UWG: Band 1 Einleitung; §§ 1-3 [3rd edition] 9783110545883, 9783110545517

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UWG: Band 1 Einleitung; §§ 1-3 [3rd edition]
 9783110545883, 9783110545517

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
Einleitung
A. Wettbewerb und Wirtschaftsordnung
B. Geschichtliche Entwicklung. Rechtsquellen
C. Europäisches Wettbewerbsrecht
D. Internationales Wettbewerbsrecht
E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht
F. Wettbewerb der öffentlichen Hand
G. Einordnung des Wettbewerbsrechts in das Rechtssystem
§ 1 Zweck des Gesetzes
§ 2 Definitionen
§ 3 Verbot unlauterer geschäftlicher Handlungen
Schrifttum
Gesetzgebungsmaterialien
Alphabetisches Stichwortverzeichnis
A. Grundlagen zu § 3
B. Sonstige unlautere geschäftliche Handlungen, § 3 Abs. 1
C. Der Tatbestand des § 3 Abs. 2
D. Der Tatbestand des § 3 Abs. 3
E. Für die Beurteilung maßgeblicher Verbraucherkreis, § 3 Abs. 4
F. Anhang zu § 3 Abs. 3 („Schwarze Liste“)

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Großkommentare der Praxis

UWG

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Großkommentar 3., neu bearbeitete Auflage begründet von Rainer Jacobs, Walter F. Lindacher, Otto Teplitzky herausgegeben von Karl-Nikolaus Peifer Erster Band §§ 1–3 Bearbeiter: Einleitung Abschnitt A, F, G, § 3 Abs. 3, Anh. zu § 3 Abs. 3 Nr. 1–15, 18, 19, 21–24: Karl-Nikolaus Peifer Einleitung Abschnitt B, Anh. zu § 3 Abs. 3 Nr. 25–30: Louis Pahlow Einleitung Abschnitt C: Christian Heinze Einleitung Abschnitt D: Nadine Klass Einleitung Abschnitt E: Axel Halfmeier § 1 (außer Abschnitt C.III.), § 2 Abs. 1 Nr. 1–6, § 3 Abs. 1: Alexander Peukert § 1 Abschnitt C.III., § 2 Abs. 1 Nr. 7–9, Abs. 2, § 3 Abs. 2, Abs. 4: Jörg Fritzsche Anh. zu § 3 Abs. 3 Nr. 16, 17, 20: Eva Inés Obergfell

Stand der Bearbeitung: Juli 2020 Zitiervorschlag: z. B.: GK-UWG/Pahlow § 3 Anh. Nr. 25 Rn. 5

ISBN 978-3-11-054551-7 e-ISBN (E-Book) 978-3-11-054588-3 e-ISBN (E-Pub) 978-3-11-054567-8 Library of Congress Control Number: 2020936653 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Datenkonvertierung/Satz: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Druck und Bindung: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza www.degruyter.com

Vorwort Als die Erstauflage dieses Werks im Jahre 1991 mit ihren ersten – bei Großkommentaren nicht unüblichen – Einzellieferungen erschien, gab es zum UWG einen einzigen aktuellen Kommentar, und auch die Zahl der monographischen oder handbuchartigen Bearbeitungen des Rechtsgebiets war noch sehr überschaubar. Diese Situation hat sich spätestens mit den grundlegenden UWG-Reformen der Jahre 2004 und 2008 geändert. Der durch die neuen Gesetze entstandene Diskussionsbedarf hat eine Vielzahl an Kommentaren jeder Größe hervorgebracht. Diese Diskussionsfreude hat das Rechtsgebiet belebt, aber auch das Bedürfnis nach Ordnung der Diskussion erhöht. Insbesondere Reflexionen aus der zeitlichen Distanz und eine resümierende Ordnung der zunächst schnell erschienenen Argumente schien den Organisatoren dieses Werkes ein Anliegen, welches die Fortführung des ersten Großkommentars zum UWG rechtfertigte. Die zweite Auflage, die erstmals in drei Bänden zusammenhängend erschienen ist, unternahm es daher, die Diskussion aus einer übergeordneten Perspektive zu ordnen, zu reflektieren und durchgehend auch unionsrechtlich zu denken. Die erneute Reform des deutschen UWG im Jahr 2015, die auch dadurch erforderlich wurde, dass in den Jahren 2004 und 2008 einiges zu schnell und mit zu heißer Nadel gestrickt worden ist, unterstrich die Relevanz der Perspektive unseres Großkommentars. Für die dritte Auflage des vorliegenden Werkes entstand nämlich erneut das Bedürfnis, aus einer größeren zeitlichen Distanz ordnend, systematisierend und klarstellend die bis heute angefallene Rechtsprechung und Kommentarliteratur aus der Tagesdebatte zu lösen und zu reflektieren, ohne den Dialog mit der Wettbewerbsrechtspraxis zu verlieren. Auch in der dritten Auflage sind die Autoren der materiellrechtlichen Kommentierungsteile Vertreter der Wissenschaft, während Praktiker – Richter und Rechtsanwälte – das von der Praxis der Gerichtsverfahren beeinflusste Prozessrecht bearbeiten. Das Konzept, den Großkommentar in drei Bänden erscheinen zu lassen, wurde beibehalten. Die Einleitungskapitel sowie die grundlegenden Kommentierungen zu §§ 1–3 UWG samt Anhang zu § 3 Abs. 3 finden sich in Band 1, das materielle Wettbewerbsrecht im Übrigen (§§ 3a – 7 UWG) in Band 2, das Verfahrensrecht und die strafrechtlichen Vorschriften in Band 3. Band 2 ist bereits 2019 erschienen. Band 3 wird 2021 nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens zur „Stärkung des fairen Wettbewerbs“ erscheinen. Die Neuauflage bringt ungewollte personelle Veränderungen. Am schmerzlichsten für mich als derzeitigen Herausgeber ist, dass der Mitbegründer und unermüdliche Antreiber des Werks, Professor Dr. Otto Teplitzky, im Februar 2019 verstorben ist. Er hat noch an der zweiten Auflage in erheblichem Maße organisierend und ordnend mitgewirkt sowie neue Autoren angesprochen, die an die Stelle der 16 Autoren der ersten Auflage getreten sind. Es ist nicht nur sein Verdienst, es war ihm auch eine besondere Freude, dass diese Auflage erstmals in geschlossener Form erscheinen konnte. Verlag, Autorinnen, Autoren und Herausgeber des Großkommentars sind ihm zutiefst verpflichtet. Wir alle werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren. Ich selbst haben einen persönlichen Wegbegleiter und einen wertvollen Ratgeber verloren. Das ist besonders leidvoll. Unvergessen bleiben wird auch Herr Dr. Carsten Zülch (LG Mannheim). Er ist im Jahre 2017 verstorben. Es war eine Freude, mit ihm zusammenarbeiten zu dürfen. Die von ihm verantworteten verfahrensrechtlichen Vorschriften in §§ 13, 14 UWG wurden dankenswerterweise durch Dr. Mark Lerach (ehemals LG Köln, derzeit Wiss. Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht) übernommen und fortgeführt, wofür ich besonders dankbar bin. Auf eigenen Wunsch ausgeschieden sind die noch verbliebenen Autoren der ersten Auflage, Prof. Dr. Walter Lindacher (Universität Trier) und Prof. Dr. Wolfgang Schünemann (TH Dortmund). Ihre Kommentierungen wurden von mir fortgeführt und auf den aktuellen Stand gebracht. Es war mir ein Anliegen, mit den Texten schonend umzugehen und stilistische Besonderheiten beizubehalten. Aus diesem Grunde tragen die jeweiligen Kommentierungen die Namen der Erstautoren und die ihres heutigen Bearbeiters. Beiden Autoren der ersten Stunde

V https://doi.org/10.1515/9783110545883-202

Vorwort

dieses Kommentars sei für ihre prägende Arbeit und den hohen Einsatz auch nach Jahren des Stillstands zwischen Erst- und Zweitauflage sehr herzlich gedankt. Ausgeschieden ist als Herausgeber und Autor Prof. Dr. Matthias Leistner (LMU München), dem ich für die gute Zusammenarbeit anlässlich der Zweitauflage und seine vielen kreativen Ratschläge und Hinweise danke. An seine Stelle als Autor getreten ist im Bereich des heutigen § 4 Nr. 3 UWG Prof. Dr. Tim Dornis (Leuphana Universität Lüneburg), der zudem von mir die Kommentierung zu § 4 Nr. 4 übernommen hat. § 3a wird – anstelle von Prof. Dr. Axel Metzger (HU Berlin) – nunmehr durch Prof. Dr. Jan Eichelberger (Universität Hannover) bearbeitet. Die Kommentierung der §§ 8, 9 UWG, die in der Zweitauflage von Prof. Dr. Boris Paal (Universität Freiburg) verantwortet wurde, haben in der Neuauflage Prof. Dr. Franz Hofmann (Universität Erlangen, § 8) und Prof. Dr. Benjamin Raue (Universität Trier, § 9) übernommen. Die Bearbeitung des § 15 UWG wird nicht mehr durch Wolfgang Nippe, sondern durch Dr. Marc Zain (Rechtsanwalt in Köln) verantwortet. Die strafrechtlichen Vorschriften kommentiert Prof. Dr. Martin Waßmer (Universität zu Köln) anstelle des ausgeschiedenen Prof. Dr. Gereon Wolters (Universität Bochum). Allen ausgeschiedenen Autoren danke ich sehr herzlich für die inspirierende Zusammenarbeit und die konstruktive Diskussion, alle neu hinzugekommenen Autoren heiße ich herzlich willkommen. Dem De-Gruyter-Verlag danke ich dafür, dass er auch in der dritten Auflage das Abenteuer Großkommentar mitgetragen hat. Das Team um Birte Treder, im Besonderen Claudia Loehr, hat mit sehr viel Geduld, Geschick und Zuversicht die Realisierung begleitet. Karl-Nikolaus Peifer

VI

Inhaltsverzeichnis Vorwort V XI Abkürzungsverzeichnis Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur Einleitung

XXIII

1

1 Wettbewerb und Wirtschaftsordnung 1 Schrifttum 6 Alphabetisches Stichwortverzeichnis 7 I. Begriff des Wettbewerbsrechts 11 II. Wettbewerb im Schnittfeld von Ökonomik und Recht 40 III. Wettbewerbsfunktionales Verständnis und Ethik des Wettbewerbs 44 IV. Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsverfassung 80 B. Geschichtliche Entwicklung. Rechtsquellen 80 Schrifttum 82 Gesetzgebungsmaterialien 84 Alphabetisches Stichwortverzeichnis 84 I. Der Interventionsstaat des 19. Jahrhunderts 86 II. Gewerbefreiheit und Zeichenschutz (1869–1896) 88 III. Das UWG von 1896 90 IV. Das UWG von 1909 und seine Nebengesetze V. Das Lauterkeitsrecht in der Rechtsprechung des Reichsgerichts (1909– 94 1945) 96 VI. Die Entwicklung des Lauterkeitsrechts in Deutschland nach 1945 100 VII. Europäische Entwicklungen 101 VIII. Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 3. Juli 2004 103 C. Europäisches Wettbewerbsrecht 103 Schrifttum 112 Gesetzgebungsmaterialien 115 Alphabetisches Stichwortverzeichnis 119 I. Allgemeine Lehren des Unionsrechts 143 II. Das Lauterkeitsrecht als Teil der europäischen Wirtschaftsordnung 164 III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten 224 IV. Lauterkeitsrecht und Grundrechte 243 V. Lauterkeitsrecht und Rechtsangleichung 341 D. Internationales Wettbewerbsrecht 341 Schrifttum 349 Gesetzgebungsmaterialien 352 Alphabetisches Stichwortverzeichnis 354 I. Das Internationale Privatrecht des unlauteren Wettbewerbs: Einführung 376 II. Rechtsquellen des Internationalen Wettbewerbsprivatrechts 441 III. Die Bestimmung des Wettbewerbsstatuts nach der Rom II-VO 476 E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht 476 Schrifttum 479 Alphabetisches Stichwortverzeichnis 484 I. Gegenstand und Grundprinzip 487 II. Rechtsquellen 497 III. Zugang zum Recht 500 IV. Außergerichtliche Streitbeilegung 502 V. Parteifähigkeit A.

VII

Inhaltsverzeichnis

VI. Prozessfähigkeit und gesetzliche Vertretung 505 507 VII. Prozessführungsbefugnis 513 VIII. Postulationsfähigkeit 514 IX. Gerichtsbarkeit und Immunität 518 X. Rechtsweg 519 XI. Internationale Zuständigkeit nach EuGVO 548 XII. Internationale Zuständigkeit nach LugÜ 548 XIII. Autonomes deutsches Recht der internationalen Zuständigkeit 553 XIV. Örtliche Zuständigkeit 554 XV. Vortrag zur Zuständigkeit und doppelrelevante Tatsachen 554 XVI. Lis pendens 557 XVII. Antisuit injunctions 558 XVIII. Zustellungen 560 XIX. Beweisaufnahme 563 XX. Gerichtssprache 564 XXI. Einstweiliger Rechtsschutz 567 XXII. Vollstreckungsverfahren 571 XXIII. Kostenrisiken 573 F. Wettbewerb der öffentlichen Hand 573 Schrifttum 574 Alphabetisches Stichwortverzeichnis I. Erscheinungs-, Organisations- und Handlungsformen der wirtschaftenden 575 öffentlichen Hand 580 II. Grundsätzliche Problematik III. Wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand als „geschäftliche Hand585 lung“ 590 IV. Lauterkeit der wirtschaftlichen Tätigkeit der öffentlichen Hand 599 G. Einordnung des Wettbewerbsrechts in das Rechtssystem 599 Schrifttum 601 Alphabetisches Stichwortverzeichnis 602 I. Verhältnis zum Unionsrecht 606 II. Verhältnis zu lauterkeitsrechtlichen Sonder- und Nebengesetzen III. Verhältnis zum Recht der Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellrecht, 608 GWB) 616 IV. Verhältnis zum Gewerblichen Rechtsschutz (mit Urheberrecht) 626 V. Verhältnis zum bürgerlichen Recht 644 VI. Verhältnis zum Gleichbehandlungsrecht (AGG) 645 VII. Verhältnis zum Handelsrecht 646 VIII. Verhältnis zum Verwaltungsrecht § 1 Zweck des Gesetzes

647

647 Schrifttum 650 Gesetzgebungsmaterialien 653 Alphabetisches Stichwortverzeichnis 655 A. Einführung 655 I. Entstehungsgeschichte 658 II. Zweck und praktische Relevanz des § 1 660 III. Anwendungsbereich des § 1 662 B. Der Schutzzweck des UWG 662 I. Individueller Rechtsgüterschutz II. Schutzzwecktrias und Mehrzahl der Schutzzwecke

664 VIII

Inhaltsverzeichnis

III.

C.

„Sozialrechtliches“ Verständnis und Schutz allgemeiner Interessen 668 durch das UWG 675 IV. Dualismus der Lauterkeitsrechtsordnungen V. Der Grundsatz wettbewerbsfunktionaler Auslegung und Abweichungen hier678 von 700 VI. Zusammenfassung: Einheit und Vielfalt des Lauterkeitsrechts Die vom UWG geschützten Interessen der Marktteilnehmer und der Allgemeinheit 702 I. Relevanz und Methodik der Interessenanalyse 703 II. Interessen der Mitbewerber 707 III. Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher 750 IV. Interessen der sonstigen Marktteilnehmer 754 V. Schutz des Allgemeininteresses am unverfälschten Wettbewerb 756 VI. Ausnahmsweiser Schutz nicht wettbewerbsbezogener Interessen 758 VII. Verhältnis der geschützten Interessen zueinander

§ 2 Definitionen

760

761 Schrifttum 767 Gesetzgebungsmaterialien 771 Alphabetisches Stichwortverzeichnis 776 A. Einführung 776 I. Entstehungsgeschichte des Definitionskatalogs 777 II. Bedeutung und Kritik des Definitionskatalogs 780 B. Die Definitionen im Einzelnen 780 I. Geschäftliche Handlung, § 2 Abs. 1 Nr. 1 850 II. Marktteilnehmer, § 2 Abs. 1 Nr. 2 855 III. Mitbewerber, § 2 Abs. 1 Nr. 3 889 IV. Nachricht, § 2 Abs. 1 Nr. 4 893 V. Verhaltenskodex, § 2 Abs. 1 Nr. 5 905 VI. Unternehmer, § 2 Abs. 1 Nr. 6 923 VII. § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG 952 VIII. § 2 Abs. 1 Nr. 8 UWG 964 IX. § 2 Abs. 1 Nr. 9 UWG 973 C. Verbraucherbegriff, § 2 Abs. 2 973 I. Einführung II. Elemente des Tatbestands (§ 13 BGB i. V. m. § 2 Abs. 2 UWG) 994 III. Beweislast 995 IV. Verbraucherleitbild (§ 3 Abs. 4 UWG) § 3 Verbot unlauterer geschäftlicher Handlungen

996

996 Schrifttum 1004 Gesetzgebungsmaterialien 1008 Alphabetisches Stichwortverzeichnis 1011 A. Grundlagen zu § 3 1011 I. Entstehungsgeschichte des § 3 II. § 3 und die dogmatischen Grundlagen des Lauterkeitsrechts 1023 III. Systematik des UWG und des § 3 UWG 1039 B. Sonstige unlautere geschäftliche Handlungen, § 3 Abs. 1 1039 I. Begriff der Unlauterkeit 1082 II. Fallgruppen des § 3 Abs. 1 UWG 1116 III. Rechtsfolgen IX

978

1017

702

Inhaltsverzeichnis

C.

Der Tatbestand des § 3 Abs. 2 1117 1117 I. Einführung 1129 II. Elemente des Tatbestands 1153 D. Der Tatbestand des § 3 Abs. 3 1153 I. Inhalt, Herkunft und Bedeutung 1155 II. Entwicklung und Regelungsstandort 1156 III. Funktion und Bewertung 1159 IV. Einzelheiten 1163 E. Für die Beurteilung maßgeblicher Verbraucherkreis, § 3 Abs. 4 1163 I. Unionsrechtlicher Hintergrund, Entwicklung und Bedeutung der Regelung 1165 II. Der Tatbestand des Abs. 4 S. 1 UWG 1170 III. Das Verbraucherleitbild – Der Beurteilungsmaßstab, § 3 Abs. 4 UWG IV. Beurteilung bei besonders schutzwürdigen Verbrauchergruppen (Abs. 4 1191 S. 2) 1206 F. Anhang zu § 3 Abs. 3 („Schwarze Liste“) 1206 Anh. Nr. 1 1211 Anh. Nr. 2 1217 Anh. Nr. 3 1221 Anh. Nr. 4 1226 Anh. Nr. 5 1237 Anh. Nr. 6 1243 Anh. Nr. 7 1247 Anh. Nr. 8 1251 Anh. Nr. 9 1255 Anh. Nr. 10 1258 Anh. Nr. 11 1272 Anh. Nr. 12 1275 Anh. Nr. 13 1280 Anh. Nr. 14 1285 Anh. Nr. 15 1289 Anh. Nr. 16 1296 Anh. Nr. 17 1305 Anh. Nr. 18 1309 Anh. Nr. 19 1312 Anh. Nr. 20 1318 Anh. Nr. 21 1324 Anh. Nr. 22 1327 Anh. Nr. 23 1331 Anh. Nr. 24 1334 Anh. Nr. 25 1337 Anh. Nr. 26 1341 Anh. Nr. 27 1345 Anh. Nr. 28 1353 Anh. Nr. 29 1358 Anh. Nr. 30

X

Abkürzungsverzeichnis a. A./A.A. a. F. a. E. aaO Am. Econ. Rev. a.M. Abk. abl. ABl. (EG-ABl./ EU-ABl.) Abs. abw. AcP AEUV

AfP AG

AGB AGG AGS AktG Az. allg. allg.M. AMG Amtl.Anz. Amtl.Begr. Amtsbl. AnfG Anh. Anl. Anm. AO AöR AP App. ArchBürgR Ark. L. Rev. Art. AT Aufl. AV AVMD-RL

AWG Az.

anderer Ansicht alte Fassung am Ende am angegebenen Ort American Economic Review anderer Meinung Abkommen ablehnend Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft Absatz abweichend Archiv für die civilistische Praxis Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, konsolidierte Fassung aufgrund des am 1. 12. 2009 in Kraft getretenen Vertrages von Lissabon, EU-ABl. C 83/1 vom 30. 3. 2010 Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht (vormals: Archiv für Presserecht) 1. Aktiengesellschaft 2. Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) 3. Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Anwaltsgebühren-Spezial Aktiengesetz Aktenzeichen allgemein allgemeine Meinung Arzneimittelgesetz Amtlicher Anzeiger Amtliche Begründung Amtsblatt Anfechtungsgesetz Anhang 1. Anlage 2. Anleitung Anmerkung 1. Abgabenordnung 2. Amtsordnung (Schleswig-Holstein) Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsrechtliche Praxis Appendix Archiv für Bürgerliches Recht Arkansas Law Review Artikel Allgemeiner Teil Auflage Ausführungsverordnung Richtlinie 89/552/EWG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. 10. 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste, EG-ABl. L 298/23 (i.d.F. der RL 2007/65/EG vom 11. 12. 2007, EU-ABl. L 332/27 Außenwirtschaftsgesetz Aktenzeichen

XI https://doi.org/10.1515/9783110545883-204

Abkürzungsverzeichnis

Baden-Württ. BAnz BAO BayObLG BayPrG BayZ BB BbgPG Bd. Bearb. BeckRS Begr. Beil. Bek. v. Bekl. ber. BerHG

BTDrucks. BVerfG BVerfGE BVerwG bzgl. bzw.

Baden-Württemberg Bundesanzeiger Bundesabgabenordnung Bayerisches Oberlandesgericht Bayerisches Pressegesetz vom 19. 4. 2000 Bayerische Zeitung Betriebs-Berater Pressegesetz des Landes Brandenburg vom 13. 5. 1993 Band Bearbeitung Beck-Rechtsprechung Begründung Beilage Bekanntmachung vom Beklagter Berichtigt Gesetz über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz) Beschluss Besprechung betreffend Beurkundungsgesetz Bürgerliches Gesetzbuch vom 18. 8. 1896 Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof BGH-Rechtsprechung, hrsg. von den Richtern des Bundesgerichtshofes Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bundeskartellamt Blatt Bundesministeriums der Justiz Bundespatentgericht Entscheidungen des Bundespatentgerichts Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte Mitteilungen der Bundesrechtsanwaltskammer Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesratsdrucksache Bundessozialgericht Beispiel beispielsweise Bundessteuerblatt 1. Bundestag 2. Besonderer Teil Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht bezüglich beziehungsweise

c.i.c c.p. CD-ROM Cornell L. Rev. CR

culpa in contrahendo ceteris paribus Compact Disc – Read-Only Memory Cornell Law Review Computer und Recht

Beschl. Bespr. betr. BeurkG BGB BGBl. BGH BGHR BGHSt BGHZ BKartA Bl. BMJ BPatG BPatGE BRAGO BRAK-Mitt BRAO BRDrucks. BSG Bsp. bspw. BStBl BT

XII

Abkürzungsverzeichnis

d. h. DatenschutzRL

DatenschutzRL-EK

DAV DB DBW ders. dies. Dipl. Diss. DJT DM DÖV DR DRiG DRiZ Drucks. DS DStR DSWR dto. DurchsetzungsRL DZWIR e.V. ebd. EBE/BGH E-CommerceRL

EDV EG EG-ABl. EGBGB EGMR EGStGB EGV EGVP ehem. Einf. einh. EinigungsstellenVO/EStVO Einl. EK-DatenschutzRL

EKMR EMRK

XIII

das heißt Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. 10. 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, EG-ABl. L 281/31 Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. 7. 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation), EG-ABl. L 201/37 Deutscher Anwaltsverein Der Betrieb Die Betriebswirtschaft (Zeitschrift) derselbe dieselbe(n) Diplom Dissertation Deutscher Juristentag Deutsche Mark Die öffentliche Verwaltung Deutsches Recht Deutsches Richtergesetz Deutsche Richterzeitung Drucksache Der Sachverständige Deutsches Strafecht Datenverarbeitung – Steuern – Wirtschaft – Recht (Zeitschrift) dito/gleichfalls/ebenso Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. 4. 2004 zur Durchsetzung der Rechte des Geistigen Eigentums, EU-ABl. L 157/45 Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht eingetragener Verein ebenda Eildienst Bundesgerichtliche Entscheidungen Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. 6. 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs im Binnenmarkt, EG-ABl. L 178/1 Elektronische Datenverarbeitung Europäische Gemeinschaft Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft. Konsolidierte Fassung aufgrund des Vertrags von Nizza, EG-ABl. C 325 vom 24. 12. 2002 Elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach ehemalige Einführung Einheitlich Einigungsstellenverordnung Einleitung Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. 7. 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation, EG-ABl. L 201/37 Europäische Kommission für Menschenrechte Europäische Konvention für Menschenrechte

Abkürzungsverzeichnis

endg. Entsch. EPÜ E-Register Erg. Erl. et al. etc. EU EU-Abl. EuBVO

EuG EuGFVO EuGH EuGHE EuGrCh EuGVO/EuGVVO

EuGVÜ

EuInsVO EuLF EuMVVO EuR EUV EuVTVO

EuZVO

EuZW EWiR EWR EWS exkl. f. FernabsatzRL

FernsehRL 1989

FernsehRL 2007

endgültig Entscheidung Europäisches Patentübereinkommen elektronisches Register Ergebnis Erläuterung et alii (und andere(n)) et cetera Europäische Union Amtsblatt der Europäischen Union Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Ziviloder Handelssachen, ABl. 2001 L 174/1 Europäisches Gericht Erster Instanz Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen, ABl. 2007, L 199/1 Europäischer Gerichtshof Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs Europäische Grundrechtecharta Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. 2001 L 12/1 Brüsseler Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, BGBl. 1972 II 774 Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren, ABl. 2000 L 160/1 European Law Forum Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, ABl. 2006 L 399/1 Europarecht Vertrag über die Europäische Union. Konsolidierte Fassung aufgrund des Vertrags von Amsterdam, EG-ABl. C 340 vom 10. 11. 1997 Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen, ABl. 2004 L 143/15. Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten („Zustellung von Schriftstücken“) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates, ABl. 2007 L 324/79 Europäische Zeitung für Wirtschaftsrecht Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäischer Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht exklusive folgende (Seite) Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. 5. 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, EG-ABl. L 144/19 (i.d.F. der RL 2007/64/EG vom 13. 11. 2007, EU-ABl. L 319/1) Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3. 10. 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, EG-ABl. L 298 Richtlinie 2007/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 12. 2007 zur Änderung der Richtlinie 1989/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und

XIV

Abkürzungsverzeichnis

ff. Fn. FPStatG FS G GA GATT GBl. GbR GebrMG gem. Geo L.J. GeschMG GewA GewO GewStG GG ggf. GK GKG GmbH GmbHG GmbHR GmS-OGB GoA GPR Grds; grds GRUR GRUR Int. GRUR-Prax GRUR-RR GrZS GS GSZ GVBl GVG GVOBl. GWB Halbbd. HandelsR Harv. L. Rev. HBÜ Hdb. Health-Claims-VO

HGB HGrG hL h.M.

XV

Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, EU-ABl. L 332/27 folgende (Seiten) Fußnote Finanz- und Personalstatistikgesetz Festschrift Gesetz Goltdamnmer’s Archiv für Strafrecht General Agreement on Tariffs and Trade Gesetzblatt Gesellschaft bürgerlichen Rechts Gebrauchsmustergesetz vom 28. 8. 1986 gemäß Georgetown Law Journal Gesetz über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen vom 12. 3. 2004 Gewerbearchiv Gewerbeordnung Gewerbesteuergesetz Grundgesetz gegebenenfalls Großkommentar Gerichtskostengesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Geschäftsführung ohne Auftrag Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht Grundsatz; grundsätzlich Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht/Internationaler Teil Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht/Praxis im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht/Rechtsprechungsreport Großer Zivilsenat des RG oder des BGH Gedächtnisschrift Großer Senat für Zivilsachen Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz- und Verordnungsblatt Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Halbband Handelsrecht Harvard Law Review Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 18. 3. 1970 (Haager Beweisaufnahmeübereinkommen) Handbuch Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. 12. 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel, EU-ABl. L 12/3 vom 18. 1. 2007 (i.d.F. der VO vom 30. 7. 2009, EU-ABl. L 198/87) Handelsgesetzbuch Haushaltsgrundsätzegesetz herrschende Lehre herrschende Meinung

Abkürzungsverzeichnis

HPresseG HRR HRRS hrsg. v. Hrsg. Hs./Hs HTML http HWG HWiG HZPÜ HZÜ

Hessisches Pressegesetz vom 12. 12. 2003 Höchstrichterliche Rechtsprechung Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht herausgegeben von Herausgeber Halbsatz Hypertext Markup Language hypertext transfer protocol Heilmittelwerbegesetz Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften Haager Übereinkommen über den Zivilprozess vom 1. 3. 1954 Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15. 11. 1965

i.d.F. i. d. R. i.e. i.E. i. e. S. i. S. d. i.S.v. i. V. m. i.w.S. ICANN ICC IHK IHKG IHKVO insbes. IPR IrreführungsRL

in der Fassung in der Regel id est (das heißt) im Ergebnis im engeren Sinne im Sinne des im Sinne von in Verbindung mit im weiteren Sinne Internet Corporation for Assigned Names and Numbers Intergovernmental Copyright Committee Industrie- und Handelskammer Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern Verordnung über die Industrie- und Handelskammern der DDR insbesondere Internationales Privatrecht Richtlinie 2006/114/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. 12. 2006 über irreführende und vergleichende Werbung (kodifizierte Fassung), EU-ABl. L 376/21 Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10. 9. 1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung, EG-ABl. L 250/17 Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10. 9. 1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung, i.d.F. der Änderung durch die Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. 10. 1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung, EG-ABl. L 290/18 Richtlinie 2006/114/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. 12. 2006 über irreführende und vergleichende Werbung (kodifizierte Fassung), EU-ABl. L 376/21 Informations- und Telekommunikationstechnologie Internationales Zivilverfahrensrecht

IrreführungsRL 1984 IrreführungsRL 1997

IrreführungsRL 2006 IT IZVR J. Competition L. & Econ JEP J.L. & Econ. J. L. Econ. & Org. JA JBl. JMBl. JMStV JNSt JR JurA

Journal of competition Law and Economics Journal of Economic Perspectives Journal of Law & Economics Journal of Law, Economics & Organization Juristische Arbeitsblätter Justizblatt Justizministerialblatt Jugendmedienschutzstaatsvertrag Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik Juristische Rundschau Juristische Analysen

XVI

Abkürzungsverzeichnis

JURA JuS JVEG JW JZ

Juristische Ausbildung Juristische Schulung Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz Juristische Wochenschrift Juristenzeitung

K&R Kap. Kart Kfm. Kfz KG

Kommunikation und Recht Kapitel Kartellsenat Kaufmann Kraftfahrzeug 1. Kammergericht 2. Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien KOM (2003) 356 endgültig: Vorschlag für eine Richtline des Europäischen Parlaments und des Rates über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinien 84/450/EWG, 97/7/EG und 98/27/EG (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken), SEC (2003) 724 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung über die Ausübung der Fernsehtätigkeit Richtlinie 76/768/EWG des Rates vom 27. 7. 1976 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel, EG-ABl. L 262/169 (i.d.F. der RL 2000/129 und 130 vom 9./12. 10. 2009, EU-ABl. L 268/5) kritisch

KGaA KOM (2003) 356 endg.

KOM (2005) 646

KosmetikRL

krit. LFBG LG lit. LM LMG RheinlandPfalz LPrG M-V LS Ltd. LugÜ

LZ M. m. M&A MA m. Anm. MarkenG MarkenR MarkenrechtsRL

MarkenrechtsRL 1989 m. a. W. m. Bespr. MBl.

XVII

Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch Landgericht littera Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofes, hrsg. v. Lindemaier, Möhring u. a. Landesmediengesetz Rheinland-Pfalz vom 4. 2. 2005 Landespressegesetz für das Land Mecklenburg-Vorpommern vom 6. 6. 1993 1. Landessatzung 2. Leitsatz Private Company Limited by Shares Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30. Oktober 2007 (LuganoÜbereinkommen), ABl. 2009 L 147/5 Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht Meinung mit Mergers & Acquisitions Der Markenartikel mit Anmerkung Markengesetz Markenrecht Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. 10. 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (kodifizierte Fassung), EU-ABl. L 299/25 Erste Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. 12. 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken, EG-ABl. L 40/1 vom 11. 2. 1989 mit anderen Worten mit Besprechung Ministerialblatt

Abkürzungsverzeichnis

MD MDR MdSt MediationsG MitbestG Mitt. MittdtschPatAnw MiZi MMR Mod. MuW m. w. N. m.W.v.

Magazindienst des Verbandes Sozialer Wettbewerb Monatsschrift für Deutsches Recht Mediendienstestaatsvertrag Mediationsgesetz Mitbestimmungsgesetz Mitteilungen Mitteilungen der deutschen Patentanwälte Mitteilungen in Zivilsachen Multimedia und Recht (Tatbestands-)Modalität Markenschutz und Wettbewerb mit weiteren Nachweisen mit Wirkung vom

n.F. n.v. Nachw. NJ NJOZ NJW NJW-CoR NJWE-WettbR NJW-RR Nr. NRW NStZ NVwZ NVwZ-RR NZG

neue Fassung nicht veröffentlicht Nachweise Neue Justiz Neue Juristische Online Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Computerreport NJW-Entscheidungsdienst Wettbewerbsrecht Neue Juristische Wochenschrift, Rechtssprechungsreport Nummer Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Rechtsprechungssammlung der Neuen Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht

o. o.ä. OHG ÖJZ OLG OLGR ÖOGH Öst./öst. ÖUWG OVG OWiG ÖZW

oben oder ähnliches Offene Handelsgesellschaft Österreichische Juristenzeitung Oberlandesgericht OLG-Report: Zivilrechtsprechung der Oberlandesgerichte Österreichischer Oberster Gerichtshof Österreich/österreichisch Österreichisches Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Oberverwaltungsgericht Ordnungswidrigkeitengesetz Österreichische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

PAngV PatG PDF PKH PreisangabenRL

Verordnung zur Regelung der Preisangaben Patentgesetz portable document format (Dateiformat) Prozesskostenhilfe Richtlinie 98/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 2. 1998 über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihm angebotenen Erzeugnisse, EG-ABl. L 80/27 Richtlinie 2001/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. 12. 2001 über die allgemeine Produktsicherheit, EG-ABl. L 11/4 vom 15. 1. 2002 Produkthaftungsgesetz Gesetz zur Stärkung des Schutzes geistigen Eigentums und zur Bekämpfung der Produktpiraterie

ProduktsicherheitsRL ProdHaftG PrPG

XVIII

Abkürzungsverzeichnis

PublG PucheltsZ

Publizitätsgesetz Zeitschrift für französisches Zivilrecht

RabattG RabelsZ RBerG RDG Rdsch. RefE RegBegr RegE RegTP RfÄStV RfStV RG

Rabattgesetz Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Rechtsberatungsgesetz Rechtsdienstleistungsgesetz Rundschau Referentenentwurf Regierungsbegründung Regierungsentwurf Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post Rundfunkänderungsstaatsvertrag Rundfunkstaatsvertrag 1. Reichgericht 2. Reichsgesetz Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren Recht der Internationalen Wirtschaft Richtlinie Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. 10. 1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung, EG-ABl. L 290/18 Randnummer Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. 6. 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“), ABl. 2008 L 177/6 Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 7. 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), ABl. 2007 L 199/40 Rechtspflegergesetz Rechtssache Rechtsprechung Rundfunkstaatsvertrag Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Randziffer/Randzahl

RGBl RGSt RGZ RiStBV RIW RL RL Vergleichende Werbung 1997 Rn. Rom I-VO

Rom II-VO

RpflG Rs. Rspr. RStV RVG Rz. S. s. s. a. SchwUWG sc. S.Ct. SE Slg. SMG sog. Sp. StabG StGB StPO str. stRspr

XIX

1. Satz 2. Seite(n) siehe siehe auch Schweizerisches Bundesgesetz über den unlauteren Wettbewerb scilicet (das heißt, ergänze) Supreme Court Societas Europaea – Europäische Gesellschaft Sammlung Saarländisches Mediengesetz vom 27. 2. 2002 sogenannte Spalte(n) Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft Strafgesetzbuch Strafprozessordnung strittig ständige Rechtsprechung

Abkürzungsverzeichnis

StV s. u.

Staatsvertrag siehe unten

TabakwerbeRL

Richtlinie 2003/33/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. 5. 2003 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen, EU-ABl. L 152/16, berichtigt im EU-ABl. L 67/ 34 vom 5. 3. 2004 Tatbestandsmerkmale Gesetz über die Nutzung von Telediensten – Teledienstegesetz Teilband teilweise Telekommunikationsgesetz Trade related aspects of intellectual property rights (Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums) Tulane Law Review Teilziffer

TB-Merkmale TDG Teilbd. teilw. TKG TRIPS Tul. L. Rev. Tz. u. u.ä. u. a. U. Chi. L. Rev. UG UGPRL

UKlaG UmwG unstr. Unterabs. UrhG Urt. URV US usf. u. U. UWG UWG 1896 UWG 1909 UWG 1932 UWG 1940 UWG 1957

UWG 1969 UWG 1986 UWG 1994

und und ähnliches unter anderem University of Chicago Law Review Unternehmergesellschaft Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 5. 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken), EU-ABl. L 149/22 Unterlassungsklagengesetz Umwandlungsgesetz unstrittig Unterabsatz Urheberrechtsgesetz Urteil Verordnung über das Unternehmensregister United States und so fort unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. 3. 2010, BGBl I 254, zuletzt geändert am 18.4.2019, BGBl I 2158 Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs vom 27. 5. 1896, RGBl I 145 = GRUR 1896, 178 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 7. 6. 1909, RGBl I 499 UWG in der Fassung der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze der Wirtschaft vom 9. 3. 1932, RGBl I 121 UWG in der Fassung der Verordnung zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 8. 3. 1940, RGBl I S. 480 UWG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, des Gesetzes über das Zugabewesen und des Rabattgesetzes vom 11. 3. 1957, BGBl I 172 UWG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 26. 6. 1969, BGBl I 633 UWG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung wirtschafts-, verbraucher- arbeits- und sozialrechtlicher Vorschriften vom 25. 7. 1986, BGBl I 1169, berichtigt 1987 BGBl I 565 UWG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 25. 7. 1994, BGBl I 1738 („kleine UWG-Novelle“)

XX

Abkürzungsverzeichnis

UWG 2000 UWG 2004

v. Var. VerbrKrG Verf. VersR Vertikal-GVO VertriebsR vgl. v.H. VO VWGmbHÜG Voraufl. Vorb. VStS VuR VwGO VwVfG VwZG WappenVO weit. WettbR WHO WiKG WIPO WIR WiSachvRG

UWG in der Fassung des Gesetzes zur vergleichenden Werbung und zur Änderung wettbewerblicher Vorschriften vom 1. 9. 2000, BGBl I 1374 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. 7. 2004, BGBl I 1414 („UWG-Modernisierung“) von/vom Variante Verbraucherkreditgesetz Verfasser Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen Vertriebsrecht vergleiche von Hundert Verordnung Gesetz über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand Vorauflage Vorbemerkung Vereinigte Strafsenate Verbraucher und Recht Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungszustellungsgesetz

WiStG wistra WiVerw WM WpAIV WpHG WpÜG WRP WRV WTO WuW www WZG

Wappenverordnung weitere(n) Wettbewerbsrecht Weltgesundheitsorganisation Das zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirschaftskriminalität vom 15. 5. 1986 World Intellectual Property Organization Wirtschaftsrecht Gesetz über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Wirtschaftsstrafgesetz Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Wirtschaft und Verwaltung – Vierteljahresbeilage zum Gewerbearchiv Wertpapier-Mitteilungen Wertpapierhandelsanzeige- und Insiderverzeichnisverordnung Wertpapierhandelsgesetz Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz Wettbewerb in Recht und Praxis Weimarer Reichsverfassung World Trade Organization Wirtschaft und Wettbewerb world wide web Warenzeichengesetz

Yale L.J.

Yale Law Journal

Z z. B. ZAW ZBH ZEuP ZfB

(in Zusammenhängen) Zeitschrift, Zeitung, Zentralblatt zum Beispiel Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft e.V. Zentralblatt für Handelsrecht Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Betriebswirtschaft

XXI

Abkürzungsverzeichnis

ZfbF ZfRV ZGE ZGR ZHR Ziff. ZIP ZIS zit. ZPO ZR ZRP ZS ZStW z. T. ZugabeVO ZUM ZUM-RD zust. ZVglRWiss ZVP ZZP ZZP Int.

Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und Europarecht Zeitschrift für Geistiges Eigentum Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für internationale Strafrechtsdogmatik zitiert Zivilprozessordnung Zivilrecht Zeitschrift für Rechtspolitik Zivilsenat Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zum Teil Zugabeverordnung Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht/Film und Recht Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht – Rechtsprechungsdienst Zustimmend Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Verbraucherpolitik Zeitschrift für Zivilprozess Zeitschrift für Zivilprozess International

XXII

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur Achenbach/Ransiek/ Bearbeiter Ackermann Ahrens, Wettbewerbsrecht Ahrens, Wettbewerbsverfahren Ahrens/Bearbeiter

Achenbach/Ransiek (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Heidelberg, München, Landsberg, Berlin, 5. Aufl. 2019 Ackermann, Wettbewerbsrecht, Heidelberg, 1997 Ahrens, Cl., Wettbewerbsrecht, Berlin, 2006 Ahrens, Wettbewerbsverfahrensrecht, Köln, Berlin, Bonn, München, 1983

Ahrens (Hrsg.), Der Wettbewerbsprozess, Köln, 8. Aufl. 2017 (bis zur 3. Auflage Pastor) Ahrens/Spätgens Ahrens/Spätgens, Einstweiliger Rechtsschutz und Vollstreckung in UWG-Sachen, Köln, 4. Aufl. 2001 Ann/Loschelder/Grosch Ann/Loschelder/Grosch, Praxishandbuch Know-how-Schutz, Köln, 2010 Anweiler Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, Frankfurt, 1997 AnwKommStGB/Bearbeiter Leipold/Tsambikakis/Zöller (Hrsg.), Anwaltkommentar StGB, Bonn, 3. Aufl. 2020 Bamberger/Roth/Hau/ Bamberger/Roth/Hau/Poseck, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Poseck/Bearbeiter München, 4. Aufl. 2019 (bis zur 3. Aufl. Bamberger/Roth ) Baudenbacher Baudenbacher, Lauterkeitsrecht, Basel, 2001 Baumbach/Hefermehl Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 20. Aufl. 2001. Baumbach/Lauterbach/ Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Albers/Gehle, Zivilprozessordnung: ZPO, Hartmann/Albers/Gehle München, 78. Aufl. 2020 Beater Beater, Unlauterer Wettbewerb, Tübingen, 2011 Bechtold/Bosch, GWB Bechtold/Bosch Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen: GWB, München, 9. Aufl. 2018 (bis zur 7. Aufl. Bechtold) Bechtold/Bosch/Brinker Bechtold/Bosch/Brinker EU-Kartellrecht, München, 3. Aufl. 2014 BeckOK-BGB/Bearbeiter Bamberger/Roth/Hau/Poseck (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar BGB, Stand: 1. 2. 2020 BeckOK-UWG Fritzsche/Münker/Stollwerck (Hsg.), Beck’scher Online-Kommentar UWG, Stand: 1. 10. 2019 Bender, Europ. MarkenR Bender, Europäisches Markenrecht, Köln, 2008 Benkard/Bearbeiter Benkard, Patentgesetz, München, 11. Aufl. 2015 Berlit, Wettbewerbsrecht Berlit, Wettbewerbsrecht, München, 10. Aufl. 2017 Berneke/Schüttpelz Berneke/Schüttpelz, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, München, 4. Aufl. 2018 (bis zur 2. Aufl. Berneke) Beucher/Leyendecker/von Beucher/Leyendecker/von Rosenberg, Mediengesetze – Rundfunk, Mediendienste, Rosenberg Teledienste. Kommentar, München, 1999 Binder/Vesting/Bearbeiter Binder/Vesting, Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht, München, 4. Aufl. 2018 (bis zur 3. Aufl. Hahn/Vesting) Boesche Boesche, Wettbewerbsrecht, Heidelberg, 5. Aufl. 2016 Borck, Wettbewerbssachen Borck, Die anwaltliche Praxis in Wettbewerbssachen, Stuttgart, 1992 Brömmelmeyer, Internetwett- Brömmelmeyer, Internetwettbewerbsrecht, Tübingen, 2007 bewerbsrecht Büchting/Heussen S. Heussen/Hamm/Bearbeiter Buck Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, Frankfurt, 1997 Bühring Bühring, Gebrauchsmustergesetz, Köln, 8. Aufl. 2011 Bunte/Stancke Bunte/Stancke, Kartellrecht, München, 3. Aufl. 2016 (bis zur 2. Aufl. Bunte) Büscher/Dittmer/Schiwy Büscher/Dittmer/Schiwy (Hrsg.), Gewerblicher Rechtsschutz, Urheberrecht, Medienrecht, Köln, 3. Aufl. 2015 Buschle Buschle, Kommunikationsfreiheiten in den Grundrechten und Grundfreiheiten des EG-Vertrages, Köln, 2004 Busse/Bearbeiter Busse/Keukenschrijver (Hrsg.), Patentgesetz, Berlin, 8. Aufl. 2016 Calliess/Ruffert Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV Kommentar, München, 5. Aufl. 2016 Callmann Callmann, Der Unlautere Wettbewerb. Kommentar, Mannheim/Berlin/Leipzig, 2. Aufl. 1932

XXIII https://doi.org/10.1515/9783110545883-205

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Canaris, Handelsrecht Cendon Dederichs Dreier/Schulze, UrhR Dethloff Drexl Ehlers Ehmann/Selmayr/Bearbeiter DSGVO Eichmann/Jestaedt/Fink/ Meiser Ekey, Grundriss Ekey/Bender/FuchsWissemann MarkenR Ekey/Klippel/Kotthoff/ Meckel/Plaß Emmerich/Lange, Kartellrecht Emmerich/Lange, Unlauterer Wettbewerb Erbs/Kohlhaas/Bearbeiter Erman/Bearbeiter Fezer/Büscher/Obergfell/ Bearbeiter Fezer, Markenrecht Fischer FK-GWB Fritzsche, Unterlassungsanspruch Geiger/Khan/Kotzur, EUV, AEUV Glöckner, Europäisches Lauterkeitsrecht Gloy/Loschelder/ Danckwerts/Bearbeiter Groß/Rohrer Lizenzgebühren Götting/Kaiser, Wettbewerbsrecht Götting, Gewerblicher Rechtsschutz Götting/Nordemann/ Bearbeiter Grabenwarter/Pabel Graf Lambsdorff Groeben/Schwarze/Hatje

Hacker Hahn/Vesting/Bearbeiter Haratsch/Koenig/Pechstein Harte/Henning/Bearbeiter

Canaris, Handelsrecht, München 24. Aufl. 2006 Cendon/Pasquinelli (Hrsg.), Commentario al Codice civile, Band 5, 2, Mailand, 2011 Dederichs, Die Methodik des EuGH, Baden-Baden, 2004 Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, München, 6. Aufl. 2018 Dethloff, Die Europäisierung des Wettbewerbsrechts, Tübingen, 2001 Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, Tübingen, 1998 Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, Berlin, 4. Aufl. 2015 Ehmann/Selmayr (Hrsg.), Datenschutz- Grundverordnung, München, 2. Aufl. 2018 Eichmann/Jestaedt/Fink/Meise, Designgesetz, Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung, München, 6. Aufl. 2019 (bis zur 4. Aufl. Eichmann/v. Falckenstein) Ekey, Grundriss des Wettbewerbs- und Kartellrechts, Heidelberg, 5. Aufl. 2016 Ekey/Bender/Fuchs-Wissemann, Markenrecht, Band 1, Markengesetz und Markenrecht ausgewählter ausländischer Staaten (Heidelberger Kommentar), Heidelberg, 4. Aufl. 2019 (bis zur 2. Aufl. Ekey/Klippel/Bender) Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß (Hrsg.), Heidelberger Kommentar zum Wettbewerbsrecht, Heidelberg, 2. Aufl. 2005 Emmerich/Lange, Kartellrecht, München, 14. Aufl. 2018 Emmerich/Lange, Unlauterer Wettbewerb, München, 11. Aufl. 2019 Erbs/Kohlhaas (Hrsg.), Strafrechtliche Nebengesetze, Kommentar, München, 229. Lieferung, Stand: März 2020 Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, Köln, 15. Aufl. 2017 Fezer/Büscher/Obergfell (Hrsg.), Lauterkeitsrecht: UWG, Kommentar zum Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, München, 3. Aufl. 2016 (bis zur 2. Aufl. Fezer) Fezer, Markenrecht, München, 4. Aufl. 2009 Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, München, 67. Aufl. 2020 Jaeger u. a. (Hrsg.), Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Frankfurt, 95. Ergänzungslieferung 2020 Fritzsche, Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage, Berlin, Heidelberg, 2000 Geiger/Khan/Kotzur (Hrsg.), EUV, AEUV (Kommentar), München, 6. Aufl. 2017 Glöckner, Europäisches Lauterkeitsrecht, 2006 Gloy/Loschelder/Danckwerts (Hrsg.), Handbuch des Wettbewerbsrechts, München, 5. Aufl. 2019 (bis zur 4. Aufl. Gloy/Loschelder/Erdmann) Groß/Strunk, Lizenzgebühren, Frankfurt, 4. Aufl. 2015 Götting/Kaiser, Wettbewerbsrecht und Wettbewerbsprozessrecht, München, 2. Aufl. 2016 Götting, Gewerblicher Rechtsschutz, München, 11. Aufl. 2020 Götting/Nordemann, UWG, Handkommentar, Baden-Baden, 3. Aufl. 2016 Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, München, 6. Aufl. 2016 (bis zur 4. Aufl. Grabenwarter) Graf Lambsdorff, Handbuch des Wettbewerbsverfahrensrechts, Köln, 2000 von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Baden-Baden, 7. Aufl. 2015 Hacker, Markenrecht, Köln, 4. Aufl. 2016 S. Binder/Vesting/Bearbeiter Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Tübingen, 12. Aufl. 2020 Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), Kommentar, München, 4. Aufl. 2016

XXIV

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Härting Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/ Stettner/Cole Hasselblatt, AnwHandbuch Hatje Hecker, Strafbare Produktwerbung Henning-Bodewig Unfair Competition Herdegen, Europarecht Heussen/Hamm/Bearbeiter Hilty/Henning-Bodewig, Lauterkeitsrecht Himmelsbach

Härting, Internetrecht, Köln, 6. Aufl. 2017 Rundfunkstaatsvertrag – Kommentar zum Staatsvertrag Rundfunk und Telemedien (RStV) und zum Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV), München, 82. Ergänzungslieferung, Stand: Januar 2020 Hasselblatt (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch Gewerblicher Rechtsschutz, München, 5. Aufl. 2017 Hatje, Wirtschaftswerbung und Meinungsfreiheit, Baden-Baden, 1993 Hecker, Strafbare Produktwerbung im Lichte des Gemeinschaftsrechts: Europäisierung des deutschen Täuschungsschutzstrafrechts am Beispiel des Lebensmittel-, Wettbewerbs- und Betrugsstrafrechts, Tübingen, 2001 Henning-Bodewig, Unfair Competition Law, European Union and Member States, The Hague, 2006 Herdegen, Europarecht, München, 21. Aufl. 2019 Heussen/Hamm, Beck’sches Rechtsanwalts-Handbuch, München, 11. Aufl. 2016 (bis zur 10. Aufl. Büchting/Heussen) Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.), Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire, 2009

Himmelsbach (Hrsg.), Beck’sches Mandatshandbuch Wettbewerbsrecht, München, 4. Aufl. 2014 HK-BGB/Bearbeiter Schulze u. a., Handkommentar Bürgerliches Gesetzbuch, Baden-Baden, 10. Auflage 2019 Hoeren/Sieber/Holznagel/ Hoeren/Sieber/Holznagel (Hrsg.), Handbuch Multimedia-Recht, München, 50. Aufl., Bearbeiter 2020 (bis zur 32. Aufl. Hoeren/Sieber) Immenga/Mestmäcker Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1 und 2, München, 6. Aufl. 2019 Ingerl/Rohnke Ingerl/Rohnke, Markengesetz, München, 3. Aufl. 2010 Jauernig/Bearbeiter Jauernig (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, München, 17. Aufl. 2018 Jestaedt Jestaedt, Wettbewerbsrecht, Köln, 2008 Jochum, Europarecht Jochum, Europarecht, Stuttgart, 3. Aufl. 2018 Joller Joller, Verwechslungsgefahr im Kennzeichenrecht, Bern, 2000 juris-PK/Bearbeiter Ullmann, juris-Praxiskommentar UWG, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Saarbrücken, 4. Aufl. 2016 Kehl Kehl, Wettbewerbsrecht, 1990 Kilian/Wendt, Europäisches Kilian/Wendt, Europäisches Wirtschaftsrecht, München, 7. Aufl. 2019 (bis zur Wirtschaftsrecht 4. Aufl. Kilian) Kling/Thomas Kling/Thomas, Grundkurs Wettbewerbs- und Kartellrecht, München, 2004 Kling/Thomas, Kartellrecht Kling/Thomas, Kartellrecht, München, 2. Aufl. 2016 Koenig/Schreiber Koenig/Schreiber, Europäisches Wettbewerbsrecht, Stuttgart, 2010 Kohler Kohler, Der unlautere Wettbewerb. Darstellung des Wettbewerbsrechts, Berlin, 1914. Köhler/Bornkamm/Feddersen Köhler/Bornkamm/Feddersen, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb: UWG – PAngV – UKlaG, München, 38. Aufl. 2020 Köhler/Piper S. Ohly/Sosnitza Koos/Menke/Ring Koos/Menke/Ring (Hrsg.), Praxis des Wettbewerbsrechts, Köln, 2009 Koppensteiner, Wettbewerbs- Koppensteiner, Österreichisches und Europäisches Wettbewerbsrecht, Wien, recht 4. Aufl. 2012 Kraft, Interessenabwägung Kraft, Interessenabwägung und gute Sitten im Wettbewerbsrecht, 1963 Kraßer/Ann, PatR Kraßer/Ann, Patentrecht, München 7. Aufl. 2016 Kühnen Patentverletzung Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, Köln 11. Aufl. 2019 Lange Lange, Marken- und Kennzeichenrecht, München, 2. Aufl. 2012 Lange/Schiemann, SchaSchadensersatz, Tübingen 3. Aufl. 2003 densersatz Lange/Spätgens Lange/Spätgens, Rabatte und Zugaben im Wettbewerb, München, 2001 Langen/Bunte Langen/Bunte, Kartellrecht, Band 1: Deutsches Kartellrecht, Band 2: Europäisches Kartellrecht, Köln, 13. Aufl. 2018 Larenz/Canaris, SchR II/2 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Band II, Halbband 2, München 13. Aufl. 1994

XXV

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Lehmler Lehr LeipzigerKommStGB/ Bearbeiter Leistner, Richtiger Vertrag Leitner/Rosenau/Bearbeiter, Lettl Lettl, Das neue UWG Lettl, Der lauterkeitsrechtliche Schutz Lobe (Bd.)

Loewenheim/Meessen/ Riesenkampff/Kersting/ Meyer-Lindemann Löffler/Bearbeiter Löffler/Weberling Matutis Maunz/Dürig/Bearbeiter Melullis Mes, PatG Mestmäcker/Schweitzer Möschel, Pressekonzentration Möschel/Wagner-v. Papp,

Lehmler, Kommentar zum Wettbewerbsrecht – UWG, Köln, 2007 Lehr, Wettbewerbsrecht, Heidelberg, 3. Aufl. 2007 Laufhütte/Rissing-van Saan/Tiedemann (Hrsg.), Leipziger Kommentar StGB, Berlin, 12. Aufl., Band 1, 2007; Band 2, 2006; Band 6, 2010; Band 10, 2008 Leistner, Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb, Tübingen, 2007 Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, Baden-Baden, 2017 Lettl, Wettbewerbsrecht, München, 3. Aufl. 2016 Lettl, Das neue UWG, München, 2004 Lettl, Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor irreführender Werbung in Europa, München, 2004 Lobe, Die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, Bd. I, Der unlautere Wettbewerb als Rechtsverletzung (1907), Bd. III, Materialien des Gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, 1907 Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann (Hrsg.), Kartellrecht, München, 4. Aufl. 2020 (bis zur 2. Aufl. Loewenheim/Meessen/ Riesenkampff) Löffler, Presserecht, Kommentar, fortgeführt von Wenzel und Sedlmaier, München, 6. Aufl. 2015 Löffler/Weberling, Handbuch des Presserechts, München, 6. Aufl. 2012 (bis zur 5. Aufl. 2005 Löffler/Ricker) Matutis, UWG Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Berlin, 2. Aufl. 2009 Maunz/Dürig (Begr.) Grundgesetz Kommentar, München, 90. Ergänzungslieferung, Februar 2020 Melullis, Handbuch des Wettbewerbsprozesses, Köln, 3. Aufl. 2000 Mes, Patentgesetz, Gebrauchsmustergesetz, München 5. Aufl. 2020 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, München, 3. Aufl. 2014 Möschel, Pressekonzentration und Wettbewerbsgesetz, Tübingen, 1978

Möschel/Wagner-v. Papp, Kartellrecht: Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, Köln, 2. Aufl. 2019 (1. Aufl. Möschel) MünchKommBGB/Bearbeiter Rebmann/Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, München, 8. Aufl. 2018 ff. MünchKommKartR/ Hirsch/Montag/Säcker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Europäischen und Bearbeiter Deutschen Wettbewerbsrecht (Kartellrecht ), München, 2. Aufl. 2015 ff. MünchKommStGB/Bearbeiter Joecks/Miebach (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Nebenstrafrecht II, München, 3. Aufl. 2016 ff. MünchKommUWG/Bearbeiter Heermann/Hirsch (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht (UWG), München, 3. Aufl. 2020 MünchKommZPO/Bearbeiter Rauscher/Wax/Wenzel (Hrsg.), Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, München, 5. Aufl. 2016 ff. Musielak/Voit/Bearbeiter Musielak/Voit (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung: ZPO, München, 17. Aufl. 2020 NomosKommentarBGB/ Dauner-Lieb/Heidel/Ring (Hrsg.), Nomos Kommentar BGB, 6 Bde., Baden-Baden, Bearbeiter 2016 ff. Nirk/Kurtze, Wettbewerbsstreitigkeiten, München, 2. Aufl. 1992 Nirk/Kurtze Nordemann Nordemann, Wettbewerbsrecht, Markenrecht, Baden-Baden, 11. Aufl. 2012 Oetker/Bearbeiter HGB Oetker (Hrsg.), Handelsgesetzbuch, München 6. Aufl. 2019 Ohly, Richterrecht und Ohly, Richterrecht und Generalklausel im Recht des unlauteren Wettbewerbs, Köln, Generalklausel 1997 Ohly/Sosnitza Ohly/Sosnitza, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, München, 7. Auflage 2016 (bis zur 3. Aufl. Köhler/Piper) Oppermann/Classen/ Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, München, 8. Aufl. 2018 Nettesheim Palandt/Bearbeiter Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch: BGB, München, 79. Aufl. 2020 Pastor Pastor, Die Unterlassungsvollstreckung nach § 890 ZPO, Die Zwangsvollstreckung von Unterlassungstiteln, 3. Aufl. 1982

XXVI

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Pastor, Wettbewerbsprozess Prütting/Gehrlein Prütting/Wegen/Weinreich/ Bearbeiter (PWW) Reimer Rescigno RGRK/Bearbeiter

Rickert Riesenhuber Rittner/Dreher Rittner/Dreher/Kulka Rosenthal Rosenthal, 8. Aufl. Roxin/Greco, AT I Sambuc S/S/W, StGB Säcker/Wolf, Fallbuch Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht Schenk Schlesinger Schmidt-Kessel/Schubmehl/ Bearbeiter Scholz/Bearbeiter, GmbHG Schotthöfer Schönke/Schröder/ Bearbeiter Schünemann, Wettbewerbsrecht Schricker Schricker/Henning-Bodewig Schricker/Loewenheim/ Bearbeiter Schröter Schulte/Bearbeiter Schuschke/Walker/Kessen/ Thole Schwarze/Becker/Hatje/ Schoo Schwintowski SK-StGB Soergel/Bearbeiter Sosnitza, Fälle Speckmann

XXVII

S. Ahrens/Bearbeiter Prütting/Gehrlein (Hrsg.), ZPO-Kommentar, Köln, 11. Aufl. 2019 Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), BGB Kommentar, München, 14. Aufl. 2019 Reimer, Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, Köln, 4. Aufl. 1972 Rescigno (Hrsg.), Codice civile, Mailand, 9. Aufl. 2014 BGB – RGRK Das Bürgerliche Gesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes, Kommentar, Hrsg.: Mitglieder des Bundesgerichtshofes, Berlin/New York, 12. Aufl. 1974 Rickert, Grundrechtsgeltung bei der Umsetzung europäischer Richtlinien in innerstaatliches Recht, Berlin, 1997 Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, Berlin, 3. Aufl. 2015 Rittner/Dreher, Europäisches und deutsches Wirtschaftsrecht, Heidelberg, 3. Aufl. 2007 Rittner/Dreher/Kulka, Wettbewerbs- und Kartellrecht, Heidelberg, 8. Aufl. 2014 Rosenthal, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (bearb. von Leffmann), Berlin/Frankfurt/M., 9. Aufl. 1969 Rosenthal, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Berlin, 8. Aufl. 1930 Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teilband I, München, 5. Aufl. 2020 Sambuc, Der UWG-Nachahmungsschutz, München, 1996 Satzger/Schluckebier/Widmaier (Hrsg.), Strafgesetzbuch: StGB, Kommentar, Köln, 4. Aufl. 2019 Säcker/Wolf, Kartellrecht in Fällen, München, 2010 Schack, Urheber und Urhebervertragsrecht, Tübingen 9. Aufl. 2019 Schenk, Die markenrechtliche Schutzfähigkeit von Zeichen aus empirischer und sprachwissenschaftlicher Sicht, Köln, 2006 Schlesinger (Hrsg.), Il foro italiano/Codice civile, Bologna/Rom, 3. Aufl. 2010 Schmidt-Kessel/Schubmehl (Hrsg.), Lauterkeitsrecht in Europa. Eine Sammlung von Länderberichten zum Recht gegen unlauteren Wettbewerb, München, 2011 Scholz (Hrsg.), Kommentar zum GmbH-Gesetz, Band 3, Köln, 12. Aufl. 2019 Schotthöfer, Handbuch des Werberechts in den EU-Staaten, Köln, 2. Aufl. 1997 Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch Kommentar, München, 30. Aufl. 2019 Schünemann, Wettbewerbsrecht, München/Wien, 1989 Schricker, Gesetzesverletzung und Sittenverstoß, München, 1970 Schricker/Henning-Bodewig (Hrsg.), Neuordnung des Wettbewerbsrechts, BadenBaden, 1999 Schricker/Loewenheim (Hrsg.), Urheberrecht, München, 6. Aufl. 2020 Schröter/Jakob/Klotz/Mederer (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht, BadenBaden, 2. Aufl. 2014 Schulte, Patentgesetz mit EPÜ, Köln, 10. Aufl. 2017 Schuschke/Walker/Kessen/Thole (Hrsg.), Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, Köln, 7. Aufl. 2020 (bis zur 6. Aufl. Schuschke/Walker) Schwarze/Becker/Hatje/Schoo (Hrsg.), EU-Kommentar, Baden-Baden, 4. Aufl. 2019 (bis zur 3. Aufl. Schwarze) Schwintowski, Wettbewerbs- und Kartellrecht, München, 5. Aufl. 2012 Wolter(Hrsg.), Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, Köln, 9. Aufl. 2017 Soergel/Siebert (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Stuttgart, 13. Aufl. 2001 ff. Sosnitza, Fälle zum Wettbewerbs- und Kartellrecht, München, 6. Aufl. 2011 Speckmann, Wettbewerbsrecht. UWG – Markenrechtsverletzung, Wettbewerbsverfahrensrecht, Köln, 3. Aufl. 2001

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Spindler/Schuster/ Bearbeiter Staudinger/Bearbeiter Stein/Jonas/Bearbeiter Steinmetz Stiess Stober/Korte Streinz Streinz/Kraus, Lebensmittelrechts-Handbuch Ströbele/Hacker/Thiering Teplitzky Thomas/Putzo/Bearbeiter Ulmer/Reimer/Bearbeiter v. v. v. v.

Gamm Gamm Schultz Oppermann

Vorauflage/Bearbeiter Walter/Grüber Wandtke/Ohst, Medienrecht Wieczorek/Schütze/ Bearbeiter Wolters, Das Unternehmensdelikt Zöller/Bearbeiter

Spindler/Schuster (Hrsg.), Recht der elektronischen Medien, Kommentar, München, 4. Aufl. 2019 J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Berlin, 2001 ff. Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung: ZPO, Tübingen, 23. Aufl. 2014 ff. Steinmetz, Der „kleine“ Wettbewerbsprozeß, München, 1993 Stiess, Schutz der Wirtschaftswerbung durch Verfassungsrecht und Gemeinschaftsrecht, München, 2000 Stober/Korte, Öffentliches Wirtschaftsrecht – Allgemeiner Teil, Stuttgart, 19. Aufl. 2018 (bis zur 18. Aufl. Stober) Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV Kommentar, München, 3. Aufl. 2018 Streinz/Kraus (Hrsg.), Lebensmittelrechts-Handbuch, München, 40. Ergänzungslieferung, Stand: Juli 2019 Ströbele/Hacker/Thiering (Hrsg.), Markengesetz, Köln, 12. Aufl. 2018 (bis zur 11. Aufl. Ströbele/Hacker) Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Unterlassung – Beseitigung – Auskunft-Schadensersatz, Köln, 12. Aufl. 2019 Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung: ZPO, München, 41. Aufl. 2020 Ulmer/Reimer, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs in den Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Bd. III – Deutschland, 1968 von Gamm, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Köln, 3. Aufl. 1993 von Gamm, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 1998 von Schultz (Hrsg.), Markenrecht, Frankfurt/M., 3. Aufl. 2012 von Oppermann, Unterlassungsanspruch und materielle Gerechtigkeit, Tübingen, 1993 Jacobs/Lindacher/Teplitzky (Hrsg.), UWG, Großkommentar, Berlin, 1991 ff. Walter/Grüber (Hrsg.), Anwaltshandbuch Wettbewerbspraxis, Köln, 1998 Wandtke/Ohst (Hrsg.), Medienrecht Praxishandbuch, Berlin, 3. Aufl. 2014 Wieczorek/Schütze (Hrsg.), Zivilprozessordnung, Großkommentar, Berlin, 4. Aufl. 2013 ff. Wolters, Das Unternehmensdelikt, Baden-Baden, 2001 Zöller, Zivilprozessordnung: ZPO, Kommentar, Köln, 33. Aufl. 2020

XXVIII

Einleitung A. Wettbewerb und Wirtschaftsordnung Schrifttum Aberle Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik (1980); Achatz Grundrechtliche Freiheit im Wettbewerb (2011); Ahlert/Schröder Rechtliche Grundlagen des Marketing, 2. Aufl. (1996); Alexander Vertrag und unlauterer Wettbewerb (2002); Armbruster Privatautonomie im Handels- und Wirtschaftsrecht, JR 1990, 278 ff.; Badura Der Eigentumsschutztitel des eingerichteten und ausgeübten Geschäftsbetriebes, AöR 98 (1973) 157 ff.; ders. Grundprobleme des Wirtschaftsverfassungsrechts, JuS 1976, 205 ff.; ders. Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsverwaltung, 4. Aufl. (2011); Bätge Wettbewerb der Wettbewerbsordnungen? (2009); Bartholomeyczik/Benisch Rechtsgrundlagen der Gegengewichtsbildung (1966); Bartling Leitbilder der Wettbewerbspolitik (1980); Basedow Von der deutschen zur europäischen Wirtschaftsverfassung (1992); ders. Konsumentenwohlfahrt und Effizienz – Neue Leitbilder der Wettbewerbspolitik? WuW 2007, 726 ff.; Baudenbacher Suggestivwerbung und Lauterkeitsrecht (1978); ders. Zur funktionalen Anwendung von § 1 des deutschen und Art. 1 des schweizerischen UWG, ZHR 144 (1980) 145 ff.; ders. Lauterkeitsrecht (2001); Baur Das Tatbestandsmerkmal „Wettbewerb“, ZHR 134 (1970) 97 ff.; Beater Verbraucherschutz und Schutzzweckdenken im Wettbewerbsrecht (2000); Behrens Der Wettbewerbsbegriff des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, NJW 1958, 485 ff.; ders. Der Wettbewerb im Vertrag von Lissabon, EuZW 2008, 193; Belleflamme/Peitz Industrial Organization. Markets and Strategies, 2. Aufl. (2015); Benöhr Privatautonomie und Wirtschaftsliberalismus: Adam Smith’s Wohlstand der Nationen von 1776, JuS 1976, 273 ff.; Bethge Grundrechtsverwirklichung und Grundrechtssicherung durch Organisation und Verfahren, NJW 1982, 1 ff.; Binder Die Idee der Konsumentensouveränität in der Wettbewerbstheorie (1996); Bittlingmeyer Die wettbewerbspolitischen Vorstellungen der Chicago School, WuW 1987, 70 ff.; Bleckmann Grundzüge des Wirtschaftsverfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, JuS 1991, 536 ff.; Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht (2003); Bohling Die Anforderungen des Grundgesetzes an die Wirtschaftsordnung, in Bohling (Hrsg.), Wirtschaftsordnung und Grundgesetz (1981) 1 ff.; Borchardt/Fikentscher Wettbewerbsbeschränkung, Marktbeherrschung (1957); Böhm Wirtschaftsordnung und Staatsverfassung (1950); Brandt Das neoklassische Marktmodell und die Wettbewerbstheorie, JNSt. 199 (1984) 97 ff.; Braun Werbung und Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, WRP 1982, 510 ff.; ders. Wettbewerbstheorie, Wettbewerbspolitik, Wettbewerbsrecht, ORDO 35 (1984) 297 ff.; Brauser-Jung Der Schutz des Wettbewerbs in der EUWirtschaftsverfassung, FS Stober (2008) 43 ff.; Bruhn Die Wirtschaftsverfassung der Europäischen Union aus deutscher Perspektive (2009); Buhbe Ökonomische Analyse von Eigentumsrechten (1980); Busch Zur Wirtschaftsverfassung der Europäischen Union (2008); Burmann Wettbewerb als sinnvariabler Rechts- und Wirtschaftsbegriff, WRP 1967, 240 ff.; Canaris Grundrechte und Privatrecht, AcP 184 (1984) 201 ff.; Christiansen Die „Ökonomisierung“ der EU-Fusionskontrolle: Mehr Kosten als Nutzen? WuW 2005, 285 ff.; Clapham Das wettbewerbspolitische Konzept der Wettbewerbsfreiheit, in Cox/Jens/Markert (Hrsg.), Handbuch des Wettbewerbs (1981), 129 ff.; Clark Competition as a Dynamic Process (1961); ders. Wettbewerb und Ziele der Wirtschaftspolitik, in Herdzina (Hrsg.), Wettbewerbstheorie (1975) 269; Clemens/Glahe Das Gegengewichtsprinzip in der Wirtschaftsordnung (1966); Cox/Hübener Wettbewerb. Eine Einführung in die Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, in Cox/Jens/Markert (Hrsg.), Handbuch des Wettbewerbs (1981) 1 ff.; Degenhart Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, Art. 2 I i.V. mit Art. 1 I GG, JuS 1992, 361; Dreher Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsrecht, JZ 2014, 185 ff.; Dreher/Lange Die europäische Wirtschaftsverfassung nach dem Vertrag von Lissabon, in FS 50 Jahre FIW: 1960 bis 2010 (2010) 161 ff. (zit. FS FIW); Drettmann Wirtschaftswerbung und Meinungsfreiheit (1984); Drews Die Erheblichkeitsschwelle des § 3 UWG (2010); Drexl Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998); Ehlers Der persönlichkeitsrechtliche Schutz des Verbrauchers vor Werbung, WRP 1983, 187; Ehmke Wirtschaft und Verfassung (1961); Eicke Meinungsfreiheit für die Werbung? WRP 1988, 645; Engels Soziale Marktwirtschaft. Verschmähte Zukunft? (1972); ders. Mehr Markt. Soziale Marktwirtschaft als politische Ökonomie (1976); Eucken Die Grundlage der Nationalökonomie, 8. Aufl. (1965); Everling Eigentumsordnung und Wirtschaftsordnung in der Europäischen Gemeinschaft, FS Raiser (1974) 379 ff.; di Fabio Wettbewerbsprinzip und Verfassung, ZWeR 2007, 266 ff.; Fezer Verantwortete Marktwirtschaft, JZ 1990, 657 ff.; Fikentscher Deutsches Wirtschaftsrecht Bd. II (1983); Friauf Unternehmenseigentum und Wirtschaftsverfassung, DÖV 1976, 624 ff.; Friauf/Wendt Eigentum am Unternehmen (1977); Friedrich Der Grundrechtsschutz der Außenwerbung, WRP 1972, 113 ff.; Friedman Capitalism and Freedom (1962) = Kapitalismus und Freiheit (1984); Fritsch Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 8. Aufl (2010); Fritze Indirekte wettbewerbsrechtliche Schranken für Presseberichterstattung und Pressekritik, GRUR 1985, 414 ff.; Frotscher/Kramer Wirtschaftsverfassungs- und Wirtschaftsverwaltungsrecht, 6. Aufl. (2013); Galbraith American Capitalism. The Concept of Countervailing Power, 7. Aufl. (1956); Gärtner Verfassungskonforme Auslegung wettbewerbsrechtlicher Generalklauseln, BB 1970, 1361 ff.; v. Godin Zum Begriff des „Wettbewerbs“, GRUR 1965, 288 ff.; Goerlich Wertordnung und Grundgesetz (1973); Gotthold Neuere Entwicklun-

1 https://doi.org/10.1515/9783110545883-001

Schünemann/Peifer

Einleitung

A. Wettbewerb und Wirtschaftsordnung

gen der Wettbewerbstheorie, ZHR 145 (1981) 286 ff.; ders. Nochmals: Kritische Bemerkungen zur neo-liberalen Theorie der Wettbewerbspolitik, ZHR 146 (1982) 55; Grabitz Die verfassungsorientierte Konkretisierung wettbewerbsrechtlicher Generalklauseln, ZHR 149 (1985) 263 ff.; Grawert Legitimität der Wettbewerbswirtschaft, Der Staat 50 (2011) 227 ff.; Grossekettler Wettbewerbstheorie, in Borchert/Grossekettler (Hrsg.), Preis- und Wettbewerbstheorie (1985) 174; Gutersohn/Geisbüsch Marktungleichgewichte und Gegengewichtsbildung in der Wirtschaftswirklichkeit (1966); Hablitzel Wirtschaftsverfassung und Grundgesetz, BayVBl 1981, 65 ff.; 172 ff.; Hackmann Konkurrenz und Nächstenliebe (1990); Häberle Europäische Verfassungslehre, 7. Aufl. (2011); Hatje/Kindt Der Vertrag von Lissabon – Europa endlich in guter Verfassung? NJW 2008, 1761 ff.; Hauer Leitbilder der Gerechtigkeit in den marktwirtschaftlichen Konzeptionen von Adam Smith, John Stuart Mill und Alfred Müller-Armack (1991); v. Hayek Marktwirtschaft und Wirtschaftspolitik, ORDO 6 (1954) 3 ff.; ders. Arten der Ordnung, in Freiburger Studien (1969) 32 ff.; ders. Grundsätze einer liberalen Wirtschaftsordnung, in Freiburger Studien (1969) 108 ff.; ders. Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, in Freiburger Studien (1969) 249 ff.; ders. Die Theorie komplexer Phänomene (1972); ders. Die Anmaßung von Wissen, ORDO 26 (1975) 12 ff.; ders. Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, 2. Aufl. (1976); Heidhues/ Köszegi Behavioral Industrial Organization, in: Handbook of Behavioral Economics, Vol. 1, S. 517 ff.; Hengsbach Gerechtigkeit in der Marktwirtschaft, in Lenk/Becker (Hrsg.), Ethik in der Wirtschaft, Chancen verantwortlichen Handelns (1996) 23 ff.; Henning-Bodewig Was gehört zum Lauterkeitsrecht? in Krejci/Kessler/Augenhofer (Hrsg.), Lauterkeitsrecht im Umbruch (2005) 9 ff.; dies. UWG und Geschäftsethik, WRP 2009/10, 1094 ff.; Herdzina (Hrsg.), Wettbewerbstheorie (1975); ders. Wettbewerbspolitik, 5. Aufl. (1999); Herrmann, Ch. Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsregierung in der Europäischen Union, in Giegerich (Hrsg.), Herausforderungen und Perspektiven der EU (2012) 51 ff.; Herschel Zivilrechtliche Bedeutung des strafrechtlichen Analogieverbotes, NJW 1968, 533; Herzog Soziale Marktwirtschaft – Verfassungsgebot oder politische Beliebigkeit, in Franz (Hrsg.), Die Zukunft der BRD (1975) 109; ders. Grundrechte und Gesellschaftspolitik, FS Hirsch (1986) 63 ff.; Hetmank „Wettbewerbsfunktionales Verständnis“ im Lauterkeitsrecht, GRUR 2014, 437 ff.; Heuß Allgemeine Markttheorie (1965); Hildebrand Der „more economic approach“ in der Wettbewerbspolitik, WuW 2005, 513 ff.; Homann Ethik und Ökonomik (1994); Homann/ Blome-Drees Wirtschafts- und Unternehmensethik (1992); Hoppmann Wettbewerb als Norm der Wettbewerbspolitik, ORDO 18 (1965) 77 ff.; ders. Das Konzept der optimalen Wettbewerbsintensität, JNSt. 179 (1966) 286 ff.; ders. Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, JNSt. 181 (1967/68), 251 ff.; ders. Zum Problem einer wirtschaftspolitisch praktikablen Definition des Wettbewerbs, in Schneider (Hrsg.), Grundlagen der Wettbewerbspolitik (Schriften des Vereins für Socialpolitik NF, Bd. 48, 1968), S. 9 ff.; ders. Zum Schutzobjekt des GWB. Die sogenannten volkswirtschaftlichen Erkenntnisse und ihre Bedeutung für die Schutzobjektdiskussion, in Mestmäcker, Wettbewerb S. 75 ff.; ders. Neue Wettbewerbspolitik: Vom Wettbewerb zur staatlichen Mikrosteuerung, JNSt. 184 (1970), 397 ff.; ders. Fusionskontrolle (1972); ders. Marktmacht und Wettbewerb (1977); ders. Wirtschaftsordnung und Wettbewerb (1988); ders. Moral und Marktsystem, ORDO 41 (1990) 3 ff.; ders. Prinzipien freiheitlicher Wirtschaftspolitik (1993); Horn, N. Zur ökonomischen Rationalität des Privatrechts – Die privatrechtstheoretische Verwertbarkeit der „Economic Analysis of Law“, AcP 176 (1976) 307 ff.; Horn, K. I. Moral und Wirtschaft (1996); Huber Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, DÖV 1956, 97, 135, 172, 200 (jeweils ff.); Jarass Die freien Berufe zwischen Standesrecht und Kommunikationsfreiheit, NJW 1982, 1833 ff.; Jestedt Der Lizenzerteilungsanspruch nach der BGH-Entscheidung „Orange-BookStandard“, GRUR 2009, 801; Jenkis „Soziale Marktwirtschaft“ – eine Leerformel? FS Gemper (2006) 75 ff.; Kalfass Die Chicago School – Eine Skizze des „neuen“ amerikanischen Ansatzes für die Wettbewerbspolitik, WuW 1980, 596; Kantzenbach Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, 2. Aufl. 1967, Auszüge in Herdzina (Hrsg.), Wettbewerbstheorie (1975) 194; ders. Das Konzept der optimalen Wettbewerbsintensität, JNSt. 181 (1968) 193 ff.; Kantzenbach/ Kalfass Das Konzept des funktionsfähigen Wettbewerbs, in Cox/Jens/Markert Handbuch des Wettbewerbs (1981) 103 ff.; Karsten Wirtschaftsordnung, Wirtschaftsverfassung, Wirtschaftsordnungstypus und Wirtschaftsgestalt, Schmollers Jahrbuch Bd. 88 (1968) 129 ff.; Kellenter/Verhauwen Systematik und Anwendung des kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwands nach „Huawei/ZTE“ und „Orange Book“, GRUR 2018, 761; Kerber/Schwalbe Die ökonomischen Grundlagen des Wettbewerbsrechts, Einl. B. in MünchKommKartR (2015); Keßler Marktordnung, Wettbewerb und Meinungsfreiheit, WRP 1987, 75 ff.; ders. Vom Recht des unlauteren Wettbewerbs zum Recht der Marktkommunikation – Individualrechtliche und institutionelle Aspekte des deutschen und europäischen Lauterkeitsrechts, WRP 2005, 1203 ff.; Kirzner Wettbewerb und Unternehmertum (1978); Klement Wettbewerbsfreiheit – Bausteine einer europäischen Grundrechtstheorie (2015); Kloepfer Vergleichende Werbung und Verfassung. Meinungsgrundrechte als Grenze von Werbebeschränkungen, GRUR 1991, 170 ff.; Knieps Wettbewerbsökonomie, 3. Aufl. (2008); Knöpfle Der Rechtsbegriff „Wettbewerb“ und die Realität des Wirtschaftslebens (1966); ders. Marktbezogene Unlauterkeit (1983); Köhler Wohin steuert die deutsche Wettbewerbspolitik? ORDO 37 (1986) 275 ff.; v. Köhler Welche Stellung hat der Wettbewerb in unserer Rechtsordnung? NJW 1964, 569 ff.; Körber Standardessentielle Patente, FRAND-Verpflichtungen und Kartellrecht, 2013; Körner Das allgemeine Wettbewerbsrecht als Auffangtatbestand für fehlgeschlagenen oder abgelaufenen Sonderrechtsschutz, FS Ullmann (2006) 701 ff.; Koslowski Theorie der Marktwirtschaft und der

Schünemann/Peifer

2

Schrifttum

Einleitung

gesellschaftlichen Koordination (1991); ders. Ethik des Kapitalismus (1991); Kraft Die Berücksichtigung wirtschaftspolitischer und gesellschaftspolitischer Belange im Rahmen des § 1 UWG, FS Bartholomeyczik (1973) 223 ff.; ders. Gemeinschaftsschädliche Wettbewerbsstörungen als unlauterer Wettbewerb? GRUR 1980, 966 ff.; ders. Wettbewerbsrecht und Diskriminierungsverbot, FS Kummer (1980) 389 ff.; Krejci/Keßler/Augenhofer (Hrsg.), Lauterkeitsrecht im Umbruch (2005); Kresse Wirtschaftswerbung und Art. 5 GG, WRP 1985, 536 ff.; Kriele Wirtschaftsfreiheit und Grundgesetz, ZRP 1974, 105 ff.; Krüger Staatsverfassung und Wirtschaftsverfassung, DVBl. 1951, 361 ff.; Krüger Wirtschaftsverfassung, Wirtschaftsverwaltung, Rechtsstaat, BB 1953, 565 ff.; Kübler Pressefreiheit als Entscheidungsfreiheit des Lesers, FS Löffler (1980) 169 ff.; Kübler/Simitis Presse und Wettbewerb, JZ 1969, 445 ff.; Kühnen Handbuch der Patentverletzung, 12. Aufl. 2020; Künzler Effizienz oder Wettbewerbsfreiheit? (2008); Kurtz SEP mit FRANDErklärung – aktuelle Fragen nach Huawei/ZTE, ZGE 2017, 491 ff.; Lachmann Ethik und Soziale Marktwirtschaft, Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“, Heft 38 (1988) 15 ff. (zit. Ethik); ders. Ethik des Wettbewerbs, Gedächtnisschrift Helm (2001) 527 ff.; Lademann Die Leitbilder des funktionsfähigen und des freien Wettbewerbs, DB 1985, 2661 ff.; Lammel Wettbewerbsfreiheit und Staatsintervention, GRUR 1986, 362 ff.; Lampert Die Wirtschafts- und Sozialordnung der Bundesrepublik Deutschland, 9. Aufl. (1988); Lehmann Wirtschaftspolitische Kriterien in § 1 UWG, Mitarbeiter-FS E. Ulmer (1973) 321 ff.; ders. Das Prinzip Wettbewerb, JZ 1990, 61 ff.; Leisner Grundrechte und Privatrecht (1960); ders. Der Eigentümer als Organ der Wirtschaftsverfassung, DÖV 1975, 73 ff.; ders. Privateigentum ohne privaten Markt? BB 1975, 1 ff.; ders. Selbstbedienungsgroßhandel und Verfassungsrecht. Zu den Verfassungsschranken des Wettbewerbsrechts (1986); ders. Gefahren systematischen Rechtsdenkens, FS R. Schmidt (2006) 363 ff.; ders. Die soziale Marktwirtschaft als Grundlage der Wirtschafts- und Sozialverfassung, in Sodan (Hrsg.), Die sozial-marktwirtschaftliche Zukunft der Krankenversicherung (2005) S. 35 ff.; ders. Wettbewerb als Verfassungsprinzip (2012); Leistner Behavioral Economics und Lauterkeitsrecht, ZGE 2009, 3 ff.; Lerche Werbung und Verfassung (1967); ders. Meinungsfreiheit und Richtigkeitsanforderungen an Tatsachenangaben im wirtschaftlichen Wettbewerb, FS Lorenz (1991) 143 ff.; Liesegang Die verfassungsrechtliche Ordnung der Wirtschaft (1977); Lukes Zum Verständnis des Wettbewerbs und des Marktes in der Denkkategorie des Rechts, FS Franz Böhm (1965) 199 ff.; Lux Der Tatbestand der „allgemeinen Marktbehinderung“ im Recht gegen den unlauteren Wettbewerb (2006); Manne (Hrsg.), The Economics of Legal Relationships. Readings in the Theory of Property Rights (1975); Menke Die moderne, informationsökonomische Theorie der Werbung und ihre Bedeutung für das Wettbewerbsrecht, dargestellt am Beispiel der vergleichenden Werbung 1993, 718 ff.; Merz Die Vorfeldthese (1988); Meessen Das Grundrecht der Berufsfreiheit, JuS 1982, 397 ff.; ders. Prinzip Wettbewerb, JZ 2009, 697 ff.; Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerb als Aufgabe (1968); ders. Macht-Recht-Wirtschaftsverfassung, ZHR 137 (1973) 97 ff.; ders. Der verwaltete Wettbewerb (1984); ders. Recht und ökonomisches Gesetz, 2. Aufl. (1984); ders. Die Wirtschaftsverfassung in der Europäischen Union (1993); Meyer, H. M. Vorrang der privaten Wirtschafts- und Sozialgestaltung als Rechtsprinzip (2006); MeyerCording Die Grundbegriffe des Wettbewerbs, WuW 1962, 461 ff.; Michaelis/Elstner/Schmidt Überprüfung des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes, Wirtschaftsdienst 2015, 830; Michaelis/Elstner/Schmidt/Bofinger/Feld/Schnabel/Wieland Keine Notwendigkeit einer Reform des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft, in: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Arbeitspapier 02 (2015); Möschel Rechtsordnung zwischen Plan und Markt (1975); ders. Pressekonzentration und Wettbewerbsgesetz (1978); ders. Wettbewerb im Schnittfeld von Rechtswissenschaften und Nationalökonomie, WiSt. 1978, 351 ff.; ders. Neuere Entwicklungen in der Wettbewerbstheorie, ZHR 145 (1981) 590 ff.; ders. Recht der Wettbewerbsbeschränkungen (1983); ders. Die Wettbewerbsordnung als Grundelement der Sozialen Marktwirtschaft, FS Nörr (2003) 609 ff.; ders. Juristisches versus ökonomisches Verständnis eines Rechts der Wettbewerbsbeschränkungen, FS Tilmann (2003) 705 ff.; ders. Wettbewerb zwischen Handlungsfreiheiten und Effizienzzielen, FS Mestmäcker (2006) 356 ff.; ders. Der Missbrauch marktbeherrschender Stellungen nach Art. 82 EG-Vertrag und der „More Economic Approach“, JZ 2009, 1040 ff.; Morgenstern Die Grenzen der Wirtschaftspolitik (1943); Mühl Aktuelle Wirtschaftspolitik und die tragenden Grundsätze der Wirtschaftsverfassung (Art. 3, 12, 14 GG), DÖV 1976, 224 ff.; Motta Competition Policy: Theory and Practice (2003); Müller Wettbewerb und Unionsverfassung (2014); Müller-Armack Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft, 2. Aufl. (1948); Müller-Graff Unternehmensinvestitionen und Investitionssteuerung im Marktrecht (1984); ders. Das verschleierte Antlitz der Lissabonner Wirtschaftsverfassung, ZHR 173 (2009) 443 ff.; ders. Soziale Marktwirtschaft als neuer Primärrechtsbegriff der Europäischen Union, FS Scheuing (2011) 600 ff.; Müller-Volbehr Das Soziale in der Marktwirtschaft, JZ 1982, 132 ff.; Neumann Historische Entwicklung und heutiger Stand der Wettbewerbstheorie (1982); Nipperdey Grundrechte und Privatrecht (1961); ders. Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, 3. Aufl. (1965); Nörr Zwischen den Mühlsteinen (1988); Nowak Europarecht nach Lissabon (2011); ders. Wettbewerb und soziale Marktwirtschaft in den Regeln des Lissabonner Vertrags, EuR-Beilage 2011, 21 ff.; (o.V). Das Konzept der „Workable Competition“ in der angelsächsischen Literatur, FIW-Dokumentation (1970); Olten Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, 2. Aufl. (1998); Osterrieth Patent-Trolls in Europa – braucht das Patentrecht neue Grenzen?, GRUR 2009, 540; Ott Systemwandel im Wettbewerbsrecht, FS Raiser (1974) 403 ff.; Papier Unternehmen und Unter-

3

Schünemann/Peifer

Einleitung

A. Wettbewerb und Wirtschaftsordnung

nehmer in der verfassungsrechtlichen Ordnung der Wirtschaft, VVDStRL 35, 55 ff.; ders. Wirtschaftsordnung und Grundgesetz, Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“, Heft 13 (2007) 3 ff. (zit. Wirtschaftsordnung); Paulus Wirtschaftswerbung und Meinungsfreiheit – Inhalt und Schranken von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, WRP 1990, 22 ff.; Peifer Schutz ethischer Werte im Europäischen Lauterkeitsrecht oder rein wirtschaftliche Betrachtungsweise? in Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.), Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009) 125 ff.; Peters Wirtschaftspolitik, 3. Aufl. (2000); Peukert Der Wandel der europäischen Wirtschaftsverfassung im Spiegel des Sekundärrechts – Erläutert am Beispiel des Rechts gegen unlauteren Wettbewerb, ZHR 173 (2009) 536 ff.; ders. Die Ziele des Primärrechts und ihre Bedeutung für das Europäische Lauterkeitsrecht, in Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.), Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009) 27 ff.; Pichler Das Verhältnis von Kartell- und Lauterkeitsrecht (2009); Plaßmann Rechtsbegriffe im Wettbewerb, JZ 1968, 81 ff.; Pleyer Die „guten Sitten“ in der Wirtschaftsordnung der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, JR 1965, 241 ff.; Podszun Der „more economic approach“ im Lauterkeitsrecht, WRP 2009, 509; Poppen Der Wettbewerb der öffentlichen Hand (2007); Posner The Chicago School of Antitrust Analysis, Univ. of Pennsylvania Law Review 127 (1979) 925 ff.; Rebe Privatrecht und Wirtschaftsordnung (1978); Rehbinder Privatrecht und Wirtschaftsordnung, ZHR 143 (1979) 349 ff.; Reich Wettbewerbstheorie – Wettbewerbspolitik – Wettbewerbsrecht, ARSP 1976, 111 ff.; ders. Markt und Recht (1977); Reichold Lauterkeitsrecht als Sonderdeliktsrecht. Zur Rolle zivilistischen Denkens bei der Anwendung von § 1 UWG, AcP 193 (1993) 204 ff.; Reuter Die ethischen Grundlagen des Privatrechts – formale Freiheitsethik oder materiale Verantwortungsethik? AcP 189 (1989) 199 ff.; ders. Freiheitsethik und Privatrecht, DZWir 1993, 45 ff.; Richter Sichtweise und Fragestellungen der Neuen Institutionenökonomik, ZWS 110 (1990) 571 ff.; Rinck/Schwark Wirtschaftsrecht, 6. Aufl. (1986); Rittner Über das Verhältnis von Vertrag und Wettbewerb, AcP 188 (1988) 101; ders. Die wirtschaftsrechtliche Ordnung der EG und das Privatrecht, JZ 1990, 838 ff.; ders. Der – unverfälschte – Wettbewerb: Grundlage und Ziel der EG, WuW 2007, 967; Rittstieg Eigentum als Verfassungsproblem, 2. Aufl. (1975); Röller/Friederiszick Ökonomische Analyse in der EU Wettbewerbspolitik. Ein erstes Résumé, in: Baudenbacher (Hg.), Neueste Entwicklungen im europäischen und internationalen Kartellrecht (2007); Rüthers/Fischer/Birk Rechtstheorie, 10. Aufl. (2018); Ruffner Neue Wettbewerbstheorie und schweizerisches Kartellrecht (1990); Rupp Grundgesetz und „Wirtschaftsverfassung“ (1974); ders. Stichwort „Wirtschaftsverfassung“, Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft (1982, zit. HdWW); Sack § 1 UWG und Wirtschaftspolitik, WRP 1974, 247 ff.; Säcker Zielkonflikte und Koordinationsprobleme im deutschen und europäischen Kartellrecht (1973); Sambuc Folgenerwägungen im Richterrecht (1977); Schachtschnabel Wirtschaftspolitische Konzeptionen, 3. Aufl. (1976); Schäfer/Ott Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 5. Aufl. (2012); Schinzinger Ansätze ökonomischen Denkens von der Antike bis zur Reformationszeit (1977); Schliesky Öffentliches Wettbewerbsrecht (1997); ders. Öffentliches Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. (2008); Schluep Vom lauteren zum freien Wettbewerb, GRUR Int. 1973, 446 ff.; Schlüter Ökonomische Funktion als Basis wettbewerbsrechtlicher Zulässigkeit (1992); Schmidt, E. Von der Privat- zur Sozialautonomie, JZ 1980, 153; Schmidt, I. Wettbewerbspolitik und Verfassung (1971); ders./Haucap Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 10. Aufl. (2013); ders. More economic approach versus Justiziabilität, WuW 2005, 879; ders. More economic approach: Ein wettbewerbspolitischer Fortschritt? FS Bechtold (2006) 40 ff.; Schmidt, R. Wirtschaftspolitik und Verfassung (1971); ders. Öffentliches Wirtschaftsrecht, Allg. Teil (1990); ders. Neoliberalismus als Königsweg, FS Stober (2008) 19 ff.; Schmidtchen Wettbewerbspolitik als Aufgabe (1978); ders. Effizienz als Leitbild der Wettbewerbspolitik, in Oberender (Hrsg.), Effizienz und Wettbewerb (2005) 9 ff.; ders. Der „more economic approach“ in der Wettbewerbspolitik, WuW 2006, 1 ff.; Schmidt-Preuß Die soziale Marktwirtschaft als Wirtschaftsverfassung der Europäischen Union, FS Säcker (2011) 969 ff.; Scholz Berufsbild und Wettbewerbsrecht, BB 1980, Beilage 5 zu Heft 21; Schricker Entwicklungstendenzen im Recht des unlauteren Wettbewerbs, GRUR 1974, 579 ff.; ders. Möglichkeiten zur Verbesserung des Schutzes der Verbraucher und des funktionsfähigen Wettbewerbs, ZHR 139 (1975) 208 ff.; Schünemann Mündigkeit versus Schutzbedürftigkeit, FS Brandner (1996) 279 ff.; ders. Ethik und Menschenbild der wettbewerbsgesteuerten Marktwirtschaft aus rechtlicher Sicht, ETHICA 1997, 115 ff.; ders. Wettbewerbsrecht im Wandel? WRP 2002, 1345 ff.; ders. Handeln im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs, WRP 2003, 16 ff.; ders. „Unlauterkeit“ in den Generalklauseln und Interessenabwägung nach neuem UWG, WRP 2004, 925 ff.; ders. Generalklausel und Regelbeispiele, JZ 2005, 271 ff.; ders. Ökonomische Analyse der europäischen und deutschen Regelung, in Krejci/Keßler/Augenhofer (Hrsg.), Lauterkeitsrecht im Umbruch (2005) S. 41 ff.; ders. Das ökonomische Paradigma im Wettbewerbsrecht, Seoul National University Law Review (2006), 341 ff.; ders. Dogmatik und Hermeneutik der Regelbeispiele, FS Georgiades (2006) 1087 ff.; ders. Wirtschaftspolitische Neutralität des Grundgesetzes? FS Stober (2008) 147 ff.; ders. Der Beitrag der Ökonomik für das Europäische Lauterkeitsrecht, in Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.), Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009) 97 ff.; Schwalbe/Zimmer Kartellrecht und Ökonomie, 2. Aufl. (2011); Schwarze Europäisches Wirtschaftsrecht (2007); Schwartz Verfolgung unlauteren Wettbewerbs im Allgemeininteresse, GRUR 1967, 333 ff.; Schwipps Wechselwirkungen zwischen Lauterkeitsrecht und Kartellrecht (2009); Soltwedel Normen und Institutionen (1994); Sölter Nachfragemacht und Wettbewerbsordnung, 2. Aufl. (1960); ders. Der unvollständige Wettbewerbs-

Schünemann/Peifer

4

Übersicht

Einleitung

begriff (1975); Sosnitza Wettbewerbsbeschränkungen durch die Rechtsprechung (1995); Spliethoff Verkehrsauffassung und Wettbewerbsrecht (1992); Stadermann Wirtschaftspolitik (1992); Stober Grundrechtsschutz der Wirtschaftstätigkeit (1989); ders. Zur ökonomischen Relevanz der Grundrechte in einer offenen Wirtschaftsverfassung, FS Stern (2012) 613 ff.; ders. Zur ökonomischen Relevanz der Grundrechte in einer offenen Wirtschaftsverfassung, FS Stern (2012) 613 ff.; Streniger Der natürliche Lauf der Dinge. Zur Sozialphilosophie Adams Smith, ARSP 1989, 196 ff.; Stürner Markt und Wettbewerb über alles? (2007); Thielemann Wettbewerb als Gerechtigkeitskonzept (2010); Tolksdorf Stand und Entwicklungstendenzen der Wettbewerbstheorie, WuW 1980, 785 ff.; Tirole The Theory of Industrial Organization (2003); Tuchtfeldt Über die Staatsfunktionen bei Adam Smith, ORDO 27 (1974) 29 ff.; ders. Konzepte der Wettbewerbspolitik, FS Kummer (1980) 549 ff.; Tyllack Wettbewerb und Behinderung (1984); Ullmann Das Koordinatensystem des Rechts des unlauteren Wettbewerbs im Spannungsfeld von Europa und Deutschland, GRUR 2003, 817 ff.; Utzig Die Rolle des Rechts in der modernen ökonomischen Theorie, AcP 189 (1989) 158 ff.; Voigt Die Non-Dilemma-These, WiSt 1992, 516 ff.; Wacke Werbeaussagen als Meinungsäußerungen, FS Schack (1966) 197 ff.; Weides Wirtschaftswerbung und Grundrechte, WRP 1976, 585 ff.; Wendt Eigentum und Gesetzgebung (1985); Wiedemann Rechtsethische Maßstäbe im Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, ZGR 1980, 147 ff.; Wildmann Einführung in die Volkswirtschaftslehre, Mikroökonomie und Wettbewerbspolitik (Module der Volkswirtschaftslehre Bd. 1, 2. Aufl. 2010); Willeke Grundsätze wettbewerbspolitischer Konzeptionen (1973); ders. Wettbewerbspolitik (1980); Windsperger Wettbewerb als dynamischer Prozess, ORDO 37 (1986) 125 ff.; Woll Freiheit als Handlungsmaxime und Ziel der Wirtschaftsordnung, FS Gemper (2006) 33 ff.; Wrage UWG-Sanktionen bei GWB-Verstößen? (1984); Wunderle Verbraucherschutz im Europäischen Lauterkeitsrecht (2010); Zacher Aufgaben einer Theorie der Wirtschaftsverfassung, FS Böhm (1965) 63 ff.; ders. Soziale Sicherung in der Sozialen Marktwirtschaft, in Vierteljahresschrift für Sozialrecht (1973) 97 ff.; Zippelius/Würtenberger Deutsches Staatsrecht, 33. Aufl. (2018); Zuck Die globalgesteuerte Marktwirtschaft und das neue Recht der Wirtschaftsverfassung, NJW 1967, 1301 ff.; ders. Aktuelle Probleme der Wirtschaftspolitik und die tragenden Grundsätze der Wirtschaftsverfassung, BB 1967, 805 ff.

Übersicht I.

Begriff des Wettbewerbsrechts

II.

Wettbewerb im Schnittfeld von Ökonomik und 15 Recht Bedeutung der Ökonomik für das Wettbewerbs15 recht Wettbewerbsfunktionale Auslegung oder „wirt18 schaftspolitische Neutralität“ des UWG? a) Auslegung des UWG im Allgemei18 nen b) Interpretativer Einfluss von Wettbewerbs23 konzeptionen? Wettbewerbskonzeptionen in der lauterkeits37 rechtlichen Hermeneutik 40 a) Das „Wesen“ des Wettbewerbs 54 b) Die freie Konkurrenz der Klassiker c) Zweiteilung wettbewerbskonzeptioneller 62 Ansätze 66 d) Die vollkommene Konkurrenz 71 e) „Workable Competition“ 76 f) „Countervailing Power“ 78 g) „Optimale Wettbewerbsintensität“ 81 h) „Chicago School“ 85 i) Ordo-Liberalismus 92 j) Die freie Konkurrenz der Neoklassik 101 k) Moderne Effizienz-Paradigmen 105 Maßgebliche Wettbewerbskonzeption

1. 2.

3.

4.

1

III.

Wettbewerbsfunktionales Verständnis und Ethik des Wettbewerbs 124

IV.

Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsverfas139 sung Wirtschaftsverfassung des Grundgeset139 zes 139 a) Terminologie b) „Wirtschaftspolitische Neutralität“ 143 des GG? c) Freiheitliche Wettbewerbswirtschaft als Ver165 fassungsentscheidung d) Wettbewerbsfreiheit und Sozialstaatsprin174 zip Grundrechtliche Elemente und Ausstrahlungen 182 der Wirtschaftsverfassung a) Wirtschaftsverfassung und lauterkeitsrecht182 liche Hermeneutik 186 b) Artt. 1, 2 Abs. 1 GG 198 c) Art. 3 Abs. 1 GG 202 d) Art. 4 Abs. 2 GG e) Art. 5 GG (Art. 10 EMRK, Art. 11 205 EuGrCh) 234 f) Art. 9 GG 238 g) Art. 11 GG 241 h) Art. 12 Abs. 1 GG (Art. 16 EuGrCh) 248 i) Art. 13 GG 252 j) Art. 14 GG 258 Europäische Wirtschaftsverfassung

1.

2.

3.

5

Schünemann/Peifer

Einleitung

A. Wettbewerb und Wirtschaftsordnung

Alphabetisches Stichwortverzeichnis Allgemeine Marktbehinderung s. Marktstörung Allgemeines Persönlichkeitsrecht 196 f. Auslegung 17 ff., 180 ff. Berufsfreiheit 241 ff. Boykott 218 ff. Chicago School 81 ff. Corporate Social Responsibility 135 Countervailing Power 76 f. Dilemma-These 59, 99 Diskriminierungsverbot 200 Eigentumsgarantie 252 ff. Einigungsvertrag 168 Entscheidungsfreiheit s. Handlungsfreiheit Folgeerwägungen 114 f. Freizügigkeit 238 ff. Gegengiftthese 73 Gewerblicher Rechtsschutz 7 Gleichheitsgrundsatz 198 ff. Globalsteuerung 3 Grundrechte – als objektive Wertordnung 146, 179 ff. – als System 161 ff. – als Wertinseln 147 – Drittwirkung 149 ff. – und Werbung 209 ff. – wirtschaftliche Valenz 144 Handlungsfreiheit 86, 93, 110, 123, 165, 171, 185, 186 ff. Institutionsethik 131 ff. Kaufkraftwettbewerb 100 Kommunikationsfreiheit 205 ff. Konkurrenz – atomistische 67 – freie 54 ff., 89, 92 ff. – funktionsfähige s. Workable Competition – neoklassische 92 ff., 264 – vollkommene 66 ff. – vollständige 69, 82, 87 Konsumentenwohlfahrt 82 Konvergenz von UWG und GWB 34 f. Koordinationsmängeldiagnosekonzept 111 Kunstfreiheit 233 Liberalismus – klassischer 54 ff. – neoklassischer 92 ff., 107 ff. – Ordo s. Ordo-Liberalismus Markt – relevanter 72, 100 Marktbehinderung, allgemeine s. Marktstörung Marktstörung 114, 222 ff. Marktwirtschaft – offene 103, 260 ff., 270 – soziale 85 ff., 154 ff., 266, 276 ff. – und Ethik 124 ff.

Schünemann/Peifer

Medienfreiheit 206 f. Meinungsfreiheit 205 ff. Mischwirtschaft 88, 158, 283 Mittelstandsschutz 25, 91 more economic approach 102, 274 Nachahmungsgefahr 114 Neoliberalismus s. Neoklassik Neoklassik 91, 92 ff., 109 ff., 117 ff., 126, 171, 193, 260, 264, 273 Non-Dilemma-These s. Dilemma-These Optimum – Kaldor/Hicks 81 – Pareto 69, 81 Ordnungsethik 131 ff. Ordo-Liberalismus 69, 85 ff. Privatautonomie 165, 173, 178, 190 ff., 199 Religionsfreiheit 202 ff. Residenzpflichten 240 Schicksalspreis 67 Schutzzwecktrias 17 Sozialethik 128 ff. Sozialstaatsprinzip 153, 158, 163, 170, 174 ff., 199 Stufenwettbewerb 122 subjektive Unlauterkeitsmerkmale 114 Totalmarktkonzept 100 Unternehmensethik 128, 134 ff. Vereinigungsfreiheit 234 ff. Vorfeldthese 229 Werbung 126 ff., 197, 202, 206, 209 ff., 231 Wettbewerb – als dynamischer Prozess 47, 61, 66, 78 f., 95, 172 – Begriff 37 ff. – funktionsfähiger 78 ff., 93, 111, 120 ff., 166 – Tatbestandsbezogenheit 53 – und Austauschprozesse 46 ff., 93, 115 – und Effizienz 81 ff., 96, 101 ff. – und Ethik 124 ff., 176 – und Marktergebnisse 37, 72 ff., 81, 121 ff. – und Marktstruktur 36 f., 71 ff., 80 ff., 98, 192 – und Parallelprozesse 46 ff. Wettbewerbsfreiheit 92, 98 f., 107 ff., 126, 131, 164 ff., 171 ff., 183, 192 ff., 272 ff. – und Sozialstaatsprinzip 174 ff. – und Wirtschaftsverfassung 103, 116 ff. Wettbewerbsfunktionen 57 ff., 78 ff., 84, 99, 105, 120 ff., 124 ff. Wettbewerbsintensität – optimale 78 ff. Wettbewerbskonzeptionen 23 ff., 37 ff., 105 ff. – systemtheoretische 64, 91, 93 ff., 107, 125 ff., 172 – wohlfahrtsökonomische 64, 69, 81, 101, 114, 117, 120, 125, 260, 274 Wettbewerbsrecht – allgemeines 12

6

I. Begriff des Wettbewerbsrechts

– als Lauterkeitsrecht 13 f. – Begriff 1 ff. – funktionales Verständnis 120 ff. – und Marktverhaltensregelungen 11 – und Ökonomik 15 ff. Wirtschaftsethik 124 ff. Wirtschaftsordnung – Begriff 142 Wirtschaftspolitische Neutralität

Einleitung

– des UWG 23 ff. – des GG 143 ff. Wirtschaftsverfassung – Begriff 139 ff. – deutsche 141 ff. – europäische 258 ff. – und Grundrechte 144 ff., 182 ff. Wohnungsschutz 248 ff. Workable Competition 71 ff., 81

I. Begriff des Wettbewerbsrechts Das „Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb“ (UWG) bildet zusammen mit dem inhaltlich 1 verkürzt oft als Kartellrecht bezeichneten „Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen“ (GWB) die Eckpfeiler des geltenden deutschen Wettbewerbsrechts.1 Dieses Rechtsgebiet ist spezifisch auf den (wirtschaftlichen) Wettbewerb bezogen. Das Wettbewerbsprinzip spielt in der als (sozialen) Marktwirtschaft konstituierten (Gesellschafts- und) Wirtschaftsverfassung2 der Bundesrepublik Deutschland die zentrale Rolle.3 Es markiert zugleich den zentralen Stellenwert des UWG für das Wirtschaftsrecht,4 wobei man zumindest annäherungsweise die rechtlich determinierte Wirtschaftsordnung mit Wirtschaftsrecht gleichsetzen kann. Der Begriff des Wettbewerbsrechtes ist unscharf,5 seine Verwendung demzufolge unter- 2 schiedlich. Zum Teil ist die Unschärfe auf den schon selber schillernden Wettbewerbsbegriff6 zurückzuführen, der im Folgenden schärfer zu konturieren sein wird. Im weitesten Sinne rechnen zum Wettbewerbsrecht nicht nur GWB und UWG als dessen Kernbereiche, sondern daneben eine Vielzahl weiterer Normen, die in mehr oder weniger spezifischem Zusammenhang mit dem normativen Regelungsfeld „Wettbewerb“ stehen.7 Unter makroökonomischem Aspekt ist dabei vornehmlich an das StabG zu denken. Es will 3 die wirtschaftspolitischen Instrumente zur Verfügung stellen, die für eine optimierte Globalsteuerung des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs mit Blick auf das teilweise antinomische „magische Viereck“ des Zielkatalogs (§ 1 StabG) von Geldwertstabilität, hohem Beschäftigungsstand, außenwirtschaftlichem Gleichgewicht und Wirtschaftswachstum erforderlich sind.8 Das Gesetz ist aufgrund einer Vorgabe des Koalitionsvertrages der 18. Legislaturperiode (2013–2017) durch den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung einer Prüfung auf Zeitgemäßheit und Reformbedarf untersucht worden. Das Gremium kam zu der Einsicht, dass das Gesetz sich als Instrument zur schnellen Steuerung in konjunkturellen Sondersituationen „als sehr wertvoll erweisen“ könne, insbesondere fiskalische Steuerungsmaßnahmen zur Behebung konjunktureller Schwächen ermöglicht.9 Das Gremium hat in diesem Zusammen1 Zu diesem weiten Begriff des Wettbewerbsrechtes s. z. B. Emmerich/Lange Unlauterer Wettbewerb § 1 Rn. 2; Ohly/ Sosnitza Einf. A Rn. 2, Einf. D Rn. 70; I. Schmidt/Haucap S. 211 ff. 2 Die besonders von Rebe S. 26 ff. betonte Unterscheidung zwischen Wirtschaftssystem, Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsordnung dürfte in diesem Zusammenhang ohne Belang sein. S. a. Bohling S. 1. 3 Leisner Soziale Marktwirtschaft, passim. 4 Dagegen Dreher/Kulka Einl. Rn. 14: Lauterkeitsrecht kein Teil des Wirtschaftsrechts. 5 Beater Rn. 4; Koppensteiner § 1 I. 6 I. Schmidt/Haucap S. 3: Wettbewerb als „sehr vielschichtiges Phänomen“. 7 Emmerich/Lange Unlauterer Wettbewerb § 1 Rn. 1. 8 Zum gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht als Ziel des StabG (wie auch des Unionsrechts, Art. 3 Abs. 3 AEUV) und den daran anknüpfenden Problemen auch aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht gut informierend Stober/ Korte Öff. Wirtschaftsrecht Allg. Teil Rn. 238 f., 243 ff.; vgl. zur Kontingenz von StabG und GWB prägnant Möschel Wettbewerbsbeschränkungen Rn. 8. 9 Vgl. Michaelis/Elstner/Schmidt, Wirtschaftsdienst 2015, 830, 836.

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Schünemann/Peifer

Einleitung

A. Wettbewerb und Wirtschaftsordnung

hang aber gleichzeitig klargestellt, dass das Gesetz keine taugliche Grundlage für eine umfassende (gesetzliche) Steuerung der Wirtschaftspolitik ist. Das Gesetz tastet mithin die Freiheit der Marktprozesse nur in einem engen und auf die Konjunktursteuerung bezogenen Bereich an. Insofern definiert es nicht umfassend Ziele einer Wirtschafts- oder Wettbewerbspolitik.10 4 In engem sachlichen Kontext mit dem UWG steht die PAngV. Sie ist erkennbar Teil des Wettbewerbsrechts, weil sie jedenfalls im Verhältnis zu Letztverbrauchern für die konkrete Ausgestaltung der unternehmerischen Preispolitik, einem zentralen Instrument des wirtschaftlichen Wettbewerbs, von großer Bedeutung ist. Preissignale sind unbestritten wettbewerblich wichtige Aktionsparameter, Preisabsprachen sind per se verpönt, die Preissetzung ist wichtiges Wettbewerbssignal für die Akteure, Preisklarheit ein wesentliches Instrumentarium zur Vorbereitung von informieren Verbraucherentscheidungen. Die PAngV operiert in diesem Aktionsfeld, ist allerdings mittlerweile vor allem im elektronischen Handel unter Druck geraten. Gleichwohl spielt sie neben den Irreführungsver- und Transparenzgeboten der §§ 5, 5a UWG noch eine große Rolle in der Gerichtspraxis.11 5 Klare wettbewerbsrechtliche Facetten weisen die zahlreichen Vermarktungsvorschriften des AMG, des HWG oder des LFGB (früher LMBG) auf (zu ihrem Verhältnis zum UWG s. Einl. G Rn. 17 ff.). Wettbewerbsrechtlich zu klassifizieren sind ferner die Wettbewerbsverbote für Handlungsgehilfen und persönlich haftende Personenhandelsgesellschafter in den §§ 60, 74 ff., 112 HGB. 6 Gelegentlich ist der wettbewerbsrechtliche Kontext erst auf den zweiten Blick erkennbar. So eignet etwa auch dem LadenschlussG neben seiner gerne betonten Seite als Arbeitnehmerschutzrecht12 wettbewerbsrechtliche Qualität hinsichtlich der zeitlichen Einschränkung von Marktpräsenz, was freilich nichts über die wettbewerbliche Produktivität dieses Gesetzes aussagt. Das LadenschlussG ist geradezu als „Zwangskartell für den Einsatz des Aktionsparameters Verkaufszeit“ zu kennzeichnen und mit einer freiheitlich-marktwirtschaftlichen Wettbewerbsordnung letztlich nicht vereinbar, gleichgültig, wie seine Restriktionen im Einzelnen beschaffen sein mögen.13 Auch bei den sog. „Marktverhaltensvorschriften“, die über § 3a mit lauterkeitsrechtlichen Mitteln durchgesetzt werden können, ist der wettbewerbsrechtliche Kontext nicht stets auf den ersten Blick ersichtlich. Die flexible Formulierung in § 3a sorgt jedoch dafür, dass auch eine mittelbare Relevanz für die in § 1 UWG erwähnte Interessentrias (Verbraucher, Marktbeteiligte, Allgemeinheit) genügt, um den lauterkeitsrechtlichen Zusammenhang herzustellen. Die wettbewerbsrechtliche Relevanz solcher Verschriften ergibt sich hierbei daraus, dass alle Marktteilnehmer sie gleichmäßig befolgen müssen. Jedenfalls im B2B-Bereich besteht dadurch ein deutlicher Hebel, um Vorschriften, welche die wettbewerbliche Entfaltung begrenzen, im Interesse aller gleichmäßig Gebundenen auch mit den Mitteln des UWG umzusetzen. Dazu gehören Vorschriften über reglementierte Berufe,14 Begrenzung der wirtschaftlichen Tätigkeit öffentlich-rechtlich organisierter Institutionen, wie Rundfunkanstalten15 oder Kommunen16 (vgl. § 3a 10 Michaelis/Elstner/Schmidt/Bofinger/Feld/Schnabel/Wieland, Arbeitspapier 02/2015, Rn. 24, 45. 11 Vgl. BGH 28. 3. 2019 – I ZR 85/18 – GRUR 2019, 641 – Kaffeekapseln (zur Preistransparenz beim Einsatz von Fertigverpackungen); zur Preisklarheit bei Internetbuchungen BGH 3. 4. 2003 – I ZR 222/00 – GRUR 2003, 889 – Internet-Reservierungssystem. 12 Vgl. BVerfG 29. 11. 1961 – 1 BvR 760/57 – BVerfGE 13, 237, 240; BVerfG 21. 2. 1962 – 1BvR 198/57 – BVerfGE 14, 19, 22; BVerwG 12. 12. 1967 – I C 34/67 – BVerwGE 28, 295 f. = GRUR 1969, 88 f. – freie Möbelschau; BGH 7. 11. 1980 – I ZR 160/78 – BGHZ 79, 99 f. = GRUR 1981, 424 f. – Tag der offenen Tür II. 13 So völlig zu Recht (wenngleich zu dem früheren, noch wesentlich restriktiveren Rechtszustand) Gröner/Köhler Der Selbstbedienungsgroßhandel zwischen Rechtszwang und Wettbewerb (1986) 60 ff.; a. A. unter Zugrundelegung „wirtschaftspolitischer Neutralität“ des GG freilich BVerfG 29. 11. 1961 – 1 BvR 148/57 – BVerfGE 13, 230; BVerfG 29. 11. 1961 – 1 BvR 760/57 – BVerfGE 13, 237; BVerfG 21. 2. 1962 – 1 BvR 198/57 – BVerfGE 14, 19. S. dazu wiederum Rn. 142 ff. 14 GK-UWG/Metzger/Eichelberger § 3a Rn. 14. 15 BGH 26. 1. 2017 – I ZR 207/14 – GRUR 2017, 422 Tz. 32 – ARD-Buffet; BGH 30. 4. 2015 – I ZR 13/14 – BGHZ 205, 195 Tz. 55 = GRUR 2015, 1228 Tz. 55 – Tagesschau-App; krit. Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 20. 16 BGH 20. 12. 2018 – I ZR 112/17 – GRUR 2019, 189 Tz. 17 – Crailsheimer Stadtblatt II = WRP 2019, 317 Tz. 17 m. abl. Anm. Peifer; vgl. GK-UWG/Metzger/Eichelberger § 3a Rn. 66.

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I. Begriff des Wettbewerbsrechts

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Rn. 66). Die praktische Relevanz der lauterkeitsrechtlichen Kontrolle ist ebenso hoch wie der wettbewerbliche Kontext der streitentscheidenden Fragen oft fragwürdig ist. Letztlich geht es um eine Kompensation von Funktionsschwächen des primär berufenen straf- und verwaltungsrechtlichen Sanktionsinstrumentariums.17 Im wettbewerbsrechtlichen Kontext steht dagegen der Normenkomplex des sog. Gewerbli- 7 chen Rechtsschutzes, insoweit durch die Einräumung von Ausschlusspositionen Vorsprungsgewinne zumindest befristet rechtlich abgesichert werden. Im Einzelnen herrscht allerdings über die Zuordnung einzelner Rechtsmaterien des Gewerblichen Rechtsschutzes zum Wettbewerbsrecht Streit. Hintergrund dafür ist das Postulat einer prinzipiellen Unvereinbarkeit von wirtschaftlicher Verwertungsperspektive und persönlichkeitsrechtlicher Dimension. Diese beiden Aspekte kennzeichnen namentlich das Urheberrecht, sodass sich gerade an ihm der Streit um die Zuordnung einer Rechtsmaterie zum Gewerblichen Rechtsschutz entzündet.18 Strukturell widersetzt sich der Gewerbliche Rechtsschutz, indem er auf Zuweisung absoluter Rechte19 abstellt, freilich so oder so einer Annäherung an die wettbewerbsrechtlichen Kernbereiche UWG und GWB, die Derartiges nicht kennen. Gewerbliche Schutzrechte oder urheberrechtliche Vorschriften sind als Schutznormen zur Verteidigung privater Eigentumsinteressen regelmäßig nicht über § 3a UWG durchsetzbar.20 Das bedeutet allerdings nicht, dass solche Vorschriften, die gezielte wettbewerbliche Anreize setzen, nicht in erheblichem Umfang Relevanz für Marktprozesse haben. Die Relevanz zeigt sich in Konstellationen, in denen eine missbräuchliche Geltendmachung von Schutzrechten zu Zwecken der Marktverschließung (Behinderungsmissbrauch) erfolgt. Das Phänomen ist in den 2000er Jahren unter dem Stichwort „Patent-Trolle“ diskutiert worden.21 Insbesondere bei standardessentiellen Patenten (SEP) hat es zu Forderungen geführt, entweder den Unterlassungsanspruch des Schutzrechtsinhabers zu beschränken oder aber den Inhabern standardessentieller Schutzrechte Lizenzierungspflichten zu angemessenen und nichtdiskriminierenden Bedingungen gegenüber Lizenzwilligen aufzuerlegen.22 Die Verfolgung von Patenten durch nicht-produzierende Einheiten generell als Missbrauch des Schutzrechts anzusehen, ist allerdings unverhältnismäßig. Lizenzierungspflichten sind technisch ein verträglicheres Instrument, um einerseits die Schutzrechte nicht um wesentliche Durchsetzungsmechanismen zu kupieren, andererseits das Vertragsrecht als Instrument der Feinsteuerung von Lizenzierungspflichten nutzbar zu machen. Auch wenn die äußersten Grenzen des Wettbewerbsrechtes weit zu ziehen sind, haben sich 8 gleichwohl engere Begriffe des Wettbewerbsrechtes herausgebildet. Dem jeweils unterschiedlichen Erkenntnisinteresse folgend wird so etwa in der Volkswirtschaftslehre mit „Wettbewerbsrecht“ durchweg das GWB identifiziert, schon weil dieses Verständnis sich zwanglos einer Wissenschaftstrias von Wettbewerbstheorie, Wettbewerbspolitik und eben Wettbewerbsrecht einfügt.23 Wettbewerbspolitik besteht danach in der Abwehr von Absprachen (Kartellen), der 17 GK-UWG/Metzger/Eichelberger § 3a Rn. 20. 18 Dazu Götting Gewerblicher Rechtsschutz § 1 Rn. 7 ff., § 6 Rn. 21 ff.; Wandtke in Wandtke (Hrsg.), Urheberrecht, 3. Aufl. (2012) 1. Kap. Rn. 30 ff. 19 Zur Dreiteilung der subjektiven Rechte (absolute, relative, Gestaltungsrechte) und den sich daran anknüpfenden rechtlichen Konsequenzen s. Schünemann Wirtschaftsprivatrecht, 6. Aufl. (2011) 59 ff. 20 BGH 10. 12. 1998 – I ZR 100/96 – BGHZ 140, 183, 188 f. = GRUR 1999, 325, 326 m. w. N. – Elektronische Pressearchive. 21 Dazu überblicksartig Osterrieth GRUR 2009, 540, zu Praktiken der Blockade von Marktzugängen durch Schutzrechtesstrategien Immenga/Mestmäcker/Fuchs, Art. 102 AEUV, Rn. 356–356c. 22 Zur sog. „FRAND“-Thematik (Verpflichtung zur Erteilung von Lizenzen unter fairen, vernünftigen = „reasonable“ sowie nicht-diskriminierenden Bedingungen auf Anfrage) vgl. in Deutschland BGH 6. 5. 2009 – KZR 39/06 – BGHZ 180, 312 = WRP 2009, 858 – Orange-Book-Standard, im Unionsrecht EuGH 16. 7. 2015 – C-170/13 – GRUR 2015, 764 – Huawei/ZTE; Kühnen Hdb. der Patentverletzung12, Kap. E Rn. 198; Kellenter/Verhauwen GRUR 2018, 761; Kurtz ZGE 9 (2017) 491. 23 Vgl. Belleflamme/Peitz Industrial Organization (2015) 345; Braun ORDO 35 (1984) 297; Cox/Hübener I 4b; Reich ARSP 1976, 111.

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Abwehr ausschließender Verhaltensweisen in vertikalen Marktbeziehungen sowie der Kontrolle von Fusionen im horizontalen Wettbewerb. Die Volkswirtschaftslehre trennt im Übrigen deutlich zwischen der modellhaften oder empirischen Beschreibung von Wettbewerbsprozessen sowie unternehmerischem Verhalten einerseits und normativen Vorgaben für wettbewerbspolitisch als wünschenswert angesehene oder als Marktinteressen schädigende Wettbewerbsprozesse oder unternehmerische Verhaltensweisen andererseits.24 In der naturgemäß eher an konkret-unternehmerischem Markthandeln interessierten Betriebswirtschaftslehre wird mit Wettbewerbsrecht hingegen zumeist das UWG assoziiert.25 Auch im rechtswissenschaftlichen Kontext herrscht dieser am UWG orientierte Begriffsgebrauch des Wettbewerbsrechtes i. e. S. vor.26 Es handelt sich dabei allerdings um eine bloße Usance; dogmatisch ist gleichgültig, um welchen Mittelpunkt (UWG oder GWB) der Kreis des Wettbewerbsrechtes gezogen wird. So und so bilden Lauterkeits- und Kartellrecht den Kern des Wettbewerbsrechts, da sie entgegen dem ersten Anschein materiell eine Einheit bilden (s. oben Rn. 6 und Einl. G Rn. 36 ff.). Deshalb ist die zu wählende Terminologie mehr als nur eine Frage der Konvention, weil damit auch zutreffende oder unzutreffende inhaltliche Vorstellungen über das Verhältnis von UWG und GWB zueinander begünstigt werden. Sachlich naheliegend und im Interesse terminologischer Klarheit angeraten erscheint es mithin, entgegen bisheriger Übung als Wettbewerbsrecht i. e. S. zusammenfassend UWG (Vorschriften gegen unlautere Handlungen im geschäftlichen Verkehr) und GWB (Vorschriften gegen die Freiheit der Wettbewerbsprozesse beschränkende Verhaltensweisen) zu bezeichnen27 und, wo nötig, erst auf einer niedrigeren begrifflichen Ebene Differenzierungen vorzunehmen. Damit wird terminologisch Raum geschaffen für ein Wettbewerbsrecht i.w.S., in dem außer den wettbewerbsrechtlichen Eckpfeilern UWG und GWB dann als wettbewerbliche Sonder- oder Nebengesetze auch noch die diversen Normen mit spezifischem Wettbewerbsbezug in anderen Gesetzen (s. die einschlägigen Hinweise in Rn. 3 ff.) zusammengefasst sind. Was zum Wettbewerbsrecht i.w.S. zu zählen ist, ist nicht nur terminologisch von Interesse. Die Bedeutung des Wettbewerbsrechts i.w.S. erhellt etwa mit Blick auf § 3a (s. a. Einl. G Rn. 23 ff.). Denn jene Normen, die mit § 3a „auch dazu bestimmt (sind), im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln“, sind nur als Normen des Wettbewerbsrechts i.w.S. vorstellbar. Selbst wenn Marktverhaltensnormen ohne Wettbewerbsbezug existieren sollten, wären sie für § 3a unbeachtlich, weil die Teleologie des UWG allein auf die Bekämpfung von wettbewerbsfunktional verstandener, in diesem Sinne marktbezogener Unlauterkeit und (damit)28 Wettbewerbsverfälschungen ausgerichtet ist.29 Allerdings ist der integrale Wettbewerbsbezug einer Marktverhaltensnorm nur notwendige, nicht jedoch hinreichende Bedingung zum Eingreifen des Lauterkeitsrechts, wie sich exemplarisch an kartellrechtlichen Normen erweist (s. näher Einl. G Rn. 58 ff.). Als missverständlich jedenfalls zu vermeiden ist die gelegentlich gewählte Bezeichnung des UWG als „allgemeines Wettbewerbsrecht“,30 sofern nicht wenigstens gleichzeitig klarstellend z. B. AMG, HWG oder LFGB (früher LMBG) und ähnliches als „Sonderwettbewerbsrecht“ (zumin24 Belleflamme/Peitz Industrial Organization (2015) 345. 25 Vgl. hier nur Ahlert, passim. 26 Dies wird allein schon durch den jeweiligen Titel „Wettbewerbsrecht“ vermittelt, wenn darunter nicht das GWB, sondern das UWG behandelt wird, vgl. z. B. Cl. Ahrens, Baumbach/Hefermehl, Berlit, Boesche, Ekey/Klippel/Kotthoff/ Meckel/Plaß, Götting, Jestaedt, Köhler/Bornkamm/Feddersen, Lehmler, Lehr, Lettl, Nordemann und Schwintowski, oder wenn das „Wettbewerbsrecht“ dem „Kartellrecht“ gegenübergestellt wird, wie z. B. bei Dreher/Kulka (Werktitel) und § 1 Rn. 1. Vgl. im Übrigen weniger beiläufig z. B. Koppensteiner § 1 I; Möhring WuW 1954, 387; Pichler S. 24; Schünemann Wettbewerbsrecht S. 23 f. 27 Ebenso Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß E 2 Rn. 13. 28 Zu diesem Pleonasmus Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 1 Rn. 102 ff., 108 ff.; so ausdrücklich („damit zugleich“) auch Gloy/Loschelder/Danckwerts/Leistner § 4 Rn. 1; a. A. aber z. B. Dreher/Kulka § 1 Rn. 50. 29 Eingehend Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 1 Rn. 7 ff., 85 ff., 92 ff., 102 ff., § 3 Rn. 199 ff., 243 ff., 300. 30 So Baumbach/Hefermehl Allg. Rn. 81; Körner FS Ullmann 701 ff.

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II. Wettbewerb im Schnittfeld von Ökonomik und Recht

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dest in Teilen dieser Gesetze) in Bezug genommen wird.31 Eine gewisse Prägnanz mag der Begriff eines allgemeinen Wettbewerbsrechtes auch als Inbegriff des GWB und des UWG gewinnen: Wie auch immer deren Verhältnis zueinander bestimmt werden muss, markieren beide den Kernbereich der Rechtsnormen mit Wettbewerbsbezug, um den herum Sonder- oder Nebenwettbewerbsrecht angesiedelt ist. Kaum noch Missverständnissen ausgesetzt und deshalb zur Bezeichnung der UWG-Materie 13 samt seiner Sonder- bzw. Nebengebiete32 – zumindest wegen seiner Kürze – vorzugswürdig ist der mittlerweile auch außerhalb der Schweiz weit verbreitete33 Begriff „Lauterkeitsrecht“.34 Denn das UWG basiert seit 2004 mit seinem § 3 Abs. 1 ausdrücklich und exklusiv auf der Unlauterkeit als dem (jetzt neben der „Spürbarkeit“ der Interessenbeeinträchtigung) primären Kriterium für rechtlich unzulässiges geschäftliches Handeln. Die kennzeichnende Kraft des Lauterkeitsbegriffs für das UWG wird nicht dadurch in Fra- 14 ge gestellt, dass sich jedenfalls nicht auf den ersten Blick erschließt, was genau es bedeutet, dass ein für Verbraucher entscheidungsrelevanter Verstoß gegen die „unternehmerische Sorgfalt“ nach § 3 Abs. 2 S. 1 als unlauter anzusehen ist.35

II. Wettbewerb im Schnittfeld von Ökonomik und Recht 1. Bedeutung der Ökonomik für das Wettbewerbsrecht Der Wettbewerb als Regelungssubstrat des Wettbewerbsrechts, sei Wettbewerb nun Zustand, 15 Verhalten oder Verhaltensprozess, ist Erkenntnisobjekt der Wirtschaftswissenschaften. Aus diesem von den Wirtschaftswissenschaften zu eruierenden Rahmen können und sollten sich das Wettbewerbsrecht und seine Dogmatik bei aller für eine rechtliche Betrachtungsweise spezifischen Normativität nicht lösen. Von daher ist die Relevanz der Wirtschaftswissenschaften für Verständnis und Anwendung des Wettbewerbsrechts letztlich eine bare Selbstverständlichkeit.36 Umgekehrt ist freilich festzustellen, dass die Ökonomik ihrerseits die juristisch-normative Ebene von Markt und Wettbewerb, speziell von „lauterem“ Wettbewerb, kaum zur Kenntnis nimmt.37 Dies wiederum liegt daran, dass die Wirtschaftswissenschaften normativen Theorien mittlerweile zugunsten modellhafter oder empirischer Untersuchungsmethoden geringere Beachtung schenken (oben Rn. 8). Gesetzgebung, Dogmatik und jedenfalls kartellamtliche Rechtspraxis des GWB und 16 vergleichbarer Regelwerke des benachbarten Auslands sind seit jeher stark von wirtschafts31 32 33 34

S. Körner FS Ullmann 701 ff. S. a. Einl. G Rn. 19 f.; näher zur begrifflichen Reichweite aus europäischer Sicht Henning-Bodewig S. 9 ff. Baudenbacher Lauterkeitsrecht (2001); von Büren/David (Hg.), Lauterkeitsrecht (2. Aufl. 1998). Vgl. z. B. Drews passim; Ohly/Sosnitza Einf. A Rn. 2 sowie den Werktitel von Fezer oder den MünchKommUWG, der ausdrücklich das „Lauterkeitsrecht“ kommentieren will. Näher zum Lauterkeitsrecht aus europäischer Sicht Henning-Bodewig S. 9 ff. Den Begriff ablehnend Beater Rn. 2, u. a. weil der Begriff zwei wesensfremde Dinge zusammenzwinge. Der von ihm favorisierte Begriff „Recht gegen den unlauteren Wettbewerb“ ist sachlich zutreffend, allerdings recht sperrig. 35 Nach Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 3 Rn. 434 ff. handelt es sich praktisch um identische Begriffsinhalte, sodass auch die bis 2015 genannte „fachliche Sorgfalt“ gegenüber der Lauterkeit als Beurteilungsmaßstab „kein praktisches Eigenleben“ entfalte. 36 Beater Rn. 133 f.; Hetmank, GRUR 2014, 437, 438; Raisch und K. Schmidt in Grimm (Hrsg.), Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaften Bd. I (1973) 134/159 ff.; Schünemann Ökonomische Analyse S. 50 ff.; Sölter Wettbewerbsbegriff, 93 ff., der freilich zugleich ein häufig gestörtes Verhältnis der Jurisprudenz zur Ökonomik beklagt. A.A., also explizit kritisch gegenüber der Einbeziehung der Ökonomik in die Jurisprudenz, z. B. Schachtschneider Staatsunternehmen und Privatrecht (1986) 385 ff. 37 Dazu Pichler S. 87 unter Hinweis auf den etwas anderen Befund in der betriebswirtschaftlichen Teildisziplin des Marketing.

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A. Wettbewerb und Wirtschaftsordnung

wissenschaftlichen Theoremen (speziell, aber nicht nur) über den Wettbewerb geprägt.38 Davon unberührt bleibt freilich die Notwendigkeit, „Wettbewerb“, „Wettbewerbsbeschränkung“, „wesentlicher Wettbewerb“ und ähnliche Schlüsselbegriffe als Elemente kartellrechtlicher Tatbestände bzw. deren Schutzobjekte eben den spezifisch juristischen Interpretationsmethoden zu unterwerfen, sie überhaupt juristisch-praktikabel zu operationalisieren.39 17 Auch das UWG ist weder dogmatisch verstehbar noch angemessen zu interpretieren und zu handhaben, wenn sein ökonomischer Kontext, namentlich der Wettbewerb, nicht hinreichend aufgehellt wird.40 Denn nur so lässt sich etwa erfassen, welche individuellen Interessen der Marktteilnehmer § 1 UWG nun für schutzwürdig erklärt,41 insbesondere auch, was nun jener „unverfälschte Wettbewerb“ ist, der den Gegenstand des insoweit allein schützenswerten Interesses der Allgemeinheit bildet.42 Das so entwickelte Bündel von Schutzzwecken, eine Schutzzwecktrias im Blick auf Mitbewerber, Verbraucher und sonstige Marktteilnehmer sowie schließlich die Allgemeinheit,43 ist wiederum der Dreh- und Angelpunkt der allgemein maßgeblichen,44 hier an Sinn und Zweck des UWG orientierten, also teleologischen Auslegung der lauterkeitsrechtlichen Normen, insbesondere seiner unbestimmten Rechtsbegriffe und Generalklauseln.45 Diese große hermeneutische Bedeutung des Wettbewerbsbegriffs erhellt endlich, wenn man vor allem mit der neueren Judikatur46 und Literatur47 Unlauterkeit zutreffend als Wettbewerbswidrigkeit begreift.48 38 Vgl. Emmerich/Lange Kartellrecht § 1 Rn. 5 ff.; Kartte/Holtschneider Konzeptionelle Ansätze und Anwendungsprinzipien im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, in Cox/Jens/Markert (Hrsg.), Handbuch des Wettbewerbs (1981) I 2, II; Lux S. 49 ff.; Möschel Wettbewerbsbeschränkungen Rn. 61 („selbstverständlich“ Zusammenarbeit zwischen Ökonomen und Juristen); Pichler S. 27, 55 ff., 63 ff., 69 ff.; Ruffner S. 11 ff., 22 ff.; I. Schmidt Kartellrecht, passim; Schwalbe/Zimmer Kartellrecht und Ökonomie, 2. Aufl. (2011) passim. 39 Mestmäcker/Schweitzer § 3 Rn. 2; Möschel Wettbewerbsbeschränkungen Rn. 62 ff., 79; ders. FS Tilmann 705 ff.; Pichler S. 27; Rebe S. 35 ff. 40 Leistner S. 140 ff.; Lux S. 54 f.; Merz S. 185, 215; MünchKommUWG/Sosnitza Grundl. Rn. 2; Rebe S. 152; Schünemann Ökonomische Analyse S. 43 ff., 50 ff.; ders. Beitrag S. 97 ff.; Spliethoff S. 242 ff.; kritisch aber Ohly/Sosnitza Einf. A Rn. 19; s. a. Rn. 23 ff., 37 ff. 41 Beater Rn. 805 ff.; ders. WRP 2009, 768 ff.; Götting/Nordemann § 1 Rn. 9 ff.; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Leistner § 4 Rn. 1; Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 1 Rn. 56 ff., 62 ff. 42 Zu dieser Exklusivität grundlegend Schünemann Voraufl. Einl. Rn. C 23, C 26 ff., D 37 ff., damals im Gegensatz zur ganz h.M.; s. a. Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 1 Rn. 85 ff.; ders. Ökonomische Analyse S. 46, jeweils m. w. N.; a. A. heute namentlich Fezer/Büscher/Obergfell § 1 Rn. 74 ff. 43 Zur sog. Schutzzwecktrias (oder auch verkürzt „Schutztrias“) s. BGH 7. 10. 1993 – I ZR 293/91 – BGHZ 123, 334 = GRUR 1994, 126 – Folgeverträge; BGH 11. 5. 2000 – I ZR 28/98 – BGHZ 144, 265 = GRUR 2000, 1076 – Abgasemissionen; BGH 26. 4. 2001 – I ZR 314/98 – BGHZ 147, 303 = GRUR 2001, 1178 – Gewinnzertifikat; Ahrens, Cl. Wettbewerbsrecht Rn. 2; Emmerich/Lange Unlauterer Wettbewerb § 3 Rn. 7 f.; Götting/Kaiser/Hetmank Wettbewerbsrecht § 3 Rn. 1; Harte/Henning/Podszun § 1 Rn. 11 ff.; Lux S. 282 ff.; Ohly/Sosnitza § 1 Rn. 10. S. a. I. Schmidt/Haucap S. 231. 44 Zum anerkannten juristisch-hermeneutischen Kanon s. in ständiger Rspr. nur BGH 23. 10. 1980 – IVa ZR 28/80 – BGHZ 78, 263 = NJW 1981, 399; BGH 14. 6. 1983 – VI ZR 183/81 – BGHZ 87, 383 = NJW 1983, 2506; aus der Literatur z. B. Rüthers/Fischer/Birk Rn. 717 ff.; Zippelius Juristische Methodenlehre, 11. Aufl. (2012) 41 ff. 45 BVerfG 7. 11. 2002 – 1 BvR 580/02 – WRP 2003, 69, 71 – Veröffentlichung von Anwaltsranglisten; BGH 3. 12. 1998 – I ZR 119/96 – BGHZ 140, 134 = GRUR 1999, 1128 – Hormonpräparate; BGH 11. 10. 2001 – I ZR 172/99 – GRUR 2002, 269 – Sportwetten –Genehmigung; BGH 4. 3. 2004 – I ZR 221/01 – BGHZ 158, 174 = GRUR 2004, 696 – Direktansprache am Arbeitsplatz I. Eingehend zur Bedeutung von Schutzzwecken im Wettbewerbsrecht Beater Verbraucherschutz S. 4 ff., 31 ff.; ders. § 14 Rn. 1064; Fezer/Büscher/Obergfell § 1 Rn. 2 ff.; Götting/Kaiser/Hetmank Wettbewerbsrecht § 3 Rn. 3; Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 1 Rn. 7 ff.; E. Ulmer GRUR 1937, 767, 772 f. 46 BGH 6. 6. 2019 – I ZR 206/17 – GRUR 2019, 1071 – Brötchen-Gutschein; BGH 22. 3. 2018 – I ZR 25/17 – GRUR 2018, 1063, 1064 – Zahlungsaufforderung; BGH 11. 1. 2007 – I ZR 96/04 – BGHZ 171, 73 Tz. 21 = GRUR 2007, 800 Tz. 21 – Außendienstmitarbeiter; BGH 26. 9. 2002 – I ZR 293/99 – GRUR 2003, 164, 165 – Altautoverwertung. 47 Vgl. z. B. Beater Rn. 987 ff.; Koppensteiner § 32 Rn. 43; Schünemann WRP 2004, 925, 930 f., sämtlich m. w. N. 48 Dies ist der Kern des sog. wettbewerbsfunktionalen Verständnisses des Wettbewerbsrechtes, vgl. eingehend Emmerich/Lange Unlauterer Wettbewerb § 5 Rn. 10 f.; Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 3 Rn. 199 ff.; ders. Ökonomische Analyse S. 62 ff., 67 Fn. 112; ders. Beitrag S. 105 ff.; Pichler S. 88 ff. (alle m. w. N.); a. A. (die Synonymität der Begriffe ablehnend) Fezer/Büscher/Obergfell, § 3 Rn. 345.

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II. Wettbewerb im Schnittfeld von Ökonomik und Recht

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2. Wettbewerbsfunktionale Auslegung oder „wirtschaftspolitische Neutralität“ des UWG? a) Auslegung des UWG im Allgemeinen. In seinem Kern besteht das deutsche UWG bisher 18 aus privatrechtlichen Normen, wie auch im Durchsetzungsmechanismus der §§ 8 ff. zum Ausdruck kommt. Die Einrichtung von Einigungsstellen durch § 15 ändert daran nichts, sondern verdeutlicht den Befund mit dem Hinweis auf ihren Zweck, nämlich die „Beilegung von bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, in denen ein Anspruch auf Grund dieses Gesetzes geltend gemacht wird“. Dieser privatrechtliche Charakter bestimmt auch die Auslegung des UWG. Sie weist mangels eigener Interpretationsvorgaben des UWG gegenüber der Interpretation sonstigen Privatrechts keine Eigenarten auf,49 verlangt dabei aber selbstverständlich die allgemeine methodologische Positionsbestimmung zwischen Begriffs-, Interessen- bzw. Wertungsjurisprudenz und sonstigen hermeneutischen Verfahren. Privatrechtliches Schrifttum und Judikatur folgen seit langem den Interpretationsprinzipien der Wertungsjurisprudenz.50 Straf- und Ordnungswidrigkeitstatbestände wie §§ 16–20 unterliegen allerdings dem für 19 diese Rechtsmaterien generell geltenden Analogieverbot.51 Diese auslegungsmethodische Besonderheit entfällt hinwiederum, wenn jene Normen durch an sie anknüpfende Ansprüche auf Beseitigung, Unterlassung, Schadensersatz und Gewinnabschöpfung insoweit auch auf der Tatbestandsseite einen privatrechtlichen Charakter annehmen (Normspaltung).52 Anwendungspraktisch wird dies, wenn man, was naheliegend erscheint, das in §§ 16 ff. inkriminierte Verhalten als unlauter i.S. von § 3 Abs. 1 erachtet. Die für das GWB gelegentlich gestellte Frage, ob die dortigen Verbotstatbestände nicht eher wie Eingriffstatbestände des Verwaltungsrechts auszulegen sind,53 wird für das UWG zu Recht nicht aufgeworfen. Innerhalb der Wertungsjurisprudenz genießt die teleologische, auf die ratio legis abstel- 20 lende Auslegung einen besonders hohen Rang.54 Dabei darf allerdings nicht der Sinnzusammenhang der Einzelnorm mit der Gesamtheit des Normengefüges, dessen Teil sie darstellt, unterbrochen werden.55 Die zweckorientierte Auslegung der Einzelnorm ist vielmehr ihrerseits im Lichte der Teleologik des Normensystems vorzunehmen.56 Das an die Verfassung angebundene Normsystem gibt Wertungen vor, die auch hierarchisch geordnet sein können. Nicht alle dieser Wertungen dienen privatnützigen wirtschaftlichen Handlungszwecken. Das Wettbewerbsrecht unterliegt daher auch dem Druck, verfassungsrechtliche Wertungen aufnehmen zu müssen, die wirtschaftliches Handeln verlangsamen können. Die Wettbewerbstheorie (und auch die Ökonomie) hat dabei die Aufgabe, die Wirkung solcher Wertsetzungen auf Marktprozesse aufzuzeigen, so dass jedenfalls reflektiert werden kann, wie und warum wirtschaftliche

49 Zustimmend Pichler S. 88; a. A. Sambuc S. 27 f. (gegen ihn wiederum Ohly S. 226 f.). 50 Vgl. aus der Zivilrechtsprechung etwa BGH 30. 6. 1966 – KZR 5/65 – BGHZ 46, 74, 76 ff. = NJW 1967, 343, 346 ff.; repräsentativ für die Literatur – jeweils m. w. N. auch der Gegenmeinungen – Larenz Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. (1991) 119 ff., 125 f.; Rüthers/Fischer/Birk Rn. 524 ff., 532; kritisch zur tradierten Hermeneutik MünchKommBGB/Säcker Einl. Rn. 75 ff., 96 ff. 51 Vgl. auch BGH 17. 12. 1970 – KRB 1/70 – BGHSt 24, 54 = NJW 1971, 521 – Teerfarben. 52 Für diese Lösung des Problems der sog. Normspaltung zutreffend schon Herschel NJW 1968, 533; a. A. (für den damaligen § 1 Abs. 3 ZugabeVO) BGH 24. 2. 1978 – GRUR 1978, 485 – Gruppenreisen. S. a. (teilweise kritisch) Möschel Wettbewerbsbeschränkung Rn. 118. 53 Dafür Rittner Wirtschaftsrecht, 4. Aufl. (1993) § 5 C II 1a; dagegen Möschel Wettbewerbsbeschränkungen Rn. 117 ff. 54 Vgl. z. B. BGH 23. 10. 1980 – IVa ZR 28/80 – BGHZ 78, 263, 265 = NJW 1981, 399 f.; BGH 14. 6. 1983 – VI ZR 183/ 81 – BGHZ 87, 381, 383 = NJW 1983, 2506, 2507; Rüthers/Fischer/Birk Rn. 136, 717 ff. 55 Zur systematischen Auslegung s. allgemein Rüthers/Fischer/Birk Rn. 744 ff. 56 Rüthers/Fischer/Birk Rn. 746. So speziell auch für das Wettbewerbsrecht Schricker Gesetzesverletzung S. 223 f.; ders. GRUR 1974, 579, 583. Zur Teleologie des UWG s. § 1 mit der dortigen Kommentierung.

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Prozesse durch Wertsetzungen des Rechts beeinflusst werden. Insbesondere verbraucherschutzrechtliche Zielsetzungen, die durchaus zu spürbaren Einflüssen auf die Werbe- und Vertragsfreiheit führen können, lassen sich auf diese Weise in einem Wettbewerbssystem jedenfalls sichtbar machen. 21 Teleologische und systematische Interpretation sind mithin komplementäre Größen und können nicht, mit unterschiedlicher Wertigkeit versehen, einander gegenüber gestellt werden.57 Namentlich die lauterkeitsrechtlichen Normen mit generalklauselartig „offenen“ Tatbeständen wie § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1 S. 1 und § 7 Abs. 1 S. 1, aber auch konstruktive Elementarbegriffe wie etwa der des „Mitbewerbers“ oder des „unverfälschten Wettbewerbs“ bedürfen eines übergeordneten gedanklichen Bezugspunktes, der der hier geforderten Konkretisierung Richtung und Grenzen weist und damit zugleich sicherstellt, dass die Auslegungsergebnisse mit einer etwaigen wettbewerbskonzeptionellen Basis des UWG harmonieren. Legaldefinitionen, die ohnehin nicht die notwendige Begrifflichkeit in voller Breite abde22 cken können, ändern an dieser Notwendigkeit regelmäßig nichts, ändern vielmehr nur den hermeneutischen Fokus. So versucht § 2 Nr. 3 zwar den „Mitbewerber“ zu definieren, verschiebt damit aber das Auslegungsproblem lediglich auf das „konkrete Wettbewerbsverhältnis“. Im Übrigen kann kein Gesetzgeber dogmatische Einsichten dekretieren.

23 b) Interpretativer Einfluss von Wettbewerbskonzeptionen? Dass auf den Auslegungsprozess in Bezug auf das Wettbewerbsrecht wirtschaftswissenschaftliche Wettbewerbskonzeptionen Einfluss nehmen können und müssen, ist nach dem bisher Gesagten eigentlich fast selbstverständlich, wird traditionell aber unter dem Stichwort „wirtschaftspolitische Neutralität des UWG“ und dabei insbesondere im Blick auf seine Kriterien für unlauteres Marktverhalten diskutiert.58 Dabei ist zu beachten, dass daneben eine zweite Neutralitätsthese vertreten wird, die sich aber auf die Frage bezieht, ob wirtschaftsverfassungsrechtlich eine wettbewerbsgesteuerte Marktwirtschaft vorgegeben ist oder ob die Wirtschaftsordnung unions- und nationalrechtlich politisch disponibel ist (dazu Rn. 143 ff., 164 ff.). Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat sich wiederholt gegen die Einbeziehung wirt24 schaftspolitischer Gesichtspunkte in die lauterkeitsrechtliche Beurteilung ausgesprochen.59 Die einschlägigen Wendungen dürfen allerdings nicht losgelöst von ihrem sprachlichen Kontext gedeutet werden. Anliegen dieser Judikatur ist lediglich, wirtschaftspolitischen Zweckmäßigkeitserwägungen keinen Raum zu geben,60 nachdem die Rechtsprechung sich gelegentlich dazu verstiegen hatte, sogar betriebswirtschaftliche Aspekte vermeintlich vernünftigen unternehmerischen Handelns dem Lauterkeitsmaßstab einzuverleiben.61 Die Beeinflussung durch wirtschaftspolitische Basisvorstellungen, insb. wettbewerbskonzeptioneller Art, hat die Rechtsprechung hingegen

57 Merz S. 63 („systematisch-teleologische Auslegungsmethode“). 58 Zu den Grundlinien der Diskussion s. Lux S. 55 ff.; Einzelnachweise des Meinungsstandes sogleich. 59 BGH 22. 2. 1957 – I ZR 68/56 – BGHZ 23, 365, 375 = GRUR 1957, 365, 368 – Suwa; BGH 26. 2. 1965 – Ib ZR 51/63 – BGHZ 43, 278, 283 = GRUR 1965, 489, 491 – Kleenex; BGH 22. 1. 1969 – GRUR 1969, 295, 298 – Goldener Oktober; BGH 31. 1. 1979 – GRUR 1979, 321, 322 – Verkauf unter Einstandspreis; a. A., sich ausdrücklich auf „wirtschaftspolitische Erwägungen“ stützend, OLG Frankfurt/M. WRP 1975, 367, 369 – Eintrittsgeld. 60 S. a. v. Gamm NJW 1980, 2489 f. 61 Zur Gesamttendenz vgl. RG 27. 3. 1936 – GRUR 1936, 810 – Diamantine; RG 19. 10. 1937 – GRUR 1938, 207 – Persil; RG 24. 6. 1939 – GRUR 1939, 862 – Lockenwickler. Verbrämt als Irreführungstatbestand wurde auch die sog. Wertreklame wegen ihres Moments der Unentgeltlichkeit als betriebswirtschaftlich „unvernünftig“ lauterkeitsrechtlich gebrandmarkt, vgl. nur BGH 18. 10. 1990 – I ZR 113/89 – BGHZ 112, 311, 313 ff. = GRUR 1991, 542 f. – Biowerbung mit Fahrpreiserstattung. Zum eigentlich selbstverständlichen Recht, Leistungen am Markt auch kostenlos anzubieten, s. nunmehr BGH 22. 5. 2003 – I ZR 185/00 – GRUR 2003, 804 ff. – Foto-Aktion.

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weder verleugnen können noch wohl auch verleugnen wollen.62 Die Rechtsprechung ist insoweit also durchaus nicht widersprüchlich.63 Die substantielle Divergenz, die sich hinter dem Pro und Contra der auf das UWG bezoge- 25 nen Neutralitätsthese in der Literatur verbirgt, ist durchweg vage, weil schon der Neutralitätsbegriff selber unterschiedlich aufgefasst wird. Beide Positionen gehen unausgesprochen zunächst zutreffend davon aus, dass der Normtext des UWG keine Anhaltspunkte für die Relevanz bestimmter Wettbewerbskonzeptionen liefert. Eine ausdrückliche tatbestandliche Anknüpfung etwa an bestimmte Marktformen oder Unternehmensgrößen, auf Marktdominanz und ähnliches fehlt jedenfalls. Strukturpolitische Überlegungen zugunsten eines Mittelstandsschutzes wurden freilich durchaus offen vom historischen Gesetzgeber der Vorläufer des UWG in seiner aktuellen Fassung angestellt,64 haben im heute geltenden Recht allerdings keinerlei Ausdruck gefunden.65 In diesem Sinne ist das UWG gewiss „wirtschaftspolitisch neutral“. Allerdings haben Reformen des UWG in den 1970er und 1980er Jahren durchaus industriepolitische Zwecke verfolgt, indem starre Verbote für Sonderveranstaltungen kleinere Teilnehmer schützten, die durch solche Aktionen aufgrund ihres begrenzten Umsatzvolumens weniger Möglichkeiten hatten, Skalenerträge zu erzielen. Eine Debatte um industriepolitische Aufgaben des Wettbewerbsrechts, die zum Teil auch in den Dienst nationaler Wettbewerbstrategien gestellt werden, wurde 2019 wieder angestoßen.66 Auf der Ebene des Lauterkeitsrechts wird neuerdings thematisiert, ob kleinere Unternehmen (small and medium-sized enterprises – SME) als Wettbewerbsteilnehmer eines Schutzes bedürfen, der dem Niveau des Verbraucherschutzes näher kommt.67 Diese Diskussion ist allerdings mit sehr viel Vorsicht zu führen. Sie darf nicht dazu verleiten, allgemeinpolitische Forderungen mit wettbewerbspolitischen Zielen zu vermischen. Im Lichte der normtextlichen Abstinenz in Bezug auf wirtschaftspolitische Ziele des UWG 26 wird herkömmlich von den Befürwortern der Neutralitätsthese vor allem der Standpunkt vertreten, ein wettbewerbliches Handeln sei bezüglich seiner Lauterkeit an Maßstäben zu messen, die von der jeweiligen Wirtschaftsordnung abgelöst seien. Geschäftsmoral i. S. d. „guter Sitten“, die im Wettbewerbsrecht vor 2004 den Maßstab liefern sollten, einerseits und Wirtschafts-, speziell Wettbewerbspolitik andererseits seien disparate Größen. Von daher wurde vielfach angenommen, wettbewerbsrechtliche Verhaltensregeln würden 27 von den Prinzipien einer Wirtschaftsordnung gar nicht berührt, seien grundsätzlich stets zu beachten und in diesem Sinne systemindifferent. Für die lauterkeitsrechtliche Verhaltensbeurteilung könnten wirtschaftspolitische, speziell wettbewerbspolitische Konzeptionen deshalb keine Bedeutung gewinnen und sollten dies auch nicht.68

62 BGH 26. 3. 1971 – GRUR 1971, 477 – Stuttgarter Wochenblatt II; BGH 17. 12. 1976 – GRUR 1977, 608 – Feld und Wald II; BGH 11. 3. 1977 – GRUR 1977, 668 – WAZ-Anzeiger; dazu Sack WRP 1974, 247 f.; Tyllack S. 251 f.; P. Ulmer GRUR 1977, 565, 578 f. 63 So aber der Vorhalt von Lehmann Mitarbeiter-FS 321, 325. 64 Zur ersten Beratung des UWG in der Reichstagssitzung vom 25. 1. 1909 s. GRUR 1909, 106 ff., insbesondere die Redebeiträge der Abgeordneten Giese (S. 107), Findel (S. 116) und Linz (S. 119). 65 Zum früheren Recht s. aber z. B. Lindacher BB 1975, 1311 f. (zweifelnd); Reichold AcP 193 (1993) 204, 230; Schünemann Wettbewerbsrecht S. 170. 66 Vgl. das Plädoyer für eine „Stärkung des industriellen Mittelstands“ in: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (Hg.), Nationale Industriestrategie 2030 (2019), S. 11, abrufbar unter https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/ Publikationen/Industrie/nationale-industriestrategie-2030.html. 67 Vgl. Craig/De Burca, EU Law, 3. Aufl. (2003), S. 937: Mittelstandsschutz als Sekundärziel des Europäischen Wettbewerbsrechts. 68 Baudenbacher ZHR 144 (1980) 145 ff.; ders. Suggestivwerbung S. 132; Baumbach/Hefermehl Allg. Rn. 16c, 79, Einl. Rn. 5; Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 1.16; Döll BB 1965, 173, 176; Kraft FS Bartholomeyczik 223, 234 f.; Kroitzsch BB 1977, 220; Merkel BB 1977, 705 f.; Mestmäcker Verwalteter Wettbewerb S. 76 ff.; Samwer GRUR 1969, 326, 329 f.; Schluep GRUR Int. 1973, 446, 449 (s. aber auch S. 452); Scholz ZHR 132 (1969) 97, 113; Schwartz GRUR 1967, 333, 343; E. Ulmer GRUR 1951, 355 f.; Wiedemann ZGR 1980, 168 f.; Willemer WRP 1976, 16, 18.

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In diesen gedanklichen Bahnen bewegt man sich wohl auch,69 wenn man zumindest im Teilbereich des „B2C“, also im Verhältnis von Unternehmern (business) zu Verbrauchern (consumers), nach § 3 Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 2 Nr. 7 die gebotene „unternehmerische Sorgfalt“ als Lauterkeitskriterium für „geschäftliches Handeln“ gelten lassen will, also den „Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt, von dem billigerweise angenommen werden kann, dass ein Unternehmer ihn in seinem Tätigkeitsbereich gegenüber Verbrauchern nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der anständigen Marktgepflogenheiten einhält.“ Noch leichter lässt sich eine erneuerte Neutralitätsthese mit Art. 5 Abs. 2 i. V. m. Art. 2 lit. h) RL 2005/29/EG stützen, wenn sich demnach die Unlauterkeit daraus ergeben soll, dass die fraglichen geschäftlichen Handlungen gegen „anständige Marktgepflogenheiten“ verstoßen.70 Auch eine am reinen Wortsinn von „Lauterkeit“ orientierte Auslegung liegt auf dieser Linie. Die Gegenmeinung, die ebenfalls nie die normtextliche Abstinenz des UWG bezüglich irgendwelcher Wettbewerbskonzeptionen geleugnet hat, zieht aus diesem Befund allerdings die gegenteiligen Folgerungen. Die normtextlich wirtschaftspolitische Neutralität wird als Aufgeschlossenheit und Flexibilität gegenüber UWG-exogenen Maßgaben verstanden: In einer konkreten Rechts- und Wirtschaftsordnung eingesetzt, wandele sich die vordergründig zu konstatierende Neutralität und Fungibilität des UWG daher zum notwendigen Engagement für die so von außen herangetragenen Wertungskriterien, wie sie sich namentlich aus den wirtschaftspolitisch geltenden Ordnungsprinzipien, aber auch aus wirtschaftswissenschaftlichen Einflussgrößen ergäben.71 Der Meinungsstreit verliert bei näherer Analyse der Aussagensubstanz freilich an Bedeutung und es zeigt sich durchaus eine Konvergenz. Zwar wäre es logisch an sich möglich, das Lauterkeitsrecht, namentlich den Maßstab der „guten Sitten“, der „Lauterkeit“, der „fachlichen Sorgfalt“, der „anständigen Marktgepflogenheiten“ etc. ganz isoliert von den wirtschaftspolitischen Grundentscheidungen einer Rechtsordnung zu entwickeln, ohne dass sich ein solches Gesetz dazu in offenen Widerspruch setzen müsste. Dieser Ansatz wird in seiner Durchführung aber auch von denen relativiert, die die wirtschaftspolitische Neutralität des UWG i.S. seiner grundsätzlichen Wertungsautonomie proklamieren. Auch von dieser Seite wird betont, dass die Grundsätze der Wirtschaftsverfassung und damit auch wirtschaftspolitische Gesichtspunkte bei der rechtlichen Bewertung wettbewerblichen Verhaltens durchaus nicht unbeachtet bleiben sollten. Man wendet sich vielmehr nur gegen die Berücksichtigung wirtschaftspolitischer, nicht selten kurzfristig sich wandelnder Zweckmäßigkeitserwägungen.72 Darin trifft man sich aber mit der Gegenmeinung, welche die Relevanz wirtschafts-, insbesondere wettbewerbspolitischer Überlegungen zutreffend ebenfalls nur insoweit bejaht, als bestimmte wirtschaftspolitische Ziele oder ordnungspolitische Vorstellungen rechtsverbindlichen Ausdruck gefunden haben bzw. einen überindividuellen, objektivierbaren hermeneutischen Bezugspunkt haben. Die so verstandene Ablehnung einer wirtschaftspolitischen Neutralität, also ein wettbewerbsfunktionales Verständnis des Lauterkeitsrechts,73 bedeutet völlig zutreffend keine regierungsamtliche Wirtschaftspolitik mit Hilfe der Justiz74 und noch viel weniger sollen die 69 S. hierzu etwa Lux S. 55 ff., der in seinen Darlegungen offenkundig eine diesbezügliche Kontinuität schon für das UWG 2004 und seine Vorgänger als selbstverständlich annimmt. 70 S. a. RegE (BTDrucks. 15/1487) S. 16, wo auf die „anständigen Gepflogenheiten“ in Handel, Gewerbe, Handwerk und sonstiger selbständiger beruflicher Tätigkeit abgestellt wird. 71 Bussmann FS Nastelski (1969) 316; Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 3 Rn. 215 ff., 226; Hirtz GRUR 1980, 93 ff.; Hölzler/Satzky Wettbewerbsverzerrungen durch nachfragemächtige Handelsunternehmen (1980) 134 f.; Lehmann Mitarbeiter-FS, S. 321, 325 f.; Lux S. 57; Möschel Pressekonzentration S. 139, 148; MünchKommUWG/Sosnitza Grundl. Rn. 12; Ott FS Raiser 403, 418 ff.; Rinck/Schwark Rn. 657; Sack GRUR 1970, 494, 499 f.; ders. GRUR 1975, 297, 301; ders. WRP 1974, 247 ff.; Schricker GRUR 1974, 579, 582 f. 72 BGH 22. 2. 1957 – I ZR 68/56 – BGHZ 23, 365, 375 = GRUR 1957, 365, 368 – Suwa; BGH 26. 2. 1965 – Ib ZR 51/63 – BGHZ 43, 278, 283 = GRUR 1965, 489, 491 – Kleenex; Baumbach/Hefermehl Einl. Rn. 75 a. E., 131. 73 S. a. Lux S. 55 ff. 74 Dreher/Kulka § 1 Rn. 120.

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wirtschaftspolitischen Präferenzen des „politischen Richters“ judikativ zum Tragen kommen.75 Zu alledem fehlt den Gerichten in der Tat selbst unter dem Aspekt einer in Grenzen weithin für zulässig und geboten erachteten, sub specie einer verfassungskräftigen Gewaltenteilung aber immer prekären Rechtsfortbildung76 die demokratische Legitimation.77 Festzuhalten ist, dass jedenfalls das geltende, mit § 1 ausdrücklich auf den Schutz des un- 33 verfälschten Wettbewerbs abzielende Lauterkeitsrecht nicht wirtschaftspolitisch neutral ist, sondern einen genuinen Wettbewerbsbezug hat.78 Es kann in seiner dogmatischen Substanz nicht abstrakt von der wettbewerbsgesteuert-marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung gedacht werden. Diese wirtschafts- bzw. speziell wettbewerbspolitische Prägung ist dabei ordnungspolitischer Natur79 und somit der Dimension parteigebundener wirtschaftspolitischer Wünschbarkeit entwachsen. Wettbewerbsrecht ist „normierte Ordnungspolitik“.80 Dass das UWG im genannten Sinne nicht wirtschaftspolitisch neutral sein kann, wurzelt 34 aber nicht nur darin, dass das UWG zu seiner verständigen Auslegung und Anwendung auf ein wettbewerbliches Referenzkonzept angewiesen ist, sondern ist notwendiger Reflex einer substantiellen Vernetzung von GWB und UWG. Die Vorstellung einer materiellen Dichotomie des Wettbewerbsrechtes – auf Existenz bzw. Quantität des Wettbewerbs abzielender kartellrechtlicher Institutionsschutz einerseits, Wettbewerbsqualität fokussierender lauterkeitsrechtlicher Individualschutz andererseits81 – ist dogmatisch überholt und nur noch von historischem Interesse (vgl. Einl. G Rn. 36 ff.).82 Wegen dieser Konvergenz und Interdependenz von Kartell- und Lauterkeitsrecht ist der 35 wirtschaftspolitische Gehalt beider Teilmaterien gleichermaßen zu bejahen.83 Hier wie dort determiniert die legislative Grundentscheidung für eine Wettbewerbsordnung die Interpretation und Handhabung wettbewerbsrechtlicher Normen und verlangt dabei die Rücksichtnahme auf den durch Wettbewerb gestifteten marktwirtschaftlichen Gesamtzusammenhang, in den diese Normen eingebettet sind. Dieser notwendige Blick auf das Sinnganze, den erst die Vergewisserung des maßgeblichen Wettbewerbskonzepts ermöglicht, ist jedoch keine Besonderheit einer wettbewerbsfunktionalen Betrachtungsweise,84 sondern entspricht ganz herkömmlicher juristischer Methodenlehre.85 75 Götting/Kaiser/Hetmank Wettbewerbsrecht § 1 Rn. 4 f.; ders./Nordemann Einl. Rn. 42 f.; Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 3 Rn. 132 f., 223; Lux S. 57; Schricker GRUR 1974, 579, 582 f. 76 Rechtsnormen wie § 132 Abs. 4 GVG, die ausdrücklich auf die richterliche Rechtsfortbildung Bezug nehmen, können kaum als verfassungsrelativierende „Ermächtigungsnormen“ in Anspruch genommen werden. Vgl. zur Thematik Fischer Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen im Zivilrecht (2007) 34 ff. 77 Hirtz GRUR 1980, 93, 95; Kraft FS Bartholomeyczik 223, 234 f.; Kroitzsch BB 1977, 220, 224; Krüger-Nieland WRP 1979, 1; Merz S. 245; Raiser GRUR Int. 1973, 443, 445; jedenfalls im Ergebnis gegen eine solche richterliche Wirtschaftspolitik auch Möschel Pressekonzentration S. 147 f.; a. A. Ott FS Raiser 403, 417 ff.; Rebe S. 158 ff.; Sambuc S. 37. 78 Lux S. 57 f., der scharf zwischen Wirtschafts- und Wettbewerbspolitik trennt; Pichler S. 160 ff.; Dreher/Kulka § 1 Rn. 119; Schwipps S. 71 f.; ebenso schon zum Lauterkeitsrecht vor dem UWG 2004 z. B. Merz S. 245; Möschel Pressekonzentration S. 147 f.; Scherer WRP 1996, 174, 178; Schünemann Voraufl. Einl. A Rn. 37 ff. 79 Ebenso Lux S. 56. 80 Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 3 Rn. 223. Auch Götting/Nordemann Einl. Rn. 42 betonen, dass jedenfalls „das UWG in seiner geltenden Fassung eine ordnungspolitische Festlegung erfahren“ habe. 81 So vor allem Kraft FS Bartholomeyczik 223, 237; ders. FS Kummer 389, 396; ders. GRUR 1980, 967. 82 Baumbach/Hefermehl Allg. Rn. 86 ff.; Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 6.11 ff.; Fikentscher Bd. II § 22 XI 1a, b; v. Gamm NJW 1980, 2489 und WM 1981, 730; Koppensteiner § 1 IV 2 b; Lehmann GRUR 1977, 26 und 1979, 372; Lux S. 386 ff., 410 ff.; Möschel Pressekonzentration S. 151; Raiser GRUR Int. 1973, 443, 445; Rebe S. 144; Sack GRUR 1975, 297, 301; Schricker GRUR 1980, 194, 197; Schünemann Wettbewerbsrecht S. 141 f.; Tilmann GRUR 1979, 825; P. Ulmer Schranken zulässigen Wettbewerbs marktbeherrschender Unternehmen (1977) 79; ders. GRUR 1977, 565, 578 f.; Wrage S. 13 ff.; a. A. Knöpfle Unlauterkeit S. 7 ff.; ders. Rechtsbegriff S. 345; s. a. Dreher/Kulka Einl. Rn. 21 ff. 83 Fikentscher Bd. II § 22 XI 1b; Rinck/Schwark Rn. 231 f., 657; s. a. Dreher Zschr. f. Gesetzgebung 1987, 311, 323 m. w. N. 84 In dieser Richtung aber Baudenbacher ZHR 144 (1980), 145, 147 f.; wohl auch Schluep GRUR Int. 1973, 446, 451. 85 Merz S. 62 f. unter Hinweis auf Larenz Methodenlehre der Rechtswissenschaft, zuletzt 6. Aufl. (1991) 206, 324 ff., 370 ff., 474 ff.

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Alles in allem bedarf es also der Vergewisserung darüber, was nun „Wettbewerb“ im ökonomischen Sinne bedeutet. Die Wettbewerbstheorie86 hat mithin Aufschluss zu geben über das ökonomische Referenzsystem des Lauterkeitsrechtes, das durch die zugrunde zu legende Wettbewerbskonzeption determiniert wird.87 Besonderes Gewicht für das UWG als originäres Wettbewerbsverhaltensrecht im Gegensatz zu dem eher an Marktstrukturen orientierten und interessierten GWB88 müssen dabei diejenigen wirtschaftswissenschaftlichen Wettbewerbskonzeptionen gewinnen, die – wie die neueren ökonomischen Strömungen insgesamt – auf die Dynamik des Wettbewerbs als Prozess abheben, auf eine Dynamik, die wesentlich durch Unternehmens- und Verbraucherverhalten in Gang gesetzt und unterhalten wird.

3. Wettbewerbskonzeptionen in der lauterkeitsrechtlichen Hermeneutik 37 Wettbewerbskonzeptionen versuchen, einen plausiblen Zusammenhang von wettbewerbspolitisch wünschbaren Zielen und zur Zielerreichung geeigneten Mitteln zumeist auf der Basis wettbewerbstheoretischer Aussagen über Marktstrukturen, Marktprozesse und Marktergebnisse darzustellen. Dabei wird gelegentlich von Seiten des methodologischen Essentialismus sogar ein Einblick in das Wesen des Wettbewerbs schlechthin oder doch wenigstens des wirtschaftlichen Wettbewerbs angestrebt. Man möchte in der Tradition dieser – immerhin auf Platon und Aristoteles zurückgehenden – Denkschule89 herausfinden, was die Natur, die Essenz des Wettbewerbs ist und diese Natur mit einer Definition erfassen. Überwiegend wird indes ein mehr oder weniger umfassend angelegtes erkenntnistheoreti38 sches Engagement pessimistisch beurteilt.90 Stattdessen werden eher Wettbewerbsleitbilder entworfen, die sich als normative Systeme i.S. von Sollensaussagen verstehen, dabei aber jedenfalls teilweise mit dem Anspruch auftreten, durchaus (jedenfalls zukünftige) wirtschaftliche Wirklichkeit abbilden zu können.91 Ihr normativer Charakter darf deshalb nicht als Ausdruck bloßer (wettbewerbspolitischer) Wünschbarkeit innerhalb mehrerer prinzipiell ebenso gut wählbarer Entscheidungsvarianten verstanden werden,92 sondern als Bezugnahme auf dem Recht vorgegebene Tatsachen und Gegebenheiten“.93

86 Die jedenfalls aus juristischer Sicht wenig hilfreiche, in der traditionellen Volkswirtschaftslehre getroffene, aber ohnehin kaum noch aktuelle Unterscheidung von Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik soll hier unbeachtet bleiben. In diesem Sinne zum Folgenden schon Knieps S. VIII (Vorwort) und passim; s. a. Emmerich/Lange Kartellrecht § 1 Rn. 10 ff. 87 So ausdrücklich auch Lux S. 59/60. 88 Vgl. I. Schmidt/Haucap S. 203 i. V. m. S. 211 ff., 316 ff. 89 Ritter/Gründer/Gabriel (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie (2007) – Artikel „Essentialismus“. 90 Skeptisch oder ablehnend z. B. Bätge S. 21; Emmerich/Lange Kartellrecht § 1 Rn. 1; Herdzina Wettbewerbspolitik S. 8 f.; Knöpfle Rechtsbegriff S. 341 (m. Fn. 4); Künzler S. 60 f.; Tyllack S. 188 (s. aber auch S. 191); Rittner AcP 188 (1988), 101, 111 f.; Rittner/Kulka Einl. Rn. 3 ff.; Ruffner S. 6, 244; Schmidtchen Wettbewerbspolitik S. 33 ff.; MünchKommUWG/Sosnitza Grundl. Rn. 13; a. A., also die Definitionsmöglichkeit ausdrücklich bejahend, Willeke Wettbewerbspolitik S. 26 ff. 91 Aberle 2. 1. 92 So aber ein naheliegender Einwand gegen die Einbeziehung dieser Thematik überhaupt, vgl. hier nur Ohly/ Sosnitza Einf. A Rn. 18. 93 Rüthers/Fischer/Birk Rn. 921 unter ausdrücklichem und wohl für das Wettbewerbsrecht insgesamt verallgemeinerungsfähigem Hinweis darauf, dass „die zutreffende Regelung, Anwendung und richterrechtliche Ergänzung kartellrechtlicher Vorschriften Grundkenntnisse der ökonomischen Wettbewerbstheorien (…)“ voraussetze (trotz grundsätzlicher, harscher Kritik an dem Argument der Sachnatur im Übrigen Rüthers/Fischer/Birk Rn. 919 f., 922 ff.); Schünemann Ökonomische Analyse S. 50 ff.

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Wettbewerbskonzeptionen erlangen deshalb sehr wohl eine Verbindlichkeit für die Ausle- 39 gung und Anwendung des Wettbewerbsrechts, und zwar gerade auch hinsichtlich des UWG,94 wenn „separatistisch-kausale Formalvorstellungen vom Wettbewerbsablauf“, die gerade hier immer noch oft genug anzutreffen sind, überwunden werden sollen.95 Die neuere lauterkeitsrechtliche Literatur stimmt hier sehr hoffnungsvoll.96 Nicht der notwendige Rekurs auf die wettbewerbstheoretische Diskussion und ihre Ergebnisse ist also problematisch, sondern ob und welchen wettbewerbskonzeptionellen Leitbildern aus juristischer Sicht der Vorzug zu geben ist. In diesem Zusammenhang sollte auch eine wichtige Rolle spielen, welchem wettbewerbstheoretischen Ansatz wirtschaftsverfassungsrechtliche Konformität zu attestieren ist (dazu Rn. 164 ff., 181 ff.).

a) Das „Wesen“ des Wettbewerbs. Den spezifisch ökonomischen Wettbewerbskonzeptionen 40 vorgelagert ist der Ansatz, auch den wirtschaftlichen Wettbewerb in einer allgemeinen, gleichsam alle einschlägigen Phänomene beschreibenden Definition des Wettbewerbs einzufangen.97 In der deutschen Sprache bezeichnet das Wort Wettbewerb das Streben mehrerer nach Erreichung desselben Ziels.98 „Wettbewerb“ entspricht mithin dem lateinischen Lehnwort „Konkurrenz“ im Deutschen bzw. dem englischen „competition“99 (currere bzw. petere: laufen, eilen bzw. zu erreichen suchen sowie con: zusammen, mit). Derartige rivalitätsgeprägte Situationen kommen in allen Bereichen des menschlichen Le- 41 bens vor, wobei etwa Sport, Politik, Wirtschaft und persönlich-zwischenmenschliche Beziehungen nur markante, besonders anschauliche Felder bezeichnen. Darüber hinaus wird das Wettbewerbsprinzip sogar zur Deutung biologisch-evolutionärer Prozesse bemüht.100 Selbst bei einer Restriktion auf den Wettbewerb als „Urkraft menschlichen Handelns“101 und dabei wiederum auf den wirtschaftlichen Wettbewerb liegt auf der Hand, dass eine explizite Realdefinition des Wettbewerbs, so sie denn überhaupt erkenntnistheoretisch möglich sein sollte, angesichts ihrer dann notwendigen begrifflichen Abstraktionshöhe zu blass ausfallen müsste, um etwa als praktikabler Maßstab zur Messung von Wettbewerbsintensität an irgendeiner Stelle zu dienen.

94 A.A. aber Ohly/Sosnitza Einf. A Rn. 18 mit dem im Übrigen unzutreffenden Hinweis darauf, Wettbewerbskonzeptionen befassten sich sämtlich (nur) mit der Marktstruktur.

95 So pointiert Sölter Wettbewerbsbegriff S. 94, der zu Recht eine häufig zu beobachtende, in der ökonomischen Materie des Regelungssubstrats wurzelnde, die „Gewaltenteilung“ der wissenschaftlichen Disziplinen ignorierende Selbstherrlichkeit der (Wettbewerbs-)Jurisprudenz beklagt. Gleichsinnig Schünemann Beitrag S. 98 ff. 96 Vgl. die gedrängten, gleichwohl sehr gehaltvollen, dem aufgeschlossenen Juristen zugänglichen Darstellungen z. B. bei Drexl S. 91 ff., 116 ff.; Emmerich/Lange Kartellrecht § 1 Rn. 10 ff.; Fezer/Büscher/Obergfell Einl. Rn. 48 ff.; Keßler WRP 1988, 714 ff., 1990, 73 ff.; Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 1.12 ff.; Leistner S. 16 ff.; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Leistner § 4 Rn. 2 ff.; Lux S. 15 ff.; Pichler S. 27 ff.; MünchKommUWG/Sosnitza Grundl. A Rn. 3 ff.; Wunderle S. 14 ff. Schon sehr früh die Bedeutung der Wettbewerbstheorie gerade auch für das Lauterkeitsrecht betonend und hier grundlegend: Schünemann Voraufl. Einl. A Rn. 6 ff. 97 Exemplarisch v. Godin GRUR 1965, 288 ff.; Meessen JZ 2009, 697 ff. mit „Definition von Wettbewerb“ S. 701. Zum Folgenden s. a. Herdzina Wettbewerbspolitik S. 7 ff.; Wunderle S. 10 f. 98 So schon Meyers Konversations-Lexikon, 7. Aufl. (1910), Stichwort Wettbewerb; v. Mises HdSW Bd. 12 (1965) Stichwort „Wettbewerb“. Zur (rechtsgeschichtlichen) Etymologie der sprachlichen Neubildung des „unlauteren Wettbewerbs“ des 19. Jahrhunderts aus dem Französischen („concurrence déloyale“) s. beiläufig Beater Rn. 3; MünchKommUWG/Sosnitza Grundl. Rn. 1. 99 Nach Websters Dictionary (1949): „rivalry; mutual strife for the same object“. 100 Vgl. v. Hayek Theorie S. 21 ff.; Lehmann JZ 1990, 61 ff., insbesondere 66 f. m. w. N.; Meessen JZ 2009, 697, 699. 101 Baumbach/Hefermehl Allg. Rn. 1; Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 1.1.

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Selbst die zahllosen Definitionsversuche nur des wirtschaftlichen Wettbewerbs102 führen diese Aporie vor Augen. So wird der Wettbewerb beispielsweise zu einseitig in seiner Spielart als Angebotswettbewerb gesehen103 und dabei die Nachfragekonkurrenz vernachlässigt,104 oder es wird der Einfluss der Marktphasen eines Produkts auf die Wettbewerbskräfte nicht oder nicht angemessen berücksichtigt. Denn der Wettbewerb trägt doch je nach Marktentwicklung ganz unterschiedliche Züge: Während in der Experimentier- oder Einführungsphase regelmäßig eine allenfalls durch potentielle Wettbewerber charakterisierte monopolistische Situation zu herrschen scheint, beginnen sich zumindest prima facie erst in der Expansionsphase die aktuellen Wettbewerbskräfte zu entfalten, um in der durch zunehmende Sättigungseffekte gekennzeichneten Ausreifungs-, Stagnations- und schließlich Rückbildungsphase bis hin zum Ausscheiden des Produkts vom Markt sich immer wieder typisch zu verändern.105 Unbefriedigend106 ist auch jene Wettbewerbsdefinition, die lange eine relativ breite Akzeptanz gefunden hat. Wirtschaftlicher Wettbewerb wird dabei begriffen als „das selbständige Streben sich gegenseitig im Wirtschaftserfolg beeinflussender Anbieter oder Nachfrager (Mitbewerber) nach Geschäftsverbindungen mit Dritten (Kunden oder Lieferanten) durch Inaussichtstellen günstiger erscheinender Geschäftsbedingungen“.107 Hierbei wird indes das Problem der Bewertung der Wettbewerbsmethoden mit dem Wettbewerbsbegriff vermengt: Der Behinderungswettbewerb und „harte“ Varianten des Kundenfangs etwa unter Einsatz physischer Gewalt sind zwar unerlaubter Wettbewerb, fallen aber doch nicht schon aus dem Wettbewerbsbegriff heraus.108 Außerdem ist die „gegenseitige“ Beeinflussung des Wirtschaftserfolges eine unzutreffende Einschätzung, weil sie den Wettbewerb als eine Art Nullsummenspiel begreift und Wachstum unberücksichtigt lässt. Neben all diesen eher verhaltensorientierten Festlegungen des (wirtschaftlichen) Wettbewerbs wird „Wettbewerb“ auch auf die Gesamtheit bestimmter oder sogar aller geschäftlichen Dispositionen in ihrer marktlichen Vernetzung bezogen und schließlich mit dem für eine Marktwirtschaft konstitutiven Wirkungsmechanismus bzw. Ordnungsprinzip selber identifiziert.109 Die Bemühungen um eine explizite realdefinitorische Umschreibung des wirtschaftlichen Wettbewerbs haben mithin schon angesichts der vielfältigen Relationen, in die der Wettbewerbsbegriff eingebunden ist, wenig Früchte tragen können. Die beklagte „Ewigkeit“ des Themas110 wirft auf den intuitiven Ausgangspunkt zurück, dass der Wettbewerb, auch der wirtschaftliche Wettbewerb, wohl (zumindest auch) durch – tatsächliche oder jedenfalls mögliche – 102 Z. B. J. Baur ZHR 134 (1970), 97 ff.; Fikentscher Bd. II § 22 III. 3. e; ders. Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz (1958) 39 f.; Kraft Interessenabwägung S. 177 ff.; Knöpfle Rechtsbegriff S. 97 ff., 222; Lukes FS Böhm (1965) 199, 202 ff.; Plaßmann JZ 1968, 81 ff.; Sandrock Grundbegriffe des GWB (1968) 73 ff., 103 ff., 124 ff.; ders. Recht und Wirtschaft heute, FS Kummer (1980) 449 ff.; Schmidbaur Allokation, technischer Fortschritt und Wettbewerbspolitik (1974) 18 ff. 103 So z. B. BGH 27. 1. 1956 – I ZR 146/54 — BGHZ 19, 392 = GRUR 1956, 223 – Anzeigenblatt; Abbott Qualität und Wettbewerb (1958) 126; Behrens NJW 1958, 485. 104 S. demgegenüber aber z. B. Knöpfle Rechtsbegriff, z. B. S. 25 ff., 81 ff.; Köhler Wettbewerbsbeschränkungen durch Nachfrager (1977) 22 ff., 35 ff.; ders. Nachfragewettbewerb und Marktbeherrschung (1986) 8 ff., 40 ff.; Mestmäcker Verwalteter Wettbewerb S. 252 ff.; Sölter Nachfragemacht S. 37 ff.; Tuchtfeldt FS Kummer 549, 551 ff. 105 Vgl. Heuß S. 40 ff.; zusammenfassend Aberle 1. 5. 106 Vgl. Knöpfle Rechtsbegriff S. 103 m. w. N.; Willemsen Wettbewerbstheorie – Wettbewerbspolitik und die kartellrechtlichen Bestimmungen des EWG-Vertrages und des EFTA-Vertrages (1971) 50. 107 Fikentscher WuW 1961, 788, 796 ff., leicht abgewandelt gegenüber der Urfassung bei Borchardt/Fikentscher S. 15; als Arbeitshypothese verstanden bei I. Schmidt/Haucap, S. 3. Zu derartigen Definitionsversuchen ebenso informierend wie ablehnend Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. 1.6. 108 Vgl. zu diesen und anderen Einwänden Knöpfle Rechtsbegriff S. 103 ff.; Tyllack S. 190 f. 109 Eingehend Knöpfle Rechtsbegriff S. 1 ff., 97 ff., 135 ff., 144 ff.; s. a. Baumbach/Hefermehl Allg. Rn. 2 ff.; Köhler/ Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 1.2 ff. 110 Tuchtfeldt FS Kummer 549 ff.

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Rivalität (auf Märkten) charakterisiert ist.111 Selbst diese Reduktion auf eine diffuse Rivalität ist allerdings noch fragwürdig. Denn in den wettbewerblichen Marktprozessen verändert die Marktgegenseite durch ihr Verhalten (im vertikalen Austauschprozess) selber wieder die Rahmenbedingungen jenes Rivalitätsverhaltens (im horizontalen Parallelprozess), worin sich die charakteristische „Janusköpfigkeit“ des ökonomischen Wettbewerbs zeigt.112 Auch ist die begriffliche Erfassung des Monopolisten (Angebotsseite) bzw. Monopsonisten (Nachfrageseite) im Wettbewerb je nach dessen konzeptionellem Verständnis durchaus nicht von vornherein klar. Denn nicht nur, aber auch gerade bei diesen Marktprägungen ist die Zeitdimension des Marktes mit zu berücksichtigen: Möglicherweise evoziert auch ein erst künftiger Marktteilnehmer als vorerst hypothetischer „newcomer“ schon jetzt „geschäftliche Handlungen“ (§ 2) im Markt und aktualisiert derart ein vermeintlich potentielles „Wettbewerbsverhältnis“ bereits hic et nunc. Begreift man den ökonomischen Wettbewerb als komplexes prozesshaft-dynamisches Marktgeschehen, das sich auf der Zeitachse vollzieht,113 so ist die Existenz von Monopolisten wie Monopsisten (und auch die Oligopol-Vorstellung) überhaupt in Frage gestellt, weil sie nur auf dem Boden einer statischen Marktbetrachtung beschreibbar sind. Bezugnahmen auf das Wesen des wirtschaftlichen Wettbewerbs reduzieren sich nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand mithin verständlicherweise nicht selten auf parabelhafte Konturen, wie sie sich schon in der Frühzeit des Wettbewerbsrechtes etabliert haben. Besonders der sportliche Wettkampf wurde dabei seit jeher gern als Analogon zum wirtschaftlichen Wettbewerb bemüht.114 In der Tat eifern auch hier mehrere darum, dasselbe zu erreichen, etwa als erster durchs Ziel zu gehen. Auch hier müssen Absprachen unterbunden werden, um mit dem Siegeswillen jedes einzelnen Teilnehmers, mit dem ganz individuellen „spirit of competition“, den institutionellen Sinn des Wettbewerbs zu erhalten. Auch bedarf es zieladäquater Regeln, um nicht leistungsfremden, „unfairen“ Einsatz zu belohnen, etwa bei Wettrudern oder Pferderennen einen Frühstart, unterschiedliche Distanzen oder gar Sabotage im Vorfeld. Gleichwohl bestehen zwischen sportlichem und wirtschaftlichem Wettbewerb derart essentielle Unterschiede, dass sich der Sport als paralleles Deutungsmuster der Wettbewerbswirtschaft im Übrigen eben doch als ungeeignet erweist.115 So kennt der sportliche Wettkampf starre spieldefinierende Regeln, der Wirtschaftswettbewerb hingegen ist nicht a priori auf ganz bestimmte, die jeweilige „Leistung“ darstellende Handlungszulässigkeiten und Ziele festgelegt und seine „Startbedingungen“ stellen sich beispielsweise für „newcomer“ auf dem Markt gänzlich anders dar als für etablierte Unternehmen. Nur sog. potentielle Konkurrenten beeinflussen zwar ebenfalls das Unternehmensverhalten, sind jedoch für das sportliche Leistungsverhalten ohne Bedeutung. Geradezu fatal müsste sich der Rekurs auf den sportlichen Wettkampf auswirken, wenn er die Marktgegenseite, beim Angebotswettbewerb also die Nachfrager, in die Rolle von nicht selber agierenden Schiedsrichtern116 oder gar von bloßen Zuschauern117 drängen wollte. Über111 BGH 20. 4. 1966 – Ib ZR 42/64 – GRUR 1966, 509, 512 – Assekuranz; BGH 26. 4. 1967 – I ZR 146/54 – GRUR 1968, 95, 97 – Büchereinachlass; Bartling S. 10 mit Fn. 3; Ohly/Sosnitza Einf. A Rn. 17; Stigler in Herdzina, Wettbewerbstheorie S. 30, 32; Tyllack S. 191. 112 Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 1 Rn. 23; s. a. Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 1.4, 1.8 f. 113 Emmerich/Lange Kartellrecht § 1 Rn. 2; Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 1.18, 1.24. 114 Vgl. schon Lobe (Bd. I) S. 8 ff.; jetzt vor allem Nordemann Rn. 3 (Wettbewerb als „gleichsam unaufhörliche Tour de France des Wirtschaftslebens“); s. a. Böhm Die Ordnung der Wirtschaft als geschichtliche Aufgabe und rechtsschöpferische Leistung (1937) 124 sowie ders. Wettbewerb S. 212 ff. (mit sprachlichen Umschreibungen, die an eine sportliche Kampfveranstaltung erinnern); ferner Baumbach/Hefermehl Allg. Rn. 1, die freilich im Ganzen (vgl. Allg. Rn. 7, 12) dazu eine kritische Haltung einnehmen. Vgl. auch Sambuc GRUR 1981, 796. 115 Vgl. Baumbach/Hefermehl Allg. Rn. 12; Knöpfle Rechtsbegriff S. 113 ff.; Meyer-Cording WuW 1962, 468; Reichold AcP 193 (1993) 204, 230 ff. Zu der darin wurzelnden begrifflichen Unergiebigkeit des „Leistungswettbewerbs“ s. Ahrens JZ 2004, 763, 772; a. A. Hetmank GRUR 2014, 437, 439. 116 Für viele etwa Hetmank GRUR 2014, 437, 438. 117 So in der Tat Wiedemann ZGR 1980, 147, 165.

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haupt müssten derartige Analogien vor der Tatsache kapitulieren, dass sich das Wettbewerbsgeschehen eben nicht nur in einer horizontalen Dimension, als Summe von Parallelprozessen jeweils unter den Anbietern bzw. den Nachfragern, sondern ebenso in Austauschprozessen zwischen verschiedenen Wirtschaftsstufen in der Vertikalen vollzieht,118 im Warenbereich typischerweise somit zwischen Produzent, Groß- und Einzelhändlern und schließlich Endkunden, namentlich Verbrauchern. 51 Dabei besteht wiederum zwischen den horizontalen und den vertikalen Aktionen und Reaktionen eine Interdependenz:119 Das Kontraktverhalten zwischen den Angehörigen beider Marktseiten steht in Wechselbeziehung zu dem Verhalten der untereinander konkurrierenden Anbieter bzw. Nachfrager, die ja auf eben dieses Kontraktverhalten der jeweiligen Marktgegenseite Einfluss nehmen möchten. Darüber dürfte Einigkeit bestehen unabhängig davon, ob man die Beteiligten der vertikalen Beziehungen nun ebenso in einem „Wettbewerbsverhältnis“ verbunden sieht wie die Anbieter bzw. Nachfrager jeweils untereinander.120 Sind demnach die Versuche als gescheitert zu betrachten, den wirtschaftlichen Wettbewerb 52 aus einem Allgemeinbegriff des Wettbewerbs zu deduzieren,121 ihn unmittelbar und explizit oder im Wege von Analogien in seinem Wesen zu erfassen, so muss dies einem tieferen Verständnis des wirtschaftlichen Wettbewerbsgeschehens nicht entgegenstehen. Es lassen sich durchaus wettbewerbliche Ursache-Wirkungsbeziehungen untersuchen und ggf. modellhaft verdichten, auch wenn bei solchen impliziten Definitionen122 das Wesen des Wettbewerbs eine verbal ungeöffnete „black box“ bleibt. Dasselbe gilt für Definitionsansätze, die sich dem Phänomen „Wettbewerb“ dadurch nähern, dass sie Bedingungen formulieren, unter denen sich „Wettbewerb“ entfaltet, oder die Indikatoren für seine Existenz benennen, etwa die Ausübung wirtschaftlicher Handlungsfreiräume.123 Unvereinbarkeit zwischen Realitätsgerechtigkeit und Rechtsadäquanz in Bezug auf ein einheitliches, namentlich UWG und GWB umfassendes Wettbewerbsverständnis besteht insoweit nicht. Demgegenüber scheint man, vornehmlich im juristischen Raum, den Wettbewerb gelegent53 lich nur aus dem Blickwinkel einer speziellen Norm und damit ganz unterschiedlich definieren zu wollen (sog. Tatbestandsbezogenheit des Wettbewerbsbegriffs).124 Den Rahmen für die jeweils monistischen wirtschaftstheoretischen Wettbewerbskonzeptionen liefert dabei das gedankliche Gerüst von Markt und Wettbewerb, wie es sich für die klassische Nationalökonomik darstellte.

54 b) Die freie Konkurrenz der Klassiker. Im Merkantilismus schufen sich Feudalismus und Absolutismus das ihnen passende Wirtschaftssystem: Die Obrigkeit tut hier kund, welche Ziele zu erreichen sie für wünschenswert hält, um den Wohlstand des Herrschers und, damit gleichgesetzt, den Wohlstand des Volkes zu mehren. Die Obrigkeit erlässt dazu Vorschriften und installiert Anreiz- und Sanktionssysteme. In diesem Sinne erfolgreiche Wirtschaftspolitik wirkt nur als Reflex auf die Einzelnen zurück. Als Gegenbewegung zu dieser autoritären, bestenfalls patriarchalischwohltätigen Wirtschafts- und vor allem Gesellschaftsordnung formierte sich der klassische Libe-

118 Aberle 1.1.; Baumbach/Hefermehl Allg. Rn. 8 ff.; insbesondere Hoppmann Problem S. 40 ff. 119 Zur Interdependenz von marktlichen Parallel- und Austauschprozessen s. prägnant schon Burmann WRP 1967, 240, 244. Näher Hoppmann in Herzina (Hrsg.), Wettbewerbstheorie S. 237 f.

120 Einerseits (Wettbewerbsverhältnis auch im Austauschprozess) Sölter Nachfragemacht S. 43; andererseits Fikentscher WuW 1960, 684 und 1961, 796; Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. 1.10; Meyer-Cording WuW 1962, 466.

121 Zusammenfassend Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. 1.6. 122 Bochenski Die zeitgenössischen Denkmethoden, 4. Aufl. (1969) 91 f.; v. Freytag-Löringhoff Logik, ihr System und ihr Verhältnis zur Logistik, 4. Aufl. (1966) 55 ff. Zu den wettbewerblichen Nominal- und Realdefinitionen s. a. Köhler Wettbewerbsbeschränkungen durch Nachfrager (1977) 2 ff. 123 S. Emmerich/Lange Kartellrecht § 1 Rn. 1; Mestmäcker/Schweitzer § 3 Rn. 4. 124 Vgl. z. B. J. Baur ZHR 134 (1970) 99, 116, 117 ff.

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ralismus. Für seine nationalökonomischen Triebkräfte stehen dabei die Namen von David Hume, David Ricardo, John Stewart Mill, Jeremy Bentham, insbesondere aber Adam Smith. Der klassische Liberalismus bildet „den Ausgangspunkt für alle in der Folgezeit entwickelten Leitbilder der Wettbewerbspolitik für grundsätzlich marktwirtschaftlich organisierte Volkswirtschaften.“125 Das vom klassischen wirtschaftlichen Liberalismus propagierte System freier Wettbewerbswirtschaft126 versteht sich als eine Selbstorganisation, bei der die individuell-dezentral und egoistisch aufgestellten Wirtschaftspläne sich auf Märkten, also im Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage,127 unter freier Preisbildung autonom koordinieren. Der Koordinationsprozess vollzieht sich durch Versuch und Irrtum, durch eine allmähliche Annäherung an die „richtigen“ Mengen, Qualitäten und Preise, aber auch an andere Aktionsparameter128 wie z. B. Vertriebsmethoden und zeitliche Verfügbarkeit. Dem Preis kommt dabei in seiner Ausgleichsfunktion eine besondere Rolle zu, weil er am verständlichsten über den relativen Knappheitsgrad der Güter und Faktorleistungen (namentlich Arbeitskraft) zu informieren vermag. Mit diesem auch wirtschaftsethisch fundierten Verständnis des „richtigen“ (Gleichgewichts-)Preises setzt sich die freie Konkurrenz der Klassiker in einen endgültigen Gegensatz zur mittelalterlichen, religiös-fundierten Wirtschaftsethik und deren Überlegungen zum pretium iustum.129 Bis heute scheinen solche anachronistischen Denkansätze noch allenthalben in der praktisch-wirtschaftspolitischen Diskussion,130 aber auch in der zivilrechtlichen Dogmatik und Rechtsprechung131 fortzuwirken. Neben dieser unmittelbaren Ausgleichswirkung zwischen den Einzelplänen von Unternehmen und Haushalten über den Preis kommt der freien, wettbewerbsbasierten, nicht durch exogene Preislimitierungen eingeengten Preisbildung aus klassischer Sicht weiterhin eine Lenkungsfunktion zu: Bei freier Konkurrenz auf offenen Märkten, also Märkten, die durch die Möglichkeit des Markteintritts und des Marktaustritts gekennzeichnet sind, schaffen z. B. (hohe) Gewinne den Anreiz, Ressourcen auf diesen Markt zu lenken, insbesondere neu in diesen Markt einzutreten, um an den Gewinnchancen zu partizipieren. Bisherige Anbieter werden dazu angehalten, kostengünstig zu produzieren, um ihre Gewinne zu stabilisieren oder vielleicht sogar noch zu steigern. Mit sinkender Nachfrage, aber auch stärker wirksam werdender Konkurrenz oder mangelnder Nutzung von Kosteneinsparungsmöglichkeiten droht bei nachhaltigem Misserfolg am Markt, monetär ausgedrückt durch Verluste, der zwangsweise Marktausschluss bis hin zum Verlust ökonomischer Existenz durch Insolvenz. Gerade in der Lenkungsfunktion des Preises und damit der Allokationsfunktion des Marktes wird die angenommene Transformation der summierten egoistisch motivierten Individualinteressen in das Gesamtinteresse manifest.132 Die in der autonomen, marktvermittelten Planko-

125 Knieps S. 67. 126 Dazu vgl. Bartling S. 9 ff.; Benöhr JuS 1976, 273; Cox/Hübener II. 1.; Lammel GRUR 1986, 362 ff.; Mestmäcker Recht, insbesondere S. 100 ff.; Möschel WiSt 1978, 351; Neumann S. 30 ff., 40 ff.; Olten S. 33; Recktenwald Zur Lehre von den Marktformen (1951) passim; Ruffner S. 12 ff. Vgl. dazu und zum Folgenden überblicksweise auch Schumann wisu 1990, 586; Spliethoff S. 247 ff.; Tuchtfeldt FS Kummer 549, 551 ff. 127 Zu diesem Marktbegriff im ursprünglichen Sinne vgl. Ott Grundzüge der Preistheorie, 2. Aufl. (1974) 32. Zur juristischen Problematik des Marktbegriffes vgl. den Überblick bei Lukes FS Böhm 207 ff. 128 Dies betonen schon für die Klassiker Bartling S. 10; Cox/Hübener II 1a. 129 Zu Entwicklung und Bedeutung des Begriffes auch in moraltheologischer Sicht Schmoeckel Rechtsgeschichte der Wirtschaft (2008) Rn. 40. 130 Vgl. zu diesem Komplex Beater § 2 Rn. 106; Neumann S. 25 ff.; Schinzinger S. 62 ff.; Stadermann S. 56. 131 Zu dem in Wahrheit deshalb unanwendbaren § 138 Abs. 2 BGB sowie dem Phantom des „wucherähnlichen Rechtsgeschäfts“ s. Schünemann Wirtschaftsprivatrecht, 6. Aufl. (2011) 85; ders. FS Brandner 279, 286 ff.; ders. Didaktik der Fächer übergreifenden Didaktik von Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, in Hof/v. Olenhusen (Hrsg.), Rechtsgestaltung – Rechtskritik – Konkurrenz von Rechtsordnungen − Neue Akzente für die Juristenausbildung (2012) 153, 154 f. 132 Vertiefend Olten S. 33 ff.

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ordination wirksame „invisible hand“133 ist in klassischer Sicht also nicht lediglich ein Instrument ökonomischer Effizienz, sondern auch und vor allem Transmissionsriemen, der den Eigennutz überhaupt erst wirtschaftsmoralisch rechtfertigt. „Invisible hand“ ist allerdings kein magisches Steuerungsinstrument, sondern vor allem die Anerkennung der Freiheitsidee beim wirtschaftlichen Handel, ohne dass dessen Ziel bekannt oder definierbar wäre. 59 Daher wäre es falsch, das klassische Konzept freier Konkurrenz auf ökonomisches Kalkül reduzieren zu wollen. Das Streben der liberalen englischen Klassiker war vielmehr gerade darauf gerichtet, wirtschaftlichen Wohlstand gegründet auf und als Ausdruck von (politischer) Freiheit und (rechtlicher) Gleichheit darzustellen.134 Für die Klassiker besteht also kein Dilemma zwischen ökonomisch positiven Ergebnissen („good economic performance“) und ihrer gesellschaftlichen Wünschbarkeit.135 Wettbewerb erfüllt demnach also immer sowohl die ökonomische Funktion guter Marktversorgung (durch effiziente Steuerung der Marktkräfte, durch Schaffung produktiver Anreize, eventuell auch durch Verteilungsmechanismen) als auch die gesellschaftspolitische Funktion, den Marktteilnehmern Freiheitsspielräume zu erhalten oder sogar erst zu eröffnen.136 60 Gerade Smith hat dabei die Notwendigkeit institutioneller Rahmenbedingungen des Wettbewerbs erkannt,137 um die ökonomische und gesellschaftliche Optimierungsleistung der wettbewerbsgesteuerten Marktwirtschaft voll nutzen zu können. Weder als grobschlächtiger Apologet privater Habgier noch als Verfechter eines laissez-faire staatlicher Wirtschaftspolitik kann Smith vorgeführt werden.138 Es handelt sich bei dem System freier Konkurrenz der Klassiker also nicht um eine zügellose Freiheit,139 sondern um eine Freiheit von staatlichem Dirigismus im Hinblick auf die durch den Wettbewerbsprozess herbeigeführten Ergebnisse. 61 Dieser von vornherein aber nur bedingt freie, weil sich in Institutionen vollziehender Wettbewerb ist nach klassischem Verständnis ohnehin kein in einem Zeitpunkt fixierbarer Zustand. Wettbewerb ist ein dynamisches Geschehen, dessen etwaige Gleichgewichtslagen nur temporär bestehen. Aktionen und Reaktionen, ausgelöst durch Veränderung der Marktdaten, führen fortwährend zu den produktiven „Störungen“ dieser Gleichgewichtslagen. Wegen dieses prozesshaften Charakters des Wettbewerbs erscheinen selbst Monopole als unbedenklich, sofern nur bei freiem Marktzutritt potentielle Konkurrenten, angelockt durch hohe Gewinne, diese abzulösen imstande sind.

62 c) Zweiteilung wettbewerbskonzeptioneller Ansätze. Die in der Folgezeit formulierten Wettbewerbskonzeptionen der Ökonomik sind mannigfaltig, teilweise unübersichtlich, sich weiter wandelnd140 und insgesamt wohl „hoffnungslos kontrovers“,141 was der juristischen Rezeption nicht förderlich gewesen ist.142 Dies rechtfertigt indes nicht, sich einem zumindest kursori-

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Plastische Beschreibung bei Drexl S. 92 ff. Möschel Wettbewerbsbeschränkungen Rn. 62. Cox/Hübener II. 1. a; Herdzina in Herdzina (Hrsg.), Wettbewerbstheorie S. 18 f. Über diese beiden Grundfunktionen von Wettbewerb (nicht hingegen über die Non-Dilemma-These) besteht wohl Einigkeit, vgl. Emmerich/Lange Kartellrecht § 1 Rn. 10 ff.; Herdzina Wettbewerbspolitik S. 31 ff. (S. 34 f. zu diversen Dilemma-Thesen); Lux S. 14 f. 137 Vgl. Drexl S. 9 ff.; I. Schmidt/Haucap S. 6; Tuchtfeldt ORDO 27 (1974) 29 ff. (jeweils m. w. N.). S. a. Starbatty wisu 1990, 541 f. 138 Drexl S. 98 (gegen die verfälschende Interpretation der „invisible hand“); Engels Marktwirtschaft S. 20 f.; Gloy/ Loschelder/Danckwerts/Leistner § 4 Rn. 2 f.; Streminger ARSP 1989, 196 ff., insbesondere 214 ff. 139 In diese Richtung aber wohl die Deutung bei Aberle 2.2.1.; wie hier vor allem Bartling S. 11 und Reuter DZWir 1993, 45 f., jeweils m. w. N.; s. a. I. Schmidt/Haucap S. 6; Mestmäcker Recht S. 100, 114 ff. 140 Vgl. Christiansen WuW 2005, 285, 289. 141 Koppensteiner § 1 Rn. 22. 142 Vgl. Baudenbacher Lauterkeitsrecht § 1 Rn. 58.

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schen Überblick zu verweigern und in „selbstgewählter Isolation“ zu verharren,143 etwa unter Hinweis darauf, dass „Juristen in der Regel wirtschaftswissenschaftliche Laien“ seien144 und somit ohnehin keine Stellung beziehen könnten. Denn die für Verständnis und Anwendung des Wettbewerbsrechts „notwendigen wettbewerbstheoretischen Erkenntnisse sind wahrscheinlich leichter zu gewinnen als die technischen bei einem Bauprozess oder die physikalischen bei einem Verkehrsprozess“.145 Außerdem geht es gar nicht um die Aneignung wirtschaftswissenschaftlich-modell- 63 theoretischer Subtilitäten, sondern lediglich um die Vergewisserung grundsätzlicher wettbewerbskonzeptioneller Positionen, um deren Reflexion in wettbewerbsrechtlichen Fragestellungen und um den offenen Ausweis des bezogenen Standorts im Rahmen der juristischen Argumentation.146 Dies ist dem rechtsstaatlichen Postulat hinreichender Rationalität geschuldet. Dass mangels tieferen Eindringens in die Wettbewerbstheorie Fragen offenbleiben müssen, ist unausweichlich, doch allemal ist eine „flackernde Fackel … völliger Finsternis vorzuziehen“.147 Bei allen Vorbehalten bezüglich der Darstellungstiefe und -breite, die durch die juristische, 64 speziell wettbewerbsrechtliche Anwendungsperspektive bedingt sind, lassen sich die nachfolgend exemplarisch beschriebenen Wettbewerbskonzeptionen zwei großen Lagern zuordnen, die in der Hauptsache entweder einen wohlfahrtsökonomischen oder aber einen systemtheoretischen Ansatz verfolgen.148 Das wohlfahrtsökonomische Lager ist an gesamtwirtschaftlichen ökonomischen Zielfunktionen, namentlich an Effizienz und optimaler (Ressourcen-)Allokation ausgerichtet und hält den Wettbewerb prinzipiell für instrumentalisierbar zur Erreichung politisch gewünschter Ziele. Für die systemtheoretisch orientierten Wettbewerbskonzeptionen steht die wirtschaftliche Freiheit der Marktakteure als Wesen wettbewerblicher Marktprozesse im Vordergrund. Hingegen wird ökonomischen Zielfunktionen kaum Aufmerksamkeit geschenkt, da davon ausgegangen wird, dass in Ausübung von Wettbewerbsfreiheit wirtschaftlicher Wohlstand unter den gegebenen Bedingungen sowohl individuell als auch gesamtwirtschaftlich optimal erwächst. Eine an der Zweiteilung von Wohlfahrtsökonomik und Systemtheorie angelehnte Darstel- 65 lung verdunkelt die historischen Entwicklungszusammenhänge. Diese sind indes für das Verständnis der Materie durchaus hilfreich, weil sich erst in der geschichtlichen Dimension der Wettbewerbstheorie die Dialektik jener Grundströmungen erkennen lässt. Ein derart motivierter Überblick149 bietet sich deshalb gerade dort an, wo es darum geht, eine nicht primär ökonomisch, sondern juristisch geprägte Fachöffentlichkeit anzusprechen.

d) Die vollkommene Konkurrenz. Die Wettbewerbskonzeption der vollkommenen Konkur- 66 renz150 knüpft an die Wettbewerbsidee der Klassiker an. Im Mittelpunkt des Interesses steht dabei jedoch nur die Gleichgewichtslage, die in der Idee der freien Konkurrenz lediglich ein 143 144 145 146

Hierzu und zum Folgenden s. Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 1 Rn. 26 ff. Ohly S. 222. Baudenbacher Lauterkeitsrecht § 1 Rn. 60. Baudenbacher Lauterkeitsrecht § 1 Rn. 60; Drews S. 83 ff.; Lux S. 59/60; Pichler S. 104, 106 f.; s. a. Kisseler WRP 1999, 274, 277 ff.; Lehmann GRUR 1979, 368, 377. 147 Vgl. Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 1 Rn. 27 mit Zitat von Morgenstern S. 14. Ausdrücklich zustimmend Schwipps S. 65. 148 Hierzu und zum Folgenden s. Herdzina Wettbewerbspolitik S. 106 ff., der darauf hinweist (S. 110 ff.), dass die Zuordnung der jeweiligen Wettbewerbskonzeption durchaus zweifelhaft sein kann, da nicht selten auch Argumentationsfragmente des jeweils anderen Lagers Verwendung finden; Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 1 Rn. 29 ff.; Koppensteiner § 1 Rn. 24 ff.; Künzler S. 40 ff.; Lademann DB 1985, 2661 ff.; Pichler S. 35 ff.; Schlüter S. 97 ff.; Wunderle S. 15 ff. 149 So auch Künzler S. 40 ff. 150 Vgl. namentlich Marshall Principles of Economics (1890) sowie Knight Uncertainty and Profit (1921) insbesondere 51 ff.; dazu Bartling S. 12 ff.; Cox/Hübener II.2.; Knieps S. 68 f.; Künzler S. 27 ff.; Neumann S. 67 ff.; Ruffner S. 15 ff.; Stigler in Herdzina (Hrsg.), Wettbewerbstheorie S. 30 ff.

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Stadium des Wettbewerbsprozesses und die gedankliche Antithese zum Monopol bezeichnet hatte. Die klassische Auffassung des Wettbewerbs als eines dynamischen, Handlungsfreiheiten voraussetzenden Geschehens wird dabei auf eine rein statische Betrachtungsweise reduziert, die die vor allem von Cournot und Walras freigesetzten Potenzen formaler, mathematischer Analytik zunehmend mit dem Realitätsverlust ihrer Modellannahmen erkauft. Zugleich wird die Wettbewerbstheorie aus ihrem ursprünglichen gesellschaftstheoretischen Kontext herausgelöst. Wettbewerbstheorie erfährt so eine Einengung auf preistheoretische Fragestellungen. Die Vollkommenheit des Wettbewerbs ist dabei durch die preispolitische Machtlosigkeit gekennzeichnet, die die Marktteilnehmer erfahren: Aufgrund ihrer großen Zahl und ihrer dadurch vermittelten, auf kleinen Marktanteilen gründenden atomistischen Konkurrenz müssen alle den Marktpreis als Datum, als „Schicksalspreis“, hinnehmen.151 Bewegungsspielräume bestehen nur im Anpassungsverhalten hinsichtlich der Gütermengen, denn Modellvoraussetzung ist völlige Güterhomogenität: Es besteht annahmegemäß keine Möglichkeit (mehr), sich etwa durch Qualitätsverbesserungen dem Konkurrenten gegenüber marktwirksam zu profilieren. Denn alle Konkurrenten können sich mit unendlich großer Reaktionsgeschwindigkeit allen derartigen Veränderungen des Datenkranzes anpassen. Auch herrscht auf ihrer Seite – ebenso wie auf der Marktgegenseite – absolute Markttransparenz. Einschätzungsunsicherheiten, wie sie für alle ex-ante-Beurteilungen in Kauf genommen werden müssen, sind eliminiert. Trotz dieser irrealen Züge der Theorieprämissen wurde die vollkommene Konkurrenz jedenfalls in ihrer Version als „vollständige“ Konkurrenz152 lange, trotz Modifikationen im Kern sogar bis hin zum sog. Ordo-Liberalismus der Freiburger Schule (s. Rn. 87) und bis hin zur Urform des GWB, als wettbewerbspolitisches Leitbild akzeptiert,153 weil ihre Modellannahmen zugleich wesentliche Bedingungen des – allerdings selber umstrittenen154 – sog. Pareto-Optimums erfüllen. Dieser gesamtwirtschaftlich-wohlfahrtsökonomisch respektierte Zielpunkt besteht in einem Zustand, in dem niemand seinen Nutzen erhöhen kann, ohne den Nutzen eines anderen zu vermindern.155 Gerade der hier verwendete Konkurrenzbegriff wirft schließlich noch ein Schlaglicht auf die allgemeine definitorische crux des Wettbewerbsbegriffs überhaupt. Denn in der genannten Gleichgewichtslage ist von „Wettbewerb“ jedenfalls in einem ökonomisch-praktischen Sinne gerade nichts mehr zu spüren: Niemand hat mehr einen Anreiz zum Handeln, weil dieses nur zu einer Verschlechterung der Verhältnisse führen könnte. Die Metamorphose des Wettbewerbs zu einem künstlichen, von der wirtschaftlichen Realität ganz abgehobenen Begriff im Zustand der Erstarrung ist bereits hier vollendet.156

71 e) „Workable Competition“. Die Friktionen eines ein theoretisch von den wirklichen Bedingungen verselbständigten Zustandes „vollkommener“ Konkurrenz führten zu sog. Workability-Kon151 Modelltheoretisch erläutert bei Belleflamme/Peitz Industrial Organization (2015) 26 f.; leicht modernisierte Formen werden vertreten von Debreu The Theory of Value (1959) sowie Arrow/Hahn General Competitive Analysis (1970). 152 Zur Unterscheidung zwischen vollkommener und vollständiger Konkurrenz vgl. Bartling S. 13 f. 153 Für den Ordo-Liberalismus vgl. hier nur Böhm Wirtschaftsordnung, insbesondere S. 28 f.; Eucken Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 2. Aufl. (1952), insbesondere S. 24 f. Zum Einfluss auf die deutsche Kartellgesetzgebung vgl. nur Kartte/Holtschneider Konzeptionelle Ansätze und Anwendungsprinzipien im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, in Cox/Jens/Markert (Hrsg.) I.2. 154 Vgl. z. B. Künzler S. 29. 155 Vgl. Richter Preistheorie, 2. Aufl. (1974) 119 ff., 137 ff.; zur Kritik s. Bartling S. 16, zur Genese des Prinzips bei Vilfredo Pareto (1848 – 1923) vgl. Mornati Pareto Optimality in the work of Pareto, 51 European Journal of Social Sciences (2013) 65. 156 v. Hayek Individualismus S. 122, 128; Hoppmann Das Konzept des wirksamen Preiswettbewerbs (1978) 10; s. a. Knöpfle Rechtsbegriff S. 2, 101 f., Lux S. 41; Schlüter S. 106 f.

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zepten,157 in ihrer prominentesten Version als sog. Harvard School. Angesichts ubiquitärer Heterogenität der Güter, eines nicht selten unüberschaubaren Kreises der Marktteilnehmer etc. wird im Ergebnis vom Modellplatonismus des vollkommenen Wettbewerbs Abschied genommen. Anlass dafür war u. a. die Beobachtung, dass selbst bei monopolistischen Strukturen Wettbewerb noch möglich ist, etwa deswegen, weil Abnehmer die Möglichkeit zur Produktsubstitution ebenso behalten wie die Wettbewerber ihre Produkte differenzieren können.158 Nunmehr wird versucht, unter den Unvollkommenheiten diejenigen hinzunehmen, ja womöglich gar zu fördern, die den jetzt wieder als Prozess begriffenen Wettbewerb159 überhaupt erst funktionsfähig,160 also „workable“, gestalten. Im Zuge dieses Ansatzes161 wird davon ausgegangen, dass es eine konkrete Kausalbeziehung zwischen Marktstruktur, Marktverhalten und Markergebnissen gibt, die es aufzudecken gilt. Die Wettbewerbspolitik hat hierbei die Aufgabe, diese Funktionsfähigkeit zu erhalten. Hauptanliegen innerhalb der Theoreme über die Workable Competition ist es also, Indikato- 72 ren zu formulieren, die in der Realität darüber Auskunft geben können, ob hic et nunc funktionsfähiger Wettbewerb auf dem in räumlicher, zeitlicher und insb. gegenständlich-sachlicher Hinsicht abgegrenzten und damit partiellen, „relevanten“ Markt, existiert. Die Kriterienkataloge, die sich im Wesentlichen in den Merkmalsgruppen Marktstruktur (Zahl, Größe, Marktanteile der Wirtschaftseinheiten, Preis- und Einkommenselastizitäten etc.), Marktverhalten (bevorzugte Aktionsparameter, Risikoneigung etc.) und Marktergebnis (Güterpreise, -qualität und -mengen, Kosten, Gewinne etc.) manifestieren, sind dabei im Einzelnen sehr unterschiedlich formuliert und gewichtet. Gelegentlich erscheinen aber auch Marktmachtpositionen und hohe Pioniergewinne nicht 73 nur tolerabel, sondern wünschenswert, weil die dadurch motivierten Innovationen zu technischem Fortschritt führen (sog. Gegengiftthese).162 Die legitime Vorzugsstellung einzelner Marktteilnehmer wird allerdings nur als befristet betrachtet, weil und solange imitierende Konkurrenten wieder gleichziehen können. Das wettbewerbliche Leitbild der Workable Competition ist starken Einwänden ausge- 74 setzt.163 Auch diese Konzeption unterstellt, dass ihre Ausgangsdaten konstant bleiben, also nicht durch den Wettbewerbsprozess ihrerseits zu Variablen werden.164 Sie führt durch den Einbau von ceteris paribus-Elementen zu einer Immunisierung gegenüber allen Falsifikationsversuchen, allerdings zu Lasten des empirischen Gehalts.165 Die postulierten Korrelationen zwi-

157 Clark Competition as a Dynamic Process (1961), ders. Towards a Concept of Workable Competition, 30 American Economic Revue 241 (1940), abgedruckt in Herdzina (Hg.), Wettbewerbstheorie (1975), S. 143.

158 Chamberlin, The Theory of Monopolistic Competition (1933); Robinson, The Economics of Imperfect Competition (1933).

159 Grundlegend Clark American Economic Review 1940, 241 ff.; ders. Competition, passim (Übersetzungen auszugsweise in Herdzina (Hrsg.), Wettbewerbstheorie S. 142 ff. und S. 269 ff.). 160 Zu beachten ist dabei, dass die Funktionsfähigkeit im Wesentlichen auf die Effizienz des Wettbewerbsprozesses bezogen wird, also im Blick auf eine ihm hinterlegte Zielfunktion. Es handelt sich in diesem Verständnis nicht um funktionierenden Wettbewerb i.S. der systemtheoretischen Ansätze, also um hinreichende Freiheitsgrade der Marktteilnehmer. 161 Zu den zahllosen Varianten der Workability-Konzepte vgl. jeweils m. w. N. Aberle 2.3.; Bartling S. 20 ff.; Cox/ Hübener I. 4.; Herdzina, Wettbewerbspolitik S. 33 ff.; Knieps S. 45 ff., 74; Lux S. 24 ff.; Mestmäcker/Schweitzer § 3 Rn. 1 ff.; Möschel Wettbewerbsbeschränkungen Rn. 66; MünchKommKartR/Kerber/Schwalbe Einl. B Rn. 78 ff.; Neumann S. 121 ff., 145 ff.; Ruffner S. 23 ff.; I. Schmidt/Haucap S. 12 ff.; Tolksdorf WuW 1980, 785, 791; Willemsen Wettbewerbstheorie – Wettbewerbspolitik und die kartellrechtlichen Bestimmungen des EWG-Vertrages und des EFTAVertrages (1971) 89 ff.; Wunderle S. 17 ff. 162 Clark American Economic Review 1940, 241 ff.; s. dazu I. Schmidt/Haucap S. 12; Wunderle S. 18. 163 Zusammenfassend Bartling S. 23 ff.; I. Schmidt/Haucap S. 9 ff.; Wunderle S. 20 unter Bezugnahme auf Mason („Beliebigkeit“ der Kriterien einer workable competition). 164 Möschel WiSt 1978, 336. 165 Schmidtchen Wettbewerbspolitik S. 107.

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schen Marktstruktur, Marktverhalten und Marktergebnis sind angesichts der hohen Komplexität und auch Reversibilität der Kausalzusammenhänge weitestgehend unsicher.166 75 Unbefriedigend ist schließlich eine gewisse Vernachlässigung der gesellschaftspolitischen, Freiheit bedingenden und erzeugenden Aspekte des Wettbewerbs, zumal die gesellschaftspolitische Funktion des Wettbewerbs neben seiner Steuerungs- bzw. Ordnungsfunktion sowie seiner Antriebsfunktion gerade auch von den Workability-Konzepten unterstrichen wird.167 Trotz ihrer erkannten Schwächen werden freilich auch in der namentlich im Blick auf das Kartellrecht angewandten Wettbewerbstheorie Voraussetzungen und Grenzen wirksamen Wettbewerbs bevorzugt anhand von Kriterien wie Marktstruktur, Marktverhalten und Marktergebnis analysiert.168

76 f ) „Countervailing Power“. Durchaus auch gesellschaftspolitisch motiviert ist hingegen das wettbewerbliche Leitbild der gegengewichtigen Marktmacht, der Countervailing Power.169 Es basiert auf der empirisch gewonnenen Annahme, dass die praktische Beseitigung realer Wirtschaftsmacht schnell an ihre Grenzen stößt. Das dem Wettbewerbsprinzip zugeordnete Freiheitsmoment ist demnach besser durch den Aufbau marktneutralisierender wirtschaftlicher Gegenmacht (vornehmlich, aber nicht nur auf der oppositionellen Marktseite) zur Geltung zu bringen. Auch ökonomische Vorteile werden reklamiert, weil die Verhinderung zukünftiger bzw. Zerschlagung vorhandener Wirtschaftsmacht natürliche ökonomische Antriebskräfte beeinträchtigen müsste. 77 Das Konzept der Countervailing Power hat die wettbewerbspolitische Praxis durchaus beeinflusst, z. B. in der Förderung mittelständischer Kooperationen und Einkaufsgenossenschaften als Gegengewichte zu Großunternehmen.170 Auch in der wettbewerbsrechtlichen Diskussion im Rahmen des UWG hat sich dieser Gedanke wohl niedergeschlagen, z. B. in der Fragestellung, ob „große“, marktstarke Unternehmen strengeren Anforderungen an die Lauterkeit ihres Marktverhaltens unterworfen werden sollten,171 was die Marktschwäche vieler kleinerer Unternehmen kompensieren könnte. Theoretisch wird diesem Wettbewerbsleitbild freilich die mangelnde Quantifizierbarkeit wirtschaftlicher Macht und seine allenfalls nur auf ganz bestimmte Marktverhältnisse zugeschnittene freiheitsfördernde Wirksamkeit entgegengehalten.172 So sind z. B. die privaten Endverbraucher nicht in ausreichendem Grade als wirtschaftliche Gegenmacht organisierbar.173

78 g) „Optimale Wettbewerbsintensität“. In der Kontinuität mit den Workability-Theoremen über den funktionsfähigen Wettbewerb steht Kantzenbach mit seinem Konzept der optimalen Wettbewerbsintensität,174 das in Deutschland große Beachtung fand und die Novellierung des 166 Näher Aberle 2.3.2.; Ahlert S. 109 f.; Bartling S. 23 ff.; v. Hayek Theorie S. 25 ff.; Hoppmann Fusionskontrolle (1972) 20 ff., 41 f., 52 f.; Säcker S. 36 ff. 167 Vgl. Clark Competition S. 62; s. a. Günther Wege zur Europäischen Wettbewerbsordnung (1968) 25 f. 168 S. a. Künzler S. 22. 169 Galbraith insb. S. 124 ff. Dazu vor allem Andreae/Glahe, FIW-Schriftenreihe, Heft 33 (1966) 37 ff.; ders. in Schneider (Hrsg.), Grundlagen der Denklehre und der Rechtsanwendung, 2. Aufl. (1972) 71 ff.; Bartholomeyczik/Benisch und Clemens/Glahe sowie Gutersohn/Geisbüsch jeweils aaO (Literaturverzeichnis) passim; Sölter Nachfragemacht S. 47 ff. 170 S. Schreiber Gegengewichtsprinzip in der Wirtschaftsordnung (FIW-Schriftenreihe, Heft 36, Kooperation als Gegengewichtsbildung, 1966) passim. 171 So Fezer/Büscher/Obergfell § 1 Rn. 59, 82 ff.; ders. schon BB 1976, 705 f.; a. A. Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 3 Rn. 249. 172 Aberle 2.5. 173 Jeschke Konsumentensouveränität in der Marktwirtschaft (1975) 234 ff.; Möschel Wettbewerbsbeschränkungen Rn. 73; U. Müller Wettbewerb, Unternehmenskonzentration und Innovation (1975) 61 ff.; Reich S. 198 ff., 221 ff. 174 Kantzenbach Funktionsfähigkeit, passim, insbesondere S. 16 ff.; s. a. ders. in Herdzina (Hrsg.), Wettbewerbstheorie S. 194 ff.; ders. JNSt 181 (1967/68), 193 ff. Dazu etwa Aberle 2.6.2.; Bartling S. 30 ff.; Lux S. 29 ff.; Neumann S. 121 ff.; Ruffner S. 37 ff.; Säcker S. 39 ff.; I. Schmidt/Haucap S. 14 ff.; Tabbert Unternehmensgröße, Marktstruktur und technischer Fortschritt (1974) 30; Willeke Grundsätze S. 69 ff.

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GWB im Jahre 1973 stark prägte.175 Dem Wettbewerb werden dabei fünf gesamtwirtschaftliche Funktionen zugeordnet. Drei „statischen“ Funktionen – marktleistungskonforme Einkommensverteilung, nachfragebezogene Angebotsstruktur, bestmögliche Faktorallokation – stehen zwei „dynamische“ Funktionen gegenüber, nämlich Anpassungsflexibilität der Produktionskapazitäten und Durchsetzung des technischen Fortschritts. Die dynamischen Funktionen werden dabei im Ergebnis höher gewichtet, weil sie die statischen Funktionen gleichsam nach sich ziehen.176 Die optimale Wettbewerbsintensität bestimmt sich in diesem Konzept nach dem Grad der 79 Erfüllung jener dynamischen Funktionen. Konkret und marktformenspezifisch wird das wettbewerbliche Intensitätsoptimum im weiten Oligopol mit einer mäßigen Produktheterogenität und beschränkter Markttransparenz lokalisiert. Hier soll dann die Geschwindigkeit, mit der Vorsprungsgewinne durch erfolgreiche Imitation abgeschmolzen werden, optimal sein: nicht zu hoch, um Innovationsanreize zu erhalten, und nicht zu gering, um dauerhafte Marktmacht zu verhindern. Der Lehre von der optimalen Wettbewerbsintensität und dem daraus deduzierten Leitbild 80 des Wettbewerbs wird unter anderem entgegengehalten, dass es schon keine überzeugenden Eindeutigkeiten zwischen Intensität und Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs gäbe, sich diese jedenfalls nicht empirisch dartun ließen.177 Als wesentliches Manko wird ferner auch hier wie schon in der gleichgelagerten Kritik an Workability-Konzepten vermerkt, dass der Wettbewerbsprozess als Funktion der Marktform begriffen werde, dabei aber vernachlässigt werde, dass dieser Prozess seinerseits auf die Marktstruktur einwirke.178 Neben diesen ökonomischen Einwänden hat das Konzept der optimalen Wettbewerbsintensität aber vor allem gegen sich, dass es ganz dezidiert den Wettbewerb einer gesellschaftspolitischen Funktion entkleidet wissen will.179

h) „Chicago School“. In Gegnerschaft zum Konzept der Workable Competition formierte sich 81 in den 1970er Jahren ein Kreis von Ökonomen und Juristen, vornehmlich Mitgliedern der University of Chicago, die in den USA in der Folgezeit erheblichen Einfluss auf die Anti-Trust-Politik der Reagan-Administration erlangte und damit die bis dahin bestehende Dominanz des marktstrukturell beherrschten Gedankengebäudes der sog. Harvard School beendete.180 Ihre Positionierung im Spektrum von Wohlfahrtsökonomik oder Systemtheorie ist letztlich unklar, da sie einerseits eine Art pareto-optimale Effizienz propagiert (Kaldor/Hicks-Kriterium),181 es andererseits aber ablehnt, das Marktverhalten (und Marktergebnisse) als abhängig von der Marktstruktur zu begreifen; vielmehr folge gerade umgekehrt die optimale Marktstruktur aus dem hinreichend freien Marktverhalten.182 Im Verständnis von Bork, Demsetz, Posner, Stigler u. a., den Protagonisten der sog. Chicago 82 School, soll das Marktgeschehen als freies Kräftespiel ablaufen, wobei mit durchaus sozialdarwi175 Vgl. auch BGH 24. 10. 1963 – KVR 3/62 – BGHZ 41, 42, 51 = NJW 1964, 925, 927 – Fensterglas. 176 Kantzenbach JNSt 181 (1968) 220; ders. Funktionsfähigkeit S. 16 ff. 177 Aberle 2.6.2. unter besonderem Hinweis auf Phillipps Market, Structure, Organization and Performance (1962) 257.

178 Ahlert S. 110 ff.; Möschel Wettbewerbsbeschränkungen Rn. 66. 179 Gegen Kantzenbach (Funktionsfähigkeit S. 13) namentlich Hoppmann JNSt 179 (1966) 286 ff.; I. Schmidt/Haucap S. 17 ff. sowie überhaupt die Vertreter eines systemtheoretischen Ansatzes (dazu sogleich). Auf lediglich kaschierte Wertentscheidungen bei Kantzenbach weist ausführlich Neumann S. 173 ff. hin. 180 Gut informierend z. B. Knieps S. 73 f.; Pichler S. 36 f.; I. Schmidt/Haucap S. 23 ff. 181 Das Kaldor/Hicks-Kriterium lässt es unter wohlfahrtsökonomischen Effizienzgesichtspunkten ausreichen, wenn die Verlierer einer Veränderung der Verhältnisse durch die Veränderungsgewinne der anderen vollständig kompensiert werden können und den Gewinnern trotzdem noch ein Nettozuwachs an Wohlfahrt verbleibt. Näher dazu Schäfer/Ott S. 19 ff. 182 Vgl. zum Einordnungsproblem Herdzina Wettbewerbspolitik S. 111 f.

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nistischem Akzent die Auslese der wirtschaftlich Gesündesten und Besten propagiert wird. Der Staat wird allenfalls auf die Vorgabe eines lockeren ordnungspolitischen Rahmens verwiesen. Im Mittelpunkt dieses Leitbildes steht die Konsumentenwohlfahrt, als deren Kriterium allokative Effizienz in der Volkswirtschaft und produktive Effizienz in den Unternehmen figuriert. Konzentrationsprozesse werden dabei tendenziell i.S. einer Effizienzsteigerung infolge Optimierung der Betriebsgröße interpretiert, nicht als Begünstigung in Richtung auf die Erzielung von Monopolrenten. Der Zielerreichungsgrad der Effizienzkriterien wird anhand preistheoretischer Aussagen ermittelt, wobei die vollständige Konkurrenz einerseits und das Monopol andererseits die Eckdaten liefern. 83 Das Wettbewerbskonzept auch der Chicago School ist stark umstritten.183 Der Chicago School wird bereits vorgehalten, dass sie mit antiquierten mikroökonomischen Instrumenten der Preistheorie arbeite. Provokant wirkt die Grundüberzeugung dieses Konzeptes, dass die Wirtschaftsstruktur, so, wie sie sich vielfach darbietet, nämlich starken Konzentrationsbewegungen unterworfen, nur die überlegene ökonomische Effizienz der am Prozessende stehenden Großunternehmen widerspiegele. Diese Effizienz wird aber trotz ihrer zentralen Stellung im Konzept nicht präzise definiert und bleibt so kaum messbar. Die Verabsolutierung des Effizienzziels sowie die postulierten Zusammenhänge zwischen 84 wirtschaftlicher Macht, Effizienz und Konzentration führen konsequenterweise dazu, dass wirtschaftliche Macht per se als legitimiert erscheint und die machtneutralisierende gesellschaftspolitische Funktion des Wettbewerbs deshalb wohl abgelehnt werden muss.184 Großen Zweifeln begegnet schließlich das mittlerweile auch in der Volkswirtschaftslehre durch Konzepte beschränkter Rationalität insgesamt überholte Axiom, Konsumenten verhielten sich in der Realität generell rational. Letztlich scheint die Dichotomie von Sollen und Sein überhaupt negiert und damit die Existenzberechtigung eines Wettbewerbsrechtes selber in Frage gestellt zu werden.185 Aus juristischer Sicht ist diese Forderung kaum erfüllbar, weil sie bereits die prozessuale Praxis vor unüberwindliche Schwierigkeiten (Kosten und Dauer von Verfahren) stellen würde. Das schließt es aber naturgemäß nicht aus, die empirischen Experimente der verhaltensorientierten Untersuchungen psychologischer und verhaltensökonomischer Provenienz186 als Evidenzmaterial zu berücksichtigen.

85 i) Ordo-Liberalismus. Eine herausragende Rolle bei der Ausbildung der Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland als „Soziale Marktwirtschaft“ hat der sog. Ordo-Liberalismus der „Freiburger Schule“ um Böhm, Eucken, Miksch und Müller-Armack gespielt,187 für dessen praktisch-politische Personifikation aber der damalige Wirtschaftsminister Ludwig Erhard steht. Das in seinen Wurzeln bis in die 1930er Jahre dieses Jahrhunderts zurückreichende, gleichermaßen wirtschaftspolitische wie sozialphilosophische Konzept des Ordo-Liberalismus zielt auf die bewusste Ausgestaltung einer regelgebundenen Wettbewerbswirtschaft, die dabei in den Dienst einer freiheitlichen, aber auch sozialverpflichteten Gesellschaft gestellt ist. Die so verfasste Gesellschaft prägt ihrerseits wieder das Marktgeschehen. Die Wettbewerbs86 politik hat sich mithin am Schutz der individuellen wirtschaftlichen Handlungsfreiheit zu

183 S. Künzler S. 51; Glöckner Kartellrecht (2. Aufl. 2017) Rn. 76; I. Schmidt/Haucap S. 28 f. 184 Dezidiert a. A. aber Friedman S. 27 ff. und passim. 185 Kirchgässner Homo Oeconomicus – Das ökonomische Modell individuellen Verhaltens und seine Anwendung in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (1991), 5 und 62.

186 Vgl. dazu MünchKommKartR/Kerber/Schwalbe I Einl. B Rn. 123. 187 Vgl. namentlich Böhm insbesondere S. 28 ff.; Eucken Grundlage, passim; ders. Grundsätze, insbesondere S. 24 ff.; Miksch Wettbewerb als Aufgabe, 2. Aufl. (1947) und Müller-Armack Wirtschaftslenkung. Dazu z. B. Aberle 2.2.2.; Fikentscher Bd. II § 20 IV 2; Knieps S. 69 f.; Peters S. 150 ff.; Ruffner S. 20 ff. Sehr kritisch Reich ARSP 1977, 485, 492 ff. Die Bezeichnung Ordo-Liberalismus leitet sich aus der abkürzenden Bezeichnung „ORDO“ des bevorzugten Publikationsorgans seiner Vertreter her, dem „Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft“.

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orientieren und sie nach Kräften zu fördern, um einen wettbewerbserfüllten, Freiheit stiftenden und Freiheit spiegelnden Wirtschaftsmechanismus zu gewährleisten. Auch die kartellrechtlichen Instrumente sind letztlich auf den Schutz solcher Handlungsfreiheiten, nämlich derjenigen der übrigen Marktteilnehmer, zugeschnitten. Ökonomische Effizienz i.S. etwa der „Chicago School“ als Sammelbegriff für Wachstum, technischen Fortschritt, Allokationsoptimierung ist keine eigenständige Zielsetzung, sondern Reflex wahrgenommener Handlungsfreiheit.188 Eine bestimmte Marktform strebt der Ordo-Liberalismus nicht primär an, greift aber durchaus, wenn auch selektiv, auf die Idee der vollkommenen Konkurrenz zurück (vgl. Rn. 69). Als konstituierendes Prinzip ordoliberaler Wirtschaftsordnung fungiert allerdings ein gegenüber der vollkommenen Konkurrenz reduktives Modell „vollständiger“ Konkurrenz. Zu deren Herstellung wird staatliche Marktstrukturpolitik ausdrücklich gebilligt.189 Voraussetzung ist hierbei lediglich, dass der Preis von den Wettbewerbern infolge polypolistischer Märkte als Datum zu akzeptieren ist und somit Mengenanpasserverhalten ihren Bewegungsspielraum erschöpft.190 Das große Verdienst des Ordo-Liberalismus ist es, eindringlich auf das Freiheitsparadox, die Gefahr der Selbstaufhebung des Wettbewerbs durch Zusammenschluss und (dauerhafte) Monopolbildung, aufmerksam gemacht zu haben.191 Dagegen einzuschreiten ist der Staat aufgerufen, ohne dass dies als plan- oder interventionswirtschaftliche Maßnahme im Zuge einer synkretistischen, sowohl kapitalistischen als auch sozialistischen Mischwirtschaft („mixed economy“) missverstanden werden dürfte192 (zum Verhältnis von Wettbewerbs- und Sozialstaatsprinzip s. a. Rn. 153, 158, 163 f., 170 und insbesondere 174 ff.). Die Veranstaltung des Wettbewerbs als staatliche, durch Rechtsnormen und nicht politische Entscheidungen zu bewältigende Aufgabe wird vielmehr als Konsequenz immanenter Schranken der Wettbewerbsordnung gedacht. Allerdings ist die behauptete schroffe Antithetik, in der der Ordo-Liberalismus wegen seiner Grundüberzeugung der freien Konkurrenz der Klassiker gegenübergestellt wird,193 wohl überzogen, weil auch die Klassiker die Gefahr „endogener Pervertierungen“194 der wettbewerblichen Freiheit nicht völlig negiert haben (s. bereits Rn. 58 ff.), verständlicherweise aber die Stoßrichtung ihrer Lehre gegenüber dem merkantilistischen System staatlicher Lenkung pointiert haben. Sein unverwechselbares Profil gewinnt der Ordo-Liberalismus aber neben der Einbindung der Wettbewerbspolitik in den Gesamtrahmen der Wirtschaftsordnung (etwa durch die Währungspolitik) jedenfalls durch seinen sozialen Impetus. Wie dieser zum Tragen kommen sollte, war allerdings innerhalb der ordo-liberalen Vertreter umstritten: Während auf der einen Seite, vor allem durch Ludwig Erhard, die freiheitlich-wettbewerbsgesteuerte Marktwirtschaft aus sich heraus soziale Anliegen verwirkliche, der Begriff der sozialen Marktwirtschaft also als Pleonasmus zu gelten habe,195 wurden von anderen planende Eingriffe des Staates in die Ökonomie im Rahmen ihrer Marktkonformität zugunsten besonders schutzwürdig erachteter Gruppen (historisch bedingt in der Nachkriegszeit also vor allem Flüchtlinge, Kriegsheimkehrer etc.) nicht nur für zulässig, sondern für geboten erachtet.196

188 Zu Berührungspunkten zwischen Ordo-Liberalismus (und der Neoklassik; dazu sogleich Rn. 92) einerseits, der Chicago School andererseits s. Fikentscher Bd. II § 20 II 7c. 189 Dazu Cox/Hübener IV. 3. 190 Eucken Grundlage S. 95 ff.; ders. Grundsätze S. 247 ff. 191 Drexl S. 110 ff. 192 Gegen jede Einordnung des Ordo-Liberalismus als mixed economy in ein eindimensionales ideengeschichtliches Spektrum eines regellosen Liberalismus einerseits, der totalen Planwirtschaft andererseits, nachdrücklich Fikentscher Bd. II § 20 IV 2a; a. A. Neumann S. 106; s. a. Löw Die Grundrechte, 2. Aufl. (1982) 371. 193 Paradigmatisch Neumann S. 104 ff. 194 Möschel Wettbewerbsbeschränkungen Rn. 2. 195 S. Mierzejewski Ludwig Erhard: der Wegbereiter der Sozialen Marktwirtschaft (2005) 59. 196 Vgl. Busch S. 19 m. w. N.

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In der dezidiert verfolgten sozialen Dimension des Ordo-Liberalismus wurzelt auch der intendierte Schutz des Mittelstandes, der nach Röpke197 geradezu Träger einer Kulturfunktion ist, die ihrerseits wiederum durch „Qualität, Ehrlichkeit, Dauer, Noblesse, Maß und einfache Schönheit“ beschrieben wird. Alles in allem kann trotz gewisser Vorbehalte der Ordo-Liberalismus mit der freien Konkurrenz der Klassiker durchaus in eine konzeptionelle Reihe systemtheoretischer Ansätze gestellt198 und damit als historische und ideengeschichtliche Brücke zur sog. Neoklassik verstanden werden.

92 j) Die freie Konkurrenz der Neoklassik. Vor allem als Gegenpol zu den Workability-Konzepten des Wettbewerbs unter Einschluss der Position einer optimalen Wettbewerbsintensität versteht sich das sog. neu- oder neoklassische (neoliberale) Leitbild des Wettbewerbs, das Konzept der Wettbewerbsfreiheit. Diese im deutschen Sprachraum199 vornehmlich von Hoppmann im Blick auf v. Hayek und seine theoretischen Überlegungen zu komplexen Systemen200 formulierten Vorstellungen von einem funktionsfähigen Wettbewerb201 sehen sich in besonderer Weise in der ideengeschichtlichen Tradition der Klassiker.202 Funktionsfähig ist dieser im neoklassischen Sinne verstandene Wettbewerb, wenn sich in 93 ihm Freiheit manifestiert, nämlich die Freiheit des Wollens („Entscheidungsfreiheit“) und die Freiheit des Handelns („Handlungsfreiheit“).203 Dies resultiert aus dem systemtheoretischen Ansatz des neoklassischen Wettbewerbsverständnisses, genauer gesagt: aus der Zuordnung von Wettbewerb und Freiheit: Marktwirtschaft wird als komplexes, evolutorisches, kybernetisch-selbstregulatives System begriffen, das spontane, interdependente Handlungen aller Marktteilnehmer als den Elementen dieses Systems und deren polyzentrische Koordination in Parallel- und Austauschprozessen in sich schließt.204 Diese Prozesse sollen sich dabei wechselseitig bedingen und zwei Seiten ein und derselben 94 individuellen Handlungs- und Entschließungsfreiheit der Marktteilnehmer darstellen.205 Reduktiv-modelltheoretischen Erfassungsversuchen des Wettbewerbs und seiner Indienstnahme für die Erreichung politisch erwünschter Ergebnisse wird eine Absage erteilt, da all diese Versuche auf einer „Anmaßung von Wissen“206 um die unübersehbar verstreuten und in ihrer Fülle überwältigenden Informationen der Marktteilnehmer, um deren sich immerfort wandelnden Präferenzen und um deren in Freiheit getroffenen und vollzogenen Entscheidungen beruhten, kurz: auf der angemaßten Kenntnis der Hochkomplexität von Marktprozessen, zumal in anonymen Großgesellschaften. 95 Die aus der Anknüpfung an die freie Konkurrenz der Klassiker resultierende Etikettierung als neu- bzw. neoklassisch oder neoliberal darf nicht dahin missverstanden werden, dass auch die im historischen Anschluss an Smith, Hume, Ricardo, Mill oder Bentham erfolgte Verengung auf statische Gleichgewichtsmodelle der mikroökonomischen Preistheorie übernommen worden 197 198 199 200 201

ORDO I (1948) 155, 167 f., 177. S. a. Künzler S. 53 ff. Vgl. im Übrigen etwa Kirzner, passim. v. Hajek Theorie, passim. S. hier zunächst nur Hoppmann JNSt 1979 (1966) 286 ff.; ders. Problem S. 9 ff. Vgl. zur Neoklassik etwa Aberle 2.4.; Bartling S. 41 ff.; Clapham, passim; Kraft GRUR 1980, 966, 968; Lux S. 32 ff., 41 ff.; Rittner AcP 188 (1988), 101, 113 ff., 119 f.; Ruffner S. 70 ff.; I. Schmidt/Haucap S. 18 ff. 202 Hoppmann Schutzobjekt S. 80 f.; ders. in Hoppmann/Mestmäcker (Hrsg.) Normenzwecke und Systemfunktionen im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen (1974) 5, 7 f.; s. a. (gut referierend) Drexl S. 98 ff. 203 Hoppmann Wirtschaftsordnung S. 260. 204 v. Hayek Theorie, passim; ders. Freiburger Studien S. 35; Hoppmann Prinzipien, passim; ders. Problem S. 29 ff., 39 ff.; ausführlich dazu Schmidtchen Wettbewerbspolitik S. 111 f. sowie Köhler Wettbewerbsbeschränkungen durch Nachfrager (1977) S. 5 ff. Sehr anschaulich Engels Marktwirtschaft S. 23 ff.; ders. Mehr Markt S. 36, 60 f. 205 Hoppmann Wirtschaftsordnung S. 269. 206 Eindringlich zu dieser wissenschaftstheoretisch gebotenen Bescheidenheit v. Hayek ORDO 26 (1975) 12 ff.

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wäre.207 Das gerade Gegenteil ist der Fall. Das neoklassische/neoliberale Leitbild des Wettbewerbs unterstreicht vielmehr den auch bei den Klassikern und ihrer Idee von freiheitlicher Konkurrenz vorfindlichen Grundgedanken des dynamischen Charakters von Wettbewerb als Prozess, und zwar – im Anschluss an v. Hayek – als freiheitsbasiertes Entdeckungs- und Problemlösungsverfahren.208 Die Ergebnisse dieses sich in Vorstoß- und Verfolgungs-(Nachahmungs-)Phasen entwickeln- 96 den Prozesses209 sind demnach ex ante notwendigerweise ungewiss und offen, so dass Wettbewerb sich auch nicht zur Erreichung konkret bestimmter gesamtwirtschaftlicher, exogen vorgegebener Ziele instrumentalisieren lasse.210 Der wettbewerbsgesteuerte Markt ist demnach unplanbar, ein ganz und gar „selbstreferentielles System“.211 Der Verzicht auf heteronompolitisch gesetzte Ziele und daraus folgend auf diesbezügliche Effizienzpostulate markiert unverwechselbar das Spezifikum des neoklassischen Ansatzes. Vorhersagen für Märkte werden so für unmöglich gehalten, wenn sie über nur „musterhaf- 97 te“ Prognosen“212 innerhalb modellierender, also abstrakter Konstrukte hinausgehen, denn Einschätzungen zukünftiger konkreter Verhältnisse auf Märkten setzten als „umgekehrte Kausalanalyse“213 sichere Kenntnis von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen (nomologisches Wissen) und volle Verfügbarkeit der bei sämtlichen Marktteilnehmern vorhandenen Einzelinformationen (einzelinformatorisch-situatives Wissen) voraus. Beide Voraussetzungen seien jedoch in der ökonomischen Realität evident unerfüllbar.214 Staatliche Interventionen in den Wettbewerbsprozess zu seiner Instrumentalisierung für politisch gewünschte Ziele erscheinen von daher als prinzipiell fragwürdig. Erst ein Wirtschaftssystem, das auf der Wahrnehmung von Wettbewerbsfreiheit beruht, 98 kann nach neoklassischer Überzeugung überhaupt Lösungen generieren, welche die individuellen Interessen der Marktteilnehmer optimal durchsetzen. In einer von Wettbewerbsfreiheit durchdrungenen Marktwirtschaft eo ipso beschlossen sind demnach aber auch allgemeine ökonomische Vorteile (Induktion und Entfaltung technischen Fortschritts, nachfragebezogene Angebotsstruktur, optimale Faktorallokation, effizienter Ressourceneinsatz, produktionskapazitative Anpassungsflexibilität marktleistungskonforme Einkommensverteilung).215 Marktstrukturen gegenüber verhält sich die Neoklassik grundsätzlich indifferent. Teilweise als damit vereinbar angesehen wird allerdings die Kritik an Marktstrukturen, die das Potential einer Freiheitsgefährdung in sich tragen sollen.216

207 Neumann S. 184. 208 Hoppmann Wettbewerbsintensität S. 15; ders. Marktmacht S. 7 ff.; ders. Problem S. 29 f.; ders. JNSt 181 (1967/ 68) 251 ff.; v. Hayek Freiburger Studien S. 249 ff.; Röpke Wirtschaftspol. Blätter 1976, 38 ff.; Schmidtchen Wettbewerbspolitik S. 111 ff.; s. a. Windsperger ORDO 37 (1986) 125. 209 S. a. Clark Competition, passim (Auszug in Herdzina [Hrsg.], Wettbewerbstheorie S. 269 ff.); Herdzina Wettbewerbspolitik S. 58 ff.; Heuß Markttheorie, passim; Hoppmann Zum Schutzobjekt des GWB. Die sogenannten volkswirtschaftlichen Erkenntnisse und ihre Bedeutung für die Schutzobjektdiskussion, in Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerb S. 81. 210 Brandt JNSt 199 (1984), 97, 114; v. Hayek Theorie S. 25 ff.; Hoppmann Problem S. 20, 26; ders. Wirtschaftsordnung S. 269; Kirzner, passim; Mestmäcker/Schweitzer § 3 Rn. 70 ff.; Rittner Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. (1987) § 14 Rn. 22. 211 Treffend Fezer JuS 1991, 889, 891. Ebenso Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 1 Rn. 40; ihm zustimmend Drews S. 40. 212 S. näher zu Mustervoraussagen („pattern predictions“) v. Hayek Theorie S. 7 sowie ders. Freiburger Studien S. 144 Anm. 1 und wiederum dazu Graf „Muster-Voraussagen“ und „Erklärung des Prinzips“ bei F.A. v. Hayek (1978) 46 ff. 213 Möschel Wettbewerbsbeschränkungen Rn. 66; ders. ORDO 32 (1981) 85, 89. 214 Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 3 Rn. 37 ff.; Lux S. 42 f. 215 Zurückhaltend bezüglich der impliziten Erreichung der allgemeinen ökonomischen Ziele aber Hoppmann Problem S. 20, 26; ders. Zum Schutzobjekt des GWB. Die sogenannten volkswirtschaftlichen Erkenntnisse und ihre Bedeutung für die Schutzobjektdiskussion, in Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerb S. 75 ff. 216 Vgl. Künzler S. 57 f.

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A. Wettbewerb und Wirtschaftsordnung

Ein Zielkonflikt zwischen Wettbewerbsfreiheit und guten ökonomischen Ergebnissen soll ganz im gedanklichen Duktus der freien Konkurrenz der Klassiker nicht eintreten können (NonDilemma-These).217 Denn Wettbewerb in Freiheit sorge zumindest dafür, dass vordergründig gesehen wohlstandsökonomisch unzureichende Resultate unter den gegebenen, insbesondere also historischen, geographischen, klimatischen, kulturellen und mentalen Bedingungen zumindest unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten nicht noch unzureichender ausfallen.218 Soweit dieser Zielkonflikt im Einzelfall gleichwohl gesehen werden sollte, ist er i.S. der Neoklassik (Neoliberalismus) jedenfalls zugunsten der gesellschaftspolitischen Freiheitsfunktion des Wettbewerbs zu entscheiden, weil Wohlstand in Unfreiheit die demokratisch wie ethisch unakzeptable Alternative wäre.219 100 Bei alledem wird die Komplexität des Marktsystems nicht zuletzt unter dem Aspekt des Kaufkraftwettbewerbs gesamtwirtschaftlich begriffen (Totalmarktkonzept);220 der gedanklichen Ausdifferenzierung der Volkswirtschaft in Partialmärkte, die jeweils für irgendeine, namentlich kartellrechtliche Fragestellung „relevant“ sein sollen, haftet demnach also von vornherein etwas Dezisionistisches an. Jedenfalls aber seien solche Einzelmärkte, ihre Existenz einmal unterstellt, dauernden Veränderungen durch den Wettbewerbsprozess selber unterworfen. 99

101 k) Moderne Effizienz-Paradigmen. In der Entwicklung der modernen, sehr stark anglo-amerikanisch geprägten Wettbewerbstheorie dominieren nunmehr Wettbewerbskonzeptionen, für die wiederum primär wohlfahrtsökonomische und an Effizienz ausgerichtete Überlegungen maßgeblich sind.221 Sie speisen sich aus sehr verschiedenartigen Quellen, haben aber wohl doch in ihrer kritisch-produktiven Auseinandersetzung mit der sog. Chicago School einen kleinsten gemeinsamen Nenner, der deshalb gerne als Post Chicago bezeichnet wird.222 Stichworte sind hier vor allem die spieltheoretisch, aber auch empirisch geprägte und am Marktverhalten orientierte Neue Industrieökonomik223 sowie die daraus abgeleitete Neue Institutionenökonomik.224 Unter dem Dach von Post Chicago finden sich aber randständig auch Varianten eines Wettbewerbsleitbildes, das zwischen dem Effizienzziel die Sicherung individueller Handlungsfreiheit der Markteilnehmer an die Seite stellt.225 Insgesamt bietet sich ein facettenreiches Bild, in dem aber der Effizienz-Gedanke dominiert.226

217 Vgl. Hoppmann Fusionskontrolle S. 18 ff.; ders. JNSt 179 (1966) 289 ff.; ders. Problem S. 48; s. a. Merz S. 217; Mestmäcker AcP 168 (1968) 235, 245; Voigt WiSt 1992, 516 ff. Eingehende Kritik aus juristischer Sicht bei Stürner, passim. Zu weiteren Dilemmata-Thesen s. I. Schmidt/Haucap S. 42 f. 218 Hoppmann Wirtschaftsordnung S. 216; hierzu wie zum Folgenden s. a. Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 3 Rn. 266 m. w. N. 219 Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 3 Rn. 266. 220 Hoppmann Marktmacht S. 9; ders. Wirtschaftsordnung S. 356 ff.; Knieps S. 48: „Es gibt keine objektive Marktabgrenzung“; Schmidtchen Wettbewerbspolitik S. 194 ff.; kritisch aber etwa Möschel Wettbewerbspolitik vor neuen Herausforderungen, in Ordnung in Freiheit, Symposium aus Anlass des 100. Jahrestages des Geburtstages von Walter Eucken am 17. Januar 1991, (1992) 61, 68. Gut referierend Thielemann S. 224 ff. m. w. N. 221 Schmidtchen Effizienz S. 9 ff. 222 Hierzu und zum Folgenden s. den sehr gedrungenen wie gelungenen Überblick bei Pichler S. 40 ff. mit zahlreichen Nachweisen. 223 Dazu z. B. Bühler/Jäger Einführung in die Industrieökonomik (2002); Knieps S. 45 ff.; Tirole Industrieökonomik, 2. (deutschsprachige) Aufl. (1998); Shy Industrial Organisation (1996). 224 Begründet von Williamson Markets and Hierarchies (1975), ders. The Economic Instiutions of Capitalism (1985). Vgl. in deutscher Sprache: Erlei/Leschke/Sauerland Institutionenökonomik, 3. Aufl. (2016); Richter/Furubotn Neue Institutionenökonomik, 4. Aufl. (2010); Voigt Institutionenökonomik, 2. Aufl. (2009). Überblick hierzu wie zur Neuen Industrieökonomik bei MünchKommKartR/Kerber/Schwalbe I Einl. B Rn. 118 ff.; Künzler S. 47 ff.; s. a. Drexl S. 186 ff. 225 Zu der sich daran entzündenden Auseinandersetzung zwischen Epstein und Posner s. Pichler S. 41 m. w. N. 226 Guter Überblick speziell hierzu bei Gloy/Loschelder/Danckwerts/Leistner § 4 Rn. 11 ff.

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Einleitung

Die modernen Effizienz-Paradigmen beherrschen ersichtlich auch das Wettbewerbsleitbild 102 der Europäischen Kommission. Auf eben diese Paradigmen rekurriert nämlich die Formel vom „more economic approach“,227 die ihrerseits keineswegs nur eine Berücksichtigung wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse im Wettbewerbsrecht anmahnt. Vielmehr nimmt sie nach Vorläufern wie dem Weißbuch der Kommission „Über die Modernisierung der Vorschriften zur Anwendung der Artikel 85 und 86 EGV“228 namentlich Bezug auf das Thema des Berichts der Economic Advisory Group for Competition Policy vom Juli 2005 zum damaligen Art. 82 EGV und die dort dargelegten, effizienzorientierten Anregungen, die sich die EU-Kommission mehrfach zu Eigen gemacht hat.229 Diese Haltung ist EU-primärrechtlich im Blick auf Artt. 119 f. AEUV allerdings proble- 103 matisch. Denn das Primärrecht stellt dort die „offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“, nicht jedoch Effizienz der ökonomischen Prozesse und damit den instrumentalisierten Wettbewerb in den Mittelpunkt der europäischen Wirtschaftsverfassung.230 Dessen ungeachtet dürfte aber feststehen, dass dieses Wettbewerbsleitbild lediglich eine Selbstbindung der Kommission bei ihrer Ermessensausübung darstellt, im Übrigen aber keine rechtliche Verbindlichkeit besitzt, weder auf unionsrechtlicher noch auf nationaler Ebene.231 Die juristisch deutlich kartellrechtliche Diskussionsperspektive der modernen Effizienz-Pa- 104 radigmen sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sehr wohl auch um lauterkeitsrechtliche Fragestellungen geht. Denn im Kern läuft dieses Effizienzdenken darauf hinaus, dass Wettbewerbsdefizite auch wettbewerbsrechtlich dann akzeptiert, ja begrüßt werden, wenn in ihrem Gefolge die Gesamtwohlfahrt gesteigert wird.232 Insbesondere im Rahmen der Generalklausel des § 3 Abs. 1 kann diese Sichtweise ihren Wertungsniederschlag finden, wenn letztlich nicht mehr die individuellen Interessen der durch Wettbewerbsbeeinträchtigungen betroffenen Marktteilnehmer zählen, sondern die Mehrung des Nutzens der Allgemeinheit.

4. Maßgebliche Wettbewerbskonzeption Zunächst ist zusammenfassend festzuhalten: Der Allgemeinbegriff des Wettbewerbs entzieht 105 sich einer stimmigen, griffigen Beschreibung, zumal „Wettbewerb“ in sehr unterschiedlichem Realkontext gebraucht wird. Selbst der wirtschaftliche Wettbewerb ist in einer explizit-verbalen Weise nicht hinreichend zu fassen. Die zahlreichen, auf implizite Definitionen abzielenden wirtschaftswissenschaftlich fundierten Wettbewerbskonzeptionen wiederum lassen sich vergröbernd danach ordnen, ob sie Wettbewerb als wirtschaftliches Ordnungsprinzip zur Erreichung bestimmter Ziele für instrumentalisierbar halten, in ihm also eine ökonomische Technik sehen, oder ob Wettbewerb als Manifestation von Freiheit zum Eigenwert erhoben wird, mögen zugleich – reflektorisch – auch bestimmte allgemeine ökonomische Funktionen mit erfüllt sein.233 227 Dazu m. w. N. (teilweise sehr kritisch) Basedow WuW 2007, 712 ff.; Christiansen WuW 2005, 285 ff.; Haratsch/ Koenig/Pechstein Rn. 1011 f.; Hildebrand WuW 2005, 513 ff.; Immenga WuW 2006, 463; Mestmäcker/Schweitzer § 1 Rn. 33 ff., § 13 Rn. 38; Möschel JZ 2009, 1040 ff.; Pichler S. 47 ff., 74 ff.; Podszun WRP 2009, 509 ff.; Schmidtchen WuW 2006, 1 ff.; I. Schmidt FS Bechtold 40 ff. 228 ABl. EG 1999 Nr. C 132, S. 1 ff. 229 Aus der Fülle einschlägiger Verlautbarungen s. nur Kommission, Wettbewerbsbericht 2005, SEK (2006) 761 endg. v. 15. 6. 2006, S. 128. Weitere Nachw. bei Möschel JZ 2009, 1040, 1041 ff. 230 Näher Rn. 260 ff., 270, 273 ff., 281 ff.; s. a. Haratsch/Koenig/Pechstein Rn. 1012; Gloy/Loschelder/Danckwerts/ Leistner § 4 Rn. 16. 231 Ausführlich und m. w. N. Pichler S. 75 ff., 127 ff.; Pampel Rechtsnatur und Rechtswirkungen horizontaler und vertikaler Leitlinien im reformierten europäischen Wettbewerbsrecht (2005) 96 ff.; ders. EuZW 2005, 11 f. 232 Sehr klar Emmerich/Lange Kartellrecht § 1 Rn. 12. 233 Prägnante Positionsbeschreibung von wettbewerbspolitischem „Instrumentalismus“ einerseits, „Institutionalismus“ andererseits, bei Tuchtfeldt FS Kummer 549, 558 ff.

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A. Wettbewerb und Wirtschaftsordnung

Wettbewerbsrechtliche Hermeneutik und Anwendungspraxis stehen dieser Vielfalt der Wettbewerbskonzeptionen in dem oft festzustellenden „Verständnisgraben“ zwischen Rechtsund Wirtschaftswissenschaften234 jedoch nicht hilf- und orientierungslos gegenüber. Denn nicht etwa sollten nun Juristen gleichsam in fremdem Revier wildern und den wirtschaftstheoretischen, fast vollständig mathematisierten Diskurs speisen. Sie sind vielmehr lediglich zur Entscheidung darüber aufgefordert, welche Wettbewerbskonzeption gerade aus rechtlicher und hier speziell lauterkeitsrechtlicher Sicht vorzugswürdig erscheint.235 Referenzmodell ist dabei der Schutz der wirtschaftlichen Entfaltungsfreiheit von Anbietern und Nachfragern. Schon von diesem Ausgangspunkt aus ist dem systemtheoretischen neoklassischen Wettbe107 werbsansatz, dem neoliberalen Konzept der Wettbewerbsfreiheit, der Vorzug zu geben.236 Denn weil dessen Stoßrichtung schlicht auf individuelle Freiheitssicherung zugunsten der Marktteilnehmer beschränkt ist, verlangt es von der Rechtspraxis gerade kein weiteres Eingehen auf das breite Spektrum von Wettbewerbsleitbildern, die mehr oder weniger deutlich dem mittlerweile auch wirtschaftshistorisch erwiesenen Irrglauben anhängen, der Wettbewerb könne politischen Zielsetzungen dienstbar gemacht werden.237 Wohl aber besteht die Notwendigkeit des reflektierten, verständnisleitenden Bezugs auf dieses sehr einfache Konzept der Wettbewerbsfreiheit und es bedarf des Willens, bei Auslegung und Anwendung wettbewerbsrechtlicher Normen dem Freiheitsprinzip den notwendigen Respekt zu zollen. 108 Als Vorwand, sich dem zu verweigern, kann jedenfalls nicht ein vorgeblicher Mangel an Verständlichkeit238 des Konzepts der Wettbewerbsfreiheit (s. Rn. 92 ff.) geltend gemacht werden: Dessen Kern ist schlicht das Postulat des in dubio pro libertate unter Verzicht auf die Anmaßung umfassenden informatorischen und nomologischen Wissens über jenes real existierende hochkomplexe System wirtschaftlicher Interaktionen, das Markt in seiner konkreten Gestalt genannt wird. Weil sich der Freiheitsinhalt nicht positiv definieren lasse, ohne die Freiheitsgewährung zu 109 konterkarieren, erscheint die neoklassische Konzeption häufig in negativer Formulierung, als Theorie der Wettbewerbsbeschränkung.239 Sie zielt auf die Ermittlung wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen und entspricht damit insoweit konstruktiv der Normierungsphilosophie des GWB, das die Wettbewerbsfreiheit ebenfalls als Kehrseite der dortigen Eingriffstatbestände begreift, also als Abwesenheit von Wettbewerbsbeschränkungen.240 106

234 Rebe S. 38. 235 Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 1 Rn. 41; zustimmend z. B. Lux S. 106 f. 236 Beater JZ 1997, 916, 919 f.; Eppe Zugaben und Rabatte im Anwendungsbereich des UWG (2003) 32 ff.; Fezer/ Büscher/Obergfell/Osterrieth/Schöning S1 Rn. 156 (anders aber wohl § 1 Rn. 73); ders. JZ 1990, 657, 658 ff.; Götting/ Nordemann Einl. Rn. 43; Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 1 Rn. 39 ff.; Kraft GRUR 1980, 966, 968; Merz S. 197 f.; Lux S. 41 ff.; Mestmäcker Wettbewerb S. 88 f.; Möschel Wettbewerbsbeschränkungen S. 20 f.; ders. FS Mestmäcker 356 ff.; Pichler S. 53 f., 57 f.; Schlüter S. 176 ff.; R. Schmidt FS Stober 19, 20 ff.; Schwipps S. 82 ff.; Sosnitza S. 20 f.; ders. in MünchKommUWG Grundl. Rn. 14; s. a. Köhler Wettbewerbsbeschränkungen durch Nachfrager (1977) 7 ff., 14, der in seiner Kritik auf die Begrenztheit, nicht Unrichtigkeit des Konzepts der Wettbewerbsfreiheit zielt); Gloy/Loschelder/Danckwerts/Leistner § 4 Rn. 18; Willeke Grundsätze, passim; a. A., also scharf ablehnend, z. B. Gotthold ZHR 145 (1981) 286 ff. – mit scharfer Replik von Möschel ZHR 145 (1981) 590 ff.; s. a. ders. ZHR 146 (1982) 55 ff.; Neumann S. 183 ff., insbesondere S. 251 ff. 237 Tuchtfeldt FS Kummer 549, 563 spricht in diesem Zusammenhang sarkastisch, freilich mit verunglückter Metapher, von den – in den ehemaligen Ostblockstaaten in ihrem historischen Scheitern exemplarisch vorgeführten – Versuchen, den sog. sozialistischen Wettbewerb unter bestimmte politische Zielvorgaben zu stellen, nämlich zur Behebung politisch begründeter Mangelzustände einzusetzen, als „Kampf gegen Windmühlenflügel“. 238 So aber Ohly S. 222 Fn. 166, der (im Blick auf Schünemann Voraufl. Einl. D Rn. 47) etwas süffisant bemerkt, die „Errungenschaft eines neuen Erklärungsmodells“ (sc. des neoklassisch begriffenen Wettbewerbs) werde „durch einen Verzicht an Verständlichkeit erkauft.“ 239 Hoppmann Fusionskontrolle S. 9 f.; Lux S. 44; Merz S. 219; Möschel Pressekonzentration S. 43; ders. Wettbewerbsbeschränkungen Rn. 69 f.; Rittner Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. (1987) § 13 Rn. 36. 240 S. a. Hoppmann Fusionskontrolle S. 10; ders. Marktmacht und Wettbewerb S. 7 ff.

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II. Wettbewerb im Schnittfeld von Ökonomik und Recht

Einleitung

In dieser Gestalt erlaubt das neoklassische/neoliberale Konzept der Wettbewerbsfreiheit 110 noch einmal leichter die systematische Einordnung der einzelnen Unlauterkeitstatbestände der §§ 4 ff. in einen übergeordneten Zusammenhang und gewinnt einen höheren Grad an lauterkeitsrechtlicher Operationalität: Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Selbstbestimmung der Marktteilnehmer durch Ausübung von Druck (§ 4a), gezielte Behinderung von Mitbewerbern (§ 4 Nr. 4) und Irreführung (§ 5) richten sich allesamt augenfällig gegen die Entschließungsund Handlungsfreiheit der Marktteilnehmer, sind aus der Sicht des auf Wettbewerb und Markt gründenden Ordnungsmodells inadäquat, ja kontraproduktiv und deshalb als ökonomische Aktionsweisen unzulässig. Als zentrale wettbewerbsrechtliche Schutzobjekte weit weniger deutlich erkennbar sind Entschließungs- und Handlungsfreiheit in den übrigen Verbotstatbeständen des UWG. Bei § 7 Abs. 1 ist der über § 4a hinausreichende Gehalt weniger verständlich. Die Norm geht implizit davon aus, dass ein Eindringen in die höchstpersönliche Sphäre des Verbrauchers oder den Eigentumsbereich des Unternehmers offenbar auch seine Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt. In der Sache geht es eher um einen verlängerten Schutz von Eigentum und Privatsphäre. Systematisch überzeugender wäre es, die Praktiken des § 7 in den § 4a zu integrieren. Bei § 5a geht es dagegen um die Umsetzung verhaltensökonomischer Annahmen insoweit, als die Norm versucht, Informationsasymmetrien abzubauen, um reflektierte Entscheidungen zu ermöglichen, also einen Aspekt der wirtschaftlichen Entfaltungsfreiheit, zu stärken. Verlängerungen des Eigentumsschutzes im immateriellen Bereich sind vielfach auch die Fallgruppen, die in § 4 Nr. 1 bis 3 sowie in § 6 erfasst werden. Ähnlich wie die Theorie der Wettbewerbsbeschränkung verfährt das Koordinations- 111 mängeldiagnosekonzept,241 das sich ebenfalls als Ausprägung des neoklassischen Wettbewerbsleitbildes in negativ gewendeter Formulierung verstehen lässt. Das Konzept versucht mit ökonometrischen Methoden die Funktionsfähigkeit von Marktprozessen zu untersuchen. Die Funktion von Märkten wird dabei in der Räumung von Angebot und Nachfrage (market clearing), der Rendite- oder Kapazitätsnormalisierung, dem Abbau von Marktmacht, der Produktinnovation und dem Verfahrensfortschritt gesehen. Funktionsstörungen liegen vor, wenn der aus diesen fünf Zielen zusammengesetzte Regelkreislauf gestört wird. Das Modell soll solche Koordinationsmängel diagnostizieren. Die Forderung der Neoklassik ist bescheiden: In Auslegung und Anwendung des Lauter- 112 keitsrechts ist ein Höchstmaß an individueller wirtschaftlicher Selbstbestimmung der Marktakteure zu gewährleisten, statt vermeintliche „Verbotslücken“242 mit sehr subtilen Argumentationsketten oder gar mit dem schlichten Hinweis auf Überkommenes schließen zu wollen.243 Eben der Verzicht auf die Anmaßung von Wissen, nämlich die Einsicht in den realen ökonomischen Wettbewerb als „black box“, prädestiniert das Konzept der Wettbewerbsfreiheit für eine wettbe241 Vgl. Grossekettler S. 174 f.; Ruffner S. 109 ff. 242 Zur in Deutschland in der wettbewerbsrechtlichen Praxis traditionell verbreiteten „Freude am Verbot“ s. Beater Verbraucherschutz S. 99 ff.

243 Darin liegt neben allgemeinen systematischen Erwägungen (dazu vor allem Schünemann JZ 2005, 271 ff.; ders. WRP 2004, 925 ff.; ders. FS Georgiades 1087 ff.) der Grund, warum die Generalklausel des § 3 Abs. 1 nur auf „Extremund Evidenzfälle“ beschränkt Anwendung finden kann. Dazu ausführlich Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 3 Rn. 77 ff. (Zitat Rn. 102); ders. WRP 2004, 925, 927. Ausdrücklich zustimmend z. B. Boesche Rn. 16; in der Sache zumindest tendenziell ebenso Fezer/Büscher/Obergfell Einl. Rn. 400 f.; Groner Der Rückgriff auf die Generalklausel des § 3 UWG zur Bestimmung der Unlauterkeit einer Wettbewerbshandlung (2008) 215 ff.; Ohly/Sosnitza § 3 Rn. 13; Sosnitza/Kostuch WRP 2008, 166, 168 ff.; a. A. etwa Beater Rn. 1060 (der den Gegenstand der einschlägigen Diskussion in die Nähe einer „Scheinproblematik“ rückt). Auch die Rspr. neigt zu dieser bedenklich weiten Anwendung des § 3 Abs. 1 als eigenständigem Verbotstatbestand, vgl. z. B. BGH 9. 2. 2006 – I ZR 73/02 – GRUR 2006, 426 ff. – Direktansprache am Arbeitsplatz II; BGH 12. 7. 2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 Tz. 22 = GRUR 2007, 890 Tz. 22 – Jugendgefährdende Medien bei ebay; BGH 22. 11. 2007 – I ZR 183/04 – GRUR 2008, 262 Tz. 9 – Direktansprache am Arbeitsplatz III; BGH 16.11.2017 – I ZR 161/16 – GRUR 2018, 535 Tz. 23 – Knochenzement I; OLG Hamburg 28. 9. 2006 – 3 U 78/05 – WRP 2007, 210 – Fliegerzeitschrift; OLG Hamburg 5. 1. 2007 – 3 U 240/06 – WRP 2007, 557 – Testhinweise ohne Fundstelle.

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werbsrechtliche Rezeption. Dieser Ansatz ist „justiziabel“,244 d. h. für Justiz und sonstige Rechtsanwender handhabbar und nützlich, ja, bildet geradezu den „Königsweg“245 und kann einen sinnvollen transdisziplinären Beitrag leisten. Ohne diesen Bezug ausdrücklich herzustellen, unterstreicht auch die neuere höchstrichterliche Rechtsprechung die zentrale Bedeutung der Wettbewerbsfreiheit für die richtige Handhabung des Lauterkeitsrechtes.246 Es bedarf aber einer Zuordnung dieser Position zu einem bestimmten, hier also dem neoklassischen Wettbewerbskonzept, um sie in ihrem Aussagegehalt deutlicher zu fassen. Der für das neoklassische Konzept der Wettbewerbsfreiheit charakteristische Verzicht auf die „Anmaßung von Wissen“247 um die Hochkomplexität der Marktprozesse fordert in der lauterkeitsrechtlichen Praxis vor allem, bei Auslegung und Anwendung lauterkeitsrechtlicher Einzelnormen von eher willkürlichen, nicht einmal wohlfahrtsökonomisch hinreichend hinterlegten Spekulationen, etwa unter der Rubrik „Folgeerwägungen“, „Nachahmungsgefahr“, „Marktstörung“ oder „Allgemeine Marktbehinderung“, aber etwa auch von „subjektiven Unlauterkeitsmerkmalen“ Abstand zu halten.248 Dafür ist von Bedeutung, dass sich die Marktteilnehmer spontan und autonom auf der Basis einer unendlichen Fülle von Informationen sowie weitestgehend unbekannter und sich zudem dauernd wandelnder Präferenzen in hochkomplexen Parallel- und Austauschprozessen organisieren. Für die dadurch geschaffenen konkreten Verhältnisse gibt es keine robusten kausalen Erklärungen, sodass umgekehrt auch ihre Projektion in die Zukunft, eben als Folgeerwägungen, haltlos sind, wenn sie über nur „musterhafte“, auf modellreduktiver Grundlage gemachte und damit von der Realität abstrahierende Voraussagen hinausgehen.249 Laborexperimentelle Verhaltensüberprüfungen helfen dabei, Annahmen plausibler zu machen, sie unterliegen oftmals aber komplexen Umweltbedingungen, deren Verallgemeinerung denn doch von Unsicherheiten geprägt ist. Ein wettbewerbsrechtliches Leitbild, das die wirtschaftliche Freiheit als Selbstzweck in den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellt,250 harmoniert schließlich schon seiner konzeptionellen Natur nach mit einer verfassungsmäßigen Ordnung Deutschlands, in der durch Artt. 1 und 2 GG Freiheit und Selbstbestimmung der Individuen als Bestandteil und Ausdruck menschlicher Würde ganz allgemein ein herausragender Stellenwert zugemessen wird251 (nä-

244 So schon Baumbach/Hefermehl Allg. Rn. 16c; fortführend Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 1.16; ebenso z. B. Götting/Kaiser/Hetmank Wettbewerbsrecht § 1 Rn. 5; Götting/Nordemann Einl. Rn. 43 (mit missverständlicher Überschrift, die die „Unverbindlichkeit wettbewerbspolitischer Konzeptionen“ benennt, obwohl es im Text dann heißt, den „einzige(n) justiziablen Ansatzpunkt für die rechtliche Bewertung (liefere) die Konzeption der Wettbewerbsfreiheit“); Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 1 Rn. 42; I. Schmidt WuW 2005, 879. 245 R. Schmidt FS Stober 19 („Neoliberalismus als Königsweg“). 246 BGH 25. 4. 2002 – I ZR 250/00 – BGHZ 150, 343, 347 f. = GRUR 2002, 825, 826 – Elektroarbeiten; BGH 20. 11. 2003 – I ZR 151/01 – BGHZ 157, 55, 64 f. = GRUR 2004, 602, 604 f. – 20 Minuten Köln; BGH 22. 1. 2014 – I ZR 164/12 – GRUR 2014, 393, 397 – wetteronline.de; BGH 4. 5. 2016 – I ZR 58/14 – BGHZ 210, 144, 174 = GRUR 2017, 79, 87 – Segmentstruktur. 247 v. Hayek ORDO 26 (1975) 12 ff. 248 Ausführlicher Nachweis derartiger Argumentationen und diese scharf ablehnend, jeweils m. w. N., Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 3 Rn. 260 f., 329 ff., 345 ff.; ders. Ökonomische Analyse S.74.; s. ferner gleichsinnig (zu Nachahmungsgefahr und „allgemeiner Marktbehinderung“) Schwipps S. 109 f., 155 ff., 190. 249 Eingehend Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 3 Rn. 335 ff. 250 S. a. Fezer JZ 1990, 657, 661. Zur sog. gesellschaftspolitischen Funktion der Wirtschaftsordnung im Allgemeinen und in der auf Wettbewerb gründenden Wirtschaftsordnung im Besonderen: Böhm in Kartelle und Monopole im modernen Recht I (1961) 3 ff.; Cox/Hübener in Cox/Jens/Markert (Hrsg.) I.2.b; Mestmäcker JZ 1964, 441 ff.; ders. AcP 168 (1968) 235 ff.; Möschel Wettbewerbsbeschränkungen Rn. 1; Thieme, passim, insbesondere A 3.4. 251 Fezer/Büscher/Obergfell/Osterrieht/Schönig S 1 Rn. 60; Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 1 Rn. 28; Hoppmann Grundlagen S. 9, 17, 25 f.; Lux S. 45; Merz S. 200, 216; Möschel Rechtsordnung S. 13 f.; Schlüter S. 91.

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her dazu Rn. 165 ff., 172 f.). Möglicherweise verlangt eine solche wirtschaftsverfassungsrechtliche Umgebung sogar die Übernahme des Konzepts der Wettbewerbsfreiheit. Auf unionsrechtlicher Ebene ergibt sich zumindest bei oberflächlicher Betrachtung kein einheitliches Bild: Einerseits reklamieren Artt. 119 f. AEUV gleich dreimal den Grundsatz einer „offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ und damit in der Sache das neoklassische Konzept der Wettbewerbsfreiheit und der selbstreferenziellen Marktprozesse. Andererseits finden sich im europäischen Primärrecht zahlreiche Anknüpfungsmöglichkeiten für ein wohlfahrtsökonomisches Wettbewerbsverständnis, das den Wettbewerb als Instrument zur Erreichung z. B. industrie-, agrar- oder verbraucherpolitischer Ziele einsetzen will bzw. das Wettbewerbsprinzip gänzlich zurückdrängt.252 Diese augenfällige Zwiespältigkeit, die historisch-genetisch politische Spielräume auf supranationaler wie nationaler Ebene eröffnet, ist konzeptionell unbefriedigend und sollte zugunsten der Wettbewerbsfreiheit entschieden werden.253 Art. 120 S. 2 AEUV, der ausdrücklich auf den Effizienzaspekt zu sprechen kommt, liefert kein Gegenargument. Denn dort wird bei genauem Hinsehen doch ganz i.S. neoklassischer Vorstellungen (s. Rn. 98 f., 105) der „effiziente Einsatz der Ressourcen“ als Wirkung des freien Wettbewerbs zum Ausdruck gebracht.254 Dass nur das Konzept der Wettbewerbsfreiheit als das natürliche ökonomische Äquivalent einer freiheitlich verfassten Gesellschaftsordnung zu gelten hat,255 ist noch auszuführen (s. zur deutschen und zur europäischen Wirtschaftsverfassung Rn. 139 ff., 258 ff.). Auf dem Boden des neoklassischen Konzepts der Wettbewerbsfreiheit gewinnt auch das heute in Abkehr von früher gängigen wirtschaftsmoralischen Positionen256 trotz Art. 5 Abs. 2 i. V. m. Art. 2 lit. h) RL 2005/29/EG257 zutreffend grundsätzlich nicht mehr in Frage gestellte Postulat eines wettbewerbsfunktionalen Verständnisses des Lauterkeitsrechts258 seine wettbewerbskonzeptionelle Bedeutung:259 Es geht hierbei gerade nicht darum, dem Wettbewerb bestimmte Funktionen i.S. der Wohlfahrtsökonomik zuzuweisen, ihm also konkrete gesamtwirtschaftliche Ziele zuzuordnen. So aber wird eine „konsequent funktionale Betrachtungsweise“ des Wettbewerbsrechts gelegentlich verstanden.260 Abzustellen sei bei der Auslegung wettbewerbsrechtlicher Normen gerade auf die positiven (Markt-)Ergebnisse, die vom Wettbewerb zu erwarten seien, nicht lediglich auf den Wettbewerbsprozess als solchen. Diese Forderung wäre freilich nur erfüllbar, wenn 252 Ausführlich Basedow Wirtschaftsverfassung S. 26 ff.; Harte/Henning/Glöckner Einl. B Rn. 283 ff.; Mestmäcker Wirtschaftsverfassung, passim.

253 Ablehnung einer Effizienzorientierung des Lauterkeitsrechts aufgrund europarechtlicher Einflüsse z. B. auch durch den „more economic approach“ bei Pichler S. 127 ff., 134. 254 „(…) offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb, wodurch (Hervorhebung v. Verf.) ein effizienter Einsatz der Ressourcen gefördert wird, (…)“. 255 Hoppmann Grundlagen S. 9, 17 ff., 215 ff.; v. Hayek Freiburger Studien S. 108 ff.; s. a. Mestmäcker Verwalteter Wettbewerb S. 88 ff.; Merz S. 200, 216; Möschel Der Oligopolmißbrauch im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen (1974) 9 ff.; ders. Rechtsordnung S. 13 f. 256 Namentlich zur sog. (älteren) Anstandsformel, die der früher h.M. den normativen Dreh- und Angelpunkt des Lauterkeitsrechts lieferte, Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 3 Rn. 131 ff. m. w. N. 257 Dort wird für die Bestimmung der Unlauterkeit auf den Verstoß gegen „anständige Marktgepflogenheiten“ abgestellt. 258 So für viele z. B. BGH 26. 9. 2002 – I ZR 293/99 – GRUR 2003, 164, 165 – Altautoverwertung; BGH 10. 1. 2013 – I ZR 190/11 – GRUR 2013, 945, 946 f. – Standardisierte Mandatsbearbeitung; Drews S. 30, 279; Emmerich/Lange Unlauterer Wettbewerb § 5 Rn. 10 f.; Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 3 Rn. 199 ff.; ders. Ökonomische Analyse S. 62 ff.; Lux S. 53 ff.; Nemeczek WRP 2012, 1025, 1028; Pichler S. 88 ff., 102; Schlüter S. 65 ff.; Ullmann GRUR 2003, 817, 820. 259 Zur Bedeutungsvielfalt und dem häufig nicht explizit gemachten Begriffsverständnis eingehend Tyllack S. 264 ff. 260 Baudenbacher ZHR 144 (1980) 145 ff., 170; ders. GRUR 1981, 19; ders. GRUR Int. 1981, 162; ders. Suggestivwerbung S. 134 ff.; MünchKommKartR/Säcker, B. I Einl. A Rn. 3 ff.; s. a. Hetmank GRUR 2014. 437, 438 ff.; Schluep GRUR Int. 1973, 446, 452.

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jenen Wettbewerbskonzepten gefolgt werden könnte, die den Wettbewerb für instrumentalisierbar halten.261 122 Geradezu verfehlt aber wäre es, eine „funktionale Betrachtungsweise“ des Lauterkeitsrechts als argumentatives Vehikel gebrauchen zu wollen, um den Marktakteuren im Produktions- oder Distributionsprozess bestimmte Aufgaben übertragen zu wollen, etwa „Funktionen“ als „Zulieferanten“, als „Groß- bzw. Einzelhändler“ im tradierten Sinn, um dann davon abweichende, innovative Organisationsmodelle in Wertschöpfungsketten als „funktionswidrig“ zu diskreditieren und lauterkeitsrechtlich zu sanktionieren.262 Denn diese Funktionen sind lediglich die Resultanten der frei beweglichen Marktkräfte im sog. Stufenwettbewerb und Ausdruck autonomer Koordination der Marktteilnehmer in einer bestimmten historischen Situation.263 Diese Funktionen sind deshalb ebenso wandelbar wie die Zeitläufe.264 123 Mit der Idee der Wettbewerbsfreiheit ist der Funktionsbegriff nur vereinbar, soweit er auf den Marktmechanismus als solchen gemünzt ist, also auf den freien, unverfälschten Wettbewerbsprozess, auf sein „Funktionieren“ in Freiheit.265 Konkrete Marktergebnisse erfüllen dabei eo ipso abstrakte Wettbewerbsfunktionen wie z. B. nachfragedeterminierte Angebotsstruktur, optimale Faktorallokation, produktkapazitative Anpassungsflexibilität sowie Fortschrittsstimulation, sofern nur diese Marktergebnisse unter wettbewerblichen Funktionsbedingungen zustande gekommen sind, also in Ausübung von Handlungs- und Entscheidungsfreiheit der Marktteilnehmer (s. bereits Rn. 98 f.).

III. Wettbewerbsfunktionales Verständnis und Ethik des Wettbewerbs266 124 Die Frage, ob es eine Ethik des Wettbewerbs gibt, ist für die Entwicklung des UWG durchaus kennzeichnend. Da bereits die Generalklausel des § 1 UWG 1909 den Verstoß gegen die „guten Sitten“ als kennzeichnend für ein unlauteres Verhalten ansah, stellte sich früh die Frage, ob der Verstoß gegen die Sittlichkeit, d. h. auch die Überzeugung davon, was nach Vorstellungen einer allgemeinen Moral unredlich ist, bei der Beurteilung von Wettbewerbshandlungen eine Rolle spielen soll. In der Diskussion dieser Frage setzte sich mehr und mehr die Überzeugung durch, dass es jedenfalls nicht um die Durchsetzung einer Allgemeinmoral durch das Wettbewerbsrecht gehen soll, sondern allenfalls die Kaufmannsethik267 oder moderner: eine Wirtschaftsethik

261 Deutlich erkennbar bei Baudenbacher ZHR 144 (1980) 145, 154; ders. Suggestivwerbung. S. 150. Unklar ist der wettbewerbstheoretische Hintergrund hingegen bei Rebe S. 144. Zur Kritik s. a. Rehbinder ZHR 143 (1979) 349. 262 So aber für seinerzeit neuartige Vertriebsmethoden BGH 17. 12. 1976 – I ZR 77/75 – GRUR 1977, 619, 621 – Eintrittsgeld; BGH 17. 11. 1972 – I ZR 71/71 – GRUR 1973, 475 f. – Preisausschreiben; BGH 3. 12. 1976 – I ZR 34/75 – GRUR 1977, 257 – Schaufensteraktion. Normative Marktstufen-Funktionen unterstellt auch OLG Saarbrücken 6. 4. 1977 – 1 U 223/76 – WRP 1977, 364, 366 – Globus II. Ähnlich wohl Ulmer WuW 1978, 330, 333 ff.; Franzen/ Giessen BB 1978, 1632; Hahn Behinderungsmißbräuche marktbeherrschender Unternehmen (1984) 172; Kaligin WRP 1981, 129 f. Dagegen zutreffend Loewenheim GRUR 1976, 224, 226; Tyllack S. 273; grundsätzlicher Schünemann Wettbewerbsrecht S. 129; vgl. weiterhin Merz S. 148 m. w. N. 263 Eingehend Schünemann Voraufl. § 1 C Rn. 16 ff. 264 Barth/Möhlenbruch DB 1983, 593, 596; Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 3 Rn. 259; Knöpfle Unlauterkeit S. 86; Loewenheim GRUR 1976, 224, 226; Meier WRP 1982, 135 f.; Merz S. 148; Sosnitza S. 105 ff. 265 Zu diesem Funktionsverständnis vgl. namentlich Hoppmann Wirtschaftsordnung S. 274 sowie schon Burmann WRP 1967, 240, 243 ff.; 1968, 258, 261 f.; 1972, 511, 513 ff.; 1974, 596, 599; s. a. Schricker GRUR 1980, 194 ff., insbesondere 203; ferner die Wendungen in der amtlichen Begründung zum Regierungsentwurf der 4. GWB-Novelle WuW 1980, 337, 342. 266 Die pointiert kritischen Ausführungen von Schünemann in der Vorauflage zu diesem Punkt wurden erheblich abgeändert. 267 BGH 28. 3. 1969 – I ZR 33/67 – GRUR 1969, 474, 476 – Bierbezug: „einheitliche und gefestigte Standesüberzeugung“, die „auch von dem insoweit mit zu berücksichtigenden Standpunkt der Allgemeinheit aus als verwerflich anzusehen ist“.

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Maßstab dafür sein kann, was unlauter ist. Allerdings ist eine eingerissene Branchenübung nicht allein wegen ihrer Üblichkeit Bestandteil einer rechtlich zu beachtenden Kaufmannsethik.268 Mit der Aufgabe des Begriffs der guten Sitten im UWG 2004 verband sich die Überzeugung, dass der Begriff der Unlauterkeit wettbewerbsfunktional zu bestimmen ist (vgl. Rn. 17).269 Die wirtschaftsethische Dimension des Marktes und der in ihm wirkenden Wettbewerbsprozesse wird dadurch nicht ausgeblendet, aber stärker auf die Wettbewerbsfunktionen bezogen.270 Eine geschäftliche Handlung ist daher erst und nur unlauter, wenn sie die Funktionsweise der Wettbewerbsprozesse beeinträchtigen kann. Für die systemtheoretisch ausgerichteten Wettbewerbskonzeptionen ist ihr wirtschafts- 125 ethischer Gehalt durchweg offensichtlich, da sie sämtlich um die Gewährleistung von Freiheit kreisen, also um eine Fundamentalkategorie ethischer Diskurse, und zwar bezogen auf die individuelle Freiheit jedes einzelnen Marktteilnehmers271 (vgl. dazu bereits Rn. 59, 64, 85 ff., 92 ff., 98 ff.). Aber auch die wohlfahrtsökonomisch geprägten Wettbewerbskonzeptionen gründen auf wirtschaftsethischen Überzeugungen.272 Der Fokus liegt hier allerdings auf dem kollektiven Wohlergehen der Wirtschaftsgesellschaft, während den in ihr ökonomisch agierenden Individuen wenig Eigenwert beigemessen wird. Charakterisch für die hier zu Eigen gemachte systemtheoretisch aufgestellte neoklassische 126 Konzeption der Wettbewerbsfreiheit ist eine Verschiebung des ethischen Fokus weg von der moralischen Bewertung des einzelnen geschäftlich Handelnden und seiner Motive hin zur freiheitlich-wettbewerbsgesteuerten Marktwirtschaft und der in ihr beschlossenen Prinzipien und Institutionen. Daher ist ein nach den Vorstellungen der Allgemeinmoral anstößiges oder unsittliches Verhalten nicht allein deswegen auch wettbewerblich unlauter. Das betrifft insbesondere diskriminierende,273 „grob anstößige“ oder ärgerniserregende Darstellungen in der Werbung, die nach früherer Überzeugung leistungswettbewerbsfeindlich sind,274 nach heutigen Maßstäben jedoch nicht mit den Mitteln des Wettbewerbsrechts bekämpft werden können.275 Eine Unlauterkeit kommt erst in Betracht, wenn mit Darstellungen der genannten Art über wettbewerbliche Zusammenhänge getäuscht (§ 5 UWG), wenn wesentliche Informationen in einer Werbung über ethische Produktionsmethoden vorenthalten werden oder mit einem ethischen Engagement Druck auf Entscheidungsprozesse von Verbraucher-innen aufgebaut wird. Moralisches Verhalten dient allerdings zunehmend als Werbeargument und als Public 127 Relations-Instrument. Unternehmen haben ein wachsendes Interesse daran, sich als „good corporate citizens“ zu präsentieren, zumal Marktentscheidungsprozesse von Abnehmern zuneh268 BGH 3. 7. 1981 – I ZR 84/79 – GRUR 1982, 53, 57 – Bäckerfachzeitschrift möchte nur den „redlichen Verkehr“ berücksichtigen; vgl. auch BGH 18. 3. 1959 – I ZR 182/58 – BGHZ 30, 7, 16 f. = GRUR 1959, 430, 433 – Caterina Valente. 269 Zum wettbewerbsfunktionalen Verständnis des Lauterkeitsrechts s. bereits grundlegend Schünemann Voraufl. Einl. D Rn. 37 ff.; Harte/Henning/ders. (2. Aufl. 2009) § 3 Rn. 124, 199 ff. mit umfassenden Nachw. 270 Grundsätzlich dazu (sehr kritisch zum Wettbewerb als ethisch begründbare Kategorie) Thielemann z. B. S. 12 ff. und passim, insbesondere S. 277 ff. S. demgegenüber Grawert Der Staat 50 (2011) 227, 228 ff. mit diversen Ansätzen zur Legitimität der Wettbewerbswirtschaft. Eingehende speziell am Lauterkeitsrecht orientierte Diskussion zum Verhältnis von Ethik und Wirtschaftsrecht bei Peifer S. 127 ff. 271 S. hier nur Hauer, passim, insbesondere S. 104 ff., 138 ff. 272 Dazu eingehend Binder S. 13 ff., 73 ff. 273 Explizit verboten ist diskriminierende Werbung in Norwegen, vgl. § 1 Abs. 2 norwegisches Marktgesetz, hierzu und zur Zurückhaltung in den übrigen Ländern Kur Die „geschlechtsdiskriminierende Werbung“ im Recht der nordischen Länder, WRP 1995, 790–796; Wassermeyer Diskriminierende Werbung (2000), S. 203; für eine Übernahme des Verbots in das deutsche Wettbewerbsrecht mit beachtlichen (grundrechtlichen) Argumenten Völzmann Geschlechtsdiskriminierende Wirtschaftswerbung (2014). 274 BGH 18. 5. 1995 – I ZR 91/93 – NJW 1995, 2486, 2487 – Busengrabscher/Schlüpferstürmer; BGH 6. 7. 1995 – I ZR 180/94 – BGHZ 130, 196 = GRUR 1995, 598, 599 – Ölverschmutzte Ente; BGH 6. 7. 1995 – I ZR 180/94 – GRUR 1995, 600, 601 – H.I.V. POSITIVE. 275 BVerfG 12. 12. 2000 – 1 BvR 1762/95 u. 1787/95 – BVerfGE 102, 347, 366 ff. = NJW 2001, 591, 593 – Benetton I; BVerfG 11. 3. 2003 – 1 BvR 416/02 – BVerfGE 107, 275, 283 ff. = NJW 2003, 1303, 1304 – Benetton II.

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mend auch dadurch beeinflusst werden, dass Produktangebote, Produktionsbedingungen und auch die Behandlung von Arbeitnehmern Anlässe sein können, die Auswahlentscheidung der Konsumenten zu beeinflussen. Eine dadurch beeinflusste „Sozialethik“ neigt dazu, im gesellschaftlichen Leben und damit auch auf Märkten an den einzelnen Akteur für das wirtschaftlich Verhalten relevante Forderungen zu stellen, die das Kaufverhalten beeinflussen können. Die daraus entwickelte Sozialethik wird zur Unternehmensethik, wenn die Forderung nach einer Tabuisierung bestimmten wirtschaftlichen Verhaltens von Unternehmen nolens volens aufgegriffen und zum Maßstab des unternehmerischen Handelns gemacht wird. Der in der Werbung betonte Verzicht auf den Handel mit moralisch als problematisch angesehenen Produkten, das Versprechen, der Befolgung von Arbeits- und Umweltstandards in der Produktion, selbst das Versprechen gesellschaftliche Konventionen und Anstandsregeln zu beachten, kann damit wettbewerbliche Relevanz erhalten, wenn Abnehmer ihre Marktentscheidungen auf diese Versprechen anpassen. Daraus folgt selbstverständlich keine Pflicht von Unternehmen, etwa auf den Handel mit bestimmten Waren (Tabak, Alkohol, Echtpelze) zu verzichten, solange der Gesetzgeber diesen Handel nicht beschränkt. Allerdings dürfen kommunikative Prozesse nicht die Befolgung von Nachhaltigkeitspostulaten versprechen, wenn dieses Versprechen tatsächlich nicht eingelöst wird. Daraus folgt nicht, dass freiheitlich-wettbewerbsgesteuerte Märkte einen „neuen Menschen“ erfordern, sie können auch unter der in anonymen Großgesellschaften realistischen Annahme individuellen Eigennutzes der Marktakteure funktionieren, auch wenn sie diese Triebfeder keineswegs voraussetzen.276 Eine mit wettbewerbsrechtlichen, speziell auch lauterkeitsrechtlichen Mitteln erzwungene, der freiheitlich-wettbewerblichen Ordnung des Marktes gegenüber transzendente Moral, der Versuch also, in der einzelnen geschäftlichen Handlung den unmittelbaren Ausdruck des wirtschaftsethisch Gesollten herbeiführen zu wollen, ist daher in der modernen Realität im Ansatz verfehlt und kontraproduktiv,277 weil sie Wahlfreiheiten verengt, die Marktteilnehmer im Wettbewerbsprozess haben und behalten müssen. Die Haltung, eine von „sozialer Kälte“ geprägte freiheitlich-wettbewerbsgesteuerte Marktwirtschaft278 müsse zur Vermeidung von Auswüchsen durch ethisch fundierte Interventionen nicht zuletzt des Wettbewerbsrechtes erst „gezügelt“ werden, um ethisch tragbar zu sein,279 verkennt, dass auch das klassische Konzept der Wettbewerbsfreiheit Teil einer genuinen Ordnungs- und Institutionsethik ist.280 Bereits Adam Smith hatte sein noch heute wegweisendes Credo für eine auf Freiheit und Wettbewerb gründende Marktwirtschaft unter der Voraussetzung ihrer institutionellen Gewährleistung nicht nur ökonomisch, sondern als Moralphilosoph auch ethisch begründet281 (s. bereits Rn. 58 f.). Seine historische Leistung jenseits der theoretischen Grundlegung einer freiheitlich-wettbewerblich gesteuerten Marktwirtschaft ist die von Smith maßgeblich initiierte „paradigmatische Wende“282 in der Sozialethik am Beispiel der Wirtschaftsethik eben als Ordnungs- und Institutionenethik: Selbstverantwortung, Respekt vor den Bedürfnissen Anderer in nachfragegesteuerter Angebotspolitik, Einhegung der Selbstsucht durch die Notwendigkeit vertraglichen Handelns bei

276 Hackmann S. 261; Lachmann Ethik S. 22; s. a. Schünemann ETHICA 1997, 115, 130 f. 277 Dazu eingehend anhand eines spieltheoretisch notorischen Gefangenen-Dilemmas: Homann/Blome-Drees S. 35 ff. m. w. N.; Lachmann Gedächtnisschrift Helm S. 531 ff. 278 Vgl. nur di Fabio, zitiert nach Meessen JZ 2009, 697: Wettbewerb als „Kältestrom der Gesellschaft“. 279 Vgl. die Nachw. bei Meessen JZ 2009, 697. 280 So in fast wörtlicher Übernahme Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 3 Rn. 266 Fn. 469 unter Bezugnahme auf Lachmann Gedächtnisschrift Helm S. 531 m. w. N. Der Islam dürfte sich in seiner grundsätzlich ablehnenden Haltung gegenüber einer Marktwirtschaft in freiheitlichem Wettbewerb mit dem Christentum einig sein. 281 Hauer S. 104 ff.; Lachmann Gedächtnisschrift Helm S. 530. 282 Homann/Blome-Drees S. 48; s. a. K. I. Horn S. 44 ff.

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III. Wettbewerbsfunktionales Verständnis und Ethik des Wettbewerbs

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Rechtsgleichheit aller Marktteilnehmer, Förderung menschlicher Kreativität sowie nachhaltiger und schonender, weil effizienter Ressourceneinsatz, um nur einige markante Stichworte für moralische Werte zu liefern,283 stehen in keinem Gegensatz zu wettbewerblichen Prozessen, sondern sie können Teil dieser Prozesse sein, sofern sie Handlungs- und Wahlfreiheiten der Marktteilnehmer als Teil der durch das Wettbewerbsrecht geschützten Entfaltungsfreiheit respektieren. Für eine spezifische Unternehmens- oder Geschäftsethik ist in einer Wettbewerbswirtschaft also dort Raum, wo diese Ethik Teil der unternehmerischen Kommunikation wird. Der wirtschaftlich Handelnde wird nicht durch das Wettbewerbsrecht gezwungen, sein Verhalten allgemeinen Moralvorstellungen anzupassen. Sofern Moralvorstellungen Wettbewerbsdruck erzeugen, denen Unternehmer nachgeben, indem sie ihr Angebots- und Kommunikationsverhalten gezielt auf solche Verhaltensweisen ausrichten, müssen die Gebote von Wahrheit, Transparenz und Wahlfreiheit der Abnehmer respektiert werden. Die Bemühungen von Unternehmen, eine eigenständige Corporate Social Responsibility (CSR)284 zu entwickeln, werden insoweit Teil des Wettbewerbsverhaltens.285 Unternehmen verteidigen diese Position auch verstärkt, indem sie gegen jede äußere Bedrohung ihrer Marktreputation durch Produktkritik oder Markenimagebeeinträchtigungen engagiert vorgehen, zunehmend auch die CSR als Teil eines behaupteten Unternehmenspersönlichkeitsrechts verteidigen.286 Auch insoweit geht es allerdings nicht um eine „paradigmatische Wende“ in der Entwicklung der Sozialethik, insbesondere auch nicht darum, die CSR-Kriterienkataloge zur Basis eines „sozialethischen Leistungswettbewerbes“ zu machen und die dort zusammengeführten Standards per se „innerhalb des Lauterkeitsrechts als rechtserheblich anzuerkennen“.287 Allerdings könnten kommunikative Zusagen in diesem Bereich durchaus marktentscheidungserheblich sein. Das Wettbewerbsrecht fördert auf Ebene des Unions-, aber auch des nationalen Rechts diese Form von Verhaltensbindung, etwa durch die Beachtlichkeit von Codes of Conduct und Gütezeichen (§ 3 Abs. 3 mit Nrn. 1–4 des Anhangs zum UWG). Eine Verpflichtung hierzu setzt allerdings nicht der Staat oder das staatliche Recht, sondern die Unternehmen selbst formulieren diejenigen Verhaltensmaßstäbe, an die sie sich binden wollen.288 Die Wirtschaftswissenschaften sprechen insoweit von einer Handlungs- oder Unternehmensethik als ein selbst verordnetes ethisches Verhalten, das nach einer Vorteils-/Nachteilsabwägung gewählt wird in der Hoffnung, dass hieraus Vertrauen und Sympathie zunächst als Sozialkapital hernach aber auch als wirtschaftliches Kapital in Form besserer und stabilerer Absatzbeziehungen entsteht.289

283 Schünemann ETHICA 1997, 115, 130 f.; s. a. K. I. Horn S. 111 ff.; Lachmann Ethik S. 15 ff. mit eindrucksvollem Streifzug durch die Vielfalt der Aspekte, die in der Ordnungs- und Institutionenethik der freiheitlich-wettbewerbsgesteuerten Marktwirtschaft beschlossen sind. Zweifelnd Meessen JZ 2009, 697, 706. 284 Dazu Peifer S. 129 f. 285 Vgl. Fezer/Büscher/Obergfell Einl. Rn. 366 f.; ähnlich wohl Mittelstraß Wirtschaft und Ethos, FAZ v. 9. 10. 2009, S. 12; pointiert a.A. Schünemann in der Vorauflage. 286 BGH 11. 3. 2008 – VI ZR 7/07 – NJW 2008, 2110 – Gen-Milch m. Anm. Gostomczyk NJW 2008, 2082; BGH 10. 4. 2018 – VI ZR 396/16 – NJW 2018, 2877 m. Anm. Gostomczyk (Filmaufnahmen auf Unternehmensgelände); OLG Hamburg 10. 4. 2007 – 7 U 143/06 – ZUM 2007, 143 (Filmische Aufarbeitung der Contergan-Affaire als behauptete Verletzung des Unternehmenspersönlichkeitsrechts des betroffenen Unternehmens); Born Gen-Milch und Goodwill – Äußerungsrechtlicher Schutz durch das Unternehmenspersönlichkeitsrecht, AfP 2005, 110; Brinkmann Der äußerungsrechtliche Unternehmensschutz in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, GRUR 1988, 516. 287 Fezer/Büscher/Obergfell Einl. Rn. 370. 288 Fezer/Büscher/Obergfell Einl. Rn. 370. 289 Zu diesem Kalkül Gary S. Becker The Economic Approach to Human Behavior (1976), dt. Fassung: Der ökonomische Ansatz zur Erklärung menschlichen Verhaltens (1993).

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IV. Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsverfassung 1. Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes 139 a) Terminologie. Der Begriff der Wirtschaftsverfassung ist vielschichtig.290 In grober Unterteilung lassen sich jedenfalls sozialhistorisch-deskriptive, ökonomische und rechtliche Bedeutungsvarianten unterscheiden, je nachdem, ob die Zustandsbeschreibung der Volkswirtschaft (z. B. prosperierend), die Angabe des in ihr wirksamen ökonomischen Gesamtzusammenhangs der Güter und Dienstleistungen (z. B. nach dem Ordnungsprinzip Wettbewerb) oder die rechtlich-normativen Strukturen des Wirtschaftslebens bezeichnet werden sollen. Auf dieser normativen Ebene ist als Wirtschaftsverfassung im weiteren oder materiellen Sinne die Summe sowohl der verfassungsrechtlichen als auch sonstiger grundlegender Bestimmungen über das Verhältnis von Staat und Wirtschaft und der inneren Ordnung der Wirtschaft zu verstehen. 140 Ein engerer, formeller Begriffsgebrauch von Wirtschaftsverfassung hingegen beschränkt sich auf die verfassungsrechtlichen Maßgaben, schließt also Normkomplexe wie namentlich GWB und UWG sowie StabG, GewO etc. aus. 141 Der Frage nach der Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes291 liegt mithin ein rechtlicher und dabei enger Begriff der Wirtschaftsverfassung zugrunde. Dieser formelle Begriff der Wirtschaftsverfassung bzw. des Wirtschaftsverfassungsrechtes ist aber auch ansonsten beizubehalten, um der Versuchung zu entgehen, die Dignität des Verfassungsrechtes für wirtschaftliche Ordnungsziele und Ordnungsmittel in Anspruch zu nehmen, denen kein Verfassungsrang zukommt.292 Demgegenüber fehlt dem Begriff der Wirtschaftsordnung von vornherein eine ähnliche 142 Brisanz. Terminologische Sensibilitäten sind deshalb hier weniger vonnöten. Normativ kann unter Wirtschaftsordnung sonach dasselbe verstanden werden wie unter dem materiellen Rechtsbegriff der Wirtschaftsverfassung, also die Gesamtheit der für das Wirtschaftsleben basalen Bestimmungen und Institutionen ohne Rücksicht auf die Hierarchie der Rechtsquellen.293 Empirisch-deskriptiv gewendet nimmt „Wirtschaftsordnung“ hingegen auf die „tatsächlichen Prägungen“ des Wirtschaftslebens Bezug.294

143 b) „Wirtschaftspolitische Neutralität“ des GG? Im Gegensatz etwa zur Weimarer Reichsverfassung (dort Artt. 151–165) und den Verfassungen einiger Bundesländer (Brandenburg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Thüringen), aber auch Art. 120 S. 2 AEUV (auf „Grundsätzen der Marktwirtschaft und der Wettbewerbsfreiheit“ beruhende Wirtschaftsordnung), enthält das GG keinen eigenen, der Wirtschaftsordnung gewidmeten Abschnitt. Der Verfassungswortlaut enthält sich sogar der Fixierung eines bestimmten ökonomischen Systems in allgemeinster Form. Wo das GG überhaupt auf den ökonomischen Komplex ausdrücklich zu sprechen kommt, handelt es sich um Gesetzgebungs- bzw. Verwaltungskompetenzen sowie um haushaltswirtschaftliche Normen (Artt. 74 Nr. 11, 15, 16, 17; 91a Abs. 1 Nr. 2;

290 Vgl. z. B. Badura JuS 1976, 205; Basedow S. 6 ff.; Bruhn S. 26; Drexl S. 218 ff.; Fikentscher Bd. II § 20 I 2; Leisner FS R. Schmidt 363 ff.; Mühl DÖV 1976, 224, 225 f.; Rebe S. 28 ff.; Rinck/Schwark Rn. 49; Rittner/Dreher § 2 Rn. 1 ff., 9 ff.; Rupp HdWW S. 141; R. Schmidt Öffentliches Wirtschaftsrecht S. 68 ff.; ders. Wirtschaftspolitik S. 89 ff.; Schwarze S. 27 f.; Stober/Korte Öff. Wirtschaftsrecht Allg. Teil Rn. 44. 291 Die Diskussion verdichtet referierend und zugleich gehaltvoll bereichernd Müller-Graff S. 246 ff. 292 Zacher FS Böhm 63, 78; ihm folgend R. Schmidt Wirtschaftspolitik S. 93; ebenso Rinck/Schwark Rn. 60. 293 Bruhn S. 27; s. a. Rebe S. 33; Rinck/Schwark Rn. 50. 294 R. Schmidt Wirtschaftspolitik S. 92 unter Hinweis auf Lütge; ders. Öffentliches Wirtschaftsrecht S. 71; Karsten Schmollers Jahrbuch 88 (1968) 129; ebenfalls in diesem Sinne z. B. BVerfG 20. 7. 1954 – 1 BvR 459/52 u. a. – BVerfGE 4, 7 – Investitionshilfe; s. a. Bohling S. 1; Mühl DÖV 1967, 224, 225; Rebe S. 32 ff.; sozialinstitutionell versteht Lampert S. 25 f. den Begriff der Wirtschaftsordnung.

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104a Abs. 4; 109 Abs. 2; 115 GG). Selbst wenn man in diesen Vorschriften auch einen materialen Inhalt erkennen wollte, ließen sich daraus keine Aussagen über eine Wirtschaftsverfassung gewinnen.295 Möglicherweise können jedoch aus den Grundrechten heraus Feststellungen über eine grundgesetzlich normierte Wirtschaftsordnung, über die geltende Wirtschaftsverfassung, getroffen werden. Im Katalog der Artt. 1 ff. GG finden sich freilich keine expliziten und spezifischen Angaben zur wirtschaftlichen Valenz der Grundrechte. Daraus wurde vereinzelt gefolgert, dass eine Grundrechtswirksamkeit für die wirtschaftliche Betätigung von vornherein auszuschließen sei.296 Diese für eine Wirtschaftsverfassung entscheidend virulente Frage wird indes seit Langem allgemein und zutreffend verneint.297 Denn der Stellenwert des ökonomischen Sektors im menschlichen Dasein und damit auch dessen rechtliche Relevanz stehen außer Zweifel. Von daher können Grundrechte also durchaus Schlüsse auf Existenz und Inhalt einer Wirtschaftsverfassung tragen. Ihre diesbezügliche Ergiebigkeit wird auch nicht durch ihre Rechtsnatur beeinträchtigt. Denn die Grundrechte erschöpfen sich gerade nicht in der Gewährung diverser subjektiv-öffentlicher (Abwehr-)Rechte gegenüber dem Staat.298 Die Grundrechte besitzen vielmehr auch einen objektiv-rechtlichen Gehalt und konstituieren in sog. mittelbarer Drittwirkung derart eine objektive Wertordnung,299 die sich in ihrer Anwendung auf ökonomische Sachverhalte als die dogmatische Substanz einer grundgesetzlichen Wirtschaftsverfassung begreifen lässt. Den objektiven Gehalt wirtschaftsrelevanter Grundrechte dabei jeweils nur isoliert, quasi als Wertinseln, zu erfassen, reicht freilich nicht aus. Vielmehr ist darüber hinaus auch hier im Wege systematischer, „kombinatorischer“ Interpretation300 der Inhalt dieser einzelnen Grundrechte zu einem Ganzen zusammenzuführen.301 Nur dergestalt kann es zu einer Ordnung des Wertegehalts jenseits bloßer Summation kommen. Die einzelnen (Wirtschafts-)Grundrechte sind mithin zwar der unverzichtbare Ausgangspunkt bei der Beantwortung der Frage, ob, und wenn ja, welche normative Wirtschaftsordnung, also welche Wirtschaftsverfassung, gilt. Die Wirtschaftsverfassung als ganze, gedacht als systematische Einheit vernetzter Elemente, wird deshalb aber noch nicht zum „Phantom“.302 Ein objektiv-rechtliches Grundrechtsverständnis, das die Grundrechte (auch) als objektive Wertordnung begreift, kommt der vereinzelt vorgenommenen, abzulehnenden Annahme einer

295 Zum insoweit einheitlichen Meinungsstand im Verfassungsrecht vgl. Maunz/Dürig/Di Fabio GG 87 Aufl. (Stand 2019), Art. 2 Abs. 1 Rn. 76; zum anderslautenden EU-Primärrecht Streinz/Pechstein, EUV/AEUV 3. Aufl. (2018), Art. 49 EUV Rn. 5. 296 Krüger DVBl. 1951, 361; ders. BB 1953, 565. 297 Ballerstedt in Bettermann/Nipperdey/Scheuner Die Grundrechte (1966) III/1 S. 69 (für Art. 2 Abs. 1 GG); Fikentscher Bd. II § 20 V 3 b; Rinck/Schwark Rn. 62; Rupp HdWW S. 144; Stober/Korte Öff. Wirtschaftsrecht Allg. Teil Rn. 549 ff. 298 So aber der Einwand von Thiele Einführung in das Wirtschaftsverfassungsrecht (1970) 101. 299 Grundlegend BVerfG 15. 1. 1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198, 204 f.; ferner z. B. BVerfG 5. 8. 1966 – 1 BvR 586/62 u. a. – BVerfGE 20, 162, 175 f.; BVerfG 14. 2. 1973 – 1 BvR 112/65 – BVerfGE 34, 269, 278 f.; BVerfG 29. 5. 1973 – 1 BvR 424/71 u. 325/72 – BVerfGE 35, 79, 114 f.; BVerfG 1. 3. 1979 – 1 BvR 532/77 – BVerfGE 50, 290, 337; BVerfG 16. 6. 1981 – 1 BvL 89/78 – BVerfGE 57, 295, 319 f.; s. a. – teilweise kritisch – Denninger JZ 1975, 545; Goerlich insbesondere S. 134 ff., 189; Isensee NJW 1977, 545; Jarass AöR 110 (1985) 363, 369 ff.; Rupp AöR 101 (1976), 161, 168 ff.; ders. HdWW S. 144; im wirtschaftsverfassungsrechtlichen Kontext s. vor allem auch R. Schmidt Öffentliches Wirtschaftsrecht S. 101 ff.; ferner Rupp Grundgesetz S. 11 f. 300 Mühl DÖV 1967, 224, 226; R. Schmidt Wirtschaftspolitik S. 132 (beide unter Bezugnahme auf Scheuner). 301 BVerfG 23. 10. 1951 – 2 BVG 1/51 – BVerfGE 1, 14, 32; BVerfG 6. 12. 1972 – 1 BvR 230/70 u. 95/71 – BVerfGE 34, 165, 183; BVerfG 22. 5. 1975 – 2 BvL 1373 – BVerfGE 39, 334, 368; BVerfG 1. 3. 1979 – 1 BvR 532 u. a. – BVerfGE 50, 290, 336; Kröger Grundrechtstheorie als Verfassungsproblem (1978) 20 ff.; Papier VVDStRL 35, 71. 302 So aber R. Schmidt Öffentliches Wirtschaftsrecht S. 77, der sich dabei auf BVerfG 1. 3. 1979 – 1 BvR 532/77 u. a. – BVerfGE 50, 290, 336 ff. stützen zu können glaubt.

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direkten „Drittwirkung“ der Grundrechte i.S. einer unmittelbaren Beeinflussung der Privatrechtssphäre303 zwar entgegen, erzwingt sie aber nicht.304 Im Übrigen ist die Drittwirkungsproblematik in vorliegendem Zusammenhang irrelevant.305 Denn Wirtschaftspolitik, umfassend verstanden als normative Beeinflussung des Wirtschaftsgeschehens, wird von „Gesetzgebung und vollziehender Gewalt“ getragen, von eben denjenigen Kräften, die neben der Judikative als Grundrechtsadressaten ohnehin ganz explizit in Art. 1 Abs. 3 GG genannt sind. Das Drittwirkungsproblem würde sich nur dann stellen, wenn man die Frage der Wirtschaftsverfassung auf mehr beziehen wollte als auf die Bindung der Wirtschaftspolitik (unter Einschluss des Wirtschaftsrechtes) an die Verfassung. Dies aber würde die dogmatische Leistungsfähigkeit des Begriffs überstrapazieren.306 Die außerordentliche Zurückhaltung des Verfassungstextes zur Frage der Wirtschaftsordnung hat zu der These geführt, das Grundgesetz treffe insoweit auch in der Sache keine Entscheidung, sei „wirtschaftspolitisch neutral“.307 In ihrer schärfsten Ausprägung postuliert man dabei die Verfassungswidrigkeit jeder Wirtschaftspolitik, die sich auf ein bestimmtes wirtschaftspolitisches Konzept festlegt.308 Dieses extreme Verständnis von wirtschaftspolitischer Neutralität des Grundgesetzes hat nicht einmal die interpretativ ohnehin wenig tragfähige Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes für sich, auf die sie – neben einer noch vom Weimarer Verfassungsdenken gefärbten Exegetik des Demokratieprinzips309 (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG) und der Kann-Bestimmung über die Sozialisierung (Art. 15 GG) – rekurriert. Denn der historische Verfassungsgeber beabsichtigte keineswegs die „Nicht-Entscheidung als Verfassungszustand auf dem Gebiet der Wirtschaft“310 als prinzipiell und dauerhaft so gewollte Distanz gegenüber wirtschaftspolitischen Systementscheidungen, sondern war nur um einen möglichst breiten Verfassungskonsens bemüht, wobei Optionen für später zu implementierende, sehr divergent konzipierte Wirtschaftsordnungen immer erkennbar im Raum standen.311 Eine solche Deutung der Verfassung würde im Übrigen den einfachen Gesetzgeber sowie Regierung und Verwaltung schon daran hindern, dem Sozialstaatsprinzip (Artt. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG) hinreichend Rechnung zu tragen, weil Sozialpolitik ohne Einsatz eines effektiven, d. h. gerade auch wirtschaftstheoretisch konsistent fundierten wirtschaftspolitischen Instrumentariums schlechterdings nicht vorstellbar ist. Auch dem objektiv-rechtlichen Wertegehalt der Grundrechte könnte derart nicht Rechnung getragen werden, es sei denn, man wollte den Grundrechten ihrerseits eine Bedeutung für das Wirtschaftsleben absprechen.312 303 Nipperdey DVBl. 1958, 445 ff. 304 Deutlich schon in BVerfG 15. 1. 1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198, 204 f.; aus neuerer Zeit vgl. z. B. BVerfG 23. 4. 1986 – 1 BvR 487/80 – BVerfGE 73, 261, 269. Gegen eine derartige Drittwirkung der Grundrechte die h.M. seit Langem auch im Schrifttum, z. B. Canaris AcP 184 (1984) 201 und 185 (1985) 1, 9 ff.; ders. JuS 1989, 161; R. Schmidt Öffentliches Wirtschaftsrecht S. 103 f.; Starck JuS 1981, 237; a. A. Nipperdey Grundrechte S. 12 ff.; Schwabe Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte (1971) passim; ders. AcP 185 (1985) 1 ff.; zurückhaltend Fikentscher Bd. II § 20 V 4 f. 305 Ebenso Rupp Grundgesetz S. 11 f.; s. a. Ehmke S. 78 ff.; R. Schmidt Wirtschaftspolitik S. 245 ff.; mit rechtssoziologischem Akzent Herzog FS Hirsch 63, 67 f. 306 S. a. Rinck/Schwark Rn. 67; Rupp Grundgesetz S. 9. 307 Das Schlagwort von der „wirtschaftspolitischen Neutralität“ des GG geht auf das sog. Investitionshilfeurteil des BVerfG v. 20. 7. 1954 zurück (BVerfGE 4, 7, 17). S. ferner das sog. Mitbestimmungsurteil des BVerfG v. 1. 3. 1979 BVerfGE 50, 290, 337. Zur Dogmengeschichte und zum Meinungsstand s. Schünemann FS Stober 147, 149 ff. 308 Krüger DVBl 1951, 361; ders. BB 1953, 565; ders. Allgemeine Staatslehre (1966) 578 ff.; s. a. Hamann Rechtsstaat und Wirtschaftslenkung (1953) 31 f.; ferner Thiele Einführung in das Wirtschaftsverfassungsrecht (1970) 92 f. m. w. N. 309 Dazu näher Rupp HdWW S. 143. 310 So aber Krüger DVBl. 1951, 361, 363. 311 Näher – jeweils m. w. N. – Kriele ZRP 1974, 105; Kunert JuS 1979, 322, 327; Stober/Korte Öff. Wirtschaftsrecht Allg. Teil Rn. 127 ff. 312 So in der Tat Krüger DVBl. 1951, 361; ders. BB 1953, 565; zur Ablehnung der Extremposition Krügers s. a. Rupp HdWW S. 143 f.; Rittner/Dreher § 2 Rn. 56; Thiele Einführung in das Wirtschaftsverfassungsrecht (1970) 92 f.

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Die ständige verfassungsgerichtliche Rechtsprechung313 sowie weite Teile der Literatur314 sind zwar ebenfalls der Auffassung, das Grundgesetz sei „wirtschaftspolitisch neutral“, verstehen diese Neutralität aber als einen weiten wirtschaftspolitischen Gestaltungsspielraum in den durch die Verfassung, insbesondere durch die Grundrechte gezogenen Grenzen. Innerhalb dieser Grenzen ließen sich, so heißt es, die verschiedenartigsten Wirtschaftsordnungen instituieren, keinesfalls nur das System der sozialen Marktwirtschaft, ja nicht einmal notwendig eine wettbewerblich-marktwirtschaftliche Ordnung. Deshalb bestünden auch gegenüber wirtschaftslenkenden Maßnahmen nicht marktkonformer Art keine Bedenken. Insbesondere komme es also nicht auf die Wettbewerbsindifferenz der wirtschaftspolitischen Maßnahmen an. Die „relative Offenheit“ der grundgesetzlichen Wirtschaftsverfassung als einer bloßen Rahmenordnung315 sei dabei durch zwei antinomische Verfassungsprinzipien determiniert, die in sehr unterschiedlicher Art und Weise optimiert werden könnten: Das Individualprinzip manifestiere sich vorwiegend in dem Respekt vor der Würde des Menschen und in der Statuierung von Freiheitsrechten, das Sozialprinzip hingegen bringe, wie etwa in Art. 14 Abs. 2 S. 2, Art. 15 GG, zunächst die Gemeinschaftsgebundenheit der Individualrechte zum Ausdruck, weise aber darüber hinaus, wie Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs.1 GG belegten. Die Geltung von Individualprinzip einerseits, von Sozialprinzip andererseits, schließt demnach lediglich Extrempositionen, also eine Zentralverwaltungs- bzw. Planwirtschaft ebenso wie einen sog. Manchester-Liberalismus i.S. eines völligen laissez-faire generell aus,316 schafft im Übrigen Zulässigkeitsrestriktionen wirtschaftsordnender Entscheidungen lediglich aus der Sicht der Verletzung einzelner Grundrechte bzw. des Widerspruchs zu den in ihnen beschlossenen materialen Werten. Wegen der zudem verbreitet angenommenen Gleichrangigkeit von Individual- und Sozialprinzip soll es wirtschaftsverfassungsrechtlich nicht einmal eine Rechtsvermutung für das individualfreiheitlich fundierte, marktwirtschaftliche Prinzip und für eine dadurch bedingte Argumentationslast zur Rechtfertigung staatlicher Interventionen geben.317 In diametralem Gegensatz zu den vorstehend skizzierten Neutralitätsthesen sowohl in der extremen als auch in der gemäßigten Variante ist indes schon früh von Nipperdey die Auffassung vertreten worden, dem Grundgesetz lasse sich in der Zusammenschau von Individual- und Sozialprinzip eine Garantie der sozialen Marktwirtschaft318 entnehmen. Im Zentrum seiner marktbezogenen Argumentation319 steht Art. 2 Abs. 1 GG als eine Magna Charta der Wirtschaftsfreiheit, insbesondere der Wettbewerbs-, Produktions- und Konsumfreiheit, wovon aus der Bogen namentlich über Art. 9 Abs.1 und Art. 12 bis zu Art. 14 GG gespannt wird.

313 Vgl. BVerfG 20. 7. 1954 – 1 BvR 459/52 u. a. – BVerfGE 4, 17, 18; BVerfG 11. 6. 1958 – 1 BvR 596/56 – BVerfGE 7, 377, 400; BVerfG 17. 5. 1961 – 1 BvR 561/60 – BVerfGE 12, 354, 365; BVerfG 29. 11. 1961 – 1 BvR 758/57 – BVerfGE 13, 230; BVerfG 7. 9. 1979 – 1 BvR 533/77 u. a. – BVerfGE 50, 290, 338. 314 Vgl. mit Unterschieden im Einzelnen Badura/Rittner/Rüthers Mitbestimmungsgesetz 1976 und Grundgesetz (1977) 249 m. w. N.; Baumbach/Hefermehl Allg. Rn. 42 f.; Beater Rn. 764; Breuer in Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland VIII 3. Aufl. (2010) § 170 Rn. 38; Dreher JZ 2014, 185, 186; Drexl S. 220 f.; Ehmke S. 84 ff.; Fikentscher Bd. II § 20 V 7; Frotscher/Kramer Rn. 34; Götting/Nordemann Einl. Rn. 46; Harte/Henning/Ahrens Einl. G Rn. 32; Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 1.43 f.; Kriele ZRP 1974, 105; Löw Die Grundrechte, 2. Aufl. (1982) 369; Müller-Volbehr JZ 1982, 132; MünchKommUWG/Sosnitza Grundl. Rn. 22 f. (wohl nur referierend); Rinck/Schwark Rn. 67; Stober/Korte Öff. Wirtschaftsrecht Allg. Teil Rn. 121 ff.; Stober FS Stern 613, 615 ff.; Zippelius/Würtenberger § 35 Rn. 1 ff. 315 Stober/Korte Öff. Wirtschaftsrecht Allg. Teil Rn. 130. 316 Für grundgesetzliche Zulässigkeit einer Wirtschaftsordnung mit zentraler Steuerung aber Abendroth Das Grundgesetz, 5. Aufl. (1975) 65 ff.; Reich Markt S. 90 ff. 317 So insbesondere R. Schmidt Öffentliches Wirtschaftsrecht S. 72; ferner Müller-Volbehr JZ 1982, 132, 136; Rinck/ Schwark Rn. 70; a. A. aber insoweit Jarass Wirtschaftsverwaltungs- und Wirtschaftsverfassungsrecht, 2. Aufl. (1984) § 4 II 2b. 318 Der Begriff geht zurück auf Müller-Armack S. 88. 319 Nipperdey Marktwirtschaft S. 13 ff. Zu ihm ausführlich H. M. Meyer S. 36 ff.

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Das Sozialstaatsprinzip erscheint dabei eher in der Rolle der nachgeordneten, flankierenden Idee als in einer das marktwirtschaftliche Prinzip verwässernden Funktion.320 Die soziale Marktwirtschaft sei nun einmal kein Gebilde, das als „gemischte“ Wirtschaftsverfassung321 bezeichnet werden dürfe i.S. eines „weder Fisch noch Fleisch“, kein System, in dem staatlicher Dirigismus und Freiheit in letztlich politisch beliebig motivierter Mischung verschränkt werden könnten. Die in den diversen Neutralitätsthesen involvierte Ablehnung, die Nipperdeys Standpunkt gefunden hat, kann letztlich nicht überzeugen, abgesehen von der berechtigten Kritik322 an seiner für den konzeptionellen Duktus eigentlich unnötigen Drittwirkungslehre. Die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes, die in der Tat den Formelkompromiss und die Ausklammerungsstrategie in der Thematik der Wirtschaftsverfassung belegt, besitzt jedenfalls keine Präponderanz, könnte allenfalls anderweitig ermittelte Sinngehalte unterstützen.323 Auf der Grundlage des objektiven Normbefundes besteht die proklamierte Gestaltungsfreiheit von Legislative, Gubernative und ggf. auch Exekutive wegen der allseits konsentierten Bindungen durch die Verfassung auch für ökonomisch relevante Entscheidungen aber gerade nach der Rechtsprechung des BVerfG ja nur in dem dann verbleibenden Freiraum.324 Angesichts der zentralen und weitgreifenden, auch aus der personalen Würde fließenden Freiheits- und Gleichheitsverbürgungen etwa der Artt. 1, 2 Abs. 1, 3, 9 Abs. 1, 12, 14 GG325 trägt die abstrakte Feststellung prinzipieller wirtschaftspolitischer Gestaltungsfreiheit, die an den verfassungsrechtlichen Maßgaben aber doch so mannigfach relativiert wird, von vornherein deshalb nur eher deklamatorische Züge. Zugleich zerrinnt der namentlich auch gegen Nipperdey vorgebrachte methodische Einwand, eine grundgesetzliche Wirtschaftsverfassung sei nur aus einer Betrachtungsweise zu gewinnen, die einzelne (Wirtschafts-)Grundrechte zu einer systembildenden Einheit zusammenschließe und sie damit eigentlich schon hinter sich lasse.326 Tatsächlich bedingt der Begriff der Wirtschaftsverfassung ebenso wie derjenige der Wirtschaftsordnung eine die Grundrechte gleichsam als normative Wertinseln ablösende und überhöhende Vorstellung eines inneren Systems.327 Doch ist dies keine methodologische Singularität, sondern gerade im Verfassungsrecht gängige hermeneutische Praxis.328 Die Verfassungsrechtsprechung hat immer wieder betont, dass bei der Interpretation eines Grundrechts der sinnstiftende Zusammenhang berücksichtigt werden soll, in dem die

320 S. dazu auch die Deutung der „sozialen Gerechtigkeit“ im Ordo-Liberalismus von Müller-Armack bei Hauer S. 357 ff.; a. A. aber z. B. Stober/Korte Öff. Wirtschaftsrecht Allg. Teil Rn. 106 ff.

