke/Walker § 890 Rn. 14; Stein/Jonas/Brehm § 890 Rn. 29. 574 BGH 20.1.2016 – I ZB 102/15 – GRUR 2016, 421 Rn. 20 – Erledigungserklärung nach Gesetzesänderung. 575 Vgl. Ruess NJW 2004, 485, 488; Schuschke/Walker § 890 Rn. 14. 576 Ebenso Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 38a. Dieser Feststellungsantrag im Eilverfahren ist nicht zu verwechseln mit der von Melullis Rn. 958 bei Fn. 2 empfohlenen Feststellungsklage des Schuldners. 577 Mit den Worten des BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – WRP 2004, 235, 238 kommt es nur darauf an, dass die Dringlichkeit für die Anspruchssicherung in dem Zeitraum gegeben war, um den jetzt noch gestritten wird. Vgl. auch Bernreuther WRP 2010, 1191 ff. 578 BGH 20.1.2016 – I ZB 102/14 – GRUR 2016, 421 Rn. 25 – Erledigungserklärung nach Gesetzesänderung. 579 Kritisch auch Berneke/Schüttpelz Rn. 476. 580 Das ist allgemeine Meinung, vgl. nur Ahrens/Singer Kap. 54 Rn. 5; Berneke/Schüttpelz Rn. 427; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 24. 929

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208 cc) Erledigung vor Antragseinreichung. Bei einer übereinstimmenden Erledigungserklärung prüft das Gericht weder im Hauptsacheverfahren noch im Verfügungsverfahren, ob ein erledigendes Ereignis eingetreten ist. Dann spielt der Zeitpunkt der Erledigung keine Rolle.581 Eine erfolgreiche einseitige Erledigungserklärung im Klageverfahren setzt voraus, dass das erledigende Ereignis erst nach der Rechtshängigkeit des Anspruchs, also nach Zustellung der Klageschrift eingetreten ist.582 Die Rechtshängigkeit der einstweiligen Verfügung beginnt bereits mit der Einreichung des Antrags. Daraus folgert die ganz überwiegende Auffassung, eine erfolgreiche einseitige Erledigungserklärung im Verfügungsverfahren setze nur voraus, dass das erledigende Ereignis nicht schon eingetreten war, als der Antrag eingereicht wurde.583 Das hat zur Folge, dass ein zuvor noch einseitiges Verfahren zur Entscheidung über die nicht dringliche Kostenfrage in ein Verfahren unter Beteiligung des Antragsgegners überführt wird. Der Gläubiger kann daher wählen, ob für ihn eine summarische Entscheidung über die Kostenlast im Eilverfahren günstiger ist oder ob er den Verfügungsantrag mit der Kostenfolge des § 269 Abs. 3 ZPO zurücknimmt und die Kostennachteile als Schadensposten mit einer Hauptsacheklage erstattet verlangt.

209 dd) Erledigendes Ereignis. Ein erledigendes Ereignis ist jeder Umstand, der einen zuvor zulässigen und begründeten Antrag unzulässig oder unbegründet macht. Ist ein derartiger Umstand eingetreten, so ist es eine Obliegenheit des Antragstellers, das Verfahren für erledigt zu erklären; anderenfalls wird der Antrag mit der Kostenfolge des § 91 Abs. 1 ZPO abgewiesen. Mit einer die Wiederholungsgefahr beseitigenden Unterwerfungserklärung kann der Antragsgegner in jeder Lage des Eilverfahrens584 daher den Antragsteller praktisch zu einer Erledigungserklärung zwingen. Ob eine der Parteien und gegebenenfalls welche für den Eintritt des Erledigungsereignisses ursächlich geworden ist, spielt bei Beantwortung der Frage, ob ein erledigendes Ereignis eingetreten ist, keine Rolle.585 Hat der Antragsteller, ohne im Besitz eines Titels zu sein, das Verfahren zögerlich betrieben und mit Anträgen auf Vertagung oder Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist den Verlust der Dringlichkeit verursacht, darf der Antragsgegner einer folgenden Erledigungserklärung nicht widersprechen. Der Antragsteller hätte sonst mit seinem nach der Erledigungserklärung verfolgten Feststellungsantrag, dass sein Petitum ursprünglich zulässig und begründet war, Erfolg, wenn sich das Gericht von der Begründetheit des Antrags überzeugt zeigt. Der spätere Dringlichkeitsverlust würde bei dieser Entscheidung ohne Relevanz sein. Schließt sich in dieser Situation der Antragsgegner hingegen der Erledigungserklärung an, würde die jetzt nach § 91a ZPO zu treffende Kostenentscheidung zu seinen Gunsten ausfallen müssen. Es entspräche allein der Billigkeit, mit den Kosten den Antragsteller zu belasten, weil er es selbst zu verantworten hatte, dass sein Antrag im Laufe des Verfahrens unzulässig geworden ist.586 581 Allgemeine Meinung, vgl. nur Zöller/Vollkommer § 91a ZPO Rn. 6, 16 mit Nachweisen. 582 Ständige Rechtsprechung des BGH seit BGH 15.1.1982 – V ZR 50/81 – BGHZ 83, 12, 14 = NJW 1982, 1598; BGH, 18.12.2003 – I ZR 84/01 – GRUR 2004, 349 – Einkaufsgutschein II.

583 OLG Köln 12.1.2001 – 6 U 98/00 – GRUR 2001, 424, 425; Ahrens/Singer Kap. 54 Rn. 6; Berneke/Schüttpelz Rn. 474; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 24a; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 451; Zöller/Vollkommer § 922 Rn. 4.

584 H. M.: KG 11.6.1990 – 25 U 2297/89 – NJW 1991, 499; OLG Bamberg 26.2.2002 – 3 U 37/02 – WRP 2003, 102; GKUWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 304; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.107–1.109; Büscher/Schmidt § 12 UWG Anhang I Rn. 322, 328; Teplitzky/Kessen Kap. 8 Rn. 32; a. A. namentlich Ahrens Kap. 58 Rn. 7–9 und Spätgens UWGHdb.4 § 111 Rn. 11, die im zweiseitigen Verfahren der Abschlusserklärung den Vorrang einräumen wollen. 585 BGH 13.5.1993 – I ZR 113/91 – GRUR 1993, 768, 770 f. – Radio Stuttgart; BGH 27.1.2010 – VIII ZR 58/09 – NJW 2010, 2422 Rn. 30; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 26; dagegen wurde in BGH 6.12.1984 – VII ZR 64/84 – NJW 1986, 588, 589 (unter 3.) noch darauf abgestellt, dass die Verursachung der Erledigung durch den Kläger deshalb unschädlich sei, weil bei der gegebenen Fallgestaltung seine zum Verlust der Klageforderung führende Aufrechnung einer Zahlung durch die Beklagte gleich zu erachten sei. 586 Vgl. BGH 13.5.1993 – I ZR 113/91 – GRUR 1993, 768, 771 – Radio Stuttgart. Schwippert

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Eine klassische Streitfrage des Klageverfahrens betrifft das Problem, ob die Erhebung der 210 Verjährungseinrede während des Verfahrens ein erledigendes Ereignis auch dann darstellt, wenn die Verjährung des eingeklagten Anspruchs schon vor Verfahrensbeginn eingetreten war. Für das Verfügungsverfahren kann sich die Frage nicht stellen, wenn – wie in dieser Kommentierung587 – die Auffassung vertreten wird, die Geltendmachung eines verjährten Anspruchs schließe die Dringlichkeit aus, oder wenn angenommen wird, der Lauf der maßgeblichen Dringlichkeitsfristen setze analog § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB bereits mit der grob fahrlässigen Unkenntnis der den Anspruch begründenden Umstände ein.588 Bei den Verfechtern der Ansicht, die Dringlichkeitsfrist beginne stets nur bei nachgewiesener Kenntnis des Gläubigers zu laufen, erscheint theoretisch eine Fallgestaltung nicht ausgeschlossen, dass ein in zulässiger Weise geltend gemachter und begründeter Anspruch erst durch die Erhebung der Verjährungseinrede zu Fall gebracht wird. Dann stellt die Erhebung dieser Einrede ein erledigendes Ereignis dar;589 wäre sie nicht erhoben worden, hätte der Verfügungsantrag Erfolg haben müssen. Eine einseitige Erledigungserklärung führt daher zu einer für den Antragsteller günstigen Kostenentscheidung, so dass dem Antragsgegner dringend zu raten ist, sich der Erledigungserklärung anzuschließen. Ob bei einer übereinstimmenden Erledigungserklärung der frühe Verjährungseintritt zulasten des Antragstellers berücksichtigt werden kann – und wenn ja in welchem Umfang – war vor der Einführung des § 204 Abs. 1 Nr. 9 BGB sehr umstritten. Auf das seinerzeit weit verbreitete Argument,590 der Gläubiger habe die Kosten zu tragen, weil es ihm zuzumuten gewesen sei, den Verjährungseintritt durch Erhebung der Hauptsacheklage abzuwenden, kann es heute im Hinblick auf § 204 Abs. 1 Nr. 9 BGB nur noch ankommen, wenn das Verfahren von den Parteien geraume Zeit nicht betrieben wird, so dass die Verjährungsfrist nach § 204 Abs. 2 S. 2 BGB nicht länger gehemmt war.591 Es sollte flexibel auf die jeweiligen Besonderheiten des Streitfalles reagiert werden. So kann es für eine relevante Beteiligung des Antragsgegners an den Kosten sprechen, wenn er in einer eingehenden Antwort auf die Abmahnung den bereits eingetretenen Verjährungseintritt mit keinem Wort erwähnt hat.

p) Anerkenntnis. Gegenüber dem Verfügungsanspruch kann nach allgemeiner Auffassung ein 211 Anerkenntnis in entsprechender Anwendung des § 307 ZPO abgegeben werden.592 Ist bereits eine parallele Klage erhoben,593 betrifft das Anerkenntnis schon deshalb nur das Verfügungsverfahren, weil es eine Prozesshandlung darstellt, die sich allein auf den Streitgegenstand des Verfahrens beziehen kann, in welchem sie vorgenommen wird.594 Strebt der Schuldner eine Gesamtbereinigung durch ein zweifaches Anerkenntnis an, muss er ein förmliches Anerkenntnis auch im Klageverfahren erklären. Unabhängig davon kann der Schuldner auch gute Gründe haben, im summarischen Verfahren die Waffen zu strecken, sich aber mit anderen Beweismöglichkeiten gegenüber der Klage weiter zur Wehr zu setzen.595 Ein im Eilverfahren abgegebenes 587 Vgl. Rn. 68. 588 Vgl. Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 31. 589 BGH 27.1.2010 – VIII ZR 58/09 – NJW 2010, 2422 Rn. 26 mit umfangreichen Nachweisen zum seinerzeitigen Streitstand in Rn. 20–22; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 29, 30.

590 Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 32 mit Nachweisen in Fn. 154–159. 591 Beispielsfall OLG Köln 2.9.2013 – 6 W 114/13 – GRUR-RR 2014, 319 – Porzellanhasen, wo der Antragsgegner nach Einlegung des Widerspruchs auf den richterlichen Hinweis, es werde erst nach Einreichung einer Begründung ein Termin bestimmt werden, diese Begründung erst nach Eintritt der Verjährung vorgelegt hat. Im Rahmen der § 91a-Entscheidung wurde eine „Pflicht zur Klageerhebung in der Hauptsache“ abgelehnt. 592 Berneke/Schüttpelz Rn. 463; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 461; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 33; Zöller/Vollkommer § 307 Rn. 2; Stein/Jonas/Grunsky vor § 916 Rn. 22. 593 MünchKommZPO/Drescher vor §§ 916 ff. Rn. 22 erörtert nur das Anerkenntnis im Eilverfahren für den Fall, dass ein Hauptverfahren überhaupt noch nicht eingeleitet ist. Dann gelten die obigen Textausführungen erst recht. 594 Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 33; Berneke/Schüttpelz Rn. 463. 595 Melullis Rn. 146. 931

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Anerkenntnis stellt daher im Zweifel auch keine Verpflichtung des Schuldners gegenüber dem Gläubiger dar, durch entsprechende Erklärung im Hauptsacheverfahren den Klageanspruch gleichfalls anzuerkennen.596 Wenn das im Einzelfall dennoch gewollt ist, ist es vom Schuldner unmissverständlich herauszustellen. Ist ein Hauptverfahren noch nicht in die Wege geleitet, muss ein Schuldner, der die Wiederholungsgefahr beseitigen möchte, zusätzlich eine Abschlusserklärung abgeben.597 Bei teilbaren Ansprüchen kann sich das Anerkenntnis auf einen Teil des Anspruchs bezie212 hen.598 Dagegen ist es nicht möglich, bestimmte Entscheidungsvoraussetzungen, die das Gericht bei einem vollständigen Anerkenntnis nicht zu prüfen hat, auszufiltern und das Anerkenntnis damit unter die Bedingung zu stellen, es solle nur gelten, wenn diese Rechtsfrage vom Gericht geprüft und zulasten des Anerkennenden beurteilt werde. Daher kann das Bestehen des Verfügungsgrundes nicht aus dem Anerkenntnis ausgenommen und zur Nachprüfung durch das Gericht gestellt werden.599 Der Verfügungsgrund ist nämlich keine Prozessvoraussetzung, deren Prüfung auch bei einem Anerkenntnis unabdingbar ist.600

213 q) Vergleich. Im Verfügungsverfahren können die Parteien einen gerichtlichen Vergleich schließen, mit dem ihr Streit abschließend beigelegt wird; insoweit spielt es keine Rolle, ob ein Klageverfahren schon anhängig gemacht worden ist oder nicht. Häufig enthält der Vergleich eine Erklärung des Schuldners, mit der er sich strafbewehrt zur künftigen Unterlassung verpflichtet, und eine Kostenvereinbarung, die im Innenverhältnis der Parteien auch eine verbindliche Regelung über die Kosten eines schwebenden Hauptsacheverfahrens enthalten kann. Den Parteien steht es aber auch frei, ihre Vereinbarung auf die Beendigung des Eilverfahrens zu beschränken. Der Schuldner kann versprechen, einen schon vom Gläubiger erstrittenen Titel ganz oder teilweise bis zu einer rechtskräftigen abweichenden Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu beachten, oder eine vorläufige Unterlassungsverpflichtung abgeben, die mit seinem Erfolg im Hauptsacheverfahren endet.601 214 Damit wird nicht selten in der Praxis die weitere Vereinbarung verbunden, die Kosten des Verfügungsverfahrens sollten entsprechend der abzuwartenden Kostenentscheidung im Klageverfahren verteilt werden. Das ist grob fehlerhaft, wenn die in den beiden Verfahren gestellten Anträge schon zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses nicht identisch sind, weil die Klage die üblichen Annexanträge mit umfasst. Die Anwälte, die sich darauf einlassen, handeln aber auch dann fahrlässig, wenn die Anträge in den Verfahren aktuell die gleiche Fassung haben;602 niemand kann den Kläger hindern, seine Klageanträge später aufgrund neuer Einsichten zu ändern oder auch die Klage gegen weitere Personen zu richten. In der Folge kann es zu komplexen Auslegungsproblemen bei der Interpretation des Kostenvergleichs kommen, der – wegen Fehlens oder Wegfalls der Geschäftsgrundlage – möglicherweise unwirksam ist. In der Erstauflage603 hat daher Schultz–Süchting empfohlen, einen Vergleich mit dieser Kostenregelung ausdrücklich als Zwischenvergleich zu titulieren und das Verfügungsverfahren nach § 251 Abs. 1 ZPO zum Ruhen zu bringen. Dieser Ausweg weist indessen ebenfalls empfindliche Schwachstel596 OLG Hamm 27.2.1986 – 4 U 324/85 – WRP 1986, 500, 501; OLG München 17.4.1986 – 6 U 6192/85 – WRP 1986, 507; Berneke/Schüttpelz Rn. 488; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 34; Schuschke/Walker vor § 916 Rn. 35; Stein/Jonas/Grunsky vor § 916 Rn. 23. 597 Spätgens/Kessen UWG-Hdb. § 101 Rn. 90. 598 Vgl. OLG Hamm 27.2.1986 – 4 U 324/85 – WRP 1986, 500. 599 So auch Schuschke/Walker vor § 916 Rn. 35; MünchKommZPO/Drescher vor §§ 916 ff. Rn. 22; Stein/Jonas/Grunsky vor § 916 Rn. 22; a. A. Berneke/Schüttpelz Rn. 464. 600 Das räumt auch Berneke/Schüttpelz Rn. 464 ein. 601 Ausführlich dazu Spätgens/Kessen § 101 Rn. 86–88. 602 Vgl. die Warnungen von Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 34; Berneke/Schüttpelz Rn. 488; GK-UWG/Herrmann Vor §§ 12 A. XI. „Vergleich“ Rn. 772; Spätgens/Kessen UWG-Hdb. § 101 Rn. 89. 603 GK-UWG § 25 Rn. 100. Schwippert

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len auf. Nach einem Zwischenvergleich muss das Verfahren wieder aufgenommen werden, um entweder eine endgültige Kostenregelung zu treffen oder es übereinstimmend für erledigt zu erklären und einen Kostenbeschluss des Gerichts zu erhalten, dessen Inhalt zum Zeitpunkt des Abschlusses des Zwischenvergleichs niemand prognostizieren kann. Streiten die Parteien nach Abschluss eines Vergleichs, der sich ausschließlich auf das Eilver- 215 fahren bezieht, über dessen Wirksamkeit, ist das Verfügungsverfahren fortzusetzen604 und vorgreiflich die Frage zu klären, ob es durch den Vergleich beendet worden ist oder nicht. Verneint das Gericht diese Frage, hat es über den Verfügungsantrag zu befinden, sofern eine neue Einigung zwischen den Parteien nicht gelingt. Keinesfalls ist über die Wirksamkeit des Vergleichs eine Entscheidung durch eine Feststellungsklage herbeizuführen mit dem denkbaren widersinnigen Ergebnis, dass nach dessen rechtskräftigem Abschluss einige Jahre später das Eilverfahren seine Fortsetzung finden müsste. Anders ist es aber, sofern der Vergleich zur Hauptsache Regelungen trifft oder Rechtsverhältnisse der Parteien behandelt, die nicht Streitgegenstand des Eilverfahrens waren. Dann ist nach ganz einhelliger Meinung der Streit über die Wirksamkeit des Vergleichs in einem neuen ordentlichen Erkenntnisverfahren auszufechten.605

r) Gegenverfügung. Streitig ist, ob ein in Analogie zur Widerklage (§ 33 ZPO) entwickelter 216 Antrag auf Erlass einer Gegenverfügung als zulässig angesehen werden sollte.606 Sie kann der raschen Erledigung des Verfügungsantrags entgegenstehen und läuft daher dem Gedanken des Eilverfahrens zuwider. Weber607 hat den Gegenverfügungsantrag treffend als Sprengsatz bezeichnet. Es spricht für sich, dass die Befürworter der Zulässigkeit eines derartigen Antrags sonst im Verfügungsverfahren abgelehnte Vertagungen empfehlen608 oder die sofortige Abtrennung des neuen Antrags für ratsam halten.609 s) Urteil aa) Probleme der Tenorierung. In dem erstinstanzlichen Urteil wird der Widerspruch, wenn 217 ihn das Gericht für erfolglos hält, auf Kosten des Antragsgegners610 zurückgewiesen. Es verbleibt damit bei der Vollstreckbarkeit des Anordnungsbeschlusses. Im Hinblick auf die ergänzende Kostenentscheidung ergibt sich die Vollstreckbarkeit aus der Natur des Eilverfahrens.611 Auf einen begründeten Widerspruch wird der Verfügungsbeschluss aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kostenpflichtig zurückgewiesen. Ist der mündlichen Verhandlung kein Widerspruchsverfahren vorausgegangen, wird die Anordnung erstmals erlassen oder der Verfügungsantrag abgewiesen. Sind mehrere Ansprüche geltend gemacht oder ein 604 KG 4.12.2013 – 24 W 92/13 – WRP 2014, 247. 605 KG 4.12.2013 – 24 W 92/13 – WRP 2014, 247 mit umfangreichen Nachweisen zu älterer und teilweise nicht veröffentlichter Rechtsprechung; Büscher/Schmidt UWG § 12 Rn. 314; Hess in juris-PK-UWG Rn. 155; Schuschke/Walker § 794 Rn. 15; Stein/Jonas/Münzberg § 794 Rn. 63; Zöller/Greger § 794 Rn. 15d. 606 Bejahend: Dötsch MDR 2012, 623; Ahrens/Bähr Kap. 52 Rn. 16; Berneke/Schüttpelz Rn. 330; Harte/Henning/ Retzer § 12 Rn. 461 mit Nachweisen zur Rechtsprechung in Fn. 1025; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 427; Stein/Jonas/Grunsky § 922 Rn. 24. Verneinend: OLG Frankfurt a. M. 20.10.2011 – 6 U 101/11 – GRUR-RR 2012, 88 mit Anm. Gramsch GRURPrax 2011, 544; G. Weber WRP 1985, 527; Hess in juris-PK-UWG § 12 Rn. 150; Büscher/Schmidt UWG § 12 Rn. 363; MünchKommZPO/Drescher § 936 Rn. 9 i. V. m. § 922 Rn. 21. 607 Weber WRP 1985, 527, 529. 608 Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 461. 609 Berneke/Schüttpelz Rn. 330; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 427. 610 Die von Spätgens/Kessen UWG-Hdb. § 101 Rn. 73 bejahte Frage, ob sich die Kostentenorierung besser auf das gesamte Verfahren beziehen soll, hat keine praktische Bedeutung. 611 Melullis Rn. 207; Ahrens/Bähr Kap. 52 Rn. 34. 933

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teilbarer Anspruch, besteht die Möglichkeit gemischter (also teils abweisender, teils zusprechender) Entscheidungen nicht anders als in einem Klageverfahren. 218 Es ist allgemeine Ansicht, dass die Entscheidungen, die eine Verfügung bestätigen oder erlassen, keinen Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit enthalten müssen. Das soll bereits aus der Natur des Eilverfahrens resultieren.612 Jedenfalls liegt die Vorstellung einer selbstverständlichen Vollstreckbarkeit auch der Vorschrift des § 929 Abs. 1 ZPO (i. V. m. § 936 ZPO) zu Grunde, die für den Normalfall auch die Erteilung einer Vollstreckungsklausel ohne weitere Vorbedingungen für entbehrlich erklärt. Schließlich ist auch eine im Beschlusswege getroffene Anordnung in entsprechender Anwendung des § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ohne weiteres vollstreckbar.613 Es wäre verwunderlich, wenn es für eine durch mündliche Verhandlung besser abgesicherte Entscheidung anders wäre. Ein abweisendes Urteil ist hingegen im Hinblick auf den Kostenausspruch für vorläufig vollstreckbar zu erklären (§ 708 Nr. 6 ZPO). 219 Der Verfügungsbeschluss kann auch bei ausreichender Glaubhaftmachung mit der Maßgabe erlassen werden, dass seine Vollstreckung von einer von dem Gläubiger zu erbringenden Sicherheitsleistung abhängig gemacht wird (§§ 921, 936 ZPO).614 Wenn der Beschluss einen derartigen Vorbehalt nicht enthielt, die Erkenntnisse aus dem Widerspruchsverfahren eine Sicherheitsleistung aber nahe legen, muss es möglich sein, den Widerspruch mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass der Beschluss um den Ausspruch der Sicherheitsleistung ergänzt wird.615 Diese Befugnis kann entweder unmittelbar aus § 938 Abs. 1 ZPO oder aus einer entsprechenden Anwendung des § 929 S. 2 ZPO abgeleitet werden.

220 bb) Aufbrauchfrist. Auf den ersten Blick abwegig erscheint der Gedanke, die gegen den Schuldner ergehende Anordnung mit einer Aufbrauchfrist616 zu verbinden. Es klingt paradox, dem Gläubiger bei der Dringlichkeitsprüfung die Eilbedürftigkeit seines Anliegens zu attestieren, die Anordnung aber mit einem weiteren Zeitaufschub zu verbinden.617 An der Kollision dieser beiden Aspekte wird die Bewilligung einer Aufbrauchfrist im Eilverfahren in der Tat oft scheitern. Indessen wird das gesamte Verfügungsverfahren von einer Interessenabwägung beherrscht, die stets berücksichtigt, dass die unter einem summarischen Regime gefundene Entscheidung eine geminderte Richtigkeitsgarantie hat, und die im Rahmen der Dringlichkeitsprüfung bei der Beantwortung der Frage, ob der Gläubiger einen eiligen Rechtsschutz überhaupt verdient, zu einem anderen Ergebnis kommen kann als bei der Frage nach der Aufbrauchfrist.618 In Konstellationen, in denen das sofortige Verbot den Schuldner ungleich schwerer trifft als vergleichsweise der Gläubiger benachteiligt wäre, wenn er das Wettbewerbsverhalten noch einige Tage619 hinnehmen muss, kann die Bewilligung einer Aufbrauchfrist daher eine angemesse-

612 Melullis Rn. 207; Ahrens/Bähr Kap. 52 Rn. 34; Spätgens/Kessen UWG Hdb. § 101 Rn. 64; MünchKommUWG/ Schlingloff § 12 Rn. 431. 613 Vgl. Zöller/Vollkommer § 794 Rn. 20; MünchKommZPO/Drescher § 922 Rn. 9; Musielak/Voit/Huber § 922 Rn. 5. 614 Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 4; Zöller/Vollkommer § 936 Rn. 2. 615 Ebenso Berneke/Schüttpelz Rn. 491. 616 Zu deren denkbaren Anlässen vgl. GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 112; zur rechtlichen Begründung und Herleitung vgl. GK-UWG/Herrmann Vor §§ 12 B. „Aufbrauchfrist“ Rn. 6 ff.; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 38 ff.; zum Thema Aufbrauchfrist und Dringlichkeitsvermutung Rn. 91. 617 Aus diesem Grund eine Aufbrauchfrist strikt ablehnend: OLG Düsseldorf 10.10.1985 – 2 U 114/85 – WRP 1986, 92, 94; OLG Frankfurt a. M. 1.10.1987 – 6 U 62/87 – GRUR 1988, 46, 49, aber aufgegeben in OLG Frankfurt a. M. 19.2.2020 – 6 W 19/20 – WRP 2020, 630; OLG Koblenz 28.3.1991 – 6 W 65/91 – WRP 1991, 599, 602. 618 Das Argument des OLG Düsseldorf 10.10.1985 – 2 U 114/85 – WRP 1986, 92, 94, eine mehrfache Interessenabwägung könne nicht einmal zu Gunsten und einmal zulasten des Gläubigers ausfallen – diese Vorstellung liegt ersichtlich auch dem Lösungsvorschlag von GK-UWG/Herrmann Vor §§ 12 B „Aufbrauchfrist“ Rn. 40 zu Grunde – geht daher fehl. 619 KG WRP 1971, 436 hält den Rekord mit fünf Monaten: Der Fall ist lesenswert. Schwippert

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V. Das Gerichtsverfahren. A. Einstw. Verf., Abschlusserklärung u. -schreiben

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ne, durch § 242 BGB ermöglichte Maßnahme sein. Darüber besteht inzwischen ein weitestgehender Konsens.620 Die im Schrifttum aktuell621 nicht mehr vertretene Gegenmeinung stützte sich, soweit sie nicht auf die Unverträglichkeit mit dem Dringlichkeitserfordernis abstellte, auf die nicht mehr gut nachvollziehbare Erwägung, anders als in einem Hauptsacheverfahren stehe der vorläufige Charakter des Eilverfahrens der Fristbewilligung entgegen.622 Jedenfalls habe das für eine mit der Berufung angreifbare Instanzentscheidung zu gelten, wo dem Rechtsmittelgericht die Entscheidung über die Einstellung der Zwangsvollstreckung überlassen bleiben müsse.623 Das leuchtet bereits vom Ansatz her nicht ein, weil das summarische Verfahren mit seiner Interessenabwägung für die zeitliche Kompromisslösung einer Aufbrauchfrist im Gegenteil eher taugt als das Klageverfahren.624 Die Erwägung ist überdies dogmatisch unhaltbar, wenn die Bewilligung der Aufbrauchfrist eine materiell-rechtliche Beschränkung des Anspruchs des Gläubigers widerspiegelt625 und zu einer teilweisen Klageabweisung führt. Mit diesem Ausgangspunkt kann im Hauptsacheverfahren keinesfalls mehr zugesprochen werden als im Verfügungsverfahren, und im Verfügungsverfahren erster Instanz kann nicht mehr zuerkannt werden als dem Gläubiger materiell-rechtlich zusteht, weil die nächste Instanz befugt sei, die Zwangsvollstreckung einzustellen. Die Bewilligung der Aufbrauchfrist hängt nicht von einem Antrag des Schuldners ab.626 Ihre 221 Bewilligung setzt aber voraus, dass dem Gericht die Umstände bekannt sind, die eine sofortige Verbotsanordnung als unangemessen erscheinen lassen. Derartige Kenntnisse werden in der Antragsschrift regelmäßig nicht durch den Gläubiger vermittelt. Sie können sich aber aus dem von ihm vorgelegten Abmahnschreiben, einer Schutzschrift oder einer Stellungnahme des Schuldners bei der schriftlichen Anhörung ergeben, so dass es auch bei einer Beschlussverfügung und nicht erst in einem Urteil zur Bewilligung der Aufbrauchfrist kommen kann.627 Eine in einem Verfahren bewilligte Aufbrauchfrist stellt für den Schuldner lediglich einen noch unsicheren Teilerfolg dar, wenn mehrere Gläubiger seinen Wettbewerbsverstoß sanktioniert haben wollen.628 Der Verstoß kann verschiedene Gläubiger unterschiedlich belasten, so dass auch die jeweils neu vorzunehmende Interessenabwägung zu einem anderen Ergebnis führen kann. Im Hinblick auf den Zeitraum, für den die Aufbrauchfrist bewilligt worden ist, kann der Unterlas620 OLG Stuttgart 16.1.1989 – 2 W 149/88 – WRP 1989, 832, 833; OLG Karlsruhe 26.6.2008 – 4 U 187/07 – GRUR-RR 2008, 407, 410 – Strom aus Kraft-Wärme-Kopplung; OLG Naumburg 29.5.2009 – 10 U 56/08 – Magazindienst 2009, 678; OLG Frankfurt a. M. 19.2.2020 – 6 W 19/20 – WRP 2020, 630 Rn. 28 in ausdrücklicher Abkehr von der früheren eigenen Rechtsprechung OLG Hamburg 5.2.1987 – 3 U 188/86 – WRP 1988, 46, 49; Ulrich GRUR 1991, 26, 28 f.; Berlit WRP 1998, 250, 251 f.; Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 23; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 75; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 8 Rn. 1.68; FBO/Büscher § 8 Rn. 126; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 46; Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 143; Loschelder UWG-Hdb. § 91 Rn. 13; Ahrens/Bähr Kap. 38 Rn. 16; Ahrens/Singer Kap. 54 Rn. 19, 20; Berneke/Schüttpelz Rn. 354. 621 Berneke/Schüttpelz Rn. 463; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 461; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 33; Zöller/Vollkommer § 307 Rn. 2; Stein/Jonas/Grunsky vor § 916 Rn. 22; zuletzt OLG Koblenz 28.3.1991 – 6 W 65/91 – WRP 1991, 599, 602. 622 Baumbach/Hefermehl22 Einleitung UWG Rn. 487. 623 Das Argument stammt von Pastor, Der Wettbewerbsprozess, 3. Aufl. S. 890 f.; KG Berlin 9.4.1976 – 5 U 731/76 – WRP 1971, 326, 327 nur referierend, da wegen Besonderheiten im Streitfall ohnehin anders zu entscheiden war; gegen diese Überlegungen Ahrens/Bähr Kap. 38 Rn. 16. 624 Im Ergebnis ebenso Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.68, weil der vom Verfügungsverfahren oft überraschte Schuldner vorher nicht habe anderweitig disponieren können. 625 Wie es die heute weit überwiegende Meinung annimmt, vgl. die ausführliche Darstellung bei Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 18. 626 Jetzt als Ergebnis der materiell-rechtlichen Herleitung weit überwiegende Meinung: Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 19 mit umfangreichen Nachweisen; GK-UWG/Herrmann Vor §§ 12 B. „Aufbrauchfrist“ Rn. 34, 35; a. A. noch GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 112; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 432 hält einen Antrag „in der Regel“ (?) für erforderlich. 627 Vgl. GK-UWG/Herrmann Vor §§ 12 B „Aufbrauchfrist“ Rn. 40; Ulrich GRUR 1991, 26, 29; Ahrens/Singer Kap. 54 Rn. 20; Berneke/Schüttpelz Rn. 87, 162; Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 23. 628 So die Fallgestaltung in OLG Karlsruhe 10.4.1991 – 6 U 164/90 – GRUR 1991, 995, 998 – Erbenermittler. 935

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sungsanspruch Dritter auch nicht durch den Wegfall der Wiederholungsgefahr erloschen sein. Die in nur einem Verfahren erstrittene Aufbrauchfrist nützt dann dem Schuldner nichts.