321 So Huber Wirtschaftsverwaltungsrecht Bd. I, 2. Aufl. (1953) 20 ff.; ders. DÖV 1956, 97, 135, 172, 200. 322 Stein/Frank Staatsrecht, 21. Aufl. (2010) § 27 V. 323 Zur sog. objektiven Interpretationsmethode vgl. etwa BVerfG 21. 5. 1952 – 2 BvH 2/52 – BVerfGE 1, 299, 312; BVerfG 15. 12. 1959 – 1 BvL 10/55 – BVerfGE 10, 234, 244 = NJW 1960, 235, 236; BVerfG 16. 2. 1983 – 2 BvE 1/83 u. a. – BVerfGE 62, 1, 45 = NJW 1983, 735, 738 f.; BGH 30. 6. 1966 – KZR 5/65 – BGHZ 46, 74, 76 = NJW 1967, 343, 346; BGH 8. 11. 1967 – Ib ZR 135/65 – BGHZ 49, 221, 223 = NJW 1968, 748, 749; Larenz Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. (1991) 316 ff., 333 ff.; a. A. aber z. B. noch Hassold ZZP 94 (1981) 192, 209 ff., 235 ff. 324 So dezidiert schon BVerfG 20. 7. 1954 – 1 BvR 801/52 – BVerfGE 4, 7, 18; diese Annahme zugrunde legend BVerfG 12. 7. 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 – NJW 2017, 2744, 2749. 325 S. aber schon hier Zacher in Scheuner (Hrsg.), Die staatliche Einwirkung auf die Wirtschaft (1971) 549, 581, der zutreffend darauf hinweist, dass nicht nur diese häufig genannten, sondern beinahe alle Grundrechte für die Wirtschaftsordnung relevant sind. 326 R. Schmidt Öffentliches Wirtschaftsrecht S. 71. Zu diesem methodischen Ansatz von Nipperdey s. a. Müller-Graff S. 254. 327 Ebenso Schmidt-Preuß FS Säcker 981 f. („Implizit-Garantie der sozialen Marktwirtschaft“, verstärkt durch Art. 3 Abs. 3 EUV); s. a. Schwerdtfeger ZHR 142 (1978) 301, 306. Ein solches inneres System zugunsten einer Verfassungstopik strikt verneinend Leisner FS R. Schmidt 363, 375. 328 Bohling S. 22; Mühl DÖV 1967, 224 ff.; a. A. R. Schmidt Öffentliches Wirtschaftsrecht S. 74: Auslegungsgegenstand dürfe nur die einzelne (!) Norm sein, nicht hingegen ein über diese hinausgehender „Systemzusammenhang“.

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IV. Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsverfassung

Einleitung

Grundrechte untereinander und mit tragenden Verfassungsprinzipien stehen,329 um überhaupt erst derart eine wirkliche Werteordnung formieren zu können. Dass das GG diese innere Einheit der Verfassung nach ihrer ökonomischen Seite hin regelungstechnisch nicht prägnant in einem eigenen Abschnitt zum Ausdruck bringt, sondern die Thematik der geltenden Wirtschaftsordnung nur punktuell aufgreift, ist Ausdruck eines grundgesetzlichen Menschenbildes, dem es eher entspricht, die Person in ihren einzelnen Beziehungsfacetten zu beleuchten, statt sektoriell die Wirtschaft als solche zum Regelungssubstrat zu wählen. Gleichgültig aber, ob man die wirtschaftsrelevanten Grundrechtspositionen mehr additiv 163 betrachtet oder sie dialektisch in eine andere Qualität als Elemente eines Systems einer grundgesetzlich statuierten Wirtschaftsordnung überführt und so einen recht gekünstelt wirkenden Gegensatz zwischen der bloßen „Funktionsgarantie“ und der „Systemgarantie“ der Verfassung zugunsten der Marktwirtschaft konstruiert,330 wird bereits durch die konkrete Artikelreihung und die jeweilige normtextliche, an freiheitskonstituierenden Regeln und freiheitsbeschränkenden Ausnahmen orientierten Innenstruktur das große Gewicht der Freiheitsidee gegenüber dem im Verfassungstext eher zurückhaltend entgegentretenden Sozialstaatsprinzip evident. Schon dieser „Primat der Wettbewerbsfreiheit“331 vor dem durch ein überdehntes Sozial- 164 prinzip nur allzu leicht induzierten staatlichen Interventionismus ist – ins Wirtschaftliche gewendet – unvereinbar mit der Vorstellung wirtschaftspolitischer Neutralität des GG.332 Nur dieser Primat der Freiheit kann gemeint sein, wenn selbst von Seiten der Anhänger der Neutralitätsthese mit Blick auf die grundgesetzlichen Freiheitsgewährungen eingeräumt wird, die behauptete Neutralität dürfe nicht als Inhalts- und Entscheidungslosigkeit des GG in Bezug auf die Wirtschaft missverstanden werden.333 In der Tat könnte ohne die Freiheitsgarantien der Verfassung das Lauterkeitsrecht ebenso wie das Privatrecht überhaupt nur allzu leicht zum „jederzeit rückrufbaren Ordnungsinstrument“334 staatlicher Wirtschaftspolitik verkümmern.

c) Freiheitliche Wettbewerbswirtschaft als Verfassungsentscheidung. Für eine derart frei- 165 heitsbasierte Verfassung ist der wirtschaftspolitische Spielraum auf normhierarchisch untergeordneten Handlungsebenen bei weitem nicht mehr nur durch den Ausschluss von Extrempositionen – „Manchester-Liberalismus“ und staatliche „Kommando-Wirtschaft“ – gekennzeichnet. Die vordergründig als bloße Rahmenordnung erscheinende grundgesetzliche Wirtschaftsverfassung verdichtet sich vielmehr unter diesen Einflussgrößen materiell eben doch zur Systementscheidung für eine freiheitlich-wettbewerbsbasierte Marktwirtschaft.335 Allgemeine Handlungsfreiheit und damit auch Privatautonomie und Wettbewerbsfreiheit, Garantie des Privateigentums (gerade auch hinsichtlich seiner ökonomischen Nutzbarkeit), Berufs-, Gewerbe- und Arbeitsplatzfreiheit einschließlich der Freizügigkeit sowie eine auch gesellschaftsrechtlich wirksame Vereinigungsfrei329 BVerfG 23. 10. 1951 – 2 BVG 1 /51 – BVerfGE 1, 14, 32; BVerfG 6. 12. 1972 – 1 BvR 95/71 – BVerfGE 34, 165, 183; BVerfG 22. 5. 1975 – 1 BvR 95/71 – BVerfGE 39, 334, 368; BVerfGE 50, 290, 336 f. – 1 BvR 532 u. a. – NJW 1979, 699, 702. 330 R. Schmidt Öffentliches Wirtschaftsrecht S. 73 ff., 77, der selber den Standpunkt der h.M. einnimmt, sieht dazwischen ganz zutreffend eigentlich keinen Konsequenzen erzeugenden Unterschied mehr (s. a. ders. FS Stober 19, 22); ganz ähnlich auch Basedow S. 20 ff., 25. 331 Gloy/Loschelder/Danckwerts/Leistner § 5 Rn. 5; zu dem hier beschlossenen Prinzip des „In dubio pro libertate“ s. Fikentscher Bd. II § 20 IIIc, V 4d; Hablitzel BayVBl. 1981, 101; P. Schneider FS zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages 1960, II, S. 263 ff. 332 S. a. Liesegang S. 36; v. Münch JZ 1960, 305; Schünemann FS Stober 147, 152 f. 333 R. Schmidt Öffentliches Wirtschaftsrecht S. 75 m. w. N. 334 Nörr S. 3. 335 Bleckmann JuS 1991, 536, 539; Fezer/Büscher/Obergfell Einl. Rn. 358 ff.; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Leistner § 5 Rn. 7; Leisner BB 1975, 1, 5; H. M. Meyer S. 359 f.; Müller-Volbehr JZ 1982, 132, 139; Schmidt-Preuß FS Säcker 981 ff.; weitere Nachw. im Folgenden.

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Einleitung

A. Wettbewerb und Wirtschaftsordnung

heit markieren Elemente einer Wirtschaftsverfassung, die nur als eine auf Wettbewerbsfreiheit gegründete, marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung denkbar ist.336 166 Staatliche Eingriffe müssen deshalb mit dem wettbewerblich-marktwirtschaftlichen Ordnungsmodell kompatibel sein,337 mag die Abgrenzung zulässiger oder unzulässiger Interventionen des Staates im konkreten Einzelfall auch schwierig sein.338 Keine Zweifel werfen dabei die Maßnahmen des (einfachen) Gesetzgebers auf, die das Ziel verfolgen, gerade die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbsmechanismus zu gewährleisten, weil es hierbei gar nicht um sozialstaatlich bedingte Einschränkungen der Märkte als Organisations- und Handlungssysteme grundrechtlicher Freiheiten geht, sondern um Interventionen zur Realisierung dieses Systems.339 Dies legitimiert auch interpretative Konkretisierungen der lauterkeitsrechtlichen Generalklauseln in derselben Richtung. 167 Unter diesem Aspekt nicht unproblematisch ist hingegen – trotz ihrer verfassungsrechtlichen Fundamentierung in Art. 109 GG – die sog. globale Steuerung des Marktes. Ob hierbei überhaupt die von § 1 StabG geforderte Marktkonformität gewahrt bleiben kann,340 erscheint jedenfalls auf der Basis der Konzeption der Wettbewerbsfreiheit nicht unzweifelhaft, weil Wettbewerb dabei wohl instrumentalisiert werden müsste (s. Rn. 94 ff.).341 Immerhin setzt das StabG den „Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung“ ausdrücklich voraus, ebenso wie auch § 2 WiSachvRG und § 42 Abs. 1 S. 3 GWB. Aus alledem, vor allem auch aus der verfassungsrechtlichen Verankerung des StabG im GG, lässt sich durchaus der Schluss ziehen, dass es sich bei diesen Bezugnahmen um mehr handelt als um die Verweisung auf eine über einen längeren Zeitraum rein tatsächlich praktizierte Wirtschaftsordnung. 168 Der innerdeutsche Einigungsvertrag342 erwähnt vereinzelt (z. B. Art. 29) die Marktwirtschaft als Charakteristikum der geltenden deutschen Wirtschaftsordnung und nimmt insoweit nach einigen Vertretern im Schrifttum nicht lediglich auf ein seinerzeit vorfindliches Faktum Bezug.343 Ob sich daraus ein wirtschaftsverfassungsrechtliches Argument ziehen lässt, ist nicht sicher, da wegen der historischen Singularität des Vorgangs die Rechtsnatur des Einigungsvertrages ihrerseits nicht unzweifelhaft erscheint.344 Die Frage bedarf aber keiner Entscheidung, weil der Einigungsvertrag insoweit nur die grundgesetzlich normierte Wirtschaftsordnung nachzeichnet, also nur deklaratorische Bedeutung hat.345

336 So dezidiert auch Maunz/Dürig/Papier GG, 3. Aufl. (Stand 1991) Art. 14 Rn. 34. Zu Recht spricht Zacher VjSchrfSR 1973, 97, 100 von einer „elementaren Harmonie“ zwischen den grundgesetzlichen Grundwerten und der „sozialen Marktwirtschaft“. S. a. Fezer JZ 1990, 657, 661, 663; Merz S. 200; Mestmäcker Verwalteter Wettbewerb S. 88 ff.; Schwipps S. 85 ff.; Wackerbeck WRP 2006, 991. 337 A.A. Stober/Korte Öff. Wirtschaftsrecht Allg. Teil Rn. 126. 338 S. a. Bleckmann JuS 1991, 536, 538 f.; Müller-Volbehr JZ 1982, 132, 138; R. Schmidt Öffentliches Wirtschaftsrecht S. 72. 339 Papier Wirtschaftsordnung S. 7; Rupp HdWW S. 146. 340 Zur immanenten Problematik des Steuerungsziels „hoher Beschäftigungsgrad“ schon in § 1 StabG s. a. Fikentscher Bd. II § 22 I 5g; R. Schmidt Wirtschaftspolitik S. 143. 341 Auf die hierbei drohende Gefahr, dass der Staat dem Wettbewerb nur die ökonomischen „Mikrogrößen“ überlässt, selber aber über die „Makrogrößen“ verfügen kann (und eben dadurch den Wettbewerb instrumentalisiert), macht zutreffend auch R. Schmidt FS Stober 19, 20 aufmerksam. 342 BGBl. II 1990, 889 zuletzt geändert durch Art. 32 Abs. 3 des Gesetzes v. 27. 6. 2017, BGBl. I 1966. 343 Häberle JZ 1990, 361, 363; Horn FAZ v. 18. 8. 1990, S. 11; Rüthers/Stadler Allg. Teil des BGB, 12. Aufl. (2002) Rn. 33 (neuere Aufl. ohne diesbezügliche Stellungnahme); a. A. R. Schmidt FS Stober 19, 20 f.; Tettinger BB 1992, 1 ff., jeweils m. w. N. 344 Vgl. zum Meinungsstand Rittner/Dreher § 2 Rn. 48 m. w. N.; den Verfassungsrechtscharakter im Ergebnis mit der wohl überwiegenden Meinung bejahend etwa Kilian Rn. 200; Maurer Staatsrecht I, 6. Aufl. (2010) § 8 Rn. 91 f.; a. A. etwa Harte/Henning/Ahrens Einl. G Rn. 33. Leisner FS R. Schmidt 363, 371 bezeichnet die Verfassungsqualität des Einigungsvertrages also unzutreffend als „unbestritten“. 345 Schünemann FS Stober 147, 159.

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IV. Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsverfassung

Einleitung

Trotz des immer wieder rezitierten Neutralitätsdogmas trennt die höchstrichterliche Recht- 169 sprechung in der Sache selbst wohl nicht so viel von der hier vertretenen Position, wie es den Anschein hat. So wurde wiederholt formuliert, die geltende Wirtschaftsverfassung gewährleiste als eines ihrer Grundprinzipien den freien Wettbewerb,346 die deutsche Wirtschaftsverfassung sei eine „marktwirtschaftliche Ordnung“.347 Das BVerfG war bei der Statuierung und Perpetuierung seines Neutralitätsdogmas seinerzeit wohl noch von der Sorge getragen, wirtschaftspolitische Entscheidungen seitens Regierung und Parlament könnten ansonsten zu sehr eingeengt werden.348 Mittlerweile bricht sich aber immer mehr die Einsicht Bahn, dass Wirtschaftspolitik auch 170 möglich bleibt, wenn der im GG „implizit gesetzte (…) wirtschaftsverfassungsrechtliche Ordnungsrahmen“,349 nämlich eine freiheitliche, von individuell verantworteter Wirtschaftstätigkeit getragene Marktwirtschaft, auch ausdrücklich beim Namen genannt und stärker in seinen Strukturelementen und deren Einbindung in den Wettbewerb konturiert und dabei als Sinnganzes, eben als System, konturiert wird. Zutreffend wird deshalb nicht mehr nur vereinzelt und verhalten von einer de lege lata unabweisbaren „Korrektur der Neutralitätsthese“ gesprochen350 und unter Berücksichtigung des Sozialstaatsprinzips die grundgesetzliche Gewährleistung der sozialen Marktwirtschaft postuliert.351 Die grundgesetzliche Immanenz freiheitlich-wettbewerbsgesteuerter Marktwirtschaft, wie 171 sie vor allem durch die wirtschaftlich relevanten Grundrechte als deren Basis- und Steuerungselemente vermittelt und greifbar wird,352 bedeutet für sich genommen weder eine Fixierung der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung in ihrer aktuell-konkreten Ausgestaltung noch die verfassungsrechtliche Weihe einer bestimmten Wettbewerbskonzeption.353 Doch ist nicht zu verkennen, dass das neoklassische/neoliberale Konzept der Wettbewerbsfreiheit eine essentielle Affinität zu einer auf individuellen Handlungsfreiheiten aufbauenden Wirtschaftsverfassung aufweist, ja geradezu und lediglich als die wettbewerbstheoretische Seite einer gedanklichen Explizierung einer wettbewerbsgesteuerten Marktwirtschaft aus den Freiheitsrechten erscheint.354 Erst mit dieser Maßgabe, mit der Verknüpfung des Marktbegriffs und des Konzepts der Wettbewerbsfreiheit, wird die dem sozialistischen Modell einer Wirtschaftsgesellschaft entgegengesetzte marktwirtschaftliche Ordnung hinreichend konturiert.355

346 BGH 8. 4. 1952 – I ZR 80/51 – GRUR 1952, 582, 584 – Sprechstunden; BVerfG 8. 2. 1972 – 1 BvR 170/71 – BVerfGE 32, 311, 317 = GRUR 1972, 358, 360 – Grabsteinwerbung; BVerfG 13. 7. 1992 – 1 BvR 310/90 u. 1 BvR 238/92 – GRUR 1993, 751; BVerfG 13. 7. 1992 – 1 BvR 310/90 u. 1 BvR 238/92 – GRUR 1993, 751, 753. 347 BVerfG 29. 5. 2006 – 1 BvR 240/98 – VersR 2006, 961, 963. 348 Vgl. Beater Rn. 766. 349 Papier in Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl. (1994) 779 ff., Rn. 23. 350 H. M. Meyer S. 359 (ff.); gleichsinnig Kilian Rn. 201. S. a. Fezer/Büscher/Obergfell Einl. Rn. 356 f. 351 Bleckmann JuS 1991, 536, 539; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Leistner § 5 Rn. 7; Leisner Soziale Marktwirtschaft S. 42 ff.; Schünemann FS Stober 147, 159 m. w. N.; s. a. die Nachweise bei MünchKommUWG/Sosnitza Grundl. Rn. 22 a. E. Zurückhaltender i.S. einer bloßen Funktionsgarantie der Marktwirtschaft, nicht ihrer Systemgarantie als solcher: Liesegang S. 237 ff.; Müller-Graff S. 258 ff.; Rinck/Schwark Rn. 61 f., 75; Zacher VJSchrfSR 1973, 97, 100; Zuck NJW 1967, 1301 (unter besonderer Betonung der Globalsteuerung); ders. BB 1967, 805, 807; s. a. Ch. Herrmann S. 54 („genereller Systemwechsel hin zu einer echten Planwirtschaft“ wäre mit dem GG unvereinbar). 352 Rupp HdWW S. 145 f. S. a. Basedow S. 21 ff. (mit eindrucksvoller ökonomischer Interpretation der einschlägigen Grundrechte); Bleckmann Ordnungsrahmen für das Recht der Subventionen, Gutachten D für den 55. DJT, München 1984, D 41, Die Beschränkung des Staates auf marktkonforme Eingriffe (III. B) S. 42; Scholz Paritätische Mitbestimmung und Grundgesetz (1974) 31 ff.; ders. in Maunz/Dürig (Hrsg.) GG 87. Aufl. (Stand 2019) Art. 12 Rn. 85 f. 353 Vgl. Hablitzel BayVBl 1981, 65, 68. Auch Nipperdey hat die Wirtschaftsverfassung der (sozialen) Marktwirtschaft durchaus nicht als unwandelbare statische Größe, gründend auf einer gerade verbreiteten wirtschaftspolitischen Strömung, gesehen. 354 S. a. Link VVDStRL 48 (1990) 40 f. 355 Rittner/Dreher § 2 Rn. 55 weisen zutreffend auf die „Ambivalenz des Marktbegriffs“ hin, der auch einen „Konkurrenzsozialismus“ in einer „sozialistischen Marktwirtschaft“ trägt. Dazu s. a. Rittner JZ 1990, 838 ff.

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Einleitung

A. Wettbewerb und Wirtschaftsordnung

Grund dafür ist das dynamische, ergebnisoffene Verständnis, das das Konzept der Wettbewerbsfreiheit mit systemtheoretisch orientierter Grundrechtstheorie überhaupt verbindet. Die Grundrechte gewinnen bei solch prozeduraler Betrachtung ganz allgemein die Funktion individueller Entscheidungs-, Verantwortungs- und Risikozuständigkeiten in einem kybernetisch als spontan-polyzentrisch koordiniert und selbstregulativ gedachten gesellschaftlichen Organisationsmodell.356 Es durchdringt und strukturiert als invisible hand alle Lebensbereiche einer freien, offenen Gesellschaft und dabei eben auch den Sektor der Ökonomie, wo es dann als Wettbewerb auf Märkten in Erscheinung tritt.357 „Als Teil der durch die Prinzipien der Freiheit und Gleichheit verfassungsrechtlich statuier173 ten Ordnung“ wird somit die auf Wettbewerbsfreiheit gründende marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung gewährleistet, innerhalb derer Wettbewerb „und die Privatautonomie sich gegenseitig bedingen und ergänzen. Das Vertragsmodell des BGB setzt eine solche auf das Bestehen von Wettbewerb gerichtete Ordnung voraus. Umgekehrt ist der Vertrag nicht bloß das Mittel zur Ausübung von Privatautonomie, sondern ein zentrales Instrument der Marktwirtschaft“.358 172

174 d) Wettbewerbsfreiheit und Sozialstaatsprinzip. Die freiheitliche Wettbewerbsordnung steht nicht in einem Gegensatz zum Sozialstaatsprinzip, z. B. unter dem Aspekt des Verbraucherschutzes.359 Die Selbstbestimmung des Verbrauchers wird „primär und in der Regel am besten über die Koordinierung des Marktes zur Geltung gebracht.“360 Ein funktionierender, freier Wettbewerb nützt auch dem Verbraucher, wie schon seit Langem gerade von Seiten der Verbraucherschutzpolitik betont worden ist.361 In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass schon Ludwig Erhard, der „Vater“ der 175 Sozialen Marktwirtschaft, in ihr eine pleonastische Begriffsbildung diagnostizierte und in ihr keinesfalls den Hebel für eine „gemischte“ Wirtschaftsordnung sehen wollte, die sozialpolitisch motivierten Anliegen durch staatliche Interventionen außerhalb der marktlichen Wettbewerbsprozesse i.S. sozialistischer Wirtschaftspolitik hätte Geltung verschaffen wollen (vgl. Rn. 85 ff., 90).362 Noch viel weniger stellt sich sub specie des Sozialstaatsprinzips das Problem eines unzuläs176 sigen „Vorrangs“ des Wettbewerbsprinzips vor „ethischen Werten“.363 Im Gegenteil ist der funk-

356 Stober/Korte Öff. Wirtschaftsrecht Allg. Teil Rn. 549 ff. (grundrechtsbasierter „Ausdruck marktwirtschaftlich orientierter Rechtsordnungen“), freilich im Gegensatz zu ihrer Einschätzung, das Grundgesetz sei wirtschaftspolitisch neutral (Rn. 130 f.). Zur universalen Rolle des Marktprinzips für die Gesellschaft und ihre spontane Kulturbildung s. Koslowski Theorie, passim. Damit darf nicht die Diskussion vermengt werden, ob die Grundrechte über die spezifischen Verfahrensgarantien der Artt. 19 Abs. 4, 101, 103, 104 GG hinaus auch Verfahrens- und Organisationsmaximen zur Effektivierung des materiellen Grundrechtsgehalts darstellen. Vgl. z. B. BVerfG 18. 7. 1972 – 1 BvL 25/ 71 – BVerfGE 33, 303, 341; BVerfG 24. 4. 1979 – 1 BvR 787/78 – BVerfGE 51, 150, 156; BVerfG 13. 11. 1979 – 1 BvR 1022/ 78 – BVerfGE 52, 380, 389 f.; BVerfG 20. 12. 1979 – 1 BvR 385/77 – BVerfGE 53, 30, 65 f.; BVerfG 15. 12. 1983 – 1 BvR 209/83 u.a – BVerfGE 65, 1, 44, 49 ff.; BVerfG 4. 11. 1986 – 1 BvF 1/84 – BVerfGE 73, 118, 153; BVerfG 18. 6. 1986 – 1 BvR 787/80 – BVerfGE 73, 280, 296; Bethge NJW 1982, 1 f.; R. Schmidt Öffentliches Wirtschaftsrecht S. 110 ff. m. w. N. 357 Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 1 Rn. 45; s. a. Fezer JZ 1990, 657, 660 f.; ders. JuS 1991, 889 ff.; Hoppmann Prinzipien S. 12; Mestmäcker ZHR 137 (1973) 97 ff.; Rupp HdWW S. 145 unter Hinweis auf Popper; Schliesky Wettbewerbsrecht S. 192/193. Sehr anschaulich auch Engels, passim. 358 Alexander S. 39. 359 Drexl S. 247. 360 Drexl S. 565 und öfter. 361 S. den sog. Molony-Report (Final Report of the Committee on Consumer Protection), 1962, S. 295 f.; ihn aufgreifend Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 1 Rn. 41 m. Fn. 94; s. a. Drexl S. 23, 26; Pichler S. 69. 362 Mierzejewski Ludwig Erhard: der Wegbereiter der Sozialen Marktwirtschaft (2005) 59. S. aber auch Jenkins FS Gemper 75 ff. 363 So aber v. Köhler NJW 1964, 569, 574.

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IV. Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsverfassung

Einleitung

tionierende Markt selber ceteris paribus der sozial gerechteste Verteilungsmechanismus,364 der ja gerade dann, wenn (und weil) er als „notwendige Folge“ der grundgesetzlichen Freiheitsrechte erscheint,365 „ethische Werte“ verkörpert366 (vgl. Rn. 124 ff. mit den dort genannten Modifikationen für den Einsatz ethischer Versprechen in der unternehmerischen Kommunikation). Über die Sicherung der Wettbewerbsfreiheit hinausgehende sozialstaatliche Interventionen 177 können daher nicht ohne weiteres unter dem Etikett einer „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ geführt werden.367 Die Wirtschaftspolitik konzentriert sich insoweit auf wettbewerbliche Freiheiten, zu denen allerdings auch die Sicherung informierter und autonomer Verbraucherentscheidungen gehört. Auf die Privatrechtsverhältnisse der Wirtschaftssubjekte untereinander nehmen die (Wirt- 178 schafts-)Grundrechte, abgesehen von dem Sonderfall des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG, nicht im Wege einer unmittelbaren „Drittwirkung“ Einfluss.368 Eine unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte über deren Wirkungsrichtung gegenüber den Trägern hoheitlicher Gewalt hinaus würde die das Privatrecht beherrschende Privatautonomie ins Mark treffen.369 Die Grundrechte, gerade auch in ihrer die Wirtschaftsverfassung konstituierenden Rolle, können sich ins Privatrecht vielmehr nur mittelbar, aufgrund ihres objektiv-rechtlichen Gehalts, einfügen.370 Die Ausstrahlungswirkung der grundgesetzlichen Wertentscheidungen kann insbesonde- 179 re bei der Konkretisierung der privatrechtlichen Generalklauseln zum Tragen kommen,371 im Lauterkeitsrecht also namentlich im Blick auf § 3 Abs. 1,372 aber auch im Zusammenhang mit der in § 4a angesprochenen Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit sowie den irreführenden oder belästigenden Praktiken in §§ 5, 5a und 7, die jeweils Abwägungen von unternehmerischen Freiheiten und wettbewerbsfunktionalen Bedingungen informierter Abnehmerentscheidungen erfordern. Dabei dürfen die Eigengesetzlichkeiten von öffentlichem Recht einerseits, Privatrecht andererseits nicht aus dem Blick geraten,373 bei der Entfaltung des objektiv-rechtlichen Gehalts darf nicht die wenigstens typische rechtliche Subordination der (privaten) Träger 364 L. Raiser Antinomien im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, FS Fechner (1973) 61 ff.; Fikentscher Bd. II § 22 I 5c cc trotz Ablehnung einer wirtschaftspolitischen „Einzieligkeit“ i.S. Hoppmanns und der Theorie der Wettbewerbsfreiheit. Zur Bedeutung des Wettbewerbs für die Lösung verbraucherschutzrechtlicher Probleme, die ihrerseits vom Sozialstaatsprinzip gefordert sein mag, s. Grunsky BB 1971, 1113 ff.; ders. BB 1972, 189 ff. 365 So von seinem Ausgangspunkt her überraschend wiederum v. Köhler NJW 1964, 569, 573. 366 Hoppmann FAZ v. 6. 11. 1993, S. 13; Möschel Pressekonzentration S. 149; s. a., teilweise allerdings relativierend, Reuter DZWir 1993, 45 ff. 367 Exemplarisch hierfür der Bericht des Politbüros an das Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Dietz-Verlag Berlin/Ost (1988) 28 f.; o.V. Ökonomisches Lexikon H-P, Verlag Die Wirtschaft Berlin/Ost (1979) 35/36 – Stichwort: Hauptaufgabe; Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Dietz-Verlag Berlin/Ost (1976) 20; Honecker Die Aufgaben der Parteiorganisationen bei der weiteren Verwirklichung der Beschlüsse des XI. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Dietz-Verlag Berlin/Ost (1987) 20; Manz/Winkler Theorie und Praxis der Sozialpolitik in der DDR (Schriften des Instituts für Soziologie und Sozialpolitik der Akademie der Wissenschaften der DDR), Akademie Verlag Berlin/Ost (1979) 79 f.; Winkler Lexikon der Sozialpolitik, Akademie Verlag Berlin/Ost (1987) 423 – Stichwort: Wirtschafts- und Sozialpolitik, Einheit von. 368 Vgl. Leisner Grundrechte, passim m. w. N.; a. A. früher das BAG, vgl. BAG 3. 12. 1954 – 1 AZR 150/54 – BAGE 1, 185, 193; BAG 10. 5. 1957 – 1 AZR 249/56 – BAGE 4, 274, 276; BAG 28. 9. 1972 – 2 AZR 469/71 – BAGE 24, 438, 441; für den Wandel dieser Rspr. s. etwa BAG 20. 12. 1984 – 2 AZR 436/83 – BAGE 47, 363, 373; BAG 27. 2. 1985 – GS 1/ 84 – BAGE 48, 122, 128 f. S. a. Bleckmann DVBl. 1988, 938; Krause JZ 1984, 656, 711, 828.; jüngst eine „mittelbare Drittwirkung“ annehmend, aber tatsächlich die Grundrechte unmittelbar unter Privaten anwendend BVerfG 11. 4. 2018 – 1 BvR 3080/09 – BVerfGE 148, 267, 279 ff.; dazu Hellgardt JZ 2018, 901. 369 Für alle Maunz/Dürig/Herdegen GG 87. Aufl. (2019) Art. 1 Abs. 3 Rn. 64 ff. 370 Beater Rn. 771. 371 BVerfG 15. 1. 1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198, 206; v. Münch/Kunig GG, Bd. 1 Vor Artt. 1–19 Rn. 17; Reimers Die Bedeutung der Grundrechte für das Privatrecht (1958) 20. 372 S. zum früheren § 1 (Verstoß gegen die „guten Sitten“) Sack WRP 1974, 247, 250; auch Gärtner BB 1970, 1361. Zum geltenden § 3 s. dort Peukert Rn. 312 ff. 373 S. a. Mestmäcker AcP 168 (1968) 235, 239; Schneider DVBl. 1969, 325, 333.

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A. Wettbewerb und Wirtschaftsordnung

subjektiver öffentlicher (Grund-)Rechte im Verhältnis zur Staatsgewalt ausgegrenzt werden, weil diese Subordination ersichtlich den konstruktiven Boden der Grundrechtskonzeption des Grundgesetzes bildet. 180 Umgekehrt ist die Ausstrahlung der grundrechtlichen Werteordnung ins Privatrecht unter dem Aspekt der Einheit der Gesamtrechtsordnung geboten.374 Methodologisch wird dabei ein Unterschied zwischen verfassungskonformer Auslegung375 und lediglich verfassungsorientierter Auslegung gesehen.376 Hintergrund dieser Unterscheidung ist das verfassungs- und justizpolitisch zu begrüßende Anliegen, trotz der Ausstrahlungswirkung des Grundgesetzes vermittels der privatrechtlichen Einbruchsstellen der Generalklauseln das Bundesverfassungsgericht nicht zur zivilprozessualen Superrevisionsinstanz werden zu lassen. Auch dogmatisch spricht einiges dafür, die Grundrechtswertungen bei der Auslegung lau181 terkeitsrechtlicher Normen nur als Interpretationstopoi zu qualifizieren, nicht jedoch als Korrekturinstrument einer schon unabhängig davon möglichen Sinngebung. Denn namentlich der relevante Wettbewerbsbegriff ist im Lichte der grundgesetzlichen Wirtschaftsverfassung mit Inhalt zu füllen.

2. Grundrechtliche Elemente und Ausstrahlungen der Wirtschaftsverfassung 182 a) Wirtschaftsverfassung und lauterkeitsrechtliche Hermeneutik. Bei Auslegung und Anwendung des Lauterkeitsrechtes sind verfassungsrechtliche Wertungskriterien, insbesondere solche aus dem Kreis der Grundrechte, zu berücksichtigen. Dies folgt schon daraus, dass die Grundrechte auch eine objektive Wertordnung bilden, die im Wege einer mittelbaren Drittwirkung auf das Lauterkeitsrecht ausstrahlt. Allerdings wurzelt auch ein auf dem Konzept der Wettbewerbsfreiheit gründendes und so 183 verstandenes Lauterkeitsrecht selber auf eben dieser verfassungsrechtlichen Wertordnung. Es ist deshalb Vorsicht bei einer Argumentation geboten, die grundrechtliche oder sonstige verfassungsrechtliche Wertungsgesichtspunkte zur Korrektur wettbewerbsrechtlich-dogmatischer Positionen ins Feld führen will, die sich aus dem Konzept der Wettbewerbsfreiheit ergeben. Das Lauterkeitsrecht in seiner klar und exklusiv wettbewerbsbezogenen Teleologik nach 184 § 1377 ist zwar nicht genuin dazu berufen, grundrechtliche Werte bestmöglich zu exekutieren,378 bei seiner Auslegung dürfen die Elemente der objektiven Wertordnung, welche die Verfassung setzt, aber nicht missachtet werden. Dabei muss das Ziel im Auge behalten werden, den unverfälschten Wettbewerb aufrecht zu erhalten. Unter diesem Aspekt bedenklich ist die Fallgruppe „menschenverachtender“ geschäftlicher 185 Handlungen, die im Rahmen der Generalklausel des § 3 Abs. 1 noch für tatbestandseröffnend angesehen wird,379 da kaum vorstellbar ist, wie eine solche Handlung die Entscheidungs- und Handlungsfreiheit der Marktteilnehmer zu Lasten des unverfälschten Wettbewerbs sollte beeinträchtigen können. Da es sich bei der Menschenwürde um den „Kardinalpunkt unserer Rechts- und Gesellschaftsordnung“ handelt, ist der Schutz dieses Guts durchaus auch im UWG relevant, über § 3

374 Gärtner BB 1970, 1361; Grabitz ZHR 149 (1985) 263; Maunz/Dürig/Herdegen GG 87. Aufl. (Stand 2019) Art. 1 Abs. 3 Rn. 57 f.; Mestmäcker AcP 168 (1968), 235, 239; Möschel Pressekonzentration S. 49. 375 Grundlegend BVerfG 7. 5. 1953 – 1 BvL 104/52 – BVerfGE 2, 266, 282. 376 Gärtner BB 1970, 1361; Grabitz ZHR 149 (1985) 263; Stern Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. Bd. 1 (1984) § 4 Abs. 3 S. 8 (S. 136). 377 Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 1 Rn. 7 ff., 56 ff., 85 ff. m. w. N. 378 Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 3 Rn. 314 ff.; mittlerweile a. A. in Harte/Henning/Podszun § 3 Rn. 189. 379 BTDrucks. 18/6571, S. 14; wohl auch MünchKommUWG/Sosnitza § 3 Rn. 102 und textidentisch in Ohly/Sosnitza § 3 Rn. 65; ebenso Harte/Henning/Podszun, § 3 Rn. 188; abweichend Gloy/Loschelder/Danckwerts/Leistner/Facius/ Loschelder, § 14 Rn. 93, die das Problem in § 4a verorten.

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IV. Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsverfassung

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Abs. 1 auch möglich, weil das Unionsrecht Raum dafür lässt, Verbote, die auf den Schutz der Menschenwürde oder die Abwehr von Diskriminierungen zielen, im nationalen Recht vorzusehen,380 ob allerdings das UWG für solche Verbote der zentrale Ort ist, kann man bezweifeln.

b) Artt. 1, 2 Abs. 1 GG. Gegenstand des Hauptfreiheitsrechtes und insoweit oberster Verfas- 186 sungswert ist die im Rahmen der Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete, aus der menschlichen Würde (Art. 1 Abs. 1 GG) gespeiste, mit ihr aber nicht ohne weiteres identifizierbare freie Entfaltung der Persönlichkeit.381 Diese Entfaltungsfreiheit hat jedenfalls auch eine wirtschaftliche Dimension,382 weil über den Kernbereich der Persönlichkeit in ideeller und kultureller Hinsicht hinaus die Handlungsfreiheit allgemein grundgesetzlich gewährleistet wird. Im Übrigen könnte ein engeres Verständnis der Entfaltungsfreiheit als spezifischer Ausdruck personaler menschlicher Würde383 keine Ausgrenzung der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit aus dem Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG rechtfertigen, weil der ökonomische Kontext einer Handlung diese nicht gleichsam erniedrigt und entwertet, vielmehr umgekehrt gerade in der freien wirtschaftlichen Disposition der Mensch seine Erfüllung finden und daraus sein Selbstwertgefühl speisen kann. Die gedankliche Anknüpfung der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit lediglich an die allge- 187 meine Handlungsfreiheit erleichtert es aber, das Freiheitsgrundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG auch anderen (Privat-)Rechtssubjekten als nur den natürlichen Personen selber, also nicht nur vermittelt über deren jeweilige Organwalter, zuzuordnen. Die Grundrechtsfähigkeit kann dabei nicht von der besonderen rechtskonstruktiven Qualität des Wirtschaftssubjekts als juristische Person abhängig sein,384 ergreift also auch als Gesamthandsgesellschaften organisierte (Rechts-)Subjekte385 wie insbesondere die sog. Personenhandelsgesellschaften OHG, KG sowie die auf wirtschaftlichem Gebiet tätige Gesellschaft bürgerlichen Rechts.386 380 Leitlinien der Kommission zur Umsetzung/Anwendung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken v. 25. 5. 2016, SWD (2016) 163 endg. S. 10. 381 BVerfG 15. 1. 1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198, 205 = GRUR 1958, 254, 255 – Lüth; BVerfG 11. 6. 1958 – 1 BvR 596/56 – BVerfGE 7, 377, 397, 405 = NJW 1958, 1035 f., 1038 – Apotheker. S. a. Scholz AöR 100 (1975) 80 ff., 265 ff.; zur bislang kaum thematisierten, geschweige denn erhellten ökonomisch-wirtschaftsverfassungsrechtlichen Dimension der Menschenwürde s. zutreffend Stober FS Stern 613, 620 f. 382 BVerfG 16. 1. 1957 – 1 BvR 253/56 – BVerfGE 6, 32, 36 ff. = NJW 1957, 297 f.; BVerfG 12. 11. 1958 – 2 BvL 40/56 – BVerfGE 8, 274, 328; BVerfG 29. 7. 1959 – 1 BvR 394/58 – BVerfGE 10, 89, 99; BVerfG 16. 5. 1961 – 2 BvF 1/60 – BVerfGE 12, 341, 347; s. a. BGH 24. 10. 1961 – VI ZR 204/60 – BGHZ 36, 77, 80 = NJW 1962, 32, 33 f. im Zusammenhang mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht als zivilrechtlichem Pendant zum Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit; Ballerstedt in Bettermann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte III/1 (1966) 69; Baumbach/ Hefermehl Allg. Rn. 45; Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 1.45; R. Schmidt Öffentliches Wirtschaftsrecht S. 161; Stober/Korte Öff. Wirtschaftsrecht Allg. Teil Rn. 713; Stober FS Stern 613, 620. Zum untrennbaren Zusammenhang zwischen grundgesetzlichem Menschenbild und Wirtschaftsverfassung s. ferner allgemein Liesegang S. 36; v. Münch JZ 1960, 305; Schünemann FS Brandner 279, passim. 383 In diese Richtung Peters Gegenwartsprobleme des internationalen Rechts und der Rechtsphilosophie, FS Laun (1953) 669 ff.; ders. Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in der höchstrichterlichen Rspr. (1963) passim; ähnlich Hesse Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 16. Aufl. (1988) 166 f. 384 BVerfG 29. 7. 1959 – 1 BvR 394/58 – BVerfGE 10, 89, 99; BVerfG 19. 12. 1962 – 1 BvR 541/57 – BVerfGE 15, 235, 239; BVerfG 14. 12. 1965 – 1 BvR 413/60 – BVerfGE 19, 206, 215; BVerfG 18. 10. 1966 – 2 BvR 386 u. a. – BVerfGE 20, 283, 290; BVerfG 19. 12. 1967 – 2 BvL 4/65 – BVerfGE 23, 12, 30; BVerfG 14. 10. 1970 – 1 BvR 753/68 u. a. – BVerfGE 29, 260, 265 f.; BVerfG 1. 3. 1979 – 1 BvR 533/77 – BVerfGE 50, 290, 319; Ballerstedt in Bettermann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte III/1 (1966) 69 f. 385 Grundlegend zur (Teil-)Rechtsfähigkeit der Gesamthandsgesellschaft Flume ZHR 136 (1972) 177 ff.; Schünemann Grundprobleme der Gesamthandsgesellschaft (1975) passim, insbesondere S. 146 ff. Zur Anerkennung dieser Lehrmeinung durch die Rspr. s. hier nur BGH 29. 1. 2001 – II ZR 331/00 – BGHZ 146, 341 = NJW 2001, 1056. 386 Zumindest missverständlich aber R. Schmidt Öffentliches Wirtschaftsrecht S. 161. Wie hier jedenfalls im Ergebnis Stober FS Stern 613, 621 f.

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A. Wettbewerb und Wirtschaftsordnung

Schon wegen § 1 EWIV-AG und der darin ausgesprochenen Verweisung auf das ergänzend anwendbare Recht der OHG wird auch die EWIV vom grundgesetzlichen Schutz erfasst, ungeachtet ihrer gemäß Art. 3 EWIV-VO nur dienenden, insoweit der Genossenschaft ähnelnden wirtschaftlichen Funktion. Gleiches gilt für die ebenfalls als Gesamthandsgesellschaft konstruierte Partnerschaftsgesellschaft nach §§ 1 ff. PartGG. Ob die Rechtssubjektivität im deutschen oder europäischen Recht387 verankert ist oder aber einer fremden, aber kraft unionsrechtlicher Mechanismen in Deutschland anerkannten Rechtsordnung angehört,388 macht keinen Unterschied. Bei der inhaltlichen Erfassung der nach Art. 2 Abs.1 GG geschützten Handlungsfreiheit ist 189 von vornherein der Charakter dieses Grundrechtes als Auffangtatbestand und damit sein Zurücktreten gegenüber speziellen Gewährungen von (Wirtschafts-)Freiheiten namentlich im Blick auf Beruf, Eigentum und Vereinigungen einschließlich der Koalitionen zu beachten.389 Welche wirtschaftlich relevanten Freiheiten dann noch genuin in Art. 2 Abs. 1 GG verankert bleiben, ist im Einzelnen zweifelhaft, kann aber wegen unterschiedlich ausgestalteter Einschränkungen bzw. Einschränkungsmöglichkeiten letztlich nicht dahinstehen. Doch spielt diese Frage eine geringere Rolle, wenn die Grundrechte lediglich in ihrer Funktion als Elemente der objektiv-rechtlichen Ordnung aufgegriffen werden. Die scheinbare Bandbreite der allein Art. 2 Abs. 1 GG zuzuordnenden Wirtschaftsfreiheiten, wie sie die vielfältigen Formulierungen in Judikatur und Schrifttum nahelegen,390 besteht bei näherer Betrachtung jedoch nicht, schon weil darin häufig nur unterschiedliche Akzentuierungen zum Ausdruck kommen.391 In Art. 2 Abs. 1 GG genuin verwurzelt ist die Privatautonomie, unter Vernachlässigung ein190 seitiger Rechtsgeschäfte und rechtsgeschäftsähnlicher Handlungen häufig verkürzt mit Vertragsfreiheit umschrieben und des Weiteren nach Abschluss-, Form- und inhaltlicher Gestaltungsfreiheit aufgeschlüsselt.392 Ohne den Schutz der Privatautonomie ist die freie Entfaltung der Persönlichkeit unter der Notwendigkeit sozialer Koordination undenkbar. Soweit diese Privatautonomie im Zusammenhang mit Berufswahl oder -ausübung betätigt 191 wird, namentlich also durch Begründung und Ausgestaltung von Arbeitsverträgen, ist allerdings schon Art. 12 GG einschlägig. Artt. 9 und 14 GG sind primär sedes materiae für die privatautonome, gesellschaftsrechtlich zu qualifizierende Kollektivbildung und für Verfügungen über 188

387 Vgl. neben der bereits genannten EWIV insbesondere die SE. 388 Wirtschaftspraktische Bedeutung hat in Deutschland insbesondere die englische „Ltd.“ (Private Limited Company by Shares) gewonnen. 389 BVerfG 16. 1. 1957 – 1 BvR 253/56 – BVerfGE 6, 32, 37; BVerfG 12. 11. 1958 – 2 BvL 40/56 – BVerfGE 8, 274, 328; BVerfG 16. 5. 1961 – 2 BvF 1/60 – BVerfGE 12, 341, 347; BVerfG 6. 10. 1987 – 1 BvR 1086/82 u. a. – BVerfGE 77, 84, 118; BVerfG 15. 12. 1987 – 1 BvR 563/85 u. a. – BVerfGE 77, 308, 339; Erichsen Jura 1987, 367 f.; Scholz AöR 100 (1975), 80, 112 ff. Ob methodologisch Subsidiarität oder Spezialität vorliegt, ändert jedenfalls anwendungstechnisch nichts am Vorrang der grundgesetzlich einzeln benannten und tatbestandlich ausgeformten Wirtschaftsfreiheiten. Zu den hier involvierten grundsätzlichen systematischen Fragen s. a. Schünemann JZ 2005, 271 ff.; ders. FS Georgiades 1087 ff. 390 BVerfG 12. 11. 1958 – 2 BvL 40/56 – BVerfGE 8, 274, 328; BVerfG 16. 5. 1961 – 2 BvF 1/60 – BVerfGE 12, 341, 347; BVerfG 7. 5. 1969 – 2 BvL 15/67 – BVerfGE 25, 371, 407; BVerfG 14. 10. 1970 – 1 BvR 306/68 – BVerfGE 29, 260, 267; BVerfG 1. 3. 1979 – 1 BvR 533/77 – BVerfGE 50, 290, 366; BVerfG 19. 10. 1983 – 2 BvR 298/81 – BVerfGE 65, 196, 210; BVerwG 30. 8. 1968 – VII C 122.66 – BVerwGE 30, 191, 198 f.; BVerwG 22. 5. 1980 – 3 C 2. 80 – BVerwGE 60, 154, 159; BVerwG 23. 3. 1982 – 1 C 157. 79 – BVerwGE 65, 167, 174. S. a. Armbruster JR 1990, 278; Badura Staatsrecht C 81 ff.; Ballerstedt in Bettermann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte III/1 (1966) 65 ff.; Weimar/Schimikowski Grundzüge des Wirtschaftsrechts, 2. Aufl. (1993) Rn. 76 ff. 391 S. a. R. Schmidt Öffentliches Wirtschaftsrecht S. 162; grundsätzlich kritisch zur Wirtschaftsfreiheit als Inhalt des Art. 2 GG aber Erichsen in Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland VI (1989) § 152 Rn. 60 ff. 392 BVerfG 16. 1. 1957 – 1 BvR 253/56 – BVerfGE 6, 32, 40; BVerfG 12. 11. 1958 – 2 BvL 40/56 – BVerfGE 8, 274, 328; BVerfG 16. 5. 1961 – 2 BvF 1/60 – BVerfGE 12, 341, 347; BVerfG 19. 10. 1983 – 2 BvR 298/81 – BVerfGE 65, 196, 210. Baumbach/Hefermehl Allg. Rn. 49; Ballerstedt in Bettermann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte III/1 (1966) 70; Maunz/Dürig/Di Fabio GG 87. Aufl. (Stand 2019) Art. 2 Rn. 101; Fikentscher Bd. II § 20 V 5e; Raiser JZ 1958, 1, 5; Schmidt-Salzer NJW 1970, 8.

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IV. Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsverfassung

Einleitung

„Eigentum“ als Sammelbegriff für ökonomisch wirksame, zu ausschließlicher Disposition befähigende Rechtspositionen i.S. sog. property rights, wirtschaftlich relevanter ausschließlicher subjektiver Rechte. Unter dem spezifischen Regime des Art. 2 Abs. 1 GG steht damit als Facette der Privatautonomie im wirtschaftlichen Bereich vor allem noch die Vertragsfreiheit in der vertikalen Dimension des Wettbewerbsgeschehens, im Austauschprozess, und dabei auch nur im güter- und kapitalmarktlichen Leistungsaustausch, hier namentlich aber auch im Wettbewerb innerhalb verschiedener Produktions- und Distributionsstufen. Zum Kern der nach Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Wirtschaftsfreiheit ist sodann die Wettbe- 192 werbsfreiheit zu zählen.393 Ihr Inhalt ist es, den Wirtschaftssubjekten eine Marktbetätigung ohne hoheitliche Beeinträchtigung und staatlich bewirkte Wettbewerbsverzerrungen, freien Markteintritt und Marktaustritt zu sichern.394 Die Wettbewerbsfreiheit schafft damit den prozessualen Hebel für die Zulässigkeit sog. Konkurrenten- oder Drittklagen, die sich typischerweise gegen Subventionierungen von Wettbewerbern richten werden.395 Gerade für das inhaltliche Verständnis dieser Wettbewerbsfreiheit kommt es naturgemäß auf das als maßgeblich zugrundegelegte wettbewerbliche Leitbild an. Die grundgesetzliche Gewährleistung scheint sich demnach desto mehr zu verengen, je stärker Wettbewerb in Abhängigkeit zu gesamtwirtschaftlichen Funktionen, Marktstrukturen etc. begriffen wird. Diese (scheinbare) Abhängigkeit darf aber nicht dazu verleiten, umgekehrt die Wahl der 193 maßgeblichen Wettbewerbskonzeption ihrerseits als von verfassungsmäßigen Vorgaben gelöst und insoweit beliebig anzusehen. Die nach Art. 2 Abs. 1 GG verbürgte Wettbewerbsfreiheit hat vielmehr wegen der erforderlichen gedanklichen Einbindung des Art. 2 Abs. 1 GG in den Gesamtzusammenhang der Wirtschaftsgrundrechte eine nicht exogen, nicht erst durch wirtschaftswissenschaftliche Wettbewerbskonzeptionen vermittelte Substanz an ökonomischer Handlungsfreiheit, die durch die dortige Schrankentrias schon wegen der Wesensgehaltsgarantie nicht zur Bedeutungslosigkeit herabgemindert werden kann.396 Allerdings wird diese Substanz erst in der Dialektik zwischen grundgesetzlicher Wettbewerbsfreiheit und neoklassischer Wettbewerbskonzeption hinreichend transparent und darstellbar.397 Aber nicht nur vor diesem Hintergrund ist es bedenklich, die Wettbewerbsfreiheit materiell 194 aus Art. 2 Abs. 1 GG herauszulösen und die freie Teilnahme am Wettbewerb als Unterfall der

393 BVerfG 8. 2. 1972 – 1 BvR 170/71 – BVerfGE 32, 311, 316 = GRUR 1972, 358, 360 – Grabsteinwerbung; BVerwG 30. 8. 1968 – VII C 122.66 – BVerwGE 30, 191, 198 = NJW 1969, 522, 523; BVerwG 22. 5. 1980 – 3 C 2.80 – BVerwGE 60, 154, 159 = NJW 1980, 2764, 2765; Ballerstedt in Bettermann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte III/1 (1966) 70; Baumbach/Hefermehl Allg. Rn. 50; Fikentscher Bd. II, § 20 V 5c, d; Maunz/Dürig/Di Fabio GG Art. 2 Rn. 116; Weimar/Schimikowski Grundzüge des Wirtschaftsrechts, 2. Aufl. (1993) Rn. 78; a. A. Erichsen in Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland VI (1989) § 152 Rn. 62. – Zur Wettbewerbsfreiheit als Verfassungsbegriff s. Leisner Wettbewerb S. 47 ff., 170 f. 394 BVerwG 30. 8. 1968 – VII C 122.66 – BVerwGE 30, 191, 198 f. = NJW 1969, 522, 523 f.; BVerwG 22. 5. 1980 – 3 C 2.80 – BVerwGE 60, 154, 159 = NJW 1980, 2764, 2765; BVerwG 23. 3. 1982 – 1 C 157.79 – BVerwGE 65, 167, 174; BVerwG 18. 4. 1985 – 3 C 34/84 – BVerwGE 71, 183, 189 f. = NJW 1985, 2774, 2775 f.; R. Schmidt Öffentliches Wirtschaftsrecht S. 163; s. a. Huber DÖV 1956, 137. 395 BVerwG 30. 8. 1968 – VII C 122.66 – BVerwGE 30, 191, 196 (m. Anm. Friauf DVBl. 1969, 368); Mössner JuS 1971, 131; Scholz NJW 1969, 1044; Selmer NJW 1969, 1266; Skouris Verletztenklagen und Interessentenklagen (1979) passim; Zuleeg Subventionskontrolle durch Konkurrentenklage (1974) passim. S. a. OVG Münster NVwZ 1984, 522, 524 f.; ferner schon Nipperdey Marktwirtschaft S. 39 f. 396 S. a. BVerfG 16. 1. 1957 – 1 BvR 253/56 – BVerfGE 6, 32, 41. Weitaus enger aber BVerwG 30. 8. 1968 – VII C 122.66 – BVerwGE 30, 191, 198 f.: Wettbewerbsfreiheit erst essentiell tangiert, wenn sie „im unerträglichen Maße eingeschränkt“ ist. 397 S. näher Rn. 165 ff. Methodologisch besteht hier eine Parallele zum Prinzip verfassungskonformer Auslegung (dazu grundlegend BVerfG 7. 5. 1953 – 1 BvL 104/52 – BVerfGE 2, 266, 282) wie zur Theorie der Wechselwirkung zwischen Grundrechtsvorbehalt und grundrechtseinschränkender Norm, dazu schon BVerfG 15. 1. 1958 – 1 BvR 400/ 51 – BVerfGE 7, 198, 208 f. – Lüth.

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A. Wettbewerb und Wirtschaftsordnung

Berufsfreiheit dem Regelungsbereich des angeblich sachnäheren Art. 12 Abs. 1 zuzuweisen.398 Dieser Zuordnungswechsel bedingt nämlich eine Blickwinkelverengung der Wettbewerbsfreiheit auf die Unternehmer- bzw. Unternehmensfreiheit399 (speziell etwa auch auf Produktions-, Sortiments- und Werbefreiheit), wobei die Konsumentenfreiheit als integraler Bestandteil der Wettbewerbsfreiheit in der Vertikaldimension des Wettbewerbs auf der Strecke bleiben müsste. Dieser wesensmäßigen Ambiguität der Wettbewerbsfreiheit entspricht es, wenn diese Freiheit auch als Ausprägung der Marktfreiheit, des rechtlich gewährleisteten Freiraums selbstverantwortlicher Gestaltung der Marktbeziehungen insgesamt, thematisiert wird.400 Zumindest insoweit ist also an der Anbindung der Wettbewerbsfreiheit an Art. 2 Abs. 1 GG festzuhalten. 195 Die Verschiebung der Wettbewerbsfreiheit von Art. 2 Abs. 1 zu Art. 12 Abs. 1 GG führt zu einer eventuellen Verkürzung des Freiheitsinhalts auch insoweit, als wegen des angenommenen personalen Grundzuges der Berufsfreiheit juristische Personen und Gesamthandsgesellschaften als Teilnehmer des Wettbewerbs nur in dem Rahmen geschützt sein würden, in dem die betreffende wirtschaftliche Betätigung ihrer Art und ihrem Wesen nach auch von natürlichen Personen ausgeübt werden könnte.401 Die geringere Einschränkbarkeit des Rechts aus Art. 12 Abs. 1 GG gegenüber der mit Art. 2 Abs. 1 GG gewährten Position bedeutet keine adäquate Kompensation jener doppelten Schwächung der Wettbewerbsfreiheit. Art. 2 Abs. 1 GG statuiert i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG – tatbestandlich viel enger als die allgemei196 ne Handlungsfreiheit – ein „unbenanntes“ Freiheitsrecht, das als „Allgemeines Persönlichkeitsrecht“ auf den Schutz des Individuums in seiner engeren Persönlichkeitssphäre abhebt.402 Wettbewerbsrechtlich bedeutsam ist auch und gerade die Transposition dieses Rechts in den privatrechtlichen Bereich,403 die methodologisch freilich nicht als unmittelbare Drittwirkung des Grundrechts, sondern als Lückenschließung der Dogmatik durch Schaffung eines privatrechtlichen Pendants zu Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG zu verstehen ist. Im dogmengeschichtlich eher durch den Vermögensbezug geprägten Privatrecht wäre der Persönlichkeitsschutz sonst zu schwach entwickelt, nämlich nur in wenigen Facetten wie z. B. hinsichtlich Name (§ 12 BGB), Abbildung (§§ 22–24 KUG) oder Urheberschaft (§§ 12–14 UrhG). 197 Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht tritt wettbewerbsrechtlich durchweg nicht unter dem Aspekt aktiver Persönlichkeitsentfaltung in Erscheinung, sondern wird mehr durch das Wettbewerbsverhalten anderer passiv tangiert, z. B. durch aggressives Marketing, etwa durch unerbetene Kontaktaufnahme in der (häuslichen) Privatsphäre.404 Die wettbewerbsrechtliche Relevanz dieser besonderen Ausstrahlungswirkung des Art. 2 Abs. 1 GG im Allgemeinen Persönlichkeitsrecht hält sich allerdings in Grenzen, weil in solchen Fallgestaltungen regelmäßig spezielle lauterkeitsrechtliche Unzulässigkeitstatbestände eingreifen, namentlich solche des § 7 Abs. 2. Es 398 BVerfG 8. 2. 1972 – 1 BvR 170/71 – BVerfGE 32, 311, 317 = GRUR 1972, 358, 360 – Grabsteinwerbung; BVerfG 12. 10. 1977 – 1 BvR 216/75 – BVerfGE 46, 120, 137; OVG Münster 22. 9. 1982 – 4 A 989/81 – NVwZ 1984, 522, 524; R. Schmidt Öffentliches Wirtschaftsrecht S. 163; Scholz AöR 100 (1975), 80, 128 f. 399 So jedenfalls tendenziell BVerfG 14. 10. 1970 – 1 BvR 306/68 – BVerfGE 29, 260, 267; BVerfG 1. 3. 1979 – 1 BvR 533/77 – BVerfGE 50, 290, 363, 366; BVerfG 19. 10. 1983 – 2 BvR 298/81 – BVerfGE 65, 196, 210. 400 Ballerstedt in Bettermann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte III/1 (1966) 66 ff. 401 Vgl. BVerfG 4. 4. 1967 – 1 BvR 84/65 – BVerfGE 21, 261, 266; BVerfG 11. 3. 1968 – 2 BvL 18/63 u. a – BVerfGE 23, 208, 223; BVerfG 16. 3. 1971 – 1 BvR 52/66 – BVerfGE 30, 292, 312; BVerfG 1. 3. 1979 – 1 BvR 533/77 – BVerfGE 50, 290, 362; BVerfG 4. 12. 1979 – 2 BvR 64/78 – BVerfGE 53, 1, 13; Maunz/Dürig/Remmert GG Art. 19 Abs. 3 Rn. 27. 402 Vgl. nur BVerfG 14. 2. 1973 – 1 BvR 112/65 – BVerfGE 34, 269; BVerfG 3. 6. 1980 – 1 BvR 185/77 – BVerfGE 54, 148. 403 BGH 25. 5. 1954 – I ZR 211/53 – BGHZ 13, 334, 338 = GRUR 1955, 197, 198 – Leserbriefe; BGH 26. 11. 1954 – I ZR 266/52 – BGHZ 15, 249 = GRUR 1955, 201 – Cosima Wagner. 404 BGH 20. 12. 1988 – VI ZR 182/88 – GRUR 1989, 225 – Handzettel-Wurfsendung; BGH 10. 7. 2018 – VI ZR 225/17 – GRUR 2018, 1178 – Kundenzufriedenheitsbefragung. Ausführlich zum Persönlichkeitsschutz vor Werbung, gerade im häuslichem Intimbereich als Konsequenz der Anerkennung eines „Konsumentenpersönlichkeitsrechtes“ Ehlers WRP 1983, 187; Hefermehl GRUR 1980, 622; Krüger-Nieland GRUR 1974, 561; Steindorff Persönlichkeitsschutz im Zivilrecht (1983) passim; s. a. Degenhart JuS 1992, 361, 368.

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IV. Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsverfassung

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bleiben aber nicht speziell erfasste Konstellationen, etwa Formen der personenbezogenen Hinweiswerbung und einer darin eventuell beschlossenen Namensnennung ohne Verletzung des Namensrechtes (§ 12 BGB) oder sonstiger rechtswidriger Vermarktung von Name und Bild, eventuell auch Ruf und Ansehen anderer, zumeist medienpräsenter Personen mit entsprechendem Bekanntheitsgrad.405

c) Art. 3 Abs. 1 GG. In engem gedanklichen Zusammenhang mit Vertragsfreiheit und Wettbe- 198 werbsfreiheit steht die Gleichheitsidee, die ihren allgemeinen verfassungsrechtlichen Ausdruck in Art. 3 Abs. 1 GG gefunden hat. Werden die grundgesetzlichen (Wirtschafts-)Freiheiten zutreffend als konstitutive Faktoren ergebnisoffener ökonomischer Prozesse begriffen (s. Rn. 172), so verwirklicht sich in dem von Wettbewerb geprägten Markt und in den selbstverantworteten marktlichen Tauschvorgängen eo ipso ein wesentliches Moment der Gleichheit schon als Verhinderung der Konzentration ökonomischer Macht und daraus resultierender Diktate.406 Es handelt sich dabei allerdings nicht um eine egalisierende, die tatsächlichen Unterschie- 199 de nivellierende Gleichheit, sondern um die Gleichheit des suum cuique auf der Basis eines für alle Akteure rechtsförmlich einheitlichen Status, einer für alle identischen Rechts-, Geschäftsund Zurechnungsfähigkeit.407 Indem das jedem Gebührende nicht von außen, namentlich nicht von Staats wegen verordnet wird, sondern sich konkret erst als nicht prognostizierbares Ergebnis wahrgenommener Privatautonomie manifestiert, sichert diese Gleichheit sowohl die Freiheitsreproduktion als sie auch die tendenziell gerechteste Verteilung knapper Güter bewirkt. Vermittels dieser Gleichheit zeigt sich der Markt seinerseits als Ausfluss des Sozialstaatsprinzips, muss dieses Prinzip also gerade nicht durch Marktintervention zur Wirkung gebracht werden (s. a. Rn. 174 f.).408 So stehen sich Individualprinzip und Markt einerseits, Sozialprinzip und (Verteilungs-)gerechtigkeit andererseits, nicht antithetisch gegenüber.409 Mit Blick auf die grundgesetzlich gewährleistete Rechtsgleichheit war deshalb der Versuch 200 zum Scheitern verurteilt, einen im früheren Rabattgesetz angelegten „Grundsatz gleicher Preisstellung“ aller Kunden410 als von Art. 3 Abs. 1 GG gedeckt oder gar gefordert ausweisen zu wollen. In diesem Lichte ist ferner das Diskriminierungsverbot des § 19 Abs. 2 GWB keine Ausnahme vom Gleichheitsgrundsatz oder auch nur seine materielle Sonderregelung,411 sondern nur dessen Bestätigung,412 wenn dort – man kann sagen: auch – für marktbeherrschende bzw. relativ marktmächtige Unternehmen etc. der „sachlich gerechtfertigte Grund“ für differenzierendes Wettbewerbshandeln verlangt wird. Das Problem liegt bekanntermaßen überhaupt – und deshalb auch hier – nicht in der Anerkennung des Gleichheitspostulats, sondern in der ihm vorausliegenden Wertung, welche Differenzierungskriterien zulässig sein sollen.413 Darauf gibt aber 405 Krüger GRUR 1980, 628. 406 Eindrucksvoll Fikentscher Bd. II § 20 V 3a und 4a bb; zur Bedeutung aber auch des Gleichstellungsgebotes in Art. 3 Abs. 2 etwa für die Entwicklung von Grenzen diskriminierender Werbung im Rahmen eines Belästigungstatbestandes vgl. Völzmann Geschlechtsdiskriminierende Wirtschaftswerbung (2014) 179, 268. 407 Schünemann FS Brandner 279, 282 ff. 408 Fikentscher Bd. II § 20 V 3a und 4a bb. 409 Vgl. Kirchhof in Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland VIII 3. Aufl. (2010) § 169 Rn. 99 ff.; s. a. Baumbach/Hefermehl Allg. Rn. 69, wo dieser Ansatz fehlender Antithetik allerdings dazu zu dienen scheint, um die Möglichkeit von Marktinterventionen als dem Grundrechtsinhalt bereits immanent auszuweisen; ähnlich Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 1.48. 410 Vgl. Reichsanzeiger 1933 Nr. 184. 411 So aber Baumbach/Hefermehl Allg. Rn. 68 für 26 Abs. 2 GWB a. F. 412 S. a. BGH 7. 11. 1960 – KZR 1/60 – BGHZ 33, 259, 266 = GRUR 1961, 142, 145 – Molkereigenossenschaft; Raiser JZ 1958, 1, 8. 413 Vgl. nur Badura Staatsrecht C 45 ff.; v. Münch/Kunig/Boysen GG Bd. 1 Art. 3 Rn. 51 f.; Hesse AöR 109 (1984) 174, 188; Starck Die Anwendung des Gleichheitssatzes in Link (Hrsg.), Der Gleichheitssatz im modernen Verfassungsstaat (1982) 51, insbesondere auch S. 64; s. a. Pietzcker JZ 1989, 305.

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A. Wettbewerb und Wirtschaftsordnung

auch § 19 Abs. 2 GWB keine Antwort. Jedenfalls im Konzept der Wettbewerbsfreiheit sind solche Antworten wohl überhaupt unmöglich. 201 Davon abgesehen erscheint es als Tautologie, die sachliche Rechtfertigung „prinzipiell in jeder verständigen unternehmerischen Erwägung“ zu erblicken.414 Wirklich prekär wird diese Formel aber in Verbindung mit Überlegungen der früheren Judikatur, den „verständigen Unternehmer“ mit der Person des Richters zu identifizieren.415 Es überrascht deshalb nicht, dass die Gefahr des Leerlaufens des Diskriminierungsverbots beschworen worden ist.416 Die Kasuistik stellt mittlerweile auf eine umfassende Abwägung der für eine Ungleichbehandlung sprechenden betriebswirtschaftlichen Erwägungen und der dadurch beeinträchtigten Interessen der Gegenseite ab.417

202 d) Art. 4 Abs. 2 GG. Dass auch Grundrechte bzw. in ihnen beschlossene Wertentscheidungen, die keine Elemente der Wirtschaftsverfassung darstellen, im Einzelfall mit dem Wettbewerbsgeschehen in Beziehung treten können, wird man nicht von vornherein ausschließen können. Ein markantes Beispiel dafür liefert die durch Art. 4 Abs. 2 GG gewährleistete Freiheit der Religionsausübung bezüglich der sog. Kanzelwerbung.418 In dem noch zum alten Recht (vor 2004) vom BVerfG entschiedenen Leitfall419 war im (katholischen) Gottesdienst von der Kanzel für die Altmaterialiensammlung einer kirchlichen Jugendvereinigung geworben worden, deren Erlös für Missionsaufgaben etc. verwendet werden sollte. Im Verlauf dieser Aktion war das Geschäft eines Rohstoffhändlers zum Erliegen gekommen. Die Entscheidung bejahte eine Ausstrahlungswirkung: Die Sammlung und ihre Bewerbung seien mit Rücksicht auf deren religiös-karitativen Charakter Teil der Religionsausübung und somit im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung420 gegenüber dem konkurrierenden Rohstoffhändler stärker zu gewichten. Im Ergebnis sei die diesbezügliche Kanzelwerbung mithin wettbewerblich nicht zu beanstanden. 203 Trotz des einleuchtenden Ausgangspunktes der Religionsfreiheit – mildtätige Nächstenliebe ist ein zentrales Anliegen christlichen Glaubens – vermag die Entscheidung nicht zu befriedigen, weil es hier (in der aktuellen gesetzlichen Terminologie) bei den Aktivitäten einer kirchlichen Jugendvereinigung mangels deren Qualität als Unternehmen an einer „geschäftlichen Handlung“ fehlen dürfte, so dass eine Unlauterkeitsprüfung gegenstandslos ist und sich die Frage einer Ausstrahlungswirkung des Art. 4 Abs. 2 GG also gar nicht stellt.421 Wollte man aber in der Sammeltätigkeit eine geschäftliche Handlung noch als wettbewerbsrechtliches Schutzobjekt bejahen, so wäre nach geltendem Recht anhand § 4a Abs. 1 über die Lauterkeit zu entscheiden. 204 Bei der Prüfung, ob in dem Appell an die Nächstenliebe eine aggressive geschäftliche Handlung, konkret eine unzulässige Beeinflussung, zu sehen ist, müsste das Argument der Religionsfreiheit zunächst freilich im Lichte der Einsicht gewürdigt werden, dass es für das Lauterkeitsurteil bei einem wettbewerbsfunktionalen, nicht moralisch gefärbtem Verständnis des Lauterkeitsrechts nicht auf die Motivlage der Akteure ankommen kann, sei diese nun ehrenwert 414 415 416 417

Vgl. Rittner Wettbewerbs- und Kartellrecht, 4. Aufl. (1993) § 12 C II 3b m. w. N. Sehr nahe daran BGH 24. 2. 1976 – KVR 3/75 – GRUR 1976, 711, 714 – Asbach-Fachgroßhändlervertrag. Vgl. Emmerich Die AG 1976, 91, 97. BGH 8. 10. 2019 – KZR 73/17 – NJW 2020, 64 Tz. 36; BGH 12. 4. 2016 – KZR 30/14 – NZKart 2016, 374 Tz. 48 – NetCologne; zur frühren Rechtsprechung vgl. BGH 20. 11. 1975 – KZR 1/75 – GRUR 1976, 206, 208 f. – Rossignol; BGH 24. 3. 1981 – KZR 2/80 – GRUR 1981, 610 – SB-Verbrauchermarkt; BGH 8. 3. 1983 – KZR 1/82 – GRUR 1983, 396 f. – Modellbauartikel III; zur wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Sicht R. Schmidt Öffentliches Wirtschaftsrecht S. 165 ff. 418 Vgl. BVerfG 16. 10. 1968 – 1 BvR 241/66 – BVerfGE 24, 236 = GRUR 1969, 137 – Aktion Rumpelkammer. 419 BVerfG 16. 10. 1968 – 1 BvR 241/66 – BVerfGE 24, 236 = GRUR 1969, 137 – Aktion Rumpelkammer. 420 Seinerzeit im Rahmen der auf einen Verstoß gegen die „guten Sitten“ abstellenden § 1 UWG a. F. 421 Die rechtliche Beurteilung bezog sich damals auf eine Handlung „im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs“. S. a. Gärtner BB 1970, 1361, 1363.

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IV. Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsverfassung

Einleitung

oder aber nicht.422 Im Übrigen findet die Religionsausübungsfreiheit auch ohne ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt ihre Schranken in den allgemeinen Gesetzen und damit auch im UWG.423 Die Ausstrahlungseffekte des Art. 4 Abs. 2 GG spielen insoweit eine Rolle, als eine geschäftliche Handlung bei religiös motivierter Tätigkeit nicht ohne Abwägung mit der Reichweite der Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 2 GG vermutet werden darf.

e) Art. 5 GG (Art. 10 EMRK, Art. 11 EuGrCh). Die wettbewerbsrechtliche Relevanz der in Art. 5 205 GG getroffenen verfassungsrechtlichen Wertentscheidung ist mehrschichtig angelegt. Seine wirtschaftsverfassungsrechtlich herausragende Bedeutung gewinnt Art. 5 GG dadurch, dass der marktwirtschaftliche Abstimmungsmechanismus zwischen Angebot und Nachfrage diesbezüglich kommerzielle Kommunikationsfreiheit (und dem vorgelagert: Informationsfreiheit) voraussetzt.424 Es kann dabei nicht nur darum gehen, irgendeine Art der Kommunikation rechtlich zu ge- 206 währleisten. Vielmehr ist in diesem Zusammenhang auch dem technischen Fortschritt in der Kommunikationstechnik und der dadurch bedingten Medienvielfalt Rechnung zu tragen. Allein die Telekommunikation durch Nutzung des Internet wirft bezüglich sog. Domains, (Hyper-)Links, Suchmaschinen, Pop Ups, Verkaufs- und Bewertungsportalen, sozialen Netzwerken, Filtersoftware etc. viele spezifische wettbewerbsrechtliche Fragen auf.425 Der in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG verankerte institutionelle Schutz der Medienfreiheit426 kann dabei wettbewerbsrechtlich nicht nur dort ins Spiel kommen, wo sich die Wirtschaftswerbung dieser Medien bedient, sondern muss gerade auch für den wirtschaftlichen Wettbewerb der Medien selbst interpretiert werden.427 Seine Schranken findet der Schutz nach Art. 5 Abs. 1 GG unter anderem allerdings in den 207 „allgemeinen“, nicht gegen die Meinungs- bzw. Medienfreiheit als solche gerichteten Gesetzen. Dazu zählt auch das Lauterkeitsrecht in seiner werbebeschränkenden Wirkung.428 Diese Schranken müssen ihrerseits wieder im Lichte der essentiellen Bedeutung der Meinungs- und Medienfreiheit für den freien Willensbildungsprozess interpretiert, im Ergebnis also ihrerseits wieder 422 Vgl. Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 3 Rn. 345 ff., 349 m. w. N. 423 Zu immanenten Schranken des Art. 4 Abs. 2 GG s. v. Münch/Kunig/Mager GG Bd. 1 Art. 4 Rn. 49, 35 ff.; Maunz/ Dürig/Herzog GG 87. Aufl. (Stand 2019) Art. 4 Rn. 111 ff., 148 ff. 424 Fezer/Büscher/Obergfell Einl. Rn. 443 f.; Paschke Medienrecht, 3. Aufl. (2009) Rn. 166 ff.; Keßler Vom Recht des unlauteren Wettbewerbs zum Recht der Marktkommunikation – Individualrechtliche und institutionelle Aspekte des deutschen und europäischen Lauterkeitsrechts, in Kreijci/Keßler/Augenhofer (Hrsg.) S. 81 ff., 92 ff.; ders. WRP 2005, 1203 ff.; Micklitz/Keßler GRUR Int. 2002, 885, 899 ff.; dies. WRP 2003, 919, 921 ff.; Kugelmann DÖV 2005, 851 ff.; Stober/Korte Öff. Wirtschaftsrecht Allg. Teil Rn. 682 ff.; teilweise kritisch Wunderle S. 263 ff., s. a. Bohling S. 9. 425 Vgl. z. B. BGH 22. 11. 2001 – I ZR 138/99 – GRUR 2002, 622 – shell.de; BGH 25. 11. 2002 – AnwZ (B) 8/02 – NJW 2003, 504 – rechtsanwaelte-notar.de; BGH 17. 7. 2003 – I ZR 259/00 – GRUR 2003, 958 – Internetsuchdienst für Presseartikel/Paperboy; BGH 8. 2. 2007 – I ZR 77/04 – GRUR 2007, 784 – Aidol; BGH 13. 11. 2003 – I ZR 40/01 – GRUR 2004, 249 – Umgekehrte Versteigerung im Internet; BGH 19. 3. 2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 – Hotelbewertungsportal; BGH 19. 4. 2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 – Werbeblocker II; BGH 8. 10. 2019 – KZR 73/17 – NJW 2020, 64 Tz. 39 – Werbeblocker III; medienspezifischer Problemüberblick bei Harte/Henning/Frank Einl. H Rn. 2 ff.; näher Paschke Medienrecht, 3. Aufl. (2009) Rn. 785 ff. 426 BVerfG 6. 10. 1959 – 1 BvL 118/53 – BVerfGE 10, 118, 121; BVerfG 28. 2. 1961 – 2 BvG 2/60 – BVerfGE 12, 205, 260 ff.; BVerfG 5. 8. 1966 – 1 BvR 512/64 – BVerfGE 20, 162, 175; BVerfG 5. 6. 1973 – 1 BvR 536/72 – BVerfGE 35, 202, 221; BVerfG 15. 11. 1982 – 1 BvR 108437438/80 – BVerfGE 62, 230, 234 = GRUR 1984, 357, 359 – markt-intern; BVerfG 25. 1. 1984 – 1 BvR 272/81 – BVerfGE 66, 116; Beater Medienrecht Rn. 791 f.; Paschke Medienrecht, 3. Aufl. (2009) Rn. 193 ff., 201 ff.; Stober/Korte Öff. Wirtschaftsrecht Allg. Teil Rn. 691. 427 BVerfG 27. 7. 1971 – 2 BvF 1/68 u. 2 BvR 702/68 – BVerfGE 31, 314, 322; BVerfG 7. 6. 1977 – 1 BvR 226/74 – BVerfGE 45, 63, 78; Beater Medienrecht Rn. 791 ff. 428 BVerfG 15. 11. 1982 – 1 BvR 108/80 u. a. – BVerfGE 62, 230, 234 = GRUR 1984, 357, 359 – markt-intern; BGH 20. 3. 1986 – I ZR 13/84 – GRUR 1986, 812 – Gastrokritiker; OLG Düsseldorf 5. 5. 1983 – 2 U 40/82 – GRUR 1984, 131, 134 – Fragebogenaktion; OLG Düsseldorf 15. 12. 1983 – 2 U 118/82 – GRUR 1984, 366, 368 f. – Westfälischer Friede; zweifelnd Leisner Die Pressegleichheit (1976) 90; s. a. Drettmann S. 211.

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Einleitung

A. Wettbewerb und Wirtschaftsordnung

restriktiv ausgelegt werden, um die Kommunikationsfreiheit möglichst wirksam zur Geltung zu bringen.429 Zur Bestimmung dieser Schranken-Schranken bedarf es also einer Interessenabwägung, die tendenziell zu einer Präponderanz des grundrechtlichen Wertgehalts führen wird.430 208 Die Wechselwirkung zwischen Grundrecht und Schrankennorm ist allerdings weniger deutlich greifbar, wenn das „allgemeine Gesetz“, wie vor allem im Fall des § 3 Abs. 1, mit einer Generalklausel arbeitet. Denn dann kann die geforderte Interessenabwägung nicht gleichsam schaukelartig von statten gehen, sondern fließt bereits in den Tatbestand der Schrankennorm ein, hier also in den Maßstab der Lauterkeit.431 Teilt man die Auffassung, dass die Generalklausel des § 3 Abs. 1 kaum jemals als unmittelbare Verbotsnorm anwendbar ist,432 spielt diese Besonderheit allerdings keine Rolle, weil die lauterkeitsrechtlichen Einzeltatbestände in die übliche Schranken-Schranken-Mechanik einzustellen sind. Dass die Wirtschaftswerbung überhaupt am Schutz der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 209 S. 1 GG teilhat, ist freilich dann nicht unzweifelhaft, wenn man die Meinungsfreiheit exklusiv in den Kontext gerade des demokratischen Willensbildungsprozesses zu stellen und damit als politisches Prinzip zu begreifen hätte.433 Diese Restriktion würde jedoch der Einsicht nicht gerecht, dass die Meinungs(äußerungs)freiheit wesentlich nicht nur für die politisch relevante und darin jedenfalls „öffentliche Meinung“ ist, sondern jenseits öffentlicher Wirksamkeit schlechthin den unmittelbarsten Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit darstellt.434 Diese Qualität kann auch für die Wirtschaftswerbung nicht von vornherein mit dem 210 Hinweis auf den ihr eigenen absatzstimulierenden Zweck in Abrede gestellt werden.435 Doch ist für die Einbeziehung der Wirtschaftswerbung in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG damit nur eine notwendige, nicht jedoch hinreichende Bedingung erfüllt. Die Rechtsprechung ist in der Beurteilung der Wirtschaftswerbung als Gegenstand der Meinungsfreiheit teilweise uneinheitlich oder doch zumindest unklar gewesen. Während gerade in der älteren Rechtsprechung der grundrechtsrelevante Meinungscharakter der Wirtschaftswerbung durchweg verneint wurde,436 neigte die Judikatur immer mehr dem Gegenstandpunkt zu437 und stellte ihn schon vor der Benetton-Rechtsprechung des BVerfG438 nicht mehr grundsätzlich 429 Grundlegend zu dieser sog. Wechselwirkungslehre BVerfG 15. 1. 1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198, 208 f. S. a. BVerfG 15. 11. 1982 – 1 BvR 108/80 u. a. – BVerfGE 62, 230, 234 = GRUR 1984, 357, 359 – markt-intern; Möschel Pressekonzentration S. 60; eingehend Messer Wettbewerbsrechtliche Beurteilung von Presseäußerungen, FS v. Gamm (1990) 95, 104 f.; Kloepfer/Michael GRUR 1991, 170, 173 ff. 430 BVerfG 15. 1. 1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198, 209 ff.; BGH 10. 1. 1968 – Ib ZR 43/66 – BGHZ 50, 1, 5 = GRUR 1968, 645, 646 ff. – Pelzversand. 431 OLG Düsseldorf 15. 12. 1983 – 2 U 118/82 – GRUR 1984, 366, 368 – Westfälischer Friede. 432 Ausführlich dazu Harte/Henning/Podszun § 3 Rn. 10 ff.; s. a. Schünemann WRP 2004, 925, 927; ders. JZ 2005, 271, 278. 433 So jedenfalls in obiter dicta BVerfG 15. 1. 1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198, 208; BVerfG 5. 6. 1973 – 1 BvR 536/72 – BVerfGE 35, 202, 221; s. ferner namentlich Eicke WRP 1988, 645, 648. 434 Auch zu diesem Verständnis des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG s. schon BVerfG 15. 1. 1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198, 208. 435 So aber BVerwG 4. 3. 1954 – BVerwG I C 2/53 – NJW 1954, 1133; BVerwG 28. 6. 1955 – I C 146.53 – BVerwGE 2, 172, 178 f.; s. a. BVerfG 3. 1. 1980 – 2 BvR 1022/79 – BVerfGE 53, 96, 99 sowie abgeschwächt BVerfG 10. 12. 1975 – 1 BvR 118/71 – BVerfGE 40, 371, 382. Vgl. demgegenüber Friauf/Höfling AfP 1985, 249 f. 436 Vgl. die soeben Genannten sowie BGH 25. 6. 1953 – 3 StR 80/53 – BGHSt 5, 12, 22; BGH 24. 11. 1955 – 5 StR 311/ 55 – BGHSt 8, 360, 379; OLG Braunschweig 24. 2. 1956 – Ss 122/55 – NJW 1956, 839 f. 437 BVerfG 23. 3. 1971 – 1 BvL 3/62 – BVerfGE 30, 336, 352 f.; BVerfG 3. 1. 1980 – 2 BvR 1022/79 – BVerfGE 53, 96, 99; BVerfG 19. 11. 1985 – 1 BvR 934/82 – BVerfGE 71, 162, 173 ff.; OLG Köln 10. 4. 1992 – 6 U 218/91 – GRUR 1992, 454 – Zigarettenwerbung; s. a. BVerfG 14. 7. 1987 – 1 BvR 537/ 81 u.a – BVerfGE 76, 171 sowie BVerfG 14. 7. 1987 – 1 BvR 362/79 – BVerfGE 76, 196 zur zumindest gleichgelagerten anwaltlichen „Werbung“; anders BVerfG 10. 12. 1975 – 1 BvR 118/71 – BVerfGE 40, 371, 382; wohl auch BVerfG 4. 4. 1967 – 1 BvR 414/64 – BVerfGE 21, 271, 278 f. sowie BVerfG 10. 5. 1983 – 1 BvR 385/82 – NJW 1984, 1101, 1102. 438 BVerfG 12. 12. 2000 – 1 BvR 1762/95 u. 1 BvR 1787/95 – BVerfGE 102, 347 = GRUR 2001, 170 – Benetton I; BVerfG 11. 3. 2003 – 1 BvR 426/02 – BVerfGE 107, 275 = GRUR 2003, 442 – Benetton II.

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IV. Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsverfassung

Einleitung

in Frage.439 Das neuere Schrifttum befürwortet ebenfalls schon lange die Einbeziehung der Wirtschaftswerbung in den Schutz des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG.440 Dem ist ganz sicher dann beizupflichten, wenn die Wirtschaftswerbung Werturteile i.w.S. enthält,441 also „Meinungen“ im Gegensatz zu (Tatsachen-)Informationen, gleichbedeutend mit „Angaben“ i. S. d. Anhangs zu § 3 Abs. 3 (sog. schwarze Liste), z. B. Nr. 1, 3, 4 etc.442 Beides lässt sich freilich oft schwer trennen, einerseits, weil Werturteile häufig einen Angabenkern einschließen, andererseits, weil selbst in der Tatsachenauswahl bereits eine Wertung liegt.443 Deshalb ist auch der Transfer von (Tatsachen-)Informationen als von Art. 5 Abs. 1 GG gewährleistet zu betrachten, weil die Freiheit der Meinung ohne freie Meinungsbildung und – ihr vorausliegend – ohne Gewinnung der tatsächlichen Grundlagen der Meinung ins Leere geht, wie durchaus auch das BVerfG (freilich nicht in wettbewerbsrechtlichem Kontext) zutreffend festgestellt hat.444 Insofern ist Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG wichtiges Element einer Wirtschaftsverfassung, die auf „unverfälschte Marktinformation“,445 also auf Transparenz hinsichtlich geschäftlicher Verhältnisse wie z. B. Produkte, Unternehmen etc., als Voraussetzung von Marktrationalität gründet.446 Dass die Wirtschaftswerbung wegen des nicht zu leugnenden Sachzusammenhangs auch als Schutzobjekt der Wettbewerbsfreiheit und der Berufsfreiheit (Artt. 2 Abs. 1, 12 GG) anzusehen ist, kann die Wirtschaftswerbung, sei sie informierend, sei sie wertend, nicht aus dem Anwendungsbereich des Art. 5 Abs. 1 GG eliminieren, um „willkürliche Ergebnisse“ zu vermeiden.447 Eher könnte wegen Spezialität des Art. 5 Abs. 1 ein Konkurrenzproblem in der entgegengesetzten Richtung zu lösen sein. Für Freiheit und Grenzen der Wirtschaftswerbung kann auch Art. 10 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)448 Bedeutung erlangen.449 Danach hat jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung ohne Eingriffe öffentlicher Behörden, dies unter Einschluss der Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten und Ideen (Abs. 1). Für eine a limine eingeschränkte Geltung dieser Kommunikationsfreiheit etwa unter Ausschluss des ökonomischen Sektors und dabei wiederum speziell der 439 BGH 6. 7. 1995 – I ZR 110/93 – GRUR 1995, 595, 597 – Kinderarbeit; BGH 19. 6. 1997 – I ZR 16/95 – GRUR 1997, 916, 919 – Kaffeebohne. 440 Braun WRP 1982, 510, 512 ff.; Drettmann S. 59 ff., 93 ff.; Friedrich WRP 1972, 113; Geck/Böhmer JuS 1973, 503; Jarass NJW 1981, 193 f.; ders. NJW 1982, 1833 f.; Keßler WRP 1987, 75, 81; Kloepfer/Michael GRUR 1991, 170, 173 ff.; Kresse WRP 1985, 536; Lerche S. 79 f.; Paulus WRP 1990, 22; Scheller GRUR 1991, 111; Selmer JuS 1980, 371 f.; Stober Grundrechtsschutz S. 146; v. Mangoldt/Klein/Starck GG 3. Aufl. (1985) Art. 5 Abs.1 und Abs. 2 Rn. 18, 174; Wacke FS Schack 197, 205 ff.; Weides WRP 1976, 585, 587; a. A. z. B. Mangoldt/Klein GG 2. Aufl. (1977) Art. 5 Anm. III 3; früher auch Starck AöR 92 (1967) 449, 471; differenzierend Schüle in Schüle/Huber (Hrsg.), Persönlichkeitsschutz und Pressefreiheit (1961) 23. 441 BVerfG 12. 7. 2007 – 1 BvR 2041/02 – GRUR 2008, 81 – Pharmakartell. 442 Zu dieser Differenzierung s. bereits BVerfG 19. 11. 1985 – 1 BvR 934/82 – BVerfGE 71, 162, 175. 443 Maunz/Dürig/Grabenwarter GG 87. Aufl. (Stand 2019) Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 Rn. 51; Kresse WRP 1985, 536 f.; s. a. BVerfG 28. 2. 1961 – 2 BvG 2/60 – BVerfGE 12, 205 f. 444 BVerfG 22. 6. 1982 – 1 BvR 1376/79 – BVerfGE 61, 1, 7 f.; BVerfG 9. 10. 1991 – 1 BvR 221/90 – BVerfGE 85, 23, 31. Zu dieser Widersprüchlichkeit s. Harte/Henning/Ahrens Einl. G Rn. 69 f.; Wassermeyer GRUR 2002, 126, 130. 445 Harte/Henning/Ahrens Einl. G Rn. 84. 446 Dambrowski in Bohling (Hrsg.) S. 167 ff.; Keßler WRP 1987, 75, 80 f.; ders. WRP 1990, 73; zur Markttransparenz als lauterkeitsrechtlich maßgebliches Wertungskriterium: BGH 7. 3. 2019 – I ZR 154/16 – GRUR 2019, 644, 647 – Knochenzement III; Vorauflage/Glöckner § 6 Rn. 528 ff.; Ohly/Sosnitza § 6 Rn. 68. 447 EGMR 30. 1. 2018 – 69317/14 – NJOZ 2019, 489 – Sekmandienis/Litauen (Wirtschaftswerbung mit religiös verletzendem Gehalt); EGMR 13. 7. 2012 – 16354/06 – Mouvement Raelien Suisse/Schweiz (Werbung für ideelle Vereinigung); weitergehenden Schutz genießt Wirtschaftswerbung mit kritischem oder satirischem Gehalt: EGMR 19. 2. 2015 – 53649/09 – NJW 2016, 781 Tz. 49 – Ernst August von Hannover/Deutschland; EGMR 19. 2. 2015 – 53495/ 09 – ZUM-RD 2016, 561 Rn. 55 – Bohlen/Deutschland; Harte/Henning/Ahrens Einl. G Rn. 69 f. 448 BGBl. 1952 II S. 685 f., 953; 1954 II S. 14. 449 Harte/Henning/Ahrens Einl. G Rn. 77.

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A. Wettbewerb und Wirtschaftsordnung

Werbefreiheit gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Entsprechendes gilt für Art. 11 der Europäischen Grundrechtecharta. Art. 10 Abs. 2 EMRK lässt gesetzliche Einschränkungen dieser so weitgefassten Freiheit zu, soweit diese unentbehrlich sind „im Interesse der nationalen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer, um die Verbreitung von vertraulichen Nachrichten zu verhindern oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten.“ Trotz weitgehender inhaltlicher Kongruenz mit Art. 5 GG ist Art. 10 EMRK nicht etwa über Art. 1 Abs. 2 oder Art. 25 GG verfassungsähnlicher Rang in der Rechtsquellenhierarchie zuzubilligen, wohl aber die Qualität eines einfachen Gesetzes.450 Innerhalb des deutschen (materiellen) Rechts kann sich ein dogmatisch greifbarer Ausstrahlungseffekt des Art. 10 EMRK auf die rechtliche Beurteilung wettbewerblicher Sachverhalte wegen seiner durch Art. 5 GG gleichsam konsumierten Normsubstanz kaum einstellen,451 doch zeigt sich eine prozessuale Relevanz von Art. 10 EMRK für das Wettbewerbsgeschehen in Deutschland durch den dadurch eröffneten Zugang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Angesichts der seit Langem praktizierten Rechtsprechung des EGMR, die an die Unentbehrlichkeit der (Werbe-)Beschränkung mittels des Verhältnismäßigkeitsprinzips einen sehr strengen Maßstab anlegt und auch Vorfragen des nationalen Wettbewerbsrechts judiziert,452 kann Art. 10 EMRK doch stärker ins Gewicht fallen, als es zunächst den Anschein hat.453 Dasselbe gilt für Art. 11 der Europäischen Grundrechtecharta (EuGrCh): Zwar ist auch seine Normsubstanz weitestgehend deckungsgleich mit Art. 5 GG, doch ist die Grundrechtecharta wegen Art. 6 Abs. 1 EUV in das europäische (Primär-)Recht inkorporiert, hat demzufolge Anwendungsvorrang sogar vor deutschem Verfassungsrecht und ist für den EuGH justiziabel (s. eingehend zu den sog. europäischen Grundrechten Einl. C Rn. 200 ff.; speziell zu Art. 11 EuGrCh Einl. C Rn. 205 ff.). Im vollharmonisierten Bereich genießen die Unionsgrundrechte Vorrang vor den nationalen Grundrechten, im teilweise harmonisierten Bereich bleiben die nationalen Grundrechte anwendbar, in beiden Fällen behält sich das BVerfG vor, die grundrechtliche Abwägung selbst vorzunehmen, also auch die Unionsgrundrechte anzuwenden.454 Eine weitere Ausstrahlungswirkung des Art. 5 GG kann sich zeigen, wenn in Fällen des Boykotts der Verrufer sich wettbewerblich kontraproduktiv verhält, das drohende Verdikt der Unlauterkeit wegen „gezielter“ Konkurrentenbehinderung nach § 4 Nr. 4 aber noch auf den Wertgehalt des Art. 5 Abs. 1 GG abgestimmt werden muss, weil der Verrufer den Boykottaufruf als Instrument im Meinungskampf einsetzt.455 Plausibel ist hier ein interpretatives Kalkül, das mit Rücksicht auf die Wechselwirkung von Grundrecht und Lauterkeitsrecht die letztlich zur wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit führende Ausstrahlungswirkung des Art. 5 Abs. 1 GG nur auf den Versuch der Beeinflussung der öffentlichen Meinung bezieht, insbesondere hinsichtlich politischer, sozialer und kultureller Themen.456 Bei einem nur sehr 450 Vgl. für die h.M. nur Maunz/Dürig/Herdegen GG 87. Aufl. (Stand 2019) Art. 1 Abs. 2 GG Rn. 41; v. Münch/Kunig GG Bd. 1 Art. 1 Rn. 47; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf/Müller-Franken GG 12. Aufl. (2011) Vorb. vor Art. 1 Rn. 48 f.; Zippelius/Würtenberger § 16 Rn. 37; a. A. Echterhölter JZ 1955, 689. 451 Noch weniger kann man Art. 10 EMRK unmittelbar als Element des nationalen Wettbewerbsprivatrechts einordnen und damit eine größere Nähe zum UWG herstellen, weil Art. 10 EMRK ersichtlich dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist („... ohne Eingriffe öffentlicher Behörden ...“). 452 EKMR 13. 7. 1983 – 8734/79 – GRUR Int. 1984, 631 – Tierärztlicher Nachtdienst; EGMR 25. 3. 1985 – 10/1983/66/ 101 – GRUR Int. 1985, 468 – Tierärztlicher Nachtdienst. 453 Zur wettbewerbsrechtlichen Relevanz der EMRK s. a. – speziell mit Blick auf die vergleichende Werbung – Kloepfer/Michael GRUR 1991, 170, 178 f. 454 BVerfG 6. 11. 2019 – 1 BvR 276/17 – GRUR 2020, 88 Tz. 20 ff. m. Anm. Peifer GRUR 2020, 34. 455 Vgl. BVerfG 26. 2. 1969 – 1 BvR 619/63 – BVerfGE 25, 256, 263 für § 823 Abs. 1 BGB – Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb – als „allgemeines Gesetz“. 456 BVerfG 26. 2. 1969 – 1 BvR 619/63 – BVerfGE 25, 256, 264; s. a. BGH 2. 2. 1984 – I ZR 4/82 – GRUR 1984, 461 – Kundenboykott; BVerfG 12. 7. 2007 – 1 BvR 2041/02 – BVerfGK 11, 409 = GRUR 2008, 81 – Pharma-Kartell.

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IV. Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsverfassung

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begrenzten Leserkreis wird man von einem derartigen, auf Öffentlichkeit zielenden Versuch nicht reden können.457 Im Übrigen wird die Durchführung dieses Ansatzes notgedrungen zweifelhaft, wenn der Boykottierte seinerseits ein Presseunternehmen betreibt und somit den Schutz des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG grundsätzlich ebenfalls in Anspruch nehmen kann. Dann lässt sich wegen des Neutralisationseffektes eine allemal brisante inhaltliche Stellungnahme zu den vertretenen Meinungen, dem Verlagsprogramm etc. im Lichte anderer Grundrechte bzw. der verfassungsrechtlichen Wertordnung insgesamt schwerlich ausweichen. Die Herbeiführung der wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit eines Boykottaufrufs durch Einbeziehung des Wertgehalts von Art. 5 Abs. 1 GG ist aber jedenfalls nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil der Boykottaufruf auch den Geschäftsinteressen des Verrufers dient.458 Dies charakterisiert ja überhaupt erst die Problemkonstellation, denn § 4 Nr. 4 kann als allgemeines Gesetz i. S. d. Art. 5 Abs. 2 GG mit diesem Grundrecht nur bei „geschäftlichem Handeln“ in jene spezifische Wechselwirkung treten. Während beim Boykottaufruf Art. 5 Abs.1 GG eine die wettbewerbliche Unlauterkeit zurückdrängende Ausstrahlungswirkung entfalten kann, ist im Zusammenhang mit dem sog. TitelMerchandising oder dem kostenfreien Vertrieb von Anzeigenblättern, aber auch von Fachzeitschriften, Rundfunk- und Fernsehprogrammen u.ä., umgekehrt an eine verschärfende Einflussnahme des Art. 5 Abs. 1 GG auf das Lauterkeitsrecht zu denken. Befürchten lässt sich dabei etwa eine aus dem sog. Titel-Merchandising resultierende Abhängigkeit öffentlich-rechtlicher Fernsehanstalten bei der Programmgestaltung459 sowie (vor allem bei kostenfreiem Pressevertrieb) eine Bestandsgefährdung der Presse. Normkonkret verortet sind die sich im Medienbereich zahlreich stellenden lauterkeitsrechtlichen Bewertungsprobleme je nach Blickwinkel zum Einen namentlich in § 4 Nr. 1 und 2, in § 6 sowie Nr. 11 des Anhangs zu § 3 Abs. 3, wofür auf die dortigen Kommentierungen verwiesen wird. Zum Anderen wird unter der überkommenen Rubrifizierung „allgemeine Marktbehinderung“ (oder „Marktstörung“) § 3 Abs. 1 als unmittelbare Verbotsgrundlage diskutiert.460 Letzteres ist aus grundsätzlichen teleologischen wie systematischen Gründen freilich bedenklich, ja, abzulehnen.461 Gleichwohl sollen die Problemstrukturen hier in einem primär am deutschen Recht orientierten grundrechtlichen Kontext (zu Art. 11 EuGrCh s. Rn. 217 sowie Einl. C Rn. 205 ff.) skizziert werden: Zumindest in Gestalt der herkömmlichen, überregionalen wie regionalen Tagespresse gilt die Presse einerseits zu Recht als unverzichtbares Element einer funktionierenden Demokratie bei der freien Bildung der öffentlichen Meinung, andererseits ist sie aber in privatwirtschaftlicher Trägerschaft auf die Erzielung von Einnahmen als ökonomische Grundlage ihrer Publikationstätigkeit angewiesen.462 Eine wesentliche Finanzierungsquelle stellen herkömmlich jedenfalls für diese Presseunternehmen die Anzeigenerlöse dar, die wiederum um so höher sein können, je attraktiver sich das Presseerzeugnis im Leserkreis zwar auch wegen seines redaktionellen Teiles, aber eben gerade auch wegen seiner Kostenfreiheit darstellt. Während reine Anzeigenblätter (Offertenblätter) wie kostenlos verteilte (andere) Werbeträger unbeanstandet blieben, ist in der Judikatur die kostenlose Verteilung von Anzeigenblättern

457 BVerfG 15. 11. 1982 – 1 BvR 108/80 u. a. – BVerfGE 62, 230, 234 = GRUR 1984, 357, 360 – markt-intern. 458 Zutreffend BVerfG 26. 2. 1969 – 1 BvR 619/63 – BVerfGE 25, 256, 264; BVerfG 15. 11. 1982 – 1 BvR 108/80 u. a. – BVerfGE 62, 230, 234 = GRUR 1984, 357, 359; a. A. BGH 2. 2. 1984 – I ZR 4/82 – GRUR 1984, 461 – Kundenboykott. 459 BGH 19. 11. 1992 – I ZR 254/90 – BGHZ 120, 228 = GRUR 1993, 692 – Guldenburg. 460 Neuerdings BGH 20. 11. 2003 – I ZR 151/01 – BGHZ 157, 55 = GRUR 2004, 602 – 20 Minuten Köln; BGH 20. 11. 2003 – I ZR 120/00 – WRP 2004, 746 – Zeitung am Sonntag; BGH 24. 6. 2004 – I ZR 26/02 – GRUR 2004, 877 – Werbeblocker; BGH 19. 4. 2018 – I ZR 154/16 – BGHZ 218, 236, 252 f. = GRUR 2018, 1251, 1256 – Werbeblocker II. 461 Eingehend Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 1 Rn. 7 ff., 85 ff., 112 f.; § 3 Rn. 77 ff., 102, 260 ff.; ebenso im Ergebnis Emmerich/Lange Unlauterer Wettbewerb § 19 Rn. 4. 462 Insoweit zutreffend Kübler/Simitis JZ 1969, 445, 451.

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mit nennenswertem redaktionellen Teil als unlauter (in früherer Diktion: sittenwidrig) deklariert worden, sofern die (Tages-)Presse wegen des durch solche Anzeigenblätter ebenfalls gestillten Leseinteresses einerseits, wegen einer damit einhergehenden Verringerung des Anzeigenvolumens andererseits in ihrem Bestand gefährdet schien.463 225 In ähnlichen gedanklichen Bahnen hat sich überwiegend auch die Rechtsprechung zur Gratisverteilung von Fachzeitschriften bewegt, jedenfalls soweit diese nicht von Kammern, Berufsverbänden etc. herausgegeben wurden.464 Der Akzent lag hierbei ebenfalls auf der Befürchtung, durch eine Finanzierung allein über den Anzeigenmarkt könne eine redaktionelle Abhängigkeit von dem Inserenten eintreten und mit einem Absinken des Leistungsniveaus einhergehen, wobei noch hinzukomme, dass der Leser auf eine schlechtere inhaltliche Qualität nicht mehr mit der Bezugsweigerung reagieren könne.465 Diese Gefahren wurden jedenfalls bei den sog. ständigen Freistücken gesehen, nicht hingegen beim sog. Wechselversand, also bei der Gratisbelieferung eines sich ständig ändernden Empfängerkreises.466 226 Die in der Judikatur geäußerten Bedenken gegen die geschilderten Entwicklungen vermögen indes aus vielerlei Gründen nicht zu überzeugen. So ist etwa im Zusammenhang mit den Anzeigenblättern aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG schon deshalb wenig argumentativer Gewinn zu ziehen, weil die Anzeigenpresse ebenfalls an der institutionellen Pressegarantie teilhat.467 Außerdem wurde der Institutionsschutz, kaum kaschiert, oft genug ins Feld geführt, um den konkreten Besitzstand von aktuell existenten Presseunternehmen zu schützen.468 Es sollten also mit der grundrechtsbezogenen Auslegung des Lauterkeitsrechts in Wahrheit eine am status quo orientierte Marktstruktur und etablierte Vertriebs- und Finanzierungsmodelle fixiert werden. Gerade dies können und sollen aber weder das institutionelle Grundrechtsverständnis von Pressefreiheit469 noch das Lauterkeitsrecht leisten, worüber in der Literatur schon seit Langem breite Übereinstimmung herrscht.470 Hinzukommt die generelle Problematik einer marktfolgeorientierten Denkweise (vgl. Rn. 74 f., 97, 114 f.). Von dieser Thematik streng zu unterscheiden ist freilich die Problematik der journalistischen Tätigkeit der öffentlichen Hand (s. Rn. 230a, Einl. F Rn. 7, 106). 227 Die Ergebnisoffenheit des Wettbewerbs als eines hervorstechenden Charakteristikums der Wirtschaftsverfassung macht vielmehr auch vor den Medien nicht halt und stellt legitimerweise auch hier traditionelle Lösungen wie die Finanzierung über den Anzeigen- statt über den Vertriebsmarkt in Frage. Dass der wettbewerbliche Steuerungsmechanismus gerade über den Ver463 Vgl. BGH 27. 1. 1956 – I ZR 146/54 – BGHZ 19, 392 = GRUR 1956, 223 – Freiburger Wochenbericht; BGH 12. 11. 1991 – KZR 18/90 – BGHZ 116, 47 = GRUR 1992, 191 – Amtsanzeiger; BGH 20. 12. 2018 – I ZR 112/17 – GRUR 2019, 189 – Crailsheimer Stadtblatt II = JZ 2019, 361 m. Anm. Winkler, VBlBW 2019, 285 m. Anm. Enzensberger, WRP 2019, 317 m. Anm. Peifer. 464 Speziell dazu vgl. BGH 4. 12. 1970 – I ZR 96/69 – GRUR 1971, 168, 170 f. – Ärztekammer; BGH 21. 6. 1971 – KZR 8/70 – BGHZ 56, 327 = GRUR 1972, 40 – Verbandszeitschrift/Feld und Wald I: Man ging hierbei wohl von der Entgeltlichkeit des Bezuges mit Rücksicht auf gezahlte Mitgliedsbeiträge aus. S. neuerdings BGH 20. 11. 2003 – I ZR 151/01 – BGHZ 157, 55 = GRUR 2004, 602 – 20 Minuten Köln; BGH 20. 11. 2003 – I ZR 120/00 – WRP 2004, 746 – Zeitung am Sonntag. S. a. BGH 24. 6. 2004 – I ZR 26/02 – GRUR 2004, 877 – Werbeblocker. 465 BGH 17. 12. 1976 – I ZR 26/75 – GRUR 1977, 608 – Feld und Wald II; OLG München 22. 3. 1979 – 6 U 2167/78 – WRP 1979, 576 und OLG München 25. 10. 1979 – 6 U 3927/78 – WRP 1980, 169; a. A. OLG Hamburg 25. 10. 1973 – 3 W 127/73 – GRUR 1974, 400 – Monantszeitschrift/Dialog; LG Hamburg 14. 7. 1978 – 15 O 284/78 – GRUR 1979, 174; Assmann/Brinkmann NJW 1982, 312, 314 f.; Baumbach/Hefermehl § 1 Rn. 860; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 5.25; Petersen WRP 1979, 428; Ulmer GRUR 1977, 565, 569, 576. 466 OLG Karlsruhe 6. 6. 1957 – 4 U 29/57 – WRP 1957, 261; OLG München 25. 10. 1979 – 6 U 3927/78 – WRP 1980, 169; LG Bielefeld 8. 6. 1978 – 16 O 219/77 – WRP 1978, 750. 467 Gärtner BB 1970, 1361, 1364; Kull JZ 1969, 796; Schmidt-Glaeser NJW 1971, 2014. 468 Ebenso aufschlussreich wie bedenklich BGH 14. 3. 1991 – I ZR 55/89 – BGHZ 114, 82 = GRUR 1991, 616 – Motorboot-Fachzeitschrift, m. kritischer Anm. Rohnke GRUR 1991, 767. 469 Grundlegend BVerfG 26. 2. 1969 – 1 BvR 619/63 – BVerfGE 25, 256. 470 Hoth GRUR 1977, 612; Kakies AfP 1977, 297; Mestmäcker Medienkonzentration und Meinungsvielfalt (1978) 152 f.; Möschel Pressekonzentration S. 71; Sachon WRP 1980, 659, 667; Schricker GRUR 1980, 194; Schünemann Wettbewerbsrecht S. 126 ff.; wohl auch Ochs WRP 1977, 454.

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triebsmarkt funktionieren müsse, ist nirgends und schon gar nicht in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG festgelegt.471 Im Übrigen bleibt dieser Mechanismus durchaus erhalten, weil zwischen der Anzeigenakquisition und der Attraktivität des Presseerzeugnisses für den Leser ein Rückkopplungsverhältnis besteht.472 Die notwendige und wünschenswerte Marktdynamik473 hatte sich nicht zuletzt in einer zwischenzeitlich schon wieder gewandelten Konzeption des Offertenblattes niedergeschlagen, die eine Finanzierung gerade umgekehrt wieder allein über den Vertriebsmarkt vornehmen und die Insertion kostenfrei stellen wollte.474 Schließlich hat die Entwicklung dieses Marktes selber die ursprünglichen Befürchtungen hinsichtlich der Gefährdung der Institution Presse als pars pro toto für Medien überhaupt ex post als grundlos erwiesen, nachdem die Meinungsvielfalt trotz neuartiger technischer, vor allem elektronischer Medien, Vertriebsformen und Kalkulationsmodelle bis heute im Ergebnis keineswegs spürbar abgenommen, sondern wohl sogar zugenommen hat. All dies schließt eine wettbewerbsrechtliche Beanstandung des kostenfreien Vertriebs von Anzeigenblättern in Fachzeitschriften aus anderen Gründen freilich nicht aus. Dabei kann insbesondere an eine Marktvermachtung gedacht werden, z. B. wenn etablierte Verlage auch noch dieses Anzeigenmarktsegment abdecken. Doch ist auch die Verhinderung von Marktmacht weder hier noch sonst Aufgabe des Lauterkeitsrechtes. Soweit das tatbestandlich viel spezifiziertere GWB keine Hemmnisse aufrichtet und auch europarechtlich sich keine Eingriffsmöglichkeiten ergeben,475 kann nicht im kartellrechtlichen „Vorfeld“476 mit Hilfe lauterkeitsrechtlicher Instrumente „ebenso töricht wie vergeblich“ Medien- und speziell Pressestrukturpolitik betrieben werden.477 Diese Auffassung hat sich letztendlich auch die höchstrichterliche Rechtsprechung zu Eigen gemacht. Sie lehnt es mittlerweile grundsätzlich ab, zu Lasten der Wettbewerbsfreiheit den Verlegern entgeltlich vertriebener Zeitungen den Vorrang vor anderen Verlegern einzuräumen, so im Kern zur Konservierung bestehender Marktstrukturen beizutragen und neue Vertriebs- und Finanzierungsformen zu behindern.478 Ausstrahlungswirkung entfaltet Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG ferner durch das hieraus abgeleitete Gebot der Staatsferne der Presse,479 das als Markverhaltensregelung im Sinne des § 3a UWG aufgefasst wird,480 auf journalistisch-redaktionelle Angebote der öffentlichen Hand. Diese sehen sich – letztlich ausgelöst durch ein „massives Funktionsversagen des Verwaltungsrechts und der Verwaltungsgerichtsbarkeit“481 − zunehmend einer lauterkeitsrechtlichen Kontrolle ausgesetzt.482 Indem so die privatwirtschaftlich arbeitende Presse vor staatlicher Konkurrenz 471 A.A. vor allem Assmann/Brinkmann NJW 1982, 312; Kübler FS Löffler 169, 180 ff.; ein pauschal geringeres Allgemeininteresse am Schutz von Anzeigenblättern annehmend Gloy/Loschelder/Danckwerts/Ahrens § 70 Rn. 12. 472 Näher Mestmäcker Medienkonzentration und Meinungsvielfalt (1978) 113. 473 S. bereits Sachon Wettbewerbsrechtliche Probleme des Vertriebs von Freistücken auf dem Fachzeitschriftenmarkt (1980) 108 ff.; ders. WRP 1980, 659, 662. 474 Beispiel etwa schon in OLG Köln 28. 10. 1983 – 6 U 156/83 – GRUR 1984, 148 – Marktplatz. 475 S. §§ 19 Abs. 4, 20 Abs. 1 und 4 GWB, Art. 82 EGV. 476 Zur abzulehnenden „Vorfeldthese“ s. im Anschluss an Möschel Pressekonzentration S. 133 ff. grundlegend Merz, passim; eingehend auch Schünemann Voraufl. Einl. D Rn. 107 ff., E 22 m. w. N.; ferner Harte/Henning/ders. (2. Aufl. 2009) § 3 Rn. 221. 477 Emmerich Unlauterer Wettbewerb, 8. Aufl. (2009) § 20 Rn. 16 ff., 23 (Zitat). 478 Grundlegend BGH 20. 11. 2003 – I ZR 151/01 – BGHZ 157, 55, 63 ff. = GRUR 2004, 602, 604 – 20 Minuten Köln; s. a. BGH 20. 11. 2003 – I ZR 120/00 – WRP 2004, 746, 748 f. – Zeitung am Sonntag; zum Rechtsprechungswandel s. Beater Medienrecht Rn. 838 f. 479 BVerfG 5. 8. 1966 – 1 BvR 586/62 u. a. – BVerfGE 20, 162, 175 = NJW 1966, 1603, 1604. 480 BGH 25. 12. 2011 – I ZR 129/10 – GRUR 2012, 728, 729 – Einkauf Aktuell; BGH 30. 4. 2015 – I ZR 13/14 – GRUR 2015, 1228, 1233 – Tagesschau-App; BGH 26. 1. 2017 – I ZR 207/14 – GRUR 2017, 422, 426 – ARD-Buffet; BGH 20. 12. 2018 – I ZR 112/17 – GRUR 2019, 189, 191 – Crailsheimer Stadtblatt II. 481 Peifer WRP 2019, 317, 326 = GRUR 2019, 189 – Crailsheimer Stadtblatt II. 482 S. a. Einl. F.

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und Leserverlust geschützt wird,483 verwirklicht sich die Pressefreiheit als Institutsgarantie erst über den Umweg des Lauterkeitsrechts. 231 Mangels einer „geschäftlichen Handlung“ lauterkeitsrechtlich von vornherein irrelevant ist die Gratisverteilung von Presseerzeugnissen, die von Parteien verlegt oder wenigstens herausgegeben werden und der Wahlwerbung dienen: Für eine Ausstrahlung des Art. 5 Abs. 1 GG auf das Wettbewerbsrecht fehlt es mithin am Ansatzpunkt.484 Davon unabhängig ist freilich die bislang wohl nicht gestellte Frage485 von Interesse, ob 232 Anleihen aus dem Lauterkeitsrecht etwa im Blick auf Irreführung möglich und geboten sind, um dem parteilichen Wahlkampfrecht klarere Konturen zu geben. Analogien bieten sich durchaus an, da auch der Wahlkampf der Parteien eine horizontale und damit verquickt eine vertikale Wettbewerbsdimension (Abstimmungsverhalten der Wähler) aufweist. Auch die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1, 1. Alt. GG) kann lauterkeitsrechtliche Bedeutung 233 erlangen.486 Voraussetzung ist aber, dass überhaupt eine „geschäftliche Handlung“ als Bezugspunkt der Bewertung vorliegt. Dies scheint auf den ersten Blick angesichts einer unterstellten Selbstgenügsamkeit und rein ideellen Ausrichtung der Kunstschaffenden schwer möglich,487 ist aber im Rahmen der Verbreitung und damit auch Veräußerung von Kunstobjekten durch die Künstler selber sehr wohl denkbar und im Raum des Kunsthandels geradezu die Regel.

234 f ) Art. 9 GG. Eine besondere Ausprägung der bereits durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten Vertragsfreiheit stellt die Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 1 GG dar. Wettbewerbsrechtlich erlangt dieses Grundrecht Bedeutung als Fundament unternehmerischer Kooperation vornehmlich durch die auf freier, nicht ständisch-korporativer oder auf staatlicher Planung gründender Bildung eigener, rechtstechnisch durch das Gesamthandsprinzip oder das Prinzip juristischer Persönlichkeit ausgestalteter Organisationen als Unternehmensträger. Ohne sie wäre unter den ökonomischen Bedingungen des heutigen Wirtschaftslebens erfolgversprechende unternehmerische Betätigung vielfach unmöglich.488 Das Gesellschaftsrecht kann dabei – ebenso wie das Konzernrecht489 – trotz der zahllosen 235 Restriktionen etwa hinsichtlich des möglichen Zwecks der Vereinigung, hinsichtlich der Gründungsmodalitäten, des Firmenrechts etc. durchaus als Ausdruck und rechtsorganisatorischer Rahmen für die Ausübung der grundgesetzlichen Vereinigungsfreiheit gewertet werden. Weder der ausdrückliche Einschränkungsvorbehalt des Art. 9 Abs. 2 GG noch immanente, aus der Einbindung des Art. 9 Abs. 1 GG in den Gesamtzusammenhang der wettbewerbsbasierten Wirtschaftsordnung sich ergebende Schranken müssen deshalb bemüht werden.490 Anders verhält es sich mit der Kartellgesetzgebung, die erst durch eben diese Schranken legitimiert erscheint.491 Hingegen sind lauterkeitsrechtliche Bezüge der Vereinigungsfreiheit von vornherein 236 schwer vorstellbar. Einen (schwachen) Zusammenhang vermittelt allenfalls Art. 9 Abs. 3 GG, insoweit z. B. die dort statuierte sog. Koalitionsfreiheit eine verfassungsrechtliche Gewähr dafür bietet, dass im wettbewerblichen Rechtsschutz die Möglichkeiten der Aktivlegitimation (§ 8 Abs. 3 und 5) ausgeschöpft werden können.

483 Köhler GRUR 2019, 265. 484 A.A. aber Baumbach/Hefermehl § 1 UWG Rn. 861 unter Bezugnahme auf die österreichische Rspr.: kein unlauterer Behinderungswettbewerb.

485 S. beispielhaft Lübken Wahlkampfrecht Nordrhein-Westfalen (2008). 486 Vgl. BGH 6. 7. 1995 – I ZR 58/93 – BGHZ 130, 205 = GRUR 1995, 744 – Feuer, Eis & Dynamit I. 487 Ihre präsumtiv fehlende Gewinnerzielungsabsicht ist ja gerade der Grund dafür, dass sie den sog. freien Berufen zugeordnet werden, vgl. § 1 Abs. 2 PartGG. 488 Badura Staatsrecht C 89; R. Schmidt Öffentliches Wirtschaftsrecht S. 147 f. m. w. N. 489 S. a. Rinck/Schwark Rn. 143, 518. 490 S. a. Huber DÖV 1956, 137, 139. 491 Baumbach/Hefermehl Allg. Rn. 59.

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Lauterkeitsrechtliche Relevanz könnte Art. 9 Abs. 3 GG ferner etwa dann gewinnen, wenn 237 man das Handeln der Arbeitnehmer als Anbieter auf dem (Faktor-)Markt als „geschäftliche Handlung“ mit einzubeziehen hätte, weil koalitionsspezifische Pressionen der Gewerkschaften auf die Arbeitgeber dann im Lichte des Art. 9 Abs. 3 GG auch lauterkeitsrechtlich als zulässig zu gelten hätten.492 Dasselbe könnte umgekehrt auf Arbeitgeberseite gelten, namentlich im Fall der Aussperrung. § 2 Nr. 1 lässt wegen seiner Ausrichtung auf „Unternehmen“ für einen solchen Ansatz aber de lege lata keinen Raum.

g) Art. 11 GG. Der wirtschaftsverfassungsrechtliche Gehalt der grundgesetzlichen Freizügig- 238 keitsgewähr des Art. 11 Abs. 1 GG liegt in der verfassungsrechtlichen Festschreibung des Prinzips innerhalb der Bundesrepublik freier, durch den Marktmechanismus gesteuerter (räumlicher) Allokation nicht nur, aber auch des Faktors Arbeit. Insoweit Art. 11 GG also die wirtschaftliche Betätigung, sei sie selbständig oder nicht, überall im Bundesgebiet eröffnet, erscheint die Freizügigkeit durchaus nicht lediglich als selbstverständlicher Teil der von Art. 12 GG geschützten Berufsfreiheit.493 Schutzsubjekte sind freilich nur Deutsche. Ist bei der Interpretation der Freizügigkeits- 239 schranken nach Art. 11 Abs. 2 GG besonders Bedacht auf die für den marktlichen Wettbewerb essentielle Allokationsfunktion der Freizügigkeit zu nehmen, so wird dies im Ergebnis zu einer restriktiven Auslegung des Freizügigkeitsvorbehalts nach Art. 11 Abs. 2 GG führen, soweit (räumliche) Mobilität wirtschaftlich motiviert ist. Eine privatrechtliche Ausstrahlungswirkung der Freizügigkeitsgewähr ist gegenüber ver- 240 traglich begründeten Residenzpflichten zu erkennen, deren Wirksamkeit tendenziell allemal zurückhaltend zu beurteilen ist und die allenfalls aus zwingenden betrieblichen Notwendigkeiten resultieren können. Residenzpflichten über die Zeit der Betriebszugehörigkeit hinaus sind deshalb jedenfalls als Wettbewerbsverbote i.S. der §§ 74 ff. HGB zu werten und nach Wirksamkeit und Rechtsfolgen entsprechend zu würdigen.

h) Art. 12 Abs. 1 GG (Art. 16 EuGrCh). Das durch die Aspekte Berufswahl und Berufsaus- 241 übung beschreibbare, inhaltlich jedoch nicht aufzuspaltende, vielmehr substantiell einheitliche Grundrecht der Berufsfreiheit494 hat als Konkretisierung des Rechts auf (auch wirtschaftliche) Entfaltungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) zum Ziel, die Sicherung der freien Entscheidung privater Wirtschaftssubjekte über das Ob, das Wie und den Inhalt ihrer auf Schaffung und Erhaltung der materiellen Grundlagen der Lebensführung und Daseinsgestaltung abgestellten Tätigkeit.495

492 Vgl. BGH 25. 1. 1990 – I ZR 19/87 – BGHZ 110, 156, 174 f. = GRUR 1990, 522, 526 f. – HBV-Familien- und Wohnungsrechtsschutz. 493 Ähnlich wohl auch BVerfG 13. 7. 1965 – 1 BvR 771/59 – BVerfGE 19, 101, 111; BGH 27. 2. 1978 – AnwZ (B) 27/77 – BGHZ 71, 28 = NJW 1978, 1328; a. A. aber Baumbach/Hefermehl Allg. Rn. 61 im Einklang mit BVerfG 25. 2. 1976 – 1 BvR 275/74 – BVerfGE 41, 378; BVerwG 21. 6. 1955 – I C 166.53 – BVerwGE 2, 151; BVerwG 24. 3. 1961 – VII C 29.60 – BVerwGE 12, 140. Besonders eng sieht die Freizügigkeitsgewähr Merten Der Inhalt der Freizügigkeit (1970) 23, 64 ff.: lediglich Diskriminierungsverbot zwischen Ortsansässigen und Zuzüglern. 494 So zuerst BVerfG 11. 6. 1958 – 1 BvR 596/56 – BVerfGE 7, 377, 402. Zur dementsprechend auch die Berufswahl – allerdings mit minderer Intensität – ergreifende Regelungsbefugnis des Gesetzgebers, zur methodischen Entwicklung der diesbezüglichen „Stufentheorie“ bis hin zum elastischeren allgemeinen Rekurs auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip s. – m. w. N. und teilweise zu Recht distanziert gegenüber den angenommenen Regelungsspielräumen – Meessen JuS 1982, 397 ff.; Rinck/Schwark Rn. 100 ff.; Rittner Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. (1987) § 3 B II 2a, Rn. 37; R. Schmidt Öffentliches Wirtschaftsrecht S. 122 ff. 495 BVerfG 11. 6. 1958 – 1 BvR 596/56 – BVerfGE 7, 377, 397; BVerfG 17. 7. 1961 – 1 BvL 44/55 – BVerfGE 13, 97, 106; BVerfG 14. 12. 1965 – 1 BvL 14/60 – BVerfGE 19, 330, 336; BVerwG 4. 11. 1965 – I C 6/63 – BVerwGE 22, 286; Badura Staatsrecht C 80; R. Schmidt Öffentliches Wirtschaftsrecht S. 117 ff. m. w. N.

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Die Gewerbefreiheit einschließend, darüber aber weit hinausreichend,496 ist namentlich auch das Verhalten der Unternehmer im Wettbewerb, die freie Gründung und Führung von Unternehmen, als Bestandteil der Berufswahl und Berufsausübung dem Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG unterstellt497 und weist insoweit Parallelen zur unternehmerischen Freiheit des Art. 16 EuGrCh auf (dazu Einl. C Rn. 229 ff.). Die höchstrichterliche Rechtsprechung geht sogar noch einen Schritt weiter und sieht in Bezug auf Art. 12 Abs. 1 GG „den grundsätzlich freien Wettbewerb der als Anbieter und Nachfrager auf dem Markt auftretenden Unternehmer“ als ein „Grundprinzip“ der Wirtschaftsverfassung an.498 Diese Einbindung der Berufsfreiheit in den Wettbewerbsprozess lässt es als selbstverständlich erscheinen, dass Art. 12 GG kein Abwehrrecht gegenüber der wirtschaftlichen Betätigung anderer, insbesondere gegenüber lästiger Konkurrenz darstellen kann.499 Marktzutrittsbarrieren, Hauptfeinde der Wettbewerbsfreiheit, können schlechterdings nicht aus Art. 12 Abs. 1 GG heraus konstruiert und legitimiert werden.500 Auch Art. 12 Abs. 2 GG kommt dafür kaum in Betracht. Bedürfnisprüfungen als sog. objektive Berufszulassungsschranken können somit speziell im Lichte einer wettbewerblich verstandenen Berufsfreiheit keine Existenzberechtigung haben.501 Nur das Sichbehaupten eines Unternehmens am Markt ist geeignet, ein Urteil über seinen Bedarf zu fällen. Nicht einmal die sog. „überragend wichtigen Gemeinschaftsgüter“ wie die „Volksgesundheit“ oder die Brotversorgung der Bevölkerung können diesbezügliche Ausnahmen rechtfertigen.502 Versorgungssicherheit, aber auch Patientenschutz wird vielmehr bei pharmazeutischen Produkten nicht anders als bei Grundnahrungsmitteln ceteris paribus allemal am besten durch Erhalt der Wettbewerbsfreiheit hergestellt und aufrecht erhalten. Für die Niederlassungsfreiheit der Ärzte gilt nichts anderes. Aus wettbewerbsfunktionaler Sicht liegt das Problem eines angeblichen „Überschusses“ niedergelassener Ärzte in deren Finanzierung durch ein wenig kompetitives öffentliches Gesundheitswesen, das zudem den Patienten zu wenig Anreize liefert, die Kosten ärztlicher Inanspruchnahme ganz allgemein in Grenzen zu halten. Selbst wenn grundrechtliche Einschränkungen der Berufsfreiheit im Blick auf jene „überragend wichtigen Gemeinschaftsgüter“ zulässig sein sollten, liefert das Lauterkeitsrecht keinen Hebel, diese Wertungen zur Geltung zu bringen, da nach § 1 sein Zweck gerade umgekehrt das Allgemeininteresse an unverfälschten Wettbewerb ist. Ein etwas größerer Spielraum ist dem Gesetzgeber bei Befähigungsnachweisen als subjektiven Berufszulassungsrestriktionen zuzubilligen.503 Doch auch solche Regulative bleiben be-

496 Anders noch der engere, nur auf Gewerbefreiheit abstellende Art. 151 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung; vgl. auch Rinck/Schwark Rn. 96. 497 Zu dieser Unternehmerfreiheit s. BVerfG 1. 3. 1979 – 1 BvR 533/77 – BVerfGE 50, 290, 363; speziell zur Wettbewerbsfreiheit als spezifische Ausformung der Berufsfreiheit s. Achatz S. 33 ff. 498 BVerfG 8. 2. 1972 – 1 BvR 170/71 – BVerfGE 32, 311, 317 = GRUR 1972, 358, 360 – Grabsteinwerbung; BGH 8. 4. 1952 – I ZR 80/51 – GRUR 1952, 582 – Sprechstunden. 499 BVerfG 11. 6. 1958 – 1 BvR 596/56 – BVerfGE 7, 377, 408; BVerfG 3. 12. 1980 – 1 BvR 409/80 – BVerfGE 55, 261, 269; s. a. BVerfG 8. 6. 1960 – 1 BvL 53/55 – BVerfGE 11, 168, 188. 500 Rinck/Schwark Rn. 95; Rittner Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. (1987) § 3 B II 2. 501 Im Ansatz richtig deshalb – für Apotheken – die grundlegende Entscheidung BVerfG 11. 6. 1958 – 1 BvR 596/ 56 – BVerfGE 7, 377. 502 A.A. aber BVerfG 11. 6. 1958 – 1 BvR 596/56 – BVerfGE 7, 377, 414; BVerfG 7. 1. 1959 – 1 BvR 100/57 – BVerfGE 9, 73, 82; BVerfG 18. 12. 1968 – 1 BvL 11/65 – BVerfGE 25, 1, 13, wo Bedürfnisprüfungen im Zusammenhang mit Überkapazitäten mit der Mühlenwirtschaft für hinnehmbar erachtet werden. Erst recht abzulehnen BVerfG 8. 6. 1960 – 1 BvL 53/55 – BVerfGE 11, 168, mit der Akzeptierung von objektiven Zugangsbeschränkungen sogar im vergleichsweise weniger wichtigen Personenbeförderungsmarkt. Nur wenig wettbewerbsfreundlicher BVerfG 14. 10. 1975 – 1 BvR 255/ 73 – BVerfGE 40, 196 für die Kontingentierung im LKW-Möbelverkehr. 503 BVerfG 14. 12. 1965 – 1 BvL 14/60 – BVerfGE 19, 330, 341.

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denklich, nicht nur wegen der auch ihnen durchaus eigenen Ausschlusseffekte,504 sondern auch, weil ihnen eine gewisse innere Statik innewohnt, eine konservierende Tendenz hinsichtlich überkommener Wirtschaftsformen und Tätigkeitsmuster, wie etwa im Bereich des Handwerks deutlich wird.505 Die dem Wettbewerb eigene Ergebnisoffenheit bedingt hingegen, Art. 12 Abs. 1 GG gerade auch als „autonomes Berufsschöpfungs- und Berufsprägungsrecht“ zu begreifen.506 In diesem Sinne ist Art. 12 Abs. 1 GG notwendig „zukunftsgerichtet“,507 weil angesichts der 247 permanenten Veränderungen des Datenkranzes ökonomischen Handelns in der modernen, insbesondere industriell geprägten Wirtschaftsgesellschaft der Berufsbegriff seinerseits einer permanenten Dynamisierung unterworfen ist.508 Die gesetzliche Statuierung von Berufsbildern wie in §§ 45 ff. HwO mag verfassungsrechtlich zulässig sein,509 solange diese als Spiegel einer bestimmten (wirtschafts-)historischen Situation ausgestaltet und interpretiert werden und nicht als zukunftswirksame normative Festschreibungen.

i) Art. 13 GG. Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der „Wohnung“ umfasst nach lange gesi- 248 cherter Auffassung auch Geschäftsräume, und zwar selbst wenn sie wie bei Läden und Warenhäusern prinzipiell einem Publikum eröffnet wurden.510 Systematisch steht Art. 13 GG in diesem Anwendungssegment in engem Zusammenhang mit Art. 12 Abs. 1 GG und beide wiederum mit Art. 2 Abs. 1 GG und der darin (auch) gewährleisteten Wirtschaftsfreiheit.511 Tangiert wird Art. 13 GG insoweit namentlich durch Kontrollmaßnahmen in Geschäftsräumen. Soweit diese öffentlich-rechtlicher Natur sind, kann zweifelhaft sein, ob es hierbei einer 249 Legitimation im Lichte des Art. 13 Abs. 3 GG bedarf oder ob nicht bei Geschäftsräumen, zumal solchen, die einem Publikum zugänglich sind, schon der Gewährleistungsumfang enger zu bestimmen ist.512 Für eine eventuelle privatrechtliche Ausstrahlungswirkung des Art. 13 GG kommt es allerdings auf eine derartige Feinabgrenzung nicht an, weil – bedingt insbesondere durch das Fehlen rechtlicher Subordination in Privatrechtsverhältnissen – bei der privatrechtlichen Mediatisierung des objektiv-rechtlichen Gehalts des Grundrechts selbst sein Kernbereich nur in veränderter Gestalt und letztlich abgeschwächt in Erscheinung treten kann (zur mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte s. bereits Rn. 146). Kontrollen durch Private in Geschäftsräumen finden namentlich im Zusammenhang mit 250 sog. Testkäufen statt, die der Feststellung von ex ante immer nur vermuteten Wettbewerbs504 In aller Regel würden zudem die mit den Beförderungsnachweisen angeblich verfolgten Schutzzwecken gegenüber der Marktgegenseite schon durch besondere Bezeichnungsbefugnisse derart qualifizierter Anbieter erreicht, ohne zugleich eine wettbewerblich zu beanstandende Marktzutrittsbarriere zu errichten. S. a. BVerwG 21. 3. 1972 – I C 13.71 – BVerwGE 40, 17, 19 f. 505 Dazu etwa BVerfG 17. 7. 1961 – 1 BvL 44/55 – BVerfGE 13, 97 zum sog. großen Befähigungsnachweis nach § 7 HandwO; zu recht kritisch Rinck/Schwark Rn. 107. 506 Maunz/Dürig/Scholz GG 87. Aufl. (Stand 2019) Art. 12 GG Rn. 276 im Anschluss an die Rechtsprechung des BVerfG, vgl. z. B. BVerfG 12. 10. 1977 – 1 BvR 216/75 – BVerfGE 46, 120, 137 f.; BVerfG 29. 10. 1997 – 1 BvR 780/87 – BVerfGE 97, 12, 32 = GRUR 1998, 556, 561 – Patentgebührenüberwachung; BVerfG 17. 2. 1998 – 1 BvF 1–91 – BVerfGE 97, 228, 253. S. a. Stober/Korte Öff. Wirtschaftsrecht Allg. Teil Rn. 613: Grundrecht zur „Selbstqualifikation einer Tätigkeit als Beruf“. 507 BVerfG 23. 3. 1971 – 2 BvL 17/69 – BVerfGE 30, 392, 334; Stober/Korte Öff. Wirtschaftsrecht Allg. Teil Rn. 616. 508 Teilweise leider rückschrittlich insofern BVerfG 13. 7. 1992 – 1 BvR 303/90 – NJW 1993, 1969 für den Selbstbedienungsgroßhandel. 509 So BVerfG 16. 3. 2000 – 1 BvR 1453/99 – NJW 2000, 1779; BVerfG 21. 8. 2002 – 1 BvR 1444/02 – NJW 2002, 3460. 510 Näher Dagtoglu JuS 1975, 753 m. w. N. 511 S. a. BVerfG 13. 10. 1971 – 1 BvR 280/66 – BVerfGE 32, 54; LG München 5. 5. 1983 – 20 T 5569/83 – NJW 1983, 2390; Battis JuS 1973, 25. 512 Dazu BVerfG 13. 10. 1971 – 1 BvR 280/66 – BVerfGE 32, 54; OVG Münster 25. 4. 1978 – X A 1246/76 – GewArch 1978, 366.

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rechtsverstößen dienen. Gegenmaßnahmen gegen solche Testkäufe und hierbei insbesondere Hausverbote werden nun häufig als lauterkeitsrechtlich unzulässige Behinderung des Konkurrenten begriffen.513 251 Dieser Auffassung ist jedoch nicht zu folgen. Denn die prinzipielle, auf der allgemeinen Handlungsfreiheit basierende Befugnis potentiell zu Rechtsschutzmaßnahmen Aktivlegitimierter, Wettbewerbsverstöße aufzudecken und Beweismittel zu sammeln, besagt nichts für die Mitwirkungspflicht des Verdächtigten.514 Speziell die Abwehrmaßnahme Hausverbot aber hat den objektiv-rechtlichen Wertgehalt des Art. 13 GG klar auf ihrer Seite. Er schließt bei der Konkretisierung der Generalklausel des § 1 UWG eine Inhaltsbestimmung aus, die gegenüber Testkäufern die Unverletzlichkeit eben auch der Geschäftsräume im Ergebnis vollständig aufhebt.

252 j) Art. 14 GG. Neben Art. 12 Abs. 1 GG wird Art. 14 GG – vor allem in seiner Funktion als Institutsgarantie515 – als die zweite tragende Säule einer auf private Wirtschaftsfreiheit abhebenden Wirtschaftsverfassung verstanden.516 Denn die dortige Eigentumsgarantie beschränkt sich gerade nicht nur auf das „persönliche“, in einen Gegensatz zum Eigentum an Produktionsmitteln gestellte Eigentum i.S. der sozialistischen, an zentralverwaltungswirtschaftlichen Strukturen orientierten Rechtstheorie,517 sondern erfasst neben dem Eigentum an Produktionsmitteln parallel zur Theorie der property rights518 jedenfalls alle Rechtspositionen, die für ein auf Marktautonomie basierendes Wettbewerbsgeschehen wesentlich sind.519 Zu den marktrelevanten subjektiven Rechtspositionen rechnen also gewerbliche 253 Schutzrechte einschließlich der vermögensrechtlichen Elemente des Urheberrechts (Verwertungsrecht, Nutzungsrechte)520 ebenso wie Aktien und andere Unternehmensanteile.521 Da513 BGH 14. 4. 1965 – Ib ZR 72/63 – BGHZ 43, 359 = GRUR 1965, 612 – Warnschild; BGH 18. 5. 1966 – Ib ZR 60/64 – GRUR 1966, 564 – Hausverbot; BGH 13. 7. 1979 – I ZR 138/77 – GRUR 1979, 860 – Hausverbot II; Isele GRUR 2008, 1064, 1065. Zum unredlichen Testkauf im Internet BGH 11. 5. 2017 – I ZR 60/16 – GRUR 2017, 1140. 514 Näher Schünemann Wettbewerbsrecht S. 82 f. m. w. N.; s. a. KG 9. 7. 1976 – 5 W 2601/76 – WRP 1976, 770 – KfzGebrauchtwagen-Märkte. 515 Zu den Garantiedimensionen des Art. 14 GG s. z. B. BVerfG 15. 7. 1981 – 1 BvL 77/78 – BVerfGE 58, 300, 339. 516 Vgl. BVerfG 1. 3. 1979 – 1 BvR 533/77 – BVerfGE 50, 290, 339 ff.; R. Schmidt Öffentliches Wirtschaftsrecht S. 130; nur referiert bei Stober/Korte Öff. Wirtschaftsrecht Allg. Teil Rn. 642. 517 Vgl. nur Art. 11 der Verfassung der ehemaligen DDR sowie dem durchaus nahestehend Rittstieg S. 315, 351 ff. Zur Verfassungsgeschichte des Art. 14 GG, in deren Verlauf ein Antrag erfolglos blieb, den Eigentumsschutz auf Gegenstände insbesondere der persönlichen Lebenshaltung einzuengen, vgl. die Hinweise bei Frotscher JuS 1981, 891 und Rittner Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. (1987) § 3 B II 3b Fn. 76 zu Rn. 45. 518 Zum Begriff und zur daran anknüpfenden ökonomischen Institutionenanalyse gerade im Zusammenhang mit dem neoklassischen Konzept der Wettbewerbsfreiheit s. neben R. Richter ZWS 110 (1990) 571 ff., 575 und Schäfer/Ott Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts (1986) 68 auch Buhbe S. 3 ff.; Horn AcP 176 (1976) 307, 313 ff.; Kirchner WuW 1992, 584, 588 ff.; Lehmann Bürgerliches Recht und Handelsrecht. Eine juristische und ökonomische Analyse (1983) 32; Utzig AcP 189 (1989) 158, 160 ff. sowie die von Manne The economics of legal relationships (1975) zusammengestellte Literatur. S. a. Koboldt/Leder/Schmidtchen WiSt 1992, 334 ff. m. w. N. Der Theorieansatz bleibt wertvoll auch dann, wenn man der Chicago School (dazu Rn. 81 ff.), die sich ihm besonders zugewandt hat, z. B. hinsichtlich der Folgerungen für die Privatrechtsinstitutionen, aber auch ganz allgemein, distanziert gegenübersteht. Dazu vor allem auch Fezer JZ 1986, 807, 817 und 1988, 223. 519 BVerfG 1. 3. 1979 – 1 BvR 533/77 – BVerfGE 50, 290, 339 ff.; Rinck/Schwark Rn. 129; Rittner Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. (1987) § 3 B II 3b, c; Scheuner/Küng Der Schutz des Eigentums (1966) 43. 520 Vgl. z. B. für Marken (seinerzeit für eingetragene Warenzeichen) BVerfG 22. 5. 1979 – 1 BvL 9/75 – BVerfGE 51, 193, 216 ff. = GRUR 1979, 773, 778; für Patente BVerfG 15. 1. 1974 – 1 BvL 5/70 u. a. – BVerfGE 36, 281, 290 f. = GRUR 1974, 142, 144; für das Urheberrecht BVerfG 7. 7. 1971 – 1 BvR 765/66 – BVerfGE 31, 229, 238 ff. = GRUR 1972, 481, 483 ff.; BVerfG 4. 11. 1987 – 1 BvR 1611/84 u. a. – BVerfGE 77, 263, 270 = GRUR 1988, 687, 689. 521 BVerfG 7. 8. 1962 – 1 BvL 16/60 – BVerfGE 14, 263, 276 f.; BVerfG 7. 5. 1969 – 2 BvL 15/67 – BVerfGE 25, 371, 407; BVerfG 1. 3. 1979 – 1 BvR 533/77 – BVerfGE 50, 290, 341 f.

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rüber hinaus soll der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff nach gefestigter h.M. vor allem in der Judikatur sogar ein sog. Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (allgemeiner: am Unternehmen) umschließen.522 In der Begründung dafür spricht, dass die im Unternehmen zweckhaft organisierte, funktionelle Gesamtheit von Sachen, Rechten und allen Arten sonstiger unkörperlicher Gegenstände wie Know-how, Good-will etc. ganz sicher mehr ist als die Summe der einzelnen Unternehmensbestandteile und deshalb rein aggregativ nicht angemessen geschützt werden kann.523 Gegen jene Inkorporierung spricht, dass Art. 14 GG gerade in Richtung auf den Bestands- bzw. Substanzschutz hin interpretiert wird.524 Ein Bestandsschutz hinsichtlich des die „Chancen“ und „Verdienstmöglichkeiten“ konstituierenden Datenkranzes unternehmerischen Handelns kommt indes in einer Wettbewerbswirtschaft nicht in Frage,525 ganz zu schweigen von einer Unternehmensexistenzgarantie oder wenigstens einer Gewähr für das Unternehmensverbleiben am Markt.526 Schwer darstellbar ist deshalb, was eigentlich die durch Art. 14 GG zu schützende Unternehmens-„Substanz“ ausmacht527 bzw. wie die Eingriffskriterien – „Unmittelbarkeit“, „Betriebsbezogenheit“ – operational zu formulieren sind.528 Der spezifische Unternehmensschutz dürfte demnach doch eher dem in der Wettbewerbsdynamik geforderten unternehmerischen Aktionspotential, also der unternehmerischen Betätigung selber, gelten, sedes materiae dafür also Art. 12 Abs. 1 GG sein. Gleichwohl bleibt die Eigentumsfreiheit ein unverzichtbarer Baustein im Gebäude einer eben auch auf Verfügungsfreiheit über Produktionsmittel fundierten Privatwirtschaft, die in der Eigentumsgarantie beschlossene Dispositionsfreiheit integraler Bestandteil einer Wettbewerbswirtschaft ist.529 Sie weist darin über die mikroökonomische Dimension des Eigentumsschutzes, wie sie vor allem in der Lehre vom Grundrechtsschutz des „eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes“ zum Ausdruck kommt, weit hinaus. Als Eigentümer im Schutzbereich des Art. 14 GG wächst der Unternehmer vielmehr zugleich in eine makroökonomische Funktion als „Organ der Wirtschaftsverfassung“530 insgesamt hinein. Ohne unternehmerisches Eigentum ist die Kybernetik der Marktwirtschaft undenkbar, kann die dezentrale, wettbewerbliche Selbstregulation des ökonomischen Handlungssystems nicht in Gang gesetzt werden.531 Mehr noch: Mit der in Art. 14 Abs. 1 GG involvierten Institutsgarantie 522 So schon BVerfG 30. 4. 1952 – 1 BvR 533/77 – BVerfGE 1, 264, 277 f.; s. sodann z. B. BVerfG 29. 11. 1967 – 1 BvR 175/66 – BVerfGE 22, 380, 386; BVerfG 8. 6. 1977 – 2 BvR 449/74 u. 2 BvR 1042/75 – BVerfGE 45, 142, 173; BGH 28. 1. 1957 – III ZR 141/55 – BGHZ 23, 157, 163 = NJW 1957, 630, 631; BGH 31. 1. 1966 – III ZR 110/64 – BGHZ 45, 150, 154 = NJW 1966, 1120, 1121; BGH 8. 2. 1971 – III ZR 33/68 – BGHZ 55, 261, 263 = NJW 1971, 605 f.; BGH 28. 10. 1982 – III ZR 71/81 – NJW 1983, 1663; BVerwG 7. 3. 1958 – VII C 84.57 – BVerwGE 6, 247, 266; BVerwG 25. 9. 1968 – IV C 195.65 – BVerwGE 30, 235, 239; BVerwG 1. 12. 1982 – 7 C 111/81 – BVerwGE 66, 307, 309; Achatz S. 26 ff.; Friauf DÖV 1976, 624; Friauf/Wendt, passim; Krohn GewArch 1981, 249; Leisner in HdbStR Bd. VI (1989) 1023 ff.; Mayer-Abich Der Schutzzweck der Eigentumsgarantie (1980) 78 ff.; Schenke AöR 98 (1973) 153. 523 Bryde in v. Münch (Hrsg.), GG 5. Aufl., Bd. 1 (2000) Art. 14 Rn. 19; Leisner in HdbStR VI (1989) 1065 f.; Wendt S. 58 ff., 273 ff. 524 BVerfG 29. 11. 1961 – 1 BvR 148/57 – BVerfGE 13, 225, 229; BVerfG 16. 3. 1971 – 1 BvR 52/66 – BVerfGE 30, 292, 335; Stober/Korte Öff. Wirtschaftsrecht Allg. Teil Rn. 659. 525 Ständige Rspr., z. B. BVerfG 18. 3. 1970 – 2 BvO 1/65 – BVerfGE 28, 119, 142; BVerfG 16. 3. 1971 – 1 BvR 52/66 – BVerfGE 30, 292, 335; BVerfG 31. 10. 1984 – 1 BvR 35/82 u. a. – BVerfGE 68, 193, 222; BVerfG 6. 10. 1987 – 1 BvR 1086/ 82 u. a. – BVerfGE 77, 84, 118; BVerfG 18. 5. 1988 – 2 BvR 579/ 84 – BVerfGE 78, 205, 211. 526 BVerfG 20. 7. 1954 – 1 BvR 459/52 u. a. – BVerfGE 4, 7, 17; BVerfG 8. 6. 1977 – 2 BvR 499/74 u. 1042/75 – BVerfGE 45, 142, 179. 527 BVerfG 22. 5. 1979 – 1 BvL 9/75 – BVerfGE 51, 193, 221 = GRUR 1979, 773, 779 – Weinbergsrolle; Badura AöR 98 (1973) 157 f.; Ossenbühl Staatshaftungsrecht, 3. Aufl. (1983) 106; Scholz Entflechtung und Verfassung (1981) 90. 528 Vgl. übersichtsweise Baumbach/Hefermehl Allg. Rn. 122 f. 529 Rittner Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. (1987) § 3 B II 3c. 530 Leisner DÖV 1975, 73. 531 Günther Wege zur Europäischen Wettbewerbsordnung (1968) 19 ff.; Rupp Grundgesetz S. 35 f.; Scholz Entflechtung und Verfassung (1981) 91 f.

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des Eigentums wird jedenfalls im Verbund mit Artt. 2, 3, 5, 9 und 12 GG die Gesamtentscheidung für den wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systementwurf einer marktautonomen Wettbewerbsordnung getroffen532 (s. a. Rn. 143 ff. zur angeblichen „wirtschaftspolitischen Neutralität“ des GG). Auslegung und Anwendung des UWG müssen mithin daran orientiert sein, vor allem diesem Aspekt der Eigentumsgewähr als wesentlicher Funktionsbedingung des Wettbewerbs gerecht zu werden.

3. Europäische Wirtschaftsverfassung 258 Die Klärung einer europäischen Wirtschaftsverfassung, verstanden als verfassungsrechtlich verankerte Wirtschaftsordnung mit Maßstabsfunktion für niederrangiges Recht (s. a. Rn. 1 ff.), ist nach dem politisch gescheiterten Projekt einer europäischen Verfassung533 scheinbar nicht möglich. Gleichwohl hat das supranationale Primärrecht in Gestalt der die EU konstituierenden und gestaltenden Verträge (EUV534 und AEUV535) materiell durchaus schon immer Verfassungscharakter536 und liefert dergestalt (also unter Ausschluss des Sekundärrechts) die Basis der europäischen Wirtschaftsverfassung.537 Im Gegensatz zum GG, das sich ausdrücklich überhaupt nicht zur ökonomischen Thematik 259 äußert (vgl. Rn. 143), ist der normtextliche Befund in den zentralen supranationalen Dokumenten substanzieller. Dies kann nicht überraschen, erinnert man sich an den historischen Ausgangspunkt dieser Abkommen, die sog. Römischen Verträge von 1957, in deren Rahmen insbesondere die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gegründet wurde.538 Obwohl im historischen Verlauf der Folgeverträge539 dieser spezifische Wirtschaftsbezug im europäischen Primärrecht weit weniger im Vordergrund steht als früher, ist er auch im geltenden Primärrecht immer noch ein wichtiges Moment und kann – wesentlich deutlicher als im GG – Argumente für Bestehen und Zuschnitt einer europäischen Wirtschaftsverfassung liefern. 260 Schon der nunmehr obsolete EG-Vertrag in der Fassung des Vertrages von Amsterdam 1997 nannte in seinen Artt. 3 f. als ein normativ leitendes Prinzip der supranationalen Wirtschaftsordnung mehrfach die „offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“. Jedenfalls bei einer oberflächlichen Texterfassung konnte daraus freilich kaum ein klares Bekenntnis zum neoklassischen Konzept der Wettbewerbsfreiheit (vgl. Rn. 92 ff., 105 ff.) herausgelesen werden. Denn andernorts wurde auch ausreichend Raum für ein wohlfahrtsökonomisches Wettbewerbsverständnis mit insbesondere industrie- oder verbraucherpolitischer Färbung bis hin zu einem unverhohlen administrierten Agrarmarkt eröffnet.540 532 So auch Maunz/Dürig/Papier GG 63. Aufl. (Stand 2011) Art. 14 Rn. 34. 533 Der am 29. Oktober 2004 geschlossene Vertrag über eine Verfassung für Europa (ABl. 2004 C 310 S. 1 ff.) trat wegen ablehnender Referenden in Frankreich und den Niederlanden nicht in Kraft. S. dazu Herdegen § 4 Rn. 26 ff.; Nowak S. 62 ff. 534 ABl. C 115 v. 9. 5. 2008 (konsolidierte Fassung) S. 13. 535 ABl. C 115 v. 9. 5. 2008 (konsolidierte Fassung) S. 47. 536 Ganz h.M., vgl. neben EuGH 23. 4. 1986 – C-294/83 – Slg. 1986, 1339 Tz. 23 – Parti écologiste „Les Verts“ (EWGVertrag als „Verfassungsurkunde“ der Gemeinschaft) für viele nur v. Bogdandy EuR 2009, 749 f.; Busch S. 4; Nowak S. 5, 73 ff., 78, 80 ff.; Dreher JZ 2014, 185, 186; Oppermann DVBl. 2008, 473, 476; Pernice EuZW 2008, 65; s. a. Haratsch/Koenig/Pechstein Rn. 35c; a. A. etwa Heinig JZ 2007, 905 ff. 537 Nowak S. 202 ff.; Oppermann/Classen/Nettesheim § 9 Rn. 24, § 18 Rn. 1 ff.; gleichsinnig z. B. Herdegen § 13 Rn. 1 ff.; Kilian Rn. 193 ff.; Stober/Korte Öff. Wirtschaftsrecht Allg. Teil Rn. 138. S. a. Häberle S. 536 ff. Methodisch nicht unbedenklich deshalb Peukert ZHR 173 (2009) 536, 540: Das Sekundärrecht „spiegelt“ das Primärrecht nur dann, wenn das Primärrecht zutreffend interpretiert und auf dieser Basis Sekundärrecht gesetzt wird. Ohne diesen Vorbehalt verfängt sich der Ansatz Peukerts in einer petitio principii. 538 Ausführlich Küsters Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (1982). 539 S. überblicksweise z. B. Herdegen § 4 Rn. 5 ff.; Nowak S. 55 ff. 540 Vgl. Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 1 Rn. 47.

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So ließen sich jedenfalls bei kursorischer Betrachtung kein stimmiges Leitbild einer europäischen Wirtschaftsverfassung und schon gar nicht eine Festlegung auf bestimmte wettbewerbstheoretische Positionen ermitteln. Diese (scheinbare, dazu sogleich Rn. 270) „Ambivalenz der europäischen Wirtschaftsverfassung“541 war indes politisch durchaus gewollt, um die Möglichkeit offenzuhalten, die traditionell unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Mitgliedsstaaten über Zulässigkeit und Nutzen staatlicher Interventionen im Marktgeschehen auch auf europäischer Ebene zur Geltung zu bringen.542 Immerhin wurde doch weithin von einer „grundsätzlich marktwirtschaftlichen Orientierung“ der europäischen Wirtschaftsverfassung,543 ja, von einem „positiven Bekenntnis zu einer freien und wettbewerbsverfassten Wirtschaftsordnung“ als einer „Systementscheidung im Gemeinschaftsrecht“544 gesprochen. An diesem Befund hat sich, zumindest prima facie, wenig verändert. Nach wie vor enthält das supranationale Primärrecht in EUV und AEUV auf der Ebene des Normtextes „kein kohärentes Konzept“, liefert aber gleichwohl wie die Vorgängerregelungen zahlreiche Anknüpfungspunkte zu einer stärker konturierten Beschreibung der geltenden europäischen Wirtschaftsverfassung.545 Zu nennen sind hier neben dem „gemeinsamen Binnenmarkt“ (Art. 3 Abs. 3 S. 1 EUV) mit der Gewährleistung eines freien Verkehrs von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital (Art. 26 Abs. 2 AEUV) vor allem die „offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ (Artt. 119 f. AEUV) und der Schutz vor Wettbewerbsverfälschungen im Zusammenhang mit den Wettbewerbsregeln (Art. 101 Abs. 1 AEUV), die insgesamt eine wirtschaftsverfassungsrechtliche Strukturentscheidung für eine wettbewerbsgesteuerte Marktwirtschaft voraussetzen. Schon für den früheren, diese Maßgaben ebenfalls aufweisenden Rechtszustand war weithin die Auffassung vertreten worden, wettbewerbskonzeptionell müsse die dadurch statuierte Wirtschaftsverfassung jedenfalls insoweit im Lichte der neoklassischen Theorie gedeutet werden.546 Diese Position hat ihre argumentative Basis grundsätzlich nicht dadurch eingebüßt, dass dieselben Maßgaben nun in einen neu bezeichneten normativen Rahmen Eingang gefunden haben. Allerdings muss konzediert werden, dass das in Art. 3 Abs. 3 EUV normierte, in der Sache schon bislang formulierte Zielbündel als „magisches Achteck“ von ausgewogenem Wachstum, Preisstabilität, Vollbeschäftigung, sozialem Fortschritt, Umweltschutz bzw. verbesserter Umweltqualität und wissenschaftlich-technischem Fortschritt547 in seinem Verhältnis zu der grundsätzlichen Systementscheidung für Markt und Wettbewerb im Primärrecht jedenfalls expressis verbis „ungeregelt“ ist.548 Gerade wenn das Primärrecht auch jetzt noch im Grundsatz als vom Konzept der Wettbewerbsfreiheit inspiriert zu gelten hat, tritt hier ein unauflöslicher Gegensatz zu Tage: Einerseits ist für die gewünschte Zielerreichung eine Instrumentalisierung des Wettbewerbs erforderlich, andererseits widerspricht eben dies der spontanen Ordnung, die der freiheit541 Peukert Ziele S. 37 (ff.). 542 Streinz/Pechstein EUV Art. 49 Rn. 5; Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 1 Rn. 48. Eingehend zu alledem Basedow S. 26 ff.; Mestmäcker Wirtschaftsverfassung, passim.

543 Busch S. 14 m. w. N.; Dreher/Lange FS FIW 161, 164; s. aber auch Stober/Korte Öff. Wirtschaftsrecht Allg. Teil Rn. 138, die die europäische Wirtschaftsverfassung als normative „Gemengelage“ beschreiben und damit im Ergebnis in Parallele zur deutschen Wirtschaftsverfassung stellen, die sie i.S. der (abgeschwächten) Neutralitätsthese (s. Rn. 154 ff.) ebenfalls als „relativ offen“ kennzeichnen. Vgl. auch Ch. Herrmann S. 54 f.: Das europäische Wirtschaftsund Sozialmodell sei zwar kein marktradikales, sei aber in marktwirtschaftlichem Sinn durch eine „grundlegende Prärogative zu Gunsten der Freiheitsrechte“ geprägt. 544 Rittner/Dreher § 2 Rn. 35 f. m. w. N.; gleichsinnig Rittner WuW 2007, 967. 545 Hierzu und zum Folgenden Kilian Rn. 195 ff. 546 Grundmann JZ 2000, 1133, 1136 f.; Mestmäcker FS Franz Böhm (1965) 345 ff. zu „offenen Märkten im System des unverfälschten Wettbewerbs in der Europäischen Gemeinschaft“; Ophüls ZHR 124 (1962) 136, 148; Peukert ZHR 173 (2009) 536, 542 f.; ders. Ziele S. 34. 547 Zur dort jetzt ebenfalls aufgeführten „in hohem Maße wettbewerbsfähigen sozialen Marktwirtschaft“ sogleich im Folgenden. 548 Kilian Rn. 207.

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lich-wettbewerbsgesteuerte Markt generiert549 (zu den angesprochenen Wettbewerbskonzeptionen s. Rn. 64 ff.). Während diese Zielpunkte im Wesentlichen mit dem früheren Rechtszustand übereinstimmen, ist der Rekurs auf „eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft“ in Art. 3 Abs. 3 EUV neu. Da der Begriffsinhalt der „sozialen Marktwirtschaft“ keineswegs selbsterklärend ist,550 vor allem aber wegen der Notwendigkeit einer autonomen, „eigenen Regeln folgende“ Auslegung des Europarechts,551 können die in Deutschland damit in wettbewerbstheoretischer Hinsicht verbundenen Diskussionslinien hier nicht einfach nachgezogen werden.552 Vielmehr ergibt sich insoweit auch neuer Interpretationsbedarf. Festzustellen ist schließlich, dass umgekehrt das früher in Art. 3 lit. g EG-Vertrag (1997) an prominenter Stelle als Tätigkeitsbereich der Gemeinschaft genannte „System, das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschungen schützt“, nunmehr in einen Erwägungsgrund eines Protokolls553 verschoben worden ist. Auch dieser Vorgang bedarf unter der Fragestellung der geltenden europäischen Wirtschaftsverfassung der Einordnung, ob dadurch eine Schwächung des Wettbewerbsprinzips stattgefunden hat. Damit ist der normtextliche Befund des Primärrechts im Hinblick auf die europäische Wirtschaftsverfassung hinreichend erfasst. Diese disparaten Versatzstücke mit zudem jeweils recht „geringer Direktionskraft“554 zu einem Ganzen zusammenzufügen (statt, wie politisch durchaus erwünscht, unverbunden nebeneinander stehen zu lassen und so sekundär- und nationalrechtlich größtmögliche Spielräume zu lassen), ist dem rechtsstaatlichen Gebot der „Einheit der Rechtsordnung“555 geschuldet, die auch und erst recht innerhalb eines Normkomplexes Geltung beansprucht. Diesem Postulat lässt sich auch nicht dadurch ausweichen, dass man sich im Einzelfall mit einer „praktischen Konkordanz“ zwischen Markt-, Wirtschafts- und Wettbewerbsfreiheit auf der einen Seite und den Gemeinschaftszielen des Art. 3 Abs. 3 EUV auf der anderen Seite begnügen zu können glaubt.556 Gewiss bewegt man sich auf der Ebene der europäischen Wirtschaftsverfassung auf vergleichsweise hohem begrifflichen Abstraktionsniveau, doch macht dies eine notwendige systematische Interpretation mit dem Ziel einer konsistenten Inhaltsbestimmung der europäischen Wirtschaftsverfassung nicht „hochgradig spekulativ“557 und damit dogmatisch unseriös. Bei einem spezifisch auf die ökonomische Dimension des Primärrechts gerichteten Fokus wird nach wie vor von einem „Primat des Wettbewerbsschutzes“558 auszugehen sein, wenn 549 Zutreffend Kilian Rn. 207. 550 Zum im Laufe der Zeit sich wandelnden Begriffsverständnis s. Leisner Soziale Marktwirtschaft S. 36 ff.; speziell im thematischen Zusammenhang Schmidt-Preuß FS Säcker 970 ff. 551 Herdegen § 8 Rn. 73 (ff.); zur Auslegung des EU-Rechts, der dabei verfolgten Ziele und Methoden s. näher Kilian Rn. 348 ff.; Schröder JuS 2004, 180 ff.; s. a. Anweiler Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (1997). 552 Ebenso Nowak S. 238. 553 Protokoll über den Binnenmarkt und den Wettbewerb (Nr. 27) zum Vertrag von Lissabon (in der Nummerierung der konsolidierten Fassung), ABl. C 83 v. 30. 3. 2010, S. 309. 554 Nowak S. 204. 555 Grundlegend Engisch Die Einheit der Rechtsordnung (1935), unveränd. Nachdruck mit einem Geleitwort von A. Kaufmann (1987); s. sodann Felix Einheit der Rechtsordnung, passim, z. B. S. 9 ff. 556 So aber Nowak S. 208 f. unter Hinweis auf EuGH 13. 3. 2001 – C-379/98 – Slg. 2001, I-2099 ff. – Preussen Elektra; EuGH 11. 12. 2007 – C-438/05 – Slg. 2007, I-10799 ff. – Viking Line; EuGH 18. 12. 2007 – C-341/05 – Slg. 2007, I11767 ff. – Laval. S. demgegenüber Müller-Graff ZHR 173 (2009) 443, 453: „nebulöser Topos der praktischen Konkordanz“. 557 So aber Hatje in Bogdandy (Hrsg.), S. 683 ff., 724; zustimmend Peukert ZHR 173 (2009) 536, 540. 558 Glöckner S. 509, 512; s. a. Dreher WuW 1998, 656 f.; Dreher JZ 2014, 185, 188; Hatje/Schwarze EuR 2019, 153, 156, 184 f.; Wunderle S. 152 ff.; a. A. Peukert Ziele S. 42 ff., 49; Stober FS Stern 613, 618 f. („relativ offene Wirtschaftsverfassung“ der Union wie im GG).

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die in Artt. 119 f. AEUV mehrfach rezitierte „offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ kein Lippenbekenntnis i.S. bloßer Programmsätze sein, sondern ein echtes „Bekenntnis“ für ein „freies Wirtschaftssystem“559 und geltendes Recht zur Auslegung und Fortbildung des Europarechts insgesamt darstellen sollen.560 Die Verschiebung in den Titel über die Wirtschafts- und Währungspolitik gegenüber der vordem textlich exponierteren Stellung des Art. 4 Abs. 1 EGVertrag kann nicht als materielle Zurücksetzung verstanden werden,561 sondern stellt nur einen engeren gliederungstechnischen Bezug zum Regelungsgegenstand dar. Dass das Wettbewerbsprinzip im Übrigen in ein Protokoll abgedrängt wurde statt wie früher mit Art. 4 Abs. 1 des EG-Vertrages in den normativen Grundlagen der Gemeinschaft erfasst zu sein (vgl. Rn. 260, 267), sollte ebenfalls nicht überbewertet werden, sondern ist als eine offenbar auf Drängen Frankreichs erfolgte562 „Vertragskosmetik“563 zu verstehen, weil Protokolle und Anhänge gemäß Art. 51 EUV ebenfalls „Bestandteil der Verträge“ sind.564 Dadurch jedenfalls haben sich keine merklichen Änderungen der grundsätzlich freiheitlich-wettbewerbsbasierten europäischen Wirtschaftsverfassung ergeben.565 Wie schon bislang ist aber auch heute, nach Maßgabe des Lissabon-Vertrags, davon auszugehen, dass das Primärrecht selber der Wettbewerbsfreiheit immanente Grenzen setzt, namentlich indem es mit Artt. 38 ff. AEUV den Agrarsektor der wirtschaftlichen Administration fast völlig unterwirft. Der Agrarmarkt ist somit der Wettbewerbssteuerung praktisch entzogen,566 Art. 38 Abs. 2 AEUV mit dem Hinweis auf die grundsätzliche Geltung der Vorschriften für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes (und damit auch auf einen wettbewerbsgesteuerten Agrarmarkt) mithin nicht mehr als ein gemeinschaftspolitisches Feigenblatt. Ein anderer Akzent ist z. B. bei der primärrechtlichen Normierung der Industriepolitik nach Art. 173 AEUV zu setzen: Diese soll bestimmte Ziele erreichen, wie etwa Strukturanpassungen erleichtern, den industriellen Mittelstand besonders fördern und auf eine bessere wirtschaftliche Nutzung von Forschung und Entwicklung hinwirken. Insofern steht die Industriepolitik mit den gemeinschaftspolitischen Zielen des „magischen Achtecks“ nach Art. 3 Abs. 3 EUV (vgl. Rn. 265) in Parallele und beide wiederum in Opposition zu einem Wettbewerbskonzept, das in einem systemtheoretisch-neoklassischen Sinn auf selbstreferentielle Marktprozesse setzt, statt zu glauben, den Wettbewerb instrumentalisieren zu können. Es ist deshalb Ausdruck einer gewissen inneren Logik, wenn in Bezug auf derartige primärrechtlich definierte Ziele wohlfahrtsökonomische Wettbewerbskonzepte, wozu auch der „more economic approach“ gehört, in Position gebracht werden, weil zur Zielerreichung aus Sicht des Primärrechts angeblich „offenbar gesonderte Maßnahmen für erforderlich gehalten werden, die nicht durchweg im Einklang mit institutionell-wettbewerbsfunktionalen Ansätzen stehen müssen“.567 Beschränkungen der Wettbewerbsfreiheit gelten in einem solchen Verständnis als unproblematisch, wenn per saldo durch einen hohen Zielerreichungsgrad Wohlfahrtsgewinne realisiert werden (zum „more economic approach“ s. bereits Rn. 102 f.). Immerhin hat auch der 559 R. Schmidt FS Stober 19, 23. 560 Vgl. schon zum früheren insoweit vergleichbaren Recht z. B. EuGH 21. 2. 1973– C-6/72 – Slg. 1973, 215 Tz. 22 f., 25 – Europemballage u. Continental Can; EuGH 4. 4. 1974 – C-167/73 – Slg. 1974, 359 Tz. 17, 23 – Franz. Republik; EuGH 13. 2. 1979 – C-85/76 – Slg. 1979, 461 Tz. 125 – Hoffmann-La Roche; s. a. Reimer EuR 2003, 992 ff.; a. A. wohl Stober FS Stern 613, 618 („relativ offene Wirtschaftsverfassung“) m. w. N. 561 Ch. Herrmann S. 58; Dreher/Lange FS FIW 161, 171; Peukert ZHR 173 (2009) 536, 538 formuliert, die einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtete Wirtschaftspolitik erfahre „systematisch eine Zurücksetzung“, bleibt aber unklar, ob er dies auf das äußere oder innere System des AEUV bezieht. 562 Zur Historie s. Busch S. 21; Hatje/Kindt NJW 2008, 1761, 1765; Rittner WuW 2007, 967. 563 Peukert ZHR 173 (2009) 536, 538, allerdings nur referierend. 564 S. a. Basedow EuZW 2008, 225. 565 Hatje/Kindt NJW 2008, 1761, 1765; Nowak EuR-Beilage 2011, 21, 30 f.; Rabe NJW 2007, 3153, 3154; Rittner WuW 2007, 967; Streinz ZG 2008, 105, 115; Weber EuZW 2008, 7. 566 Kilian Rn. 210 f. 567 Peukert ZHR 173 (2009) 536, 554; s. a. Wunderle S. 119.

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EuGH einem solchen Denken Vorschub geleistet, wenn er gelegentlich vom unverfälschten Wettbewerb als „Mittel zur Erreichung“ primärrechtlich gesetzter Ziele gesprochen hat.568 Der versuchten Aushöhlung der Wettbewerbsfreiheit muss auch unionsrechtlich (zum deutschen Recht s. Rn. 163 ff., 174 ff.) entgegengetreten werden.569 Abgesehen von hinzunehmenden Ausnahmebereichen, in denen das Primärrecht faktisch wettbewerbsfreie oder zumindest wettbewerbsarme Inseln schafft,570 ist zu betonen, dass sich namentlich „die Grundsatznorm der Europäischen Wirtschaftsverfassung,“571 Art. 119 AEUV, „ohne jede Einschränkung oder Konditionierung durch weitere Fernwirkungen zu einer offenen, unverfälschten Wettbewerbsordnung als selbsttragendem Grundsatz bekennt.“572 Auch für die Industriepolitik ist bei genauerer Betrachtung keine andere Beurteilung am Platz. Denn die diesbezügliche Kompetenz der Europäischen Union „bietet keine Grundlage dafür, dass die Union irgendeine Maßnahme einführt, die zu Wettbewerbsverzerrungen führen könnte (…)“, wie Art. 173 Abs. 3 (Unterabs. 2) AEUV letztlich nur klarstellt. Ein wirtschaftsverfassungsrechtliches Einfallstor für eine weniger an freiheitlich-wettbewerbsgesteuerten Märkten ausgerichtete Politik der Gemeinschaft könnte schließlich der bislang im Primärrecht fehlende Rekurs auf die „in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft“ im Katalog des Art. 3 Abs. 3 EUV darstellen. Insbesondere im Blick auf den dort ebenfalls genannten „sozialen Fortschritt“ sowie auf den Verbraucherschutz (Art. 169 AEUV) könnte man der Ansicht zuneigen, diese gemeinschaftspolitischen Ziele könnten und sollten nunmehr durch eine Relativierung des Schutzes eines freien, unverfälschten Wettbewerbs realisiert werden, insbesondere also durch hoheitliche Intervention.573 Damit würde das bislang dominierende verbraucherpolitische Konzept der Gemeinschaft, in dem die Verbraucherwohlfahrt gerade umgekehrt als Indikator eines funktionierenden, unverfälschten Wettbewerbs gesehen wird,574 prinzipiell in Frage gestellt. Die Befürchtung, dass mit der Aufnahme der sozialen Marktwirtschaft in den Vertragstext „letztlich (…) eine Ausweitung sozialpolitischer Kompetenzen“ der Gemeinschaftsorgane beabsichtigt wird,575 lässt sich nicht leicht von der Hand weisen. Das Primärrecht eröffnet selber zahlreiche Betätigungsfelder für solche Gestaltungswünsche, und zwar schon in Art. 3 Abs. 3–5 EUV: die Bekämpfung sozialer Ausgrenzung sowie die Förderung sozialer Gerechtigkeit, des sozialen Schutzes und des sozialen Zusammenhalts. Art. 9 AEUV wiederholt einen Teil dieser Anliegen, während Artt. 151–164 AEUV einen ganzen Titel der Sozialpolitik widmen, dabei die genannten Ziele erneut aufgreifen und noch erweitern, z. B. um den „sozialen Dialog“ in Artt. 151 Abs. 1, 152 Abs. 1 S. 1 AEUV. Ein Verständnis des Attributes „sozial“ als Rechtfertigung für eine Verwässerung einer wettbewerbsgesteuerten Marktwirtschaft würde im Übrigen in Parallele zur Begriffsentwicklung in Deutschland stehen (s. a. Rn. 90, 175), wo ebenfalls leicht übersehen wird, „was die Väter dieses Konzepts darunter verstanden: dass nämlich die Marktwirtschaft aus sich heraus 568 EuGH 14. 12. 1991 – Gutachten 1/91 – Slg. 1991, I-6079 Tz. 50 zu Art. 2 EG-Vertrag. 569 Zusammenfassend Pichler S. 163: „Für Effizienztheorien findet sich im Lauterkeitsrecht weder auf europäischer noch auf deutscher Ebene ein Anhaltspunkt.“ 570 Vgl. neben Art. 173 AEUV für den Agrarsektor z. B. auch Art. 101 Abs. 3 AEUV zur Durchsetzung von verbraucherpolitischen oder technisch-fortschrittspolitischen Zielen. 571 Geiger/Khan/Kotzur Art. 119 AEUV Rn. 2. 572 Herdegen § 22 Rn. 3. 573 In diesem Sinne namentlich Peukert ZHR 173 (2009) 536, 557 f. unter Hinweis z. B. auf EuGH 16. 5. 1989 – C382/87 – Slg. 1989, 1235 Tz. 11 ff. – Buet und SARL; s. a. Häberle S. 538, Fn. 868: Relativierung des Marktparadigmas durch soziale Ausgleichsmechanismen. 574 S. EG-Kommission, Verbraucherpolitische Strategie der EU 2007 – 2013, 13. 3. 2007, KOM (2007) 99 endg., 3; eingehend Keßler/Micklitz Die Harmonisierung des Lauterkeitsrechts in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft und die Reform des UWG (2003) 20. 575 So die Besorgnis von Busch S. 19; den Kompromisscharakter dieser Regelung betonend Hatje/Schwarze EuR 2019, 153, 184 f.

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bereits sozial ist und dass darüber hinaus notwendige Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen mit marktkonformen Mitteln erfolgen sollen.“576 Soweit bei der „in hohem Maße wettbewerbsfähigen sozialen Marktwirtschaft“ der Akzent auf der Wettbewerbsfähigkeit liegt, macht die Formulierung überhaupt nur Sinn, wenn man sie darauf bezieht, dass die europäische Volkswirtschaft als Ganze in globaler Konkurrenz steht. In diesem Szenario könnte dann die Zielsetzung einer „wettbewerbsfähigen sozialen Marktwirtschaft“ zur Legitimierung interventionistischer Eingriffe in den europäischen Markt aus industriepolitischen Motiven dienen.577 Zu denken ist aber auch an eine politische Verknüpfung von „Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft der Union“ einerseits und europäischer Sozialpolitik durch „Förderung der Beschäftigung“ und „Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen“ im Blick auf die „Entwicklung des Arbeitskräftepotentials“ und ein „dauerhaft hohes Beschäftigungsniveau“ andererseits, die in einem Atemzug in Art. 151 Abs. 1 und 2 AEUV genannt werden. All dies reicht aber nicht hin, mit Hilfe des neuen primärrechtlichen Bekenntnisses zu einer „in hohem Maße wettbewerbsfähigen sozialen Marktwirtschaft“ das System einer freiheitlichwettbewerbsgesteuerten offenen Marktwirtschaft, den „Primat des Wettbewerbsschutzes“ (s. Rn. 270) normativ aus den Angeln zu heben.578 Der genannte Passus ist zunächst für sich gesehen und europarechtlich-autonom interpretiert viel zu unbestimmt, um überhaupt rechtliche Bedeutung zu gewinnen,579 geschweige denn von solchem Gewicht, um die europäische Wirtschaftsverfassung neu auszurichten. Seine Aufnahme in den Vertragstext ist wohl eher ein Akt politischer Rhetorik, um sich die mit diesem Begriff einstellenden positiven Assoziationen zunutze zu machen.580 Schließlich ist die Verankerung sozialpolitischer Anliegen auf der Ebene des europäischen Primärrechts nichts Neues, wie schon Artt. 2, 136 ff. des EG-Vertrages (in der Fassung von Nizza) zeigen. Schon bisher mussten also sozialpolitische Erwägungen mit dem Kalkül des freien, unverfälschten Wettbewerbs versöhnt werden, ohne ausdrücklich mit der Formel der „in hohem Maße wettbewerbsfähigen sozialen Marktwirtschaft“ operieren zu können.581 So gesehen war das Leitbild der sozialen Marktwirtschaft schon vor dem Reformvertrag von Lissabon im europäischen Primärrecht vorhanden.582 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die europäische Wirtschaftsverfassung in ihrer Gesamtprägung nur als freiheitlich-wettbewerbsgesteuerte marktwirtschaftliche Ordnung zutreffend beschrieben werden kann. Insofern ist das Konfliktpotential mit der gleichartigen deutschen Wirtschaftsverfassung sehr gering. Namentlich mit dem Agrarsektor kennt das europäische Primärrecht freilich eine bedeutende Enklave, in denen die wettbewerbsgesteuerte Marktwirtschaft mit Art. 38 Abs. 2 AEUV nur noch einen normativen Merkposten bilden, im Übrigen Artt. 38 ff. AEUV diesen Wirtschaftsbereich aber weitestgehend hoheitlicher Administrierung öffnen. Immerhin spricht gerade der in Art. 38 Abs. 2 AEUV normierte Grundsatz gegen eine Charakterisierung der europäischen Wirtschaftsverfassung als Mischwirtschaft, in der das Wettbewerbsprinzip unverbunden und damit politisch beliebig verfügbar neben hoheitlicher Intervention steht.

576 Busch S. 19 unter Hinweis auf Müller-Armack Soziale Marktwirtschaft, in Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 9 (1956) 390 ff. 577 Busch S. 19. m. w. N. 578 Nowak S. 237 (ff.): „Kein wirtschaftsverfassungsrechtlicher Paradigmenwechsel“; Schmidt-Preuß FS Säcker 975 ff.; Terhechte EuR 2008, 143, 177, alle m. w. N. 579 Müller-Graff ZHR 173 (2009) 443, 450. 580 Müller-Graff ZHR 168 (2004) 1, 6 (im Zusammenhang mit dem gescheiterten Verfassungsvertrag); Nowak S. 238; Calliess/Ruffert EUV Art. 3 Rn. 30. 581 Vgl. EuGH 11. 12. 2007 – C-438/05 – Slg. 2007, I-10799 Tz. 43 f., 78 f. – Viking Line; EuGH 18. 12. 2007 – C-341/ 05 – Slg. 2007, I-11767 Tz. 90 f., 104 f. – Laval; Nowak S. 238 ff. 582 Bleckmann DVBl. 1992, 335, 341.

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B. Geschichtliche Entwicklung. Rechtsquellen Schrifttum Adler Fortbildung des Warenzeichenrechts durch das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb, Festgabe zum 50jährigen Bestehen des RPA (1927) 153; Ahrens Das Vertragsauflösungsrecht nach der geplanten UWG-Novelle, WRP 1978, 677; Alexander-Katz Die unredliche Konkurrenz. Juristische Betrachtungen (1892); Allfeld Gesetz zum Schutz der Warenbezeichnungen (1894); Bachem Der unlautere Wettbewerb in Handel und Gewerbe und dessen Bekämpfung (1892); ders. Wie ist dem unlauteren Wettbewerb in Handel und Gewerbe zu begegnen? (1893); Baecker Zum Zeichenschutze (1876); Baumbach Das gesamte Wettbewerbsrecht. Systematischer Kommentar, 2. Aufl. (1931); ders. Gesetzgeberische Gedanken zum Wettbewerbsrecht, DJZ 1931, Sp. 58; Beater Verbraucherschutz und Schutzzweckdenken im Wettbewerbsrecht (2000); Becher Die Regelung des gewerblichen Rechtsschutzes, in: Enderlein (Hrsg.) Handbuch der Außenhandelsverträge, Bd. 1, Der Außenhandelskaufvertrag (1971) 89; Beier Gedanken zum Verhältnis von Warenzeichen- und Ausstattungsschutz im künftigen deutschen Markenrecht, GRUR 1967, 628; Berg Wettbewerbsrecht der ehemaligen DDR im Umbruch, in: Beier/Bastian/Kur (Hrsg.) Wettbewerbsrecht und Verbraucherschutz in Mittel- und Osteuropa (1992) 89; Böhm Wettbewerb und Monopolkampf. Eine Untersuchung zur Frage des wirtschaftlichen Kampfrechts und zur Frage der rechtlichen Struktur der geltenden Wirtschaftsordnung (1933); Böttger Zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs. Ein Beitrag zur Geschichte und Kritik der neueren Gewerbepolitik, Braunschweig (1895); Borck Abermals UWG-„Reform“? Ein Beitrag betreffend den „Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung“, WRP 1978, 333; von Braunmühl/Zweck Wirtschaftswerbung. Kommentar (1934); Buxbaum Die private Klage als Mittel zur Durchsetzung wirtschaftspolitischer Rechtsnormen (1972); Emmerich Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, 5. Aufl. (1998); Dornberger (Hrsg.) Handelsrechtliche Gesetze und Haftpflichtbestimmungen. Textausgabe mit Anmerkungen und Sachregister (1967); Elster Urheber- und Erfinder-, Warenzeichen- und Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. (1928); Fezer Modernisierung des deutschen Rechts gegen den unlauteren Wettbewerb auf der Grundlage einer Europäisierung des Wettbewerbsrechts, WRP 2001, 989; Fikentscher Wirtschaftsrecht, Bd. 2, Deutsches Wirtschaftsrecht (1983); Finger Reichsgesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs (1897); von Gierke Der Rechtsgrund des Schutzes gegen unlauteren Wettbewerb, Zeitschrift für gewerblichen Rechtsschutz 4 (1895), 109; Gosewinkel (Hrsg.) Wirtschaftskontrolle und Recht in der nationalsozialistischen Diktatur (2005); Greiner Die Entstehungsgeschichte der Generalklausel im Reichsgesetze gegen den unlauteren Wettbewerb vom 7. 6. 1909 (1925); Glöckner UWG-Novelle mit Konzept und Konsequenz. Anmerkungen zum Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, WRP 2014, 1399; Gröner/Köhler Der Selbstbedienungsgroßhandel zwischen Rechtszwang und Wettbewerb (1986); Gröschner Der Kraftfahrzeughandel und das Rabattgesetz, BB 1982, 1331; Hahn Das deutsche Markenschutzgesetz sowie Vorschläge zur Änderung desselben (1887); Hedemann Die Flucht in die Generalklauseln. Eine Gefahr für Recht und Staat (1933); ders. Deutsches Wirtschaftsrecht. Ein Grundriß, 2. Aufl. (1943); Heister Harmonisierung des Rechts der vergleichenden Werbung durch die Richtlinie 97/55/EG? (2004); Isay Das Recht am Unternehmen (1910); Katzenberger Recht am Unternehmen und unlauterer Wettbewerb (1967); Katz Gesetz zum Schutz der Warenbezeichnungen und unlauterer Wettbewerb (1894); Kent Das Reichsgesetz zum Schutz der Warenbezeichnungen (1897); Kilian Schutz des Verbrauchers oder der Handelsstrukturen? Zum Anwendungsbereich der Ausnahmeregelung in § 6a Abs. 2 UWG (1987); Kind Sonderveranstaltungen. Handbuch des Ausverkaufsrechts (1979); Klippel „Libertas commerciorum“ und „Vermögens-Gesellschaft“. Zur Geschichte ökonomischer Freiheitsrechte in Deutschland im 18. Jahrhundert, in: Birtsch (Hrsg.) Grund- und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte. Beiträge zur Geschichte der Grund- und Freiheitsrechte vom Ausgang des Mittelalters bis zur Revolution von 1848 (1981) 313; ders. Historische Wurzeln und Funktionen von Immaterialgüter- und Persönlichkeitsrechten im 19. Jahrhundert, ZNR 4 (1982) 132; ders. Die Bedeutung des rheinischen Rechts für die Entwicklung des Namens- und Firmenschutzes in Deutschland, in: Mohnhaupt (Hrsg.) Revolution, Reform, Restauration. Formen der Veränderung von Recht und Gesellschaft (1988) 124; ders. Die Theorie der Freiheitsrechte am Ende des 18. Jahrhunderts in Deutschland, in: Mohnhaupt (Hrsg.) Rechtsgeschichte in den beiden deutschen Staaten (1988–1990) (1991) 349; ders. Der liberale Interventionsstaat. Staatszweck und Staatstätigkeit in der deutschen politischen Theorie des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Lück (Hrsg.) Recht und Rechtswissenschaft im mitteldeutschen Raum. Symposium für Rolf Lieberwirth anlässlich seines 75. Geburtstages (1998), 77; Kloeppel Die Grundlagen des Markenschutzes (1911); Knemeyer Art. Polizei, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 4 (1978) 875; Knöpfle Der Rechtsbegriff „Wettbewerb“ und die Realität des Wirtschaftslebens (1966); ders. Die marktbezogene Unlauterkeit. Ist es berechtigt, die Unlauterkeit einer Handlung daraus herzuleiten, daß sie den Bestand oder die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs gefährdet? (1983); Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig Vorschlag für eine Richtlinie zum Lauterkeitsrecht und eine UWG-Reform, WRP 2002, 1317; Köhler Kopplungsverbote (einschließlich Zugabe) im geltenden und künftigen Wettbewerbsrecht GRUR 2003, 729; ders. Das Verhältnis des Wettbewerbsrechts zum Recht des Geistigen Eigentums. Zur Notwendigkeit einer Neubestimmung auf Grund der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2007, 548; ders. Vom deut-

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Schrifttum

Einleitung

schen zum europäischen Lauterkeitsrecht – Folgen der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken für die Praxis, NJW 2008, 3032; ders. Der Regierungsentwurf zur UWG-Novelle 2015: Nur Klarstellungen oder doch tiefgreifende Änderungen? WRP 2015, 275; ders. Stellungnahme zum Referentenentwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des UWG, WRP 2014, 1410; ders. Die UWG-Novelle 2008, WRP 2009, 109; ders. Das neue UWG 2015: Was ändert sich für die Praxis? NJW 2016, 593; Königs Wechselwirkungen zwischen Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und Recht des unlauteren Wettbewerbs, NJW 1961, 1041; Kötz Klagen Privater im öffentlichen Interesse, in: Homburger/ders. (Hrsg.) Klagen Privater im öffentlichen Interesse (1975) 69; Kohler Der unlautere Wettbewerb (1914); Krieger Möglichkeiten einer Verstärkung des Schutzes gegen unlauteren Wettbewerb, WRP 1978, 1; Lammel Recht zur Ordnung des Wettbewerbs, in: Coing (Hrsg.) Handbuch der Quellen und Literatur zur europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. III/ 3 (1986) 3749; Leonhard Der unlautere Wettbewerb und seine Bekämpfung (1903); Lettl Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor irreführender Werbung in Europa (2004); Leuchs Gewerb- und Handelsfreiheit, oder über die Mittel, das Glük der Völker, den Reichthum und die Macht der Staaten zu begründen, 2. Aufl. (1831); Lies-Benachib Mondpreise und Schnäppchen. Eine juristische Zeitgeschichte des Rabattgesetzes, in: Pahlow (Hrsg.) Die zeitliche Dimension des Rechts (2005) 272; Lieser Pariser Verbandsübereinkunft und Wettbewerbsrecht in der DDR, Deutschland-Archiv 7 (1974), 253; ders./Morawo Das Außenhandelsrecht im Schnittpunkt von Markt- und Zentralplanwirtschaft, Deutschland-Archiv 1970, 579; Lindemeyer/Henseler Vom Schutz des Mitbewerbers zum Schutz des Bewerbers. Der Referentenentwurf zur Änderung des Gesetzes gegen den Unlauteren Wettbewerb, WRP 1978, 87; Lobe Das Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs vom 27. Mai 1896 (1896); ders. Die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, 4 Bde. (1907); ders. Die Generalklausel des neuen Wettbewerbsgesetzes, GRUR 1910, 3; ders. Die Entwicklung des Schutzes gegen unlauteren Wettbewerb nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts, GRUR 1931, 1215; Matz Die Regulierung der akzessorischen Wertreklame, Diss. Kiel 2005; Mestmäcker Der verwaltete Wettbewerb. Eine vergleichende Untersuchung über den Schutz von Freiheit und Lauterkeit im Wettbewerbsrecht (1984); Mewes Das Recht der Sonderverkaufsveranstaltungen (1936); Mittler Illoyale Konkurrenz und Markenschutz. Eine Studie aus dem Immaterial-Güter-Rechte unter rechtsvergleichender Berücksichtigung der österreichischen und deutschen Gesetzgebung (1896); Möschel Pressekonzentration und Wettbewerbsgesetz (1978); Morawo Das Außenhandelsrecht in den Wirtschaftsordnungen des geteilten Deutschlands. Ein Systemvergleich (1969); Müller/Woltz Das Recht des unlauteren Wettbewerbs ausgewählter kapitalistischer Industrieländer (1988); Nipperdey Wettbewerb und Existenzvernichtung (1930); Nörr Die Republik der Wirtschaft. Recht, Wirtschaft und Staat in der Geschichte Westdeutschlands, Bd. 1, Von der Besatzungszeit bis zur Großen Koalition (1999); ders. Die Leiden des Privatrechts. Kartelle in Deutschland von der Holzstoffkartellentscheidung zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (1994); ders. Zwischen den Mühlsteinen. Eine Privatrechtsgeschichte der Weimarer Republik (1988); D. C. North Theorie des institutionellen Wandels, eine neue Sicht der Wirtschaftsgeschichte (1988); M. North Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Ein Jahrtausend im Überblick (2000); Ohly Die Bemühungen um eine Rechtsvereinheitlichung auf EU-Ebene von den Anfängen bis zur Richtlinie über irreführende Werbung von 1984, in: Schricker/Henning-Bodewig (Hrsg.) Neuordnung des Wettbewerbsrechts (1997) 69; ders. Das neue UWG – Mehr Freiheit für den Wettbewerb? GRUR 2004, 889; ders. Gibt es einen Numerus clausus der Immaterialgüterrechte? FS Schricker (2005) 105; ders. Anmerkungen zum Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des UWG, GRUR 2014, 1137; ders. Alternativentwurf („Große Lösung“) zum Regierungsentwurf eines 2. Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, WRP 2015, 1443; Osterrieth Lehrbuch des gewerblichen Rechtsschutzes (1908); Pahlow Industrialisierung als Staatsaufgabe. Zum Verhältnis von Wirtschaft und Staat im Staatsrecht des Vormärz, Rg. 15 (2009), 109; ders. Die Emanzipation des Warenzeichens. Rechtshistorische Überlegungen zum Verhältnis von Warenzeichen- und Wettbewerbsrecht, in: Lange/Klippel/ Ohly (Hrsg.) Geistiges Eigentum und Wettbewerb (2009) 69; Pause Die Berücksichtigung der Allgemeinheit bei der Beurteilung wettbewerblichen Handelns (1984); Pinzger/Heinemann Das deutsche Warenzeichenrecht (1926); Pleyer/ Lieser Das Zivil- und Wirtschaftsrecht der DDR im Ausklang eines Reformjahrzehnts. Beiträge aus den Jahren 1969– 1972 (1973); Pölitz Die Staatswissenschaften im Lichte unserer Zeit, 2. Teil, Volkswirtschaft, Staatswirtschaft und Finanzwissenschaft (1823); Puppo Die wirtschaftsrechtliche Gesetzgebung des Dritten Reiches (1987); Reimer/Krieger Zugabe- und Rabattrecht. Kommentar (1955); Reimer Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, Bd. 2, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. (1972); Rüthers Die unbegrenzte Auslegung. Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus, 6. Aufl. (2005); Sack Das Recht am Gewerbebetrieb. Geschichte und Dogmatik (2007); ders. Die lückenfüllende Funktion der Sittenwidrigkeitsklauseln, WRP 1985, 1; Scherer „Case law“ in Gesetzesform. Die „Schwarze Liste“ als neuer UWG-Anhang, NJW 2009, 324; dies. Ende der Werbung in Massenmedien? WRP 2008, 563; Schill Der Einfluss der Wettbewerbsideologie des Nationalsozialismus auf den Schutzzweck des UWG. Eine rechtshistorische Untersuchung zur Politisierung des Wettbewerbsrechts durch den Schutz der Allgemeinheit, Diss. Augsburg 2004; Schippel Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (1956); Schlecht Grundlagen und Perspektiven der Sozialen Marktwirtschaft (1990); Schmid Das Warenzeichenrecht nebst einem Überblick über die Bestimmungen wider den unlauteren Wettbewerb (1899); Schrauder Wettbewerbsverstöße als Eingriffe in das Recht am Gewerbebetrieb (1970);

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Einleitung

B. Geschichtliche Entwicklung. Rechtsquellen

Schricker Zur Reform des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb. Schadensersatzansprüche der Abnehmer und Rücktritt vom Vertrag bei irreführender und unlauterer Werbung, GRUR 1979, 1; Schricker/Henning-Bodewig Elemente einer Harmonisierung des Rechts des unlauteren Wettbewerbs in der Europäischen Union, WRP 2001, 1367; ders./ Lehmann Der Selbstbedienungsgroßhandel. Rechtstatsachen – Rechtsprobleme, 2. Aufl. (1987); Schuler Die Concurrence déloyale und ihre Beziehungen zu Namen, Firma, Marke, Fabrik und Geschäftsgeheimnis im französischen, schweizerischen und deutschen Recht (1895); Seyfferth Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (1909); Simon Die Concurrence Déloyale, ihr Begriff und ihre Behandlung im Zivil- und Strafrecht (1894); Sosnitza Der Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, WRP 2008, 1014; von Stechow Das Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs vom 27. Mai 1896. Entstehungsgeschichte und Wirkung (2002); Steindorff Einführung in das Wirtschaftsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. (1985); Stephan Gesetz zum Schutz der Warenbezeichnungen, 4. Aufl. (1899); Stolleis Geschichte des Öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 1, Reichspublizistik und Policeywissenschaft 1600–1800 (1988); Tetzner Recht und Unrecht der Zugabe. Erläuterungen zur ZugabeVO (1953); E. Ulmer Wandlungen und Aufgaben im Wettbewerbsrecht, GRUR 1937, 769; P. Ulmer Der Begriff „Leistungswettbewerb“ und seine Bedeutung für die Anwendung von GWB und UWG-Tatbeständen, GRUR 1977, 565; ders. Rabattgesetz und Wettbewerbsordnung, FS Hefermehl (1972) 377; ders. Verbraucherpreisempfehlung und Rabattverbot. Zur Problematik faktischer Bindungswirkung von Preisempfehlungen für Kraftfahrzeuge aufgrund von PAngVO und RabattG, GRUR Int. 1983, 611; Veracius Illoyale Konkurrenz und Markenschutz, GRUR 1898, 237; Wadle Das Markenschutzgesetz von 1874, JuS 1974, 761; ders. Fabrikzeichenschutz und Markenrecht. Geschichte und Gestalt des deutschen Markenschutzes im 19. Jahrhundert, 2 Bde. (1977/1983); ders. Das Reichsgesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs von 1896, in: ders. (Hrsg.) Geistiges Eigentum. Bausteine zur Rechtsgeschichte, Bd. 2 (2003) 381; Wassermann Unlauterer Wettbewerb unter dem Schutz des Markenrechts, GRUR 1904, 63; Wehler Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges (1849–1914) (1995); Weiß Die Concurrence Deloyale, ihr Begriff und ihre Behandlung im Civil- und Strafrecht (1894); Wermert Über den unlauteren Wettbewerb und die Konsumvereinsbewegung (1895); Wirth Warenzeichenrecht und gute Sitten, GRUR 1910, 319; Zacher Die Entstehung des Wirtschaftsrechts in Deutschland. Wirtschaftsrecht, Wirtschaftsverwaltungsrecht und Wirtschaftsverfassung in der Rechtswissenschaft der Weimarer Republik (2002).

Gesetzgebungsmaterialien 1. Entwürfe und Motive: Gesetz über Markenschutz mit Motiven, RTDrucks 1874, Nr. 20, S. 632; Bericht der 35. Kommission zur Vorberatung des Entwurfs eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, Verhandlungen des Reichstages, XII. Legislaturperiode, 1909, Bd. 255, S. 8433; Erläuterungen der ZugabeVO, Deutscher Reichsanzeiger, 1932, Nr. 61; Entwurf der Bundesregierung zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, des Warenzeichengesetzes und des Gebrauchsmustergesetzes, BTDrucks IV/2217; Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses (16. Ausschuss) über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung – Drucksache IV/2001 – und den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, des Warenzeichengesetzes und des Gebrauchsmustergesetzes – Drucksache IV/2217 –, BTDrucks IV/3403; Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb – Drucksache V/2324 (neu) – mit den Beschlüssen des Rechtsausschusses (12. Ausschuss), BTDrucks V/ 4035 S. 7; Entwurf eines 9. Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, BTDrucks 8/1670; Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, BTDrucks 8/2145; Entwurf eines 2. Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (2. WiKG), BTDrucks 9/2008 [30. 9. 1982]; Entwurf eines 2. Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (2. WiKG), in: BTDrucks 10/318 [26. 8. 1983]; Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wirtschafts- und verbraucherrechtlicher Vorschriften, BTDrucks 10/4741 S. 1; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Entwurf eines 2. Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (2. WiKG) – Drucksache 10/119 – und dem Entwurf eines 2. Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (2. WiKG) – Drucksache 10/318 –, BTDrucks 10/5058; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb – Drucksache 15/1487 –, BTDrucks 15/2795; Entwurf eines 1. Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, BTDrucks 16/10145; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Entwurf eines 1. Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb – Drucksache 16/10145 –, BTDrucks 16/11070; Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, in: BTDrucks. 18/4535; Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 18/4535 – in: BTDrucks. 18/6571. 2. Gesetze und Verordnungen: Gesetz über Markenschutz vom 30. 11. 1874, RGBl 1874, 143; Gesetz zum Schutz der Waarenbezeichnungen vom 12. 5. 1894, RGBl 1894, 441; Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 7.6.1909, RGBl. 1909, 499 ff.; Verordnung gegen Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen vom 2. 11. 1923, RGBl I, 1067; Gesetz über den Beitritt des Reiches zu dem Madrider Abkommen, betreffend die Unterdrückung fal-

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Übersicht

Einleitung

scher Herkunftsangaben auf Waren vom 21. 3. 1925, RGBl II, 115; Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze der Wirtschaft vom 9. 3. 1932, RGBl I, 121; Gesetz über die Errichtung von Zwangskartellen vom 15. 7. 1933, RGBl I, 488; Gesetz über Änderung der Kartellverordnung vom 15. 7. 1933, RGBl I, 487; Gesetz über Wirtschaftswerbung vom 12. 9. 1933, RGBl I, 625; Zweite Bekanntmachung des Werberates der deutschen Wirtschaft vom 1. 11. 1933, abgedruckt in von Braunmühl/Zweck Wirtschaftswerbung. Kommentar (1934) S. 14; Gesetz über Preisnachlässe (Rabattgesetz) vom 25. 11. 1933, RGBl I, 1011; Verordnung über Wettbewerb vom 21. 12. 1934, RGBl I, 1280; Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb vom 26. 2. 1935, RGBl I, 311; Anordnung vom 4. 7. 1935 auf Grund des § 9a des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb in der Fassung des Reichsgesetzes vom 26. 2. 1935, Deutscher Reichsanzeiger 1935, Nr. 158, 1; Verordnung zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 8. 3. 1940, RGBl I, 480; Verordnung des Bundesministeriums für Wirtschaft über Sommer- und Winterschlußverkäufe vom 13. 7. 1950, Bundesanzeiger 1950, Nr. 135; Gesetz zur Änderung der Verordnung zum Schutze der Wirtschaft vom 20. 8. 1953, BGBl I, 939; Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, des Gesetzes über das Zugabewesen und das Rabattgesetzes vom 11. 3. 1957, BGBl I, 172; Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) vom 27. 7. 1957, BGBl I, 1081; Sammlung des Bundesrechts zum Sachgebiet Zivilrecht und Strafrecht vom 15. 5. 1960, BGBl III, 1960 (Folge 11), 147; Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, des Warenzeichengesetzes und des Gebrauchsmustergesetzes vom 21. 7. 1965, BGBl I, 625; Erstes Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 25. 6. 1969, BGBl I, 645; Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb vom 26. 6. 1969, BGBl I, S. 633 ff.; Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 3. 8. 1973, BGBl I, 917; Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch (EGStGB) vom 2. 3. 1974, BGBl I, 469; Gesetz zur Erleichterung der Verwaltungsreform in den Ländern (Zuständigkeitslockerungsgesetz) vom 10. 3. 1975, BGBl I, 685; Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (2. WiKG) vom 15. 5. 1986, BGBl I, 721; Gesetz zur Änderung wirtschafts-, verbraucher-, arbeits- und sozialrechtlicher Vorschriften vom 25. 7. 1986, BGBl I, 1169; Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 25. 7. 1994, BGBl I, 1738; Gesetz zur Reform des Markenrechts und zur Umsetzung der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. 12. 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (Markenrechtsreformgesetz) vom 25. 10. 1994, BGBl I, 3082; Gesetz zur vergleichenden Werbung und zur Änderung wettbewerbsrechtlicher Vorschriften vom 1. 9. 2000, BGBl I, 1374; Gesetz zur Aufhebung der Zugabeverordnung und zur Anpassung weiterer Rechtsvorschriften vom 23. 7. 2001, BGBl I, 1661; Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 3. 7. 2004, BGBl I, 1414; Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 22. 12. 2008, BGBl I, 2949; Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 2. 12. 2015, BGBl I, 2158. 3. Europarecht: Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Verkaufsförderung im Binnenmarkt (gemäβ Artikel 250, Absatz 2 des EG-Vertrages von der Kommission vorgelegt) vom 25. 10. 2002 (KOM (2002) 585 endg.); Richtlinie 2010/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. 3. 2010 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste) (ABl. EU L 95 v. 15. 4. 2010); Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern.

Übersicht I.

Der Interventionsstaat des 19. Jahrhun1 derts

V.

Das Lauterkeitsrecht in der Rechtsprechung 32 des Reichsgerichts (1909–1945)

II.

VI.

1. 2.

Gewerbefreiheit und Zeichenschutz (1869– 6 1896) 6 Markenschutz und WZG Die Rechtsprechung des Reichsgerichts

III.

Das UWG von 1896

Die Entwicklung des Lauterkeitsrechts in 38 Deutschland nach 1945 38 Das UWG in der BRD (1949–1989) 40 a) Verhältnis zum Kartellrecht b) Schutz der Verbraucherinteressen 45 c) Reformbemühungen 50 DDR (1949–1989)

IV.

Das UWG von 1909 und seine Nebenge21 setze Die Einführung der Generalklausel im UWG 22 1909 25 Die Zugabeverordnung von 1932 30 Das Rabattgesetz von 1933

1. 10

13 2.

1. 2. 3.

83

VII. Europäische Entwicklungen

42

52

VIII. Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb 57 vom 3. Juli 2004

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Einleitung

B. Geschichtliche Entwicklung. Rechtsquellen

Alphabetisches Stichwortverzeichnis Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch (ADHGB) 7, 10 f. Allgemeininteresse 33, 37 Außenhandelsmonopol 51 Concurrence déloyale 7, 11 Deliktsrecht 7, 16, 20 f. Firma 7, 10 f. Firmenschutz 7 Französische Revolution 12 Generalklausel 12, 14 ff., 21 f., 32, 34, 40, 46, 58 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) 40 f. Gesetz über die Wirtschaftswerbung 29 Gewerbebetrieb 20 Gewerbefreiheit 5 ff., 12, 22 Gewerbeordnung 5 f. Gilde 2 Herkunftsgarantie 9 Industrialisierung 4, 6 Interventionsstaat 1 ff., 4 Irreführung 6, 8, 42, 54, 58 Juristentag 14 Kartellrecht 40 f. Kartellverordnung 23 Konkurrentenschutz 10, 33, 45 Liberalisierung 48, 54, 57 Marke 9, 10, 35 Markenrechtsreformgesetz 49 Markenschutz 6 ff., 10

Markenschutzgesetz 8, 10 f., 33 Mittelstandsschutz 28, 30 Monopol 4, 51 Nahrungspolicey 2 f. Patent 4, 12 Persönlichkeitsrecht 17, 20 Physiokraten 3 Planwirtschaft 50 f. Preis- und Lohntaxen 2 f. Privilegien 2, 4 Rabattgesetz 30 f. Recht am Gewerbebetrieb, siehe Gewerbebetrieb Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken 56 Sonderveranstaltungsrecht 28, 47 soziale Marktwirtschaft 38 Urheberrecht 12 Verbraucherinteressen 42 ff. vergleichende Werbung 36, 54 Verordnung über Wettbewerb 31 Warenzeichen 10 f., 16 Warenzeichenrecht 10, 16, 34 f. Weimarer Reichsverfassung 18 Wertreklame 26, 30 Zeichenschutz 6 ff., 8 f., 11 Zugabeverordnung 25 ff. Zunft 2 Zwangskartellgesetz 24

I. Der Interventionsstaat des 19. Jahrhunderts 1 Das Recht des lauteren Wettbewerbs ist ein vergleichsweise junges Rechtsgebiet. In seinem modernen Sinne setzt es nicht nur eine Wirtschaftsordnung voraus, die im Grundsatz auf einem freien Wettbewerb beruht. Vielmehr bedarf es ebenso eines Bewusstseins dafür, dass wettbewerbliches Handeln auch unlauter sein kann und dass es zu den Aufgaben des Staates gehört, mit rechtlichen Mitteln gegen einen derartigen „unlauteren Wettbewerb“ vorzugehen. Erkennt man diese Voraussetzungen an, dann beginnt die Geschichte des Lauterkeitsrechts in Deutschland im 19. Jahrhundert. Wie in vielen anderen Staaten Europas löste in dieser Zeit eine auf freiem Wettbewerb beruhende Wirtschaftsordnung zunehmend das überkommene absolutistisch-merkantilistische Wirtschaftsregime ab.1 2 Produktion und Verteilung wurden bis dahin nicht allein den freien Kräften des Marktes bzw. einem freien Wettbewerb überlassen. Neben den tradierten Zunft- und Gildeverfassungen für Handwerk und Handel trat unter einer „absolutistisch“-merkantilistischen Wirtschaftspolitik seit dem 17. Jahrhundert zunehmend der Staat bzw. die jeweilige Obrigkeit als Ordnungsfaktor auf. So definierte der Staat es als seine Aufgabe, durch staatliche Maßnahmen (z. B. Preisund Lohntaxen, Privilegien oder Luxusordnungen) die „gemeine Wohlfahrt“ sicherzustellen.2 Staatliche Eingriffe in Produktions- und Vertriebsprozesse, u. a. durch eine sog. Gewerbeoder Nahrungspolicey, waren nicht verpönt, sondern galten als unverzichtbare Bestandteile 1 Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß Einl. E 1 Rn. 1. 2 Knemeyer S. 880 f.; Stolleis S. 377 ff.

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I. Der Interventionsstaat des 19. Jahrhunderts

Einleitung

merkantilistischer Wirtschaftspolitik. Sowohl die ökonomische Theorie als auch die staatliche Praxis legitimierten daher noch im späten 18. Jahrhundert Eingriffe des Staates in den wirtschaftlichen Produktions- und Verteilungsprozess.3 Gegen Ende des 18. Jahrhunderts traten allerdings verstärkt Wirtschaftstheorien in den 3 Vordergrund, die Eingriffe des Staates in wirtschaftliche Prozesse weitgehend ablehnten. Zunächst unter dem Einfluss der französischen Physiokraten (u. a. François Quesnay) waren es später vor allem die Lehren eines freien, sich weitgehend selbst regulierenden Marktes von Adam Smith, die sich gegen die tradierten obrigkeitlichen Eingriffe in die Wirtschaft aussprachen. Deren Rezeption seit ca. 1790 schlug sich denn auch in Forderungen nach politischen und ökonomischen Freiheitsrechten nieder. Es liegt auf der Hand, dass aus der Sicht dieser liberalen ökonomischen Theorie die Ziele und Mittel der merkantilistisch-absolutistischen Wirtschaftspraxis dezidiert abgelehnt wurden. Stattdessen sollte ein freier Wettbewerb hergestellt und durch ökonomische Freiheitsrechte nachhaltig vor Eingriffen des Staates geschützt werden. Damit wurde im Prinzip allen bisherigen rechtlichen und ökonomischen Ordnungsbegriffen und -instrumenten wie z. B. den administrativen Kompetenzen z. B. der sog. Gewerbeoder Nahrungspolicey sowie der gesetzlichen Festlegung u. a. von Preis- und Lohntaxen die Legitimationsgrundlage entzogen.4 Dieses Ideal eines freien Marktes blieb jedoch in Deutschland vorerst weitgehend Theorie. 4 Trotz einzelner, z. T. temporärer Reformmaßnahmen um 1800 blieben die tradierten Strukturen weitgehend erhalten, die auch nur mit, nicht gegen den Staat reformiert oder überwunden werden sollten. Zahlreiche Autoren rechtfertigten das Fortbestehen des Interventionsstaates, auch im Bewusstsein einer anti-liberalen Wirtschafts- und Industriepolitik. Im Interesse einer fortschreitenden Industrialisierung und eines wirtschaftlichen Fortschritts sprachen sich viele Autoren der ökonomischen und politischen Theorie u. a. für zeitlich befristete Alleinrechte etwa von Erfindern (z. B. Patente, Privilegien) aus, weil „es nützlich, billig, ja selbst gerecht sei, hier ausnahmsweise von der allgemeinen Freiheit abzugehen“.5 Es sollte dementsprechend weniger ein „Monopol“ sein, als vielmehr u. a. dem Erfinder eine „Belohnung“ für seine Erfindung gewährt werden.6 Neben technischen Innovationen stellten die Autoren aber ebenso gewerbliche Leistungen unter staatlichen Schutz. Danach hatte allein der Staat markenwidrige oder unlautere Geschäftspraktiken zu unterbinden.7 Derartige Bestrebungen zeigen, dass es nach Auffassung der liberalen ökonomischen Theorie der Staat sein sollte, der durch die Schaffung besonderer, eigentumsähnlicher Rechtspositionen den Aus- und Aufbau effizienter Märkte fördern und damit wirtschaftliches Wachstum im Deutschland des beginnenden 19. Jahrhunderts gewährleisten sollte.8 Der Befund in der ökonomischen und politischen Theorie entspricht mit mehr oder weniger 5 stark ausgeprägten regionalen Unterschieden auch der Wirtschaftspraxis des 19. Jahrhunderts. Das „Zeitalter der Reformen“ kurz nach 1800 verwirklichte wirtschaftliche Freiheit allenfalls in Teilbereichen. Frühindustrielle Marktverhältnisse blieben bis ca. 1860 nur auf wenige Einzelstaaten des Deutschen Bundes beschränkt. Erst mit der politischen Einheit war die Möglichkeit vorhanden, in ganz Deutschland auch die freie Gründung und Betätigung von Unternehmen und damit die Idee eines einheitlichen Marktes nach dem Prinzip der Gewerbefreiheit durchzusetzen. Dies erfolgt u. a. 1869 durch die Einführung der Gewerbeordnung und danach durch eine Reihe weiterer Maßnahmen, die die liberalen Grundlagen einer auf freiem Wettbewerb beruhenden Wirtschaftsordnung, freilich auch mit protektionistischen Einfallstoren, gewährleisten sollten. 3 4 5 6 7 8

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M. North S. 170 ff., 176 ff.; Wehler S. 233 ff. Zu diesem Prozess näher Klippel in Birtsch S. 313; ders. in Lück S. 77 ff.; ders. in Mohnhaupt S. 349. Leuchs S. 239. Leuchs S. 240 f. Pölitz S. 165. Zum Ganzen auch Pahlow Rg. 15 (2009), 109; D. C. North S. 163 ff.

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II. Gewerbefreiheit und Zeichenschutz (1869–1896) 1. Markenschutz und WZG 6 Die Bedeutung besonderer Verhaltensregeln im Wettbewerb nahm in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts u. a. mit der flächendeckenden Einführung der Gewerbefreiheit durch die Gewerbeordnung von 1869 und einem durch die Industrialisierung entfachten, zum Teil sprunghaften wirtschaftlichen Aufschwung zu. Erst in dieser Zeit etablierte sich in ganz Deutschland ein einheitlich geregelter, bisweilen schrankenloser Wettbewerb, der die teilweise noch staatlich reglementierten Marktverhältnisse der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hinter sich ließ.9 Unter der Einwirkung der raschen Bevölkerungs- und Verkehrsentwicklung, der wachsenden Bedeutung der Presse und des steigenden Angebots an Waren und Dienstleistungen nahm der Konkurrenzkampf der Gewerbetreibenden untereinander zu und zum Teil auch bedenkliche Formen an. Das zeigte sich zunächst an der irreführenden Verwendung gewerblicher Kennzeichen. Der Gebrauch gefälschter, auch ausländischer Kennzeichen (u. a. aus England) führte zunehmend zur Beeinträchtigung des redlichen Wettbewerbs und zur Irreführung der Konsumenten.10 7 Die Unternehmer konnten sich bis 1874 kaum gegen diese Entwicklungen schützen. Der handelsrechtliche Firmenschutz nach Art. 27 ADHGB versagte in der Regel, wenn die Firma auf dem Warenetikett oder als Warenbezeichnung unbefugt gebraucht wurde.11 Weitergehende gesetzliche Regelungen zum Schutz gewerblicher Kennzeichen waren nicht vorhanden. Allenfalls in den Gebieten des französischen oder rheinischen Rechts wurden von den Obergerichten die in der französischen Rechtspraxis entwickelten Grundsätze der sog. concurrence déloyales angewendet. Gewerbliche Kennzeichen wurden danach deliktsrechtlich nach Art. 1382 Code civil geschützt.12 Der Gesetzgeber reagierte auf diese Defizite bereits nach dem Gründerboom der Jahre 1870– 8 1873 durch protektionistische Regelungen.13 Das Markenschutzgesetz von 1874 verfolgte nicht nur einen Zeichen-, sondern unmittelbar auch einen Konkurrenten- und Konsumentenschutz vor Irreführung und unlauterem Wettbewerb durch Zeichenmissbrauch. In den Motiven wurde dieser Irreführungsschutz deutlich formuliert.14 Auch für einen Großteil der Autoren ersetzte das Markenschutzgesetz damit den fehlenden gesetzlichen Schutz vor unredlicher Konkurrenz durch Zeichenmissbrauch; es diene zugleich dem Schutz der Konsumenten vor Irreführung und Täuschung. Der Hauptzweck des Zeichens sei „der Schutz des Publikums gegen Täuschung“.15 Der Zeichenschutz bezwecke „damit nichts, als eben die Redlichkeit, die bona fides im Verkehr selbst“.16 Das Markenschutzgesetz kann vor diesem Hintergrund durchaus als eine Vorstufe des Lauterkeitsrechts in Deutschland angesehen werden.17 9 Die fehlende Einbeziehung von gewerblichen Kennzeichen wie Warenzeichen in die Debatte um die Anerkennung eines geistigen Eigentums in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hängt nicht nur mit der fehlenden geistigen Schöpferleistung zusammen, wie sie etwa bei Autor- oder Erfinderleistungen zweifellos vorlag. Ein Schutz von Warenbezeichnungen entsprach im weitgehend staatlich reglementierten Markt der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts weithin dem Firmen- und Namensschutz des Herstellers, vgl. dazu näher Wadle Fabrikzeichenschutz und Markenrecht. 10 Dazu mit Beispielen Wadle in ders. S. 381, 382 f. 11 Vgl. Handelsappellationsgericht Nürnberg 15. 3. 1886, ZHR 11 (1868), 130 f.; Reichsoberhandelsgericht 9. 12. 1871 ROHGE 4, 253; ferner die Nachw. bei Klippel in Mohnhaupt S. 124, 151. 12 Vgl. dazu die Nachw. bei Klippel in Mohnhaupt S. 124, 148 ff. 13 Wehler S. 91 ff. 14 RTDrucks 1874 Nr. 20 S. 634: „Waarenzeichen erhalten ihren Werth nicht durch den Handelsstand, sondern durch das Publikum […] Daß das Publikum in seiner Schätzung nicht irregeführt und daß sein Vertrauen nicht zum Vortheile Einzelner ausgebeutet werde, darin liegt allerdings ein öffentliches Interesse von erheblicher wirthschaftlicher Tragweite begründet“. – Zu den Hintergründen des Markenschutzgesetzes auch von Stechow S. 44 ff., 67 ff.; Wadle in ders. S. 381, 382 ff. 15 Baecker S. 2 f.; Hahn S. 3, 7; Wermert, S. 8.; Wadle JuS 1974, 761, 765; ders. in ders. S. 381, 383 f. 16 Hahn S. 2; Katz S. 26. 17 Pahlow in Lange/Klippel/Ohly S. 69, 71 ff.

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II. Gewerbefreiheit und Zeichenschutz (1869–1896)

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Die Einführung des sog. Gesetzes zum Schutz der Waarenbezeichnungen (WZG) vom 9 12. Mai 189418 hielt an dieser Zielsetzung des Zeichenschutzes fest. Nach der Interpretation von Martin Wassermann beabsichtigte das WZG neben dem Schutz eingetragener Marken auch „die Bekämpfung unlauteren Geschäftsgebahrens“.19 § 7 Abs. 1 Satz 2 WZG schrieb zu diesem Zweck eine publikumsschützende Herkunftsgarantie fest. Ihr wurde bereits im Vorfeld eines gesetzlichen Lauterkeitsrechts die Aufgabe des Schutzes gegen irreführende und damit unlautere Wettbewerbshandlungen zugewiesen.20 Darüber hinaus trat im WZG auch der Schutz gegen unlautere Wettbewerbshandlungen insoweit deutlich hervor, als die lautere Erwerbstätigkeit in §§ 15 und 16 WZG gegen gewisse Täuschungshandlungen geschützt wurde.21 Nach § 16 WZG war zu bestrafen, „wer Waaren oder deren Verpackung oder Umhüllung oder Ankündigungen, Preislisten, Geschäftsbriefe, Empfehlungen, Rechnungen oder dergleichen fälschlich mit einem Staatswappen oder mit dem Namen oder Wappen eines Ortes, eines Gemeinde- oder weiteren Kommunalverbandes zu dem Zweck versieht, über Beschaffenheit und Werth der Waaren einen Irrthum zu erregen, oder wer zu dem gleichen Zweck derartig bezeichnete Waaren in Verkehr bringt oder feilhält“.

2. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts Das Markenschutzgesetz von 1874 diente also – ebenso wie das Warenzeichengesetz von 1894 – 10 nicht nur dem Schutz des Zeicheninhabers und seiner Marke; es erfüllte vielmehr auch eine wettbewerbsschützende Funktion. Zugleich behinderte das Markenschutzgesetz wie auch das WZG durch seine formale, registergebundene Schutzkonzeption jedoch eine richterrechtliche Ausbildung eines redlichen Konkurrentenschutzes. Für die Priorität des Markenrechts war die Anmeldung konstitutiv, nicht angemeldete Warenzeichen kraft bloßer Verkehrsgeltung daher nicht geschützt. Das Reichsgericht folgerte aus dieser gesetzlichen Konzeption im positivistischen Zeitgeist des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts, dass im Wettbewerb prinzipiell erlaubt, was nicht ausdrücklich gesetzlich verboten worden sei.22 Auch die Versuche der Strafrechtspflege, den „offenbaren Schwindel“ in Handel und Gewerbe durch den Betrugstatbestand einzudämmen, blieben meist erfolglos. In ständiger Rechtsprechung ging das Reichsgericht davon aus, dass der Firmen- und Markenschutz im MSchG und im ADHGB abschließend sei. Firma und Marke seien demnach die einzigen Mittel, um sich gegen illoyales Verhalten von Konkurrenten zu schützen.23 Die Folgen dieser engen Auslegung der zeichenrechtlichen Bestimmungen des Marken- 11 schutzgesetzes, des WZG oder des Art. 27 ADHGB hätten durch eine subsidiäre Heranziehung von Art. 1382 Code civil zumindest in den linksrheinischen Gebieten überwunden werden können. Die französische Rechtsprechung und Literatur hatte diese Vorschrift im 19. Jahrhundert zur Entwicklung eines umfangreichen Schutzes gegen unlauteren Wettbewerb herangezogen.24 Das Reichsgericht lehnte eine Übernahme dieser Grundsätze trotz des bis 1900 in vielen linksrheinischen Gebieten geltenden französischen Rechts ab. Zur Begründung verwies es auf den Firmen- und Warenzeichenschutz, der im ADHGB und im Markenschutzgesetz „einheitlich und

18 RGBl. 1894, 441. 19 Veracius GRUR 1898, 237 ff.; Wassermann GRUR 1904, 63 ff., 63. – Dazu Pahlow in Lange/Klippel/Ohly S. 69, 73 f. 20 Stephan S. 7; ferner Allfeld S.1, 5: „Das Warenzeichen, die Marke, hat die Bestimmung, den Ursprung der Ware zu kennzeichnen“; Kent S. 1, 145; Pinzger/Heinemann S. 123; ähnlich Schmid S. 66; zur Rechtsprechung RG 19. 6. 1923 GRUR 1924, 85 – Saccharin; RG 15. 1. 1904 JW 1904, 123 (Nr. 29); RG 19. 10. 1895 RGZ 36, 13, 14; LG Dresden 27. 2. 1924 GRUR 1924, 88 – Kurschwerter. 21 Dazu auch Lobe GRUR 1931, 1215, 1216. 22 So pointiert Kohler S. 44. 23 Vgl. RG 29. 4. 1892 RGZ 29, 57, 61; RG 7. 12. 1887 RGZ 20, 71, 75 f.; RG 13. 11. 1886 RGZ 18, 93, 99 ff.; RG 20. 11. 1880 RGZ 3, 67, 69; dazu auch Mittler S. 10 m. w. N. – Vgl. von Stechow S. 67 ff. 24 Lammel in Coing Bd. III/3 S. 3749, 3769 ff.; Klippel in Mohnhaupt S. 124, 152 m. w. N.

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erschöpfend“ geregelt sei; folglich sei „abgesehen von der Firma das Warenzeichen das einzige Mittel […], um sich gegen ein illoyales Verhalten von Konkurrenten zu schützen“.25 12 Die Frage nach den Ursachen für diese ablehnende Haltung des Reichsgerichts wird bis heute unterschiedlich beantwortet. Die methodisch eher positivistische Erklärung, dass die Spezialgesetzgebung in Deutschland den Umkehrschluss eröffnet habe,26 greift für sich aber zu kurz. Sie macht das Reichsgericht im Ergebnis zum Verteidiger eines freien, auch unlauteren Wettbewerbs, was in dieser Konsequenz bezweifelt werden muss.27 Entscheidend war zumindest auch das Fehlen einer in ganz Deutschland geltenden schadensersatzrechtlichen Generalklausel, die erst 1900 mit § 826 BGB geschaffen wurde.28 Darüber hinaus dürfte auch eine unterschiedliche Einstellung gegenüber dem freien Wettbewerb mitentscheidend gewesen sein.29 Mit der Einführung der Gewerbefreiheit 1869 war die Gewerbetätigkeit Ausfluss einer jedermann zustehenden Handlungsfreiheit, deren Wahrnehmung rechtlich nicht zulässig war, sofern gesetzliche Regelungen dem nicht entgegenstanden.30 In Frankreich wurden dagegen seit der Französischen Revolution nicht nur die Gewerbefreiheit, sondern auch Eingriffe in diese Freiheitssphäre durch Rechte anderer (u. a. Patent- oder Urheberrechte) anerkannt. Der Schutz des redlichen Wettbewerbs wurde also von Anfang an in Übereinstimmung mit der Begründung subjektiver Privatrechte gewährleistet. In Deutschland hingegen war die Anerkennung wettbewerbsbeschränkender Rechtspositionen lange kontrovers diskutiert worden, was u. a. auch die zögerliche Anerkennung von Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechten in der deutschen Rechtswissenschaft nach 1860 belegt.31

III. Das UWG von 1896 13 Die Rechtsprechung des Reichsgerichts führte zu einer erheblichen Kritik seitens der Rechtswissenschaft und zum Ruf nach dem Gesetzgeber. Im Einklang mit der gewerblichen Wirtschaft forderten zahlreiche Autoren einen weitergehenden Schutz vor unlauteren Wettbewerbshandlungen, die durch das MSchG oder das WZG und deren enge gerichtliche Anwendung nur unzureichend verhindert werden konnten.32 Otto von Gierke plädierte 1895 vehement für ein allgemeines gesetzliches Verbot des unlauteren Wettbewerbs.33 Die Bestrebungen mündeten 1894 in die Erarbeitung von Grundsätzen seitens des Reichs14 amtes der Justiz und des Inneren, die in den Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs einflossen. Als Ergebnis der sich anschließenden Beratungen wurde 1895 ein Entwurf zusammen mit einer Denkschrift veröffentlicht.34 Danach sollte das Gebiet des Wettbewerbs nicht umfassend geregelt werden, sondern das Gesetz sollte nur die gröbsten Auswüchse betreffen, nur „bestimmte, nach den bisherigen Erfahrungen für den redlichen Erwerbsgenossen besonders nachteilige Mißbräuche verhindern“. Eine Generalklausel enthielt 25 RG 29. 4. 1892 RGZ 29, 57, 61; RG 7. 12. 1887 RGZ 20, 71, 75 f.; RG 13. 11. 1886 RGZ 18, 93, 99 ff.; RG 30. 11. 1880 RGZ 3, 67, 69. 26 Greiner S. 35 f. 27 Klippel in Mohnhaupt S. 124, 153. 28 Klippel in Mohnhaupt S. 124, 149 ff.; von Stechow S. 69. 29 Vgl. Baumbach/Hefermehl20 UWG Einl. Rn. 16 f. 30 Rückblickend Lobe GRUR 1931, 1215. 31 Dazu Klippel ZNR 4 (1982), 132, 137 ff. 32 Alexander-Katz Die unredliche Konkurrenz (1892); Bachem Der unlautere Wettbewerb in Handel und Gewerbe (1892); ders. Wie ist dem unlauteren Wettbewerb im Handel und Gewerbe zu begegnen? (1893); Böttger S. 30; Katz Gesetz zum Schutz der Waarenbezeichnungen und unlauterer Wettbewerb (1894); Schuler Die Concurrence déloyale (1895); Simon Die Concurrence Déloyale (1894); Wermert Über den unlauteren Wettbewerb und die Konsumvereinsbewegung (1895). 33 von Gierke Zeitschrift für gewerblichen Rechtsschutz 4 (1895), 109, 112. 34 Vgl. die Materialien bei Lobe Bekämpfung, Bd. 3 S. 9 ff., 12 ff.

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III. Das UWG von 1896

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dieses Gesetz daher nicht.35 Eine „allgemein gehaltene Vorschrift“, d. h. eine Generalklausel, die „jede denkbare Erscheinungsform des unlauteren Geschäftsgebarens zu treffen vermöge“, wurde im Interesse der Rechtsklarheit abgelehnt.36 Nachdem sich Handels- und Juristentag mit dem vorgeschlagenen Text auseinandergesetzt hatten, wurde der Entwurf mit Zustimmung des Bundesrates in den Reichstag eingebracht und erfuhr dort mehrere Änderungen, um schließlich am 27. Mai 1836 als Gesetz „zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs“ verabschiedet zu werden.37 Obwohl das Gesetz keine umfassende Wettbewerbsverhaltensordnung errichten, sich viel- 15 mehr auf die Bekämpfung der gröbsten Missstände beschränken wollte, enthielt es doch eine „allgemein gehaltene Vorschrift“ in Gestalt des § 1, die einer „kleinen Generalklausel“ weitgehend gleichkam. Im Übrigen normierte es eng umrissene Tatbestände der Unlauterkeit, wie die Anschwärzung oder die geschäftliche Verleumdung (§§ 6 und 7), den Kennzeichenmissbrauch (§ 8) sowie den Verrat von Geschäftsgeheimnissen (§ 9). Zugleich ergab sich mit der Einführung des UWG eine konkurrierende Gesetzeslage: Das 16 WZG von 1894 und das UWG von 1896 zielten beide auf einen Wettbewerbs- und Unternehmerschutz. Die Rechtswissenschaft um 1900 war damit gezwungen, sich über das Verhältnis von Warenzeichen- und Wettbewerbsrecht Gedanken zu machen.38 Die Diskussion erweiterte sich mit der Einführung des BGB am 1. Januar 1900, als mit § 826 BGB eine deliktsrechtliche Generalklausel hinzukam.39 Neben der normativen Frage, ob der Gesetzgeber über eine Generalklausel oder abschließende Einzeltatbestände eingreifen solle,40 musste aufgrund des § 826 BGB grundsätzlich die Frage nach dem Rechtsgrund von Warenzeichen- und Wettbewerbsschutz beantwortet werden. Die dazu vertretenen Theorien waren vielfältig: Adolf Lobe und Josef Kohler knüpften zur 17 Lösung der Problematik an die Lehre von den Persönlichkeitsrechten an. Geschützt sei die Persönlichkeit auch in ihrer gewerblichen Betätigung, unerlaubter Wettbewerb verletze daher das Persönlichkeitsrecht.41 Andere wie z. B. Heinrich Mittler beurteilten den Aufbau und die Erhaltung einer Kundenbeziehung durch den Unternehmer dagegen als schutzfähige Arbeitsleistung, die zu einem tauglichen Immaterialgut erhoben werden könne.42 Für Alexander Elster war später das Schutzgut des Wettbewerbsrechts sogar Bestandteil eines „Geistesgut-Wettbewerbsrechts“.43 In Anknüpfung an die französische Praxis sahen einige Autoren also im Kunden- oder Abnehmerkreis – ähnlich wie bei den Firmenrechten – eine unternehmerische Leistung, die als subjektives Privatrecht anerkannt werden müsse. Freilich konnte mit dieser Begründung nicht nur § 826 BGB, sondern auch §§ 1004 und 823 BGB als Rechtsbehelf gegen jede Art unlauteren Wettbewerbs mobilisiert werden. 35 36 37 38

Vgl. Lobe GRUR 1931, 1215, 1216. Denkschrift bei Lobe Bekämpfung, Bd. 3 S. 15. Zur Entstehungsgeschichte näher von Stechow S. 154 ff.; Wadle in ders. S. 381. Vgl. Kloeppel S. 1 ff.; Wirth GRUR 1910, 319; Osterrieth S. 415: „[…] Chaos von Bestimmungen, die sich aus der Anwendung des BGB, des HGB, des WG und des WzG zum Schutze gegen unlauteren Wettbewerb ergeben“; Katz Gesetz zum Schutz der Waarenbezeichnungen und unlauterer Wettbewerb (1894); Mittler Illoyale Concurrenz und Markenschutz; Veracius GRUR 1898, 237; Wassermann GRUR 1904, 63, 63. 39 Grundlegend RG 27. 6. 1905 JW 1905, 507; RG 11. 4. 1901 RGZ 48, 114, 119 f. 40 Dazu siehe z. B. Böttger S. 18 ff.; Katz S. 28 f. 41 Kohler S. 17 ff.; Leonhard S. 14; Lobe Bekämpfung, Bd. 1 S. 145 ff., 174 ff.; ders. Gesetz, S. 5 ff., 34: „Das Rechtsgut, dass er [der Gesetzgeber] schützen will, ist die von jedem Gewerbtreibenden durch seine eigene Thätigkeit erworbene Kundschaft“; Weiß S. 29 f. 42 Mittler S. 2: „Wir haben es hier mit einem immateriellen Gute zu thun, welches aber für den Gewerbetreibenden zu den kostbarsten gehört, da er ihm ja seine Existenz verdankt. Leichter könnte er oft eine Einbuße an seinem Eigenthume an materiellen Vermögensgegenständen oder an ausstehenden Forderungen verschmerzen denn an seiner Kundschaft, da dies die Quelle ist, welche ihm die Möglichkeit bietet, jeden anderweitigen Verlust wiederum zu decken“; Isay S. 23 ff.; ebenso spricht schon RG 26. 1. 1909 RGZ 70, 226, 229 von „immateriellen Elementen“. 43 Elster S. 21.

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Adolf Baumbach hat sich Anfang der 1930er Jahre gegen die persönlichkeits- bzw. immaterialgüterrechtliche Verankerung des Wettbewerbsrechts gewandt, was freilich auch durch die veränderten Rahmenbedingungen der Weimarer Reichsverfassung unterstützt wurde. Unter Berufung auf das Recht auf freie wirtschaftliche Betätigung nach Art. 151 WRV betrachtete er auch das Wettbewerbsrecht als ein primär „öffentliches, dem Staat gegenüber bestehendes Recht, kein Recht gegenüber Einzelpersonen“. Geschützt sei vielmehr „die gewerbliche Tätigkeit in ihrer Beziehung auf den gewerblichen Betrieb, auf das Unternehmen, also auf ein Objekt, nicht auf ein Subjekt“. Das Recht am Unternehmen sei ein absolutes, gegen jedermann wirkendes Recht, das eigentumsähnlich fremde Einwirkung ausschließe.44 Es gelte die „Sittlichkeitshysterie“ allmählich zu überwinden.45 19 Beide Rechtsbehelfe erwiesen sich in der Rechtspraxis allerdings als wenig hilfreich. Einerseits konnte eine wirksame Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs über § 826 BGB kaum gelingen, weil schon die erforderliche Vermögensschädigung sowie der entsprechende Schädigungsvorsatz nur schwer nachweisbar waren.46 Immerhin bot diese Konzeption aber eine Handhabe, um z. B. gegen Erscheinungsformen des schweren Behinderungswettbewerbs wie Boykott und Diskriminierungsmaßnahmen vorzugehen.47 Andererseits waren die §§ 1004, 823 ff. BGB kaum gegen unlautere Verhaltensweisen ein20 setzbar. Zum einen wurde ein allgemeines Persönlichkeitsrecht vom Reichsgericht nach wie vor nicht anerkannt.48 Zum anderen war das Recht am Gewerbebetrieb49 – wie es Baumbach in Erwägung zog – als Mittel gegen unlauteres Wettbewerbsverhalten wenigstens aus der Sicht der damaligen reichsgerichtlichen Rechtsprechung weitgehend als untauglich anzusehen. Denn der dadurch vermittelte Schutz beschränkte sich auf unmittelbare Bestandseingriffe oder unmittelbare Eingriffe in die Betriebsführung.50 Im Ergebnis war damit eine Entwicklung abgeblockt worden, die – wie in Frankreich – den Schutz des lauteren Wettbewerbs als solchen dem allgemeinen Deliktsrecht hätte anvertrauen können. Wenngleich das UWG von 1909 hier die Weichen auch endgültig anders gestellt hat, so wirken jene konstruktiven Bemühungen, das Schutzgut des UWG, und damit Sinn und Zweck des ganzen Lauterkeitsrechts zu erklären und eine dogmatische Standortbestimmung des UWG in seinem Verhältnis zum bürgerlich-rechtlichen Deliktsrecht vorzunehmen, bis heute fort.51 18

IV. Das UWG von 1909 und seine Nebengesetze 21 Den geschilderten Schwächen des bestehenden Lauterkeitsrechts versuchte nach 1900 auch der Gesetzgeber zu begegnen. Zu Beginn des Jahres 1909 legte die Reichsregierung einen Entwurf vor, der keineswegs als radikaler Neubeginn gedacht war, vielmehr nur punktuelle Verbesserungen bringen sollte.52 Eine „große“ wettbewerbsrechtliche Generalklausel war zwar nicht vorge44 Baumbach S. 68 f. 45 Baumbach DJZ 1931, Sp. 58, 61; Lobe GRUR 1931, 1215, 1217. 46 Darauf weist bereits die Denkschrift im Zusammenhang mit den rechtspraktischen Schwierigkeiten hin, dem unlauteren Wettbewerb mit Hilfe des Straftatbestandes „Betrug“ wirksam zu begegnen, vgl. Lobe Bekämpfung, Bd. 3 S. 14. Eben diese Schwäche war ein Beweggrund zur Schaffung des UWG von 1896 gewesen; dagegen noch RG 22. 12. 1910 RGZ 74, 434, 436; Lobe GRUR 1910, 3, 4. 47 RG 2. 2. 1905 RGZ 60, 94, 104 f.; RG 11. 4. 1901 RGZ 48, 114, 127 f. 48 Allenfalls besondere Persönlichkeitsrechte erkannte das Reichsgericht an, z. B. RG 12. 5. 1926 RGZ 113, 413, 414; RG 4. 10. 1906 RGZ 64, 155, 156; RG 29. 5. 1902 RGZ 51, 369, 373. 49 RG 11. 4. 1901 RGZ 48, 114; vgl. dazu die Nachw. bei Sack S. 3 ff. 50 RG 17. 2. 1940 GRUR 1940, 375, 378 – Naturessig. – Zur Dogmengeschichte näher Katzenberger Recht am Unternehmen und unlauterer Wettbewerb; Sack Gewerbebetrieb (2007); Schippel S. 38 ff., 56 ff.; Schrauder S. 51 ff. 51 Vgl. Emmerich Unlauterer Wettbewerb, § 3 Rn. 5 ff.; Beater Verbraucherschutz, S. 4 ff. 52 Der Entwurf der Reichsregierung ist abgedruckt in Anlage 1 zur RTDrucks Nr. 1390 in Verhandlungen des Reichstages, XII. Legislaturperiode, Bd. 255, S. 8471.

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IV. Das UWG von 1909 und seine Nebengesetze

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sehen, es sollte aber wenigstens die Aktivlegitimation für Klagen aus der deliktsrechtlichen Generalklausel des § 826 BGB auf nicht selbst geschädigte Gewerbetreibende und auf Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen ausgedehnt werden.

1. Die Einführung der Generalklausel im UWG 1909 Nach den ersten Plenumsberatungen des Reichstages wurde eine Kommission beauftragt, die sich 22 von Anfang an einhellig für die Einführung einer „großen“ wettbewerbsrechtlichen Generalklausel aussprach.53 Zum einen müsse eine enumerativ-tatbestandliche Regelung immer unbefriedigend bleiben, zum anderen könne der Rechtsgedanke des § 826 BGB auch bei fahrlässigem Verhalten zum Zuge kommen. Unter dem Eindruck dieses formulierten Regelungszieles wurde in enger sprachlicher Anlehnung an § 826 BGB der neue § 1 UWG formuliert.54 Damit hatte sich die Auffassung durchgesetzt, dass eine umfassende Schutzgesetzgebung gegen unlauteren Wettbewerb die Gewerbefreiheit weniger materiell einengt als vielmehr deren Ausübung fördert und letztlich überhaupt erst ermöglicht.55 Die bisherige kleine Generalklausel wurde in § 3 UWG beibehalten; im Übrigen wurden die vorhandenen Einzelnormen des bisherigen UWG klarer gefasst.56 Nach dem Ersten Weltkrieg, infolge dessen die freien Kräfte des Marktes weitgehend zu- 23 gunsten einer staatlich gelenkten Kriegswirtschaft eingeengt oder sogar aufgehoben wurden, kehrte die Wirtschaft nur allmählich auf ihr Leistungsniveau der Vorkriegszeit zurück. In der Weimarer Verfassung wurde zwar die „Freiheit des Handels und Gewerbes […] nach Maßgabe der Reichsgesetze gewährleistet“ (Art. 151 Abs. 3 WRV). Auch die „Ordnung des Wirtschaftslebens“ musste den „Grundsätzen der Gerechtigkeit mit dem Ziele der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle entsprechen“ (Art. 151 Abs. 1 WRV).57 Die zugleich in Art. 152 garantierte Vertragsfreiheit ermöglichte aber in den 1920er und 1930er Jahren die fortschreitende Kartellierung und Konzentration der Unternehmen, auch unter Billigung des Staates. Die Kartellverordnung von 1923, die Kartelle zwar einer staatlichen (Missbrauchs-)Aufsicht unterstellte, sie aber grundsätzlich anerkannte, verhinderte dies nur zum Teil.58 Der Nationalsozialismus knüpfte an diese Lenkungsinteressen an. Das bereits 1933 erlas- 24 sene Zwangskartellgesetz59 läutete die vollständige Formierung der Wirtschaft zu einer zentral verwalteten, mit pathetisch vorgetragenem ideologischem Ballast befrachteten „Volksgemeinwirtschaft“ ein. Wettbewerbsfernes Denken in der Tradition eines wirtschaftlichen Ständestaates wurde mit einer ebenso diffusen wie perversen, letztlich freiheits- und menschenverachtenden Wirtschaftsdoktrin um „Blut und Boden“, Abschaffung der „Zinsknechtschaft“ und des „Zwischenhandels“ flankiert und die letzten Reste einer Wettbewerbswirtschaft zugunsten einer nach 1939 eintretenden Lenkungs- und Kriegswirtschaft beseitigt.60 53 Vgl. den Bericht der 35. Kommission zur Vorberatung des Entwurfs eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, Verhandlungen des Reichstages, XII. Legislaturperiode, Bd. 255, Nr. 1390 S. 8433.

54 Bericht der 35. Kommission, Verhandlungen des Reichstages, XII. Legislaturperiode, Bd. 255, Nr. 1390 S. 8434 (passim). 55 Bereits Kohler S. 1 ff., 63; E. Ulmer GRUR 1937, 769, 770; kritisch später Hedemann Die Flucht in die Generalklauseln, S. 19 ff. 56 RGBl. 1909, 499. 57 Zum Wirtschaftsverfassungsrecht der Weimarer Republik siehe ausführlich Zacher Entstehung des Wirtschaftsrechts in Deutschland. 58 VO gegen Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen vom 2. 11. 1923, RGBl I, 1067; vgl. dazu Fikentscher § 22 II 6a S. 178; Nörr Mühlsteine, S. 143 ff. 59 Gesetz über die Errichtung von Zwangskartellen vom 15. 7. 1933, RGBl I, 488. – Dem Gesetz ging eine Änderung der KartellVO voraus, vgl. RGBl I, 487. 60 Zu diesem Prozess Gosewinkel Wirtschaftskontrolle und Recht in der nationalsozialistischen Diktatur; Puppo Die Wirtschaftsrechtliche Gesetzgebung des Dritten Reiches; Schill Der Einfluss der Wettbewerbsideologie des Nationalsozialismus auf den Schutzzeck des UWG.

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B. Geschichtliche Entwicklung. Rechtsquellen

2. Die Zugabeverordnung von 1932 25 Unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise nahmen die wirtschaftspolitischen Lenkungsinteressen des Staates am Ende der Weimarer Republik dramatisch zu. Vor allem aus dieser Perspektive müssen die ersten, das UWG von 1909 flankierenden wettbewerbsrechtlichen Maßnahmen betrachtet werden. Als Teil einer Notverordnung wurde das sog. Zugabewesen streng reglementiert.61 Die ohne Zustimmung des Reichstages am 9. März 1932 eingeführte ZugabeVO ging besonderen Abgrenzungsschwierigkeiten durch ein grundsätzliches Verbot der Zugabe aus dem Weg. Ausnahmen wurden entweder durch niedrige Wertgrenzen der Zugabe als vergleichsweise unattraktiv definiert oder durch deren Anknüpfung an die „Handelsüblichkeit“ (§ 1 Abs. 2 lit. d) ZugabeVO) ganz in den Dienst einer in ruhigen und traditionellen Bahnen verlaufenden Wirtschaft gestellt. 26 In der ZugabeVO fand die tiefe Abneigung des mittelständischen Fachhandels gegen die zunehmend innovativen Marketingaktivitäten der großbetrieblichen Einzelhandelsformen, namentlich der zugabeorientierten Warenhäuser, ab Ende der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts ihren Ausdruck.62 Hinzu kamen Befürchtungen, „daß das sehr viel kapitalkräftigere Ausland sich Teile des deutschen Marktes mit dem Mittel der Zugabereklame erobern werde“. Wenn die bisher zugabeabstinenten Unternehmen gezwungenermaßen ebenfalls zu derartiger Wertreklame greifen müssten, um sich gegen die Konkurrenz zu behaupten, wäre damit „die Zuverlässigkeit des Geschäftsverkehrs in hohem Maße in Frage gestellt“, schon weil das Zugabewesen eine überflüssige und unwirtschaftliche Inanspruchnahme von Lagerraum auf allen Produktions- und Distributionsstufen mit sich brächte. Außerdem werde Nachfrage von jenen Geschäften abgezogen, aus denen die Zugabe branchenmäßig stamme. Schließlich gelte es auch, den Käufer vor einer mit der Zugabe verbundenen Ablenkung von der „Hauptware“ zu schützen.63 27 Die ZugabeVO traf vor allem jüdische Großhandelsunternehmer, die mit neuen Absatzkonzepten erfolgreich gewesen waren.64 Die auch in der Weimarer Republik vorhandenen antisemitischen Ressentiments verbanden sich nun mit dem Unmut über den immer stärker werdenden ökonomischen Anpassungsdruck zu einem politisch äußerst prekären Zeitpunkt, in dem die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten unmittelbar bevorstand. Freilich fügte sich der zutiefst wettbewerbsfeindliche, auf Konservierung überkommener Strukturen bedachte, dabei kleinbürgerlich-protektionistische Geist der ZugabeVO ideal in das NS-Wirtschaftsregime ein, wie die Rechtsprechung schon bald ebenso geflissentlich wie befriedigt feststellen konnte.65 Von daher greifen ältere Auffassungen,66 die die ZugabeVO angesichts ihres Entstehungsdatums nicht mit nationalsozialistischem Gedankengut in Verbindung bringen wollen, zu kurz; die Fortgeltung der ZugabeVO unter der Herrschaft des Grundgesetzes bis 2001 ist vor diesem Hintergrund ohnehin befremdlich, zumindest peinlich.67

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VO des Reichspräsidenten zum Schutze der Wirtschaft vom 9. 3. 1932, RGBl I, 121. Tetzner S. 10. Vgl. die Erläuterungen der ZugabeVO, Deutscher Reichsanzeiger 1932, Nr. 61 S. 2. Tetzner S. 10. Paradigmatisch KG 4. 2. 1936 KG JW 1936, 956: „Die grundsätzliche Ablehnung des Zugabewesens entspricht auch nationalsozialistischer Wirtschaftsauffassung“; dazu auch Tetzner S. 14. 66 Vgl. Reimer/Krieger § 1 ZugabeVO Vorbem. 17. 67 Der nachkonstitutionelle Gesetzgeber hat die ZugabeVO durch Änderungen bestätigt und damit die Zwecksetzung des historischen Verordnungsgebers wenn auch nicht ausdrücklich, so doch mittelbar übernommen, vgl. Gesetz zur Änderung der VO zum Schutz der Wirtschaft vom 20. 8. 1953, BGBl I, 939; Gesetz zur Änderung wirtschafts-, verbraucher-, arbeits- und sozialrechtlicher Vorschriften vom 25. 7. 1986, BGBl I, 1169. Der Schutz des mittelständischen Fachhandels und der überkommenen Branchenbilder blieb präsent, vgl. dazu BGH 15. 12. 1953 GRUR 1954, 170, 173 f.; Baumbach/Hefermehl vor § 1 ZugabeVO Rn. 5; zu Recht kritisch bereits Vorauflage/Schünemann B 24; Schill S. 3 ff.

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IV. Das UWG von 1909 und seine Nebengesetze

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Mit dem Erlass der ZugabeVO wurden auch wesentliche Umgestaltungen des UWG (u. a. 28 im Ausverkaufsrecht) vorgenommen.68 Eine Novellierung des Sonderveranstaltungsrechts erfolgte drei Jahre später.69 Von den Ermächtigungen der neuen §§ 9 und 9a UWG machte der Reichswirtschaftsminister durch die Anordnungen über Verkaufsveranstaltungen besonderer Art und über die Neuregelung der Saisonschlussverkäufe alsbald Gebrauch.70 Ursache dieser Neuregelungen war die in der Tat große Zunahme von Sonder- und Ausverkäufen im Rahmen der Weltwirtschaftskrise, die den „regulären“ Warenumsatz sehr erschwerten.71 Motiv war wiederum der Mittelstandsschutz, der seinerzeit gesellschafts- und wirtschaftspolitisch mit dem nationalsozialistischen Programm eng verwoben war und der die Novelle von 1932, jedenfalls aber die von 1935 deutlich prägte.72 Unter dem nationalsozialistischen Wirtschaftsdirigismus verlor das Sonderverkaufswesen immer weiter an Bedeutung. Mit der Einführung einer umfassenden Reichsaufsicht für die gesamte Wirtschaftswerbung 29 einschließlich des Messewesens durch das Gesetz über die Wirtschaftswerbung vom 12. September 193373 endete faktisch das freie Marketing der Unternehmen in Deutschland. Materiell wurde die Wirtschaftswerbung durch § 3 dieses Gesetzes einem generellen Genehmigungsvorbehalt und damit einem totalitären Aufsichtsanspruch des nationalsozialistischen Wirtschaftsregimes unterworfen.74 Einzelgenehmigungen und Zulassungen zur Wirtschaftswerbung etwa an Werbeberater wurden nur solchen Personen erteilt, die den Nachweis ihrer „fachlichen Befähigung“ führen konnten und deren „Zuver-lässigkeit“ es gewährleistete, dass sie die Richtlinien des Werberates beachteten.75

3. Das Rabattgesetz von 1933 Das Gesetz über Preisnachlässe, sog. Rabattgesetz,76 vom 25. 11. 1933 wollte die schon mit der 30 ZugabeVO verfolgten Intentionen effektiver umsetzen, nachdem innovative Unternehmen trotz Zugabeverbots Wertreklame nunmehr mit dem Instrument der Rabattierung betrieben. Wie bereits 1932 wurde das Ziel des Mittelstandsschutzes verfolgt,77 der wiederum mit wirtschaftspoliti68 Sie bestanden in der Einfügung der §§ 7, 7a und 7b UWG (Ausverkaufsrecht) und der prinzipiellen Neufassung der §§ 7–10 UWG. Auch §§ 17 und 18 UWG wurden neu formuliert und die §§ 20a und 27a (Einigungsämter) eingefügt, vgl. RGBl I, 121, 122 ff.; im Zusammenhang mit dem Beitritt des Deutschen Reiches zum Madrider Markenabkommen (MMA) war schon 1925 § 22 UWG geändert worden, vgl. Gesetz über den Beitritt des Reiches zu dem Madrider Abkommen, betreffend die Unterdrückung falscher Herkunftsangaben auf Waren vom 21. 3. 1925, RGBl II, 115. 69 Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb vom 26. 2. 1935, RGBl I, 311. 70 Anordnung vom 4. 7. 1935, Deutscher Reichsanzeiger 1935, Nr. 158, S. 1. 71 Dazu Kind S. 46. Demnach wurden allein 1931 im Bereich der Industrie- und Handelskammer Berlin 1166 „Ausverkäufe“ angemeldet. 72 Vgl. Mewes S. 52 ff. 73 RGBl I, 625. 74 Das zeigen auch die zahlreichen Durchführungsbestimmungen und Bekanntmachungen des sog. Werberates, der die nationalsozialistischen Vorstellungen der Wirtschaftswerbung umsetzte. Die gesetzlichen Grundlagen sind abgedruckt bei von Braunmühl/Zweck Wirtschaftswerbung; vgl. auch Hedemann Deutsches Wirtschaftsrecht, S. 113 f. 75 Vgl. Zweite Bekanntmachung des Werberates der deutschen Wirtschaft vom 1. 11. 1933 (Nr. 14), abgedruckt in von Braunmühl/Zweck S. 14. 76 Gesetz über Preisnachlässe (Rabattgesetz) vom 25. 11. 1933, RGBl I, 1011. – Zur Geschichte des RabattG näher Matz S. 245 ff.; Lies-Benachib in Pahlow S. 272. 77 Anschaulich insbesondere die amtliche Begründung zu § 2 RabattG (Reichsanzeiger 1933, Nr. 184): „Die z. T. wilde Steigerung der Preisnachlasshöhe führt zu einer solchen Verminderung des Rohgewinns, dass die Lebensfähigkeit vieler – besonders kleinerer – Geschäfts-, Gewerbe- und Handwerksbetriebe in Frage gestellt wird … höhere Preisnachlässe [als gesetzlich gestattet, L.P.] sind … schädlich“. Vgl. ferner die selbst innerhalb des Rabattgesetzes selbst angelegte weitere Diskriminierung von „Warenhäusern, Einheits-, Klein- oder Serienpreisgeschäften sowie ähnlicher, durch die besondere Art der Preisstellung gekennzeichneter Geschäfte …“ durch den in der Bundesrepublik für nichtig erklärten § 6 RabattG (vgl. BVerfG 11. 4. 1967 GRUR 1967, 605 ff. – Warenhaus-Rabatt).

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B. Geschichtliche Entwicklung. Rechtsquellen

schen Vorstellungen etwa über „normale“, „vernünftige“ und „gesunde“ kaufmännische Kalkulation und Tradition, die es zu gewährleisten gelte, vermengt wurde. Unverkennbar wurde nunmehr auch an die nationalsozialistische Ideologie angeknüpft, die einer freiheitlichen, auf individuellem Unternehmerrisiko beruhenden Wettbewerbswirtschaft eher entgegenstand. Umso befremdlicher ist es, dass nicht nur die grundsätzliche Fortgeltung des RabattG auch in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 möglich, sondern dass gerade die Rechtsprechung mit Rücksicht auf eben diesen vom historischen Gesetzgeber genannten Schutzzweck um eine schlagkräftige Durchsetzung des RabattG bemüht war.78 Die Widersprüche gegenüber einem nachfrageorientierten Preiswettbewerb haben daher vor allem in der Nachkriegszeit zu vehementer Kritik an dem Rabattgesetz geführt.79 Wie stark das NS-Regime einen an der individuellen Wirtschaftsfreiheit orientierten und 31 von den einzelnen Wirtschaftssubjekten jeweils eigens zu verantwortenden Wettbewerb ablehnte, zeigt auch die sog. Verordnung über Wettbewerb vom 21. Dezember 1934.80 Wenngleich sie formal Strafrecht enthielt, stand sie systematisch in engem Zusammenhang mit dem Lauterkeitsrecht. Dabei widmete sich die Verordnung zwar nur einem einzigen Tatbestand, dem sog. Verschleudern, also der Leistungserbringung unter Selbstkosten. Den wettbewerbsfeindlichen Hintergrund machte aber die Präambel deutlich, die als „staatliche Stellungnahme zum Wettbewerb“ gelesen und verstanden wurde.81 Danach dürfe der Wettbewerb niemals „die Sicherung der Ernährung aus heimatlicher Scholle […] beeinträchtigen“. Zu niedrig kalkulierte Preise, aus denen Steuern und Löhne nicht gezahlt und die Gläubiger nicht befriedigt werden könnten, stünden nicht im Einklang mit einem auf Leistung und Verantwortungsbewusstsein gegründeten Wettbewerb und stellten damit nicht den für die Volkswirtschaft besten Preis dar. Angesichts dieser Diktion überrascht es, dass der nachkonstitutionelle Gesetzgeber auch diese Verordnung in seinen Willen aufgenommen hat.82

V. Das Lauterkeitsrecht in der Rechtsprechung des Reichsgerichts (1909–1945) 32 Das Reichsgericht hat nach dem UWG von 1909 nachhaltig die Dogmatik des Wettbewerbsrechts beeinflusst. Das gilt insbesondere für die Auslegung der Generalklausel des § 1 a. F., zu der sich auch unter dem BGH bis zum UWG von 2004 ein breitgefächerter Kanon unterschiedlicher Fallgruppen entwickelte. Im Folgenden wird auf wesentliche Entwicklungslinien eingegangen, die freilich keinen Anspruch auf Vollständigkeit begründen können. Schon vor dem Ersten Weltkrieg legte das Reichsgericht erste Grundsteine für eine Erweite33 rung des Schutzzweckes des UWG. Publikumsschützende Motive wurden zwar bereits unter dem Markenschutzgesetz sowie dem WZG aus zeichenrechtlicher Perspektive anerkannt (dazu oben Rn. 6 f.). Im Rahmen des UWG verlieh das Reichsgericht aber dem Verbraucherschutz in einem Urteil vom 7. 4. 1914 mehr Gewicht, wenn auch zunächst nur als Reflex eines wettbewerbsrechtlichen Interesses „an der Reinhaltung des öffentlichen gewerblichen Verkehrs“.83 Jedoch er78 Vgl. BGH 30. 6. 1983 GRUR 1983, 682 – Fach-Tonband-Kassetten m. Anm. Gloy; BGH 24. 2. 1978 GRUR 1978, 485, 486 – Gruppenreisen; BGH 6. 11. 1986 GRUR 1987, 302, 304 – Unternehmeridentität; dazu Vorauflage/Schünemann B 29 m. w. N. 79 Königs NJW 1961, 1041, 1043 f.; P. Ulmer FS Hefermehl, S. 377, 383 ff.; Emmerich Recht des unlauteren Wettbewerbs (1998) § 6, 2a, S. 63 f.; Gröschner BB 1982, 1331; Mestmäcker S. 282 ff.; P. Ulmer GRUR Int. 1983, 611; sowie die weiteren Nachweise bei Vorauflage/Schünemann Einl. B 30. 80 RGBl 1934, I, 1280. 81 Zu alldem auch Hedemann Deutsches Wirtschaftsrecht, S. 114 f. 82 Vgl. die Sammlung des Bundesrechts zum Sachgebiet Zivilrecht und Strafrecht vom 15. 5. 1960, BGBl III, 1960 (Folge 11), 147. 83 RG 7. 4. 1914 MuW 15 (1915/1916), 48 f., 49 – Ärztlicher Bezirksverein: „Die Vorschriften gegen die unlautere Reklame sollen übrigens neben dem Schutz des Konkurrenten auch der Reinhaltung des öffentlichen gewerblichen Verkehrs im Interesse des Publikums dienen“; vgl. demgegenüber noch RG 14. 3. 1911 RGZ 75, 370, 373.

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V. Das Lauterkeitsrecht in der Rechtsprechung des Reichsgerichts (1909–1945)

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hält das „Interesse des Publikums an der Reinhaltung des öffentlichen Verkehrs“ mit dem Urteil aus dem Jahr 1924 zu § 16 UWG eine weitergehende Bedeutung, dessen Zweck nicht nur im Schutz des Konsumenten, sondern gerade auch in den „Interessen der Allgemeinheit“ gesehen wurde.84 1928 wird der Begriff des Allgemeininteresses präzisiert: Das Klagerecht, ja das ganze Wettbewerbsrecht, sollte nicht nur – wie es vordergründig erscheinen mochte – dem Konkurrenten in seiner individuellen Betroffenheit zur Seite stehen, sondern den „Auswüchsen des Wettbewerbs“ auch im öffentlichen Interesse entgegenwirken.85 Später ging das Reichsgericht noch weiter und stützte die Zulässigkeit einer Verbandsklage auf den Rechtsgedanken, dass der Aktivlegitimierte selbst „im öffentlichen Interesse den Auswüchsen des Wettbewerbs überhaupt, d. h. auf irgendeinem Gebiet, entgegentreten“ müsse.86 Dieser neue, einer Popularklage gleichkommende Ansatz wurde in seiner Tragweite für die bisherige, streng am Konkurrentenschutz orientierte Sicht des UWG als wegweisend gewürdigt, wenngleich auch kontrovers beurteilt.87 Selbstbewusst justierte das RG auch das schwierige Verhältnis zwischen Warenzeichen- 34 recht und Lauterkeitsrecht vor allem in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts neu. Mit der Einführung des UWG von 1909 wird auch die Einstellung zum Warenzeichenrecht eine andere. Letzteres wird nur noch als Ausschnitt aus dem großen Gebiet des Wettbewerbsrechts betrachtet, als Teil einer „höheren Ordnung“.88 Der Schutz des Warenzeichenrechtes finde seine Schranken an jenen anderen Bestimmungen, insbesondere an denen des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (§ 1) und des BGB (§ 826 BGB).89 Seitdem dürfe das „formale Zeichenrecht […] nur innerhalb der Grenzen ausgeübt werden, die das Recht höherer Ordnung setzt, insbesondere nur innerhalb der Grenzen des lauteren Wettbewerbs und guter Sitten, in deren Dienst auch das formale Zeichenrecht steht, nicht aber zur Verübung unlauterer Handlungen und zu Verletzungen materiellen Rechts“.90 Verstößt demnach eine Handlung gegen die guten Sitten, so ist sie unzulässig und wird nicht dadurch zulässig, dass sie in Ausübung eines durch Eintragung in die Zeichenrolle erworbenen Rechtes erfolgt. Diese Auffassung ist bereits in der Literatur zum UWG von 1909 angedacht worden.91 Das vom Reichsgericht ausgerufene Dogma vom Warenzeichenrecht als Teil einer „hö- 35 heren Ordnung“ des Wettbewerbsrechts hatte der genutzten und im Verkehr durchgesetzten Marke nach dem Ersten Weltkrieg gegenüber der eingetragenen Marke deutlich mehr Gewicht verschafft.92 Der zweite Senat hatte damit den Anwendungsbereich des § 1 UWG nicht nur zur Ausfüllung von Lücken, sondern auch als Richtschnur des Warenzeichenrechts herangezogen. Darin lag eine auch in anderen Bereichen des Wirtschaftsrechts feststellbare Tendenz, durch die die sozial- und wirtschaftspolitischen Gesichtspunkte der Weimarer Zeit in die Rechtsprechung einfließen konnten.93 In den 1930er Jahren begann das Reichsgericht zudem, wesentliche Weichenstellungen für 36 die judikative Bewertung der sog. vergleichenden Werbung vorzunehmen: Während zuvor 84 RG 27. 5. 1924 RGZ 108, 272, 274. 85 RG 24. 1. 1928 RGZ 120, 47, 49; Möschel S. 134 f.; Rosenthal § 13 Rn. 2. 86 RG 21. 4. 1931 RGZ 132, 311, 316; RG 29. 4. 1930 RGZ 128, 330, 343. – Zu dieser Entwicklung ferner Buxbaum Die private Klage als Mittel zur Durchsetzung wirtschaftspolitischer Rechtsnormen; Kötz in Homburger/ders. S. 69, 92 f.; Sack WRP 1985, 1, 11. 87 Vgl. ablehnend z. B. Callmann § 13 Rn. 2; dafür Rosenthal § 13 Rn. 2. 88 RG 29. 10. 1926 RGZ 114, 360, 363. – Dazu auch Pahlow in Lange/Klippel/Ohly S. 69, 80 ff. 89 RG 19. 6. 1925 RGZ 111, 192, 197; RG 2. 2. 1923 RGZ 106, 250, 254; RG 26. 4. 1915 RGSt 49, 242 f. 90 RG 19. 6. 1925 RGZ 111, 192, 197. 91 Seyfferth S. 60, 64: „Dadurch wird aber nicht ausgeschlossen, dass die besondere Art der Benutzung eines Warenzeichens durch den Eingetragenen unter Umständen eine Handlung darstellt, auf die die Vorschriften dieses Gesetzes (§§ 3, 4, besonders aber § 1) Anwendung finden […]“; Finger S. 184. 92 Deutlich Adler Festgabe zum 50jährigen Bestehen des RPA, S. 153 ff., 182: „Die dargestellte Entwicklung zeigt den Sieg des materiellen Prinzips, dass niemand gegen die guten Sitten handeln darf, über das Formalprinzip.“ – Dazu näher Beier GRUR 1967, 628, 630 m. w. N.; vgl. ferner Tetzner § 15 WZG, Rn. 10. 93 Nörr Mühlsteine, S. 158 ff.

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unter Hinweis auf einen Umkehrschluss aus §§ 14 f. UWG vergleichende Werbung als wettbewerbsrechtlich unbedenklich eingestuft wurde, sprach das Reichsgericht das Verdikt der Sittenwidrigkeit aus, weil sie den „Grundsätzen des anständigen […] ordnungsmäßigen Wettbewerbs“ zuwiderlaufe.94 Außerdem zog das Reichsgericht einen Schlussstrich unter seine jahrzehntelang umstrittene Rechtsprechung, geographischen Herkunftsangaben nur einen recht geringen Schutz im Rahmen des UWG zukommen zu lassen.95 Es liegt auf der Hand, dass gerade unbestimmte Rechtsbegriffe für die verschiedenen ideologi37 schen Auffassungen über den Schutz des lauteren Wettbewerbs instrumentalisiert werden konnten. Veranschaulicht werden kann das anhand des Begriffes des sog. Allgemeininteresses, der bereits vor 1933 Einzug in die wettbewerbsrechtliche Dogmatik gefunden hatte.96 Seit 1936 sollte das Allgemeininteresse bei der Anwendung des § 1 UWG der praktischen Durchsetzung bestimmter wirtschaftspolitischer Zielsetzungen dienen.97 War das Allgemeininteresse zunächst noch ökonomisch, wenn auch nicht wettbewerbskonform definiert worden, so verkam es in der Folge vollends zum Vehikel einer ideologisch-rassistischen Doktrin. Nachdem schon im allgemeinen Zivilrecht die guten Sitten durch das von nationalsozialistischer Weltanschauung gespeiste, das „Allgemeininteresse“ verkörpernde „gesunde Volksempfinden“ bestimmt wurden,98 berief sich die Rechtsprechung auch im Wettbewerbsrecht offen auf diesen Maßstab. So stand mit den guten Sitten durchaus im Einklang, wenn ein Lieferant seinen Kunden gegenüber darauf hinwies, dass ein anderer Lieferant Jude sei. Die noch kurz zuvor praktizierte Rechtsprechung, die die Bezeichnung eines Versicherungsunternehmens als „internationale Judengesellschaft“ mangels Leistungsbezuges zum Versicherungsschutz für unzulässig erklärt hatte,99 wurde aufgegeben, weil „der volksbewußte Deutsche […] eine geschäftliche Verbindung mit dem Juden vermeiden“ wolle.100

VI. Die Entwicklung des Lauterkeitsrechts in Deutschland nach 1945 1. Das UWG in der BRD (1949–1989) 38 Nach 1945 zielten die ersten Schritte auf die Wiederherstellung einer auf Wettbewerb beruhenden Wirtschaftsordnung. Von einschneidender Bedeutung waren der Erlass des die Währungsreform vorbereitenden Gesetzes über Leitsätze für die Bewirtschaftung und Preispolitik nach der Geldreform (sog. Leitsätzegesetz), die Währungsreform selbst sowie die Preisfreigabeanordnung Ludwig Erhards, die als Geburtsstunde der sozialen Marktwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland angesehen werden kann.101 Im Gegensatz zur Weimarer Verfassung enthielt das Grundgesetz keine dezidierten Bestim39 mungen zur Wirtschaftsordnung bzw. -verfassung; letztere musste vielmehr aus einer Zusammenschau unterschiedlicher Verfassungsartikel ermittelt werden.102 Nach der Währungsreform 94 95 96 97 98 99

RG 6. 10. 1931 GRUR 1931, 1299, 1301. RG 27. 11. 1933 GRUR 1934, 59, 60; RG 7. 2. 1933 RGZ 139, 363 ff. Z. B. RG 29. 4. 1930 RGZ 128, 330, 342 f.; RG 27. 5. 1924 RGZ 108, 272, 274; – dazu auch Rüthers S. 219 ff.; Schill S. 39 ff. RG 14. 10. 1937 GRUR 1938, 207, 209; RG 27. 3. 1936 GRUR 1936, 810, 812. Beschluss des Großen Senats für Zivilsachen, RG 13. 3. 1936 RGZ 150, 1, 4 ff. RG 25. 2. 1936 RGZ 150, 298, 303 ff., 307; siehe auch OLG Köln 27. 11. 1933 GRUR 1934, 202: Die Bezeichnung eines Unternehmens als „jüdisch getarnt“ sei wettbewerbsrechtlich mangels geschäftlicher Relevanz unzulässig; gleichwohl sei festzustellen, dass der jüdische Einfluss zurückgedrängt werden müsse. Die „hohen Bestrebungen“ der NSDAP seien zu „heilig“, „als daß sie durch Verknüpfung mit reinen Geschäftsinteressen in den Staub eines unfairen Konkurrenzkampfes“ herabgezogen werden dürfe. 100 RG 30. 11. 1938 JW 1939, 429, 430; ähnlich OLG Hamburg 12. 10. 1938 JW 1938, 3052. Dazu insgesamt auch Pause S. 313 ff., 314; Rüthers S. 219 ff.; Schill S. 39 ff. 101 Dazu wiederum Fikentscher § 20 II 7a S. 31 ff.; Schlecht Grundlagen und Perspektiven der sozialen Marktwirtschaft; Steindorff S. 15. 102 Zu diesem Prozess und den kontroversen Diskussionen näher Nörr Republik der Wirtschaft, Bd. 1, S. 58 ff., 81 ff.

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VI. Die Entwicklung des Lauterkeitsrechts in Deutschland nach 1945

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und der grundsätzlichen Preisfreigabe kehrten die Instrumente einer freien Werbewirtschaft zurück. Zur Reglementierung von Schlussverkäufen erging daher schon im Juli 1950 eine auf § 9 UWG gestützte Verordnung über zulässige Sommer- und Winterschlussverkäufe.103 Eine erste Nachkriegsänderung des UWG galt 1957 dem in § 27a UWG verankerten Einigungsverfahren.104

a) Verhältnis zum Kartellrecht. Besonderen Einfluss auf die Entwicklung des Lauterkeits- 40 rechts hatte das zum 1. Januar 1958 in Kraft getretene Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) vom 27. Juli 1957.105 Aus dem Spannungsverhältnis zwischen UWG und GWB106 entwickelte sich zunehmend die Einsicht, dass UWG und GWB in einer höheren, Individualund Institutionsschutz versöhnenden substantiellen wettbewerbsrechtlichen Einheit verbunden seien.107 Dies war für die Anwendung des Lauterkeitsrechts insbesondere bei der Konkretisierung der Generalklauseln und hier wiederum des Zulässigkeitsmaßstabes der guten Sitten nach § 1 UWG von ausschlaggebendem Gewicht.108 Der in § 28 Abs. 2 GWB ausdrücklich normierte Begriff des „leistungsgerechten Wettbe- 41 werbs“ hatte nach der zweiten GWB-Novelle von 1973109 das Verständnis des Schutzzwecks bzw. Schutzguts auch des § 1 UWG nunmehr ganz an die Gegenüberstellung von schützenswertem Leistungs- und unlauterem Nichtleistungs- bzw. Behinderungswettbewerb gebunden.110 In der Folgezeit wurde zudem mit dem EGStGB von 1974 durchweg das straf- und ordnungsrechtliche Sanktionsinstrumentarium des UWG bereinigt bzw. angepasst.111 1975 wurde dann § 7d UWG eingefügt.112 b) Schutz der Verbraucherinteressen. Der schon lange proklamierte und geforderte Gedan- 42 ke, dass das UWG auch Verbraucherinteressen schütze, wurde mit der Novelle vom 21. Juli 1965113 auch verfahrensrechtlich verankert. Der eingefügte § 13 Abs. 1a UWG114 sah ein Klagerecht auch für bestimmte Verbraucherschutzverbände vor. Die Aktivlegitimation im Rahmen des § 1 UWG beschränkte sich auf Formen der irreführenden Werbung, weil man mehrheitlich nur dadurch eine wesentliche Betroffenheit der Verbraucher feststellen zu können glaubte.115 103 VO des Bundesministers für Wirtschaft vom 13. 7. 1950, Bundesanzeiger 1950, Nr. 135; dazu auch Kind S. 61 ff. 104 Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, des Gesetzes über das Zugabewesen und des Rabattgesetzes vom 11. 3. 1957, BGBl I, 172. Zu einer früheren Neufassung dieser Vorschrift vgl. die Verordnung vom 8. 3. 1940, RGBl I, 480 f. 105 BGBl I, 1081. – Dazu Nörr Leiden, S. 185 ff. 106 Vgl. insbesondere Königs NJW 1961, 1041, der sich für Wechselwirkungen zwischen UWG und GWB ausspricht. Zudem Knöpfle Rechtsbegriff, S. 345; ders. Marktbezogene Unlauterkeit, S. 7 ff. 107 Vgl. Reimer/von Gamm Wettbewerbsrecht, S. 8. 108 Vgl. z. B. BGH 26. 4. 1990 GRUR 1990, 687, 688 – Anzeigenpreis II; BGH 26. 4. 1990 GRUR 1990, 685, 686 – Anzeigenpreis I. 109 BGBl I, 917. 110 Vgl. z. B. P.Ulmer GRUR 1977, 565, 580 („leistungsfremde Verhaltensweisen“); zudem Böhm S. 73 ff., 124 ff.; Lobe Bekämpfung, Bd. 1 S. 47 ff.; dazu schon Nipperdey S. 16 ff. 111 Insbesondere wurden §§ 4 Abs. 1, 6 Abs. 2, 8, 10, 12, 15 Abs. 1, 17 Abs. 1 und 3, 18, 20a, 22, 23 Abs. 1 UWG geändert und §§ 11 Abs. 4 sowie 26 UWG aufgehoben. Allerdings erfuhr auch § 27a (Abs. 5 und Abs. 11) UWG dabei eine Umgestaltung, vgl. BGBl I, 469. 112 BGBl I, 685. 113 Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, des Warenzeichengesetzes und des Gebrauchsmustergesetzes vom 21. 7. 1965, BGBl I, 625. 114 Vgl. § 13 Abs. 2, 3 UWG. 115 Zur rechtspolitischen Kontroverse, in welcher der weitgehende Entwurf der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion sich nicht durchsetzen konnte, vgl. auch BTDrucks IV/2001 S. 1 f.; BTDrucks IV/2217 S. 1 ff.; BTDrucks IV/ 3403 S. 1 ff.

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B. Geschichtliche Entwicklung. Rechtsquellen

Kritisch wurden dagegen die 1969 eingefügten §§ 6a und 6b UWG aufgenommen.116 Unter dem Deckmantel eines Verbraucherschutzes117 war der Versuch unternommen worden, durch einen massiven Eingriff in den sog. Stufenwettbewerb traditionelle Distributionsstrukturen festzuschreiben, nachdem einschlägige Bemühungen, dieses Ziel über § 1 UWG zu erreichen, gescheitert waren.118 Die Literatur hat den Gesetzgeber angemahnt, dass eine Organisation von Produktion und Distribution auf Groß- und Einzelhandelsebene allein Sache der Marktkräfte bleiben müsse und nicht normativ geregelt werden dürfe.119 1969 fügte der Gesetzgeber das Merkmal „zu Zwecken des Wettbewerbs“ in § 3 ein120 und 44 änderte dadurch den Tatbestand für die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeitsprüfung nach § 3 UWG. Die bisherigen „unrichtigen Angaben“, die „geeignet sind, den Anschein eines besonders günstigen Angebots hervorzurufen“, wurden ganz allgemein auf „irreführende Angaben“ über geschäftliche Verhältnisse erweitert. Die alte Normsubstanz hat sich jedoch in dem Straftatbestand des § 4 UWG vorerst noch erhalten. 43

45 c) Reformbemühungen. Am Ende der 1970er Jahre lassen sich Reformbemühungen feststellen, die allerdings über die parlamentarische Diskussion nicht hinausgingen. Im Einklang mit den Empfehlungen einer Sachverständigenkommission zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität sowie in Übereinstimmung mit dem Verbraucherbeirat im Bundeswirtschaftsministerium legte die sozial-liberale Koalition 1978 einen Änderungsentwurf für das UWG vor.121 Dieser sah u. a. eine Verschärfung der Straftatbestände (§§ 4 und 17 UWG) sowie die Strafbarkeit progressiver Kundenwerbung (sog. Schneeballsystem) vor. Neuregelungen sollten zudem u. a. die Verbandsklagebefugnis, das Einigungsverfahren und die Streitwertfestsetzung betreffen. Vorgesehen waren schließlich auch ein Rücktrittsrecht sowie ein Schadensersatzanspruch des irregeführten Verbrauchers. Ziel der geplanten Reform war es, einem Wandel im Verständnis des UWG Rechnung zu tragen, das sich nunmehr dezidiert neben dem Konkurrentenschutz auch den Verbraucherschutz auf seine Fahnen geschrieben hatte.122 Die Opposition dagegen wollte mit ihrem Entwurf eine Neuorientierung der Generalklausel 46 des § 1 UWG erreichen, „wonach Handlungen untersagt werden [sollten], die geeignet sind, der Wirksamkeit eines leistungsgerechten Wettbewerbs“ entgegen zu wirken.123 Bestimmte Formen der Preisgegenüberstellung und der Werbung mit mengenmäßigen Beschränkungen sollten danach untersagt werden. Beweislastregelung und Neuformulierung des § 23a UWG rundeten das Vorschlagspaket der Opposition ab. Die parlamentarische Diskussion führte bis zum Ende der Legislaturperiode im Herbst 1980 zu keinem greifbaren Ergebnis. Auch spätere Novellierungsbemühungen, die etwa Schadensersatzansprüche der Verbraucher auf das negative Interesse beschränken wollten, wurden nicht umgesetzt. 47 Erst 1986 traten mit der christlich-liberalen Koalition die Novellierungsplanungen in eine neue Phase. Der Entwurf der Regierungskoalition sah neben dem Verbot bestimmter Werbeformen mit mengenmäßigen Beschränkungen und Preisgegenüberstellungen eine Straffung i.S. einer Vereinfachung des Sonderveranstaltungsrechts, den Ausschluss des Aufwendungsersatzan-

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Dazu Vorauflage/Schünemann B 42. Vgl. die Motive des Rechtsausschusses BTDrucks V/4035 S. 7 ff. BGH 5. 5. 1959 WuW/E 1959, 339 – Elektrogeräte; BGH 27. 6. 1958 GRUR 1958, 557 – Direktverkäufe. Gröner/Köhler S. 69 ff.; Kilian Schutz des Verbrauchers (1987); Schricker/Lehmann S. 94 ff.; Mestmäcker S. 285 ff. Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb vom 26. 6. 1969, BGBl I, 633. Kurz zuvor, am 25. 6. 1969, war durch Art. 55 des ersten Strafrechtsreformgesetzes § 23 UWG völlig umgestaltet worden (BGBl I, 645). 121 BTDrucks 8/2145 S. 1 ff. (der dem Regierungsentwurf zugrundeliegende Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium ist abgedruckt in WRP 1978, 277). Befürwortend hierzu z. B. Krieger WRP 1978, 1; Schricker GRUR 1979, 1; krit. dagegen Ahrens WRP 1978, 677; Borck WRP 1978, 333, 337 ff. 122 Dazu eingehend Lindemeyer/Henseler WRP 1978, 87. 123 BTDrucks 8/1670 S. 2.

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VI. Die Entwicklung des Lauterkeitsrechts in Deutschland nach 1945

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spruchs für die erste Abmahnung, ein Rücktrittsrecht des irregeführten Verbrauchers sowie eine flexible Streitwertbemessung vor.124 Das sog. Gesetz zur Änderung wirtschafts-, verbraucher-, arbeits- und sozialrechtlicher Vorschriften wurde am 25. Juli 1986 verabschiedet und trat am 1. Januar 1987 in Kraft.125 Damit waren §§ 6d und 6e, 13a UWG eingefügt und das Sonderveranstaltungsrecht in den §§ 7 f. UWG konzentriert. §§ 9, 9a, 10 und 11 UWG entfielen. § 13 UWG wurde redaktionell überarbeitet und die Aktivlegitimation der Industrie- und Handelskammern sowie der Handwerkskammern verdeutlicht. Parallel dazu wurden auch die strafrechtlichen Elemente des UWG neu gestaltet.126 In der Literatur sind die Neuregelungen auf erhebliche Kritik gestoßen, u. a. deshalb, weil ein 48 Teil der Änderungen nicht dem Schutz des Wettbewerbs, sondern dem Schutz mittelständischer Unternehmen gegenüber dem Wettbewerb diene.127 Eine bescheidende Liberalisierung des Wettbewerbsrechts brachte erst das UWG-Änderungsgesetz von 1994,128 die sog. kleine UWG-Reform. Entscheidende Änderungen erfuhr das UWG durch das Markenrechtsreformgesetz vom 49 25. Oktober 1994.129 Die kennzeichenrechtliche Bestimmung des UWG (§ 16) wurde aufgehoben. Neben §§ 12 BGB und 37 HGB traten nunmehr die §§ 5, 15 MarkenG als die zentralen Normen des Rechts der geschäftlichen Bezeichnungen. Eine Änderung der materiellen Rechtslage war damit nach Auffassung des Gesetzgebers nicht beabsichtigt. Der häufig wiederholte Hinweis darauf besagt allerdings nicht, dass keine Änderungen eingetreten oder noch zu erwarten sind. Der BGH hat inzwischen das Verhältnis von Kennzeichen- und Lauterkeitsrecht deutlich i.S. einer sog. Vorrangregel zugunsten des MarkenG neu justiert130 und damit zugleich eine dogmatische Diskussion in Gang gesetzt.131

2. DDR (1949–1989) Anders als der Bundesrepublik lag der DDR bekanntlich keine wettbewerbsorientierte Markt-, 50 sondern eine sozialistische Planwirtschaft als Wirtschaftsordnung zugrunde. Dennoch wurde das UWG 1909 trotz seines „Klassencharakters für das Recht“132 formal niemals aufgehoben.133 In das nach sowjetischem Muster geformte Wirtschaftsmodell der DDR passte das UWG freilich nicht.134 Zum einen war die Binnenwirtschaft der DDR vom Prinzip der zentralen staatlichen Planung und Leitung sämtlicher ökonomischer Prozesse bestimmt. Wenn auch eine gewisse, legislativ aber genau umrissene „Eigenverantwortung“ zugebilligt wurde, so blieben die Marktteilnehmer doch stets Ausführungsorgane des Staates, denen die Pflicht oblag, mit den zugeteil124 BTDrucks 10/4741 S. 1 ff. 125 BGBl 1986, I, 1169. 126 Mit Wirkung zum 1. August 1986 war nun materiell- rechtlich mit § 6c UWG die progressive Kundenwerbung strafbar und die Strafbarkeit der Betriebsspionage wurde nach § 17 UWG deutlich verschärft. Verfahrensrechtlich markant ist die Einführung des § 22 Abs. 1 S. 2 UWG, der die §§ 17, 18 und 20 UWG bei besonderem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung zu Offizialdelikten aufgewertet hat, vgl. 2. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, BGBl. I, 721. Siehe auch die Regierungsentwürfe aus den Jahren 1982 und 1983 (BTDrucks 9/2008 [30. 9. 1982] und 10/318 [26. 8. 1983]) sowie die Beschlussempfehlung und den Bericht des Rechtsausschusses vom 19. 2. 1986 (BTDrucks 10/5058). 127 Emmerich Recht des unlauteren Wettbewerbs (1998) § 2, 5, S. 9 f. 128 Gesetz zur Änderung des UWG vom 25. 7. 1994, BGBl I, 1738. 129 BGBl I, 3082. 130 Vgl. BGH 21. 9. 2006 – I ZR 270/03 – GRUR 2007, 339, 342 – Stufenleitern; BGH 22. 11. 2001 – I ZR 138/99 – GRUR 2002, 622 – shell.de; BGH 29. 4. 1999 GRUR 2000, 70, 73 – SZENE; BGH 30. 4. 1998 GRUR 1999, 161, 162 – MAC Dog. 131 Zu den beiden Standpunkten vgl. u. a. Ohly FS Schricker, 105; Köhler GRUR 2007, 548. 132 Müller/Woltz S. 17. 133 In einer 1967 vom Institut für Zivilrecht der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg herausgebrachten Textausgabe „Handelsrechtliche Gesetze und Haftpflichtbestimmungen“ wurde es noch abgedruckt, vgl. Dornberger S. 363 ff. 134 Vgl. nur Müller/Woltz S. 15 ff.; dazu auch Lieser Deutschlandarchiv 1974, 253, 255 ff.

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B. Geschichtliche Entwicklung. Rechtsquellen

ten sachlichen und personellen Mitteln die normativ gestellten Aufgaben bestmöglich zu erfüllen. Jeder Planunterworfene musste dabei in dem politischen zentral definierten und ökonomisch mit den Belangen des Einzelnen gleichgesetzten Interesse der Allgemeinheit handeln.135 Die DDR-Volkswirtschaft schloss typische Konkurrenzsituationen aus, ein Wettbewerb im lauterkeitsrechtlichen Sinne war damit nicht möglich. 51 Zum anderen konnte es auch in den außenwirtschaftlichen Beziehungen der DDR keine wettbewerbsrechtlichen Freiräume geben, wenn auch Stimmen in der ostdeutschen Literatur versucht haben, dieses Bild zu kaschieren.136 Zwei Gründe sprechen auch hier dagegen: Erstens gibt es in zentralisierten Wirtschaftsordnungen sowjetischen Musters innerstaatlich keine Betätigungs- und damit keine Niederlassungs- und Handelsfreiheit. Um die interne Autonomie auf dem ökonomischen Feld zu sichern, hatte man daher zweitens das eigene Territorium mit einem staatlich-administrativen Schutzmantel umgeben. Instrument dieser Einigelung war das Außenhandelsmonopol der DDR. Das wiederum hieß, dass die grenzüberschreitenden Warenund Geldströme im Ex- und Import allein von staatseigenen Unternehmen organisiert und geleitet wurden.137 Die Kontakte mit ausländischen Wirtschaftseinheiten liefen praktisch nur über jene von der politischen Führung akzeptierten und kontrollierten Vermittlungsstellen. Ein Ausländer konnte demnach schon systembedingt nicht einfach Geschäfte mit Betrieben in der DDR abschließen. Alle diese Umstände zeigen, dass in der DDR nicht das Klima herrschte, in dem das UWG irgendeinen Funktionswert haben konnte.138

VII. Europäische Entwicklungen 52 Seit Inkrafttreten des EWG-Vertrages im Jahre 1958 nahm das Gemeinschaftsrecht zunehmend Einfluss auf das nationale Wettbewerbsrecht, vor allem mit harmonisierender und liberalisierender Wirkung. Die Kommission hatte dazu bereits Ende der 1950er Jahre eine umfassende Studie in Auftrag gegeben, die die Möglichkeiten einer Angleichung der Wettbewerbsgesetze der damaligen sechs Mitgliedsstaaten untersuchen sollte. Das mehrbändige Gutachten von Eugen Ulmer und seinen Mitarbeitern über das Recht des unlauteren Wettbewerbs in den Mitgliedsstaaten der EWG kam zu dem Ergebnis, dass eine Angleichung der Wettbewerbsgesetze der Mitgliedsstaaten im Rahmen des Art. 10bis PVÜ durchaus möglich und sinnvoll sei.139 Die Ausarbeitung der ursprünglichen Pläne der Kommission, die auf der Grundlage der Vor53 schläge von Ulmer ein umfassendes Programm für die Angleichung der nationalen Wettbewerbsgesetze vorsahen, verlor jedoch Ende der 1970er Jahre erheblich an Fahrt. Die Kommission gab daher ihren bisherigen umfassenden Ansatz auf und beschränkte sich stattdessen auf den ihr vordringlich erscheinenden Aspekt des Verbraucherschutzes. Erstes Ergebnis dieser Bemühungen war nach jahrelangen Verhandlungen die freilich nur wenig effektive Richtlinie über irreführende Werbung von 1984 (84/450/EWG),140 die allerdings keinen spürbaren Einfluss auf die Wettbewerbsgesetze der Mitgliedsstaaten hatte. Das änderte sich jedoch mit der Richtlinie über vergleichende Werbung von 1997 (97/55/EG).141 Weitere Aspekte wurden unter Verbraucherschutzgesichtspunkten mit einer Vielzahl anderer Richtlinien und Verordnungen geregelt.142 Der sich da-

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Pleyer/Lieser S. 1 ff., 2. Vgl. z. B. Becher in Enderlein S. 89, 96 f. Vgl. dazu Morawo S. 35 ff.; Lieser/ders. Deutschlandarchiv 1970, 579. Ebenso Lieser Deutschlandarchiv 1974, 253, 258 ff.; Berg in Beier/Bastian/Kur S. 89, 91 ff. Bd. 1 des Gutachtens: Vergleichende Darstellung, 1965. – Dazu auch Lettl Der lauterkeitsrechtliche Schutz, S. 8 ff.; Ohly in Schricker/Henning-Bodewig S. 69, 70 ff. 140 ABl. Nr. L 250/17. 141 ABl. Nr. L 290/18; dazu auch Heister Harmonisierung (2004). 142 Z. B. Art. 10 ff. der FernsehRL 1989, überarbeitet zuletzt durch die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (2010/13/EU); Art. 5 ff. der E-CommerceRL (2000/31/EG).

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VIII. Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 3. Juli 2004

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raus ergebenden Rechtszersplitterung, die nach Aussage der Kommission zu einem „komplizierten und schwer verständlichen Regelungsrahmen“ geführt hatte,143 sollte damit abgeholfen werden. Seit Mitte der 1990er Jahre ist unter dem Druck des EG-Rechts und unter dem Einfluss neoli- 54 beraler Auffassungen eine zunehmende Liberalisierung des Lauterkeitsrechts zu beobachten. Zunächst wurde das gemeinschaftsrechtliche Leitbild des „informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers“ durch die deutsche Rechtsprechung unwidersprochen übernommen (vgl. § 4 Nr. 1 Rn. 76 ff., 80 ff.). Dies hatte u. a. eine Liberalisierung der bis dahin sehr strengen Handhabung der Irreführungsvorschriften zur Folge. Der Gesetzgeber ließ dann durch Gesetz vom 1. September 2000 in § 2 UWG a. F. in Umsetzung der Richtlinie 97/55/ EG entgegen der bisherigen deutschen Rechtsprechung die vergleichende Werbung zu.144 Mit den Gesetzen vom 23. Juli 2001145 hob er schließlich das RabattG und die ZugabeVO ersatzlos auf und setzte damit die E-CommerceRL um. Ein neuer Regelungsansatz lag in der 2001 vorgelegten Verordnung über Verkaufsförde- 55 rung im Binnenmarkt, mit der die Kommission bezweckte, die bisherigen nationalen Verbote für Verkaufsförderungsmaßnahmen wie Rabatte, Zugaben, Preisausschreiben und Gewinnspiele durch umfassende Informationspflichten der Unternehmen in Verbindung mit der Einführung des Herkunftslandprinzips für die verbleibenden Verbote zu ersetzen.146 Sie ist über das Entwurfsstadium nicht hinausgekommen. 2005 erließ der EU-Gesetzgeber die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken vom 56 11. Mai 2005 (2005/29/EG).147 Die Verordnung über Verkaufsförderung im Binnenmarkt ist dagegen als gescheitert anzusehen.148 Die UGPRL, die nur für das Verhältnis zwischen Unternehmen und Verbrauchern gilt (Art. 3), verbietet generell unlautere Geschäftspraktiken (Art. 5 Abs. 1) und soll damit ein hohes Verbraucherschutzniveau schaffen (vgl. Erwägungsgrund Nr. 5 Satz 3 und Nr. 11 Satz 1 UGPRL). Der wettbewerbspolitische Ansatz des Unionsrechts orieniert sich dabei immer stärker an Effizienz- und Transparenzkriterien, wobei der Verbrauchernutzen als Ziel der Wettbewerbspolitik im Vordergrund steht.

VIII. Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 3. Juli 2004 Unmittelbar nach der Aufhebung von ZugabeVO und RabattG setzte die Bundesregierung beim 57 Bundesministerium der Justiz 2001 eine Arbeitsgruppe „Unlauterer Wettbewerb“ ein. Sie hatte das Ziel einer weiteren Liberalisierung und europakonformen Modernisierung des nationalen Wettbewerbsrechts.149 Der nun beginnenden Diskussion innerhalb der Arbeitsgruppe waren zwei umfangreiche Gutachten von Fezer150 und Schricker/Henning-Bodewig151 vorausgegangen. Köhler, Bornkamm und Henning-Bodewig unterbreiteten dann einen ausformulierten Vorschlag für eine EG-Richtlinie zum Lauterkeitsrecht und eine UWG-Reform.152 Auf der Grundlage dieser Vorarbeiten legte das Bundesministerium der Justiz Anfang 2003 einen Referentenentwurf zur Reform des UWG vor,153 aus dem im Mai 2003 der Regierungsentwurf eines Geset143 So wörtlich Grünbuch zum Verbraucherschutz, S. 5. 144 Gesetz zur vergleichenden Werbung und zur Änderung wettbewerbsrechtlicher Vorschriften vom 1. 9. 2000, BGBl I, 1374. 145 BGBl I, 1661, 1663. 146 Vgl. den Entwurf einer VO über Verkaufsförderung im Binnenmarkt vom 25. 10. 2002, KOM (2002), 585 endg. (dort Erwägungsgründe 14 u. 17). 147 ABl. 2005 L 149/22. 148 So auch Emmerich Unlauterer Wettbewerb, § 1 Rn. 27. 149 Siehe RegE UWG 2003 S. 12 f. 150 Fezer WRP 2001, 989. 151 Schricker/Henning-Bodewig WRP 2001, 1367. 152 Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317. 153 Abgedruckt in GRUR 2003, 298.

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B. Geschichtliche Entwicklung. Rechtsquellen

zes gegen den unlauteren Wettbewerb hervorging.154 Der Bundesrat nahm dazu im Juni 2003 Stellung und forderte einige Änderungen, denen die Bundesregierung aber nur teilweise nachkam.155 Nachdem der Gesetzentwurf am 15. September 2003 in erster Lesung im Bundestag beraten und an den Rechtsausschuss verwiesen worden war, der weitere Änderungen vorgenommen hatte, nahm ihn der Bundestag am 1. April 2004 in der vom Rechtsausschuss empfohlenen Fassung an.156 Am 8. Juli 2004, einen Tag nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt, trat das neue UWG157 ohne Übergangsvorschrift in Kraft. 58 In Aufbau und Systematik des neuen UWG lassen sich die z. T. widersprechenden Ziele der UWG-Reform erkennen: Europäisierung, Kodifizierung von Richterrecht und Betonung des Verbraucherschutzes. Der Einfluss (neuer) neoliberaler wirtschaftspolitischer Vorstellungen ist im ganzen Entwurf erkennbar: Das UWG hielt am Konzept einer Generalklausel fest (§ 3). Diese wurde nunmehr durch zahlreiche Beispielstatbestände in §§ 4–7 konkretisiert, die in großen Teilen auf den in Rechtsprechung und Literatur zu § 1 a. F. entwickelten Fallgruppen beruhen (Rn. 32 ff., 38 ff.). Insgesamt wurde die Politik der Deregulierung des Wettbewerbsrechts fortgesetzt. Nach der Abschaffung von ZugabeVO und RabattG fanden sich die Verbote des § 6 a. F. (Insolvenzwarenverkauf), § 6a a. F. (Hersteller- und Großhändlerwerbung) und § 6b a. F. (Einkaufsausweise) sowie die Vorschriften über Sonderveranstaltungen (§§ 7, 8 a. F.) nicht mehr im neuen UWG. Die Europäisierung des Wettbewerbsrechts kam etwa in der redaktionellen Anpassung des § 5 (Irreführung) an Art. 3 IrreführungsRL 1997 sowie in der Umsetzung der DatenschutzRL-EK in § 7 Abs. 2 und 3 zum Ausdruck. Die Stärkung des Verbraucherschutzes wurde durch die ausdrückliche Nennung der Verbraucher als Schutzobjekt in der Schutzzweckbestimmung (§ 1 Satz 1) und die Aufnahme eines Gewinnabschöpfungsanspruches in das Gesetz (§ 10) unterstrichen.158 Zur Umsetzung der Richtlinie gegen unlautere Geschäftspraktiken (UGPRL) von 2005 59 legte das Bundesministerium der Justiz im Juni 2007 einen Referentenentwurf vor, der vor allem von dem Bestreben geprägt war, die Änderungen des noch jungen UWG auf das unbedingt notwendige Ausmaß zu beschränken. Das führte in einigen Bereichen wie etwa § 4 Nr. 1 und Nr. 2 des UWG 2008 zu zum Teil abweichenden Regelungen, die der Gesetzgeber mit dem Hinweis auf eine richtlinienkonforme Auslegung in den Griff bekommen wollte.159 Die Neuregelungen des „UWG 2008“ führten aber nicht nur zu weiteren Unklarheiten, sondern wurden auch von der Kommission als unzureichend beanstandet. Das BMJV legte daher im Herbst 2014 einen Referentenentwurf160 vor, im Frühjahr 2015 folgte dann ein Regierungsentwurf,161 der im Rechtsausschuss noch diverse Änderungen erfahren hat.162 Das UWG 2015, das am 10. 12. 2015 in Kraft getreten ist,163 vermied zwar die geforderte „große Reformlösung“,164 führte aber dennoch zu einer erweiterten Umsetzung der UGPRL, die der bisherigen Kritik weitgehend entgegenkam.165

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RegE UWG 2003 S. 1 ff. Vgl. RegE UWG 2003 S. 29 ff. BTDrucks 15/2795. BGBl I, 1414. Zum UWG 2004 vgl. auch die Stellungnahme von Ohly GRUR 2004, 889; Köhler GRUR 2003, 729. BTDrucks 16/10145, A IV 8; zum Bericht des Rechtsausschusses s. BTDrucks 16/11070. GRUR 2014, S. 1180 ff.; vgl. dazu Ohly GRUR 2014, 1137; Glöckner WRP 2014, 1399; Köhler WRP 2014, 1410. BTDrucks 18/4535. BTDrucks 18/6571; dazu auch Köhler WRP 2015, 275. BGBl I, 2158–2160. Ohly WRP 2015, 1443; ders GRUR 2014, 1137, 1138. Zu den Änderungen im Einzelnen Köhler NJW 2016, 593.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht Schrifttum Für Nachweise zur älteren Literatur (bis 1993) vgl. Erstauflage Einl F. V. Abbamonte The Unfair Commercial Practices Directive: An Example of the New European Consumer Protection Approach, Columbia Journal of European Law 2006, 695; ders. The Unfair Commercial Practices Directive and its General Prohibition, in: Weatherhill/Bernitz (Hrsg.) The Regulation of Unfair Commercial Practices under EC Directive 2005/29 – New Rules and New Techniques (2007), 11; Ackermann Warenverkehrsfreiheit und „Verkaufsmodalitäten“, RIW 1994, 189; ders. Vollharmonisierung im Wettbewerbsrecht, in: Gsell/Herresthal (Hrsg.) Vollharmonisierung im Privatrecht (2009) 289; Anagnostaras The Unfair Commercial Practices Directive in Context: From Legal Disparity to Legal Complexity? Common Market Law Review 47 (2010) 147; Ahlfeld Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis de DijonRechtsprechung des EuGH zu Art. 30 EGV (1997); Ahrens Das Herkunftslandprinzip in der E-Commerce-Richtlinie, CR 2000, 835; ders. Das Verhältnis von UWG und Vertragsrecht aufgrund der EU-Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, FS Loewenheim (2009) 407; Albrecht Europäisches Werberecht und seine Auswirkungen auf das deutsche Wettbewerbsrecht, WRP 1997, 926; Alexander Vertrag und unlauterer Wettbewerb (2002); ders. Die Sanktions- und Verfahrensvorschriften der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken im Binnenmarkt – Umsetzungsbedarf in Deutschland? GRUR Int. 2005, 809; ders. Schadensersatz und Abschöpfung im Lauterkeits- und Kartellrecht (2010); ders. Vertragsrecht und Lauterkeitsrecht unter dem Einfluss der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken, WRP 2012, 515; ders. Die Umsetzung der Verbraucherrechte-Richtlinie und die Auswirkungen auf das Lauterkeitsrecht, WRP 2014, 501; ders. Die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers, FS Ahrens (2016), 17; Apetz Das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken (2011); Alexandridou The Directive on Unfair Commercial Practices – Aggressive Practices, in: Nikas/Kaissis/Apalagaki/Pipsou/Ladas/Papasteriou/Karassis/Kazakos (Hrsg.) Studia in honorem Pelayia Yessiou-Faltsi (2007), 1; Apostolopoulos Neuere Entwicklungen im europäischen Lauterkeitsrecht: Problematische Aspekte und Vorschläge, WRP 2004, 841; ders. Einige Gedanken zur Auslegung der nationalen Generalklausel im Hinblick auf eine Vollharmonisierung des europäischen Lauterkeitsrechts, WRP 2005, 152; ders. Die Liberalisierung des griechischen Lauterkeitsrechts im Rahmen der europäischen Rechtsangleichung (2007); Armgardt Verbraucherschutz und Wettbewerbsrecht: Unwirksame AGB-Klauseln im Lichte der neueren Rechtsprechung zum UWG und zur UGP-Richtlinie, WRP 2009, 122; Augenhofer Ein Flickenteppich oder doch der große Wurf? – Überlegungen zur neuen RL über unlautere Geschäftspraktiken, ZfRV 2005, 204; dies. Individualrechtliche Ansprüche des Verbrauchers bei unlauterem Wettbewerbsverhalten des Unternehmers, in: Krejci/Keßler/Augenhofer (Hrsg.) Lauterkeitsrecht im Umbruch (2005), 103; dies. Individualrechtliche Ansprüche des Verbrauchers bei unlauterem Wettbewerbsverhalten des Unternehmers, WRP 2006, 169; dies. Die Zukunft des Europäischen Verbraucherrechts und seine Bedeutung für die Weiterentwicklung des Vertrags- und Wettbewerbsrechts, FS Juristische Fakultät der Humboldt-Universität (2010), 1051; dies. § 4 European Union, in: Henning-Bodewig (Hrsg.) International Handbook on Unfair Competition (2013), 41; Bakardjieva Engelbrekt Fair Trading Law in Flux? (2003); dies. EU and Marketing Practices Law in the Nordic Countries – Consequences of a Directive on Unfair Business-to-Consumer Commercial Practices – Report for the Nordic Council of Ministers Committee on Consumer Affairs (2005); Barnard Trailing a New Approach to Free Movement of Goods? Cambridge Law Journal 2009, 288; dies. The Substantive Law of the EU – The Four Freedoms, 5. Aufl. (2016); Basedow Der kollionsrechtliche Gehalt der Produktfreiheiten im europäischen Binnenmarkt: favor offerentis, RabelsZ 59 (1995), 1; ders. Zielkonflikte und Zielhierarchien im Vertrag über die Europäische Gemeinschaft, FS Everling (1995) 49; ders. Nationale Justiz und Europäisches Privatrecht (2003); ders. Grundlagen des Europäischen Privatrechts, JuS 2004, 89; ders. Das Sozialmodell von Lissabon – Solidarität statt Wettbewerb? EuZW 2008, 225; ders. Der Europäische Gerichtshof und das Privatrecht, AcP 210 (2010), 157; Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.) Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts (2009); Beater Schutzzweckdenken im Recht gegen den unlauteren Wettbewerb, JZ 1997, 916; ders. Zum Verhältnis von europäischem und nationalem Wettbewerbsrecht – Überlegungen am Beispiel des Schutzes vor irreführender Werbung und des Verbraucherbegriffs, GRUR Int. 2000, 963; ders. Verbraucherschutz und Schutzzweckdenken im Wettbewerbsrecht (2000); ders. Europäisches Recht gegen den unlauteren Wettbewerb – Ansatzpunkte, Grundlagen, Entwicklung, Erforderlichkeit, ZEuP 2003, 11; ders. Mehr oder weniger Konkurrentenschutz durch Europäisches Lauterkeitsrecht? in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.) Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009), 207; ders. Allgemeininteressen und UWG, WRP 2012, 6; Becker Von „Dassonville“ über „Cassis“ zu „Keck“, EuR 1994, 162; Behrens Die Liberalisierung des Fernsehwerberechts im Kontext der Rundfunkregulierung (2012); Bernitz The Unfair Commercial Practices Directive: Its Scope, Ambitions and Relation to the Law of Unfair Competition, in: Weatherhill/Bernitz (Hrsg.) The Regulation of Unfair Commercial Practices under EC Directive 2005/29 – New Rules and New Techniques (2007), 33; Bernitz/Heide-Jørgensen Marketing and Advertising Law in a Process of Harmonisation (2017); Bernreuther Die Rechtsdurchsetzung des Herkunftslandsrechts nach Art. 3 Abs. 2 EC-RiL und das Grundgesetz, WRP 2001, 384; ders. Neues zur Telefonwerbung, WRP 2009, 390; Birk Corporate Responsibility, unternehmerische Selbstverpflichtungen

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Einleitung

C. Europäisches Wettbewerbsrecht

und unlauterer Wettbewerb, GRUR 2011, 196; Bodewig Elektronischer Geschäftsverkehr und Unlauterer Wettbewerb, GRUR Int. 2000, 475; Boesche Drum kopple, wer sich (nicht) ewig bindet, WRP 2011, 1345; Boom/Garde/Akseli (Hrsg.) The European Unfair Commercial Practices Directive (2014); Bornkamm Anmerkung (zu „Yves Rocher“ – Rs. C-126/91), GRUR 1993, 747; ders. Anmerkung (zu „Keck und Mithouard“ – Rs. C-267/91), GRUR 1994, 297; ders. Entwicklung der Rechtsprechung im Wettbewerbsrecht – Vergleichende Werbung, in: Schwarze (Hrsg.) Werbung und Werbeverbote im Lichte des europäischen Gemeinschaftsrechts (1999), 134; ders. Wettbewerbs- und Kartellrechtsprechung zwischen nationalem und europäischem Recht, FS BGH (2000), 343; ders. Markenrecht und wettbewerblicher Kennzeichenschutz – Zur Vorrangthese der Rechtsprechung, GRUR 2005, 97; ders. Die Schnittstellen zwischen gewerblichem Rechtsschutz und UWG – Grenzen des lauterkeitsrechtlichen Verwechslungsschutzes, GRUR 2011, 1; Brigola Die Metamorphose der Keck-Formel in der Rechtsprechung des EuGH – Ein Eckpfeiler im System des freien Warenverkehrs in neuem Körper, EuZW 2012, 248; Brömmelmeyer Internetwettbewerbsrecht (2007); ders. Der Binnenmarkt als Leitstern der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2007, 295; Buchner/Rehberg Wann ist der Verbraucher ein „mündiger“ Bürger? – Zur Diskussion um die Nutrition & Health Claims-Verordnung der EU, GRUR Int. 2007, 394; Büllesbach Auslegung der irreführenden Geschäftspraktiken des Anhangs I der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken (2008); Burckhardt Die lauterkeitsrechtliche Beurteilung des modernen Direktmarketings (2000); Burger Lauterkeitsrechtliche Informationspflichten (2012); Busch Ein europäischer Rechtsrahmen für das Lauterkeitsrecht? Der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, EuLF 2004, 91; ders. Informationspflichten im Wettbewerbs- und Vertragsrecht (2008); ders. Welche Folgen hat die Umsetzung der Lauterkeitsrichtlinie für das Vertragsrecht? Der Regierungsentwurf zur Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG aus der Perspektive des Gemeinschaftsprivatrechts, GPR 2008, 158; ders. Kapitel 25: Unlauterer Wettbewerb, in: Gebauer/ Wiedmann (Hrsg.) Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Aufl. (2010), 1247; ders. Lauterkeitsrecht in Europa: Acquis Communautaire, in: Schmidt-Kessel/Schubmehl (Hrsg.) Lauterkeitsrecht in Europa (2011), 1; Büscher Schnittstellen zwischen Markenrecht und Wettbewerbsrecht, GRUR 2009, 230; Calliess/Ruffert EUV/AEUV – Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, 5. Aufl. (2016); Buschle Kommunikationsfreiheit in den Grundrechten und Grundfreiheiten des EG-Vertrages (2004); Castendyk Werbung nach der Fernsehrichtlinie, in: Schwarze (Hrsg.) Werbung und Werbeverbote im Lichte des europäischen Gemeinschaftsrechts (1999), 151; Classen Vorfahrt für den Marktzugang – Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 10. Februar 2009, Rs. C-110/85 (Kommission/ Italien), EuR 2009, 555; Collins EC Regulation of Unfair Commercial Practices, in: Collins (Hrsg.) The Forthcoming EC Directive on Unfair Commercial Practices – Contract, Consumer and Competition Law Implications (2004), 1; ders. The Unfair Commercial Practices Directive, European Review of Contract Law 2005, 417; von Danwitz Werbe- und Anreicherungsverbot – Stand und Perspektiven der Auseinandersetzung, ZLR 2005, 201; ders. Nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben im Visier des Gesetzgebers, GRUR 2005, 896; Dauses Die Rechtsprechung des EuGH zum Verbraucherschutz und zur Werbefreiheit im Binnenmarkt, EuZW 1995, 425; De Cristofaro Die zivilrechtlichen Folgen des Verstoßes gegen das Verbot unlauterer Geschäftspraktiken: eine vergleichende Analyse der Lösungen der EU-Mitgliedstaaten, GRUR Int. 2010, 1017; De Groote/De Vulder European Framework for Unfair Commercial Practices: Analysis of Directive 2005/29, Journal of Business Law 2007, 16; Dethloff Europäisierung des Wettbewerbsrechts (2001); de Sadeleer L’examen, au regard de l’article 28 CE, des règles nationales régissant les modalités d’utilisation de certains produits, Journal de droit européen 2009, 247; Deutsch Der Einfluss des europäischen Rechts auf den Irreführungstatbestand § 3 UWG – Gedanken zum Verbraucherleitbild und zur Relevanz bei Täuschungen, GRUR 1996, 541; ders. Noch einmal: Das Verbraucherleitbild des EuGH und das „Nissan“-Urteil, GRUR 1997, 44; Di Fabio Werbeverbote – Bewährungsprobe für europäische Grundfreiheiten und Grundrechte, AfP 1998, 564; Doepner Heilmittelwerberechtliche Publikumswerbeverbote in § 11 Abs. 1 HWG – Auslegungsprobleme angesichts ihrer Ausgestaltung als Gefährdungsdelikte, PharmaR 2010, 560; Dohrn Die Generalklausel der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken – ihre Interpretation und Umsetzung (2008); Dreher Der Verbraucher – Das Phantom in den opera des europäischen und deutschen Rechts, JZ 1997, 167; Drexl Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998); ders. Community Legislation Continued: Complete Harmonisation, Framework Legislation or Non-Binding Measures – Alternative Approaches to European Contract Law, Consumer Protection and Unfair Trade Practices?, European Business Law Review 2002, 557; ders. Mehr oder weniger Verbraucherschutz durch Europäisches Lauterkeitsrecht? in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.) Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009), 227; ders. Internationales Recht gegen den unlauteren Wettbewerb, in: Säcker/Rixecker (Hrsg.) Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 12: Internationales Privatrecht, Internationales Wirtschaftsrecht, 7. Aufl. (2018); Dröge Lauterkeitsrechtliche Generalklauseln im Vergleich (2007); Ebenroth Neue Ansätze zur Warenverkehrsfreiheit im Binnenmarkt der Europäischen Union, in: FS Piper (1996) 133; Ebers Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht (2016); Ebersohl Das neue schwedische Wettbewerbsrecht, RIW 2009, 215; Eckhard Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation – Auswirkungen auf Werbung mittels elektronischer Post, MMR 2003, 557; Eckel Die Kohärenz der Harmonisierung von irreführender und vergleichender Werbung in England und Deutschland (2015); Ehricke Das Verbot des Weiterverkaufs zum Verlustpreis

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Einleitung

und Gemeinschaftsrecht – Zum Keck-Urteil des EuGH vom 24 November 1993, WuW 1994, 108; Eichholz Herabsetzung durch vergleichende Werbung (2008); Enchelmaier Moped Trailers, Mickelsoon & Roos, Gysbrechts: The ECJ’s Case Law on Goods keeps on moving, Yearbook of European Law 29 (2010) 190; Engels/Brunn Ist § 7 II Nr. 2 UWG europarechtswidrig? GRUR 2010, 886; Faber Elemente verschiedener Verbraucherbegriffe in EG-Richtlinien, zwischenstaatlichen Übereinkommen und nationalem Zivil- und Kollisionsrecht, ZEuP 1998, 854; Faßbender Der grundrechtliche Schutz der Werbefreiheit in Deutschland und Europa, GRUR Int. 2006, 965; Fasouli Die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken und ihre Umsetzung in Griechenland (2014); Fezer Europäisierung des Wettbewerbsrechts – Gemeinschaftsrechtliche Grenzen im Recht des unlauteren Wettbewerbs, JZ 1994, 317; ders. Das wettbewerbsrechtliche Irreführungsverbot als ein normatives Modell des verständigen Verbrauchers im Europäischen Unionsrecht. Zugleich eine Besprechung der Entscheidung „Mars“ des EuGH vom 6. Juli 1995 – Rechtssache C-470/93, WRP 1995, 671; ders. Modernisierung des deutschen Rechts gegen den unlauteren Wettbewerb auf der Grundlage einer Europäisierung des Wettbewerbsrechts, WRP 2001, 989; ders. Plädoyer für eine offensive Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken in das deutsche UWG, WRP 2006, 781; ders. Das Informationsgebot der Lauterkeitsrichtlinie als subjektives Verbraucherrecht – Zur Umsetzung des Art. 7 der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken in § 5 UWG, WRP 2007, 1021; ders. Imitationsmarketing als irreführende Produktvermarktung, GRUR 2009, 451; ders. Der Dualismus der Lauterkeitsrechtsordnungen des b2c-Geschäftsverkehrs und des b2b-Geschäftsverkehrs im UWG, WRP 2009, 1163; ders. Kumulative Normenkonkurrenz zwischen Markenrecht und Lauterkeitsrecht – Schutzzweckkompatibilität zwischen Immaterialgüterrecht als Funktionseigentum und Wettbewerbsrecht, GRUR 2010, 953; Fezer/Koos Das gemeinschaftsrechtliche Herkunftslandprinzip und die e-commerce-Richtlinie, IPRax 2000, 349; Fischer Schutz der Entscheidungsfreiheit im Rahmen der Verkaufsförderung – Ein Vergleich des deutschen, französischen und englischen Rechts (2008); Franck Europäisches Absatzrecht (2006); ders. Marktordnung durch Haftung (2016); H. Fleischer Vertragsschlußbezogene Informationspflichten im Gemeinschaftsprivatrecht, ZEuP 2000, 772; V. Fleischer Gesetzesverletzung als Lauterkeitsrechtsverstoß (2014); Franzen Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft (1999); Fritzsche Der Einfluss der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken auf die Dogmatik des Lauterkeitsrechts, in H. Roth (Hrsg.) Europäisierung des Rechts – Ringvorlesung der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg 2009/2010 (2010), 27; ders. Die Unlauterkeit im Sinne der UGP-Richtlinie nach der Rechtsprechung des EuGH, FS Köhler (2014), 145; Füller Grundlagen und inhaltliche Reichweite der Warenverkehrsfreiheit nach dem EG-Vertrag (2000); Gamerith Neue Herausforderungen für ein europäisches Lauterkeitsrecht. Studie für den Arbeitskreis „UWG“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit, WRP 2003, 143; ders. Der Richtlinienvorschlag über unlautere Praktiken – Möglichkeiten einer harmonischen Umsetzung, WRP 2005, 391; Glöckner „Cold Calling“ und europäische Richtlinie zum Fernabsatz – ein trojanisches Pferd im deutschen Lauterkeitsrecht, GRUR Int. 2000, 29; ders. Richtlinienvorschlag über unlautere Geschäftspraktiken, deutsches UWG oder die schwierige Umsetzung von europarechtlichen Generalklauseln, WRP 2004, 936; ders. Ist die Union reif für die Kontrolle an der Quelle? WRP 2005, 795; ders. Europäisches Lauterkeitsrecht (2006); ders. Der Schutz vor Verwechslungsgefahr im Spannungsfeld von Kennzeichenrecht und verbraucherschützendem Lauterkeitsrecht, in: Ohly/Klippel (Hrsg.) Geistiges Eigentum und Gemeinfreiheit (2007), 145; ders. Entwicklungslinien des Lauterkeitsrechts, in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.) Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009), 263; ders. Der gegenständliche Anwendungsbereich des Lauterkeitsrechts nach der UWG-Novelle 2008 – Ein Paradigmenwechsel mit Folgen, WRP 2009, 1175; ders. § 17 – Europäisches Lauterkeitsrecht, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.) Europarecht – Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 3. Aufl. (2015), 664; ders. The Scope of Application of the UCP Directive – „I Know What You Did Last Summer“, IIC 2010, 570; ders. The Regulatory Framwork for Comparative Advertising in Europa – Time for a New Round of Harmonisation, IIC 2012, 35; ders. Über die Schwierigkeit, Proteus zu beschreiben – die Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken in Deutschland, GRUR 2013, 224; ders. UWG-Novelle mit Konzept und Konsequenz – Anmerkungen zum Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, WRP 2014, 1399; ders. Good News from Luxemburg? Die Anwendung des Lauterkeitsrechts auf Verhalten zur Förderung eines fremden Unternehmens nach EuGH – RLvS Verlagsgesellschaft mbH, FS Köhler (2014), 159; Glöckner/Henning-Bodewig EGRichtlinie über unlautere Geschäftspraktiken: Was wird aus dem „neuen“ UWG? WRP 2005, 1311; Göckler Die Bedeutung der Purely Creative Entscheidung für die UGP-Richtlinie, WRP 2014, 1167; ders. Angstfaktor und unlautere Handelspraktiken (2017); Göhre Frischer Wind aus Brüssel? Der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung über Verkaufsförderung im Binnenmarkt und das Grünbuch der Europäischen Kommission zum Verbraucherschutz in der Europäischen Union, WRP 2002, 36; Gómez The Unfair Commercial Practices Directive: A Law and Economics Perspective, European Review of Contract Law 2006, 4; Grabitz/Hilf/Nettesheim Das Recht der Europäischen Union, 64. Ergänzungslieferung (2018); von der Groeben/Schwarze/Hatje Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Band 1: Art. 1–53 EUV, Art. 1–80 EGV, 7. Aufl. (2015); Groß Die internationale Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes (2009); Grundmann „Inter-Instrumental-Interpretation“ – Systembildung durch Ausle-

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Einleitung

C. Europäisches Wettbewerbsrecht

gung im Europäischen Unionsrecht, RabelsZ 75 (2011) 882; Gülbay Vergleichende Werbung, Subsidiarität und Europa. Die Richtlinie zur vergleichenden Werbung unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzip im Recht der Europäischen Union (1997); Gundel Fernsehwerbeverbote und Grundfreiheiten: Zur Durchsetzung nationaler Werbeverbote im europäischen Binnenmarkt, EWS 2004, 398; Günther Erwünschte Regelung unerwünschter Werbung? Zur Auslegung von Artikel 10 der Fernabsatzrichtlinie 97/7/EG, CR 1999, 172; Haberkamm Wirklich nichts Neues? Das EuGH-Urteil Mediaprint und seine Implikationen für die UGP-Richtlinie, WRP 2011, 296; Hagenmeyer/Teufer Lebensmittelrecht, in: Dauses/Ludwigs (Hrsg.) Handbuch des EU-Wirtschaftsrecht, Loseblattsammlung, 44. Ergänzungslieferung (2018); Halfmeier Vom Cassislikör zur E-Commerce-Richtlinie: Auf dem Weg zu einem europäischen Mediendeliktsrecht, ZEuP 2001, 837; Handig EG-Richtlinie gegen unlautere Geschäftspraktiken – Anlass für eine Reform des UWG, ÖBl 2005, 196; ders. The Unfair Commercial Practices Directive – A Milestone in the European Unfair Competition Law? European Business Law Review 2005, 1117; ders. Harmonisierung des Lauterkeitsrechts in der EU (2006); ders. Informationspflichten und Lauterkeitsrecht, ecolex 2007, 779; ders. Was erfordert „die Einheit und die Kohärenz des Unionsrechts“? – das urheberrechtliche Nachspiel der EuGH-Entscheidung Football Association Premier League, GRUR Int. 2012, 9; Hatje Werbung und Grundrechtsschutz in rechtsvergleichender Betrachtung, in: Schwarze (Hrsg.) Werbung und Werbeverbote im Lichte des europäischen Gemeinschaftsrechts (1999), 37; Hecker Die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken: Einige Gedanken zu den „aggressiven Geschäftspraktiken“ – Umsetzung in das deutsche Recht, WRP 2006, 640; Heermann Das deutsche Wettbewerbsrecht und die „Keck“-Rechtsprechung des EuGH. Missverständnisse und Argumentationsdefizite rund um den Begriff der „Verkaufsmodalitäten“, WRP 1999, 381; ders. Art. 30 EGV im Lichte der „Keck“-Rechtsprechung, GRUR Int. 1999, 579; ders. Warenverkehrsfreiheit und deutsches Unlauterkeitsrecht (2004); ders. Richtlinienkonforme Auslegung und Anwendung von § 4 Nr. 2 UWG, GRUR 2011, 781; Heinze Europäisches Primärrecht und Zivilprozess, EuR 2008, 654; ders. Schadensersatz im Unionsprivatrecht (2017); Heizmann/ Loacker UWG – Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (2018); Heister Harmonisierung des Rechts der vergleichenden Werbung durch die Richtlinie 97/55/EG? (2004); Helm Der Abschied vom „verständigen“ Verbraucher, WRP 2005, 931; Henning-Bodewig Werbung nach der Fernsehrichtlinie, in: Schwarze (Hrsg.) Werbung und Werbeverbot im Lichte des europäischen Gemeinschaftsrechts (1999), 170; dies. E-Commerce und irreführende Werbung, WRP 2001, 771; dies. Das Europäische Wettbewerbsrecht: Eine Zwischenbilanz, GRUR Int. 2002, 389; dies. Herkunftslandprinzip im Wettbewerbsrecht: Erste Erfahrungen, GRUR 2004, 822; dies. Richtlinienvorschlag über unlautere Geschäftspraktiken und UWG-Reform, GRUR Int. 2004, 183; dies. Die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR Int. 2005, 629; dies. Neuorientierung von § 4 Nr. 1 und 2 UWG? WRP 2006, 621; dies. Unfair Competition Law – European Union and Member States (2006); dies. Was gehört zum Lauterkeitsrecht? in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.) Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009), 9; dies. Die Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs in den EU-Mitgliedstaaten: eine Bestandsaufnahme, GRUR Int. 2010, 273; dies. Nationale Eigenständigkeit und europäische Vorgaben im Lauterkeitsrecht, GRUR Int. 2010, 549; dies. UWG und Geschäftsethik, WRP 2010, 1094; dies. Der Schutzzweck des UWG und die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2013, 238; dies. „Unlautere“ Geschäftspraktiken und der Bezug zu Art. 10bis PVÜ – Warum „unseriöse“ Geschäftspraktiken keinen Sinn ergibt, GRUR Int. 2014, 997; dies. Europäisches (und deutsches) Lauterkeitsrecht in Zeiten der Globalisierung, FS Köhler (2014), 277; dies. Erneute UWG-Reform? – Einige Anmerkungen zum Referentenentwurf 2014, WRP 2014, 1407; dies. Enforcement im deutschen und europäischen Lauterkeitsrecht, WRP 2015, 667; dies. Lauterkeit im B2B-Verhältnis – „anständige Marktgepflogenheiten“, nicht „fachliche Sorgfalt“, GRUR Int. 2015, 529; Henning-Bodewig/Schricker, Stellungnahme des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht zum Grünbuch für Verbraucherschutz in der EU, KOM (2002) 531 endg., GRUR Int. 2002, 319; Herresthal Rechtsfortbildung im europäischen Bezugsrahmen – Methoden, Kompetenzen, Grenzen dargestellt am Beispiel des Privatrechts (2006); ders. Die richtlinienkonforme und die verfassungskonforme Auslegung im Privatrecht, JuS 2014, 289; Hertig Randall Commercial Speech under the European Convention on Human Rights: Subordinate or Equal? Human Rights Law Review 2006, 53; Heselhaus Rechtfertigung unmittelbar diskriminierender Eingriffe in die Warenverkehrsfreiheit, EuZW 2001, 645; Hess Europäisches Zivilprozessrecht (2010); Hetmank Im Korsett der UGP-Richtlinie, GRUR 2015, 323; Hilty The Law Against Unfair Competition and Its Interfaces, in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.) Law Against Unfair Competition – Towards a New Paradigm in Europe? (2007), 1; Hilty/Henning-Bodewig/Podszun Comments of the Max Planck Institute for Intellectual Property and Competition Law, Munich of 29 April 2013 on the Green Paper of the European Commission on Unfair Trading Practices in the Business-to-Business Food and Non-Food Supply Chain in Europe Dated 31 January 2013, Com(2013) 37 final, IIC 2013, 701; Holtz Vergleichende Werbung in Deutschland (2008); Hödl Die Beurteilung von verkaufsbehindernden Maßnahmen im Europäischen Binnenmarkt. Neue Interpretationsansätze zu Art. 30 EGV auf der Grundlage der Keck-Entscheidung (1997); Hoeren Das neue UWG und dessen Auswirkungen auf den B2B-Bereich, WRP 2009, 789; Hoffmann Unlauterer Wettbewerb und Art. 81 EG (2003); Hofmann Der Unterlassungsanspruch als Rechtsbehelf (2017); Hösch Der Einfluß der Freiheit des Warenverkehrs (Art. 30 EWGV) auf das Recht des unlauteren Wettbewerbs (1994); Howells Unfair commercial practices – future directions, in: Schulze/

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Schrifttum

Einleitung

Schulte-Nölke (Hrsg.) European Private Law – Current Status and Perspectives (2011), 133; Howells/Micklitz/Wilhelmsson European Fair Trading Law – the Unfair Commercial Practices Directive (2006); Hucke Erforderlichkeit der Harmonisierung des Wettbewerbsrechts (2001); Hüttebräucker Vorschlag für eine EU-Verordnung über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben in Bezug auf Lebensmittel – eine kritische Bestandsaufnahme, WRP 2004, 188; Incardona/Poncibò The average consumer, the unfair commercial practices directive, and the cognitive revolution, Journal of Consumer Policy 2007, 21; Isele Die Wettbewerbsverbote des § 1 UWG im Lichte der Dienstleistungsfreiheit nach Artt. 49 ff. EGV. Eine Untersuchung der Gemeinschaftsrechtskonformität der Großen Generalklausel des deutschen UWG (2002); Jänich Das Ende abstrakter Gefährdungstatbestände im Lauterkeitsrecht? – Anmerkung zu EuGH, Urt. v. 14. 1. 2010, Rs. C-304/08, GPR 2010, 149; von Jagow Auswirkungen der UWG-Reform 2008 auf die Durchsetzung wettbewerblicher Ansprüche im Gesundheitsbereich, GRUR 2010, 190; Joliet Das Recht des unlauteren Wettbewerbs und der freie Warenverkehr, GRUR Int. 1994, 1; ders. Der freie Warenverkehr: Das Urteil Keck und Mithouard und die Neuorientierung der Rechtsprechung, GRUR Int. 1994, 979; Jung Die Health Claims Verordnung – Neue Grenzen gesundheitsbezogener Werbung für Lebensmittel, WRP 2007, 389; Kebbedies Vergleichende Werbung (2005); Keirsbilck The New European Law of Unfair Commercial Practices and Competition Law (2011); Keßler Das System der Warenverkehrsfreiheit im Gemeinschaftsrecht (1997); ders. Vom Recht des unlauteren Wettbewerbs zum Recht der Marktkommunikation – Individualrechtliche und institutionelle Aspekte des deutschen und europäischen Lauterkeitsrechts, in: Krejci/Keßler/Augenhofer (Hrsg.) Lauterkeitsrecht im Umbruch (2005), 81 (siehe auch ders. WRP 2005, 1203); ders. Lauterkeitsschutz und Wettbewerbsordnung – zur Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken in Deutschland und Österreich, WRP 2007, 714; Keßler/Micklitz Die Harmonisierung des Lauterkeitsrechts in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und die Reform des UWG (2003); dies. Der Richtlinienvorschlag über unlautere Praktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr, BB 2003, 2073; dies. Das neue UWG – auf halbem Weg nach Europa, VuR 2009, 88; Kieninger Verbot des Multi-Level-Marketing in Deutschland – Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit des EG-Vertrages? EWS 1998, 277; Kingreen Die Struktur der Grundfreiheiten des EG-Rechts (1999); Kisseler Das deutsche Wettbewerbsrecht im Binnenmarkt, WRP 1994, 1; Kirchhoff Die UWG-Novelle 2015 – nur Kodifizierung der Rechtsprechung oder substantiell Neues?, WRP 2015, 659; Klauer Die Europäisierung des Privatrechts – der EuGH als Zivilrichter (1997); Klein Die Entwicklung des Rechts gegen unlauteren Wettbewerb in Spanien unter besonderer Berücksichtigung der Irreführung durch Unterlassen (2013); Kleist/Scheuer Neue Regelungen für audiovisuelle Mediendienste – Vorschriften zu Werbung und Jugendschutz und ihre Anwendung in den Mitgliedstaaten, MMR 2006, 206; Klug Die Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken in Spanien – Eine vergleichende Studie (2014); E. Koch Die Richtlinie gegen unlautere Geschäftspraktiken – Aggressives Geschäftsgebaren in Deutschland und England und die Auswirkungen der Richtlinie (2006); T. Koch GOOD NEWS aus Luxemburg? Förderung fremden Wettbewerbs ist keine Geschäftspraktik, FS Köhler (2014), 359; Köhler Irreführungsrichtlinie und deutsches Wettbewerbsrecht, GRUR Int. 1994, 396; ders. Was ist „vergleichende Werbung“? GRUR 2005, 273; ders. Zur Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2005, 793; ders. Das Verhältnis des Wettbewerbsrechts zum Recht des geistigen Eigentums – Zur Notwendigkeit einer Neubestimmung auf Grund der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2007, 548; ders. „Wettbewerbshandlung“ und „Geschäftspraktiken“ – Zur richtlinienkonformen Auslegung des Begriffs der Wettbewerbshandlung und zu seiner Definition im künftigen UWG, WRP 2007, 1393; ders. Vom deutschen zum europäischen Lauterkeitsrecht – Folgen der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken für die Praxis, NJW 2008, 3032; ders. Zur richtlinienkonformen Auslegung und Neuregelung der „Bagatellklausel“ in § 3 UWG, WRP 2008, 10; ders. Die Unlauterkeitstatbestände des § 4 UWG und ihre Auslegung im Lichte der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2008, 841; ders. Die UWG-Novelle 2008, WRP 2009, 109; ders. Der Schutz vor Produktnachahmung im Markenrecht, Geschmacksmusterrecht und neuen Lauterkeitsrecht, GRUR 2009, 445; ders. Unzulässige geschäftliche Handlungen bei Abschluss und Durchführung eines Vertrags, WRP 2009, 898; ders. Kopplungsangebote neu bewertet – Zugleich Besprechung der „Plus Warenhandelsgesellschaft“-Entscheidung des EuGH, GRUR 2010, 177; ders. Neujustierung des UWG am Beispiel der Verkaufsförderungsmaßnahmen, GRUR 2010, 767; ders. „Fachliche Sorgfalt“ – Der weiße Fleck auf der Landkarte des UWG, WRP 2012, 22; ders. Richtlinienkonforme Gesetzgebung statt richtlinienkonforme Auslegung: Plädoyer für eine weitere UWG-Novelle, WRP 2012, 251; ders. Die Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken in Deutschland – eine kritische Analyse, GRUR 2012, 1073; ders. Richtlinienumsetzung im UWG – eine unvollendete Aufgabe, WRP 2013, 403; ders. Zur geschäftlichen Relevanz unlauterer geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern, WRP 2014, 259; ders. UWG-Reform 2015: Im Regierungsentwurf nicht angesprochene Defizite bei der Umsetzung der UGP-Richtlinie, WRP 2015, 1037; ders. Alternativentwurf (UWG-AE) zum Regierungsentwurf (UWG-E) eines 2. Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, WRP 2015, 1311; ders. Verbraucher und Unternehmer – Zur Rollenverteilung im Lauterkeitsrecht, FS W.-H. Roth (2015), 299; Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig Vorschlag für eine Richtlinie zum Lauterkeitsrecht und eine UWG-Reform, WRP 2002, 1317; Köhler/Lettl Das geltende europäische Lauterkeitsrecht, der Vorschlag für eine EG-Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken und die UWG-Reform, WRP 2003,

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Einleitung

C. Europäisches Wettbewerbsrecht

1019; Körber Grundfreiheiten und Privatrecht (2004); Koos Europäischer Lauterkeitsmaßstab und globale Integration (1996); ders. Vergleichende Werbung und die Fesseln der Harmonisierung – Erweiterungen des Zulässigkeitsbereichs vergleichender Werbung im Lichte der Richtlinie 97/55/EG, WRP 2005, 1096; Koppensteiner Das UWG nach der Novelle 2007, WBl 2009, 1; Kort Schranken der Dienstleistungsfreiheit im europäischen Recht, JZ 1996, 132; Krimphove Europäisches Werberecht (2002); Kugelmann Werbung als Dienstleistung, EuR 2001, 363; Kunz-Hallstein/Loschelder Stellungnahme zum „Grünbuch zum Verbraucherschutz in der Europäischen Union“, GRUR 2002, 408; dies. Zum Vorschlag für eine Verordnung über „Verkaufsförderung im Binnenmarkt“, GRUR 2002, 410; dies. Stellungnahme zum Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern – KOM (2003) 356 endg., GRUR 2004, 215; Kur Die Harmonisierung des Lauterkeitsrechts durch Angleichungsmaßnahmen in angrenzenden Gebieten, in: Schricker/Henning-Bodewig (Hrsg.) Neuordnung des Wettbewerbsrechts (1999), 116; dies. Das Herkunftslandprinzip der E-CommerceRichtlinie: Chancen und Risiken, FS Erdmann (2002) 629; dies. Vorrangtheorie à la Luxemburg – Zu den Auswirkungen der Funktionsrechtsprechung und der Entscheidung Martin Y Paz/Gauquie, FS Köhler (2014), 383; Lampert/Niejahr/Kübler/Weidenbach EG-KartellVO – Praxiskommentar zur Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (2004); Langner/Klindt Technische Sicherheitsvorschriften und Normen in: Dauses/Ludwigs, EU-Wirtschaftsrecht, 44. Ergänzungslieferung (2018); Lehmann Zur Notwendigkeit einer maßvollen Liberalisierung des Wettbewerbsrechts, GRUR 1995, 380; ders. Electronic Commerce und Verbraucherschutz in Europa, EuZW 2000, 517; Leible Das neue deutsche UWG – Übersicht und erste Erfahrungen, in: Krejci/Keßler/Augenhofer (Hrsg.) Lauterkeitsrecht im Umbruch – Europa – Deutschland – Österreich (2005), 19; ders. Auswirkungen der UWG-Reform 2008 auf die Durchsetzung wettbewerblicher Ansprüche im Gesundheitsbereich – Die Bedeutung der black list“, GRUR 2010, 183; Leible/Schäfer Proaktive Informationspflichten aus Art. 7 UGP-RL, WRP 2012, 32; Leistner Unfair Competition or Consumer Protection? The Commission’s Unfair Commercial Practices Proposal 2003, in: Bell/Kilpatrick (Hrsg.) The Cambridge Yearbook of European Legal Studies 6 (2003–2004), 141; ders. Verbraucherschutz oder Recht des unlauteren Wettbewerbs? – Die aktuellen Initiativen der Europäischen Kommission auf dem Feld der unlauteren Geschäftspraktiken, in: Tietze/McGuire/Bendel/Kähler/Nickel/ Reich/Sachse/Wehling (Hrsg.) Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2004 – Europäisches Privatrecht – Über die Verknüpfung von nationalem und Gemeinschaftsrecht (2005), 185; ders. Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb (2007); ders. Behavioural Economics und Lauterkeitsrecht – Versuch einer Annäherung, ZGE 2009, 3; ders. Bestand und Entwicklungsperspektiven des Europäischen Lauterkeitsrechts, ZEuP 2009, 56; ders. in: Fleischer/Zimmer (Hrsg.) Beitrag der Verhaltensökonomie (Behavioral Economics) zum Handels- und Wirtschaftsrecht (2011), 122; Leistner/Pothmann E-Mail-Direktmarketing im neuen europäischen Recht und in der UWG-Reform, WRP 2003, 815; Lenz Unlauterer Wettbewerb und freier Warenverkehr in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, ZEuP 1994, 624; Lettl Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor irreführender Werbung in Europa (2004); ders. Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor irreführender Werbung in Europa, GRUR Int. 2004, 85; ders. Gemeinschaftsrecht und neues UWG, WRP 2004, 1079; Loosen „Großer Bruder“ statt „schöne neue Welt“ – nährwert- und gesundheitsbezogene Werbung für Lebensmittel nach Verabschiedung der Health-Claims-Verordnung, ZLR 2006, 521; Ludwig Irreführende und vergleichende Werbung in der Europäischen Gemeinschaft (1995); Lüder Die Grenzen der Keck-Rechtsprechung – Neue Entwicklungen im Bereich grenzüberschreitender Werbung im Binnenmarkt, EuZW 1996, 615; Lurger/Augenhofer Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht (2008); Lüttringhaus Vertragsfreiheit und ihre Materialisierung im Europäischen Binnenmarkt (2018); Mand EU- und grundrechtliche Vorgaben für die Anwendung und Auslegung des nationalen Werberechts, JZ 2010, 337; Mankowski Das Herkunftslandprinzip als Internationales Privatrecht der e-commerce-Richtlinie, ZVglRWiss 100 (2001), 137; ders. Herkunftslandprinzip und deutsches Umsetzungsgesetz zur ecommerce-Richtlinie, IPRax 2002, 257; ders. Ist die Bagatellklausel des § 3 UWG bei belästigender Werbung (§ 7 UWG) zu beachten?, WRP 2008, 15; ders. Die durch Marketing beeinflusste Willenserklärung – Wertungslinien zwischen Lauterkeitsrecht und Zivilrecht, FS Köhler (2014), 477; Mäsch Europäisches Lauterkeitsrecht – von Gesetzen und Würsten, EuR 2005, 625; Mäsch/Hesse Multi-Level-Marketing im straffreien Raum – Veränderungen der strafrechtlichen Beurteilung von Direktvertriebssystemen durch die UWG-Novelle 2004, GRUR 2010, 10; Massaguer El Nuevo Derecho contra Competencia Desleal – La Directiva 2005/29/CE sobre las Prácticas Comerciales Desleales (2006); Martens Methodenlehre des Unionsrechts (2013); Martin-Ehlers Die Irreführungsverbote des UWG im Spannungsfeld des freien europäischen Warenverkehrs (1996); Meier Produktspezifische Werberegeln in Deutschland und der Europäischen Gemeinschaft (1996); Meisterernst/Haber Die VO (EG) 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben – Neues Recht der Lebensmittelwerbung, WRP 2007, 363; Metzger Extra legem intra ius – Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Privatrecht (2009); ders. Die Entwicklung des Rechtsbruchtatbestands nach Umsetzung der UGPRichtlinie – ein Zwischenbericht, GRUR Int. 2015, 687; Meyer Europäischer Binnenmarkt und produktspezifisches Werberecht, GRUR Int. 1996, 697; Micklitz A General Framework Directive on Fair Trading, in: Collins (Hrsg.) The Forthcoming EC Directive on Unfair Commercial Practices – Contract, Consumer and Competition Law Implications (2004), 43; ders. Das Konzept der Lauterkeit in der Richtlinie 2005/29/EG, in: Liber amicorum Stauder (2006) 297; ders. Ver-

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Schrifttum

Einleitung

braucherschutz in: Dauses/Ludwigs (Hrsg.) Handbuch des EU-Wirtschaftsrecht, Loseblattsammlung, 44. Ergänzungslieferung (2018); ders. Full Harmonisation of Unfair Commercial Practices under Directive 2005/29, IIC 2009, 371; Micklitz/Keßler Europäisches Lauterkeitsrecht – Dogmatische und ökonomische Aspekte einer Harmonisierung des Wettbewerbsverhaltensrechts im europäischen Binnenmarkt, GRUR Int. 2002, 885; Micklitz/Schirmbacher Distanzkommunikation im europäischen Lauterkeitsrecht, WRP 2006, 148; Millarg Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG (2001); Möschel Einflüsse der europäischen auf die deutsche Wirtschaftsordnung, FS Zöllner (1999) 395; Möstl Grenzen der Rechtsangleichung im europäischen Binnenmarkt – Kompetenzielle, grundfreiheitliche und grundrechtliche Schranken des Gemeinschaftsgesetzgebers, EuR 2002, 318; ders. Wandel des Verbraucherleitbilds?, WRP 2014, 906; Münker Harmonisierung des Rechtsschutzes gegen unlauteren Wettbewerb in der Europäischen Union, WRP 1996, 990; Namyslowska Trifft die Schwarze Liste der unlauteren Geschäftspraktiken ins Schwarze? Bewertung im Lichte der EuGH-Rechtsprechung, GRUR Int. 2010, 1033; Nestoruk Das polnische und deutsche Lauterkeitsrecht auf dem Hintergrund der europäischen Harmonisierungsvorhaben – Beispiel der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, in: Dlugosz/Witkowski (Hrsg.) Perspektiven für Europa – eine neue Öffnung? – Perspectives of Europe – The New Opening? (2006), 95; Niemöller Das Verbraucherleitbild in der deutschen und europäischen Rechtsprechung. Verhandlungs- und Vertragsparität als Regelungsgehalt des § 3 UWG (1999); Nippe Belästigende Wettbewerbshandlungen – Tatbestände, Rechtfertigungsgründe, Rechtsprechung, WRP 2007, 19; Nordemann Irreführung und vergleichende Werbung in Europa, in: Schwarze (Hrsg.) Werbung und Werbeverbote im Lichte des europäischen Gemeinschaftsrechts (1999), 148; Obergfell Vollharmonisierung im Lauterkeitsrecht, in: Stürner (Hrsg.) Vollharmonisierung im Europäischen Verbraucherrecht? (2010), 159; Ohly Richterrecht und Generalklausel im Recht des unlauteren Wettbewerbs (1997); ders. Die Bemühungen um eine Rechtsvereinheitlichung auf EU-Ebene von den Anfängen bis zur Richtlinie über irreführende Werbung von 1984, in: Schricker/Henning-Bodewig (Hrsg.) Neuordnung des Wettbewerbsrechts (1998/99), 69; ders. Das Herkunftslandprinzip im Bereich vollständig angeglichenen Wettbewerbsrechts – Überlegungen zur Binnenmarktklausel der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken und zum BGH-Urteil „Arzneitmittelwerbung im Internet“, WRP 2006, 1401; ders. Bausteine eines Europäischen Lauterkeitsrechts – Zugleich Besprechung von Jochen Glöckner, Europäisches Lauterkeitsrecht, WRP 2008, 177; ders. Mehr oder weniger Leistungsschutz durch Europäisches Lauterkeitsrecht? in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.) Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009), 181; ders. Vom abstrakten zum konkreten Verbraucherschutz im Rahmen des Rechtsbruchtatbestands, FS Köhler (2014), 507; ders. Alternativentwurf („Große Lösung“) zum Regierungsentwurf eines 2. Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, WRP 2015, 1443; ders. Das neue UWG im Überblick, GRUR 2016, 3; ders. Der unionsrechtliche Rahmen der Haftung für die Verletzung lauterkeitsrechtlicher Verkehrspflichten, FS Ahrens (2016), 135; Oliver Some further reflections on the scope of Articles 28–30 (ex 30–36) EC, Common Market Law Review 36 (1999) 873; ders. Of Trailers and Jet Skis: Is the Case Law on Article 34 TFEU Hurtling in a New Direction? Fordham International Law Journal 33 (2011) 1423; Omsels Überlegungen zu einer Reform des Rechts der geografischen Herkunftsangaben in Deutschland, GRUR Int. 2009, 971; Otken Eriksson/Öberg, The Unfair Commercial Practices Directive in Context, in: Weatherhill/Bernitz (Hrsg.) The Regulation of Unfair Commercial Practices under EC Directive 2005/29 – New Rules and New Techniques (2007), 91; Peifer Die Zukunft der irreführenden Geschäftspraktiken, WRP 2008, 556; ders. Schutz ethischer Werte im Europäischen Lauterkeitsrecht oder rein wirtschaftliche Betrachtungsweise, in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.) Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009), 125; ders. Vergleichende Werbung und sonst nichts? WRP 2011, 1; ders. „Good News“ und die Medien – Die lauterkeitsrechtliche Kontrolle publizistischer Belange am Scheideweg?, FS Köhler (2014), 519; Peukert Güterzuordnung als Rechtsprinzip (2007); ders. Der Wandel der europäischen Wirtschaftsverfassung im Spiegel des Sekundärrechts – Erläutert am Beispiel des Rechts gegen unlauteren Wettbewerb, ZHR 173 (2009) 537; ders. Die Ziele des Primärrechts und ihre Bedeutung für das Europäische Lauterkeitsrecht: Auflösungserscheinungen eines Rechtsgebiets? in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.) Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009), 27; ders. Das Prinzip der Selbstverantwortung im Lauterkeitsrecht, in: Riesenhuber (Hrsg.) Das Prinzip der Selbstverantwortung (2011), 395; Pflüger Reichweite internationalrechtlicher Vorgaben, in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.) Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009), 65; ders. Der internationale Schutz gegen unlauteren Wettbewerb (2010); Piekenbrock Die Bedeutung des Herkunftslandprinzips im europäischen Wettbewerbsrecht, GRUR Int. 2005, 997; ders. Vorlagen an den EuGH nach Art. 267 AEUV im Privatrecht, EuR 2011, 317; Plaß Die gesetzliche Neuregelung der vergleichenden Werbung, NJW 2000, 3161; Podszun Der „more economic approach“ im Lauterkeitsrecht, WRP 2009, 509; ders. Spezielle Wettbewerbsförderung durch Europäisches Lauterkeitsrecht: Plädoyer für ein allgemeines Europäisches Wettbewerbsrecht, in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.) Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009), 151; Radeideh The Principle of Fair Trading in EC Law (2005); Ranacher Grundfreiheiten und Spürbarkeitstheorie, ZfRV 2001, 95; Rauber Quo vadis, „Keck“? – zum Problem von Verwendungsbeschränkungen im freien Warenverkehr, ZEuS 2010, 15; Reese Grenzüberschreitende Werbung in der Europäischen Gemeinschaft (1994); ders. Die „6-Korn-Eier“-Entscheidung des EuGH – Leitentscheidung für ein Leitbild? WRP 1998, 1035; Reich Zur Theorie des Europäischen Verbraucherrechts, ZEuP 1994, 381; ders. The „November

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Einleitung

C. Europäisches Wettbewerbsrecht

Revolution“ of the European Court of Justice: Keck, Meng and Audi revisited, Common Market Law Review 31 (1994) 459; ders. „Nutzungsbeschränkungen“ als „Verkaufsmodalitäten“ oder „Marktzugangssperren“? Kurzbesprechung der Schlussanträge des Generalanwalts Yves Bot vom 8. 7. 2008 in der Rechtssache C-110/05 (Kommission/Italien), EuZW 2008, 485; Reich/Micklitz Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. (2003); dies. AGB-Recht und UWG – (endlich) ein Ende des Kästchendenkens nach EuGH Pereničová und Invitel, EWS 2012, 257; Remien Grenzen der gerichtlichen Privatrechtsangleichung mittels der Grundfreiheiten des EG-Vertrages – Bemerkungen zu den Urteilen des EuGH vom 24. 11. 1993 (Keck und Mithouard) und 15. 12. 1993 (Hünermund u. a.), JZ 1994, 349; ders. Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG-Vertrages (2003); Reuthal Verstößt das deutsche Irreführungsverbot gegen Art 30 EGV? WRP 1997, 1154; Riehm Umsetzungsspielräume der Mitgliedstaaten bei vollharmonisierenden Richtlinien, in: Gsell/ Herresthal (Hrsg.) Vollharmonisierung im Privatrecht – Die Konzeption der Richtlinie am Scheideweg? (2010), 83; Riesenhuber System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts (2003); ders. Kein Zweifel für den Verbraucher, JZ 2005, 829; ders. § 11 Die Auslegung, in: Riesenhuber (Hrsg.) Europäische Methodenlehre, 3. Aufl. (2015), 316; Ritscher/ Beutler Vergleichende Werbung – die neue EU-Richtlinie im Vergleich mit dem schweizerischen Recht, sic! 1998, 261; Rösler Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004); ders. Auslegungsgrundsätze des Europäischen Verbraucherprivatrechts in Theorie und Praxis, RabelsZ 71 (2007) 495; ders. Primäres EU-Verbraucherrecht: Vom Römischen Vertrag bis zum Vertrag von Lissabon, EuR 2008, 800; ders. Europäische Gerichtsbarkeit auf dem Gebiet des Zivilrechts (2012); W.-H. Roth Zur Tragweite der Harmonisierung im Recht des unlauteren Wettbewerbs, FS Mestmäcker (1996) 725; ders. Freier Warenverkehr nach „Keck“, FS Großfeld (1999) 929; ders. Diskriminierende Regelungen des Warenverkehrs und Rechtfertigung durch die „zwingenden Erfordernissse“ des Allgemeininteresses, WRP 2000, 979; ders. Die richtlinienkonforme Auslegung, EWS 2005, 385; ders. Freier Dienstleistungsverkehr und Verbraucherschutz, VuR 2007, 161; Röthel Normkonkretisierung im Privatrecht (2004); dies. Vorwirkung von Richtlinien: Viel Lärm um selbstverständliches, ZEuP 2009, 34; Röttinger Verfahrensrechtliche Aspekte des RL-Vorschlags über „unlautere Geschäftspraktiken“, ecolex 2004, 78; Rüffler Der Einfluß des Europarechts auf das österreichische UWG, in: Koppensteiner (Hrsg.) Österreichisches und europäisches Wirtschaftsprivatrecht, Teil 6/2: Wettbewerbsrecht – UWG (1998); ders. Aspekte primärrechtskonformer und sekundärrechtskonformer Auslegung nationalen Lauterkeitsrechts, in: Schulze (Hrsg.) Auslegung europäischen Privatrechts und angeglichenen Rechts (1999), 97; Sack Auswirkungen der Art. 30, 36 und 59 ff. EG-Vertrag auf das Recht gegen den unlauteren Wettbewerb, GRUR 1998, 871; ders. Staatliche Werbebeschränkungen und die Art. 30 und 59 EG-Vertrag, WRP 1998, 103; ders. Die Berücksichtigung der Richtlinie 97/55/EG über irreführende und vergleichende Werbung bei der Anwendung der §§ 1 und 3 UWG, WRP 1998, 241; ders. Das Verbraucherleitbild und das Unternehmerleitbild im europäischen und deutschen Wettbewerbsrecht, WRP 1998, 264; ders. Die Präzisierung des Verbraucherleitbilds durch den EuGH, WRP 1999, 399; ders. Vergleichende Werbung nach der UWG-Novelle, WRP 2001, 327; ders. Irreführende vergleichende Werbung, GRUR 2004, 89; ders. Internationales Lauterkeitsrecht nach der Rom II-VO, WRP 2008, 845; ders. Die Warenverkehrsfreiheit nach Art. 34 AEUV und die Ungleichbehandlung von Inlands- und Importware, EWS 2011, 265; ders. Anmerkungen zur geplanten Änderung des UWG, WRP 2014, 1418; ders. Die Erheblichkeitsklauseln der UGP-RL 2005/29/EG und die UWG-Novelle, WRP 2015, 663; Säcker Das UWG zwischen den Mühlsteinen europäischer Harmonisierung und grundrechtsgebotener Liberalisierung, WRP 2004, 1199; Scherer Privatrechtliche Grenzen der Verbraucherwerbung (1996); dies. Die „wesentliche Beeinflussung“ nach der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, WRP 2008, 708; dies. Verleiten zum Vertragsbruch – Neukonzeption aufgrund § 4 Nr. 10 UWG und der RL-UGP, WRP 2009, 518; dies. Lauterkeitsrecht und Leistungsstörungsrecht – Veränderung des Verhältnisses durch § 2 I Nr. 1 UWG? WRP 2009, 761; dies. Der EuGH und der mündige Verbraucher – eine Beziehungskrise?, WRP 2013, 705; dies. Die Leerformel vom „hohen Verbraucherschutzniveau“, WRP 2013, 977; dies. Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal für die „Geschäftspraxis“ nach Art. 2 d) UGP, WRP 2014, 771; Schillig Konkretisierungskompetenz und Konkretisierungsmethoden im Europäischen Privatrecht (2009); Schlachter/Ohler (Hrsg.) Europäische Dienstleistungsrichtlinie (2008); Schlemmer Die Europäisierung des UWG (2005); Schmid Freier Dienstleistungsverkehr und Recht des unlauteren Wettbewerbs, dargestellt am Beispiel der Telefonwerbung (2000); Schmidtke Unlautere geschäftliche Handlungen bei und nach Vertragsabschluss (2011); Schmitz Die kommerzielle Kommunikation im Binnenmarkt im Lichte der neueren Rechtsprechung zur Warenverkehrsfreiheit (2000); Schreiber Wettbewerbsrechtliche Kennzeichenrechte? GRUR 2009, 113; Schricker Die europäische Angleichung des Rechts des unlauteren Wettbewerbs – ein aussichtsloses Unterfangen? GRUR Int. 1990, 771; ders. (Hrsg.) Recht der Werbung in Europa, 8. Ergänzungslieferung (2002); Schricker/Henning-Bodewig Elemente einer Harmonisierung des Rechts des unlauteren Wettbewerbs in der Europäischen Union, WRP 2001, 1367; dies. Stellungnahme des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht zum Grünbuch zum Verbraucherschutz in der EU KOM (2002) 531 endg., GRUR Int. 2002, 319; Schroeder Verbraucherleitbild – Verbraucherverantwortung – Verbrauchererziehung, ZLR 2002, 275; Schork Imitationsmarketing (2011); Schöttle Aus eins mach zwei – die neuen Generalklauseln im Lauterkeitsrecht, GRUR 2009, 546; Schuhmacher The Unfair Commercial Practices Directive, in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.) Law Against Unfair Competition – Towards a New Paradigm in Europe? (2007), 127;

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Schrifttum

Einleitung

Schulte-Nölke/Busch Der Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken KOM (2003) 356 endg., ZEuP 2004, 99; Schulte-Nölke/Twigg-Flesner/Ebers EG-Verbraucherrechtskompendium – Rechtsvergleichende Studie (2007); Schulze/Janssen Das Recht des unlauteren Wettbewerbs in den EU-Mitgliedstaaten, EuLF 2004, 77; Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.) Analysis of National Fairness Laws Aimed at Protecting Consumers in Relation to Commercial Practices (2003); Schwarze Werbung im Gemeinschaftsrecht – Rechtsbestand und Grundfragen, in: Schwarze (Hrsg.) Werbung und Werbeverbote im Lichte des europäischen Gemeinschaftsrechts (1999), 9; Schwarze/Becker/Hatje/Schoo EU-Kommentar, 4. Aufl. (2019); Seichter Der Umsetzungsbedarf der Richtlinie über unlauterer Geschäftspraktiken, WRP 2005, 1087; Skouris Werbung und Grundrechte in Europa – Ergebnisse einer rechtsvergleichenden Analyse, EuZW 1995, 438; Snell The Notion of Market Access: A Concept or a Slogan? Common Market Law Review 47 (2010) 437; Solbach Staatliche Regelungen von Verkaufsmodalitäten als Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen im Sinne des Art. 30 EGV (1996); Sosnitza Wettbewerbsbeschränkungen durch die Rechtsprechung – Erscheinungsformen und Ursachen auf dem Gebiet des Lauterkeitsrechts (1995); ders. Gesundheitsbezogene Werbung für Lebensmittel – Paradigmenwechsel in Europa, WRP 2003, 669; ders. Die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken – Voll- oder Teilharmonisierung? WRP 2006, 1; ders. Der Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, WRP 2008, 1014; ders. Die Generalklausel des Art. 5 II UGP – Totes Recht oder „undiscovered country“?, FS Köhler (2014), 685; ders. Der Regierungsentwurf zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, GRUR 2015, 318; Spaventa Leaving Keck behind? The free movement of goods after the rulings in Commission v Italy and Mickelsson and Roos, European Law Review 34 (2009) 914; Spengler Die Verbrauchergeneralklausel des UWG (2016); Springer Europäisches Gemeinschaftsrecht und die Auslegung des Irreführungsverbots gemäß § 3 UWG (1995); Steinbeck Zur europarechtskonformen Auslegung des Irreführungsverbots nach § 3 UWG, EWS 1996, 234; dies. Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken: Irreführende Geschäftspraktiken – Umsetzung in das deutsche Recht, WRP 2006, 632; dies. Die Zukunft der aggressiven Geschäftspraktiken, WRP 2008, 865; Steindorff Unlauterer Wettbewerb im System des EG-Rechts, WRP 1993, 139; ders. EG-Vertrag und Privatrecht (1996); Stock EU-Medienfreiheit – Kommunikationsgrundrecht oder Unternehmerfreiheit? K&R 2001, 289; Streinz (Hrsg.) Vertrag über die Europäische Union und Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, 3. Aufl. (2018); Streinz/Leible Die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten, EuZW 2000, 459; Strepp Irreführung und Verwechslungsgefahr – Einige dogmatische Aspekte des Verhältnisses von Wettbewerbs- und Markenrecht (2000); Stuby Unlautere Praktiken – Die neuen europäischen Vorgaben für das UWG (2007); Stuyck The Unfair Commercial Practices Directive and its Consequences for the Regulation of Sales Promotion and the Law of Unfair Competiton, in: Weatherhill/Bernitz (Hrsg.) The Regulation of Unfair Commercial Practices under EC Directive 2005/29 – New Rules and New Techniques (2007), 159; ders. Unfair competition law in the EU in the years to come in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.) European Private Law – Current Status and Perspectives (2011), 107; ders. Neuere Entwicklungen im belgischen Lauterkeitsrecht, GRUR Int. 2015, 899; Stuyck/Terryn/van Dyck Confidence through fairness? The new directive on unfair business-to-consumer commercial practices in the internal market, Common Market Law Review 43 (2006) 107; Tettenborn/Bender/Lübben/Karenfort Rechtsrahmen für den elektronischen Geschäftsverkehr – Kommentierung zur EG-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr und zum Elektronischen Geschäftsverkehr-Gesetz-EGG: Inhalt – Auswirkungen, Umsetzung in Deutschland, K&R Beilage 1 zu Heft 12/2001, 1; Thouvenin Funktionale Systematisierung von Wettbewerbsrecht (UWG) und Immaterialgüterrechten (2007); Tiller Gewährleistung und Irreführung – Eine Untersuchung zum Schutz des Verbrauchers bei irreführender Werbung (2005); Tilmann, Der „verständige“ Verbraucher, FS Piper (1996) 481; ders. Richtlinie vergleichende Werbung, GRUR 1997, 790; Timmermans Werbung und Grundfreiheiten, in: Schwarze (Hrsg.) Werbung und Werbeverbote im Lichte des europäischen Gemeinschaftsrechts (1999), 26; Schünemann „Unlauterkeit“ in den Generalklauseln und Interessenabwägung nach neuem UWG, WRP 2004, 925; Tonner/Tamm Zur Auslegung des europäischen Verbrauchervertragsrechts – insbesondere zur Auslegungsregel „in dubio pro consumatore“, Liber amicorum Stauder (2006) 527; Twigg-Flesner/Parry The Challenges Posed by the Implementation of the Directive into Domestic Law – a UK Perspective, in: Weatherhill/Bernitz (Hrsg.) The Regulation of Unfair Commercial Practices under EC Directive 2005/29 – New Rules and New Techniques (2007), 215; Ulbrich Irreführungs- und Verwechslungsgefahr im Lauterkeits- und Markenrecht – Empirische oder normative Feststellung (2005); Ullmann Die Europäische Union und das nationale Wettbewerbs- und Urheberrecht, JZ 1994, 928; Veelken Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen, EuR 1997, 311; ders. Kundenfang gegenüber dem Verbraucher, WRP 2004, 1; de Vrey Towards a European Unfair Competition Law – A Clash between Legal Families – A comparative study of English, German and Dutch law in light of existing European and international legal instruments (2006); Wagner-von Papp § 10 Wettbewerbsrecht, in: Langenbucher (Hrsg.) Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, 4. Aufl. (2017), 562; Walter Grundlagen und Reichweite des Transparenzgebotes bei Wettbewerbshandlungen (2008); Weatherhill After Keck: Some thought on how to clarify the clarification, Common Market Law Review 33 (1996) 885; ders. Who is the „Average Consumer“? in: Weatherhill/Bernitz (Hrsg.) The Regulation of Unfair Commercial Practices under EC Directive 2005/ 29 – New Rules and New Techniques (2007), 115; Weiler Spamming – Wandel des europäischen Rechtsrahmens, MMR

111

Heinze

Einleitung

C. Europäisches Wettbewerbsrecht

2003, 223; Weinand Europarecht und Recht gegen den unlauteren Wettbewerb – Entwicklung und Harmonisierung des Rechts gegen den unlauteren Wettbewerb (1998); Whittaker The Relationship of the Unfair Commercial Practices Directive to European and National Contract Laws, in: Weatherhill/Bernitz (Hrsg.) The Regulation of Unfair Commercial Practices under EC Directive 2005/29 – New Rules and New Techniques (2007), 139; Wiebe Die „guten Sitten“ im Wettbewerb – eine europäische Regelungsaufgabe? WRP 2002, 283; ders. Umsetzung der Geschäftspraktikenrichtlinie und Perspektiven für eine UWG-Reform, JBl 2007, 67; Wiltschek/Majchrzak Die UWG-Novelle 2007 – Die Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken in Österreich, ÖBl 2008, 4; Woger Die Schnittstellen zwischen Marken- und Wettbewerbsrecht im Licht der neuen Markenfunktionen (2015); Wunderle Verbraucherschutz im Europäischen Lauterkeitsrecht (2010); Wurmnest Markmacht und Verdrängungsmissbrauch, 2. Aufl. (2012); Wuttke Die Europäisierung des Wettbewerbsrechts – Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im lauterkeitsrechtlichen Irreführungsverbot (2005); ders. Die Bedeutung der Schutzzwecke für ein liberales Wettbewerbsrecht – Zugleich eine Anmerkung zu BGH I ZR 234/03 – Warnhinweis II, WRP 2007, 119.

Gesetzgebungsmaterialien Siehe die Darstellung zur Entstehungsgeschichte der Richtlinien 2005/29/EG (Rn. 235) und 2006/114/EG (Rn. 351–352).

Übersicht I. 1.

2.

3.

4.

5.

Allgemeine Lehren des Unionsrechts 3 Anwendungsvorrang und Effektivitätsgrund4 satz a) Anwendungsvorrang des Unions4 rechts 7 b) Geltungsvorrang des Primärrechts 8 c) Effektivitätsgrundsatz 9 d) Verfassungsrechtliche Grenzen 10 Unmittelbare Wirkung 11 a) Primärrecht 12 b) Verordnungen 13 c) Richtlinien aa) Richtlinienkonforme Ausle14 gung bb) Indirekte Wirkung von Richtli16 nien 17 Auslegung des Unionsrechts 18 a) Material des Auslegungsvorgangs 21 b) Wortlaut c) Rechtsaktimmanente und rechtsaktüber23 greifende Systematik 26 d) Sinn und Zweck 28 e) Entstehungsgeschichte 30 f) Rechtsvergleichung 31 Anwendung des Unionsrechts a) Tatsachenfeststellung und Subsum31 tion b) Konkretisierung von Generalklau32 seln 34 c) Einfluss des nationalen Rechts Das Vorabentscheidungsverfahren zum 35 EuGH 35 a) Vorlagerecht 38 b) Vorlagepflicht 38 aa) Letztinstanzliche Gerichte 40 bb) Gültigkeitszweifel 41 c) Wirkung von Vorabentscheidungen

Heinze

d) e) II. 1.

2. 3.

4. 5. 6.

III.

Verletzung der Vorlagepflicht 47 Rechtsbehelfe

43

Das Lauterkeitsrecht als Teil der europäischen 49 Wirtschaftsordnung Lauterkeitsrecht und Wettbewerbsre50 geln 52 a) Unterschiedlichkeit der Schutzziele 57 b) Sperrwirkung des Kartellrechts? c) Wertungstransfer und Widerspruchsfrei60 heit 62 Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten 65 Lauterkeitsrecht und Rechtsangleichung a) Lauterkeitsrecht und Verbraucher66 schutz aa) Marktfunktionaler Verbraucherschutz im allgemeinen Lauterkeits67 recht bb) Marktkorrigierender Verbraucherschutz im sektoriellen Lauterkeits69 recht cc) Verzahnung über die Richtlinie 2005/ 70 29/EG als allgemeiner Teil b) Lauterkeitsrecht und geistiges Eigen71 tum 75 Lauterkeitsrecht und Grundrechte 76 Lauterkeitsrecht und Staatsverträge Begriff des Europäischen Lauterkeits80 rechts a) Europäisches Lauterkeitsrecht als Marktver81 haltensrecht b) Europäisches Lauterkeitsrecht als rechtsschutzorientiertes Marktverhaltens86 recht 88 c) Andere Ansätze Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten

90

112

Übersicht

1.

2.

3.

113

Allgemeines 92 92 a) Vorrang des Sekundärrechts 94 b) Adressaten 98 c) Unionsbezug 102 d) Abgrenzung der Grundfreiheiten 104 Warenverkehrsfreiheit: Schutzbereich a) Die Dassonville-Formel: Unmittelbare oder mittelbare, tatsächliche oder potentielle 106 Handelsbehinderung 109 b) Grenzen der Dassonville-Formel aa) Handelsbehinderung zu ungewiss und zu mittelbar (Relevanzre110 gel) bb) Bestimmte Verkaufsmodalitäten 113 (Keck) (1) Produktbezogene Re114 geln (2) Bestimmte Verkaufsmodalitä115 ten (a) Verkaufsmodalitä116 ten (b) Rechtliche Universalität und tatsächliche Neutrali118 tät (c) Konsequenzen von Keck für das Lauterkeits123 recht 124 c) Die neue Drei-Stufen-Formel aa) Diskriminierende Maßnah127 men 127 (1) Begriff 129 (2) Beispiele (3) Relevanz für das Lauterkeits130 recht bb) Produktbezogene Regelun131 gen 131 (1) Begriff 132 (2) Beispiele (3) Relevanz für das Lauterkeits133 recht cc) Sonstige Marktzugangsbehinderun134 gen (1) Fortschreibung der Dassonville135 Formel (2) Integration der Relevanzfor136 mel (3) Integration der Keck-Dokt137 rin (4) Kriterien der Marktzugangsbe140 hinderung (5) Relevanz für das Lauterkeits143 recht 144 Warenverkehrsfreiheit: Rechtfertigung 147 a) Art. 36 AEUV 148 aa) Gesundheitsschutz

4.

5. IV. 1. 2. 3.

4.

Einleitung

bb) Schutz des gewerblichen und kom150 merziellen Eigentums cc) Öffentliche Sittlichkeit, Ordnung und 152 Sicherheit b) Zwingende Erfordernisse, insbesondere 154 Lauterkeit und Verbraucherschutz aa) Allgemeines zu den zwingenden Erfor154 dernissen bb) Das europäische Verbraucherleit159 bild cc) Irreführung und Informationsge163 bot (1) Information geht vor Vermark165 tungsverbot (2) Kein Verbraucherschutz vor 168 (wahrer) Information (3) Geringfügige oder nur abstrakt mögliche Irreführungen sind 173 hinzunehmen (4) Berücksichtigung aller Um174 stände dd) Belästigende und aggressive Ge175 schäftspraktiken 178 ee) Konkurrentenschutz c) Sonstiges kollidierendes Primär183 recht 184 Dienstleistungsfreiheit: Schutzbereich 185 a) Begriff der Dienstleistung b) Beeinträchtigung der Dienstleistungsfrei190 heit 197 Dienstleistungsfreiheit: Rechtfertigung 199 Lauterkeitsrecht und Grundrechte Anwendbarkeit europäischer Grund- und Men200 schenrechte 204 Verhältnis von EuGRCh und EMRK 205 Meinungs- und Informationsfreiheit 205 a) Überblick 208 b) Schutzbereich und Eingriff c) Rechtfertigung und Verhältnismäßig211 keit 213 aa) Gesetzlich vorgesehen 214 bb) Legitimer Zweck cc) In einer demokratischen Gesellschaft notwendig (Verhältnismäßig215 keit) (1) Unterscheidung von kommerzieller Kommunikation und Beiträgen von allgemeinem Inte216 resse 219 (2) Kritik dd) Gesichtspunkte der Verhältnismäßig224 keitsprüfung 226 d) Einzelfälle Freiheit der Kunst und der Wissen228 schaft

Heinze

Einleitung

5.

6. V. 1. 2.

C. Europäisches Wettbewerbsrecht

Freiheit der unternehmerischen Betäti229 gung 229 a) Schutzbereich und Eingriff 230 b) Rechtfertigung 231 Verbraucher- und Gesundheitsschutz 232 Lauterkeitsrecht und Rechtsangleichung 232 Allgemeines Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäfts235 praktiken 235 a) Entstehungsgeschichte 238 b) Regelungsziele aa) Schutz wirtschaftlicher Verbraucherin238 teressen bb) Verhältnis zur Binnenmarktintegra239 tion cc) Mittelbarer Schutz rechtmäßig han240 delnder Mitbewerber 241 dd) Allgemeininteressen 242 ee) Kritik c) Harmonisierungstiefe und Binnenmarktklau245 sel d) Systematische Stellung innerhalb des Uni250 onsrechts 253 e) Anwendungsbereich 255 aa) Geschäftspraktiken (1) Absatzförderung, Verkauf, Liefe258 rung (2) Unmittelbarkeitszusammen262 hang (3) Geschäftspraktiken ohne Unmittelbarkeitszusammen265 hang 267 (4) Bezugsförderung (5) Vor, während und nach Abschluss eines Handelsge268 schäfts bb) Von Unternehmen gegenüber Verbrau272 chern 273 (1) Den Gewerbetreibende 277 (2) Verbraucher cc) Mitbewerberschutz und gewerblicher 280 Geschäftsverkehr (1) Lediglich mitbewerberschützende 281 Vorschriften (2) Geschäftspraktiken, die sich auf ein Rechtsgeschäft zwischen Gewerbetreibenden bezie291 hen (3) Irreführende Werbung im unter294 nehmerischen Verkehr dd) Schutz anderer als wirtschaftlicher Ver295 braucherinteressen (1) Gesundheitsschutz und Produkt296 sicherheit

Heinze

(2)

3.

4.

5.

Privatsphäre und Daten299 schutz (3) Gesetzliche Anforderungen der guten Sitten und des An300 stands (4) Sonstige nicht-wirtschaftliche In304 teressen ee) Abgrenzung zu Nachbardisziplinen 308 des Lauterkeitsrechts (1) Vertragsrecht und individuelle Klagen geschädigter Verbrau309 cher 319 (2) Wettbewerbsregeln 320 (3) Geistiges Eigentum ff) Speziellere Vorschriften des besonde322 ren Marktordnungsrechts (1) Besondere Aspekte unlauterer Ge323 schäftspraktiken (2) Restriktivere nationale Maßnahmen für Haustürgeschäfte und 332 Werbefahrten (3) Regeln für reglementierte Be335 rufe (4) Finanzdienstleistungen und Im339 mobilien (5) Vergleichende Werbung und anerkannte Werbe- und Marketingme342 thoden f) Überblick über die Regelungsstruk344 tur 349 g) Umsetzung Richtlinie 2006/114/EG über irreführende und ver351 gleichende Werbung 351 a) Entstehungsgeschichte b) Regelungsziele und Harmonisierungs353 tiefe c) Systematische Stellung innerhalb des Uni355 onsrechts d) Anwendungsbereich und Regelungsstruk358 tur 359 aa) Werbung 360 bb) Irreführende Werbung 362 cc) Vergleichende Werbung 370 e) Umsetzung Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Ge371 schäftsverkehr a) Regelungsziele und Harmonisierungs371 tiefe 373 b) Anwendungsbereich 378 c) Bedeutung für das Lauterkeitsrecht 387 d) Umsetzung Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im 388 Binnenmarkt a) Regelungsziele und Harmonisierungs388 tiefe 390 b) Anwendungsbereich

114

Alphabetisches Stichwortverzeichnis

c)

6.

7.

Bedeutung für das Lauterkeitsrecht 393 aa) Verhältnis zur Richtlinie 2005/29/ 394 EG 395 bb) Dienstleistungsfreiheit 398 cc) Informationspflichten dd) Kommerzielle Kommunikation regle399 mentierter Berufe 400 d) Umsetzung Richtlinie 2010/13/EU über audiovisuelle Medien401 dienste a) Regelungsziele und Harmonisierungs401 tiefe 403 b) Anwendungsbereich c) Bedeutung für das Lauterkeits404 recht 411 d) Umsetzung Richtlinie 2011/83/EU über die Rechte der Verbrau412 cher

8. 9. 10.

11.

Einleitung

415 Richtlinie 98/6/EG über Preisangaben Richtlinie 2002/58/EG über Datenschutz in der 420 elektronischen Kommunikation 425 Rechtsdurchsetzung a) Richtlinien 2005/29/EG und 2006/114/ 425 EG b) Richtlinie 2009/22/EG über Unterlassungs433 klagen c) Verordnung 2017/2394 über die Zusammenarbeit der Verbraucherschutzbehör436 den d) Richtlinie 2000/31/EG über den elektroni438 schen Geschäftsverkehr e) Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der 444 Rechte des geistigen Eigentums f) Effektivitäts- und Äquivalenzgrund445 satz 447 Sektorspezifische Regelungen

Alphabetisches Stichwortverzeichnis Abgeleitetes Recht (EU-Recht) 2, 11 ff., 65 ff., 232 ff. 24 Aggressive Geschäftspraktiken 87, 175 ff., 238, 324, 344, 346 ff., 394 Allgemeinheit, Schutz der (EU-Recht) 152 f., 295 ff. Anerkennungsgrundsatz/-prinzip (freier Warenverkehr) 106, 125, 131 Angleichung, siehe Rechtsangleichung Anwendung des EU-Rechts 31 ff. Anwendungsvorrang 4 ff. – verfassungsrechtliche Grenzen 9 Arzneimittel 69, 117., 210, 225, 227, 296, 298, 409 f., 447 Äquivalenzprinzip (freier Warenverkehr) 106, 114, 131 ff. Äquivalenzprinzip (Rechtsdurchsetzung) 8, 445 ff. Arbeitsweise der Europäischen Union, Vertrag über die 2 Audiovisuelle Medien 401 ff. Ausländerdiskriminierung (EU-Recht, Grundfreiheiten) 118, 127 ff. Auslegung des EU-Rechts 17 ff. Auslegung (richtlinienkonforme) 14 f. Belästigende Geschäftspraktiken 175 ff., 344, 346 Beweislast 430 Binnenmarkt 26, 33, 49 ff., 63, 65 ff., 93, 238 ff., 245 ff., 353, 371, 388, 415 „Cassis de Dijon“ 106, 125 f., 131 ff. „Dassonville“ 106 ff., 135 – Handelsbehinderung 106 ff., 135 – Verkaufsmodalitäten 113 ff. – zu ungewiss und zu mittelbar 109 ff., 136 Datenschutz 299, 420 ff. Dienstleistungsfreiheit 184 ff., 388 ff.

115

– Beeinträchtigung 190 ff. – Begriff der Dienstleistung 185 ff. – elektronische Dienstleistungen 371 ff. – Rechtfertigung 197 f. – Schutzbereich 184 ff. – Werbung 193, 195 f. – Grundfreiheiten 118 ff., 127 ff. – und Lauterkeitsrecht 62 ff., 90, 306 Durchsetzung 425 ff. E-Commerce 371 ff.,387422 Effektivitätsgrundsatz (Auslegung) 8, 26 f., 434 Effektivitätsgrundsatz (Rechtsdurchsetzung) 445 f. EG-Vertrag 1, 49 Elektronischer Geschäftsverkehr 371 ff. EMRK und Lauterkeitsrecht 75, 199 ff., 216 ff. Entstehungsgeschichte (Auslegung des EURechts) 28 f. Erkennbarkeit von Werbung 409 f. Erschöpfung 150 f. Erwägungsgründe (Auslegung des EU-Rechts) 18, 26 EU-Vertrag 2, 49 Europäische Union 1 ff. Europäischer Gerichtshof (EuGH) 3, 35 ff. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) 199 ff. Europäischer Wirtschaftsraum (EWR) 1 Europäisches Lauterkeitsrecht (Begriff) 80 ff. EWG-Vertrag 49 Fernabsatz 373 ff., 412 Fernsehen, siehe audiovisuelle Medien Fernsehrichtlinie, siehe Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste Firmenrechte 150

Heinze

Einleitung

C. Europäisches Wettbewerbsrecht

Freie Meinungsäußerung 205 ff. Freier Dienstleistungsverkehr 49, 184 ff., 388 ff. Freier Warenverkehr 49, 104 ff. Freiheit der unternehmerischen Betätigung 229 ff. Freiheit der Wissenschaft und Kunst 228 Geistiges Eigentum – und Grundfreiheiten 150 ff. – und Lauterkeitsrecht 71 ff. Geltungsvorrang des Primärrechts 7 Generalklauseln, Konkretisierung (EU-Recht) 32 f. Geographische Angabe 150 Gerichtshof der Europäischen Union siehe EuGH Geschäftliche Äußerungen und Grundrechte 216 ff. Geschäftspraktiken 255 ff. Gesetzlicher Richter und Vorlageverfahren zum EuGH 43 ff. Gesundheitsschutz – als Schranke der Grundfreiheiten 148 ff. – Anwendungsbereich der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken 296 ff. Gewerbetreibender 273 ff. Gewerbliches Eigentum und Grundfreiheiten 150 f. Gewerbliche Schutzrechte und Lauterkeitsrecht 71 ff., 320 f.1 Grenzüberschreitender Bezug (Grundfreiheiten) 98 ff. Grundfreiheiten (siehe auch Warenverkehrsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit) – Abgrenzung der Grundfreiheiten 102 f. – Adressaten 94 ff. – grenzüberschreitender Bezug (Unionsbezug) 98 ff. – und Lauterkeitsrecht 62 ff., 90 ff. – Vorrang des Sekundärrechts 92 f. Grundrechte und Lauterkeitsrecht 75, 199 ff. Grundrechtecharta (EU-Recht) 75, 199 ff. Gültigkeitszweifel (Vorlagepflicht) 40 Handelsname 150, 357, 369 Harmonisierung 64 ff., 92 f. Herkunftsangabe 150 Herkunftslandprinzip – Grundfreiheiten 106, 114, 131 ff. – Richtlinie 2000/31/EG über elektronischen Geschäftsverkehr 379 ff. – Richtlinie 2010/13/EU über audiovisuelle Dienste 405 ff. – Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken 248 f. Immaterialgüterrecht und Lauterkeitsrecht 71 ff. Informationspflichten/Informationsgebot und Lauterkeitsrecht 163 ff., 316 f., 414 Inländerdiskriminierung 100 f. Internationale Verträge und Europäisches Lauterkeitsrecht 76 ff. Irreführende Werbung – Grundfreiheiten 163 ff. – Sekundärrecht 351 ff. Kartellrecht (EU-Recht)

Heinze

– Verhältnis zum Lauterkeitsrecht 50 ff. – Sperrwirkung 57 ff. – Wertungstransfer 60 „Keck“113 ff. Kennzeichnung (Grundfreiheiten) 165 ff. Klagebefugnis 85, 426 Kollektiver Rechtsschutz 433 ff. Kommerzielle Kommunikation 255, 399 Konkurrentenschutz 82, 178 ff., 280 ff. Lauterkeit des Handelsverkehrs und Grundfreiheiten 154 ff. Lauterkeitsrecht (Begriff im EU-Recht) 80 ff. Lebensmittel, 447 Letztinstanzliche Gerichte und Vorlagepflicht 38 f. Markenrecht – und Grundfreiheiten 150 – und Lauterkeitsrecht 71 ff., 320 f. – und vergleichende Werbung 357 Marketing und Grundfreiheiten (Euro-Marketing) 121 Marktverhaltensrecht 81 ff. Marktzugang (Grundfreiheiten) 63, 90, 100, 113, 118 f., 124 ff., 134 ff. Medienspezifische Regeln 371 ff., 388 ff. Meinungsfreiheit und Lauterkeitsrecht – Schutzbereich und Eingriff 208 ff. – Rechtfertigung 211 ff. – Verhältnismäßigkeit 211 ff. Menschenrechte und Lauterkeitsrecht 75, 199 ff. Mindestharmonisierung 5, 158, 246, 250, 294, 310, 331 ff., 351 ff., 372, 402, 409, 415, 425, 435 Nationales Recht (Auslegung des EU-Rechts) 34 Neue Formel (Grundfreiheiten) 124 ff. – diskriminierende Maßnahmen 127 ff. – produktbezogene Regelungen 131 ff. – sonstige Marktzugangsbehinderungen 134 ff. Öffentliche Ordnung 152 f., 300 ff. Pariser Verbandsübereinkunft und Europäisches Lauterkeitsrecht 76 ff. Patentrechte und Grundfreiheiten 150 ff. Preisangaben 415 ff. Pressefreiheit und Lauterkeitsrecht 205 ff. Primärrecht – Auslegung, primärrechtskonforme 24 Produktbezogene Regeln (Grundfreiheiten) 131 ff. Rechtsangleichung – und geistiges Eigentum 71 ff. – und Lauterkeitsrecht 65 ff., 232 ff. – und Verbraucherschutz 66 ff., 238 Rechtsbehelfe (bei Lauterkeitsverstößen) 425 ff. Rechtsbehelfe (bei Verletzung der Vorlagepflicht) 47 f. Rechtsdurchsetzung 425 ff. Rechtsvergleichung (Auslegung des EU-Rechts) 30 Rechtsschutzorientierung des Lauterkeitsrechts 86 f. Relevanzformel (Grundfreiheiten) 110 ff., 136 Richtlinie – richtlinienkonforme Auslegung 14 f.

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Alphabetisches Stichwortverzeichnis

– indirekte Wirkung 16 – 84/450/EWG über irreführende Werbung 351 ff. – 97/7/EG über vergleichende Werbung 351 ff. – 98/6/EG über Preisangaben 415 ff. – 2000/31 über den elektronischen Geschäftsverkehr 371 ff. – 2002/58/EG über Datenschutz in der elektronischen Kommunikation 420 ff. – 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken 235 ff. – 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung 351 ff. – 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt 388 ff. – 2010/13/EU über audiovisuelle Mediendienste 401 ff. – 2011/83/EU über die Rechte der Verbraucher 412 ff. – 2019/2161 zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der Verbraucherschutzvorschriften 236, 310, 427 f. Sanktionen 425 ff. Schleichwerbung 409 f. Schutzzweck des Lauterkeitsrechts 66 ff., 80 ff. Sektorspezische Regeln 447 Sekundärrecht – und Lauterkeitsrecht 65 ff., 232 ff. – Vorrang (Grundfreiheiten) 92 f. Spürbarkeit (Grundfreiheiten) 110, 112 Staatsverträge – Auslegung des EU-Rechts 25 – und Europäisches Lauterkeitsrecht 76 Systematik (Auslegung des EU-Rechts) 23 ff. Tatsachenfeststellung (Anwendung des EURechts) 31 ff. Trennungsgebot 409 f. Unionsbezug (Grundfreiheiten) 98 ff. Unionsrecht 1 ff. Unlauterer Wettbewerb und Dienstleistungsfreiheit 62 ff., 184 ff. Unlauterer Wettbewerb und Grundrechte 75, 199 ff. Unlauterer Wettbewerb und Harmonisierung 65 ff., 232 ff. Unlauterer Wettbewerb und Warenverkehrsfreiheit 62 ff., 104 ff. Unmittelbare Wirkung – EU-Recht 10 ff. – Staatsverträge 76 ff. Urheberrechte und Grundfreiheiten 150 Unternehmer, Begriff 273 ff. Unternehmerfreiheit – Schutzbereich und Eingriff 229 – Rechtfertigung 230 Ursprungsangabe 150 Verbandsklage 433 ff. Verbraucher, Begriff 277 ff.

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Einleitung

Verbraucher, Richtlinie über die Rechte der 412 ff. Verbraucherleitbild 159 ff., 361 Verbraucherschutz – und Grundrechtecharta 231 – und Primärrecht 66 – und Rechtsangleichung 66 ff. Verbraucherschutz und Lauterkeitsrecht – marktfunktionaler Verbraucherschutz 67 f. – marktkorrigierender Verbraucherschutz 68 f. Verbraucherverbände 85, 433 Vergleichende Werbung 362 ff. Verkaufsmodalitäten 115 ff. Verordnung 12 Verwechslungsgefahr 163, 178, 283, 321, 357, 369 Vollharmonisierung 64, 91, 158, 245 Vorabentscheidungsverfahren zum EuGH 35 ff. Vorlagerecht und Vorlagepflicht 35 ff. – letztinstanzliche Gerichte 38 – Gültigkeitszweifel 40 Vorrang (EU-Recht) 4 f. Vorrang des Sekundärrechts 92 Warenkennzeichnung 165 ff. Warenverkehrsfreiheit – Beeinträchtigung 106 ff. – Dassonville-Formel 106 ff. – diskriminierende Maßnahmen 118, 127 ff. – Handelsbehinderung 106 ff. – Keck-Formel 113 ff. – Marktzugangsbehinderungen 63, 90, 118 f., 134 ff. – Maßnahmen gleicher Wirkung 106 – produktbezogene Regelungen 131 ff. – Relevanzformel 110 ff., 136 – Schutzbereich 104 ff. – Werbung 117, 119, 121, 149 – Zwingende Erfordernisse 154 ff. Werbung – aggressive 175 ff., 334 – belästigende 175, 300 ff. – Erkennbarkeit 409 f. – irreführende 360 – Schleichwerbung 409 f. – vergleichende 362 Wettbewerbsregeln (Art. 101 ff. AEUV) 50 ff. Wettbewerbsschutz 49, 84 Wirkung, unmittelbare (EU-Recht) 10 ff. Wirtschaftsordnung, europäische und Lauterkeitsrecht 49 Wortlaut (Auslegung des EU-Rechts) 21 f. Zweck (Auslegung des EU-Rechts) 26 f. Zwingende Erfordernisse – Irreführung und Informationsgebot 163 ff. – Konkurrentenschutz 178 ff. – Verbraucherschutz/Verbraucherleitbild 154 ff., 159 ff.

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Einleitung

C. Europäisches Wettbewerbsrecht

Seit dem Vertrag von Lissabon1 und der letzten Erweiterung2 der Europäischen Union (EU) sowie dem Austritt des Vereinigten Königreichs3 erfasst der europäische Integrationsprozess 27 Mitgliedstaaten und verbindet diese – gemeinsam mit den eng assoziierten Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums4 (EWR) – zum größten integrierten Wirtschaftsraum der Welt.5 Dieser Wirtschaftsraum wird geprägt durch das supranationale Recht der Europäischen Union (Unionsrecht), das sich als eine vom nationalen Recht der Mitgliedstaaten zu unterscheidende „neue Rechtsordnung“ versteht, die in vielen Fällen unmittelbare Wirkung hat und im Verhältnis zum Recht der Mitgliedstaaten Anwendungsvorrang genießt.6 Das Unionsrecht gliedert sich in das in erster Linie7 in dem Vertrag über die Europäische 2 Union8 (EUV) und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union9 (AEUV) sowie der Charta der Grundrechte der Europäischen Union10 (EuGRCh) niedergelegte europäische Primärrecht und das durch die Organe der Union geschaffene abgeleitete Recht (Sekundärrecht) in Gestalt von Verordnungen, Richtlinien, Beschlüssen, Empfehlungen und Stellungnahmen (Art. 288 AEUV). Das Lauterkeitsrecht wird durch beide Regelungsebenen beeinflusst, wobei sich insbesondere die Einflüsse der Grundfreiheiten, der europäischen Grundrechte und der Rechtsangleichung unterscheiden lassen. Vor einem Blick auf diese Einzelfelder soll aber zunächst auf die für die Rechtsanwendung bedeutsamen allgemeinen Lehren des Unionsrechts und die Stellung des Lauterkeitsrechts innerhalb der europäischen Wirtschaftsordnung eingegangen werden. 1

1 Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, unterzeichnet in Lissabon am 13. Dezember 2007, ABl. C 306 vom 17. 12. 2007, S. 1. 2 Zum 1. 7. 2013 ist Kroatien beigetreten. Es laufen (noch) Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, Serbien und Montenegro, die Staaten Nordmazedonien und Albanien sind Kandidatenländer, die übrigen Staaten des westlichen Balkans gelten als potentielle Kandidaten, Island zog am 12. 3. 2015 den Beitrittsantrag zurück, zum Stand https:// ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/countries/check-current-status_en. 3 Siehe das Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft, ABl. L 29 vom 31. 1. 2020, S. 7. 4 Zum EWR zählen gegenwärtig Island, Liechtenstein und Norwegen. Zahlreiche Regeln des Primär- und Sekundärrechts wurden auf den EWR erstreckt, darunter auch die Grundfreiheiten und die Richtlinien 2005/29/EG und 2006/ 114/EG, siehe Art. 8, 28, 31, 36, 40 und Anhang XVII (Geistiges Eigentum) und XIX (Verbraucherschutz) des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, ABl. L 1 vom 3. 1. 1994, S. 3 sowie die Beschlüsse Nr. 93/2006 (ABl. L 289 vom 19. 10. 2006, S. 34) und Nr. 34/2010 (ABl. L 143 vom 10. 6. 2010, S. 29) des Gemeinsamen EWR-Ausschusses. Die Schweiz ist mit dem Binnenmarkt durch bilaterale Verträge verbunden, dazu https://www.eda.admin.ch/ dea/de/home/bilaterale-abkommen/ueberblick.html. Zum Einfluss des europäischen auf das schweizerische Lauterkeitsrecht Heizmann/Loacker/Mayer § 3 Rn. 29. 5 Zur Entwicklung bis zum Vertrag von Maastricht Erstauflage/Schricker Einl F 318 f. 6 EuGH (Plenum) 8. 3. 2011 – Gutachten 1/09 – Slg. I 2011, 1142 Tz. 65 – Einheitliches Patentgerichtssystem. 7 Daneben existieren auch ungeschriebene allgemeine Rechtsgrundsätze im Rang des Primärrechts, z. B. der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, EuGH (Große Kammer) 8. 6. 2010 – C-58/08 – Slg. 2010, I-4999 Tz. 51 – Vodafone; EuGH (Große Kammer) 29. 5. 2018 – C-426/16 – NVwZ 2018, 1283 Tz. 38 – Vlaams Gewest; BVerfG 6. 7. 2010 – 2 BvR 2661/ 06 – BVerfGE 126, 286 Tz. 63. Allerdings ist nicht jedem allgemeinen Rechtsgrundsatz im Unionsrecht auch der Rang des Primärrechts zuzubilligen, Basedow AcP 210 (2010) 153, 178 ff.; eingehend Metzger Extra legem intra ius – Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Privatrecht (2009). 8 Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Europäische Union, ABl. C 83 vom 10. 3. 2010, S. 13. 9 Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. C 83 vom 10. 3. 2010, S. 47; zum Zusammenhang der Verträge Art. 1 UAbs. 3 EUV. 10 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. C 83 vom 10. 3. 2010, S. 389; zur Einbeziehung in das Primärrecht Art. 6 Abs. 1 EUV.

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I. Allgemeine Lehren des Unionsrechts

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I. Allgemeine Lehren des Unionsrechts Das Recht der Europäischen Union stellt eine gegenüber dem Recht der Mitgliedstaaten eigen- 3 ständige Rechtsordnung dar, „zu deren Gunsten die Staaten … ihre Souveränitätsrechte eingeschränkt haben und deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch deren Bürger sind“.11 Die wesentlichen Merkmale dieser Rechtsordnung sind ihr Anwendungsvorrang im Verhältnis zum Recht der Mitgliedstaaten, die unmittelbare Wirkung zahlreicher ihrer Bestimmungen und die Verpflichtung zur europäisch-autonomen Auslegung ihrer Vorschriften.12 Die Wahrung des Unionsrechts ist gemeinsam dem Gerichtshof der Europäischen Union13 (EuGH) und den Gerichten der Mitgliedstaaten anvertraut, die durch die unmittelbare Anwendung des Unionsrechts und den Dialog mit dem EuGH über das Vorabentscheidungsverfahren an der ordnungsgemäßen Anwendung und einheitlichen Auslegung des Unionsrechts sowie am Schutz der den Einzelnen von dieser Rechtsordnung gewährten Rechte mitwirken.14

1. Anwendungsvorrang und Effektivitätsgrundsatz a) Anwendungsvorrang des Unionsrechts. Wesentliches Charakteristikum des Unionsrechts 4 ist zunächst sein Anwendungsvorrang gegenüber dem Recht der Mitgliedstaaten,15 der die einheitliche Geltung und Anwendung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten sichert.16 Dieser Vorrang ist umfassend, so dass das Unionsrecht dem mitgliedstaatlichen Recht jeder Regelungsebene bis hinauf zum nationalen Verfassungsrecht vorgeht (zu verfassungsrechtlichen Grenzen unten Rn. 9).17 Voraussetzung für ein Eingreifen des Anwendungsvorrangs in einem zivilrechtlichen Verfahren ist allerdings, dass die betreffende Vorschrift des Unionsrechts auch unmittelbar anwendbar ist (unten Rn. 9 ff.). Als weitere Folge des Anwendungsvorrangs ist jedes nationale Gericht zur Nichtanwendung nationalen Rechts auch ohne Vorlage an den EuGH befugt, wenn es der Auffassung ist, dass die nationale Norm im konkreten Fall mit einer unmittelbar anwendbaren Norm des Unionsrechts konfligiert.18 Raum für eine ergänzende Anwendung der deutschen Grundrechte bleibt damit nur dort, 5 wo das Unionsrecht den Mitgliedstaaten einen Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung von Verordnungen oder Richtlinien in nationales Recht belässt (z. B. durch Öffnungsklauseln, Begrenzungen des Anwendungsbereichs oder – bei Richtlinien – die Mindestharmonisierung), 11 EuGH (Plenum) 8. 3. 2011 – Gutachten 1/09 – Slg. I 2011, 1142 Tz. 65 – Einheitliches Patentgerichtssystem; EuGH (Große Kammer) 6. 3. 2018 – C-284/16 – NJW 2018, 1663 Tz. 33 – Achmea: „Autonomie des Rechtssystems der Union“; bereits EuGH 6. 4. 1962 – 13/61 – Slg. 1962, 91, 110 – Bosch: innerstaatliches Recht und Recht der Gemeinschaft „zwei selbständige, voneinander verschiedene Rechtsordnungen“; EuGH 5. 2. 1963 – 26/72 – Slg. 1963, 3, 25 – van Gend & Loos. Zur Struktur des Europäischen Privatrechts Metzger Extra legem intra ius – Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Privatrecht (2009), S. 111 ff.; Basedow AcP 210 (2010) 157, 164 ff. 12 EuGH (Große Kammer) 6. 3. 2018 – C-284/16 – NJW 2018, 1663 Tz. 33, 35 – Achmea. 13 Das Gericht der Europäischen Union (EuG) ist für das Lauterkeitsrecht nicht relevant. 14 EuGH (Plenum) 8. 3. 2011 – Gutachten 1/09 – Slg. I 2011, 1142 Tz. 66, 83–85 – Einheitliches Patentgerichtssystem. 15 EuGH 15. 7. 1964 – 6/64 – Slg. 1964, 1251, 1269 – Costa; EuGH (Plenum) 8. 3. 2011 – Gutachten 1/09 – Slg. I 2011, 1142 Tz. 65 – Einheitliches Patentgerichtssystem; siehe auch die 17. Erklärung zum Vorrang als Teil der Erklärungen zur Schlussakte der Regierungskonferenz, die den am 13. Dezember 2007 unterzeichneten Vertrag von Lissabon angenommen hat, ABl. C 115 vom 9. 5. 2008, S. 344. 16 BVerfG 6. 11. 2019 – 1 BvR 276/17 – NJW 2020, 314 Tz. 44 – Recht auf Vergessen II. 17 EuGH 9. 3. 1978 – 106/77 – Slg. 1978, 629 Tz. 16 – Simmenthal: „jede entgegenstehende Bestimmung des geltenden staatlichen Rechts ohne weiteres unanwendbar“; EuGH 19. 6. 1990 – C-213/89 – Slg. 1990, I-2433 Tz. 19 ff. – Factortame. 18 EuGH (Große Kammer) 19. 1. 2010 – C-555/07 – Slg. 2010, I-365 Tz. 55 – Kücükdeveci; EuGH 20. 10. 2011 – C-396/ 09 – Slg. 2011, I-9915 Tz. 38 – Interedil.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

also das Handeln eines Mitgliedstaats nicht vollständig19 durch das Unionsrecht bestimmt wird (zu verfassungsrechtlichen Grenzen unten Rn. 9).20 Soweit den Mitgliedstaaten Spielräume für die eigene Gestaltung verbleiben, gleichzeitig das Unionsrecht für diese Gestaltung aber einen hinreichend gehaltvollen Rahmen setzt, treten die Unionsgrundrechte zu den Grundrechtsgewährleistungen des Grundgesetzes hinzu.21 In diesen Fällen der „Grundrechtskumulation“ übt das BVerfG seine Prüfungskompetenz allerdings primär am Maßstab des Grundgesetzes aus,22 weil die Vermutung besteht, dass durch eine Prüfung am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes das Schutzniveau der Charta, wie sie vom EuGH ausgelegt wird, in der Regel mitgewährleistet ist,23 wobei die Grundrechte des Grundgesetzes (auch) im Lichte der Charta auszulegen sind.24 Eine Prüfung allein am Maßstab der deutschen Grundrechte ist indes dann nicht ausreichend, wenn konkrete und hinreichende Anhaltspunkte vorliegen, dass hierdurch das grundrechtliche Schutzniveau des Unionsrechts ausnahmsweise nicht gewährleistet ist; dann ist eine Prüfung innerstaatlichen Rechts, das der Durchführung des Unionsrechts dient, auch unmittelbar an den Grundrechten der Charta geboten.25 Soweit den Mitgliedstaaten demgegenüber keine Gestaltungsspielräume verbleiben – was 6 auch im Anwendungsbereich vollharmonisierender Richtlinien wie der Richtlinie 2005/29/EG der Fall sein kann26 –, sind der Unionsrechtsakte (etwa die Richtlinie) und auch das seiner Umsetzung bzw. Durchführung (Art. 51 Abs. 1 EuGRCh) dienende nationale Umsetzungsgesetz (UWG) ausschließlich an den Unionsgrundrechten zu messen,27 deren Einhaltung allerdings nach jüngster Rechtsprechung auch das BVerfG im Verfahren der Verfassungsbeschwerde überwacht.28 Prozessual bemerkenswert ist in diesem Zusammmenhang, dass es für die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt der Beschwerdebefugnis offenbar ausreichend ist, dass ein Beschwerdeführer lediglich die Grundrechte des Grundgesetzes und nicht 19 Zur Unterscheidung zwischen vollständig vereinheitlichtem und gestaltungsoffenem Unionsrecht BVerfG 6. 11. 2019 – 1 BvR 276/17 – NJW 2020, 314 Tz. 77 ff. – Recht auf Vergessen II.

20 EuGH (Große Kammer) 26. 2. 2013 – C-617/10 – EuZW 2013, 302 Tz. 29 – Åkerberg Fransson (mit dem Vorbehalt, dass die Anwendung der nationalen Grundrechte weder das Schutzniveau der Charta noch den Vorrang, die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigen darf); EuGH (Große Kammer) 26. 2. 2013 – C-399/11 – NJW 2013, 1215 Tz. 56 ff., 60 – Melloni; EuGH (Große Kammer) 29. 7. 2019 – C-476/17 – GRUR 2019, 929 Tz. 80 f.– Pelham. Aus Sicht des deutschen Verfassungsrechts BVerfG 6. 11. 2019 – 1 BvR 16/13 – NJW 2020, 300 Tz. 42, 48, 49 ff. – Recht auf Vergessen I (mit stärkerer Betonung des Umstands, dass das Schutzniveau der Charta bei unionsrechtlich belassenen Gestaltungsspielräumen der Mitgliedstaaten „regelmäßig nicht auf eine Einheitlichkeit des Grundrechtsschutzes“ ziele, (Tz. 51); BVerfG 6. 11. 2019 – 1 BvR 276/17 – NJW 2020, 314 Tz. 42 ff. – Recht auf Vergessen II. 21 BVerfG 6. 11. 2019 – 1 BvR 16/13 – NJW 2020, 300 Tz. 44 – Recht auf Vergessen I. 22 BVerfG 6. 11. 2019 – 1 BvR 16/13 – NJW 2020, 300 Tz. 45 ff. – Recht auf Vergessen I. 23 BVerfG 6. 11. 2019 – 1 BvR 16/13 – NJW 2020, 300 Tz. 55 ff. – Recht auf Vergessen I. 24 BVerfG 6. 11. 2019 – 1 BvR 16/13 – NJW 2020, 300 Tz. 60 ff. – Recht auf Vergessen I. 25 BVerfG 6. 11. 2019 – 1 BvR 16/13 – NJW 2020, 300 Tz. 63 ff. – Recht auf Vergessen I. 26 Auch durch Richtlinien kann (ausnahmsweise) eine vollständige Vereinheitlichung erreicht werden, was letztlich vom konkreten Inhalt der Richtlinie abhängt, BVerfG 6. 11. 2019 – 1 BvR 276/17 – NJW 2020, 314 Tz. 38 f. – Recht auf Vergessen II. 27 Vgl. EuGH (Große Kammer) 26. 2. 2013 – C-617/10 – EuZW 2013, 302 Tz. 29 – Åkerberg Fransson: „Hat das Gericht eines Mitgliedstaats zu prüfen, ob mit den Grundrechten eine nationale Vorschrift oder Maßnahme vereinbar ist, die in einer Situation, in der das Handeln eines Mitgliedstaats nicht vollständig durch das Unionsrecht bestimmt wird, das Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta durchführt, steht es somit den nationalen Behörden und Gerichten weiterhin frei, nationale Schutzstandards für die Grundrechte anzuwenden, sofern durch diese Anwendung weder das Schutzniveau der Charta, wie sie vom Gerichtshof ausgelegt wird, noch der Vorrang, die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigt werden“ (Hervorhebung nicht im Original). Der EuGH geht also davon aus, dass bei „vollständiger“ Bestimmung des mitgliedstaatlichen Handelns durch das Unionsrecht der Rückgriff auf nationale Grundrechtsstandards ausgeschlossen ist. Aus Sicht des deutschen Verfassungsrechts ebenso BVerfG 6. 11. 2019 – 1 BvR 276/17 – NJW 2020, 314 Tz. 44 ff. – Recht auf Vergessen II; zu den Konsequenzen für die Verbürgung der Vertragsfreiheit Lüttringhaus S. 7 ff. 28 BVerfG 6. 11. 2019 – 1 BvR 276/17 – NJW 2020, 314 Tz. 50 ff. – Recht auf Vergessen II.

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I. Allgemeine Lehren des Unionsrechts

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die Grundrechte der Charta nennt, solange in der Sache substanziiert zur Grundrechtsverletzung vorgetragen wird.29

b) Geltungsvorrang des Primärrechts. Innerhalb des Unionsrechts geht das Primärrecht dem 7 sekundären Recht vor (vgl. Art. 267 Abs. 1 lit. b AEUV). Dies verpflichtet nicht nur zur primärrechtskonformen Auslegung des Sekundärrechts, sondern kann in letzter Konsequenz auch zur Ungültigkeit der primärrechtswidrigen Bestimmungen des Sekundärrechtsaktes30 und ggfs. auch des nationalen Umsetzungsgesetzes31 führen. Allerdings haben die nationalen Gerichte insofern das Verwerfungsmonopol des Gerichtshofs zu beachten und müssen in Hauptsacheverfahren die Gültigkeitsfrage dem EuGH vorlegen, bevor sie den Sekundärrechtsakt nicht anwenden (unten Rn. 38).32

c) Effektivitätsgrundsatz. Neben der Wahrung des Anwendungsvorrangs sind die nationalen 8 Gerichte gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV gehalten, gemeinsam mit dem Gerichtshof „die volle Anwendung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten und den Schutz der Rechte zu gewährleisten, die den Einzelnen aus diesem Recht erwachsen“.33 Den nationalen Gerichten kommt damit neben dem EuGH die Aufgabe zu, die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts im Allgemeinen34 und die effektive und gegenüber vergleichbaren Regeln des nationalen Rechts gleichwertige (äquivalente) Durchsetzung des Unionsrechts im Besonderen sicherzustellen.35 Der Effektivitätsgrundsatz erfordert eine wirksamkeitsorientierte Auslegung des Unionsrechts36 und eine unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts.37 Darüber hinaus erweitert er den Wir29 BVerfG 6. 11. 2019 – 1 BvR 276/17 – NJW 2020, 314 Tz. 84 – Recht auf Vergessen II: „Dass sie insoweit die Grundrechte des Grundgesetzes und nicht die Grundrechte der Charta nennt, ist unschädlich. Wird nur die falsche Norm benannt, aber in der Sache substanziiert vorgetragen, wird hierdurch die Verfassungsbeschwerde nicht unzulässig. Die richtige Rechtsanwendung ist vielmehr Aufgabe des BVerfG.“ 30 EuGH 4. 2. 1988 – 157/86 – Slg. 1988, 673 Tz. 11 – Murphy; siehe auch EuGH (Große Kammer) 1. 3. 2011 – C-236/ 09 – Slg. 2011, I-773 Tz. 34 – Test-Achats; EuGH (Große Kammer) 29. 5. 2018 – C-426/16 – NVwZ 2018, 1283 Tz. 38 – Vlaams Gewest. 31 Bei den Konsequenzen für das nationale Umsetzungsgesetz hängt es davon ab, worauf die Ungültigkeit des Sekundärrechtsaktes beruht: Liegt ein Verstoß gegen Unionsgrundrechte vor, so führt dies, da auch die nationalen Gesetzgeber bei Durchführung des Unionsrechts an die Unionsgrundrechte gebunden sind (Art. 51 Abs. 1 EuGRCh), zur Unanwendbarkeit auch des nationalen Umsetzungsgesetzes, Wernsmann NZG 2011, 1241, 1243; str. ist allerdings, ob dies nur das BVerfG nach Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GG feststellen darf, so BVerfG 13. 3. 2007 – 1 BvF 1/05 – BVerfGE 118, 79, 97 = NVwZ 2007, 937. Beruht der Primärrechtsverstoß hingegen auf einer Kompetenzüberschreitung bei Erlass der Richtlinie, so führt dies nicht zur Unwirksamkeit auch des nationalen Umsetzungsgesetzes (etwa des UWG). 32 Hält ein Fachgericht ein Umsetzungsgesetz sowohl für verfassungs- wie für primärrechtswidrig, so steht es ihm frei, dem EuGH (Art. 267 Abs. 1 lit. b AEUV) oder dem BVerfG (Art. 100 Abs. 1 GG) vorzulegen, BVerfG 11. 7. 2006 – 1 BvL 4/00 – BVerfGE 116, 202 Tz. 52. 33 EuGH (Plenum) 8. 3. 2011 – Gutachten 1/09 – Slg. I 2011, 1142 Tz. 68 – Einheitliches Patentgerichtssystem; EuGH (Große Kammer) 19. 1. 2010 – C-555/07 – Slg. 2010, I-365 Tz. 45 – Kücükdeveci; EuGH 26. 10. 2016 – C-611/14 – GRUR 2016, 1307 Tz. 31 – Canal Digital Danmark: „den Rechtsschutz zu gewährleisten, der sich für den Einzelnen aus den unionsrechtlichen Bestimmungen ergibt, und deren volle Wirkung sicherzustellen“. 34 EuGH 8. 4. 1976 – 48/75 – Slg. 1976, 497 Tz. 74/75 – Royer; EuGH (Große Kammer) 4. 7. 2006 – C-212/04 – Slg. 2006, I-6057 Tz. 93 – Adeneler. 35 EuGH 21. 9. 1988 – 68/88 – Slg. 1989, 2965 Tz. 24 – Kommission/Griechenland: Sanktion muss gleichwertig und „jedenfalls wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein“; ausdrücklich Art. 11 Abs. 1 Satz 1, Art. 13 Abs. 1 RL 2005/29/EG; Art. 5 Abs. 1 Satz 1 RL 2006/114/EG. 36 EuGH 9. 3. 2006 – C-174/05 – Slg. 2006, I-2443 Tz. 20 – Zuid-Hollandse Milieufederatie und Natuur en Milieu; bereits EuGH 15. 7. 1963 – 34/62 – Slg. 1962, 289, 318 – Kommission/Deutschland. 37 EuGH 10. 4. 1984 – 14/83 – Slg. 1984, 1891 Tz. 26 – von Colson und Kamann; EuGH (Große Kammer) 5. 10. 2004 – C-397/01 bis C-403/01 – Slg. 2004, I-8835 Tz. 110 ff. – Pfeiffer; EuGH (Große Kammer) 19. 1. 2010 – C-555/07 – Slg. 2010, I-365 Tz. 45 ff. – Kücükdeveci; EuGH 26. 10. 2016 – C-611/14 – GRUR 2016, 1307 Tz. 33 f. – Canal Digital Danmark.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

kungsbereich des Unionsrechts in die nichtharmonisierten Areale des nationalen Rechts,38 weil die Anwendung nichtharmonisierten nationalen Rechts die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts und insbesondere die mit einer Richtlinie verfolgten Ziele nicht beeinträchtigen darf.39 So dürfen die nationalen Regeln zur Rechtsdurchsetzung, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, nicht weniger günstig ausgestaltet sein als die Regeln für vergleichbare innerstaatliche Klagen (Grundsatz der Äquivalenz),40 und die nationalen Regeln dürfen die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität) (unten Rn. 422 f.).41

9 d) Verfassungsrechtliche Grenzen. Aus Sicht des deutschen Verfassungsrechts endet der Anwendungsvorrang, wenn der unantastbare Kerngehalt der Verfassungsidentität des Grundgesetzes nach Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG i. V. m. Art. 79 Abs. 3 GG (also die Wahrung des Menschenwürdekerns der Grundrechte und der Grundsätze, die das Demokratie-, Rechts-, Sozial- und Bundesstaatsprinzip i. S. d. Art. 20 GG prägen) berührt wird (Wahrung der Verfassungsidentität) oder wenn sich ausbrechende Rechtsakte der europäischen Organe nicht in den Grenzen der ihnen im Wege der begrenzten Einzelermächtigung eingeräumten Hoheitsrechte halten (Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG; Ultra-vires-Kontrolle).42 Identitäts- und Ultra-vires-Kontrolle sind dem BVerfG vorbehalten und setzen voraus, dass der EuGH, soweit erforderlich, zuvor gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV mit der Sache befasst wurde, damit seine Rechtsauffassung der Kontrolle durch das BVerfG zugrunde gelegt werden kann.43 Neben diesen beiden auf den konkreten Fall bezogenen Kontrollvorbehalten erkennt das BVerfG seit Solange II außerdem einen die Überprüfung an den Grundrechten des Grundgesetzes ausschließenden Anwendungsvorrang des Unionsrechts nur unter dem Vorbehalt an, dass der Grundrechtsschutz durch die Grundrechte der Union hinrei38 Zudem liegt der Effektivitätsgedanke auch der Lehre vom Anwendungsvorrang und von der unmittelbaren Wirkung zugrunde, Heinze Effektivitätsgrundsatz in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.) Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts (2009), S. 337, 338 f. m. w. N. Ausführlich zum Effektivitätsgrundsatz im Privatrecht Ebers S. 249 ff.; Heinze Schadensersatz im Unionsprivatrecht (2017), S. 20 ff. 39 EuGH (Große Kammer) 12. 7. 2011 – C-324/09 – GRUR 2011, 1025 Tz. 136 – L’Oréal. 40 „Gleichwertigkeit“ verpflichtet die Mitgliedstaaten nicht, die jeweils günstigste innerstaatliche Regelung auf alle Klagen zu erstrecken, die im Bereich des Lauterkeitsrechts erhoben werden, sondern verlangt einen Vergleich zwischen den Klagen, die auf die Verletzung des Unionsrechts gestützt sind, und solchen, die auf die Verletzung des innerstaatlichen Rechts gestützt sind und einen ähnlichen Gegenstand und Rechtsgrund haben, EuGH 8. 7. 2010 – C246/09 – Slg. 2010, I-6999 Tz. 26 f. – Bulicke; zusammenfassend zur Äquivalenz Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 14. 2. 2012 – C-618/10 – NJW 2012, 2257 Tz. 62 f. – Calderón Camino, Heinze Schadensersatz im Unionsprivatrecht (2017), S. 51 ff. 41 EuGH (Große Kammer) 15. 4. 2008 – C-268/06 – Slg. 2008, I-2483 Tz. 46 – Impact; grundlegend EuGH 16. 12. 1976 – 33/76 – Slg. 1976, 1989 Tz. 5 – Rewe. 42 BVerfG 30. 6. 2009 – 2 BvE 2/08 – BVerfGE 123, 267 Tz. 240 m. w. N. – Vertrag von Lissabon; BVerfG 21. 6. 2016 – 2 BvR 2728/13 – NJW 2016, 2473 Tz. 136 ff., 143 ff. – OMT (zum Verhältnis beider Kontrollvorbehalte dort Tz. 153: Ultra-vires-Kontrolle als besonderer, an das Zustimmungsgesetz gemäß 23 Abs. 1 Satz 2 GG anknüpfender Anwendungsfall des allgemeinen Schutzes der Verfassungsidentität); BVerfG 30. 7. 2019 – 2 BvR 1685/14, 2 BvR 2631/14 – NJW 2019, 3204 Tz. 120 ff. – Bankenunion. Vergleichbare Begrenzungen finden sich auch in anderen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, siehe BVerfG 21. 6. 2016 – 2 BvR 2728/13 – NJW 2016, 2473 Tz. 142 m. w. N. – OMT. 43 BVerfG 21. 6. 2016 – 2 BvR 2728/13 – NJW 2016, 2473 Tz. 154 ff. – OMT. Interessant ist die Bemerkung in BVerfG 6. 11. 2019 – 1 BvR 276/17 – NJW 2020, 314 Tz. 55 – Recht auf Vergessen II, für „die Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Union [trügen] alle Staatsorgane auch in diesem Sinne Integrationsverantwortung“, weil die Integrationsverantwortung in anderen Entscheidungen als Verpflichtung (nur) der Verfassungsorgane angesehen wurde, BVerfG 30. 7. 2019 – 2 BvR 1685/14, 2 BvR 2631/14 – NJW 2019, 3204 Tz. 141 f. – Bankenunion: „Integrationsverantwortung verpflichtet die Verfassungsorgane“. Möglicherweise ist in beiden Entscheidungen mit dem Begriff der Integrationsverantwortung etwas anderes gemeint (Verpflichtung zur Integration in die EU bzw. Verpflichtung zur Beachtung der Grenzen der zulässigen Integration).

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chend wirksam ist (Reservefunktion der Grundrechte des GG).44 Erforderlich ist, dass der Schutz der EU-Grundrechte dem vom Grundgesetz jeweils als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleich zu achten ist, zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgt.45 Maßgeblich ist insoweit aber eine auf das jeweilige Grundrecht des Grundgesetzes bezogene generelle Betrachtung, wobei nach dem derzeitigen Stand des Unionsrechts – zumal unter Geltung der Charta – nach ständiger Rechtsprechung davon auszugehen ist dass diese Voraussetzungen grundsätzlich erfüllt sind.46 Während das BVerfG also seit Solange II einen praktisch kaum überwindbaren generellen Maßstab für die Kontrolle europäischer Rechtsakte am Maßstab der Reservefunktion deutscher Grundrechte formuliert hatte, hat es diese Beschränkungen für die Überprüfung der Wahrung des Menschenwürdekerns im Rahmen der Identitätskontrolle und der Ultra-vires-Kontrolle nicht aufgegriffen, so dass nunmehr von einer „doppelspurigen“ Grundrechtskontrolle die Rede ist und die Rüge eines Verstoßes gegen den „Menschenwürdekern“ auch im Einzelfall möglich ist.47 Gleichwohl erscheinen für das Lauterkeitsrecht die verfassungsrechtlichen Vorbehalte wenig bedeutsam, da lauterkeitsrechtliche Regelungen nur selten die Verfassungsidentität (also den Menschenwürdekern der Grundrechte oder die Grundsätze des Art. 20 GG) berühren oder die Grenzen der übertragenen Hoheitsrechte überschreiten dürften, zumal das Verfassungsgericht diese Kontrollen „zurückhaltend“ und „europarechtsfreundlich“ handhabt und dem EuGH eine „Fehlertoleranz“ zubilligt.48

2. Unmittelbare Wirkung Ein Eingreifen des Anwendungsvorrangs in einem konkreten Fall setzt voraus, dass die betref- 10 fende Vorschrift des Unionsrechts durch die nationalen Behörden und Gerichte unmittelbar anzuwenden ist, also nach ihrer Rechtsnatur und ihrer Funktion im Rechtsquellensystem der Union Rechte des Einzelnen zu begründen vermag.49

a) Primärrecht. Die unmittelbare Wirkung hat der Gerichtshof zunächst für Vorschriften des 11 Primärrechts bejaht, die inhaltlich hinreichend genau und bestimmt, unbedingt und vorbehaltslos sind und keiner im Ermessen stehenden Ausführungshandlung bedürfen.50 So können sich Einzelne – auch in Verfahren zwischen Privaten – unmittelbar auf die Grundfreiheiten51 und Dis44 BVerfG 6. 11. 2019 – 1 BvR 276/17 – NJW 2020, 314 Tz. 47 – Recht auf Vergessen II mit Verweis auf die „Reservefunktion“ der Grundrechte des GG (Tz. 48); bereits BVerfG 22. 10. 1986 – 2 BvR 197/83 – BVerfGE 73, 339, 376, 387 – Solange II. 45 BVerfG 6. 11. 2019 – 1 BvR 276/17 – NJW 2020, 314 Tz. 47 – Recht auf Vergessen II. 46 BVerfG 6. 11. 2019 – 1 BvR 276/17 – NJW 2020, 314 Tz. 47 f. – Recht auf Vergessen II. 47 BVerfG 21. 6. 2016 – 2 BvR 2728/13 – NJW 2016, 2473 Tz. 49 – OMT; Sauer NJW 2016, 1134, 1136. Zur Solange IIFormel BVerfG 2. 3. 2010 – 1 BvR 256/08 – BVerfGE 125, 260 Tz. 181 = NJW 2010, 833 – Vorratsdatenspeicherung; BVerfG 4. 10. 2011 – 1 BvL 3/08 – NJW 2012, 45 Tz. 46 m. w. N. 48 BVerfG 6. 7. 2010 – 2 BvR 2661/06 – BVerfGE 126, 286 Tz. 58, 66 – Honeywell/Mangold; BVerfG 21. 6. 2016 – 2 BvR 2728/13 – NJW 2016, 2473 Tz. 154 – OMT. 49 Zuweilen wird zwischen unmittelbarer Geltung (Art. 288 Abs. 2 AEUV), unmittelbarer Anwendbarkeit (von hinreichend klaren und unbedingten Normen des Primärrechts) und unmittelbarer Wirkung (von Richtlinien) unterschieden, Reiling Zu individuellen Rechten im deutschen und Gemeinschaftsrecht (2004), S. 278 ff. 50 EuGH 5. 2. 1963 – 26/72 – Slg. 1963, 3, 24 f. – van Gend & Loos; EuGH 15. 1. 1986 – 44/84 – Slg. 1986, 29 Tz. 47 – Hurd; für ein Gegenbeispiel EuGH 10. 3. 2011 – C-379/09 – Slg. 2009, I-1379 Tz. 14 – Casteels; gegen unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 169 AEUV Leible/Schäfer WRP 2012, 32, 35; dazu auch EuGH 7. 3. 1996 – C-192/94 – Slg. 1996, I-1281 Tz. 20 f. – El Corte Inglés. 51 Zur Warenverkehrsfreiheit EuGH 19. 12. 1968 – 13/68 – Slg. 1968, 680, 692 – Salgoil; EuGH 3. 3. 2011 – C-161/09 – Slg. I 2011, 1142 Tz. 22 – Kakavetsos-Fragkopoulos; zur Niederlassungsfreiheit EuGH 21. 6. 1974 – 2/74 – Slg. 1974, 631 Tz. 30 – Reyners; zur Dienstleistungsfreiheit EuGH 3. 12. 1974 – 33/74 – Slg. 1974, 1299 Tz. 24/26 – van Binsbergen.

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kriminierungsverbote,52 die europäischen Grundrechte53 und die Wettbewerbsregeln des Vertrages54 berufen, wobei (mit Ausnahme der Wettbewerbsregeln) umstritten ist, in welchem Umfang diese Regeln nicht nur die Auslegung und Anwendung der dem Privatrechtsstreit zugrunde liegenden Rechtsnormen beeinflussen (also z. B. zur Nichtanwendbarkeit grundfreiheitswidriger nationaler Vorschriften führen können), sondern auch unmittelbare Verpflichtungen Privater begründen (zu den Grundfreiheiten unten Rn. 90 ff.). Demgegenüber sind die Vorgaben in Art. 119 AEUV über die Europäische Wirtschaftsverfassung keine Bestimmungen, die den Mitgliedstaaten klare und unbedingte Verpflichtungen auferlegen, auf die sich Einzelne vor den nationalen Gerichten berufen könnten.55 Die unmittelbare Wirkung des Primärrechts gebietet zunächst die primärrechtskonforme Auslegung und in letzter Konsequenz auch die Nichtanwendung des nationalen Rechts, sofern eine unionsrechtskonforme Auslegung nicht möglich ist.56

12 b) Verordnungen. Unmittelbare Geltung zwischen Privaten kommt sodann Verordnungen gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV zu, zu deren Durchsetzung im Interesse der Wirksamkeit des Unionsrechts auch Private befugt sind. Dies gilt nicht nur für klassisch privatrechtliche Normen, sondern auch für Normen des Marktordnungsrechts wie etwa lebensmittelrechtliche Kennzeichnungsvorschriften.57 Wegen ihrer unmittelbaren Geltung ist es problematisch, Verordnungen durch gleichgestaltete nationale Durchführungsgesetze zu spiegeln, weil dies die unionsrechtliche Rechtsnatur und die daran anknüpfenden Wirkungen verbergen könnte.58 Zulässig sind nationale Ausführungsvorschriften, wenn sie die unmittelbare Anwendbarkeit der Verordnung nicht vereiteln und ihre unionsrechtliche Rechtsnatur nicht verbergen, z. B. das durch die Verordnung verliehene Ermessen konkretisieren.59

13 c) Richtlinien. Demgegenüber sind Richtlinien (Art. 288 Abs. 3 AEUV) vom Grundsatz der unmittelbaren Wirkung in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten ausgenommen. Soweit die konkrete Richtlinienvorschrift nicht zugleich im Rang eines (auch gegenüber Privaten unmittelbar anwendbaren) allgemeinen Grundsatzes des Unionsrechts steht,60 kann sie nur Rechte, nicht jedoch Verpflichtungen für Private begründen.61 Ein Einzelner kann sich „nicht gegenüber ei-

52 EuGH 8. 4. 1976 – 43/75 – Slg. 1976, 455 Tz. 21/24, 38/39 – Defrenne II (Art. 157 AEUV); EuGH 6. 6. 2000 – C-281/ 98 – Slg. 2000, I-4139 Tz. 35 f. – Angonese (Diskriminierungsverbot als Teil der Arbeitnehmerfreizügigkeit); EuGH (Große Kammer) 19. 1. 2010 – C-555/07 – Slg. 2010, I-365 Tz. 50 f. – Kücükdeveci (Verbot der Altersdiskriminierung als „spezifische Anwendung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes“). 53 EuGH 2. 4. 2009 – C-421/07 – Slg. 2009, I-2629 Tz. 25 – Damgaard; siehe auch Art. 51 EuGRCh. 54 EuGH 6. 4. 1962 – 13/61 – Slg. 1962, 91, 112 – Bosch; EuGH 18. 3. 1997 – C-282/95 P – Slg. 1997, I-1503 Tz. 39 – Guérin; EuGH 20. 9. 2001 – C-453/99 – Slg. 2001, I-6297 Tz. 23 f. – Courage; EuGH 13. 7. 2006 – C-295/04 bis C-298/ 04 – Slg. 2006, I-6619 Tz. 39 – Manfredi; EuGH (Große Kammer) 14. 6. 2011 – C-360/09 – EuZW 2011, 598 Tz. 19, 28 – Pfleiderer. 55 EuGH 3. 10. 2000 – C-9/99 – Slg. 2000, I-8207 Tz. 25 – Echirolles Distribution. 56 EuGH 4. 2. 1988 – 157/86 – Slg. 1988, 673 Tz. 11 – Murphy. 57 EuGH 17. 9. 2002 – C-253/00 – Slg. 2002, I-7289 Tz. 27 – Muñoz; EuGH 14. 7. 2011 – C-4/10 und C-27/10 – Slg. 2011, I-6131 Tz. 40 – Bureau national interprofessionnel du Cognac. 58 EuGH 10. 10. 1973 – 34/73 – Slg. 1973, 981 Tz. 11 – Variola; EuGH 2. 2. 1977 – 50/76 – Slg. 1977, 137 Tz. 4/7 – Amsterdam Bulb; EuGH 15. 11. 2012 – C-539/10 P und C-550/10 P – BeckEuRS Tz. 87 – Stichting Al-Aqsa. 59 EuGH 21. 12. 2011 – C-316/10 – BeckEURS 2011, 647743 Tz. 41 – Danske Svineproducenter. 60 Dies ist etwa beim Verbot der Altersdiskriminierung als „spezifische Anwendung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes“ bejaht worden, EuGH (Große Kammer) 19. 1. 2010 – C-555/07 – Slg. 2010, I-365 Tz. 50 f. – Kücükdeveci. 61 EuGH 26. 2. 1986 – 152/84 – Slg. 1986, 723 Tz. 48 – Marshall; EuGH 14. 7. 1994 – C-91/92 – Slg. 1994, I-3325 Tz. 20 – Faccini Dori; EuGH (Große Kammer) 17. 7. 2008 – C-152/07 bis C-154/07 – Slg. 2008, I-5959 Tz. 35 – Arcor; EuGH (Große Kammer) 19. 1. 2010 – C-555/07 – Slg. 2010, I-365 Tz. 46 – Kücükdeveci.

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nem Mitgliedstaat auf eine Richtlinie berufen, wenn es sich um eine Verpflichtung des Staates handelt, die unmittelbar im Zusammenhang mit der Erfüllung einer anderen Verpflichtung steht, die aufgrund dieser Richtlinie einem Dritten obliegt“.62 Die fehlerhafte oder gänzlich unterbliebene Richtlinienumsetzung63 kann deshalb unmittelbar nur Rechte gegenüber dem Mitgliedstaat oder staatsbeherrschten Einrichtungen64 begründen.65 Als Ausgleich für die fehlende Direktwirkung von Richtlinien gegenüber Privaten besteht ein Anspruch auf Staatshaftung wegen fehlerhafter Richtlinienumsetzung.66

aa) Richtlinienkonforme Auslegung. Praktisch wirkt sich die Beschränkung der unmittelba- 14 ren Wirkung von Richtlinien allerdings selten aus. Der Grund ist die Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts.67 Danach müssen die nationalen Gerichte ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens einer Richtlinie68 „unter Berücksichtigung des gesamten nationalen Rechts und unter Anwendung ihrer Auslegungsmethoden alles tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit der fraglichen Richtlinie zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel übereinstimmt“.69 Zwar orientiert sich die richtlinienkonforme Auslegung am Methodenkanon des nationalen Rechts.70 Auch darf sie nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem herangezogen werden oder Rechtsgrundsätze wie das Rechtssicherheitsgebot oder das Rückwirkungsverbot verletzen.71

62 EuGH (Große Kammer) 17. 7. 2008 – C-152/07 bis C-154/07 – Slg. 2008, I-5959 Tz. 35 – Arcor; EuGH 11. 9. 2014 – C-291/13 – MMR 2016, 63 Tz. 54 – Papasavvas.

63 Zu den Anforderungen an die Umsetzung von Richtlinien unten Fn. 80. 64 EuGH 19. 4. 2007 – C-356/05 – Slg. 2007, I-3067 Tz. 40 – Farrell: Eine fehlerhaft umgesetzte Richtlinie kann auch einer Einrichtung entgegengehalten werden, „die unabhängig von ihrer Rechtsform kraft staatlichen Rechtsakts unter staatlicher Aufsicht eine Dienstleistung im öffentlichen Interesse zu erbringen hat und die hierzu mit besonderen Rechten ausgestattet ist, die über die für die Beziehungen zwischen Privatpersonen geltenden Vorschriften hinausgehen“. 65 EuGH 23. 4. 2009 – C-378/07 und C-380/07 – Slg. 2009, I-3071 Tz. 193 – Angelidaki: Gegenüber dem Staat können sich Private „immer dann auf die Bestimmungen einer Richtlinie berufen […], wenn sich diese als inhaltlich unbedingt und hinreichend genau darstellen“. 66 EuGH 19. 11. 1991 – C-6/90 und C-9/90 – Slg. 1991, I-5357 Tz. 39 ff. – Francovich eröffnet eine Schadensersatzhaftung der Mitgliedstaaten für fehlerhaft umgesetzte Richtlinien, wenn (1) Ziel der Richtlinie die Verleihung von Rechten an Einzelne ist, (2) der Inhalt dieser Rechte auf der Grundlage der Richtlinie bestimmt werden kann und (3) ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die dem Mitgliedstaat auferlegte Verpflichtung und dem entstandenen Schaden besteht, zusammenfassend EuGH 23. 4. 2009 – C-378/07 und C-380/07 – Slg. 2009, I-3071 Tz. 202 – Angelidaki. 67 EuGH 10. 4. 1984 – 14/83 – Slg. 1984, 1891 Tz. 26 – von Colson und Kamann; EuGH 14. 7. 1994 – C-91/92 – Slg. 1994, I-3325 Tz. 26 – Faccini Dori; EuGH (Große Kammer) 5. 10. 2004 – C-397/01 bis C-403/01 – Slg. 2004, I-8835 Tz. 110 ff. – Pfeiffer; EuGH (Große Kammer) 19. 1. 2010 – C-555/07 – Slg. 2010, I-365 Tz. 45 ff. – Kücükdeveci; EuGH 11. 9. 2014 – C-291/13 – MMR 2016, 63 Tz. 56 – Papasavvas; von Danwitz JZ 2007, 697, 700, 702 ff.; Mörsdorf EuR 2009, 219, 222 ff. Im Zweifel ist auch „überschießend“ angeglichenes Recht richtlinienkonform auszulegen, BGH 9. 4. 2002 – XI ZR 91/99 – NJW 2002, 1882, 1884. 68 EuGH 23. 4. 2009 – C-261/07 und C-299/07 – Slg. 2009, I-2949 Tz. 39 – VTB-VAB; EuGH 14. 1. 2010 – C-304/08 – Slg. 2010, I-217 Tz. 29 – Plus Warenhandelsgesellschaft; Röthel ZEuP 2009, 34. 69 EuGH (Große Kammer) 4. 7. 2006 – C-212/04 – Slg. 2006, I-6057 Tz. 111 – Adeneler; EuGH 10. 3. 2011 – C-109/09 – EuZW 2011, 305 Tz. 55 – Deutsche Lufthansa; zum Lauterkeitsrecht EuGH 26. 10. 2016 – C-611/14 – GRUR 2016, 1307 Tz. 30, 32, 34 – Canal Digital Danmark. 70 OGH 15. 2. 2011 – 4 Ob 208/10g – Medien und Recht 2011, 41 Tz. 2.2 – Fußballer des Jahres IV (zu § 9a Abs. 1 östUWG). 71 EuGH 10. 3. 2011 – C-109/09 – EuZW 2011, 305 Tz. 54 – Deutsche Lufthansa; zu den Grenzen nach deutschem Verfassungsrecht BVerfG 26. 9. 2011 – 2 BvR 2216/06 – EuZW 2012, 196 Tz. 51 ff.

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Dennoch kommt es infolge der richtlinienkonformen Auslegung auch in Streitigkeiten zwischen Privaten regelmäßig zu einer faktischen Direktwirkung von Richtlinien,72 zumindest wenn eine Rechtsmaterie wie das Lauterkeitsrecht infolge von Generalklauseln und offenen Tatbeständen der Auslegung besonders zugänglich ist und wenn die Vorschriften wie die des UWG ausdrücklich das Ziel der Richtlinienumsetzung73 verfolgen. In einem solchen Fall ist nämlich im Fall der Richtlinienwidrigkeit der Umsetzungsvorschriften im Zweifel von einer planwidrigen Unvollständigkeit auszugehen, so dass der Weg zur richtlinienkonformen Fortbildung des UWG eröffnet wird.74 So hat der Bundesgerichtshof aus der Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung gefolgert, dass das deutsche Recht über die Auslegung im engeren Sinn hinaus durch Analogie oder teleologische Reduktion richtlinienkonform fortzubilden ist.75 Auch hat der EuGH – vor dem Hintergrund des dänischen Rechts, in dem wie in allen nordischen Staaten die Gesetzesmaterialien für die Auslegung besonders bedeutsam sind – entschieden, dass der Wortlaut keine Grenze für die richtlinienkonforme Auslegung darstellt.76 Durch die richtlinienkonforme Auslegung wird auch ausländisches Lauterkeitsrecht zugänglicher, weil infolge der Vollharmonisierung im Zweifel von einer Richtlinienkonformität ausgegangen werden kann.77 Allerdings entbindet die richtlinienkonforme Auslegung die Mitgliedstaaten nicht von ihrer Verpflichtung, eine Richtlinie, durch die individuelle Rechte und Pflichten begründet werden sollen, hinreichend klar und bestimmt umzusetzen,78 was wesentlicher Beweggrund für die UWG-Novelle 2015 war.79

16 bb) Indirekte Wirkung von Richtlinien. Die faktische Direktwirkung durch richtlinienkonforme Auslegung und Fortbildung des nationalen Rechts wird durch die indirekte Horizontalwirkung von Richtlinien zwischen Privaten verstärkt. Verstößt eine Vorschrift des nationalen Rechts (z. B. über Produktsicherheitsstandards) gegen eine europäische Richtlinie, so kann sich eine Partei auch im Privatrechtsstreit (z. B. gestützt auf § 3a UWG) auf die richtlinienwidrige nationale Vorschrift nicht berufen.80 Anerkannt ist zudem eine sogenannte mittelbare Reflexwirkung von Richtlinien im Dreiecksverhältnis. Danach „rechtfertigen bloße negative Auswirkungen auf die Rechte Dritter, selbst wenn sie gewiss sind, es nicht, einem Einzelnen das 72 Für ein Beispiel BGH 5. 10. 2010 – I ZR 4/06 – GRUR 2011, 532, 535 Tz. 25 – Millionen-Chance II. 73 BTDrucks. 18/4535 S. 1, 8; BTDrucks. 18/6571 S. 1; zum UWG 2008 BTDrucks. 16/10145 S. 10. 74 Siehe BGH 26. 11. 2008 – VIII ZR 200/05 – NJW 2009, 427, 428 f. Tz. 24 – Quelle, der aus den Gesetzesmaterialien den Willen zur richtlinienkonformen Umsetzung ableitet und dies als Argument für eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes ansieht; ebenso BGH 21. 12. 2011 – VIII ZR 70/08 – NJW 2012, 1073 Tz. 32, 34; BGH 7. 5. 2014 – IV ZR 76/11 – NJW 2014, 2646 Tz. 21 f. Zu den Auswirkungen einer Verletzung richtlinienwidriger Marktverhaltensregeln auf § 4 Nr. 11 UWG a. F. (§ 3a UWG) Omsels WRP 2013, 1286. 75 BGH 26. 11. 2008 – NJW 2009, 427, 428 f. Tz. 21 – Quelle; BGH 21. 12. 2011 – VIII ZR 70/08 – NJW 2012, 1073 Tz. 30; BGH 7. 5. 2014 – IV ZR 76/11 – NJW 2014, 2646 Tz. 21 f.; allgemein zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung Schnorbus AcP 201 (2001), 860; Herresthal, insbesondere S. 217 ff.; ders. EuZW 2007, 396. 76 EuGH 26. 10. 2016 – C-611/14 – GRUR 2016, 1307 Tz. 35 – Canal Digital Danmark: „auch dann zu berücksichtigen (…), wenn sich ein solches Erfordernis dem Wortlaut der betreffenden nationalen Regelung nicht ausdrücklich entnehmen lässt“. 77 Vgl. LG Berlin 1. 6. 2010 – 16 O 525/08 – WRP 2010, 1422 Tz. 54 (juris) – Kreditkartengebühr. 78 Zu den Anforderungen an die Umsetzung von Richtlinien EuGH 10. 5. 2001 – C-144/99 – Slg. 2001, I-3541 Tz. 20 f. – Kommission/Niederlande; EuGH 7. 5. 2002 – C-478/99 – Slg. 2002, I-4147 Tz. 18 – Kommission/Schweden; EuGH 10. 7. 2014 – C-421/12 – GRUR Int. 2014, 964 Tz. 46 – Kommission/Belgien; EuGH 26. 10. 2016 – C-611/14 – GRUR 2016, 1307 Tz. 30 – Canal Digital Danmark (zur Bedeutung von Gesetzesmaterialien und der richtlinienkonformen Auslegung). 79 BTDrucks. 18/4535 S. 1, 8; BTDrucks. 18/6571 S. 1. Zur Kritik an der Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG insbesondere durch die UWG-Reform 2008 unten Rn. 349. 80 Siehe EuGH 30. 4. 1996 – C-194/94 – Slg. 1996, I-2201 Tz. 54 – CIA Security (Lauterkeitsrecht); EuGH 26. 9. 2000 – C-443/98 – Slg. 2000, I-7535 Tz. 49, 51 – Unilever (Vertragsrecht); EuGH 6. 6. 2002 – C-159/00 – Slg. 2002, I-5031 Tz. 50, 52 – Eco-Emballages (Vertragsrecht).

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Recht auf Berufung auf die Bestimmungen einer Richtlinie gegenüber dem betreffenden Mitgliedstaat zu versagen“.81 Allerdings ist diese Judikatur auf verwaltungs- und regulierungsrechtliche Drittbeziehungen zugeschnitten. Sie ist daher wohl nur für die verwaltungsbehördliche, nicht aber für die zivilgerichtliche Durchsetzung des Lauterkeitsrechts relevant.82

3. Auslegung des Unionsrechts Weitere Folge der Eigenständigkeit des Unionsrechts ist die Verpflichtung zu seiner autonomen 17 Auslegung. Nach dieser Maxime müssen „die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich83 auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel84 in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten“.85 Dies gilt in besonderer Weise für die Richtlinie 2005/29/EG, die mit dem Konzept der Vollharmonisierung ausdrücklich darauf abzielt, „die in den Mitgliedstaaten existierenden unterschiedlichen Generalklauseln und Rechtsgrundsätze zu ersetzen“, so dass ein impliziter Verweis auf nationales Recht in aller Regel ausscheidet.86 Um diesen autonomen und einheitlichen Sinn zu ermitteln, ist auf den Wortlaut, den systematischen Zusammenhang und die Ziele zurückzugreifen, die mit der konkreten Regelung und dem Rechtsakt insgesamt verfolgt werden; auch die Entstehungsgeschichte kann relevante Anhaltspunkte geben.87 81 EuGH (Große Kammer) 17. 7. 2008 – C-152/07 und C-154/07 – Slg. 2008, I-5959 Tz. 36 – Arcor. 82 Siehe aber OGH 15. 2. 2011 – 4 Ob 208/10g – Medien und Recht 2011, 41 Tz. 2.2 – Fußballer des Jahres IV: „Auf dieser Grundlage könnte angenommen werden, dass sich der in Anspruch Genommene gegenüber dem Staat auf die Unanwendbarkeit von § 9a Abs. 1 Z 1 UWG berufen kann, sodass Unterlassungsgebote nicht mehr zulässig sind; der damit verbundene Wegfall von Unterlassungsansprüchen anderer Marktteilnehmer wäre nur eine die unmittelbare Anwendung nicht hindernde ‚negative Auswirkung‘im Sinn der oben darstellten Rechtsprechung“. 83 Für ein Beispiel eines expliziten Verweises EuGH (Große Kammer) 5. 7. 2011 – C-263/09 P – Slg. 2011, I-5853 Tz. 44, 47 ff. – Edwin Co Ltd. 84 Für ein Beispiel eines impliziten Verweises auf nationales Recht EuGH 12. 12. 1996 – C-74/95 und C-129/95 – Slg. 1996, I-6609 Tz. 30 – Strafverfahren gegen X; zu einer Vorfrage bei Auslegung der Grundfreiheiten EuGH (Große Kammer) 16. 12. 2008 – C-210/06 – Slg. 2008, I-9641 Tz. 109 – Cartesio; zum impliziten Verweis auch Franzen S. 476 ff.; zu Indizien für autonome Auslegung oder einen Verweis auf nationale Rechtsordnungen Scheibeler Begriffsbildung durch den Europäischen Gerichtshof – autonom oder durch Verweis auf die nationalen Rechtsordnungen (2004), S. 285 f. 85 EuGH (Große Kammer) 18. 10. 2011 – C-34/10 – Slg. 2011, I-9821 Tz. 25 – Brüstle (siehe auch den Hinweis auf die Binnenmarktharmonisierung Tz. 27 f. als Argument für autonome Auslegung); ferner EuGH 7. 12. 2006 – C-306/05 – Slg. 2006, I-11519 Tz. 31 – SGAE; EuGH 14. 12. 2006 – C-316/05 – Slg. 2006, I-12083 Tz. 21 – Nokia; EuGH 30. 6. 2011 – C-271/10 – Slg. 2011, I-5815 Tz. 25 – VEWA; zur RL 2005/29/EG EuGH 3. 10. 2013 – C-59/12 – EuZW 2013, 941 Tz. 25 – Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs; EuGH 16. 4. 2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 33 – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság; zur RL 2001/83 EuGH 16. 7. 2015 – C-544/13 und C-545/13 – GRUR 2015, 1028 Tz. 45 – Abcur AB; siehe bereits EuGH 19. 3. 1964 – 75/63 – Slg. 1964, 379, 396 – Unger. 86 Erwägungsgrund 13 Satz 1 RL 2005/29/EG; EuGH 3. 10. 2013 – C-59/12 – NJW 2014, 288 Tz. 25 f. – Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs; Apetz Das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken (2011), S. 59. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Richtlinie – insbesondere bei der Verknüpfung mit nicht harmonisierten Nachbarbereichen – an nationale Begrifflichkeiten anknüpft, wie bei dem durch das nationale Vertragsrecht definierten „Umfang der Verpflichtungen des Gewerbetreibenden“ (Art. 6 Abs. 1 lit. c RL 2005/29/EG). 87 EuGH (Große Kammer) 25. 10. 2011 – C-509/09 und C-161/10 – Slg. 2011, I-10269 Tz. 54 – eDate Advertising; EuGH 22. 9. 2011 – C-482/09 – Slg. 2011, I-8701 Tz. 39 – Budějovický Budvar; EuGH 22. 9. 2011 – C-244/10 und C-245/10 – Slg. 2011, I-8777 Tz. 40 – Mesopotamia Broadcast; siehe bereits EuGH 6. 10. 1982 – 283/81 – Slg. 1982, 3415 Tz. 18– 20 – C.I.L.F.I.T.; zum Primärrecht EuGH 5. 3. 1963 – 26/62 – Slg. 1963, 1, 27 – van Gend und Loos: „Geist, Systematik und Wortlaut des Vertrages“; EuGH (Plenum) 10. 12. 2018 – C-621/18 – NVwZ 2019, 143 Tz. 47 – Wightman; speziell zur RL 2005/29/EG EuGH 23. 4. 2009 – C-261/07 und C-299/07 – Slg. 2009, I-2949 Tz. 58 – VTB-VAB; EuGH 14. 1. 2010 – C-304/08 – Slg. 2010, I-217 Tz. 46 – Plus Warenhandelsgesellschaft: „Fragen […] im Licht des Inhalts und der allgemeinen Systematik der […] Bestimmungen der Richtlinie 2005/29 zu prüfen“. Zusammenfassend auch BVerfG 21. 6. 2016 – 2 BvR 2728/13 – NJW 2016, 2473 Tz. 159 – OMT.

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18 a) Material des Auslegungsvorgangs. Material des Auslegungsvorgangs sind nicht nur die konkret auszulegenden Normen, sondern auch die zugehörigen Erläuterungen und Definitionen an anderer Stelle des Rechtsaktes.88 Auch die dem Rechtsakt vorangestellten Erwägungsgründe (Art. 296 Abs. 2 AEUV) sind in den Auslegungsvorgang einzubeziehen, weil sie neben allgemeinen Erwägungen zum Erlass des Rechtsakts regelmäßig zu jeder Einzelvorschrift konkrete Erläuterungen enthalten. Zwar sieht der Gerichtshof die Begründungserwägungen als rechtlich nicht verbindlich an. Sie können daher nicht herangezogen werden, um von den Bestimmungen des Rechtsaktes abzuweichen oder sie in einem Sinne auszulegen, der ihrem Wortlaut offensichtlich widerspricht.89 19 Allerdings wird die Schwelle zu einer Abweichung oder einem offensichtlichen Widerspruch zum Wortlaut nur selten erreicht werden.90 Zudem vermögen die Erwägungsgründe sogar den Wortlaut zu überspielen, wenn sie den Zweck des Rechtsakts zum Ausdruck bringen.91 Aufgrund ihrer prominenten Stellung sind die Erwägungsgründe nicht lediglich der entstehungsgeschichtlichen Auslegung zuzuordnen,92 sondern wegen des untrennbaren Zusammenhangs zwischen Erwägungsgründen und verfügendem Teil des Rechtsaktes93 in die Auslegung anhand von Wortlaut, Systematik und Zweck einzubeziehen. 20 Nicht mehr zum auszulegenden Normtext zählen erläuternde Berichte europäischer Organe zur Auslegung des Unionsrechts, die nach Erlass des Rechtsaktes erstellt wurden.94 Zwar mögen solche Berichte gewissen Aufschluss über die Auslegung des Unionsrechts bieten, zumal wenn Rechtsprechung aus Luxemburg noch aussteht.95 Verbindlich sind sie aber weder für den EuGH noch für nationale Gerichte, weil zur letztverbindlichen Klärung von Auslegungszweifeln der Gerichtshof berufen ist (Art. 19 EUV, Art. 267 AEUV).

21 b) Wortlaut. Ausgangspunkt für die Auslegung des Unionsrechts ist der Wortlaut der auszulegenden Norm96 i. S. d. „gewöhnlichen Sprachgebrauchs“.97 Dabei verbietet es die einheitliche Auslegung und Anwendung des Unionsrechts, eine Bestimmung in einer Sprachfassung isoliert zu betrachten. Geboten ist vielmehr, sie nach dem wirklichen Willen ihres Urhebers und dem von diesem verfolgten Zweck98 unter Berücksichtigung ihrer Fassungen in den anderen 88 Z. B. die Definitionen in Art. 2 RL 2005/29/EG. 89 EuGH 19. 11. 1998 – C-162/97 – Slg. 1998, I-7477 Tz. 54 – Nilsson; EuGH 24. 11. 2005 – C-136/04 – Slg. 2005, I10095 Tz. 32 – Deutsche Milchkontor; EuGH (Große Kammer) 10. 1. 2006 – C-344/04 – Slg. 2006, I-403 Tz. 76 – International Air Transport Association: „Hierzu ist jedoch festzustellen, dass die Begründungserwägungen eines Gemeinschaftsrechtsakts zwar dessen Inhalt präzisieren können […], dass sie es aber nicht erlauben, von den Regelungen des Rechtsakts abzuweichen“. 90 Vgl. EuGH (Große Kammer) 10. 1. 2006 – C- 344/04 – Slg. 2006, I-403 Tz. 76 – International Air Transport Association: „Differenz nicht so erheblich, dass die Regelung widersprüchlich würde“. 91 Für eine Definition des Zwecks anhand der Erwägungsgründe etwa EuGH 15. 4. 2010 – C-511/08 – Slg. 2010, I3047 Tz. 54 – Handelsgesellschaft Heinrich Heine; EuGH 27. 1. 2011 – C-168/09 – Slg. 2011, I-181 Tz. 38 – Flos; EuGH (Große Kammer) 18. 10. 2011 – C-34/10 – Slg. 2011, I-9821 Tz. 27 – Brüstle. 92 So Höpfner/Rüthers AcP 209 (2009) 1, 15. 93 Vgl. EuGH (Große Kammer) 25. 10. 2011 – C-509/09 und C-161/10 – Slg. 2011, I-10269 Tz. 55 – eDate Advertising: „In diesem Sinne ist der verfügende Teil eines Unionsrechtsakts untrennbar mit seiner Begründung verbunden und erforderlichenfalls unter Berücksichtigung der Gründe auszulegen, die zu seinem Erlass geführt haben“; zurückhaltender noch EuGH 13. 7. 1989 – 215/88 – Slg. 1989, 2789 Tz. 31 – Casa Fleischhandel. 94 Zu solchen Berichten zur RL 2005/29/EG unten Rn. 235. 95 Vgl. EuGH (Große Kammer) 2. 12. 2009 – C-358/08 – Slg. 2009, I-11305 Tz. 42 – Aventis Pasteur zu einem Anwendungsbericht der Kommission zur Produkthaftungsrichtlinie. 96 Siehe etwa EuGH 12. 5. 2011 – C-122/10 – Slg. 2011, I-3903 Tz. 31 – Ving Sverige; bereits EuGH 21. 12. 1954 – 1/ 54 – Slg. 1954, 7, 27 – Französische Republik/Hohe Behörde. 97 EuGH 10. 3. 2005 – C-336/03 – Slg. 2005, I-1947 Tz. 21 – easyCar; EuGH 5. 7. 2012 – C-49/11 – Tz. 32 f. – Content Services. 98 EuGH 3. 6. 2010 – C-569/08 – Slg. 2010, I-4871 Tz. 35 – Schlicht.

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Amtssprachen auszulegen und anzuwenden,99 was allerdings bei 24 Amtssprachen100 in der Rechtspraxis an Grenzen stößt. Weichen die verschiedenen Sprachfassungen voneinander ab, so muss die fragliche Vorschrift nach dem Zusammenhang und dem Zweck der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört.101 Der Wortlaut ist stets nur Ausgangspunkt, nicht aber Grenze der Auslegung.102 Auch Be- 22 schränkungen des Wortlauts schließen ein abweichendes Auslegungsergebnis nicht aus, weil die besondere Bedeutung der teleologischen Auslegung im Unionsrecht Wortlautbeschränkungen zu überwinden vermag.103 Dies gilt in besonderem Maße im Lauterkeitsrecht, das – sieht man von einzelnen Regeln im Anhang I zur Richtlinie 2005/29/EG ab – vor allem durch Generalklauseln, unbestimmte Rechtsbegriffe und offene Tatbestände geprägt ist. Wegen der Zielsetzung des Verbraucherschutzes hat es der Gerichtshof aber gelegentlich abgelehnt, im Wortlaut nicht genannte Einschränkungen der Richtlinie 2005/29/EG zu akzeptieren, die den Anwendungsbereich der Richtlinie oder ihrer Verbotstatbestände begrenzen.104

c) Rechtsaktimmanente und rechtsaktübergreifende Systematik. Neben dem Wortlaut 23 ist die Regelungssystematik der auszulegenden Norm in die Auslegung einzubeziehen, wobei zwischen der rechtsaktimmanenten und der rechtsaktübergreifenden Systematik zu unterscheiden ist. Für die Auslegung zu berücksichtigen ist zunächst die rechtsaktimmanente Systematik, also die Stellung der Norm im Gesamtgefüge des betreffenden Rechtsaktes.105 Dabei formuliert der Gerichtshof regelmäßig den Grundsatz, dass die Ausnahmebestimmungen eines Rechtsakts im Zweifel eng auszulegen sind, weil sonst die Ausnahme entgegen der Konzeption des Gesetzgebers zur Regel zu werden droht (singularia non sunt extendenda).106 Andererseits 99 EuGH 6. 10. 1982 – 283/81 – Slg. 1982, 3415 Tz. 18 – C.I.L.F.I.T.; EuGH 4. 10. 2007 – C-457/05 – Slg. 2007, I-8075 Tz. 17 – Diageo; EuGH 3. 6. 2010 – C-569/08 – Slg. 2010, I-4871 Tz. 33–35 – Schlicht; EuGH 9. 6. 2011 – C-52/10 – GRUR Int. 2011, 733 Tz. 23 – Alter Channel; EuGH 17. 11. 2011 – C-412/10 – NJW 2012, 441 Tz. 28 – Homawoo; EuGH 3. 4. 2014 – C-515/12 – GRUR 2014, 680 Tz. 19 – 4finance; zur Auslegung mehrsprachigen Unionsrechts auch Weiler ZEuP 2010, 861. 100 Zu den Vertragssprachen Art. 55 Abs. 1 EUV; zu den Amtssprachen des Sekundärrechts Art. 1 der Verordnung Nr. 1 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, ABl. 17 vom 6. 10. 1958, S. 385, geändert durch Verordnung (EU) Nr. 517/2013 des Rates vom 13. Mai 2013 zur Anpassung einiger Verordnungen und Beschlüsse …aufgrund des Beitritts der Republik Kroatien, ABl. L 158 vom 10. 6. 2013, S.1. Zur Gleichwertigkeit der Sprachfassungen EuGH 17. 9. 2009 – C-347/08 – Slg. 2009, I-8661 Tz. 26 – Voralberger Gebietskrankenkasse. 101 EuGH 27. 10. 1977 – 30/77 – Slg. 1977, 1999 Tz. 13/14 – Bouchereau; EuGH 4. 10. 2007 – C-457/05 – Slg. 2007, I8075 Tz. 18 – Diageo; EuGH 17. 9. 2009 – C-347/08 – Slg. 2009, I-8661 Tz. 26 – Voralberger Gebietskrankenkasse; EuGH 9. 6. 2011 – C-52/10 – GRUR Int. 2011, 733 Tz. 24 – Alter Channel; EuGH 19. 12. 2013 – C-281/12 – GRUR 2014, 196 Tz. 26 – Trento Sviluppo; EuGH 13. 3. 2014 – C-52/13 – GRUR 2014, 493 Tz. 21 – Posteshop. 102 Höpfner/Rüthers AcP 209 (2009) 1, 10. 103 EuGH 25. 10. 2001 – C-112/99 – Slg. 2001, I-7945 Tz. 35 f. – Toshiba (wörtliche Auslegung abzulehnen, da sie Widerspruch zu Zielen benachbarter Richtlinie begründet); siehe auch EuGH 19. 4. 2007 – C-381/05 – Slg. 2007, I3115 Tz. 61 – de Landtsheer; EuGH 12. 5. 2011 – C-122/10 – Slg. 2011, I-3903 Tz. 29 – Ving Sverige; EuGH (Große Kammer) 18. 10. 2011 – C-34/10 – Slg. 2011, I-9821 Tz. 31 f. – Brüstle. 104 EuGH 16. 4. 2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 43 – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság; siehe auch EuGH 3. 4. 2014 – C-515/12 – GRUR 2014, 680 Tz. 26 – 4finance: keine Definition der Höhe des finanziellen Beitrags des Verbrauchers durch die Mitgliedstaaten im Rahmen des „Schneeballsystems“ in Anhang I Nr. 14 RL 2005/29/EG. 105 Siehe etwa EuGH 28. 7. 2011 – C-195/09 – GRUR Int. 2011, 934 Tz. 39 ff. – Synthon; siehe auch EuGH 2. 9. 2010 – C-66/09 – GRUR Int. 2010, 974 Tz. 42 – Kirin Amgen: einheitlicher Begriff in unterschiedlichen Regeln eines Rechtsaktes grundsätzlich einheitlich auszulegen. 106 EuGH 20. 1. 2005 – C-27/02 – Slg. 2005, I-481 Tz. 42 f. – Engler; EuGH 15. 4. 2010 – C-215/08 – Slg. 2010, I-2947 Tz. 32 – E.Friz (Ausnahmen von unionsrechtlichen Verbraucherschutzvorschriften eng auszulegen); EuGH 16. 7. 2015 – C-544/13 und C-545/13 – GRUR 2015, 1028 Tz. 54 – Abcur AB; für Anwendung herkömmlicher Auslegungsregeln auch auf Ausnahmevorschriften Riesenhuber Die Auslegung in: Riesenhuber (Hrsg.) Europäische Methodenlehre, 3. Aufl. (2015), § 10 Rn. 63.

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hat der EuGH auch entschieden, dass der Verbraucherschutzgedanke nicht absolut zu verstehen ist, so dass eine zu enge Auslegung der Ausnahmetatbestände, die diese ihrer praktischen Wirksamkeit berauben würde, nicht angezeigt ist.107 Die Reichweite einer Ausnahmevorschrift lässt sich daher stets nur im Einzelfall bestimmen. Bei einer beispielhaften Aufzählung einzelner Tätigkeiten zur Konkretisierung einer Ausnahmevorschrift geht der EuGH davon aus, dass die „Ausnahme nur für Tätigkeiten gilt, die entweder dort ausdrücklich genannt sind oder derselben Kategorie zugeordnet werden können (eiusdem generis)“.108 Daneben zeichnet sich in der jüngeren Rechtsprechung immer stärker auch eine Berück24 sichtigung der rechtsaktübergreifenden systematischen Stellung der auszulegenden Norm innerhalb der Gesamt-Unionsrechtsordnung ab. Für die Einbeziehung höherrangigen Rechts (insbesondere der Grundrechte und Grundfreiheiten, des Binnenmarktkonzepts, des Verbraucherschutzziels und des Ziels unverfälschten Wettbewerbs) in die Auslegung ergibt sich dies bereits aus der Pflicht zur primärrechtskonformen Auslegung infolge des Geltungsvorrangs des Primärrechts.109 In der Judikatur des EuGH lässt sich zudem auch umgekehrt zumindest eine Inspiration bei der Auslegung des Primärrechts durch Regeln des abgeleiteten Rechts beobachten,110 die nicht aus normhierarchischen Gründen verworfen, sondern vielmehr als Beitrag zur Konkretisierung der häufig vagen Begriffe der EU-Verträge begrüßt werden sollte. 25 Im Verhältnis von gleichrangigen Rechtsakten wie parallelen Richtlinien oder Verordnungen sind im Interesse der Einheit und Kohärenz der Unionsrechtsordnung die in unterschiedlichen Rechtsakten verwendeten Begriffe zumindest dann gleich auszulegen, wenn der Unionsgesetzgeber keinen abweichenden Willen zum Ausdruck gebracht hat und der betreffende Rechtsakt auf den Grundsätzen und Bestimmungen des betreffenden Sachgebiets beruht.111 Für die Richtlinie 2005/29/EG folgt aus diesem horizontalen Kohärenzpostulat, dass sie als allgemeines Regelungswerk innerhalb der Unionsgesetzgebung auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes aufgefasst werden muss (unten Rn. 238 f.), das einer kohärenten Auslegung mit den benachbarten besonderen Verbraucherschutzinstrumenten (z. B. des Verbrauchervertragsrechts) bedarf, um Wertungswidersprüche zu vermeiden.112 Das Kohärenzpostulat erstreckt 107 EuGH 1. 3. 2012 – C-166/11 – NJW 2012, 1709 Tz. 27 – Nationale Nederlanden (zu den Ausnahmetatbeständen des Art. 3 Abs. 2 der Haustürwiderrufsrichtlinie 85/577/EWG = Art. 3 Abs. 3 RL 2011/83/EU). 108 EuGH (Große Kammer) 16. 12. 2008 – C-73/07 – Slg. 2008, I-9831 Tz. 41 – Satakunnan Markkinapörssi. 109 EuGH 4. 2. 1988 – 157/86 – Slg. 1988, 673 Tz. 11 – Murphy. Zu den Grundfreiheiten Art. 4 und Erwägungsgrund 2 Satz 1, 4 Satz 2 und 5 Satz 1 RL 2005/29/EG; EuGH 2. 2. 1994 – C-315/92 – Slg. 1994, I-317 Tz. 12 – Clinique; EuGH 16. 1. 2003 – C-14/00 – Slg. 2003, I-513 Tz. 66 – Kommission/Italienische Republik; EuGH (Große Kammer) 17. 4. 2007 – C-470/03 – Slg. 2007, I-2749 Tz. 59 f. – A.G.M.-COS.MET; EuGH 4. 10. 2007 – C-457/05 – Slg. 2007, I-8075 Tz. 22 – Diageo; zu den Grundrechten Erwägungsgrund 25 RL 2005/29/EG und EuGH 23. 10. 2003 – C-245/01 – Slg. 2003, I-12489 Tz. 67 – RTL; EuGH 25. 3. 2004 – C-71/02 – Slg. 2004, I-3025 Tz. 49 – Karner; EuGH 2. 4. 2009 – C-421/07 – Slg. 2009, I-2629 Tz. 25 ff. – Damgaard; zum Gleichbehandlungsgrundsatz EuGH 19. 11. 2009 – C-402/07 und C-432/07 – Slg. 2009, I-10923 Tz. 48 – Sturgeon; siehe auch EuGH (Große Kammer) 26. 6. 2007 – C-305/05 – Slg. 2007, I-5305 Tz. 28 – Ordre des barreaux francophones: im Zweifel Auslegung abgeleiteten Rechts zu wählen, die mit dem EG-Vertrag vereinbar ist. 110 Zur Inspiration der Auslegung der Grundfreiheiten durch das Sekundärrecht vgl. EuGH 5. 12. 2000 – C-448/ 98 – Slg. 2000, I-10663 Tz. 28 – Guimont; EuGH 11. 12. 2003 – C-322/01 – Slg. 2003, I-14887 Tz. 107 – Deutscher Apothekerverband; EuGH 23. 2. 2006 – C-441/04 – Slg. 2006, I-2093 Tz. 28 – A-Punkt Schmuckhandel; EuGH 8. 11. 2007 – C-143/06 – Slg. 2007, I-9623 Tz. 33 ff. – Ludwigs-Apotheke. 111 EuGH (Große Kammer) 4. 10. 2011 – C-403/08 und C-429/08 – Slg. 2011, I-9083 Tz. 187 f. – Football Association Premier League; zu den Grenzen einer rechtsaktübergreifenden Auslegung infolge einer spezielleren Regelung (lex specialis) aber auch EuGH (Große Kammer) 3. 7. 2012 – C-128/11 – GRUR 2012, 904 Tz. 60 – UsedSoft; siehe auch EuGH 25. 10. 2001 – C-112/99 – Slg. 2001, I-7945 Tz. 35 f. – Toshiba für den Auslegungszusammenhang zwischen RL 84/450/EWG und RL 89/104/EWG; zur Bedeutung dieses Postulats Handig GRUR Int. 2012, 9, 10; allgemein zur rechtsaktübergreifenden Systematik Grundmann RabelsZ 75 (2011) 882, 909 ff. 112 EuGH 4. 10. 2018 – C-105/17 – GRUR 2018, 1154 Tz. 28 f. – Kamenova (zum Begriff „Gewerbetreibender“ bzw. Unternehmer in den Richtlinien 2005/29 und 2011/83); Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 29. 11. 2011 – C-453/10 – BeckRS 2011, 81770 Tz. 88 ff., 125 – Pereničová; siehe auch Art. 7 Abs. 5 (zu Informationspflichten) und Erwägungsgrund 10 RL 2005/29/EG; EuGH 15. 3. 2010 – C-453/10 – GRUR 2012, 639 Tz. 43 – Pereničo-

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I. Allgemeine Lehren des Unionsrechts

Einleitung

sich, soweit der Unionsgesetzgeber keinen abweichenden Willen zum Ausdruck gebracht hat, grundsätzlich auch auf die für die Union verbindlichen internationalen Verträge wie das TRIPS,113 die im Lauterkeitsrecht indes – im Unterschied zum Recht des geistigen Eigentums – nur selten Relevanz erlangen dürften (unten Rn. 76 ff.).

d) Sinn und Zweck. Eine besondere Bedeutung unter den Auslegungsmethoden kommt den 26 Zielen der Regelung zu,114 die sich regelmäßig aus den einleitenden Bestimmungen des Rechtsakts,115 aus den Erwägungsgründen116 oder aus der Unionsrechtsordnung insgesamt117 ableiten lassen. Bei der Auslegung ist grundsätzlich zwischen den Zielen der konkret auszulegenden Norm, die sich manchmal aus einem konkreten Erwägungsgrund zu dieser Vorschrift entnehmen lassen, und den Zielen der gesamten Richtlinie zu unterscheiden, auch wenn letztere nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs maßgeblich auf die Auslegung der Einzelnormen ausstrahlen.118 Als Regelungsziel lässt sich für die Richtlinie 2005/29/EG das Anliegen identifizieren, einheitliche und vollständig harmonisierte Regeln für unlautere Geschäftspraktiken zwischen Unternehmen und Verbrauchern aufzustellen,119 um zu einem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts und zum Erreichen eines hohen Verbraucherschutzniveaus120 beizutragen (unten Rn. 233).121 Ziel der Regeln über vergleichende Werbung in der Richtlinie 2006/ 114/EG ist es, den Wettbewerb zwischen den Anbietern von Waren und Dienstleistungen im Interesse der Verbraucher zu fördern, indem den Mitbewerbern erlaubt wird, durch vergleichende Werbung die Vorteile der verschiedenen vergleichbaren Erzeugnisse objektiv herauszustellen (unten Rn. 343).122

vá; EuGH 25. 7. 2018 – C-632/16 – GRUR 2018, 940 Tz. 56 – Dyson (zur Erstreckung des Verbraucherleitbilds der RL 2005/29/EG auf spezialgesetzliche Irreführungstatbestände); zur einheitlichen Auslegung im Recht des geistigen Eigentums EuGH 18. 10. 2018 – C-149/17 – GRUR 2018, 1234 Tz. 27 – Bastei Lübbe. Für Auslegungsdivergenz bei den Rechtsfolgen des Verstoßes zwischen der RL 2005/29/EG und der RL 93/13/EWG aber auch EuGH 19. 9. 2018 – C-109/ 17 – WRP 2019, 44 Tz. 36 – Mari Merino; zum Verhältnis von Lauterkeitsrecht und Vertragsrecht unten Rn. 309 ff. 113 EuGH (Große Kammer) 4. 10. 2011 – C-403/08 und C-429/08 – Slg. 2011, I-9083 Tz. 189 – Football Association Premier League. 114 Vgl. EuGH 25. 10. 2001 – C-112/99 – Slg. 2001, I-7945 Tz. 35 f. – Toshiba (wörtliche Auslegung abzulehnen, da sie Widerspruch zu Zielen benachbarter Richtlinie begründet); siehe auch EuGH 19. 4. 2007 – C-381/05 – Slg. 2007, I-3115 Tz. 61 – de Landtsheer; EuGH 12. 5. 2011 – C-122/10 – Slg. 2011, I-3903 Tz. 29 – Ving Sverige; EuGH (Große Kammer) 18. 10. 2011 – C-34/10 – Slg. 2011, I-9821 Tz. 31 f. – Brüstle. 115 Siehe dazu die Darstellung zu den einzelnen Rechtsakten unten Rn. 233, 343, 371, 388, 401, 415. 116 Für eine Definition des Zwecks anhand der Erwägungsgründe etwa EuGH 15. 4. 2010 – C-511/08 – Slg. 2010, I3047 Tz. 54 – Handelsgesellschaft Heinrich Heine; EuGH 27. 1. 2011 – C-168/09 – Slg. 2011, I-181 Tz. 38 – Flos; EuGH (Große Kammer) 18. 10. 2011 – C-34/10 – Slg. 2011, I-9821 Tz. 27 – Brüstle. 117 Etwa den Kompetenzvorschriften, im Lauterkeitsrecht also regelmäßig Art. 114 AEUV, vgl. EuGH 4. 12. 1997 – C-97/96 – Slg. 1997, I-6843 Tz. 18 ff. – Daihatsu. Andere Grundwertungen finden sich in Art. 2 und Art. 3 EUV und den Querschnittsklauseln der Art. 8 ff., ferner in Art. 114 Abs. 3, 119 Abs. 1, 147 Abs. 2, 167 Abs. 4, 168 Abs. 1, 169 Abs. 1, 173 Abs. 3 und 179 Abs. 1 AEUV. 118 Zur Auslegung des Art. 7 Abs. 4 RL 2005/29/EG im Lichte des hohen Verbraucherschutzniveaus EuGH 12. 5. 2011 – C-122/10 – Slg. 2011, I-3903 Tz. 29 – Ving Sverige; kritisch zur Vermischung der Ziele einer konkreten Vorschrift und des Gesamtrechtsakts Herresthal ZEuP 2009, 598, 604. 119 Der Vollharmonisierung kommt dabei der Vorrang zu, so dass eine Abweichung auch nicht gestattet ist, um ein höheres Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten, EuGH 23. 4. 2009 – C-261/07 und C-299/07 – Slg. 2009, I2949 Tz. 52 – VTB-VAB; EuGH 14. 1. 2010 – C-304/08 – Slg. 2010, I-217 Tz. 41 – Plus Warenhandelsgesellschaft. 120 EuGH 12. 5. 2011 – C-122/10 – Slg. 2011, I-3903 Tz. 29 – Ving Sverige; dazu auch unten Rn. 159. 121 Art. 1, Erwägungsgrund 5, 6 RL 2005/29/EG; EuGH 23. 4. 2009 – C-261/07 und C-299/07 – Slg. 2009, I-2949 Tz. 51 – VTB-VAB. 122 EuGH (Große Kammer) 19. 9. 2006 – C-356/04 – Slg. 2006, I-8501 Tz. 33 – Lidl Belgium; EuGH 18. 11. 2010 – C159/09 – Slg. 2010, I-11761 Tz. 20 f. – Lidl SNC; EuGH 8. 2. 2017 – C-562/15 – GRUR 2017, 280 Tz. 21 – Carrefour.

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Einleitung

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

Eine Variante der teleologischen Auslegung ist die Auslegung unionsrechtlicher Vorschriften im Interesse ihrer praktischen Wirksamkeit (Effektivität), die es gebietet, bei mehreren Auslegungsalternativen derjenigen den Vorzug zu geben, die die praktische Wirksamkeit (effet utile) der Vorschrift zu wahren am besten geeignet ist,123 beispielsweise indem Umgehungstaktiken der Normunterworfenen durch weite Auslegung vorgebeugt wird oder indem durch Auslegung besonders häufige unlautere Geschäftspraktiken erfasst werden.124

28 e) Entstehungsgeschichte. Schließlich lassen sich auch aus der Entstehungsgeschichte des Sekundärrechtsaktes125 Hinweise für die autonome Auslegung des Unionsrechts gewinnen, selbst wenn diese nicht explizit in die Erwägungsgründe126 oder den verfügenden Teil des Rechtsaktes Eingang gefunden haben. Obwohl die Gleichrangigkeit der entstehungsgeschichtlichen Auslegung in der Rechtsprechung des EuGH im Verhältnis zu Wortlaut, Systematik und Zweck unsicher ist,127 so spielen entstehungsgeschichtliche Argumente doch zumindest dann eine Rolle, wenn sich aus den anderen Auslegungsmethoden kein eindeutiges Ergebnis gewinnen lässt oder wenn ein anderweitig begründetes Ergebnis abgesichert werden soll.128 Bei der Auslegung der lauterkeitsrechtlichen Richtlinien empfiehlt sich deshalb eine sorgfältige Analyse der Gesetzgebungsmaterialien,129 also insbesondere der Begründung der Kommission,130 der Diskussionen im Europäischen Parlament131 und der Änderungen durch den Rat, insbesondere im Gemeinsamen Standpunkt.132 Die entstehungsgeschichtlichen Argumente stehen allerdings unter dem Vorbehalt, dass 29 sie auch in der endgültigen Fassung des Rechtsaktes Fortwirkung entfalteten und Nieder123 EuGH 9. 3. 2006 – C-174/05 – Slg. 2006, I-2443 Tz. 20 – Zuid-Hollandse Milieufederatie und Natuur en Milieu; siehe bereits EuGH 15. 7. 1963 – 34/62 – Slg. 1962, 289, 318 – Kommission/Deutschland: „jeder Wirksamkeit berauben würde“; zur Richtlinie 2005/29/EG EuGH 19. 9. 2013 – C-435/11 – GRUR 2013, 1157 Tz. 46 – CHS Tour Services. 124 Zu Umgehungstaktiken EuGH 12. 5. 2011 – C-122/10 – Slg. 2011, I-3903 Tz. 39 – Ving Sverige; EuGH (Große Kammer) 18. 10. 2011 – C-34/10 – Slg. 2011, I-9821 Tz. 50 – Brüstle; EuGH 15. 12. 2016 – C-667/15 – GRUR 2017, 193 Tz. 31 – Loterie Nationale; siehe auch EuGH 1. 12. 2011 – C-446/09 und C-495/09 – GRUR 2012, 828 Tz. 72–74 – Philips; zur Einbeziehung häufiger Praktiken EuGH 19. 9. 2013 – C-435/11 – GRUR 2013, 1157 Tz. 46 – CHS Tour Services. 125 Regelmäßig unergiebig sind die Materialien zum Primärrecht, vgl. EuGH (Große Kammer) 12. 4. 2005 – C- 61/ 03 – Slg. 2005, I-2477 Tz. 29 – Kommission/Vereinigtes Königreich, die zudem erst in jüngerer Zeit veröffentlicht wurden, vgl. Schulze/Hoeren Dokumente zum Europäischen Recht (2000). 126 Zuweilen wird auch die Heranziehung der Erwägungsgründe des Rechtsaktes als Teil der entstehungsgeschichtlichen Auslegung angesehen, etwa MünchKomm/Leible, 1. Aufl. 2006, EG A Rn. 157. Angesichts des untrennbaren Zusammenhangs zwischen Erwägungsgründen und verfügendem Teil des Rechtsaktes werden sie hier aber als Teil des auszulegenden Normenmaterials eingestuft, siehe oben Rn. 18. 127 Siehe EuGH (Große Kammer) 9. 3. 2010 – C-518/07 – Slg. 2010, I-1885 Tz. 29 – Kommission/Deutschland: keine Berücksichtigung entstehungsgeschichtlicher Argumente, wenn aufgrund von Wortlaut, Zielen und Systematik „klare Auslegung“ möglich ist; für Gleichrangigkeit Höpfner/Rüthers AcP 209 (2009) 1, 15. 128 Für Beispiele EuGH 3. 4. 2008 – C-306/06 – Slg. 2008, I-1923 Tz. 25 – 01051 Telecom; EuGH (Große Kammer) 4. 10. 2011 – C-403/08 und C-429/08 – Slg. 2011, I-9083 Tz. 201 f. – Football Association Premier League. Zuweilen wird ein entstehungsgeschichtliches Argument dadurch verdeckt, dass sich der Gerichtshof auf die Schlussanträge des Generalanwalts bezieht, der sich wiederum auf die Entstehungsgeschichte stützt, siehe etwa EuGH 22. 12. 2010 – C-393/09 – Slg. 2010, I-13971 Tz. 38 – BSA mit Verweis auf die Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 14. 10. 2010 – C-393/09 – BeckRS 2010, 91196 Tz. 61 – BSA, der in Tz. 60 f. wiederum auf seine Auslegung anhand der Kommissionsbegründung zum ursprünglichen Richtlinienvorschlag verweist (Tz. 47). 129 Für die einzelnen lauterkeitsrechtlichen Richtlinien finden sich Nachweise zur Entstehungsgeschichte jeweils zum Beginn der Einzelkommentierungen unten bei Rn. 235, 351–352. 130 Für Beispiele EuGH 25. 2. 2010 – C-381/08 – Slg. 2010, I-1255 Tz. 52 – Car Trim; EuGH 28. 10. 2010 – C-203/09 – Slg. 2010, I-10721 Tz. 40 – Volvo Car Germany. 131 Für ein Beispiel EuGH 16. 10. 2003 – C-363/01 – Slg. 2003, I-11893 Tz. 50 – Flughafen Hannover-Langenhagen. 132 Für Beispiele EuGH 17. 4. 2008 – C-404/06 – Slg. 2008, I-2685 Tz. 30 – Quelle; EuGH (Große Kammer) 4. 10. 2011 – C-403/08 und C-429/08 – Slg. 2011, I-9083 Tz. 201 – Football Association Premier League.

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I. Allgemeine Lehren des Unionsrechts

Einleitung

schlag fanden, insbesondere dass dort keine abweichende Regelung aufgenommen wurde.133 An einer solchen Fortwirkung wird es bei Stellungnahmen einzelner Staaten im Rat (z. B. Protokollerklärungen einzelner Mitgliedstaaten) häufig fehlen, weil angesichts der in Art. 114 Abs. 1 AEUV vorgesehenen Mehrheitsentscheidung im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren nicht ohne weiteres davon auszugehen ist, dass der Inhalt der Protokollerklärung auch im endgültigen Rechtsakt Niederschlag fand. Zudem ist bei der Würdigung entstehungsgeschichtlicher Argumente zu beachten, dass der gegenwärtige Stand des Unionsrechts und nicht sein Stand zum Zeitpunkt der Beratung des Rechtsaktes Referenzpunkt der Auslegung sein muss.134

f ) Rechtsvergleichung. Eine nur untergeordnete Bedeutung bei der Auslegung des Unions- 30 rechts kommt der Rechtsvergleichung zu.135 Zwar vermag diese sowohl den Gesetzgebungsprozess wie die Herausbildung allgemeiner Rechtsgrundsätze auf Unionsebene und nicht zuletzt auch die Entscheidungsfindung des supranational besetzten Gerichtshofes zu beeinflussen. Allerdings sind diese Einflüsse eher implizit, auch weil die vergleichenden Vorarbeiten in den Entscheidungen des Gerichtshofes regelmäßig überhaupt nicht und in den Schlussanträgen der Generalanwälte häufig nur in Ansätzen offengelegt werden und weil ein umfassender Vergleich aller nationalen Rechtsordnungen in einer Union mit 27 Mitgliedstaaten kaum mehr zu leisten ist. Zudem nimmt als Folge der Verdichtung des Unionsrechts die Neigung zu selbstreferentieller Auslegung zum Nachteil der Rechtsvergleichung zu.136 Vor allem aber verfolgt das Unionsrecht gerade auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts eigene und gegenüber den nationalen Rechtsordnungen z. T. unterschiedliche (Binnenmarktintegration) Ziele, die durch eine vergleichende Analyse der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen nicht adäquat abgebildet werden.137 Ungeachtet dieser Bedenken sind die Erkenntnisse der Rechtsvergleichung (z. B. zur Umsetzung europäischer Richtlinien in anderen Staaten als vergleichende Implementationsforschung) von Interesse, um das Panorama denkbarer Auslegungsvarianten zu erkunden und sachgerechte Vorlagefragen an den Gerichtshof zu formulieren. 4. Anwendung des Unionsrechts a) Tatsachenfeststellung und Subsumtion. Trotz ihrer Verpflichtung zur europäisch-auto- 31 nomen Auslegung verbleibt den nationalen Gerichten in der Praxis ein erheblicher Spielraum 133 Siehe EuGH 3. 12. 1998 – C-233/97 – Slg. 1998, I-8069 Tz. 23 – KappAhl Oy; EuGH 10. 1. 2006 – C-402/03 – Slg. 2006, I-199 Tz. 42 – Skov und Bilka; EuGH 17. 4. 2008 – C-404/06 – Slg. 2008, I-2685 Tz. 32 – Quelle. 134 EuGH 14. 1. 2010 – C-304/08 – Slg. 2010, I-217 Tz. 33 – Plus Warenhandelsgesellschaft; EuGH (Große Kammer) 9. 11. 2010 – C-540/08 – Slg. 2010, I-10909 Tz. 19 – Mediaprint; grundlegend bereits EuGH 6. 10. 1982 – 283/81 – Slg. 1982, 3415 Tz. 20 – C.I.L.F.I.T. 135 Vgl. MünchKomm/Leible, 1. Aufl. 2006, EG A Rn. 171, der zwischen der Auslegung des primären und des sekundären Unionsrechts unterscheidet; auch Höpfner/Rüthers AcP 209 (2009) 1, 17: „kein eigenständiges Auslegungskriterium“. Für eine größere Bedeutung der Rechtsvergleichung Martens Rechtsvergleichung und grenzüberwindende Jurisprudenz in: Busch/Kopp/McGuire/Zimmermann (Hrsg.) Europäische Methodik: Konvergenz und Diskrepanz europäischen und nationalen Privatrechts – Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler 2009 (2010), S. 27, 32, 39. 136 Vgl. Metzger Extra legem intra ius – Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Privatrecht (2009), S. 556, der einen Bedeutungsverlust der aus Rechtsvergleichung geschöpften Rechtsgrundsätze prognostiziert. 137 Wurmnest/Heinze General Principles of Tort Law in the Jurisprudence of the European Court of Justice in: Schulze (Hrsg.) Compensation of Private Losses (2011), S. 39, 50. Siehe nur den Begriff der beruflichen Sorgfalt in Art. 5 Abs. 2 lit. a RL 2005/29/EG, dem trotz seiner (möglichen) Beeinflussung durch nationale Vorbilder etwa im italienischen Recht (Art. 2598 Nr. 3 Codice Civile) eine eigenständige autonome Bedeutung zukommt, vgl. Dröge Lauterkeitsrechtliche Generalklauseln im Vergleich (2007), S. 69 ff., 77 ff.; Dohrn Die Generalklausel der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (2008), S. 132 f. Gleiches gilt für das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken, Apetz Das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken (2011), S. 52 f.

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Einleitung

C. Europäisches Wettbewerbsrecht

bei der Anwendung des Unionsrechts. Dieser umfasst neben der Tatsachenfeststellung138 vor allem die konkrete Subsumtion unter die vom EuGH entfalteten Begrifflichkeiten des Unionsrechts, die der Gerichtshof im Sekundärrecht regelmäßig den nationalen Gerichten überlässt,139 auch wenn er manchmal im Einzelfall dem nationalen Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts gibt, die diesem für seine Entscheidung dienlich sein könnten.140

32 b) Konkretisierung von Generalklauseln. Darüber hinaus lässt sich beobachten, dass der Gerichtshof zuweilen – etwa bei der Auslegung von Generalklauseln141 oder der Abwägung widerstreitender Grundrechtspositionen142 – auch echte Rechtsfragen an die nationalen Gerichte zurückdelegiert und sich auf die Vorgabe übergeordneter Auslegungsdirektiven beschränkt, so dass es zur Ausbildung gleichsam halbautonomer Rechtsbegriffe kommt.143 Synonym für diese Entwicklung steht die Entscheidung Freiburger Kommunalbauten, in welcher der EuGH zwischen den allgemeinen Kriterien für die Beurteilung einer missbräuchlichen Vertragsklausel, die vom Gerichtshof selbst definiert werden, und der Anwendung dieser Kriterien auf konkrete Klauseln unterschied, die durch die nationalen Gerichte anhand der Umstände des konkreten Falles vorzunehmen sei.144 33 Ungeachtet der allgemeinen Diskussion um die Konkretisierung von Generalklauseln im europäischen Recht145 ist dennoch im unionalen Lauterkeitsrecht an einer umfassenden Konkretisierungskompetenz des EuGH auch bei Generalklauseln und Abwägungsentscheidungen festzuhalten.146 Für eine umfassende Kompetenz spricht nicht nur der Zweck der Richtlinie 2005/29/EG,147 die Regeln über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern vollständig zu harmonisieren, um im Interesse eines reibungslosen Funktionieren des Binnenmarktes einheitliche Regeln für Unternehmer wie Verbraucher zu definieren.148 Auch ist der Kontext im Lauterkeitsrecht ein anderer als bei der Angemessenheitskontrolle von Ver138 EuGH 18. 6. 2009 – C-487/07 – Slg. 2009, I-5185 Tz. 33 – L’Oréal. 139 EuGH 18. 11. 2010 – C-159/09 – Slg. 2010, I-11761 Tz. 33 – Lidl SNC: konkrete Prüfung der Substituierbarkeit sei Sache der nationalen Gerichte; EuGH 12. 5. 2011 – C-122/10 – Slg. 2011, I-3903 Tz. 48, 58, 70 f. – Ving Sverige: Beurteilung der hinreichenden Verbraucherinformation für eine informierte geschäftliche Entscheidung im Einzelfall Sache des nationalen Gerichts; siehe bereits EuGH 27. 3. 1963 – 28/62 bis 30/62 – Slg. 1963, 63, 81 – da Costa. 140 EuGH 10. 7. 2008 – C-54/07 – Slg. 2008, I- 5187 Tz. 19 – Feryn. 141 EuGH 1. 4. 2004 – C- 237/02 – Slg. 2004, I-3403 Tz. 22 – Freiburger Kommunalbauten; EuGH 16. 11. 2010 – C76/10 – Slg. 2010 I-11557 Tz. 56, 60 – Pohotovosť. Allgemein zur Funktion von Generalklauseln im Unionsprivatrecht Basedow AcP 210 (2010) 157, 174 f. 142 EuGH (Große Kammer) 29. 1. 2008 – C-275/06 – Slg. 2008, I-271 Tz. 68 – Promusicae. 143 Basedow AcP 210 (2010) 157, 173: „Eindruck einer nur partiellen Harmonisierung“; am Beispiel des Schadensbegriffs Heinze Schadensersatz im Unionsprivatrecht (2017), S. 582. 144 EuGH 1. 4. 2004 – C-237/02 – Slg. 2004, I-3403 Tz. 22 – Freiburger Kommunalbauten; jüngst EuGH (Große Kammer) 9. 11. 2010 – C-137/08 – Slg. 2010 I-10847 Tz. 40, 42, 44 – Ferenc Schneider. 145 Für eine umfassende Konkretisierungskompetenz des EuGH Röthel Normkonkretisierung im Privatrecht (2004) S. 407; Basedow AcP 210 (2010) 157, 173; a. A. etwa Roth FS Drobnig (1998), 135, 140 ff. 146 Sosnitza WRP 2006, 1, 6; Stuyck/Terryn/van Dyck CMLR 43 (2006) 107, 138 ff.; Leistner ZEuP 2009, 56, 83; Schillig Konkretisierungskompetenz und Konkretisierungsmethoden im Europäischen Privatrecht (2009), S. 236, 244; Schmidt Konkretisierung von Generalklauseln im europäischen Privatrecht (2009), S. 157. 147 Die Vollharmonisierung betrifft auch die vergleichende Werbung (Art. 8 Abs. 1 Satz 2 RL 2006/114/EG) und zahlreiche Rechtsakte des besonderen Lauterkeitsrechts. Soweit sich das unionale Lauterkeitsrecht auf eine Mindestharmonisierung beschränkt (etwa bei der irreführenden Werbung gegenüber Unternehmern, Art. 8 Abs. 1 Satz 1 RL 2006/114/EG), verbleibt den Mitgliedstaaten naturgemäß ein Konkretisierungsspielraum. Dennoch ist auch hier dem EuGH eine umfassende Konkretisierungskompetenz im Hinblick auf die Definition des unionsrechtlichen Mindeststandards zuzubilligen, um die Einheitlichkeit des europäischen (Lauterkeits-)Rechts zu wahren. 148 EuGH 23. 4. 2009 – C-261/07 und C-299/07 – Slg. 2009, I-2949 Tz. 51 f. – VTB-VAB unter Hinweis auf Art. 1 und 4 und Erwägungsgrund 4 und 5 RL 2005/29/EG; zum Scheitern der Harmonisierung bei verweigerter Konkretisierung von Generalklauseln Basedow AcP 210 (2010) 157, 173. Das Ziel des Verbraucherschutzes ist dem Ziel einheitlicher Regeln im Interesse der Binnenmarktintegration untergeordnet, so dass eine Abweichung auch nicht gestattet ist,

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tragsklauseln, weil zur Konkretisierung des Art. 5 Abs. 2 RL 2005/29/EG durch die speziellen Tatbestände der Art. 6–9, den Anhang I der RL 2005/29/EG, die Judikatur zum Primärrecht (insbesondere den Grundfreiheiten) und die Regeln des besonderen unionalen Lauterkeitsrechts in weit stärkerem Maße europäische Vorgaben existieren als bei der Konkretisierung der Klauselrichtlinie, deren Referenzmaßstab in weiten Teilen das nichtharmonisierte nationale Vertragsrecht ist.149 Allenfalls mag man konstatieren, dass der EuGH bei den unflexiblen Tatbeständen der schwarzen Liste in Anhang I eher den Fall durchentscheiden wird als bei der Auslegung der Generalklausel des Art. 5 Abs. 2 RL 2005/29/EG, bei der es wegen der Situationsgebundenheit (Erwägungsgrund 7 Satz 5 RL 2005/29/EG) häufig unumgänglich sein wird, lediglich – wenn auch detaillierte – Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben und die konkrete Subsumtion dem nationalen Gericht zu überlassen.150

c) Einfluss des nationalen Rechts. Auch bei umfassender Konkretisierungskompetenz des 34 EuGH wird die Generalklausel des Art. 5 Abs. 2 allerdings nicht vom nationalen Recht unbeeinflusst bleiben, weil die „Erfordernisse der beruflichen Sorgfaltspflicht“ in Art. 5 Abs. 2 lit. a und Art. 2 lit. h RL 2005/29/EG auch durch nationale Vorschriften bestimmt werden können.151 Zwar ist der an die berufliche Sorgfaltspflicht anzulegende Maßstab europäisch-autonom zu definieren.152 Im Rahmen dieses autonom-europäischen Begriffs der beruflichen Sorgfalt kann aber von einem Gewerbetreibenden (mindestens) erwartet werden, dass „er seine geschäftliche Tätigkeit im Einklang mit der relevanten Gesetzgebung ausübt und besondere Sorgfalt im Umgang mit einem Verbraucher an den Tag legt“,153 so dass auch nationale Regeln über verbrauchergerichtete Geschäftspraktiken, die im Rahmen der durch den Unionsgesetzgeber eröffneten Regelungsspielräume erlassen wurden,154 den Maßstab der beruflichen Sorgfalt ausfüllen können. Als Beispiele sind etwa Regeln für reglementierte Berufe oder berufsständische Verhaltenskodizes155 (Art. 3 Abs. 8 RL 2005/ 29/EG) oder die durch das anwendbare nationale Vertragsrecht definierten Angaben über den „Umfang der Verpflichtungen des Gewerbetreibenden“ (Art. 6 Abs. 1 lit. c RL 2005/29/EG) zu nen-

um ein höheres Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten, EuGH 23. 4. 2009 – C-261/07 und C-299/07 – Slg. 2009, I-2949 Tz. 52 – VTB-VAB; EuGH 14. 1. 2010 – C-304/08 – Slg. 2010, I-217 Tz. 41 – Plus Warenhandelsgesellschaft. 149 Sosnitza WRP 2006, 1, 6; Leistner ZEuP 2009, 56, 83. Siehe auch Apetz Das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken (2011), S. 63 f., der unter Hinweis auf KOM (2003) 356, S. 16 Rn. 58 („Sicherheitsnetz“) herausarbeitet, dass die Delegation der Entscheidung auf die Gerichte durch die Generalklausel aus Gründen der Flexibilisierung, nicht aus Gründen der Delegation von Auslegungskompetenz auf die nationale Ebene gewählt wurde. 150 Stuyck/Terryn/van Dyck CMLR 43 (2006) 107, 140. Siehe etwa EuGH 7. 9. 2016 – C-310/15 – GRUR 2016, 1180 Tz. 32 ff. – Sony Europe (zur Generalklausel des Art. 5 Abs. 2 RL 2005/29/EG, mit allerdings detaillierten Vorgaben); EuGH 8. 2. 2017 – C-562/15 – GRUR 2017, 280 Tz. 31 – Carrefour (zu Art. 7 Abs. 1, 2 RL 2005/29/EG: Irreführung ist im Einzelfall von den nationalen Gerichten zu prüfen); EuGH 30. 3. 2017 – C-146/16 – GRUR 2017, 535 Tz. 32 – DHL Paket (zu Art. 7 Abs. 4 lit. b RL 2005/29/EG: „Sache des vorlegenden Gerichts, in jedem Einzelfall zu prüfen“) gegenüber der detaillierten Auslegung des Anhangs I Nr. 14 RL 2005/29/EG in EuGH 3. 4. 2014 – C-515/12 – GRUR 2014, 680 Tz. 34 – 4finance; EuGH 15. 12. 2016 – C-667/15 – GRUR 2017, 193 Tz. 19, 33 – Loterie Nationale. 151 BGH 5. 6. 2008 – I ZR 4/06 – GRUR 2008, 807 Tz. 20 – Millionen-Chance I; BGH 11. 3. 2009 – I ZR 194/06 – GRUR 2009, 1064 Tz. 19 – Geld-zurück-Garantie II. 152 Busch Lauterkeitsrecht in Europa: Acquis communautaire in: Schmidt-Kessel/Schubmehl (Hrsg.) Lauterkeitsrecht in Europa (2011), S. 1, 19; wohl auch EuGH 7. 9. 2016 – C-310/15 – GRUR 2016, 1180 Tz. 33 ff., 34 – Sony Europe. 153 Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 29. 11. 2011 – C-453/10 – BeckRS 2011, 81770 Tz. 106 – Pereničová; siehe auch von Walter Rechtsbruch als unlauteres Marktverhalten (2007), S. 188. 154 Dazu im Kontext des alten § 4 Nr. 11 UWG (nunmehr § 3a UWG) Böhler Alter und neuer Rechtsbruchtatbestand (2009), S. 191. 155 Für einen Rückgriff allein auf europäische Verhaltenskodizes demgegenüber Busch Lauterkeitsrecht in Europa: Acquis communautaire in: Schmidt-Kessel/Schubmehl (Hrsg.) Lauterkeitsrecht in Europa (2011) S. 1, 20.

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nen.156 Ein weiteres Einfallstor nationaler Wertungen könnte die Konkretisierung der „sozialen, kulturellen und sprachlichen Faktoren“ (Erwägungsgrund 18 Satz 2 RL 2005/29/EG) sein.157

5. Das Vorabentscheidungsverfahren zum EuGH 35 a) Vorlagerecht. Zur verbindlichen Auslegung und Sicherung einer einheitlichen Anwendung des Unionsrechts158 ist der Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg berufen (Art. 19 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 lit. b EUV). Art. 267 Abs. 2 AEUV159 eröffnet deshalb jedem Gericht160 eines Mitgliedstaates die Möglichkeit, Fragen über die Auslegung der Verträge (Art. 267 Abs. 1 lit. a AEUV) und des europäischen Sekundärrechts („Handlungen der Organe“, Art. 267 Abs. 1 lit. b AEUV) einschließlich der von der Union geschlossenen internationalen Übereinkommen161 dem Gerichtshof unter Darlegung der Sach- und Rechtslage162 zur Vorabentscheidung vorzulegen, soweit es die Beantwortung dieser Fragen als entscheidungserheblich ansieht.163 Die Entscheidungserheblichkeit ist grundsätzlich allein durch das nationale Gericht zu beurteilen und wird vom EuGH vermutet.164 Nur bei offensichtlicher Irrelevanz kann der EuGH eine Frage zu-

156 Für irreführende Unterlassungen sieht Erwägungsgrund 15 Satz 5 RL 2005/29/EG vor, dass die Verletzung von den Mitgliedstaaten „auf der Grundlage von Mindestklauseln“ eingeführten Informationsanforderungen, „die über das hinausgehen, was im Gemeinschaftsrecht geregelt ist“, einem irreführenden Unterlassen nach der Richtlinie nicht gleichkommt. Diese Formulierung wirft die Frage auf, ob und unter welchen Voraussetzungen die Verletzung von Informationspflichten bei Vertragstypen, die bisher überhaupt keine (nicht einmal eine Mindest-)Harmonisierung auf Unionsebene erfahren haben, ein irreführendes Unterlassen nach der Richtlinie begründen kann, für Richtlinienkonformität unter Hinweis auf Art. 7 Abs. 1 RL 2005/29/EG BGH 11. 3. 2009 – I ZR 194/06 – GRUR 2009, 1064 Tz. 18 f. – Geld-zurück-Garantie II. 157 Köhler WRP 2012, 22, 25. 158 Zur Wahrung der einheitlichen Auslegung und Wirkung des Unionsrechts als Funktion des Vorabentscheidungsverfahrens EuGH 6. 4. 1962 – 13/61 – Slg. 1962, 97, 111 – De Geus; EuGH 24. 5. 1977 – 107/76 – Slg. 1977, 957 Tz. 5 – Hoffmann-La Roche; EuGH (Plenum) 8. 3. 2011 – Gutachten 1/09 – Slg. I 2011, 1142 Tz. 83 – Einheitliches Patentgerichtssystem. 159 Ausführlich nunmehr Rösler Europäische Gerichtsbarkeit auf dem Gebiet des Zivilrechts (2012) mit Untersuchungen zur Vorlagepraxis und –häufigkeit (S. 165 ff.); zu Rechtsproblemen des Vorlageverfahrens auch Piekenbrock EuR 2011, 317. 160 Zur Entscheidung, ob es sich bei der vorlegenden Einrichtung um ein Gericht i.S.v. Art. 267 AEUV handelt, stellt der EuGH „auf eine Reihe von Gesichtspunkten ab, wie gesetzliche Grundlage der Einrichtung, ständiger Charakter, obligatorische Gerichtsbarkeit, streitiges Verfahren, Anwendung von Rechtsnormen durch diese Einrichtung sowie deren Unabhängigkeit“, EuGH (Große Kammer) 16. 12. 2008 – C-210/06 – Slg. 2008, I-9641 Tz. 55 ff. – Cartesio (zu Registergerichten und nichtstreitigen Verfahren); im Kontext des Lauterkeitsrechts auch EuGH 16. 2. 2017 – C-503/15 – BeckRS 2017, 101793 Tz. 27 f., 32 f., 36 ff. – Panicello (zu einem spanischen Justizsekretär). 161 EuGH (Große Kammer) 4. 5. 2010 – C-533/08 – Slg. 2010, I-4107 Tz. 60 – TNT Express. Vorlagefähig sind auch internationale Übereinkommen, soweit die Union die Zuständigkeiten übernommen hat, die zuvor von den Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich eines internationalen Übereinkommens, das nicht von der Union geschlossen wurde, ausgeübt wurden, so dass die Bestimmungen dieses Übereinkommens für die Union bindend geworden sind, EuGH (Große Kammer) 4. 5. 2010 – C-533/08 – Slg. 2010, I-4107 Tz. 62 – TNT Express. Infolge der zumindest mittelbaren Bindung der Union an die PVÜ (dazu unten Rn. 77) erstreckt sich die Vorlageberechtigung auch auf Art. 2 und Art. 10bis PVÜ, vgl. MünchKommBGB/Drexl IntImmGR Rn. 108 unter Hinweis auf EuGH (Große Kammer) 16. 11. 2004 – C-245/02 – Slg. 2004, I-10989 Tz. 64 – Anheuser Busch. 162 EuGH 16. 7. 2009 – C-126/08 – Slg. 2009, I-6809 Tz. 16 – Hasselt. Zur Abfassung von Vorlagebeschlüssen Latzel/ Streinz NJOZ 2013, 97. 163 Zur Abfassung der Vorlagefragen durch das nationale Gericht (nicht durch die Parteien) und zur Beurteilung von Erforderlichkeit und Erheblichkeit EuGH 13. 10. 2011 – C-148/10 – Slg. 2011, I-9543 Tz. 25 ff. – Express Line. 164 EuGH (Große Kammer) 5. 4. 2011 – C-119/09 – Slg. 2011, I-2551 Tz. 21 – Société fiduciaire nationale d’expertise comptable.

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rückweisen.165 Eine Vorlage ist in jedem Verfahrensstadium und auch im einstweiligen Rechtsschutz166 bis zum Abschluss des Rechtsstreits möglich.167 Hat bereits ein anderes Gericht eine Vorlage an den Gerichtshof gerichtet, kann ein Gericht, bei dem sich in einem Verfahren die gleiche Rechtsfrage stellt, sein Verfahren analog § 148 ZPO aussetzen.168 Das Verfahren nach Art. 267 AEUV ist ein Zwischenverfahren in dem Ausgangsverfahren vor dem nationalen Gericht und richtet sich demgemäß nach nationalem Verfahrensrecht. In Deutschland muss das Gericht über die Vorlage von Amts wegen entscheiden, die Parteien haben kein entsprechendes Antragsrecht, sondern nur die Möglichkeit einer Anregung, und sie haben auch keinen Rechtsbehelf gegen die (Nicht-)Vorlage.169 In Deutschland ergeht die Vorlage durch einen Beschluss, der die Vorlagefragen formuliert und die Verfahrensaussetzung anordnet. Der Inhalt des Beschlusses muss den Anforderungen nach Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs entsprechen, das Verfahren vor dem Gerichtshof richtet sich nach Art. 93 ff. der Verfahrensordnung und Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs. Das Vorlageverfahren dient neben der einheitlichen Auslegung und Anwendung des Uni- 36 onsrechts auch der Rechtsfortbildung, während der Individualrechtsschutz infolge der nur eingeschränkten Möglichkeiten zur Erzwingung einer Vorlage (unten Rn. 38 ff.) durch dieses Verfahren nur eingeschränkt gewährleistet wird.170 Ziel des Vorabentscheidungsverfahrens ist die loyale Zusammenarbeit und der Dialog mit den nationalen Gerichten bei der Anwendung und Auslegung des Unionsrecht.171 Allerdings kann dieser Dialog aus Sicht nationaler Gerichte durch die Umformulierung von Vorlagefragen, die Nichtbeantwortung (aus deren Sicht) entscheidungserheblicher Vorlagefragen und die Anwendung der Antworten auf die Vorlagefragen auf den konkreten Fall beeinträchtigt werden.172 Der Gerichtshof ist zudem nach Art. 267 AEUV auch dann zur Auslegungsentscheidung be- 37 fugt, wenn der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens nicht in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt, aber die nationalen Rechtsvorschriften nach dem Vorbild europäischer Regelungen gestaltet wurden (überschießend angeglichenes Recht). Gerade in dieser Situation besteht ein offensichtliches Unionsinteresse daran, dass jede unionsrechtliche Bestimmung unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie angewandt werden soll, einheitlich ausgelegt wird.173 Der Gerichtshof entscheidet im Vorabentscheidungsverfahren allerdings nicht über die Auslegung des nationalen Rechts oder die Vereinbarkeit nationaler Rechtsnormen mit dem 165 EuGH 16. 7. 2009 – C-189/08 – Slg. 2009, I-6917 Tz. 35 f. – Zuid-Chemie; EuGH 14. 1. 2010 – C-304/08 – Slg. 2010, I-217 Tz. 24 f. – Plus Warenhandelsgesellschaft. Speziell zur Entscheidungserheblichkeit bei Unterlassungsbegehren nach Beendigung des Verhaltens EuGH (Große Kammer) 25. 10. 2011 – C-509/09 und C-161/10 – Slg. 2011, I10269 Tz. 34 f. – eDate Advertising. 166 Unten Fn. 186. 167 EuGH 22. 6. 2010 – C-188/10 und C-189/10 – EuR 2012, 199 Tz. 41 – Melki; EuGH 5. 10. 2010 – C-173/09 – EuZW 2010, 907 Tz. 26 – Elchinov. 168 BGH 11. 4. 2013 – I ZR 76/11 – ZUM-RD 2013, 633 Tz. 5; a. A. Foerster EuZW 2011, 901, 903. 169 Büscher/Büscher Einl Rn. 89 ff. 170 EuGH (Große Kammer) 6. 3. 2018 – C-284/16 – NJW 2018, 1663 Tz. 35 ff. – Achmea; Büscher/Büscher Einl Rn. 86. 171 EuGH (Große Kammer) 6. 3. 2018 – C-284/16 – NJW 2018, 1663 Tz. 37 – Achmea. 172 Zur Kritik Büscher/Büscher Einl Rn. 87; zu den Grenzen der Umformulierung von Vorlagefragen EuGH 15. 10. 2009 – C-138/08 – EuZW 2010, 62 Tz. 20 ff. Hochtief. Der Kritik ist entgegenzuhalten, dass die genannten Praktiken des Gerichtshofs durch das Ziel der einheitlichen Anwendung und Auslegung des Unionsrechts motiviert sind; bei der Nichtbeantwortung von Vorlagefragen ist zu bedenken, dass die Entscheidungserheblichkeit einer Frage Vorlagevoraussetzung ist und in gewissem Umfang durch den Gerichtshof überprüft werden kann, siehe Fn. 168 und 169. Sinnvoll wäre aber in der Tat, die nationalen Gerichte vor der Umformulierung der Fragen in stärkerem Maße als bisher anzuhören. 173 EuGH 31. 3. 2011 – C-546/09 – Slg. 2011, I-2531 Tz. 24 – Aurubis Balgaria; zur Abgrenzung gegenüber der restriktiveren Kleinwort Benson-Judikatur (EuGH 28. 3. 1995 – C-346/93 – Slg. 1995, I-615) siehe EuGH 14. 12. 2006 – C-217/ 05 – Slg. 2006, I-11987 Tz. 21 – Confederación Española de Empresarios de Estaciones de Servicio; zur RL 2005/29/ EG (Erstreckung einer Umsetzungsvorschrift der Richtlinie auch auf Beziehungen zwischen Gewerbetreibenden) EuGH 19. 10. 2017 – C-295/16 – GRUR 2018, 303 Tz. 29 ff. – Europamur (Vorlageberechtigung bejaht).

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Unionsrecht. Er ist aber befugt, dem vorlegenden Gericht alle Kriterien für die Auslegung des Unionsrechts an die Hand zu geben, die es diesem ermöglichen, für die Entscheidung der bei ihm anhängigen Rechtssache über eine solche Vereinbarkeit zu befinden.174 Vorlagefragen nach der Wirksamkeit nationaler Vorschriften werden vom Gerichtshof daher regelmäßig so verstanden, dass geklärt werden soll, ob eine Vorschrift des Unionsrechts dahin auszulegen ist, dass sie dem Inhalt einer bestimmten nationalen Vorschrift entgegensteht.175

b) Vorlagepflicht 38 aa) Letztinstanzliche Gerichte. Das Vorlagerecht der nationalen Gerichte verdichtet sich zur Vorlagepflicht, wenn die Hauptsacheentscheidung176 des nationalen Gerichts im konkreten Fall177 nicht mehr mit ordentlichen Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden kann (Art. 267 Abs. 3 AEUV).178 Eine „konkrete Letztinstanzlichkeit“ kann auch bei Instanzgerichten gegeben sein, wenn im konkreten Fall kein ordentliches Rechtsmittel mehr eröffnet ist, z. B. wenn die Berufungssumme zum OLG nicht erreicht wird (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) oder wenn die Revision nicht zugelassen wird und auch die Beschwer für die Nichtzulassungsbeschwerde (§ 26 Nr. 8 EGZPO) nicht gegeben ist.179 Ordentliche Rechtsmittel, die in diesem Sinne eine Vorlagepflicht des Gerichts ausschließen, dessen Entscheidung mit dem betreffenden Rechtsmittel angefochten werden kann, sind im deutschen Recht die Berufung, die Revision, die Beschwerde, (grundsätzlich180) die Rechtsbeschwerde und die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision; keine ordentlichen Rechtsmittel, die zur Vorlageverpflichtung bereits des Instanzgerichts führen, sind die Verfassungsbeschwerde und das Wiederaufnahmeverfahren.181 Bei zulassungsgebundenen Rechtsmitteln (z. B. der Revision) ist dementsprechend erst das übergeordnete Gericht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV zur Vorlage verpflichtet, wenn die Fragen des Unionsrechts, von denen die Entscheidung des Rechtsstreits abhängt, im Fall der Nichtzulassung des Rechtsmittels durch das Berufungsgericht im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde zum Gegenstand revisionsrechtlicher Klärung gemacht und auf diesem Wege vom Revisionsgericht dem EuGH zugeführt werden können.182 Wird allerdings ein zulassungsgebundenes Rechtsmittel vom Instanzgericht nicht zugelassen und ist gegen die Nichtzulassung auch keine Beschwerde möglich, ist bereits das Instanzgericht das konkret letztinstanzliche und damit vorlagepflichtige Gericht.183 Nur ein Vorlagerecht, aber keine Vorlageverpflichtung besteht in Verfahren des einst-

174 EuGH 13. 12. 1990 – C-238/89 – Slg. 1990, I-4827 Tz. 7 – Pall; EuGH 8. 9. 2011 – C-78/08 bis C-80/08 – Slg. 2011, I-7611 Tz. 34 – Paint Graphos. 175 Exemplarisch EuGH 13. 12. 1990 – C-238/89 – Slg. 1990, I-4827 Tz. 7 – Pall; EuGH 7. 10. 2010 – C-224/09 – Slg. 2010, I-9295 Tz. 17 f. – Nußberger. 176 Im einstweiligen Rechtsschutz besteht bei Auslegungszweifeln nur eine Vorlageberechtigung, keine Vorlageverpflichtung konkret letztinstanzlicher Gerichte, EuGH 24. 5. 1977 – 107/76 – Slg. 1977, 957 Tz. 4 f. – Hoffmann-La Roche; EuGH 27. 10. 1982 – 35/82 und 36/82 – Slg. 1982, 3723 Tz. 8 f. – Morson; Heinze Einstweiliger Rechtsschutz im europäischen Immaterialgüterrecht (2007), S. 399 ff. 177 EuGH 4. 6. 2002 – C-99/00 – Slg. 2002, I-4839 Tz. 15 – Strafverfahren gegen Lyckeskog; EuGH (Große Kammer) 16. 12. 2008 – C-210/06 – Slg. 2008, I-9641 Tz. 76 – Cartesio. 178 Zur Funktion des Art. 267 Abs. 3 AEUV EuGH 12. 6. 2008 – C458/06 – Slg. 2008, I-4207 Tz. 23 – Gourmet Classic. 179 Nach der Reform des § 522 ZPO können auf diese Norm gestützte Beschlüsse mit demselben Rechtsmittel angefochten werden, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre (§ 522 Abs. 3 ZPO), so dass sie regelmäßig nicht mehr konkret letztinstanzlich sind. 180 Siehe aber Text bei Fn. 183. 181 Calliess/Ruffert/Wegener Art. 267 AEUV Rn. 27; Büscher/Büscher Einl Rn. 100. 182 Vgl. EuGH 4. 6. 2002 – C-99/00 – Slg. 2002, I-4839 Tz. 16 f. – Strafverfahren gegen Lyckeskog; EuGH (Große Kammer) 16. 12. 2008 – C-210/06 – Slg. 2008, I-9641 Tz. 76 – Cartesio. 183 BGH 2. 10. 2002 – I ZB 27/00 – GRUR 2003, 546, 548 – TURBO-TABS (zur Rechtsbeschwerde nach § 83 MarkenG).

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I. Allgemeine Lehren des Unionsrechts

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weiligen Rechtsschutzes, sofern es nur um Auslegungsfragen geht und das Gericht nicht eine Unionsnorm wegen angenommener Unwirksamkeit nicht anwenden will.184 Von der Vorlageverpflichtung gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV gestattet der Gerichtshof eine 39 Ausnahme, „wenn die gestellte Frage tatsächlich bereits in einem gleichgelagerten Fall Gegenstand einer Vorabentscheidung gewesen ist“,185 „wenn bereits eine gesicherte Rechtsprechung des Gerichtshofes vorliegt, durch die die betreffende Rechtsfrage gelöst ist“186 (acte éclairé) oder wenn „die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig [ist], dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der Frage bleibt“ (acte clair).187 Allerdings darf der nationale Richter von einem solchen acte clair bzw. éclairé nur ausgehen, wenn er überzeugt ist, „dass auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und für den Gerichtshof die gleiche Gewissheit bestünde“, wobei die Eigenheiten des Unionsrechts, die besonderen Schwierigkeiten seiner Auslegung (verschiedene Sprachfassungen, autonome Begriffsbildung, Zusammenhang, Ziel und Entwicklungsstand des Unionsrechts) und die Gefahr voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen zu berücksichtigen sind.188 Auch wenn der Gerichtshof die Ausnahmen zur Vorlageverpflichtung eng interpretiert, so ist den nationalen Gerichten zuzugestehen, in ihrer Entscheidung über eine Vorlage das grundrechtlich geschützte Interesse der Parteien an einer Entscheidung in angemessener Frist189 zu berücksichtigen.

bb) Gültigkeitszweifel. Eine Vorlagepflicht nationaler Gerichte (auch Instanzgerichte) besteht 40 auch über Art. 267 Abs. 3 AEUV hinaus, wenn ein nationales Gericht – sei es aufgrund eines Verstoßes gegen Primärrecht, sei es aufgrund einer Unvereinbarkeit mit einem für die Union verbindlichen internationalen Abkommen190 – die Gültigkeit eines Sekundärrechtaktes bezweifelt und diesen im konkreten Fall nicht anwenden möchte. In diesem Fall sind die nationalen Gerichte selbst nicht befugt, den Unionsrechtsakt für ungültig zu erklären und nicht anzuwenden, sondern sie müssen die Frage dem für Ungültigkeitsentscheidungen zuständigen EuGH vorlegen;191 die Ausnahme zur Vorlagepflicht wegen acte clair findet keine Anwendung.192 Die Vorlagepflicht wegen Gültigkeitszweifeln besteht auch im einstweiligen Rechtsschutz, allerdings darf das nationale Gericht in der Zwischenzeit die Vollziehung der Unionsvorschrift aussetzen oder positive Maßnahmen treffen, durch die die Unionsvorschrift vorläufig unanwendbar wird.193 Im Lauterkeitsrecht dürfte dieser Fall indes nur selten praktische Relevanz erlangen, weil es im Unterschied zum europäischen Marken- und Kartellrecht weitgehend an Einzelfall-

184 EuGH 24. 5. 1977 – 107/76 – NJW 1977, 1585, 1586 Tz. 4 f. – Hoffmann La Roche; EuGH 27. 10. 1982 – 35/82 und 36/82 – Slg. 1982, 3723 Tz. 8 f. – Morson; zur Vorlagepflicht bei Gültigkeitszweifeln EuGH 22. 10. 1987 – 314/85 – NJW 1988, 1451 Tz. 15, 20 – Foto Frost; EuGH (Große Kammer) 6. 12. 2005 – C-461/03 – Slg. 2005, I-10513 Tz. 17, 19 – Gaston Schul; näher Heinze, Einstweiliger Rechtsschutz im europäischen Immaterialgüterrecht, 2007, S. 399 ff. 185 EuGH 6. 10. 1982 – 283/81 – Slg. 1982, 3415 Tz. 13 – C.I.L.F.I.T. 186 EuGH 6. 10. 1982 – 283/81 – Slg. 1982, 3415 Tz. 14 – C.I.L.F.I.T. 187 EuGH 6. 10. 1982 – 283/81 – Slg. 1982, 3415 Tz. 14 – C.I.L.F.I.T.; EuGH 11. 9. 2008 – C-428/06 bis C-434/06 – Slg. 2008, I-6747 Tz. 42 – UGT Rioja. 188 EuGH 6. 10. 1982 – 283/81 – Slg. 1982, 3415 Tz. 17–20 – C.I.L.F.I.T.; EuGH 15. 9. 2005 – C-495/03 – Slg. 2005, 8151 Tz. 33 – Intermodal Transports. 189 Dazu Heinze EuR 2008, 654, 674. 190 Zu internationalen Abkommen als Gültigkeitsmaßstab des Sekundärrechts zusammenfassend EuGH (Große Kammer) 3. 6. 2008 – C-308/06 – Slg. 2008, I-4057 Tz. 42 ff. – Intertanko. 191 EuGH 22. 10. 1987 – 314/85 – Slg. 1987, 4199 Tz. 15, 20 – Foto-Frost; EuGH (Große Kammer) 22. 6. 2010 – C-188/ 10 und C-189/10 – Slg. 2010, I-5665 Tz. 54 – Aziz Melki. 192 EuGH (Große Kammer) 6. 12. 2005 – C-461/03 – Slg. 2005, I-10513 Tz. 19 – Gaston Schul. 193 EuGH 21. 2. 1991 – C-143/88 und C-92/89 – Slg. 1991, I-415 Tz. 17–20, 24 – Zuckerfabrik Süderdithmarschen; EuGH 9. 11. 1995 – C-465/93 – Slg. 1995, I-3761 Tz. 20–29, 32 f., 51 – Atlanta Fruchthandelsgesellschaft.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

entscheidungen europäischer Behörden fehlt194 und Gültigkeitszweifel an den Richtlinien und Verordnungen wohl nur selten durchgreifen werden.195 Eine Gültigkeitsprüfung europäischen Sekundärrechts nimmt der Gerichtshof nur vor, wenn das vorlegende Gericht Zweifel an der Gültigkeit der Bestimmung äußert; nicht ausreichend ist, dass sich lediglich die Parteien auf die Ungültigkeit berufen.196

41 c) Wirkung von Vorabentscheidungen. An die Entscheidung des Gerichtshofs im Vorabentscheidungsverfahren einschließlich ihrer tragenden Erwägungen197 ist das nationale Gericht bei der Entscheidung des Ausgangsverfahrens hinsichtlich der Auslegung oder der Gültigkeit der fraglichen Rechtsakte der Union gebunden.198 Es muss daher bei der Entscheidung des Ausgangsverfahrens gegebenenfalls von der rechtlichen Beurteilung der übergeordneten Gerichte abweichen und erforderlichenfalls – in den Grenzen der unmittelbaren Anwendbarkeit der betreffenden Bestimmung des Unionsrechts (oben Rn. 10 ff.) – jede entgegenstehende nationale Bestimmung aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewandt lassen, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser nationalen Bestimmung auf gesetzgeberischem Wege oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste.199 42 Eine unmittelbare Bindung für andere Verfahren entfaltet die Vorabentscheidung des Gerichtshofes bei Auslegungsentscheidungen, im Unterschied zu Gültigkeitsentscheidungen über Unionsrecht,200 nicht. Allerdings ergibt sich eine faktische Verbindlichkeit aus der Verpflichtung der nationalen Gerichte, bei der Auslegung des Unionsrechts die Rechtsprechung des Gerichtshofes zu berücksichtigen, wenn sie von einer erneuten Vorlage nach Art. 267 AEUV absehen wollen.201 In zeitlicher Hinsicht ist die durch den EuGH vorgenommene Auslegung grundsätzlich auch auf Rechtsverhältnisse zu erstrecken, die vor Erlass des auf das Ersuchen um Auslegung ergangenen Urteils entstanden sind, sofern nicht ausnahmsweise aufgrund des allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatzes der Rechtssicherheit wegen des guten Glaubens der Betroffenen und der Gefahr schwerwiegender Störungen die Berufung auf die Auslegung zu versagen ist.202

43 d) Verletzung der Vorlagepflicht. Verletzt ein nationales Gericht seine Vorlageverpflichtung gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV, so liegt darin zugleich eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen zukommenden Beurteilungsspielraum bei der Handhabung der Vorla194 Zur Bindung an Kommissionsentscheidungen im Kartellrecht Art. 16 Abs. 1 VO 1/2003; zur Bindung an Eintragungsentscheidungen des HABM im Markenrecht und zur Vorlagepflicht nationaler Gerichte Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer vom 10. 11. 2005 – C-206/04 P – Slg. 2005, I-2717 Tz. 70 ff. – Mülhens; ausführlich Krämer EuR 2007, 208, 217 ff. 195 Siehe aber immerhin EuGH 5. 5. 2011 – C-316/09 – Slg. 2011, I-3249 Tz. 20 ff. – Merckle. 196 EuGH 5. 5. 2011 – C-316/09 – Slg. 2011, I-3249 Tz. 24 – Merckle. 197 Büscher/Büscher Einl Rn. 93; vgl. EuGH 5. 4. 2016 – C-689/13 – EuZW 2016, 431 Tz. 42 PFE/Airgest: nationales Gericht muss „alles Erforderliche tun muss, damit diese Auslegung des Unionsrechts umgesetzt wird“. 198 EuGH 3. 2. 1977 – 52/76 – Slg. 1977, 163 Tz. 26/27 – Benedetti; EuGH 5. 4. 2016 – C-689/13 – EuZW 2016, 431 Tz. 38 PFE/Airgest. 199 EuGH 20. 10. 2011 – C-396/09 – Slg. 2011, I-9915 Tz. 36–38 – Interedil. 200 Bei Gültigkeitsentscheidungen stellt die Ungültigerklärung durch den Gerichtshof, „obwohl sein unmittelbarer Adressat nur das Gericht ist, das den Gerichtshof angerufen hat, für jedes angerufene Gericht einen ausreichenden Grund dafür dar, diese Handlung bei den von ihm zu erlassenden Entscheidungen als ungültig anzusehen“, EuGH 13. 5. 1981 – 66/80 – Slg. 1981, 1191 Tz. 13 – International Chemical Corporation. 201 EuGH 6. 10. 1982 – 283/81 – Slg. 1982, 3415 Tz. 13 f. – C.I.L.F.I.T.; BGH 21. 4. 1994 – I ZR 31/92 – GRUR 1994, 794, 795 – Rolling Stones. 202 EuGH 13. 4. 2010 – C-73/08 – Slg. 2010, I-2735 Tz. 90 f. – Bressol.

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I. Allgemeine Lehren des Unionsrechts

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gepflicht203 in offensichtlich unhaltbarer Weise gehandhabt hat. Dies ist nach der Rechtsprechung des BVerfG der Fall, wenn (1) das letztinstanzliche Hauptsachegericht eine Vorlage an den EuGH trotz Entscheidungserheblichkeit der unionsrechtlichen Frage überhaupt nicht in Erwägung zieht, obwohl es selbst Zweifel hinsichtlich der richtigen Beantwortung der Frage hegt und das Unionsrecht somit eigenständig fortbildet (grundsätzliche Verkennung der Vorlagepflicht), oder (2) wenn es in seiner Entscheidung bewusst von der Rechtsprechung des EuGH zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht und gleichwohl nicht oder nicht neuerlich vorlegt (bewusstes Abweichen ohne Vorlagebereitschaft) oder (3) wenn zu einer entscheidungserheblichen Frage des Unionsrechts einschlägige Rechtsprechung des EuGH noch nicht vorliegt oder wenn eine vorliegende Rechtsprechung die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet hat oder wenn eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des EuGH nicht nur als entfernte Möglichkeit erscheint und das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat (Unvollständigkeit der Rechtsprechung bzw. unvertretbare Handhabung des Beurteilungsspielraums).204 Der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde ist bei Rüge einer Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG genügt, wenn das Vorbringen des Beschwerdeführers bei rechtlicher Prüfung durch das Fachgericht eine Vorlage an den EuGH als naheliegend erscheinen lässt;205 erst recht gilt dies, wenn die Vorlage an den EuGH konkret angeregt wurde, Vorlagefragen müssen nicht formuliert werden.206 Eine offensichtlich unhaltbare Handhabung und damit ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 44 Satz 2 GG liegt in der ersten Fallgruppe (Verkennung der Vorlagepflicht) auch dann vor, wenn sich das Fachgericht hinsichtlich des materiellen Unionsrechts nicht hinreichend kundig macht oder offenkundig einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht auswertet.207 Eine unvertretbare Handhabung des Beurteilungsspielraums in der dritten Fallgruppe kann etwa dann anzunehmen sein, wenn das Fachgericht „eine von vornherein eindeutige oder zweifelsfrei geklärte Rechtslage ohne sachlich einleuchtende Begründung bejaht“ oder wenn „mögliche Gegenauffassungen zu der entscheidungserheblichen Frage des Unionsrechts gegenüber der vom Gericht vertretenen Meinung eindeutig vorzuziehen sind“.208 Dabei überprüft das Bundesverfassungsgericht aber nur, „ob die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 AEUV bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist“, so dass Sachverhaltsfehler noch keinen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG begründen, solange nicht ein willkürliches Vorgehen des Gerichts anzunehmen ist.209 Ebenso sollen nach der Entscheidung des Fachgerichts ergangene Entscheidungen des EuGH, die Zweifel am Standpunkt des Fachgerichts aufwerfen, keine „Unvollständigkeit der Rechtsprechung“ begründen können, weil für die „verfassungsrechtliche Beurteilung der Handhabung der Vorlagepflicht … ausschließlich auf die Einschätzung der (Gemeinschafts-)Rechtslage zur Zeit der Entscheidung abzustellen“ sein soll.210 Die Kontrolle der Nichtvorlage in Fallgruppe 3 (Unvollständigkeit der Rechtsprechung) be- 45 gegnet in jüngerer Zeit Kritik aus zwei Richtungen: Aus Sicht der Instanzgerichte wird moniert, 203 Entscheidend ist die Handhabung des Art. 267 Abs. 3 AEUV, nicht die Vertretbarkeit der Auslegung des materiellen Unionsrechts, BVerfG 21. 12. 2010 – 1 BvR 506/09 – GRUR 2011, 225 Tz. 16; BVerfG 18. 7. 2018 – 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17 – NJW 2018, 3223 Tz. 141 – Rundfunkbeitrag. 204 BVerfG 31. 5. 1990 – 2 BvL 12/88, 2 BvL 13/88, 2 BvR 1436/87 – NVwZ 1991, 53, 58; BVerfG 4. 6. 1998 – 1 BvR 2652/95 – GRUR 1999, 247, 250 – Metro; BVerfG 6. 7. 2010 – 2 BvR 2661/06 – NJW 2010, 3422 Tz. 90; BVerfG 18. 7. 2018 – 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17 – NJW 2018, 3223 Tz. 142 – Rundfunkbeitrag. 205 BVerfG 19. 7. 2011 – 1 BvR 1916/09 – GRUR 2012, 53 Tz. 65 – Le-Corbusier-Möbel. 206 Büscher/Büscher Einl Rn. 108. 207 BVerfG 6. 10. 2017 – 2 BvR 987/16 – NJW 2018, 606 Tz. 7. 208 BVerfG 18. 7. 2018 – 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17 – NJW 2018, 3223 Tz. 144 – Rundfunkbeitrag; BVerfG 11. 12. 2008 – 1 BvR 1563/08 – GRUR-RR 2009, 223 Tz. 10. 209 BVerfG 22. 6. 2011 – 1 BvR 2553/10 – NJW-RR 2011, 1608 Tz. 27, 30. 210 BVerfG 6. 5. 2008 – 2 BvR 1830/06 – NJW 2008, 2325 Tz. 11.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

dass das BVerfG die Anforderungen an die unvertretbare Handhabung des Beurteilungsspielraums zu vage definiere und deshalb zu schnell einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG annehme, zudem untergrabe diese Praxis die formelle Rechtskraft.211 Indes erscheinen diese Einwände vor dem Hintergrund der unionsrechtlich gerade gebotenen Effektivität der Vorlageverpflichtung wenig überzeugend. Vielmehr erscheint es – mit der Kritik aus gegenläufiger Richtung – sinnvoll, in unionsrechtskonformer Auslegung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter bereits dann zu bejahen, „wenn objektiv ernst zu nehmende Zweifel an der Auslegung des Unionsrechts bestehen und das letztinstanzlich entscheidende Fachgericht gleichwohl nicht dem EuGH vorlegt“.212 Diese Auffassung ist nicht nur deshalb überzeugend, weil in einer solchen Situation eindeutig eine unionsrechtliche Vorlagepflicht gegeben ist,213 sondern auch weil die unterschiedliche Handhabung der richterlichen Kontrolle der Vorlagepflicht gemäß Art. 100 GG und Art. 267 Abs. 3 AEUV214 vor dem Hintergrund des unionsrechtlichen Äquivalenzgrundsatzes zweifelhaft erscheint. Allerdings ist die Einhaltung des Unionsrechts jüngst für den Fall der Unionsgrundrechte dadurch gestärkt worden, dass nun auch die Verletzung unionaler Grundrechte mit der Verfassungsbeschwerde zum BVerfG – neben der Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch unterlassene Vorlage an den EuGH – gerügt werden kann.215 Um eine Kontrolle am Maßstab des europäischen Rechts und insbesondere des Art. 267 46 Abs. 3 AEUV zu ermöglichen, muss das Fachgericht die Gründe darlegen, weshalb es von einer Vorlage nach Art. 267 Abs. 3 AEUV abgesehen hat,216 und zwar auch dann, wenn das einfache Verfahrensrecht keine Begründungspflicht für die konkrete Entscheidungsform vorsieht.217 Es muss sich daher hinsichtlich des materiellen Unionsrechts hinreichend kundig machen, etwaige einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs auswerten und seine Entscheidung hieran orientieren.218 Auf dieser Grundlage muss sich das Fachgericht dann die vertretbare Überzeugung bilden, dass die Rechtslage entweder von vornherein eindeutig („acte clair“) oder durch Rechtsprechung in einer Weise geklärt ist, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt („acte éclairé“).219

47 e) Rechtsbehelfe. Zur Geltendmachung eines Verstoßes gegen Art. 267 Abs. 3 AEUV wegen unterbliebener Vorlage an den EuGH stehen den Prozessparteien – abgesehen von der Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des Art. 101 GG220 – nur bescheidene Rechtsbehelfe zur Verfügung. Abgesehen von der informellen Benachrichtigung der Kommission zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens (Art. 258 AEUV) mag man auf Ebene des Unionsrechts zunächst an einen Staatshaftungsanspruch wegen judikativen Unrechts denken,221 der allerdings häufig am Kausalitätsnachweis scheitern wird.222 Auf der Ebene des nationalen Rechts kommt unterhalb der Verfassungsbeschwerde wegen Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zunächst das Rechtsmittel gegen die Hauptsacheentscheidung (Berufung, Beschwerde oder Revision) 211 212 213 214 215 216 217 218

Büscher/Büscher Einl Rn. 107, 109. Wernsmann NZG 2011, 1241, 1244. Wernsmann NZG 2011, 1241, 1244. Dazu Wernsmann NZG 2011, 1241, 1244. BVerfG 6. 11. 2019 – 1 BvR 276/17 – NJW 2020, 314 Tz. 50 ff. – Recht auf Vergessen II. BVerfG 21. 12. 2010 – 1 BvR 506/09 – GRUR 2011, 225 Tz. 17 f. Kritisch Büscher/Büscher Einl Rn. 105. BVerfG 18. 7. 2018 – 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17 – NJW 2018, 3223 Tz. 143 – Rundfunkbeitrag. 219 BVerfG 18. 7. 2018 – 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17 – NJW 2018, 3223 Tz. 143 – Rundfunkbeitrag. 220 Deren Wirksamkeit maßgeblich von der Auslegung des Willkürkriteriums abhängt, siehe oben Rn. 43 ff. 221 EuGH 30. 9. 2003 – C-224/01 – Slg. 2003, I-10239 Tz. 50, 55 – Köbler. 222 Haratsch JZ 2006, 1176, 1178.

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II. Das Lauterkeitsrecht als Teil der europäischen Wirtschaftsordnung

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in Betracht. Handelt es sich um ein zulassungsgebundenes Rechtsmittel, so muss bei Rechtsstreitigkeiten, bei denen sich voraussichtlich die Notwendigkeit einer Vorlage an den EuGH ergibt, stets die „grundsätzliche Bedeutung“ i. S. d. § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO bejaht werden, damit das Revisionsgericht auch tatsächlich erreichbar ist und es nicht zu einer „Vorlagelücke“ kommt.223 Daneben mag man eine entsprechende Anwendung von § 321a ZPO erwägen, die allerdings wohl nur versehentliche Fehler des Prozessgerichts auffangen kann.224 Auch wenn die Vorlagepflicht verletzt wurde und es deshalb zu einem Unionrechtsverstoß 48 gekommen ist, verlangt das Unionsrecht grundsätzlich nicht, von der Anwendung innerstaatlicher Vorschriften zur Rechtskraft abzusehen, selbst wenn dadurch ein Verstoß gegen Unionsrecht abgestellt werden könnte.225 Abhilfe schafft hier auch nicht die Restitutionsklage nach § 580 Nr. 8 ZPO, denn diese greift nur, wenn der EGMR eine Verletzung der durch die EMRK garantierten Menschenrechte festgestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht, nicht wenn der EuGH einen Verstoß gegen Unionsrecht festgestellt hat, und zwar selbst dann nicht, wenn der Verstoß Unionsgrundrechte betrifft.226

II. Das Lauterkeitsrecht als Teil der europäischen Wirtschaftsordnung Seit ihrer Gründung als Europäische Wirtschaftsgemeinschaft zählt die Errichtung eines Ge- 49 meinsamen Marktes (Binnenmarktes227) zu den zentralen Zielen der Europäischen Union.228 Zur seiner Verwirklichung sah der ursprüngliche EWG-Vertrag drei Instrumente vor: Die Zollunion229 und die Grundfreiheiten230 zielten auf einen „Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen der Verträge gewährleistet ist“ (Binnenmarkt231). Dieser Schutz vor staatlichen232 Handelsbeschränkungen wurde flankiert durch die Wettbewerbsregeln der (heute) Art. 101 ff. AEUV, die den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes vor Beeinträchtigungen und Verfälschungen (auch) durch Private schützen sollten.233 Als dritte Säule der Binnenmarktintegration eröffnete 223 Streinz/Herrmann GRUR Int. 2004, 459, 465 und BVerfG 22. 12. 1992 – 2 BvR 557/88 – NVwZ 1993, 883, 884 zu § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. 224 Poelzig ZZP 121 (2008) 233, 247; Prütting/Gehrlein/Thole, ZPO, 10. Aufl. (2018), § 321a Rn. 9. 225 EuGH 16. 3. 2006 – C-234/04 – Slg. 2006, I-2585 Tz. 21, 24 – Kapferer; zu einer Ausnahme EuGH – C-119/05 – Slg. 2007, I-6199 Tz. 59–63 – Lucchini; Poelzig JZ 2007, 858, 867. 226 Gegen eine unionsrechtliche Pflicht zur Erstreckung der Möglichkeit der Wiederaufnahme bei Verletzung der EMRK auf die Verletzung unionaler Grundrechte EuGH (Große Kammer) 24. 10. 2018 – C-234/17 – EuZW 2019, 82 Tz. 46 ff., 59 – XC. Für eine Analogie zu § 580 Nr. 8 ZPO noch Vorauflage/Heinze Rn. 46. 227 „Gemeinsamer Markt“ und „Binnenmarkt“ sind synonym zu verstehen, zur flächendeckenden Ersetzung des Begriffs „Gemeinsamer Markt“ durch „Binnenmarkt“ im Vertrag von Lissabon Grabitz/Hilf/Nettesheim/Bast Art. 26 AEUV Rn. 14. 228 Art. 2 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. 3. 1957, BGBl 1957 II S. 766 ff. (EWG-Vertrag): „Aufgabe der Gemeinschaft ist es, durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und die schrittweise Annäherung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten eine harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft, eine beständige und ausgewogene Wirtschaftsausweitung, eine größere Stabilität, eine beschleunigte Hebung der Lebenshaltung und engere Beziehungen zwischen den Staaten zu fördern, die in dieser Gemeinschaft zusammengeschlossen sind.“ Heute findet sich das Binnenmarktziel in Art. 3 Abs. 3 AEUV. 229 Heute Art. 28 ff. AEUV. 230 Heute Art. 34 ff. AEUV; Art. 45 ff. AEUV; Art. 56 ff. AEUV; Art. 63 ff. AEUV. 231 Zur Definition Art. 26 Abs. 2 AEUV. Siehe bereits Art. 3 lit. a, c EWG-Vertrag, heute Art. 3 Abs. 3 EUV i. V. m. Art. 3 Abs. 1 lit. a, 4 Abs. 2 lit. a AEUV. 232 Inzwischen erfassen die Grundfreiheiten auch bestimmte Verhaltensweisen Privater, dazu unten Rn. 94 ff. 233 Ehemals Art. 3 lit. f i. V. m. Art. 85 ff. EWG-Vertrag; heute Art. 3 Abs. 3 EUV, Art. 3 Abs. 1 lit. b, 101 ff. AEUV und Protokoll Nr. 27 über den Binnenmarkt und den Wettbewerb, ABl. 2010, C 83, S. 309. Zur Fortgeltung des Ziels unverfälschten Wettbewerbs nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon EuGH 17. 2. 2011 – C-52/09 – Slg. 2011, I527 Tz. 20 f. – Telia Sonera; EuGH 17. 11. 2011 – C-496/09 – EuZW 2012, 112 Tz. 60 – Kommission/Italien.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

der EWG-Vertrag eine Kompetenz der Gemeinschaft zur „Angleichung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften, soweit dies für das ordnungsgemäße Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforderlich ist“.234

1. Lauterkeitsrecht und Wettbewerbsregeln 50 Innerhalb dieses Dreiecks der Europäischen Marktordnung235 fand der Schutz vor unlauterem Wettbewerb zunächst keinen klar zugewiesenen Platz.236 Die auf den ersten Blick naheliegende Anbindung an die Wettbewerbsregeln der europäischen Verträge bringt aus lauterkeitsrechtlicher Perspektive nur geringen Ertrag. Zwar hatte die Grundnorm des Art. 3 lit. f EWG-Vertrag237 mit dem Begriff der „Verfälschungen“ des Wettbewerbs ebenso wie der Hinweis auf den „redlichen Wettbewerb“ in der Präambel238 durchaus das Potential, gewisse Inhalte des Lauterkeitsrechts wie etwa die Abwehr von Irreführungen aufzunehmen.239 Aber auch wenn man das Lauterkeitsrecht ebenso wie das Kartellrecht als Teil des Systems 51 eines unverfälschten Wettbewerbs ansehen mag,240 so fehlt es in den europäischen Verträgen an einem konkretisierenden Kapitel, das den allgemeinen (konkretisierungsbedürftigen) Grundsatz des unverfälschten Wettbewerbs für die lauterkeitsrechtliche Praxis anwendbar und subsumierbar macht.241 Insbesondere das Kapitel über die Wettbewerbsregeln sah von Anfang an in seinem Abschnitt 1 über Unternehmen nur Regeln über Wettbewerbsbeschränkungen (Art. 101 AEUV), den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (Art. 102 AEUV) und öffentliche Unternehmen bzw. Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (Art. 106

234 Art. 3 lit. h i. V. m. Art. 100 ff. EWG-Vertrag, heute Art. 3 Abs. 3 EUV i. V. m. Art. 4 Abs. 2 lit. a, 114 AEUV. 235 Zu den drei Wurzeln der unionsrechtlichen Lauterkeitsrechtskonzeption Leistner Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb (2007), S. 345 f., der als dritte Wurzel neben den Grundfreiheiten und den Art. 101 ff. AEUV einen insbesondere in Art. 114 AEUV verankerten binnenmarktfunktional verstandenen Verbraucherschutz ausmacht. 236 Fikentscher Recht und wirtschaftliche Freiheit (1992) S. 68, 72. 237 „Errichtung eines Systems, das den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes vor Verfälschungen schützt“; heute Art. 3 Abs. 3 EUV i. V. m. dem Protokoll Nr. 27 über den Binnenmarkt und den Wettbewerb, ABl. 2010, C 83, S. 309, zu dessen Rang Art. 51 EUV. Zur Fortgeltung des Ziels unverfälschten Wettbewerbs nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon EuGH 17. 2. 2011 – C-52/09 – Slg. 2011, I-527 Tz. 20 f. – Telia Sonera; EuGH 17. 11. 2011 – C-496/09 – EuZW 2012, 112 Tz. 60 – Kommission/Italien. 238 Heute in der Präambel zum AEUV. 239 EuGH 29. 1. 1985 – 231/83 – Slg. 1985, 305 Tz. 10 – Cullet/Leclerc: Schutz vor Verfälschungen „allgemeines Ziel“; zum benachbarten Markenrecht EuGH 17. 10. 1990 – C-10/89 – Slg. 1990, I-3711 Tz. 13 – Hag II. Siehe auch Erwägungsgrund 3 der Richtlinie 2006/114/EG: „Irreführende und unzulässige vergleichende Werbung ist geeignet, zur Verfälschung des Wettbewerbs im Binnenmarkt zu führen“; Glöckner GRUR 2008, 960, 964: Streben nach der Herstellung eines Binnenmarkts und Schutz der Funktionsbedingungen des Wettbewerbs (Verbraucherautonomie, Markttransparenz, Verhinderung künstlicher Marktzutrittsschranken, Verbot der Berücksichtigung wettbewerbsbezogener Allgemeininteressen strukturpolitischer Natur wie z. B. den Mittelstandsschutz). 240 In diesem Sinne EuGH 21. 5. 1987 – 249/85 – Slg. 1987, 2345 Tz. 16 – Albako/BALM; siehe auch Koos Europäischer Lauterkeitsmaßstab und globale Integration (1996), S. 46; Dethloff Europäisierung des Wettbewerbsrechts (2001), S. 8; Lettl Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor irreführender Werbung in Europa (2004), S. 3; Glöckner Europäisches Lauterkeitsrecht (2006), S. 17, 279 ff., 487 ff., 494, 500 ff.; Leistner Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb (2007), S. 342; Ohly WRP 2008, 177, 179; Podszun WRP 2009, 509, 510; Wunderle Verbraucherschutz im Europäischen Lauterkeitsrecht (2010), S. 117; zur Richtlinie 2005/29/EG Brömmelmeyer GRUR 2007, 295, 297. 241 Zur Konkretisierungsbedürftigkeit EuGH 24. 1. 1991 – C-339/89 – Slg. 1991, I-107 Tz. 10 – Alsthom Atlantique: Schutz des Wettbewerbs vor Verfälschungen nach Art. 3 lit. f EWG-Vertrag „ein in mehreren anderen Wettbewerbsbestimmungen konkretisiertes Ziel“; ähnlich EuGH 3. 10. 2000 – C-9/99 – Slg. 2000, I-8207 Tz. 22 – Echirolles Distribution: Art. 3 EGV enthalte „die allgemeinen Grundsätze des Gemeinsamen Marktes“, „die in Verbindung mit den sie jeweils konkretisierenden Kapiteln des EG-Vertrages angewandt werden“; Koos Europäischer Lauterkeitsmaßstab und globale Integration (1996), S. 47; Beater Rn. 448; Heizmann/Loacker/Mayer § 3 Rn. 6.

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II. Das Lauterkeitsrecht als Teil der europäischen Wirtschaftsordnung

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AEUV) vor und enthielt sich einer Regelung zum unlauteren Wettbewerb.242 Auch die Verpflichtung auf eine offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb (Art. 119 Abs. 1, 120 AEUV) begründet für die Mitgliedstaaten keine klaren und unbedingten Verpflichtungen, auf die sich Einzelne vor nationalen Gerichten berufen könnten. Es handelt sich vielmehr „um einen allgemeinen Grundsatz, dessen Anwendung komplexe wirtschaftliche Beurteilungen erfordert, die in die Zuständigkeit des Gesetzgebers oder der nationalen Verwaltung fallen“.243

a) Unterschiedlichkeit der Schutzziele. Folge des lauterkeitsrechtlichen Normenmangels 52 auf der Ebene des Primärrechts war eine getrennte Entwicklung der beiden Schwesterdisziplinen des Wettbewerbsrechts. Während sich das Kartellrecht auf Grundlage der Art. 101 ff. AEUV auf europäischer Ebene immer weiter ausdifferenzierte, blieb das Lauterkeitsrecht – abgesehen vom Einfluss der Grundfreiheiten – lange Zeit eine Domäne des nationalen Rechts.244 Im Verhältnis beider Teildisziplinen des Wettbewerbsrechts kristallisierte sich eine Unterschiedlichkeit der Schutzrichtungen und eine daraus resultierende (weitgehend) unbeeinflusste Koexistenz heraus, die auch heute noch die Beziehung der beiden Disziplinen auf europäischer Ebene prägt. So hat der Gerichtshof bereits früh entschieden, dass die Verhinderung unlauteren Wettbe- 53 werbs eine Einschränkung der Wettbewerbsregeln der Art. 101 ff. AEUV nicht rechtfertigen könne und es vielmehr Sache der einzelnen geschädigten Unternehmen sei, derartigen Praktiken durch Rückgriff auf das Lauterkeitsrecht zu begegnen.245 Damit zeichnet sich nicht nur ab, dass eine – aus normhierarchischen Gründen ohnehin problematische – Sperrwirkung des Lauterkeitsrechts für das Kartellrecht nicht in Betracht kommt,246 sondern auch, dass das Europä242 Zu den Grenzen der Aufgreiftatbestände des Art. 101 AEUV etwa EuGH 13. 3. 2008 – C-446/05 – Slg. 2008, I1377 Tz. 20 f. – Strafverfahren gegen Ioannis Doulamis. Siehe auch die Aufzeichnung über die Wettbewerbsregeln im Vertrag über den Gemeinsamen Europäischen Markt vom 20. 10. 1956, abgedruckt in Schulze/Hoeren Dokumente zum Europäischen Recht III, Dok. 60, S. 5 unter II 2 (zu Verdrängungspraktiken): „Die den unlauteren Wettbewerb betreffenden Vorschriften sollten aber, falls solche in den Vertrag aufgenommen werden, aus systematischen Gründen von den der Aufrechterhaltung des Wettbewerbs dienenden Bestimmungen getrennt werden“. Eine Erwähnung fand das Lauterkeitsrecht allerdings im Verbot von „Praktiken unlauteren Wettbewerbs“ in Art. 60 § 1 Abs. 1 des inzwischen ausgelaufenen Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18. 4. 1951, BGBl 1951 II S. 445 ff. Der Vertrag endete gemäß Art. 97 am 23. 7. 2002, Rechtsnachfolgerin wurde die EG, vgl. das Protokoll über die finanziellen Folgen des Ablaufs des EGKS-Vertrages und über den Forschungsfonds für Kohle und Stahl im Vertrag von Nizza, ABl. 2001 Nr. C 80/1. Umstritten war, ob diese Vorschrift tatsächlich dem Schutz der Lauterkeit oder nicht vielmehr dem Schutz vor Monopolbildung diente, Fikentscher Recht und wirtschaftliche Freiheit (1992) S. 70 f. Siehe allerdings Fikentscher Recht und wirtschaftliche Freiheit (1992) S. 76, 79, der in Teilbereichen die Anwendung der Wettbewerbsregeln des EWG-Vertrages zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs für möglich hielt; vgl. auch Glöckner Europäisches Lauterkeitsrecht (2006), S. 204 ff. und Podszun Spezielle Wettbewerbsförderung durch Europäisches Lauterkeitsrecht: Plädoyer für ein allgemeines Europäisches Wettbewerbsrecht in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.) Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009), S. 151, 175 mit einem Plädoyer für ein am Wettbewerbsprinzip ausgerichtetes Lauterkeitsrecht. 243 EuGH 3. 10. 2000 – C-9/99 – Slg. 2000, I-8207 Tz. 25 – Echirolles Distribution. 244 Heizmann/Loacker/Mayer § 3 Rn. 7. 245 Vgl. bereits EuGH 17. 1. 1984 – 43/82 und 63/82 – Slg. 1984, 19 Tz. 37 – VBVB und VBBB/Kommission: „Der Umstand, dass ein System der vertikalen Preisbindung nebenbei zur Folge haben kann, einen unlauteren Wettbewerb … zu verhindern, ist jedoch kein hinreichender Grund, einen ganzen Marktsektor …von der Anwendung des Artikels 85 Absatz 1 auszunehmen. Es ist Sache der Unternehmen, die durch unlautere Handelspraktiken geschädigt worden sind, auf die für das Gebiet der Handelsbräuche erlassenen Rechtsvorschriften zurückzugreifen, die es in der einen oder anderen Form in allen Mitgliedstaaten gibt und durch die Missbräuchen der Art, auf die die Klägerinnen hingewiesen haben, begegnet werden kann.“ Ebenso EuGH 7. 2. 2013 – C-68/12 – EuZW 2013, 438 Tz. 20 – Protimonopolný úrad Slovenskej republiky; siehe auch Beater Rn. 452. 246 Für einen mittelbaren Einfluss des Lauterkeitsrechts auf das Kartellrecht wird vorgebracht, dass auch das Lauterkeitsrecht durch den Schutz des Wettbewerbs vor Verfälschungen (Protokoll Nr. 27 zum AEUV) eine primär

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

ische Kartellrecht eine parallele Anwendung lauterkeitsrechtlicher Normen zulässt. Diese Linie setzte sich in den Folgeentscheidungen fort: So lassen sich aus kartellrechtlichen Regeln für Vertriebsverträge keine Aussagen über lauterkeitsrechtliche Ansprüche gegen Dritte ableiten,247 die Wirksamkeit eines Vertriebsbindungssystems i.S.d Art. 101 AEUV verlangt nicht, dass ein solches System nach nationalem Lauterkeitsrecht gegenüber Außenseitern durchgesetzt werden kann,248 und für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Vereinbarung nach Art. 101 AEUV ist es unerheblich, ob diese Außenseitern im Wege einer Klage wegen unlauteren Wettbewerbs entgegengehalten werden kann.249 Auch im Sekundärrecht kommen die unterschiedlichen Schutzrichtungen von Kartellrecht 54 und Lauterkeitsrecht prägnant zum Ausdruck. Bereits auf der Ebene des Kollisionsrechts unterscheidet Art. 6 Rom II-Verordnung zwischen außervertraglichen Schuldverhältnissen „aus unlauterem Wettbewerbsverhalten“250 (Art. 6 Abs. 1 und 2 Rom II-VO) und „aus einem den Wettbewerb einschränkenden Verhalten“251 (Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO) und unterwirft diese z. T. unterschiedlichen Kollisionsregeln.252 Die Abgrenzung anhand unterschiedlicher Schutzziele setzt sich auf der Ebene des materi55 ellen Sekundärrechts fort. So dürfen die Mitgliedstaaten nach Erwägungsgrund 9 Satz 4 i. V. m. Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003253 „innerstaatliche Rechtsvorschriften anwenden, mit denen unlautere Handelspraktiken – unabhängig davon, ob diese einseitig ergriffen oder vertraglich vereinbart werden – untersagt oder geahndet werden“. Solche Rechtsvorschriften verfolgen nämlich „ein spezielles Ziel, das die tatsächlichen oder vermuteten Wirkungen solcher Handlungen auf den Wettbewerb auf dem Markt“ und damit das Ziel der Art. 101 und 102 AEUV254 unberücksichtigt lässt.255 Die Verordnung unterscheidet also zwischen dem „Wettberechtliche Grundlage habe, Apetz Das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken (2011), S. 188 f.; siehe auch EuGH 13. 7. 1966 – 32/65 – Slg. 1966, S. 457, 483 – Italien/Kommission. Allerdings lassen sich aus dieser Verpflichtung keine konkreten Vorgaben für die Ausgestaltung und Reichweite des Lauterkeitsrechts entnehmen, so dass die Verhinderung unlauteren Wettbewerbs nur kartellrechtsimmanent gewürdigt werden kann, dazu unten Rn. 61. 247 EuGH 15. 2. 1996 – C-226/94 – Slg. 1996, I-651 Tz. 16, 18 f. – Grand garage albigeois; EuGH 15. 2. 1996 – C-309/ 94 – Slg. 1996, I-677 Tz. 16, 18 f. – Nissan France; EuGH 20. 2. 1997 – C-128/95 – Slg. 1997, I-967 Tz. 13, 16 f. – Fontaine. 248 EuGH 5. 6. 1997 – C-41/96 – Slg. 1997, I-3123 Tz. 14 – VAG-Händlerbeirat: Erfordernis der Lückenlosigkeit des Vertriebsbindungssystems als Voraussetzung lauterkeitsrechtlicher Ansprüche gegen Außenseiter mit Art. 85 EG (Art. 101 AEUV) vereinbar; zur späteren Aufgabe des Lückenlosigkeitserfordernisses im deutschen Recht Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/70. 249 EuGH 13. 1. 1994 – C-376/92 – Slg. 1994, I-15 Tz. 24 – Metro. 250 Dazu zählen nach der Kommissionsbegründung KOM (2003) 427 S. 17 „Handlungen, die auf die Nachfrage Einfluss zu nehmen trachten (z. B. Täuschung und Zwang), Handlungen, die das Angebot von Wettbewerbern behindern sollen (z. B. Störung der Zulieferung, Abwerbung von Angestellten oder Boykott), oder Handlungen, mit denen die Vorteile eines Wettbewerbers missbraucht werden (z. B. Schaffung einer Verwechslungsgefahr oder Ausnutzung seines Bekanntheitsgrades)“. 251 Erwägungsgrund 23 Rom II-VO: „Für die Zwecke dieser Verordnung sollte der Begriff der Einschränkung des Wettbewerbs Verbote von Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen und abgestimmten Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs in einem Mitgliedstaat oder innerhalb des Binnenmarktes bezwecken oder bewirken, sowie das Verbot der missbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung in einem Mitgliedstaat oder innerhalb des Binnenmarktes erfassen, sofern solche Vereinbarungen, Beschlüsse, abgestimmte Verhaltensweisen oder Missbräuche nach den Artikeln 81 und 82 des Vertrags oder dem Recht eines Mitgliedstaats verboten sind“. 252 Vgl. Art. 6 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 3 lit. b Rom II-VO. 253 Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. L 1 vom 4. 1. 2003, S. 1. 254 Erwägungsgrund 9 Satz 1 VO 1/2003. 255 Als Beispiele nennt Erwägungsgrund 9 Satz 6 VO 1/2003 Rechtsvorschriften, „mit denen Unternehmen untersagt wird, bei ihren Handelspartnern ungerechtfertigte, unverhältnismäßige oder keine Gegenleistungen umfassende Bedingungen zu erzwingen, zu erhalten oder den Versuch hierzu zu unternehmen“.

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II. Das Lauterkeitsrecht als Teil der europäischen Wirtschaftsordnung

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werb auf dem Markt“ als Schutzziel der Art. 101 und 102 AEUV256 und dem davon zu trennenden Schutz vor unlauterem Wettbewerb.257 Gegen eine Übertragung der Trennungskonzeption der Verordnung 1/2003 auf das Verhält- 56 nis des Unionskartellrechts zum nunmehr europäisierten Lauterkeitsrecht wird vorgebracht, dass sie auf den Unterschieden zwischen den nationalen Lauterkeitsrechtsordnungen beruhe und angesichts des Schutzes vor Wettbewerbsverfälschungen als gemeinsamer konzeptioneller Grundlage und sich teilweise überschneidender Schutzzwecke und Anwendungsbereiche von Kartell- und Lauterkeitsrecht nicht mehr sachgerecht sei.258 Dem ist zuzugeben, dass eine strikte Trennung zu weit geht und ein gewisser Wertungstransfer vor allem vom Kartellrecht in das Lauterkeitsrecht sinnvoll und geboten ist. Andererseits ist an der grundsätzlichen Unterscheidung zwischen dem Schutz des unbeschränkten Wettbewerbs auf dem Markt i. S. d. Art. 101, 102 AEUV und dem Schutz des lauteren Wettbewerbs259 festzuhalten, denn eine solche Unterscheidung findet sich nicht nur in der Verordnung 1/2003, sondern auch in der Rechtsprechung des Gerichtshofs und in Art. 6 Rom II-VO. Sie deutet sich auch in Erwägungsgrund 9 Satz 2 RL 2005/ 29/EG an,260 demzufolge die Richtlinie 2005/29/EG nicht „die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft und die nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung derselben“ berührt.261

b) Sperrwirkung des Kartellrechts? Infolge der unterschiedlichen Schutzrichtungen schei- 57 det eine Sperrwirkung des Europäischen Kartellrechts gegenüber national oder unional fundiertem Lauterkeitsrecht grundsätzlich aus, weil das Lauterkeitsrecht in aller Regel nicht (überwiegend262) dem Schutz des Wettbewerbs auf dem Markt i. S. d. Art. 101, 102 AEUV dient (Art. 3 256 Mit Recht weisen Lampert/Niejahr/Kübler/Weidenbach EG-KartellVO (2004) Art. 3 Rn. 122 darauf hin, dass im Kontext des Art. 3 Abs. 3 VO 1/2003 nur auf den „Schutz des Wettbewerbs auf dem Markt“ als Ziel der Art. 101, 102 AEUV abzustellen ist (siehe auch Erwägungsgrund 9 S. 1 VO 1/2003), nicht auf das ebenfalls durch die Wettbewerbsvorschriften verfolgte Ziel der Binnenmarktintegration. Andernfalls käme es mit nahezu jeder lauterkeitsrechtlichen Vorschrift des Sekundärrechts zu einer Zielüberschneidung, weil die betreffenden Richtlinien schon aus kompetenziellen Gründen (Art. 114 AEUV) auch auf die Binnenmarktintegration zielen. 257 Einschränkend Lampert/Niejahr/Kübler/Weidenbach EG-KartellVO (2004) Art. 3 Rn. 123: Regeln des UWG zum Schutz der Nachfrageentscheidung des Verbrauchers seien von Art. 3 Abs. 3 VO 1/2003 erfasst, nicht aber nationale Regeln, die direkt und nicht nur als Reflex die Wettbewerbsbeziehung zwischen den Wettbewerbern auf dem Markt regeln wie etwa die „marktbezogene Unlauterkeit“. M. E. ist nicht allein auf die Regelung des „Wettbewerbs auf dem Markt“ abzustellen, sondern zusätzlich erforderlich, dass der Wettbewerb auf dem Markt vor den spezifisch in Art. 101, 102 AEUV geregelten Wettbewerbsbeschränkungen geschützt werden soll. Diese Sichtweise wird durch Rechtssache Mediaprint bestätigt: Während Lampert/Niejahr/Kübler/Weidenbach EG-KartellVO (2004) Art. 3 Rn. 124 Regeln zur Sicherung der Medienvielfalt nicht mehr unter Art. 3 Abs. 3 VO 1/2003 fassen wollen, hat der EuGH die Richtlinie 2005/29/EG für anwendbar gehalten, EuGH (Große Kammer) 9. 11. 2010 – C-540/08 – Slg. 2010, I-10909 Tz. 26 – Mediaprint. 258 Apetz Das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken (2011), S. 190 Fn. 572. 259 Insbesondere vor unzulässigen Einwirkungen auf die informierte geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers (vgl. Art. 2 lit. e, j, k RL 2005/29/EG). 260 Siehe auch Lübbig GPR 2010, 268, 272 für eine Lösung über Art. 3 Abs. 4 RL 2005/29/EG. 261 Vgl. EuGH 11. 3. 2010 – C-522/08 – Slg. 2010, I-2079 Tz. 33 – Telekommunikacja Polska, wo der Gerichtshof offenbar von einer parallelen Anwendbarkeit regulierungsrechtlicher und lauterkeitsrechtlicher Kopplungsverbote ausgeht. Siehe auch KOM (2003) 356, S. 12 Rn. 41: „Die vorgeschlagene Richtlinie befasst sich nicht mit Kartellfragen wie etwa wettbewerbswidrigen Absprachen, Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, Fusionen und Übernahmen“. Aufgrund der Beschränkung auf verbraucherschützende Vorschriften (Erwägungsgrund 8 Satz 3 RL 2005/ 29/EG) dürften Überschneidungen mit dem Kartellrecht ohnehin selten sein. Siehe aber die Diskussion um die Frage, ob unter den Begriff der „Ausnutzung einer Machtposition“ in Art. 2 lit. j RL 2005/29/EG auch die Ausnutzung wirtschaftlicher Machtpositionen und somit der Missbrauch von Marktmacht fällt, Apetz Das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken (2011), S. 191. 262 Art. 3 Abs. 3 a. E. VO 1/2003. Eine „Reflexwirkung“ auf den Wettbewerb schadet nicht, Lampert/Niejahr/Kübler/Weidenbach EG-KartellVO (2004) Art. 3 Rn. 123.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

Abs. 3 VO 1/2003). Ein Regelungskonflikt zwischen Kartell- und Lauterkeitsrecht kann sich aus europäischer Perspektive nur ergeben, wenn die lauterkeitsrechtlichen Vorschriften ausnahmsweise überwiegend auf den Schutz des Wettbewerbs auf dem Markt i. S. d. Art. 101, 102 AEUV abzielen. Ist dies der Fall, so ist zwischen einseitigen Maßnahmen i. S. d. Art. 102 AEUV und Vereinbarungen i. S. d. Art. 101 AEUV zu unterscheiden. 58 Bei einseitigen Maßnahmen wie etwa der Kampfpreisunterbietung263 scheidet eine Sperrwirkung des Europäischen Kartellrechts selbst dann aus, wenn die betreffende Lauterkeitsvorschrift ausnahmsweise „überwiegend“ denselben Zielen wie Art. 102 AEUV dient, weil das Europäische Kartellrecht selbst im Verhältnis zu nationalen Kartellvorschriften nur für das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen i. S. d. Art. 101 AEUV (Art. 3 Abs. 1 VO 1/2003), nicht aber für missbräuchliche einseitige Handlungen von Unternehmen (Art. 3 Abs. 2 S. 2 VO 1/2003) einen Vorrang des Unionsrechts anordnet.264 Es ist daher zulässig, die Ausnutzung einer wirtschaftlichen Machtposition als unzulässige Beeinflussung i. S. d. Art. 2 lit. j RL 2005/29/EG anzusehen, selbst wenn die Voraussetzungen des Art. 102 AEUV nicht gegeben sind.265 59 Bei Vereinbarungen i. S. d. Art. 101 AEUV hingegen ist entscheidend, ob die Wirkungen solcher Vereinbarungen auf den Wettbewerb auf dem Markt bei der lauterkeitsrechtlichen Prüfung (weitgehend) unberücksichtigt bleiben, weil die Regeln des Lauterkeitsrechts (überwiegend) andere Ziele verfolgen.266 Soweit das nationale Lauterkeitsrecht derartige Verhaltensweisen „überwiegend“ aufgrund ihrer wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen auf den Markt zu verbieten sucht und damit demselben Ziel wie Art. 101 AEUV dient, bewegt es sich außerhalb der Ermächtigung des Art. 3 Abs. 3 VO 1/2003 und hat folglich den durch Art. 3 Abs. 2 S. 1 VO 1/2003 angeordneten Vorrang des Art. 101 AEUV zu beachten.267

60 c) Wertungstransfer und Widerspruchsfreiheit. Trotz der sich im Unionsrecht abzeichnenden parallelen Anwendbarkeit beider Teildisziplinen des Wettbewerbsrechts empfiehlt es sich, diese in Richtung einer widerspruchsfreien Koexistenz fortzuentwickeln. Danach stehen Lauterkeitsrecht und Kartellrecht grundsätzlich als Folge ihrer unterschiedlichen Zielsetzungen nebeneinander und sind parallel anzuwenden. Eine Sperrwirkung des Europäischen Kartellrechts kommt – bis auf wenige Ausnahmen268 – nicht in Betracht, eine Sperrwirkung des Lauterkeitsrechts scheitert bereits aus normhierarchischen Gründen. Jedoch sind bei der Konkretisierung der offenen Tatbestände des Lauterkeitsrechts die Wertungen der Schwesterdisziplin 263 Diese kann unter Art. 102 AEUV fallen, vgl. EuGH 3. 7. 1991 – C-62/86 – Slg. 1991, I-3359 Tz. 70 ff. – Akzo. Bei generellen Verboten des Verkaufs unter Einstandspreis, die nicht an die Marktmacht des Unternehmens anknüpfen, dürfte es nicht um den Schutz des Wettbewerbs auf dem Markt i. S. d. Art. 101, 102 AEUV gehen, sondern allein um den Schutz kleinerer Unternehmen vor aggressivem Preiswettbewerb, so dass diese Regeln als lauterkeitsrechtlich einzustufen sind, überzeugend Wurmnest Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, 2. Aufl. (2012), S. 499 ff. Ein generelles, dem Verbraucherschutz dienendes Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis verstößt gegen die Richtlinie 2005/29/EG, EuGH 7. 3. 2013 – C-343/12 – GRUR Int. 2013, 936 Tz. 22, 29, 31 – Euronics Belgium; dies gilt auch dann, wenn das nationale allgemeine Verbot Ausnahmetatbestände vorsieht, die in der RL 2005/29/EG nicht vorgesehen sind, EuGH 19. 10. 2017 – C-295/16 – GRUR 2018, 303 Tz. 43 – Europamur. 264 Zwar dürfen die nationalen Behörden neben Art. 102 AEUV zusätzlich ihre nationalen Missbrauchsvorschriften anwenden. Sie dürfen aber keine negative Sachentscheidung treffen, die einen Verstoß gegen Art. 102 AEUV verneint, EuGH (Große Kammer) 3. 5. 2011 – C-375/09 – Slg. 2011, I-3055 Tz. 28 ff. – Tele2 Polska. 265 Apetz Das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken (2011), S. 191 f. Wenn die Voraussetzungen des Art. 102 AEUV gegeben sind, bleibt diese Vorschrift als speziellere und ranghöhere Vorschrift selbstverständlich neben den Lauterkeitsnormen anwendbar. 266 MünchKommKartellrecht/Bardong, Band 1: Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. (2015), Art. 3 VO 1/2003 Rn. 21 ff. 267 Lampert/Niejahr/Kübler/Weidenbach EG-KartellVO (2004) Art. 3 Rn. 123: Fallgruppe der „marktbezogenen Unlauterkeit“ nicht von der Ausnahmeklausel des Art. 3 Abs. 3 VO 1/2003 gedeckt. 268 Siehe oben Rn. 59.

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II. Das Lauterkeitsrecht als Teil der europäischen Wirtschaftsordnung

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zu berücksichtigen, um zu widerspruchsfreien Lösungen zu gelangen. So ist es aus Gründen der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung und der praktischen Wirksamkeit der höherrangigen Art. 101, 102 AEUV ausgeschlossen, dass das Lauterkeitsrecht ein Verhalten legitimiert oder gar zu einem Verhalten verpflichtet, das aus der Perspektive des Kartellrechts verboten ist.269 Beispielsweise darf etwa die Abweichung von kartellrechtswidrig vorgeschriebenen Preisen nicht als lauterkeitswidrig sanktioniert werden.270 Ebenso wenig wäre es zulässig, in lauterkeitsrechtliche Verhaltenskodizes271 Regelungen aufzunehmen, die im Widerspruch zu den Kartellvorschriften stehen.272 Auch sind kartellrechtlich erlaubte (unverbindliche) Preisempfehlungen grundsätzlich (vorbehaltlich etwaiger Irreführung) auch lauterkeitsrechtlich zulässig.273 Weniger Spielraum besteht umgekehrt für einen Import lauterkeitsrechtlicher Wer- 61 tungen in das Kartellrecht. Zwar sollen nach der älteren Rechtsprechung des Gerichtshofs die Wettbewerbsregeln des AEUV nur auf die „Gewährleistung eines redlichen Wettbewerbs“ zielen,274 so dass Art. 101 AEUV auf Vereinbarungen keine Anwendung finden soll, die sich ausschließlich gegen unlauteren Wettbewerb richten.275 Allerdings wirft dies die Frage auf, wann sich Vereinbarungen ausschließlich gegen unlauteren Wettbewerb richten. Durch die Richtlinie 2005/29/EG steht zwar für verbrauchergerichtete Geschäftspraktiken nunmehr ein einheitlicher Beurteilungsmaßstab zur Verfügung. Indes erfasst diese Richtlinie nicht das weite Feld ausschließlich konkurrentenschützender Lauterkeitsnormen, so dass die Gefahr nationaler Unterschiede bei der Definition des „redlichen Wettbewerbs“ nicht von der Hand zu weisen ist. Zudem gebieten die normhierarchische Stellung der Art. 101 ff. AEUV und ihr vom Lauterkeitsrecht abweichender Schutzzweck Vorsicht bei der Begrenzung kartellrechtlicher Aufgreiftatbestände aufgrund lauterkeitsrechtlicher Wertungen. Die Ausnahme sollte daher, wenn überhaupt, nur sehr zurückhaltend gehandhabt werden.276 Es gilt vielmehr der Grundsatz, dass die Abwehr (lauterkeits-)widrigen Verhaltens Sache der – ggf. auf Initiative der Mitbewerber damit befassten – Gerichte und Behörden ist und nicht gegen die Art. 101 ff. AEUV verstoßende Verhaltensweisen (als „Notwehr“ oder „Selbsthilfe“) rechtfertigen kann.277

269 EuGH 9. 2. 1995 – C-412/93 – Slg. 1995, I-179 Tz. 25 – Leclerc-Siplec; siehe auch EuGH 17. 1. 1984 – 43/82 und 63/82 – Slg. 1984, 19 Tz. 37 – VBVB und VBBB/Kommission. 270 EuGH 1. 10. 1987 – 311/85 – Slg. 1987, 3801 Tz. 24 – Vereniging van Vlaamse Reisbureaus. 271 Definiert in Art. 2 lit. f RL 2005/29/EG als „eine Vereinbarung oder ein Vorschriftenkatalog, die bzw. der nicht durch die Rechts- und Verwaltungsvorschriften eines Mitgliedstaates vorgeschrieben ist und das Verhalten der Gewerbetreibenden definiert, die sich in Bezug auf eine oder mehrere spezielle Geschäftspraktiken oder Wirtschaftszweige auf diesen Kodex verpflichten“; dazu auch BGH 9. 9. 2010 – I ZR 157/08 – GRUR 2011, 431 Tz. 13, 15 – FSAKodex: Verstoß gegen Verhaltenskodex nicht bereits als solcher unlauter; siehe auch Art. 6 Abs. 2 lit. b und Erwägungsgrund 20 RL 2005/29/EG. Siehe auch EuGH 19. 9. 2018 – C-109/17 – WRP 2019, 44 Tz. 58 – Mari Merino: Die RL 2005/29/EG verpflichtet nicht dazu, unmittelbare Rechtsfolgen für Gewerbetreibende nur deshalb vorzusehen, dass sie einen Verhaltenskodex nicht eingehalten haben, nachdem sie sich ihm unterworfen haben. 272 KOM (2003) 356 S. 18 Rn. 73: „Dadurch [EU-weite Verhaltenskodizes] könnten die Hindernisse für den Binnenmarkt abgebaut werden, sofern gewährleistet ist, dass derartige Kodizes den Wettbewerb nicht verhindern, einschränken oder verzerren“. 273 BGH 3. 3. 2016 – I ZR 110/15 – GRUR 2016, 961 Tz. 26 ff. – Herstellerempfehlung bei Amazon. 274 EuGH 13. 7. 1966 – 32/65 – Slg. 1966, S. 457, 483 – Italien/Kommission; Beater Rn. 459. 275 MünchKomm/Sosnitza Teil I. Grundl Rn. 42 f. 276 So wohl auch EuGH 17. 1. 1984 – 43/82 und 63/82 – Slg. 1984, 19 Tz. 37 – VBVB und VBBB/Kommission; siehe auch Hoffmann Unlauterer Wettbewerb und Art. 81 EG (2003), S. 189 f. 277 EuGH 7. 2. 2013 – C-68/12 – EuZW 2013, 438 Tz. 20 – Protimonopolný úrad Slovenskej republiky unter Verweis auf den Umstand, dass die Einschätzung der (Lauterkeits-)Rechtswidrigkeit „komplexe Beurteilungen“ erforderlich machen kann, die besser durch Behörden und Gerichte als durch die – möglicherweise von Eigeninteressen nicht freien – Mitbewerber erfolgen kann. Zudem schützt Art. 101 AEUV „nicht nur die Interessen einzelner Wettbewerber oder Verbraucher …, sondern auch die Struktur des Marktes und damit den Wettbewerb als solchen“. Siehe auch EuGH a. a. O. Tz. 35: Auch die Anwendung des Art. 101 Abs. 3 AEUV kommt zur Rechtfertigung einer wettbewerbswidrigen Vereinbarung zwecks Abwehr des rechtswidrigen Verhaltens eines Mitbewerbers nicht in Betracht, weil

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

2. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten 62 Relevanter als die Wettbewerbsregeln des Vertrages war der Einfluss der Grundfreiheiten auf das Lauterkeitsrecht (unten Rn. 90 ff.). Aus der Perspektive der Verkehrsfreiheiten wurden die Regeln des nationalen Lauterkeitsrechts zunächst vor allem als störende Beeinträchtigung der seit Dassonville278 weit verstandenen Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit wahrgenommen.279 Ihr Einfluss zielte dementsprechend auf eine Negativintegration,280 indem nationale Lauterkeitsregeln überwunden wurden, die als unverhältnismäßige Beschränkung der Grundfreiheiten galten.281 Bereits in den siebziger Jahren akzeptierte der EuGH allerdings in der Entscheidung Cassis de Dijon, dass neben den geschriebenen Rechtfertigungstatbeständen des Art. 36 EWG-Vertrag (Art. 36 AEUV) auch die Lauterkeit des Handelsverkehrs und der Verbraucherschutz als zwingende Erfordernisse des Allgemeinwohls eine Beschränkung der Grundfreiheiten zu rechtfertigen vermag.282 63 In der Folge kam es über die Rechtfertigungsprüfung der Grundfreiheiten in begrenztem Umfang auch zu einer positiven Herausbildung europäischer Lauterkeitsmaßstäbe,283 obgleich das Recht des unlauteren Wettbewerbs nach wie vor Sache der Mitgliedstaaten blieb und verkaufsbezogene Lauterkeitsregeln durch die Keck-Doktrin von der Kontrolle am Maßstab der Warenverkehrsfreiheit weitgehend ausgenommen wurden. Für die Grundfreiheiten charakteristisch war ein wettbewerbs- und binnenmarktfunktionaler Zugriff auf das Lauterkeitsrecht.284 Dem Gerichtshof ging es in erster Linie um den diskriminierungsfreien und so weit wie möglich ungehinderten Marktzugang EU-ausländischer Produkte zu den Märkten anderer Mitgliedstaaten. Bloße Verkaufsmodalitäten, die für alle Marktteilnehmer rechtlich und faktisch gleiche Wirkungen entfalten und nicht den Marktzugang für ausländische Anbieter versperren, wurden daher seit Keck nicht als Beeinträchtigung der Warenverkehrsfreiheit angesehen. Auch verbraucherschützende Standardisierungs-, Etikettierungs- und Informationspflichten und der Schutz gegen Irreführung wurden als zwingende Erfordernisse gebilligt, um eine freie und informierte Entscheidung der Marktgegenseite als Grundlage eines funktionierenden Binnenmarktes zu ermöglichen, während generelle Informations- und Werbeverbote oder überzogene Irreführungsstandards verworfen wurden (unten Rn. 154 ff.). 64 In jüngerer Zeit haben die Grundfreiheiten durch die Vollharmonisierung wichtiger Teile des Lauterkeitsrechts wieder an Bedeutung eingebüßt, weil der Gerichtshof nationale Maßnahmen im vollharmonisierten Bereich vorrangig285 anhand der Bestimmungen der Harmonisierungsmaßnahme und nicht der Grundfreiheiten beurteilt.286 Indes bleiben die Grundfreiheiten auch im harmonisierten Bereich in ihrer Funktion einer übergeordneten Direktive zur Auslegung allenfalls eine der vier in Art. 101 Abs. 3 AEUV genannten Voraussetzungen (i.w.S. die „Förderung des wirtschaftlichen Fortschritts“) erfüllt ist. 278 EuGH 11. 7. 1974 – 8/74 – Slg. 1974, 837 Tz. 5 – Dassonville. 279 Vgl. Bachmann AcP 210 (2010) 425, 457: Lauterkeitsrecht habe „latent protektionistisches Potential“. 280 Reich/Micklitz Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. (2003) § 1 Tz. 1.25; zur Unterscheidung von „negativer“ (Grundfreiheiten) und „positiver“ (Sekundärrecht) Angleichung bereits die Mitteilung der Kommission Notwendigkeit eines neuen Impulses für die Politik zum Schutz der Verbraucher, Bulletin EG 6/86, S. 10 Tz. 11. 281 Erstauflage/Schricker Einl Rn. F 329: „auf Liberalisierung abzielend“; zu einem Vergleich von Negativ- und Positivintegration Johnston/Unberath CMLR 44 (2007) 1237. 282 Wenig enthusiastisch EuGH 20. 2. 1979 – 120/78 – Slg. 1979, 649 Tz. 8 – Rewe Zentral, „Cassis de Dijon“: Hemmnisse „müssen hingenommen werden“. 283 Keirsbilck The New European Law of Unfair Commercial Practices and Competition Law (2011), S. 6, 63 ff. 284 Leistner Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb (2007), S. 433; Peukert ZHR 173 (2009) 536, 548 ff. m. w. N. (siehe allerdings auch den Verweis auf S. 557 f. auf die Rechtssache Buet). 285 Unklar ist, ob der Vorrang harmonisierenden Sekundärrechts absolut ist oder ob auch die Union an die Grundfreiheiten gebunden ist, dazu unten Rn. 92. 286 EuGH 6. 11. 2011 – C-443/10 – Slg. 2011, I-9327 Tz. 22 – Bonnarde; ferner EuGH 13. 12. 2001 – C-324/99 – Slg. 2001, I-9897 Tz. 32 – DaimlerChrysler; EuGH (Große Kammer) 14. 12. 2004 – C-210/03 – Slg. 2004, I-11893 Tz. 81 –

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II. Das Lauterkeitsrecht als Teil der europäischen Wirtschaftsordnung

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und Anwendung des Sekundärrechts bedeutsam,287 so dass eine gewisse Kontinuität der Rechtsprechung zu erwarten ist. Hinzu tritt ihre Relevanz für die nicht (vollständig) harmonisierten Felder des Lauterkeitsrechts, also den unternehmerischen Geschäftsverkehr und den Schutz anderer als wirtschaftlicher Interessen der Verbraucher, soweit dort nicht sektorspezifisches Sekundärrecht eine Vollharmonisierung bewirkt.

3. Lauterkeitsrecht und Rechtsangleichung Der Bedeutungsverlust der Grundfreiheiten ist die Kehrseite des heutzutage wichtigsten europä- 65 ischen Einflusses auf das Lauterkeitsrecht, der Rechtsangleichung durch Sekundärrecht (Richtlinien und Verordnungen) auf Grundlage der Binnenmarktkompetenz des Art. 114 AEUV (Positivintegration) (unten Rn. 232 ff.). Nach Auffassung des EuGH kann der Unionsgesetzgeber Art. 114 AEUV „im Fall von Unterschieden zwischen den nationalen Regelungen heranziehen, wenn diese Unterschiede geeignet sind, die Grundfreiheiten zu beeinträchtigen288 oder Wettbewerbsverzerrungen289 zu verursachen und sich auf diese Weise unmittelbar auf das Funktionieren des Binnenmarkts auszuwirken“.290 Dies ist der Fall, „wenn Handelshemmnisse bestehen oder solche Hemmnisse wahrscheinlich entstehen werden, weil die Mitgliedstaaten hinsichtlich eines Erzeugnisses … divergierende Maßnahmen erlassen haben …, die ein unterschiedliches Schutzniveau gewährleisten und dadurch den freien Verkehr mit dem oder den betreffenden Erzeugnissen in der Gemeinschaft behindern“.291 Ist diese – eher niedrige – Schwelle erreicht, so darf der Gesetzgeber im Rahmen seines politischen Ermessens auch andere als handelsfunktionale Kriterien (insbesondere Gesundheit, Sicherheit, Umwelt- und Verbraucherschutz, Art. 114 Abs. 3 AEUV) bei der Ausgestaltung des Rechtsaktes sogar „entscheidend“ heranziehen.292

a) Lauterkeitsrecht und Verbraucherschutz. Infolge der Öffnung der Binnenmarkt- 66 kompetenz für andere als rein handelsfunktionale Aspekte hatte die Rechtsangleichung zur FolSwedish Match; EuGH 9. 3. 2006 – C-421/04 – Slg. 2006, I-2303 Tz. 20 – Matratzen Concord; EuGH 16. 12. 2008 – C205/07 – Slg. 2008, I-9947 Tz. 33 – Gysbrecht; EuGH 24. 1. 2008 – C-257/06 – Slg. 2008, I-189 Tz. 14 – Roby Profumi. 287 Zur Auslegung EuGH 2. 2. 1994 – C-315/92 – Slg. 1994, I-317 Tz. 12 – Clinique; EuGH 16. 1. 2003 – C-14/00 – Slg. 2003, I-513 Tz. 66 – Kommission/Italienische Republik; EuGH 4. 10. 2007 – C-457/05 – Slg. 2007, I-8075 Tz. 22 – Diageo; zur Anwendung EuGH (Große Kammer) 17. 4. 2007 – C-470/03 – Slg. 2007, I-2749 Tz. 59 f. – A.G.M.-COS.MET. 288 EuGH 12. 12. 2006 – C380/03 – Slg. 2006, I-11573 Tz. 37 – Deutschland/Parlament und Rat (Tabakwerberichtlinie II). 289 EuGH 5. 10. 2000 – C376/98 – Slg. 2000, I-8419 Tz. 84 und 106 – Deutschland/Parlament und Rat (Tabakwerberichtlinie I). 290 EuGH 10. 2. 2009 – C-301/06 – Slg. 2009, I-593 Tz. 63 – Irland/Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union (Vorratsdatenspeicherung); EuGH 8. 6. 2010 – C-58/08 – Slg. 2010, I-4999 Tz. 32 – The Queen, auf Antrag von Vodafone Ltd/Secretary of State (Roaming-VO). Wird Art. 114 AEUV als Rechtsgrundlage herangezogen, „um der Entstehung neuer Hindernisse für den Handel infolge einer heterogenen Entwicklung der nationalen Rechtsvorschriften vorzubeugen, [so] muss zudem das Entstehen solcher Hindernisse wahrscheinlich sein und die fragliche Maßnahme ihre Vermeidung bezwecken“, EuGH 10. 2. 2009 – C-301/06 – Slg. 2009, I-593 Tz. 64 – Irland/ Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union (Vorratsdatenspeicherung); EuGH 8. 6. 2010 – C-58/08 – Slg. 2010, I-4999 Tz. 33 – The Queen, auf Antrag von Vodafone Ltd/Secretary of State (Roaming-VO). 291 EuGH 12. 12. 2006 – C-380/03 – Slg. 2006, I-11573 Tz. 41 – Deutschland/Parlament und Rat (Tabakwerberichtlinie II). 292 EuGH 12. 12. 2006 – C-380/03 – Slg. 2006, I-11573 Tz. 39 – Bundesrepublik Deutschland/Europäisches Parlament (Tabakwerberichtlinie II): Maßnahme darf auf Art. 114 AEUV gestützt werden, „auch wenn dem Gesundheitsschutz bei den zu treffenden Entscheidungen maßgebliche Bedeutung zukommt“; ebenso EuGH 8. 6. 2010 – C-58/ 08 – Slg. 2010, I-4999 Tz. 36 – The Queen, auf Antrag von Vodafone Ltd/Secretary of State (Roaming-VO) (zum Verbraucherschutz).

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ge, dass auch Gesichtspunkte in das Europäische Lauterkeitsrecht Eingang fanden, die im ursprünglich vor allem auf die Beseitigung von Wettbewerbsbeschränkungen und Handelshemmnissen ausgerichteten EWG-Vertrag nicht oder nur in Ansätzen293 angelegt waren.294 In erster Linie ist insofern der inzwischen in die Verträge aufgenommene295 (Art. 12, 114 Abs. 3, 169 AEUV, Art. 38 EuGRCh) Verbraucherschutzgedanke zu nennen, der mit der Richtlinie 2005/29/ EG zum zentralen und der Binnenmarktintegration gleichrangigen Anliegen des Europäischen Lauterkeitsrechts aufgestiegen ist (Art. 1 RL 2005/29/EG). Der Aufstieg des Verbraucherschutzgedankens296 hatte eine Neujustierung des traditionell auf den Schutz der Wettbewerber und des Wettbewerbs ausgerichteten Lauterkeitsrechts297 zur Folge, das inzwischen in weiten Teilen vom europäischen Gesetzgeber als Teil des Verbraucherrechts begriffen wird.298

67 aa) Marktfunktionaler Verbraucherschutz im allgemeinen Lauterkeitsrecht. Allerdings darf die Einbeziehung wichtiger Teile des Europäischen Lauterkeitsrechts in das Verbraucherrecht nicht darüber hinwegtäuschen, dass es zumindest im allgemeinen Europäischen Lauterkeitsrecht (also den Richtlinien 2005/29/EG, 2006/114/EG299 und 98/6/EG) und in wichtigen Teilen des medienspezifischen Lauterkeitsrechts (insbesondere der Richtlinie 2000/31/EG) im Kern 293 Zwar hatte der EuGH in Cassis de Dijon bereits den Verbraucherschutz als Rechtfertigung einer Grundfreiheitsbeschränkung akzeptiert. Allerdings blieb die Ausgestaltung weitgehend den Mitgliedstaaten überlassen, der EuGH beschränkte sich auf eine „Negativintegration“. 294 Peukert Die Ziele des Primärrechts und ihre Bedeutung für das Europäische Lauterkeitsrecht: Auflösungserscheinungen eines Rechtsgebiets? in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.) Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009), S. 27, 34: „Diversifizierung und Materialisierung“. 295 Auch im ursprünglichen EWG-Vertrag hatte der Verbraucherschutz insofern seinen Platz, als bereits durch die Garantie des freien Wettbewerbs und die Errichtung eines europäischen Binnenmarktes die Interessen der Verbraucher an einem breiten Waren- und Dienstleistungsangebot und niedrigen Preisen befriedigt wurden, siehe EuGH 26. 6. 1980 – 136/79 – Slg. 1980, 2033 Tz. 20 – National Panasonic; EuGH 22. 10. 2002 – C-94/00 – Slg. 2002, I-9011 Tz. 42 – Roquette Frères; EuGH 17. 2. 2011 – C-52/09 – Slg. 2011, I-527 Tz. 22 – Telia Sonera. Allerdings handelte es sich dabei nicht um einen spezifischen Schutz der Verbraucher, sondern der gesamten Marktgegenseite. Zum Verbraucherschutz im Primärrecht Rösler EuR 2008, 800. 296 Siehe bereits die Entschließung des Rates vom 14. April 1975 betreffend ein Erstes Programm der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für eine Politik zum Schutz und der Unterrichtung der Verbraucher, ABl. C 92 vom 25. 4. 1975, S. 1. Dort wird der Verbraucherschutz mit Art. 2 EWG-Vertrag verknüpft: „Die Verbesserung der Lebensqualität ist eine der Aufgaben der Gemeinschaft; diese Aufgabe setzt den Schutz der Gesundheit, der Sicherheit und der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher voraus“. Ersichtlich erstmals findet sich der Verbraucherschutzgedanke im Kommissionsdokument „Unlauterer Wettbewerb – Arbeitsdokument“, Dok. Nr. XLV/156/72-D vom 28. 2. 1972, wiedergegeben bei Schricker GRUR Int. 1973, 141, 146. Die Unterscheidung zwischen wirtschaftlichen und anderen (Gesundheit, Sicherheit) Verbraucherinteressen findet sich auch im Zweiten Gemeinschaftsprogramm für die Verbraucher – Aktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaften für die Verbraucher, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften Beilage 4/1979; zum heutigen Stand Rösler Verbraucher und Verbraucherschutz in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.) Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts (2009), S. 1599, 1602. Zum Verbraucherschutzgedanken im UWG bereits Ulmer GRUR 1937, 769, 772 f.; Schricker RabelsZ 36 (1972) 315. 297 Siehe etwa Kühnemann Unlauterer Wettbewerb in: Schlegelberger (Hrsg.) Rechtsvergleichendes Handwörterbuch für das Zivil- und Handelsrecht des In- und Auslandes (1938), S. 747: Als Schutzobjekt des Lauterkeitsrechts in Betracht kommen der Unternehmer, das Unternehmen als wirtschaftliche Einheit, die Wirtschaftsordnung im Staat und die „Volksgemeinschaft“. 298 Ausdrücklich Art. 3 Nr. 1 i. V. m. dem Anhang Nr. 9 der Verordnung (EU) 2017/2394 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2017 über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2006/ 2004, ABl. L 345 vom 27. 12. 2017, S. 1. 299 Soweit vergleichende Werbung dort geregelt wird; die irreführende Werbung gegenüber Verbrauchern ist im Übrigen in der RL 2005/29/EG geregelt. Allerdings zeigt der Schutz der Gewerbetreibenden vor Irreführung durch die RL 2006/114/EG, dass der Schutz der wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit der Marktgegenseite kein auf Verbraucherbeziehungen begrenztes Anliegen des Unionsrechts ist.

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II. Das Lauterkeitsrecht als Teil der europäischen Wirtschaftsordnung

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nach wie vor um ein binnenmarktfunktionales Verständnis des Verbraucherschutzes geht.300 Ziel dieser Rechtsakte ist es nämlich, eine informierte geschäftliche Entscheidung301 des Verbrauchers als Voraussetzung eines funktionierenden Wettbewerbs im Binnenmarkt überhaupt erst zu ermöglichen (sog. marktkonstitutiver oder marktkomplementärer Verbraucherschutz).302 Diese Dimension des Verbraucherschutzes zielt nicht auf eine Korrektur der Marktergebnisse aus rechtsethischen oder sozialpolitischen Gründen. Es geht vielmehr um die Sicherung der Funktionsbedingungen des Marktmechanismus, indem eine tatsächlich freie und präferenzkonforme Entscheidung der Verbraucher als Marktteilnehmer ermöglicht wird.303 Sie steht dem Lauterkeitsrecht traditionell nahe, weil sie vor allem durch Regeln zum Schutz vor irreführenden oder anderweitig unzulässigen Beeinflussungen der Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers verwirklicht wird.304 Der binnenmarktfunktionalen Ausrichtung widerspricht auch nicht das Ziel eines hohen Verbraucherschutzniveaus,305 weil mit dieser Verpflichtung zwar das Optimierungsniveau angehoben, nicht zwangsläufig aber auch das Optimierungsziel von einem binnenmarktfunktionalen zu einem stärker marktkompensatorisch ausgerichteten Verbraucherschutz verschoben wird.306 300 Glöckner Europäisches Lauterkeitsrecht (2006), S. 194 f.; Leistner Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb (2007), S. 345; Augenhofer Individualrechtliche Ansprüche des Verbrauchers bei unlauterem Wettbewerbsverhalten des Unternehmers in: Krejci/Keßler/Augenhofer (Hrsg.) Lauterkeitsrecht im Umbruch (2005), S. 103, 105 f.; Brömmelmeyer GRUR 2007, 295, 297; Beater Rn. 462, 470 ff. 301 Siehe Art. 2 lit. e, j; Art. 5 Abs. 2 lit. b; Art. 7 Abs. 1 a. E., Art. 7 Abs. 2 a. E., Art. 8 a. E., Erwägungsgründe 6 Satz 5 a. E., 14 Satz 1 und 16 Satz 1, Anhang I Nr. 7 RL 2005/29/EG; Erwägungsgrund 8 RL 2006/114/EG: zulässige vergleichende Werbung als „Mittel zur Unterrichtung des Verbrauchers“; Art. 5, 6 und Erwägungsgrund 29 RL 2000/ 31/EG: „Transparenzerfordernisse“; Art. 9 Abs. 1 lit. b RL 2010/13/EU (Verbot der unterschwelligen Beeinflussung); näher Wunderle Verbraucherschutz im Europäischen Lauterkeitsrecht (2010), S. 192 ff. 302 Die Unterscheidung zwischen marktkonstitutivem (marktkomplementärem) und marktkompensatorischem (marktkorrigierendem) Verbraucherschutz findet sich – mit nicht immer einheitlicher Terminologie und Zuordnung der einzelnen Fallgruppen – u. a. bei Reich Markt und Recht (1977), S. 198 ff.; Drexl Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 9, 288 ff., 302 (der allerdings den lauterkeitsrechtlichen Irreführungsschutz als marktkompensatorisch, weil ein Vertrags- und Wettbewerbsversagen kompensierend qualifiziert, S. 554); ders. FS Sonnenberger (2004) S. 771, 783; Martinek Unsystematische Überregulierung und kontraintentionale Effekte im Europäischen Verbraucherschutzrecht oder: Weniger wäre mehr in: Grundmann (Hrsg.) Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts (2000), S. 511, 515; Glöckner Europäisches Lauterkeitsrecht (2006), S. 194 f.; Voland Verbraucherschutz und Welthandelsrecht (2007), S. 40 ff.; Fornasier Freier Markt und zwingendes Vertragsrecht (2013), S. 65 ff. Siehe auch Rösler Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 140: „Primat einer ökonomischen und rechtlichen Konsumentensouveränität“ als „Makroprinzip“. 303 Siehe auch Wagner ZEuP 2010, 243, 257, der zu den ökonomischen Funktionen des zwingenden Vertragsrechts die Internalisierung externer Kosten, die Sicherungen für rationales Entscheiden, den Ausgleich von Informationsasymmetrien und den Ausgleich von situativer (nicht genereller) Marktmacht zählt, nicht aber die Privilegierung bestimmter Personengruppen. 304 Der Schutz gegen Irreführungen gilt traditionell als Teil des Lauterkeitsrechts, vgl. nur Art. 10bis Abs. 3 Nr. 3 PVÜ. Allerdings wurde der Irreführungsschutz zunächst nur dann dem Lauterkeitsrecht zugeordnet, wenn er den Wettbewerber schützt, während der Schutz der Abnehmer vor Irreführungen dem Gewerbepolizeirecht zugewiesen wurde, Kühnemann Unlauterer Wettbewerb in: Schlegelberger, Rechtsvergleichendes Handwörterbuch für das Zivilund Handelsrecht des In- und Auslandes (1938), S. 747, 756. 305 Zu den Konsequenzen für die Auslegung der Einzeltatbestände EuGH 12. 5. 2011 – C-122/10 – Slg. 2011, I-3903 Tz. 29 – Ving Sverige; Peukert ZHR 173 (2009) 536, 560 f. In Richtung eines stärker auf den Schutz des individuellen Verbrauchers als „wirtschaftlich schwächer[e] und rechtlich weniger erfahren[e]“ Vertragspartei ausgerichtenen Verbraucherschutzkonzepts aber nunmehr EuGH 3. 10. 2013 – C-59/12 – EuZW 2013, 941 Tz. 35 f. – Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs; EuGH 16. 4. 2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 53 – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság; EuGH 13. 9. 2018 – C-54/17 und C-55/17 – GRUR 2018, 1156 Tz. 54 – Wind; siehe auch unten Rn. 233 f. 306 Ähnlich wertungsneutral sind die Regeln zur Rechtsdurchsetzung, bei denen es maßgeblich von den zugrundeliegenden (durchzusetzenden) Vorschriften des materiellen Lauterkeitsrechts abhängt, ob sie marktfunktionale oder marktkorrigierende Ziele verfolgen, vgl. Wunderle Verbraucherschutz im Europäischen Lauterkeitsrecht (2010), S. 256.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

Trotz der im Kern wettbewerbsfunktionalen Ausrichtung lassen sich allerdings auch im allgemeinen Europäischen Lauterkeitsrecht Einzelregelungen ausmachen, die sich nicht allein durch den Schutz der informierten Entscheidung des Verbrauchers und damit wettbewerbsfunktionale Anliegen erklären lassen.307 Erste Indizien für einen am Marktergebnis orientierten marktkorrigierenden Verbraucherschutz finden sich bereits im Anhang I zur Richtlinie 2005/ 29/EG, insbesondere in Nr. 14 (Verbot von Schneeball- und Pyramidensystemen), Nr. 16 (Verbot der Werbung mit erhöhten Chancen bei Glücksspielen) und Nr. 26 (Verbot hartnäckigen und unerwünschten Ansprechens über Telefon, Fax oder Email) der Richtlinie 2005/29/EG. Diese Vorschriften knüpfen tatbestandlich nicht an eine Irreführung308 oder Entscheidungsbeeinflussung309 an und lassen sich daher nicht mit dem Schutz der informierten Verbraucherentscheidung erklären.310

69 bb) Marktkorrigierender Verbraucherschutz im sektoriellen Lauterkeitsrecht. Während sich das allgemeine Europäische Lauterkeitsrecht (in Gestalt der Richtlinien 2005/29/EG, 2006/ 114/EG und 98/6/EG) mit der Ausrichtung auf die informierte Entscheidung der Marktgegenseite im Wesentlichen noch in wettbewerbsfunktionalen Bahnen bewegt, finden sich im sektoriellen Lauterkeitsrecht der Union inzwischen zahlreiche Normen, die nicht nur auf den Schutz der informierten Verbraucherentscheidung zielen, sondern immer stärker auch das Ergebnis der Verbraucherentscheidung und damit das Marktergebnis im Sinne außerwettbewerblicher Zwecke zu beeinflussen suchen. So wird zum einen die Werbung für bestimmte Produkte beschränkt, weil der Konsum aus gesundheitlichen Gründen unerwünscht ist (Tabak)311 oder nicht durch kommerzielle Werbung beeinflusst werden soll (Arzneimittel).312 Zum anderen werden nährwert- und ge307 Die Verschärfung des Lauterkeitsmaßstabs bei besonders schutzbedürftigen Personengruppen (Art. 5 Abs. 3 RL 2005/29/EG) und der gegenüber der Irreführungsrichtlinie 2006/114/EG ausgebaute Irreführungsschutz (Art. 6 RL 2005/29/EG; Art. 4 lit. a RL 2006/114/EG) ebenso wie die weitreichenden Informationspflichten (Art. 7 Abs. 1 RL 2005/29/EG) lassen sich wohl noch marktfunktional durch eine Verfeinerung ökonomischer Konzepte erklären, weil es für eine informierte Entscheidung der Verbraucher im Vergleich zu Gewerbetreibenden oder bestimmter Gruppen von Verbrauchern ausführlicherer Informationen oder besonderer „beruflicher Sorgfalt“ bedarf, Leistner ZEuP 2009, 56, 74 ff., 88; zu diesen Beispielen auch Peukert ZHR 173 (2009) 536, 561 f. 308 Bei Anhang I Nr. 16 ist dies str., Köhler/Bornkamm/Feddersen Anh. zu § 3 III Rn. 16.3; a. A. Ohly/Sosnitza Anh. zu § 3 III Rn. 46. Gegen ein Irreführungserfordernis in Anhang I Nr. 31 auch EuGH 18. 10. 2012 – C-428/11 – GRUR 2012, 1269 Tz. 46 – Purely Creative. 309 Zu Anhang I Nr. 26 Leistner Verbraucherschutz oder Recht des unlauteren Wettbewerbs? – Die aktuellen Initiativen der Europäischen Kommission auf dem Feld der unlauteren Geschäftspraktiken in: Tietze/McGuire/Bendel/ Kähler/Nickel/Reich/Sachse/Wehling (Hrsg.) Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2004 – Europäisches Privatrecht – Über die Verknüpfung von nationalem und Gemeinschaftsrecht (2005), S. 185, 222 f. 310 Micklitz H. V. 5. Unlautere Geschäftspraktiken in: Dauses/Ludwigs, EU-Wirtschaftsrecht 44. Ergänzungslieferung (2018), Rn. 587. Zum Schutz vor irrationalem Verhalten nunmehr auch EuGH 18. 10. 2012 – C-428/11 – GRUR 2012, 1269 Tz. 38 – Purely Creative: „psychologische Wirkung“; kritisch Scherer WRP 2013, 143, 146. 311 Erwägungsgrund 3 Satz 2 der Richtlinie 2003/33/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen, ABl. L 152 vom 20. 6. 2003, S. 16; zur Fernsehwerbung auch Art. 9 Abs. 1 lit. d und Erwägungsgrund 88 der Richtlinie 2010/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. März 2010 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste, ABl. L 95 vom 15. 4. 2010, S. 1. Siehe auch Erwägung M in der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. Dezember 2010 zum Einfluss der Werbung auf das Verbraucherverhalten, ABl. C 169 E vom 15. 6. 2012, S. 58: „in der Erwägung, dass für bestimmte Erzeugnisse wie Tabak, Alkohol, Arzneimittel und Glücksspiele im Internet wegen ihrer besonderen Eigenschaften eine angemessene Regelung der Internetwerbung erforderlich ist, um Missbrauch, Abhängigkeit und Fälschungen zu verhindern“. 312 Art. 86 ff. der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel, ABl. L 311 vom 28. 11. 2001, S. 67; zum Schutzzweck EuGH 8. 9. 2007 – C-374/05 – Slg. 2007, I-9517 Tz. 56 – Gintec; EuGH 5. 5. 2011 – C-316/09 – Slg. 2011, I-3249 Tz. 30 – Merckle.

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sundheitsbezogene Werbeangaben bei Lebensmitteln ungeachtet ihres Irreführungspotentials eingeschränkt, um das Verbraucherverhalten in Richtung einer gesunden Ernährung zu lenken.313 Und zum dritten werden bestimmte Werbeformen und Werbeinhalte eingeschränkt, um außerwettbewerbliche Ziele wie Jugendschutz,314 Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten315 oder die Gleichstellung von Mann und Frau und die Bekämpfung unerwünschter Diskriminierungen316 zu fördern. In Sonderfällen nehmen Normen des Unionsrechts sogar einen Eingriff in den Marktmechanismus vor, indem sie zum Schutz der Verbraucher Höchstpreise für Dienstleistungen festsetzen, wenn der Wettbewerbsmechanismus als Preiskontrolle versagt.317

cc) Verzahnung über die Richtlinie 2005/29/EG als allgemeiner Teil. Auch wenn sich 70 die marktkorrigierenden Eingriffe bisher vor allem auf das sektorielle Marktverhaltensrecht der Union konzentrieren, so könnte die Verzahnung der Richtlinie 2005/29/EG mit sektorspezifischen Regeln ein Einfallstor für entsprechende Wertungen in das allgemeine Lauterkeitsrecht bieten (unten Rn. 328 f.).318 Trotz der Öffnungsklauseln für sektorspezifische Verbotsnormen (Art. 3 Abs. 3, 4, 8, 9 RL 2005/29/EG) ist es nämlich denkbar, das allgemeine Verbot unlauterer Geschäftspraktiken in Art. 5 Abs. 2 RL 2005/29/EG zur Durchsetzung sektorspezifischer Verhaltensstandards zu nutzen, indem der Maßstab der „beruflichen Sorgfalt“ (Art. 5 Abs. 2 lit. a) anhand sektorspezifischer (ggfs. mit außerwettbewerblichen Zielsetzungen aufgeladener) Regeln bestimmt wird (zum Datenschutz unten Rn. 299, 329).319 Ebenso könnten andere als wettbewerbsfunktionale Wertungen aus Sondergesetzen über das Irreführungsverbot importiert werden, indem ein Verstoß gegen zwingende Regeln mit marktkompensatorischen Zwecken als Irreführung über den Umfang der Verpflichtungen des Gewerbetreibenden gewertet wird (Art. 6 313 Vgl. Art. 3 lit. c, d (zur Irreführung Art. 3 lit. a) und Erwägungsgrund 9 sowie den Anhang der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel, ABl. L 404 vom 30. 12. 2006, S. 9. Zu Art. 4 Abs. 3 VO 1924/2006 Schlussanträge des Generalanwalts Mazák vom 29. 3. 2012 – C-544/10 – Tz. 49 – Deutsche Weintor: Ziel besteht darin, „jegliche positive gesundheitsbezogene Begleitvorstellung, die irgendwie geeignet sein könnte, zum Konsum alkoholischer Getränke anzuregen, zu vermeiden“. 314 Art. 9 Abs. 1 lit. c der Richtlinie 2010/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. März 2010 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste), ABl. L 95 vom 15. 4. 2010, S. 1. Siehe auch Rn. 26 ff. (etwa Rn. 31 zur Vermeidung von Werbung mit extrem mageren Models) der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. Dezember 2010 zum Einfluss der Werbung auf das Verbraucherverhalten, ABl. C 169 E vom 15. 6. 2012, S. 58. 315 Art. 13 Abs. 3 Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation), ABl. L 201 vom 31. 7. 2002, S. 37, vorbehalten in Erwägungsgrund 14 Satz 8 RL 2005/29/EG; zur Richtlinie 2002/58/EG und ihrer Reform unten Rn. 420 ff. 316 Perspektivisch Erwägung N und O sowie Rn. 15 und 32 ff. in der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. Dezember 2010 zum Einfluss der Werbung auf das Verbraucherverhalten, ABl. C 169 E vom 15. 6. 2012, S. 58. 317 Siehe etwa Art. 4 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 717/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2007 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 2002/21/EG, ABl. L 171 vom 29. 6. 2007, S. 32, gebilligt durch EuGH (Große Kammer) 8. 6. 2010 – C-58/08 – Slg. 2010, I-4999 Tz. 69 – Vodafone; nunmehr neugefasst durch Verordnung (EU) Nr. 531/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juni 2012 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Union, ABl. L 172 vom 30. 6. 2012, S. 10. Für Unzulässigkeit nationaler Höchstpreisregeln im Kontext der Grundfreiheiten für Planungsleistungen aber (im Kontext von Art. 15 RL 2006/123/EG) EuGH 4. 7. 2019 – C-377/17 – NVwZ 2019, 1120 Tz. 94 f. – Kommission/Deutschland (Honorarregelung nach HOAI). 318 Vgl. auch Glöckner GRUR 2013, 568, 571 zur europarechtlich bedingten Zweiteilung des Rechtsbruchtatbestandes. 319 Vgl. Erwägungsgrund 20 Satz 2 RL 2005/29/EG; Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 29. 11. 2011 – C-453/10 – BeckRS 2011, 81770 Tz. 106 – Pereničová: Im Rahmen der beruflichen Sorgfalt könne von einem Gewerbetreibenden (mindestens) erwartet werden, dass „er seine geschäftliche Tätigkeit im Einklang mit der relevanten Gesetzgebung ausübt und besondere Sorgfalt im Umgang mit einem Verbraucher an den Tag legt“.

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Abs. 1 lit. c RL 2005/29/EG)320 oder die fehlende Aufklärung über die wahre (für den Verbraucher günstige) Rechtslage als irreführende Unterlassung angesehen wird (Art. 7 Abs. 1, 5 RL 2005/29/ EG). Zumindest auf diesem Umweg könnte sich daher auch das allgemeine Lauterkeitsrecht anderen als rein wettbewerbsfunktionalen Zielen öffnen. Andererseits bliebe in solchen Fällen neben dem Maßstab der beruflichen Sorgfalt der Filter der Relevanz (Art. 5 Abs. 2 lit. b, Art. 6 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1 RL 2005/29/EG: Eignung zur wesentlichen Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens der Verbraucher) als Voraussetzung eines Unlauterkeitsverdikts im Rahmen der Richtlinie erhalten, der einer Instrumentalisierung des Lauterkeitsrechts für außerwettbewerbliche Ziele gewisse Grenzen setzt.321

71 b) Lauterkeitsrecht und geistiges Eigentum. Das Verhältnis zwischen dem Lauterkeitsrecht und dem Recht des geistigen Eigentums kann an dieser Stelle nicht vertieft werden.322 Im Zusammenhang mit der Darstellung der europäischen Rechtsangleichung ist allerdings darauf hinzuweisen, dass sich im Dickicht der zahlreichen europäischen Rechtsakte zum Immaterialgüterrecht323 auch Normen mit lauterkeitsrechtlichen Bezügen verbergen. So ist zunächst festzuhalten, dass sich auch die Ausschließlichkeitsrechte des geistigen 72 Eigentums, mindestens aber der Schutz durch das Markenrecht auf die dem Lauterkeits- und Kartellrecht gemeinsame Wurzel des unverfälschten Wettbewerbs zurückführen lassen.324 Zudem hat das Unionsrecht in bestimmten Fällen einen Sonderrechtsschutz geschaffen, in denen in Deutschland traditionell das UWG zur Anwendung kam. Dies gilt etwa für den Schutz von Designs durch das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster,325 für den urheberrechtlichen Schutz von Computerprogrammen,326 für den Schutz bekannter Marken gegen Rufausbeutung327 und -schädigung oder für den Sui-generis-Schutz von Datenbanken.328 Im Übrigen sehen die Rechtsakte des Unionsrechts regelmäßig eine Vorschrift vor, die lau73 terkeitsrechtliche Ansprüche neben dem Sonderrechtsschutz vorbehält. So gestattet Art. 10 320 Wenn beispielsweise ein (gewerblicher) Vermieter dem Mieter vertraglich zwingende (marktkompensatorische) Mieterrechte per AGB vorzuenthalten sucht, könnte dies lauterkeitsrechtlich bekämpft werden, indem darin eine Irreführung des Verbrauchers über seine Rechte erblickt wird. 321 Für diesen Hinweis danke ich Matthias Leistner. 322 Zum Verhältnis der Richtlinie 2005/29/EG zum Markenrecht unten Rn. 320 f.; zum Verhältnis der vergleichenden Werbung zum Markenrecht unten Rn. 357. 323 Für einen Überblick Heinze Einstweiliger Rechtsschutz im europäischen Immaterialgüterrecht (2007), S. 26 ff. 324 Zum Markenrecht EuGH 17. 10. 1990 – C-10/89 – Slg. 1990, I-3711 Tz. 13 – Hag II. 325 Art. 1 Abs. 2 lit. a, Art. 19 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster, ABl. L 3 vom 5. 1. 2002, S. 1. 326 Zum urheberrechtlichen Schutz Art. 1 Abs. 1 Richtlinie 91/250/EWG über den Rechtsschutz von Computerprogrammen, ABl. L 122 vom 17. 5. 1991, S. 42; nunmehr Richtlinie 2009/24/EG über den Rechtsschutz von Computerprogrammen, ABl. L 111 vom 5. 5. 2009, S. 16; dazu Heinze Journal of Intellectual Property, Information Technology and E-Commerce-Law (JIPITEC) 2 (2011) Rn. 4. 327 Art. 5 Abs. 2 Erste Richtlinie 89/104/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken, ABl. L 40 vom 11. 2. 1989, S. 1; ersetzt durch Richtlinie 2008/95/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken, ABl. L 299 vom 8. 11. 2008, S. 25; nunmehr Art. 10 Abs. 2 lit. c Richtlinie (EU) 2015/2436 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken, ABl. L 336 vom 23. 12. 2015, S. 1 ; Art. 9 Abs. 1 lit. c Verordnung (EG) Nr. 40/ 94 über die Gemeinschaftsmarke, ABl. L 11 vom 14. 1. 1994, S. 1; zwischenzeitlich Verordnung (EG) Nr. 207/2009 über die Gemeinschaftsmarke, ABl. L 78 vom 24. 3. 2009, S. 1; nunmehr Art. 9 Abs. 2 lit. c Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke, ABl. L 154 vom 16. 6. 2017, S. 1; zu Art. 9 Abs. 2 lit. c EuGH 14. 9. 1999 – C-375/97 – Slg. 1999, I-5421 Tz. 31 – General Motors; EuGH 23. 10. 2003 – C408/01 – Slg. 2003, I-12537 Tz. 29 – Adidas Salomon; EuGH 27. 11. 2008 – C-252/07 – Slg. 2008, I-8823 Tz. 29, 77 – Intel; EuGH 18. 6. 2009 – C-487/07 – Slg. 2009, I-5185 Tz. 38 ff. – L’Oréal. 328 Richtlinie 96/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 1996 über den rechtlichen Schutz von Datenbanken, ABl. L 77 vom 27. 3. 1996, S. 20.

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Abs. 6 Markenrechtsrichtlinie 2015/2436 den Mitgliedstaaten, an ihren „Bestimmungen über den Schutz gegenüber der Verwendung eines Zeichens zu anderen Zwecken als der Unterscheidung von Waren oder Dienstleistungen [festzuhalten], wenn die Benutzung dieses Zeichens die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der Marke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzt oder beeinträchtigt“.329 Ähnliche Regeln finden sich in Art. 17 Abs. 2 der UnionsmarkenVO, Art. 96 Abs. 1 und Erwägungsgrund 31 der GemeinschaftsgeschmacksmusterVO, Art. 16 und Erwägungsgrund 7 der Richtlinie 98/71/EG über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen und Art. 8 Abs. 1 der Softwarerichtlinie 2009/24/EG. Auf lauterkeitsrechtlicher Seite sind Erwägungsgrund 6 Satz 5 und 9 Satz 2 RL 2005/29/EG zu nennen. Die durch diese Vorschriften nahegelegte parallele Anwendung von europäischem Immate- 74 rialgüterschutz und nationalem Lauterkeitsrecht könnte allerdings nur einen Zwischenzustand beschreiben.330 Nicht nur gibt es manche Stimmen, die unter bestimmten Bedingungen eine Anwendung des ergänzenden wettbewerblichen Leistungsschutzes ausschließen wollen, soweit das Unionsrecht eine Materie abschließend immaterialgüterrechtlich überformt hat.331 Auch sah die Kommission ein Bedürfnis „zu ermitteln, welche wirtschaftlichen Auswirkungen die derzeitige Fragmentierung des Rechtsrahmens mit Blick auf den Schutz von Geschäftsgeheimnissen und den Schutz vor anderen Praktiken eines ‚Wettbewerbs am Rande des Gesetzes‘, wie etwa Nachahmungen, hat“.332 Sollten dies die Vorboten einer europäischen Harmonisierung des lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutzes sein, so wäre eine sinnvolle Abgrenzung von Lauterkeitsrecht und Immaterialgüterrecht auf europäischer Ebene umso dringlicher. Zwischenzeitlich erlassen wurde immerhin die Richtlinie 2016/943/EU über den Schutz vertraulichen Know-Hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung,333 die in Deutschland in einem neuen Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) umgesetzt wurde.334

4. Lauterkeitsrecht und Grundrechte Als jüngster europäischer Einfluss auf das Lauterkeitsrecht sind schließlich die Vorgaben der 75 europäischen Grund- und Menschenrechte zu nennen (unten Rn. 199 ff.). Während der Schutz durch die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten335 (EMRK) zunächst nur einen komplementären Schutz zum deutschen Grundgesetz vermittelte, sperrt infolge der Vollharmonisierung weiter Teile des Lauterkeitsrechts mittlerweile der Anwendungsvorrang des europäischen Sekundärrechts weitgehend den Rückgriff auf deutsches Verfassungsrecht (oben Rn. 5), so dass die Vorgaben der europäischen Grund- und Menschenrechte immer stärker die verfassungsrechtlichen Leitplanken des Europäischen Lauterkeitsrechts definieren. Der Einfluss 329 Dazu EuGH (Große Kammer) 16. 11. 2004 – C-245/02 – Slg. 2004, I-10989 Tz. 64 – Anheuser Busch; zur Fortentwicklung Max Planck Institute for Intellectual Property and Competition Law Study on the Overall Functioning of the European Trade Mark System (2011), Rn. 2.211, 2.221 f., https://www.ip.mpg.de/fileadmin/IP/pdf2/mpi_final_report_ with_synopsis.pdf. 330 Zur Rechtsangleichung des Lauterkeitsrechts im unternehmerischen Verkehr auch unten Rn. 233. 331 Siehe Ohly ZEuP 2004, 296, 311 f. zur ergänzenden Anwendung des Lauterkeitsrechts neben dem Geschmacksmusterschutz; für eine rechtsvergleichende Studie Derclaye/Leistner, Intellectual Property Overlaps: A European Perspective (2011). Zu einem möglichen Vorrang des Markenrechts qua Unionsrechts vgl. EuGH 19. 9. 2013 – C-661/ 11 – GRUR 2013, 1140– Martin y Paz; dazu Kur FS Köhler (2014), S. 383. 332 KOM (2011) 287 S. 20. 333 ABl. EU L 157 vom 15. 6. 2016, S. 1. Zum Gesetzgebungsverfahren siehe Verfahren 2013/0402/COD; v. a. den Vorschlag KOM (2013) 813. 334 BGBl 2019 I Nr. 13 vom 25. April 2019, S. 466. Siehe den Regierungsentwurf BTDrucks. 19/4724 mit den Änderungen mit Annahmebeschluss BR-Drucks. 129/19. 335 Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. 11. 1950, BGBl. 1952 II 685, 953; BGBl. 1954 II 14.

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der europäischen Grund- und Menschenrechte dürfte sich vor allem in der Auslegung des Sekundärrechts, etwa der „Erfordernisse der beruflichen Sorgfalt“ in Art. 5 Abs. 2 lit. a RL 2005/ 29/EG niederschlagen. Hier könnte der Einfluss der Grundrechte eine Liberalisierung zur Folge haben, indem die Kommunikationsfreiheiten bestimmte Werbepraktiken vor dem Verdikt der Unlauterkeit bewahren. Umgekehrt ist auch eine Verschärfung des Lauterkeitsrechts denkbar, indem es zur Sanktionierung von Grundrechtsverletzungen über das Kriterium der beruflichen Sorgfaltspflichtverletzung instrumentalisiert wird, wobei das zusätzliche Erfordernis der „wesentlichen Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens des Verbrauchers“ (Art. 5 Abs. 2 lit. b, 2 lit. e RL 2005/29/EG) als Korrektiv wirken kann, da allein die Grundrechtsverletzung durch eine Werbung nicht zwangsläufig auch die informierte Entscheidung des Verbrauchers beeinträchtigt.

5. Lauterkeitsrecht und Staatsverträge 76 Nur geringen Einfluss auf die Ausgestaltung des Europäischen Lauterkeitsrechts hatten (bisher) die völkerrechtlichen Vorgaben des Art. 10bis PVÜ.336 Dies beruht zum einen auf Unsicherheiten über die Verbindlichkeit und die unmittelbare Anwendbarkeit der PVÜ innerhalb der Unionsrechtsordnung, zum anderen auf sachlichen Gründen. Im Hinblick auf die formale Verbindlichkeit der PVÜ sprechen die besseren Gründe dafür, 77 zumindest eine mittelbare Bindung der Union an die PVÜ zu bejahen, obwohl die EU der PVÜ im Unterschied zum TRIPS337 nicht formell beigetreten ist und obwohl der Verweis in Art. 2 Abs. 1 TRIPS auf die PVÜ („in Bezug auf die Teile II bis IV“) Art. 10bis PVÜ nicht erfasst.338 Zum einen setzen nach Art. 2 Abs. 2 des (auch für die Union verbindlichen) TRIPS die in den Teilen I bis IV des TRIPS enthaltenen Bestimmungen die Verpflichtungen der Mitglieder untereinander aus PVÜ und RBÜ nicht außer Kraft. Infolge dieser Verpflichtung ist die Union somit, obwohl sie nicht Vertragspartei der PVÜ ist, verpflichtet, die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus der PVÜ nicht zu beeinträchtigen, so dass die PVÜ auch in der Unionsrechtsordnung mittelbare Wirkungen entfaltet (vgl. auch Art. 351 Abs. 1 AEUV).339 Zum anderen können nach der Rechtsprechung des EuGH internationale Übereinkommen auch ohne formellen Beitritt für die Union verbindlich werden, wenn alle Mitgliedstaaten Vertragsparteien des Übereinkommens sind und die Union die Befugnisse vollständig übernommen hat, die zuvor von den Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich des Übereinkommens ausgeübt wurden.340 Dies ist zwar im Lauterkeitsrecht nicht generell der Fall, sollte aber zumindest für die vollharmonisierten Teile des konsumentenschützenden Lauterkeitsrechts bejaht werden. Wenn man auf diesen Wegen zumindest eine mittelbare Verbindlichkeit bejaht, dann hat auch die vom EuGH abgelehnte unmittelbare Anwendbarkeit von PVÜ341 und TRIPS342 nicht zur Folge, dass diese Abkommen bedeutungslos 336 Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums; dazu bereits Erstauflage/Schricker Einl Rn. F 19 ff. 337 Siehe Beschluss des Rates Nr. 94/800 über den Abschluß der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986–1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche, ABl. L 336 vom 23. 12. 1994, S. 1. 338 Zur Reichweite des Art. 2 Abs. 1 TRIPS eingehend MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 34; gegen eine Inkorporation Glöckner Europäisches Lauterkeitsrecht (2006), S. 289 f. 339 Zur entsprechenden Argumentation im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 WPPT-Vertrag und das Rom-Abkommen EuGH 15. 3. 2012 – C-135/10 – GRUR 2012, 593 Tz. 50 – SCF; zur Anwendung von Art. 351 AEUV auf Art. 1–21 der Berner Übereinkunft EuGH 9. 2. 2012 – C-277/10 – ZUM 2012, 313 Tz. 58, 61 ff. – Luksan. 340 EuGH (Große Kammer) 3. 6. 2008 – C-308/06 – Slg. 2008, I-4057 Tz. 49 – Intertanko; vgl. auch EuGH (Große Kammer) 4. 5. 2010 – C-533/08 – Slg. 2010, I-4107 Tz. 62 – TNT Express. 341 EuGH 25. 10. 2007 – C-238/06 P – Slg. 2007, I-9375 Tz. 40 ff. – Develey Holding. 342 EuGH 14. 12. 2000 – C-300/98 und C-392/98 – Slg. 2000, I-11307 Tz. 43 ff. – Dior; EuGH 6. 7. 2010 – C-428/08 – Slg. 2010, I-6761 Tz. 71 – Monsanto; EuGH 15. 3. 2012 – C-135/10 – GRUR 2012, 593 Tz. 45 f. – SCF; zur Kritik Erstaufla-

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wären, denn auch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs besteht eine Verpflichtung zur TRIPS-konformen Auslegung der vom Anwendungsbereich des TRIPS erfassten Regeln des Unionsrechts,343 die entsprechend auf die PVÜ zu erstrecken ist. Inhaltlich lässt sich gegen eine Einbeziehung von Art. 10bis PVÜ in den Acquis des Europä- 78 ischen Lauterkeitsrechts einwenden, dass die Generalklausel des Art. 10bis Abs. 2 PVÜ344 aufgrund ihrer Konkretisierung anhand der Gebräuche des jeweiligen Schutzlandes345 kaum geeignet ist, das Europäische Lauterkeitsrecht über den Bestand des Unionsrechts hinaus zu konkretisieren.346 Auch mag man sich daran stoßen, dass Art. 10bis PVÜ noch dem traditionellen Modell der Geschäftsmoral und des Schutzes der anständigen Gewerbetreibenden verhaftet ist und aus einer Zeit stammt, in der der Verbraucherschutz allenfalls als Reflex zu den Schutzzwecken des Lauterkeitsrechts gezählt wurde.347 Trotz dieser Bedenken lassen sich zumindest die Sondertatbestände des Art. 10bis Abs. 3 PVÜ 79 als allgemeine Rechtsgrundsätze des Europäischen Lauterkeitsrechts ansehen, die vor allem für die nicht harmonisierten Teilbereiche des konkurrentenschützenden Lauterkeitsrechts gewisse Minima vorgeben.348 Angesichts der bestehenden europäischen Regeln zum Schutz vor Irreführungen349 dürfte sich die praktische Bedeutung von Art. 10bis Abs. 3 PVÜ für das Unionsrecht allerdings auf den lauterkeitsrechtlichen Schutz gegen Verwechslungen350 (Art. 10bis Abs. 3 Nr. 1 PVÜ) und vor Anschwärzungen351 (Art. 10bis Abs. 3 Nr. 2 PVÜ) beschränken, während der in Art. 39 TRIPS352 verankerte Schutz nicht offenbarter Informationen inzwischen auf Unionsebene durch die Richtlinie 2016/943/EU über den Schutz vertraulichen Know-Hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger

ge/Schricker Einl Rn. F 48 ff.; Busche/Stoll/Wiebe/Brand TRIPS (2013) Art. 2 Rn. 13, 109 ff.; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 31. 343 EuGH 16. 6. 1998 – C-53/86 – Slg. 1998, I-3603 Tz. 28 – Hermès; EuGH 14. 12. 2000 – C-300/98 und C-392/98 – Slg. 2000, I-11307 Tz. 47 – Dior; EuGH 13. 9. 2001 – C-89/99 – Slg. 2001, I-5851 Tz. 35 – Schieving-Nijstad. Daneben ist unter bestimmten Voraussetzungen eine mittelbare Wirkung durch die Inzidentkontrolle von Sekundärrecht am Maßstab völkerrechtlicher Verpflichtungen der EU denkbar, vgl. MünchKommBGB/Drexl IntImmGR Rn. 102 f. Angesichts der engen Voraussetzungen (der betreffende Unionsrechtsakt muss zum Ausdruck bringen, dass der Unionsgesetzgeber völkerrechtliche Vorgaben umsetzt und damit zum Ausdruck bringen, sich an diese auch intern halten zu wollen, MünchKommBGB/Drexl IntImmGR Rn. 103) dürfte dies im Lauterkeitsrecht nicht in Betracht kommen, weil die lauterkeitsrechtlichen Richtlinien nicht der Umsetzung völkerrechtlicher Vorgaben dienen. 344 „Unlauterer Wettbewerb ist jede Wettbewerbshandlung, die den anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel zuwiderläuft“. 345 Erstauflage/Schricker Einl Rn. F 53 ff.; Pflüger Reichweite internationalrechtlicher Vorgaben in: Hilty/HenningBodewig (Hrsg.) Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009), S. 65, 78 f., 84 Fn. 79. 346 Der weitere Einwand, dass Art. 10bis PVÜ nach überwiegender Auffassung nur gegenüber ausländischen Verbandsangehörigen Anwendung findet (vgl. Pflüger Der internationale Schutz gegen unlauteren Wettbewerb (2010), S. 111 f.), so dass die Vorschrift eine ungünstigere Behandlung von Inländern nicht verbietet, trifft auch auf die Grundfreiheiten zu. 347 Henning-Bodewig Was gehört zum Lauterkeitsrecht? in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.) Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009), S. 9, 11; zum damaligen Verständnis Kühnemann Unlauterer Wettbewerb in: Schlegelberger (Hrsg.) Rechtsvergleichendes Handwörterbuch für das Zivil- und Handelsrecht des In- und Auslandes (1938), S. 747: Als Schutzobjekt des Lauterkeitsrechts in Betracht kommen der Unternehmer, das Unternehmen als wirtschaftliche Einheit, die Wirtschaftsordnung im Staat und die „Volksgemeinschaft“. 348 In diesem Sinne wohl auch EuGH 2. 3. 1982 – 6/81 – Slg. 1982, 707 Tz. 9 – Beele. 349 Art. 6–7 RL 2005/29/EG; Art. 3 RL 2006/114/EG. Daneben existieren spezielle Irreführungsverbote, z. B. Art. 13 Abs. 1 lit. c, d VO 1151/2012. 350 Zum markenrechtlichen Schutz vor Verwechslungen siehe aber Art. 10 Abs. 2 lit. b MarkenRL 2015/2436. 351 Zum Schutz im speziellen Kontext vergleichender Werbung bereits Art. 4 lit. d RL 2006/114/EG. 352 Zudem garantiert das TRIPS den Bestand des Markenrechts und den Schutz geographischer Angaben, Art. 15 ff., Art. 22 ff. TRIPS, die nach deutschem (und wohl auch europäischem) Verständnis aber zum Immaterialgüterrecht und nicht zum Lauterkeitsrecht zu zählen sind, vgl. (im Kontext von Art. 6 Rom II-VO) MünchKommBGB/ Drexl IntUnlWettbR Rn. 128.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

Nutzung und Offenlegung353 geregelt wurde. Im unionsrechtlich harmonisierten Bereich dürfte Art. 10bis PVÜ aber kaum Korrekturen des Sekundärrechts erforderlich machen, da diese Norm und insbesondere die Generalklausel Art. 10bis Abs. 2 PVÜ den Vertragsstaaten einen erheblichen Gestaltungsspielraum belässt, den diese unionsrechtskonform auszufüllen haben.354

6. Begriff des Europäischen Lauterkeitsrechts 80 Bemüht man sich zum Ende des Rundgangs durch den lauterkeitsrechtlichen Acquis Communautaire um eine übergreifende Begriffsbestimmung des Europäischen Lauterkeitsrechts, so fällt die Antwort jenseits tautologischer oder formaler Umschreibungen schwer.355 Der Grund liegt zum einen im Charakter des Lauterkeitsrechts als allgemeiner Auffangordnung des Wirtschaftsrechts, zum anderen in seiner Ausprägung in Generalklauseln, die der Dynamik wirtschaftlicher, technologischer und sozialer Innovation standhalten müssen. So ist gerade der offene Begriff der Unlauterkeit kaum geeignet, dem Rechtsgebiet klare Konturen zu verleihen.356 Auf europäischer Ebene wird die Suche nach einer übergreifenden Definition durch die kompetenz- und konsensbedingte Zersplitterung der Unionsgesetzgebung zusätzlich kompliziert, die angesichts der Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten357 auch nicht auf ein einheitliches rechtsvergleichendes Vorverständnis zurückgreifen kann.

81 a) Europäisches Lauterkeitsrecht als Marktverhaltensrecht. Ein gewisser Konsens zeichnet sich immerhin insofern ab, als das Lauterkeitsrecht als allgemeines Marktverhaltensrecht358 nur Handlungen mit Marktbezug359 erfassen soll. Dieses Definitionselement bringt zunächst zum Ausdruck, dass es um die Steuerung von Verhalten geht (Marktverhaltensrecht), nicht um den Schutz absoluter Rechte.360 Zum zweiten ist die Anknüpfung an das Marktverhal353 ABl. EU L 157 vom 15. 6. 2016, S. 1. Zum Gesetzgebungsverfahren siehe Verfahren 2013/0402/COD; v. a. den Vorschlag KOM (2013) 813. 354 EuGH 9. 2. 2012 – C-277/10 – ZUM 2012, 313 Tz. 62 f. – Luksan: Wenn eine völkerrechtliche Übereinkunft einen Mitgliedstaat lediglich „gestattet, eine unionsrechtswidrige Maßnahme zu treffen, ohne ihn jedoch dazu zu verpflichten, so muss er vom Erlass einer solchen Maßnahme absehen“. 355 Aus europäischer Perspektive Glöckner Europäisches Lauterkeitsrecht (2006), S. 5; Henning-Bodewig Was gehört zum Lauterkeitsrecht? in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.) Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009), S. 9, 21 ff. 356 Glöckner Europäisches Lauterkeitsrecht (2006), S. 11; Ohly WRP 2008, 177, 179; Leistner Unlauterer Wettbewerb und Verkehrsfreiheiten in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.) Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts (2009), S. 1571. 357 Kurzer Überblick bei Ohly Unlauterer Wettbewerb in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.) Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts (2009), S. 1564, 1566; Henning-Bodewig Was gehört zum Lauterkeitsrecht? in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.) Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009), S. 9, 15 ff. 358 Erstauflage/Schricker Einl Rn. F 3 (unter Verweis auf Bernitz Marknadsrätt (1969); Svensk och internationell marknadsrätt, S. 1 ff.), Rn. F 334: „Recht der Marktverhaltenskontrolle“; Glöckner Europäisches Lauterkeitsrecht (2006), S. 5. 359 Siehe bereits Kühnemann Unlauterer Wettbewerb in: Schlegelberger (Hrsg.) Rechtsvergleichendes Handwörterbuch für das Zivil- und Handelsrecht des In- und Auslandes (1938), S. 747 (mit der zusätzlichen Präzisierung, dass sich die Handlungen gegen das fremde Unternehmen als solches richten müssen, um nicht etwa die bloße Inbrandsetzung der Betriebsstätte zu erfassen); zum Unionsrecht Ohly WRP 2008, 177, 179; ders. Unlauterer Wettbewerb in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.) Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts (2009), S. 1564, 1565 („Marktbezug“); Leistner Unlauterer Wettbewerb und Verkehrsfreiheiten in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.) Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts (2009), S. 1571 („Marktbezug“, „Regulierung des Marktverhaltens“); ähnlich Glöckner Europäisches Lauterkeitsrecht (2006), S. 6: „Wettbewerbshandlungen im Sinne von Marktverhalten“. 360 Henning-Bodewig Was gehört zum Lauterkeitsrecht? in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.) Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009), S. 9, 21, 23.

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II. Das Lauterkeitsrecht als Teil der europäischen Wirtschaftsordnung

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ten so zu verstehen, dass nur das unternehmerische Handeln am Markt361 vom Lauterkeitsrecht erfasst wird, also das Handeln im Rahmen der gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit. Das Lauterkeitsrecht erfasst nicht das Handeln zu konsumtiven Zwecken,362 auch wenn diesem ein Marktbezug im weiteren Sinne zukommen mag. Schließlich weist die Bezeichnung als Marktverhaltensrecht auf den Schutzzweck des Europäischen Lauterkeitsrechts hin. So dient die auf den Verbraucherschutz fokussierte Richtlinie 2005/29/EG zumindest mittelbar auch dem Schutz rechtmäßig handelnder Mitbewerber und dem Schutz des lauteren Wettbewerbs (Erwägungsgrund 8 Satz 2 RL 2005/29/EG). Gleiches gilt für die Richtlinie 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung, die auch nach ihrer Neufassung noch auf die Interessen der Verbraucher wie der Gewerbetreibenden (Erwägungsgrund 4) ebenso wie auf den Schutz vor Wettbewerbsverfälschungen (Erwägungsgrund 3) Bezug nimmt.363 Auch die Kollisionsnorm des Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO als Metanorm des Europäischen Lauterkeitsrechts soll die Wettbewerber, die Verbraucher und die Öffentlichkeit schützen und das reibungslose Funktionieren der Marktwirtschaft sicherstellen (Erwägungsgrund 21 Rom II-VO). Der kurze Rundgang durch die Schutzzwecke des Sekundärrechts legt den Schluss nahe, dass die Doppelfunktionalität der Normen die einende Klammer des Europäischen Lauterkeitsrechts ausmacht.364 Offenbar geht es neben dem Schutz der Interessen der Marktgegenseite (i. d. R. der Verbraucher) und der Mitbewerber stets zugleich auch um den Schutz des Marktes insgesamt vor einer Verfälschung oder Beeinträchtigung der Wettbewerbsbedingungen. Europäisches Lauterkeitsrecht lässt sich damit als Marktverhaltensrecht verstehen, das in seinen Einzelnormen nicht nur Verbraucher und Mitbewerber schützen, sondern stets zugleich auch Maßstäbe für das Verhalten auf dem Markt insgesamt etablieren will. Vor diesem Hintergrund mag man erwägen, das Europäische Lauterkeitsrecht sogar ausschließlich anhand des Schutzes eines funktionsfähigen Wettbewerbs zu definieren, dem manche einen generellen Vorrang gegenüber dem Verbraucher- und Mitbewerberschutz einräumen wollen.365 Dagegen ist eingewandt worden, dass mit der Fragmentierung des Lauterkeitsrechts durch die Richtlinie 2005/29/EG, ihrer Ausrichtung auf ein hohes Verbraucherschutzniveau und der Diversifizierung sowohl der Ziele des Primärrechts wie des (vor allem sektoriellen) Lauterkeitsrechts (Gesundheitsschutz, Schutz der Privatsphäre, Menschenwürde etc.) ein Primat des Wettbewerbsschutzes zweifelhaft erscheine.366 Vielmehr zeichneten sich „Auflösungserscheinungen“ des Europäischen Lauterkeitsrechts als einheitliches Rechtsgebiet ab. Der Kritik ist zuzugeben, dass eine alleinige Ausrichtung auf den funktionsfähigen Wettbewerb als Schutzobjekt des Lauterkeitsrechts spätestens im sektoriellen Lauterkeitsrecht an seine Grenzen stößt. Dies bedeutet indes nicht, dass auch der Begriff des Marktverhaltensrechts als übergreifende Klammer des Lauterkeitsrechts aufzugeben wäre. So zeigen die Regeln 361 Vgl. Art. 1, 2 lit. b, 2 lit. d, 3 Abs. 1 RL 2005/29/EG: „Geschäftspraktiken im Geschäftsverkehr von Unternehmen gegenüber Verbrauchern“; Art. 2 lit. a RL 2006/114/EG: „Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs“; Art. 2 lit. d RL 98/6/EG: „‚Händler‘ [ist] jede natürliche oder juristische Person, die unter ihre kommerzielle oder berufliche Tätigkeit fallende Erzeugnisse verkauft oder zum Verkauf anbietet“. 362 Henning-Bodewig Was gehört zum Lauterkeitsrecht? in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.) Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009), S. 9, 21. 363 Die Streichung der Verbraucherinteressen im Hinblick auf die irreführende Werbung erklärt sich durch die eigenständige Regelung der Irreführung in den Art. 6 und 7 RL 2005/29/EG. 364 Zur Kategorie der wettbewerbsschützenden Normen im Unionsrecht Heinze Schadensersatz im Unionsprivatrecht (2017), S. 568 ff. 365 Pointiert Glöckner Europäisches Lauterkeitsrecht (2006), S. 509: „Primat des Wettbewerbsschutzes über den Konkurrenten- und den Konsumentenschutz“, S. 512: „Tatsächlich bildet allein das … Allgemeininteresse am Schutz des funktionsfähigen Wettbewerbs das Schutzobjekt eines modern verstandenen Lauterkeitsrechts“. 366 Insbesondere Peukert Die Ziele des Primärrechts und ihre Bedeutung für das Europäische Lauterkeitsrecht: Auflösungserscheinungen eines Rechtsgebiets? in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.) S. 27, 44: systematische Aufspaltung in Verbraucher- (RL 2005/29/EG) und Mitbewerberzweig (RL 2006/114/EG).

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

zur Klagebefugnis sowohl der individuellen Mitbewerber (Art. 11 Abs. 1 Satz 2 RL 2005/29/ EG) wie der Wettbewerbs- und Verbraucherverbände (Art. 1 i. V. m. Anhang I RL 2009/22/ EG) – und nun auch individueller Verbraucher (Art. 11a Abs. 1 RL 2005/29/EG i.d.F. des Art. 3 Nr. 5 RL 2019/2161) – zusammen mit der Einbeziehung des sektoriellen Lauterkeitsrechts in die Rechtsschutzinstrumentarien des allgemeinen Europäischen Lauterkeitsrechts (oben Rn. 70, unten Rn. 250 f.),367 dass sowohl die den wirtschaftlichen Verbraucherinteressen dienenden Regeln der Richtlinie 2005/29/EG wie das z. T. anderen Zwecken dienende sektorielle Lauterkeitsrecht die Funktion haben, als Marktverhaltensrecht einheitliche Wettbewerbsbedingungen auf dem Markt sicherzustellen. Dabei ist der Begriff des Marktverhaltensrechts nicht zwangsläufig mit wettbewerbsfunktionalen Inhalten verknüpft; vielmehr kann es auch um die Durchsetzung anderer (z. B. gesundheitsschützender) Verhaltensregeln auf dem Markt gehen, um einheitliche Wettbewerbsbedinungen zu schaffen. Entscheidend für die hier entfaltete Charakterisierung als rechtsschutzorientiertes Marktverhaltensrecht ist nur, dass im Interesse einheitlicher Wettbewerbsbedingungen einheitliche Verhaltensregeln mittels des Lauterkeitsrechts durchgesetzt werden können, nicht, dass diese einheitlichen Regeln wettbewerbsfunktionale Ziele verfolgen.

86 b) Europäisches Lauterkeitsrecht als rechtsschutzorientiertes Marktverhaltensrecht. Die Klageberechtigung der Mitbewerber und Verbände und auch individueller Verbraucher368 weist damit den Weg zu einem rechtsschutzorientierten Verständnis des Lauterkeitsrechts, dessen Funktion (auch) darin besteht, anderen Marktakteuren ein allgemeines Regime zur Durchsetzung der für alle Marktteilnehmer geltenden Verhaltensstandards durch private Klagerechte zu eröffnen, um gleiche Bedingungen für alle Marktteilnehmer369 und damit zugleich die effektive Durchsetzung des Unionsrechts durch die Indienstnahme Privater als Wächter des Unionsrechts zu gewährleisten.370 Ein solches Verständnis des Lauterkeitsrechts als rechtsschutzorientiertes Marktverhaltensrecht geht über die wettbewerbsfunktionalen Regeln des allgemeinen Lauterkeitsrechts hinaus und erstreckt sich auch auf Regeln zum Gesundheitsschutz oder zur Produktsicherheit, für die durch die Richtlinie 2005/29/EG nunmehr ein allgemeines Durchsetzungsinstrumentarium bereit gestellt wird (oben Rn. 70). Das rechtsschutzorientierte Verständnis des Lauterkeitsrechts begründet zugleich einen Unterschied zum Immaterialgüterrecht, wo die Durchsetzung der Ausschließlichkeitsrechte dem Rechtsinhaber, bestimmten Lizenznehmern und allenfalls noch Verwertungsgesellschaften und Berufsorganisationen mit anerkannter Befugnis zur Vertretung von Inhabern von Rechten des geistigen Eigentums vorbehalten sind (vgl. Art. 4 RL 2004/48/EG).371 In seinen Einzeltatbeständen erfasst das Europäische Lauterkeitsrecht eine Reihe unter87 schiedlicher Verhaltensweisen, die von der Beeinflussung der Marktgegenseite durch irreführende oder aggressive Geschäftspraktiken372 über die Behinderung des Angebots von Wettbewer-

367 Siehe auch den Anhang II zur Richtlinie 2005/29/EG und den Anhang I Nr. 9 zur Richtlinie 2009/22/EG, die beide auf die dem Gesundheitsschutz dienende Richtlinie 2001/83/EG verweisen und damit allgemeines und sektorielles Lauterkeitsrecht verzahnen. 368 Siehe Art. 11a der reformierten Richtlinie 2005/29/EG, dazu P8_TA-PROV(2019)0399 im Verfahren 2018/ 0090(COD). 369 Henning-Bodewig Was gehört zum Lauterkeitsrecht? in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.) Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009), S. 9, 22. 370 EuGH 17. 9. 2002 – C-253/00 – Slg. 2002, I-7289 Tz. 29 ff. – Muñoz. 371 Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, ABl. L 157 vom 30. 4. 2004, S. 45; zur Aktivlegitimation im Immaterialgüterrecht Heinze Einstweiliger Rechtsschutz im europäischen Immaterialgüterrecht (2007), S. 283 ff. 372 Vgl. Art. 6–9 RL 2005/29/EG; Art. 3, 4 lit. a RL 2006/114/EG.

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II. Das Lauterkeitsrecht als Teil der europäischen Wirtschaftsordnung

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bern373 (z. B. durch Störung der Liefer- oder Geschäftsbeziehungen, Abwerben von Angestellten, Boykott) bis zur Herabsetzung oder Anschwärzung von Mitbewerbern374 und zur unlauteren Ausnutzung der Vorteile eines Wettbewerbers reichen (z. B. Schaffung einer Verwechslungsgefahr375 oder Ausnutzung seines Bekanntheitsgrades376).377 Unter den Oberbegriff des Marktverhaltensrechts lassen sich auch Praktiken wie Bestechung, Industriespionage, Ausforschung von Geschäftsgeheimnissen378 oder Anstiftung zum Vertragsbruch subsumieren, obwohl der Marktbezug – zumindest nach Auffassung des europäischen Gesetzgebers bei Erlass der Rom II-Verordnung379 – bei derartigen Praktiken nicht so ausgeprägt ist, dass er eine Überwindung der allgemeinen deliktischen Anknüpfungsregeln zugunsten einer Anwendung des Rechts am Marktort rechtfertigen könnte (vgl. Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO). Denn auch solche bilateralen Wettbewerbshandlungen weisen einen Marktbezug auf, weil grundsätzlich „jede Wettbewerbshandlung, die sich gezielt gegen einen Wettbewerber richtet, im Verhältnis zu anderen Wettbewerbern wettbewerbsverzerrende Wirkung“ hat.380

c) Andere Ansätze. Über den Begriff des Marktverhaltensrechts hinausgehende oder von ihr 88 abweichende Definitionen des Lauterkeitsrechts erweisen sich als schwierig. So lässt sich zwar feststellen, dass es dem Europäischen Lauterkeitsrecht wesentlich um den Schutz der wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit der Marktbeteiligten geht.381 Allerdings zeigen einzelne Normen zum Konkurrentenschutz im Europäischen Lauterkeitsrecht382 und die Einbeziehung wettbewerbsfremder Schutzziele wie der Schutz von Gesundheit oder Privatsphäre im sektoriellen Lauterkeitsrecht383 oder der Vorbehalt zugunsten ethischer,384 kultureller und sittlicher385 Lauterkeitsnormen der nationalen Rechtsordnungen, dass sich der Schutz der wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit der Marktbeteiligten nicht als allumspannendes Definitionsmerkmal eignet.

373 Diese Fallgruppe wird auf kollisionsrechtlicher Ebene lauterkeitsrechtlich qualifiziert, KOM (2003) 427 S. 17. Auf sachrechtlicher Ebene fehlt es im Unionsrecht allerdings weitgehend an mitbewerberschützenden Vorschriften, Ohly WRP 2008, 177, 179. 374 Art. 4 lit. d RL 2006/114/EG; Art. 10bis Abs. 3 Nr. 2 PVÜ. 375 Art. 4 lit. h RL 2006/114/EG; Art. 10bis Abs. 3 Nr. 1 PVÜ. Diese Funktion wird in weiten Teilen auch bereits durch das Markenrecht wahrgenommen, vgl. Art. 10 Abs. 2 lit. b MarkenRL 2015/2436. 376 Vgl. Art. 4 lit. f., g RL 2006/114/EG; Art. 10 Abs. 6 MarkenRL 2015/2436. 377 Zu diesen Beispielen KOM (2003) 427 S. 17. 378 Art. 39 TRIPS; nunmehr auch Richtlinie 2016/943/EU. Mit Hinweis auf den Geheimnisschutz kritisch zur Bezeichnung als Marktverhaltensrecht Sack Diskussion in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.) Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009), S. 63. 379 Zu den Beispielen KOM (2003) 427 S. 18. Zur Auslegung und Abgrenzung von Art. 6 Abs. 1 und 2 Rom II-VO Heinze IPRax 2009, 231, 236 f. m. w. N. in Fn. 60. 380 BGH 11. 2. 2010 – I ZR 85/08 – GRUR Int. 2010, 882 Tz. 19 – Ausschreibungsdienst im Ausland; ähnlich KOM (2003) 427 S. 18: nicht völlig ausgeschlossen, „dass solche Handlungen auch negative Auswirkungen auf einen bestimmten Markt haben“. 381 Vor allem der Richtlinie 2005/29/EG, siehe Art. 2 lit. e RL 2005/29/EG; Henning-Bodewig Was gehört zum Lauterkeitsrecht? in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.) Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009), S. 9, 23: im „Kernbereich“ „Sicherung der wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit aller Marktbeteiligten“; aber auch S. 22: zudem Schutz der Leistungsergebnisse vor Ausbeutung durch bestimmte Wettbewerbshandlungen sowie gegen nichtwettbewerbskonforme, gezielte Behinderungen. 382 Vgl. Art. 4 lit. f., g RL 2006/114/EG; Art. 10 Abs. 6 MarkenRL 2015/2436. 383 Siehe Art. 3 Abs. 3, Erwägungsgrund 14 Satz 8 RL 2005/29/EG. 384 Art. 9 Abs. 1 lit. c der Richtlinie 2010/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. März 2010 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste), ABl. L 95 vom 15. 4. 2010, S. 1. 385 Erwägungsgrund 7 Satz 4–5 RL 2005/29/EG.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

Auch die Interpretation des Lauterkeitsrecht als Recht der Marktkommunikation386 beschreibt zwar mit den Irreführungs- und Informationstatbeständen zentrale Inhalte des unionalen Lauterkeitsrechts, vermag allerdings bestimmte unlautere Geschäftspraktiken, die nicht (in erster Linie) durch Kommunikation umgesetzt werden,387 nicht zu erfassen. Diese Bedenken scheint auch der Unionsgesetzgeber zu teilen, weil er offenbar ein Bedürfnis sah, den Begriff der kommerziellen Kommunikation (Mitteilung) in Art. 2 lit. d RL 2005/29/EG durch die allgemeinere Umschreibung „jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung“ zu ergänzen. Auch wirft eine Konzeption des Lauterkeitsrechts als Recht der Marktkommunikation zumindest die begriffliche Frage auf, weshalb nicht auch das Markenrecht als Teil des Lauterkeitsrechts anzusehen ist, bei dem es regelmäßig auch um die Regulierung der Marktkommunikation geht.

III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten 90 Der durch die Grundfreiheiten verbürgte freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital (Art. 3 Abs. 3 EUV, Art. 26 Abs. 2 AEUV) zählt zu den grundlegenden Prinzipien der Union.388 Es überrascht daher nicht, dass die Grundfreiheiten den ältesten und bis zur Richtlinie 2005/29/EG intensivsten europäischen Einfluss auf das Lauterkeitsrecht markierten. Ausgangspunkt war der weite Begriff der „Maßnahmen gleicher Wirkung“ in Art. 34 AEUV, der seit Dassonville „jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern“ erfasst.389 Infolge dieser weiten Definition der Beeinträchtigung, die der EuGH später für die Dienstleistungsfreiheit nachvollzogen hat,390 wurden die Grundfreiheiten zu Beschränkungsverboten ausgebaut, so dass neben der (mittelbaren oder unmittelbaren) Diskriminierung EU-ausländischer Anbieter auch unterschiedslos anwendbare Maßnahmen ihrer Kontrolle unterworfen wurden.391 Auch wenn der Aufgreiftatbestand der Warenverkehrsfreiheit für bestimmte Verkaufsmodalitäten in der Rechtssache Keck wieder zurückgenommen wurde,392 so sind diskriminierende, produktregulierende oder allgemein den Marktzugang ausländischer Anbieter behindernde lauterkeitsrechtliche Normen393 nach wie vor als rechtfertigungsbedürftige Beschränkung der Verkehrsfreiheiten anzusehen (unten Rn. 124 ff.). 91 In jüngerer Zeit haben die Grundfreiheiten allerdings durch die Vollharmonisierung wichtiger Teile des Lauterkeitsrechts wieder an Bedeutung eingebüßt, weil von der Harmonisierung abweichende mitgliedstaatliche Regeln auch nicht über die Rechtfertigungsgründe der Grundfreiheiten legitimiert werden können.394 Die Bedeutung der Grundfreiheiten konzentriert sich 386 Keßler Vom Recht des unlauteren Wettbewerbs zum Recht der Marktkommunikation – Individualrechtliche und institutionelle Aspekte des deutschen und europäischen Lauterkeitsrechts in: Krejci/Keßler/Augenhofer (Hrsg.) Lauterkeitsrecht im Umbruch (2005), S. 81, 92 ff., 99 ff. 387 Wie etwa die Betriebsspionage oder bestimmte Formen der Behinderung von Wettbewerbern. 388 Siehe nur EuGH (Große Kammer) 24. 5. 2011 – C-54/08 – NJW 2012, 2941 Tz. 78 – Kommission/Deutschland. 389 EuGH 11. 7. 1974 – 8/74 – Slg. 1974, 837 Tz. 5 – Dassonville; EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 33 – Kommission/Italien; EuGH 6. 11. 2011 – C-443/10 – Slg. 2011, I-9327 Tz. 26 – Bonnarde. 390 EuGH 3. 12. 1974 – 33/74 – Slg. 1974, 1299 Tz. 10/12 – van Binsbergen; EuGH 25. 7. 1991 – C-76/90 – Slg. 1991, I-4221 Tz. 12 – Säger. 391 EuGH 20. 2. 1979 – 120/78 – Slg. 1979, 649 Tz. 6, 14 f. – Rewe Zentral, „Cassis de Dijon“; EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 35, 37 – Kommission/Italien. 392 EuGH 24. 11. 1993 – C-267/91 und C-268/91 – Slg. 1993, I-6097 Tz. 16 f. – Keck und Mithouard; EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 36 – Kommission/Italien. 393 Zu den nach Keck verbliebenen Fallgruppen Körber Grundfreiheiten und Privatrecht (2004), S. 565 ff. 394 Siehe bereits EuGH 20. 2. 1979 – 120/78 – Slg. 1979, 649 Tz. 8 – Cassis de Dijon: „in Ermangelung einer gemeinschaftlichen Regelung […] ist es Sache der Mitgliedstaaten“; ausdrücklich EuGH 30. 11. 1983 – 227/82 – Slg. 1983, 3883 Tz. 35 – van Bennekom.

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III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten

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daher heute auf die nicht (vollständig) harmonisierten Felder des Lauterkeitsrechts,395 also in erster Linie den unternehmerischen Geschäftsverkehr und den Schutz anderer als wirtschaftlicher Interessen der Verbraucher, soweit dort keine vollharmonisierenden Rechtsakte erlassen wurden. Hinzu tritt die Funktion einer übergeordneten Direktive zur Auslegung und Anwendung des Sekundärrechts.396

1. Allgemeines a) Vorrang des Sekundärrechts. Voraussetzung für die Kontrolle am Maßstab der Grundfrei- 92 heiten ist zunächst, dass kein vorrangiges Sekundärrecht der Union zur Anwendung kommt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ist nämlich „jede nationale Regelung in einem Bereich, der auf Unionsebene abschließend harmonisiert wurde, anhand der fraglichen Harmonisierungsmaßnahme und nicht anhand des Primärrechts zu beurteilen“.397 Dementsprechend scheidet im Anwendungsbereich (voll-)harmonisierenden Sekundärrechts, etwa der Richtlinie 2005/29/EG oder der E-Commerce-Richtlinie 2000/31/EG, ein Rückgriff auf die Grundfreiheiten aus.398 Dem steht auch nicht entgegen, dass die Grundfreiheiten nicht nur für nationale Maßnah- 93 men, sondern auch für Maßnahmen der Unionsorgane gelten, so dass auch das Sekundärrecht grundsätzlich am Maßstab der Grundfreiheiten zu messen ist.399 Allerdings billigt der EuGH dem Unionsgesetzgeber bei Rechtsangleichungsmaßnahmen zur Verwirklichung des Binnenmarktes (Art. 114 AEUV) zu, im Rahmen seines politischen Ermessens auch anderen als handelsfunktionalen Kriterien (z. B. Verbraucherschutz oder Gesundheitsschutz, vgl. Art. 114 Abs. 3 AEUV)

395 Für den Anwendungsvorbehalt der Grundfreiheiten zur Kontrolle nationaler Regeln, die über eine Mindestharmonisierung hinausgehen EuGH 11. 12. 2003 – C-322/01 – Slg. 2003, Slg. 2003, I-4887 Tz. 64 – DocMorris; EuGH 16. 12. 2008 – C-205/07 – Slg. 2008, I-9947 Tz. 34 – Gysbrecht. 396 Zur Auslegung EuGH 2. 2. 1994 – C-315/92 – Slg. 1994, I-317 Tz. 12 – Clinique; EuGH 16. 1. 2003 – C-14/00 – Slg. 2003, I-513 Tz. 66 – Kommission/Italienische Republik; EuGH 4. 10. 2007 – C-457/05 – Slg. 2007, I-8075 Tz. 22 – Diageo; zur Anwendung EuGH (Große Kammer) 17. 4. 2007 – C-470/03 – Slg. 2007, I-2749 Tz. 59 f. – A.G.M.-COS.MET. Purnhagen JZ 2012, 742, 745 sieht diese Funktion der Grundfreiheiten infolge der neuen Formel (dazu unten Rn. 124 ff.) beeinträchtigt, weil nach der neuen Formel Maßnahmen in minimal- oder maximalharmonisierenden Sekundärrechtsakten, die früher als Produktmodalität und damit als Maßnahme gleicher Wirkung eingestuft worden wären (als Beispiel wählt er EuGH 2. 2. 1994 – C-315/92 – Slg. 1994, I-317 Tz. 13 ff. – Clinique), mangels Marktzugangsbehinderung (infolge der Harmonisierung) nicht mehr als Maßnahme gleicher Wirkung zu klassifizieren seien. M. E. sind diese Bedenken nicht begründet: Zum einen ist der Zugriff der Grundfreiheiten auf harmonisierendes Sekundärrecht ohnehin deutlich geringer als auf nationale Maßnahmen (unten Rn. 92), zum anderen steht neben der Kategorie der sonstigen Marktzugangsbehinderungen nach wie vor die Kategorie der Beeinträchtigung durch Produktmodalitäten als zweite Stufe der neuen Formel (unten Rn. 131 ff.). 397 EuGH 6. 11. 2011 – C-443/10 – Slg. 2011, I-9327 Tz. 22 – Bonnarde; ferner EuGH 13. 12. 2001 – C-324/99 – Slg. 2001, I-9897 Tz. 32 – DaimlerChrysler; EuGH (Große Kammer) 14. 12. 2004 – C-210/03 – Slg. 2004, I-11893 Tz. 81 – Swedish Match; EuGH 9. 3. 2006 – C-421/04 – Slg. 2006, I-2303 Tz. 20 – Matratzen Concord; EuGH 16. 12. 2008 – C205/07 – Slg. 2008, I-9947 Tz. 33 – Gysbrecht; EuGH 24. 1. 2008 – C-257/06 – Slg. 2008, I-189 Tz. 14 – Roby Profumi; EuGH 29. 11. 2017 – C-265/16 – GRUR 2018, 68 Tz. 26 – VCAST; zur Richtlinie 2005/29/EG (Art. 3 Abs. 9 RL 2005/29/ EG) EuGH 18. 7. 2013 – C-265/12 – GRUR 2013, 1154 Tz. 31 – Citroën Belux. 398 Zur RL 2005/29/EG EuGH 10. 7. 2014 – C-421/12 – GRUR Int. 2014, 964 Tz. 63 f. – Kommission/Belgien; zur ECommerce-RL EuGH 4. 5. 2017 – C-339/15 – GRUR 2017, 627 Tz. 52 – Vanderborght: nationale Werbeverbote für Leistungen der Mund- und Zahnversorgung nur am Maßstab der Grundfreiheiten (Art. 49, 56 AEUV) zu messen, soweit sie Werbung verbieten, die nicht über einen Dienst der Informationsgesellschaft erfolgt. 399 EuGH 14. 12. 2004 – C-210/03 – Slg. 2004, I-11893 Tz. 59 – Swedish Match; Schlussanträge des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona vom 28.5.2020 – C-620/18 – Tz. 105 ff. – Ungarn/Europäisches Parlament; a. A. Calliess/ Ruffert/Kingreen Art. 34–36 AEUV Rn. 110.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

bei der Ausgestaltung des Rechtsaktes maßgebliche Bedeutung zuzumessen,400 solange eine gewisse Binnenmarktrelevanz noch erreicht wird. Dieses politische Ermessen ist konsequenterweise auch bei der Kontrolle unionaler Maßnahmen am Maßstab der Grundfreiheiten zu achten,401 so dass die Rechtsakte des Unionsgesetzgebers in aller Regel nicht gegen die Grundfreiheiten verstoßen werden. Von größerer Bedeutung als die Rechtmäßigkeitskontrolle ist daher die Auslegung des Sekundärrechts im Lichte der Grundfreiheiten,402 zumal der EuGH dazu neigt, seine Judikatur zu den Grundfreiheiten auf spätere Sekundärrechtsakte zu übertragen.403 Indes ist auch bei der Berücksichtigung der Grundfreiheiten als Auslegungsdirektive zu beachten, dass der Abbau von Handelsschranken und die Integration des Binnenmarktes regelmäßig nur eines von mehreren Zielen einer Harmonisierungsmaßnahme ist.404

94 b) Adressaten. Adressaten der Grundfreiheiten sind in erster Linie die Mitgliedstaaten. Ihnen sind auch privatrechtliche Organisationen zuzurechnen, die durch staatliches Gesetz geschaffen wurden und durch gesetzlich vorgesehene Pflichtbeiträge finanziert werden.405 Ebenso sind privatrechtliche Einrichtungen, die „zum Zweck der Erstellung technischer Normen auf einem bestimmten Gebiet sowie zur Zertifizierung von Erzeugnissen anhand dieser technischen Normen gegründet worden sind“, bei der Ausübung dieser Normierungs- und Zertifizierungstätigkeit an Art. 34 AEUV gebunden, „wenn der nationale Gesetzgeber die Erzeugnisse, die mit einem Zertifikat dieser privatrechtlichen Einrichtung versehen sind, ausdrücklich als gesetzeskonform ansieht und in der Praxis daher ein Vertrieb von Erzeugnissen, die nicht mit einem solchen Zertifikat versehen sind, kaum möglich ist“.406 Dies gilt auch dann, wenn die privatrechtliche Zertifizierungseinrichtung ohne Gewinnzweck arbeitet, ihre Tätigkeit nicht von einem Mitgliedstaat finanziert wird, und der Mitgliedstaat keinen maßgebenden Einfluss auf die Normungs- und Zertifizierungstätigkeiten des DVGW ausübt.407 Schließlich ist auch die Union an die Grundfreiheiten gebunden, auch wenn der Gerichtshof ihren Organen bei der Rechtsangleichung ein weites politisches Ermessen zubilligt (oben Rn. 92). 95 Umstritten und für die einzelnen Grundfreiheiten unterschiedlich zu beantworten ist die Frage, ob die Wirksamkeit oder der Inhalt privatautonomer Willenserklärungen, Verträge oder 400 EuGH 12. 12. 2006 – C-380/03 – Slg. 2006, I-11573 Tz. 39 – Bundesrepublik Deutschland/Europäisches Parlament (Tabakwerberichtlinie II): Maßnahme darf auf Art. 114 AEUV gestützt werden, „auch wenn dem Gesundheitsschutz bei den zu treffenden Entscheidungen maßgebliche Bedeutung zukommt“; ebenso EuGH 8. 6. 2010 – C-58/ 08 – Slg. 2010, I-4999 Tz. 36 – Vodafone (zum Verbraucherschutz). 401 Zum Zusammenhang zwischen dem legislativen Ermessen des Unionsgesetzgebers nach Art. 114 AEUV zur Berücksichtigung anderer als binnenmarktfunktionaler Ziele (Art. 114 Abs. 3 AEUV) und der Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Unionsrechtsakten insbesondere EuGH 14. 12. 2004 – C-210/03 – Slg. 2004, I-11893 Tz. 60 f. – Swedish Match (Rückverweis auf Tz. 56); zur großzügigeren Verhältnismäßigkeitskontrolle (insbesondere bei wirtschaftlich komplexen Sachverhalten) auch EuGH 9. 8. 1994 – C-51/93 – Slg. 1994, I-3879 Tz. 20 f. – Meyhui; EuGH 13. 5. 1997 – C-233/94 – Slg. 1997, I-2405 Tz. 42 f., 54 ff. – Deutschland/Parlament und Rat; EuGH 2. 4. 1998 – C-127/95 – Slg. 1998, I-1531 Tz. 90 – Norbrook Laboratories; eingehend Körber Grundfreiheiten und Privatrecht (2004), S. 82 ff. 402 EuGH 2. 2. 1994 – C-315/92 – Slg. 1994, I-317 Tz. 12 – Clinique; EuGH 13. 9. 2001 – C-169/99 – Slg. 2001, I-5901 Tz. 36 ff. – Schwarzkopf; EuGH 16. 1. 2003 – C-14/00 – Slg. 2003, I-513 Tz. 66 – Kommission/Italienische Republik; EuGH 4. 10. 2007 – C-457/05 – Slg. 2007, I-8075 Tz. 18 – Diageo; Bachmann AcP 210 (2010) 425, 441 f. 403 Vgl. EuGH 16. 7. 1998 – C-210/96 – Slg. 1998, I-4657 Tz. 30 f. – Gut Springenheide zur Übertragung des Verbraucherleitbilds vom Primär- ins Sekundärrecht; zum Markenrecht EuGH 11. 7. 1996 – C-427/93, C-429/93 und C-436/ 93 – Slg. 1996, I-3457 Tz. 31, 36 – Bristol-Myers Squibb. 404 Vgl. EuGH 24. 1. 2008 – C-257/06 – Slg. 2008, I-189 Tz. 14 – Roby Profumi zum Ausgleich von Warenverkehrsfreiheit und Gesundheitsschutz. 405 EuGH 5. 11. 2002 – C-325/00 – Slg. 2002, I-9977 Tz. 17 ff. – Kommission/Deutschland; siehe bereits EuGH 24. 11. 1982 – 249/81 – Slg. 1982, 4005 Tz. 15 – Kommission/Irland. 406 EuGH 12. 7. 2012 – C-171/11 – EuZW 2012, 797 Tz. 27–30 – Fra.bo; Zitat aus den Schlussanträgen der Generalanwältin Trstenjak vom 28. 3. 2012 – C-171/11 – BeckRS 2012, 80688 Tz. 50 – Fra.bo. 407 EuGH 12. 7. 2012 – C-171/11 – EuZW 2012, 797 Tz. 24 – Fra.bo.