222 t) Berufungsverfahren. Für das Berufungsverfahren gelten im Grundsatz die Regelungen der §§ 511–541 ZPO.629 Problematisch ist aber die Anwendbarkeit der Vorschriften, welche die Kompetenz des Berufungsgerichts zur Überprüfung des angefochtenen Urteils in tatsächlicher Hinsicht und die Zulässigkeit neuen Vorbringens betreffen. Zudem ist streitig, ob im Berufungsverfahren ein neuer Streitgegenstand, sei es im Wege der Antragsänderung oder der Antragserweiterung, eingeführt werden kann.

223 aa) Anwendung von Verspätungsvorschriften. § 513 ZPO besagt, dass die Berufung neben der Rüge einer Rechtsverletzung nur darauf gestützt werden kann, dass die nach § 529 zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO sind die vom Gericht des ersten Rechtszugs festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit keine konkreten Zweifel an deren Richtigkeit bestehen. Die Bestimmungen passen schon von ihrem Wortlaut her nicht auf Eilverfahren, weil in dem erstinstanzlichen summarischen Verfahren keine Tatsachen festgestellt werden. Ihre analoge Anwendung ist nicht gerechtfertigt.630 Der Grad der Wahrscheinlichkeit, den ein Gericht für die Glaubhaftmachung genügen lassen kann oder für erforderlich halten muss, liegt nicht starr fest, sondern ist vom Ergebnis einer Interessenabwägung abhängig. Tatsächliche und rechtliche Nachprüfung gehen in diesem Punkt ineinander über. 224 § 531 Abs. 1 ZPO läuft in seinem Anwendungsbereich weitgehend leer. Wenn es für die erste Instanz des Eilverfahrens keine Präklusion für verspätetes Vorbringen gibt, kann sich die Frage, wie sich die Zurückweisung des Vorbringens auf das Berufungsverfahren auswirkt, nicht stellen.631 Der Wortlaut der Bestimmung erfasst indessen auch die Zurückweisung einer erstinstanzlichen Behauptung, weil sie in rechtsmissbräuchlicher Weise zunächst zurückgehalten worden ist. Trifft der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs zu, muss es über § 531 Abs. 1 ZPO beim Ausschluss dieser Behauptung bleiben. Streitig ist, ob nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO neue Angriffs- und Verteidigungsmittel ausge225 schlossen sind, die erstinstanzlich schon hätten geltend gemacht werden können, wegen einer Nachlässigkeit der Partei aber nicht geltend gemacht worden sind.632 Die Frage sollte bejaht werden. Der Einwand, in der Kürze der Zeit stünden Informationen überhaupt nicht oder nicht in dem zur Substantiierung notwendigen Umfang bereit,633 enthält eine zutreffende Beobachtung, ist aber kein tragfähiges Argument, weil dann eine zum Ausschluss des

629 MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 484; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 36; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 470.

630 Berneke FS Tilmann S. 755, 759 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.43. 631 Die Anwendbarkeit der Bestimmung im Eilverfahren wird daher oft rundweg verneint, Berneke FS Tilmann S. 755, 764; Berneke/Schüttpelz Rn. 447; Ahrens/Bähr Kap. 53 Rn. 5; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.43; nach MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 487 spielt die Vorschrift im Verfügungsverfahren „keine wesentliche Rolle“. 632 Gegen den Ausschluss: OLG Frankfurt a. M. 22.3.2005 – 11 U 64/04 – GRUR-RR 2005, 299, 301; Schote/Lührig WRP 2008, 1281, 1285; Berneke FS Tilmann S. 755, 764 ff.; Berneke/Schüttpelz Rn. 447; Musielak/Voit/Huber § 925 Rn. 10. Für den Ausschluss: OLG Hamburg 28.11.2002 – 3 U 77/02 – GRUR-RR 2003, 135, 136 – Bryan Adams; OLG Hamburg 25.4.2005 – 5 U 117/04 – GRUR-RR 2005, 315 – günstiger.de; OLG Köln 26.7.2013 – 6 U 28/13 – GRUR-RR 2014, 65, 67 sub 2.a cc; OLG Celle 27.3.2017 – 13 U 199/16 – Magazindienst 2017, 606; Ahrens/Bähr Kap. 53 Rn. 5; Büscher/Schmidt § 12 HWG Rn. 471; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 495; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 487; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 36a. 633 So Berneke FS Tilmann S. 755, 764; Schote/Lührig WRP 2008, 1281, 1285. Schwippert

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V. Das Gerichtsverfahren. A. Einstw. Verf., Abschlusserklärung u. -schreiben

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neuen Vorbringens führende Nachlässigkeit der Partei zu verneinen ist. Berneke634 hat gegen die Anwendung der Vorschrift darüber hinaus vorgebracht, die oft schwierige Frage, ob einer Partei ein Verschulden anzulasten sei, weil es zu dem Vortrag trotz der ungünstigen Bedingungen eines Eilverfahrens nicht bereits in der ersten Instanz gekommen ist, solle das Eilverfahren nicht belasten. Lässt man jedoch sämtliches neues Vorbringen zu und lehnt gleichzeitig die Vertagung einer Berufungsverhandlung im Eilverfahren ab, ist mit der Situation umzugehen, dass eine Partei im letzten Moment ein Vorbringen präsentiert, auf das die Gegenseite nicht vorbereitet sein musste; hier will Berneke635 mit dem Institut des Rechtsmissbrauchs helfen. Dieses Steuerungsinstrument wird jedoch nicht einfacher zu handhaben sein als die Frage einer prozessualen Nachlässigkeit, wie sie sich bei § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO stellt. Für einen teleologischen Ausschluss der Bestimmung im Eilverfahren bestehen daher keine hinreichenden Gründe. Bei ihrer Anwendung ist es freilich geboten, die Besonderheiten des Verfügungsverfahrens im Auge zu behalten. Eine für ein Hauptsacheverfahren zu konstatierende Fahrlässigkeit wird in der Hast des Eilverfahrens oft keinen Vorwurf rechtfertigen.636 Ferner ist zu berücksichtigen, dass sich die Präklusion nicht auf ein Vorbringen bezieht, dass unstreitig wird.637 Zu einem neuen Vorbringen kann sich die Gegenseite daher nicht ausschweigen (§ 138 Abs. 1, 2, 4 ZPO).638 § 530 ZPO schränkt über die entsprechende Anwendbarkeit des § 296 Abs. 1 und 4 ZPO wei- 226 teres Vorbringen der Parteien ein, dass nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist oder der mit der Terminbestimmung nach § 529 Abs. 2 ZPO gesetzten Berufungserwiderungsfrist präsentiert worden ist. Die Zurückweisung eines danach verspäteten Vorbringens setzt nach § 296 Abs. 1 ZPO voraus, dass sich die Erledigung des Rechtsstreits durch dessen Berücksichtigung verzögern würde. Zu einer Verzögerung kann es indessen nicht kommen, wenn das Dogma, es könne im Eilverfahren keine Vertagung geben, strikt durchgehalten wird.639 Die Kombination dieses Dogmas mit einem Ausschluss des § 530 ZPO führt abermals zu der Konfliktlage, dass der Gegner auf sehr spätes und unerwartetes Vorbringen des Gegners in der Berufungsverhandlung nicht vernünftig reagieren kann und nur mit der Keule des Rechtsmissbrauchs unerträgliche Ergebnisse zu vermeiden sind. Auch wird eingewandt, die Verfügungsverfahren seien in zweiter Instanz ebenso eilig wie in der ersten Instanz, die Parteien unverändert in der Not, sich das erforderliche Tatsachenmaterial rechtzeitig zu beschaffen und richterliche Fristsetzung für schriftsätzlichen Vortrag daher unverändert fehl am Platz.640 Dieser Befund widerspricht der forensischen Alltagserfahrung. In der Mehrzahl der Fälle 227 werden vom Berufungskläger die gesetzlich bestimmten Fristen zur Einlegung und Begründung des Rechtsmittels weitgehend ausgeschöpft. Das geschieht häufig auch dann, wenn es sich um eine Berufung des erstinstanzlich unterlegenen Antragsgegners handelt, der mit keiner Dringlichkeitswaffe zu einer Beschleunigung gezwungen werden kann. Das Verfahren ist zwangsläufig in ein ruhigeres Fahrwasser geraten,641 und es ist sachgerecht, seinen weiteren Verlauf auch mit Fristen für das Vorbringen zu ordnen. Lässt das Rechtsmittel erkennen, dass Not am Mann ist und die Partei mit dem angefochtenen Urteil nicht glaubt leben zu können, wird das Gericht 634 BernekeFS Tilmann S. 755, 765. 635 FS Tilmann S. 755, 766 unter C. 636 Vgl. OLG Hamburg 20.8.2002 – 5 U 151/02 – Magazindienst 2003, 1269, 1271; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 487. 637 Gesicherte Rechtsprechung, die für Eilverfahren keine Ausnahme duldet: BGH 21.10.2004 – IX ZB 205/03 – BGHZ 161, 138 = NJW 2005, 291, 292 f.; BGH 23.6.2008 – GSZ 1/08 – NJW 2008, 3434, 3435 mit weiteren Nachweisen; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 36a. 638 Vgl. Ahrens/Bähr Kap. 53 Rn. 6; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 487. 639 Die Anwendbarkeit des § 530 ZPO daher ablehnend: Ahrens/Bähr Kap. 53 Rn. 5; Berneke/Schüttpelz Rn. 447; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 487. 640 Berneke FS Tilmann S. 755, 764. 641 Anders z. B. Ahrens/Bähr Kap. 53 Rn. 5; Berneke/Schüttpelz Rn. 447; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 36. 937

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darauf bei der Terminierung Rücksicht nehmen und auf Fristsetzungen verzichten, weil sie zu dem angeschlagenen Tempo des Verfahrens nicht passen.

228 bb) Antragserweiterung. Von einer Mindermeinung wird die Ansicht vertreten, im Verfügungsverfahren sei die Einführung eines neuen Streitgegenstandes in der zweiten Instanz generell ausgeschlossen. Für den Erlass einstweiliger Verfügungen sei nach den §§ 937, 943, 802 ZPO nur das erstinstanzliche Gericht funktionell zuständig – mit der einen Ausnahme, die Hauptsache schwebe bereits in der Berufungsinstanz.642 Die überwiegende Meinung ist mit Recht anderer Auffassung.643 Die Vorschriften über die erstinstanzliche Zuständigkeit der Gerichte und die Möglichkeit von Antragserweiterungen in höheren Instanzen ergänzen sich auch sonst. Warum es im einstweiligen Verfügungsverfahren anders sein sollte, erschließt sich nicht, zumal dort im Beschwerdeverfahren die Möglichkeit des erstmaligen Erlasses der Anordnung durch das Gericht zweiter Instanz außer Frage steht.

229 cc) Probleme der Tenorierung. Es ist umstritten, wie der Tenor zu fassen ist, wenn das Landgericht eine zunächst erlassene Beschlussverfügung nach mündlicher Verhandlung aufgehoben hat und das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, die Aufhebungsentscheidung korrigieren zu müssen. Es findet sich häufig die Wendung, dass die Beschlussverfügung unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils „bestätigt“ werde. Diese Formulierung wäre inhaltlich geboten, sofern das erstinstanzliche Urteil erst mit seiner Rechtskraft die Beschlussverfügung außer Kraft setzen würde.644 Auf diese Weise würde indessen der regelmäßig ohne Anhörung der Gegenseite erlassenen Beschlussverfügung bis auf weiteres der Wirkungsvorrang gegenüber dem nach einem kontradiktorischen Verfahren gewonnenen Urteil eingeräumt.645 Deshalb vertritt die inzwischen weitaus herrschende Auffassung646 die Ansicht, dass die Beschlussverfügung ihre Wirkung zugleich mit der auf den Widerspruch folgenden Aufhebungsentscheidung verliert. Dennoch wird eine „Bestätigung“ der Beschlussverfügung mit der wenig überzeugenden Begründung, das Berufungsgericht müsse genauso tenorieren wie die erste Instanz, wenn dort richtig entschieden worden wäre, von einer starken Meinung sogar für allein richtig gehalten.647 642 Ahrens/Bähr Kap. 53 Rn. 9; in der Rechtsprechung, soweit ersichtlich OLG Hamm 13.4.2010 – 4 U 7/10 – GRUR 1989, 457; OLG Naumburg 23.4.2010 – 10 U 54/09 (Hs) 10 – juris Rn. 47 f. 643 OLG Frankfurt a. M. 4.11.1982 – 6 U 26/88 – WRP 1983, 212; Berneke/Schüttpelz Rn. 444; Teplitzky/Feddersen Kap. 54 Rn. 40; wohl auch MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 489, aber mit unklaren Einschränkungen; nur referierend Hess in juris-PK-UWG Rn. 228. 644 So heute als Mindermeinung Wieczorek/Schütze/Thümmel § 925 Rn. 11; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard 77 Rn. 36; früher OLG Hamburg 24.10.1996 – 3 U 106/96 – WRP 1976, 777 (aufgegeben mit OLG Hamburg – 3 U 106/ 96 – WRP 1997, 53, 54); KG 15.9.1981 – 5 U 3240/81 – WRP 1982, 95, 96; OLG Celle 24.7.1986 – 5 U 139/86 – WRP 1986, 612. 645 S. Teplitzky WRP 1987, 149 f.; OLG Düsseldorf 11.7.1995 – 20 U 100/95 – WRP 1995, 732, 735; OLG Hamburg 24.10.1996 – 3 U 109/96 – WRP 1997, 53, 55; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 15. 646 Neben den zuvor genannten vgl. OLG Celle 11.5.1989 – 13 U 12/89 – GRUR 1989, 541; OLG München 21.12.1999 – 29 W 2861/99 – NJWE-WettbR 2000, 147; OLG Frankfurt a. M. 20.12.2001 – 6 U 79/01 – WRP 2002, 334; OLG Düsseldorf 28.5.2001 – U (Kart) 25/01 – NJW-RR 2002, 138; KG Berlin 30.3.2009 – 24 U 145/08 – WRP 2010, 129, 137; GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 190; Ahrens/Bähr Kap. 52 Rn. 42; Spätgens/Held UWG-Hdb. § 105 Rn. 36; Harte/ Henning/Retzer § 12 Rn. 476 und 501; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.42; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 474; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 478; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 15a; Schuschke/Walker § 925 Rn. 11; Stein/Jonas/Grunsky § 925 Rn. 19; Zöller/Vollkommer § 925 Rn. 10, Rn. 12. 647 Vgl. OLG Düsseldorf 29.1.1981 – 2 U 186/80 – WRP 1981, 278, 280; KG Berlin 15.9.1981 – 5 U 3240/81 – WRP 1982, 95, 96 – dessen weiteres Argument, die Beschlussverfügung habe ihre Wirksamkeit nicht verloren, weil die Aufhebungsentscheidung nicht rechtskräftig geworden sei, ist von Teplitzky WRP 1987, 149, 150 widerlegt worden und inzwischen nicht mehr vorzufinden; OLG Karlsruhe 28.6.1978 – 6 U 38/78 – WRP 1978, 830, 832; Berneke/ Schüttpelz Rn. 448 mit zusätzlichen Nachweisen in Fn. 328; Ahrens/Bähr Kap. 53 Rn. 17. Schwippert

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Diese Formulierung gilt es jedoch zu vermeiden; stattdessen ist das Verfügungsverbot vom Berufungsgericht neu auszusprechen.648 Ansonsten kann bei dem Gläubiger das Missverständnis provoziert werden, die Beschlussverfügung sei mit Wirkung ex tunc revitalisiert worden, so dass mit ihrer vormaligen Zustellung die Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO gewahrt sei. Das wäre ein verhängnisvoller Irrtum. Der einmal aufgehobene Beschluss kann nicht wieder in Kraft gesetzt werden; das vom Berufungsgericht neu erlassene Verbot wirkt nur für die Zukunft und muss neu vollzogen werden.649

VI. Anordnung der Klageerhebung (§ 926 ZPO) 1. Verteidigungsmöglichkeiten außerhalb des Verfahrens Neben den Rechtsbehelfen im Verfügungsverfahren oder nach dessen für ihn negativen Aus- 230 gang stehen dem Schuldner noch andere Möglichkeiten offen, um sich gegen das Ansinnen des Gläubigers zur Wehr zu setzen. Er kann eine negative Feststellungsklage erheben,650 über § 926 ZPO den Gläubiger zur Erhebung der Klage in der Hauptsache zwingen oder nach dem Eintreten veränderter Umstände einen Aufhebungsantrag nach § 927 ZPO stellen. Ein Antrag nach § 926 Abs. 1 ZPO bietet dem Schuldner den Vorteil,651 dass er vorerst in der Deckung verharren und abwarten kann, wie sich der Gläubiger innerhalb der ihm gesetzten Frist entscheidet. Meidet dieser das Risiko einer Klage, so schließt sich lediglich noch ein Antragsverfahren nach § 926 Abs. 2 ZPO an.

2. Formalien des Antrags und Zuständigkeit Der Antrag, eine Frist zur Erhebung der Klage zu setzen, kann zu Protokoll der Geschäftsstel- 231 le gestellt oder schriftlich eingereicht werden. Er unterliegt nicht dem Anwaltszwang.652 Er ist an keine Frist gebunden, kann – bis zur mündlichen Verhandlung im Verfahren nach § 926 Abs. 2 ZPO ohne Zustimmung des Gläubigers – zurückgenommen und wieder neu eingereicht werden.653 Die Zuständigkeit zur Entscheidung über den Antrag liegt nach fast einhelliger Meinung bei dem erstinstanzlichen Verfügungsgericht, und zwar auch dann, wenn die Verfügung vom Berufungs- oder Beschwerdegericht erlassen worden ist.654 In der Erstauflage655 ist die gegenteilige Meinung mit dem Wortlaut des § 926 Abs. 1 ZPO begründet worden, wonach die Fristenanordnung dem Arrestgericht obliegt. Darunter ist indessen zwanglos das in § 919 ZPO bezeichnete, erstinstanzliche Arrestgericht zu verstehen, und die Ressourcen des Berufungsge-

648 Zutreffend Teplitzky WRP 1987, 149, 150; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 15a mit weiteren Nachweisen; Harte/ Henning/Retzer § 12 Rn. 501.

649 Allgemeine Meinung: MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 490; Schuschke/Walker § 929 Rn. 13; Ahrens/Bähr Kap. 53 Rn. 17–20; Hess in: juris-PK-UWG § 12 Rn. 229. 650 Ahrens Kap. 61 Rn. 2; Schuschke/Walker § 926 Rn. 2, beide mit Nachweisen. 651 Vor einem vorschnell gestellten Antrag warnt Ahrens Kap. 61 Rn. 5; Hess in: juris-PK-UWG § 12 Rn. 208. 652 Hess in: juris-PK-UWG § 12 Rn. 207; MünchKommZPO/Drescher § 926 Rn. 3; PG/Fischer § 926 Rn. 3; Schuschke/ Walker § 926 Rn. 4a; Zöller/Vollkommer § 926 Rn. 8. 653 GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 208. 654 FBO/Büscher § 12 Rn. 139; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 4; Ahrens Kap. 61 Rn. 2; Spätgens/Chang-Herrmann UWG-Hdb. § 107 Rn. 4; Schuschke/Walker § 926 Rn. 9; Stein/Jonas/Grunsky § 926 Rn. 5; Zöller/Vollkommer § 925 Rn. 6; MünchKommZPO/Drescher § 926 Rn. 4. OLG Koblenz 8.12.1994 – U 1368/94 – WRP 1995, 416 geht von einer kumulativen Zuständigkeit des Berufungsgerichts aus, dass mit dem Verfügungsverfahren gerade befasst ist. 655 GK-UWG/Schultz-Süchting1 § 25 Rn. 214 mit Fn. 622. 939

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richts müssen nicht mit den schlichten formalrechtlichen Fragen der Fristsetzung belastet werden. Die Entscheidung ist nach § 20 Nr. 14 RpflG dem Rechtspfleger zugewiesen;656 wie immer kann der Richter in wirksamer Weise die Aufgabe an sich ziehen (§§ 6, 8 RpflG).

3. Antrag vor Beginn des Verfügungsverfahrens 232 Nach dem Wortlaut des § 926 Abs. 1 ZPO (i. V. m. § 936 ZPO) setzt die Fristsetzung für die Klage voraus, dass das Hauptsacheverfahren noch nicht anhängig und bereits ein Verfügungsbeschluss erwirkt ist. Der Schuldner kann den Antrag aber auch schon vor Erlass des Verfügungsbeschlusses stellen, sobald er von dem eingeleiteten Eilverfahren Kenntnis erhalten hat;657 er steht dann unter der zulässigen, innerprozessualen aufschiebenden Bedingung, dass der Beschluss später gefasst wird. Ein vorzeitiger Antrag bringt für den Schuldner, der für das Eilverfahren schlechtere Karten als für ein Hauptsacheverfahren hat, den Vorteil eines Zeitgewinns. Das Gericht kann die Entscheidung über den Antrag an sich ziehen und den Verfügungsbeschluss mit der Fristsetzung nach § 926 Abs. 1 ZPO verbinden. Der Antrag kann sich indessen zum eigenen Nachteil des Schuldners als vorschneller Schuss aus der Hüfte erweisen. Er nimmt dem Schuldner eine nach § 93 ZPO bestehende Chance einer günstigen Kostenentscheidung. Er nötigt die Parteien in ein Klageverfahren, ohne dass die Entwicklung des Eilverfahrens abgewartet worden ist, dessen Fortgang für den Schuldner zu der Selbsterkenntnis führen kann, dass sich weiterer Widerstand nicht lohnt.658 233 Streitig ist, ob der Antrag auch schon in einer Schutzschrift gestellt werden kann. Die wohl überwiegende Auffassung lehnt das ab.659 Das Hauptargument, dieser Antrag mit offensiver Stoßrichtung – erster Einwand: Er ist deutlich defensiver als eine negative Feststellungsklage oder ein Aufhebungsantrag – sei mit Sinn und Zweck der Schutzschrift als eines vorbeugenden defensiven Mittels unvereinbar,660 ähnelt allerdings einer scholastischen Ableitung aus dem Wesen eines Begriffes. Ein anderer Grund fällt stärker ins Gewicht. Mit der Fristsetzung wird dem Gläubiger aufgegeben, demnächst eine Klage zu erheben, deren Antrag mit dem Verfügungsantrag übereinstimmt. Bei Abfassung der Schutzschrift kennt der Schuldner den vom Gläubiger eingereichten oder demnächst zu stellenden Verfügungsantrag nicht. Er muss infolgedessen den von ihm vermuteten Antrag selbst in Worte kleiden, und sein eigener Antrag auf Fristsetzung stünde dann unter der weiteren Bedingung, dass der von dem Schuldner erwartete und der vom Gläubiger gestellte Verfügungsantrag inhaltsgleich sind. Die rechtliche Prüfung, ob sprachliche Abweichungen in den Anträgen unbedeutender redaktioneller Natur sind oder essenzielles Gewicht haben, kann im Ausgang ungewiss sein und daher nicht zur Bedingung einer Prozesshandlung wie dem Antrag nach § 926 Abs. 1 ZPO gemacht werden.

656 Statt aller MünchKommZPO/Drescher § 926 Rn. 4. 657 Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 4; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 481; Stein/Jonas/Grunsky § 926 Rn. 3; Schuschke/Walker § 926 Rn. 4a; wohl auch Ahrens Kap. 61 Rn. 5 mit Fn. 20.

658 Diese Risiken beschreibt zutreffend Ahrens Kap. 61 Rn. 6; Hess in: juris-PK-UWG Rn. 208. 659 Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 4 unter Berufung auf May S. 38 f.; FBO/Büscher § 12 Rn. 140; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.45; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 550; Büscher/Dittmer/Schiwy, vor § 12 UWG Rn. 143; Nordemann/Götting/Kaiser § 12 Rn. 261. A. A.: GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 209; Melullis Rn. 262; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 520; Berneke/ Schüttpelz Rn. 501; Musielak/Voit/Huber § 926 Rn. 4. 660 Gegen dieses Argument auch Melullis Rn. 262. Schwippert

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4. Anhörung des Gläubigers Die Fristsetzung nach § 926 Abs. 1 ZPO stellt eine für den Gläubiger nachteilige Entscheidung 234 dar, weil er gezwungen wird, eine Klage zu erheben oder in Kauf zu nehmen, die Ernte aus dem Eilverfahren nicht einfahren zu können. Die Anhörung des Gläubigers vor der Entscheidung über den Antrag ist daher zwingend geboten,661 um ihm insbesondere Gelegenheit zu geben darzulegen, dass dem Antrag das Rechtsschutzinteresse fehlt. Die noch heute vertretene Gegenmeinung662 wäre allein dann schlüssig begründet, wenn sich – wie nicht, dazu sogleich mehr663 – die Prüfungskompetenz des Rechtspflegers vor einer Fristsetzung auf einen Einblick in die Akte des Verfügungsverfahrens zu beschränken hätte, ob ein wirksamer Verfügungsbeschluss existent sei.664

5. Vorheriger Abschluss des Hauptsacheverfahrens Der Antrag ist als unzulässig abzuweisen, wenn die Hauptsacheklage anhängig ist.665 Das ergibt 235 sich unmittelbar aus dem Wortlaut des § 926 Abs. 1 ZPO. Dem stellt das Schrifttum den Fall gleich, dass das Hauptsacheverfahren bereits rechtskräftig abgeschlossen ist.666 Diese Folgerung scheint auf einem zwingenden gedanklichen Erst-Recht-Schluss zu beruhen und überdies notwendig zu sein, um den Gläubiger nicht zu einer unzulässigen Klage zu nötigen.667 Demgegenüber ist folgendes zu bedenken: Praktisch bedeutsam ist nicht die Konstellation, dass nach einem zeitgleichen Start das Klageverfahren früher als das Eilverfahren endet. Es kommt allein dann zum Schwur, wenn über die Identität des Streitgegenstandes eines rechtskräftig abgeschlossenen Klageverfahrens und des Eilverfahrens (von der Differenz der Streitgegenstände wegen der unterschiedlichen Verfahrensarten ist hier abzusehen) Meinungsverschiedenheiten bestehen, weil das ältere Klageverfahren andere Begleitumstände bei möglicherweise gleichem Kerngeschehen betraf. Das Verfügungsgericht muss die Identität verneint haben, weil es sonst die Verfügung nicht hätte erlassen können. Der Schuldner hat ein dringendes Interesse, diese Frage in einem neuen Klageverfahren klären zu lassen. Sein Antrag darf nicht abgewiesen werden.668

6. Antrag nach Aufhebung der Beschlussverfügung Der Wortlaut des § 926 Abs. 1 ZPO setzt die vorherige Erwirkung eines vollstreckbaren Befehls 236 voraus. Damit stellt sich die Frage, ob der Antrag auf Fristsetzung zulässig ist, wenn die getroffene Anordnung im erstinstanzlichen Urteil wieder aufgehoben worden ist, über die Richtigkeit dieser Entscheidung aber im Berufungsverfahren noch gestritten wird oder gestritten werden kann. Die h. M. bejaht diese Frage und verneint die Zulässigkeit des Antrags nur bei einer rechtskräftigen Aufhebung des Verfügungsbeschlusses, was sich dann allerdings auch von selbst ver-

661 Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 17a; Berneke/Schüttpelz Rn. 506; FBO/Büscher § 12 Rn. 141; Spätgens/ChangHerrmann UWG-Hdb. § 107 Rn. 5; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 549. Schuschke/Walker § 926 Rn. 9; Stein/Jonas/Grunsky § 926 Rn. 7; Zöller/Vollkommer § 926 Rn. 15. Rn. 237 ff. So GK-UWG/Schultz-Süchting¹ Rn. 210, 215 mit Fn. 628, nicht aber die in der Fn. zuvor Genannten. Auch bei einer Auslandsklage, wenn das Urteil in Deutschland anzuerkennen ist, OLG Frankfurt a. M. 21.10.1980 – 5 W 24/80 – MDR 1981, 237; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 5; Zöller/Vollkommer § 926 Rn. 10. 666 Berneke/Schüttpelz Rn. 502; FBO/Büscher § 12 Rn. 140; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 551; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 5; Schuschke/Walker § 926 Rn. 7; Zöller/Vollkommer § 926 Rn. 23. 667 Argument von Schuschke/Walker § 926 Rn. 7. 668 Zustimmend Spätgens/Chang-Herrmann UWG-Hdb. § 107 Rn. 2.