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III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten

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Satzungen unmittelbar an den Grundfreiheiten zu messen ist (Drittwirkung der Grundfreiheiten).408 Bei der Warenverkehrsfreiheit hat der Gerichtshof eine Drittwirkung ausdrücklich verneint.409 Dies bedeutet freilich nicht, dass sich Private im Zivilprozess nicht auf die Warenverkehrsfreiheit berufen könnten. Als Folge der unmittelbaren Wirkung und des Vorrangs der Grundfreiheiten hat das nationale Zivilgericht auch die Warenverkehrsfreiheit bei der Auslegung und Anwendung des staatlichen Privatrechts zu berücksichtigen.410 Nur ein unmittelbarer Einfluss auf die Wirksamkeit privater Vereinbarungen scheidet aus. Zudem ist eine Diskriminierung von EU-Ausländern durch privatautonome Vereinbarungen bereits aufgrund des drittwirkenden411 allgemeinen Diskriminierungsverbots (Art. 18 AEUV) verboten, so dass der Ausschluss der Drittwirkung nur für die Beschränkungsverbote des Art. 34 AEUV relevant ist. Noch nicht endgültig geklärt sind die Konsequenzen der aus Art. 34–36 AEUV i. V. m. Art. 4 96 Abs. 3 EUV abgeleiteten Schutzverpflichtung der Mitgliedstaaten, „den freien Warenverkehr in [ihrem] Gebiet zu gewährleisten, indem [sie] die erforderlichen und geeigneten Maßnahmen ergreif[en], um gegen Beeinträchtigungen durch Handlungen von Privatpersonen einzuschreiten, unabhängig davon, ob diese Handlungen die Einfuhr, die Ausfuhr oder die bloße Durchfuhr von Waren betreffen“.412 Aus dieser Schutzverpflichtung dürfte sich allerdings nicht unmittelbar eine Pflicht zu staatlichem Vorgehen gegen jede Beeinträchtigung der Warenverkehrsfreiheit durch Private ableiten lassen, sondern es ist stets eine Abwägung mit den durch die Grundrechtecharta verbürgten Freiheitsspielräumen Privater erforderlich. Bei der Dienstleistungsfreiheit (und der Arbeitnehmer- und Niederlassungsfreiheit) ist die 97 Lage etwas anders. Hier deutet die Judikatur des Gerichtshofs darauf hin, dass eine Drittwirkung der Dienstleistungsfreiheit zumindest dann zu bejahen ist, wenn es sich um kollektive Regelungen im Arbeits- oder Dienstleistungsbereich handelt.413 Für das Lauterkeitsrecht ist insofern vor allem an Verbandsrichtlinien der Werbeindustrie oder Werbevorschriften (staatsfreier) berufs408 Ausführlich Körber Grundfreiheiten und Privatrecht (2004), S. 632 ff.; Bachmann AcP 210 (2010) 425, 465 ff.; Schmid Die Instrumentalisierung des Privatrechts durch die Europäische Union (2010), S. 524 ff.; siehe auch die Zusammenfassung des Meinungsstands in den Schlussanträgen der Generalanwältin Trstenjak vom 28. 3. 2012 – C171/11 – BeckRS 2012, 80688 Tz. 29 ff. – Fra.bo. 409 EuGH 1. 10. 1987 – 311/85 – Slg. 1987, 3801 Tz. 30 – ASBL Vereniging van Vlaamse Reisbureaus; EuGH 27. 9. 1988 – 65/86 – Slg. 1988, 5249 Tz. 11 – Bayer; EuGH 6. 6. 2002 – C-159/00 – Slg. 2002, I-5031 Tz. 74 – EcoEmballages; a. A. noch EuGH 22. 1. 1981 – 58/80 – Slg. 1981, 181 Tz. 17 – Dansk Supermarked; zur restriktiven Auslegung von Dansk Supermarked W.-H. Roth FS Everling, S. 1231, 1237; Körber Grundfreiheiten und Privatrecht (2004), S. 698 f.; Bachmann AcP 210 (2010) 424, 465 Fn. 204. Siehe auch die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 28. 3. 2012 – C-171/11 – BeckRS 2012, 80688 Tz. 44 f. – Fra.bo, die sich für eine Übertragung der Judikatur zur Bindung an die Grundfreiheiten bei kollektiven Regelungen nicht öffentlichrechtlicher Natur (dazu unten Rn. 97) auch auf die Warenverkehrs- und Kapitalverkehrsfreiheit ausspricht. 410 Vgl. EuGH 9. 6. 1992 – C-47/90 – Slg. 1992, I-3669 Tz. 29 – Delhaize. 411 Vgl. EuGH 6. 6. 2000 – C-281/98 – Slg. 2000, I-4139 Tz. 34 f. – Angonese. Dort überträgt der Gerichtshof seine Rechtsprechung zur unmittelbaren Wirkung des Art. 157 AEUV (Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen) auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die er als „spezifische Anwendung des in [Art. 18 AEUV] ausgesprochenen allgemeinen Diskriminierungsverbots“ bezeichnet. 412 EuGH 12. 6. 2003 – C-112/00 – Slg. 2003, I-5659 Tz. 60 – Schmidberger. 413 Vgl. EuGH 12. 12. 1974 – 36/74 – Slg. 1974, 1405 Tz. 15, 20 – Walrave und Koch; EuGH 11. 4. 2000 – C-51/96 und C-191/97 – Slg. 2000, I-2549 Tz. 47 – Deliège; EuGH 19. 2. 2002 – C-309/99 – Slg. 2002, I-1577 Tz. 120 – Wouters; zur Berücksichtigung der Dienstleistungsfreiheit bei der Kontrolle staatlicher Regelungen, die beschränkende Vereinbarungen in privatrechtlichen Verträgen sanktionieren auch EuGH (Große Kammer) 23. 10. 2011 – C-403/08 und C-429/ 08 – Slg. 2011, I-9083 Tz. 88 – Football Association Premier League: „Zwar liegt die Hauptursache für die Behinderung des Empfangs solcher Dienste in den zwischen den Sendeunternehmen und ihren Kunden geschlossenen Verträgen, in denen sich die Gebietsbeschränkungsklauseln widerspiegeln, die in den zwischen den Sendeunternehmen und den Inhabern der Rechte des geistigen Eigentums geschlossenen Verträgen enthalten sind. Da aber die fragliche Regelung diese Beschränkungen unter rechtlichen Schutz stellt und ihre Einhaltung unter Androhung zivilrechtlicher und finanzieller Sanktionen vorschreibt, beschränkt sie selbst den freien Dienstleistungsverkehr“; eingehend Körber Grundfreiheiten und Privatrecht (2004), S. 683 ff.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

ständischer Organisationen zu denken.414 Die Einbeziehung Privater wird von Teilen des Schrifttums kritisiert, die eine Drittwirkung aus systematischen (vgl. Art. 57 Abs. 3, 52, 54 AEUV) und grundrechtsdogmatischen Gründen ablehnen.415

98 c) Unionsbezug. Weitere Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Grundfreiheiten ist es, dass der Sachverhalt nicht einen Mitgliedstaat rein intern betrifft.416 So soll die Warenverkehrsfreiheit nicht gewährleisten, „dass Waren aus nationaler Produktion in jedem Fall genauso behandelt werden wie eingeführte Waren; eine Ungleichbehandlung von Waren, die nicht geeignet ist, die Einfuhr zu behindern oder den Absatz eingeführter Waren zu erschweren, fällt nicht unter … diese Artikel“.417 Sie kommt nur zur Anwendung, soweit die nationalen Vorschriften „auf Sachverhalte Anwendung finde[n], die einen Bezug zur Einfuhr von Waren im innergemeinschaftlichen Handel aufweisen“.418 Gleiches gilt für die Dienstleistungsfreiheit: Auch hier kann eine nationale Regelung „nur dann Vertragsbestimmungen über die Dienstleistungsfreiheit betreffen, wenn sie auf Sachlagen anwendbar ist, die eine Verbindung zum innergemeinschaftlichen Handel aufweisen“ (vgl. Art. 56 Abs. 1, 57 Abs. 3 AEUV).419 99 Allerdings hat das Erfordernis des Unionsbezugs nicht zur Folge, dass eine Auseinandersetzung zweier deutscher Parteien von den Grundfreiheiten stets ausgenommen wäre, wenn sämtliche Elemente der Streitigkeit innerhalb Deutschlands angesiedelt sind.420 Zum einen besteht nämlich grundsätzlich eine verfahrensrechtliche Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der durch das nationale Gericht verfassten Vorlagefragen.421 Eine Zurückweisung durch den Gerichtshof erfolgt nur, wenn „offensichtlich kein Zusammenhang zwischen der erbetenen Auslegung oder Prüfung der Gültigkeit einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts und den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens besteht“.422 Und zum anderen hat der Gerichtshof die Zulässigkeit einer Vorlage auch bei einem rein 100 nationalen Sachverhalt bejaht, wenn (bei der Dienstleistungsfreiheit) sich „nicht ausschließen [lässt], dass … in anderen Mitgliedstaaten … ansässige Unternehmen an der Erbringung der betreffenden Dienstleistung interessiert waren oder sind“,423 durch die Online-Werbung auch Kunden in anderen Mitgliedstaaten angesprochen werden424 oder (bei der Warenverkehrsfrei414 MünchKomm/Glöckner Art. 56, 57, 59, 62 AEUV Rn. 76; zum Werberecht einer Standesorganisation auch EuGH (Große Kammer) 5. 4. 2011 – C-119/09 – Slg. 2011, I-2551 Tz. 43 – Société fiduciaire nationale d’expertise comptable. Handelt die Standesorganisation aufgrund delegierter staatlicher Rechtssetzungsbefugnis, so ist sie dem Mitgliedstaat zuzurechnen. 415 Körber Grundfreiheiten und Privatrecht (2004), S. 721 ff.; Bachmann AcP 210 (2010) 424, 466 ff.; Calliess/Ruffert/Kluth Art. 56, 57 AEUV Rn. 49 f. jeweils m. w. N. 416 Etwas Anderes gilt für die Garantien der Unionsbürgerschaft (Art. 20 AEUV), auf die sich jeder Staatsangehörige eines Mitgliedstaates auch gegenüber seinem Herkunftsmitgliedstaat berufen kann, EuGH 5. 5. 2011 – C-434/09 – Slg. 2011, I-3375 Tz. 48 – McCarthy. 417 EuGH 5. 12. 2000 – C-448/98 – Slg. 2000, I-10663 Tz. 15 – Guimont. 418 EuGH 5. 12. 2000 – C-448/98 – Slg. 2000, I-10663 Tz. 21 – Guimont. 419 EuGH 31. 1. 2008 – C-380/05 – Slg. 2008, I-349 Tz. 65 – Centro Europa 7; EuGH 22. 10. 2010 – C-245/09 – Slg. 2010, I-13771 Tz. 12 – Omalet. 420 Vgl. EuGH 22. 10. 1998 – C-184/96 – Slg. 1998, I-6197 Tz. 17 – Kommission/Frankreich (nicht ein einziger konkreter Fall mit Bezug zu einem anderen Mitgliedstaat muss eingetreten sein). 421 EuGH 5. 12. 2000 – C-448/97 – Slg. 2000, I-10663 Tz. 22 f. – Guimont; EuGH 15. 5. 2003 – C-300/01 – Slg. 2003, I-4899 Tz. 30 ff. – Salzmann; zur Dienstleistungsfreiheit EuGH 17. 7. 2008 – C-500/06 – Slg. 2008, I-5785 Tz. 23 – Corporación Dermoestética. 422 EuGH 5. 12. 2000 – C-448/97 – Slg. 2000, I-10663 Tz. 23 – Guimont. 423 EuGH 31. 1. 2008 – C-380/05 – Slg. 2008, I-349 Tz. 66 – Centro Europa 7; EuGH 18. 7. 2013 – C-265/12 – GRUR 2013, 1154 Tz. 33 – Citroën Belux. Siehe auch die Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit EuGH (Große Kammer) 1. 6. 2010 – C-570/07 – Slg. 2010, I-4629 Tz. 40 – Pérez; ähnlich EuGH 11. 3. 2010 – C-384/08 – Slg. 2010, I-2055 Tz. 23 f. – Attanasio. 424 EuGH 4. 5. 2017 – C-339/15 – GRUR 2017, 627 Tz. 56 – Vanderborght.

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III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten

Einleitung

heit) wenn die Entscheidung über einen rein internen Fall der Feststellung dienlich sein kann, ob eine konkrete nationale Vorschrift eine potenzielle Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels darstellen kann, weil möglicherweise auch ausländische Anbieter durch sie betroffen sind und vom Markteintritt abgehalten werden (potentielle Marktzugangsbehinderung ausländischer Anbieter).425 Dabei ist eine Verbindung zum innergemeinschaftlichen Handel zu vermuten, „wenn an dem in Rede stehenden Markt ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht“.426 Darüber hinaus ist ein Unionsbezug auch dann gegeben, wenn das nationale Recht vorschreibt, dass einem nationalen Staatsangehörigen die gleichen Rechte zustehen wie Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten in der gleichen Lage427 (nationales Verbot der Inländerdiskriminierung) oder wenn sich die nationalen Rechtsvorschriften zur Regelung rein innerstaatlicher Sachverhalte an den europäischen Regeln orientieren, so dass eine Entscheidung des Gerichtshofs die einheitliche Auslegung des überschießend angeglichenen Rechts sicherstellt.428 Als Ergebnis dieser Auflockerungen ist die Schwelle zum Unionsbezug schnell erreicht,429 101 so dass ein rein interner Sachverhalt wohl der Ausnahmefall bleiben dürfte.430 Dieser rechtliche Befund korrespondiert mit der tatsächlichen Beobachtung, dass sich in der Mehrzahl der grundfreiheitsbezogenen Entscheidungen zum Lauterkeitsrecht ein einheimischer Anbieter mit Hilfe der Grundfreiheiten der Anwendung seines Heimatrechts entziehen wollte, während tatsächlich grenzüberschreitende Fälle die Ausnahme darstellten.431 Kommt man trotz enger Auslegung des rein internen Sachverhalts zu dem Ergebnis, dass die Grundfreiheiten keine Anwendung finden, dann stellt sich die Frage, ob eine sich daraus ergebende Inländerdiskriminierung zulässig ist. Dies ist allerdings keine Frage des Unionsrechts und daher nach den Kriterien des deutschen Verfassungsrechts zu beantworten.432

d) Abgrenzung der Grundfreiheiten. Die Abgrenzung der Grundfreiheiten untereinander ori- 102 entiert sich zunächst an ihrem Schutzgegenstand (körperliche Ware vs. unkörperliche Dienstleistung vs. Transfer von gesetzlichen Zahlungsmitteln als Kapitalverkehr). Betrifft eine nationa425 EuGH 25. 3. 2004 – C-71/02 – Slg. 2004, I-3025 Tz. 19–21 – Karner; siehe auch EuGH 5. 12. 2000 – C-448/97 – Slg. 2000, I-10663 Tz. 21–23 – Guimont (unterschiedslos anwendbare Maßnahmen); EuGH 7. 5. 1997 – C-321/94 bis C324/94 – Slg. 1997, I-2343 Tz. 44 – Pistre (diskriminierende Maßnahmen); MünchKomm/Heermann Art. 34 AEUV Rn. 11. 426 EuGH 31. 1. 2008 – C-380/05 – Slg. 2008, I-349 Tz. 67 – Centro Europa 7. 427 EuGH 5. 12. 2000 – C-448/97 – Slg. 2000, I-10663 Tz. 23 – Guimont; zur Dienstleistungsfreiheit EuGH 22. 10. 2010 – C-245/09 – Slg. 2010, I-13771 Tz. 15 – Omalet. 428 EuGH 15. 5. 2003 – C-300/01 – Slg. 2003, I-4899 Tz. 34 – Salzmann. 429 Spaventa European Law Review 34 (2009) 914, 927 f.; Calliess/Ruffert/Kingreen Art. 34–36 AEUV Rn. 38. 430 Calliess/Ruffert/Kingreen Art. 34–36 AEUV Rn. 16 geht für die Warenverkehrsfreiheit sogar davon aus, dass das Merkmal „keine selbständige Anwendungsvoraussetzung“ sei; ähnlich Spaventa European Law Review 34 (2009) 914, 928 Fn. 69: „ambit of the purely internal situation rule has been eroded to the point of becoming rather fictional“. Siehe aber EuGH 15. 7. 2004 – C-239/02 – Slg. 2004, I-7007 Tz. 57 – Douwe Egberts: „Jedoch ist die Anwendung einer nationalen Werberegelung, die gegen die Artikel 28 EG und 30 EG verstößt, anders als diejenige nationaler Vorschriften, die hinsichtlich der Etikettierung gegen die Richtlinie 2000/13 verstoßen und weder auf eingeführte Lebensmittel noch auf Lebensmittel einheimischen Ursprungs angewendet werden können, nur in Bezug auf eingeführte Erzeugnisse, nicht aber auf einheimische Erzeugnisse untersagt“. Siehe auch die Bejahung eines rein internen Sachverhalts in BGH 6. 6. 2019 – I ZR 206/17 – GRUR 2019, 1071 Tz. 33 – Brötchen-Gutschein. 431 Körber Grundfreiheiten und Privatrecht (2004), S. 564 Fn. 17. 432 Einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG trotz Grundfreiheitenwidrigkeit einer nationalen Regelung für interne Sachverhalte verneinend BGH 6. 6. 2019 – I ZR 206/17 – GRUR 2019, 1071 Tz. 34 ff. – BrötchenGutschein; zur Diskussion Körber Grundfreiheiten und Privatrecht (2004), S. 64 f.; differenzierend Epiney Umgekehrte Diskriminierungen (1995), S. 177 ff., 339 ff. Für eine partielle Einbeziehung der Inländerdiskriminierung in das Unionsrecht Schlussanträge des Generalanwalts Maduro vom 6. 5. 2004 – C-72/03 – Slg. 2004, I-8027 Tz. 63 f. – Carbonati Apuani.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

le Maßnahme sowohl den freien Warenverkehr als auch eine weitere Grundfreiheit (z. B. die Dienstleistungsfreiheit),433 so prüft der Gerichtshof die Maßnahme „grundsätzlich nur im Hinblick auf eine dieser beiden Grundfreiheiten …, wenn sich herausstellt, dass die eine der beiden Freiheiten gegenüber der anderen völlig zweitrangig ist und ihr untergeordnet werden kann“.434 Dies hat der EuGH etwa für den Verkauf von Waren über das Internet und deren Lieferung zum Verbraucher nach Hause angenommen (ausschließlich Art. 34 AEUV).435 Auch die Verbreitung von Werbeaussagen ist grundsätzlich gegenüber dem Vertrieb der Waren als untergeordnet anzusehen.436 Demgegenüber ist die Bereitstellung von Decodern zum Empfang kodierter Rundfunkdienste (Pay-TV) eine bloße „Modalität der Organisation oder Abwicklung“ der Dienstleistungserbringung und allein am Maßstab der Dienstleistungsfreiheit zu prüfen.437 Die Regelung der Abschlussprovisionen für Verbraucherkredite betrifft nur die Dienstleistungsund nicht die Kapitalverkehrsfreiheit.438 Eine Schwerpunktbetrachtung ist allerdings nur dann möglich, wenn die „gemischte Leis103 tung“ dieselbe Rechtsbeziehung betrifft. Deshalb scheidet die Verdrängung einer Grundfreiheit durch eine andere aus, wenn die Leistungen und damit die Grundfreiheiten unterschiedliche Rechtsverhältnisse439 oder unterschiedliche Anbieter440 (z. B. Warenhändler und Werbedienstleister) betreffen. Ebenso ist zwischen den Grundfreiheiten zu unterscheiden, wenn sich die „gemischte Leistung“ in selbständige Einzelleistungen aufgliedern lässt441 oder wenn sich eine Zweitrangigkeit einer Teilleistung nicht ausmachen lässt.442 Aus der Warenverkehrsfreiheit auszunehmen ist auch die Erfüllung der aus grenzüberschreitenden Warenabsätzen resultierenden Zahlungsverpflichtungen, die der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) unterliegt.443

2. Warenverkehrsfreiheit: Schutzbereich Artikel 34 AEUV Mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung sind zwischen den Mitgliedstaaten verboten.

433 Zum Zusammenhang von Warenabsatz und Dienstleistung vgl. EuGH 7. 7. 2005 – C-418/02 – Slg. 2005, I-5873 Tz. 34 – Praktiker Bau. 434 EuGH 2. 12. 2010 – C-108/09 – Slg. 2010, I-12213 Tz. 43 – Ker-Optika; EuGH (Große Kammer) 23. 10. 2011 – C403/08 und C-429/08 – Slg. 2011, I-9083 Tz. 78 – Football Association Premier League. Demgegenüber lässt sich aus Art. 57 AEUV kein genereller Nachrang der Dienstleistungsfreiheit ableiten, EuGH (Große Kammer) 3. 10. 2006 – C-452/04 – Slg. 2006, I-9521 Tz. 32 – Fidium Finanz. 435 EuGH 2. 12. 2010 – C-108/09 – Slg. 2010, I-12213 Tz. 44 – Ker-Optika; siehe auch EuGH 26. 5. 2005 – C-20/03 – Slg. 2005, I-4133 Tz. 35 – Burmanjer (ambulanter Verkauf von Waren betrifft nur Warenverkehrsfreiheit), EuGH 24. 3. 1994 – C-275/92 – Slg. 1994, I-1039 Tz. 22 ff. – Schindler (Verkauf von Lotterielosen betrifft nur Dienstleistungsfreiheit). 436 EuGH 25. 3. 2004 – C-71/02 – Slg. 2004, I-3025 Tz. 47 – Karner. 437 EuGH (Große Kammer) 23. 10. 2011 – C-403/08 und C-429/08 – Slg. 2011, I-9083 Tz. 81 ff. – Football Association Premier League; zur parallelen Anwendung von Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit demgegenüber EuGH 22. 1. 2002 – C-390/99 – Slg. 2002, I-607 Tz. 29 ff. – Canal Satélite. 438 EuGH 12. 7. 2012 – C-602/10 – BeckRS 2012, 81452 Tz. 70 f. – SC Volksbank România. 439 Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 21. 10. 2008 – C-261/07 und C-299/07 – Slg. 2009, I-2949 Tz. 108 f. – VTB-VAB und Galatea. 440 EuGH 26. 4. 1988 – 352/85 – Slg. 1988, 2085 Tz. 13 ff. – Bond van Adverteereders; EuGH 9. 7. 1997 – C-34/95, C35/95 und C-36/95 – Slg. 1997, I-3843 Tz. 44 ff., 50 – de Agostini; EuGH 28. 10. 1999 – C-6/98 – Slg. 1999, I-7599 Tz. 47 ff. – Pro Sieben Media. 441 Für ein Beispiel EuGH 30. 4. 1974 – 155/73 – Slg. 1974, 409 Tz. 6 ff. – Sacchi (Fernsehsendung als Dienstleistung, Handel mit Tonträgern, Filmen und Erzeugnissen für die Ausstrahlungen als freier Warenverkehr). 442 EuGH 22. 1. 2002 – C-390/99 – Slg. 2002, I-607 Tz. 32 f. – Canal Satélite. 443 EuGH 23. 2. 1995 – C-358/93 und C-416/93 – Slg. 1995, I-361 Tz. 12 ff. – Bordessa.

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III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten

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Artikel 35 AEUV Mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung sind zwischen den Mitgliedstaaten verboten.

Die Warenverkehrsfreiheit444 gewährleistet das Recht, Waren „zu erwerben, anzubieten, auszu- 104 stellen oder feilzuhalten, zu besitzen, herzustellen, zu befördern, zu verkaufen, entgeltlich oder unentgeltlich abzugeben, einzuführen oder zu verwenden“.445 Waren sind (bewegliche) „Erzeugnisse, die einen Geldwert haben und deshalb Gegenstand von Handelsgeschäften sein können“.446 Dazu zählen auch Tiere,447 Abfälle,448 Spiele für elektronische Rechner449 und Elektrizität,450 nicht aber Rechte,451 Ausweise für Heimtiere452 oder Geld, das unter die Kapitalverkehrsfreiheit fällt. Die Waren müssen nach Art. 28 Abs. 2 AEUV aus einem Mitgliedstaat stammen oder sich als drittstaatliche Waren im freien Verkehr in den Mitgliedstaaten befinden.453 Als reine Produktverkehrsfreiheit knüpft die Warenverkehrsfreiheit nur an die Wareneigenschaft an, so dass sich auch Drittstaatsangehörige auf sie berufen können.454 Die Warenverkehrsfreiheit verbietet – vorbehaltlich einer Rechtfertigung – sowohl mengen- 105 mäßige Handelsbeschränkungen wie Maßnahmen gleicher Wirkung. Mengenmäßige Handelsbeschränkungen455 zielen durch vollständige456 oder nach Menge, Wert oder Zeitraum beschränkte457 Handelsverbote spezifisch auf die Ein-, Aus- oder Durchfuhr und bewirken eine unüberwindbare Handelsbeschränkung, während Maßnahmen gleicher Wirkung den Handel regelmäßig nur verteuern.458 Zumindest aus der Perspektive des Lauterkeitsrechts haben men-

444 Vorrangige Regeln des Primärrechts finden sich für Beeinträchtigungen fiskalischer Art mit zollgleicher Wirkung (Art. 28, 30, 110 AEUV; dazu EuGH 17. 6. 2003 – C-383/01 – Slg. 2003, I-6065 Tz. 32 – De Danske Bilimportorer), für staatliche Handelsmonopole (Art. 37 AEUV; Bestimmungen über das Bestehen und die Funktionsweise des Monopols sind an Art. 37 AEUV zu messen, während die Auswirkungen der anderen nationalen Bestimmungen, die sich von der Funktionsweise des Monopols trennen lassen, Art. 34 AEUV unterfallen, EuGH 5. 6. 2007 – C-170/04 – Slg. 2007, I-4071 Tz. 17 f. – Rosengren; EuGH 25. 4. 2012 – C-456/10 – EuZW 2012, 508 Tz. 22 f. – Asociación Nacional de Expendedores de Tabaco y Timbre); für landwirtschaftliche Produkte mit gemeinsamer Marktorganisation (Art. 38 Abs. 2, 39 ff. AEUV) und für Waffen, Munition und Kriegsmaterial (Art. 346 Abs. 1 lit. b AEUV). Das Verhältnis zu den Beihilfevorschriften ist unsicher, vgl. Calliess/Ruffert/Cremer Art. 107 AEUV Rn. 83 ff.; tendenziell für Idealkonkurrenz EuGH 13. 3. 2001 – C-379/98 – Slg. 2001, I-2099 Tz. 54 ff., 68 ff. – PreussenElektra. Zum Vorrang des Sekundärrechts bereits oben Rn. 92. 445 EuGH 27. 6. 1996 – C-293/94 – Slg. 1996, I-3159 Tz. 6 – Brandsma (zu Maßnahmen gleicher Wirkung i. S. d. Art. 34 AEUV); zusammenfassend zur Warenverkehrsfreiheit auch SEC(2009) 673 final. 446 EuGH 12. 12. 1968 – 7/68 – Slg. 1968, 617, 626 – Kommission/Italien; EuGH 14. 4. 2011 – C-42/10, C-45/10 und C-57/10 – Slg. 2011, I-2975 Tz. 68 – Vlaamse Dierenartsenvereniging VZW. 447 EuGH 3. 12. 2015 – C-301/14 – BeckRS 2015, 81895 Tz. 47 – Pfotenhilfe Ungarn. 448 EuGH 9. 7. 1992 – C-2/90 – Slg. 1992, I-4431 Tz. 28 – Kommission/Belgien. 449 EuGH 26. 10. 2006 – C-65/05 – Slg. 2006, I-10341 Tz. 24 – Kommission/Griechenland. 450 EuGH 27. 4. 1994 – C-393/92 – Slg. 1994, I-1477 Tz. 28 – Almelo. 451 EuGH 21. 10. 1999 – C-97/98 – Slg. 1999, I-7319 Tz. 33 ff. – Jägerskiöld: Aktien, Schuldverschreibungen und Wertpapiere. 452 EuGH 14. 4. 2011 – C-42/10, C-45/10 und C-57/10 – Slg. 2011, I-2975 Tz. 69 – Vlaamse Dierenartsenvereniging VZW. 453 Zum Begriff Art. 29 AEUV; zu Waren aus Drittstaaten Art. 207 AEUV. 454 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Leible/T. Streinz Art. 34 AEUV Rn. 32; a. A. Calliess/Ruffert/Kingreen Art. 34–36 AEUV Rn. 33 (nur Unionsbürger). 455 Zur einheitlichen Auslegung in Art. 34 und Art. 35 AEUV EuGH 12. 7. 1973 – 2/73 – Slg. 1973, 865 Tz. 7 – Risi; Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 17. 7. 2008 – C-205/07 – Slg. 2008, I-9947 Tz. 29 – Gysbrechts. 456 EuGH 14. 12. 1979 – 34/79 – Slg. 1979, 3795 Tz. 12 – Henn und Darby. 457 EuGH 12. 7. 1973 – 2/73 – Slg. 1973, 865 Tz. 7 – Geddo: „gänzliche oder teilweise Untersagung der Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr“. 458 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Leible/T. Streinz Art. 34 AEUV Rn. 55.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

genmäßige Handelsbeschränkungen heutzutage keine Bedeutung mehr.459 Deshalb konzentrieren sich die folgenden Ausführungen auf das Verbot von Maßnahmen gleicher Wirkung.460

106 a) Die Dassonville-Formel: Unmittelbare oder mittelbare, tatsächliche oder potentielle Handelsbehinderung. Unter einer „Maßnahme gleicher Wirkung“ wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung i. S. d. Art. 34 AEUV versteht der EuGH seit der grundlegenden461 Dassonville-Entscheidung aus dem Jahr 1974 „jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern“.462 Mit der weiten Dassonville-Formel, spätestens aber mit der Folgeentscheidung Cassis de Dijon463 eröffnete der Gerichtshof den Tatbestand des Art. 34 AEUV auch für unterschiedslos anwendbare Maßnahmen. Art. 34 AEUV wurde ausgebaut von einem Diskriminierungsverbot zu einem Prinzip der „gegenseitigen Anerkennung von Erzeugnissen, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht wurden“ (Herkunfts- oder Ursprungslandprinzip).464 Vor allem produktbezogene Regeln der Mit459 Zum Bedeutungsverlust MünchKomm/Heermann Art. 34 AEUV Rn. 22 ff.; siehe aber zum schwedischen Importverbot für Alkohol noch EuGH (Große Kammer) 5. 6. 2007 – C-170/04 – Slg. 2007, I-4071 Tz. 33 – Rosengren. 460 Die folgende Darstellung konzentriert sich auf die lauterkeitsrechtliche Perspektive und die Judikatur des Gerichtshofs. Die vor allem im europarechtlichen Schrifttum vorgebrachten alternativen Konzepte, insbesondere die Interpretation der Grundfreiheiten als reine Gleichheitsrechte, können hier nicht vertieft werden, dazu insbesondere Calliess/Ruffert/Kingreen Art. 34–36 AEUV Rn. 69 ff.; Rn. 73. 461 EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 33 – Kommission/Italien; EuGH 6. 11. 2011 – C-443/10 – Slg. 2011, I-9327 Tz. 26 – Bonnarde; zur Integration von Dassonville in den Beeinträchtigungsbegriff der neuen Drei-Stufen-Formel unten Rn. 135. 462 EuGH 11. 7. 1974 – 8/74 – Slg. 1974, 837 Tz. 5 – Dassonville. Siehe auch bereits Art. 3 der Richtlinie 70/50/EWG der Kommission vom 22. Dezember 1969, gestützt auf die Vorschriften des Artikels 33 Absatz 7 über die Beseitigung von Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen, die nicht unter andere auf Grund des EWG-Vertrags erlassene Vorschriften fallen, ABl. L 13 vom 19. 1. 1970, S. 29: „Diese Richtlinie betrifft weiterhin die Maßnahmen über die Vermarktung von Waren, insbesondere betreffend die Form, die Ausmaße, das Gewicht, die Zusammensetzung, die Aufmachung, die Identifizierung, die Aufbereitung, welche unterschiedslos auf inländische und eingeführte Maßnahmen anwendbar sind und deren beschränkende Wirkungen auf den Warenverkehr den Rahmen der solchen Handelsregelungen eigentümlichen Wirkungen überschreiten. Dies ist insbesondere der Fall, – wenn die den freien Warenverkehr beschränkende Wirkung außer Verhältnis zu dem angestrebten Ziel steht; – wenn das gleiche Ziel durch ein anderes Mittel erreicht werden kann, das den Warenaustauch am wenigsten behindert“. 463 EuGH 20. 2. 1979 – 120/78 – Slg. 1979, 649 Tz. 8 – Rewe Zentral, „Cassis de Dijon“: „Hemmnisse für den Binnenhandel der Gemeinschaft, die sich aus den Unterschieden der nationalen Regelungen über die Vermarktung dieser Erzeugnisse ergeben, [müssen nur dann] hingenommen werden, soweit diese Bestimmungen notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden“; siehe auch Sack EWS 2011, 265, 266 Fn. 8 und 9 m. w. N. Die ebenfalls mit Cassis de Dijon verbundene Erweiterung der geschriebenen Rechtfertigungstatbestände des Art. 36 AEUV um die ungeschriebenen „zwingenden Erfordernisse“ des Allgemeinwohls wird hier als Frage der Rechtfertigung, nicht des Vorliegens eines „Maßnahme gleicher Wirkung“ verstanden, so auch EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 58 f. – Kommission/Italien m. w. N.: „stellt … eine Maßnahme mit gleicher Wirkung … dar“, „kann durch einen der in Art. 30 EG aufgezählten Gründe des Gemeinwohls oder zwingende Erfordernisse gerechtfertigt sein“. 464 EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 34 – Kommission/Italien; grundlegend EuGH 20. 2. 1979 – 120/78 – Slg. 1979, 649 Tz. 14 – Rewe Zentral, „Cassis de Dijon“: Es gebe „keinen stichhaltigen Grund dafür, zu verhindern, dass in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellte und in Verkehr gebrachte alkoholische Getränke in die anderen Mitgliedstaaten eingeführt werden“; siehe auch die Mitteilung der Kommission über die Auswirkungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 120/78 („Cassis de Dijon“), ABl. 1980 Nr. C 256/2 und das Weißbuch Vollendung des Binnenmarkts, KOM (85) 310 S. 6, 19 Rn. 13, 65. Zur Umsetzung bei technischen Vorschriften Verordnung (EG) Nr. 764/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 zur Festlegung von Verfahren im Zusammenhang mit der Anwendung bestimmter nationaler technischer Vorschriften für Produkte, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden sind, und zur Aufhebung der Entscheidung Nr. 3052/95/EG, ABl. L 218 vom 13. 8. 2008, S. 21.

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III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten

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gliedstaaten, die dazu führen, dass im Ursprungsstaat rechtmäßig hergestellte und in Verkehr gebrachte Waren im Zielstaat bestimmten Vorschriften entsprechen müssen, wurden nunmehr als Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen angesehen, selbst wenn diese Vorschriften unterschiedslos für in- wie ausländische Erzeugnisse galten.465 Art. 34 AEUV fiel damit generell die Aufgabe zu, den „Erzeugnissen aus der Gemeinschaft einen freien Zugang zu den nationalen Märkten zu gewährleisten“.466 Bereits nach dem Wortlaut des Art. 34 AEUV („Maßnahme gleicher Wirkung“) setzt die Be- 107 einträchtigung der Warenverkehrsfreiheit nicht voraus, dass eine mitgliedstaatliche Maßnahme auf eine Beschränkung der Einfuhren abzielt467 oder einen besonderen Handelsbezug aufweist.468 Ebenso wenig ist es zur Feststellung einer Maßnahme gleicher Wirkung erforderlich, einen Rückgang der Einfuhren konkret nachzuweisen („potentiell zu behindern“).469 Infolge des weiten Beeinträchtigungsbegriffs gerieten auch lauterkeitsrechtliche Normen in den Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit, wobei sich ein konkreter Änderungsbedarf für das deutsche Recht erst zu Beginn der neunziger Jahre abzeichnete.470 Während der EuGH den Begriff der Maßnahme gleicher Wirkung bei den Einfuhrbeschrän- 108 kungen (Art. 34 AEUV) sehr früh zu einem allgemeinen Beschränkungsverbot ausbaute, wurde der Parallelbegriff bei den Ausfuhrbeschränkungen (Art. 35 AEUV471) lange Zeit als reines Diskriminierungsverbot verstanden.472 Nach der Groenveld-Formel sollte Art. 35 AEUV nur Maß465 EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 35 – Kommission/Italien. 466 EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 34 – Kommission/Italien; siehe bereits EuGH 14. 7. 1983 – 174/82 – Slg. 1983, 2445 Tz. 26 – Sandoz: „Das mit dem freien Warenverkehr verfolgte Ziel besteht gerade darin, für die Erzeugnisse der verschiedenen Mitgliedstaaten den Zugang zu Märkten zu gewährleisten, auf denen sie vorher nicht erhältlich waren“. 467 EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 37 – Kommission/Italien: „bezweckt oder bewirkt wird, Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten weniger günstig zu behandeln“ (Hervorhebung nicht im Original); siehe auch EuGH 11. 7. 1985 – 60/84 und 61/84 – Slg. 1985, 2605 Tz. 21 – Cinéthéque. 468 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Leible/T. Streinz Art. 34 AEUV Rn. 64. 469 EuGH (Große Kammer) 14. 12. 2004 – C-463/01 – Slg. 2004, I-11705 Tz. 65 – Kommission/Deutschland (Maßnahme gleicher Wirkung trotz Ansteigens der Einfuhren); ähnlich EuGH 8. 3. 2001 – C-405/98 – Slg. 2001, I-7195 Tz. 22 – Gourmet (Anstieg ausländischer Einfuhren hätte ohne Maßnahme noch größer sein können); anschaulich auch EuGH 22. 10. 1998 – C-184/96 – Slg. 1998, I-6197 Tz. 17 – Kommission/Frankreich (nicht ein einziger konkreter Fall mit Bezug zu einem anderen Mitgliedstaat muss eingetreten sein). Wird der Nachweis geführt, spricht dies allerdings für eine Maßnahme gleicher Wirkung, EuGH 26. 10. 2006 – C-65/05 – Slg. 2006, I-10341 Tz. 30 – Kommission/Griechenland. 470 Insbesondere mit EuGH 7. 3. 1990 – 362/88 – Slg. 1990, I-667 Tz. 8, 13 ff. – GB-INNO-BM (Werbung mit Verkaufsangeboten zu herabgesetzten Preisen und unter Hinweis auf die Dauer des Angebots sowie auf die früheren Preise) und EuGH 18. 5. 1993 – C-126/91 – Slg. 1993, I-2361 Tz. 9 ff., 22 – Yves Rocher (Verbot der Werbung mit Eigenpreisvergleichen); zu produktbezogenen Maßnahmen auch bereits EuGH 13. 12. 1990 – C-238/89 – Slg. 1990, I-4827 Tz. 13, 15 ff. – Pall; zu diskriminierenden Maßnahmen bereits EuGH 6. 11. 1984 – 177/83 – Slg. 1984, 3651 Tz. 15 ff. – Kohl. Die früheren Entscheidungen EuGH 10. 7. 1980 – 152/78 – Slg. 1980, 2299 Tz. 11, 17 f. – Kommission/Frankreich (Werbeverbot für Alkohol gerechtfertigt sofern nichtdiskriminierend); EuGH 2. 3. 1982 – 6/81 – Slg. 1982, 707 Tz. 7, 9 ff. – Beele (Verbot der sklavischen Nachahmung zwar Maßnahme gleicher Wirkung, aber gerechtfertigt); EuGH 15. 12. 1982 – 286/81 – Slg. 1982, 4575 Tz. 15 ff. – Oosthoek (Zugabenverbot zwar Maßnahme gleicher Wirkung, aber gerechtfertigt); EuGH 13. 3. 1984 – 16/83 – Slg. 1984, 1299 Tz. 22 ff. – Prantl (Verwendung von Bocksbeutelflaschen Maßnahme gleicher Wirkung und nicht gerechtfertigt, ebenso bereits BGH 26. 1. 1979 – I ZR 112/78 – GRUR 1979, 415, 416 – Cantil-Flasche: „Rest von Täuschungsgefahr … hinzunehmen“) und EuGH 16. 5. 1989 – 382/87 – Slg. 1989, 1235 Tz. 9, 13 ff. – Buet (Verbot des Haustürverkaufs für pädagogisches Material zwar Maßnahme gleicher Wirkung, aber gerechtfertigt) billigten entweder die nationale Regelung oder hatten auf das deutsche Recht keinen Einfluss. 471 Sofern nicht die Waren Gegenstand einer gemeinsamen Marktordnung nach Art. 40 AEUV waren, wo auch bei Ausfuhrbeschränkungen die Dassonville-Formel galt, EuGH 26. 2. 1980 – 94/79 – Slg. 1980, 327 Tz. 8 – Vriend; EuGH 15. 4. 1997 – C-272/95 – Slg. 1997, I-1905 Tz. 24 – Deutsches Milch-Kontor; EuGH 3. 3. 2011 – C-161/09 – Slg. 2011, I915 Tz. 27 – Kakavetsos-Frakopoulos. 472 EuGH 7. 2. 1984 – 237/82 – Slg. 1984, 483 Tz. 22 – Jongeneel Kaas; EuGH 24. 3. 1994 – C-80/92 – Slg. 1994, I1019 Tz. 24 f. – Kommission/Belgien.

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nahmen erfassen, „die spezifische Beschränkungen der Ausfuhrströme bezwecken oder bewirken und damit unterschiedliche Bedingungen für den Binnenhandel eines Mitgliedstaats und für seinen Außenhandel schaffen, so dass die nationale Produktion oder der Binnenmarkt des betroffenen Staates zum Nachteil der Produktion oder des Handels anderer Mitgliedstaaten einen besonderen Vorteil erlangt“.473 In jüngerer Zeit deutet sich allerdings an, dass der EuGH auch den Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung in Art. 35 AEUV in Richtung eines Beschränkungsverbots zu öffnen sucht.474 Aufgrund dieser Anzeichen für eine Parallelisierung von Art. 34 und Art. 35 AEUV und der erheblich geringeren Bedeutung von Ausfuhrbeschränkungen für das Lauterkeitsrecht konzentriert sich die folgende Darstellung auf den Begriff der Maßnahme gleicher Wirkung in Art. 34 AEUV.475

109 b) Grenzen der Dassonville-Formel. Infolge der Ausweitung des Beeinträchtigungsbegriffs durch die weite Dassonville-Formel entstand ein Bedürfnis, den Begriff der Maßnahme gleicher Wirkung zu begrenzen, um nicht jede nationale Handelsbeschränkung durch ein „zwingendes Erfordernis“ oder ein Schutzgut des Art. 36 AEUV rechtfertigen zu müssen.476 Diese Bemühungen mündeten in zwei Rechtsprechungsstränge, die bis heute die tatbestandlichen Grenzen des Art. 34 AEUV markieren. Zum einen darf die Handelsbehinderung „nicht zu ungewiss und zu mittelbar“ sein (Relevanzregel) (unten Rn. 110 ff.), zum anderen werden bestimmte Verkaufsmodalitäten nicht als geeignet angesehen, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu behindern (Keck-Rechtsprechung) (unten Rn. 113 ff.). In jüngerer Zeit hat der Gerichtshof eine zusammenfassende Drei-Stufen-Formel zur Definition der Maßnahmen gleicher Wirkung entwickelt (unten Rn. 124 ff.), die die bisherigen (fortgeltenden) Beschränkungen durch die Relevanzregel (Rn. 136) und die Keck-Rechtsprechung (Rn. 137 ff.) aufnimmt.477

110 aa) Handelsbehinderung zu ungewiss und zu mittelbar (Relevanzregel). Eine erste Begrenzung des Art. 34 AEUV setzt am Kausalzusammenhang zwischen mitgliedstaatlicher Maß-

473 EuGH 8. 11. 1979 – 15/79 – Slg. 1979, 3409 Tz. 7 – Groenveld. 474 EuGH (Große Kammer) 16. 12. 2008 – C-205/07 – Slg. 2008, I-9947 Tz. 43 f. – Gysbrecht: ein unterschiedslos für alle Wirtschaftsteilnehmer geltendes Verbot, beim Fernabsatz vor Ablauf der Rücktrittsfrist eine Anzahlung zu verlangen, betreffe „tatsächlich“ die Ausfuhren „stärker als den Absatz der Waren auf dem inländischen Markt“ und stelle deshalb eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Ausfuhrbeschränkung dar. Dies wird als Annäherung an die Dassonville-Formel gedeutet, Brigola EuZW 2009, 479, 482; Safari ZEuP 2011, 706, 712, 719. Ebenso EuGH 21. 6. 2016 – C-15/15 – EuZW 2016, 717 Tz. 46 f. – New Valmar. Ausführlich Reyes y Ráfales Die Warenausfuhrfreiheit: Ein Beschränkungsverbot (2017). 475 Im Anwendungsbereich des Art. 35 AEUV ist aus lauterkeitsrechtlicher Perspektive vor allem die Rechtsprechung zur Bindung der Verwendung einer geographischen Herkunftsangabe an Bedingungen erwähnenswert, die das Erzeugungsgebiet betreffen, EuGH 3. 3. 2011 – C-161/09 – Slg. 2011, I-915 Tz. 30 – Kakavetsos-Frakopoulos: „Bindung der Verwendung einer […] g.U. [geographischen Ursprungsangabe] an Bedingungen, die das Erzeugungsgebiet betreffen, [stellt] ebenfalls eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung im Sinne von Art. 29 EG [Art. 35 EUV]“ dar. Diese Maßnahme kann allerdings zum Schutz der Rechte an geographischen Ursprungsangaben als „Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums“ (Art. 36 AEUV) gerechtfertigt sein, EuGH 20. 3. 2003 – C-108/01 – Slg. 2003, I-5121 Tz. 62 ff. – Consorzio del Prosciutto di Parma; EuGH 3. 3. 2011 – C-161/09 – Slg. 2011, I-915 Tz. 37 ff. – Kakavetsos-Frakopoulos. Zum abschließenden Charakter der VO 510/2006 [nunmehr ersetzt durch die VO 1151/2012] EuGH (Große Kammer) 8. 9. 2009 – C-478/07 – Slg. 2009, I-7721 Tz. 129 – Budějovický Budvar. 476 Überblick über die Rechtsprechung bis 1993 in den Schlussanträgen des Generalanwalts Tesauro vom 27. 10. 1993 – C-292/92 – Slg. 1993- I-6800 Tz. 12 ff. – Hünermund. 477 Ob die neue Drei-Stufen-Formel die alten Begrenzungen aufnimmt, überwindet oder sie neben ihr fortbestehen, ist streitig, siehe die Nachweise bei Rn. 136, 137–139. Ausführliche Darstellung der Beschränkungsbestrebungen bei Holst Die Warenverkehrsfreiheit zwischen unbeschränktem Marktzugang und mitgliedstaatlicher Autonomie (2017) S. 39 ff.

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III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten

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nahme und Handelsbehinderung an.478 Seit den achtziger Jahren finden sich Entscheidungen des Gerichtshofs, in denen er bestimmten Maßnahmen eine Eignung zur Handelsbehinderung abspricht, weil die restriktiven Wirkungen auf den freien Warenverkehr „zu ungewiss und zu mittelbar“ sind, als dass die Maßnahme „als geeignet angesehen werden könnte, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu behindern“.479 Diese Fallgruppe wurde zuweilen als Widerspruch zur Dassonville-Formel angesehen, weil Dassonville ausdrücklich auch potentielle (ungewisse) und mittelbare Handelsbehinderungen als Maßnahme gleicher Wirkung qualifiziert.480 Wenn man die Dassonville-Formel indes nicht uferlos weit verstehen will, so lässt sich die Relevanzformel durchaus als ihr Gegenstück begreifen, indem sie schlichtweg diejenigen Maßnahmen umschreibt, bei denen der Kausalzusammenhang so hypothetisch und konstruiert ist,481 dass er selbst den weiten Kriterien von Dassonville nicht mehr genügt.482 Die Relevanzformel ist nicht im Sinne eines quantitativen Spürbarkeitserfordernisses zu verstehen (unten Rn. 112),483 sondern kommt dort zum Tragen, wo eine mitgliedstaatliche Regelung so weit vom Einfuhrund Absatzgeschäft entfernt oder ihm nachgelagert ist, dass die Marktteilnehmer sie nicht in die Entscheidung über den Warenimport oder den Erwerb von Importware einstellen werden.484 Sie findet sich auch bei anderen Grundfreiheiten.485 Die Relevanzformel kommt insbesondere bei den Regeln des allgemeinen Zivil- (z. B. Vertrags- 111 und Sachenrechts) und Zivilprozessrechts der Mitgliedstaaten zur Anwendung. Beispiele sind etwa die aus culpa in contrahendo begründete vorvertragliche Aufklärungspflicht im Vertragsrecht,486 die Regeln über ein Pfandrecht des Fiskus an unter Eigentumsvorbehalt stehender Importware,487

478 Vgl. die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 17. 7. 2008 – C-205/07 – Slg. 2008, I-9947 Tz. 56 – Gysbrechts (zu Art. 35 AEUV): „Bei dem genannten Kriterium handelt es sich wohlgemerkt um den Kausalzusammenhang zwischen der Maßnahme und der Ausfuhrbeschränkung, nicht aber um die Frage der Intensität der Ausfuhrbeschränkung“. 479 EuGH 13. 10. 1993 – C-93/92 – Slg. 1993, I-5009 Tz. 12 – CMC Motorradcenter; zuvor bereits EuGH 25. 11. 1986 – 148/85 – Slg. 1986, 3449 Tz. 19 – Forest; EuGH 7. 3. 1990 – C-69/88 – Slg. 1990, I-583 Tz. 11 – Krantz; EuGH 7. 4. 2011 – C-291/09 – Slg. 2011, I-2685 Tz. 17 – Guarnieri; kritisch Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 14. 12. 2006 – C-142/05 – Slg. 2009, I-4273 Tz. 46 – Mickelsson und Roos: Kriterien schwer zu konkretisieren und der Rechtssicherheit abträglich; siehe auch EuGH 24. 1. 1991 – C-339/89 – Slg. 1991, I-107 Tz. 14 f. – Alsthom Atlantique (allerdings zu Maßnahmen gleicher Wirkung wie Ausfuhrbeschränkungen, Art. 35 AEUV). 480 MünchKomm/Heermann Art. 34 AEUV Rn. 97. 481 Calliess/Ruffert/Kingreen Art. 34–36 AEUV Rn. 55; Streinz/Schroeder Art. 34 AEUV Rn. 71. 482 Treffend Oliver Fordham International Law Journal 33 (2011) 1423, 1430 f., 1469: „rule of remoteness“, „part and parcel of the Dassonville formula“. 483 So aber Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 11. 7. 2002 – C-112/00 – Slg. 2003, I-5659 Tz. 65 – Schmidberger; in diese Richtung auch EuGH (Große Kammer) 21. 7. 2005 – C-231/03 – Slg. 2005, I-7287 Tz. 20 – Coname (zur Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit). 484 Die zuweilen in diesem Zusammenhang ebenfalls zitierte Entscheidung EuGH 25. 5. 2005 – C-20/03 – Slg. 2005, I-4133 Tz. 31 („zu unbedeutend und zufällig“) – Burmanjer zum ambulanten Verkauf von Abonnements ist m. E. eher der Keck-Ausnahme zuzuordnen. 485 EuGH – C-190/98 – Slg. 2000, I-493 Tz. 24 f. – Graf (Ausschluss der Abfindung bei eigener Kündigung des Arbeitnehmers keine Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit); EuGH (Große Kammer) 15. 10. 2010 – C-211/ 08 – Slg. 2010, I-5267 Tz. 72 – Kommission/Spanien (zur Dienstleistungsfreiheit). 486 EuGH 13. 10. 1993 – C-93/92 – Slg. 1993, I-5009 Tz. 12 – CMC Motorradcenter: „Demnach sind die restriktiven Wirkungen, die von der [vorvertraglichen] Aufklärungspflicht auf den freien Warenverkehr ausgehen könnten, zu ungewiß und zu mittelbar, als daß diese Verpflichtung als geeignet angesehen werden könnte, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu behindern“. 487 EuGH 7. 3. 1990 – C-69/88 – Slg. 1990, I-583 Tz. 11 – Krantz: „daß Bürger anderer Mitgliedstaaten zögern würden, Sachen an Käufer in dem betreffenden Mitgliedstaat auf Raten zu verkaufen, weil die Gefahr bestünde, daß diese Sachen vom Steuereinnehmer gepfändet würden, wenn die Käufer ihre niederländischen Steuerschulden nicht beglichen, ist weiter so ungewiß und von nur mittelbarer Bedeutung, daß eine nationale Bestimmung, die eine solche Pfändung zulässt, nicht als geeignet angesehen werden kann, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu behindern“.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

die Prozesskostensicherheit für Ausländer,488 die fehlende Möglichkeit eines Mahnverfahrens gegen im Ausland ansässige Schuldner,489 das Erfordernis einer Übersetzung von Patentschriften,490 die Kontingentierung der Mehlerzeugung,491 die Erlaubnispflicht bei Eröffnung von Einzelhandelsgeschäften,492 die staatliche Festsetzung der Tarife im Güterkraftverkehr,493 die Regeln zur Entsorgung von chemischen Substanzen,494 die Verpflichtung von Mineralölgroßhändlern zur Versorgung bestimmter Inseln495 und die Pflicht zur Inanspruchnahme örtlicher Festmacherdienste in Häfen.496 Die Relevanzformel ist allerdings nicht im Sinne eines an die Intensität, die Wesentlichkeit 112 oder den Umfang der Handelsbehinderung anknüpfenden Spürbarkeitserfordernisses zu verstehen.497 Nach diesem immer wieder vorgeschlagenen Kriterium soll eine Beeinträchtigung der Warenverkehrsfreiheit (bei nicht-diskriminierenden) Maßnahmen nur dann bejaht werden, wenn sie den Absatz von Importware wesentlich oder spürbar beeinträchtigen.498 Demgegenüber hat der EuGH quantitative Anforderungen an den Umfang der Beeinträchtigung i.S.e. Wesentlichkeit oder Spürbarkeit stets zurückgewiesen.499 Die Skepsis erscheint berechtigt, weil ein Spürbarkeitserfordernis im Recht des Warenverkehrs viel schwieriger zu konkretisieren ist als bei Art. 101 AEUV, wo auf Marktanteile und Umsatzzahlen zurückgegriffen werden kann.500 Zudem soll Art. 34 AEUV ja gerade den erstmaligen Marktzutritt für ausländische Anbieter eröffnen, so dass über die Spürbarkeit einer Beeinträchtigung zu einem Zeitpunkt zu entscheiden wäre, zu dem die quantitativen Wirkungen kaum zuverlässig beurteilt werden können.

113 bb) Bestimmte Verkaufsmodalitäten (Keck). Eine zweite Ausnahme zu Dassonville betrifft Verkaufsmodalitäten. Auch hier zeichnete sich seit den achtziger Jahren ab, dass der EuGH manche vertriebsbezogene Regelungen nicht als Maßnahme gleicher Wirkung ansehen wollte.501 In der Rechtssache Keck rationalisierte der Gerichtshof diese Zurückhaltung durch eine 488 EuGH 7. 4. 2011 – C-291/09 – Slg. 2011, I-2685 Tz. 17 – Guarnieri. Diskriminierende Vorschriften des Prozessrechts sind allerdings unabhängig von Art. 34 AEUV bereits durch das allgemeine Verbot einer Diskriminierung anhand der Staatsangehörigkeit (Art. 18 AEUV) untersagt, Heinze JZ 2011, 709, 712. 489 EuGH 22. 6. 1999 – 412/97 – Slg. 1999, I-3845 Tz. 11 – ED (allerdings zum engeren Art. 35 AEUV). Ein entsprechendes Mahnverfahren ist inzwischen durch die Verordnung Nr. 1896/2006 eingeführt worden. 490 EuGH 21. 9. 1999 – C-44/98 – Slg. 1999, I-6269 Tz. 21 – BASF. 491 EuGH 25. 11. 1986 – 148/85 – Slg. 1986, 3449 Tz. 19 – Forest. 492 EuGH 17. 10. 1995 – C-140/94, C-141/94 und C-142/94 – Slg. 1995, I-3257 Tz. 29 – DIP. 493 EuGH 5. 10. 1995 – C-96/94 – Slg. 1995, I-2883 Tz. 41 – Centro Servizi Spediporto. 494 EuGH 14. 7. 1994 – C-379/92 – Slg. 1994, I-3453 Tz. 24 – Peralta. 495 EuGH 30. 11. 1995 – C-134/94 – Slg. 1995, I-4223 Tz. 24 – Esso Española. 496 EuGH 18. 6. 1998 – C-266/96 – Slg. 1998, I-3949 Tz. 22 – Corsica Ferries. 497 Siehe nur EuGH 18. 5. 1993 – C-126/91 – Slg. 1993, I-2361 Tz. 21 – Yves Rocher. 498 Jüngst erneut Barnard The Substantive Law of the EU, 5. Aufl. (2016), S. 105 f., 140 f. unter Hinweis auf EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 56 – Kommission/Italien; Sack EWS 2011, 265, 279; bereits ders. EWS 1994, 37, 40 f., 45; ferner Schlussanträge des Generalanwalts Darmon vom 12. 12. 1989 – C-69/88 – Slg. 1990, I-583 Tz. 11 – Krantz; Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 24. 11. 1994 – C-412/93 – Slg. 1995, I-179 Tz. 41 f., 49 – Leclerc-Siplec. 499 EuGH 13. 3. 1984 – 16/83 – Slg. 1984, 1299 Tz. 20 – Prantl; EuGH 5. 4. 1984 – 177/82 und 178/82 – Slg. 1984, 7197 Tz. 13 – van de Haar; EuGH 18. 5. 1993 – C-126/91 – Slg. 1993, I-2361 Tz. 21 – Yves Rocher; EuGH 3. 12. 1998 – C67/97 – Slg. 1998, I-8033 Tz. 9, 19 f. – Bluhme (Art. 34 AEUV beeinträchtigt, obwohl die Beschränkung nur eine dänische Insel mit 2365 Einwohnern betrifft); EuGH 11. 9. 2008 – C-141/07 – Slg. 2008, I-6935 Tz. 43 – Kommission/ Deutschland; ebenso MünchKomm/Heermann Art. 34 AEUV Rn. 100. 500 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Leible/T. Streinz Art. 34 AEUV Rn. 67; Streinz/Schroeder Art. 34 AEUV Rn. 70. 501 Siehe etwa EuGH 14. 7. 1981 – 155/80 – Slg. 1981, 1993 Tz. 20 – Oebel (Verbot der Abgabe von Backwaren zur Nachtzeit an Endverbraucher und den Einzelhandel „kann keine Beschränkung der Einfuhr oder Ausfuhr zwischen den Mitgliedstaaten bewirken); EuGH 31. 3. 1982 – 75/81 – Slg. 1982, 1211 Tz. 8 f. – Blesgen („beschränkende Wirkung“ eines Verbots des Verkaufs hochprozentiger Alkoholika auf öffentlichen Plätzen überschreitet nicht „den Rahmen der solchen Handelsregelungen eigentümlichen Wirkungen“); EuGH 23. 11. 1989 – C-145/88 – Slg. 1989,

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III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten

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allgemeine Unterscheidung zwischen produktbezogenen Regeln und bestimmten502 Verkaufsmodalitäten. Bei der Anwendung der Keck-Doktrin ist allerdings zu berücksichtigen, dass der EuGH den Begriff der Maßnahme gleicher Wirkung seit 2009 durch eine neue Drei-StufenFormel umschreibt, die auch die Elemente der Keck-Doktrin neu justiert, insbesondere den Fokus vom formalen Kriterium der Verkaufsmodalität zu den materiellen Wirkungen der Maßnahme für den Marktzugang verschiebt (unten Rn. 124).503

(1) Produktbezogene Regeln. Für produktbezogene Regeln, also Vorschriften für Waren 114 „hinsichtlich ihrer Bezeichnung, ihrer Form, ihrer Abmessungen, ihres Gewichts, ihrer Zusammensetzung, ihrer Aufmachung, ihrer Etikettierung und ihrer Verpackung“,504 bestätigte der EuGH in Keck zunächst die bereits aus Cassis de Dijon505 bekannte Formel: „Hemmnisse für den freien Warenverkehr, die sich in Ermangelung einer Harmonisierung der Rechtsvorschriften daraus ergeben, dass Waren aus anderen Mitgliedstaaten, die dort rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden sind, bestimmten Vorschriften entsprechen müssen (wie etwa hinsichtlich ihrer Bezeichnung, ihrer Form, ihrer Aufmachung, ihrer Etikettierung und ihrer Verpackung), [stellen] selbst dann, wenn diese unterschiedslos für alle Erzeugnisse gelten, nach Artikel 30 EWG-Vertrag [Art. 34 AEUV] verbotene Maßnahmen gleicher Wirkung dar“.506 Auch nach aktueller Rechtsprechung stellen produktbezogene Regeln eine per se rechtfertigungsbedürftige Maßnahme gleicher Wirkung dar (Kategorie 2 der neuen Formel) (Rn. 131 ff.).

(2) Bestimmte Verkaufsmodalitäten. Im Unterschied zu produktbezogenen Regeln sind 115 nach Keck nationale Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, nicht geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, „sofern diese Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren“.507 3851 Tz. 14 – Torfaen (innerstaatliche Regelung der Verkaufszeiten im Einzelhandel „nicht dazu bestimmt, die Handelsströme zwischen den Mitgliedstaaten zu regeln“); EuGH 11. 7. 1990 – C-23/89 – Slg. 1990, I-3059 Tz. 11 – Quietlynn und EuGH 7. 5. 1991 – C-350/89 – Slg. 1991, I-2389 (Verbote des Verkaufs nicht verbotener Sexartikel in Sexshops bzw. im Versandhandel ohne Konzession „stehen in Wirklichkeit in keinem Zusammenhang mit dem innergemeinschaftlichen Handelsverkehr, da die Erzeugnisse, für die dieses Gesetz gilt, in Ladengeschäften“ mit Konzession „und über andere Vertriebswege abgesetzt werden können“). Siehe auch die Analyse der Entscheidungen in den Schlussanträgen des Generalanwalts Tesauro vom 27. 10. 1993 – C-292/92 – Slg. 1993, I-6800 Tz. 12 ff. – Hünermund und den Schlussanträgen des Generalanwalts van Gerven vom 18. 11. 1992 – C-267/91 und C-268/91 – Slg. 1994, I6097 Tz. 5 Fn. 9 – Keck und Mithouard. 502 Das Adjektiv „bestimmt“ wird zuweilen genutzt, um zu unterstreichen, dass „sonstige Verkaufsmodalitäten“, die nicht den Kriterien rechtlicher und tatsächlicher Neutralität genügen, nicht unter die Keck-Formel fallen, vgl. MünchKomm/Heermann Art. 34 AEUV Rn. 116. 503 Aufgrund der Unsicherheiten über die Konsequenzen der neuen Formel für die Keck-Doktrin (dazu unten Rn. 137 ff.) wird hier im Interesse der Übersichtlichkeit für die mit der traditionellen Lesart vertrauten Leser an einer eigenen Darstellung der Keck-Doktrin festgehalten, auch wenn sie nach hier zugrunde gelegtem Verständnis in der neuen Formel aufgeht. 504 EuGH 24. 11. 1993 – C-267/91 und C-268/91 – Slg. 1993, I-6097 Tz. 15 – Keck und Mithouard. 505 EuGH 20. 2. 1979 – 120/78 – Slg. 1979, 649 Tz. 8 – Rewe Zentral, „Cassis de Dijon“. 506 EuGH 24. 11. 1993 – C-267/91 und C-268/91 – Slg. 1993, I-6097 Tz. 15 – Keck und Mithouard. 507 EuGH 24. 11. 1993 – C-267/91 und C-268/91 – Slg. 1993, I-6097 Tz. 16 – Keck und Mithouard; EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 36 – Kommission/Italien; siehe bereits White CMLR 26 (1989) 235, 246 f.; ders. offenbar als Vertreter der Kommission im Verfahren C-145/88, siehe Schlussanträge des Generalanwalts van Gerven vom 29. 6. 1989 – C-145/88 – Slg. 1989, 3851 Tz. 13 – Torfaen.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

116 (a) Verkaufsmodalitäten. Der Begriff der Verkaufsmodalität508 bezeichnet alle nationalen Vorschriften über die zeitlichen, sachlichen und räumlichen Voraussetzungen, unter denen Waren verkauft werden dürfen.509 Dazu zählen Ladenschlusszeiten und Sonntagsverkaufsverbote,510 das Verbot des Vertriebs durch Haustürgeschäfte,511 im Versandhandel512 oder über das Internet,513 Regeln über den ambulanten Verkauf von Zeitschriftenabonnements,514 das Verbot des Verkaufs zum Verlustpreis515 oder mit äußerst niedrigen Gewinnspannen,516 Mindestverkaufspreise für Bücher,517 die Beschränkung des Vertriebs auf bestimmte Verkaufsstätten,518 das Erfordernis einer ortsfesten Betriebsstätte als Voraussetzung für das Feilbieten von Waren im Umherziehen519 oder das Prinzip, dass nur regionale Apotheken mit Krankenhäusern Arzneimittelversorgungsverträge abschließen dürfen.520 Auch das in Erwägungsgrund 7 der Richtlinie 2005/29/EG erwähnte Verbot des Ansprechens in der Öffentlichkeit ist als Verkaufsmodalität anzusehen. 117 Ebenfalls zu den Verkaufsmodalitäten zählen Werbeverbote und Werbebeschränkungen wie z. B. Beschränkungen der Fernsehwerbung,521 ein Werbeverbot für Apotheker außerhalb der Apotheke für apothekenübliche Waren,522 ein Verbot der Bewerbung als Konkursware523 oder

508 Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro vom 27. 10. 1993 – C-292/92 – Slg. 1993- I-6800 Tz. 20 – Hünermund: „allgemeine Maßnahmen, die die Modalitäten der Ausübung der Handelstätigkeit zum Gegenstand haben und somit nur in mittelbarem Zusammenhang mit den Einfuhren stehen“; zum Begriff MünchKomm/Heermann Art. 34 AEUV Rn. 115. 509 EuGH 2. 6. 1994 – C-401/92 und C-402/92 – Slg. 1994, I-2199 Tz. 14 – Tankstation. Zu den Entscheidungen bis 2006 siehe auch die Auflistung bei MünchKomm/Heermann Art. 34 AEUV Rn. 174 ff.; MünchKomm/Heermann 1. Aufl. 2006, EG B Art. 28 EG Rn. 270 ff. 510 EuGH 2. 6. 1994 – C-401/92 und C-402/92 – Slg. 1994, I-2199 Tz. 14 – Tankstation; EuGH 2. 6. 1994 – C-69/93 und C-258/93 – Slg. 1994, I-2355 Tz. 13 – Punto Casa; EuGH 20. 6. 1996 – C-418/93 – Slg. 1996, I-2975 Tz. 24 – Semeraro Casa Uno; EuGH 8. 5. 2014 – C-483/12 – BeckRS 2014, 80830 Tz. 24 – Pelckmans; siehe auch EuGH 1. 7. 2010 – C393/08 – Slg. 2010, I-6333 Tz. 32, 35 – Sbarigia: bereits Eignung zur Handelsbehinderung verneint. 511 EuGH 23. 2. 2006 – C-441/04 – Slg. 2006, I-2093 Tz. 17 – A-Punkt Schmuckhandel. 512 EuGH 2. 12. 2010 – C-108/09 – Slg. 2010, I-12213 Tz. 51 – Ker-Optika. 513 EuGH 11. 12. 2003 – C-322/01 – Slg. 2003, I-14887 Tz. 68 f. – Deutscher Apothekerverband. 514 EuGH 26. 5. 2005 – C-20/03 – Slg. 2005, I-4133 Tz. 26 – Burmanjer. 515 EuGH 24. 11. 1993 – C-267/91 und C-268/91 – Slg. 1993, I-6097 Tz. 18 – Keck und Mithouard. 516 EuGH 11. 8. 1995 – C-63/94 – Slg. 1995, I-2467 Tz. 13 – Belgapom. 517 EuGH 30. 4. 2009 – C-531/07 – Slg. 2009, I-3717 Tz. 20 – LIBRO; siehe auch EuGH (Große Kammer) 29. 3. 2011 – C-565/08 – Slg. 2011, I-2101 Tz. 49 ff., 53 – Kommission/Italien zu Maximalgebühren für anwaltliche Dienstleistungen; zu Mindestpreisen für Treibstoff vor Keck EuGH 29. 1. 1985 – 231/83 – Slg. 1985, 305 Tz. 29 – Cullet/Leclerc. Demgegenüber hat EuGH (Große Kammer) 5. 12. 2006 – C-94/04 und C-202/04 – Slg. 2006, I-I-11421 Tz. 58 ff. – Cipolla bei anwaltlichen Mindestgebühren eine Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit unter dem Gesichtspunkt der Marktzugangsbehinderung für ausländische Anbieter bejaht; ebenso EuGH 23. 12. 2015 – C-333/14 – EuZW 2016, 230 Tz. 32 – Scotch Whisky Association: Maßnahme gleicher Wirkung, wenn Mindestpreis verhindert, dass sich „niedrigere Gestehungskosten eingeführter Erzeugnisse im Endverkaufspreis niederschlagen können“. 518 EuGH 14. 12. 1995 – C-387/93 – Slg. 1995, I-4663 Tz. 35 f. – Banchero (Beschränkung des Tabakhandels auf zugelassene Vertriebshändler); EuGH 29. 6. 1995 – C-391/92 – Slg. 1995, I-1621 Tz. 14 f. – Kommission/Griechenland (Verbot des Vertriebs von Säuglingsmilch außerhalb von Apotheken). 519 EuGH 13. 1. 2000 – C-254/98 – Slg. 2000, I-151 Tz. 24 – TK-Heimdienst. 520 EuGH 11. 9. 2008 – C-141/076 – Slg. 2008, I-6935 Tz. 30 f. – Kommission/Deutschland. 521 EuGH 9. 2. 1995 – C-412/93 – Slg. 1995, I-179 Tz. 22 – Leclerc-Siplec: Einschränkung der Fernsehwerbung betrifft „Verkaufsmodalitäten insoweit, als sie eine bestimmte Form der Förderung (Fernsehwerbung) einer bestimmten Methode des Absatzes (Vertrieb) von Erzeugnissen verbietet“; EuGH 9. 7. 1997 – C-34/95, C-35/95 und C-36/95 – Slg. 1997, I-3843 Tz. 39, 41 – de Agostini; EuGH 28. 10. 1999 – C-6/98 – Slg. 1999, I-7599 Tz. 45 f. – Pro Sieben Media. 522 EuGH 15. 12. 1993 – C- 292/92 – Slg. 1993, 6787 Tz. 22 f. – Hünermund; siehe auch EuGH 11. 5. 1999 – C-255/97 – Slg. 1999, I-2835 Tz. 20 f. – Pfeiffer zum Verbot einer europaweit einheitlichen Werbekonzeption zum Schutz vor Verwechslungen mit einer prioritätsälteren lokalen Geschäftsbezeichnung (gerechtfertigt nach Art. 36 AEUV). 523 EuGH 25. 3. 2004 – C-71/02 – Slg. 2004, I-3025 Tz. 30 – Karner.

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III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten

Einleitung

ein Verbot der Werbung für den Bezug im Inland nicht zugelassener Arzneimittel.524 Keine Verkaufsmodalität, sondern als Produktregelung per se eine Maßnahme gleicher Wirkung sind produktbezogene Werbebeschränkungen, die eine Umetikettierung des Produkts erforderlich machen, weil die Werbung mit der Ware selbst oder ihrer Verpackung verbunden ist.525

(b) Rechtliche Universalität und tatsächliche Neutralität. Neben dem Vorliegen einer Ver- 118 kaufsmodalität setzt die Keck-Doktrin zweitens voraus, dass die Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und dass sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren.526 Das Kriterium der rechtlichen Universalität („für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten“)527 hat in der Judikatur kaum Relevanz erlangt.528 Größere Bedeutung hat das Erfordernis tatsächlicher Neutralität („tatsächlich in der gleichen Weise berühren“). Es lässt sich am besten im Zusammenhang mit dem Nachsatz in Tz. 17 der Keck-Formel verstehen, dass (nur) bei rechtlich wie tatsächlich gleicher Berührung von inländischen wie ausländischen Erzeugnissen die Anwendung der Verkaufsmodalität auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten „nicht geeignet [ist], den Marktzugang für diese Erzeugnisse zu versperren oder stärker zu behindern, als sie dies für inländische Erzeugnisse tut“.529 Maßgeblich für die tatsächliche Neutralität ist damit das Fehlen einer Marktzugangsbehinderung für ausländische Produkte, so dass sich die Keck-Formel in die beiden Kriterien rechtliche Gleichbehandlung und Fehlen einer tatsächlichen Marktzugangsbehinderung für ausländische Erzeugnisse auflösen lässt.530 Zur Feststellung einer Marktzugangsbehinderung bedient sich der Gerichtshof nicht quanti- 119 tativer Methoden,531 sondern neigt einer normativen Beurteilung zu, die vor allem die besondere Position ausländischer Anbieter als neueintretende Marktteilnehmer berücksichtigt.532 Im Unterschied zu einheimischen Anbietern können ausländische Anbieter weder auf eine Vertrautheit der Verbraucher mit ihren Erzeugnissen aufbauen, noch steht ihnen ein etabliertes Vertriebssystem mit unterschiedlichen Vertriebswegen zur Verfügung. Neben dem Erfordernis 524 EuGH 10. 11. 1994 – C-320/93 – Slg. 1994, I-5243 Tz. 9 ff. – Ortscheit (konkret wurde das Vorliegen einer Maßnahme gleicher Wirkung bejaht, weil die Vorschrift – nach Auffassung des EuGH – nur Einfuhren betraf; dazu kritisch Sack EWS 2011, 265, 272); ebenso EuGH 8. 11. 2007 – C-143/06 – Slg. 2007, I-9623 Tz. 20 – Ludwigs-Apotheke. 525 EuGH 6. 7. 1995 – C-470/93 – Slg. 1995, I-1923 Tz. 13 – Mars. 526 EuGH 24. 11. 1993 – C-267/91 und C-268/91 – Slg. 1993, I-6097 Tz. 16 – Keck und Mithouard; EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 36 – Kommission/Italien. 527 Wiederholt im zweiten Teil der Keck-Formel („den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren“). Die Wiederholung wird als redundant angesehen, Oliver Fordham International Law Journal 33 (2011) 1423, 1443; Sack EWS 2011, 265, 276. 528 Dazu Schlussanträge des Generalanwalts van Gerven vom 16. 3. 1994 – C-401/92 und C-402/92 – Slg. 1994, I2199 Tz. 21 – Tankstation; siehe auch Schlussanträge des Generalanwalts van Gerven vom 23. 3. 1994 – C-69/93 und C-258/93 – Slg. 1994, I-2355 Tz. 9 – Punto Casa: Regelung muss „ihrer Zielsetzung und ihrem Wortlaut nach gleichermaßen auf inländische und eingeführte Erzeugnisse anwendbar sein“. 529 EuGH 24. 11. 1993 – C-267/91 und C-268/91 – Slg. 1993, I-6097 Tz. 17 – Keck und Mithouard. 530 MünchKomm/Glöckner Art. 56, 57, 59, 62 AEUV Rn. 50. Deutlicher als in Keck findet sich dies in EuGH 8. 3. 2001 – C-405/98 – Slg. 2001, I-1795 Tz. 17 – Gourmet International Products und in der neuen Formel, dazu unten Rn. 137 ff. 531 EuGH 29. 6. 1995 – C-391/92 – Slg. 1995, I-1621 Tz. 17 – Kommission/Griechenland: Statistischer Nachweis nicht erforderlich. Ebenso wenig ist erforderlich, dass die von der Beschränkung betroffene Importware überhaupt im Zielstaat hergestellt wird, EuGH 29. 6. 1995 – C-391/92 – Slg. 1995, I-1621 Tz. 17 – Kommission/Griechenland; kritisch Sack EWS 2011, 265, 274 (der dieses Problem allerdings durch das neue Kriterium der Marktzugangsbehinderung beseitigt sieht). 532 Nicht ausreichend ist eine allzu ungewisse und mittelbare Schlechterstellung ausländischer Anbieter, Vgl. EuGH 13. 1. 2000 – C-254/98 – Slg. 2000, I-151 Tz. 30 – TK-Heimdienst. Die Feststellung der Marktneutralität wird wegen ihrer Einzelfallabhängigkeit als „offene Flanke“ der Keck-Doktrin angesehen, Harte-Bavendamm/HenningBodewig/Glöckner Einl B Rn. 30.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

einer regionalen Niederlassung533 wirken sich deshalb vor allem solche rechtlich unterschiedslos wirkenden Verkaufsmodalitäten ungünstiger für den Marktzugang ausländischer Anbieter aus, die ihnen ein Vermarktungsmittel verwehren, das für den unmittelbaren Zugang zu diesem Markt besonders wirksam ist,534 etwa Werbung generell verbieten535 oder besonders wirksame Werbemaßnahmen536 untersagen, weil inländische Produkte, mit denen der Verbraucher besser vertraut ist, weniger auf Werbung angewiesen sind. Auch die Entstehung zusätzlicher Kosten speziell für ausländische Anbieter kann ein Indiz für eine Marktzugangsbehinderung sein,537 wobei nur solche Kosten als Marktzugangsbehinderung anzusehen sind, die „daraus resultieren, dass die nationalen Vorschriften die besondere Situation der eingeführten Erzeugnisse und insbesondere nicht berücksichtigen, dass diese Erzeugnisse bereits den Vorschriften ihres Herkunftsstaates genügen mussten“.538 Ähnliches gilt für Vertriebsbeschränkungen. Vor allem die Beschränkung des Vertriebs über 120 den Versandhandel und/oder das Internet trifft ausländische Anbieter stärker als heimische Akteure, weil sie häufig über keine anderen Vertriebswege verfügen539 und weil gerade der Vertriebsweg über das Internet und den Versandhandel leichter aufzubauen ist und sich daher als besonders wirksam erweisen kann, um den Marktzutritt für neue Wettbewerber zu eröffnen.540 Zu weit gehen dürfte allerdings die Folgerung, sogleich jede Beschränkung eines europa121 weit einheitlichen Werbe- und Vertriebskonzepts (Euro-Marketing) als Maßnahme gleicher Wirkung anzusehen, weil eine europaweit einheitliche Werbung an den Zielstaat angepasst werden

533 Zur Unzulässigkeit einer Verpflichtung, nur in dem Verwaltungsbezirk Waren im Umherziehen anzubieten, wo auch eine feste Betriebsstätte unterhalten wird, EuGH 13. 1. 2000 – C-254/98 – Slg. 2000, I-151 Tz. 28 ff. – TK-Heimdienst, oder nur von Apotheken mit Niederlassung im Lieferbezirk Medikamente zu beziehen, EuGH 11. 9. 2008 – C141/076 – Slg. 2008, I-6935 Tz. 35 f. – Kommission/Deutschland. 534 EuGH 30. 6. 2011 – C-212/08 – Slg. 2011, I-5633 Tz. 74 – Zeturf. 535 EuGH 8. 3. 2001 – C-405/98 – Slg. 2001, I-1795 Tz. 20 f., 25 – Gourmet International Products (Werbeverbot für Alkohol); siehe auch (vor Keck) EuGH 10. 7. 1980 – 152/78 – Slg. 1980, 2299 Tz. 11 – Kommission/Frankreich. 536 EuGH 15. 7. 2004 – C-239/02 – Slg. 2004, I-7007 Tz. 52 f. – Douwe Egberts (Verbot der Werbung mit gesundheitsbezogenen Angaben wie „Schlankerwerden“); siehe bereits EuGH 9. 7. 1997 – C-34/95, C-35/95 und C-36/95 – Slg. 1997, I-3843 Tz. 43 – de Agostini (Verbot der Fernsehwerbung als einziges wirksames Werbemittel); Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 24. 11. 1994 – C-412/93 – Slg. 1995, I-179 Tz. 21 – Leclerc-Siplec; zumindest eingeschränkt dürfte EuGH 9. 2. 1995 – C-412/93 – Slg. 1995, I-179 Tz. 19 ff., 24 – Leclerc-Siplec sein, wo Werbeverbote noch großzügiger bewertet wurden; siehe auch Sack EWS 2011, 265, 273, der mit Recht auf die Bedeutung von Werbung hinweist. 537 EuGH 13. 1. 2000 – C-254/98 – Slg. 2000, I-151 Tz. 26 – TK-Heimdienst; EuGH 5. 2. 2004 – C-270/02 – Slg. 2004, I-1559 Tz. 19 – Kommission/Italien; Behrens Die Liberalisierung des Fernsehwerberechts im Kontext der Rundfunkregulierung (2012) S. 74 f. 538 Schlussanträge des Generalanwalts Maduro vom 30. 3. 2006 – C-158/04 und C-59/04 – Slg. 2006, I-8135 Tz. 44 – Alfa Vita. Nicht ausreichend ist regelmäßig das Entstehen zusätzlicher Kosten für alle Marktteilnehmer, EuGH 17. 2. 2005 – C-134/03 – Slg. 2005, I-1167 Tz. 37 f. – Viacom Outdoor; EuGH 8. 9. 2005 – C-544/03 und C-545/03 – Slg. 2005, I-7723 Tz. 31 – Mobistar, sofern diese Kosten nicht spezifisch ausländische Anbieter treffen, siehe EuGH 29. 11. 2001 – C-17/00 – Slg. 2001, I-9445 Tz. 32 ff. – De Coster im Vergleich zu vorzitierten Judikaten. 539 EuGH 11. 12. 2003 – C-322/01 – Slg. 2003, I-14887 Tz. 74 – Deutscher Apothekerverband; siehe auch EuGH 11. 9. 2008 – C-141/076 – Slg. 2008, I-6935 Tz. 35 f. – Kommission/Deutschland zum Erfordernis einer Niederlassung im jeweiligen Lieferbezirk. 540 EuGH 2. 12. 2010 – C-108/09 – Slg. 2010, I-12213 Tz. 54 – Ker-Optika: durch Vorenthalten des Internetvertriebs als „besonders effiziente Modalität“ für den Vertrieb wird Marktzugang „erheblich behindert“; zurückhaltender noch für den Haustürvertrieb EuGH 23. 2. 2006 – C-441/04 – Slg. 2006, I-2093 Tz. 23 – A-Punkt Schmuckhandel: „die Tatsache, dass sich eine Vertriebsmethode als effizienter und wirtschaftlicher erweist, [reicht] nicht aus, um festzustellen, dass die nationale Vorschrift“ unter Art. 34 AEUV fällt. Die unterschiedliche Bedeutung des Internetvertriebs und der breitwirkenden Werbung im Vergleich zu beispielsweise den Ladenöffnungszeiten für den Markteintritt ausländischer Anbieter erklärt m. E. auch den Unterschied zwischen EuGH 11. 12. 2003 – C-322/01 – Slg. 2003, I-14887 Tz. 74 – Deutscher Apothekerverband einerseits (mögliche Behinderung ausländischer Anbieter ausreichend) und EuGH 13. 1. 2000 – C-254/98 – Slg. 2000, I-151 Tz. 30 – TK-Heimdienst andererseits.

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III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten

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muss.541 Vielmehr dürfte es auf die Wirksamkeit und Bedeutung der konkret verbotenen Maßnahme ankommen. Handelt es sich um ein zentrales Element wie die Geschäftsbezeichnung, die aufgrund nationaler Regelung angepasst werden muss, so ist eine Beeinträchtigung der Grundfreiheiten zu bejahen.542 Keine Aussage trifft Keck über sonstige Maßnahmen, die weder Produktbezug aufweisen 122 noch eine Verkaufsmodalität darstellen (wie Herstellungsbedingungen,543 Nutzungsbeschränkungen544 oder immaterialgüterrechtliche Vertriebs- und Werbebeschränkungen545). Für derartige Maßnahmen bleibt es bei der allgemeinen Dassonville-Formel bzw. dem entsprechenden Kriterium der sonstigen Marktzugangsbehinderungen unter der neuen Formel (Kategorie 3 der neuen Formel).

(c) Konsequenzen von Keck für das Lauterkeitsrecht. Insbesondere für die Beurteilung 123 lauterkeitsrechtlicher Vorschriften der Mitgliedstaaten hatte die Keck-Doktrin erhebliche Konsequenzen, da gerade das UWG häufig Verkaufsmodalitäten regelt.546 So handelt es sich etwa bei den Regeln über unzumutbare Belästigung (§ 7 UWG), getarnte Werbung (§ 5a Abs. 6 UWG), unzulässige Beeinflussung (§ 4a Abs. 1 Nr. 3 UWG), Kampfpreisunterbietung (§ 4 Nr. 4 UWG)547 oder Verkauf zum Verlustpreis548 oder mit äußerst niedrigen Gewinnspannen,549 (Fest-)preisregeln (zur Preisregulierung unten Rn. 180 f.),550 Zugaben,551 Kopplungsangebote,552 Haustürwer-

541 Vgl. MünchKomm/Heermann Art. 34 AEUV Rn. 148 ff., insbesondere MünchKomm/Heermann 1. Aufl. (2006) EG B Art. 28 EG Rn. 210 f.; Calliess/Ruffert/Kingreen Art. 34–36 AEUV Rn. 177 ff.; Behrens Die Liberalisierung des Fernsehwerberechts im Kontext der Rundfunkregulierung (2012) S. 71, 75: Zur Feststellung einer Beeinträchtigung nicht allein auf den „Diversifikationszwang als solchen“ abzustellen. 542 Vgl. EuGH 11. 5. 1999 – C-255/97 – Slg. 1999, I-2835 Tz. 20 – Pfeiffer: „Das Verbot [der Verwendung einer bestimmten Geschäftsbezeichnung] ist nämlich geeignet, die Durchführung einer gemeinschaftsweit einheitlichen Werbekonzeption durch diese Unternehmen zu beeinträchtigen, da es sie dazu zwingen kann, das Erscheinungsbild ihrer Geschäfte je nach dem Ort der Niederlassung unterschiedlich zu gestalten“; für eine Beschränkung dieser Entscheidung auf die Niederlassungsfreiheit Behrens Die Liberalisierung des Fernsehwerberechts im Kontext der Rundfunkregulierung (2012) S. 75 Fn. 300. 543 EuGH 14. 9. 2006 – C-158/04 und C-59/04 – Slg. 2006, I-8135 Tz. 19 – Alfa Vita (Verbot des Aufbackens von vorgebackenem Brot in Supermärkten): „Einfuhrhindernis, das nicht als Verkaufsmodalität angesehen werden kann“; Reich EuZW 2008, 485, 486 sieht darin eine Produktions- und damit eine Produktmodalität. 544 EuGH 11. 7. 2000 – C-473/98 – Slg. 2000, I-5681 Tz. 35 ff. – Toolex; EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/ 05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 56 ff. – Kommission/Italien; EuGH 4. 6. 2009 – C-142/05 – Slg. 2009, I-4273 Tz. 28 – Mickelsson und Roos; siehe auch EuGH 10. 4. 2008 – C-265/06 – Slg. 2008, I-2245 Tz. 32 ff. – Kommission/Portugal; zu diskriminierenden Nutzungsbeschränkungen bereits EuGH 13. 3. 1979 –119/78 – Slg. 1979, 975 Tz. 22 – Peureux. Siehe auch EuGH 5. 10. 1994 – C-323/93 – Slg. 1994, I-5077 Tz. 29 – La Crespelle zur Verpflichtung, eingeführten Rindersamen gegen Entgelt in einer zugelassenen Station zu lagern. 545 Vgl. EuGH 4.11.997 – C-337/95 – Slg. 1997, I-6013 Tz. 51 – Dior. Sack EWS 2011, 265, 274 sieht darin eine Verkaufsmodalität, wenn das Werbeverbot die Produktdarstellung betrifft. 546 Zur Beurteilung der vor Keck ergangenen Entscheidungen ausführlich MünchKomm/Heermann 1. Aufl. (2006), EG B Art. 28 EG Rn. 196 ff. 547 Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl UWG Rn. 3.23. 548 EuGH 24. 11. 1993 – C-267/91 und C-268/91 – Slg. 1993, I-6097 Tz. 18 – Keck und Mithouard. 549 EuGH 11. 8. 1995 – C-63/94 – Slg. 1995, I-2467 Tz. 13 – Belgapom. 550 Festpreisregeln sind eine Maßnahme gleicher Wirkung, wenn sie sich auf ausländische Anbieter stärker auswirken und den Marktzugang für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten stärker behindern können als für inländische Erzeugnisse, EuGH 19. 10. 2016 – C-148/15 – EuZW 2016, 958 Tz. 26 – Deutsche Parkinson Vereinigung (bejaht bei Festpreisen für Arzneimittel); zur Einstufung als Verkaufsmodalität bei fehlender Marktzugangswirkung OLG München 2. 7. 2009 – 29 U 3992/08 – GRUR-RR 2010, 53, 55 – Treuebonus II. 551 EuGH 15. 12. 1982 – 286/81 – Slg. 1982, 4575 Tz. 15 – Oosthoek; MünchKomm/Micklitz, 1. Aufl. 2006 EG G Rn. 15. 552 Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 21. 10. 2008 – C-261/07 und C-299/07 – Slg. 2009, I-2949 Tz. 116 – VTB-VAB; siehe aber auch EuGH 18. 7. 2013 – C-265/12 – GRUR 2013, 1154 Tz. 36 – Citroën Belux (Eingriff

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

bung,553 Eigenpreisvergleiche554 und Werbung mit Verkaufsangeboten zu herabgesetzten Preisen unter Hinweis auf die Dauer des Angebots555 um Regeln über Verkaufsmodalitäten i. S. d. Keck-Doktrin, die dem Zugriff von Art. 34 AEUV entzogen sind,556 sofern nicht im Einzelfall eine rechtliche Ungleichbehandlung557 oder eine tatsächlich unterschiedliche Auswirkung auf inund ausländische Erzeugnisse bejaht werden kann, z. B. weil dem ausländischen Anbieter eine besonders wirksame Werbe-558 oder Vertriebsmaßnahme559 vorenthalten wird, auf die er im Unterschied zu heimischen Anbietern in besonderer Weise angewiesen ist.

124 c) Die neue Drei-Stufen-Formel. Die Keck-Doktrin markierte nicht das Ende der Debatte. Sie wurde nicht nur wegen der schwierigen Abgrenzung von Produkt- und Verkaufsmodalitäten als unbefriedigend empfunden,560 sondern auch wegen ihrer problematischen Übertragbarkeit auf andere Grundfreiheiten gescholten.561 Es mehrten sich die Stimmen, die ebenso wie bei den anderen Verkehrsfreiheiten562 die Beeinträchtigung der Warenverkehrsfreiheit allein anhand

in Dienstleistungsfreiheit bei Verbot eines Kopplungsangebots bejaht, aber durch Verbraucherschutz gerechtfertigt; allerdings zwang das Verbot den Anbieter zur Modifikation seines Angebots, dazu unten Rn. 193). Zur Beurteilung von Kopplungsangeboten unter der RL 2005/29/EG EuGH 7. 9. 2016 – C-310/15 – GRUR 2016, 1180 Tz. 28 ff. – Sony Europe m. w. N. 553 EuGH 23. 2. 2006 – C-441/04 – Slg. 2006, I-2093 Tz. 17 – A-Punkt Schmuckhandel gegenüber EuGH 16. 5. 1989 – 382/87 – Slg. 1989, 1235 Tz. 9, 13 ff. – Buet. 554 EuGH 18. 5. 1993 – C-126/91 – Slg. 1993, I-2361 Tz. 9 ff., 22 – Yves Rocher. 555 EuGH 7. 3. 1990 – 362/88 – Slg. 1990, I-667 Tz. 8, 13 ff. – GB-INNO-BM; ähnlich MünchKomm/Heermann 1. Aufl. (2006) EG B Art. 28 EG Rn. 203. 556 Zu einzelnen Entscheidungen siehe auch MünchKomm/Heermann 1. Aufl. (2006) EG B Art. 28 EG Rn. 196 ff. Zur fehlenden Beeinträchtigung des Art. 34 AEUV durch eine lauterkeitsrechtlich begründete Hinweispflicht auf die durch Erstzulassung verkürzte Garantiefrist bei reimportierten Neuwagen Körber Grundfreiheiten und Privatrecht (2004), S. 579 ff. 557 Für ein Werbeverbot für importierte Waren (vom EuGH wohl unzutreffend festgestellt, Sack EWS 2011, 265, 272) EuGH 10. 11. 1994 – C-320/93 – Slg. 1994, I- 5243 Tz. 9 – Ortscheit; EuGH 8. 11. 2007 – C-143/06 – Slg. 2007, I9623 Tz. 30 – Ludwigs-Apotheke. 558 EuGH 8. 3. 2001 – C-405/98 – Slg. 2001, I-1795 Tz. 20 f., 25 – Gourmet International Products (Werbeverbot); EuGH 15. 7. 2004 – C-239/02 – Slg. 2004, I-7007 Tz. 52 f. – Douwe Egberts (Verbot der Werbung mit gesundheitsbezogenen Angaben wie „Schlankerwerden“); siehe bereits EuGH 9. 7. 1997 – C-34/95, C-35/95 und C-36/95 – Slg. 1997, I3843 Tz. 43 – de Agostini (Verbot der Fernsehwerbung als einziges wirksames Werbemittel); Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 24. 11. 1994 – C-412/93 – Slg. 1995, I-179 Tz. 21 – Leclerc-Siplec; zumindest eingeschränkt dürfte EuGH 9. 2. 1995 – C-412/93 – Slg. 1995, I-179 Tz. 19 ff., 24 – Leclerc-Siplec sein, wo Werbeverbote noch großzügiger bewertet wurden. 559 EuGH 11. 12. 2003 – C-322/01 – Slg. 2003, I-14887 Tz. 74 – Deutscher Apothekerverband; EuGH 2. 12. 2010 – C108/09 – Slg. 2010, I-12213 Tz. 54 – Ker-Optika: durch Vorenthalten des Internetvertriebs als „besonders effiziente Modalität“ für den Vertrieb wird Marktzugang „erheblich behindert“; zurückhaltender noch für den Haustürvertrieb EuGH 23. 2. 2006 – C-441/04 – Slg. 2006, I-2093 Tz. 23 – A-Punkt Schmuckhandel: „die Tatsache, dass sich eine Vertriebsmethode als effizienter und wirtschaftlicher erweist, [reicht] nicht aus, um festzustellen, dass die nationale Vorschrift“ unter Art. 34 AEUV fällt. 560 Aus jüngerer Zeit nur Schlussanträge des Generalanwalts Maduro vom 30. 3. 2006 – C-158/04 und C-59/04 – Slg. 2006, I-8135 Tz. 31 f. – Alfa Vita; Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 8. 7. 2008 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 79 ff. – Kommission/Italien; Sack EWS 2011, 265, 274 f.; siehe bereits Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 24. 11. 1994 – C-412/93 – Slg. 1995, I-179 Tz. 38 – Leclerc-Siplec; Erstauflage/Schricker Einl F 389c; Streinz/Schroeder Art. 34 AEUV Rn. 66. 561 Schlussanträge des Generalanwalts Maduro vom 30. 3. 2006 – C-158/04 und C-59/04 – Slg. 2006, I-8135 Tz. 33 – Alfa Vita; Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 8. 7. 2008 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 82 – Kommission/ Italien. 562 Zum Marktzugangskriterium bei der Niederlassungsfreiheit vgl. EuGH 24. 3. 2011 – C-400/08 – Slg. 2011, I-1915 Tz. 64 – Kommission/Spanien.

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III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten

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des Kriteriums der Marktzugangsbehinderung feststellen wollten.563 Auf der anderen Seite wurde für eine Ausdehnung der Keck-Doktrin auf mitgliedstaatliche Nutzungs- und Verwendungsbeschränkungen plädiert, die Verkaufsmodalitäten gleichzusetzen seien.564 Den vorläufigen Schlusspunkt der Debatte markiert eine Entscheidung der Großen Kammer 125 zu Nutzungsbeschränkungen in der Rechtssache Kommission/Italien,565 die der EuGH zum Anlass nahm, seine Rechtsprechung in einer neuen Formel566 zu präzisieren.567 Nach einer Wiedergabe der Dassonville-Formel stellte der Gerichtshof zunächst klar, dass Art. 34 AEUV „die Verpflichtung widerspiegelt, sowohl die Grundsätze der Nichtdiskriminierung und der gegenseitigen Anerkennung von Erzeugnissen, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht wurden, einzuhalten als auch Erzeugnissen aus der Gemeinschaft einen freien Zugang zu den nationalen Märkten zu gewährleisten“.568 Die drei Grundsätze der Nichtdiskriminierung, der gegenseitigen Anerkennung von Erzeugnissen und des Marktzugangs stützte der Gerichtshof in den nächsten beiden Textziffern sowohl auf das produktbezogene Anerkennungsprinzip aus Cassis de Dijon569 wie auf die Keck-Doktrin zu den Verkaufsmodalitäten,570 bevor er zusammenfassend resümierte: „Daher sind Maßnahmen eines Mitgliedstaats, mit denen bezweckt oder bewirkt wird, Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten weniger günstig zu behandeln, sowie die in Randnr. 35 des vorliegenden Urteils genannten Maßnahmen571 als Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen im Sinne des Art. 28 EG [Art. 34 AEUV] anzusehen. Ebenfalls unter diesen Begriff fällt jede sonstige Maßnahme, die den Zugang zum Markt eines Mitgliedstaats für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten behindert“.572

563 Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 24. 11. 1994 – C-412/93 – Slg. 1995, I-179 Tz. 42 – Leclerc-Siplec; Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 8. 7. 2008 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 108 ff.; Becker EuR 1994, 162, 172 f.; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Leible/T. Streinz Art. 34 AEUV Rn. 86; Streinz/Schroeder Art. 34 AEUV Rn. 44. 564 So Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 14. 12. 2006 – C-142/05 – Slg. 2009, I-4273 Tz. 47, 55 f., 66 f. – Mickelsson und Roos; kritisch Oliver Fordham International Law Journal 33 (2011) 1423, 1456: Nutzungsbeschränkungen wirkten intensiver als Verkaufsmodalitäten. 565 EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 37 – Kommission/Italien; bestätigt durch EuGH 4. 6. 2009 – C-142/05 – Slg. 2009, I-4273 Tz. 24 – Mickelsson und Roos; EuGH 2. 12. 2010 – C-108/09 – Slg. 2010, I-12213 Tz. 49 f. – Ker-Optika; EuGH 25. 4. 2012 – C-456/10 – EuZW 2012, 508 Tz. 34 f. – Asociación Nacional de Expendedores de Tabaco y Timbre; leicht variierend EuGH 6. 10. 2011 – C-443/10 – Slg. 2011, I-9327 Tz. 26 f. – Bonnarde. 566 Calliess/Ruffert/Kingreen Art. 34–36 AEUV Rn. 54; kritisch zur Bezeichnung als „neue Formel“ Schwarze/Becker Art. 34 AEUV Rn. 49, demzufolge es in der Sache nur darum gehe, Behinderungen des Marktzugangs als entscheidendes Kriterium hervorzuheben; siehe auch Frankfurter Kommentar/Haltern Art. 34 AEUV Rn. 158: „Marktzugangstest [rückt] tatsächlich ins Zentrum der Prüfung“. 567 Purnhagen JZ 2012, 742, 744 sieht Kommission/Italien als ersten „Testballon“ an, der sich erst in der Folgejudikatur (mit der Rs. Asociación Nacional de Expendedores de Tabaco y Timbre) verstetigt habe. 568 EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 34 – Kommission/Italien. 569 EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 35 – Kommission/Italien. 570 EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 36 – Kommission/Italien mit Zitat von EuGH 24. 11. 1993 – C-267/91 und C-268/91 – Slg. 1993, I-6097 Tz. 16 f. – Keck und Mithouard. 571 In Tz. 35 ging es um die Cassis-Doktrin, also „Hemmnisse für den freien Warenverkehr, die sich in Ermangelung einer Harmonisierung der Rechtsvorschriften daraus ergeben, dass Waren aus anderen Mitgliedstaaten, die dort rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden sind, bestimmten Vorschriften entsprechen müssen, selbst dann Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen dar, wenn diese Vorschriften unterschiedslos für alle Erzeugnisse gelten“; ausdrücklich EuGH 25. 4. 2012 – C-456/10 – EuZW 2012, 508 Tz. 34 – Asociación Nacional de Expendedores de Tabaco y Timbre: „Demgemäß sind Maßnahmen eines Mitgliedstaats, mit denen bezweckt oder bewirkt wird, Waren aus anderen Mitgliedstaaten weniger günstig zu behandeln, ebenso als Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen anzusehen wie Vorschriften über die Voraussetzungen, denen die Waren entsprechen müssen, selbst wenn diese Vorschriften unterschiedslos für alle Erzeugnisse gelten“ (Hervorhebung nicht im Original). 572 EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 37 – Kommission/Italien. Die „neue Formel“ findet sich außerdem in EuGH 4. 6. 2009 – C-142/05 – Slg. 2009, I-4273 Tz. 24 – Mickelsson und Roos; EuGH

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

126 Nach Kommission/Italien lassen sich damit drei573 Kategorien von „Maßnahmen gleicher Wirkung“ i. S. d. Art. 34 AEUV unterscheiden, nämlich (1) „Maßnahmen, mit denen bezweckt oder bewirkt wird, Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten weniger günstig zu behandeln“ (diskriminierende Maßnahmen), (2) produktbezogene Regeln i.S.v. Cassis de Dijon und Tz. 15 der Keck-Formel,574 die vorsehen, dass Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten im Importstaat bestimmten Voraussetzungen entsprechen müssen, selbst wenn diese Regeln unterschiedslos für alle Erzeugnisse gelten, und (3) „jede sonstige Maßnahme, die den Zugang zum Markt eines Mitgliedstaats für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten behindert“.575 Die Entscheidung fasst damit die bisherigen Leitentscheidungen in einer neuen Formel zusammen, allerdings mit einer – insbesondere im Vergleich zu Keck – stärkeren Akzentuierung auf dem Kriterium des Marktzugangs.576

aa) Diskriminierende Maßnahmen 127 (1) Begriff. Als diskriminierende Maßnahmen577 („bezweckt oder bewirkt wird, Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten weniger günstig zu behandeln“578) sind nicht nur Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit anzusehen, sondern auch alle anderen Differenzierungen, die einer Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit oder die Herkunft gleichkommen, wie eine Diffe-

2. 12. 2010 – C-108/09 – Slg. 2010, I-12213 Tz. 49 f. – Ker-Optika; EuGH 25. 4. 2012 – C-456/10 – EuZW 2012, 508 Tz. 34 f. – Asociación Nacional de Expendedores de Tabaco y Timbre; leicht variierend EuGH 6. 10. 2011 – C-443/ 10 – Slg. 2011, I-9327 Tz. 26 f. – Bonnarde. Für einen ähnlichen Ansatz siehe bereits die Schlussanträge des Generalanwalts Maduro vom 30. 3. 2006 – C-158/04 und C-159/04 – Slg. 2006, I-8135 Tz. 43 ff. – Alfa Vita. 573 Heizmann/Loacker/Mayer § 3 Rn. 13; ferner Sack EWS 2011, 265: „Drei-Stufen-Test“; Purnhagen JZ 2012, 742: „3-Stufen-Prüfung“; Cremer/Bothe EuZW 2015, 413: „Dreistufenprüfung als neuer Baustein der warenverkehrsrechtlichen Dogmatik“; Frankfurter Kommentar/Haltern Art. 34 AEUV Rn. 157: „neue[r] Prüfungsdreischritt“; Holst Die Warenverkehrsfreiheit zwischen unbeschränktem Marktzugang und mitgliedstaatlicher Autonomie (2017) S. 197 ff. 574 Der Produktbezug ergibt sich aus der ausdrücklichen Bezugnahme in EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 37 – Kommission/Italien auf Tz. 35 dieser Entscheidung, die wiederum die Grundsätze aus Cassis de Dijon wiedergibt und mittelbar (nämlich über EuGH 26. 6. 1997 – C-368/95 – Slg. 1997, I-3689 Tz. 8 – Familiapress und EuGH 11. 12. 2003 – C-322/01 – Slg. 2003, I-14887 Tz. 67 – Deutscher Apothekerverband) auf Tz. 15 der Keck-Entscheidung verweist; ohne den Verweis findet sich die neue Formel in EuGH 4. 6. 2009 – C-142/05 – Slg. 2009, I-4273 Tz. 24 – Mickelsson und Roos; EuGH 2. 12. 2010 – C-108/09 – Slg. 2010, I-12213 Tz. 49 f. – Ker-Optika; EuGH 25. 4. 2012 – C-456/10 – EuZW 2012, 508 Tz. 34 f. – Asociación Nacional de Expendedores de Tabaco y Timbre: „Vorschriften über die Voraussetzungen, denen die Waren entsprechen müssen, selbst wenn diese Vorschriften unterschiedslos für alle Erzeugnisse gelten“. 575 EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 37 – Kommission/Italien; EuGH 4. 6. 2009 – C-142/05 – Slg. 2009, I-4273 Tz. 24 – Mickelsson und Roos; EuGH 2. 12. 2010 – C-108/09 – Slg. 2010, I-12213 Tz. 49 f. – Ker-Optika; EuGH 25. 4. 2012 – C-456/10 – EuZW 2012, 508 Tz. 34 f. – Asociación Nacional de Expendedores de Tabaco y Timbre; leicht variierend EuGH 6. 10. 2011 – C-443/10 – Slg. 2011, I-9327 Tz. 26 f. – Bonnarde. Für einen ähnlichen Ansatz siehe bereits die Schlussanträge des Generalanwalts Maduro vom 30. 3. 2006 – C-158/04 und C159/04 – Slg. 2006, I-8135 Tz. 43 ff. – Alfa Vita. 576 Zur Integration der bisherigen Rechtsprechung (Dassonville, Relevanzformel und Keck) unten Rn. 135 ff. 577 Siehe bereits oben zur Rückausnahme diskriminierender Maßnahmen aus der Keck-Doktrin Rn. 118. 578 EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 37 – Kommission/Italien. Die Formulierung „bezweckt oder bewirkt“ findet sich auch in der Judikatur zu Art. 35 AEUV, die lange Zeit unterschiedslos wirkende Maßnahmen nicht erfasste, vgl. EuGH 8. 11. 1979 – 15/79 – Slg. 1979, 3409 Tz. 7 – Groeneveld; EuGH 7. 2. 1984 – 237/ 82 – Slg. 1984, 483 Tz. 22 – Jongeneel Kaas; EuGH 24. 3. 1994 – C-80/92 – Slg. 1994, I-1019 Tz. 24 f. – Kommission/ Belgien; zur Parallele Enchelmaier Yearbook of European Law 29 (2010) 190, 202; Oliver Fordham International Law Journal 33 (2011) 1423, 1462 Fn. 207. Inzwischen wurde Art. 35 AEUV aber in Richtung unterschiedslos wirkender Maßnahmen geöffnet, EuGH (Große Kammer) 16. 12. 2008 – C-205/07 – Slg. 2008, I-9947 Tz. 43 f. – Gysbrecht. Zum Begriff „bezweckt und bewirkt“ siehe auch EuGH 10. 5. 1995 – C-384/93 – Slg. 1995, I-1141 Tz. 28, 35 – Alpine Investments.

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III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten

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renzierung anhand des Wohnsitzes,579 des Niederlassungsortes oder des Ursprungslands.580 Indes geht es zu weit, neben rechtlichen Ungleichbehandlungen581 auch rechtlich unterschiedslos geltende Maßnahmen dieser Kategorie zuzuordnen, die den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten i. S. d. Keck-Vorbehalts nur tatsächlich in unterschiedlicher Weise berühren.582 Derartige Maßnahmen lassen sich, wie bereits Tz. 17 der Keck-Entscheidung zeigt, sachgerechter über die dritte Kategorie der sonstigen Marktzugangsbehinderung erfassen, auch um ein uferlos weites Verständnis der ersten Kategorie zu vermeiden, das zu umfangreichen Überlappungen mit den Folgekategorien führen würde.583 Bei den diskriminierenden Maßnahmen ist außerdem unsicher, ob der bloße Umstand der 128 Diskriminierung per se eine Maßnahme gleicher Wirkung begründet oder ob zusätzlich durch die Ungleichbehandlung der Marktzugang behindert werden muss.584 Gegen die letztgenannte Auffassung spricht auch hier, dass ein zusätzliches Erfordernis der Marktzugangsbehinderung die Fallgruppe der diskriminierenden Maßnahmen in der Auffangkategorie der sonstigen Marktzugangsbehinderungen aufgehen lassen würde.

(2) Beispiele.585 für diskriminierende Maßnahmen sind Regeln, die nur für ausländische Erzeug- 129 nisse586 oder nur für ausländische Wirtschaftsteilnehmer gelten, wobei „ausländisch“ nicht nur an die Staatsangehörigkeit, sondern auch an den Wohnsitz oder das Ursprungsland anknüpft. Dies betrifft auch Maßnahmen, die an die Einfuhr anknüpfen, insbesondere Grenzkontrollen und gesonderte Untersuchungen, um importierte Waren auf ihre Zusammensetzung, Etikettierung oder Unbedenklichkeit zu prüfen,587 ferner Einfuhrformalitäten und Einfuhrgenehmigungen.588 Ebenfalls als rechtlich diskriminierend sind nationale Vorschriften anzusehen, die bestimmte Vergünstigungen

579 Zum Wohnsitz EuGH 16. 12. 2010 – C-137/09 – Slg. 2010, I-13019 Tz. 58 f. – Josemans. 580 Zum Ursprungsland EuGH 2. 3. 1982 – 6/81 – Slg. 1982, 707 Tz. 8 – Beele; EuGH 30. 6. 2005 – C-28/04 – Slg. 2005, I-5781 Tz. 19 f. – Tod’s und Tod’s France; EuGH 12. 11. 2015 – C-198/14 – BeckRS 2015, 81742 Tz. 99, 106 – Visnapuu (Einzelhandelserlaubnis für die Einfuhr alkoholischer Getränke aus dem Ausland nur für im Inland ansässige Hersteller). 581 Rauber ZEuS 2010, 15, 38: „lediglich direkte, an die Herkunft der Ware geknüpfte Schlechterstellungen“; Purnhagen JZ 2012, 742, 744: „erste Stufe (Diskriminierungsverbot) ist in der Tat eine Wiederholung des Verbots der rechtlichen Ungleichbehandlung, wie es bereits in der Keck-Formel vorkam“. 582 So Sack EWS 2011, 265, 276: „Diskriminierungsverbot, das dem der Keck-Doktrin für Regelungen von Verkaufsmodalitäten ähnlich ist“; ähnlich Enchelmaier Yearbook of European Law 29 (2010) 190, 202, der „distinctly and indistinctly applicable measures“ erfasst sieht; ähnlich auch Stuyck Unfair competition law in the EU in the years to come in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.) European Private Law – Current Status and Perspectives (2011), S. 107, 114: „first test seems to cover Keck“. 583 Für eine solche Lesart spricht m. E. EuGH 25. 4. 2012 – C-456/10 – EuZW 2012, 508 Tz. 36 f. – Asociación Nacional de Expendedores de Tabaco y Timbre: ein den Tabakeinzelhändlern auferlegtes Verbot, die Tätigkeit der Einfuhr von Tabakerzeugnissen auszuüben, stellt keine diskriminierende Maßnahme, sondern eine sonstige Marktzugangsbehinderung dar. Siehe auch Enchelmaier Yearbook of European Law 29 (2010) 190, 203, der auf Grundlage seines weiten Diskriminierungsbegriffs die zweite Kategorie in der ersten umfasst sieht. 584 Im letzteren Sinne Sack EWS 2011, 265, 277. 585 Siehe auch die Auflistung bei MünchKomm/Heermann Art. 34 AEUV Rn. 190. 586 EuGH 10. 7. 1980 – 152/78 – Slg. 1980, 2299 Tz. 12 ff. – Kommission/Frankreich: Werbeverbot für Alkoholika betrifft importierte Erzeugnisse; EuGH 21. 6. 2001 – C-30/99 – Slg. 2001, I-4619 Tz. 74 – Kommission/Irland: unterschiedliche Prägestempel bei in- und ausländischen Edelmetallen; EuGH 10. 11. 1994 – 320/93 – Slg. 1994, I- 5243 Tz. 8 – Ortscheit: Werbebeschränkungen für importierte Waren (in der Sache dürfte dies in dem konkreten Fall unzutreffend gewesen sein, weil für inländische Erzeugnisse eine vergleichbare Regelung nur an anderer Stelle vorgesehen war, Sack EWS 2011, 265, 272; ebenso EuGH 8. 11. 2007 – C-143/06 – Slg. 2007, I-9623 Tz. 30 – LudwigsApotheke. 587 EuGH 20. 9. 1988 – 190/87 – Slg. 1988, 4689 Tz. 8 – Moormann. 588 EuGH 28. 9. 2006 – C-434/04 – Slg. 2006, I-9171 Tz. 20 f., 34 – Ahokainen; siehe aber auch EuGH 25. 4. 2012 – C-456/10 – EuZW 2012, 508 Tz. 36 f. – Asociación Nacional de Expendedores de Tabaco y Timbre: ein den Tabakein-

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

nur für inländische Erzeugnisse vorsehen589 oder die ausländische Erzeugnisse von der Erstattungsfähigkeit der Sozialversicherungen ausschließen.590 Rechtlich diskriminierend sind auch besondere Kennzeichnungspflichten für eingeführte Waren591 oder umgekehrt der Vorbehalt bestimmter Gattungsbezeichnungen, Kennzeichnungen und Verpackungen allein für heimische Waren.592 Gleiches gilt für Nutzungs- oder Verwendungsbeschränkungen für Importwaren593 und eine Preisbindung ausschließlich für importierte Waren.594 Handelt es sich demgegenüber um eine nationale Maßnahme, die unabhängig von der Herkunft und Einfuhr eine Prüfung oder Zulassung für ein Inverkehrbringen oder den Gebrauch bestimmter Erzeugnisse zur Voraussetzung macht, so ist die Regelung nicht diskriminierend, sondern eine sonstige Marktzutrittsbehinderung.595

130 (3) Relevanz für das Lauterkeitsrecht. Für das Lauterkeitsrecht dürfte die Kategorie der diskriminierenden Maßnahmen nur geringe Bedeutung haben, weil es kaum Vorschriften kennt, die zwischen heimischer und importierter Ware differenzieren würden.596 In diese Kategorie fallen allerdings Hinweis- und Kennzeichnungsvorschriften, die eine Ungleichbehandlung oder besondere Kennzeichnung von Importware vorsehen,597 oder bestimmte Kennzeichnungen nur für heimische Produkte vorsehen, z. B. Ursprungsbezeichnungen, die an eine Erzeugung oder Verarbeitung in einem bestimmten Gebiet anknüpfen.598

bb) Produktbezogene Regelungen 131 (1) Begriff. Die zweite Kategorie erfasst produktbezogene Regelungen i. S. d. Cassis-Rechtsprechung599 und Tz. 15 der Keck-Formel („Vorschriften über die Voraussetzungen, denen die zelhändlern auferlegtes Verbot, die Tätigkeit der Einfuhr von Tabakerzeugnissen auszuüben, stellt keine diskriminierende Maßnahme, sondern eine sonstige Marktzugangsbehinderung dar. 589 EuGH 27. 6. 1996 – C-240/95 – Slg. 1996, I-3179 Tz. 16 ff. – Rémy Schmit zu einer französischen Regelung, die nur für inländische, nicht aber für parallel importierte Kraftfahrzeuge die Möglichkeit vorsah, bei Zulassung in der zweiten Jahreshälfte das Folgejahr als Zulassungsjahr anzugeben. 590 EuGH 28. 4. 1998 – C-120/95 – Slg. 1998, I-1831 Tz. 34 ff. – Decker. 591 Vgl. EuGH 6. 11. 1984 – 177/83 – Slg. 1984, 3651 Tz. 15 ff. – Kohl: Benutzung eines Firmensignets nur mit der Begründung untersagt, die Öffentlichkeit könnte über die in- oder ausländische Herkunft getäuscht werden, ohne dass weitere Tatsachen festgestellt werden, die das Vorliegen unlauteren Wettbewerbs bewiesen; „in einem solchen Fall betrifft diese Vorschrift in Wirklichkeit ausschließlich den Vertrieb ausländischer Erzeugnisse“. 592 EuGH 20. 2. 1975 – 12/74 – Slg. 1975, 181 Tz. 14 – Kommission/Deutschland; EuGH 26. 11. 1985 – 182/84 – Slg. 1985 Tz. 22 – Miro; EuGH 7. 5. 1997 – C-321/94 bis C-324/94 – Slg. 1997, I-2343 Tz. 49 ff. – Pistre; EuGH 5. 11. 2002 – C325/00 – Slg. 2002, I-9977 Tz. 23 f. – Kommission/Deutschland: siehe auch Art. 2 Abs. 3 lit. s RL 70/50/EWG. 593 Siehe EuGH 13. 3. 1979 – 119/78 – Slg. 1979, 975 Tz. 22 – Peureux. 594 EuGH 30. 4. 2009 – C-531/07 – Slg. 2009, I-3717 Tz. 21 f. – LIBRO. 595 Siehe etwa EuGH 20. 9. 2007 – C-297/05 – Slg. 2007, I-7467 Tz. 73–75 – Kommission/Niederlande: eine Regelung, die unterschiedslos alle Fahrzeuge, die älter als drei Jahre sind, einer Untersuchung unterzieht, ist nichtdiskriminierend, aber gleichwohl eine Beeinträchtigung; a. A. Calliess/Ruffert/Kingreen Art. 34–36 AEUV Rn. 134 Fn. 389. 596 Für ein (wohl unzutreffendes, Sack EWS 2011, 265, 272) Beispiel einer Werbebeschränkung für Importware EuGH 10. 11. 1994 – C-320/93 – Slg. 1994, I- 5243 Tz. 8, 12 – Ortscheit; EuGH 8. 11. 2007 – C-143/06 – Slg. 2007, I-9623 Tz. 30 – Ludwigs-Apotheke; zur Modifikation importierter Ware auch EuGH 27. 11. 1990 – 67/88 – Slg. 1990, I-4285 Tz. 3 – Kommission/Italien: Inverkehrbringen von importierten Produkten vom Zusatz von Sesamöl abhängig. EuGH 4.11.997 – C-337/95 – Slg. 1997, I-6013 Tz. 49 ff. – Dior betrifft zwar ein Werbeverbot für Parallelimporte, allerdings dürften die zugrundeliegenden Vorschriften des Marken- und Urheberrechts auch für vergleichbare inländische Produkte gelten. 597 EuGH 17. 6. 1981 – 113/80 – Slg. 1981, 1625 Tz. 2 ff. – Kommission/Irland. 598 Zu Art. 35 AEUV EuGH 20. 3. 2003 – C-108/01 – Slg. 2003, I-5121 Tz. 55 ff. – Consorzio del Prosciutto di Parma; EuGH 3. 3. 2011 – C-161/09 – Slg. 2011, I-915 Tz. 30 – Kakavetsos-Frakopoulos. 599 Stuyck Unfair competition law in the EU in the years to come in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.) European Private Law – Current Status and Perspectives (2011), S. 107, 114; Oliver Fordham International Law Journal 33 (2011) 1423, 1462.

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III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten

Einleitung

Waren entsprechen müssen, selbst wenn diese Vorschriften unterschiedslos für alle Erzeugnisse gelten“).600 Sie zielt in erster Linie auf unterschiedslos anwendbare Vorschriften („selbst dann, wenn diese Vorschriften unterschiedslos für alle Erzeugnisse gelten“), ist aber nicht auf solche beschränkt und kann sich daher mit der ersten Fallgruppe überschneiden, soweit es um rechtlich diskriminierende produktbezogene Regeln geht.601 In der Sache geht es um das Anerkennungs- oder Herkunftslandprinzip aus Cassis de Dijon. Produktbezogene Regeln, die sich auf den Inhalt602 oder die Merkmale der vertriebenen Erzeugnisse selbst beziehen, insbesondere eine Änderung oder Anpassung des Produkts an die im Vermarktungsmitgliedstaat geltenden Regeln erforderlich machen603 (z. B. eine Änderung der Verpackung,604 Kennzeichnung oder Etikettierung605), sind danach per se als Maßnahmen gleicher Wirkung anzusehen, ohne dass es wie in der dritten Kategorie erforderlich wäre, eine Marktzugangsbehinderung nachzuweisen.606

(2) Beispiele. Als Maßnahme gleicher Wirkung ist daher jede Änderung oder Anpassung des 132 Produkts an die im Vermarktungsmitgliedstaat geltenden Regeln607 anzusehen,608 z. B. der Bezeichnung,609 insbesondere der Ursprungsbezeichnung,610 der Form, der Abmessungen, des Gewichts, des Inhalts,611 der Zusammensetzung,612 des Haltbarkeitsdatums,613 der Aufmachung,614 600 EuGH 25. 4. 2012 – C-456/10 – EuZW 2012, 508 Tz. 34 f. – Asociación Nacional de Expendedores de Tabaco y Timbre. Der Produktbezug ergibt sich in Kommission/Italien aus der ausdrücklichen Bezugnahme in EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 37 – Kommission/Italien auf Tz. 35 dieser Entscheidung, die wiederum die Grundsätze aus Cassis de Dijon wiedergibt und mittelbar (nämlich über EuGH 26. 6. 1997 – C-368/ 95 – Slg. 1997, I-3689 Tz. 8 – Familiapress und EuGH 11. 12. 2003 – C-322/01 – Slg. 2003, I-14887 Tz. 67 – Deutscher Apothekerverband) auf Tz. 15 der Keck-Entscheidung verweist; ohne den Verweis findet sich die neue Formel in EuGH 4. 6. 2009 – C-142/05 – Slg. 2009, I-4273 Tz. 24 – Mickelsson und Roos; EuGH 2. 12. 2010 – C-108/09 – Slg. 2010, I-12213 Tz. 49 f. – Ker-Optika. 601 Zur Überlappung Enchelmaier Yearbook of European Law 29 (2010) 190, 203, 205 (allerdings aufgrund eines weiterreichenden Diskriminierungsbegriffs als hier befürwortet); Oliver Fordham International Law Journal 33 (2011) 1423, 1462. 602 EuGH 26. 6. 1997 – C-368/95 – Slg. 1997, I-3689 Tz. 11 – Familiapress. 603 EuGH 22. 1. 2002 – C-390/99 – Slg. 2002, I-607 Tz. 30 – Canal Satélite. Zu den Entscheidungen bis 2014 die Darstellung bei MünchKomm/Heermann Art. 34 AEUV Rn. 191 ff. 604 EuGH 16. 1. 2003 – C-12/00 – Slg. 2003, I-459 Tz. 76 – Kommission/Spanien; EuGH (Große Kammer) 14. 12. 2004 – C-463/01 – Slg. 2004, I-11705 Tz. 67 f. – Kommission/Deutschland. 605 EuGH 3. 6. 1999 – C-33/97 – Slg. 1999, I-3175 Tz. 37 – Colim; EuGH 14. 2. 2008 – C-244/06 – Slg. 2008, I-505 Tz. 31 – Dynamic Medien; vor Keck auch bereits EuGH 13. 12. 1990 – C-238/89 – Slg. 1990, I-4827 Tz. 13 – Pall. 606 Spaventa European Law Review 34 (2009) 914, 921: „absolute presumption that they always hinder market access“; bereits Reich CMLR 31 (1994) 459, 487 „regulations on ‚product presentation‘ per se have an intra-Community effect“. Siehe nur EuGH 18. 10. 2012 – C-385/10 – EuZW 2013, 21 Tz. 24 f. – Elenca. 607 Zu Beispielen bereits EuGH 24. 11. 1993 – C-267/91 und C-268/91 – Slg. 1993, I-6097 Tz. 15 – Keck und Mithouard; siehe auch die Auflistung bei MünchKomm/Heermann Art. 34 AEUV Rn. 191 ff. 608 EuGH 22. 1. 2002 – C-390/99 – Slg. 2002, I-607 Tz. 30 – Canal Satélite. 609 EuGH 13. 1. 2000 – C-220/98 – Slg. 2000, I-117 Tz. 27 ff. – Estée Lauder; EuGH 5. 12. 2000 – C-448/98 – Slg. 2000, I10663 Tz. 26 – Guimont; EuGH 16. 1. 2003 – C-14/00 – Slg. 2003, I-513 Tz. 75 – Kommission/Italien; EuGH 16. 1. 2003 – C12/00 – Slg. 2003, I-459 Tz. 79 – Kommission/Spanien: Verwendung einer anderen Verkehrsbezeichnung. 610 EuGH 16. 7. 2015 – C-95/14 – EuZW 2015, 873 Tz. 44 – UNIC. 611 EuGH 26. 6. 1997 – C-368/95 – Slg. 1997, I-3689 Tz. 11 – Familiapress. 612 EuGH 20. 2. 1979 – 120/78 – Slg. 1979, 649 Tz. 8 – Rewe Zentral, „Cassis de Dijon“; EuGH 14. 7. 1994 – C-17/93 – Slg. 1994, I-3537 – van der Veldt; bestätigt durch EuGH 5. 4. 2001 – C-123/00 – Slg. 2001, I-2795 Tz. 11 f. – Bellamy; ferner EuGH 19. 6. 2003 – C-420/01 – Slg. 2003, I-6445 Tz. 28 – Kommission/Italien (Verbot der Vermarktung von Energiegetränken mit hohem Koffeingehalt); EuGH 5. 2. 2004 – C-95/01 – Slg. 2004, I-1333 Tz. 33 f. – Abel (Inverkehrbringen von mit Vitaminen angereicherten Lebensmitteln). 613 EuGH 13. 11. 2003 – C-294/01 – Slg. 2003, I-13429 Tz. 50 f. – Granarolo; siehe auch EuGH 1. 6. 1994 – C-317/92 – Slg. 1994, I-2039 Tz. 12 – Kommission/Deutschland. 614 EuGH 13. 12. 1990 – C-238/89 – Slg. 1990, I-4827 Tz. 13 – Pall (vor Keck).

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Einleitung

C. Europäisches Wettbewerbsrecht

der Etikettierung615 und der Verpackung.616 Auch nationale Zulassungs- und Kontrollverfahren als Voraussetzung für das Inverkehrbringen von Erzeugnissen, die unterschiedslos für heimische und für importierte Erzeugnisse gelten, stellen eine produktbezogene Regelung und damit eine Maßnahme gleicher Wirkung dar.617 Gleiches gilt für das Erfordernis eines nationalen Prüfund Einstufungsverfahrens zum Schutz Minderjähriger als Voraussetzung für den Vertrieb von Bildträgern über den Versandhandel.618

133 (3) Relevanz für das Lauterkeitsrecht. Für das Lauterkeitsrecht behält die Fallgruppe der produktbezogenen Regeln damit die gleiche Relevanz wie nach Cassis de Dijon und Keck: Alle lauterkeitsrechtlichen Regelungen mit Produktbezug, die Einfluss auf die Gestaltung der Ware selbst haben (z. B. den Inhalt,619 die Bezeichnung, die Form, die Abmessungen, das Gewicht, die Zusammensetzung, die Aufmachung, die Etikettierung oder die Verpackung),620 sind als Maßnahme gleicher Wirkung anzusehen, auch wenn sie rechtlich unterschiedslos für inund ausländische Produkte gelten.

134 cc) Sonstige Marktzugangsbehinderungen. Die größte praktische Bedeutung, zugleich aber auch die größten Unsicherheiten weist die dritte Kategorie der sonstigen Marktzugangsbehinderungen („jede sonstige Maßnahme, die den Zugang zum Markt eines Mitgliedstaats für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten behindert“621) auf. 615 EuGH 3. 6. 1999 – C- 33/97 – Slg. 1999, I-3175 Tz. 36 f. – Colim (Etikettierung); EuGH 12. 9. 2000 – C-366/98 – Slg. 2000, I-6579 Tz. 21 f., 28 – Geffroy (Etikettierung in bestimmter Sprache und zur Vermeidung einer Irreführung); EuGH 16. 11. 2000 – C-217/99 – Slg. 2000, I-10251 Tz. 17 f. – Kommission/Belgien; EuGH 14. 2. 2008 – C-244/06 – Slg. 2008, I-505 Tz. 31 – Dynamic Medien (Etikett). 616 EuGH 6. 7. 1995 – C-470/93 – Slg. 1995, I-1923 Tz. 13 – Mars (Werbung auf Verpackung); EuGH 12. 10. 2000 – C3/99 – Slg. 2000, I-8749 Tz. 48 – Ruwet (Verpackung); EuGH 16. 1. 2003 – C-12/00 – Slg. 2003, I-459 Tz. 76 – Kommission/Spanien (Verpackung und Kennzeichnung); EuGH 18. 9. 2003 – C-416/00 – Slg. 2003, I-9343 Tz. 29 f. – Morellato (Verpackung oder Kennzeichnung); EuGH (Große Kammer) 14. 12. 2004 – C-463/01 – Slg. 2004, I-11705 Tz. 67 f. – Kommission/Deutschland (Verpackungen); EuGH (Große Kammer) 14. 12. 2004 – C-309/02 – Slg. 2004, I-11763 Tz. 71 – Radlberger (Verpackungen); EuGH 24. 11. 2005 – C-366/04 – Slg. 2005, I-10139 Tz. 29 – Schwarz; EuGH 4. 10. 2007 – C-457/05 – Slg. 2007, I-8075 Tz. 25 – Diageo (Fertigpackungen). 617 EuGH 22. 1. 2002 – C-390/99 – Slg. 2002, I-607 Tz. 37 – Canal Satélite (auch Tz. 29 f. zur Verpflichtung, sich in einem nationalen Register einzutragen und darin die Erzeugnisse anzugeben, die das ausländische Unternehmen in Verkehr bringen will); siehe auch EuGH 28. 1. 2010 – C-333/08 – Slg. 2010, I-757 Tz. 75 ff. – Kommission/Frankreich zu einem Zulassungssystem für Lebensmittelzusatzstoffe; EuGH 6. 10. 2015 – C-354/14 – BeckRS 2015, 81524 Tz. 40 – Capoda. Ein Grenzfall zu den sonstigen Maßnahmen sind nationale Altersregelungen für den Vertrieb von Produkten, Spaventa European Law Review 34 (2009) 914, 923. 618 Siehe EuGH 14. 2. 2008 – C-244/06 – Slg. 2008, I-505 Tz. 33 – Dynamic Medien; für Produktbezug auch Calliess/ Ruffert/Kingreen Art. 34–36 AEUV Rn. 142 Fn. 415. 619 EuGH 26. 6. 1997 – C-368/95 – Slg. 1997, I-3689 Tz. 11 – Familiapress. 620 EuGH 2. 2. 1994 – C-315/92 – Slg. 1994, I-317 Tz. 13, 19 – Clinique; EuGH 6. 7. 1995 – C-470/93 – Slg. 1995, I-1923 Tz. 13 – Mars (zu Werberegeln, die für die Produktgestaltung Konsequenzen haben); EuGH 26.11.996 – C-313/94 – Slg. 1996, I-6039 Tz. 16 ff. – Graffione (Vertriebsverbot für mit einer bestimmten Marke versehene Produkte); EuGH 13. 1. 2000 – C-220/98 – Slg. 2000, I-117 Tz. 27 ff. – Estée Lauder (Verbot irreführender Produktbezeichnung); Körber Grundfreiheiten und Privatrecht (2004) S. 565 f.: „produktregelnde Anwendung von Lauterkeitsnormen“ und „Produkt- oder personenbezogene Bezeichnungsverbote“. Unter diese Kategorie fallen auch die vor Keck ergangenen Entscheidungen EuGH 13. 3. 1984 – 16/83 – Slg. 1984, 1299 Tz. 22 ff. – Prantl (Verwendung von Bocksbeuteln) und EuGH 13. 12. 1990 – C-238/89 – Slg. 1990, I-4827 Tz. 13 – Pall (auf § 3 UWG a. F. gestütztes Verbot der Aufmachung eines Erzeugnisses) und wegen seines Produktbezugs wohl auch das Verbot sklavischer Nachahmung aus EuGH 2. 3. 1982 – 6/81 – Slg. 1982, 707 Tz. 7, 9 ff. – Beele. 621 EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 37 – Kommission/Italien; EuGH 4. 6. 2009 – C-142/05 – Slg. 2009, I-4273 Tz. 24 – Mickelsson und Roos; EuGH 2. 12. 2010 – C-108/09 – Slg. 2010, I-12213 Tz. 50 –

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III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten

Einleitung

(1) Fortschreibung der Dassonville-Formel. Sicher erscheint zunächst, dass diese Kategorie 135 eine Fortschreibung der allgemeinen Dassonville-Formel in Richtung auf das Kriterium der Behinderung des Marktzugangs darstellt, das nun offenbar als Synonym für die DassonvilleFormel von der aktuellen oder potentiellen, mittelbaren oder unmittelbaren Handelsbehinderung verwendet wird.622 Die dritte Fallgruppe erfasst damit als Auffangtatbestand623 alle sonstigen Maßnahmen, die weder diskriminierende624 (Kategorie 1) noch produktbezogene (Kategorie 2) Maßnahmen betreffen. So fallen nicht nur Nutzungs- und Verwendungsbeschränkungen in diese Kategorie,625 sondern sie erstreckt sich generell auf alle nationalen Regeln, die das „Verhalten der Käufer beeinflussen und folglich Auswirkungen auf den Zugang zum Markt dieses Mitgliedstaats haben“ können.626

(2) Integration der Relevanzformel. In diesen Auffangtatbestand lässt sich auch die Rele- 136 vanzformel („zu ungewiss und zu mittelbar“) integrieren, indem man statt des fehlenden Kausalzusammenhangs mit einer Handelsbehinderung (wie bei Dassonville) auf den fehlenden Kausalzusammenhang mit einer Marktzutrittsbehinderung abstellt, dessen Fehlen die Marktzugangsbehinderung und damit eine Maßnahme gleicher Wirkung ausschließt.627 So hat der EuGH bei Nutzungsbeschränkungen eine Behinderung des Marktzugangs und damit eine Beeinträchtigung des Art. 34 AEUV nur bejaht, wenn es sich entweder um eine absolutes Nutzungsverbot handelt628 oder wenn die Beschränkungen die Abnehmer der Erzeugnisse daran hindern, von den Waren „den ihnen eigenen und wesensimmanenten Gebrauch zu machen“ oder „deren Nutzung stark … behindern“.629 Alle anderen Nutzungsbeschränkungen, so ist im Gegenschluss zu folgern, stellen keine Beeinträchtigung des Art. 34 AEUV dar, weil ihr Einfluss auf den Warenabsatz offenbar „zu ungewiss und zu mittelbar“ ist, als dass sie den Marktzutritt behindern könnten.630 Ker-Optika; EuGH 25. 4. 2012 – C-456/10 – EuZW 2012, 508 Tz. 35 – Asociación Nacional de Expendedores de Tabaco y Timbre. 622 Siehe EuGH 6. 10. 2011 – C-443/10 – Slg. 2011, I-9327 Tz. 26 – Bonnarde, wo statt der dritten Stufe die allgemeine Dassonville-Formel wiederholt wird; EuGH 1. 3. 2012 – C-484/10 – EuZW 2012, 264 Tz. 52 f. – Ascafor; ferner Spaventa European Law Review 34 (2009) 914, 922: „substituted the Dassonville formula […] for a market access test“; Sack EWS 2011, 265, 277: „inhaltlich stimmt Stufe (3) des Drei-Stufen-Tests mit der umfassenden DassonvilleFormel überein“; Oliver Fordham International Law Journal 33 (2011) 1423, 1462: „the Court is merely telling us that these residual measures are governed by the general Dassonville formula“; zurückhaltender Stuyck Unfair competition law in the EU in the years to come in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.) European Private Law – Current Status and Perspectives (2011), S. 107, 115: Marktzugangshinderung „higher threshold than the notion of obstacle to free movement“. 623 Barnard Cambridge Law Journal 2009, 288, 289; Classen EuR 2009, 555, 559; Rauber ZEuS 2010, 15, 34; Sack EWS 2011, 265, 277. 624 Für diskriminierende Maßnahmen ebenso Enchelmaier Yearbook of European Law 29 (2010) 190, 203. 625 EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 56 ff. – Kommission/Italien; EuGH 4. 6. 2009 – C-142/05 – Slg. 2009, I-4273 Tz. 28 – Mickelsson und Roos; siehe auch bereits EuGH 11. 7. 2000 – C-473/ 98 – Slg. 2000, I-5681 Tz. 35 ff. – Toolex; EuGH 10. 4. 2008 – C-265/06 – Slg. 2008, I-2245 Tz. 32 ff. – Kommission/ Portugal; zu diskriminierenden Nutzungsbeschränkungen bereits EuGH 13. 3. 1979 – 119/78 – Slg. 1979, 975 Tz. 22 – Peureux. 626 EuGH 6. 10. 2011 – C-443/10 – Slg. 2011, I-9327 Tz. 30 – Bonnarde (Erfordernis des Vermerks „Vorführwagen“ als Voraussetzung für einen Umweltbonus nach französischem Recht). 627 In diese Richtung auch Barnard The Substantive Law of the EU, 5. Aufl. (2016), S. 140 f. (die allerdings selbst ein Spürbarkeitskriterium befürwortet); a. A. Rauber ZEuS 2010, 15, 39: Kriterium des „zu ungewiss und zu mittelbar“ werde durch die neue Formel ersetzt. 628 EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 56 ff. – Kommission/Italien. 629 EuGH 4. 6. 2009 – C-142/05 – Slg. 2009, I-4273 Tz. 28 – Mickelsson und Roos; siehe auch EuGH 10. 4. 2008 – C-265/06 – Slg. 2008, I-2245 Tz. 32 ff. – Kommission/Portugal. 630 Oliver Fordham International Law Journal 33 (2011) 1423, 1467.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

137 (3) Integration der Keck-Doktrin. Unsicherer ist demgegenüber das Schicksal der KeckDoktrin unter der Herrschaft der neuen Formel. Vorgeschlagen wird einerseits, die Verkaufsmodalitäten der Keck-Doktrin als zusätzliche Fallgruppe neben der dritten Kategorie anzusehen,631 andererseits dass die Keck-Doktrin durch die Kategorie der sonstigen Marktzugangsbehinderungen obsolet geworden sei.632 Angesichts der ausdrücklichen Herleitung der dritten Kategorie auch aus der Keck-Entscheidung633 und der Bezugnahme auf die Verkaufsmodalitäten in Folgeentscheidungen634 erscheint es indes am überzeugendsten, eine stärker auf das Marktzugangskriterium ausgerichtete Keck-Doktrin als Teil der neuen Formel zu begreifen.635 Für eine solche Lesart sprechen vor allem die Parallelen zwischen der neuen Formel und 138 der Keck-Doktrin. So ist nach der Keck-Doktrin eine Maßnahme gleicher Wirkung dann nicht gegeben, wenn es sich erstens um eine Verkaufsmodalität (im Unterschied zu produktbezogenen Regeln i.S.v. Cassis de Dijon) handelt, die zweitens diskriminierungsfrei für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gilt und die drittens den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berührt.636 Wendet man diese Kriterien ins Positive, so liegt eine Maßnahme gleicher Wirkung vor, wenn es sich um rechtlich diskriminierende Maßnahmen handelt (Kategorie 1 der neuen Formel), wenn die Regulierung das Produkt selbst und nicht bloß seinen Verkauf betrifft (Kategorie 2 der neuen Formel) oder wenn die Maßnahme tatsächlich den Absatz der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten stärker berührt, also den Zugang zum Markt eines Mitgliedstaats für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten behindert (Kategorie 3 der neuen Formel). 139 Die einzelnen Elemente der Keck-Doktrin sind nach dem hier zugrunde gelegten Verständnis der neuen Formel also nicht obsolet geworden, sondern lediglich anderen Oberbegriffen zugeordnet worden. So ist der Begriff der Verkaufsmodalität nach der neuen Formel – wie bereits unter Keck – zunächst als Gegenbegriff zu den produktbezogenen Regeln von Interesse (Kategorie 2 der neuen Formel), die per se als Maßnahme gleicher Wirkung anzusehen sind. Bejaht man nämlich das Vorliegen einer Verkaufsmodalität, so ist eine Maßnahme gleicher Wirkung nur dann gegeben, wenn es sich entweder um eine rechtlich diskriminierende Maßnahme handelt (Kategorie 1 der neuen Formel) oder wenn die Verkaufsmodalität den Marktzugang für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten in sonstiger Weise behindert (Kategorie 3 der neuen Formel). In beiden Fällen waren auch bereits nach der Keck-Doktrin Verkaufsmodalitäten als 631 So Oliver Fordham International Law Journal 33 (2011) 1423, 1462: „Nor has the Court made it clear whether only residual measures that are neither product-bound nor related to selling arrangements can fall within the third category; but the better view is that this category is limited to those measures“, 1469 f. 632 So Spaventa European Law Review 34 (2009) 914, 923; Stuyck Unfair competition law in the EU in the years to come in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.) European Private Law – Current Status and Perspectives (2011), S. 107, 115; Sack EWS 2011, 265, 277; von der Groeben/Schwarze/Hatje/Müller-Graff Art. 34 AEUV Rn. 250; für eine Aufgabe des Kriteriums der Verkaufsmodalitäten auch Rauber ZEuS 2010, 15, 39. 633 EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 36 – Kommission/Italien. 634 EuGH 2. 12. 2010 – C-108/09 – Slg. 2010, I-12213 Tz. 51 ff. – Ker-Optika; EuGH 12. 11. 2015 – C-198/14 – BeckRS 2015, 81742 Tz. 104 ff. – Visnapuu. 635 Siehe auch Classen EuR 2009, 555, 559: „kein Anhaltspunkt dafür, dass es dem EuGH … inhaltlich um eine Neuausrichtung … ging“; Oliver Fordham International Law Journal 33 (2011) 1423, 1463: „it seems premature to conclude that this ruling has made any change at all in the pre-existing law“; Enchelmaier Yearbook of European Law 29 (2010) 190, 204: „does not exactly abandon the concept of rules relating to ‚selling arrangements‘“; Brigola EuZW 2012, 248, 252; siehe auch Barnard CLJ 2009, 288, 290: „Keck has been confined to situations concerning arrangements for sale in the narrowest possible sense and seems unlikely to be extended“; dies. Substantive Law of the EU, 5. Aufl. (2016), S. 139: „Commission v. Italy has modified (corrected?) the first limb of paragraph 17 in Keck to include a market access test“; Purnhagen JZ 2012, 742, 744: „konsequente Anwendung der Keck-Rechtsprechung in der Evolution durch den EuGH“; Dietz/T. Streinz EuR 2015, 28, 69 f.: „versteckt sich das Marktzugangsprinzip nicht länger als ratio des Keck-Urteils, sondern wird als Marktzugangskriterium zum positiven Prüfungsmaßstab“ (andererseits aber auch: „Abschied von der Keck-Formel“). 636 EuGH 24. 11. 1993 – C-267/91 und C-268/91 – Slg. 1993, I-6097 Tz. 16 – Keck und Mithouard; EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 36 – Kommission/Italien.

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III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten

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Maßnahmen gleicher Wirkung anzusehen, jedenfalls wenn man die tatsächliche Absatzbehinderung als Ausprägung des Marktzugangskriteriums verstand.637 Deshalb lässt sich die bisherige Rechtsprechung zu rechtlich wie tatsächlich neutralen Verkaufsmodalitäten (oben Rn. 116 ff.) auch unter Herrschaft der neuen Formel zur Konkretisierung der Marktzugangsbehinderung fruchtbar machen, indem bei derartigen Maßnahmen eine Beeinträchtigung verneint wird. In der Zukunft dürfte allerdings die neue Formel der sich noch unter der Keck-Doktrin abzeichnenden Akzentverschiebung vom formalen Kriterium der Verkaufsmodalität zum materiellen Kriterium des Marktzugangs zum Durchbruch verhelfen, weil der Schwerpunkt der Prüfung nicht mehr das Vorliegen einer Verkaufsmodalität ist, sondern ihre Neutralität für den Marktzugang ausländischer Anbieter.

(4) Kriterien der Marktzugangsbehinderung. Wegen der Weite der dritten Fallgruppe ist 140 von besonderem Interesse, welche Kriterien an die Marktzugangsbehinderung anzulegen sind. Festzuhalten ist zunächst, dass eine Marktzugangsbehinderung in jeder sonstigen Maßnahme liegen kann, so dass nicht nur handelsbezogene, sondern auch alle anderen nationalen Vorschriften erfasst werden.638 Auch bedarf es zur Feststellung einer Marktzugangsbehinderung ebenso wenig wie nach der Dassonville-Formel639 eines ökonomischen oder statistischen Nachweises oder einer Spürbarkeit640 (oben Rn. 112) der Zugangsbehinderung.641 Vielmehr ist die Marktzugangsbehinderung vom Gericht anhand einer eigenen Einschätzung 141 der Eigenarten der Regelung und einer plausiblen Abschätzung der Maßnahmewirkungen zu 637 Siehe nur EuGH 13. 1. 2000 – C-254/98 – Slg. 2000, I-151 Tz. 25 f. – TK-Heimdienst: „Sie [nationale Regelung, die den Vertrieb im Umherziehen ohne ortsfeste Niederlassung verbietet] berührt jedoch das Inverkehrbringen inländischer und aus anderen Mitgliedstaaten stammender Erzeugnisse nicht in der gleichen Weise. Eine derartige Regelung verpflichtet nämlich Bäcker, Fleischer und Lebensmittelhändler, die bereits eine ortsfeste Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedstaat haben und die ihre Waren in einem bestimmten Verwaltungsgebiet, wie etwa einem österreichischen Verwaltungsbezirk, im Umherziehen feilbieten wollen, in diesem Verwaltungsgebiet oder einer angrenzenden Gemeinde eine andere ortsfeste Betriebsstätte zu errichten oder zu erwerben, während die örtlichen Wirtschaftsteilnehmer die Voraussetzung der ortsfesten Betriebsstätte bereits erfüllen. Somit haben Waren aus anderen Mitgliedstaaten gleichen Zugang zum Markt des Einfuhrmitgliedstaats wie inländische Waren nur, nachdem sie mit zusätzlichen Kosten belastet worden sind“ (Hervorhebung nicht im Original). Zum Verständnis als Marktzugangsregelung auch MünchKomm/Glöckner Art. 56, 57, 59, 62 AEUV Rn. 50; Reich EuZW 2008, 485, 486; zurückhaltender Barnard Substantive Law of the EU, 5. Aufl. (2016), S. 123: „market access test is presented not as a condition of its own, but rather as a consequence of the fact that the paragraph 16 proviso is satisfied“. 638 Spaventa European Law Review 34 (2009) 914, 924. 639 EuGH (Große Kammer) 14. 12. 2004 – C-463/01 – Slg. 2004, I-11705 Tz. 65 – Kommission/Deutschland (Maßnahme gleicher Wirkung trotz Ansteigens der Einfuhren); ähnlich EuGH 8. 3. 2001 – C-405/98 – Slg. 2001, I-7195 Tz. 22 – Gourmet (Anstieg ausländischer Einfuhren hätte ohne Maßnahme noch größer sein können); anschaulich auch EuGH 22. 10. 1998 – C-184/96 – Slg. 1998, I-6197 Tz. 17 – Kommission/Frankreich (nicht ein einziger konkreter Fall mit Bezug zu einem anderen Mitgliedstaat muss eingetreten sein). Werden konkrete Auswirkungen nachgewiesen, spricht dies natürlich für die Marktzugangsbehinderung, EuGH 26. 10. 2006 – C-65/05 – Slg. 2006, I-10341 Tz. 30 – Kommission/Griechenland. 640 So aber Barnard The Substantive Law of the EU, 5. Aufl. (2016), S. 105 f., 140 f. unter Hinweis auf EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 56 – Kommission/Italien: „erheblichen Einfluss auf das Verhalten der Verbraucher“; Sack EWS 2011, 265, 279 f. (als Kompensation des aus seiner Sicht aufgegebenen Keck-Kriteriums der Verkaufsmodalitäten). 641 Gegen ein Spürbarkeitserfordernis auch Spaventa European Law Review 34 (2009) 914, 924. Zur bisherigen Rechtsprechung EuGH 13. 3. 1984 – 16/83 – Slg. 1984, 1299 Tz. 20 – Prantl; EuGH 5. 4. 1984 – 177/82 und 178/82 – Slg. 1984, 7197 Tz. 13 – van de Haar; EuGH 18. 5. 1993 – C-126/91– Slg. 1993, I-2361 Tz. 21 – Yves Rocher; EuGH 3. 12. 1998 – C-67/97 – Slg. 1998, I-8033 Tz. 9, 19 f. – Bluhme (Art. 34 AEUV beeinträchtigt, obwohl die Beschränkung nur eine dänische Insel mit 2365 Einwohnern betrifft); EuGH 11. 9. 2008 – C-141/07 – Slg. 2008, I-6935 Tz. 43 – Kommission/Deutschland; ebenso MünchKomm/Heermann Art. 34 AEUV Rn. 100.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

beurteilen,642 wobei allzu ungewisse und mittelbare Behinderungen nach der Relevanzformel auszunehmen sind. So genügt es für das Vorliegen einer Marktzugangsbehinderung nicht allein, dass sich ausländische Anbieter bei ihrem Warenangebot und ihrer Preisgestaltung an die strengeren oder wirtschaftlich weniger attraktiven inländischen Vorschriften halten müssen.643 Allerdings kann die Entstehung zusätzlicher Kosten speziell für ausländische Anbieter ein Indiz für eine Marktzugangsbehinderung sein,644 wobei nur solche Kosten als Marktzugangsbehinderung anzusehen sind, die „daraus resultieren, dass die nationalen Vorschriften die besondere Situation der eingeführten Erzeugnisse und insbesondere nicht berücksichtigen, dass diese Erzeugnisse bereits den Vorschriften ihres Herkunftsstaates genügen mussten“.645 Darüber hinaus sind auch die unter der Keck-Doktrin (oben Rn. 119 ff.) als Beeinträchtigung eingestuften Maßnahmen wie insbesondere absolute oder weitreichende Werbeverbote oder das Vorenthalten besonders wirksamer Vertriebsmaßnahmen (z. B. des Direkt- oder Internetvertriebs oder des Preiswettbewerbs) als Marktzugangsbehinderung einzustufen. Auch ein den Tabakeinzelhändlern auferlegtes Verbot, die Tätigkeit der Einfuhr von Tabakerzeugnissen selbst und unmittelbar auszuüben, stellt eine sonstige Marktzugangsbehinderung dar, weil einerseits Tabakerzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten nur vermarktet werden können, wenn ein solches Erzeugnis im Erzeugnissortiment der zugelassenen Großhändler angeboten wird und diese Großhändler es vorrätig haben, so dass die Nachfrage nicht direkt, schnell und flexibel befriedigt werden kann. Zudem sind Tabakeinzelhändler daran gehindert, ihren Bedarf in den anderen Mitgliedstaaten zu decken, auch wenn die dort niedergelassenen Hersteller oder Großhändler insbesondere in den Grenzregionen günstigere Bezugsbedingungen anbieten können.646 Die Kategorie der sonstigen Marktzugangsbehinderungen erfasst sodann nicht nur diejeni142 gen Regeln, die am Eintritt auf einen bestehenden Markt hindern, sondern auch solche Vorschriften, die wie die Nutzungsbeschränkungen in Kommission/Italien647 den erreichbaren Markt von vorneherein begrenzen oder ausschließen, dass sich überhaupt ein Markt für entsprechende Erzeugnisse entwickelt.648 Mit dieser Rechtsprechung verstärkt sich die Tendenz, die Verkehrsfreiheiten zu allgemeinen wirtschaftlichen Freiheitsrechten auf Marktzugang zu erheben. Da dies nicht ihrer ursprünglichen Konzeption als spezifische Garantien für den grenzüberschreitenden Handel entspricht,649 andererseits aber das Fortschreiten der Binnenmarktin642 Barnard The Substantive Law of the EU, 5. Aufl. (2016), S. 140 f.; Oliver Fordham International Law Journal 33 (2011) 1423, 1469: „This test involves an examination of the inherent characteristics of the measure and does not entail an economic or statistical analysis“. 643 Vgl. EuGH 12. 9. 2013 – C-475/11 – BeckRS 2013, 81708 Tz. 47 f. – Kostas Konstantinides zur Bindung ausländischer Ärzte an die Regeln der deutschen Honorarordnung. 644 EuGH 13. 1. 2000 – C-254/98 – Slg. 2000, I-151 Tz. 26 – TK-Heimdienst; EuGH 5. 2. 2004 – C-270/02 – Slg. 2004, I-1559 Tz. 19 – Kommission/Italien; Behrens Die Liberalisierung des Fernsehwerberechts im Kontext der Rundfunkregulierung (2012) S. 74 f. 645 Schlussanträge des Generalanwalts Maduro vom 30. 3. 2006 – C-158/04 und C-59/04 – Slg. 2006, I-8135 Tz. 44 – Alfa Vita. Nicht ausreichend ist regelmäßig das Entstehen zusätzlicher Kosten für alle Marktteilnehmer, EuGH 17. 2. 2005 – C-134/03 – Slg. 2005, I-1167 Tz. 37 f. – Viacom Outdoor; EuGH 8. 9. 2005 – C-544/03 und C-545/03 – Slg. 2005, I-7723 Tz. 31 – Mobistar, sofern diese Kosten nicht spezifisch ausländische Anbieter treffen, siehe EuGH 29. 11. 2001 – C-17/00 – Slg. 2001, I-9445 Tz. 32 ff. – De Coster im Vergleich zu vorzitierten Judikaten. 646 EuGH 25. 4. 2012 – C-456/10 – EuZW 2012, 508 Tz. 36 f., 39, 41 – Asociación Nacional de Expendedores de Tabaco y Timbre. 647 EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 56 ff. – Kommission/Italien; EuGH 4. 6. 2009 – C-142/05 – Slg. 2009, I-4273 Tz. 28 – Mickelsson und Roos. 648 Siehe auch die Analogie zur Dienstleistungsfreiheit von Spaventa European Law Review 34 (2009) 914, 924. 649 Rauber ZEuS 2010, 15, 36 f.; ebenso auch die der neuen Formel bereits sehr ähnlichen Schlussanträge des Generalanwalts Maduro vom 30. 3. 2006 – C-158/04 und C-59/04 – Slg. 2006, I-8135 Tz. 37, 41, 43 ff. – Alfa Vita: „Denn die Bestimmungen […] über den freien Warenverkehr sollen die Durchlässigkeit der nationalen Märkte gewährleisten […], nicht aber eine allgemeine Deregulierung der nationalen Volkswirtschaften fördern“; „nicht Aufgabe des Gerichtshofes […], systematisch die Ausrichtung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten in Frage zu stellen“; Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano vom 25. 3. 2004 – C-442/04 – Slg. 2004, 8961 Tz. 63 – Caixa Bank

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III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten

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tegration im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit der Union in gewissem Umfang eine Fortentwicklung der Grundfreiheiten zu allgemeinen wirtschaftlichen Freiheitsrechten rechtfertigt,650 sollte eine zweistufige Prüfung erfolgen:651 Handelt es sich um eine Regelung, die den Marktzugang ausländischer Anbieter tatsächlich stärker als den der Inländer berührt, insbesondere weil ihnen ein für sie besonders wirksames Vermarktungsmittel genommen wird, so ist das Vorliegen einer Maßnahme gleicher Wirkung zu bejahen. Handelt es sich demgegenüber um eine Maßnahme, die in- und ausländische Anbieter auch faktisch in gleicher Weise berührt, so ist eine Maßnahme gleicher Wirkung nur dann zu bejahen, wenn der erreichbare Markt sehr weitgehend begrenzt oder generell verschlossen wird (z. B. durch generelle oder sehr weitgehende Nutzungsbeschränkungen); nicht aber wenn nur das Marktverhalten reguliert wird (z. B. durch Ladenöffnungszeiten652).

(5) Relevanz für das Lauterkeitsrecht. Die Relevanz der dritten Fallgruppe für das Lauter- 143 keitsrecht ist unsicher.653 Zwar dürfte die neue Formel im bisher (eher) sicheren Hafen der Verkaufsmodalitäten einige Wellen schlagen. Andererseits zeichnete sich in jüngerer Zeit auch unter der „reinen“ Keck-Doktrin bereits ab, dass das materielle Kriterium der Marktzugangsbehinderung die formelle Anknüpfung an die Verkaufsmodalität immer stärker überlagerte, so dass die Unterschiede zumindest zu einer am Marktzugang ausgerichteten Keck-Doktrin wohl überschaubar bleiben dürften, zumal nach dem hier vorgeschlagenen Verständnis nicht jede Marktzugangsbehinderung sogleich eine Maßnahme gleicher Wirkung darstellt (oben Rn. 139) und die Kategorien der rechtlichen Ungleichbehandlung und der produktbezogenen Vorschriften neben der allgemeinen Marktzugangsbehinderung eine gewisse Konkretisierung des Begriffs der Maßnahme gleicher Wirkung sicherstellen.654

France: Ziel der Grundfreiheiten nicht „Errichtung eines Marktes, in dem Regeln grundsätzlich verboten sind, soweit sie nicht erforderlich und angemessen sind, um zwingenden Erfordernissen des Gemeinwohls zu genügen“. 650 Für ein solches Verständnis Spaventa European Law Review 34 (2009) 914, 924 f.: „broader aim of ensuring the competitiveness of the internal market as a whole“; 929: „freedom to trade“. Die Expansion des Tatbestands wird teilweise durch Absenkung der Maßstäbe der Rechtfertigungsprüfung kompensiert, EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 59 f., 65 – Kommission/Italien; Spaventa European Law Review 34 (2009) 914, 925 f. 651 Zusammenfassend zur Praxis des Gerichtshofs Snell CMLR 47 (2010) 437, 471: „Currently, the Court’s analysis in the main seems to focus on the significance of the impact of the measure, with all the uncertainties this approach entails. At the same time, it denies that rules with an insignificant effect fall outside the scope of the Treaty and employs discrimination analysis for certain categories of measures, such as export restrictions on goods and national tax rules“. Dies entspricht im Kern der hier vorgeschlagenen Differenzierung, auch wenn rechtliche Ungleichbehandlungen nach meiner Lesart der neuen Formel in die erste Kategorie der diskriminierenden Maßnahmen fallen. Siehe auch die Ausführungen zur Parallelproblematik bei der Dienstleistungsfreiheit unten Rn. 193. 652 Dazu jüngst (offenlassend) EuGH 4. 12. 2012 – C-559/11 – BeckRS 2012, 82481 – Pelckmans Turnhout. 653 Siehe auch Stuyck Unfair competition law in the EU in the years to come in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.) European Private Law – Current Status and Perspectives (2011), S. 107, 115: „In other words, since Keck, but still after Mickelsoon, the application of unfair competition law in a cross-border import situation will very often not come under the scope of Article 34 TFEU, because this law will typically not affect imports more than it affects domestic trade“. 654 Purnhagen JZ 2012, 742, 745 sieht eine Schwäche der neuen Formel darin, dass sie Maßnahmen in minimaloder maximalharmonisierenden Sekundärrechtsakten, die früher als Produktmodalität und damit als Maßnahme gleicher Wirkung eingestuft worden wären (als Beispiel wählt er EuGH 2. 2. 1994 – C-315/92 – Slg. 1994, I-317 Tz. 13 ff. – Clinique), mangels Marktzugangsbehinderung (infolge der Harmonisierung) nicht mehr als Maßnahme gleicher Wirkung klassifizieren würde. M. E. sind diese Bedenken nicht begründet: Zum einen ist der Zugriff der Grundfreiheiten auf harmonisierendes Sekundärrecht ohnehin deutlich geringer als auf nationale Maßnahmen (oben Rn. 92), zum anderen steht neben der Kategorie der sonstigen Marktzugangsbehinderungen nach wie vor die Kategorie der Beeinträchtigung durch Produktmodalitäten als zweite Stufe der neuen Formel.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

3. Warenverkehrsfreiheit: Rechtfertigung Artikel 36 AEUV Die Bestimmungen der Artikel 34 und 35 stehen Einfuhr-, Ausfuhr- und Durchfuhrverboten oder-beschränkungen nicht entgegen, die aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen, des nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert oder des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sind. Diese Verbote oder Beschränkungen dürfen jedoch weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen.

144 Die Verbote der Art. 34 und 35 AEUV gelten nicht absolut. Vielmehr können mengenmäßige Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung durch einen der in Art. 36 AEUV abschließend aufgezählten Gründe des Gemeinwohls (unten Rn. 147 ff.), durch sonstiges kollidierendes Primärrecht (unten Rn. 183) oder durch die ungeschriebenen Erfordernisse der Cassis-Formel (unten Rn. 154 ff.) gerechtfertigt sein, sofern keine abschließende sekundärrechtliche Harmonisierung erfolgt ist.655 In allen Fällen muss die nationale Maßnahme „geeignet sein, die Erreichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was dazu erforderlich ist“ (Verhältnismäßigkeit).656 Die Verhältnismäßigkeit lässt sich gedanklich in vier Schritten prüfen.657 Es bedarf zunächst eines legitimen Ziels, das im Schutz eines der Güter des Art. 36 AEUV oder in einem zwingenden Erfordernis i. S. d. Cassis-Doktrin bestehen kann. Die einschränkende Maßnahme muss sodann geeignet sein, dieses Ziel zu fördern, wobei die Auswahl geeigneter Maßnahmen grundsätzlich den Mitgliedstaaten obliegt und nur im Fall eines offensichtlichen Ermessensfehlers beanstandet wird.658 Die Prüfung der Erforderlichkeit und (soweit noch notwendig) Angemessenheit ist abhängig von Ziel und Kontext der Maßnahme und soll daher im Folgenden im Zusammenhang mit der Darstellung der einzelnen Schutzgüter erfolgen. Die Unverhältnismäßigkeit kann sich auch aus einer allzu strengen Ausgestaltung der Sanktionen (z. B. durch eine Kombination von Mindestbußgeldern, einer Kumulation von Einzelbußgeldern und Bußgeldern ohne Obergrenze) für den Fall eines Verstoßes gegen nationale Vorschriften ergeben, die an sich gerechtfertigte Beschränkungen der Grundfreiheiten anordnen.659 Beruft sich ein Mitgliedstaat auf Rechtfertigungsgründe, so müssen diese von einer Untersu145 chung zur Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der von diesem Mitgliedstaat erlassenen Maßnahme sowie von genauen Angaben zur Stützung seines Vorbringens begleitet sein.660 Aufgrund dieser – vom Gerichtshof durchaus streng gehandhabten – Anforderungen an die 655 EuGH 12. 11. 1998 – C-102/96 – Slg. 1998, I-6871 Tz. 21 – Kommission/Deutschland: „ist die Anwendung dieser Bestimmung [Art. 36 AEUV] ausgeschlossen, wenn Richtlinien der Gemeinschaft die Harmonisierung der Maßnahmen vorsehen, die zur Verwirklichung des konkreten Zieles, das durch den Rückgriff auf Artikel 36 erreicht werden soll, erforderlich sind …. Dieser Ausschluß muß auch dann gelten, wenn Erfordernisse des Verbraucherschutzes geltend gemacht werden“; ebenso EuGH 24. 10. 2002 – C-99/01 – Slg. 2002, I-9375 Tz. 25 – Linhart. 656 Zusammenfassend EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 59 – Kommission/Italien; siehe auch EuGH 26.11.996 – C-313/94 – Slg. 1996, I-6039 Tz. 23 – Graffione: „ist es zur Rechtfertigung der zum Schutz der Verbraucher erlassenen Maßnahme darüber hinaus jedoch notwendig, daß sie zur Erreichung dieses Zieles tatsächlich erforderlich ist, daß sie in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck steht und daß dieser Zweck nicht durch Maßnahmen erreicht werden kann, die den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr weniger beschränken“. 657 Siehe Calliess/Ruffert/Kingreen Art. 34–36 AEUV Rn. 88 ff. 658 EuGH 15. 9. 1994 – C-293/93 – Slg. 1994, I-4249 Tz. 22 – Houtwipper; für einen Fall der Ungeeignetheit EuGH 10. 7. 1980 – 152/78 – Slg. 1980, 2299 Tz. 15 f. – Kommission/Frankreich (Werbeverbot für Alkohol). 659 EuGH 12. 9. 2019 – C-64/18, C-140/18, C-146/18 und C-148/18 – NZA 2020, 110 Tz. 39 ff. – Maksimovic. 660 EuGH 19. 10. 2016 – C-148/15 – EuZW 2016, 958 Tz. 35 – Deutsche Parkinson Vereinigung; für ein Beispiel ausreichender Darlegung EuGH 4. 7. 2019 – C-377/17 – NVwZ 2019, 1120 Tz. 76 ff. – Kommission/Deutschland (Honorarregelung nach HOAI).

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III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten

Einleitung

Tatsachenfundierung einer Grundfreiheitenbeschränkung muss ein nationales Gericht „mit Hilfe statistischer Daten, auf einzelne Punkte beschränkter Daten oder anderer Mittel objektiv prüfen, ob die von dem betreffenden Mitgliedstaat vorgelegten Beweise bei verständiger Würdigung die Einschätzung erlauben, dass die gewählten Mittel zur Verwirklichung der verfolgten Ziele geeignet sind, und ob es möglich ist, diese Ziele durch Maßnahmen zu erreichen“, die die Grundfreiheiten weniger einschränken.661 Schließlich ist die im Unionsrecht vorgesehene „Rechtfertigung im Lichte der allgemeinen 146 Rechtsgrundsätze und der Grundrechte auszulegen“.662 Daraus ergeben sich nicht zuletzt verfahrensrechtliche Anforderungen. So verlangt die Wirksamkeit der nach Art. 47 EuGRCh gebotenen gerichtlichen Kontrolle, dass der Betroffene Kenntnis von den Gründen, auf denen die ihm gegenüber ergangene Entscheidung einer Verwaltungsbehörde beruht, erlangen kann, sei es anhand der Entscheidung selbst oder durch eine auf seinen Antrag hin erfolgte Mitteilung dieser Gründe – unbeschadet der Befugnis des zuständigen Gerichts, von der betreffenden Behörde die Übermittlung der Gründe zu verlangen.663 Ferner sind der Anspruch auf rechtliches Gehör664 und das Erfordernis einer Begründung665 zu wahren, damit etwaige Beschränkungen der Grundfreiheiten zulässig sind.

a) Art. 36 AEUV. Eine Maßnahme gleicher Wirkung666 kann zunächst zum Schutz eines der in 147 Art. 36 Satz 1 AEUV genannten Güter gerechtfertigt sein. Zu den dort abschließend667 aufgezählten Schutzgütern (öffentliche Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, Gesundheit und Leben von Menschen, Tieren oder Pflanzen, nationales Kulturgut, gewerbliches und kommerzielles Eigentum) zählt allerdings weder der Schutz des (lauteren) Wettbewerbs noch der Verbraucherschutz,668 so dass diese Interessen nur als zwingende Erfordernisse i. S. d. Cassis-Formel berücksichtigt werden können. Dennoch schließt dies den Rückgriff auf Art. 36 AEUV im Lauterkeitsrecht nicht aus, weil eine wettbewerbsrechtliche Regelung im Einzelfall auch anderen als wettbewerblichen oder verbraucherschützenden Zielen dienen kann. Dann kann der Rückgriff auf Art. 36 AEUV bedeutsam sein, weil die Schutzgüter des Art. 36 AEUV – im Unterschied zu den zwingenden Erfordernissen der Cassis-Doktrin, bei denen dies umstritten ist – auch diskriminierende Maßnahmen zu rechtfertigen vermögen.669 Das Verbot willkürlicher Diskriminierungen und verschleierter Handelsbeschrän661 EuGH 19. 10. 2016 – C-148/15 – EuZW 2016, 958 Tz. 36 – Deutsche Parkinson Vereinigung; siehe aber auch (zur DienstleistungsRL 2006/123/EG) EuGH 4. 7. 2019 – C-377/17 – NVwZ 2019, 1120 Tz. 65 – Kommission/Deutschland: empirische Beweise sind nicht notwendigerweise erforderlich (aber auch Tz. 74: „genaue Angaben zur Stützung seines Vorbringens“). 662 EuGH 18. 6. 1991 – C-260/89 – Slg. 1991, I-2925 Tz. 43 – ERT; EuGH 26. 6. 1997 – C-368/95 – Slg. 1997, I-3689 Tz. 24 – Familiapress. 663 Im Kontext der Niederlassungsfreiheit EuGH 8. 5. 2019 – C-230/18 – NVwZ 2019, 1664 Tz. 78 – PI/Landespolizeidirektion Tirol. 664 Im Kontext der Niederlassungsfreiheit EuGH 8. 5. 2019 – C-230/18 – NVwZ 2019, 1664 Tz. 79 – PI/Landespolizeidirektion Tirol. 665 Im Kontext der Niederlassungsfreiheit EuGH 8. 5. 2019 – C-230/18 – NVwZ 2019, 1664 Tz. 81 – PI/Landespolizeidirektion Tirol. 666 Der Wortlaut „Einfuhr, Ausfuhr- und Durchfuhrverbote“ in Art. 36 AEUV ist zu eng, die Vorschrift erfasst auch Maßnahmen gleicher Wirkung, von der Groeben/Schwarze/Hatje/Müller-Graff Art. 36 AEUV Rn. 10; MünchKomm/ Heermann Art. 36 AEUV Rn. 2. 667 EuGH 9. 6. 1982 – 95/81 – Slg. 1982, 2187 Tz. 27 – Kommission/Italien. 668 EuGH 17. 6. 1981 – 113/80 – Slg. 1981, 1625 Tz. 8 – Kommission/Irland; zu den nicht-wirtschaftlichen Tatbeständen des Art. 36 AEUV auch EuGH 19. 12. 1961 – 7/61 – Slg. 1961, 695, 720 – Kommission/Italien; EuGH 28. 3. 1995 – C-324/93 – Slg. 1995, I-563 Tz. 36 – Evans (Überleben eines Unternehmens kein Rechtfertigungsgrund i. S. d. Art. 36 AEUV). 669 Vgl. EuGH 16. 12. 2010 – C-137/09 – Slg. 2010, I-13019 Tz. 58 f., 65 ff. – Josemans (Zutritt zu Coffeeshops wird in den Niederlanden ansässigen Personen vorbehalten); siehe auch EuGH 3. 3. 1988 – 434/85 – Slg. 1988, 1245 Tz. 34 f. – Generics.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

kungen in Art. 36 Satz 2 AEUV hat in der Rechtsprechung keine eigenständige Bedeutung neben dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erlangt.670

148 aa) Gesundheitsschutz. Unter den einzelnen Schutzgütern des Art. 36 AEUV hat der Schutz der Gesundheit praktisch wie rechtlich den ersten Rang.671 Allerdings sind inzwischen auch auf diesem Gebiet zahlreiche Harmonisierungsmaßnahmen ergangen, die eine Vollharmonisierung bewirken und damit den Regelungsspielraum der nationalen Gesetzgeber begrenzen (Überblick unten Rn. 447). Fehlt es an einer Rechtsangleichung durch die Union, so stellt sich zunächst die Frage, wie der Gesundheitsschutz von den ungeschriebenen zwingenden Erfordernissen des Verbraucherschutzes abzugrenzen ist. Sachgerecht erscheint ein Unmittelbarkeitserfordernis, so dass nur Maßnahmen, die unmittelbar dem Schutz des Lebens oder der Gesundheit dienen, durch Art. 36 AEUV gerechtfertigt werden können; ansonsten bleibt es bei der Cassis-Formel.672 149 Handelt es sich um eine unmittelbar dem Gesundheitsschutz dienende Maßnahme, so ist es nach der Rechtsprechung des EuGH „Sache der Mitgliedstaaten, in den durch den Vertrag gesetzten Grenzen und unter Berücksichtigung der Erfordernisse des freien Warenverkehrs … zu bestimmen, auf welchem Niveau sie den Schutz gewährleisten wollen“.673 Allerdings lässt sich eine Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit auch im Interesse des Gesundheitsschutzes nur rechtfertigen, „wenn sie geeignet ist, die Verwirklichung des verfolgten legitimen Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist“.674 Im Rahmen dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung sind schon wegen der Hochrangigkeit des Schutzgutes präventive Maßnahmen wie Zulassungsverfahren bei Zusatzstoffen in Lebensmitteln zulässig.675 Wegen des Charakters des Art. 36 AEUV als eng auszulegende Ausnahme vom Grundsatz des freien Warenverkehrs ist allerdings durch die nationalen Organe „in jedem Einzelfall im Licht der nationalen Ernährungsgewohnheiten und unter Berücksichtigung der Ergebnisse der internationalen wissenschaftlichen Forschung darzulegen, dass ihre Regelung zum wirksamen Schutz der von dieser Bestimmung erfassten Interessen erforderlich ist, und insbesondere, dass das Inverkehrbringen der in Frage stehenden Erzeugnisse eine tatsächliche Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellt“.676 Auch legt der Gerichtshof im Rahmen 670 EuGH 14. 7. 1983 – 174/82 – Slg. 1983, 2445 Tz. 18 – Sandoz: „jedoch verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der Artikel 36 Satz 2 EWG-Vertrag zugrunde liegt“; zusammenfassend zu den Interpretationen im Schrifttum Calliess/Ruffert/Kingreen Art. 34–36 AEUV Rn. 102. 671 EuGH 8. 11. 2007 – C-143/06 – Slg. 2007, I-9623 Tz. 27 – Ludwigs-Apotheke; EuGH 9. 12. 2010 – C-421/09 – Slg. 2010, I-12869 Tz. 32 – Humanplasma (zum österreichischen Verbot des Inverkehrbringens von Blut und Blutprodukten, für deren Spende der Spender eine Bezahlung erhalten haben); vgl. dazu auch BGH 30. 4. 2009 – I ZR 117/07 – GRUR 2009, 1189 – Blutspendedienst. 672 MünchKomm/Heermann Art. 36 AEUV Rn. 15: „schutzzweckorientierte Betrachtung“; siehe auch EuGH 13. 1. 2000 – C-220/98 – Slg. 2000, I-117 Tz. 28 – Estée Lauder: Das Kriterium des Durchschnittverbrauchers „gilt auch im Bereich des Vertriebs kosmetischer Mittel, wenn ein Irrtum über die Eigenschaften des Produkts – wie im Ausgangsverfahren – die Gesundheit nicht beeinträchtigen kann“. Zum Verhältnis zum Umweltschutz siehe auch EuGH (Große Kammer) 21. 12. 2011 – C-28/09 – EuGRZ 2012, 48 Tz. 123 – Kommission/Österreich. 673 EuGH 8. 11. 2007 – C-143/06 – Slg. 2007, I-9623 Tz. 27 – Ludwigs-Apotheke; EuGH 2. 12. 2010 – C-108/09 – Slg. 2010, I-12213 Tz. 58 – Ker-Optika: „Wertungsspielraum“; EuGH 9. 12. 2010 – C-421/09 – Slg. 2010, I-12869 Tz. 32 – Humanplasma; siehe auch die Rechtsprechung zu den skandinavischen Alkoholgesetzen EuGH 28. 9. 2006 – C-434/ 04 – Slg. 2006, I-9171 Tz. 32 – Ahokainen: „Beurteilungsspielraum“. 674 EuGH 9. 12. 2010 – C-421/09 – Slg. 2010, I-12869 Tz. 34 – Humanplasma. 675 Calliess/Ruffert/Kingreen Art. 34–36 AEUV Rn. 199, 203; siehe auch EuGH 5. 3. 2009 – C-88/07 – Slg. 2009, I1353 Tz. 89 ff. – Kommission/Spanien (Zulassungsverfahren bei pflanzlichen Arzneimitteln). 676 EuGH 15. 11. 2007 – C-319/05 – Slg. 2007, I-9811 Tz. 88 – Kommission/Deutschland; ebenso EuGH 29. 4. 2004 – C-150/00 – Slg. 2004, I-3887 Tz. 89 – Kommission/Österreich (zur Kontrolle von Lebensmittelzusatzstoffen); EuGH 5. 3. 2009 – C-88/07 – Slg. 2009, I- 1353 Tz. 89 – Kommission/Spanien (zur Kontrolle von pflanzlichen Arzneimitteln); EuGH 19. 6. 2003 – C-420/01 – Slg. 2003, I-6445 Tz. 30 ff. – Kommission/Italien (Verbot der Vermarktung von Energiegetränken mit hohem Koffeingehalt).

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III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten

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der Verhältnismäßigkeitsprüfung Wert darauf, dass die mit der Regelung angestrebten Ziele vollständig verwirklicht werden können.677 Berücksichtigt wird zudem die Praxis anderer Mitgliedstaaten,678 auch wenn die Verhältnismäßigkeit der nationalen Bestimmungen nicht schon deshalb ausgeschlossen ist, weil ein Mitgliedstaat andere Schutzvorschriften als ein anderer Mitgliedstaat erlassen hat.679 Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall680 steht der Gerichtshof auch beim Gesundheitsschutz Vertriebsbeschränkungen skeptisch gegenüber, wenn der für den Marktzugang wichtige Vertriebskanal über das Internet681 abgeschnitten wird oder Werbung generell verboten ist.682

bb) Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums. Eine mittelbare Bedeutung 150 für das Lauterkeitsrecht hat außerdem der Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums. Zwar lässt sich der Schutz der Lauterkeit des Handelsverkehrs nicht unter den Schutz des gewerblichen Eigentums in Art. 36 AEUV fassen.683 Aber immerhin hat der Gerichtshof neben den klassischen Immaterialgüterrechten (Patente,684 eingetragene und nicht eingetragene Marken,685 Urheberrechte686 und verwandte Schutzrechte,687 Geschmacksmusterrechte,688 Sortenschutzrechte689) auch die dem Lauterkeitsrecht nahestehenden geographischen Herkunftsanga-

677 678 679 680

EuGH 5. 6. 2007 – C-170/04 – Slg. 2007, I-4071 Tz. 53 f. – Rosengren. EuGH 9. 12. 2010 – C-421/09 – Slg. 2010, I-12869 Tz. 41 – Humanplasma. EuGH 14. 10. 2004 – C-36/02 – Slg. 2004, I-9609 Tz. 38 – Omega. Zu den Entscheidungen bis 2016 MünchKomm/Heermann Art. 36 AEUV Rn. 16 f. Siehe aus jüngerer Zeit EuGH 28. 9. 2006 – C-434/04 – Slg. 2006, I-9171 Tz. 31 ff. – Ahokainen; EuGH 5. 6. 2007 – C-170/04 – Slg. 2007, I-4071 Tz. 44 ff. – Rosengren (jeweils zu Importbeschränkungen bei Alkohol); EuGH 5. 3. 2009 – C-88/07 – Slg. 2009, I1353 Tz. 89 ff. – Kommission/Spanien (Zulassungsverfahren bei pflanzlichen Arzneimitteln); EuGH 9. 12. 2010 – C421/09 – Slg. 2010, I-12869 Tz. 38 ff. – Humanplasma. 681 EuGH 11. 12. 2003 – C-322/01 – Slg. 2003, I-14887 Tz. 112 ff. – Deutscher Apothekerverband (Verbot des Vertriebs nicht apothekenpflichtiger Arzneimittel über das Internet; auch zur Gleichwertigkeit der Aufsicht durch einen anderen Mitgliedstaat in Tz. 105); EuGH 2. 12. 2010 – C-108/09 – Slg. 2010, I-12213 Tz. 65 ff. – Ker-Optika (Verbot des Vertriebs von Kontaktlinsen über das Internet). 682 EuGH 8. 3. 2001 – C-405/98 – Slg. 2001, I-1795 Tz. 26 ff. – Gourmet International Products (Werbeverbot für Alkohol); EuGH 15. 7. 2004 – C-239/02 – Slg. 2004, I-7007 Tz. 41 ff.; 56 ff. – Douwe Egberts (Verbot der Werbung mit gesundheitsbezogenen Angaben wie „Schlankerwerden“); großzügiger noch EuGH 10. 7. 1980 – 152/78 – Slg. 1980, 2299 Tz. 17 – Kommission/Frankreich (Werbeverbot für Alkohol). 683 EuGH 17. 6. 1981 – 113/80 – Slg. 1981, 1625 Tz. 8 – Kommission/Irland; von der Groeben/Schwarze/Hatje/MüllerGraff Art. 36 AEUV Rn. 74; ausführlich Beater Rn. 531 ff. 684 EuGH 31. 10. 1974 – 15/74 – Slg. 1974, 1147 Tz. 6 ff. – Centrafarm/Sterling; EuGH 14. 7. 1981 – 187/80 –Slg. 1980, 2063 Tz. 4, 9 – Stephar; EuGH 9. 7. 1985 – 19/84 – Slg. 1985, 2281 Tz. 25 ff. – Hoechst; EuGH 3. 3. 1988 – 434/85 – Slg. 1988, 1245 Tz. 9 ff. – Generics; EuGH 30. 6. 1988 – 35/87 – Slg. 1988, 3585 Tz. 21 – Fiamma. Auch Gebrauchsmuster zählen zu Rechten des gewerblichen Eigentums i. S. d. Art. 36 AEUV, Grabitz/Hilf/Nettesheim/Leible/T. Streinz Art. 36 AEUV Rn. 33. 685 EuGH 3. 7. 1974 – 192/73 – Slg. 1974, 731 Tz. 7 ff. – HAG I; EuGH 31. 10. 1974 – 16/74 – Slg. 1974, 1183 Tz. 9 – Centrafarm/Winthrop; EuGH 23. 5. 1978 – 102/77 – Slg. 1978, 1139 Tz. 6 ff. – Hoffmann-La Roche; EuGH 11. 7. 1996 – C-427/93, C-429/93 und C-436/93 – Slg. 1996, I-3457 Tz. 42 f. – Bristol-Myers Squibb; EuGH 12. 10. 1999 – C-379/97 – Slg. 1999, I-6927 Tz. 14 ff. – Paranova; EuGH 30. 11. 1993 – C-317/91 – Slg. 1993, I-6227 Tz. 14, 39 Deutsche Renault (zu nicht eingetragenen Marken, sog. Ausstattungsrechten). 686 EuGH 18. 3. 1980 – 62/79 – Slg. 1980, 881 Tz. 15 f. – Coditel I; EuGH 20. 1. 1981 – 55/80 und 57/80 – Slg. 1981, 147 Tz. 9 – Gema; EuGH 6. 10. 1982 – 262/81 – Slg. 1982, 3381 Tz. 10 – Coditel II. 687 EuGH 28. 6. 1971 – 78/70 – Slg. 1971, 487 Tz. 11 – Deutsche Grammophon. 688 EuGH 14. 9. 1982 – 144/81 – Slg. 1982, 2853 Tz. 14 – Keurkoop; EuGH 5. 10. 1988 – 53/87 – Slg. 1988, 6039 Tz. 10 ff. – Cicra. 689 EuGH 8. 6. 1982 – 258/78 – Slg. 1982, 2015 Tz. 35 – Nungesser (im Rahmen einer kartellrechtlichen Entscheidung).

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

ben,690 Ursprungsbezeichnungen691 und durch das nationale Recht geschützte Geschäfts-692 und Firmenbezeichnungen693 als Rechte des gewerblichen Eigentums i. S. d. Art. 36 AEUV anerkannt; auch ein durch nationales Recht geschaffenes Leistungsschutzrecht von Sportveranstaltern dürfte erfasst sein.694 Nicht unter Art. 36 AEUV, sondern unter die Lauterkeit des Handelsverkehrs als Teil der Cassis-Doktrin fällt der ergänzende wettbewerbliche Leistungsschutz695 und der rein lauterkeitsrechtliche Irreführungsschutz bei geographischen Angaben.696 Im Rahmen des durch Art. 36 AEUV gerechtfertigten Schutzes des gewerblichen und kom151 merziellen Eigentums unterschied der EuGH zunächst zwischen dem (vom EWG-Vertrag unberührten) Bestand dieser Rechte und ihrer (vom EWG-Vertrag erfassten) Ausübung.697 Nachdem diese Formel auf Kritik gestoßen war,698 stellt der Gerichtshof mittlerweile nur noch auf den spezifischen Gegenstand des betreffenden Rechts ab: Art. 36 AEUV gestattet Beschränkungen des freien Warenverkehrs zum Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums, „soweit sie zur Wahrung der Rechte berechtigt sind, die den spezifischen Gegenstand dieses Eigentums ausmachen“.699 Dieser spezifische Gegenstand700 umfasst insbesondere die Befugnis, das Inverkehrbringen oder die Bereitstellung der Schutzgegenstände dadurch kommerziell zu nutzen, dass gegen Zahlung einer Vergütung Lizenzen erteilt werden.701 Garantiert wird allerdings nur eine angemessene, nicht die höchstmögliche Vergütung; d. h. die Vergütung muss „in einem vernünftigen Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Wert der erbrachten Leistung stehen“, insbesondere „mit der tatsächlichen oder potenziellen Zahl der Personen in Zusammenhang stehen, die in ihren Genuss kommen oder kommen sollen“.702 Darüber hinaus

690 EuGH 10. 11. 1992 – C-3/91 – Slg. 1992, I-5529 Tz. 23 ff., 39 – Exportur. Keine geographische Herkunftsangabe ist das CMA-Gütezeichen, EuGH 5. 11. 2002 – C-325/00 – Slg. 2002, I-9977 Tz. 26 f. – Kommission/Deutschland. 691 EuGH 6. 6. 1992 – C-47/90 – Slg. 1992, I-3669 Tz. 16 – Delhaize; EuGH 16. 5. 2000 – C-388/95 – Slg. 2000, I-3123 Tz. 54 – Belgien/Spanien; EuGH 20. 3. 2003 – C-108/01 – Slg. 2003, I-5121 Tz. 62 ff. – Consorzio del Prosciutto di Parma; EuGH 3. 3. 2011 – C-161/09 – Slg. 2011, I-915 Tz. 37 ff. – Kakavetsos-Frakopoulos; siehe auch EuGH 13. 3. 1984 – 16/83 – Slg. 1984, 1299 Tz. 34 ff. – Prantl. 692 EuGH 11. 5. 1999 – C-255/97 – Slg. 1999, I-2835 Tz. 20 ff. – Pfeiffer (Schutz von Geschäftsbezeichnungen gegen Verwechslungsgefahr). 693 EuGH 22. 6. 1976 – 119/75 – Slg. 1976, 1039 Tz. 5 ff. – Terrapin. 694 EuGH (Große Kammer) 23. 10. 2011 – C-403/08 und C-429/08 – Slg. 2011, I-9083 Tz. 102 ff. – Football Association Premier League. 695 EuGH 2. 3. 1982 – 6/81 – Slg. 1982, 707 Tz. 7, 9 ff. – Beele (zur sklavischen Nachahmung); Köhler/Bornkamm/ Feddersen Einl UWG Rn. 3.28: selbstständige Bedeutung habe der Lauterkeitsschutz i. S. d. Cassis-Doktrin hinsichtlich des Schutzes anderer Marktteilnehmer, insbesondere der Mitbewerber; a. A. Sack GRUR 1998, 871, 875; differenzierend Beater Rn. 531 ff. 696 Büscher GRUR Int. 2008, 977, 981 f.; siehe auch Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 25. 5. 2000 – C-312/98 – Slg. 2000, I-9187 Tz. 51 – Warsteiner. Zur Parallelität der Irreführungsprüfung gemäß Art. 36 AEUV und unter der Cassis-Doktrin Omsels GRUR Int. 2009, 971, 974. 697 EuGH 3. 7. 1974 – 192/73 – Slg. 1974, 731 Tz. 7 ff. – HAG I; EuGH 31. 10. 1974 – 15/74 – Slg. 1974, 1147 Tz. 6 ff. – Centrafarm/Sterling; EuGH 3. 3. 1988 – 434/85 – Slg. 1988, 1245 Tz. 8 ff. – Generics. 698 Vgl. Beier GRUR Int. 1989, 603, 609. 699 Die Formel vom „spezifischen Gegenstand“ findet sich bereits in EuGH 28. 6. 1971 – 78/70 – Slg. 1971, 487 Tz. 11 – Deutsche Grammophon; aus jüngerer Zeit auch EuGH 23. 10. 2003 – C-115/02 – Slg. 2003, I-12705 Tz. 23 – Rioglass; EuGH (Große Kammer) 23. 10. 2011 – C-403/08 und C-429/08 – Slg. 2011, I-9083 Tz. 106 – Football Association Premier League; dazu Peifer GRURPrax 2011, 435. 700 Zum spezifischen Gegenstand bei den einzelnen Schutzrechten von der Groeben/Schwarze/Hatje/Müller-Graff Art. 36 AEUV Rn. 79 ff.; MünchKomm/Heermann Art. 36 AEUV Rn. 26 ff.; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Leible/T. Streinz Art. 36 AEUV Rn. 36 ff. 701 Siehe EuGH 21. 6. 2012 – C-5/11 – Tz. 36 – Donner: spezifischer Gegenstand des Urheberrechts gewährt ein ausschließliches Verwertungsrecht. Zur Substanz des Patentschutzes zählt neben dem Vergütungsrecht auch ein Anspruch auf ein gerichtliches Unterlassungsgebot, EuGH 30. 6. 1988 – 35/87 – Slg. 1988, I-3585 Tz. 24 – Thetford. 702 EuGH (Große Kammer) 23. 10. 2011 – C-403/08 und C-429/08 – Slg. 2011, I-9083 Tz. 107 ff. – Football Association Premier League; zum spezifischen Gegenstand des Patentrechts EuGH 31. 10. 1974 – 15/74 – Slg. 1974, 1147 Tz. 9 –

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III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten

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ist die Reichweite der gewerblichen Schutzrechte durch den aus der Warenverkehrsfreiheit abgeleiteten Erschöpfungsgrundsatz begrenzt, so dass der Rechteinhaber den Import und die Verbreitung der mit seiner Zustimmung in anderen Mitgliedstaaten in den Verkehr gebrachten Waren und Erzeugnisse nicht untersagen kann.703 In jüngerer Zeit hat der Schutz des gewerblichen Eigentums als Ausnahme zur Warenverkehrsfreiheit an Bedeutung eingebüßt, weil inzwischen zahlreiche Ausschließlichkeitsrechte durch Richtlinien und Verordnungen (vollständig) harmonisiert wurden.704 Andererseits ist die Harmonisierung bei weitem noch nicht abgeschlossen, so dass Art. 36 AEUV nach wie vor bedeutsam ist, um die durch die Verschiedenheit der nationalen Immaterialgüterrechte hervorgerufenen Handelsbeschränkungen zu rechtfertigen.705

cc) Öffentliche Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit. Für das Lauterkeitsrecht nur von un- 152 tergeordneter Bedeutung ist das Schutzgut der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit. Bei der öffentlichen Sicherheit geht es um Fragen der „Existenz eines Staates“, das „Funktionieren seiner Wirtschaft“ und „das seiner Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste“ bis hin zum „Überleben seiner Bevölkerung“706 und damit um Fragen, die das Lauterkeitsrecht nicht regelt. Auch ein Rückgriff auf die öffentliche Ordnung scheidet regelmäßig aus. So hat der Gerichtshof den Verbraucherschutz aus dem Begriff der öffentlichen Ordnung i. S. d. Art. 36 AEUV ausgeklammert und den zwingenden Erfordernissen der Cassis-Doktrin zugeordnet.707 Zudem ist das Schutzgut der öffentlichen Ordnung in Art. 36 AEUV nur betroffen, wenn eine „tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“.708 Lauterkeitsrechtliche Regelungen lassen sich daher nur unter die öffentliche Ordnung subsumieren, wenn sie über den Verbraucherschutz hinausgehen und dem Schutz eines elementaren Grundinteresses dienen. In Betracht kommt etwa ein Verbot von Werbung, die gegen die Menschenwürde709 oder andere Grundrechte oder sonst

Centrafarm/Sterling; EuGH 3. 3. 1988 – 434/85 – Slg. 1988, 1245 Tz. 11 ff. – Generics (auch zu den Konsequenzen einer Erklärung zur Lizenzbereitschaft); zum Markenrecht EuGH 31. 10. 1974 – 16/74 – Slg. 1974, 1183 Tz. 8 – Centrafarm/Winthrop; zum Urheberrecht EuGH 18. 3. 1980 – 62/79 – Slg. 1980, 881 Tz. 14 – Coditel I; EuGH 28. 4. 1998 – C-200/96 – Slg. 1998, I-1953 Tz. 15 ff. – Metronome Musik; EuGH 22. 9. 1998 – C-61/97 – Slg. 1998, I-5171 Tz. 13 ff., 18 – FDV. 703 EuGH 28. 6. 1971 – 78/70 – Slg. 1971, 487 Tz. 12 f. – Deutsche Grammophon (zum Urheberrecht); EuGH 22. 6. 1994 – C-9/93 – Slg. 1994, I-2789 Tz. 34 – IHT Internationale Heiztechnik (zum Markenrecht); nunmehr kodifiziert in Art. 4 Abs. 2 RL 2001/29/EG und Art. 15 Abs. 1 MarkenRL 2015/2436. 704 Zur RL 2008/95/EG zum Markenrecht EuGH (Große Kammer) 30. 11. 2004 – C-16/03 – Slg. 2004, I-11313 Tz. 30 – Peak Holding: „vollständige Harmonisierung der Vorschriften über die Rechte aus der Marke“ durch Art. 5–7 RL 2008/95 bzw. Art. 10–15 RL 2015/2436/EU; zum abschließenden Charakter der VO 510/2006 (inzwischen ersetzt durch die VO 1151/2012) für geographische Herkunftsangaben und Ursprungsbezeichnungen EuGH (Große Kammer) 8. 9. 2009 – C-478/07 – Slg. 2009, I-7721 Tz. 129 – Budějovický Budvar; zur RL 2001/29/EG zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft BGH GRUR 2009, 840 Tz. 19 – Le Corbusier Möbel II. 705 Siehe nur EuGH 21. 6. 2012 – C-5/11 – Tz. 33 – Donner: immaterialgüterrechtliche Handelsbeschränkungen infolge der Unterschiede zwischen den nationalen Rechtsordnungen hinzunehmen, „wenn sie auf dem Unterschied zwischen den Regelungen beruhen [z. B. hinsichtlich des Schutzgegenstands oder der Schutzdauer] und dieser untrennbar mit dem Bestehen der ausschließlichen Rechte verknüpft ist“. 706 EuGH 10. 7. 1984 – 72/83 – Slg. 1984, 2727 Tz. 34 – Campus Oil (zur Sicherung der Erdölversorgung). 707 EuGH 6. 11. 1984 – 177/83 – Slg. 1984, 3651 Tz. 19 – Kohl (zum Irreführungsverbot). 708 EuGH 14. 10. 2004 – C-36/02 – Slg. 2004, I-9609 Tz. 30 – Omega; zu weiteren Beispielen MünchKomm/Heermann Art. 36 AEUV Rn. 10 f. 709 Zum (gerechtfertigten) Verbot simulierter Tötungshandlungen siehe EuGH 14. 10. 2004 – C-36/02 – Slg. 2004, I-9609 – Omega, wo einerseits auf die „öffentliche Ordnung“ (Tz. 28, 31, 41), andererseits auch unmittelbar auf den Grundrechtsschutz (Tz. 34 f.) als (eigenständige?) Rechtfertigungskategorie abgestellt wird.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

elementare Werte verstößt,710 wobei ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung nicht voraussetzt, dass die nationale Maßnahme „einer allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Auffassung darüber entspricht, wie das betreffende Grundrecht oder berechtigte Interesse zu schützen ist“.711 Die bloße Strafbewehrung qualifiziert ein Verbot nicht bereits als Element der öffentlichen Ordnung.712 153 Für weniger hochstehende Rechtsgüter wie die nach Erwägungsgrund 7 Richtlinie 2005/ 29/EG den Mitgliedstaaten vorbehaltenen „Fragen der guten Sitten und des Anstands“ (z. B. Ansprechen in der Öffentlichkeit713) bleibt der Rückgriff auf die öffentliche Sittlichkeit. Auch hier ist es Sache jedes Mitgliedstaats, den „Begriff der öffentlichen Sittlichkeit für sein Gebiet im Einklang mit seiner eigenen Wertordnung und in der von ihm gewählten Form auszufüllen“.714 Allerdings genügt dazu nicht bereits ein Hinweis auf die öffentliche Meinung,715 sondern es bedarf einer normativen Verfestigung der öffentlichen Sittlichkeit.716 Darüber hinaus ist auch hier zu beachten, dass der Verbraucherschutz nicht zu den Schutzgütern des Art. 36 AEUV zählt.717 Zwar ließe sich argumentieren, dass dies nur auf den Schutz der (wirtschaftlichen) Interessen speziell der Verbraucher zielt, während der Schutz aller Personen (nicht nur der Verbraucher) vor Belästigung im Rahmen der Sittlichkeit durch Art. 36 AEUV gedeckt wird. Auf der anderen Seite lässt sich der Belästigungsschutz etwa gegenüber Gewerbetreibenden im Rahmen der Cassis-Doktrin als Teil der Lauterkeit des Handelsverkehrs verwirklichen, so dass es sachgerechter erscheint, dort sämtliche lauterkeits- und verbraucherschützenden Vorschriften einschließlich des Schutzes vor Belästigungen zu verankern, soweit es nicht ausnahmsweise explizit um eines der Schutzgüter des Art. 36 AEUV (z. B. Menschenwürde als Teil der öffentlichen Ordnung, Gesundheitsschutz, Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums) geht.

b) Zwingende Erfordernisse, insbesondere Lauterkeit und Verbraucherschutz 154 aa) Allgemeines zu den zwingenden Erfordernissen. Wegen der – abgesehen vom Gesundheitsschutz – geringen Bedeutung des Art. 36 AEUV für das Lauterkeitsrecht konzentriert sich die Rechtfertigungsprüfung regelmäßig auf die zwingenden Erfordernisse der Cassis-Doktrin. Seit Cassis de Dijon müssen „Hemmnisse für den Binnenhandel der Gemeinschaft, die sich aus den Unterschieden der nationalen Regelungen über die Vermarktung dieser Erzeugnisse ergeben, hingenommen werden, soweit diese Bestimmungen notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden, insbesondere den Erfordernissen einer wirksamen steuerlichen Kontrolle, des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes“.718 Mit dieser Formel hat der EuGH nicht nur den Tatbestand der Warenverkehrsfreiheit zu einem Beschränkungsverbot für unterschiedslos anwendbare Maßnahmen ausgebaut, sondern zudem die geschriebenen Rechtfertigungs-

710 Zum Verbot von Lotterien und Glücksspielen auch EuGH 24. 3. 1994 – C-275/92 – Slg. 1994, I-1039 Tz. 54 ff. – Schindler; EuGH 21. 9. 1999 – C-124/97 – Slg. 1999, I-6067 Tz. 30 ff. – Läärä (unklar bleibt, ob das Verbot durch die öffentliche Sittlichkeit oder aufgrund zwingender Erfordernisse i.S.v. Cassis de Dijon gerechtfertigt ist). 711 EuGH 14. 10. 2004 – C-36/02 – Slg. 2004, I-9609 Tz. 37 – Omega. 712 EuGH 13. 3. 1984 – 16/83 – Slg. 1984, 1299 Tz. 33 – Prantl. 713 Eine Regelung zum Ansprechen in der Öffentlichkeit dürfte regelmäßig bereits auf tatbestandlicher Ebene nicht als Maßnahme gleicher Wirkung angesehen werden. 714 EuGH 14. 12. 1979 – 34/79 – Slg. 1979, 3795 Tz. 15 – Henn und Darby (Einfuhrverbot für Waren „anstößigen oder unzüchtigen Charakters“). 715 EuGH 19. 3. 1998 – C-1/96 – Slg. 1998, 1251 Tz. 66 f. – Compassion in World Farming. 716 Calliess/Ruffert/Kingreen Art. 34–36 AEUV Rn. 196. 717 EuGH 6. 11. 1984 – 177/83 – Slg. 1984, 3651 Tz. 19 – Kohl (zum Irreführungsverbot). 718 EuGH 20. 2. 1979 – 120/78 – Slg. 1979, 649 Tz. 8 – Rewe Zentral, „Cassis de Dijon“.

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III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten

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gründe des Art. 36 AEUV um zusätzliche ungeschriebene zwingende Erfordernisse erweitert.719 Das Ziel des Verbraucherschutzes beinhaltet dabei nicht nur wirtschaftliche Vorteile für den Verbraucher, sondern auch die Erweiterung des Sortiments an Erzeugnissen, unter denen die Verbraucher wählen können.720 Im Unterschied zu den Schutzgütern des Art. 36 AEUV sind die zwingenden Erfordernisse 155 nicht abschließend („insbesondere“). Neben den bereits in Cassis genannten Erfordernissen einer wirksamen steuerlichen Kontrolle, des Schutzes der öffentlichen Gesundheit,721 der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes zählt der Gerichtshof zu den zwingenden Erfordernissen außerdem den Umweltschutz,722 raumplanerische Zwecke,723 den Schutz öffentlicher Netze,724 die Kohärenz des Steuersystems,725 die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und die Sicherung der Gläubiger,726 die Qualität rechtlicher Beratungsleistungen727 oder anderer beruflicher Leistungen,728 den Schutz der Interessen der Gläubiger, der Minderheitsgesellschafter, der Arbeitnehmer oder des Fiskus,729 die Bewahrung der Medienvielfalt730 und der Qualität des Fernsehprogramms,731 die Sicherung eines im Allgemeinen einheitlichen Erzeugnissortiments,732 die Bewahrung des kulturellen und künstlerischen Erbes733 und den Schutz von Büchern als Kulturgut,734 den Schutz der eigenen Amtssprachen,735 den Schutz der sozialen Sicherungssysteme,736 die Sicherheit des Straßenverkehrs,737 die Versorgung in abgelegenen Ge-

719 Auch wenn die Formulierung in Cassis de Dijon nahe legt, die zwingenden Erfordernisse als immanente Schranke des Verbotstatbestands zu begreifen, werden sie heute als Rechtfertigungsgründe verstanden, vgl. EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 59 – Kommission/Italien m. w. N.: „kann durch einen der in Art. 30 EG aufgezählten Gründe des Gemeinwohls oder zwingende Erfordernisse gerechtfertigt sein“. 720 Vgl. EuGH 25. 4. 2012 – C-456/10 – EuZW 2012, 508 Tz. 54 – Asociación Nacional de Expendedores de Tabaco y Timbre. 721 Dieses Schutzgut ist ausdrücklich in Art. 36 AEUV genannt und daher nicht den zwingenden Erfordernissen der Cassis-Formel zuzuordnen, siehe MünchKomm/Heermann Art. 34 AEUV Rn. 52. 722 EuGH 20. 9. 1988 – 302/86 – Slg. 1988, 4607 Tz. 8 f. – Kommission/Dänemark; zu Rücknahmepflichten für Einwegverpackungen EuGH (Große Kammer) 14. 12. 2004 – C-463/01 – Slg. 2004, I-11705 – Kommission/Deutschland; EuGH (Große Kammer) 14. 12. 2004 – C-309/02 – Slg. 2004, I-11763 – Radlberger. 723 EuGH 1. 6. 1999 – C-302/97 – Slg. 1999, I-3099 Tz. 40 – Konle. 724 EuGH 13. 12. 1991 – 18/88 – Slg. 1991, I-5941 Tz. 31 f. – GB-INNO-BM. 725 EuGH 14. 11. 1995 – C-484/93 – Slg. 1995, I-3955 Tz. 16 – Svensson und Gustavsson. 726 Zum Rechtsberatungsgesetz EuGH 12. 12. 1995 – C-3/95 – Slg. 1996, I-6511 Tz. 36 – Reisebüro Broede; zur Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit bei der Bestimmung der erstattungsfähigen Prozesskosten auch EuGH 11. 12. 2003– C-289/02 – Slg. 2003, I-15059 Tz. 30 – AMOK (Anwendung des Kostenrechts des Gerichtsstaates auf ausländische Anwälte); zu anwaltlichen Mindestgebühren EuGH (Große Kammer) 5. 12. 2006 – C-94/04 und C-202/ 04 – Slg. 2006, I-I-11421 Tz. 64 – Cipolla; allgemein zum Verhältnis von Grundfreiheiten und Zivilprozessrecht Heinze EuR 2008, 654, 674 ff. 727 EuGH 25. 7. 1991 – C-76/90 – Slg. 1991, I-4221 Tz. 15 f. – Saeger. 728 EuGH 21. 3. 2002 – C-298/99 – Slg. 2002, I-3129 Tz. 38 – Kommission/Italien (Architekten). 729 EuGH 5. 11. 2002 – C-208/00 – Slg. 2002, I-9919 Tz. 92 – Überseering. 730 EuGH 25. 7. 1991 – C-288/89 – Slg. 1991, I-4007 Tz. 23 – Stichting Collectieve Antennevoorziening Gouda (pluralistischer Rundfunk); EuGH 26. 6. 1997 – C-368/95 – Slg. 1997, I-3689 Tz. 18 – Familiapress; siehe bereits EuGH 11. 7. 1985 – 60/84 und 61/84 – Slg. 1985, 2605 Tz. 21, 23 – Cinéthéque (Schaffung von Filmwerken als solchen). 731 EuGH 25. 7. 1991 – C-288/89 – Slg. 1991, I-4007 Tz. 27 – Collective Antennevoorziening Gouda (Verbraucherschutz vor Übermaß kommerzieller Fernsehwerbung und Bewahrung der Programmqualität). 732 Erwogen in EuGH 25. 4. 2012 – C-456/10 – EuZW 2012, 508 Tz. 52 – Asociación Nacional de Expendedores de Tabaco y Timbre. 733 EuGH 26. 2. 1991 – C-180/89 – Slg. 1991, I-709 Tz. 20 – Kommission/Italien. 734 EuGH 30. 4. 2009 – C-531/07 – Slg. 2009, I-3717 Tz. 32, 34 – LIBRO. 735 EuGH 5. 3. 2009 – C-222/07 – Slg. 2009, I-1407 Tz. 26 f. – UTECA. 736 EuGH 28. 4. 1998 – C-120/95 – Slg. 1998, I-1831 Tz. 39 – Decker; bereits EuGH 7. 2. 1984 – 238/82 – Slg. 1984, 523 Tz. 16 – Duphar. 737 EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 60 – Kommission/Italien.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

bieten eines Mitgliedstaats,738 die Betrugsvorbeugung und die Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu überhöhten Ausgaben für das Glücksspiel.739 Rein wirtschaftliche Motive, insbesondere der Erhalt eines bestimmten Wirtschaftszweiges oder die Rentabilität einer bestimmten Tätigkeit stellen demgegenüber keine zwingenden Gründe des Allgemeininteresses dar, die eine Beschränkung einer Grundfreiheit rechtfertigen könnten.740 Allerdings können wirtschaftliche Ziele als Zwischenziele zulässig sein, wenn sie hinter einem nicht ökonomischen Endziel (z. B. Erhalt kleiner Anbieter aus Gründen der Versorgungssicherheit oder der Medienvielfalt) zurücktreten.741 Durch Cassis wurde nicht geklärt, ob die Rechtfertigung durch zwingende Erfordernisse bei 156 allen Beeinträchtigungen der Warenverkehrsfreiheit eröffnet ist oder ob bei Diskriminierungen nur der Rückgriff auf Art. 36 AEUV möglich sein soll. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu dieser Frage ist alles andere als konsistent. Sicher scheint nur, dass ein Rückgriff auf die zwingenden Erfordernisse jedenfalls dann möglich ist, wenn es sich um eine rechtlich wie tatsächlich unterschiedslos geltende und wirkende Maßnahme handelt.742 Einigermaßen sicher scheint auch, dass eine Rechtfertigung durch zwingende Erfordernisse zudem möglich ist, wenn die Maßnahme zwar rechtlich unterschiedslos anwendbar ist, aber tatsächlich ausländische Anbieter stärker beeinträchtigt werden, so dass ein tatsächliches Marktzugangshindernis i. S. d. KeckFormel (und der dritten Kategorie der neuen Formel) besteht.743 Und schließlich deutet sich in jüngerer Zeit an, dass der Gerichtshof offenbar – entgegen anderslautender Judikatur744 – nun auch bei rechtlich diskriminierenden Maßnahmen eine Rechtfertigung durch zwingende Erfordernisse gestatten will.745 Diese Entwicklung ist zu begrüßen, weil der Katalog des seit dem Jahr 1957 nicht geänderten Art. 36 AEUV immer weniger den heutigen Bedürfnissen gerecht 738 Erwogen in EuGH 13. 1. 2000 – C-254/98 – Slg. 2000, I-151 Tz. 34 – TK-Heimdienst; zurückhaltender EuGH 29. 1. 1985 – 231/83 – Slg. 1985, 305 Tz. 31 – Cullet/Leclerc. 739 EuGH (Große Kammer) 6. 3. 2007 – C-338/04, C-359/04 und C-360/04 – Slg. 2007, I-1891 Tz. 46 – Placanica (zur Dienstleistungsfreiheit). Davon zu unterscheiden sind allerdings Verlosungen in kleinem Rahmen und Preisausschreiben, die nur einen Gesichtspunkt der Absatzförderung darstellen, EuGH 26. 6. 1997 – C-368/95 – Slg. 1997, I3689 Tz. 23 – Familiapress. 740 EuGH 26. 4. 1988 – 352/85 – Slg. 1988, 2085 Tz. 34 – Bond van Adverteereders; EuGH 25. 7. 1991 – C-288/89 – Slg. 1991, I-4007 Tz. 11 – Collective Antennevoorziening Gouda; EuGH 5. 6. 1997 – C-398/95 – Slg. 1997, I-3091 Tz. 23 – SETTG; EuGH 16. 1. 2003 – C-388/01 – Slg. 2003, I-721 Tz. 22 – Kommission/Italien; EuGH 11. 3. 2010 – C-384/08 – Slg. 2010, I-2055 Tz. 55 – Attanasio; EuGH 22. 12. 2010 – C-338/09 – Slg. 2010, I-13927 Tz. 51 – Yellow Cab; EuGH 25. 4. 2012 – C-456/10 – EuZW 2012, 508 Tz. 53 – Asociación Nacional de Expendedores de Tabaco y Timbre. 741 Streinz/Schroeder Art. 36 AEUV Rn. 49. 742 Siehe die Konkretisierung der Cassis-Formel in EuGH 10. 11. 1982 – 261/81 – Slg. 1982, 3961 Tz. 12 – Rau: „Hemmnisse […] hinzunehmen, soweit eine solche nationale Regelung, die unterschiedslos für einheimische wie für eingeführte Erzeugnisse gilt, dadurch gerechtfertigt werden kann, dass sie notwendig ist, um zwingenden Erfordernisses […] gerecht zu werden“ (Hervorhebung nicht im Original); Calliess/Ruffert/Kingreen Art. 34–36 AEUV Rn. 82. 743 Siehe EuGH 9. 7. 1997 – C-34/95, C-35/95 und C-36/95 – Slg. 1997, I-3843 Tz. 44 ff. – de Agostini: selbst wenn das Verbot der Fernsehwerbung den Absatz ausländischer Erzeugnisse stärker als den inländischer Waren berührt (also Ausländer stärker beeinträchtigt), ist dennoch eine Rechtfertigung durch zwingende Erfordernisse wie die Lauterkeit des Handelsverkehrs und den Verbraucherschutz möglich; ähnlich EuGH 15. 7. 2004 – C-239/02 – Slg. 2004, I-7007 Tz. 52 f., 55 – Douwe Egberts. 744 EuGH 11. 5. 1989 – 25/88 – Slg. 1989, 1105 Tz. 10 – Wurmser; EuGH 25. 7. 1991 – C-1/90 und C-176/90 – Slg. 1991, I-4151 Tz. 13 – Aragonesa; EuGH 7. 5. 1997 – C-321/94 bis C-324/94 – Slg. 1997, I-2343 Tz. 52 – Pistre; EuGH 29. 4. 1999 – C-224/97 – Slg. 1999, I-2517 Tz. 16 – Ciola; Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 18. 12. 2008 – C-531/ 07 – Slg. 2009, I-3717 Tz. 104 – LIBRO. 745 Siehe etwa EuGH 29. 11. 2007 – C-404/05 – Slg. 2007, I-10239 Tz. 50 ff. – Kommission/Deutschland [zur Rechtfertigung des Erfordernisses einer Niederlassung im Mitgliedstaat der Leistungserbringung (= Diskriminierung) wird der Verbraucherschutz als zwingendes Erfordernis geprüft]; EuGH 30. 4. 2009 – C-531/07 – Slg. 2009, I-3717 Tz. 21 f., 32, 34 – LIBRO [zur Rechtfertigung einer Buchpreisbindung für eingeführte Bücher (= Diskriminierung) wird das zwingende Erfordernis des Schutzes von Büchern als Kulturgut erörtert, obwohl Art. 36 AEUV nicht greift)]; EuGH

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III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten

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wird. Nicht nur werden zentrale Schutzgüter wie der Umweltschutz, der Verbraucherschutz oder die Funktionsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme nicht abgebildet, auch war bei Formulierung der Ausnahmen wohl kaum daran gedacht, dass die Grundfreiheiten zu umfassenden Beschränkungsverboten ausgebaut würden. Um den Begriff der öffentlichen Ordnung in Art. 36 AEUV nicht zu überladen746 erscheint es daher sinnvoll, eine Rechtfertigung aufgrund zwingender Erfordernisse bei sämtlichen Maßnahmen gleicher Wirkung zu gestatten, auch wenn sie rechtlich oder tatsächlich, mittelbar oder unmittelbar diskriminierend sein mögen.747 Die diskriminierende Natur der Maßnahme kann ja im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung weiterhin berücksichtigt werden und die Rechtfertigungsschwelle erhöhen.748 Unter den zwingenden Erfordernissen kommt der Lauterkeit des Handelsverkehrs und 157 dem Verbraucherschutz die größte Bedeutung zu.749 Grundsätzlich hindert die Warenverkehrsfreiheit nicht, die in einem Mitgliedstaat „geltenden Vermarktungsvorschriften auf die aus anderen Mitgliedstaaten eingeführten Waren“ anzuwenden.750 Auch die Regeln des Lauterkeitsrechts können deshalb den Vertrieb eingeführter Waren untersagen, „wenn die Umstände, unter denen diese Waren abgesetzt werden, einen Verstoß gegen das darstellen, was im Einfuhrstaat als guter und redlicher Handelsbrauch betrachtet wird“.751 Allerdings kann „die bloße Einfuhr einer Ware, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden ist, nicht als unzulässige oder unlautere Handelspraxis angesehen werden, da eine solche Qualifizierung des Absatzes nur aufgrund von Umständen möglich ist, die von der eigentlichen Einfuhr unabhängig sind“.752 Die im Folgenden dargestellten Konkretisierungen des lauteren Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes sind als Ausprägun-

5. 3. 2009 – C-222/07 – Slg. 2009, I-1407 Tz. 26 ff. – UTECA [Verpflichtung zur Förderung der Filmproduktion in der eigenen Amtssprache (= Diskriminierung) wird durch den Schutz der Vielsprachigkeit als zwingendes Erfordernis gerechtfertigt]; siehe auch bereits die umfassende Prüfung unterschiedlichster zwingender Erfordernisse zur Rechtfertigung einer Ausländerklausel im Profisport in EuGH 15. 12. 1995 – C-415/93 – Slg. 1995, I-4921 Tz. 121 ff. – Bosman. Zuweilen wird auch eine Differenzierung nach dem betroffenen „zwingenden Erfordernis“ beobachtet, Frankfurter Kommentar/Haltern Art. 36 AEUV Rn. 34: Rechtfertigung unmittelbarer Diskriminierungen nur im Interesse des Umweltschutzes, nicht bei anderen „zwingenden Erfordernissen“ wie etwa dem Verbraucherschutz, der allerdings diese Differenzierung kritisch sieht (Rn. 35 f.). 746 Für eine Ansiedlung sämtlicher ungeschriebener Rechtfertigungsgründe im Begriff des Art. 36 AEUV (öffentliche Ordnung) Schorkopf EuR 2009, 645, 658; Calliess/Ruffert/Kingreen Art. 34–36 AEUV Rn. 85. 747 Für eine Ausdehnung der Cassis-Formel auf (unmittelbare) Diskriminierungen Sack GRUR 1998, 871, 876; Weiß EuZW 1999, 493, 497 f.; Streinz/Schroeder Art. 36 AEUV Rn. 34; a. A. MünchKomm/Heermann Art. 34 AEUV Rn. 45, 165 ff.; Beater Rn. 507. 748 Siehe Frankfurter Kommentar/Haltern Art. 36 AEUV Rn. 36. 749 Der EuGH unterscheidet regelmäßig nicht zwischen den beiden Schutzgütern, vgl. EuGH 2. 3. 1982 – 6/81 – Slg. 1982, 707 Tz. 9 – Beele; EuGH 15. 9. 1994 – C-293/93 – Slg. 1994, I-4249 Tz. 20 – Houtwipper; EuGH 2. 2. 1994 – C-315/92 – Slg. 1994, I-317 Tz. 15 ff. – Clinique; EuGH 6. 7. 1995 – C-470/93 – Slg. 1995, I-1923 Tz. 15 ff. – Mars; EuGH 27. 6. 1996 – C-240/95 – Slg. 1996, I-3179 Tz. 23 ff. – Rémy Schmit; siehe aber auch die Unterscheidung in EuGH 26. 11. 1985 – 182/84 – Slg. 1985, 3731 Tz. 11 ff. (Irreführung der Verbraucher), Tz. 16 ff. (Wettbewerbsvorteil gegenüber den Konkurrenten) – Miro; EuGH 16. 5. 1989 – 382/87 – Slg. 1989, 1235 Tz. 12 ff. – Buet (nur Diskussion des Verbraucherschutzes); EuGH 18. 5. 1993 – C-126/91 – Slg. 1993, I-2361 Tz. 15 ff. – Yves Rocher. In der Literatur wird z. T. eine Unterscheidung befürwortet, Beater Rn. 551, 558 ff.; von der Groeben/Schwarze/Hatje/Müller-Graff Art. 34 AEUV Rn. 209 ff. (Lauterkeit des Handelsverkehrs umfasse „Regelungen gegen Kundenfang, gegen Behinderung oder Ausbeutung des Wettbewerbers oder gegen Vorsprung durch Rechtsbruch“) und Rn. 214 ff. (Verbraucherschutz habe „Rolle eines Auffangtatbestands“); Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl UWG Rn. 3.28; Streinz/Schroeder Art. 36 AEUV Rn. 40. 750 EuGH 22. 1. 1981 – 58/80 – Slg. 1981, 181 Tz. 15 – Dansk Supermarked. 751 EuGH 22. 1. 1981 – 58/80 – Slg. 1981, 181 Tz. 15 – Dansk Supermarked; siehe auch EuGH 26. 11. 1985 – 182/84 – Slg. 1985, 3731 Tz. 24 – Miro „im System des Gemeinsamen Marktes [müssen] Interessen wie die Lauterkeit des Handelsverkehrs unter allseitiger Achtung lauterer Praktiken und herkömmlicher Übungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten gewährleistet werden“. 752 EuGH 22. 1. 1981 – 58/80 – Slg. 1981, 181 Tz. 16 – Dansk Supermarked.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

gen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu verstehen.753 Ihre Grenzen sind durch den Gerichtshof und die nationalen Gerichte voll überprüfbar.754 158 Infolge der Vollharmonisierung durch die Richtlinie 2005/29/EG ist allerdings beim Rückgriff auf die Lauterkeit des Handelsverkehrs und den Verbraucherschutz nunmehr Zurückhaltung geboten. So ist es innerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2005/29/EG nicht mehr gestattet, auf den Schutz wirtschaftlicher Verbraucherinteressen zur Rechtfertigung von Beschränkungen des freien Warenverkehrs zurückzugreifen, weil die Richtlinie – vorbehaltlich einzelner Öffnungsklauseln zur Mindestharmonisierung – insofern eine abschließende Regelung vornimmt (Art. 4 RL 2005/29/EG).755 Die Rechtsprechung zum Ausgleich von Grundfreiheiten und Verbraucherschutz ist daher heutzutage vor allem mittelbar als Induktionsmaterial zur Konkretisierung der offenen Tatbestände der Richtlinie bedeutsam.

159 bb) Das europäische Verbraucherleitbild. Referenzpunkt für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit von verbraucherschützenden Vorschriften des nationalen Rechts ist „die mutmaßliche Erwartung eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers“,756 die anhand der sozialen, kulturellen oder sprachlichen Eigenheiten des betreffenden Mitgliedstaates zu bestimmen ist.757 Diese vom Gerichtshof zunächst für die Fallgruppe der Irreführung entwickelten Kategorien wurden in Erwägungsgrund 18 der Richtlinie 2005/29/EG übernommen und damit für das gesamte (verbraucherbezogene) Lauterkeitsrecht generalisiert.758 Soweit keine abweichenden Vorgaben bestehen, ist auch bei der Auslegung spezialgesetzlicher Irreführungsverbote auf das (europäische) Verbraucherleitbild der Richtlinie 2005/29/EG abzustellen.759 Es ist daher „unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände der betreffenden Geschäftspraxis, des verwendeten Kommunikations753 Zum europäischen Verbraucherleitbild EuGH 13. 1. 2000 – C-220/98 – Slg. 2000, I-117 Tz. 28 – Estée Lauder. 754 EuGH 26. 11. 1985 – 182/84 – Slg. 1985, 3731 Tz. 14 – Miro: keine Bindung an die Beurteilung des nationalen Gesetzgebers z. B. hinsichtlich nationaler Verkehrsanschauungen. 755 Siehe bereits EuGH 20. 2. 1979 – 120/78 – Slg. 1979, 649 Tz. 8 – Cassis de Dijon: „in Ermangelung einer gemeinschaftlichen Regelung […] ist es Sache der Mitgliedstaaten“ (Hervorhebung nicht im Original); ausdrücklich EuGH 30. 11. 1983 – 227/82 – Slg. 1983, 3883 Tz. 35 – van Bennekom. 756 EuGH 16. 7. 1998 – C-210/96 – Slg. 1998, I-4657 Tz. 31 – Gut Springenheide; EuGH 13. 1. 2000 – C-220/98 – Slg. 2000, I-117 Tz. 27 – Estée Lauder; EuGH 21. 6. 2001 – C-30/99 – Slg. 2001, I-4619 Tz. 32 – Kommission/Irland; EuGH 6. 11. 2003 – C-358/01 – Slg. 2003, I-13145 Tz. 53 – Kommission/Spanien; siehe bereits EuGH 9. 8. 1994 – C-51/93 – Slg. 1994, I-3879 Tz. 18 – Meyhui; „durchschnittliche[r] Verbraucher“; zum Sekundärrecht auch EuGH 28. 1. 1999 – C-303/97 – Slg. 1999, I-513 Tz. 36 – Sektkellerei Kessler; EuGH 8. 4. 2003 – C-44/01 – Slg. 2003, I-3095 Tz. 55 – Pippig Augenoptik; EuGH 19. 9. 2006 – C356/04 – Slg. 2006, I-8501 Tz. 78 – Lidl Belgium (zur Irreführungsrichtlinie); siehe auch EuGH 9. 3. 2006 – C421/04 – Slg. 2006, I-2303 Tz. 24 – Matratzen Concord (zur Unterscheidungskraft in Art. 3 Abs. 1 lit. b MarkenRL 2015/2436). Zur Berücksichtigung von irrationalem Verbraucherverhalten siehe aber auch EuGH 18. 10. 2012 – C-428/11 – GRUR 2012, 1269 Tz. 38 – Purely Creative; dazu Scherer WRP 2013, 705; siehe auch oben Rn. 68 ff. 757 EuGH 13. 1. 2000 – C-220/98 – Slg. 2000, I-117 Tz. 29 – Estée Lauder; siehe bereits EuGH 26.11.996 – C-313/ 94 – Slg. 1996, I-6039 Tz. 22 – Graffione: „ist es nämlich möglich, daß wegen sprachlicher, kultureller und sozialer Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten eine Marke, die in einem Mitgliedstaat nicht geeignet ist, den Verbraucher irrezuführen, diese Eignung in einem anderen Mitgliedstaat besitzt“. 758 Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 24. 3. 2010 – C-540/08 – Tz. 101 – Mediaprint: „Wie dem 18. Erwägungsgrund zu entnehmen ist, entspricht der in der Richtlinie 2005/29 verwendete Begriff des Durchschnittsverbrauchers genau dem in der Rechtsprechung des Gerichtshofs entwickelten Leitbild eines Verbrauchers“. Ebenso EuGH 12. 5. 2011 – C-122/10 – Slg. 2011, I-3903 Tz. 22 – Ving Sverige; EuGH 26. 10. 2016 – C-611/14 – GRUR 2016, 1307 Tz. 39 – Canal Digital Danmark; EuGH 25. 7. 2018 – C-632/16 – GRUR 2018, 940 Tz. 56 – Dyson: „Maßstab für eine irreführende Geschäftspraktik der des normal informierten und angemessen aufmerksamen und kritischen Durchschnittsverbrauchers unter Berücksichtigung sozialer, kultureller und sprachlicher Faktoren“. 759 EuGH 25. 7. 2018 – C-632/16 – GRUR 2018, 940 Tz. 56 – Dyson (zur Auslegung von Art. 3 Abs. 1 lit. b RL 2010/ 30/EG über Energieeffizienzetikettierungen).

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III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten

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mediums – u. a. seiner Beschränkungen – sowie der Beschaffenheit und der Merkmale des betroffenen Produkts zu beurteilen“, wie sich die Geschäftspraktik auf den Durchschnittsverbraucher auswirkt, also ob z. B. die Vorenthaltung einer wesentlichen Information wie des Preises einen Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst oder zu veranlassen geeignet ist, die er sonst nicht getroffen hätte.760 Ein strengerer Maßstab als der Durchschnittsverbraucher ist anzulegen, wenn ein Irrtum über die Produkteigenschaften die Gesundheit (dazu Art. 36 AEUV) und damit ein besonders sensibles Schutzgut beeinträchtigen kann761 oder wenn sich die Geschäftspraktik an besonders schutzbedürftige Adressaten richtet.762 Gelegentlich deutet sich sogar an, dass sich der EuGH im Bereich des verbraucherschützenden Sekundärrechts auch der psychologischen Wirkung von Werbung öffnet und sogar irrationales Verbraucherverhalten bei der Auslegung zumindest der Verbotstatbestände des Anhangs I zur Richtlinie 2005/29/EG berücksichtigt.763 Ob es sich dabei lediglich um einen Ausnahmefall oder um eine generelle Tendenz handelt, ist offen.764 Angesichts paralleler legislatorischer Tendenzen im sektoriellen Lauterkeitsrecht (oben Rn. 69 ff.) könnte es sich um einen Vorboten eines kontextabhängigen Verbraucherleitbilds handeln, das zwar im Grundsatz durch den verständigen Durchschnittsverbraucher geprägt wird, das aber zugleich akzeptiert, dass in bestimmten, näher definierten Situationen irrational-psychologische Motive die Verbraucherentscheidung überlagern, die auch bei der Auslegung der Lauterkeitsnormen einzubeziehen sind. Seine Entsprechung außerhalb des Verbraucherrechts findet der Durchschnittsverbraucher 160 im umsichtigen Wirtschaftsteilnehmer,765 der Maßstab für die Irreführung außerhalb des B2C-Verhältnisses ist und von dem etwa erwartet werden kann, dass er sich anhand des Registers über die Schutzrechtslage informiert.766 Bisher liegt dem Kriterium des Durchschnittsverbrauchers – vorbehaltlich möglicher kon- 161 textabhängiger Einschränkungen (oben Rn. 159 a. E.) – ein eher robuster Maßstab zugrunde.767 So kann von verständigen Verbrauchern „erwartet werden, dass sie wissen, dass zwischen der Größe von Werbeaufdrucken, die auf eine Erhöhung der Menge des Erzeugnisses hinweisen, und dem Ausmaß dieser Erhöhung nicht notwendig ein Zusammenhang besteht“.768 Auch rechtfertigen bestimmte Vorstellungen der heimischen Verbraucher von der Zusammensetzung eines bestimmten Erzeugnisses nicht die Beschränkung des freien Warenverkehrs.769 Von den Durchschnittsverbrauchern kann nämlich nach Auffassung des Gerichtshofs erwartet wer-

760 EuGH 26. 10. 2016 – C-611/14 – GRUR 2016, 1307 Tz. 58 – Canal Digital Danmark. 761 EuGH 13. 1. 2000 – C-220/98 – Slg. 2000, I-117 Tz. 28 – Estée Lauder: Das Kriterium des Durchschnittverbrauchers „gilt auch im Bereich des Vertriebs kosmetischer Mittel, wenn ein Irrtum über die Eigenschaften des Produkts – wie im Ausgangsverfahren – die Gesundheit nicht beeinträchtigen kann“. 762 EuGH 16. 5. 1989 – 382/87 – Slg. 1989, 1235 Tz. 13 – Buet (besonderer Bildungsrückstand); siehe auch Art. 5 Abs. 3 und Erwägungsgrund 18 Satz 2–4 RL 2005/29/EG. 763 EuGH 18. 10. 2012 – C-428/11 – GRUR 2012, 1269 Tz. 38 – Purely Creative. 764 Siehe die Analyse von Scherer WRP 2013, 705, 706 ff.; siehe auch Holm WRP 2013, 710. 765 EuGH 13. 12. 1990 – C-238/89 – Slg. 1990, I-4827 Tz. 21 – Pall. 766 EuGH 13. 12. 1990 – C-238/89 – Slg. 1990, I-4827 Tz. 21 – Pall. 767 Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 24. 3. 2010 – C-540/08 – Tz. 103 f. – Mediaprint: „zugetraut, das Gefährdungspotenzial bestimmter Geschäftspraktiken zu erkennen und entsprechend rational zu handeln“; Durchschnittsverbraucher ist „bewusst, dass Werbung und Verkaufsförderung in einer freien Marktwirtschaft nicht allein mit dem Preis und der Qualität einer Ware Kunden zu gewinnen suchen, sondern eine Vielzahl an Zusatznutzen versprechen“, die emotionaler Natur (Werbung mit dem Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) oder wirtschaftlicher Natur sein können (Zugaben). „Es ist daher folgerichtig, einem entsprechend normal informierten und angemessen aufmerksamen und kritischen Verbraucher innerhalb des vom Gemeinschaftsrecht festgelegten Regelungsrahmens die Entscheidung vorzubehalten, ob er ein Produkt aufgrund der beworbenen Vorzüge oder wegen seiner Qualität oder gar seines niedrigen Preises erwirbt“. 768 EuGH 6. 7. 1995 – C-470/93 – Slg. 1995, I-1923 Tz. 24 – Mars. 769 EuGH 6. 11. 2003 – C-358/01 – Slg. 2003, I-13145 Tz. 52 – Kommission/Spanien.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

den, dass sie, wenn sie „sich in ihrer Kaufentscheidung nach der Zusammensetzung der Erzeugnisse richten, zunächst das Zutatenverzeichnis lesen“, so dass der Durchschnittsverbraucher nicht durch Inhaltsstoffe irregeführt werden kann, auf deren Präsenz das Zutatenverzeichnis ordnungsgemäß hinweist.770 Auch der Erwartungshorizont des Durchschnittsverbrauchers darf nicht überspannt werden. So versteht ein Durchschnittsverbraucher den Hinweis „dermatologisch getestet“ auf einem Kosmetikprodukt nur dahingehend, „dass das Mittel einem Test zur Ermittlung seiner Auswirkungen auf die Haut unterzogen wurde, und … dass festgestellt wurde, dass es für die Haut gut verträglich oder zumindest unschädlich ist“, misst ihm aber keine medizinischen Wirkungen zu, so dass keine Angaben über Gegenstand und Ergebnis des ärztlichen Gutachtens auf der Packung erforderlich sind.771 Eine Irreführung am Maßstab des Durchschnittsverbrauchers kann das Gericht im Regelfall 162 aus eigener Sachkunde ohne Sachverständigengutachten oder empirische Verbraucherbefragung feststellen.772 Da der Begriff des Durchschnittsverbrauchers „nicht auf einer statistischen Grundlage“ beruht, müssen sich die Gerichte und Behörden der Mitgliedstaaten bei der Beurteilung der Frage, wie der Durchschnittsverbraucher typischerweise reagieren würde, „auf ihre eigene Urteilsfähigkeit verlassen“.773 Allerdings hat der EuGH nicht ausgeschlossen, dass ein nationales Gericht „zumindest bei Vorliegen besonderer Umstände nach seinem nationalen Recht ein Sachverständigengutachten einholen oder eine Verbraucherbefragung in Auftrag geben kann, um beurteilen zu können, ob eine Werbeaussage irreführen kann“,774 etwa wenn die Feststellung der Irreführung dem nationalen Gericht besondere Schwierigkeiten bereitet.775

163 cc) Irreführung und Informationsgebot. Bei der Konkretisierung der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes stand in der Rechtsprechung des Gerichtshofs vor allem der Schutz der Verbraucher (und damit mittelbar auch des lauteren Handelsverkehrs) vor Irreführung und Verwechslung im Vordergrund. Zwar wird diese Problematik inzwischen mit der Irreführungsrichtlinie 84/450/EWG776 (heute Richtlinie 2006/114/EG), der Richtlinie 2005/29/EG und zahlreichen sektorspezifischen Irreführungsverboten777 zu wesentlichen Teilen der Kontrolle durch die Grundfreiheiten entzogen. Auch beschränkt sich die Rechtfertigungsprüfung regelmäßig auf irreführende Etikettierungen, Bezeichnungen und Anpreisungen mit Produktbezug (d. h. eine Änderung der Produktgestaltung ist erforderlich), weil die Regeln über irreführende Werbung ohne Produktbezug in aller Regel bereits als Verkaufsmodalität i. S. d. Keck-Doktrin bzw. als nicht spezifisch den Marktzugang hindernde Maßnahme i. S. d. neuen Formel (oben 770 EuGH 4. 4. 2000 – C-465/98 – Slg. 2000, I-2297 Tz. 22 – Darbo; siehe bereits EuGH 26. 10. 1995 – C-51/94 – Slg. 1995, I-3599 Tz. 34 – Kommission/Deutschland. 771 EuGH 24. 10. 2002 – C99/01 – Slg. 2002, I-9375 Tz. 31 – Linhart und Biffl. 772 EuGH 16. 7. 1998 – C-210/96 – Slg. 1998, I-4657 Tz. 32 – Gut Springenheide; siehe auch Erwägungsgrund 18 Satz 5–6 RL 2005/29/EG: Gerichte müssen sich „auf ihre eigene Urteilsfähigkeit unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs verlassen“. Zum relevanten Prozentsatz bei Irreführungsurteilen auch EuGH 13. 1. 2000 – C-220/98 – Slg. 2000, I-117 Tz. 35 f. – Estée Lauder. 773 EuGH 26. 10. 2016 – C-611/14 – GRUR 2016, 1307 Tz. 39 – Canal Digital Danmark. 774 EuGH 16. 7. 1998 – C-210/96 – Slg. 1998, I-4657 Tz. 35 – Gut Springenheide. 775 EuGH 28. 1. 1999 – C-303/97 – Slg. 1999, I-513 Tz. 37 – Sektkellerei Kessler. Daran dürfte trotz Erwägungsgrund 18 Satz 6 RL 2005/29/EG festzuhalten sein, weil der Erwägungsgrund zuvor ausdrücklich auf die „Auslegung des Gerichtshofs“ Bezug nimmt. 776 Richtlinie 84/450/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung, ABl. L 250 vom 19. 9. 1984, S. 17; dazu EuGH 16. 1. 1992 – C-373/90 – Slg. 1992, I-131 – Strafverfahren gegen X (Nissan). 777 Siehe nur Art. 20 VO 1223/2009 und die Verordnung (EU) Nr. 655/2013 (Kosmetik); Art. 87 Abs. 3, Art. 90 lit. j, k i. V. m. Art. 97 RL 2001/83/EG (Arzneimittel); Art. 3 Satz 2 lit. a VO 1924/2006 (nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben bei Lebensmitteln); Art. 9 Abs. 1 lit. a Satz 2 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 lit. j RL 2010/13/EU (audiovisuelle Mediendienste); Art. 7 Abs. 1 VO 1169/2011 (Informationen über Lebensmittel).

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III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten

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Rn. 134 ff.) tatbestandlich keine Maßnahme gleicher Wirkung i. S. d. Art. 34 AEUV sind, sofern nicht ausnahmsweise eine rechtliche oder tatsächliche Benachteiligung ausländischer Anbieter vorliegt. Zudem ist bei der Fallgruppe der Irreführungs- und Verwechslungsgefahr zu unterscheiden: Einer Rechtfertigung durch zwingende Erfordernisse der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes bedarf nur der rein lauterkeitsrechtliche Irreführungsschutz,778 während der Irreführungs- und Verwechslungsschutz durch das Markenrecht, das Recht der Geschäftsbezeichnungen779 und das Recht der geographischen Herkunftsangaben dem Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums (Art. 36 AEUV) zuzurechnen ist. Trotz dieser Einschränkungen bleibt die Judikatur zu den Grundfreiheiten bedeutsam, weil 164 der Gerichtshof seine Rechtsprechung zum irreführenden Charakter einer Bezeichnung, einer Marke oder einer Werbeaussage im Primär- und Sekundärrecht einheitlich verstanden wissen will780 und das Sekundärrecht „im Lichte der Bestimmungen des EWG-Vertrags über den freien Warenverkehr auszulegen“ ist.781 Es liegt daher nahe, dass sich der Gerichtshof auch bei Auslegung der sekundärrechtlichen Irreführungstatbestände durch seine Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten inspirieren lassen wird.

(1) Information geht vor Vermarktungsverbot. Ausgangspunkt für die Konkretisierung des 165 Irreführungsschutzes als Schranke der Warenverkehrsfreiheit war die Rechtsprechung zu nationalen Standardisierungsvorschriften über die Produktbeschaffenheit,782 Produktbezeichnung783 und Produktverpackung.784 Zwar hat der EuGH den Mitgliedstaaten das Recht zur Standardisierung zum Schutz der Verbraucher nicht generell abgesprochen785 und auch eine Änderung der Bezeichnung eines Lebensmittels gestattet, „wenn dieses Erzeugnis nach seiner Zusammensetzung oder Herstellungsweise so stark von den in der Gemeinschaft unter dieser Bezeichnung allgemein bekannten Waren abweicht, dass es nicht mehr der gleichen Kategorie zugerechnet werden kann“.786 Regelmäßig ging der EuGH aber von einer nur „geringfügigen Abweichung“ aus, bei der eine angemessene Etikettierung ausreicht,787 um den Verbraucher778 Zum lauterkeitsrechtlichen Irreführungsschutz bei geographischen Angaben Büscher GRUR Int. 2008, 977, 981 f.; siehe auch Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 25. 5. 2000 – C-312/98 – Slg. 2000, I-9187 Tz. 51 – Warsteiner; zur Parallelität der Irreführungsprüfung gemäß Art. 36 AEUV und unter der Cassis-Doktrin Omsels GRUR Int. 2009, 971, 974; zum lauterkeitsrechtlichen Irreführungsschutz bei Firmenkennzeichen und Marken EuGH 6. 11. 1984 – 177/83 – Slg. 1984, 3651 Tz. 15 f. – Kohl. 779 Vgl. EuGH 11. 5. 1999 – C-255/97 – Slg. 1999, I-2835 Tz. 21 ff. – Pfeiffer. 780 Siehe insbesondere EuGH 16. 7. 1998 – C-210/96 – Slg. 1998, I-4657 Tz. 30 – Gut Springenheide; Erwägungsgrund 18 Satz 2 RL 2005/29/EG „in der Auslegung des Gerichtshofs als Maßstab“. 781 EuGH 2. 2. 1994 – C-315/92 – Slg. 1994, I-317 Tz. 12 – Clinique; ebenso EuGH 16. 1. 2003 – C-14/00 – Slg. 2003, I-513 Tz. 66 – Kommission/Italien. 782 EuGH 17. 3. 1983 – 94/82 – Slg. 1983, 947 Tz. 8 – de Kikvorsch (Verbot des Inverkehrbringens von Bier, das nicht die Voraussetzungen für Säuregehalt erfüllt): „Insbesondere spricht kein Verbraucherschutzargument für eine Vorschrift, die den einheimischen Verbraucher daran hindert, ein nach einer anderen Tradition gebrautes Bier eines anderen Mitgliedstaats kennenzulernen, dessen Etikett deutlich die Herkunft aus einem anderen Gebiet der Gemeinschaft anzeigt“; EuGH 14. 7. 1988 – 407/85 – Slg. 1988, 4233 Tz. 16, 22 – 3 Glocken (Teigwaren aus Weichweizengrieß). 783 EuGH 26. 11. 1985 – 182/84 – Slg. 1985, 3731 Tz. 22, 25 – Miro (Genever); EuGH 12. 3. 1987 – 178/84 – Slg. 1987, 1227 Tz. 35 – Kommission/Deutschland (Bier). 784 EuGH 10. 11. 1982 – 261/81 – Slg. 1982, 3961 Tz. 17 – Rau (kubische Margarinewürfel zur Unterscheidung von Butter nicht erforderlich zur Vermeidung von Verwechslungen); EuGH 13. 3. 1984 – 16/83 – Slg. 1984, 1299 Tz. 26 ff. – Prantl (Bocksbeutel). 785 EuGH 26. 11. 1985 – 182/84 – Slg. 1985, 3731 Tz. 23 – Miro. 786 EuGH 16. 1. 2003 – C-14/00 – Slg. 2003, I-513 Tz. 80 – Kommission/Spanien. 787 EuGH 16. 1. 2003 – C-14/00 – Slg. 2003, I-513 Tz. 81 – Kommission/Spanien; EuGH 6. 11. 2003 – C-358/01 – Slg. 2003, I-13145 Tz. 50 – Kommission/Spanien: „Das Anbringen eines Etiketts mit Angaben über Art und wesentliche Merkmale des Erzeugnisses […] reicht nämlich vollkommen aus, um die Verbraucher über Eigenschaften und Zusammensetzung von Erzeugnissen […] zu informieren“.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

schutz und die Lauterkeit des Handelsverkehrs zu wahren und dem Verbraucher die erforderlichen Informationen zu vermitteln, um „seine Wahl in Kenntnis aller Umstände zu treffen“.788 166 Deshalb dürfen bestimmte Gattungsbegriffe, Produktbezeichnungen und Verpackungen nicht einheimischen Produkten vorbehalten bleiben.789 Selbst bei einer Abweichung von den nationalen Vorschriften z. B. zum Mindestalkoholgehalt oder zu den Produktzutaten dürfen Erzeugnisse aus anderen Staaten unter derselben Bezeichnung vertrieben werden, „wenn diese im Ursprungsstaat einer lauteren herkömmlichen Praxis entsprechend hergestellt und unter derselben Bezeichnung in den Verkehr gebracht werden und wenn eine sachgerechte Information des Käufers gewährleistet ist“.790 Dabei darf auch nicht verpflichtend durch die nationalen Gesetzgeber eine Herkunftsangabe der Erzeugnisse vorgesehen werden; zulässig sind aber freiwillige Herkunftsangaben der Anbieter.791 Auch wenn die Etikettierungsrechtsprechung heute durch vollharmonisierendes Sekundärrecht in weiten Teilen obsolet ist,792 so entfaltet sich in ihr ein erster Grundsatz zur Abwägung zwischen Grundfreiheit und Lauterkeitsschutz, das Informationsgebot:793 „Verbraucherinformation geht vor Vertriebsverbot“.794 167 Aus dem Informationsgebot folgt auch die Zulässigkeit nationaler Etikettierungsvorschriften, die den Verbraucher über die Inhaltsstoffe795 oder die Eigenart796 der Erzeugnisse informieren, auch wenn dies geeignet ist, bestimmte Produkte zu begünstigen.797 Dabei kann es in bestimmten Fällen zur Vermeidung von Irreführungen erforderlich sein, einen Zusatz zur Verkehrsbezeichnung zu verlangen; nicht aber, wenn die betreffende Zutat im Zutatenverzeichnis aufgenommen ist.798 Ebenso billigt der Gerichtshof die Verpflichtung, dass die Angaben auf eingeführten Erzeugnissen in der Sprache des Verkaufsgebiets oder einer anderen für die dortigen Verbraucher leicht verständlichen Sprache verfasst sein müssen, solange dies den Einsatz anderer Mittel wie Zeichnungen, Symbole oder Piktogramme nicht ausschließt und sich die Übersetzungspflicht auf die von dem betreffenden Mitgliedstaat zwingend vorgeschriebenen Angaben beschränkt.799 Allerdings steht Art. 34 AEUV einer nationalen Regelung entgegen, „die die Verwendung einer bestimmten Sprache für die Etikettierung von Lebensmitteln vorschreibt, ohne die Möglichkeit vorzusehen, eine andere für den Käufer leicht verständliche Sprache zu verwenden oder die Unterrichtung des Käufers durch andere Maßnahmen zu gewährleisten“.800 788 EuGH 12. 3. 1987 – 178/84 – Slg. 1987, 1227 Tz. 35 – Kommission/Deutschland; ebenso EuGH 13. 3. 1984 – 16/ 83 – Slg. 1984, 1299 Tz. 29 – Prantl (Bocksbeutel); EuGH 14. 7. 1988 – 407/85 – Slg. 1988, 4233 Tz. 16, 22 – 3 Glocken. 789 EuGH 26. 11. 1985 – 182/84 – Slg. 1985, 3731 Tz. 22 – Miro. 790 EuGH 26. 11. 1985 – 182/84 – Slg. 1985, 3731 Tz. 25 – Miro; zum deutschen Reinheitsgebot für Bier auch EuGH 12. 3. 1987 – 178/84 – Slg. 1987, 1227 Tz. 32 – Kommission/Deutschland: nationale Vorschriften dürfen nicht dazu dienen, gegebene Verbrauchsgewohnheiten zu zementieren. 791 EuGH 25. 4. 1985 – 207/83 – Slg. 1983, 1201 Tz. 20 f. – Kommission/Vereinigtes Königreich. 792 Insbesondere durch die Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür, ABl. L 109 vom 6. 5. 2000, S. 29, nunmehr Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1924/2006 und (EG) Nr. 1925/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 87/250/EWG der Kommission, der Richtlinie 90/496/EWG des Rates, der Richtlinie 1999/10/EG der Kommission, der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinien 2002/67/EG und 2008/5/EG der Kommission und der Verordnung (EG) Nr. 608/2004 der Kommission, ABl. L 304 vom 22. 11. 2011, S. 18. Für einen Überblick über die Rechtsakte im Lebensmittelrecht unten Rn. 447. 793 Steindorff EG-Vertrag und Privatrecht (1996), S. 195: „Der Binnenmarkt beruht auf einem ‚Informationsmodell‘“; Glöckner Europäisches Lauterkeitsrecht (2006), S. 195 ff., 522; siehe auch Fleischer ZEuP 2000, 772, 783. 794 Glöckner Europäisches Lauterkeitsrecht (2006) S. 123. 795 EuGH 14. 7. 1994 – C-17/93 – Slg. 1994, I-3537 Tz. 29, 31 – van der Veldt. 796 EuGH 9. 2. 1999 – C-383/97 – Slg. 1999, I-731 Tz. 32 f. – van der Laan. 797 EuGH 12. 3. 1987 – 178/84 – Slg. 1987, 1227 Tz. 35 – Kommission/Deutschland (Bier). 798 EuGH 26. 10. 1995 – C-51/94 – Slg. 1995, I-3599 Tz. 33 f. – Kommission/Deutschland. 799 EuGH 3. 6. 1999 – C- 33/97 – Slg. 1999, I-3175 Tz. 39, 41 f. – Colim. 800 EuGH 12. 9. 2000 – C-366/98 – Slg. 2000, I-6579 Tz. 28 – Geffroy.

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III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten

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(2) Kein Verbraucherschutz vor (wahrer) Information.801 Eng verwandt mit dem Vorrang 168 der Verbraucherinformation vor dem Verkehrsverbot ist die Judikatur zu Informations- und Werbeverboten des nationalen Rechts. In GB-Inno-BM ging es um zwei Verbote des luxemburgischen Rechts, nämlich die Dauer eines Sonderangebots anzugeben und auf den früheren Preis hinzuweisen. Gerechtfertigt wurden diese Verbote mit der Vermeidung von Verwechslungen zwischen Sonderverkäufen und zeitlich begrenzten Schlussverkäufen sowie dem Umstand, dass die Verbraucher normalerweise nicht die Richtigkeit des früheren Preises überprüfen könnten und einem psychologischen Druck ausgesetzt würden. Unter Hinweis auf seine Etikettierungsrechtsprechung und verschiedene Programme des Rates zur Verbesserung der Information der Verbraucher stellte der EuGH fest, „dass das Gemeinschaftsrecht eines der grundlegenden Erfordernisse des Verbraucherschutzes in der Unterrichtung der Verbraucher sieht“. Art. 34 AEUV könne daher nicht in dem Sinne ausgelegt werden, „daß nationale Rechtsvorschriften, die den Verbrauchern den Zugang zu bestimmten Informationen verwehren, durch zwingende Erfordernisse des Verbraucherschutzes gerechtfertigt werden könnten.802 In diese Linie passt auch die Entscheidung Yves Rocher zum deutschen Verbot der blick- 169 fangmäßigen Gegenüberstellung von alten und neuen Preisen. Es wurde mit dem Schutz der Verbraucher vor Irreführung gerechtfertigt, weil die Gegenüberstellung regelmäßig für Verbraucher nicht überprüfbar sei und insgesamt günstige Preise suggeriere, ohne dass dies für das gesamte Sortiment zutreffen müsse. Abgesehen von einem Hinweis auf die weniger einschneidenden Maßnahmen in anderen Mitgliedstaaten sah der EuGH das deutsche Verbot deshalb als zu weitgehend an, weil es jede blickfangmäßige Werbung mit Preisgegenüberstellungen verbietet, unabhängig davon, ob sie wahr ist oder nicht. Gerade eine in keiner Weise irreführende Gegenüberstellung von Preisen könne aber sehr nützlich sein, um dem Verbraucher eine Entscheidung in voller Kenntnis der Sachlage zu ermöglichen.803 Dementsprechend schreibt neuerdings das Sekundärrecht bei jeder Ankündigung einer Preisermäßigung die Angabe des bisherigen Preises vor (Art. 6a RL 98/6/EG i.d.F. des Art. 2 Nr. 1 RL 2019/2161). Neben einer Bestätigung des Grundsatzes „Kein Verbraucherschutz vor Information“ legt die Entscheidung Yves Rocher außerdem nahe, dass ein Verbot der Werbung mit wahren Tatsachen regelmäßig nicht durch den Schutz der Verbraucher oder die Lauterkeit des Handelsverkehrs gerechtfertigt werden kann.804 Die liberale Linie in GB-Inno-BM und Yves Rocher spiegelt sich zumindest in der Grundten- 170 denz auch in der Liberalisierung der Preisvergleiche durch die harmonisierten Vorschriften zur vergleichenden Werbung (Art. 4 RL 2006/114/EG) wider. Diese Liberalisierung soll den Wettbewerb zwischen den Anbietern von Waren und Dienstleistungen im Interesse der Verbraucher

801 Fleischer ZEuP 2000, 772, 783: „Verbraucherschutz nicht vor, sondern durch Verbraucherinformation“. 802 EuGH 7. 3. 1990 – 362/88 – Slg. 1990, I-667 Tz. 18, 13 ff. – GB-INNO-BM; zur Ankündigung von Preisermäßigungen unter der Richtlinie 2005/29/EG nunmehr EuGH 15. 12. 2011 – C-126/11 – BeckRS 2012, 80286 Tz. 29 f. – INNO: eine nationale Regelung, die allgemeines Verbot von Ankündigungen von Preisermäßigungen und Ankündigungen, die eine Preisermäßigung vermuten lassen, während bestimmter Zeiten vor den Schlussverkaufszeiten vorsieht, ist nur mit der Richtlinie 2005/29/EG unvereinbar, soweit mit dieser Bestimmung Ziele des Verbraucherschutzes verfolgt werden; ferner EuGH 10. 7. 2014 – C-421/12 – GRUR Int. 2014, 964 Tz. 61 – Kommission/Belgien: nationale Regelung, die nicht in Anhang I der Richtlinie 2005/29 genannte Praktiken wie die Ankündigung von Preisermäßigungen generell verbietet, ohne eine individuelle Prüfung der „Unlauterkeit“ dieser Praktiken anhand der in den Art. 5 bis 9 dieser Richtlinie aufgestellten Kriterien vorzunehmen, verstößt gegen Art. 4 der Richtlinie und steht im Widerspruch zur Vollharmonisierung, auch wenn die Regelung ein höheres Verbraucherschutzniveau gewährleisten soll. 803 EuGH 18. 5. 1993 – C-126/91 – Slg. 1993, I-2361 Tz. 16 f. – Yves Rocher. 804 Ebenso EuGH 6. 7. 1995 – C-470/93 – Slg. 1995, I-1923 Tz. 21 – Mars; EuGH 16. 1. 1992 – C-373/90 – Slg. 1992, I131 Tz. 17 – Strafverfahren gegen X (Nissan). Aus der Perspektive der Grundfreiheiten kann es sich bei solchen Werbeverboten (sofern sie keinen Produktbezug aufweisen) allerdings um Verkaufsmodalitäten handeln, die bereits nicht die Schwelle zu einer Maßnahme gleicher Wirkung überwinden und deshalb keiner Rechtfertigung bedürfen, MünchKomm/Heermann 1. Aufl. (2006) EG B Art. 28 EG Rn. 203.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

fördern, indem den Mitbewerbern erlaubt wird, durch vergleichende Werbung die Vorteile der verschiedenen vergleichbaren Erzeugnisse objektiv herauszustellen.805 171 Weiterer Beleg für die liberale Linie des Gerichtshofs ist seine Skepsis gegenüber präventiven Werbeverboten. Anstelle eines präventiven Werbeverbots mit Erlaubnisvorbehalt ist vielmehr grundsätzlich die Werbung zunächst zuzulassen und der Hersteller zu verpflichten, „in Zweifelsfällen die Richtigkeit der Werbeaussagen nachzuweisen“.806 Damit stellt auch die Zulassungspflichtigkeit von nicht-irreführenden gesundheitsbezogenen Angaben ein ungerechtfertigtes Hindernis für den freien Warenverkehr dar.807 Seine Grenze findet der Grundsatz „Kein Verbraucherschutz vor wahrer Information“, 172 wenn die konkrete Gefahr eine Irreführung besteht. So gestattet die Warenverkehrsfreiheit das Verbot einer Werbung mit Selbstverständlichkeiten, etwa der Bewerbung eines Markenerzeugnisses mit besonderen Eigenschaften, obwohl alle gleichartigen Erzeugnisse dieselben Eigenschaften aufweisen.808

173 (3) Geringfügige oder nur abstrakt mögliche Irreführungen sind hinzunehmen. Eine weitere Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist die Regel, dass eine Irreführung über für den Verbraucher untergeordnete Gesichtspunkte nicht genügt, um eine Beschränkung des Warenverkehrs zu rechtfertigen, so dass eine gewisse Irreführung hinzunehmen ist.809 Dies zeigt sich etwa in der Rechtssache Pall. Dort ging es um das Verbot der Verwendung des Symbols ®, weil es die Verbraucher irreführe, wenn das Warenzeichen nicht in dem Land eingetragen ist, in dem die Waren in Verkehr gebracht werden. Der EuGH wies dieses Argument selbst bei unterstellter Irreführung zurück, „da die Verbraucher sich mehr für die Eigenschaften einer Ware als dafür interessieren, wo das Warenzeichen eingetragen ist“.810 In diesen Zusammenhang passen auch Entscheidungen, die eine nur abstrakt mögliche Irreführung als unzureichend für eine Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit einstufen. So war in Mars vorgetragen, dass die Einzelhändler den Zuschlag „+10 % Eiskrem“ bei Mars-Riegeln zum Anlass für eine Preiserhöhung nehmen könnten, was wiederum eine Irreführung der Verbraucher bewirken würde, die einen gleichbleibenden Preis erwarteten. Der EuGH stellte fest, dass die Mitgliedstaaten zwar auf „eindeutig nachgewiesene Vorgänge reagieren können, die eine Irreführung der Verbraucher zur Folge haben“, dass aber nicht bereits die bloße Möglichkeit der Preiserhöhung eine Beschränkung des innergemeinschaftlichen Handels rechtfertigen könne.811 Auch die Irre805 EuGH (Große Kammer) 19. 9. 2006 – C-356/04 – Slg. 2006, I-8501 Tz. 33 – Lidl Belgium; EuGH 18. 11. 2010 – C159/09 – Slg. 2010, I-11761 Tz. 20 f. – Lidl SNC; EuGH 8. 2. 2017 – C-562/15 – GRUR 2017, 280 Tz. 21 – Carrefour. 806 EuGH 28. 1. 1999 – C-77/97 – Slg. 1999, I-431 Tz. 33, 35 – Österreichische Unilever; vgl. Art. 12 RL 2005/29/EG; Art. 7 RL 2006/114/EG; siehe auch EuGH 15. 7. 2004 – C-239/02 – Slg. 2004, I-7007 Tz. 42 f., 45, 56 f. – Douwe Egberts. 807 EuGH 24. 10. 2002 – C-99/01 – Slg. 2002, I-9375 Tz. 42 ff. – Linhart. Allerdings finden sich entsprechende Regeln inzwischen auf Unionsebene in der VO 1924/2006 und sind damit der Grundfreiheitenkontrolle entzogen. 808 EuGH 5. 4. 2001 – C-123/00 – Slg. 2001, I-2795 Tz. 22 – Bellamy (zur RL 79/112/EWG). 809 EuGH 26. 10. 1995 – C-51/94 – Slg. 1995, I-3599 Tz. 34 – Kommission/Deutschland; EuGH 26. 11. 1996 – C-313/ 94 – Slg. 1996, I-6039 Tz. 24 – Graffione. 810 EuGH 13. 12. 1990 – C-238/89 – Slg. 1990, I-4827 Tz. 19 – Pall. Auch den Einwand unlauteren Wettbewerbsverhaltens (Tz. 20 f.) gegenüber den Mitbewerbern, weil sich die Hersteller für die Eintragung im Staat mit den geringsten Anforderungen entscheiden würden, wies der EuGH zurück, denn es gehe bei der Eintragung in erster Linie um den rechtlichen Schutz im Eintragungsstaat, nicht um die Verwendung des Zeichens ®. 811 EuGH 6. 7. 1995 – C-470/93 – Slg. 1995, I-1923 Tz. 19 – Mars; siehe bereits EuGH 17. 3. 1983 – 94/82 – Slg. 1983, 947 Tz. 11 f. – de Kikvorsch: Schutz gegen irreführende Etikettierungen bis zum Verbot möglich, aber nur bei tatsächlicher Irreführung oder Verwechslungsgefahr; EuGH 10. 11. 1982 – 261/81 – Slg. 1982, 3961 Tz. 17 – Rau; EuGH 28. 1. 1999 – C-303/97 – Slg. 1999, I-513 Tz. 33 – Sektkellerei Kessler: „Verwendung einer Marke [kann] nur dann als geeignet angesehen werden, Verwechslungen oder eine Irreführung der Personen, an die sie sich richtet, hervorzurufen, wenn anhand der Auffassungen oder Gewohnheiten der betroffenen Verbraucher festgestellt wird, daß tatsächlich die Gefahr einer Beeinflussung ihres wirtschaftlichen Verhaltens besteht“.

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III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten

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führung von Verbrauchern in Einzelfällen genügt nicht, um eine Beschränkung des freien Warenverkehrs zu rechtfertigen.812

(4) Berücksichtigung aller Umstände. Mit dem Informationsgebot und der Toleranz gegen- 174 über geringfügigen Irreführungen korrespondiert auch der Grundsatz, dass die Irreführung stets anhand aller relevanten Gesichtspunkt zu beurteilen ist und nicht auf lediglich einzelne Gesichtspunkte des Angebots verengt werden darf. So stellte der Gerichtshof in Clinique klar, dass bei der Beurteilung der Irreführungsgefahr nicht nur die Bezeichnung selbst („Clinique“ als Hinweis auf medizinische Eigenschaften), sondern auch die Rahmenbedingungen des Vertriebs (nur in Drogerien und Kosmetikabteilungen, nicht in Apotheken) und der Produktaufmachung und sogar die (fehlende) Irreführung der Verbraucher in anderen Mitgliedstaaten zu berücksichtigen seien.813 Auch wenn der Hinweis auf die Irreführung in anderen Ländern wegen der Sprachunterschiede wenig glücklich erscheint,814 so ist zutreffend, dass das Gericht zur Beurteilung der Irreführungsgefahr alle relevanten Gesichtspunkte berücksichtigen muss. „Dazu gehören die Umstände, unter denen die Erzeugnisse verkauft werden, die auf der Verpackung der Erzeugnisse angebrachten Informationen und die Klarheit, mit der sie gegeben werden, Aufmachung und Inhalt der Werbung sowie die Gefahr einer Irreführung der betroffenen Verbrauchergruppe“.815 Dieser Grundsatz spiegelt sich inzwischen auch in Erwägungsgrund 7 a. E. der Richtlinie 2005/29/EG.816 dd) Belästigende und aggressive Geschäftspraktiken. Während die Rechtsprechung zur 175 Irreführung insbesondere im sektoriellen Lauterkeitsrecht kaum mehr überschaubar ist, finden sich nur wenige Entscheidungen zum Schutz vor aggressiven Geschäftspraktiken.817 Dies liegt vor allem an der Keck-Doktrin, die zahlreiche Vertriebsmethoden als Verkaufsmodalität bereits aus dem Tatbestand des Art. 34 AEUV ausnimmt, sofern sie rechtlich und tatsächlich nicht den Marktzugang für ausländische Produkte stärker behindern.818 Hervorzuheben ist immerhin die Rechtssache Buet zum französischen Verbot des Haustür- 176 vertriebs819 von pädagogischem Material, in der es um den Schutz der Verbraucher vor der Gefahr unüberlegter Käufe ging. Dazu stellte der EuGH zunächst fest, dass dieser Gefahr in aller Regel durch das vertragliche Rücktrittsrecht nach der Haustürwiderrufsrichtlinie begegnet werde.820 Dennoch billigte der Gerichtshof die französische Regelung, weil die Gefahr unüberlegter Käufe beim Vertrieb von Unterrichtsleistungen oder pädagogischem Material besonders 812 EuGH 26. 10. 1995 – C-51/94 – Slg. 1995, I-3599 Tz. 34 – Kommission/Deutschland; EuGH 4. 4. 2000 – C-465/ 98 – Slg. 2000, I-2297 Tz. 28 – Darbo gegenüber EuGH 16. 1. 1992 – C-373/90 – Slg. 1992, I-131 Tz. 15 f. – Strafverfahren gegen X (Nissan): „geeignet, eine erhebliche Zahl von Verbrauchern von ihrer Kaufentscheidung abzuhalten“. 813 EuGH 2. 2. 1994 – C-315/92 – Slg. 1994, I-317 Tz. 21 – Clinique. 814 Richtig EuGH 26.11.996 – C-313/94 – Slg. 1996, I-6039 Tz. 22 – Graffione: Berücksichtigung sprachlicher, kultureller und sozialer Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten. 815 EuGH 26.11.996 – C-313/94 – Slg. 1996, I-6039 Tz. 26 – Graffione; EuGH 13. 1. 2000 – C-220/98 – Slg. 2000, I117 Tz. 30 – Estée Lauder: „unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte“; EuGH 19. 9. 2006 – C356/ 04 – Slg. 2006, I-8501 Tz. 79 – Lidl Belgium (zur Irreführungsrichtlinie). 816 Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 24. 3. 2010 – C-540/08 – Tz. 78, 100 – Mediaprint; siehe auch EuGH 23. 4. 2009 – C-261/07 und C-299/07 – Slg. 2009, I-2949 Tz. 62 f., 65 – VTB-VAB. 817 Dazu eingehend Apetz Das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken (2011), S. 408 ff. 818 Für den Haustürvertrieb siehe EuGH 23. 2. 2006 – C-441/04 – Slg. 2006, I-2093 Tz. 17 – A-Punkt Schmuckhandel gegenüber EuGH 16. 5. 1989 – 382/87 – Slg. 1989, 1235 Tz. 9, 13 ff. – Buet. 819 Siehe auch Reich Die wettbewerbsrechtliche Beurteilung der Haustürwerbung in Deutschland: unter besonderer Berücksichtigung der wirtschaftswissenschaftlichen und wirtschaftlichen Hintergründe sowie der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung der Haustürwerbung in anderen ausgewählten Ländern (2010), S. 290 ff. 820 EuGH 16. 5. 1989 – 382/87 – Slg. 1989, 1235 Tz. 12 – Buet.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

ausgeprägt sei, denn der Kunde habe einen Bildungsrückstand, den er aufholen wolle, was ihn besonders schutzlos mache.821 Zudem handele es sich nicht nur um Güter des täglichen Bedarfs, so dass ein unüberlegter Kauf nicht nur nachteilige finanzielle Folgen habe, sondern auch – bei Vertrieb von minderwertigem Material – „die Möglichkeit für den Verbraucher gefährden kann, sich weiterzubilden und damit seine Stellung auf dem Arbeitsmarkt zu stärken“.822 Auch in APunkt Schmuckhandels GmbH hat der Gerichtshof bekräftigt, dass im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung eines Verbots von Haustürgeschäften die größere Gefahr einer Irreführung der Verbraucher infolge „mangelnder Information, der nicht vorhandenen Möglichkeit eines Preisvergleichs, ungenügenden Garantien in Bezug auf die Echtheit der Schmuckstücke und dem psychologischen Kaufdruck“ zu berücksichtigen ist.823 Die Grundfreiheiten werden für den Bereich der Haustür- und Außergeschäftsraumverträge absehbar relevant bleiben, weil die Richtlinie 2005/29/EG in ihrer durch die Richtlinie 2019/2161 geänderten Fassung den Mitgliedstaaten nationale Beschränkungen solcher Vertriebspraktiken (wieder) gestattet (Art. 3 Abs. 5, 6 RL 2005/29/EG i.d.F. des Art. 3 Nr. 2 RL 2019/2161). 177 Die auf Haustürgeschäfte bezogene Argumentation in Buet und A-Punkt wird durch die Entscheidung Alpine Investments zum Verbot des Cold Calling von Finanzdienstleistern ergänzt. Auch hier billigte der EuGH die Beschränkung der Grundfreiheit, wenn auch – weil die betreffenden Behörden zum Schutz ausländischer Verbraucher nicht zuständig waren – zur „Aufrechterhaltung des guten Rufes des nationalen Finanzsektors“.824 Eine durch das Cold Calling überraschte Privatperson sei „nicht in der Lage, sich über die Risiken, die sich aus der Art der ihr vorgeschlagenen Transaktionen ergeben, zu informieren oder die Qualität und den Preis der Dienstleistungen des Anrufers mit den Angeboten der Konkurrenten zu vergleichen“. Da der Warenterminmarkt äußerst spekulativ und für wenig erfahrene Kapitalanleger schwer durchschaubar ist, sei es erforderlich, sie vor den „aggressivsten Methoden der Kundenwerbung“ zu schützen.825 Zudem betreffe das Verbot nur die telefonische oder persönliche Kontaktaufnahme mit potentiellen Kunden ohne deren vorherige schriftliche Zustimmung und sei auf den Markt für Warenterminverträge beschränkt, so dass andere Märkte und andere Formen der Kontaktaufnahme mit potentiellen Kunden oder die Kontaktaufnahme mit bereits akquirierten Kunden unberührt blieben.826 Gegen ein solches Verbot spreche schließlich auch nicht, dass andere Mitgliedstaaten weniger weitgehende Regelungen erlassen haben und dass es alle Unternehmen des Marktes treffe, weil allgemein das Vertrauen in den Markt wiederhergestellt werden müsse.827

178 ee) Konkurrentenschutz. Ähnlich spärlich wie Judikatur zu belästigenden und aggressiven Vertriebsmethoden sind Entscheidungen zum wettbewerbsrechtlichen Konkurrentenschutz. In einer frühen Entscheidung hat sich der Gerichtshof immerhin zum niederländischen Verbot sklavischer Nachahmungen geäußert. Er sah die Regelung vom Schutzgut der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes umfasst.828 Zur Begründung verwies er auf die grundsätzliche Anerkennung in der Rechtsprechung der meisten Mitgliedstaaten und den Grundgedanken des Art. 10bis PVÜ, „wonach jegliches Tun, das geeignet ist …, eine Verwechslung mit den Waren eines Wettbewerbers hervorzurufen, untersagt ist“.829 Die Entscheidung verengt das Problem damit auf den Aspekt der Verwechslungsgefahr, der inzwischen auch Eingang in Anhang I Nr. 13 821 822 823 824 825 826 827 828 829

EuGH 16. 5. 1989 – 382/87 – Slg. 1989, 1235 Tz. 13 – Buet. EuGH 16. 5. 1989 – 382/87 – Slg. 1989, 1235 Tz. 14 – Buet. EuGH 23. 2. 2006 – C-441/04 – Slg. 2006, I-2093 Tz. 29 – A-Punkt Schmuckhandel. EuGH 10. 5. 1995 – C-384/93 – Slg. 1995, I-1141 Tz. 44 – Alpine Investments. EuGH 10. 5. 1995 – C-384/93 – Slg. 1995, I-1141 Tz. 46 – Alpine Investments. EuGH 10. 5. 1995 – C-384/93 – Slg. 1995, I-1141 Tz. 54 – Alpine Investments. EuGH 10. 5. 1995 – C-384/93 – Slg. 1995, I-1141 Tz. 50 f., 52 f. – Alpine Investments. EuGH 2. 3. 1982 – 6/81 – Slg. 1982, 707 Tz. 9 – Beele. EuGH 2. 3. 1982 – 6/81 – Slg. 1982, 707 Tz. 9 – Beele.

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III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten

Einleitung

RL 2005/29/EG gefunden hat, und lässt wesentliche Aspekte des Konkurrentenschutzes und der Erschöpfungslehre außen vor.830 Immerhin legt sie eine Verallgemeinerung des Rückgriffs auf Art. 10bis Abs. 3 PVÜ nahe, so dass offenbar der Schutz vor Verwechslungen, Anschwärzungen und Irreführungen zu einem wirksamen Schutz gegen unlauteren Wettbewerb auch im Sinne der Cassis-Doktrin zu zählen sind.831 Gegen eine derartige Verallgemeinerung mag man vorbringen, dass Art. 10bis PVÜ das heute überholte Konzept des Konkurrentenschutzes und der Geschäftsmoral zugrunde liegt.832 Angesichts der weiten Verbreitung verbraucherschützender Lauterkeitsnormen im Unionsrecht erscheint es indes unbedenklich, Art. 10bis Abs. 3 PVÜ zumindest auf dem unionsrechtlich noch wenig explorierten Terrain des Konkurrentenschutzes als einen Baustein des Europäischen Lauterkeitsrechts anzusehen.833 Ein weiterer Baustein des konkurrentenschützenden Lauterkeitsrechts enthüllte sich in ei- 179 ner eher entlegenen Entscheidung zur Arbeitnehmerentsendung. Dort hat es der Gerichtshof als legitimes Ziel des nationalen Gesetzgebers und eine Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit rechtfertigendes zwingendes Erfordernis angesehen, „einen unlauteren Wettbewerb seitens der Unternehmen zu verhindern, die ihren Arbeitnehmern einen Lohn zahlen, der unterhalb des Mindestlohns liegt“.834 Mit dieser Rechtsprechung deutet sich an, dass das Unionsrecht auch die Sicherung einheitlicher Wettbewerbsbedingungen für alle Marktteilnehmer als legitimes Ziel lauterkeitsrechtlicher Einschränkungen der Marktfreiheiten billigt, so dass eine lauterkeitsrechtliche Sanktionierung von Gesetzesverstößen der Mitbewerber zulässig erscheint (zur Rechtsschutzorientierung oben Rn. 86). In gewisser Weise korrespondiert dies mit der Rechtsprechung zum Klagerecht von Wettbewerbern bei Verstößen gegen sekundärrechtliche Kennzeichnungsvorschriften für Lebensmittel.835 Ferner ist im Kontext des Konkurrentenschutzes noch die Rechtsprechung zu Rabatten und 180 Preisnachlässen zu erwähnen. Derartige Regeln hat der EuGH zunächst, wie für das Verbot zum Verkauf unter Einstandspreis und zu äußerst niedrigen Gewinnspannen entschieden wurde, als Verkaufsmodalität i. S. d. Keck-Doktrin und damit nicht als Maßnahme gleicher Wirkung angesehen.836 Gleiches gilt für eine gesetzliche Preisregulierung, wenn sie weder rechtlich noch tatsächlich zwischen einheimischen und importierten Erzeugnissen unterscheidet837 bzw. – unter Geltung des Marktzugangskriteriums – wenn sie nicht den Zugang ausländischer

830 Beater Rn. 593. 831 Zum Teil oder vollständig werden diese Aspekte allerdings inzwischen durch Sekundärrecht geregelt und sind damit nicht mehr am Maßstab der Grundfreiheiten zu messen, siehe zum Schutz vor Irreführung Art. 6, 7 RL 2005/ 29/EG und Art. 3 RL 2006/114/EG. Daneben existieren spezielle Irreführungsverbote, z. B. Art. 13 Abs. 1 lit. c, d VO 1151/2012; zum markenrechtlichen Schutz vor Verwechslungsgefahr Art. 10 Abs. 2 lit. b MarkenRL 2015/2436. 832 Demgegenüber dürfte die Generalklausel des Art. 10bis Abs. 2 PVÜ aufgrund ihrer Bezogenheit auf die Gebräuche des jeweiligen Schutzlandes (Erstauflage/Schricker Einl Rn. F 53 ff.; Pflüger Reichweite internationalrechtlicher Vorgaben in: Hilty/Henning-Bodewig [Hrsg.] Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire [2009], S. 65, 78 f., 84 Fn. 79) aus sich heraus nichts zu einer europäisch-autonomen Konkretisierung der zwingenden Erfordernisse beitragen. 833 Ohly WRP 2008, 177, 179: Art. 10bis PVÜ nur erster ungefährer Anhaltspunkt. 834 EuGH 12. 10. 2004 – C-60/03 – Slg. 2004, I-9553 Tz. 41 – Wolff & Müller. 835 EuGH 17. 9. 2002 – C-253/00 – Slg. 2002, I-7289 Tz. 27 – Muñoz. 836 EuGH 24. 11. 1993 – C-267/91 und C-268/91 – Slg. 1993, I-6097 Tz. 18 – Keck und Mithouard; EuGH 11. 8. 1995 – C63/94 – Slg. 1995, I-2467 Tz. 13 – Belgapom; zur Rechtsprechung vor Keck Streinz/Schroeder Art. 34 AEUV Rn. 65. Ein generelles und einzelfallunabhängiges, dem Verbraucherschutz dienendes Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis verstößt inzwischen gegen die Richtlinie 2005/29/EG, EuGH 7. 3. 2013 – C-343/12 – GRUR Int. 2013, 936 Tz. 22, 29, 31 – Euronics Belgium; dies gilt auch dann, wenn das nationale allgemeine Verbot Ausnahmetatbestände vorsieht, die in der RL 2005/29/EG nicht vorgesehen sind, EuGH 19. 10. 2017 – C-295/16 – GRUR 2018, 303 Tz. 43 – Europamur. 837 EuGH 30. 4. 2009 – C-531/07 – Slg. 2009, I-3717 Tz. 20 – LIBRO (Preisbindung für Bücher; im konkreten Fall bejahte der EuGH eine Diskriminierung und damit eine Beeinträchtigung des Art. 34, Tz. 21 f.); vor Keck auch EuGH 10. 1. 1985 – 229/83 – Slg. 1985, 1 Tz. 23, 25 f., 28 ff. – Leclerc; bestätigt durch EuGH 3. 10. 2000 – C-9/99 – Slg. 2000, I-8207 Tz. 22 – Echirolles; zu Mindestpreisen für Treibstoff vor Keck EuGH 29. 1. 1985 – 231/83 – Slg. 1985, 305 Tz. 29 – Cullet. Aus jüngster Zeit EuGH (Große Kammer) 29. 3. 2011 – C-565/08 – Slg. 2011, I-2101 Tz. 49 ff., 53 –

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

Anbieter „unter Bedingungen eines normalen und wirksamen Wettbewerbs“ zum heimischen Markt beeinträchtigt.838 181 Allerdings kann die Schwelle zur Marktzugangsbehinderung gerade bei Verboten besonders attraktiver Preise (etwa durch Vorgabe von Mindestpreisen) überschritten sein, weil naturgemäß der Wettbewerb über den Preis eine der wirksamsten Methoden ist, um auf dem Markt eines Mitgliedstaats Fuß zu fassen.839 Ist eine Beeinträchtigung der Verkehrsfreiheit gegeben, so können gesetzliche Preisbindungen nicht allein durch den Erhalt kleinerer Anbieter im gesamten Staatsgebiet, die Vermeidung eines „ruinösen Preiswettbewerbs“ oder gar die „heftige[n] Reaktionen, mit denen von Seiten der durch einen unbegrenzten Wettbewerber bedrohten“ Marktteilnehmer zu rechnen wäre, gerechtfertigt werden.840 Vielmehr ist es erforderlich, einen anerkannten Grund des Allgemeininteresses oder einen geschriebenen Rechtfertigungsgrund vorzubringen.841 Zudem ist stets den Besonderheiten des konkreten Marktes Rechnung zu tragen842 und im Einzelfall anhand genauer und nachprüfbarer tatsächlicher Angaben (oben Rn. 144) zu untersuchen, ob das legitime Ziel der Preisbindung (z. B. Verbraucherschutz, Qualität von bestimmten Waren oder Dienstleistungen, Erhalt der Angebotsvielfalt) durch die konkrete Regelung erreicht werden kann, etwa weil eine Wechselbeziehung zwischen Preis und Qualität besteht, weil die Empfänger der Dienstleistung ihre Qualität nicht beurteilen können oder weil durch Mindestpreise auf einem durch hohen Konkurrenzdruck geprägten Markt ein qualitativ minderwertiges Billigangebot vermieden wird.843 Positiver steht der Gerichtshof demgegenüber der gesetzlichen Preisregulierung und sogar der staatlichen Bedürfnisprüfung gegenüber, wenn es sich um regulierte Berufe handelt, deren Regulierung zur Aufrechterhaltung berufsrechtlicher und berufsethischer Standards und damit letztlich dem Schutz hochstehender Rechtsgüter wie dem Gesundheitsschutz, der Versorgung mit medizinischen Leistungen oder der Rechtspflege dient. Derartige Einschränkungen halten eher der Grundfreiheitenkontrolle stand, sofern die nationale Regulierung in kohärenter Weise erfolgt.844 An der Kohärenz fehlt es etwa, wenn zwar Mindest- und Höchstpreise gesetzlich vorgegeben werden und mit Anforderungen an die Qualität und den Verbraucherschutz begrünKommission/Italien zu anwaltlichen Maximalgebühren (Beeinträchtigung verneint, da italienische Gebührenregelung flexibel war und unter bestimmten Umständen Gebührenerhöhungen und Gebührenvereinbarungen gestattete). Bei Mindestpreisen für anwaltliche Dienstleistungen hat der EuGH (Große Kammer) 5. 12. 2006 – C-94/04 und C-202/04 – Slg. 2006, I-I-11421 Tz. 58 – Cipolla demgegenüber eine Beeinträchtigung bejaht, weil durch Mindestpreise der Marktzugang für ausländische Anbieter behindert werde; ebenso EuGH 23. 12. 2015 – C-333/14 – EuZW 2016, 230 Tz. 32 – Scotch Whisky Association: Maßnahme gleicher Wirkung, wenn Mindestpreis verhindert, dass sich „niedrigere Gestehungskosten eingeführter Erzeugnisse im Endverkaufspreis niederschlagen können“. 838 EuGH (Große Kammer) 29. 3. 2011 – C-565/08 – Slg. 2011, I-2101 Tz. 51, 53 – Kommission/Italien (Gebührenhöchstsätze für Anwälte); EuGH 12. 9. 2013 – C-475/11 – BeckRS 2013, 81708 Tz. 47 f. – Kostas Konstantinides (Bindung ausländischer Ärzte an die Regeln der deutschen Honorarordnung). 839 EuGH (Große Kammer) 5. 10. 2004 – C-442/02 – Slg. 2004, I-8961 Tz. 14 – CaixaBank France (Wettbewerb über den Zinssatz für Sichteinlagen bei Banken); EuGH 19. 10. 2016 – C-148/15 – EuZW 2016, 958 Tz. 26 – Deutsche Parkinson Vereinigung (Festpreise bei Arzneimitteln). 840 EuGH 29. 1. 1985 – 231/83 – Slg. 1985, 305 Tz. 32 f. – Cullet/Leclerc. 841 Zu Beispielen (im Kontext von Art. 15 RL 2006/123/EG) EuGH 4. 7. 2019 – C-377/17 – NVwZ 2019, 1120 Tz. 69 ff. – Kommission/Deutschland (Zulässigkeit der Honorarregelung nach HOAI). 842 EuGH 30. 4. 2009 – C-531/07 – Slg. 2009, I-3717 Tz. 35 – LIBRO: Bei der Buchpreisbindung ist es unzulässig, für den Mindestpreis auf den vom Verleger für den Verlagsstaat festgesetzten oder empfohlenen Letztverkaufspreis abzustellen, sondern es muss dem Verleger erlaubt sein, einen Verkaufspreis für den Importmarkt festzusetzen, der den Besonderheiten dieses Marktes Rechnung trägt. 843 Zur grundsätzlichen Zulässigkeit dieser Argumente und hinreichenden Darlegung im Einzelfall (im Kontext von Art. 15 RL 2006/123/EG) EuGH 4. 7. 2019 – C-377/17 – NVwZ 2019, 1120 Tz. 76 ff. – Kommission/Deutschland (Honorarregelung nach HOAI). Unzureichend begründet war die Rechtfertigung der Preisbindung von Arzneimitteln im Versandhandel, EuGH 19. 10. 2016 – C-148/15 – EuZW 2016, 958 Tz. 37 ff. – Deutsche Parkinson Vereinigung. 844 EuGH (Große Kammer) 5. 12. 2006 – C-94/04 und C-202/04 – Slg. 2006, I-11421 Tz. 67 ff. – Cipolla (gesetzliche Mindesthonorare für Anwälte grundsätzlich zulässig); EuGH 12. 9. 2013 – C-475/11 – BeckRS 2013, 81708 Tz. 47 f., 57 – Kostas Konstantinides (Bindung von Ärzten an das heimische Gebühren- und Werberecht grundsätzlich zuläs-

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III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten

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det werden, die Erbringung der konkreten Leistungen selbst aber nicht Personen vorbehalten wird, die eine reglementierte Tätigkeit ausübten und ihre entsprechende fachliche Eignung nachgewiesen haben.845 National vorgeschriebene Höchstsätze für Preise von Planungsleistungen der Architekten und Ingenieuren, die mit dem Ziel des Verbraucherschutzes durch Transparenz der geforderten Preise und der Vermeidung überhöhter Honorarforderungen gerechtfertigt werden, sollen demgegenüber nicht verhältnismäßig sein, jedenfalls solange nicht dargetan wird, weshalb Preisorientierungen für Kunden für die verschiedenen Kategorien von Leistungen nicht ausreichen, um diese Ziele in angemessener Weise zu erreichen.846 Schließlich verdient an dieser Stelle noch eine Entscheidung zum niederländischen Zuga- 182 benverbot Erwähnung. Der EuGH billigte die niederländische Regelung, weil „das Angebot von Zugaben als Mittel der Absatzförderung bei den Verbrauchern einen Irrtum über die tatsächlichen Preise der Erzeugnisse bewirken und die Bedingungen eines auf Leistung beruhenden Wettbewerbs verfälschen kann“.847 Obwohl die Entscheidung in erster Linie auf die Gefahr einer Irreführung der Verbraucher abhebt, so deutet sie den Gedanken „eines auf Leistung beruhenden Wettbewerbs“ zumindest an, der für konkurrentenschützende Lauterkeitsnormen bedeutsam sein kann. In der Sache ist die Entscheidung inzwischen überholt: Zum einen sind Zugabenverbote und Regeln zu Kopplungsangeboten als Verkaufsmodalität anzusehen und daher regelmäßig aus dem Tatbestand des Art. 34 AEUV ausgenommen.848 Zum anderen werden sie von der Richtlinie 2005/29/EG erfasst und sind daher – jedenfalls bei Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern (Art. 2 lit. d, 3 Abs. 1 RL 2005/29/EG) – infolge der Vollharmonisierung der Kontrolle am Maßstab der Grundfreiheiten entzogen.849 Entsprechendes gilt für absatzfördernde Glücksspiele (Verlosungen) und Preisausschreiben,850 die der Gerichtshof in Familiapress noch am Maßstab der Medienvielfalt und der Meinungsfreiheit als zwingende Erfordernisse i. S. d. Cassis-Doktrin gemessen hat.851

c) Sonstiges kollidierendes Primärrecht. Zu den sonstigen Regeln des Primärrechts, die 183 eine Beschränkung der Grundfreiheiten rechtfertigen können, zählen insbesondere die Unionsgrundrechte.852 Hier sind drei853 eng benachbarte Konstellationen zu unterscheiden: Zum einen sig); EuGH 26. 9. 2013 – C-539/11 – BeckRS 2013, 81872 Tz. 46 ff. – Ottica New Line (regionale Bedürfnisprüfung für Optikergeschäfte zulässig, sofern diese in kohärenter Weise erfolgt). 845 Im Kontext von Art. 15 RL 2006/123/EG EuGH 4. 7. 2019 – C-377/17 – NVwZ 2019, 1120 Tz. 91 f. – Kommission/ Deutschland (Honorarregelung nach HOAI). 846 Im Kontext von Art. 15 RL 2006/123/EG EuGH 4. 7. 2019 – C-377/17 – NVwZ 2019, 1120 Tz. 94 f. – Kommission/ Deutschland (Honorarregelung nach HOAI). 847 EuGH 15. 12. 1982 – 286/81 – Slg. 1982, 4575 Tz. 18 – Oosthoek; ähnlich jüngst EuGH 18. 7. 2013 – C-265/12 – GRUR 2013, 1154 Tz. 39 ff. – Citroën Belux (Verbot gerechtfertigt aus Gründen des Verbraucherschutzes wegen der „erhöhte[n] Gefahr mangelnder Transparenz bei den Bedingungen, dem Preis und dem genauen Inhalt der Dienstleistung“). 848 Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 21. 10. 2008 – C-261/07 und C-299/07 – Slg. 2009, I-2949 Tz. 116 – VTB-VAB. 849 EuGH 23. 4. 2009 – C-261/07 und C-299/07 – Slg. 2009, I-2949 Tz. 50, 52 – VTB-VAB (Kopplungsangebote); EuGH 7. 9. 2016 – C-310/15 – GRUR 2016, 1180 Tz. 28 ff. – Sony Europe. Soweit eine Bereichsausnahme zur Vollharmonisierung wie etwa bei Finanzdienstleistungen (Art. 3 Abs. 9 RL 2005/29/EG) eingreift, hat der Gerichtshof das – durch Ausnahmetatbestände eingegrenzte – Verbot von Kopplungsangeboten bei Finanzdienstleistungen als verhältnismäßige Grundfreiheitenbeschränkung angesehen, EuGH 18. 7. 2013 – C-265/12 – GRUR 2013, 1154 Tz. 39 ff. – Citroën Belux. 850 EuGH 14. 1. 2010 – C-304/08 – Slg. 2010, I-217 Tz. 36 f., 41 – Plus Warenhandelsgesellschaft; EuGH (Große Kammer) 9. 11. 2010 – C-540/08 – Slg. 2010, I-10909 Tz. 18, 30 – Mediaprint (Teilnahme an einer Lotterie oder einem Preisausschreiben als Maßnahme zur Absatzförderung). 851 EuGH 26. 6. 1997 – C-368/95 – Slg. 1997, I-3689 Tz. 24 ff. – Familiapress. 852 Bei Beeinträchtigung von Grundfreiheiten ist umstritten, ob der Anwendungsbereich der Unionsgrundrechte gemäß Art. 51 EuGRCh eröffnet ist, dazu unten Rn. 201 f. 853 Dazu Calliess/Ruffert/Kingreen Art. 34–36 AEUV Rn. 79, der allerdings die zweite und die dritte Kategorie zusammenfasst.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

können sich Privatpersonen zur Rechtfertigung einer von ihnen ausgehenden Beeinträchtigung der Grundfreiheiten auf ihre Grundrechte berufen (Drittwirkungskonstellation).854 Zum zweiten kann ein Mitgliedstaat davon absehen, gegen eine von Privaten ausgehende Beeinträchtigung der Grundfreiheiten einzuschreiten, um die Grundrechte der privaten „Störer“ zu respektieren (negative Schutzkonstellation).855 Und zum dritten ist denkbar, dass ein Staat gerade zum Schutz der Grundrechte Dritter eine Grundfreiheit beschränkt (positive Schutzkonstellation).856 Der letztgenannte Fall dürfte allerdings besser in die Kategorie der öffentlichen Ordnung i. S. d. Art. 36 AEUV passen, denn die Beschränkung der Grundfreiheit resultiert nicht in erster Linie aus der Grundrechtsausübung Privater, sondern im Eingreifen des Staates zum Schutz der Grundrechte als Bestandteil der öffentlichen Ordnung. Von der Meinungsfreiheit nicht garantiert wird die öffentliche Äußerung eines Beamten in hoheitlicher Funktion.857

4. Dienstleistungsfreiheit: Schutzbereich Artikel 56 AEUV Die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Union für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verboten. Das Europäische Parlament und der Rat können gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren beschließen, dass dieses Kapitel auch auf Erbringer von Dienstleistungen Anwendung findet, welche die Staatsangehörigkeit eines dritten Landes besitzen und innerhalb der Union ansässig sind. Artikel 57 AEUV Dienstleistungen im Sinne der Verträge sind Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen. Als Dienstleistungen gelten insbesondere: a) gewerbliche Tätigkeiten, b) kaufmännische Tätigkeiten, c) handwerkliche Tätigkeiten, d) freiberufliche Tätigkeiten. Unbeschadet des Kapitels über die Niederlassungsfreiheit kann der Leistende zwecks Erbringung seiner Leistungen seine Tätigkeit vorübergehend in dem Mitgliedstaat ausüben, in dem die Leistung erbracht wird, und zwar unter den Voraussetzungen, welche dieser Mitgliedstaat für seine eigenen Angehörigen vorschreibt.

184 Neben der Warenverkehrsfreiheit hat vor allem die Dienstleistungsfreiheit Einfluss auf das Lauterkeitsrecht der Mitgliedstaaten. Hier sind grundsätzlich zwei Konstellationen zu unterscheiden: Zum einen kommt Art. 56 AEUV zum Tragen, wenn es schwerpunktmäßig um den grenzüberschreitenden Vertrieb von Dienstleistungen und nicht von Waren (oben Rn. 102 f.) geht. Darüber hinaus hat die Dienstleistungsfreiheit auch Bedeutung für die Werbedienstleistungen

854 Siehe etwa die Rechtfertigung des Handelns Privater durch die Vereinigungsfreiheit oder das Grundrecht auf kollektive Maßnahmen (Art. 28 EuGRCh) in EuGH 15. 12. 1995 – C-415/93 – Slg. 1995, I-4921 Tz. 79 f. – Bosman; EuGH (Große Kammer) 18. 12. 2007– C-341/05 – Slg. 2007, I-11767 Tz. 93 – Laval. 855 Siehe etwa die im Interesse des Demonstrationsrechts unterlassene Aufhebung der Straßenblockade in EuGH 12.6.003 – C-112/00 – Slg. 2003, I-5659 Tz. 74 ff. – Schmidberger. 856 Siehe das Einschreiten der deutschen Behörden zum Schutz der Menschenwürde in EuGH 14. 10. 2004 – C-36/ 02 – Slg. 2004, I-9609 Tz. 35 – Omega. 857 EuGH (Große Kammer) 17. 4. 2007 – C-470/03 – Slg. 2007, I-2749 Tz. 72 – A.G.M.-COS.MET: „Die Mitgliedstaaten können sich jedoch nicht auf die Meinungsäußerungsfreiheit ihrer Beamten berufen, um eine Behinderung zu rechtfertigen und sich dadurch ihrer gemeinschaftsrechtlichen Verantwortung zu entziehen“.

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III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten

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selbständiger Dritter, denn während die Werbung durch den Warenanbieter durch die Warenverkehrsfreiheit erfasst wird, müssen Beschränkungen der Werbedienstleistungen selbständiger Dritter den Anforderungen des Art. 56 AEUV standhalten. Berechtigt aus der Dienstleistungsfreiheit sind nur „Angehörige der Mitgliedstaaten“ (Art. 56 AEUV), denen Gesellschaften mit satzungsmäßigem Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung in der Union gleichgestellt sind (Art. 62 i. V. m. Art. 54 AEUV). Zudem ist im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit zu beachten, dass für eine große Zahl von Dienstleistungen durch die Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt (unten Rn. 388 ff.) inzwischen über die Dienstleistungsfreiheit z. T. hinausgehende Freizügigkeitsrechte begründet wurden.

a) Begriff der Dienstleistung. Ausgangspunkt für die Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereichs der Dienstleistungsfreiheit ist der Begriff des Dienstleistungsverkehrs in Art. 56 Abs. 1 AEUV. Dieser umfasst sowohl die aktive (positive) Dienstleistungserbringungsfreiheit (vgl. Art. 57 Abs. 3 AEUV) wie die passive (negative) Dienstleistungsempfangsfreiheit als ihre „notwendige Ergänzung“.858 Ausreichend ist es auch, wenn nur die Dienstleistung den Grenzübertritt vollzieht, wie dies etwa bei Telefon- oder Online-Dienstleistungen der Fall ist,859 oder wenn Leistender und Empfänger sich beide in einen anderen Mitgliedstaat begeben, um dort den Leistungsaustausch zu bewirken.860 Art. 56 AEUV verbietet daher nicht nur vom Staat des Leistungsempfängers, sondern auch vom Staat des Leistungserbringers auferlegte Beschränkungen, wenn die Leistungen an Empfänger in oder aus anderen Mitgliedstaaten erbracht werden.861 Unter Dienstleistungen im Sinne der Verträge sind nach Art. 57 Abs. 1 AEUV Leistungen zu verstehen, „die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen“. Charakteristikum der Dienstleistungsfreiheit ist damit die Entgeltlichkeit der Leistung und die Subsidiarität gegenüber anderen Grundfreiheiten. Den Begriff des Entgelts hat der Gerichtshof anhand von Art. 57 Abs. 2 AEUV erschlossen, wonach als Dienstleistungen insbesondere gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche und freiberufliche Tätigkeiten gelten. Daraus leitet er als Wesensmerkmal des Entgelts ab, „dass es die wirtschaftliche Gegenleistung für die betreffende Leistung darstellt, wobei die Gegenleistung in der Regel zwischen dem Erbringer und dem Empfänger der Leistung vereinbart wird“.862 Allerdings ist es nicht erforderlich, dass die Dienstleistung von demjenigen bezahlt wird, dem sie zugutekommt.863 Der Hinweis auf die Subsidiarität der Dienstleistungsfreiheit in Art. 57 Abs. 1 AEUV ist nicht im Sinne einer generellen Nachrangigkeit der Dienstleistungsfreiheit zu verstehen, sondern dient der Klarstellung, dass der Begriff der Dienstleistungen alle „nicht von den übrigen Freiheiten erfassten Leistungen mit dem Ziel ab[deckt], keine wirtschaftliche Tätigkeit aus dem Geltungsbereich der Grundfreiheiten herausfallen zu lassen“.864 Im Verhältnis zur Warenverkehrsfreiheit (oben Rn. 102) dient dabei grundsätzlich die Körperlichkeit der Leistung als Ab858 EuGH 31. 1. 1984 – 286/82 und 26/83 – Slg. 1984, 377 Tz. 10 – Luisi; EuGH (Große Kammer) 5. 10. 2010 – C-512/ 08 – EuZW 2010, 861 Tz. 31 – Kommission/Frankreich; zu den Begriffen Schwarze/Holoubek Art. 56, 57 AEUV Rn. 34, 36; Calliess/Ruffert/Kluth Art. 56, 57 AEUV Rn. 27, 30. 859 EuGH 10. 5. 1995 – C-384/93 – Slg. 1995, I-1141 Tz. 30 – Alpine Investments (Telefonmarketing); EuGH 3. 6. 2010 – C-258/08 – Slg. 2010, I-4757 Tz. 15 f. – Ladbrokes Betting & Gaming (Online-Glücksspiele). 860 EuGH 26. 2. 1991 – C-154/89 – Slg. 1991, I-659 Tz. 10 – Kommission/Frankreich. 861 EuGH 10. 5. 1995 – C-384/93 – Slg. 1995, I-1141 Tz. 30 – Alpine Investments; EuGH 4. 5. 2017 – C-339/15 – GRUR 2017, 627 Tz. 60 – Vanderborght. 862 EuGH 27. 9. 1988 – 263/86 – Slg. 1988, 5365 Tz. 16 f. – Humbel und Edel; EuGH 20. 5. 2010 – C-56/09 – Slg. 2010, 4517 Tz. 30 – Zanotti. 863 EuGH 26. 4. 1988 – 352/85 – Slg. 1988, 2085 Tz. 16 – Bond van Adverteereders. 864 EuGH (Große Kammer) 3. 10. 2006 – C-452/04 – Slg. 2006, I-9521 Tz. 32 – Fidium Finanz.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

grenzungsmerkmal, im Verhältnis zur Arbeitnehmerfreizügigkeit die Selbständigkeit der Tätigkeit. 189 In Abgrenzung zur Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) kommt die Dienstleistungsfreiheit zum Tragen, wenn der Erbringer einer Dienstleistung seine Tätigkeit im anderen Mitgliedstaat vorübergehend ausübt, wobei der vorübergehende Charakter „nicht nur unter Berücksichtigung der Dauer der Leistung, sondern auch ihrer Häufigkeit, regelmäßigen Wiederkehr oder Kontinuität zu beurteilen ist“.865 Dabei schließt „der vorübergehende Charakter der Leistung nicht die Möglichkeit … aus, sich im Aufnahmestaat mit einer bestimmten Infrastruktur (einschließlich eines Büros, einer Praxis oder Kanzlei) auszustatten, soweit diese Infrastruktur für die Erbringung der fraglichen Leistung erforderlich ist“.866 Nicht die Dienstleistungsfreiheit, sondern die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) kommt deshalb zur Anwendung, wenn ein Angehöriger eines Mitgliedstaates in beständiger und kontinuierlicher Weise eine Berufstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausübt.867

190 b) Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit. Art. 56 AEUV verlangt nicht nur die Beseitigung sämtlicher (offener und versteckter868) Diskriminierungen des Dienstleistungserbringers aufgrund seiner Staatsangehörigkeit (Art. 57 Abs. 3 AEUV), sondern auch „jeder Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs – selbst wenn sie unterschiedslos für inländische Dienstleistende wie für solche aus den anderen Mitgliedstaaten gilt869 –, sofern sie geeignet ist, die Tätigkeiten des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, in dem er rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen.“870 Bei unterschiedslos anwendbaren Maßnahmen ist von einer Beschränkung i.S. des Art. 56 AEUV nicht bereits deshalb auszugehen, weil andere Mitgliedstaaten die Erbringer gleichartiger Dienstleistungen weniger strengen oder wirtschaftlich interessanteren Vorschriften unterwerfen871 oder weil sich ausländische Anbieter mit den im Zielstaat geltenden Regeln vertraut machen müssen.872 Entscheidend ist vielmehr, dass die von einem Mitgliedstaat getroffenen Maßnahmen, obwohl sie unterschiedslos anwendbar sind, „den Marktzugang von Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten betreffen und somit den innergemeinschaftlichen Handel behindern“.873

865 EuGH 30. 11. 1995 – C-55/94 – Slg. 1995, I-4165 Tz. 26 – Gebhard. 866 EuGH 30. 11. 1995 – C-55/94 – Slg. 1995, I-4165 Tz. 27 – Gebhard. 867 EuGH 30. 11. 1995 – C-55/94 – Slg. 1995, I-4165 Tz. 28 – Gebhard; EuGH 1. 7. 2010 – C-393/08 – Slg. 2010, I-6333 Tz. 26 – Sbarigia. 868 EuGH 3. 2. 1982 – 62/81 – Slg. 1982, 223 Tz. 8 – Seco. 869 Der Ausbau der Dienstleistungsfreiheit von einem Diskriminierungs- zu einem Beschränkungsverbot erfolgte spätestens mit EuGH 25. 7. 1991 – C76/90 – Slg. 1991, I-4221 Tz. 12 – Säger; siehe auch bereits EuGH 3. 12. 1974 – 33/ 74 – Slg. 1974, 1299 Tz. 10/12 – van Binsbergen. Häufig wird auch EuGH 30. 11. 1995 – C-55/94 – Slg. 1995, I-4165 Tz. 37 – Gebhard genannt. 870 EuGH (Große Kammer) 8. 9. 2009 – C42/07 – Slg. 2009, I-4221 Tz. 51 – Liga Portuguesa de Futebol Profissional und Bwin International; ebenso EuGH (Große Kammer) 28. 4. 2009 – C-518/06 – Slg. 2009, I-3491 Tz. 62 – Kommission/Italien; EuGH (Große Kammer) 23. 10. 2011 – C-403/08 und C-429/08 – GRUR 2012, 156 Tz. 85 – Murphy; EuGH 12. 7. 2012 – C-602/10 – BeckRS 2012, 81452 Tz. 73 – SC Volksbank România; EuGH 18. 7. 2013 – C-265/12 – GRUR 2013, 1154 Tz. 35 – Citroën Belux; EuGH 4. 5. 2017 – C-339/15 – GRUR 2017, 627 Tz. 60 – Vanderborght: als Beschränkungen sind „alle Maßnahmen zu verstehen, die die Ausübung dieser Freiheit untersagen, behindern oder weniger attraktiv machen“; siehe auch bereits EuGH 25. 7. 1991 – C76/90 – Slg. 1991, I-4221 Tz. 12 – Säger. 871 EuGH (Große Kammer) 28. 4. 2009 – C-518/06 – Slg. 2009, I-3491 Tz. 63 – Kommission/Italien; EuGH 12. 7. 2012 – C-602/10 – BeckRS 2012, 81452 Tz. 74 – SC Volksbank România; EuGH 12. 9. 2013 – C-475/11 – BeckRS 2013, 81708 Tz. 47 ff. – Kostas Konstantinides (Bindung von Ärzten an das heimische Gebührenrecht nur dann Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit, wenn dies auf Ärzte aus anderen Mitgliedstaaten abschreckend wirkt). 872 EuGH (Große Kammer) 29. 3. 2011 – C-565/08 – Slg. 2011, I-2101 Tz. 50 – Kommission/Italien. 873 EuGH (Große Kammer) 28. 4. 2009 – C-518/06 – Slg. 2009, I-3491 Tz. 64 – Kommission/Italien.

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III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten

Einleitung

Mit der Ausrichtung auf den Marktzugang geraten auch die lauterkeitsrechtlichen Regelun- 191 gen des Marktortes in den Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit, so dass sich die Frage stellt, wo die Grenzen des Beeinträchtigungstatbestands liegen. Eine erste Grenze markiert ebenso wie bei der Warenverkehrsfreiheit die Relevanzformel (oben Rn. 110 ff., 136): Soweit die Auswirkungen einer nationalen Regelung „zu ungewiss und mittelbar“ sind, um Einfluss auf das Angebot oder die Inanspruchnahme von Dienstleistungen zu haben, können sie nicht als geeignet angesehen werden, um den freien Dienstleistungsverkehr zu behindern.874 So genügt weder die Erforderlichkeit einer Anpassung bestimmter Vertragsklauseln noch die Beschränkung der Ladenöffnungszeiten, um eine Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit zu begründen, wenn dies weder zu einer zusätzlichen wirtschaftlichen Belastung für den Anbieter noch zu einer Änderung der Unternehmenspolitik und -strategien zwingt.875 Darüber hinaus ist zu fragen, ob zudem eine Tatbestandsausnahme für Verkaufsmodalitä- 192 ten nach dem Vorbild der Keck-Doktrin in Betracht kommt. Die Rechtsprechung des EuGH ist insofern nicht eindeutig.876 Häufig wird eine unmittelbare Übertragung der Keck-Doktrin bereits tatbestandlich scheitern, weil eine staatliche Maßnahme, die für die Zwecke des Art. 34 AEUV als bloße Verkaufsmodalität anzusehen ist, nicht zwangsläufig auch für die Zwecke des Art. 56 AEUV als Verkaufsmodalität anzusehen ist.877 Zudem ist zu berücksichtigen, dass der EuGH in seiner jüngeren Rechtsprechung zur Warenverkehrsfreiheit durch die neue Formel eine allgemeine Kategorie der sonstigen Marktzugangsbehinderungen für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten herausgebildet hat, die auch die Keck-Doktrin umfasst, so dass sich der Akzent ohnehin vom formalen Kriterium der Verkaufsmodalität zum materiellen Merkmal des Marktzugangs verschiebt. Auch wenn eine Übertragung der Keck-Doktrin auf die Dienstleistungsfreiheit damit unwahrscheinlich ist, lässt sich der überspannende und durch die neue Formel bei der Warenverkehrsfreiheit stärker akzentuierte Gedanke der Marktzugangsbehinderung für die Dienstleistungsfreiheit ohne weiteres fruchtbar machen. So finden sich gerade in jüngerer Zeit mehrere Entscheidungen, die zur Feststellung einer Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit ausdrücklich auf die Behinderung des Marktzugangs „unter Bedingungen eines normalen und wirksamen Wettbewerbs“878 abstellen.879

874 EuGH (Große Kammer) 15. 10. 2010 – C-211/08 – Slg. 2010, I-5267 Tz. 72 – Kommission/Spanien; EuGH 12. 7. 2012 – C-602/10 – BeckRS 2012, 81452 Tz. 81 – SC Volksbank România; EuGH 8. 5. 2014 – C-483/12 – BeckRS 2014, 80830 Tz. 25 – Pelckmans. 875 EuGH 12. 7. 2012 – C-602/10 – BeckRS 2012, 81452 Tz. 79 – SC Volksbank România (Vertragsklauseln); EuGH 8. 5. 2014 – C-483/12 – BeckRS 2014, 80830 Tz. 25 – Pelckmans (Ladenöffnungszeiten); zur parallelen Rechtsprechung zu Art. 34 AEUV oben Rn. 113. 876 In EuGH 10. 5. 1995 – C-384/93 – Slg. 1995, I-1141 Tz. 38 – Alpine Investments lehnt der EuGH eine Anwendung der Keck-Doktrin ab, weil das Verbot des Telefonvertriebs vom Sitzstaat des Leistungserbringers ausgeht und „unmittelbar den Zugang zum Dienstleistungsmarkt in den anderen Mitgliedstaaten“ beeinflusst. In EuGH 9. 7. 1997 – C-34/95, C-35/95 und C-36/95 – Slg. 1997, I-3843 Tz. 44 ff., 50 – de Agostini und EuGH 28. 10. 1999 – C-6/98 – Slg. 1999, I-7599 Tz. 47 f., 49 – Pro Sieben Media bejahte der Gerichtshof das Vorliegen einer Verkaufsmodalität für die Warenverkehrsfreiheit, nimmt aber für die Dienstleistungsfreiheit eine Beeinträchtigung an. In EuGH 22. 1. 2002 – C-390/99 – Slg. 2002, I-607 Tz. 30 – Canal Satélite prüfte der Gerichtshof die Keck-Ausnahme, allerdings in einer parallelen Erörterung der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit. 877 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Randelzhofer/Forsthoff, Art. 56/57 AEUV Rn. 108. Dies lässt sich am Beispiel inhaltlicher Vorgaben für die Werbung illustrieren: Während entsprechende Regeln für die Zwecke der Warenverkehrsfreiheit regelmäßig als Verkaufsmodalität anzusehen sind, solange sie nicht Auswirkungen auf die Produktgestaltung haben, betreffen inhaltliche Vorgaben für die Werbegestaltung den Kern der Dienstleistung des Werbeunternehmens – sie haben „Produktbezug“ und sind bereits aus diesem Grund keine Verkaufsmodalität, zu diesem Beispiel Grabitz/Hilf/Nettesheim/Randelzhofer/Forsthoff Art. 56/57 AEUV Rn. 108. 878 EuGH (Große Kammer) 29. 3. 2011 – C-565/08 – Slg. 2011, I-2101 Tz. 51, 53 – Kommission/Italien. 879 EuGH 10. 5. 1995 – C-384/93 – Slg. 1995, I-1141 Tz. 38 – Alpine Investments (Verbot des Cold Calling); EuGH (Große Kammer) 5. 10. 2004 – C-442/02 – Slg. 2004, I-8961 Tz. 12 – CaixaBank France; EuGH 13. 12. 2007 – C-250/ 06 – Slg. 2007, I-11135 Tz. 38 – United Pan-Europe Communications; EuGH 17. 7. 2008 – C-500/06 – Slg. 2008, I-5785

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Einleitung

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

Dies wirft ebenso wie bei der Warenverkehrsfreiheit die Frage auf, ob jede Marktzugangsbehinderung eine Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit darstellt oder ob es auf die spezifische Behinderung des Marktzugangs ausländischer Anbieter ankommt. Hier hält der EuGH grundsätzlich daran fest, dass es auf den „Marktzugang von Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten“880 ankommt. Allerdings neigt der Gerichtshof dazu, auch allgemeine Behinderungen des Marktzugangs für in- wie ausländische Anbieter als Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit anzusehen, wenn entweder (1) der Markt generell verschlossen wird881 oder wenn (2) den Anbietern ein besonders wirksames Vermarktungsmittel (z. B. durch ein generelles Verbot882 oder eine weitgehende Beschränkung der Werbung883 oder der Vertriebsmethoden884 oder das Verbot besonders günstiger Preise885 oder Konditionen886) genommen wird, auf das ausländische Anbieter als Newcomer besonders angewiesen sind, um den arrivierten (heimischen) Anbietern wirksam Konkurrenz zu machen,887 oder wenn (3) – in Analogie zu den produktbezogenen Regeln nach der Cassis-Formel – die Regeln des Marktortes den auslänTz. 33 – Corporación Dermoestética (Werbebeschränkungen); EuGH (Große Kammer) 28. 4. 2009 – C-518/06 – Slg. 2009, I-3491 Tz. 64 – Kommission/Italien (Kontrahierungszwang im Versicherungssektor); EuGH (Große Kammer) 29. 3. 2011 – C-565/08 – Slg. 2011, I-2101 Tz. 51 – Kommission/Italien (Gebührenhöchstsätze für Anwälte). 880 EuGH (Große Kammer) 28. 4. 2009 – C-518/06 – Slg. 2009, I-3491 Tz. 64 – Kommission/Italien; ähnlich EuGH 31. 1. 2008 – C-380/05 – Slg. 2008, I-349 Tz. 79 – Centro Europa 7: „Allerdings steht Art. 49 EG der Anwendung jeder nationalen Regelung entgegen, die die Leistung von Diensten zwischen Mitgliedstaaten im Ergebnis gegenüber der Leistung von Diensten im Inneren eines Mitgliedstaats erschwert“ (Hervorhebung nicht im Original). 881 EuGH 26. 4. 1988 – 352/85 – Slg. 1988, 2085 Tz. 22 – Bond van Adverteereders; EuGH 25. 7. 1991 – C-288/89 – Slg. 1991, I-4007 Tz. 17 f. – Stichting Collectieve Antennevoorziening Gouda; EuGH 9. 7. 1997 – C-34/95, C-35/95 und C-36/95 – Slg. 1997, I-3843 Tz. 50 – de Agostini (jeweils: Werbeverbot hindert Werbung durch und für im Empfangsstaat ansässige Werbefirmen und Sendeanstalten); EuGH 8. 3. 2001 – C-405/98 – Slg. 2001, I-7195 Tz. 39 – Gourmet (Werbeverbot für Alkoholika in Printmedien beeinträchtigt das grenzüberschreitende Angebot von Anzeigenraum); EuGH 31. 1. 2008 – C-380/05 – Slg. 2008, I-349 Tz. 66, 99 – Centro Europa 7 (Zuteilung von Sendefrequenzen für den Fernsehrundfunk); EuGH (Große Kammer) 10. 3. 2009 – C-169/07 – Slg. 2009, I-1721 Tz. 36 (Bedarfsprüfung bei Krankenanstalten) – Hartlauer; EuGH 11. 3. 2010 – C-384/08 – Slg. 2010, I-2055 Tz. 23 f. – Attanasio; EuGH (Große Kammer) 1. 6. 2010 – C-570/07 – Slg. 2010, I-4629 Tz. 40 – Pérez. 882 EuGH 4. 5. 2017 – C-339/15 – GRUR 2017, 627 Tz. 63 – Vanderborght: „Nationale Rechtsvorschriften, die jegliche Werbung für eine bestimmte Tätigkeit allgemein und ausnahmslos verbieten, sind geeignet, für die diese Tätigkeit ausübenden Personen die Möglichkeit einzuschränken, sich bei ihren potenziellen Kunden bekannt zu machen und die Dienstleistungen, die sie ihnen anbieten möchten, zu fördern“ (Verbot jeglicher Werbung für Zahnarztdienste). 883 EuGH 17. 7. 2008 – C-500/06 – Slg. 2008, I-5785 Tz. 33 – Corporación Dermoestética (Verbot der nationalen Fernsehwerbung); EuGH (Große Kammer) 5. 4. 2011 – C-119/09 – Slg. 2011, I-2551 Tz. 43 – Société fiduciaire nationale d’expertise comptable (generelles Verbot der Kundenakquise für Wirtschaftsprüfer); EuGH 12. 9. 2013 – C-475/11 – BeckRS 2013, 81708 Tz. 56 f. Kostas Konstantinides (Verbot standeswidriger Werbung von Ärzten). 884 EuGH 10. 5. 1995 – C-384/93 – Slg. 1995, I-1141 Tz. 38 – Alpine Investments (Verbot des Cold Calling zum Vertrieb von Finanzprodukten in anderen Staaten); EuGH 30. 6. 2011 – C-212/08 – Slg. 2011, I-5633 Tz. 74 – Zeturf (Verbot des Internetvertriebs). 885 Allerdings billigt der Gerichtshof die gesetzliche Preisregulierung und sogar die staatliche Bedürfnisprüfung im Regelfall, wenn es sich um regulierte Berufe handelt. Derartige Maßnahmen stellen entweder bereits keine Beeinträchtigung dar, solange sie keine abschreckende Wirkung spezifisch für ausländische Anbieter entfalten (siehe EuGH 12. 9. 2013 – C-475/11 – BeckRS 2013, 81708 Tz. 47 f., 57 – Kostas Konstantinides: Bindung von Ärzten an das heimische Gebühren- und Werberecht grundsätzlich zulässig), oder sie halten zumindest der Rechtfertigungsprüfung stand, sofern die nationale Regulierung in kohärenter Weise erfolgt, siehe EuGH (Große Kammer) 5. 12. 2006 – C-94/04 und C-202/04 – Slg. 2006, I-11421 Tz. 67 ff. – Cipolla (gesetzliche Mindesthonorare für Anwälte grundsätzlich zulässig); EuGH 26. 9. 2013 – C-539/11 – BeckRS 2013, 81872 Tz. 46 ff. – Ottica New Line (regionale Bedürnisprüfung für Optikergeschäfte zulässig, sofern diese in kohärenter Weise erfolgt). 886 EuGH 5. 10. 2004 – C-442/02 – Slg. 2004, I- 8961 Tz. 12 ff. – CaixaBank (Verbot der Verzinsung von Sichteinlagen). 887 EuGH 12. 7. 2012 – C-602/10 – BeckRS 2012, 81452 Tz. 80 – SC Volksbank România: „Möglichkeit, […] mit den […] ansässigen Unternehmen wirksam in Wettbewerb zu treten“. Siehe auch die Rechtsprechung zur Warenverkehrsfreiheit oben Rn. 141, die auf die Dienstleistungsfreiheit übertragbar ist, vgl. die Verweise in EuGH 30. 6. 2011 – C-212/08 – Slg. 2011, I-5633 Tz. 74 – Zeturf (Verbot des Internetvertriebs).

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III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten

Einleitung

dischen Anbieter zu einer (erheblichen) Änderung des Inhalts seiner Dienstleistung zwingen.888 Nicht ausreichend für eine Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit ist demgegenüber der Umstand, dass ausländische Anbieter ebenso wie heimische Unternehmen bestimmten Abgaben unterworfen werden, z. B. für Außenwerbung889 oder zum Ladenschluss.890 Demgegenüber kann (4) die Entstehung zusätzlicher Kosten speziell für ausländische Anbieter ein Indiz für eine Marktzugangsbehinderungs sein,891 wenn diese Kosten „daraus resultieren, dass die nationalen Vorschriften die besondere Situation der eingeführten Erzeugnisse und insbesondere nicht berücksichtigen, dass diese Erzeugnisse bereits den Vorschriften ihres Herkunftsstaates genügen mussten“.892 Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich, dass der Einfluss der Dienstleistungsfreiheit auf 194 das Lauterkeitsrecht begrenzt ist. Zunächst differenzieren die Regeln des UWG nicht nach der Herkunft der Marktakteure oder der angebotenen Leistungen, so dass eine Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit durch offene oder versteckte rechtliche Diskriminierungen kaum Relevanz erlangt.893 Selten finden sich im Lauterkeitsrecht auch an die Person des Dienstleistungserbringers anknüpfende Marktzugangshindernisse,894 die eher dem öffentlichen Gewerberecht und dem Standesrecht der regulierten Berufe entstammen und lauterkeitsrechtlich allenfalls über § 3a UWG zum Tragen kommen können. Auch lauterkeitsrechtliche Vorgaben zu den konkreten Inhalten einer Dienstleistung sind selten. In Betracht kommt hier etwa die Verwendung unzulässiger AGB, die allerdings im Geschäftsverkehr mit Verbrauchern bereits durch die Richtlinien 93/13/EWG und 2005/29/EG erfasst wird, oder das Verbot von Kopplungsangeboten. 888 Vgl. EuGH 26. 4. 1988 – 352/85 – Slg. 1988, 2085 Tz. 22 – Bond van Adverteereders; EuGH 25. 7. 1991 – C-288/ 89 – Slg. 1991, I-4007 Tz. 17 f. – Stichting Collectieve Antennevoorziening Gouda; (jeweils: niederländische Regelung verhindert Weiterleitung ausländischer Fernsehprogramme); EuGH (Große Kammer) 28. 4. 2009 – C-518/06 – Slg. 2009, I-3491 Tz. 67 ff. – Kommission/Italien (Verpflichtung zur Übernahme aller angebotenen Versicherungsrisiken und zur maßvollen Tarifgestaltung führt zu zusätzlichen Belastungen für ausländische Anbieter und zur erheblichen Erweiterung des Angebots an Versicherungsleistungen); siehe auch EuGH 22. 1. 2002 – C-390/99 – Slg. 2002, I-607 Tz. 30 – Canal Satélite (allerdings bei gemeinsamer Prüfung der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit); zum Problem der Kumulation von Beschränkungen auch EuGH 9. 7. 1997 – C-34/95, C-35/95 und C-36/95 – Slg. 1997, I-3843 Tz. 51 – de Agostini: „Behinderungen der vom Vertrag […] garantierten Freiheit [können] daher rühren, daß innerstaatliche Vorschriften, die alle im Inland ansässigen Personen erfassen, auf im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats ansässige Erbringer von Dienstleistungen angewandt werden, die bereits den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats genügen müssen“. Siehe auch EuGH 12. 7. 2012 – C-602/10 – BeckRS 2012, 81452 Tz. 79 – SC Volksbank România: „Unternehmenspolitik und -strategien zu ändern“, was sich dort auf die konkrete Dienstleistung bezieht; ferner EuGH 18. 7. 2013 – C-265/12 – GRUR 2013, 1154 Tz. 36 – Citroën Belux (belgisches Verbot von Kopplungsangeboten mit Finanzdienstleistungen hat zur Folge, dass die ausländischen Unternehmen „diese Geschäfte nämlich nicht auf dem belgischen Markt anbieten [können] und (…) zudem prüfen [müssen], ob die Angebote in Einklang mit dem belgischen Recht stehen, was in Bezug auf andere Mitgliedstaaten nicht erforderlich wäre“). 889 EuGH 17. 2. 2005 – C-134/03 – Slg. 2005, I-1167 Tz. 37 f. – Viacom Outdoor; EuGH 8. 9. 2005 – C-544/03 und C545/03 – Slg. 2005, I-7723 Tz. 31 – Mobistar. Anderes gilt, wenn diese Kosten nicht spezifisch ausländische Anbieter treffen, siehe EuGH 29. 11. 2001 – C-17/00 – Slg. 2001, I-9445 Tz. 32 ff. – De Coster. 890 EuGH 8. 5. 2014 – C-483/12 – BeckRS 2014, 80830 Tz. 25 – Pelckmans Turnhout. 891 EuGH 13. 1. 2000 – C-254/98 – Slg. 2000, I-151 Tz. 26 – TK-Heimdienst; EuGH 5. 2. 2004 – C-270/02 – Slg. 2004, I-1559 Tz. 19 – Kommission/Italien; EuGH 12. 7. 2012 – C-602/10 – BeckRS 2012, 81452 Tz. 79 – SC Volksbank România: „zusätzliche Belastung“; Behrens Die Liberalisierung des Fernsehwerberechts im Kontext der Rundfunkregulierung (2012) S. 105 f. 892 Schlussanträge des Generalanwalts Maduro vom 30. 3. 2006 – C-158/04 und C-59/04 – Slg. 2006, I-8135 Tz. 44 – Alfa Vita. Nicht ausreichend ist regelmäßig das Entstehen zusätzlicher Kosten für alle Marktteilnehmer, EuGH 17. 2. 2005 – C-134/03 – Slg. 2005, I-1167 Tz. 37 f. – Viacom Outdoor; EuGH 8. 9. 2005 – C-544/03 und C-545/03 – Slg. 2005, I-7723 Tz. 31 – Mobistar, sofern diese Kosten nicht spezifisch ausländische Anbieter treffen, siehe EuGH 29. 11. 2001 – C-17/00 – Slg. 2001, I-9445 Tz. 32 ff. – De Coster im Vergleich zu vorzitierten Judikaten. 893 MünchKomm/Glöckner Art. 56, 57, 59, 62 AEUV Rn. 77. 894 MünchKomm/Glöckner Art. 56, 57, 59, 62 AEUV Rn. 70.

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Einleitung

C. Europäisches Wettbewerbsrecht

Aus lauterkeitsrechtlicher Perspektive interessanter ist die generelle Versagung des Marktzugangs für die Anbieter von Werbedienstleistungen, die im Zielstaat verboten sind (z. B. Cold Calling, Printwerbung für Alkoholika). Solche generellen Verbote stellen „angesichts des internationalen Charakters des Marktes der Werbung“895 eine Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit der Anbieter entsprechender Werbedienstleistungen dar (z. B. Cold Calling), die allerdings gerechtfertigt sein kann.896 Die Dienstleistungsfreiheit bleibt insofern trotz der Richtlinie 2005/29/EG anwendbar, soweit die nationale Werbebeschränkung nicht dem Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher, sondern anderen Zielen (z. B. Gesundheitsschutz, Jugendschutz) dient. Allerdings findet sich auch auf diesen Gebieten zunehmend (voll-)harmonisierendes Sekundärrecht (Rn. 409 f., 447). 196 Abgesehen vom Fall der Werbedienstleister führen lauterkeitsrechtliche Vorschriften i. d. R. nicht zur Versagung des Marktzugangs, sondern lediglich zur Modifikation der Bedingungen der Marktteilnahme. In diesen Fällen liegt nur dann eine spezifische Behinderung des Marktzugangs ausländischer Anbieter und damit eine Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit vor, wenn ein für ausländische Anbieter besonders bedeutsames Werbe- oder Vertriebsinstrument versagt wird und damit die Marktverhältnisse zugunsten etablierter (im Zweifel heimischer) Anbieter verfestigt werden (oben Rn. 193, zu Art. 34 AEUV oben Rn. 141 f.).897 195

5. Dienstleistungsfreiheit: Rechtfertigung Artikel 62 AEUV Die Bestimmungen der Artikel 51 bis 54 finden auf das in diesem Kapitel geregelte Sachgebiet Anwendung. Artikel 52 AEUV (1) Dieses Kapitel und die aufgrund desselben getroffenen Maßnahmen beeinträchtigen nicht die Anwendbarkeit der Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die eine Sonderregelung für Ausländer vorsehen und aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind. (2) Das Europäische Parlament und der Rat erlassen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Richtlinien für die Koordinierung der genannten Vorschriften.

197 Ebenso wie bei der Warenverkehrsfreiheit lassen sich Beeinträchtigungen der Dienstleistungsfreiheit entweder durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses898 oder durch die in Art. 62 i. V. m. Art. 52 AEUV vorgesehenen Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit899 rechtfertigen, sofern die Verhältnismäßigkeit und die – auch verfahrensrechtli895 EuGH 8. 3. 2001 – C-405/98 – Slg. 2001, I-7195 Tz. 39 – Gourmet. 896 Siehe EuGH 26. 4. 1988 – 352/85 – Slg. 1988, 2085 Tz. 22 – Bond van Adverteereders und EuGH 25. 7. 1991 – C288/89 – Slg. 1991, I-4007 Tz. 17 f. – Stichting Collectieve Antennevoorziening Gouda; EuGH 9. 7. 1997 – C-34/95, C35/95 und C-36/95 – Slg. 1997, I-3843 Tz. 50 – de Agostini (jeweils: Werbeverbot im Fernsehen hindert Werbung durch und für im Empfangsstaat ansässige Werbefirmen und Sendeanstalten); ferner EuGH 10. 5. 1995 – C-384/93 – Slg. 1995, I-1141 Tz. 38 – Alpine Investments (Verbot des Cold Calling zum Vertrieb von Finanzprodukten in anderen Staaten); EuGH 8. 3. 2001 – C-405/98 – Slg. 2001, I-7195 Tz. 39 – Gourmet (Werbeverbot für Alkoholika in Printmedien beeinträchtigt das grenzüberschreitende Angebot von Anzeigenraum). 897 MünchKomm/Glöckner Art. 56, 57, 59, 62 AEUV Rn. 72 f. 898 Siehe auch die Aufzählung der zwingenden Gründe des Allgemeininteresses in Art. 4 Nr. 8 und Erwägungsgrund 40 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. L 376 vom 27. 12. 2006, S. 36 (u. a. Schutz der Verbraucher und Dienstleistungsempfänger; Lauterkeit des Handelsverkehrs). 899 Siehe auch die Erläuterung in Erwägungsgrund 41 der Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG zur öffentlichen Ordnung („insbesondere Fragen der menschlichen Würde, des Schutzes von Minderjährigen sowie der Tierschutz“) und Sicherheit.

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III. Lauterkeitsrecht und Grundfreiheiten

Einleitung

chen – Anforderungen des allgemeinen Unionsrechts gewahrt wird. Die Auslegung dieser Anforderungen und der geschriebenen Rechtfertigungsgründe entspricht der Praxis in Art. 36 AEUV,900 so dass auf die entsprechenden Ausführungen (oben Rn. 144 ff.) verwiesen werden kann. Im Unterschied zu Art. 36 AEUV erwähnt Art. 52 AEUV zwar nicht den Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums, der allerdings vom EuGH als zwingender Grund des Allgemeininteresses auch zur Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit anerkannt ist.901 Eine Rechtfertigung nationaler Vorschriften aus zwingenden Gründen des Allgemeininte- 198 resses hat nach der Gebhard-Formel vier Voraussetzungen: „Sie müssen in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden, sie müssen aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, sie müssen geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist“.902 Die ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe sind damit der Cassis-Formel weitgehend angenähert,903 so dass erneut auf die Ausführungen zur Warenverkehrsfreiheit (oben Rn. 154 ff.) verwiesen werden kann. Ebenso wie bei der Warenverkehrsfreiheit zählen die Lauterkeit des Handelsverkehrs und der Verbraucherschutz zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses,904 während rein wirtschaftliche Motive eine Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit nur rechtfertigen können, wenn hinter den wirtschaftlichen Überlegungen ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel wie z. B. der Verbraucherschutz steht.905 Auch setzt die Rechtfertigung voraus, dass der nationale Gesetzgeber seine Ziele in kohärenter906 und widerspruchsfreier907 Weise verfolgt, sonst kann es an der Geeignetheit fehlen. In jüngerer Zeit zeichnet sich bei der Dienstleistungs-, aber auch bei der Kapitalverkehrsfreiheit ab, dass der Gerichtshof diese Freiheiten nicht einseitig als Instrument zur Deregulierung versteht, sondern sich vielmehr gegenüber nationalen Beschränkungen bei regulierten Berufen und Industrien wie etwa gesetzlichen Honorarordnungen,908 stan900 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Randelzhofer/Forsthoff, Art. 62 AEUV Rn. 10, 12. 901 EuGH 18. 3. 1980 – 62/79 – Slg. 1980, 881 Tz. 15 f. – Coditel I; EuGH (Große Kammer) 23. 10. 2011 – C-403/08 und C-429/08 – Slg. 2011, I-9083 Tz. 94 – Football Association Premier League. Allerdings kennt die Dienstleistungsfreiheit im Unterschied zur Warenverkehrsfreiheit keine Erschöpfung, für eine Erstreckung auf die Dienstleistungsfreiheit die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 3. 2. 2011 – C-403/08 und C-429/08 – BeckRS 2011, 80622 Tz. 183 ff. – Football Association Premier League, zurückhaltend Leistner JZ 2011, 1140, 1142. 902 EuGH 30. 11. 1995 – C-55/94 – Slg. 1995, I-4165 Tz. 37 – Gebhard; EuGH 4. 5. 2017 – C-339/15 – GRUR 2017, 627 Tz. 65 – Vanderborght. 903 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Forsthoff Art. 45 AEUV Rn. 371. 904 EuGH 25. 7. 1991 – C-288/89 – Slg. 1991, I-4007 Tz. 14 – Stichting Collectieve Antennevoorziening Gouda: „In diesem Zusammenhang gehören zu den vom Gerichtshof bereits anerkannten zwingenden Gründen des Allgemeininteresses die zum Schutz der Empfänger von Dienstleistungen bestimmten Berufsregeln […], der Schutz des geistigen Eigentums […], der Schutz der Arbeitnehmer […], der Schutz der Verbraucher […], die Erhaltung des nationalen historischen und künstlerischen Erbes […], die Aufwertung der archäologischen, historischen und künstlerischen Reichtümer und die bestmögliche Verbreitung von Kenntnissen über das künstlerische und kulturelle Erbe eines Landes“; EuGH 9. 7. 1997 – C-34/95, C-35/95 und C-36/95 – Slg. 1997, I-3843 Tz. 53 – de Agostini; EuGH (Große Kammer) 8. 9. 2009 – C-42/07 – Slg. 2009, I-4221 Tz. 56 – Liga Portuguesa de Futebol Profissional und Bwin International; siehe auch EuGH 10. 5. 1995 – C-384/93 – Slg. 1995, I-1141 Tz. 43 f. – Alpine Investments (guter Ruf des nationalen Finanzsektors als zwingender Grund des Allgemeininteresses); EuGH 18. 7. 2013 – C-265/12 – GRUR 2013, 1154 Tz. 38 f. – Citroën Belux (Rechtfertigung des Verbots von Kopplungsangeboten durch das Ziel des Verbraucherschutzes). 905 EuGH 26. 4. 1988 – 352/85 – Slg. 1988, 2085 Tz. 34 – Bond van Adverteereders; EuGH 25. 7. 1991 – C-288/89 – Slg. 1991, I-4007 Tz. 29 – Stichting Collectieve Antennevoorziening Gouda (Erhalt der Einnahmen einer inländischen Stiftung kein zwingender Grund); aber auch EuGH 22. 10. 2013 – C-105/12 u. a. – EuZW 2014, 61 Tz. 51 f. – Essent (Privatisierungsverbot für Energieversorger kann unionsrechtskonform sein). 906 EuGH 15. 9. 2011 – C-347/09 – Slg. 2011, I-8185 Tz. 56 – Dickinger. 907 EuGH 17. 7. 2008 – C-500/06 – Slg. 2008, I-5785 Tz. 39 – Corporación Dermoestética. 908 EuGH (Große Kammer) 5. 12. 2006 – C-94/04 und C-202/04 – Slg. 2006, I-11421 Tz. 67 ff. – Cipolla (gesetzliche Mindesthonorare für Anwälte grundsätzlich zulässig); EuGH 12. 9. 2013 – C-475/11 – BeckRS 2013, 81708 Tz. 47 ff. – Kostas Konstantinides (Bindung ausländischer Ärzte an die deutsche Honorarordnung grundsätzlich keine Beeinträchtigung des Art. 56 AEUV).

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Einleitung

C. Europäisches Wettbewerbsrecht

desrechtlichen Werbebeschränkungen,909 staatlichen Bedürfnisprüfungen910 oder sogar Privatisierungsverboten911 aufgeschlossen zeigt, wenn diese dazu dienen, im Interesse des Gesundheits- und Verbraucherschutzes oder anderer zwingender Gründe des Allgemeininteresses bestimmte berufsethische Standards durchzusetzen oder die sichere und regional gleichmäßige Versorgung mit wichtigen Gütern und Dienstleistungen sicherzustellen.