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steht.669 Dem ist entgegenzutreten. Inzwischen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Aufhebung des Verfügungsbeschlusses sofort ex tunc wirkt670 und dessen spätere Bestätigung durch das Berufungsgericht einen neuen Erlass der einstweiligen Verfügung darstellt. Die Beschlussverfügung ist definitiv beseitigt. Die Lage ist nicht anders, als wenn zum Zeitpunkt des Antrags nach § 926 Abs. 1 ZPO im laufenden Verfügungsverfahren ein Titel überhaupt noch nicht erstritten worden ist. Die h. M. schickt den Gläubiger in ein Klageverfahren, obgleich er keinen Titel im Eilverfahren besitzt, aus dem er die Vollstreckung betreiben könnte, und ungewiss ist, ob er ihn noch erstreiten wird. Der nach dem Halbzeitstand des Eilverfahrens siegreiche Schuldner bedarf nicht des Schutzes über § 926 Abs. 1 ZPO.671

7. Rechtsschutzinteresse 237 Zu einem Tummelplatz von Problemen hat sich die Prüfung des Rechtsschutzinteresses für den Antrag entwickelt. Ursprünglich galt als ausgemacht, dass das Anordnungsverfahren einen bloß formalen Charakter und das Anordnungsgericht vor der Fristsetzung nur zu prüfen habe, ob ein Vollstreckungsbefehl erwirkt und die Hauptsache nicht anhängig sei.672

238 a) Historische Entwicklung. Zur Kehrtwende kam es 1974 durch eine unglücklich begründete Entscheidung des BGH,673 ohne deren Kenntnis nicht nachzuvollziehen ist, warum die Kommentierung des scheinbar schlichten Fristsetzungsverfahrens im einschlägigen Schrifttum einen breiten Raum einnimmt.674 In dem damaligen Fall war ein Politiker im Landtagswahlkampf 14 Tage vor dem Wahlsonntag gegen den Verantwortlichen eines Wahlplakates vorgegangen und hatte einen Verfügungsbeschluss erwirkt. Der sofort eingelegte Widerspruch wurde mit einem Antrag nach § 926 Abs. 1 ZPO verbunden. Die mündliche Verhandlung fand nach der Wahl statt; der Antragsteller erklärte deshalb das Verfahren einseitig für erledigt. Die Frist zur Erhebung der Hauptsacheklage wurde antragsgemäß gesetzt. Der Antragsteller im Verfügungsverfahren erhob die Klage fristgerecht mit dem auch im Eilverfahren ursprünglich formulierten Unterlassungsantrag, den er wegen Fortfalls der Wiederholungsgefahr selbst für unbegründet hielt. Er stellte deshalb einen Hilfsantrag, mit dem er festgestellt wissen wollte, dass die einstweilige Verfügung bis zum Wahlsonntag begründet gewesen sei. Dem Kläger erging es nicht gut. Der Hauptantrag wurde zurückgewiesen, weil, wie beide Parteien übereinstimmten, die Wiederholungsgefahr nicht mehr bestand. Der Hilfsantrag wurde als unzulässig abgewiesen, weil er lediglich auf eine Klärung abgeschlossener Rechtsverhältnisse in der Vergangenheit abziele. Ein Rechtsschutzinteresse für den Hilfsantrag könne auch nicht daraus abgeleitet werden, dass der Kläger der Fristsetzung gemäß § 926 Abs. 1 ZPO habe entsprechen müssen, um der Aufhebung der Verfügung mit der daraus resultierenden Schadensersatzpflicht nach § 945 ZPO zu entgehen. 669 Berneke/Schüttpelz Rn. 503; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 551; Schuschke/Walker § 926 Rn. 6; Zöller/Vollkommer § 926 Rn. 23; Wieczorek/Schütze/Thümmel § 926 Rn. 15. 670 Vgl. hier nur Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 15. 671 FBO/Büscher § 12 Rn. 140; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 481; Zöller/Vollkommer § 929 ZPO Rn. 23; Teplitzky/ Feddersen Kap. 56 Rn. 5 hält den Fristsetzungsantrag nach der Aufhebung der einstweiligen Verfügung im Widerspruchsverfahren jedenfalls solange für unzulässig, wie deren neuer Erlass mit der Berufung noch nicht neu beantragt sei. 672 OLG Hamburg 30.7.1964 – 3 U 105/64 – MDR 1965, 49, 50; Pastor S. 508; weitere Nachweise bei Mädrich, Das Verhältnis der Rechtsbehelfe des Antragsgegners im einstweiligen Verfügungsverfahren S. 58 Fn.313; auch noch GKUWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 215; vgl. auch die Darstellung bei Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 7 ff.; spürbare Zurückhaltung bei der Einbeziehung materiell-rechtlicher Fragen im modernen Schrifttum bei Ahrens Kap. 61 Rn. 34 ff.; Berneke/Schüttpelz Rn. 504 ff.; MünchKommZPO/Drescher § 926 Rn. 7. 673 BGH 27.11.1973 – VI ZR 171/72 – NJW 1974, 503, 504. 674 Vgl. Ahrens Kap. 61 Rn. 32–45; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 6–16. Schwippert

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Das sei nämlich bereits durch die Stellung des Hauptantrags, auf dessen Begründetheit es insoweit nicht ankomme, gelungen. Das für den Kläger niederschmetternde Ergebnis sei vermeidbar gewesen, da er die Fristsetzung habe angreifen können. Dem Antrag habe das Rechtsschutzinteresse gefehlt, weil mit dem Ablauf des Wahlsonntags die Wiederholungsgefahr ersichtlich entfallen sei – damit war der rein formale Charakter des Anordnungsverfahrens beerdigt – und der Antragsteller dies mit der Erledigungserklärung im Verfahren auch eindeutig zum Ausdruck gebracht habe.675 Seitdem bemüht sich das Schrifttum um ein gedankliches Gerüst, mit dessen Hilfe die Gefahr gering gehalten werden kann, dass der Schuldner mit seinem Antrag, ohne ein eigenes schützenswertes Interesse im Rücken zu haben, den Gläubiger in ein Rennen schicken kann, das mit dessen Niederlage enden muss.

b) Fallgruppen aa) Erledigungserklärung und Verzicht. Folgende Fallgruppen sind auseinanderzuhalten:

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Der Schuldner des Verfügungsverfahrens hat kein Rechtsschutzinteresse für einen Antrag nach § 926 Abs. 1 ZPO, wenn der Gläubiger aus dem erwirkten Titel keine Vollstreckung mehr betreiben kann, weil das Verfahren durch Erledigungserklärung beendet worden ist. Das gleiche gilt, wenn der Gläubiger auf sämtliche Rechte aus dem Verfügungstitel verzichtet hat.676 Gelegentlich sieht ein Gläubiger ein, dass ihm der zugebilligte Unterlassungsanspruch nicht zusteht; er nimmt aber bei seinem Verzicht auf den Titel die Kostenentscheidung ausdrücklich aus. Eine frühere obergerichtliche Rechtsprechung,677 das Rechtsschutzinteresse sei in diesem Fall nicht gegeben, weil das Verfahren des § 926 Abs. 1 ZPO auf die materiell-rechtlichen Überprüfung angelegt sei, ist inzwischen nicht mehr aufrecht zu erhalten. Der BGH hat 1993 entschieden,678 dass die Aufhebungsklage gemäß § 927 ZPO das alleinige Ziel haben könne, den belastenden Kostenausspruch aus dem Verfügungsverfahren zu beseitigen. Entsprechendes hat für das Verfahren des § 926 Abs. 1 ZPO zu gelten.679

bb) Zweifelsfreier Fortfall des Anspruchs. Überwiegend wird darüber hinaus die Meinung 240 vertreten, es komme auf die förmliche Verzichtserklärung des Gläubigers nicht an, wenn der Unterlassungsanspruch nach dem Vortrag beider Parteien nicht (mehr) existiere und das auch zweifelsfrei sei.680 Andere verlangen, dass der Gläubiger zusätzlich klarstellen muss, von dem Titel keinen Gebrauch mehr zu machen.681

675 Vgl. zu der nach der zwischenzeitlichen Entwicklung der Rechtsprechung angemessenen Lösung Rn. 243. 676 BGH 27.11.1973 – VI ZR 171/72 – NJW 1974, 503, 504; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 8; Spätgens/Chang-Herrmann § 107 Rn. 3; FBO/Büscher § 12 Rn. 140; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.45; unklar allerdings MünchKommZPO/Drescher § 926 Rn. 7 mit widersprüchlichem Text vor den Fn. 29 und 32. 677 OLG Karlsruhe 21.8.1995, WRP 1980, 713, 714; OLG Düsseldorf 8.10.1987, WRP 1988, 247, 248; OLG München Magazindienst 1987, 1230, 1231. 678 BGH 1.4.1993 – I ZR 70/91 – GRUR 1993, 998 – Verfügungskosten. 679 Im Ergebnis ebenso OLG Köln 9.9.2004 – 6 W91/04 – GRUR-RR 2005, 101; OLG Nürnberg 25.4.2005 – 3 W 482/ 05 – WRP 2005, 1034; Berneke/Schüttpelz Rn. 504b; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 8; Zöller/Vollkommer § 926 Rn. 12, 26; a. A. Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 552; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 522; wohl auch Ahrens Kap. 61 Rn. 43 mit Fn.78. 680 Melullis Rn. 264; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 9, 14; FBO/Büscher § 12 Rn. 140; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 482; Harte/Henning/Retzer Rn. 552 f.; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 522; Stein/Jonas/Grunsky § 926 Rn. 7; Schuschke/Walker § 926 Rn. 8. 681 OLG Düsseldorf 8.10.1987 – 2 U 175/87 – WRP 1988, 247; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.45; Ahrens Kap. 61 Rn. 43. 943

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241 cc) Verjährung. Schließlich gibt es Meinungsverschiedenheiten bei der Beantwortung der Frage, wie die Forderungen zu behandeln sind, die der Gläubiger nicht mehr durchsetzen kann, weil ihnen die Einrede der Verjährung entgegensteht. Auch hier wird das Rechtsschutzinteresse überwiegend verneint, zumeist einschließlich der weiteren Variante, in der die Forderung zweifelsfrei verjährt, eine entsprechende Einrede aber noch nicht erhoben, sondern nur angekündigt ist.682

242 c) Stellungnahme. Diese Überlegungen sind für den praktischen Alltag wenig von Nutzen.683 Ist der geltend gemachte Unterlassungsanspruch evident entfallen, wird nur ein miserabel beratener Gläubiger den Verzicht auf den Titel verweigern. Die in der Rechtsprechung bekannt gewordenen Fälle kreisen denn auch samt und sonders um schwierige Abgrenzungsfragen: Ist die Wiederholungsgefahr ausnahmsweise auch ohne strafbewehrte Unterlassungserklärung ausgeräumt worden684 oder hat sich die Sache durch Zeitablauf endgültig erledigt,685 weil ein kerngleicher Streit auch bei einer demnächst bevorstehenden ähnlichen Veranstaltung nicht wieder entstehen kann? Für diese Fälle bietet die heute herrschende Meinung keine wirkliche Hilfestellung. Ihr Parameter, die materielle Rechtslage müsse „zweifelsfrei“ sein, kann zu wenig sinnvollen Debatten führen, welche Beurteilung der Rechtslage schon abwegig oder noch vertretbar ist. Es wird daher hier dafür plädiert, zu dem ursprünglich angenommenen formalen Charakter des Festsetzungsverfahrens zurückzukehren. Damit sind brauchbare Ergebnisse zu erzielen, ohne die Untersuchung des Rechtsschutzinteresses mit der Evidenzprüfung materiell-rechtlicher Fragen zum Wasserkopf zu machen. 243 In dem oben686 geschilderten Wahlplakatfall687 hätte eine Formalprüfung ausgereicht, um das Rechtsschutzinteresse für den Fristsetzungsantrag zu verneinen. Der Gläubiger hatte das Verfügungsverfahren nämlich für erledigt erklärt, und der Schuldner brauchte nichts weiter zu tun, als sich dieser Erledigungserklärung anzuschließen, um dem Verfügungsbeschluss die Wirkung zu nehmen. Das war ein einfacherer Weg als jener über § 926 Abs. 1 ZPO. Entfällt die Wiederholungsgefahr während des Eilverfahrens, kann der Gläubiger den von ihm geltend gemachten Unterlassungsanspruch zukünftig für erledigt erklären und im übrigen zu dem Feststellungsantrag übergehen, dass der Anspruch bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses begründet war.688 Gegen diesen Antrag kann der Schuldner freilich nach § 926 Abs. 1 ZPO vorgehen. Mit der dann vom Gläubiger zu erhebenden spiegelgleichen Feststellungsklage, die nicht im Eilverfahren zulässig und im Klageverfahren mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig sein kann,689 wird der Gläubiger nicht in ein aussichtsloses Rennen geschickt. 244 Fällt die Wiederholungsgefahr erst nach dem Abschluss des Eilverfahrens fort, obliegt es dem Gläubiger, spätestens im Zuge seiner obligatorischen Anhörung im Anordnungsverfahren für die Zukunft auf alle Rechte aus dem Titel zu verzichten mit der Folge, dass dem Antrag auch bei einer formalen Prüfung das Rechtsschutzinteresse genommen ist. Die angesprochene Problematik verjährter Ansprüche kann sich unter der Herrschaft des § 204 Abs. 1 Nr. 9 BGB erst nach dem Abschluss des Eilverfahrens stellen (§ 204 Abs. 2 S. 1 BGB). Auch dann hat der Gläubi682 Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 10, 11; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 552; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 522, der aber nur die schon erhobene Einrede erwähnt; Schuschke/Walker § 926 Rn. 8; Zöller/Vollkommer § 926 Rn. 12 (anders Rn. 14); a. A. – Rechtsschutzinteresse entfällt nur bei zusätzlichem förmlichen Verzicht – Ahrens Kap. 61 Rn. 44; MünchKommZPO/Drescher § 926 Rn. 7; Spätgens/Chang-Herrmann UWG-Hdb. § 107 Rn. 3c. 683 Vgl. Spätgens/Chang-Herrmann UWG-Hdb. § 97 Rn. 3b. 684 So in OLG Stuttgart 6.2.1981 – 2 U 177/80 – WRP 1981, 231; OLG Köln 9.9.2004 – 6 W 91/04 – GRUR-RR 2005, 101. 685 So in BGH 27.11.1973 – VI ZR 171/72 –NJW 1974, 503; OLG Düsseldorf 22.1.1971 – 2 U 101/70 – WRP 1971, 328; OLG Karlsruhe 21.5.1980 – 6 U 174/79 – WRP 1980, 713. 686 Rn. 238. 687 BGH 27.11.1973 – VI ZR 171/72 – NJW 1974, 503, 504. 688 BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = WRP 2004, 235, 238 – Euro-Einführungsrabatt; vgl. Rn. 205. 689 Insoweit ist BGH 27.11.1973 – VI ZR 171/72 – NJW 1974, 503 durch BGH 23.10.2003 – I ZB 45/02 – BGHZ 156, 335 = NJW 2004, 506 überholt. Schwippert

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ger die Möglichkeit, bei seiner Anhörung auf die Rechte aus dem Titel ab Verjährungseintritt zu verzichten. Warum eine förmliche Verzichtserklärung für den seit dem Verfügungsverfahren ohnehin anwaltlich vertretenen Gläubiger unzumutbar sein sollte,690 erschließt sich nicht.

8. Entscheidung über den Antrag und Rechtsbehelfe Die Entscheidung über den Antrag ergeht durch Beschluss. Die vom Rechtspfleger getroffene 245 stattgebende Entscheidung ist mit der befristeten Erinnerung gemäß § 11 Abs. 2 S. 1 RpflG angreifbar; gegen seinen zurückweisenden Beschluss oder auch gegen eine nach seiner Meinung zu üppig bemessene Frist kann der Schuldner mit der sofortigen Beschwerde nach § 11 Abs. 1 RpflG i. V. m. § 567 ZPO vorgehen. Die ausnahmsweise durch Richter erfolgte Zurückweisung des Antrags ist nach § 225 Abs. 3 ZPO unanfechtbar. Der zurückweisende Richterbeschluss kann mit der sofortigen Beschwerde nach § 567 ZPO angegangen werden.691 Hält der Gläubiger die richterlich festgesetzte Frist für zu kurz, kann er einen auf § 224 Abs. 2 ZPO gestützten Verlängerungsantrag stellen.692

9. Bemessung der Klagefrist Die Bemessung der Frist darf nach §§ 276 Abs. 1 S. 2, 277 Abs. 3 ZPO (entsprechend) zwei Wo- 246 chen nicht unterschreiten. Im Wettbewerbsrecht wird für den Regelfall eine Frist von drei vier Wochen als angemessen angesehen.693 Das TRIPS – Übereinkommen sieht in Art. 50 Abs. 6 eine Höchstfrist von 31 Kalendertagen oder 20 Arbeitstagen vor. Auch auf das UWG gestützte Ansprüche können in den Anwendungsbereich des Übereinkommens fallen, wenn mit ihrer Hilfe Rechte des geistigen Eigentums geschützt werden.694 Ob die Bestimmung in Deutschland eine unmittelbare Wirkung entfaltet, ist aber umstritten.695 Die gesetzte Frist ist eingehalten, wenn in Anwendung des § 167 ZPO die Zustellung dem- 247 nächst erfolgt.696 Auch ein rechtzeitig eingereichter Antrag auf Bewilligung von Prozesskosten-

690 Was tendenziell bei Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 9 zum Ausdruck kommt. 691 Vgl. dazu im einzelnen Schuschke/Walker § 926 Rn. 12; MünchKommZPO/Drescher § 926 Rn. 10, 11. 692 Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 556; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 17b; Zöller/Vollkommer § 926 Rn. 18; Schuschke/Walker § 996 Rn. 12.

693 GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 216; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 17b; FBO/Büscher § 12 Rn. 142; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.46; Spätgens/Chang/Herrmann UWG-Hdb. § 107 Rn. 5.

694 Ahrens Kap. 61 Rn. 4 mit Nachweisen. 695 Vgl. BGH 2.5.2002 – I ZR 45/01 – BGHZ 150, 377, 385 = GRUR 2002, 1046, 1048– Faxkarte, wonach die Vorschriften des Dritten Teils des Übereinkommens „nicht ohne weiteres unmittelbar anwendbar“ sind, die Inlandsbestimmungen aber in einer Weise auszulegen seien, dass „mit ihrer Hilfe den Anforderungen des Übereinkommens Genüge getan“ werde. In der Tendenz ebenso OLG Hamburg 11.7.2002 – 3 U 17/02 – GRUR 2003, 873; OLG Frankfurt a. M. 12.8.2003 – 11 U 15/03 – NJOZ 2004, 874, 876; verneinend Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 155; FBO/Büscher § 12 Rn. 142 mit Nachweisen auch zur Gegenansicht in Fn. 355, beide aber unter nicht zutreffender Berufung auf die vorgenannte Entscheidung des BGH; vgl. auch Ahrens Kap. 61 Rn. 4; ausführlich und für die Beachtung der im Abkommen genannten Höchstfrist MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 322. Steigüber/Kaneko WRP 2013, 873 halten Art. 50 Abs. 6 des Übereinkommens nicht für unmittelbar anwendbar, den deutschen Gesetzgeber aber für verpflichtet, § 926 ZPO im Sinne eines automatischen Verfalls der Verfügung nach Ablauf der Höchstfrist zu ändern. 696 OLG Köln 23.6.1999 – 6 W 12/99 – OLGR 1999, 400; OLG Celle 12.4.2007 – 3 W 43/07 – MDR 2007, 1280; Berneke/Schüttpelz Rn. 512; FBO/Büscher § 12 Rn. 145; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 560; Stein/Jonas/Grunsky § 926 Rn. 12 a; a. A. OLG Koblenz 8.12.1994 – U 1368/94 – WRP 1995, 416, 417 mit unzutreffenden Belegstellen für weitere Anhänger dieser Meinung, vgl. die Anm. von Schmid ab S. 418. 945

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hilfe für die Klage reicht aus, wenn dem Antrag in der Folgezeit stattgegeben wird.697 Ist die Frist definitiv versäumt, kann noch eine Heilung über § 231 Abs. 2 ZPO erfolgen, indem bis zum Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung im Aufhebungsverfahren die Klage erhoben wird.698 Bei dieser Konstellation kommt eine Anwendung des § 167 ZPO nicht in Betracht, weil sonst so lange eine oder mehrere Vertagungen notwendig werden können, bis abschließend zu beurteilen ist, ob die endlich erfolgte Zustellung der Klage noch als „demnächst“ angesehen werden kann.699

10. Klage nach Aufhebung der Verfügung 248 Einer einmal getroffenen Anordnung hat der Gläubiger durch Klageerhebung zu entsprechen, wenn er die Folge des § 926 Abs. 2 ZPO vermeiden will. Diese Sanktionsmöglichkeit entfällt allerdings, sobald die einstweilige Verfügung rechtskräftig aufgehoben worden, das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt oder auf eine einseitige Erledigungserklärung ein entsprechendes Feststellungsurteil rechtskräftig geworden ist.700 Der Gläubiger kann selbstverständlich dennoch Klage erheben, wenn er sich davon einen Erfolg verspricht. Das nur zu tun, um die Anordnung zu befolgen, ergibt keinen Sinn.

11. Gerichtsstand für Hauptsacheklage 249 Die ihm vom Gesetz gegebenen Möglichkeiten, einen Gerichtsstand zu wählen, kann der Gläubiger frei nutzen; er ist wie auch sonst bei der Erhebung der Hauptsacheklage nicht an den für das Eilverfahren gewählten Gerichtsort gefesselt.701 Ein ausländischer Gerichtsstand führt zur Befolgung der getroffenen Anordnung indessen nur dann, wenn die Auslandsentscheidung im Inland anerkannt wird.702 Liegt eine wirksame Schiedsgerichtsvereinbarung vor, ist sie für die Bestimmung des zuständigen Hauptsachegerichts maßgeblich.703Über eine Verweisung nach § 281 ZPO ist auch eine fristwahrende Klage bei einem unzuständigen Gericht möglich.704

697 H. M.: OLG Frankfurt a. M. 28.10.1988 – 14 W 115/88 – MDR 1989, 272; Musielak/Voit/Huber § 926 Rn. 7; MünchKommZPO/Drescher § 926 Rn. 12 mit zahlreichen weiteren Nachweisen für diese Ansicht in Fn.53; a. A. OLG Hamm 18.1.1989 – 26 U 22/88 – OLGR 1989, 322; OLG Düsseldorf 2.4.1987 – 10 UF 47/87 – MDR 1987, 771; Schuschke/Walker § 926 Rn. 14; Thomas/Putzo/Reichold § 926 Rn. 7; MünchKommZPO/Heinze § 926 Rn. 17. 698 Vgl. Berneke/Schüttpelz Rn. 513; Spätgens/Chang-Herrmann UWG-Hdb. § 107 Rn. 12; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 18. 699 So die weit überwiegende Meinung, vgl. KG Berlin 27.1.1976 – Kart U 3888/94 – WRP 1976, 378, 379; OLG Frankfurt a. M. 29.1.1987 – 6 U 33/86 – GRUR 1987, 650, 651; FBO/Büscher § 12 Rn. 145; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 18; Berneke/Schüttpelz Rn. 513; MünchKommZPO/Drescher § 926 Rn. 17; a. A. Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 560. 700 Vgl. OLG München Magazindienst 1987, 1229. 701 OLG Karlsruhe 28.3.1973 – 6 U 3/72 – NJW 1973, 1509; Zöller/Vollkommer § 926 Rn. 29; Berneke/Schüttpelz Rn. 510; 702 OLG Frankfurt a. M. 28.10.1988 – 14 W 115/88 – MDR 1989, 272; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 561; Teplitzky/ Feddersen Kap. 56 Rn. 20; MünchKommZPO/Drescher § 926 Rn. 12; Stein/Jonas/Grunsky § 926 Rn. 11; Schuschke/ Walker § 926 Rn. 14. 703 Berneke/Schüttpelz Rn. 510; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 561; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 20; MünchKommZPO/Drescher § 926 Rn. 12. 704 OLG Hamm 17.2.1994 – 23 W 469/93 – OLGR 1994, 142; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 561; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 20; Zöller/Vollkommer § 926 Rn. 32. Schwippert

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12. Identität von Klageantrag und Verfügungsantrag Der Anordnung der Klageerhebung kommt nur ein Klageantrag nach, der dem Verfügungsan- 250 trag inhaltlich entspricht. Rein redaktionelle Bearbeitungen der Sprachfassung schaden nicht und können im Einzelfall doch Probleme bereiten, wenn Streit darüber entsteht, wo die redaktionelle Verbesserung endet und eine inhaltliche Korrektur beginnt. Eine Antragserweiterung bringt keine Nachteile mit sich, sofern sich der Verfügungsantrag im Klageantrag wiederfindet.705 Ein auf die konkrete Verletzungsform bezogener Verfügungsantrag wäre in einem abstrakt formulierten Klageantrag, an den sich ein „insbesondere“–Zusatz mit der konkreten Verletzungsform anschließt, als minus enthalten.706 Wird bei einer Teilbarkeit des im Eilverfahren geltend gemachten Anspruchs der Verfügungsantrag nur partiell mit der Klage aufgegriffen, unterliegt der nicht übernommene Teil des Verfügungsantrags der Aufhebung nach § 926 Abs. 2 ZPO.707

13. Glaubhaftmachung rechtzeitiger Klageerhebung Der Gläubiger hat die tatsächlichen Voraussetzungen, aus denen die Erkenntnis der rechtzeiti- 251 gen Klageerhebung resultiert, glaubhaft zu machen. Das betrifft die Daten der Einreichung und der Zustellung der Klage, der Fassung der Klageanträge und, wenn deren Auslegung von der Klagebegründung abhängt, auch deren Vorlage. In diesem Sinne hat er auch die Übereinstimmung des Anspruchs des Verfügungsverfahrens mit dem der Hauptsacheklage glaubhaft zu machen, und wenn das von ihm gelieferte Tatsachenmaterial keine abschließende Beurteilung erlaubt, gehen Zweifel zu seinen Lasten.708 Ist das Tatsachenmaterial hinreichend unterbreitet, ist es Sache des Gerichts, sich eine endgültige Meinung über die Identität der gestellten Anträge zu bilden.

14. Zulässigkeit des Aufhebungsantrags Der Aufhebungsantrag gemäß § 926 Abs. 2 ZPO unterliegt nach § 78 ZPO dem Anwaltszwang, 252 wenn er beim Landgericht gestellt wird, beim Amtsgericht kann er zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden.709 Zuständig ist das Gericht, das die Frist zur Klageerhebung angeordnet hat.710 Der Antrag kann in dem noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Verfügungsverfahren und auch in einem bereits anhängig gemachten Aufhebungsverfahren gemäß § 927 ZPO gestellt werden.711 Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Vollstreckungsbefehl noch existiert. Ist der Befehl 253 in der Zeit zwischen der gerichtlichen Anordnung nach § 926 Abs. 1 ZPO und der mündlichen Verhandlung des Aufhebungsverfahrens im weiteren Verlauf des Verfügungsverfahrens außer Kraft gesetzt worden, sei es durch Rücknahme, Aufhebung oder beiderseitige Erledigungserklä705 BGH 1.4.1993 – I ZR 70/91 – BGHZ 122, 172, 176 = GRUR 1993, 998, 999 – Verfügungskosten; OLG Koblenz 28.10.1982 – 6 U 1033/82 – WRP 1983, 108, 109; Spätgens/Chang/Herrmann UWG-Hdb. § 107 Rn. 14; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 21; Berneke/Schüttpelz Rn. 509. 706 Vgl. dagegen Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 21. 707 OLG Köln 18.9.2009 – 6 U 79/09 – Magazindienst 2010, 410, 413; Spätgens/Chang-Herrmann UWG-Hdb. § 107 Rn. 14; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 21; MünchKommZPO/Drescher § 926 Rn. 13; Schuschke/Walker § 926 Rn. 15. 708 OLG Frankfurt a. M. 21.10.1980 – 5 W 24/80 – MDR 1981, 237; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 565; Teplitzky/ Feddersen Kap. 56 Rn. 21; Zöller/Vollkommer § 926 Rn. 24. 709 Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 484; MünchKommZPO/Drescher § 926 Rn. 19. 710 OLG Dresden, 23.10.2003 – 21 1294/02 – OLGR 2004, 39; Hess in: juris-PK-UWG § 12 Rn. 211. 711 OLG Hamburg 20.4.1978 – 3 U 36/78 – WRP 1978, 907, 908; OLG Koblenz 28.10.1982 – 6 U 1033/82 – WRP 1983, 108, 109; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 22. 947

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rung, geht dem Antrag das Rechtsschutzinteresse ab.712 Letzteres wird nunmehr umfassend überprüft; die Einschränkungen des Anordnungsverfahrens – gleichgültig wie sie dort im Streit der Meinungen gezogen werden – gelten jetzt nicht.713 254 Über den Aufhebungsantrag ist durch Urteil zu entscheiden, dem daher eine notwendige mündliche Verhandlung vorauszugehen hat. Die Terminbestimmung erfolgt von Amts wegen. Es handelt sich um ein besonderes Verfahren innerhalb des einstweiligen Rechtsschutzes, so dass unverändert kein Vollbeweis zu führen ist, sondern es ausreicht, die einschlägigen Tatsachen glaubhaft zu machen.714

15. Begründetheit des Aufhebungsantrags 255 Der zulässige Antrag hat Erfolg, sofern der Gläubiger die angeordnete Klage nicht erhoben, wieder zurückgenommen oder für erledigt erklärt hat, sowie bei einer Abweisung der Klage als unzulässig.715 Ohne Bedeutung für die Entscheidung nach § 926 Abs. 2 ZPO ist, ob die rechtzeitig und in zulässiger Weise erhobene Hauptsacheklage in der Sache auch Erfolg gehabt hat. Die als unbegründet abgewiesene Hauptsacheklage rechtfertigt keine Aufhebung der einstweiligen Verfügung.716

16. Rechtsfolgen der Aufhebung 256 Die rechtskräftige Aufhebung der einstweiligen Verfügung hat rückwirkende Kraft und kann eine Schadensersatzpflicht nach § 945 ZPO auslösen.717 Streitig ist, ob ein nicht rechtskräftiges erstinstanzliches Urteil wie bei der Aufhebungsentscheidung im Verfügungsverfahren nach einem Widerspruch die Verfügung auf der Stelle extunc vernichtet,718 oder ob diese Wirkung erst mit der Unanfechtbarkeit der Entscheidung eintritt.719 Die letztgenannte Auffassung verdient zweifelsfrei den Vorzug. Die zweitinstanzliche Korrektur geht sonst ins Leere. Das Berufungsgericht des Aufhebungsverfahrens ist nämlich anders als das Verfügungsgericht nicht befugt, die einstweilige Verfügung neu zu erlassen; ein derartiger Antrag des Gläubigers ist nicht zur Entscheidung gestellt und würde in das System des Verfahrens nach § 926 ZPO nicht passen. Die in dem Urteil nach § 708 Nr. 6 ZPO anzuordnende vorläufige Vollstreckbarkeit hat demnach nur zur Folge, dass auf der Stelle weitere Vollstreckungsmaßnahmen aus der einstweiligen Verfügung unzulässig sind.720 Mit der Abänderung der aufhebenden Entscheidung durch das Berufungsurteil entfällt diese Vollstreckungssperre. Mit der Bestätigung der erstinstanzlichen Entscheidung wird die einstweilige Verfügung wirkungslos.

712 OLG Frankfurt a. M. 29.1.1987 – 6 U 33/86 – GRUR 1987, 650, 651; Schuschke/Walker § 926 Rn. 21a; MünchKommZPO/Drescher § 926 Rn. 18.

713 Berneke/Schüttpelz Rn. 516. 714 Schuschke/Walker § 926 Rn. 23; MünchKommZPO/Drescher § 926 Rn. 21. 715 OLG Frankfurt a. M. 2.3.1972 – 6 U 92/71 – NJW 1972, 1330; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 564; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 527; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 22; MünchKommZPO/Drescher § 926 Rn. 20; Schuschke/Walker § 926 Rn. 22; Stein/Jonas/Grunsky § 926 Rn. 13 f.; Zöller/Vollkommer § 926 Rn. 10. 716 BGH 27.11.1973 – VI ZR 171/72 – NJW 1974, 503, 504; die scheinbar gegenteilige Auffassung von Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 154 beruht, geht es nach den Belegstellen, auf einem Redaktionsversehen. 717 Berneke/Schüttpelz Rn. 527; Schuschke/Walker § 926 Rn. 24; Thomas/Putzo/Reichold § 926 Rn. 15. 718 So die h. M.: GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 234; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 527; Spätgens/ Chang//Herrmann UWG-Hdb. § 107 Rn. 22; Zöller/Vollkommer § 926 Rn. 27; zweifelnd Berneke/Schüttpelz Rn. 525. 719 So Schuschke/Walker § 926 Rn. 24. 720 Vgl. Schuschke/Walker § 926 Rn. 24. Schwippert

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VII. Der Aufhebungsantrag. A. Einstw. Verf., Abschlusserklärung u. -schreiben

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VII. Der Aufhebungsantrag (§ 927 ZPO) 1. Verfahrensgrundsätze und Rechtsbehelfsmöglichkeiten Während über § 926 Abs. 1 ZPO die Beseitigung einer einstweiligen Verfügung erreicht werden 257 kann, weil der Gläubiger das parallele Klageverfahren scheut oder eine zulässige Klage nicht zu Stande bringt, kommt es über § 927 ZPO zur Aufhebung des ausgesprochenen Verbots, weil sich nach dessen Erlass maßgebliche Umstände geändert haben. Auch in diesem – wiederum summarischen721 –Verfahren wird nicht untersucht, ob die einstweilige Verfügung zu Recht oder zu Unrecht erlassen worden ist.722 Der an keine Frist gebundene, gegebenenfalls aber einer Verwirkung unterliegende723 Antrag darf nicht deshalb zum Erfolg führen, weil das mit dem Antrag befasste Gericht das Vorliegen relevanter neuer Umstände zwar verneint, insgeheim aber zu der Erkenntnis gelangt, die Verfügung hätte überhaupt nicht erlassen werden dürfen. Der Weg über § 927 ZPO bietet sich vor allem dann an, wenn das Verfügungsverfahren for- 258 mell rechtskräftig abgeschlossen ist. Er genießt dann als einfachere Möglichkeit den Vorrang vor einer Abänderungsklage nach § 323 Abs. 1 ZPO724 oder jedenfalls einen praktischen Vorzug gegenüber einer Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO.725 Ist das einstweilige Verfügungsverfahren noch rechtshängig, hat der Schuldner die Wahl, ob er sich in diesem Verfahren mittels Widerspruch oder Berufung weiter zur Wehr setzen will oder lieber über einen Aufhebungsantrag vorgehen möchte.726 Ersteres verdient den Vorzug, wenn der Schuldner weiterhin damit argumentieren will, dass der geltend gemachte Unterlassungsanspruch von Anfang an nicht bestanden hat und nur hilfsweise geltend machen möchte, jedenfalls sei er durch später eingetretene Umstände entfallen. Der Aufhebungsantrag empfiehlt sich stattdessen, wenn nur auf den späteren Fortfall des Anspruchs die Verteidigung ernsthaft gestützt werden kann oder dieses Argument so evident durchgreift, dass mit der über § 927 ZPO erzielten Straffung des Streitstoffes eine schnellere Erledigung zu erreichen ist. Die Ansicht, der Schuldner verfüge allein über den Rechtsbehelf des Widerspruchs, solange er ihn einlegen könne,727 hat sich daher mit Recht nicht durchgesetzt. Die Wahlmöglichkeit des Schuldners besagt aber nicht,728 dass das Widerspruchsverfahren und das Aufhebungsverfahren nebeneinander betrieben werden können.

2. Zuständigkeit Die Zuständigkeit zur Entscheidung über den Antrag liegt gemäß § 927 Abs. 2 ZPO bei dem Ge- 259 richt der Hauptsache, sofern sie schon anhängig ist – dann kann der Antrag auch im Weg der 721 MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 537; Schuschke/Walker § 927 Rn. 20. 722 OLG Nürnberg 20.11.1984 – 3 U 2485/84 – GRUR 1985, 237; MünchKommZPO/Drescher § 927 Rn. 1. 723 KG Magazindienst 1989, 23, 29 f; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 578; Melullis Rn. 274; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 35.

724 MünchKommZPO/Drescher § 927 Rn. 2; Schuschke/Walker § 927 Rn. 4. 725 Es ist unbestritten, dass die Möglichkeit einer Vollstreckungsabwehrklage dem Aufhebungsantrag nicht das Rechtsschutzinteresse nimmt. Wie sich die Möglichkeit eines Aufhebungsantrages auf das Rechtsschutzinteresse für eine Vollstreckungsabwehrklage auswirkt, ist hingegen sehr streitig, vgl. OLG Karlsruhe 15.2.1979 – 6 W 116/ 78 – GRUR 1979, 571; OLG Koblenz 18.4.1985 – 6 U 156/84 – GRUR 1986, 94, 95; Berneke/Schüttpelz Rn. 528 mit Nachweisen in Fn.1; Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 52, 53; Spätgens/Chang-Herrmann UWG-Hdb. § 108 Rn. 4. 726 Weit überwiegende Meinung: OLG Köln 6.5.1987 – 6 U 53/87 – WRP 1987, 567; OLG Koblenz 30.1.1989 – 6 W 20/89 – GRUR 1989, 373, 374; OLG Hamburg OLGR 1994, 472, 473; OLG Frankfurt a. M. 2.5.2005 – 6 WF 55/05 – Magazindienst 2005, 930, 931; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.60; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 24; Schuschke/Walker § 924 Rn. 4 mit weiteren Nachweisen in Fn. 11. 727 Mädrich S. 42 ff., S. 87 ff.; dem früher zustimmend Teplitzky DRiZ 1982, 41, 45 und Teplitzky AcP 181 (1981), 253. 728 Vgl. Rn. 260. 949

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Einstweiliger Rechtsschutz, Veröffentlichungsbefugnis, Streitwertminderung

Widerklage verfolgt werden –,729 ansonsten bei dem Gericht, das die einstweilige Verfügung angeordnet hat. Bei Anhängigkeit der Hauptsache soll die Kenntnis des mit ihr befassten Gerichts vom Streitstoff nutzbar gemacht werden; Gericht der Hauptsache ist daher das Instanzgericht, das mit ihr bei der Einleitung des Aufhebungsverfahrens befasst ist: Auf diese Weise kann der Antrag unmittelbar beim Berufungsgericht einzureichen sein.730 Dieser Grundsatz lässt sich nicht durchhalten, wenn sich die Hauptsache bereits im Revisionsverfahren befindet, weil dort die Prüfung tatsächlicher Verhältnisse nicht stattfinden kann. Dann ist das Gericht für den Antrag zuständig, das über die Hauptsache in erster Instanz entschieden hat.731 Ein vereinbarungsgemäß angerufenes Schiedsgericht ist nicht „Gericht der Hauptsache“, weil ihm die Befugnis abgeht, die Entscheidung eines staatlichen Gerichtes abzuändern.732 Die Hauptsache gilt dann im Sinne des § 927 Abs. 2 ZPO als noch nicht anhängig. Dagegen sieht, was der Wortlaut des § 927 Abs. 2 ZPO nicht unmittelbar vermuten lässt, die h. M. stets – mag die Verfügung auch vom Berufungsgericht erstmals erlassen worden sein – das erstinstanzliche Gericht des Eilverfahrens als das Gericht an, dass in der Sprache des Gesetzes die Anordnung getroffen hat.733 Auf diese Weise wird vermieden, dass das Aufhebungsverfahren in der letzten Instanz beginnt.

3. Rechtsschutzinteresse 260 Für den Antrag muss ein Rechtsschutzinteresse bestehen. Es fehlt, wenn sich der Schuldner auch (gleichgültig ob früher oder später) mit dem Widerspruch oder der Berufung gegen den Bestand der einstweiligen Verfügung zur Wehr setzt. Er kann dort alles vortragen, womit sich auch der Aufhebungsantrag begründen lässt, und kann überdies die Änderung der dort ergangenen Kostenentscheidung erreichen, was im Aufhebungsverfahren grundsätzlich (zu Ausnahmen später) nicht möglich ist.734 Das Rechtsschutzinteresse fehlt auch, sofern der Schuldner aus der noch in der Welt befind261 lichen einstweiligen Verfügung keine Nachteile mehr zu erwarten hat.735 Sie kann sich ausnahmsweise durch bloßen Zeitablauf erledigt haben.736 Praktisch bedeutsamer sind die Fälle, in denen der Gläubiger in der Zwischenzeit auf alle Rechte aus dem Titel förmlich verzichtet und, was zusätzlich erforderlich ist, den Titel an den Schuldner herausgegeben hat.737 729 BGH 1.6.2017 – I ZR 152/13 – GRUR 2017, 938 Rn. 37 – Teststreifen zur Blutzuckerkontrolle II; OLG Hamburg 7.9.2006 – 3U 204/05 – GRUR-RR 2007, 20, 22; Hess in Juris-PK-UWG § 12 Rn. 190; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 24; FBO/Büscher § 12 Rn. 146; a. A. OLG Karlsruhe 22.1.2014 – 6 U 135/10 – GRUR-RR 2014, 362; Rehart WRP 2017, 1307, 1309 f. 730 BGH 12.12.1975 – IV ARZ 9/75 – WM 1976, 134; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 530; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 25; Berneke/Schüttpelz Rn. 540; Schuschke/Walker § 927 Rn. 9; Stein/Jonas/Grunsky § 927 Rn. 12. 731 BGH 14.10.1969 – VI ZR 55/68 – WM 1970, 134; BGH 8.10.1976 – II ARZ 2/76 – WM 1976, 1201; Teplitzky/ Feddersen Kap. 56 Rn. 25; Hess in: juris-PK-UWG § 12 Rn. 217; MünchKommZPO/Drescher § 927 Rn. 10. 732 Ganz h. M.: Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 25; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 574; Schuschke/Walker § 927 Rn. 9; Zöller/Vollkommer § 927 Rn. 10; MünchKommZPO/Drescher § 927 Rn. 10; a. A. Stein/Jonas/Grunsky § 927 Rn. 12. 733 OLG Hamm 26.2.1987 – 4 U 7/87 – MDR 1987, 593; Berneke/Schüttpelz Rn. 540; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.54; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 574; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 25; MünchKommZPO/Drescher § 927 Rn. 10. 734 OLG Düsseldorf 5.9.2014 – I-20 W 93/14 – WRP 2015, 71, 72; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 490. 735 OLG Frankfurt a. M. 17.12.1980 – 17 U 187/80 – ZIP 1981, 210, 211; Schuschke/Walker § 927 Rn. 13; MünchKommZPO/Drescher § 927 Rn. 11. 736 Vgl. Schuschke/Walker § 927 Rn. 13. 737 OLG Düsseldorf 8.11.1999 – 20 W 48/99 – GRUR-RR 2001, 96; OLG Hamburg 7.9.2006 – 3 U 204/05 – GRUR-RR 2007, 20, 22 – Ratenkredit; OLG Hamm 25.6.1992 – 4 U 109/92 – GRUR 1992, 888; OLG Köln 2.8.1991 – 6 W 79/86, 6 Schwippert

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VII. Der Aufhebungsantrag. A. Einstw. Verf., Abschlusserklärung u. -schreiben

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Das Rechtsschutzinteresse ist hingegen, obgleich eine Zwangsvollstreckung aus dem Titel 262 nicht mehr droht, gleichwohl zu bejahen, wenn das Aufhebungsverfahren für den Schuldner die einzige Möglichkeit darstellt, die im Eilverfahren ergangene formell rechtskräftige Kostenentscheidung anzugreifen. Zwar hat sich grundsätzlich die dort zu treffende Entscheidung nur über die Aufhebung des Sachtitels und nicht über die Kostenentscheidung des Verfügungsverfahrens zu verhalten.738 Das ist aber z. B. anders bei rechtskräftiger Abweisung der Hauptsacheklage als von Anfang an unbegründet, einer Versäumung der nach § 929 Abs. 2 ZPO bestehenden oder nach § 926 Abs. 1 ZPO gesetzten Frist739 und einer rechtskräftigen Löschung der Verfügungsmarke wegen eines von Anfang an bestehenden Eintragungshindernisses.740 Dieses Kosteninteresse rechtfertigt den Aufhebungsantrag auch dann, wenn der Gläubiger den Titel bei förmlichem Verzicht an den Schuldner herausgegeben hat.

4. Begründetheit des Antrags Der Antrag ist begründet, wenn nach dem Erlass der einstweiligen Verfügung veränderte Um- 263 stände eingetreten sind, welche die stattgebende Entscheidung hätten anders ausfallen lassen, wenn sie schon damals vorgelegen hätten. Folgende Fallgruppen sind hauptsächlich im Spiel:

a) Rechtskräftige Beendigung des Hauptsacheverfahrens. Das Hauptsacheverfahren ist 264 mit der rechtskräftigen Abweisung der Klage abgeschlossen. Ist die Klage als unbegründet abgewiesen worden, ist der Aufhebungsantrag das geeignete Instrument, falls der Gläubiger den Titel nicht freiwillig herausgibt. Er ist dann notwendig, um die Verfügung unwirksam zu machen; sie ist nicht etwa durch das klageabweisende Urteil automatisch gegenstandslos geworden.741 Ein vorschneller Antrag ohne vorherige Kontaktaufnahme mit dem Gläubiger kann bei dessen sofortigem Anerkenntnis über § 93 ZPO allerdings in einem Fiasko bei der Kostenentscheidung enden. Ist die Klage als unzulässig abgewiesen worden, kommt es darauf an, ob der prozessuale Mangel bei einem neuen Anlauf zu beheben wäre.742 Ist das der Fall, liegt ein verändernder Umstand im Sinne des § 927 ZPO nicht vor. Das Prozessurteil kann aber das letzte Wort in der Sache gewesen sein. So wäre es, wenn eine nach § 926 Abs. 1 ZPO gesetzte Frist endgültig verstrichen ist oder der mit dem Verfügungsantrag wörtlich übereinstimmende Klageantrag zur Unzulässigkeit geführt hat, weil er dem Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht entspricht. W 9/88 – GRUR 1992, 476 – Rückzahlung von Ordnungsgeld; OLG München 5.4.1984 – 6 U 2931/83 – WRP 1984, 434; auch OLG Karlsruhe 21.5.1980 – 6 U 174/79 – WRP 1980, 713, 714 unter b, das den Verzicht allein nicht hat ausreichen lassen; Ahrens Kap. 60 Rn. 40; FBO/Büscher § 12 Rn. 148; Spätgens/Chang-Herrmann UWG-Hdb. § 108 Rn. 7; Berneke/Schüttpelz Rn. 544; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 576; Hess in: juris-PK-UWG § 12 Rn. 219; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.55; Melullis Rn. 274a; MünchKommZPO/Drescher § 927 Rn. 11; Zöller/Vollkommer § 927 Rn. 3; a. A. OLG München 4.4.1986 – 21 U 5833/85 – NJW-RR 1986, 998 mit der fernliegenden Begründung, der aufgegebene Titel könne weiter als Muster dienen. 738 Allgemeine Meinung: Ahrens Kap. 60 Rn. 37 mit umfangreichen Nachweisen der obergerichtlichen Rechtsprechung in Fn. 64; Berneke/Schüttpelz Rn. 551; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 37; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.58; Stein/Jonas/Grunsky § 927 Rn. 16. 739 BGH 1.4.1993 – I ZR 70/91 – GRUR 1993, 998, 1000 – Verfügungskosten; Ahrens Kap. 60 Rn. 37; Teplitzky/ Feddersen Kap. 56 Rn. 38 mit umfangreichen Nachweisen. 740 LG Hamburg 25.10.2012 – 327 O 9/06 – Magazindienst 2013, 73, 75 f. 741 BGH 9.10.1986 – I ZR 158/84 – GRUR 1987, 125, 126 – Berühmung; BGH 1.4.1993 – I ZR 70/91 – GRUR 1993, 998 – Verfügungskosten; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 32a. 742 Zutreffend Spätgens/Chang-Herrmann UWG-Hdb. § 108 Rn. 11a; Ahrens Kap. 60 Rn. 28; Stein/Jonas/Grunsky § 927 Rn. 6. 951

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Einstweiliger Rechtsschutz, Veröffentlichungsbefugnis, Streitwertminderung

Der Aufhebungsantrag kann auch dann gestellt werden, wenn der Kläger im rechtskräftig abgeschlossenen Hauptsacheverfahren erfolgreich gewesen ist. Der Gläubiger ist auf den Titel aus dem Eilverfahren nicht länger angewiesen, so dass der Verfügungsgrund entfallen ist.743 Der Schuldner besitzt ein Rechtsschutzinteresse an seinem Antrag, weil er es nicht auf Dauer hinnehmen muss, zwei gleichlautende Titel gegen sich zu haben.744 Unter einigermaßen vernünftigen Parteien sollte sich dieses Problem freilich lösen lassen, ohne dass gerichtliche Hilfe beansprucht werden muss.

265 b) Klageverfahren mit stattgebendem, nicht rechtskräftigen Instanzurteil. Ein stattgebendes, für vorläufig vollstreckbar erklärtes Instanzurteil bietet keine dem Verfügungstitel gleichwertige Vollstreckungsmöglichkeit. Es kann nie zur Aufhebung des Verfügungstitels führen,745 weil sich dann die Rechtslage des Gläubigers durch ein obsiegendes Urteil im Klageverfahren paradoxerweise verschlechtert hätte.

266 c) Nicht rechtskräftige Klageabweisung. Anders liegen die Dinge, wenn die Klage durch ein noch nicht rechtskräftiges Urteil abgewiesen worden ist. Jetzt kommt es auf eine Prognose des mit dem Aufhebungsantrag befassten Richters an, ob die denkbaren Rechtsmittel im Klageverfahren eine Chance haben, zu einer Abänderung der Entscheidung zu führen.746 Das kann mit großer Gewissheit zu verneinen sein, weil etwa die dort durchgeführte Beweisaufnahme zu dem eindeutigen Ergebnis geführt hat, dass die summarische Tatsachenfeststellung im Eilverfahren nicht länger haltbar ist. Für die Beschreibung des Ausmaßes der Prognosesicherheit werden unterschiedliche For267 mulierungen verwendet: die Aufhebung habe zu erfolgen, wenn der erkennende Richter den Erfolg eines Rechtsmittels als unrealistisch747 oder unwahrscheinlich748 ansehe oder mit diesem Erfolg nicht zu rechnen sei.749 Das sind rein semantische Unterschiede, solange sich, was nicht erkennbar ist, die Geister bei der Beurteilung eines konkreten Falles scheiden. Gefährlich ist hingegen die auch anzutreffende Wendung, die Verfügung sei aufzuheben, wenn ihre Voraussetzungen nicht länger glaubhaft gemacht seien.750 Sie könnte das Missverständnis hervorrufen, schon bei einer Einschätzung des Rechtsmittelerfolgs mit 50 zu 50 sei die früher angenommene überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen des Verfügungsanspruchs entfallen und 743 OLG Hamm 12.11.1987 – 4 U 131/87 – OLGZ 1988, 321; Ahrens Kap. 60 Rn. 24; MünchKommZPO/Drescher § 927 Rn. 6; Spätgens/Chang-Herrmann § 108 Rn. 11b; nach OLG Hamburg 28.9.1978 – 3 U 107/78 – WRP 1979, 135 ist die Verfügung wegen Wegfalls des Rechtsschutzinteresses aufzuheben. 744 OLG Hamburg 28.9.1978 – 3 U 107/78 – WRP 1979, 135; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 33. 745 OLG Hamm 27.11.1989 – 31 U 59/89 – NJW-RR 1990, 1536; OLG Frankfurt a. M. 23.9.1980 – 5 U 110/80 – ZIP 1980, 922; KG 16.3.1979 – 5 U 4481/78 – WRP 1979, 547; Ahrens Kap. 60 Rn. 25; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 33 m.w. Schrifttumsnachweisen. 746 BGH 12.12.1975 – IV ARZ 9/75 – WM 1976, 134; OLG Düsseldorf 16.5.1984 – 2 W 26/84 – GRUR 1985, 160; OLG Düsseldorf 18.12.1986 – 2 U 153/86 – WRP 1987, 252, 253; OLG Düsseldorf 20.6.1986 – 6 U 56/86 – GRUR 1988, 241 (Ls.); OLG Hamburg 9.11.2000 – 3 U 194/00 – GRUR-RR 2001, 143, 144; OLG München 27.2.1987 – 14 U 762/86 – NJW-RR 1987, 761; OLG Köln 4.3.2016 – 19 U 190/12 – juris; Teplitzky WRP 1987, 149, 151; Berneke/Schüttpelz Rn. 537; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 583; Melullis Rn. 272; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 534; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 12 Rn. 3.56; FBO/Büscher § 12 Rn. 159; MünchKommZPO/Drescher § 927 Rn. 5; Zöller/Vollkommer § 927 Rn. 5. 747 Schuschke/Walker § 927 Rn. 13. 748 Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 32a; Schuschke/Walker § 927 Rn. 13 in einem Atemzug mit „unrealistisch“. 749 Spätgens/Chang-Herrmann UWG-Hdb. § 108 Rn. 11a; Ahrens Kap. 60 Rn. 30, der hinzufügt, dass eine offenbare Aussichtslosigkeit nicht zu fordern sei. 750 So Stein/Jonas/Grunsky § 927 Rn. 6; vgl. auch MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 534 und die Warnung vor diesem Ausdruck bei Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 32a. Schwippert

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VII. Der Aufhebungsantrag. A. Einstw. Verf., Abschlusserklärung u. -schreiben

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dem Aufhebungsantrag stattzugeben. Bei ernstem Zweifel am Enderfolg des Schuldners im Hauptsacheverfahren verbietet sich die Aufhebung. Es gilt zu verhindern, dass die zu Recht ergangene einstweilige Verfügung wegen eines später für unrichtig erkannten Instanzurteils ihre Wirkung verliert. Das Verfahren ist entweder bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens gemäß § 148 ZPO auszusetzen751 oder der Antrag als zur Zeit unbegründet abzuweisen.

d) Markenverletzungsverfahren und nachträgliche Markenlöschung. Eine andere Kon- 268 stellation ist zu beurteilen, wenn der Antragsteller eine einstweilige Verfügung in einem Markenverletzungsverfahren erwirkt hat, in welchem die Bindung des Verletzungsrichters an die Tatbestandswirkung der Eintragung der Marke eine entscheidende Rolle gespielt hatte. Der Aufhebungsantrag ist unproblematisch begründet, sobald die Marke rechtskräftig gelöscht ist. Wird er aber schon vorher eingereicht und darauf gestützt, dass der BGH im patentamtlichen Löschungsverfahren eine die Markeneintragung bestätigende Entscheidung des Bundespatentgerichts aufgehoben und die Sache dorthin zurückverwiesen hat,752 stellt sich nicht die Frage nach einer Prognose über den Ausgang des Hauptsacheverfahrens, sondern eines präjudiziellen Registerrechtsstreits. Würde sie dem Richter im Aufhebungsverfahren gestattet, wäre der im Klageverfahren nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung753 einschränkungslos geltende Grundsatz der Bindung des Verletzungsrichters an die Markeneintragung außer Kraft gesetzt,754 ohne dass dies mit Besonderheiten des Aufhebungsverfahrens zu rechtfertigen wäre. Eine Aussetzung des Aufhebungsverfahrens wird auch der, der sie für grundsätzlich möglich erachtet, in dieser Lage kaum für zweckmäßig halten: Die rechtskräftige Löschung der Marke würde einen neuen Antrag nach § 927 ZPO ermöglichen, der nach menschlichem Ermessen aber nicht gestellt zu werden braucht, weil dem früheren Markeninhaber nichts übrig bleibt, als alle Positionen freiwillig zu räumen.

e) Ablauf der Vollziehungsfrist. Die Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO ist abgelaufen, 269 ohne dass der Gläubiger den Titel dem Schuldner hat zustellen lassen. Die einstweilige Verfügung verliert damit ihre Wirkung und wird gegenstandslos.755 Der Titel ist noch formell bestandskräftig, wenn auch für den Gläubiger nichts mehr wert. Gegen diese formelle Bestandskraft kann sich der Schuldner mit dem Aufhebungsantrag wenden.756 Gleiches gilt, wenn 751 Es ist streitig, ob eine Aussetzung zulässig ist: dagegen OLG München 17.4.1986 – 6 U 6192/85 – WRP 1986, 507, 508; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 537, weil dem die Eilbedürftigkeit wie im Ausgangsverfahren entgegenstehe; mit Recht dafür, weil die Eilbedürftigkeit geringer zu veranschlagen ist als im Ausgangsverfahren: OLG Düsseldorf 16.5.1984 – 2 W 26/84 – GRUR 1984, 757, = GRUR 1985, 160; GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 263 mit Fn. 759; Melullis Rn. 272; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 32a. 752 So die Fallgestaltung in OLG Köln 18.3.2005 – 6 U 203/04 – GRUR 2005, 1070, 1071 – Instanzenfortschritt. 753 Vgl. BGH 5.6.2008 – I ZR 169/05 – WRP 2008, 1202 Rn. 14 – POST mit weiteren Nachweisen älterer Entscheidungen; a. A. Sosnitza, 50 Jahre Bundespatentgericht, S. 770, 775; Rohnke GRUR 2001, 696, 702. 754 Das lässt Ahrens außer Acht, der eine Prognose des Aufhebungsrichters über den Ausgang des Löschungsverfahrens für unproblematisch zulässig und die gegenteilige Auffassung des OLG Köln für zu apodiktisch hält. 755 OLG Düsseldorf 21.4.2015 – I-20 U 181/14 – GRUR-RR 2015, 493; OLG Köln 13.10.2017 – 6 U 83/17 – GRUR-RR 2018, 268 Tz. 12; Hess in: juris-PK-UWG § 12 Rn. 220. 756 OLG Dresden 11.2.1997 – 14 U 1119/96 – NJWE-WettbR 1997, 277, 279; OLG Düsseldorf 1.12.1992 – 20 U 140/92 – WRP 1993, 327, 328; OLG Frankfurt a. M. 5.12.1991 – 6 W 132/91 – WRP 1992, 248; OLG Frankfurt a. M. 10.9.1999 – 24 U 58/99 – NJW-RR 2000, 1236; OLG Hamm 15.3.1990 – 4 U 230/89 – NJW-RR 1990, 1214; OLG Hamm 30.3.2011 – 3 U 49/11 – AfP 2011, 377; OLG Karlsruhe 7.5.1998 – 4 U 170/97 – NJWE-WettbR 1999, 39, 40; Ahrens Kap. 60 Rn. 11 mit weiteren umfangreichen Nachweisen der Rechtsprechung vor 1990; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 28; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.56; FBO/Büscher § 12 Rn. 149; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 535; MünchKommZPO/Drescher § 927 Rn. 6; Schuschke/Walker § 927 Rn. 17. 953

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§ 12 A

Einstweiliger Rechtsschutz, Veröffentlichungsbefugnis, Streitwertminderung

innerhalb der Vollziehungsfrist eine angeordnete Sicherheitsleistung nicht erbracht worden ist (§§ 927 Abs. 2, 925 Abs. 2 ZPO).757

270 f) Ablauf der nach § 926 Abs. 1 gesetzten Frist. Der Gläubiger hat die ihm nach § 926 Abs. 1 ZPO gesetzte Frist verstreichen lassen. Die Erstauflage hat darin keinen verändernden Umstand im Sinne des § 927 Abs. 1 ZPO erblicken können.758 Das moderne Schrifttum nimmt einhellig das Gegenteil an.759 In der Regel wird es sich allerdings nicht empfehlen, bei Versäumung der Frist auf das dafür in § 926 Abs. 2 ZPO vorgesehene Verfahren zu verzichten und stattdessen eine Aufhebung über § 927 ZPO vorzuziehen. Letztere nimmt der Verfügung die Wirkung nur für die Zukunft und beseitigt nicht die im Eilverfahren getroffene Kostenentscheidung. Es ist allerdings dann vorteilhaft, auf den Aufhebungsantrag zurückgreifen zu können, wenn dieses Verfahren mit einer anderen Begründung bereits eingeleitet worden war. Der Umstand der Fristversäumung kann dann hier eingebracht und ein doppelgleisiges Vorgehen vermieden werden.760

271 g) Erlöschen des Verfügungsanspruchs. Das Schulbeispiel im Wettbewerbsrecht ist die ordnungsgemäße Unterwerfungserklärung des Schuldners, die die Wiederholungsgefahr beseitigt hat.761 Obacht ist geboten, wenn die Unterwerfungserklärung von einer (aufschiebenden oder auflösenden) Bedingung abhängig gemacht wird. Eine aufschiebende Bedingung beseitigt die Wiederholungsgefahr regelmäßig nicht762 und vermag dann keinen Aufhebungsantrag zu rechtfertigen. Hingegen ist die Verbindung der Unterwerfungserklärung mit einer auflösenden Bedingung möglich, welche die Unterlassungsverpflichtung in dem Augenblick entfallen lässt, in dem zu Gunsten des Schuldners eine verbindliche Klärung der Rechtslage durch eine Gesetzesänderung oder die höchstrichterliche Rechtsprechung erfolgt.763 Diese Erklärung beseitigt die Wiederholungsgefahr und mit ihr den Verfügungsanspruch. Der Weg für den Aufhebungsantrag ist sofort frei,764 weil die Rechte des Gläubigers gewahrt bleiben. Bis zum Eintritt der Bedingung kann er Zuwiderhandlungen des Schuldners mit den im Unterwerfungsvertrag vorgesehenen Sanktionen ahnden. Diese Möglichkeit entfällt ersatzlos mit dem Eintritt der Bedingung. Der Gläubiger hat das hinzunehmen, weil ihm jetzt kein Anspruch mehr zusteht. 272 Inwieweit eine Unterwerfungserklärung wirksam mit Fristen versehen werden kann, die entweder den Beginn der vertraglichen Verpflichtung nach hinten verschieben oder die sogleich beginnende Unterlassungsverpflichtung zu einem späteren Datum enden lassen, ist

757 OLG Frankfurt a. M. 28.2.1980 – 6 U 226/79 – WRP 1980, 422; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.56; Spätgens/Chang-Herrmann UWG-Hdb. § 108 Rn. 11c; Schuschke/Walker § 927 Rn. 17; MünchKommZPO/Drescher § 927 Rn. 6. 758 GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 269. 759 Berneke/Schüttpelz Rn. 534; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 592; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 28; früher schon OLG Frankfurt a. M. 28.2.1980 – 6 U 122/79 – WRP 1980, 423, 424. 760 Schuschke/Walker § 927 Rn. 4. 761 Statt aller FBO/Büscher § 12 Rn. 149; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 31. 762 BGH 1.4.1993 – I ZR 136/91 – GRUR 1993, 677, 679 – Bedingte Unterwerfung; BGH 9.11.1925 – I ZR 212/93 – GRUR 1996, 290, 291 – Wegfall der Wiederholungsgefahr I; BGH 16.11.1995 – I ZR 229/93 – GRUR 1990, 379, 380 – Wegfall der Wiederholungsgefahr II; Köhler1 § 13 Rn. 37; GK-UWG/Feddersen § 12 B Rn. 120; missverständlich Teplitzky/Kessen Kap. 8 Rn. 13a mit der Gleichsetzung von aufschiebender Bedingung und aufschiebender Befristung. 763 BGH 1.4.1993 – I ZR 136/91 – GRUR 1993, 677, 679 – Bedingte Unterwerfung; BGH 26.9.1996 – I ZR 194/955 – BGHZ 133, 331 = GRUR 1997, 386; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.190; Harte/Henning/Brüning § 12 Rn. 166; Teplitzky/Kessen Kap. 8 Rn. 8. 764 Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 30. Schwippert

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VII. Der Aufhebungsantrag. A. Einstw. Verf., Abschlusserklärung u. -schreiben

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eine offene, im Rahmen einer Kommentierung des Eilverfahrens nicht zu klärende Frage.765 Wird eine befristete Unterwerfungserklärung zum Anlass eines Aufhebungsantrags genommen, ist im ersten Schritt wieder zu prüfen, ob die Befristung zur Unwirksamkeit der Unterwerfungserklärung geführt hat. Ist das zu bejahen, bleibt der Aufhebungsantrag erfolglos. Ist es zu verneinen und daher die Erklärung grundsätzlich geeignet, die Wiederholungsgefahr zu beseitigen, kommt es darauf an, ob Fristbeginn oder Fristende eingetreten sind. Bei der beendenden Frist wäre der Aufhebungsantrag sofort begründet, bei der aufschiebenden Frist erst mit deren Beginn.

h) Erhebung der Verjährungseinrede. Aufgrund der vom Schuldner erhobenen Einrede der 273 Verjährung ist der im rechtskräftig abgeschlossenen Verfügungsverfahren gesicherte Unterlassungsanspruch (angesichts der Regelung in § 204 Abs. 1 Nr. 9, Abs. 2 BGB ein nur noch seltener Fall) endgültig nicht mehr durchsetzbar. Eine Klage des Gläubigers zur Hauptsache müsste abgewiesen werden. Der Schuldner kann die Verfügung aufheben lassen.766 Befindet sich das Eilverfahren noch im Widerspruchsverfahren oder in der Berufungsinstanz, ist die Verjährungseinrede dort geltend zu machen. Für das Aufhebungsverfahren würde das Rechtsschutzinteresse fehlen.

i) Änderung der Gesetzeslage oder der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Aufgrund 274 einer Änderung der Gesetzeslage, die auch auf der Nichtigkeitserklärung einer entscheidungserheblichen Norm durch das BVerfG beruhen kann,767 oder neuer Erkenntnisse der höchstrichterlichen Rechtsprechung steht eindeutig fest, dass der in Rede stehende Unterlassungsanspruch nicht (mehr) besteht. Nachdem geklärt worden ist, dass Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung über § 767 Abs. 2 ZPO auch einem endgültigen Titel im Klageverfahren entgegengehalten werden können,768 hat das für die Möglichkeit eines Aufhebungsantrages nach § 927 ZPO erst recht zu gelten.769 Schultz-Süchting770 ist dem für den Regelfall entgegengetreten, weil dadurch das Prinzip der Unabhängigkeit des Richters verletzt werde,771 oft zweifelhaft sein könne, inwieweit sich die Rechtsprechungsänderung auf den Streitfall tatsächlich auswirke, und dann auch eine Änderung der OLG – Rechtsprechung zu berücksichtigen wäre. Eine Ausnahme wollte er nur zulassen für Fälle, in denen eine gefestigte Rechtsprechung des BGH unerwartet aufgegeben worden und mit absoluter Sicherheit davon auszugehen sei, dass bei Kenntnis der neuen Rechtsprechung die einstweilige Verfügung nicht erlassen worden wäre. Diese Einwendungen greifen nicht durch. Allein die evidenten Erklärungen der Rechtslage 275 durch die Rechtsprechung des BGH dürfen den Aufhebungsantrag begründen. Der erkennende 765 Vgl. dazu Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.132; Schuschke/Walker/Kessen Anhang zu § 935 Rn. 7; zur Zulässigkeit einer aufschiebenden Befristung siehe BGH 31.5.2001 – I ZR 82/99 – GRUR 2002, 180 – Weit-Vor-WinterSchlussverkauf. 766 Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 582; FBO/Büscher § 12 Rn. 149; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 496; Spätgens/ Chang-Herrmann UWG-Hdb. § 108 Rn. 11b. 767 Allgemeine Meinung: BGH 21.4.1988 – I ZR 129/86 – GRUR 1988, 787, 788 – Nichtigkeitsfolgen der Preisangabenverordnung; KG 7.9.1984 – 5 W 4348/84 – GRUR 1985, 236; OLG Köln 8.2.1985 – 6 U 213/84 – GRUR 1985, 458, 459; FBO/Büscher § 12 Rn. 149; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.56; MünchKommZPO/Drescher § 927 Rn. 4. 768 BGH 2.7.2009 – I ZR 146/07 – BGHZ 181, 373 Rn. 15 = GRUR 2009, 1096 – Mescher weis. 769 KG 24.1.1989 – 5 U 3165/87 – WRP 1990, 331, 332 f.; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 585; MünchKommUWG/ Schlingloff § 12 Rn. 536; Spätgens/Chang-Herrmann UWG-Hdb. § 108 Rn. 9; Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 160 (4); Hess in: juris-PK-UWG § 12 Rn. 220; FBO/Büscher § 12 Rn. 149; MünchKommZPO/Drescher § 927 Rn. 4; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 34. 770 GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 264. 771 Um die sich auch Melullis Rn. 272 sorgt. 955

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Richter, der diese Rechtsprechung für falsch hält und deshalb über den Verfügungsantrag heute wie damals in gleicher Weise entscheiden würde, bleibt in seiner verfassungsrechtlich garantierten Unabhängigkeit selbstredend frei, den Antrag seiner Überzeugung entsprechend abzuweisen. 276 Keinesfalls sollten die verändernden Umstände im Sinne des § 927 Abs. 1 ZPO nur angenommen werden, sofern eine Änderung einer vorher gefestigten Rechtsprechung zu konstatieren ist. Die Belange des Verfügungsschuldners sind ebenso betroffen, wenn eine im früheren Streit der Meinungen vertretbare Ansicht des Verfügungsgerichtes seit der erstmaligen Klärung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung der aktuellen rechtlichen Wirklichkeit nicht mehr gerecht wird. Dem Schuldner ist dann nämlich ein Verhalten untersagt, das seinen Mitbewerbern ringsum gestattet ist. Diesen Wettbewerbsnachteil hat er nicht hinzunehmen.772

277 j) Neue Tatsachen, neue Mittel der Glaubhaftmachung. Dem Schuldner sind neue Tatsachen bekannt geworden oder es stehen ihm neue Möglichkeiten zur Verfügung, schon im Verfügungsverfahren vorgetragene Tatsachen nunmehr glaubhaft machen zu können. Dagegen – und gegen die insoweit schon damals herrschende Meinung773 – ist in der Erstauflage angeführt worden, sie führe zu einer dauernden Wiederaufrollung desselben Sachverhalts mit stets wechselnden Glaubhaftmachungsmitteln als ständig wiederholtem Instanzenzug. Dieser Standpunkt lässt außer acht, dass im Gegenteil ein summarisches Eilverfahren die Möglichkeit späterer Korrekturen vorsehen muss, um per Saldo einen rechtsstaatlichen Interessenausgleich zu gewährleisten. Das Verfügungsverfahren birgt die Gefahr in sich – umso stärker, je stringenter das Gericht auf den Charakter als Eilverfahren achtet – dass der Schuldner von der Geschwindigkeit überrollt wird und einen negativen Ausgang akzeptieren muss, der bei aller Anstrengung nicht zu verhindern war, obgleich er der Sach- und Rechtslage nicht entsprach. Keinesfalls wird indessen zu akzeptieren sein, dass mit dem Aufhebungsantrag alles vorgebracht werden kann, was bei sorgfältiger Prozessführung bereits im Verfügungsverfahren hätte präsentiert werden können.774 Das Verfahren nach § 927 ZPO ist kein Korrekturbetrieb zum Ausgleich früherer Saumseligkeiten; ihm ist die Anwendung von – ungeschriebenen – Verspätungsvorschriften immanent.