IV. Lauterkeitsrecht und Grundrechte 199 Als jüngster und zunehmend bedeutsamer912 europäischer Einfluss auf das Lauterkeitsrecht sind die Vorgaben der europäischen Grundrechte913 zu nennen. Diese sind vom EuGH zunächst als ungeschriebene allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts aus der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten914 (EMRK) und den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten entwickelt worden.915 Mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ist nunmehr in erster Linie auf die dem Primärrecht gleichrangige (Art. 6 Abs. 1 EUV) Charta der Grundrechte der Europäischen Union916 (EuGRCh) zurückzugreifen.917 Die EuGRCh baut sowohl auf der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten918 (EMRK) wie auf der Judikatur des EuGH zu den Gemeinschaftsgrundrechten auf und vermittelt, soweit ihre Rechte den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, mindestens den gleichen Schutz wie die korrespondierenden Rechte der EMRK (Art. 52 Abs. 3 EuGRCh). Bei Auslegung der Charta sind die Erläuterungen zur Charta der Grundrechte919 von den Gerichten der Union und der Mitgliedstaaten gebührend zu berücksichtigen (Art. 52 Abs. 7 EuGRCh). Die Bedeutung der unionalen Grundrechte hat unlängst eine prozessuale Aufwertung erhalten, weil neuerdings auch das BVerfG ihre Einhaltung im Verfahren der Verfassungsbeschwerde überwacht (oben Rn. 5).920 Dabei ist es für die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt der Beschwerdebefugnis offenbar ausreichend, dass ein

909 EuGH 12. 9. 2013 – C-475/11 – BeckRS 2013, 81708 Tz. 57 – Kostas Konstantinides (Werbebeschränkungen für Ärzte); EuGH 4. 5. 2017 – C-339/15 – GRUR 2017, 627 Tz. 68 ff. – Vanderborght (Werbebeschränkungen für Zahnarztleistungen): auch „Würde des Zahnarztberufs“ zwingender Grund des Allgemeininteresses, aber allgemeines und ausnahmsloses Werbeverbot nicht erforderlich. 910 EuGH (Große Kammer) 1. 6. 2010 – C-570/07 und C-571/07 – Slg. 2010, I-4629 Tz. 112 f. – Blanco Pérez (regionale Bedürfnisprüfung für Apotheken grundsätzlich zulässig, sofern in verhältnismäßiger Weise gehandhabt); EuGH 26. 9. 2013 – C-539/11 – BeckRS 2013, 81872 Tz. 46 ff. – Ottica New Line (regionale Bedürfnisprüfung für Optikergeschäfte zulässig, sofern in kohärenter Weise gehandhabt). 911 EuGH 22. 10. 2013 – C-105/12 u. a. – EuZW 2014, 61 Tz. 51 f., 66 f. – Essent (Privatisierungsverbot bei Energieunternehmen). 912 Allgemein Kirchhof NJW 2011, 3681, 3684: „beträchtlicher Einfluss“; siehe aber auch Skouris MMR 2011, 423, 426: EuGH „kein spezifisches Grundrechtsgericht“, sondern eher „oberste[s] Fachgericht“. 913 Vgl. Erwägungsgrund 25 Richtlinie 2005/29/EG. 914 Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. 11. 1950, BGBl. 1952 II 685, 953; BGBl. 1954 II 14; BGBl. 2002 II Nr. 18, S. 1055; allgemein zum Einfluss der EMRK auf das Zivilrecht Rebhahn AcP 210 (2010) 489. 915 Allgemein EuGH 14. 5. 1974 – 4/73 – Slg. 1974, 491 Tz. 13 – Nold; zur Meinungsfreiheit EuGH 18. 6. 1991 – 260/ 89 – Slg. 1991, I-2925 Tz. 44 – ERT; vgl. Art. 6 Abs. 3 EUV. 916 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. C 303 vom 14. 12. 2007, S. 1. 917 Die Bedeutung der Grundrechtsgarantie in Art. 6 Abs. 3 EUV neben der EuGRCh dürfte sich auf die subsidiäre Lückenfüllung zur künftigen Rechtsfortbildung beschränken, weil die EuGRCh die bisherigen Garantien der Gemeinschaftsgrundrechte aufnimmt, vgl. Ludwig EuR 2011, 715, 732 f. 918 Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. 11. 1950, BGBl. 1952 II 685, 953; BGBl. 1954 II 14; BGBl. 2002 II Nr. 18, S. 1055. 919 ABl. C 303 vom 14. 12. 2007, S. 17. 920 BVerfG 6. 11. 2019 – 1 BvR 276/17 – NJW 2020, 314 Tz. 50 ff. – Recht auf Vergessen II.

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IV. Lauterkeitsrecht und Grundrechte

Einleitung

Beschwerdeführer lediglich die Grundrechte des Grundgesetzes und nicht die Grundrechte der Charta nennt, solange in der Sache substanziiert zur Grundrechtsverletzung vorgetragen wird.921

1. Anwendbarkeit europäischer Grund- und Menschenrechte Artikel 51 EuGRCh Anwendungsbereich (1) Diese Charta gilt für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Dementsprechend achten sie die Rechte, halten sie sich an die Grundsätze und fördern sie deren Anwendung entsprechend ihren jeweiligen Zuständigkeiten und unter Achtung der Grenzen der Zuständigkeiten, die der Union in den Verträgen übertragen werden. (2) Diese Charta dehnt den Geltungsbereich des Unionsrechts nicht über die Zuständigkeiten der Union hinaus aus und begründet weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Union, noch ändert sie die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben.

Gemäß Art. 51 Abs. 1 Satz 1 EuGRCh gilt die Charta „für die Organe, Einrichtungen und sonstigen 200 Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union“. Die in der Unionsrechtsordnung garantierten Grundrechte gelten also „in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb derselben“, wenn eine rechtliche Situation nicht vom Unionsrecht erfasst wird.922 Da der unmittelbare Vollzug durch Unionsorgane im Lauterkeitsrecht kaum Bedeutung hat, ist vor allem der zweite Halbsatz von Interesse. „Durchführung des Rechts der Union“ bezeichnet hier die „Durchführung“ des harmonisierenden Sekundärrechts durch nationale Gerichte und ggf. Behörden, also die Anwendung, Auslegung und Konkretisierung europäischer Verordnungen und des UWG und seiner Nebengesetze, soweit die betreffenden Vorschriften auf voll- oder teilharmonisierenden Richtlinien der Union beruhen.923 Dabei ist der Begriff der „Durchführung des Rechts der Union“ nicht allein auf die Umsetzungsmaßnahmen zu verengen, sondern erfasst auch die „späteren und konkreten Anwendungen der in einer Richtlinie genannten Regelungen und allgemein alle Fälle …, in denen eine nationale Regelung einen von einer Richtlinie, für die die Umsetzungsfrist abgelaufen ist, geregelten Bereich ‚erfasst‘ oder ‚berührt‘“.924 In diesem Bereich verdrängen die europäischen Grundrechte infolge des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts das nationale Verfassungsrecht im Bereich des vollharmonisierten Lauterkeitsrechts

921 BVerfG 6. 11. 2019 – 1 BvR 276/17 – NJW 2020, 314 Tz. 84 – Recht auf Vergessen II: „Dass sie insoweit die Grundrechte des Grundgesetzes und nicht die Grundrechte der Charta nennt, ist unschädlich. Wird nur die falsche Norm benannt, aber in der Sache substanziiert vorgetragen, wird hierdurch die Verfassungsbeschwerde nicht unzulässig. Die richtige Rechtsanwendung ist vielmehr Aufgabe des BVerfG.“ 922 EuGH 8. 5. 2014 – C-483/12 – BeckRS 2014, 80830 Tz. 18, 20 – Pelckmans Turnhout. 923 Grundlegend zur Grundrechtsbindung in der „Durchführungskonstellation“ EuGH 13. 7. 1989 – 5/88 – Slg. 1989, I-2609 Tz. 19 – Wachauf: „auch die Mitgliedstaaten diese Erfordernisse [des Grundrechtsschutzes in der Gemeinschaftsrechtsordnung] bei der Durchführung der gemeinschaftsrechtlichen Regelungen zu beachten haben“; zur „Durchführung“ bei Vollzug von nationalem Recht, das der Umsetzung von Richtlinien dient EuGH 12. 12. 1996 – C-74/95 und C-75/95 – Slg. 1996, I-6609 Tz. 26 – Strafverfahren gegen X; EuGH 20. 5. 2003 – C-465/ 00 – Slg. 2003, I-4989 Tz. 68, 80 – ORF; EuGH 5. 4. 2016 – C-404/15 und C-659/15 PPU – NJW 2016, 1709 Tz. 84 – Aranyosi; EuGH 5. 4. 2017 – C-217/15 und C-350/15 – BeckRS 2017, 105871 Tz. 16 – Orsi; BGH GRUR 2011, 513 Tz. 20 – AnyDVD; BGH 18. 11. 2010 – I ZR 137/09 – GRUR 2011, 631 Tz. 19 – Unser wichtigstes Cigarettenpapier; Mand JZ 2010, 337, 340. 924 Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 5. 4. 2011 – C-108/10 – Tz. 119 – Scattolon unter Verweis auf EuGH 23. 11. 2010 – C-145/09 – NVwZ 2011, 221 Tz. 50–52 – Tsakouridis und EuGH 19. 1. 2010 – C-555/07 – Slg. 2010, I-365 Tz. 22 ff. – Kücükdeveci.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

grundsätzlich vollständig (oben Rn. 5),925 so dass ein Rückgriff auf nationales Recht lediglich außerhalb des vollharmonisierten Bereichs gestattet ist.926 201 Umstritten ist, ob über den Wortlaut von Art. 51 Abs. 1 Satz 1 EuGRCh hinaus der Anwendungsbereich der europäischen Grundrechte auch dann eröffnet ist, wenn das nationale Recht nicht durch Unionsrichtlinien vorgeprägt ist, aber dennoch der „Anwendungsbereich“ des Unionsrechts eröffnet ist.927 Diese Konstellation betrifft im Lauterkeitsrecht die Kontrolle nationaler Regeln außerhalb des durch Sekundärrecht harmonisierten Bereichs am Maßstab der europäischen Grundfreiheiten und Freizügigkeitsgarantien, also die Rechtfertigung von Eingriffen in grundfreiheitlich geschütztes Verhalten. Für eine Geltung der Unionsgrundrechte auch in dieser Situation spricht die frühere Judikatur des Gerichtshofs zu den Gemeinschaftsgrundrechten. Dort hat der EuGH eine Bindung an europäische Grundrechte neben der „Durchführungskonstellation“ (oben Rn. 200) auch dann bejaht, wenn eine nationale Regelung in den „Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts“ fällt.928 Es kommt hinzu, dass die bei der Auslegung der EuGRCh zu berücksichtigenden929 Erläuterungen zu Art. 51 Abs. 1 EuGRCh keine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung nahelegen.930 Dementsprechend hat auch der Gerichtshof die Bindung an die EuGRCh bei der Rechtfertigung von Beschränkungen der Grundfreiheiten inzwischen bejaht.931 202 Allerdings hat die Anwendbarkeit der Unionsgrundrechte in diesem Bereich keine Verdrängung der nationalen Grundrechte zur Folge, weil das Handeln der Mitgliedstaaten nicht vollständig durch das Unionsrecht bestimmt wird. Vielmehr steht es „den nationalen Behörden und Gerichten weiterhin frei, nationale Schutzstandards für die Grundrechte anzuwenden, sofern durch diese Anwendung weder das Schutzniveau der Charta … noch der Vorrang, die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigt werden.932 Zudem ist die Erstreckung der europäischen Grundrechte auf die Eingriffsrechtfertigung bei Grundfreiheiten beschränkt. Sie greifen nicht, wenn bereits der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten nicht eröffnet ist, etwa bei unterschiedslos geltenden nationalen Ladenschlussvorschriften, auf die die Grundfreiheiten infolge der Keck-Doktrin bzw. mangels diskriminierender und marktverschließender Wirkungen keine Anwendung finden.933 203 Einfacher als der Anwendungsbereich der Unionsgrundrechte lässt sich der Anwendungsbereich der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten934 (EMRK)

925 Siehe OLG Hamburg 30. 6. 2009 – 3 U 13/09 – GRUR-RR 2010, 74, 77 – Läusemittel (zum HWG). 926 Für ein Beispiel (§ 4 Nr. 1 UWG) BGH 19. 5. 2011 – Az. I ZR 147/09 – Tz. 27 (juris) – Coaching-Newsletter. 927 So wohl EuGH 22. 12. 2010 – C-279/09 – Slg. 2010, I-13849 Tz. 30, 59 ff. – DEB; EuGH (Große Kammer) 26. 2. 2013 – C-617/10 – EUZW 2013, 302 Tz. 21 – Åkerberg Fransson; siehe Lennaerds EuR 2012, 3, 5 f.; siehe auch EuGH 6. 3. 2014 – C-206/13 – NVwZ 2014, 575 Tz. 24, 26 – Siragusa: „Durchführung des Rechts der Union“ verlangt „hinreichenden Zusammenhang von einem gewissen Grad“, an dem es fehlt, wenn das Unionsrecht keine Verpflichtungen der Mitgliedstaaten im Hinblick auf den fraglichen Sachverhalt schafft. Zum Meinungsstand Calliess/Ruffert/ Kingreen Art. 51 EU-GRCharta Rn. 16 ff.; zu den Grenzen der unionalen Grundrechtskontrolle auch Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro vom 12. 9. 2007 – C-380/05 – Slg. 2008, I-349 Tz. 14 ff. – Centro Europa 7. Zumindest von einer ergänzenden Anwendung des Art. 5 GG geht offenbar BGH 19. 5. 2011 – I ZR 147/09 – GRUR 2012, 74 Tz. 28 – Coaching-Newsletter aus. 928 EuGH 18. 6. 1991 – 260/89 – Slg. 1991, I-2925 Tz. 42 f. – ERT; EuGH 25. 3. 2004 – C-71/02 Slg. 2004, I-3025 Tz. 49 – Karner. 929 Art. 6 Abs. 1 Satz 3 EUV; Art. 52 Abs. 7 EuGRCh; EuGH 8. 5. 2014 – C-483/12 – BeckRS 2014, 80830 Tz. 19 – Pelckmans Turnhout. 930 Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 5. 4. 2011 – C-108/10 – Tz. 118 – Scattolon. 931 EuGH 30. 4. 2014 – C-390/12 – EuZW 2014, 597 Tz. 35 f. – Pfleger mit Verweis auf EuGH 18. 6. 1991 – 260/89 – Slg. 1991, I-2925 Tz. 43 – ERT. 932 EuGH (Große Kammer) 26. 2. 2013 – C-617/10 – EuZW 2013, 302 Tz. 29 – Åkerberg Fransson. 933 EuGH 8. 5. 2014 – C-483/12 – BeckRS 2014, 80830 Tz. 22 ff. – Pelckmans Turnhout. 934 Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. 11. 1950, BGBl. 1952 II 685, 953; BGBl. 1954 II 14; BGBl. 2002 II Nr. 18, S. 1055.

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IV. Lauterkeitsrecht und Grundrechte

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definieren. Sie gilt in Deutschland – auch für rein innerstaatliche Sachverhalte – im Rang eines Bundesgesetzes.935 Sie steht damit unterhalb der deutschen Grundrechte,936 hat aber auch für die Auslegung des Grundgesetzes erhebliche Bedeutung, weil das BVerfG wegen des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes Konventionsverstöße zu vermeiden sucht, so dass Entscheidungen des EGMR einer rechtserheblichen Änderung gleichstehen können und damit die Rechtskraft gegenläufiger Entscheidungen des BVerfG überwinden können.937 So folgt aus Art. 1 Abs. 2, 59 Abs. 2 GG die Pflicht, die EMRK und ihre Auslegung durch den EGMR bei der Anwendung der Grundrechte des Grundgesetzes als Auslegungshilfe heranzuziehen.938 Die EMRK hat damit zwar keinen unmittelbaren Verfassungsrang, und es ist auch keine „keine schematische Parallelisierung der Aussagen des Grundgesetzes“ mit der EMRK geboten, allerdings „ein Aufnehmen von deren Wertungen, soweit dies methodisch vertretbar und mit den Vorgaben des Grundgesetzes vereinbar ist“.939

2. Verhältnis von EuGRCh und EMRK Artikel 52 EuGRCh Tragweite und Auslegung der Rechte und Grundsätze (1) Jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten muss gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen. (2) Die Ausübung der durch diese Charta anerkannten Rechte, die in den Verträgen geregelt sind, erfolgt im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Bedingungen und Grenzen. (3) Soweit diese Charta Rechte enthält, die den durch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird. Diese Bestimmung steht dem nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt. (4) Soweit in dieser Charta Grundrechte anerkannt werden, wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, werden sie im Einklang mit diesen Überlieferungen ausgelegt. (5) Die Bestimmungen dieser Charta, in denen Grundsätze festgelegt sind, können durch Akte der Gesetzgebung und der Ausführung der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union sowie durch Akte der Mitgliedstaaten zur Durchführung des Rechts der Union in Ausübung ihrer jeweiligen Zuständigkeiten umgesetzt werden. Sie können vor Gericht nur bei der Auslegung dieser Akte und bei Entscheidungen über deren Rechtmäßigkeit herangezogen werden. (6) Den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten ist, wie es in dieser Charta bestimmt ist, in vollem Umfang Rechnung zu tragen. (7) Die Erläuterungen, die als Anleitung für die Auslegung dieser Charta verfasst wurden, sind von den Gerichten der Union und der Mitgliedstaaten gebührend zu berücksichtigen. Artikel 53 EuGRCh Schutzniveau Keine Bestimmung dieser Charta ist als eine Einschränkung oder Verletzung der Menschenrechte und Grundfreiheiten auszulegen, die in dem jeweiligen Anwendungsbereich durch das Recht der Union und das Völkerrecht sowie durch die internationalen Übereinkünfte, bei denen die Union oder alle Mitgliedstaaten Vertragsparteien sind, darunter insbesondere die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, sowie durch die Verfassungen der Mitgliedstaaten anerkannt werden.

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BVerfG 4. 5. 2011 – 2 BvR 2365/09 u. a. – NJW 2011, 1931 Tz. 87. BVerfG 14. 10. 2004 – 2 BvR 1481/04 – NJW 3407, 3408. BVerfG 4. 5. 2011 – 2 BvR 2365/09 u. a. – NJW 2011, 1931 Tz. 82. BVerfG 6. 11. 2019 – 1 BvR 16/13 – NJW 2020, 300 Tz. 58 – Recht auf Vergessen I. BVerfG 6. 11. 2019 – 1 BvR 16/13 – NJW 2020, 300 Tz. 58 – Recht auf Vergessen I.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

204 Mangels formellen Beitritts der EU zur EMRK940 ist die Menschenrechtskonvention formaljuristisch für die Union nicht verbindlich,941 so dass der EGMR die mitgliedstaatliche Umsetzung von Unionsrecht grundsätzlich nicht am Maßstab der EMRK misst.942 In der Sache orientiert sich der EuGH aber in der Vergangenheit regelmäßig sehr eng an der Judikatur des EGMR,943 so dass es nicht zu einer Verkürzung des unionalen Grundrechtsschutzes im Vergleich zur EMRK kam. Diese Verzahnung unionaler und konventionsrechtlicher Standards findet nun in Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EuGRCh eine explizite Stütze, denn nach dieser Vorschrift sollen die Rechte der EuGRCh, die den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, (mindestens) die gleiche Bedeutung und Tragweite haben, wie sie ihnen in der EMRK verliehen wird.944 In der Sache empfiehlt es sich daher, unter Rückgriff auf die regelmäßig ausgeprägtere Judikatur des EGMR zunächst den Inhalt der korrespondierenden Garantie der EMRK zu ermitteln, bevor man den Text der EuGRCh auslegt.

3. Meinungs- und Informationsfreiheit Artikel 11 EuGRCh Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit (1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. (2) Die Freiheit der Medien und ihre Pluralität werden geachtet. Artikel 10 EMRK Freiheit der Meinungsäußerung (1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Dieser Artikel hindert die Staaten nicht, für Hörfunk-, Fernseh- oder Kinounternehmen eine Genehmigung vorzuschreiben. (2) Die Ausübung dieser Freiheiten ist mit Pflichten und Verantwortung verbunden; sie kann daher Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale Sicherheit, die territoriale Unversehrtheit oder die öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral, zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Informationen oder zur Wahrung der Autorität und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung.

205 a) Überblick. Art. 11 Abs. 1 EuGRCh enthält eine allgemeine Garantie der freien Meinungsäußerung, die sowohl die Meinungsfreiheit wie die Informationsfreiheit (Art. 11 Abs. 1 Satz 2 EuGRCh) umfasst. Die Vorschrift entspricht Art. 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 EMRK, so dass das Grundrecht die gleiche Bedeutung und Tragweite wie sein Pendant in der Menschenrechtskonvention hat (Art. 52 Abs. 3 EuGRCh).945 Das gilt auch für Einschränkungen des Art. 11 EuGRCh, die gemäß Art. 52 Abs. 3 EuGRCh nicht über die in Art. 10 Abs. 2 EMRK geregelten Fälle hinausgehen

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Vgl. aber Art. 6 Abs. 2 EUV, Art. 218 Abs. 8 UAbs. 2 Satz 2 AEUV. EuGH 6. 10. 2016 – C-218/15 – BeckRS 2016, 82482 Tz. 21 – Paoletti. EGMR 30. 6. 2005 – App. No. 45036/98 –Slg. 2005-VI § 165 – Bosphorus. Zur Anlehnung an die EMRK beim Schutz von Werbung als Meinungsäußerung siehe etwa EuGH 23. 10. 2003 – C-245/01 – Slg. 2003, I-12489 Tz. 73 – RTL; EuGH 25. 3. 2004 – C-71/02 – Slg. 2004, I-3025 Tz. 50 f. – Karner; Faßbender GRUR Int. 2006, 965, 974. Siehe auch BVerfG 6. 11. 2019 – 1 BvR 16/13 – NJW 2020, 300 Tz. 57 – Recht auf Vergessen I: EMRK „für die Auslegung der Charta eine maßgebliche Richtschnur“. 944 EuGH 22. 12. 2010 – C-279/09 – Slg. 2010 I-13849 Tz. 35 – DEB. 945 Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. C 303 vom 14. 12. 2007, S. 17, 21; EuGH 17. 12. 2015 – C-157/14 – LMuR 2016, 12 Tz. 65 – Neptune Distribution.

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IV. Lauterkeitsrecht und Grundrechte

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dürfen.946 Art. 11 EuGRCh ist daher unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 10 EMRK auszulegen.947 Auch den Vorbehalt in Art. 10 Abs. 1 Satz 3 EMRK zugunsten mitgliedstaatlicher Genehmigungserfordernisse für Hörfunk, Fernseh- oder Kinounternehmen948 macht sich das Unionsrecht zu eigen, allerdings mit dem Hinweis, dass die Möglichkeit der Mitgliedstaaten zur Einführung von Genehmigungsregelungen durch das Wettbewerbsrecht der Union begrenzt werden kann.949 Meinungsfreiheit und unternehmerische Freiheit (Art. 16 EuGRCh) kommen bei kommerzieller Kommunikation (Werbung) parallel zur Anwendung.950 Art. 11 Abs. 2 EuGRCh sieht eine zusätzliche, in der EMRK nicht explizit erwähnte Garantie 206 der Freiheit und Pluralität der Medien vor, die „die Auswirkungen von Absatz 1 hinsichtlich der Freiheit der Medien“ erläutert.951 Art. 11 Abs. 2 EuGRCh gründet auf der Rechtsprechung des EuGH zur Freiheit des Fernsehens,952 das Protokoll über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten953 sowie auf der Richtlinie 89/552/EWG,954 insbesondere ihrem Erwägungsgrund 17.955 Die Medienfreiheit stellt eine besondere Ausprägung des Art. 11 Abs. 1 EuGRCh im Hinblick auf die Tätigkeit der Medien dar,956 die denselben Schranken (Art. 10 Abs. 2 EMRK) wie Art. 11 Abs. 1 EuGRCh957 unterliegt, wobei die besondere Bedeutung der Medienfreiheit im Rah-

946 Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. C 303 vom 14. 12. 2007, S. 17, 21. 947 Für eine Analyse der Rechtsprechung des EGMR zur commercial speech Müller WRP 1992, 20; Calliess EuGRZ 1996, 293; ders. AfP 2000, 248; Nolte RabelsZ 63 (1999) 507; Kulms RabelsZ 63 (1999) 520; Faßbender GRUR Int. 2006, 965, 972 ff.; Hertig Randall Human Rights Law Review (2006), 53; Buschle Kommunikationsfreiheit in den Grundrechten und Grundfreiheiten des EG-Vertrages (2004); Leistner Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb (2007), S. 327 ff.; Johnson/Youm Journal of International Media & Entertainment Law 2 (2009) 160, 180 ff.; Behrens Die Liberalisierung des Fernsehwerberechts im Kontext der Rundfunkregulierung (2012), S. 125 ff., 152 ff.; zur ideellen Rundfunkwerbung Gundel ZUM 2005, 345. Zum Verhältnis von EU-Grundrechtsschutz und vergleichender Werbung ausführlich Glöckner § 6 Rn. 106 ff. 948 Die Handhabung des Genehmigungsvorbehalts muss mit Art. 10 Abs. 2 EMRK im Einklang stehen, insbesondere zur „quality and balance of programmes“ beitragen, EGMR 5. 11. 2002 – App. No. 38743/97 – Slg. 2002-IX §§ 33 f. – Demuth/Schweiz. 949 Siehe die Bezugnahme auf Art. 10 Abs. 1 Satz 3 EMRK in den Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. C 303 vom 14. 12. 2007, S. 17, 21. 950 Schlussanträge des Generalanwalts Fennelly vom 15. 6. 2000 – C-376/98 – Slg. 2000, I-8423 Tz. 151 f. – Deutschland/Parlament und Rat; Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 24. 10. 2010 – C-316/09 – BeckRS 2010, 91345 Tz. 83 – Merckle; Faßbender GRUR Int. 2006, 965, 974; Jarass Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Aufl. (2016), Art. 11 Rn. 8; Art. 16 Rn. 5. Für eine Ausnahme bei gesellschaftsrechtlichen Offenlegungspflichten, die keinen „hinreichend direkten und speziellen Zusammenhang mit einer Tätigkeit auf[weisen], die unter die Freiheit der Meinungsäußerung fällt“ EuGH 23. 9. 2004 – C-435/02 und C-103/03 – Slg. 2004, I-8663 Tz. 47 – Axel Springer. 951 Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. C 303 vom 14. 12. 2007, S. 17, 21. 952 Die Erläuterungen zitieren EuGH 25. 7. 1991 – C-288/89 – Slg. 1991, I-4007 – Stichting Collectieve Antennevoorziening Gouda; zum Ziel der Aufrechterhaltung des Pluralismus und der Unabhängigkeit der Informationsmedien auch EuGH 13. 12. 2007 – C-250/06 – Slg. 2007, I-11135 Tz. 41 – United Pan-Europe Communications; EuGH (Große Kammer) 16. 12. 2008 – C-213/07 – Slg. 2008, I-9999 Tz. 59 – Michaniki. 953 Nunmehr Protokoll Nr. 25 über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten, ABl. 2010, C 83, S. 312. 954 Nunmehr Richtlinie 2010/13/EU über audiovisuelle Mediendienste. 955 Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. C 303 vom 14. 12. 2007, S. 17, 21; siehe auch Skouris MMR 2011, 423, 426: keine Entsprechung in der EMRK. 956 EuGH 22. 9. 2011 – C-244/10 und C-245/10 – Slg. 2011, I-8777 Tz. 33 – Mesopotamia Broadcast: „das für die Ausstrahlung und Verbreitung von Fernsehsendungen geltende Recht [ist] eine spezifische Ausprägung eines allgemeineren Prinzips […], nämlich der Freiheit der Meinungsäußerung, wie sie in Art. 10 Abs. 1 [EMRK] verankert ist“; zur Diskussion um die Eigenständigkeit des Art. 11 Abs. 2 EuGRCh als Grundrecht Jarass Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Aufl. (2016), Art. 11 Rn. 3. 957 Jarass Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Aufl. (2016), Art. 11 Rn. 27, 40; a. A. Calliess/Ruffert Art. 11 GRCh Rn. 33 (nur Art. 52 Abs. 1 EuGRCh, nicht Art. 10 Abs. 2 EMRK).

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

men der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen ist und die Garantie des Medienpluralismus auch Einschränkungen der Medienfreiheit rechtfertigen kann.958 207 Der Werbung kommt aus der Perspektive der Kommunikationsfreiheiten vor allem die Funktion zu, den Bürger über die Beschaffenheit ihm angebotener Dienstleistungen und Waren zu unterrichten. Um diese Funktion zu erfüllen, kann sie gemäß Art. 10 Abs. 2 EMRK in bestimmten Fällen beschränkt werden, um unlauteren Wettbewerb, insbesondere wahrheitswidrige oder irreführende Werbung zu verhindern.959 Neben dieser wettbewerbsfunktionalen Bedeutung liefert die kommerzielle Kommunikation auch einen wichtigen Beitrag zu Debatten von allgemeinem politischem, wirtschaftlichem, künstlerischem oder wissenschaftlichem Interesse, sei es in Form politisch-satirischer Werbung, sei es durch politische Stellungnahmen zum Verhältnis von privater und öffentlich-rechtlicher Absicherung von Lebensrisiken, durch bestimmte Kunstformen oder durch Beiträge über die Wirkung von Produkten.

208 b) Schutzbereich und Eingriff. Der Schutzbereich des Art. 11 EuGRCh ist weit zu verstehen.960 Geschützt wird die Meinungsäußerung (Werturteile) ebenso wie die Abgabe von Informationen (Tatsachenbehauptungen) und Ideen (Konzepte, Pläne).961 Inhalt oder Qualität der Information sind für die Anwendung des Art. 11 EuGRCh irrelevant.962 Erfasst werden auch „sämtliche Informationen und Ideen, die den Staat oder einen Bereich der Bevölkerung beleidigen, aus der Fassung bringen oder stören“.963 Art. 11 EuGRCh erstreckt sich damit nicht nur auf Informationen von allgemeinem (politischem, wissenschaftlichem, künstlerischem oder religiösem) Interesse, sondern auch auf die bloße Unterhaltung964 und die Übermittlung von Meinungen, Nachrichten und Ideen zu kommerziellen Zwecken (kommerzielle Kommunikation),965 unabhängig davon, ob es sich um informative oder werbende966 Inhalte handelt oder in welcher Form die Übermittlung erfolgt.967 Bereits die bloße Namensnennung und Angaben über persönliche Verhältnisse und Telefonnummern fallen unter Art. 11 Abs. 1 EuGRCh.968 958 EuGH 26. 6. 1997 – C-368/95 – Slg. 1997, I-3689 Tz. 26 – Familiapress; siehe auch EuGH 23. 10. 2003 – C-245/01 – Slg. 2003, I-12489 Tz. 71 – RTL; ebenso EGMR 5. 11. 2002 – App. No. 38743/97 – Slg. 2002-IX §§ 43 f. – Demuth/Schweiz. 959 EGMR 23. 10. 2007 – App. No. 7969/04 – GRUR-RR 2009, 173, 174 – Brzank/Deutschland; ferner EGMR 23. 2. 1994 – App. No. 15450/89 – Serie A Nr. 285 § 51 – Casado Coca/Spanien; EGMR 17. 10. 2002 – App. No. 37928/ 97 – NJW 2003, 497 § 39 – Stambuk/Deutschland; EGMR 11. 12. 2003 – App. No. 39069/97 – Slg. 2003-XII § 31 – Krone Verlag GmbH & Co KG/Österreich (no. 3). 960 EuGH (Große Kammer) 16. 12. 2008 – C-73/07 – Slg. 2008, I-9831 Tz. 56 – Satakunnan Markkinapörssi Oy. 961 Jarass Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Aufl. (2016), Art. 11 Rn. 10. 962 Vgl. BGH 14. 10. 2010 – I ZR 191/08 – GRUR 2011, 513 Tz. 21 – AnyDVD (Internetlinks vom Schutzbereich erfasst). 963 EuGH 6. 3. 2001 – C-274/99 P – Slg. 2001, I-1611 Tz. 39 – Connolly/Kommission; EGMR 25. 8. 1998 – App. No. 25181/94 – Slg. 1998-VI § 46 – Hertel/Schweiz: „ideas that offend, shock or disturb“. 964 EGMR 28. 3. 1990 – App. No. 10890/84 – Serie A Nr. 173 §§ 54 f. – Groppera Radio AG/Schweiz. 965 EGMR 20. 11. 1989 – App. No. 10572/83 – Serie A Nr. 165 §§ 25 f. – markt intern Verlag GmbH und Klaus Beermann/Bundesrepublik Deutschland; EGMR 23. 2. 1994 – App. No. 15450/89 – Serie A Nr. 285 § 35 – Casado Coca/ Spanien; EGMR 23. 6. 1994 – App. No. 15088/89– Serie A Nr. 291A § 25 – Jacubowski/Deutschland = NJW 1995, 1857; EGMR 18. 10. 2011 – App. No. 10247/09 – § 68 – Sosinowska/Polen; Schlussanträge des Generalanwalts Fennelly vom 15. 6. 2000 – C-376/98 – Slg. 2000, I-8423 Tz. 154 – Deutschland/Parlament und Rat; Schlussanträge des Generalanwalts Léger vom 13. 6. 2006 – C-380/03 – Slg. 2006, I-11573 Tz. 214 – Deutschland/Parlament und Rat; Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 24. 10. 2010 – C-316/09 – BeckRS 2010, 91345 Tz. 77 – Merckle. 966 Zur Einbeziehung von Werbung in den Schutzbereich des Art. 10 EMRK EuGH 25. 3. 2004 – C-71/02 – Slg. 2004, I-3025 Tz. 47, 50 ff. – Karner (Verbot der Bewerbung von Insolvenzwaren); EuGH 23. 10. 2003 – C-245/01 – Slg. 2003, I-12489 Tz. 68 – RTL (Werbeunterbrechungen bei Filmen); EuGH 17. 12. 2015 – C-157/14 – LMuR 2016, 12 Tz. 64 – Neptune Distribution: Art. 10 EMRK „auf die Verbreitung von Informationen geschäftlicher Art durch einen Unternehmer, u. a. in Form von Werbebotschaften, anwendbar“. 967 EGMR 28. 3. 1990 – App. No. 10890/84 – Serie A Nr. 173 § 55 – Groppera Radio AG/Schweiz; EuGH 6. 11. 2003 – C-101/01 – Slg. 2003, I-12971 Tz. 86 – Lindquist (Äußerungen im Internet). 968 EuGH 6. 11. 2003 – C-101/01 – Slg. 2003, I-12971 Tz. 13, 86 – Lindquist.

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IV. Lauterkeitsrecht und Grundrechte

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Als Verhalten geschützt wird die Abgabe von Informationen über den gesamten Kommu- 209 nikationsweg bis zum Empfänger in mündlicher, schriftlicher, gedruckter oder elektronischer Form.969 Daher ist die Verbreitung von Informationen über Produkte und Dienstleistungen eines Unternehmens und die Selbstdarstellung des Unternehmens ebenso wie die Kritik durch Wettbewerber oder Dritte umfassend von der Meinungsfreiheit garantiert.970 Neben der Abgabe von Informationen wird auch der Empfang von und das aktive Bemühen um Informationen geschützt, „die andere … weitergeben möchten oder deren Weitergabe … diese anderen zustimmen“971 (passive Informationsfreiheit). Träger der Meinungsfreiheit sind natürliche und juristische Personen.972 Ein Eingriff in die Meinungsfreiheit liegt in jeglichen „Formvorschriften, Bedingungen, 210 Einschränkungen oder Strafdrohungen“ (Art. 10 Abs. 2 EMRK) oder anderen Beschränkungen der geschützten Verhaltensweisen. Eine Beeinträchtigung des Art. 11 EuGRCh ist auch bei Werbebeschränkungen gegeben, etwa bei Beschränkungen der Werbung für bestimmte Erzeugnisse oder Gegenstände (Arzneimittel,973 Tabak,974 Insolvenzwaren975), ferner bei einer Beschränkung der Werbeunterbrechungen im Fernsehen976 oder der Begrenzung der Werbung in Hörfunk und Fernsehen zu bestimmten Tagen oder Zeiten.977 Ebenso liegt eine Beschränkung des Art. 11 EuGRCh in jeder Beschränkung der journalistischen Unabhängigkeit,978 in einem Verkaufsverbot für Zeitschriften, die die Teilnahme an Preisausschreiben ermöglichen,979 oder in einer Anwendung inländischer Regeln zur Meinungsvielfalt oder zur Senderstruktur auf ausländische Sendeanstalten.980 Die passive Informationsfreiheit kann beschränkt sein durch urheberrechtliche Ausschließlichkeitsrechte an Informationen.981

c) Rechtfertigung und Verhältnismäßigkeit. Infolge der Parallelität von Art. 11 Abs. 1 211 EuGRCh und Art. 10 EMRK dürfen die Einschränkungen des Art. 11 EuGRCh nicht über die in

969 Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 24. 10. 2010 – C-316/09 – BeckRS 2010, 91345 Tz. 81 – Merkkle (aktive Informationsfreiheit „in der Regel vom Schutzbereich des allgemeinen Grundrechts der Meinungsäußerung mitumfasst“). 970 Zur Information über Arzneimittel EuGH 28. 10. 1992 – C-219/91 – Slg. 1992, I-5485 Tz. 31, 36 – Strafverfahren gegen Ter Voort; EuGH 2. 4. 2009 – C-421/07 – Slg. 2009, I-2629 Tz. 23, 25 ff., 28 – Damgard; Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 24. 10. 2010 – C-316/09 – BeckRS 2010, 91345 Tz. 77 – Merckle. 971 EGMR 26. 3. 1987 – App. No. 9248/81 – Serie A Nr. 116 § 74 – Leander/Schweden; Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 4. 5. 2006 – C-479/04 – Slg. 2006, 8089 Tz. 65 – Laserdisken; Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 24. 10. 2010 – C-316/09 – BeckRS 2010, 91345 Tz. 85 – Merckle. 972 Calliess/Ruffert Art. 11 GRCh Rn. 10. 973 EuGH 2. 4. 2009 – C-421/07 – Slg. 2009, I-2629 Tz. 25 ff., 28 – Damgard. 974 EuGH (Große Kammer) 12. 12. 2006 – C-380/03 – Slg. 2006, I-11573 Tz. 153 f. – Deutschland/Parlament und Rat. Soweit sich der Eingriff auf das Verbot der Nutzung von Markenbezeichnungen erstreckt (plain packaging), werfen Werbebeschränkungen auch die Frage nach der Vereinbarkeit mit den völkerrechtlich (TRIPS) und grundrechtlich (Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK und Art. 17 Abs. 2 EuGRCh) geschützten Markenrechten der Hersteller auf, Davison EIPR 2012, 498; Schroeder ZLR 2012, 405, 410 ff. 975 EuGH 25. 3. 2004 – C-71/02 – Slg. 2004, I-3025 Tz. 47, 50 ff. – Karner (Verbot der Bewerbung von Insolvenzwaren). 976 EuGH 23. 10. 2003 – C-245/01 – Slg. 2003, I-12489 Tz. 68 – RTL. 977 EuGH 25. 7. 1991 – C-353/89 – Slg. 1991, I-4069 Tz. 39, 45 – Kommission/Niederlande. 978 Vgl. EuGH 13. 12. 1989 – 100/88 – Slg. 1989, 4285 Tz. 16 – Oyowe und Traore/Kommission; siehe auch EuGH (Große Kammer) 12. 12. 2006 – C-380/03 – Slg. 2006, I-11573 Tz. 156 – Deutschland/Parlament und Rat. 979 EuGH 26. 6. 1997 – C-368/95 – Slg. 1997, I-3689 Tz. 26 – Familiapress. 980 EuGH 5. 10. 1994 – C-23/93 – Slg. 1994, I-4795 Tz. 25 – TV 10; siehe auch EuGH 25. 7. 1991 – C-288/89 – Slg. 1991, I-4007 Tz. 23 f. – Stichting Collectieve Antennevoorziening Gouda. 981 Eingriff offengelassen in EuGH (Große Kammer) 12. 9. 2006 – C-479/04 – Slg. 2006, I-8089 Tz. 64 f. – Laserdisken (Eingriff jedenfalls gerechtfertigt); bereits die Beeinträchtigung ablehnend Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 4. 5. 2006 – C-479/04 – Slg. 2006, 8089 Tz. 65 – Laserdisken.

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Art. 10 Abs. 2 EMRK geregelten Fälle hinausgehen (Art. 52 Abs. 3 EuGRCh).982 Das gilt auch für die in Art. 11 Abs. 2 EuGRCh garantierte Medienfreiheit, die nach dem hier zugrunde gelegten Verständnis (oben Rn. 206) eine Ausprägung der Meinungsfreiheit darstellt, so dass ihre Einschränkung ebenfalls den Vorgaben des Art. 10 Abs. 2 EMRK entsprechen muss. Eine ausdrückliche Schranke sowohl für die Meinungs- wie für die Medienfreiheit stellt das in Art. 10 Abs. 1 Satz 3 EMRK vorbehaltene Genehmigungserfordernis für Hörfunk-, Fernseh- oder Kinounternehmen dar, das allerdings im Einklang mit Art. 10 Abs. 2 EMRK983 und den Wettbewerbsregeln der Union984 gehandhabt werden muss. 212 Dementsprechend kann die Ausübung der Kommunikationsfreiheiten „bestimmten durch Ziele des Allgemeininteresses gerechtfertigten Beschränkungen985 unterworfen werden, sofern diese gesetzlich vorgesehen sind, einem oder mehreren nach Art. 10 EMRK legitimen Zielen entsprechen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind, d. h. durch ein dringendes gesellschaftliches Bedürfnis gerechtfertigt sind und insbesondere in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Ziel stehen“.986 Im Wettbewerbsrecht dienen die Beschränkungen des Art. 10 Abs. 2 EMRK regelmäßig dem Zweck, die Informationsfunktion der Werbung zu sichern, indem sie gemäß Art. 10 Abs. 2 EMRK in bestimmten Fällen beschränkt wird, um unlauteren Wettbewerb und wahrheitswidrige oder irreführende Werbung zu verhindern.987 Die Beschränkungsmöglichkeiten sind grundsätzlich eng auszulegen (vgl. aber unten Rn. 216 ff.),988 auch wenn die Liste des Art. 10 Abs. 2 EMRK nicht abschließend ist.989

213 aa) Gesetzlich vorgesehen. Nach der Rechtsprechung des EGMR ist eine Beschränkung gesetzlich vorgesehen, wenn ihre Rechtsgrundlage ausreichend zugänglich und mit hinreichender Genauigkeit formuliert ist, um dem einzelnen Rechtsunterworfenen die Möglichkeit zu geben,

982 Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. C 303 vom 14. 12. 2007, S. 17, 21. Umstritten ist, ob neben Art. 10 Abs. 2 EMRK auch die Vorgaben des Art. 52 Abs. 1 EuGRCh zu beachten sind (so Jarass Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Aufl. (2016), Art. 52 Rn. 60) oder ob der Verweis allein auf die Schranken der EMRK in Art. 52 Abs. 3 EuGRCh der allgemeinen Schrankenregelung in Art. 52 Abs. 1 EuGRCh vorgeht, so Streinz/Streinz/Michl, 2. Aufl. (2012), Art. 52 GR-Charta Rn. 5. Im Lauterkeitsrecht dürften sich aus Art. 52 Abs. 1 EuGRCh kaum über Art. 10 Abs. 2 EMRK hinausgehende Schranken-Schranken gewinnen lassen. 983 Zur Handhabung des Art. 10 Abs. 1 Satz 3 EMRK siehe EGMR 5. 11. 2002 – App. No. 38743/97 – Slg. 2002-IX §§ 33 f. – Demuth/Schweiz: Sicherung der „quality and balance of programmes“. 984 Siehe die Bezugnahme auf Art. 10 Abs. 1 Satz 3 EMRK in den Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. C 303 vom 14. 12. 2007, S. 17, 21. 985 Art. 10 Abs. 2 EMRK nennt als Beispiele „Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen“. 986 EuGH 25. 3. 2004 – C-71/02 – Slg. 2004, I-3025 Tz. 50 – Karner; EuGH (Große Kammer) 12. 12. 2006 – C-380/03 – Slg. 2006, I-11573 Tz. 154 – Deutschland/Parlament und Rat; EuGH 2. 4. 2009 – C-421/07 – Slg. 2009, I-2629 Tz. 26 – Damgaard; BGH 18. 11. 2010 – I ZR 137/09 – GRUR 2011, 631 Tz. 20 – Unser wichtigstes Cigarettenpapier. 987 EGMR 23. 10. 2007 – App. No. 7969/04 – GRUR-RR 2009, 173, 174 – Brzank/Deutschland; ferner EGMR 23. 2. 1994 – App. No. 15450/89 – Serie A Nr. 285 § 51 – Casado Coca/Spanien; EGMR 17. 10. 2002 – App. No. 37928/ 97 – NJW 2003, 497 § 39 – Stambuk/Deutschland; EGMR 11. 12. 2003 – App. No. 39069/97 – Slg. 2003-XII § 31 – Krone Verlag GmbH & Co KG/Österreich (no. 3): „For the public, advertising is a means of discovering the characteristics of services and goods offered to them. Nevertheless, it may sometimes be restricted, especially to prevent unfair competition and untruthful or misleading advertising. In some contexts, even the publication of objective, truthful advertisements might be restricted in order to ensure respect for the rights of others or owing to the special circumstances of particular business activities and professions. Any such restrictions must, however, be closely scrutinised by the Court, which must weigh the requirements of those particular features against the advertising in question; to this end, the Court must look at the impugned penalty in the light of the case as a whole“. 988 EGMR 25. 3. 1985 – App. No. 8734/79 – Serie A Nr. 90 § 43 – Barthold/Deutschland = GRUR Int. 1985, 468; EGMR 25. 8. 1998 – App. No. 25181/94 – Slg. 1998-VI § 46 – Hertel/Schweiz. 989 EGMR 5. 11. 2002 – App. No. 38743/97 – Slg. 2002-IX § 37 – Demuth/Schweiz.

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sein Verhalten notfalls unter Zuhilfenahme rechtlicher Beratung darauf einzustellen.990 Eine solche Grundlage kann auch in berufsständischen Regeln liegen, die aufgrund parlamentarischer Delegation von Selbstverwaltungsorganen erlassen wurden.991 Ebenso genügen generalklauselartig formulierte Tatbestände und unbestimmte Rechtsbegriffe („gute Sitten“) dem Vorhersehbarkeitserfordernis, weil es gerade auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts wegen des ständigen Wandels der Marktgegebenheiten und Kommunikationsmittel für den Gesetzgeber unmöglich ist, vollständige Genauigkeit zu erreichen.992 Dies gilt umso mehr, wenn die offenen Tatbestände durch die Gerichtspraxis und Kommentarliteratur993 oder gesetzliche Beispielskataloge und Begründungen994 konkretisiert werden.

bb) Legitimer Zweck. Als legitime Zwecke einer Beschränkung der Meinungsfreiheit nennt 214 Art. 10 Abs. 2 EMRK die nationale Sicherheit, die territoriale Unversehrtheit, die öffentliche Sicherheit, die Aufrechterhaltung der Ordnung, die Verhütung von Straftaten, den Schutz der Gesundheit und der Moral, den Schutz des guten Rufes und der Rechte anderer, die Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Informationen und die Wahrung der Autorität und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung. Zum Schutz der „Rechte anderer“ zählt der EGMR auch die Vermeidung eines Wettbewerbsvorteils gegenüber Wettbewerbern, die sich an gesetzliche Werbeverbote halten,995 den Schutz der Mitbewerber und der Verbraucher vor irreführender Werbung996 und allgemein den Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher und mittelbar der rechtmäßig handelnden Mitbewerber vor unlauteren Geschäftspraktiken.997 Ebenso zählt dazu der Schutz des guten Rufes, der wettbewerblichen Reputation und der wirtschaftlichen Interessen der Mitbewerber gegen unrichtige oder verzerrende Darstellungen.998 Bei Werbebeschränkungen für Rechtsanwälte ist die Bedeutung dieser Berufsgruppe für die Rechtspflege als legitimer Zweck zu berücksichtigen.999 Ebenso wie der EGMR hat auch der EuGH den Verbraucherschutz („Rechte anderer“), die Lauterkeit des Handels1000 und eine „möglichst genaue und transparente Informationen der Verbraucher über die Eigenschaften eines Erzeugnisses“1001 sowie die Erhaltung einer bestimmten Programmqualität und -viel-

990 EGMR 25. 3. 1985 – App. No. 8734/79 – Serie A Nr. 90 § 45 – Barthold/Deutschland = GRUR Int. 1985, 468; EGMR 28. 6. 2001 – App. No. 24699/94 – Slg. 2001-VI § 52 – VGT Verein gegen Tierfabriken/Schweiz: „accessible to the person concerned and foreseeable as to its effects“. 991 EGMR 25. 3. 1985 – App. No. 8734/79 – Serie A Nr. 90 § 46 – Barthold/Deutschland = GRUR Int. 1985, 468 (Berufsordnung der Tierärztekammer); EGMR 23. 2. 1994 – App. No. 15450/89 – Serie A Nr. 285 § 39 – Casado Coca/ Spanien. 992 EGMR 25. 3. 1985 – App. No. 8734/79 – Serie A Nr. 90 § 47 – Barthold/Deutschland = GRUR Int. 1985, 468 (§ 1 UWG a. F.); EGMR 20. 11. 1989 – App. No. 10572/83 – Serie A Nr. 165 § 30 – markt intern Verlag GmbH und Klaus Beermann/Bundesrepublik Deutschland; EGMR 11. 12. 2003 – App. No. 39069/97 – Slg. 2003-XII § 24 – Krone Verlag GmbH & Co KG/Österreich (no. 3); skeptisch aber EGMR 30. 1. 2018 – App. No. 69317/14 – GRUR Int. 2018, 589 § 67 – Sekmadienis Ltd./Litauen gegenüber der Auslegung, dass „advertisements violated public morals because the use of religious symbols in them was ‘inappropriate’ and ‘distorted the meaning’ of those symbols”. 993 EGMR 20. 11. 1989 – App. No. 10572/83 – Serie A Nr. 165 § 30 – markt intern Verlag GmbH und Klaus Beermann/ Bundesrepublik Deutschland. 994 EGMR 25. 8. 1998 – App. No. 25181/94 – Slg. 1998-VI § 36 – Hertel/Schweiz. 995 EGMR 25. 3. 1985 – App. No. 8734/79 – Serie A Nr. 90 § 51 – Barthold/Deutschland = GRUR Int. 1985, 468; EGMR 17. 10. 2002 – App. No. 37928/97 – NJW 2003, 497 § 29 – Stambuk/Deutschland. 996 EGMR 11. 12. 2003 – App. No. 39069/97 – Slg. 2003-XII § 26 f. – Krone Verlag GmbH & Co KG/Österreich (no. 3). 997 Vgl. EGMR 25. 8. 1998 – App. No. 25181/94 – Slg. 1998-VI § 42 – Hertel/Schweiz. 998 EGMR 20. 11. 1989 – App. No. 10572/83 – Serie A Nr. 165 § 31 – markt intern Verlag GmbH und Klaus Beermann/ Bundesrepublik Deutschland; EGMR 25. 8. 1998 – App. No. 25181/94 – Slg. 1998-VI § 42 – Hertel/Schweiz. 999 EGMR 23. 2. 1994 – App. No. 15450/89 – Serie A Nr. 285 § 46 – Casado Coca/Spanien. 1000 EuGH 25. 3. 2004 – C-71/02 – Slg. 2004, I-3025 Tz. 52 – Karner. 1001 EuGH 17. 12. 2015 – C-157/14 – LMuR 2016, 12 Tz. 74 – Neptune Distribution.

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falt1002 und Medienvielfalt1003 als legitime Zwecke i. S. d. Art. 10 Abs. 2 EMRK angesehen.1004 Schließlich hat der EGMR auch den „Schutz der Moral, die sich aus dem christlichen Glauben ergibt und von einem wesentlichen Teil der Bevölkerung geteilt wird, und den Schutz des Rechts der religiösen Menschen, nicht wegen ihres Glaubens beleidigt zu werden“, als legitimes Interesse anerkannt.1005

215 cc) In einer demokratischen Gesellschaft notwendig (Verhältnismäßigkeit). Der Schwerpunkt der Rechtfertigungsprüfung liegt auf dem letzten Element, der Verhältnismäßigkeitskontrolle. „Notwendig“ i. S. d. Art. 10 Abs. 2 EMRK ist in diesem Zusammenhang nicht als „unbedingt erforderlich“ aufzufassen, aber auch nicht im Sinne eines flexiblen „zulässig“, „normal“, „nützlich“, „vernünftig“ oder „zweckmäßig“ zu verstehen. Darzulegen ist vielmehr ein „dringendes soziales Bedürfnis“ („pressing social need“; „besoin social impérieux“), wobei die jeweils verbotenen Aussagen im Zusammenhang und im Lichte der konkreten Umstände zu würdigen sind.1006 Im Rahmen dieser Würdigung billigen EGMR und EuGH den zuständigen Stellen bei der Abwägung zwischen der Freiheit der Meinungsäußerung und den in Art. 10 Abs. 2 EMRK genannten Zielen des Allgemeininteresses einen je nach dem Ziel, das eine Beschränkung dieses Rechts rechtfertigt, und je nach der Art der Tätigkeit, um die es geht, unterschiedlich großen Entscheidungsspielraum (margin of appreciation) zu.1007 Dieser Entscheidungsspielraum wird vor allem beim Gebrauch der Meinungsfreiheit zu kommerziellen Zwecken, insbesondere in einem so komplexen und Wandlungen unterworfenen Gebiet wie dem Recht des unlauteren Wettbewerbs und der Werbung, besonders großzügig bemessen.1008

216 (1) Unterscheidung von kommerzieller Kommunikation und Beiträgen von allgemeinem Interesse. Deshalb unterscheiden der EGMR1009 und ihm folgend der EuGH1010 zwischen 1002 EuGH 23. 10. 2003 – C-245/01 – Slg. 2003, I-12489 Tz. 71 – RTL; ebenso EGMR 5. 11. 2002 – App. No. 38743/ 97 – Slg. 2002-IX §§ 43 f. – Demuth/Schweiz.

1003 EuGH 26. 6. 1997 – C-368/95 – Slg. 1997, I-3689 Tz. 26 – Familiapress. 1004 Zu den legitimen Zwecken siehe auch den Hinweis in den Schlussanträgen der Generalanwältin Trstenjak vom 24. 11. 2010 – C-316/09 – BeckRS 2010, 91345 Tz. 79 – Merckle: Erfolgt der Eingriff in die Meinungsfreiheit durch Maßnahmen der Union, so ist die Kopplung des Gemeinwohlziels an die Kompetenzordnung zu beachten, so dass sich die Union nur auf diejenigen Rechtsgüter zur Legitimation eines Grundrechtseingriffs beziehen können soll, deren Schutz ihr auch nach dem Unionsrecht obliegt. 1005 EGMR 30. 1. 2018 – App. No. 69317/14 – GRUR Int. 2018, 589 § 69 – Sekmadienis Ltd./Litauen. 1006 EGMR 25. 3. 1985 – App. No. 8734/79 – Serie A Nr. 90 § 55 – Barthold/Deutschland = GRUR Int. 1985, 468. 1007 EGMR 20. 11. 1989 – App. No. 10572/83 – Serie A Nr. 165 § 33 – markt intern Verlag GmbH und Klaus Beermann/Bundesrepublik Deutschland: „certain margin of appreciation in assessing the existence and extent of the necessity of an interference“; EuGH (Große Kammer) 12. 12. 2006 – C-380/03 – Slg. 2006, I-11573 Tz. 155 – Deutschland/Parlament und Rat. 1008 EGMR 20. 11. 1989 – App. No. 10572/83 – Serie A Nr. 165 § 33 – markt intern Verlag GmbH und Klaus Beermann/Bundesrepublik Deutschland; EGMR 23. 6. 1994 – App. No. 15088/89– Serie A Nr. 291A § 26 – Jacubowski/ Deutschland = NJW 1995, 1857; EGMR 23. 2. 1994 – App. No. 15450/89 – Serie A Nr. 285 § 50 – Casado Coca/Spanien; EGMR 5. 11. 2002 – App. No. 38743/97 – Slg. 2002-IX § 42 – Demuth/Schweiz; EGMR 11. 12. 2003 – App. No. 39069/ 97 – Slg. 2003-XII § 30 – Krone Verlag GmbH & Co KG/Österreich (no. 3); EGMR 23. 10. 2007 – App. No. 7969/04 – GRUR-RR 2009, 173, 174 – Brzank/Deutschland; EGMR 30. 1. 2018 – App. No. 69317/14 – GRUR Int. 2018, 589 § 73 – Sekmadienis Ltd./Litauen: „States have a broad margin of appreciation in the regulation of speech in commercial matters or advertising“. 1009 Vorige Fn. 1010 EuGH 25. 3. 2004 – C-71/02 – Slg. 2004, I-3025 Tz. 51 – Karner: „Trägt die Ausübung der Meinungsfreiheit nichts zu einer Debatte von allgemeinem Interesse bei und erfolgt sie darüber hinaus in einem Kontext, in dem die Staaten einen gewissen Entscheidungsspielraum haben, beschränkt sich die Kontrolle auf die Prüfung, ob der Ein-

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dem Gebrauch der Meinungsfreiheit zu kommerziellen Zwecken (der kein Wettbewerbsverhältnis zwischen den Beteiligten voraussetzt1011), insbesondere zu Zwecken der Werbung, und sonstigen Meinungsäußerungen, die zu einer „Debatte von allgemeinem Interesse“ beitragen. Handelt es sich lediglich um eine kommerzielle Äußerung, insbesondere um Werbung,1012 aber auch die Berichterstattung über Autos im „Car TV“,1013 so wird ein großzügiger Verhältnismäßigkeitsmaßstab angelegt, der sich auf die Prüfung beschränkt, „ob der Eingriff in einem angemessenen Verhältnis zu den verfolgten Zielen steht“.1014 Handelt es sich demgegenüber nicht um eine kommerzielle Meinungsäußerung, sondern 217 um eine Beteiligung an einer das Allgemeininteresse berührenden Debatte, z. B. über die öffentliche Gesundheit1015 oder den Tierschutz1016 oder die Mitwirkung an einer Zeitungsberichterstattung über eine neue augenärztliche Behandlungsmethode,1017 so wird der Beurteilungsspielraum der nationalen Organe eingeschränkt und neben einer Angemessenheitskontrolle auch die Tatsachenwürdigung und -bewertung durch das nationale Gericht nachvollzogen.1018 Als nicht-kommerzielle Meinungsäußerung wurde auch die journalistische Berichterstattung in einem Automagazin angesehen, in dem auf einem Foto die Tabakwerbung eines Sponsors eines Formel 1-Rennstalls zu erkennen war.1019 Sogar eine auf aktuelle Fragen z. B. der Gesundheitspolitik gerichtete Meinungsäußerung eines Unternehmens ist als Beitrag zu einer Debatte von all-

griff in einem angemessenen Verhältnis zu den verfolgten Zielen steht. Dies gilt namentlich für den Gebrauch der Meinungsfreiheit im Geschäftsverkehr, besonders in einem Bereich, der so komplex und wandelbar ist wie die Werbung“; ebenso EuGH 23. 10. 2003 – C-245/01 – Slg. 2003, I-12489 Tz. 73 – RTL; EuGH (Große Kammer) 12. 12. 2006 – C-380/03 – Slg. 2006, I-11573 Tz. 155 – Deutschland/Parlament und Rat; EuGH 2. 4. 2009 – C-421/07 – Slg. 2009, I-2629 Tz. 27 – Damgard. 1011 Siehe EGMR 20. 11. 1989 – App. No. 10572/83 – Serie A Nr. 165 § 36 – markt intern Verlag GmbH und Klaus Beermann/Bundesrepublik Deutschland. 1012 EGMR 23. 2. 1994 – App. No. 15450/89 – Serie A Nr. 285 § 50 – Casado Coca/Spanien; EGMR 11. 12. 2003 – App. No. 39069/97 – Slg. 2003-XII § 30 – Krone Verlag GmbH & Co KG/Österreich (no. 3). 1013 Weshalb ein Fernsehsender für Autos „primarily commercial“ sein soll, EGMR 5. 11. 2002 – App. No. 38743/ 97 – Slg. 2002-IX § 41 – Demuth/Schweiz, während die Berichterstattung in einem Automagazin als nicht-kommerziell angesehen wird, EGMR 5. 3. 2009 – App. No. 13353/05 – § 45 – Hachette Filipacchi Presse Automobile/Frankreich, wird wohl eines der Geheimnisse des Straßburger Gerichts bleiben. 1014 EuGH 25. 3. 2004 – C-71/02 – Slg. 2004, I-3025 Tz. 51 – Karner; ebenso EGMR 20. 11. 1989 – App. No. 10572/ 83 – Serie A Nr. 165 § 33 – markt intern Verlag GmbH und Klaus Beermann/Bundesrepublik Deutschland; EGMR 23. 6. 1994 – App. No. 15088/89– Serie A Nr. 291A § 26 – Jacubowski/Deutschland = NJW 1995, 1857; EGMR 23. 2. 1994 – App. No. 15450/89 – Serie A Nr. 285 § 50 – Casado Coca/Spanien; EGMR 11. 12. 2003 – App. No. 39069/ 97 – Slg. 2003-XII § 30 – Krone Verlag GmbH & Co KG/Österreich (no. 3): „justifiable in principle and proprotionate“. 1015 EGMR 25. 8. 1998 – App. No. 25181/94 – Slg. 1998-VI § 47 – Hertel/Schweiz. 1016 EGMR 28. 6. 2001 – App. No. 24699/94 – Slg. 2001-VI § 70 f. – VGT Verein gegen Tierfabriken/Schweiz. 1017 EGMR 17. 10. 2002 – App. No. 37928/97 – NJW 2003, 497 § 48 – Stambuk/Deutschland. 1018 EGMR 25. 8. 1998 – App. No. 25181/94 – Slg. 1998-VI § 46 – Hertel/Schweiz: „This does not mean that the supervision is limited to ascertaining whether the respondent State exercised its discretion reasonably, carefully and in good faith; what the Court has to do is to look at the interference complained of in the light of the case as a whole and determine whether it was ‚proportionate to the legitimate aim pursued‘ and whether the reasons adduced by the national authorities to justify it are ‚relevant and sufficient‘ […]. In doing so, the Court has to satisfy itself that the national authorities applied standards which were in conformity with the principles embodied in Article 10 and, moreover, that they relied on an acceptable assessment of the relevant facts“. 1019 EGMR 5. 3. 2009 – App. No. 13353/05 – § 45 – Hachette Filipacchi Presse Automobile/Frankreich: „En l’espèce, la publication litigieuse touche au domaine commercial mais celle-ci s’inscrit dans le cadre d’une information relative à un événement d’actualité. L’existence d’un droit pour le public de recevoir des informations a été maintes fois reconnue par la Cour dans des affaires relatives à des restrictions à la liberté de la presse, comme corollaire de la fonction propre aux journalistes de diffuser des informations ou des idées sur des questions d’intérêt public […]. Il ne s’agissait donc pas d’une publication à caractère ‚strictement‘ commercial, et la marge d’appréciation de l’Etat s’en trouve ainsi limitée.“

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gemeinem Interesse und nicht lediglich als kommerzielle Meinungsäußerung anzusehen, selbst wenn sie in Form einer Zeitungsanzeige oder eines Fernsehspots erfolgt.1020 218 Zur Abgrenzung zwischen kommerziellen Meinungsäußerungen und Debatten von allgemeinem Interesse ist auf den Primärzweck der Äußerung abzustellen: Dient sie in erster Linie dem Zweck, bestimmte Produkte oder Dienstleistungen darzustellen und den Absatz zu fördern, so ist ein kommerzieller Zweck zu bejahen.1021 Demgegenüber spricht eine journalistische Berichterstattung im Rahmen einer Information über aktuelle Ereignisse gegen eine kommerzielle Natur der Meinungsäußerung, selbst wenn sie in einem Spartenmagazin (Automagazin) erfolgt und kommerzielle Aspekte berührt.1022

219 (2) Kritik. Die im Einzelfall kaum nachvollziehbare Abgrenzung von kommerzieller Kommunikation und Debatten von allgemeinem Interesse1023 zeigt bereits die Grenzen der Unterscheidung zwischen kommerzieller Kommunikation und Meinungsäußerungen von allgemeinem Interesse auf. Diese Unterscheidung wurde vom EGMR ursprünglich mit der Komplexität und Wandelbarkeit des Wettbewerbs und der Werbung begründet, die eine strikte Verhältnismäßigkeitskontrolle mit einer Prüfung aller Umstände des Falles im Einzelfall unmöglich mache.1024 Zudem verwies das Straßburger Gericht auf die Unterschiedlichkeit der nationalen Rechtsordnungen und die größere Sachnähe der nationalen Instanzen.1025 Beide Begründungsstränge vermögen in Zeiten eines in weiten Teilen europäisch geprägten 220 Lauterkeitsrechts nicht mehr zu überzeugen. Zunächst zwingt die Unterscheidung zwischen kommerzieller Kommunikation und Debatten von allgemeinem Interesse in Grenzfällen (mixed speech) zu wenig gelungenen Differenzierungen anhand des Primärzwecks der Äußerung. Darüber hinaus taugt die Unterschiedlichkeit der nationalen Werberegeln nicht mehr als Rechtfertigung für eine Zurücknahme der supranationalen Grundrechtskontrolle in einer Zeit, in der weite Teile des Lauterkeitsrechts durch supranationales Recht angeglichen wurden. Auch der schnelllebige Wandel im Wettbewerbsrecht kann eine Schlechterstellung der kommerziellen Kommunikation nicht mehr rechtfertigen, wenn sich zumindest der EuGH diesem Wandel ohnehin bei der Auslegung des Sekundärrechts stellen muss. Vor allem aber wurde der nationale Grundrechtsschutz als Auffangnetz unterhalb der EMRK infolge der sekundärrechtlichen Harmonisie1020 Vgl. BGH 26. 3. 2009 – I ZR 213/06 – GRUR 2009, 984 Tz. 20 ff., 25 – Festbetragsfestsetzung; OLG Köln 28. 1. 2011 – 6 U 180/10 – GRUR-RR 2011, 372, 373 – PKV – Die gesunde Versicherung; siehe auch OGH ÖBl. 2011, 110 – Total überforderte Zeitungsredaktionen. 1021 EGMR 5. 11. 2002 – App. No. 38743/97 – Slg. 2002-IX § 41 – Demuth/Schweiz: „However, while it could not be excluded that such aspects would have contributed to the ongoing, general debate on the various aspects of a motorised society, in the Court's opinion the purpose of Car TV AG was primarily commercial in that it intended to promote cars and, hence, further car sales“; Leistner Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb (2007), S. 329; OLG Hamburg 30. 6. 2009 – 3 U 13/09 – GRUR-RR 2010, 74, 78 – Läusemittel: Verwendung des u. a. auf das eigene Produkt bezogenen Testurteils der Stiftung Warentest ist kommerzielle Kommunikation, keine gesellschafts- oder gesundheitspolitisch relevante Meinungsbekundung als Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem Interesse. 1022 EGMR 5. 3. 2009 – App. No. 13353/05 – § 45 – Hachette Filipacchi Presse Automobile/Frankreich. 1023 Weshalb ein Fernsehsender für Autos „primarily commercial“ sein soll, EGMR 5. 11. 2002 – App. No. 38743/ 97 – Slg. 2002-IX § 41 – Demuth/Schweiz, während die Berichterstattung in einem Automagazin als nicht-kommerziell angesehen wird, EGMR 5. 3. 2009 – App. No. 13353/05 – § 45 – Hachette Filipacchi Presse Automobile/Frankreich, wird wohl eines der Geheimnisse des Straßburger Gerichts bleiben. Zu weiteren Beispielen Leistner Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb (2007), S. 329 Fn. 181. 1024 EGMR 20. 11. 1989 – App. No. 10572/83 – Serie A Nr. 165 § 33 – markt intern Verlag GmbH und Klaus Beermann/Bundesrepublik Deutschland; ähnlich EuGH 25. 3. 2004 – C-71/02 – Slg. 2004, I-3025 Tz. 51 – Karner: „so komplex und wandelbar ist wie die Werbung“. 1025 Zu Werbebeschränkungen für Rechtsanwälte EGMR 23. 2. 1994 – App. No. 15450/89 – Serie A Nr. 285 § 54 – Casado Coca/Spanien; EGMR 23. 10. 2007 – App. No. 7969/04 – GRUR-RR 2009, 173, 174 – Brzank/Deutschland; anders für das Standesrecht der Ärzte EGMR 17. 10. 2002 – App. No. 37928/97 – NJW 2003, 497 § 40 – Stambuk/ Deutschland.

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rung inzwischen verdrängt, so dass es – will man die Rechtsharmonisierung nicht mit einer Absenkung grundrechtlicher Schutzstandards bezahlen – im Gegenzug zu einem gleichwertigen Grundrechtsschutz auch für die kommerzielle Kommunikation auf europäischer Ebene kommen muss. Zur Vermeidung derartiger Schutzlücken ist deshalb zu einer einheitlichen Verhältnismä- 221 ßigkeitsprüfung überzugehen, die kommerzieller Kommunikation den gleichen Grundrechtsschutz wie anderen Kommunikationsformen zubilligt.1026 Nur eine solche Gleichstellung aller Kommunikationsformen trägt der wettbewerbsfunktionalen Bedeutung der kommerziellen Kommunikation zur Information der Verbraucher über die Beschaffenheit von Produkten und Dienstleistungen angemessen Rechnung.1027 Dies schließt nicht aus, im Einzelfall auch den Inhalt, den Zweck und den Kontext der konkreten Meinungsäußerung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen. Allerdings ist anstelle des kommerziellen Zwecks das wettbewerbliche Interesse an einer konkreten Äußerung in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzustellen. Ist ein solches wie im Fall der wahrheitsgemäßen und nicht irreführenden Verbraucherinformation gegeben, dann sollte ein Verbot nur unter sehr engen Voraussetzungen möglich sein, etwa zum Schutz hochrangiger Güter wie der Gesundheit. Umgekehrt kann für unzutreffende oder irreführende – und damit die Entscheidung der 222 Verbraucher potenziell verzerrende – Informationen ein abgesenkter Grundrechtsschutz gewährt werden. Werbende Äußerungen mit wertenden Inhalten sollten im Mittelfeld der Verhältnismäßigkeitsprüfung angesiedelt werden, wobei die zunehmende Gewöhnung der Verbraucher an Werbung zu berücksichtigen ist. Absolute oder sehr weitgehende Werbeverbote sind außerhalb sensibler Materien wie dem Gesundheitsschutz daher kaum als verhältnismäßig anzusehen.1028 Eine solche Berücksichtigung des wettbewerblichen Interesses entspricht nicht nur der gesellschaftlichen Bedeutung kommerzieller Kommunikation, sondern schlägt auch eine Brücke zwischen grundrechtlichen und sekundärrechtlichen Wertungen, indem die dem Sekundärrecht zugrunde liegenden Erwägungen wie insbesondere der Schutz der informierten Entscheidung des Verbrauchers als Antriebsfeder des Binnenmarktes Eingang in die Verhältnismäßigkeitsprüfung finden. Erste Ansätze für eine konkret-differenzierende Beurteilung unter Berücksichtigung des 223 wettbewerblichen Interesses lassen sich schließlich auch in der jüngeren Judikatur von EGMR und EuGH ausmachen. So ist der EGMR in dem Verfahren Krone Verlag ./. Österreich trotz kommerziellen Charakters der in Rede stehenden vergleichenden Werbung in eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung eingetreten, offenbar um die Vergleichswerbung als „Kerninstrument des Preiswettbewerbs“1029 zu erhalten. Auch in der jüngeren Judikatur des EuGH zeichnet sich eine Differenzierung zwischen Werbung und sachlicher Herstellerinformation ab, wobei die Verbreitung von sachlich zutreffenden Herstellerinformationen im Rahmen der allgemeinen Öffentlichkeitsarbeit des Unternehmens aus den Verbotstatbeständen für Werbung ausgenommen wird.1030 1026 Leistner Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb (2007), S. 332. 1027 Vgl. EGMR 23. 2. 1994 – App. No. 15450/89 – Serie A Nr. 285 § 51 – Casado Coca/Spanien: „For the citizen, advertising is a means of discovering the characteristics of services and goods offered to him“.

1028 Siehe auch Art. 24 RL 2006/123/EG. 1029 EGMR 11. 12. 2003 – App. No. 39069/97 – Slg. 2003-XII, §§ 33 f. – Krone Verlag ./. Austria; dazu Leistner, Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb (2007), S. 331 f.; bereits Kloepfer/Michael GRUR 1991, 170, 179 mit Hinweis auf den „besonderen informativen Gehalt“ vergleichender Werbung; siehe auch Erwägung A in der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. Dezember 2010 zum Einfluss der Werbung auf das Verbraucherverhalten, ABl. C 169 E vom 15. 6. 2012, S. 58: „in der Erwägung, dass Werbung … vorteilhaft für die Verbraucher ist“. 1030 EuGH 5. 5. 2011 – C-316/09 – Slg. 2011, I-3249 Tz. 43 – Merckle (dort ohne grundrechtliche Argumentation), siehe aber die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 24. 11. 2010 – C-316/09 – BeckRS 2010, 91345 Tz. 86, 123 – Merckle mit ausführlicher grundrechtskonformer Auslegung des Begriffs der Arzneimittelwerbung („Leitbild des informierten Patienten“, Tz. 86); siehe auch EuGH 5. 5. 2011 – C-316/09 – Slg. 2011, I-3249 Tz. 24 – Merckle zur umfassenden Tatsachenwürdigung zwecks Beurteilung des Werbecharakters.

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224 dd) Gesichtspunkte der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Als relevanter Faktor in der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist bei Informationen zu berücksichtigen, ob die behaupteten Tatsachen wahr sind, während nicht für jede wertende Meinungsäußerung ein klarer Tatsachenbeleg gefordert werden kann.1031 Auch bei wahren Tatsachen kann ein Werbeverbot allerdings gerechtfertigt sein, wenn durch die Werbung mit wahren Tatsachen eine Irreführungsgefahr begründet wird.1032 Darüber hinaus billigt der EGMR zuweilen auch ein Verbot der Berichterstattung über oder der Werbung mit wahren Tatsachen, wenn diese die Privatsphäre anderer oder die Vertraulichkeit von Geschäftsgeheimnissen berühren oder wenn die Berichterstattung über einen einzelnen Vorfall den unrichtigen Eindruck einer allgemeinen Geschäftspraxis vermitteln kann1033 oder wenn dies durch die besondere Stellung einer Berufsgruppe (Rechtsanwälte) bedingt ist.1034 Allerdings wird der EGMR „jede solche Beschränkung sorgfältig prüfen und deren besondere Anforderungen gegen die in Frage stehende Werbung abwägen“.1035 Gerade bei (vergleichender) Werbung mit objektiv zutreffenden Tatsachen scheint der EGMR – trotz rhetorischen Festhaltens am flexibleren Verhältnismäßigkeitsstandard – in jüngerer Zeit durchaus einer strikteren Beurteilung von Werbebeschränkungen zuzuneigen, um einen effektiven Preis- und Produktwettbewerb zu ermöglichen.1036 Ein weiterer Gesichtspunkt im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung von Werbebe225 schränkungen ist, ob ein Werbeverbot absolut gilt oder nur bestimmte Beschränkungen vorgesehen sind.1037 Allerdings haben sowohl EGMR wie EuGH zum Schutz besonders hochwertiger Rechtsgüter (insbesondere der Gesundheit) auch sehr weitgehende Beschränkungen (z. B. für Tabakwaren1038 oder verschreibungspflichtige Arzneimittel1039) bis hin zu einem Ver-

1031 Siehe EGMR 16. 12. 2008 – App. No. 53025/99 – § 50 f. – Frankowicz/Polen zur Unzulässigkeit eines generellen Verbots kritischer Äußerungen über einen medizinischen Kollegen unabhängig von der Richtigkeit dieser Äußerungen; Schlussanträge des Generalanwalts Alber vom 8. 4. 2003 – C-71/02 – Slg. 2004, I-3025 Tz. 76 – Karner; ferner Jarass Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Aufl. (2016), Art. 11 Rn. 36. 1032 Schlussanträge des Generalanwalts Alber vom 8. 4. 2003 – C-71/02 – Slg. 2004, I-3025 Tz. 81 ff., 86 – Karner (bei Werbung mit wahren Tatsachen nur Vermeidung der Irreführung durch klarstellenden Hinweis geboten, nicht generelles Werbeverbot); weitergehend (generelles Werbeverbot aufgrund weiten Entscheidungsspielraums bei kommerzieller Kommunikation gerechtfertigt) EuGH 25. 3. 2004 – C-71/02 – Slg. 2004, I-3025 Tz. 51 f. – Karner. 1033 EGMR 20. 11. 1989 – App. No. 10572/83 – Serie A Nr. 165 § 35 – markt intern Verlag GmbH und Klaus Beermann/Bundesrepublik Deutschland. 1034 EGMR 23. 2. 1994 – App. No. 15450/89 – Serie A Nr. 285 § 51 – Casado Coca/Spanien; EGMR 17. 10. 2002 – App. No. 37928/97 – NJW 2003, 497 § 39 – Stambuk/Deutschland; allgemein EGMR 11. 12. 2003 – App. No. 39069/97 – Slg. 2003-XII § 31 – Krone Verlag GmbH & Co KG/Österreich (no. 3). 1035 EGMR 17. 10. 2002 – App. No. 37928/97 – NJW 2003, 497 § 39 – Stambuk/Deutschland; EGMR 11. 12. 2003 – App. No. 39069/97 – Slg. 2003-XII § 31 – Krone Verlag GmbH & Co KG/Österreich (no. 3); EGMR 23. 10. 2007 – App. No. 7969/04 – GRUR-RR 2009, 173, 174 – Brzank/Deutschland. 1036 Siehe EGMR 11. 12. 2003 – App. No. 39069/97 – Slg. 2003-XII §§ 31 ff. – Krone Verlag GmbH & Co KG/Österreich (no. 3): „impairing the very essence of price comparison“ (§ 33); Leistner Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb (2007) S. 331; ferner EGMR 16. 12. 2008 – App. No. 53025/99 – § 50 f. – Frankowicz/Polen zur Unzulässigkeit eines generellen Verbots kritischer Äußerungen über einen medizinischen Kollegen unabhängig von der Richtigkeit dieser Äußerungen. 1037 EGMR 23. 2. 1994 – App. No. 15450/89 – Serie A Nr. 285 § 52 – Casado Coca/Spanien; Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 24. 11. 2010 – C-316/09 – BeckRS 2010, 91345 Tz. 80 – Merckle; siehe auch Art. 24 Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG. 1038 EuGH (Große Kammer) 12. 12. 2006 – C-380/03 – Slg. 2006, I-11573 Tz. 156 f. – Deutschland/Parlament und Rat; siehe auch BGH GRUR 2011, 631 Tz. 21 ff. – Unser wichtigstes Cigarettenpapier (Imagewerbung von Tabakherstellern). Soweit sich der Eingriff auf das Verbot der Nutzung von Markenbezeichnungen erstreckt (plain packaging), werfen Werbebeschränkungen auch die Frage nach der Vereinbarkeit mit den völkerrechtlich und grundrechtlich (Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK und Art. 17 Abs. 2 EuGRCh) geschützten Markenrechten der Hersteller auf, Davison EIPR 2012, 498; Schroeder ZLR 2012, 405, 410 ff. 1039 EuGH 2. 4. 2009 – C-421/07 – Slg. 2009, I-2629 Tz. 28 – Damgard.

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bot „indirekter Werbung“ durch Abbildung der Marken von Tabakherstellern1040 gebilligt.1041 Ebenso sind Einschränkungen der Freiheit der journalistischen Meinungsäußerung als solcher und der redaktionellen Beiträge der Journalisten kritischer zu bewerten als Verbotsmaßnahmen, die den Presseunternehmen Werbeerlöse entziehen.1042 Auch eine Einschränkung des Inhalts von Werbebotschaften ist kritischer zu beurteilen als die Begrenzung der Zahl der Werbeunterbrechungen von Fernsehprogrammen, zumal wenn der Zeitpunkt und die Länge der einzelnen Unterbrechungen den Fernsehanstalten frei stehen.1043 Bei lauterkeitsrechtlich motivierten Verkaufsverboten für Zeitschriften ist zu prüfen, ob durch mildere Mittel (z. B. Schwärzung der als problematisch angesehenen Passagen) ein Verkaufsverbot vermieden werden kann.1044 Schließlich ist striktere Regulierung bei audiovisuellen Medien mit hohem Verbreitungsgrad eher zu rechtfertigen, insbesondere um die Programmvielfalt und -qualität zu gewährleisten.1045

d) Einzelfälle. Als unverhältnismäßig1046 angesehen wurde das Verbot eines Preisvergleichs 226 zwischen zwei Regionalzeitungen, das auf die unterschiedliche Qualität der Zeitungen gestützt war.1047 Ebenso wurde das Verbot der Meinungsäußerung eines Tierarztes über das Fehlen eines tierärztlichen Notdiensts im Rahmen eines Zeitungsberichts als unzulässig angesehen, auch wenn diese Äußerung „nicht völlig hinter sonstigen Beweggründen verschwindet“ und einen gewissen Werbeeffekt haben könnte.1048 Auch die standesrechtliche Sanktionierung eines Augenarztes für die Mitwirkung an einem Zeitungsbericht über eine neue Operationsmethode, die ihn und seine hohe Erfolgsquote präsentierte, wurde als unverhältnismäßige Beschränkung eingestuft.1049 Ebenfalls unverhältnismäßig war das Verbot der Berichterstattung über die schädlichen Effekte der Mahlzeiten aus Mikrowellen1050 und das Verbot der Ausstrahlung eines Fernsehspots zugunsten des Tierschutzes gegen den Konsum von Fleisch als „politische Werbung“, wobei beide Meinungsäußerungen bereits nicht als kommerzielle Kommunikation eingestuft wurden.1051 Die Einbeziehung von allgemeinen Werbeaussagen wie „bekömmlich“ für Kräuterlikör in den Anwendungs- und Verbotsbereich der Verordnung 1924/2006 mit der Folge eines absoluten Verbots solcher Werbeaussagen für Alkoholika hat der Gerichtshof unlängst im Inte1040 EGMR 5. 3. 2009 – App. No. 13353/05 – §§ 48 ff. – Hachette Filipacchi Presse Automobile/Frankreich. 1041 Intensiv werden auch die Werbebeschränkungen der VO 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben diskutiert, vgl. Sosnitza WRP 2003, 669, 675; von Danwitz ZLR 2005, 201, 218; Meisterernst WRP 2010, 481, 488; positiver Buchner/Rehberg GRUR Int. 2007, 394. 1042 EuGH (Große Kammer) 12. 12. 2006 – C-380/03 – Slg. 2006, I-11573 Tz. 156 – Deutschland/Parlament und Rat. 1043 EuGH 23. 10. 2003 – C-245/01 – Slg. 2003, I-12489 Tz. 72 – RTL. 1044 EuGH 26. 6. 1997 – C-368/95 – Slg. 1997, I-3689 Tz. 32 f. – Familiapress. 1045 EGMR 5. 11. 2002 – App. No. 38743/97 – Slg. 2002-IX § 43 – Demuth/Schweiz; EuGH 23. 10. 2003 – C-245/01 – Slg. 2003, I-12489 Tz. 71 – RTL; zum Schutz der Meinungsvielfalt auch EuGH 5. 10. 1994 – C-23/93 – Slg. 1994, I4785 Tz. 17 f., 25 – TV 10. Unzulässig ist eine Verpflichtung heimischer Fernsehsender, ihre Produktionen nur bei inländischen Unternehmen in Auftrag zu geben, EuGH 25. 7. 1991 – C-353/89 – Slg. 1991, I-4069 Tz. 31 – Kommission/ Niederlande. 1046 Zur älteren Rechtsprechung siehe Erstauflage/Schricker Einl Rn. F 412 ff. 1047 EGMR 11. 12. 2003 – App. No. 39069/97 – Slg. 2003-XII, §§ 33 f. – Krone Verlag ./. Austria; skeptisch zu Beschränkungen vergleichender Werbung unter dem Gesichtspunkt des Art. 10 EMRK auch Ohly/Spence GRUR Int. 1999, 681, 698; vorsichtiger nunmehr Ohly GRUR 2004, 889, 895 Fn. 107. 1048 EGMR 25. 3. 1985 – App. No. 8734/79 – Serie A Nr. 90 §§ 58 f. – Barthold/Deutschland = GRUR Int. 1985, 468. 1049 EGMR 17. 10. 2002 – App. No. 37928/97 – NJW 2003, 497 § 53 – Stambuk/Deutschland. OLG Köln 18. 7. 2003 – Az. 6 U 23/03 – Tz. 10 (juris) versteht dies als Erlaubnis für Ärzte, in „angemessener Weise durch interessengerechte und sachangemessene, nicht irreführende Information auf seine Leistungen hinzuweisen und vor allen Dingen ein vorhandenes oder gar an ihn herangetragenes Informationsinteresse zu befriedigen“. 1050 EGMR 25. 8. 1998 – App. No. 25181/94 – Slg. 1998-VI § 50 – Hertel/Schweiz. 1051 EGMR 28. 6. 2001 – App. No. 24699/94 – Slg. 2001-VI §§ 74 ff. – VGT Verein gegen Tierfabriken/Schweiz.

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resse des Gesundheitsschutzes auch vor dem Hintergrund der unternehmerischen Freiheit als gerechtfertigt angesehen.1052 Auch ein Verbot einer Werbung unter Nutzung religiöser Symbole mit der Begründung, die Werbung verstoße gegen die öffentliche Moral, weil sie religiöse Symbole „für oberflächliche Zwecke“ verwendet hatte, „ihren Hauptzweck verzerrte“ und „unangemessen“ war, wurde vom EGMR als unverhältnismäßig angesehen.1053 227 Demgegenüber als verhältnismäßig gebilligt wurde das auf § 1 UWG a. F. gestützte Verbot gegenüber einem Informationsdienst für den Drogerie- und Parfümerie-Fachhandel, einen kritischen Bericht über einen Kosmetik-Versandhändler („Club X“) zu verbreiten, der auf einen Einzelfall gestützt war.1054 Ebenfalls gebilligt wurde das Verbot der Verbreitung eines Rundschreibens, mit dem ein ehemaliger Chefredakteur eines Nachrichtendienstes sich abfällig über den früheren Arbeitgeber äußerte und sich als Wettbewerber zu positionieren suchte.1055 Auch das generelle Verbot der Bewerbung von Konkurswaren1056 und die sehr weitgehenden Werbebeschränkungen für Tabak und Arzneimittel wurden gebilligt.1057 Ebenso wurden Werbeverbote für Anwälte1058 wie etwa das Verbot einer Anwaltswerbung gebilligt, in welcher in einer Fußnote auf die gesetzliche Höchstgebühr hingewiesen wurde, ohne jedoch zu erwähnen, dass diese Gebühr nur bei Streitwerten über 10.000 DM anfällt und Rechtsanwälte Gebühren in Höhe von 1/10 bis 10/10 der vollen Gebühr verlangen können, so dass ein Durchschnittsbürger, der keine schwierigen Rechenoperationen anstellen dürfte, irrtümlich davon ausgehen könnte, die Werbende sei in allen Angelegenheiten preiswerter als andere Rechtsanwälte, obwohl die Gebühren bei niedrigen Streitwerten zum Teil erheblich über den gesetzlich zulässigen Gebühren lagen.1059 Gleichfalls zulässig ist das Verbot der Bezeichnung eines Anwalts als „Verkehrsrechtsspezialist“, das auf den fehlenden Nachweis entsprechender Sachkenntnis des Anwalts gestützt wurde.1060 Keine Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit liegt ferner in der Anwendung von Wettbewerbsregeln, die im Interesse des freien Handels zwischen den Mitgliedstaaten unter normalen Wettbewerbsbedingungen ein System der vertikalen Preisbindung verbieten, das eine Quersubventionierung weniger ertragsstarker Verlagsprodukte durch ertragsstarke Werke sicherstellen soll.1061 Auch Werbebeschränkungen im Fernsehen zum Schutz der Verbrau-

1052 Siehe EuGH 6. 9. 2012 – C-544/10 – GRUR 2012, 1161 Tz. 41, 53, 59 – Deutsches Weintor. 1053 EGMR 30. 1. 2018 – App. No. 69317/14 – GRUR Int. 2018, 589 §§ 79 ff. – Sekmadienis Ltd./Litauen. 1054 EGMR 20. 11. 1989 – App. No. 10572/83 – Serie A Nr. 165 §§ 34 ff. – markt intern Verlag GmbH und Klaus Beermann/Bundesrepublik Deutschland. In der Sache ging es offenbar um die Kampagne eines Brancheninformationsdiensts gegen einen Außenseiter, zum Fall Krüger GRUR 1989, 738, 740 ff. 1055 EGMR 23. 6. 1994 – App. No. 15088/89– Serie A Nr. 291A § 29 f. – Jacubowski/Deutschland = NJW 1995, 1857 (allerdings mit dem Hinweis, dass vor allem die wettbewerbliche Zielsetzung, nicht die Kritik am früheren Arbeitgeber verboten werden durfte). 1056 EuGH 25. 3. 2004 – C-71/02 – Slg. 2004, I-3025 Tz. 47, 50 ff. – Karner; überzeugender Schlussanträge des Generalanwalts Alber vom 8. 4. 2003 – C-71/02 – Slg. 2004, I-3025 Tz. 81 ff., 86 – Karner. 1057 Zu weitgehenden Werbebeschränkungen EuGH (Große Kammer) 12. 12. 2006 – C-380/03 – Slg. 2006, I-11573 Tz. 156 f. – Deutschland/Parlament und Rat; EGMR 5. 3. 2009 – App. No. 13353/05 – §§ 48 ff. – Hachette Filipacchi Presse Automobile/Frankreich (beide Tabak); siehe auch BGH GRUR 2011, 631 Tz. 21 ff. – Unser wichtigstes Cigarettenpapier (Imagewerbung von Tabakherstellern); EuGH 2. 4. 2009 – C-421/07 – Slg. 2009, I-2629 Tz. 28 – Damgard (Arzneimittel). 1058 Zur Zulässigkeit EGMR 23. 2. 1994 – App. No. 15450/89 – Serie A Nr. 285 § 51 – Casado Coca/Spanien; EGMR 23. 10. 2007 – App. No. 7969/04 – GRUR-RR 2009, 173, 174 – Brzank/Deutschland; monographisch Döbbelt Werbebeschränkungen im anwaltlichen Berufsrecht (2008). 1059 EGMR 23. 10. 2007 – App. No. 7969/04 – GRUR-RR 2009, 173, 174 – Brzank/Deutschland. 1060 EGMR 23. 10. 2007 – App. No. 2357/05 – GRUR-RR 2009, 175, 176 – Heimann/Deutschland. 1061 EuGH 17. 1. 1984 – 43/82 und 63/82 – Slg. 1984, 19 Tz. 34 – VBVB und VBBB/Kommission; zum Vorbehalt des Wettbewerbsrechts der Union auch die Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. C 303 vom 14. 12. 2007, S. 17, 21: „unbeschadet der Beschränkungen, die die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, Genehmigungsregelungen nach Artikel 10 Absatz 1 Satz 3 der EMRK einzuführen, durch das Wettbewerbsrecht der Union erfahren kann“.

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cher1062 wie etwa das Verbot von Product-Placement durch die Richtlinie 2010/13/EU sind mit der Meinungsfreiheit vereinbar.1063 Gleiches gilt für das Verbot unverlangter E-Mail-Werbung.1064 Schließlich stellen auch Offenlegungspflichten für Unternehmen1065 und urheberrechtliche Ausschließlichkeitsrechte eine zulässige Beschränkung der Meinungs- und Informationsfreiheit dar.1066 Auch ein Verbot, auf Verpackungen und Etiketten natürlicher Mineralwässer und in der Werbung für diese Angaben oder Hinweise zu einem niedrigen Natriumgehalt dieser Wässer zu machen, die geeignet sind, den Verbraucher hinsichtlich dieses Gehalts irrezuführen, hat der Gerichtshof als verhältnismäßig angesehen.1067

4. Freiheit der Kunst und der Wissenschaft Artikel 13 EuGRCh Freiheit der Kunst und der Wissenschaft Kunst und Forschung sind frei. Die akademische Freiheit wird geachtet.

Die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit ist nur in der Grundrechtecharta ausdrücklich verbürgt, 228 während sie in der EMRK als Teil der Meinungsfreiheit (Art. 10 EMRK) anerkannt war.1068 Auch nach den Erläuterungen zur Charta leitet sich das Recht „in erster Linie aus der Gedankenfreiheit und der Freiheit der Meinungsäußerung ab“, und es unterliegt denselben (Art. 10 Abs. 2 EMRK) Einschränkungen.1069 Aus der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit dürften sich daher für die Zwecke des Lauterkeitsrechts keine über die allgemeine Meinungsfreiheit hinausgehenden Garantien ableiten lassen. Allerdings ist der wissenschaftliche oder künstlerische Zweck der Äußerung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen.

5. Freiheit der unternehmerischen Betätigung Artikel 16 EuGRCh Unternehmerische Freiheit Die unternehmerische Freiheit wird nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt.

1062 EuGH 23. 10. 2003 – C-245/01 – Slg. 2003, I-12489 Tz. 71 f. – RTL; siehe auch EuGH 25. 7. 1991 – C-288/89 – Slg. 1991, I-4007 Tz. 28 f. – Stichting Collectieve Antennevoorziening Gouda.

1063 Ausführlich Emrich EU- und nationalrechtliche Liberalisierung des Product Placement im öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehen sowie für Spielfilme (2011).

1064 LG Berlin MMR 1999, 43, 45. Zum Schutz vor unerwünschter Werbung (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG) siehe auch Anhang I Nr. 26 RL 2005/29/EG und der in Anhang I Nr. 26 Satz 2 und in Erwägungsgrund 14 Satz 8 RL 2005/29/EG vorbehaltene Art. 13 Abs. 3 RL 2002/58/EG mit dortigem Erwägungsgrund 42 (unten Rn. 421 f.) sowie die Vorlage BGH 30. 1. 2020 – I ZR 25/19 – Tz. 52 ff. – Inbox-Werbung. Zur Vereinbarkeit des § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG mit der Richtlinie 2005/29/EG BGH 10. 2. 2011 – I ZR 164/09 – NJW 2011, 2657 Tz. 23 ff. – Double-opt-in-Verfahren; siehe auch bereits BGH 10. 12. 2009 – I ZR 201/07 – MMR 2010, 183 Tz. 10 f. 1065 EuGH 23. 9. 2004 – C-435/02 und C-103/03 – Slg. 2004, I-8663 Tz. 47 – Axel Springer. 1066 EuGH (Große Kammer) 12. 9. 2006 – C-479/04 – Slg. 2006, I-8089 Tz. 64 f. – Laserdisken (Eingriff offengelassen, jedenfalls gerechtfertigt); bereits die Beeinträchtigung ablehnend Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 4. 5. 2006 – C-479/04 – Slg. 2006, 8089 Tz. 65 – Laserdisken. Zu weitgehende Durchsetzungsbefugnisse können aber die Informationsfreiheit verletzen, EuGH 24. 11. 2011 – C-70/10 – GRUR Int. 2012, 153 Tz. 52 – Scarlet Extended. 1067 EuGH 17. 12. 2015 – C-157/14 – LMuR 2016, 12 Tz. 67 ff. – Neptunes Distribution. 1068 Zur Kunstfreiheit EGMR 24. 5. 1988 – App. No. 10737/84 – Serie A Nr. 133, §§ 27, 33 – Müller u. a./Schweiz; zur Wissenschaftsfreiheit EGMR 28. 10. 1999 – App. No. 28386/95 – Slg. 1999-VII § 8, 36 ff. – Wille/Liechtenstein; Jarass Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Aufl. (2016), Art. 13 Rn. 1. 1069 Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. C 303 vom 14. 12. 2007, S. 17, 22.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

229 a) Schutzbereich und Eingriff. Neben der Meinungsfreiheit betreffen lauterkeitsrechtliche Regeln regelmäßig auch die durch Art. 16 EuGRCh garantierte unternehmerische Freiheit als spezielle Form der Berufsfreiheit (Art. 15 EuGRCh).1070 Art. 16 EuGRCh stützt sich auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur „Freiheit der Arbeit, des Handels und anderer Berufstätigkeiten“,1071 zur Vertragsfreiheit1072 und auf die primärrechtliche Garantie einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb (Art. 119 Abs. 1 AEUV).1073 Der Schutzbereich der unternehmerischen Freiheit erfasst auch die unternehmerische Werbung und Information „als unerlässliche Bedingung für den Absatz eines Produkts“ und „typische Ausübungsform des unternehmerischen Grundrechts“.1074 Ebenfalls Teil der Unternehmerfreiheit ist der Schutz vertraulicher Unternehmensinformationen.1075

230 b) Rechtfertigung. Die Einschränkungen der Unternehmerfreiheit richten sich nach der allgemeinen Schrankenvorschrift des Art. 52 Abs. 1 EuGRCh.1076 Danach muss „jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten … gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten“. Zudem dürfen „unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit … Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen“. Dies entspricht im Wesentlichen der Judikatur des EuGH zur „Freiheit der Arbeit, des Handels und anderer Berufstätigkeiten“, die ebenfalls Beschränkungen unterworfen werden darf, „sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der diese Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet“.1077 Zudem unterliegt die unternehmerische Freiheit wegen des Regelungs- und Ausgestaltungsvorbehalts im Tatbestand des Art. 16 EuGRCh – Anerkennung „nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“ – von vorneherein dem Regelungszugriff des

1070 EuGH 17. 12. 2015 – C-157/14 – LMuR 2016, 12 Tz. 66 f. – Neptunes Distribution (Verbot, auf Verpackungen und in der Werbung bestimmte Angaben zu machen, ist Eingriff in die unternehmerische Freiheit); Schlussanträge des Generalanwalts Fennelly vom 15. 6. 2000 – C-376/98 – Slg. 2000, I-8423 Tz. 151 f. – Deutschland/ Parlament und Rat; Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 24. 10. 2010 – C-316/09 – BeckRS 2010, 91345 Tz. 83 – Merckle. Für einen Vorrang des Art. 16 EuGRCh bei gesellschaftsrechtlichen Offenlegungspflichten, die keinen „hinreichend direkten und speziellen Zusammenhang mit einer Tätigkeit auf[weisen], die unter die Freiheit der Meinungsäußerung fällt“ EuGH 23. 9. 2004 – C-435/02 und C-103/03 – Slg. 2004, I-8663 Tz. 47 – Axel Springer. 1071 EuGH 14. 5. 1974 – 4/73 – Slg. 1974, 491 Tz. 14 – Nold; EuGH 27. 9. 1979 – 230/78 – Slg. 1979, 2749 Tz. 20, 31 – SpA Eridania; EuGH 23. 9. 2004 – C-435/02 und C-103/03 – Slg. 2004, I-8663 Tz. 48 – Axel Springer; zur Berufsfreiheit auch EuGH 13. 12. 1979 – 44/79 – Slg. 1979, 3727 Tz. 32 – Hauer. 1072 EuGH 10. 7. 1991 – C-90/90 und C-91/90 – Slg. 1991, I-3617 Tz. 13 – Neu; EuGH 5. 10. 1999 – C-240/97 – Slg. 1999, I-6571 Tz. 99 – Kommission/Spanien; andeutungsweise auch EuGH 16. 1. 1979 – 151/78 – Slg. 1979, 1 Tz. 19 – Sukkerfabriken Nykoebing. 1073 Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. C 303 vom 14. 12. 2007, S. 17, 23. 1074 Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 24. 11. 2010 – C-316/09 – BeckRS 2010, 91345 Tz. 83 – Merckle; EuGH 17. 12. 2015 – C-157/14 – LMuR 2016, 12 Tz. 66 f. – Neptunes Distribution. 1075 Vgl. EuGH 23. 9. 2004 – C-435/02 und C-103/03 – Slg. 2004, I-8663 Tz. 49 – Axel Springer. 1076 Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. C 303 vom 14. 12. 2007, S. 17, 23. 1077 EuGH 23. 9. 2004 – C-435/02 und C-103/03 – Slg. 2004, I-8663 Tz. 48 – Axel Springer; bereits EuGH 14. 5. 1974 – 4/73 – Slg. 1974, 491 Tz. 14 – Nold: „Begrenzungen …, die durch die dem allgemeinen Wohl dienenden Ziele der Gemeinschaft gerechtfertigt sind, solange die Rechte nicht in ihrem Wesen angetastet werden“; zur Berufsfreiheit auch EuGH 11. 7. 1989 – C-265/87 – Slg. 1989, 2237 Tz. 15 – Schräder.

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V. Lauterkeitsrecht und Rechtsangleichung

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Gesetzgebers,1078 so dass ihr Schutz für die Belange des Lauterkeitsrechts regelmäßig nicht über die Garantien der Meinungsfreiheit hinausgehen dürfte.1079

6. Verbraucher- und Gesundheitsschutz Die Garantie eines hohen Gesundheitsschutz- (Art. 35 Satz 2 EuGRCh) und Verbraucherschutzni- 231 veaus (Art. 38 EuGRCh) stellen lediglich Grundsätze dar, die sich auf parallele Bestimmungen im AEUV (Art. 114 Abs. 3, 168 Abs. 1, 169 AEUV) stützen.1080 Als Grundsätze können sie zwar durch Akte der Gesetzgebung der Union und die Durchführungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten umgesetzt werden, aber vor Gericht „nur bei der Auslegung dieser Akte und bei Entscheidungen über deren Rechtmäßigkeit herangezogen werden“ (Art. 52 Abs. 5 EuGRCh). Sie vermitteln daher keine über die jeweiligen Legislativmaßnahmen hinausgehenden subjektiven Rechte,1081 so dass sich ihre Bedeutung in der Garantie des Verbraucher- und Gesundheitsschutzes als Ziel der Unionsgesetzgebung auf dem Gebiet des Lauterkeitsrechts erschöpft (oben Rn. 66).

V. Lauterkeitsrecht und Rechtsangleichung 1. Allgemeines Obwohl die unmittelbare Relevanz des Lauterkeitsrechts für die Ausübung der Grundfreihei- 232 ten diese Materie wie kaum ein anderes Feld des Privatrechts für Rechtsangleichungsmaßnahmen prädestinierte und früh entsprechende Bemühungen einsetzten,1082 machte die Rechtsangleichung auf dem Gebiet des Lauterkeitsrechts lange Zeit kaum Fortschritte.1083 Als Ursache wurden vor allem die grundlegenden Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten genannt, die durch den Beitritt der Common Law-Staaten im Jahr 1973 noch vertieft wurden.1084 Nach ersten Schritten auf dem Gebiet der irreführen-

1078 Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. C 303 vom 14. 12. 2007, S. 17, 23: „Dieses Recht wird natürlich unter Einhaltung des Unionsrechts und der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften ausgeübt“; Jarass Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Aufl. (2016), Art. 16 Rn. 18. 1079 Vgl. EuGH 17. 12. 2015 – C-157/14 – LMuR 2016, 12 Tz. 67 ff. – Neptunes Distribution (parallele Prüfung beider Grundrechte); BGH 18. 11. 2010 – I ZR 137/09 – GRUR 2011, 631 Tz. 28 – Unser wichtigstes Cigarettenpapier; OLG Hamburg 30. 6. 2009 – 3 U 13/09 – GRUR-RR 2010, 74, 78 – Läusemittel (abstrakter Gefährdungstatbestand des Art. 90 lit. f RL 2001/83/EG zum Schutz der öffentlichen Gesundheit verhältnismäßig); Köhler GRUR 2005, 273, 276 Fn. 31. Kritisch zur untergeordneten Bedeutung der Berufsfreiheit bei Werbebeschränkungen Behrens Die Liberalisierung des Fernsehwerberechts im Kontext der Rundfunkregulierung (2012), S. 133 f. 1080 Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. C 303 vom 14. 12. 2007, S. 17, 27 f. 1081 Leible/Schäfer WRP 2012, 32, 35; siehe auch EuGH 7. 3. 1996 – C-192/94 – Slg. 1996, I-1281 Tz. 20 f. – El Corte Inglés (zu Art. 169 AEUV). 1082 Siehe das Kommissionsdokument „Das Recht des unlauteren Wettbewerbs in den Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft“, Dok. Nr. XIV/5593/68-D vom 11. 4. 1968, zitiert nach Schricker GRUR Int. 1973, 141, das auf rechtsvergleichenden Vorarbeiten aufbaute. Siehe auch die von Schricker GRUR Int. 1973, 141, 144 f. und Wadlow EIPR 2006, 433, 438 ff. auszugsweise wiedergegebenen Kommissionsdokumente „Angleichung des Rechts gegen den unlauteren Wettbewerb – Zusammenfassender Bericht über die Stellungnahme maßgebender Industrie- und Handelsverbände im Gemeinsamen Markt“, Dok. Nr. 2.715/XIV/70-D vom 5. 2. 1970 und „Unlauterer Wettbewerb – Arbeitsdokument“, Dok. Nr. XLV/156/72-D vom 28. 2. 1972, mit denen die Kommission die Angleichung einleiten wollte. 1083 Erstauflage/Schricker Einl Rn. F 330. 1084 Schricker GRUR Int. 1973, 141, 147. Zum rechtsvergleichenden Befund der damaligen Zeit siehe die im Auftrag der EWG-Kommission erstellten Arbeiten Ulmer Das Recht des unlauteren Wettbewerbs in den Mitgliedstaaten der EWG, Bd. I, Vergleichende Darstellung mit Vorschlägen zur Rechtsangleichung (1965); Schricker/Wunderlich Bd. II/

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

den1085 und vergleichenden1086 Werbung und maßgeblichen Fortschritten auf dem benachbarten Feld des Immaterialgüterrechts1087 hat das Lauterkeitsrecht allerdings spätestens mit Inkrafttreten der Richtlinie 2005/29/EG den Rückstand1088 aufgeholt, so dass die Rechtsharmonisierung durch europäisches Sekundärrecht heute den wichtigsten Einfluss des Unionsrechts auf das Lauterkeitsrecht ausmacht. Sie ist umso wichtiger für das nationale Recht, weil die Richtlinien im Unterschied zu den Grundfreiheiten auch ohne grenzüberschreitenden Bezug anzuwenden sind.1089 Rechtssystematisch lassen sich heute auf dem Gebiet des Sekundärrechts zwei Gruppen von 233 Rechtsakten unterscheiden. Zum einen hat die Union nach ersten Schritten auf dem Gebiet der irreführenden1090 und vergleichenden1091 Werbung und der Preisangaben1092 mit Erlass der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken in weiten Teilen eine Vollharmonisierung des Lauterkeitsrechts für Geschäftspraktiken von Unternehmern gegenüber Verbrauchern1093 vorgenommen und damit den Grundstein für ein allgemeines Europäisches Lauterkeitsrecht gelegt (oben Rn. 70, unten Rn. 250). Die Vorgaben dieser Richtlinie und der neu gefassten Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung (RL 2006/114/EG) sind bei einer Vielzahl von Einzeltatbeständen des UWG zu beachten und werden daher im Rahmen 1, Belgien, Luxemburg (1967); Baeumer/van Manen, Bd. II/2, Niederlande (1967); Reimer Bd. III, Deutschland (1968); Kraßer Bd. IV, Frankreich (1967); Schricker Bd. V, Italien (1965); von Westerholt und Gysenberg Bd. VI, Vereinigtes Königreich (1981); Alexandridou Bd. VII, Griechenland (1994); de Oliveira Ascensão Bd. VII, Portugal (2005); siehe auch Ulmer GRUR Int. 1973, 135. Zur weiteren Entwicklung bis zum Erlass der ersten Richtlinie 1984 Erstauflage/ Schricker Einl Rn. F 330 f. Uneinheitlich wird bewertet, ob es erst durch den Beitritt der Common Law-Staaten zu unüberbrückbaren Differenzen zwischen den nationalen Rechtsordnungen kam oder ob diese bereits zwischen den ursprünglichen sechs EWG-Staaten existierten, so Wadlow EIPR 2006, 433, 438 ff. 1085 Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10. September 1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung, ABl. L 250 vom 19. 9. 1984, S. 17 (nunmehr aufgegangen in RL 2005/29/EG und RL 2006/114/EG). Der ursprüngliche Richtlinienvorschlag umfasste neben der irreführenden auch die unlautere Werbung, GRUR Int. 1980, 30. 1086 Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Oktober 1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung, ABl. L 290 vom 23. 10. 1997, S. 18. 1087 Siehe insbesondere die weitreichende Harmonisierung des Markenrechts durch die Erste Richtlinie 89/104/ EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken, ABl. L 40 vom 11. 2. 1989, S. 1; ersetzt durch die Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (kodifizierte Fassung), ABl. L 299 vom 8. 11. 2008, S. 25; nunmehr Richtlinie (EU) 2015/2436 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken, ABl. L 336 vom 23. 12. 2015, S. 1; und die Einführung der Gemeinschaftsmarke, Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke, ABl. L 11 vom 14. 1. 1994, S. 1, Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke (kodifizierte Fassung), ABl. L 78 vom 24. 3. 2009, S. 1; nunmehr Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke, ABl. L 154 vom 16. 6. 2017, S. 1. 1088 So noch die Erstauflage/Schricker Einl Rn. F 330; siehe auch Schricker GRUR Int. 1990, 771, 772, der noch 1990 prognostizierte, man müsse für eine Angleichung „mit längeren Zeiträumen rechnen“. 1089 EuGH 14. 1. 2010 – C-304/08 – Slg. 2010, I-217 Tz. 28 – Plus Warenhandelsgesellschaft. 1090 Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10. September 1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung, ABl. L 250 vom 19. 9. 1984, S. 17 (nunmehr aufgegangen in RL 2005/29/EG und RL 2006/114/EG). Der ursprüngliche Richtlinienvorschlag umfasste neben der irreführenden auch die unlautere Werbung, GRUR Int. 1980, 30. 1091 Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Oktober 1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung, ABl. L 290 vom 23. 10. 1997, S. 18. 1092 Richtlinie 98/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse, ABl. L 80 vom 18. 3. 1998, S. 27. 1093 Art. 2 lit. d, Art. 3 Abs. 1 RL 2005/29/EG.

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dieses Abschnitts nur mit einer Fokussierung auf ihren Anwendungsbereich dargestellt. Zum anderen findet sich inzwischen eine kaum mehr überschaubare Vielzahl von medienspezifischen und sektorspezifischen Richtlinien und Verordnungen, die eine bestimmte Sachmaterie regulieren. Dieses medien- (unten Rn. 371 ff., 401 ff., 420 ff.) oder sektorspezifische (unten Rn. 447) (besondere) Europäische Lauterkeitsrecht kann hier nur im Überblick skizziert werden. Außerdem zeichnet sich ab, dass die Kommission auch dem Lauterkeitsrecht im unter- 234 nehmerischen Verkehr stärkere Aufmerksamkeit widmet. Zwar wurde die Überarbeitung des Irreführungsschutzes im unternehmerischen Verkehr durch die Richtlinie 2006/114/EG ersichtlich (noch) nicht in Angriff genommen,1094 und auch die Ideen auf dem Gebiet des Nachahmungsschutzes und „Look-alikes“1095 sind (bisher) noch nicht in konkrete Rechtsakte gereift. Erlassen wurde aber die Richtlinie 2016/943/EU über den Schutz vertraulichen KnowHows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung,1096 die in Deutschland in einem neuen Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) umgesetzt wurde,1097 das den Geschäftsgeheimnisschutz durch Überführung der §§ 17–19 UWG in das neue GeschGehG aus dem UWG ausgenommen hat. In einen neuen lauterkeitsrechtlichen Rechtsakt im unternehmerischen Verkehr mündeten auch die Bestrebungen zur Regulierung unlauterer Handelspraktiken in der B2B-Lieferkette,1098 für die nunmehr – beschränkt auf den Agrar- und Lebensmittelsektor – die Richtlinie 2019/633 über unlautere Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette verabschiedet wurde.1099 Die Richtlinie legt eine „Mindestliste verbotener unlauterer Handelspraktiken in Beziehungen zwischen Käufern und Lieferanten in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette“ fest und schafft Mindestvorschriften für ihre Durchsetzung (Art. 1 Abs. 1 RL 2019/633). Erlassen wurde außerdem die Verordnung 2019/1150 zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten.1100

2. Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken a) Entstehungsgeschichte. Herzstück der Rechtsangleichung auf dem Gebiet des Lauterkeits- 235 rechts ist die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken (UGP-Richtlinie). Sie ist die Frucht einer durch ein Grünbuch zum Verbraucherschutz in der Europäischen Union1101 1094 Siehe aber die Ankündigung in KOM (2012) 702 S. 12 ff. 1095 Siehe die Ideen in KOM (2011) 287. 1096 ABl. EU L 157 vom 15. 6. 2016, S. 1. Zum Gesetzgebungsverfahren siehe Verfahren 2013/0402/COD; v. a. den Vorschlag KOM (2013) 813.

1097 Fn. 303. 1098 Siehe das Grünbuch über unlautere Handelspraktiken in der B2B-Lieferkette für Lebensmittel und NichtLebensmittel in Europa KOM (2013) 37; dazu Witt/Freudenberg WRP 2013, 990; Göckler Angstfaktor und unlautere Handelspraktiken (2017); daran anknüpfend den Vorschlag für eine Richtlinie über unlautere Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Lebensmittelversorgungskette, KOM (2018) 173. 1099 ABl. EU L 111 vom 25. 4. 2019, S. 59; PE-CONS 4/2/19 REV 2. Zum Gesetzgebungsverfahren 2018/0082 (COD). Siehe auch Bericht der Kommission über unlautere Handelspraktiken zwischen Unternehmen in der Lebensmittelversorgungskette KOM (2016) 32. 1100 ABl. EU L 186 vom 11. 7. 2019, S. 57; Ratsdokument Nr. 8439/19 (Englisch). Dazu den Vorschlag KOM (2018) 238 und das Verfahren 2018/0112 (COD); ferner Busch GRUR 2019, 788; Voigt/Reuter MMR 2019, 783; Wais EuZW 2019, 221. 1101 KOM (2001) 531. In der Sache zielte das Grünbuch allein auf die Regelung „lauterere/guter Geschäftspraktiken“, KOM (2001) 531 S. 2. Zum Grünbuch auch die Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses, ABl. C 125 vom 27. 5. 2002, S. 1.

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samt Mitteilung zu den Folgemaßnahmen1102 vorbereiteten Gesetzgebungsinitiative der Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz,1103 die im Jahr 2003 in einen Kommissionsvorschlag für eine Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken mündete.1104 Während die parallel von der Generaldirektion Binnenmarkt lancierten Vorschläge für eine Verordnung über Verkaufsförderung im Binnenmarkt1105 später aufgegeben wurden,1106 fand der Richtlinienvorschlag der Generaldirektion Verbraucherschutz breite Unterstützung1107 in Parlament1108 und Rat,1109 so dass bald ein Gemeinsamer Standpunkt vom Rat festgelegt werden konnte.1110 Dieser Standpunkt wurde von der Kommission unterstützt1111 und auch im Parlament in zweiter Lesung trotz zahlreicher Änderungsanträge nur noch marginal geändert.1112 Nachdem die Änderungen von Kommission1113 und Rat1114 akzeptiert wurden, ist die Richtlinie 2005/29/EG am 12. Juni 2005 in Kraft getreten und seit dem 12. Dezember 2007 von den Mitgliedstaaten anzuwenden (Art. 19, 20 RL 2005/29/EG). Die Umsetzung und Anwendung der Richtlinie ist inzwischen Gegenstand verschiedener Untersuchungen.1115 Zudem liegen (unverbindliche1116) Leitlinien, Berichte und 1102 KOM (2002) 289. 1103 Eingehend zur Entstehungsgeschichte MünchKomm/Micklitz/Namyslowska Vorbemerkungen UGP-Richtlinie Rn. 15 ff.

1104 KOM (2003) 356; dazu auch das Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen SEK (2003) 724. Für eine Würdigung Keßler/Micklitz BB 2003, 2073; Schulte-Nölke/Busch ZEuP 2004, 99.

1105 Mitteilung der Kommission – Verkaufsförderung im Binnenmarkt, KOM (2001) 546; geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Verkaufsförderung im Binnenmarkt, KOM (2002) 585; siehe zuvor bereits das Grünbuch Kommerzielle Kommunikationen im Binnenmarkt, KOM (96) 192 und das dazugehörige Folgedokument KOM (98) 121; zu den Diskussionen Göhre WRP 2002, 36, 38 ff. 1106 KOM (2005) 462 S. 10 (Auflistung unter „Zurückzuziehende Vorschläge“). 1107 Siehe auch die Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses, ABl. C 108 vom 30. 4. 2004, S. 81. 1108 Bericht über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinien 84/450/EWG, 97/7/EG und 98/27/EG (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (KOM(2003) 356 – C50288/2003 – 2003/0134(COD)) vom 18. 3. 2004, A5–0188/2004 (mit Bekanntmachung ABl. C 104E vom 30. 4. 2004, S. 18); Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments, ABl. C 104E vom 30. 4. 2004, S. 260; zusammenfassend dazu (auch mit den Stellungnahmen der Kommission zu den Änderungsanträgen) das Ratsdokument Nr. 8492/04. 1109 2539. Tagung des Rates (Wettbewerbsfähigkeit (Binnenmarkt, Industrie und Forschung)) am 10. November 2003 in Brüssel, Ratsdokument Nr. 14132/03, S. 5; 2583. Tagung des Rates der Europäischen Union (Wettbewerbsfähigkeit (Binnenmarkt, Industrie und Forschung)) am 17. und 18. Mai 2004 in Brüssel, Ratsdokument Nr. 9586/04, S. 7 mit Anlage II und Entwurf für einen Gemeinsamen Standpunkt im Ratsdokument Nr. 9667/04; siehe auch das Papier der Ratspräsidentschaft, Ratsdokument Nr. 9475/04. Zu den einzelnen Ratsdokumenten siehe auch die Auflistung bei Gamerith WRP 2005, 391, 433 f. 1110 Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 6/2005, ABl. C 38 E vom 15. 2. 2005, S. 1; Ratsdokument Nr. 14472/04, S. 7 mit Begründung im Ratsdokument Nr. 11630/04 ADD 1. 1111 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, KOM (2004) 753, S. 3. 1112 Bericht betreffend den Gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (2003/ 0134(COD)), A6–0027/2005 (mit Bekanntmachung ABl. C 304E vom 1. 12. 2005, S. 144 f.); Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments, A6–0027/2005, ABl. C 304E vom 1. 12. 2005, S. 351. 1113 KOM (2005) 96 S. 3. 1114 653. Tagung des Rates der Europäischen Union „Wettbewerbsfähigkeit“ (Binnenmarkt, Industrie und Forschung) AStV (1. Teil) am 6. 4. 2005 gebilligt AStV (1. Teil) am 13. 4. 2005 gebilligt, Ratsdokument Nr. 8078/05. 1115 Siehe etwa Čeponytė/Schulte-Nölke/Busch Briefing Paper – Transposition and Enforcement of the Directive on unfair commercial practices (2005/29/EC) and the Directive concerning misleading and comparative advertising (2006/114/EC); Henning-Bodewig GRUR Int. 2010, 549, 559. 1116 OLG Brandenburg 26. 6. 2012 – 6 W 72/12 – Tz. 18 (juris).

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Mitteilungen der Kommission zur Anwendung der Richtlinie von 2009,1117 20131118 und 2016,1119 ein Bericht des Parlaments1120 sowie Anwendungsstudien1121 vor. Jüngst verabschiedet wurde die Richtlinie 2019/2161 zur besseren Durchsetzung und 236 Modernisierung der EU-Verbraucherschutzvorschriften,1122 die neben der Klauselrichtlinie 93/13/EWG, der Preisangabenrichtlinie 98/6/EG und der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU auch die Richtlinie über unlauterer Geschäftspraktiken 2005/29/EG als Teil eines „New Deal for Consumers“ ändert. Die übergeordneten Ziele dieser „Neugestaltung der Rahmenbedingungen für die Verbraucher“ sind die Schaffung neuer individueller Rechtsbehelfe der Verbraucher, mehr Transparenz für Verbraucher auf Online-Marktplätzen (dazu auch die VO 2019/1150), die Ausweitung des Verbraucherschutzes auf „kostenlose Dienste“ und die Entlastung für Unternehmen.1123 Die Änderungen der Richtlinie 2005/29/EG betreffen in den materiellen Vorschriften den 237 Definitionskatalog (Einbeziehung digitaler Dienstleistungenn und Inhalte in die Definition des Produkts in Art. 2 lit. c, neue Art. 2 lit. m und lit. n zur Definition von Ranking und OnlineMarktplatz), eine Öffnungsklausel zugunsten des nationalen Rechts bei Haustür- und Ausflugswerbung (Art. 3 Abs. 5, 6), eine Ergänzung des Irreführungstatbestands in Art. 6 Abs. 2 durch eine neue lit. c bei Vermarktung von Produkten als identisch mit den Produkten in anderen Mitgliedstaaten sowie verschiedene Anpassungen der Vorschrift zur Irreführung durch Unterlassen (Kürzung des Art. 7 Abs. 4 lit. d, neue lit. f in Art. 7 Abs. 4 sowie zwei neue Absätze in Art. 7 Abs. 4a und Art. 7 Abs. 6), die – mit Ausnahme der Kürzung des Art. 7 Abs. 4 lit. d – die Informationspflichten auf Online-Marktplätzen betreffen. Wesentliche Änderungen sind auch für die Rechtsfolgen vorgesehen: der neue Art. 11a Abs. 1 ordnet an, dass auch individuelle Verbraucher „Zugang zu angemessenen und wirksamen Rechtsbehelfen, einschließlich Ent1117 Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen – Leitlinien zur Umsetzung/Anwendung der Richtlinie 2005/29/ EG über unlautere Geschäftspraktiken, SEK (2009) 1666; dazu Blank/Tenkhoff GRURPrax 2010, 95.

1118 Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken Stärkung des Verbraucherschutzes Vertrauensbildung im Binnenmarkt, KOM (2013) 138; Erster Bericht (vgl. Art. 18 RL 2005/ 29/EG) über die Anwendung der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates („Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken“), KOM (2013) 139. 1119 Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen – Leitlinien zur Umsetzung/Anwendung der Richtlinie 2005/ 29/EG über unlautere Geschäftspraktiken – Begleitunterlage zur Mitteilung der Kommission Ein umfassendes Kontept zur Förderung des grenzüberschreitenden elektronischen Handels für die Bürger und Unternehmen Europas, SWD (2016) 163. 1120 Bericht über die Umsetzung, Durchführung und Durchsetzung der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und der Richtlinie 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung, A6–0514/2009 und die Entschließung P6_ TA(2009)0008. 1121 Study on the application of Directive 2005/29/EC on Unfair Commercial Practices in the EU, abrufbar unter www.civic-consulting.de; European Legal Studies Institute Osnabrück, Contribution to Growth: Legal Aspects of Protecting Consumers, abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2019/631066/IPOL_ STU(2019)631066_EN.pdf . 1122 Richtlinie (EU) 2019/2161 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019 zur Änderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinien 98/6/EG, 2005/29/EG und 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der Verbraucherschutzvorschriften der Union, ABl L 328 vom 18. 12. 2019, S. 7. Grundlage war der Vorschlag der Kommission KOM (2018) 185; zu den übergeordneten Zielen auch die Mitteilung der Kommission KOM (2018) 183; zum Gesetzgebungsverfahren siehe die Dokumente unter Verfahrensnummer 2018/0090 (COD). 1123 Mitteilung der Kommission KOM (2018) 183 S. 6. Siehe auch die Mitteilung der Kommission KOM (2016) 320 Ein umfassendes Konzept zur Förderung des grenzüberschreitenden elektronischen Handels für die Bürger und Unternehmen Europas.

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schädigung für den dem Verbraucher entstandenen Schaden sowie gegebenenfalls Preisminderung oder Kündigung des Vertrags“ haben. Außerdem wird die bisher nur sehr allgemeine Vorschrift über Sanktionen in Art. 13 RL 2005/29/EG durch eine „nicht erschöpfende und indikative“ Liste von „Zumessungskriterien“ ergänzt (Art. 13 Abs. 2) und der Rahmen für die Verhängung von Geldbußen nach Art. 21 VO 2017/2394 deutlich ausgeweitet (Art. 13 Abs. 3–5). Schließlich wird die „schwarze Liste“ in Anhang I zur Richtlinie um die neuen Nr. 11a (keine Offenlegung des Umstands, dass es sich um bezahlte Werbung handelt, bei der Angabe von Suchergebnissen), Nr. 23a (Weiterverkauf von Eintrittskarten, die unter Umgehung automatisierter Verfahren zur Beschränkung des Weiterverkaufs erworben wurden), Nr. 23b (Erklärung, dass Produktbewertungen von Verbrauchern stammen, ohne dass dies geprüft wurde) und Nr. 23c (Veröffentlichung falscher Bewertungen oder Empfehlungen von Verbrauchern) erweitert.

b) Regelungsziele 238 aa) Schutz wirtschaftlicher Verbraucherinteressen. Ziel der auf die Binnenmarktkompetenz des Art. 114 AEUV1124 gestützten Richtlinie 2005/29/EG ist es, „durch Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken, die die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher beeinträchtigen, zu einem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts und zum Erreichen eines hohen Verbraucherschutzniveaus beizutragen“ (Art. 1 RL 2005/29/EG).1125 Der Verbraucherschutz der Richtlinie 2005/29/EG zielt damit auf den Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher,1126 indem die informierte geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers1127 vor einer Beeinflussung durch irreführende, aggressive oder anderweitig unlautere Geschäftspraktiken umfassend bewahrt wird.1128 Das Ziel, die Verbraucher „umfassend“ vor unlauteren Geschäftspraktiken zu schützen, ist durch die Erwägung motiviert, „dass sich ein Verbraucher im Vergleich zu einem Gewerbetreibenden insbesondere hinsichtlich des Informationsniveaus in einer unterlegenen Position befindet, da er als wirtschaftlich schwächer und rechtlich weniger erfahren als sein Vertragspartner angesehen werden muss“.1129 Deshalb sind die Bestimmungen der Richtlinie „im Wesentlichen aus der Sicht des Verbrauchers als des Adressaten und Opfers unlauterer Geschäfts-

1124 Siehe den einleitenden Text vor den Erwägungsgründen: „gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 95“ (= Art. 114 AEUV). Soweit EuGH 19. 12. 2013 – C-281/12 – GRUR 2014, 196 Tz. 31 – Trento Sviluppo feststellt, „dass diese Richtlinie auf Art. 169 AEUV beruht“, bezieht sich dies wohl auf Erwägungsgrund 1 RL 2005/29/EG, wonach die Gemeinschaft bei den auf Art. 95 EG (heute Art. 114 AEUV) gestützten Maßnahmen „einen Beitrag zur Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus“ leistet. Dies stellt aber die Kompetenz aus Art. 114 AEUV nicht in Frage. 1125 So auch EuGH 16. 4. 2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 32 – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság; EuGH 26. 10. 2016 – C-611/14 – GRUR 2016, 1307 Tz. 25 – Canal Digital Danmark. 1126 Art. 1, Erwägungsgrund 6 Satz 1, 8 Satz 1 RL 2005/29/EG. Zum „hohen Verbraucherschutzniveau“ und möglichen Konsequenzen für das Verbraucherleitbild oben Rn. 159 und Scherer WRP 2013, 977 gegenüber Holm WRP 2013, 710. 1127 Art. 2 lit. e, j, k RL 2005/29/EG. Kritisch zum Begriff Bornkamm WRP 2012, 1 Fn. 1: „Nicht die Entscheidung kann informiert sein, sondern nur der Entscheidungsträger“. Die Regeln über aggressive Geschäftspraktiken schützen neben der Entscheidungs- auch die Verhaltensfreiheit des Verbrauchers (vgl. Art. 8 RL 2005/29/EG); Heizmann/ Loacker/Mayer § 3 Rn. 21: „freie Entscheidungsfindung des Verbrauchers gewährleisten“. 1128 Zum umfassenden Schutz des Verbrauchers als „wirtschaftlich schwächer[e] und rechtlich weniger erfahren[e]“ Partei EuGH 3. 10. 2013 – C-59/12 – EuZW 2013, 941 Tz. 35 – Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Siehe auch MünchKomm/Micklitz/Namyslowska Art. 1 UGP-Richtlinie Rn. 8 ff., die neben der Freiheit der Entscheidungsfindung Markttransparenz und Verbraucherinformation als Schutzzwecke nennen. 1129 EuGH 16. 4. 2015 – C-388/13 – ECLI:EU:C:2015:225 Tz. 53 – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság; EuGH 13. 9. 2018 – C-54/17 und C-55/17 – GRUR 2018, 1156 Tz. 54 – Wind.

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praktiken konzipiert“.1130 Die Richtlinie dient nicht dem Schutz anderer als wirtschaftlicher Interessen der Verbraucher (z. B. Gesundheitsschutz),1131 was allerdings eine gewisse Einstrahlung auch auf Regelungen mit nicht-wirtschaftlichen Schutzzielen nicht ausschließt (unten Rn. 295 ff.).

bb) Verhältnis zur Binnenmarktintegration. Das Verhältnis der beiden Regelungsziele Bin- 239 nenmarktintegration und Verbraucherschutz ist differenziert zu bestimmen. Soweit es um die externen Grenzen der Richtlinie geht, hat die Marktintegration Vorrang vor dem Verbraucherschutz, weil Art. 4 RL 2005/29/EG den Mitgliedstaaten verbietet, den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr aus Gründen einzuschränken, „die mit dem durch diese Richtlinie angeglichenen Bereich zusammenhängen“. Mit dieser Binnenmarktklausel wird klargestellt, dass die Richtlinie auf eine Vollharmonisierung der Vorschriften zielt, die die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher beeinträchtigen, so dass es den Mitgliedstaaten untersagt ist, weitergehende Verbraucherschutzvorschriften beizubehalten.1132 Innerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie allerdings, also bei der Auslegung der harmonisierten Bestimmungen, sind die Ziele eines hohen Verbraucherschutzniveaus und des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarktes gleichgewichtig, weil der Schutz der wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers sich in die Zielvorstellung eines unverzerrten Wettbewerbs im Binnenmarkt durch Schutz der wirtschaftlich unverzerrten Konsumentenentscheidungen einfügt.1133 Deshalb steht es auch nicht im Widerspruch zum Ziel der Binnenmarktintegration, wenn der EuGH das Ziel eines hohen Verbraucherschutzniveaus bei der Auslegung der Einzelvorschriften heranzieht.1134

cc) Mittelbarer Schutz rechtmäßig handelnder Mitbewerber. Dem Schutz rechtmäßig 240 handelnder Mitbewerber dient die Richtlinie nur mittelbar, indem sie ihnen ein gerichtliches oder behördliches Initiativrecht einräumt (Art. 11 Abs. 1 Satz 2 RL 2005/29/EG), um gegen Rechtsverstöße ihrer Konkurrenten vorzugehen, damit lauterer Wettbewerb in dem durch die

1130 EuGH 16. 4. 2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 52 – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság. 1131 Siehe Art. 3 Abs. 3, Erwägungsgrund 14 Satz 8 RL 2005/29/EG. 1132 EuGH 14. 1. 2010 – C-304/08 – Slg. 2010, I-217 Tz. 41 – Plus Warenhandelsgesellschaft; EuGH (Große Kammer) 9. 11. 2010 – C-540/08 – Slg. 2010, I-10909 Tz. 30 – Mediaprint; EuGH 30. 6. 2011 – C-288/10 – Slg. 2011, I-5835 Tz. 33 – Wamo; EuGH 10. 7. 2014 – C-421/12 – GRUR INT. 2014, 964 Tz. 55 – Kommission/Belgien; EuGH 26. 10. 2016 – C-611/ 14 – GRUR 2016, 1307 Tz. 26 – Canal Digital Danmark. Deshalb liegt in Art. 4 RL 2005/29/EG auch keine Festschreibung der Cassis-Doktrin, denn der Rückgriff auf die zwingenden Erfordernisse des Verbraucherschutzes und des lauteren Handelsverkehrs zur Rechtfertigung nationaler Grundfreiheitsbeschränkungen ist im Bereich sekundärrechtlicher Vollharmonisierung ausgeschlossen, Leistner ZEuP 2009, 56, 67 Fn. 58. 1133 Erwägungsgrund 8 Satz 2 RL 2005/29/EG; vgl. auch Veelken WRP 2004, 1, 4 f.; Leistner ZEuP 2009, 56, 59 f.; Glöckner Europäisches Lauterkeitsrecht (2006), S. 279 ff., 487 ff.; ders./Henning-Bodewig WRP 2005, 1311, 1313 f.; MünchKomm/Micklitz/Namyslowska Art. 1 UGP-Richtlinie Rn. 14; etwas enger Apetz Das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken (2011), S. 83: „übergeordneter Regelungszweck der UGP-RL allein das Ziel der Binnenmarktharmonisierung“. 1134 EuGH 12. 5. 2011 – C-122/10 – Slg. 2011, I-3903 Tz. 29 – Ving Sverige; EuGH 19. 12. 2013 – C-281/12 – GRUR 2014, 196 Tz. 31 f. – Trento Sviluppo. Zur Diskussion um einen Auslegungsgrundsatz „im Zweifel für den Verbraucher“ im Verbrauchervertragsrecht Tonner EuZW 2002, 403 f.; Rösler Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004), S. 6 f.; ders. RabelsZ 71 (2007) 495, 506 f. einerseits und Riesenhuber Die Auslegung in: Riesenhuber (Hrsg.) Europäische Methodenlehre, 3. Aufl. (2015), § 10 Rn. 57 ff. andererseits. Auch ein Grundsatz „im Zweifel für die Marktfreiheit“ (Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 21. 10. 2008 – C-261/07 und C-299/07 – Slg. 2009, I-2949 Tz. 81 – VTB-VAB und Galatea) dürfte sich infolge der Verpflichtung auf ein hohes Verbraucherschutzniveau nicht aus der Richtlinie 2005/29/EG ableiten lassen, Apetz Das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken (2011), S. 86.

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Richtlinie koordinierten Bereich gewährleistet wird.1135 Der Hinweis auf den lauteren Wettbewerb und das Klagerecht der Mitbewerber zeigen immerhin, dass der Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher nicht isoliert zu sehen ist, sondern sich in die Zielvorstellung eines unverzerrten Wettbewerbs im Binnenmarkt einfügt.1136

241 dd) Allgemeininteressen. Abgesehen von der Binnenmarktintegration erwähnt die Richtlinie nicht explizit den Schutz von Allgemeininteressen. Insofern empfiehlt sich eine Differenzierung. Soweit es um den Schutz des lauteren Wettbewerbs als Allgemeininteresse geht, so ergibt sich aus Erwägungsgrund 8 Satz 2 RL 2005/29/EG, dass die Richtlinie durch den mittelbaren Schutz rechtmäßig handelnder Mitbewerber „einen lauteren Wettbewerb in dem durch sie koordinierten Bereich“ gewährleisten soll. Zum Schutz anderer Allgemeininteressen finden sich in der Richtlinie kaum explizite Regeln. In erster Linie handelt es sich um Ausschlusstatbestände, so dass Allgemeininteressen über von der Richtlinie unberührte Nebengesetze1137 oder durch Ausnahmen zugunsten der Regelungshoheit der Mitgliedstaaten1138 verfolgt werden können (unten Rn. 295 ff.). Soweit im Zusammenhang mit dem Schutz der wirtschaftlichen Verbraucherinteressen Allgemeininteressen relevant werden, dürften sie – etwa über eine Rückbindung an die Garantien der Unionsgrundrechte – auf die Auslegung der Generalklausel des Art. 5 Abs. 2 lit. a RL 2005/29/EG ausstrahlen („berufliche Sorgfalt“) (oben Rn. 66).

242 ee) Kritik. Die Orientierung an der wirtschaftlich unverzerrten Konsumentenentscheidung als Leitmotiv der Richtlinie 2005/29/EG ist in jüngerer Zeit Gegenstand der Kritik. Verwiesen wird auf jüngere Erkenntnisse der behavioral economics, die dem Informationsmodell der Richtlinie und den damit verbundenen weitreichenden Informationspflichten (vgl. Art. 7 Abs. 4 und 5 RL 2005/29/EG) widersprächen, da ein solcher information overload vom Verbraucher nicht verarbeitet werden könne.1139 Auch seien in noch stärkerem Maße als vorgesehen (vgl. Art. 5 Abs. 3 RL 2005/29/EG) gruppen- und situationsabhängige Differenzierungen vorzusehen oder die vorgesehenen Differenzierungskriterien zu überprüfen.1140 Zudem seien die starren Informationspflichten der Richtlinie (vgl. Art. 7 Abs. 4, 5 RL 2005/29/EG) zugunsten flexibleren Richterrechts zu öffnen, um eine Überregulierung zu vermeiden.1141 243 Der Kritik ist zuzugeben, dass eine stärker empirie- und wirkungsorientierte Gesetzgebung ohne Zweifel wünschenswert ist.1142 Insbesondere dürften die umfangreichen vorvertraglichen Informationen heutzutage eher von klageinteressierten Mitbewerbern und Fachverbänden denn 1135 Erwägungsgrund 6 Satz 1, 8 Satz 2 RL 2005/29/EG. Fezer WRP 2010, 677, 680 sieht im Mitbewerberschutz lediglich einen „objektiven Reflex“ zum Verbraucherschutz. Zum Mitbewerberschutz siehe auch die Vorschläge im Grünbuch über unlautere Handelspraktiken in der B2B-Lieferkette für Lebensmittel und Nicht-Lebensmittel in Europa, KOM (2013) 37, dazu Witt/Freudenberg WRP 2013, 990. 1136 Veelken WRP 2004, 1, 4 f.; Leistner ZEuP 2009, 56, 59 f.; Glöckner Europäisches Lauterkeitsrecht (2006), S. 279 ff., 487 ff.; ders./Henning-Bodewig WRP 2005, 1311, 1313 f.; Brömmelmeyer GRUR 2007, 295 ff. 1137 Z. B. der Jugendschutz über die Richtlinie 2010/13/EU. 1138 Etwa die „Kulturklausel“ in Erwägungsgrund 7 Satz 2–4 oder die zahlreichen Ausnahmen in Erwägungsgrund 9 Satz 2: Sicherheit und Gesundheitsschutz, Glücksspiel, Wettbewerbsregeln. 1139 Leistner ZEuP 2009, 56, 74 f. 1140 Zur Kritik Stuyck/Terryn/van Dyck CMLR 43 (2006) 107, 121 f.; Leistner ZEuP 2009, 56, 72 ff.; ausführlich ders. ZGE 2009, 3, 41 ff.; ders. in: Fleischer/Zimmer (Hrsg.) Beitrag der Verhaltensökonomie (Behavioral Economics) zum Handels- und Wirtschaftsrecht (2011), S. 122, 167 f.; Glöckner Europäisches Lauterkeitsrecht in: Schulze/Zuleeg/ Kadelbach (Hrsg.) Europarecht – Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 3. Aufl. (2015) § 17 Rn. 59; Leible/ Schäfer WRP 2012, 32. Speziell zum Belästigungsschutz Leistner Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb (2007), S. 666 ff. 1141 Leistner ZGE 2009, 3, 46. 1142 So auch Leistner ZGE 2009, 3, 54: Schwerpunkt „ersichtlich im legislativen Bereich“.

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von Verbrauchern rezipiert werden. Allerdings sollte nicht vergessen werden, dass die Regeln des Europäischen Lauterkeitsrechts in allen Mitgliedstaaten und allen Gerichtssystemen subsumierbar bleiben müssen. Eine stärkere Flexibilisierung der lauterkeitsrechtlichen Normen hätte wohl nicht einen größeren Einfluss der Rechtsempirie zur Folge, sondern vor allem eine uneinheitliche, möglicherweise sogar willkürliche Auslegung der offenen Tatbestände durch nationale Gerichte, die letztlich den Harmonisierungseffekt kompromittieren könnte. Dies gilt auch für Regeln über Informationspflichten, bei denen im Zweifel durch eine 244 detaillierte (und so weit wie möglich abschließende) Regelung mehr europaweite Einheitlichkeit hergestellt werden kann als durch offene Generalklauseln, die die nationalen Gerichte zur Fortschreibung ihrer bisherigen Rechtsprechung unter neuem Oberbegriff einladen. Auch ist nicht zu verkennen, dass die Bemühungen um einen more economic approach im Kartellrecht eher auf reservierte Skepsis denn auf offene Begeisterung beim Gerichtshof gestoßen sind.1143 Und schließlich lassen sich die Ziele der europäischen Gesetzgebung nicht allein auf (verhaltens-)ökonomische Kriterien reduzieren, denn es geht – ganz abgesehen von der Ausdifferenzierung in Art. 2 und 3 EUV – auch bei der Binnenmarktintegration mindestens ebenso sehr um Integration wie um Binnenmarkt, so dass sogar aus Sicht der Ökonomik problematische Maßnahmen wie eine Preisregulierung durch die Binnenmarktkompetenz gerechtfertigt sein können.1144

c) Harmonisierungstiefe und Binnenmarktklausel. Gemäß Art. 4 RL 2005/29/EG dürfen die 245 Mitgliedstaaten „den freien Dienstleistungsverkehr und den freien Warenverkehr nicht aus Gründen, die mit dem durch diese Richtlinie angeglichenen Bereich zusammenhängen, einschränken“. Innerhalb ihres sachlichen Anwendungsbereichs zielt die Richtlinie 2005/29/EG damit auf eine Vollharmonisierung,1145 so dass es den Mitgliedstaaten untersagt ist, über das Schutzniveau der Richtlinie hinauszugehen,1146 und zwar auch dann, wenn mit den nationalen Vorschriften ein höheres Verbraucherschutzniveau erreicht werden soll.1147 Verboten ist es daher insbesondere, nicht in Anhang I genannte Geschäftspraktiken generell zu verbieten, ohne eine individuelle Prüfung der „Unlauterkeit“ dieser Praktiken anhand der Art. 5–9 RL 2005/29/EG vorzunehmen (Erwägungsgrund 17 RL 2005/29/EG).1148 Dies gilt nicht nur für Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit und des Warenverkehrs i. S. d. Beeinträchtigungsbegriffs der Grund-

1143 Zu Art. 101 AEUV EuGH 4. 6. 2009 – C-8/08 – Slg. 2009, I-4529 Tz. 29 ff. – T-Mobile Netherlands: konkrete Auswirkungen einer abgestimmten Verhaltensweise brauchen nicht berücksichtigt zu werden, wenn die abgestimmte Verhaltensweise eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckt; EuGH 6. 10. 2009 – C-501/06 P, C-513/06 P, C515/06 P und C-519/06 P – Slg. 2009, I-9291 Tz. 63 – GlaxoSmithKline: Schutz auch der Marktstruktur durch Art. 101 AEUV; zu Art. 102 AEUV EuGH 15. 3. 2007 – C-95/04 P – Slg. 2007, I-2331 Tz. 106 – British Airways; EuGH 17. 2. 2011 – C-52/09 – Slg. 2011, I-527 Tz. 24 – TeliaSonera; ausführlich Frenz WRP 2013, 428. 1144 EuGH (Große Kammer) 8. 6. 2010 – C-58/08 – Slg. 2010, I-4999 Tz. 47 – Vodafone. 1145 Zur Unterscheidung des sachlichen Anwendungsbereichs und des Harmonisierungsgrads von Richtlinien wird in der Literatur eine uneinheitliche Terminologie verwendet, siehe den Überblick bei Schaub ZEuP 2011, 41, 43; allgemein zur Vollharmonisierung Reich ZEuP 2010, 7. 1146 EuGH 23. 4. 2009 – C-261/07 und C-299/07 – Slg. 2009, I-2949 Tz. 41 – VTB-VAB; EuGH 14. 1. 2010 – C-304/08 – Slg. 2010, I-217 Tz. 41 – Plus Warenhandelsgesellschaft; EuGH (Große Kammer) 9. 11. 2010 – C-540/08 – Slg. 2010, I10909 Tz. 30 – Mediaprint; EuGH 30. 6. 2011 – C-288/10 – Slg. 2011, I-5835 Tz. 33 – Wamo; EuGH 19. 10. 2017 – C-295/ 16 – GRUR 2018, 303 Tz. 39 – Europamur. Siehe auch Erwägungsgrund 12 Satz 1 („an einem einzigen Rechtsrahmen zu orientieren“), Erwägungsgrund 13 Satz 1 („die in den Mitgliedstaaten existierenden Generalklauseln und Rechtsgrundsätze zu ersetzen“), Erwägungsgrund 14 Satz 5 („in dieser Richtlinie vorgesehene vollständige Angleichung“) und Erwägungsgrund 15 Satz 4 RL 2005/29/EG („durch diese Richtlinie eingeführten vollständigen Angleichung“). 1147 EuGH 10. 7. 2014 – C-421/12 – GRUR Int. 2014, 964 Tz. 55 – Kommission/Belgien; EuGH 26. 10. 2016 – C-611/ 14 – GRUR 2016, 1307 Tz. 26 – Canal Digital Danmark. 1148 EuGH 14. 1. 2010 – C-304/08 – Slg. 2010, I-217 Tz. 41, 45, 53 – Plus Warenhandelsgesellschaft; EuGH 10. 7. 2014 – C-421/12 – GRUR Int. 2014, 964 Tz. 56, 61 – Kommission/Belgien.

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freiheiten, sondern auch für andere Regeln, die als Verkaufsmodalitäten i. S. d. Keck-Doktrin oder mangels einer Marktzugangsbehinderung oder mangels eines grenzüberschreitenden Bezugs die Schwelle zur Beeinträchtigung der Grundfreiheiten nicht überschreiten.1149 246 Weitergehende nationale Vorschriften sind daher nur mit der Richtlinie vereinbar, soweit sie aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen sind1150 oder sich im Rahmen der Öffnungsklauseln zur Mindestharmonisierung (Art. 3 Abs. 5, Art. 3 Abs. 8 und Art. 3 Abs. 9 RL 2005/29/EG1151) bewegen. Gewisse implizite Grenzen der Vollharmonisierung ergeben sich zudem durch die faktische Delegation von Regelungsautonomie an mitgliedstaatliche Gerichte, denen es der EuGH zumindest in der Anwendung im Einzelfall überlassen wird, die offenen Tatbestände der Richtlinie, insbesondere die Generalklausel des Art. 5 Abs. 2 RL 2005/29/EG, anhand der unionsrechtlichen Vorgaben zu konkretisieren.1152 Zudem beschränkt sich die Richtlinie auch bei den Rechtsfolgen nach dem Vorbild der Irreführungsrichtlinie 2006/114/EG auf eine Mindestharmonisierung1153 (Art. 11–13 RL 2005/29/EG) und überlässt die Ausgestaltung der Sanktionen – in den allgemeinen Grenzen des Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatzes – den nationalen Gesetzgebern.1154 247 Wie gezeigt liegt der Sinn der Binnenmarktklausel in Art. 4 RL 2005/29/EG zunächst darin, für den Anwendungsbereich der Richtlinie das Ziel der Vollharmonisierung auszusprechen. Demgegenüber kann Art. 4 RL 2005/29/EG nicht entnommen werden, dass über den Anwendungsbereich der Richtlinie hinaus auch in einem benachbarten „Zusammenhangsbereich“ die Rechtfertigung von Grundfreiheitsbeschränkungen durch Rückgriff auf die zwingenden Erfordernisse ausgeschlossen sein soll.1155 Gegen eine solche Auslegung spricht – abgesehen vom engeren Wortlaut der englischen und französischen Sprachfassung1156 – vor allem, dass die Verbotstatbestände der Richtlinie auf den Schutz wirtschaftlicher Verbraucherinteressen zugeschnitten sind. Erstreckte man die Vollharmonisierung nun auch auf mitgliedstaatliche Regeln, die anderen Zwecken als dem Schutz wirtschaftlicher Verbraucherinteressen dienen, so würde dies nicht nur die expliziten Anwendungsbereichsausnahmen der Richtlinie missachten (Art. 3 1149 Ohly/Sosnitza Einf C Rn. 74; siehe auch Leistner ZEuP 2009, 56, 71, der auch bei den aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommenen „gesetzlichen Anforderungen in Fragen der guten Sitten und des Anstands“ (Erwägungsgrund 7 Satz 3 RL 2005/29/EG) die Ausnahme von Verkaufsmodalitäten aus der Grundfreiheitenkontrolle nicht mehr anwenden will. Darüber hinaus wird aus Art. 4 RL 2005/29/EG z. T. abgeleitet, dass bei den befristet zugelassenen strengeren Regeln (Art. 3 Abs. 5 RL 2005/29/EG) der Verweis auf die Grundfreiheiten dergestalt modifiziert wird, dass auch Verkaufsmodalitäten der Verhältnismäßigkeitsprüfung genügen müssen, Ohly WRP 2006, 1401, 1412. M. E. ergibt sich dies bereits aus unmittelbar aus Art. 3 Abs. 5 RL 2005/29/EG: „Diese Maßnahmen müssen unbedingt erforderlich sein“. BTDrucks. 16/10145 S. 15 sieht in Art. 4 RL 2005/29/EG nur einen deklaratorischen Hinweis auf die Grundfreiheiten. 1150 Insbesondere nicht dem Schutz wirtschaftlicher Verbraucherinteressen dienen, z. B. gesundheitsbezogene Vorschriften (Art. 3 Abs. 3 RL 2005/29/EG), oder das Vertragsrecht (Art. 3 Abs. 2 RL 2005/29/EG), das mittelbar über Art. 6 Abs. 1 lit. c RL 2005/29/EG die „Verpflichtungen des Gewerbetreibenden“ definieren kann. 1151 Siehe auch Erwägungsgrund 14 Satz 4 zu nationalen Kennzeichnungsvorschriften. 1152 Vgl. zu Tatsachenfragen EuGH 18. 6. 2009 – C-487/07 – Slg. 2009, I-5185 Tz. 33 – L’Oréal; für die „konkrete Prüfung des Grades an Substitution“ i. S. d. Art 4 lit. b RL 2006/114/EG EuGH 18. 11. 2010 – C-159/09 – Slg. 2010, I11761 Tz. 33 – Lidl SNC. Zur Anwendung und Auslegung des Unionsrechts oben Rn. 17 ff. Siehe allerdings die ausführliche Definition der Kriterien für die Anwendung der Generalklausel in EuGH 7. 9. 2016 – C-310/15 – GRUR 2016, 1180 Tz. 32 ff. – Sony Europe. 1153 Dazu Alexander GRUR Int. 2005, 809. 1154 Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 14. 2. 2012 – C-618/10 – NJW 2012, 2257 Tz. 104 f. – Calderón Camino; BGH 23. 10. 2008 – IX ZR 111/07 – ZIP 2009, 37 Tz. 10 (zur insolvenzrechtlichen Qualifikation von Gewinnzusagen); Augenhofer WRP 2006, 169, 173. Stuyck/Terryn/van Dyck CMLR 43 (2006) 107, 136 gehen davon aus, dass die Richtlinie auch die Wahl zwischen öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Durchsetzung lasse; kritisch Köhler/Lettl WRP 2003, 1019, 1047 f.; weniger kritisch Leistner ZEuP 2009, 56, 80. 1155 So Veelken WRP 2004, 1, 14; Gamerith WRP 2005, 391, 409, 411. 1156 „Reasons falling within the field approximated by this Directive“; „raisons relevant du domaine dans lequel la présente directive vise au rapprochement des dispositions en vigueur“.

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Abs. 3 RL 2005/29/EG).1157 Zudem käme es entweder zu einer – von der Richtlinie nicht bezweckten – generellen Unzulässigkeit der Beschränkung von Geschäftspraktiken aus anderen Gründen als zum Schutz wirtschaftlicher Verbraucherinteressen,1158 oder es müssten Verbote von Praktiken im Interesse des Gesundheits- oder Mitbewerberschutzes generell an der Generalklausel des Art. 5 Abs. 2 RL 2005/29/EG gemessen werden, die darauf nicht ausgerichtet ist. Schließlich wird diskutiert, ob Art. 4 RL 2005/29/EG ein sachrechtliches Herkunftsland- 248 prinzip zu entnehmen ist, das einen wettbewerbsrechtlichen Günstigkeitsvergleich zwischen Marktort- und Herkunftslandrecht erforderlich macht.1159 Auf den ersten Blick erscheint diese Frage durch die Vollharmonisierung irrelevant. Andererseits zeigt die Erfahrung mit anderen vollharmonisierenden Rechtsakten, dass sich regelmäßig trotz der Vollharmonisierung bei der Anwendung der jeweiligen nationalen Umsetzungsnormen als Teil des Marktortrechts (Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO)1160 Unterschiede im Vergleich zur Auslegung und Anwendung des harmonisierten Rechts im Herkunftsland ergeben können. Zwar sind solche Unterschiede in erster Linie durch Vorlagefragen an den Gerichtshof aufzulösen.1161 Indes lassen sich die Divergenzen auf diesem Weg nicht in allen Fällen ausräumen, sei es weil eine Vorlage aus prozessualen Gründen untunlich ist (z. B. im Eilrechtsschutz), sei es aber auch, weil der Gerichtshof – selbst wenn man von einer uneingeschränkten Konkretisierungskompetenz bei Generalklauseln ausgeht – die Subsumtion im Einzelfall regelmäßig den nationalen Gerichten überlässt.1162 Allerdings lässt sich in einem solchen Fall aus Art. 4 RL 2005/29/EG keine Verpflichtung 249 auf die Auslegungspraxis des Herkunftsstaates ableiten. Gegen eine solche Lesart spricht – abgesehen von Gründen der Prozessökonomie (Ermittlung ausländischer Anwendungspraxis auch in Eilverfahren) – nicht nur der Umstand, dass das im ursprünglichen Kommissionsvorschlag noch vorgesehene Herkunftslandprinzip im Gesetzgebungsverfahren gestrichen wurde.1163 Es kommt hinzu, dass grundsätzlich die Gerichte der Mitgliedstaaten in eigener Verantwortung zur Auslegung des Unionsrechts verpflichtet sind, ohne an die Auslegungspraxis anderer Mitgliedstaaten gebunden zu sein. Würde man in grenzüberschreitenden Fällen der Auslegung des Herkunftsmitgliedstaates gegenüber derjenigen des Marktortes den Vorzug geben, so hätte dies zwar eine einheitliche Praxis im Marktort- und im Herkunftsstaat zur Folge, allerdings um den Preis einer uneinheitlichen Auslegung desselben Unionsrechtsaktes innerhalb des Marktortstaates, was den Gedanken der Einheitlichkeit der Wettbewerbsregelung1164 für alle Marktteilnehmer untergraben würde. Erwägen mag man allenfalls, nach gerichtlicher oder behördlicher Überprüfung der Geschäftspraktik in einem Mitgliedstaat eine Vermutung

1157 Auch mag man zweifeln, ob ein sinnvoller Anwendungsbereich für ein Anerkennungsprinzip jenseits des angeglichenen Bereichs erkennbar ist, Leistner Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb, S. 391 f.

1158 Apetz Das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken (2011), S. 209. 1159 Abbamonte The Unfair Commercial Practices Directive and its General Prohibition in: Weatherhill/Bernitz (Hrsg.) The Regulation of Unfair Commercial Practices under EC Directive 2005/29/EC (2007), S. 11, 19; tendenziell auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 90; ausführlich Klass Einleitung D Rn. 154 ff. 1160 Stuyck/Terryn/van Dyck CMLR 43 (2006) 107, 142 f.; siehe auch KOM (2004) 753, S. 5. 1161 Ohly WRP 2006, 1401, 1412; Brömmelmeyer GRUR 2007, 295, 300 f.; Leistner ZEuP 2009, 56, 67 f.; Busch Unlauterer Wettbewerb in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.) Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Aufl. (2010), Kapitel 25 Rn. 39. 1162 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 90, der auf die Freiburger Kommunalbauten-Rechtsprechung verweist. Selbst wenn man diese nicht auf das Lauterkeitsrecht übertragen will, bleibt die Tatsachenermittlung und Subsumtion im Einzelfall Aufgabe der nationalen Gerichte und kann daher unterschiedlich gehandhabt werden. Im lauterkeitsrechtlichen Kontext nun auch EuGH 7. 9. 2016 – C-310/15 – GRUR 2016, 1180 Tz. 37, 41 – Sony Europe: „obliegt es dem nationalen Gericht“. 1163 Zur Streichung des Art. 4 Abs. 1 des ursprünglichen Kommissionsvorschlags siehe die Ratsdokumente Nr. 9217/04 S. 3, Nr. 8821/04, Nr. 7799/04 und Nr. 5668/04. 1164 Der Art. 6 Rom II-VO zugrunde liegt, vgl. KOM (2003) 427 S. 17: „Die Vorschriften über den unlauteren Wettbewerb sollen einen fairen Wettbewerb sicherstellen, indem für alle Wettbewerber dieselben Regeln gelten“.

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der Vereinbarkeit mit der Richtlinie 2005/29/EG anzunehmen,1165 die allerdings aus prozessualen Gründen der Rechtskraftbeschränkung und des fairen Verfahrens für personenverschiedene Verfahrensbeteiligte allenfalls indizielle Wirkung für Folgeverfahren in anderen Staaten haben kann.

250 d) Systematische Stellung innerhalb des Unionsrechts. Zumindest im Verhältnis zu den verbraucherschützenden Vorschriften des Europäischen Lauterkeitsrechts stellt die Richtlinie 2005/29/EG regelungstechnisch den allgemeinen Teil dar.1166 So gehen gemäß Art. 3 Abs. 4 RL 2005/29/EG andere Rechtsvorschriften der Union, die besondere Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken regeln, der Richtlinie 2005/29/EG vor (Erwägungsgrund 10 Satz 3 RL 2005/29/EG).1167 Sieht der speziellere Rechtsakt allerdings nur eine Mindestharmonisierung der Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern vor, so bewirkt die Richtlinie 2005/29/EG eine Vollharmonisierung der Materie,1168 denn sonst wären die expliziten Öffnungsklauseln für die Mindestharmonisierung in Art. 3 Abs. 5 und Art. 3 Abs. 9 RL 2005/29/EG überflüssig.1169 Ebenso bleiben Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten in Bezug auf Gesundheits- und Sicherheitsaspekte (Art. 3 Abs. 3 RL 2005/29/EG) und mitgliedstaatliche Regeln für reglementierte Berufe (Art. 3 Abs. 8 RL 2005/29/EG) sowie strengere Vorschriften für Finanzdienstleistungen und Immobilien (Art. 3 Abs. 9 RL 2005/29/EG) von der Richtlinie 2005/29/EG unberührt. 251 Die Stellung der Richtlinie 2005/29/EG als allgemeiner Teil des unionalen Lauterkeitsrechts bedeutet allerdings nicht, dass sie bei Eingreifen speziellerer Vorschriften insgesamt unanwendbar wäre. Vielmehr stellt sie eine subsidiäre Auffangordnung dar, die den Verbrauchern „in den Fällen Schutz [bietet], in denen es keine spezifischen sektoralen Vorschriften auf Gemeinschaftsebene gibt“ (Erwägungsgrund 10 Satz 4 RL 2005/29/EG).1170 Der Vorrang besonderer Rechtsvorschriften reicht nur soweit, wie diese „besondere Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken regeln“ und „Gewerbetreibenden ohne jeglichen Gestaltungsspielraum Verpflichtungen auferlegen, die mit denen aus der Richtlinie 2005/29 unvereinbar sind“.1171 Die Richtlinie 2005/29/ EG bleibt also im Bereich spezifischer Vorschriften des Unionsrechts oder (soweit zulässig) des nationalen Rechts anwendbar, soweit keine spezifischen Vorschriften des Unionsrechts existieren, die spezielle Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken regeln;1172 in diesen Fällen „kollidieren“ die Bestimmungen der allgemeinen Richtlinie 2005/29/EG nicht mit den besonderen Rechtsvorschriften, sondern ergänzen sie (unten Rn. 323 ff.). Dies betrifft zunächst den Fall, dass das Unionsrecht weder sektorspezifische primäre Verhaltenspflichten noch Sanktionen vorsieht.

1165 Stuyck/Terryn/van Dyck CMLR 43 (2006) 107, 119 f. 1166 EuGH 16. 7. 2015 – C-544/13 und C-545/13 – GRUR 2015, 1028 Tz. 80 – Abcur AB: „Die Richtlinie 2001/83, die spezielle Vorschriften für die Arzneimittelwerbung enthält, stellt eine Sonderregelung gegenüber der in der Richtlinie 2005/29 vorgesehenen allgemeinen Regelung dar, die die Verbraucher vor unlauteren Geschäftspraktiken der Unternehmen schützt“; Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 29. 11. 2011 – C-453/10 – BeckRS 2011, 81770 Tz. 89 – Pereničová: RL 2005/29/EG als „allgemeines Regelungswerk gegenüber speziellen Regelungen, wie etwa der Richtlinie 93/13“. 1167 Für die Annahme einer spezielleren Regelung reicht es allerdings nicht aus, in sektorspezifischen Richtlinien auf allgemeine Grundsätze wie das „Allgemeinwohl“ oder die „Lauterkeit des Geschäftsverkehrs“ zu verweisen, KOM (2003) 356, S. 12 Rn. 44. 1168 Vgl. Stuyck/Terryn/van Dyck CMLR 43 (2006) 107, 141 f. 1169 Allgemein zur Kollision von Informationspflichten in Richtlinien Schmidt-Kessel GPR 2011, 79. 1170 KOM (2003) 356, S. 12 Rn. 45: „Richtlinie ergänzt also bestehende wie künftige Vorschriften“. 1171 EuGH 13. 9. 2018 – C-54/17 und C-55/17 – GRUR 2018, 1156 Tz. 61 – Wind: Nur insoweit liegt ein „kollidieren“ i. S. d. Art. 3 Abs. 4 RL 2005/29/EG vor. 1172 EuGH 16. 7. 2015 – C-544/13 und C-545/13 – GRUR 2015, 1028 Tz. 79, 82 – Abcur AB; EuGH 13. 9. 2018 – C-54/ 17 und C-55/17 – GRUR 2018, 1156 Tz. 68 f. – Wind.

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Es betrifft weiterhin den Fall, dass die besonderen Bestimmungen1173 zwar im Interesse des Verbraucherschutzes bestimmte (Informations-)Pflichten für Verträge mit Verbrauchern normieren, jedoch keine vollständige Harmonisierung des Verbraucherschutzes und insbesondere keine vollständige Harmonisierung unlauterer Geschäftspraktiken vorsehen.1174 Es betrifft außerdem den Fall, dass die Sondervorschriften gesundheitliche oder sicherheitsrelevante Risiken adressieren, der Verbraucher aber über wirtschaftliche Umstände in die Irre geführt wird (unten Rn. 296 f.). Schließlich kommt es zu einer Verzahnung des allgemeinen Verbots- und Sanktioneninstru- 252 mentariums der Richtlinie 2005/29/EG mit sektoriellen Primärpflichten ohne eigene Sanktionsregelung, indem die im Unionsrecht festgelegten Informationsanforderungen1175 in Bezug auf kommerzielle Kommunikation als wesentlich im Sinne des allgemeinen Irreführungsverbots gelten (Art. 7 Abs. 5, Erwägungsgrund 15 Satz 4 RL 2005/29/EG1176) oder indem das allgemeine Verbot unlauterer Geschäftspraktiken in Art. 5 Abs. 2 RL 2005/29/EG zur Durchsetzung sektorspezifischer Verhaltensstandards genutzt werden kann, indem der Maßstab der „beruflichen Sorgfalt“ (Art. 5 Abs. 2 lit. a RL 2005/29/EG) anhand sektorspezifischer Regeln bestimmt wird (vgl. Erwägungsgrund 20 Satz 2 RL 2005/29/EG).

e) Anwendungsbereich. Ausgangspunkt zur Bestimmung des Anwendungsbereichs der Richt- 253 linie 2005/29/EG ist Art. 3 Abs. 1 RL 2005/29/EG. Nach dieser Vorschrift gilt die Richtlinie für „unlautere Geschäftspraktiken im Sinne des Artikels 5 von Unternehmen gegenüber Verbrauchern vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts“, soweit es (auch) um den Schutz der wirtschaftlichen Verbraucherinteressen und nicht lediglich um den Schutz der Interessen der Mitbewerber1177 oder anderer als wirtschaftlicher Interessen der Verbraucher1178 geht. Darüber hinaus ist die Vollharmonisierung durch Ausnahmen für bestimmte Materien (insbesondere Regeln für reglementierte Berufe, Art. 3 Abs. 8 und Finanzdienstleistungen und Immobilien, Art. 3 Abs. 91179) eingeschränkt. Sieht man von dem zur Anwendungsbereichsbestimmung untauglichen, weil bereits auf 254 den Inhalt der Richtlinie durchgreifenden Kriterium der „unlauteren Geschäftspraktiken im Sin1173 Wie etwa die Art. 1 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2002/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und diensten (ABl. 2002, L 108, S. 51) in der durch die Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 (ABl. 2009, L 337, S. 11) geänderten Fassung. 1174 EuGH 13. 9. 2018 – C-54/17 und C-55/17 – GRUR 2018, 1156 Tz. 64 ff. – Wind. 1175 Beispiele in Anhang II RL 2005/29/EG. 1176 EuGH 16. 7. 2015 – C-544/13 und C-545/13 – GRUR 2015, 1028 Tz. 78 – Abcur AB. Zur abschließenden Regelung der wettbewerblichen Sanktionierung von Informationspflichten BGH 4. 2. 2010 – I ZR 66/09 – GRUR 2010, 852 Tz. 15 – Gallardo Spyder; OLG Frankfurt 12. 4. 2011 – Az. 11 U 5/11 (Kart) – ZNER 2011, 629 Tz. 26 (juris) (ein Verstoß gegen über die RL 2009/72/EG hinausgehende Informationspflichten gemäß § 42 Abs. 2 EnWG darf nicht über § 4 Nr. 11 a. F. UWG sanktioniert werden); zur Zulässigkeit der über Art. 6 lit. c RL 2000/31/EG hinausgehenden Informationspflichten außerhalb des elektronischen Geschäftsverkehrs BGH 11. 3. 2009 – I ZR 194/06 – GRUR 2009, 1064 Tz. 15 f. – Geld-zurück-Garantie II (zu § 4 Nr. 4 a. F. UWG); dazu auch Heermann WRP 2011, 688; zur Nichtangabe der Handelsregisternummer entgegen Art. 5 RL 2000/31/EG auch OLG Hamm 2. 4. 2009 – 4 U 213/08 – MMR 2009, 552 Tz. 17 (juris); zu lebensmittelrechtlichen Informationspflichten Peifer ZLR 2011, 161; Jahn/Schäfer ZLR 2011, 593. 1177 Erwägungsgrund 6 Satz 1, 3, Erwägungsgrund 8 Satz 1–3 RL 2005/29/EG; Leistner ZEuP 2009, 56, 80 ff.: außerhalb der Richtlinie lägen Anschwärzungen und persönliche Bezugnahme, wettbewerbsrechtlicher Geheimnis- und Leistungsschutz und die Verletzung außerwettbewerblicher Normen als Vorsprung durch Rechtsbruch. 1178 Art. 1, Erwägungsgrund 6 Satz 1, 8 Satz 1 RL 2005/29/EG. 1179 Zu einer entlegenen Grenze siehe auch Erwägungsgrund 14 Satz 5 RL 2005/29/EG: Vollständige Angleichung hindert Mitgliedstaaten nicht, „in ihren nationalen Rechtsvorschriften für bestimmte Produkte, zum Beispiel Sammlungsstücke oder elektrische Geräte, die wesentlichen Kennzeichen festzulegen, deren Weglassen bei einer Aufforderung zum Kauf rechtserheblich wäre“.

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ne des Artikels 5“ ab,1180 so ist der Anwendungsbereich der Richtlinie damit in fünf Schritten zu bestimmen: Es muss sich handeln um (aa) Geschäftspraktiken von (bb) Unternehmen gegenüber Verbrauchern, die (cc) nicht lediglich die Interessen der Mitbewerber oder (dd) andere als wirtschaftliche Interessen der Verbraucher berührt, und schließlich darf keine (ee, ff) Ausnahme eingreifen.

255 aa) Geschäftspraktiken. Unter Geschäftspraktiken1181 (Art. 3 Abs. 1 RL 2005/29/EG) versteht die Richtlinie1182 „jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerzielle Mitteilung (dazu Art. 2 lit. f RL 2000/31/EG; Art. 4 Nr. 12 RL 2006/123)1183 einschließlich Werbung (dazu Art. 2 lit. a RL 2006/114/EG)1184 und Marketing eines Gewerbetreibenden (unten Rn. 273 ff.), die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts (dazu Art. 2 lit. c RL 2005/29) an Verbraucher zusammenhängt“ (Art. 2 lit. d RL 2005/29/EG; zu Einzelheiten auch § 2 Rn. 15 ff.).1185 Der Oberbegriff der Geschäftspraktiken ist mit Blick auf die

1180 Zur Untauglichkeit dieses Kriteriums zur Anwendungsbereichsbestimmung der Richtlinie Glöckner WRP 2009, 1175, 1177; a. A. Burmeister Belästigung als Wettbewerbsverstoß (2006), S. 16. Begrenzte man bereits den Anwendungsbereich der Richtlinie auf die „unlauteren Geschäftspraktiken“ i. S. d. Art. 5 Abs. 2 RL 2005/29/EG, dann stünde es den Mitgliedstaaten frei, weiterhin nach der Richtlinie zulässige (lautere) Geschäftspraktiken einzuschränken, so dass das Ziel der Vollharmonisierung verfehlt würde. Auch der Gerichtshof stellt für den Anwendungsbereich darauf ab, ob es sich um „Geschäftspraktiken“ i. S. d. Richtlinie handelt, EuGH 4. 7. 2019 – C-393/17 – GRUR 2019, 846 Tz. 38 – Kirschstein. 1181 Singular Geschäftspraktik, nicht Geschäftspraxis, vgl. Fezer WRP 2006, 781, 785 Fn. 23. 1182 Zum Vergleich der „Geschäftspraktik“ i. S. d. Richtlinie und der geschäftlichen Handlung i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG Koch FS Köhler (2014), S. 359, 360: geschäftliche Handlung erfasst auch Verhalten gegenüber Mitbewerbern und (allein) mitbewerberschädigende Handlungen, die Bezugsförderung, die nach Art. 3 Abs. 2–10 RL 2005/ 29/EG ausgenommenen Bereich und Handlungen, die nicht die wirtschaftlichen Verbraucherinteressen beeinträchtigen, sondern die Verbraucher „nur“ belästigen (§ 7 UWG). 1183 Zum Begriff der kommerziellen Mitteilung (kommerziellen Kommunikation, die uneinheitliche Terminologie beruht auf Übersetzungsungenauigkeiten, Glöckner/Henning-Bodewig WRP 2005, 1311, 1325 f. Fn. 96) Art. 2 lit. f RL 2000/31/EG (nunmehr auch Art. 4 Nr. 12 RL 2006/123/EG): „alle Formen der Kommunikation, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen oder des Erscheinungsbilds eines Unternehmens, einer Organisation oder einer natürlichen Person dienen, die eine Tätigkeit in Handel, Gewerbe oder Handwerk oder einen reglementierten Beruf ausübt; die folgenden Angaben stellen als solche keine Form der kommerziellen Kommunikation dar: – Angaben, die direkten Zugang zur Tätigkeit des Unternehmens bzw. der Organisation oder Person ermöglichen, wie insbesondere ein Domain-Name oder eine Adresse der elektronischen Post; – Angaben in bezug auf Waren und Dienstleistungen oder das Erscheinungsbild eines Unternehmens, einer Organisation oder Person, die unabhängig und insbesondere ohne finanzielle Gegenleistung gemacht werden“. Ursprünglich wurde der Begriff der kommerziellen Mitteilung aufgenommen, um den Zusammenhang mit der geplanten Verordnung über Verkaufsförderung zu wahren, KOM (2003) 356, S. 11 Rn. 36, die wiederum auf Art. 2 lit. f RL 2000/31/EG Bezug nahm, KOM (2001) 546, S. 25 f. Zur audiovisuellen kommerziellen Kommunikation Art. 2 lit. h RL 2010/13/EU: „Bilder mit oder ohne Ton, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen oder des Erscheinungsbilds natürlicher oder juristischer Personen, die einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen, dienen. Diese Bilder sind einer Sendung gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung oder als Eigenwerbung beigefügt oder darin enthalten. Zur audiovisuellen kommerziellen Kommunikation zählen unter anderem Fernsehwerbung, Sponsoring, Teleshopping und Produktplatzierung“; ferner Alexander WRP 2012, 125, 128. 1184 Zum Begriff der Werbung siehe Art. 2 lit. a RL 2006/114/EG: „jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen, zu fördern“; zur Auslegung anhand der Irreführungsrichtlinie KOM (2003) 356, S. 11 Rn. 36. 1185 Gelegentlich findet sich eine zweistufige Prüfung: die Praktiken müssen „zum einen gewerblicher Natur sein, d. h. von Gewerbetreibenden ausgeübt werden“ „und zum anderen unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Ver

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Ziele der Richtlinie (oben Rn. 233 f.) weit auszulegen1186 und lässt sich definieren als Maßnahmen, „die sich in den Rahmen der Geschäftsstrategie eines Dienstleistungserbringers einfügen und unmittelbar mit der Absatzförderung und dem Verkauf seiner Dienstleistungen zusammenhängen“.1187 Die kommerzielle Mitteilung als Unterkategorie der Geschäftspraktiken erfasst nicht nur die klassische Werbung (unabhängig vom Medium),1188 sondern jede Übermittlung von Informationen mit dem Ziel, neue Kunden zu gewinnen (z. B. Direktmarketing, Sponsoring).1189 Der Begriff der Geschäftspraktiken geht demgegenüber über kommunikative Handlungen hinaus und erfasst auch rein tatsächliches Unternehmerverhalten wie etwa das Offenhalten von Verkaufsstätten.1190 In zeitlicher Hinsicht ist unerheblich, wann sich die Praktiken ereignen, weil die Richtlinie nach Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Erwägungsgrund 13 auf Geschäftspraktiken innerhalb oder außerhalb einer vertraglichen Beziehung, vor oder nach Abschluss eines Vertrags, im Anschluss an einen Vertragsabschluss oder während der Durchführung des Vertrags anwendbar ist (unten Rn. 268 ff.),1191 so dass jede Maßnahme in Bezug auf den Abschluss oder auf die Durchführung eines Vertrags einschließlich möglicher Inkassomaßnahmen erfasst wird.1192 Die Geschäftspraktiken sind zwar eng mit einem auf ein Produkt bezogenen Handelsge- 256 schäft verbunden, decken sich aber nicht mit dem Produkt, das Gegenstand des Geschäfts ist.1193 Deshalb beziehen sich nationale Bestimmungen, welcher Wirtschaftsteilnehmer berechtigt ist, eine Leistung zu erbringen, die Gegenstand eines Handelsgeschäfts ist (z. B. Verleihung eines akademischen Grads), ohne unmittelbar die Praktiken zu regeln, die dieser Wirtschaftsteilnehmer sodann einsetzen darf, um den Absatz dieser Leistung zu fördern, nicht auf eine Geschäftspraktik, die unmittelbar mit der Erbringung dieser Leistung i. S. d. 2005/29/EG zusammenhängt, und fallen nicht unter die Richtlinie 2005/29/EG.1194 Infolge der Weite des Begriffs der Geschäftspraktiken (Beispiele unter (1)) hat der Gerichts- 257 hof gelegentlich den Unmittelbarkeitszusammenhang (dazu unter (2) und (3)) als „das einzige in dieser Bestimmung genannte Kriterium“ bezeichnet.1195 kauf oder der Lieferung ihrer Produkte an Verbraucher zusammenhängen“, vgl. EuGH 17. 10. 2013 – C-391/12 – GRUR 2013, 1245 Tz. 37 – Stuttgarter Nachrichten; EuGH 25. 7. 2018 – C-632/16 – GRUR 2018, 940 Tz. 30 – Dyson. 1186 EuGH 16. 7. 2015 – C-544/13 und C-545/13 – GRUR 2015, 1028 Tz. 74 – Abcur AB; ferner EuGH 23. 4. 2009 – C261/07 und C-299/07 – Slg. 2009, I-2949 Tz. 49 f. – VTB-VAB; EuGH 14. 1. 2010 – C-304/08 – Slg. 2010, I-217 Tz. 36 f., 39 – Plus Warenhandelsgesellschaft („besonders weiter materielle[r] Anwendungsbereich“); EuGH (Große Kammer) 9. 11. 2010 – C-540/08 – Slg. 2010, I-10909 Tz. 17 f., 21 – Mediaprint; EuGH 19. 9. 2013 – C-435/11 – GRUR 2013, 1157 Tz. 27, 30 – CHS Tour Services (Information über Verfügbarkeit und Exklusivität eines Angebots); EuGH 17. 10. 2013 – C-391/12 – GRUR 2013, 1245 Tz. 36 – Stuttgarter Wochenblatt; EuGH 16. 4. 2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 34 – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság; EuGH 4. 5. 2017 – C-339/15 – GRUR 2017, 627 Tz. 23 – Vanderborght; EuGH 20. 7. 2017 – C-357/16 – NJW 2017, 2980 Tz. 19 – Gelvora. Siehe auch die Einzelregelungen zur Absatzförderung in Art. 6 Abs. 1 lit. d und Anhang I Ziffer 5, 7, 19, 31, 20 der RL 2005/29/EG. 1187 EuGH 4. 7. 2019 – C-393/17 – GRUR 2019, 846 Tz. 43 – Kirschstein; ferner EuGH (Große Kammer) 9. 11. 2010 – C-540/08 – Slg. 2010, I-10909 Tz. 18 – Mediaprint; EuGH 17. 10. 2013 – C-391/12 – GRUR 2013, 1245 Tz. 36 – Stuttgarter Wochenblatt. 1188 EuGH 4. 5. 2017 – C-339/15 – GRUR 2017, 627 Tz. 25 – Vanderborght: „unabhängig davon, ob sie durch Veröffentlichungen in regelmäßig erscheinenden Werbebroschüren, im Internet oder auf Schildern erfolgt“. 1189 EuGH (Große Kammer) 5. 4. 2011 – C-119/09 – Slg. 2011, I-2551 Tz. 33 – Société fiduciaire nationale d’expertise comptable. 1190 Bei tatsächlichem Verhalten ist allerdings das Unmittelbarkeitserfordernis zu beachten, das etwa beim Bau einer Vertriebsstätte noch nicht erfüllt ist, Koch Die Richtlinie gegen unlautere Geschäftspraktiken (2006), S. 27 f. 1191 EuGH 20. 7. 2017 – C-357/16 – NJW 2017, 2980 Tz. 20 f. – Gelvora; ferner EuGH 16. 4. 2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 36 – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság. 1192 EuGH 20. 7. 2017 – C-357/16 – NJW 2017, 2980 Tz. 20 f. – Gelvora; ferner EuGH 16. 4. 2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 36 – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság. 1193 EuGH 4. 7. 2019 – C-393/17 – GRUR 2019, 846 Tz. 42, 44 – Kirschstein. 1194 EuGH 4. 7. 2019 – C-393/17 – GRUR 2019, 846 Tz. 45, 48 – Kirschstein. 1195 EuGH 16. 4. 2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 35 – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

258 (1) Absatzförderung, Verkauf, Lieferung. Den Oberbegriff der Absatzförderung kann man als jede Erhöhung des akquisitorischen Potentials von Unternehmen1196 definieren. Der – mit der Absatzförderung z. T. überlappende1197 – Verkauf bezeichnet, wie sich aus der weiten Definition des „Produkts“ („jede Ware oder Dienstleistung, einschließlich Immobilien, digitaler Dienstleistungen und digitaler Inhalte, sowie Rechte und Verpflichtungen“, Art. 2 lit. c RL 2005/ 29/EG i.d.F. des Art. 3 Nr. 1 lit. a RL 2019/2161) ergibt, alle Arten eines Absatzgeschäfts, also nicht nur den Verkauf im schuldrechtlichen Sinn, sondern auch den „Verkauf“ von Dienstleistungen (Dienst- oder Werkverträge) oder Gebrauchsüberlassungen (Miete) bis hin zu unentgeltlichen Geschäften wie Schenkungen oder Zugaben1198 oder der unentgeltlichen Teilnahme an sozialen Netzwerken. Unerheblich ist, ob das Rechtsgeschäft zivilrechtlich wirksam ist oder nicht.1199 Die Lieferung bezieht sich auf die Beeinflussung der geschäftlichen Handlungen des Verbrauchers im Zusammenhang mit der Vertragsdurchführung (unten Rn. 268 ff.).1200 Das kann etwa die Erteilung einer Auskunft im Rahmen des Kundendienstes1201 oder die Durchsetzung der Forderung bis hin zu Inkassomaßnahmen1202 (unten Rn. 268) umfassen. 259 Zu den Geschäftspraktiken zählen auch Maßnahmen zur Absatzförderung, die Gegenstand des gescheiterten Vorschlags für eine Verordnung über Verkaufsförderungsmaßnahmen im Binnenmarkt waren,1203 also Kopplungsangebote, unentgeltliche Zuwendungen und Zugaben,1204 die an den Warenerwerb gekoppelte Teilnahme an Lotterien, Gewinnspielen oder Preisausschreiben,1205 Gutscheine,1206 Rabatte und (Ankündigungen1207 von) Preisermäßigungen1208 und Werbe- und Ausverkäufe.1209 Ebenfalls von der Richtlinie erfasst werden Verkäufe

1196 Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 21. 10. 2008 – C-261/07 und C-299/07 – Slg. 2009, I-2949 Tz. 69 – VTB-VAB und Galatea; EuGH (Große Kammer) 5. 4. 2011 – C-119/09 – Slg. 2011, I-2551 Tz. 38 – Société fiduciaire nationale d’expertise comptable: Kundenakquise als kommerzielle Kommunikation. Siehe auch Isele GRUR 2009, 727, 729: nach Gesamtwürdigung müsse feststehen, dass mit dem Verhalten „vorrangig das Ziel der Absatzförderung bezweckt wurde“. 1197 A.A. Keirsbilck The New European Law of Unfair Commercial Practices and Competition Law (2011), S. 230, der die Worte Absatzförderung, Verkauf und Lieferung nach dem Vorbild des Art. 3 Abs. 1 RL 2005/29/EG auf die vorvertragliche, die vertragliche und die nachvertragliche Phase bezieht. 1198 Köhler WRP 2009, 898, 900. 1199 Köhler WRP 2009, 898, 900. 1200 Köhler WRP 2009, 898, 901. Der Begriff ist etwas zu eng, um das gesamte von der Richtlinie erfasste nachvertragliche Verhalten (Art. 3 Abs. 1 RL 2005/29/EG) einzubeziehen, Apetz Das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken (2011), S. 143. 1201 EuGH 16. 4. 2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 37 – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság. 1202 EuGH 20. 7. 2017 – C-357/16 – NJW 2017, 2980 Tz. 20 f. – Gelvora. 1203 EuGH 14. 1. 2010 – C-304/08 – Slg. 2010, I-217 Tz. 33 – Plus Warenhandelsgesellschaft; EuGH (Große Kammer) 9. 11. 2010 – C-540/08 – Slg. 2010, I-10909 Tz. 19 – Mediaprint; zu den einzelnen Beispielen SEK (2009) 1666, Ziffer 1.4 S. 11; zu Verkaufsförderungsmaßnahmen Köhler GRUR 2010, 767. 1204 EuGH 23. 4. 2009 – C-261/07 und C-299/07 – Slg. 2009, I-2949 Tz. 50 – VTB-VAB; EuGH 18. 7. 2013 – C-265/12 – GRUR 2013, 1154 Tz. 18 – Citroën Belux; EuGH 7. 9. 2016 – C-310/15 – GRUR 2016, 1180 Tz. 28 – Sony Europe. Zu Kopplungsangeboten Boesche WRP 2011, 1345; Köhler GRUR 2010, 177. 1205 EuGH 14. 1. 2010 – C-304/08 – Slg. 2010, I-217 Tz. 37 – Plus Warenhandelsgesellschaft; EuGH (Große Kammer) 9. 11. 2010 – C-540/08 – Slg. 2010, I-10909 Tz. 18 – Mediaprint; EuGH 17. 10. 2013 – C-391/12 – GRUR 2013, 1245 Tz. 44 – Stuttgarter Nachrichten; BGH 9. 7. 2009 – I ZR 64/07 – GRUR 2010, 158 Tz. 9 ff. – FIFA-WM-Gewinnspiel (zu § 4 Nr. 5 UWG a. F.); BGH 5. 10. 2010 – Az. I ZR 4/06 – GRUR 2011, 532 Tz. 18 – Millionen-Chance II (zu § 4 Nr. 6 UWG a. F.); im Kontext von Art. 36 AEUV EuGH 26. 6. 1997 – C-368/95 – Slg. 1997, I-3689 Tz. 28 – Familiapress. 1206 LG Hamburg 25. 8. 2011 – Az. 327 O 141/11 – PharmR 2011, 487 Tz. 30 f. (juris) (Werbung mit 50 Euro Gutschein). 1207 EuGH 10. 7. 2014 – C-421/12 – GRUR INT. 2014, 964 Tz. 54 – Kommission/Belgien. 1208 EuGH 30. 6. 2011 – C-288/10 – Slg. 2011, I-5835 Tz. 31 – Wamo: „Werbekampagnen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende [Ankündigung von Preisermäßigungen], mit denen Verbraucher in die Geschäftsräume eines Händlers gelockt werden sollen, fügen sich eindeutig in den Rahmen der Geschäftsstrategie eines Gewerbetreibenden ein und sollen unmittelbar verkaufswerbend und -fördernd sein“. 1209 EuGH 17. 1. 2013 – C-206/11 – GRUR 2013, 297 Tz. 27 – Georg Köck.

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V. Lauterkeitsrecht und Rechtsangleichung

Einleitung

im Wandergewerbe1210 und gewerbliche Preisvergleich-Websites oder andere Bewertungsportale, bei denen die Tätigkeit des Gewerbetreibenden darin besteht, Preisinformationen von Händlern oder Verbrauchern zu beziehen und diese an Verbraucher weiterzugeben.1211 Die Förderung des fremden Absatzes, die nicht im Namen oder Auftrag des absetzenden 260 Unternehmers erfolgt (dazu Art. 2 lit. b a. E. RL 2005/29/EG),1212 wird nach herrschender Auffassung nicht von der Richtlinie erfasst, wohl aber vom (umfassenderen) Begriff der „geschäftlichen Handlung“ in § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG (vgl. auch unten Rn. 265, 275).1213 Nach Auffassung des Gerichtshofs soll nämlich die mittelbare Werbung für Produkte und Dienstleistungen Dritter1214 (konkret: in einem kostenlos verteilten Blatt eines Presseverlegers) nicht geeignet sein, „das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers bei seiner Entscheidung, das – … gratis verteilte – Blatt [des Presseverlegers] zu erwerben oder zur Hand zu nehmen, wesentlich zu beeinflussen“.1215 Ob diese Beschränkung der Richtlinie (und damit der Harmonisierungswirkung des Unionsrechts) auf die Förderung eigenen Absatzes gerade in Zeiten verbreiteter, nicht zwangsläufig „beauftragter“ „Absatzförderung für fremde Produkte“ in sozialen Netzwerken weise ist, mag man bezweifeln.1216 Möglicherweise wäre es überzeugender gewesen, die Förderung fremden Absatzes nicht generell aus der Richtlinie 2005/29/EG auszuklammern, sondern anhand eines Unmittelbarkeitszusammenhangs mit der Förderung des (fremden) Absatzes zu unterscheiden,1217 was eine Differenzierung ähnlich wie der „objektive Zusammenhang“ im deutschen § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG1218 auch auf Unionsebene eröffnet hätte.1219

1210 EuGH 10. 7. 2014 – C-421/12 – GRUR Int. 2014, 964 Tz. 71 – Kommission/Belgien. 1211 SEK (2009) 1666, Ziffer 1.2 S. 9 f.; LG Hamburg 1. 9. 2011 – Az. 327 O 607/10 – WRP 2012, 94 Tz. 48 (juris) (Hotelbewertungsportal).

1212 EuGH 17. 10. 2013 – C-391/12 – GRUR 2013, 1245 Tz. 38 – Stuttgarter Nachrichten: „Zwar kann die Richtlinie 2005/29 nach der Definition des Begriffs des Gewerbetreibenden in Art. 2 Buchst. b dieser Richtlinie in einer Situation anwendbar sein, in der die Geschäftspraktiken eines Wirtschaftsteilnehmers von einem anderen Unternehmen ausgeübt werden, das im Namen und/oder Auftrag dieses Wirtschaftsteilnehmers tätig wird, so dass die Bestimmungen dieser Richtlinie in bestimmten Situationen sowohl diesem Wirtschaftsteilnehmer als auch diesem Unternehmen entgegengehalten werden können, wenn beide der Definition des Gewerbetreibenden entsprechen“. 1213 BGH 6. 2. 2104 – I ZR 2/11 – GRUR 2014, 879, 880 Tz. 13, 881 Tz. 20 f. – GOOD NEWS II mit Verweis auf EuGH 17. 10. 2013 – C-391/12 – GRUR 2013, 1245 Tz. 37, 44, 41 – Stuttgarter Wochenblatt: „kann eine solche verlegerische Praxis für sich genommen nicht als ‚Geschäftspraktik‘ dieses Verlegers im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2005/29 angesehen werden“; BGH 11. 12. 2014 – GRUR 2015, 694, 696 Tz. 26 – Bezugsquellen für Bachblüten. Siehe bereits BGH 15. 1. 2009 – I ZR 123/06 – GRUR 2009, 878 Tz. 11 – Fräsautomat (außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2005/29/EG). 1214 Im Hinblick auf den Dritten handelt es sich demgegenüber um eine Geschäftspraktik i. S. d. RL 2005/29/EG, „sofern ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung der Produkte oder Dienstleistungen der Inserenten an Verbraucher hergestellt werden“ kann, EuGH 17. 10. 2013 – C-391/12 – GRUR 2013, 1245 Tz. 44 – Stuttgarter Nachrichten. 1215 EuGH 17. 10. 2013 – C-391/12 – GRUR 2013, 1245 Tz. 41 – Stuttgarter Nachrichten; zustimmend Peifer FS Köhler (2014), 519, 523 ff. mit grundsätzlicher Kritik an der Durchsetzung presserechtlicher Verbote mit Mitteln des Lauterkeitsrecht. 1216 Zur Kritik an der EuGH-Entscheidung auch Glöckner FS Köhler (2014), S. 159, 166 ff.; Koch FS Köhler (2014), S. 359, 363 ff. 1217 Vgl. mein Vorschlag in Vorauflage Einl C Rn. 247. 1218 Dazu Köhler/Bornkamm/Feddersen § 2 Rn. 54 ff. Allerdings wird der „Unmittelbarkeitszusammenhang“ i. S. d. Art. 2 lit. d RL 2005/29/EG enger verstanden als der „objektive Zusammenhang“ i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG, Fritzsche FS Köhler (2014), S. 145, 148; Koch FS Köhler (2014), S. 359, 363 f. 1219 Eine solche Lesart hätte auch eher dem Wortlaut des Art. des Art. 2 lit. d RL 2005/29/EG („jede Handlung …, die unmittelbar mit der Absatzförderung … eines [nicht: eigenen] Produkts … zusammenhängt“) und der Entstehungsgeschichte der Richtlinie entsprochen, denn die nunmehr vom Gerichtshof befürwortete Lösung der Ausklammerung der Förderung fremden Absatzes war im Gesetzgebungsverfahren bereits im Rahmen eines Änderungsantrags vorgeschlagen worden, der nicht aufgegriffen wurde, siehe insbesondere den Änderungsantrag 15 im Bericht

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

Schließlich stellt auch die Verwendung unzulässiger Klauseln in allgemeinen Geschäftsbedingungen gegenüber Verbrauchern eine Geschäftspraktik i. S. d. Art. 2 lit. d RL 2005/ 29/EG dar, die – sofern gegen eine unionsrechtliche Informationspflicht etwa über ein Widerrufsrecht verstoßen wird – über Art. 7 Abs. 1, 5 i. V. m. Anhang II RL 2005/29/EG,1220 in anderen Fällen über Art. 6 Abs. 1 lit. c, d oder Art. 5 Abs. 2 RL 2005/29/EG untersagt werden kann.1221 Auch Vermarktungsverbote und Vermarktungsbeschränkungen fallen in den Anwendungsbereich der Richtlinie, da durch sie mindestens die wirtschaftliche Entscheidung der Verbraucher über das „Wie“ des Produkterwerbs beeinflusst wird. Allerdings werden Vermarktungsbeschränkungen von der Richtlinie nicht erfasst, die dem Schutz anderer als wirtschaftlicher Interessen dienen, z. B. dem Schutz der Persönlichkeitsentwicklung von Jugendlichen oder der Abwehr alkoholbedingter Ausschreitungen. Auch Vermarktungsbeschränkungen, die dem Schutz der Sicherheit und Gesundheit dienen, fallen wegen Art. 3 Abs. 3 RL 2005/29/EG nicht unter die Richtlinie.1222

262 (2) Unmittelbarkeitszusammenhang. Das Verhalten des Unternehmers muss „unmittelbar“ mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung zusammenhängen.1223 Es muss also, wie sich aus Erwägungsgrund 7 Satz 1 RL 2005/29/EG ergibt, „in unmittelbarem Zusammenhang mit der Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidungen des Verbrauchers in Bezug auf Produkte stehen“. Für den Unmittelbarkeitszusammenhang ist maßgebend, ob die Geschäftspraktik unmittelbar die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers beeinflusst, nicht dass sie unmittelbar die geschützten wirtschaftlichen Verbraucherinteressen berührt (zur Frage, ob zusätzlich zum Erfordernis der Geschäftspraktiken eine Schutzzweckschranke für die Anwendbarkeit der Richtlinie erforderlich ist, unten Rn. 281 ff.).1224 Eine geschäftliche Entscheidung ist „jede Entscheidung eines Verbrauchers darüber, ob, wie und unter welchen Bedingungen er des Rechtsausschusses des Parlaments, A5–0188/2004, S. 14, der sich für eine Einschränkung der Definition der Geschäftspraktik auf die Absatzförderung von Produkten dieses Gewerbetreibenden aussprach, um die Absatzförderung durch journalistische Berichterstattung, die regelmäßig ebenfalls gewerblich erfolgt, auszunehmen. Der Änderungsantrag wurde vom Rat auf Anraten der Kommission nicht übernommen, Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 6/ 2005 (Fn. 1045), S. 19 lit. c). Dies spricht dafür, dass auch die Absatzförderung durch redaktionelle Berichterstattung von der Richtlinie erfasst sein sollte, wenn die allgemeine Voraussetzung eines Unmittelbarkeitszusammenhangs mit der Beeinflussung geschäftlicher Entscheidungen gegeben ist. An einem solchen fehlt es aber nach Erwägungsgrund 7 Satz 2, wenn die Geschäftspraktik (also die redaktionelle Berichterstattung) vorrangig anderen Zielen dient. Zu anderen Lösungsvorschlägen für den Fall Stuttgarter Nachrichten/GOODNEWS Glöckner FS Köhler (2014), S. 159, 169 f., der etwa Art. 10 Abs. 1 lit. a RL 2010/13/EU analog anwenden will. 1220 BGH 29. 4. 2010 – I ZR 66/08 – NJW 2010, 3566 Tz. 24 – Holzhocker. 1221 BGH 31. 3. 2010 – I ZR 34/08 – GRUR 2010, 1117 Tz. 18 – Gewährleistungsausschluss im Internet; BGH 19. 5. 2010 – I ZR 140/08 – GRUR 2010, 1120 Tz. 21 – Vollmachtsnachweis; Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 29. 11. 2011 – C-453/10 – BeckRS 2011, 81770 Tz. 91 – Pereničová; Peifer WRP 2008, 556, 558; Köhler GRUR 2010, 1047, 1048; MünchKommBGB/Basedow § 306 Rn. 38 f.; zur unrichtigen Preisangabe auch EuGH 15. 3. 2012 – C-453/10 – GRUR 2012, 639 Tz. 41 – Pereničová. 1222 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.265. 1223 EuGH 16. 4. 2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 35 – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság: „Praxis des Gewerbetreibenden [muss] mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung einer Ware oder einer Dienstleistung an Verbraucher in unmittelbarem Zusammenhang stehen“; EuGH 4. 7. 2019 – C-393/17 – GRUR 2019, 846 Tz. 41 – Kirschstein. 1224 Ähnlich Glöckner FS Köhler (2014), S. 159, 161: „maßgeblich, ob die Geschäftspraktik unmittelbar gegenüber den Verbrauchern ausgeübt wird, nicht jedoch ob sie unmittelbar die geschützten wirtschaftlichen Verbraucherinteressen berührt“. M. E. kommt es auf die unmittelbare Entscheidungsbeeinflussung, nicht zwangsläufig auf die unmittelbare „Ausübung“ gegenüber dem Verbraucher an, weil die Beeinflussung auch durch Mittelspersonen dem Verbraucher vermittelt werden kann, unten Rn. 264 a. E. Für Maßgeblichkeit der Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens des Verbrauchers bereits bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs der Richtlinie auch Koch FS Köhler (2014), S. 359, 363 f.

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V. Lauterkeitsrecht und Rechtsangleichung

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einen Kauf tätigen, eine Zahlung insgesamt oder teilweise leisten, ein Produkt behalten oder abgeben oder ein vertragliches Recht im Zusammenhang mit dem Produkt ausüben will, unabhängig davon, ob der Verbraucher beschließt, tätig zu werden oder ein Tätigwerden zu unterlassen“ (Art. 2 lit. k RL 2005/29/EG).1225 Die „geschäftliche Entscheidung“ umfasst „nicht nur die Entscheidung über den Erwerb oder Nichterwerb eines Produkts, sondern auch damit unmittelbar zusammenhängende Entscheidungen wie insbesondere das Betreten des Geschäfts“.1226 Produkt ist „jede Ware oder Dienstleistung, einschließlich Immobilien, digitaler Dienstleistungen und digitaler Inhalte, sowie Rechte und Verpflichtungen“ (Art. 2 lit. c RL 2005/29/EG i.d.F. des Art. 3 Nr. 1 lit. a RL 2019/2161). Dazu zählen auch Leistungen der Mund- und Zahnversorgung1227 und von einer Inkassogesellschaft angewandte Praktiken zur Forderungsbeitreibung.1228 Zur Feststellung des Unmittelbarkeitszusammenhangs bedarf es keiner subjektiven 263 (Wettbewerbsförderungs-)Absicht, sondern einer objektiven Würdigung, ob die betreffende Geschäftspraktik im Zusammenhang mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produktes steht.1229 In die objektive Würdigung sind allerdings alle Umstände, auch die Zielvorstellungen des Handelnden (vgl. Erwägungsgrund 7 Satz 2 RL 2005/29/EG) einzubeziehen, die ein Indiz für einen Zusammenhang mit der Absatzförderung bieten können.1230 Nicht erforderlich ist, dass es tatsächlich zu einer Entscheidungsbeeinflussung kommt (vgl. Art. 2 lit. k a. E. RL 2005/29/EG). Der Unmittelbarkeitszusammenhang erfordert nicht, wie sich aus der kommerziellen Mit- 264 teilung und der Werbung als Unterkategorien der Geschäftspraktik ergibt,1231 einen unmittelbaren Kausalzusammenhang zwischen Handlung und Absatzförderung oder Handlung und Verbraucherentscheidung, so dass grundsätzlich auch die allgemeine Unternehmensinformation und die bloße Image- oder Aufmerksamkeitswerbung erfasst wird.1232 Dies gilt nicht nur dann, wenn der Gewerbetreibende im Rahmen seines Marketing einen konkreten Bezug zwischen seinem Unternehmensimage oder seinen Verpflichtungen zur sozialen Unter-

1225 Auf Art. 2 lit. k ist bei der Auslegung des Art. 3 Abs. 1 zurückzugreifen, wie sich aus der Entstehungsgeschichte ergibt: Der Rat verwies in seiner Antwort auf den zweiten Teil des Änderungsantrags 25 des Parlaments, A5– 0188/2004, S. 18 f., wonach ein ausdrücklicher Bezug auf die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers in Art. 3 Abs. 1 eingefügt werden sollte, nämlich darauf, dass der zweite Teil dieses Änderungsantrags bereits in Art. 2 lit. k erfasst sei, Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 6/2005, S. 17. Die Definition der „geschäftlichen Entscheidung“ geht wohl auf Änderungsantrag 25 der Stellungnahme des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherpolitik vom 21. Januar 2004, A5–0188/2004, S. 68; zur Aufnahme in die Richtlinie kam es im Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 6/2005 (Fn. 1045), S. 20. Für eine Anwendung der Definition des Art. 2 lit. k zur Auslegung des Tatbestands der Geschäftspraktik auch Köhler WRP 2009, 898, 899; a. A. Kulka DB 2008, 1548, 1551, Sosnitza WRP 2008, 1014, 1017; Scherer WRP 2009, 761, 766 mit dem Hinweis, dass ein Tatbestandsmerkmal der Unlauterkeit nicht in den Anwendungsbereich vorverlagert werden dürfe. 1226 EuGH 19. 12. 2013 – C-281/12 – GRUR 2014, 196 Tz. 36 – Trento Sviluppo. 1227 EuGH 4. 5. 2017 – C-339/15 – GRUR 2017, 627 Tz. 24 f – Vanderborght. 1228 EuGH 20. 7. 2017 – C-357/16 – NJW 2017, 2980 Tz. 23 – Gelvora. 1229 BTDrucks. 16/10145 S. 12, 20 f.; Fezer WRP 2006, 781, 787; Kessler WRP 2007, 714, 719; Köhler WRP 2007, 1393, 1396; Fezer/Büscher/Obergfell/Steinbeck Anh. 2 § 4a Rn. 105; Fritzsche Der Einfluss der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken auf die Dogmatik des Lauterkeitsrechts, in H. Roth (Hrsg.) Europäisierung des Rechts – Ringvorlesung der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg 2009/2010 (2010), 27, 32; siehe auch die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 29. 11. 2011 – C-453/10 – BeckRS 2011, 81770 Tz. 103 – Pereničová. 1230 Gegen eine Heranziehung subjektiver Elemente Fezer WRP 2006, 781, 787; Kessler WRP 2007, 714, 719; Leistner/Stang WRP 2008, 533, 540. 1231 Art. 2 lit. f RL 2000/31/EG: „alle Formen der Kommunikation, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen oder des Erscheinungsbilds eines Unternehmens […] dienen“; Art. 2 lit. a RL 2006/114/EG: „jede Äußerung […] mit dem Ziel, den Absatz […] zu fördern“. 1232 Steinbeck WRP 2006, 632, 635; Köhler WRP 2007, 1393, 1395; Ohly/Sosnitza Einf C Rn. 47 ; Keirsbilck The New European Law of Unfair Commercial Practices and Competition Law (2011), S. 229; eine (von ihr kritisierte) Ausnah-

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nehmensführung und seinen Produkten herstellt,1233 sondern bei jeder Selbstdarstellung, Imageförderung oder Aufmerksamkeitswerbung (auch ohne Hinweis auf konkrete Produkte), sofern es sich nicht eindeutig um eine Publikation zu anderen Zwecken handelt.1234 Wollte man nämlich nur die Unternehmensdarstellung mit konkretem Produktbezug erfassen, dann bliebe außer Acht, dass die Verbraucher in ihren Kaufentscheidungen gerade durch die allgemeine Unternehmensdarstellung und sein Image beeinflusst werden.1235 Infolge der funktionalen und nicht strikt kausalen Auslegung des Unmittelbarkeitskriteriums fallen auch Geschäftspraktiken in den Anwendungsbereich der Richtlinie, durch die der Unternehmer über dritte Mittelspersonen auf die geschäftliche Entscheidung der Verbraucher einzuwirken sucht.1236

265 (3) Geschäftspraktiken ohne Unmittelbarkeitszusammenhang. In Zweifelsfällen ist infolge des weiten Begriffs der Geschäftspraktik ein Unmittelbarkeitszusammenhang zu bejahen, jedenfalls wenn ein wirtschaftliches Interesse des Handelnden an der Beeinflussung der Verbraucherentscheidung besteht.1237 Auszunehmen sind nur solche Verhaltensweisen, die eindeutig vorrangig anderen Zielen als der Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidung des Verbrauchers in Bezug auf Produkte dienen.1238 Zu denken ist hier in erster Linie an Äußerungen zur „Unterrichtung der Öffentlichkeit“ oder zu „weltanschaulichen, religiösen, sozialen, erzieherischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Zielen“.1239 Ausgenommen wird damit insbesondere die redaktionelle Medienberichterstattung,1240 selbst wenn sie wettbewerbsrelevant

me für Imageförderung und Aufmerksamkeitswerbung vom Anwendungsbereich sieht Henning-Bodewig GRUR Int. 2004, 183, 189. Siehe auch MünchKomm/Micklitz/Namyslowska Art. 3 UGP-Richtlinie Rn. 15, die auf eine unmittelbare Kommunikationsbeziehung abstellen, die gegeben sein soll, wenn sich der europäische Referenzverbraucher durch eine solche Maßnahme legitimerweise angesprochen fühlen kann (Ausnahme für Imagewerbung mangels Marktkommunikation). 1233 KOM (2003) 356, S. 12 Rn. 39; zu Selbstverpflichtungen auch Birk GRUR 2011, 196. 1234 Vgl. auch Art. 6 Abs. 1 lit. c, lit. f RL 2005/29/EG; Dohrn Die Generalklausel der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (2008), S. 20 (unter Verweis auf eine mündliche Auskunft des zuständigen Kommissionsbeamten); siehe auch BTDrucks. 16/10145 S. 21: abhängig von den Umständen des Einzelfalls. 1235 Zur Bedeutung des Images (in anderem Zusammenhang) EuGH 19. 4. 2007 – C-381/05 – Slg. 2007, I-3115 Tz. 41 – de Landtsheer. 1236 SEK (2009) 1666, Ziffer 1.2 S. 9: von Unternehmen bezahlte Blogger in sozialen Netzwerken; Veelken WRP 2004, 1, 6; enger MünchKomm/Micklitz/Namyslowska Art. 3 UGP-Richtlinie Rn. 15: erforderlich sei eine „unmittelbare Kommunikationsbeziehung“, die allerdings bereits dann bestehe, wenn sich der europäische Referenzverbraucher durch die Maßnahme legitimerweise angesprochen fühlen kann“. 1237 Köhler WRP 2007, 1393, 1395 f. 1238 Erwägungsgrund 7 Satz 2 RL 2005/29/EG; KG 28. 3. 2012 – 5 U 23/04 – Tz. 48 (juris) – Der renommierte Arzt und Wissenschaftler. Soweit dort „kommerzielle, für Investoren gedachte Mitteilungen, wie Jahresberichte oder Unternehmensprospekte“ als Beispiel genannt werden, ist dies einzuschränken, soweit derartige Maßnahmen zum Absatz von Finanzprodukten an Verbraucher genutzt werden, siehe Art. 3 Abs. 9 und Erwägungsgrund 10 Sätze 3–6 RL; ferner Art. 7 Abs. 5 und Anhang II RL 2005/29/EG, der auf Art. 28 RL 85/611/EWG verweist, wo Vorschriften zur Anlegerinformation geregelt werden, Apetz Das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken (2011), S. 156 Fn. 479; enger Glöckner WRP 2009, 1175, 1180: die Ausnahme sei durch den Umstand motiviert, dass durch Investorenmitteilungen nicht konsumtive, sondern investive Geschäftsentscheidungen des Verbrauchers beeinflusst würden. Siehe auch Fritzsche Der Einfluss der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken auf die Dogmatik des Lauterkeitsrechts, in H. Roth (Hrsg.) Europäisierung des Rechts – Ringvorlesung der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg 2009/2010 (2010), 27, 37, der sich tendenziell wegen ihres Absatzförderungszwecks für eine Einbeziehung redaktioneller Äußerungen ausspricht und nur wissenschaftliche Äußerungen in Publikationen, Forschung und Lehre ausklammern will. 1239 Köhler WRP 2007, 1393, 1396; zur Äußerungsfreiheit auch Gomille WRP 2009, 525. 1240 Nach Auffassung des Gerichtshofs folgt dies aus dem Umstand, dass die Förderung fremden Absatzes von der Richtlinie generell nicht erfasst ist, dazu oben Rn. 259 und unten Rn. 266, 275; Fritzsche FS Köhler (2014), S. 145, 148.

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ist, solange sie eindeutig vorrangig der Information und Meinungsbildung der Rezipienten dient.1241 Demgegenüber findet die Richtlinie Anwendung, wenn redaktionelle Inhalte in Medien 266 zu Zwecken der Verkaufsförderung eingesetzt werden (vgl. Anhang I Nr. 11 RL 2005/29/EG). Allerdings erfasst sie nur das Verhalten des Werbenden (Anzeigekunden), während die an Presseunternehmen gerichteten Vorschriften zur Kennzeichnung von Werbung nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, entweder weil die Förderung fremden Absatzes generell nicht von der Richtlinie erfasst ist (oben Rn. 259, unten 275)1242 oder weil es an einem Unmittelbarkeitszusammenhang zur Absatzförderung ihres eigenen Produkts (des Presseprodukts) fehlt.1243 Soweit journalistische, wissenschaftliche oder andere Äußerungen von der Richtlinie erfasst werden, sind bei der Auslegung und Anwendung der Generalklausel und der einzelnen Verbotstatbestände die Grundrechte der Äußernden zu berücksichtigen, die eine einschränkende Auslegung der Verbotstatbestände erfordern können.1244

(4) Bezugsförderung. Nicht von der Richtlinie erfasst werden Geschäftspraktiken von Unter- 267 nehmen gegenüber Verbrauchern, die sich nicht auf die Absatzförderung, sondern auf den Ankauf von Waren von Verbrauchern beziehen, sofern der Ankauf nicht Teil einer Absatzstrategie für andere Waren (z. B. Inzahlungnahme von Gebrauchtwagen bei Verkauf eines Neufahrzeugs)1245 oder Teil einer eigenständigen „verkauften“ Dienstleistung ist (z. B. Verkaufservice für Gebrauchtwagen als Kommissionär).1246

1241 Zum deutschen Recht BGH 19. 5. 2011 – I ZR 147/09 – GRUR 2012, 74 Tz. 15 – Coaching-Newsletter; BTDrucks. 16/10145 S. 21. Zur Diskussion um die wettbewerbsrechtliche Haftung von Presseorganen in der Richtlinie siehe insbesondere den Änderungsantrag 15 im Bericht des Rechtsausschusses des Parlaments, A5–0188/2004, S. 14, der sich für eine Einschränkung der Definition der Geschäftspraktik auf die Absatzförderung von Produkten dieses Gewerbetreibenden aussprach, um die Absatzförderung durch journalistische Berichterstattung, die regelmäßig ebenfalls gewerblich erfolgt, auszunehmen. Der Änderungsantrag wurde vom Rat auf Anraten der Kommission nicht übernommen, Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 6/2005, S. 19 lit. c). Dies spricht dafür, dass auch die Absatzförderung durch redaktionelle Berichterstattung von der Richtlinie erfasst sein kann, wenn die allgemeine Voraussetzung eines Unmittelbarkeitszusammenhangs mit der Beeinflussung geschäftlicher Entscheidungen gegeben ist. An einem solchen fehlt es aber nach Erwägungsgrund 7 Satz 2, wenn die Geschäftspraktik (also die redaktionelle Berichterstattung) vorrangig anderen Zielen dient. 1242 So die herrschende Auffassung im Anschluss an EuGH 17. 10. 2013 – C-391/12 – GRUR 2013, 1245 Tz. 39 ff. – Stuttgarter Wochenblatt; siehe oben Rn. 259 und unten Rn. 275. Zur grundsätzlichen Kritik an der Durchsetzung presserechtlicher Verbote mit Mitteln des Lauterkeitsrecht Peifer FS Köhler (2014), 519, 523 ff.; zur Kritik an der Entscheidung des EuGH und alternativen Lösungen bei Bejahung einer Geschäftspraktik i. S. d. Art. 2 lit. d, Art. 3 RL 2005/29/EG Glöckner FS Köhler (2014), S. 159, 166 ff., 169 f., der etwa Art. 10 Abs. 1 lit. a RL 2010/13/EU analog anwenden will; zur Kritik an der Entscheidung auch Koch FS Köhler (2014), S. 359, 363 ff. 1243 So meine Auffassung, siehe oben Rn. 259 und Rn. 275. 1244 Vgl. Erwägungsgrund 25 RL 2005/29/EG; ausführlich Glöckner WRP 2009, 1175, 1182 ff. zur Medienberichterstattung und der Informationstätigkeit von Verbraucherverbänden. 1245 Köhler/Lettl WRP 2003, 1019, 1035; Henning-Bodewig GRUR Int. 2004, 183, 189; Leistner Unfair Competition or Consumer Protection? The Commission’s Unfair Commercial Practices Proposal 2003 in: Bell/Kilpatrick, Cambridge Yearbook of European Legal Studies 6 (2003–2004) 141, 156; Köhler WRP 2007, 1393, 1397; Keirsbilck The New European Law of Unfair Commercial Practices and Competition Law (2011), S. 230; SEK (2009) 1666, Ziffer 1.3. S. 10; Fritzsche Der Einfluss der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken auf die Dogmatik des Lauterkeitsrechts, in H. Roth (Hrsg.) Europäisierung des Rechts – Ringvorlesung der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg 2009/ 2010 (2010), 27, 33; ders. FS Köhler (2014), S. 145, 147. 1246 BGH 17. 7. 2008 – I ZR 197/05 – NJW 2008, 2999 Tz. 14 – FC Troschenreuth; BGH 17. 7. 2008 – I ZR 75/06 – NJW 2008, 2997 Tz. 11 – Faxanfrage im Autohandel: „unlautere[s] Verhalten gewerblicher Nachfrager nicht im Blick“; weitergehend Busch Unlauterer Wettbewerb in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.) Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Aufl. (2010), Kapitel 25 Rn. 17: Ankaufservice als „Produkt“ i. S. d. Art. 2 lit. c RL 2005/29/EG.

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268 (5) Vor, während und nach Abschluss eines Handelsgeschäfts. Gemäß Art. 3 Abs. 1 RL 2005/29/EG gilt die Richtlinie für Geschäftspraktiken vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts. Dies umfasst zunächst alle Handlungen eines Gewerbetreibenden, die darauf gerichtet sind, den Verbraucher zum Abschluss eines Vertrags zu bewegen.1247 Erfasst ist außerdem der Vertragsschluss selbst1248 und die Beeinflussung der geschäftlichen Handlungen des Verbrauchers im Zusammenhang mit der Vertragsdurchführung.1249 Derartige Beeinflussungen können einerseits durch Zusagen vor Vertragsschluss erfolgen, die sich auf die Phase der Vertragsdurchführung beziehen, z. B. die Zusage eines Kundendienstes (Art. 6 Abs. 1 lit. c RL 2005/29/EG) oder eine Garantieerklärung.1250 Sie können andererseits aber auch durch nachvertragliches Verhalten (Art. 3 Abs. 1, Erwägungsgrund 13 Satz 3 RL 2005/29/EG) erfolgen wie durch die Erteilung einer irreführenden Auskunft,1251 die Behinderung des Anbieterwechsels,1252 die Abwehr von Ansprüchen des Verbrauchers (Art. 9 lit. d, Anhang I Nr. 27), die Aufforderung zur Kaufpreiszahlung (Anhang I Nr. 29) und anderweitige Geltendmachung von Ansprüchen des Unternehmers1253 und allgemein durch jede Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidungen des Verbrauchers über die Zahlung des vertraglichen Entgelts,1254 über das Behalten oder die Rückgabe eines Produkts oder über die Ausübung eines vertraglichen Rechts (Art. 2 lit. k RL 2005/29/EG).1255 Ebenso wird die isolierte, d. h. vom Ausgangsvertrag losgelöste Inkassotätigkeit (z. B. nach einer Inkassozession) von der Richtlinie erfasst, weil die Beitreibungsmaßnahmen geeignet sind, die Verbraucherentscheidung über die Bezahlung des Produkts zu beeinflussen und ggf. bereits auf die Entscheidung zum Vertragsschluss ausstrahlen können.1256 Dies gilt im Interesse eines wirksamen Verbraucherschutzes auch dann, wenn die Inkassotätigkeit parallel zu einem staatlichen Vollstreckungsverfahren entfaltet wird.1257 269 Die Einbeziehung des nachvertraglichen Verhaltens in den Anwendungsbereich der Richtlinie (Art. 3 Abs. 1 RL 2005/29/EG) wirft die Frage auf, ob auch ein bloßer Einzelverstoß (z. B. ein einzelner Vertragsverstoß) eines Unternehmers als Geschäftspraktik anzusehen ist. Dies ist – vorbehaltlich des Unmittelbarkeitszusammenhangs – zu bejahen: Aus Gründen des Verbraucherschutzes und der Rechtssicherheit genügt bereits die Beeinflussung eines einzelnen Kunden, ohne dass eine Breiten- oder Außenwirkung über den konkreten Einzelfall hinaus1258 oder eine (ungeschriebene) „Verbraucherrelevanz“1259 oder ein Einfügen in eine „Geschäftsstra-

1247 Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 29. 11. 2011 – C-453/10 – BeckRS 2011, 81770 Tz. 80 – Pereničová.

1248 Köhler WRP 2007, 1393, 1396; zum Verhältnis von Vertragsrecht und RL 2005/29/EG unten Rn. 309 ff. 1249 Köhler WRP 2009, 898, 901; treffend MünchKomm/Micklitz/Namyslowska Art. 3 UGP-Richtlinie Rn. 21: „Kontinuum“. Siehe auch die in der Sache nicht entschiedene Rechtssache EuGH 8. 11. 2012 – C-433/11 – SKP/Kveta Polhošová zur Frage, ob die Abtretung einer Forderung gegen Verbraucher an eine insolvente Person eine unlautere Geschäftspraktik darstellt, wenn die Erstattung der Kosten des Verbrauchers aus dem sich aus dem Verbrauchervertrag ergebenden Gerichtsverfahren nicht garantiert ist. 1250 BGH 14. 4. 2011 – I ZR 133/09 – GRUR 2011, 638 Tz. 21 – Werbung mit Garantie. 1251 EuGH 16. 4. 2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 37 – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság. 1252 BGH 5. 2. 2009 – I ZR 119/06 – GRUR 2009, 876 Tz. 25 f. – Änderung der Voreinstellung II; Fritzsche FS Köhler (2014), S. 145, 146. 1253 KOM (2003) 356, S. 16 Rn. 59; zu den Beispielen SEK (2009), Ziffer 1.1 S. 8 f.; zur Schuldeneintreibung EuGH 20. 7. 2017 – C-357/16 – NJW 2017, 2980 Tz. 23 – Gelvora; OLG München 9. 7. 2009 – 29 U 1852/09 – NJW-RR 2010, 251 Tz. 41, 44 f. (juris) –Besuch durch Inkasso-Team. 1254 EuGH 20. 7. 2017 – C-357/16 – NJW 2017, 2980 Tz. 25 – Gelvora. 1255 Köhler WRP 2009, 898, 901. 1256 EuGH 20. 7. 2017 – C-357/16 – NJW 2017, 2980 Tz. 23 ff., 25 – Gelvora. 1257 EuGH 20. 7. 2017 – C-357/16 – NJW 2017, 2980 Tz. 29 f. – Gelvora. 1258 Köhler WRP 2009, 898, 902; für eine Breitenwirkung Glöckner WRP 2009, 1175, 1181 f. 1259 Für ein solches Merkmal Scherer WRP 2009, 761, 767.

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tegie“1260 erforderlich wäre.1261 Auch schuldloses Verhalten des Unternehmers oder die Geringfügigkeit der dem Verbraucher entstehenden Kosten schließt einen Richtlinienverstoß nicht aus.1262 Ebenso ist es unerheblich, ob sich der Verbraucher die relevante Information selbst hätte beschaffen können.1263 Um trotz der weiten Auslegung der „Geschäftspraktik“ nicht jede einzelne Leistungsstörung 270 zum Lauterkeitsverstoß zu erheben, sind zumindest solche Vertragsverstöße nicht als Geschäftspraktik anzusehen, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidung des Verbrauchers stehen.1264 So ist zumindest denkbar, dass ein einzelner Vertragsverstoß keine Geschäftspraktik darstellt, weil die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers über die Geltendmachung von Gewährleistungsrechten auch aus objektiver Sicht nicht beeinflusst werden soll. Gestattet (und auch geboten) ist es schließlich, im Rahmen der Rechtsfolgenbestimmung 271 gemäß Art. 11, 13 RL 2005/29/EG den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu berücksichtigen.1265 Es ist danach Sache der nationalen Gerichte und Behörden, unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, etwa der Häufigkeit der vorgeworfenen Praxis, der Frage, ob Vorsatz vorliegt, und des Ausmaßes des Schadens, der dem Verbraucher durch die Geschäftspraktik entstanden ist, zu beurteilen, ob die Folgen, die sich aus dem Verbot der im konkreten Fall verwendeten Geschäftspraxis ergeben, den Erfordernissen der Richtlinie und insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen (vgl. nun auch Art. 13 Abs. 2 RL 2005/29/EG i.d.F. des Art. 3 Nr. 6 RL 2019/2161).1266

bb) Von Unternehmen gegenüber Verbrauchern. Die Geschäftspraktik muss von einem Un- 272 ternehmen (Gewerbetreibenden1267) gegenüber einem Verbraucher ausgeübt werden.1268

(1) Den Gewerbetreibende (zu Einzelheiten § 2 Rn. 575 ff.) definiert Art. 2 lit. b RL 2005/29/EG 273 (ebenso wie Art. 2 Nr. 2 RL 2011/83/EU den „Unternehmer“) als „jede natürliche oder juristische Person, die im Geschäftsverkehr im Sinne dieser Richtlinie im Rahmen ihrer gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit handelt, und jede Person, die im Namen oder 1260 Für eine Eingrenzung anhand dieses Merkmals noch Vorauflage/Heinze Einl C Rn. 258 unter Verweis auf EuGH 23. 4. 2009 – C-261/07 und C-299/07 – Slg. 2009, I-2949 Tz. 49 f. – VTB-VAB; EuGH 14. 1. 2010 – C-304/08 – Slg. 2010, I-217 Tz. 36 f., 39 – Plus Warenhandelsgesellschaft; EuGH (Große Kammer) 9. 11. 2010 – C-540/08 – Slg. 2010, I-10909 Tz. 17 f. – Mediaprint. 1261 EuGH 16. 4. 2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 41 – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság: „völlig unbeachtlich (…), dass das Verhalten des betreffenden Gewerbetreibenden nur einmal vorkam und nur einen Verbraucher betraf“; zuvor bereits Micklitz/Reich EuZW 2012, 126, 127 unter Verweis auf die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 29. 11. 2011 – C-453/10 – BeckRS 2011, 81770 Tz. 80 – Pereničová. 1262 EuGH 16. 4. 2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 47 f., 50 – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság. 1263 EuGH 16. 4. 2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 53 f. – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság. 1264 Am Unmittelbarkeitszusammenhang hält auch EuGH 16. 4. 2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 35 – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság fest. 1265 EuGH 16. 4. 2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 57 f. – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság. 1266 EuGH 16. 4. 2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 58 f. – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság. Siehe auchKöhler WRP 2009, 898, 902 f., der Einschränkungen offenbar im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsschranke, des öffentlichen Interesses (Art. 11 Abs. 2 RL 2005/29/EG) und der Missbrauchsschranke gestatten will. 1267 „Unternehmer“ und „Gewerbetreibender“ werden in der Richtlinie 2005/29/EG und im Verbraucherrecht der Union synonym verstanden, EuGH 3. 10. 2013 – C-59/12 – EuZW 2013, 941 Tz. 31 – Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs; EuGH 4. 10. 2018 – C-105/17 – GRUR 2018, 1154 Tz. 29, 32 – Kamenova (identischer Begriff in Art. 2 lit. b RL 2005/29/EG und Art. 2 Nr. 2 RL 2011/83/EU); vgl. Art. 2 lit. d RL 2005/29/EG; Apetz Das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken (2011), S. 99 Fn. 316. 1268 Zur „Ausrichtung“ der Geschäftspraktik auf Verbraucher oben Rn. 262 zum Unmittelbarkeitszusammenhang und unten Rn. 281.

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Auftrag des Gewerbetreibenden handelt“.1269 Entscheidend ist der Bezug zu einer (selbständigen) unternehmerischen („entgeltlichen“1270) Tätigkeit, der sich aus der Gewinnorientierung, aus Anzahl, Umfang und Häufigkeit der Geschäftshandlungen, dem Umsatz oder einer Wiederverkaufsabsicht ergeben kann.1271 Weitere – nicht abschließende1272 – Kriterien für die Unternehmereigenschaft sind, „ob der Verkauf (…) planmäßig erfolgte, ob mit diesem Verkauf Erwerbszwecke verfolgt wurden, ob der Verkäufer über Informationen oder technische Fähigkeiten hinsichtlich der von ihm zum Verkauf angebotenen Waren verfügt, über die der Verbraucher nicht notwendigerweise verfügt (…), ob der Verkäufer eine Rechtsform hat, die ihm die Vornahme von Handelsgeschäften erlaubt, und in welchem Ausmaß der (…) Verkauf mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit des Verkäufers zusammenhängt, ob der Verkäufer mehrwertsteuerpflichtig ist, ob der Verkäufer, der im Namen oder im Auftrag eines bestimmten Gewerbetreibenden oder durch eine andere Person auftritt, die in seinem Namen oder Auftrag handelt, eine Vergütung oder Erfolgsbeteiligung erhalten hat, ob der Verkäufer neue oder gebrauchte Waren zum Zweck des Wiederverkaufs erwirbt und dieser Tätigkeit auf diese Weise eine gewisse Regelmäßigkeit, Häufigkeit und/oder Gleichzeitigkeit im Verhältnis zu seiner gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit verleiht, [oder] ob die zum Verkauf gestellten Waren alle gleichartig sind oder denselben Wert haben, insbesondere, ob sich das Angebot auf eine begrenzte Anzahl von Waren konzentriert“.1273 Aufgrund des Ziels eines hohen und umfassenden Verbraucherschutzes und seiner gegen274 über dem Verbraucher (regelmäßig) überlegenen Position1274 ist der Gewerbetreibende als Gegenbegriff1275 zum Verbraucherbegriff (Art. 2 lit. a RL 2005/29/EG) grundsätzlich weit und aus der Perspektive des Verbrauchers und des Schutzes seiner informierten Entscheidung auszulegen,1276 wobei stets eine Beurteilung im Einzelfall erforderlich ist.1277 Als Ergebnis einer solchen Einzelfallbeurteilung können auch „Personen, die hauptsächlich von zu Hause aus im Internet über Auktionswebsites sehr häufig Produkte verkaufen, die einen Gewinn anstreben und/oder Produkte mit der Absicht des Wiederverkaufs zu einem höheren Preis erwerben“,1278 als Gewerbetreibende qualifiziert werden. Allerdings reicht die bloße Tatsache, dass mit dem Verkauf ein Erwerbszweck verfolgt wurde oder dass gleichzeitig eine Reihe von Anzeigen (konkret: acht) zum Verkauf neuer oder gebrachter Waren angeboten wurden, für sich genommen nicht aus,

1269 Die Definition entspricht Art. 2 Nr. 2 RL 2011/83/EG, dazu EuGH 25. 10. 2005 – C-229/04 – Slg. 2005, I-9273 Tz. 42 ff. – Crailsheimer Volksbank; zur Begriffsübereinstimmung in beiden Richtlinien EuGH 4. 10. 2018 – C-105/ 17 – GRUR 2018, 1154 Tz. 29 – Kamenova. Siehe auch Art. 2 Abs. 1 lit. e RL 2008/122/EG; zum zweiten Teil („Namen und Auftrag“) auch Art. 1 Abs. 2 Handelsvertreterrichtlinie 86/653/EWG; zu „versteckten Gewerbetreibenden“ Anhang I, Ziffer 22 RL 2005/29/EG. 1270 EuGH 4. 10. 2018 – C-105/17 – GRUR 2018, 1154 Tz. 30 – Kamenova. Die „Entgeltlichkeit“ ist im Interesse eines hohen Verbraucherschutzniveaus und des weiten Unternehmerbegriffs weit zu verstehen und erfasst alle Tätigkeiten mit Gewinnerzielungsabsicht, auch wenn die Gewinne nicht durch Gegenleistungen der Nachfrager der Dienstleistung selbst, sondern auf anderem Wege, z. B. durch Werbung, erzielt werden; zur Gemeinnützigkeit unten Rn. 275. 1271 SEK (2009) 1666, Ziffer 1.8 S. 18; zur Haftung von Privatpersonen Henning-Bodewig GRUR 2013, 26. 1272 EuGH 4. 10. 2018 – C-105/17 – GRUR 2018, 1154 Tz. 39 – Kamenova. 1273 EuGH 4. 10. 2018 – C-105/17 – GRUR 2018, 1154 Tz. 38 – Kamenova. 1274 EuGH 13. 9. 2018 – C-54/17 und C-55/17 – GRUR 2018, 1156 Tz. 54 – Wind: „insbesondere hinsichtlich des Informationsniveaus in einer unterlegenen Position“; EuGH 4. 10. 2018 – C-105/17 – GRUR 2018, 1154 Tz. 34 – Kamenova: „wirtschaftlich schwächer und rechtlich weniger erfahren“. 1275 EuGH 3. 10. 2013 – C-59/12 – EuZW 2013, 941 Tz. 33 – Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs; EuGH 4. 10. 2018 – C-105/17 – GRUR 2018, 1154 Tz. 33 – Kamenova: Unternehmerbegriff „anhand des korrelativen, aber antinomischen Begriffs ‚Verbraucher‘ zu bestimmen, der jeden nicht gewerblich oder beruflich Tätigen bezeichnet“. 1276 EuGH 3. 10. 2013 – C-59/12 – EuZW 2013, 941 Tz. 32 ff. – Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs; EuGH 4. 10. 2018 – C-105/17 – GRUR 2018, 1154 Tz. 30 – Kamenova: „besonders weit konzipiert“. 1277 EuGH 4. 10. 2018 – C-105/17 – GRUR 2018, 1154 Tz. 37 – Kamenova. 1278 SEK (2009) 1666, Ziffer 1.8 S. 18.

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um die Eigenschaft als „Gewerbetreibender“ zu begründen.1279 Auch Existenzgründer,1280 Landwirte,1281 Freiberufler,1282 Verbände,1283 Non-Profit-Einrichtungen und öffentlich-rechtliche oder im Allgemeininteresse handelnde Einrichtungen1284 sind als Gewerbetreibende anzusehen, soweit ihr Verhalten selbständigen unternehmerischen Zwecken dient bzw. – bei öffentlichrechtlichen Stellen – wettbewerbliche Spielräume ausnutzt und nicht hoheitlich determiniert ist. Gemeinnützigkeit oder fehlende Gewinnausrichtung des Handelns oder der Organisation stehen der Anwendung der Richtlinie daher nicht entgegen.1285 Sind die Voraussetzungen einer selbständigen unternehmerischen Tätigkeit gegeben, so ist unerheblich, ob es sich um Rechtsgeschäfte des laufenden Gewerbebetriebs oder solche mit Ausnahmecharakter handelt.1286 Erforderlich für eine Einstufung als Unternehmer bzw. Gewerbetreibender ist aber stets, dass die „Vertragsbeziehung oder Geschäftspraxis innerhalb der Tätigkeiten liegt, die eine Person im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit vornimmt“ (Art. 2 lit. b RL 2005/ 29/EG: „im Rahmen ihrer gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit handelt“), es handelt sich um einen „funktionalen Begriff“.1287 Unklar ist, ob die Richtlinie allein auf die Unternehmereigenschaft abstellt oder auch auf 275 die Absatzförderung eigener Produkte. Folgt man ersterer Lesart, die der Wortlaut des Art. 2 lit. d RL 2005/29/EG („jede Handlung …, die unmittelbar mit der Absatzförderung … eines [nicht: eigenen] Produkts … zusammenhängt“) ebenso wie die Entstehungsgeschichte nahelegen,1288 so wäre auch die Förderung fremden Wettbewerbs und das Zusammenspiel unterschiedlicher Unternehmen bei Absatz und Vertrieb durch die Richtlinie erfasst.1289 Inzwischen hat sich allerdings die Auffassung durchgesetzt, dass die Förderung des fremden Absatzes, die nicht im Namen oder Auftrag des absetzenden Unternehmers erfolgt (dazu Art. 2 lit. b a. E. RL 2005/29/ 1279 1280 1281 1282 1283

EuGH 4. 10. 2018 – C-105/17 – GRUR 2018, 1154 Tz. 40 – Kamenova. Vgl. (zur VO 1215/2012) EuGH 3. 7. 1997 – C-269/95 – Slg. 1997, I-3767 Tz. 11 ff. – Benincasa. BGH 2. 3. 2017 – I ZR 194/15 – GRUR 2017, 537 Tz. 26 – Konsumgetreide. Vgl. Art. 3 Abs. 8 RL 2005/29/EG; MünchKomm/Micklitz/Namyslowska Art. 3 UGP-Richtlinie Rn. 6. Apetz Das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken (2011), S. 108 m. w. N.; enger wohl Rn. 5 der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. Dezember 2010 zum Einfluss der Werbung auf das Verbraucherverhalten, ABl. C 169 E vom 15. 6. 2012, S. 58 (nichtstaatliche Organisationen und Interessengruppen weder von der RL 2005/ 29/EG noch von der RL 2006/114/EG erfasst). 1284 EuGH 4. 10. 2018 – C-105/17 – GRUR 2018, 1154 Tz. 30 – Kamenova; BGH 18. 1. 2012 – Az. I ZR 170/10 – Tz. 14 f. – Betriebskrankenkasse zu Werbemaßnahmen von gesetzlichen Krankenkassen; im Ergebnis ebenso mit dem zentralen Argument des Ziels eines hohen Verbraucherschutzniveaus durch die Richtlinie 2005/29/EG EuGH 3. 10. 2013 – C-59/12 – EuZW 2013, 941 Tz. 32, 37 – Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs; vgl. auch Art. 2 Nr. 2 RL 2011/83/EU über die Rechte der Verbraucher. Zwar wurde die Klarstellung zur Einbeziehung staatlicher Stellen in Änderungsantrag 14 des Parlaments, A5–0188/2004, S. 13 f. nicht übernommen, allerdings ergibt sich die Erstreckung auf öffentlich-rechtliche Stellen bereits aus der allgemeinen Definition. 1285 SEK (2009) 1666, Ziffer 1.8 S. 18; etwas enger Apetz Das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken (2011), S. 105 f. Fn. 334, der in Anlehnung an die markenrechtliche Rechtsprechung zur Benutzung im geschäftlichen Verkehr nicht auf Entgeltlichkeit, sondern auf die Ausrichtung auf einen wirtschaftlichen Vorteil abstellen will. 1286 EuGH 14. 3. 1991 – C-361/89 – Slg. 1991, I-1189 Tz. 15 f. – di Pinto. 1287 EuGH 4. 10. 2018 – C-105/17 – GRUR 2018, 1154 Tz. 35 – Kamenova. 1288 Siehe insbesondere den Änderungsantrag 15 im Bericht des Rechtsausschusses des Parlaments, A5–0188/ 2004, S. 14, der sich für eine Einschränkung der Definition der Geschäftspraktik auf die Absatzförderung von Produkten dieses Gewerbetreibenden aussprach, um die Absatzförderung durch journalistische Berichterstattung, die regelmäßig ebenfalls gewerblich erfolgt, auszunehmen. Der Änderungsantrag wurde vom Rat auf Anraten der Kommission nicht übernommen, Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 6/2005, S. 19 lit. c). Dies spricht dafür, dass auch die Absatzförderung durch redaktionelle Berichterstattung von der Richtlinie erfasst sein sollte, wenn die allgemeine Voraussetzung eines Unmittelbarkeitszusammenhangs mit der Beeinflussung geschäftlicher Entscheidungen gegeben ist. An einem solchen fehlt es aber nach Erwägungsgrund 7 Satz 2, wenn die Geschäftspraktik (also die redaktionelle Berichterstattung) vorrangig anderen Zielen dient. 1289 So noch Vorauflage/Heinze Einl C Rn. 261; offenlassend MünchKomm/Micklitz/Namyslowska Art. 3 UGPRichtlinie Rn. 26.

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EG),1290 nicht von der Richtlinie erfasst wird (oben Rn. 259), wohl aber vom (umfassenderen) Begriff der „geschäftlichen Handlung“ in § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG.1291 Ob diese Beschränkung der Richtlinie (und damit der Harmonisierungswirkung des Unionsrechts) auf die Förderung eigenen Absatzes gerade in Zeiten verbreiteter, nicht zwangsläufig „beauftragter“ „Absatzförderung für fremde Produkte“ in sozialen Netzwerken weise ist, mag man bezweifeln.1292 276 Neben den Gewerbetreibenden erfasst die Richtlinie auch „jede Person, die im Namen oder Auftrag des Gewerbetreibenden handelt“, so dass die Bestimmungen der Richtlinie sowohl dem Gewerbetreibenden wie der in seinem Auftrag handelnden Person entgegen gehalten werden können, wenn beide der Definition des Gewerbetreibenden entsprechen.1293 Dies zielt auf selbständige ebenso wie unselbständige Vertreter und Hilfspersonen von Gewerbetreibenden, die ebenfalls in die lauterkeitsrechtliche Verantwortung genommen werden.1294 Ein Handeln im Namen oder Auftrag des Gewerbetreibenden ist bereits dann gegeben, wenn die Hilfsperson im Rahmen eines allgemeinen Vertriebsauftrags tätig wird, ohne dass auch die konkrete Geschäftspraktik von dem Auftrag gedeckt sein muss.1295 Unsicher ist, ob mit Art. 2 lit. b RL 2005/29/EG auch eine haftungsrechtliche Zurechnung dergestalt zum Ausdruck gebracht werden soll, dass der Unternehmer für das Verhalten seiner Hilfspersonen einzustehen hat.1296 Nicht erfasst von der Richtlinie wird das Verhalten von Personen oder Einrichtungen, die nicht als Gewerbetreibender i. S. d. Art. 2 lit. b RL 2005/29/EG anzusehen sind und auch nicht als Vertreter oder Hilfspersonen eines Gewerbetreibenden handeln, auch wenn ihr Verhalten objektiv wettbewerbsrelevant ist.1297

1290 EuGH 17. 10. 2013 – C-391/12 – GRUR 2013, 1245 Tz. 38 – Stuttgarter Nachrichten: „Zwar kann die Richtlinie 2005/29 nach der Definition des Begriffs des Gewerbetreibenden in Art. 2 Buchst. b dieser Richtlinie in einer Situation anwendbar sein, in der die Geschäftspraktiken eines Wirtschaftsteilnehmers von einem anderen Unternehmen ausgeübt werden, das im Namen und/oder Auftrag dieses Wirtschaftsteilnehmers tätig wird, so dass die Bestimmungen dieser Richtlinie in bestimmten Situationen sowohl diesem Wirtschaftsteilnehmer als auch diesem Unternehmen entgegengehalten werden können, wenn beide der Definition des Gewerbetreibenden entsprechen“. 1291 BGH 6. 2. 2104 – I ZR 2/11 – GRUR 2014, 879, 880 Tz. 13, 881 Tz. 20 f. – GOOD NEWS II mit Verweis auf EuGH 17. 10. 2013 – C-391/12 – GRUR 2013, 1245 Tz. 37, 41 – Stuttgarter Wochenblatt: „kann eine solche verlegerische Praxis für sich genommen nicht als ‚Geschäftspraktik‘ dieses Verlegers im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2005/ 29 angesehen werden“; BGH 11. 12. 2014 – GRUR 2015, 694, 696 Tz. 26 – Bezugsquellen für Bachblüten. Siehe bereits BGH 15. 1. 2009 – I ZR 123/06 – GRUR 2009, 878 Tz. 11 – Fräsautomat (außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2005/29/EG). 1292 Zur Kritik bereits oben Rn. 259. 1293 EuGH 17. 10. 2013 – C-391/12 – GRUR 2013, 1245 Tz. 38 – Stuttgarter Wochenblatt. Der Nachsatz „im Namen oder Auftrag“ geht auf Änderungsantrag 14 des Parlaments, A5–0188/2004, S. 13 f. zurück, der in der Neufassung des Art. 2 lit. b RL 2005/29/EG berücksichtigt wurde, wobei der Tatsache Rechnung getragen wurde, dass die Richtlinie nicht die Frage der Haftung regeln soll, Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 6/2005, S. 17; siehe auch KOM (2004) 356, S. 5. 1294 SEK (2009) 1666, Ziffer 1.2 S. 9: von Unternehmen bezahlte Blogger in sozialen Netzwerken, zur Schleichwerbung in Blogs auch Rn. 17 ff. der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. Dezember 2010 zum Einfluss der Werbung auf das Verbraucherverhalten, ABl. C 169 E vom 15. 6. 2012, S. 58 (dort wird m. E. irrig davon ausgegangen, dass von Unternehmen veranlasste Schleichwerbung durch Verbraucher nicht unter die RL 2005/29/EG falle); SEK (2009) 1666, Ziffer 1.8, S. 18: Vermittler und Vertreter; siehe auch Anhang I Nr. 30 („Arbeitsplatz“ des Gewerbetreibenden gefährdet); MünchKomm/Micklitz/Namyslowska Art. 3 UGP-Richtlinie Rn. 6. Eine Grenze ist dort zu ziehen, wo die Mitwirkung der Hilfsperson so untergeordnet ist, dass keine „Geschäftspraktik“ dieser Person mehr anzunehmen ist, Busch GPR 2008, 158, 161 („Büroboten und Plakatkleber“). 1295 Ausführlich zur Auslegung des „im Namen oder Auftrag“ Apetz Das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken (2011), S. 113 ff. 1296 So Koch Die Richtlinie gegen unlautere Geschäftspraktiken (2006), S. 25 f., 216 f.; Busch GPR 2008, 158, 161 f.; a. A. Apetz Das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken (2011), S. 111 f. Zur ähnlichen Regelung in Art. 2 RL 85/577/ EWG EuGH 25. 10. 2005 – C-229/04 – Slg. 2005, I-9273 Tz. 42 ff. – Crailsheimer Volksbank. 1297 Seichter WRP 2005, 1087, 1090; Köhler WRP 2007, 1393, 1397: „Empfehlung eines Unternehmens durch eine Behörde oder eines Produkts durch einen Redakteur“; SEK (2009) 1666, Ziffer 1.2 S. 10: „Bieten jedoch einzelne

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(2) Verbraucher im Sinne der Richtlinie ist „jede natürliche Person, die im Geschäftsverkehr 277 im Sinne dieser Richtlinie zu Zwecken handelt, die nicht ihrer gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können“ (Art. 2 lit. a RL 2005/29/EG).1298 Von vorneherein ausgeschlossen sind damit juristische Personen,1299 selbst wenn sie nicht unternehmerisch agieren oder sich sogar wie ein Verbraucherverband für die kollektiven Interessen der Verbraucher einsetzen. Ebenfalls ausgeschlossen ist das Handeln zu gewerblichen oder selbständigen beruflichen Zwecken, auch wenn die (Klein-)Gewerbetreibenden ähnlich schutzbedürftig wie Verbraucher sein mögen.1300 Im Übrigen sind Ausnahmen vom Verbraucherbegriff eng auszulegen.1301 Der Geschäftsverkehr im Sinne dieser Richtlinie umfasst alle Geschäftspraktiken „vor, wäh- 278 rend und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts“ (Art. 3 Abs. 1 RL 2005/29/EG), so dass nicht nur der Abschluss eines Rechtsgeschäfts erfasst wird.1302 Das Verhalten natürlicher Personen fällt daher immer dann in den Anwendungsbereich der Richtlinie, wenn sie nicht zu gewerblichen, handwerklichen oder (selbständigen) beruflichen Zwecken, sondern zu privaten Zwecken, insbesondere zur Befriedigung familiärer oder persönlicher Bedürfnisse1303 tätig werden. Unter den Schutz der Richtlinie fallen auch Handlungen zum Zweck unselbständiger beruflicher Tätigkeit (Arbeitnehmer), soweit der Arbeitnehmer nicht unmittelbar im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit handelt (dann handelt er i. d. R. im Namen oder Auftrag des Gewerbetreibenden), sondern lediglich Geschäfte tätig, die mittelbar seiner beruflichen Tätigkeit dienen (z. B. der Erwerb eines Autos für den Arbeitsweg).1304 Unsicher ist die Handhabung gemischter Verträge, bei denen die Nutzung eines Produkts 279 (z. B. Laptop eines Freiberuflers) sowohl privat wie gewerblich erfolgt. Hier bietet sich eine Analogie zu Erwägungsgrund 17 der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU an, so dass bei Verträgen mit doppeltem Zweck die Verbrauchereigenschaft zu bejahen ist, wenn der gewerbliche Personen auf einer nichtgewerblichen Grundlage Preisvergleichsinformationen an, wird davon ausgegangen, dass sie nicht an Geschäftspraktiken beteiligt sind“. Zu weitgehend Rn. 17 ff. der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. Dezember 2010 zum Einfluss der Werbung auf das Verbraucherverhalten, ABl. C 169 E vom 15. 6. 2012, S. 58, das offenbar für eine Regulierung unternehmensunabhängiger Empfehlungen durch Verbraucher an andere Verbraucher eintritt, weil diese irreführend sein könnten. Siehe auch den Vorlagebeschluss des BGH vom 18. 1. 2012 – I ZR 170/10 – Tz. 10 ff. – Betriebskrankenkasse zu Werbemaßnahmen von gesetzlichen Krankenkassen: Geschäftspraktik setzt „eine marktbezogene, wirtschaftliche Tätigkeit eines Unternehmens voraus“, der bei „Marktbezug“ und „Teilwettbewerb“ der gesetzlichen Krankenkassen wohl tendenziell gegeben ist (Tz. 14 f.); im Ergebnis ebenso mit dem zentralen Argument des Ziels eines hohen Verbraucherschutzniveaus durch die Richtlinie 2005/29/ EG EuGH 3. 10. 2013 – C-59/12 – EuZW 2013, 941 Tz. 37 – Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Anders zur Richtlinie 2001/83/EG EuGH 2. 4. 2009 – C-421/07 – Slg. 2009, I-2629 Tz. 22 – Damgaard. 1298 Zu anderen, weitgehend übereinstimmenden Verbraucherdefinitionen siehe Art. 2 lit. b Klauselrichtlinie 93/ 13/EWG; Art. 2 lit. e Preisangabenrichtlinie 98/6/EG; Art. 1 Abs. 2 lit. a Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44/EG (= Art. 2 Nr. 2 RL 2019/771); Art. 2 lit. e E-Commerce-Richtlinie 2000/31/EG; Art. 15 Abs. 1 VO 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit; Art. 2 lit. d RL 2002/65/EG über Fernabsatz von Finanzdienstleistungen; Art. 3 lit. a Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/EG; Art. 2 Nr. 1 RL 2011/83/EU über die Rechte der Verbraucher. 1299 EuGH 22. 11. 2001 – C-541/99 und C-542/99 – Slg. 2001, I-9049 Tz. 16 – Cape (zur Klauselrichtlinie 93/13/EWG). 1300 EuGH 14. 3. 1991 – C-361/89 – Slg. 1991, I-1189 Tz. 18 – di Pinto. 1301 EuGH 15. 4. 2010 – C-215/08 – Slg. 2010, I-2947 Tz. 30, 32 – E. Friz: Kapitalanlage (Beitritt zu geschlossenem Immobilienfonds) fällt unter den Verbraucherbegriff; Rösler Verbraucher und Verbraucherschutz in: Basedow/Hopt/ Zimmermann (Hrsg.) Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts (2009), S. 1599, 1600 f.; Piekenbrock/Ludwig GPR 2010, 114. 1302 Deshalb ist die Beschränkung des nach § 2 Abs. 2 UWG anwendbaren § 13 BGB auf den Abschluss eines Rechtsgeschäfts durch richtlinienkonforme Auslegung zu korrigieren, Ohly/Sosnitza § 2 Rn. 105. 1303 EuGH 14. 3. 1991 – C-361/89 – Slg. 1991, I-1189 Tz. 16 – di Pinto. 1304 Leistner Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb (2007), S. 627; enger Lettl WRP 2004, 1079, 1090; BTDrucks. 16/10145 S. 11 f. Im deutschen Recht dürfte dies keine Rolle spielen, weil § 2 Abs. 2 UWG auf § 13 BGB verweist, der ausdrücklich auf die selbständige berufliche Tätigkeit beschränkt ist, siehe BGH 24. 2. 2011 – 5 StR 514/09 – GRUR 2011, 941 Tz. 29 – Verbraucherbegriff bei progressiver Kundenwerbung.

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Zweck im Gesamtzusammenhang des Vertrags nicht überwiegt.1305 Indes dürfte die Frage nur selten praktische Relevanz erlangen, weil im Fall der Klage eines Mitbewerbers regelmäßig nicht der Absatz an einen konkreten Abnehmer und dessen Produktnutzung, sondern die generelle Ausrichtung der Geschäftspraktik maßgeblich ist. Ist aber im konkreten Fall eine gemischte Nutzung möglich, dann richtet sich die Geschäftspraktik zumindest allgemein auch an reine Privatnutzer und damit Verbraucher und ist deshalb von der Richtlinie erfasst.

280 cc) Mitbewerberschutz und gewerblicher Geschäftsverkehr. Während die Richtlinie auf eine vollständige Harmonisierung der Vorschriften über unlautere Geschäftspraktiken zielt, „die die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher unmittelbar und dadurch die wirtschaftlichen Interessen rechtmäßig handelnder Mitbewerber (näher § 2 Rn. 356 ff.) mittelbar schädigen“ (Erwägungsgrund 6 Satz 1 RL 2005/29/EG), werden nationale Vorschriften über unlautere Geschäftspraktiken, „die lediglich die wirtschaftlichen Interessen von Mitbewerbern schädigen oder sich auf ein Rechtsgeschäft zwischen Gewerbetreibenden beziehen“ (Erwägungsgrund 6 Satz 3 RL 2005/29/EG),1306 von der Richtlinie nicht „erfasst und berührt“ und können weiterhin von den Mitgliedstaaten geregelt werden.1307 Folge dieser Anwendungsbereichsbegrenzung ist eine – vielfach kritisierte1308 – Aufspaltung in den Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern (B2C-Verkehr) und Unternehmen untereinander (B2B-Verkehr).

281 (1) Lediglich mitbewerberschützende Vorschriften. Die Abgrenzung des verbraucherschützenden Lauterkeitsrechts von lediglich mitbewerberschützenden Vorschriften wirft erhebliche Schwierigkeiten auf. Ursache ist ein Spannungsverhältnis zwischen Art. 3 Abs. 1 RL 2005/29/EG und den Erwägungsgründen 6 und 8: Während Art. 3 Abs. 1 RL 2005/29/EG den Anwendungsbereich anhand eines adressatenorientierten Merkmals definiert („Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern“), stellen die Erwägungsgründe 6 und 8 (und auch Art. 1 RL 2005/29/EG und Erwägungsgrund 54 a. E. RL 2019/21611309) der Richtlinie auf den Schutzzweck der Regelung ab (Schutz der „wirtschaftlichen Interessen der Verbrau-

1305 Enger zur VO 1215/2012 EuGH 20. 1. 2005 – C-464/01 – Slg. 2005, I-439 Tz. 39 – Gruber: Verbindung zur beruflich-gewerblichen Tätigkeit muss so schwach sein, dass sie nebensächlich würde und im Zusammenhang des Geschäfts, über das der Vertrag abgeschlossen wurde, insgesamt nur eine ganz untergeordnete Rolle spielt; für Übernahme in das Lauterkeitsrecht MünchKomm/Micklitz/Namyslowska Art. 3 UGP-Richtlinie Rn. 4. Diese Entscheidung ist aber erkennbar durch den Grundsatz des Beklagtengerichtsstands in der EuGVO beeinflusst und steht dem Verbraucherbegriff der RL 2005/29/EG ferner als die RL 2011/83/EU. 1306 EuGH 14. 1. 2010 – C-304/08 – Slg. 2010, I-217 Tz. 39 – Plus Warenhandelsgesellschaft. 1307 Deutlich EuGH 4. 12. 2012 – C-559/11 – BeckRS 2012, 82481 Tz. 20 – Pelckmans Turnhout: „Par consequent, toute législation nationale qui ne poursuit pas des finalités tenant à la protection des consommateurs ne relève pas du champ d’application de ladite directive“. Zur Präzisierung im zweiten Halbsatz des Erwägungsgrundes 6 Satz 3 RL 2005/29/EG Änderungsantrag 105 von Marianne L. P. Thyssen im Namen der PPE-DE-Fraktion, A5–0188/105, siehe auch Ratsdokument Nr. 8492/04, S. 7; aufgenommen in veränderter Fassung durch den Rat, um den „Bezug zu einzelstaatlichen Rechtsvorschriften in außerhalb des Geltungsbereichs der Richtlinie liegenden Bereichen“ zu verdeutlichen, Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 6/2005, S. 16. 1308 Siehe nur Henning-Bodewig/Schricker GRUR Int. 2002, 319, 320; Köhler/Lettl WRP 2003, 1019, 1034; HenningBodewig GRUR Int. 2004, 183, 188 f.; Fezer WRP 2009, 1163, 1165; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Glöckner Einl B Rn. 226 f.; positiver Keßler/Micklitz BB 2003, 2073, 2074 f. Zu den Infererenzen zwischen B2C- und B2B-Bereich Hoeren WRP 2009, 789, 794. 1309 „Beschränkungen aus anderen Gründen als denen des Verbraucherschutzes, etwa des öffentlichen Interesses oder des … Schutzes der Achtung des Privatlebens der Verbraucher … fallen nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/29/EG.“

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cher“).1310 Zwar lassen sich Geschäftspraktiken identifizieren, die keinem der beiden Kriterien genügen, also nicht an Verbraucher gerichtet sind und ausschließlich den Interessen von Mitbewerbern schaden. Derartige Praktiken wie das Abwerben von Angestellten oder (gewerblichen) Kunden,1311 Bestechung, Industriespionage und Ausspähen von Geschäftsgeheimnissen (Art. 39 TRIPS),1312 Anstiftung zum Vertragsbruch (im geschäftlichen Verkehr), Sabotage an Produktions- oder Vertriebseinrichtungen, Schutzrechtsverwarnungen, Vertriebsbindungssysteme1313 oder allgemein der Verstoß gegen Marktverhaltensregelungen, die lediglich das Verhältnis zwischen Mitbewerbern betreffen,1314 werden von der Richtlinie 2005/29/EG nicht erfasst. Jenseits dieser klaren Fälle wirft die Kombination eines adressatenorientierten und eines 282 schutzzweckbezogenen Ausschlusskriteriums die Frage auf, ob Geschäftspraktiken, die an Verbraucher gerichtet sind, aber ausschließlich Mitbewerber schädigen, von der Richtlinie erfasst werden. Dies betrifft etwa den Bereich der Behinderung, soweit die behindernden Praktiken gegenüber Verbrauchern ausgeübt werden, aber Mitbewerber treffen sollen,1315 z. B. Maßnahmen der Preisgestaltung wie der Verkauf unter Einstandspreis1316 oder der Einsatz von Verdrängungspreisen, das Abwerben von Verbrauchern als Kunden,1317 die Verleitung von Verbrauchern zum Vertragsbruch1318 oder der Aufruf an Verbraucher zum Boykott der Konkurrenz. Das Problem stellt sich aber auch beim Vertrieb von Nachahmerprodukten an Verbraucher1319 oder bei der Herabsetzung und Anschwärzung von Mitbewerbern1320 in der Kommunikation gegenüber Verbrauchern.

1310 Dazu auch Glöckner WRP 2009, 1175, 1177 f.; ders. FS Köhler (2014) 159, 161 f.: Geschäftspraktik muss unmittelbar gegenüber den Verbrauchern ausgeübt werden, nicht unmittelbar die geschützten wirtschaftlichen Verbraucherinteressen berühren. 1311 BGH 16. 7. 2009 – I ZR 56/07 – GRUR 2009, 1075 Tz. 15, 19 – Betriebsbeobachtung. 1312 BGH 16. 7. 2009 – I ZR 56/07 – GRUR 2009, 1075 Tz. 15, 20 – Betriebsbeobachtung; siehe auch KOM (2011) 287, Ziffer 3.4.1, S. 19. Zum Schutz von Betriebsgeheimnissen nun aber die Richtlinie 2016/943/EU über den Schutz vertraulichen Know-Hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, ABl. EU L 157 vom 15. 6. 2016, S. 1. Zum Gesetzgebungsverfahren siehe Verfahren 2013/0402/COD; v. a. den Vorschlag KOM (2013) 813; zur Umsetzung in Deutschland das Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG), Fn. 303. 1313 Zu den Konsequenzen der UWG-Reform für Vertriebsbindungssysteme Lamberti/Wendel WRP 2009, 1479. 1314 BGH 2. 12. 2009 – I ZR 152/07 – GRUR 2010, 654 Tz. 15 – Zweckbetrieb. 1315 Siehe BGH 7. 10. 2009 – I ZR 150/07 – GRUR 2010, 346 Tz. 10 – Rufumleitung. 1316 Ein generelles und einzelfallunabhängiges Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis fällt als Geschäftspraktik unter die Richtlinie 2005/29/EG und ist nach dieser unzulässig, „sofern diese Vorschrift dem Verbraucherschutz dienen soll“, EuGH 7. 3. 2013 – C-343/12 – GRUR Int. 2013, 936 Tz. 22, 31 – Euronics Belgium; dies gilt auch dann, wenn das nationale allgemeine Verbot Ausnahmetatbestände vorsieht, die in der RL 2005/29/EG nicht vorgesehen sind, EuGH 19. 10. 2017 – C-295/16 – GRUR 2018, 303 Tz. 43 – Europamur. 1317 Zum Ausspannen und Abfangen von Kunden allgemein BGH 5. 2. 2009 – I ZR 119/06 – GRUR 2009, 876 Tz. 24 – Änderung der Voreinstellung II; BGH 16. 7. 2009 – I ZR 56/07 – GRUR 2009, 1075 Tz. 15, 19 – Betriebsbeobachtung. 1318 Dazu auch Scherer WRP 2009, 518, 520 f.: „Verbot einer entsprechenden geschäftlichen Handlung [Verleiten von Verbrauchern zum Vertragsbruch] stünde daher im Hinblick auf den Verbraucher im Widerspruch zu der RLUGP“; für eine Aufgabe der Rechtsprechung zur Verleitung zum Vertragsbruch auch Hoeren WRP 2009, 789, 793. 1319 Siehe Erwägungsgrund 14 Satz 6 RL 2005/29/EG, der auf Änderungsantrag 6 des Parlaments, A5–0188/2004, S. 8 f. zurückgeht, Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 6/2005, S. 16. Zum Schutz vor Produktnachahmung im UWG 2008 Köhler GRUR 2009, 445, 447 ff.; zur irreführenden Produktvermarktung Fezer GRUR 2009, 451. Nach BGH 28. 5. 2009 – I ZR 124/06 – GRUR 2010, 80 Tz. 17 – LIKEaBIKE und BGH 12. 5. 2011 – I ZR 53/10 – GRUR 2012, 58 Tz. 40 – Seilzirkus liegt § 4 Nr. 3 UWG außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2005/29/EG; eine Ausnahme für Herkunftstäuschungen lässt BGH 15. 4. 2010 – I ZR 145/08 – GRUR 2010, 1125 Tz. 33 f. – Femur-Teil offen. 1320 § 4 Nr. 1 UWG wird von der RL 2005/29/EG nicht erfasst, BGH 19. 5. 2011 – I ZR 147/09 – GRUR 2012, 74 Tz. 28 – Coaching-Newsletter. Die Herabsetzung oder Verunglimpfung durch vergleichende Werbung wird durch Art. 4 lit. d RL 2006/114/EG verboten.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

In solchen Fällen sprechen die besseren Gründe dafür, zur Definition des Anwendungsbereichs der Richtlinie nicht allein auf den Begriff der Geschäftspraktik i. S. d. Art. 2 lit. d RL 2005/ 29/EG abzustellen, sondern zusätzlich aus dem Zweck der Richtlinie (Art. 1 RL 2005/29/EG) und den Erwägungsgründen 6 und 8 eine Schutzzweckschranke abzuleiten, so dass Regelungen, die ausschließlich dem Schutz der Mitbewerber dienen, auch dann nicht von der Richtlinie erfasst werden, wenn die konkrete Geschäftspraktik an Verbraucher gerichtet ist.1321 Dies bedeutet nicht, dass die betreffenden Geschäftspraktiken generell und umfassend von der Richtlinie ausgenommen wären. Sofern und soweit eine konkrete verbrauchergerichtete Geschäftspraktik nämlich zugleich auch die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher beeinträchtigt und aus diesem Grund untersagt wird, etwa zur Abwehr einer Irreführungs- oder Verwechslungsgefahr (vgl. Art. 6 Abs. 1 lit. b, Abs. 2 lit. a, Anhang I Nr. 13 RL 2005/29/EG),1322 bleibt die Richtlinie anwendbar. 284 Für eine solche Lesart spricht neben den in Art. 1 und den Erwägungsgründen 6 und 8 verankerten Schutzzwecken der Richtlinie auch ihre Entstehungsgeschichte. So sollten nach der Begründung der Kommission Geschäftspraktiken nicht erfasst werden, soweit sie die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher nicht beeinträchtigen.1323 Nationale Vorschriften zum Schutz der Mitbewerber sollten vielmehr nur dann in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, wenn die Interessen von Verbrauchern und Mitbewerbern zusammenfallen und eine nationale Rechtsvorschrift „eine Geschäftspraktik mit dem zweifachen Ziel des Schutzes von Verbrauchern und Mitbewerbern“ regelt.1324 Ebenfalls für eine Schutzzweckschranke streitet die Regelungssystematik. Während näm285 lich die Richtlinie für verbrauchergerichtete Geschäftspraktiken zahlreiche Konkretisierungen der Generalklausel vorsieht (Art. 6–9, Anhang I RL 2005/29/EG), fehlt es vollständig an ver283

1321 EuGH 4. 12. 2012 – C-559/11 – BeckRS 2012, 82481 Tz. 20 – Pelckmans Turnhout: „Par consequent, toute législation nationale qui ne poursuit pas des finalités tenant à la protection des consommateurs ne relève pas du champ d’application de ladite directive“; wohl auch EuGH 7. 3. 2013 – C-343/12 – GRUR Int. 2013, 936 Tz. 30 f. – Euronics; EuGH 19. 10. 2017 – C-295/16 – GRUR 2018, 303 Tz. 35 f. – Europamur: nationales Verbot des Verkaufs zu Verlustpreisen infolge der Vollharmonisierung durch die Richtlinie unzulässig (und damit offenbar von ihr erfasst), sofern das nationale Verbot dem Verbraucherschutz dient (was jeweils festgestellt wurde); Ohly WRP 2008, 177, 183: „Schutz des guten Geschäftsrufs (§ 4 Nr. 1, 2 UWG), der Nachahmungsschutz (§ 4 Nr. 3 UWG) und der Schutz vor unlauterer Behinderung (§ 4 Nr. 4 UWG) bleiben daher, von Fällen der vergleichenden Werbung abgesehen, auf absehbare Zeit die Domäne des nationalen Rechts“; anders Köhler GRUR 2005, 793, 801 f., der das Problem über das Kriterium der unmittelbaren Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidung des Verbrauchers lösen will (Erwägungsgrund 7 RL 2005/29/EG), eine solche Beeinflussung aber verneint, wenn ein Mitbewerber das an Verbraucher gerichtete Werbematerial vernichtet; für eine Einbeziehung bestimmter B2B-Praktiken Glöckner WRP 2009, 1175, 1177 f. Wiederum anders MünchKomm/Micklitz/Namyslowska Art. 3 UGP-Richtlinie Rn. 15, die auch Geschäftspraktiken der Unternehmer untereinander erfassen wollen, die sich auf den Verbraucher auswirken, andererseits aber eine unmittelbare Kommunikationsbeziehung zwischen Gewerbetreibenden und Verbraucher fordern, die wiederum normativ anhand des legitimen Verständnisses eines europäischen Referenzverbrauchers bestimmt werden soll. 1322 Vgl. auch BGH 15. 4. 2010 – I ZR 145/08 – GRUR 2010, 1125 Tz. 33 f. – Femur-Teil. 1323 KOM (2003) 356, S. 12 Rn. 40: „Das bedeutet auch, dass Handlungen, die in manchen Mitgliedstaaten als unlauterer Wettbewerb gewertet werden, die aber die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher nicht beeinträchtigen, etwa sklavische Nachahmungen […] oder Schlechtmachen eines Mitbewerbers, nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie fallen. Handlungen, […] die tatsächlich den wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher schaden, wie z. B. Marketing unter Ausnutzung einer Verwechslungsgefahr […], werden jedoch erfasst“; ebenso SEK (2009) 1666, S. 16 Ziffer 1.7: „Somit [Hinweis auf Erwägungsgrund 6 Satz 3) fallen nationale Rechtsvorschriften über Geschäftspraktiken wie nicht kostendeckende Verkäufe bzw. Verlustverkäufe, die einzig und allein für einen lauteren Wettbewerb auf dem Markt sorgen sollen, nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie“. 1324 SEK (2009) 1666, S. 16 f. Ziffer 1.7 mit dem Beispiel nationaler Maßnahmen zur Regelung der Schlussverkaufsperioden: Dienen diese dazu, „KMU vor einer ganzjährigen intensiven Absatzpolitik von großen Warenhausketten zu schützen und so einen lauteren Wettbewerb sicherzustellen“, werden sie von der Richtlinie nicht erfasst. Regeln sie aber „die Art der Präsentation von Rabatten für die Verbraucher während Schlussverkäufen“ oder die „Transparenz der Informationen zu Sonderangeboten“, so fallen sie in den Anwendungsbereich der Richtlinie.

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gleichbarem Induktionsmaterial zur Auslegung des Art. 5 RL 2005/29/EG, soweit ausschließlich die Interessen von Mitbewerbern betroffen sind, etwa durch Verdrängungspreise, Produktnachahmungen oder Herabsetzungen. Auch wenn die Rechtsschöpfung in diesem Bereich durch den EuGH möglich wäre, so handelt es sich doch – gerade mit Blick auf die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten – um ein Gebiet, das besser bewusst durch den Gesetzgeber denn als ungeplanter Beifang einer verbraucherrechtlichen Richtlinie harmonisiert werden sollte. Schließlich finden sich Anzeichen für eine solche Schutzzweckschranke auch in der Recht- 286 sprechung des EuGH. Zwar subsumierte der Gerichtshof in der Rechtssache VTB/VAB die streitgegenständlichen Kopplungsangebote noch unter Art. 2 lit. d RL 2005/29/EG, ohne den Schutzzweck der belgischen Vorschriften über Kopplungsangebote näher zu thematisieren.1325 In Plus Warenhandelsgesellschaft ging der Gerichtshof dann allerdings, nach einer Subsumtion der fraglichen Geschäftspraktik (kostenlose Teilnahme eines Verbrauchers an einer Lotterie bei Erwerb bestimmter Waren) unter Art. 2 lit. d RL 2005/29/EG,1326 auf den Einwand der tschechischen und österreichischen Regierung ein, dass die betreffenden Vorschriften des UWG in erster Linie den Schutz der Mitbewerber bezweckten.1327 Der EuGH wies dieses Argument zurück, weil von dem durch Art. 2 lit. d RL 2005/29/EG definierten „besonders weiten materiellen Anwendungsbereich“ der Richtlinie „nur solche nationalen Rechtsvorschriften ausgenommen sind, die unlautere Geschäftspraktiken betreffen, die ‚lediglich‘ die wirtschaftlichen Interessen von Mitbewerbern schädigen oder sich auf ein Rechtsgeschäft zwischen Gewerbetreibenden beziehen“.1328 Zwar verneinte der EuGH im konkreten Fall eine Ausnahme, weil die in Rede stehenden nationalen Vorschriften ausdrücklich (auch) auf den Schutz der Verbraucher und nicht lediglich auf den Schutz der Mitbewerber und der anderen Marktteilnehmer abzielten.1329 Die Entscheidung zeigt aber, dass der Schutzzweck der nationalen Vorschriften offenbar Einfluss auf die Anwendbarkeit der Richtlinie hat. Diese Doppelprüfung – erstens Vorliegen einer Geschäftspraktik i. S. d. Art. 3, 2 lit. d RL 287 2005/29/EG, zweitens Berücksichtigung des Regelungszwecks der nationalen Vorschriften zur Subsumtion unter die Schutzzweckschranke in Erwägungsgrund 6 – übernahm sodann auch die Große Kammer in der Rechtssache Mediaprint. Nachdem der Gerichtshof das Vorliegen einer Geschäftspraktik i. S. d. Art. 2 lit. d RL 2005/29/EG bejaht hatte, ging er der Frage nach, ob eine nationale Bestimmung „ungeachtet der Tatsache, dass sie … einen umfassenderen Regelungszweck als die Richtlinie hat, weil sie nicht nur Verbraucher schützen will, sondern auch andere Ziele verfolgt, in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen kann“.1330 Der Gerichtshof betonte erneut, dass infolge des sechsten Erwägungsgrundes „nur solche nationalen Rechtsvorschriften ausgenommen [sind], die unlautere Geschäftspraktiken betreffen, die ‚lediglich‘ die wirtschaftlichen Interessen von Mitbewerbern beeinträchtigen oder sich auf ein Rechtsgeschäft zwischen Gewerbetreibenden beziehen“.1331 Im konkreten Fall hat der EuGH dies aufgrund der Feststellungen des vorlegenden Gerichts und des allgemeinen Gesetzeszwecks des österreichischen UWG verneint, obwohl die österreichische Regierung geltend gemacht hatte, dass die konkrete Bestimmung – wenn auch im UWG geregelt – „im Wesentlichen das Ziel der Aufrechterhaltung der Medienvielfalt in Österreich“ verfolge.1332

1325 EuGH 23. 4. 2009 – C-261/07 und C-299/07 – Slg. 2009, I-2949 Tz. 50 – VTB-VAB; zu den potentiell weitreichenden Konsequenzen Glöckner WRP 2009, 1175, 1177 f. EuGH 14. 1. 2010 – C-304/08 – Slg. 2010, I-217 Tz. 37 – Plus Warenhandelsgesellschaft. EuGH 14. 1. 2010 – C-304/08 – Slg. 2010, I-217 Tz. 38 ff. – Plus Warenhandelsgesellschaft. EuGH 14. 1. 2010 – C-304/08 – Slg. 2010, I-217 Tz. 39 – Plus Warenhandelsgesellschaft. EuGH 14. 1. 2010 – C-304/08 – Slg. 2010, I-217 Tz. 40 – Plus Warenhandelsgesellschaft. EuGH (Große Kammer) 9. 11. 2010 – C-540/08 – Slg. 2010, I-10909 Tz. 20 – Mediaprint; siehe auch den Vorlagebeschluss OGH 18. 11. 2008 – 4 Ob 154/08p – Medien und Recht 2008, 315. 1331 EuGH (Große Kammer) 9. 11. 2010 – C-540/08 – Slg. 2010, I-10909 Tz. 21 – Mediaprint. 1332 EuGH (Große Kammer) 9. 11. 2010 – C-540/08 – Slg. 2010, I-10909 Tz. 23 ff. – Mediaprint.

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Nur vor dem Hintergrund der Uneinigkeit über den Schutzzweck der nationalen Bestimmung ist wohl die weitere Feststellung des EuGH zu erklären, dass „selbst wenn man davon ausgeht, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Bestimmung im Wesentlichen das Ziel der Aufrechterhaltung der Medienvielfalt in Österreich verfolgt“, darauf hinzuweisen sei, „dass die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, in ihrem Gebiet Maßnahmen beizubehalten oder einzuführen, die bezwecken oder bewirken, dass Geschäftspraktiken aus Gründen der Aufrechterhaltung der Medienvielfalt als unlauter eingestuft werden, nicht zu den in den Erwägungsgründen 6 und 9 sowie in Art. 3 der Richtlinie genannten Ausnahmen von ihrem Anwendungsbereich gehört“.1333 Darin dürfte keine Relativierung der in Erwägungsgrund 6 genannten Ausnahme für ausschließlich mitbewerberschützende nationale Vorschriften zu sehen sein, sondern allenfalls der Hinweis, dass über die in den Erwägungsgründen 6 und 9 und in Art. 3 genannten Ausnahmen hinaus keine weiteren Ausnahmegründe zu akzeptieren sind.1334 289 Besonders klar tritt die Doppelprüfung im Beschluss in der Rechtssache Wamo zu Tage.1335 Dort ging es um eine belgische Regelung, die Ankündigungen von Preisermäßigungen in einem Zeitraum untersagt, der der Phase des Schlussverkaufs in einer bestimmten Branche vorausgeht. Nach Hinweis auf die Rechtssachen Plus Warenhandelsgesellschaft und Mediaprint sowie Art. 1 und die Erwägungsgründe 6 und 8 der RL 2005/29/EG sah es der Gerichtshof als erforderlich an, vorab festzustellen, ob die betreffende belgische Regelung „dem Verbraucherschutz dienen soll und daher dem Anwendungsbereich der Richtlinie unterfällt“.1336 Da sich der Gerichtshof jedoch nicht zur Auslegung des nationalen Rechts äußern könne, müsse „das vorlegende Gericht und nicht der Gerichtshof … klären, ob die fragliche nationale Vorschrift tatsächlich dem Verbraucherschutz dient, damit festgestellt werden kann, ob eine solche Bestimmung in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt“.1337 290 Der Beschluss in Wamo demonstriert damit zugleich auch die Gefahren der Schutzzweckschranke: Indem der Schutzzweck der nationalen Regelung durch die nationalen Gesetzgeber (bzw. das vorlegende Gericht) und nicht autonom durch den Gerichtshof definiert wird, steht der Anwendungsbereich der Richtlinie zur Disposition der nationalen Gesetzgeber, die durch (Um-)Widmung nationaler Lauterkeitsvorschriften in den Konkurrentenschutz versucht sein könnten, sich der Vollharmonisierung zu entziehen. Um diese Gefahr abzumildern, sollte zur Bestimmung des Schutzzwecks nicht nur auf die Äußerungen der nationalen Regierung und des vorlegenden Gerichts, sondern auch auf den allgemeinen Zweck der nationalen Vorschriften, ihren Hintergrund und ihre Entstehungsgeschichte, die vorbereitenden Arbeiten und das wis288

1333 EuGH (Große Kammer) 9. 11. 2010 – C-540/08 – Slg. 2010, I-10909 Tz. 26 – Mediaprint. 1334 Auch dies erscheint zweifelhaft, weil die Richtlinie nur dem Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher dient, so dass auch nationale Regeln zum Schutz nicht ausdrücklich vorbehaltener Allgemeininteressen zulässig bleiben, dazu unten Rn. 304 ff. Großzügiger zur Medienregulierung neben der Richtlinie 2005/29/EG nunmehr auch EuGH 17. 10. 2013 – C-391/12 – Tz. 39 ff. – Stuttgarter Wochenblatt. 1335 EuGH 30. 6. 2011 – C-288/10 – Slg. 2011, I-5835 Tz. 20 ff. (Schutzzweck), Tz. 29 ff. (Geschäftspraktik) – Wamo; ebenso EuGH 15. 12. 2011 – C-126/11 – BeckRS 2012, 80286 Tz. 29 f. – INNO: eine nationale Regelung, die allgemeines Verbot von Ankündigungen von Preisermäßigungen und Ankündigungen, die eine Preisermäßigung vermuten lassen, während bestimmter Zeiten vor den Schlussverkaufszeiten vorsieht, ist nur mit der Richtlinie 2005/29/EG unvereinbar, soweit mit dieser Bestimmung Ziele des Verbraucherschutzes verfolgt werden; ebenso EuGH 17. 1. 2013 – C206/11 – GRUR 2013, 297 Tz. 27 (Geschäftspraktik), 31 (Ziel des Verbraucherschutzes) – Georg Köck (zur behördlichen Genehmigung von Ausverkäufen); EuGH 7. 3. 2013 – C-343/12 – GRUR Int. 2013, 936 Tz. 22, 31 – Euronics Belgium: generelles Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis mit der RL 2005/29/EG unvereinbar, „sofern diese Vorschrift dem Verbraucherschutz dienen soll“; EuGH 4. 12. 2012 – C-559/11 – BeckRS 2012, 82481 Tz. 22 – Pelckmans Turnhout; nationales allgemeines Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis mit Ausnahmetatbeständen, die in der RL 2005/ 29/EG nicht vorgesehen sind, ist mit der RL 2005/29/EG unvereinbar, sofern es dem Verbraucherschutz dienen soll, EuGH 19. 10. 2017 – C-295/16 – GRUR 2018, 303 Tz. 43 – Europamur. 1336 EuGH 30. 6. 2011 – C-288/10 – Slg. 2011, I-5835 Tz. 20 – Wamo. 1337 EuGH 30. 6. 2011 – C-288/10 – Slg. 2011, I-5835 Tz. 28 – Wamo.

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V. Lauterkeitsrecht und Rechtsangleichung

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senschaftliche Schrifttum zurückgegriffen werden,1338 auch wenn damit in gewissem Umfang eine Auslegung des nationalen Rechts verbunden ist. Dabei ist stets auf den Schutzzweck der konkreten Regelung abzustellen und nicht allein auf den allgemeinen Schutzzweck des übergeordneten Gesetzes (z. B. des UWG), der sich nicht zwangsläufig in jeder Einzelvorschrift widerspiegeln muss.1339

(2) Geschäftspraktiken, die sich auf ein Rechtsgeschäft zwischen Gewerbetreibenden 291 beziehen. Neben der Schutzzweckschranke definiert Erwägungsgrund 6 Satz 3 RL 2005/29/EG auch eine situationsgebundene Ausnahme für Geschäftspraktiken, die „sich auf ein Rechtsgeschäft zwischen Gewerbetreibenden beziehen“. Die Auslegung dieser Klausel wirft keine besonderen Probleme auf, wenn die Beteiligten des konkreten Rechtsgeschäfts bekannt sind, z. B. wenn Rechtsrat gegenüber einem Unternehmen erteilt wird1340 oder Werbemails an gewerbliche Abnehmer versandt werden1341 oder wenn Kopplungs- oder Zugabenangebote an Gewerbetreibende oder Freiberufler gerichtet werden.1342 So werden etwa Boykotte oder Liefersperren nicht erfasst, wenn sie sich auf die Geschäftsbeziehungen zwischen Gewerbetreibenden beziehen.1343 Selbst wenn sich derartige Maßnahmen mittelbar auch auf Verbraucher auswirken mögen, so ist diese Auswirkung eine Folge der Veränderung der Marktbedingungen und nicht einer „Geschäftspraktik von Unternehmen gegenüber Verbrauchern“, so dass der Tatbestand des Art. 2 lit. d RL 2005/29/EG nicht erfüllt ist. Allerdings erfasst die Richtlinie auch eine Vielzahl vorvertraglicher Verhaltensweisen, bei 292 denen noch nicht bekannt ist, ob der konkrete Vertragspartner ein Gewerbetreibender oder ein Verbraucher sein wird. In dieser Situation ist darauf abzustellen, ob sich der Vertrieb (auch) an Verbraucher oder ausschließlich an Gewerbetreibende (z. B. Vertrieb vom Hersteller an Großhändler oder vom Großhändler an Einzelhändler oder Gewerbetreibende) richtet, was sich etwa aus den AGB des Händlers ergeben kann.1344 Werden demgegenüber potentiell auch Verbraucher angesprochen, greift die Ausnahme 293 nicht ein, und die Richtlinie findet Anwendung,1345 sofern es sich nicht ausnahmsweise um Produkte handelt, bei denen eine private Nutzung ausgeschlossen ist (z. B. Investitionsgüter).1346 Im Fall eines solchen gemischten Vertriebs (z. B. von Pkw, die sowohl privat wie gewerblich genutzt werden können) ist die Richtlinie 2005/29/EG ausschließlich anzuwenden und ein Rückgriff auf die durch die Richtlinie 2006/114/EG nur mindestharmonisierten nationalen Vorschriften zur Irreführung von Unternehmen auszuschließen. Auf diese Weise wird verhindert, dass über den Umweg der Irreführungsvorschriften im unternehmerischen Verkehr die

1338 EuGH 4. 12. 2012 – C-559/11 – BeckRS 2012, 82481 Tz. 22 – Pelckmans Turnhout; SEK (2009) 1666, S. 17 Ziffer 1.7; siehe auch Lübbig GPR 2010, 268, 272 unter Hinweis auf EuGH 25. 10. 2001 – C-49/98 u. a. – Slg. 2001, I-7831 Tz. 40 – Finalarte: „Gesetze der Mitgliedstaaten nach ihrer tatsächlichen Wirkung und nicht nur nach der Gesetzesbegründung zu beurteilen“. 1339 Wenig überzeugend daher EuGH (Große Kammer) 9. 11. 2010 – C-540/08 – Slg. 2010, I-10909 Tz. 24 – Mediaprint, wo aus dem allgemeinen Gesetzeszweck auf den Zweck einer Einzelvorschrift geschlossen wird. 1340 BGH 4. 11. 2010 – I ZR 118/09 – GRUR 2011, 539 Tz. 23 – Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker. 1341 BGH 10. 12. 2009 – I ZR 201/07 – MMR 2010, 183 Tz. 11. 1342 BGH 26. 3. 2009 – I ZR 99/07 – GRUR 2009, 1082 Tz. 21 – DeguSmiles & more; BGH 2. 7. 2009 – I ZR 147/06 – GRUR 2009, 969 Tz. 9 – Winteraktion. 1343 KOM (2003) 356, S. 12 Rn. 41. 1344 Zuweilen sehen Großhändler in ihren AGB ausdrücklich vor, dass nur für gewerbliche Zwecke und nicht zu Zwecken des privaten Verbrauchs ihrer Kunden verkauft wird. 1345 Erwägungsgrund 6 Satz 4 RL 2005/29/EG: „Werbung, die für Unternehmen, nicht aber für Verbraucher irreführend ist“. 1346 Vgl. Hoeren WRP 2009, 789, 791: Bedarfsgeschäfte des alltäglichen Lebens unterfallen der Richtlinie.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

Vollharmonisierung der Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern unterlaufen wird.1347

294 (3) Irreführende Werbung im unternehmerischen Verkehr. Ebenfalls nicht von der Richtlinie 2005/29/EG erfasst wird der Schutz von Gewerbetreibenden vor irreführender Werbung und deren unlauteren Auswirkungen, der Gegenstand einer Mindestharmonisierung durch Art. 3 RL 2006/114/EG ist.1348

295 dd) Schutz anderer als wirtschaftlicher Verbraucherinteressen. Gemäß Art. 1 dient die Richtlinie 2005/29/EG (nur) dem Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher. Vorbehaltlich der Vollharmonisierung durch andere Rechtsakte des Unionsrechts steht es den Mitgliedstaaten daher frei, zum Schutz anderer Interessen Geschäftspraktiken i. S. d. Art. 2 lit. d RL 2005/29/EG zu untersagen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Ausnahme ausdrücklich in der Richtlinie vorgesehen ist, dazu (1)–(3). Darüber hinaus sind auch über die in der Richtlinie genannten Ausnahmen weitere Schutzgüter anzuerkennen, die den Regelungsspielraum der Mitgliedstaaten eröffnen, dazu (4).

296 (1) Gesundheitsschutz und Produktsicherheit. Zu den ausdrücklich genannten Ausnahmen zählen der Gesundheitsschutz und die Produktsicherheit. Art. 3 Abs. 3 und Erwägungsgrund 9 Satz 1 der Richtlinie 2005/29/EG sehen vor, dass die Richtlinie die Rechtsvorschriften der Union und der Mitgliedstaaten „in Bezug auf die Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten unberührt“ lässt. Nicht nur die Union, sondern auch die Mitgliedstaaten können daher unter Berufung auf den Schutz der Gesundheit und die Sicherheit der Verbraucher in ihrem Hoheitsgebiet Geschäftspraktiken einschränken oder verbieten, z. B. im Zusammenhang mit Spirituosen, Tabakwaren und Arzneimitteln (Erwägungsgrund 9 Satz 2 RL 2005/29/EG), und den Verstoß gegen solche Vorschriften auch wettbewerbsrechtlich sanktionieren (§ 3a UWG).1349 297 Dabei ist allerdings zu beachten, dass auf diesen Gebieten eine Vielzahl von sektoriellen Maßnahmen der Union ergangen sind, die häufig vollharmonisierenden Charakter haben und den Spielraum der Mitgliedstaaten begrenzen (für einen Überblick unten Rn. 447).1350 Zudem ist der Vorbehalt in Art. 3 Abs. 3 RL 2005/29/EG nicht dahingehend misszuverstehen, dass jede Werbung mit gesundheitsschützenden oder sicherheitsrelevanten Aspekten aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/29/EG ausgenommen wäre. Vielmehr bleibt die Richtlinie 2005/29/EG als allgemeiner Teil des unionalen Lauterkeitsrechts (oben Rn. 250) anwendbar, soweit keine spezifischen Vorschriften des Unionsrechts (oder, soweit zulässig, des nationalen 1347 Zu dieser Gefahr Leistner ZEuP 2009, 56, 70. 1348 Erwägungsgrund 6 Satz 4 RL 2005/29/EG. Dies ergibt sich bereits aus der Ausnahme für Geschäftspraktiken, die sich auf ein Rechtsgeschäft zwischen Gewerbetreibenden beziehen.

1349 BGH 26. 3. 2009 – I ZR 213/06 – GRUR 2009, 984 Tz. 34 – Festbetragsfestsetzung (zu § 4 Nr. 11 a. F. UWG). Diese Regelungsausnahme lässt sich häufig parallel auch über Art. 3 Abs. 8 RL 2005/29/EG und (bei unionsrechtlichen Vorschriften) Art. 3 Abs. 4 RL 2005/29/EG begründen (Vorbehalt für Regeln über „besondere Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken“), z. B. im Fall der VO 1924/2006, dazu BGH 13. 1. 2011 – I ZR 22/09 – GRUR 2011, 246 Tz. 12 – Gurktaler Kräuterlikör; zur doppelten Begründung des Vorrangs unionaler Sondervorschriften zur Arzneimittelwerbung über Art. 3 Abs. 3 und 4 RL 2005/29/EG EuGH 16. 7. 2015 – C-544/13 und C-545/13 – GRUR 2015, 1028 Tz. 79 – Abcur AB. 1350 Siehe auch MünchKomm/Micklitz/Namyslowska Teil III B Produkt- und personenbezogene Werberegeln und Lauterkeitsrecht. Zur Einstufung der RL 2001/83/EG und ihren Bestimmungen zur Arzneimittelwerbung als „Rechtsvorschriften über die Gesundheit“ i. S. d. Art. 3 Abs. 3 RL 2005/29/EG EuGH 16. 7. 2015 – C-544/13 und C-545/13 – GRUR 2015, 1028 Tz. 76 f. – Abcur AB.

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V. Lauterkeitsrecht und Rechtsangleichung

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Rechts) vorliegen, die spezielle Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken regeln, wie etwa Informationsanforderungen oder Regeln darüber, wie dem Verbraucher Informationen zu vermitteln sind.1351 Dementsprechend bleibt die Richtlinie 2005/29/EG anwendbar, wenn es um irreführende gesundheitsbezogene oder sicherheitsrelevante Angaben geht, die die Fähigkeit des Verbrauchers beeinflussen, eine informierte wirtschaftliche Entscheidung zu treffen, z. B. wenn wirkungslose Substanzen als medizinisch wirksam beworben werden.1352 Der Vorbehalt des Art. 3 Abs. 3 RL 2005/29/EG bezieht sich beispielsweise auf Marktverhal- 298 tensregelungen, die vorrangig aus Gründen des Gesundheitsschutzes die Erbringung gesundheitsbezogener Dienstleistungen an bestimmte Voraussetzungen knüpfen,1353 die Publikumswerbung für Arzneimittel verbieten,1354 die Werbung und Vertrieb nicht zugelassener Arzneimittel mit wettbewerbsrechtlichen Mitteln untersagen,1355 die Zulassungsvoraussetzungen für Pflanzenschutzmittel bestimmen,1356 den Gebrauch gesundheitsbezogener Angaben in der Lebensmittelwerbung regeln1357 oder die Werbung für Tabakprodukte1358 oder (zahn-)ärztliche Leistungen1359 verbieten. Bereits die Grenzen des Art. 3 Abs. 3 RL 2005/29/EG loten Vorschriften zur Preisbindung und Zugabenverbote im Arzneimittelsektor aus, auch wenn sie die flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln und die sachliche – ohne Zugaben beeinflusste – Entscheidung für ein bestimmtes Arzneimittel sicherstellen sollen,1360 denn dies sind nicht nur Anliegen des Gesundheitsschutzes, sondern z. T. auch wirtschaftliche Motive. Darüber hinaus werden trotz Art. 3 Abs. 3 RL 2005/29/EG auch gesundheitsschützende Vorschriften des Unionsrechts zumindest insofern in den Anwendungsbereich der Richtlinie einbezogen, wie sie Informationsanforderungen in Bezug auf kommerzielle Kommunikation i. S. d. Art. 7 Abs. 5 RL 2005/29/EG festlegen.1361

(2) Privatsphäre und Datenschutz. Auch der Schutz der Privatsphäre und der personenbezo- 299 genen Daten des Verbrauchers ist grundsätzlich nicht das Anliegen der Richtlinie 2005/29/EG.1362 1351 EuGH 16. 7. 2015 – C-544/13 und C-545/13 – GRUR 2015, 1028 Tz. 79, 81 f. – Abcur AB. 1352 EuGH 16. 7. 2015 – C-544/13 und C-545/13 – GRUR 2015, 1028 Tz. 82 – Abcur AB. Siehe auch Anhang I Nr. 17 RL 2005/29/EG: „falsche Behauptung, ein Produkt könne Krankheiten, Funktionsstörungen oder Missbildungen heilen“; Art. 6 Abs. 1 lit. b RL 2005/29/EG: „die wesentlichen Merkmale des Produkts wie … Risiken“. Zur Werbung für wirkungslose Haarwuchsmittel KOM (2003) 356, S. 12 Rn. 43; siehe auch Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 7. 3. 2002 – C-99/01 – Slg. 2002, I-9375 Tz. 34 – Linhart: „Maßnahmen zur Verhinderung einer derartigen möglichen Irreführung oder Verwirrung der Käufer hängen meines Erachtens nicht mit dem Gesundheitsschutz zusammen, sondern mit dem Verbraucherschutz und der Lauterkeit des Handelsverkehrs.“ 1353 BGH 16. 1. 2009 – I ZR 141/06 – GRUR 2009, 881 Tz. 16 – Überregionaler Krankentransport zum Genehmigungserfordernis für Rettungsfahrten Privater. 1354 BGH 26. 3. 2009 – I ZR 213/06 – GRUR 2009, 984 Tz. 34 – Festbetragsfestsetzung. 1355 BGH 24. 6. 2010 – I ZR 166/08 – GRUR 2010, 1393 Tz. 20 – Photodynamische Therapie. 1356 BGH 1. 6. 2011 – I ZR 25/10 – GRUR 2011, 843 Tz. 14 – Vorrichtung zur Schädingsbekämpfung; BGH 6. 10. 2011 – I ZR 117/10 –Tz. 30 f. – Delan (juris). 1357 BGH 13. 1. 2011 – I ZR 22/09 – GRUR 2011, 246 Tz. 12 – Gurktaler Kräuterlikör. 1358 BGH 4. 11. 2010 – I ZR 139/09 – GRUR 2011, 633 Tz. 35 – BIOTABAK. 1359 EuGH 4. 5. 2017 – C-399/15 – GRUR 2017, 627 Tz. 26, 29 – Vanderborght (weitgehende nationale Werbebeschränkungen für Zahnärzte – ersichtlich – sowohl durch Art. 3 Abs. 3 wie Art. 3 Abs. 8 RL 2005/29/EG gestattet). 1360 BGH 9. 9. 2010 – I ZR 98/08 – GRUR 2010, 1133 Tz. 11 – Bonuspunkte verweist ohne nähere Diskussion des Art. 3 Abs. 3 darauf, dass die Regeln dem Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Verbraucher dienten, obwohl in Tz. 14 und 18 differenziertere Schutzzwecke dargelegt werden. 1361 Siehe nur den Verweis auf die (gesundheitsbezogenen) Art. 86–100 RL 2001/83/EG in Anhang II RL 2005/29/ EG; ausdrücklich auch EuGH 16. 7. 2015 – C-544/13 und C-545/13 – GRUR 2015, 1028 Tz. 78 – Abcur AB. 1362 Zur Vereinbarkeit des § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG mit der Richtlinie 2005/29/EG BGH 10. 2. 2011 – I ZR 164/09 – NJW 2011, 2657 Tz. 23 ff. – Double-opt-in-Verfahren; siehe auch bereits BGH 10. 12. 2009 – I ZR 201/07 – MMR 2010, 183 Tz. 10 f. Zum Schutz der Privatsphäre der Arbeitnehmer vgl. auch EuGH 4. 12. 2012 – C-559/11 – BeckRS 2012, 82481 Tz. 22 – Pelckmans Turnhout.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

Deshalb lässt sie Regelungen wie Art. 13 Abs. 3 RL 2002/58/EG (unten Rn. 420 ff.)1363 unberührt (Erwägungsgrund 14 Satz 8 RL 2005/29/EG), die zum Schutz der Privatsphäre (Erwägungsgrund 40 Satz 1 RL 2002/58/EG) sicherstellen, dass „unerbetene Nachrichten zum Zweck der Direktwerbung, die entweder ohne die Einwilligung der betreffenden Teilnehmer erfolgen oder an Teilnehmer gerichtet sind, die keine solchen Nachrichten erhalten möchten, nicht gestattet sind“.1364 Aus Anhang I Nr. 26 Satz 2 RL 2005/29/EG lässt sich zudem ableiten, dass die Richtlinie 2005/29/EG das europäische Datenschutzrecht in Gestalt der Datenschutz-Grundverordnung (VO 2016/ 679)1365 und der Richtlinie 2002/58/EG (unten Rn. 420) unberührt lässt. Eine Durchsetzung des europäischen Datenschutzrechts durch lauterkeitsrechtliche Instrumente (§ 3a UWG, § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG) wird durch die Richtlinie 2005/29/EG daher nicht ausgeschlossen.1366

300 (3) Gesetzliche Anforderungen der guten Sitten und des Anstands. Von der Richtlinie ausgenommen sind ferner „die gesetzlichen Anforderungen in Fragen der guten Sitten und des Anstands, die in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich sind“ (Erwägungsgrund 7 Satz 3 RL 2005/29/EG).1367 Erwägungsgrund 7 Satz 4 und 5 gestatten deshalb – solange dies im Einklang mit dem Unionsrecht (insbesondere den Grundfreiheiten) geschieht1368 – das Verbot von Geschäftspraktiken aus Gründen der guten Sitten und des Anstands wie z. B. das Ansprechen von Personen auf der Straße zu Verkaufszwecken, auch wenn diese Praktiken die Wahlfreiheit des Verbrauchers nicht beeinträchtigen.1369 In der Sache geht es bei dieser Regelung nicht um eine zusätzliche Ausnahmevorschrift 301 oder gar um eine Rückkehr der guten Sitten des § 1 UWG a. F. durch die Hintertür,1370 sondern um die eng auszulegende1371 Klarstellung, dass infolge der Beschränkung auf den Schutz wirtschaftlicher Verbraucherinteressen die Richtlinie die nationalen gesetzlichen Anforderungen in Fragen der guten Sitten und des Anstands nicht berührt.1372 Es geht dabei nicht (nur) um

1363 Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation), ABl. L 201 vom 31. 7. 2002, S. 37; zur Reform durch die ePrivacy-VO unten Rn. 420. 1364 Veelken WRP 2004, 1, 25 f.; Ohly/Sosnitza Einf C Rn. 49 sieht die Verbote der RL 2002/65/EG außerhalb der Richtlinie 2005/29/EG, weil sie keine Beeinflussung der Verbraucherentscheidung i. S. d. Art. 5 voraussetzen; für Subsidiarität der Richtlinie nach ihrem Art. 3 Abs. 4 Henning-Bodewig GRUR Int. 2005, 629, 633. 1365 Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/ EG (Datenschutz-Grundverordnung), ABl. L 119 vom 4. 5. 2016. 1366 So auch EuGH 29. 7. 2019 – C-40/17 – MMR 2019, 579 Tz. 48, 51, 57, 59, 62 – FashionID; Schlussanträge des Generalanwalts Bobek vom 18. 12. 2018 – C-40/17 – BeckRS 2018, 32835 Tz. 27 ff., 48 (zur DSGVO) – Fashion ID zur Durchsetzung der alten Datenschutzrichtlinie 95/46/EG durch Verbraucherverbände nach § 8 Abs. 1, 3 Nr. 3 UWG i. V. m. UKlaG und der fehlenden Sperrwirkung der Art. 22–24 RL 95/46/EG. 1367 Zur Anwendung des ErwG 7 S. 3 RL 2005/29/EG auf die Strafnorm des § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 Embryonenschutzgesetz BGH 8. 10. 2015 – I ZR 225/13 – GRUR 2016, 513 Tz. 19 – Eizellspende. 1368 MünchKomm/Micklitz/Namyslowska Art. 5 UGP-Richtlinie Rn. 27. Dazu Leistner ZEuP 2009, 56, 71, der bei den aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommenen „gesetzlichen Anforderungen in Fragen der guten Sitten und des Anstands“ (Erwägungsgrund 7 Satz 3 RL 2005/29/EG) die Ausnahme von Verkaufsmodalitäten aus der Grundfreiheitenkontrolle nicht mehr anwenden will. 1369 Zweifelnd an diesem Merkmal Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Glöckner Einl B Rn. 248. 1370 Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Glöckner Einl B Rn. 248. Dennoch sehen Glöckner/Henning-Bodewig WRP 2005, 1311, 1320 in der Ausnahme eine erhebliche Beeinträchtigung des Harmonisierungsziels; siehe auch Sosnitza WRP 2006, 1, 7: „versteckte Öffnungsklausel“. 1371 Sosnitza WRP 2006, 1, 5; Brömmelmeyer GRUR 2007, 295, 299; Leistner ZEuP 2009, 56, 71. 1372 Peifer Schutz ethischer Werte im Europäischen Lauterkeitsrecht oder rein wirtschaftliche Betrachtungsweise? in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.) Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009), S. 125, 133; Apetz Das Verbot

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Fragen der öffentlichen Ordnung i. S. d. Art. 36, 52 AEUV,1373 sondern vor allem um Regeln zur Abwehr von Belästigungen,1374 zum Schutz der Privat- und Persönlichkeitssphäre des Verbrauchers1375 (z. B. Regeln zum Ansprechen auf der Straße oder zur Werbung nach einem Todesfall1376), zum Schutz des Pietätsgefühls („Anstand“) oder des Sittlichkeitsempfindens (z. B. das Verbot der Darstellung von Nacktheit oder Gewalt, der Vermarktung von „GewaltVideospielen“, von militärischem Spielzeug1377 oder von Schockwerbung1378). Dieser Vorbehalt vermag daher durchaus bestimmte Allgemeininteressen wie den Schutz 302 der Menschenwürde, den Schutz vor Diskriminierung oder den Jugendschutz aufzunehmen.1379 Ohnehin wird bei Regeln zum Schutz von Allgemeininteressen der Anwendungsbereich der Richtlinie regelmäßig nicht eröffnet sein, weil die betreffenden Vorschriften nicht dem Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher dienen und/oder weil das verbotene Verhalten mangels unmittelbaren Zusammenhangs mit der Absatzförderung nicht als Geschäftspraktik i. S. d. Art. 2 lit. d RL 2005/29/EG anzusehen ist.1380 Die Interpretation von Erwägungsgrund 7 Satz 3–5 RL 2005/29/EG als Ausprägung der allge- 303 meinen Beschränkung der Richtlinie auf den Schutz wirtschaftlicher Verbraucherinteressen und der Nachsatz in Erwägungsgrund 7 Satz 5 RL 2005/29/EG „auch wenn diese Praktiken die Wahlfreiheit des Verbrauchers nicht beeinträchtigen“ werfen die Folgefrage auf, ob Geschäftspraktiken auch dann nach den Regeln des nationalen Rechts verboten werden dürfen, wenn die Praktiken aggressiver Geschäftspraktiken S. 215 mit dem Hinweis in Fn. 648, dass die Klausel auf eine Bemerkung im Kommissionsvorschlag KOM (2003) 356 S. 11 f. Rn. 39 zum Anwendungsbereich (Art. 3 RL 2005/29/EG) zurückgeht: „Wie von Artikel 1 klargestellt wird beschäftigt sich die Richtlinie lediglich mit denjenigen Sachverhalten, welche die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher berühren. Das bedeutet, dass sich der Geltungsbereich der Richtlinie nicht auf Fragen des Geschmacks, des Anstands oder der sozialen Verantwortung erstreckt, es sei denn, der Gewerbetreibende stellt im Rahmen seines Marketings einen konkreten Bezug zwischen seinen Verpflichtungen in diesen Bereichen und seinen Produkten her“; ebenso KOM (2003) 356 S. 17 Rn. 68; zur Aufnahme in die Erwägungsgründe Ratsdokument Nr. 8217/04 S. 7 Fn. 8. 1373 Die öffentliche Ordnung in Art. 36 AEUV wird eng verstanden und erfasst insbesondere nicht den Verbraucherschutz, auch nicht vor nicht-wirtschaftlichen Beeinträchtigungen, Glöckner/Henning-Bodewig WRP 2005, 1311, 1321. Ein Verbot des Ansprechens in der Öffentlichkeit dürfte darunter nicht fallen. Andererseits umfasst die öffentliche Ordnung auch Schutzgüter wie den Tierschutz (vgl. Erwägungsgrund 41 RL 2006/123/EG), die sich kaum unter den Begriff von „Sitte und Anstand“ subsumieren lassen. 1374 Ohly WRP 2006, 1401, 1410 f.; Leistner ZEuP 2009, 56, 70; OLG Frankfurt 29. 1. 2009 – 6 U 90/08 – OLGR Frankfurt 2009, 563 Tz. 17 (juris); zum Verhältnis von Belästigung und aggressiver Geschäftspraktik bei der Haustürwerbung siehe auch Reich GRUR 2011, 589, 592. 1375 Zum Schutz vor unerwünschter Werbung (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG) siehe auch Anhang I Nr. 26 RL 2005/29/EG und den in Anhang I Nr. 26 Satz 2 und in Erwägungsgrund 14 Satz 8 RL 2005/29/EG vorbehaltenen Art. 13 Abs. 3 RL 2002/58/EG mit dortigem Erwägungsgrund 42 (unten Rn. 421 f.). Zur Vereinbarkeit des § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG mit der Richtlinie 2005/29/EG BGH 10. 2. 2011 – I ZR 164/09 – NJW 2011, 2657 Tz. 23 ff. – Double-opt-in-Verfahren; siehe auch bereits BGH 10. 12. 2009 – I ZR 201/07 – MMR 2010, 183 Tz. 10 f. 1376 BGH 22. 4. 2010 – I ZR 29/09 – GRUR 2010, 1113 Tz. 14 – Grabmalwerbung (zwei Wochen nach dem Todesfall). 1377 Zu diesen Beispielen SEK (2009) 1666, Ziffer 1.6 S. 15. 1378 Siehe das von Stuyck/Terryn/van Dyck CMLR 43 (2006) 107, 122 f. bemühte Beispiel der Benetton-Werbung; ferner Keirsbilck The New European Law of Unfair Commercial Practices and Competition Law (2011), S. 265: „Commercial communications that violate national rules on pornography, racism, violent scenes in advertising, religious beliefs“. 1379 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.30; zweifelnd Lübbig GPR 2010, 268, 272, wenn die Vorschriften neben dem Jugendschutz auch dem Verbraucherschutz dienen, so dass der Anwendungsbereich der Richtlinie eröffnet ist. Geht es um den Schutz der Gesundheit von Jugendlichen, ist auch Art. 3 Abs. 3 RL 2005/29/EG einschlägig; skeptisch zur Öffnung in Richtung nicht-wettbewerbsbezogener Allgemeininteressen Glöckner/Henning-Bodewig WRP 2005, 1311, 1321; Sosnitza WRP 2006, 1, 6 f.; siehe auch EuGH (Große Kammer) 9. 11. 2010 – C-540/08 – Slg. 2010, I-10909 Tz. 26 – Mediaprint. 1380 Stuyck/Terryn/van Dyck CMLR 43 (2006) 107, 123. Siehe auch Busch Unlauterer Wettbewerb in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.) Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Aufl. (2010), Kapitel 25 Rn. 20 Fn. 49, der darauf verweist, dass Praktiken ohne Einfluss auf die Marktgegenseite bereits nicht unter Art. 2 lit. d RL 2005/29/EG fallen.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

tatsächlich die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher beeinträchtigen1381 oder ob in diesen Fällen ausschließlich auf die Richtlinie zurückgegriffen werden darf.1382 Die Antwort dürfte vom Schutzzweck der nationalen Regelung abhängen: Dient diese nicht dem Schutz wirtschaftlicher Verbraucherinteressen, sondern ausschließlich anderen Interessen wie etwa dem Schutz der Privatsphäre, so bleibt sie trotz der Vollharmonisierung zulässig, selbst wenn die verbotene Praktik auch die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers beeinträchtigt. Dient die nationale Regelung indes auch dem Schutz wirtschaftlicher Verbraucherinteressen, so fällt sie in den Anwendungsbereich der Richtlinie und die parallel zum Verbraucherschutz verfolgten Allgemeininteressen sind im Rahmen der Richtlinie, insbesondere der Generalklausel zu würdigen.1383

304 (4) Sonstige nicht-wirtschaftliche Interessen. Trotz eines entsprechenden Änderungsantrags des Parlaments1384 findet sich weder in dem Text der Richtlinie noch in den Erwägungsgründen eine explizite Ausnahme für den Jugendschutz und die öffentliche Sicherheit. Dies wirft die allgemeine Frage auf, ob Geschäftspraktiken auch zum Schutz anderer als wirtschaftlicher Interessen der Verbraucher oder aus Gründen des Allgemeininteresses (z. B. Jugendschutz, öffentliche Sicherheit) reguliert werden dürfen.1385 Hier sind drei Aspekte zu unterscheiden. Zunächst erfasst die Richtlinie, auch wenn sie auf den Schutz der wirtschaftlichen Interessen 305 der Verbraucher zielt, ohne Zweifel auch Geschäftspraktiken, die die wirtschaftliche Verbraucherentscheidung (z. B. Kauf eines Produkts) im Hinblick auf nicht-wirtschaftliche Motive verzerren können. So legt jedenfalls ein Teil der Verbraucher Wert auf die Umwelteigenschaften ihrer Produkte, auch wenn diese für den Verbraucher keine wirtschaftlichen Konsequenzen haben.1386 Andere Konsumenten legen Wert auf die nachhaltige Herstellung eines Produkts und/oder bestimmte ethische Verhaltensverpflichtungen der Gewerbetreibenden. Derartige Kriterien sind Merkmale des Produkts und/oder des Gewerbetreibenden i. S. d. Art. 6 Abs. 1 lit. b, f und ggfs. Art. 6 Abs. 2 lit. b RL 2005/29/EG und werden daher von den Irreführungstatbeständen der Richtlinie erfasst. Eine Irreführung über derartige Merkmale beeinträchtigt die wirtschaftlichen Interessen des Verbrauchers, weil er eine geschäftliche Entscheidung zum Erwerb eines Produkts auf eine unrichtige Tatsachengrundlage stützt, mögen sich die Tatsachen auch auf nicht-wirtschaftliche Erwerbsmotive des Verbrauchers beziehen.1387 Es ist weder sinnvoll noch beabsichtigt, durch die Richtlinie die Verbraucherentscheidung einseitig auf wirtschaftliche Motive zu reduzieren.1388

1381 So Sosnitza WRP 2006, 1, 5: nationaler Gestaltungsspielraum „nicht nur bei fehlender, sondern eben auch bei gegebenem Einfluss auf die Verbraucherentscheidung eröffnet“; ebenso MünchKomm/Micklitz/Namyslowska Art. 5 UGP-Richtlinie Rn. 28 f. 1382 So Ohly WRP 2006, 1401, 1411. 1383 Stuyck/Terryn/van Dyck CMLR 43 (2006) 107, 123: Subsumtion unter „berufliche Sorgfalt“. 1384 Änderungsantrag 28 des Parlaments, A5–0188/2004: Mitgliedstaaten sollen Maßnahmen ergreifen dürfen, „die sich auf einen Sektor beziehen, der durch diese Richtlinie nicht harmonisiert ist, wie z. B. Gesundheit, Schutz des körperlichen, geistigen oder moralischen Wohls von Minderjährigen und öffentliche Sicherheit“. Der Rat verwies darauf, dass das mit der Abänderung verfolgte Anliegen in der Neufassung des Erwägungsgrundes 9 berücksichtigt sei, Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 6/2005, S. 17. 1385 Beater WRP 2012, 6. 1386 Unmittelbare wirtschaftliche Konsequenzen für den Verbraucher hat etwa die Energieeffizienz eines Produkts. 1387 Siehe auch Art. 2 lit. e RL 2005/29/EG: Schutz der Fähigkeit des Verbrauchers, eine „informierte Entscheidung“ zu treffen. 1388 Siehe auch BGH 4. 2. 2010 – I ZR 66/09 – GRUR 2010, 852 Tz. 16 – Gallardo Spyder, wenn er ausführt: „Überdies schützt die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken … nicht etwa allein die wirtschaftlichen Interessen des Verbrauchers, sondern – wie sich aus Art. 2 lit. e der Richtlinie ergibt – ohne Beschränkung auf diesen Bereich schlechthin seine Fähigkeit, geschäftliche Entscheidungen auf informierter Grundlage zu treffen. Dementsprechend kann die Unlauterkeit einer geschäftlichen Handlung nicht mit der Begründung verneint werden, diese Handlung beeinträchtige lediglich ideelle – etwa auf dem Gebiet des Umweltschutzes liegende – Interessen des Verbrauchers“.

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V. Lauterkeitsrecht und Rechtsangleichung

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Zum zweiten werden bereits durch die Richtlinie zahlreiche Ausnahmen für nicht-wirt- 306 schaftliche Interessen ausdrücklich anerkannt. Dazu zählen nicht nur die expliziten Vorbehalte für den Schutz der Gesundheit und die Produktsicherheit, den Schutz der Privatsphäre, für Fragen der guten Sitten und des Anstands und das Glücksspiel1389 (Erwägungsgründe 7, 9),1390 sondern auch die impliziten Ausnahmen, die durch die Öffnungsklausel zugunsten speziellerer Vorschriften des Unionsrechts in Art. 3 Abs. 4 RL 2005/29/EG in die Richtlinie inkorporiert werden.1391 So finden sich etwa in der durch Art. 3 Abs. 4 vorbehaltenen Richtlinie 2010/13/EU über audiovisuelle Mediendienste zahlreiche Ausnahmen, die eine Regulierung der Werbung in audiovisuellen Medien aus Gründen des Jugendschutzes oder anderer öffentlicher Interessen gestatten.1392 Art. 3 Abs. 4 RL 2005/29/EG stellt damit zumindest in entsprechender Anwendung klar,1393 dass es jedenfalls dem Unionsgesetzgeber unbenommen bleibt, neben der Richtlinie 2005/29/EG andere Maßnahmen zum Schutz der nicht-wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher und der Allgemeinheit zu ergreifen. Dies ist etwa durch das Antidiskriminierungsrecht der Union erfolgt, das Einfluss zwar nicht auf den Inhalt von Medien und Werbung,1394 aber auf die Preisgestaltung haben kann.1395 In ähnlicher Weise öffnet auch Art. 3 Abs. 8 RL 2005/ 29/EG das allgemeine Regime der Richtlinie für das gesamte Recht der regulierten Berufe einschließlich der dort verfolgten öffentlichen Interessen (z. B. Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, Gesundheitsversorgung). Damit reduziert sich das Problem letztlich auf die Fragestellung, ob nationale Gesetzgeber 307 Geschäftspraktiken zum Schutz anderer als wirtschaftlicher Interessen der Verbraucher verbieten dürfen, die nicht explizit oder implizit in den Ausnahmen der Richtlinie genannt sind. Gegen eine solche Kompetenz lässt sich einwenden, dass sie der Vollharmonisierung zuwiderlaufen kann, indem die nationalen Gesetzgeber unter dem Deckmantel aller möglichen öffentlichen Interessen ihre traditionellen Wettbewerbsvorschriften beizubehalten suchen.1396 Andererseits beschränkt sich das Harmonisierungsziel der Richtlinie ausdrücklich auf die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken, die die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher beeinträchtigen (Art. 1, Erwägungsgrund 4 Satz 1, 6 Satz 1 RL 2005/29/EG). Daraus lässt sich folgern, dass Regeln zum Schutz anderer als wirtschaftlicher Interessen von der Richtlinie generell unberührt bleiben und die in Art. 3 und den Erwägungsgründen 6–9 genannten Fälle des Schutzes nicht-wirtschaftlicher Interessen der Verbraucher oder der Allgemeinheit lediglich nicht abschließende Ausprägungen dieses allge-

1389 Zur Abgrenzung dieser Ausnahme von unter die Richtlinie fallenden absatzfördernden Glücksspielen VG Regensburg 12. 4. 2012 – RO 5 K 11.1986 – Tz. 50 (juris).

1390 BGH 28. 9. 2011 – I ZR 93/10 – GRUR 2012, 201 Tz. 18 – Poker im Internet; BGH 28. 9. 2011 – I ZR 92/09 – GRUR 2012, 193 Tz. 16 – Sportwetten im Internet II.

1391 Dazu auch Peifer Schutz ethischer Werte im Europäischen Lauterkeitsrecht oder rein wirtschaftliche Betrachtungsweise? in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.) Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009), S. 125, 130 f.

1392 Siehe Art. 9 Abs. 1 lit. c RL 2010/13/EU; BGH 22. 4. 2009 – I ZR 216/06 – GRUR 2009, 845 Tz. 38 – Shift TV. Siehe auch den Schutz Minderjähriger beim Fernabsatz von Finanzdienstleistungen in Art. 3 Abs. 2 RL 2002/65/EG und als Bestandteil der öffentlichen Ordnung i. S. d. Grundfreiheiten (vgl. Erwägungsgrund 41 der Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG). 1393 Entsprechende Anwendung, wenn man die besonderen Vorschriften nicht als Regelung „besonderer Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken“ ansehen will, sondern als allgemeinpolitische Regelungen. 1394 Siehe Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, ABl. L 373 vom 21. 12. 2004, S. 37. 1395 EuGH (Große Kammer) 1. 3. 2011 – C-236/09 – Slg. 2011, I-773 Tz. 30 – Test Achats. 1396 Siehe auch EuGH (Große Kammer) 9. 11. 2010 – C-540/08 – Slg. 2010, I-10909 Tz. 26 – Mediaprint, wo ein Rückgriff auf andere als in den Erwägungsgründen und in Art. 3 RL 2005/29/EG genannte Motive zur Beschränkung von Geschäftspraktiken möglicherweise als unzulässig angesehen wurde.

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meinen Grundsatzes sind.1397 Die Regelungshoheit der Mitgliedstaaten für andere als nicht-wirtschaftliche Verbraucherinteressen bleibt daher – in den Grenzen der Grundfreiheiten – erhalten.

308 ee) Abgrenzung zu Nachbardisziplinen des Lauterkeitsrechts. Schließlich darf keine der Ausnahmen der Richtlinie eingreifen, die in Art. 3 Abs. 2–10 und den Erwägungsgründen 6– 10 geregelt sind. Die Ausnahmen lassen sich grob in drei (teilweise überlappende) Gruppen systematisieren,1398 nämlich den Schutz anderer als wirtschaftlicher Interessen des Verbrauchers und der Allgemeinheit (oben Rn. 295 ff.), die Abgrenzung zu Nachbardisziplinen des Lauterkeitsrechts (unten Rn. 309 ff.) und die Öffnungsklauseln für speziellere Vorschriften des besonderen Marktordnungsrechts (unten Rn. 322 ff.).

309 (1) Vertragsrecht und individuelle Klagen geschädigter Verbraucher. Gemäß ihrem Art. 3 Abs. 2 lässt die Richtlinie 2005/29/EG im Ausgangspunkt „das Vertragsrecht und insbesondere die Bestimmungen über die Wirksamkeit, das Zustandekommen oder die Wirkungen eines Vertrages unberührt“.1399 Art. 3 Abs. 2 RL 2005/29/EG überantwortet diese Fragen grundsätzlich dem Vertragsrecht der Mitgliedstaaten und der Union,1400 die Rechtsbehelfe des Lauterkeitsrechts und des Vertragsrechts stehen nebeneinander.1401 Dabei verpflichtete die Richtlinie 2005/29/EG in ihrer ursprünglichen Fassung (vgl. Erwägungsgrund 9 Satz 1; Art. 11 Abs. 1 Satz 2 RL 2005/29/EG) die Mitgliedstaaten nicht, auch Verbrauchern ein individuelles Klagerecht einzuräumen, um Richtlinienverstöße geltend zu machen.1402 310 Dieser Befund ändert sich nun grundlegend durch die Richtlinie 2019/2161.1403 Nach dem neu eingefügten Art. 11a Abs. 1 Satz 1 RL 2005/29/EG i.d.F. des Art. 3 Nr. 5 RL 2019/2161 haben „Verbraucher, die durch unlautere Geschäftspraktiken geschädigt wurden“, „Zugang zu ange1397 Apetz Das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken (2011), S. 207 ff.: Regeln zum Gesundheitsschutz, zum Schutz der Privatsphäre, zum Naturschutz, zum Schutz vor Diskriminierung und zum Schutz der Menschenwürde bleiben zulässig. 1398 Zwei weitere Ausnahmen betreffen die Zuständigkeit der Gerichte, Art. 3 Abs. 7 RL 2005/29/EG, und die Zertifizierung und Angabe des Feingehalts von Artikeln aus Edelmetall, Art. 3 Abs. 10 RL 2005/29/EG. 1399 Erwägungsgrund 9 Satz 1 ergänzte, dass die Richtlinie individuelle Klagen von Geschädigten, die durch eine unlautere Geschäftspraktik geschädigt wurden, nicht berührt. Die Klarstellung beruht auf Änderungsantrag 1 der legislativen Entschließung des Parlaments (Fn. 1031), A5–0188/2004, S. 5 f., mit dem klargestellt werden sollte, dass die Richtlinie gerichtliche Schritte eines Mitbewerbers nicht verhindert, siehe auch Art. 11 Abs. 1 Satz 2 RL 2005/29/ EG. 1400 EuGH 15. 3. 2012 – C-453/10 – GRUR 2012, 639 Tz. 45 – Pereničová; EuGH 19. 9. 2018 – C-109/17 – WRP 2019, 44 Tz. 31 f. – Mari Merino. 1401 Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 29. 11. 2011 – C-453/10 – BeckRS 2011, 81770 Tz. 83 ff. – Pereničová; Köhler WRP 2009, 898, 912; tendenziell weitergehend Reich/Micklitz EWS 2012, 257, 263, die aus dem Effektivitätsgrundsatz ein Recht des Verbrauchers ableiten, sich durch einen Folgenbeseitigungsanspruch von den für ihn nachteiligen vertraglichen Folgen zu lösen; kritisch auch Augenhofer WRP 2006, 169, 171, 178. Zu den vertragsrechtlichen Konsequenzen einer Verletzung von Informationspflichten Fleischer ZEuP 2000, 779; Kocher ZEuP 2006, 785; Ackermann ZEuP 2009, 230, 257 ff.; Kroll-Ludwigs ZEuP 2010, 509, 517. 1402 EuGH 19. 9. 2018 – C-109/17 – WRP 2019, 44 Tz. 31 f. – Mari Merino; Gamerith WRP 2005, 391, 403; Augenhofer WRP 2006, 169, 172 f.; De Cristofaro GRUR Int. 2010, 1017, 1018; Alexander Schadensersatz und Abschöpfung im Lauterkeits- und Kartellrecht (2010), S. 184 ff.; Ohly/Sosnitza Einf C Rn. 46; ausführlich Heinze Schadensersatz im Unionsprivatrecht (2017) S. 535 ff.; siehe auch KOM (2003) 356, S. 19 Rn. 77, wonach den Mitgliedstaaten keine neuen Verpflichtungen in Bezug auf die Durchsetzung auferlegt werden; siehe auch Menke Wettbewerbsrechtlicher Verbraucherschutz – Bedarf es einer Aktivlegitimierung des Verbrauchers im UWG? (2011); kritisch Reich/Micklitz EWS 2012, 257, 258: „Abgrenzung des Vertragsrechts vom Lauterkeitsrecht führt in der Sache zu einer Verkürzung des individuellen Rechtsschutzes, weil der Verbraucher, … de facto keine Möglichkeit hat, sich von dem Vertrag wieder zu lösen“. 1403 Fn. 1106.

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messenen und wirksamen Rechtsbehelfen, einschließlich Entschädigung für den dem Verbraucher entstandenen Schaden sowie gegebenenfalls Preisminderung oder Kündigung des Vertrags“. Es kommt damit zu einer Mindestharmonisierung der individuellen Rechtsbehelfe der Verbraucher, wobei es nach Art. 11a Abs. 1 Satz 2 RL 2005/29/EG den Mitgliedstaaten obliegt, die Bedingungen für die Anwendung und die Wirkung der Rechtsbehelfe festzulegen. Dabei können sie „gegebenenfalls die Schwere und Art der unlauteren Geschäftspraktik, den dem Verbraucher entstandenen Schaden sowie weitere relevante Umstände berücksichtigen“ (Art. 11a Abs. 1 Satz 3 RL 2005/29/EG). Die neu eingeführte Garantie individueller Rechtsbehelfe der Verbraucher soll nach Art. 11a Abs. 2 RL 2005/29/EG aber „nicht die Anwendung anderer Rechtsbehelfe [berühren], die den Verbrauchern nach dem Unionsrecht oder dem nationalen Recht zur Verfügung stehen“; es bleibt damit – abgesehen von der Mindestharmonisierung – bei der Parallelität vertrags- und lauterkeitsrechtlicher Rechtsbehelfe. Auch bleibt nach Erwägungsgrund 57 Satz 1 RL 2019/2161 das innerstaatliche Vertragsrecht weiterhin unberührt, soweit vertragsrechtliche Aspekte durch die Richtlinie nicht geregelt werden. Unberührt bleiben etwa nationale Rechtsvorschriften, die „den Abschluss oder die Gültigkeit von Verträgen in Fällen wie einer fehlenden Zustimmung oder einer nicht genehmigten Geschäftstätigkeit betreffen“ (Erwägungsgrund 57 Satz 2 RL 2019/2161). Die Neuregelung – einerseits eine Garantie individueller Verbraucherrechtsbehelfe, die an- 311 dererseits andere Rechtsbehelfe, also vor allem die bisher von der Richtlinie nicht erfassten vertraglichen Ansprüche, nicht berühren soll – wirft die Frage auf, wie nationale Gesetzgeber Art. 11a RL 2005/29/EG umsetzen sollten. Denkbar wäre zunächst, eine Umsetzung nicht für erforderlich zu halten, soweit das nationale (Vertrags-)Recht wie in Deutschland Ansprüche (etwa §§ 280 Abs. 1, ggf. i. V. m. §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB) kennt, die im Rahmen der Definition des allgemeinen vertraglichen Pflichtenverstoßes einen Rückgriff auch auf lauterkeitsrechtliche Wertungen gestatten. Indes dürfte dieser Umsetzungsverzicht nicht nur aus Gründen der Regelungsklarheit unzureichend sein: Zum einen sind durchaus lauterkeitsrechtliche Rechtsverletzungen denkbar, die individuelle Verbraucher außerhalb (vor-)vertraglicher Verhältnisse betreffen. In diesen Fällen bliebe nur der Rückgriff auf das Deliktsrecht, was allerdings eine generelle Anerkennung von Lauterkeitsverstößen als Schutzgesetzverletzungen i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB erforderlich machen würde. Aber auch innerhalb schuldrechtlicher Beziehungen ist eine (vollständige) Kongruenz zwischen Lauterkeitsverstoß und Vertragsverletzung nicht anerkannt, sondern der Lauterkeitsverstoß ist nur ein Faktor im Rahmen der Gesamtbeurteilung (z. B. der Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel) (unten Rn. 313 ff.). Mindestens aus Gründen der Regelungsklarheit erscheint daher eine Umsetzung erforderlich. Diese Umsetzung sollte, auch um die Struktur und die Wertungen des BGB nicht zu über- 312 frachten, vorzugsweise im UWG durch eigene Ansprüche der Verbraucher erfolgen. Diese wären allerdings in vielen Fällen parallel zu vorvertraglichen und vertraglichen Ansprüchen des BGB anwendbar und würden sogar – mangels Kongruenz zwischen Lauterkeitsverstoß und Vertragsverstoß – zumindest auf Tatbestandsebene wohl über das BGB hinausgehen. Es entstünden nämlich immer dann über das BGB hinausgehende Ansprüche, wenn bisher der Lauterkeitsverstoß als solcher noch keinen vertraglichen Anspruch auslöst. Wie wirksam diese Ansprüche letztlich sein werden, hängt aber maßgeblich von ihren Rechtsfolgen ab. Im Bürgerlichen Recht ist anerkannt, dass, selbst wenn man einen Pflichtverstoß i. S. d. §§ 280 Abs. 1 i. V. m. §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB durch Rückgriff auf lauterkeitsrechtliche Wertungen (etwa bei Vorliegen einer unlauteren Geschäftspraktik) begründet, dieser häufig sanktionslos bleibt, weil dem Vertragspartner durch den Lauterkeitsverstoß kein Schaden entstanden ist und auch eine Minderung oder Kündigung nicht sachgerecht oder nicht gewünscht ist.1404 Gleiches müsste, wenn man nicht zugleich die allgemeinen Lehren zum Schaden für die neuen Rechtsbehelfe anpassen will, wohl auch für die neuen UWG-Verbraucheransprüche auf Entschädigung, Preisminderung 1404 Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht (2017), S. 272 ff., 281 ff.: Abstimmung des Schadensersatzanspruchs auf den Zweck der verletzten Informationspflicht; ferner unten Rn. 316.

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oder Kündigung gelten. Da der einzelne Verbraucher nur selten ein Interesse haben dürfte, den Verstoß als solchen mit Mitteln des Unterlassungsanspruchs zu bekämpfen (falls dies überhaupt möglich sein wird), dürften die zusätzlichen individuellen Ansprüche der Verbraucher nach UWG also in den Fällen, in denen sich (kausal nachweisbare) konkrete Einbußen der Verbraucher nicht feststellen lassen, ohne Auswirkung bleiben. 313 Neben der Garantie von Rechtsbehelfen der individuellen Verbraucher bei Lauterkeitsverstößen stellt sich außerdem die Frage nach der materiellen Kohärenz zwischen Lauterkeitsrecht und Vertragsrecht, also die Frage, ob die materiellen Wertungen der Richtlinie 2005/29/ EG mit den vertragsrechtlichen Richtlinien der Union oder sogar dem allgemeinen Vertragsrecht der Mitgliedstaaten im Einklang stehen müssen,1405 so dass ein Vertragsverstoß zugleich eine unlautere Geschäftspraktik begründet und eine unlautere Geschäftspraktik einen Vertragsverstoß. An dieser Stelle ist nicht der Raum, um der Frage umfassend nachzugehen.1406 Es lässt sich aber sagen, dass das unionale Vertrags- und das Lauterkeitsrecht verflochten sind,1407 so dass im Interesse der Kohärenz der Wertungstransfer möglich und häufig sinnvoll, aber nicht zwingend ist.1408 314 Großes Potential zunächst für einen Wertungstransfer vom Vertragsrecht in das Lauterkeitsrecht bietet dabei die Regelungsstruktur der Richtlinie 2005/29/EG. So eröffnen etwa die Wesentlichkeitsklausel in Art. 7 Abs. 5 RL 2005/29/EG, nach der die im Unionsrecht (einschließlich des Verbrauchervertragsrechts1409) festgelegten Informationsanforderungen für die Zwecke des Irreführungstatbestands als wesentlich gelten, aber auch andere Einzeltatbestände des Irreführungsverbots und der Maßstab der beruflichen Sorgfalt in der Generalklausel (Art. 5 Abs. 2 lit. a RL 2005/29/EG) verschiedene Ansatzpunkte, unter die sich Vertragsrechtsverstöße des Unternehmers subsumieren ließen (z. B. Art. 6 Abs. 1 lit. c wegen Irreführung über den „Umfang der Verpflichtungen des Gewerbetreibenden“ bei Verwendung unzulässiger AGB; Art. 7 Abs. 4 und Abs. 5 bei Verletzung von Informationspflichten, im Übrigen Art. 5 Abs. 2 RL 2005/29/EG bei sonstigen Verstößen gegen das Vertragsrecht).1410 315 Andererseits zeigt die Richtlinie 2005/29/EG zugleich die Grenzen des Wertungstransfers auf: Überschießende Aufklärungspflichten des mitgliedstaatlichen Vertragsrechts sind nur vertragsrechtlich, nicht aber lauterkeitsrechtlich relevant (Erwägungsgrund 15 Satz 5 und 6).1411 Auch wird nicht jeder Vertragsverstoß dazu geeignet sein, das wirtschaftliche Verhalten des Verbrau1405 Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 29. 11. 2011 – C-453/10 – BeckRS 2011, 81770 Tz. 88, 92 – Pereničová; Micklitz/Reich EuZW 2012, 126, 127.

1406 Dazu eingehend Lehmann Vertragsanbahnung durch Werbung (1981); ders. NJW 1981, 1233; Alexander Vertrag und unlauterer Wettbewerb (2002), S. 38 ff.; ders. WRP 2012, 515; Sack GRUR 2004, 625; Leistner Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb (2007), S. 525 ff., S. 597 ff., 615 ff.; Busch Informationspflichten im Wettbewerbs- und Vertragsrecht (2008), S. 173 ff.; ders. GPR 2008, 158; Köhler JZ 2010, 767; Goldhammer Lauterkeitsrecht und Leistungsstörungsrecht (2011); zum Verhältnis von Richtlinie 2005/29/EG und missbräuchlichen Preisangaben siehe auch die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 29. 11. 2011 – C-453/10 – BeckRS 2011, 81770 Tz. 93 ff., 112 ff. – Pereničová; zum Verhältnis zu missbräuchlichen Vertragsklauseln EuGH 19. 9. 2018 – C-109/17 – WRP 2019, 44 Tz. 33, 43, 49 f. – Mari Merino. 1407 Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 29. 11. 2011 – C-453/10 – BeckRS 2011, 81770 Tz. 88; siehe bereits Lettl Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor irreführender Werbung in Europa (2004), S. 63: „Verdichtungsprozess“; Leistner Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb (2007), S. 433 ff., 515: „Vertrags- und Lauterkeitsrecht grundsätzlich einheitlich zu betrachten“; Schmidt JZ 2007, 78, 79 f.; Busch GPR 2008, 158. 1408 Alexander WRP 2012, 515, 522: kohärente Auslegung und Rechtsanwendung; wohl weitergehend Micklitz/ Reich EuZW 2012, 126, 127: „Zusammenschau der beiden Rechtsgebiete“. 1409 Siehe die in Anhang II RL 2005/29/EG beispielhaft erwähnten Rechtsakte. 1410 Zum Gebrauch unzulässiger AGB-Klauseln als unlautere Geschäftspraktik EuGH 19. 9. 2018 – C-109/17 – WRP 2019, 44 Tz. 33, 43, 49 f. – Mari Merino; BGH 31. 5. 2012 – I ZR 45/11 – Tz. 47 f. – Missbräuchliche Vertragsstrafe; Orlando European Review of Contract Law 2011, 25. Alexander WRP 2012, 515, 520 geht davon aus, dass sich die Verwendung missbräuchlicher Klauseln „nicht ohne Weiteres“ den Regeln über irreführende oder aggressive Geschäftspraktiken zuordnen lasse und greift deshalb auf die Generalklausel des Art. 5 Abs. 2 RL 2005/29/EG zurück. 1411 Busch GPR 2008, 158, 163: „Transferverbot“.