5. Aufrechterhaltung der Eilentscheidung mit anderer Begründung 278 Grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten bestehen bei der Antwort auf die Frage, ob der Richter im Aufhebungsverfahren befugt ist, den Antrag zurückzuweisen, weil zwar die in der Verfügungsentscheidung genannte tragende Begründung nachträglich entfallen ist, das Ergebnis mit einer anderen Begründung aber gerettet werden kann. Damit sind nicht die Fälle angesprochen, in denen die Eilentscheidung kumulativ auf mehrere Standbeine gestellt worden ist.

772 So das zutreffende Argument in BGH 2.7.2009 – I ZR 146/07 – BGHZ 181, 373 = GRUR 2009, 1096 Rn. 24 – Mescher weis.

773 Die heute im Schrifttum allgemein vertreten wird: Ahrens Kap. 60 Rn. 7; FBO/Büscher § 12 Rn. 123; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 586; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.56; Spätgens/Chang-Herrmann UWG-Hdb. § 108 Rn. 8 und 10; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 533; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 34; Büscher/Dittmer/Schiwy, vor § 12 UWG Rn. 147; Nordemann/Götting/Kaiser § 12 Rn. 279; Schuschke/Walker § 927 Rn. 11; Stein/Jonas/Grunsky § 927 Rn. 4; Wieczorek/Schütze/Thümmel § 927 Rn. 14; Zöller/Vollkommer § 927 Rn. 4; MünchKommZPO/Drescher § 927 Rn. 4 mit weiteren Nachweisen, auch zu früheren Gegenansichten. Ebenso in der Rechtsprechung OLG Koblenz 18.4.1985 – 6 U 156/84 – GRUR 1986, 94; OLG Köln 8.2.1985 – 6 U 213/84 – WRP 1985, 362, 363. 774 So auch besonders deutlich Schuschke/Walker § 927 Rn. 14. Schwippert

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Sie kann nur aufgehoben werden, wenn das gesamte Kartenhaus zusammenbricht.775 Stehen die Dinge aber so, dass das einzige in der Eilentscheidung angeführte Argument aufgrund veränderter Umstände seine Tauglichkeit verloren hat, beginnt der Streit. Am weitesten ist Melullis776 gegangen, der für die Zulassung neuer, im Anordnungsverfah- 279 ren nicht erwähnter Ansprüche plädiert und zur Begrenzung lediglich gefordert hat, es müsse sich um eine im Wortinhalt gleiche Verfügung handeln. Auf diese Weise hat er das Aufhebungsverfahren mit einem eigenständigen neuen Anordnungsverfahren kombiniert, ohne dazu in der gesetzlichen Systematik eine Rechtfertigung zu finden. Dagegen hält die herrschende Meinung das Auswechseln der Begründung dann und nur dann für erlaubt, wenn es sich um denselben Streitgegenstand handele und der schlüssige Sachvortrag samt Glaubhaftmachung bereits im Verfügungsverfahren erfolgt sei,777 mag auch der neue Anspruch aus einem unstreitigen Sachverhalt herzuleiten sein.778 Dem ist zuzustimmen. Ein Antragsteller hat oft die Möglichkeit, durch Abstrahierung unter 280 Verzicht auf die konkrete Verletzungsform oder durch einen mehrere Angriffsflächen erfassenden verbalisierten Vorspann vor der konkreten Verletzungsform den Schutzumfang des angestrebten Verbotes so weit zu fassen, wie es ihm angemessen erscheint. Wählt er zur Risikominimierung eine enge Antragsfassung, darf es nicht die Sache des Aufhebungsrichters sein, sich Gedanken darüber zu machen, welche Modifizierungen den Antrag gegenüber der späteren Entwicklung krisenfester gemacht hätten. Erweiterungen oder Änderungen des Streitgegenstandes haben unter der Herrschaft des § 308 ZPO tabu zu sein. Es ist deshalb ausgeschlossen, eine unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr erlassene einstweilige Verfügung nach dem Erlöschen des darauf beruhenden Unterlassungsanspruchs durch einen neuen, auf eine Erstbegehungsgefahr gestützten Anspruch zu ersetzen, der aus einem anderen Lebenssachverhalt abgeleitet wird und infolgedessen einen anderen Streitgegenstand darstellt.779 Anders liegt es, wenn die dem Gericht unterbreiteten tatsächlichen oder rechtlichen Varian- 281 ten nur eine mehrfache Begründung für einen identischen Antrag darstellen.780 Wehrt sich der Gläubiger etwa dagegen, dass ein Konkurrent in einer nach § 7 UWG unzulässigen Weise telefonisch Akuise betreibt und führt er zur Begründung zwei Gespräche mit verschiedenen Kunden an, darf sich das Gericht darauf beschränken, zur Begründung des stattgebenden Beschlusses 775 OLG Saarbrücken 3.3.1971 – 1 U 170/69 – NJW 1971, 946; siehe auch BGH 16.6.1878 – V ZR 73/77 – NJW 1978, 2157; Spätgens/Chang-Herrmann UWG-Hdb. § 108 Rn. 11a; MünchKommZPO/Drescher § 927 Rn. 5; Zöller/Vollkommer § 927 Rn. 5. 776 Rn. 272 f. 777 OLG Frankfurt a. M. 27.2.1997 – 6 U 245/96 – GRUR 1997, 484, wo die fehlende Verkehrsfähigkeit eines Arzneimittels auf verschiedene Gründe gestützt worden war; wohl auch KG 24.1.1989 – 5 U 3165/87 – WRP 1990, 330, 332, das in dem Anspruch aus § 6e UWG a. F. einerseits und dem Irreführungstatbestand andererseits unterschiedliche Streitgegenstände gesehen (wie später BGH 5.4.1995 – I ZR 67/93 – GRUR 1995, 518, 519 – Versäumte Klagenhäufung) und angenommen hat, die Irreführung sei im Anordnungsverfahren vom Antrag nicht erfasst gewesen; Ahrens Kap. 60 Rn. 33; vgl. auch (referierend) Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 34a, der ebenso wie Ahrens annimmt, die soeben erwähnte Entscheidung des KG habe jeglichem Austausch der Begründung eine Absage erteilt; Berneke/ Schüttpelz Rn. 547; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 587; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 537; Schuschke/Walker § 927 Rn. 12; Stein/Jonas/Grunsky § 927 Rn. 6; MünchKommZPO/Drescher § 927 Rn. 5. 778 Was nach OLG Saarbrücken 3.3.1971 – 1 U 170/69 – NJW 1971, 946 das Auswechseln der Gründe für sich genommen rechtfertigt; dagegen mit Recht Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 34a; Melullis Rn. 273. 779 Vgl. BGH 23.9.2015 – I ZR 15/14 – GRUR 2016, 83 Tz. 41 – Amplidect/ampliteq; BGH 10.3.2016 – I ZR 183/15 – GRUR 2016, 1187 Tz. 20 – Stirnlampen; die vorherige st. Rspr., es handele sich ausnahmslos um unterschiedliche Streitgegenstände (BGH 26.1.2006 – I ZR 121/03 – GRUR 2006, 429 Tz. 22 – Schlank-Kapseln; BGH 30.4.2009 – I ZR 191/05 – GRUR 2009, 852 Tz. 58 – Elektronischer Zolltarif) wurde damit modifiziert. OLG Hamburg 31.1.2002 – 3 U 83/01 – Magazindienst 2002, 490, 492 hat die Wiederholungsgefahr durch Erstbegehungsgefahr ersetzt, als noch von notwendig verschiedenen Streitgegenständen gesprochen wurde. S. auch GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 259; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 34a bei Fn. 110. 780 Wie bei OLG Frankfurt a. M. 27.2.1997 – 6 U 245/96 – GRUR 1997, 484, wo die fehlende Verkehrsfähigkeit eines Arzneimittels auf verschiedene Gründe gestützt worden war. 957

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Einstweiliger Rechtsschutz, Veröffentlichungsbefugnis, Streitwertminderung

auf ein glaubhaft gemachtes Gespräch zu verweisen. Wird die Glaubhaftmachung mit dem Aufhebungsantrag erschüttert, weil der Schuldner vielleicht inzwischen von der Demenz des Zeugen erfahren hat, ist im Aufhebungsverfahren zu prüfen, ob das zweite Kundengespräch die Aufrechterhaltung des Verbots gestattet. Das wäre bereits im Verfügungsverfahren zu untersuchen gewesen, wenn die Schwächen der Glaubhaftmachung des anderen Kundengesprächs schon bekannt gewesen wären. 282 Genauso verhält es sich bei der Anspruchskonkurrenz. Ist für die Begründetheit des Verfügungsantrags sowohl die Irreführung der Verbraucher als auch der Rechtsbruchtatbestand des § 3a UWG in Verbindung mit Vorschriften des Personenbeförderungsgesetzes ins Feld geführt worden781 und hat das Gericht dem Antrag unter dem letztgenannten Aspekt entsprochen, so muss im Aufhebungsverfahren nach einer (hier im Beispiel unterstellten) Änderung des Personenbeförderungsgesetzes geprüft werden, ob der Antrag seinerzeit auch aus § 5 UWG Erfolg gehabt hätte.782 Zusätzlich ist freilich darauf zu schauen, ob der Verfügungsgrund immer noch zu bejahen ist.

6. Wirkung der Aufhebungsentscheidung 283 Da in der Regel lediglich geprüft wird, ob die einstweilige Verfügung durch später eingetretene Umstände ihre anfängliche Berechtigung verloren hat, hat die Aufhebung im Grundsatz keine rückwirkende Kraft. Sie wirkt ex nunc. Davon gibt es Ausnahmen, die teils unstreitig, teils streitig sind, und die sich auf die Kostenentscheidung auswirken.783 Die Aufhebung wirkt nach einhelliger Auffassung ex tunc, wenn die Klage zur Hauptsache rechtskräftig als von Anfang an unbegründet abgewiesen worden war,784 der Gläubiger die ihm nach § 926 Abs. 1 ZPO gesetzte Frist versäumt hat,785 oder die Anspruchsnorm, auf der der Verfügungsanspruch beruhte, nachträglich vom BVerfG für nichtig erklärt worden ist.786 Die h. M. bejaht das auch in den Fällen, in denen der Gläubiger die Vollziehungsfrist des 284 § 929 Abs. 2 ZPO hat verstreichen lassen.787 Die rückwirkende Aufhebung entspricht in der Tat der Interessenlage, falls der Gläubiger auf die Einhaltung der Frist keinen Wert mehr gelegt oder sie versehentlich hat verstreichen lassen. Es heißt aber das Kind mit dem Bade auszuschüt-

781 Vgl. den Fall BGH 24.11.2011 – I ZR 154/10 – WRP 2012, 817 – Mietwagenwerbung. 782 Soweit ersichtlich strukturell (nicht ausdrücklich das im Text gewählte Beispiel betreffend) allgemeine Meinung: BGH 16.6.1978 – V ZR 73/77 – NJW 1978, 2157; OLG Frankfurt a. M. 22.5.2014 – 6 U 24/14 – GRUR-RR 2014, 410, 412 – Ciclopoli; Berneke/Schüttpelz Rn. 547; Spätgens/Chang-Herrmann UWG-Hdb. § 108 Rn. 11a; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 587; MünchKommZPO/Drescher § 927 Rn. 5; Zöller/Vollkommer § 927 Rn. 5; Stein/Jonas/Grunsky § 927 Rn. 6; Schuschke/Walker § 927 Rn. 13. 783 Rn. 286. 784 BGH 1.4.1993 – I ZR 70/91 – BGHZ 122, 172, 178 f. = WRP 1993, 764, 766 – Verfügungskosten; MünchKommZPO/ Drescher § 927 Rn. 17; Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 162; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 34a. 785 OLG Hamm 15.3.1990 – 4 U 230/89 – NJW-RR 1990, 1214; Berneke/Schüttpelz Rn. 552; Spätgens/Chang-Herrmann UWG-Hdb. § 108 Rn. 14; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 38; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 599; Nordemann/ Götting/Kaiser § 12 Rn. 281; Schuschke/Walker § 927 Rn. 22; Stein/Jonas/Grunsky § 927 Rn. 16. 786 OLG Köln 8.2.1985 – 6 U 213/84 – GRUR 1985, 458, 460; KG 24.1.1989 – 5 U 3165/87 – WRP 1990, 330, 331; Ahrens Kap. 60 Rn. 9; Spätgens/Chang-Herrmann UWG-Hdb. § 108 Rn. 14; Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 162; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 38; Zöller/Vollkommer § 927 Rn. 12. 787 OLG Celle 10.1.1991 – 13 U 185/90 – WRP 1991, 586, 587; OLG Düsseldorf 1.12.1992 – 20 U 140/92 – WRP 1993, 327, 329 sowie I-20 U 181/14, 20 U 181/14 – WRP 2015, 764, 768 – Diamant-Trennscheiben; OLG Frankfurt a. M. 20.12.2001 – 6 U 79/01 – WRP 2002, 334; OLG Hamburg 6.6.1996 – 3 U 9/96 – GRUR 1997, 147, 148; OLG Hamm 5.9.1989 – 4 U 150/89 – GRUR 1989, 931, 932; OLG Karlsruhe 21.8.1995 – 6 W 27/95 – WRP 1996, 120, 121; OLG Köln 24.6.1983 – 6 U 252/82 – WRP 1983, 702, 703; OLG Koblenz 24.1.1989 – 5 U 3165/87 – WRP 1990, 330, 333; Ulrich WRP 1996, 84, 86; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 38; Büscher/Schmidt § 12 Rn. 499; Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 162. Schwippert

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ten, wenn man deshalb mit einer Mindermeinung788 generell von einer ex nunc Wirkung ausgehen wollte. Der Gläubiger sieht nämlich in seinem eigenen wohlverstandenen Interesse von einer Vollziehung der Verfügung ab, wenn bereits vorher (z. B. qua Unterwerfungserklärung) ein Umstand eingetreten ist, der den Schuldner zu einem Aufhebungsantrag mit ex nunc Wirkung berechtigt. Es wäre unsinnig, den Gläubiger zur Vollziehung der Verfügung zu nötigen mit dem alleinigen Nutzen, bei dem zu erwartenden Aufhebungsverfahren der Rückwirkung zu entgehen. In der Kollisionslage mit früher entstandenen ex nunc wirkenden Aufhebungsgründen sollte es daher trotz einer auf § 929 Abs. 2 gestützten Aufhebung bei einer Wirkung für die Zukunft bleiben.789 Von einer Rückwirkung sollte aber ausgegangen werden, wenn die Aufhebung auf einer zwischenzeitlichen Klärung einer Rechtsfrage durch die höchstrichterliche Rechtsprechung beruht.790 Die Parteien haben in allen Verfahren das Risiko zu tragen, dass bei Prozessbeginn offene Rechtsfragen vor Verfahrensende zu ihren Ungunsten geklärt worden sind. Ein weiterer, zuvor nicht diskutierter Grund für eine rückwirkende Aufhebung ist durch 285 eine Entscheidung des LG Hamburg ins Spiel gebracht worden. Er besteht in der rechtskräftigen Löschung der Marke, die den Verfügungsanspruch hergegeben hat, wegen eines von Anfang an bestehenden Eintragungshindernisses.791

7. Kostenentscheidung Die Kostenentscheidung bezieht sich im Regelfall allein auf die Kosten, die durch das Verfahren 286 nach § 927 ZPO entstanden sind.792 Das gilt auch dann, wenn in dem Urteil die im Verfügungsverfahren ergangene Anordnung aufgehoben wird. Die Kostenentscheidung bleibt unangetastet, weil die ursprüngliche Rechtmäßigkeit der erlassenen Verfügung nicht Gegenstand des Aufhebungsverfahrens war. Das ist (nur) in den soeben erörterten Fällen anders, in denen die Anordnung mit rückwirkender Kraft aufgehoben wird.793 Alsdann ist auch der Kostenausspruch des Verfügungsverfahrens zulasten des Gläubigers abzuändern.794 Es gelten die Bestimmungen der §§ 91–93 ZPO. Es ist eine Obliegenheit des Schuldners, den Gläubiger vor der Einreichung des Aufhebungsantrages zum Verzicht auf die Rechte aus der einstweiligen Verfügung und zur Herausgabe des Titels aufzufordern. In den besagten Fällen, bei denen die Aufhebung der im Verfügungsverfahren getroffenen Anordnung wegen ihrer ex– tunc–Wirkung auch mit einer Korrektur der Kostenentscheidung verbunden ist, hat sich die Aufforderung des Schuldners auch auf einen Verzicht des Gläubigers auf diese Kostenentscheidung zu erstrecken; unterbleibt das, kann der Gläubiger (der Antragsgegner des Aufhebungsan788 OLG München 4.4.1986 – 21 U 5833/85 – NJW-RR 1986, 998, 999 f.; OLG München 3.5.1996 – 21 U 2177/96 – WRP 1996, 1052 mit schwer nachvollziehbarer Begründung; Ahrens WRP 1999, 1 f.; Ahrens Kap. 60 Rn. 12–14 mit unrichtiger Berufung auf OLG Köln 18.12.1985 – 6 U 144/85 – WRP 1986, 353 in Fn. 20; Schuschke/Walker § 927 Rn. 22; Zöller/Vollkommer § 927 Rn. 12. 789 Zutreffend die Überlegungen in OLG Karlsruhe 21.8.1995 – 6 W 27/95 – WRP 1996, 120, 121; dem zustimmend Berneke/Schüttpelz Rn. 552; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 38. 790 Berneke/Schüttpelz Rn. 552; Spätgens/Chang-Herrmann UWG-Hdb. § 101 Rn. 14; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 597; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 40; a. A. KG 24.1.1989 – 5 U 3156/87 – WRP 1990, 330, 333; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.58; Zöller/Vollkommer § 927 ZPO Rn. 14. 791 LG Hamburg 25.10.2012 – 327 O 9/06 – Magazindienst 2013, 73, 78. 792 Allgemeine Meinung: BGH 21.4.1988 – I ZR 129/86 – GRUR 1988, 787, 788; Hess in: juris-PK-UWG § 12 Rn. 222; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.58; GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 278; MünchKommZPO/Drescher § 927 Rn. 16; Zöller/Vollkommer § 927 Rn. 12, alle mit weiteren Nachweisen. 793 Vgl. Rn. 283, 284. 794 Allgemeine Meinung: Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 38; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 594; Spätgens/ChangHerrmann UWG-Hdb. § 108 Rn. 14; Ahrens Kap. 60 Rn. 37 mit umfangreichen Nachweisen zur obergerichtlichen Rechtsprechung in Fn. 65; Berneke/Schüttpelz Rn. 552; FBO/Büscher § 12 Rn. 151; Hess in: juris-PK-UWG § 12 Rn. 223; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 539; MünchKommZPO/Drescher § 927 Rn. 16. 959

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trags) mit einem umgehenden Anerkenntnis erreichen, dass die Kosten des Aufhebungsverfahrens dem Schuldner angelastet werden. 287 In der Erstauflage hat Schultz-Süchting die Ansicht vertreten,795 die Ausnahmevorschrift des § 93 ZPO werde überspannt, wenn auch nach eingetretener Verjährung, mangelnder Vollziehung gemäß § 929 Abs. 2 ZPO oder rechtskräftiger Entscheidung im Hauptsacheverfahren der Schuldner gehalten wäre, entsprechende Erklärungen des Gläubigers vor der Stellung des Aufhebungsantrags einzufordern. Die Anwendung des § 93 ZPO sei nur gerechtfertigt, falls der Schuldner wie bei einer Unterwerfungserklärung die Ursache für einen erfolgreichen Aufhebungsantrag selbst gesetzt habe. Diese zusätzliche Differenzierung – die wie alle Verästelungen das Recht komplizierter macht – sollte nicht weiterverfolgt werden. Eine Anfrage des seit dem Verfügungsverfahren ohnehin anwaltlich vertretenen Schuldners bei dem Gläubiger ist auch in diesen Fällen vor Einleitung des Aufhebungsverfahrens zumutbar.

8. Vollstreckbarkeit des Aufhebungsurteils 288 Das Urteil, das die einstweilige Verfügung aufhebt, ist nach § 708 Nr. 6 ZPO ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Mit Verkündung der Entscheidung kann aus der einstweiligen Verfügung nicht mehr vollstreckt werden.796 Die Aufhebung von in der Vergangenheit getroffenen Vollstreckungsmaßnahmen setzt die Rechtskraft des Urteils voraus.797 Wird bei einer Verbindung von Widerspruchsverfahren und Aufhebungsantrag der Verfügungsbeschluss wegen des begründeten Widerspruchs aufgehoben, verbleibt es allerdings bei der damit verbundenen Rückwirkung.798 § 924 Abs. 3 S. 2 ZPO ist entsprechend anwendbar, wenn der Erfolg des Aufhebungsantrages absehbar ist.799

VIII. Das Abschlussschreiben 1. Grund des Abschlussschreibens 289 Der in einem einstweiligen Verfügungsverfahren erstrittene Titel bleibt selbst nach dessen formell rechtskräftigem Abschluss eine fragile Errungenschaft. In sechs Monaten setzt sich der Lauf der Verjährungsfrist fort (§ 204 Abs. 2 S. 1 BGB). Der Titel kann über §§ 926, 927 ZPO angegriffen werden. Die Erkenntnisse aus dem Verfügungsverfahren können andererseits den Schuldner, der die Abmahnung noch kampfeslustig zurückgewiesen hat, zu einer pessimistischeren Sicht der eigenen forensischen Chancen veranlasst haben, so dass seine Kompromissbereitschaft erheblich gestiegen ist. Es herrscht ein Interimszustand, mit dem auf Dauer beide Parteien nicht zufrieden sein können. Mit dem Abschlussschreiben des Gläubigers und der Abschlusserklärung des Schuldners hat die wettbewerbsrechtliche Praxis probate Mittel gefunden, 795 GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 283 mit nicht zutreffenden Belegen in Fn. 808: Die dort angeführten Entscheidungen OLG Koblenz 14.11.1985 – 6 U 1104/85 – WRP 1986, 298 und OLG Hamburg 24.11.1988 – 3 U 106/88 – WRP 1989, 403 behandeln jeweils nur die Folgen der Verjährungseinrede im laufenden Verfügungsverfahren. 796 Allgemeine Meinung, siehe Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.57; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 602; Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 163; FBO/Büscher § 12 Rn. 150; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 41; Wieczorek/Schütze/Thümmel § 927 Rn. 16. 797 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3. 57; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 538; Schuschke/Walker § 927 Rn. 24. 798 MünchKommZPO/Drescher § 927 Rn. 18; Zöller/Vollkommer § 927 Rn. 14; Stein/Jonas/Grunsky § 927 Rn. 18; Schuschke/Walker § 927 Rn. 25. 799 Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 602; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 538; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.57; Teplitzky/Feddersen Kap. 56 Rn. 41. Schwippert

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VIII. Das Abschlussschreiben. A. Einstw. Verf., Abschlusserklärung u. -schreiben

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den Streit der Parteien ohne ein weiteres Gerichtsverfahren einer abschließenden Klärung zuzuführen, wo immer beiden Seiten daran gelegen ist. Das Abschlussschreiben weist etliche Parallelen zu dem Institut der Abmahnung auf.800 Es 290 ist wiederum ein (letztes) Mittel des Gläubigers herauszufinden, ob sich die Inanspruchnahme der Gerichte vermeiden lässt. Es ist ebenfalls keine Zulässigkeitsvoraussetzung für ein nachfolgendes Gerichtsverfahren;801 ohne diese vorherige Kontaktaufnahme droht aber über § 93 ZPO eine trotz Erfolges in der Sache ungünstige Kostenentscheidung.802 Seine Absendung empfiehlt sich insbesondere, wenn der Schuldner noch nicht von seinem nicht an eine Frist gebundene Widerspruchsrecht Gebrauch gemacht hat, damit der bestehende Schwebezustand ein Ende findet. Nach dem formell rechtskräftigen Abschluss des Verfügungsverfahrens ist ein zeitnahes Abschlussschreiben die Regel und sollte spätestens dann versandt werden, wenn demnächst der Eintritt der Verjährung des titulierten Unterlassungsanspruchs droht. Die Sinnhaftigkeit des Schreibens drängt sich weniger auf, solange nach einem für den Gläubiger erfolgreichen erstinstanzlichen Urteil noch die Berufungsfrist läuft. Die Rechtsprechung hält das Abschlussschreiben aber auch in diesem Stadium nach einer kurzen Wartefrist für legitim.803

2. Notwendiger Inhalt Mit dem Abschlussschreiben verlangt der Gläubiger von dem Schuldner, Erklärungen abzuge- 291 ben, mit denen dafür Sorge getragen wird, dass der Titel aus dem Verfügungsverfahren in seiner Bestandskraft einem Titel aus dem Hauptsacheverfahren gleichgestellt wird. Eine menschenfreundliche höfliche Bitte genügt dazu ebenso wenig wie bei der Abmahnung. Es ist vielmehr eine Fristsetzung zur Abgabe der Abschlusserklärung erforderlich804 mit der mindestens konkludenten Drohung,805 nach deren ergebnislosem Ablauf ein Gericht anzurufen.806 Auf der Verwendung bestimmter Vokabeln ist nicht zu bestehen. Der Text ist aber insgesamt so zu formulieren, dass der Schuldner die Warnung nicht missverstehen kann. Wie bei der Abmahnung in Bezug auf die Unterwerfungserklärung kann – es ist eine bloße Option – mit dem Abschlussschreiben ein Vorschlag für den Wortlaut der Abschlusserklärung unterbreitet werden.807 Dem mit dieser Vorgehensweise bei der Abmahnung verbundenen Vorzug, mit einem vom Schuldner 800 Ahrens Kap. 58 Rn. 41; Berneke/Schüttpelz Rn. 621; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 652; Hess in: juris-PK § 12 Rn. 178; Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 182; a. A. Spehl, Abschlussschreiben und Abschlusserklärung im Wettbewerbsverfahrensrecht, 1987, S. 43 ff.; gegen ihn zutreffend Teplitzky WRP 1989, 349, 351. 801 Allgemeine Meinung, siehe nur Spätgens/Chang-Herrmann UWG-Hdb. § 111 Rn. 2; Teplitzky/Bacher Kap. 43 Rn. 27; Schuschke/Walker/Kessen Anhang zu § 935 Rn. D 13. 802 BGH 22.1.2015 – I ZR 59/14 – GRUR 2015, 822 Tz. 16 – Kosten des Abschlussschreibens II; OLG Celle 15.6.2000 – 13 U 122/93 – GRUR-RR 2001, 200 (Ls.) – Brennwertkessel; OLG Frankfurt a. M. 13.3.2003 – 6 U 3/02 – GRUR-RR 2003, 274, 278 f.; Ahrens Kap. 58 Rn. 39; Hess in: juris-PK-UWG Rn. 178; Teplitzky/Bacher Kap. 43 Rn. 27. 803 Vgl. BGH 22.1.2015 – I ZR 59/14 – GRUR 2015, 822 Tz. 2 f. – Kosten für Abschlussschreiben II; s. unten Rn. 294. 804 H. M.: Ahrens Kap. 60 Rn. 44; Berneke/Schüttpelz Rn. 645; Spätgens/Chang-Herrmann UWG-Hdb. § 111 Rn. 3; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.71; FBO/Büscher § 12 Rn. 178; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 654; Hess in: iurisPK Rn. 180; Schuschke/Walker/Kessen Anhang zu § 935 Rn. D 17; a. A. OLG Zweibrücken 4.4.2002 – 4 W 23/ 02 – GRUR-RR 2002, 344 – Abschlussschreiben; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 514; Teplitzky/Bacher Kap. 43 Rn. 22 („sollte eine Frist enthalten“). 805 Zutreffend Schuschke/Walker/Kessen Anhang zu § 935 Rn. D 16. 806 Die Androhung verlangen: Spehl S. 77 ff.; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 656; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.71; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 548; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 513; Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 184; Teplitzky/Bacher Kap. 43 Rn. 24; Spätgens/Chang-Herrmann § 111 Rn. 4. Die Androhung halten für verzichtbar, weil sie sich nach den Begleitumständen (immer?) von selbst verstehe: FBO/Büscher § 12 Rn. 178; Berneke/Schüttpelz Rn. 645. 807 Berneke/Schüttpelz Rn. 645; Schuschke/Walker/Kessen Anhang zu § 935 Rn. D 16. 961

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geforderten Vollmachtsnachweis besser zurechtzukommen,808 kann das Abschlussschreiben in aller Regel nicht haben, weil seit dem Verfügungsverfahren die Bevollmächtigung geklärt ist.

3. Eventuelle Begründungspflicht 292 Eine Begründung für das an den Schuldner gerichtete Ansinnen braucht das Abschlussschreiben nicht zu enthalten.809 Im Schrifttum wird allerdings teilweise für möglich gehalten, dass einem ersichtlich unerfahrenen, nicht anwaltlich beratenen Antragsgegner erläutert werden müsse, warum der Gläubiger mit dem bisher erreichten Zustand noch nicht zufrieden sein könne und eine endgültige Absicherung benötige.810 Das ist übertrieben. Der Schuldner, der das Selbstvertrauen besitzt, sich im amtsgerichtlichen Eilverfahren selbst zu vertreten, einen Titel gegen sich hat und ein Abschlussschreiben, dessen Sinn er nicht versteht, ignoriert, ohne sich spätestens jetzt um anwaltliche Hilfe zu kümmern, hat bei der nachfolgenden Klage eine fürsorgende Behandlung mit Hilfe des § 93 ZPO nicht verdient. Dass hinzugefügte Erläuterungen ein vernünftiges taktisches Mittel sein können, um den unkundigen Schuldner zum Einlenken zu bewegen oder überraschenden Entwicklungen einer in dieser Frage bislang nicht existierenden Rechtsprechung vorzubeugen, ist ein anderes Thema.811

4. Form und Zeitpunkt des Abschlussschreibens 293 Das Abschlussschreiben ist an keine Form gebunden, kann auch per Mail oder Fax verschickt und könnte entgegen seinem Namen auch mündlich verfasst werden:812 was wegen der dann entstehenden Beweisschwierigkeiten aber niemand macht. Das Abschlussschreiben setzt voraus, dass der Gläubiger über einen im Verfügungsverfah294 ren erstrittenen vollstreckbaren Titel verfügt. Es obliegt ihm, zunächst eine mit der Zustellung des Titels an den Schuldner beginnende Wartefrist einzuhalten. Dem Schuldner ist eine Überlegungszeit einzuräumen, in der er sich klar werden kann, ob es sich lohnt, weiter zu kämpfen. In einer frisch etablierten höchstrichterlichen Rechtsprechung wird diese Wartefrist nach einer Beschlussverfügung nicht anders als nach einer Urteilsverfügung813 regelmäßig mit mindestens zwei Wochen bemessen814 und soll drei Wochen im Regelfall nicht überschreiten.815 Sie beginnt jeweils erst mit der Zustellung des Verfügungsbeschlusses respektive des erst- oder zweitinstanzlichen Urteils zu laufen, nicht bereits jeweils mit der Verkündung der Entscheidung.816 Trifft das Schreiben vor Ablauf der Wartefrist bei dem Schuldner ein, entfällt ein Anspruch des Gläubigers auf Erstattung der ihm dadurch entstandenen Aufwendungen.817

808 Vgl. BGH 19.5.2010 – I ZR 140/08 – GRUR 2010, 1120 – Vollmachtsnachweis. 809 Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 184; Berneke/Schüttpelz Rn. 645. 810 Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 655; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 546 mit Fn. 817; Teplitzky/Bacher Kap. 43 Rn. 20 (mit der Einschränkung „allenfalls“); unklar Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.71 („Begründung kann (im Hinblick auf § 93 ZPO) zweckmäßig sein, ist aber nicht notwendig“). 811 Vgl. Teplitzky/Bacher Kap. 43 Rn. 21; Schuschke/Walker/Kessen Anhang zu § 935 Rn. D 16. 812 Vgl. statt aller Teplitzky/Bacher Kap. 43 Rn. 26; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 653; Schuschke/Walker/Kessen Anhang zu § 935 Rn. D 18. B. 813 Kritisch zu dieser Gleichstellung Schwippert WRP 2020, 1237 Rn. 21–25. 814 BGH 22.1.2015 – I ZR 59/14 – GRUR 2015, 822 Tz. 21 – Kosten für Abschlussschreiben II; BGH 30.3.2017 – I ZR 261/15 – GRUR 2017, 1160 Tz. 57 – BretarisGenuair. 815 BGH 22.1.2015 – I ZR 59/14 – GRUR 2015, 822 Tz. 22. 816 BGH 22.1.2015 – I ZR 59/14 – GRUR 2015, 822 Tz. 20; BGH 30.3.2017 – I ZR 261/15 – GRUR 2017, 1160 Tz. 56. 817 BGH 22.1.2015 – I ZR 59/14 – GRUR 2015, 822 Tz. 15, 17; BGH 30.3.2017 – I ZR 261/15 – GRUR 2017, 1160 Tz. 53. Schwippert

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VIII. Das Abschlussschreiben. A. Einstw. Verf., Abschlusserklärung u. -schreiben

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Seine eigentliche Funktion, im Hauptverfahren sonst aus § 93 ZPO drohende Kostennachteile zu vermeiden, kann ein verfrühtes Abschlussschreiben aber dennoch erfüllen, sofern nicht auch die Klage zu rasch erhoben wird.

5. Bemessung der Frist zur Beantwortung Die von dem Gläubiger gesetzte Frist (sog. Erklärungsfrist) ist so zu bemessen, dass sie dem 295 Schuldner einen vernünftigen zeitlichen Rahmen für die von ihm verlangte Entscheidung einräumt. Eine zu kurz bemessene Frist setzt wie auch sonst die angemessene Frist in Lauf.818 Welche Frist im Einzelfall angemessen ist, hängt von dem Gewicht der im Spiel befindlichen tatsächlichen und rechtlichen Fragen, der ökonomischen Tragweite der Entscheidung für den Schuldner und vor allem von dem Umstand ab, wie viel Zeit der Gläubiger nach der Beendigung des Verfahrens bis zum Abschlussschreiben hat verstreichen lassen.819 Auch kurz vor Eintritt der Verjährung820 sollte das Tempo aber nicht beliebig erhöht werden dürfen; denn der Gläubiger trägt selbst die Verantwortung, wenn er erst kurz vor dem Abgrund aufgewacht ist. Nach einem erstinstanzlichen Urteil muss dem Schuldner insgesamt ein der Berufungsfrist entsprechender Zeitraum zur Verfügung stehen für seine Entscheidung, ob er den Unterlassungsanspruch endgültig anerkennen will.821 Diese aus der Addition von Wartefrist und Erklärungsfrist errechnete Mindestzeit darf aber nicht verabsolutiert werden. Hat sich der Gläubiger mit der Versendung des Abschlussschreibens über die Wartefrist hinaus Zeit gelassen, so kann er die Erklärungsfrist jetzt nicht automatisch auf wenige Tage beschränken mit der Erwägung, alsdann sei die Berufungsfrist abgelaufen. Vielmehr werden dem Schuldner regelmäßig für seine Erklärung zwei Wochen Zeit eingeräumt werden müssen.822 Nach einem Verfügungsbeschluss laufen keine Berufungsfristen. Dennoch sollte auch hier die Regel gelten, dass dem Schuldner insgesamt mindestens ein Monat zur Verfügung stehen muss, um sich abschließend entscheiden zu können; das ist jedenfalls dann zwingend geboten, wenn er sich in dieser Zeit erstmals anwaltlichen Rat einholen muss. Hat der Gläubiger einen Verfügungsbeschluss ohne vorherige Abmahnung erwirkt und dessen erfolgreiche Zustellung nur wenige Tage abgewartet, um das Abschlussschreiben folgen zu lassen, wird die Länge der Erklärungsfrist besonders sorgfältig zu prüfen und im Zweifel deutlich heraufzusetzen sein. Eine pauschale Festlegung der Frist dürfte mehr Schaden als Nutzen stiften. Wird die einstweilige Verfügung am Ende der mündlichen Verhandlung des Berufungsverfahrens erlassen, muss dem Schuldner genügend Zeit zur Überlegung bleiben, nachdem er die schriftliche Begründung zur Verfügung gestellt bekommen hat.823 Zwei Wochen werden wieder regelmäßig ausreichen. 818 BGH 22.1.2015 – I ZR 59/14 – GRUR 2015, 822 Tz. 25; KG 3.10.1986 – 5 W 3318/86 – NJW-RR 1987, 814; KG 15.7.1977 – 5 W 1233/77 – WRP 1978, 451; Berneke/Schüttpelz Rn. 352; FBO/Büscher § 12 Rn. 179; Ahrens Kap. 58 Rn. 37; Schuschke/Walker/Kessen Anhang zu § 935 Rn. D 18. 819 Vgl. das besonders sorgfältig begründete Urteil des OLG Hamburg 6.2.2014 – 3 U 1 19/13 – WRP 2014, 483; Teplitzky/Bacher Kap. 43 Rn. 23. 820 Siehe dazu GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 306; Melullis Rn. 750 (weniger als zwei Wochen); Schuschke/ Walker/Kessen Anhang zu § 935 Rn. D 17. 821 BGH 22.1.2015 – I ZR 59/14 – GRUR 2015, 822 Tz. 18; davor schon h. M.: OLG Celle 20.3.1996 – 13 U 185/95 – WRP 1996, 757; KG 21.5.1985 – 7 W 783/85 – WRP 1986, 87, 89; OLG München 2.3.1998 – 6 W 3213/97 – NJWE-WettbR 1998, 255; Ahrens Kap. 58 Rn. 44; Schuschke/Walker/Kessen Anhang zu § 935 Rn. D 17; Spätgens UWG-Hdb. 4. Aufl. § 111 Rn. 2; FBO/Büscher § 12 Rn. 179; Steinmetz S. 116. 822 OLG Köln 20.10.1986 – 6 W 62/86 – WRP 1987, 188; OLG Hamburg 6.2.2014 – 3 U 119/13 – WRP 2014, 483 Tz. 37 f., 47 f.; Berneke/Schüttpelz Rn. 647; FBO/Büscher § 12 Rn. 152; Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 183; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 12 Rn. 3.71; Teplitzky/Bacher Kap. 43 Rn. 23; Melullis Rn. 750. 823 Vgl. OLG Frankfurt a. M. 12.9.2005 – 6 W 122/05 – GRUR-RR 2006, 111, 112 – Aufforderung zur Abschlusserklärung. 963

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6. Formulierungsvorschlag für die Abschlusserklärung 296 Entschließt sich der Gläubiger, sein Abschlussschreiben mit einem ausformulierten Vorschlag für die Abschlusserklärung des Schuldners zu verbinden, können verschiedene Fragen auftauchen. Die geforderte Erklärung kann über das Ziel hinausschießen, indem sie den Gläubiger besser stellt als er stehen würde, wenn er im Besitz eines rechtskräftigen Titels aus dem Hauptsacheverfahren wäre: etwa weil nach seinen Vorstellungen die Abschlusserklärung auch einen uneingeschränkten Verzicht auf die Rechte aus § 767 Abs. 1 ZPO beinhalten sollte. Daraus entstehen keine Probleme, sofern der Schuldner den überschießenden Passus streicht. Es handelt sich alsdann um eine einwandfreie Abschlusserklärung, die eine nachfolgende Klage unzulässig macht. Gibt der Schuldner hingegen die von ihm geforderte zu weit gehende Erklärung unnötigerweise ab, würde einer dennoch erhobenen Klage wiederum das Rechtsschutzinteresse fehlen und sich in der Folgezeit nur das andere Problem stellen können, ob auf die Rechte aus § 767 Abs. 1 ZPO vorab verzichtet werden kann.824 Der Schuldner wäre hingegen schlecht beraten, wenn er in der Erkenntnis, die Forderungen des Gläubigers gingen zu weit, das Abschlussschreiben einfach ignorieren würde. Er ist unterrichtet worden, dass nach Ablauf der ihm mitgeteilten Frist die Klagerhebung zu erwarten ist, und er hat sich den § 93 ZPO verscherzt,825 als er gemeint hat, die Angelegenheit reaktionslos aussitzen zu dürfen. Es ist seine Aufgabe, die Abschlusserklärung zutreffend zu formulieren.826 Denkbar ist auch die gegenteilige Variante, dass die vom Gläubiger verfasste Erklärung 297 hinter dem Standard zurückbleibt, indem sie beispielsweise an den Verzicht auf den Rechtsbehelf des § 926 Abs. 1 ZPO gedacht, § 927 Abs. 1 ZPO aber außer acht gelassen hat.827 Das hindert den Schuldner selbstredend nicht, eine eigene handwerksgerechte Erklärung abzugeben. Übernimmt er hingegen den vorgeschlagenen Text, stellen sich schwierige Auslegungsfragen. Der Gläubiger wird an sein (konkludentes) Versprechen, nach Abgabe der von ihm geforderten Erklärung keine Klage zu erheben, zunächst gebunden sein. Es wäre aber unbillig, ihm bis zum Eintritt der Verjährung jede Klageerhebung zu verwehren und dem Schuldner mit der dann erhobenen Einrede wieder die Aufhebungsklage zu ermöglichen. Die Absprache der Parteien wird je nach den Begleitumständen dahin zu verstehen sein, dass entweder der Schuldner konkludent auf die Einrede der Verjährung verzichtet hat oder bei bevorstehender Verjährung der Gläubiger berechtigt ist, den Verzicht auf die Einrede nachträglich noch einzufordern und andernfalls Klage erheben zu können.828 In der veröffentlichten Rechtsprechung ist diese Problematik, soweit ersichtlich, bisher nicht behandelt worden.

7. Notwendigkeit des Abschlussschreibens zur Vermeidung des § 93 ZPO 298 In Rechtsprechung und Schrifttum wird einhellig die Auffassung vertreten, dass der Schuldner, der sich gegen den gerade vom Gläubiger erkämpften Titel mit einem Widerspruch oder einer Berufung zur Wehr gesetzt hat, damit gleichzeitig deutlich gemacht habe, dass er den Titel (derzeit noch) nicht akzeptiere.829 Bei dieser Argumentationslinie versteht es sich von selbst, dass der Schuldner keine weitere Warnung in Form eines Abschlussschreibens benötigt, nach824 Vgl. dazu Rn. 315. 825 OLG Köln 22.10.1999 – 6 U 88/99 – WRP 2000, 226, 230; Teplitzky/Bacher Kap. 43 Rn. 19; Harte/Henning/ Retzer § 12 Rn. 654. 826 BGH 30.3.2017 – I ZR 263/15 – GRUR 2017, 1160 Tz. 60 – BretarisGenuair. 827 Vgl. das in BGH 2.3.1973 – I ZR 5/72 – WRP 1973, 263 – Goldene Armbänder wiedergegebene Abschlussschreiben. 828 Zur Problematik modifizierender Erklärungen ausführlich GK-UWG/Schultz-Süchting¹ Rn. 297–305. 829 KG 19.12.1980 – 5 W 4962/80 – WRP 1981, 583, 584; OLG Hamburg 20.3.1989 – 3 W 14/89 – GRUR 1989, 458 (Ls.); OLG Hamm 4.2.1991 – 4 W 138/90 – WRP 1991, 496, 497; OLG Köln 20.10.1986 – 6 W 62/86 – WRP 1987, 188; Schwippert

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dem er den Antrag gestellt hat, dem Gläubiger eine Frist zur Klageerhebung (§ 926 Abs. 1 ZPO) zu setzen830 oder eine negative Feststellungsklage erhoben hat.831 Diese Gegenmaßnahmen des Schuldners setzten somit den Gläubiger in den Stand, nach seiner eigenen Einschätzung die Klage zur Hauptsache erheben zu können, ohne das Kostenrisiko des § 93 ZPO befürchten zu müssen. Hat der Gläubiger ein für ihn erfolgreiches erstinstanzliches Urteil erstritten, obliegt es ihm 299 ebenfalls – will er denn Kostennachteile nach § 93 ZPO vermeiden – vor Erhebung der Hauptsacheklage bei dem Schuldner mittels eines Abschlussschreibens nachzufragen, ob er sich gegen den titulierten Anspruch zur Wehr setzen wolle. Die mündliche Verhandlung und die schriftliche Urteilsbegründung können seine Bereitschaft zum Widerstand beendet haben.832 Ob nach einer – vielleicht nicht mit einer Begründung versehenen – Beschlussverfügung entsprechendes gilt, mag nicht so evident sein. Indessen wird die forensische Praxis davon ausgehen müssen, nachdem der BGH die einzuhaltenden Warte- und Erklärungsfristen denen nach einem erstinstanzlichen Urteil gleichgestellt hat.833 Auf Seiten des Gläubigers wird indessen sorgfältig zu prüfen sein, ob ein Abschlussschreiben 300 während der laufenden Berufungsfrist sinnvoll ist. Da zur Vermeidung einer Kostenfolge aus § 93 ZPO vor Erhebung der Hauptsacheklage der Ablauf der Berufungsfrist ohnehin abzuwarten ist,834 ist nur ein geringer zeitlicher Vorteil gewonnen, wenn der Schuldner das erstinstanzliche Urteil nicht angreift. Alsdann kann nach vorherigem Abschlussschreiben die Hauptsacheklage sogleich erhoben werden. Ob die Zeitersparnis weniger Wochen das einzukalkulierende Risiko, die Kosten des Abschlussschreibens am Ende selbst tragen zu müssen, weil die Gerichte den geltend gemachten Anspruch schließlich für nicht begründet erachten, übersteigt, bleibt der anwaltlichen Beratung im Einzelfall überlassen.

8. Erfordernis eines zweiten Abschlussschreibens Die herrschende Meinung im Schrifttum,835 der auch die Rechtsprechung836 anscheinend über- 301 wiegend folgt, verlangt grundsätzlich ein zweites Abschlussschreiben, sofern das erste Abschlussschreiben unmittelbar nach Erwirkung des Verfügungsbeschlusses ergebnislos geblieben ist. Häufig bestimme der Umstand, dass die erstmals im Widerspruchsverfahren vorgebrachte Rechtsverteidigung ohne Erfolg geblieben sei oder dass nach dem erstinstanzlichen Gericht auch das Berufungsgericht den Verfügungsantrag für begründet erachtet habe, den Antragsgeg-

Berneke/Schüttpelz Rn. 638, 640; FBO/Büscher § 12 Rn. 174; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 658; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 12 Rn. 3.70; Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 182; Teplitzky/Bacher Kap. 43 Rn. 28; Büscher/Dittmer/Schiwy vor § 12 UWG Rn. 166; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 523 (bei eingelegtem Widerspruch); Schuschke/Walker/Kessen Anhang zu § 935 Rn. D 19. 830 Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 658; FBO/Büscher § 12 Rn. 174; Teplitzky/Bacher Kap. 43 Rn. 29. 831 OLG München 7.6.2001 – 29 U 2003/01 – OLGR 2001, 283; Schuschke/Walker/Kessen Anhang zu § 935 Rn. D 19. 832 BGH 22.1.2015 – I ZR 59/14 – GRUR 2015, 822 Tz. 16 – Kosten für Abschlussschreiben II; FBO/Büscher § 12 Rn. 182; juris-PK-UWG/Hess § 12 UWG Rn. 178. 833 BGH 30.3.2017 – I ZR 261/15 – GRUR 2017, 1160 Tz. 57 – BretarisGenuair. 834 Rn. 294, 295. 835 Berneke/Schüttpelz Rn. 641; FBO/Büscher § 12 Rn. 175; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 659; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 524; Hess in: juris-PK-UWG § 12 Rn. 179; Melullis Rn. 753; Teplitzky/Bacher Kap. 43 Rn. 28; Schuschke/ Walker/Kessen Anhang zu § 935 Rn. D 19; a. A. GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 290 mit Fn. 824. 836 OLG Düsseldorf 1.8.1990 – 2 W 36/90 – WRP 1991, 479; OLG Frankfurt a. M. 12.9.2005 – 6 W 122/05 – GRURRR 2006, 111, 112 – Aufforderung zur Abschlusserklärung; weitere Nachweise zu nicht veröffentlichter Rechtsprechung bei Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 659 in Fn. 1517; a. A. ausdrücklich KG 21.6.1983 – 5 W 1735/83 – WRP 1984, 545. 965

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ner, die Eilmaßnahme nunmehr doch als endgültige Regelung hinzunehmen.837 Das ist eine zutreffende Beobachtung; sie erklärt aber nicht, warum der Gläubiger nach der Abmahnung und einem Abschlussschreiben gehalten sein soll, bereits zum dritten Mal beim Schuldner vorstellig zu werden, um einen etwaigen Gesinnungswandel zu erforschen. Richtiger wäre es auch in dieser Fallkonstellation, die Obliegenheiten beim Schuldner zu suchen und ihm anzusinnen, innerhalb einer angemessenen Überlegungsfrist nach Erhalt der schriftlichen Urteilsbegründung dem Gläubiger mitzuteilen, dass er jetzt zu einer Abschlusserklärung bereit sei. Zwei obergerichtliche Entscheidungen,838 die für die herrschende Meinung ins Feld geführt werden und dieser Einschätzung durch die Formulierung von Leitsätzen auch nachgekommen sind, haben denn auch in ihren Entscheidungsgründen entscheidend nicht auf die Notwendigkeit eines zweiten Abschlussschreibens, sondern darauf abgestellt, dass die Klage erhoben wurde, ohne eine Erklärung des Schuldners innerhalb einer kurzen Überlegungsfrist nach Zustellung der Urteilsgründe abzuwarten. In einer weiteren Referenzentscheidung der h. M. wurde die Klage vor Ablauf der Berufungsfrist im Verfügungsverfahren erhoben.839 Erst recht sollte ein weiteres Abschlussschreiben nicht für erforderlich gehalten werden, 302 wenn der schon vorher kontaktierte Schuldner seinen Widerspruch840 oder die Berufung841 kommentarlos zurücknimmt, oder nach einem erfolglosen, während des Berufungsverfahrens abgesandten Abschlussschreiben später die Berufung zurückgewiesen wird.842

9. Darlegungs- und Beweislast für Zugang des Abschlussschreibens 303 Bestreitet der Schuldner im nachfolgenden Hauptsacheverfahren nach seinem Anerkenntnis den Zugang des Abschlussschreibens, trägt er – da er sich auf die prozessuale Ausnahmevorschrift des § 93 ZPO beruft – die primäre Darlegungs- und Beweislast. Es können insoweit keine anderen Grundsätze Anwendung finden als die, welche der BGH843 für die Beweislast beim umstrittenen Zugang des Abmahnschreibens entwickelt hat. Hier wie dort hat der Gläubiger die sekundäre Darlegungs- und Beweislast für die in seinem Verantwortungsbereich liegenden Umstände, also die Abfassung und Absendung des Schreibens.844 Macht hingegen der Gläubiger einen materiell-rechtlichen Anspruch auf Erstattung der ihm 304 durch das Abschlussschreiben entstandenen Anwaltskosten geltend, spielt § 93 ZPO keine Rolle. Der Kläger muss wie bei einer Klage auf Erstattung der Abmahnkosten845 die anspruchsbegründenden Tatsachen beweisen und trägt das Risiko eines Verlustes auf dem Postweg. 837 Berneke/Schüttpelz Rn. 641; FBO/Büscher § 12 Rn. 175; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.70; Melullis Rn. 753; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 549.

838 OLG Hamburg 23.10.1985 – 3 W 108/85 – WRP 1986, 289, 290; OLG Köln 20.10.1986 – 6 W 62/86 – WRP 1987, 188, 190 f. 839 OLG Düsseldorf 1.8.1990 – 2 W 36/90 – GRUR 1991, 479, 480 a. E. 840 So auch OLG Hamm 9.6.1998 – 4 W 1/98 – NJW-RR 1999, 577; KG 25.2.2000 – 25 W 5778/97 – Magazindienst 2000, 566 f. 841 KG 21.6.1983 – 5 W 1735/83 – WRP 1984, 545, 547; Teplitzky/Bacher hält das für vertretbar, rät aber zur Absendung eines weiteren Schreibens; lediglich referierend Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 659; Schuschke/Walter/Kessen Anhang zu §§ 935 D. Rn. 19; a. A. Melullis Rn. 753; Berneke/Schüttpelz Rn. 641 mit unzutreffendem Hinweis auf KG 21.6.1983 – 5 W 1735/83 – WRP 1984, 545, 547. 842 Für die Notwendigkeit eines weiteren Abschlussschreibens Melullis Rn. 753. 843 BGH 21.12.2006 – I ZB 17/06 – GRUR 2007, 629 Rn. 10–13 – Zugang des Abmahnschreibens. 844 Teplitzky/Bacher Kap. 43 Rn. 29; FBO/Büscher § 12 Rn. 177; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.72; Harte/ Henning/Retzer § 12 Rn. 661; Schuschke/Walker/Kessen Anhang zu § 935 D. Rn. 18; Spätgens/Chang-Herrmann UWGHdb. § 111 Rn. 4; wohl auch Ahrens Kap.58 Rn. 46; die Beweislast beim Gläubiger sieht Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 185. 845 KG 31.5.2013 – 5 W 114/13 – WRP 2013, 1061 – Irreführung durch ™-Symbol; GK-UWG/Feddersen § 12 B. Rn. 23; FBO/Büscher § 12 Rn. 65; Ahrens/Scharen Kap. 11 Rn. 6; Schwippert UWG-Hdb. § 84 Rn. 47 mit ausführlicher Begründung; a. A. Harte/Henning/Brüning § 12 Rn. 82. Schwippert

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VIII. Das Abschlussschreiben. A. Einstw. Verf., Abschlusserklärung u. -schreiben

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10. Kosten des Abschlussschreibens a) Grundlagen. Die Kosten des Abschlussschreibens sind keine Kosten des Verfügungsverfah- 305 rens. Sie werden von der dort getroffenen Kostenentscheidung auch dann nicht erfasst, wenn das Schreiben während des Verfahrens herausgegangen ist. Das erklärt sich zwanglos aus seinem Zweck abzuklären, ob eine nachfolgende Klage vermeidbar ist oder nicht.846 Ob daraus die Folgerung zu ziehen ist, dass in einem anschließenden Hauptsacheverfahren die Kosten eines erfolglosen, aber notwendigen Abmahnschreibens als Vorbereitungskosten zu ersetzen sind, ist zweifelhaft.847 b) Anspruch aus GoA. Erübrigt sich die Klage durch die Reaktion des Schuldners, richtet sich 306 der Aufwendungsersatzanspruch des Gläubigers nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag (§ 677 ff. BGB).848 Dieser Weg verdient den Vorzug gegenüber der im Schrifttum stattdessen erwogenen analogen Anwendung des § 12 Abs. 1 S. 2 UWG.849 Zum einen fehlt es an einer die Analogie rechtfertigende Regelungslücke;850 zum anderen ist auch die Vergleichbarkeit der beiden Sachverhalte nicht hinreichend gegeben. Die der Kostenerstattungsregelung in § 12 Abs. 1 S. 2 vorausgehende Sollvorschrift für die Abmahnung ließe sich auf das Abschlussschreiben nicht übertragen. Dessen Notwendigkeit hängt zu sehr von dem individuellen Verhalten des jeweiligen Schuldners nach der Abmahnung und während des Verfügungsverfahrens ab, um einem Soll-Erfordernis zugänglich zu sein. Der BGH gibt jetzt den Anspruch aus GoA allerdings auch dann her, wenn der Schuldner zuvor einen Rechtsbehelf eingelegt hat, sofern dieser Umstand dem Gläubiger bei Abfassung des Abschlussschreibens noch unbekannt war.851 Das überzeugt nicht. Nach § 683 Abs. 1 BGB setzt der Aufwendungsersatzanspruch voraus, dass die Übernahme der Geschäftsführung dem Interesse und dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entsprochen hat. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben, wenn der Schuldner zuvor einen Rechtsbehelf auf den Weg gebracht hat. Die Kundgabe seines Willens muss nur objektiv hervortreten und nicht an den Geschäftsführer adressiert sein.852 Darauf, dass der Gläubiger die von ihm getroffene Maßnahme subjektiv unverschuldet für notwendig gehalten hat, kommt es nicht an.853 846 Ständige Rechtsprechung seit BGH 2.3.1973 – I ZR 5/72 – GRUR 1973, 384 – Goldene Armbänder; zuletzt BGH 4.3.2008 – VI ZR 176/07 – WRP 2008, 805 Rn. 9 – Abschlussschreiben eines Rechtsanwalts; BGH 12.3.2009 – IX ZR 10/08 – WRP 2009, 744 Rn. 8; BGH 4.2.2010 – I ZR 30/08 – GRUR 2010, 1038 Rn. 27 – Geschäftsgebühr eines Rechtsanwalts; ebenso OLG Hamburg 25.2.1982 – 3 U 105/81 – WRP 1982, 477; OLG Karlsruhe 13.6.1984 – 6 U 221/ 83 – WRP 1985, 40, 41; Spätgens/Chang-Herrmann UWG-Hdb. § 111 Rn. 8; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 662; Teplitzky/Bacher Kap. 43 Rn. 30; Berneke/Schüttpelz Rn. 714. 847 Bejahend FBO/Büscher § 12 Rn. 181; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 662; Loschelder UWG-Hdb. § 92 Rn. 22; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 662; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 556; GK-UWG/Schultz-Süchting1 § 25 Rn. 272; a. A. („wohl nicht“) Teplitzky/Bacher Kap. 43 Rn. 30, weil die Abschlusserklärung nicht der unmittelbaren Vorbereitung, sondern der Vermeidung eines weiteren Rechtsstreits diene. 848 BGH 4.2.2010 – I ZR 30/08 – GRUR 2010, 1038 Rn. 26 – Kosten für Abschlussschreiben; BGH 30.6.2011 – I ZR 157/10 – GRUR 2012, 184 Rn. 31 – Branchenbuch Berg; BGH 22.1.2015 – I ZR 59/14 – GRUR 2015, 822 Rn. 14; vgl. auch BGH 12.12.2006 – VI ZR 188/05 – GRUR 2007, 621 Rn. 8 – Abschlussschreiben außerhalb des Wettbewerbsrechts; FBO/Büscher § 12 Rn. 181; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 662; Berneke/Schüttpelz Rn. 717; Teplitzky/Bacher Kap. 43 Rn. 30; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 556; a. A. Einsiedler WRP 2003, 354. 849 Nill GRUR 2005, 740, 741; Ahrens Kap. 58 Rn. 50, der sogar eine unmittelbare Anwendung des § 12 Abs. 1 S. 2 für möglich hält, was angesichts der gefestigten und auch dem Gesetzgeber im Jahr 2004 bekannten Unterscheidung zwischen Abmahnung und Abschlussschreiben nicht überzeugt. 850 BGH 22.1.2015 – I ZR 59/14 – GRUR 2015, 822 Rn. 14. 851 BGH 30.3.2017 – I ZR 233/15 – GRUR 2017, 1160 Rn. 58; zustimmend Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 511. 852 Münchkomm BGB/Schäfer8 § 683 Rn. 5; Palandt/Sprau79 § 683 Rn. 5; Prütting/Wegen/Weinreich/Fehrenbacher15 § 683 Rn. 5. 853 Ausführlich Schwippert WRP 2020, 1237 Rn. 26 f. 967

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Einstweiliger Rechtsschutz, Veröffentlichungsbefugnis, Streitwertminderung

Erstattungsfähig sind nur die Kosten eines nach der Wartefrist eingehenden und somit notwendigen854 Abschlussschreibens. Das Schreiben ist zweifelsfrei nicht notwendig, wenn die Drohung mit der Klage ins Leere geht, weil der Gläubiger in diesem Verfahren unterliegen würde. So verhält es sich, wenn der Schuldner die Abschlusserklärung bereits abgegeben hat,855 so dass die nachfolgende Klage mangels Rechtsschutzinteresse unzulässig wäre, oder durch eine Unterwerfungserklärung, und sei es auch wirksam gegenüber einem Dritten,856 der Unterlassungsanspruch entfallen ist.857 In diesen Fällen entspricht ein Schreiben nicht dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Schuldners. 308 Mit den jüngsten Entscheidungen ist höchstrichterlich geklärt, dass ein Abschlussschreiben auch dann nicht den Interessen des Schuldners entspricht, wenn es den Schuldner vor Ablauf der angemessenen Wartefrist erreicht.858 Die in der Rechtsprechung859 und im Schrifttum860 mitunter anzutreffende Erwägung, der Schuldner könne den Einwand, das Abschlussschreiben sei zu früh eingetroffen, regelmäßig nur erheben, wenn er die Abschlusserklärung innerhalb der gebotenen Frist tatsächlich abgegeben hat, ist vom BGH nicht aufgegriffen worden. Entsprechend den während des Laufs der Wartefrist eingehenden Schreiben sollten unmotivierte Abschlussschreiben in einem Verfahrensstadium behandelt werden, in denen es nicht sinnvoll ist, von dem Schuldner eine Entscheidung zu erwarten, wie etwa kurz vor der mündlichen Verhandlung oder in dem Zeitraum zwischen dem Verhandlungstermin und einem mit Geduld bestimmten Verkündungstermin.861 307

309 c) Teilweise unberechtigtes Abschlussschreiben. Ist eine Abmahnung nur teilweise berechtigt, hat der Gläubiger nach § 12 Abs. 1 S. 2 UWG nur einen teilweisen Anspruch auf den Ersatz der ihm entstandenen Aufwendungen. Die Höhe des Erstattungsanspruchs ist nach dem Verhältnis des Gegenstandswerts des berechtigten Teils zum Gegenstandswert der gesamten Abmahnung zu bestimmen.862 Wegen der funktionalen Ähnlichkeit der Abmahnung mit dem Abschlussschreiben – beides Versuche, die Angelegenheit jetzt noch gütlich zu regeln – war die Vermutung nicht verwegen, auch bei einem nur partiell berechtigten Abschlussschreiben könne es nur eine teilweise Kostenerstattung geben.863 Der BGH hat indessen anders entschieden; der Gläubiger erhält auch dann, wenn er teilweise unberechtigte Petita verfolgt, einen vollständigen Ausgleich für die Kosten des Abschlussschreibens. Es sei nämlich Sache des Schuldners, die Abschlusserklärung zutreffend zu formulieren.864 Damit ist freilich der Unterschied zu der abweichenden Handhabung

854 Rn. 294. 855 BGH 8.12.2005 – IX ZR 188/04 – GRUR 2006, 349 – Hinweis auf unaufgeforderte Abgabe einer Abschlusserklärung; OLG Stuttgart 22.2.2007 – 2 U 173/06 – WRP 2007, 688; Loschelder UWG-Hdb. § 92 Rn. 23. 856 Vgl. BGH 2.12.1982 – I ZR 129/80 – GRUR 1983, 186 – Wiederholte Unterwerfung I; Teplitzky/Kessen Kap. 8 Rn. 38. 857 OLG Stuttgart 22.2.2007 – 2 U 173/06 – WRP 2007, 688; FBO/Büscher § 12 Rn. 183; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.73; Schuschke/Walker/Kessen Anhang zu § 935 ZPO D. Rn. 21; Teplitzky/Bacher Kapitel 57 Rn. 33 mit dem Zusatz, es sei anders zu entscheiden, wenn der Gläubiger die Wartefrist eingehalten und bei Absendung des Schreibens von der Abschlusserklärung nichts gewusst habe. 858 BGH 22.1.2015 – I ZR 59/14 – GRUR 2015, 822 Rn. 17; BGH 30.3.2017 – I ZR 263/15 – GRUR 2017, 1160 Rn. 57; vgl. zu den Einzelheiten Rn. 294. 859 KG 6.4.2010 – 9 U 45/09 – NJW-RR 2010, 1417, 1424. 860 Teplitzky/Bacher Kap. 43 Rn. 31a. 861 Vgl. die Gegebenheiten im Fall OLG Köln 20.10.1986 – 6 W 62/86 – WRP 1987, 188, 190 f. 862 BGH, 14.1.2016 – I ZR 61/14 – GRUR 2016, 516 Rn. 45 – Wir helfen im Trauerfall. 863 Vgl. Hess in: juris-PK § 12 UWG Rn. 47. 864 BGH 30.3.2017 – I ZR 263/15 – GRUR 2017, 1160 Rn. 60. Schwippert

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IX. Die Abschlusserklärung. A. Einstw. Verf., Abschlusserklärung u. -schreiben

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bei den Kosten der Abmahnung nicht plausibel erläutert: Dort ist es ganz entsprechend Sache des Schuldners, die Unterwerfungserklärung zutreffend zu formulieren.865 Die Resultate dieser Rechtsprechung sind befremdlich. Sofern sich der Gläubiger in der Abmahnung, dem Abschlussschreiben und der Klage identischer, aber zur Hälfte unberechtigter Ansprüche berühmt, erhält er die durch sein Abmahnschreiben entstandenen Kosten nur zur Hälfte erstattet und die Kosten des Gerichtsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben. Die durch das Abschlussschreiben angefallenen Kosten hat der Schuldner jedoch in vollem Umfang zu ersetzen.

d) Notwendigkeit anwaltlicher Hilfe. Auch beim Abschlussschreiben gilt, dass Anwaltskos- 310 ten nicht zu erstatten sind, sofern der Gläubiger auf die anwaltliche Hilfe nicht angewiesen war. Das kann insbesondere für Wirtschaftsverbände und Wettbewerbsvereine zutreffen,866 auch für sich selbst vertretende Rechtsanwälte,867 nach der Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung jedoch nicht für Unternehmen mit oder ohne eigene Rechtsabteilung, die sich darauf beschränken dürfen, die Rechtmäßigkeit des eigenen Geschäftsfeldes zu beobachten und sich nicht im Hinblick auf das Verhalten der Konkurrenz auch in wettbewerbsrechtliche Fragen einarbeiten müssen.868

IX. Die Abschlusserklärung 1. Anlass für eine Abschlusserklärung Der Schuldner kann sich zu einer Abschlusserklärung entschließen, wann immer gegen ihn ein 311 Verfügungstitel in die Welt gesetzt worden ist. Er muss dazu keineswegs durch ein vorheriges Abschlussschreiben aufgefordert worden sein. Während ein Abschlussschreiben nach Erhebung der Hauptsacheklage sinnlos ist, wäre eine Abschlusserklärung während eines laufenden Klageverfahrens nicht abwegig. Sie würde der Klage das Rechtsschutzinteresse nehmen mit der Folge, dass sie für erledigt erklärt werden müsste. Da der Beklagte danach mit einer ungünstigen Kostenentscheidung nach § 91a ZPO rechnen muss, ist das allerdings wirtschaftlich kein optimales Vorgehen; es wäre für ihn billiger gewesen, den Klageanspruch anzuerkennen.