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chers i. S. d. Art. 5 Abs. 2 lit. b RL 2005/29/EG wesentlich zu beeinflussen, zumal wenn es sich um einen nachvertraglichen Verstoß handelt. Und schließlich könnte die Neufassung der Richtlinie 2011/83/EU über die Rechte der Verbraucher mit der Nichtaufnahme einiger lauterkeitsrechtlicher Regelungen aus der früheren Fernabsatzrichtlinie 97/7/EG1412 darauf hindeuten, dass sich der europäische Gesetzgeber nach Erlass der Richtlinie 2005/29/EG zumindest regelungstechnisch um eine klarere Trennung von Lauterkeitsrecht und Vertragsrecht bemüht, auch wenn in der neuen Richtlinie 2019/2161 beide Materien wieder stärker zusammengeführt werden. Zu Wertungstransfers von der Richtlinie 2005/29/EG in das Vertragsrecht lässt sich 316 festhalten, dass der Lauterkeitsverstoß als solcher nicht zwangsläufig zu vertraglichen Konsequenzen (z. B. zur Nichtigkeit einer Vertragsklausel) führt,1413 sondern regelmäßig nur ein „Anhaltspunkt unter mehreren“ ist, der bei der Subsumtion unter den maßgeblichen Oberbegriff des Vertragsrechts (z. B. den missbräuchlichen Charakter einer Vertragsklausel) anhand von Kontext und Funktion der Vertragsrechtsnorm sowie der Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen ist.1414 Darüber hinaus zeichnet sich vor allem bei den vertraglichen Informationspflichten eine gewisse Tendenz zur Parallelisierung vertrags- und lauterkeitsrechtlicher Pflichten ab, wie sich etwa an einem Vergleich zwischen Art. 7 Abs. 4 RL 2005/29/EG und Art. 20 des Vorschlags für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht1415 zeigt. Allerdings mag man bezweifeln, ob sich die formale Parallelisierung der Informationspflich- 317 ten auch in der Praxis des Vertragsrechts niederschlagen wird, lassen sich doch die Verhaltensnormen des Lauterkeitsrechts mit vertraglichen Rechtsbehelfen häufig nicht adäquat sanktionieren.1416 Denn selbst wenn man einen Pflichtverstoß i. S. d. §§ 280 Abs. 1 i. V. m. §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB durch Rückgriff auf lauterkeitsrechtliche Wertungen begründen mag, so wird dieser häufig sanktionslos bleiben, weil dem Vertragspartner dadurch kein Schaden entstanden ist, auch eine Modifikation des Vertragsinhalts unnötig sein wird1417 und wohl kaum ein Verbraucher – wie im Lauterkeitsrecht üblich – den Verstoß als solchen mit Mitteln des Unterlassungsoder Beseitigungsanspruchs bekämpfen wird. Darüber hinaus stellt sich die grundsätzliche Frage, 1412 Vgl. die Streichung der Art. 9, 10 RL 97/7/EG über unerbetene Nachrichten und die Zusendung unbestellter Waren in der Richtlinie 2011/83/EU, die nur noch die vertragsrechtlichen Konsequenzen der Zusendung unbestellter Waren regelt (Art. 27 RL 2011/83/EU). Siehe auch die Nichtaufnahme des Verweises auf „die Grundsätze der Lauterkeit bei Handelsgeschäften“ in Art. 4 Abs. 2 RL 97/7/EG in der Richtlinie 2011/83/EU. 1413 EuGH 19. 9. 2018 – C-109/17 – WRP 2019, 44 Tz. 33 – Mari Merino: Ungültigkeit eines als Vollstreckungstitel fungierenden Vertrages „nicht schon deshalb …, weil er Klauseln enthält, die dem allgemeinen Verbot unlauterer Geschäftspraktiken“ nach Art. 5 Abs. 1 RL 2005/29/EG widersprechen; ebenso EuGH a. a. O. Tz. 43, 50. Siehe aber die Anknüpfung an Anhang I Nr. 29 der Richtlinie 2005/29/EG in Art. 27 der RL 2011/83/EU für die Befreiung von der Gegenleistung bei unbestellten Waren und Dienstleistungen. Zum Einfluss von Marketing auf Willenserklärungen Mankowski FS Köhler (2014), S. 477. 1414 EuGH 15. 3. 2012 – C-453/10 – GRUR 2012, 639 Tz. 43 – Pereničová; EuGH 19. 9. 2018 – C-109/17 – WRP 2019, 44 Tz. 49 – Mari Merino; Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 29. 11. 2011 – C-453/10 – BeckRS 2011, 81770 Tz. 125 – Pereničová; siehe auch Art. 23 Abs. 2 lit. f des Kommissionsvorschlags für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht, KOM (2011) 635; ferner Micklitz/Reich EuZW 2012, 126, 127: „grobe Verstöße gegen das Irreführungsverbot“ führten zugleich zur Intransparenz i. S. d. Klauselrechts; Alexander WRP 2012, 515, 519: geschäftliche Handlung müsse in sachlichem Zusammenhang mit der als missbräuchlich angegriffenen Vertragsklausel stehen; allgemein Leistner Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb (2007), S. 892 ff.; Ohly/Sosnitza, Einl D Rn. 67 f.; Ohly GRURPrax 2011, 366, 367; ähnlich auch Busch GPR 2008, 158, 160, der eine Übertragung höherer lauterkeitsrechtlicher Informationsstandards in das Vertragsrecht zwar erwägt, einen vollständigen Gleichlauf aber als zu weitgehend ansieht; in Richtung eines Gleichlaufs vertrags- und lauterkeitsrechtlicher Informationspflichten aber Art. II.-3:102 DCFR. Einen rechtsvergleichenden Überblick bietet de Cristofaro GRUR Int. 2010, 1017, 1020 ff. 1415 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht, KOM (2011) 635; siehe auch die Informationspflichten in besonderen Situationen in Art. 13 ff. des Vorschlags. 1416 Ausführlich Heinze Schadensersatz im Unionsprivatrecht (2017) S. 272 ff., 281 ff. 1417 Art. 29 Abs. 1 des Vorschlags für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht sieht als Abhilfe bei Verletzung von Informationspflichten vor, dass „eine Partei, die eine sich aus diesem Kapitel ergebende Pflicht nicht erfüllt,

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ob man die – auch unter dem Gesichtspunkt der begrenzten Informationsverarbeitungsfähigkeiten der Adressaten – als sehr weitgehend kritisierten (oben Rn. 242) Informationspflichten des Lauterkeitsrechts in das Vertragsrecht verlängern will. 318 Die Einflüsse des Vertragsrechts auf das Lauterkeitsrecht können schließlich nicht nur aus dem Unionsrecht, sondern auch aus den Regeln des nationalen Vertragsrechts stammen, die als das durch die Rom I-VO zur Anwendung berufene Recht den „Umfang der Verpflichtungen des Gewerbetreibenden“ (Art. 6 Abs. 1 lit. c RL 2005/29/EG) und allgemein die Regeln der beruflichen Sorgfalt (Art. 5 Abs. 2 lit. a, 2 lit. h RL 2005/29/EG) definieren. Diese partielle Renationalisierung der Generalklausel ist mit dem Gedanken der Vollharmonisierung vereinbar, weil die Richtlinie auch an anderer Stelle eine Konkretisierung des beruflichen Sorgfaltsmaßstabs z. B. durch nationale Regeln für reglementierte Berufe (Art. 3 Abs. 8 RL 2005/29/EG) gestattet.1418 Zudem ist es angesichts der fehlenden Harmonisierung des Vertragsrechts bei vielen Verbraucherverträgen unumgänglich, die Verpflichtungen des Unternehmers durch das nationale Recht zu bestimmen.

319 (2) Wettbewerbsregeln. Ebenfalls von der Richtlinie 2005/29/EG unberührt bleiben die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft und die nationalen Rechtsvorschriften zu ihrer Umsetzung (Erwägungsgrund 9 Satz 2 RL 2005/29/EG).1419 Dazu bedarf es nicht des Rückgriffs auf Art. 3 Abs. 4 RL 2005/29/EG, sondern der Schutz des Wettbewerbs auf dem Markt steht von vorneherein neben dem Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher i. S. d. Art. 1 RL 2005/29/ EG, weil das Unionsrecht von einer Zieldivergenz von Kartell- und Lauterkeitsrecht ausgeht.1420

320 (3) Geistiges Eigentum. Nach Erwägungsgrund 9 Satz 2 berührt die Richtlinie 2005/29/EG nicht die gemeinschaftlichen und nationalen Vorschriften zum Schutz des geistigen Eigentums (siehe auch Erwägungsgrund 6 Satz 5: „Markendifferenzierung“), so dass parallele Ansprüche aus Rechten des geistigen Eigentums, insbesondere aus Marken- oder Geschmacksmusterrechten, neben der Richtline anwendbar bleiben (vgl. auch Art. 3 Abs. 4 RL 2005/29/EG analog).1421 Auch dienen die Rechte des geistigen Eigentums nicht dem Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher, sondern der Mitbewerber, und liegen damit außerhalb der Regelungsziele der Richtlinie. Interessanter ist dementsprechend auch die umgekehrte Frage, ob die spezielleren Regeln 321 der gewerblichen Schutzrechte (Marken, geschäftliche Bezeichnungen, Geschmacksmuster1422) Vorrang vor den Tatbeständen der Richtlinie 2005/29/EG haben. Dies ist zu verneinen, weil […] für jeden Verlust [haftet], der der anderen Partei durch diese Pflichtverletzung entsteht“. Zudem ist der Verbraucher gemäß Art. 29 Abs. 2 nicht verpflichtet, die zusätzlichen Kosten zu übernehmen, über die er nicht aufgeklärt wurde; dazu Eidenmüller/Jansen/Kieninger/Wagner/Zimmermann JZ 2012, 269, 276 f. Art. II.-3:107 DCFR schlägt eine doppelte Sanktion vor: Zum einen haftet der Unternehmer für den möglichen Vertrauensschaden (Art. II-3:107 Abs. 2 DCFR), zum anderen bestimmen sich die vertraglichen Pflichten danach, was die andere Partei aufgrund der Unrichtigkeit oder des Fehlens der Information vernünftigerweise erwarten konnte (Art. II-3:107 Abs. 3 DCFR). 1418 Auch wenn man die Durchsetzung von Regeln für reglementierte Berufe nicht über die Generalklausel, sondern über einen anderen Tatbestand des UWG vollzieht (etwa § 3a UWG), so ändert dies in der Sache nichts daran, dass sich die Verhaltensstandards des Gewerbetreibenden und damit der Maßstab seiner beruflichen Sorgfalt aus dem nationalen Berufsrecht ergibt. 1419 Zum Verhältnis von Lauterkeitsrecht und Kartellrecht oben Rn. 50 ff. 1420 Siehe auch Lübbig GPR 2010, 268, 272, der allerdings eher eine Lösung über Art. 3 Abs. 4 RL 2005/29/EG im Blick hat. 1421 Eine direkte Anwendung der lex specialis-Regel scheitert daran, dass die immaterialgüterrechtlichen Normen keine „besonderen Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken“ regeln. Zum Verhältnis von Immaterialgüterrecht und Lauterkeitsrecht oben Rn. 71 ff. 1422 Hierzu zählt auch der ergänzende wettbewerbliche Leistungsschutz nach § 4 Nr. 3 lit. a UWG.

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V. Lauterkeitsrecht und Rechtsangleichung

Einleitung

Art. 6 Abs. 2 lit. a RL 2005/29/EG1423 ausdrücklich die Verwechslungsgefahr mit einem „Kennzeichen eines Mitbewerbers“ als irreführende Geschäftspraxis qualifiziert.1424 Gegen einen Vorrang sprechen auch die unterschiedlichen Schutzzwecke der Richtlinie (Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher) und des Markenrechts (Schutz des Kennzeicheninhabers bzw. seiner Lizenznehmer).

ff ) Speziellere Vorschriften des besonderen Marktordnungsrechts. Als weitere Ausnah- 322 me sieht die Richtlinie eine Öffnungsklausel für speziellere Vorschriften des besonderen Marktordnungsrechts vor.

(1) Besondere Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken. Art. 3 Abs. 4 RL 2005/29/EG formu- 323 liert einen Vorrang für „Rechtsvorschriften der Gemeinschaft, die besondere Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken regeln“ „wie etwa Informationsanforderungen oder Regeln darüber, wie dem Verbraucher Informationen zu vermitteln sind“ (Erwägungsgrund 10 Satz 3). Diese Spezialitätsanordnung bezieht sich nur auf Verordnungen und Richtlinien des Unionsrechts, nicht auf Regeln der nationalen Gesetzgeber,1425 die nur unter Art. 3 Abs. 5, 8 oder 9 RL 2005/29/EG fallen können. Durch Art. 3 Abs. 4 RL 2005/29/EG vorbehaltene Vorschriften über besondere Aspekte 324 unlauterer Geschäftspraktiken finden sich zunächst in sektoriellen Irreführungsregeln,1426 z. T. auch in einzelnen Regeln zum Schutz vor aggressiven Praktiken.1427 Zu ihnen zählen außerdem die lauterkeitsrechtlich relevanten Vorschriften in den in Erwägungsgrund 10 Satz 2 genannten Richtlinien1428 und andere besondere Regeln des Unionsrechts zu unlauteren 1423 Eine ähnliche Regel findet sich im Verhältnis zum lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutz in Anhang I Nr. 13 und Erwägungsgrund 14 Satz 6 RL 2005/29/EG. Ausführlich zu Art. 6 Abs. 2 lit. a RL 2005/29/EG Thress Die irreführende Produktvermarktung: zur Auslegung des Art. 6 Abs. 2 lit. a der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken und des § 5 Abs. 2 UWG (2011) S. 33. 1424 BGH 15. 8. 2013 – I ZR 188/11 – GRUR 2013, 1161, 1165 Tz. 60 – Hard Rock Café; Fezer WRP 2008, 1, 8; Köhler GRUR 2009, 445, 448; Bärenfänger WRP 2011,16, 19 f. Bornkamm GRUR 2011, 1, 2 ff.; Goldmann GRUR 2012, 857, 859 ff.; skeptisch auch Ohly GRUR 2007, 731, 738 f.; ausführlich Kur FS Köhler (2014), S. 383; zur Kritik vor der Richtlinie 2005/29/EG bereits Kur GRUR 1989, 240, 242 f.; siehe auch Steinbeck WRP 2006, 632, 637 f., 640, die von einer Umsetzung des Art. 6 Abs. 2 lit. a RL 2005/29/EG abrät; a. A. Ohly/Sosnitza § 5 Rn. 708 ff.: Vorrangthese mit Richtlinie vereinbar. 1425 Soweit sie nicht auf der Umsetzung einer Richtlinie beruhen. Zur Beschränkung auf die Kollision von Unionsregelungen EuGH 13. 9. 2018 – C-54/17 und C-55/17 – GRUR 2018, 1156 Tz. 59 – Wind. 1426 Etwa Art. 20 VO 1223/2009 und die VO 655/2013 zur Festlegung gemeinsamer Kriterien zur Begründung von Werbeaussagen im Zusammenhang mit kosmetischen Mitteln, zum Verhältnis zur Richtlinie 2005/29/EG siehe auch den Bericht der Kommission zu Werbeaussagen basierend auf den gemeinsamen Kriterien im Bereich der kosmetischen Mittel, KOM (2016) 580 S. 3 f.; Art. 87 Abs. 3, Art. 90 lit. j, lit. k i. V. m. Art. 97 RL 2001/83/EG (Arzneimittel); Art. 3 Satz 2 lit. a VO 1924/2006 (nährwertbezogene Angaben bei Lebensmitteln); Art. 9 Abs. 1 lit. a Satz 2 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 lit. j. RL 2010/13/EU (audiovisuelle Mediendienste); Art. 7 Abs. 1 VO 1169/2011 (Informationen über Lebensmittel); Art. 10 RL 2010/30/EG i. V. m. delegierter VO 665/2013/EU (Energieeffizienzangaben), dazu EuGH 25. 7. 2018 – C-632/16 – GRUR 2018, 940 Tz. 35, 45 – Dyson (Anforderungen der spezielleren Etikettierungsregeln abschließend). 1427 Art. 9 Abs. 1 lit. b, lit. g RL 2010/13/EU; Apetz Das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken (2011), S. 183. Das weitere von Apetz genannte Beispiel aus der Fernabsatzrichtlinie (Art. 10 Abs. 2 RL 97/7/EG) ist in der neuen RL 2011/83/EU über die Rechte der Verbraucher unter Hinweis auf Art. 13 RL 2002/58/EG (unten Rn. 420 ff.) entfallen. 1428 Richtlinie 97/7/EG über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz ABl. L 144 vom 4. 6. 1997, S. 19; nunmehr ersetzt durch Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. L 304

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

Geschäftspraktiken,1429 etwa in der Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr (unten Rn. 371 ff.),1430 der Richtlinie 2010/13/EU über audiovisuelle Mediendienste (unten Rn. 401 ff.),1431 der Richtlinie 98/6/EG über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse (unten Rn. 415 ff.),1432 der Richtlinie 2015/2302 über Pauschalreisen,1433 der Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen,1434 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44/EG1435 (ab 2021: Richtlinie 2019/771 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenkaufs1436), der Richtlinie 2019/770 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen,1437 der Verordnung 261/2004 über Fluggastrechte,1438 der Richtlinie 2002/58/EG über vom 22. 11. 2011, S. 64, dazu unten Rn. 412 ff.; Richtlinie 2002/65/EG über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher, L 271 vom 9. 10. 2002, S. 16; Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10. September 1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung, ABl. L 250 vom 19. 9. 1984, S. 17; nunmehr Richtlinie 2006/114/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über irreführende und vergleichende Werbung (kodifizierte Fassung), ABl. L 376 vom 27. 12. 2006, S. 21, dazu Erwägungsgrund 6 Satz 4 RL 2005/29/EG und unten Rn. 351 ff., 355; Richtlinie 98/27/EG über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, ABl. L 166 vom 11. 6. 1998, S. 51; nunmehr Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (kodifizierte Fassung), ABl. L 110 vom 1. 5. 2009, S. 30, dazu unten Rn. 433 f. Einige dieser Regeln, wie etwa die mitbewerberschützenden Regeln der Richtlinie 2006/114/EG, fallen bereits nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/29/EG, so dass es insofern einer Vorranganordnung nicht bedurft hätte. 1429 Siehe auch die Liste im Anhang II zur Richtlinie 2005/29/EG und im Anhang zu Art. 3 Nr. 1 der Verordnung (EU) 2017/2394 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2017 über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004, ABl. L 345 vom 27. 12. 2017, S. 1. Zu den Beispielen auch BTDrucks. 16/ 10145 S. 13; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.26. 1430 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“), ABl. L 178 vom 17. 7. 2000, S. 1. 1431 Richtlinie 2010/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. März 2010 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste, ABl. L 95 vom 15. 4. 2010, S. 1. 1432 Richtlinie 98/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse, ABl. L 80 vom 18. 3. 1998, S. 27. Zum Vorrang der RL 98/6/EG gemäß Art. 3 Abs. 4 RL 2005/29/EG vor Art. 7 Abs. 4 lit. c RL 2005/29/EG EuGH 7. 7. 2016 – C-476/14 – GRUR 2016, 945 Tz. 44 f. – Citroën Commerce. 1433 Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/ 83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates, ABl. L 326 vom 11. 12. 2015, S.1. 1434 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. L 95 vom 21. 4. 1993, S. 29. 1435 Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl. L 171 vom 7. 7. 1999, S. 12; dazu auch BGH 31. 3. 2010 – I ZR 34/08 – GRUR 2010, 1117 Tz. 17 – Gewährleistungsausschluss im Internet. 1436 Richtlinie (EU) 2019/771 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenkaufs, zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/2394 und der Richtlinie 2009/22/ EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 1999/44/EG, ABl. L 136 vom 22. 5. 2019, S. 28. 1437 Richtlinie (EU) 2019/770 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen, ABl. L 136 vom 22. 5. 2019, S. 1. 1438 Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91, ABl. L 46 vom 17. 2. 2004, S. 1.

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V. Lauterkeitsrecht und Rechtsangleichung

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den Datenschutz in der elektronischen Kommunikation (unten Rn. 420 ff.),1439 der Richtlinie 2008/122/EG über Timeshare,1440 der Richtlinie 2008/48/EG über Verbraucherkreditverträge,1441 der Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG1442 und der Universaldienstrichtlinie 2002/22/ EG.1443 Die Spezialitätsanordnung des Art. 3 Abs. 4 RL 2005/29/EG setzt allerdings eine Kollision 325 voraus, die nur dann gegeben ist, „wenn außerhalb der Richtlinie stehende Bestimmungen, die besondere Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken regeln, Gewerbetreibenden ohne jeglichen Gestaltungsspielraum Verpflichtungen auferlegen, die mit denen aus der Richtlinie 2005/29 unvereinbar sind“.1444 An einer Kollision fehlt es, wenn die besonderen Bestimmungen zwar bestimmte (Informations-)Pflichten normieren, jedoch keine vollständige Harmonisierung unlauterer Geschäftspraktiken vorsehen.1445 In diesem Fall kommen die Regeln der Richtlinie 2005/ 29/EG neben den Sondervorschriften des spezielleren Rechtsakts zur Anwendung.1446 Der Vorrang ist also auf die besonderen Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken beschränkt. Die Regeln der Richtlinie 2005/29/EG bleiben daher anwendbar, wenn und soweit sich in den spezielleren Rechtsakten keine besonderen Regeln finden,1447 so dass es zu einer Verzahnung der Richtlinie 2005/29/EG mit den spezielleren Regeln kommt (allgemein oben Rn. 70). Dies ergibt sich insbesondere aus Erwägungsgrund 10 Satz 4 RL 2005/29/EG, wonach die Richtlinie 2005/29/EG „den Verbrauchern in den Fällen Schutz [bietet], in denen es keine spezifischen sektoralen Vorschriften auf Gemeinschaftsebene gibt“ (siehe auch Erwägungsgrund 10 Satz 6 RL 2005/29/EG). Besonders anschaulich zeigt sich diese Verzahnung in Art. 7 Abs. 5 RL 2005/29/EG. Nach 326 dieser Vorschrift gelten die im Unionsrecht festgelegten Informationsanforderungen in Bezug auf kommerzielle Kommunikation stets als wesentlich i. S. d. Art. 7 Abs. 1 RL 2005/29/EG1448

1439 Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation), ABl. L 201 vom 31. 7. 2002, S. 37; siehe auch Erwägungsgrund 14 Satz 8. 1440 Richtlinie 2008/122/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Januar 2009 über den Schutz der Verbraucher im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Teilzeitnutzungsverträgen, Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte sowie Wiederverkaufs- und Tauschverträgen, ABl. L 33 vom 3. 2. 2009, S. 10. 1441 Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates, ABl. L 133 vom 22. 5. 2008, S. 66. 1442 Dort die Regeln über Informationspflichten und kommerzielle Kommunikation in Art. 22 und 24, dazu auch BGH 7. 5. 2015 – I ZR 158/14 – GRUR 2015, 1240 Tz. 29 – Der Zauber des Nordens (parallele Anwendbarkeit von RL 2006/123/EG und RL 2005/29/EG, da es an einem „Kollisionsfall“ fehlt, zum Erfordernis der Kollision Rn. 309. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass die Dienstleistungsrichtlinie ebenso wie die Richtlinie 2005/29/EG eine allgemeine Rahmenrichtlinie (Erwägungsgrund 7 Satz 1 RL 2006/123/EG) darstellt, weil sie zumindest im Hinblick auf die Informationspflichten und die Regeln über kommerzielle Kommunikation spezifischer als die Richtlinie 2005/29/EG ist. 1443 Art. 1 Abs. 4, Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2002/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und diensten (ABl. 2002, L 108, S. 51) in der durch die Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 (ABl. 2009, L 337, S. 11) geänderten Fassung. 1444 EuGH 13. 9. 2018 – C-54/17 und C-55/17 – GRUR 2018, 1156 Tz. 61 – Wind. 1445 EuGH 13. 9. 2018 – C-54/17 und C-55/17 – GRUR 2018, 1156 Tz. 64 ff. – Wind. 1446 EuGH 13. 9. 2018 – C-54/17 und C-55/17 – GRUR 2018, 1156 Tz. 68 f. – Wind. 1447 EuGH 13. 9. 2018 – C-54/17 und C-55/17 – GRUR 2018, 1156 Tz. 68 f. – Wind. 1448 Die Liste des Anhangs II ist nicht erschöpfend, BGH 4. 2. 2010 – I ZR 66/09 – GRUR 2010, 852 Tz. 15 ff. – Gallardo Spyder zur Einbeziehung der Richtlinie 1999/94/EG. Allerdings setzt die Anwendbarkeit des Art. 7 Abs. 5 RL 2005/29/EG voraus, dass die Informationspflicht ihre Grundlage im Unionsrecht hat, nicht im nationalen Recht, selbst wenn dieses mindestharmonisierende Richtlinien überschießend umsetzt, Erwägungsgrund 15 Satz 2, 4–5.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

und können als irreführende Werbung nach der Richtlinie 2005/29/EG untersagt werden.1449 Umgekehrt fehlt es an der Wesentlichkeit einer Information (und damit an einem Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 RL 2005/29/EG), wenn sie nach spezialgesetzlichen Informationspflichten nicht zu erteilen ist.1450 In einem solchen Fall liegt eine „Kollision“ i. S. d. Art. 3 Abs. 4 RL 2005/29/EG mit einer spezielleren Regel (Informationspflicht) des Unionsrechts vor, die über Art. 3 Abs. 4 RL 2005/29/EG zur Nichtanwendung der allgemeinen Vorschrift des Art. 7 RL 2005/29/EG für die betreffende Information führt, so dass Art. 7 keine weitergehenden Informationspflichten begründet.1451 In ähnlicher Weise lassen sich spezielle Regeln darüber, wie dem Verbraucher Informationen zu vermitteln sind, in die Tatbestände des Art. 6 Abs. 1 („sämtliche Umstände ihrer Präsentation“) und Art. 7 Abs. 2 („auf unklare, unverständliche, zweideutige Weise“) integrieren. Soweit allerdings keine abweichende speziellere Vorgabe existiert, ist auch bei der Auslegung spezialgesetzlicher Irreführungsverbote auf das (europäische) Verbraucherleitbild der Richtlinie 2005/29/EG abzustellen.1452 Über seinen Wortlaut („besondere Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken“) hinaus lässt 327 sich Art. 3 Abs. 4 RL 2005/29/EG außerdem entnehmen, dass es dem Unionsgesetzgeber unbenommen bleibt, Maßnahmen zum Schutz anderer als wirtschaftlicher Interessen der Verbraucher und der Allgemeinheit zu ergreifen. Dies ergibt sich bereits aus der Begrenzung des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2005/29/EG auf den Schutz wirtschaftlicher Verbraucherinteressen, auch wenn der Gesetzgeber einige Vorschriften zum Schutz anderer als wirtschaftlicher Verbraucherinteressen offenbar unter Art. 3 Abs. 4 RL 2005/29/EG fassen wollte.1453 Interessant ist nun die Folgefrage, ob die in Erwägungsgrund 10 Satz 6 vorgesehene Rege328 lungsergänzung durch die Richtlinie 2005/29/EG auch bei besonderen Vorschriften des Unionsrechts greift, die Geschäftspraktiken aus anderen Gründen als zum Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher regeln. Diese Frage ist nicht allein von theoretischem Interesse, denn wenn man sie bejaht, steht das Sanktioneninstrumentarium der Richtlinie, insbesondere das Initiativrecht der Mitbewerber (Art. 11 Abs. 1 Satz 2 RL 2005/29/EG) in der Art eines europäischen Rechtsbruchtatbestands zur Durchsetzung weiter Teile des Unionsrechts generell zur Verfügung (oben Rn. 70). Denken mag man hier etwa an das Antidiskriminierungsrecht der Union, das Einfluss zwar nicht auf den Inhalt von Medien und Werbung,1454 aber auf die Preisgestaltung haben kann,1455 oder auch an das Datenschutzrecht.

1449 Der BGH greift zur Abwehr von Verstößen gegen Informationsanforderungen nach Art. 7 Abs. 5 RL 2005/29/ EG allerdings nicht auf die Regeln zur irreführenden Werbung (§§ 5, 5a UWG), sondern den Rechtsbruchtatbestand (§ 3a bzw. § 4 Nr. 11 a. F. UWG) zurück, BGH 4. 2. 2010 – I ZR 66/09 – GRUR 2010, 852 Tz. 12, 15 ff. – Gallardo Spyder; zu einer möglichen Begründung für dieses Vorgehen BGH 10. 12. 2009 – I ZR 189/07 – GRUR 2010, 754 Tz. 21, 23 – Golly Telly. 1450 EuGH 25. 7. 2018 – C-632/16 – GRUR 2018, 940 Tz. 44 f. – Dyson (Information über die Bedingungen, unter denen die Energieeffizienz gemessen wurde). 1451 EuGH 25. 7. 2018 – C-632/16 – GRUR 2018, 940 Tz. 32 ff. – Dyson (Information über die Bedingungen, unter denen die Energieeffizienz gemessen wurde); Büscher/Büscher Einl Rn. 165. 1452 EuGH 25. 7. 2018 – C-632/16 – GRUR 2018, 940 Tz. 56 – Dyson. 1453 Siehe den Anhang II RL 2005/29/EG mit Verweis auf die Art. 86 ff. RL 2001/83/EG, die nicht-wirtschaftliche Verbraucherinteressen (Gesundheit) schützen. Dient die speziellere Vorschrift anderen Zwecken (z. B. Mitbewerberschutz, Gesundheitsschutz, Schutz der Privatsphäre, Jugendschutz), so kommt es streng genommen nicht zu einer Kollision mangels Eröffnung des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2005/29/EG, die nur eine Harmonisierung der Regeln zum Schutz der wirtschaftlichen Verbraucherinteressen bezweckt, so dass es keiner Vorranganordnung bedarf, Apetz Das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken (2011), S. 181 f. 1454 Siehe Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, ABl. L 373 vom 21. 12. 2004, S. 37. Ein Verbot diskriminierender Darstellungen findet sich in Art. 9 Abs. 1 lit. c ii der Richtlinie 2010/13/EU über audiovisuelle Medien. 1455 EuGH (Große Kammer) 1. 3. 2011 – C-236/09 – Slg. 2011, I-773 Tz. 30 – Test Achats.

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V. Lauterkeitsrecht und Rechtsangleichung

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Die Antwort der Richtlinie ist nicht eindeutig. Die Beschränkung auf den Schutz wirtschaft- 329 licher Interessen der Verbraucher in Art. 1 und Erwägungsgrund 10 Satz 6 und die Existenz eigener Sanktionsregeln in den Sondervorschriften des Unionsrechts (z. B. im Antidiskriminierungsrecht1456) legen nahe, dass die Richtlinie 2005/29/EG nicht zur Durchsetzung anderer als wirtschaftlicher Verbraucherinteressen dienen soll. Andererseits werden im Anhang II zu Art. 7 Abs. 5 RL 2005/29/EG zumindest Vorschriften einer Richtlinie erwähnt, die dem Schutz anderer als wirtschaftlicher Verbraucherinteressen dienen, nämlich die Art. 86 ff. der RL 2001/83/EG über Arzneimittelwerbung. Auch den Hinweis auf die Datenschutzrichtlinien1457 95/46/EG1458 und 2002/58/EG1459 in Anhang I Nr. 26 und Erwägungsgrund 14 Satz 8 mag man als Fingerzeig verstehen, dass sich die Richtlinie 2005/29/EG als allgemeine Auffangordnung (oben Rn. 70) der Durchsetzung sektoriellen Unionsrechts auch mit (partiell) anderer als wirtschaftlicher Zielsetzung nicht generell verschließen will. Immerhin bleibt in solchen Fällen neben dem Maßstab der beruflichen Sorgfalt der Filter 330 der Relevanz (Art. 5 Abs. 2 lit. b, Art. 6 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1 RL 2005/29/EG: Eignung zur wesentlichen Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens der Verbraucher) als Voraussetzung eines Unlauterkeitsverdikts im Rahmen der Richtlinie 2005/29/EG erhalten, der einem Einsatz des Lauterkeitsrechts für außerwettbewerbliche Ziele gewisse Grenzen setzt.1460 Soweit nationale Gesetzgeber aufgrund der bisher verbreiteten Mindestharmonisierungs- 331 klauseln über die Vorgaben in den durch Art. 3 Abs. 4 RL 2005/29/EG vorbehaltenen spezielleren Rechtsakten des Unionsrechts hinausgegangen sind, ist dieser überschießende nationale Verbraucherschutz lauterkeitsrechtlich1461 nur noch relevant, soweit es sich um Regeln über regulierte Berufe oder Finanzdienstleistungen oder zum Schutz anderer als wirtschaftlicher Verbraucherinteressen handelt. Für die Zwecke des Lauterkeitsrechts bewirkt die Richtlinie 2005/ 29/EG damit eine Vollharmonisierung auch im sektoriellen Lauterkeitsrecht, auch wenn die sektoriellen Rechtsakte noch Mindestharmonisierungsklauseln enthalten.

(2) Restriktivere nationale Maßnahmen für Haustürgeschäfte und Werbefahrten. Als 332 Zugeständnis gegenüber den Befürchtungen, dass die Vollharmonisierung zur Absenkung des Verbraucherschutzniveaus in einigen Mitgliedstaaten führen werde,1462 eröffnete Art. 3 Abs. 5 für den Zeitraum von sechs Jahren ab dem 12. Juni 2007 die Möglichkeit, in dem durch die Richtlinie angeglichenen Bereich nationale Vorschriften beizubehalten,1463 die „restriktiver oder strenger“ als die Richtlinie 2005/29/EG sind und die zur Umsetzung von Richtlinien erlassen wurden, die Klauseln über eine Mindestangleichung enthalten. Die restriktiveren nationalen Maßnahmen mussten „unbedingt erforderlich sein, um sicherzustellen, dass die Verbraucher auf geeignete Weise vor unlauteren Geschäftspraktiken geschützt werden und … zur Erreichung dieses Ziels ver-

1456 Siehe etwa Art. 8 ff. RL 2004/113/EG. 1457 Dazu auch die Ausnahme in Erwägungsgrund 14 Satz 8 RL 2005/29/EG. 1458 Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, ABl. L 281 vom 23. 11. 1995, S. 31, abgelöst durch die Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung), ABl. L 119 vom 4. 5. 2016. 1459 Unten Rn. 420 ff. 1460 Für diesen Hinweis danke ich Matthias Leistner. 1461 Verbrauchervertragsrechtlich bleibt es möglich, über die Standards des Unionsrechts hinauszugehen, vgl. Erwägungsgrund 15 Satz 2 RL 2005/29/EG. 1462 Siehe die Erklärungen von Dänemark und Schweden, Ratsdokument Nr. 9586/04, S. 14 f. 1463 „Beizubehalten“ bedeutet, dass die Mitgliedstaaten keine neuen strengeren nationalen Regeln einführen dürfen; nicht zulässig ist es, auf Grundlage des Art. 3 Abs. 5 RL 2005/29/EG neue Vorschriften zu erlassen, EuGH 10. 7. 2014 – C-421/12 – GRUR Int. 2014, 964 Tz. 73 – Kommission/Belgien.

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hältnismäßig sein“.1464 Die Mitgliedstaaten waren verpflichtet, die auf Grundlage des Art. 3 Abs. 5 a. F. angewandten nationalen Vorschriften der Kommission mitzuteilen (Art. 3 Abs. 6 RL 2005/29/ EG).1465 Unter Art. 3 Abs. 5 a. F. fielen nach einer Mitteilung der Kommission an die Bundesregierung die Fernsehrichtlinie 89/552/EWG (unten Rn. 401 ff.),1466 die Richtlinie 98/6/EG über Preisangaben (unten Rn. 415 ff.), die Richtlinie 97/7/EG über Verbraucherschutz im Fernabsatz und die Richtlinie 85/577/EWG über Haustürgeschäfte (unten Rn. 412 ff.),1467 die Richtlinie 94/47/EG über Teilzeitnutzungsrechte an Immobilien1468 und die Richtlinie 90/314/EWG über Pauschalreisen.1469 Nach Auffassung der Bundesregierung existierten im deutschen Recht allerdings keine über die europäische Mindestharmonisierung hinausgehenden Vorschriften.1470 Nach Auslaufen der Öffnungsklausel des Art. 3 Abs. 5 RL 2005/29/EG a. F. am 11. Juni 2013 333 sind restriktivere nationale Maßnahmen zur Umsetzung von mindestharmonisierenden Richtlinien nur noch vertragsrechtlich, nicht aber wettbewerbsrechtlich zu sanktionieren (Erwägungsgrund 15 Satz 5 RL 2005/29/EG), sofern keine andere (sachliche) Öffnungsklausel für die Mindestharmonisierung (z. B. Art. 3 Abs. 9 RL 2005/29/EG) greift.1471 Im Zuge der Reform durch die Richtlinie 2019/21611472 wurde die nunmehr ausgelaufene 334 Öffnungsklausel in Art. 3 Abs. 5 RL 2005/29/EG durch eine neue Öffnungsklausel ersetzt für mitgliedstaatlichen Vorschriften „zum Schutz der berechtigten Interessen der Verbraucher in Bezug auf aggressive oder irreführende Vermarktungs- oder Verkaufspraktiken im Zusammenhang mit unerbetenen Besuchen eines Gewerbetreibenden in der Wohnung eines Verbrauchers oder Ausflügen, die von einem Gewerbetreibenden in der Absicht oder mit dem Ergebnis organisiert

1464 Dazu wird aus Art. 4 RL 2005/29/EG z. T. abgeleitet, dass bei den befristet zugelassenen strengeren Regeln (Art. 3 Abs. 5 RL 2005/29/EG) der Verweis auf die Grundfreiheiten dergestalt modifiziert wird, dass auch Verkaufsmodalitäten der Verhältnismäßigkeitsprüfung genügen müssen, Ohly WRP 2006, 1401, 1412. M. E. ergibt sich dies bereits aus dem Tatbestand des Art. 3 Abs. 5 RL 2005/29/EG a. F.: „Diese Maßnahmen müssen unbedingt erforderlich sein“. 1465 Die befristete Ausnahmeregelung ging im Wesentlichen auf einen Änderungsantrag des Parlaments zurück, das durch befristete Ausnahmeregelungen den unterschiedlichen nationalen Schutzvorstellung Rechnung tragen wollte, Änderungsantrag 109 von Manuel Medina Ortega und Fiorella Ghilardotti im Namen der PSE-Fraktion, A5– 0188/111; übernommen vom Rat, Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 6/2005 (Fn. 1033), S. 18. 1466 Heute Richtlinie 2010/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. März 2010 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste, ABl. L 95 vom 15. 4. 2010, S. 1. 1467 Die beide im Jahr 2014 durch die (weitgehend) vollharmonisierende Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. L 304 vom 22. 11. 2011, S. 64 abgelöst worden sind. 1468 Heute Richtlinie 2008/122/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Januar 2009 über den Schutz der Verbraucher im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Teilzeitnutzungsverträgen, Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte sowie Wiederverkaufs- und Tauschverträgen, ABl. L 33 vom 3. 2. 2009, S. 10. 1469 Heute Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates, ABl. L 326 vom 11. 12. 2015, S. 1. 1470 BTDrucks. 16/10145 S. 14; skeptisch mit Blick auf die Erstreckung der PAngV auf Dienstleistungen Köhler/ Bornkamm/Feddersen Vorb PAngV Rn. 12. 1471 Zweifelhaft daher die Begründung in BGH 9. 6. 2011 – I ZR 17/10 – GRUR 2012, 188 Tz. 46, 35 – ComputerBild, wo der BGH auf die Vereinbarkeit einer Verpflichtung zur Belehrung über das Nichtbestehen eines Widerrufsrechts auf die Öffnungsklausel in der Fernabsatzrichtlinie verweist (Tz. 46, 35), die nach Erwägungsgrund 15 Satz 5 RL 2005/29/EG aber nur noch vertragsrechtliche Bedeutung hat. Überzeugender BGH 10. 12. 2009 – I ZR 149/07 – GRUR 2010, 744 Tz. 26 – Sondernewsletter; BGH 14. 4. 2011 – I ZR 133/09 – GRUR 2011, 638 Tz. 19 – Werbung mit Garantie: nationale Informationspflicht muss eine Grundlage im Unionsrecht haben. Zu den Konsequenzen des Auslaufens der Übergangsfrist in Art. 3 Abs. 5 RL 2005/29/EG für die PAngV Köhler WRP 2013, 723; Omsels WRP 2013, 1286. 1472 Fn. 1106.

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werden, dass für den Verkauf von Waren bei Verbrauchern geworben wird oder Waren an Verbraucher verkauft werden“. Diese Bestimmungen müssen verhältnismäßig, nichtdiskriminierend und aus Gründen des Verbraucherschutzes gerechtfertigt sein und der Kommission gemäß Art. 3 Abs. 6 RL 2005/29/EG n.F. gemeldet werden. Ziel der Öffnungsklausel ist es, mitgliedstaatliche Beschränkungen für bestimmte Arten von Verkäufen außerhalb von Geschäftsräumen weiterhin zu gestatten, weil sie nach Auffassung der Kommission keine oder allenfalls geringfügige Auswirkungen auf den Binnenmarkt haben, so dass eine nationale Regelung im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip steht.1473 Die Öffnungsklausel gestattet den Mitgliedstaaten die Durchsetzung von Beschränkungen, die solche (in vielen Mitgliedstaaten als nicht wünschenswert angesehenen) Praktiken auch im Interesse besonders schutzbedürftiger, etwa älterer Verbraucher begrenzen, ohne – wie nach Art. 5 Abs. 2 oder Art. 8 und 9 Richtlinie 2005/29/EG – eine Einzelfallbeurteilung der jeweiligen Praktik vornehmen zu müssen (siehe Erwägungsgründe 54, 55 RL 2019/2161). Allerdings sollen die nationalen Beschränkungen nicht „diese Verkaufskanäle als solche“ verbieten, sondern „beispielsweise eine Tageszeit“ festlegen, zu der Besuche in der Wohnung eines Verbrauchers ohne dessen ausdrücklichen Wunsch nicht zulässig sind (Erwägungsgrund 55 Satz 2, 3 RL 2019/2161). Werden entsprechende Beschränkungen im nationalen Recht aus anderen Gründen als aus denen des Verbraucherschutzes angeordnet, etwa aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder zum Schutz des Privatlebens der Verbraucher (Art. 7 EUGRCh), so fallen sie bereits nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/29/EG (Erwägungsgrund 54 a. E. RL 2019/2161). Von den nationalen Beschränkungen für Außergeschäftsraumverträge bleibt das nationale Vertragsrecht (Wirksamkeit, Zustandekommen, Wirkungen eines Vertrages) und die Möglichkeit eines Verbots solcher Praktiken nach Einzelfallprüfung gemäß Art. 5–9 RL 2005/29/EG unberührt (Erwägungsgrund 56 RL 2019/2161).

(3) Regeln für reglementierte Berufe. Gemäß Art. 3 Abs. 8 RL 2005/29/EG lässt die Richtli- 335 nie „alle Niederlassungs- und Genehmigungsbedingungen, berufsständischen Verhaltenskodizes oder andere spezifische Regeln für reglementierte Berufe unberührt, damit die strengen Integritätsstandards, die die Mitgliedstaaten den in dem Beruf tätigen Personen nach Maßgabe des Gemeinschaftsrechts auferlegen können, gewährleistet bleiben“. Den reglementierten Beruf definiert Art. 2 lit. l RL 2005/29/EG als „berufliche Tätigkeit oder eine Reihe beruflicher Tätigkeiten, bei der die Aufnahme oder Ausübung oder eine der Arten der Ausübung direkt oder indirekt durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften an das Vorhandensein bestimmter Berufsqualifikationen gebunden ist“.1474 Infolge von Art. 3 Abs. 8 RL 2005/29/EG ist die Anwendung des § 3a UWG auf berufsrechtliche Bestimmungen, die das Marktverhalten in unionsrechtskonformer Weise regeln, zulässig.1475 Dies gilt etwa für berufsrechtliche Regeln für Ärzte,1476 Architekten1477 und Rechtsanwälte1478 oder die Beschränkungen für gewerbliche Pfandleiher.1479

1473 KOM (2018) 185 S. 4, 17. 1474 Siehe auch die Definition in Art. 3 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen, ABl. L 255 vom 30. 9. 2005, S. 22; dazu EuGH 17. 3. 2011 – C-372/09 und C-373/09 – FR 2011, 155 Tz. 26 ff. – Josep Peñarroja Fa. 1475 BGH 4. 11. 2010 – I ZR 118/09 – GRUR 2011, 539 Tz. 23 – Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker; BGH 29. 7. 2009 – I ZR 166/06 – GRUR 2009, 1077 Tz. 21 – Finanz-Sanierung; BGH 1. 6. 2011 – I ZR 58/10 – GRUR 2012, 79 Tz. 11 – Rechtsberatung durch Einzelhandelsverband (zum RDG). 1476 BGH 9. 7. 2009 – I ZR 13/07 – NJW 2009, 3582 Tz. 12 – Brillenversorgung; BGH 13. 1. 2011 – I ZR 112/08 – Tz. 24 (juris). 1477 BGH 25. 3. 2010 – I ZR 68/09 – GRUR 2010, 1115 Tz. 12 – Freier Architekt. 1478 BGH 20. 1. 2011 – I ZR 122/09 – GRUR 2011, 352 Tz. 16 f. – Makler als Vertreter im Zwangsversteigerungsverfahren; BGH 1. 6. 2011 – I ZR 58/10 – GRUR 2012, 79 Tz. 11 – Rechtsberatung durch Einzelhandelsverband (zum RDG). 1479 BGH 14. 5. 2009 – I ZR 179/07 – GRUR 2009, 886 Tz. 18 – Die clevere Alternative.

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Mit Art. 3 Abs. 8 RL 2005/29/EG soll verhindert werden, dass „durch die Richtlinie nicht unnötig die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten untergraben werden, detaillierte sektorielle Regelungen beizubehalten, durch die ein hoher Integritätsstandard in dieser Branche gefördert werden soll, vorausgesetzt, dies beeinträchtigt nicht die Ziele der Richtlinie hinsichtlich des Binnenmarkts“.1480 Auch wenn die Richtlinie die allgemeinen Pflichten in Bezug auf die Lauterkeit des Geschäftsverkehrs harmonisieren will, so soll sie nicht dazu führen, den Verbraucherschutz in besonderen Sektoren wie „Finanzdienstleistungen, Verkehr, Versorgungsleistungen, Immobilienverkäufe und reglementierte Berufe“ zu verringern.1481 Es kommt hinzu, dass die Vorschriften für reglementierte Berufe häufig nicht (nur) dem Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher dienen, sondern auch anderen Interessen wie dem Gesundheitsschutz (Ärzte, Apotheker) oder der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege (Anwälte).1482 337 Voraussetzung für die Anwendung strengerer Vorschriften für reglementierte Berufe ist, dass diese Regeln ihrerseits mit Unionsrecht vereinbar sind, insbesondere mit den Grundfreiheiten, der Berufsanerkennungsrichtlinie1483 und mit der Dienstleistungsrichtlinie, die in Art. 24 eine Aufhebung sämtlicher absoluter Verbote der kommerziellen Kommunikation (z. B. generelle oder medienspezifische Werbeverbote) vorsieht.1484 Der Vorbehalt des Art. 3 Abs. 8 RL 2005/29/EG gestattet nicht nur staatliche Regeln für 338 reglementierte Berufe, sondern auch berufsständische Verhaltensregeln, und zwar nicht nur freiwillige Selbstverpflichtungen i. S. d. Art. 2 lit. f RL 2005/29/EG, sondern auch die Rechtssetzung durch Standesorganisationen kraft Delegation staatlicher Gesetzgebungskompetenz. Der Vorbehalt betrifft sowohl die Niederlassungs- und Genehmigungsbedingungen wie die Regeln für die Berufsausübung, insbesondere für die Zulässigkeit von Werbemaßnahmen, wie sich aus der Formulierung „andere spezifische Regeln“ ergibt.1485 Art. 3 Abs. 8 RL 2005/29/EG hat allerdings nicht zur Folge, dass regulierte Berufe generell aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen wären. Die Funktion des Art. 3 Abs. 8 RL 2005/ 29/EG ist vielmehr die eines Öffnungsventils zur Mindestharmonisierung, so dass auch reglementierte Berufe – neben den durch Art. 3 Abs. 8 RL 2005/29/EG gestatteten strengeren nationalen Regeln für diese Berufe – mindestens den Standards der Richtlinie 2005/29/EG genügen müssen. 336

1480 Die Ausnahme geht auf Änderungsantrag 27 des Parlaments (Fn. 1031), A5–0188/2004, S. 19 f. zurück, den der Rat „sinngemäß“ in Art. 3 Abs. 8–10 RL 2005/29/EG übernommen hat, Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 6/2005 (Fn. 1033), S. 17. Dabei hatte das Parlament – wohl wegen des damals noch in der Richtlinie vorgesehenen Herkunftslandprinzips – vor Augen, dass die gegenseitige Anerkennung dazu führen werde, „dass die Mitgliedstaaten genau prüfen müssen, welche ihrer sektoriellen Regelungen wirklich notwendig sind […], denn sie könnten nicht auf Produkte angewandt werden, die von einem Gewerbetreibenden in einem anderen Mitgliedstaat geliefert werden“. 1481 Zu den Beispielen Änderungsantrag 27 des Parlaments (Fn. 1031), A5–0188/2004, S. 19 f. 1482 Busch EuLF 2004, 91, 93. 1483 Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen, ABl. L 255 vom 30. 9. 2005, S. 22,. 1484 Dazu EuGH 5. 4. 2011 – C-119/09 – Slg. 2011, I-2551 Tz. 45 – Société fiduciaire nationale d’expertise comptable. Möglich bleibt eine Regelung des Inhalts und der Art und Weise der kommerziellen Kommunikation, Art. 24 Abs. 2 und Erwägungsgrund 100 Satz 2 RL 2006/123/EG. 1485 EuGH 4. 5. 2017 – C-339/15 – GRUR 2017, 627 Tz. 21, 29 – Vanderborght: nationale Vorschriften erfasst, die die „öffentliche Gesundheit und die Würde des Zahnarztberufs schützen, indem sie zum einen jegliche Werbung für Leistungen der Mund- und Zahnversorgung allgemein und ausnahmslos verbieten und zum anderen bestimmte Anforderungen in Bezug auf die Schlichtheit von Zahnarztpraxisschildern aufstellen“; implizit auch BGH 26. 2. 2009 – I ZR 222/06 – GRUR 2009, 883 Tz. 10 – MacDent (Verbot berufswidriger Werbung für Zahnärzte); BGH 18. 3. 2010 – I ZR 172/08 – GRUR 2010, 1024 Tz. 15 – Master of Science Kieferorthopädie; a. A. MünchKomm/Micklitz/ Namyslowska Art. 3 UGP-Richtlinie Rn. 45: Beschränkung auf Verhaltenskodizes, die sich auf die Niederlassungsund Genehmigungsbedingungen selbst beziehen.

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(4) Finanzdienstleistungen und Immobilien. Eine weitere Öffnungsklausel für restriktivere 339 nationale Maßnahmen sieht Art. 3 Abs. 9 RL 2005/29/EG „im Zusammenhang mit Finanzdienstleistungen im Sinne der Richtlinie 2002/65/EG und Immobilien“ vor. Art. 2 lit. b RL 2002/65/ EG definiert die Finanzdienstleistung als „jede Bankdienstleistung sowie jede Dienstleistung im Zusammenhang mit einer Kreditgewährung, Versicherung, Altersversorgung von Einzelpersonen, Geldanlage oder Zahlung“. Folge der Beschränkung auf die Mindestharmonisierung ist, dass nationale Vorschriften 340 über das Verbot von Kopplungsangeboten bei Finanzdienstleistungen oder ausführlichere Informationen bei Finanzprodukten oder Formblättern1486 neben der Richtlinie 2005/29/EG zulässig bleiben und wettbewerbsrechtlich sanktioniert werden dürfen (§ 3a UWG). Daneben ist zu berücksichtigen, dass bestimmte Standards für Geschäftspraktiken bereits durch sektorielle Regeln für Finanzdienstleistungen auf Ebene der Europäischen Union definiert werden, die der Richtlinie 2005/29/EG nach ihrem Art. 3 Abs. 4 vorgehen bzw. ihre Irreführungsstandards über Art. 7 Abs. 5 i. V. m. Anhang II RL 2005/29/EG konkretisieren. Neben den in Anhang II aufgezählten Richtlinien 85/611/EWG über bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren, 2002/65/EG über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen, 2002/92/EG über die Versicherungsvermittlung, 2002/83/EG über Lebensversicherungen,1487 2004/39/EG über Märkte für Finanzinstrumente,1488 92/49/EWG über Schadenversicherung1489 und 2003/71/EG über Wertpapierprospekte sind hier die Richtlinie 2008/48/EG über Verbraucherkreditverträge1490 und die Richtlinie 2015/2366/EU über Zahlungsdienste1491 zu nennen.1492 Aus der Öffnungsklausel für strengere nationale Vorschriften über Finanzdienstleistungen 341 ergibt sich im Gegenschluss, dass die allgemeine Richtlinie 2005/29/EG auch auf Finanzdienstleistungen anwendbar ist.1493 So fallen irreführende Informationen über die Risiken von Finanzprodukten (Art. 6 Abs. 1 lit. b RL 2005/29/EG), mangelnde Transparenz bei Bankgebühren, die eine Gebührenberechnung und einen systematischen Angebotsvergleich unmöglich macht (Art. 7 Abs. 2 RL 2005/29/EG), unzureichende oder unverständliche vorvertragliche Informationen oder etwaige Hindernisse für einen Kontenwechsel unter die Richtlinie 2005/29/EG.1494

(5) Vergleichende Werbung und anerkannte Werbe- und Marketingmethoden. Nach Er- 342 wägungsgrund 6 Satz 4 berührt die Richtlinie 2005/29/EG nicht die Bestimmungen über vergleichende Werbung (unten Rn. 362 ff.), die durch Art. 4 RL 2006/114/EG vollständig harmonisiert 1486 Zu diesen Beispielen SEK (2009) 1666 Ziffer 1.5 S. 14; zur Zulässigkeit strengerer nationaler Regeln bei Kopplungsangeboten, bei denen mindestens ein Bestandteil eine Finanzdienstleistung ist, EuGH 18. 7. 2013 – C-265/12 – GRUR 2013, 1154 Tz. 23, 25, 28 – Citroën Belux. 1487 Neufassung durch Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II), ABl. L 335 vom 17. 12. 2009, S. 1–155. 1488 Neufassung durch Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU, ABl. L 173 vom 12. 6. 2014, S. 349 –496. 1489 Neufassung durch Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II), ABl. L 335 vom 17. 12. 2009, S. 1–155. 1490 Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates, ABl. L 133 vom 22. 5. 2008, S. 66. 1491 Richtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 2002/65/EG, 2009/110/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2007/64/EG, ABl. L 337 vom 23. 12. 2015, S. 35–127. 1492 SEK (2009) 1666, Ziffer 1.5 S. 14. 1493 Erwägungsgrund 10 Satz 4–5 RL 2005/29/EG; Erwägungsgrund 55 RL 2015/2366/EU. 1494 SEK (2009) 1666, Ziffer 1.5 S. 12 ff.

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werden (Art. 8 Abs. 1 Satz 2 RL 2006/114/EG). Allerdings verweist Art. 4 lit. a RL 2006/114/EG für die Irreführungsstandards zurück auf die Art. 6 und 7 RL 2005/29/EG, so dass diese Vorschriften auch für die vergleichende Werbung relevant sind.1495 343 Von der Richtlinie 2005/29/EG unberührt bleiben ferner die „anerkannten Werbe- und Marketingmethoden wie rechtmäßige Produktplatzierung, Markendifferenzierung oder Anreize, die auf rechtmäßige Weise die Wahrnehmung von Produkten durch den Verbraucher und sein Verhalten beeinflussen können, die jedoch seine Fähigkeit, eine informierte Entscheidung zu treffen, nicht beeinträchtigen“ (Erwägungsgrund 6 Satz 5 RL 2005/29/EG). Ziel dieser etwas kryptischen Regelung dürfte die Klarstellung sein, dass die Richtlinie 2005/29/EG die besonderen Regeln zur Zulässigkeit der Produktplatzierung1496 (Art. 11 RL 2010/13/EU), zur Werbung mit Marken (Markenrichtlinie 2015/2436/EU) oder andere „Anreize, die auf rechtmäßige Weise die Wahrnehmung von Produkten durch den Verbraucher und sein Verhalten beeinflussen können“, nicht berührt. Allerdings weist der Nachsatz „die jedoch seine Fähigkeit, eine informierte Entscheidung zu treffen, nicht beeinträchtigen“ darauf hin, dass ein Rückgriff auf die Richtlinie 2005/29/EG möglich bleibt, wenn die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers beeinträchtigt wird, z. B. weil durch die Produktvermarktung eine Verwechslungsgefahr begründet wird.1497

344 f ) Überblick über die Regelungsstruktur. Die Richtlinie 2005/29/EG gründet auf dem Konzept eines einzigen, gemeinsamen generellen Verbots unlauterer Geschäftspraktiken, die das wirtschaftliche Verhalten der Verbraucher beeinträchtigen (Art. 5 Abs. 1, Erwägungsgrund 11 Satz 2, 13 Satz 2 RL 2005/29/EG). Die irreführenden und aggressiven Geschäftspraktiken sind lediglich „präzise“ oder „besondere Kategorien“ dieses gemeinsamen generellen Verbots.1498 Maßstab der Richtlinie ist dabei grundsätzlich der Durchschnittsverbraucher (oben Rn. 159 ff.), der „angemessen gut unterrichtet und angemessen aufmerksam und kritisch ist, unter Berücksichtigung sozialer, kultureller und sprachlicher Faktoren“ (Erwägungsgrund 18 Satz 2, Satz 5–6 RL 2005/29/EG). Anderes gilt, wenn die Geschäftspraktiken in einer für den Gewerbetreibenden vernünftigerweise vorhersehbaren Art und Weise das wirtschaftliche Verhalten nur einer eindeutig identifizierbaren Gruppe von Verbrauchern wesentlich beeinflussen; in diesem Fall ist auf die Perspektive eines durchschnittlichen Mitglieds dieser Gruppe abzustellen (Art. 5 Abs. 3 RL 2005/29/EG).1499 Es ist grundsätzlich Sache der nationalen Gerichte, anhand der Kriterien des Durchschnittsverbrauchers dessen „typische Reaktion“ im Einzelfall zu ermitteln.1500

1495 Kritisch zur Verdopplung des Irreführungsbegriffs bei der vergleichenden Werbung MünchKomm/Micklitz/ Namyslowska Art. 3 UGP-Richtlinie Rn. 37 f.

1496 Zur Definition der Produktplatzierung Art. 1 Abs. 1 lit. m RL 2010/13/EU n. F.: „jede Form audiovisueller kommerzieller Kommunikation, die darin besteht, gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung ein Produkt, eine Dienstleistung oder die entsprechende Marke einzubeziehen bzw. darauf Bezug zu nehmen, so dass diese innerhalb einer Sendung oder eines nutzergenerierten Videos erscheinen“. 1497 Siehe Art. 6 Abs. 2 lit. a RL 2005/29/EG; siehe auch Art. 6 Abs. 1 lit. a und Anhang I Nr. 13 RL 2005/29/EG. Zum Ende der Vorrangthese nach Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG Köhler GRUR 2009, 445, 446 f.; Fezer GRUR 2010, 953, 961 f. (Normenkonkurrenz). 1498 EuGH 19. 12. 2013 – C-281/12 – GRUR 2014, 196 Tz. 27, 30, 31 f. – Trento Sviluppo. 1499 Zum Kreis besonders schutzbedürftiger Personen Erwägung K in der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. Dezember 2010 zum Einfluss der Werbung auf das Verbraucherverhalten, ABl. C 169 E vom 15. 6. 2012, S. 58 (Kinder, Jugendliche, ältere Menschen, oder bestimmte aufgrund ihrer sozio-ökonomischen Lage schutzbedürftige Einzelpersonen wie überschuldete Menschen). Siehe auch die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 22. Mai 2012 zu einer Strategie zur Stärkung der Rechte schutzbedürftiger Verbraucher (2011/2272(INI)), ABl. C 264E vom 13. 9. 2013, S. 11. 1500 EuGH 13. 9. 2018 – C-54/17 und C-55/17 – GRUR 2018, 1156 Tz. 52 – Wind mit Verweis auf Erwägungsgrund 18 RL 2005/29/EG.

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Einleitung

Nach der Generalklausel ist eine Geschäftspraxis „unlauter, wenn a) sie den Erfordernis- 345 sen der beruflichen Sorgfalt widerspricht und b) sie in Bezug auf das jeweilige Produkt das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers … wesentlich beeinflusst oder dazu geeignet ist, es wesentlich zu beeinflussen“.1501 Unter „beruflicher Sorgfalt“ (Art. 5 Abs. 2 lit. a RL 2005/29/EG) versteht die Richtlinie den „Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt,1502 bei denen billigerweise davon ausgegangen werden kann, dass der Gewerbetreibende sie gegenüber dem Verbraucher gemäß den anständigen Marktgepflogenheiten1503 und/oder dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben1504 in seinem Tätigkeitsbereich anwendet“ (Art. 2 lit. h RL 2005/29/EG).1505 Es ist daher „anhand der berechtigten Erwartungen eines Durchschnittsverbrauchers zu prüfen, ob im Verhalten des Gewerbetreibenden ein Verstoß gegen die anständigen Marktgepflogenheiten oder den allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben in seinem Tätigkeitsbereich (…) liegt.“1506 Für eine Wahrung der beruflichen Sorgfalt, die vom nationalen Gericht im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu beurteilen ist, sprechen dabei als Indizien die zutreffende Information des Verbrauchers, die Vereinbarkeit des Verhaltens des Unternehmers mit den Erwartungen eines wesentlichen Teils der Verbraucher sowie die Möglichkeit für den Verbraucher, das Angebot des Unternehmers in allen seinen Bestandteilen anzunehmen oder den Kauf zu widerrufen.1507 Die „wesentliche Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens des Verbrauchers“ (Art. 5 Abs. 2 lit. b RL 2005/29/EG) beschreibt „die Anwendung einer Geschäftspraxis, um die Fähigkeit des Verbrauchers, eine informierte Entscheidung zu treffen, spürbar zu beeinträchtigen und damit den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte“ (Art. 2 lit. e RL 2005/29/EG).1508 An einer spürbaren Beeinträchtigung der Fähigkeit zur informierten geschäftlichen Entscheidung kann es fehlen, wenn der Verbraucher vor Abschluss eines Vertrags über dessen Bedingungen und die Folgen des Vertragsschlusses gebührend informiert wurde und er grundsätzlich frei entscheiden konnte, zu welchen Konditionen, ggf. auch aufgrund unterschiedlicher Angebote, er den Vertrag schließen mag.1509 Die „geschäftliche Entscheidung“ schließlich definiert Art. 2 lit. k RL 2005/ 29/EG als „jede Entscheidung eines Verbraucher darüber, ob, wie und unter welchen Bedingungen er einen Kauf tätigen, eine Zahlung insgesamt oder teilweise leisten, ein Produkt behalten oder abgeben oder ein vertragliches Recht im Zusammenhang mit dem Produkt ausüben will, unabhängig davon, ob der Verbraucher beschließt, tätig zu werden oder ein Tätigwerden zu unterlassen“.1510 Der „Begriff erfasst deshalb nicht nur die Entscheidung über den Erwerb oder

1501 Zur Auslegung der Generalklausel EuGH 19. 12. 2013 – C-281/12 – GRUR 2014, 196 Tz. 28 – Trento Sviluppo; EuGH 7. 9. 2016 – C-310/15 – GRUR 2016, 1180 Tz. 32 ff. – Sony Europe; im Einzelnen die Kommentierung von Peukert zu § 3 Rn. 81 ff.; Dohrn Die Generalklausel der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken – ihre Interpretation und Umsetzung (2008) S. 59 ff.; Köhler WRP 2012, 22; Fritzsche FS Köhler (2014), S. 145, 149 ff.; Sosnitza FS Köhler (2014), S. 685; Spengler Die Verbrauchergeneralklausel im UWG (2016); zu Beispielen auch KOM (2003) 356 S. 14 Rn. 50. 1502 Der Begriff „berufliche Sorgfalt“ wird kritisiert, weil er – ähnlich wie deliktische Verkehrssicherungspflichten – an außerwettbewerbliche Maßstäbe anzuknüpfen scheint und weil der berufliche Sorgfaltsmaßstab einer Branche auch lauterkeitsrechtliche Unsitten erfassen kann, Köhler/Lettl WRP 2003, 1019, 1037; Glöckner WRP 2004, 936, 940; Schünemann WRP 2004, 925, 931 f.; Ohly/Sosnitza Einf C Rn. 51; positiver Köhler WRP 2012, 22, 24. 1503 Vgl. Art. 10bis Abs. 2 PVÜ und Art 14 Abs. 2 MarkenRL 2015/2436. 1504 Der Hinweis auf „Treu und Glauben“ dürfte auf Änderungsantrag 21 des Parlaments (Fn. 1031), A5–0188/ 2004, S. 16 f. beruhen, der in Art. 2 lit. h Eingang fand, Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 6/2005 (Fn. 1033), S. 17. 1505 Zu Einzelheiten siehe die Kommentierung von Peukert zu § 2 Abs. 1 Nr. 7 Rn. 665 ff.; dazu auch die Begründung der Kommission KOM (2003) 356 S. 13 ff. Rn. 48 ff. 1506 EuGH 7. 9. 2016 – C-310/15 – GRUR 2016, 1180 Tz. 34 – Sony Europe. 1507 EuGH 7. 9. 2016 – C-310/15 – GRUR 2016, 1180 Tz. 37 – Sony Europe. 1508 Zu Einzelheiten siehe die Kommentierung von Fritzsche zu § 3 Abs. 2 Satz 1 Rn. 588 ff. 1509 EuGH 7. 9. 2016 – C-310/15 – GRUR 2016, 1180 Tz. 40 f. – Sony Europe. 1510 Zu Einzelheiten siehe die Kommentierung von Fritzsche zu § 3 Abs. 2 Satz 1 Rn. 588 ff.

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Nichterwerb eines Produkts, sondern auch damit unmittelbar zusammenhängende Entscheidungen wie insbesondere das Betreten des Geschäfts“.1511 346 Das generelle Verbot in Gestalt einer Generalklausel1512 (Art. 5 Abs. 2 RL 2005/29/EG) „wird durch Regeln über die beiden … am meisten verbreiteten Arten von [unlauteren] Geschäftspraktiken konkretisiert,1513 nämlich die irreführenden1514 [Art. 6, 7 RL 2005/29/EG1515] und die aggressiven1516 [Art. 8, 9 RL 2005/29/EG1517] Geschäftspraktiken“ (Erwägungsgrund 13 Satz 4, Art. 5 Abs. 4 RL 2005/29/EG). Da die Regeln über die irreführenden und aggressiven Geschäftspraktiken besondere Kategorien der unlauteren Geschäftspraktiken und damit letztlich Ausprägungen des einen generellen Verbots unlauterer Geschäftspraktiken nach Art. 5 Abs. 2 RL 2005/ 29/EG sind, „müssen sie sämtliche Voraussetzungen dieser Unlauterkeit erfüllen und infolgedessen auch die Voraussetzung der Eignung der Praxis zur wesentlichen Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens des Verbrauchers, indem er zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst wird, die er ansonsten nicht getroffen hätte“.1518 347 Darüber hinaus identifiziert die Richtlinie in der Liste des Anhangs I „diejenigen Geschäftspraktiken, die unter allen Umständen unlauter sind“ (Erwägungsgrund 17 Satz 1–2, Art. 5 Abs. 5 RL 2005/29/EG),1519 die „die einzigen Geschäftspraktiken [sind], die ohne eine Beurteilung des Einzelfalls anhand der Bestimmungen der Artikel 5 bis 9 als unlauter gelten können“ (Erwägungsgrund 17 Satz 3, Per-se-Verbote).1520 Es handelt sich um die „verbraucherschädlichsten“ Geschäftspraktiken, die unter ein absolutes Verbot fallen.1521 Aufgrund der abnehmenden Konkretisierung ergibt sich damit eine umgekehrte Prüfungs348 folge1522 von den Per-se-Verboten des Anhangs I über die irreführenden und aggressiven Geschäftspraktiken (Art. 6–9 RL 2005/29/EG) bis zur Generalklausel des Art. 5 Abs. 2 RL 2005/29/ EG.1523 1511 EuGH 19. 12. 2013 – C-281/12 – GRUR 2014, 196 Tz. 36 – Trento Sviluppo. 1512 Mit dem „generellen Verbot“ ist nicht allein Art. 5 Abs. 1, sondern auch die Generalklausel gemeint, weil die Kommissionsmaterialien auf sie Bezug nehmen, KOM (2003) 356, S. 14 Rn. 50–52.

1513 Das allgemeine Erfordernis der beruflichen Sorgfaltspflichtverletzung in Art. 5 Abs. 2 lit. a RL 2005/29/EG ist im Anwendungsbereich der Konkretisierungen gemäß Art. 5 Abs. 4, Art. 6–9 RL 2005/29/EG nicht mehr gesondert zu prüfen, um eine unlautere Geschäftspraktik festzustellen, EuGH 19. 9. 2013 – C-435/11 – GRUR 2013, 1157 Tz. 39 ff., 45 – CHS Tour Services; zur Vorlageentscheidung OGH 11. 7. 2011 – 4 Ob 27/11s – GRUR Int. 2012, 268 – Exklusivbuchung. 1514 Dazu im Einzelnen die Kommentierung zu §§ 5, 5a und zu § 3a (Informationspflichten). 1515 Art. 6 regelt irreführende Handlungen, Art. 7 irreführende Unterlassungen. Zur Auslegung siehe die Erwägungsgründe 14 und 15 und Anhang I Nr. 1–23. Die Tatbestandsmerkmale der Irreführung in Art. 6 RL 2005/29/EG sind aus der Sicht des Verbrauchers als Adressaten konzipiert, während die Wahrung des beruflichen Sorgfaltsmaßstabs der Sphäre des Unternehmers zuzurechnen ist, EuGH 19. 9. 2013 – C-435/11 – Tz. 43 – CHS Tour Services. 1516 Dazu im Einzelnen die Kommentierung zu §4a sowie § 7. 1517 Art. 8 definiert die aggressiven Geschäftspraktiken, Art. 9 gibt quantitative und qualitative Kriterien zur Feststellung einer Belästigung, Nötigung oder unzulässigen Beeinflussung (dazu Art. 2 lit. j RL 2005/29/EG). Zur Auslegung siehe Erwägungsgrund 16 und Anhang I Nr. 24–31 und BGH 29. 10. 2009 – I ZR 180/07 – GRUR 2010, 455 Tz. 17 – Stumme Verkäufer II; BGH 31. 3. 2010 – I ZR 75/08 – GRUR 2010, 1022 Tz. 16 – Ohne 19 % Mehrwertsteuer; EuGH 13. 9. 2018 – C-54/17 und C-55/17 – GRUR 2018, 1156 Tz. 45 – Wind: „‚aggressive Geschäftspraktik‘“ insbesondere dadurch definiert, dass sie die Entscheidungs- oder Verhaltensfreiheit des Durchschnittsverbrauchers in Bezug auf ein Produkt tatsächlich oder voraussichtlich erheblich beeinträchtigt“. 1518 EuGH 19. 12. 2013 – C-281/12 – GRUR 2014, 196 Tz. 30, 33 – Trento Sviluppo. 1519 Zu Einzelheiten siehe die Kommentierung von Fritzsche zu § 3 Abs. 3 Rn. 684 ff. 1520 EuGH 13. 9. 2018 – C-54/17 und C-55/17 – GRUR 2018, 1156 Tz. 40 – Wind. 1521 EuGH 3. 4. 2014 – C-515/12 – GRUR 2014, 680 Tz. 32 – 4finance. 1522 Ohly/Sosnitza Einf C Rn. 50; Busch Unlauterer Wettbewerb in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.) Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Kapitel 25 Rn. 24. 1523 Zur abschließenden Konkretisierung des Unlauterkeitsmaßstabs durch die Art. 6–9 RL 2005/29/EG ohne das Erfordernis einer gesonderten Prüfung des beruflichen Sorgfaltspflichtverstoßes (Art. 5 Abs. 2 lit. a RL 2005/29/EG) EuGH 19. 9. 2013 – C-435/11 – Tz. 39 ff., 45 – CHS Tour Services.

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g) Umsetzung. Die Richtlinie 2005/29/EG wurde zunächst durch das Erste Gesetz zur Ände- 349 rung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 22. 12. 20081524 umgesetzt, wobei der Gesetzgeber bei einigen Vorschriften keinen Umsetzungsbedarf sah (z. B. bei der Schutzzweckdefinition, der Binnenmarktklausel, den Verhaltenskodizes und den Regeln zur Rechtsdurchsetzung).1525 Im Einzelnen wurde in der UWG-Novelle 2008 der Definitionskatalog des Art. 2 RL 2005/29/EG (weitgehend) in § 2 UWG umgesetzt, das allgemeine Verbot unlauterer Geschäftspraktiken (Art. 5 Abs. 1 und 2 RL 2005/29/EG) in § 3 Abs. 1 und Abs. 2 UWG, Art. 5 Abs. 3 RL 2005/29/EG in § 3 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 3 Abs. 1 UWG, die Schwarze Liste aus Art. 5 Abs. 5 i. V. m. Anhang I RL 2005/29/EG in § 3 Abs. 3 i. V. m. dem Anhang zum UWG und in § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG, die Regeln über irreführende Geschäftspraktiken (Art. 6, 7 RL 2005/29/EG) in § 5 und § 5a UWG und die Vorschriften über aggressive Geschäftspraktiken (Art. 8, 9 RL 2005/29/EG) in § 4 Nr. 1 und Nr. 2 UWG.1526 Im Anschluss an die UWG-Novelle 2008 wurde in Frage gestellt, ob die deutsche Umsetzung der Richtlinie den europarechtlichen Vorgaben an Klarheit und Bestimmtheit entsprach.1527 Dies betraf zum einen terminologische Abweichungen1528 und Auslassungen,1529 erstreckte sich aber auch auf sachliche Inkonsistenzen wie etwa die unterschiedliche Formulierung des Relevanzkriteriums bei Umsetzung der Art. 6–9 RL 2005/29/EG.1530 Nachdem die Kommission diese Bedenken aufgegriffen und gegen Deutschland ein Ver- 350 tragsverletzungsverfahren eingeleitet hatte, wurde das UWG durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 2. 12. 20151531 maßgeblich überarbeitet und lehnt sich seitdem enger an die Richtlinie 2005/29/EG an.1532 So wurde u. a. in § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG der Begriff der „fachlichen“ durch den der „unternehmerischen Sorgfalt“ ersetzt, die „wesentliche Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens des Verbrauchers“ und die „geschäftliche Entscheidung“ in § 2 Abs. 1 Nr. 8 und Nr. 9 UWG nach dem Vorbild der Richtlinie definiert, aus der Generalklausel des § 3 Abs. 1 UWG das Spürbarkeitserfordernis entfernt,1533 die Verbrauchergeneralklausel in § 3 Abs. 2 UWG stärker an Art. 5 Abs. 2 RL 2005/29/EG angenähert, der Anhang zu § 3 Abs. 3 UWG näher an den Wortlaut des Anhangs I RL 2005/29/EG angepasst, der Rechtsbruchtatbestand als eigene Vorschrift normiert (§ 3a UWG) und mit der Differenzierung der Regeln über Mitbewerberschutz (§ 4 UWG), aggressive geschäftliche Handlungen (§ 4a UWG), irreführende geschäftliche Handlungen (§ 5 UWG), Irreführung durch Unterlassung (§ 5a UWG), vergleichende Werbung (§ 6 UWG) und unzumutbare Belästigungen (§ 7 UWG) eine

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BGBl 2008 I Nr. 64 S. 2949. BTDrucks. 16/10145 S. 11 ff. Siehe BTDrucks. 16/10145 S. 11 ff. Siehe insbesondere Köhler WRP 2012, 251, 252 ff.; ders. GRUR 2012, 1073; ders. WRP 2013, 403; großzügiger hinsichtlich des deutschen Umsetzungsspielraums Glöckner GRUR 2013, 224, 229 ff.; Henning-Bodewig GRUR 2013, 238, 243 f.; für Richtlinienkonformität des UWG Timm-Wagner GRUR 2013, 245. 1528 Etwa beim Begriff der beruflichen Sorgfalt, Art. 5 Abs. 2 lit. a, Art. 2 lit. h RL 2005/29/EG im Vergleich mit dem Begriff der unternehmerischen Sorgfalt, § 2 Abs. 1 Nr. 7, § 3 Abs. 2 UWG, Köhler WRP 2012, 251, 252 f.; Holm WRP 2013, 710, 712 f. 1529 So wurde die Definition der geschäftlichen Entscheidung in Art. 2 lit. k RL 2005/29/EG nicht in das UWG überführt, Köhler WRP 2012, 251, 253. 1530 Köhler WRP 2012, 251, 253 ff. Moniert wird außerdem die Richtlinienwidrigkeit der §§ 4 Nr. 1, 2, 3, 6, des § 5a Abs. 2 und des § 7 Abs. 2 und 3 UWG, dazu Köhler GRUR 2013, 1073, 1075 ff., ausführlich mit Entwurf eines Änderungsgesetzes Köhler WRP 2013, 403, 411 ff.; zu § 5a UWG auch Alexander WRP 2013, 716. Auch die fehlende Berücksichtigung des hohen Verbraucherschutzniveaus bei der Bestimmung des Verbraucherleitbilds wird als unionsrechtswidrig angesehen, Holm WRP 2013, 710, 712 ff. 1531 BGBl 2015 I Nr. 49 S. 2158. 1532 Siehe BTDrucks. 18/4535 (Entwurf); BTDrucks. 18/6571 (Änderungsempfehlungen des Rechtsausschusses), BRDrucks. 522/15 (Gesetzesbeschluss). 1533 Zur Verschiebung in § 5 Abs. 1 Satz 1 UWG, die sich im Ergebnis nicht auswirkt, BGH 3. 3. 2016 – I ZR 110/ 15 – GRUR 2016, 961 Tz. 25 – Herstellerempfehlung bei Amazon.

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Regelungsstruktur vorgesehen, die sich an den Kategorien des unionalen Lauterkeitsrechts unter Berücksichtigung der von ihm nicht erfassten Materien orientiert.

3. Richtlinie 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung 351 a) Entstehungsgeschichte. Die Richtlinie 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung geht zurück auf die ersten Bemühungen zur Angleichung des Lauterkeitsrechts in Europa.1534 Im Jahr 1978 präsentierte die Kommission einen Vorschlag einer Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende und unlautere Werbung,1535 der Regeln sowohl für die irreführende wie für die unlautere und die vergleichende Werbung vorsah. Nachdem sich eine Einbeziehung der unlauteren und vergleichenden Werbung wegen des Widerstands eines Mitgliedstaates und der damals noch erforderlichen Einstimmigkeit im Rat nicht durchsetzen ließ, beschränkte sich die Richtlinie 84/450/ EWG auf eine Mindestharmonisierung der Regeln über irreführende Werbung.1536 Diese Regeln machen – gemeinsam mit dem Abschnitt zur Rechtsdurchsetzung – auch heute noch den Kern der Richtlinie 2006/114/EG aus.1537 Sie wurden allerdings mit Blick auf die abschließenden Irreführungstatbestände in der Richtlinie 2005/29/EG für Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern in ihrem Anwendungsbereich maßgeblich reduziert, indem der Schutz der Verbraucher und der Allgemeinheit aus der Schutzzweckbestimmung in Art. 1 gestrichen wurde (Art. 14 Nr. 1 RL 2005/29/EG). 352 In den neunziger Jahren unternahm die Kommission einen weiteren Anlauf zur Regelung der vergleichenden Werbung,1538 der nach längeren Beratungen1539 über einen geänderten Vorschlag1540 in die Richtlinie 97/55/EG zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung mündete.1541 Abgesehen von einigen Anpassungen der Vorschriften über die Rechtsdurchsetzung wurden durch die Richtlinie 97/55/EG in die Richtlinie 84/450/EWG eine Definition der vergleichenden Werbung (heute Art. 2 lit. c RL 2006/114/EG) und eine Regelung über die Zulässigkeit vergleichender Werbung (heute Art. 4 RL 2006/114/ EG) aufgenommen. Durch Art. 14 Nr. 3 RL 2005/29/EG wurde Art. 4 RL 2006/114/EG geringfügig geändert und die Regelung im früheren zweiten Absatz der Vorschrift gestrichen. Aufgrund der mehrfachen Änderungen wurde die Richtlinie 84/450/EWG im Jahr 2006 „aus Gründen der

1534 Siehe bereits Erstauflage/Schricker Einl Rn. F 330 ff. m. w. N. 1535 KOM (1977) 724, ABl. C 70 vom 21. 3. 1978, S. 4. Siehe auch die Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses, ABl. C 171 vom 9. 7. 1979, S. 43 und die Stellungnahme des Parlaments, ABl. C 140 vom 5. 6. 1979, S. 23 sowie die Änderung des Vorschlags einer Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende und unlautere Werbung, KOM (1979) 353, ABl. C 194 vom 1. 8. 1979, S. 3. 1536 Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10. September 1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung, ABl. L 250 vom 19. 9. 1984, S. 17. 1537 Vgl. Art. 2 lit. a und b, Art. 3 und Art. 5–8 Abs. 1 Satz 1 RL 2006/114/EG. 1538 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über vergleichende Werbung und zur Änderung der Richtlinie 84/450 über irreführende Werbung, KOM (1991) 147, ABl. C 180 vom 11. 7. 1991, S. 14; dazu Stellungnahme des Wirtschaftsund Sozialausschusses, ABl. C 49 vom 24. 2. 1992, S. 35; Legislative Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments, ABl. C 337 vom 21. 12. 1992, S. 142; Änderung der Rechtsgrundlage durch KOM (1993) 570. 1539 Siehe den Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 29/96, ABl. C 219 vom 27. 7. 1996, S. 14; dazu Beschluss des Parlaments, ABl. C 347 vom 18. 11. 1996, S. 69 und Stellungnahme der Kommission, KOM (1996) 700, ABl. C 32 vom 1. 2. 1997, S. 7; schließlich den Beschluss des Parlaments in dritter Lesung, ABl. C 304 vom 6. 10. 1997, S. 31. 1540 KOM (1994) 151, ABl. C 136 vom 19. 5. 1994, S. 4. 1541 Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Oktober 1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung, ABl. L 290 vom 23. 10. 1997, S. 18; zusammenfassend zur Entstehung auch EuGH 13. 3. 2014 – C-52/13 – GRUR 2014, 493 Tz. 27 – Posteshop.

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Übersichtlichkeit und Klarheit“ in der Richtlinie 2006/114/EG1542 „kodifiziert“ (Erwägungsgrund 1 RL 2006/114/EG), wobei die Rechtsprechung zur alten Richtlinie 84/450/EWG auf die Richtlinie 2006/114/EG in vollem Umfang anwendbar bleibt.1543

b) Regelungsziele und Harmonisierungstiefe. Der Zweck der Richtlinie 2006/114/EG liegt 353 zum einem in einer Mindestharmonisierung des Schutzes der Gewerbetreibenden vor irreführender Werbung und ihren unlauteren Auswirkungen, zum anderen in der Vollharmonisierung der Bedingungen für zulässige vergleichende Werbung (Art. 1, 8 Abs. 1 RL 2006/114/EG).1544 Ebenso wie bei den meisten der auf Art. 114 AEUV gestützten Rechtsakte erfolgt dies vor dem Hintergrund sowohl eines binnenmarktfunktionalen wie eines materiellen Regelungsziels. Aus binnenmarktfunktionaler Sicht sollen die wesentlichen Vorschriften für Form und Inhalt der Werbung einheitlich sein und die Regeln für vergleichende Werbung harmonisiert werden, um grenzüberschreitende Werbekampagnen nicht durch unterschiedliche nationale Rechtsvorschriften zu behindern und damit den freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen zu beeinflussen.1545 Aus materiell-wettbewerbsrechtlicher Sicht soll aber auch eine Verfälschung des Wettbewerbs im Binnenmarkt durch irreführende und unzulässige vergleichende Werbung verhindert werden,1546 weil Werbung „unabhängig davon, ob sie zum Abschluss eines Vertrags führt, die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher und der Gewerbetreibenden“ berührt.1547 Trotz der Aufgabe der aus dem deutschen Recht bekannten Schutzzwecktrias in Art. 1 der ursprünglichen Irreführungsrichtlinie 84/450/EWG dient die Richtlinie 2006/114/EG damit nach wie vor auch wettbewerbsfunktionalen Zielen. In den sachlichen Schutzzielen ist zwischen der Mindestharmonisierung der irreführenden 354 Werbung (Art. 8 Abs. 1 Satz 1 RL 2006/114/EG) und der Vollharmonisierung der vergleichenden Werbung (Art. 8 Abs. 2 RL 2006/114/EG) zu unterscheiden. Die Regeln über irreführende Werbung sollen „Verfälschungen des Wettbewerbs sowie Behinderungen des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs“ abstellen, indem objektive Mindestkriterien aufgestellt werden, „nach denen beurteilt werden kann, ob eine Werbung irreführend ist“.1548 Ziel der Regeln über vergleichende Werbung in der Richtlinie 2006/114/EG ist es einerseits, den Wettbewerb zwischen den Anbietern von Waren und Dienstleistungen im Interesse der Verbraucher zu fördern, indem erlaubt wird, durch vergleichende Werbung die Vorteile der verschiedenen vergleichbaren Er-

1542 Richtlinie 2006/114/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über irreführende und vergleichende Werbung (kodifizierte Fassung), ABl. L 376 vom 27. 12. 2006, S. 21. Die Kommission hat unlängst für die Richtlinie 2006/114/EG einen Anwendungsbericht mit Überarbeitungsvorschlägen vorgelegt, die insbesondere auf eine bessere Rechtsdurchsetzung und Verzahnung mit der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken zielen, siehe die Mitteilung der Kommission Schutz von Unternehmen vor irreführenden Vermarktungspraktiken und Gewährleistung der wirksamen Durchsetzung – Überarbeitung der Richtlinie 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung, KOM (2012) 702. 1543 EuGH 8. 2. 2017 – C-562/15 – GRUR 2017, 280 Tz. 19 – Carrefour. 1544 EuGH 13. 3. 2014 – C-52/13 – GRUR 2014, 493 Tz. 25 – Posteshop; EuGH 8. 2. 2017 – C-562/15 – GRUR 2017, 280 Tz. 20 – Carrefour. 1545 Erwägungsgrund 2, 5, 6 Satz 2 RL 2006/114/EG. 1546 Erwägungsgrund 3 RL 2006/114/EG; siehe auch EuGH 16. 1. 1992 – C-373/90 – Slg. 1992, I-131 Tz. 9 – Strafverfahren gegen X; EuGH 18. 6. 2009 – C-487/07 – Slg. 2009, I-5185 Tz. 68 – L’Oréal: Regeln über vergleichende Werbung sollen auch Praktiken verbieten, „die den Wettbewerb verzerren, die Mitbewerber schädigen und die Entscheidung der Verbraucher negativ beeinflussen können“; ferner EuGH (Große Kammer) 19. 9. 2006 – C356/04 – Slg. 2006, I8501 Tz. 25 – Lidl Belgium: Kriterium der Vergleichbarkeit in Art. 4 lit. b bezweckt, dass vergleichende Werbung nicht in einer wettbewerbswidrigen und unlauteren Weise betrieben wird. 1547 Erwägungsgrund 4 RL 2006/114/EG; EuGH 11. 7. 2013 – C-657/11 – GRUR 2013, 1049 Tz. 38 – Belgian Electronic Sorting Technology. 1548 Erwägungsgrund 7; siehe auch EuGH 16. 1. 1992 – C-373/90 – Slg. 1992, I-131 Tz. 9 – Strafverfahren gegen X. Der dort ebenfalls noch genannte Verbraucherschutz ist inzwischen mit Blick auf Art. 6, 7 der Richtlinie 2005/29/ EG gestrichen worden.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

zeugnisse objektiv herauszustellen.1549 Zugleich sollen aber auch Praktiken verboten werden, die den Wettbewerb verzerren, die Mitbewerber schädigen und die Entscheidung der Verbraucher negativ beeinflussen können.1550

355 c) Systematische Stellung innerhalb des Unionsrechts. Nach Erwägungsgrund 6 Satz 4 „erfasst und berührt“ die Richtlinie 2005/29/EG nicht die Bestimmungen der Richtlinie 2006/ 114/EG „über Werbung, die für Unternehmen, nicht aber für Verbraucher irreführend ist, noch die Bestimmungen über vergleichende Werbung“. Daraus folgt, dass Art. 4 RL 2006/114/EG für vergleichende Werbung – sowohl gegenüber Gewerbetreibenden wie gegenüber Verbrauchern – gegenüber der Richtlinie 2005/29/EG lex specialis ist.1551 Bei irreführender Werbung ist demgegenüber danach zu differenzieren, ob sie an Verbrau356 cher (Richtlinie 2005/29/EG) oder Unternehmer (Richtlinie 2006/114/EG) gerichtet ist.1552 Im deutschen Recht wirkt sich dieser Unterschied allerdings nicht aus, weil sich der Gesetzgeber in den §§ 5, 5a UWG für eine überschießende Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG entschieden hat.1553 Die Richtlinie 2006/114/EG lässt speziellere Vorschriften der Union für die Werbung für be357 stimmte Waren oder Dienstleistungen1554 und Beschränkungen oder Verbote für die Werbung in bestimmten Medien (z. B. RL 2010/13/EU) unberührt (Art. 8 Abs. 2 RL 2006/114/EG). Im Verhältnis insbesondere zum Markenrecht1555 hat der EuGH entschieden, dass die Markennennung in vergleichender Werbung zwar eine Benutzungshandlung darstellt,1556 dass die Benutzung von Marken, Handelsnamen oder anderen Unterscheidungszeichen eines Mitbewerbers oder solchen Zeichen ähnlichen Zeichen1557 bis hin zu einem Bild der Fassade des Mitbewerbers1558 aber nicht die Rechte Dritter verletzt, wenn sie unter Beachtung der in Art. 4 RL 2006/114/EG aufgestellten Bedingungen (insbesondere Art. 4 lit. d, f, g, h) erfolgt und nur eine Unterscheidung bezweckt, durch die Unterschiede objektiv herausgestellt werden sollen (Erwägungsgrund 15 RL 2006/114/EG).1559 Deshalb ist die Benutzung der Marke eines Mitbewerbers in einer vergleichenden Werbung zulässig, wenn die Verwendung weder eine Verwechslungsgefahr i. S. d. Art. 10 Abs. 2 lit. b MarkenRL noch die Herabsetzung oder Verunglimpfung der Marke hervorruft, den Ruf der Marke nicht in 1549 Erwägungsgrund 6 Satz 3–4; EuGH 25. 10. 2001 – C-112/99 – Slg. 2001, I-7945 Tz. 36 – Toshiba; EuGH (Große Kammer) 19. 9. 2006 – C-356/04 – Slg. 2006, I-8501 Tz. 33 – Lidl Belgium; EuGH 18. 6. 2009 – C-487/07 – Slg. 2009, I-5185 Tz. 68 – L’Oréal; EuGH 18. 11. 2010 – C-159/09 – Slg. 2010, I-11761 Tz. 20 f. – Lidl SNC; EuGH 8. 2. 2017 – C-562/ 15 – GRUR 2017, 280 Tz. 21 – Carrefour. 1550 EuGH 18. 6. 2009 – C-487/07 – Slg. 2009, I-5185 Tz. 68 – L’Oréal; EuGH 18. 11. 2010 – C-159/09 – Slg. 2010, I11761 Tz. 20 f. – Lidl SNC; EuGH 8. 2. 2017 – C-562/15 – GRUR 2017, 280 Tz. 21 – Carrefour. 1551 Siehe auch Glöckner § 6 Rn. 80. 1552 Gamerith WRP 2005, 391, 429. 1553 Vgl. BTDrucks. 16/10145 S. 23, 25. 1554 EuGH 24. 10. 2002 – C-99/01 – Slg. 2002, I-9375 Tz. 20 – Linhart; EuGH 23. 1. 2003 – C-221/00 – Slg. 2003, I1007 Tz. 43 – Kommission/Österreich (zur Kosmetik-RL 79/768/EWG). 1555 Ausführlich Glöckner § 6 Rn. 81 ff. 1556 EuGH 12. 6. 2008 – C-533/06 – Slg. 2008, I-4231 Tz. 33 – O2. 1557 EuGH 12. 6. 2008 – C-533/06 – Slg. 2008, I-4231 Tz. 40 – O2. Wird nur ein ähnliches Zeichen benutzt, so ist die Zeichenbenutzung auch unabhängig von den Voraussetzungen des Art. 4 RL 2006/114/EG kennzeichenrechtlich zulässig, wenn keine Verwechslungsgefahr besteht, EuGH 12. 6. 2008 – C-533/06 – Slg. 2008, I-4231 Tz. 69 – O2. 1558 EuGH 8. 4. 2003 – C-44/01 – Slg. 2003, I-3095 Tz. 83 – Pippig Augenoptik. 1559 EuGH 25. 10. 2001 – C-112/99 – Slg. 2001, I-7945 Tz. 53 – Toshiba Europe; EuGH 8. 4. 2003 – C-44/01 – Slg. 2003, I-3095 Tz. 47, 50 – Pippig Augenoptik; EuGH 23. 2. 2006 – C-59/05 – Slg. 2006, I-2147 Tz. 14 – Siemens/VIPA; EuGH 12. 6. 2008 – C-533/06 – Slg. 2008, I-4231 Tz. 45 – O2; EuGH 18. 6. 2009 – C-487/07 – Slg. 2009, I-5185 Tz. 54, 72 – L’Oréal. Siehe auch EuGH 25. 10. 2001 – C-112/99 – Slg. 2001, I-7945 Tz. 34 – Toshiba Europe; EuGH 8. 4. 2003 – C-44/01 – Slg. 2003, I-3095 Tz. 50 – Pippig Augenoptik: Benutzung der Marke erlaubt, um den Verkehr über die Natur der Erzeugnisse oder den Zweck der Dienstleistungen zu informieren. Zum Verhältnis zum Markenrecht auch bereits Erstauflage/Schricker Einl Rn. F 361.

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unlauterer Weise ausnutzt1560 und ein Produkt weder explizit noch implizit1561 als Imitation oder Nachahmung eines Produkts mit dieser Marke darstellt.1562 Bemerkenswert ist, dass der EuGH den Begriff der Verwechslungsgefahr in Art. 4 lit. h RL 2006/114/EG und Art. 10 Abs. 2 lit. b MarkenRL einheitlich auslegt1563 und dass es stets auf den konkreten Kontext der Benutzungshandlung ankommen soll.1564 Die abstrakte Beurteilung der Verwechslungsgefahr „im Hinblick auf alle Umstände, unter denen die angemeldete Marke … benutzt werden könnte“ ist damit auf das Eintragungsverfahren (Art. 5 Abs. 1 lit. b MarkenRL 2015/2436) beschränkt.1565

d) Anwendungsbereich und Regelungsstruktur. Der Anwendungsbereich der Richtlinie 358 wird durch die Definitionen der irreführenden und vergleichenden Werbung in Art. 2 RL 2006/ 114/EG1566 bestimmt. Die einzelnen Regeln der Richtlinie lassen sich in drei Abschnitte gliedern, nämlich die Kriterien zur Beurteilung irreführender Werbung (Art. 3), die Regel zur Zulässigkeit vergleichender Werbung (Art. 4) und die mit der Richtlinie 2005/29/EG übereinstimmenden Vorschriften zur Rechtsdurchsetzung (Art. 5–7). Die Richtlinie behandelt die irreführende und die vergleichende Werbung als zwei selbständige Tatbestände, so dass es, um eine irreführende Werbung zu untersagen, nicht notwendig ist, dass diese auch eine unzulässige vergleichende Werbung darstellt.1567

aa) Werbung. Oberbegriff ist der Begriff der „Werbung“. Art. 2 lit. a RL 2006/114/EG definiert 359 diese als „jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz1568 von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen, zu fördern“. Darin liegt eine Begrenzung im Vergleich zur Richtlinie 2005/29/EG, die Werbung lediglich als Unterkategorie des umfassenden Begriffs der „Geschäftspraktiken“ erwähnt (Art. 2 lit. d RL 2005/29/EG). Die Richtlinie 2006/114/EG klammert damit insbesondere nachvertragliches Verhalten aus;1569 allerdings ist dieser Unterschied durch die überschießende Erstreckung der §§ 5, 5a UWG auf sämtliche (auch nachvertragliche) geschäftliche Handlungen gegenüber Verbrauchern und Unternehmern eingeebnet worden.1570 Im Übrigen ist die Definition der Werbung in der Richtlinie 2006/ 114/EG besonders weit zu verstehen und nicht auf die Formen klassischer Werbung beschränkt.1571 Deshalb hat der EuGH auch die Nutzung eines Domainnamens und die Nutzung von Metatags in den Metadaten einer Website als Werbung i. S. d. Richtlinie angesehen, nicht 1560 Der Begriff des unlauteren Ausnutzens ist in Art. 4 lit. f RL 2006/114/EG und Art. 10 Abs. 2 lit. c MarkenRL 2015/2436) einheitlich auszulegen, EuGH 18. 6. 2009 – C-487/07 – Slg. 2009, I-5185 Tz. 77 – L’Oréal.

1561 EuGH 18. 6. 2009 – C-487/07 – Slg. 2009, I-5185 Tz. 75 f. – L’Oréal. 1562 EuGH 18. 6. 2009 – C-487/07 – Slg. 2009, I-5185 Tz. 70, 72 – L’Oréal. 1563 EuGH 12. 6. 2008 – C-533/06 – Slg. 2008, I-4231 Tz. 49 – O2; ausführlich Sack WRP 2013, 8; siehe auch Art. 10 Abs. 3 lit. f und ErwG 20 MarkenRL 2015/2436. 1564 EuGH 12. 6. 2008 – C-533/06 – Slg. 2008, I-4231 Tz. 64, 67 – O2. 1565 EuGH 12. 6. 2008 – C-533/06 – Slg. 2008, I-4231 Tz. 66 – O2. 1566 Vgl. EuGH 19. 4. 2007 – C-381/05 – Slg. 2007, I-3115 Tz. 44 – de Landtsheer: „grenzt […] Anwendungsbereich ab“. 1567 EuGH 13. 3. 2014 – C-52/13 – GRUR 2014, 493 Tz. 26 – Posteshop. 1568 Wie bei der Richtlinie 2005/29/EG ist die Bezugsförderung ausgenommen, siehe oben Rn. 254. 1569 Busch Unlauterer Wettbewerb in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.) Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Kapitel 25 Rn. 53; offenlassend Lettl Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor irreführender Werbung in Europa (2004), S. 67. Auch positive Informationspflichten (vgl. Art. 7 Abs. 4 RL 2005/29/EG) dürften von der Richtlinie 2006/114/EG nicht erfasst werden, soweit die unterlassene Aufklärung nicht zur Irreführung führt, Augenhofer § 4 European Union in: Henning-Bodewig (Hrsg.) International Handbook on Unfair Competition (2013), Rn. 55. 1570 Büscher/Büscher Einl Rn. 178. 1571 EuGH 11. 7. 2013 – C-657/11 – GRUR 2013, 1049 Tz. 35 – Belgian Electronic Sorting Technology.

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aber die bloße Eintragung eines Domainnamens, weil allein die Eintragung noch nicht die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch potenzielle Kunden beinhaltet und folglich deren Auswahlentscheidung nicht beinflussen kann.1572

360 bb) Irreführende Werbung. Irreführende Werbung ist nach Art. 2 lit. b RL 2006/114/EG „jede Werbung, die in irgendeiner Weise – einschließlich ihrer Aufmachung – die Personen, an die sie sich richtet oder die von ihr erreicht werden, täuscht oder zu täuschen geeignet ist und die infolge der ihr innewohnenden Täuschung ihr wirtschaftliches Verhalten beeinflussen kann oder aus diesen Gründen einen Mitbewerber schädigt oder zu schädigen geeignet ist“. Bei der Beurteilung der Irreführung sind nach Art. 3 RL 2006/114/EG alle Bestandteile der Werbung zu berücksichtigen, insbesondere die Merkmale der Waren oder Dienstleistungen, der Preis und die Eigenschaften des Werbenden. Auch eine Unterlassung kann eine Werbung i. S. d. Art. 3 RL 2006/114/EG irreführend machen, wenn sie einen Umstand verdecken soll, der, wäre er bekannt gewesen, geeignet gewesen wäre, eine Vielzahl von Abnehmern von ihrer Kaufentscheidung abzuhalten.1573 361 Leider fehlt es in der Richtlinie an einer expliziten Harmonisierung des Irreführungsmaßstabs, sowohl im Hinblick auf die Wahrnehmungssituation wie im Hinblick auf die Anforderungen an die Aufnahmefähigkeit der Adressaten.1574 Diese Lücke hat der EuGH geschlossen, indem er auf die Perspektive einer durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Person abstellt,1575 die anhand der angesprochenen Verkehrskreise1576 (z. B. Fachhändler) und der sozialen, kulturellen oder sprachlichen Eigenheiten des betreffenden Mitgliedstaates zu bestimmen ist.1577 Für das deutsche Recht dürfte die gesonderte Regelung des Irreführungsschutzes in der Richtlinie 2006/114/EG seit Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG keine Bedeutung mehr haben, weil sich der Gesetzgeber zur überschießenden Erstreckung des in den § 5 UWG geregelten Irreführungstatbestands auf den unternehmerischen Geschäftsverkehr entschlossen hat.1578 Auf eine nähere Darstelllung des Irreführungsschutzes nach der Richtlinie 2006/114/EG wird deshalb verzichtet.1579

1572 EuGH 11. 7. 2013 – C-657/11 – GRUR 2013, 1049 Tz. 43 f., 45 ff., 56 ff. – Belgian Electronic Sorting Technology. 1573 EuGH (Große Kammer) 19. 9. 2006 – C356/04 – Slg. 2006, I-8501 Tz. 80 – Lidl Belgium; EuGH 18. 11. 2010 – C-159/09 – Slg. 2010, I-11761 Tz. 49 – Lidl SNC; siehe aber auch den strengeren Irreführungsmaßstab in Art. 7 Abs. 1 RL 2005/29/EG. 1574 Zu dieser Schwäche bereits Erstauflage/Schricker Einl Rn. F 351. 1575 EuGH 25. 10. 2001 – C-112/99 – Slg. 2001, I-7945 Tz. 52 – Toshiba Europe; zum Durchschnittsverbraucher oben Rn. 154 und EuGH 16. 7. 1998 – C-210/96 – Slg. 1998, I-4657 Tz. 31 – Gut Springenheide; zur Richtlinie 84/450/EWG EuGH 8. 4. 2003 – C-44/01 – Slg. 2003, I-3095 Tz. 55 – Pippig Augenoptik; EuGH (Große Kammer) 19. 9. 2006 – C356/ 04 – Slg. 2006, I-8501 Tz. 78 – Lidl Belgium; EuGH 19. 4. 2007 – C-381/05 – Slg. 2007, I-3115 Tz. 16 – de Landtsheer; EuGH 18. 11. 2010 – C-159/09 – Slg. 2010, I-11761 Tz. 47 – Lidl SNC; EuGH 8. 2. 2017 – C-562/15 – GRUR 2017, 280 Tz. 31 – Carrefour; siehe nunmehr auch Erwägungsgrund 18 Satz 2 RL 2005/29/EG; hellsichtig bereits Erstauflage/ Schricker Einl Rn. F 354, F 356. 1576 EuGH 25. 10. 2001 – C-112/99 – Slg. 2001, I-7945 Tz. 52 – Toshiba Europe; EuGH 23. 2. 2006 – C-59/05 – Slg. 2006, I-2147 Tz. 19 – Siemens/VIPA; EuGH (Große Kammer) 19. 9. 2006 – C356/04 – Slg. 2006, I-8501 Tz. 78 – Lidl Belgium. 1577 EuGH 13. 1. 2000 – C-220/98 – Slg. 2000, I-117 Tz. 29 – Estée Lauder; siehe bereits EuGH 26.11.996 – C-313/ 94 – Slg. 1996, I-6039 Tz. 22 – Graffione; siehe auch bereits oben Rn. 154–157. 1578 Siehe BTDrucks. 16/10145 S. 23, wo explizit auf die Möglichkeit weiterreichenden Irreführungsschutzes im B2B-Verkehr hingewiesen wird. Anderes gilt für § 5a Abs. 2 und 3, die sich nur an Verbraucher richten, BTDrucks. 16/ 10145 S. 25. Die unterschiedliche unionsrechtliche Grundlage hat allenfalls einen Einfluss auf das für die Irreführung maßgebliche Bild des Empfängers, weil Verbraucher wohl schneller als Gewerbetreibende einer Irreführung unterliegen können, Büscher/Büscher Einl Rn. 177. 1579 Zu Einzelheiten Erstauflage/Schricker Einl Rn. F 337 ff.; Lettl Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor irreführender Werbung in Europa (2004), S. 66 ff.; MünchKomm/Micklitz/Namyslowska Art. 6 UGP-Richtlinie Rn. 83 ff.

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cc) Vergleichende Werbung. Relevanter für das deutsche Recht ist die Regelung der vergleichenden Werbung in Art. 2 lit. c und Art. 4 RL 2006/114/EG.1580 Als vergleichende Werbung ist jede Werbung anzusehen, „die unmittelbar oder mittelbar einen Mitbewerber oder die Erzeugnisse oder Dienstleistungen, die von einem Mitbewerber angeboten werden, erkennbar macht“ (Art. 2 lit. c RL 2006/114/EG).1581 Damit sieht die Richtlinie eine weite Definition vor (Erwägungsgrund 8 RL 2006/114/EG), die auch solche Äußerungen erfasst, die nur mittelbar auf einen Mitbewerber oder dessen Erzeugnisse Bezug nehmen.1582 Auch eine nur auf eine Warengattung bezugnehmende Werbung kann unter die Richtlinie fallen, wenn aus ihr ein oder mehrere Mitbewerber oder die von der Konkurrenz angebotenen Waren oder Dienstleistungen als die erkennbar werden, auf die die Werbeaussage – auch nur mittelbar – konkret Bezug nimmt.1583 An der Erkennbarkeit fehlt es indes bei allgemeiner Kritik an Produkten oder Werbemethoden.1584 Als Mitbewerber sind Unternehmen anzusehen, die substituierbare Waren oder Dienstleistungen auf dem Markt anbieten; es genügt, dass die Waren „in gewisser Weise gleichen Bedürfnissen dienen können“.1585 Maßgeblich für diese Beurteilung anhand der konkreten Merkmale der beworbenen Produkte und ihres Image1586 sind nicht nur der gegenwärtige Zustand des Marktes oder die örtlichen Verbrauchergewohnheiten, sondern es ist auch die Entwicklung einzubeziehen, die sich aus dem freien Warenverkehr und neuen Anreizen für die Substitution ergeben kann.1587 Trotz der weiten Definition sind dem Begriff der vergleichenden Werbung gewisse Grenzen zu ziehen, um nicht zu einem generellen Verbot jeder bezugnehmenden Werbeäußerung zu gelangen, die nicht den Erfordernissen des Art. 4 RL 2006/114/EG entspricht.1588 Probleme werfen dabei insbesondere die bloße Bezugnahme auf die Produkte eines Wettbewerbers ohne konkreten Vergleich („vergleichende Werbung ohne Vergleich“1589) und der nicht auf Waren, sondern andere Eigenschaften des Wettbewerbers gerichtete unternehmens- oder personenbezogene Vergleich auf.1590 Beide wären bei wortlautgetreuer Anwendung der kumulativen Voraussetzungen des Art. 4 RL 2006/114/EG unzulässig, da es am Vergleich von Produkten fehlt (Art. 4 lit. b RL 2006/114/EG).1591 Um derartige Kollateralschäden der auf eine Liberalisierung ausgerichteten Richtlinie 2006/ 114/EG zu vermeiden, ist – neben dem Erkennbarkeitserfordernis – das Erfordernis eines Pro1580 Ausführlich zu den Ergebnissen der Rechtsvergleichung Glöckner IIC 2012, 35. 1581 Zur Definition siehe die Kommentierung zu § 6 Abs. 1 UWG. 1582 EuGH 25. 10. 2001 – C-112/99 – Slg. 2001, I-7945 Tz. 29 ff. – Toshiba Europe; EuGH 8. 4. 2003 – C-44/01 – Slg. 2003, I-3095 Tz. 35 – Pippig Augenoptik; EuGH 19. 4. 2007 – C-381/05 – Slg. 2007, I-3115 Tz. 16 – de Landtsheer; zur weiten Definition auch MünchKomm/Micklitz/Namyslowska Art. 6 UGP-Richtlinie Rn. 131 ff.; Harte-Bavendamm/ Henning-Bodewig/Glöckner Einl B Rn. 126. 1583 EuGH 19. 4. 2007 – C-381/05 – Slg. 2007, I-3115 Tz. 18 ff. – de Landtsheer; zur Kritik an der Beschränkung auf „einen Mitbewerber“ bereits Erstauflage/Schricker Einl Rn. F 362. 1584 BGH 19. 5. 2011 – I ZR 147/09 – GRUR 2012, 74 Tz. 19 – Coaching Newsletter. 1585 EuGH 19. 4. 2007 – C-381/05 – Slg. 2007, I-3115 Tz. 28 ff. – de Landtsheer. Der Begriff in Art. 2 lit. c ist weiter als der Parallelbegriff in Art. 4 lit. b, weil es einmal um die Anwendbarkeit der Richtlinie, das andere Mal um die Zulässigkeit der vergleichenden Werbung geht, Tz. 47; weniger deutlich differenzierend EuGH 18. 11. 2010 – C-159/09 – Slg. 2010, I-11761 Tz. 31 – Lidl SNC: „gleichartige Kriterien“. Zum Begriff des Mitbewerbers Lettl FS Köhler (2014), S. 429. 1586 EuGH 19. 4. 2007 – C-381/05 – Slg. 2007, I-3115 Tz. 40 f. – de Landtsheer. 1587 EuGH 19. 4. 2007 – C-381/05 – Slg. 2007, I-3115 Tz. 36 f., 39 – de Landtsheer. 1588 Liegt keine vergleichende Werbung i. S. d. RL 2006/114/EG vor, so ist die Werbung nicht generell unzulässig, sondern vielmehr nach der Richtlinie 2005/29/EG oder, wenn diese nicht anwendbar ist, nach den Kriterien des nationalen Rechts zu beurteilen, EuGH 19. 4. 2007 – C-381/05 – Slg. 2007, I-3115 Tz. 51 ff. – de Landtsheer. 1589 Siehe bereits Erstauflage/Schricker Einl Rn. F 362. Ausführlich Glöckner § 6 Rn. 248. 1590 Zur persönlichen vergleichenden Werbung Peifer WRP 2011, 1, 6: Lösung über den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. 1591 Siehe nur Peifer WRP 2011, 1, 5 zur These, dass die Richtlinie 2006/114/EG die bezugnehmende und die persönliche vergleichende Werbung für unzulässig hält.

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duktvergleichs in die Definition der vergleichenden Werbung zu integrieren.1592 Zwar lässt sich dies nicht ohne weiteres bewerkstelligen, indem man für die Begriffsdefinition der vergleichenden Werbung auf die Zulässigkeitskriterien in Art. 4 lit. b RL 2006/114/EG durchgreift,1593 denn der EuGH hat sich explizit für eine Unterscheidung zwischen Anwendungsbereich (Art. 2) und Zulässigkeitskriterien (Art. 4) ausgesprochen.1594 366 Günstiger erscheint es deshalb, entweder das Erfordernis des Vergleichs als ein der vergleichenden Werbung immanentes Merkmal anzusehen1595 oder auf die Gefahr einer unverhältnismäßigen Einschränkung der Meinungsfreiheit ohne ein Vergleichserfordernis hinzuweisen.1596 Am einfachsten dürfte es aber sein, schlichtweg die Judikatur des Gerichtshofs in Toshiba fortzuschreiben. Dort hat der Gerichtshof bereits erkannt, dass bei wörtlicher Auslegung des Art. 2 lit. c „jede Angabe in einer Äußerung, die einerseits die Identifizierung eines Mitbewerbers oder der Erzeugnisse oder Dienstleistungen, die er anbietet, ermöglicht, andererseits aber keinen Vergleich im Sinne des Artikels 3a [Art. 4] enthält, unzulässig wäre“.1597 Zur Lösung nahm er auf den Zweck der vergleichenden Werbung Bezug, „dass die vergleichende Werbung dazu beitragen soll, die Vorteile der verschiedenen vergleichbaren Erzeugnisse objektiv herauszustellen und so den Wettbewerb zwischen den Anbietern von Waren und Dienstleistern im Interesse der Verbraucher zu fördern“ (heute Erwägungsgrund 6 Satz 3–4 RL 2006/114/EG).1598 367 Daraus lässt sich der Schutzzweck des Art. 4 RL 2006/114/EG ableiten: Die Norm soll zulässige, also den objektiven Vergleich fördernde Vergleichswerbung von unzulässiger, den Wettbewerb verfälschender (Erwägungsgrund 3) vergleichender Werbung abgrenzen. Dieser Zweck kann aber nur dann erreicht werden, wenn überhaupt ein Vergleich erfolgt, der auf Objektivität geprüft werden kann, so dass aus teleologischen Gründen „vergleichende Werbung ohne Vergleich“ nicht am Maßstab des Art. 4 RL 2006/114/EG zu messen ist.1599 Die Regeln zur Zulässigkeit der vergleichenden Werbung finden sich in Art. 4 RL 2006/ 368 114/EG. Vergleichende Werbung gilt, was den Vergleich anbelangt, als zulässig, wenn die in Art. 4 lit. a–h kumulativ1600 und abschließend1601 genannten Voraussetzungen1602 erfüllt sind.1603 Diese Kriterien sind wegen der wettbewerbsfördernden Wirkungen der vergleichenden Werbung in dem für die vergleichende Werbung günstigsten Sinne auszulegen,1604 wobei

1592 1593 1594 1595 1596 1597 1598 1599

BGH 19. 5. 2011 – I ZR 147/09 – GRUR 2012, 74 Tz. 18 – Coaching Newsletter; ausführlich Scherer GRUR 2012, 545. So aber wohl BGH 19. 5. 2011 – I ZR 147/09 – GRUR 2012, 74 Tz. 19 – Coaching Newsletter. EuGH 19. 4. 2007 – C-381/05 – Slg. 2007, I-3115 Tz. 44 – de Landtsheer. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 6 Rn. 50. Peifer WRP 2011, 1, 6. EuGH 25. 10. 2001 – C-112/99 – Slg. 2001, I-7945 Tz. 33 – Toshiba Europe. EuGH 25. 10. 2001 – C-112/99 – Slg. 2001, I-7945 Tz. 34 ff. – Toshiba Europe. Siehe auch EuGH 8. 4. 2003 – C-44/01 – Slg. 2003, I-3095 Tz. 36 – Pippig Augenoptik: „Jede vergleichende Werbung soll die Vorteile der vom Werbenden angebotenen Waren oder Dienstleistungen gegenüber denjenigen eines Mitbewerbers herausstellen“ (Hervorhebung nicht im Original). 1600 EuGH 18. 6. 2009 – C-487/07 – Slg. 2009, I-5185 Tz. 67 – L’Oréal; EuGH 18. 11. 2010 – C-159/09 – Slg. 2010, I11761 Tz. 16 – Lidl SNC. 1601 EuGH 8. 4. 2003 – C-44/01 – Slg. 2003, I-3095 Tz. 44 – Pippig Augenoptik; EuGH 8. 2. 2017 – C-562/15 – GRUR 2017, 280 Tz. 20 – Carrefour. Nicht erforderlich ist deshalb eine Angabe der Vertriebswege der Waren (Pippig, Tz. 61 ff.); auch ein Testkauf ist nicht verboten (Pippig, Tz. 71). Ebenso ist es nicht erforderlich, dass die verglichenen Geschäfte gleicher Art und Größe sind (Carrefour, Tz. 22), wobei es (mangels „Objektivität“ und aufgrund drohender Irreführung) unzulässig sein kann, die Preise in größeren Geschäften einer Handelsgruppe mit den Preisen in kleineren Geschäften einer konkurrierenden Handelsgruppe zu vergleichen (Carrefour, Tz. 26, 32, 35 f.). 1602 Dazu die Kommentierung von Glöckner zu § 6 Rn. 288 ff. 1603 Dazu Hucke Die Erforderlichkeit einer Harmonisierung des Wettbewerbsrechts in Europa (2001), S. 446 ff. 1604 EuGH 25. 10. 2001 – C-112/99 – Slg. 2001, I-7945 Tz. 36 f. – Toshiba Europe; EuGH (Große Kammer) 19. 9. 2006 – C-356/04 – Slg. 2006, I-8501 Tz. 22 – Lidl Belgium; EuGH 18. 11. 2010 – C-159/09 – Slg. 2010, I-11761 Tz. 21, 36 ff. – Lidl SNC.

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die Ausgestaltung der vergleichenden Werbung innerhalb des durch Art. 4 gesteckten Rahmens der freien wirtschaftlichen Entscheidung des Werbenden unterliegt.1605 Die Werbung darf demnach nicht irreführend sein (Art. 4 lit. a),1606 sie muss Produkte für den 369 gleichen Bedarf oder die gleiche Zwecksetzung vergleichen (Art. 4 lit. b),1607 und zwar objektiv1608 im Hinblick auf eine oder mehrere wesentliche, relevante, nachprüfbare1609 und typische Eigenschaften,1610 zu denen auch der Preis oder das Preisniveau1611 gehören kann (Art. 4 lit. c), sie darf weder herabsetzend noch verunglimpfend sein (Art. 4 lit. d),1612 sie muss sich bei Waren mit Ursprungsbezeichnung auf Waren mit der gleichen Bezeichnung beziehen (Art. 4 lit. e),1613 sie darf den Ruf einer Marke oder eines anderen Unterscheidungskennzeichens nicht in unlauterer Weise

1605 EuGH 8. 4. 2003 – C-44/01 – Slg. 2003, I-3095 Tz. 81 – Pippig Augenoptik; EuGH (Große Kammer) 19. 9. 2006 – C356/04 – Slg. 2006, I-8501 Tz. 29 – Lidl Belgium.

1606 Dazu EuGH 8. 4. 2003 – C-44/01 – Slg. 2003, I-3095 Tz. 53 – Pippig Augenoptik: Nichtangabe der Marke der Produkte des Wettbewerbers kann irreführend sein, wenn dies die Käuferentscheidung spürbar beeinflussen kann und der Vergleich Produkte betrifft, deren Marken deutliche Unterschiede hinsichtlich ihres Ansehens aufweisen; ebenso EuGH 18. 11. 2010 – C-159/09 – Slg. 2010, I-11761 Tz. 51 ff. – Lidl SNC: Irreführung kann bei objektiven Unterschieden zwischen den Lebensmitteln im Sortimentvergleich gegeben sein, wenn die Unterschiede die Entscheidung des Käufers spürbar beeinflussen können. Eine Irreführung bei Sortimentvergleichen kann sich außerdem dadurch ergeben, dass eine erhebliche Zahl von Verbrauchern irrig davon ausgeht, dass die getroffene Warenauswahl repräsentativ für das allgemeine Preisniveau ist, EuGH (Große Kammer) 19. 9. 2006 – C356/04 – Slg. 2006, I-8501 Tz. 83 f. – Lidl Belgium; EuGH 18. 11. 2010 – C-159/09 – Slg. 2010, I-11761 Tz. 50 – Lidl SNC. Eine Irreführung kann sich auch daraus ergeben, dass die Werbung i. S. d. Art. 7 Abs. 1, 2 RL 2005/29/EG wesentliche Informationen dem Durchschnittsverbraucher vorenthält, EuGH 8. 2. 2017 – C-562/15 – GRUR 2017, 280 Tz. 29 f. – Carrefour. 1607 Dazu EuGH (Große Kammer) 19. 9. 2006 – C356/04 – Slg. 2006, I-8501 Tz. 27 – Lidl Belgium: Vergleich von Produktpaaren, die dem Erfordernis der Austauschbarkeit genügen, Tz. 30, 38: auch Vergleich von Sortimenten und Vergleich des allgemeinen Preisniveaus (Tz. 51) zulässig; EuGH 19. 4. 2007 – C-381/05 – Slg. 2007, I-3115 Tz. 47 – de Landtsheer: „individuelle und konkrete Beurteilung der speziellen Waren, um zu ermitteln, ob sie wirklich untereinander substituierbar sind“; ebenso EuGH 18. 11. 2010 – C-159/09 – Slg. 2010, I-11761 Tz. 25, 33 – Lidl SNC; dort auch Tz. 28: Aspekt, unter dem der Vergleich angestellt wird, hat keinen Einfluss auf die Austauschbarkeit. 1608 „Objektivität“ wird zum einen durch die konkretisierenden Erfordernisse Wesentlichkeit, Relevanz, Nachprüfbarkeit und Typizität erreicht, zum anderen sollen Vergleiche ausgeschlossen werden, die sich aus einer subjektiven Wertung des Vergleichenden ergeben, EuGH (Große Kammer) 19. 9. 2006 – C356/04 – Slg. 2006, I-8501 Tz. 44, 46 – Lidl Belgium. Sie erfordert nicht, bei einem Sortimentvergleich jedes der verglichenen Produkte unter allen Umständen ausdrücklich zu benennen, Tz. 47. 1609 Bei Sortimentvergleichen verlangt die Nachprüfbarkeit, dass die einzelnen Waren und die Einzelpreise individuell und konkret erkennbar sein müssen, damit sich der Verbraucher darüber vergewissern kann, ob er richtig informiert wurde, EuGH (Große Kammer) 19. 9. 2006 – C356/04 – Slg. 2006, I-8501 Tz. 61 – Lidl Belgium; EuGH 18. 11. 2010 – C-159/09 – Slg. 2010, I-11761 Tz. 60 – Lidl SNC. Nachprüfbarkeit bedeutet allgemein, dass für die Adressaten der Werbung anzugeben ist, wo und wie sie die Bestandteile des Vergleichs leicht in Erfahrung bringen können, um die Richtigkeit der Aussage nachzuprüfen oder nachprüfen zu lassen, EuGH (Große Kammer) 19. 9. 2006 – C-356/04 – Slg. 2006, I-8501 Tz. 71 – Lidl Belgium; siehe auch Art. 7 zum Nachweis der Richtigkeit. 1610 Z. B. der funktionalen Gleichwertigkeit der Produkte der Beteiligten, EuGH 23. 2. 2006 – C-59/05 – Slg. 2006, I-2147 Tz. 17 – Siemens/VIPA. 1611 EuGH (Große Kammer) 19. 9. 2006 – C356/04 – Slg. 2006, I-8501 Tz. 58 f. – Lidl Belgium. 1612 Dazu EuGH 8. 4. 2003 – C-44/01 – Slg. 2003, I-3095 Tz. 80 ff. – Pippig Augenoptik: Beschränkung auf einen einzelnen Preisvergleich ohne Einbeziehung der Durchschnittspreise nicht herabsetzend. 1613 Dieses Erfordernis ist einschränkend zu interpretieren, weil es lediglich der Einhaltung des Irreführungsverbots in Art. 13 VO 510/2006 [ersetzt durch VO 1151/2012] dient (Erwägungsgrund 12 RL 2006/114/EG), EuGH 19. 4. 2007 – C-381/05 – Slg. 2007, I-3115 Tz. 66 ff. – de Landtsheer. Deshalb ist nicht jeder Vergleich zwischen Waren mit und Waren ohne Ursprungsbezeichnung unzulässig.

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ausnutzen (Art. 4 lit. f.),1614 sie darf ein Produkt weder explizit noch implizit1615 als Imitation oder Nachahmung eines anderen Produkts mit geschützter Marke oder Handelsnamen darstellen, und sie darf keine Verwechslungsgefahr i. S. d. Art. 10 Abs. 2 lit. b MarkenRL 2015/2436 begründen1616 (Art. 4 lit. h). Diese Voraussetzungen wurden in § 5 Abs. 2 und 3 und § 6 UWG umgesetzt.1617

370 e) Umsetzung. Die Richtlinie 2006/114/EG wurde im Hinblick auf die Regeln zur irreführenden Werbung in den §§ 5, 5a Abs. 1, im Hinblick auf die vergleichende Werbung in § 5 Abs. 2 und 3 und § 6 UWG umgesetzt.1618

4. Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr 371 a) Regelungsziele und Harmonisierungstiefe. Ziel der Richtlinie 2000/31/EG1619 ist es, den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft zwischen den Mitgliedstaaten sicherzustellen und auf diese Weise einen Beitrag zum Funktionieren des Binnenmarktes zu leisten (Art. 1 Abs. 1 RL 2000/31/EG). Dieses Ziel soll durch zwei Maßnahmen erreicht werden.1620 Zum einen sorgt die Richtlinie für eine Harmonisierung des Sachrechts im Hinblick auf die Zulassungsfreiheit (Art. 4), die Informationspflichten (Art. 5, 6), die kommerzielle Kommunikation reglementierter Berufe (Art. 8),1621 den Abschluss von Verträgen auf elektronischem Weg (Art. 9– 11) und die Verantwortlichkeit der Vermittler (Art. 12–15).1622 Zum anderen definiert die Richtlinie 2000/31/EG einen „koordinierten Bereich“ (Art. 2 372 lit. h), in dessen Rahmen die Dienste der Informationsgesellschaft grundsätzlich dem Rechtssystem des Mitgliedstaates unterworfen werden, in dem der Anbieter niedergelassen ist (Art. 3

1614 Dieser Begriff ist ebenso wie in Art. 10 Abs. 2 lit. c MarkenRL 2015/2436 auszulegen, EuGH 18. 6. 2009 – C487/07 – Slg. 2009, I-5185 Tz. 77 – L’Oréal. Zudem ist hier der Nutzen von vergleichender Werbung für den Verbraucher und die Binnemarktintegration einzustellen, EuGH 23. 2. 2006 – C-59/05 – Slg. 2006, I-2147 Tz. 24 – Siemens/ VIPA. Ferner EuGH 25. 10. 2001 – C-112/99 – Slg. 2001, I-7945 Tz. 54, 57 – Toshiba Europe: Artikelnummern eines Originalherstellers dürfen in Katalogen eines Konkurrenten verwendet werden, solange keine Assoziation zwischen dem Originalhersteller und dem Konkurrenten hergestellt wird; EuGH 23. 2. 2006 – C-59/05 – Slg. 2006, I-2147 Tz. 16, 18 – Siemens/VIPA: unlauteres Ausnutzen kann darin liegen, dass beim Verkehr ein falscher Eindruck über die Beziehungen zwischen dem Werbenden und dem Markeninhaber erweckt wird, insbesondere indem der gute Ruf des einen Anbieters auf den anderen übertragen wird. 1615 EuGH 18. 6. 2009 – C-487/07 – Slg. 2009, I-5185 Tz. 75 f. – L’Oréal. 1616 Der Begriff entspricht dem markenrechtlichen Begriff in Art. 10 Abs. 2 lit. b MarkenRL 2015/2436, EuGH 12. 6. 2008 – C-533/06 – Slg. 2008, I-4231 Tz. 49 – O2. 1617 Zu Einzelheiten siehe die Kommentierung von Glöckner zu § 6 Rn. 172 ff. 1618 Vgl. (zu den Vorgängerrichtlinien 84/450/EWG und 97/7/EG) BTDrucks. 14/2959 S. 6; BTDrucks. 15/1487 S. 19; BTDrucks. 16/10145 S. 19; eine unzureichende Richtlinienumsetzung konstatiert Köhler GRUR 2013, 761, 762 ff. 1619 Zur Entstehungsgeschichte siehe KOM (1997) 157; KOM (1998) 586; KOM (1999) 427; Gemeinsamer Standpunkt des Rates Nr. 22/2000, ABl. C 128 vom 8. 5. 2000, S. 32. 1620 EuGH (Große Kammer) 25. 10. 2011 – C-509/09 und C-161/10 – Slg. 2011, I-10269 Tz. 56 f. – eDate Advertising. 1621 Auch die Online-Werbung eines Zahnarztes fällt als „Dienst der Informationsgesellschaft“ unter die RL 2000/ 31/EG und muss deshalb gemäß Art. 8 Abs. 1 RL 2000/31/EG grundsätzlich erlaubt sein. Solche Werbung darf deshalb nicht „allgemein und ausnahmslos“ verboten sein, darf aber den berufsrechtlichen Regeln, insbesondere zur Wahrung von Unabhängigkeit, Würde und Ehre des betreffenden reglementierten Berufs, des Berufsgeheimnisses und eines lauteren Verhaltens sowohl gegenüber Kunden als auch gegenüber Berufskollegen, unterworfen werden, die (zumindest für Gesundheitsberufe) auch „gegebenenfalls starke“ Eingrenzungen der Form und Ausgestaltung der kommerziellen Online-Kommunikation vorsehen können, EuGH 4. 5. 2017 – C-339/15 – GRUR 2017, 627 Tz. 39 f., 41, 43 f., 46, 49 – Vanderborght. 1622 Die Regelung in Art. 7 RL 2000/31/EG wurde durch Art. 13 RL 2002/58/EG (unten Rn. 421 f.) überholt, Köhler/ Bornkamm/Feddersen Einl UWG Rn. 3.49.

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Abs. 2, Erwägungsgrund 22 Satz 3 RL 2000/31/EG: Herkunftslandprinzip).1623 Infolge des Herkunftslandprinzips kann sich die Richtlinie bei den lauterkeitsrechtlich relevanten Informationspflichten (Art. 5, 6) auf eine Mindestharmonisierung beschränken,1624 die allerdings durch Erwägungsgrund 15 Satz 4 RL 2005/29/EG inzwischen faktisch in eine Vollharmonisierung überführt wird. Eine Vollharmonisierung erfolgt von vorneherein für den Bereich der Verantwortlichkeit der Vermittler (Art. 12–15 RL 2000/31/EG).1625

b) Anwendungsbereich. Der Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/31/EG wird durch den 373 Begriff „Dienst der Informationsgesellschaft“ bestimmt. Zur Definition verweist Art. 2 lit. a RL 2000/31/EG auf Art. 1 Nr. 2 der RL 98/34/EG1626 in der Fassung der Richtlinie 98/48/EG,1627 (nunmehr aufgehoben und ersetzt durch Art. 1 Abs. 1 lit. b Richtlinie 2015/15351628) wo „Dienst der Informationsgesellschaft“ als „jede in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung“ definiert wird.1629 Das Erfordernis der Entgeltlichkeit schließt auch Dienste ein, die nicht von denjenigen vergütet werden, die sie empfangen,1630 soweit es sich überhaupt um eine wirtschaftliche Tätigkeit handelt (z. B. werbefinanzierte Dienste, Online-Informationsdienste, Suchmaschinen, Dienste zum Zugang zu Daten oder zur Datenabfrage).1631 Ausgeschlossen wird mit dem Merkmal der Entgeltlichkeit aber der Gebrauch von E-Mails durch natürliche Personen außerhalb ihrer gewerblichen, geschäftlichen oder beruflichen Tätigkeit, einschließlich der Nutzung von E-Mails zum Vertragsabschluss zwischen natürlichen Personen außerhalb ihrer gewerblichen Tätigkeit.1632 Der Begriff des „Diensts der Informationsgesellschaft“ ist weit zu verstehen und erfasst 374 faktisch sämtliche wirtschaftlichen Tätigkeiten, die online vonstatten gehen, wie etwa den Online-Verkauf von Waren, Video on Demand, die elektronische Verbreitung kommerzieller Kommunikation,1633 Dienste zur Übermittlung von Informationen über ein Kommunikationsnetz, zum Zugang zu einem Kommunikationsnetz oder zur Speicherung von Informationen der Nutzer des Dienstes,1634 „Dienstleistungen, die dazu beitragen, die Verbindung zwischen Personen, die die Tätigkeit des Online-Verkaufs ausüben, und ihren Kunden zu ermöglichen“,1635 und Vermittlungsdienste, die Anbieter und Nachfragen von Dienstleistungen zusammenbringen, ohne zu-

1623 1624 1625 1626

EuGH (Große Kammer) 25. 10. 2011 – C-509/09 und C-161/10 – Slg. 2011, I-10269 Tz. 57, 67 – eDate Advertising. BTDrucks. 14/6098 S. 21 f. BTDrucks. 14/6098 S. 22. Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften, ABl. L 204 vom 21. 7. 1998, S. 37. 1627 Richtlinie 98/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juli 1998 zur Änderung der Richtlinie 98/34/EG über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften, ABl. L 217 vom 5. 8. 1998, S. 18. 1628 Richtlinie (EU) 2015/1535 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. September 2015 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft, Abl. L. 241 vom 17. 9. 2015, S. 1–15. 1629 Siehe auch die Wiedergabe der Definition in Erwägungsgrund 17 Satz 2 RL 2000/31/EG; EuGH 7. 8. 2018 – C521/17 – GRUR 2018, 921 Tz. 42 – SNB-REACT: „Dienstleistungen einbezogen, die im Fernabsatz mittels Geräten für die elektronische Verarbeitung und Speicherung von Daten auf individuellen Abruf eines Empfängers und in der Regel gegen Entgelt erbracht werden“. 1630 BTDrucks. 14/6098 S. 21 f.; siehe auch EuGH (Große Kammer) 19. 12. 2019 – C-390/18 – MMR 2020, 171 Tz. 46 – Airbnb Ireland: unerheblich, ob die Gebühr für die Vermittlungsdienstleistung vom Mieter oder Vermieter erhoben wird. 1631 EuGH 11. 9. 2014 – C-291/3 – MMR 2016, 63 Tz. 28 f. – Sotiris Papasavvas. 1632 Erwägungsgrund 18 Satz 8 RL 2000/31/EG. 1633 Zu diesem Begriff Art. 2 lit. f RL 2000/31/EG. 1634 Erwägungsgrund 18 Satz 1, 2, 5, 7 RL 2000/31/EG. 1635 EuGH 7. 8. 2018 – C-521/17 – GRUR 2018, 921 Tz. 42 – SNB-REACT.

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gleich ein Angebot für die gesuchten Dienstleistungen zu machen.1636 Online-Werbung stellt daher grundsätzlich einen Dienst der Informationsgesellschaft dar, und zwar auch dann, wenn der Werbende nicht selbst als Anbieter von Online-Werbung handelt, sondern seine sonstigen Waren oder Dienstleistungen (z. B. Zahnarztdienstleistungen) bewirbt.1637 Ausgeschlossen sind allerdings Aktivitäten, die offline stattfinden wie die Auslieferung von Waren oder anderweitige Offline-Dienste.1638 Kein Dienst der Informationsgesellschaft liegt vor, wenn der Vermittlungsdienst integraler Bestandteil einer Gesamtdienstleistung ist, die rechtlich nicht als Dienst der Informationsgesellschaft einzustufen ist (z. B. Uber ist deshalb kein Dienst der Informationsgesellschaft, sondern eine Verkehrsdienstleistung,1639 Airbnb demgegenüber ein Dienst der Informationsgesellschaft, keine Beherbergungsdienstleistung;1640 der Unterschied liege u. a. in dem geringeren Grad an Kontrolle über die direkten Leistungserbringer – Vermieter bzw. Fahrer – bei Airbnb im Vergleich zu Uber1641). 375 „Im Fernabsatz erbrachte Dienstleistung“ umschreibt eine Dienstleistung, „die ohne gleichzeitige physische Anwesenheit der Vertragsparteien erbracht wird, was nicht der Fall ist, wenn Erbringer und der Empfänger gleichzeitig physisch anwesend sind, selbst wenn dabei elektronische Geräte benutzt werden“.1642 Eine „elektronisch erbrachte Dienstleistung“ ist eine Dienstleistung, „die mittels Geräten für die elektronische Verarbeitung (einschließlich digitaler Kompression) und Speicherung von Daten am Ausgangspunkt gesendet und am Endpunkt empfangen wird und die vollständig über Draht, über Funk, auf optischem oder anderem elektromagnetischem Wege gesendet, weitergeleitet und empfangen wird“ (vgl. auch Art. 2 lit. h ii dritter Spiegelstrich RL 2000/31/EG). Dies erfasst auch den Zugang zu einem Kommunikationsnetz und die bloße Übermittlung oder Speicherung von Informationen.1643 Nicht ausreichend ist es, dass der Dienst zwar mit elektronischen Geräten, aber in materieller Form1644 oder per Telefon/Telefax1645 erbracht wird. Beim Online-Verkauf wird zwar der Verkauf als solcher er-

1636 EuGH (Große Kammer) 20. 12. 2017 – C-434/15 – GRUR 2018, 308 Tz. 35, 37 f.– Uber Systems Spain: Wird gleichzeitig mit der Vermittlungsdienstleistung ein Angebot über eine andere (z. B. Verkehrs-)Dienstleistung abgegeben, so ist der Vermittlungsdienst nur integraler Bestandteil der Gesamtdienstleistung, so dass kein „Dienst der Informationsgesellschaft“ mehr vorliegt, Uber, Tz. 40. 1637 EuGH 4. 5. 2017 – C-339/15 – GRUR 2017, 627 Tz. 37, 39, 41 – Vanderborght. 1638 Erwägungsgrund 18 Satz 3 RL 2000/31/EG. 1639 Oben Fn. 1639. 1640 EuGH (Große Kammer) 19. 12. 2019 – C-390/18 – MMR 2020, 171 Tz. 52 ff. – Airbnb Ireland: Vermittlungsdienst sei vom eigentlichen Immobiliengeschäft (Vermietung) trennbar, da nicht auf die unmittelbare Realisierung einer Beherbergungsdienstleistung gerichtet, sondern darauf, auf Grundlage einer strukturierten Liste von Unterkünften ein Instrument zur Verfügung zu stellen, das den Abschluss von Beherbergungsverträgen erleichtert. 1641 EuGH (Große Kammer) 19. 12. 2019 – C-390/18 – MMR 2020, 171 Tz. 66 ff. – Airbnb Ireland. 1642 Zu Beispielen für nicht erfasste Dienste Erwägungsgrund 18 Satz 10 RL 2000/31/EG und Anhang I der RL (EU) 2015/1535: Untersuchung oder Behandlung in der Praxis eines Arztes mit Hilfe elektronischer Geräte, aber in Anwesenheit des Patienten; Konsultation eines elektronischen Katalogs in einem Geschäft in Anwesenheit des Kunden; Buchung eines Flugtickets über ein Computernetz, wenn sie in einem Reisebüro in Anwesenheit des Kunden vorgenommen wird; Bereitstellung elektronischer Spiele in einer Spielhalle in Anwesenheit des Benutzers. Ausgenommen werden aber nur solche Leistungen, die untrennbar mit einer physisch erbrachten Dienstleistung verbunden sind, EuGH 2. 12. 2010 – C-108/09 – Slg. 2010, I-12213 Tz. 37, 39 – Ker-Optika. 1643 Erwägungsgrund 18 Satz 5 RL 2000/31/EG. 1644 Zu Beispielen Anhang I der RL (EU) 2015/1535: Geldausgabe- oder Fahrkartenautomaten; Zugang zu gebührenpflichtigen Straßennetzen, Parkplätzen usw., auch wenn elektronische Geräte bei der Ein- und/oder Ausfahrt den Zugang kontrollieren und/oder die korrekte Gebührenentrichtung gewährleisten. 1645 Zu Beispielen Anhang I der RL (EU) 2015/1535: Sprachtelefondienste, Telefax-/Telexdienste, über Sprachtelefon oder Telefax erbrachte Dienste, medizinische Beratung per Telefon/Telefax, anwaltliche Beratung per Telefon/Telefax, Direktmarketing per Telefon/Telefax. Demgegenüber fällt Voice-over-IP unter die E-Commerce-Richtlinie 2000/31/EG, wenn die Informationen zwischengespeichert werden, MünchKomm/Micklitz, 1. Aufl. 2006, EG I Rn. 27.

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fasst, nicht aber die Auslieferung der Waren als solche und die Anforderungen an die Waren.1646 Auch Offline-Dienste wie der Vertrieb von Software auf CD oder DVD sind ausgenommen (Erwägungsgrund 18 Satz 1 RL 2000/31/EG: „online“). Eine „auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung“ ist eine Dienstleis- 376 tung, „die durch die Übertragung von Daten auf individuelle Anforderung erbracht wird“ (z. B. Video auf Abruf oder E-Mail-Werbung oder Hochladen einer Wohnanzeige mit individueller Abfrage des an der Anzeige interessierten Mieters).1647 Dies schließt Dienste aus, „die im Wege einer Übertragung von Daten ohne individuellen Abruf gleichzeitig für eine unbegrenzte Zahl von einzelnen Empfängern erbracht werden (Punkt-zu-Mehrpunkt-Übertragung)“ wie Fernsehprogramme i.S.v. Art. 1 Abs. 1 lit. e RL 2010/13/EU,1648 Hörfunkdienste und Teletext (über Fernsehsignal).1649 Für den Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/31/EG ist es grundsätzlich unerheblich, 377 ob der Diensteanbieter (Art. 2 lit. b RL 2000/31/EG) gewerblich handelt oder nicht und ob sich der Dienst an einen gewerblichen oder nicht-gewerblichen Nutzer (Art. 2 lit. d RL 2000/31/EG) richtet. Allerdings sind die vertragsrechtlichen Regelungen der Art. 10 und Art. 11 im Verhältnis zu Verbrauchern (Art. 2 lit. e RL 2000/31/EG) zwingend. Zudem schließt das Erfordernis der Entgeltlichkeit als Merkmal des Dienstes der Informationsgesellschaft das Handeln von Personen außerhalb ihrer gewerblichen, geschäftlichen oder beruflichen Tätigkeit aus (Erwägungsgrund 18 Satz 8 RL 2000/31/EG). Auch die vertragliche Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird explizit ausgenommen (Erwägungsgrund 18 Satz 9 RL 2000/31/EG).

c) Bedeutung für das Lauterkeitsrecht. Aus der Perspektive des Lauterkeitsrechts ist die 378 Richtlinie 2000/31/EG vor allem1650 unter drei Gesichtspunkten von Interesse. Zunächst finden sich in der Richtlinie im Interesse der Lauterkeit des Geschäftsverkehrs und des Verbraucherschutzes1651 besondere Informationspflichten (Art. 5, 6, 10),1652 deren Missachtung lauterkeits1646 Art. 2 lit. h ii erster und zweiter Spiegelstrich, Erwägungsgrund 18 Satz 2 und 3 RL 2000/31/EG; EuGH 2. 12. 2010 – C-108/09 – Slg. 2010, I-12213 Tz. 28, 30 – Ker-Optika: Online-Angebot und Verkauf, nicht aber Liefervoraussetzungen. 1647 Erwägungsgrund 18 Satz 7 RL 2000/31/EG; EuGH (Große Kammer) 19. 12. 2019 – C-390/18 – MMR 2020, 171 Tz. 48 – Airbnb Ireland. 1648 Danach bezeichnet „Fernsehprogramm“ (d. h. ein linearer audiovisueller Mediendienst) einen audiovisuellen Mediendienst, der von einem Mediendiensteanbieter für den zeitgleichen Empfang von Sendungen auf der Grundlage eines Sendeplans bereitgestellt wird“. Die Ausnahme verweist noch auf die Definition der Fernsehdienste (präziser: „Fernsehsendung“) gemäß Art. 1 lit. a der inzwischen aufgehobenen RL 89/552/EWG. 1649 Anhang I der RL (EU) 2015/1535; Erwägungsgrund 18 Satz 6 RL 2000/31/EG. 1650 Die Regelung über nicht angeforderte kommerzielle Kommunikation in Art. 7 RL 2000/31/EG ist durch Art. 13 RL 2002/58/EG (unten Rn. 421 f.) überholt, Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl UWG Rn. 3.49; siehe auch Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Glöckner Einl B Rn. 59. Allerdings gelten Art. 13 Abs. 1–3 RL 2002/58/EG nur für natürliche Personen (Art. 13 Abs. 5), so dass ein gewisser Anwendungsbereich für das Erkennbarkeitsgebot des Art. 7 Abs. 1 RL 2000/31/EG verbleibt. Auch die Regelung in Art. 8 RL 2000/31/EG zur kommerziellen Kommunikation regulierter Berufe ist durch Art. 24 RL 2006/123/EG (dazu unten Rn. 399) weitgehend überholt. Sie kann allerdings für regulierte Berufe bedeutsam sein, die nicht unter Art. 24 RL 2006/123/EG fallen. So fällt etwa die Online-Werbung eines Zahnarztes als „Dienst der Informationsgesellschaft“ unter die RL 2000/31/EG und muss deshalb gemäß Art. 8 Abs. 1 RL 2000/31/EG grundsätzlich erlaubt sein. Solche Werbung darf deshalb nicht „allgemein und ausnahmslos“ verboten sein, darf aber den berufsrechtlichen Regeln, insbesondere zur Wahrung von Unabhängigkeit, Würde und Ehre des betreffenden reglementierten Berufs, des Berufsgeheimnisses und eines lauteren Verhaltens sowohl gegenüber Kunden als auch gegenüber Berufskollegen, unerworfen werden, die (zumindest für Gesundheitsberufe) auch „gegebenenfalls starke“ Eingrenzungen der Form und Ausgestaltung der kommerziellen Online-Kommunikation vorsehen können, EuGH 4. 5. 2017 – C-339/15 – GRUR 2017, 627 Tz. 39 f., 41, 43 f., 46, 49 – Vanderborght. 1651 Erwägungsgrund 29 RL 2000/31/EG. 1652 Zur Auslegung des Art. 5 Abs. 1 lit. c RL 2000/31/EG EuGH 16. 10. 2008 – C-298/07 – Slg. 2008, I-7841 Tz. 40 – Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände; EuGH (Große Kammer) 7. 12. 2010 – C-585/08 und C-144/09 – NJW 2011, 505 Tz. 78 – Pammer.

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rechtlich sanktioniert werden kann (Art. 7 Abs. 5 RL 2005/29/EG). Ferner begrenzen die Art. 12– 15 RL 2000/31/EG die Verantwortlichkeit der Diensteanbieter, die den Zugang zu einem Kommunikationsnetz vermitteln oder vom Nutzer eingegebene Informationen übermitteln oder speichern, und ergänzen damit die nur punktuelle Harmonisierung der Regeln über die Rechtsdurchsetzung in den Lauterkeitsrichtlinien (unten Rn. 438 ff.).1653 Schließlich unterwerfen die Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 RL 2000/31/EG innerhalb des „koordinierten Bereichs“ die Dienste der Informationsgesellschaft grundsätzlich dem Rechtssystem desjenigen Mitgliedstaates, in dem der Anbieter niedergelassen ist. Nach diesem Herkunftslandprinzip darf der Anbieter eines Dienstes der Informationsgesellschaft nicht strengeren Anforderungen unterliegen, als sie das im Sitzmitgliedstaat dieses Anbieters geltende Sachrecht vorsieht.1654 Diese Regelung verlangt keine Umsetzung in Form einer speziellen Kollisionsnorm,1655 sondern kann auch als sachrechtliche Rechtsanwendungsschranke ausgestaltet werden, solange es nur nicht zu strengeren Anforderungen kommt, als sie das im Sitzmitgliedstaat geltende Sachrecht vorsieht.1656 Soweit sich ein Mitgliedstaat Maßnahmen ergreifen will, die im Hinblick auf einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft vom Herkunftslandprinzip abweichen, setzt dies die Wahrung der Anforderungen des Art. 3 Abs. 4 lit. a RL 2000/31/EG und eine vorherige Unterrichtung gemäß Art. 3 Abs. 4 lit. b RL 2000/31/EG voraus. Unterbleibt eine vorherige Unterrichtung, so hat dies die Unanwendbarkeit der betreffenden Regelung (Maßnahme) auf Einzelne zur Folge.1657 Für das Lauterkeitsrecht ist das Herkunftslandprinzip in der Richtlinie 2000/31/EG von besonderer Bedeutung,1658 weil es im Unterschied zur Dienstleistungsrichtlinie1659 auch zivilrechtliche Bestimmungen erfasst1660 und im Unterschied zur Richtlinie über audiovisuelle Medien1661 nicht auf den durch die Richtlinie 2000/31/EG harmonisierten Bereich beschränkt ist, sondern einen erheblich weiteren „koordinierten“ Bereich umfasst. Dieser koordinierte Bereich erfasst sämtliche Regeln über die Aufnahme (z. B. Qualifikationen, Genehmigung oder Anmeldung) und über die Ausübung der Tätigkeit (z. B. Verhalten des Anbieters, Qualität oder Inhalt des Dienstes, Werbung, Vertragsrecht und Verantwortlichkeit) eines Diensteanbieters (Art. 2 lit. h Ziffer i RL 2000/31/EG). Ausgenommen sind lediglich die Anforderungen an die im E-Commerce erworbenen Waren, die Lieferung solcher Waren und Anforderungen an Dienste, die nicht auf elektronischem Wege erbracht werden (Art. 2 lit. h Ziffer ii RL 2000/31/EG). Unsicher ist allerdings, ob die Bedeutung des Herkunftslandprinzips für das Lauterkeitsrecht nicht durch andere Vorschriften der Richtlinie 2000/31/EG eingeschränkt wird. So wird in Anknüpfung an die Judikatur des EuGH zum Herkunftslandprinzip in der alten Fernsehricht1653 EuGH (Große Kammer) 23. 3. 2010 – C-236/08 bis C-238/08 – Slg. 2010, I-2417 Tz. 106 ff. – Google France und Google; EuGH (Große Kammer) 12. 7. 2011 – C-324/09 – GRUR 2011, 1025 Tz. 106 ff. – L’Oréal.

1654 EuGH (Große Kammer) 25. 10. 2011 – C-509/09 und C-161/10 – Slg. 2011, I-10269 Tz. 67 – eDate Advertising. 1655 EuGH (Große Kammer) 25. 10. 2011 – C-509/09 und C-161/10 – Slg. 2011, I-10269 Tz. 63 – eDate Advertising. Umstritten ist, ob es überhaupt als Kollisionsnorm umgesetzt werden darf, zum Streitstand Klass Einleitung D Rn. 152 und MünchKomm/Drexl IntUnlWettbR Rn. 65 ff. 1656 Die letztere Lösung ist liberaler, weil sie im Unterschied zur kollisionsrechtlichen Umsetzung dem Zielstaat gestattet, liberalere Regeln als der Herkunftsstaat für den betreffenden Dienst vorzusehen. 1657 EuGH (Große Kammer) 19. 12. 2019 – C-390/18 – MMR 2020, 171 Tz. 94 – Airbnb Ireland. 1658 Heizmann/Loacker/Mayer § 3 Rn. 20: „Herkunftslandprinzip erfasst alle Lauterkeitsbestimmungen, die geschäftliche Handlungen im Internet tangieren, mit Ausnahme des geistigen Eigentums und der Regeln über die Zulässigkeit unaufgeforderter Werbemails“. 1659 Siehe die Ausnahmen in Art. 17 Nr. 11 und Nr. 15 der Dienstleistungsrichtlinie für das Schuldrecht, das IPR und das Immaterialgüterrecht. 1660 EuGH (Große Kammer) 25. 10. 2011 – C-509/09 und C-161/10 – Slg. 2011, I-10269 Tz. 58 f. – eDate Advertising. 1661 Art. 3 Abs. 1 RL 2010/13/EG: „Die Mitgliedstaaten gewährleisten den freien Empfang und behindern nicht die Weiterverbreitung von audiovisuellen Mediendiensten aus anderen Mitgliedstaaten in ihrem Hoheitsgebiet aus Gründen, die Bereiche betreffen, die durch diese Richtlinie koordiniert sind“ (Hervorhebung nicht im Original).

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linie1662 erwogen, den durch die Richtlinie 84/450/EWG (heute Richtlinie 2006/114/EG) geregelten Bereich der irreführenden Werbung aus dem Herkunftslandprinzip der Richtlinie 2000/31/ EG auszunehmen.1663 Entsprechend ließe sich für die Regeln der Richtlinie 2005/29/EG argumentieren. Zwar geht 383 es insoweit um Vollharmonisierung, so dass zwischen den Standards des Herkunfts- und des Zielstaates keine Unterschiede bestehen dürften. Indes zeigt die Erfahrung, dass auch angeglichenes Recht in den Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgelegt und angewendet wird, insbesondere wenn es wie die Richtlinie 2005/29/EG durch offene Tatbestände und Generalklauseln geprägt ist. Diese Unterschiede lassen sich auch nicht vollständig durch eine EuGH-Vorlage in Zweifelsfällen ausräumen, denn selbst wenn man von einer uneingeschränkten Konkretisierungskompetenz des Gerichtshofs bei Generalklauseln ausgeht, so verbleiben mögliche Unterschiede beim Ergebnis der Subsumtion im Einzelfall, die der EuGH in aller Regel den nationalen Gerichten überlässt.1664 Es stellt sich damit die Frage, ob im Bereich des unionalen verbraucherschützenden Lau- 384 terkeitsrechts infolge des Herkunftslandprinzips ausschließlich auf seine Auslegung und Anwendung im Herkunftsstaat abzustellen ist oder ob der Zielstaat seine eigene Auslegung zugrunde legen darf. Normativer Anknüpfungspunkt ist zunächst die Regelung in Art. 1 Abs. 3 Richtlinie 2000/31/EG, wonach die Richtlinie das auf die Dienste der Informationsgesellschaft anwendbare Recht ergänzt und „dabei das Schutzniveau insbesondere für die öffentliche Gesundheit und den Verbraucherschutz, wie es sich aus Gemeinschaftsrechtsakten und einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zu ihrer Umsetzung ergibt, unberührt“ lässt. Indes gilt dies nur, „soweit die Freiheit, Dienste der Informationsgesellschaft anzubieten, dadurch nicht eingeschränkt wird“.1665 Mit diesem Nachsatz wollte der Rat sicherstellen, „dass die Freiheit, Dienste der Informationsgesellschaft anzubieten, durch nationale Maßnahmen zur Umsetzung von Gemeinschaftsrechtsakten in anderen Bereichen nicht eingeschränkt werden darf“.1666 Die Klarstellung spricht eher für die Anwendung des Herkunftslandprinzips auch auf das verbraucherschützende Lauterkeitsrecht, so dass die Wahrung der europäischen Lauterkeitsregeln allein an seiner Auslegung im Herkunftsstaat, ggfs. bereinigt durch eine Vorlage an den Gerichtshof, zu messen wäre. Andererseits hat der Gerichtshof auch entschieden, dass durch die Richtlinie 2000/31/EG, 385 „wie sich insbesondere aus ihrem Art. 1 Abs. 3 sowie aus ihren Erwägungsgründen 7, 10 und 11 ergibt“, der Schutz der Interessen der Verbraucher gewährleistet werden soll,1667 was eher für eine verbraucherschutzfreundliche und damit eine selbständige Auslegungskompetenz im Zielstaat bejahende Auslegung spricht. Es kommt hinzu, dass Art. 3 Abs. 4 RL 2000/31/EG explizit ein Einschreiten des Zielstaates durch Maßnahmen1668 zum Schutz etwa der öffentlichen Ordnung, des Jugendschutzes, der Menschenwürde, des Gesundheitsschutzes und auch des Verbraucherschutzes gestattet. Zwar ist dies auf den Einzelfall beschränkt („betreffen einen bestimmten Dienst“) und bedarf grundsätzlich der vorherigen Abstimmung mit dem Herkunfts1662 EuGH 9. 7. 1997 – C-34/95, C-35/95 und C-36/95 – Slg. 1997, I-3843 Tz. 34, 38 – de Agostini; zur Fortgeltung MünchKomm/Drexl BGB IntUnlWettbR Rn. 60 Fn. 207.

1663 Bodewig GRUR Int. 2000, 475, 481; Henning-Bodewig WRP 2001, 771, 774 f. 1664 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 90. 1665 Erwägungsgrund 11 Satz 3 RL 2000/31/EG ergänzt, dass „zum Rechtsstand auf Gemeinschaftsebene, der uneingeschränkt für die Dienste der Informationsgesellschaft gilt“, „insbesondere auch die Richtlinien 84/450/EWG […] über irreführende und vergleichende Werbung […] und die Richtlinie 98/6//EG […] über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse“ zählen. 1666 Mitteilung der Europäischen Kommission an das Parlament zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates, SEK (2000) 386, Erläuterung der Änderungen zu Artikel 1. 1667 EuGH 16. 10. 2008 – C-298/07 – Slg. 2008, I-7841 Tz. 22 – Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände. 1668 Dazu zählen auch zivilgerichtliche Entscheidungen, vgl. Erwägungsgrund 25 RL 2000/31/EG; Bodewig GRUR Int. 2000, 475, 480.

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mitgliedstaat (Art. 3 Abs. 4 lit. b RL 2000/31/EG). Allerdings entfällt die Abstimmungspflicht bei zivilgerichtlichen Verfahren („unbeschadet etwaiger Gerichtsverfahren“), bei denen auch das Erfordernis des Einzelfalls gewahrt ist (vgl. auch Erwägungsgrund 24 und 25 RL 2000/31/EG). 386 Die wohl besseren Gründe sprechen deshalb dafür, dem Zielstaat ein Abstellen auf seine eigene, ggf. verbraucherfreundlichere Auslegung des unionalen Lauterkeitsrechts zu gestatten. Dem Herkunftslandprinzip der Richtlinie ist dadurch Rechnung zu tragen, dass die Erhöhung der lauterkeitsrechtlichen Standards des Herkunftsstaates, etwa durch striktere Auslegung harmonisierenden Sekundärrechts, unter einen Angemessenheitsvorbehalt gestellt wird, als dessen prozessuale Komponente man im Fall harmonisierenden Sekundärrechts eine Verpflichtung zur Vorabentscheidung durch den Gerichtshof auch bei untergerichtlichen Hauptsacheverfahren annehmen sollte. Neben Art. 3 Abs. 4 RL 2000/31/EG findet das Herkunftslandprinzip gemäß Art. 3 Abs. 3 i. V. m. dem Anhang RL 2000/31/EG zudem auch auf Urheberrechte, verwandte Schutzrechte, Datenbankrechte und gewerbliche Schutzrechte und auf die Zulässigkeit nicht angeforderter kommerzieller Kommunikation mittels elektronischer Post (dazu Art. 13 RL 2002/ 58/EG, unten Rn. 421 f.) keine Anwendung.1669

387 d) Umsetzung. Die E-Commerce-Richtlinie wurde in erster Linie im TMG (vormals TDG), darüber hinaus in §§ 312i f. BGB, in Art. 246 § 3 EGBGB (nunmehr Art. 246c EGBGB), im UKlaG und im Gesetz über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr (EGG) umgesetzt.1670

5. Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt 388 a) Regelungsziele und Harmonisierungstiefe. Die Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt1671 zielt auf eine Erleichterung des freien Dienstleistungsverkehr und der Wahrnehmung der Niederlassungsfreiheit durch Dienstleistungsanbieter, um zur Schaffung eines freien und wettbewerbsfähigen Binnenmarkts beizutragen (Art. 1 Abs. 1 und Erwägungsgründe 2 und 5 RL 2006/123/EG).1672 Zugleich dient sie auch dem Schutz der Dienstleistungsempfänger, denn die Vorschriften des Kapitels V (Art. 22 ff. RL 2006/123/EG) sehen Vorschriften zur Qualität der Dienstleistungen im Binnenmarkt vor.1673 Sie bewirkt keine Vollharmonisierung des Dienstleistungsrechts, sondern konkretisiert le389 diglich – soweit nicht eine der zahlreichen Ausnahmen eingreift (Art. 2 Abs. 2, Art. 3, Art. 17 RL 2006/123/EG) – die Anforderungen für die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit (Erwägungsgrund 9 Satz 1), indem sie die Beschränkungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten auf bestimmte Kriterien (Art. 16 Abs. 2 und 3, Art. 18 Abs. 1 RL 2006/123/EG) verengt und zudem positiv allgemeine – nicht abschließende (Art. 22 Abs. 5 RL 2006/123/EG) – Regeln zur Qualität von Dienstleistungen vorsieht (Art. 22 ff. RL 2006/123/EG).

1669 Die anderen Ausnahmen sind für das Lauterkeitsrecht von untergeordneter Bedeutung. Allerdings kann der Vorbehalt der Regeln über vertragliche Schuldverhältnisse in bezug auf Verbraucherverträge über Art. 6 Abs. 1 lit. c RL 2005/29/EG („Verpflichtungen des Gewerbetreibenden“) relevant werden. 1670 BTDrucks. 14/6098 S. 11 ff.; zum TMG BTDrucks. 16/3078 S. 1. 1671 Zur wechselvollen Entstehungsgeschichte der Dienstleistungsrichtlinie sei lediglich auf den ersten Kommissionsvorschlag KOM (2004) 2, den geänderten Kommissionsvorschlag KOM (2006) 160, den Gemeinsamen Standpunkt Nr. 16/2006, ABl. C 270E vom 7. 11. 2006, S. 1 und die zugehörige Mitteilung der Kommission KOM (2006) 424 verwiesen. 1672 EuGH (Große Kammer) 5. 4. 2011 – C-119/09 – Slg. 2011, I-2551 Tz. 26 – Société fiduciaire nationale d’expertise comptable. 1673 EuGH (Große Kammer) 5. 4. 2011 – C-119/09 – Slg. 2011, I-2551 Tz. 28 – Société fiduciaire nationale d’expertise comptable.

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V. Lauterkeitsrecht und Rechtsangleichung

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b) Anwendungsbereich. Der Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst nach Art. 2 Abs. 1 RL 390 2006/123/EG die von einem in der EU ansässigen Erbringer angebotenen Dienstleistungen, also jede von Art. 57 AEUV erfasste selbstständige Tätigkeit, die in der Regel gegen Entgelt erbracht wird (Art. 4 Nr. 1 RL 2006/123/EG).1674 Im Unterschied zur primärrechtlichen Dienstleistungsfreiheit sind die Vorschriften des Kapitels III der Richtlinie (Art. 9–15 RL 2006/123/EG) auch dann anwendbar, wenn sämtliche Merkmale des Sachverhalts nicht über die Grenzen eines einzigen Mitgliedstaats hinausweisen.1675 Allerdings nimmt Art. 2 Abs. 2 RL 2006/123/EG eine Reihe bedeutsamer Sektoren aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie aus, insbesondere nicht-wirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (Erwägungsgrund 17), Finanzdienstleistungen (Erwägungsgrund 18), Dienstleistungen und Netze der elektronischen Kommunikation (Erwägungsgrund 19 und 20), Verkehrsdienstleistungen (Erwägungsgrund 21), Gesundheitsdienstleistungen (Erwägungsgrund 22 und 23), audiovisuelle Dienste (Erwägungsgrund 24, dazu RL 2010/13/EU) und soziale Dienstleistungen (Erwägungsgrund 27).1676 Art. 3 Abs. 1 RL 2006/123/EG ergänzt eine Spezialitätsanordnung zugunsten der Bestim- 391 mungen anderer Unionsrechtsakte, die „spezifische Aspekte der Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit in bestimmten Bereichen oder bestimmten Berufen“ regeln. Diese Subsidiaritätsklausel greift damit nur, soweit tatsächlich ein Normkonflikt mit spezielleren Vorschriften besteht. Soweit dies nicht der Fall ist, sich also im speziellen Rechtsakt keine konfligierenden Vorschriften finden, bleibt es bei der Anwendung der Dienstleistungsrichtlinie.1677 Gemäß Art. 3 Abs. 2 RL 2006/123/EG betrifft die Richtlinie ferner „nicht die Regeln des 392 internationalen Privatrechts, insbesondere die Regeln des auf vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendenden Rechts, einschließlich der Bestimmungen, die sicherstellen, dass die Verbraucher durch die im Verbraucherrecht ihres Mitgliedstaats niedergelegten Verbraucherschutzregeln geschützt sind“. Speziell für die Informationspflichten sieht Art. 22 Abs. 5 RL 2006/123/EG vor, dass die Vorgaben der Dienstleistungsrichtlinie das bestehende Unionsrecht (z. B. die Richtlinie 2000/31/EG oder die Verbraucherrichtlinien1678) ergänzen und die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, weitere Informationsanforderungen vorzusehen.

c) Bedeutung für das Lauterkeitsrecht. Für das Lauterkeitsrecht ist vor allem die Abgren- 393 zung der Dienstleistungsrichtlinie zum Verbraucherschutz und zum Privatrecht im Allgemeinen von Interesse.1679

1674 Zu Beispielen siehe Erwägungsgrund 33 RL 2006/123/EG; zum Begriff EuGH (Große Kammer) 30. 1. 2018 – C360/15 und C-31/16 – EuZW 2018, 244 Tz. 91 – College van Burgemeester en Wethouders van de gemeente Amersfoort: Einzelhandel mit Waren ist Dienstleistung i. S. d. Art. 4 Nr. 1 RL 2006/123/EG; EuGH 4. 7. 2019 – C-393/17 – GRUR 2019, 846 Tz. 53 – Kirschstein: Verleihung von akademischen Graden gegen Entgelt ist Dienstleistung. 1675 EuGH (Große Kammer) 30. 1. 2018 – C-360/15 und C-31/16 – EuZW 2018, 244 Tz. 107, 110 – College van Burgemeester en Wethouders van de gemeente Amersfoort. 1676 EuGH 4. 7. 2019 – C-393/17 – GRUR 2019, 846 Tz. 54 ff. – Kirschstein: Die Verleihung von akademischen Graden gegen Entgelt fällt nicht unter den Ausschlusstatbestand des Art. 2 Abs. 2. 1677 Schlachter/Ohler/Leible Europäische Dienstleistungsrichtlinie (2008), Art. 3 Rn. 5, 9; zum Verhältnis zur Richtlinie 2000/31/EG Calliess/Korte Dienstleistungsrecht in der EU (2011), § 6 Rn. 134. Aus der Perspektive des Lauterkeitsrechts stellen sich insofern keine Spezialitätsprobleme, weil Art. 16 der Dienstleistungsrichtlinie „außervertragliche Schuldverhältnisse aus unlauterem Wettbewerbsverhalten“ nicht regelt (Art. 17 Nr. 15) und bei den Informationspflichten eine Kumulation (Art. 22 Abs. 5 RL 2006/123/EG) vorgesehen ist. 1678 Schlachter/Ohler/Schmidt-Kessel Europäische Dienstleistungsrichtlinie (2008), Art. 22 Rn. 6; siehe auch Erwägungsgrund 12 Satz 1 RL 2011/83/EU. 1679 Allgemein sind auch die Vorgaben für nationale Genehmigungserfordernisse relevant, dazu EuGH 4. 7. 2019 – C-393/17 – GRUR 2019, 846 Tz. 65 ff. – Kirschstein.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

394 aa) Verhältnis zur Richtlinie 2005/29/EG. Im Verhältnis zum verbraucherschützenden unionalen Lauterkeitsrecht stellt Erwägungsgrund 32 Satz 1 RL 2006/123/EG klar, dass die Dienstleistungsrichtlinie mit der europäischen Gesetzgebung zum Verbraucherschutz wie etwa der Richtlinie 2005/29/EG und der Verordnung 2006/2004 (nunmehr Verordnung 2017/2394) im Einklang steht. Aufgrund seiner systematischen Stellung dürfte sich dieser Erwägungsgrund auf den Vorbehalt für speziellere Vorschriften des Unionsrechts in Art. 3 Abs. 1 RL 2006/123/EG beziehen, so dass jedenfalls im Ergebnis die unionsrechtlich fundierten Regeln des Lauterkeitsrechts als speziellere Vorschriften von der Dienstleistungsrichtlinie nicht berührt werden.1680 Die Mitgliedstaaten sind also ungeachtet des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 RL 2006/123/EG berechtigt und verpflichtet, die Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit zu beschränken, um unlautere, insbesondere aggressive und irreführende Geschäftspraktiken i. S. d. Richtlinie 2005/29/EG zu untersagen.

395 bb) Dienstleistungsfreiheit. Darüber hinaus – insbesondere für die autonom determinierten Vorschriften des UWG – hilft der allgemeine Vorbehalt zugunsten des Kollisionsrechts in Art. 3 Abs. 2 RL 2006/123/EG nicht weiter, da sich die Regeln der Dienstleistungsrichtlinie als Bestandteil des über das Kollisionsrecht (Art. 6 Rom II-VO) berufenen Rechts am Marktort verstehen lassen und damit innerhalb der durch Art. 3 Abs. 2 RL 2006/123/EG vorbehaltenen Verweisungen zur Anwendung gelangen können. Auf den ersten Blick erscheint der Einfluss der Dienstleistungsrichtlinie auf das Lauterkeitsrecht deshalb beträchtlich,1681 weil die abschließende Aufzählung der Schutzgüter für eine Beschränkung der freien Ausübung von Dienstleistungstätigkeiten (Art. 16 RL 2006/123/EG) in Art. 16 Abs. 1 lit. b und Abs. 3 RL 2006/123/EG nur die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit, die öffentliche Gesundheit, den Umweltschutz und die arbeitsrechtlichen Beschäftigungsbedingungen nennt, nicht aber den Verbraucherschutz und die Lauterkeit des Handelsverkehrs.1682 396 Die Rettung vor dem grobschlächtigen1683 Zugriff des Art. 16 RL 2006/123/EG dürfte allerdings die Ausnahme in Art. 17 Nr. 15 RL 2006/123/EG sein. Danach findet die Dienstleistungsfreiheit des Art. 161684 keine Anwendung auf „Bestimmungen betreffend vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse, einschließlich der Form von Verträgen, die nach den Vorschriften des internationalen Privatrechts festgelegt werden“. Auch wenn die Kommission mit Art. 17 Nr. 15 RL 2006/123/EG möglicherweise einen Änderungsantrag des Parlaments überschießend umgesetzt hat,1685 beschränkt sich Art. 17 Nr. 15 nach seinem Wortlaut („Bestimmun-

1680 Weitergehend Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Glöckner Einl B Rn. 111: Dienstleistungsrichtlinie drohe, die Regelungen der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken zu konterkarieren. Siehe Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Glöckner Einl B Rn. 111. Schlachter/Ohler/Schmidt-Kessel Europäische Dienstleistungsrichtlinie (2008), Art. 16 Rn. 42 f. Basedow EuZW 2004, 423. Schlachter/Ohler/Herresthal Europäische Dienstleistungsrichtlinie (2008), Art. 19 Rn. 8 spricht sich für eine teleologische Extension der Ausnahmen des Art. 17 auch auf die durch Art. 19 RL 2006/123/EG garantierte Freiheit des Dienstleistungsempfangs aus. 1685 Die heutige Fassung des Art. 17 Nr. 15 RL 2006/123/EG geht im Kern zurück auf Änderungsantrag 170 des Parlaments („alle Bestimmungen des Internationalen Privatrechts insbesondere für die Behandlung der vertraglichen und außervertraglichen Schuldverhältnisse einschließlich der Form von Verträgen“), A6–0409/2005, S. 91, der allerdings nach der Begründung zu diesem Änderungsantrag noch das Herkunftslandprinzip „bis zu einem gewissen Grad“ für Werbung und unlauteren Wettbewerb beibehalten wollte (der endgültige Text der Rom IIVO lag damals noch nicht vor). Seine jetzige Fassung erhielt Art. 17 Nr. 15 im geänderten Kommissionsvorschlag KOM (2006) 160 S. 14, der auf Abänderung 170 des Parlaments Bezug nahm, gleichwohl nun aber von den (sachrechtlichen) „Bestimmungen betreffend vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse einschließlich der Form von Verträgen, die nach den Vorschriften des internationalen Privatrechts festgelegt werden“ sprach.

1681 1682 1683 1684

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V. Lauterkeitsrecht und Rechtsangleichung

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gen betreffend vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse“1686) nicht – wie Art. 3 Abs. 2 RL 2006/123/EG – auf die Regeln des Kollisionsrechts, sondern erstreckt sich explizit auch auf das Sachrecht (Schuldrecht)1687 und damit auch auf „außervertragliche Schuldverhältnisse aus unlauterem Wettbewerbsverhalten“ (Art. 6 Abs. 1, 2 Rom II-VO). Folge des Art. 17 Nr. 15 RL 2006/123/EG ist damit eine Immunisierung des mitgliedstaatli- 397 chen Lauterkeitsrechts, soweit es privatrechtlicher und nicht öffentlich-rechtlicher Natur ist: Verbraucherschützende und andere lauterkeitsrechtliche Vorschriften des Zielstaats, die über den durch Art. 3 Abs. 1 RL 2006/123/EG vorbehaltenen Acquis des Unionsrechts hinausgehen, können daher auf ausländische Anbieter angewendet werden, sofern sie als privatrechtlich und nicht als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren sind.1688 Diese Differenzierung überrascht angesichts der Indifferenz gegenüber privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Durchsetzung im unionalen Lauterkeitsrecht,1689 kommt aber dem deutschen Modell der privatrechtlichen Rechtsdurchsetzung naturgemäß zugute, so dass die Regeln des UWG von Art. 16 RL 2006/123/ EG unberührt bleiben. Lediglich bei öffentlich-rechtlichen Normen, die über § 3a UWG durchgesetzt werden, sind die Schranken des Art. 16 zu beachten.1690 Für Immaterialgüterrechte wird Art. 17 Nr. 15 durch Art. 17 Nr. 11 RL 2006/123/EG ergänzt, der ausdrücklich auch die dinglichen Fragen solcher Rechte aus dem Anwendungsbereich des Art. 16 ausnimmt.

cc) Informationspflichten. Während das Kapitel IV über die Dienstleistungsfreiheit damit nur 398 geringe Bedeutung für das Lauterkeitsrecht hat, sind die Regeln des Kapitels V über die Qualität der Dienstleistungen auch auf privatrechtliche Beziehungen und reine Inlandsfälle anwendbar; die Ausnahmen in Art. 17 RL 2006/123/EG kommen aus systematischen Gründen nicht zur Anwendung.1691 In der Sache normiert Art. 22 – zwingende1692 – Verpflichtungen zur Information der Dienstleistungsempfänger über die Dienstleistungserbringer und deren Dienstleistungen, deren Verletzung nicht nur bürgerlich-rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann,1693 sondern über den Transmissionsriemen des Art. 7 Abs. 5 RL 2005/29/EG auch lauterkeitsrechtlich bedeutsam ist (zur Einbeziehung in die Unterlassungsklagenrichtlinie Art. 42 RL 2006/123/ EG).1694 1686 „Provisions regarding contractual and non-contractual obligations, including the form of contracts, determined pursuant to the rules of private international law“; „aux dispositions relatives aux obligations contractuelles et non contractuelles, y compris la forme des contrats, déterminées conformément aux règles du droit international privé“; „a las disposiciones aplicables a las obligaciones contractuales y extracontractuales, incluida la forma de los contratos, determinadas de conformidad con las normas del Derecho internacional privado“. 1687 Schlachter/Ohler/Schmidt-Kessel Europäische Dienstleistungsrichtlinie (2008), Art. 17 Rn. 45 f.; Schlachter/ Ohler/Leible, Europäische Dienstleistungsrichtlinie (2008), Art. 3 Rn. 17; Calliess/Korte, Dienstleistungsrecht in der EU (2011), § 5 Rn. 214; a. A. Kampf IPRax 2008, 101, 102 f. Siehe auch Erwägungsgrund 90 Satz 2 RL 2006/123/EG. 1688 Schlachter/Ohler/Schmidt-Kessel Europäische Dienstleistungsrichtlinie (2008), Art. 17 Rn. 49. 1689 Siehe Art. 11 Abs. 1 RL 2005/29/EG und Art. 5 Abs. 1 RL 2006/114/EG, die den Mitgliedstaaten die Wahl zwischen (zivil)gerichtlicher und behördlicher Rechtsdurchsetzung eröffnen („und/oder“). 1690 Schlachter/Ohler/Schmidt-Kessel Europäische Dienstleistungsrichtlinie (2008), Art. 17 Rn. 57. 1691 Schlachter/Ohler/Schmidt-Kessel Europäische Dienstleistungsrichtlinie (2008), Vorbemerkungen zu Art. 22 ff. Rn. 4 f. Anwendbar ist allerdings der allgemeine Vorbehalt zugunsten des IPR in Art. 3 Abs. 2, aus dessen Anwendung sich die Regelungszuständigkeit des Bestimmungsstaates für die Informationspflichten ergibt, Ackermann ZEuP 2009, 230, 253. 1692 Ackermann ZEuP 2009, 230, 258; a. A. (parteidispositiv) Schlachter/Ohler/Schmidt-Kessel Europäische Dienstleistungsrichtlinie (2008), Art. 22 Rn. 3; siehe auch Erwägungsgrund 35 Satz 1 RL 2011/83/EU. 1693 Dazu Schlachter/Ohler/Schmidt-Kessel Europäische Dienstleistungsrichtlinie (2008), Art. 22 Rn. 39 ff.: Unwirksamkeit allgemeiner Geschäftsbedingungen, Schadensersatzansprüche, Durchsetzung der Informationspflichten in Natur, Beeinflussung des Vertragsinhalts, Verlängerung von Widerrufsfristen; nach Einzelpflichten differenzierend Ackermann ZEuP 2009, 230, 257 ff. 1694 Ackermann ZEuP 2009, 230, 240, 256. Zur Regelung über Preisangaben in Art. 22 Abs. 1 lit. i, Abs. 3 lit. a RL 2006/123/EG von der Decken/Heim GRUR 2011, 746, 747.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

399 dd) Kommerzielle Kommunikation reglementierter Berufe. Schließlich findet sich in Art. 24 RL 2006/123/EG eine Regelung zur kommerziellen Kommunikation für reglementierte Berufe,1695 die in Art. 3 Abs. 8 RL 2005/29/EG ausgeklammert werden.1696 Gemäß Art. 24 Abs. 1 RL 2006/123/EG sind sämtliche – mitgliedstaatliche und berufsständische – absoluten Verbote der kommerziellen Kommunikation für reglementierte Berufe aufzuheben. Gemeint sind damit nicht Verbote, die sich auf den Inhalt einer bestimmten Kommunikation beziehen, sondern solche, die diese allgemein oder für ganze Berufsgruppen in einer oder mehreren Formen untersagen, z. B. ein Werbeverbot in bestimmten Medien (Erwägungsgrund 100 Satz 1 RL 2006/ 123/EG) oder ein generelles Verbot der Kundenakquise, des Sponsoring oder des Direktmarketing für reglementierte Berufe.1697 Im Übrigen, also für die inhaltliche Ausgestaltung der Werbung (Erwägungsgrund 100 RL 2006/123/EG) dürfen die Mitgliedstaaten gemäß Art. 24 Abs. 2 Satz 1 RL 2006/123/EG durch ihre berufsrechtlichen Werbebeschränkungen „insbesondere die Unabhängigkeit, die Würde und die Integrität des Berufsstandes sowie die Wahrung des Berufsgeheimnisses gewährleisten“, solange die berufsrechtlichen Regeln nicht diskriminieren und durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses (Art. 4 Nr. 8 RL 2006/123/EG) gerechtfertigt sowie verhältnismäßig sind. Für die kommerzielle Kommunikation regulierter Berufe, die nicht unter die Richtlinie 2006/123/EG fallen, bleibt die ähnliche Regelung des Art. 8 Abs. 1 RL 2000/31/EG bedeutsam, der ebenfalls ein allgemeines und ausnahmsloses Verbot jeder Form von Online-Werbung zur Förderung der Tätigkeit einer Person, die einen reglementierten Beruf ausübt, verbietet.1698

400 d) Umsetzung. Die Richtlinie 2006/123/EG wurde durch Änderung einer Vielzahl von Einzelgesetzen umgesetzt,1699 von denen hier vor allem § 4 GewO und die Verordnung über Informationspflichten für Dienstleistungserbringer1700 (DL-InfoV) zu erwähnen sind.1701

6. Richtlinie 2010/13/EU über audiovisuelle Mediendienste 401 a) Regelungsziele und Harmonisierungstiefe. Die Richtlinie 2010/13/EU über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-Richtlinie) ist die konsolidierte Fassung der Richtlinie 2007/65/EG, die wiederum auf die erste Fernsehrichtlinie 89/552/EWG1702 zurückgeht. Die Richtlinie 2010/ 13/EU wurde durch die Richtlinie 2018/18081703 umfassend geändert, um den geänderten Marktgegebenheiten durch die zunehmende Konvergenz von Fernseh- und Internetdiensten Rechnung zu tragen. Sie enthält nunmehr allgemeine Bestimmungen für audiovisuelle Mediendienste (Kapitel II, Art. 2–4a), (konkrete) Bestimmungen für audiovisuelle Mediendienste 1695 Zum Begriff Art. 4 Nr. 11 RL 2006/123/EG. Siehe aber auch die Ausnahmen für Gesundheitsdienstleistungen (Art. 2 Abs. 2 lit. f.) und Notare und Gerichtsvollzieher (Art. 2 Abs. 2 lit. l).

1696 Zur Binnenmarktrelevanz weitgehender Werbeverbote als Marktzutrittsbehinderungen für ausländische Anbieter siehe oben Rn. 193 und KOM (2002) 441 S. 30 ff.

1697 EuGH (Große Kammer) 5. 4. 2011 – C-119/09 – Slg. 2011, I-2551 Tz. 38, 45 f. – Société fiduciaire nationale d’expertise comptable.

1698 Zur Online-Werbung eines Zahnarztes EuGH 4. 5. 2017 – C-339/15 – GRUR 2017, 627 Tz. 39 f., 41, 43 f., 46, 49 – Vanderborght.

1699 Für einen Überblick BTDrucks. 17/728 S. 13 ff. 1700 Für Preisangaben gegenüber Letztverbrauchern (Art. 22 Abs. 1 lit. i, Abs. 3 lit. a RL 2006/123/EG) gilt die PAngV, nicht die DL-InfoV (§ 4 Abs. 2 DL-InfoV).

1701 BTDrucks. 16/12784 S. 9; siehe auch BTDrucks. 17/3356. 1702 Dazu bereits Erstauflage/Schricker Einl F 365 ff.; zur Kommissionsbegründung KOM (86) 146 siehe die Beilage 5/86 zum Bulletin der Europäischen Gemeinschaft. Aus jüngerer Zeit siehe auch die Darstellung von Behrens Die Liberalisierung des Fernsehwerberechts im Kontext der Rundfunkregulierung (2012) S. 425 ff. 1703 ABl. L 303 vom 28. 11. 2018, S. 69.

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V. Lauterkeitsrecht und Rechtsangleichung

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(Kapitel III, Art. 5–11), eine Vorschrift zum Mindestanteil europäischer Werke bei audiovisuellen Mediendiensten auf Abruf (Kapitel IV, Art. 13, „Förderung europäischer Werke“), Bestimmungen über ausschließliche Rechte an und Kurzberichterstattung in Fernsehsendungen (Kapitel V, Art. 14–15), die Förderung der Verbreitung und Herstellung von Fernsehprogrammen (Kapitel VI, Art. 16–18), die Fernsehwerbung und das Teleshopping (Kapitel VII, Art. 19–26), das Recht auf Gegendarstellung bei Fernsehprogrammen (Kapitel IX, Art. 28), Bestimmungen für Video-Sharing-Plattform-Dienste (Kapitel IXA, Art. 28a-28b, einschließlich einer Verpflichtung auf [technische] Schutzmaßnahmen in Art. 28b) und Regeln zu einem Kontaktausschuss (Kapitel X, Art. 29) sowie zu Regulierungsbehörden und Stellen der Mitgliedstaaten (Kapitel IX, Art. 30–30b). Ziel der Richtlinie ist es, den Übergang von den nationalen Märkten zu einem gemeinsamen 402 Markt für die Herstellung und Verbreitung von Programmen zu sichern, das Allgemeininteresse zu wahren und faire Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten.1704 Der Begriff des Allgemeininteresses orientiert sich an der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 49 und 56 AEUV und umfasst u. a. den Verbraucherschutz, den Jugendschutz und die Kulturpolitik.1705 Die aus lauterkeitsrechtlicher Perspektive besonders bedeutsamen Regeln der Richtlinie über audiovisuelle kommerzielle Kommunikation (Art. 9 RL 2010/13/EU) und Fernsehwerbung (Art. 19 ff. 2010/13/ EU) zielen auf einen ausgewogenen Schutz der finanziellen Interessen der Fernsehveranstalter und der Werbetreibenden einerseits sowie der Interessen der Rechteinhaber (Autoren und Urheber) und der Zuschauer als Verbraucher andererseits, wobei dem Schutz der Verbraucher als Zuschauer gegen übermäßige Werbung eine wesentliche Bedeutung zukommt.1706 Zur Verwirklichung ihrer Ziele sieht die Richtlinie lediglich eine Mindestharmonisierung (Art. 4 Abs. 1 RL 2010/13/EU) vor.1707

b) Anwendungsbereich. Der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie wird vor allem 403 durch den Begriff des audiovisuellen Mediendienstes bestimmt (Art. 1 Abs. 1 lit. a RL 2010/ 13/EU).1708 Dieser umfasst zum einen Dienstleistungen i. S. d. AEUV, bei denen „der Hauptzweck der Dienstleistung oder ein trennbarer Teil der Dienstleistung darin besteht, unter der redaktionellen Verantwortung eines Mediendiensteanbieters der Allgemeinheit Sendungen zur Information, Unterhaltung oder Bildung über elektronische Kommunikationsnetze im Sinne des Artikels 2 Buchstabe a der Richtlinie 2002/21/EG bereitzustellen“,1709 also Fernsehprogramme1710 und audiovisuelle Mediendienste auf Abruf,1711 zum anderen die audiovisuelle kommerzielle Kommunikation.1712 Ausgenommen wird die audiovisuelle Kommunikation zu privaten Zwecken und die Bereitstellung audiovisueller Dienste, deren Hauptzweck nicht die Bereitstellung von Programmen ist.1713 Kern des audiovisuellen Dienstes ist die Sendung,1714 also eine Abfolge von bewegten Bildern mit oder ohne Ton.1715 1704 Erwägungsgründe 2, 11, 104 RL 2010/13/EU. 1705 Erwägungsgrund 41 RL 2010/13/EU. 1706 Erwägungsgrund 83 RL 2010/13/EU; EuGH 24. 11. 2011 – C-281/09 – GRUR Int. 2012, 167 Tz. 44 f. – Kommission/Spanien; siehe auch EuGH 18. 10. 2007 – C-195/06 – Slg. 2007, I-8817 Tz. 27 – Kommunikationsbehörde Austria.

1707 EuGH 22. 9. 2011 – C-244/10 und C-245/10 – Slg. 2011, I-8777 Tz. 34 – Mesopotamia Broadcast. 1708 Zum räumlichen Anwendungsbereich siehe Art. 2 Abs. 6 RL 2010/13/EU, der audiovisuelle Dienste zum Empfang ausschließlich in Drittländern aus der Richtlinie ausnimmt.

1709 Art. 1 Abs. 1 lit. a Ziffer i RL 2010/13/EU. 1710 Zur Definition Art. 1 Abs. 1 lit. e RL 2010/13/EU, zu Beispielen Erwägungsgrund 27: „analoges und digitales Fernsehen, Live Streaming, Webcasting und der zeitversetzte Videoabruf (‚near-video-on-demand‘)“. Zur Definition Art. 1 Abs. 1 lit. g RL 2010/13/EU, für ein Beispiel Erwägungsgrund 27: Video-on-demand. Art. 1 Abs. 1 lit. a Ziffer ii RL 2010/13/EU. Erwägungsgründe 21, 22 RL 2010/13/EU. Erwägungsgrund 23 RL 2010/13/EU. Art. 1 Abs. 1 lit. b RL 2010/13/EU.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

404 c) Bedeutung für das Lauterkeitsrecht. Aus der Perspektive des allgemeinen Lauterkeitsrechts sind vor allem das Herkunftslandprinzip (vormals Sendestaatsprinzip) und die Werberegeln der Richtlinie 2010/13/EU von Interesse. 405 Nach dem Herkunftslandprinzip1716 des Art. 3 Abs. 1 RL 2010/13/EU gewährleisten die Mitgliedstaaten den freien Empfang und behindern nicht die Weiterverbreitung von audiovisuellen Mediendiensten aus anderen Mitgliedstaaten1717 in ihrem Hoheitsgebiet aus Gründen, die durch die Richtlinie koordinierte Bereiche betreffen. Damit muss der Empfangsmitgliedstaat die Kontrollfunktion des Ursprungsmitgliedstaats (Art. 2 Abs. 1) hinsichtlich der Fernsehsendungen von Fernsehveranstaltern anerkennen, die dessen Zuständigkeit (dazu Art. 2 Abs. 2–5c RL 2010/13/ EU) unterliegen.1718 Allerdings ist die exklusive Kontrolle durch den Herkunftsstaat in der Richtlinie 2010/13/ 406 EU – im Unterschied zur Richtlinie 2000/31/EG – auf die durch die Richtlinie (teil-)koordinierten Bereiche beschränkt (Art. 3 Abs. 1 a. E. RL 2010/13/EU).1719 Es steht deshalb dem Empfangsmitgliedstaat frei, auf die Tätigkeit von Fernsehveranstaltern in seinem Hoheitsgebiet einschließlich der Fernsehwerbung die allgemein für diese Bereiche geltenden Vorschriften anzuwenden, sofern diese nicht die Weiterverbreitung im eigentlichen Sinne von audiovisuellen Diensten aus einem anderen Mitgliedstaat behindern und keine vorherige Kontrolle dieser Sendungen einführen.1720 Es kommt hinzu, dass die Begriffe „freier Empfang“ und „Behinderung“ bzw. „behindern nicht die Weiterverbreitung“ in Art. 3 Abs. 1 RL 2010/13/EU eine spezifische, engere Bedeutung haben als der weite Begriff der „Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs“ in Art. 56 AEUV.1721 Deshalb steht die Richtlinie der Anwendung von nationalen Regeln des Empfangsmitglied407 staates nicht entgegen, die allgemein dem Schutz der Verbraucher vor irreführender Werbung oder allgemein dem Schutz der öffentlichen Ordnung dienen, ohne eine zweite Kontrolle der Sendungen einzuführen und die Weiterverbreitung im eigentlichen Sinne von audiovisuellen Diensten aus anderen Mitgliedstaaten zu verhindern.1722 Nach Auffassung des EuGH verlören nämlich die Angleichungsmaßnahmen im Lauterkeitsrecht wie die Richtlinie 84/ 450/EWG (heute Richtlinie 2006/114/EG) im Bereich der Fernsehwerbung ihre Bedeutung, wenn der Empfangsstaat gegenüber einem Werbetreibenden keine Maßnahmen mehr treffen könnte, was auch im Widerspruch zur Willenskundgebung des Unionsgesetzgebers1723 stünde.1724 408 Daraus und aus der Klarstellung in Erwägungsgrund 82 RL 2010/13/EU und Erwägungsgrund 46 RL 2018/1808 folgt für das Lauterkeitsrecht, dass das Herkunftslandprinzip der Richtlinie 2010/13/EU aufgrund seiner Beschränkung auf den durch die Richtlinie teilkoordinierten Bereich die Regeln des allgemeinen (UWG) und sektoriellen (HWG, Lebensmittelwerbung etc.) Lauterkeitsrechts unberührt lässt, soweit sie sich nicht mit dem durch die Richtlinie koordinierten Bereich der Fernsehwerbung überschneiden.

1716 Vgl. Erwägungsgründe 33, 41, 43, 55 RL 2010/13/EU. 1717 Zur Definition des Herkunftsstaats bei in einem Drittstaat produzierten Sendungen EuGH 4. 7. 2019 – C-622/ 17 – ZUM 2019, 923 Tz. 37 ff. – Baltic Media Alliance.

1718 EuGH 22. 9. 2011 – C-244/10 und C-245/10 – Slg. 2011, I-8777 Tz. 35 – Mesopotamia Broadcast. 1719 EuGH 4. 7. 2019 – C-622/17 – ZUM 2019, 923 Tz. 66 f. – Baltic Media Alliance. 1720 EuGH 22. 9. 2011 – C-244/10 und C-245/10 – Slg. 2011, I-8777 Tz. 36 f. – Mesopotamia Broadcast; ebenso bereits Erstauflage/Schricker Einl Rn. F 372 f.

1721 EuGH 4. 7. 2019 – C-622/17 – ZUM 2019, 923 Tz. 70 – Baltic Media Alliance. 1722 EuGH 9. 7. 1997 – C-34/95, C-35/95 und C-36/95 – Slg. 1997, I-3843 Tz. 33 f., 38 – de Agostini (irreführende Werbung); EuGH 22. 9. 2011 – C-244/10 und C-245/10 – Slg. 2011, I-8777 Tz. 48 ff. – Mesopotamia Broadcast (öffentliche Ordnung); EuGH 4. 7. 2019 – C-622/17 – ZUM 2019, 923 Tz. 74 f. – Baltic Media Alliance (nationale Maßnahmen, die allgemein der öffentlichen Ordnung dienen und die Modalitäten der Verbreitung eines Fernsehkanals an die Verbraucher des Empfangsmitgliedstaats regelt, sind keine Behinderung i. S. d. Art. 3 Abs. 1 RL 2010/13/EU). 1723 Vgl. Erwägungsgrund 9 RL 2010/13/EU. 1724 EuGH 9. 7. 1997 – C-34/95, C-35/95 und C-36/95 – Slg. 1997, I-3843 Tz. 37 – de Agostini.

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V. Lauterkeitsrecht und Rechtsangleichung

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Die Bedeutung der Richtlinie für das Lauterkeitsrecht konzentriert sich damit auf die Min- 409 destharmonisierung der Regeln über audiovisuelle kommerzielle Kommunikation (Art. 9 RL 2010/13/EU), Sponsoring und Product Placement (Art. 10, 11 RL 2010/13/EU) sowie Fernsehwerbung und Teleshopping1725 (Art. 19 ff. RL 2010/13/EU). Nach Art. 9 Abs. 1 lit. a RL 2010/13/EU muss audiovisuelle kommerzielle Kommunikation leicht erkennbar sein (Verbot der Schleichwerbung), sie darf sich nicht Techniken der unterschwelligen Beeinflussung bedienen (Art. 9 Abs. 1 lit. b RL 2010/13/EU) oder die Menschenwürde verletzen, Diskriminierungen beinhalten oder Verhaltensweisen fördern, die die Gesundheit, Sicherheit oder den Schutz der Umwelt in hohem Maße gefährden (Art. 9 Abs. 1 lit. c RL 2010/13/EU). Verboten ist die audiovisuelle kommerzielle Kommunikation für Tabakerzeugnisse oder verschreibungspflichtige Arzneimittel (Art. 9 Abs. 1 lit. d, f RL 2010/13/EU); beschränkt wird sie für Alkohol (Art. 9 Abs. 1 lit. e RL 2010/ 13/EU). Schließlich findet sich eine Regelung zum Jugendschutz (Art. 9 Abs. 1 lit. g RL 2010/13/ EU). Zum Teil ähnliche Regeln finden sich für Fernsehwerbung und Teleshopping in den 410 Art. 19 ff. RL 2010/13/EU. Danach muss Fernsehwerbung leicht erkennbar und vom redaktionellen Inhalt abgesetzt sein (Art. 19 Abs. 1 RL 2010/13/EU). Fernsehfilme und Nachrichtensendungen dürfen für jeden programmierten Zeitraum von 30 Minuten einmal für Werbung und/oder Teleshopping unterbrochen werden (Art. 20 Abs. 1 RL 2010/13/EU), wobei der Gesamtanteil der Werbung an der Sendezeit innerhalb einer vollen Stunde 20 % nicht übersteigen darf (Art. 23 Abs. 1 RL 2010/13/EU). Fernsehwerbung für alkoholische Getränke muss besonderen Anforderungen entsprechen (Art. 22 RL 2010/13/EU); das Teleshopping für ärztliche Behandlungen und genehmigungspflichtige Arzneimittel ist untersagt (Art. 21 RL 2010/13/EU).

d) Umsetzung. Die Umsetzung der Richtlinie in das deutsche Recht erfolgte (für die Vorgänger- 411 richtlinie 2007/65/EG) im Rundfunkstaatsvertrag (RStV)1726 und im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV).1727 7. Richtlinie 2011/83/EU über die Rechte der Verbraucher Die Richtlinie 2011/83/EU über die Rechte der Verbraucher1728 ersetzt die Richtlinie 85/577/EWG 412 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen1729 und die Richtlinie 97/7/EG über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz.1730 Im Unterschied zu ihren Vorgängerinnen sieht die neue Verbraucherrechterichtlinie eine Vollharmonisierung vor (Art. 4 RL 2011/83/EU), sofern nichts anderes bestimmt wird (z. B. bei den allgemeinen Informationspflichten für Ladengeschäfte, Art. 5 Abs. 4 RL 2011/ 83/EG). Im Rahmen der Reform des EU-Verbraucherrechts durch die Richtlinie 2019/2161 zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der Verbraucherschutzvorschriften der Union wur1725 Zur Auslegung dieser Begriffe EuGH 18. 10. 2007 – C-195/06 – Slg. 2007, I-8817 Rn. 23 ff. – Kommunikationsbehörde Austria.

1726 Begründung zum Dreizehnten Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Dreizehnter Rundfunkänderungsstaatsvertrag), S. 1.

1727 Amtliche Begründung zum Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 16, 17, 22. 1728 Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. L 304 vom 22. 11. 2011, S. 64. 1729 Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, ABl. L 372 vom 31. 12. 1985, S. 31. 1730 Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABl. L 144 vom 4. 6. 1997, S. 19.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

de auch die Richtlinie 2011/83/EU maßgeblich geändert. Die Änderungen betreffen u. a. die Definitionen in Art. 2 Nr. 3, 4a, 5, 6, 11, 16, 17, 18, 19, 20 und 21, den Anwendungsbereich mit einer Regel für die Bereitstellung digitaler Inhalte oder Dienstleistungen (Art. 3 Abs. 1a) sowie den Ausbau der Informationspflichten (Art. 5 Abs. 1 lit. e, g, h, Art. 6 Abs. 1 lit. c, neue lit. ea [Information, „dass der Preis auf der Grundlage einer automatisierten Entscheidungsfindung personalisiert worden ist“], lit. l, r, s, Neufassung des Art. 6 Abs. 4, neue besondere Informationspflichten bei Online-Marktplätzen in Art. 6a). Vorgesehen werden außerdem neue Öffnungsklauseln für nationale Vorschriften der Mitgliedstaaten (Art. 6a Abs. 2: Informationspflichten bei Online-Marktplätzen; Art. 9 Abs. 1a: Verlängerung der Widerrufsfrist bei Außergeschäftsraumverträgen mit Folgeänderungen in Art. 9 Abs. 2, Art. 10 Abs. 2; Art. 16 Abs. 2, 3: Abweichung von Ausnahmen vom Widerrufsrecht bei Außergeschäftsraumverträgen, Verlust des Widerrufsrecht bei vollständiger Erbringung der Dienstleistung; Notifikationspflicht nationaler Abweichungen nach Art. 29 Abs. 1) und eine Ergänzung der Regelung zu den Widerrufsfolgen um datenschutzrechtliche Vorschriften und Regeln über digitale Dienste und Inhalte (Art. 13 Abs. 4–8, Art. 14 Abs. 2a; siehe auch Art. 16 lit. m). Schließlich wird die Sanktionsvorschrift um eine neue Liste „nicht erschöpfender und indikativer“ Kriterien für die Verhängung der Sanktionen (Art. 24 Abs. 2) und die Vorgabe eines (höheren) Bußgeldrahmens bei Verhängung von Sanktionen nach Art. 21 VO 2017/2394 (Art. 24 Abs. 3, 4) ergänzt (zur Neuregelung der Sanktionen unten Rn. 426 f.). 413 Aus lauterkeitsrechtlicher Perspektive ist bedeutsam, dass in der Verbraucherrechterichtlinie die Regeln über unerbetene Nachrichten und die Zusendung unbestellter Waren (Art. 9, 10 RL 97/7/EG1731) entfallen sind, weil Art. 13 RL 2002/58/EG (unten Rn. 421 f.) und Anhang I Nr. 29 RL 2005/29/EG1732 bereits entsprechende Regelungen vorsehen.1733 Die Richtlinie 2011/83/EU konzentrierte sich damit in ihrer ursprünglichen Fassung stärker auf das Vertragsrecht.1734 Dementsprechend beschränkt sich Art. 27 RL 2011/83/EU darauf, das in Anhang I Nr. 29 RL 2005/29/EG vorgesehene lauterkeitsrechtliche Verbot der Aufforderung zur Rücksendung von unbestellten Waren und Dienstleistungen in das Vertragsrecht zu verlängern, indem der Verbraucher von der Pflicht zur Erbringung der Gegenleistung befreit wird. 414 Allerdings hat die Verbraucherrechterichtlinie nach wie vor erhebliche lauterkeitsrechtliche Bedeutung vor allem für die Irreführungstatbestände der Art. 6 Abs. 1 lit. c, g, Art. 7 Abs. 4 lit. e, Art. 7 Abs. 5 RL 2005/29/EG, indem Verstöße gegen die Informationspflichten (Art. 5 ff.; beachte insbesondere die allgemeine Informationspflicht in Art. 5 RL 2011/83/EU) oder gegen das Widerrufsrecht (Art. 9 RL 2011/83/EU) lauterkeitsrechtlich sanktioniert werden können.1735 Dies gilt umso mehr in ihrer Neufassung durch die Richtlinie 2019/2161, die die Informationspflichten gerade für Onlinegeschäfte und Geschäfte über digitale Dienste und Inhalte ausgeweitet hat. Bei den Informationspflichten folgt die Richtlinie 2011/83/EU dem Kumulationsprinzip, so dass die Informationspflichten der Verbraucherrechterichtlinie neben die der Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG und der E-Commerce-Richtlinie 2000/31/EG treten (Art. 5 Abs. 4, Art. 6 Abs. 8, Erwägungsgrund 12 Satz 1 RL 2011/83/EU). Die Richtlinie 2011/83/EU in ihrer ursprünglichen Fassung wurde durch das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur 1731 Ähnliche Vorschriften finden sich auch in Art. 9 und 10 der Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG, ABl. L 271 vom 9. 10. 2002, S. 16. 1732 Siehe auch Anhang I Nr. 21 und Nr. 26 RL 2005/29/EG. 1733 Erwägungsgründe 60 und 61 RL 2011/83/EU. 1734 Vgl. auch die Nichtaufnahme des Verweises auf „die Grundsätze der Lauterkeit bei Handelsgeschäften“ in Art. 4 Abs. 2 RL 97/7/EG in der sie ersetzenden Richtlinie 2011/83/EU. 1735 Zur Anlehnung der allgemeinen Informationspflichten für Ladengeschäfte in Art. 5 RL 2011/83/EU an Art. 7 Abs. 4 RL 2005/29/EG Schwab/Giesemann EuZW 2012, 253, 254. Zur grundlegenden Bedeutung der Informationspflichten und des Widerrufsrechts EuGH 23. 1. 2019 – C-430/17 – NJW 2019, 1363 Tz. 36, 46 – Walbusch Walter Busch GmbH.

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V. Lauterkeitsrecht und Rechtsangleichung

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Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung1736 vor allem durch eine Neufassung der §§ 312 ff. und der §§ 355 ff. BGB umgesetzt.

8. Richtlinie 98/6/EG über Preisangaben Die auf Art. 169 AEUV gestützte Richtlinie 98/6/EG über den Schutz der Verbraucher bei der Anga- 415 be der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse1737 regelt die Angabe des Verkaufspreises und des Preises je Maßeinheit bei Erzeugnissen, die Verbrauchern (Art. 2 lit. e RL 98/6/EG) von Händlern (Art. 2 lit. d RL 98/6/EG) angeboten werden. Dabei setzt ein Angebot i. S. d. Richtlinie voraus, dass ein Preis für ein beworbenes Produkt angegeben wird.1738 Ziel der Richtlinie ist es, für eine bessere Unterrichtung der Verbraucher zu sorgen, den Preisvergleich zu erleichtern (Art. 1 RL 98/ 6/EG) und eine einheitliche und transparente Information sämtlicher Verbraucher im Binnenmarkt sicherzustellen.1739 Sie zielt nicht auf den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise im Allgemeinen oder hinsichtlich der Ankündigung von Preisermäßigungen, sondern bei der Preisangabe von Waren unter Bezugnahme auf unterschiedliche Maßeinheiten.1740 Sie erfasst daher beispielsweise nicht die Ankündigung von Preisermäßigungen, die der allgemeinen Richtlinie 2005/29/EG unterfallen.1741 Wohl erfasst die Richtlinie 98/6/EG aber, welche Bestandteile in die Angabe des Verkaufspreises aufzunehmen sind; insoweit wird die Richtlinie 2005/29/EG verdrängt (vgl. Art. 3 Abs. 4 RL 2005/29/EG).1742 Die Richtlinie 98/6/EG zielt selbst nur auf eine Mindestharmonisierung (Art. 10 RL 98/6/EG), wird aber für die Zwecke des Art. 7 RL 2005/29/EG durch Erwägungsgrund 15 Satz 4 RL 2005/29/EG faktisch in eine Vollharmonisierung überführt. Im Kern sieht die Preisangabenrichtlinie vor, dass bei Erzeugnissen (beweglichen Sa- 416 chen1743) – bereits in der Werbung, in der der Preis genannt wird (Art. 3 Abs. 4 RL 98/6/EG1744) – der Verkaufspreis und der Preis je Maßeinheit unmissverständlich, klar erkennbar und gut lesbar (Art. 3, 4 Abs. 1 RL 98/6/EG) anzugeben ist, es sei denn, dass die Angabe des Preises je Maßeinheit mit dem Verkaufspreis identisch ist oder nicht sinnvoll oder geeignet wäre, zu Verwechslungen zu führen (Art. 5 Abs. 1 RL 98/6/EG).1745 Der Verkaufspreis bezeichnet nach Art. 2 lit. a RL 98/6/EG „den Endpreis für eine Produkteinheit oder eine bestimmte Erzeugnismenge, der die Mehrwertsteuer und alle sonstigen Steuern einschließt“. Der Endpreis muss „die unvermeidbaren

1736 BGBl 2013 I Nr. 58 S. 3642. 1737 Richtlinie 98/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse, ABl. L 80 vom 18. 3. 1998, S. 27. Siehe auch die Mitteilung der Kommission über die Umsetzung der Richtlinie 98/6/EG, KOM (2006) 325. 1738 BGH 10. 11. 2016 – I ZR 29/15 – GRUR 2017, 286 Tz. 12 – Hörgeräteausstellung mit Verweis auf EuGH 7. 7. 2016 – C-476/14 – GRUR 2016, 945 Tz. 30, 32 – Citroën Commerce. 1739 Erwägungsgründe 6, 12 RL 98/6/EG und EuGH 7. 7. 2016 – C-476/14 – GRUR 2016, 945 Tz. 27, 31 – Citroën Commerce (zur Verpflichtung zur Angabe des Endpreises nach Art. 2 lit. a RL 98/6/EG). 1740 EuGH 10. 7. 2014 – C-421/12 – GRUR Int. 2014, 964 Tz. 59 – Kommission/Belgien. 1741 EuGH 10. 7. 2014 – C-421/12 – GRUR Int. 2014, 964 Tz. 60 – Kommission/Belgien. 1742 EuGH 7. 7. 2016 – C-476/14 – GRUR 2016, 945 Tz. 35, 45 – Citroën Commerce; BGH 10. 11. 2016 – I ZR 29/15 – GRUR 2017, 286 Tz. 11 – Hörgeräteausstellung. 1743 Zur Auslegung des Begriffs des Erzeugnisses KOM (2006) 325 S. 5 unter Verweis auf Art. 2 der Richtlinie 85/ 374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. L 210 vom 7. 8. 1985, S. 29. 1744 Zum Begriff der Werbung EuGH 7. 7. 2016 – C-476/14 – GRUR 2016, 945 Tz. 30 – Citroën Commerce: auch ein Angebot, in dem „sowohl die Besonderheiten des beworbenen Erzeugnisses als auch ein Preis, der aus der Sicht eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers dem Verkaufspreis dieses Erzeugnisses gleichkommt, sowie ein Datum, bis zu dem das an Privatkunden gerichtete ‚Angebot‘ gültig bleibt, genannt sind“, kann vom Verbraucher „als Angebot des Gewerbetreibenden, das Erzeugnis zu den in dieser Werbung genannten Konditionen zu verkaufen, aufgefasst werden“. 1745 Zu Ausnahmen Art. 3 Abs. 2 und 3 und Art. 6 RL 98/6/EG.

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

und vorhersehbaren Bestandteile des Preises enthalten, die obligatorisch vom Verbraucher zu tragen sind und die Gegenleistung in Geld für den Erwerb des betreffenden Erzeugnisses bilden“;1746 er umfasst Überführungskosten vom Hersteller zum Händler, nicht aber die Kosten der Lieferung an einen vom Verbraucher gewählten Ort.1747 Der Preis je Maßeinheit bezieht sich auf „den Endpreis, der die Mehrwertsteuer und alle sonstigen Steuern einschließt, für ein Kilogramm, einen Liter, einen Meter, einen Quadratmeter oder einen Kubikmeter des Erzeugnisses oder eine einzige andere Mengeneinheit, die beim Verkauf spezifischer Erzeugnisse in dem betreffenden Mitgliedstaat allgemein verwendet wird und üblich ist“ (Art. 2 lit. b RL 98/86/EG). Im Rahmen der Reform durch die Richtlinie 2019/21611748 wurde in die Preisangabenrichtlinie – neben einer Präzisierung und Verschärfung der Sanktionsnorm in Art. 8 RL 98/6/EG – eine neue Verpflichtung zur Angabe des vorherigen Preises bei jeder Ankündigung einer Preisermäßigung aufgenommen (Art. 6a RL 98/6/EG i.d.F. des Art. 2 Nr. 1 RL 2019/2161). 417 Die doppelte Preisangabeverpflichtung (Verkaufspreis und Preis je Maßeinheit) dient dazu, die Verbraucherinformation zu vereinfachen und damit „auf einfachste Weise optimale Möglichkeiten“ zu bieten, „die Preise von Erzeugnissen zu beurteilen und miteinander zu vergleichen und somit anhand einfacher Vergleiche fundierte Entscheidungen zu treffen“ (Erwägungsgrund 6 RL 98/6/EG). Dieser Zielsetzung entspricht die Verknüpfung von Preisangaberecht und Preiswerberecht in Art. 3 Abs. 4 RL 98/6/EG, der bei jeglicher Werbung, bei der der Verkaufspreis der Erzeugnisse gemäß Artikel 1 genannt wird, vorbehaltlich des Artikels 5 auch zur Nennung des Preises je Maßeinheit verpflichtet. 418 Durch die Richtlinie 2005/29/EG wurde die Richtlinie 98/6/EG in zweifacher Weise berührt. Zum einen erhebt die Aufnahme der Preiswerberegelung in Art. 3 Abs. 4 RL 98/6/EG in den Anhang II der Richtlinie 2005/29/EG die Preisangabeverpflichtung zu einer wesentlichen Information i. S. d. Art. 7 Abs. 1, 5 RL 2005/29/EG. Zum anderen hat Erwägungsgrund 15 Satz 5 RL 2005/29/EG zur Folge, dass die Mitgliedstaaten nach Ablauf der Übergangsfrist des Art. 3 Abs. 5 RL 2005/29/EG ihre nach der Preisangabenrichtlinie noch gestatteten strengeren nationalen Vorschriften nur noch vertragsrechtlich, nicht aber mehr lauterkeitsrechtlich sanktionieren dürfen. Die Umsetzung der Richtlinie 98/6/EG erfolgte in Deutschland in der PAngV. 419 Die von der Richtlinie 98/6/EG ausgenommenen Preisangabepflichten bei Dienstleistungen sind im Unionsrecht bisher nicht einheitlich geregelt. Neben den allgemeinen Vorschriften in Art. 22 Abs. 1 lit. i, Abs. 3 lit. a der Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG sind hier etwa die besonderen Regeln zu Verbraucherverträgen,1749 zum Fernabsatz von Finanzdienstleistungen,1750 zu Verbraucherkrediten,1751 Zahlungsdiensten,1752 Pauschalreisen,1753 elektronischen Diensten1754 und Luftverkehrsdiensten1755 zu nennen. 1746 EuGH 7. 7. 2016 – C-476/14 – GRUR 2016, 945 Tz. 37 – Citroën Commerce. Siehe auch a. a. O. Tz. 39 f.: Kosten der Überführung eines Fahrzeugs vom Hersteller zum Händler, das der Verbraucher in den Geschäftsräumen des Händlers gekauft hat, sind Bestandteil des Verkaufspreises i. S. d. Art. 2 lit. a RL 98/6/EG. 1747 EuGH 7. 7. 2016 – C-476/14 – GRUR 2016, 945 Tz. 38 ff. – Citroën Commerce. 1748 Fn. 1469. 1749 Art. 4 und 5 Fernabsatzrichtlinie 97/7/EG; Art. 5 Abs. 1 lit. c und Art. 6 Abs. 1 lit. e der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, ABl. L 304 vom 22. 11. 2011, S. 64. 1750 Art. 3 und 4 RL 2002/65/EG. 1751 Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates, ABl. L 133 vom 22. 5. 2008, S. 66. 1752 Art. 44 ff., 56 ff. RL 2015/2366/EU. 1753 Art. 3 RL 90/314/EWG. 1754 Art. 5 Abs. 2 RL 2000/31/EG. 1755 Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. September 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft, ABl. L 293 vom 31. 10. 2008, S. 3; dazu EuGH 19. 7. 2012 – C-112/11 – Tz. 13 ff. – ebookers.com zur Auslegung des Begriffs der „fakultativen Zusatzkosten“ bei von Dritten angebotenen Leistungen.

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V. Lauterkeitsrecht und Rechtsangleichung

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9. Richtlinie 2002/58/EG über Datenschutz in der elektronischen Kommunikation Die Richtlinie 2002/58/EG über Datenschutz in der elektronischen Kommunikation1756 in ihrer 420 durch die Richtlinie 2009/136/EG geänderten Fassung1757 ist für das Lauterkeitsrecht – neben der datenschutzrechtlich relevanten Regelung der Cookies in Art. 5 Abs. 3 RL 2002/58/EG (unten Rn. 423) – vor allem wegen ihrer Regeln über die Zulässigkeit von Distanzkommunikation per Telefon, Telefax und E-Mail1758 in Art. 13 RL 2002/58/EG (unten Rn. 421 f.) von Interesse. Es ist seit einiger Zeit geplant, die Richtlinie 2002/58/EG nach dem Inkrafttreten der DSGVO durch eine neue Verordnung über Privatsphäre und elektronische Kommunikation (ePrivacy-VO) zu ersetzen,1759 über die allerdings bisher im Rat noch keine Einigung erzielt werden konnte. Eine dem Art. 13 RL 2002/58/EG entsprechende Vorschrift findet sich in den Entwürfen zu dieser Verordnung in Art. 16 ePrivacy-VO-E, dessen genaue Fassung nach wie vor in der Diskussion ist.1760 Es zeichnet sich vorsichtig ab, dass die bisherige Regelung des Art. 13 RL 2002/58/EG in einer umfassenderen Vorschrift über „Unsolicited and Direct marketing communications“ aufgehen wird, die sämtliche Formen der Direktwerbung einschließlich des nichtkommerziellen Bereichs, etwa auch Bewertungsanfragen, erfasst.1761 Im Kern dürfte an natürliche Personen gerichtete Direktwerbung nur mit Einwilligung gestattet werden (Art. 16 Abs. 1 ePrivacy-VO-E), wobei für Kunden nach einem Erwerbsgeschäft (Bestandskunden) lediglich eine Widerspruchsmöglichkeit gelten soll (Art. 16 Abs. 2 ePrivacy-VO-E),1762 deren zeitliche Befristung durch nationales Recht geregelt wird (Art. 16 Abs. 2a ePrivacy-VO). Zudem sind Informationspflichten für die Anbieter von Direktmarketingleistungen vorgesehen, die insbesondere den Werbecharakter und die Identität des Werbenden offenlegen müssen (Art. 16 Abs. 6 ePrivacyVO-E).1763 Ferner gibt es zusätzliche Vorgaben für Werbeanrufe (Art. 16 Abs. 3, 3a, 4 ePrivacyVO-E). Ebenso wie bereits nach der Richtlinie 2002/ 58/EG ist der Schutz juristischer Personen vor Direktmarketing nur sehr schwach ausgeprägt: Wie der heutige Art. 13 Abs. 5 Satz 2 RL 2002/58/EG sieht Art. 16 Abs. 5 ePrivacyVO-E nur eine 1756 Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation), ABl. L 201 vom 31. 7. 2002, S. 37; vgl. den Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Achtung des Privatlebens und den Schutz personenbezogener Daten in der elektronischen Kommunikation und zur Aufhebung der Richtlinie 2002/58/EG (ePrivacy-VO) vom 10. 1. 2017 sowie den Entwurf des EU-Parlaments vom 26. 10. 2017. Die Regelung in Art. 7 RL 2000/ 31/EG wurde durch Art. 13 RL 2002/58/EG überholt, Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl UWG Rn. 3.49. 1757 Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 zur Änderung der Richtlinie 2002/22/EG über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten, der Richtlinie 2002/58/EG über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation und der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz, ABl L 337 vom 18. 12. 2009, S. 11. 1758 Zur Zusendung unbestellter Waren und Dienstleistungen Anhang I Nr. 29 RL 2005/29/EG und Art. 27 RL 2011/ 83/EU; zur Werbung per Post Art. 10 Abs. 2 RL 2002/65/EG; ausführlich MünchKomm/Micklitz/Namyslowska Art. 9 UGP-Richtlinie Rn. 7; Mederle Die Regulierung von Spam und unerbetenen kommerziellen E-Mails: eine Studie zur Rechtslage in Deutschland, dem Vereinigten Königreich und den USA (2010) S. 75 ff. 1759 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Achtung des Privatlebens und den Schutz personenbezogener Daten in der elektronischen Kommunikation und zur Aufhebung der Richtlinie 2002/58/EG (Verordnung über Privatsphäre und elektronische Kommunikation), KOM (2017) 10; ausführlich Steinrötter in: Specht/Mantz, Handbuch Europäisches und deutsches Datenschutzrecht (2019), Teil A § 5. 1760 Siehe die Änderungen im Ratsdokument Nr. 6543/20vom 6. 3. 2020, S. 83 ff.; zum Gesetzgebungsverfahren siehe 2017/0003 (COD). 1761 Steinrötter in: Specht/Mantz, Handbuch Europäisches und deutsches Datenschutzrecht (2019), Teil A § 5 Rn. 44. 1762 Steinrötter in: Specht/Mantz, Handbuch Europäisches und deutsches Datenschutzrecht (2019), Teil A § 5 Rn. 45. 1763 Steinrötter in: Specht/Mantz, Handbuch Europäisches und deutsches Datenschutzrecht (2019), Teil A § 5 Rn. 45.

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vage Verpflichtung vor, „dass die berechtigten Interessen anderer Endnutzer als natürliche Personen in Bezug auf Direktmarketingkommunikation ausreichend geschützt werden“. Die nach wie vor geltende Richtlinie 2002/58/EG gestattet im Verhältnis zu natürlichen Personen (Art. 13 Abs. 5 RL 2002/58/EG) die Verwendung von automatischen Anrufmaschinen, Faxgeräten oder elektronischer Post1764 einschließlich SMS (Erwägungsgrund 40 RL 2002/58/ EG) für die Zwecke der Direktwerbung nur bei vorheriger Einwilligung der Teilnehmer oder Nutzer (Art. 13 Abs. 1 RL 2002/58/EG).1765 Art. 13 Abs. 2 RL 2002/58/EG erlaubt darüber hinaus die Nutzung der im Zusammenhang mit dem Verkauf eines Produkts oder einer Dienstleistung erhaltenen elektronischen Kontaktinformationen zur Direktwerbung für eigene ähnliche Produkte oder Dienstleistungen (also bei bestehender Kundenbeziehung), sofern die Kunden klar und deutlich die Möglichkeit erhalten, eine solche Nutzung zum Zeitpunkt ihrer Erhebung und bei jeder Übertragung gebührenfrei und problemlos abzulehnen. Für sonstige Formen der Direktwerbung, also vor allem für Sprach-Telefonanrufe (Erwägungsgrund 42 RL 2002/58/EG) eröffnet Art. 13 Abs. 3 RL 2002/58/EG den Mitgliedstaaten ein Wahlrecht, ob sie Direktwerbung ohne vorherige Einwilligung der Empfänger verbieten (opt-in) oder ob sie die Direktwerbung gestatten, sofern die Empfänger die Möglichkeit erhalten, zu erklären, dass sie solche Anrufe nicht erhalten möchten (opt-out). Nicht nur im Verhältnis zu natürlichen Personen, sondern generell verbietet Art. 13 Abs. 4 RL 2002/58/EG das Versenden elektronischer Nachrichten, bei denen die Identität des Absenders verheimlicht oder verschleiert wird, bei denen gegen die Informationspflichten des Art. 6 E-Commerce-Richtlinie 2000/31/EG verstoßen wird oder bei denen keine gültige Adresse genannt wird, an die der Empfänger eine Aufforderung zur Einstellung der Nachrichten richten kann. Zudem ist es verboten, den Empfänger zum Besuch von Internetseiten aufzufordern, die gegen Art. 6 E-Commerce-Richtlinie 2000/31/EG verstoßen. Sinn dieser Erweiterung des Art. 13 Abs. 4 RL 2002/58/EG war es vor allem, bestimmte „Phishing“-Nachrichten einzubeziehen. Im Übrigen ist der Schutz anderer als natürlicher Personen nur schwach ausgeprägt: Art. 13 Abs. 5 Satz 2 RL 2002/58/EG sieht nur eine vage Verpflichtung vor, „dass die berechtigten Interessen anderer Teilnehmer als natürlicher Personen in Bezug auf unerbetene Nachrichten ausreichend geschützt werden“. Immerhin garantiert Art. 13 Abs. 6 RL 2002/58/EG den natürlichen und juristischen Personen, die durch Verstöße gegen die in Art. 13 vorgesehenen Verpflichtungen beeinträchtigt werden und die ein berechtigtes Interesse an der Einstellung oder am Verbot solcher Verstöße haben, einschließlich der Anbieter elektronischer Kommunikationsdienste, ein gerichtliches Klagerecht. Zweck dieser Änderung war es, insbesondere InternetDiensteanbietern die Möglichkeit eines rechtlichen Vorgehens gegen Spam-Versender zu eröffnen, um unerbetene Werbung wirksamer zu bekämpfen.1766 Art. 13 RL 2002/58/EG wurde in Deutschland durch § 7 Abs. 2 und 3 UWG umgesetzt.1767 Besondere Bedeutung hat in jüngerer Zeit auch die Regelung in Art. 5 Abs. 3 RL 2002/58/ EG i.d.F. des Art. 2 Nr. 5 RL 2009/136/EG zu Cookies erlangt (vgl. auch Art. 8 ePrivacy-VO-E). Danach darf die Speicherung von Informationen oder der Zugriff auf Informationen, die bereits im Endgerät eines Teilnehmers oder Nutzers gespeichert sind, nur gestattet werden, wenn der betreffende Teilnehmer oder Nutzer auf der Grundlage von klaren und umfassenden Informatio-

1764 Zum Begriff siehe die Vorlage BGH 30. 1. 2020 – I ZR 25/19 – Tz. 25 ff., 31 ff., 39 ff. – Inbox-Werbung. 1765 Zur Frage, ob es für die Anwendung des Art. 13 Abs. 1 i. V. m. ErwG 40 RL 2002/58/EG erforderlich ist, dass eine Belastung des Nutzers vorliegt, die über eine Belästigung hinausgeht, die Vorlage BGH 30. 1. 2020 – I ZR 25/ 19 – Tz. 42 ff. – Inbox-Werbung. Zu weitgehend Erwägung I und Rn. 20 der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. Dezember 2010 zum Einfluss der Werbung auf das Verbraucherverhalten, ABl. C 169 E vom 15. 6. 2012, S. 58, die zielgerichtete Werbung aufgrund der Beobachtung von Einzelpersonen (etwa in sozialen Netzwerken) pauschal als „schwere Verletzung der Privatsphäre“ einstuft. 1766 KOM (2007) 698 S. 12: „verbesserte Durchsetzungsmechanismen“. 1767 BTDrucks. 15/1487 S. 15, 21 f., 29; BTDrucks. 16/10145 S. 29 f.; kritisch zur Umsetzung Köhler WRP 2013, 567, 569 ff.; ders. WRP 2012, 1329.

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nen (vgl. Art. 10 RL 95/46/EG; Art. 13 DSGVO), die er gemäß der Richtlinie 95/46/EG über die Zwecke der Verarbeitung erhält, seine Einwilligung gegeben hat.1768 Die Anforderungen an eine solche Einwilligung bestimmen sich – nach Ersetzung der Richtlinie 95/46/EG durch die DSGVO (Art. 94 Abs. 2 DSGVO) – nach den Regeln der DSGVO (Art. 4 Nr. 11, Art. 6 Abs. 1 lit. a, Art. 7, ErwG 32), so dass ein aktives und freiwilliges Verhalten erforderlich ist und eine Einwilligung durch voreingestelltes Ankreuzkästchen nicht in Betracht kommt.1769 Der Gerichtshof hat weiter klargestellt, dass die Anforderungen an die Einwilligung gemäß Art. 5 Abs. 3 RL 2002/58/EG für die Speicherung oder den Zugriff auf Informationen bei personenbezogenen und nicht-personenbezogenen Daten identisch sind, auch wenn auf letztere die DSGVO keine Anwendung findet1770 und dass Angaben zur Funktionsdauer der Cookies und zum Drittzugriff auf Cookies zu den Informationen zählen, die der Diensteanbieter dem Nutzer einer Website zu geben hat (vgl. Art. 13 Abs. 2 lit. a, e DSGVO).1771 Neben der Einwilligung dürften die übrigen Erlaubnistatbestände der DSGVO, insbesondere das Überwiegen berechtigter Interessen des Verantwortlichen (Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO) anwendbar bleiben (nicht ganz klar Art. 95 DSGVO).1772

10. Rechtsdurchsetzung a) Richtlinien 2005/29/EG und 2006/114/EG. Während die Angleichung des verbraucher- 425 schützenden Lauterkeitsrechts durch die Richtlinie 2005/29/EG erhebliche Fortschritte gemacht hat, ist der Harmonisierungsertrag im Bereich der Rechtsdurchsetzung bescheidener.1773 So sehen die Art. 11 und 12 RL 2005/29/EG und Art. 5 und 7 RL 2006/114/EG im Bereich der Sanktionen nur eine Mindestharmonisierung vor,1774 die im Kern noch auf die Regeln der ursprünglichen Irreführungsrichtlinie 84/450/EWG zurückgeht.1775 Maßgeblich ausgebaut wurden die Vorschriften über die Rechtsdurchsetzung nun aber für das verbraucherbezogene Lauterkeitsrecht durch die Richtlinie 2019/2161 zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der Verbraucherschutzvorschriften der Union. Art. 11 Abs. 1 RL 2005/29/EG und Art. 5 Abs. 1 und 2 RL 2006/114/EG garantieren „Personen 426 oder Organisationen, die nach dem nationalen Recht ein berechtigtes Interesse an der Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken haben, einschließlich Mitbewerbern“, die Befugnis, nach Wahl des Mitgliedstaats1776 entweder gerichtlich gegen solche Verstöße vorzugehen oder ein 1768 Nach Art. 5 Abs. 3 S. 2 RL 2002/58/EG i.d.F. des Art. 2 Nr. 5 RL 2009/136/EG stehen diese Anforderungen einer technischen Speicherung oder dem Zugang nicht entgegen, wenn der alleinige Zweck die Durchführung der Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz ist oder wenn dies unbedingt erforderlich ist, damit der Anbieter eines Dienstes der Informationsgesellschaft, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wurde, diesen Dienst zur Verfügung stellen kann. 1769 EuGH (Große Kammer) 1. 10. 2019 – C-673/17 – MMR 2019, 732 Tz. 60 ff., 63 f. – Planet49. Die deutsche Umsetzung in § 15 Abs. 3 TMG dürfte spätestens mit Inkrafttreten der DSGVO unionsrechtswidrig sein. 1770 EuGH (Große Kammer) 1. 10. 2019 – C-673/17 – MMR 2019, 732 Tz. 69 – Planet49. 1771 EuGH (Große Kammer) 1. 10. 2019 – C-673/17 – MMR 2019, 732 Tz. 75, 79 f. – Planet49. 1772 Vgl. die Prüfung des Art. 7 lit. f RL 95/46/EG durch EuGH 29. 7. 2019 – C-40/17 – MMR 2019, 579 Tz. 91 ff. – Fashion ID, der allerdings auf das Verhältnis nicht direkt eingeht; ebenso Schlussanträge des Generalanwalts Bobek vom 18. 12. 2018 – C-40/17 – Tz. 113 ff. – Fashion ID. 1773 Kritisch Köhler/Lettl WRP 2003, 1019, 1047 f.; positiver Leistner ZEuP 2009, 56, 78 f. 1774 Dazu Alexander GRUR Int. 2005, 809. Siehe auch die rudimentären Garantien in Art. 18 RL 2000/31/EG (dazu EuGH (Große Kammer) 12. 7. 2011 – C-324/09 – GRUR 2011, 1025 Tz. 132 – L’Oréal), Art. 13 Abs. 6 RL 2002/58/EG (oben Rn. 422) und Art. 27 der Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG. 1775 Dazu bereits Erstauflage/Schricker Einl Rn. F 343 ff. 1776 Angesichts der neuen Verordnung 2017/2394 (dazu unten Rn. 423) und der durch die Richtlinie 2019/2161 eingeführten Vorschriften über den Bußgeldrahmen (Art. 13 Abs. 3, 4 RL 2005/29/EG, Art. 24 Abs. 3, 4 RL 2011/83/ EU, Art. 8b Abs. 4, 5 RL 93/13/EWG) kann man fragen, ob die Mitgliedstaaten bei Verstoß gegen verbraucherschützende Vorschriften tatsächlich noch ein (Wahl-)Recht haben, also von einer verwaltungsbehördlichen Durchsetzung

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Verfahren bei einer Verwaltungsbehörde einzuleiten. Die Lauterkeitsrichtlinien beschränken sich damit bisher auf eine Initiativberechtigung der Mitbewerber1777 und überlassen die Ausdehnung der Klagebefugnis auf andere Personen oder Organisationen, einschließlich geschädigter Verbraucher,1778 der Richtlinie 2009/22/EG (Klagebefugnis für Verbände) bzw. dem nationalen Recht des jeweiligen Mitgliedstaates.1779 Dies wird sich allerdings für das verbraucherschützende Lauterkeitsrecht durch den durch die Richtlinie 2019/2161 (Art. 3 Nr. 5) neu eingeführten Art. 11a Abs. 1 RL 2005/29/EG ändern, der auch individuellen Verbrauchern bestimmte (Mindest-) Rechtsbehelfe bei unlauteren Geschäftspraktiken garantiert (oben Rn. 309). 427 In den Grenzen der Vorgaben der Richtlinien behalten die Mitgliedstaaten grundsätzlich einen „Wertungsspielraum bezüglich der Wahl der nationalen Maßnahmen“, mit denen unlautere Praktiken bekämpft werden sollen, „sofern die Maßnahmen geeignet und wirksam und die vorgesehenen Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind“.1780 Die nationalen Gerichte und Behörden müssen anhand aller Umstände des Einzelfalls beurteilen, ob die Folgen, die sich aus dem Verbot der durch den Gewerbetreibenden im konkreten Fall in Rede stehenden Geschäftspraxis ergeben, den Erfordernissen der Richtlinie und insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen.1781 Dabei können sie Umstände wie die Häufigkeit der vorgeworfenen Praxis, die Frage, ob Vorsatz vorliegt, und das Ausmaß des Schadens, der dem Verbraucher durch sie entstanden ist, gebührend berücksichtigen.1782 Der bisher nur judikativ eingehegte Wertungsspielraum der Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung der Sanktionen wird durch den durch die Richtlinie 2019/2161 (Art. 3 Nr. 5) neu eingefügten Art. 11a Abs. 1 Satz 3 RL 2005/29/EG (bei individuellen Rechtsbehelfen der Verbraucher Berücksichtigung „gegebenenfalls“ der „Schwere und Art der unlauteren Geschäftspraktik“, des „dem Verbraucher entstandenden Schaden[s]“ sowie „weitere[r] relevante[r] Umstände“) und vor allem durch die nicht erschöpfende und indikative Liste von Kriterien des ebenfalls neu eingeführten Art. 13 Abs. 2 RL 2005/29/EG1783 nun auch durch die Richtlinie 2005/29/EG unionsrechtlich konkretiim Fall eines „weitverbreiteten Verstoßes“ oder eines „weitverbreiteten Verstoßes mit Unions-Dimension“ (zu diesen Begriffen Art. 3 Nr. 3, 4 VO 2017/2394) absehen dürfen (vgl. Art. 21 Abs. 1 VO 2017/2394: Behörden „ergreifen“; siehe aber auch Art. 15: Behörden handeln in Angelegenheiten nach diesem Kapitel „einvernehmlich“). 1777 Siehe auch EuGH 17. 9. 2002 – C-253/00 – Slg. 2002, I-7289 Tz. 29 ff. – Muñoz. 1778 Siehe allerdings die Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten), ABl. L 165 vom 18. 6. 2013, S. 63 und die Verordnung (EU) Nr. 524/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/ 22/EG (Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten), ABl. L 165 vom 18. 6. 2013, S. 1. 1779 Bereits oben Rn. 309; vgl. auch Erwägungsgrund 9 Satz 1 RL 2005/29/EG; EuGH 19. 9. 2018 – C-109/17 – WRP 2019, 44 Tz. 31, 42 – Mari Merino; Erstauflage/Schricker Einl Rn. F 347; Alexander GRUR Int. 2005, 809, 813; enger Groß Die internationale Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes (2009), S. 246, der die Aktivlegitimation generell dem nationalen Recht vorbehalten sieht. 1780 EuGH 19. 9. 2018 – C-109/17 – WRP 2019, 44 Tz. 31, 42 – Mari Merino; ferner EuGH – C-206/11 – GRUR 2013, 297 Tz. 44 – Köck; EuGH 16. 4. 2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 57 – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság. 1781 EuGH 16. 4. 2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 59 – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság. 1782 EuGH 16. 4. 2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 58 – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság. 1783 Gemäß Art. 13 Abs. 2 RL 2005/29/EG n.F. stellen die Mitgliedstaaten sicher, „dass bei der Verhängung von Sanktionen folgende nicht erschöpfende und indikative Liste von Kriterien, sofern zutreffend, berücksichtigt wird: a) die Art, die Schwere, der Umfang und die Dauer des Verstoßes; b) Maßnahmen des Händlers zur Minderung oder Behebung des Schadens, der den Verbrauchern entstanden ist; c) frühere Verstöße des Händlers; d) vom Gewerbetreibenden aufgrund des Verstoßes erlangte finanzielle Verluste oder vermiedene Verluste, wenn Daten dazu vorliegen; e) Sanktionen, die gegen den Gewerbetreibenden für denselben Verstoß in grenzübergreifenden Fällen in anderen Mitgliedstaaten verhängt wurden, sofern Informationen über solche Sanktionen im Rahmen des aufgrund der Verordnung (EU) Nr. 2017/2394 errichteten Mechanismus verfügbar sind; f) andere erschwerende oder mildernde Umstände im jeweiligen Fall.“ Parallele Vorschriften wurden aufgenommen in Art. 24 Abs. 2 RL 2011/83/ EU, Art. 8b Abs. 3 RL 93/13/EWG und Art. 8 Abs. 2 RL 98/6/EG.

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siert und begrenzt. Auf Tatbestandsebene setzt ein Verstoß gegen die Richtlinien weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit und auch nicht das Entstehen eines tatsächlichen Schadens für den oder die Verbraucher voraus (Art. 11 Abs. 2 Satz 1 a. E. RL 2005/29/EG).1784 Im Fall der verwaltungsbehördlichen Durchsetzung des Lauterkeitsrechts müssen die Behörden bestimmten Anforderungen an ihre Unabhängigkeit genügen, und gegen ihre Entscheidungen muss gerichtlicher Rechtsschutz eröffnet sein (Art. 5 Abs. 5 und 6 RL 2006/114/EG; Art. 11 Abs. 3 RL 2005/29/EG). Auch können die Mitgliedstaaten vor Einleitung eines gerichtlichen oder behördlichen Verfahrens die Durchführung eines besonderen Verfahrens zur Beilegung von Beschwerden verlangen. Allerdings ist der Eilrechtsschutz im Interesse des effektiven Rechtsschutzes von obligatorischen Schlichtungsverfahren auszunehmen.1785 Zulässig ist es auch, ein sanktionsbewehrtes System der verwaltungsbehördlichen Vorweggenehmigung für bestimmte Geschäftspraktiken vorzusehen, deren Charakter eine solche Kontrolle erfordert, solange damit kein von der Einzelfallprüfung nach Art. 5–9 RL 2005/29/EG unabhängiges allgemeines Verbot von Geschäftspraktiken begründet wird, die nicht vorab behördlich genehmigt wurden.1786 Eine maßgebliche Änderung für die verwaltungsbehördliche Durchsetzung des verbraucherschützenden Lauterkeitsrechts ergibt sich durch die mit der Richtlinie 2019/2161 (Art. 1, Art. 3 Nr. 6, Art. 4 Nr. 13) neu eingeführten unionsrechtlichen Vorgaben für den Bußgeldrahmen. Nach den im Wesentlichen wortgleichen neuen Art. 13 Abs. 3, 4 RL 2005/29/EG (dort allerdings Beschränkung auf Verstöße gegen Art. 6, 7, 8 und 9 sowie Anhang I RL 2005/29/EG), Art. 24 Abs. 3, 4 RL 2011/83/EU und Art. 8b Abs. 4, 5 RL 93/13/EWG müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass im Wege der Verhängung von Sanktionen nach Art. 21 VO 2017/2394 Geldbußen verhängt werden können, deren Höchstbetrag sich auf mindestens 4 % des Jahresumsatzes des Gewerbetreibenden in dem (oder den) betreffenden Mitgliedstaat(en) beläuft. Liegen keine Informationen über den Jahresumsatz des Gewerbetreibenden vor, so sehen die Mitgliedstaaten Geldbußen mit einem Höchstbetrag von mindestens 2 Millionen Euro vor. Als Abhilfemaßnahmen gewährleisten Art. 5 Abs. 3 RL 2006/114/EG und Art. 11 Abs. 2 RL 2005/29/EG die Möglichkeit verschuldensunabhängiger Unterlassungsanordnungen sowohl bei Erstbegehungs- wie bei Wiederholungsgefahr,1787 und zwar auch im Eilrechtsschutz.1788 Zudem können die Mitgliedstaaten eine Urteilsveröffentlichung oder die Veröffentlichung einer berichtigenden Erklärung (Widerruf) vorsehen. Bei der Beweislast, die grundsätzlich dem nationalen Recht obliegt (Erwägungsgrund 21 RL 2005/29/EG), müssen die Mitgliedstaaten vom Gewerbetreibenden den Beweis der Richtigkeit von Tatsachenbehauptungen verlangen, „wenn ein solches Verlangen unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Gewerbetreibenden und anderer Verfahrensbeteiligter im Hinblick auf die Umstände des Einzelfalls angemessen erscheint“ (Art. 7 lit. a RL 2006/114/EG; Art. 12 lit. a RL 2005/29/EG). Wird ein solcher Beweis nicht erbracht oder der Beweis als unzureichend angesehen, so ist von der Unrichtigkeit der Tatsachenbehauptung auszugehen (Art. 7 lit. b RL 2006/114/EG; Art. 12 lit. b RL 2005/29/EG). In Deutschland geht man davon aus, dass die differenzierten judikativen Beweiserleichterungen den Vorgaben der Richtlinie genügen.1789 Dieser Einschätzung mag man allenfalls unter

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EuGH 16. 4. 2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 48 – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság. EuGH 18. 3. 2010 – C-317/08 bis C-320/08 – Slg. 2010, I-2213 Tz. 59 f. – Alassini. EuGH 17. 1. 2013 – C-206/11 – GRUR 2013, 297 Tz. 45 ff. – Georg Köck. Zum Parallelproblem in der UnterlassungsklagenRL 2009/22/EG EuGH 26. 4. 2012 – C-472/10 – GRUR 2012, 939 Tz. 43 – Invitel: nicht nur Feststellung der Rechtswidrigkeit, sondern auch Abstellung des Verhaltens für die Zukunft geboten; Reich/Micklitz EWS 2012, 257, 264: „Geeignete und wirksame Mittel können im Lichte von Invitel auch im Lauterkeitsrecht mindestens zwei Ebenen umfassen, die Feststellung der Unlauterkeit und die in die Zukunft gerichtete Beseitigung des rechtswidrigen Zustands“. 1788 Zur Garantie des Eilrechtsschutzes durch das Unionsrecht Heinze Einstweiliger Rechtsschutz im europäischen Immaterialgüterrecht (2007), S. 39 ff. 1789 Alexander GRUR Int. 2005, 809, 814.

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der Bedingung beitreten, dass auch außerhalb der anerkannten Beweiserleichterungen des deutschen Richterrechts stets zu prüfen ist, ob nicht dem Werbenden nach den Vorgaben der Richtlinie der Nachweis der Richtigkeit seiner Behauptungen aufzuerlegen ist. In Zweifelsfällen ist dies, auch aus Gründen der Effektivität des Unionsrechts,1790 zu bejahen. 432 Die Vorgaben der europäischen Richtlinien zur Rechtsdurchsetzung sind in § 5 Abs. 4, § 8 Abs. 1 Satz 1 und 2 und § 12 Abs. 2 und Abs. 3 UWG umgesetzt.1791

433 b) Richtlinie 2009/22/EG über Unterlassungsklagen. Die in den Lauterkeitsrichtlinien vorgesehene Klagebefugnis einzelner Mitbewerber wird in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2009/22/ EG über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen durch ein Instrument zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher (Art. 1 RL 2009/22/EG) ergänzt. Nach dieser Richtlinie können unabhängige öffentliche Stellen und/oder Verbraucherschutzorganisationen als qualifizierte Einrichtungen i. S. d. Art. 3 RL 2009/22/EG durch Unterlassungsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher beitragen, soweit die durchzusetzenden Vorschriften in Anhang I RL 2009/22/EG aufgeführt sind. Zu diesen Richtlinien zählt auch die Richtlinie 2005/29/EG (Anhang I Nr. 11 RL 2009/22/EG). Zudem werden neben einer Reihe verbrauchervertragsrechtlicher Richtlinien auch die E-Commerce-Richtlinie 2000/31/EG, die Fernsehrichtlinie 89/552/EWG (heute RL 2010/13/EU) und die Regeln über Arzneimittelwerbung genannt. Ein Vorschlag der Kommission für eine deutlich umfassendere Richtlinie über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG,1792 der eine erhebliche Ausweitung bei den erfassten Rechtsverstößen und möglichen Rechtsschutzzielen (v. a. eine Einbeziehung auch von „Abhilfemaßnahmen“ wie Entschädigungs-, Reparatur- und Ersatzleistungen, Art. 6 des Kommissionsentwurfs) vorsieht, wurde jüngst von Parlament und Rat gebilligt.1793 Rechtsschutzziel der Unterlassungsklagen ist in erster Linie „eine mit aller gebotenen Eile 434 und gegebenenfalls im Rahmen eines Dringlichkeitsverfahrens ergehende Anordnung der Einstellung oder des Verbots eines Verstoßes“ (Art. 2 Abs. 1 lit. a RL 2009/22/EG). Infolge des präventiven Charakters und des Abschreckungszwecks der Unterlassungsklagen sowie ihrer Unabhängigkeit von konkreten Streitigkeiten müssen Unterlassungsklagen gegen missbräuchliche AGB-Klauseln „auch dann zur Verfügung stehen …, wenn die Klauseln, deren Verbot beantragt wird, nicht konkret in Verträgen verwendet worden sind“.1794 Die wirksame Umsetzung dieses Ziels erfordert nämlich, „dass AGB-Klauseln in Verbraucherverträgen, die … im Rahmen einer gegen den Gewerbetreibenden gerichteten Unterlassungsklage für missbräuchlich erklärt werden, weder für die am Unterlassungsverfahren beteiligten Verbraucher noch für diejenigen Verbraucher verbindlich sind, die mit diesem Gewerbetreibenden einen Vertrag geschlossen haben, auf den die gleichen AGB anwendbar sind“.1795 Im Ergebnis leitet der Gerichtshof damit aus dem Effektivitätsgrundsatz eine erga omnes-Wirkung von Unterlassungsklagen im AGBRecht ab und erstreckt zudem den Grundsatz der ex officio-Prüfung aus dem AGB-Individual-

1790 Vgl. EuGH 7. 9. 2006 – C-526/04 – Slg. 2006, I-7529 Tz. 55 – Laboratoires Boiron; zur Übertragung auf andere Rechtsgebiete EuGH 28. 1. 2010 – C-264/08 – Slg. 2010, I-731 Tz. 33 ff. – Direct Parcel Distribution.

1791 Siehe die Tabelle bei Alexander GRUR Int. 2005, 809, 815. 1792 KOM (2018) 184. 1793 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 26. März 2019 zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG (COM(2018)0184 – C8–0149/2018 – 2018/0089(COD)), TA/ 2019/0222; Ratsdokument Nr. 9223/20. 1794 EuGH 26. 4. 2012 – C-472/10 – GRUR 2012, 939 Tz. 37 – Invitel; instruktiv sind auch die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 6. 12. 2011 – C-472/10 – BeckRS 2011, 81778 Tz. 47 ff. – Invitel, die diese Rechtsfolge anschaulich aus dem Unionsrecht herleitet. 1795 EuGH 26. 4. 2012 – C-472/10 – GRUR 2012, 939 Tz. 38 – Invitel.

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verfahren auf den kollektiven Rechtsschutz.1796 Diese Wirkung dürfte infolge des einheitlichen Richtlinienzwecks der Prävention für alle Unterlassungsklageverfahren (auch außerhalb des AGB-Rechts) geboten sein. Die erga omnes-Wirkung erstreckt sich allerdings aus Gründen des fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs nicht auf alle Gewerbetreibenden, die eine gleichlautende Klausel verwenden, sondern ist auf den Gewerbetreibenden beschränkt, der Partei des Unterlassungsklageverfahrens war.1797 Zulässig ist es allerdings, an die Verwendung als unzulässig festgestellter Klauseln durch andere Gewerbetreibende Sanktionen zu knüpfen, wenn diese Klauseln in ein transparentes, zugängliches und aktuelles nationales Register eingetragen wurden und der sanktionierte Gewerbetreibende gegen die Sanktion einen effektiven Rechtsbehelf hat.1798 Nicht zulässig ist es demgegenüber, eine automatische Verpflichtung zur Aussetzung von Individualklagen von Verbrauchern auf Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel vorzusehen, bis ein rechtskräftiges Urteil in einem anhängigen Verbandsklageverfahren über dieselbe Klausel ergangen ist.1799 Als weiteres Rechtsschutzziel kann das Gericht eine Veröffentlichung der Entscheidung 435 (Art. 2 Abs. 1 lit. b RL 2009/22/EG) und, sofern dies nach dem Recht des Mitgliedstaats zulässig ist, eine Ordnungsgeldsanktionierung für den Fall der Nichtbeachtung der Unterlassungsentscheidung (Art. 2 Abs. 1 lit. c RL 2009/22/EG) aussprechen. Nicht unionsrechtlich vorgegeben, aber infolge des Mindestharmonisierungsprinzips auch nicht untersagt werden Schadensersatz- und Gewinnabschöpfungsansprüche der qualifizierten Einrichtungen.1800 In Deutschland wurde die Richtlinie 2009/22/EG in § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG und im UKlaG umgesetzt.1801

c) Verordnung 2017/2394 über die Zusammenarbeit der Verbraucherschutzbehörden. 436 Während die Richtlinie 2009/22/EG dem Gedanken eines zivilgerichtlichen (grenzüberschreitenden, vgl. Art. 4 RL 2009/22/EG) kollektiven Verbraucherschutzes verpflichtet ist, regelt die Verordnung 2017/2394 über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden (vormals Verordnung 2006/2004) die grenzüberschreitende Kooperation von Verwaltungsbehörden verschiedener Mitgliedstaaten untereinander und mit der Kommission bei der Feststellung, Ermittlung und Bekämpfung von „Verstößen innerhalb der Union“ (Art. 3 Nr. 2 VO 2017/2394) gegen die in Art. 3 Nr. 1 i. V. m. dem Anhang der Verordnung 2017/2394 aufgelisteten Rechtsakte des Unionsrechts zum Schutz der Verbraucherinteressen (u. a. die RL 2005/29/EG und die RL 2006/114/EG). Zu diesem Zweck haben die Mitgliedstaaten die zur Durchsetzung des Verbraucherschutzrechts zuständigen Be1796 EuGH 26. 4. 2012 – C-472/10 – GRUR 2012, 939 Tz. 43 – Invitel: „Daher haben die nationalen Gerichte, wenn im Rahmen einer Unterlassungsklage wie der im Ausgangsverfahren fraglichen die Missbräuchlichkeit einer Klausel in den AGB von Verbraucherverträgen angenommen worden ist, auch in der Zukunft von Amts wegen alle im nationalen Recht vorgesehenen Konsequenzen zu ziehen, damit diese Klausel für die Verbraucher unverbindlich ist, die einen Vertrag geschlossen haben, auf den die gleichen AGB anwendbar sind“ (Hervorhebung nicht im Original). Siehe auch Reich/Micklitz EWS 2012, 257, 261: „§ 11 UKlaG ist damit Makulatur“. 1797 Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 6. 12. 2011 – C-472/10 – BeckRS 2011, 81778 Tz. 59 f. – Invitel; wohl weitergehend Reich/Micklitz EWS 2012, 257, 261. Der EuGH lässt die Frage der Rechtskrafterstreckung auf am Unterlassungsklageverfahren unbeteiligte Gewerbetreibende offen. 1798 EuGH 21. 12. 2016 – C-119/15 – EuZW 2017, 191 Tz. 33 ff., 43 – Biuro podróży „Partner“. 1799 EuGH 14. 4. 2016 – C-381/14 und C-385/14 – EuZW 2016, 505 Tz. 35 ff. – Catalunya Banc SA: Verstoß gegen den Effektivitätsgrundsatz. Demgegenüber verstößt es nicht gegen den Effektivitätsgrundsatz, wenn ein Verbraucherverband in innerstaatlichen Verfahren die Unterlassungsklage am Ort der Niederlassung oder des (Wohn-)Sitzes des Beklagten erheben muss, EuGH 5. 12. 2013 – C-413/12 – EuZW 2014, 74 Tz. 34 ff., 52 – Asociación de Consumidores Independientes de Castilla y León. 1800 Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 6. 12. 2011 – C-472/10 – BeckRS 2011, 81778 Tz. 74 f. – Invitel; für einen aus dem Effektivitätsgrundsatz abzuleitenden „Folgenbeseitigungsanspruch“ Reich/Micklitz EWS 2012, 257, 263. Siehe nun auch den Reformvorschlag KOM (2018) 184, dazu oben Rn. 433. 1801 Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl UWG Rn. 3.66.

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hörden und zentrale Verbindungsstellen (Art. 5 VO 2017/2394) mit näher definierten Befugnissen (Kapitel II) zu benennen, die nach den in den Kapiteln III und IV vorgesehenen Regeln über die Amtshilfe und den koordinierten Ermittlungs- und Durchsetzungsmechanismus bei der Bekämpfung von Verstößen innerhalb der Union zusammenarbeiten sollen. 437 Als Verstoß innerhalb der Union ist jede Handlung oder Unterlassung anzusehen, die gegen Unionsrecht zum Schutz der Verbraucherinteressen verstößt und die Kollektivinteressen von Verbrauchern geschädigt hat, schädigt oder voraussichtlich schädigen kann, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Mitgliedstaat ansässig sind, in dem a) die Handlung oder die Unterlassung ihren Ursprung hatte oder stattfand, b) der für die Handlung oder Unterlassung verantwortliche Unternehmer niedergelassen ist, oder c) Beweismittel oder Vermögensgegenstände des Unternehmers vorhanden sind, die einen Zusammenhang mit der Handlung oder der Unterlassung aufweisen (Art. 3 Nr. 2 VO 2017/2394). Die Amtshilfe erfolgt durch Auskunftsersuchen, auf deren Grundlage die ersuchte Behörde erforderlichenfalls auch Ermittlungen durchzuführen hat, um die ersuchte Auskunft zu beschaffen (Art. 11 VO 2017/2394), sowie durch Tätigwerden infolge eines Durchsetzungsersuchens einer ausländischen Behörde (Art. 12 VO 2017/2394), um unverzüglich eine Einstellung oder ein Verbot des Verstoßes zu erwirken (Art. 12 Abs. 1 VO 2017/2394). Dies kann dadurch erfolgen, dass die nach der Verordnung 2017/2394 zuständige Behörde ihre Befugnisse unmittelbar in eigener Verantwortung ausübt, dass sie andere Behörden mit der Sache befasst, benannte Stellen anweist oder dass sie sich mit einem Antrag an ein Gericht wendet, das für den Erlass der erforderlichen Entscheidung zuständig ist (Art. 10 Abs. 1 VO 2017/2394). Der Bußgeldrahmen für Sanktionen im Rahmen des Art. 21 VO 2017/2394 wird in einigen Einzelrichtlinien konkretisiert (oben Rn. 427). In Deutschland wurde die Vorgängerverordnung 2006/2004 durch das EG-Verbraucherschutzdurchsetzungsgesetz (VSchDG) ausgefüllt.1802

438 d) Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr. Auf der Ebene der Rechtsdurchsetzung ist die E-Commerce-Richtlinie 2000/31/EG vor allem wegen ihrer Haftungsbeschränkungen für die Verantwortlichkeit von Diensteanbietern bedeutsam (Art. 12–15 RL 2000/31/EG).1803 Daneben findet sich eine Garantie wirksamen Unterlassungs- und Beseitigungsrechtsschutzes in Art. 18 RL 2000/31/EG. Die Art. 12–15 RL 2000/31/EG harmonisieren nicht die Voraussetzungen über die Verant439 wortlichkeit der Vermittler, die sich nach dem durch Art. 6 Abs. 1, 15 lit. a Rom II-VO berufenen Recht richten, sondern beschränken lediglich deren Haftung.1804 Zur Bestimmung der Anwendbarkeit dieser Haftungsprivilegierung ist zunächst die konkrete Bestimmung der Art. 12–14 RL 2000/31/EG zu ermitteln, „unter die der betreffende Dienst fällt“, und es muss beurteilt werden, „ob dieser Dienst im Hinblick auf seine charakteristischen Merkmale einen reinen Durchleitungsdienst, einen Caching-Dienst oder einen Hosting-Dienst darstellt“ und ob die diesbezüglichen Voraussetzungen der Art. 12 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 bzw. Art. 14 Abs. 1, 2 RL 2000/31/EG erfüllt sind.1805 Die Vorschriften privilegieren also z. B. die Anbieter sozialer Netzwerke (Art. 14 RL 2000/31/EG)1806 oder Referenzierungsdienste wie Google Adwords. Allerdings setzt insbesonde-

1802 Siehe § 1 Abs. 1 VSchDG. 1803 Dazu EuGH (Große Kammer) 23. 3. 2010 – C-236/08 bis C-238/08 – Slg. 2010, I-2417 Tz. 106 ff. – Google France und Google; EuGH (Große Kammer) 12. 7. 2011 – C-324/09 – GRUR 2011, 1025 Tz. 106 ff. – L’Oréal; ausführlich Hoeren/ Neubauer WRP 2012, 508; Wiebe WRP 2012, 1182, 1335. 1804 EuGH (Große Kammer) 23. 3. 2010 – C-236/08 bis C-238/08 – Slg. 2010, I-2417 Tz. 107 – Google France und Google. 1805 EuGH 7. 8. 2018 – C-521/17 – GRUR 2018, 921 Tz. 44 f. – SNB-REACT. 1806 EuGH 16. 2. 2012 – C-360/10 – EuZW 2012, 261 Tz. 29 – SABAM; zu Facebook EuGH 3. 10. 2019 – C-18/18 – MMR 2019, 798 Tz. 22 – Facebook Ireland; zurückhaltend Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar vom 4. 6. 2019 – C18/18 – Tz. 30 – Facebook.

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re die Privilegierung des Hostproviders nach Art. 14 Abs. 2 RL 2000/31/EG voraus, dass er „‚keine tatsächliche Kenntnis von der rechtswidrigen Tätigkeit oder Information“ hatte und, in Bezug auf Schadensersatzansprüche, sich auch „keiner Tatsachen oder Umstände bewusst [war], aus denen die rechtswidrige Tätigkeit oder Information offensichtlich wird‘“, und dass er, „nachdem er diese Kenntnis oder dieses Bewusstsein erlangt hatte, unverzüglich tätig wurde, um die fraglichen Daten zu löschen oder den Zugang zu ihnen zu sperren“.1807 Deshalb ist die Haftungsprivilegierung zu versagen, wenn sich der Vermittler „etwaiger Tatsachen oder Umstände bewusst war, auf deren Grundlage ein sorgfältiger Wirtschaftsteilnehmer die in Rede stehende Rechtswidrigkeit hätte feststellen“ müssen.1808 Erfasst werden damit alle Fälle, in denen sich der Anbieter „in der einen oder anderen Weise solcher Tatsachen oder Umstände bewusst war“, sei es aufgrund einer aus eigenem Antrieb vorgenommenen Prüfung, sei es aufgrund der – hinreichend genauen und substantiierten – Anzeige eines Dritten, die zumindest einen Anhaltspunkt darstellt, den das nationale Gericht bei der Feststellung des „Bewusstseins“ entsprechender Tatsachen oder Umstände zu berücksichtigen hat.1809 Eine Privilegierung setzt außerdem voraus, dass die Rolle des Anbieters insofern neutral 440 ist, als sein Verhalten rein technischer, automatischer und passiver Art ist und er weder Kenntnis noch Kontrolle über die weitergeleitete oder gespeicherte Information besitzt (Erwägungsgrund 42 RL 2000/31/EG).1810 Auch Online-Marktplätze wie ebay werden damit erfasst, solange sie nur die Verkaufsangebote auf ihrem Server speichern, die Modalitäten für den Dienst festlegen, ggf. für diesen eine Vergütung erhalten und den Kunden Auskünfte allgemeiner Art erteilen.1811 Sobald der Betreiber hingegen Hilfestellung dabei leistet, die Präsentation der Verkaufsangebote zu optimieren oder diese Angebote zu bewerben, nimmt er nicht mehr eine neutrale Stellung zwischen Käufer und Verkäufer, sondern eine aktive Rolle ein, die ihm eine Kenntnis der die Angebote betreffenden Daten oder eine Kontrolle über sie verschafft, so dass die Haftungsprivilegierungen der E-Commerce-Richtlinie 2000/31/EG nicht mehr anwendbar sind.1812 Dementsprechend kann sich etwa eine Presseverlagsgesellschaft, die über eine frei zugängliche Website verfügt, auf der die elektronische Fassung einer von angestellten und freien Journalisten verfassten Zeitung veröffentlicht wird, nicht auf das Haftungsprivileg berufen, weil sie von den von ihr veröffentlichten Informationen Kenntnis hat und eine Kontrolle über diese Informationen ausübt.1813 Von der Haftungsprivilegierung unberührt bleibt gemäß Art. 12 Abs. 3, Art. 13 Abs. 2 und 441 Art. 14 Abs. 3 die Möglichkeit, im Fall einer nachgewiesenen Rechtsverletzung eine (Unterlassungs- oder Beseitigungs-)Anordnung an den Betreffenden zu richten, um die Rechtsverletzung abzustellen oder zu verhindern,1814 einschließlich der Entfernung rechtswidriger Informationen oder der Sperrung des Zugangs zu ihnen.1815 Während die Art. 12–15 RL 2000/31/EG die Haftung der Vermittler begrenzen, gewährleistet 442 Art. 18 RL 2000/31/EG ein Mindestniveau des Unterlassungs- und Beseitigungsrechtsschutzes.1816 Danach müssen Maßnahmen getroffen werden können, „um eine mutmaßliche Rechtsverletzung abzustellen und zu verhindern, dass den Betroffenen weiterer Schaden entsteht“. Geboten sind damit, wie der EuGH im Kontext des Immaterialgüterrechts klargestellt hat, nicht 1807 1808 1809 1810

EuGH (Große Kammer) 12. 7. 2011 – C-324/09 – GRUR 2011, 1025 Tz. 119 – L’Oréal. EuGH (Große Kammer) 12. 7. 2011 – C-324/09 – GRUR 2011, 1025 Tz. 120 – L’Oréal. EuGH (Große Kammer) 12. 7. 2011 – C-324/09 – GRUR 2011, 1025 Tz. 121 f. – L’Oréal. EuGH (Große Kammer) 23. 3. 2010 – C-236/08 bis C-238/08 – Slg. 2010, I-2417 Tz. 114, 120 – Google France und Google; EuGH 7. 8. 2018 – C-521/17 – GRUR 2018, 921 Tz. 47 – SNB-REACT. 1811 EuGH 11. 9. 2014 – C-291/13 – MMR 2016, 63 Tz. 42 – Papasavvas. 1812 EuGH (Große Kammer) 12. 7. 2011 – C-324/09 – GRUR 2011, 1025 Tz. 115 f. – L’Oréal; EuGH 7. 8. 2018 – C-521/ 17 – GRUR 2018, 921 Tz. 48 – SNB-REACT. 1813 EuGH 11. 9. 2014 – C-291/13 – MMR 2016, 63 Tz. 45 – Papasavvas. 1814 EuGH 7. 8. 2018 – C-521/17 – GRUR 2018, 921 Tz. 51 – SNB-REACT. 1815 EuGH 3. 10. 2019 – C-18/18 – MMR 2019, 798 Tz. 24 – Facebook Ireland. 1816 Zum Hintergrund ErwG 52 RL 2000/31/EG.

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nur Maßnahmen, die zur Beendigung der bereits hervorgerufenen Verletzungen führen, sondern zudem auch Maßnahmen, die wirksam vor erneuten Verletzungen vorbeugen.1817 Zulässig sind deshalb Anordnungen, die den Vermittlern aufgeben, erneute Verletzungen der gleichen Art durch denselben Anbieter auszuschließen oder Maßnahmen zu ergreifen, um eine Identifizierung gewerblicher Anbieter auf Online-Marktplätzen und damit die Rechtsdurchsetzung gegen solche Personen zu ermöglichen.1818 Auch wenn die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von Art. 18 Abs. 1 RL 2000/31/EG über ein „besonders großes Ermessen“ verfügen, hat der Gerichtshof aus der Sprachfassung („jede“ mutmaßliche Rechtsverletzung abstellen oder „jeden“ weiteren Schaden der Betroffenen verhindern) gefolgert, dass grundsätzlich nicht angenommen werden, dass die Maßnahmen nach Art. 18 Abs. 1 RL 2000/31/EG in ihrer Reichweite begrenzt sind, wenn es um ihre Durchführung geht.1819 Die Grenzen des (vorbeugenden) Rechtsschutzes werden in erster Linie durch den Aus443 schluss allgemeiner Überwachungspflichten in Art. 15 Abs. 1 RL 2000/31/EG definiert. Es darf also nicht angeordnet werden, dass aktiv alle Angaben jedes Kunden überwacht werden müssen, um künftigen Rechtsverletzungen über die Seiten eines Vermittlers vorzubeugen.1820 Erst recht darf ein Vermittler nicht verpflichtet werden, sämtliche elektronische Kommunikation zeitlich unbegrenzt und präventiv auf eigene Kosten zu überwachen und/oder zu filtern, weil dadurch nicht nur das Grundrecht des Vermittlers auf unternehmerische Freiheit (Art. 16 EuGRCh), sondern auch die Grundrechte der betroffenen Nutzer (Art. 8, 11 EuGRCh) unverhältnismäßig beeinträchtigt würden.1821 Zudem dürfen die gerichtlichen Abhilfemaßnahmen auch keine Schranken für den rechtmäßigen Handel errichten oder gegen sonstiges Sekundärrecht verstoßen.1822 Im Interesse der Wirksamkeit der Anordnungen nach Art. 18 Abs. 1 RL 2000/31/EG verbietet der Ausschluss allgemeiner Überwachungspflichten in Art. 15 Abs. 1 RL 2000/31/EG allerdings nicht Überwachungspflichten „in speziellen Fällen“ (ErwG 47 RL 2000/31/EG), so dass ein Hosting-Anbieter durch gerichtliche Anordnung verpflichtet werden kann, die von ihm gespeicherten Informationen, die den wortgleichen Inhalt haben wie Informationen, die zuvor für rechtswidrig erklärt worden sind, zu entfernen oder den Zugang zu ihnen zu sperren, und zwar unabhängig davon, wer den Auftrag zur Speicherung dieser Informationen gegeben hat.1823 Ebenfalls zulässig ist eine Anordnung, gespeicherte Informationen, die einen sinngleichen Inhalt haben wie Informationen, die zuvor für rechtswidrig erklärt worden sind, zu entfernen oder den Zugang zu ihnen zu sperren, wobei „sinngleiche Informationen“ eine Aussage vermitteln, deren Inhalt im Wesentlichen unverändert bleibt und daher sehr wenig von dem Inhalt abweicht, der zur Feststellung der Rechtswidrigkeit geführt hat.1824 Um keine allgemeine Überwachungs- und aktive Suchverpflichtung des Hosting-Anbieters zu begründen, müssen die von der Anordnung betroffenen sinngleichen Informationen aber spezifische Einzelheiten umfassen, die von demjenigen, der die Verfügung erlassen hat, gebührend identifiziert worden sind, wie den Namen der von der zuvor festgestellten Verletzung betroffenen Person, die Umstände, unter denen diese Verletzung festgestellt wurde, und einen Inhalt, der dem für rechtswidrig erklärten Inhalt sinngleich ist, und Unterschiede in der Formulierung dieses sinngleichen Inhalts im Vergleich zu dem für rechtswidrig erklärten Inhalt dürfen jedenfalls nicht so geartet 1817 Vgl. EuGH (Große Kammer) 12. 7. 2011 – C-324/09 – GRUR 2011, 1025 Tz. 131 ff. – L’Oréal; EuGH 16. 2. 2012 – C360/10 – EuZW 2012, 261 Tz. 29 – SABAM.

1818 EuGH (Große Kammer) 12. 7. 2011 – C-324/09 – GRUR 2011, 1025 Tz. 141 f. – L’Oréal. 1819 EuGH 3. 10. 2019 – C-18/18 – MMR 2019, 798 Tz. 30 – Facebook Ireland. 1820 EuGH (Große Kammer) 12. 7. 2011 – C-324/09 – GRUR 2011, 1025 Tz. 139 – L’Oréal; EuGH 24. 11. 2011 – C-70/ 10 – GRUR Int. 2012, 153 Tz. 40 – Scarlet Extended; EuGH 16. 2. 2012 – C-360/10 – EuZW 2012, 261 Tz. 33, 38 – SABAM. 1821 EuGH 24. 11. 2011 – C-70/10 – GRUR Int. 2012, 153 Tz. 48, 50 – Scarlet Extended; EuGH 16. 2. 2012 – C-360/ 10 – EuZW 2012, 261 Tz. 46 – SABAM. 1822 EuGH (Große Kammer) 12. 7. 2011 – C-324/09 – GRUR 2011, 1025 Tz. 139 f. – L’Oréal. 1823 EuGH 3. 10. 2019 – C-18/18 – MMR 2019, 798 Tz. 37 – Facebook Ireland. 1824 EuGH 3. 10. 2019 – C-18/18 – MMR 2019, 798 Tz. 39, 41 – Facebook Ireland.

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sein, dass sie den Hosting-Anbieter zwingen, eine autonome Beurteilung dieses Inhalts vorzunehmen.1825 Schließlich sieht die E-Commerce-Richtlinie keine räumlichen Beschränkungen der Reichweite der Maßnahmen vor, die die Mitgliedstaaten nach dieser Richtlinie erlassen dürfen, so dass entsprechende Maßnahmen auch auf weltweite Wirkung gerichtet sein können.1826 Es ist dabei Sache der Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass die von ihnen erlassenen Maßnahmen mit weltweiter Wirkung die internationalen Regeln und Begrenzungen für solche Maßnahmen gebührend berücksichtigen.1827

e) Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums. 444 Schließlich ist im Kontext der Rechtsdurchsetzung auch auf die Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums hinzuweisen.1828 Zwar findet diese Richtlinie nur auf Rechte des geistigen Eigentums Anwendung (Art. 2 Abs. 1 RL 2004/48/EG), während ihre Ausdehnung auf Handlungen des unlauteren Wettbewerbs einschließlich der Produktpiraterie oder vergleichbare Tätigkeiten in das Ermessen der Mitgliedstaaten gestellt ist (Erwägungsgrund 13 Satz 2 RL 2004/48/EG). Allerdings sieht die Richtlinie 2016/943/EU für den Schutz von Geschäftsgeheimnissen inzwischen ähnliche Vorschriften zur Rechtsdurchsetzung vor.1829

f ) Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatz. Auch außerhalb des harmonisierenden Sekun- 445 därrechts sind die Mitgliedstaaten gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV gehalten, gemeinsam mit dem Gerichtshof „die volle Anwendung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten und den Schutz der Rechte zu gewährleisten, die den Einzelnen aus diesem Recht erwachsen“.1830 Den nationalen Gerichten kommt dabei die Aufgabe zu, die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts im Allgemeinen und die effektive und gegenüber vergleichbaren Regeln des nationalen Rechts gleichwertige (äquivalente) Durchsetzung des Unionsrechts im Besonderen sicherzustellen.1831 Infolge dieses Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatzes dürfen die nationalen Regeln für 446 Klagen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, nicht weniger günstig ausgestaltet sein als die Regeln für vergleichbare innerstaatliche Klagen,1832 und die nationalen Regeln dürfen die Ausübung der durch die Unions-

1825 EuGH 3. 10. 2019 – C-18/18 – MMR 2019, 798 Tz. 45 f. – Facebook Ireland; zum deutschen Recht Specht-Riemenschneider MMR 2019, 801; BGH 24. 7. 2018 – VI ZR 330/17 – ZUM-RD 2019, 203 Tz. 44: Unterlassungsgebot greife „auch dann, wenn die darin enthaltenen Mitteilungen sinngemäß ganz oder teilweise Gegenstand einer erneuten Äußerung sind“. 1826 EuGH 3. 10. 2019 – C-18/18 – MMR 2019, 798 Tz. 49 f. – Facebook Ireland. 1827 EuGH 3. 10. 2019 – C-18/18 – MMR 2019, 798 Tz. 51 f. – Facebook Ireland; ErwG 58, 60 RL 2000/31/EG. 1828 Für einen Überblick über die Richtlinie und ihre Umsetzung Heinze ZEuP 2009, 282. 1829 Zu einer Erstreckung der RL 2004/48/EG in das Lauterkeitsrecht auch KOM (2010) 779, S. 6; siehe auch KOM (2011) 287 Ziffer 3.4.1, S. 19 f. Zum möglichen Modellcharakter der Richtlinie 2004/48/EG für das lauterkeitsrechtliche Eilverfahren Groß Die internationale Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes (2009), S. 247 ff. 1830 EuGH (Plenum) 8. 3. 2011 – Gutachten 1/09 – Slg. I 2011, 1142 Tz. 68 – Einheitliches Patentgerichtssystem; siehe auch EuGH (Große Kammer) 19. 1. 2010 – C-555/07 – Slg. 2010, I-365 Tz. 45 – Kücükdeveci. 1831 EuGH 21. 9. 1988 – 68/88 – Slg. 1989, 2965 Tz. 24 – Kommission/Griechenland: Sanktion muss gegenüber Verstößen gegen nationales Recht gleichwertig und „jedenfalls wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein“; ausdrücklich Art. 11 Abs. 1 Satz 1, 13 RL 2005/29/EG; Art. 5 Abs. 1 Satz 1 RL 2006/114/EG; EuGH (Große Kammer) 12. 7. 2011 – C-324/09 – GRUR 2011, 1025 Tz. 136 – L’Oréal EuGH 17. 1. 2013 – C-206/11 – GRUR 2013, 297 Tz. 44 – Georg Köck. Zu den Elementen dieses Grundsatzes Heinze Effektivitätsgrundsatz in Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.) Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts (2009), S. 337, 338; Ebers S. 249 ff.; Heinze Schadensersatz im Unionsprivatrecht (2017), S. 20 ff. 1832 Der Äquivalenzgrundsatz verpflichtet die Mitgliedstaaten nicht, die jeweils günstigste innerstaatliche Regelung auf alle Klagen zu erstrecken, die im Bereich des Wettbewerbsrechts erhoben werden, sondern verlangt einen

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

rechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren.1833 Daraus ergeben sich zunächst Konsequenzen für die Ausgestaltung des nationalen Verfahrensrechts zur Durchsetzung der Rechte aus europäischen Richtlinien,1834 etwa für die nationalen Regeln zur Klagebefugnis,1835 zum Beweismittelzugang1836 und zum Beweisverfahren,1837 zu Unterlassungsanordnungen,1838 zu Prozesskosten1839 und zur Prozesskostenhilfe,1840 zu obligatorischen außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren,1841 zur Garantie des einstweiligen Rechtsschutzes1842 oder zur Parteiherrschaft über Tatsachenstoff1843 und Rechtsfragen.1844 Effektivität und Äquivalenz betreffen aber auch die materiellrechtliche Seite

Vergleich zwischen den Klagen, die auf die Verletzung des Unionsrechts gestützt sind, und solchen, die auf die Verletzung des innerstaatlichen Rechts gestützt sind und einen ähnlichen Gegenstand und Rechtsgrund haben, EuGH 8. 7. 2010 – C-246/09 – Slg. 2010, I-6999 Tz. 26 f. – Bulicke; zusammenfassend zur Äquivalenz die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 14. 2. 2012 – C-618/10 – NJW 2012, 2257 Tz. 62 f. – Calderón Camino. 1833 EuGH (Große Kammer) 15. 4. 2008 – C-268/06 – Slg. 2008, I-2483 Tz. 46 – Impact; grundlegend EuGH 16. 12. 1976 – 33/76 – Slg. 1976, 1989 Tz. 5 – Rewe. 1834 Zu Einzelheiten Heinze EuR 2008, 654, 661 ff. 1835 EuGH 17. 9. 2002 – C-253/00 – Slg. 2002, I-7289 Tz. 29 ff. – Muñoz. 1836 Vgl. EuGH 7. 9. 2006 – C-526/04 – Slg. 2006, I-7529 Tz. 55 – Laboratoires Boiron; zur Übertragung auf andere Rechtsgebiete EuGH 28. 1. 2010 – C-264/08 – Slg. 2010, I-731 Tz. 33 ff. – Direct Parcel Distribution. 1837 Zur Abneigung des Unionsrechts gegenüber Beweismittelbeschränkungen EuGH 9. 2. 1999 – C-343/96 – Slg. 1999, I-579 Tz. 48 – Dilexport; zur Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise EuGH 10. 4. 2003 – C-276/01 – Slg. 2003, I-3735 Tz. 78 f. – Steffensen. 1838 Vgl. zu den Regeln der Richtlinie 2004/48/EG EuGH (Große Kammer) 12. 7. 2011 – C-324/09 – GRUR 2011, 1025 Tz. 131 – L’Oréal; EuGH 24. 11. 2011 – C-70/10 – GRUR Int. 2012, 153 Tz. 31 – Scarlet Extended („nicht nur […] bereits begangene Verletzungen […] beenden, sondern auch neuen Verletzungen vorbeugen“); zu Unterlassungsanordnungen nach der MarkenVO EuGH 14. 12. 2006 – C-316/05 – Slg. 2006, I-12083 Tz. 49, 51, 57 ff. – Nokia; EuGH (Große Kammer) 12. 4. 2011– C-235/09 – GRUR 2011, 518 Tz. 53 ff., 58 – DHL. 1839 Kostenregeln sind i. d. R. mit dem Effektivitätsgebot vereinbar, EuGH 6. 12. 2001 – C-472/99 – Slg. 2001, I9687 Tz. 27, 29 – Clean Car; siehe aber auch EuGH 4. 12. 2003– C-63/01 – Slg. 2003, I-14447 Tz. 75 ff. – Evans. 1840 EuGH 22. 12. 2010 – C-279/09 – Slg. 2010 I-13849 Tz. 28 ff. – DEB. 1841 EuGH 18. 3. 2010 – C-317/08 bis C-320/08 – Slg. 2010, I-2213 Tz. 62 ff. – Alassini. 1842 EuGH (Große Kammer) 13. 3. 2007 – C-432/05 – Slg. 2007, I-2271 Tz. 72 f., 80 ff. – Unibet. 1843 Grundsätzlich respektiert der EuGH die Parteiherrschaft über den Tatsachenstoff im Zivilprozess und verlangt keine Amtsermittlung zur wirksamen Durchsetzung des Unionsrechts, EuGH 14. 12. 1995 – C-430/93 und C-431/93 – Slg. 1995, I-4705 Tz. 20 ff. – van Schijndel. Die durch EuGH (Große Kammer) 9. 11. 2010 – C-137/08 – EuZW 2011, 27 Tz. 51 – Ferenc Schneider befürwortete Amtsermittlung im Rahmen der Klauselrichtlinie 93/13/ EWG (dazu jüngst zusammenfassend die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 14. 2. 2012 – C-618/ 10 – NJW 2012, 2257 Tz. 30 f. und Tz. 34 ff. – Calderón Camino; zur Effektivitätskontrolle Tz. 67 ff.) dürfte sich trotz ihrer verbraucherrechtlichen Wurzeln nicht auf die Richtlinie 2005/29/EG übertragen lassen, weil die Richtlinie 2005/29/EG bisher keine individuellen Klagerechte für Verbraucher vorsieht (siehe Art. 11 und Erwägungsgrund 21 RL 2005/29/EG). 1844 Auch bei Rechtsfragen respektiert der EuGH die nationalen Verfahrensvorschriften, EuGH 14. 12. 1995 – C430/93 und C-431/93 – Slg. 1995, I-4705 Tz. 20 ff. – van Schijndel. Eine ex officio-Anwendung des Unionsrechts (die nach deutschem Verfahrensrecht in der Regel ohnehin stattfindet) ist aber geboten, wenn entweder das nationale Verfahrensrecht dies für vergleichbare Regeln des innerstaatlichen Rechts vorsieht oder wenn dem Kläger die Möglichkeit genommen wird, die Unvereinbarkeit einer nationalen Rechtsvorschrift mit dem Unionsrecht in geeigneter Weise geltend zu machen (EuGH 7. 6. 2007 – C-222/05 bis C-225/05 – Slg. 2007, I-4233 Tz. 29 ff., 40 f. – van der Weerd) oder wenn der Schutzzweck und die Wirksamkeit der konkreten Unionsvorschrift ihre Anwendung von Amts wegen gebieten, zur KlauselRL 93/13/EWG EuGH (Große Kammer) 9. 11. 2010 – C-137/08 – EuZW 2011, 27 Tz. 56 – Ferenc Schneider; zum Kartellrecht EuGH 1. 6. 1999 – C-126/97 – Slg. 1999, I-3055 Tz. 36 ff., 40 – Eco Swiss. Infolge der fehlenden Amtsprüfung missbräuchlicher Klauseln hat EuGH 14. 6. 2012 – C-618/10 – NJW 2012, 2257 Tz. 53 ff. – Calderón Camino die Regeln des spanischen Mahnverfahrens als unvereinbar mit der Effektivität der KlauselRL 93/ 13/EWG angesehen.

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V. Lauterkeitsrecht und Rechtsangleichung

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der Rechtsdurchsetzung wie Schadensersatzansprüche1845 und Ausschlussfristen1846 (einschließlich Verjährungsregeln). Ob eine Regelung dem Effektivitäts- und Äquivalenzgebot genügt, ist stets im Einzelfall aufgrund einer Würdigung der nationalen Vorschrift anhand ihrer Stellung im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten der jeweiligen Vorschrift zu beurteilen,1847 wobei die Anforderungen an die Effektivität umso höher sind, je bedeutsamer das konkrete Sachgebiet für die Unionsrechtsordnung insgesamt ist.

11. Sektorspezifische Regelungen Abgesehen von den in diesem Abschnitt vorgestellten Rechtsakten hat der europäische Gesetz- 447 geber eine kaum mehr überschaubare Vielzahl weiterer sektorspezifischer Regelungen. Beispielshaft lassen sich nennen: – Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse: Richtlinie 2019/633 über unlautere Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette;1847a – Arzneimittel: Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel;1848 – Finanzdienstleistungen: Richtlinie 2002/65/EG über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher;1849 Richtlinie 2015/2366 über Zahlungsdienste;1850 Richtlinie 2008/ 48/EG über Verbraucherkreditverträge;1851 – IT-Sicherheit (Cybersicherheit): Verordnung (EU) Nr. 2019/881 über die ENISA (Agentur der Europäischen Union für Cybersicherheit) und über die Zertifizierung der Cybersicherheit von Informations- und Kommunikationstechnik (Rechtsakt zur Cybersicherheit);1852

1845 EuGH 13. 7. 2006 – C-295/04 bis C-298/04 – Slg. 2006, I-6619 Tz. 95 – Manfredi; siehe auch EuGH 2. 8. 1993 – C-271/91 – Slg. 1993, I-4367 Tz. 31 – Marshall; zum Rechtsirrtum als Entlastungsgrund EuGH 30. 9. 2010 – C-314/09 – EuZW 2010, 956 Tz. 45 – Strabag. 1846 EuGH 13. 7. 2006 – C-295/04 bis C-298/04 – Slg. 2006, I-6619 Tz. 78 – Manfredi; siehe auch EuGH 16. 7. 2009 – C-69/08 – Slg. 2009, I-6741 Tz. 43 ff. – Visciano; zu den Fristen und zum Fristlauf EuGH 6. 10. 2009 – C-40/08 – Slg. 2009, I-09579 Tz. 43 ff – Asturcom Telecomunicaciones; als Kontrapunkt EuGH 29. 10. 2009 – C-63/08 – Slg. 2009, I-10467 Tz. 48, 55 ff. – Pontin. 1847 EuGH 14. 12. 1995 – C-312/93 – Slg. 1995, I-4599 Tz. 14 – Peterbroeck; EuGH 30. 9. 2010 – C-314/09 – EuZW 2010, 956 Tz. 34 – Strabag. 1847a Richtlinie (EU) 2019/633 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über unlautere Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette, ABl. L 111 vom 25. 4. 2019, S. 59. 1848 Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel, ABl. L 311 vom 28. 11. 2001, S. 67 (insbesondere Art. 86 ff.); zur Vollharmonisierung EuGH 8. 9. 2007 – C-374/05 – Slg. 2007, I-9517 Tz. 20 ff. – Gintec. Zur Arzneimittelwerbung im Unionsrecht auch Mand JZ 2010, 337. 1849 Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG, ABl. L 271 vom 9. 10. 2002, S. 16. 1850 Richtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 2002/65/EG, 2009/110/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2007/64/EG, ABl. L 337 vom 23. 12. 2015, S. 35–127 (Art. 44). 1851 Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates, ABl. L 133 vom 22. 5. 2008, S. 66. 1852 Verordnung (EU) Nr. 2019/881 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über die ENISA (Agentur der Europäischen Union für Cybersicherheit) und über die Zertifizierung der Cybersicherheit von Informations- und Kommunikationstechnik und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 526/2013 (Rechtsakt zur Cybersicherheit), ABl. L 151 vom 7. 6. 2019, S. 15 (Art. 55).

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C. Europäisches Wettbewerbsrecht

Kosmetik: Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 über kosmetische Mittel;1853 Verordnung (EU) Nr. 655/2013 zur Begründung von Werbeaussagen für kosmetische Mittel;1854 Lebensmittel:1855 Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel;1856 Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel;1857 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts;1858 Verordnung (EU) Nr. 2015/2283 über neuartige Lebensmittel;1859 Verordnung (EU) Nr. 1151/ 2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. November 2012 über Qualitätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel;1860 Verordnung (EG) Nr. 834/2007 über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen;1861 Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 über Lebensmittelzusatzstoffe;1862 Verordnung (EU) Nr. 609/2013 über Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind;1863

1853 Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über kosmetische Mittel, ABl. L 342 vom 22. 12. 2009, S. 59 (insbesondere Art. 19 ff.); zur Vollharmonisierung Art. 9 VO 1223/2009. 1854 Verordnung (EU) Nr. 655/2013 der Kommission vom 10. Juli 2013 zur Festlegung gemeinsamer Kriterien zur Begründung von Werbeaussagen im Zusammenhang mit kosmetischen Mitteln, ABl. L 190 vom 11. 7. 2013, S. 31. Siehe auch den Bericht der Kommission zu Werbeaussagen basierend auf den gemeinsamen Kriterien im Bereich der kosmetischen Mittel, KOM (2016) 580. 1855 Eingehend Hagenmeyer/Teufer C. IV. Lebensmittelrecht in: Dauses/Ludwigs, EU-Wirtschaftsrecht, 44. Ergänzungslieferung (2018); Schroeder/Kraus Lebensmittelrecht (2010), S. 42 ff.; Streinz Lebensmittelrechts-Handbuch, 38. Aufl. (2018). 1856 Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1924/2006 und (EG) Nr. 1925/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 87/250/EWG der Kommission, der Richtlinie 90/496/EWG des Rates, der Richtlinie 1999/10/EG der Kommission, der Richtlinie 2000/ 13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinien 2002/67/EG und 2008/5/EG der Kommission und der Verordnung (EG) Nr. 608/2004 der Kommission, ABl. L 304 vom 22. 11. 2011, S. 18 (insbesondere Art. 3 ff.). 1857 Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel, ABl. L 404 vom 30. 12. 2006, S. 9 (insbesondere Art. 3 ff.). 1858 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit, ABl. L 31 vom 1. 2. 2002, S. 1 (insbesondere Art. 8, 16). 1859 Verordnung (EU) 2015/2283 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über neuartige Lebensmittel, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 258/97 des Europäischen Parlaments und des Rates und der Verordnung (EG) Nr. 1852/2001 der Kommission, ABl. L 327 vom 11. 12. 2015, S. 1–22 (insbesondere Art. 7). 1860 Verordnung (EU) Nr. 1151/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. November 2012 über Qualitätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel, ABl L 343 vom 14. 12. 2012, S. 1–29 (insbesondere Art. 12). 1861 Verordnung (EG) Nr. 834/2007 des Rates vom 28. Juni 2007 über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 2092/91, ABl. L 189 vom 20. 7. 2007, S. 1 (insbesondere Art. 23 ff.). 1862 Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über Lebensmittelzusatzstoffe, ABl. L 354 vom 31. 12. 2008, S. 16 (insbesondere Art. 21 ff.). 1863 Verordnung (EU) Nr. 609/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juni 2013 über Lebensmittel für Säuglinge und Kleinkinder, Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke und Tagesrationen für gewichtskontrollierende Ernährung und zur Aufhebung der Richtlinie 92/52/EWG des Rates, der Richtlinien 96/8/EG, 1999/21/EG, 2006/125/EG und 2006/141/EG der Kommission, der Richtlinie 2009/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnungen (EG) Nr. 41/2009 und (EG) Nr. 953/2009 des Rates und der Kommission, ABl. L 181 vom 29. 6. 2013, S. 35 (Art. 9 Abs. 5).

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V. Lauterkeitsrecht und Rechtsangleichung

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Maschinen: Richtlinie 2006/42/EG über Maschinen;1864 Medizinprodukte: Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte;1865 ab dem 26. Mai 2020 gilt die Verordnung (EU) Nr. 2017/745 über Medizinprodukte;1866 Online-Vermittlungsdienste (Plattformen): Verordnung (EU) 2019/1150 zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten;1866a Spielzeug: Richtlinie 2009/48/EG über die Sicherheit von Spielzeug;1867 Spirituosen: Verordnung (EG) Nr. 110/2008 zur Begriffsbestimmung, Bezeichnung, Aufmachung und Etikettierung von Spirituosen sowie zum Schutz geografischer Angaben für Spirituosen;1868 ab 2021 ersetzt durch die Verordnung 2019/787 über die Begriffsbestimmung, Bezeichnung, Aufmachung und Kennzeichnung von Spirituosen, die Verwendung der Bezeichnungen von Spirituosen bei der Aufmachung und Kennzeichnung von anderen Lebensmitteln, den Schutz geografischer Angaben für Spirituosen und die Verwendung von Ethylalkohol und Destillaten landwirtschaftlichen Ursprungs in alkoholischen Getränken;1869 Tabak: Richtlinie 2003/33/EG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen;1870 Richtlinie 2014/40/EU zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen;1871 Entscheidung 2003/641/EG der Kommission über die Verwendung von Farbfotografien oder anderen Abbildungen als gesundheitsbezogene Warnhinweise auf Verpackungen von Tabakerzeugnissen;1872

1864 Richtlinie 2006/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2006 über Maschinen und zur Änderung der Richtlinie 95/16/EG (Neufassung), ABl. L 157 vom 9. 6. 2006, S. 24 (insbesondere Art. 16).

1865 Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte, ABl. L 169 vom 12. 7. 1993, S. 1 (insbesondere Art. 17).

1866 Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über Medizinprodukte, zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 und zur Aufhebung der Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG des Rates, ABl. L 117 vom 5. 5. 2017, S. 1(Art. 7). 1866a Verordnung (EU) 2019/1150 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten, ABl. L 186 vom 11. 7. 2019, S. 57. 1867 Richtlinie 2009/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über die Sicherheit von Spielzeug, ABl. L 170 vom 30. 6. 2009, S. 1 (insbesondere Art. 11, 16, 17). 1868 Verordnung (EG) Nr. 110/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2008 zur Begriffsbestimmung, Bezeichnung, Aufmachung und Etikettierung von Spirituosen sowie zum Schutz geografischer Angaben für Spirituosen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 1576/89, ABl. L 39 vom 13. 2. 2008, S. 16 (insbesondere Art. 7 ff.). 1869 Verordnung 2019/787 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über die Begriffsbestimmung, Bezeichnung, Aufmachung und Kennzeichnung von Spirituosen, die Verwendung der Bezeichnungen von Spirituosen bei der Aufmachung und Kennzeichnung von anderen Lebensmitteln, den Schutz geografischer Angaben für Spirituosen und die Verwendung von Ethylalkohol und Destillaten landwirtschaftlichen Ursprungs in alkoholischen Getränken sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 110/2008, ABl. L 130 vom 17. 5. 2019, S. 1. 1870 Richtlinie 2003/33/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen, ABl. L 152 vom 20. 6. 2003, S. 16 (insbesondere Art. 3 ff.). 1871 Richtlinie 2014/40/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/37/EG, ABl. L 127 vom 29. 4. 2014, S. 1 (Art. 13). 1872 2003/641/EG: Entscheidung der Kommission vom 5. September 2003 über die Verwendung von Farbfotografien oder anderen Abbildungen als gesundheitsbezogene Warnhinweise auf Verpackungen von Tabakerzeugnissen, ABl. L 226 vom 10. 9. 2003, S. 24.

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Einleitung









C. Europäisches Wettbewerbsrecht

Technische Sicherheitsvorschriften/Produktsicherheit/Sicherheitshinweise:1873 Richtlinie 2001/95/EG über die allgemeine Produktsicherheit;1874 Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen;1875 Textilien: Verordnung (EU) Nr. 1007/2011 über die Bezeichnungen von Textilfasern und die damit zusammenhängende Etikettierung und Kennzeichnung der Faserzusammensetzung von Textilerzeugnissen;1876 Umweltwerbung: Verordnung (EG) Nr. 66/2010 über das EU-Umweltzeichen;1877 Richtlinie 1999/94/EG über die Bereitstellung von Verbraucherinformationen über den Kraftstoffverbrauch und CO2-Emissionen beim Marketing für neue Personenkraftwagen;1878 Wein: Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse;1879 Verordnung (EG) Nr. 607/2009 hinsichtlich der geschützten Ursprungsbezeichnungen und geografischen Angaben, der traditionellen Begriffe sowie der Kennzeichnung und Aufmachung bestimmter Weinbauerzeugnisse.1880

1873 Eingehend Langner/Klindt C. VI. Technische Sicherheitsvorschriften und Normen in: Dauses/Ludwigs, EUWirtschaftsrecht, 44. Ergänzungslieferung (2018). 1874 Richtlinie 2001/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Dezember 2001 über die allgemeine Produktsicherheit, ABl. L 11 vom 15. 1. 2002, S. 4 (Art. 5). 1875 Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen, zur Änderung und Aufhebung der Richtlinien 67/548/EWG und 1999/45/EG und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006, ABl. L 353 vom 31. 12. 2008, S. 1 (Art. 17 ff.). 1876 Verordnung (EU) Nr. 1007/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. September 2011 über die Bezeichnungen von Textilfasern und die damit zusammenhängende Etikettierung und Kennzeichnung der Faserzusammensetzung von Textilerzeugnissen und zur Aufhebung der Richtlinie 73/44/EWG des Rates und der Richtlinien 96/73/EG und 2008/121/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. L 272 vom 18. 10. 2011, S. 1 (Art. 5, 7, 8, 9); dazu EuGH 5. 7. 2018 – C-339/17 – GRUR 2018, 1061 – Princesport. 1877 Verordnung (EG) Nr. 66/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 über das EU-Umweltzeichen, ABl. L 27 vom 30. 1. 2010, S. 1 (Art. 10 Abs. 1). 1878 Richtlinie 1999/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 1999 über die Bereitstellung von Verbraucherinformationen über den Kraftstoffverbrauch und CO2-Emissionen beim Marketing für neue Personenkraftwagen, ABl. L 12 vom 18. 1. 2000, S. 16. 1879 Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 922/72, (EWG) Nr. 234/79, (EG) Nr. 1037/2001 und (EG) Nr. 1234/2007, ABl. L 347 vom 20. 12. 2013, S. 671 (Art. 113). 1880 Verordnung (EG) Nr. 607/2009 der Kommission vom 14. Juli 2009 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 479/2008 des Rates hinsichtlich der geschützten Ursprungsbezeichnungen und geografischen Angaben, der traditionellen Begriffe sowie der Kennzeichnung und Aufmachung bestimmter Weinbauerzeugnisse, ABl. L 193 vom 24. 7. 2009, S. 60 (Art. 40).

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D. Internationales Wettbewerbsrecht Schrifttum Ahrens Das Herkunftslandprinzip in der E-Commerce-Richtlinie, CR 2000, 835; ders. Auf dem Weg zur IPR-VO der EG für das Deliktsrecht – Zum Sondertatbestand des Internationalen Wettbewerbsrechts, FS Tilmann (2003) 739; ders. Der Einfluss des Gemeinschaftsrechts auf das nationale IPR – Zur Rechtsnormenkonkurrenz am Beispiel des internationalen Wettbewerbsrechts, FS Georgiades (2005) 789; Albath/Giesler Das Herkunftslandprinzip in der Dienstleistungsrichtlinie – eine Kodifizierung der Rechtsprechung? EuZW 2006, 38; Alexander Die Rechtsprechung des EuGH zur Richtlinie 2005/29/EG bis zum Jahr 2012, WRP 2013, 17; Apel/Grapperhaus Das Offline-Online-Chaos oder wie die Europäische Kommission den grenzüberschreitenden Wettbewerb zu harmonisieren droht, WRP 1999, 1247; Arndt/Köhler Elektronischer Handel nach der E-Commerce-Richtlinie, EWS 2001, 102; De Baere Is this a Conflict Rule which I see Before Me? 11 MJ 3 (2004) 287; Baetzgen Internationales Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht im EG-Binnenmarkt (2007); Bär Kartellrecht und internationales Privatrecht (1965); ders. Internationales Kartellrecht und unlauterer Wettbewerb, FS Moser (1987) 143; v. Bar Internationales Privatrecht, Bd. II, Besonderer Teil (1991); ders. Wettbewerbsrechtlicher Verbraucherschutz und internationales Lauterkeitsrecht, in: Reichert-Facilides/Schnyder/Heiss (Hrsg.) Internationales Verbraucherschutzrecht, Erfahrungen und Entwicklungen in Deutschland, Lichtenstein, Österreich und der Schweiz (1995) 75; v. Bar/Mankowski Internationales Privatrecht, Bd. I, Allgemeine Lehren, 2. Aufl. (2003); Basedow Materielle Rechtsangleichung und Kollisionsrecht, in: Schnyder/Heiss/Rudisch (Hrsg.) Internationales Verbraucherschutzrecht (1995) 11; ders. Der kollisionsrechtliche Gehalt der Produktfreiheiten im europäischen Binnenmarkt: favor offerentis, RabelsZ 59 (1995) 1; ders. Entwicklungslinien des internationalen Kartellrechts, NJW 1996, 1921; ders. Dienstleistungsrichtlinie, Herkunftslandprinzip und Internationales Privatrecht, EuZW 2004, 423; Baudenbacher Die wettbewerbsrechtliche Beurteilung grenzüberschreitender Werbe- und Absatztätigkeit nach schweizerischem Recht, GRUR Int. 1988, 310; Bauermann Der Anknüpfungsgegenstand im europäischen Internationalen Lauterkeitsrecht (2015); J. Baur Zum Namensschutz im deutschen internationalen Privatrecht unter besonderer Berücksichtigung des Schutzes der Handelsnamen, AcP 167 (1967) 535; Beater Unlauterer Wettbewerb (2002); ders. Europäisches Recht gegen unlauteren Wettbewerb – Ansatzpunkte, Grundlagen, Entwicklung, Erforderlichkeit, ZEuP 2003, 11; ders. Unlauterer Wettbewerb Nachauflage (2011); Beckmann Werbung mit Auslandsberührungen, WRP 1993, 651; Behrens Elemente eines Begriffs des Internationalen Wirtschaftsrechts, RabelsZ 50 (1986) 483; Beier/Kunz-Hallstein Zu den Voraussetzungen des Schutzes ausländischer Handelsnamen nach Art. 2 und Art. 8 Pariser Verbandsübereinkunft, GRUR Int. 1982, 362; Beier/Schricker/Ulmer Stellungnahme des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht zum Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des internationalen Privatrechts, GRUR Int. 1985, 104; Beitzke Auslandswettbewerb unter Inländern – BGHZ 40, 391, JuS 1966, 139; Bernhard Cassis de Dijon und Kollisionsrecht – am Beispiel des unlauteren Wettbewerbs, EuZW 1992, 437; ders. Insel-Recht auf Gran Canaria, Zum internationalen Privatrecht des unlauteren Wettbewerbs, GRUR Int. 1992, 366; ders. Das internationale Privatrecht des unlauteren Wettbewerbs in den Mitgliedstaaten der EG (1994); Bernreuther Die Rechtsdurchsetzung des Herkunftslandrechts nach Art. 3 II EC-RiL und das Grundgesetz, WRP 2001, 384; ders. Der Ort der Rechtsdurchsetzung des Herkunftslandrechtes nach Art. 3 II EC-RiL und das Grundgesetz, WRP 2001, 513; Binder Zur Auflockerung des Deliktsstatuts, RabelZ 20 (1995) 401; Blasi Das Herkunftslandprinzip der Fernseh- und der E-Commerce-Richtlinie (2004); Bodenhausen Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums (1971); Bodewig Elektronischer Geschäftsverkehr und unlauterer Wettbewerb, GRUR Int. 2000, 475; Bornkamm Gerichtsstand und anwendbares Recht bei Kennzeichen- und Wettbewerbsverstößen im Internet, in: Neues Recht für Medien (1998) 99; Bornkamm/Seichter Das Internet im Spiegel des UWG, CR 2005, 747; Böttcher Kartell- und Lauterkeitsrecht in den Ländern der Andengemeinschaft (2003); Brannekämpfer Wettbewerbsstreitigkeiten mit Auslandsbeziehung im Verfahren der einstweiligen Verfügung, WRP 1994, 661; Breckheimer Anmerkung zur Entscheidung „Amazon EU“ des EuGH, RIW 2016, 681; Brenn Der elektronische Geschäftsverkehr, ÖJZ 1999, 481; Briem Internationales und Europäisches Wettbewerbsrecht und Kennzeichenrecht (1995); Brière Réflexions sur les interactions entre la proposition de règlement Rome II et les conventions internationales, J.D.I. 2005, 677; Brödermann Das Europäische Gemeinschaftsrecht als Quelle und Schranke des Internationalen Privatrechts, in: Brödermann/Iversen Europäisches Gemeinschaftsrecht und Internationales Privatrecht (1994) 3; Bröhl EGG – Gesetz über rechtliche Rahmenbedingungen des elektronischen Geschäftsverkehrs, MMR 2001, 67; Brömmelmeyer Der Binnenmarkt als Leitstern der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2007, 295; Buchner Rom II und das internationale Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, GRUR Int. 2005, 1004; Busche/Stoll TRIPS – Internationales und Europäisches Recht des geistigen Eigentums (2007); Büscher Geographische Herkunftsangaben als Gegenstand des gewerblichen Eigentums oder als Steuerungsinstrument von Wirtschaft und Politik? GRUR Int. 2008, 977; Burmann Werbung und Wettbewerb deutscher Unternehmen im Ausland, DB 1964, 1801; Chrocziel Die eingeschränkte Geltung des Gesetzes gegen den Unlauteren Wettbewerb für EG-Ausländer, EWS 1991, 173; Deinert

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Klass

Einleitung

D. Internationales Wettbewerbsrecht

Das Herkunftslandprinzip und seine Bedeutung für das Internationale Deliktsrecht, EWS 2006, 445; Dethloff Marketing im Internet und Internationales Wettbewerbsrecht, NJW 1998, 1596; dies. Europäisches Kollisionsrecht des unlauteren Wettbewerbs, JZ 2000, 179; dies. Europäisierung des Wettbewerbsrechts (2001); Deutsch Wettbewerbstatbestände mit Auslandsbeziehung (1962); Dieselhorst Anwendbares Recht bei internationalen Online-Diensten, ZUM 1998, 293; Drasch Das Herkunftslandprinzip im internationalen Privatrecht (1997); Drexl Europarecht und Urheberkollisionsrecht, FS Dietz (2001) 461; ders. Internationales Lauterkeitsrecht, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limpberg (Hrsg.) Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 12: Internationales Privatrecht, Internationales Wirtschaftsrecht, 7. Aufl. (2018); Drobnig Das Profil des Wirtschaftskollisionsrechts, RabelsZ (1988) 1; ders. IP in Bilateral Trade Agreements, in: Ghidini/Genovesi (Hrsg.) Intellectual Property and Market Power (2008) 525; Duintjer/Tebbens Les conflits de lois en matière de publicité déloyale à l’épreuve du droit communautaire, Rev.crit.dr.int.pr. 83 (1994) 451; Dutoit Une convention multilatérale de droit international privé en matière de concurrence déloyale: mythe ou nécessité? FS Droz (1996) 51; Dyer Unfair Competition in Private International Law, Rec. des Cours 211 (1988-IV) 377; Ehrich Der internationale Anwendungsbereich des deutschen und französischen Rechts gegen irreführende Werbung (2005); Einsele Rechtswahlfreiheit im Internationalen Privatrecht, RabelsZ 60 (1996) 417; Engel/Salomon Vom Lauterkeitsrecht zum Verbraucherschutz: UWG-Reform 2003, WRP 2004, 32; Faulenbach Der gemeinschaftsrechtliche Vorbehalt im europäischen Wettbewerbsrecht – Die Herkunftslandanknüpfung der E-Commerce-Richtlinie unter dem Einfluss der Grundfreiheiten (2004); Ferrari Die Anknüpfung an die Marktauswirkung im schweizerischen IPRG und ihre Konkretisierung, Diss. Basel 1994; Fetsch Grenzüberschreitende Gewinnzusage im europäischen Binnenmarkt, RIW 2002, 936; Fezer Vertriebsbindungssysteme als Unternehmensleistung, GRUR 1990, 551; ders. Der wettbewerbsrechtliche Schutz der unternehmerischen Leistung, in: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht in Deutschland, FS GRUR, Bd. II (1991) 939; ders. Leistungsschutz im Wettbewerbsrecht, WRP 1993, 63; ders. Europäisierung des Wettbewerbsrechts, JZ 1994, 317; ders. Das wettbewerbsrechtliche Irreführungsverbot als ein normatives Modell des verständigen Verbrauchers im Europäischen Unionsrecht, WRP 1995, 671; ders. Modernisierung des deutschen Rechts gegen den unlauteren Wettbewerb auf der Grundlage der Europäisierung des Wettbewerbsrechts, WRP 2001, 989; ders. Plädoyer für eine offensive Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken in das UWG – Originärer Verbraucherschutz durch Lauterkeitsrecht als Paradigma der europäischen Rechtsharmonisierung, WRP 2006, 781; Fezer/Koos Das gemeinschaftsrechtliche Herkunftslandprinzip und die E-Commerce-Richtlinie, IPRax 2000, 349; dies. Internationales Wettbewerbsprivatrecht, in: Staudinger Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Neubearbeitung 2015; Fikentscher Wettbewerbsrecht im TRIPS-Agreement der Welthandelsorganisation, GRUR Int. 1995, 529; Flessner Fakultatives Kollisionsrecht, RabelsZ 34 (1970) 547; Freytag EU-Kommission: Richtlinienentwurf zum Electronic-Commerce, MMR 12/1998, S. V; Fritze/Holzbach Die ElectronicCommerce-Richtlinie – Ende oder Chance für das Deutsche Wettbewerbsrecht, WRP 2000, 872; Froriep Der unlautere Wettbewerb im internationalen Privatrecht (1958); Fröhlich The Private International Law of Non-Contractual Obligations According to the Rome-II Regulation (2008); Gamerith Neue Herausforderungen für ein europäisches Lauterkeitsrecht, WRP 2003, 143; ders. Der Richtlinienvorschlag über unlautere Geschäftspraktiken – Möglichkeiten einer harmonischen Umsetzung, WRP 2005, 391; v. Gamm Anwendung deutschen Wettbewerbsrechts auf auslandsbezogene Sachverhalte, EWS 1991, 166; Garcimartín Alférez The Rome II Regulation: On the way towards a European Private International Law Code, ELF 2007, 77; Garriga Relationships between Rome II and Other International Instruments, YPIL 9 (2007) 137; Gebauer Internationales Privatrecht und Warenverkehrsfreiheit in Europa, IPRax 1995, 152; Gervais The TRIPS Agreement – Drafting History and Analysis, 3rd ed. (2008); Gierschmann Die E-CommerceRichtlinie, DB 2000, 1315; Gloede Der deutsche Außenhandel und seine wettbewerbsrechtliche Beurteilung nach deutschem IPR, GRUR 1960, 464; Glöckner „Cold Calling“ und europäische Richtlinien zum Fernabsatz – ein trojanisches Pferd im deutschen Lauterkeitsrecht, GRUR Int. 2000, 29; ders. Wettbewerbsverstöße im Internet – Grenzen einer kollisionsrechtlichen Problemlösung, ZVglRWiss 99 (2000) 278; ders. Ist die Union reif für die Kontrolle an der Quelle? WRP 2005, 795; ders. Europäisches Lauterkeitsrecht (2006); ders. Der grenzüberschreitende Lauterkeitsprozess nach BGH v. 11. 2. 2010 – Ausschreibung in Bulgarien, WRP 2011, 137; ders. Über die Schwierigkeit, Proteus zu beschreiben – die Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken in Deutschland, GRUR 2013, 224; Glöckner/Henning-Bodewig EG-Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken: Was wird aus dem „neuen“ UWG? WRP 2005, 1311; Glöckner/Kur Geschäftliche Handlungen im Internet. Herausforderungen für das Marken- und Lauterkeitsrecht, GRUR-Beilage 2014, 29; Grandpierre Herkunftsprinzip kontra Marktortanknüpfung (1999); Grundmann Das Internationale Privatrecht der E-Commerce-Richtlinie – was ist kategorial anders im Kollisionsrecht des Binnenmarktes und warum? RabelsZ 67 (2003) 246; Giuliano/Lagarde Rapport concernant l’avant-projet de convention sur la loi applicable aux obligations contractuelles et non-contractuelles, in: European Private International Law of Obligations (1975) 241; Habermeier Neue Wege zum Wirtschaftskollisionsrecht (1997); Halfmeier Vom Cassislikör zur E-Commerce-Richtlinie: Auf dem Weg zu einem europäischen Medienrecht, ZEuP 2001, 837; Hamburg Group for Private International Law Comments on the European Commission’s Draft Proposal for a Council Regulation on the

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Schrifttum

Einleitung

Law Applicable to Non-Contractual Obligations, RabelsZ 67 (2003) 1; Handig Neues im Internationalen Wettbewerbsrecht, GRUR Int. 2008, 24; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 4. Aufl. (2016); Hartley Choice of Law for Non-Contractual Liability: Selected Problems Under the Rome II Regulation, ICLQ 57 (2008) 899; Hausmann Art. 3 bis 4 EGBGB, in: Staudinger Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Neubearbeitung 2003; Hausmann/Obergfell Einleitung I, in: Fezer (Hrsg.) Lauterkeitsrecht: UWG, Band 1, 3. Aufl. (2016); Heermann Art. 28 EG, in: Heermann/Hirsch (Hrsg.) Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht (UWG), Band 1: Grundlagen des Wettbewerbsrechts, Internationales Wettbewerbs- und Wettbewerbsverfahrensrecht, Europäisches Gemeinschaftsrecht – Grundlagen und sekundäre Maßnahmen, §§ 1–4 UWG 1. Aufl. (2006); Heidinger Anmerkung zur Entscheidung des österreichischen OGH vom 23. 5. 2013 „VfG Versandapotheke für Österreich“, M&R 2013, 297; v. Hein Rück- und Weiterverweisung im neuen deutschen Internationalen Deliktsrecht, ZVglRWiss 99 (2000) 251; ders. Die Kodifikation des europäischen IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse vor dem Abschluss? Zum gegenwärtigen Stand der Rom-II-Verordnung, VersR 2007, 440; ders. Die Ausweichklausel im europäischen Internationalen Deliktsrecht, FS Kropholler (2008) 553; ders. Europäisches Internationales Deliktsrecht nach der Rom IIVerordnung, ZEuP 2009, 6; Heinemann Das Kartellrecht des geistigen Eigentums im TRIPS-Übereinkommen der Welthandelsorganisation, GRUR Int. 1995, 535; Chr. Heinze Bausteine eines Allgemeinen Teils des europäischen Internationalen Privatrechts, FS Kropholler (2008) 105; ders. Der europäische Deliktsgerichtsstand bei Lauterkeitsverstößen, IPRax 2009, 231; Hellner Unfair Competition and Acts Restricting Free Competition – A Commentary on Article 6 of the Rome II Regulation, YPIL 9 (2007) 49; Helmberg Der Einfluss des EG-Rechts auf das IPR, Wbl. 1997, 89; Henning-Bodewig Der internationale Schutz gegen Unlauteren Wettbewerb, in: Schricker/Henning-Bodewig (Hrsg.) Neuordnung des Wettbewerbsrechts (1999) 21; dies. Das Folgedokument zum Grünbuch über die kommerziellen Kommunikationen im Binnenmarkt: Ein neuer Ansatz der Kommission? GRUR Int. 1999, 233; dies. E-Commerce und irreführende Werbung, WRP 2001, 771; dies. Das Europäische Lauterkeitsrecht: B2C, B2B oder besser doch beides? FS Tilmann (2003) 149; dies. Herkunftslandprinzip im Wettbewerbsrecht: Erste Erfahrungen, GRUR 2004, 822; dies. Richtlinienvorschlag über unlautere Geschäftspraktiken und UWG-Reform, GRUR Int. 2004, 183; dies. Die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR Int. 2005, 629; dies. Nationale Eigenständigkeit und europäische Vorgaben im Lauterkeitsrecht, GRUR Int. 2010, 549; dies. Internationale Standards gegen unlauteren Wettbewerb, GRUR Int. 2013, 1; Herdegen Internationales Wirtschaftsrecht, 4. Aufl. (2003); Herkner Die Grenzen der Rechtswahl im internationalen Deliktsrecht (2003); Herzig Rechtliche Probleme grenzüberschreitender Werbung, wbl 1988, 251; Höder Die kollisionsrechtliche Behandlung unteilbarer Multistate-Verstöße (2002); Hoepffner Anmerkung zur Entscheidung „Stahlexport“ des BGH, GRUR 1964, 319; Hoepfner/Rüthers Grundlagen einer europäischen Methodenlehre, AcP 209 (2009) 1; Hoeren Werberecht im Internet am Beispiel der ICC Guidelines on Interactive Marketing Communications, in: Internet- und Multimediarecht (Cyberlaw) (1997) 111; ders. Cybermanners und Wettbewerbsrecht – Einige Überlegungen zum Lauterkeitsrecht im Internet, WRP 1997, 993; ders. Vorschlag für eine EURichtlinie über E-Commerce, Eine kritische Analyse, MMR 1999, 192; v. Hoffmann Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche/IPR, Art. 38 bis 42 EGBGB, in: Staudinger Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Neubearbeitung 2001; Honorati The Law Applicable to Unfair Competition, in: Malatesta (Hrsg.) The Unification of Choice of Law Rules on Torts and Other Non-Contractual Obligations in Europe (2006) 127; Höpperger/Senftleben in: Hilty/ Henning-Bodewig (Hrsg.) Law Against Unfair Competition (2007) 61; Höpping Auswirkungen der Warenverkehrsfreiheit auf das IPR (1997); Hösch Der Einfluss der Freiheit des Warenverkehrs (Art. 30 EWGV) auf das Recht des unlauteren Wettbewerbs, Diss. Bayreuth 1993; Hoth Ausländische Werbung mit Inlandswirkung, GRUR 1972, 449; P. Huber/Bach Die Rom II-VO – Kommissionsentwurf und aktuelle Entwicklungen, IPRax 2005, 73; Idot Les conflits de lois en droit de la concurrence, Clunet (JDI) 1995, 321; Jakob Wem gehört „Havana Club“, GRUR Int. 2002, 406; Jayme Bemerkungen zum Entwurf eines EU-Übereinkommens über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht, IPRax 1999, 298; Jayme/Kohler Das Internationale Privat- und Verfahrensrecht der EG 1991 – Harmonisierungsmodell oder Mehrspurigkeit des Kollisionsrechts, IPRax 1991, 361; dies. Spannungen zwischen Staatsverträgen und Richtlinien, IPRax 1993, 357; Joerges Die klassische Konzeption des internationalen Privatrechts und das Recht des unlauteren Wettbewerbs, RabelsZ 36 (1972) 421; ders. Vorüberlegungen zu einer Theorie des internationalen Wirtschaftsrechts, RabelsZ 43 (1979) 6; ders. Die Verwirklichung des Binnenmarktes und die Europäisierung des Produktsicherheitsrechts, FS Steindorff (1990) 1247; Joliet Das Recht des unlauteren Wettbewerbs und der freie Warenverkehr, GRUR Int. 1994, 1; Junker Internationales Privatrecht (1998); ders. Die Rom II-Verordnung: Neues Internationales Deliktsrecht auf euro-päischer Grundlage, NJW 2007, 3675; ders. Verordnung (EG) Nr. 864/2007, in: Säcker/Rixecker (Hrsg.) Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 10: Internationales Privatrecht, Rom I-Verordnung, Rom II-Verordnung, 5. Aufl. (2010); Kadner Graziano Gemeineuropäisches Internationales Privatrecht (2002); Kampf Freihandelsverträge und das TRIPS-Übereinkommen, VPP-Rundbrief Nr. 2/ 2006, 38; Katzenberger Kollisionsrecht des unlauteren Wettbewerbs, in: Schricker/Henning-Bodewig (Hrsg.) Neuordnung des Wettbewerbsrechts (1998) 218; Kaufhold Internationale Webshops – anwendbares Vertrags- und AGB-

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Klass

Einleitung

D. Internationales Wettbewerbsrecht

Recht im Verbraucherverkehr, EuZW 2016, 247; dies. Anwendbares AGB-Recht im Verbandsverfahren und Transparenzgebot für Rechtswahlklausel, IWRZ 2016, 215; Kegel/Schurig Internationales Privatrecht, 9. Aufl. (2004); Keßler Vom Recht des unlauteren Wettbewerbs zum Recht der Marktkommunikation – Individualrechtliche und institutionelle Aspekte des deutschen und europäischen Lauterkeitsrechts, WRP 2005, 1203; Keßler/Micklitz Die Harmonisierung des Lauterkeitsrechts in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und die Reform des UWG (2003); Kieninger Die Lokalisierung von Wettbewerbsverstößen im Internet – Ist das Marktortprinzip zukunftsfähig? In: Leible (Hrsg.) Die Bedeutung des Internationalen Privatrechts im Zeitalter neuer Medien (2003) 121; Kiethe Werbung im Internet, WRP 2000, 616; Kitz Das neue Recht der elektronischen Medien in Deutschland – sein Charme, seine Fallstricke, ZUM 2007, 368; Klass Das Urheberkollisionsrecht der ersten Inhaberschaft – Plädoyer für einen universalen Ansatz, GRUR Int. 2007, 373; dies. Die Bestimmung geeigneter Anknüpfungspunkte für die erste Inhaberschaft, GRUR Int. 2008, 546; Kleist/Scheuer Audiovisuelle Mediendienste ohne Grenzen, MMR 2006, 127; Klinger Werbung im Internet und Internationales Wettbewerbsrecht: Rechtsfragen und Rechtstatsachen (2005); Knaak The Protection of Geographical Indications According to the TRIPS Agreement, in: Beier/Schricker (Hrsg.) From GATT to TRIPS (1996) 117; Knopp Über die Anwendbarkeit von Artikel 85 des EWG-Vertrages auf Individualverträge, AWD 1962, 269; Koch Das Tatortprinzip des internationalen Deliktsrechts und Europäisches Gemeinschaftsrecht, FS Koppensteiner (2001) 609; Köhler UWG-Reform und Verbraucherschutz, GRUR 2003, 265; ders. Die „Bagatellklausel“ in § 3 UWG, GRUR 2005, 1; ders. Zur Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2005, 793; ders. Ist die Regelung der Telefonwerbung im UWG richtlinienkonform? WRP 2012, 1329; ders. Verbandsklagen gegen unerbetene Telefon-, Fax- und E-Mail-Werbung: Was sagt das Unionsrecht? WRP 2013, 567; ders. Wettbewerbsstatut oder Deliktsstatut? – Zur Auslegung des Art. 6 Rom-II-VO, FS Coester-Waltjen (2015) 501; Köhler/Bornkamm Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 36. Aufl. (2018); Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig Vorschlag für eine Richtlinie zum Lauterkeitsrecht und eine UWG-Reform, WRP 2002, 1317; König Die EU-Fernsehrichtlinie – Revision oder Abschied? ZUM 2002, 803; Koos Europäischer Lauterkeitsmaßstab und globale Integration (1996); ders. Grundsätze des Lauterkeitskollisionsrechts im Lichte der Schutzzwecke des UWG, WRP 2006, 499; ders. Rom II und das Internationale Wirtschaftsrecht, EuLF 2006, II-73; ders. Objektive Kriterien zur Feststellung des anwendbaren Rechts im Internationalen Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht, IPRax 2007, 414; Kort Zur „multistate“-Problematik grenzüberschreitender Fernsehwerbung, GRUR Int. 1994, 594; Körner Wettbewerbsschutz deutscher Zeichenrechte gegen im Ausland begangene Verletzungshandlungen, AWD 1970, 211; Kotthoff Werbung ausländischer Unternehmen im Inland (1995); ders. Der Schutz des Euro-Marketings über Art. 30 EGV, WRP 1996, 79; ders. Die Anwendbarkeit des deutschen Wettbewerbsrechts auf Werbemaßnahmen im Internet, CR 1997, 676; Kraßer The Protection of Trade Secrets in the TRIPS Agreement, in: Beier/Schricker (Hrsg.) From GATT to TRIPS (1995) 216; Kreuzer Wettbewerbsverstöße und Beeinträchtigung geschäftlicher Interessen (einschließl. der Verletzung kartellrechtlicher Schutzvorschriften), in: v. Caemmerer Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Privatrechts der außervertraglichen Schuldverhältnisse (1983) 232; ders. Die Europäisierung des Internationalen Privatrechts – Vorgaben des Gemeinschaftsrechts, in: Müller-Graf (Hrsg.) Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Gemeinschaft (1993) 373; ders. Die Vergemeinschaftung des Kollisionsrechts für außervertragliche Schuldverhältnisse (Rom II), in: Reichelt/ Rechberger (Hrsg.) Europäisches Kollisionsrecht (2004) 13; ders. Gemeinschaftskollisionsrecht und universales Kollisionsrecht, FS Kropholler (2008) 129; ders. Art. 38 EGBGB Unerlaubte Handlungen, in: Rebmann/Säcker/Rixecker, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 10: Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (Art. 1–38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. (1998); Krieger Möglichkeiten für eine Verstärkung des Schutzes deutscher Herkunftsangaben im Ausland, GRUR Ausl. 1960, 400; ders. Der deutsch-schweizerische Vertrag über den Schutz von Herkunftsangaben und anderen geografischen Bezeichnungen, GRUR Int. 1967, 334; ders. Der internationale Schutz geografischer Bezeichnungen aus deutscher Sicht, GRUR Int. 1984, 71; Kropholler Internationales Einheitsrecht (1975); ders. Europäisches Zivilprozessrecht (2005); ders. Internationales Privatrecht, 6. Aufl. (2006); Kur TRIPS und das Markenrecht, GRUR Int. 1994, 987; ders. Das Herkunftslandprinzip der E-Commerce-Richtlinie: Chancen und Risiken, FS Erdmann (2002) 629; Landfermann Internet-Werbung und IPR, in: Aufbruch nach Europa, 75 Jahre Max-Planck-Institut für Privatrecht (2001) 503; Lehmann, Matthias Der Anwendungsbereich der Rom IVerordnung – Vertragsbegriff und vorvertragliche Rechtsverhältnisse, in: Ferrari/Leible (Hrsg.) Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa (2007) 17; Lehmann, Michael Rechtsgeschäfte und Verantwortlichkeit im Netz – Der Richtlinienvorschlag der EU-Kommission, ZUM 1999, 188; ders. Electronic Commerce und Verbraucherschutz in Europa, EuZW 2000, 517; ders. Electronic Commerce und Verbraucherschutz in Europa, EuZW 2000, 517; ders. Die Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr – einige ergänzende Bemerkungen, in: Lehmann (Hrsg.) Electronic Business in Europa, München (2002) 96; Lehr Internationale medienrechtliche Konflikte und Verfahren, NJW 2012, 705; Lehmler Kommentar zum Wettbewerbsrecht, UWG (2007); Leible Kollisionsrechtlicher Verbraucherschutz im EVÜ und in EG-Richtlinien, in: Europäische Rechtsangleichung und nationale Privatrechte (1999) 353; ders. Rechtswahl im IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse nach der Rom II-Verordnung, RIW 2008,

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Einleitung

257; ders. Rom I und Rom II: Neue Perspektiven im Europäischen Kollisionsrecht (2009); Leible/Engel Der Vorschlag der EG-Kommission für eine Rom II-Verordnung – Auf dem Weg zu einheitlichen Anknüpfungsregeln für außervertragliche Schuldverhältnisse in Europa, EuZW 2004, 7; Leible/Lehmann Die neue EG-Verordnung über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) RIW 2007, 721; Leible/Müller Die Bedeutung von Websites für die internationale Zuständigkeit in Verbrauchersachen, NJW 2011, 495; Leible/Staudinger Art. 65 EGV im System der EG-Kompetenzen, EuLF 2000/01 (D) 225; Leistner Verbraucherschutz oder Recht des unlauteren Wettbewerbs? Die aktuellen Initiativen der Europäischen Kommission auf dem Feld der unlauteren Geschäftspraktiken, Jb. J. ZivRWiss. (2004) 185; ders. Werberecht im Internet, in: Leistner/Bettinger (Hrsg.) Werbung und Vertrieb im Internet (2005) 3; ders. Comments: The Rome II Regulation Proposal and its Relation to the European Country-ofOrigin Principle, in: Drexl/Kur (Hrsg.) Intellectual Property and Private International Law – Heading for the Future, Oxford (2005) 177; ders. Unfair Competition Law Protection Against Imitations: A Hybrid under the future Art. 5 Rome II Regulation? In: Basedow/Drexl/Kur/Metzger Intellectual Property in the Conflict of Laws (2005) 129; ders. Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb (2007); ders. Bestand und Entwicklungsperspektiven des Europäischen Lauterkeitsrechts, ZEuP 2009, 56; Leistner/Pothmann E-mail-Direktmarketing im neuen europäischen Recht und in der UWG-Reform, WRP 2003, 815; Lejeune Die neue EU Richtlinie zum Schutz von Know-How und Geschäftsgeheimnissen. Wesentliche Inhalte und Anpassungsbedarf im deutschen Recht sowie ein Vergleich zur Rechtslage in den USA, CR 2016, 330; Lemor Auswirkungen der Dienstleistungsrichtlinie auf ausgesuchte reglementierte Berufe, EuZW 2007, 135; Lettl Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor irreführender Werbung in Europa, GRUR Int. 2004, 85; Lichtenstein Der gewerbliche Rechtsschutz im internationalen Privatrecht, NJW 1964, 1208; Lindacher Zum internationalen Privatrecht des unlauteren Wettbewerbs, WRP 1996, 645; ders. Wettbewerbsrecht und privilegium germanicum, FS Piper (1996) 355; ders. Die internationale Dimension lauterkeitsrechtlicher Unterlassungsansprüche: Marktterritorialität versus Universalität, GRUR Int. 2008, 453; Lorenz Zivilprozessuale Konsequenzen der Neuregelung des Internationalen Deliktsrechts: Erste Hinweise für die anwaltliche Praxis, NJW 1999, 2215; ders. Gewinnmitteilungen als „geschäftsähnliche Handlungen“: Anwendbares Recht, internationale Zuständigkeit und Erfüllungsort, NJW 2006, 472; Loschelder Die Bedeutung der zweiseitigen Abkommen über den Schutz von Herkunftsangaben, Ursprungsbezeichnungen und anderen geografischen Bezeichnungen in der Bundesrepublik Deutschland unter Berücksichtigung der VO (EWG) Nr. 2081/92, FS Erdmann (2002) 387; Löffler Werbung im Cyberspace – Eine kollisionsrechtliche Betrachtung, WRP 2001, 379; Lurger Internationales Deliktsrecht und Internet – ein Ausgangspunkt für grundlegende Umwälzungen im Internationalen Privatrecht? In: Aufbruch nach Europa, 75 Jahre Max-Planck-Institut für Privatrecht (2001) 479; Lurger/Vallant Die österreichische Umsetzung des Herkunftslandprinzips der E-Commerce-Richtlinie, MMR 2002, 203; dies. Grenzüberschreitender Wettbewerb im Internet, RIW 2002, 188; Lüttringhaus Übergreifende Begrifflichkeiten im europäischen Zivilverfahrens- und Kollisionsrecht – Grund und Grenzen der rechtsaktübergreifenden Auslegung, dargestellt am Beispiel vertraglicher und außervertraglicher Schuldverhältnisse, RabelsZ 2013, 31; Maennel Elektronischer Geschäftsverkehr ohne Grenzen – der Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission, MMR 1999, 187; ders. Die Europäische Richtlinie zum Electronic Commerce, in: Lehmann (Hrsg.) Electronic Business in Europa, München (2002) 44; Magnus Vorbemerkung zu Art. 27 bis 37 EGBGB, in: Staudinger Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Neubearbeitung 2002; Mand E-Commerce mit Arzneimitteln, Auswirkungen des Herkunftslandprinzips auf das Internationale Wettbewerbsrecht, MMR 2003, 77; Mankowski Preisangaben in ausländischer Währung und deutscher Werbemarkt, GRUR 1995, 539; ders. Internet und Internationales Wettbewerbsrecht, GRUR Int. 1999, 909; ders. Besondere Formen von Wettbewerbsverstößen im Internet und Internationales Wettbewerbsrecht, GRUR Int. 1999, 995; ders. Wider ein transnationales Cyberlaw. Oder: Von der fortbestehenden Bedeutung des Internationalen Privatrechts bei Internet-Sachverhalten, AfP 1999, 138; ders. E-Commerce und Internationales Verbraucherschutzrecht, MMR-Beilage 7/2000, 22; ders. Wettbewerbsrechtliches Gerichtspflichtigkeitsund Rechtsanwendungsrisiko bei Werbung über Websites, CR 2000, 763; ders. Buchbesprechung: Grandpierre Herkunftslandprinzip kontra Marktanknüpfung – Auswirkungen des Gemeinschaftsrechts auf die Kollisionsregeln im Wettbewerbsrecht, WRP 2000, 657; ders. Binnenmarkt-IPR – Eine Problemskizze, in: Aufbruch nach Europa, 75 Jahre Max-Planck-Institut für Privatrecht (2001) 595; ders. Das Herkunftslandprinzip als Internationales Privatrecht der ecommerce-Richtlinie, ZVglRWiss 100 (2001) 137; ders. Der internationale Schutz gegen unlauteren Wettbewerb und das TRIPS-Abkommen, GRUR Int. 2001, 100; ders. Particular Kinds of Unfair Competition on the Internet and Conflicts of Laws, IIC 2001, 390; ders. Herkunftslandprinzip und deutsches Umsetzungsgesetz zur e-commerce-Richtlinie, IPRax 2002, 257; ders. Das Herkunftslandprinzip des e-Commerce-Rechts als Internationales Privatrecht, EWS 2002, 401; ders. Wider ein Herkunftslandprinzip für Dienstleistungen im Binnenmarkt, IPRax 2004, 385; ders. Was soll der Anknüpfungsgegenstand des (europäischen) Internationalen Wettbewerbsrechts sein? GRUR Int. 2005, 634; ders. Entwicklungen im Internationalen Privat- und Prozessrecht 2004/2005 (Teil 1) RIW 2005, 481; ders. Das neue Internationale Kartellrecht des Art. 6 Abs. 3 der Rom II-Verordnung, RIW 2008, 177; ders. Rechtswahlklauseln in Verbraucherverträgen – keine einfache Sache, FS Roth (2015) 361; ders. Verbandsklagen, AGB-Recht und Rechts-

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Einleitung

D. Internationales Wettbewerbsrecht

wahlklauseln in Verbraucherverträgen, NJW 2016, 2705; ders. Internationales Wettbewerbsrecht, in: Heermann/ Hirsch (Hrsg.) Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht (UWG), Band 1: Grundlagen des Wettbewerbsrechts, Internationales Wettbewerbs- und Wettbewerbsverfahrensrecht, Europäisches Gemeinschaftsrecht – Grundlagen und sekundärrechtliche Maßnahmen, §§ 1–4 UWG, 2. Aufl. (2014); Martinek Das internationale Kartellprivatrecht (1987); Martiny Die Anknüpfung an den Markt, FS Drobnig (1999) 389; ders. Europäisches Internationales Schuldrecht – Feinarbeit an Rom I- und Rom II-Verordnungen, ZEuP 2018, 218; Marwitz Werberegulierung durch EUGesetzgebung, K&R 2004, 209; Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb Stellungnahme des Max-PlanckInstituts für Innovation und Wettbewerb vom 12. 5. 2014 zum Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung vom 28. 11. 2013, COM (2013) 813 final, GRUR Int. 2014, 554; van Meenen Lauterkeitsrecht und Verbrauchschutz im IPR (1995); Micklitz/Keßler Europäisches Lauterkeitsrecht, GRUR Int. 2002, 885; dies. Funktionswandel des UWG, WRP 2003, 919; Micklitz/Reich Das IPR der Verbraucherverbandsklage gegen missbräuchliche AGB, EWS 2015, 181; Möllering Das Recht des unlauteren Wettbewerbs in Europa: Eine neue Dimension, WRP 1990, 1; Mook Internationale Rechtsunterschiede und internationaler Wettbewerb (1986); Moritz Quo vadis elektronischer Geschäftsverkehr? CR 2000, 61; Mörsdorf-Schulte Spezielle Vorbehaltsklauseln im Europäischen Internationalen Deliktsrecht? ZVglRWiss 104 (2005) 192; Mosing Internationales Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. (1965); Müller Amazon and Data Protection Law – The end of the Private/Public Divide in EU conflict of laws? Case Note on CJEU, 28 July 2016, Case C‑191/15 Verein für Konsumenteninformation v Amazon EU Sàrl, EuCML 2016, 215; Müller-Graff Fakultatives Kollisionsrecht im internationalen Wettbewerbsrecht, RabelsZ 48 (1984) 289; Muth Die Bestimmung des anwendbaren Rechts bei Urheberrechtsverletzungen im Internet (2000) 60; Naskret Das Verhältnis zwischen Herkunftslandprinzip und Internationalem Privatrecht in der Richtlinie zum elektronischen Geschäftsverkehr (2003); Nemeczek Wettbewerbliche Eigenart und die Dichotomie des mittelbaren Leistungsschutzes, WRP 2010, 1315; Nemeth Kollisionsrechtlicher Verbraucherschutz in Europa, wbl 2000, 341; Nettlau Die kollisionsrechtliche Behandlung von Ansprüchen aus unlauterem Wettbewerbsverhalten gemäß Art. 6 Abs. 1 und 2 Rom II-VO (2013); Neumann Der Anwendungsbereich des deutschen UWG im internationalen Wettbewerb, Int. Wettbewerb 1959, 13; Neumeyer Internationales Privatrecht, 2. Aufl. (1930); Nickels Der elektronische Geschäftsverkehr und das Herkunftslandprinzip, DB 2001, 1919; Baudenbacher/Novak Wirtschaftsrecht Bd. 1, 417; Nußbaum Deutsches Internationales Privatrecht (1932); Oesterhaus Die Ausnutzung des internationalen Rechtsgefälles und § 1 UWG (1990); Ofner Marktortsprinzip vs Herkunftslandprinzip gem. § 20 ECG?, ZfRV 2013, 227; Ohly Richterrecht und Generalklausel im Recht des unlauteren Wettbewerbs – ein Methodenvergleich des englischen und des deutschen Rechts (1997); ders. Herkunftslandprinzip und Kollisionsrecht, GRUR Int. 2001, 899; ders. Das Herkunftslandprinzip im Bereich vollständig angeglichenen Lauterkeitsrechts, WRP 2006, 1401; ders. in: Drexl/Kur Intellectual Property and Private International Law (2005) 241; ders. Einführung B zum UWG, in: Sosnitza/Köhler/Piper/Ohly (Hrsg.) Kommentar Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 7. Aufl. (2016); Paefgen Unlauterer Wettbewerb durch Rechtsbruch in internationalprivatrechtlicher Sicht, WRP 1991, 447; ders. Unlauterer Wettbewerb im Ausland, GRUR Int. 1994, 99; Pfeiffer Die Entwicklung des Internationalen Vertrags-, Schuld- und Sachenrechts 1997–1999, NJW 1999, 3674; ders. Erneut: Marktanknüpfung und Herkunftslandprinzip im E-Commerce (zu OGH, 28. 11. 2012 – 4 Ob 202/12b), IPRax 2014, 360; ders. BGH: Transparenzkontrolle von Rechtswahlklauseln – Pharmazeutische Beratung über Callcenter, LMK 2013, 343552; Pflüger Reichweite internationalrechtlicher Vorgaben, in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.) Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009) 65; ders. Der internationale Schutz gegen unlauteren Wettbewerb 1. Auflage (2010); Pichler Vorschlag für eine Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr, ELR 1999, 74; Piekenbrock Die Bedeutung des Herkunftslandprinzips im europäischen Wettbewerbsrecht, GRUR Int. 2005, 997; Poelzig/Windorfer Art. 6 Rom II-VO Unlauterer Wettbewerb und den freien Wettbewerb einschränkendes Verhalten in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, (GesamtHrsg.), Budzikiewicz/Weller/Wurmnest (Hrsg.) beck-online.GROSSKOMMENTAR: Rom II-VO, Stand: 1. 8. 2018; Raape Internationales Privatrecht, 5. Aufl. (1961); Radicati di Brozolo L’influence sur les conflits de lois des principes de droit communautaire en matiére de liberté de circulation, Rev.crit.dip 82 (1993) 401; Rauscher/Pabst Die Entwicklung des Internationalen Privatrechts 2011–2012, NJW 2012, 3490; Reese Grenzüberschreitende Werbung in der Europäischen Gemeinschaft (1994); Reese/Vischer The conflictof-laws rules on unfair competition, Ann. Inst. Dr. Int. 60, I (1983) 159; Regelmann Die internationalprivatrechtliche Anknüpfung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, Diss. Konstanz 1988; Reger Der internationale Schutz gegen unlauteren Wettbewerb und das TRIPS-Abkommen (1999); Reich Rechtsprobleme grenzüberschreitender irreführender Werbung im Binnenmarkt, RabelsZ 56 (1992) 444; Reichert-Facilides Parteiautonomie im Internationalen Privatrecht des unlauteren Wettbewerbs, FS Hartmann (1976) 205; Reichold AcP 193 (1993) 204; Reithmann/Martiny Internationales Vertragsrecht, 6. Aufl. (2004); Remien Grenzen der gerichtlichen Privatrechtsangleichung mittels der Grundfreiheiten des EG-Vertrages, JZ 1994, 349; Reuter Der Ausländer im deutschen Wettbewerbs-und Kennzeichnungsrecht, BB 1989, 2265; Riegl Streudelikte im internationalen Privatrecht, Diss. Augsburg 1986; Rieländer Die

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Schrifttum

Einleitung

Inhalts- und Transparenzkontrolle von Rechtswahlklauseln im EU-Kollisionsrecht, RIW 2017, 28; Robak Zuständigkeit und anwendbares Recht in grenzüberschreitenden presserechtlichen Verfahren, GRUR-Prax 2012, 306; Rohe Zu den Geltungsgründen des Deliktsstatuts (1994); Roth Der Einfluss des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf das Internationale Privatrecht, RabelsZ 55 (1991) 623; ders. Angleichung des IPR durch sekundäres Gemeinschaftsrecht, IPRax 1994, 165; ders. Internationales Kartelldeliktsrecht in der Rom II-Verordnung, FS Kropholler (2008) 623; ders. Persönlichkeitsschutz im Internet: Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht (zu EuGH, 25. 10. 2011 – verb. Rs. C-509/09 und C-161/10, eDate Advertising GmbH ./. X und Olivier Martinez, Robert Martinez ./. MGN Limited und BGH, 8. 5. 2012 – VI ZR 217/08), IPRax 2013, 215; ders. Rechtswahlklauseln in Verbraucherverträgen – eine schwierige Sache? (zu BGH, 19. 7. 2012 – I ZR 40/11), IPRax 2013, 515; ders. Datenschutz, Verbandsklage, Rechtswahlklauseln in Verbraucherverträgen: Unionsrechtliche Vorgaben für das Kollisionsrecht (zu EuGH, 28. 7. 2016 – Rs. C191/15 – Amazon), IPRax 2017, 449; Rott Das IPR der Verbraucherverbandsklage, EuZW 2016, 733; Ruess Die ECommerce-Richtlinie und das deutsche Wettbewerbsrecht (2003); Rugullis Die antizipierte Rechtswahl in außervertraglichen Schuldverhältnissen, IPRax 2008, 319; Rummel/Verschraegen § 48 IPRG Rn. 74; Rüssmann Wettbewerbshandlungen im Internet – Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, K&R 1998, 422; Sack Die kollisionsund wettbewerbsrechtliche Beurteilung grenzüberschreitender Werbe- und Absatztätigkeit nach dem deutschen Recht, GRUR Int. 1988, 320; ders. Probleme des Inlandswettbewerbs mit Auslandsbezug nach deutschem und österreichischem Kollisions- und Wettbewerbsrecht, ÖBl. 1988, 113; ders. Neue Werbeformen im Fernsehen – rundfunkund wettbewerbsrechtliche Grenzen, AfP 1991, 704; ders. Grenzüberschreitende Zugabe- und Rabattwerbung, IPRax 1991, 386; ders. Marktortprinzip und allgemeine Ausweichklausel im internationalen Wettbewerbsrecht, am Beispiel der sog. Gran-Canaria-Fälle, IPRax 1992, 24; ders. Art. 30, 36 EG-Vertrag und das internationale Wettbewerbsrecht, WRP 1994, 281; ders. Nachahmen im Wettbewerb, ZHR 160 (1996), 493; ders. Auswirkungen der Art. 30, 36 und 59 ff. EG-Vertrag auf das Recht gegen den unlauteren Wettbewerb, GRUR 1998, 871; ders. Das internationale Wettbewerbsund Immaterialgüterrecht nach der EGBGB-Novelle, WRP 2000, 269; ders. Das internationale Wettbewerbsrecht nach der E-Commerce-Richtlinie (ECRL) und dem EGG-/TDG-Entwurf, WRP 2001, 1408; ders. Herkunftslandprinzip und internationale elektronische Werbung nach der Novellierung des Teledienstegesetzes (TDG), WRP 2002, 271; ders. Zur Zweistufentheorie im internationalen Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht, FS E. Lorenz (2004) 659; ders. Das Verhältnis des UWG zum allgemeinen Deliktsrecht, FS Ullmann (2006) 825; ders. Internationales Lauterkeitsrecht nach der Rom II-Verordnung, WRP 2008, 845; ders. Das IPR des geistigen Eigentums nach der Rom IIVO, WRP 2008, 1405; ders. Die Warenverkehrsfreiheit nach Art. 34 AEUV und die Ungleichbehandlung von Inlandsund Importware, EWS 2011, 265; ders. Das Herkunftslandprinzip der E-Commerce-Richtlinie und der Vorlagebeschluss des BGH vom 10. 11. 2009, EWS 2010, 70; ders. Die IPR-Neutralität der E-Commerce-Richtlinie und des Telemediengesetzes, EWS 2011, 65; ders. Der EuGH zu Art. 3 E-Commerce-Richtlinie – die Entscheidung „eDate Advertising“, EWS 2011, 513; ders. Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO und „bilaterales“ unlauteres Wettbewerbsverhalten, GRUR Int. 2012, 601; ders. Internetwerbung – ihre Rechtskontrolle außerhalb des Herkunftslandes des Werbenden, WRP 2013, 1407; ders. Internetwerbung – ihre Rechtskontrolle im Herkunftsland des Werbenden, WRP 2013, 1545; ders. Grenzüberschreitende Werbung in audiovisuellen Medien – ihre Rechtskontrolle im Herkunftsland, WRP 2015, 1281; ders. Grenzüberschreitende Werbung in audiovisuellen Medien – ihre Rechtskontrolle außerhalb des Herkunftslandes, WRP 2015, 1417; Samson Die Marktortregel als allgemeines Prinzip für kollisionsrechtliche Anknüpfung und die internationale Zuständigkeit in Wettbewerbssachen (2001); Sandrock Das Kollisionsrecht des unlauteren Wettbewerbs zwischen dem internationalen Immaterialgüterrecht und dem internationalen Kartellrecht, GRUR Int. 1985, 507; Sasse Grenzüberschreitende Werbung, Diss. Kiel 1974; Schack Zur Anknüpfung des Urheberrechts im internationalen Privatrecht (1979); ders. Internationale Urheber-, Marken-, und Wettbewerbsverletzungen im Internet, MMR 2000, 59; Schaub Die Neuregelung des internationalen Deliktsrechts in Deutschland und das europäische Gemeinschaftsrecht, RabelsZ 66 (2002); Scherer „Cold Calling“ in der Europäischen Rechtsvereinheitlichung, WRP 2001, 1255; Schibli Multistate-Werbung im internationalen Lauterkeitsrecht (2004); Schikora Der Begehungsort im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, Diss. München 1968; Schmittmann Europäisches Werberecht aus deutscher Sicht, in: Handbuch des Rundfunkwerberechts (2004) 39; Schnyder Wirtschaftskollisionsrecht (1990); ders. Das neue IPR-Gesetz, 2. Aufl. (1990); Scholz/Rixen Die neue Kollisionsnorm für außervertragliche Schuldverhältnisse aus wettbewerbsbeschränkendem Verhalten, EuZW 2008, 327; Schricker Territoriale Probleme und Klagerecht bei unlauterem Wettbewerb, GRUR Int. 1973, 453; ders. Die europäische Angleichung des Rechts des unlauteren Wettbewerbs – ein aussichtsloses Unterfangen? GRUR Int. 1990, 771; ders. Die Bekämpfung der irreführenden Werbung in den Mitgliedstaaten der EWG, GRUR Int. 1990, 112; ders. Recht der Werbung in Europa (1995); ders. Bemerkungen zum internationalen Schutz gegen unlauteren Wettbewerb, FS Fikentscher (1998) 985; Schricker/Henning-Bodewig Elemente einer Harmonisierung des Rechts des unlauteren Wettbewerbs in der Europäischen Union, WRP 2001, 1367; Schulte-Beckhausen Geografische Herkunftsangaben als Gegenstand des Gewerblichen Eigentums oder als Steuerungsinstrument von Wirtschaft und Politik? GRUR Int. 2008, 984; W. Schulz Medienkonvergenz

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Einleitung

D. Internationales Wettbewerbsrecht

light – Zur neuen Europäischen Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste, EuZW 2008, 107; Schuhmacher Werbung und „neue Medien“, in: Handbuch des Rundfunkwerberechts (2004) 19; Schwander Das UWG im grenzüberschreitenden Verkehr (IPR-Probleme im Recht des unlauteren Wettbewerbs), in: Das UWG auf neuer Grundlage (1989) 161; Schwarze Werbung im Gemeinschaftsrecht – Rechtsbestand und Grundfragen, in: Werbung und Werbevorteile im Lichte des europäischen Gemeinschaftsrechts (1992) 9; Seichter Der Umsetzungsbedarf der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, WRP 2005, 1087; Siehr Ausländische Eingriffsnormen im inländischen Wirtschaftskollisionsrecht, RabelsZ 52 (1988) 41; ders. Internationales Privatrecht (2001); Sonnenberger Europarecht und internationales Privatrecht, ZVglRWiss 95 (1996) 3; ders. BB 2001, Heft 6, S. I.; ders. Kommissionsvorschlag für eine Rahmenrichtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt, RIW 2004, 321; ders. Einleitung zum Internationalen Privatrecht, in: Säcker/Rixecker (Hrsg.) Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 10: Internationales Privatrecht, Rom I-Verordnung, Rom II-Verordnung, 5. Aufl. (2010); Sonnentag Zur Europäisierung des Internationalen außervertraglichen Schuldrechts durch die geplante Rom II-Verordnung, ZVglRWiss 105 (2006) 256; Sosnitza Die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken – Voll- oder Teilharmonisierung? WRP 2006, 1; Spätgens Zur Frage der Anwendbarkeit deutschen Wettbewerbsrechts oder des Ortsrechts bei Wettbewerb zwischen Inländern auf Auslandsmärkten, GRUR 1980, 473; Spindler Der neue Vorschlag einer E-Commerce-Richtlinie, ZUM 1999, 775; ders. Internet, Kapitalmarkt und Kollisionsrecht unter besonderer Berücksichtigung der E-Commerce-Richtlinie, ZHR 165 (2001) 324; ders. Herkunftslandprinzip und Kollisionsrecht – Binnenmarktintegration ohne Harmonisierung? Die Folgen der Richtlinie im elektronischen Geschäftsverkehr für das Kollisionsrecht, RabelsZ 66 (2002) 633; ders. Das Gesetz zum elektronischen Geschäftsverkehr – Verantwortlichkeit der Diensteanbieter und Herkunftslandprinzip, NJW 2002, 921; ders. Störerhaftung des Host-Providers bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen, CR 2012, 176; ders. Datenschutz- und Persönlichkeitsrechte im Internet – der Rahmen für Forschungsaufgaben und Reformbedarf, GRUR 2013, 996; Spickhoff Die Restkodifikation des Internationalen Privatrechts: Außervertragliches Schuld- und Sachenrecht, NJW 1999, 2209; Spindler/Schuster Recht der elektronischen Medien (2008); Stadler Von den Tücken der grenzüberschreitenden Verbands-Unterlassungsklage zugleich eine Besprechung zu BGH, Urteil vom 9. Juli 2009, Az.: Xa ZR 19/08, VuR 2010, 83; Staehelin Das TRIPSAbkommen – Immaterialgüterrechte im Licht der globalisierten Handelspolitik, 2. Aufl. (1999); Stagl MultistateWerbung im Internet – das künftige Kollisionsrecht des unlauteren Wettbewerbs, ÖBl 2004, 244; A. Staudinger Das Gesetz zum Internationalen Privatrecht für außervertragliche Schuldverhältnisse und für Sachen vom 21. 5. 1999, DB 1999, 1589; Steindorff Sachnormen im IPR (1958); ders. Gemeinsamer Markt als Binnenmarkt, ZHR 150 (1986) 687; ders. Unlauterer Wettbewerb im System des EG-Rechts, WRP 1993, 139; ders. Unvollkommener Binnenmarkt, ZHR 158 (1994) 149; Steinke Die Übertragbarkeit der Keck-Rechtsprechung des EuGH auf die Niederlassungsfreiheit (2009) 181; Steinrötter Anwendbares Recht bei Unterlassungsansprüchen in Bezug auf Rechtswahl- und Datenschutzklauseln von Online-Dienstleistern, jurisPR-IWR 3/2017; Stender-Vorwachs/Theißen Die Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste, ZUM 2007, 613; Stone The Rome II Proposal on the Law Applicable to Non-Contractual Obligations, ELF 2004, 213; Sujecki Der zeitliche Anwendungsbereich der Rom II-Verordnung, EuZW 2011, 815; Tettenborn Europäischer Rechtsrahmen für den elektronischen Geschäftsverkehr, K&R 1999, 252; ders. E-Commerce-Richtlinie: Politische Einigung in Brüssel erzielt, K&R 2000, 59; ders. Die Umsetzung der EG-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr, in: Lehmann (Hrsg.) Electronic Business in Europa, München (2002) 69; Thorn Art. 6 Rom II-VO in: Palandt Bürgerliches Gesetzbuch, 77. Aufl. (2018); Thünken Die EG-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr und das internationale Privatrecht des unlauteren Wettbewerbs, IPRax 2001, 15; ders. Multi-state Advertising over the Internet and the Privat International Law of Unfair Competition, Int. Comp. Law Quarterly 2002, 909; ders. Das kollisionsrechtliche Herkunftslandprinzip (2003); Tilmann Irreführende Werbung in Europa – Möglichkeiten und Grenzen der Rechtsentwicklung, GRUR 1990, 87; ders. Grenzüberschreitende vergleichende Werbung, GRUR Int. 1993, 133; Tison Unravelling the General Good Exception: The Case of Financial Services, in: Adenas/Roth (Hrsg.) Services and Free Movement in EU Law (2002) 321; A. Troller Unfair Competition, in: IntEncCompL Vol III Ch 34 (1980); K. Troller Das internationale Privatrecht des unlauteren Wettbewerbs in vergleichender Darstellung des Rechts Deutschlands, Englands, Frankreichs, Italiens, der Schweiz und den USA (1962); Trutmann Das IPR der Deliktsobligation (1973); Ulmer Das Recht des unlauteren Wettbewerbs in den Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft I, Vergleichende Darstellung mit Vorschlägen zur Rechtsangleichung (1965); ders. Die Immaterialgüterrechte im Internationalen Privatrecht (1975); Vianello Das internationale Privatrecht des unlauteren Wettbewerbs in Deutschland und Italien (2000); Vischer The conflict-of-laws rules on unfair competition, Ann. Inst. Dr.Int. Vol. 60-I (1983) 117; G. Wagner Internationales Deliktsrecht, die Arbeiten an der Rom II-Verordnung und der Europäische Deliktsgerichtsstand, IPRax 2006, 372; ders. Die neue Rom II-Verordnung, IPRax 2008, 1; R. Wagner Zur Vereinheitlichung des internationalen Zivilverfahrensrechts vier Jahre nach In-Kraft-Treten des Amsterdamer Vertrags, NJW 2003, 2344; ders. Zur Vereinheitlichung des Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts sieben Jahre nach In-Kraft-Treten des Amsterdamer Vertrages, EuZW 2006, 424; ders. Änderungsbedarf im autonomen deut-

Klass

348

Gesetzgebungsmaterialien

Einleitung

schen internationalen Privatrecht aufgrund der Rom II-Verordnung? IPRax 2008, 314; ders. Das Vermittlungsverfahren zur Rom II-VO, FS Kropholler (2008) 715; Waldenberger Electronic Commerce: Der Richtlinienvorschlag der EGKommission, EuZW 1999, 296; Watl Online-Netzwerke und Multimedia, in: Internet- und Multimediarecht (Cyberlaw) (1997) 185; Weber Die kollisionsrechtliche Behandlung von Wettbewerbsverletzungen mit Auslandsbezug (1982); ders. Zum Anwendungsbereich des deutschen UWG beim Auslandswettbewerb zwischen Inländern, GRUR Int. 1983, 26; Weintraub Rome II and the Tension Between Predictability and Flexibility, FS Hey (2005) 451; Wellan Die Auswirkungen der Harmonisierung durch die „Fernsehrichtlinie“ auf die Anwendbarkeit des UWG auf grenzüberschreitende ausländische Fernsehsendungen (1996); Wendehorst Kollisionsnormen im primären Europarecht? FS Heldrich (2005) 1071; dies. Internationales Privatrecht, in: Langenbucher/Engert (Hrsg.) Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, 2. Aufl. (2008) 376; Wengler Die Gesetze über unlauteren Wettbewerb und das internationale Privatrecht, RabelsZ 19 (1954) 401; Widmer/Bähler Rechtsfragen beim Electronic Commerce (1997); Wilke Offensive Doppelsechs: Das IPR der Verbandsklage gegen AGB Anmerkung zu EuGH, Urt. v. 28. 7. 2016, C-191/15, VKI ./. Amazon EU Sàrl, GPR 2017, 21; Wilske Conflict of Laws in Cyber Torts, Cri 2001, 68; Wiltschek Die Beurteilung grenzüberschreitender Werbe- und Absatztätigkeit nach österreichischem Wettbewerbsrecht, GRUR Int. 1988, 299; WIPO Intellectual Property Handbook, 2. Auflage (2004) 347; WIPO Model Provisions, WIPO Publication No. 832(E) (1996); Wirner Wettbewerbsrecht und internationales Privatrecht (1960); Wolter Rund um die Privatsphäre im Internet – Gerichtszuständigkeit, anwendbares Recht und Reichweite des Persönlichkeitsschutzes, jurisPR-ITR 18/2012 Anm. 3z.

Gesetzgebungsmaterialien Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt (2004/1/COD f. VO – 2004/21/SEK v. 13. 1. 2004) Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. EG L 376 v. 27. 12. 2006, S. 36–68) Gemeinsamer Standpunkt des Rates betreffend die Annahme einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Verordnung Verwaltungszusammenarbeit und Richtlinien 84/450/ EWG, 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (2003/134/COD f. VO – 2003/724/SEK v. 18. 6. 2003) Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (ROM II) (2003/168/COD f. VO – 2003/427/KOM endg. v. 22. 7. 2003) Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (ROM II) (2003/168/COD f. VO – 2006/83/KOM endg. v. 21. 2. 2006) Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Verkaufsförderung im Binnenmarkt (2001/227/COD f. VO – 2002/585/KOM v. 15. 10. 2002) Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. EG L 171 v. 7. 7. 1999, S. 12–16) Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit (ABl. EG L 298 v. 17. 10. 1989, S. 23–30) Richtlinie 2010/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. März 2010 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (ABl. EU L 95 v. 15. 4. 2010, S. 1–24) Richtlinie 2018/1808/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Änderung der Richtlinie 2010/13/EU zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungs-vorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über au-diovisuelle Mediendienste) im Hinblick auf sich verändernde Marktgegebenheiten (ABl. EU L 303 v. 28. 11. 2018, S. 69 – 92) Verordnung Nr. 1151/2012/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. November 2012 über Qualitätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel (ABl. EU L 343 v. 14. 12. 2012, S. 1 – 29) Richtlinie 70/50/EWG der Kommission vom 22. Dezember 1969, gestützt auf die Vorschriften des Artikels 33 Absatz 7 über die Beseitigung von Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen, die nicht unter andere auf Grund des EWG-Vertrags erlassene Vorschriften fallen (ABl. EG L 13 v. 19. 1. 1970, S. 29– 31) Entwurf eines Gesetzes zum Internationalen Privatrecht für außervertragliche Schuldverhältnisse und für Sachen (BTDrucks. 14/343 v. 1. 2. 1999) Entwurf eines Gesetzes über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr (BTDrucks 14/6098 v. 17. 5. 2001)

349

Klass

Einleitung

D. Internationales Wettbewerbsrecht

Antrag der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Arbeit schaffen – Sozialen Zusammenhalt und wirtschaftliche Dynamik im europäischen Binnenmarkt für Dienstleistungen verbessern (BTDrucks. 15/5832 v. 29. 6. 2005) Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums (BTDrucks. 16/ 5048 v. 20. 4. 2007)

Übersicht I. 1.

2.

3. 4.

5.

II. 1.

2.

Das Internationale Privatrecht des unlauteren 1 Wettbewerbs: Einführung 1 Allgemeines a) Aufgabe und Bedeutung des Internationa1 len Wettbewerbsprivatrechts b) Thematische Fokussierung der Kommentie6 rung Die Grundlagen des Internationalen (Wettbe11 werbs-)Privatrechts a) Rechtsquellen des Internationalen Privat11 rechts und deren Hierarchie 15 b) Die Methode der Qualifikation 20 c) Rück- und Weiterverweisung Funktion des Internationalen (Wettbewerbs-)Pri25 vatrechts 32 Die Reichweite des Wettbewerbsstatuts a) Bestimmung der Reichweite im Allgemei32 nen b) Orte indirekter Schadensfolgen und Vorbe36 reitungshandlungen Systematische Einordnung des Wettbewerbskol38 lisionsrechts 38 a) Einleitung b) Abgrenzung zum Internationalen Delikts39 recht aa) Wettbewerbskollisionsrecht als Teilgebiet des Internationalen Delikts39 rechts bb) Die Kollision von Wettbewerbs- und 49 Deliktsstatut c) Abgrenzung zum Immaterialgüterkollisi53 onsrecht d) Abgrenzung zum Kartellkollisionsrecht 63 (Auswirkungsprinzip) e) Abgrenzung zum Vertragskollisions71 recht f) Speziell: Verbandsklage gegen die Verwen78 dung missbräuchlicher AGB g) Abgrenzung zum Internationalen Straf87 recht Rechtsquellen des Internationalen Wettbewerbs89 privatrechts Verhältnis des Konventionsrechts zum autonomen deutschen und zum gemeinschaftsrechtli89 chen Kollisionsrecht Multilaterale Verträge zum Schutz gegen unlau93 teren Wettbewerb

Klass

a)

3. 4. 5.

Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz 93 des gewerblichen Eigentums (PVÜ) 93 aa) Allgemeines bb) Inländerbehandlungsgrundsatz gemäß Art. 2 Abs. 1 PVÜ und Mindestschutzstandard gemäß Art. 10 96 PVÜ cc) Unmittelbare Anwendbarkeit des Inländerbehandlungsgrundsatzes sowie der Mindestschutzvorschrif102 ten dd) Kollisionsrechtlicher Gehalt des Inlän107 derbehandlungsgrundsatzes 108 ee) Fazit b) Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums 109 (TRIPS) 109 aa) Allgemeines bb) Lauterkeitsrechtliche Relevanz 110 des TRIPS-Abkommens cc) Kollisionsrechtlicher Gehalt des Inländerbehandlungsgrundsatzes sowie des Grundsatzes der Meistbegünsti115 gung 116 dd) Verweis auf Art. 10 PVÜ 119 ee) Unmittelbare Anwendbarkeit 121 c) Fazit Kollisionsnormen in bilateralen Abkom122 men WIPO Model Provisions on Protection Against 129 Unfair Competition 132 Europäisches Gemeinschaftsrecht a) Bedeutung des Gemeinschaftsrechts für die Bestimmung des Wettbewerbssta132 tuts b) Das Herkunftslandprinzip: Kollisionsrechtliches Prinzip oder sachrechtliches Korrek135 tiv? c) Das Herkunftslandprinzip im Gemein136 schaftsprimärrecht aa) Kollisionsrechtlicher Gehalt der Wa136 renverkehrsfreiheit? bb) Kollisionsrechtlicher Gehalt der 169 Dienstleistungsfreiheit? cc) Der Nichtdiskriminierungsgrundsatz 172 in Art. 18 AEUV

350

Übersicht

d)

6.

351

Gemeinschaftssekundärrecht auf der Grundlage des Herkunftslandprin174 zips aa) Das Herkunftslandprinzip und die Richtlinie über audiovisuelle Medien179 dienste bb) Das Herkunftslandprinzip und die E185 Commerce-Richtlinie 185 (1) Anwendungsbereich (2) Abgrenzung zur Richtlinie über audiovisuelle Medien191 dienste (3) Der Streit um den kollisionsrechtlichen Charakter des Her193 kunftslandprinzips 196 (aa) Meinungsstand 204 (bb) Stellungnahme (4) Die Umsetzung der E-CommerceRichtlinie im deutschen 215 TMG cc) Das Herkunftslandprinzip und die Richtlinie über unlautere Geschäfts228 praktiken dd) Das Herkunftslandprinzip und die 232 Dienstleistungsrichtlinie ee) Weitere werberechtliche Richtli237 nien e) Das Europäische Wettbewerbskollisions239 recht der Rom II-VO aa) Kollisionsrechtsvereinheitli239 chung bb) Entstehungsgeschichte und Rege242 lungsgehalt der Rom II-VO cc) Sachlicher, zeitlicher und territorialer 248 Anwendungsbereich (1) Sachlicher Anwendungsbe248 reich (2) Zeitlicher Anwendungsbe254 reich (3) Territorialer Anwendungsbereich/universelle Geltung der 257 Verordnung dd) Anwendungsvorrang der Rom II-VO vor autonomem Wettbewerbskollisi260 onsrecht ee) Verhältnis zu völkerrechtlichen und sonstigen gemeinschaftskollisions261 rechtlichen Regelungen 266 ff) Qualifikation 271 gg) Struktur der Kollisionsnorm 271 (1) Regelanknüpfung (2) Ausnahmen von der Regelan273 knüpfung 278 Autonomes Kollisionsrecht

a)

b)

III. 1. 2. 3.

4.

5.

Einleitung

Die Marktortanknüpfung als Abweichung vom internationaldeliktsrechtlichen Ubi279 quitätsprinzip Überblick über die Entwicklung der Rechtsprechung zum Wettbewerbskollisions285 recht

Die Bestimmung des Wettbewerbsstatuts nach 290 der Rom II-VO Kollisionsrechtsvereinheitlichung innerhalb der 290 Europäischen Union Qualifikation: Autonome Auslegung des Norm293 textes Die allgemeine Regel des Art. 6 Abs. 1 Rom II294 VO: Anknüpfung an den Marktort a) Grundbegriffe des Art. 6 Abs. 1 Rom II294 VO aa) Außervertragliches Schuldverhält295 nis bb) Unlauteres Wettbewerbsverhal297 ten 301 cc) Beeinträchtigung b) Der Marktort als maßgeblicher Ort der Be303 einträchtigung aa) Wettbewerbsspezifische Auslegung des Ortes der Beeinträchtigung: Der 303 Marktort bb) Dogmatische Einordnung der Marktortregel: Auswirkungsprinzip vs. Inte306 ressenkollisionslösung c) Einschränkungen der Marktortanknüp313 fung aa) Das Spürbarkeitskriterium bei Multi313 statedelikten bb) Das Herkunftslandprinzip bei Multi323 statedelikten Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO – Bilaterale Wettbe326 werbshandlungen a) Anwendungsbereich und Norm326 zweck b) Anknüpfung: Ausschließliche Beeinträchti330 gung von Individualinteressen 336 c) Verweis auf Art. 4 Rom II-VO aa) Maßgeblichkeit des Erfolgsor336 tes bb) Anknüpfung an das gemeinsame Hei339 matrecht cc) Ausweichklausel und akzessorische 341 Anknüpfung Die wettbewerbskollisionsrechtliche Anknüp342 fung im Einzelfall a) Typologie wettbewerbsrechtlich relevanter 342 Handlungen 345 b) Fallgruppen 345 aa) Unlautere Werbung

Klass

Einleitung

D. Internationales Wettbewerbsrecht

(1)

Der Begriff der unlauteren Wer345 bung (2) Die Relevanz des Werbemark350 tes 359 bb) Verkaufsfördermaßnahmen 362 cc) Rechtsbruch dd) Unlautere Produktnachah367 mung ee) Die kollisionsrechtliche Bewertung von Vertriebsbindungssyste369 men

ff)

6. 7. 8. 9. 10.

Wettbewerbsrechtlicher Leistungs372 schutz 375 Umfang des Wettbewerbsstatuts Unzulässigkeit der Rechtswahl, Art. 6 Abs. 4 376 Rom II-VO 381 Eingriffsnormen, Art. 16 Rom II-VO Ausschluss der Rück- und Weiterverweisung, 383 Art. 24 Rom II-VO Der ordre public-Vorbehalt, Art. 26 Rom II384 VO

Alphabetisches Stichwortverzeichnis Allgemeine Marktbehinderung s. Marktstörung Absatzmarkt 354 f., 368 Anwendungsbereich Rom II-VO 9, 23 f., 196, 248 ff. Anwendungsvorrang 12 ff., 134, 210, 260 „Asbestimporte“ 365 Assimilationsprinzip 96 Audiovisuelle Medien 132, 174 ff., 191, 201, 263, 316, 356 Auslegung des EU-Rechts 132 ff. „Ausschreibung in Bulgarien“ 287 Auswirkungsprinzip 38, 63 ff., 289, 306 ff., 318, 370 Begehungsort 41 ff., 283 f., 287, 303 Begriff des unlauteren Wettbewerbs 98, 297 f. Bestimmungslandrecht 156 ff. Betriebsbezogener Wettbewerbsverstoß 52, 277, 284, 326, 342, 379 Binnenmarkt 1, 135, 139, 143 ff., 153, 160, 163 ff., 179, 184, 185 ff., 197, 207 ff., 226, 230, 236, 258, 291, 316, 324 f., 361 Binnenmarktklausel 187 Binnenmarktkonzept 236 Binnenmarktregel 185, 189 Boykott 65, 298, 335 „Cassis de Dijon“ 139 „Clinique“ 152 „Dassonville“ 137, 140 „De Agostini“ 181, 187, 192, 263 Deliktsstatut 37, 43, 45, 49 ff., 280, 287, 304, 334, 342, 371 Dienstleistungsfreiheit 169 ff., 226, 235 Diskriminierung 65, 100, 113 f., 148, 150 f., 164, 169, 172 f. Diskriminierungsverbot 96, 133, 172 f. E-Commerce 132, 174, 177, 185 ff., 264 f., 316, 324, 346, 356 „eDate Advertising“ 193, 205 Effet utile 267, 385 EGBGB 10, 13, 20, 22, 40, 89 f., 260, 274, 279 ff., 289 Elektronischer Geschäftsverkehr 186, 201, 205, 215 f. E-Mail-Werbung 349, 356

Klass

Erfolgsort 41 f., 45, 271, 274, 280 ff., 336 ff., 339 ff. Ergänzender wettbewerblicher Leistungsschutz 53 ff., 372 ff. Euro-Marketing 197, 201 Fernsehen, siehe audiovisuelle Medien Fernsehrichtlinie, siehe Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste „Forum Shopping“ 184, 259 Freier Dienstleistungsverkehr, siehe Dienstleistungsfreiheit Freier Warenverkehr, siehe Warenverkehrsfreiheit „GB-INNO“ 142 ff., 157 Geistiges Eigentum 58 f. Gesamtverweisung 20 f., 196, 200 Gewerbliches Eigentum 59, 93 ff., 123, 138, 190 Grundfreiheiten (siehe auch Warenverkehrsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit) 132, 147, 155, 165, 183, 210, 385 Günstigkeitsprinzip 202, 207 Handlungsort 41, 280, 285, 336 Herkunftsangabe 53, 58 f., 117 f., 122 ff., 126 Herkunftslandprinzip 132, 135 ff., 143, 145, 151 ff., 161 ff., 174 ff., 183 ff., 192 ff., 207 ff., 215, 228 ff. 263 ff., 316, 323 ff., 356, 366 Immaterialgüterkollisionsrecht 53 ff. Immaterialgüterrecht und Lauterkeitsrecht 53 ff., 110 ff. Inländerbehandlung 94, 96 ff., 102 ff., 107 ff., 113 Inländerbehandlungsgrundsatz 96 ff, 102 ff, 107, 115 Inländerdiskriminierung 100, 164, 173 Internationale Verträge 93 ff., 129 ff. Internationales Deliktsrecht 39 ff., 279 ff., 376 Internationales Kartellrecht 63 ff., 289, 300, 311 f. Internationales Strafrecht 87 f.Internet 1, 149, 190, 195, 202, 213, 226, 316 ff., 325, 357 ff. Internetwerbung 1, 316 ff., 357 ff. Irreführende Werbung 130, 237, 347 Kartellkollisionsrecht 38, 63 ff. „Kindersaugflaschen“ 286 Kollisionsrecht, Systematische Einordnung 38 ff.

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Alphabetisches Stichwortverzeichnis

Kollisionsrecht des Gerichtsstandes 11 Kollisionsrechtliche Spürbarkeitsgrenze 318 Konventionsrecht 89 ff., 125, 261 Lauterkeit des Handelsverkehrs und Grundfreiheiten 139 f. „loi uniforme“ 9, 258, 278 „lex loci protectionis“ 54, 128, 373 Marktauswirkungsprinzip 65 Marktordnungsrecht 57, 304, 311, 374 Marktortanknüpfung 40, 62, 134, 153, 160, 182, 214, 221 f., 227, 245, 263 ff., 279, 304, 313, 316, 324, 330 f., 387 Marktortprinzip 58, 65 ff., 128, 132, 147, 156 ff., 172, 196, 212, 220, 226 f., 272, 287, 305, 316, 324, 327, 342, 357, 368, 371 Marktortrecht 51, 155, 159, 276, 307, 333 Marktverhaltensrecht 55, 374 „Mars“ 152 Meistbegünstigung 113 ff. Mengenmäßige Beschränkung 137 Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung 65 ff. „Mithouard“-Entscheidung 148 Multistate-Delikte 313 ff., 323 ff. Multistate-Werbung 314 ff., 323 Multistate-Wettbewerb 275, 313 ff., 323 ff., 357 Nichtdiskriminierungsgrundsatz 113, 172 f. „Oosthoek“ 141 Ordre public-Vorbehalt 384 ff. Ort der Dienstleistung 238 Ort der wettbewerblichen Interessenkollision 38, 45, 305, 313, 341, 356, 366, 373 Par conditio concurrentium 331 Pariser Verbandsübereinkunft (PVÜ) 93 ff., 109 ff., 129 f. Paris-Plus-Effekt 116 Produktbezogene Regeln (Grundfreiheiten) 140, 150 ff. Produkthaftung 249 Qualifikation 15 ff., 33 f., 47, 50, 58, 61, 80, 82 f., 210, 266 ff., 293, 304 Rabatte und Zugaben 361 Rechtsbruch 77, 361, 362 ff. Richtlinie – richtlinienkonforme Auslegung 230 – 84/450/EWG über irreführende Werbung 237 – 2000/31 über den elektronischen Geschäftsverkehr, s. auch E-Commerce 185 ff., 191, 215 ff. – 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken 34, 72, 189, 228 ff., 299 – 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung 346 – 2010/13/EU über audiovisuelle Mediendienste 132, 174, 177, 179 ff., 191 ff., 201, 263, 316, 356 Rom II-VO 7 ff., 19, 23 f., 31, 33 ff., 46 ff., 50 ff, 62 ff., 90 ff, 125, 132 ff., 153, 167, 182, 194 ff., 206, 212 ff., 219, 225 ff., 236, 239 ff., 290 ff.

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Einleitung

Sachnormverweisung 23, 127, 225, 383 Sachrecht 2, 4, 20 ff., 28, 84, 126, 135, 156, 161, 168, 171, 176, 193 f., 201 ff., 219 ff., 219 ff, 309, 324 Schleichwerbung 347 Schutzlandprinzip 38, 60, 128 Schutzzweck des Lauterkeitsrechts 63, 272, 276, 377 Schutzzwecktrias 29, 33, 47, 76, 306, 343, 377 Sekundärrecht 11, 23, 59, 72 f., 89, 132 ff., 174 ff., 183, 193 f., 236 f., 260, 265, 299, 346 Sendelandprinzip 179 ff., 356 Spillover-effect 314 Spürbarkeit der Wettbewerbsmaßnahme 309, 313 ff., 319, 357 Staatsverträge 89, 93 ff., 102 ff., 121 ff. „Stahlexport“ 286 Telefonwerbung 349 Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPs) 59, 62, 109 ff., 116 ff., 130 Ubiquitätsprinzip 279 ff. Unlautere Produktnachahmung 367 ff. Unlauteres Wettbewerbsverhalten 96, 296, 297 ff., 303, 318 Unzulässiges Einwirken 66, 311 Ursprungslandprinzip 124, 165, 174 Verbringungsland 168 Verdeckte Werbung 347 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 139 Verkaufsfördermaßnahmen 359 ff. Verkaufsmodalitäten 148 ff. Verordnungsrecht 90, 261 Versandhandel 149 ff. Vertragskollisionsrecht /Vertragsstatut 71 ff., 328, 364, 371 Vertriebsbindungssysteme 369 ff. Vorbereitungshandlungen 36 f., 287, 355 Vorrang (EU-Recht) 11, 89 f., 125 f., 134, 210, 260 ff. Vorrang des Sekundärrechts 11, 134, 193, 260 Warenverkehrsfreiheit – Beeinträchtigung 137 ff., 148, 167, 170 – Dassonville-Formel 137 ff. – diskriminierende Maßnahmen 172 f. – Keck-Formel 148 ff. – Maßnahmen gleicher Wirkung 137 f., 150 – produktbezogene Regelungen 150 – Schutzbereich 136 ff. – Werbung 142 f. – Zwingende Erfordernisse 142 Werbebeschränkung 137, 149 Werbeexport 353 Werbeimport 353 Werbemarkt 350 ff., 368 Wesentlichkeitsschwelle 321 f., 357 Wettbewerbsgleichheit 67, 331, 377 Wettbewerbskollisionsrecht 3 ff., 9, 18 f., 23, 25, 29, 38 ff., 63 ff., 75, 78 ff., 124, 131 ff., 211 f., 238 ff.,

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

259 f., 278 ff., 303, 307, 311 ff., 321, 332, 342, 370 f., 377, 384 Wettbewerbsstatut 3 f., 6 f., 17, 31 ff., 37, 49, 70 f., 74, 76 f., 132 ff., 153, 168, 290, 299, 363 ff., 371, 375 WIPO 129 ff. Wirtschaftskollisionsrecht, siehe Wettbewerbskollisionsrecht

Wortlaut (Auslegung des EU-Rechts) 199, 223, 267 ff. WTO-Übereinkommen 109 „Yves Rocher“ 144 Zielmarkt 305, 320, 358 Zweck (Auslegung des EU-Rechts) 268 ff., 277 Zwingende Erfordernisse, siehe Warenverkehrsfreiheit

I. Das Internationale Privatrecht des unlauteren Wettbewerbs: Einführung* 1. Allgemeines1 1 a) Aufgabe und Bedeutung des Internationalen Wettbewerbsprivatrechts. Wirtschaftliches Handeln in der heutigen Zeit weist zunehmend internationale Bezüge auf, weshalb auch wettbewerbsrechtliche Fragestellungen oftmals nicht auf das Inlandsterritorium begrenzt werden können. Die Vollendung des Binnenmarktes, die Globalisierung der Märkte, die Intensivierung des grenzüberschreitenden Handelsverkehrs sowie die verstärkte Liberalisierung des Welthandels2 führen vielmehr dazu, dass das Wettbewerbsrecht eine erhebliche internationale Dimension erlangt. Dies zeigt sich nicht nur im Bereich der Medien, in welchem die Ubiquität einer Internetwerbung, aber auch die grenzüberschreitende Werbung im Rundfunk oder im Rahmen eines oftmals weltumspannend vertriebenen Printmediums die Internationalität des wettbewerblichen Agierens besonders offenbar werden lassen, sondern auch in anderen Bereichen wirtschaftlichen Handelns. 2 Vergegenwärtigt man sich die bestehende Internationalität des modernen Wettbewerbs und nimmt die Akteure sowie deren Bedürfnisse in den Blick, so ist festzuhalten, dass grundsätzlich rechtliche Rahmenbedingungen wünschenswert sind, die ein vorhersehbares und verlässliches grenzüberschreitendes wettbewerbliches Handeln ermöglichen. Am besten geeignet wäre hierfür die Schaffung von weltweit geltendem Einheitsrecht.3 Zwar existieren multilaterale Übereinkommen sowie bilaterale Abkommen, die sich in Teilbereichen wettbewerbsrechtlichen Fragen widmen,4 die Entwicklung international einheitlichen Sachrechts ist im Bereich des Wettbewerbsrechts allerdings bei weitem nicht so vorangeschritten wie in anderen Rechtsbereichen. Und auch die auf europäischer Ebene initiierte Sachrechtsvereinheitlichung5 hat nur punktuell zu Harmonisierungen geführt und zeichnet sich nach wie vor noch durch eine gewisse Lückenhaftigkeit aus.6 Trotz unterschiedlicher Rechtsvereinheitlichungsbemühungen wird sich an diesem Rechtszustand auch in absehbarer Zeit wohl nichts ändern.7 * Dank gebührt an dieser Stelle meinem Mitarbeiter Yavor Stamenov, der mich bei der Aktualisierung der Kommentierung tatkräftig unterstützt hat.

1 Bearbeitungsstand: Dezember 2018. 2 Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 155. 3 Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 155; vgl. auch MünchKommBGB/Sonnenberger Einl. IPR Rn. 357 ff.; Kegel/Schurig IPR § 1 IX 2; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 37. 4 Abkommen, bei denen die Bundesrepublik Deutschland selbst Vertragsstaat wurde: Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums (PVÜ); Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS); Abkommen über den Schutz von Herkunftsangaben, Ursprungsbezeichnungen und anderen geographischen Angaben vgl. Rn. 52 ff.; zu weiteren relevanten Abkommen, die aufgrund der Nichtdiskriminierungsklauseln in PVÜ und TRIPS für Deutschland relevant sein könnten, vgl. MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 42 f. 5 Zum europäischen Wettbewerbsrecht siehe ausführlich Heinze. 6 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 43; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 423; Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 155. 7 Ähnlich kritisch auch Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 43; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 7.

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I. Das Internationale Privatrecht des unlauteren Wettbewerbs: Einführung

Einleitung

Vor diesem Hintergrund erlangt das Internationale Privatrecht des unlauteren Wettbewerbs, 3 das sogenannte Wettbewerbskollisionsrecht,8 enorme Bedeutung. Dies gilt umso mehr, als die nationalen Rechtsordnungen im Bereich des Wettbewerbsrechts zum Teil erheblich voneinander divergieren.9 Das Wettbewerbskollisionsrecht hat insofern grundsätzlich die Aufgabe zu bestimmen, welche nationale Rechtsordnung auf Wettbewerbssachverhalte Anwendung findet, die Berührungspunkte zu einem anderen Staat haben (Feststellung des sog. Wettbewerbsstatuts). Unerheblich ist dabei, in welcher Hinsicht ein Auslandsbezug besteht. Eine Beziehung zu einer oder mehreren fremden Rechtsordnungen kann sich aus territorialen, personellen oder sonstigen Aspekten ergeben.10 Weist ein wettbewerblich relevantes Verhalten einen Auslandsbezug auf, so legt das Wett- 4 bewerbskollisionsrecht mithin fest, welches nationale Wettbewerbsrecht auf den zu beurteilenden Sachverhalt anzuwenden ist. Das Kollisionsrecht selbst löst den Fall dabei nicht materiell, es ist selbst kein Sachrecht. Vielmehr bestimmt es lediglich den räumlichen Anwendungsbereich wettbewerbsrechtlicher Sachnormen,11 weshalb das Kollisionsrecht auch als Rechtsanwendungsrecht12 bezeichnet wird, welches der Anwendung des maßgeblichen materiellen Rechts (des Wettbewerbsstatuts) vorgeschaltet ist. Festgehalten werden kann folglich, dass das Wettbewerbskollisionsrecht eine bedeutende 5 Rolle einnimmt: Es dient dem reibungslosen Funktionieren des internationalen Wettbewerbs, es soll Rechtssicherheit, Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit rechtlicher Konsequenzen garantieren und nicht zuletzt soll es für internationale Entscheidungsgerechtigkeit sorgen.13

b) Thematische Fokussierung der Kommentierung. Internationales Wettbewerbsrecht ist 6 deshalb zuvorderst Internationales Wirtschaftsprivatrecht.14 Aus diesem Grund werden sich die folgenden Ausführungen primär der Bestimmung der maßgeblichen Rechtsordnung, des sogenannten Wettbewerbsstatuts, widmen. In einem ersten Schritt sollen die Grundlagen des Internationalen Privatrechts gelegt sowie 7 Funktion und Reichweite des Wettbewerbsstatuts geklärt werden. Danach wird eine Abgrenzung zu benachbarten Kollisionsrechten stattfinden. Im Abschnitt „Rechtsquellen“ werden sodann mögliche Kollisionsnormen im internationalen, europäischen oder autonomen deutschen Recht auf ihre Anwendbarkeit untersucht. Die Kommentierung wird sich dabei in verstärktem Maße den europäischen Vorgaben zuwenden und in einem letzten und zentralen Teil die Bestimmung des Wettbewerbsstatuts nach der seit 11. 1. 200915 geltenden Rom II-VO16 in das Zentrum der Ausführungen stellen. Diese hält mit Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO eine spezielle Regelung bereit, welche vorsieht, dass 8 auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus unlauterem Wettbewerbsverhalten nunmehr das Recht des Staates zur Anwendung kommt, in dessen Gebiet die Wettbewerbsbeziehung oder die 8 Zur Begrifflichkeit vgl. MünchKommBGB/Sonnenberger Einl. IPR Rn. 3 ff. 9 Einen Überblick liefern Schricker, Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 234 ff. sowie Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 31 ff.

10 Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 155. 11 Vgl. hierzu auch Art. 3 EGBGB, der feststellt, dass das Internationale Privatrecht über „das anzuwendende Recht bei Sachverhalten mit einer Verbindung zu einem ausländischen Staat“ Auskunft gibt.

12 Vgl. v. Bar/Mankowski § 1 Rn. 1 ff. 13 Kropholler IPR § 4 ff.; Kegel/Schurig IPR § 2. 14 MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 3 stellt mit Blick auf die Begrifflichkeit des Internationalen Wettbewerbsrechts gar fest, dass sich dieses nicht auf die Sachnormen des internationalen Einheitsrechts bezieht.

15 Zum zeitlichen Anwendungsbereich der Rom II-VO vgl. Rn. 169; EuGH 17. 11. 2011 − C-412/10 – NJW 2012, 441 f. Tz. 37 – Deo Antoine Homawoo/GMF Assurances SA; siehe zu den Schlussanträgen des Generalanwalts Paolo Mengozzi v. 6. 9. 2011 auch Sujecki EuZW 2011, 815; sowie allgemein v. Hein ZEuP 2009, 6, 10 ff. 16 VO 2007/864/EG – ABl. EU L 199 v. 31. 7. 2007, S. 40 ff. („Rom II“); zur Vorgeschichte der Rom II-VO vgl. Rn. 161 ff.; MünchKommBGB/Junker Vorb. Art. 1 Rom II-VO Rn. 1 ff.

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt worden sind oder wahrscheinlich beeinträchtigt werden. Sind ausschließlich die Interessen eines bestimmten Wettbewerbers betroffen, findet nach Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO die allgemeine deliktsrechtliche Anknüpfungsregel des Art. 4 Rom II-VO Anwendung. 9 Art. 6 Rom II-VO ist unmittelbar geltendes Recht (Art. 288 Abs. 2 AEUV) und verdrängt in seinem Anwendungsbereich das nationale Wettbewerbskollisionsrecht.17 Da Art. 6 Rom IIVO nicht nur Binnensachverhalte regelt, die Kollisionsregel vielmehr als loi uniforme auch im Verhältnis zu Drittstaaten gilt18 und sie mithin universelle Geltung hat, ist Art. 6 Rom II-VO auch aus deutscher Sicht die zentrale Vorschrift für die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Bereich des unlauteren Wettbewerbs. Der Anwendungsbereich des autonomen deutschen Rechts hat sich daher im Bereich des 10 unlauteren Wettewerbsrechts drastisch reduziert, denn die Art. 40 ff. EGBGB haben nur noch für Altfälle Bedeutung, in denen die Rom II-VO intertemporal nicht anwendbar ist.19 Vor diesem Hintergrund wird Art. 6 Rom II-VO im Zentrum der Ausführungen stehen, während das autonome nationale Kollisionsrecht nur insofern in die Kommentierung einbezogen wird, als dies für das Verständnis der Materie zwingend erforderlich ist. Im Übrigen wird auf die Vorauflage20 und die existierenden umfangreichen Kommentierungen verwiesen.21

2. Die Grundlagen des Internationalen (Wettbewerbs-)Privatrechts 11 a) Rechtsquellen des Internationalen Privatrechts und deren Hierarchie. Wird ein deutsches Gericht in einem Fall mit Auslandsbezug angerufen, wendet es das Kollisionsrecht des Gerichtsstandes, das sog. lex fori, und damit sein eigenes Recht an.22 Rechtsquellen des Kollisionsrechts finden sich auf der Ebene des internationalen, europäischen und nationalen Rechts.23 Staatsvertragliche Übereinkünfte, europäisches Primär- oder unmittelbar geltendes Sekundärrecht haben dabei Vorrang vor dem geltenden nationalen Kollisionsrecht.24 Während bei völkerrechtlichen Übereinkommen grundsätzlich ein deutsches Vertragsgesetz 12 zur Umsetzung erforderlich ist, ergibt sich der Anwendungsvorrang25 des Unionsprimärrechts

17 Zum territorialen, zeitlichen und sachlichen Anwendungsbereich der Rom II-VO siehe Rn. 165 ff. 18 S. die universelle Anwendung der Rom II-VO in Art. 3 Rom II-VO; vgl. auch MünchKommBGB/Junker Vorb. Art. 38 EGBGB Rn. 14; ders. JZ 2008, 169, 170; v. Hein ZEuP 2009, 6, 15; ders. VersR 2007, 440, 443; Leible/Engel EuZW 2004, 7, 9; Leible/Lehmann RIW 2007, 721, 724; G. Wagner IPRax 2008, 1, 4; ders. IPrax 2006, 372, 389 f. 19 Zum Streit um die zeitliche Anwendbarkeit der Rom II-VO siehe Rn. 169 sowie EuGH 17. 11. 2011 − C-412/10 – NJW 2012, 441 f. Tz. 37 – Deo Antoine Homawoo/GMF Assurances SA; KG 1. 6. 2011 – 24 U 111/10 – WRP 2012, 102 Rn. 38; siehe zu den Schlussanträgen des Generalanwalts Paolo Mengozzi v. 6. 9. 2011 auch Sujecki EuZW 2011, 815; zudem Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 154; v. Hein ZEuP 2009, 6, 10 f.; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 37. 20 Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 168 ff. 21 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 61 ff.; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 621 ff.; MünchKommUWG/Mankowski1 IntWettbR Rn. 263 ff.; MünchKommBGB/Drexl4 IntUnlWettbR Rn. 82 ff. 22 BGH 19. 12. 1958 – IV ZR 87/58 – BGHZ 29, 137, 139 = NJW 1959, 717, 718; BGH 14. 6. 1965 – GSZ 1/65 – BGHZ 44, 46, 50 = NJW 1965, 1665, 1666; BGH 28. 11. 2002 – III ZR 102/02 – BGHZ 153, 82, 86 = NJW 2003, 426, 427; hierzu s. auch Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 5; Kropholler IPR § 16 I; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 41; Staudinger/Magnus Vorb. Art. 27–37 EGBGB Rn. 40 m. w. N. 23 v. Bar/Mankowski § 3 Rn. 1 ff. 24 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 4. 25 Der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts gilt umfassend, was bedeutet, dass das Unionsrecht dem mitgliedstaatlichen Recht auf jeder Regelungsebene vorgeht, siehe hierzu die Rechtssache EuGH 9. 3. 1978 – C-106/ 77 – Slg. 1978, 629 Tz. 16 – Simmenthal, in welcher der Gerichtshof feststellt, dass „jede entgegenstehende Bestimmung des geltenden staatlichen Rechts ohne weiteres unanwendbar“ ist. Folge des Anwendungsvorrangs ist die Nichtanwendung des nationalen Rechts im Falle eines Konfliktes. Mit Blick auf das Zivilrecht muss die Norm des

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I. Das Internationale Privatrecht des unlauteren Wettbewerbs: Einführung

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sowie des unmittelbar geltenden Gemeinschaftssekundärrechts schon kraft genuin unionsrechtlichen Geltungswillens26 und somit aus allgemeinen Grundsätzen der Rechtsquellenhierarchie.27 Art. 3 EGBGB legt die Prüfungsreihenfolge in Fällen mit Auslandsbezug daher (deklara- 13 torisch) folgendermaßen fest: Innerstaatliches Recht findet nur Anwendung, sofern 1. weder unmittelbar anwendbare Regelungen der Europäischen Gemeinschaft in ihrer jeweils geltenden Fassung, insbesondere a) die Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II) (ABl. L 199 vom 31. 7. 2007, S. 40), b) die Verordnung (EG) Nr. 593/ 2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. L 177 vom 4. 7. 2008, S. 6) sowie c) der Beschluss des Rates vom 30. November 2009 über den Abschluss des Haager Protokolls vom 23. November 2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht durch die Europäische Gemeinschaft (ABl. L 331 vom 16. 12. 2009, S. 17) oder 2. Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, einschlägig sind. Nationales geschriebenes bzw. ungeschriebenes Recht kommt mithin erst dann zur Anwen- 14 dung, wenn sich im internationalen oder europäischen Recht keine unmittelbar anwendbare Kollisionsnorm finden lässt.28

b) Die Methode der Qualifikation. Maßgeblich für die Lösung eines Falles mit Auslandsbe- 15 zug ist das Auffinden der richtigen Kollisionsnorm, also der Norm, welche das anwendbare materielle Recht für die konkrete Sachverhaltskonstellation bestimmt. Als Qualifikation bezeichnet man dabei den Vorgang der Subsumtion einer konkreten Rechtsfrage unter die für den Sachverhalt maßgebliche Kollisionsnorm des Internationalen Privatrechts.29 Im Rahmen der Qualifikation, d. h. bei der Anwendung und Auslegung von Kollisionsnor- 16 men, kann sich die Frage stellen, welches Recht über die inhaltliche Definition und Abgrenzung der darin enthaltenen Systembegriffe entscheidet. Die h.M. im deutschen Schrifttum30 sowie die Rechtsprechung31 gehen davon aus, dass die Qualifikation grundsätzlich nach der lex fori zu erfolgen hat. Die lex fori bestimmt mithin die Reichweite des Wettbewerbsstatuts.32 Dies bedeutet, 17 dass in Fällen, in denen ein deutsches Gericht über einen Rechtsstreit mit Auslandsbezug entscheidet, im Grundsatz deutsches Recht für die Qualifikation der Tatbestandsmerkmale einer Kollisionsnorm maßgeblich ist. Hiervon gibt es jedoch eine wichtige Ausnahme, die insbesondere im Wettbewerbskollisi- 18 onsrecht besondere Relevanz erlangt: Handelt es sich nämlich um eine unmittelbar anwendbare Kollisionsnorm des internationalen oder europäischen Rechts, so muss eine autonome an Unionsrechts jedoch unmittelbar anwendbar sein. Siehe in diesem Kontext auch EuGH 19. 6. 1990 – C-213/89 – Slg. 1990, I-2433 Tz. 19 ff. – Factortame; EuGH 15. 7. 1964 – 6/64 – Slg. 1964, 1251, 1269 – Costa; EuGH (Plenum) 8. 3. 2011 – Gutachten 1/09 – GRUR Int. 2011, 309 Tz. 65 – Einheitliches Patentgerichtssystem sowie die 17. Erklärung zum Vorrang als Teil der Erklärungen zur Schlussakte der Regierungskonferenz, die den am 13. Dezember 2007 unterzeichneten Vertrag von Lissabon angenommen hat, ABl. EU C 115 v. 9. 5. 2008, S. 344. 26 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 44. 27 Vgl. Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 40; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 4. 28 Vgl. hierzu ausführlich Rn. 50 ff.; Staudinger/Hausmann Art. 3 EGBGB Rn. 13 ff. 29 MünchKommBGB/Sonnenberger Einl. IPR Rn. 481; Kropholler IPR § 15 I 1; vgl. hierzu ausführlich v. Bar/Mankowski § 7 Rn. 138 ff. 30 S. nur Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 5; Kropholler IPR § 16 I; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 41; Staudinger/Magnus Vorb. Art. 27–37 EGBGB Rn. 40 m. w. N. 31 BGH 19. 12. 1958 – IV ZR 87/58 – BGHZ 29, 137, 139 = NJW 1959, 717, 718; BGH 14. 6. 1965 – GSZ 1/65 – BGHZ 44, 46, 50 = NJW 1965, 1665, 1666; BGH 28. 11. 2002 – III ZR 102/02 – BGHZ 153, 82, 86 = NJW 2003, 426, 427. 32 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 390; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 5.

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

Sinn und Zweck des internationalen oder europäischen Regelungswerks ausgerichtete Auslegung erfolgen.33 19 Mit Blick auf das vereinheitlichte europäische Wettbewerbskollisionsrecht bedeutet dies, dass die maßgeblichen Anknüpfungsgegenstände in Art. 6 Rom II-VO autonom-unionsrechtlich sowie funktional34 ausgelegt werden müssen.35 Dies heißt beispielsweise, dass in einem Fall, in dem die Zulässigkeit von wettbewerblichem Verhalten mit Auswirkungen auf die Interessen der Marktbeteiligten zur Beurteilung ansteht, Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO die maßgebliche Anknüpfungsnorm ist, unabhängig davon, ob das nationale Recht das Verhalten wettbewerbsrechtlich oder deliktsrechtlich einordnet.36

20 c) Rück- und Weiterverweisung. Nach Art. 4 Abs. 1 Hs. 1 EGBGB umfasst das mit Hilfe des Kollisionsrechts ermittelte Recht nicht nur das Sachrecht der berufenen Rechtsordnung, sondern auch deren Internationales Privatrecht. Das deutsche EGBGB geht mithin vom Prinzip der Gesamtverweisung aus.37 Dies bedeutet, dass das Sachrecht der zunächst ermittelten ausländischen Rechtsordnung (das Recht der lex causae) nur Anwendung findet, wenn diese die Verweisung „annimmt“, wenn sie also die Verweisungsbegriffe ebenso qualifiziert und dieselben Anknüpfungsmomente verwendet, wie das inländische Recht. Bestehen jedoch Unterschiede, kann es im Rahmen einer Gesamtverweisung auch zu einer Weiter- oder Rückverweisung kommen. 21 Im Falle einer Weiterverweisung, wenn also das zunächst ermittelte Recht auf eine dritte Rechtsordnung verweist, finden deren Rechtsnormen Anwendung. Die Frage, ob es sich bei dieser erneuten (Weiter-)Verweisung ebenfalls um eine Gesamtverweisung handelt, oder ob nur die Normen des Sachrechts unter Ausschluss der Regeln des Internationalen Privatrechts berufen sind, bestimmt sich dabei aus der Sicht der Rechtsordnung, welche die Weiterverweisung angeordnet hat. 22 Kommt es hingegen zu einer Rückverweisung, ordnet Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB die Anwendung deutschen Sachrechts an. Die Verweisungskette wird mithin unterbrochen. Widerspricht die Anwendung des ausländischen Kollisionsrechts dem Sinn der Verweisung, so bleibt es nach Art. 4 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 EGBGB bei dem zuvor festgestellten Recht (wie beispielsweise im Falle einer Rechtswahl der Parteien, Art. 4 Abs. 2 EGBGB). 23 Nach der bisherigen Rechtsprechung wurden Rück- und Weiterverweisungen jedoch im Bereich des Wettbewerbskollisionsrechts mit Blick auf die diesem Rechtsgebiet zugrunde liegende marktorientierte sowie spezielle Schutz- und Gerechtigkeitsgedanken implizierende Anknüpfung abgelehnt.38 Und auch bei den Kollisionsnormen des europäischen Sekundärrechts handelt es sich in der Regel um Sachnormverweisungen, da nur so der Zweck der Kollisions-

33 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 390; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 5 f.; vgl. auch Bauermann S. 13 f.; Mankowski GRUR Int. 2005, 634, 636; Sack WRP 2008, 845, 846. 34 Leitgedanke jeglicher Auslegung muss es dabei sein, der konkreten Norm größtmögliche Wirksamkeit zu verschaffen („effet utile“), EuGH 9. 3. 2006 – C-174/05 – Slg. 2006, I-2443 Tz. 20 – Zuid-Hollandse Milieufederatie und Natuur en Milieu; bereits EuGH 15. 7. 1963 – 34/62 – Slg. 1962, 289, 318 – Kommission/Deutschland. 35 Sack WRP 2008, 845, 846. Dies bedeutet, dass „die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweisen, in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten“, EuGH (Große Kammer) 18. 10. 2011 – C-34/10 – GRUR 2011, 1104 Tz. 25 – Brüstle m. Anm. Feldges; EuGH 7. 12. 2006 – C-306/05 – Slg. 2006, I-11543 = GRUR 2007, 225 Tz. 31 – SGAE; EuGH 30. 6. 2011 – C-271/10 – GRUR 2011, 913 Tz. 25 – VEWA; EuGH 14. 12. 2006 – C-316/05 – Slg. 2006, I-12083 = GRUR 2007, 228 Tz. 21 – Nokia; Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi vom 3. 2. 2011 – C-122/10 – Tz. 24 – Ving Sverige; siehe bereits EuGH 19. 3. 1964 – 75/63 – Slg. 1964, 379, 396 – Unger. 36 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 121. 37 Siehe Staudinger/Hausmann Art. 4 EGBGB Rn. 47. 38 Siehe hierzu ausführlich Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 11 m. w. N.

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I. Das Internationale Privatrecht des unlauteren Wettbewerbs: Einführung

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rechtsvereinheitlichung erfüllt werden kann.39 Für das hier in Frage stehende Wettbewerbskollisionsrecht schließt jedenfalls Art. 24 Rom II-VO Weiterverweisungen ausdrücklich aus. Dies bedeutet, dass die maßgebliche europäische Kollisionsnorm für den unlauteren 24 Wettbewerb, Art. 6 Rom II-VO, auf die in einem Staat geltenden Rechtsnormen unter Ausschluss der Normen des Internationalen Privatrechts verweist.

3. Funktion des Internationalen (Wettbewerbs-)Privatrechts Das Wettbewerbskollisionsrecht ist primär genuin internationalprivatrechtlichen Interessen verpflichtet.40 Kollisionsrechtliche Regelungen müssen daher in erster Linie Rechtssicherheit gewährleisten, d. h. sie müssen klar formuliert, vorhersehbar und einfach zu handhaben sein. Insbesondere haben die Parteien eines Rechtsstreits ein Interesse daran, nicht mit völlig unerwarteten Rechtsordnungen und rechtlichen Vorgaben konfrontiert zu werden.41 Darüber hinaus sollen kollisionsrechtliche Normen internationalen Entscheidungseinklang gewährleisten und damit sicherstellen, dass die erzielten Ergebnisse – unabhängig vom gewählten Forum – einheitlich sind.42 Ziel kollisionsrechtlicher Normen muss es darüber hinaus sein, ein aus Sicht des Internationalen Privatrechts faires Ergebnis sowie Gerechtigkeit zwischen den involvierten Parteien zu erreichen.43 Dies ist der Grund, weshalb im Einzelfall die Anwendung fremden Rechts einer Anwendung des nationalen Rechts vorzuziehen ist.44 Eine Kollisionsnorm muss daher grundsätzlich dem Ziel verpflichtet sein, diejenige Rechtsordnung zu berufen, die die engste Verbindung zum zugrunde liegenden Rechtsverhältnis hat.45 Ausgangspunkt darf folglich nicht die territoriale Geltung des eigenen Rechts, sondern muss vielmehr die Natur des Rechtsverhältnisses oder der betroffenen Rechtsfrage sein. Ausgehend von einem kollisionsrechtlichen Ideal ist daher möglichst die Rechtsordnung zu berufen, die nach objektiven und abstrakten Kriterien eine bestimmte Rechtsfrage am angemessensten löst.46 Allerdings hat eine Kollisionsnorm nicht nur Verkehrs- und Ordnungsinteressen sowie das Ideal des Entscheidungseinklangs zu berücksichtigen, vielmehr finden auch materiell-rechtliche Wertungen des Sachrechts bei der Normenbildung und Normeninterpretation Beachtung.47 Zwar kann das Kollisionsrecht nicht dazu dienen, materiell-rechtliche Wertungen unmittelbar umzusetzen – insbesondere muss vermieden werden, dass im Kollisionsrecht partikulare Staatsinteressen durchgesetzt werden48 – auf der Ebene des Internationalen Privatrechts kann

39 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 9; Staudinger/Hausmann Art. 4 EGBGB Rn. 146; Bamberger/Roth/Spickhoff Art. 24 Rom II-VO Rn. 1.

40 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 23. 41 Kropholler IPR § 5 I 2. 42 Der sogenannte Entscheidungseinklang ist ein „formales Ideal“ des Internationalen Privatrechts und findet seine Basis im allgemeinen Gleichheitssatz; s. Kropholler IPR § 6 I. 43 Kegel/Schurig IPR § 2 I. 44 Siehe hierzu auch Kropholler IPR § 1 II 2, § 4 I. 45 MünchKommBGB/Sonnenberger Einl. IPR Rn. 19; Kropholler IPR § 4 II 1. 46 Kropholler IPR § 4 II 1. Entscheidend ist dabei jedoch nicht, ob die Rechtsordnung das materiell-rechtlich beste Ergebnis liefert – das Kollisionsrecht geht vielmehr von der Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen aus und versucht das Recht zu bestimmen, das am „nächsten dran ist“. Bei der Suche nach geeigneten Anknüpfungspunkten können materiell-rechtliche Erwägungen jedoch durchaus Bedeutung erlangen. 47 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 392. Allerdings ist zu betonen, dass materielle Erwägungen und partikulare Staatsinteressen auf der Ebene des Kollisionsrechts grundsätzlich als nachrangig angesehen werden müssen. Vgl. hierzu auch Klass GRUR Int. 2008, 546, 550. 48 Klass GRUR Int. 2008, 546, 550.

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

jedoch eine Gewichtung der involvierten Interessen und die Implementierung materieller Wertungen durch die Akzentuierung bestimmter Anknüpfungsmomente vorgenommen werden. 29 Im Bereich des Wettbewerbskollisionsrechts muss daher insbesondere die das moderne Wettbewerbsrecht prägende Schutzzwecktrias49 bei der Suche nach dem räumlich besten Recht und somit bei der Bestimmung des relevanten Anknüpfungsmoments Beachtung finden. Als Anknüpfungsmomente dienen dabei die typischen und prägenden Merkmale eines be30 stimmten Lebenssachverhaltes, die auf eine enge Verbindung zu der Rechtsordnung eines bestimmten Staates hindeuten, wobei die konkrete Bezeichnung der jeweiligen Anknüpfungsmomente maßgeblich von der Eigenart des zu regelnden Rechtsgebietes abhängt.50 Der gewählte Referenzpunkt soll im Ergebnis garantieren, dass in der Regel das Recht mit der engsten Verbindung zu einer bestimmten Sachverhaltskonstellation Anwendung findet.51 Die Bestimmung des zentralen anknüpfungsrelevanten Schwerpunktes eines Rechtsgeschehens ist daher von entscheidender Bedeutung. In Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO hat sich der europäische Gesetzgeber im Grundsatz dafür ent31 schieden, an den Marktort52 anzuknüpfen – also an das Gebiet, auf dem die Wettbewerbsbeziehung oder die kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt worden sind oder wahrscheinlich beeinträchtigt werden.53 Damit wurde der Verordnung ein Anknüpfungspunkt zugrunde gelegt, der im deutschen Recht auch schon bisher für die Bestimmung des Wettbewerbsstatuts maßgeblich war,54 und der sich in der Vergangenheit als geeigneter Referenzpunkt bewährt hat.55

4. Die Reichweite des Wettbewerbsstatuts 32 a) Bestimmung der Reichweite im Allgemeinen. Die Reichweite des Wettbewerbsstatuts bestimmt sich, wie schon oben erwähnt,56 im Grundsatz nach der lex fori. Das bedeutet, dass das in Altfällen nach autonomem Recht zu bestimmende Wettbewerbsstatut alle geschäftlichen Handlungen i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG57 sowie aufgrund einer funktionalen Betrachtung auch jene Handlungen umfasst, die zwar nicht einem grundsätzlichen Verbot durch das UWG unterliegen, aber in qualitativer Hinsicht dem Wettbewerb dienen und zum Teil in Nebengesetzen geregelt sind.58

49 50 51 52 53 54

Siehe hierzu ausführlich Rn. 21 ff., 214 ff.; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 22 ff. Palandt/Thorn Einl. vor Art. 3 EGBGB Rn. 21. Vgl. Kropholler IPR § 4 II; MünchKommBGB/Sonnenberger Einl. IPR Rn. 657. Siehe hierzu ausführlich Rn. 211 ff. Siehe hierzu ausführlich Rn. 213. BGH 30. 6. 1961 – I ZR 39/60 – BGHZ 35, 329, 333 = GRUR 1962, 243, 245 – Kindersaugflaschen m. Anm. Filseck; BGH 20. 12. 1963 – Ib ZR 104/62 – BGHZ 40, 391, 395 = GRUR 1964, 316, 318 – Stahlexport m. Anm. Hoepffner; BGH 23. 10. 1970 – I ZR 86/69 – GRUR 1971, 153, 154 – Tampax m. Anm. Droste; BGH 15. 11. 1990 – I ZR 22/89 – BGHZ 113, 11, 14 = GRUR 1991, 463, 464 – Kauf im Ausland; BGH 26. 11. 1997 – I ZR 148/95 – GRUR 1998, 419, 420 – Gewinnspiel im Ausland; BGH 30. 3. 2006 – I ZR 24/03 – BGHZ 167, 91 = GRUR 2006, 513 Tz. 25 – Arzneimittelwerbung im Internet; BGH 11. 2. 2010 – I ZR 85/08 – BGHZ 185, 66 = GRUR 2010, 847 Tz. 10 – Ausschreibung in Bulgarien; BGH 8. 10. 2015 – I ZR 225/13 – GRUR 2016, 513 Tz. 14 – Eizellspende; BGH 12. 1. 2017 – I ZR 253/14 – GRUR 2017, 397 Tz. 40 – World of Warcraft II; der Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes (GemS-OGB) – 22. 8. 2012 – GmS-OGB 1/10 – GRUR 2013, 417 Rn. 15 betont, dass die Rom II-VO der vor ihrem Inkrafttreten nach deutschem Kollisionsrecht geltenden Rechtslage entspricht; vgl. auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn.143; Palandt/Thorn Art. 6 Rom II-VO Rn. 9; Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 15; Lindacher GRUR Int. 2008, 453, 454 f.; Dethloff NJW 1998, 1596, 1599; Sack WRP 2000, 269, 272. 55 Zur ausführlichen Bewertung der Marktortanknüpfungen und ihren Implikationen vgl. Rn. 211 ff.; Staudinger/ Fezer/Koos IntWIR Rn. 443 ff. 56 S. Rn. 10; vgl. allgemein zur Frage der Qualifikation Rn. 180 ff. 57 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 390. 58 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 390; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 117.

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I. Das Internationale Privatrecht des unlauteren Wettbewerbs: Einführung

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Die Festlegung der Reichweite des nach Art. 6 der Rom II-VO zu bestimmenden Wett- 33 bewerbsstatuts hat hingegen autonom gemeinschaftsrechtlich zu erfolgen, was bedeutet, dass sich eine funktionale Qualifikation an der durch den Gemeinschaftsgesetzgeber in Erwägungsgrund 21 der Rom II-VO59 niedergelegten Schutzzwecktrias zu orientieren hat.60 Im Ergebnis sind daher diejenigen privatrechtlichen Normen als wettbewerbliche Normen zu qualifizieren, die das Verhalten am Markt zum Schutz der Wettbewerber, der Verbraucher oder der Allgemeinheit regeln.61 Mankowksi hat im Rahmen der in der Entwurfsdiskussion entstandenen Qualifikationsde- 34 batte in Anlehnung an die Definition der Geschäftspraktiken in Art. 2 lit. d der Lauterkeitsrichtlinie62 folgende Definition vorgeschlagen: „Außervertragliche Schuldverhältnisse, die aus einem unlauteren Wettbewerbsverhalten entstanden sind, betreffen alle Handlungen, Unterlassungen, Verhaltensweisen oder Erklärungen, kommerzielle Mitteilungen einschließlich Werbung und Marketing, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung von Leistungen oder mit der Nachfrage nach Leistungen zusammenhängen.“63 Allerdings kann diese Definition nicht als abschließend angesehen werden, wie auch Man- 35 kowski selbst inzwischen betont,64 vielmehr ist der Begriff der Wettbewerbshandlung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Rom II-VO weiter zu verstehen als derjenige der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, welche nur eine Teilregelung vornimmt.65

b) Orte indirekter Schadensfolgen und Vorbereitungshandlungen. Art. 6 Abs. 1 Rom II- 36 VO ist eine Präzisierung von Art. 4 Rom II-VO.66 Bei der Auslegung von Art. 6 Abs. 1 Rom IIVO kann daher auf die Regelung des Art. 4 Rom II-VO und die dieser Norm zugrunde liegenden Erwägungen zurückgegriffen werden.67 Nach Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden, „in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind.“ Hieraus lässt sich schlussfolgern, dass Orte indirekter Schadensfolgen unerheblich sind.68 Keine kollisionsrechtliche Relevanz haben auch Orte, an denen Vorbereitungshandlungen 37 vorgenommen wurden sowie sonstige Maßnahmen, die sich im Vorfeld des Marktauftritts abspielen.69 Diese werden vom Wettbewerbsstatut nicht erfasst, da in diesen Fällen noch keine Markteinwirkung stattfindet.70 Unerheblich ist aber beispielsweise ebenfalls der Ort des Absen59 VO 2007/864/EG – ABl. EU L 199 v. 31. 7. 2007, S. 41. 60 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 390; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 25; Mankowski GRUR Int. 2005, 634, 636, der betont, dass man diese Anforderungen mit einer „funktionalen, zweckbezogenen und rechtsvergleichend von einzelnen Rechtsordnungen abstrahierenden Qualifikation in optimaler Weise“ erfüllt. 61 So auch Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 7. 62 RL 2005/29/EG – ABl. EG L 149 v. 11. 5. 2005, S. 22 ff. 63 Mankowski GRUR Int. 2005, 634, 637. 64 MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 13a. 65 Siehe hierzu ausführlich MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 113 sowie Erwägungsgrund 8 der RL 2005/ 29/EG – ABl. EG L 149 v. 11. 5. 2005, S. 22 ff., in welchem ausdrücklich festgestellt wird, dass es selbstverständlich auch „andere Geschäftspraktiken“ gibt, „die zwar nicht den Verbraucher schädigen, sich jedoch nachteilig für die Mitbewerber und gewerblichen Kunden auswirken können“, so wie beispielsweise bilaterale Geschäftspraktiken, welche von Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO erfasst werden. Zur Defintion des Begriffs der Wettbewerbshandlung im Sinne der Rom II-VO siehe zudem Rn. 205 ff. 66 Vgl. Erwägungsgrund 21 der Rom II-VO. 67 Sack WRP 2008, 845, 847; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 146. 68 Sack WRP 2008, 845, 847; ders. GRUR Int. 2012, 601, 602; Glöckner WRP 2011, 137, 140. 69 Siehe hierzu auch unten Rn. 197, 246. 70 So im Ergebnis auch Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 391; Sack WRP 2008, 845, 847; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 118 f.; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 208 sowie der BGH mit Blick auf das autonome deut-

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

dens eines irreführenden Werbeschreibens.71 Und auch das bloße Herstellen einer Nachahmung unterfällt nicht dem Wettbewerbsstatut, sondern ist dem allgemeinen Deliktsstatut zu unterstellen,72 da es während des Herstellungsprozesses aufgrund des rein betriebsinternen Vorgangs noch nicht zu einer Interessenkollision auf dem Markt kommt.73

5. Systematische Einordnung des Wettbewerbskollisionsrechts 38 a) Einleitung. Auch wenn durchaus funktionelle Verflechtungen zwischen den Gebieten des internationalen Wettbewerbs-, Kartell- und Immaterialgüterrechts bestehen, so existiert nach wohl noch hM aktuell kein einheitliches internationales Wirtschaftskollisionsrecht,74 das diese Bereiche einer einheitlichen Anknüpfung unterstellt. Vielmehr besteht nach wie vor eine konzeptionelle Trennung mit der Konsequenz, dass im Kartellkollisionsrecht das Auswirkungsprinzip75 und im Immaterialgüterkollisionsrecht das auf territorialen Gedanken beruhende Schutzlandprinzip76 maßgeblich ist, während im Bereich des Wettbewerbskollisionsrechts – wie noch ausführlich dargelegt werden wird – eine Anknüpfung an den Marktort, verstanden als den Ort der wettbewerblichen Interessenkollision, vorgenommen wird.77

b) Abgrenzung zum Internationalen Deliktsrecht 39 aa) Wettbewerbskollisionsrecht als Teilgebiet des Internationalen Deliktsrechts. Wettbewerbskollisionsrecht bildet nach traditionellem Verständnis ein Teilgebiet des Internationalen Deliktsrechts.78 Insofern findet sich im Kollisionsrecht eine Entsprechung der im materiellen Recht vorherrschenden Auffassung, wonach das Wettbewerbsrecht als Sonderdeliktsrecht angesehen werden muss.79 Zwar existieren in Deutschland für das Recht des unlauteren Wettbewerbs keine geschrie40 benen, speziell wettbewerbsrechtlichen Kollisionsregeln – herkömmlicherweise wurde das

sche Recht: BGH 30. 6. 1961 – I ZR 39/60 – BGHZ 35, 329, 334 ff. = GRUR 1962, 243, 245 f. – Kindersaugflaschen m. Anm. Filseck; BGH 20. 12. 1963 – Ib ZR 104/62 – BGHZ 40, 391, 395 f. = GRUR 1964, 316, 318 – Stahlexport m. Anm. Hoepffner; BGH 15. 11. 1990 – I ZR 22/89 – BGHZ 113, 11, 15 = GRUR 1991, 463, 464 f. – Kauf im Ausland; BGH 26. 11. 1997 – I ZR 148/95 – GRUR 1998, 419, 420 – Gewinnspiel im Ausland; vgl. zudem auch Bauermann S. 109 ff., der im Ergebnis eine differenzierende Betrachtung vornimmt. 71 Sack WRP 2008, 845, 847. 72 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 391; Sack WRP 2008, 845, 847; Siehe hierzu auch Rn. 255. 73 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 118; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 391. 74 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 392. 75 Vgl. hierzu Rn. 39 ff. 76 Vgl. hierzu Rn. 33 ff. 77 Dies ist in der Regel der Ort, an dem auf die Marktgegenseite eingewirkt wird, denn dort soll nicht nur unlauteres Konkurrenzverhalten verhindert werden – auf diesen Ort bezieht sich auch das Interesse der Allgemeinheit an einem lauteren Wettbewerb und das Interesse potentieller Kunden, als Marktteilnehmer vor unlauterem Wettbewerbsverhalten geschützt zu werden, Sack WRP 2008, 845, 846. 78 Grundlegend die Entscheidung BGH 30. 6. 1961 – I ZR 39/60 – BGHZ 35, 329, 333 f. = GRUR 1962, 243, 245 – Kindersaugflaschen m. Anm. Filseck, in welcher das Gericht das Marktortprinzip etablierte und feststellte, dass das Recht der ausländischen Märkte Anwendung findet, auf welchen das nachgeahmte Produkt mit denen des Klägers in Wettbewerb tritt, selbst wenn der Vertrieb von Deutschland ausgeht. Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 36; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 1; Höder S. 27; Schricker Einf. Rn. 85; Köhler FS Coester-Waltjen S. 501 f. 79 Köhler GRUR 2003, 265, 267; Reichold AcP 193 (1993) 204, 221; Harte/Henning/Ahrens Einl. F Rn. 120 ff.; Fezer/ Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 36 sprechen insoweit von einer „unzutreffenden Übernahme materiellrechtlicher Kategorisierungen auf die Kollisionsrechtsebene“. Siehe hierzu auch Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 393 f.

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I. Das Internationale Privatrecht des unlauteren Wettbewerbs: Einführung

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Wettbewerbskollisionsrecht aber dem Kollisionsrecht der unerlaubten Handlung zugeordnet.80 Noch im Zuge der IPR-Reform des Jahres 1999 ging der deutsche Gesetzgeber mit Blick auf das Wettbewerbskollisionsrecht vom Fortbestehen der richterrechtlich entwickelten Marktortanknüpfung aus und vertrat die Ansicht, dass wettbewerbsrechtliche Konstellationen über eine Anknüpfung an die allgemeinen deliktsrechtlichen Normen der Art. 40 ff. EGBGB angemessen zu lösen seien.81 Das auf den unlauteren Wettbewerb anzuwendende Recht war im Grundsatz mithin das Recht des Begehungsortes (Tatort, lex loci delicti commissi), wobei sowohl der Handlungsort (Ort, an dem die tatbestandsmäßige Handlung vorgenommen wurde) als auch der Erfolgsort (Ort, an dem der tatbestandsmäßige Verletzungserfolg eingetreten ist) maßgeblich sein konnten.82 Die Anbindung an das Internationale Deliktsrecht wurde jedoch vielfach kritisiert83 und es wurde eine Loslösung von diesem gefordert,84 da sich insbesondere das Ubiquitätsprinzip85 mit seiner wahlweisen Anknüpfung an den Handlungs- oder den Erfolgsort nicht mit der im Wettbewerbsrecht erforderlichen Berücksichtigung von Drittinteressen vertrage.86 Zudem wurde argumentiert, eine schlichte Übernahme der Tatortregel gerate mit dem wettbewerblichen Prinzip der Chancengleichheit aller Wettbewerber auf dem Markt (par conditio concurrentium) in Konflikt.87 Darüber hinaus wurde die Forderung nach einer eigenständigen und vom Deliktsstatut unabhängigen Anknüpfung ebenfalls damit begründet, dass sich der Wandel der Schutzrichtung des materiellen Wettbewerbsrechts auch auf der kollisionsrechtlichen Ebene widerspiegeln müsse:88 Denn während das Deliktsrecht das anwendbare Recht für den Ausgleich eines in einem Zweipersonenverhältnis erlittenen Schadens beruft und dem Schutz individueller Interessen dient, sei das Wettbewerbsrecht den Schutzinteressen aller Marktteilnehmer verpflichtet.89 Dies erfordere eine Loslösung vom Deliktsrecht und eine originär wettbewerbskollisionsrechtliche Anknüpfung.90 Die Gerichte reagierten in der Folgezeit auf diese Kritik91 und gaben den typischen wettbewerbsrechtlichen Konflikten und der mehrdimensionalen Interessenlage des Wettbewerbsrechts im Richterrecht ausreichend Raum,92 was im Laufe der Zeit tatsächlich zu einer weitgehenden

80 Siehe etwa Ahrens FS Tilmann S. 739, 747; Piper/Ohly/Sosnitza6 Einf. B Rn. 14; K. Troller S. 27 ff. Zum autonomen Wettbewerbskollisionsrecht siehe auch Rn. 190 ff.; ausführlich Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 61 ff.; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 621 ff.; MünchKommUWG/Mankowski1 IntWettbR Rn. 263 ff.; MünchKommBGB/Drexl4 IntUnlWettbR Rn. 82 ff. 81 Siehe hierzu Gesetz zum Internationalen Privatrecht für außervertragliche Schuldverhältnisse und für Sachen vom 21. 5. 1999, BGBl I S. 1026 sowie die Begründung RegE BTDrucks. 14/343, S. 10. 82 Zur Konkretisierung des Begehungsortes im Bereich des Wettbewerbskollisionsrechts durch die Rechtsprechung siehe auch Rn. 193. 83 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 36 ff.; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 11; Stellungnahme des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht, GRUR Int. 1985, 104, 107; Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 168. 84 Vgl. hierzu statt vieler Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 194. 85 Zum im internationalen Deliktsrecht vorherrschenden Ubiquitätsprinzip, vgl. Staudinger/v. Hoffmann Art. 40 EGBGB Rn. 5. 86 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 397. 87 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 63; Lindacher WRP 1996, 645, 647. 88 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 63. 89 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 37; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 397. 90 Harte/Henning/Glöckner Einl. C Rn. 127 a. E. 91 Vgl. hierzu BGH 30. 6. 1961 – I ZR 39/60 – BGHZ 35, 329, 333 f. = GRUR 1962, 243, 245 – Kindersaugflaschen m. Anm. Filseck. 92 Zur Entwicklung der Rechtsprechung vgl. ausführlich Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 182 ff.; Staudinger/ Fezer/Koos IntWIR Rn. 443 ff.

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Ablösung und Emanzipation des Wettbewerbskollisionsrechts vom Internationalen Deliktsrecht führte.93 In der Folge wurde der Begehungsort in der Rechtsprechung des BGH94 in Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre95 nicht mehr im Sinne des klassischen Handlungs- oder Erfolgsortes verstanden, sondern als Ort der wettbewerblichen Interessenkollision.96 Trotz der im Ausgangspunkt engen Verbindung mit dem Deliktsstatut ging das Wettbewerbskollisionsrecht in der deutschen Rechtstradition mithin eigene Wege – eine vollständige Loslösung von der deliktsrechtlichen Verankerung fand jedoch nicht statt.97 Und auch der europäische Gesetzgeber hat mit Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 der Rom II-VO eine ausdrückliche deliktsrechtliche Sonderanknüpfung geschaffen.98 In Erwägungsgrund 21 der Rom II-VO wird dementsprechend ausgeführt, dass Art. 6 Rom II-VO keine Ausnahme von der allgemeinen Anknüpfungsregel in Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO darstelle, sie vielmehr als eine „Präzisierung“ derselben zu verstehen sei.99 Zwar lässt Art. 6 Rom II-VO den Streit um die angemessene Verankerung des Wettbewerbsdeliktsrechts im autonomen deutschen Recht in den Hintergrund treten,100 jedoch bestehen die im Rahmen der deutschen Diskussion vorgebrachten dogmatischen Bedenken101 auch gegenüber der europäischen Regelung. Denn auch diese sieht sich grundsätzlich der Schutzzwecktrias des Wettbewerbsrechts verpflichtet und bezweckt neben einem Schutz der Wettbewerber auch den Schutz der Verbraucher und der Öffentlichkeit.102 Gerade die europäisch-geprägte Entwicklung des Wettbewerbsrechts zu einem Recht der Marktordnung und Marktkommunikation,103 das vor allem – aber nicht nur – die kollektiven Interessen der Marktteilnehmer im Blick hat, spricht daher gegen eine deliktische Qualifikation des Wettbewerbsrechts.104 Die konzeptionelle Andersartigkeit des Wettbewerbsrechts zeigt sich auch auf europäischer Ebene, weshalb gegen die in der Rom II-VO vorgenommene formale Einordnung des Wettbewerbskollisionsrechts in das internationale individualrechtlich geprägte Deliktsrecht auf den

93 Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 168; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 36. 94 Zum bisherigen deutschen Recht siehe BGH 30. 6. 1961 – I ZR 39/60 – BGHZ 35, 329, 333 = GRUR 1962, 243, 245 – Kindersaugflaschen m. Anm. Filseck; BGH 20. 12. 1963 – Ib ZR 104/62 – BGHZ 40, 391, 395 = GRUR 1964, 316, 318 – Stahlexport m. Anm. Hoepffner; BGH 23. 10. 1970 – I ZR 86/69 – GRUR 1971, 153, 154 – Tampax m. Anm. Droste; BGH 13. 5. 1977 – I ZR 115/75 – BGH 13. 5. 1977 – I ZR 115/75 – GRUR 1977, 672, 673 – Weltweit-Club; BGH 11. 3. 1982 – I ZR 39/ 78 – GRUR 1982, 495, 497 – Domgarten-Brand; BGH 4. 6. 1987 – I ZR 109/85 – GRUR 1988, 453, 454 – Champagner unter den Mineralwässern; BGH 15. 11. 1990 – I ZR 22/89 – BGHZ 113, 11, 14 = GRUR 1991, 463, 464 – Kauf im Ausland; BGH 26. 11. 1997 – I ZR 148/95 – GRUR 1998, 419, 420 – Gewinnspiel im Ausland; BGH 14. 5. 1998 – I ZR 10/96 – GRUR 1998, 945, 946 – Co-Verlagsvereinbarung; BGH 13. 5. 2004 – I ZR 264/00 – GRUR 2004, 1035, 1036 – Rotpreis-Revolution; BGH 30. 3. 2006 – I ZR 24/03 – BGHZ 167, 91 = GRUR 2006, 513 Tz. 25 – Arzneimittelwerbung im Internet; BGH 11. 2. 2010 – I ZR 85/08 – BGHZ 185, 66 = GRUR 2010, 847 Tz. 10 – Ausschreibung in Bulgarien; BGH 8. 10. 2015 – I ZR 225/13 – GRUR 2016, 513 Tz. 14 – Eizellspende; BGH 12. 1. 2017 – I ZR 253/14 – GRUR 2017, 397 Tz. 40 – World of Warcraft II. 95 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 68; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 2. 96 Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 184; Sack WRP 2008, 845, 846. 97 Mankowski GRUR Int. 1999, 909, 910. 98 Zu einer möglichen Kollision von wettbewerbsrechtlichen und deliktsrechtlichen Ansprüchen siehe MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 121. 99 Vgl. auch die noch weitreichendere Entwurfsvorschrift des Art. 7 Abs. 1, welche insgesamt eine deliktsrechtliche Anknüpfung favorisierte. 100 So auch Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 36. 101 Siehe hierzu Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 392 ff.; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 1 ff. 102 Erwägungsgrund 21 der Rom II-VO. 103 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 7 betont insoweit, dass es dem europäischen Recht primär um „die Sicherung eines störungsfreien Ablaufs der Marktkommunikation“ gehe und wettbewerbliche Kollektivinteressen im Vordergrund stehen, weshalb das europäische Wettbewerbsrecht am besten als „Marktordnungsrecht und Marktkommunikationsrecht“ bezeichnet werden könne. 104 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 7; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 394.

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I. Das Internationale Privatrecht des unlauteren Wettbewerbs: Einführung

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ersten Blick ebenfalls Bedenken bestehen müssen.105 Allerdings macht die Regelung des Art. 6 Rom II-VO auf den zweiten Blick deutlich, dass sich der europäische Gesetzgeber der Andersartigkeit durchaus bewusst war: Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO stellt ausdrücklich klar, dass primär auf die involvierten Kollektivinteressen abzustellen ist. Eine individualrechtlich geprägte deliktische Sichtweise wurde mithin vermieden, weshalb durchaus davon gesprochen werden kann, dass sich das europäische Wettbewerbskollisionsrecht zwar nicht formal, doch aber sachlich hinreichend von seinen deliktischen Wurzeln gelöst hat.106 Hierdurch wird es der modernen Konzeption des europäischen Wettbewerbsrechts, welches neben den Individualinteressen der Wettbewerber primär dem Schutz der Wettbewerbsbeziehungen im Interesse der Allgemeinheit sowie der Verbraucher dient, und gleichzeitig auch dem Schutz des unverfälschten Wettbewerbs im Sinne von § 1 UWG gerecht.107

bb) Die Kollision von Wettbewerbs- und Deliktsstatut. Eine Handlung kann grundsätzlich 49 deliktsrechtliche als auch wettbewerbsrechtliche Schutznormen verletzen, wie etwa im Falle der Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb oder im Falle einer sittenwidrigen Schädigung. Aus diesem Grund muss das Verhältnis zwischen Wettbewerbsstatut und Deliktsstatut, insbesondere in Kollisionsfällen, geklärt werden. Grundsätzlich gilt, dass eine echte Kollision von deliktsrechtlichen und wettbewerbs- 50 rechtlichen Ansprüchen aufgrund der im Rahmen der Rom II-VO vorzunehmenden funktionalen Qualifikation108 jedenfalls dann nicht besteht, sofern es um die Beurteilung von Verhaltensweisen zu Wettbewerbszwecken mit Auswirkungen auf die kollektiven Interessen der Verbraucher oder sonstiger Marktbeteiligter geht. Denn in diesen Konstellationen ist allein nach Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO anzuknüpfen, und zwar unabhängig davon, wie das nationale Recht den konkreten Anspruch einordnet.109 Durch diese autonom-unionsrechtlich geprägte funktionale Qualifikation wird eine dem Interesse an einer effektiven Marktordnung widersprechende gespaltene Anknüpfung vermieden.110 Bezwecken die relevanten deliktsrechtlichen Normen hingegen den Schutz von Rechten 51 oder Rechtsgütern außerhalb des wettbewerbsrechtlichen Rechtskreises, wie beispielsweise im Falle von Eigentums- oder Namensrechtsverletzungen,111 kann das Deliktsstatut im Einzelfall ein vom Marktortrecht abweichendes Recht berufen.112

105 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 396 halten sie gar für nicht angemessen. Ähnlich Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 38, die eine „grundsätzliche und klare Abgrenzung zum Deliktsrecht“ für gerechtfertigt halten. 106 Ähnlich auch Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 398. 107 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 6. 108 Zur autonomen gemeinschaftsrechtlichen Auslegung der Rom II-VO siehe Rn. 20 ff. sowie 180 ff. Im Ergebnis ebenso MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 121, vgl. in diesem Kontext auch Nettlau S. 120 ff. 109 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 121. Der Vorrang des Wettbewerbsstatuts wurde und wird in der Literatur (siehe Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 38) zudem auch damit begründet, dass das im nationalen Recht bestehende Subsidiaritätsverhältnis ebenfalls auf der Ebene des internationalen Rechts zu beachten sei, weshalb eine möglicherweise vom Wettbewerbsstatut abweichende Regelung nicht zur Anwendung komme und eine Überschneidung zwischen Deliktsstatut und Wettbewerbsstatut folglich ausscheide. Diese Argumentation ist jedoch im Falle einer funktionalen Qualifikation nicht notwendig – die Einordnung nach der lex fori ist dann nicht maßgeblich. 110 Ähnlich auch Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 400, die von einer grundsätzlichen Subsidiarität des allgemeinen Internationalen Deliktsrechts gegenüber dem Wettbewerbskollisionsrecht ausgehen und die marktortspezifische Anknüpfung auch auf die deliktsrechtlichen Ansprüche erstrecken wollen, sofern die lauterkeitsrechtliche Regelung abschließend ist; ähnlich BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 65. 111 Mankowski GRUR Int. 1999, 995, 997. 112 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 122; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 401; BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 66.

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In Fällen bilateraler Wettbewerbshandlungen, wenn es sich also um eine rein betriebsbezogene Wettbewerbsverletzung113 handelt, findet nach Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO allerdings das allgemeine Deliktsstatut Anwendung.114

53 c) Abgrenzung zum Immaterialgüterkollisionsrecht. Das Wettbewerbsrecht weist eine ganze Reihe von Überschneidungen mit dem Immaterialgüterrecht auf.115 Dies gilt in besonderem Maße im Bereich des ergänzenden wettbewerblichen Leistungsschutzes116 sowie mit Blick auf den Schutz geografischer Herkunftsangaben,117 weshalb auch insoweit eine Abgrenzung erforderlich ist. Im Bereich des Immaterialgüterrechts wird mehrheitlich ein territorialer Ansatz, bezeichnet 54 als Schutzlandanknüpfung (lex loci protectionis), favorisiert,118 welcher nunmehr auch der Rom II-VO zugrunde gelegt wurde. Art. 8 Abs. 1 der Rom II-VO ordnet für außervertragliche Schuldverhältnisse aus einer Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums ausdrücklich die Geltung des Rechts des Landes an, für dessen Gebiet Schutz beansprucht wird. Die territoriale Verhaftung, auf welcher die Schutzlandanknüpfung basiert, wird dabei primär damit begründet, dass es sich bei den Rechten zum Schutz geistigen Eigentums um durch einen Hoheitsakt eines souveränen Staates verliehene Rechte handelt, welche grundsätzlich nur innerhalb des Gebietes dieses Staates Geltung haben sollen.119 Zwar stehen auch im Wettbewerbsrecht territoriale Erwägungen im Raum – denn beim 55 Schutz von Verbrauchern und Allgemeininteressen hat jeder Staat primär inländische Aspekte im Blick120 – jedoch existiert im Wettbewerbsrecht kein durch staatlichen Akt territorial verliehenes Recht,121 das eine territoriale Anbindung an das Recht eines Landes begründen könnte. Darüber hinaus bestehen trotz gemeinsamer rechtsgeschichtlicher Wurzeln122 erhebliche konzeptionelle Unterschiede sowie eine unterschiedliche Schutzrichtung: Das Wettbewerbsrecht ist primär Marktverhaltensrecht, während das Immaterialgüterrecht dem Schutz ausschließlicher Rechte dient.123 Funktion, Ausgestaltung und Schutzzweck divergieren mithin erheblich.

113 Vgl. hierzu ausführlich Rn. 229 ff. 114 Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO verweist in diesem Fall auf Art. 4 Rom II-VO. Ausführlich zu Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO Rn. 229 ff. 115 In der Literatur wird in diesem Zusammenhang auch immer wieder auf die gemeinsamen rechtsgeschichtlichen Wurzeln beider Rechtsgebiete verwiesen sowie darauf, dass Immaterialgüterrechte ähnlich wie das Wettbewerbsrecht eine unternehmerische Leistung schützen, vgl. hierzu Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 33 sowie Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 405, die von einem „wertungskompatiblen Gesamtsystem zum Schutz der unternehmerischen Leistung“ sprechen. 116 Zum ergänzenden wettbewerblichen Leistungsschutz vgl. ausführlich Sack ZHR 160 (1996), 493, 494 ff.; ders. WRP 2008, 845, 858 f.; Nemeczek WRP 2010, 1315 ff.; vgl. zur Abgrenzungsproblematik auch Bauermann S. 178 ff. Ergänzungsbedarf gewerblicher Rechtschutz, S. 38 ff. 117 Sack WRP 2008, 845, 858. 118 Zur Vorherrschaft des Schutzlandprinzips vgl. MünchKommBGB/Drexl IntImmGR Rn. 6; Schricker/Loewenheim/Katzenberger Vor §§ 120 ff. UrhG Rn. 124; Muth S. 60; Ohly in: Drexl/Kur S. 241. Zur Kritik an diesem territorial geprägten Ansatz insbesondere mit Blick auf die Frage der ersten Inhaberschaft siehe Klass GRUR Int. 2007, 373 ff. sowie dies. GRUR Int. 2008, 546 ff. 119 Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 4. An dieser Sichtweise wird selbst mit Blick auf das Urheberrecht festgehalten, obwohl dieses nahezu weltweit schlicht durch den Akt der Schöpfung entsteht und kein staatlicher Verleihungsakt notwendig ist. 120 So auch Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 6. 121 Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 6. 122 Vgl. hierzu Piper/Ohly/Sosnitza Einf. A Rn. 28: Echter Wettbewerbsschutz wurde erst als Konsequenz der durch das Gesetz zum Schutz von Warenbezeichnungen vom 12. 5. 1894 angestoßenen Entwicklung geschaffen. 123 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 131.

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Hinzu kommt, dass eine auf territorialen Gesichtspunkten beruhende und die Souveränität einzelner Staaten betonende kollisionsrechtliche Anknüpfung dem Verständnis einer modernen Wirtschaftsordnung nicht mehr entspricht und daher Zurückhaltung bei einer erweiternden Anwendung bestehen sollte.124 Vor diesem Hintergrund kann mithin trotz einer gewissen Rechtsähnlichkeit eine Anknüpfung an das Recht des Schutzlandes, jedenfalls im Bereich des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes, insbesondere mangels Existenz absoluter ausschließlicher Rechtspositionen, nicht überzeugen.125 Wettbewerblicher Leistungsschutz ist zwar im Schnittbereich zwischen Wettbewerbsrecht und Immaterialgüterrecht angesiedelt und greift in Konstellationen ein, in denen das im Kontext eines Kennzeichenrechts stehende unlautere Verhalten mittels des immaterialgüterrechtlichen Spezialschutzes nicht angemessen erfasst werden kann,126 letztlich werden aber über den ergänzenden Schutz Verhaltensregeln als Teil des Marktordnungsrechts definiert.127 Eine Anknüpfung an das Recht des Marktortes erscheint daher im Ergebnis vorzugswürdig.128 Besonders schwierig ist die Antwort nach der angemessenen Qualifikation im Bereich der geografischen Herkunftsangaben, welche jedenfalls der BGH bisher der wettbewerblichen Anknüpfung an das Marktortprinzip unterstellte.129 Allerdings hat auch mit Blick auf diesen Schutzbereich eine vom nationalen Verständnis losgelöste autonom-unionsrechtliche Auslegung der Rom II-VO zu erfolgen.130 Maßgeblich ist daher, was als „geistiges Eigentum“ im Sinne von Art. 8 Rom II-VO zu verstehen ist. Die Verordnung selbst, die in Erwägungsgrund Nr. 26 lediglich eine beispielhafte Aufzählung von Rechten enthält, schweigt bzgl. geografischer Herkunftsangaben. Anhaltspunkte liefert jedoch der Blick auf das geltende Primär- und Sekundärrecht sowie auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes. Der EuGH zählt den Schutz von geografischen Herkunftsangaben nämlich traditionell zum Schutz des gewerblichen Eigentums im Sinne von Art. 36 AEUV.131 Und auch in der Piraterie-Verordnung wird der Schutz geografischer Herkunftsangaben dem Schutz des geistigen Eigentums untergeordnet.132 Darüber hinaus hat die Gemeinschaft auch völkerrechtliche Abkommen, wie beispielsweise das TRIPS-Abkommen, gezeichnet, die geografische Herkunftsangaben dem Schutz geistigen Eigentums zuordnen.133 124 So auch Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 406. 125 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 125; BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 59. Im Ergebnis ebenso Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 407; Sack WRP 2008, 845, 859; ders. WRP 2008, 1405, 1407; a. A. Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 339; Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 200. 126 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 33; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 125. 127 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 125. 128 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 125; BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 59; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 407, 870. (Werden wettbewerbsrechtliche Ansprüche wegen angeblich unlauterer Produktnachahmung geltend gemacht, ist mithin Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO anzuwenden.); Bauermann S. 186 f.; Nettlau S. 116. 129 BGH 5. 10. 2006 – I ZR 229/03 – GRUR 2007, 67, 68 – Pietra di Soln. Vgl. hierzu ausführlich MünchKommBGB/ Drexl IntUnlWettbR Rn. 126. 130 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 127. 131 EuGH 10. 11. 1992 – C-3/91 – Slg. 1992, I-5529 Tz. 23 ff. = GRUR Int. 1993, 76 Tz. 37, 38 – Exportur; EuGH 5. 11. 2002 – C-325/00 – Slg. 2002, I-9977 = GRUR Int. 2002, 1021 Tz. 27 – CMA-Gütezeichen; EuGH 20. 5. 2003 – C469/00 – GRUR 2003, 609 Tz. 49, 66 – Grana Padano. 132 Art. 2 lit. c) iv) der VO EG 1383/2003 – ABl. EU L 196 v. 22. 7. 2003, S. 7. Ebenso ist der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der DurchsetzungsRL von der Einbeziehung geografischer Herkunftsangaben ausgegangen; siehe hierzu BTDrucks. 16/5048, S. 29, MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 127 sowie Büscher GRUR Int. 2008, 977, 982 f. 133 Art. 1 Abs. 2 i. V. m. Art. 22 ff. TRIPS. Siehe hierzu MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 127, der nicht nur auf das TRIPS-Abkommen, sondern auch auf das bilaterale Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit den CARIFORUM-Staaten der Karibik verweist, welches in Art. 145 umfängliche Bestimmungen zu „geografischen Angaben“ enthält. Darüber hinaus rechnen Art. 1 Abs. 2 und Art. 10 PVÜ geografische Herkunftsangaben zum „gewerblichen Eigentum“.

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Wirft man einen Blick auf die konkrete Ausgestaltung des Schutzes geografischer Herkunftsangaben, so lässt sich zudem feststellen, dass dieser zumindest, soweit es um Verletzungsklagen des Berechtigten geht, eigentumsähnlich ausgestaltet ist.134 Auch eine funktionale Betrachtungsweise spricht mithin für eine (zumindest partielle) Zuordnung zum geistigen Eigentum und damit für eine Anknüpfung nach dem in Art. 8 Abs. 1 Rom II-VO etablierten Schutzlandprinzip.135 Im Ergebnis sollte mithin maßgeblich sein, ob im Einzelfall ein dem Immaterialgüterrecht 61 entsprechender ausschließlicher Rechtsgüterschutz gewährleistet wird oder nicht.136 Bei dieser Denkart besteht durchaus noch Spielraum für eine wettbewerbsrechtliche Anknüpfung: Handelt es sich nämlich um Verbandsklagen oder Klagen von in Bezug auf die Bezeichnung nicht berechtigten Wettbewerbern, liegt eine wettbewerbsrechtliche Qualifikation letztlich näher, weshalb ihr in diesen Konstellationen der Vorzug gegeben werden sollte.137 Zu beachten ist jedoch, dass der Schutz von Unternehmensgeheimnissen im Kom62 missionsentwurf138 als Anwendungsbeispiel des Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO (damals Art. 5 Abs. 2 des Entwurfs) genannt wird und mithin trotz seiner Nähe zum geistigen Eigentum (vgl. Art. 39 TRIPS)139 der wettbewerbsrechtlichen Marktortanknüpfung untersteht.140

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63 d) Abgrenzung zum Kartellkollisionsrecht (Auswirkungsprinzip). Überschneidungen bestehen auch zwischen dem Wettbewerbskollisionsrecht und dem Kartellkollisionsrecht, da beide Rechtsgebiete dem Schutz eines geordneten und unverfälschten wirtschaftlichen Wettbewerbs dienen141 und mithin Marktordnungsgesichtspunkte im Blick haben.142 Art. 6 Abs. 3 lit. a) Rom II-VO, welcher nunmehr als allseitige Kollisionsnorm für alle schadensbegründenden Ereignisse ab dem 11. 1. 2009 maßgeblich ist,143 legt mit Blick auf die Bestimmung des Kartellrechtssta134 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 128. 135 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 128; Nettlau S. 119 f.; vgl. auch Bauermann S. 189 ff.; Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 22; BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 61; Sack WRP 2008, 845, 860. 136 Vgl. hierzu auch ausführlich MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 128 ff.; Bauermann S. 189 ff. 137 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 130; kritisch dazu BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 60. 138 Vgl. KOM (2003) 427 endg., S. 18. 139 Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 22 verweist insofern auf Art. 39 TRIPS. 140 Ähnlich auch Knaak/Kur/Hilty (MPI Stellungnahme zum Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung vom 28. 11. 2013, COM (2013) 813 final) GRUR Int. 2014, 554, 556. Die Autoren verweisen auf die lauterkeitsrechtliche Qualifikation des Geheimnisschutzes nach der Richtlinie über den Schutz von Geschäftsgeheimnissen; siehe auch Lejeune CR 2016, 330, 331, der klarstellt, dass die Richtlinie 2016/943/EU über den Schutz von Geschäftsgeheimnissen keine Regelungen zum anwendbaren Recht enthält, sondern Art. 6 Abs. 2 i. V. m. Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO anwendbar sind; vgl. zur Anknüpfung des Geheimnisschutzes nach Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO unter Berücksichtigung der neuen Richtlinie insb. auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 183 ff. Zur Umsetzung der Richtlinie in Deutschland siehe GeschGehG, BGBl 2019 I Nr. 13 v. 25. April 2019, S. 466. 141 Siehe MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 12 f., der in diesem Kontext darauf verweist, dass sowohl Kartellrecht als auch Lauterkeitsrecht auf europäischer Ebene dem Schutz des unverfälschten Wettbewerbs i. S. d. EUProtokolls über den Binnenmarkt und den Wettbewerb verpflichtet sind (vor Inkrafttreten des Lissaboner Vertrages: Art. 3 Abs. 1 lit. g EG). 142 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 27 f.; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 402 sprechen insoweit von „Teilbereichen eines einheitlichen Marktordnungsrechts“; ähnlich BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 182; Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 23 erwähnt die Parallelität der Schutzzwecke von Lauterkeits- und Kartellrecht. Vielfach wird daher betont, dass das Lauterkeitsrecht und das Kartellrecht dieselbe Funktion erfüllen und lediglich aus unterschiedlicher, jedoch komplementärer Richtung schützen, Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 211. 143 Zur zeitlichen Anwendbarkeit der Rom II-VO siehe Rn. 169. Nach Ansicht des EuGH 17. 11. 2011 − C-412/10 – NJW 2012, 441 f. Tz. 37 – Deo Antoine Homawoo/GMF Assurances SA findet die Rom II-VO nur auf schadensbegründende

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tuts fest, dass auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus einem den Wettbewerb einschränkenden Verhalten das Recht des Staates anwendbar ist, dessen Markt beeinträchtigt ist oder wahrscheinlich beeinträchtigt wird. Die Rom II-VO schreibt mithin auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene das bisher nach autonom deutschem Recht geltende Auswirkungsprinzip144 als maßgebliches kollisionsrechtliches Prinzip für das Kartellrecht verbindlich vor.145 Nationales Recht ist somit im Grundsatz auf Wettbewerbsbeschränkungen anwendbar, die 64 sich im Geltungsbereich des nationalen Gesetzes auswirken, auch wenn sie außerhalb veranlasst wurden.146 Art. 6 Abs. 3 lit. b) Rom II-VO ermöglicht dem Geschädigten für den Fall, dass sich ein wettbewerbsbeschränkendes Verhalten auf mehreren Märkten auswirkt, zudem die Einklagung des Gesamtschadens nach der lex fori.147 Die Nähe des wettbewerbskollisionsrechtlichen Marktortprinzips zum kartellkollisions- 65 rechtlichen Marktauswirkungsprinzip ergibt sich zum einen schon daraus, dass beide Anknüpfungen nach marktortbezogenen Gesichtspunkten erfolgen.148 Zum anderen besteht eine gewisse Relevanz in Konstellationen, in denen eine parallele Beurteilung sowohl nach Kartellrecht als auch nach Wettbewerbsrecht erforderlich ist (wie beispielsweise in Fällen des Boykotts, der Diskriminierung oder der Wettbewerbsstörung durch den Missbrauch wirtschaftlicher Machtstellung).149 Vor diesem Hintergrund und aufgrund der zum Teil bestehenden funktionalen und strukturellen Nähe beider Rechtsgebiete150 sowie zur Herstellung inneren Entscheidungseinklangs wird jedenfalls im Schrifttum zunehmend auch für das Wettbewerbskollisionsrecht die Anwendung des Auswirkungsprinzips gefordert.151 Dies ist jedoch im Ergebnis abzulehnen, da sich beide Rechtsbereiche, auch wenn sie sich in 66 der konzeptionellen Ausgestaltung durchaus annähern,152 dennoch funktional unterscheiden.153 Während es im Wettbewerbsrecht primär um die Beurteilung von Verhaltensweisen zu Wettbewerbszwecken geht und mithin das unzulässige Einwirken auf den Markt154 zum relevanten Anknüpfungspunkt genommen wird, hat das Kartellrecht mögliche negative Auswirkungen auf den Markt im Blick. Im Kartellrecht steht mithin nicht ein möglicher Verhaltensunwert im Fokus, vielmehr wird an mögliche Konsequenzen des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung und mithin an die Schädigung des Wettbewerbs bzw. die negativen Auswirkungen auf dieEreignisse Anwendung, die ab dem 11. 9. 2009 eingetreten sind, wobei für die Frage, welches Recht anwendbar ist, entscheidend sei, wann das schadensbegründende Ereignis stattfand, nicht jedoch, wann das Verfahren, mit dem Schadensersatz eingeklagt wird, eingeleitet wurde oder wann die Bestimmung des anwendbaren Rechts durch das Gericht erfolgte. Zu den Schlussanträgen des Generalanwalts Paolo Mengozzi v. 6. 9. 2011 s. auch Sujecki EuZW 2011, 815. 144 Das Auswirkungsprinzip war früher in § 130 Abs. 2 GWB normiert. 145 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 30. 146 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 351, 148. 147 Leible/Lehmann RIW 2007, 721, 730; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 30. 148 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 403; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 27. 149 Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 211; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 322. 150 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 27. 151 Siehe so in der Auflage 2002 Beater § 31 Rn. 36 (in Fällen der Verletzung wettbewerblicher Kollektivinteressen) sowie Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 403, die das kartellrechtliche Auswirkungsprinzip auch in dogmatischer Hinsicht auf das Wettbewerbskollisionsrecht übertragen wollen. Des Weiteren: Harte/Henning/Glöckner Einl. C Rn. 112; Koos WRP 2006, 499, 504 ff. Siehe zu dieser Thematik auch: Fezer GRUR Int. 1990, 551, 563; Kort GRUR Int. 1994, 594, 598 f.; Tilmann GRUR 1990, 87, 88; Wengler RabelsZ 19 (1954), 401, 415 ff. 152 Siehe hierzu ausführlich MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 16, der darauf hinweist, dass es sich beim Kartellrecht und Wettbewerbsrecht i. e. S. um „weithin komplementäre Rechtsgebiete (handelt), die sich in den Schutzgütern, den Beurteilungskriterien sowie der Technik der Durchsetzung immer mehr gleichen, ja sogar übereinstimmen.“ Dennoch lehnt auch er eine Übertragung des Auswirkungsprinzips auf das Wettbewerbsrecht im Ergebnis ab (vgl. Rn. 12). Des Weiteren Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 402. 153 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 13, 20; Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 23; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 142 ff.; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 31; BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 185. 154 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 16; Kreuzer in: v. Caemmerer S. 232, 270 f.; Kotthoff S. 22.

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sen angeknüpft.155 Das Auswirkungsprinzip trägt dem angemessen Rechnung, kann jedoch schon vor diesem Hintergrund nicht als kollisionsrechtliches Prinzip für das marktverhaltensbezogene Wettbewerbsrecht i. e. S. überzeugen.156 Zudem zeigt auch ein Blick auf die kollisionsrechtlich involvierten Interessen, dass das Marktortprinzip dem Auswirkungsprinzip im Lauterkeitsrecht überlegen ist. Drexl weist darüber hinaus zutreffend darauf hin, dass eine weitere Problematik des Auswirkungsprinzips in der „Kumulation anwendbarer Rechte“ liegt.157 Daher bestehe ein erhöhtes Risiko des Verbots und des Eingriffs in das Interesse des Marktortgesetzgebers, die Handlungsfreiheiten der Marktteilnehmer nach einheitlichen Maßstäben zu regeln, womit letztlich der Grundsatz der Wettbewerbsgleichheit (par conditio concurrentium) in Frage gestellt werde.158 Nicht zuletzt hat der europäische Gesetzgeber mit seiner in Art. 6 Rom II-VO vorgenommenen Differenzierung zwischen unlauteren Wettbewerbshandlungen und Kartellrechtsverstößen ebenfalls deutlich gemacht, dass er eine unterschiedliche Anknüpfung beider Rechtsbereiche für angemessen hält, weshalb eine Übertragung des Auswirkungsprinzips auf das Wettbewerbsrecht unter Geltung der Verordnung ausgeschlossen scheint.159 Hält man mithin in überzeugender Art und Weise an der Anwendung des lauterkeitsrechtlichen Marktortprinzips im Bereich des Wettbewerbskollisionsrechts fest, so kann sich im Einzelfall die Frage nach der richtigen Unterordnung einer Norm unter das Wettbewerbskollisionsrecht, für welches Art. 6 Abs. 1 und 2 Rom II-VO maßgeblich ist, oder unter das Kartellkollisionsrecht, das in Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO geregelt ist, stellen. Auch mit Blick auf diese Zuordnungsfragen ist eine autonom-unionsrechtliche Auslegung der Rom II-VO vorzunehmen und darauf abzustellen, ob die betroffene Regelung im Interesse der Wettbewerber auf einem Markt, der Verbraucher und der Allgemeinheit einheitliche Verhaltensmaßstäbe schafft, es ihr also primär um eine Verhaltenslenkung und damit um das Einwirken auf den Markt geht, oder ob es sich um eine Regelung handelt, die in Abhängigkeit von der im Einzelfall bestehenden Marktmacht nur eine bestimmte Gruppe von miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen betrifft und primär wettbewerbsverzerrende beziehungsweise wettbewerbsbeschränkende Faktoren und damit die Auswirkungen der Handlungen im Blick hat.160 Ist eine kartellrechtliche Vorfrage zu klären, wie beispielsweise die kartellrechtliche Prüfung von Vertriebsbindungssystemen, so ist diese selbständig anzuknüpfen.161 Grundsätzlich kann das Kartellrechtsstatut auch neben dem Wettbewerbsstatut Anwendung finden,162 soweit man beispielsweise eine parallele Anwendbarkeit von GWB und UWG befürwortet.163 155 Siehe hierzu detailliert MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 15. 156 So im Ergebnis auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 13, 16; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 31. 157 Da dem Auswirkungsprinzip das quantitative Kriterium der spürbaren Auswirkungen zugrunde liegt, läuft man Gefahr, dass auch Rechte von Ländern berufen werden, auf deren Märkten nur mittelbare Auswirkungen ausgemacht werden können, MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 17. Insbesondere im Rahmen der Multistate-Problematik (siehe hierzu ausführlich Rn. 219 ff.) führt die Anwendung des Auswirkungsprinzips letztlich oftmals zu einer Häufung der Statute, weshalb sich ein international agierender Wettbewerber faktisch an dem jeweils strengsten Wettbewerbsrecht orientieren muss, Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 211; Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 23. 158 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 17. 159 So auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 21; Bauermann S. 63; Nettlau S. 200 ff. Ähnlich auch Piper/ Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 23. 160 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 142; Nettlau S. 90 ff. mit differenzierter Betrachtung bei besonders schwierigen Konstellationen, wie beispielsweise dem Boykott und Preiskampf; vgl. zu einzelnen Tatbeständen auch BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 186 f.; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 31. 161 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 32; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 403. 162 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 32; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 403; Nettlau S. 99 f.; BeckOGK/ Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 184. 163 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 403; siehe in diesem Kontext auch BGH 12. 11. 1991 – KZR 18/90 – BGHZ 116, 47, 55 = GRUR 1992, 191, 193 – Amtsanzeige.

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I. Das Internationale Privatrecht des unlauteren Wettbewerbs: Einführung

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e) Abgrenzung zum Vertragskollisionsrecht. Für das Vertragsstatut gelten grundsätzlich andere Regeln und Prinzipien als für das Wettbewerbsstatut. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Bereich des Vertragsrechts richtet sich grundsätzlich nach den Vorschriften der Rom I-VO,164 welche anders als das Wettbewerbsstatut der Rom II-VO – von Ausnahmen abgesehen165 – maßgeblich vom Prinzip der Privatautonomie getragen ist.166 Waren Abgrenzungsfragen zwischen dem Wettbewerbsrecht und dem Vertragsrecht in der Vergangenheit eher von untergeordneter Bedeutung,167 können sich nunmehr vor allem vor dem Hintergrund des dem europäischen Sekundärrecht zugrunde liegenden weiten Verständnisses eines unlauteren Wettbewerbsverhaltens abgrenzungsrelevante Überschneidungen ergeben.168 Denn nach dem Verständnis des europäischen Sekundärrechts ist das Wettbewerbsrecht – anders als nach der herkömmlichen Auffassung – nicht mehr nur im Vorfeld des geschäftlichen Kontaktes und folglich vor Zustandekommen eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses einschlägig, sondern erfasst auch den „individualisierten Kundenkontakt“.169 Dies wird mit Blick auf die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken170 deutlich, welche auch Praktiken in den Anwendungsbereich der Richtlinie einbezieht, die „vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts“ stattfinden.171 Und auch in anderen Rechtsakten des europäischen Sekundärrechts findet vereinzelt eine Verzahnung zwischen wettbewerbsrechtlich relevantem Verhalten und vertragsrechtlichen Ansprüchen statt.172 Unter Zugrundelegung einer unionsrechtlich autonomen Auslegung ist daher, wie Drexl betont, eine „Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Wettbewerbsrechts in die Phase des Vertragsschlusses sowie der Vertragserfüllung zur Kenntnis zu nehmen“.173 Dies macht im Einzelfall eine gemeinschaftsrechtlich orientierte funktionale Abgrenzung von Vertrags- und Wettbewerbsstatut erforderlich. Das Vertragsstatut der Rom I-VO ist demnach anwendbar, soweit es um Aspekte und Normen geht, welche die Wirksamkeit des Vertrages und sich daraus ergebende Rechte betreffen.174 Geht es hingegen um objektive Pflichten, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Vertragsschluss und der Vertragsdurchführung stehen und die durch spezielle wettbewerbsrechtliche Normen sanktioniert werden, findet das Wettbewerbskollisionsrecht Anwendung.175 164 Verordnung 2008/593/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. 6. 2008 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. EU L 177 v. 4. 7. 2008 (Rom I-VO). 165 Die Privatautonomie wird jedoch auch im Rahmen der Rom I-VO Einschränkungen im überwiegenden Allgemeininteresse unterworfen. Dies ist insbesondere im Bereich des Verbraucherschutzes der Fall, was, wie Staudinger/ Fezer/Koos IntWIR Rn. 409 feststellen, hinsichtlich des Vertragsstatuts zu ähnlichen Ergebnissen führen kann, wie hinsichtlich des Lauterkeitsstatuts. 166 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 409. Zum Ausschluss der Rechtswahl im Bereich des Wettbewerbskollisionsrechts siehe ausführlich Rn. 188 f. sowie 262 ff.; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 61 ff.; Staudinger/Fezer/ Koos IntWIR Rn. 621 ff.; MünchKommUWG/Mankowski1 IntWettbR Rn. 263 ff.; MünchKommBGB/Drexl4 IntUnlWettbR Rn. 82 ff. 167 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 132. 168 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 132. 169 Siehe hierzu ausführlich MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 132 mit weiteren Beispielen. 170 RL 2005/29/EG – ABl. EG L 149 v. 11. 6. 2005, S. 22 ff. 171 Artikel 3 RL 2005/29/EG – ABl. EG L 149 v. 11. 6. 2005, S. 22 ff.; ebenso Köhler FS Coester-Waltjen S. 505. 172 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 132 weist diesbezüglich auf bestehende Überschneidungen im Bereich des Art. 10 der E-CommerceRL, welcher Pflichten des Internetanbieters hinsichtlich des Vertragsschlusses im Internet etabliert, sowie auf Art. 2d der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie (RL 1999/44/EG – ABl. EG L 171 v. 7. 7. 1999, S. 12 ff.) hin, welcher zu einer engen Verknüpfung von Werbeaussagen und vertraglicher Gewährleistungshaftung führt. 173 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 132 f. 174 Vgl. insofern auch Art. 10 Abs. 1, 12 Rom I-VO; Siehe hierzu auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 133 mit einzelnen Beispielen. 175 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 133, vgl. auch OLG Hamm 17. 12. 2013 – 4 U 100/13 – GRUR-RR 2014, 170 Tz. 37 – Kreuzfahrt nach Ägypten: Verletzung vorvertraglicher verbraucherschützender Informationspflichten

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Darüber hinaus zeigen sich auch Parallelen zwischen dem Vertrags- und dem Wettbewerbsstatut mit Blick auf die Verbraucherverträgen zugrundezulegenden Wertungen.176 Hier wurde in der Vergangenheit insbesondere in Fällen der Absatzförderung gegenüber Inländern im Ausland eine Übertragung der Wertungen des Verbraucherrechts diskutiert.177 Allerdings muss hinsichtlich einer Übernahme der verbraucherrechtlichen Wertungen in das Wettbewerbskollisionsrecht Zurückhaltung bestehen, denn trotz der in der Rom II-VO vorgenommenen Referenz auf den Schutz der Verbraucher,178 bestehen doch deutliche Unterschiede in den Zielrichtungen des Wettbewerbsrechts im Vergleich zum vertragsrechtlichen Verbraucherschutzrecht.179 Insbesondere stellt der Verbraucherschutz im Wettbewerbsrecht nur einen Aspekt der auch individuelle Gesichtspunkte umfassenden Schutzzwecktrias dar, welcher individualschützende sowie kollektivschützende Aspekte vereint.180 77 Berührungspunkte zwischen dem Vertragsstatut und dem Wettbewerbsstatut können sich zudem in den Fällen des Rechtsbruchs181 ergeben. Werden bei der Absatzförderung gegenüber Inländern im Ausland Vorschriften des Verbrauchervertragsrechts verletzt, kann hierin beispielsweise ein Verstoß gegen § 3a UWG liegen.182 Allerdings geht es insofern nicht um eine Grenzziehung des Anwendungsbereichs der beiden Statute. Die Frage, ob verbraucherschützende Vorschriften verletzt wurden, ist vielmehr als Vorfrage selbständig nach dem Internationalen Privatrecht der lex fori anzuknüpfen.183

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78 f ) Speziell: Verbandsklage gegen die Verwendung missbräuchlicher AGB. Besondere und komplexe Abgrenzungsprobleme stellen sich aktuell auch mit Blick auf die kollisionsrechtliche Behandlung von Unterlassungsansprüchen eines die kollektiven Verbraucherinteressen schützenden Verbandes gegen die Verwendung missbräuchlicher AGB-Klauseln.184 Denn in diesen Fällen entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen dem Lauterkeitsstatut, dem allgemeinen Deliktsstatut sowie dem Vertragsstatut.185 79 Im Rahmen der Beurteilung derartiger Unterlassungsansprüche sind daher grundsätzlich zwei Aspekte zu unterscheiden: Zunächst ist zu klären, ob der Anspruch vertraglich oder deliktisch zu qualifizieren ist, man sich mithin im Anwendungsbereich der Rom I-VO oder jenem der Rom II-VO bewegt. Entscheidet man sich für eine deliktische Einordnung, ist darüber hinaus

(z. B. die Impressumspflicht nach dem TMG) unterfällt dem Wettbewerbsstatut und nicht dem Vertragsstatut; a. A. LG Siegen 9. 7. 2013 – 2 O 36/13 – MMR 2013, 722 mit kritischer Anmerkung von Kleinemenke. 176 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 40; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 409. 177 So wurde vereinzelt eine Anknüpfung an das Heimatrecht der Verbraucher nach Art. 29 Abs. 1 bzw. Abs. 2 EGBGB a. F. (jetzt Art. 6 Rom I-VO) favorisiert und eine Übertragung der verbraucherrechtlichen Wertungen in das Wettbewerbskollisionsrecht gefordert, siehe hierzu beispielsweise: Sack IPRax 1992, 24, 27. 178 Vgl. hierzu Erwägungsgrund 21 der Rom II-VO, wonach die Kollisionsnorm des Art. 6 Rom II-VO die Wettbewerber, die Verbraucher und die Öffentlichkeit schützen und das reibungslose Funktionieren des Marktes sicherstellen soll. Auch das nationale deutsche Wettbewerbsrecht, das in § 1 UWG auf den Verbraucherschutz rekurriert, erfasst diesen nur neben weiteren individual- und kollektivschützenden Aspekten (Schutz der Mitbewerber, der sonstigen Marktteilnehmer sowie des Interesses der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb). 179 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 412. 180 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 40. 181 Siehe hierzu auch Rn. 252 ff. 182 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 41; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 414. 183 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 41; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 414. Das nach Art. 6 Abs. 1 Rom IVO (Verbraucherverträge) zu ermittelnde Sachrecht bestimmt mithin, ob eine Verletzung verbrauchervertraglicher Regelungen vorliegt, während das nach der Kollisionsnorm des Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO zu bestimmende Wettbewerbsrecht darüber entscheidet, ob ein Wettbewerbsverstoß vorliegt. 184 Vgl. dazu Rott EuZW 2016, 733 f. m. w. N. 185 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 134 ff.; ausführlich dazu auch Bauermann S. 273 ff.

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I. Das Internationale Privatrecht des unlauteren Wettbewerbs: Einführung

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eine Abgrenzung zwischen Art. 4 Rom II-VO und Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO vorzunehmen.186 Zuletzt muss noch geklärt werden, ob sich zumindest die Vorfrage nach der Zulässigkeit der Klauseln nach dem Vertragsstatut richtet. Dies ist im Einzelnen umstritten. Mit Blick darauf, dass die maßgeblichen Rechtsgrundlagen 80 für einen Unterlassungsanspruch von Verbänden gegen missbräuchliche allgemeine Geschäftsbedingungen unter anderem in §§ 1, 4a UKlaG zu finden sind, und diese Normen auf der Richtlinie 2009/22/EG über Unterlassungsklagen beruhen,187 die Unterlassungsansprüche folglich zumindest teilweise eine Grundlage im Unionsrecht haben, ist jedenfalls eine autonom unionsrechtliche Qualifikation vorzunehmen.188 Deren Ergebnis fiel jedoch nicht immer gleich aus. Mit Blick auf die zunächst zu erörternde 81 Abgrenzung zwischen der Rom I und der Rom II-VO wurde in jüngster Zeit – nicht nur in der Rechtsprechung des BGH – überwiegend eine Einordnung als außervertragliches Schuldverhältnis i.S.v. Art. 1 Abs. 1 Rom II-VO favorisiert.189 Eine Entwicklung, die nunmehr auch durch die Entscheidung „Amazon EU“ des EuGH bestätigt wurde. In dieser stellte der Gerichtshof nämlich fest, dass der Unterlassungsanspruch mangels vertraglicher Beziehungen zwischen dem Verband und dem Schädiger als ein außervertragliches Schuldverhältnis zu qualifizieren und im Ergebnis mithin von der Anwendbarkeit der Rom II-VO auszugehen ist.190 Mit Blick auf die sich anschließende, gleichfalls umstrittene Frage, ob Art. 4 Rom II-VO oder 82 Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO zur Anwendung kommt,191 entschied sich der EuGH192 ebenfalls überzeugend für eine lauterkeitsrechtliche Qualifikation des Unterlassungsanspruchs nach Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO.193 Hierfür sprechen mehrere Aspekte: Zum einen beeinträchtigt die Verwendung missbräuchlicher AGB-Klauseln die kollektiven Verbraucherinteressen und kann insofern zu unlauterem Wettbewerb i.S.v. Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO führen, weshalb eine lauterkeitsrechtliche Anknüp-

186 Vgl. hierzu MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 134 sowie W.-H. Roth IPRax 2017, 449, 452. 187 Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. 4. 2009 über Unterlassungsklagen zum Schutze der Verbraucherinteressen, ABl. 2009 L 110, 30. 188 Vgl. EuGH 28. 7. 2016 – C-191/15 – GRUR 2016, 1183 Tz. 36 – Amazon EU; hierzu auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 135. 189 Siehe hierzu Bauermann S. 280, 284; Nettlau S. 124 sowie BGH 9. 7. 2009 – Xa ZR 19/08 – NJW 2009, 3371, 3372 Tz. 18 – Air Baltic (dem folgend auch OLG Köln 26. 2. 2016 – 6 U 90/15 – GRUR-RR 2016, 471 Tz. 25 – Kundenkontosperrung); BGH 11. 2. 2010 – I ZR 178/08 – NJW 2010, 2661, 2662 – Half Life 2; BGH 29. 4. 2010 – Xa ZR 5/09 – EuZW 2010, 557, 558 – British Airways sowie BGH 20. 5. 2010 – Xa ZR 68/09 – NJW 2010, 2719 – Ryanair. 190 EuGH 28. 7. 2016 – C-191/15 – GRUR 2016, 1183 Tz. 36 ff., 39 – Amazon EU unter Beachtung der Brüssel IVO und des Kongruenzgebotes (vgl. auch EuGH 1. 10. 2002 – C-167/00 – NJW 2002, 3617 – Henkel); zustimmend MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 137; Rieländer RIW 2017, 28, 30; Müller EuCML 2016, 215, 216; W.-H. Roth IPRax 2017, 449, 452; vgl. auch LG München I 1. 3. 2018 – 12 O 730/17 – K&R 2018, 338 Tz. 81 – Amazon Dash Button. 191 Ausführlich dazu Bauermann S. 283 f.; Kaufhold EuZW 2016, 247, 251; W.-H. Roth IPRax 2017, 449, 452. 192 EuGH 28. 7. 2016 – C-191/15 – GRUR 2016, 1183 Tz. 48 – Amazon EU; s. auch LG München I 1. 3. 2018 – 12 O 730/17 – K&R 2018, 338 Tz. 114 – Amazon Dash Button. 193 Dies scheint in Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH zu stehen, der in mehreren Entscheidungen die Anwendung der allgemeinen deliktsrechtlichen Kollisionsnorm in Art. 4 Rom II-VO präferierte (vgl. insoweit BGH 9. 7. 2009 – Xa ZR 19/08 – NJW 2009, 3371, 3372 – Air Baltic; BGH 11. 2. 2010 – I ZR 178/08 – NJW 2010, 2661, 2662 – Half Life 2; BGH 29. 4. 2010 – Xa ZR 5/09 – NJW 2010, 1958 – British Airways; 20. 5. 2010 – Xa ZR 68/09 – NJW 2010, 2719 – Ryanair (vgl. auch OLG Köln 26. 2. 2016 – 6 U 90/15 – GRUR-RR 2016, 471 Tz. 25 – Kundenkontosperrung), oder zumindest, wie im Fall „Air Baltic“, die genaue Abgrenzung zwischen Art. 4 und Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO offenließ). Allerdings ist zu beachten, dass das Gericht den Ort des Schadenseintritts als allgemeinen deliktsrechtlichen Anknüpfungsmoment im Ergebnis doch lauterkeitsrechtlich konkretisierte und damit letztlich das Marktortprinzip nach Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO anwendete. Vgl. in diesem Kontext auch die Entscheidung BGH 19. 7. 2012 – I ZR 40/ 11 – GRUR 2013, 421, 422 – Pharmatische Beratung über Call-Center, in welcher keine eigenständige kollisionsrechtliche Prüfung der Verbandsklage gegen missbräuchliche AGB erfolgt, vielmehr die gesamte Verbandsklage gegen sämtliche Verstöße dem Wettbewerbsstatut zugeordnet wurde. Vgl. dazu MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 140 sowie die Kritik von W.-H. Roth IPRax 2013, 515, 517 f. und Pfeiffer LMK 2013, 343552.

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

fung rechtspolitisch überzeugender ist.194 Zum anderen könnte die Anwendung des gemeinsamen Heimatrechts nach Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO auch zulasten der Verbraucher gehen, wenn auf das Heimatrecht des Schädigers und des Verbandes abzustellen ist, das Verbraucherkollektiv aber in einem anderen Mitgliedsstaat ansässig ist.195 Nicht zuletzt verhindert Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO auch eine Rechtswahl i.S.v. Art. 14 Rom II-VO zulasten der kollektiven Verbraucherinteressen,196 weshalb die lauterkeitsrechtliche Anknüpfung angemessener erscheint. Der Ansatz des EuGH ist daher auch in der Literatur überwiegend auf Zustimmung gestoßen.197 Aber auch bezüglich des Folgeproblems, der Frage nach der kollisionsrechtlichen Behand83 lung der Wirksamkeit der Vertragsklauseln als Vorfrage,198 positionierte sich der EuGH ganz klar und entschied sich für die Anwendung des Vertragsstatuts nach den Regeln der Rom I-VO.199 Gegen eine derartige vertragsrechtliche Qualifikation spricht zwar auf den ersten Blick, dass Art. 1 und Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO einen Vertrag voraussetzen und der Verband bei einer Verbandsklage keine individuellen Verbraucher vertritt, mithin kein konkretes Vertragsverhältnis, sondern kollektive Interessen im Fokus stehen.200 Gegenstand des Verfahrens ist ja letztlich eine von konkreten (noch nicht geschlossenen) Verträgen gelöste (vorbeugende) abstrakte AGBKontrolle201 und damit kein konkretes Schuldverhältnis.202 84 Nichtsdestotrotz entspricht die Entscheidung des EuGH sowohl der Rechtsprechung des BGH203 als auch der h.M. in der Literatur,204 die sich mit Blick auf die nur so zu gewährleistende Kohärenz des anwendbaren Rechts im Individualprozess und im Rahmen der Verbands-

194 Bauermann S. 285 ff.; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 137, 140. 195 Bauermann S. 287 f.; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 140. 196 Bauermann S. 289 f.; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 140; Staudinger/Czaplinski NJW 2009, 3375, 3376.

197 Bauermann S. 284 ff. m. w. N.; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 135, 137, 140 m. w. N.; Mankowski NJW 2016, 2705; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 135a; Müller EuCML 2016, 215, 216.; W.-H. Roth IPRax 2017, 449, 452 f.; Rott EuZW 2016, 733, 734; Rieländer RIW 2017, 28, 30; Steinrötter jurisPR-IWR 3/2017 Anm. 3; Wilke GPR 2017, 21, 22. 198 Denkbar ist eine gesonderte Behandlung nach dem Internationalen Vertragsrecht gemäß der Rom I-VO oder eine vollständige lauterkeitsrechtliche Qualifikation nach der Rom II-VO; vgl. dazu ausführlich Bauermann S. 290 ff.; insb. 296 ff. m. w. N. und mit dem Hinweis auf die Übertragbarkeit der Diskussion auf Verbandsklagen nach §§ 8, 3a UWG, vgl. dazu auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 134, 141. 199 EuGH 28. 7. 2016 – C-191/15 – GRUR 2016, 1183 Tz. 49, 60 – Amazon EU; s. auch LG München I 1. 3. 2018 – 12 O 730/17 – K&R 2018, 338 Tz. 172 – Amazon Dash Button; a. A.: Schlussanträge GA 2. 6. 2016 – C-191/15 – BeckRS 2016, 81107 Tz. 50 – Amazon EU. 200 Schlussanträge GA 2. 6. 2016 – C-191/15 – BeckRS 2016, 81107 Tz. 54 – Amazon EU. 201 EuGH 28. 7. 2016 – C-191/15 – GRUR 2016, 1183 Tz. 51 – Amazon EU. 202 Vgl. auch Rieländer RIW 2017, 28, 31 und W.-H. Roth IPRax 2017, 449, 454 f. 203 BGH 9. 7. 2009 – Xa ZR 19/08 – NJW 2009, 3371, 3373 – Air Baltic: Gesamtschau von §§ 1, 4a UKlaG zwingt zu einer gesonderten Anknüpfung; dem BGH folgend auch OLG Köln 26. 2. 2016 – 6 U 90/15 – GRUR-RR 2016, 471 Tz. 25 – Kundenkontosperrung; BGH 11. 2. 2010 – I ZR 178/08 – NJW 2010, 2661, 2662 – Half Life 2; BGH 29. 4. 2010 – Xa ZR 5/09 – NJW 2010, 1958, 1959 – British Airways; BGH 20. 5. 2010 – Xa ZR 68/09 – NJW 2010, 2719 – Ryanair; ohne kollisionsrechtliche Argumentation BGH 19. 7. 2012 – I ZR 40/11 – GRUR 2013, 421 – Pharmazeutische Beratung über Call-Center, vgl. zu dieser Entscheidung W.-H. Roth IPRax 2013, 515, 518 ff., der eine mögliche Interpretation des Urteils als eine gemeinsame deliktsrechtliche Anknüpfung darlegt und dies kritisiert; nach MünchKommBGB/ Drexl IntUnlWettbR Rn. 138 wäre eine solche Interpretation zu weitgehend; kritisch auch Pfeiffer LMK 2013, 343552; nach Wilke GRP 2017, 21 ist das Urteil ein Ausreißer. 204 Bauermann S. 303, siehe zum Meinungsstand auch S. 296; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 137; Kaufhold IWRZ 2016, 215; dies. EuZW 2016, 247, 251 begründet die Anwendung des (hypothetischen) Vertragsstatuts damit, dass bei Anwendung des Marktortprinzips das anwendbare Recht stets von den Veränderungen des maßgeblichen Abruforts abhängen würde; Mankowski NJW 2016, 2705; ders. FS Roth S. 361, 362; Pfeiffer LMK 2013, 343552; Rieländer RIW 2017, 28, 31 f.; W.-H. Roth IPRax 2017, 449, 454 m. w. N.; Rott EuZW 2016, 733, 734; Steinrötter jurisPRIWR 3/2017 Anm. 3; Wilke GPR 2017, 21, 23 mit Kritik an der Begründung; a. A.: Micklitz/Reich EWS 2015, 181, 185, 188 ff.; Staudinger/Czaplinski NJW 2009, 3375, 3376.

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I. Das Internationale Privatrecht des unlauteren Wettbewerbs: Einführung

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klage205 ebenfalls für eine gesonderte Anknüpfung nach der Rom I-VO aussprechen. Eine gemeinsame Anknüpfung nach der Rom II-VO im Verbandsprozess könnte zu einem anderen sachrechtlichen Ergebnis führen als die Anknüpfung nach der Rom I-VO im Individualprozess.206 Ein solches Ergebnis liegt aber nicht im Interesse des Verbraucherkollektivs.207 Die Verbandsklage bezweckt gerade einen effektiveren Rechtsschutz208 und einen Ausgleich für den fehlenden Anreiz der Verbraucher, einen Individualprozess zu führen.209 Ist eine Klausel nach dem über die Rom I-VO im Individualprozess ermittelten Recht unwirksam, im Rahmen der Verbandsklage nach dem über die Rom II-VO anwendbaren Recht aber wirksam, können missbräuchliche Klauseln nicht effektiv bekämpft werden.210 Umgekehrt besteht bei einer Wirksamkeit nach dem Vertragsstatut und einer Unwirksamkeit nach dem Lauterkeitsstatut kein Schutzbedürfnis bezüglich der Verbandsklage.211 Eine gesonderte Anknüpfung ist aber darüber hinaus auch aus der Perspektive des Ver- 85 wenders die bessere Lösung,212 denn wird die Zulässigkeit einer Klausel sowohl im Individualprozess als auch im Rahmen der Verbandsklage nach dem Internationalen Vertragsrecht behandelt, muss dieser sich nicht an unterschiedlichen Verhaltensstandards orientieren.213 Im Ergebnis ist somit die Frage nach der Wirksamkeit der Klausel auch im Verbandsverfah- 86 ren an das Vertragsstatut anzuknüpfen.

g) Abgrenzung zum Internationalen Strafrecht. Da das Wettbewerbsrecht bei seinen 87 Durchsetzungsmechanismen zur Sicherung des Leistungswettbewerbs nicht nur auf zivilrechtliche Verbotsnormen baut,214 sondern typischerweise auch Straftatbestände enthält, welche im Falle besonders schwerwiegender oder gefährlicher Wettbewerbsrechtsverstöße zum Einsatz kommen, kann im Einzelfall auch eine Abgrenzung des Wettbewerbskollisionsrechts zum Internationalen Strafrecht erforderlich sein. Nach den Regeln des Internationalen Strafrechts, das vom Grundsatz der Territorialität 88 beherrscht wird,215 findet deutsches Strafrecht auf alle Taten Anwendung, die im Inland (§ 3 StGB) oder „unter deutscher Flagge“ auf deutschen Schiffen und in deutschen Flugzeugen (§ 4 StGB) begangen werden. Findet die Tatbegehung im Ausland statt, ist deutsches Strafrecht anwendbar, sofern sich die Tat gegen inländische Rechtsgüter (§ 5 StGB), wie beispielsweise die Verletzung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen eines im räumlichen Geltungsbereich des Gesetzes liegenden Betriebs oder international geschützter Rechtsgüter (§ 6 StGB), richtet. Darüber hinaus findet deutsches Strafrecht auch bei Auslandstaten gegen einen Deutschen oder ei205 EuGH 28. 7. 2016 – C-191/15 – GRUR 2016, 1183 Tz. 53 ff. – Amazon EU; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 136; Bauermann S. 298, 302; Kaufhold IWRZ 2016, 215, 218; Müller EuCML 2016, 215, 217, der vom internen Entscheidungseinklang spricht; Pfeiffer LMK 2013, 343552; Rieländer RIW 2017, 28, 31; W.-H. Roth IPRax 2013, 515, 518. 206 EuGH 28. 7. 2016 – C-191/15 – GRUR 2016, 1183 Tz. 54 f. – Amazon EU; Bauermann S. 298 m. w. N.; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 137. 207 EuGH 28. 7. 2016 – C-191/15 – GRUR 2016, 1183 Tz. 56 – Amazon EU; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 137. 208 W.-H. Roth IPRax 2017, 449, 454. 209 Stadler VuR 2010, 83, 86 m. w. N.; ebenso Bauermann S. 301; Rieländer RIW 2017, 28, 31. 210 EuGH 28. 7. 2016 – C-191/15 – GRUR 2016, 1183 Tz. 57 – Amazon EU; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 137. 211 Ebenso Bauermann S. 301; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 137; Mankowski FS Roth S. 361, 362. 212 Ebenso Bauermann S. 298 f. m. w. N.; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 137. 213 Bauermann S. 298 f.; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 137, vgl. auch Rn. 139 für die praktische Relevanz des Problems. 214 Siehe beispielsweise § 16 Abs. 1 UWG (strafbare irreführende Werbung), § 16 Abs. 2 UWG (Schneeballsysteme), § 17 UWG (Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen), § 18 UWG (Verwertung von Vorlagen) sowie § 19 UWG (Verleiten und Erbieten zum Verrat). 215 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 42; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 416.

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

nes Deutschen Anwendung, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt (§ 7 StGB).216 Ein Abweichen von diesen Grundsätzen im Wege einer wettbewerbskollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung kommt nicht in Betracht.217

II. Rechtsquellen des Internationalen Wettbewerbsprivatrechts 1. Verhältnis des Konventionsrechts zum autonomen deutschen und zum gemeinschaftsrechtlichen Kollisionsrecht 89 Wie schon zuvor festgestellt, lassen sich Rechtsquellen des Kollisionsrechts auf der Ebene des internationalen, europäischen und nationalen Rechts finden.218 Auch im Bereich des Wettbewerbskollisionsrechts muss dem Blick ins autonome nationale Recht mithin die Suche nach einschlägigen konventionsrechtlichen oder unionsrechtlichen Kollisionsnormen vorausgehen, da staatsvertragliche Übereinkünfte, europäisches Primär- oder unmittelbar geltendes Sekundärrecht grundsätzlich Vorrang vor dem geltenden nationalen Kollisionsrecht haben.219 Dies stellt Art. 3 EGBGB nochmals deutlich heraus.220 Das Verhältnis zwischen möglicherweise einschlägigem Konventionsrecht und der für das 90 Wettbewerbskollisionsrecht maßgeblichen Rom II-VO bestimmt sich hingegen nicht nach Art. 3 Abs. 2 EGBGB, sondern muss unionsrechtlich autonom festgestellt werden.221 Nach Art. 28 Rom II-VO,222 der das Verhältnis zu bestehenden internationalen Übereinkommen im Anwendungsbereich der Rom II-VO ausdrücklich regelt, berühren die Bestimmungen der Rom II-VO nicht die Anwendung der internationalen Übereinkommen, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Annahme der Verordnung angehören und die Kollisionsnormen für außervertragliche Schuldverhältnisse enthalten (Art. 28 Abs. 1 Rom II-VO). Völkerrechtliche Regelungen gehen dem Verordnungsrecht mithin im Interesse der Vertragstreue der Mitgliedstaaten, die ihren Verpflichtungen gegenüber Drittstaaten auch weiterhin nachkommen sollen,223 vor, sofern sie in Bezug auf lauterkeitsrechtliche Sachverhalte Kollisionsregeln enthalten. Hervorzuheben ist in diesem Kontext jedoch, dass die Regelung des Art. 28 auf „frühere“ Übereinkommen begrenzt ist. Das bedeutet, dass nur jene Übereinkommen Vorrang beanspruchen können, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Annahme dieser Verordnung224 angehört haben. Handelt es sich allerdings um eine rein mitgliedstaatliche Beziehung, findet gemäß Art. 28 Abs. 2 Rom II-VO allein diese Anwendung. Das Unionsrecht hat mithin im Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander Vorrang vor zwi91 schen zwei oder mehreren Mitgliedstaaten geschlossenen internationalen Übereinkommen.225 216 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 42. 217 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 416. Dies verdeutlichen schon die Verweise in den §§ 17 bis 19 UWG auf § 5 Nr. 7 StGB.

218 Vgl. hierzu ausführlich Kropholler IPR § 1 III; Kegel/Schurig IPR § 4. 219 Vgl. Kropholler IPR § 1 III. 220 Der Anwendungsvorrang der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts ergibt sich dabei schon kraft genuin gemeinschaftsrechtlichen Geltungswillens – insofern ist Art. 3 EGBGB nur deklaratorischer Natur. Völkervertragliche Regelungen gehen dem nationalen Recht vor, sofern sie durch ein deutsches Vertragsgesetz unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, Art. 3 Nr. 2 EGBGB. 221 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 106; Handig GRUR Int. 2008, 24, 25. 222 Zu Art. 28 Rom II-VO s. auch Brière J.D.I. 2005, 677, dessen Ausführungen sich jedoch noch auf Art. 25 des Kommissionsentwurfs für eine Rom II-VO, KOM (2003) 427 endg., beziehen; Garriga YPIL 9 (2007), 137. 223 Siehe Erwägungsgrund 36, VO 2007/864/EG – ABl. EU L 199 v. 31. 7. 2007, S. 43. 224 Das maßgebliche Datum ist insofern der 1. 7. 2007. 225 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 44; Bamberger/Roth/Spickhoff Art. 28 Rom II-VO Rn. 4; Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 13d. Zum Verhältnis der Rom II-VO zu von der Europäischen Union selbst abgeschlossenen Verträgen, welche Kollisionsnormen enthalten, siehe ausführlich MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 110.

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II. Rechtsquellen des Internationalen Wettbewerbsprivatrechts

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Relevanz kann zudem Art. 27 Rom II-VO erlangen, der für den Fall, dass das Gemeinschaftsrecht selbst besondere Kollisionsnormen im Bereich der außervertraglichen Schuldverhältnisse vorsieht, festlegt, dass diese der Rom II-VO vorgehen.226 Festgehalten werden kann daher an dieser Stelle, dass bei der Suche nach dem auf einen 92 wettbewerbsrechtlichen Sachverhalt anzuwendenden Recht, stets in einem ersten Schritt zu prüfen ist, ob sich im Konventionsrecht einschlägige Kollisionsnormen finden.227

2. Multilaterale Verträge zum Schutz gegen unlauteren Wettbewerb a) Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums (PVÜ) aa) Allgemeines. Das wichtigste multilaterale Übereinkommen, das sich – wenn auch nur am 93 Rande – mit Fragen des Wettbewerbsrechts befasst, ist die Pariser Verbandsübereinkunft (PVÜ) vom 20. 3. 1883, die als das erste internationale Vertragswerk zum „Schutz gewerblichen Eigentums“ anzusehen ist.228 Nach Art. 1 Abs. 2 der PVÜ zählt zum gewerblichen Eigentum im Sinne der Übereinkunft auch der Schutz gegen den unlauteren Wettbewerb.229 In Art. 10bis Abs. 1 PVÜ wird dies näher präzisiert.230 Die PVÜ enthält zwei Vorschriften, welche Schutz gegen unlauteren Wettbewerb gewähren. 94 Art. 2 Abs. 1 PVÜ verpflichtet die Verbandsstaaten der PVÜ, den Angehörigen anderer Verbandsstaaten in Bezug auf den Schutz des „gewerblichen Eigentums“, welcher, wie eben erwähnt, auch den Schutz gegen unlauteren Wettbewerb umfasst, Inländerbehandlung zu gewähren. Es ist daher grundsätzlich verboten, ausländische Wettbewerber schlechter zu behandeln als inländische Wettbewerber.231 Ergänzt wird der Grundsatz der Inländerbehandlung durch die in Art. 10bis Abs. 1 PVÜ festgelegte Verpflichtung der Verbandsländer zur Beachtung des dort geregelten Mindestschutzes.232 Zum jetzigen Zeitpunkt gehören der Pariser Verbandsübereinkunft 177 Verbandsstaaten an, 95 darunter alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union,233 nicht jedoch die Gemeinschaft selbst.234 Das Deutsche Reich ist der PVÜ mit Wirkung vom 1. 5. 1903235 beigetreten. Für Deutschland gilt die PVÜ in der letzten (Stockholmer) Fassung vom 14. 7. 1967.236 226 227 228 229

Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 44. Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 44. Pflüger S. 14. Die Definition des gewerblichen Eigentums wurde 1925 durch die Revisionskonferenz von Den Haag eingeführt. Siehe in diesem Kontext auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 25; Schricker/Henning-Bodewig WRP 2001, 1367, 1373; Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 5.2.; Katzenberger in: Schricker/Henning-Bodewig S. 218, 219; Bodenhausen Art. 1 Abs. 2 Anm. (k); Henning-Bodewig GRUR Int. 2013, 1, 2. 230 Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 5.2. 231 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 26. In Art. 10bis Abs. 2 PVÜ findet sich eine generalklauselartige Umschreibung des zu bekämpfenden unlauteren Wettbewerbs. Art. 10bis Abs. 3 PVÜ enthält einen Katalog von drei Beispielen unlauteren Wettbewerbs, die zu untersagen sind (die Hervorrufung von Verwechslungen, Geschäftsehrverletzungen durch falsche Behauptungen sowie Irreführungen). Siehe hierzu auch Katzenberger in: Schricker/ Henning-Bodewig S. 218, 219; Götting/Nordemann UWG Einl. Rn. 124. 232 Vgl. Pflüger S. 111. 233 Eine aktuelle Auflistung der Verbandsstaaten ist abrufbar unter: http://www.wipo.int/treaties/en/ShowResults.jsp?lang=en&treaty_id=2 (zuletzt abgerufen am 18. 9. 2018); Pflüger S. 15; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 25. 234 Schricker/Henning-Bodewig WRP 2001, 1367, 1373. 235 RGBI 1903 S. 147; Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 23. 236 BGBl II 1970 S. 1073; ber. BGBl II 1971 S. 1015. Nach Art. 18 soll die PVÜ „Revisionen unterzogen werden, um Verbesserungen herbeizuführen, die geeignet sind, das System des Verbandes zu vervollkommnen“. Die Revisionskonferenzen von Brüssel (1900), Washington (1911), Den Haag (1925), London (1934), Lissabon (1958) und Stockholm (1967) haben unterschiedliche Fassungen der PVÜ formuliert. Jede einzelne dieser revidierten Fassungen stellt ein

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

96 bb) Inländerbehandlungsgrundsatz gemäß Art. 2 Abs. 1 PVÜ und Mindestschutzstandard gemäß Art. 10bis PVÜ. Zentrale Vorschrift der PVÜ ist der in Art. 2 Abs. 1 niedergelegte Grundsatz der Inländerbehandlung (Assimilationsprinzip),237 der die Verbandsländer verpflichtet, anderen Verbandsstaaten materiell-rechtlich den Schutz zuzugestehen, den sie Inländern in Bezug auf unlauteres Wettbewerbsverhalten gewähren.238 Nach Art. 2 Abs. 2 PVÜ darf die Gleichbehandlung nicht davon abhängig gemacht werden, ob der Ausländer einen Wohnsitz oder eine Niederlassung im Inland hat. Den zur Inanspruchnahme der Vergünstigungen der Pariser Verbandsübereinkunft befugten Angehörigen der Verbandsländer werden nach Art. 3 PVÜ zudem auch die Angehörigen der dem Verband nicht angehörigen Länder gleichgestellt, die im Hoheitsgebiet eines Verbandslandes ihren Wohnsitz oder eine tatsächliche und nicht nur zum Schein bestehende gewerbliche Niederlassung oder eine Handelsniederlassung haben. Legen ausländische Anspruchsteller die nach inländischem Recht erforderlichen Tatbestandsmerkmale dar und beweisen sie,239 genießen sie folglich grundsätzlich den gleichen Rechtsschutz wie Inländer.240 Insofern kann der Grundsatz der Inländerbehandlung als Diskriminierungsverbot qualifiziert werden.241 97 Ziel der PVÜ ist es jedoch nicht, ein für alle Verbandsstaaten einheitliches Recht zu schaffen, und sie zu einer Anpassung innerstaatlichen Rechts zu zwingen,242 weshalb im Ergebnis mit der Etablierung des Inländerbehandlungsgrundsatzes in Art. 2 Abs. 1 PVÜ auch keine Anhebung der nationalen Schutzstandards im Bereich des Lauterkeitsrechts verbunden ist.243 Da weder in Art. 1 PVÜ, der die Gegenstände des gewerblichen Eigentums definiert, noch in Art. 2 PVÜ eine Verpflichtung zur Einführung eines bestimmten Schutzes vorgesehen ist, kann der Grundsatz der Inländerbehandlung mithin ins Leere gehen, sofern das betroffene nationale Recht einen nur unzureichenden Schutz gewährt.244 Vor diesem Hintergrund etabliert die PVÜ in Art. 10bis PVÜ,245 der durch die Brüsseler PVÜ-Revision des Jahres 1900 eingeführt wurde, für bestimmte Bereiche einen gewissen Mindestschutz, welcher ausländischen Verbandsangehörigen zu gewähren ist.246 98 Art. 10bis Abs. 1 PVÜ statuiert zunächst eine generelle Verpflichtung der Verbandsstaaten, „den Verbandsangehörigen einen wirksamen Schutz gegen unlauteren Wettbewerb zu sichern“. Was unter dem Begriff des unlauteren Wettbewerbs zu verstehen ist, legt Art. 10bis Abs. 2 PVÜ fest. Danach ist unlauterer Wettbewerb jede Wettbewerbshandlung, die den anstän-

besonderes völkerrechtliches Abkommen dar. Die Besonderheit des Pariser Verbandes besteht vor diesem Hintergrund darin, dass die Mitgliedstaaten untereinander durch verschiedene Fassungen der Pariser Verbandsübereinkunft verbunden sein können (Art. 27 PVÜ). Siehe hierzu Beier/Kunz-Hallstein GRUR Int. 1982, 362, 363. Die überwiegende Zahl der Verbandsländer ist der letzten (Stockholmer) Fassung beigetreten. S. in diesem Kontext die Übersicht über den Stand der internationalen Verträge auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes am 1. Januar 2004 in GRUR Int. 2004, 398. Treten Länder neu bei, können sie sich jedoch nur der Stockholmer Fassung anschließen, Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 23. 237 Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 5.2. 238 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 27; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 46; hierunter fällt auch der wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz BGH 21. 3. 1991 – I ZR 158/89 – GRUR 1992, 523, 524 – Betonsteinelemente; BGH 24. 3. 1994 – I ZR 42/93 – GRUR 1994, 630, 632 – Cartier-Armreif m. Anm. Jacobs. 239 Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 1. 240 Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 5.2. 241 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 27. 242 Reger S. 13. 243 Pflüger S. 52. 244 Pflüger in: Hilty/Henning-Bodewig S. 65, 69; Henning-Bodewig GRUR Int. 2013, 1, 3. 245 Ausführlich zu dieser Vorschrift Vorauflage/Schricker Rn. F 42 ff.; Henning-Bodewig in Schricker/Henning-Bodewig S. 21 ff.; dies. IIC 30 (1999), 166, 168; Pflüger in: Hilty/Henning-Bodewig S. 65, 76 ff.; ders. S. 110 ff.; Reger S. 13 ff. 246 Henning-Bodewig in: Schricker/Henning-Bodewig S. 21, 22; Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 1.

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II. Rechtsquellen des Internationalen Wettbewerbsprivatrechts

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digen Gepflogenheiten in Gewerbe und Handel zuwiderläuft.247 Art. 10bis Abs. 3 PVÜ enthält schließlich drei Beispielstatbestände, bei deren Einschlägigkeit jedenfalls eine Untersagung zu erfolgen hat. Dabei handelt es sich um das Hervorrufen einer Verwechslungsgefahr, die Anschwärzung sowie die Irreführung.248 Insgesamt betrachtet ist der Mindestschutz des Art. 10bis PVÜ jedoch nur gering ausgebildet, insbesondere findet sich kein Maßstab für dessen Wirksamkeit.249 Die Verbandsstaaten sind auch nicht zum Erlass spezieller Gesetze zum Schutz des unlauteren Wettbewerbs verpflichtet, sofern ihre allgemeinen Gesetze einen wirksamen Schutz gewähren.250 Zudem kann jedes Land bei der Ausgestaltung des Schutzes gegen den unlauteren Wettbewerb selbst definieren, welche Handlungen darunter fallen, jedenfalls, sofern die Vorgaben der Absätze 2 und 3 des Art. 10bis PVÜ eingehalten werden.251 Aus diesen Gründen wird Art. 10bis PVÜ zu Recht als „unfair competition in a nutshell“ bezeichnet.252 Zu beachten ist auch, dass sich ein Ausländer in Fällen, in denen der nationale Schutz über 99 den Mindestschutz der PVÜ hinausgeht, aufgrund der subsidiären Bedeutung der PVÜ nicht auf diese berufen muss.253 Inländer dürfen sich, sofern nicht ausdrücklich als unmittelbar anwendbar im innerstaatlichen Recht geregelt, allerdings nicht auf die PVÜ berufen.254 Da die PVÜ nicht zur Umsetzung des Mindestschutzes in das nationale Recht zwingt, kann 100 dies zu einer Inländerdiskriminierung führen.255 Im Ergebnis begründet die PVÜ folglich zwar einerseits ein Verbot der Diskriminierung von Ausländern, lässt aber andererseits eine Inländerdiskriminierung zu. Art. 10ter Abs. 1 PVÜ verpflichtet die Verbandsstaaten darüber hinaus, Angehörigen anderer 101 Verbandsländer Rechtsbehelfe zur wirksamen Unterdrückung unlauterer Wettbewerbshandlungen zur Verfügung zu stellen. In Absatz 2 des Art. 10ter PVÜ wird zudem eine Verpflichtung zur prozessrechtlichen Gleichbehandlung ausländischer Wirtschaftsverbände festgeschrieben.256

cc) Unmittelbare Anwendbarkeit des Inländerbehandlungsgrundsatzes sowie der 102 Mindestschutzvorschriften. Der Grundsatz der Inländerbehandlung nach Art. 2 Abs. 1 PVÜ ist in Deutschland unmittelbar anwendbar.257 Dies bedeutet, dass die Vorschrift unmittelbar Rechte Einzelner begründet und nicht lediglich eine an die Verbandsstaaten gerichtete staatsvertragliche Verpflichtung zum Tätigwerden enthält.258

247 Zur Vereinbarkeit der deutschen Generalklausel des § 3 UWG sowie der einzelnen Verbotstatbestände mit Art. 10bis PVÜ siehe MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 30. 248 Pflüger in: Hilty/Henning-Bodewig S. 65, 69. 249 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 29. 250 Ausreichend ist es mithin, wenn Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über unerlaubte Handlungen einen Schutz gegen unlauteren Wettbewerb gewähren. Dies wurde auf den Revisionskonferenzen von Washington und Den Haag zugestanden, Bodenhausen Art. 10bis Anm. (b). 251 Bodenhausen Art. 10bis Anm. (c). 252 Pflüger in: Hilty/Henning-Bodewig S. 65, 69; Harte/Henning/Glöckner Einl. E Rn. 2; Reger S. 17; Schricker IIC 26 (1995), S. 782; ders. FS Fikentscher S. 985, 988; Henning-Bodewig IIC 30 (1999), S. 166, 187; dies. GRUR Int. 2013, 1, 3. 253 Pflüger S. 53. 254 Pflüger S. 51. 255 Henning-Bodewig in: Schricker/Henning-Bodewig S. 21, 22; dies. GRUR Int. 2013, 1, 3. 256 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 29. 257 BGH 21. 3. 1991 – I ZR 158/89 – GRUR 1992, 523, 524 – Betonsteinelemente. 258 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 31; zum wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz, BGH 21. 3. 1991 – I ZR 158/89 – GRUR 1992, 523, 524 – Betonsteinelemente. Zwar wird der Begriff der unmittelbaren Anwendbarkeit völkerrechtlicher Normen nicht immer einheitlich definiert. Allgemein wird darunter aber die Möglichkeit verstanden, dass sich Privatpersonen vor innerstaatlichen Gerichten eines Mitgliedstaates auf die völkerrechtliche Norm berufen können, ohne dass innerstaatliche Normen dazwischentreten, Staehelin S. 225; Beater Rn. 372; Drexl GRUR Int. 1994, 777, 779; Reger S. 82 f.

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

Umstritten ist hingegen, ob Art. 10bis PVÜ unmittelbare Geltung besitzt, oder ob sich der Regelungsgehalt der Mindestschutzvorschrift darin erschöpft, den Verbandsländern die Schaffung eines nationalen Wettbewerbsrechts aufzugeben.259 Die unmittelbare Anwendbarkeit einer völkervertraglichen Norm setzt grundsätzlich vo104 raus, dass diese so klar und bestimmt formuliert ist, dass der nationale Richter sie als privatrechtlichen Rechtssatz260 unmittelbar anwenden kann,261 wobei an die Voraussetzungen der Bestimmtheit einer staatsvertraglichen Regelung nicht derselbe strenge Maßstab anzulegen ist, der im nationalen Recht gilt. Aus diesem Grund kann auch die Etablierung einer Verpflichtung der Mitgliedstaaten, welche nicht im Gesetzes-, sondern im Vertragsstil gehalten ist, der unmittelbaren Anwendung als Rechtssatz fähig sein.262 Ist die völkervertragliche Norm hinreichend klar und liegt eine ausreichende inhaltliche Bestimmtheit vor, kann sich der einzelne Angehörige vielmehr unmittelbar auf die Vorschrift berufen und Rechte daraus ableiten.263 105 Der Mindestschutz in Art. 10bis PVÜ ist in Form einer Staatenverpflichtung formuliert. Der deutsche Gesetzgeber ist schon mit dem Zustimmungsgesetz zur PVÜ der Verpflichtung aus Art. 10bis Abs. 1 PVÜ zur Einführung gesetzlichen Schutzes nachgekommen.264 In Art. 10bis Abs. 2 PVÜ findet sich sodann eine generalklauselartige Umschreibung unlauteren Wettbewerbs, die jedoch auch mit Blick auf die erforderliche hinreichende Bestimmtheit grundsätzlich unproblematisch ist, da auch das autonome deutsche Wettbewerbsrecht mit Generalklauseln arbeitet. Zwar hält Art. 10bis PVÜ keine Regelung der Schutzinstrumente bereit,265 dennoch ist der deutsche Richter in der Lage, wirksamen Schutz im Rahmen des Privatrechtssystems zu gewährleisten.266 Eine unmittelbare Anwendbarkeit ist folglich zu bejahen, denn der nationale Richter 106 kann die Vorschrift unmittelbar anwenden und mögliche Verstöße sanktionieren.267 Allerdings ist die unmittelbare Anwendung von Art. 10bis PVÜ mit Blick auf jene Verbandsstaaten, die über ein ausgebautes Wettbewerbsrecht verfügen, von untergeordneter Bedeutung, denn in Fällen dieser Art findet der unter Umständen weitergehende Schutz schon über den Grundsatz der Inländerbehandlung (Art. 2 PVÜ) Anwendung.268 103

107 dd) Kollisionsrechtlicher Gehalt des Inländerbehandlungsgrundsatzes. Umstritten ist, ob es sich bei Art. 2 Abs. 1 PVÜ um eine Kollisionsnorm handelt. Die herrschende Meinung269 259 Beater Rn. 362. 260 „Self executive“; Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 26; Reger S. 82 f.; Henning-Bodewig in: Schricker/HenningBodewig S. 21, 27; dies. GRUR Int. 2013, 1, 4. 261 RG 2. 5. 1929 – VI 641/28 – RGZ 124, 204; BGH 6. 11. 1953 – I ZR 97/52 – BGHZ 11, 135, 138 = GRUR 1954, 216, 217 – Romfassung. 262 Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 26; Ulmer GRUR Int. 1960, 57, 61 f. 263 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 30; vgl. auch Reger S. 82 f. 264 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 30; vgl. auch Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 49. 265 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 30; Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 48. 266 So könnte er beispielsweise Art. 10bis Abs. 2 PVÜ als Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten des unmittelbar betroffenen Wettbewerbers verstehen, MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 29. 267 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 30; Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 48 ff.; ders. FS Fikentscher S. 985, 988 f.; Reger S. 17; Schibli S. 77 f. 268 Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 52; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 29. 269 Herrschende Meinung: Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 37, F 157; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 27; BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 19; Beater Rn. 356; Pflüger in: Hilty/Henning-Bodewig S. 65, 69; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 46; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 421; Katzenberger in: Schricker/Henning-Bodewig S. 218, 221; Henning-Bodewig GRUR Int. 2013, 1, 3; Wirner S. 39 f. Ausführlich zur Frage, ob es sich beim Inländerbehandlungsgrundsatz nach Art. 2 Abs. 1 PVÜ um eine kollisionsrechtliche Regelung handelt: MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 28; a. A. z. B. Ulmer Immaterialgüterrechte, S. 20. Auch der BGH hat Art. 2 Abs. 1 PVÜ in der Entscheidung „Betonsteinelemente“, BGH 21. 3. 1991 – I ZR 158/89 – GRUR 1992, 523, 524, einen kollisionsrechtlichen Gehalt beigemessen („Die Voraussetzungen des wettbewerblichen Leistungsschutzes richten sich gemäß Art. 2 Abs. 1 PVÜ nach den Rechtsregeln des Staates, in welchem die beanstandete Verletzungshandlung

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II. Rechtsquellen des Internationalen Wettbewerbsprivatrechts

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verneint zu Recht den kollisionsrechtlichen Charakter der Inländerbehandlung für den Bereich des unlauteren Wettbewerbs.270 Art. 2 Abs. 1 PVÜ verfolgt einen rein fremdenrechtlichen Ansatz und bestimmt einzig und allein, dass Ausländer aus Verbandsländern wie Inländer zu behandeln sind.271 Einen für das Wettbewerbsrecht maßgeblichen kollisionsrechtlichen Gehalt weist die Norm jedoch gerade nicht auf.272

ee) Fazit. Festzuhalten bleibt mithin, dass der in der PVÜ niedergelegte Schutz vergleichsweise 108 schwach ausgebaut ist. Zudem finden sich in der PVÜ auch keine kollisionsrechtlichen Bestimmungen, die bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts Bedeutung erlangen könnten.273

b) Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) aa) Allgemeines. Der Schutz durch die Pariser Verbandsübereinkunft (PVÜ) wird durch das 109 TRIPS-Abkommen ergänzt. Das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) vom 30. 8. 1994274 ist bis heute das umfassendste multilaterale Abkommen zum Schutz des geistigen Eigentums.275 Als integraler Bestandteil des WTO-Übereinkommens ist es automatisch für alle WTO-Mitglieder verbindlich (Art. II Abs. 2 WTO-Übereinkommen). Das TRIPS-Abkommen trat zusammen mit dem WTO-Übereinkommen am 1. 1. 1995 in Kraft276 und wurde sowohl von den Mitgliedstaaten der EG als auch von der Europäischen Gemeinschaft selbst abgeschlossen.277 Bis heute sind dem WTO-Übereinkommen 164 Mitgliedstaaten beigetreten.278 stattfindet.“) Allerdings handelt es sich hierbei um eine vereinzelt gebliebene Aussage. In späteren Entscheidungen wendet das Gericht das Marktortprinzip ohne Verweis auf die PVÜ an. 270 Mit Blick auf das Immaterialgüterkollisionsrecht bejaht ein Teil der Literatur hingegen einen kollisionsrechtlichen Gehalt. Argumentiert wird dabei folgendermaßen: Die PVÜ folgt in Art. 2 Abs. 1 PVÜ der Vorstellung einer territorial begrenzten Reichweite von Immaterialgüterrechten, welche dazu führt, dass sich deren Schutzwirkungen nicht über die Grenzen des jeweiligen Staatsgebietes erstrecken. Daher sei auch kollisionsrechtlich dem auf dem Territorialitätsprinzip beruhenden Schutzlandprinzip (lex loci protectionis) zu folgen, wonach das Recht des Staates anwendbar ist, für dessen Gebiet Schutz beansprucht wird. S. nur Ulmer Immaterialgüterrechte, S. 20; MünchKommBGB/Drexl IntImmGR Rn. 68 m. w. N. Diese Argumentation lässt sich jedoch nicht auf das Wettbewerbsrecht übertragen, da dieser Rechtsbereich nicht auf der Zuordnung ausschließlicher Rechte basiert, sondern Verhaltensregeln als Teil des Marktordnungsrechts definiert. Siehe hierzu ausführlich Rn. 33 ff. sowie MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 27; s. auch Vorauflage/ Schricker Einl. Rn. F 6; Katzenberger in: Schricker/Henning-Bodewig S. 218, 221. 271 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 46. 272 Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 37, F 157; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 27; Beater Rn. 356; BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 19; Pflüger in: Hilty/Henning-Bodewig S. 65, 69; Fezer/Hausmann/ Obergfell Einl. I Rn. 46; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 421; Katzenberger in: Schricker/Henning-Bodewig S. 218, 221; Henning-Bodewig GRUR Int. 2013, 1, 3; Wirner S. 39 f. 273 Deutsch S. 17; Froriep S. 14; Kreuzer in: v. Caemmerer S. 232, 235; Regelmann S. 11; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 46; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 27 f.; Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 1; Staudinger/Fezer/ Koos IntWIR Rn. 421; Staudinger/v. Hoffmann Art. 40 EGBGB Rn. 293. 274 BGBl 1994 II S. 1730. 275 Pflüger S. 57. 276 Reger S. 6 f. Die Bedeutung des TRIPS-Abkommens liegt insbesondere in seiner institutionellen Einbindung im Rahmen der WTO begründet (s. hierzu Drexl GRUR Int. 1994, 777, 778), welcher jeder Staat, soweit er volle Autonomie über seine Handelspolitik ausübt, beitreten kann (Pflüger S. 58). 277 Beater Rn. 372. Der EuGH geht insofern auch von einer grundsätzlichen Kompetenz zur Auslegung des TRIPSAbkommens aus. 278 Eine aktuelle Auflistung der Mitgliedstaaten ist abrufbar unter https://www.wto.org/english/thewto_e/whatis_ e/tif_e/org6_e.htm (zuletzt abgerufen am 18. 9. 2018); Pflüger S. 58; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 32.

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

110 bb) Lauterkeitsrechtliche Relevanz des TRIPS-Abkommens. Das TRIPS-Abkommen enthält keine speziell wettbewerbsrechtliche Kodifikation.279 Dies hat jedoch nicht zur Folge, dass der wettbewerbsrechtliche Bereich überhaupt nicht betroffen ist,280 denn TRIPS hat einige gewerbliche (immaterialgüterrechtsnahe) Leistungen281 zum Regelungsgegenstand, die im nationalen Recht durch Vorschriften zum Schutz gegen den unlauteren Wettbewerb geschützt werden. Wettbewerbsrechtliche Relevanz haben insofern vor allem die Art. 22 ff. TRIPS, in denen 111 sich Vorschriften zum Schutz geografischer Angaben finden:282 Art. 22 Abs. 2b) TRIPS enthält eine Verpflichtung zum Schutz gegen jede Benutzung geografischer Angaben, die eine unlautere Wettbewerbshandlung i.S.v. Art. 10bis PVÜ darstellt. Die irreführende Verwendung derartiger Angaben ist folglich nach TRIPS verboten.283 In Art. 39 TRIPS findet sich zudem ein Schutz von nicht offenbarten Informationen284 (wie beispielsweise Geschäftsgeheimnissen285 oder Knowhow), wobei Absatz 1 ausdrücklich auf Art. 10bis PVÜ verweist und Absatz 2 zeigt, dass geheim gehaltenes Wissen nicht absolut, sondern lediglich gegen bestimmte unlautere Formen der Offenbarung geschützt wird.286 Darüber hinaus erwähnt Art. 17 TRIPS die „lautere Benutzung beschreibender Angaben“ als Ausnahme von den Rechten an einer Marke287 und enthält insofern einen gewissen „Fairness-Schutz im Markenrecht“.288 Durch die genannten Bestimmungen wird letztlich eine Art wettbewerbsrechtlicher Min112 destschutz in TRIPS statuiert.289 Gewährt das nationale Recht einen umfassenderen Schutz als den durch das Abkommen geforderten, so ist dies grundsätzlich zulässig, soweit es dem TRIPS-

279 Mankowski GRUR Int. 2001, 100; Schricker FS Fikentscher S. 985, 986; ders. IIC 26 (1995), 782, 783; Fikentscher GRUR Int. 1995, 529, 532; Heinemann GRUR Int. 1995, 535; Henning-Bodewig in: Schricker/Henning-Bodewig S. 21, 34, 44; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 48; Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 2; Reger S. 296 f. Eine detaillierte Regelung des Lauterkeitsrechts liegt bisher lediglich als WIPO-Entwurf vor, Model Provisions on Protection Against Unfair Competition – Articles and Notes, WIPO Publication No. 832 (E), 1996. Siehe hierzu auch Henning-Bodewig in: Schricker/Henning-Bodewig S. 21, 37 ff. 280 Mankowski GRUR Int. 2001, 100. 281 Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 2. 282 Hierzu ausführlich Reger S. 95 ff.; Knaak in Beier/Schricker S. 117 ff. 283 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 32. 284 Hierzu ausführlich Reger S. 235 ff.; Kraßer in: Beier/Schricker S. 216 ff. 285 Der Schutz von Unternehmensgeheimnissen wird im Kommissionsentwurf als Anwendungsbeispiel des Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO genannt und untersteht mithin trotz seiner Nähe zum geistigen Eigentum (vgl. Art. 39 TRIPS) dem europäischen Kollisionsrecht folgend der wettbewerbsrechtlichen Marktortanknüpfung, Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 22; siehe hierzu auch Knaak/Kur/Hilty (MPI Stellungnahme zum Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung vom 28. 11. 2013, COM (2013) 813 final) GRUR Int. 2014, 554, 556, die auf die lauterkeitsrechtliche Qualifikation des Geheimnisschutzes nach der Richtlinie über den Schutz von Geschäftsgeheimnissen verweisen; auch Lejeune CR 2016, 330, 331, weist darauf hin, dass die Richtlinie 2016/943/EU über den Schutz von Geschäftsgeheimnissen keine Regelungen zum anwendbaren Recht enthält, sondern Art. 6 Abs. 2 i. V. m. Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO anwendbar sind; ausführlich zur Anknüpfung des Geheimnisschutzes nach Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO unter Berücksichtigung der neuen Richtlinie MünchKommBGB/ Drexl IntUnlWettbR Rn. 183 ff. 286 Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass nicht offenbarte Informationen (Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse) grundsätzlich frei verwertet werden können, sofern sie auf lautere Art und Weise erlangt wurden. Nur wenn das Wissen geheim im Sinne von Art. 39 Abs. 2 lit. a) TRIPS ist, einen ökonomischen Wert besitzt und wenn angemessene Geheimhaltungsvorkehrungen getroffen wurden (Art. 39 Abs. 2 lit. b) und c) TRIPS), kann die Offenbarung oder Benutzung untersagt werden, Heinemann GRUR Int. 1995, 535. 287 Pflüger S. 86 f.; ausführlich hierzu Reger S. 289 ff. 288 Heinemann GRUR Int. 1995, 535: Die Mitgliedstaaten können mithin inhaltliche Beschränkungen des Markenrechts vorsehen, wobei diese auch dem „fairen Gebrauch beschreibender Termini“ („fair use of descriptive terms“) dienen können – vorausgesetzt, die berechtigten Interessen des Markeninhabers sowie Dritter werden berücksichtigt. 289 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 32.

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II. Rechtsquellen des Internationalen Wettbewerbsprivatrechts

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Abkommen nicht widerspricht, Art. 1 Abs. 1 S. 2 TRIPS. Dies hat zur Folge, dass die Vertragsstaaten einen großen Spielraum bei der Umsetzung der TRIPS-Bestimmungen haben.290 Wettbewerbsrechtlich relevant sind neben den erwähnten Bestimmungen zum Schutz geo- 113 grafischer Angaben und geheimer Informationen zudem die Art. 3 und 4 TRIPS, welche die Anwendung der grundlegenden Verpflichtungen zur Inländerbehandlung und Meistbegünstigung vorsehen. Mitglieder des TRIPS-Abkommens gewähren den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten mithin im Grundsatz291 eine Behandlung, die nicht weniger günstig ist als die, die sie ihren eigenen Angehörigen in Bezug auf den Schutz geistigen Eigentums gewähren, Art. 3 TRIPS. Das bedeutet letztlich, dass zwischen den Angehörigen von WTO-Mitgliedern der Nichtdiskriminierungsgrundsatz gilt, und die Anwendung von Reziprozitätsvorschriften im Rahmen des TRIPS-Übereinkommens folglich nicht mehr zulässig ist.292 Ergänzt wird der Grundsatz der Inländerbehandlung, der die Diskriminierung ausländi- 114 scher Angehöriger von Mitgliedstaaten gegenüber Inländern verhindern will, durch den Grundsatz der Meistbegünstigung, welcher ausländischen Rechtsinhabern Schutz vor willkürlicher und ungerechtfertigter Benachteiligung gegenüber anderen Ausländern gewährt.293 Im Ergebnis kann der TRIPS-geschützte Ausländer mithin nicht nur Gleichbehandlung mit dem Inländer, sondern ebenfalls mit dem meistbegünstigten Ausländer verlangen.294

cc) Kollisionsrechtlicher Gehalt des Inländerbehandlungsgrundsatzes sowie des 115 Grundsatzes der Meistbegünstigung. Sowohl der Grundsatz der Inländerbehandlung295 als auch der Grundsatz der Meistbegünstigung296 haben jedoch keinen kollisionsrechtlichen Charakter und damit keine unmittelbaren Auswirkungen auf die kollisionsrechtliche Bewertung eines wettbewerbsrechtlichen Sachverhalts.297

dd) Verweis auf Art. 10bis PVÜ. Das TRIPS-Abkommen nimmt in Art. 2 Abs. 1 TRIPS generell 116 Bezug auf die Bestimmungen der PVÜ. So sind die WTO-Mitglieder gemäß Art. 2 Abs. 1 TRIPS grundsätzlich verpflichtet „[i]n bezug auf die Teile II, III und IV dieses Übereinkommens (…) die Artikel 1 bis 12 sowie Artikel 19 der Pariser Verbandsübereinkunft (1967)“ zu befolgen.298 Der durch den Verweis in Art. 2 Abs. 1 TRIPS zum Tragen kommende sog. Paris-Plus-Effekt ermöglichte dem TRIPS zum einen eine Beschränkung auf Fragen, die von der PVÜ nicht geregelt sind. Zum anderen führt er aber auch zu einer Ausweitung des Kreises derjenigen Staaten, die an die Regelungen der PVÜ (Stockholmer Fassung) gebunden sind, denn durch Art. 2 Abs. 1 TRIPS wird der „PVÜ-Besitzstand“299 auf alle WTO-Mitglieder übertragen – auch auf jene, die nicht Vertragspartei der PVÜ sind. Jeder Verstoß gegen die Regelungen der PVÜ ist mithin zu-

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Staehelin S. 52. Zu den Ausnahmen siehe Reger S. 79. Kampf VPP-Rundbrief, S. 38, 40. Staehelin S. 49; Pflüger S. 80. MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 33. MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 33; BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 21; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 42; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 421; Katzenberger in: Schricker/Henning-Bodewig S. 219, 221; Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 5.2. 296 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 42; Katzenberger in: Schricker/Henning-Bodewig S. 219, 221; Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 5.2.; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 33: Das Prinzip der Meistbegünstigung hat lediglich fremdenrechtlichen Charakter. 297 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 33; Katzenberger in: Schricker/Henning-Bodewig, S. 219, 221; Köhler/ Bornkamm Einl. Rn. 5.2. 298 Pflüger S. 78 f. 299 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 34.

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

gleich ein Verstoß gegen WTO-Recht300 und kann über das WTO-Streitbeilegungsverfahren geahndet werden,301 was eine effektivere Kontrolle der Einhaltung der Bestimmungen der PVÜ ermöglicht.302 117 Mit Blick auf das Wettbewerbsrecht stellt sich jedoch die Frage, inwieweit die lauterkeitsrechtlichen Bestimmungen der Verbandsübereinkunft aufgrund der Bezugnahme in Art. 2 Abs. 1 TRIPS inkorporiert werden.303 Zwar verweist die Norm auf die Artikel 1–12 der PVÜ, gleichzeitig enthält sie jedoch eine Beschränkung durch die Bezugnahme auf die Teile II bis IV. Hiermit könnte eine Begrenzung der Verweisung auf die spezifisch geregelten Bereiche des Schutzes geografischer Herkunftsangaben sowie von Geschäftsgeheimnissen verbunden sein.304 Allerdings hat der Appellate Body, das oberste Streitbeilegungsorgan der WTO, in einer 118 Beschwerde der Europäischen Gemeinschaft gegen die USA, in welcher es um den Schutz von Handelsnamen ging,305 eine etwas andere Sichtweise vertreten.306 Während der Panel Report307 davon ausging, dass Handelsnamen nur durch die PVÜ (Art. 8 PVÜ), nicht aber durch das TRIPS geschützt seien und die Bezugnahme auf die PVÜ nur für jene Gegenstände Geltung besitze, die in den Teilen II bis IV des TRIPS-Abkommens geregelt sind,308 vertrat der Appellate Body Report einen gegensätzlichen Ansatz und stellte fest, dass Art. 2 Abs. 1 TRIPS weit auszulegen309 und mit der Bezugnahme auf die Teile II bis IV des Abkommens keine derartige Einschränkung verbunden sei.310 Ob dieser Begründungsansatz auch eine umfassende Einbeziehung des Schutzes gegen unlauteren Wettbewerb gem. Art. 10bis PVÜ trägt, ist jedoch vor dem Hintergrund, dass sich das TRIPS-Abkommen im Wesentlichen auf Patente, Marken und Urheberrechte konzentriert und den Bereich des unlauteren Wettbewerbs nur am Rande betrifft, zweifelhaft.311 Auch kann die Argumentationslinie des Appellate Body312 mit Blick auf den Schutz von Handelsnamen nicht vollständig und unreflektiert auf den Bereich des unlauteren

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MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 34; Kur GRUR Int. 1994, 987, 989. MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 34; Pflüger in: Hilty/Henning-Bodewig S. 65, 71 f. Pflüger in: Hilty/Henning-Bodewig S. 65, 71. Pflüger in: Hilty/Henning-Bodewig S. 65, 71. Böttcher S. 196; Henning-Bodewig in: Schricker/Henning-Bodewig S. 21, 34 f.; Schricker IIC 26 (1995), S. 782, 783 Fn. 7; ders. FS Fikentscher S. 985, 986; Reger S. 295. 305 Appellate Body Report United States-Section 211 Omnibus Appropriations Act of 1998 2. 1. 2002 – AB-2001–7, WT/DS 176/AB/R, abrufbar unter: http://www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/cases_e/ds176_e.htm (zuletzt abgerufen am 1. 12. 2018); s. auch zum Havana-Club-Fall Jacob GRUR Int. 2002, 406 ff. 306 Auf dieses Verfahren weist auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 34 hin. 307 Panel Report United States-Section 211 Omnibus Appropriations Act of 1998 6. 8. 2001 – WT/DS 176/R, Tz. 8.39 ff., abrufbar unter: http://www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/cases_e/ds176_e.htm (zuletzt abgerufen am 1. 12. 2018). 308 Panel Report United States-Section 211 Omnibus Appropriations Act of 1998 6. 8. 2001 – WT/DS 176/R, Tz. 8.30. 309 Der Panel Report hatte mit Blick auf die Entstehungsgeschichte der Norm eine enge Auslegung vorgenommen. Panel Report United States-Section 211 Omnibus Appropriations Act of 1998 6. 8. 2001 – WT/DS 176/R, Tz. 8.39 ff. 310 Appellate Body Report United States-Section 211 Omnibus Appropriations Act of 1998 2. 1. 2002 – AB-2001–7, WT/DS 176/AB/R, Tz. 325 ff. Der EuGH hat diese Interpretation von Art. 2 Abs. 1 TRIPS in der Entscheidung „Anheuser Busch“ ausdrücklich aufgenommen, EuGH 16. 11. 2004 – C-245/02 – Slg. 2004, I-10989 = GRUR Int. 2005, 231 ff. – Anheuser Busch. 311 Harte/Henning/Glöckner Einl. E Rn. 5; Henning-Bodewig GRUR Int. 2010, 549, 554. Erfasst werden im Kern nur der Schutz von geografischen Angaben und Geschäftsgeheimnissen, Art. 22 ff. sowie 39 TRIPS. Ähnlich auch Schricker FS Fikentscher S. 985, 986, der in diesem Kontext betont, dass es durch die Bezugnahme auf Art. 10bis PVÜ in Art. 39 TRIPS nicht zu einer nennenswerten Erweiterung des Regelungsbereichs zum Schutz gegen den unlauteren Wettbewerb kommt. 312 Appellate Body Report United States-Section 211 Omnibus Appropriations Act of 1998 2. 1. 2002 – AB-2001–7, WT/DS 176/AB/R, Tz. 338. Dieser hatte argumentiert, dass der Verweis in Art. 2 Abs. 1 TRIPS auf Art. 8 PVÜ (der ausschließlich den Schutz von Handelsnamen bezweckt) nur Sinn mache, wenn man auch einen Schutz für Handelsnamen durch das TRIPS-Abkommen bejaht.

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II. Rechtsquellen des Internationalen Wettbewerbsprivatrechts

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Wettbewerbsschutzes übertragen werden, denn Art. 10bis PVÜ hätte – anders als Art. 8 PVÜ, der nur den Schutz von Handelsnamen regelt – selbst im Falle einer engen Auslegung noch ein Anwendungsfeld im Bereich geografischer Herkunftsangaben und Geschäftsgeheimnisse.313 Eine andere Lesart würde zudem dem beschränkenden Zusatz in Art. 2 Abs. 1 TRIPS jede Bedeutung nehmen und ließe den Vertragswortlaut zu stark in den Hintergrund treten.314 Im Ergebnis spricht daher viel dafür, dass der Verweis in Art. 2 Abs. 1 TRIPS die Mitgliedstaaten von TRIPS nicht zu einer vollständigen Übernahme des lauterkeitsrechtlichen Standards der PVÜ verpflichtet.315

ee) Unmittelbare Anwendbarkeit. Hinsichtlich der Frage nach der unmittelbaren Anwend- 119 barkeit der Bestimmungen des TRIPS-Abkommens gilt nichts anderes als mit Blick auf die Bestimmungen der PVÜ. Sie sind grundsätzlich unmittelbar anwendbar, sofern sie hinreichend bestimmt und klar formuliert sind und das nationale Verfassungsrecht einer unmittelbaren Geltung nicht entgegensteht.316 Beater weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Bundesrepublik bei Schaffung 120 des Zustimmungsgesetzes zum TRIPS-Abkommen davon ausgegangen ist, dass das deutsche Recht durchweg mit dem TRIPS-Abkommen vereinbar ist.317

c) Fazit. Auf der Ebene multilateraler Staatsverträge findet sich mithin ein nur Einzelsachver- 121 halte betreffender, sehr schwach ausgebauter Schutz gegen den unlauteren Wettbewerb. Eine kollisionsrechtliche Regelung findet sich hingegen nicht.318 3. Kollisionsnormen in bilateralen Abkommen Neben den multilateralen Abkommen hat Deutschland auch eine Reihe von bilateralen Ab- 122 kommen gezeichnet, die eine gewisse wettbewerbsrechtliche Relevanz haben. Allerdings zeigt sich auch bei diesen die grundsätzlich zu erkennende Zurückhaltung der Staaten, innerhalb von völkerrechtlichen Verträgen Regelungen zum Schutz gegen den unlauteren Wettbewerb zu treffen.319 Lediglich der Bereich des Schutzes geografischer Herkunftsangaben ist üblicherweise Gegenstand derartiger Abkommen.320 Auch mit Blick auf diese Verträge stellt sich wieder die Frage nach der Existenz möglicher 123 vorrangiger kollisionsrechtlicher Normen. Die meisten zweiseitigen Staatsverträge, die sich mit Fragen des gewerblichen Rechtsschutzes befassen, haben allerdings lediglich fremdenrechtlichen Charakter.321

313 So auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 34. 314 Pflüger in: Hilty/Henning-Bodewig S. 65, 71; Harte/Henning/Glöckner Einl. E Rn. 5. 315 So im Ergebnis auch Pflüger in: Hilty/Henning-Bodewig S. 65, 71; Harte/Henning/Glöckner Einl. E Rn. 5; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 34; BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 21. Pflüger S. 78 f. Henning-Bodewig GRUR Int. 2010, 549, 554; dies. FS Fikentscher S. 985, 986. A.A. WIPO, Intellectual Property Handbook, S. 347; Höpperger/Senftleben in: Hilty/Henning-Bodewig S. 61 f.; Gervais Rn. 2.32. 316 Beater Rn. 372. 317 Beater Rn. 372. 318 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 421. 319 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 37. 320 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 38. 321 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 422; Harte/Henning/Glöckner Einl. C Rn. 75; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 50; Katzenberger in: Schricker/Henning-Bodewig S. 218, 221; Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 5.2.

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

Jedoch existieren auch Verträge, die wettbewerbskollisionsrechtliche Regelungen enthalten.322 Zu nennen sind hier vor allem die zweiseitigen Abkommen über den Schutz von Herkunftsangaben, Ursprungsbezeichnungen und anderen geografischen Angaben, die Deutschland beispielsweise mit Frankreich,323 Spanien,324 Italien,325 Griechenland326 und der Schweiz327 geschlossen hat,328 und die Kollisionsnormen enthalten, welchen das Ursprungslandprinzip zugrunde liegt.329 Diese Normen, die typischerweise auf das Recht des Herkunftsstaates verweisen, gehen in ihrem Anwendungsbereich den autonomen innerstaatlichen Regeln zur Feststellung des auf Wettbewerbsverstöße anwendbaren Rechts vor.330 Was das Verhältnis des Konventionsrechts zur Rom II-VO betrifft, so bestimmt Art. 28 125 Abs. 2 Rom II-VO, dass das Unionsrecht im Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander Vorrang vor bilateralen Abkommen zweier Mitgliedstaaten hat.331 Handelt es sich hingegen nicht um eine rein mitgliedstaatliche Beziehung, gehen bestehende völkervertragliche Pflichten nach Art. 28 Abs. 1 Rom II-VO dem Gemeinschaftsrecht vor, zumindest sofern die Verpflichtung schon zum Zeitpunkt der Annahme der Verordnung bestand und das Abkommen Kollisionsnormen für außervertragliche Schuldverhältnisse enthält. Die Beantwortung der Frage, ob Art. 6 Rom II-VO oder aber die völkervertragliche Regelung einschlägig ist, hängt mithin primär davon ab, ob es sich um ein bilaterales Abkommen zwischen zwei Mitgliedstaaten handelt oder nicht.332 Art. 2 und 3 des deutsch-französischen Herkunftsabkommens und der jeweils gleichlauten126 den Verträge333 zwischen Deutschland einerseits und Italien, Griechenland und Spanien andererseits sowie Art. 4 und 5 des Abkommens zwischen der Schweiz und Deutschland bestimmen, dass die in der Vertragsanlage aufgeführten deutschen Herkunftsangaben und Ursprungsbezeichnungen „nur unter denselben Voraussetzungen benutzt werden (dürfen), wie sie in der

124

322 Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 5.2; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 40; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 422; Büscher GRUR Int. 2008, 977, 981; vgl. auch MünchKommBGB/Kreuzer nach Art. 38 Anh. II EGBGB Rn. 67. 323 Abkommen über den Schutz von Herkunftsangaben, Ursprungsbezeichnungen und anderen geographischen Bezeichnungen v. 8. 3. 1960, BGBl II 1961 S. 23; s. auch Krieger GRUR Ausl. 1960, 400, 403 ff.; ders. GRUR Int. 1984, 71, 74 f. 324 Vertrag über den Schutz von Herkunftsangaben, Ursprungsbezeichnungen und anderen geographischen Bezeichnungen v. 11. 9. 1970, BGBl II 1972 S. 110. 325 Abkommen über den Schutz von Herkunftsangaben, Ursprungsbezeichnungen und anderen geographischen Bezeichnungen v. 23. 7. 1963, BGBl II 1965 S. 157. 326 Abkommen über den Schutz von Herkunftsangaben, Ursprungsbezeichnungen und anderen geographischen Bezeichnungen v. 16. 4. 1964, BGBl II 1965 S. 177. 327 Vertrag über den Schutz von Herkunftsangaben und anderen geographischen Bezeichnungen v. 7. 3. 1967, BGBl II 1969 S. 139; s. hierzu Krieger GRUR Int. 1967, 334 ff.; ders. GRUR Int. 1984, 71, 75 f. 328 Ein solches Abkommen mit Österreich wurde bisher nur von Österreich ratifiziert und ist deshalb bislang nicht in Kraft getreten. Vertrag über den Schutz von Herkunftsangaben, Ursprungsbezeichnungen und anderen geographischen Bezeichnungen Abkommen v. 6. 10. 1981; s. auch Krieger GRUR Int. 1984, 71, 76. Des Weiteren besteht noch ein älteres Abkommen mit Kuba, Abkommen über die Wiederherstellung gewerblicher Schutzrechte und über den Schutz von Herkunftsbezeichnungen v. 22. 3. 1954, BGBl II 1954 S. 1113. 329 Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 5.2; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 40; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 422; Büscher GRUR Int. 2008, 977, 981; vgl. auch MünchKommBGB/Kreuzer nach Art. 38 Anh. II EGBGB Rn. 67. 330 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 422; Harte/Henning/Glöckner Einl. C Rn. 75; Staudinger/v. Hoffmann Art. 40 EGBGB Rn. 293; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 50. 331 Siehe hierzu auch Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 44; Bamberger/Roth/Spickhoff Art. 28 Rom II-VO Rn. 4; Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 13d. 332 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 108 geht mit Blick auf die bilateralen Verträge im Bereich geografischer Herkunftsangaben davon aus, dass diese trotz des Vorrangs des europäischen Kollisionsrechts (Art. 28 Abs. 2 Rom II-VO) Anwendung finden, da sie nicht in Widerspruch zur Rom II-VO stehen. 333 Die Abkommen sind auch abgedruckt bei Fezer Markenrecht, Dokumentation Internationales Kennzeichenrecht II.

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Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland vorgesehen sind (…)“. Insofern verweisen die Normen hinsichtlich der Voraussetzungen für die Benutzung sowie den Schutz der aufgeführten Bezeichnungen im Einfuhrstaat auf das Ursprungslandrecht334 bzw. auf das Recht des Herkunftsvertragsstaates.335 Wird mithin eine deutsche Herkunftsbezeichnung in einem der Vertragsstaaten verletzt, so bestimmen sich die Anspruchsvoraussetzungen wegen einer Schutzrechtsverletzung nach deutschem Recht.336 Bei Fehlen der Schutzvoraussetzungen nach dem Recht des Ursprungslandes kann allerdings ergänzend auf das Recht des Bestimmungslandes zurückgegriffen werden, sofern diese Normen kollisionsrechtlich zur Anwendung berufen sind.337 Trotz dieser Möglichkeit bleibt es jedoch bei dem grundsätzlich bestehenden Vorrang der völkervertraglichen Kollisionsregeln gegenüber dem autonomen innerstaatlichen Kollisionsrecht.338 Das anzuwendende Recht für die nicht in den entsprechenden Vertragsanlagen aufgeführten Herkunftsangaben bestimmt sich hingegen weiterhin nach dem durch das Kollisionsrecht der lex fori berufenen Sachrecht.339 Festgehalten werden kann mithin, dass die genannten bilateralen Abkommen bezüglich 127 des Schutzumfanges eine kollisionsrechtliche Sachnormverweisung auf das Recht des Ursprungslandes der Bezeichnung enthalten.340 Auch die Europäische Union hat in der Vergangenheit bilaterale Abkommen zum Schutz 128 geografischer Herkunftsangaben mit Drittstaaten abgeschlossen.341 Allerdings enthalten diese keine Bezugnahme auf das Recht des Ursprungslandes, sondern nur die Verpflichtung, die Bezeichnungen der anderen Vertragspartei im eigenen Territorium anzuerkennen, weshalb sie nicht zu einer Abweichung vom maßgeblichen immaterialgüterrechtlichen Schutzlandprinzip (lex loci protectionis) oder vom wettbewerbsrechtlichen Marktortprinzip führen.342

4. WIPO Model Provisions on Protection Against Unfair Competition Die umfassendste Regelung des Lauterkeitsrechts auf internationaler Ebene findet sich in einem 129 Entwurf der World Intellectual Property Organization (WIPO), den sog. WIPO Model Provisions on Protection Against Unfair Competition.343 Dabei handelt es sich um Modellvorschriften 334 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 422; Büscher GRUR Int. 2008, 977, 981; vgl. auch MünchKommBGB/Kreuzer nach Art. 38 Anh. II EGBGB Rn. 67.

335 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 422. 336 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 422; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 50. 337 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 50. Siehe hierzu beispielsweise Art. 10 des deutsch-französischen Abkommens; nach dem Vertragszweck der Abkommen soll der Schutz nach nationalem Recht nicht vollständig verdrängt, sondern lediglich ergänzt werden. 338 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 50. 339 MünchKommBGB/Kreuzer nach Art. 38 Anh. II EGBGB Rn. 67; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 422; Fezer/ Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 50. 340 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 39; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 50; Büscher GRUR Int. 2008, 977, 981; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 422; Sack WRP 2008, 845, 861 betont hingegen, dass diese Abkommen keine Abweichung von der üblichen Anknüpfung enthalten, sie vielmehr lediglich eine Ausdehnung des Schutzterritoriums auf den jeweils anderen Vertragsstaat bewirken. 341 Zumeist handelte es sich dabei um Zusatzvereinbarungen zu Freihandelsabkommen, wie beispielsweise das Freihandelsabkommen vom 18. 11. 2002 mit Chile, das am 1. 2. 2003 in Kraft getreten ist und in Annex V (Abkommen über Wein) Bestimmungen hinsichtlich des Schutzes geografischer Herkunftsangaben enthält (abrufbar unter: http://www.sice.oas.org/trade/chieu_e/chieu1_e.asp, zuletzt abgerufen am 30. 10. 2013). Aber auch sog. Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, welche die Europäische Union mit Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifiks schließt, enthalten oftmals Bestimmungen zum Schutz geografischer Herkunftsangaben sowie ausdrückliche kollisionsrechtliche Regelungen. Vgl. hierzu ausführlich und mit weiteren Beispielen und Nachweisen MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 40. 342 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 40. 343 WIPO Publication No. 832 (E), 1996.

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zum Schutz gegen unlauteren Wettbewerb, welche die WIPO, die seit 1970 auch die PVÜ verwaltet,344 im Jahre 1996 auf der Grundlage des Art. 10bis PVÜ erarbeitet hat.345 130 Die Modellvorschriften enthalten neben einer Generalklausel beispielsweise Vorschriften über das Hervorrufen von Verwechslungsgefahr, die Verwässerung von Kennzeichen, die Schädigung des guten Rufes und die irreführende Werbung.346 Allerdings stellen sie weder bindendes Völkerrecht dar, noch reformieren sie bestehende völkerrechtliche Regelungen,347 weshalb ihre Wirkung nicht mit derjenigen internationaler Verträge, wie der PVÜ oder TRIPS, vergleichbar ist. Die WIPO-Modellvorschriften sollen vielmehr lediglich als Anregung dienen und insbesondere Staaten, die über kein oder zumindest kein adäquates Wettbewerbsrecht verfügen,348 motivieren, Regelungen zum Schutz gegen den unlauteren Wettbewerb zu etablieren oder auszubauen.349 Zudem geben sie den nationalen Gesetzgebern wertvolle Hinweise, wie die Verpflichtungen aus Art. 10bis PVÜ auszufüllen sind. Zu beachten ist jedoch, dass die Model Provisions über den Inhalt des Art. 10bis PVÜ hinausgehen.350 So findet zum einen eine gewisse konzeptionelle Verschiebung statt, da die Modellvorschriften bei der Definition verbotener Handlungen auf das Vorliegen eines Wettbewerbsverhältnisses verzichten, zum anderen findet der Verbraucherschutz Eingang in die Bestimmungen.351 Zudem wurde die Anzahl an Sondertatbeständen erhöht und deren Reichweite erweitert.352 131 Für das Wettbewerbskollisionsrecht haben die Model Provisions on Protection Against Unfair Competition allerdings keinerlei Bedeutung.353

5. Europäisches Gemeinschaftsrecht 132 a) Bedeutung des Gemeinschaftsrechts für die Bestimmung des Wettbewerbsstatuts. Das europäische Recht ist im Bereich des Wettbewerbskollisionsrechts von überragender Bedeutung. Das liegt nicht nur an der seit 11. 1. 2009354 geltenden Rom II-VO, die – gestützt auf die Kompetenznorm des Art. 67 Abs. 4 i. V. m. 81 Abs. 2 lit. c AEUV – in ihrem Art. 6 eine spezielle Kollisionsnorm für das Wettbewerbsrecht bereithält und in der Konsequenz das autonome nationale Recht verdrängt. Vielmehr erlangt das Europarecht auch insofern Bedeutung, als verschiedentlich behauptet wird, dass das primärrechtliche Herkunftslandprinzip, das im Rahmen 344 Hervorzuheben ist in diesem Kontext, dass die WIPO in der Vergangenheit versuchte, das internationale Recht des unlauteren Wettbewerbs im Rahmen der PVÜ fortzuentwickeln. Diese Versuche waren jedoch nicht von Erfolg gekrönt, s. Harte/Henning/Glöckner Einl. E Rn. 3. 345 Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 1. 346 Siehe dazu Reger S. 317 ff.; Harte/Henning/Glöckner Einf. E Rn. 3; Höpperger/Senftleben in: Hilty/Henning-Bodewig S. 61, 67 ff. 347 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 36; Henning-Bodewig IIC 30 (1999), S. 166, 183. 348 Insbesondere osteuropäische Staaten zeigten nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime ein starkes Interesse an der Unterstützung und einem Orientierungsmaßstab beim Abfassen von Gesetzen zum Schutz gegen den unlauteren Wettbewerb, Henning-Bodewig in: Schricker/Henning-Bodewig S. 21, 37; MünchKommBGB/ Drexl IntUnlWettbR Rn. 36. Dies zeigt auch das Vorwort, wonach die Model Provisions, die auf Englisch, Spanisch und Französisch verfügbar sind, insbesondere dazu dienen sollen, den Staaten, die wegen Art. 2 TRIPS erstmalig zur Beachtung von Art. 10bis PVÜ verpflichtet sind, eine Art Leitlinie zur Verfügung zu stellen. 349 Henning-Bodewig in: Schricker/Henning-Bodewig S. 21, 37; dies. IIC 30 (1999), S. 166, 182. 350 Siehe hierzu MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 36; Henning-Bodewig IIC 30 (1999), S. 166, 183. 351 Siehe hierzu auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 36 sowie Harte/Henning/Glöckner Einl. E Rn. 3. 352 Siehe hierzu auch Harte/Henning/Glöckner Einl. E Rn. 3; Henning-Bodewig in: Schricker/Henning-Bodewig S. 21, 37; dies. IIC 30 (1999), 166, 182. 353 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 36. 354 Zum Streit um die zeitliche Anwendbarkeit der Rom II-VO siehe Rn. 169 sowie EuGH 17. 11. 2011 − C-412/10 – NJW 2012, 441 f. Tz. 37 – Deo Antoine Homawoo/GMF Assurances SA; siehe zu den Schlussanträgen des Generalanwalts Paolo Mengozzi v. 6. 9. 2011 auch Sujecki EuZW 2011, 815; zudem Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 154; v. Hein ZEuP 2009, 6, 10 f.; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 37.

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der Dogmatik der Grundfreiheiten entwickelt wurde, bzw. das sekundärrechtliche Herkunftslandprinzip,355 das sich insbesondere in der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste356 sowie der E-Commerce-Richtlinie357 wiederfindet,358 einen kollisionsrechtlichen Gehalt aufweisen und daher letztlich im Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander zu einer Verdrängung des Marktortprinzips führen.359 Darüber hinaus wurde in der Vergangenheit auch über eine mögliche kollisionsrechtliche 133 Einordnung des in Art. 18 AEUV normierten Diskriminierungsverbots debattiert,360 weshalb im Rahmen der Bestimmung des Wettbewerbsstatuts sowohl ein Blick auf das europäische Primärals auch auf das europäische Sekundärrecht geboten ist. Sollte sich im Bereich des Primärrechts eine Kollisionsnorm finden, so wäre diese schon 134 aufgrund des Anwendungsvorrangs361 des Gemeinschaftsprimärrechts für die Bestimmung des anwendbaren Rechts maßgeblich. Findet sich hingegen eine von der in der Rom II-VO zugrunde gelegten Marktortanknüpfung362 abweichende Regelung auf der Ebene des Sekundärrechts, muss festgestellt werden, in welchem Verhältnis dieser konkrete Sekundärrechtsakt zur Rom IIVO steht.

b) Das Herkunftslandprinzip: Kollisionsrechtliches Prinzip oder sachrechtliches Kor- 135 rektiv? Umstritten ist zunächst, ob es sich bei dem aus der Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 AEUV) resultierenden primärrechtlichen Herkunftslandprinzip bzw. bei dem in einzelnen Sekundärrechtsakten niedergelegten Herkunftslandprinzip363 um ein kollisionsrechtliches Prinzip handelt, oder ob dieses nicht vielmehr ein Korrektiv für ein dem Gemeinschaftsrecht widersprechendes Ergebnis darstellt, welches durch Anwendung des durch das Wettbewerbskollisionsrecht berufene Sachrecht gefunden wurde.364 Die zentrale Frage, die in diesem Kontext zu klären ist, lautet mithin: Wirkt das Herkunftslandprinzip bereits auf der Ebene des Kollisionsrechts

355 Vgl. hierzu ausführlich Rn. 115 ff. 356 Die Richtlinie trat am 19. 12. 2007 in Kraft (vgl. RL 2010/13/EU – ABl. EU L 95 v. 15. 4. 2010, S. 1 ff.). Sie ist die konsolidierte Fassung der Neufassung der Richtlinie 2007/65/EG, welche wiederum auf die erste Fernsehrichtlinie 89/552/EWG zurückgeht. Zu den jüngsten Änderungen vgl. die am 18. 12. 2018 in Kraft getretene Richtlinie 2018/ 1808/EU. 357 RL 2000/31/EG – ABl. EG L 178 v. 17. 7. 2000, S. 1 ff. („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“ – „e-commerce Richtlinie“). 358 Das Herkunftslandprinzip findet sich zudem in der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (RL 2005/29/ EG – ABl. EG L 149 v. 11. 6. 2005, S. 22 ff.); darüber hinaus wurde es von der Kommission als Konzept für die Dienstleistungsrichtlinie vorgeschlagen (COD 2004/0001; [SEK (2004) 21]/KOM/2004/0002 endg. v. 13. 1. 2004), letztlich im Gesetzgebungsprozess jedoch wieder verworfen (s. RL 2006/123/EG – ABl. EG L 376 v. 27. 12. 2006, S. 36 ff.). 359 Siehe hierzu ausführlich Rn. 85 ff., 115 ff. 360 Siehe hierzu Rn. 113 f. 361 Unionsrecht geht dem mitgliedstaatlichen Recht jeder Regelungsebene vor, siehe hierzu EuGH 9. 3. 1978 – C106/77 – Slg. 1978, 629 Tz. 16 – Simmenthal, in welcher der Gerichtshof feststellt, dass „jede entgegenstehende Bestimmung des geltenden staatlichen Rechts ohne weiteres unanwendbar“ ist. Folge des Anwendungsvorrangs ist die Nichtanwendung des nationalen Rechts im Falle eines Konfliktes. Mit Blick auf das Zivilrecht muss die Norm des Unionsrechts jedoch unmittelbar anwendbar sein. Siehe in diesem Kontext auch EuGH 19. 6. 1990 – C-213/89 – Slg. 1990, I-2433 Tz. 19 ff. – Factortame; EuGH 15. 7. 1964 – 6/64 – Slg. 1964, 1251, 1269 – Costa; EuGH (Plenum) 8. 3. 2011 – Gutachten 1/09 – GRUR Int. 2011, 309 Tz. 65 – Einheitliches Patentgerichtssystem. 362 Vgl. hierzu ausführlich Rn. 203 ff. 363 Siehe hierzu insbesondere die RL 2000/31/EG – ABl. EG L 178 v. 17. 7. 2000, S. 1 ff. („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“ – „e-commerce Richtlinie“) sowie RL 2010/13/EU – ABl. EU L 95 v. 15. 4. 2010, S. 1 ff., die am 19. 12. 2007 in Kraft trat und die konsolidierte Fassung der Neufassung der Richtlinie 2007/65/EG darstellt, welche wiederum auf die erste Fernsehrichtlinie 89/552/EWG zurückgeht („Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste ohne Grenzen“). 364 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 551.

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

als maßgebliches Prinzip zur Bestimmung des Wettbewerbsstatuts oder erst auf der Ebene des Sachrechts, indem es bei Binnenmarktsachverhalten das eigentlich zur Anwendung berufene nationale Wettbewerbssachrecht begrenzt?

c) Das Herkunftslandprinzip im Gemeinschaftsprimärrecht 136 aa) Kollisionsrechtlicher Gehalt der Warenverkehrsfreiheit? Positiv formuliert gewährleistet die Warenverkehrsfreiheit das Recht, Waren, d. h. (bewegliche) „Erzeugnisse, die einen Geldwert haben und deshalb Gegenstand von Handelsgeschäften sein können“,365 „zu erwerben, anzubieten, auszustellen oder feilzuhalten, zu besitzen, herzustellen, zu befördern, zu verkaufen, entgeltlich oder unentgeltlich abzugeben, einzuführen oder zu verwenden“,366 wobei die Waren entweder aus einem Mitgliedstaat stammen müssen oder es sich um im freien Verkehr der Mitgliedstaaten befindliche Waren aus Drittstaaten handeln muss.367 Art. 34 AEUV (früher Art. 28 EG) untersagt daher mengenmäßige Beschränkungen368 und 137 Maßnahmen gleicher Wirkung, worunter nach der vom EuGH im Jahre 1974369 entwickelten und in ständiger Rechtsprechung verwendeten Dassonville-Formel jede „Handelsregelung der Mitgliedstaaten“ zu verstehen ist, „die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern“.370 Aufgrund der weiten Formulierung der Dassonville-Formel fielen zunächst grundsätzlich auch nationale Werbebeschränkungen in den Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit – mit der Konsequenz, dass, sollten sie zu einer Behinderung im Sinne dieser Formel führen, ein Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit zu konstatieren wäre. 138 Allerdings konnten und können Maßnahmen gleicher Wirkung unter bestimmten Voraussetzungen auch zulässig sein. Dies ist der Fall, wenn sie nach Art. 36 AEUV (früher: Art. 30 EG) beispielsweise aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, der Gesundheit oder zum Schutze des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sind.371 Die in Art. 36 AEUV aufgezählten Schutzgüter sind allerdings abschließend,372 was bedeutet,

365 EuGH 12. 12. 1968 – 7/68 – Slg. 1968, 617, 626 – Kommission/Italien. 366 EuGH 27. 6. 1996 – C-293/94 – Slg. 1996, I-3159 Tz. 6 – Brandsma (mit Blick auf Maßnahmen gleicher Wirkung i. S. d. Art. 34 AEUV); zusammenfassend zur Warenverkehrsfreiheit auch SEC (2009) 673 final. 367 Siehe zum Begriff Art. 29 AEUV; zu Waren aus Drittstaaten Art. 207 AEUV. 368 Aus der Sicht des Lauterkeitsrechts haben mengenmäßige, d. h. vollständige oder nach Menge, Wert und Zeitraum definierte Handelsbeschränkungen gegenwärtig nahezu keine Bedeutung mehr, weshalb sich die Ausführungen im Folgenden auf Maßnahmen gleicher Wirkung fokussieren werden. 369 Siehe auch bereits Art. 3 Richtlinie 70/50/EWG der Kommission vom 22. Dezember 1969, gestützt auf die Vorschriften des Artikels 33 Absatz 7 über die Beseitigung von Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen, die nicht unter andere auf Grund des EWG-Vertrags erlassene Vorschriften fallen, ABl. L 13 v. 19. 1. 1970, S. 29: „Diese Richtlinie betrifft weiterhin die Maßnahmen über die Vermarktung von Waren, insbesondere betreffend die Form, die Ausmaße, das Gewicht, die Zusammensetzung, die Aufmachung, die Identifizierung, die Aufbereitung, welche unterschiedslos auf inländische und eingeführte Maßnahmen anwendbar sind und deren beschränkende Wirkungen auf den Warenverkehr den Rahmen der solchen Handelsregelungen eigentümlichen Wirkungen überschreiten. Dies ist insbesondere der Fall, – wenn die den freien Warenverkehr beschränkende Wirkung außer Verhältnis zu dem angestrebten Ziel steht; – wenn das gleiche Ziel durch ein anderes Mittel erreicht werden kann, das den Warenaustauch am wenigsten behindert“. 370 EuGH 11. 7. 1974 – 8/74 – Slg. 1974, 837 Tz. 5 = NJW 1975, 515, 516 – Dassonville; EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 33 – Kommission/Italien. 371 Nicht geklärt ist jedoch, ob das Recht gegen den unlauteren Wettbewerb zum Schutz des gewerblichen oder kommerziellen Eigentums zu zählen ist. Dagegen jedenfalls: EuGH 17. 6. 1981 – 113/80 – Slg. 1981, 1625 Tz. 8 = NJW 1981, 2634 – Kommission/Irland; Hösch S. 42 f. Siehe hierzu auch Joliet GRUR Int. 1994, 1, 12. 372 EuGH 9. 6. 1982 – 95/81 – Slg. 1982, 2187 Tz. 27 – Kommission/Italien.

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II. Rechtsquellen des Internationalen Wettbewerbsprivatrechts

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dass weder der Schutz des (lauteren) Wettbewerbs373 noch der Verbraucherschutz374 zu einer Rechtfertigung im Rahmen des Art. 36 AEUV führen können. Darüber hinaus sind jedoch nach den vom EuGH im Fall Cassis de Dijon375 aufgestellten 139 Grundsätzen bei Maßnahmen, die unterschiedslos auf EU-Ausländer und Inländer angewendet werden, Hemmnisse für den Binnenhandel hinzunehmen, die sich aus den Unterschieden der nationalen Regelungen über die Vermarktung von Erzeugnissen ergeben, soweit die konkrete Regelung notwendig ist, um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden.376 Unterschiedslos anwendbare Maßnahmen, die den Erfordernissen des Allgemeinwohls wie etwa der Lauterkeit des Handelsverkehrs377 oder dem Verbraucherschutz378 dienen, sind nach dieser Rechtsprechung folglich gerechtfertigt. Dies bedeutet beispielsweise, dass wettbewerbsrechtliche Vorschriften den Vertrieb von Waren im Einzelfall unterbinden können, „wenn die Umstände, unter denen diese Waren abgesetzt werden, einen Verstoß gegen das darstellen, was im Einfuhrstaat als guter und redlicher Handelsbrauch betrachtet wird“.379 Ist im Lichte dieser Vorgaben allerdings ein Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit zu bejahen, sind die strengeren Regelungen des Bestimmungslandes auf die betroffene Ware nicht anzuwenden.380 Dies hat zur Folge, dass eine Ware, die entsprechend den Bestimmungen des Herkunftslandes produziert, angeboten oder abgesetzt wird, im gesamten Binnenmarkt verkehrsfähig ist, es sei denn, es findet sich eine den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz381 beachtende Rechtfertigung für eine beschränkende Regelung.382 Angesichts dieser Prämissen kann die Rechtssache Cassis de Dijon daher durchaus als Geburtsstunde des Herkunftslandprinzips angesehen werden.383 Der EuGH hatte sich zwar zunächst primär mit produktbezogenen Vorschriften des öf- 140 fentlichen Gewerberechts und deren potentiell hemmender Wirkung auseinanderzusetzen, spä373 Insbesondere lässt sich der Schutz der Lauterkeit des Handelsverkehrs nicht unter den Schutz des gewerblichen Eigentums in Art. 36 AEUV fassen. Siehe hierzu EuGH 17. 6. 1981 – 113/80 – Slg. 1981, 1625 Tz. 8 – Kommission/Irland sowie Beater Rn. 531 ff. und von der Groeben/Schwarze/Müller-Graff Art. 30 EG Rn. 74. Allerdings wurden vom EuGH geografische Herkunftsangaben sowie Ursprungsbezeichnungen als Rechte des geistigen Eigentums nach Art. 36 AEUV eingestuft. Siehe hierzu EuGH 10. 11. 1992 – C-3/91 – Slg. 1992, I-5529 = GRUR Int. 1993, 76 Tz. 23 ff., 39 – Exportur; EuGH 6. 6. 1992 – C-47/90 – Slg. 1992, I-3669 Tz. 16 – Delhaize; EuGH 20. 3. 2003 – C-108/01 – Slg. 2003, I-5121 = GRUR 2002, 616 Tz. 62 ff. – Consorzio del Prosciutto di Parma; EuGH 3. 3. 2011 – C-161/09 – GRUR Int. 2011, 314 Tz. 37 ff. – Kakavetsos-Frakopoulos; siehe auch EuGH 13. 3. 1984 – 16/83 – Slg. 1984, 1299 = GRUR 1984, 343 Tz. 34 ff. – Prantl. 374 EuGH 17. 6. 1981 – 113/80 – Slg. 1981, 1625 Tz. 8 = NJW 1981, 2634 – Kommission/Irland; siehe auch EuGH 19. 12. 1961 – 7/61 – Slg. 1961, 695, 720 – Kommission/Italien; EuGH 28. 3. 1995 – C-324/93 – Slg. 1995, I-563 Tz. 36 – Evans. Nicht von einer möglichen Rechtfertigung nach Art. 36 AEUV erfasst wird hingegen der ergänzende wettbewerbliche Leistungsschutz, EuGH 2. 3. 1982 – Rs. 6/81 – Slg. 1982, 707 Tz. 7, 9 ff. – Beele; Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 3.33; a. A. jedoch Sack GRUR 1998, 871, 875. Hier kann eine Rechtfertigung nur im Rahmen der Cassis de Dijon-Grundsätze erfolgen. 375 EuGH 20. 2. 1979 – 120/78 – Slg. 1979, 649 = GRUR Int. 1979, 468 Tz. 8 – Cassis de Dijon. 376 EuGH 20. 2. 1979 – 120/78 – Slg. 1979, 649 = GRUR Int. 1979, 468 Tz. 8 – Cassis de Dijon. 377 EuGH 13. 3. 1984 – 16/83 – Slg. 1984, 1299= GRUR 1984, 343 Tz. 27 – Prantl. 378 EuGH 2. 2. 1994 – C 315/92 – Slg. 1994, I-317 = GRUR 1994, 303 – Clinique. 379 Siehe hierzu beispielsweise EuGH 22. 1. 1981 – 58/80 – Slg. 1981, 181 Tz. 15 – Dansk Supermarked; EuGH 26. 11. 1985 – 182/84 – Slg. 1985, 3731 = GRUR Int. 1986, 633 Tz. 24 – Miro, in welcher der Gerichtshof feststellt: „(…) im System des Gemeinsamen Marktes [müssen] Interessen wie die Lauterkeit des Handelsverkehrs unter allseitiger Achtung lauterer Praktiken und herkömmlicher Übungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten gewährleistet werden“. 380 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 97. 381 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 46: Aus diesem Grund sah der EuGH in Cassis de Dijon (EuGH 20. 2. 1979 – 120/78 – Slg. 1979, 649 = GRUR Int. 1979, 468) ein Vertriebsverbot des Importstaates als nicht erforderlich an, sofern der Schutz des Kunden auch durch eine entsprechende Etikettierung sichergestellt werden konnte, weshalb er das in Deutschland bestehende Vertriebsverbot für ausländischen Likör, welcher nicht den vom Branntweinmonopolgesetz geforderten Mindestgehalt aufwies, letztlich als eine verbotene Maßnahme gleicher Wirkung gemäß ex-Art. 30 EWGV (= Art. 34 AEUV) einstufte. 382 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 47. 383 EuGH 20. 2. 1979 – 120/78 – Slg. 1979, 649 = GRUR Int. 1979, 468 – Cassis de Dijon.

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ter musste er jedoch auch Vorschriften beurteilen, welche die Art und Weise des Vertriebes betrafen.384 Im Grundsatz war nach der Dassonville-Entscheidung385 somit davon auszugehen, dass potentiell alle Vorschriften des nationalen Wettbewerbsrechts dem Begriff der „Maßnahme gleicher Wirkung“ im Sinne von ex-Art. 30 EWGV (ex-Art. 28 EG, heute Art. 34 AEUV) unterfielen.386 In der Oosthoek-Entscheidung387 hatte der EuGH dann erstmals Gelegenheit, eine nationale Vorschrift des Werberechts auf ihre Vereinbarkeit mit der Warenverkehrsfreiheit zu überprüfen. Zwar bejahte das Gericht in diesem Fall eine Maßnahme gleicher Wirkung, sah diese letztlich jedoch im Lichte des zwingenden Grundes der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes als gerechtfertigt an. Zentralen Einfluss auf die kollisionsrechtliche Debatte hatte schließlich die Rechtssache GB-INNO.388 Gegenstand dieses Verfahrens war der Streit um das Verhalten einer belgischen Handelskette, welche in Luxemburg Werbezettel mit der Absicht verteilte, luxemburgische Kunden in belgische Supermärkte zu locken. Die Werbezettel enthielten dabei Hinweise auf die Dauer von Sonderangeboten und die Höhe der früheren Preise, was nach luxemburgischem Lauterkeitsrecht verboten war. Der EuGH bewertete die Anwendung strengerer nationaler, eine grenzüberschreitende Werbung verbietender Rechtsvorschriften auf eine Werbemaßnahme, welche in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig durchgeführt worden ist, als Verstoß gegen ex-Art. 30, 36 EGV und untersagte mangels einer Rechtfertigung durch zwingende Erfordernisse nach ex-Art. 36 EGV daher in der Folge die Anwendung der werberechtlichen Bestimmungen im Staate der Verbraucher.389 Die Rechtssache GB-INNO390 verdeutlichte mithin nochmals die Maßgeblichkeit des Rechts des Herkunftslandes für die Anwendung des Wettbewerbsrechts im Binnenmarkt und führte in der Konsequenz zu einer Einbeziehung des „Vertriebes“-Aspektes in die Definition des Herkunftslandprinzips.391 In der Entscheidung Yves Rocher392 bestätigte der EuGH sodann die in GB-INNO393 entwickelte Rechtsprechungslinie. Eine grundsätzliche Konformität des angebotenen Produkts mit dem Herkunftslandrecht implizierend,394 ermöglicht das Herkunftslandprinzip folglich, dass alle Unternehmen, die eine rechtmäßige wirtschaftliche Tätigkeit in einem Mitgliedstaat ausüben, im Grundsatz ungehinderten Zugang zum gesamten Markt der Gemeinschaft haben.395 Dies ist nach Ansicht des

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Bspw. EuGH 14. 7. 1988 – 407/85–3 – Slg. 1988, 4233 = NJW 1989, 1428 – Drei Glocken GmbH. EuGH 11. 7. 1974 – 8/74 – Slg. 1974, 837, Tz. 5 = NJW 1975, 515, 516 – Dassonville. MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 48. EuGH 15. 12. 1982 – 286/81 – Slg. 1982, 4575 = GRUR Int. 1983, 648 – Oosthoek. EuGH 7. 3. 1990 – C-362/88 – Slg. 1990, I-667 = GRUR Int. 1990, 955 – GB-Inno-BM. EuGH 7. 3. 1990 – C-362/88 – Slg. 1990, I-667 = GRUR Int. 1990, 955 Tz. 8 – GB-Inno-BM. EuGH 7. 3. 1990 – C-362/88 – Slg. 1990, I-667 = GRUR Int. 1990, 955 – GB-Inno-BM. So MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 48 mit Verweis auf Steindorff ZHR 158 (1994), 149, 164 f. EuGH 18. 5. 1993 – C-126/91 – Slg. 1993, I-2361 = NJW 1993, 3187 – Yves Rocher. Der Entscheidung lag dabei folgender Sachverhalt zugrunde: § 6e (a. F.) des deutschen UWG enthielt ein Verbot, mit der Gegenüberstellung von bisherigen und neuen Preisen blickfangmäßig Werbung zu betreiben. Dieses Verbot erklärt der EuGH für mit der Freiheit des Warenverkehrs als unvereinbar, weshalb der deutsche Gesetzgeber es in der Folge aufhob. Der EuGH betonte dabei, dass die Regelung für den Verbraucherschutz nicht geeignet sei, da sie auch wahre Gegenüberstellungen, welche für die Verbraucher durchaus nützlich sein könnten, verbietet. Darüber hinaus wurde der Verstoß gegen Art. 34 AEUV (ex-Art. 30 EGV) auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Beeinträchtigung des freien Warenverkehrs durch die umstrittene Regelung relativ geringfügig war, da dies nach Ansicht des EuGH für exArt. 30 EGV keine Rolle spielte (siehe Rn. 14 ff.). 393 EuGH 7. 3. 1990 – C-362/88 – Slg. 1990, I-667 = GRUR Int. 1990, 955 – GB-Inno-BM. 394 Blasi S. 9. 395 Vgl. Generalanwalt Jacobs, Schlußanträge in der Rs. C-412/93 – Slg. 1995, I-179 = GRUR Int. 1995, 496 Tz. 41 f. – Leclerc Siplec. Mit Blick auf die Personenfreizügigkeit besagt das Herkunftslandprinzip in gleicher Weise, dass

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II. Rechtsquellen des Internationalen Wettbewerbsprivatrechts

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EuGH auch erforderlich, denn nur, wenn die Mitgliedstaaten bestehende Vorschriften im Bereich der Warenproduktion als grundsätzlich gleichwertig akzeptieren und keine weiteren rechtlichen Anforderungen stellen, könne der Binnenmarkt (ursprünglich der „Gemeinsame Markt“) funktionieren.396 Art. 34 AEUV wurde mithin zu einem Prinzip der „gegenseitigen Anerkennung von Erzeug- 146 nissen, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht wurden“ (Herkunftsprinzip), ausgebaut.397 Konsequenz dieser EuGH-Rechtsprechung war und ist folglich die Gewährleistung des Rechts, Waren nach dem Vertriebsrecht des Herkunftslandes im gesamten Binnenmarkt zu vertreiben und nach diesem Recht zu erwerben,398 was beispielsweise zur Folge hat, dass eine Werbung für ein aus einem anderen Mitgliedstaat importiertes Produkt, welche im Herkunftsstaat erlaubt ist, nicht durch nationale wettbewerbsrechtliche Vorschriften untersagt werden kann, es sei denn, das Verbot ist nach Art. 36 AEUV gerechtfertigt oder entspricht zwingenden Erfordernissen. Insofern gewährleistet Art. 34 AEUV Erzeugnissen aus der Gemeinschaft einen „freien Zugang zu den nationalen Märkten“.399 Dieses aus der Dogmatik der Grundfreiheiten hergeleitete und in der GB-INNO-Entschei- 147 dung für den Bereich des Werberechts konkretisierte Herkunftslandprinzip führte aufgrund seiner einschränkenden Wirkung auf die Regelungsbefugnis des Importstaates faktisch zu einer Zurückdrängung des Marktortprinzips und entfachte vor diesem Hintergrund eine intensive Diskussion über seinen (möglicherweise kollisionsrechtlichen) Rechtscharakter.400 Die Debatte flaute allerdings insbesondere im Gefolge der Entscheidung Keck und Mithou- 148 ard401 wieder etwas ab, denn in dieser Entscheidung vom 24. 11. 1993 schränkte der EuGH seine weite Interpretation von Handelshemmnissen im Sinne von ex-Art. 30 EGV erheblich ein. Seit der Keck-Entscheidung geht der EuGH nämlich in ständiger Rechtsprechung402 davon aus, dass unterschiedslos, d. h. auf alle Wirtschaftsteilnehmer gleichermaßen anwendbare nationale Bestimmungen, die den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in gleicher Weise berühren, nicht geeignet sind, zu einer Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels zu führen, soweit sie „Verkaufs-

jedermann in selbständiger oder abhängiger Position in einem anderen Mitgliedstaat tätig werden kann, wenn er über die erforderlichen Nachweise des Herkunftsstaates verfügt, siehe hierzu ausführlich Steindorff ZHR 150 (1986), 687, 689. 396 Vgl. dazu EuGH 5. 5. 1982 – 15/81 – Slg. 1982, 1409 = NJW 1983, 1252, 1254 – Schul. 397 EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 34 – Kommission/Italien; grundlegend auch EuGH 20. 2. 1979 – 120/78 – Slg. 1979, 649 = GRUR Int. 1979, 468 – Cassis de Dijon: Es gebe „keinen stichhaltigen Grund dafür, zu verhindern, dass in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellte und in Verkehr gebrachte alkoholische Getränke in die anderen Mitgliedstaaten eingeführt werden“; siehe auch die Mitteilung der Kommission über die Auswirkungen des Urteils des EUGH vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 120/78 („Cassis de Dijon“), ABl. 1980 C 256/2 und das Weißbuch Vollendung des Binnenmarkts, KOM (85) 310 S. 6, 19 Rn. 13, 65. 398 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 48. 399 EuGH (Große Kammer) 10. 2. 2009 – C-110/05 – Slg. 2009, I-519 Tz. 34 – Kommission/Italien; siehe bereits EuGH 14. 7. 1983 – 174/82 – Slg. 1983, 2445 Tz. 26 – Sandoz: „Das mit dem freien Warenverkehr verfolgte Ziel besteht gerade darin, für die Erzeugnisse der verschiedenen Mitgliedstaaten den Zugang zu Märkten zu gewährleisten, auf denen sie vorher nicht erhältlich waren“. 400 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 48. 401 EuGH 24. 11. 1993 – C-267 u. 268/91 Slg. 1993, I-6097 = GRUR 1994, 296 Tz. 15 ff. – Keck und Mithouard m. Anm. Bornkamm; vgl. auch EuGH 27. 10. 1993 – C-292/92 – Slg. 1993 I-6787 = NJW 1994, 781 Tz. 21 – Hünermund m. Anm. Möschel. 402 Ständige Rechtsprechung: u. a. EuGH 11. 8. 1995 – C-63/94 – Slg. 1995, I-2467 = NJW 1996, 1735 – Belgapom; EuGH 8. 3. 2001 – C-405/98 – Slg. 2001, I-1795 = GRUR Int. 2001, 553 – Gourmet International Products; EuGH 14. 2. 2008 – C-244/06 – Slg. 2008, I-505 Dynamic Medien/Avides Media.

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modalitäten“403 beschränken oder verbieten.404 Im Ergebnis liegt also jedenfalls kein Verstoß gegen Art. 34 AEUV vor, sofern die konkreten Verkaufsmodalitätenregelungen diskriminierungsfrei sind. 149 Unter den Begriff der Verkaufsmodalitäten405 fallen dabei alle nationalen Vorschriften, die zeitliche, sachliche und räumliche Voraussetzungen hinsichtlich des Verkaufs von Waren aufstellen.406 Hierzu zählen auch Werbeverbote und Werbebeschränkungen, wie z. B. Beschränkungen der Rundfunkwerbung,407 ein Verbot der Werbung für den Bezug von im Inland nicht zugelassener Arzneimittel,408 oder ein Verbot der Bewerbung als Konkursware.409 Aber auch Verbote, die den Vertrieb von Waren betreffen, beispielsweise im Versandhandel,410 durch Haustürgeschäfte411 oder über das Internet,412 fallen in den Bereich der Verkaufsmodalitäten. Der Gruppe der Verkaufsmodalitäten stehen die sogenannten produktbezogenen Rege150 lungen gegenüber. Dies sind nationale Regelungen bezüglich Form, Gewicht, Qualität und Zusammensetzung, Kennzeichnung, Form, Abmessungen, Aufmachung, Verpackung sowie ihrer Etikettierung.413 Bei ihnen wendet der EuGH Art. 34 AEUV an und betrachtet sie folglich als Maßnahmen gleicher Wirkung, ohne danach zu fragen, ob sie diskriminierungsfrei angeordnet werden.414 Produktbezogene Regelungen stellen mithin stets eine rechtfertigungsbedürftige Maßnahme gleicher Wirkung dar. Da ein erheblicher Teil der wettbewerbsrechtlichen Regelungen zum Bereich der soge151 nannten „Verkaufsmodalitäten“ gehört (vgl. beispielsweise die Vorschriften über unzumutbare Belästigung, § 7 UWG, getarnte Werbung, § 4 Nr. 3 UWG, unangemessene unsachliche Beeinflussung, § 4 Nr. 1 UWG, den Verkauf zum Verlustpreis415 oder Werbung mit Verkaufsangeboten 403 Dazu Fezer JZ 1994, 317, 320 f. Zu beachten ist allerdings, dass der EuGH den Begriff der Maßnahme gleicher Wirkung seit 2009 mit einer neuen Formel umschreibt, welche den Fokus vom formalen Kriterium der Verkaufsmodalität hin zu den materiellen Wirkungen einer Maßnahme für den Marktzugang verschiebt. Siehe hierzu ausführlich Heinze Rn. 110 ff. 404 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 546. 405 Siehe Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro vom 27. 10. 1993 – C-292/92 – Slg. 1993- I-6800 Tz. 20 – Hünermund: „allgemeine Maßnahmen, die die Modalitäten der Ausübung der Handelstätigkeit zum Gegenstand haben und somit nur in mittelbarem Zusammenhang mit den Einfuhren stehen“. 406 EuGH 2. 6. 1994 – C-401/92 und C-402/92 – Slg. 1994, I-2199 Tz. 14 – Tankstation. 407 EuGH 9. 2. 1995 – C-412/93 – Slg. 1995, I-179 = GRUR Int. 1995, 496 Tz. 22 – Leclerc-Siplec: Einschränkung der Fernsehwerbung betrifft „Verkaufsmodalitäten insoweit, als sie eine bestimmte Form der Förderung (Fernsehwerbung) einer bestimmten Methode des Absatzes (Vertrieb) von Erzeugnissen verbietet“; EuGH 9. 7. 1997 – C-34/95, C35/95 und C-36/95 – Slg. 1997, I-3843 = GRUR Int. 1997, 913 Tz. 39, 41 – De Agostini; EuGH 28. 10. 1999 – C-6/98 – Slg. 1999, I-7599 Tz. 45 f. – Pro Sieben Media. 408 EuGH 10. 11. 1994 – 320/93 – Slg. 1994, I- 5243 Tz. 9 ff. – Ortscheit (konkret wurde das Vorliegen einer Maßnahme gleicher Wirkung bejaht, weil die Vorschrift – nach Auffassung des EuGH – nur Einfuhren betraf; dazu kritisch Sack EWS 2011, 265, 272); ebenso EuGH 8. 11. 2007 – C-143/06 – Slg. 2007, I-9623 = GRUR 2008, 264 Tz. 20 – LudwigsApotheke. 409 EuGH 25. 3. 2004 – C-71/02 – Slg. 2004, I-3025 = GRUR Int. 2004, 626 Tz. 30 – Karner. 410 EuGH 2. 12. 2010 – C-108/09 – GRUR 2011, 243 Tz. 51 – Ker-Optika. 411 EuGH 23. 2. 2006 – C-441/04 – Slg. 2006, I-2093 Tz. 17 – A-Punkt Schmuckhandel. 412 EuGH 11. 12. 2003 – C-322/01 – Slg. 2003, I-14887 = GRUR 2004, 174 Tz. 68 f. – Deutscher Apothekerverband. 413 Siehe beispielsweise EuGH 6. 7. 1995 – C-470/93 – Slg. 1995, I-1923 = NJW 1995, 3243 – Mars; EuGH 12. 7. 2001 – C-157/99 – Slg. 2001, I-5473 Tz. 17 = NJW 2001, 3391 – Smits und Peerbooms; EuGH 13. 9. 2001 – C-169/99 – Slg. 2001, I-5901 = NJW 2002, 2377 Tz. 39 f. – Schwarzkopf. 414 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 546. 415 EuGH 24. 11. 1993 – C-267/91 und C-268/91 – Slg. 1993, I-6097 = GRUR 1994, 296 Tz. 18 – Keck und Mithouard. Umstritten ist, ob eine Mindestpreisregelung, die unabhängig von den Gestehungskosten des Händlers festgesetzt wird, nach wie vor als Maßnahme gleicher Wirkung anzusehen ist, weil sie dem Importeur seinen Kostenvorteil nimmt, Calliess/Ruffert/Kingreen Art. 34–36 AEUV Rn. 156 (ebenso zu Höchstpreisregelungen). Sofern sich keine marktabschottende Wirkung feststellen lässt, dürfte es sich nach Keck und Belgapom bei Festpreisregeln um eine Verkaufsmodalität handeln, vgl. OLG München 2. 7. 2009 – 29 U 3992/08 – GRUR-RR 2010, 53, 55 – Treuebonus II.

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zu herabgesetzten Preisen unter Hinweis auf die Dauer des Angebots416 und andere), welche dem Zugriff von Art. 34 AEUV jedenfalls insoweit entzogen sind, als im Einzelfall eine rechtliche Ungleichbehandlung oder eine tatsächlich unterschiedliche Auswirkung auf in- und ausländische Erzeugnisse verneint werden kann417 – was angesichts dessen, dass das Wettbewerbsrecht den Vertrieb von Produkten in der Regel neutral und diskriminierungsfrei für alle Waren gleich regelt, meist der Fall ist – verlor die Frage nach der kollisionsrechtlichen Bedeutung des Herkunftslandprinzips dementsprechend an Relevanz418 bzw. wurde als Argument gegen eine kollisionsrechtliche Deutung angesehen.419 Es zeigte sich jedoch in der Folgezeit, dass das Herkunftslandprinzip dennoch Einfluss auf 152 die Anwendbarkeit des deutschen Wettbewerbsrechts in Fällen mit Auslandsbezug hatte. So stellte der EuGH in den Rechtssachen Clinique420 sowie Mars421 fest, dass Regelungen, welche Unternehmen zwingen, die Ausstattung ihrer Erzeugnisse je nach dem Ort des Inverkehrbringens unterschiedlich zu gestalten und sie folglich mit zusätzlichen Werbe- und Verpackungskosten belaste, beispielsweise, weil eine nationale Regelung die Verwendung von irreführenden Angaben über die Beschaffenheit von Waren verbietet, als Behinderung des gemeinschaftlichen Wettbewerbs anzusehen sind – jedenfalls, sofern eine Rechtfertigung aus Gründen des Verbraucherschutzes nicht in Betracht kommt.422 Zwar ging es in den beiden Entscheidungen primär um die Etikettierung und Aufmachung der Ware und damit um produktbezogene Vorschriften, der EuGH bezog jedoch zugleich die Auswirkungen auf die Werbekosten in seine Beurteilung mit ein.423 Insofern zeigen die Fälle, dass die Warenverkehrsfreiheit auch nach der Keck-Entschei- 153 dung424 Einfluss auf den Anwendungsbereich nationalen Rechts in grenzüberschreitenden Fällen nahm, was dazu führte, dass die Frage, ob und inwiefern Art. 34 AEUV ein kollisionsrechtlicher Gehalt insbesondere mit Blick auf die Bestimmung des Wettbewerbsstatuts entnommen werden kann, in der deutschen Literatur bis heute generell anhand der Auslegung der Waren-

416 EuGH 7. 3. 1990 – 362/88 – Slg. 1990, I-667= GRUR Int. 1990, 955 Tz. 8, 13 ff. – GB-Inno-BM. 417 Eine tatsächlich unterschiedliche Auswirkung auf in- und ausländische Erzeugnisse kann im Einzelfall jedoch auch im Bereich des Werberechts vorliegen, wenn dem ausländischen Anbieter eine besonders wirksame Werbeoder Vertriebsmaßnahme verboten wird, auf die er als ausländischer Anbieter im Unterschied zu heimischen Anbietern in besonderer Weise angewiesen ist, weil er sich erst Zutritt zum Markt verschaffen muss. Siehe hierzu EuGH 8. 3. 2001 – C-405/98 – Slg. 2001, I-1795 = GRUR Int. 2001, 553 Tz. 20 f., 25 – Gourmet International Products; EuGH 15. 7. 2004 – C-239/02 – Slg. 2004, I-7007 = GRUR Int. 2004, 1016 Tz. 52 f. – Douwe Egberts; EuGH 9. 7. 1997 – C-34/ 95, C-35/95 und C-36/95 – Slg. 1997, I-3843 = GRUR Int. 1997, 913 Tz. 43 – De Agostini sowie Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 24. 11. 1994 – C-412/93 – Slg. 1995, I-179 = GRUR Int. 1995, 496 Tz. 21– Leclerc-Siplec. 418 Dazu Sack GRUR 1998, 871, 872 f. (m. w. N.). 419 Dazu Kotthoff WRP 1996, 79, 84; Sack WRP 2000, 269, 282 f.; a. A. hingegen Basedow RabelsZ 59 (1995), 1, 50; vgl. Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 55. 420 EuGH 2. 2. 1994 – C 315/92 – Slg. 1994, I-317 = GRUR 1994, 303 – Clinique. Folgender Sachverhalt lag der Entscheidung zugrunde: Das US-Unternehmen Estée Lauder Cosmetics vertrieb unter dem Namen „Clinique“ in den meisten EU-Staaten Produkte einer Kosmetiklinie. In Deutschland war der Vertrieb unter diesem Namen jedoch nicht möglich, da das deutsche Recht gem. § 3 UWG (a. F.) die Verwendung von irreführenden Angaben über die Beschaffenheit von Waren verbot. 421 EuGH 6. 7. 1995 – C-470/93 – Slg. 1995, I-1923 = NJW 1995, 3243 – Mars. Folgender Sachverhalt lag der Entscheidung zugrunde: In Frankreich wurden „Mars“-Schokoladenriegel mit dem Aufdruck „+10 %“ versehen und in der Folge in einer umfassenden Werbekampagne in mehreren EU-Staaten, unter anderem auch in Deutschland, vermarktet und veräußert. Ein deutscher Wettbewerbsverband klagte daraufhin auf der Grundlage des § 3 UWG (a. F.) mit der Behauptung, der Aufdruck sei irreführend. 422 Vgl. dazu Novak in Baudenbacher S. 417; kritisch zu dieser Entscheidung Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 547. 423 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 547. 424 EuGH 24. 11. 1993 – C-267 u. 268/91 – Slg. 1993, I-6097 = GRUR 1994, 296 Tz. 15 ff. – Keck und Mithouard.

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verkehrsfreiheit durch den EuGH425 diskutiert wird.426 Das vertretene Meinungsspektrum reicht dabei von einem prinzipiell materiell-rechtlichen Verständnis des primärrechtlichen Herkunftslandprinzips,427 über die Einordnung als versteckte428 bzw. als negative einseitige Kollisionsnorm429 bis hin zur Bejahung einer positiv auf das Recht des Herkunftslandes verweisenden Kollisionsnorm, die für reine Binnenmarktsachverhalte die allgemeine lauterkeitsrechtliche Marktortanknüpfung nach Art. 6 Rom II-VO verdrängt.430 Da sich der EuGH zu dieser Frage bislang nicht geäußert hat431 und die Bejahung eines 154 kollisionsrechtlichen Gehalts des primärrechtlichen Herkunftslandprinzips unmittelbare Auswirkungen auf die wettbewerbskollisionsrechtliche Beurteilung hätte, muss eine Stellungnahme zu dieser Frage erfolgen. Im Folgenden sollen daher die maßgeblichen Ansichten und die zur ihrer Unterstützung vorgebrachten Argumente kurz skizziert und abschließend einer Bewertung zugeführt werden. Die Vertreter eines materiell-rechtlichen Verständnisses des primärrechtlichen Her155 kunftslandprinzips verneinen grundsätzlich einen kollisionsrechtlichen Gehalt und gehen von einer unionsrechtlichen Überlagerung des durch das maßgebliche Kollisionsrecht zur Anwendung berufenen materiellen Wettbewerbsrechts aus, welches im Interesse der Garantie der Warenverkehrsfreiheit und damit letztlich im Interesse der Erleichterung der Handelsströme im Binnenmarkt korrigiert wird.432 Betont wird daher, dass die Rechtsprechung des EuGH zur Warenverkehrsfreiheit nationales bzw. unionsrechtliches Kollisionsrecht nicht konkretisiere, sondern der EuGH vielmehr das durch eine kollisionsrechtliche Prüfung zur Anwendung berufene Recht zum Ausgangspunkt nimmt, und sich insofern lediglich auf das materielle Recht bezieht.433 Art. 34 AEUV setze eben gerade voraus, dass im Grundsatz ein Recht anwendbar ist, das nicht jenes des Herkunftslandes ist.434 Darüber hinaus komme es auf das Recht des Herkunftslandes auch nicht an, soweit eine Rechtfertigung nach Art. 36 AEUV gelinge oder die 425 In der englisch-sprachigen Debatte um das Herkunftslandprinzip wird der Begriff der gegenseitigen Anerkennung (mutual recognition) bevorzugt verwendet und die Betonung auf die Einschränkung der Regelungsbefugnis des Importstaates gelegt, womit letztlich ein spezifischer Bezug zum Kollisionsrecht vermieden wird und die Frage nach der kollisionsrechtlichen Deutung auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung keine große Rolle spielt. Lediglich de Baere MJ 11 (2004), 287, 289 ff. verweist unter Verwendung des Begriffs „principle of origin“ auch ausdrücklich auf die deutsche Diskussion. Siehe hierzu im Übrigen auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 47. 426 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 49. 427 Vgl. die ausführliche Darstellung bei Bernhard EuZW 1992, 437 ff.; Kort bezeichnet in GRUR Int. 1994, 594, 601 das Verhältnis des europäischen Wettbewerbsrechts zu den nationalen Kollisionsrechten als „friedliche Koexistenz“; Kritik an dieser Ansicht bei MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 49. 428 Siehe hierzu Basedow RabelsZ 59 (1995), 1, 19 ff., 49 ff.; Chrocziel EWS 1991, 173, 177 ff.; Jayme/Kohler IPRax 1991, 361, 369; dies. IPrax 1993, 357, 370 f.; vgl. auch Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 554. 429 Vor allem vertreten durch Brödermann/Iversen Rn. 409. 430 In diesem Sinne etwa Apel/Grapperhaus WRP 1999, 1247, 1250; Ferrari Art. 27 EGBGB Rn. 56 f.; vgl. dazu ebenfalls Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 100 sowie Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 553. 431 Zur Frage, ob Art. 3 der E-CommerceRL einen kollisionsrechtlichen Gehalt hat, siehe EuGH (Große Kammer) 25. 10. 2011 – C-509/09 und C-161/10 – GRUR 2012, 303 Tz. 63, 68 – eDate Advertising, in welcher der Gerichtshof feststellte, dass Art. 3 der E-CommerceRL jedenfalls keine Umsetzung in einer speziellen Kollisionsregel verlange, die Mitgliedstaaten jedoch vorbehaltlich der bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie gestatteten Ausnahmen im koordinierten Bereich sicherstellen müssten, „dass der Anbieter eines Dienstes des elektronischen Geschäftsverkehrs keinen strengeren Anforderungen unterliegt, als sie das im Sitzmitgliedstaat dieses Anbieters geltende Sachrecht vorsieht“; vgl. dazu Sack EWS 2011, 513. 432 Siehe hierzu beispielsweise Bernhard EuZW 1992, 437, 439 f.; Ahrens FS Tilmann, S. 739, 743; Ohly GRUR Int. 2001, 899, 900; Kort GRUR Int. 1994, 594 ff.; Sack WRP 1994, 281, 288 f.; ders. WRP 2000, 269, 280 f. und 282 f.; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 50; Fezer/Koos IPRax 2000, 349, 350 ff.; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 556. 433 Bernhard EuZW 1992, 437, 440. 434 So Ahrens FS Tilmann, S. 739, 743; zustimmend MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 50.

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Regelung im Lichte der zwingenden Erfordernisse des Gemeinwohls als gerechtfertigt angesehen werden müsse.435 Und selbst in dem Fall, in dem Art. 34 AEUV eine Korrektur des Marktortrechtes erfordert, finde keine „Ersetzung“ des Rechts statt, vielmehr ist das Recht des Importstaates schlicht nicht anwendbar und wird insoweit in seinem Anwendungsbereich am Maßstab der Grundfreiheiten beschränkt.436 Dieser Meinung folgend, ordnet der EuGH dementsprechend lediglich die Nichtanwendung einer nationalen (wettbewerbsrechtlichen) Sachnorm an.437 Letztlich bewirke Art. 34 AEUV daher keine Veränderung der kollisionsrechtlichen An- 156 knüpfungspunkte und schaffe kein gemeinschaftsprimärrechtliches Kollisionsrecht.438 Das Wettbewerbskollisionsrecht werde vielmehr weiterhin von der Anknüpfung an das Marktortprinzip bestimmt.439 Art. 34 AEUV führe lediglich zu einer Berücksichtigung der ausländischen Rechtsnormen bei der Anwendung des inländischen Sachrechts und folglich zu einer Nichtanwendbarkeit des Bestimmungslandrechts.440 Insbesondere nach der Entscheidung GB-INNO441 des EuGH mehrten sich jedoch die Stim- 157 men, die der Warenverkehrsfreiheit einen kollisionsrechtlichen Gehalt beimaßen.442 Dieser wurde maßgeblich damit begründet, dass die vom EuGH zur Warenverkehrsfreiheit entwickelte Dogmatik zu einer Verdrängung des marktortspezifisch bestimmten kollisionsrechtlichen Anknüpfungsergebnisses führe, weshalb dem Herkunftslandprinzip insoweit jedenfalls eine (mittelbare) kollisionsrechtliche Wirkung zukomme.443 Verbreitung fand insbesondere die Ansicht, wonach Art. 34 AEUV eine versteckte Kollisi- 158 onsnorm enthalte,444 was zur Folge habe, dass grundsätzlich nach dem Günstigkeitsprinzip445 zu entscheiden sei, ob das Recht des Marktortes oder das des Herkunftslandes Anwendung findet.446 Unter Zugrundelegung dieser Prämissen wird das Marktortprinzip 435 So auch Sack WRP 1994, 281, 288 f.; ders. WRP 2000, 269, 280 f. und 282 f.; ähnlich Fezer JZ 1994, 317, 324; Sonnenberger bezeichnet in ZVglRWiss 95 (1996), 3, 10 f. die Lehre von den „versteckten Kollisionsnormen“ als bloße Erfindung; ihm zustimmend de Baere MJ 11 (2004), 297 ff. 436 Vgl. Sonnenberger ZVglRWiss 95 (1996), 3, 11; Bernhard EuZW 1992, 437, 440; Gebauer IPRax 1995, 152, 155; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 48; Helmberg WBl. 1997, 89, 139; Kort GRUR Int. 1994, 594, 601; Kotthoff S. 23 f.; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 50. 437 Siehe hierzu MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 50; Sack WRP 1994, 281, 291 f. 438 Dethloff S. 280 f.; vgl. die Darstellung bei Baetzgen Rn. 489 ff.; dazu Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 520 ff.; ausführlich auch Höder S. 143 ff. 439 Kort GRUR Int. 1994, 594 ff.; Ahrens FS Tilmann, S. 739, 743; im Ergebnis ebenso Bernhard EuZW 1992, 437, 440; Sack WRP 1994, 281, 288 f.; ders. WRP 2000, 269, 280 f. und 282 f.; Sonnenberger ZVglRWiss 95 (1996), 3, 10 f. bezeichnet die Lehre von den „versteckten Kollisionsnormen“ als bloße Erfindung; zustimmend insoweit de Baere MJ 11 (2004), 297 ff.; Fezer/Koos IPRax 2000, 349, 350 ff.; Ohly GRUR Int. 2001, 899, 900 ff. 440 Vgl. Roth RabelsZ 55 (1991), 623, 667 f. (allg. Ausführungen in Bezug auf das öffentlich-rechtliche Wirtschaftsaufsichtsrecht); ebenso abl. Sack FS Lorenz, S. 659, 663. 441 EuGH 7. 3. 1990 – C-362/88 – Slg. 1990, I-667 = GRUR Int. 1990, 955 – GB-Inno-BM. 442 Basedow RabelsZ 59 (1995) 1, 4 schreibt dem Ansatz des Europäischen Gerichtshofs beispielsweise im Wesentlichen „kollisionsrechtliche Natur“ zu. Siehe auch Drasch S. 312 ff., nach dem das Herkunftslandprinzip in den Grundfreiheiten sowohl eine negative als auch eine positive Verweisungsfunktion besitze. 443 Siehe beispielsweise so Basedow RabelsZ 59 (1995), 1, 49 ff.; Chrocziel EWS 1991, 173, 177 ff.; Jayme/Kohler IPRax 1991, 361, 369; dies. IPrax 1993, 357, 370 f. Ähnlich auch Brödermann/Iversen Rn. 408 ff. 444 So Basedow RabelsZ 59 (1995), 1, 49 ff.; Chrocziel EWS 1991,173, 177 ff.; Jayme/Kohler IPRax 1991, 361, 369; dies. IPrax 1993, 357, 370 f. Kritisch hierzu Sonnenberger ZVglRWiss 95 (1996), 3, 10. 445 Basedow RabelsZ 59 (1995) 1, 15 f.; ähnlich Chrocziel EWS 1991, 173, 178; Jayme/Kohler IPRax 1991, 361, 369; dies. IPRax 1993, 357, 370 f.; vgl. Bernhard EuZW 1992, 437, 439; Remien JZ 1994, 349, 350; in diese Richtung auch Halfmeier ZEuP 2001, 837, 854. 446 So insbes. Jayme/Kohler IPRax 1991, 361, 369; ähnlich Basedow in Schnyder/Heiss/Rudisch S. 11, 20; Chrocziel EWS 1991, 173, 178 f.; Remien JZ 1994, 349, 350; ebenso für eine kollisionsrechtliche Einordnung Brödermann/Iversen Rn. 408 ff., der allerdings die Grenzen der kollisionsrechtlichen Einordnung aufzeigt. Vgl. auch Joerges FS Steindorff, S. 1247, 1252, der kritisiert, dass das Prinzip in „kollisionsrechtlicher Verfremdung“ das Recht des Herkunftslandes zur lex fori des Importlandes mache; vgl. auch Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 100.

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dementsprechend als ein zum gemeinschaftsrechtlichen Herkunftslandprinzip konkurrierendes kollisionsrechtliches Prinzip verstanden, welches nicht generell, sondern nur fallbezogen auf das Recht des Herkunftslandes verweist.447 Die Maßgeblichkeit des strengeren Rechts des Bestimmungslandes im Falle einer Rechtfertigung aufgrund des Art. 36 AEUV bzw. zwingender Erfordernisse wird von den Vertretern dieser Ansicht dabei in der Regel als Anwendungsfall des ordre public angesehen.448 Nicht zuletzt wird das primärrechtliche Herkunftslandprinzip vereinzelt auch als negative 159 einseitige Kollisionsnorm qualifiziert.449 Diesem Verständnis zufolge handelt es sich um eine Kollisionsnorm, der ein Verweisungsgehalt nur für den Fall zukommt, dass das Marktortrecht strenger ist als das Herkunftslandrecht und eine Rechtfertigung nach Art. 36 AEUV ausscheidet.450 Faktisch sei daher von einem ausschließlich auf das Bestimmungslandrecht gerichteten kollisionsrechtlichen Nichtanwendungsbefehl auszugehen.451 Das im konkreten Fall ermittelte Anwendungsverbot des Rechts des Bestimmungslandes weise jedenfalls keine allseitige Regelung zur generellen Bestimmung der auf grenzüberschreitende, wettbewerbsrechtliche Sachverhalte anwendbaren Rechtsordnung auf.452 Im Prinzip nehme das Gemeinschaftsrecht insofern in der IPR-Prüfung eine „ordre-public-ähnliche Funktion wahr“.453 160 Noch einen Schritt weiter gehen die Vertreter, die der EuGH-Rechtsprechung eine positiv auf das Recht des Herkunftslandes verweisende Kollisionsnorm entnehmen wollen, welche mit Blick auf Binnenmarktsachverhalte die allgemeine wettbewerbsrechtliche Marktortanknüpfung verdrängt.454 161 Auch wenn es gewichtige Stimmen für eine kollisionsrechtliche Deutung des primärrechtlichen Herkunftslandprinzips gibt, so kann dennoch festgehalten werden, dass die überwiegende Auffassung in der Literatur der Warenverkehrsfreiheit keinen kollisionsrechtlichen, sondern nur einen sachrechtlichen Gehalt zuschreibt.455

447 Basedow RabelsZ 59 (1995) 1, 15; vgl. Höder S. 155. 448 Siehe beispielsweise Basedow RabelsZ 59 (1995) 1, 19 ff. 449 Siehe beispielsweise Brödermann/Iversen Rn. 409, der feststellt, dass der kollisionsrechtliche Gehalt in zweierlei Hinsicht beschränkt ist: Zum einen wird lediglich ein Nichtanwendungsbefehl erteilt (negativ); zum anderen wird dieser Nichtanwendungsbefehl stets nur mit Blick auf das Recht des Bestimmungslandes ausgesprochen (einseitig). 450 Brödermann/Iversen Rn. 409. 451 Siehe hierzu Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 555 m. w. N. Vgl. auch Staudinger/v. Hoffmann Art. 40 EGBGB Rn. 295. Betont wird in diesem Kontext, dass es mit Blick auf den fehlenden positiven Rechtsanwendungsbefehl auch nicht zu einem echten Konflikt mit anderen gemeinschaftsrechtlichen Kollisionsnormen kommen könne, denn das primärrechtliche Herkunftslandprinzip wirke letztlich ähnlich wie der ordre public-Grundsatz nur als Begrenzung der maßgeblichen wettbewerbsrechtlichen Kollisionsnorm, siehe hierzu Brödermann/Iversen Rn. 409; vgl. Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 555. 452 Brödermann/Iversen Rn. 411. Maßgeblich sei nämlich nur, dass das Marktrecht kein Handelshemmnis für den grenzüberschreitenden Warenverkehr darstelle. Die Frage, auf welchem Wege dies erreicht wird, ist dabei jedoch dem Marktrecht überlassen, s. hierzu Höder S. 153. 453 Brödermann/Iversen Rn. 410. 454 In diesem Sinne etwa Apel/Grapperhaus WRP 1999, 1247, 1250; vgl. dazu ebenfalls Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 100 sowie Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 553. 455 Dazu Ahrens CR 2000, 835, 838; ders. FS Tillmann, S. 739, 743; Gloy/Loschelder/Erdmann/Ahrens § 68 Rn. 34 f.; Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 5.3; Baetzgen Rn. 490 ff.; Dethloff S. 280 f.; Duintjer/Tebbens Rev crit dr i p 83 (1994) 451, 473 ff., 481; Fezer/Koos IPRax 2000, 349, 350 ff.; Gebauer IPRax 1995, 152, 155 f.; Harte/Henning/Glöckner Einl. C Rn. 23; Halfmeier ZEuP 2001, 837, 853; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 101; Höder S. 177; Kotthoff S. 23; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 50; Kur FS Erdmann, S. 629, 637; Martiny FS Drobnig, S. 389, 397; Nettlau, S. 143 ff.; Ohly GRUR Int. 2001, 899, 900 ff.; Reese S. 217 ff.; Rummel/Verschraegen § 48 IPRG Rn. 74; Sack WRP 1994, 281, 288 ff., 291 f.; ders. WRP 2000, 281 f.; ders. WRP 2001, 1408, 1413 ff.; Sonnenberger ZVglRWiss 95 (1996) 3, 11, 25 ff.; Spindler RabelsZ 66 (2002) 633, 649 f.; Staudinger/v. Hoffmann Art. 40 EGBGB Rn. 295; Thünken S. 99 f.; ders. IPRax 2001, 15, 19.

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Dies ist aus verschiedenen systematischen und rechtspolitischen Gründen auch un- 162 mittelbar überzeugend. Zwar kann die Rechtsprechung des EuGH zur Warenverkehrsfreiheit im Einzelfall dazu führen, dass der Anwendungsbereich nationaler Vorschriften aufgrund einer Auslandsberührung eingeschränkt wird, was auf den ersten Blick wie ein kollisionsrechtliches Prinzip erscheint456 – allerdings bestehen erhebliche Unterschiede zwischen dem als gemeinschaftrechtliche Sachnorm wirkenden Herkunftslandprinzip und einer wettbewerbsrechtlichen Kollisionsnorm. Zum einen führt das Herkunftslandprinzip gerade nicht dazu, dass in wettbewerbsrechtlichen Fällen auf seiner Basis stets das Recht des Ursprungslandes berufen wird, vielmehr bleibt im Falle eines Verstoßes gegen Art. 34 AEUV das nationale Recht schlicht unangewendet.457 Zum anderen nimmt der EuGH bei Beantwortung einer Vorabentscheidungsfrage das Ergebnis der kollisionsrechtlichen Beurteilung des vorlegenden Gerichts bereits zum Ausgangspunkt seiner Beurteilung und bezieht sich sodann nur auf das materielle Recht.458 Art. 34 AEUV setzt eben in der Tat gerade voraus, dass im Grundsatz ein Recht anwendbar ist, das nicht jenes des Herkunftslandes ist.459 Auch entspricht die Vorgehensweise des EuGH, der ausgehend von Art. 34 AEUV den Geltungsbereich einer bestimmten nationalen Norm untersucht, nicht dem typischen Vorgehen im Rahmen einer kollisionsrechtlichen Anknüpfung,460 bei dem grundsätzlich vom Rechtsverhältnis bzw. Sachverhalt ausgegangen und dann dessen „Sitz lokalisiert“ wird.461 Darüber hinaus spricht auch aus rechtspolitischer Sicht einiges gegen die Bejahung eines 163 kollisionsrechtlichen Gehalts der Warenverkehrsfreiheit: Zum einen würde die Etablierung eines Binnenmarktkollisionsrechts basierend auf einer kollisionsrechtlichen Deutung des Herkunftslandprinzips zu einer Aufspaltung des Wettbewerbskollisionsrechts in Binnenmarktsachverhalte und Drittstaatensachverhalte führen, welche rechtspolitisch fragwürdig und nicht wünschenswert ist.462 Zum anderen wäre aber auch eine Ausweitung des Herkunftslandprinzips über Binnenmarktsachverhalte hinaus nicht sinnvoll,463 da das Herkunftslandprinzip eng mit dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung innerstaatlicher Rechtsnormen verknüpft ist,464 der europäische Gesetzgeber jedoch keinerlei Einfluss auf das Wettbewerbsrecht von Drittstaaten nehmen kann, und insofern kein berechtigtes Vertrauen in die Effektivität der jeweils anderen Wettbewerbsrechtsordnung besteht.465 Eine Ausweitung des Herkunftslandrechts ist auch aus einem weiteren Grund abzulehnen: 164 Die Anwendung dieses Prinzips hat nämlich zur Folge, dass die Wettbewerber auf demselben räumlichen Markt unterschiedlichen Regelungen unterworfen sind,466 da die inländischen Produkte im Grundsatz weiterhin den Vorgaben des strengeren nationalen Wettbewerbsrechts (Inländerdiskriminierung)467 unterliegen. Dies scheint in Widerspruch zum Gebot der Chancen-

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So auch Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 556, Bernhard EuZW 1992, 437, 440. Bernhard EuZW 1992, 437, 439. Bernhard EuZW 1992, 437, 440; Sonnenberger ZVglRWiss 95 (1996), 3, 10; Ahrens FS Tillmann, S. 739, 747. So Ahrens FS Tilmann, S. 739, 743; zustimmend MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 50; Sonnenberger ZVglRWiss 95 (1996), 3, 10. 460 Bernhard EuZW 1992, 437, 439. 461 Bereits zurückgehend auf die Lehre von Savigny; vgl. dazu Bernhard EuZW 1992, 437, 439. 462 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 538; Ahrens FS Tillmann, S. 739, 743. 463 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 542; Koos WRP 2006, 499, 503. 464 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 542; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 47; Mankowski GRUR Int. 1999, 909, 913. 465 So auch Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 542. 466 Bernhard EuZW 1992, 437, 441. 467 Zur Frage, ob die Inländerdiskriminierung gegen verfassungsrechtliche oder gemeinschaftsrechtliche Vorgaben verstößt, welche den nationalen Gesetzgeber zwingen könnten, die nationalen strengeren Normen auch mit Blick auf inländische Produkte unangewendet zu lassen, vgl. Dethloff S. 273 f., 280 sowie Basedow RabelsZ 59 (1995), 1, 37 f.

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gleichheit aller Wettbewerber auf dem Markt (par conditio concurrentium) zu stehen468 und ist allenfalls im Interesse der uneingeschränkten Verwirklichung des Binnenmarktes und angesichts der Tatsache, dass dieses Problem mit fortschreitender Harmonisierung der rechtlichen Wettbewerbsbedingungen an Bedeutung verlieren wird, hinzunehmen. Eine strikte und generelle Anknüpfung an das Ursprungslandprinzip, wie sie vereinzelt vertreten wird, könnte zudem in jenen Fällen in Widerspruch zur Warenverkehrsfreiheit geraten, in denen das Recht des Herkunftslandes „strenger“ ist.469 Die Warenverkehrsfreiheit und das aus ihr fließende Herkunftslandprinzip dienen von ihrer ratio legis her primär dazu, binnenmarktbeschränkende Wirkungen, die sich aus der Anwendung des Bestimmungslandrechts ergeben, abzubauen.470 Das Herkunftslandrecht kann jedoch gerade nicht stets als das geeignete Recht angesehen werden, um wettbewerbsrechtliche Konstellationen im Interesse des Abbaus von Handelshemmnissen zu regeln. Darüber hinaus würde ein striktes kollisionsrechtliches Verständnis des Art. 34 AEUV auch dazu führen, dass dem Recht des Bestimmungslandes der ihm grundsätzlich über Art. 36 AEUV zugebilligte Regelungsspielraum verschlossen bliebe.471 Nicht zuletzt wäre Konsequenz einer kollisionsrechtlichen Deutung der Grundfreiheiten – darauf weisen auch Hausmann und Obergfell472 hin – die Unvereinbarkeit der Marktortregel mit dem Gemeinschaftsprimärrecht.473 Festgehalten werden kann daher, dass das durch die Rechtsprechung des EuGH zur Warenverkehrsfreiheit etablierte Herkunftslandprinzip keine Bedeutung für die Frage nach dem anwendbaren Recht in einem Fall mit Auslandsbezug hat, es vielmehr nur auf materiellrechtlicher Ebene wirkt, indem es ein binnenmarktwidriges Anknüpfungsergebnis korrigiert.474 Nichtsdestotrotz kann die Warenverkehrsfreiheit, wie gezeigt, Einfluss auf die Bewertung internationaler Sachverhalte haben. Denn immer dann, wenn die Anwendung des durch die gemeinschaftsrechtliche Kollisionsnorm des Art. 6 Rom II-VO berufenen nationalen Wettbewerbsrechts gegen die Warenverkehrsfreiheit verstößt, ist die konkrete nationale Rechtsvorschrift nicht anzuwenden.475 Primäres Gemeinschaftsrecht kann mithin im Einzelfall die Nichtanwendbarkeit des durch das Kollisionsrecht berufenen nationalen Sachrechts zur Folge haben, dieses gleichsam überlagern476 und insofern die Wirkungen der zugunsten der Anwendbarkeit des Inlandsrechts getroffenen kollisionsrechtlichen Entscheidung verdrängen.477 Eine solche Verdrängung des eigentlich anwendbaren Wettbewerbsstatuts, welches durch eine marktortspezifisch ausgerichtete kollisionsrechtliche Anknüpfung berufen wurde, findet jedoch nur statt, wenn das Recht im Verbringungsland ungünstiger ist als jenes im Herkunftsland und keine Rechtfertigung gelingt. Nur in diesem Fall findet mithin für das im Inland vertriebene Produkt das Wettbewerbsrecht des Herkunftsstaates Anwendung.

468 Siehe hierzu auch Bernhard EuZW 1992, 437, 441, der darauf hinweist, dass die Cassis de Dijon-Rechtsprechung in Widerspruch zum Gebot des par conditio concurrentium steht – aber im Interesse der Gewährleistung der Warenverkehrsfreiheit und eines ungehinderten Handels dennoch statt des „lokalen Marktrechts“ das „liberale Ursprungsrecht“ für Warenimporte maßgeblich ist. 469 Siehe hierzu ausführlich Bernhard EuZW 1992, 437, 442. 470 Vgl. Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 566. 471 So auch Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 102 m. w. N.; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 559. 472 Vgl. Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 100. 473 So auch Chrocziel EWS 1991, 173, 177; ähnlich Drasch S. 365; speziell zur Warenverkehrsfreiheit Baetzgen S. 233 ff. 474 So auch Blasi S. 42. 475 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 537. 476 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 539. 477 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 559.

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bb) Kollisionsrechtlicher Gehalt der Dienstleistungsfreiheit? Neben der Warenverkehrs- 169 freiheit hat mit Blick auf das Wettbewerbsrecht vor allem die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) Bedeutung erlangt. Sie wird insbesondere in Fällen des grenzüberschreitenden Vertriebs von Dienstleistungen478 relevant, ihr kann jedoch auch Bedeutung hinsichtlich der Werbedienstleistungen selbständiger Dritter zukommen. Nach Art. 56 AEUV sind Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs479 innerhalb der Union für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, grundsätzlich verboten, wobei die Norm nicht nur die Beseitigung sämtlicher (offener und versteckter480) Diskriminierungen des Dienstleistungserbringers aufgrund seiner Staatsangehörigkeit (Art. 57 Abs. 3 AEUV) untersagt, sondern auch „jeder Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs – selbst wenn sie unterschiedslos für inländische Dienstleistende wie für solche aus den anderen Mitgliedstaaten gilt –, sofern sie geeignet ist, die Tätigkeiten des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, in dem er rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen.“481 Beeinträchtigungen der Dienstleistungsfreiheit lassen sich ebenso wie im Bereich der Wa- 170 renverkehrsfreiheit entweder durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses482 oder durch die in Art. 62 i. V. m. Art. 52 AEUV483 vorgesehenen Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit rechtfertigen, jedenfalls sofern die Verhältnismäßigkeit gewahrt wird.484 Gelingt eine Rechtfertigung nicht und verstößt die nationale Norm des (Wettbewerbs-)Rechts gegen die Dienstleistungsfreiheit, ist sie nicht anzuwenden.

478 Unter Dienstleistungen sind nach Art. 57 Abs. 1 AEUV Leistungen zu verstehen, „die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen“. 479 Ob eine Tatbestandsausnahme im Sinne der oben erwähnten Keck-Rechtsprechung (EuGH 24. 11. 1993 – C-267 u. 268/91 – Slg. 1993, I-6097 = GRUR 1994, 296 Tz. 15 ff. – Keck und Mithouard) im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit in Betracht kommt, ist unklar. Zur Anwendbarkeit der Keck-Formel im Bereich der Dienstleistungsfreiheit vgl. die Entscheidung Alpine Investments, EuGH 10. 5. 1995 – C-384/93 – Slg. 1995, I-1141 = NJW 1995, 2541 – Alpine Investments, in der erstmals die Übernahme der Keck-Formel für den Bereich der Dienstleistungsfreiheit nach ex-Art. 49 EG (= Art. 56 AEUV) im Raum stand. Im konkreten Fall, in welchem eine Regelung des Exportstaates zu beurteilen war, welche die Kontaktaufnahme mit Kunden durch sog. „cold calling“ verbot, diskutierte der EuGH zwar eine analoge Anwendung der Keck-Grundsätze (dazu Steinke Übertragbarkeit, S. 181 ff.), lehnte eine solche Übertragung jedoch letztlich mit der Begründung ab, dass das Verbot der Kontaktaufnahme mit Kunden im Ausland jedenfalls in den Anwendungsbereich von ex-Art. 49 EG falle. Gegenstand des Verfahrens war ein Verbot des niederländischen Finanzministers gegenüber einem in den Niederlanden ansässigen Unternehmen, welches mit potentiellen Kunden ohne vorherige Anmeldung (sog. „cold calling“) Kontakt aufnahm, um Warenterminverträge abzuschließen. Wie die Situation im Falle einer Regelung des Importstaates zu bewerten wäre, ist bislang nicht geklärt. Siehe hierzu ausführlich MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 54. Vgl. zudem EuGH 9. 7. 1997 – C-34/95, C-35/95 und C-36/95 – Slg. 1997, I-3843 = GRUR Int. 1997, 913 Tz. 44 ff., 50 – De Agostini und EuGH 28. 10. 1999 – C-6/98 – Slg. 1999, I-7599 Tz. 47 f., 49 – Pro Sieben Media, in welcher der Gerichtshof das Vorliegen einer Verkaufsmodalität hinsichtlich der Warenverkehrsfreiheit bejaht, bezüglich der Dienstleistungsfreiheit jedoch eine Beeinträchtigung annimmt. 480 EuGH 3. 2. 1982 – 62/81 – Slg. 1982, 223 Tz. 8 – Seco. 481 EuGH (Große Kammer) 8. 9. 2009 – C42/07 – Slg. 2009, I-4221 Tz. 51 – Liga Portuguesa de Futebol Profissional und Bwin International; ebenso EuGH (Große Kammer) 28. 4. 2009 – C-518/06 – Slg. 2009, I-3491 Tz. 62 – Kommission/Italien; EuGH (Große Kammer) 4. 10. 2011 – C-403/08 und C-429/08 – GRUR 2012, 156 Tz. 85 – Murphy. 482 Siehe auch die Aufzählung der zwingenden Gründe des Allgemeininteresses in Art. 4 Nr. 8 und Erwägungsgrund 40 RL 2006/123/EG – ABl. EG L 376 v. 27. 12. 2006, S. 36 ff. (u. a. Schutz der Verbraucher und Dienstleistungsempfänger; Lauterkeit des Handelsverkehrs). 483 Art. 52 AEUV erwähnt zwar nicht den Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums – dieser wird jedoch vom EuGH als zwingender Grund des Allgemeininteresses zur Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit anerkannt, EuGH 18. 3. 1980 – 62/79 – Slg. 1980, 881 = GRUR 1980, 602 Tz. 15 f. – Coditel I; EuGH (Große Kammer) 4. 10. 2011 – C-403/08 und C-429/08 – GRUR 2012, 156 Tz. 94 – Murphy. 484 Vgl. hierzu EuGH 30. 11. 1995 – C-55/94 – Slg. 1995, I-4165 Tz. 37 – Gebhard: Die Maßnahmen „müssen in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden, sie müssen aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses

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Dies bedeutet, dass auch die Dienstleistungsfreiheit im Falle unlauterer Verhaltensweisen das kollisionsrechtlich bestimmte Anknüpfungsergebnis überlagern und zu einer Korrektur des Sachrechts führen kann. Allerdings schafft auch sie selbst kein Kollisionsrecht.485

172 cc) Der Nichtdiskriminierungsgrundsatz in Art. 18 AEUV. Im Rahmen der Diskussion um ein kollisionsrechtliches Prinzip des europäischen Primärrechts wurde auch debattiert, ob dem allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV eine für wettbewerbsrechtliche Sachverhalte maßgebliche Kollisionsregel zu entnehmen sei.486 So wurde argumentiert, das Diskriminierungsverbot erfordere es, dass für auf einem mitgliedstaatlichen Markt tätige ausländische und inländische Wirtschaftsteilnehmer die gleichen Regeln gelten müssten,487 was letztlich eine Anwendung des gemeinschafts(kollisions)rechtlichen Marktortprinzips geboten erscheinen lasse, da diese das Gebot des par conditio concurrentium gewährleiste.488 173 Der EuGH hat die Anwendung von Art. 18 AEUV auf den Fall der Inländerdiskriminierung jedoch bisher abgelehnt, da als Anknüpfungspunkt für die mit Blick auf Art. 34 AEUV eintretende innerstaatliche Schlechterstellung nicht die Staatsangehörigkeit des Marktteilnehmers, sondern die Herkunft der Ware heranzuziehen sei.489 Die Frage, ob dem allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV eine kollisionsrechtliche Bedeutung beizumessen ist, kann mithin noch nicht als abschließend geklärt angesehen werden.490 Mit der überwiegenden Meinung in der Literatur spricht allerdings viel dafür, dieses Prinzip nicht kollisionsrechtlich zu deuten.491

174 d) Gemeinschaftssekundärrecht auf der Grundlage des Herkunftslandprinzips. Die europäische Richtliniengesetzgebung der letzten Jahre weist eine erhebliche Tendenz zur Implementierung des Herkunftslandprinzips (bzw. des damit verwandten Sende- und Ursprungslandprinzips492) auf.493 Dieses findet sich beispielsweise in der E-Commerce-Richtlinie494 sowie in der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste495 (frühere Fernsehrichtlinie496). Zudem fand sich sowohl im Vorschlag der Kommission für eine Dienstleistungsrichtlinie,497 als gerechtfertigt sein, sie müssen geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist“. 485 Dazu Ahrens FS Tilmann, S. 739, 742 f.; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 56; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 377. 486 VgI. Höpping S. 97 ff. 487 Vgl. Bernhard EuZW 1992, 437, 441; allgemein zur kollisionsrechtlichen Bedeutung des gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverbotes auch Roth RabelsZ 55 (1991), 623, 643 ff.; Sonnenberger ZVglRWiss 95 (1996), 3, 15 ff. 488 So Bernhard S. 250; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 568. 489 Siehe EuGH 23. 10. 1986 – 355/85 – Slg. 1986, 3231, 3241 Tz. 9 = NJW 1987, 3069 – Cognet. Vgl. hierzu auch Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 568. 490 Vgl. Roth RabelsZ 55 (1991), 623, 643 ff.; Sonnenberger ZVglRWiss 95 (1996), 3, 15 ff. 491 So sowohl Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 109 als auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 98; im Zusammenhang mit dem Immaterialgüterrecht spricht sich Drexl in FS Dietz, S. 474 für ein ausschließlich fremdenrechtliches Verständnis des Art. 12 I EG aus. Vgl. zu der Problematik Dethloff S. 256 f. 492 Zum Sendelandprinzip vgl. Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 569 sowie Rn. 105. 493 Vgl. Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 426; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 57. Siehe auch Piper/Ohly/ Sosnitza Einf. C Rn. 66. 494 RL 2000/31/EG – ABl. EG L 178 v. 17. 7. 2000, S. 1 ff. 495 RL 2010/13/EU – ABl. EU L 95 v. 15. 4. 2010, S. 1 ff. Zu den jüngsten Änderungen vgl. die am 18. 12. 2018 in Kraft getretene Richtlinie 2018/1808/EU. 496 RL 1989/552/EWG – ABl. EWG L 298 v. 17. 10. 1989, S. 23 ff. 497 Vorschlag 2004/1/COD f. VO – 2004/21/SEK v. 13. 1. 2004.

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auch im Vorschlag für eine Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken498 eine Regelung des Herkunftslandprinzips,499 wobei die Festschreibung in diesen Sekundärrechtsakten aber letztlich an heftigem rechtspolitischem Widerstand scheiterte.500 Soweit das Herkunftslandprinzip im Gemeinschaftssekundärrecht Niederschlag gefunden 175 hat, enthält es im Grundsatz eine an die Mitgliedstaaten gerichtete Anordnung, als Herkunftsstaat die Einhaltung aller innerstaatlichen Normen durch die im Inland niedergelassenen Waren- oder Diensteanbieter zu kontrollieren und sicherzustellen. Diese Verpflichtung wird auch anschaulich als „Kontrolle an der Quelle“ bezeichnet.501 Darüber hinaus impliziert das Herkunftslandprinzip zugleich ein Verbot, die in der konkreten Richtlinie garantierte Freiheit für Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten zu beschränken.502 Wie auf der Ebene des Primärrechts besteht jedoch auch auf der Ebene des Sekundärrechts 176 Streit über einen möglichen kollisionsrechtlichen Gehalt des Herkunftslandprinzips. Und auch die Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben im nationalen Recht, wie die ursprüngliche Normierung des Herkunftslandprinzips im § 4 TDG,503 haben im Schrifttum eine Diskussion dahingehend ausgelöst, ob hiermit eine echte Kollisionsregel504 oder eine sachrechtliche Ausprägung des Herkunftslandprinzips geschaffen wurde.505 Neben bereichsspezifischen rechtspolitischen und dogmatischen Aspekten, die gleich noch näher analysiert werden sollen, ist ein maßgeblicher Kritikpunkt an einer kollisionsrechtlichen Deutung, dass sich der Anwendungsbereich der Richtlinien und damit des sekundärrechtlichen Herkunftslandprinzips allein auf das Verhältnis der EU-Mitgliedstaaten und der Staaten des EWR zueinander bezieht,506 weshalb die Etablierung eines kollisionsrechtlichen Herkunftslandprinzips zu einer Rechtsspaltung führen würde, denn die Kollisionsanknüpfung innereuropäischer Sachverhalte würde von der Anknüpfung im Verhältnis zu Drittstaaten abgespalten.507 Zusätzlich kommt es oftmals auch mit Blick auf den definierten Anwendungsbereich der 177 Richtlinien zu einer weiteren Rechtsspaltung.508 So würde beispielsweise ein kollisionsrechtliches Verständnis des Herkunftslandprinzips in der E-Commerce-Richtlinie den Online-Wettbewerb und ein mögliches kollisionsrechtliches Herkunftslandprinzip in der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste den Wettbewerb mittels grenzüberschreitender Medien mit Blick auf die kollisionsrechtliche Bewertung vom übrigen Wettbewerb abtrennen.509 Derartige gespaltene Anknüpfungen sind aus Sicht des Kollisionsrechts jedoch äußerst unbefriedigend.

498 Vorschlag 2003/134/COD f. VO – 2003/724/SEK v. 18. 6. 2003. 499 So MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 107. 500 Kritik aus der Literatur von Basedow EuZW 2004, 423, 424; Sonnenberger RIW 2004, 321; dazu Staudinger/ Fezer/Koos IntWIR Rn. 426, 575 sowie MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 92 f.; vgl. auch den Beschluss des Bundestages vom 29. 6. 2005 (BTDrucks. 15/5832). 501 Dazu Glöckner WRP 2005, 795 ff. 502 Ohly WRP 2006, 1401, 1403. 503 Vgl. Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr (Elektronischer Geschäftsverkehr-Gesetz, EGG) vom 14. 12. 2001, BGBl I S. 3721. Das TDG wurde durch Art. 5 S. 2 EGG mit Inkrafttreten des Neunten Rundfunkänderungsstaatsvertrages mit Wirkung vom 1. März 2007 aufgehoben. Nachfolgeregelungen finden sich im Telemediengesetz (TMG); vgl. das Gesetz zur Vereinheitlichung von Vorschriften über bestimmte elektronische Informations- und Kommunikationsdienste (EIGVG), BGBl 2007 I S. 179; dazu auch Kitz ZUM 2007, 368 ff. 504 Vgl. etwa Mankowski IPRax 2002, 257, 258 ff.; ders. ZVglRWiss 100 (2001), 137, 179; Staudinger/v. Hoffmann Art. 40 EGBGB Rn. 299; Thünken IPRax 2001, 15, 20. 505 So z. B. Fezer/Koos IPRax 2000, 349, 352; Glöckner ZVglRWiss 99 (2000), 278, 305 f.; Ohly GRUR Int. 2001, 899, 902; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 547 ff., 555 ff. 506 Siehe hierzu auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 56. 507 Vgl. Harte/Henning/Glöckner Einl. C Rn. 64; siehe auch Mankowski GRUR Int. 1999, 909, 914. 508 Vgl. Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 54, 215. 509 Vgl. Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 54, 215.

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Darüber hinaus werden aber noch eine Vielzahl weiterer Bedenken geäußert und diskutiert, weshalb im Folgenden ein genauerer Blick auf die einzelnen Sekundärrechtsakte geworfen und deren kollisionsrechtlicher Gehalt näher untersucht werden soll.

179 aa) Das Herkunftslandprinzip und die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste. Im Interesse einer Liberalisierung der Geschäftstätigkeit im Binnenmarkt und mit dem Ziel, einen einheitlichen europäischen Fernsehmarkt unter Aufhebung aller Beschränkungen der Verkehrsfreiheit und der Gewährleistung fairer Wettbewerbsbedingungen zu schaffen,510 wurde in der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste,511 die eine Neufassung der Fernsehrichtlinie512 darstellt und nunmehr auch nicht-lineare „fernsehähnliche“ Mediendienste513 sowie seit dem Inkraftteten der Änderungsrichtlinie 2018/1808/EU auch Video-Sharing-Platt-

510 Begründung zur RL 1989/552/EWG. Zudem sollte im Interesse der Erleichterung des freien Verkehrs von Informationen und Ideen innerhalb der Gemeinschaft eine Koordinierung der geltenden Rechtsvorschriften, welche die Ausübung der relevanten Berufstätigkeiten betreffen, vorgenommen werden. 511 Die Richtlinie 2010/13/EU trat am 19. 12. 2007 in Kraft (vgl. RL 2010/13/EU – ABl. EU L 95 v. 15. 4. 2010, S. 1 ff.). Sie ist die konsolidierte Fassung der Neufassung der Richtlinie 2007/65/EG, welche wiederum auf die erste Fernsehrichtlinie 89/552/EWG zurückgeht. Zu den jüngsten Änderungen der Richtlinie vgl. die am 18. 12. 2018 in Kraft getretene Richtlinie 2018/1808/EU zur Änderung der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste. Der Begriff audiovisuelle Mediendienste umfasst dabei einerseits Dienstleistungen i. S. d. AEUV, bei denen „der Hauptzweck der Dienstleistung oder ein trennbarer Teil der Dienstleistung darin besteht, unter der redaktionellen Verantwortung eines Mediendiensteanbieters der Allgemeinheit Sendungen zur Information, Unterhaltung oder Bildung über elektronische Kommunikationsnetze bereitzustellen“ (Art. 1 Abs. 1 lit. a Ziff. i RL 2010/13/EU) sowie andererseits audiovisuelle kommerzielle Kommunikation (Art. 1 Abs. 1 lit. a Ziff. ii RL 2010/ 13/EU). Darüber hinaus wurde durch die Änderungsrichtlinie 2018/1808/EU der Anwendungsbereich über audiovisuelle Mediendienste auf Video-Sharing-Plattform-Dienste ausgeweitet. Hierbei handelt es sich um Dienstleistungen i. S. d. AEUV, bei denen „der Hauptzweck der Dienstleistung oder eines trennbaren Teils der Dienstleistung oder eine wesentliche Funktion der Dienstleistung darin besteht, Sendungen oder nutzergenerierte Videos, für die der Video-Sharing-Plattform-Anbieter keine redaktionelle Verantwortung trägt, der Allgemeinheit über elektronische Kommunikationsnetze bereitzustellen, und deren Organisation vom Video-Sharing-Plattform-Anbieter bestimmt wird, auch mit automatischen Mitteln oder Algorithmen, insbesondere durch Anzeigen, Tagging und Festlegung der Abfolge (Art. 1 Abs. 1 lit. aa RL 2010/13/EU). Vgl. hierzu Schöwerling, MR-Int. 2016, 85. Ausgenommen sind Formen der audiovisuellen Kommunikation zu privaten Zwecken und die Bereitstellung audiovisueller Dienste, deren Hauptzweck nicht die Bereitstellung von Programmen ist (vgl. Erwägungsgründe 21, 22 RL 2010/13/EU). Ebenfalls ausgenommen sind im Kontext der neuen Regulierung von Video-SharingPlattform-Diensten nichtwirtschaftliche Tätigkeiten, wie die Bereitstellung audiovisueller Inhalte auf privaten Webseiten und nichtwirtschaftlichen Interessengemeinschaften (vgl. Erwägungsgrund 6 RL 2018/1808/EU). Ausführlich zur Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste und ihre Bedeutung für das Lauterkeitsrecht Heinze Rn. 382 ff. 512 Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit. Siehe hierzu bereits Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 365 ff. Zur Kommissionsbegründung KOM (86) 146 siehe die Beilage 5/86 zum Bulletin der Europäischen Gemeinschaft. 513 Unter lineare audiovisuelle Mediendienste fallen reguläre Fernsehprogramme; audiovisuelle Mediendienste auf Abruf bilden die nichtlinearen audiovisuellen Mediendienste. Vgl. dazu die Legaldefinition in Art. 1 lit. a i. V. m. lit. e und g der RL über audiovisuelle Mediendienste. Erfasst werden damit Internet- oder mobiles Fernsehen sowie das sogenannte Bezahlfernsehen, bei dem die Zuschauer eine Auswahl treffen können, zum Beispiel über Videoabruf. Allerdings unterfallen interaktive On-Demand-Dienste nach der Auslegung der Fernseh-RL durch den EuGH 2. 6. 2005 – C-89/04 – Slg. 2005, I-4891 = NJW 2005, 3056 Tz. 39 – Mediakabel nicht unter den Begriff der Fernsehtätigkeit. Zur Entstehungsgeschichte und zum Anwendungsbereich der RL vgl. Stender-Vorwachs/Theißen ZUM 2007, 613 ff. Zum Begriff der audiovisuellen Mediendienste Kleist/Scheuer MMR 2006, 127, 128 ff.; W. Schulz EuZW 2008, 107, 108 f.; Stender-Vorwachs/Theißen ZUM 2007, 613, 615 f.

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II. Rechtsquellen des Internationalen Wettbewerbsprivatrechts

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form-Dienste514 erfasst, das ursprünglich als Sendelandprinzip515 bezeichnete Herkunftslandprinzip etabliert.516 Danach ist jeder Mitgliedstaat verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass „alle audiovisuellen Mediendienste, die von seiner Rechtshoheit unterworfenen Mediendiensteanbietern übertragen werden, den Vorschriften des Rechtssystems entsprechen, die auf für die Allgemeinheit bestimmte audiovisuelle Mediendienste in diesem Mitgliedstaat anwendbar sind“ (Art. 2 Abs. 1). Erfasst werden hiervon beispielsweise das Gebot der Erkennbarkeit von Fernsehwerbung und Teleshopping sowie ihre Trennung vom redaktionellen Programminhalt (Art. 19).517 Nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie gewährleisten die Mitgliedstaaten zudem den freien Emp- 180 fang und behindern nicht die Weiterverbreitung von Sendungen aus einem anderen Mitgliedstaat in ihrem Hoheitsgebiet „aus Gründen, die Bereiche betreffen, die durch diese Richtlinie koordiniert sind“. Art. 2 Abs. 2 und 3 der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste regeln zudem, dass der Mediendiensteanbieter der Rechtshoheit des Mitgliedstaates unterliegt, in dem er niedergelassen ist. Dies bedeutet, dass der Herkunftsstaat einerseits eine exklusive Kontrolle ausübt, diese jedoch andererseits auf den durch die Richtlinie koordinierten Bereich beschränkt ist. In der Entscheidung „De Agostini“,518 die zwar noch die Fernsehrichtlinie betraf, aber 181 auch mit Blick auf die Änderungsrichtlinien Bedeutung behält,519 hat der EuGH den koordinierten Bereich der Richtlinie allerdings recht eng verstanden. So regele diese zwar auch werberechtliche Fragen – außerhalb des koordinierten Bereichs fallen jedoch jene Regelungen, die nicht spezifisch die Tätigkeit von Fernsehanstalten betreffen, sondern vielmehr allgemein der Lauterkeit des Handelsverkehrs und dem Verbraucherschutz dienen.520 Dem Empfangsmitgliedstaat bleibt es daher unbenommen, nationale Vorschriften, die allge- 182 mein dem Schutz der Verbraucher vor irreführender Werbung521 oder dem Schutz der öffentlichen Ordnung dienen, anzuwenden, soweit hierduch keine zweite Sendungskontrolle eingeführt und die Weiterverbreitung von audiovisuellen Mediendiensten aus anderen Mitgliedstaaten nicht verhindert wird.522 Für diese jenseits des koordinierten Bereichs liegenden Gebiete gelten damit die allgemeinen lauterkeitsrechtlichen Kollisionsregeln des autonomen Rechts523 bzw. für Sach-

514 Vgl. Art. 1 Abs. 1 lit. aa und Erwägungsgrund 6 RL 2018/1808/EU RL 2010/13/EU. Siehe hierzu auch EuGH 2. 6. 2005 – C-89/04 – Slg. 2005, I-4891 = NJW 2005, 3056 Tz. 39 – Mediakabel sowie Schöwerling, MR-Int. 2016, 85. 515 Die RL über audiovisuelle Medien erfasst nicht nur das „Senden“, weshalb sich die Begrifflichkeit auch im Richtlinientext (RL 2007/65/EG) änderte. 516 Vgl. insbesondere Erwägungsgründe 7 und 27 der RL 2007/65/EG; siehe auch Stender-Vorwachs/Theißen ZUM 2007, 613, 616. Zu den Gründen der Implementierung des Herkunftslandprinzips und seiner Ausgestaltung näher Blasi S. 46 ff. 517 Zum Anwendungsbereich des Herkunftslandprinzips der Fernsehrichtlinie eingehend Blasi S. 175 ff. Zur Beurteilung grenzüberschreitender Werbung in audiovisuellen Mediendiensten siehe Sack, WRP 2015, 1281 ff. sowie 1417 ff. 518 EuGH 17. 9. 1996 – C-34/95 – Slg. 1997, I-3843 = GRUR Int. 1997, 913 Tz. 28 ff. – De Agostini. 519 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 57. 520 EuGH 17. 9. 1996 – C-34/95 – Slg. 1997, I-3843 = GRUR Int. 1997, 913 Tz. 34 – De Agostini. Ansonsten würden die Angleichungsmaßnahmen im Lauterkeitsrecht (beispielsweise Richtlinie 84/450/EWG, heute Richtlinie 2006/114/ EG) im Bereich der Fernsehwerbung ihre Bedeutung verlieren. Siehe zudem Erwägungsgrund 82 RL 2010/13/EU. 521 So bereits zur Fernsehrichtlinie EuGH 17. 9. 1996 – C-34/95 – Slg. 1997, I-3843 = GRUR Int. 1997, 913 ff. – De Agostini; in diesem Sinne auch schon Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 374; Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 5.23; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 535; vgl. auch Micklitz/Keßler GRUR Int. 2002, 885, 888 f.; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 103. Kritisch dagegen Blasi S. 237 ff. Dies macht auch Erwägungsgrund 56 der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste deutlich, wonach für unlautere Geschäftspraktiken und dabei auch für irreführende und aggressive Praktiken in audiovisuellen Mediendiensten die Lauterkeitsrichtlinie greift. 522 EuGH 9. 7. 1997 – C-34/95, C-35/95 und C-36/95 – Slg. 1997, I-3843 = GRUR Int. 1997, 913 Tz. 33 f., 38 – De Agostini; EuGH 22. 9. 2011 – C-244/10 und C-245/10 – GRUR Int. 2012, 53 Tz. 48 ff. – Mesopotamia Broadcast. 523 Ebenso zur Fernsehrichtlinie Dethloff S. 52; Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 372 ff.; Staudinger/v. Hoffmann Art. 40 EGBGB Rn. 300; s. auch Kort GRUR Int. 1994, 594, 601.

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

verhalte nach dem 11. 1. 2009524 die nach Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO maßgebliche Marktortanknüpfung.525 183 Das in der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste etablierte und durch die Richtlinie 2018/1808/EU gestärkte Herkunftslandprinzip zwingt die Empfangsstaaten mithin einerseits dazu, die rechtlichen Bedingungen des Ursprungsstaates zu akzeptieren, andererseits wird der Sendestaat verpflichtet, eine Sendekontrolle wahrzunehmen.526 Hierdurch wird die grenzüberschreitende Tätigkeit von Fernsehveranstaltern erheblich erleichtert und das Ziel der Richtlinie, den Anbietern den Übergang von einem nationalen Markt zu einem gemeinsamen Markt für die Herstellung und Verbreitung von Programmen zu sichern, in die Praxis umgesetzt. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang zudem, dass der Empfangs- oder Abrufstaat mit Blick auf das sekundärrechtliche Herkunftslandprinzip im Unterschied zu den Grundfreiheiten des Primärrechts die Anwendung eigenen Rechts nicht mehr mit zwingenden Erfordernissen des Gemeinwohls begründen kann. Das sekundärrechtliche Herkunftslandprinzip nimmt den Mitgliedstaaten mithin die im Bereich des primärrechtlichen Herkunftslandprinzips grundsätzlich bestehende Möglichkeit der Rechtfertigung.527 184 Aufgrund der klaren Formulierung wird dem Herkunftslandprinzip der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste überwiegend528 ein kollisionsrechtlicher Gehalt beigemessen.529 Im Ergebnis führt die Richtlinie über audiovisuelle Medien entsprechend ihrer Zielsetzung daher zu einer weiteren Liberalisierung der Geschäftstätigkeit im Binnenmarkt und ermöglicht letztlich den Anbietern audiovisueller Mediendienste die Wahl der für sie günstigsten Rechtsordnung (sog. „forum shopping“) durch einen Wechsel des Niederlassungsstaates.530

bb) Das Herkunftslandprinzip und die E-Commerce-Richtlinie 185 (1) Anwendungsbereich. Die intensivsten Diskussionen wurden und werden jedoch mit Blick auf den Rechtscharakter des in der Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr vom 8. 6. 2000531 etablierten Herkunftslandprinzips (Binnenmarktregel) geführt.532 Die E-Commerce-Richtlinie, deren Ziel es ist, den Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft zwischen den Mitgliedstaaten sicherzustellen und auf diese Weise einen Beitrag zum Funktionieren des Binnenmarktes zu leisten (Art. 1 Abs. 1 Richtlinie 2000/31/EG), enthält in Art. 3 Abs. 1 eine Regelung, wonach jeder Mitgliedstaat dafür Sorge zu tragen hat, „dass die Dienste

524 Zum Streit um die zeitliche Anwendbarkeit der Rom II-VO siehe Rn. 169 sowie EuGH 17. 11. 2011 − C-412/10 – NJW 2012, 441 f. Tz. 37 – Deo Antoine Homawoo/GMF Assurances SA; siehe zu den Schlussanträgen des Generalanwalts Paolo Mengozzi v. 6. 9. 2011 auch Sujecki EuZW 2011, 815; sowie Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 154; v. Hein ZEuP 2009, 6, 10 f.; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 37. 525 Vgl. Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 120. 526 Ahrens FS Tilmann, S. 739, 744. Halfmeier ZEuP 2001, 837, 855 bezeichnet dies als „Anerkennungs- und Vertrauensprinzip“. 527 Vgl. MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 55. 528 Vgl. (teilweise noch zur Fernseh-RL) AnwKommBGB/Wagner Art. 40 EGBGB Rn. 72; v. Bar/Mankowski § 3 Rn. 88; Dethloff S. 51 ff.; dies. JZ 2000, 179, 180; Kort GRUR Int. 1994, 594, 601; Kotthoff S. 34 f.; Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 159, 365 ff.; Lehmler UWG Einl. Rn 58; Mankowski ZVglRWiss 100 (2001), 137, 142 f.; MünchKommBGB/ Kreuzer Art. 38 EGBGB Rn. 227a; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 99; Staudinger/v. Hoffmann Art. 40 EGBGB Rn. 300; Reithmann/Martiny/Obergfell IVR Rn. 1773; Sack WRP 1994, 281, 284; Schack MMR 2000, 59, 62; Schricker GRUR Int. 1990, 771, 774 f.; Schricker/Henning-Bodewig WRP 2001, 1367, 1370; Thünken S. 51; ders. IPRax 2001, 15, 19 – A.A. Ahrens FS Tilmann, S. 739, 744 f.; Baetzgen S. 290 Rn. 734; Blasi S. 267 ff.; Halfmeier ZEuP 2001, 837, 858; Piper/Ohly/Sosnitza Einf. C Rn. 78; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 572; zweifelnd auch Harte/Henning/ Glöckner Einl. C Rn. 28 ff. sowie Sack WRP 2008, 845, 858; ders. WRP 2015, 1281; ders. WRP 2015, 1417. 529 Vgl. zur Umsetzung der Richtlinie ins deutsche Recht BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 124. 530 Vgl. dazu Lehmann EuZW 2000, 517, 518; auch Hoeren MMR 1999, 192, 194. 531 RL 2000/31/EG – ABl. EG L 178 v. 17. 7. 2000, S. 1 ff. 532 Siehe hierzu auch Spindler RabelsZ 66 (2002), 633, 635.

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der Informationsgesellschaft, die von einem in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen Diensteanbieter erbracht werden, den in diesem Mitgliedstaat geltenden innerstaatlichen Vorschriften entsprechen, die in den koordinierten Bereich fallen“. Absatz 2 ergänzt, dass die Mitgliedstaaten „den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat nicht aus Gründen einschränken (dürfen), die in den koordinierten Bereich fallen“.533 Die sog. E-Commerce-Richtlinie löst sich mithin von einer umfassenden Regelungszustän- 186 digkeit des Empfangs- und Abrufstaates und verweist letztlich auf das Recht im Herkunftsland.534 Diensteanbieter mit Sitz in einem EU-Mitgliedstaat müssen sich folglich nur an den nationalen Rechtsnormen ausrichten, bestehende strengere Anforderungen in einem anderen Mitgliedstaat, in welchem ihr Angebot unter Umständen auch abgerufen werden kann, müssen sie hingegen nicht beachten.535 Hierdurch sollen ein einheitlicher Rechtsrahmen für den elektronischen Geschäftsverkehr (electronic commerce) im Binnenmarkt geschaffen und bestehende Beschränkungen ausgeschlossen werden.536 Problematisch ist jedoch die Reichweite537 der als „Herzstück“538 der E-Commerce-Richtli- 187 nie bezeichneten Binnenmarktklausel,539 denn Art. 2h der E-Commerce-Richtlinie definiert den „koordinierten Bereich“ deutlich weiter, als dies der EuGH in „De Agostini“540 mit Blick auf die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste getan hat.541 So unterfallen nach Art. 2h der ECommerce-Richtlinie alle rechtlichen Anforderungen, die das Rechtssystem der Mitgliedstaaten an Dienste der Informationsgesellschaft und deren Anbieter stellt, dem koordinierten Bereich, und zwar unabhängig davon, ob diese Anforderungen speziell an solche Dienste und Anbieter gestellt werden oder nicht. Unter „Diensten der Informationsgesellschaft“ im Sinne der Richtlinie sind dabei alle in 188 der Regel gegen Entgelt, elektronisch, im Fernabsatz und auf individuellen Abruf erbrachten Dienstleistungen und damit im Grunde sämtliche wirtschaftliche Online-Aktivitäten zu verstehen.542 Die E-Commerce-Richtlinie nennt in Erwägungsgrund 18 beispielhaft den Online-Verkauf von Waren, Online-Informationsdienste, kommerzielle Kommunikation oder Dienste, die Instrumente zur Datensuche, zum Datenzugang und zur Datenabfrage bereitstellen.543 Erfasst werden aber auch Dienste, die Informationen über ein Kommunikationsnetz übermitteln, die Zugang zu Kommunikationsnetzen bieten, und „Punkt-zu-Punkt“-Dienste, wie beispielsweise Video-on-

533 Zur Frage der Anwendbarkeit des Art. 3 Abs. 1 und 2 E-Commerce-RL siehe auch EuGH v. 15. 3. 2012 – C-292/ 10 – GRURInt 2012, 544 ff., in welcher das Gericht feststellte, dass dieser nur anwendbar ist, „wenn der Mitgliedstaat, in dessen Gebiet der Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft tatsächlich niedergelassen ist, feststeht.“ Dies zu prüfen, obliege dem vorlegenden Gericht. Keine Anwendung findet Art. 3 daher, wenn der Ort der Niederlassung unbekannt ist. 534 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 55; Sack EWS 2010, 70, 71; ders. EWS 2011, 65, 66. 535 Lehr NJW 2012, 705, 709. 536 Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 3.46. Neben der Anordnung des Herkunftslandprinzips hinsichtlich des koordinierten Bereichs, sieht die Richtlinie auch eine Harmonisierung des Sachrechts, beispielsweise mit Blick auf die Zulassungsfreiheit (Art. 4), die Informationspflichten (Art. 5, 6), die kommerzielle Kommunikation reglementierter Berufe (Art. 8) u. a., vor. 537 Die Reichweite des Herkunftslandprinzips der E-CommerceRL wird dabei maßgeblich durch die Abgrenzung des „koordinierten Bereichs“ bestimmt. Siehe Micklitz/Keßler GRUR Int. 2002, 885, 889; s. hierzu auch Blasi S. 324 ff.; Dethloff S. 55; Thünken S. 66 f. 538 KOM (2003), 702 endg. S. 4, auf S. 9 dann als „Kernstück der Richtlinie“ bezeichnet. 539 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 121. 540 Zur engen Auslegung des „koordinierten Bereiches“ s. EuGH 9. 7. 1997 – C-34/95 – Slg. 1997, I-3843 = GRUR Int. 1997, 913 ff. – De Agostini. 541 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 58; Dethloff S. 55. 542 Definition im Sinne von Art. 1 Nr. 2 der RL 1998/34/EG – ABl. EG L 204 v. 21. 7. 1998, S. 37 ff. (Transparenz-RL) in der Fassung der RL 1998/48/EG – ABl. EG L 217 v. 5. 8. 1998, S. 18 ff., so in Art. 2a der E-Commerce RL. 543 Vgl. Erwägungsgrund 18 E-CommerceRL.

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Demand.544 Nicht als Dienste der Informationsgesellschaft zu qualifizieren sind hingegen Fernseh- und Hörfunksendungen.545 189 Nach Art. 2i E-Commerce-Richtlinie werden schließlich alle Anforderungen in Bezug auf die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit eines Dienstes der Informationsgesellschaft und damit auch alle anwendbaren Normen des Werbe- und Wettbewerbsrechts erfasst,546 einschließlich der von der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken geregelten Bereiche.547 Nicht in den koordinierten Bereich fallen hingegen nach Art. 2h, ii E-Commerce-Richtlinie Regelungen, die Anforderungen aufstellen betreffend die Waren als solche, die Lieferung von Waren, sowie betreffend Diensten, die nicht auf elektronischem Wege erbracht werden. Zu beachten ist zudem, dass die E-Commerce-Richtlinie im Anhang zahlreiche Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip festlegt.548 Art. 3 Abs. 4 bis Abs. 6 erlaubt es den Mitgliedstaaten zudem, unter bestimmten engen Voraussetzungen Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Sicherheit sowie zum Schutz der Verbraucher zu ergreifen, selbst wenn diese einen Verstoß gegen die Binnenmarktregel zur Folge haben.549 190 Zusammenfassend lässt sich mithin festhalten, dass jedenfalls alle lauterkeitsrechtlichen Vorschriften, die Werbe- bzw. Wettbewerbsmaßnahmen im Internet betreffen,550 in den Anwendungsbereich des Herkunftslandprinzips fallen. Ausgenommen sind jedoch unter anderem die gewerblichen Schutzrechte und das Urheberrecht, die Freiheit der Rechtswahl der Vertragsparteien,551 vertragliche Schuldverhältnisse in Bezug auf Verbraucherverträge sowie die Regeln über die Zulässigkeit nicht angeforderter kommerzieller Kommunikation mittels elektronischer Post, die sog. Spam-Mails.552

191 (2) Abgrenzung zur Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste. Aufgrund der Neufassung der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste, die einen gegenüber der Fernsehrichtlinie erweiterten Anwendungsbereich zur Folge hat, ergeben sich Überschneidungen mit der E-Commerce-Richtlinie, insbesondere im Online-Bereich.553 Art. 4 Abs. 7 der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste sieht insofern vor, dass die Richtlinie 2000/31/EG Anwendung findet, soweit nichts anderes geregelt ist.554 Im Grundsatz ist daher von einer parallelen Anwendbarkeit der ECommerce-Richtlinie auszugehen.555 Im Falle einer Kollision soll jedoch die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste Vorrang genießen – jedenfalls soweit nichts anderes geregelt ist.556

544 Vgl. Erwägungsgrund 18 E-CommerceRL. 545 Erwägungsgrund 18 E-CommerceRL; s. zur Ausnahme von Domainnamen Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 578.

546 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 58; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 578; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 122.

547 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 578; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 122. 548 Micklitz/Keßler GRUR Int. 2002, 885, 889; darunter findet sich eine Ausnahme speziell für das Wettbewerbsrecht: Zulässigkeit nicht angeforderter kommerzieller Kommunikation mittels elektronischer Post. 549 Vgl. hierzu Sack WRP 2001, 1408, 1421 sowie Spindler RabelsZ 66 (2002) 633, 673 ff. 550 Piper/Ohly/Sosnitza Einf. C Rn. 71. 551 Zum bestehenden Streit, ob damit das gesamte internationale Vertragsrecht vom Anwendungsbereich der ECommerceRL ausgenommen ist, siehe Mankowski IPRax 2002, 257, 264 f.; Spindler RabelsZ 66 (2002) 633, 666; Thünken S. 88 f. 552 Vgl. Anhang E-CommerceRL. 553 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 122; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 59. 554 Siehe Art. 1 Abs. 5 Richtlinie 2018/1808/EU zur Änderung der Richtlinie 2010/13/EU über audiovisuelle Mediendienste. 555 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 59. 556 Art. 4 Abs. 8 der RL über audiovisuelle Mediendienste, RL 2010/13/EU – ABl. EU L 95 v. 15. 4. 2010, S. 1 ff.

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II. Rechtsquellen des Internationalen Wettbewerbsprivatrechts

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Drexl557 weist darauf hin, dass im Lichte der „De Agostini“- Rechtsprechung des EuGH558 192 mit Blick auf das Herkunftslandprinzip durchaus Unterschiede im Regelungsgehalt bestehen, und daher die Frage aufkommen kann, ob einem Diensteanbieter im Anwendungsbereich beider Richtlinien eine Berufung auf das Herkunftslandprinzip der E-Commerce-Richtlinie möglich ist, um der Anwendung einer nicht medienspezifischen allgemeinen wettbewerbsrechtlichen Regelung des Abrufstaates zu entgehen. Im Ergebnis plädiert er überzeugend dafür, die Anwendbarkeit der E-Commerce-Richtlinie zu bejahen, da die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste den Abrufstaat nicht verpflichtet, sein strengeres nationales Recht anzuwenden.559 Zudem fehlt es in diesem Fall an einer Kollision, da derartige Regelungen nach der Rechtsprechung des EuGH in „De Agostini“560 nicht zum koordinierten Bereich der Richtlinie über audiovisuelle Medien gehören, weshalb die E-Commerce-Richtlinie uneingeschränkt greift.561

(3) Der Streit um den kollisionsrechtlichen Charakter des Herkunftslandprinzips. Der 193 Streit um den kollisionsrechtlichen Charakter des Herkunftslandprinzips, der schon auf der Ebene des Primärrechts geführt wurde und nach wie vor geführt wird,562 setzte sich naturgemäß auch auf der Ebene des Sekundärrechts, und in besonderem Maße mit Blick auf das Herkunftslandprinzip der E-Commerce-Richtlinie, fort. Die in Art. 3 E-Commerce-Richtlinie gefasste Regelung ist jedenfalls nicht eindeutig formuliert und auch der Europäische Gerichtshof hat sich bisher nicht eindeutig zum Rechtscharakter dieses Prinzips geäußert.563 Vielmehr hat er in der „eDate Advertising“-Entscheidung vom 25. 10. 2011 lediglich festgestellt, dass die Regelung keine Umsetzung in Form einer speziellen Kollisionsnorm verlange,564 sondern auch als sachrechtliche Rechtsanwendungsschranke ausgestaltet werden kann.565 Die mit Blick auf das sekundärrechtliche Herkunftslandprinzip entbrannte heftige Diskussi- 194 on566 darüber, ob es sich bei der Normierung um eine Regel des Internationalen Privatrechts

557 558 559 560 561

MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 59. EuGH 9. 7. 1997 – C-34/95 – Slg. 1997, I-3843 = GRUR Int. 1997, 913 ff. – De Agostini. MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 59. EuGH 9. 7. 1997 – C-34/95 – Slg. 1997, I-3843 = GRUR Int. 1997, 913 ff. – De Agostini. Dies ergibt sich auch aus dem Erwägungsgrund Nr. 82 der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste, RL 2010/13/EU – ABl. EU L 95 v. 15. 4. 2010, S. 9. Dort unterscheidet der Richtliniengeber auch terminologisch zwischen den „Praktiken, die unter die vorliegende Richtlinie fallen“ und den durch die RL 2005/29/EG geregelten unlauteren Geschäftspraktiken. 562 Vgl. hierzu Rn. 85 ff. 563 So auch Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 132a. 564 EuGH (Große Kammer) 25. 10. 2011 – C-509/09 und C-161/10 – GRUR 2012, 303 Tz. 63, 68 – eDate Advertising. Konkret stellte der Gerichtshof fest, dass Art. 3 der E-CommerceRL keine Umsetzung in einer speziellen Kollisionsregel verlange, die Mitgliedstaaten jedoch vorbehaltlich der bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 3 Abs 4 der Richtlinie gestatteten Ausnahmen im koordinierten Bereich sicherstellen müssten, „dass der Anbieter eines Dienstes des elektronischen Geschäftsverkehrs keinen strengeren Anforderungen unterliegt, als sie das im Sitzmitgliedstaat dieses Anbieters geltende Sachrecht vorsieht.“; nach MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 66 f. hat der EuGH die kollisionsrechtliche Deutung des Herkunftslandprinzips ausdrücklich verneint, jedoch Spielraum für eine kollisionsrechtliche Umsetzung gelassen; ähnlich BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn.116, die betonen, dass der EuGH eine kollisionsrechtliche Umsetzung des Herkunftslandprinzips zwar nicht ausgeschlossen hat, jedoch eher dazu tendiert, das Herkunftslandsprinzip als sachrechtliches Korrektiv zu verstehen; ebenso Nettlau S. 159 f. 565 Siehe hierzu auch Robak GRUR-Prax 2012, 306; Piper/Ohly/Sosnitza Einf. C Rn. 79; Wolter jurisPR-ITR 18/2012 Anm. 3; Pfeiffer IPRax 2014, 360, 361; Bauermann S. 68; Roth IPRax 2013, 215; Sack WRP 2013, 1545, 1549, ders. WRP 2013, 1407, 1410. 566 Lurger/Vallant RIW 2002, 188, 191 sowie dies. MMR 2002, 203, 203, die feststellen, dass das Herkunftslandprinzip der E-CommerceRL mit Blick auf sein Verhältnis zum Kollisionsrecht und den Grundfreiheiten „eine der undurchschaubarsten, aber auch folgenreichsten Regelungen“ der RL darstellt. Hoeren MMR 1999, 192, 195 bezeichnet diese Problematik als eine der „dunkelsten Stellen der Richtlinie“. Siehe hierzu Apel/Grapperhaus WRP 1999, 1247,

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handelt oder ob darin nur ein sachrechtliches Prinzip zu sehen ist,567 hat sich mithin (auch vor dem Hintergrund der Etablierung der Rom II-VO568) nicht erledigt.569 195 Die Debatte um die Rechtsnatur des Herkunftslandprinzips zieht sich schon über Jahre hin, beginnend bereits während der Entstehung der E-Commerce-Richtlinie und fortgeführt noch nach Umsetzung des Herkunftslandprinzips im deutschen Recht (zunächst in §§ 4 Abs. 1 sowie 2 TDG und später in § 3 Abs. 1 und 2 TMG).570 Gestritten wird dabei nicht nur über rechtsdogmatische Fragen – auch aus rechtspolitischer Sicht wird diskutiert, ob das Herkunftslandprinzip überhaupt geeignet ist, der Probleme, die sich insbesondere aus der Ubiquität des Internets ergeben, Herr zu werden,571 oder ob die Etablierung eines solchen Prinzips nicht vielmehr zu einer Absenkung bestehender Verhaltensstandards in Europa, einem „race to the bottom“ führt.572 Im Folgenden soll daher ein grober Überblick über die maßgeblichen Ansichten und Argumente gegeben werden und eine kurze Stellungnahme erfolgen.

196 (aa) Meinungsstand. Ein Teil der Literatur sah im Herkunftslandprinzip der E-CommerceRichtlinie eine kollisionsrechtliche Norm in Form einer Gesamtverweisung.573 Diesem Verständnis folgend wurde davon ausgegangen, dass Art. 3 auf das Sach- und Kollisionsrecht des Herkunftslandes verweist, welches im Ergebnis frei ist, eine vom Herkunftslandprinzip abweichende Anknüpfung nach dem Marktortprinzip vorzunehmen.574 Dem Herkunftslandprinzip wurde mithin ein kollisionsrechtlicher Charakter beigemessen, der jedoch die Anknüp-

1259; Bodewig GRUR Int. 2000, 475, 482 f.; Fritze/Holzbach WRP 2000, 872, 875; Glöckner ZVglRWiss 99 (2000), 278, 306; Harte/Henning/Glöckner Einl. C Rn. 35; Henning-Bodewig GRUR Int. 1999, 233, 239 f.; Hoeren MMR 1999, 192, 194; Lurger/Vallant RIW 2002, 188, 194; Mankowski GRUR Int. 1999, 909, 914 f.; Micklitz/Kessler GRUR Int. 2002, 885, 888; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 126; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 598; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 123 ff.; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 62 ff.; Nettlau S. 150 ff.; BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn.114 ff.; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 578; Sack WRP 2013, 1407 (Art. 3 Abs. 2 ECommerce- Richtlinie); ders. WRP 2013, 1545 (Art. 3 Abs. 1 E.Commerce-Richtlinie). 567 Zwischen diesen beiden Polen finden sich zudem vermittelnde Vorschläge, die entweder stärker zu einem materiell-rechtlichen oder aber einem kollisionsrechtlichen Verständnis tendieren. Ausführlich zur Diskussion um den kollisionsrechtlichen Gehalt des Herkunftslandprinzips in der E-CommerceRL sowie im TDG MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 62 ff.; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 48 ff.; Nettlau S. 150 ff.; Sack EWS 2011, 513, 514 ff.; ders. WRP 2013, 1407 (Art. 3 Abs. 2 E-Commerce- Richtlinie); ders. WRP 2013, 1545 (Art. 3 Abs. 1 E.Commerce-Richtlinie). 568 Geht man nämlich von einem sachrechtlichen Verständnis des Herkunftslandprinzips der E-Commerce-Richtlinie aus, würde eine autonome mitgliedstaatliche Kollisionsnorm in Form des § 3 TMG (mit Ausnahme von sog. Altfällen) durch das höherrangige unionsrechtliche Marktortprinzip, welches nach Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO universelle Anwendung findet, verdrängt. Bejaht man hingegen ein kollisionsrechtliches Verständnis des in der E-CommerceRichtlinie niedergelegten Herkunftslandprinzips, würde die Marktortanknüpfung nach Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO wegen Art. 27 Rom II-VO von einem kollisionsrechtlichen Herkunftslandprinzip verdrängt. Die Frage, ob die E-Commerce-Richtlinie in Art. 3 eine Kollisionsnorm enthält, ist mithin nach wie vor von Bedeutung. Siehe hierzu ausführlich und mit Nachweisen Rn. 151. 569 Nach MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 67 hat der dogmatische Streit über die Einordnung des sekundärrechtlichen Herkunftslandprinzips mit der Entscheidung des EuGH an praktischer Bedeutung verloren. 570 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 124. Ausführlich und m. w. N. hierzu MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 48 ff. 571 Ahrens CR 2000, 835, 841; Tettenborn K&R 2000, 59, 61 f. 572 Lehmann ZUM 1999, 180, 181; Mankowski GRUR Int. 1999, 909, 914; Spindler MMR-Beilage 7/2000, 4, 8; Lurger/ Vallant RIW 2002, 188, 194; dies. MMR 2002, 203, 207; Bodewig GRUR Int. 2000, 475, 482 f.; Fezer/Koos IPrax 2000, 349, 354; Hoeren MMR 1999, 192, 194. 573 Hoeren MMR 1999, 192, 195; siehe auch Bernreuther WRP 2001, 384, 385 f.; ders. WRP 2001, 513, 515, der sogar noch weiter geht und die Auffassung vertritt, dass das Herkunftslandprinzip nicht nur eine Gesamtverweisung darstellt, sondern ebenfalls die Internationale Zuständigkeit regelt; Sack WRP 2013, 1545, 1548 f. (im Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 1 E-Commerce-Richtlinie). 574 Hoeren MMR 1999, 192, 195.

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fungsregeln nach nationalem Kollisionsrecht letztlich unberührt ließ. Im Bereich des Lauterkeitsrechts hätte dies bedeutet, dass zwar zunächst auf das Recht des Herkunftslandes verwiesen werden würde; dieses dann im Anwendungsbereich der Rom II-VO aber über Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO auf das Recht des Marktortes weiterverweisen und dessen uneingeschränkte Anwendung erlauben könnte.575 Dieselbe Konsequenz hätte sich für Sachverhalte vor Inkrafttreten der Rom II-VO (sog. Altfälle) ergeben; so hätte beispielsweise für einen in Deutschland ansässigen Diensteanbieter im Falle unlauteren Wettbewerbs der Marktort576 über das anwendbare Recht entschieden, und zwar ohne Rücksicht auf den Ort der Niederlassung.577 Der Verweis auf das Recht des Herkunftslandes würde sich bei Anwendung dieser Prämissen in der Regel in sein Gegenteil verkehren.578 Zwar kann diese Auffassung für sich verbuchen, den befürchteten „race to the bottom“- 197 Effekt579 zu unterbinden, da es der Diensteanbieter nicht in der Hand hätte, durch die Wahl seines Sitzes das für ihn günstigste Recht auszusuchen. Die tatsächliche Problematik dieses Verständnisses des Herkunftslandprinzips zeigt sich jedoch schon im Lichte des Regelungsziels der Richtlinie, denn diese bezweckt im Interesse des einwandfreien Funktionierens des Binnenmarktes die Sicherstellung der Verkehrsfreiheit von Diensten der Informationsgesellschaft,580 sie soll dem Anbieter Rechtsermittlungskosten ersparen und ein Euro-Marketing erlauben.581 Diese Ziele würden jedoch bei Zugrundelegung des geschilderten Ansatzes verfehlt, da die von der Richtlinie favorisierte Anwendbarkeit nur eines einzigen Rechts letztlich konterkariert würde.582 Mehrfachanknüpfungen mit jeweils unterschiedlichen Schutzstandards wären nämlich dennoch möglich.583 Zudem widerspricht eine kollisionsrechtliche Deutung auch dem vom europäischen Richtli- 198 niengesetzgeber in Art. 1 Abs. 4 E-Commerce-Richtlinie deutlich zum Ausdruck gebrachten Willen, kein Kollisionsrecht schaffen zu wollen.584 Festgehalten werden kann daher, dass sich diese Auffassung in klaren Widerspruch zum 199 Wortlaut des Art. 1 Abs. 4 E-Commerce-Richtlinie sowie zur Zielsetzung der E-Commerce-Richtlinie setzt,585 weshalb sie in dieser, durch das Herkunftslandprinzip unkorrigierten Form – soweit ersichtlich –, auch nicht mehr vertreten wird.586

575 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 73. 576 Zum autonomen deutschen Wettbewerbskollisionsrecht und der insofern maßgeblichen Anknüpfung an den Marktort als Ort der wettbewerblichen Interessenkollision siehe Rn. 191 ff. 577 Spindler ZUM 1999, 775, 785; ders. MMR-Beilage 7/2000, 4, 9. 578 Grundmann RabelsZ 67 (2003), 246, 272 f. 579 Siehe hierzu Lehmann ZUM 1999, 180, 181; Mankowski GRUR Int. 1999, 909, 914; Spindler MMR-Beilage 7/2000, 4, 8; Lurger/Vallant RIW 2002, 188, 194; dies. MMR 2002, 203, 207; Bodewig GRUR Int. 2000, 475, 482 f.; Fezer/Koos IPrax 2000, 349, 354; Hoeren MMR 1999, 192, 194. 580 Hierauf weist auch der EuGH (Große Kammer) 25. 10. 2011 – C-509/09 und C-161/10 – GRUR 2012, 303 Tz. 54 ff. – eDate Advertising ausdrücklich hin. 581 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 73; Mankowski GRUR Int 1999, 909, 913; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 54. 582 Ähnlich auch Mankowski GRUR Int 1999, 909, 913. 583 Mankowski GRUR Int. 1999, 909, 913; Thünken IPRax 2001, 15, 20; Höder S. 183; Harte/Henning/Glöckner Einl. C Rn. 47. 584 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 71; ähnlich auch Sack FS Lorenz, S. 659, 665 f.; ders. EWS 2010, 70, 71; ders. EWS 2011, 65, 68; ders. EWS 2011, 513, 517; ders. WRP 2013, 1407, 1409 (im Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 2 E-Commerce-Richtlinie); Ohly GRUR Int. 2001, 899, 902; Leistner in Bettinger/Leistner Teil 1 A Rn. 85. Auf die Relevanz des Art. 1 Abs. 4 der E-CommerceRL im Rahmen der Auslegung des Art. 3 weist auch der EuGH (Große Kammer) 25. 10. 2011 – C-509/09 und C-161/10 – GRUR 2012, 303 Tz. 60 – eDate Advertising hin. 585 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 128; Grundmann RabelsZ 67 (2003), 246, 273. 586 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 128.