2. Wahl zwischen Abschluss- und Unterwerfungserklärung Sobald der Schuldner einen Verfügungstitel gegen sich hat und nicht weiter kämpfen möchte, 312 hat er immer die Wahl zwischen einer Abschlusserklärung und einer Unterwerfungserklärung. 865 BGH, 7.10.1982 – I ZR 120/80 – GRUR 1983, 127, 128 – Vertragsstrafeversprechen; BGH 17.12.1987 – I ZR 190/ 85 – GRUR 1988, 459, 460 – Teilzahlungsankündigung; GK-UWG/Feddersen § 12 B. Rn. 36. 866 OLG Köln 22.10.1999 – 6 U 88/99 – WRP 2000, 226, 230 (zumindest bei durchschnittlichen Sachen); OLG Stuttgart 22.2.2007 – 2 U 173/06 – WRP 2007, 688; offen gelassen in BGH 12.12.2006 – VI ZR 188/05 – GRUR 2007, 621 Rn. 11 – Abschlussschreiben außerhalb des Wettbewerbsrechts; FBO/Büscher § 12 Rn. 184; Teplitzky/Bacher Kap. 43 Rn. 32; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.73; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 665 i. V. m. Rn. 86; Berneke/Schüttpelz Rn. 720; a. A. Ahrens Kap. 58 Rn. 51. 867 KG 19.3.1999 – 5 U 64/99 – NJWE-WettbR 1999, 293, 294; so bei der Abmahnung BGH 6.5.2004 – I ZR 2/03 – GRUR 2004, 789 – Selbstauftrag und BGH 12.12.2006 – VI ZR 188/05 – GRUR 2007, 621 Rn. 11; MünchKommUWG/ Schlingloff § 12 Rn. 556; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.73; Schuschke/Walker/Kessen Anhang zu § 935 D. Rn. 22; Hess in: juris-PK-UWG § 12 Rn. 186. 868 BGH 4.2.2010 – I ZR 30/08 – GRUR 2010, 1038 Rn. 23 f. – Geschäftsgebühr für Abschlussschreiben; Teplitzky/ Bacher Kap. 56 Rn. 32; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.73; Schuschke/Walker/Kessen Anhang zu § 935 D. Rn. 22; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 665 unter ausdrücklicher Aufgabe der in der Vorauflage vertretenen Meinung. 969

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Einstweiliger Rechtsschutz, Veröffentlichungsbefugnis, Streitwertminderung

Sie wird ihm nach richtiger Auffassung durch ein vorangegangenes Abschlussschreiben des Gläubigers nicht genommen.869 Berechtigte Interessen des Gläubigers werden durch diese Wahlmöglichkeit nicht tangiert. Die Abschlusserklärung beseitigt das Rechtsschutzinteresse für die Klage in der Hauptsache, die Unterwerfungserklärung deren Begründetheit, weil sie mit dem Wegfall der Wiederholungsgefahr den Unterlassungsanspruch erlöschen lässt. Einen Anspruch darauf, gerade einen gerichtlichen Titel mit staatlichen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen bei Zuwiderhandlungen in die Hand zu bekommen, anstatt auf Sanktionen aus dem Vertragsstrafeversprechen angewiesen zu sein, hat der Gläubiger zu keinem Zeitpunkt vor oder während eines Verfahrens.870

3. Inhalt der Abschlusserklärung 313 a) Verzicht auf die Rechte aus §§ 924, 926, 927 ZPO. Schultz-Süchting hat in der Erstauflage871 ausführlich die Frage erörtert, welchen Inhalt die Erklärung im Idealfall haben sollte. Er begegnete seinerzeit einer forensischen Alltagspraxis, in der der Schuldner mit der Abschlusserklärung kurz und bündig auf die Rechte aus den §§ 924, 926, 927 ZPO verzichtete. Dagegen hatte er gut begründete Bedenken, soweit damit ein Aufhebungsantrag auch dann nicht möglich sein sollte, wenn die Zukunft Entwicklungen mit sich brachte, mit denen zum Zeitpunkt der Abschlusserklärung niemand gerechnet hatte und die gegenüber einem Titel in der Hauptsache nach § 767 ZPO hätten vorgebracht werden können. Er schlug deshalb eine Erklärung vor, mit der der Schuldner je nach Lage der Dinge auf einen Widerspruch oder eine Berufung gegen den Verfügungstitel verzichten und zusätzlich versichern sollte, selbst keine negative Feststellungsklage und keinen Schadensersatzanspruch nach § 945 ZPO geltend zu machen sowie keinen Aufhebungsantrag wegen veränderter Umstände zu stellen, sondern sich bei später eintretenden Veränderungen auf eine Verteidigung im Rahmen des § 767 ZPO zu beschränken.872 Er meinte indessen selbst, die Komplexität dieser Erklärung schrecke die eigene Mandantschaft von ihr ab. 314 Die alternative Gepflogenheit, es wegen des nicht zufrieden stellenden Komplettverzichts auf die Rechte aus § 927 ZPO in der Abschlusserklärung auf einem Verzicht auf die Rechte aus §§ 924, 926 ZPO zu belassen, war freilich auch nicht sattelfest. Schon im Hinblick auf die Verjährung musste nun mit einem konkludenten Teilverzicht auf die Rechte auf den Aufhebungsantrag gearbeitet werden.873 Dem hält Ahrens heute noch mit Recht entgegen, es sei verfehlt, ein Problem mit konkludenten Erklärungen lösen zu wollen, weil man mit den schriftlichen Formulierungen nicht zurande gekommen sei.874 Die streitige Frage, ob auf die Rechte aus § 927 ZPO

869 H. M.: OLG Bamberg 26.6.2002 – 3 U 37/02 – WRP 2003, 102; OLG Frankfurt a. M. 7.5.1998 – 6 U 161/97 – WRP 1998, 895, 897; OLG Hamburg 6.5.1999 – 3 U 196/97 – NJWE-WettbR 2000, 71; OLG Hamm 9.3.1982 – 4 U 280/81 – WRP 1982, 592; OLG Karlsruhe 4.8.1997 – 6 W 64/97 – NJWE-WettbR 1998, 140; KG 11.6.1990 – 25 U 2297/89 – NJW 1991, 499; Bernreuther GRUR 2001, 400, 401; Teplitzky/Bacher Kap. 43 Rn. 37; Harte/Henning/Brüning § 12 Rn. 171; Melullis Rn. 626, 653; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 1.108; Spätgens/Chang-Herrmann UWG-Hdb. § 111 Rn. 11; Schuschke/Walker/Kessen Anhang zu § 935 D. Rn. 12; a. A. OLG Köln 24.11.1995 – 6 U 4/95 – WRP 1996, 333 im Leitsatz, nicht aber S. 338 in den Entscheidungsgründen; dort wird der Unterwerfungserklärung die Wirksamkeit wegen einer nachfolgenden neuen Verletzungshandlung abgesprochen; OLG Köln 17.1.2002 – 6 W 114/01 – WRP 2002, 738, beschränkt auf das Berufungsverfahren; Ahrens WRP 1997, 907, 908; Ahrens/Ahrens Kap. 58 Rn. 7; Spätgens UWG-Hdb.4 § 111 Rn. 11. 870 Ahrens Kap. 58 Rn. 9 hält dieses Ergebnis aus nicht nachvollziehbaren Gründen für unerträglich. 871 GK-UWG § 25 Rn. 296. 872 Dem vergleichbar sind die Vorschläge von Ahrens WRP 1997, 907, 909 f. 873 Vgl. exemplarisch die Schwierigkeiten von GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 274 und 295. 874 Ahrens Kap. 58 Rn. 14. Schwippert

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IX. Die Abschlusserklärung. A. Einstw. Verf., Abschlusserklärung u. -schreiben

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überhaupt vollständig– nämlich auch im Hinblick auf nicht erwartete zukünftige Entwicklungen – verzichtet werden kann,875 war auf diesem Wege nicht zu lösen. Diese Probleme gehören inzwischen der Vergangenheit an. Der BGH876 hat überzeugend 315 begründet, dass bei wettbewerbsrechtlichen Unterlassungstiteln Gesetzesänderungen und höchstrichterliche Leitentscheidungen, nach denen das untersagte Verhalten eindeutig als rechtmäßig zu beurteilen wäre, Einwendungen im Sinne des § 767 ZPO darstellen. Da die Abschlusserklärung den Gläubiger genauso, aber auch nicht besser stellen soll, wie wenn er in der Position eines rechtskräftigen Titels im Hauptsacheverfahren wäre, kann der Schuldner den Verzicht auf die Rechte aus § 927 ZPO mit der Einschränkung verbinden, dass dies für Gründe nicht gelten soll, die er gegen einen rechtskräftigen Titel im Hauptsacheverfahren vorbringen dürfe.877 In diesem Sinne hat der BGH die damalige Abschlusserklärung verstanden, in der auf die Rechte aus den §§ 924, 926 und 927 ZPO unter der „auflösenden Bedingung einer auf Gesetz oder höchstrichterliche Rechtsprechung beruhenden eindeutigen Klärung des zu unterlassenden Verhaltens als rechtmäßig“ verzichtet worden war.

b) Identität des Anspruchs. So wie eine aufgrund der Fristsetzung nach § 926 ZPO erhobene 316 Hauptsacheklage inhaltlich identisch den zuerkannten Verfügungsanspruch aufgreifen muss, hat sich auch die Abschlusserklärung inhaltlich mit dem zugesprochenen Verfügungsanspruch zu decken. Allerdings ist es möglich, sie auf individualisierbare Teile eines Anspruchs878 oder, falls es sich um eine Antragshäufung mit mehreren Streitgegenständen handelt, auf einen Streitgegenstand zu beschränken.879 Es verhält sich insoweit nicht anders als bei einer teilweisen Unterwerfung. Eine derartige partielle Abschlusserklärung belässt dem Gläubiger die Möglichkeit der Hauptsacheklage in den von jener nicht betroffenen Bereichen.

4. Grenzen der Abschlusserklärung a) Nicht tenorierter Hilfsantrag. Was eine Abschlusserklärung jedoch nicht leisten kann, 317 macht wie ein Schulfall die „statt-Preis“– Entscheidung des BGH880 deutlich. Der dortige 875 Gegen die Möglichkeit eines vollständigen Verzichts am deutlichsten Scherf WRP 1969, 393, 397; Ahrens WRP 1997, 907, 910 und Ahrens Kap. 58 Rn. 17–19; damit offenbar sympathisierend, aber ohne endgültige Festlegung Schuschke/Walker § 927 Rn. 6; Schultz-Süchting, oft als Gegner eines vollständigen Verzichts zitiert (vgl. nur BGH 2.7.2009 – I ZR 146/07 – GRUR 2009, 1096 Rn. 16 – Mescher weis, wo die Frage offengelassen wurde) hielt in GKUWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 274 a. E. den vollständigen Verzicht für zulässig, sofern er expressis verbis auch unerwartete Umstände erfassen sollte, und wollte im Übrigen mit den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage helfen; ähnlich Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.74; MünchKommZPO/Drescher § 927 Rn. 13, der den privatautonom vereinbarten totalen Verzicht ausdrücklich für zulässig hält, aber per Auslegung die Möglichkeit von Beschränkungen sieht; die Wirksamkeit bejahend Spehl S. 55 ff., 153 ff.; Teplitzky10 Kap. 43 Rn. 6; nur referierend jetzt Teplitzky/Bacher Kap. 43 Rn. 6. 876 BGH 2.7.2009 – I ZR 146/07 – GRUR 2009, 1096 Rn. 17–24 – Mescher weis. 877 BGH 2.7.2009 – I ZR 146/07 – GRUR 2009, 1096 Rn. 27; ähnlich Nordemann, Wettbewerbsrecht, Markenrecht Rn. 1598; Hess in: juris-PK-UWG § 12 Rn. 187; Berneke/Schüttpelz Rn. 627 und der Formulierungsvorschlag von Teplitzky (vgl. Teplitzky/Bacher Kap. 43 Rn. 8), „den Verfügungstitel nach Bestandskraft und Wirkung einem entsprechenden Hauptsachetitel gleichwertig anzuerkennen und auf alle Möglichkeiten eines Vorgehens gegen diesen Titel und/oder gegen den durch ihn gesicherten Anspruch zu verzichten, die auch im Falle eines rechtskräftigen Hauptsacheurteils ausgeschlossen wären“. Demgegenüber hält Ahrens Kap. 58 Rn. 22 unverändert eine Formulierung für geboten, in der die rein prozessualen Verzichtserklärungen und die materiell-rechtlichen Ergänzungen deutlich auseinandergehalten werden. 878 Vgl. dazu Schwippert WRP 2013, 135 Rn. 13 ff. 879 Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 507; Harte/Henning/Retzer Rn. 644; Schuschke/Walker/Kessen Anhang zu § 935 D. Rn. 7. 880 BGH 4.5.2005 – I ZR 127/02 – GRUR 2005, 692, 694 – „statt“ Preis. 971

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Einstweiliger Rechtsschutz, Veröffentlichungsbefugnis, Streitwertminderung

Schuldner hatte in einer Werbeanzeige einen herausgestellten niedrigen Einführungspreis beworben, der statt eines wesentlich höheren bezifferten anderen Preises gelten sollte. Die Werbung war irreführend, weil es für den Leser ein Rätsel blieb, was es mit diesem höheren Preis auf sich hatte. Der Gläubiger erwirkte eine einstweilige Verfügung mit einem nicht an der konkreten Verletzungsform orientierten, abstrakt formulierten Antrag, mit der eine Werbung mit einem statt–Preis untersagt wurde, ohne deutlich und unübersehbar darauf hinzuweisen, welcher Preis zu Vergleichszwecken herangezogen werde. Der Schuldner gab unter Bezugnahme auf diese Verfügung eine Abschlusserklärung mit der Maßgabe ab, dass sie sich auf Art und Gestaltung der konkret beanstandeten Anzeige beziehe und kerngleiche Verletzungen mit umfasse. Dem war das Angebot hinzugefügt, im Austausch mit der Abschlusserklärung eine entsprechende Unterlassungserklärung abzugeben. Der Gläubiger hielt das alles für unzureichend und führte das Hauptsacheverfahren mit dem dem Verfügungsverfahren entsprechenden Klageantrag durch. Die dort gestellten Anträge waren freilich (wie zuvor schon der Verfügungsantrag) zu unbestimmt. Das Klagevorbringen hatte indessen deutlich gemacht, dass es dem Kläger bei einem Scheitern der abstrakt formulierten Anträge zumindest auf eine Verurteilung nach der konkreten Verletzungsform ankam. Um ihm Gelegenheit zu geben, einen entsprechenden Antrag in der Berufungsinstanz neu zu formulieren, verwies der BGH die Sache an das Berufungsgericht zurück. Das hätte nun allerdings keinen Sinn ergeben, wenn diesem Antrag das Rechtsschutzinteresse aufgrund der Abschlusserklärung der Beklagten, die eben diese konkrete Verletzungsform aufgegriffen hatte, gefehlt hätte. Dem war aber nicht so, weil sich der Inhalt der Erklärung im Tenor der einstweiligen Verfügung nicht wiederfand und kein Teil des Verfügungstenors hätte abgetrennt werden können, der als endgültig vollstreckbar wie ein Titel im Hauptsacheverfahren hätte gelten können. In einer Situation, in der der Schuldner nicht den im Verfügungsverfahren zuerkannten Hauptantrag, sondern allein den nicht tenorierten Hilfsantrag akzeptieren möchte, hat er nur die Möglichkeit, eine Unterwerfungserklärung abzugeben; sie war in dem damaligen Streitfall nur angeboten, aber nicht abgegeben worden.

318 b) Dem Eilverfahren nicht zugängliche Ansprüche. Mit der Abschlusserklärung wird der im Eilverfahren tenorierte Umfang des Gebots in seinen Wirkungen einem im Klageverfahren ausgesprochenen Gebot gleichgestellt. Damit kann der Streit der Parteien nicht immer vollständig aus der Welt geschafft werden. Das zeigt sich am gängigen Schulfall der Annexansprüche, auf die sich der Gläubiger in seinem Abmahnschreiben oft schon beruft, die er aber im Eilverfahren – weil Auskunft und Schadensersatz die Hauptsache vorwegnehmen – nicht geltend machen kann. Sofern der Schuldner auch in diesen Punkten seinen Widerstand aufgibt, kann er ein Schuldanerkenntnis gemäß § 781 BGB abgeben oder auch mit dem Gläubiger einen Vergleich gemäß § 779 BGB abschließen. Gelingt das nicht, muss der Gläubiger die von ihm für berechtigt erkannten Auskunfts- und Schadensersatzansprüche einklagen. Ein neuer Ort für die so gelagerte Problematik hat sich nunmehr durch die Rechtsprechung des BGH zum Umfang der Beseitigungspflichten des Unterlassungsschuldners aufgetan.881 Ein Unterlassungstitel in einem Hauptsacheverfahren ist danach in der Regel dahin auszulegen, dass der Schuldner zum Rückruf der von ihm wettbewerbswidrig vertriebenen Ware gehalten ist,882 während sich im Verfügungsverfahren die Beseitigungspflicht, um eine Vorwegnahme der Hauptsache zu vermeiden, regelmäßig auf die Aufforderung an Dritte beschränkt, die Ware

881 Darauf hat als Erster Meinhardt WRP 2018, 527 Rn. 49 hingewiesen. 882 BGH 19.11.2015 – I ZR 109/14 – GRUR 2016, 720 Rn. 34 f. – Hot Sox; BGH 29.9.2016 – I ZB 34/15 – GRUR 2017, 208 Rn. 24 ff. – Rückruf von RESCUE-Produkten; BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Rn. 17 ff. – Produkte zur Wundversorgung. Schwippert

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IX. Die Abschlusserklärung. A. Einstw. Verf., Abschlusserklärung u. -schreiben

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nicht weiter zu vertreiben.883 Diese Diskrepanz soll durch die Abschlusserklärung aus der Welt geschafft werden können, die dahin auszulegen sei, dass sich der Schuldner auch zum Versuch des Rückrufs verpflichtet.884 Dem ist zu widersprechen. Es hat dabei zu bleiben, dass eine Abschlusserklärung materiellrechtlich keinen weiteren Umfang haben kann als der Titel, den sie wie eine endgültige Regelung akzeptiert. Der Schuldner mag – nicht anders als bei den gerade oben behandelten Annexansprüchen – ein Anerkenntnis nach § 781 BGB abgeben, in dem die Maßnahmen, zu denen er sich verpflichtet, im einzelnen zu bezeichnen wären,885 und die Parteien können einen Vergleich schließen, § 779 BGB. Gelingt das nicht, muss der Gläubiger notfalls Klage erheben, in denen er die Beseitigungsmaßnahmen, die er für erforderlich erachtet, im Einzelnen beschreibt. Würde er stattdessen den im Verfügungsverfahren gestellten Unterlassungsantrag schlicht wiederholen, wäre die Klage mangels Rechtsschutzinteresse überwiegend abzuweisen, weil das Unterlassungsbegehren durch die Abschlusserklärung schon in weitem Umfang abgedeckt ist.

5. Bedingte Erklärungen Abschlusserklärungen werden in einem missverständlichen Sprachgebrauch oft als bedingungs- 319 feindlich bezeichnet.886 Das darf keinesfalls in dem Sinne verstanden werden, dass die unter eine aufschiebende oder auflösende Bedingung gestellte Erklärung gegenstandslos und nichtig sei. Richtig ist lediglich, dass eine in dieser Weise bedingte Abschlusserklärung nie auf der Stelle das Rechtsschutzinteresse des Gläubigers für die Klage zur Hauptsache beseitigt. Bei einer aufschiebenden Bedingung versteht sich das unmittelbar von selbst, weil die Abschlusserklärung aus sich heraus besagt, dass die einstweilige Verfügung vorerst nicht wie ein endgültig wirksamer Titel akzeptiert werde. Mit Eintritt der Bedingung entfällt indessen das Rechtsschutzinteresse für eine Klage. War sie schon erhoben, als die Bedingung eintrat, ist die dadurch unzulässig geworden Klage vom Kläger für erledigt zu erklären;887 von der nach § 91a ZPO zu treffenden Kostenentscheidung darf sich der Beklagte nichts versprechen. Steht irgendwann fest, dass es zum Bedingungseintritt nicht mehr kommen wird, handelt es sich in der Tat um eine Abschlusserklärung, die zu keinem Zeitpunkt eine Wirkung entfaltet hat. Auch eine auflösende Bedingung beseitigt das Rechtsschutzinteresse für die Klage zunächst nicht. Es kann später zum Bedingungseintritt kommen und der Kläger kann nicht darauf verwiesen werden, die Klage erst in einer ferneren Zukunft einzureichen, in der vielleicht Beweismittel nicht mehr greifbar sind und die Verjährungseinrede erhoben wird.888 Die Abschlusserklärung unter auflösender Bedingung beseitigt das Rechtsschutzinteresse für die Klage daher erst dann, wenn feststeht, dass die Bedingung nicht mehr wird eintreten können. So ist es, wenn die Abschlusserklärung unter die auflösende Bedingung gestellt worden ist, dass der Schuldner in einem parallelen Hauptsacheprozess gegenüber einem anderen Gläubiger rechtskräftig obsiegen werde, in dem Moment, in dem seine Niederlage rechtskräftig feststeht.889

883 BGH 11.10.2017 – I ZB 96/16 – GRUR 2018, 292 Rn. 17, 34; BGH 17.10.2019 – I ZB 19/19 – WRP 2020, 324 Rn. 15 ff. – Rückruf- und Beseitigungspflichten im Rahmen der Unterlassungshaftung; zustimmend Ahrens GRUR 2018, 374, 377. 884 Meinhardt WRP 2018, 527 Rn. 49; teils zustimmend, teils zweifelnd Berneke/Schüttpelz Rn. 630a. 885 BGH 17.10.2009 – I ZB 19/19 – WRP 2020, 324 Rn. 21 und Berneke/Schüttpelz Rn. 630a empfehlen stattdessen eine Unterwerfungserklärung. 886 Vgl. Ahrens Kap. 58 Rn. 30 mit nachfolgender Klarstellung; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 552; Schuschke/Walker/Kessen Anhang zu § 935 nennt eine auflösend bedingte Erklärung unwirksam, ohne Einschränkungen zu machen; Berneke/Schüttpelz Rn. 341 („grds ohne Vorbehalt“). 887 Vgl. Teplitzky/Bacher Kap. 43 Rn. 13; Ahrens Kap. 58 Rn. 30; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.74. 888 BGH 5.7.1990 – I ZR 148/88 – GRUR 1991, 76, 77 – Abschlusserklärung. 889 BGH 5.7.1990 – I ZR 148/88 – GRUR 1991, 76, 77 – Abschlusserklärung. 973

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6. Erklärung ohne Kostenübernahme 320 Der Wirksamkeit einer Abschlusserklärung steht es nicht entgegen, wenn sie auf weitere von dem Gläubiger geforderte Zusagen nicht eingeht. Dessen oft anzutreffendes Verlangen, die mit dem Abschlussschreiben verbundenen Kosten zu übernehmen, braucht die Abschlusserklärung nicht aufzugreifen.890

7. Schriftform? 321 Der gelegentlich anzutreffende Satz, die Abschlusserklärung bedürfe der Schriftform und eine lediglich mündliche Erklärung sei nicht wirksam,891 ist nicht ganz korrekt. Aus dem Gesetz lässt sich ein Schriftformerfordernis nicht ableiten. Sofern sich der Gläubiger mit einer mündlichen Abschlusserklärung zufrieden gibt, fehlt ihm das Rechtsschutzinteresse für eine dennoch eingereichte Klage. Ein gut beratener Gläubiger wird zur Vermeidung von Beweisschwierigkeiten aber immer auf einer schriftlich ausformulierten Erklärung892 bestehen; angesichts der Feinheiten der Erklärung, die sonst unliebsamen Interpretationen Tür und Tor öffnet, wäre alles andere eine sträfliche Vernachlässigung der eigenen Interessen. Der Gläubiger hat daher auf eine schriftliche Bestätigung der Erklärung einen Anspruch.893 Kommt dem der Schuldner nicht nach, wird im Nachhinein deutlich, dass ihm von Anfang an der Wille für eine ernst gemeinte Erklärung abzusprechen ist.894 In Zeitnot abgegebene mündliche Erklärungen sind daher zunächst vom Gläubiger zu respektieren, verlieren aber ihre Bedeutung, wenn die sogleich versprochene oder nachträglich geforderte schriftliche Bestätigung ausbleibt.895 Hat der Gläubiger im vorangegangenen Abschlussschreiben keinen Zweifel daran gelassen, dass ihn nur eine schriftliche Abschlusserklärung von einer Klage abhalten werde, wird er eine gleichwohl kommentarlos nur mündlich abgegebene Erklärung nicht beachten müssen.896

8. Beweislast für Zugang 322 Die Abschlusserklärung kann ihre Aufgabe, das Rechtsschutzinteresse für eine Klage entfallen zu lassen, nur erfüllen, wenn der Gläubiger von ihr auch Kenntnis hat. Es ist deshalb der Zugang der Erklärung erforderlich, damit sie ihre Wirkungen entfalten kann.897 Beweispflichtig für den Zugang ist der Schuldner,898 weil er sich auf einen prozessualen Ausnahmetatbestand beruft. Grundsätzlich hat jeder Gläubiger das Recht, nach einem Verfügungsverfahren das Klageverfahren zur Hauptsache durchzuführen; der Schuldner wendet ein, dies sei ausnahmsweise wegen der von ihm abgegebenen und dem Gläubiger zugegangenen Abschlusserklärung nicht möglich.

890 Allgemeine Meinung: Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 642; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.74; Teplitzky/Bacher Kap. 43 Rn. 12. 891 GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 310; Harte/Henning/Retzer Rn. 645. 892 Eine Erklärung zu Protokoll des Gerichts steht dem gleich, Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 645. 893 Fritzsche Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage, 2000 S. 627; FBO/Büscher § 12 Rn. 168; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.75; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 553; Berneke/Schüttpelz Rn. 631; Hess in: jurisPK-UWG § 12 Rn. 187; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 508; Schuschke/Walker/Kessen Anhang zu § 935 D. Rn. 8. 894 So zutreffend Ahrens Kap. 58 Rn. 37; Berneke/Schüttpelz Rn. 631. 895 Vgl. Teplitzky/Bacher Kap. 43 Rn. 14; FBO/Büscher § 12 Rn. 168. 896 Zutreffend Teplitzky/Bacher Kap. 43 Rn. 14. 897 Allgemeine Meinung: siehe nur Teplitzky/Bacher Kap. 43 Rn. 9; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 646; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 553. 898 Ebenfalls allgemeine Meinung, vgl. zusätzlich zu den Belegen in der vorangegangenen Fn. FBO/Büscher § 12 Rn. 169; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.76; Schuschke/Walker/Kessen Anhang zu § 935 D. Rn. 8. Schwippert

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9. Erfordernis der Annahme der Erklärung? Die Abschlusserklärung, die der Mescher weis–Entscheidung des BGH899 folgt und sich auf prozes- 323 suale Verzichtserklärungen beschränkt, bedarf keiner Annahme durch den Gläubiger. Anders kann es sein, wenn das Schreiben des Schuldners zugleich materiell-rechtliche Erklärungen wie eine kausale Schuldbestätigung900 enthält. Ist dem ein entsprechendes Abschlussschreiben vorausgegangen, bedeutet allerdings die Abschlusserklärung bereits die Vertragsannahme.901 Zudem ist schwer vorstellbar, dass über § 139 BGB die Abschlusserklärung auch in ihrem prozessualen Verzichtsteil zum Einsturz gebracht werden kann, weil der Gläubiger das Angebot der kausalen Schuldbestätigung – vermutlich dem Grundsatz von Treu und Glauben zuwider – nicht angenommen hat.

10. Rechtsfolgen der ordnungsgemäßen Erklärung Eine inhaltlich ordnungsgemäße Abschlusserklärung beseitigt nicht nur das Rechtsschutzinte- 324 resse für eine dem Verfügungsantrag entsprechende Klage in der Hauptsache, sondern auch für eine neue Klage wegen einer anderen, aber im Kern gleichen Verletzungshandlung. Darin beweist sich, dass der im Verfügungsverfahren erstrittene Titel einem im Hauptsacheverfahren gelungenen Erfolg aufgrund der Abschlusserklärung gleichsteht. In einer wegen des komplizierten Sachverhalts nicht rasch verständlichen Entscheidung, die eine Abschlusserklärung zum Gegenstand hatte, hat der BGH902 entschieden, dass das Rechtsschutzinteresse für eine auf einer neuen Verletzungshandlung beruhenden Klage auch dann zu verneinen ist, wenn diese gegenüber dem Streitgegenstand des Eilverfahrens eine zusätzliche Verletzungsvariante enthält, solange sich der Klageantrag mit dem Verbot der konkreten Verletzungsform bescheidet. Dann soll nur eine Klage zulässig sein, mit der allein die Verletzungsvarianten angegriffen werden, die im Verfügungsverfahren noch nicht Gegenstand der Auseinandersetzung gewesen sind. Diese Lesart ist nicht zwingend; sie soll hier aber nicht weiter kommentiert werden, da sie nichts mit Besonderheiten des Eilverfahrens oder der Abschlusserklärung zu tun hat, sondern einer bestimmten Auffassung geschuldet ist, in welcher Form unter Bezugnahme auf die konkrete Verletzungsform zwei aufeinanderfolgende Klagen geführt werden können, bei denen sich die Verletzungsformen teilweise, aber nicht vollständig überlappen. Ein rechtskräftiges, der Klage stattgebendes Urteil in der Hauptsache schließt eine nachfol- 325 gende negative Feststellungsklage– res iudicata –wie auch eine begründete Schadensersatzklage nach § 945 ZPO aus, da rechtskräftig feststeht, dass der im Eilverfahren erstrittene Titel zu Recht bestanden hat. Dieselben Wirkungen treten demzufolge auch durch eine Abschlusserklärung ein.903 Dagegen geht von einem in einem Hauptsacheverfahren ergangenen rechtskräftigen Unterlassungsurteil für eine nachfolgende Schadensersatzklage keine Bindungswirkung aus.904 Der

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BGH 2.7.2009 – I ZR 146/07 – GRUR 2009, 1096 – Mescher weis. Vgl. Ahrens Kap. 58 Rn. 32. Darauf weist Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.76 zutreffend hin. BGH 19.5.2010 – I ZR 177/07 – GRUR 2010, 855 Rn. 18–23 – Folienrollos mit zustimmender Anm. von Teplitzky LMK 2010, 306927. 903 H. M.: Steinmetz S. 112; FBO/Büscher § 12 Rn. 163; Spätgens/Chang/Herrmann UWG-Hdb. § 111 Rn. 10a; Harte/ Henning/Retzer § 12 Rn. 647; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.77; Teplitzky/Bacher Kap. 43 Rn. 11; Schuschke/ Walker/Kessen Anhang zu § 935 D. Rn. 9; Berneke/Schüttpelz Rn. 629 betreffend eine negative Feststellungsklage; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 509 im Hinblick auf § 945 ZPO. 904 So BGH 2.5.2002 – I ZR 45/01 – BGHZ 150, 377 = GRUR 2002, 1046 – Faxkarte. 975

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Einstweiliger Rechtsschutz, Veröffentlichungsbefugnis, Streitwertminderung

im ersten Verfahren bejahte Verletzungstatbestand ist im zweiten Verfahren unabhängig neu zu prüfen. Bei einer Abschlusserklärung verhält es sich – selbstverständlich – ebenso.905 326 Ein rechtskräftiger Unterlassungstitel in einem Hauptsacheverfahren beseitigt, solange es nicht zu neuen Verstößen kommt, die Wiederholungsgefahr nicht nur gegenüber dem Titelgläubiger, sondern auch gegenüber Dritten, sofern sich nur diesen gegenüber der Schuldner auf den von ihm zu beachtenden Titel beruft.906 Analoge Wirkungen hat die ordnungsgemäße Abschlusserklärung.907 Infolgedessen kann ein Schuldner den an ihn heran tretenden Dritten die Abschlusserklärung vorlegen und sie belehren, dass sie über den geltend gemachten Unterlassungsanspruch mangels Wiederholungsgefahr nicht mehr verfügen.908

X. Die Vollziehung der einstweiligen Verfügung 1. Grundgedanke 327 Nach §§ 929 Abs. 2, 936 ZPO ist die Vollziehung eines Verfügungsbefehls nicht mehr statthaft, wenn seit dem Tage, an dem der Befehl verkündet oder der Partei, auf deren Gesuch er erging, zugestellt worden ist, ein Monat verstrichen ist. Es handelt sich um eine Vorschrift zum Schutz des Schuldners, die der Gesetzgeber für erforderlich erachtet hat, um zu verhindern, dass der Gläubiger zunächst die Zeit ins Land gehen lässt und später den Verfügungsbefehl unter veränderten Umständen vollstreckt. Die Regelung stellt sicher, dass der Schuldner, der vom Erlass der Verfügung Kenntnis erhalten hat, nicht über längere Zeit im Ungewissen bleibt, ob er aus dem Titel noch in Anspruch genommen wird. Sie stellt einen verfassungsrechtlich unbedenklichen909 Ausgleich dafür dar, dass die sonstige Ausgestaltung des Eilverfahrens den Gläubiger in den Stand setzen kann, unter (sehr) erleichterten Bedingungen zu einem vollstreckbaren Titel zu gelangen. Die Vollziehung des erstrittenen Titels innerhalb einer Monatsfrist ist dem Gläubiger umso selbstverständlicher zuzumuten, als er auf die Vergünstigungen des staatlichen Eilverfahrens mit der Erklärung zugegangen ist, die Angelegenheit sei für ihn zu dringend, um das Ergebnis einer Klage abwarten zu können.910 Die Vollziehung des Verfügungsbefehls ist der Beginn seiner Vollstreckung; von daher ist es ein organischer Aufbau, sie – wie hier – erst im Anschluss an das Abschlussverfahren und die Möglichkeiten, die Verfügung aufheben zu lassen, darzustellen. Auf der anderen Seite ist die Vollziehung notwendig, um die einstweilige Verfügung bei Bestand zu lassen, in diesem Sinne also Wirksamkeitsvoraussetzung. Wegen dieses Januskopfes911 werden die Fragen der Vollziehung daher oft vor den Anträgen, die der nachträglichen Beseitigung des Verfügungsbefehls dienen, behandelt.912 905 OLG Jena 14.11.2007 – 2 U 314/07 – GRUR-RR 2008, 92 – Abfallkondome; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 650; Teplitzky/Bacher Kap. 43 Rn. 11.

906 BGH 19.12.2002 – I ZR 160/00 – GRUR 2003, 450 – Begrenzte Preissenkung; ausführliche und überzeugende Begründung bei Bornkamm FS Tilmann S. 769 ff.

907 OLG Hamburg 30.1.2020 – 3 U 79/18 – WRP 2020, 773 stellt bei der Abweisung der Hauptsacheklage des Titelgläubigers nach ordnungsgemäßer Abschlusserklärung nicht auf das Rechtsschutzinteresse ab, sondern auf den Wegfall der Wiederholungsgefahr (Besprechung von Rehart GRURPrax 2020, 190). 908 Weitaus h. M.: FBO/Büscher § 12 Rn. 171; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 554; Teplitzky/Bacher Kap. 43 Rn. 11a; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 648; Büscher/Dittmer/Schiwy vor § 12 UWG Rn. 166; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.77; Schuschke/Walker/Kessen Anhang zu § 935 D. Rn. 11; a. A. Ahrens Kap. 55 Rn. 31. 909 BVerfG 27.4.1988 – 1 BvR 549/87 – NJW 1988, 3141. Walker, Der einstweilige Rechtsschutz Rn. 566 hält die Vorschrift darüber hinaus rechtsstaatlich für geboten. 910 Vgl. Schuschke/Walker § 929 Rn. 6. 911 S. dazu Bernreuther WRP 2019, 1143 Rn. 10–13. 912 Vgl. GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 143 ff.; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 364 ff., Rn. 479 ff.; Hdb. des Wettbewerbsrechts §§ 103, 107; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 37 ff. und Kap. 56 Rn. 1 ff. Schwippert

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X. Die Vollz. der einstw. Verfügung. A. Einstw. Verf., Abschlusserklärung u. -schreiben

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2. Notwendigkeit Die Notwendigkeit der Vollziehung hängt nach dem Wortlaut des § 929 Abs. 2 ZPO nicht davon 328 ab, ob die Anordnung in einem Beschluss oder in einem Urteil enthalten war. Dennoch war lange streitig, ob die durch Urteil erlassenen einstweiligen Verfügungen nicht aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift vollständig herauszunehmen seien913 oder – falls das zu verneinen war – die von Amts wegen veranlasste Zustellung des Urteils an den Schuldner zur Vollziehung genügen sollte.914 Insoweit gab es nicht lediglich unterschiedliche Meinungen im Schrifttum,915 sondern auch ein – mittlerweile beendetes916 – Schisma in der obergerichtlichen Rechtsprechung. Diese917 geht inzwischen einhellig in Übereinstimmung mit der ganz h. M. im Schrifttum918 davon aus, dass über § 929 Abs. 2 ZPO ausnahmslos und auch bei Urteilsverfügungen von dem Gläubiger eine Initiative verlangt wird, mit der deutlich wird, dass er von dem erstrittenen Titel Gebrauch machen und das Risiko einer späteren Haftung gemäß § 945 ZPO in Kauf nehmen will. Das gilt für die Urteilsverfügung nicht anders als für die Beschlussverfügung und kann nicht durch eine Amtszustellung des Urteils ersetzt werden, die von dem Gläubiger nicht veranlasst ist und die er nicht verhindern kann.919

3. Wiederholte Vollziehung Eine wiederholte Vollziehung wird erforderlich, sofern die Beschlussverfügung im erstinstanzli- 329 chen Widerspruchsverfahren aufgehoben und vom Berufungsgericht die Anordnung erneut getroffen wird. Da die Aufhebungsentscheidung der ersten Instanz die Verfügung rückwirkend vernichtet hat, stellt die Berufungsentscheidung keine Bestätigung des ursprünglichen Beschlusses dar. Infolgedessen ist eine abermalige Vollziehung unabdingbar.920

913 So OLG Hamburg 1.3.1973 – 3 U 184/72 – WRP 1973, 346; OLG Hamburg 20.12.1979 – 3 U 99/79 – WRP 1980, 341; OLG Bremen 27.9.1979 – 2 U 19/79 – WRP 1979, 791; OLG Oldenburg 12.3.1992 – 1 U 3/92 – WRP 1992, 412.

914 So OLG Stuttgart 24.10.1980 – 2 U 134/80 – WRP 1981, 291; OLG Stuttgart 24.6.1983 – 2 U 30/83, 2 U 21/83 – WRP 1983, 647 (Ls.); OLG Celle 29.5.1990 – 4 U 14/90 – NJW-RR 1990, 1088; vgl. die Darstellung von GK-UWG/ Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 157. 915 Gegen die Notwendigkeit einer Parteizustellung früher Castendiek WRP 1979, 527; Weber BB 1981, 877, 879; Knieper WRP 1997, 815, 817; Gleußner, Die Vollziehung von Arrest und einstweiliger Verfügung in ihren zeitlichen Grenzen, 1999, S. 435, 436. 916 Das übersieht Wüstenberg WRP 2010, 1237 mit antiquierten Belegen in Fn. 2. 917 Vgl. BGH 22.10.1992 – IX ZR 36/92 – BGHZ 120, 73, 78 f. = GRUR 1993, 415, 416 f. mit Anm. Teplitzky; unter ausdrücklicher Aufgabe des früher vertretenen gegenteiligen Standpunktes OLG Hamburg 24.10.1996 – 3 U 106/ 96 – WRP 1997, 53, 54; OLG Stuttgart 21.8.2008 – 2 U 13/08 – WRP 2009, 338; OLG Oldenburg 14.9.2010 – 1 W 40/ 10 – WRP 2011, 508, 509; OLG Celle 7.5.1997 – 13 U 37/97 – NJWE-WettbR 1998, 1, 2 – anders OLG Celle 29.5.1990 – 4 U 14/90 – NJW-RR 1990, 1088; kontinuierliche Rechtsprechung bei OLG Dresden 11.2.1997 – 14 U 1119/96 – NJWEWettbR 1997, 277, 279; OLG Düsseldorf 31.10.2000 – 20 U 126/00 – GRUR-RR 2001, 94; OLG München 26.2.1998 – 6 U 6085/97 – NJWE-WettbR 1998, 282 f. 918 Teplitzky WRP 1998, 935 ff.; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 38; Ahrens WRP 1999, 1, 4 f.; Bork WRP 1989, 360, 364; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 497; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 368; Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 164; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.61; FBO/Büscher § 12 Rn. 155; Hess in: juris-PK-UWG § 12 Rn. 163; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 521; Spätgens/Kessen UWG-Hdb. § 103 Rn. 7; Schuschke/Walker § 929 Rn. 28; a. A. jetzt noch Wüstenberg WRP 2010, 1237 ff.; Zöller/Vollkommer § 929 Rn. 12, 18. 919 Vgl. Schuschke/Walker § 929 Rn. 23. 920 OLG Hamburg 24.10.1996 – 3 U 106/96 – WRP 1997, 53, 54; OLG Düsseldorf 12.3.1999 – 22 U 66/98 – NJWRR 2000, 68; Berneke/Schüttpelz Rn. 569; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 49a; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 514; Spätgens/Kessen UWG-Hdb. § 103 Rn. 9; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 498; MünchKommZPO/Drescher § 929 Rn. 7; Stein/Jonas/Grunsky § 929 Rn. 6; Schuschke/Walker § 929 Rn. 13. 977

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Einstweiliger Rechtsschutz, Veröffentlichungsbefugnis, Streitwertminderung

Hat der Gläubiger im Laufe des Verfahrens sein Petitum erfolgreich erweitert, muss er den erweiternden Titel neu vollziehen, um sich dessen Wirksamkeit zu sichern.921 Anders ist es, falls den Gläubiger im Verfahrensverlauf das Schlachtenglück teilweise verlassen hat und ein trennbarer Teil des geltend gemachten Anspruchs abgewiesen wird. Die erneute Vollziehung des verbliebenen Titels mit dem aufrechterhaltenen Minus ist entbehrlich.922 Zweifelsfrei handelt es sich um ein Minus, wenn bei mehreren zunächst kumulativ erfolgreichen Anträgen im weiteren Verfahrensfortgang ein Antrag der Abweisung unterliegt. Von einem eine neue Vollziehung nicht erfordernden Weniger geht die Rechtsprechung auch dann aus, wenn die Abstrahierung eingeschränkt und das Verbot stärker auf die konkrete Verletzungsform bezogen wird.923 Falls es dabei aber zu einer Umformulierung kommt, können rasch Zweifel entstehen, ob es sich um unschädliche redaktionelle Korrekturen handelt oder sie doch als Änderungen in der Sache anzusehen sind.924 Mit Recht trifft der Anwalt daher auf den verbreiteten Ratschlag, lieber die Kosten für eine zweite Vollziehung zu riskieren.925 Eine Entscheidung, die einen Widerspruch oder die Berufung zurückweist, braucht nicht erneut vollzogen zu werden,926 und zwar auch dann nicht, wenn die ältere Begründung modifiziert wird.927

4. Sicherheitsleistung 331 a) Meinungsstand. In der Rechtsprechung und modernen Kommentarliteratur wird allgemein die Auffassung vertreten, eine Entscheidung, mit der nachträglich eine Sicherheitsleistung des Antragstellers angeordnet werde, bedürfe der erneuten Vollziehung. Es handele sich nicht lediglich um eine Einschränkung der Anordnung, sondern um eine inhaltliche Änderung. Auch die Sicherheitsleistung müsse innerhalb der Vollziehungsfrist erbracht werden.928 Die im Zuge einstweiliger Maßnahmen nach den §§ 707, 719, 924 Abs. 3 S. 2 ZPO angeordnete Sicherheitsleistung berühre dagegen den Inhalt der einstweiligen Verfügung und das Vollziehungserfordernis nicht.929

921 Allgemeine Meinung: OLG Köln 31.7.1998 – 6 U 205/97 – GRUR 1999, 89; OLG Hamburg 2.11.2006 – 3 U 271/ 05 – GRUR-RR 2007, 152, 155; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 49; FBO/Büscher § 12 Rn. 159; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 12 Rn. 3.65. 922 H. M.: Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 514; FBO/Büscher § 12 Rn. 159; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 372; Schuschke/Walker § 929 Rn. 11; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 498; Ahrens/Büttner Kap. 57 Rn. 24; a. A. GKUWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 159 mit Fn. 440. 923 Vgl. OLG Karlsruhe 9.10.1996 – 6 U 42/96 – WRP 1997, 57; OLG Karlsruhe 7.5.1998 – 4 U 170/97 – NJWE-WettbR 1999, 39, 40; OLG Frankfurt a. M. 19.10.2000 – 15 U 134/00 – WRP 2001, 66; OLG Köln 17.1.2002 – 6 W 114/01 – WRP 2002, 738, 739; OLG Hamburg 2.11.2006 – 3 U 271/05 – GRUR-RR 2007, 152, 154 – Das Klett-Shirt/klettSHIRTS; OLG Stuttgart 21.8.2008 – 2 U 13/08 – WRP 2009, 337 (Ls). 924 Vgl. OLG Saarbrücken 25.9.2013 – 1 U 42/13 – GRUR-RR 2014, 91, 92 („neue Zustellung der bestätigenden Urteilsverfügung nur bei inhaltlicher Änderung“); OLG Frankfurt a. M. 15.11.2018 – 6 U 103/18 – GRUR 2019, 664. 925 Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 372; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 49; Schuschke/Walker § 929 Rn. 15. 926 Schuschke/Walker § 929 Rn. 11. 927 KG 28.1.2000 – 5 W 8802/99 – NJWE-WettbR 2000, 197; OLG Köln 18.7.2001 – 6 U 73/01 – OLGR 2002, 50, 51; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 498; Spätgens/Kessen UWG-Hdb. § 103 Rn. 9; Ahrens/Büttner Kap. 57 Rn. 24; Berneke/Schüttpelz Rn. 567; a. A. GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 159. 928 OLG Celle 20.1.2006 – 13 W 5/06 – OLGR 2006, 378 f.; OLG Frankfurt a. M. 28.2.1980 – 6 U 122/79 – WRP 1980, 423; OLG Hamm 27.9.1994 – 9 U 79/94 – OLGR 1994, 244; OLG München 18.2.1988 – 19 U 6445/87 – NJW-RR 1988, 1466; OLG Oldenburg 28.7.1999 – 2 W 74/99 – OLGR 2000, 44; Spätgens/Kessen UWG-Hdb. § 103 Rn. 32; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 499; Schuschke/Walker § 929 Rn. 11. 929 KG 25.3.1986 – 5 U 6150/85 – NJW–RR 1986, 1127; Berneke/Schüttpelz Rn. 568. Schwippert

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X. Die Vollz. der einstw. Verfügung. A. Einstw. Verf., Abschlusserklärung u. -schreiben

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b) Stellungnahme. Diese Auffassung ist in doppelter Hinsicht problematisch. Die Differenzie- 332 rung zwischen der mit einer einstweiligen Maßnahme angeordneten und der in der Verfügungsentscheidung selbst bestimmten Sicherheitsleistung ist (nur) formal korrekt, innerlich aber nicht zu rechtfertigen. Der Gläubiger kann sich nur gratulieren, wenn er von dem Zufall profitiert, dass die Sicherheitsleistung nicht mit der Verfügungsentscheidung verbunden worden ist. Dann kann er den Titel vollziehen und sich seinen Bestand erhalten, ohne die Sicherheitsleistung sofort erbringen zu müssen. Richtiger wäre es, mit der Zustellung des Beschlusses, der die Sicherheitsleistung anordnet, eine neue Vollziehungsfrist beginnen zu lassen, innerhalb derer die Sicherheit erbracht werden muss. Zum zweiten basiert die Auffassung, die erstmalige Anordnung der Sicherheitsleistung in einer sonst bestätigenden Entscheidung erfordere eine neue Vollziehung, unausgesprochen auf der Vorstellung, der eine Sicherheitsleistung anordnende Verfügungsbeschluss habe gleichfalls zur Folge, dass innerhalb der Vollziehungsfrist auch die Sicherheitsleistung erbracht werden müsse. Das droht in allen Fällen zu einem nicht akzeptablen Ergebnis zu führen, in denen der Gläubiger die von ihm für falsch gehaltene Anordnung der Sicherheitsleistung – sei es mit sofortiger Beschwerde oder mit der Berufung – angreift und zu deren Erbringung entweder nicht in der Lage oder nur unter Opfern fähig ist, die ihm den weiteren Einsatz nicht lohnend erscheinen lassen. Kann er die zweitinstanzliche Entscheidung nicht noch innerhalb der Vollziehungsfrist erreichen – was allein bei einer sofortigen Beschwerde gegen die Beschlussverfügung gelingen mag – droht sein Rechtsmittel leerzulaufen, auch wenn es formal erfolgreich ist und zur Beseitigung der Sicherheitsleistung führt. Die Verfügung scheint nämlich insgesamt unwirksam zu sein, weil sie nicht fristgerecht vollzogen worden ist. Dieses unhaltbare Ergebnis930 lässt sich nur vermeiden, indem man, wie es die herrschende Meinung auch tut, mit einem erfolgreichen Angriff gegen die Sicherheitsleistung eine neue Vollziehungsfrist beginnen lässt.931 Abzulehnen ist die einschränkende Ansicht, eine neue Vollziehungsfrist allein dann starten zu lassen, wenn das Rechtsmittel innerhalb der ersten Vollziehungsfrist eingelegt worden ist.932 Das würde den Gläubiger bei einem nicht sogleich eingelegten Widerspruch regelmäßig vor vollendete Tatsachen stellen. Gelingt die Beseitigung der Sicherheitsleistung freilich nicht, unterliegt die nicht vollzogene einstweilige Verfügung der Aufhebung.933 5. Entbehrlichkeit der Vollziehung Die Vollziehung ist – was sich dem Wortlaut des § 929 Abs. 2 ZPO nicht entnehmen lässt – nicht 333 erforderlich, wenn der titulierte Anspruch erloschen ist.934 Das kann auf einer Unterwerfungserklärung des Schuldners935 oder darauf beruhen, dass er den Anspruch erfüllt hat, indem er etwa einer Beseitigungsverfügung vor dem Beginn von Zwangsmaßnahmen entsprochen hat.936 In dieser Lage macht die Androhung der Vollstreckung keinen Sinn; auf Aufforderung des Schuld930 Zu dem aber GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 156 gekommen ist, der eine doppelte Vollziehung für unabdingbar hielt.

931 Vgl. Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 512; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 41; ebenso OLG Stuttgart 15.5.1981 – 2 U 24/81 – WRP 1982, 50, 51, wo sich der ausländische Gläubiger devisenrechtlich außer Stand erklärt hatte, die geforderte Bankbürgschaft zu leisten. 932 So aber Zöller/Vollkommer § 929 Rn. 7 a. E.; Stein/Jonas/Grunsky § 929 Rn. 7; MünchKommZPO/Drescher § 929 Rn. 7. 933 OLG Celle 6.5.2010 – 13 U 194/09 – Magazindienst 2010, 708 – Cranberry-Saft; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 512; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 41. 934 Ahrens/Büttner Kap. 57 Rn. 27; FBO/Büscher § 12 Rn. 152; Melullis Rn. 220; Berneke/Schüttpelz Rn. 561; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 497. 935 OLG Düsseldorf 16.7.2019 – I-20 W 59/19, 20 W 59/19 – WRP 2019, 1485 Rn. 25 – Fehlendes Formblatt. 936 Vgl. den vom OLG Hamburg 18.9.1997 – 3 U 39/97 – Magazindienst 1998, 192 entschiedenen Fall; FBO/Büscher § 12 Rn. 152; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 38. 979

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Einstweiliger Rechtsschutz, Veröffentlichungsbefugnis, Streitwertminderung

ners hätte der Gläubiger den Titel an ihn herauszugeben.937 Ist er dazu nicht bereit, kann der Schuldner einen Aufhebungsantrag nach § 927 ZPO einreichen, ihn mit dem Erlöschen des Anspruchs als einem verändernden Umstand begründen und den Titel aus dem Verfügungsverfahren mit ex tunc–Wirkung aufheben lassen.938 Dagegen ist er nicht berechtigt, den Aufhebungsantrag auf die ausgebliebene Vollziehung zu stützen mit der Folge, dass der Verfügungstitel rückwirkend beseitigt würde.939 Die Vollziehung ist auch nach einer Abschlusserklärung entbehrlich.940 Der Verfügungstitel ist jetzt so viel wert wie ein Titel aus einem Hauptsacheverfahren; die für das Eilverfahren geltenden Sondervorschriften spielen keine Rolle mehr.

6. Erste Vollziehungsmaßnahme 334 Die erste Vollziehungsmaßnahme ist der Beginn der Zwangsvollstreckung; sie unterliegt je nach Art des vollstreckbaren Anspruchs besonderen Regeln.

a) Parteizustellung beim Unterlassungsanspruch. Bei dem wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch bereitet der Satz, die Vollziehung sei der Beginn der Zwangsvollstreckung, erhebliches Kopfzerbrechen. Im Regelfall verstößt der Schuldner nicht schon in der Vollziehungsfrist gegen das gerichtliche Gebot. Eine Zuwiderhandlung ist indessen Voraussetzung für den Antrag nach § 890 ZPO, mit dem die Zwangsvollstreckung zur Erzwingung von Unterlassungen beginnt. Ein unbedingter Gehorsam gegenüber der Begrifflichkeit hätte das absurde Resultat, dass eine Vollziehung gegenüber einem in der Vollziehungsfrist die Anordnung respektierenden Schuldner nicht möglich wäre941 und eine Verfügung nur gegenüber widerspenstigen Schuldnern bei Bestand bleiben könnte. Um das zu vermeiden, genügt zur Vollziehung von Unterlassungsansprüchen nach heute allgemeiner Meinung die Parteizustellung der gerichtlichen Entscheidung, sofern diese – was auf Antrag des Gläubigers zu geschehen hat – die Androhung von Ordnungsmitteln enthält.942 Werden die Ordnungsmittel danach in einem gesonderten Beschluss angedroht, ist dessen Zustellung innerhalb der Vollziehungsfrist erforderlich.943 Dagegen genügt es nicht, dass innerhalb der Vollziehungsfrist ein Antrag auf nachträgliche Ordnungsmittelandrohung bei Gericht gestellt wird; damit ist nicht die fristgerechte Unterrichtung des Schuldners verbunden, dass der Gläubiger ernst machen will.944 937 Im Ergebnis ebenso Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 510 mit der allerdings nicht gut nachvollziehbaren Begründung, es bedürfe in diesen Fällen der Vollziehung nicht, weil die Frist „vom Gesetz sozusagen zur Disposition gestellt“ werde und es einer „Bekundung eines entsprechenden Gebrauchmachens“ nicht mehr bedürfe. 938 Vgl. GK-UWG/Schultz-Süchting¹ § 25 Rn. 146. 939 OLG Hamm 6.2.1979 – 4 W 12/79 – WRP 1979, 563; OLG München 29.6.1993 – 29 U 2768/93 – GRUR 1994, 83. 940 Vgl. Berneke/Schüttpelz Rn. 561; FBO/Büscher § 12 Rn. 153. 941 Berneke/Schüttpelz Rn. 562; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 41; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.62; Schuschke/Walker § 929 Rn. 28. 942 BGH 13.4.1989 – IX ZR 148/88 – WRP 1989, 514, 517; BGH 2.11.1925 – IX ZR 141/94 – BGHZ 131, 141 = WRP 1996, 104; OLG Köln 20.12.2000 – 6 U 131/00 – GRUR 2001, 456; OLG Düsseldorf 21.4.2015 – I-20 U 181/14, 20 U 181/14 – WRP 2015, 764, 766; Ahrens WRP 1999, 1, 5; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 41; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.62; FBO/Büscher § 12 Rn. 155; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 500; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 520; Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 163; Ahrens/Büttner Kap. 57 Rn. 9–14. 943 BGH 2.11.1995 – IX ZR 141/94 – NJW 1996, 198, 199 mit zahlreichen Nachweisen; OLG Köln 16.6.2000 – 6 W 54/00 – GRUR-RR 2001, 71; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 41; MünchKommUWG/Schlingloff § 12 Rn. 500; Harte/ Henning/Retzer § 12 Rn. 522. 944 A. A. Schuschke/Walker § 929 Rn. 29; vgl. auch die Formulierungen bei OLG Hamburg 6.6.1996 – 3 U 9/96 – GRUR 1997, 147, 148, wo allerdings angesichts des völligen Fehlens eines Ordnungsmittelantrags eine genauere Differenzierung zur Entscheidung des Falles nicht erforderlich war. Schwippert

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X. Die Vollz. der einstw. Verfügung. A. Einstw. Verf., Abschlusserklärung u. -schreiben

§ 12 A

b) Zustellung des Antrags auf Verhängung eines Ordnungsgeldes. Es kommt gelegent- 335 lich vor, dass der Schuldner gegen den Verfügungsbefehl sofort nach dessen Wirksamkeit verstößt, weil er es nicht geschafft hat, den störenden Zustand schnell genug zu beseitigen – insbesondere bei Internetauftritten gelingt die nachhaltige Beseitigung im Netz oft nicht auf Anhieb. Der Gläubiger ist dann in der Lage, innerhalb der Vollziehungsfrist einen Ordnungsgeldantrag nach § 890 ZPO einzureichen und diesen Antrag dem Schuldner zuzustellen. Damit ist die Verfügung im Sinn des § 929 Abs. 2 ZPO vollzogen, ohne dass zusätzlich die Zustellung des Urteils oder der Beschlussverfügung im Parteibetrieb erforderlich wäre.945 Die nicht mehr ganz aktuelle gegenteilige Auffassung946 hatte aus dem Blick verloren, dass die Parteizustellung als Notbehelf erfunden worden ist, um die Vollziehung bei Fehlen einer Zuwiderhandlung des Schuldners und der Unmöglichkeit von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen dennoch in die Wege leiten zu können.

c) Zustellung durch andere formalisierte Maßnahmen? Seit einer Entscheidung des BGH 336 aus dem Jahr 1989947 wird im Schrifttum breit und ganz überwiegend bejahend948 die Frage erörtert, ob neben der Parteizustellung der Verfügungsentscheidung und neben dem formellen Beginn der Zwangsvollstreckung weitere Maßnahmen denkbar sind, mit denen der Gläubiger seine Absicht, von dem Titel Gebrauch zu machen, deutlich zum Ausdruck bringt. Das sollen Maßnahmen sein, die hinreichend formalisiert, beispielsweise urkundlich belegt oder in anderer Weise leicht und sicher feststellbar sind.949 Dafür ist in der Vergangenheit – zur ersten Ausnahme sogleich – nirgendwo ein konkretes positives Beispiel genannt worden.950 Die in diesem Zusammenhang zitierte Rechtsprechung betraf samt und sonders Fälle, in denen die hinreichende Formalisierung und mit ihr eine wirksame Vollziehung verneint worden sind, sei es bei mündlichen Hinweisen,951 der Telefaxübermittlung eines Teils des Verhandlungsprotokolls mit dem Urteilstenor952 oder der Übersendung einer Urteilsverfügung als Anlage eines privaten Anwaltsschreibens.953 Keinesfalls trifft es zu, dass der BGH einen Antrag auf Festsetzung von Ord945 BGH 13.4.1989 – IX ZR 148/88 – WRP 1989, 514, 516 unter 2 a bb; OLG Hamburg 8.7.1993 – 3 U 68/93 – WRP 1993, 822, 823; OLG Dresden 11.2.1997 – 14 U 1119/96 – WRP 1997, 577, 582; KG 5.9.1997 – WRP 1998, 410, 411 f.; Vohwinkel GRUR 2010, 977, 979; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 42; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 522; Melullis Rn. 216; FBO/Büscher § 12 Rn. 155; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.62; Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 164; Ahrens/ Büttner Kap. 57 Rn. 15; Spätgens/Kessen § 103 Rn. 7. 946 A. A. früher OLG Frankfurt a. M. 29.10.1981 – 6 U 36/81 – OLGZ 1982, 346, 348; OLG Düsseldorf 2.5.1985 – 6 U 35/85 – WRP 1985, 640, 641; Borck WRP 1977, 556 ff.; Ulrich WRP 1991, 361, 366, 368. 947 BGH 13.4.1989 – IX ZR 148/88 – WRP 1989, 514, 516 f.; die Entscheidung will ausschließlich begründen, warum Vollstreckungsmaßnahmen für die Vollziehung nicht unabdingbar sind. Der in diesem unmittelbaren Zusammenhang formulierte Satz: „Es reicht aus, dass der Verfügungskläger durch Parteizustellung innerhalb der Vollziehungsfrist seinen Willen äußert, von der einstweiligen Verfügung Gebrauch zu machen“, wurde in der Folgezeit so interpretiert, als könnten die Worte „durch Parteizustellung“ ersatzlos entfallen. (Vgl. insbesondere Altmeppen WM 1989, 1157, 1160, 1163, dessen Folgerungen Ulrich WRP 1991, 361, 366 – unter V.3 – „verständlich“ fand. 948 FBO/Büscher § 12 Rn. 155; Harte/Henning/Retzer § 12 Rn. 523; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 3.62; Berneke/Schüttpelz Rn. 583; Ahrens/Büttner Kap. 57 Rn. 15; Büscher/Schmidt § 12 UWG Rn. 375; Ohly/Sosnitza § 12 Rn. 164; Teplitzky/Feddersen Kap. 55 Rn. 42; Büscher/Dittmer/Schiwy vor § 12 UWG Rn.