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

Nach einer anderen Auffassung stellt das Herkunftslandprinzip nicht nur eine Gesamtverweisung dar, sondern regelt ebenfalls die Internationale Zuständigkeit.587 Allerdings steht auch dieser Auffassung zum einen die vom europäischen Gesetzgeber niedergelegte Intention des Art. 1 Abs. 4 der E-Commerce-Richtlinie entgegen; zum anderen steht sie auch in Widerspruch zur die Zuständigkeiten der Zivilgerichte regelnden EuGVVO, welche kurz nach Ablauf der Umsetzungsfrist für die E-Commerce-Richtlinie in Kraft getreten ist.588 Diese etabliert mit Art. 7 Nr. 2 EuGVVO einen besonderen Gerichtsstand der unerlaubten Handlung, welcher insbesondere in wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten zu einer Zuständigkeit von Gerichten außerhalb des Herkunftslandes,589 beispielsweise jenen des Abrufstaates, führen kann.590 201 Daneben gibt es einige namhafte Vertreter in der Literatur, die dem Herkunftslandprinzip einen ausdrücklichen kollisionsrechtlichen Verweis ausschließlich auf das Sachrecht des Herkunftslandes entnehmen wollen.591 Sie berufen sich dabei insbesondere auf Sinn und Zweck der E-Commerce-Richtlinie und betonen, dass allein ein kollisionsrechtliches Verständnis des Art. 3 Abs. 1 und 2 dem Regelungsziel des Gemeinschaftsgesetzgebers gerecht wird, „einen wirklichen Raum ohne Binnengrenzen für die Dienste der Informationsgesellschaft zu verwirklichen“, in welchem „die europäischen Bürger und Unternehmen uneingeschränkt und ohne Behinderung durch Grenzen Nutzen aus den Möglichkeiten des elektronischen Geschäftsverkehrs ziehen können“.592 Betont wird, dass das Herkunftslandprinzip nach Art. 3 Abs. 1 ECommerce-Richtlinie gerade ausnahmslos garantieren soll, dass die Dienste der Informationsgesellschaft den Anforderungen des nationalen Rechts entsprechen.593 Für eine kollisionsrechtliche Deutung spreche daher nicht zuletzt auch der Erwägungsgrund Nr. 22, der im Interesse des freien Dienstleistungsverkehrs und der Gewährleistung von Rechtssicherheit festschreibt, dass die Dienste der Informationsgesellschaft grundsätzlich dem Rechtssystem desjenigen Mitgliedstaates unterworfen sein sollen, in dem der Anbieter niedergelassen ist.594 Darüber hinaus verweisen die Vertreter dieser Ansicht auf den unbestreitbaren Vorteil der Rechtsklarheit, denn dieser Deutung des Herkunftslandprinzips folgend, wäre stets nur eine nationale Rechtsordnung, nämlich die des Herkunftslandes, anwendbar, was ein einheitliches Euro-Marketing erlauben und die Rechtsermittlungskosten spürbar senken würde.595 Zudem wird betont, dass diese Deutung auch in Gleichklang mit der Interpretation des der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste zugrunde liegenden Herkunftslandprinzips,596 welchem überwiegend

200

587 So im Ergebnis Bernreuther WRP 2001, 384, 385 f.; ders. WRP 2001, 513, 515, der davon ausgeht, dass das Herkunftslandgericht auch für die Durchsetzung des Herkunftslandrechts zuständig ist, da die Vorschrift ausdrücke, dass jeder Mitgliedstaat der EU seiner Rechtsordnung Rechtsgeltung zu verschaffen hat. 588 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 69; Mankowski CR 2000, 763, 768 f. 589 In der Regel wird der allgemeine Beklagtengerichtsstand nach dem heutigen Art. 2 Abs. 1 EuGVVO (Brüssel IaVO) jedoch zur Zuständigkeit der Gerichte des Herkunftslandes führen. 590 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 69. 591 S. nur v. Bar/Mankowski § 3 Rn. 88; Höder S. 200 f.; Leible/Engel EuZW 2004, 7, 17; Mankowski GRUR Int. 1999, 909, 912 f.; ders. ZVglRWiss 100 (2001), 137, 140 ff., 179 f.; ders. CR 2001, 630, 632; ders. IPRax 2002, 257, 257 f.; ders. EWS 2002, 401, 402 ff.; MünchKommUWG/ders. IntWettbR Rn. 48 ff.; Gierschmann DB 2000, 1315, 1316; Fezer/ Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 134 ff.; Lurger/Vallant RIW 2002, 188, 198; Nickels DB 2001, 1919, 1922; Stagl ÖBl. 2004, 244, 251 f.; Thünken S. 83 ff.; ders. ICLQ 51 (2002), 909, 940 f.; ders. IPRax 2001,15, 19 f. 592 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 134. Diesem unbedingt kollisionsrechtlichen Verständnis tritt jetzt der EuGH (Große Kammer) 25. 10. 2011 – C-509/09 und C-161/10 – GRUR 2012, 303 Tz. 63, 68 – eDate Advertising entgegen, wenn er feststellt, dass Art. 3 der Richtlinie dahingehend auszulegen sei, dass er keine Umsetzung in Form einer speziellen Kollisionsregel verlange. 593 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 134. 594 Erwägungsgrund 22 der RL 2000/31/EG (E-CommerceRL). 595 MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 54. 596 Vgl. Bernhard EuZW 1992, 437, 440; Dethloff JZ 2000, 179, 180; Dethloff S. 51; Henning-Bodewig WRP 2001, 771, 772; Schricker GRUR Int. 1990, 771, 775.

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II. Rechtsquellen des Internationalen Wettbewerbsprivatrechts

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ein kollisionsrechtlicher Gehalt zugeschrieben wird, laufe:597 Wenn man davon ausgehe, dass diese Richtlinie der E-Commerce-Richtlinie als Vorbild diente, so ergebe es keinen Sinn, zwar in einem ersten Schritt das Herkunftslandprinzip zu übernehmen, ihm jedoch im zweiten Schritt keine kollisionsrechtliche Wirkung beizumessen.598 In gewisser Weise eine vermittelnde Ansicht nehmen schließlich die Vertreter in der Litera- 202 tur ein, die einen kollisionsrechtlichen Verweis auf das Recht des Herkunftslandes nur unter der Voraussetzung annehmen wollen, dass dieses günstiger ist als das Recht am Marktort.599 Nach dieser Ansicht, die zum Teil den Charakter des Herkunftslandprinzips als ein kollisionsrechtliches Günstigkeitsprinzip betont,600 zum Teil darin aber auch eine Hybridkonstruktion zwischen Kollisionsrecht und Sachrecht erkennt,601 bleibt das Recht des Empfangsstaates mithin anwendbar, wenn dieses milder als das Herkunftslandrecht ist.602 Die Vertreter dieser Ansicht betonen, dass durch die Annahme eines solchen Günstigkeitsprinzips die negativen Effekte eines strikten Verweises auf das Herkunftslandrecht, insbesondere die Benachteiligung jener Internet-Anbieter, die ihre Niederlassung in Staaten mit hohen Schutzstandards haben, vermieden werden.603 Gleichzeitig werde jedoch gewährleistet, dass ein Unternehmen, das seine wettbewerblichen Aktivitäten am Recht des Niederlassungsstaates ausrichtet, auch mit Blick auf sein Agieren in anderen Mitgliedstaaten auf der sicheren Seite ist.604 Aus diesem Grund unterstütze das so verstandene Herkunftslandprinzip mithin in konsequenter Art und Weise die Interessen der Anbieter und lasse Rechtsordnungen, die ein höheres Schutzniveau vorsehen, gar nicht mehr zur Anwendung kommen.605 Ein großer Teil der Literatur verneint jedoch insbesondere unter Verweis auf den in Art. 1 203 Abs. 4 E-Commerce-Richtlinie festgeschriebenen Vorbehalt einen kollisionsrechtlichen Gehalt des Herkunftslandprinzips.606

597 So etwa Bodewig GRUR Int. 2000, 475, 478; Lurger FS 75 Jahre MPI S. 479, 486; Lurger/Vallant RIW 2002, 188, 193; Mankowski ZVglRWiss 100 (2001), 137, 167; MünchKommUWG/ders. IntWettbR Rn. 56; Spindler ZUM 1999, 775, 781; Thünken S. 75. 598 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 136; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 56. 599 Fritze/Holzbach WRP 2000, 872, 876; vgl. hierzu auch Sack WRP 2001, 1408, 1409; ders. WRP 2002, 271, 276; Lurger/Vallant RIW 2002, 188, 195 f.; für das gemeinschaftsrechtliche Primärrecht Roth RabelsZ 55 (1991), 623, 645 ff.; ablehnend Thünken S. 80 f. 600 Fritze/Holzbach WRP 2000, 872, 876; vgl. dazu auch Sack WRP 2001, 1408, 1409; ders. WRP 2002, 271, 276; ders. EWS 2010, 70, 71 ff.; ders. Sack WRP 2013, 1545, 1552 (im Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 1 E-CommerceRichtlinie). 601 Siehe beispielsweise Spindler ZHR 165 (2001), 324, 336, der das Herkunftslandprinzip als eine „eigenartige hybride Konstruktion zwischen Kollisionsrecht und sachrechtlichem Korrektiv“ bezeichnet. 602 Spindler ZHR 165 (2001), 324, 335 f.; vgl. auch ders. RIW 2002, 183, 185; ders. RabelsZ 66 (2002), 633, 644 ff., 665; ders. NJW 2002, 921, 926; ders. IPRax 2001, 400, 401; am Ende trifft Spindler aber eine sachrechtliche Einordnung ZHR 165 (2001), 324, 340 f. 603 Spindler ZHR 165 (2001), 324, 337; Fritze/Holzbach WRP 2000, 372, 375 f. 604 Fritze/Holzbach WRP 2000, 872, 876. 605 Lurger/Vallant RIW 2002, 188, 195. 606 Ahrens CR 2000, 835, 837 f.; ders. FS Tilmann, S. 739, 745 f.; Apel/Grapperhaus WRP 1999, 1247, 1252; Baetzgen Rn. 714 ff.; Dethloff S. 54; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 76; Fezer/Koos IPRax 2000, 349, 352; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 377, 555 ff.; Harte/Henning/Glöckner3 Einl. C Rn. 32 ff.; ders. ZVglRWiss 99 (2000), 278, 305 f.; Halfmeier ZEuP 2001, 837, 864 ff.; Löffler WRP 2001, 379, 380; Nettlau, S. 165 f.; Piper/Ohly/Sosnitza Einf. C Rn. 79 f. Sack WRP 2002, 271, 273; ders. WRP 2001, 1408, 1411, 1417 ff., 1425; ders. WRP 2008, 845, 855; ders. EWS 2010, 70, 71; ders. EWS 2011, 65, 67 f; ders. WRP 1407, 1409 (keine „zusätzlichen“ Kollisionsnormen, die von den Vorschriften des nationalen und europäischen Kollisionsrechts der EU-Staaten abweichen); vermittelnd i.S. eines „kollisionsrechtlichen Mindestgehalts“, da sich das Herkunftslandprinzip in der E-CommerceRL aus dem nationalen Recht ergibt Ohly GRUR Int. 2001, 899, 902. Siehe auch Spindler ZUM 1999, 775, 785, der darauf hinweist, dass ein kollisionsrechtliches Verständnis ausgeschlossen werden kann, da es den verschiedenen Rechtsgebieten, auf wel-

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204 (bb) Stellungnahme. Auch wenn einige Argumente der Vertreter eines kollisionsrechtlichen Ansatzes überzeugend und plausibel sind,607 so können sie doch letztlich in der Gesamtschau nicht überzeugen. Gegen eine kollisionsrechtliche Deutung des in der E-Commerce-Richtlinie etablierten Herkunftslandprinzips spricht nämlich in erster Linie der vom europäischen Richtliniengesetzgeber in Art. 1 Abs. 4 E-Commerce-Richtlinie deutlich zum Ausdruck gebrachte Wille, kein Kollisionsrecht schaffen zu wollen,608 welchen die Vertreter eines kollisionsrechtlichen Verständnisses schlicht ignorieren.609 Ebenso verhält es sich mit Erwägungsgrund 23610 der Richtlinie, der ebenfalls einem kollisionsrechtlichen Verständnis entgegensteht, da der Richtliniengesetzgeber auch hier deutlich herausgestellt hat, dass eine Kodifizierung des Internationalen Privatrechts gerade nicht bezweckt war.611 Das schlichte Hinweggehen über diese Willensbekundungen erscheint daher bedenklich: Zum einen handelt es sich bei Art. 1 Abs. 4 E-Commerce-Richtlinie um geltendes und von den Mitgliedstaaten zu beachtendes Unionsrecht, das durchaus als Auslegungsgrundsatz für die Frage nach einem möglichen kollisionsoder sachrechtlichen Verständnis herangezogen werden kann,612 zum anderen wird dem Richtliniengesetzgeber hier ein Unverständnis in Kollisionsfragen unterstellt, das durchaus fragwürdig ist.613 Zu Recht stellt Ahrens diesbezüglich fest, dass die Bewertung durch den europäischen Gesetzgeber nicht als eine „Art gesetzgeberischer falsa demonstratio“ abgetan werden darf.614 Und auch der EuGH hat in seiner „eDate Advertising“-Entscheidung vom 25.10.2011615 be205 tont, dass aus Art. 1 Abs. 4 E-Commerce-Richtlinie in Verbindung mit Erwägungsgrund 23 der Richtlinie folge, „dass es den Aufnahmemitgliedstaaten grundsätzlich freisteht, das anwendbare Sachrecht anhand ihres internationalen Privatrechts zu bestimmen, soweit sich daraus keine Einschränkung der Freiheit zur Erbringung von Diensten des elektronischen Geschäftsverkehrs ergibt.“ Nicht zuletzt zeigt auch die Verabschiedung der Rom II-VO mit einer speziellen wettbe206 werbsrechtlichen Kollisionsnorm, die eine Anknüpfung am Marktort vorsieht, dass der europä-

che die Richtlinie Anwendung finden soll, nicht gerecht werde, denn diese folgen jeweils unterschiedlichen Anknüpfungskriterien.; Roth IPRax 2013, 215; Pfeiffer IPRax 2014, 360, 361. 607 Ein unbestreitbarer Vorteil eines kollisionsrechtlichen Verständnisses wäre jedenfalls die bestehende Rechtsklarheit, da stets nur eine nationale Rechtsordnung, nämlich die des Herkunftslandes, anwendbar wäre – im Falle eines sachrechtlichen Verständnisses würden jedoch dem Diensteanbieter entgegen der Intention der E-CommerceRL die Rechtsermittlungskosten auferlegt, siehe hierzu Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 134. 608 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 71; ähnlich auch Sack FS Lorenz S. 659, 665 f.; Ohly GRUR Int. 2001, 899, 902; Leistner in Bettinger/Leistner Teil 1 A Rn. 85. 609 So erklärt beispielsweise Mankowski IPRax 2002, 257, 258 sowie MünchKommUWG/ders. IntWettbR Rn. 48 ff., Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie schlicht für unbeachtlich. Es handele sich dabei um einen bloßen Programmsatz „ohne greifbare Konsequenzen“, der aufgrund des Widerspruchs zur Realität und Zielsetzung der Richtlinie insgesamt unbeachtlich sei. Siehe auch Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 137. 610 Erwägungsgrund 23 bestimmt: „Diese Richtlinie zielt weder darauf ab, zusätzliche Regeln im Bereich des internationalen Privatrechts hinsichtlich des anwendbaren Rechts zu schaffen, noch befasst sie sich mit der Zuständigkeit der Gerichte; Vorschriften des anwendbaren Rechts, die durch Regeln des Internationalen Privatrechts bestimmt sind, dürfen die Freiheit zur Erbringung von Diensten der Informationsgesellschaft im Sinne dieser Richtlinie nicht einschränken.“ 611 So auch Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 128. 612 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 71, der feststellt, dass insofern auch unbeachtlich ist, dass die Vorschrift keine Rechtsfolge enthält, denn sie lasse sich durchaus als „Auslegungsgrundsatz für das dogmatische Verständnis des Herkunftslandprinzips heranziehen“; so aber Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 137. 613 So auch Ohly GRURInt 2001, 899, 901 f.; Ahrens FS Tilmann, S. 739, 745 f. 614 Ahrens FS Tilmann, S. 739, 746, der hinzufügt, dass hier Rechtsfolgen festgeschrieben werden, „die nicht zur wissenschaftlichen Disposition zu stellen sind.“ 615 EuGH 25. 10. 2011 – C-509/09 und C-161/10 – GRUR 2012, 303 Tz. 62 – eDate Advertising.

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ische Gesetzgeber mit Art. 3 E-Commerce-Richtlinie keine eigenständige Kollisionsnorm schaffen wollte.616 Konsequenz eines kollisionsrechtlichen Verständnisses wäre zudem eine ausnahmslose Anwendung des Herkunftslandprinzips unabhängig davon, ob dieses für den Diensteanbieter strengere Vorschriften vorsieht.617 Eine uneingeschränkte Geltung des Rechts des Herkunftslandes ist jedoch insbesondere vor diesem Hintegrund zur Verwirklichung eines Binnenmarktes gerade nicht geboten und im Einzelfall auch nicht dienlich.618 Das Recht des Niederlassungsstaates soll vielmehr mit Blick auf die Zielsetzung der Richtlinie nur dann zur Anwendung kommen, wenn sich dieses als für den Diensteanbieter günstiger erweist.619 Vor diesem Hintergrund ist auch die Annahme eines kollisionsrechtlichen Günstigkeitsprinzips schwerlich zu begründen. Darüber hinaus fehlt es für die Annahme eines solchen Günstigkeitsprinzips auch an der Nennung einer zweiten Rechtsordnung, welche für die Möglichkeit eines Vergleichs aber unerlässlich ist, die sich jedoch letztlich nur aus dem Internationalen Privatrecht des zur Entscheidung berufenen Gerichts (lex fori) ergeben kann.620 Zudem ist auch kein Grund ersichtlich, weshalb das Herkunftslandrecht zum Sachverhalt die „engste Verbindung“ aufweise.621 Nicht zuletzt würde ein sachrechtliches Verständnis auch eine unerwünschte Kollisionsrechtsspaltung verhindern622 und dem wettbewerbsrechtlichen Grundsatz der Chancengleichheit aller Wettbewerber auf dem Markt (par conditio concurrentium) dienen. Als Ergebnis kann daher festgehalten werden, dass die überzeugenderen Gründe gegen eine kollisionsrechtliche Qualifikation und für ein sachrechtliches Verständnis des Herkunftslandprinzips sprechen.623 Das Herkunftslandprinzip der E-Commerce Richtlinie ist eine spezielle Ausprägung der Grundfreiheiten des Primärrechts624 und soll wie diese im Interesse der Verkehrsfreiheit einen europarechtlichen Anwendungsvorrang bewirken.625 Insoweit basiert es auf dem „Gedanken der grundsätzlichen Gleichwertigkeit der nationalen Rechtsordnungen und der gegenseitigen Anerkennung“.626 Als Instrument zur Verwirklichung des Binnenmarktes 616 Ähnlich auch Ahrens FS Tilmann, S. 739, 745 f. 617 Siehe in diesem Kontext auch Leistner in Bettinger/Leistner Teil 1 A Rn. 85, der zudem auf die massiven Auswirkungen in der gerichtlichen Praxis verweist. MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 72. MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 72. MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 75; Lurger/Vallant RIW 2002, 188, 195. Ohly GRURInt 2001, 899, 902. Anders MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 69, der darauf verweist, dass die engste Verbindung zwar das „Grundanknüpfungsprinzip“, nicht aber das einzige Anknüpfungsprinzip darstelle. 622 Ohly GRUR Int. 2001, 899, 902. Ein binnenmarktfunktionales Verständnis führt zu einer kollisionsrechtlich parallelen Bewertung und verhindert eine unterschiedliche Anknüpfung der Handlungen von Anbietern aus Drittstaaten und jenen aus Mitgliedstaaten der EU. Letzteren ist dann lediglich gestattet, sich im Interesse des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarktes auf ein milderes Herkunftslandrecht zu berufen. 623 So auch Ahrens CR 2000, 835, 837 f.; ders. FS Tilmann, S. 739, 745 f.; Apel/Grapperhaus WRP 1999, 1247, 1252; Baetzgen Rn. 714 ff.; Dethloff S. 54; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 72; Fezer/Koos IPRax 2000, 349, 352; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 377, 555 ff.; Harte/Henning/Glöckner3 Einl. C Rn. 32 ff.; ders. ZVglRWiss 99 (2000), 278, 305 f.; Halfmeier ZEuP 2001, 837, 864 ff.; Leistner in Bettinger/Leistner Teil 1 A Rn. 90; Löffler WRP 2001, 379, 380; Sack WRP 2002, 271, 273; ders. WRP 2001, 1408, 1411, 1417 ff., 1425; ders. WRP 2008, 845, 855; vermittelnd i.S. eines „kollisionsrechtlichen Mindestgehalts“, da sich das Herkunftslandprinzip in der E-CommerceRL aus dem nationalen Recht ergibt, Ohly GRUR Int. 2001, 899, 902. Siehe auch Spindler ZUM 1999, 775, 785, der darauf hinweist, dass ein kollisionsrechtliches Verständnis ausgeschlossen werden kann, da es den verschiedenen Rechtsgebieten, auf welche die Richtlinie Anwendung finden soll, nicht gerecht werde, denn diese folgen jeweils unterschiedlichen Anknüpfungskriterien. 624 Piper/Ohly/Sosnitza Einf. C Rn. 80. 625 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 76. 626 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 62.

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soll es mit Blick auf den Regelungsbereich der E-Commerce-Richtlinie den freien und ungehinderten Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft jedenfalls in den Fällen gewährleisten, in denen die Diensteanbieter den rechtlichen Standards des Niederlassungsstaates genügen.627 Legt man ein solches binnenmarktfunktionales Verständnis zugrunde628 und nimmt den Richtliniengesetzgeber ernst, so ist das Herkunftslandprinzip der E-Commerce-Richtlinie mithin als sachrechtliches Prinzip einzuordnen,629 das sich gegen die Anwendung des nach nationalem Wettbewerbskollisionsrecht berufenen Rechts durchsetzt, und insofern das eigentlich zur Anwendung berufene Sachrecht binnenmarktkonform korrigiert, wodurch sichergestellt wird, dass nicht durch die Anwendung besonders strengen Rechts einzelner Mitgliedstaaten das Funktionieren des Binnenmarkts behindert wird.630 Der Anwendung des Herkunftslandprinzips ist mithin eine kollisionsrechtliche Prüfung vorgelagert.631 Auch hier ist dementsprechend zweistufig vorzugehen: In einem ersten Schritt ist nach dem Kollisionsrecht der lex fori das anwendbare Recht zu bestimmen – im Wettbewerbskollisionsrecht ist insofern Art. 6 Rom II-VO maßgeblich. Handelt es sich dabei um jenes des Abrufstaates, darf dieses nicht angewendet werden, wenn es zu einer Beeinträchtigung des freien Verkehrs von Diensten der Informationsgesellschaft kommen würde.632 Letztlich wird daher in einem zweiten Schritt das nach dem Marktortprinzip berufene Sachrecht über das Herkunftslandprinzip korrigiert, sofern dieses strenger ist als das Recht des Niederlassungsstaates. Mit Blick auf das Wettbewerbsrecht hätte dies im Falle einer Beeinträchtigung zur Folge, dass das nach Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO zur Anwendung berufene Recht des Marktortes unangewendet bleibt.633 Ist also beispielsweise eine Internet-Werbemaßnahme zu beurteilen, bedeutet dies, dass der Mitgliedstaat, in welchem die Informationen bestimmungsgemäß abgerufen werden, zwar sein nationales Recht anwenden kann – dies darf jedoch nicht zur Folge haben, dass die Handlung oder Maßnahme strenger bewertet wird als nach dem Herkunftslandrecht.634 Umstritten ist jedoch ebenfalls, ob das günstigere Heimatrecht von Amts wegen635 oder nur auf Einwand des Beklagten hin zu prüfen ist. Mit Ahrens ist davon auszugehen, dass der Vergleich zwischen dem auf der Basis der Marktortanknüpfung ermittelten Rechts (Wettbewerbstatut) und dem Recht des Herkunftslandes im Prozess auf Einrede des Beklagten hin stattfindet, wobei dieser für die Behauptung, das Recht des Niederlassungsstaates sei weniger streng, darlegungs- und beweispflichtig ist.636

627 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 62. 628 Piper/Ohly/Sosnitza Einf. C Rn. 80; Ohly GRUR Int. 2001, 899, 902; ders. WRP 2006, 1401, 1406; 629 Ahrens CR 2000, 835, 837 f.; ders. FS Tilmann, S. 739, 745 f.; Apel/Grapperhaus WRP 1999, 1247, 1252; Baetzgen Rn. 714 ff.; Dethloff S. 54; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 76; Fezer/Koos IPRax 2000, 349, 352; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 377, 555 ff.; Harte/Henning/Glöckner3 Einl. C Rn. 32 ff.; ders. ZVglRWiss 99 (2000), 278, 305 f.; Halfmeier ZEuP 2001, 837, 864 ff.; Löffler WRP 2001, 379, 380; Piper/Ohly/Sosnitza Einf. C Rn. 79 f.; Sack WRP 2002, 271, 273; ders. WRP 2001, 1408, 1411, 1417 ff., 1425; ders. WRP 2008, 845, 855; Pfeiffer IPRax 2014, 360, 361, 365 spricht mit Blick auf Art. 3 Abs. 3 E-Commerce-Richtlinie von einer strukturellen Ähnlichkeit mit dem ordre public-Vorbehalt, da nach der kollisionsrchtlichen Anknüpfung eine sachrechtliche Korrektur (durch fremdes Recht im Unterschied zum ordre public-Vorbehalt) erfolge; vermittelnd i.S. eines „kollisionsrechtlichen Mindestgehalts“, Ohly GRUR Int. 2001, 899, 902. 630 Ohly GRUR Int. 2001, 899, 902. 631 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 64. 632 So auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 64. 633 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 76. 634 Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 3.47. Die Sicherstellung, dass der Anbieter eines Dienstes des elektronischen Geschäftsverkehrs keinen strengeren Anforderungen unterliegt, als dies im Sitzstaat der Fall wäre, ist auch nach EuGH (Große Kammer) 25. 10. 2011 – C-509/09 und C-161/10 – GRUR 2012, 303 Tz. 55 – eDate Advertising alleiniges und maßgebliches Primat der E-CommerceRL. Vgl. dazu Sack EWS 2011, 513. 635 Spindler NJW 2002, 921, 927; BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 115. 636 Ahrens FS Tillmann, S. 739, 747; beschränkt auf das Verfügungsverfahren Ohly GRUR Int. 2001, 899, 903.

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II. Rechtsquellen des Internationalen Wettbewerbsprivatrechts

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(4) Die Umsetzung der E-Commerce-Richtlinie im deutschen TMG. Die E-CommerceRichtlinie wurde in Deutschland durch Art. 1 des Gesetzes über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr (Elektronischer Geschäftsverkehr-Gesetz – EGG)637 v. 14. 12. 2001 unter Änderung des bestehenden Teledienstegesetzes (TDG) sowie durch den Mediendienstestaatsvertrag (MDStV, i.d.F. v. 1. 4. 2003) umgesetzt. Mit Wirkung vom 1. 3. 2007 wurde schließlich das TDG in das Telemediengesetz (TMG) überführt, wobei die das Herkunftslandprinzip betreffenden Normen hierbei weitgehend unverändert blieben.638 Nunmehr findet sich für den Bereich des elektronischen Geschäftsverkehrs in § 3 Abs. 1 TMG die Regelung, dass in der Bundesrepublik Deutschland nach § 2a TMG niedergelassene Diensteanbieter und ihre Telemedien den Anforderungen des deutschen Rechts auch dann unterliegen, wenn die Telemedien in einem anderen Staat innerhalb des Geltungsbereichs der Richtlinien 2000/31/EG und 89/552/EWG geschäftsmäßig angeboten oder erbracht werden, womit das Herkunftslandprinzip der E-Commerce-Richtlinie faktisch im deutschen Recht umgesetzt wird.639 Betrachtet man nur die Regelung des TMG, so wird festgelegt, dass deutsche Unternehmen, die im Bereich des elektronischen Geschäftsverkehrs tätig sind, im Grundsatz mithin selbst dann, wenn sie im Gebiet der EU grenzüberschreitend agieren, ausschließlich deutsches Recht beachten müssen.640 Die Tätigkeit von ausländischen Diensteanbietern auf dem deutschen Markt wird hingegen gemäß § 3 Abs. 2 S. 1 TMG nicht durch nationale Vorschriften, welche im Herkunftsland nicht gelten, eingeschränkt.641 Ebenso wie in der E-Commerce-Richtlinie bestehen eine Reihe von Ausnahmen (§ 3 Abs. 3 und 4 TMG642) und Beschränkungsmöglichkeiten (§ 3 Abs. 5 TMG). So kann auch nach dem TMG das Angebot und die Erbringung von Telemedien durch einen Diensteanbieter, der in einem anderen Staat im Geltungsbereich der Richtlinien 2000/31/EG oder 89/552/EWG niedergelassen ist, unter bestimmten Voraussetzungen Beschränkungen durch das innerstaatliche Recht zum Schutz besonders wichtiger öffentlicher Güter und Interessen, wie der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der öffentlichen Gesundheit oder der Interessen der Verbraucher, unterliegen. Neben den Regelungen in § 3 TMG findet sich im TMG aber auch ein Pendant zum in der ECommerce Richtlinie festgeschriebenen Grundsatz der „IPR- und IZPR-Neutralität“.643 § 1 Abs. 5 TMG normiert ausdrücklich, dass das TMG weder Regelungen im Bereich des Internationalen Privatrechts trifft, noch Fragen der Zuständigkeit der Gerichte regelt.644 Dennoch wird angesichts der Formulierung des § 3 Abs. 1 TMG sowie mit Blick auf die Gesetzgebungshistorie645 in der Literatur die Frage aufgeworfen, ob der deutsche Gesetzgeber mit dieser Regelung nicht doch eine Kollisionsnorm geschaffen hat.646

637 BGBl. 2001 I S. 3721. 638 Harte/Henning/Glöckner Einl. C Rn. 40; siehe hierzu Kitz ZUM 2007, 368 ff. 639 Siehe hierzu auch Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 5.22; vgl. dazu auch BGH 30. 3. 2006 – I ZR 24/03 – BGHZ 167, 91 = GRUR 2006, 513 Tz. 27 – Arzneimittelwerbung im Internet. 640 Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 5.22. 641 Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 5.22. 642 So bleiben beispielsweise die Freiheit der Rechtswahl, die Vorschriften in Bezug auf Verbraucherverträge, das für den Schutz personenbezogener Daten geltende Recht sowie das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte von den Absätzen 1 und 2 unberührt. 643 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 82. 644 Sack WRP 2013, 1407, 1409 nimmt eine richtlinienkonforme teleologische Reduktion des § 1 Abs. 5 TMG vor, da die Norm anders als Art. 1 Abs. 4 E-Commerce-Richtlinie nicht „zusätzliche“ Kollisionsnormen, sondern „jede“ Kollisionsnorm untersage, und dies im Widerspruch zur Kollisionsnorm des § 3 Abs. 3 Nr. 1 TMG stünde, wonach § 3 Abs. 1 und 2 TMG nicht die Freiheit der Rechtswahl berühren. 645 Ausführlich hierzu Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 603 ff. 646 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 601. Ablehnend jetzt BGH 8. 5. 2012 – VI ZR 217/08 – ZUM 2012, 675.

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

Grundsätzlich wäre eine kollisionsrechtliche Ausgestaltung auch unter Zugrundelegung eines sachrechtlichen Verständnisses des in der E-Commerce-Richtlinie647 niedergelegten Herkunftslandprinzips formal möglich gewesen, da zumindest bis zur Geltung der Rom II-VO insofern ein gesetzgeberischer Ermessenspielraum bestand.648 In diesem Fall würde es sich nicht um eine unionsrechtlich vorgegebene Kollisionsnorm, sondern um eine nationale, auf mitgliedstaatlichen Erwägungen beruhende eigenständige IPR-Norm handeln.649 Seit Inkrafttreten der Rom II-VO und ausgehend von einer sachrechtlichen Interpretation des Herkunftslandprinzips der E-Commerce-Rchtlinie kommt es auf eine autonome nationale Kollisionsnorm nicht mehr an, da die Rom II-VO vorrangig ist.650 Basierend auf einem kollisionsrechtlichen Verständnis des Herkunftslandprinzips der E-Commerce-Richtlinie bzw. ausgehend von einer autonom mitgliedstaatlichen Etablierung eines solchen kollisionsrechtlichen Prinzips wird argumentiert, mit der Unterwerfung deutscher Anbieter unter deutsches Recht enthalte die im TMG niedergelegte Bestimmung jedenfalls eine einseitige Sonderkollisionsnorm,651 eine kollisionsrechtliche Norm mithin, die nur bezogen auf „Exportsachverhalte“ Anwendung finde.652 220 Und in der Tat ist die Vorschrift von ihrem Wortlaut her missverständlich und könnte mit Blick auf das Wettbewerbsrecht als eine Abweichung vom Marktortprinzip verstanden werden.653 Dies scheint insbesondere für Fälle zu gelten, in denen ein in Deutschland ansässiger Diens221 teanbieter nur auf dem ausländischen Markt agiert (sog. off shore-Marketing), denn in diesem Fall wäre anders als nach der Marktortanknüpfung deutsches Recht zur Anwendung berufen. Und auch die gewählte und vom Richtlinientext654 abweichende amtliche Überschrift „Herkunftslandprinzip“ scheint auf den ersten Blick gegen ein materiell-rechtliches, den Geltungsanspruch des anwendbaren Sachrechts im Einzelfall begrenzendes Prinzip zu sprechen.655 Lediglich § 3 Abs. 2 TMG scheint eindeutig einen sachrechtlichen Charakter aufzuweisen.656 Andererseits kann § 3 Abs. 1 TMG, worauf Drexl zu Recht hinweist, nicht ohne Bezug zum 222 Auslegungsgrundsatz des § 1 Abs. 5 TMG betrachtet werden, welcher wiederum dafür spricht, dass deutsches Wettbewerbsrecht nur zur Anwendung kommt, wenn dieses auch kollisionsrechtlich nach der maßgeblichen Marktortanknüpfung berufen wäre.657 Legt man diesen Ansatz zugrunde, würde der deutsche Gesetzgeber, wenn auch missverständlich formuliert, mit § 3 Abs. 1 TMG lediglich seiner aus der E-Commerce Richtlinie folgenden Verpflichtung nachkom219

647 So jedenfalls die überwiegende Meinung in der Literatur: Ahrens CR 2000, 835, 837 f.; ders. FS Tilmann, S. 739, 745 f.; Apel/Grapperhaus WRP 1999, 1247, 1252; Baetzgen Rn. 714 ff.; Dethloff S. 54; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 76; Fezer/Koos IPRax 2000, 349, 352; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 377, 555 ff.; Harte/Henning/ Glöckner3 Einl. C Rn. 32 ff.; ders. ZVglRWiss 99 (2000), 278, 305 f.; Halfmeier ZEuP 2001, 837, 864 ff.; Löffler WRP 2001, 379, 380; Sack WRP 2002, 271, 273; ders. WRP 2001, 1408, 1411, 1417 ff., 1425; ders. WRP 2008, 845, 855; vermittelnd i.S. eines „kollisionsrechtlichen Mindestgehalts“, da sich das Herkunftslandprinzip in der E-CommerceRL aus dem nationalen Recht ergibt Ohly GRUR Int. 2001, 899, 902. 648 So Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 602 („reine autonome-mitgliedstaatliche Regelung“). 649 Allerdings würde eine solche Norm nunmehr von der höherrangigen unionsrechtlichen Marktortanknüpfung nach Art. 6 der Rom II-VO verdrängt, weshalb unter Geltung der Rom II-VO kein gesetzgeberisches Ermessen mehr besteht, Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 602. 650 Nettlau, S. 167; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 79. 651 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 614; Harte/Henning/Glöckner Einl. C Rn. 63, 65; Höder S. 200; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 60; BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 119. 652 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 614; Harte/Henning/Glöckner Einl. C Rn. 63, 65; Höder S. 200; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 60; BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 119. 653 So auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 82. 654 Deren Art. 3 trägt die Überschrift „Binnenmarkt“ und ist mithin kollisionsrechtlich neutral. 655 Siehe hierzu Harte/Henning/Glöckner Einl. C Rn. 42, 46, 63; Ohly GRUR Int. 2001, 899, 902; Staudinger/Fezer/ Koos IntWIR Rn. 604. 656 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 615; Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 5.22; Höder S. 200; Harte/Henning/Glöckner Einl. C Rn. 42; BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 118. 657 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 82.

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men, „dafür Sorge (zu tragen), dass die Dienste der Informationsgesellschaft, die von einem in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen Diensteanbieter erbracht werden, den in diesem Mitgliedstaat geltenden innerstaatlichen Vorschriften entsprechen, (…)“.658 Zum anderen würde ein sachrechtliches Verständnis auch von einer entsprechenden sachrechtlichen Deutung des in der E-Commerce-Richtlinie etablierten Herkunftslandprinzips getragen.659 Endgültige Klarheit bringt die grammatikalisch-systematische sowie richtlinienorientierte 223 Auslegung jedoch nicht.660 Angesichts der schon auf europäischer Ebene geführten Diskussionen um den kollisionsrechtlichen Gehalt des Herkunftslandprinzips ist es daher zugegebenermaßen bedauerlich, dass es der Gesetzgeber im Zuge der Umsetzung des Grundsatzes der IPRNeutralität in § 1 Abs. 5 TDG bei der schlichten Übernahme des Wortlauts belassen und keinerlei Erläuterung oder Klarstellung vorgenommen hat.661 So hätte er im Falle eines sachrechtlichen Verständnisses des Herkunftslandprinzips beispielsweise durchaus niederlegen können, dass die Regelungen des TMG erst nach der kollisionsrechtlichen Bestimmung deutschen Rechts als des maßgeblichen anwendbaren Rechts zur Anwendung gelangen dürfen.662 Im Ergebnis erscheint die Einordnung des Herkunftslandprinzips des TMG daher weniger 224 klar, als dies mit Blick auf das in der E-Commerce-Richtlinie niedergelegte Herkunftslandprinzip der Fall ist. Dennoch ist davon auszugehen, dass § 3 TMG selbst keinen kollisionsrechtlichen Gehalt aufweist,663 sondern sachrechtlich zu charakterisieren ist.664 Ähnlich wie im Kontext von Art. 3 E-Commerce-Richtlinie665 kann der in § 1 Abs. 5 TMG eindeutig geäußerte Wille des Gesetzgebers, dem Herkunftslandprinzip keinen kollisionsrechtlichen Gehalt beimessen zu wollen, trotz einer gewissen Schwächung durch die Streichung des noch im Gesetzentwurf zum TDG a. F. enthaltenen Kollisionsrechtsvorbehalts sowie eines Günstigkeitsvergleichs,666 nicht schlicht ignoriert werden.667 Die bestehenden Bedenken und Unstimmigkeiten ändern daher an der grundsätzlichen sachrechtlichen Einordnung des Herkunftslandprinzips und der folglich nach dem üblichen Mechanismus des Europarechts vorzunehmenden zweistufigen Prüfung nichts. Dies bestätigte nunmehr auch der BGH in seinen Entscheidungen „Sedlmayr“ sowie

658 659 660 661 662

Ähnlich auch Harte/Henning/Glöckner Einl. C Rn. 46. Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 605. Siehe hierzu auch Sack WRP 2013, 1407, 1409. So auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 82. MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 82; ebenso Sack WRP 2002, 271, 274; siehe auch Spindler NJW 2002, 921, 926. 663 Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 5.22; Sack WRP 2002, 271, 282; ders. FS Lorenz 659, 667 f.; ders. EWS 2011, 513; Spindler CR 2012, 176, 177 sowie nunmehr im Gefolge der eDate Advertising-Entscheidung des EuGH (Große Kammer) 25. 10. 2011 – C-509/09 und C-161/10 – GRUR 2012, 303 auch der BGH 8. 5. 2012 – VI ZR 217/08 – ZUM 2012, 675 – Sedlmayr; BGH 12. 1. 2017 – I ZR 253/14 – GRUR 2017, 397 Tz. 37 – World of Warcraft II; s. auch OLG Hamm 17. 12. 2013 – 4 U 100/13 – GRUR-RR 2014, 170 Tz. 38 – Kreuzfahrt nach Ägypten; KG 16. 4. 2013 – 5 U 63/12 ZUM 2013, 886; Gloy/Loschelder/Erdmann/Ahrens § 68 Rn. 28; vgl. auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn 82. 664 Im Ergebnis auch Nettlau, S. 167, 168 665 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 605. 666 Der Gesetzesentwurf des Bundesjustizministeriums über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr (Elektronischer Geschäftsverkehr-Gesetz – EGG), BTDrucks 14/6098 zum TDG a. F., enthielt in § 4 Abs. 1 S. 1 TDG-E noch einen ausdrücklichen Kollisionsrechtsvorbehalt („… soweit sich nicht aus den Regeln des internationalen Privatrechts etwas anderes ergibt“). In § 4 Abs. 1 S. 2 TDG-E war zudem ein Günstigkeitsvergleich vorgesehen („Auf solche Teledienste ist das nach den Regeln des internationalen Privatrechts maßgebliche Recht eines anderen Staates jedoch nicht anwendbar, soweit dadurch der freie Dienstleistungsverkehr über die Anforderungen des deutschen Rechts hinausgehend eingeschränkt werden würde.“). Auch die Formulierung des § 4 Abs. 2 S. 2 TDG-E machte eine sachrechtliche Ausgestaltung deutlich („Auf solche Teledienste sind die nach den Regeln des internationalen Privatrechts maßgeblichen Normen nicht anwendbar, soweit dadurch der freie Dienstleistungsverkehr über die Anforderungen des Rechts des Niederlassungsstaates hinausgehend eingeschränkt werden würde.“). 667 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 28.

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„World of Warcraft II“, in welchen er feststellte, dass § 3 TMG „keine Kollisionsnorm, sondern ein sachrechtliches Beschränkungsverbot“ enthält.668 225 Der österreichische OGH kam 2012 zu einem entsprechenden Ergebnis mit Blick auf § 20 ECG, der Art. 3 E-Commerce-Richtlinie ins österreichische Recht umsetzt. Während früher eine Sachnormverweisung angenommen wurde,669 entschied der 4. Senat jedoch jüngst (entgegen der 2012 noch vertretenen Auffassung des 7. Senats), dass § 20 ECG keine Kollisionsnorm, sondern ein sachrechtliches Beschränkungsverbot sei.670 Eine Auslegung als Kollisionsnorm sei nur außerhalb des Anwendungsbereichs der Rom II-VO möglich, also beispielsweise bei Verletzungen des Persönlichkeitsrechts und der Privatsphäre nach Art. 1 Abs. 2 lit g Rom II-VO.671 Im Ergebnis ist folglich zunächst nach der Marktortregel des Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO das 226 anwendbare Recht zu ermitteln, sodass deutsches Wettbewerbsrecht erst dann zur Anwendung kommt, wenn es auch nach dem Marktortprinzip zur Anwendung berufen ist. Dies bedeutet, dass beispielsweise der ausschließlich auf dem Auslandsmarkt stattfindende Internet-Auftritt inländischer Anbieter nicht deutschem Wettbewerbsrecht unterfällt.672 Führt die Anknüpfung an das Marktortprinzip jedoch zu deutschem Recht, so ist das Ergebnis der Anwendung der einschlägigen Rechtsnorm an den Vorgaben des Europarechts zu messen und im Falle eines Verstoßes gegen die Dienstleistungsfreiheit ist diese unangewendet zu lassen.673 Dieses materiell-rechtliche, binnenmarktfunktionale Verständnis des Herkunftslandprinzips gepaart mit der stufenweisen Errichtung gemeinschaftsrechtlicher Mindeststandards dient der Schaffung eines funktionsfähigen Binnenmarktes und eines europäischen Rechtsraums.674 Zu bedenken ist in diesem Kontext auch, dass, wenn man mit der überwiegenden Meinung 227 in der Literatur675 von einem sachrechtlichen Verständnis des Herkunftslandprinzips der E-Commerce-Richtlinie ausgeht,676 eine autonome mitgliedstaatliche Kollisionsnorm in Form des § 3 TMG nunmehr mit Ausnahme von sog. Altfällen, in denen die Rom II-VO intertemporal nicht anwendbar ist,677durch das höherrangige unionsrechtliche Marktortprinzip, welches nach Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO universelle Anwendung findet, verdrängt und wie Fezer/Koos betonen,

668 BGH 8. 5. 2012 – VI ZR 217/08 – ZUM 2012, 675 – Sedlmayr; BGH 12. 1. 2017 – I ZR 253/14 – GRUR 2017, 397 Tz. 37 – World of Warcraft II; a. A. die Vorinstanz OLG Hamburg 6. 11. 2014 – 3 U 86/13 – GRUR-RR 2015, 110 Tz. 150 ff.; kritisch dazu Martiny ZEuP 2015, 838, 866; vgl. auch OLG Hamm 17. 12. 2013 – 4 U 100/13 – GRUR-RR 2014, 170 Tz. 38 – Kreuzfahrt nach Ägypten: das Herkunftslandsprinzip des § 3 TMG „stellt keine Kollisionsnorm dar, sondern soll lediglich im Ergebnis dafür sorgen, dass die Niederlassungsfreiheit innerhalb der Europäischen Union durch unterschiedliche mitgliedstaatliche Informationsvorschriften nicht beeinträchtigt wird.“ 669 OGH 21. 11. 2006 – 4 Ob 62/06f – GRUR Int. 2007, 943, 945; OGH 9. 5. 2012 – 7 Ob 189/11 m – EvBl 2012, 29. 670 OGH 23. 5. 2012 – 4 Ob 29/13p – GRUR Int. 2013, 1163, 1166 – VfG Versandapotheke für Österreich; a. A. BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 117; Heidinger M&R 2013, 297; Ofner ZfRV 2013, 227; vgl. auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 84 auch bezüglich der kollisionsrechtlichen Umsetzung in Frankreich und Luxemburg. 671 In einer weiteren Entscheidung des 4. Senats bejahte das Gericht die Anwendbarkeit österreichischen Rechts aufgrund Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO, ließ aber offen, ob § 20 ECG ebenfalls zu diesem Ergebnis führt, s. OGH 28. 11. 2012 – 4 Ob 202/12p, GRUR Int. 2013, 580 – klimaneutraler Stempel. 672 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 82. 673 Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 5.22. 674 Ähnlich Ohly GRUR Int. 2001, 899, 908. 675 Ahrens CR 2000, 835, 837 f.; ders. FS Tilmann, S. 739, 745 f.; Apel/Grapperhaus WRP 1999, 1247, 1252; Baetzgen Rn. 714 ff.; Dethloff S. 54; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 76; Fezer/Koos IPRax 2000, 349, 352; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 377, 555 ff.; Harte/Henning/Glöckner3 Einl. C Rn. 32 ff.; ders. ZVglRWiss 99 (2000), 278, 305 f.; Halfmeier ZEuP 2001, 837, 864 ff.; Löffler WRP 2001, 379, 380; Sack WRP 2002, 271, 273; ders. WRP 2001, 1408, 1411, 1417 ff., 1425; ders. WRP 2008, 845, 855; vermittelnd i.S. eines „kollisionsrechtlichen Mindestgehalts“, da sich das Herkunftslandprinzip in der E-CommerceRL aus dem nationalen Recht ergibt Ohly GRUR Int. 2001, 899, 902. 676 Vgl. zur Diskussion um den kollisionsrechtlichen Gehalt ausführlich Rn. 123 ff. 677 Zum zeitlichen Anwendungsbereich der Rom II-VO siehe Rn. 169.

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auf seinen „sachrechtlichen Gehalt ‚zurückgestutzt‘“ würde.678 Geht man hingegen von einem kollisionsrechtlichen Verständnis des in der E-Commerce-Richtlinie niedergelegten Herkunftslandprinzips aus, würde die Marktortanknüpfung nach Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO wegen Art. 27 Rom II-VO679 von einem kollisionsrechtlichen Herkunftslandprinzip verdrängt.680 Die Frage, ob die E-Commerce-Richtlinie in Art. 3 eine Kollisionsnorm enthält, ist mithin nach wie vor von praktischer Relevanz.

cc) Das Herkunftslandprinzip und die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken. 228 Das Herkunftslandprinzip fand sich auch in einem Vorschlag für eine Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, welche im Jahr 2003 vorgelegt wurde.681 Dieser regelte in seinem Art. 4 Abs. 1 S. 1, dass sich Gewerbetreibende auf dem durch die Richtlinie angeglichenen Gebiet lediglich an die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates halten müssen, in dem sie niedergelassen sind, wodurch die Anwendbarkeit des Rechts anderer Staaten generell ausgeschlossen wurde.682 Aufgrund der Ausgestaltung der Norm bestand kein Zweifel daran, dass das dort niedergelegte Herkunftslandprinzip kollisionsrechtlich zu deuten war.683 Allerdings rief der Vorschlag einer Implementierung eines kollisionsrechtlichen Herkunfts- 229 landprinzips heftige rechtspolitische Kritik hervor.684 Insbesondere mit Blick auf den Verbraucherschutz wurde argumentiert, dass die Anknüpfung an den Marktort, wonach grundsätzlich das Recht des Ortes anzuwenden ist, auf dem die wettbewerblichen Interessen kollidieren, einem kollisionsrechtlichen Herkunftslandprinzip grundsätzlich vorzuziehen sei.685 Zudem wurde darauf hingewiesen, dass die Etablierung eines solchen Prinzips zu einer wertungsmäßig nicht tragbaren und vielfach kritisierten Aufspaltung des anwendbaren Rechts geführt hätte.686 Denn die Lauterkeitsrichtlinie führt in ihrem Anwendungsbereich687 zwar zu einer vollständigen Harmonisierung der Rechtsvorschriften über unlautere Geschäftspraktiken – allerdings gemäß Art. 3 nur im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern.688 Unlautere Geschäftspraktiken, die Mitbewerber betreffen, sind nicht umfasst. Der Widerstand gegen den Vorschlag zeigte schließlich Wirkung und in dem im Ergebnis 230 angenommenen Richtlinientext689 findet sich nunmehr in Art. 4 lediglich die Regelung, wonach die Mitgliedstaaten den freien Dienstleistungsverkehr und den freien Warenverkehr nicht aus 678 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 602. Siehe aktuell jedoch BGH 8. 5. 2012 – VI ZR 217/08 – ZUM 2012, 675 – Sedlmayr; BGH 12. 1. 2017 – I ZR 253/14 – GRUR 2017, 397 – World of Warcraft II. 679 Siehe hierzu Rn. 176. 680 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 620: vgl. in diesem Kontext auch BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 117. 681 Vorschlag 2003/134/COD f. VO – 2003/724/SEK v. 18. 6. 2003. Siehe hierzu auch Ohly WRP 1402, 1408 ff.; Leistner ZEuP 2009, 56, 66 ff. 682 Vgl. MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 87. Vgl. zu möglichen kollisionsrechtlichen Auswirkungen auch Leistner ZEuP 2009, 56, 68 ff. 683 Vgl. MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 87; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 107; Basedow EuZW 2004, 423 ff.; dagegen Harte/Henning/Glöckner Einl. C Rn. 38; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 538; Brömmelmeyer GRUR 2007, 295, 300; Leistner ZEuP 2009, 56, 66; Piekenbrock GRUR Int. 2005, 997, 1001; Seichter WRP 2005, 1087, 1089; bzgl. Abs. 1 S. 1 der Entwurfsvorschrift auch Ohly WRP 2006, 1401, 1408. 684 Vgl. z. B. Henning-Bodewig GRUR Int. 2004, 183, 193; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 87, 89; kritisch auch Gamerith WRP 2005, 391, 409 ff. 685 Siehe hierzu Henning-Bodewig GRUR Int. 2004, 183, 193; vgl. Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 150. 686 Siehe beispielhaft Henning-Bodewig GRUR Int. 2005, 629, 630; Piper/Ohly/Sosnitza Einf. C Rn. 43; Seichter WRP 2005, 1087, 1088. 687 Dazu näher Piper/Ohly/Sosnitza Einf. C Rn. 47 ff. 688 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 147 sprechen insoweit von einer „vollharmonisierten Teilharmonisierung“. Siehe auch Fezer WRP 2006, 781, 782. 689 RL 2005/29/EG – ABl. EG L 149 v. 11. 6. 2005, S. 22 ff. Vgl. zur Umsetzung der Lauterkeitsrichtlinie Fezer WRP 2006, 781 ff.; Köhler GRUR 2005, 793 ff.; Seichter WRP 2005, 1087 ff.

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

Gründen einschränken dürfen, die mit dem durch diese Richtlinie angeglichenen Bereich zusammenhängen. Dabei handelt es sich letztlich nur um eine „reduzierte Variante“690 des Herkunftslandprinzips in Form des „Binnenmarktprinzips“, welches gerade keine kollisionsrechtliche Bedeutung hat.691 Dabei ist vor dem Hintergrund, dass die Richtlinie eine abschließende Angleichung anstrebt, durchaus fraglich, welche praktische Relevanz dem Binnenmarktprinzip überhaupt zukommt.692 Allenfalls mit Blick auf Generalklauseln, wie beispielsweise jene in Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie, bei deren Anwendung trotz der Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung durchaus Spielraum besteht, schützt das Binnenmarktprinzip gegen Beschränkungen.693 Die doch eher geringe Bedeutung mag im Übrigen auch einer der Gründe sein, warum die 231 Umsetzung in Deutschland im angeglichenen UWG694 ohne eine Bestimmung zum Herkunftslandprinzip erfolgte.695

232 dd) Das Herkunftslandprinzip und die Dienstleistungsrichtlinie. Darüber hinaus fand sich das Herkunftslandprinzip696 auch im ursprünglichen Vorschlag für eine Dienstleistungsrichtlinie vom 13. 1. 2004.697 Deren Art. 16 bestimmte, dass die Mitgliedstaaten dafür Sorge zu tragen haben, dass Dienstleistungserbringer für die Gesamtheit der für die Aufnahme und Ausübung von Dienstleistungen geltenden Anforderungen „lediglich den Bestimmungen ihres Herkunftsmitgliedstaates unterliegen, die vom koordinierten Bereich erfasst sind.“ Die Verpflichtung sollte sich nach Art. 16 Abs. 1 Unterabs. 2 des Richtlinienvorschlags insbesondere auf Bestimmungen über Verhalten, Qualität und Inhalt der Dienstleistung, über Werbung, Verträge und Haftung der Dienstleistungserbringer erstrecken. Damit wären grundsätzlich auch der Bereich des Deliktsrechts und damit ein wesentlicher Teil des Privatrechts sowie mit Blick auf die Werbung auch das Wettbewerbsrecht betroffen gewesen. Die Kontrolle der Dienstleistungen sollte dabei dem Herkunftsmitgliedstaat obliegen. Allerdings sah der Vorschlag einen umfangreichen Katalog von Ausnahmen vor. 233 Aufgrund der konkreten Ausgestaltung und des weiten Anwendungsbereichs wurde ein kollisionsrechtlicher Gehalt des in Art. 16 des Richtlinienvorschlags niedergelegten Herkunftslandprinzips in der Literatur bejaht.698 Allerdings erfuhr die geplante Dienstleistungsrichtlinie699 ebenfalls heftigen politischen 234 Widerstand: Die Kritik an dem Vorschlag bezog sich dabei erneut in besonderem Maße auf das Herkunftslandprinzip in einer möglichen kollisionsrechtlichen Ausprägung,700 welches sich 690 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 86. 691 Vgl. MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 88. 692 Siehe etwa Gloy/Loschelder/Erdmann/Ahrens § 30 Rn. 30; Brömmelmeyer GRUR 2007, 295, 300 f.; HenningBodewig GRUR Int. 2005, 629, 634; Piekenbrock GRUR Int. 2005, 997, 999 f.; Ohly WRP 2006, 1401, 1412 stellt fest, dass das Binnenmarktprinzip lediglich die Funktion haben soll, die Richtlinienkonformität des nationalen Rechts durchzusetzen. Siehe hierzu und mit eigenem Lösungsansatz auch Leistner ZEuP 2009, 56 ff. 693 So auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 90. 694 Die Angleichung erfolgte durch das 1. ÄndG des UWG vom 22. 12. 2008, BGBl. I S. 2949; dies trat am 30. 12. 2008 in Kraft; vgl. auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 90. 695 Vgl. MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 86. 696 Zum kollisionsrechtlichen Verständnis des vorgeschlagenen Herkunftslandprinzips vgl. Basedow EuZW 2004, 423 (im Vergleich zum Herkunftslandprinzip der E-CommerceRL); MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 92; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 112 ff.; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 540; sowie (einschränkend) Glöckner WRP 2005, 795, 802; siehe auch Albath/Giesler EuZW 2006, 38, 41. 697 Vorschlag 2004/1/COD f. VO – 2004/21/SEK v. 13. 1. 2004. Siehe hierzu Deinert EWS 2006, 445, 447 f. 698 Dazu MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 92; weiterhin Deinert EWS 2006, 445, 447 f. sowie im Vergleich zum Herkunftslandprinzip der E-CommerceRL Basedow EuZW 2004, 423, 424. 699 Vorschlag 2004/1/COD f. VO – 2004/21/SEK v. 13. 1. 2004. 700 Vgl. Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 426 m. w. N. zum Streitstand.

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nicht nur in Widerspruch zu der im Wettbewerbskollisionsrecht geltenden Anknüpfung an den Marktort gesetzt hätte, sondern auch aufgrund seines weiten Anwendungsbereichs mit Blick auf den geringen Harmonisierungsgrad der betroffenen Bereiche nicht tragbar erschien.701 In Deutschland führte die Auseinandersetzung schließlich dazu, dass der Bundestag mit 235 Beschluss vom 29. 6. 2005702 gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP die Europäische Kommission aufforderte, ihren Vorschlag zurückzuziehen und nach erneuter Überarbeitung einen geänderten Entwurf vorzulegen. Die Kommission reagierte auf die breite Kritik und formulierte Art. 16 schließlich neu. Dieser enthält nunmehr lediglich allgemeine Grundsätze der Dienstleistungsfreiheit, welche sich unmittelbar an der Rechtsprechung zur Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV orientieren.703 Das Europäische Parlament stimmte der Dienstleistungsrichtlinie im Ergebnis mit Beschluss vom 16. 2. 2006 zu. Festgehalten werden kann mithin, dass es sich bei Art. 16 nach überwiegender Meinung704 236 nicht um eine kollisionsrechtliche Regelung handelt. Diese Normierung wird vielmehr überwiegend als sekundärrechtliche Umsetzung des primärrechtlichen Binnenmarktkonzeptes eingeordnet.705 Auch Art. 17 Nr. 15 der Dienstleistungsrichtlinie stellt nochmals deutlich heraus, dass eine kollisionsrechtliche Regelung nicht getroffen wird, sondern das Internationale Privatrecht und insbesondere die Kollisionsnormen der Rom I- und Rom II-VO unberührt bleiben, da er regelt, dass Art. 16 keine Anwendung findet auf „Bestimmungen betreffend vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse, einschließlich der Form von Verträgen, die nach den Vorschriften des internationalen Privatrechts festgelegt werden“.

ee) Weitere werberechtliche Richtlinien. Auch in den weiteren werberechtlichen Richtlini- 237 en finden sich keine wettbewerbsrechtlich relevanten Kollisionsnormen. Weder die im Jahr 1984 verabschiedete und in Kraft gesetzte Richtlinie über irreführende Werbung706 noch die 1997 geänderte, die vergleichende Werbung einbeziehende Richtlinie707 enthalten Kollisionsregeln.708 Sie schaffen jedoch auch kein umfassendes Einheitsrecht,709 welches die Bedeutung der kollisionsrechtlichen Problematik in den Hintergrund treten lässt.710 Allerdings enthalten einige Richtlinien des Sekundärrechts Regelungen, die für das Wettbe- 238 werbskollisionsrecht zumindest mittelbar von Bedeutung sein können. Dazu zählen zum Bei-

701 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 91 f. Vgl. hierzu auch Albath/Giesler EuZW 2006, 38 ff.; Glöckner WRP 2005, 795, 795, 805 ff.; Mankowski IPRax 2004, 385 ff.

702 BTDrucks. 15/5832. 703 Vgl. MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 93. 704 Siehe beispielsweise MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 120 f.; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 541; wohl auch Leible/Lehmann RIW 2007, 721 ff.; zweifelnd jedoch Lemor EuZW 2007, 135, 138.

705 Siehe Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 152; Harte/Henning/Glöckner Einl. C Rn. 39; MünchKommUWG/ Mankowski IntWettbR Rn. 120. 706 RL 1984/450/EWG des Rates vom 10. 9. 1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung, ABI. EG L 250 S. 20 = GRUR Int. 1984, 688, seit 12. 12. 2007 ersetzt durch die RL 2006/114/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. 12. 2006 über irreführende und vergleichende Werbung (kodifizierte Fassung), ABI. EU 2006 L 376 S. 21 = GRUR Int. 2007, 308. 707 RL 1997/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. 10. 1997 zur Änderung der RL 1984/450/ EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung, ABI. EG Nr. L 290 S. 18; vom deutschen Gesetzgeber umgesetzt durch Gesetz vom 1. 9. 2000, BGBl I S. 1374. 708 Vgl. Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 159, F 332; Kort GRUR Int. 1994, 594, 602; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 94; MünchKommBGB/Kreuzer Art. 38 EGBGB Rn. 227a; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 378, 534; Staudinger/v. Hoffmann Art. 40 EGBGB Rn. 296. 709 Dazu Lettl GRUR Int. 2004, 85, 91 f.; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 534; Staudinger/v. Hoffmann Art. 40 EGBGB Rn. 296. 710 Vgl. Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 118.

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

spiel: Art. 21 Abs. 11 der zweiten Bankenrichtlinie vom 15. 12. 1989711 (für die Werbetätigkeit wird auf den Ort der Markttransaktion bzw. den Ort der Dienstleistung abgestellt), Art. 41 der Dritten Richtlinie Schadensversicherung712 und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung713 (für Form und Inhalt einer Werbung sind die aus Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigten Bestimmungen des Mitgliedstaates der Zweigniederlassung bzw. Dienstleistung maßgeblich) sowie die Dienstleistungsrichtlinie für Rechtsanwälte vom 22. 3. 1977,714 die u. a. das Werberecht im Aufnahmestaat für beachtlich erklärt.715

e) Das Europäische Wettbewerbskollisionsrecht der Rom II-VO 239 aa) Kollisionsrechtsvereinheitlichung. Nachdem das internationale Einheitsrecht im Bereich des unlauteren Wettbewerbsrechts nur sehr schwach ausgebaut ist,716 kommt dem Wettbewerbskollisionsrecht umso größere Bedeutung zu. Ähnlich wie im materiellen Recht wäre dem Interesse an vorhersehbaren und einheitlichen Entscheidungen auch im Bereich des Kollisionsrechts am besten durch eine Vereinheitlichung der Rechtsnormen gedient.717 Jedoch konnte gezeigt werden, dass sich auf internationaler Ebene lediglich fremdenrechtliche, aber keine kollisionsrechtlichen Normen finden lassen.718 Anders sieht es auf europäischer Ebene aus: Die vom Rat und dem Europäischen Parlament 240 nach fast vierjährigen, zum Teil zähen Verhandlungen719 erzielte Verständigung über eine einheitliche Regelung des Kollisionsrechts im Bereich der außervertraglichen Schuldverhältnisse, die in der Verkündung der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 7. 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) im Juli 2007 mündete, ist als ein wichtiger Schritt auf dem Wege zu einem vereinheitlichten europäischen Kollisionsrecht anzusehen und unterstellt das Wettbewerbskollisionsrecht in ihrem Art. 6 einem einheitlichen gemeinschaftsrechtlichen Regime.720 Mit der Rom II-VO, die seit dem 11. 1. 2009721 für die Gerichte der EU – mit Ausnahme Däne241 marks – das maßgebliche Regelungswerk für die Bestimmung des anwendbaren Rechts für außervertragliche Schuldverhältnisse ist, machte der Europäische Gesetzgeber erstmalig von seiner durch den Amsterdamer Vertrag geschaffenen Kompetenz zur Schaffung einheitlichen Kollisionsrechts nach Art. 61 lit. c), 65 lit. b) und 67 EGV (vgl. heute Art. 81 Abs. 1 und Abs. 2 lit. c) AEUV) Gebrauch.722

242 bb) Entstehungsgeschichte und Regelungsgehalt der Rom II-VO. Mit der Rom II-VO fand ein Prozess sein Ende, der bereits im Jahre 1972 durch einen von der Kommission der Europä711 712 713 714 715 716 717 718 719 720

RL 1989/646/EWG, ABl. EG 1989 L 386, 1. RL 1992/49/EWG, ABl. EG 1992 L 228, 1. RL 1992/96/EWG, ABl. EG 1992 L 360, 1. RL 1977/249/EWG, ABl. EG 1977 L 78, 17. Vgl. Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 427. Vgl. hierzu S. 2 sowie Rn. 52 ff. Heinze FS Kropholler, S. 113. Vgl. hierzu Rn. 52 ff. insb. 74. Zur wechselvollen Vorgeschichte der Rom II-VO vgl. Sonnentag ZVglRWiss 105 (2006) 265, 259 ff. v. Hein ZEuP 2009, 6, 32 spricht insoweit von einem „Meilenstein in der Europäisierung des Internationalen Privatrechts“; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 154; Leible/Lehmann RIW 2007, 721, 721; Wagner IPRax 2008, 1, 1. 721 Zum Streit um die zeitliche Anwendbarkeit der Rom II-VO siehe Rn. 169 sowie EuGH 17. 11. 2011 − C-412/10 – NJW 2012, 441 f. Tz. 37 – Deo Antoine Homawoo/GMF Assurances SA; siehe zu den Schlussanträgen des Generalanwalts Paolo Mengozzi v. 6. 9. 2011 auch Sujecki EuZW 2011, 815; sowie Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 154; v. Hein ZEuP 2009, 6, 10 f.; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 37. 722 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 99.

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II. Rechtsquellen des Internationalen Wettbewerbsprivatrechts

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ischen Gemeinschaft vorgelegten „Vorentwurf eines Übereinkommens über das auf vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht“ in Gang gesetzt wurde.723 Dieser blieb jedoch lange Zeit unbearbeitet724 und ging nach dem Beitritt Großbritanniens, Dänemarks und Irlands zur EG schließlich völlig unter,725 was wohl zum Teil der für erforderlich gehaltenen Fokussierung auf das internationale Vertragsrecht geschuldet war.726 Erst im Jahre 1996 wandte man sich mit Blick auf das durch den Vertrag von Amsterdam festgeschriebene Ziel der Verbesserung der justiziellen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten727 auf europäischer Ebene erneut der Vereinheitlichung des internationalen außervertraglichen Schuldrechts zu.728 In der „Entschließung zur Festlegung der Prioritäten für die Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres für den Zeitraum vom 1. 7. 1996 bis zum 30. 6. 1998“ vom 14. 10. 1996 erklärte der Rat die „Aufnahme der Beratungen über die Erforderlichkeit und die Möglichkeit der Einführung eines Übereinkommens über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht“ als ein Arbeitsvorhaben im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit.729 Als ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem einheitlichen europäischen Kollisi- 243 onsrecht für außervertragliche Schuldverhältnisse ist sodann der 1998 von der Europäischen Gruppe für Internationales Privatrecht (GEDIP) vorgelegte „Entwurf eines EU-Übereinkommens über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht“ anzusehen.730 Diesem folgte im Jahr 1999 ein interner Entwurf der EG-Kommission zu einer VO über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht.731 Am 22. 7. 2003 legte die Kommission schließlich einen Vorschlag für eine Verordnung über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II-VO) vor, welcher auf einem Vorentwurf der Kommission732 sowie dem Regelungsvorschlag der Europäischen Gruppe für Internationales Privatrecht basierte.733 Die Schaffung einer speziellen deliktischen Anknüpfungsnorm für den Bereich des unlauteren Wettbewerbs gehörte dabei zu den umstrittensten Fragen im Entstehungsprozess der Rom IIVO.734 Dies lag einerseits daran, dass nicht alle Mitgliedstaaten ein ausgebautes Rechtssystem gegen den unlauteren Wettbewerb vorweisen konnten, andererseits war auch umstritten, ob für diesen Bereich tatsächlich ein Bedürfnis für die Schaffung einer sonderdeliktsrechtlichen Anknüpfungsnorm bestand.735 723 Sonnentag ZVglRWiss 105 (2006), 265, 259; Staudinger/v. Hoffmann Vorb. zu Art. 38–42 EGBGB Rn. 10; v. Hein ZVglRWiss 102 (2003) 528, 529; Kreuzer in Reichelt/Rechberger S. 13, 19. 724 Sonnentag ZVglRWiss 105 (2006), 265, 259; Staudinger/v. Hoffmann Vorb. zu Art. 38–42 EGBGB Rn. 10; v. Hein ZVglRWiss 102 (2003), 528, 529; Kreuzer in Reichelt/Rechberger S. 13, 19. 725 Junker NJW 2007, 3675, 3676. 726 v. Hein ZVglRWiss 102 (2003), 528, 530; Kreuzer in Reichelt/Rechberger S. 13, 19; MünchKommBGB/Junker Vorb. zu Art. 1 Rom II-VO Rn. 4. 727 Staudinger/v. Hoffmann Vorb. zu Art. 38–42 EGBGB Rn. 14. 728 Sonnentag ZVglRWiss 105 (2006) 256, 259. 729 Entschließung des Rates vom 14. 10. 1996, ABl. EG 1996 C 319/1. Zudem für die Zeit bis zum Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages s. Entschließung des Rates vom 18. 12. 1997 zur Festlegung der Prioritäten für die Zusammenarbeit im Bereich der Justiz und Inneres für den Zeitraum vom 1. Januar 1998 bis zum Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam, ABl. EG 1998 C 11/2. Siehe hierzu auch MünchKommBGB/Junker Vorb. zu Art. 1 Rom II-VO Rn. 6. 730 Sonnentag ZVglRWiss 105 (2006) 256, 259. Der Entwurf ist in franz. Sprache abgedruckt in IPRax 1999, 286 ff. Vgl. hierzu auch Jayme IPRax 1998, 298 ff. 731 Sonnentag ZVglRWiss 105 (2006), 256, 259; v. Hein ZVglRWiss 102 (2003), 528, 532; Wagner EuZW 1999, 709, 709; ausführlich dazu Kreuzer in Reichelt/Rechberger S. 13, 20. 732 Vgl. die Stellungnahme der 2. Kommission des Deutschen Rates für Internationales Privatrecht zum Vorentwurf eines Vorschlags der europäischen Kommission für eine Verordnung des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/justice/news/consulting_public/ rome_ii/contributions/deutscher_rat_internat_privatrecht_de.pdf (zuletzt abgerufen am 30. 10. 2013). 733 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 159; G. Wagner FS Kropholler, S. 716. Siehe hierzu auch Sonnentag ZVglRWiss 105 (2006) 256, 260. 734 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 104. 735 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 104.

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

Der Vorschlag für die Rom II-VO aus dem Jahre 2003 enthielt jedoch in Art. 5 Abs. 1 zunächst eine allgemeine Kollisionsregel für die Anknüpfung wettbewerbsrechtlicher Sachverhalte,736 die vorsah, dass „auf außervertragliche Schuldverhältnisse, die aus einem unlauteren Wettbewerbsverhalten entstanden sind, (…) das Recht des Staates anzuwenden“ ist, „in dessen Gebiet die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der Verbraucher unmittelbar und wesentlich beeinträchtigt worden sind oder beeinträchtigt werden könnten“.737 Auch wenn Art. 5 Abs. 1 des Vorschlags eine Anknüpfung an den Marktort zugrunde gelegt 245 wurde, so war die Formulierung doch recht offen gehalten, weshalb sich sowohl Vertreter der wettbewerblichen Interessenkollisionslösung als auch jene der Auswirkungstheorie in ihrem Wortlaut wiederfinden konnten.738 Ähnlich vage hielt sich auch die Begründung zum Vorschlag von 2003, in welcher die Kommission ausdrücklich auf die Existenz verschiedener Modelle der Marktortanknüpfung in den europäischen Staaten verwies.739 Koos stellte in diesem Kontext fest, dass die Aussagen der Kommission und die Fassung der Kollisionsnorm darauf hindeuten, dass „jedenfalls eine objektivistische Marktortanknüpfung ohne Entscheidung über den dogmatisch-systematischen Standort der Marktortanknüpfung vorgenommen werden sollte“.740 246 Die wettbewerbsrechtliche Sonderanknüpfung in Art. 5 des Vorschlags stieß jedoch auf heftige Kritik741 – insbesondere wurde erneut die Sinnhaftigkeit einer speziellen Anknüpfungsregel in Frage gestellt. Zudem wurde auch die unzureichende Klarheit der Norm, insbesondere das Fehlen einer Definition des Begriffes des unlauteren Wettbewerbs, beanstandet.742 Im weiteren Verlauf des Rechtssetzungsprozesses wurde daher zwar kurzfristig von der Nor247 mierung einer speziellen Wettbewerbskollisionsnorm Abstand genommen,743 im Geänderten Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) vom 21. 2. 2006 fand sich jedoch in Art. 7 erneut eine Regelung744 folgenden Inhalts: „Auf außervertragliche Schuldverhältnisse, die aus unlauteren Geschäftspraktiken entstanden sind, ist das nach Art. 5 Abs. 1 be-

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736 Diese wurde damit begründet, dass eine breite Einigkeit hinsichtlich der Anknüpfung an den Marktort bestehe und schon entsprechende Regelungen in den Gesetzen einiger Mitgliedstaaten (wie beispielsweise Österreich, Spanien oder der Niederlande) zu finden seien, KOM (2003) 427 endg. S. 17. Die Schaffung einer speziellen Anknüpfungsnorm sei zudem im Interesse der Rechtssicherheit geboten, siehe hierzu ausführlich MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 104. 737 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 159; Koos The European Legal Forum 2006, II-73. 738 Koos The European Legal Forum 2006, II-73. 739 Vgl. Vorschlag für eine Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) vom 22. 7. 2003, KOM (2003) 427 endg. S. 17 f.; Koos The European Legal Forum 2006, II-73. 740 Koos The European Legal Forum 2006, II-74. 741 Der Rechtsausschuss schlug in seinem Bericht gar eine ersatzlose Streichung des Art. 5 vor. Siehe Bericht über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) vom 27. 6. 2005, Berichterstatterin Diana Wallis, A6–0211/2005 endg., RR/572354DE.doc. Änderungsantrag 8 (S. 9) und 29 (S. 22 f.). 742 Bericht über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) vom 27. 6. 2005, Berichterstatterin Diana Wallis, A6–0211/2005 endg., RR/572354DE.doc, Änderungsantrag 29 (S. 23); Koos The European Legal Forum 2006, II73. 743 Vgl. die Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), (KOM(2003)0427 – C5–0338/2003–2003/0168 (COD)) v. 6. 7. 2005, P6_TA(2005)0284, abgedruckt in IPRax 2006, 413 ff.; sowie den Bericht über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) vom 27. 6. 2005, A6–0211/ 2005 endg., RR/572354DE.doc. 744 S. den Geänderten Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) vom 21. 2. 2006, KOM(2006), 83 endg. 2003/ 0168 (COD), abgedruckt in IPRax 2006, 404 f.

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II. Rechtsquellen des Internationalen Wettbewerbsprivatrechts

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zeichnete Recht anzuwenden. Der Staat, in dem der Schaden eintritt oder einzutreten droht, ist der Staat, in dessen Gebiet die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der Verbraucher unmittelbar und wesentlich beeinträchtigt worden sind oder beeinträchtigt werden könnten“. Art. 7 verwies damit auf die in Art. 5 des Geänderten Vorschlags niedergelegte allgemeine deliktische Kollisionsnorm. Auch wenn das Festhalten an einer Sonderanknüpfung für den Bereich des unlauteren Wettbewerbsrechts durch den Gemeinsamen Standpunkt des Rates745 in der zweiten Lesung des Parlaments wiederum auf Kritik stieß,746 wurde die Beibehaltung einer speziellen Wettbewerbskollisionsnorm, welche in Art. 6 Rom II-VO schließlich ihren Niederschlag fand, im Ergebnis doch gebilligt.747 Das Europäische Parlament konnte sich folglich mit seinen Bedenken nicht gegen den Rat und die Kommission durchsetzen.748

cc) Sachlicher, zeitlicher und territorialer Anwendungsbereich (1) Sachlicher Anwendungsbereich. In sachlicher Hinsicht besitzt die Rom II-VO nach Art. 1 248 Abs. 1 Rom II-VO Geltung „für außervertragliche Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen“. Der Begriff des „außervertraglichen Schuldverhältnisses“ ist dabei, wie auch Erwägungsgrund Nr. 11 nochmals deutlich macht, nach dem Willen des europäischen Gesetzgebers autonom auszulegen.749 Eine Konkretisierung erfolgt jedoch schon durch Art. 2 Rom II-VO, welcher zeigt, dass der 249 Begriff des außervertraglichen Schuldverhältnisses Ansprüche aus unerlaubter Handlung (Art. 4 Rom II-VO), wozu auch die Gefährdungshaftung zählt,750 aus ungerechtfertigter Bereicherung (Art. 10 Rom II-VO), Geschäftsführung ohne Auftrag (Art. 11 Rom II-VO), sowie aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen (Art. 12 Rom II-VO) erfasst. Die Art. 5–9 Rom II-VO machen zudem deutlich, dass auch Bereiche des Sonderdeliktsrechts, wie die Produkt- und Umwelthaftung, das Kartell-, Immaterialgüter- und Arbeitskampfrecht sowie das aus Sicht dieser Kommentierung maßgebliche Lauterkeitsrecht (Art. 6 Rom II-VO) erfasst werden. Außervertragliche Schuldverhältnisse im Sinne der Rom II-VO sind dabei grundsätzlich von 250 vertraglichen Schuldverhältnissen abzugrenzen, welche dann vorliegen, wenn eine Partei gegenüber einer anderen freiwillig eine Verpflichtung eingegangen ist.751 Fehlt es hieran und liegt keine durch Rechtsgeschäft entstandene Sonderverbindung der Parteien vor, ist der Anwendungsbereich der Rom II-VO eröffnet.752 Art. 2 Abs. 2 und Abs. 3 der Rom II-VO zeigen schließlich, dass die Verordnung nicht auf 251 kompensatorische Rechtsbehelfe beschränkt ist, vielmehr ebenfalls Abwehrrechte einschließt.753 So findet sich in Art. 2 Abs. 2 Rom II-VO die Regelung, dass die Verordnung auch für außervertragliche Schuldverhältnisse gilt, deren Entstehen wahrscheinlich ist. Diese Regelung 745 Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 22/2006 vom 25. 9. 2006, vom Rat festgelegt gemäß Art. 251 EG im Hinblick auf die Annahme einer Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), ABl. EU L 289 E S. 68 ff. 746 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 9. 1. 2007 zu dem Gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass der Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), Berichterstatterin Diana Wallis, A6–0481/2006, P6_ TA-PROV (2007)0006. 747 Vgl. den Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 22/2006 vom 25. 9. 2006, vom Rat festgelegt gemäß Art. 251 EG im Hinblick auf die Annahme einer Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), ABl. EU L 289 E S. 68 ff. und die dortige Begründung der abgelehnten Änderung 29. 748 Siehe hierzu auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 104. 749 Erwägungsgrund Nr. 11; G. Wagner IPRax 2008, 1, 1; Leible/Engel EuZW 2004, 7, 8. 750 Erwägungsgrund Nr. 11. 751 Leible/Lehmann RIW 2007, 722, 723. 752 Leible/Engel EuZW 2004, 7, 8. 753 G. Wagner IPRax 2008, 1, 1; Leible/Lehmann RIW 2007, 721, 723.

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

wird durch Art. 2 Abs. 3 Rom II-VO ergänzt, der sämtliche Bezugnahmen in der Verordnung auf ein schadensbegründendes Ereignis und auf einen Schaden für entsprechend anwendbar erklärt, selbst wenn der Eintritt eines solchen Ereignisses oder Schadens lediglich wahrscheinlich ist. 252 Der in Art. 1 Abs. 1 Rom II-VO ebenfalls erwähnte Begriff der „Zivil- und Handelssache“ wird in der Verordnung nicht definiert. In Satz 2 findet sich lediglich eine negative Abgrenzung.754 Damit entspricht die Normierung des sachlichen Anwendungsbereiches der Rom II-VO den 253 entsprechenden Vorschriften der Rom I-VO755 und der EuGVVO,756 was nach dem Willen der Kommission einen Gleichlauf der drei Regelungswerke bewirken und somit der Einheit und Kohärenz des Unionsrechts Rechnung tragen soll.757 Der Begriff der „Zivil- und Handelssache“ ist mithin unter Beachtung der zur EuGVVO und zum EVÜ bzw. der zur Rom I-VO ergangenen Rechtsprechung autonom zu bestimmen.758

254 (2) Zeitlicher Anwendungsbereich. Nach Art. 31 gilt die Rom II-VO für sämtliche schadensbegründende Ereignisse, die nach ihrem „Inkrafttreten“ eintreten. Fraglich ist jedoch, welches das maßgebliche Datum des Inkrafttretens ist. Nach Art. 32 Rom II-VO „gilt“ die Verordnung ab dem 11. 1. 2009, mit Ausnahme des Artikels 29, für den der 11. 7. 2008 maßgeblich ist. Unsicherheiten bestanden in der Vergangenheit allerdings bezüglich der Frage, ob Art. 31 Rom II-VO bei Festlegung der zeitlichen Anwendbarkeit auf das in Art. 32 Rom II-VO genannte Datum (11. 1. 2009) Bezug nimmt, oder ob mit „Inkrafttreten“ auf die allgemeine Regel des Art. 297 AEUV (ex-Art. 254 Abs. 1 S. 2 EGV) verwiesen wird, wonach grundsätzlich der zwanzigste Tag nach Veröffentlichung im Amtsblatt und damit der 20. 8. 2007 maßgeblich wäre.759 Die überwiegende Meinung in der Literatur und auch der BGH vertraten den Ansatz, dass 255 einheitlich auf den 11. 1. 2009 abzustellen sei,760 wobei entscheidend sei, wann sich das maßgeb754 Vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossen sind insbesondere öffentlich-rechtliche Streitigkeiten (Steuer- und Zollsachen, verwaltungsrechtliche Angelegenheiten), aber beispielsweise auch Staatshaftungsansprüche, selbst wenn diese vor den Zivilgerichten geltend zu machen sind, v. Hein ZVglRWiss 102 (2003), 528, 541. 755 Vgl. Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. 6. 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“), welche das Römische EWG-Übereinkommen vom 19. 6. 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, auch Europäisches Schuldvertragsübereinkommen (EVÜ) genannt, abgelöst hat. 756 Vgl. Art. 1 Abs. 1 der Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO). 757 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 7 Rom I-VO und Erwägungsgrund Nr. 7 Rom II-VO. Bei dieser rechtsaktübergreifenden Auslegung ist mithin die Stellung der Bestimmung im Gefüge des Unionsrechts insgesamt zu beachten und im Interesse der Einheit der Unionsrechtsordnung eine einheitliche Auslegung zentraler Begrifflichkeiten vorzunehmen. 758 G. Wagner IPRax 2008, 1, 1; v. Hein ZEuP 2009, 12; Leible/Lehmann RIW 2007, 721, 722; Leible/Engel EuZW 2004, 7, 8; v. Hein VersR 2007, 440, 442; Huber/Bach IPRax 2005, 73, 74. 759 Fezer/Hausmann/Oberfell Einl. I Rn. 158. 760 Siehe auch Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 154, welche die Formulierung „Inkrafttreten“ in Art. 31 Rom II-VO als Hinweis auf das in Art. 32 Rom II-VO genannte Datum des 11. 1. 2009 interpretieren, um so einen nachteiligen Statutenwechsel zu vermeiden. Ausführlich hierzu v. Hein ZEuP 2009, 6, 10 f., der darauf hinweist, dass einige Verordnungen zwischen ihrem „Inkrafttreten“ und ihrer „Anwendbarkeit“ differenzieren (z. B. Art. 33 EuVTVO oder Art. 24 EuBVO), was auch bei der Rom II-VO der Fall sei. Für ein Inkrafttreten der Rom II-VO am zwanzigsten Tag nach der Veröffentlichung im Amtsblatt spreche, dass die Kommission nach Art. 30 I Nr. 1 „bis spätestens 20. August 2011“ einen Bericht über die Handhabung der Verordnung, insbesondere in Bezug auf die Anwendung ausländischen Rechts, vorlegen musste. Darüber hinaus habe die Kommission selbst erklärt, diese Studie „spätestens […] vier Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung“ zu präsentieren. Rechne man aber nun vom 20. 8. 2011 vier Jahre zurück, so gelange man exakt zu dem nach Art. 254 I, II EGV ermittelten Datum des Inkrafttretens (20. 8. 2007); BGH 11. 2. 2010 – I ZR 85/08 – BGHZ 185, 66 = GRUR 2010, 847 Tz. 10 – Ausschreibung in Bulgarien; BGH 12. 12. 2013 – I ZR 131/12 – GRUR 2014, 601 Tz. 36 – Englischsprachige Pressemitteilung; BGH 12. 1. 2017 – I ZR 253/14 – GRUR 2017, 397 Tz. 39 – World of Warcraft II.

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II. Rechtsquellen des Internationalen Wettbewerbsprivatrechts

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liche Geschehen abgespielt hat, nicht jedoch wann Klage erhoben wurde.761 Dies hat der EuGH nunmehr in seiner Entscheidung „Deo Antoine Homawoo/GMF Assurances SA“ ausdrücklich bestätigt und festgestellt, dass die Art. 31 und 32 der Rom II-VO in Verbindung mit Art. 297 AEUV dahingehend auszulegen sind, „dass ein nationales Gericht verpflichtet ist, diese Verordnung nur auf schadensbegründende Ereignisse anzuwenden, die ab dem 11. Januar 2009 eingetreten sind, und dass der Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens, mit dem Schadensersatz eingeklagt wird, oder der Zeitpunkt der Bestimmung des anwendbaren Rechts durch das angerufene Gericht keinen Einfluss auf die Festlegung des zeitlichen Anwendungsbereichs dieser Verordnung haben.“762 Maßgeblicher Zeitpunkt ist allein der Eintritt des schädigenden Ereignisses.763 Im Falle von Unterlassungsansprüchen (Art. 2 Abs. 3 lit. a) Rom II-VO) ist darauf abzustel- 256 len, ob der Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses bereits vor der Anwendbarkeit der Rom II-VO wahrscheinlich war oder nicht.764

(3) Territorialer Anwendungsbereich/universelle Geltung der Verordnung. Die Rom II- 257 VO gilt, wie generell alle auf Art. 81 Abs. 2 AEUV gestützten Rechtsakte, nicht für Dänemark,765 weshalb Dänemark wie ein Drittstaat zu behandeln ist.766 Das Vereinigte Königreich und Irland haben hingegen von ihrer Möglichkeit des Opt-in Gebrauch gemacht – die Verordnung hat mithin für sie Geltung.767 Wie Art. 3 Rom II-VO deutlich herausstellt, handelt es sich bei der Verordnung um sog. loi 258 uniforme,768 was bedeutet, dass sie „universelle Geltung“ hat, und das nach ihr bezeichnete Recht auch dann anzuwenden ist, wenn es nicht das Recht eines Mitgliedstaates, sondern das eines Drittstaates ist. Hierdurch wird die Rom II-VO zum einen der Zielsetzung des Art. 81 Abs. 2 AEUV gerecht, Kollisionsnormen mit universeller Geltung zu schaffen.769 Zum anderen wird eine ungewollte Aufspaltung in ein Binnenmarktkollisionsrecht und ein Kollisionsrecht, das im Verhältnis zu Drittstaaten gilt, vermieden.770 Die Ausgestaltung als universelles Recht hat darüber hinaus zur Folge, dass das auf außervertragliche Schuldverhältnisse bezogene autonome Kollisionsrecht der Mitgliedstaaten vollständig durch die Rom II-VO ersetzt wird und nur noch in Altfällen Anwendung findet.771 Die Bedeutung und der Anwendungsbereich des autonomen Kollisionsrechts sind seit Geltung der Verordnung mithin verschwindend gering.772

761 MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 37. 762 EuGH 17. 11. 2011 − C-412/10 – NJW 2012, 441 f. Tz. 37 – Deo Antoine Homawoo/GMF Assurances SA; siehe zu den Schlussanträgen des Generalanwalts Paolo Mengozzi v. 6. 9. 2011 auch Sujecki EuZW 2011, 815. 763 EuGH 17. 11. 2011 − C-412/10 – NJW 2012, 441 f. Tz. 36 – Deo Antoine Homawoo/GMF Assurances SA. So auch schon MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 100; ausführlich zum Stand der Diskussion v. Hein ZEuP 2009, 6, 11. 764 v. Hein ZEuP 2009, 6, 11; s. auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 100. 765 Erwägungsgrund Nr. 40; Art. 1 Abs. 4 Rom II-VO; Wagner IPRax 2008, 314, 315; ders. IRPax 2008, 1, 3; v. Hein ZEuP 2009, 6, 15; Art. 69 EG i. V. m. Art. 1 und 2 des Protokolls über die Position Dänemarks (ABl. EG 1997, C 340/ 101 – mit Titel IIIa ist der spätere Titel IV gemeint). 766 v. Hein ZEuP 2009, 6, 15; Huber/Bach IPRax 2005, 73, 75. 767 Erwägungsgrund 39; G. Wagner IRPax 2008, 1, 3; v. Hein ZEuP 2009, 6, 15. 768 Huber/Bach IPRax 2005, 73, 75; v. Hein ZVglRWiss 102 (2003), 528, 542. Vereinzelt wurden Zweifel an der Kompetenz der EG für eine universelle Regelung geäußert. Diese sind jedoch mit Blick auf Art. 65 lit. b EGV unberechtigt, so auch Huber/Bach IPRax 2005, 73, 75; v. Hein ZEuP 2009, 6, 15; Sonnentag ZVglRWiss 105 (2006), 259, 262. 769 Der erforderliche Binnenmarktbezug besteht, wie MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 102 unter Verweis auf Kreuzer in Reichelt/Rechberger S. 13, 27 feststellt, auch mit Blick auf die Anwendbarkeit des Rechts von Drittstaaten. 770 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 156; Leible/Lehmann RIW 2007, 721, 724. 771 G. Wagner IPRax 2008, 1, 4; Leible/Lehmann RIW 2007, 721, 724; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 156. 772 Zum autonomen Wettbewerbskollisionsrecht siehe Rn. 190 ff.; ausführlich Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 61 ff.; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 621 ff.; MünchKommUWG/Mankowski1 IntWettbR Rn. 263 ff.; MünchKommBGB/Drexl4 IntUnlWettbR Rn. 82 ff.

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Mit Blick auf das Wettbewerbskollisionsrecht stellt die Verordnung folglich sicher, dass in der gesamten Europäischen Union unabhängig vom gewählten Forum stets dasselbe Recht berufen und ein forum shopping ausgeschlossen wird.773 Im Ergebnis bedeutet dies für den einzelnen Bürger und das einzelne Unternehmen, dass ein Wechsel des Aufenthalts- oder Niederlassungsstaates nicht mehr zu einem Statutenwechsel führt, was die Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit im Interesse der Beteiligten erhöht und als maßgeblicher Grund für die Kollisionsrechtsvereinheitlichung im Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander, aber auch im Verhältnis zu Drittstaaten, angesehen werden kann.774

260 dd) Anwendungsvorrang der Rom II-VO vor autonomem Wettbewerbskollisionsrecht. Die Rom II-VO hält mit Art. 6 eine spezielle Kollisionsnorm für die Anknüpfung wettbewerbsrechtlicher Sachverhalte bereit, welche das autonom entwickelte und zumeist auf Art. 40 EGBGB gestützte Wettbewerbskollisionsrecht verdrängt.775 Es handelt sich dabei um einen Anwendungsvorrang dieses sekundärrechtlichen Gemeinschaftsaktes, nicht um einen Geltungsvorrang.776 Nationale Rechtsnormen verlieren daher, selbst in Fällen, in denen sie dem Gemeinschaftsrecht widersprechen, nicht ihre Gültigkeit.777 Der Anwendungsvorrang der gemeinschaftsrechtlichen Normen gegenüber dem nationalen Kollisionsrecht, der sich bereits unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht selbst ergibt778 und der grundsätzlich umfassend gilt – was bedeutet, dass das Unionsrecht dem mitgliedstaatlichen Recht jeder Regelungsebene vorgeht779 –, hat daher lediglich die Nichtanwendung des nationalen Rechts im Falle eines Konfliktes zur Folge.780

261 ee) Verhältnis zu völkerrechtlichen und sonstigen gemeinschaftskollisionsrechtlichen Regelungen. Das Verhältnis der Rom II-VO zu einschlägigen internationalen Übereinkommen muss grundsätzlich autonom-unionsrechtlich festgestellt werden.781 Art. 28 Rom IIVO regelt insofern, dass die Bestimmungen der Rom II-VO nicht die Anwendung der internationalen Übereinkommen, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Annahme der Verordnung angehören und die Kollisionsnormen für außervertragliche Schuldverhältnisse enthalten (Art. 28 Abs. 1 Rom II-VO), berühren. Konventionsrechtliche Regelungen gehen dem Verordnungsrecht mithin im Interesse der Vertragstreue der Mitgliedstaaten, die ihren Verpflich773 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 102. 774 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 102. 775 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 4, 155. Zur Verortung des Marktortprinzips im deutschen Wettbewerbskollisionsrecht siehe ausführlich Rn. 191.

776 Ahrens FS Georgiades S. 789. 777 Ahrens FS Georgiades S. 789: Im Ergebnis dürfen sie mithin nicht angewandt werden, soweit sie mit primärem oder sekundärem Gemeinschaftsrecht kollidieren. Dies stellt Art. 3 Nr. 1 EGBGB deutlich heraus.

778 Art. 3 Nr. 1 EGBGB, der insoweit nur deklaratorischen Charakter hat (Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 51; R. Wagner IPRax 2008, 314, 317; Wendehorst in Langenbucher/Engert § 8 Rn. 3), stellt dies jedoch nochmals deutlich heraus, s. Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 44. 779 Siehe hierzu die Rechtsache EuGH 9. 3. 1978 – C-106/77 – Slg. 1978, 629 Tz. 16 – Simmenthal, in welcher der Gerichtshof feststellt, dass „jede entgegenstehende Bestimmung des geltenden staatlichen Rechts ohne weiteres unanwendbar“ ist. 780 Mit Blick auf das Zivilrecht muss die Norm des Unionsrechts jedoch unmittelbar anwendbar sein. Siehe in diesem Kontext auch EuGH 19. 6. 1990 – C-213/89 – Slg. 1990, I-2433 Tz. 19 ff. – Factortame; EuGH 15. 7. 1964 – 6/ 64 – Slg. 1964, 1251, 1269 – Costa; EuGH (Plenum) 8. 3. 2011 – Gutachten 1/09 – GRUR Int. 2011, 309 Tz. 65 – Einheitliches Patentgerichtssystem sowie die 17. Erklärung zum Vorrang als Teil der Erklärungen zur Schlussakte der Regierungskonferenz, die den am 13. Dezember 2007 unterzeichneten Vertrag von Lissabon angenommen hat, ABl. EU C 115 v. 9. 5. 2008, S. 344. 781 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 106; Handig GRUR Int. 2008, 24, 25.

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II. Rechtsquellen des Internationalen Wettbewerbsprivatrechts

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tungen gegenüber Drittstaaten auch weiterhin nachkommen sollen,782 vor, sofern sie in Bezug auf lauterkeitsrechtliche Sachverhalte Kollisionsregeln enthalten. Allerdings ist die Regelung des Art. 28 Rom II-VO auf „frühere“ Übereinkommen begrenzt, was bedeutet, dass nur jene Übereinkommen Vorrang beanspruchen können, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Annahme dieser Verordnung783 angehört haben. Handelt es sich hingegen um rein mitgliedstaatliche Beziehungen, findet gemäß Art. 28 Abs. 2 Rom II-VO allein die Rom IIVO Anwendung. Das Unionsrecht hat mithin im Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander Vorrang vor zwischen zwei oder mehreren Mitgliedstaaten geschlossenen internationalen Übereinkommen.784 Das Verhältnis der Rom II-VO zu anderen europäischen Rechtsakten, die besondere Kolli- 262 sionsnormen im Bereich der außervertraglichen Schuldverhältnisse vorsehen, regelt Art. 27 Rom II-VO, indem er bestimmt, dass die Rom II-VO nicht die Anwendung von Vorschriften des Gemeinschaftsrechts berührt, die für besondere Gegenstände Kollisionsnormen für außervertragliche Schuldverhältnisse enthalten. Besondere Kollisionsnormen im Bereich der außervertraglichen Schuldverhältnisse gehen der Rom II-VO mithin vor.785 Da dem Herkunftslandprinzip der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste786 über- 263 wiegend ein kollisionsrechtlicher Gehalt beigemessen wird,787 bedeutet dies, dass sie gegenüber der Rom II-VO mit Blick auf ihren spezifischen Anwendungsbereich Vorrang beansprucht. Entsprechend der in „De Agostini“788 zugrunde gelegten engen Auslegung des koordinierten Bereichs, erfasst das Herkunftslandprinzip der Richtlinie aber nur jene Regelungen, die spezifisch die Tätigkeit von Fernsehanstalten betreffen. Handelt es sich hingegen um allgemein der Lauterkeit des Handelsverkehrs und dem Verbraucherschutz dienende Vorschriften, unterfallen diese nicht dem koordinierten Bereich und werden mithin nicht vom Herkunftslandprinzip erfasst.789 Für diese jenseits des koordinierten Bereichs liegenden Gebiete gilt damit jedenfalls für Sachver-

782 Siehe Erwägungsgrund 36, VO 2007/864/EG – ABl. EU L 199 v. 31. 7. 2007, S. 43. 783 Das maßgebliche Datum ist insofern der 1. 7. 2007. 784 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 44; Bamberger/Roth/Spickhoff Art. 28 Rom II-VO Rn. 4; Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 13d. Zum Verhältnis der Rom II-VO zu von der Europäischen Union selbst abgeschlossenen Verträgen, welche Kollisionsnormen enthalten siehe ausführlich MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 110. 785 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 44. 786 Die Richtlinie 2010/13/EU trat am 19. 12. 2007 in Kraft (vgl. RL 2010/13/EU – ABl. EU L 95 v. 15. 4. 2010, S. 1 ff.). Sie ist die konsolidierte Fassung der Neufassung der Richtlinie 2007/65/EG, welche wiederum auf die erste Fernsehrichtlinie 89/552/EWG zurückgeht. Zu den jüngsten Änderungen der Richtlinie vgl. die am 18. 12. 2018 in Kraft getretene Richtlinie 2018/1808/EU zur Änderung der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste. 787 Vgl. (teilweise noch zur FernsehRL) AnwKommBGB/Wagner Art. 40 EGBGB Rn. 72; v. Bar/Mankowski § 3 Rn. 88; Dethloff S. 51 ff.; dies. JZ 2000, 179, 180; Kort GRUR Int. 1994, 594, 601; Kotthoff S. 34 f.; Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 159, 365 ff.; Lehmler UWG Einl. Rn 58; Mankowski ZVglRWiss 100 (2001), 137, 142 f.; MünchKommBGB/Kreuzer Art. 38 EGBGB Rn. 227a; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 99; Staudinger/v. Hoffmann Art. 40 EGBGB Rn. 300; Reithmann/Martiny/Obergfell IVR Rn. 1773; Sack WRP 1994, 281, 284; Schack MMR 2000, 59, 62; Schricker GRUR Int. 1990, 771, 774 f.; Schricker/Henning-Bodewig WRP 2001, 1367, 1370; Thünken S. 51; ders. IPRax 2001, 15, 19 – A.A. Ahrens FS Tilmann, S. 739, 744 f.; Baetzgen S. 290 Rn. 734; Blasi S. 267 ff.; Halfmeier ZEuP 2001, 837, 858; Piper/Ohly/Sosnitza Einf. C Rn. 78; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 537; zweifelnd auch Harte/Henning/Glöckner Einl. C Rn. 28 ff. sowie Sack WRP 2008, 845, 858. Siehe zum Streit über den kollisionsrechtlichen Charakter des Herkunftslandprinzips der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste auch Rn. 118 ff. 788 EuGH 17. 9. 1996 – C-34/95 – Slg. 1997, I-3843 = GRUR Int. 1997, 913 Tz. 28 ff. – De Agostini. Die Entscheidung betraf zwar noch die Fernsehrichtlinie, hat aber auch mit Blick auf die Änderungsrichtlinie Bedeutung, MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 57. 789 EuGH 17. 9. 1996 – C-34/95 – Slg. 1997, I-3843 = GRUR Int. 1997, 913 Tz. 34 – De Agostini. Anonsten würden die Angleichungsmaßnahmen im Lauterkeitsrecht (beispielsweise Richtlinie 84/450/EWG, heute Richtlinie 2006/ 114/EG) im Bereich der Fernsehwerbung ihre Bedeutung verlieren. Siehe zudem Erwägungsgrund 82 RL 2010/ 13/EU.

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halte nach dem 11. 1. 2009790 die nach Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO maßgebliche Marktortanknüpfung.791 264 Bejaht man entgegen der hier vertetenen Auffassung792 einen kollisionsrechtlichen Gehalt des in der E-Commerce-Richtlinie793 niedergelegten Herkunftslandprinzips,794 so geht auch diese der Rom II-VO im Rahmen ihres Anwendungsbereichs vor.795 Maßgeblich wäre mithin für den koordinierten Bereich, der mit Blick auf die E-Commerce-Richtlinie jedoch deutlich weiter verstanden wird und alle rechtlichen Anforderungen umfasst, die das Rechtssystem der Mitgliedstaaten an Dienste der Informationsgesellschaft und deren Anbieter stellt, und zwar unabhängig davon, ob diese Anforderungen speziell an solche Dienste und Anbieter gestellt werden oder nicht, gemäß Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 der E-Commerce-Richtlinie das Recht des Staates, in dem der Diensteanbieter seine Niederlassung hat. 265 Eine kollisionsrechtliche Deutung des sekundärrechtlichen Herkunftslandprinzips führt mithin zu einer Kollisionsrechtsspaltung, was bedeutet, dass unterschiedliche Anknüpfungsmomente für den durch die E-Commerce-Richtlinie koordinierten Bereich einerseits und außereuropäische Sachverhalte bzw. von der E-Commerce-Richtlinie nicht umfasste Sachverhalte auf der anderen Seite existieren. Hinsichtlich Letzterer würde es nämlich bei einer Anknüpfung an autonomes Recht bzw. für Sachverhalte nach dem 11. 1. 2009796 bei der nach Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO maßgeblichen Marktortanknüpfung bleiben.

266 ff ) Qualifikation. Wie schon an anderer Stelle ausgeführt,797 muss die Auslegung sämtlicher Normen der Rom II-VO – und damit auch die Qualifikation der entsprechenden anknüpfungsrelevanten Systembegriffe – autonom unionsrechtlich, d. h. nach den Auslegungsgrundsätzen des EU-Rechts erfolgen.798 Dies bedeutet, dass „die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweisen, in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten“ müssen.799 790 Zum Streit um die zeitliche Anwendbarkeit der Rom II-VO siehe Rn. 169 sowie EuGH 17. 11. 2011 − C-412/10 – NJW 2012, 441 f. Tz. 37 – Deo Antoine Homawoo/GMF Assurances SA; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. Rn. 154; v. Hein ZEuP 2009, 6, 10 f.; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 37. 791 Vgl. Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 120. 792 Siehe hierzu ausführlich Rn. 138 ff. 793 Zum Verhältnis der E-CommerceRL zur Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste siehe Rn. 128 f. 794 Siehe nur v. Bar/Mankowski § 3 Rn. 88; Höder S. 200 f.; Leible/Engel EuZW 2004, 7, 17; Mankowski GRUR Int. 1999, 909, 912 f.; ders. ZVglRWiss 100 (2001), 137, 140 ff., 179 f.; ders. CR 2001, 630, 632; ders. IPRax 2002, 257, 257 f.; ders. EWS 2002, 401, 402 ff.; MünchKommUWG/ders. IntWettbR Rn. 48 ff.; Gierschmann DB 2000, 1315, 1316; Fezer/ Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 134 ff.; Lurger/Vallant RIW 2002, 188, 198; Nickels DB 2001, 1919, 1922; Stagl ÖBl. 2004, 244, 251 f.; Thünken S. 83 ff.; ders. ICLQ 51 (2002), 909, 940 f.; ders. IPRax 2001,15, 19 f., die dem Herkunftslandprinzip in der Regel einen Verweis ausschließlich auf das Sachrecht des Herkunftslandes entnehmen wollen. Zum Streit um den kollisionsrechtlichen Gehalt der E-CommerceRL ausführlich Rn. 123 ff. insb. 130 ff. 795 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 143 ff. 796 Zum Streit um die zeitliche Anwendbarkeit der Rom II-VO siehe Rn. 169 sowie EuGH 17. 11. 2011 − C-412/10 – NJW 2012, 441 f. Tz. 37 – Deo Antoine Homawoo/GMF Assurances SA; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 154; v. Hein ZEuP 2009, 6, 10 f.; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 37. 797 Vgl. hierzu Rn. 10 f. 798 Heinze FS Kropholler, S. 198; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 157; EuGH (Große Kammer) 8. 11. 2005 – C443/03 – Slg. I 2005, 9637 = NJW 2006, 491 Rn. 43 f. Siehe hierzu auch Handig GRUR Int. 2008, 24, 25 und Bauermann S. 13 f. 799 EuGH (Große Kammer) 18. 10. 2011 – C-34/10 – GRUR 2011, 1104 Tz. 25 – Brüstle; s. auch EuGH 7. 12. 2006 – C306/05 – Slg. 2006, I-11521 Tz. 31 = GRUR 2007, 225 – SGAE; EuGH 30. 6. 2011 – C-271/10 – GRUR 2011, 913 Tz. 25 – VEWA; EuGH 14. 12. 2006 – C-316/05 – Slg. 2006, I-12083 Tz. 21 = GRUR Int. 2007, 320 – Nokia; Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi vom 3. 2. 2011 – C-122/10 – Tz. 24 – Ving Sverige; siehe bereits EuGH 19. 3. 1964 – Rs. 75/ 63 – Slg. 1964, 379, 396 – Unger.

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II. Rechtsquellen des Internationalen Wettbewerbsprivatrechts

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Leitgedanke jeglicher Auslegung muss es dabei sein, der konkreten Norm größtmögliche 267 Wirksamkeit zu verschaffen („effet utile“).800 Stehen also mehrere Auslegungsalternativen zur Wahl, ist derjenigen der Vorzug zu geben, welche am besten geeignet ist, die praktische Wirksamkeit der Vorschrift zu wahren.801 Relevanz für den Auslegungsvorgang erlangen dabei nicht nur die konkreten Vorschriften der Rom II-VO, sondern auch die dazugehörigen Erläuterungen, die sich an anderer Stelle der Verordnung befinden. Insbesondere die den eigentlichen Normen vorangestellten Erwägungsgründe (Art. 296 Abs. 2 AEUV) sind – auch wenn sie nach Ansicht des Gerichtshofes nicht rechtlich verbindlich sind802 – bei der Auslegung zu beachten, da sie oftmals Auskunft über allgemeine Erwägungen beim Erlass des Rechtsaktes oder der konkreten Einzelvorschrift sowie über die mit dem Rechtsakt verfolgten Ziele geben und angesichts des untrennbaren Zusammenhangs zwischen den Erwägungsgründen und den verfügenden konkreten Bestimmungen803 als Teil des Rechtsaktes anzusehen sind.804 Im Übrigen kommen die anerkannten Auslegungsgrundsätze der grammatikalischen,805 268 systematischen (rechtsaktimmanent und rechtsaktübergreifend)806 sowie der teleologischen Auslegung807 unter besonderer Beachtung des Grundsatzes der Effektivität808 zur Anwendung. 800 EuGH 9. 3. 2006 – C-174/05 – Slg. 2006, I-2443 Tz. 20 – Zuid-Hollandse Milieufederatie und Natuur en Milieu; bereits EuGH 15. 7. 1963 – 34/62 – Slg. 1962, 289, 318 – Kommission/Deutschland. Siehe auch Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. Rn. 157 sowie zum klassischen Auslegungskanon MünchKommBGB/Junker Vorb. zu Art. 1 Rom II-VO Rn. 30–34. 801 EuGH 9. 3. 2006 – C-174/05 – Slg. 2006, I-2443 Tz. 20 – Zuid-Hollandse Milieufederatie und Natuur en Milieu; so auch bereits EuGH 15. 7. 1963 – 34/62 – Slg. 1962, 289, 318 – Kommission/Deutschland. 802 Vor diesem Hintegrund können sie argumentativ nicht eingesetzt werden, um von den konkreten Regelungen des Rechtsaktes abzuweichen oder diese entgegen dem Wortlaut auszulegen, EuGH 19. 11. 1998 – C-162/97 – Slg. 1998, I-7477 Tz. 54 – Nilsson; EuGH 24. 11. 2005 – C-136/04 – Slg. 2005, I-10095 Tz. 32 – Deutsche Milchkontor. 803 Vgl. EuGH (Große Kammer) 25. 10. 2011 – C-509/09 und C-161/10 – GRUR 2012, 300, 303 Tz. 55 – eDate Advertising: „In diesem Sinne ist der verfügende Teil eines Unionsrechtsakts untrennbar mit seiner Begründung verbunden und erforderlichenfalls unter Berücksichtigung der Gründe auszulegen, die zu seinem Erlass geführt haben“; zurückhaltender noch EuGH 13. 7. 1989 – 215/88 – Slg. 1989, 2789 Tz. 31 – Casa Fleischhandel. 804 Kein Bestandteil des auszulegenden Normtextes sind jedoch die erläuternden Berichte der europäischen Organe zur Auslegung der Bestimmungen. 805 Ausgangspunkt jeder autonom unionsrechtlichen Auslegung ist dabei der Wortlaut der konreten Bestimmung im Sinne „gewöhnlichen Sprachgebrauchs“, EuGH 10. 3. 2005 – C-336/03 – Slg. 2005, I-1947 Tz. 21 – easyCar, wobei keine isolierte Betrachtung nur einer Sprachfassung erfolgen darf, die Bestimmung vielmehr unter Berücksichtigung der anderen Sprachfassungen auszulegen ist, siehe EuGH 6. 10. 1982 – 283/81 – Slg. 1982, 3415 Tz. 18 – C.I.L.F.I.T.; EuGH 3. 6. 2010 – C-569/08 – Slg. 2010, I-4871 = GRUR 2010, 733 Tz. 33–35 – Schlicht; EuGH 9. 6. 2011 – C-52/10 – GRUR Int. 2011, 733 Tz. 23 – Alter Channel; EuGH 17. 11. 2011 – C-412/10 – NJW 2012, 441 Tz. 28 – Deo Antoine Homawoo/GMF Assurances SA. Weichen die einzelnen Fassungen voneinander ab, so muss eine Auslegung nach Sinn und Zweck der Regelung erfolgen, EuGH 27. 10. 1977 – 30/77 – Slg. 1977, 1999 Tz. 13/14 – Bouchereau; EuGH 4. 10. 2007 – C-457/05 – Slg. 2007, I-8075 Tz. 18 – Diageo; EuGH 17. 9. 2009 – C-347/08 – Slg. 2009, I-8661 Tz. 26 – Voralberger Gebietskrankenkasse; EuGH 9. 6. 2011 – C-52/10 – GRUR Int. 2011, 733 Tz. 24 – Alter Channel. Siehe hierzu auch Weiler ZEuP 2010, 861. 806 Zu berücksichtigen ist primär die Stellung der Norm im Gesamtgefüge der Verordnung (rechtsaktimmanente Systematik), siehe etwa EuGH 28. 7. 2011 – C-195/09 – GRUR Int. 2011, 934 Tz. 39 ff. – Synthon sowie EuGH 2. 9. 2010 – C-66/09 – GRUR Int. 2010, 974 Tz. 42 – Kirin Amgen; daneben ist aber auch die Stellung der Bestimmung im Gefüge des Unionsrechts insgesamt zu beachten, weshalb im Grundsatz, insbesondere im Interesse der Einheit der Unionsrechtsordnung, eine einheitliche Auslegung zentraler Begrifflichkeiten zu erfolgen hat. Siehe hierzu beispielsweise Erwägungsgrund Nr. 7, der explizit festlegt, dass die Bestimmungen der Rom II-VO und die in ihnen enthaltenen Begrifflichkeiten sowohl mit der EuGVVO als auch mit den Instrumenten, die das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht zum Gegenstand haben, in Einklang stehen sollen. 807 Besondere Relevanz im Auslegungsprozess kommt dabei den mit dem Rechtsakt verfolgten Zielen zu, Vgl. EuGH 25. 10. 2001 – C-112/99 – Slg. 2001, I-7945 = GRUR 2002, 354 Tz. 35 f. – Toshiba; EuGH 19. 4. 2007 – C-381/05 – Slg. 2007, I-3115 = GRUR 2007, 511 Tz. 61 – de Landtsheer; EuGH (Große Kammer) 18. 10. 2011 – C-34/10 – GRUR 2011, 1104 Tz. 31 f. – Brüstle. 808 EuGH 9. 3. 2006 – C-174/05 – Slg. 2006, I-2443 Tz. 20 – Zuid-Hollandse Milieufederatie und Natuur en Milieu; bereits EuGH 15. 7. 1963 – 34/62 – Slg. 1962, 289, 318 – Kommission/Deutschland. Siehe auch Fezer/Hausmann/

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

Zudem kann im Einzelfall auch die Berücksichtigung entstehungsgeschichtlicher Argumente809 erforderlich werden. 269 Mit Blick auf die Rom II-VO bedeutet dies nicht nur, dass schon die Qualifikation eines „zivil- und handelsrechtlichen außervertraglichen Schuldverhältnisses“ autonom unionsrechtlich vorzunehmen ist,810 vielmehr ist auch für die Begriffe der in Art. 6 Rom II-VO verankerten wettbewerbsrechtlichen Kollisionsnorm ein autonom unionsrechtlicher Auslegungsmaßstab anzulegen.811 In Erwägungsgrund 7 weist der Verordnungsgeber zudem explizit darauf hin, dass die Bestimmungen der Rom II-VO und die in ihnen enthaltenen Begrifflichkeiten sowohl mit der EuGVVO als auch mit den Instrumenten, die das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht zum Gegenstand haben, in Einklang stehen sollen.812 Hierdurch soll der Einheit und Kohärenz des Unionsrechts Rechnung getragen werden. 270 Die letztverbindliche Kompetenz zur Auslegung der Bestimmungen der Rom II-VO liegt beim Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg (Art. 19 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 lit. b) EUV), der im Interesse der Sicherung einer einheitlichen Anwendung des Unionsrechts813 im Falle einer Vorlage eines nationalen Gerichts nach Art. 267 Abs. 2 AEUV814 Anwendungs- und Auslegungsfragen im Vorlageverfahren klären muss.815 Hierdurch soll sichergestellt werden, dass die Regelungsziele der Rom II-VO, insbesondere der Zweck, den Ausgang von Rechtsstreitigkeiten vorhersehbarer zu machen und Rechtssicherheit hinsichtlich des anzuwendenden Rechts zu garantieren, erreicht werden.816

gg) Struktur der Kollisionsnorm 271 (1) Regelanknüpfung. Die Rom II-VO hält in Art. 6 Rom II-VO eine spezielle Kollisionsnorm für die Anknüpfung von Ansprüchen wegen wettbewerbswidrigen Verhaltens bereit. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine Sonderregel, welche eine Abweichung von der ErfolgsortObergfell Einl. I Rn. 157 sowie zum klassischen Auslegungskanon, MünchKommBGB/Junker Vorb. zu Art. 1 Rom IIVO Rn. 30–34. 809 Ergibt sich weder aus der teleologischen noch aus der Auslegung an Wortlaut und Systematik der Norm ein klares Ergebnis (die Gleichrangigkeit der entstehungsgeschichtlichen Auslegung zur systematischen, grammatikalischen und teleologischen Auslegung ist in der Rechtsprechung des EuGH unischer, vgl. EuGH (Große Kammer) 9. 3. 2010 – C-518/07 – Slg. 2010, I-1885 Tz. 29 – Kommission/Deutschland: keine Berücksichtigung entstehungsgeschichtlicher Argumente, wenn aufgrund von Wortlaut, Zielen und Systematik „klare Auslegung“ möglich ist; für eine gleichrangige Beachtung jedoch Höpfner/Rüthers AcP 209 (2009) 1, 1), kann auch die Entstehungsgeschichte der Norm wertvolle Hinweise für die Auslegung einer konreten Bestimmung des Unionsrechts geben. 810 Erwägungsgrund 11. 811 Erwägungsgrund 13; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 157; Handig GRUR Int. 2008, 24, 25. 812 Erwägungsgrund Nr. 7; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 157; Schulze/Heinrich/Dörner Vorb. zu Art. 1 Rom II-VO Rn. 2. 813 Zur Wahrung der einheitlichen Auslegung und Wirkung des Unionsrechts als Funktion des Vorabentscheidungsverfahrens EuGH 6. 4. 1962 – 13/61 – Slg. 1962, 97, 111 – De Geus; EuGH 24. 5. 1977 – 107/76 – Slg. 1977, 957 Tz. 5 – Hoffmann-La Roche; EuGH (Plenum) 8. 3. 2011 – Gutachten 1/09 – GRUR Int. 2011, 309 Tz. 83 – Einheitliches Patentgerichtssystem. 814 Art. 267 Abs. 2 AEUV eröffnet jedem mitgliedstaatlichen Gericht die Möglichkeit, Fragen hinsichtlich der Auslegung der Verträge (Art. 267 Abs. 1 lit. a AEUV) und des europäischen Sekundärrechts („Handlungen der Organe“, Art. 267 Abs. 1 lit. b AEUV) einschließlich der von der Union geschlossenen internationalen Übereinkommen (siehe hierzu EuGH [Große Kammer] 4. 5. 2010 – C-533/08 – Slg. 2010, I-4107 Tz. 60 – TNT Express) dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen, sofern es deren Beantwortung als entscheidungserheblich ansieht. Zur Frage, ob es sich bei der vorliegenden Einrichtung um ein Gericht i.S.v. Art. 267 AEUV handelt, siehe EuGH (Große Kammer) 16. 12. 2008 – C-210/06 – Slg. 2008, I-9641 Tz. 55 ff. – Cartesio. Allgemein zum Vorabentscheidungsverfahren siehe Piekenbrock EuR 2011, 317. 815 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 105. 816 Erwägungsgrund 6; so auch MünchKommBGB/Junker Vorb. zu Art. 1 Rom II-VO Rn. 28, vgl. auch EuGH (Große Kammer) 8. 11. 2005 – C-443/03 – Slg. I 2005, 9637 = NJW 2006, 491 Tz. 45.

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II. Rechtsquellen des Internationalen Wettbewerbsprivatrechts

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anknüpfung des Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO etabliert. Vielmehr stellt Art. 6 Rom II-VO eine „Präzisierung“ derselben dar.817 Im Bereich des Wettbewerbsrechts soll die Kollisionsnorm nach dem Willen des Verord- 272 nungsgebers die Wettbewerber, die Verbraucher und die Öffentlichkeit schützen und das reibungslose Funktionieren der Marktwirtschaft sicherstellen, was im Allgemeinen durch eine Anknüpfung an das Recht des Staates, in dessen Gebiet die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt worden sind oder beeinträchtigt zu werden drohen, erreicht werden könne.818 Ausgehend von der Regelanknüpfung des Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO gilt mithin für Ansprüche wegen unlauteren Wettbewerbs das auch bisher in Deutschland819 und in vielen anderen europäischen Rechtsordnungen zur Anwendung berufene Marktortprinzip,820 ein Prinzip, das dem Schutzzweck des Wettbewerbsrechts in ausreichendem Maße Rechnung trägt.821 Anwendbar ist folglich das Recht des Staates, auf dessen Markt die Wettbewerbsmaßnahme einwirkt und die wettbewerblichen Interessen kollidieren.822

(2) Ausnahmen von der Regelanknüpfung. In Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO findet sich eine Son- 273 derregelung für bilaterales Wettbewerbsverhalten, wonach die allgemeine deliktische Anknüpfungsregel des Art. 4 Rom II-VO Anwendung findet, wenn ausschließlich die Interessen eines Wettbewerbers betroffen sind. Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO knüpft – anders als Art. 40 Abs. 1 EGBGB – am Recht des Staates 274 an, in dem der Schaden eintritt (Erfolgsort).823 Zudem sieht Art. 4 Rom II-VO auch keine Wahlmöglichkeit des Geschädigten vor.824 Zu beachten ist zudem, dass die Anknüpfung nach Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO an das Erfolgsortrecht unter drei Vorbehalten steht: Haben der Schädiger und der Geschädigte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat (Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO), so unterliegt die unerlaubte Handlung dem Recht dieses Staates. Weist der Sachverhalt eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen Staat auf (Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO), so finden weder die Anknüpfung nach Abs. 1 noch nach Abs. 2 Anwendung. Haben die Parteien eine

817 Erwägungsgrund 21. Im Vorfeld war lange umstritten, ob es überhaupt einer wettbewerbsrechtlichen Sonderregel bedarf oder ob nicht die allgemeine Anknüpfungsregel des Art. 4 Rom II-VO genügt. Siehe hierzu Leible/Lehmann RIW 2007, 721, 729 sowie zur Entwicklung Rn. 161 ff. 818 Erwägungsgrund 21. Zum maßgeblichen Marktortprinzip vgl. ausführlich Rn. 211 ff. 819 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 181 weisen darauf hin, dass die bisherige Spruchpraxis in Deutschland und Österreich bei der Bestimmung des Marktortes zumindest eine Indizwirkung entfalten kann, jedenfalls sofern die Argumentationslinien nicht rechtsnormgebunden verlaufen. 820 Die Hamburg Group for Private International Law hatte im Jahre 2002 in Folge des Vorentwurfs hingegen das Herkunftslandprinzip als Anknüpfungsregel für das Wettbewerbsrecht vorgeschlagen, siehe hierzu Hamburg Group for Private International Law RabelsZ 67 (2003) 1, 18 ff. (ähnlich zuvor auch schon Dethloff JZ 2000, 179 ff.). Mit Blick darauf, dass die Anknüpfungsregeln der Rom II-VO universelle Geltung haben, der europäische Gesetzgeber jedoch keinerlei Einfluss auf den Schutzstandard in Drittstaaten hat, ist die Etablierung des Marktortprinzips die angemessenere Lösung. Eine Entscheidung für das Herkunftslandprinzip hätte zudem, wie auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 103 zu Recht betont, zu einer Bevorzugung der Anbieterinteressen geführt und den Grundsatz der Wettbewerbsgleichheit am Markt (par conditio concurrentium) gestört. 821 G. Wagner IPRax 2008, 1, 8; v. Hein ZVglRWiss 102 (2003), 528, 554; Leible/Lehmann RIW 2007, 721, 729. 822 Leible/Lehmann RIW 2007, 721, 729. Ausführlich hierzu Rn. 213 ff. 823 Art. 4 der Rom II-VO hat sich mithin gegen das in Deutschland vorherrschende Ubiquitätsprinzip entschieden. Der Handlungsort eines Delikts ist allerdings auch unter der Geltung der Rom II-VO nicht vollkommen unerheblich: Zum einen besteht die Möglichkeit, über Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO das Recht des Handlungsortes zu berufen. Zum anderen findet sich in Art. 17 Rom II-VO eine Regelung, dass Sicherheits- und Verhaltensvorschriften am Handlungsort als sog. local data zu berücksichtigen sind. Nicht zuletzt ist der Handlungsort auch bei Sonderdelikten relevant. Siehe hierzu ausführlich v. Hein ZEuP 2009, 6, 16. 824 Siehe hierzu Wendehorst in Langenbucher/Engert S. 384 Rn. 18; v. Hein ZEuP 2009, 6, 16, 18.

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

gültige Rechtswahl nach Art. 14 Rom II-VO getroffen, ist diese gegenüber allen drei objektiven Anknüpfungen vorrangig. 275 Anders als noch in den Vorentwürfen825 beschränkt sich die Regelung des Art. 6 Rom II-VO zudem nicht auf das Lauterkeitsrecht, sondern bezieht das Recht der Wettbewerbsbeschränkungen ebenfalls mit ein.826 Art. 6 Abs. 3 lit. a) Rom II-VO bestimmt insofern als Grundregel, dass auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus einem den Wettbewerb einschränkenden Verhalten das Recht des Staates anzuwenden ist, dessen Markt beeinträchtigt ist oder wahrscheinlich beeinträchtigt wird. In Art. 6 Abs. 3 lit. b) Rom II-VO findet sich zudem eine Sonderregelung für die Fälle des sog. Multistate-Wettbewerbs, in denen durch ein und dasselbe Verhalten der Markt in mehr als einem Staat beeinträchtigt ist oder wahrscheinlich beeinträchtigt wird. Liegt ein solcher Fall vor, kann der Geschädigte, der vor einem Gericht im Mitgliedstaat des Wohnsitzes des Beklagten klagt, seinen Anspruch auf das Recht des angerufenen Gerichtsstaates (lex fori) stützen, sofern der Markt in diesem Staat zu denjenigen Märkten gehört, die unmittelbar und wesentlich durch das den Wettbewerb einschränkende Verhalten beeinträchtigt werden. Gleiches gilt, wenn der Kläger seine gegen mehrere Verletzer erhobene Klage auf der Grundlage von Art. 6 Nr. 1 EuGVVO im Heimatstaat eines Verletzers erhoben hat, zumindest sofern das den Wettbewerb einschränkende Verhalten auch den Markt im Mitgliedstaat dieses Gerichts unmittelbar und wesentlich beeinträchtigt. Als Alternative bleibt dem Kläger zudem die Möglichkeit, in den Staaten der verschiedenen Märkte, auf die sich das wettbewerbsbeschränkende Verhalten auswirkt, zu klagen.827 Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO stellt schließlich fest, dass das nach Art. 6 anzuwendende Recht 276 nicht zur Disposition der Parteien steht (Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO).828 Vom Marktortrecht kann mithin bei deliktischen Ansprüchen, die auf einem unlauteren Wettbewerbsverhalten beruhen, nicht durch Rechtswahl abgewichen werden. Dies ist angesichts des Schutzzwecks dieses Rechtsgebiets auch einleuchtend, denn in Fällen des unlauteren Wettbewerbs stehen nicht nur die Interessen einzelner Individuen im Raum, sondern auch die Interessen Dritter sowie der Allgemeinheit. Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die systematische Stellung ist jedoch fraglich, ob 277 Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO ebenfalls einen Ausschluss der Rechtswahl für Fälle rein betriebs- oder individualrechtsbezogener Wettbewerbsverstöße anordnet. Betrachtet man allein den Wortlaut der Norm, so schließt dieser nur eine Abweichung durch Rechtswahl von dem „nach diesem Artikel anzuwendenden Recht“ aus. Das Recht für rein bilaterale Wettbewerbsverstöße bestimmt sich jedoch gemäß Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO nach Art. 4 Rom II-VO, welcher eine Rechtswahl zulässt.829 Dies könnte für eine Zulässigkeit sprechen.830 Allerdings sprechen die besseren (systematischen und teleologischen) Gründe gegen eine Zulässigkeit der Rechtswahl auch im Bereich des Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO, da auch eine bilaterale (betriebsbezogene) Wettbewerbshandlung oftmals das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Leistungswettbewerb betrifft.831

825 So beispielsweise Art. 5 des Vorschlags für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) vom 22. 7. 2003, KOM(2003) 427 endg., S. 16 ff. 826 G. Wagner IRPax 2008, 1, 7; Leible/Lehmann RIW 2007, 721, 729. Zur Frage, ob die strukturelle Nähe zwischen dem Lauterkeitsrecht und dem Wettbewerbsrecht eine Übertragung des Auswirkungsprinzips auf das Lauterkeitskollisionsrecht erfordert, siehe ausführlich Rn. 39 ff., 214 ff. 827 Ausführlich hierzu G. Wagner IPRax 2008, 1, 8 und Leible/Lehmann RIW 2007, 721, 729. 828 G. Wagner IPRax 2008, 1, 8. 829 Leible RIW 2008, 257, 258; Leible/Lehmann RIW 2007, 721, 731. 830 Siehe in diesem Kontext auch G. Wagner IPRax 2008, 1, 8, der für eine teleologische Reduktion von Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO plädiert; wegen der auf dem Spiel stehenden Interessen Dritter als fragwürdig dargestellt v. Hein ZVglRWiss 102 (2003), 528, 556. 831 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 671. Siehe hierzu auch Rn. 229, 264.

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II. Rechtsquellen des Internationalen Wettbewerbsprivatrechts

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6. Autonomes Kollisionsrecht Der Anwendungsbereich des autonomen Kollisionsrechts hat sich mit Inkrafttreten der Rom 278 II-VO erheblich reduziert, denn Art. 6 Rom II-VO verdrängt als unmittelbar geltendes Recht (Art. 288 Abs. 2 AEUV) in seinem Anwendungsbereich832 das nationale Wettbewerbskollisionsrecht.833 Da es sich bei den Regelungen der Rom II-VO um so genanntes loi uniforme handelt, die Kollisionsregeln mithin auch im Verhältnis zu Drittstaaten Geltung beanspruchen,834 beschränkt sich der Anwendungsbereich des autonomen deutschen Rechts auf Altfälle, in denen die Rom II-VO intertemporal nicht anwendbar ist, und damit auf Sachverhalte vor dem 11. 9. 2009.835 Aus diesem Grund sollen an dieser Stelle nur die wesentlichen Grundzüge der Rechtslage dargestellt werden.836

a) Die Marktortanknüpfung als Abweichung vom internationaldeliktsrechtlichen Ubi- 279 quitätsprinzip. Die Regelungen des außervertraglichen Kollisionsrechts finden sich im deutschen Recht in Art. 39 ff. EGBGB. Dieses hält allerdings keine explizite Kollisionsregel für die Anknüpfung wettbewerbsrechtlicher Sachverhalte bereit. Zwar gab es in der Vergangenheit verschiedene Bemühungen, eine eigenständige Kollisionsnorm für den Bereich des Immaterialgüterrechts sowie des Wettbewerbsrechts zu kodifizieren. Diese waren jedoch nicht von Erfolg gekrönt.837 Vielmehr sah man auch bei der IPR Reform im Jahre 1999,838 im Rahmen derer Kollisionsregeln für außervertragliche Schuldverhältnisse normiert wurden, von der Kodifizierung einer eigenständigen Norm für das Internationale Wettbewerbsrecht ab.839 Der Gesetzgeber ging mit Blick auf das Wettbewerbskollisionsrecht vielmehr vom Fortbestehen der richterrechtlich entwickelten Marktortanknüpfung aus,840 die trotz erheblicher Bedenken841 traditionell so832 Zum territorialen, zeitlichen und sachlichen Anwendungsbereich der Rom II-VO siehe Rn. 165 ff. 833 Es handelt sich hierbei um einen Anwendungsvorrang, der umfassend gilt, siehe hierzu EuGH 9. 3. 1978 – C106/77 – Slg. 1978, 629 Tz. 16 – Simmenthal, in welcher der Gerichtshof feststellt, dass „jede entgegenstehende Bestimmung des geltenden staatlichen Rechts ohne weiteres unanwendbar“ ist. 834 S. die universelle Anwendung der Rom II-VO in Art. 3 Rom II-VO; vgl. auch MünchKommBGB/Junker Vorb. Art. 38 EGBGB Rn. 14; ders. JZ 2008, 169, 170; v. Hein ZEuP 2009, 6, 15; ders. VersR 2007, 440, 443; Leible/Engel EuZW 2004, 7, 9; Leible/Lehmann RIW 2007 721, 724; G. Wagner IPRax 2008, 1, 4; ders. IPrax 2006, 372, 389 f. 835 Zur Frage des maßgeblichen Geltungszeitpunktes siehe Rn. 169 f. Nach Ansicht des EuGH 17. 11. 2011 − C-412/ 10 – NJW 2012, 441 f. Tz. 37 – Deo Antoine Homawoo/GMF Assurances SA findet die Rom II-VO nur auf schadensbegründende Ereignisse Anwendung, die ab dem 11. 9. 2009 eingetreten sind. Diese Auslegung der maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung wurde auch schon zuvor von der überwiegenden Meinung in der Literatur (siehe hierzu statt vieler Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 154; v. Hein ZEuP 2009, 6, 10 f.; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 37) vertreten. Entscheidend für die Frage, welches Recht anwendbar ist, ist dabei wann sich das maßgebliche Geschehen abgespielt hat, nicht jedoch wann das Verfahren mit dem Schadensersatz eingeklagt wird, eingeleitet wurde oder wann die Bestimmung des anwendbaren Rechts durch das Gericht erfolgte. 836 Ausführlich zum autonomen deutschen Wettbewerbskollisionsrecht Rn. 190 ff.; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 61 ff.; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 621 ff.; MünchKommUWG/Mankowski1 IntWettbR Rn. 263 ff.; MünchKommBGB/Drexl4 IntUnlWettbR Rn. 82 ff. 837 Vgl. beispielsweise den vom Bundesjustizministerium im Jahr 1984 vorgelegten Vorschlag für einen neuen Art. 40 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB-E, der bei Ansprüchen aus unlauterem Wettbewerbsverhalten die Anwendbarkeit des Rechts des Staates vorsah, „auf dessen Markt die Wettbewerbsmaßnahme einwirkt, es sei denn, dass allein oder überwiegend die Geschäftsinteressen eines bestimmten Mitbewerbers betroffen sind“. Siehe hierzu auch Fezer/ Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 61 sowie Staudinger/v. Hoffmann Art. 40 EGBGB Rn. 301. 838 Gesetz zum Internationalen Privatrecht für außervertragliche Schuldverhältnisse und für Sachen vom 21. 5. 1999, BGBl I S. 1026. 839 Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 5.4. 840 Vgl. hierzu die Begründung RegE BTDrucks. 14/343, S. 10. 841 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 36 ff.; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 11. Vgl. hierzu auch Rn. 27, 191 ff.

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

wohl von der überwiegenden Ansicht im Schrifttum842 als auch von der Rechtsprechung843 im internationalen Deliktsrecht verortet wird. Mit Blick auf das EGBGB ist daher aus wettbewerbsrechtlicher Sicht im Ausgangspunkt das allgemeine Deliktsstatut, das nunmehr in Art. 40 EGBGB kodifiziert ist844 und dem als Anknüpfungsprinzip die Tatortregel zu Grunde liegt,845 maßgeblich.846 Gemäß Art. 40 Abs. 1 S. 1 EGBGB ist grundsätzlich das Recht des Handlungsortes anwendbar. Zudem hat der Verletzte nach Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB die Möglichkeit, statt des Handlungsortrechts die Anwendung des Rechts des Erfolgsortes zu verlangen. Besteht jedoch zum Recht eines anderen Staates eine „wesentlich engere Verbindung“, so findet nach der in Art. 41 Abs. 1 EGBGB verankerten Ausweichklausel das Recht dieses Staates Anwendung. Nach Art. 42 S. 1 EGBGB ist zudem die nachträgliche Rechtswahl zulässig. Die unveränderte und unmittelbare Anwendung des in Art. 40 EGBGB verankerten Ubiquitätprinzips im Rahmen des Wettbewerbskollisionsrechts war und ist jedoch insbesondere mit Blick auf das wettbewerbsrechtliche Prinzip der Chancengleichheit aller Wettbewerber auf dem Markt (par conditio concurrentium) nicht unproblematisch. Es besteht daher Einigkeit darüber, dass im Rahmen der kollisionsrechtlichen Anknüpfung von Wettbewerbshandlungen keine Unterscheidung nach Handlungs- und Erfolgsort erfolgen darf, denn andernfalls würde ein Unternehmen, das vom Inland aus auf dem ausländischen Markt tätig wird, gegenüber seinen Konkurrenten auf dem Auslandsmarkt dadurch einen Wettbewerbsnachteil erleiden, dass für dieses Unternehmen zwei Rechtsordnungen maßgeblich wären.847 Ebenso besteht Einigkeit dahingehend, dass aus Gründen der Rechtssicherheit eine (nachträgliche) Rechtswahl im Bereich des Wettbewerbskollisionsrechts nicht zulässig ist, Art. 42 EGBGB mithin keine Anwendung findet.848 Und auch die für das allgemeine Deliktsrecht in Art. 40 Abs. 2 EGBGB verankerte Sonderanknüpfung an das gemeinsame Heimatrecht von Verletzer und Verletztem kann im Bereich des Wettbewerbsrechts keine Geltung beanspruchen.849 Diesen Besonderheiten des internationalen Wettbewerbsrechts hat auch der BGH im Rahmen seiner Rechtsprechung stets Beachtung geschenkt. Zwar nahm er die deliktsrechtliche Tatortregel grundsätzlich zum Ausgangspunkt seiner Bewertung,850 im Rahmen der Bestimmung

842 Ahrens FS Tillmann 739, 747; Köhler/Bornkamm Einl. Rn 5.4; Lindacher WRP 1996, 645, 647 ff.; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 9 f.; Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 14. 843 So der BGH in den Leitentscheidungen BGH 30. 6. 1961 – I ZR 39/60 – BGHZ 35, 329, 333 = GRUR 1962, 243, 245 – Kindersaugflaschen m. Anm. Filseck; BGH 20. 12. 1963 – Ib ZR 104/62 – BGHZ 40, 391, 394 = GRUR 1964, 316, 318 – Stahlexport m. Anm. Hoepffner. Seitdem ständige Rechtsprechung, BGH 23. 10. 1970 – I ZR 86/69 – GRUR 1971, 153, 154 – Tampax m. Anm. Droste; BGH 13. 5. 1977 – I ZR 115/75 – GRUR 1977, 672, 673 – Weltweit-Club; BGH 11. 3. 1982 – I ZR 39/78 – GRUR 1982, 495, 497 – Domgarten-Brand; BGH 4. 6. 1987 – I ZR 109/85 – GRUR 1988, 453, 454 – Champagner unter den Mineralwässern; BGH 15. 11. 1990 – I ZR 22/89 – BGHZ 113, 11, 14 = GRUR 1991, 463, 464 – Kauf im Ausland; BGH 26. 11. 1997 – I ZR 148/95 – GRUR 1998, 419, 420 – Gewinnspiel im Ausland; BGH 14. 5. 1998 – I ZR 10/96 – GRUR 1998, 945, 946 – Co-Verlagsvereinbarung; BGH 13. 5. 2004 – I ZR 264/00 – GRUR 2004, 1035, 1036 – Rotpreis-Revolution; BGH 30. 3. 2006 – I ZR 24/03 – BGHZ 167, 91 = GRUR 2006, 513 Tz. 25 – Arzneimittelwerbung im Internet; BGH 11. 2. 2010 – I ZR 85/08 – BGHZ 185, 66 = GRUR 2010, 847 Tz. 10 – Ausschreibung in Bulgarien; BGH 8. 10. 2015 – I ZR 225/13 – GRUR 2016, 513 Tz. 14 – Eizellspende; BGH 12. 1. 2017 – I ZR 253/ 14 – GRUR 2017, 397 Tz. 40 – World of Warcraft II. 844 Hierbei wurde das bereits im Richterrecht geltende Tatortprinzip, das die Maßgeblichkeit der lex loci delicti commissi vorsah (vgl. hierzu BGHZ 87, 95, 97 ff.), in Gesetzesform gegossen. 845 Arndt/Köhler EWS 2001, 102, 105. 846 Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 5.4. 847 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 63. 848 Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 5.19; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 629; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 13. 849 BGH 11. 2. 2010 – I ZR 85/08 – BGHZ 185, 66 = GRUR 2010, 847 Tz. 11 – Ausschreibung in Bulgarien; Fezer/ Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 64; Rauscher/Pabst NJW 2012, 3490, 3496. 850 Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 176; Binder RabelsZ 1955, 401, 412 f.

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II. Rechtsquellen des Internationalen Wettbewerbsprivatrechts

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des maßgeblichen Begehungsortes trug er jedoch den wettbewerbsrechtlichen Besonderheiten umfassend Rechnung.851 Festgehalten werden kann daher, dass die wettbewerbsspezifischen Besonderheiten im 284 deutschen Wettbewerbskollisionsrecht bei der Konkretisierung der maßgeblichen Tatortregel ausreichend zum Tragen kamen. Grundsätzlich wird ebenso wie auf europäischer Ebene zwischen marktbezogenen und betriebsbezogenen Wettbewerbshandlungen unterschieden, wobei als maßgeblicher Begehungsort bei marktbezogenen Wettbewerbshandlungen grundsätzlich der Ort anzusehen ist, wo auf die Marktgegenseite eingewirkt wird und die wettbewerblichen Interessen kollidieren.852 Dieser Ort ist Handlungs- und Erfolgsort zugleich.853 Insofern findet eine (korrigierende) Auslegung des Art. 40 Abs. 1 EGBGB statt.854 Vereinzelt wird zwar auch versucht,855 die Ausweichklausel des Art. 41 EGBGB zu Hilfe zu nehmen, um die Marktortanknüpfung zu begründen – und auch in den Gesetzesmaterialien zur IPR-Novelle von 1999 zeigte sich eine Tendenz, die Marktortanknüpfung als Abweichung vom internationaldeliktsrechtlichen Ubiquitätsprinzip unter Anwendung der Ausweichklausel nach Art. 41 EGBGB zu begründen.856 Dies ist jedoch nicht unproblematisch, denn Ausweichklauseln wie jene des Art. 41 EGBGB sollen in der Regel konkrete, nicht aber ganz grundsätzliche Unzulänglichkeiten in der Regelanknüpfung korrigieren.857

b) Überblick über die Entwicklung der Rechtsprechung zum Wettbewerbskollisions- 285 recht. Wie schon erwähnt, ging die Rechtsprechung zum Wettbewerbskollisionsrecht zwar grundsätzlich von einer deliktskollisionsrechtlichen Verankerung aus, trug jedoch von Beginn an den Eigenheiten des Wettbewerbsrechts Rechnung. Während das Reichsgericht anfangs noch zur Anwendung der lex fori tendierte und deutsches Wettbewerbsrecht grundsätzlich zur Anwendung brachte, wenn ein Wettbewerbsverstoß einen Inländer auf einem Auslandsmarkt verletzte858 und auch der BGH zunächst die Linie des Reichsgerichts fortsetzte859 und deutsches Wettbewerbsrecht selbst dann auf den Auslandswettbewerb unter Gewerbetreibenden mit Sitz im Inland zur Anwendung brachte, wenn der Handlungsort auch nur teilweise im Inland lag,860 851 BGH 30. 6. 1961 – I ZR 39/60 – BGHZ 35, 329, 333 = GRUR 1962, 243, 245 – Kindersaugflaschen m. Anm. Filseck; BGH 20. 12. 1963 – Ib ZR 104/62 – BGHZ 40, 391, 395 = GRUR 1964, 316, 318 – Stahlexport m. Anm. Hoepffner; BGH 23. 10. 1970 – I ZR 86/69 – GRUR 1971, 153, 154 – Tampax m. Anm. Droste; BGH 13. 5. 1977 – I ZR 115/75 – GRUR 1977, 672, 673 – Weltweit-Club; BGH 11. 3. 1982 – I ZR 39/78 – GRUR 1982, 495, 497 – Domgarten-Brand; BGH 4. 6. 1987 – I ZR 109/85 – GRUR 1988, 453, 454 – Champagner unter den Mineralwässern; BGH 15. 11. 1990 – I ZR 22/89 – BGHZ 113, 11, 14 f. = GRUR 1991, 463, 464 – Kauf im Ausland; BGH 26. 11. 1997 – I ZR 148/95 – GRUR 1998, 419, 420 – Gewinnspiel im Ausland; BGH 14. 5. 1998 – I ZR 10/96 – GRUR 1998, 945, 946 – Co-Verlagsvereinbarung; BGH 13. 5. 2004 – I ZR 264/00 – GRUR 2004, 1035, 1036 – Rotpreis-Revolution; BGH 30. 3. 2006 – I ZR 24/03 – BGHZ 167, 91 = GRUR 2006, 513 Tz. 25 – Arzneimittelwerbung im Internet; BGH 11. 2. 2010 – I ZR 85/08 – BGHZ 185, 66 = GRUR 2010, 847 Tz. 10 – Ausschreibung in Bulgarien; BGH 8. 10. 2015 – I ZR 225/13 – GRUR 2016, 513 Tz. 14 – Eizellspende; BGH 12. 1. 2017 – I ZR 253/14 – GRUR 2017, 397 Tz. 40 – World of Warcraft II. 852 Sack WRP 2000, 296, 272. 853 Sack WRP 2000, 296, 272; Mankowski GRUR Int. 1999, 909, 910; ähnlich auch Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 64. 854 Mankowski GRUR Int. 1999, 909, 910. 855 Staudinger/v. Hoffmann Art. 40 EGBGB Rn. 301, 326. 856 BTDrucks. 14/343, S. 10. Jedenfalls wurde unter Verweis auf Art. 41 EGBGB die Etablierung einer sonderkollisionsrechtlichen Regelung für das Wettbewerbsrecht für entbehrlich gehalten. 857 Mankowski GRUR Int 1999, 909, 910. Kritisch auch Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 630. 858 RGZ 55, 199, 200. 859 BGH 13. 7. 1954 – I ZR 14/53 – BGHZ 14, 286 ff. = GRUR 1955, 150 f.; Staudinger/v. Hoffmann Art. 40 EGBGB Rn. 302; Binder RabelsZ 1955, 401, 413. 860 Staudinger/v. Hoffmann Art. 40 EGBGB Rn. 302 m. w. N. Die Frage, ob gemäß der für das Deliktskollisionsrecht maßgeblichen Ubiquitätregel auch ausländisches Recht als Recht des Handlungsortes, hätte anwendbar sein können, thematisierte der BGH nicht.

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

löste sich die jüngere Rechtsprechung im Laufe der Jahre jedoch von diesem Heimwärtsstreben und wandte zunehmend auch ausländisches Recht an.861 286 Einen grundlegenden Wandel brachte schließlich die „Kindersaugflaschen“-Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1961,862 in welcher der BGH den Tatort im Sinne einer wettbewerbsspezifischen Anknüpfung an jedem Ort lokalisierte, an dem die wettbewerblichen Interessen miteinander kollidieren. Ein unlauterer Wettbewerbsverstoß kann nach dieser Rechtsprechungslinie demnach nur dort begangen werden, wo wettbewerbliche Interessen der Mitbewerber aufeinanderstoßen.863 Dies ist nach Auffassung des BGH zugleich auch der Ort, an dem die Interessen der Verbraucher und der Allgemeinheit an einem lauteren Wettbewerb betroffen sind.864 Marktort im Falle einer unlauteren Werbemaßnahme oder einer sonstigen Maßnahme, die der Kundengewinnung dient, ist mithin das Recht des Landes, auf dessen Markt durch die konkrete Aktion auf die Entschließung der Kunden eingewirkt werden soll.865 Hierdurch sollen kollisionsrechtlich bedingte Verzerrungen des Wettbewerbs ausgeschlossen und letztlich einheitliche Bedingungen für die auf dem Markt miteinander konkurrierenden Teilnehmer sichergestellt werden.866 Die in der „Kindersaugflaschen“-Entscheidung867 geprägte Rechtsprechungslinie wurde vom BGH in weiteren Entscheidungen, insbesondere auch in der Entscheidung „Stahlexport“868 fortgeführt und kann mittlerweile als ständige Rechtsprechung angesehen werden.869 287 Festzuhalten ist damit, dass nach der Rechtsprechung des BGH eine Modifizierung des Deliktsstatuts vorzunehmen ist. Diese hat zur Folge, dass der Begehungsort wettbewerbsspezifisch bestimmt wird, und im Ergebnis das Recht des Ortes anwendbar ist, an dem die wettbewerblichen Interessen der Mitbewerber aufeinanderstoßen.870 Ohne Relevanz sind hingegen 861 BGH 24. 7. 1957 – I ZR 21/56 – GRUR 1958, 189, 197 – Zeiß; BGH 18. 12. 1959 – I ZR 62/58 – GRUR 1960, 372, 377 – Kodak. 862 BGH 30. 6. 1961 – I ZR 39/60 – BGHZ 35, 329 ff. = GRUR 1962, 243 ff. – Kindersaugflaschen m. Anm. Filseck. In diesem Fall hat ein US-amerikanischer Hersteller von Kindersaugflaschen gegen einen deutschen Nachahmer geklagt, welcher die Flaschen zwar im Inland herstellte, sie jedoch ausschließlich im Ausland auf den Markt brachte. 863 BGH 30. 6. 1961 – I ZR 39/60 – BGHZ 35, 329, 333 f. = GRUR 1962, 243, 245 – Kindersaugflaschen m. Anm. Filseck. 864 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 621. 865 BGH 15. 11. 1990 – I ZR 22/89 – BGHZ 113, 11, 15 – GRUR 1991, 463, 464 – Kauf im Ausland; BGH 26. 11. 1997 – I ZR 148/95 – GRUR 1998, 419, 420 – Gewinnspiel im Ausland; BGH 13. 5. 2004 – I ZR 264/00 – GRUR 2004, 1035, 1036 – Rotpreis-Revolution; BGH 8. 10. 2015 – I ZR 225/13 – GRUR 2016, 513 Tz. 14 – Eizellspende. 866 Ahrens FS Tilmann, S. 739, 748. 867 BGH 30. 6. 1961 – I ZR 39/60 – BGHZ 35, 329 ff. = GRUR 1962, 243 ff. – Kindersaugflaschen m. Anm. Filseck. 868 BGH 20. 12. 1963 – Ib ZR 104/62 – BGHZ 40, 391 ff. = GRUR 1964, 316 ff. – Stahlexport m. Anm. Hoepffner. In dieser Entscheidung, in der der BGH ein Distanzdelikt, bei dem Handlungs- und Erfolgsort auseinander fielen, zu bewerten hatte, bestätigte er unter Beachtung der in der Kindersaugflaschen-Entscheidung geprägten Grundsätze die Maßgeblichkeit des Rechts des Ortes, an dem die wettbewerblichen Interessen aufeinanderstoßen. Insofern nahm das Gericht auch in dieser Entscheidung eine wertende, den spezifischen Interessen des Wettbewerbsrechts Rechnung tragende Bestimmung des Begehungsortes vor. Siehe hierzu auch Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 190. 869 Noch heute basiert die Rechtsprechung zum internationalen Wettbewerbsrecht auf den Entscheidungen Kindersaugflaschen und Stahlexport (BGH 30. 6. 1961 – I ZR 39/60 – BGHZ 35, 329, 333 f. = GRUR 1962, 243, 245 – Kindersaugflaschen m. Anm. Filseck; BGH 20. 12. 1963 – Ib ZR 104/62 – BGHZ 40, 391, 395 f. = GRUR 1964, 316, 318 – Stahlexport m. Anm. Hoepffner); Sack GRUR Int. 1988, 320, 322. Vgl. im Übrigen: BGH 23. 10. 1970 – I ZR 86/69 – GRUR 1971, 153, 154 – Tampax m. Anm. Droste; BGH 13. 5. 1977 – I ZR 115/75 – GRUR 1977, 672, 673 – Weltweit-Club; BGH 11. 3. 1982 – I ZR 39/ 78 – GRUR 1982, 495, 497 – Domgarten-Brand; BGH 4. 6. 1987 – I ZR 109/85 – GRUR 1988, 453, 454 – Champagner unter den Mineralwässern; BGH 15. 11. 1990 – I ZR 22/89 – BGHZ 113, 11, 14 f. = GRUR 1991, 463, 464 – Kauf im Ausland; BGH 26. 11. 1997 – I ZR 148/95 – GRUR 1998, 419, 420 – Gewinnspiel im Ausland; BGH 14. 5. 1998 – I ZR 10/96 – GRUR 1998, 945, 946 – Co-Verlagsvereinbarung; BGH 13. 5. 2004 – I ZR 264/00 – GRUR 2004, 1035, 1036 – Rotpreis-Revolution; BGH 30. 3. 2006 – I ZR 24/03 – BGHZ 167, 91 = GRUR 2006, 513 Tz. 25 – Arzneimittelwerbung im Internet; BGH 11. 2. 2010 – I ZR 85/08 – BGHZ 185, 66 = GRUR 2010, 847 Tz. 10 ff. – Ausschreibung in Bulgarien; BGH 8. 10. 2015 – I ZR 225/13 – GRUR 2016, 513 Tz. 14 – Eizellspende; BGH 12. 1. 2017 – I ZR 253/14 – GRUR 2017, 397 Tz. 40 – World of Warcraft II. 870 Mankowski GRUR Int. 1999, 909; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 621; BGH 30. 6. 1961 – I ZR 39/60 – BGHZ 35, 329, 333 f. = GRUR 1962, 243, 245 – Kindersaugflaschen m. Anm. Filseck; BGH 20. 12. 1963 – Ib ZR 104/62 – BGHZ

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III. Die Bestimmung des Wettbewerbsstatuts nach der Rom II-VO

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inländische Vorbereitungshandlungen für eine auf dem Auslandsmarkt geplante Wettbewerbshandlung,871 die Staatsangehörigkeit, der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthaltsort der potentiellen Kunden872 sowie der Ort des Schadenseinstritts.873 Auch die Tatsache, dass die Wettbewerber ihren Sitz im Inland haben, führt nicht zur Anwendung des deutschen UWG. In der Entscheidung „Ausschreibung in Bulgarien“ stellte der BGH874 diesbezüglich ausdrücklich klar, dass auch im Falle des Inländerwettbewerbs im Ausland die Anwendung des Marktortprinzips angemessen erscheint.875 Insofern stellt er einen Gleichlauf mit der ab dem 11. 1. 2009 geltenden Anknüpfung nach Art. 6 Abs. 1 der Rom II-VO her. Diese wettbewerbsspezifische Anknüpfung trägt den Besonderheiten, die unlauteren Wett- 288 bewerbshandlungen im Vergleich zu anderen unerlaubten Handlungen anhaften, ausreichend Rechnung und wurde daher auch in der Literatur überwiegend gebilligt.876 Jenseits der die Anknüpfung an den Marktort etablierenden Interessenkollisionslösung, die 289 wie gezeigt seit der Kodifizierung des Deliktskollisionsrechts überwiegend auf Art. 40 Abs. 1 bzw. Art. 41 Abs. 1 EGBGB gestützt wird, gibt es jedoch auch Ansätze in der Literatur, die eine Anwendung des kartellrechtlichen Auswirkungsprinzips favorisieren877 oder für eine Anknüpfung an das Recht des Schutzlandes plädieren.878

III. Die Bestimmung des Wettbewerbsstatuts nach der Rom II-VO 1. Kollisionsrechtsvereinheitlichung innerhalb der Europäischen Union Der europäische Gesetzgeber war in der Vergangenheit sehr zurückhaltend mit dem Erlass von Ge- 290 meinschaftsrechtsakten auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts. Ein wesentlicher Grund hierfür kann sicherlich in der lange Zeit fehlenden ausdrücklichen Gemeinschaftskompetenz gesehen werden879 – ein Manko, das jedoch durch den Vertrag von Amsterdam vom 2. 10. 1997 (in Kraft 40, 391, 395 f. = GRUR 1964, 316, 318 – Stahlexport m. Anm. Hoepffner; BGH 23. 10. 1970 – I ZR 86/69 – GRUR 1971, 153, 154 – Tampax m. Anm. Droste; BGH 13. 5. 1977 – I ZR 115/75 – GRUR 1977, 672, 673 – Weltweit-Club; BGH 11. 3. 1982 – I ZR 39/78 – GRUR 1982, 495, 497 – Domgarten-Brand; BGH 4. 6. 1987 – I ZR 109/85 – GRUR 1988, 453, 454 – Champagner unter den Mineralwässern; BGH 15. 11. 1990 – I ZR 22/89 – BGHZ 113, 11, 14 f. = GRUR 1991, 463, 464 – Kauf im Ausland; BGH 26. 11. 1997 – I ZR 148/95 – GRUR 1998, 419, 420 – GRUR 1998, 419, 420 – Gewinnspiel im Ausland; BGH 14. 5. 1998 – I ZR 10/96 – GRUR 1998, 945, 946 – Co-Verlagsvereinbarung; BGH 13. 5. 2004 – I ZR 264/00 – GRUR 2004, 1035, 1036 – Rotpreis-Revolution; BGH 30. 3. 2006 – I ZR 24/03 – BGHZ 167, 91 = GRUR 2006, 513 Tz. 25 – Arzneimittelwerbung im Internet; BGH 11. 2. 2010 – I ZR 85/08 – BGHZ 185, 66 = GRUR 2010, 847 Tz. 10 – Ausschreibung in Bulgarien; BGH 8. 10. 2015 – I ZR 225/13 – GRUR 2016, 513 Tz. 14 – Eizellspende; BGH 12. 1. 2017 – I ZR 253/14 – GRUR 2017, 397 Tz. 40 – World of Warcraft II. 871 Siehe beispielsweise BGH 26. 11. 1997 – I ZR 148/95 – GRUR 1998, 419, 420 – Gewinnspiel im Ausland sowie BGH 20. 12. 1963 – I ZR 104/62 – BGHZ 40, 391, 395 f. = GRUR 1964, 316, 318 – Stahlexport m. Anm. Hoepffner sowie Bauermann S. 109 ff. 872 BGH 26. 11. 1997 – I ZR 148/95 – GRUR 1998, 419, 420 – Gewinnspiel im Ausland. 873 BGH 26. 11. 1997 – I ZR 148/95 – GRUR 1998, 419, 420 – Gewinnspiel im Ausland. 874 BGH 11. 2. 2010 – I ZR 85/08 – BGHZ 185, 66 = GRUR 2010, 847 Tz. 13 – Ausschreibung in Bulgarien. Siehe hierzu auch ausführlich Glöckner WRP 2011, 137 ff. 875 Insofern nahm der BGH ausdrücklich von seiner Rechtsprechung in der Entscheidung BGH 20. 12. 1963 – I ZR 104/62 – BGHZ 40, 391, 397 ff. = GRUR 1964, 316, 318 f. – Stahlexport Abstand. 876 Siehe statt vieler: Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 194; MünchKommBGB/Kreuzer Art. 38 EGBGB Rn. 234, 240. 877 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 403, die das kartellrechtliche Auswirkungsprinzip auch in dogmatischer Hinsicht auf das Wettbewerbskollisionsrecht übertragen wollen. Des Weiteren: Harte/Henning/Glöckner Einl. C Rn. 112; Koos WRP 2006, 499, 504 ff. Zur Abgrenzung des Marktortprinzips vom Auswirkungsprinzip siehe auch Rn. 39 ff., 214 ff. 878 Sandrock GRUR Int. 1985, 507, 518; Siehe hierzu auch ausf. Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 214. Zur Abgrenzung des Marktortprinzips vom Schutzlandprinzip siehe auch Rn. 33 ff., insb. 36. 879 So auch Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 52, die ebenfalls auf die Schwerfälligkeit des völkerrechtlichen Übereinkommens als Regelungsinstrument verweisen.

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

getreten am 1. 5. 1999) beseitigt wurde. Dieser forderte den europäischen Gesetzgeber mit Art. 61 lit. c) EG (a. F.) zum schrittweisen Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts auf und führte zu einer Vergemeinschaftung der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen.880 In der Folge wechselte das Internationale Privatrecht aus der dritten Säule (Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres) in die erste Säule der Europäischen Union (Art. 65 EGV a. F.). 291 Nach Art. 65 EGV schließen die Maßnahmen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitenden Bezügen, soweit sie für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes notwendig sind, die Förderung der Vereinbarkeit der in den Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsnormen und Vorschriften zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten ein. Der Vertrag von Amsterdam war folglich mit einer erheblichen Erweiterung der Gesetzgebungszuständigkeiten auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts verbunden.881 Seit Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages sind eine Reihe von Rechtsakten ergangen.882 292 Die hier maßgebliche Rom II-VO vom 11. 7. 2007 ist bisheriger Schlusspunkt langjähriger Bemühungen,883 den Bereich des internationalen außervertraglichen Schuldrechts innerhalb der Europäischen Gemeinschaften zu vereinheitlichen.884 Die Rom II-VO hat aber nicht nur eine lange Gesetzgebungsgeschichte – ihr wird insofern auch „historische“ Bedeutung beigemessen, als es sich um „die erste Neuschöpfung des europäischen Kollisionsrechts“ handelt.885

2. Qualifikation: Autonome Auslegung des Normtextes 293 Wie schon oben dargestellt,886 muss die Auslegung sämtlicher Bestimmungen der Rom II-VO bzw. die Qualifikation der entsprechenden Systembegriffe autonom gemeinschaftsrechtlich, d. h. nach den Auslegungsgrundsätzen des EU-Rechts erfolgen.887

3. Die allgemeine Regel des Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO: Anknüpfung an den Marktort 294 a) Grundbegriffe des Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO. Die Begrifflichkeiten der Rom II-VO werden in den einzelnen Mitgliedstaaten zum Teil unterschiedlich ausgelegt, zudem weist die Verord-

880 R. Wagner NJW 2003, 2344, 2344. 881 Staudinger/v. Hoffmann Art. 38–42 EGBGB Rn. 14. 882 MünchKommBGB/Junker Vorb. zu Art. 1 Rom II-VO Rn. 1; R. Wagner NJW 2003, 2344, 2345 nennt die bis 1999 ergangenen Rechtsakte.

883 Bemühungen, die weit zurück reichen, denn die Kommission der Europäischen Gemeinschaft legte bereits im Jahre 1972 einen „Vorentwurf eines Übereinkommens über das auf vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht“ vor. Abgedruckt in RabelsZ 38 (1974), 211 und auszugsweise bei Staudinger/v. Hoffmann Vorb. Art. 38–42 EGBGB Rn. 11. An diesem Vorentwurf wurde jedoch zunächst nicht weitergearbeitet, vgl. Sonnentag ZVglRWiss 105 (2006) 256, 261; Wagner EuZW 1999, 709, 709; Wendehorst in Langenbucher/Engert S. 381 Rn. 12. Siehe hierzu auch Rn. 161 ff. 884 Zu den Zielen des Gemeinschaftsgesetzgebers s. Erwägungsgründe 1 und 6. Zur wechselvollen Vorgeschichte der Rom II-VO vgl. Rn. 161 ff. 885 MünchKommBGB/Junker, Vorb. zu Art. 1 Rom II-VO Rn. 1. Erst deutlich später wurde durch das Übereinkommen vom 19. 6. 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Schuldvertrags-Übereinkommen – EVÜ) eine Vereinheitlichung auf dem Gebiet des internationalen Vertragsrechts erreicht, R. Wagner EuZW 1999, 709, 709; Staudinger/v. Hoffmann Art. 38–42 EGBGB Rn. 10. 886 Siehe hierzu Rn. 180 ff. 887 Erwägungsgrund 11, 13 und 30. Auf die Erwägungsgründe bezugnehmend Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 157; Mankowski GRUR Int. 2005, 634, 636; MünchKommBGB/Junker Vorb. zu Art. 1 Rom II-VO Rn. 30; Heinze FS Kropholler, S. 105, 108; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 157; EuGH (Große Kammer) 8. 11. 2005 – C-443/03 – Slg. I 2005, 9637 = NJW 2006, 491 Rn. 43 f. Siehe hierzu auch Bauermann S. 13 f.; Handig GRUR Int. 2008, 24, 25.

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III. Die Bestimmung des Wettbewerbsstatuts nach der Rom II-VO

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nung kaum Definitionen auf – dies erschwert ihre Anwendbarkeit und führt im Lichte der autonom unionsrechtlichen Auslegung zu Unsicherheiten.888

aa) Außervertragliches Schuldverhältnis. Dass der Begriff des „außervertraglichen Schuldver- 295 hältnisses“ autonom unionsrechtlich auszulegen ist, hat auch der europäische Gesetzgeber in Erwägungsgrund 11 nochmals ausdrücklich betont.889 In Art. 2 Rom II-VO findet sich zudem eine Konkretisierung des Begriffs des „außervertraglichen Schuldverhältnisses“.890 Danach liegt ein „außervertragliches Schuldverhältnis“ grundsätzlich immer dann vor, wenn es nicht durch eine freiwillig eingegangene Verpflichtung, sondern durch eine Sonderverbindung wie eine ungerechtfertigte Bereicherung (Art. 10 Rom II-VO), eine Geschäftsführung ohne Auftrag (Art. 11 Rom II-VO) oder eine culpa in contrahendo (Art. 12 Rom II-VO) begründet wird. Denn durch die fehlende Freiwilligkeit grenzt es sich vom vertraglichen Schuldverhältnis ab, welches wiederum durch eine rechtsgeschäftlich entstandene Sonderverbindung der Parteien charakterisiert wird.891 Nach Art. 2 Abs. 2 und Abs. 3 Rom II-VO ist der Anwendungsbereich der Verordnung wie schon erwähnt auch nicht auf kompensatorische Rechtsbehelfe beschränkt, sondern umfasst auch Abwehrrechte. Die Kollisionsnormen der Rom II-VO gelten mithin auch für außervertragliche Schuldverhältnisse, in denen ein Schaden zwar noch nicht eingetreten, dessen Entstehen aber wahrscheinlich ist.892 Mit Blick auf das Wettbewerbsrecht stellt Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO klar, dass ein unlauteres 296 Wettbewerbsverhalten eine „besondere unerlaubte Handlung“893 und folglich ein außervertragliches Schuldverhältnis im Sinne der Verordnung begründen kann. bb) Unlauteres Wettbewerbsverhalten. Sind außervertragliche Schuldverhältnisse aus un- 297 lauterem Wettbewerbsverhalten mithin zwar ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Verordnung erfasst (Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO), so ist dennoch unklar, was genau unter einem „unlauteren Wettbewerbsverhalten“ zu verstehen ist. Weder in der Verordnung noch im sonstigen Gemeinschaftsrecht findet sich eine Definition des Begriffs des unlauteren Wettbewerbs.894 Eine gewisse Orientierung können allenfalls die Erläuterungen der Europäischen Kommission zum Verordnungsvorschlag bieten, denn diese geben, auch wenn sie nach Ansicht des Gerichtshofes nicht rechtlich verbindlich sind,895 dennoch Auskunft über allgemeine Erwägungen beim Erlass der konkreten Vorschrift sowie über das mit ihr verfolgte Ziel, weshalb sie insbesondere auch mit Blick auf den untrennbaren Zusammenhang zwischen ihnen und den verfügenden konkreten Bestimmungen896 als Teil des Rechtsaktes anzusehen sind.897

888 Handig GRUR Int. 2008, 24, 25 f.; Mankowski GRUR Int. 2005, 634, 635; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 112. 889 G. Wagner IPRax 2008, 1, 1; Leible/Engel EuZW 2004, 7, 8; Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 5.30. 890 Junker NJW 2007, 3675, 3676. 891 Leible/Lehmann RIW 2007, 721, 723. 892 G. Wagner IPRax 2008, 1, 1; Leible/Lehmann RIW 2007, 721, 723. 893 Erwägungsgrund 19. 894 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 112 895 Vor diesem Hintegrund können sie argumentativ nicht eingesetzt werden, um von den konkreten Regelungen des Rechtsaktes abzuweichen oder diese entgegen dem Wortlaut auszulegen, EuGH 19. 11. 1998 – C-162/97 – Slg. 1998, I-7477 Tz. 54 – Nilsson; EuGH 24. 11. 2005 – C-136/04 – Slg. 2005, I-10095 Tz. 32 – Deutsche Milchkontor. 896 Vgl. EuGH (Große Kammer) 25. 10. 2011 – C-509/09 und C-161/10 – GRUR 2012, 303 Tz. 55 – eDate Advertising: „In diesem Sinne ist der verfügende Teil eines Unionsrechtsakts untrennbar mit seiner Begründung verbunden und erforderlichenfalls unter Berücksichtigung der Gründe auszulegen, die zu seinem Erlass geführt haben“; zurückhaltender noch EuGH 13. 7. 1989 – 215/88 – Slg. 1989, 2789 Tz. 31 – Casa Fleischhandel. 897 Kein Bestandteil des auszulegenden Normtextes sind jedoch die erläuternden Berichte der europäischen Organe zur Auslegung der Bestimmungen.

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

In den Erwägungen der Rom II-VO findet sich ein weites Verständnis des Begriffs des unlauteren Wettbewerbs: Erfasst werden sollen danach „Handlungen, die auf die Nachfrage Einfluss zu nehmen trachten (z. B. Täuschung und Zwang), Handlungen, die das Angebot von Wettbewerbern behindern sollen (z. B. Störung der Zulieferung, Abwerbung von Angestellten oder Boykott) oder Handlungen, mit denen Vorteile eines Wettbewerbers missbraucht werden (z. B. Schaffung einer Verwechslungsgefahr oder Ausnutzung seines Bekanntheitsgrades)“.898 Dies sind jedoch nur Orientierungspunkte für die Auslegung des Begriffs des unlauteren Wettbewerbsverhaltens. Letztverbindlich muss der konkrete Inhalt des Internationalen Lauterkeitsrechts künftig 299 jedoch durch die Rechtsprechung des EuGH bestimmt werden,899 der sich dabei vermutlich sowohl an den nationalen Auslegungsmaßstäben als auch am bestehenden sekundärrechtlichen Lauterkeitsrecht der Gemeinschaft, beispielsweise an der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken,900 ausrichten wird.901 Vor diesem Hintergrund hat auch Mankowski vorgeschlagen, den Anknüpfungsgegenstand des Art. 6 Abs. 1 und 2 Rom II-VO im Lichte der Definition der Geschäftspraktik in der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken902 zu bestimmen.903 Entsprechend Art. 2 lit. d der Richtlinie wäre demnach unter einem Wettbewerbsverhalten „jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerzielle Mitteilung einschließlich Werbung und Marketing eines Gewerbetreibenden, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts an Verbraucher zusammenhängt“, zu verstehen. Allerdings sind die genannten Kriterien nicht als abschließend zu betrachten. Der Begriff der Wettbewerbshandlung i.S.v. Art. 6 Abs. 1 und 2 Rom II-VO muss vielmehr – was auch Mankowski betont – weiter als in der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken gefasst werden.904 So muss insbesondere auch zur Kenntnis genommen werden, dass sich der Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts im Lichte einer autonom unionsrechtlichen Auslegung in die Phase des Vertragsschlusses sowie der Vertragserfüllung ausgedehnt hat,905 was im Einzelfall eine gemeinschaftsrechtlich orientierte funktionale Abgrenzung von Vertrags- und Wettbewerbsstatut erforderlich machen kann.906 Eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich der Reichweite des Begriffs der Wettbewerbshandlung bleibt mithin bestehen. Neben den Begriff der Wettbewerbshandlung tritt jener der Unlauterkeit (Art. 6 Abs. 1 und 300 2 Rom II-VO), welcher verdeutlicht, dass die Rom II-VO entsprechend ihres Anwendungsbereichs 298

898 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) von 2003, KOM [2003] 427 endg, S. 17. Zum Begriff des unlauteren Wettbewerbs im Zusammenhang mit Art. 6 Rom II-VO vgl. Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 162; Palandt/ Thorn Art. 6 Rom II-VO Rn. 9 ff.; Handig GRUR Int. 2008, 24, 26; Mankowski GRUR Int. 2005, 634, 635; Sack WRP 2008, 845, 848 ff.; zum Begriff der „Bilateralen Wettbewerbshandlung“: Lindacher GRUR Int. 2008, 453, 457. 899 Handig GRUR Int. 2008, 24, 26 vermutet insofern, dass die „Auslegung des EuGH durch Vergleich der einzelnen nationalen Rechte erfolgen und daher eine repräsentative Schnittmenge bilden wird“. Zu möglichen Abweichungen siehe Sack WRP 2008, 845, 846. 900 RL 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der RL 84/450/EWG, 97/7/EG und 98/27/EG (RL über unlautere Geschäftspraktiken, ABl. 2005 L 149, S. 22 ff.). 901 Handig GRUR Int. 2008, 24, 26; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 113. 902 Art. 2d der RL über unlautere Geschäftspraktiken RL 2005/29/EG – ABl. EG L 149 v. 11. 6. 2005, S. 22 ff. 903 Mankowski GRUR Int. 2005, 634, 636; ausführlich hierzu Bauermann, S. 81 ff. 904 Mankowski GRUR Int. 2005, 634, 636; dazu auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 113; vgl. auch Köhler FS Coester-Waltjen S. 502, der auf Erwägungsgrund 6 der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken verweist. 905 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 132 f. Dies wird mit Blick auf die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, RL 2005/29/EG – ABl. EU L 149 v. 11. 6. 2005, S. 22 ff., deutlich, die auch Praktiken in den Anwendungsbereich der Richtlinie einbezieht, die „vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts“ stattfinden. 906 Zur Abgrenzung des Wettbewerbskollisionsrechts zum Vertragskollisionsrecht siehe Rn. 44 ff.

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III. Die Bestimmung des Wettbewerbsstatuts nach der Rom II-VO

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stets nur an ein – durch den Verstoß gegen eine Verbotsnorm entstandenes – außervertragliches Schuldverhältnis anknüpft.907 Zudem dient der Begriff der Unlauterkeit auch der Abgrenzung der wettbewerbsrechtlichen von der kartellrechtlichen Anknüpfung gemäß Art. 6 Abs. 3 Rom IIVO: In beiden Fällen kann ein Wettbewerbsverhalten vorliegen, wobei nur ein „unlauteres“ Wettbewerbsverhalten der Anknüpfung nach Art. 6 Abs. 1 und 2 Rom II-VO unterliegt.908

cc) Beeinträchtigung. Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO setzt eine Beeinträchtigung der Wettbewerbsbe- 301 ziehungen oder der kollektiven Interessen der Verbraucher voraus. Von einer Beeinträchtigung ist immer dann auszugehen, wenn die Marktchancen von Mitbewerbern auf dem Markt nachteilig beeinflusst werden, beziehungsweise, wenn das Verhalten die Interessen mehrerer Verbraucher schädigt oder schädigen kann.909 Wie Erwägungsgrund 21 zeigt, genügt dabei ein Verhalten, von dem die Gefahr einer Beeinträchtigung droht. Die wahrscheinliche Beeinträchtigung steht damit grundsätzlich einer tatsächlichen gleich.910 Essentiell für das Vorliegen einer Beeinträchtigung ist zudem grundsätzlich, dass das Han- 302 deln Wettbewerbszwecken dient,911 wobei Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO für alle marktbezogenen, das heißt für alle unmittelbar an die Marktgegenseite gerichteten, Wettbewerbshandlungen gilt, während Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO jene Fälle erfasst, in denen ausschließlich die Interessen eines einzelnen Mitbewerbers betroffen sind912 und damit allenfalls eine mittelbare Marktauswirkung vorliegt.913 b) Der Marktort als maßgeblicher Ort der Beeinträchtigung aa) Wettbewerbsspezifische Auslegung des Ortes der Beeinträchtigung: Der Markt- 303 ort. Wie eben gezeigt, findet sich die allgemeine Anknüpfungsregel für unlauteres Wettbewerbsverhalten in Form der allgemeinen lauterkeitsrechtlichen Marktortregel in Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO, während Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO eine spezielle Regelung für sogenannte „bilaterale“ Wettbewerbshandlungen enthält. Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO soll dabei nicht als lex specialis zur allgemeinen Kollisionsregel des Art. 4 Rom II-VO fungieren, sondern ist nach dem Willen des europäischen Gesetzgebers als Präzisierung der in Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO getroffenen Anknüpfungsregel zu verstehen.914 Das Wettbewerbskollisionsrecht wird mithin auch auf europäischer Ebene nicht aus dem allgemeinen Deliktskollisionsrecht gelöst.915 Dies hat zur Folge, dass es sich bei Art. 6 Rom II-VO um eine sonderdeliktskollisionsrechtliche Regelung handelt, 907 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 115; ausführlich dazu Bauermann S. 118 ff. 908 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 115. 909 Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 5.32 stellt in diesem Kontext fest, dass selbst eine gegenüber einem einzelnen Verbraucher vorgenommene Handlung genügt, „wenn sie ihrer Art nach auf Fortsetzung angelegt ist und damit in ihrem Gewicht und ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausreicht (z. B. unerbetene E-Mail-Werbung oder Telefonwerbung gegenüber einem einzelnen Verbraucher)“. 910 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 21 S. 2 der Rom II-VO: Es ist ausreichend, dass ein Verhalten vorliegt, von dem die Gefahr einer Beeinträchtigung droht. 911 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 112. 912 Wie beispielsweise beim Ausspähen und der Preisgabe von Geschäftsgeheimnissen, Industriespionage oder der unlauteren Mitarbeiterabwerbung. Maßgeblich ist, dass jedenfalls nicht die Interessen Dritter betroffen sind. Siehe hierzu auch Huber/Bach IPRax 2005, 73, 78. 913 Siehe hierzu MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 110, der Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO rechtspolitisch für bedenklich hält. Nach Drexl ist die Annahme, dass es überhaupt ein Wettbewerbsverhältnis geben kann, das „ausschließlich“ die Interessen eines bestimmten Wettbewerbers beeinträchtigt, problematisch, da Drittinteressen in den typischerweise genannten Fällen sehr wohl eine Rolle spielen können. 914 Erwägungsgrund Nr. 21; vgl. dazu Bauermann S. 39 ff. 915 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 638; Harte/Henning/Glöckner Einl. C Rn. 96; G. Wagner IPRax 2008, 1, 1.

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

bei deren Anwendung lediglich eine wettbewerbsspezifische Bestimmung des Begehungsortes erfolgt.916 304 Auch wenn an der dogmatischen Verankerung im Deliktskollisionsrecht vielfach Kritik geäußert917 und argumentiert wird, sie stelle einen „Anachronismus“ dar und widerspreche „der Entwicklung des Lauterkeitsrechts zum Marktordnungsrecht und der Loslösung von individualrechtlichen Grundlagen“918 und auch die Kommission in der Begründung des Vorschlags für eine Rom II-VO noch einen unentschiedenen Standpunkt vertreten und implizit zum Ausdruck gebracht hatte, dass eine Entscheidung zwischen einer Verankerung im Deliktsstatut bzw. der Schaffung einer lauterkeitsrechtlichen Sonderkollisionsnorm nicht notwendig sei,919 so geht die geltende Fassung der Rom II-VO nunmehr jedoch eindeutig von einer deliktsrechtlichen Qualifikation aus.920 Festgehalten werden kann daher, dass die Wettbewerbskollisionsnorm des Art. 6 Rom II-VO als Sonderdeliktsrecht zu qualifizieren ist, welches zwischen markt- bzw. verbraucherbezogenen und konkurrentenbezogenen Wettbewerbsverstößen differenziert,921 wobei grundsätzlich die bereits aus dem autonomen deutschen922 Kollisionsrecht bekannte Marktortanknüpfung gilt.923 305 Nach überwiegender Meinung werden Wettbewerbsverletzungen daher dort begangen, wo die Interessen der Wettbewerber aufeinandertreffen und durch unlauteres Verhalten beeinträchtigt werden können (Marktortprinzip).924 Maßgeblich ist folglich das Recht des Ortes, auf dessen Markt eingewirkt wird (Zielmarkt) und die wettbewerblichen Interessen kolli916 Erwägungsgrund Nr. 21; Apel/Grapperhaus WRP 1999, 1247, 1249; ähnlich Deinert EWS 2006, 445, 451; Koos WRP 2006, 499, 500; Leible/Lehmann RIW 2007, 721, 729; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 637. Die wettbewerbsspezifische Auslegung entspricht auch der Rechtsprechung des BGH und der herrschenden Auffassung im deutschen Schrifttum. Siehe hierzu auch Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 638 (Übersicht m. w. N. insb. zur Rspr.); Lindacher GRUR Int. 2008, 453, 453; zur alten Rechtslage ebenso Dethloff JZ 2000, 179, 180; Dethloff NJW 1998, 1596, 1599; Koos WRP 2006, 499, 500; Kotthoff CR 1997, 676, 677; Kreuzer in v. Caemmerer S. 273. 917 Harte/Henning/Glöckner Einl. C Rn. 95 f.; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 639; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 9. 918 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 639 mit Verweis auf die Begründung zum Vorschlag von 2003, KOM [2003] 427 endg., S. 17. 919 Begründung zum Vorschlag von 2003, KOM [2003] 427 endg., S. 17; siehe hierzu auch Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 637 sowie Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 234 m. w. N. 920 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 639; Köhler FS Coester-Waltjen S. 501. 921 Huber/Bach IPRax 2005, 73, 78; Schulze/Dörner Art. 6 Rom II-VO Rn. 3. 922 Zur alten Rechtslage unter Geltung der am 1. 6. 1999 in Kraft getretenen Fassung des Art. 40 EGBGB BGH v. 11. 2. 2010 – I ZR 85/08 – BGHZ 185, 66 = GRUR 2010, 847 Tz. 10 – Ausschreibung in Bulgarien m. w. N.; BGH 8. 10. 2015 – I ZR 225/13 – GRUR 2016, 513 Tz. 14 – Eizellspende; BGH 12. 1. 2017 – I ZR 253/14 – GRUR 2017, 397 Tz. 40 – World of Warcraft II. 923 v. Hein ZEuP 2009, 6, 29; Huber/Bach IPRax 2005, 73, 78; Leible/Lehmann RIW 2007, 721, 729; Sack WRP 2008, 845, 846; Sonnentag ZVglRWiss 105 (2006) 256, 285; Handig GRUR Int. 2008, 24, 27; Benecke RIW 2003, 830, 834; Schulze/Dörner Art. 6 Rom II-VO Rn. 3; Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 15; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 143; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 641; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 135; Köhler FS Coester-Waltjen S. 503. Damit entspricht die Anknüpfung der jetzt maßgeblichen europäischen Wettbewerbskollisionsnorm den bisher von den deutschen Gerichten angewandten Grundsätzen, siehe hierzu aktuell BGH v. 11. 2. 2010 – I ZR 85/08 – BGHZ 185, 66 = GRUR 2010, 847 Tz. 10 – Ausschreibung in Bulgarien: „Geht es um die wettbewerbsrechtliche Beurteilung eines Verhaltens bei der Gewinnung von Kunden, ist Marktort der Ort, an dem auf die Entschließung des Kunden eingewirkt werden soll. Dort soll das Wettbewerbsrecht unlauteres Konkurrenzverhalten verhindern; auf diesen Ort bezieht sich auch das durch das Wettbewerbsrecht ebenfalls geschützte Interesse der Allgemeinheit an einem lauteren Wettbewerb.“; BGH 8. 10. 2015 – I ZR 225/13 – GRUR 2016, 513 Tz. 14 – Eizellspende; BGH 12. 1. 2017 – I ZR 253/14 – GRUR 2017, 397 Tz. 40 – World of Warcraft II; vgl. auch BGH 12. 12. 2013 – I ZR 131/12 – GRUR 2014, 601 Tz. 38 – Englischsprachige Pressemitteilung; der Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes (GemS-OGB) – 22. 8. 2012 – GmS-OGB 1/10 – GRUR 2013, 417 Rn. 15 betont ebenfalls, dass die Rom II-VO der vor ihrem Inkrafttreten nach deutschem Kollisionsrecht geltenden Rechtslage entspricht. 924 Apel/Grapperhaus WRP 1999, 1247, 1249; Köhler FS Coester-Waltjen S. 503; ähnlich Deinert EWS 2006, 445, 451; s. auch Oberster Gerichtshof 9. 8. 2011 – 17 Ob 6/11 y alcom-international.at, GRUR Int. 2012, 464, 466 f.; BGH

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III. Die Bestimmung des Wettbewerbsstatuts nach der Rom II-VO

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dieren.925 Dies ist der Ort, auf dem um Marktanteile gekämpft wird und auf dem die Kunden umworben werden.926 Insofern werden auch Verhaltensweisen erfasst, die von außen, wie im Falle von Distanzdelikten, auf den Zielmarkt ausgerichtet sind.927

bb) Dogmatische Einordnung der Marktortregel: Auswirkungsprinzip vs. Interessen- 306 kollisionslösung. Zwar hat der Gemeinschaftsgesetzgeber mit Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO eine Entscheidung für die dogmatische Zuordnung zum Deliktskollisionsrecht getroffen. Streitig ist jedoch mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO nach wie vor, ob es sich bei der diesem zugrunde gelegten Marktortregel um eine an der Schutzzwecktrias ausgerichtete Interessenkollisionslösung i. S. d. Einwirkungstheorie handelt,928 oder ob die Marktortregel des Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO eine kollisionsrechtliche Ausprägung des Auswirkungsprinzips im Sinne eines wettbewerbsrechtlichen Grundprinzips darstellt.929 Im Grunde geht es bei diesem Streit um das Ausmaß der Berücksichtigung von Individu- 307 al- bzw. Kollektivinteressen und die Versuchung, zwei Rechtsgebiete, die sich sehr nahe stehen und die beide dem Schutz eines geordneten und unverfälschten wirtschaftlichen Wettbewerbs dienen,930 unter einer einheitlichen Kollisionsregel zusammenzufassen und insofern ein einheitliches Marktortrecht zu schaffen.931 Befürworter der Auswirkungstheorie betonen daher insbesondere den Gleichlauf der Rechte und die schwindende Bedeutung von Individualinteressen im Lauterkeitsrecht, weshalb sie auch für das Wettbewerbskollisionsrecht die Anwendung des Auswirkungsprinzips fordern.932 Andere Vertreter heben hingegen hervor, dass mit der Kodifizierung des Wettbewerbskollisionsrechts in Art. 6 Rom II-VO keine Entscheidung zwischen Auswirkungstheorie und Einwirkungstheorie getroffen,933 hier vielmehr gezielt eine breite Formulierung gewählt wurde, welche auch Auswirkungen einschließen kann, die sich nicht aus einer direkten Einwirkung auf Verbraucher ergeben.934 Die überwiegende Ansicht geht jedoch davon aus, dass mit Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO nicht 308 von der bisherigen Rechtsprechung in den Mitgliedstaaten abgewichen werden sollte935 und 12. 12. 2013 – I ZR 131/12 – GRUR 2014, 601 – englischsprachige Pressemitteilung; BGH 8. 10. 2015 – I ZR 225/13 – GRUR 2016, 513 – Eizellspende; BGH 12. 1. 2017 – I ZR 253/14 – GRUR 2017, 397 – World of Warcraft II. 925 Leible/Lehmann RIW 2007, 721, 729; Schulze/Dörner Art. 6 Rom II-VO Rn. 3.; ähnlich Köhler FS Coester-Waltjen S. 503; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 143 und Palandt/Thorn Art. 6 Rom II-VO Rn. 9 sprechen insoweit auch vom „Ort der wettbewerblichen Interessenkollision“; ebenso BGH 8. 10. 2015 – I ZR 225/13 – GRUR 2016, 513 Tz. 16 – Eizellspende; BGH 12. 1. 2017 – I ZR 253/14 – GRUR 2017, 397 Tz. 42 – World of Warcraft II. 926 Palandt/Thorn Art. 6 Rom II-VO Rn. 9; vgl. auch Köhler FS Coester-Waltjen S. 503. 927 Palandt/Thorn Art. 6 Rom II-VO Rn. 9. 928 Sack WRP 2008, 845, 847 f.; Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 15; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 142, 144; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 233; Palandt/Thorn Rom II 6 (IPR) Rn. 9; BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 70; Nettlau S. 205 f. 929 Handig GRUR Int. 2008, 24, 29; Koos WRP 2006, 499, 506. 930 Siehe MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 12 f., der in diesem Kontext darauf verweist, dass sowohl Kartellrecht als auch Lauterkeitsrecht auf europäischer Ebene dem Schutz des unverfälschten Wettbewerbs i. S. d. EUProtokolls über den Binnenmarkt und den Wettbewerb verpflichtet sind (vor Inkrafttreten des Lissaboner Vertrages: Art. 3 Abs. 1 lit. g EG). 931 Siehe hierzu MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 142. 932 Siehe Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 403, die das kartellrechtliche Auswirkungsprinzip auch in dogmatischer Hinsicht auf das Wettbewerbskollisionsrecht übertragen wollen. Des Weiteren: Harte/Henning/Glöckner Einl. C Rn. 112; Koos WRP 2006, 499, 504 ff. Zur Abgrenzung des Wettbewerbskollisionsrechts vom Kartellkollisionsrecht (Auswirkungsprinzips) siehe Rn. 39 ff., 214 f. 933 Siehe beispielsweise Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 641; Handig GRUR Int. 2008, 24, 29, auch wenn beide Autoren darauf hinweisen, dass die praktische Relevanz dieser Frage begrenzt ist, denn auch die Einwirkungstheorie ist objektiviert aufzufassen, weshalb sich beide Ansätze in ihren Ergebnissen stark annähern. 934 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 642. 935 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 234.

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

verweist insofern zu Recht auf den Wortlaut der geltenden Fassung der Rom II-VO, der zeigt, dass sich der Gemeinschaftsgesetzgeber für die Etablierung einer wettbewerblichen Interessenkollisionslösung entschieden hat,936 welche die Mitbewerber im Blick hat und damit konkurrentenbezogen ist, die zugleich aber auch durch die Einbeziehung der kollektiven Interessen der Verbraucher einen Marktbezug hat.937 309 Zwar enthielten die Verordnungsvorschläge aus den Jahren 2003 und 2006938 im Gegensatz zur aktuellen Fassung noch eine Eingrenzung auf unmittelbare oder wesentliche Beeinträchtigungen, was laut Begründung der Kommission zur Begrenzung der relevanten „Auswirkungen“ auf den Markt erforderlich sei939 und vereinzelt dahingehend gedeutet wird, dass eine der Auswirkungstheorie entsprechende Lösung von der Kommission beabsichtigt wurde.940 Dies ist jedoch nicht überzeugend.941 Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat sich mit der Rom II-VO vielmehr aus guten Gründen für eine Interessenkollisionslösung in der Ausprägung der Einwirkungstheorie und damit für eine eigenständige lauterkeitskollisionsrechtliche Anknüpfung entschieden.942 Zum einen ist schon fraglich, ob es sich bei der in den Verordnungsvorschlägen niedergelegten Begrenzung durch die Worte „unmittelbar und wesentlich“ um einen kollisionsrechtlichen oder einen sachrechtlichen Aspekt handelte. Denn ob eine Beeinträchtigung im konkreten Fall so wesentlich ist, dass daraus Ansprüche entstehen, wird vereinzelt auch als Frage des materiellen Rechts angesehen.943 Aber selbst wenn man diesen Aspekt auf der kollisionsrechtlichen Ebene ansiedelt, so ist festzuhalten, dass auch der lauterkeitskollisionsrechtlichen Anknüpfung ein Spürbarkeitskriterium immanent ist,944 welches in die Marktortregel des Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO hineinzulesen ist.945 Zum anderen verzichtet der Gemeinschaftsgesetzgeber auch im Rahmen des Art. 6 Abs. 1 310 Rom II-VO auf Begrifflichkeiten, die eine Bezugnahme zum Auswirkungsprinzip nahe legen. Stattdessen wird auf den Ort abgestellt, an dem eine Beeinträchtigung der Wettbewerbsbeziehungen oder kollektiven Interessen der Verbraucher erfolgt. Laut Begründung der Kommission wird insoweit der Markt erfasst, „auf dem sich die Wettbewerber um die Verbraucher bemühen“,946 womit letztlich nichts anderes gemeint ist als der Marktort, verstanden als Ort der Interessenkollision.947

936 MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 142. 937 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 641; Sack WRP 2008, 845, 846; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 233 ff.; Bauermann S. 62 ff.; Nettlau S. 197 ff. 938 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) KOM (2003) 427 endg.; Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) KOM (2006) 83 endg. 939 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse azuwendende Recht („Rom II“) KOM (2003) 427 endg. S. 18. 940 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 643. A.A. Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 233; Buchner GRUR Int. 2005, 1004, 1009. 941 So auch Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 233. 942 MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 142; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 233. 943 Sack WRP 2008, 845, 854; Palandt/Thorn Art. 6 Rom II-VO Rn. 13. Und auch das österreichische Justizministerium vertrat den Standpunkt, dass es sich bei den Kriterien der Unmittelbarkeit und der Wesentlichkeit nur um materiellrechtliche Aspekte handele. Siehe hierzu Vermerk der österreichischen Delegation für den Ausschuss für Zivilrecht („Rom II“) vom 3. 5. 2004, Dossier Nr. 2003/0168, Dok-Nr. 9009/04 ADD1, S. 2. 944 Handig GRUR Int. 2008, 24, 28; Leible/Lehmann RIW 2007, 721, 729; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 212; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 293. 945 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 643. Siehe hierzu Rn. 219 ff. 946 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) KOM(2003) 427 endg. S. 18. 947 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 233.

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III. Die Bestimmung des Wettbewerbsstatuts nach der Rom II-VO

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Nicht zuletzt sprechen auch systematische und rechtspolitische Gründe gegen die Anwen- 311 dung des kartellrechtlichen Auswirkungsprinzips im Wettbewerbskollisionsrecht.948 Zunächst unterscheiden sich Lauterkeits- und Kartellrecht trotz einer gewissen konzeptionellen Nähe funktional voneinander:949 Im Wettbewerbsrecht geht es primär um die Beurteilung von Verhaltensweisen zu Wettbewerbszwecken und damit um das unzulässige Einwirken auf den Markt,950 während das Kartellrecht mögliche negative Auswirkungen auf den Markt im Blick hat. Zudem spricht auch die starke Betonung marktordnungsrechtlicher zu Lasten individualrechtlicher Aspekte gegen eine Übertragung der kartellrechtlichen Grundsätze.951 Letztlich muss man daher mit dem überwiegenden Teil der Literatur zu dem Ergebnis gelan- 312 gen, dass die der Rom II-VO zugrunde gelegte Marktortregel nicht im Sinne einer kartellrechtlichen Auswirkung auf den Markt zu deuten ist, es sich vielmehr um die Etablierung einer schutzzweckorientierten Interessenkollisionslösung i. S. d. Einwirkungstheorie handelt.952

c) Einschränkungen der Marktortanknüpfung aa) Das Spürbarkeitskriterium bei Multistatedelikten. Eine der umstrittensten Fragen im 313 Bereich des Wettbewerbskollisionsrechts ist der angemessene Umgang mit Multistate-Wettbewerbshandlungen,953 worunter prinzipiell jedes Wettbewerbsverhalten zu subsumieren ist, das die Märkte mindestens zweier Staaten berührt.954 Weder die Vertreter einer interessenkollisionsrechtlich geprägten, wettbewerbsspezifischen Marktortanknüpfung noch jene, die eine Anwendung des kartellrechtlichen Auswirkungsprinzips favorisieren, können hier eindeutige Lösungsansätze bieten.955 Die nach Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO maßgebliche Marktortregel mit ihrer Anknüpfung an den Ort der wettbewerblichen Interessenkollision führt im Falle von MultistateDelikten jedenfalls zur Anwendbarkeit einer Vielzahl von Rechtsordnungen, da zumindest theoretisch jeder Markt zu berücksichtigen ist, auf dem auf die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der Verbraucher eingewirkt wird.956 Dies kann in der Praxis zu erheblichen Problemen führen. Besonders dringlich erscheint eine Lösung heute insbesondere mit Blick auf das Online- 314 Marketing und die Rundfunkwerbung, insbesondere im Bereich der Kabel- und Satellitenverbreitung und des hier zu beobachtenden spillover-effects, welcher die teilweise unbeabsichtigte und unvermeidbare Mitbestrahlung von (Rand)Gebieten beschreibt.957 Aber auch im Kontext von Werbemaßnahmen im Zusammenhang mit dem internationalen Vertrieb von Printmedien bzw. im Bereich des internationalen Telefonmarketings wird die Problematik der MultistateWettbewerbshandlungen offensichtlich.958 In all diesen Fällen sind die (Multistate-)Wettbewerbsverstöße in der Regel nicht teil- 315 bar, was an technischen Gegebenheiten, aber auch an der fehlenden Beherrschungsmöglichkeit 948 Ausführlich hierzu Rn. 39 ff., 214 ff.; vgl. auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 146; BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 70; Bauermann S. 63; Nettlau S. 200 ff. 949 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 13, 20. 950 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 16; Kreuzer in: v. Caemmerer S. 232, 270 f.; Kotthoff S. 22. 951 MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 144. 952 Sack WRP 2008, 845, 847 f.; Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 15; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 142, 144; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 233; Palandt/Thorn Art. 6 Rom II-VO Rn. 9; BeckOGK/Poelzig/ Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 70; Bauermann S. 65, der den Meinungsstreit für erledigt hält; Nettlau S. 205 f.; Köhler FS Coester-Waltjen S. 505. 953 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 286. 954 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 278; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 713; Dethloff S. 293. 955 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 286. 956 Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 24; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 187. 957 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 289; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 711; Höder S. 15; Dethloff S. 105, 124. 958 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 286; Kiethe WRP 2000, 616, 617 f.

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

der Verbreitung des Mediums liegen kann959 und letztlich dazu führt, dass durch ein und dieselbe Werbemaßnahme eine Vielzahl von Staaten betroffen ist. 316 Zwar kann im Einzelfall die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste,960 soweit ihr spezifischer (enger) Anwendungsbereich reicht,961 zu klaren Ergebnissen führen. Zudem fällt der Bereich der Internetwerbung, jedenfalls soweit es sich um Binnenmarktsachverhalte handelt, weitestgehend in den Anwendungsbereich der E-Commerce-Richtlinie,962 weshalb nach Art. 3 der Richtlinie im Einzelfall je nach Ansicht963 entweder eine Korrektur des nach dem Marktortprinzip festgestellten Ergebnisses vorgenommen wird964 oder die Marktortanknüpfung schon auf kollisionsrechtlicher Ebene durch das Herkunftslandprinzip verdrängt wird.965 Allerdings bleibt mit der Internetwerbung in Drittstaaten und den sonstigen Multistate-Konstellationen noch ein weites Feld, in dem eine Begrenzung der durch die Marktortanknüpfung grundsätzlich zur Anwendung berufenen Rechtsordnungen erforderlich erscheint und in dem der Werbende oftmals vor dem grundsätzlichen Dilemma steht, dass er sich entweder am jeweils strengsten Werberecht orientiert966 oder die Werbung in einem ubiquitären Medium komplett unterlässt.967 317 In Literatur und Rechtsprechung wird daher schon seit Langem nach einem Weg gesucht, um Bagatellfälle von vornherein auszusondern und eine Kumulation von Rechtsordnungen, insbesondere in Fällen von Internetwerbung, Rundfunksendungen und international verbreiteten

959 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 287; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 711; Dethloff S. 105. 960 Die neue Richtlinie trat am 19. 12. 2007 in Kraft (vgl. RL 2010/13/EU – ABl. EU L 95 v. 15. 4. 2010, S. 1 ff.). Sie ist die konsolidierte Fassung der Neufassung der Richtlinie 2007/65/EG, welche wiederum auf die erste Fernsehrichtlinie 89/552/EWG zurückgeht. 961 Siehe hierzu Rn. 118 ff. Zu beachten ist jedoch, dass nach der Entscheidung EuGH 17. 9. 1996 – C-34/95 – Slg. 1997, I-3843 = GRUR Int. 1997, 913 Tz. 28 ff. – De Agostini, der Anwendungsbereich eng auszulegen ist. Zwar werden auch werberechtliche Fragen erfasst – außerhalb des koordinierten Bereichs fallen jedoch jene Regelungen, die nicht spezifisch die Tätigkeit von Fernsehanstalten betreffen, sondern vielmehr allgemein der Lauterkeit des Handelsverkehrs und dem Verbraucherschutz dienen. 962 RL 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. 6. 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs im Binnenmarkt. 963 Zum Streit um den kollisionsrechtlichen Gehalt des Herkunftslandprinzips der E-CommerceRL siehe ausführlich Rn. 123 ff. 964 Für ein sachrechtliches und gegen ein kollisionsrechtliches Verständnis plädieren: Ahrens CR 2000, 835, 837 f.; ders. FS Tilmann, S. 739, 745 f.; Apel/Grapperhaus WRP 1999, 1247, 1252; Baetzgen Rn. 714 ff.; Dethloff S. 54; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 74; Fezer/Koos IPRax 2000, 349, 352; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 377, 555 ff.; Harte/Henning/Glöckner3 Einl. C Rn. 32 ff.; ders. ZVglRWiss 99 (2000), 278, 305 f.; Halfmeier ZEuP 2001, 837, 864 ff.; Löffler WRP 2001, 379, 380; Nettlau, S. 165 f.; Piper/Ohly/Sosnitza Einf. C Rn. 79 f.; Pfeiffer IPRax 2014, 360, 361; Roth IPRax 2013, 215; Sack WRP 2002, 271, 273; ders. WRP 2001, 1408, 1411, 1417 ff., 1425; ders. WRP 2008, 845, 855; ders. WRP 2013, 1407, 1410 (Art. 3 Abs. 2 E-Commerce Richtlinie); vermittelnd i.S. eines „kollisionsrechtlichen Mindestgehalts“, da sich das Herkunftslandprinzip in der E-CommerceRL aus dem nationalen Recht ergibt Ohly GRUR Int. 2001, 899, 902. 965 Ein kollisionsrechtliches Verständnis des Herkunftslandprinzips der E-CommerceRL vertreten: v. Bar/Mankowski § 3 Rn. 88; Höder S. 200 f.; Leible/Engel EuZW 2004, 7, 17; Mankowski GRUR Int. 1999, 909, 912 f.; ders. ZVglRWiss 100 (2001), 137, 140 ff., 179 f.; ders. CR 2001, 630, 632; ders. IPRax 2002, 257, 257 f.; ders. EWS 2002, 401, 402 ff.; MünchKommUWG/ders. IntWettbR Rn. 48 ff.; Gierschmann DB 2000, 1315, 1316; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 134 ff.; Lurger/Vallant RIW 2002, 188, 198; Nickels DB 2001, 1919, 1922; Stagl ÖBl. 2004, 244, 251 f.; Sack WRP 2013, 1545, 1548 f. (Art. 3 Abs. 1 E-Commerce Richtlinie); Thünken S. 83 ff.; ders. ICLQ 51 (2002), 909, 940 f.; ders. IPRax 2001,15, 19 f. 966 Leistner in Bettinger/Leistner Teil 1 A Rn. 78 verweist insofern auch auf die in diesem Kontext regelmäßig entstehenden „prohibitiv hohen Rechtsinformationskosten“. 967 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 287, 289; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 711; Sack WRP 2008, 845, 852; Dethloff S. 87; nach Glöckner/Kur GRUR-Beilage 2014, 29, 32 können Marktteilnehmer zudem die costs of compliance niedrig halten, indem sie das Internet als Kommunikationsmedium zwar nutzen, ihre wirtschaftlichen Aktivitäten jedoch territorial beschränken.

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III. Die Bestimmung des Wettbewerbsstatuts nach der Rom II-VO

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Periodika, zu vermeiden oder zumindest die Zahl der anwendbaren Rechtsordnungen zu reduzieren.968 Während vor allem die Vertreter des Auswirkungsprinzips, aber vereinzelt auch jene, die 318 eine Interessenkollisionslösung bevorzugen, eine kollisionsrechtlich relevante Auswirkung bei Multistatedelikten nur dann annehmen, wenn spürbar in das Marktgeschehen eingegriffen wird,969 stützt sich ein anderer Teil der Literatur, der die Zugrundelegung der dem kartellrechtlichen Auswirkungsprinzips entnommenen Spürbarkeitsgrenze meist als unpassend ablehnt,970 auf das Kriterium der Finalität. Danach soll nur das Recht der Staaten berufen sein, in denen gezielt auf Kunden eingewirkt wird,971 was in Internet-Fällen beispielsweise bedeutet, dass das Recht des Staates Anwendung finden soll, von dem aus die Website bestimmungsgemäß abgerufen werden kann.972 Allerdings betonen die Vertreter des Finalitätskriteriums in unterschiedlichem Maße subjektive und objektive Kriterien.973 Einig ist man sich jedoch weitgehend, dass eine rein subjektiv geprägte Finalität als Begrenzungskriterium nicht geeignet ist,974 denn die Motivation des Agierenden, beispielsweise des werbenden Unternehmens, kann nicht für die Beantwortung der Frage nach dem anwendbaren Recht maßgeblich sein, da der einzelne Wettbewerber andernfalls mittels bloßer Behauptung Einfluss auf die kollisionsrechtliche Beurteilung des Geschehens nehmen könnte.975 Dies würde eine erhebliche Manipulations- und Umgehungsgefahr mit sich bringen.976 Zudem verbietet das Wettbewerbsrecht unlauteres Wettbewerbsverhalten gerade unabhängig von den subjektiven Vorstellungen des Werbenden und schließt auch die Interessen von Verbrauchern und Mitbewerbern in die Betrachtung ein.977 Nach überwiegender Auffassung kommt es daher letztlich sowohl für die Prüfung der Spür- 319 barkeit einer Wettbewerbsmaßnahme als auch für jene der Marktgerichtetheit im Sinne einer Finalität auf die Bewertung bestimmter objektiver quantitativer und wertender978 Indizien

968 Siehe in diesem Kontext Harte/Henning/Glöckner Einl. C. Rn. 158, 160, der darauf hinweist, dass die Leistungsfähigkeit des Spürbarkeitskriteriums jedoch, soweit es nicht nur Bagatellfälle ausschalten sondern auch die Kumulation von Rechtsordnungen verhindern soll, begrenzt ist. 969 Mankowski GRUR Int. 1999, 909, 916; Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 24; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 303; Glöckner ZVglRWiss 99 (2000), 278, 285; Harte/Henning/Glöckner Einl. C Rn. 158; Glöckner/Kur GRUR-Beilage 2014, 29, 34; Höder S. 60; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 211. 970 So beispielsweise Kotthoff CR 1997, 676, 680, 681. 971 Im Bereich der Internetwerbung soll daher beispielsweise der Ort der Markteinwirkung dort zu lokalisieren sein, wo die Internetseite bestimmungsgemäß abgerufen werden kann, Staudinger/v. Hoffmann Art. 40 EGBGB Rn. 342; siehe dazu BGH 30. 3. 2006 – I ZR 24/03 – GRUR 2006, 513 Rn. 21; OLG Frankfurt aM 24. 5. 2013 – 6 U 103/ 11 – GRUR-RR 2012, 392, 393; OLG München 16. 5. 2013 – 6 W 411/13 – GRUR-RR 2013, 388. 972 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 192; Höder S. 55; LG Berlin 30. 4. 2013 – 15 O 92/12 – NJW 2013, 2605, 2608 m. Anm. Steinrötter. 973 Kotthoff CR 1997, 676, 680, 681 beispielsweise will die „verobjektivierte Zielrichtung einer Wettbewerbshandlung“ ermitteln. Kritisch insofern Koos WRP 2006, 499, 502, der darauf hinweist, dass Finalität nicht verobjektivierbar sei; Glöckner/Kur GRUR-Beilage 2014, 29, 33 f. betonen, dass die in deutschen Entscheidungen regelmäßig gebrauchte Formulierung von der „bestimmungsgemäßen Abrufbarkeit“ wohl „weniger im Sinne eines subjektiven Finalitätserfordernisses zu begreifen“ sei, vielmehr genüge die „objektive Finalität“, die auch den äußeren Umständen entnommen werden kann. 974 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 193; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 731; Höder S. 60; Harte/Henning/Glöckner Einl. C Rn. 159; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 187 ff.; zur Rechtswirksamkeit eines Disclaimers und der daraus folgenden Indizwirkung BGH 30. 3. 2006 – I ZR 24/03 – BGHZ 167, 91 = GRUR 2006, 513 Tz. 23 ff. – Arzneimittelwerbung im Internet; KG 20. 12. 2001 – 2 W 211/01 – GRUR Int. 2002, 448, 450. 975 Siehe beispielsweise Kotthoff CR 1997, 676, 680, 681; Höder S. 60; Mankowski GRUR Int. 1999, 909, 917; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 192, 193. 976 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 193; Höder S. 56. 977 Höder S. 56. 978 Harte/Henning/Glöckner Ein. C Rn. 160.

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

an.979 Insbesondere mit Blick auf die Problematik der Internetwerbung gelangen beide Ansichten daher zu ähnlichen Ergebnissen, da sie übereinstimmend in erster Linie auf objektive, meist ähnlich gelagerte, Anhaltspunkte abstellen.980 320 Als maßgebliche Beurteilungskriterien werden dabei, insbesondere mit Blick auf Internetsachverhalte, folgende angesehen:981 die konkrete Gestaltung von Websites,982 vor allem bezüglich der Angabe von Preisen in unterschiedlichen Währungen und Zahlungsoptionen,983 wobei die Aussagekräftigkeit dieses Kriteriums angesichts der Internationalisierung der Zahlungsmodalitäten und der damit verbundenen Zunahme an Zahlungsmöglichkeiten per Kreditkarte oder „elektronischem Geld“ immer mehr abnimmt;984 die Verwendung unterschiedlicher nationaler Telefax- oder Telefonnummern als mögliche Kontaktdaten,985 aber auch der Einsatz unterschiedlicher Sprachen;986 die angebotenen Versandmodalitäten;987 die Natur des beworbenen Produkts;988 die Angebotsstruktur;989 mögliche Vertriebsbeschränkungen;990 die Platzierung der Internet-Werbung, beispielsweise auf fremden Seiten;991 aber auch die Bezugnahme auf die jeweilige Internetwerbung im Rahmen anderer inländischer Werbemaßnahmen;992 die Referenz auf bestimmte Rechtsordnungen oder Belehrungen über bestimmte nationale Widerrufsrech979 Mankowski GRUR Int. 1999, 909, 921; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 720. 980 Kotthoff CR 1997, 676, 682; Leible/Müller NJW 2011, 495; Glöckner/Kur GRUR-Beilage 2014, 29, 33. 981 Zum Inlandsbezug vgl. insbesondere BGH 13. 10. 2004 – I ZR 163/02 – GRUR 2005, 431, 432 – Hotel Maritime; BGH 8. 3. 2012 – I ZR 75/10 (KG) – GRUR 2012, 621 – Oscar; BGH 29. 7. 2009 – I ZR 169/07 – GRUR 2010, 239 ff. – Umsatzrendite; BGH 28. 6. 2007 – I ZR 49/04 – GRUR 2007, 884 ff. – Cambridge Institute; BGH 15. 2. 2007 – I ZR 114/ 04 I – GRUR 2007, 871 – Wagenfeld; OLG Düsseldorf 22. 4. 2008 – I-20 U 93/07 – MMR 2008, 748; OLG Düsseldorf 5. 5. 2011 – I -2 U 10/10, 2 U 10/10 – BeckRS 2011, 20929; OLG München 2. 2. 2012 – 29 U 3538/11 – ZUM 2012, 587 ff. 982 Dazu ausführlich Mankowski GRUR Int. 1999, 915, 917 ff.; Dethloff NJW 1998, 1599, 1600. 983 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 722; Mankowski GRUR Int. 1999, 909, 916; Dethloff NJW 1998, 1596, 1600; ähnlich auch EuGH 7. 12. 2010 – C-585/08, C-144/09 – NJW 2011, 505, 509; a. A. Leible/Müller NJW 2011, 495, 496. 984 MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 187; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 722. 985 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 722; Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 25; Dethloff NJW 1998, 1596, 1600; a. A. EuGH 7. 12. 2010 – C-585/08, C-144/09 – NJW 2011, 505, 509; Leible/Müller NJW 2011, 495, 496. 986 Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 25: Handelt es sich um die jeweilige Landessprache oder wird sie von einer Minderheit signifikanter Größe verstanden oder gesprochen, spricht dies für eine Inlandsrelevanz; dazu auch GemSOGB – 22. 8. 2012 – GmS-OGB 1/10 – GRUR 2013, 417 Tz. 15 – Medikamentenkauf im Versandhandel; BGH 12. 12. 2013 – I ZR 131/12 – WRP 2014, 548 Tz. 46 – englischsprachige Pressemitteilung: Anwendbarkeit deutschen Rechts auf englischsprachige Pressemitteilung; OLG Hamm 17. 12. 2013 – 4 U 100/13 – GRUR-RR 2014, 170 Tz. 37 – Kreuzfahrt nach Ägypten: Internetauftritt eines ägyptischen Kreuzfahrtveranstalters in deutscher Sprache sowie Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 721 stellen in diesem Kontext allerdings zu Recht fest, dass man wohl heute bei einer englischsprachigen Website davon ausgehen müsse, dass diese „grundsätzlich geeignet ist, in jedem Staat eine kollisionsrechtlich erhebliche Wirkung zu entfalten“. Siehe auch BGH 15. 2. 2007 – I ZR 114/04 I – GRUR 2007, 871 – Wagenfeld; BGH 30. 3. 2006 – I ZR 24/03 (KG) – GRUR 2006, 513 – Arzneimittelwerbung im Internet; LG Berlin 1. 6. 2011 – 24 U 111/10 – WRP 2012, 102. 987 MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 187. 988 Hier ist beispielsweise entscheidend, ob es sich um eine versandfähige oder eine schwer transportierbare oder verderbliche Ware handelt, ob sie überall zu gebrauchen ist oder ob es sich beispielsweise ganz offensichtlich um eine nur lokal zu erbringende Dienstleistung handelt, Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 25; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 722. 989 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 722; Mankowski GRUR Int. 1999, 909, 916. 990 Allerdings genügt eine bloße betriebsinterne Anweisung, nur in bestimmte Staaten zu liefern, grundsätzlich nicht, um eine Einwirkung der Internetwerbung mit Blick auf andere Staaten auszuschließen. Siehe hierzu OLG Frankfurt 3. 12. 1998 – 6 W 122/98 – ZUM-RD 1999, 455, 457; Mankowski GRUR Int. 1999, 909, 920. 991 Dethloff NJW 1998, 1596, 1600. 992 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 722; BGH 13. 10. 2004 – I ZR 163/02 – GRUR 2005, 431, 432 – Hotel Maritime. Zum Inlandsbezug siehe auch aktuell BGH 8. 3. 2012 – I ZR 75/10 (KG) – GRUR 2012, 621 – Oscar sowie BGH 29. 7. 2009 – I ZR 169/07 – GRUR 2010, 239 ff. – Umsatzrendite; BGH 28. 6. 2007 – I ZR 49/04 – GRUR 2007, 884 ff. – Cambridge Institute; BGH 15. 2. 2007 – I ZR 114/04 I – GRUR 2007, 871 – Wagenfeld; OLG München 2. 2. 2012 – 29 U 3538/11 – ZUM 2012, 587 ff.

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te;993 die Verwendung von klar formulierten und verständlichen Disclaimern994 sowie weitere für eine Begrenzung auf einen bestimmten Zielmarkt sprechende Aspekte.995 Die Rom II-VO selbst lässt die Frage, ob die wettbewerbskollisionsrechtliche Anknüpfung 321 ein Begrenzungskriterium in Form einer Spürbarkeitsschwelle oder einer de minimis-Schranke benötigt, bedauerlicherweise offen. Vereinzelt wird jedoch argumentiert, dass aufgrund der Streichung der noch im Verordnungsvorschlag enthaltenen Begrenzung auf unmittelbare oder wesentliche Beeinträchtigungen996 die Annahme einer kollisionsrechtlichen Spürbarkeitsschwelle generell abzulehnen sei.997 Diese Sichtweise kann jedoch nicht überzeugen.998 Dem aktuellen Wortlaut als auch den Materialien lässt sich eine solche Motivation nämlich nicht entnehmen. Eine derartige Begrenzung bzw. Korrektur in Form eines Spürbarkeitskriteriums ist mithin nicht von vornherein ausgeschlossen.999 Vielmehr ist davon auszugehen, dass dem Begriff der Beeinträchtigung von vornherein ein Aspekt der Spürbarkeit innewohnt,1000 jedenfalls aber in diesen hineinzulesen ist.1001 Diese Wesentlichkeitsschwelle ist sodann im Rahmen der kollisionsrechtlichen Prüfung, ob eine Wettbewerbshandlung geeignet ist, die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der Verbraucher zu beeinträchtigen, zu prüfen.1002 Denn weder der Schutz der Verbraucher noch der des Marktes als Institution erfordern die Anwendung des nationalen Lauterkeitsrechts, wenn keine spürbare Marktbeeinflussung und damit auch kein Interessenkonflikt vorliegt.1003 Dies bedeutet, dass nicht schon jeder noch so kleine Bezug zum Marktort die Anwend- 322 barkeit des dortigen Rechts zur Folge haben kann.1004 Vielmehr muss eine gewisse We-

993 MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 192. 994 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 722. Entscheidend ist hierbei allerdings, dass dieser klar und verständlich formuliert ist und sich der Wettbewerber auch tatsächlich daran hält. Ist sein Verhalten hingegen inkonsistent, weil er beispielsweise eine geografische Beschränkung in der Praxis außer Acht lässt, kann er sich entsprechend des Grundsatzes venire contra factum proprium nicht auf die Begrenzung berufen. Siehe hierzu Mankowski GRUR Int. 1999, 909, 920; BGH 30. 3. 2006 – I ZR 24/03 – BGHZ 167, 91 = GRUR 2006, 513, Tz. 22, 25 – Arzneimittelwerbung im Internet; KG 20. 12. 2001 – 2 W 211/01 – GRUR Int. 2002, 448, 450. Zustimmend Ohly WRP 2006, 1401, 1406; Hoeren MMR 2006, 464; Mankowski GRUR Int. 2006, 609, 610 f. 995 Mankowski GRUR Int. 1999, 909, 921; Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 25; Dethloff NJW 1998, 1596, 1600; Bornkamm S. 116. 996 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) KOM (2003) 427 endg. S. 18. 997 Sack WRP 2008, 845, 854. Kritisch mit Blick auf den Wortlaut auch Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 24, der das Prinzip jedoch sachrechtlich einordnet und eine kollisionsrechtliche Berücksichtigung im Ergebnis dennoch für möglich hält. Eine kollisionsrechtliche Spürbarkeitsschwelle verneinen auch Bauermann S. 53 ff. und Nettlau S. 245 ff. (der jedoch de lege ferenda eine kollisionsrechtliche Spürbarkeitsschwelle befürwortet); siehe in diesem Kontext auch Götting/Nordemann UWG Einl. Rn. 131; BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 91 sowie MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 198 m. w. N. 998 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 293; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 199. 999 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 199; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 293; a. A. BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 91. 1000 So in aller Deutlichkeit MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 199. 1001 Leible/Lehmann RIW 2007, 721, 729. 1002 Vgl. zum Verhältnis zwischen einer kollisionsrechtlichen und einer sachrechtlichen Spürbarkeitsschwelle auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 199. 1003 Mankowski GRUR Int. 1999, 909, 916. Ähnlich auch Höder S. 60: „Der Schutz der Institution ‚lauterer Wettbewerb‘ wird nur dann virulent, wenn eine Beeinträchtigung von einer gewissen Stärke droht.“; vgl. zum Problem der Mosaikbetrachtung auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 199. 1004 Siehe hierzu Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 24 und Staudinger/v. Hoffmann Art. 40 EGBGB Rn. 342, die beispielsweise die zufällige Verbreitung einer Zeitschrift oder die schlichte Abrufbarkeit einer Internetseite nennen. Auch schon nach autonomem deutschem Wettbewerbskollisionsrecht war anerkannt, dass eine spürbare Auswirkung auf den Markt erforderlich ist.

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sentlichkeitsschwelle überschritten sein,1005 was unter Zugrundelegung oben genannter objektiver, qualitativer sowie quantitativer Kriterien im Einzelfall festzustellen ist.

323 bb) Das Herkunftslandprinzip bei Multistatedelikten. Angesichts der beschriebenen Problematik in Fällen von Mulitstate-Delikten, wäre grundsätzlich aus rein praktischen Erwägungen die Beurteilung von Wettbewerbshandlungen nach nur einer Rechtsordnung wünschenswert. Vor diesem Hintergrund wurde schon vor Erlass der Rom II-VO zumindest mit Blick auf Multistate-Wettbewerbshandlungen innerhalb der Europäischen Union vereinzelt vorgeschlagen, von der gängigen Interessenkollisionslösung abzuweichen und in Konstellationen, in denen neben einer Einwirkung auf den Markt des Herkunftsstaates auch eine Einwirkung auf einen weiteren EU-Markt vorliegt, an das Recht des Herkunftslandes anzuknüpfen.1006 Begründet wurde diese Sonderanknüpfung, die nicht nur Fälle des Onlinemarketings, sondern grundsätzlich alle medialen unteilbaren Wettbewerbshandlungen mit grenzüberschreitender Verbreitung erfassen sollte,1007 zumeist mit einer größeren Praktikabilität, einer Reduktion der Rechtsermittlungskosten sowie einer erhöhten Vorhersehbarkeit.1008 Zudem wurde darauf verwiesen, dass sie sich in besonderem Maße zur Verhaltenssteuerung eigne.1009 324 Neben grundsätzlichen rechtspolitischen Bedenken, die gegen eine Etablierung des Herkunftslandprinzips vorgebracht werden,1010 kann diese Ansicht aber auch angesichts der klaren Entscheidung des Gemeinschaftsgesetzgebers für eine Marktortanknüpfung in Art. 6 Rom II-VO nicht überzeugen. Eine gewisse Erleichterung ergibt sich jedoch für den Bereich der BinnenmarktOnlinewerbung aufgrund des in Art. 3 der E-Commerce-Richtlinie1011 etablierten Herkunftslandprinzips,1012 das je nach Ansicht entweder das Marktortprinzip der Rom II-VO verdrängt1013 oder aber zu einer Korrektur des nach dem kollisionsrechtlichen Marktortprinzip festgestellten Ergebnisses auf der Ebene des Sachrechts führt.1014 1005 MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 211. Die zufällige Verbreitung einzelner Exemplare einer Zeitung in einem bestimmten Land führt daher nicht automatisch zur Anwendbarkeit des Rechts dieses Landes, ebenso bleiben sog. spillover-Effekte außer Betracht, Staudinger/v. Hoffmann Art. 40 EGBGB Rn. 342. 1006 Dethloff JZ 2000, 179, 181; dies. S. 284; darauf bezugnehmend auch Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 492 und Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 27. 1007 Dethloff S. 285; darauf bezugnehmend Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 492. 1008 Dethloff JZ 2000, 179, 182; dies. S. 284. 1009 Dethloff JZ 2000, 179, 182. 1010 So trägt das Herkunftslandprinzip nicht nur die Gefahr der Absenkung bestehender Verhaltensstandards (race to the bottom) in sich, Konsequenz seiner Etablierung wäre auch, dass Anbieter auf demselben Markt unterschiedlichen Verhaltensregeln unterliegen, was einen Verstoß gegen den wettbewerbsrechtlichen Grundsatz der Chancengleichheit aller Wettbewerber auf dem Markt bedeuten würde. Siehe hierzu beispielsweise Mankowski GRUR Int. 1999, 909, 914; Spindler MMR-Beilage 7/2000, 4, 8; Lurger/Vallant RIW 2002, 188, 194; dies. MMR 2002, 203, 207; Lehmann ZUM 1999, 180, 181; Bodewig GRUR Int. 2000, 475, 482 f.; Fezer/Koos IPrax 2000, 349, 354; Hoeren MMR 1999, 192, 194. 1011 RL 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. 6. 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs im Binnenmarkt. 1012 Zum Anwendungsbereich der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste und dem dort verankerten kollisionsrechtlichen Herkunftslandprinzip siehe Rn. 118 ff. sowie Rn. 221. 1013 Für ein kollisionsrechtliches Verständnis des Herkunftslandprinzips der E-CommerceRL, welches in seinem Anwendungsbereich das Marktortprinzip verdrängt, im Ergebnis: v. Bar/Mankowski § 3 Rn. 88; Höder S. 200 f.; Leible/Engel EuZW 2004, 7, 17; Mankowski GRUR Int. 1999, 909, 912 f.; ders. ZVglRWiss 100 (2001), 137, 140 ff., 179 f.; ders. CR 2001, 630, 632; ders. IPRax 2002, 257, 257 f.; ders. EWS 2002, 401, 402 ff.; MünchKommUWG/ders. IntWettbR Rn. 48 ff.; Gierschmann DB 2000, 1315, 1316; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 134 ff.; Lurger/Vallant RIW 2002, 188, 198; Nickels DB 2001, 1919, 1922; Stagl ÖBl. 2004, 244, 251 f.; Sack WRP 2013, 1545, 1548 f. (Art. 3 Abs. 1 ECommerce Richtlinie); Thünken S. 83 ff.; ders. ICLQ 51 (2002), 909, 940 f.; ders. IPRax 2001,15, 19 f. 1014 So im Ergebnis Ahrens CR 2000, 835, 837 f.; ders. FS Tilmann, S. 739, 745 f.; Apel/Grapperhaus WRP 1999, 1247, 1252;Baetzgen Rn. 714 ff.; DethloffS. 54; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbRRn. 76; Fezer/Koos IPRax 2000,349,

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III. Die Bestimmung des Wettbewerbsstatuts nach der Rom II-VO

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Jenseits der erfassten Binnenmarktsachverhalte kann die Übernahme des europäischen 325 Herkunftslandprinzips erst recht nicht überzeugen: Würde man das Prinzip als universell anwendbare kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung zur Anwendung bringen, würden die Staaten nicht nur ihre Regelungszuständigkeit für das wettbewerbliche Agieren im Internet weitgehend aufgeben, aufgrund der fehlenden Regelungsbefugnis des Gemeinschaftsgesetzgebers könnte darüber hinaus auch kein angemessener Schutz der inländischen Verbraucher gegen unlautere Wettbewerbshandlungen gewährleistet werden.1015

4. Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO – Bilaterale Wettbewerbshandlungen a) Anwendungsbereich und Normzweck. Art. 6 der Rom II-VO differenziert grundsätzlich zwischen marktbezogenem Wettbewerbsverhalten (Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO) und bilateralem, ausschließlich die Interessen eines bestimmten Wettbewerbers beeinträchtigendem unlauterem Wettbewerbsverhalten (Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO), welches auch als „konkurrentenbezogen“ bzw. „betriebsbezogen“ bezeichnet wird1016 und nach Ansicht der Kommission etwa bei der Abwerbung von Angestellten, bei Bestechung, Industriespionage, Preisgabe eines Geschäftsgeheimnisses1017 oder einer Anstiftung zum Vertragsbruch vorliegt.1018 Der Unterscheidung zwischen diesen beiden Formen des unlauteren Wettbewerbsverhaltens kommt mit Blick auf die kollisionsrechtliche Beurteilung entscheidendes Gewicht zu: Während sich die Anknüpfung marktbezogenen Wettbewerbsverhaltens nach Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO in Abweichung von der allgemeinen deliktskollisionsrechtlichen Regelung des Art. 4 Rom II-VO nach dem Marktortprinzip richtet, erklärt Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO im Bereich bilateraler Wettbewerbsverstöße die allgemeine Kollisionsnorm des Art. 4 Rom II-VO für grundsätzlich anwendbar. Diese Verweisung auf das allgemeine Deliktskollisionsrecht in Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO erlangt besondere Relevanz mit Blick auf Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO, der die Anwendbarkeit des gemeinsamen Heimatrechts ermöglicht sowie hinsichtlich Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO, der das Vertragsstatut eröffnet1019 und die beide im Bereich der bilateralen Wettbewerbsverstöße anwendbar sind.1020 Ausgeschlossen ist nach Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO jedoch – nach überwiegender Ansicht auch im Falle bilateraler Wettbewerbshandlungen1021 – eine Rechtswahl nach Art. 14 Rom II-VO.1022 352; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 377, 555 ff.; Harte/Henning/Glöckner3 Einl. C Rn. 32 ff.; ders. ZVglRWiss 99 (2000), 278, 305 f.; Halfmeier ZEuP 2001, 837, 864 ff.; Löffler WRP 2001, 379, 380; Nettlau, S. 165 f.; Piper/Ohly/Sosnitza Einf. C Rn. 79 f.; Pfeiffer IPRax 2014, 360, 361; Roth IPRax 2013, 215; Sack WRP 2002, 271, 273; ders. WRP 2001, 1408, 1411, 1417 ff., 1425; ders. WRP 2008, 845, 855; ders. WRP 2013, 1407, 1410 (Art. 3 Abs. 2 E-Commerce Richtlinie); vermittelnd i.S. eines „kollisionsrechtlichen Mindestgehalts“, da sich das Herkunftslandprinzip in der E-CommerceRL aus dem nationalen Recht ergibt, Ohly GRUR Int. 2001, 899, 902. Zum Streit um den kollisionsrechtlichen Gehalt siehe ausführlich Rn. 130 ff. 1015 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 189. 1016 Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 5.44; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 653; Huber/Bach IPRax 2005, 73, 78. 1017 Vgl. zur Anknüpfung des Geheimnisschutzes nach Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO unter Berücksichtigung der Richtlinie 2016/943/EU über den Schutz von Geschäftsgeheimnissen MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 183 ff., der die Frage untersucht, ob neben dem Ausspähen und der Offenbarung auch die Nutzung eines Geschäftsgeheimnisses i. S. d. Richtlinie nach Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO anzuknüpfen ist, und dies im Ergebnis bejaht; vgl. zur Ankknüpfung des Geheimnisschutzes nach Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO auch Köhler FS Coester-Waltjen S. 508 und Lejeune CR 2016, 330, 331. 1018 KOM (2003) 427 endg., S. 18. Kritisch zur getroffenen Differenzierung: Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 166; siehe ausführlich zu Art. 6 II Rom II-VO Sack GRuR Int. 2012, 601. 1019 Harte/Henning/Glöckner Einl. C Rn. 119. 1020 Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 5.45; Sack WRP 2008, 845, 847; Sack WRP 2008, 1405, 1413. 1021 So auch Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 158; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 671; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 238 f.; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 182. 1022 Vgl. hierzu auch Rn. 188 f., 262 ff.

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330 b) Anknüpfung: Ausschließliche Beeinträchtigung von Individualinteressen. Die aufgrund der Verweisung mögliche Abweichung von der grundsätzlich maßgeblichen Marktortanknüpfung nach Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO wird überwiegend als rechtspolitisch nicht unproblematisch angesehen,1023 weshalb der Abgrenzung zwischen marktbezogenem und konkurrentenbezogenem unlauterem Wettbewerbsverhalten besondere Bedeutung zukommt.1024 Umstritten ist die Differenzierung insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch bilaterale Wettbewerbshandlungen einen Marktbezug aufweisen, denn ein solcher ist jeder Wettbewerbshandlung bereits begrifflich immanent.1025 Darüber hinaus wird auch Kritik an dem im Entwurfsvorschlag geäußerten Kriterium des 331 Abzielens auf einen bestimmten Mitbewerber geäußert. Dieses sei zur Eingrenzung nicht geeignet, da einige Formen unlauteren Wettbewerbsverhaltens auf einen bestimmten Wettbewerber zielen und dies dennoch vor allem durch Handeln gegenüber Abnehmern und damit auf einem Markt geschehe.1026 Nicht zuletzt verschlechtere jede Wettbewerbshandlung, die sich gezielt gegen einen Wettbewerber richte, dessen Wettbewerbsposition1027 und habe daher zugleich eine wettbewerbsverzerrende Wirkung,1028 da das Gleichgewicht des Leistungswettbewerbs gestört werde.1029 Zudem könnte ein vorschnelles Abweichen von der Marktortanknüpfung zugunsten des Rechts am gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt das Gebot der Wettbewerbsgleichheit (par conditio concurrentium) am Marktort gefährden.1030 Vereinzelt wird daher vorgeschlagen, den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO 332 sehr eng zu fassen und auch Verhaltensweisen, die grundsätzlich als betriebsbezogen oder bilateral eingestuft werden, der wettbewerbskollisionsrechtlichen Anknüpfung nach Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO zu unterstellen.1031 Diese Herangehensweise ist jedoch nicht unproblematisch, denn unabhängig von der aus 333 rechtspolitischer und systematischer Sicht durchaus nachvollziehbaren Kritik, muss Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO als unmittelbar geltendes Recht vom Forumstaat angewendet werden, wobei dieser auch darauf zu achten hat, dass die enge Auslegung nicht dazu führen darf, dass der Norm letztlich kein Anwendungsspielraum mehr verbleibt.1032 Dies wäre jedoch der Fall, wenn man unter Hinweis darauf, dass auch die von der Kommission als bilateral eingestuften Wettbewerbshandlungen notwendigerweise einen Marktbezug aufweisen1033 und damit Drittinteressen berühren, die Anwendbarkeit der Vorschrift grundsätzlich verneinen will. Zwar ist den Kritikern zuzugestehen, dass auch die von der Kommission genannten bilateralen Wettbewerbshandlun-

1023 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 180; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 166; BeckOGK/Poelzig/ Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 95.

1024 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 180. 1025 Vgl. Sack WRP 2008, 845, 850; ders. GRUR Int. 2012, 601, 603. Ähnlich auch Lindacher GRUR Int. 2008, 453, 457 sowie BGH v. 11. 2. 2010 – I ZR 85/08 – BGHZ 185, 66, 69 = GRUR 2010, 847, 849 – Ausschreibung in Bulgarien sowie die kritische Analyse von MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 163. Ähnlich auch Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 666; BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 94. 1026 Siehe in diesem Kontext auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 163. 1027 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 327. 1028 BGH 11. 2. 2010 – I ZR 85/08 – BGHZ 185, 66 = GRUR 2010, 847 Tz. 19 – Ausschreibung in Bulgarien unter Verweis auf MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 158. 1029 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 327. 1030 Ähnlich MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 162, 165 f. 1031 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 656 verweisen diesbezüglich beispielsweise auf die Fallgruppe der Rufschädigung, „bei der neben dem individuellen Interesse des geschädigten Unternehmens zugleich das Interesse der Allgemeinheit am Schutz des Leistungswettbewerbs tangiert ist.“ Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 166 lehnen die Anwendung von Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO auf bilaterale Wettbewerbshandlungen gänzlich ab. 1032 Davon geht wohl auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 163 ff. aus; ebenso Nettlau S. 252; BeckOGK/ Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 95; ähnich Köhler FS Coester-Waltjen S. 507; kritisch dazu, aber im Ergebnis übereinstimmend Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 658. 1033 So auch BGH 11. 2. 2010 – I ZR 85/08 – BGHZ 185, 66 = GRUR 2010, 847 Tz. 19 – Ausschreibung in Bulgarien.

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III. Die Bestimmung des Wettbewerbsstatuts nach der Rom II-VO

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gen negative Auswirkungen auf einen bestimmten Markt haben können,1034 dennoch ist ihr Marktbezug meist nur ein mittelbarer,1035 da bilaterale Wettbewerbshandlungen primär die Individualinteressen eines Mitbewerbers berühren1036 und sich auf ein unmittelbar identifizierbares Opfer beziehen.1037 Zudem sind auch besondere Interessen des Geschädigten oder des Schädigers, die eine Anknüpfung an das Marktortrecht erfordern würden, nicht ersichtlich.1038 Auch wenn mithin durchaus Zurückhaltung bei der Anwendung des Art. 6 Abs. 2 Rom II- 334 VO geboten ist – schließlich macht schon der Gemeinschaftsgesetzgeber durch das Wort „ausschließlich“ klar, dass insoweit eine grundsätzlich eng auszulegende Ausnahmevorschrift vorliegt1039 –, müssen im Ergebnis dennoch jedenfalls die von der Kommission genannten Wettbewerbshandlungen (Abwerbung von Angestellten, Bestechung,1040 Industriespionage,1041 Verrat von Geschäftsgeheimnissen1042 und Verleitung zum Vertragsbruch1043) dem allgemeinen Deliktsstatut gemäß Art. 4 Rom II-VO unterstellt werden.1044 Liegt allerdings ein unmittelbarer Marktbezug vor, wie in den Fällen der vergleichenden 335 Werbung, des Boykottaufrufs und der sonstigen marktvermittelten Behinderung oder der Anschwärzung eines Mitbewerbers, ist der Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO nicht eröffnet und es bleibt bei der Grundregel des Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO.1045 In diesen Fällen sind 1034 Vgl. Sack WRP 2008, 845, 850. Ähnlich auch Lindacher GRUR Int. 2008, 453, 457 sowie BGH v. 11. 2. 2010 – I ZR 85/08 – BGHZ 185, 66 = GRUR 2010, 847 Tz. 19 – Ausschreibung in Bulgarien sowie MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 163, der auf die Zurückhaltung der Kommission selbst bezüglich der Beispiele im Vorschlag hinweist. 1035 MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 332 sowie BGH 11. 2. 2010 – I ZR 85/08 – BGHZ 185, 66 = GRUR 2010, 847 Tz. 19 – Ausschreibung in Bulgarien, stellen insofern fest, dass den unternehmensbezogenen Eingriffen die „unmittelbar marktvermittelte Einwirkung auf die geschäftlichen Entscheidungen der ausländischen Marktgegenseite“ fehlt, welche eine abweichende Anknüpfung an das gemeinsame Heimatrecht ausschließen würde. Liegt eine unmittelbar marktvermittelte Einwirkung auf die geschäftlichen Entscheidungen der ausländischen Marktgegenseite jedoch vor, wie im Falle der Anschwärzung eines Mitbewerbers oder von Boykottaufrufen gegen einen Mitbewerber, so bleibe die Grundanknüpfung nach Art. 6 I Rom II-VO anwendbar. Siehe auch Glöckner WRP 2011, 137, 139 sowie Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 656. 1036 MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 332. Die „Bilarität“ betonend: KOM (2003) 427 endg., S. 18; Huber/Bach IPRax 2005, 73, 78; Leible/Lehmann RIW 2007, 721, 729. Ähnlich auch Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 656. 1037 MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 332. 1038 So Leible/Lehmann RIW 2007, 721, 730 f., die darauf hinweisen, dass in den Fällen bilateraler Wettbewerbverstöße der Erfolg oftmals ein Vermögensschaden sein wird, der am Ort der Niederlassung des Geschädigten eintritt. 1039 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 166; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 666; für eine enge Auslegung plädiert auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 165 ff. 1040 Vgl. dazu MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 173; BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 103. 1041 Vgl. dazu Bauermann S. 102 ff. m. w. N. 1042 Vgl. zur Anknüpfung des Geheimnisschutzes MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 183 ff.; Köhler FS Coester-Waltjen S. 508 sowie Lejeune CR 2016, 330, 331. 1043 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 172; BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 102; Bauermann S. 105 ff. (differenzierend) knüpfen diese Fallgruppe entgegen der Ansicht der Kommission nach dem Marktortprinzip gemäß Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO an; vgl. zur Gegenansicht Bauermann S. 104 m. w. N. 1044 Ebenso Nettlau S. 253; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 666; Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 5.44 nennt als weitere „bilaterale Handlungen“ noch Sabotageakte gegenüber dem Mitbewerber, wie die Beschädigung oder Zerstörung von Betriebseinrichtungen, Rohstoffen oder Waren. Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 326 nennen zudem kreditgefährdende Behauptungen nach § 824 BGB sowie die bloße Produktnachahmung, solange das Nachahmungsstück noch nicht auf den Markt gelangt ist. Siehe zu den einzelnen Fallgruppen auch Sack GRUR Int. 2012, 601, 606 f. 1045 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 165, 168 sowie 154; Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 5.44a; Köhler FS Coester-Waltjen S. 507 f.; BGH 11. 2. 2010 – I ZR 85/08 – BGHZ 185, 66 = GRUR 2010, 847 Tz. 19 – Ausschreibung in Bulgarien; BGH 12. 12. 2013 – I ZR 131/12 – WRP 2014, 548 Tz. 37 f. –englischsprachige Pressemitteilung; BGH 12. 1. 2017 – I ZR 253/14 – WRP 2017, 434 Tz. 43 – World of Warcraft II – in diesem Fall ging es um die unlauterere

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

neben den Individualinteressen auch Drittinteressen, insbesondere das Interesse der Allgemeinheit am Schutz des Leistungswettbewerbs betroffen.1046

c) Verweis auf Art. 4 Rom II-VO 336 aa) Maßgeblichkeit des Erfolgsortes. Ist aufgrund der Verweisung in Art. 6 Abs. 2 Rom IIVO für „bilaterale“ Wettbewerbshandlungen mithin grundsätzlich das allgemeine Deliktskollisionsrecht nach Art. 4 Rom II-VO maßgeblich, so bedeutet dies, dass allein auf den Ort des unmittelbaren Schadenseintritts (Erfolgsort) abzustellen ist, und weder der Handlungsort noch der Ort, an dem indirekte Schadensfolgen eingetreten sind, maßgeblich sind.1047 Unklar ist allerdings, wie der Erfolgsort bei bilateralen Wettbewerbsverstößen genau zu 337 bestimmen ist,1048 da theoretisch die Wettbewerbsposition des betroffenen Unternehmens überall dort gestört ist, wo dieses tätig ist.1049 Auch, wenn eine bilaterale Wettbewerbshandlung vorliegt, kommt es auf den Märkten zu einer Beeinträchtigung der Wettbewerbsbeziehungen, auf denen die betroffenen Akteure miteinander in Wettbewerb treten. Wäre dies allerdings für die Anknüpfung relevant, hätte es keiner Abweichung von der Grundregel des Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO bedurft. Darüber hinaus dient Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO primär dem Schutz des einzelnen Wettbewerbers, der durch eine unternehmensbezogene unlautere Wettbewerbshandlung in seiner Wettbewerbsstellung beeinträchtigt wird.1050 Würde man jedoch die Beeinträchtigung überall dort lokalisieren, wo dieser wettbewerblich tätig wird, käme dies einem objektiven Schutz des Wettbewerbs gleich1051 und stünde in Widerspruch zur Schutzintention des Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO. 338 Aus diesem Grund ist der Schaden bzw. der Nachteil, der aufgrund des bilateralen Wettbewerbsverstoßes entstanden ist, grundsätzlich am Sitz des geschädigten Unternehmens oder der geschädigten Niederlassung angemessen zu lokalisieren,1052 schließlich ist das der Ort, von dem aus die Geschäfte geführt werden. Dieses Ergebnis wird auch in der Literatur überwieBehinderung eines Mitbewerbers durch den Vertrieb von Bot-Programmen für das Online-Spiel World of Warcraft; a. A. BGH 19. 3. 2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 Tz. 15 – Hotelbewertungsportal; der BGH kommt hier im Zusammenhang mit der Anschwärzung eines Konkurrenten über Art. 6 Abs. 2, Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO und ohne eine ausführliche Begründung zur Anwendbarkeit des deutschen § 4 Nr. 2 UWG (§ 4 Nr. 8 a. F.); s. hierzu MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 154. 1046 So auch Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 656 mit Blick auf die Rufschädigung sowie Fezer/Hausmann/ Obergfell Einl. I Rn. 326 mit Blick auf Anschwärzung und Boykottaufruf (kritisch zudem auch mit Blick auf die Betriebsspionage); Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 5.44a nennt zudem noch den Fall des Aussprechens einer unbegründeten Schutzrechtsverwarnung gegenüber Abnehmern des Produkts eines Mitbewerbers (unberechtigte Abnehmerverwarnung); ebenso BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 100, die zwischen Herstellerverwarnungen (Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO) und Abnehmerverwarnungen (Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO) differenzieren; nach MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 164 ist Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO nicht auf mittelbare, marktvermittelte Behinderungen der Wettbewerber anwendbar, auch wenn das Wettbewerbsverhalten gezielt gegen einen bestimmten Wettbewerber gerichtet ist; s. hierzu auch Bauermann S. 95 ff. und Sack GRUR Int. 2012, 601, 604. 1047 Dies ist auch sachgerecht, denn eine Anknüpfung an den Ort der Handlung erscheint im Bereich wettbewerblichen Agierens eher zufällig und daher unangemessen. So auch noch zur alten deutschen Regelung Harte/Henning/Glöckner Einl. C Rn. 117; Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 5.45. 1048 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 179. 1049 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 659. Ähnlich auch Harte/Henning/Glöckner Einl. C Rn. 119. 1050 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 179. 1051 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 179. 1052 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 179; Sack WRP 2008, 845, 850; Lindacher GRUR Int. 2008, 453, 457; Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 21.; BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 105; Nettlau S. 257. Kritisch Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 662; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 326; s. hierzu auch Oberster Gerichtshof 9. 8. 2011 – 17 Ob 6/11 y alcom-international.at, GRUR Int. 2012, 464 sowie Oberster Gerichtshof 20. 9. 2011 – 4 Ob 12/11 K HOBAS-Rohre, GRUR Int. 2012, 468.

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III. Die Bestimmung des Wettbewerbsstatuts nach der Rom II-VO

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gend vertreten.1053 Zwar finden sich auch kritische Stimmen, die betonen, dass ein solches Verständnis der maßgeblichen Prämisse der Rom II-VO widerspreche, wonach Vermögensschäden als indirekte Schäden im Anwendungsbereich der Verordnung unerheblich sein sollen,1054 weshalb allein eine Anknüpfung an den Ort der Behinderung der Betriebstätigkeit1055 bzw. an den Ort der Beeinträchtigung der Wettbewerbsbeziehungen bzw. der Wettbewerbsstellung angemessen erscheine.1056 Nichtsdestotrotz muss der Ort, an dem sich das geschädigte Unternehmen befindet, als Ausgangspunkt der Individualinteressen des geschädigten Unternehmens angesehen werden.

bb) Anknüpfung an das gemeinsame Heimatrecht. Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO erklärt alle Re- 339 gelungen des Art. 4 Rom II-VO für anwendbar, weshalb anders als im Bereich der marktbezogenen Wettbewerbsverstöße1057 ein Rückgriff auf das Recht des gemeinsamen Aufenthaltsortes erlaubt ist, sofern sowohl die Person, deren Haftung geltend gemacht wird, als auch die geschädigte Person zum Zeitpunkt des Schadenseintritts ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat haben.1058 Vorrangig vor dem Recht des Erfolgsortes ist damit nach Art. 4 Abs. 2 Rom IIVO das Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltsortes anwendbar, welcher durch Art. 23 Rom II-VO eine Präzisierung erfährt. Nach Art. 23 Abs. 1 Rom II-VO ist der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts von Gesellschaften, 340 Vereinen und juristischen Personen der Ort ihrer Hauptverwaltung. Im Falle von unlauteren Wettbewerbshandlungen, die sich gegen eine Zweigniederlassung, eine Agentur oder eine sonstige Niederlassung richten, steht nach Art. 23 Abs. 2 Rom II-VO dem Ort des gewöhnlichen Aufenthalts der Ort gleich, an dem sich diese Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung befindet. Handelt es sich um eine natürliche Person, die im Rahmen der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit handelt, bestimmt Art. 23 Abs. 2 Rom II-VO, dass der Ort ihrer Hauptniederlassung der gewöhnliche Aufenthalt i.S.v. Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO ist. cc) Ausweichklausel und akzessorische Anknüpfung. Ebenso kann auch die allgemeine 341 Ausweichklausel nach Art. 4 Abs. 3 Satz 1 Rom II-VO sowie die Möglichkeit der akzessorischen Anknüpfung nach Art. 4 Abs. 3 Satz 2 Rom II-VO aufgrund des engen Verweisungsrahmens nur in Fällen „bilateraler“ Wettbewerbshandlungen Relevanz erlangen. Dies ist auch unmittelbar einleuchtend, denn in den Fällen marktbezogener Wettbewerbshandlungen im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO stellt die Anknüpfung an den Marktort als den Ort der wettbewerblichen Interessenkollision bereits die engste Verbindung in lauterkeitsrechtlichen Sachverhalten her, weshalb keine Korrektur des Ergebnisses erforderlich ist.1059 Ebenfalls kommt eine akzessorische Anknüpfung an ein zwischen den Beteiligten bestehendes Vertragsverhältnis in diesen Fällen nicht in Betracht.1060 Zudem wird die Bedeutung der Ausweichklausel auch mit Blick auf bilate1053 Sack WRP 2008, 845, 850; Lindacher GRUR Int. 2008, 453, 457; Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 21; BeckOGK/ Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 105; Nettlau S. 257. Kritisch Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 662; Fezer/ Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 326; für Bauermann S. 76 ist immer eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen, da eine „allgemeine Präzisierung“ nicht möglich sei. 1054 Harte/Henning/Glöckner Einl. C Rn. 118. 1055 Briem S. 65. 1056 In diesem Sinne wohl kritisch Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 662 sowie Harte/Henning/Glöckner Einl. C Rn. 119. 1057 Sack WRP 2008, 845, 847; KOM (2003) 427 endg., S. 18; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 666; Harte/Henning/Glöckner Einl. C Rn. 125; Glöckner WRP 2011, 137, 142, der einen unmittelbaren Rückgriff auf Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO aus teleologischen Gründen ablehnt. 1058 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 164; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 663. 1059 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 667. 1060 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 256.

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

rale Wettbewerbsverstöße eher gering sein, denn die Anknüpfung an den Erfolgsort und den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt wird bereits die meisten Fallkonstellationen erfassen.1061

5. Die wettbewerbskollisionsrechtliche Anknüpfung im Einzelfall 342 a) Typologie wettbewerbsrechtlich relevanter Handlungen. In der Vergangenheit gab es verschiedene Versuche, lauterkeitsrechtlich relevante Verhaltensweisen zu typologisieren. So wurde zum einen zwischen marktbezogenen und nicht marktbezogenen, sog. betriebsbezogenen bzw. bilateralen Wettbewerbsverstößen differenziert.1062 Diese Unterscheidung sollte auch für die kollisionsrechtliche Beurteilung bedeutsam sein, denn während die marktortspezifische Anknüpfung nur auf marktbezogene Wettbewerbsverstöße Anwendung finden sollte, wurde für bilateral wirkende Wettbewerbsverstöße das allgemeine Deliktsstatut favorisiert.1063 Auch wenn diese Differenzierung nicht unumstritten ist,1064 so trägt ihr nunmehr doch auch der europäische Gesetzgeber mit Art. 6 Rom II-VO Rechnung: Während Art. 6 Abs. 1 Rom IIVO das anwendbare Recht bei marktbezogenen unlauteren Wettbewerbshandlungen nach dem Marktortprinzip bestimmt, sieht Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO für Fälle rein bilateraler Verhaltensweisen eine Anknüpfung an das allgemeine Deliktsstatut nach Art. 4 der Rom II-VO vor. Darüber hinaus finden sich aber auch Bemühungen, eine Strukturierung entsprechend der im Wettbewerbsrecht zu Grunde liegenden wettbewerbsrechtlichen Schutzrichtungen vorzunehmen. Ausgehend von der Trias der Interessenkreise der Wettbewerber, der Verbraucher und der Allgemeinheit wurde versucht, Wettbewerbshandlungen in die Gruppe der Konkurrentenbeeinträchtigung sowie der Beeinträchtigung der Abnehmer und der Allgemeinheit einzuteilen.1065 Allerdings sind diese Systematisierungsversuche nicht nur angesichts der Vielfalt denkba343 rer Wettbewerbsrechtsverstöße kritisch zu betrachten,1066 vielmehr können sie auch vor dem Hintergrund nicht überzeugen, dass eine Verflechtung der verschiedenen Interessen dem Wettbewerbsrecht geradezu immanent zu sein scheint und nur in den seltensten Fällen ganz klar ausgemacht werden kann, ob es sich um eine Verletzung objektiver Verhaltensnormen handelt, die dem Schutz der Konkurrenten, dem der Verbraucher oder aber dem Schutz sonstiger Allgemeininteressen dienen.1067 Eine Typologisierung ausgehend von der dem Wettbewerbsrecht zu Grunde liegenden Schutzzwecktrias erscheint mithin nicht zielführend.1068 Aus diesem Grund soll an dieser Stelle kein erneuter Versuch einer Systematisierung un344 ternommen werden, vielmehr sollen nur jene Fallgruppen näher spezifiziert und dargestellt werden, die auch in der Praxis die größte Relevanz haben und regelmäßig zu Diskussionen führen.

1061 So auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 181; BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 107; Nettlau S. 259.

1062 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 688; in diesem Sinne MünchKommBGB/Kreuzer Art. 38 EGBGB Rn. 235 f.; Sack WRP 2000, 269, 272 f.; Dethloff S. 73 f.; Staudinger/v. Hoffmann Art. 40 EGBGB Rn. 315 m. w. N.

1063 MünchKommBGB/Kreuzer Art. 38 EGBGB Rn. 235 f.; Staudinger/v. Hoffmann Art. 40 EGBGB Rn. 315 ff. 1064 Gegen eine Anknüpfung an das Deliktsstatut: Bernhard Internationales Privatrecht des unlauteren Wettbewerbs, S. 274 ff., 281 (Recht am Ort der beeinträchtigten Produktion); Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 212 f. (Sitz des betroffenen Unternehmens). 1065 MünchKommBGB/Kreuzer Art. 38 EGBGB Rn. 243 ff. 1066 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 178. 1067 So auch Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 177; Staudinger/v. Hoffmann Art. 40 EGBGB Rn. 328; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 688; siehe hierzu auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 111 ff. 1068 So auch Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 688; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 178.

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III. Die Bestimmung des Wettbewerbsstatuts nach der Rom II-VO

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b) Fallgruppen aa) Unlautere Werbung (1) Der Begriff der unlauteren Werbung. Die wohl wichtigste Wettbewerbshandlung stellt in 345 der Praxis die Werbung dar, weshalb sie auch als Ausgangspunkt der folgenden Darstellung wettbewerbsrechtlicher Fallkonstellationen dienen soll. Der Begriff der Werbung, der auch im neuen UWG nicht definiert wird, erhält dabei unter Rückgriff auf das gemeinschaftsrechtliche Sekundärrecht die nötigen Konturen. Nach Art. 2 lit. a der Irreführungsrichtlinie (RL 2006/114/EG – ABl. EG L376, S. 21 ff.) unterfällt dem Begriff der Werbung „jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen zu fördern“.1069 Art. 2 lit. f der E-Commerce-Richtlinie1070 erweitert den Begriff dahingehend, dass alle Formen der kommerziellen Kommunikation umfasst sind, „die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen oder des Erscheinungsbilds eines Unternehmens, einer Organisation oder einer natürlichen Person dienen, die eine Tätigkeit in Handel, Gewerbe oder Handwerk oder einen reglementierten Beruf ausübt.“ Unter den Begriff der Werbung fällt mithin grundsätzlich jede den Absatz fördernde geschäftliche Kommunikationshandlung.1071 Die Unlauterkeit einer solchen Werbemaßnahme kann sich dabei aus verschiedenen Gründen ergeben. Zu nennen ist hier beispielsweise die irreführende Werbung, die ebenfalls in unterschiedlicher Form vorliegen kann: Irreführung über wesentliche Merkmale der Ware oder Dienstleistung (§ 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 UWG) bzw. des werbenden Unternehmens (§ 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 UWG), den Verkaufsanlass (§ 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 UWG), den Preis (§ 5 Abs. 4 UWG) oder aber beispielsweise die Irreführung in Form des Verschweigens von Tatsachen (§ 5a UWG). Unlauter kann eine Werbung aber auch sein, weil der Werbecharakter der geschäftlichen Handlung verschleiert ist (verdeckte Werbung oder Schleichwerbung, § 5a Abs. 6 UWG) oder es sich um einen Fall der unlauteren vergleichenden Werbung handelt (§ 6 UWG). Nicht zuletzt fallen in den Bereich der unlauteren Werbung auch absatzfördernde Maßnahmen, die eine aggressive geschäftliche Handlung darstellen (§ 4a Abs. 1 S. 1 UWG, vgl. auch § 4 Nr. 1 UWG a. F.). Gerade in den Konstellationen, in denen in psychologisch bedenklicher Weise auf die Kaufentscheidung Einfluss genommen werden soll (vgl. § 4a Abs. 2 S. 2 UWG und § 4 Nr. 2 UWG a. F.), sind die Interessen der Abnehmer sowie der Verbraucher am Markt in besonderem Maße tangiert.1072 Unlauter und insofern abnehmerbeeinträchtigend ist eine Werbung aber nicht zuletzt auch dann, wenn sie in unzumutbarer Weise belästigt (§ 7 UWG), was beispielsweise der Fall ist, wenn sie entgegen des erkennbaren Willens des Verbrauchers (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG) oder aber im Falle von Telefonwerbung ohne die Einwilligung des Angerufenen erfolgt (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG). Ebenfalls eine unzumutbare Belästigung stellt die unaufgeforderte Fax- und E-Mail-Werbung dar (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG).

1069 Der EuGH 11. 7. 2013 – C-657/11 – GRUR 2013, 1049 Tz. 35 – BEST/Vysis betonte, dass es angesichts dieser besonders weiten Definition sehr unterschiedliche Formen von Werbung geben kann und diese daher in keiner Weise nur Formen klassischer Werbung erfasst; vgl. hierzu auch die Ausführungen des BGH 14. 1. 2016 – I ZR 65/ 14 – GRUR 2016, 946 Tz. 27 – Freunde finden (Empfehlungs-E-Mails im Rahmen der „Freunde finden“-Funktion von Facebook = Werbung) sowie BGH 12. 9. 2013 – I ZR 208/12 – GRUR 2013, 1259 Tz. 16 ff. – Empfehlungs-E-mail; siehe zudem RL 84/450/EWG – ABl. EG L 250 v. 10. 9. 1984 S. 17 ff. 1070 RL 2000/31/EG – ABl. EG L 178 v. 17. 7. 2000, S. 1 ff. 1071 So auch Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 202. 1072 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 267.

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

350 (2) Die Relevanz des Werbemarktes. Da es sich in den Fällen der unlauteren Werbung um marktortbezogene Wettbewerbsmaßnahmen handelt, muss bei der kollisionsrechtlichen Bewertung die nach Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO maßgebliche Anknüpfung an den Marktort zu Grunde gelegt werden.1073 Dies bedeutet, dass der Ort ermittelt werden muss, auf dem die wettbewerblichen Interessen kollidieren. Werbung dient der Absatzförderung und bezweckt eine Einflussnahme auf die Entschei351 dungsfreiheit und das wirtschaftliche Handeln der Abnehmer.1074 Diese sollen durch die Werbemaßnahme dazu bestimmt werden, sich möglichst für die vom Werbenden angepriesenen Produkte und Dienstleistungen zu entscheiden. Das Wettbewerbsrecht schützt die Adressaten – wie die oben dargestellten Fallgruppen eindeutig zeigen – hierbei insbesondere vor einer Irreführung, unzumutbaren Belästigungen oder aber der Ausübung von Druck. Gleichzeitig werden durch das Lauterkeitsrecht die auf dem Werbemarkt aktiven Konkurrenten vor einer Benachteiligung beispielsweise durch kritische vergleichende Werbemaßnahmen geschützt. Und nicht zuletzt ist im Falle einer unlauteren Werbung stets auch das Interesse der Allgemeinheit am Bestand eines unverfälschten Wettbewerbs tangiert.1075 Zwar zielen die Interessen der Abnehmer, der Konkurrenten und der Allgemeinheit dabei nicht immer in dieselbe Richtung, so können beispielsweise die Verbraucher durchaus ein Interesse an einer wahrheitsgemäß vergleichenden Werbung haben, während eine solche dem Interesse der Konkurrenten regelmäßig entgegen läuft.1076 Nichtsdestotrotz zeigt eine Analyse der in Fällen absatzfördernder Maßnahmen tangierten Interessen, dass diese stets auf dem Markt liegen, auf welchen durch die konkrete Werbemaßnahme eingewirkt werden soll.1077 An diesem Ort soll das Wettbewerbsrecht unlauteres Konkurrenzverhalten verhindern und die Kunden als Marktteilnehmer vor unlauteren Wettbewerbsmaßnahmen schützen.1078 Der Ort der Einwirkung auf die Entschließung der Kunden ist mithin der Ort, an dem 352 die maßgeblichen Interessen des Werbenden mit denen der irregeführten oder in sonstiger unlauterer Form beeinflussten oder belästigten Marktteilnehmer sowie auch mit jenen konkurrierender Unternehmen kollidieren. Nicht zuletzt bezieht sich auch das Interesse der Allgemeinheit an einem lauteren Wettbewerbsrecht auf diesen Ort, denn die Allgemeinheit ist daran interessiert, dass eine zur Verfälschung des Leistungswettbewerbs auf diesem Markt geeignete unlautere Werbung verhindert wird.1079 Festgehalten werden kann daher, dass im Falle unlauterer Werbung grundsätzlich das 353 Recht des Landes Anwendung findet, in welchem mittels Werbung oder durch sonstige Maßnahmen auf die Entscheidung des Kunden Einfluss genommen und auf dessen Entschließung eingewirkt werden soll.1080 Maßgeblich ist folglich das Recht des Werbemarktes.1081 Dies bedeutet, dass in Fällen des „Werbeexportes“ der Marktort (Werbemarkt) in der Regel im Ausland liegen

1073 Siehe zum relevanten Marktortprinzip ausführlich Rn. 211 ff. 1074 BGH 15. 11. 1990 – I ZR 22/89 – BGHZ 113, 11 ff. = GRUR 1991, 463 ff. – Kauf im Ausland; Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 202.

1075 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 269. 1076 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. Rn. 270; Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 202. 1077 Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 203; MünchKommBGB/Kreuzer Art. 38 EGBGB Rn. 234, 241, 244; Sack GRUR Int. 1988, 320, 322 ff.; Wirner S. 111 f. 1078 BGH 15. 11. 1990 – I ZR 22/89 – BGHZ 113, 11, 15 = GRUR 1991, 463, 464 – Kauf im Ausland. 1079 BGH 15. 11. 1990 – I ZR 22/89 – BGHZ 113, 11, 15 = GRUR 1991, 463, 464 f. – Kauf im Ausland; Fezer/Hausmann/ Obergfell Einl. I Rn. 270. 1080 BGH 8. 10. 2015 – I ZR 225/13 – GRUR 2016, 513 Tz. 16 – Eizellspende. 1081 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 269 f.; Ahrens FS Tilmann, S. 739, 751; Deutsch S. 62 f., Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 203; Kotthoff CR 1997, 676, 677; Kropholler IPR § 53 VI; MünchKommBGB/Kreuzer Art. 38 EGBGB Rn. 244; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 288 f., 291; Nettlau S. 209; Sack GRUR Int. 1988, 320, 322 ff.; Staudinger/v. Hoffmann Art. 40 EGBGB Rn. 334; Wirner S. 111 f. So auch schon BGH 15. 11. 1990 – I ZR 22/89 – BGHZ 113, 11 ff. = GRUR 1991, 463 ff. – Kauf im Ausland. S. auch bereits Ulmer Immaterialgüterrechte, S. 21.

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III. Die Bestimmung des Wettbewerbsstatuts nach der Rom II-VO

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wird, was die Anwendbarkeit ausländischen Rechts zur Folge hat, während in Fällen des „Werbeimportes“ das inländische Recht zum Zuge kommt.1082 Dies gilt auch dann, wenn der spätere Absatz der Ware auf einem anderen Markt stattfinden 354 soll.1083 Zwar ist in diesen Konstellationen auch das Absatzinteresse anderer Wettbewerber auf diesem Markt berührt, allerdings handelt es sich insoweit nur um Auswirkungen des Werbeverhaltens, welches unter Zugrundelegung des Marktortprinzips nach dem Recht des Werbemarktes beurteilt wird.1084 Das heißt: Liegen der Werbemarkt und der Absatzmarkt, also der Ort, an dem die mit Blick 355 auf die Waren oder Dienstleistungen relevanten Absatzhandlungen stattfinden sollen, nicht in demselben Staat,1085 ist folglich nach überwiegender Auffassung allein das Recht des Werbemarktes maßgeblich.1086 Der Absatzmarkt ist insofern ohne Belang.1087 Unerheblich ist ebenso, wo die betreffenden Waren hergestellt worden sind und/oder aus welchem Land sie exportiert wurden.1088 Auch die Staatsangehörigkeit, der Ort des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthalts der angesprochenen Abnehmer sowie der Ort, an dem Vorbereitungshandlungen stattgefunden haben oder ein möglicher Schaden eingetreten ist, sind bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts ohne Relevanz.1089 Der Werbemarkt als Ort der wettbewerblichen Interessenkollision ist darüber hinaus auch 356 unabhängig vom eingesetzten Medium der für die kollisionsrechtliche Beurteilung relevante Markt.1090 Dies gilt sowohl für Fälle der Direktwerbung, Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften, Postwurfsendungen, Kinowerbung, Plakatanschläge sowie für Katalogwerbung.1091 Nur die Fernsehwerbung unterliegt teilweise dem in der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste1092 niedergelegten Sendelandprinzip (Herkunftslandprinzip), was zur Folge hat, dass das Recht des Sendestaates anzuwenden ist.1093 Allerdings unterfällt insbesondere der in der Praxis relevante 1082 Ahrens FS Tilmann S. 739, 751. 1083 BGH 15. 11. 1990 – I ZR 22/89 – BGHZ 113, 11, 15 = GRUR 1991, 463, 465 – Kauf im Ausland; BGH 8. 10. 2015 – I ZR 225/13 – GRUR 2016, 513 Tz. 16 – Eizellspende.

1084 BGH 15. 11. 1990 – I ZR 22/89 – BGHZ 113, 11, 15 f. = GRUR 1991, 463, 465 – Kauf im Ausland; Sack GRUR Int. 1988, 320, 323 ff. m. w. N.

1085 Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Werbemaßnahmen auf einem ausländischen Markt auf deutsche Kunden einwirken, der Absatz der Waren allerdings ausschließlich in Deutschland erfolgt. Siehe hierzu BGH 15. 11. 1990 – I ZR 22/89 – BGHZ 113, 11 ff. = GRUR 1991, 463 ff. – Kauf im Ausland. Werbe- und Absatzmarkt fallen aber auch dann auseinander, wenn in Deutschland irreführend für ein ausländisches Produkt mit dem Ziel geworben wird, deutsche Kunden für den Erwerb des in Deutschland nicht erhältlichen ausländischen Produkts zu gewinnen. Siehe hierzu BGH 3. 12. 1971 – I ZR 46/69 – GRUR 1972, 367, 368 – Besichtigungsreisen I. 1086 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 689; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 277 ff.; Ahrens FS Tilman, S. 739, 751; Deutsch S. 62 f.; Nettlau S. 210 f.; Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 204; Sack GRUR Int. 1988, 320, 323 ff.; s. auch BGH 15. 11. 1990 – I ZR 22/89 – BGHZ 113, 11, 14 f. = GRUR 1991, 463, 464 f. – Kauf im Ausland; BGH 8. 10. 2015 – I ZR 225/13 – GRUR 2016, 513 Tz. 16 – Eizellspende. 1087 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 689; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 277 ff. So auch schon BGH 15. 11. 1990 – I ZR 22/89 – BGHZ 113, 11, 15 f. = GRUR 1991, 463, 465 – Kauf im Ausland; BGH 8. 10. 2015 – I ZR 225/ 13 – GRUR 2016, 513 Tz. 16 – Eizellspende. 1088 Aus diesem Grund hat der BGH schon in seiner Entscheidung „Kindersaugflauschen“, BGH 30. 6. 1961 – I ZR 39/60 – BGHZ 35, 329 ff. = GRUR 1962, 243 ff. m. Anm. Filseck, Ansprüche eines US-amerikanischen Herstellers von Kindersaugflaschen gegen einen deutschen Nachahmer aus dem deutschen UWG abgewiesen, da dieser die Flaschen zwar in Deutschland hergestellt, jedoch ausschließlich im Ausland auf den Markt gebracht hatte. Wird jedoch zugleich eine Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums geltend gemacht, ist ebenfalls Art. 8 Rom II-VO zu beachten, der das Recht des Landes beruft, für dessen Territorium Schutz beansprucht wird. 1089 So auch schon BGH 15. 11. 1990 – I ZR 22/89 – BGHZ 113, 11, 15 = GRUR 1991, 463, 465 – Kauf im Ausland. 1090 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 275; Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 203. 1091 Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 203; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 275. 1092 RL über audiovisuelle Mediendienste. 1093 Siehe zum kollisionsrechtlichen Gehalt des Herkunftslandprinzips der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste Rn. 118 ff.

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

Fall der irreführenden Werbung nach wie vor der Anknüpfung an das Recht des Werbemarktes.1094 Geht man entgegen der hier vertretenen Auffassung1095 von einem kollisionsrechtlichen Gehalt der E-Commerce-Richtlinie aus,1096 unterfallen zudem – jedenfalls im Anwendungsgebiet der Richtlinie – alle Formen der kommerziellen Kommunikation im Online-Bereich dem in Art. 3 Abs. 1 E-Commerce-Richtlinie niedergelegten Herkunftslandprinzip,1097 wonach grundsätzlich das Recht des Staates anwendbar ist, in welchem der Diensteanbieter seine Tätigkeit ausübt. Ausgenommen ist jedoch der im Anhang der E-Commerce-Richtlinie explizit genannte Fall nicht angeforderter kommerzieller Kommunikationen mittels E-Mail. 357 Probleme ergeben sich mit Blick auf Werbemaßnahmen jedoch auch in Fällen des MultistateWettbewerbs, insbesondere im Kontext der Internetwerbung, aber auch im Bereich der Printmedien und des Rundfunks, denn die Zugrundelegung des nach Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO maßgeblichen Marktortprinzips, wonach jeder Ort Relevanz erlangt, an dem die Werbung auf die Marktgegenseite einwirkt, führt zur Maßgeblichkeit einer Vielzahl von Rechtsordnungen.1098 Nach richtiger Ansicht1099 kommt es in diesen Fällen auf die Spürbarkeit der Wettbewerbsmaßnahme an, denn es ist davon auszugehen, dass dem Begriff der Beeinträchtigung nach Art. 6 Rom II-VO von vornherein ein Aspekt der Spürbarkeit innewohnt,1100 jedenfalls aber in diesen hineinzulesen ist.1101 Diese Wesentlichkeitsschwelle ist im Rahmen der kollisionsrechtlichen Begutachtung bei der Beantwortung der Frage, ob eine Wettbewerbshandlung geeignet ist, die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der Verbraucher zu beeinträchtigen, zu prüfen und durch eine umfassende Bewertung objektiver quantitativer und wertender1102 Indizien zu bestimmen.1103

1094 EuGH 9. 7. 1997 – C-34/95 – Slg. 1997, I-3843 = GRUR Int. 1997, 913 ff. – De Agostini. In dieser Entscheidung fasste der EuGH den Begriff des koordinierten Bereichs der Fernseh-Richtlinie sehr eng. Diese regele zwar auch werberechtliche Fragen – außerhalb des koordinierten Bereichs fallen jedoch jene Regelungen, die nicht spezifisch die Tätigkeit von Fernsehanstalten betreffen und vielmehr allgemein der Lauterkeit des Handelsverkehrs und dem Verbraucherschutz dienen, wie beispielsweise die irreführende Werbung; in diesem Sinne auch Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 5.23; Sack WRP 2000, 269, 284; ders. WRP 2015, 1281; ders. WRP 2015, 1417; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 570; vgl. auch Micklitz/Keßler GRUR Int. 2002, 885, 888 f.; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 103. Kritisch dagegen Blasi S. 237 ff. 1095 Siehe hierzu Rn. 138 ff. 1096 So jedenfalls v. Bar/Mankowski § 3 Rn. 88; Höder S. 200 f.; Leible/Engel EuZW 2004, 7, 17; Mankowski GRUR Int. 1999, 909, 912 f.; ders. ZVglRWiss 100 (2001), 137, 140 ff., 179 f.; ders. CR 2001, 630, 632; ders. IPRax 2002, 257, 257 f.; ders. EWS 2002, 401, 402 ff.; MünchKommUWG/ders. IntWettbR Rn. 48 ff.; Gierschmann DB 2000, 1315, 1316; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 134 ff.; Lurger/Vallant RIW 2002, 188, 198; Nickels DB 2001, 1919, 1922; Stagl ÖBl. 2004, 244, 251 f.; Thünken S. 83 ff.; ders. ICLQ 51 (2002), 909, 940 f.; ders. IPRax 2001,15, 19 f.; a. A. Ahrens CR 2000, 835, 837 f.; ders. FS Tilmann, S. 739, 745 f.; Apel/Grapperhaus WRP 1999, 1247, 1252; Baetzgen Rn. 714 ff.; Dethloff S. 54; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 76; Fezer/Koos IPRax 2000, 349, 352; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 377, 555 ff.; Harte/Henning/Glöckner3 Einl. C Rn. 32 ff.; ders. ZVglRWiss 99 (2000), 278, 305 f.; Halfmeier ZEuP 2001, 837, 864 ff.; Löffler WRP 2001, 379, 380; Sack WRP 2002, 271, 273; ders. WRP 2001, 1408, 1411, 1417 ff., 1425; ders. WRP 2008, 845, 855; vermittelnd i.S. eines „kollisionsrechtlichen Mindestgehalts“, da sich das Herkunftslandprinzip in der E-CommerceRL aus dem nationalen Recht ergibt Ohly GRUR Int. 2001, 899, 902. Zum Streit um den kollisionsrechtlichen Gehalt der E-CommerceRL siehe ausführlich Rn. 130 ff. 1097 Art. 3 Abs. 1 enthält eine Regelung, wonach jeder Mitgliedstaat dafür Sorge zu tragen hat, „dass die Dienste der Informationsgesellschaft, die von einem in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen Diensteanbieter erbracht werden, den in diesem Mitgliedstaat geltenden innerstaatlichen Vorschriften entsprechen, die in den koordinierten Bereich fallen“. Absatz 2 ergänzt, dass die Mitgliedstaaten „den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat nicht aus Gründen einschränken (dürfen), die in den koordinierten Bereich fallen“. 1098 Siehe hierzu ausführlich Rn. 219 ff., 211 ff. 1099 Siehe hierzu ausführlich Höder S. 60 ff. 1100 So in aller Deutlichkeit MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 199. 1101 Leible/Lehmann RIW 2007, 721, 729. 1102 Harte/Henning/Glöckner Einl. C Rn. 160. 1103 Mankowski GRUR Int. 1999, 909, 921; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 720.

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Vor diesem Hintergrund kann jedenfalls nicht schon jeder noch so kleine Bezug zum Markt- 358 ort die Anwendbarkeit des dortigen Rechts zur Folge haben.1104 Als maßgeblich für die Prüfung, ob eine Wettbewerbsmaßnahme auf dem konkreten Markt spürbar ist, werden dabei insbesondere mit Blick auf Internetsachverhalte folgende Beurteilungskriterien angesehen: die konkrete Gestaltung von Websites,1105 vor allem mit Blick auf die Angabe von Preisen in unterschiedlichen Währungen und Zahlungsoptionen;1106 die Verwendung unterschiedlicher nationaler Telefax- oder Telefonnummern als mögliche Kontaktdaten;1107 der Einsatz unterschiedlicher Sprachen;1108 die angebotenen Versandmodalitäten;1109 die Natur des beworbenen Produkts;1110 die Angebotsstruktur;1111 Vertriebsbeschränkungen;1112 die Platzierung der Internet-Werbung;1113 die Bezugnahme auf die jeweilige Internetwerbung im Rahmen anderer inländischer Werbemaßnahmen;1114 die Referenz auf bestimmte Rechtsordnungen oder Belehrungen über bestimmte nationale Widerrufsrechte;1115 die Verwendung von klar formulierten und verständlichen Disclaimern1116 sowie weitere für eine Begrenzung auf einen bestimmten Zielmarkt sprechende Aspekte.1117 1104 Siehe hierzu Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 24; Staudinger/v. Hoffmann Art. 40 EGBGB Rn. 342, die beispielsweise die zufällige Verbreitung einer Zeitschrift oder die schlichte Abrufbarkeit einer Internetseite nennen. Auch schon nach autonomem deutschem Wettbewerbskollisionsrecht war anerkannt, dass eine spürbare Auswirkung auf den Markt erforderlich ist. 1105 Dazu ausführlich Mankowski GRUR Int. 1999, 915, 917 ff.; Dethloff NJW 1998, 1596, 1600. 1106 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 722; Mankowski GRUR Int. 1999, 909, 918; Dethloff NJW 1998, 1596, 1600. Allerdings nimmt die Aussagekraft dieses Kriteriums angesichts der Internationalisierung der Zahlungsmodalitäten und der damit verbundenen Zunahme an Zahlungsmöglichkeiten per Kreditkarte oder „elektronischem Geld“ immer mehr ab. So auch MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 187 f.; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 722; Höder S. 75. 1107 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 722; Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 25; Dethloff NJW 1998, 1596, 1600. 1108 Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 25: Handelt es sich um die jeweilige Landessprache oder wird sie von einer Minderheit signifikanter Größe verstanden oder gesprochen, spricht dies für eine Inlandsrelevanz; dazu auch GemSOGB – 22. 8. 2012 – GmS-OGB 1/10 – GRUR 2013, 417 Tz. 15 – Medikamentenkauf im Versandhandel; BGH 12. 12. 2013 – I ZR 131/12 – WRP 2014, 548 Tz. 46 – englischsprachige Pressemitteilung: Anwendbarkeit deutschen Rechts auf englischsprachige Pressemitteilung; OLG Hamm 17. 12. 2013 – 4 U 100/13 – GRUR-RR 2014, 170 Tz. 37 – Kreuzfahrt nach Ägypten: Internetauftritt eines ägyptischen Kreuzfahrtveranstalters in deutscher Sprache; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 721 stellen in diesem Kontext allerdings zu Recht fest, dass man wohl heute bei einer englischsprachigen Website davon ausgehen müsse, dass diese „grundsätzlich geeignet ist, in jedem Staat eine kollisionsrechtlich erhebliche Wirkung zu entfalten“. 1109 MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 187. 1110 Hier ist beispielsweise entscheidend, ob es sich um eine versandfähige oder eine schwer transportierbare oder verderbliche Ware handelt, ob sie überall zu gebrauchen ist oder ob es sich beispielsweise ganz offensichtlich um eine nur lokal zu erbringende Dienstleistung handelt, Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 25; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 722. 1111 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 723; Mankowski GRUR Int. 1999, 909, 917. 1112 Allerdings genügt eine bloße betriebsinterne Anweisung, nur in bestimmte Staaten zu liefern, grundsätzlich nicht, um eine Einwirkung der Internetwerbung mit Blick auf andere Staaten auszuschließen. Siehe hierzu OLG Frankfurt 3. 12. 1998 – 6 W 122/98 – ZUM-RD 1999, 455, 457; Mankowski GRUR Int. 1999, 909, 920. 1113 Dethloff NJW 1998, 1596, 1600. 1114 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 722; vgl. BGH 13. 10. 2004 – I ZR 163/02 – GRUR 2005, 431, 432 – Hotel Maritime. 1115 MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 192. 1116 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 725. Entscheidend ist hierbei allerdings, dass dieser klar und verständlich formuliert ist und sich der Wettbewerber auch tatsächlich daran hält. Ist sein Verhalten hingegen inkonsistent, weil er beispielsweise eine geographische Beschränkung in der Praxis außer Acht lässt, kann er sich entsprechend des Grundsatzes venire contra factum proprium nicht auf die Begrenzung berufen. Siehe hierzu Mankowski GRUR Int. 1999, 909, 920; BGH 30. 3. 2006 – I ZR 24/03 – BGHZ 167, 91 = GRUR 2006, 513 Tz. 22 – Arzneimittelwerbung im Internet; KG 20. 12. 2001 – 2 W 211/01 – GRUR Int. 2002, 448, 450. 1117 Mankowski GRUR Int. 1999, 909, 921; Piper/Ohly/Sosnitza Einf. B Rn. 25; Dethloff NJW 1998, 1596, 1600.

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359 bb) Verkaufsfördermaßnahmen. Wettbewerbsrechtliche Relevanz haben aber nicht nur klassische Werbemaßnahmen, sondern auch sonstige unter dem Begriff der Verkaufsfördermaßnahme zusammengefasste Aktionen, die auf die Gewinnung von Kunden abzielen und grundsätzlich alle Formen der Wertreklame sowie der entsprechenden Vorteilsgewährung selbst umfassen.1118 Dies bedeutet, dass im Grunde alle Wert- und Absatzformen, bei denen der Kunde zusätzliche Leistungen erhält, ohne diese gesondert vergüten zu müssen, erfasst werden, wie beispielsweise die Gewährung von Werbegeschenken, aber auch Kundenbindungsprogramme oder Gewinnspiele.1119 Mit Blick auf die kollisionsrechtliche Bewertung dieser Marketing- und Verkaufsförderaktio360 nen ist festzustellen, dass sie grundsätzlich dem Recht des Ortes unterliegen, an dem durch die Aktion auf die Entschließung der Kunden eingewirkt werden soll und die materiellen Anreize eingesetzt werden, denn das ist der Ort, an dem die wettbewerblichen Interessen kollidieren (Marktort).1120 Dies gilt selbst dann, wenn die Gewährung des Vorteils oder Anreizes an einem anderen Ort erfolgt.1121 Werden mithin Vorteile oder Preisnachlässe eingesetzt, ist Marktort in der Regel der Ort, an dem diese offeriert oder die Verkaufsfördermaßnahme angekündigt wird; werden Gewinnspiele veranstaltet, kollidieren die wettbewerblichen Interessen an dem Ort, an dem das Spiel veranstaltet wird,1122 denn hier wird die potentielle Kundschaft angesprochen und der Anreiz eingesetzt. Auch Rabatte und Zugaben, die dem potentiellen Nachfrager Anreize vermitteln und ihn 361 insofern zum Erwerb des Produkts anhalten sollen, unterfallen grundsätzlich der Anknüpfung an den Marktort.1123 Aufgrund der Aufhebung des RabattG und der Zugabenverordnung ist nunmehr insbesondere keine zweistufige kollisionsrechtliche Prüfung mehr erforderlich, da ein Verstoß gegen die entsprechenden Verbotsvorschriften nicht mehr möglich und insoweit auch kein Rechtsbruch zu prüfen ist.1124 Zwar gab es auf europäischer Ebene Bemühungen, Verkaufsförderaktionen einer gemeinschaftseinheitlichen Regelung zuzuführen, diese waren jedoch nicht von Erfolg gekrönt: Der Vorschlag für eine Verordnung über Verkaufsförderung im Binnenmarkt,1125 mit der Rabatte einschließlich unentgeltlicher Zugaben, Preisausschreiben, Gewinnspiele u. a. unmittelbar verbindlich geregelt werden sollten, wurde mittlerweile von der Kommission wieder zurückgezogen.1126

362 cc) Rechtsbruch. Nach § 3a UWG handelt unlauter, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Erfasst werden von diesem Tatbestand mithin die sogenannten Fälle des Rechtsbruchs. Wie die Vorschrift zeigt, soll dabei wettbewerbsrechtlich nicht jeder Gesetzesverstoß sanktioniert werden, sondern nur Verstöße gegen Normen, denen – jedenfalls auch – eine Schutzfunktion zu Gunsten des lauteren Marktverhaltens im Interesse der Mitbewerber, Verbraucher 1118 1119 1120 1121

Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 275; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 292. MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 292. Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 313. So auch Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 315, die darauf hinweisen, dass der umkämpfte Markt der Markt ist, „auf dem zwecks Abzugs der Kaufkraft in einen anderen Markt die Verkaufsfördermaßnahme zur Einflussnahme auf die Abnehmer eingesetzt werden.“ Die Beeinflussung potentieller Kunden findet eben schon mit der Ankündigung und nicht erst mit der Gewährung des entsprechenden Vorteils statt. 1122 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 313. 1123 MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 293. 1124 MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 294; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 311. 1125 Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Verkaufsförderung im Binnenmarkt v. 15. 10. 2002, KOM (2002), 585 endg. Von der Grundkonzeption ging der Vorschlag von einer Zulässigkeit sämtlicher Formen der Verkaufsförderung aus, sofern gewisse Informationspflichten und Transparenzauflagen eingehalten werden. 1126 Vgl. insofern ABl. EU C 64 v. 17. 3. 2006 S. 3, 7.

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und sonstigen Teilnehmer auf dem Markt zukommt,1127 die also einen hinreichenden Marktbezug haben.1128 Beim Rechtsbruchtatbestand liegt typischerweise ein doppelter Gesetzesverstoß vor, 363 denn der Verstoß gegen eine außerwettbewerbsrechtliche Norm kann zugleich einen Verstoß gegen § 3a UWG implizieren.1129 Diesem doppelten Verletzungscharakter wird auch auf der kollisionsrechtlichen Ebene Rechnung getragen, indem die Verletzung der außerwettbewerbsrechtlichen Norm als Vorfrage getrennt vom Wettbewerbsstatut angeknüpft wird.1130 Die herrschende Meinung1131 knüpft Vorfragen dabei selbständig nach dem Internationa- 364 len Privatrecht der lex fori an. Dies bedeutet im Ergebnis eine zweistufige Prüfung: Auf der ersten Stufe ist die kollisionsrechtliche Anwendbarkeit der verletzten Norm festzustellen, da das Wettbewerbsstatut grundsätzlich nicht über den Geltungsbereich von Normen außerhalb des Wettbewerbsrechts entscheiden kann.1132 Maßgeblich für den Rechtsbruchtatbestand ist mithin, ob die möglicherweise verletzte Norm überhaupt anwendbar sein will, weshalb der Norm selbst die Aussage entnommen werden muss, ob sie den anstehenden Sachverhalt mit Auslandsberührung regeln möchte.1133 Auf dieser Stufe wird mithin das für die Verletzung der außerwettbewerbsrechtlichen Norm maßgebliche Statut bestimmt (z. B. das Vertragsstatut). Auf der zweiten Stufe wird sodann nach Art. 6 Rom II-VO das Wettbewerbsstatut festgestellt.1134 Einige Autoren gehen hierbei jedoch einen umgekehrten Weg und bestimmen zunächst, 365 welches Recht nach Art. 6 Rom II-VO auf die beanstandete Wettbewerbshandlung anwendbar ist, um danach das für die außerwettbewerbliche Vorschrift maßgebliche Statut zu bestimmen und in einem nächsten Schritt festzustellen, ob die Norm durch die betreffende Wettbewerbshandlung verletzt wurde.1135 Vereinzelt wird gar einstufig vorgegangen und generell, ohne zwischen Vor- und Hauptfrage zu differenzieren, nach dem Wettbewerbsstatut angeknüpft.1136 Der BGH ist in seiner bisherigen Rechtsprechung nicht eindeutig,1137 hat aber in der „Asbestimporte“-Entscheidung1138 einen Verstoß gegen den Rechtsbruchtatbestand mit der Begründung abgelehnt, dass das Verhalten nach ausländischem und insofern maßgeblichem Recht zulässig

1127 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 329. Ausführlich zum Rechtsbruchtatbestand Metzger. 1128 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 760. § 3a UWG (Art. 4 Nr. 11 UWG a. F.) setzt insofern die auch schon zuvor vom BGH (BGH 11. 5. 2000 – I ZR 28/98 – BGHZ 144, 255 ff. = GRUR 2000, 1076 ff. – Abgasemissionen), eingeschlagene Rechtsprechungslinie um, wonach ebenfalls das Vorliegen eines hinreichenden Marktbezugs gefordert wurde. 1129 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 331. 1130 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 331; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 761. 1131 S. nur Kegel/Schurig § 9 II 1; Kropholler IPR § 32 IV; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 2; a. A. MünchKommBGB/Sonnenberger Einl. IPR Rn. 550 ff. 1132 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 761; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 287. 1133 MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 287. 1134 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 331; Sack WRP 2008, 845, 850; Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 216; Katzenberger IPRax 1981, 7, 8; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 761. 1135 Sack WRP 2008, 845, 850; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 279; Nettlau S. 222 f. 1136 MünchKommBGB/Kreuzer Art. 38 EGBGB Rn. 245; Staudinger/v. Hoffmann Art. 40 EGBGB Rn. 33. Anwendbar soll dabei das Recht des Ortes sein, an dem die Ausnutzung des Rechtsbruches stattfindet (Absatzmarkt). 1137 So hat er in der Entscheidung BGH 9. 10. 1986 – I ZR 138/84 – BGHZ 98, 330 = GRUR 1987, 172, 174 – Unternehmensberatungsgesellschaft I, seine kollisionsrechtliche Prüfung auf die Ermittlung des Wettbewerbsstatuts beschränkt und auf der Grundlage des deutschen Wettbewerbsrechts ohne weitere kollisionsrechtliche Prüfung eine Prüfung des deutschen Steuerberatungsgesetzes angeschlossen; ähnlich im Zusammenhang mit dem Embryonenschutzgesetz BGH 8. 10. 2015 – I ZR 225/13 – GRUR 2016, 513 Tz. 12 ff. – Eizellspende. In der Entscheidung BGH 15. 11. 1990 – I ZR 22/89 – BGHZ 113, 11 ff. = GRUR 1991, 463 ff. – Kauf im Ausland, musste der BGH mangels Anwendbarkeit deutschen Wettbewerbsrechts zur Frage einer möglichen zweistufigen Prüfung nicht Stellung beziehen. Und in der Entscheidung BGH 11. 3. 1982 – I ZR 39/78 – GRUR 1982, 495, 497 – Domgarten-Brand, hinterfragte das Gericht die Anwendbarkeit der Vorschriften des deutschen WeinG bzw. der BezeichnungsVO nicht und lehnte nur die Anwendbarkeit des deutschen Wettbewerbsrechts ab. 1138 BGH 9. 5. 1980 – 1 ZR 76/78 – GRUR 1980, 858, 860 – Asbestimporte.

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war.1139 Er hat mithin eine zweistufige Prüfung vorgenommen und den Verstoß gegen die außerwettbewerbliche Norm nicht dem allgemeinen Wettbewerbsstatut unterstellt. Eine zweistufige Anknüpfung – Ermittlung des Lauterkeitsrechts gem. Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO und anschließend die selbstständige Ermittlung der Anwendbarkeit der einschlägigen Marktverhaltensnorm – hat jüngst auch der Gemeinsame Senat der obersten Gerichte des Bundes in der Entscheidung „Medikamentenkauf im Versandhandel“ vorgenommen.1140 Grundsätzlich kann es folglich im Rahmen der Prüfung des § 3a UWG zur Prüfung ausländi366 schen Rechts kommen. Ein Verstoß gegen § 3a UWG, d. h. ein Wettbewerbsverstoß durch Rechtsbruch, soll aber nach überwiegender Meinung grundsätzlich nur bei Verletzung deutscher Normen anzunehmen sein,1141 da die Ausnutzung eines Rechtsgefälles in der Regel nicht als unlautere Wettbewerbsmaßnahme zu bewerten sei.1142 Ein Ergebnis, das ebenfalls durch Implementierung des Herkunftslandprinzips erreicht wird.1143 Das Wettbewerbsstatut jedenfalls wird in Konstellationen, in denen ein Rechtsbruch im Raum steht, grundsätzlich an das Recht des Marktortes angeknüpft, auf dem der Rechtsbruch Wirkung zeigt. Ort der wettbewerblichen Interessenkollision ist mithin in der Regel der Markt, auf dem der Rechtsbruch ausgenutzt wird.1144

367 dd) Unlautere Produktnachahmung. Fälle unlauterer Produktnachahmung werden nach Ansicht der hM in Deutschland1145 und nach der Rechtsprechung des EuGH1146 nicht dem „Recht des geistigen Eigentums“ i.S.v. Art. 8 Abs. 1 Art. Rom II-VO zugeordnet, vielmehr unterfallen sie Art. 6 Rom II-VO. 368 Vor dem Hintergrund, dass nicht die Nachahmung als solche, sondern nur mehr ihr Angebot als unlauter bewertet wird, handelt es sich um ein marktbezogenes Verhalten nach Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO. Maßgeblich ist mithin auch hier, jedenfalls sofern nicht ausschließlich die Interessen eines Mitbewerbers verletzt werden, das Marktortprinzip.1147 Wettbewerbsrechtliche Ansprüche in Fällen der unlauteren Produktnachahmungen richten sich folglich nach dem Recht des Landes, in dem die Waren angepriesen (Werbemarkt) und/oder abgesetzt (Absatzmarkt) werden.1148 Aus kollisionsrechtlicher Sicht unerheblich ist hingegen der Ort, an dem die erforderlichen Informationen und das Vorbild erlangt sowie das nachgeahmte Produkt herge1139 Vgl. in diesem Kontext auch die Entscheidung des BGH 13. 5. 2004 – I ZR 264/00 – GRUR 2004, 1035, 1036 – Rotpreis-Revolution, in welcher sich dieser indirekt ebenfalls zu einer zweistufigen Prüfung bekannt hat. So auch Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 764. 1140 GemS-OGB – 22. 8. 2012 – GmS-OGB 1/10 – GRUR 2013, 417 Tz. 17 – Medikamentenkauf im Versandhandel; s. auch BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 164; vgl. auch den Vorlagebeschluss des BGH GRUR 2010, 1130 Tz. 16 f. – Sparen Sie beim Medikamentenkauf! 1141 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 333; vgl. auch Sack GRUR Int. 1988, 320, 338; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 283. 1142 BGH 9. 5. 1980 – 1 ZR 76/78 – GRUR 1980, 858, 860 – Asbestimporte, unter ausdrücklicher Aufgabe der Rechtsprechung im Fall „Weltweit-Club“, siehe BGH 13. 5. 1977 – I ZR 115/75 – GRUR 1977, 672, 673 – Weltweit-Club. 1143 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 333. 1144 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 333; Katzenberger IPRax 1981, 7, 8; Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 216. 1145 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 125; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 302; Staudinger/ Fezer/Koos IntWIR Rn. 871; siehe hierzu auch Sack GRUR Int. 2012, 601, 608 f.: der Vertrieb von und die Werbung für nachgemachte(n) Waren fallen unter Art. 6 I Rom II-VO; die Herstellung und der Export unter Art. 6 II Rom IIVO. 1146 EuGH 2. 3. 1982 – 6/81 – GRUR Int. 1982, 439 Tz. 9 – Industrie Diensten/Beele. 1147 MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 272; differenzierend Sack WRP 2008, 845, 859; zum deutschen Recht BGH 30. 6. 1961 – I ZR 39/60 – BGHZ 35, 329, 333 = GRUR 62, 243, 245 – Kindersaugflaschen m Anm. Filseck; Vorauflage/Schricker Einl. F Rn. 208; MünchKomm/Drexl IntUnlWettbR Rn. 125; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 341. 1148 Sack WRP 2008, 845, 859, vgl. BGH 30. 6. 1961 – I ZR 39/60 – BGHZ 35, 329, 334 = GRUR 1962, 243, 245 – Kindersaugflaschen m. Anm. Filseck; OLG München 30. 10. 2003 – 29 U 2691/03 = GRUR-RR 2004, 85 – Stricktop.

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stellt wurden.1149 Von kollisionsrechtlicher Bedeutung ist allein die Verwendung des nachgeahmten Produkts auf dem Absatzmarkt,1150 denn dies ist der Ort, auf dem zum einen das wettbewerbliche Interesse der Mitbewerber an der Vermeidung eines leistungsfremden Vorsprungs durch den Konkurrenten und der Substituierung oder Verdrängung des Originals und zum anderen das Interesse der Abnehmer an einer täuschungsfreien Kaufentscheidung betroffen sind. Nicht zuletzt ist das auch der Ort, an dem das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb sowie der marktstaatliche Schutz von Innovationen lokalisiert werden kann.1151 Im Ergebnis kommt also bei Klagen gegen den Absatz des nachgeahmten Produktes das Recht des Absatzmarktes zur Anwendung. Wird jedoch gegen die Werbung für das nachgeahmte Produkt vorgegangen, ist das Recht des Werbemarktes einschlägig.1152

ee) Die kollisionsrechtliche Bewertung von Vertriebsbindungssystemen. Vertriebsbin- 369 dungssysteme werden im Wettbewerbsrecht meist in zwei unterschiedlichen Konstellationen relevant. Zum einen kann eine Situation vorliegen, in der ein Vertriebsbinder unter Verweis auf einen Rechtsbruch gegen einen gebundenen Händler vorgeht. Zum anderen kann aber auch ein Fall im Raum stehen, in welchem ein Vertriebsbinder beispielsweise wegen Verleitens zum Vertragsbruch oder des Schleichbezugs gegen einen Außenseiter vorgeht, der sein Vertriebsbindungssystem missachtet.1153 Sind Vertriebsbindungssysteme kollisionsrechtlich zu beurteilen, so ist grundsätzlich 370 zwischen der kartellrechtlich anzuknüpfenden Frage nach der Zulässigkeit von Vertriebsbindungssystemen und der wettbewerbskollisionsrechtlichen Anknüpfung der Verletzung derartiger Systeme zu unterscheiden, denn die kartellrechtliche Prüfung von Vertriebsbindungssystemen ist eine Vorfrage, welche selbständig anzuknüpfen ist.1154 Mit Blick auf die Zulässigkeit derartiger Vertriebsbindungssysteme ist daher (zumindest jenseits der Art. 101, 102 AEUV, ex Art. 81 und 82 EG) das kartellrechtliche Auswirkungsprinzip,1155 welches nunmehr in Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO seinen Niederschlag gefunden hat, maßgeblich. Für sog. Altfälle, in denen die Rom II-VO intertemporal nicht anwendbar ist,1156 gilt hingegen § 130 Abs. 2 GWB, wonach auf die Inlandsauswirkung der Vertriebsbindung abzustellen ist.1157 Die Zulässigkeit von selektiven Vertriebssystemen ist mithin nach dem Recht des Landes zu beurteilen, in dessen Gebiet sich das Vertriebssystem auswirkt.1158 Maßgeblich ist danach in der Regel das Recht des Landes, in welchem der gebundene Händler seinen Sitz hat.1159

1149 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 341; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 269. 1150 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 341; BGH 30. 6. 1961 – I ZR 39/60 – BGHZ 35, 329, 334, 336 = GRUR 1962, 243, 246 – Kindersaugflaschen m. Anm. Filseck sowie MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 270.

1151 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 341; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 270. 1152 Sack WRP 2008, 845, 859; vgl. BGH 30. 6. 1961 – I ZR 39/60 – BGHZ 35, 329, 334 = GRUR 1962, 243, 246 – Kindersaugflaschen m. Anm. Filseck; Vorauflage/SchrickerEinl. Rn. F 208; Sack GRUR Int. 1988, 320, 324. 1153 Vgl. Sack GRUR Int. 1988, 320, 335 f.; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 767; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 335. 1154 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 32; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 403. 1155 Vgl. hierzu ausfühlich Rn. 39 ff., 214 ff. 1156 Zum zeitlichen Anwendungsbereich der Rom II-VO siehe Rn. 169. 1157 § 130 Abs. 2 GWB ist als einseitige Kollisionsnorm ausgestaltet. Ist Deutschland Forumstaat, wird daher nur gefragt, ob sich das Vertriebsbindungssystem auf den deutschen Inlandsmarkt auswirkt. Angeknüpft wird daher in der Regel an das Recht des Staates, in dem der gebundene Händler seinen Sitz hat. Siehe hierzu auch Fezer/ Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 335; Gloy/Loschelder/Erdmann/Wilde § 10 Rn. 60; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 335; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 310; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 769. 1158 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 769. 1159 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 335; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 310; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 769.

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Die Frage der Verletzung von Vertriebsbindungssystemen wird jedoch nach dem wettbewerbskollisionsrechtlichen Marktortprinzip angeknüpft.1160 Und auch für das Verleiten zum Vertragsbruch, welches zwar grundsätzlich als bilaterale Wettbewerbshandlung im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO eingeordnet wird,1161 wird in der Literatur die Anwendbarkeit des Wettbewerbsstatuts statt des Deliktsstatuts gefordert, da das Individualinteresse hier hinter das Interesse der Allgemeinheit am Bestand des Leistungswettbewerbs zurücktreten müsse.1162 Allerdings ist insofern zu beachten, dass eine selbständige Anknüpfung der Vorfrage des Inhalts sowie des Bruchs der vertraglichen Bindung vorzunehmen ist.1163 Maßgeblich ist insofern das Vertragsstatut, das nach dem Kollisionsrecht des Forumstaates (lex fori) zu bestimmen ist.1164 Die wettbewerbskollisionsrechtliche Bewertung des Verschaffens eines Vorsprungs gegenüber anderen Mitbewerbern ist dann allerdings nach dem Marktortprinzip zu beurteilen, weshalb im Ergebnis das Recht des Ortes maßgeblich ist, wo sich der durch den Vertragsbruch geschaffene Wettbewerbsvorsprung realisiert.1165 Ausgehend von der Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO zugrunde liegenden Interessenkollisionslösung ist das in der Regel der Ort, an dem der vertragswidrige Absatz der vertriebsgebundenen Ware in Konkurrenz zum Warenabsatz jener Unternehmen tritt, die dem Vertriebsbindungssystem unterliegen.1166 Ist ein Fall des Außenseiterwettbewerbs vertriebsgebundener Waren im Ausland kollisionsrechtlich zu beurteilen, ist mithin auf den ausländischen Ort des Vertragsbruchs abzustellen.1167 Ist ein sog. Schleichbezug kollisionsrechtlich zu bewerten, ist nach bisheriger Rechtsprechung des BGH1168 selbst dann an das Inlandsrecht anzuknüpfen, wenn die Ware exportiert werden soll, da sich der Schleichbezug im Inland als selbständige Wettbewerbshandlung auf den inländischen Hersteller als Absatzkonkurrenten in wettbewerbsrechtlich relevanter Weise auswirkt.

372 ff ) Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz. Die kollisionsrechtliche Behandlung des sog. ergänzenden wettbewerblichen Leistungsschutzes,1169 welcher neben den in § 4 Nr. 3 UWG geregelten Fällen der Nachahmung von Waren oder Dienstleistungen eines Mitbewerbers auch weitere Fälle der Ausnutzung fremder unternehmerischer Leistung umfasst,1170 ist aufgrund seiner

1160 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 336; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 770. Ausführlich zum Marktortprinzip Rn. 211 ff.

1161 Vgl. Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) von 2003, KOM [2003] 427 endg, S. 17. a. A. MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 172; BeckOGK/Poelzig/Windorfer Rom II-VO Art. 6 Rn. 102; Bauermann S. 105 ff. (differenzierend). 1162 So jedenfalls Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 336; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 770. 1163 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 336; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 313. 1164 MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 343; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 769. Zur selbständigen Anknüpfung von Vorfragen siehe statt vieler: Kegel/Schurig § 9 II 1; Kropholler IPR § 32 IV; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 2; a. A. MünchKommBGB/Sonnenberger Einl. IPR Rn. 550 ff. 1165 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 336; Gloy/Loschelder/Erdmann/Wilde § 10 Rn. 60; Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 211; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 771. 1166 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 336; S. hierzu auch Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 771 ff., der dabei insbesondere auf den Ort abstellt, an dem der vertragsbrüchige Vertragshändler in Konkurrenz zu gebundenen Händlern steht. 1167 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 337; v. Gamm EWS 1991, 166, 168; a. A. MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 314. 1168 BGH GRUR 1988, 916, 917 – Schleichbezug; zustimmend Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 211; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 316. 1169 Vgl. zum Begriff des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes auch Fezer WRP 2001, 989, 1006; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 780. Ausführlich dazu auch Sack ZHR 160 (1996), 493, 494 ff.; ders. WRP 2008, 845, 858 f.; Nemeczek WRP 2010, 1315 ff.S. 38 ff. 1170 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 780.

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III. Die Bestimmung des Wettbewerbsstatuts nach der Rom II-VO

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Nähe und Rechtsähnlichkeit zum Immaterialgüterrecht umstritten.1171 So wird in der Literatur sowohl eine Anknüpfung an das Immaterialgüterrechtsstatut gemäß Art. 8 Abs. 1 Rom IIVO1172 als auch an das Wettbewerbsrechtsstatut gemäß Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO vertreten.1173 Während Art. 8 Abs. 1 der Rom II-VO für außervertragliche Schuldverhältnisse aus einer Ver- 373 letzung von Rechten des geistigen Eigentums ausdrücklich die Geltung des Rechts des Landes anordnet, für dessen Gebiet Schutz beansprucht wird1174 (lex loci protectionis1175), knüpft Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO an den Marktort als den Ort der wettbewerblichen Interessenkollision an.1176 Der Anknüpfung immaterialgüterrechtlicher Sachverhalte liegt dabei ein territorialer Ansatz zugrunde, welcher damit begründet wird, dass es sich bei den Rechten zum Schutz geistigen Eigentums um durch einen Hoheitsakt eines souveränen Staates verliehene Rechte handelt.1177 Auch wenn im Wettbewerbsrecht ebenfalls territoriale Erwägungen im Raum stehen, da jeder Staat beim Schutz von Verbrauchern und Allgemeininteressen primär inländische Aspekte im Blick hat,1178 so existiert im Wettbewerbsrecht dennoch kein durch staatlichen Akt territorial verliehenes Recht,1179 das eine territoriale Anknüpfung erforderlich erscheinen lassen würde. Zudem bestehen erhebliche Unterschiede1180 in der Konzeption, Ausgestaltung und 374 Schutzrichtung beider Rechte. Insbesondere die Tatsache, dass das Wettbewerbsrecht primär Marktverhaltensrecht ist, während das Immaterialgüterrecht dem Schutz ausschließlicher Rechte dient,1181 zeigt, dass trotz gemeinsamer rechtsgeschichtlicher Wurzeln1182 ein Gleichlauf in der kollisionsrechtlichen Behandlung nicht angemessen1183 und eine Anknüpfung an das Recht des Marktortes im Ergebnis vorzugswürdiger ist.1184 Denn auch wenn der ergänzende wettbewerbliche Leistungsschutz im Schnittbereich zwischen Wettbewerbsrecht und Immaterialgüterrecht angesiedelt ist, werden doch letztlich Verhaltensregeln als Teil des Marktordnungsrechts definiert.1185 1171 In der Literatur wird in diesem Zusammenhang auch immer wieder auf die gemeinsamen rechtsgeschichtlichen Wurzeln beider Rechtsgebiete sowie darauf verwiesen, dass Immaterialgüterrechte ähnlich wie das Wettbewerbsrecht eine unternehmerische Leistung schützen, vgl. hierzu Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 33 sowie Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 405, die von einem „wertungskompatiblen Gesamtsystem zum Schutz der unternehmerischen Leistung“ sprechen. Siehe hierzu ausführlich Sack GRUR Int. 2012, 601. 1172 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 339; Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 200. 1173 OLG München 30. 10. 2003 – 29 U 2691/03 – GRUR-RR 2004, 85 – Stricktop; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 363, 823; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 125; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 272 ff.; Sack WRP 2008, 1405, 1407; ders. WRP 2008, 845, 859; Sack GRUR Int. 2012, 601. 1174 Siehe hierzu auch Rn. 34. 1175 Zur Vorherrschaft des Schutzlandprinzips vgl. MünchKommBGB/Drexl IntImmGR Rn. 6; Schricker/Loewenheim/Katzenberger Vor §§ 120 ff. Rn. 124; Muth S. 60; Ohly in Drexl/Kur S. 241. Zur Kritik an diesem territorial geprägten Ansatz insbesondere mit Blick auf die Frage der ersten Inhaberschaft siehe Klass GRUR Int. 2007, 373 ff. sowie dies. GRUR Int. 2008, 546 ff. 1176 Siehe hierzu ausführlich Rn. 211 ff. 1177 Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 4. An dieser Sichtweise wird selbst mit Blick auf das Urheberrecht festgehalten, obwohl dieses nahezu weltweit schlicht durch den Akt der Schöpfung entsteht und kein staatlicher Verleihungsakt notwendig ist. 1178 So auch Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 6. 1179 Vorauflage/Schricker Einl. Rn. F 6. 1180 Siehe hierzu ausführlich Rn. 33 ff. 1181 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 131. 1182 Vgl. hierzu Piper/Ohly/Sosnitza Einf. A Rn. 28: Echter Wettbewerbsschutz wurde erst als Konsequenz der durch das Gesetz zum Schutz von Warenbezeichnungen vom 12. 5. 1894 angestoßenen Entwicklung geschaffen. 1183 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 125. Im Ergebnis ebenso Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 407; Sack WRP 2008, 845, 859; Sack WRP 2008, 1405, 1407. A.A. Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 339. 1184 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 125; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 407 (werden wettbewerbsrechtliche Ansprüche wegen angeblich unlauterer Produktnachahmung geltend gemacht, ist mithin Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO anzuwenden). 1185 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 125.

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

6. Umfang des Wettbewerbsstatuts 375 Gemäß Art. 15 lit. a und lit. c Rom II-VO erfasst das Wettbewerbsstatut sowohl die Voraussetzungen als auch die Folgen eines Wettbewerbsverstoßes.1186

7. Unzulässigkeit der Rechtswahl, Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO 376 Grundsätzlich können die Parteien im Internationalen Deliktsrecht gemäß Art. 14 Rom II-VO durch eine Vereinbarung nach Schadenseintritt oder aber, wenn alle Parteien einer kommerziellen Tätigkeit nachgehen, auch vor Eintritt des schädigenden Ereignisses das Recht wählen, dem das außervertragliche Schuldverhältnis unterliegen soll. Diese Regelung ist der Überlegung geschuldet, dass das in Frage stehende Schadensverhältnis bei Schadenseintritt regelmäßig auf zwei Personen konzentriert ist, und einer (nachträglichen) Rechtswahl keine Drittinteressen entgegenstehen. Im Bereich des Wettbewerbskollisionsrechts ist dies jedoch anders, denn hier ist die Schutz377 zwecktrias des Lauterkeitsrechts (Mitbewerber, Verbraucher, Allgemeinheit) zu beachten.1187 Hätten die Parteien eines Rechtsstreits die Möglichkeit, das anwendbare Recht zu wählen, könnte dies zu Lasten Dritter oder der Allgemeinheit gehen1188 und die Wettbewerbsgleichheit am Marktort beeinträchtigen.1189 Vor diesem Hintergrund hat der Gemeinschaftsgesetzgeber mit Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO 378 eine Regelung in die Rom II-VO implementiert, die eine von dem nach Art. 6 Rom II-VO ermittelten Recht abweichende Rechtswahl untersagt. Allerdings ist fraglich, ob von der Regelung des Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO auch die Fälle rein 379 individualrechtsbezogener bzw. betriebsbezogener Wettbewerbsverstöße erfasst sind, da diese gemäß Art 6. Abs. 2 Rom II-VO nicht der wettbewerbsrechtlichen Kollisionsregel des Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO unterliegen. Vielmehr ist für diese die allgemeine Kollisionsnorm des Art. 4 Rom IIVO einschlägig.1190 Hieraus wird z. T. der Rückschluss gezogen, dass für bilaterale Wettbewerbsverstöße das dem allgemeinen Deliktsrecht zugrunde liegende Prinzip der Rechtswahlfreiheit gilt und Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO entsprechend restriktiv auszulegen sei.1191 Ein anderer Teil der Literatur lehnt eine Rechtswahl auch im Bereich des Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO ab.1192 Mit Blick auf die Systematik sowie Sinn und Zweck der Norm ist eine Zulässigkeit der 380 Rechtswahl im Bereich des Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO jedoch abzulehnen. Zum einen zeigt schon die systematische Stellung im Rahmen des Absatzes 4, dass Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO nicht 1186 Vgl. zur Frage, ob auch die öffentlich-rechtlichen Vorschriften der lex causae von der Verweisung auf das Recht des Marktortes erfasst sind, auch MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 202 sowie GemS-OGB – 22. 8. 2012 – GmS-OGB 1/10 – GRUR 2013, 417 Tz. 17 f. – Medikamentenkauf im Versandhandel. 1187 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 257; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 671; ähnlich auch MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 238. 1188 Diese Gefahr bestünde insbesondere bei der Wahl eines gegenüber dem nach dem einschlägigen Wettbewerbskollisionsrecht zur Anwendung berufenen Wettbewerbsrecht großzügigeren Rechts, Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 258. 1189 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 205. 1190 Für den Ausschluss der Rechtswahlfreiheit auch bei rein individualrechtsbezogenen bzw. betriebsbezogenen Wettbewerbsverstößen MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 206; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 258; v. Hein ZEuP 2009, 6, 23; Sack WRP 2008, 545, 851; a. A. Bauermann S. 80; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 670 f.; Palandt/Thorn Art. 6 Rom II-VO Rn. 19; Leible/Lehmann RIW 2007, 721, 730 f.; Leible RIW 2008, 257, 259; Nettlau S. 264; G. Wagner IPRax 2008, 1, 8; Piper/Ohly/Sosnitza, Einf. B Rn. 30. 1191 G. Wagner IPRax 2008, 1, 8, der für eine teleologische Reduktion von Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO plädiert; ebenso Nettlau S. 264; wegen der auf dem Spiel stehenden Interessen Dritter als fragwürdig dargestellt v. Hein ZVglRWiss 102 (2003), 528, 556. 1192 So auch Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 158; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 671; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 238 f.; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 206.

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III. Die Bestimmung des Wettbewerbsstatuts nach der Rom II-VO

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ausgeschlossen sein soll.1193 Zum anderen betrifft auch eine bilaterale (betriebsbezogene) Wettbewerbshandlung nicht selten das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Leistungswettbewerb.1194

8. Eingriffsnormen, Art. 16 Rom II-VO Art. 16 Rom II-VO bestimmt, dass Vorschriften des Gerichtsstaates, die ohne Rücksicht auf das 381 für das außervertragliche Schuldverhältnis maßgebende Recht den Sachverhalt zwingend regeln (Eingriffsnormen der lex fori), auch dann anwendbar sind, wenn nach Art. 6 Rom II-VO das Recht eines anderen Staates zur Anwendung berufen ist. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO1195 kann hierbei als Konkretisierung des Begriffs einer Eingriffsnorm herangezogen werden.1196 Danach handelt es sich bei einer Eingriffsnorm um eine „zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen“.1197 Das Wettbewerbsrecht selbst kann allerdings nicht als Eingriffsrecht i. S. d. Art. 16 Rom II-VO angesehen werden, da dies der Regelung des Art. 6 Rom II-VO widerspräche.1198 Ob und inwiefern ausländische Eingriffsnormen Beachtung finden können, muss das 382 jeweilige nationale Recht entscheiden,1199 jedenfalls kommt deren Berücksichtigung nach Art. 16 Rom II-VO nicht ausdrücklich in Betracht. Aber auch eine vereinzelt angenommene Sperrwirkung, die sich aus dem Umkehrschluss zum Internationalen Vertragsrecht (Art. 7 I EVÜ, Art. 9 III Rom I-VO) bzw. der Entstehungsgeschichte1200 ergebe,1201 kann nicht angenommen werden.1202 1193 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 258. 1194 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 671; MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 206 veranschaulicht das am Beispiel des Geheimnisschutzes; a. A. Bauermann S. 78 ff.

1195 Verordnung 2008/593/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. 6. 2008 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. EU L 177 v. 4. 7. 2008 (Rom I-VO).

1196 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 259; Staudinger/Feezer/Koos IntWIR Rn. 675; v. Hein ZEuP 2009, 6, 24 begründet dies mit der in Erwägungsgrund 7 geforderten, konsistenten Auslegung; Junker RIW 2010, 257, 267 f. schlägt vor, die Heranziehung des Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO in einem neuen Erwägungsrund deutlich zu machen, zumal der bisher dem Art. 16 Rom II-VO gewidmete Erwägungsgrund ohnehin geändert werden müsse. Staudinger/ Fezer/Koos IntWIR Rn. 675. 1197 Ähnlich auch Art. 7 Abs. 2 EVÜ und Art. 34 EGBGB a. F. 1198 Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 259. Als Eingriffsnorm ist aber beispielsweise § 8 Abs. 2 Var. 2 HWG zu qualifizieren, Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 675; MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 353. 1199 Leible RIW 2008, 257, 263; so i.E. auch Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 675; ähnlich auch v. Hein ZEuP 2009, 6, 24; Junker RIW 2010, 257, 268. 1200 Sowohl der erste Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) vom 22. 7. 2003, KOM (2003) 427 endg., S. 40, als auch der geänderte Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) vom 21. 2. 2006, KOM (2006) 83 endg., S. 20, sahen vor, dass ausländischen Eingriffsnormen von den Gerichten des Forumstaates „Wirkung verliehen werden“ kann. Aus der Tatsache, dass sich diese Regelung nunmehr nicht mehr im Verordnungstext wiederfindet, kann jedoch nicht geschlussfolgert werden, dass ihre Berücksichtigung unter Geltung der Rom II-VO verboten sein soll. Leible RIW 2008, 257, 263; so i.E. auch Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 675; ähnlich auch v. Hein ZEuP 2009, 6, 24; Junker RIW 2010, 257, 268. 1201 G. Wagner IPRax 2008, 1, 15; Darstellung des Streitstandes bei v. Hein ZEuP 2009, 6, 24 und Junker RIW 2010, 257, 258, die sich dieser Ansicht nicht anschließen. 1202 Leible RIW 2008, 257, 263; so i.E. auch Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 675; ähnlich auch v. Hein ZEuP 2009, 6, 24; Junker RIW 2010, 257, 268.

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D. Internationales Wettbewerbsrecht

9. Ausschluss der Rück- und Weiterverweisung, Art. 24 Rom II-VO 383 Gemäß Art. 24 Rom II-VO sind im Interesse der Effektivität der Kollisionsrechtsvereinheitlichung1203 Rück- und Weiterverweisungen ausgeschlossen. Bei den Kollisionsnormen der Rom II-VO und mithin auch bei Art. 6 Abs. 1 und 2 Rom II-VO handelt es sich mithin um Sachnormverweisungen.1204

10. Der ordre public-Vorbehalt, Art. 26 Rom II-VO 384 Gemäß Art. 26 Rom II-VO steht die Anwendung des nach Art. 6 Rom II-VO berufenen Wettbewerbsrechts unter dem Vorbehalt des ordre public. Das bedeutet, dass die Anwendung der wettbewerbskollisionsrechtlich ermittelten Vorschrift ausnahmsweise versagt werden kann, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung („ordre public“) des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar ist.1205 Wie Erwägungsgrund 32 zeigt, ist die Nichtanwendung des fremden Wettbewerbsrechts aber nur in engen Ausnahmefällen gerechtfertigt („außergewöhnliche Umstände“). Liegt ein solcher vor, ist die Unvereinbarkeit der Vorschrift mit dem ordre public von Amts wegen zu berücksichtigen.1206 Die Beantwortung der Frage, welche Normen zum ordre public gehören, richtet sich dabei 385 grundsätzlich nach dem Recht des Forumstaates,1207 wobei gemeinschaftsrechtliche Wertungen i. S. d. effet utile, aber auch die gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten und die in der EMRK verbürgten Menschenrechte zu berücksichtigen sind.1208 Allgemein formuliert fallen unter den „ordre public“ alle Vorschriften, „deren Einhaltung als so entscheidend für die Wahrung der politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation des betreffenden Mitgliedstaats angesehen wird, dass ihre Beachtung für alle Personen, die sich im nationalen Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats befinden und für jedes dort lokalisierte Rechtsverhältnis, vorgeschrieben ist.“1209 Grundsätzlich unterfallen dem ordre public dabei nicht nur positive Normen des berufe386 nen Rechts, vielmehr kann auch ein fehlendes Verbot den im nationalen Recht verankerten Verboten widersprechen.1210 Mit Blick auf die deutschen Lauterkeitswertungen kann festgehalten werden, dass allein die Tatsache, dass das ausländische Wettbewerbsrecht stärker in die Wirtschaftsfreiheit der Wettbewerber eingreift, nicht die Anwendung des Art. 26 Rom II-VO rechtfertigt,1211 sich aber im Einzelfall insbesondere mit Blick auf die grundrechtlichen Verbürgungen der Meinungsfreiheit und der Menschenwürde durchaus ein Anwendungsbereich ergeben kann.1212 Allerdings muss hier insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Meinungs1203 Bamberger/Roth/Spickhoff Art. 24 Rom II-VO Rn. 1; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 9; Staudinger/Hausmann Art. 4 EGBGB Rn. 146. 1204 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 207; Bamberger/Roth/Spickhoff Art. 24 Rom II-VO Rn. 1. 1205 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 676. 1206 Leible RIW 2008, 257, 263; Palandt/Thorn Art. 26 Rom II-VO Rn. 1; Leible/Lehmann RIW 2007, 721, 734. 1207 Siehe in diesem Kontext Erwägungsgrund 32, der bestimmt, dass ein unangemessener, über den Ausgleich des entstandenen Schadens hinausgehender Schadensersatz mit abschreckender Wirkung oder Strafschadensersatzansprüche je nach der Rechtsordnung des Mitgliedstaates des angerufenen Gerichts als mit der öffentlichen Ordnung dieses Staates unvereinbar angesehen werden können. Dazu auch Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 676; Leible RIW 2008, 257, 263; Leible/Lehmann RIW 2007, 721, 734. 1208 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 676; Leible RIW 2008, 257, 263. 1209 EuGH 23. 11. 1999 – C-369/96 u. C-376/96 – Slg. 1999, 1–8430 Tz. 30 – Arblade und Leloup; siehe auch Palandt/ Thorn Art. 26 Rom II-VO Rn. 1 und Leible/Lehmann RIW 2007, 721, 734. 1210 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 676; Sack WRP 2008, 845, 862. 1211 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 210; Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 678, 681 f. 1212 Dies ist beispielsweise der Fall, wenn das anwendbare ausländische Recht eine Werbung erlaubt, welche nach deutschem Recht wegen Verstoßes gegen Art. 1 GG verboten wäre. Sack WRP 2008, 845, 863; Staudinger/ Fezer/Koos IntWIR Rn. 680.

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III. Die Bestimmung des Wettbewerbsstatuts nach der Rom II-VO

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freiheit des Art. 5 Abs. 1 GG nach der Rechtsprechung des BVerfG grundsätzlich auch auf kommerzielle Meinungsäußerungen und Wirtschaftswerbung anwendbar ist,1213 ein zurückhaltender Maßstab angelegt werden, da andernfalls wahrscheinlich in einer Vielzahl von Fällen ausländische Werbeverbote unangewendet bleiben würden.1214 Mit Ausnahme der Fälle, in denen die absolut geschützte Menschenwürde betroffen ist,1215 ist daher stets ein ausreichender Inlandsbezug zu verlangen.1216 Mit Blick auf die Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO zugrunde gelegte Marktortanknüpfung wird der 387 ordre public-Vorbehalt im Wettbewerbsrecht daher nur geringe Bedeutung erlangen.1217

1213 BVerfG 12. 12. 2000 – 1 BvR 1762/95 u. 1 BvR 1787/95 – GRUR 2001, 170, 173 f. – Benetton-Werbung I; BVerfG 1. 8. 2001 – 1 BvR 1188/92 – GRUR 2001, 1058, 1060 f. – Therapeutische Äquivalenz; BVerfG 11. 3. 2003 – 1 BvR 426/ 02 – GRUR 2003, 442, 443 – Benetton-Werbung II. 1214 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 680; dazu ausführlich Sack WRP 2008, 845, 864. 1215 Staudinger/Fezer/Koos IntWIR Rn. 680. 1216 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 210; Fezer/Hausmann/Obergfell Einl. I Rn. 260. 1217 MünchKommBGB/Drexl IntUnlWettbR Rn. 210.

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht Schrifttum Ahrens Die internationale Verbandsklage in Wettbewerbssachen, WRP 1994, 649; ders. Die grenzüberschreitende Vollstreckung von Unterlassungs- und Beseitigungstiteln, FS Schütze (2014) 1; Alexander Die Sanktions- und Verfahrensvorschriften der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken im Binnenmarkt – Umsetzungsbedarf in Deutschland? GRUR Int. 2005, 809; ders. Schadensersatz und Abschöpfung im Lauterkeits- und Kartellrecht (2010); Althammer Die Auslegung der Europäischen Streitgenossenzuständigkeit durch den EuGH – Quelle nationaler Fehlinterpretation? IPRax 2008, 228; Augenhofer Individualrechtliche Ansprüche des Verbrauchers bei unlauterem Wettbewerbsverhalten des Unternehmers, WRP 2006, 169; von Bar/Mankowski Internationales Privatrecht Bd. I, 2. Aufl. (2003); Basedow in Schlosser (Hrsg.), Materielles Recht und Prozessrecht und die Auswirkungen der Unterscheidung im Recht der Internationalen Zwangsvollstreckung (1992) 131; Baumann Schiedsgerichtsbarkeit und EuGVVO, FS Ahrens (2016) 467; Berner Prorogation drittstaatlicher Gerichte und Anwendungsvorrang der EUGVVO, RIW 2017, 792; Brand Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, E-Commerce und „Fliegender Gerichtsstand“, NJW 2012, 127; Buchner Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der Internationalen Zuständigkeit (1998); Coester-Waltjen Internationales Beweisrecht (1983); dies. Ein Plädoyer für Art. 25 Brüssel Ia VO, FS Geimer (2017) 31; Damm Zur Umsetzung der EG-Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, JZ 1994, 161; Domej Negative Feststellungsklagen im Deliktsgerichtsstand, IPRax 2008, 550; dies. Die Neufassung der EuGVVO, RabelsZ 78 (2014) 508; dies. Alles klar? Bemerkungen zum Verhältnis zwischen staatlichen Gerichten und Schiedsgerichten unter der neu gefassten EuGVVO, FS Gottwald (2014) 97; Dornis Die Prozesskostensicherheit Aufenthaltsfremder im Lichte des Völkerrechts, ZVglRWiss 114 (2015) 93; Fezer Plädoyer für eine offensive Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken in das deutsche UWG, WRP 2006, 781; Fezer/Koos Internationales Wettbewerbsprozessrecht, in: Staudinger, BGB, Bd. Wirtschaftsrecht (2015) Rn. 781 ff.; Geimer Internationales Zivilprozessrecht, 7. Aufl. (2015); ders. Die Reichweite der Bereichsausnahme zu Gunsten der Schiedsgerichtsbarkeit in Art. 1 Abs. 2 lit. d EuGVVO n.F., FS Ahrens (2016) 501; Grunsky Lex fori und Verfahrensrecht, ZZP 89 (1976) 241; Halfmeier Popularklagen im Privatrecht (2006); Halfmeier/ Wimalasena Rechtsstaatliche Anforderungen an Opt-out-Sammelverfahren: Anerkennung ausländischer Titel und rechtspolitischer Gestaltungsspielraum, JZ 2012, 649; Hall Die Vollstreckung von deutschen Ordnungsgeldbeschlüssen in einem anderen EU-Mitgliedstaat, FS Bornkamm (2014) 1045; von Hein Die Anpassung unbekannter Maßnahmen und Anordnungen nach Art. 54 EuGVVO nF, FS Geimer (2017) 245; Heinze Beweissicherung im europäischen Zivilprozessrecht, IPRax 2008, 480; ders. Der europäische Deliktsgerichtsstand bei Lauterkeitsverstößen, IPRax 2009, 231; ders. Surf global, sue local! Der europäische Klägergerichtsstand bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, EuZW 2011, 947; Heinze/Roffael Internationale Zuständigkeit für Entscheidungen über die Gültigkeit ausländischer Immaterialgüterrechte, GRUR Int. 2006, 787; Heldrich Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht (1969); Hess Europäisches Zivilprozessrecht (2010); ders. Cross-border Collective Litigation and the Regulation Brussels I, IPRax 2010, 116; ders. Der Schutz der Privatsphäre im Europäischen Zivilverfahrensrecht, JZ 2012, 189; Illmer Neutrality matters – Some Thoughts About the Rome Regulations and the So-Called Dichotomy of Substance and Procedure in European Private International Law, Civil Justice Quarterly 28 (2009) 237; Junker Internationales Zivilprozessrecht, 3. Aufl. (2016); Kindler Gerichtsstandsvereinbarung und Rechtshängigkeitssperre: Zum Schutz vor Torpedo-Klagen nach der Brüssel Ia-Verordnung, FS Coester-Waltjen (2015) 485; ders. Prozessführungsverbote zwischen Brüssel Ia und Schiedsgerichtsbarkeit, FS Geimer (2017) 321; ders. Der europäische Deliktsgerichtsstand und die gewerblichen Schutzrechte, GRUR 2018, 1107; Knöfel Vier Jahre Europäische Beweisaufnahmeverordnung – Bestandsaufnahme und aktuelle Entwicklungen, EuZW 2008, 267; Köhler Zur Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2005, 793; ders. Zur territorialen Reichweite wettbewerbsrechtlicher Unterlassungstitel, FS Ahrens (2016) 111; Kohler Die grenzüberschreitende Verbraucherverbandsklage nach dem Unterlassungsklagengesetz im Binnenmarkt (2008); Kropholler/von Hein Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl. (2011); Kubis Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen (1999); Lindacher Internationale Zuständigkeit in Wettbewerbssachen, FS Nakamura (1996) 321; ders. Die internationale Verbandsklage in Wettbewerbssachen, FS Lüke (1997) 377; ders. Wettbewerbsprozess und Staatenimmunität, WRP 1999, 54; ders. Zur Anwendung ausländischen Rechts, FS Beys (2003) 909; ders. Die internationale Dimension lauterkeitsrechtlicher Unterlassungsansprüche, GRUR Int. 2008, 453; ders. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht (2009); ders. Delikt und Vertrag – Zur Zuständigkeit deutscher Wettbewerbsgerichte für Unterlassungs- und Vertragsstrafklagen bei Zuwiderhandlung nach internationaler Unterwerfung, FS Kerameus (2009) 709; ders. Die internationale Gerichtspflichtigkeit von Personenhandelsgesellschaften und ihrere Gesellschafter, FS Klamaris (2016) 459; Magnus Gerichtsstandsvereinbarung unter der reformierten EuGVVO, FS Martiny (2014); Mankowski Verbandsklagen, AGB-Recht und Rechtswahlklauseln in

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Einleitung

Übersicht

Verbraucherverträgen, NJW 2016, 2705; ders. Ungerechtfertigte Bereicherung und die EuGVVO, RIW 2017, 322; Meller-Hannich/Höland Evaluierung der Effektivität kollektiver Rechtsschutzinstrumente für Verbraucher im nationalen Recht und rechtliche Bewertung ausgewählter Ansätze zu ihrer Fortentwicklung (2011), http://download.ble.de/09HS011.pdf; Nagel/Gottwald Internationales Zivilprozessrecht, 7. Aufl. (2013); Pfeiffer Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit (1995); Puhr Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei unlauterem Wettbewerb im Internet (2005); Rauscher (Hrsg.) Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht EuZPR/EuIPR, Band I: Brüssel Ia-VO, 4. Aufl. (2016); Reich Rechtsprobleme grenzüberschreitender irreführender Werbung im Binnenmarkt, RabelsZ 56 (1992) 444; Remien Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld (1992); ders. Usicherheiten bei astreinte, dwangsom und Zwangsgeld im Europäischen Rechtsraum, FS Coester-Waltjen (2015) 661; Rott Das IPR der Verbraucherverbandsklage, EuZW 2016, 733; Rott/von der Ropp Stand der grenzüberschreitenden Unterlassungsklage in Europa, ZZP Int 9 (2004) 3; Sack Das Verhältnis des UWG zum allgemeinen Deliktsrecht, FS Ullmann (2006) 825; ders. Die Verbandsklage im internalen Lauterkeitsrecht, WRP 2017, 1298; ders. Negative Feststellungsklagen und Torpedos, GRUR 2018, 893; ders. Die Kognitionsbefugnis nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO und das internationale Lauterkeitsrecht, WRP 2018, 897; Schack Internationales Zivilverfahrensrecht, 7. Aufl. (2017); Schmelz-Buchhold Mediation bei Wettbewerbsstreitigkeiten (2010); Stadler Von den Tücken der grenzüberschreitenden Verbands-Unterlassungsklage, VuR 2010, 83; dies. Grenzüberschreitender kollektiver Rechtsschutz in Europa, JZ 2009, 121; Thorn/Paffhausen Parallelverfahren nach der Brüssel Ia-VO oder „wie man einen Torpedo entschärft“ FS Lindacher (2017) 405.

Übersicht I. 1. 2. 3.

II. 1.

2.

3. III. 1.

477

Gegenstand und Grundprinzip 1 1 Das lex fori-Prinzip Abgrenzung zwischen Verfahrensrecht und ma7 teriellem Recht Ausnahmen vom lex fori-Grundsatz und Einzel10 fragen 13 Rechtsquellen 13 Europarecht 15 a) Primärrecht 17 b) Sekundärrecht 17 aa) UGP-Richtlinie 2005/29/EG bb) Enforcement-Richtlinie 2004/48/ 23 EG cc) Europäisches Zivilprozess24 recht 30 Völkerrecht 30 a) Völkergewohnheitsrecht 32 b) Völkerrechtliche Verträge 32 aa) WTO/TRIPS 36 bb) EuGVÜ und LugÜ cc) Haager Zivilprozessübereinkom39 men dd) Haager Zustellungs- und Beweisauf40 nahmeübereinkommen ee) Haager Übereinkommen über Ge41 richtsstandsvereinbarungen 45 ff) Bilaterale Verträge 46 Autonomes deutsches Prozessrecht 47 Zugang zum Recht Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe 50 a) Prozess im Inland 56 b) Prozess im Ausland 59 c) Beratungshilfe

48

60

2.

Kollektiver Rechtsschutz

IV. 1. 2. 3. 4.

63 Außergerichtliche Streitbeilegung 63 Abmahnverfahren 65 Mediation 67 Einigungsstellen Schiedsverfahren und andere Streitbeilegungs68 verfahren

V. 1. 2.

72 Parteifähigkeit 72 Natürliche Personen 73 Gesellschaften u. a a) Zusammenhang zwischen Rechtsfähigkeit 73 und Parteifähigkeit b) Kollisionsrechtliche Grundsätze zur Beur78 teilung der Rechtsfähigkeit 78 aa) Sitztheorie bb) Gründungstheorie innerhalb 80 EWR cc) Bilaterale völkerrechtliche Ver81 träge 82 dd) Ausblick

VI.

Prozessfähigkeit und gesetzliche Vertre83 tung 83 Natürliche Personen 87 Gesellschaften u. a

1. 2.

89 VII. Prozessführungsbefugnis 1. Parteien kraft Amtes und gesetzliche Prozess90 standschaft 93 2. Gewillkürte Prozessstandschaft 94 3. Inkassozession 4. Verbands- und Gruppenklagebefug100 nisse

Halfmeier

Einleitung

a) b) c)

E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

Verband als Zessionar oder Prozessstand100 schafter Gruppenklagebefugnisse nach ausländi101 schem Verfahrensrecht Originäre Interventionskompetenzen 102 des Verbands 103 aa) Materiell-rechtliche Lösung bb) Doppelnatur der Klagebefug104 nis 105 cc) Prozessuale Einordnung 106 dd) Ergebnis

VIII. Postulationsfähigkeit

111

3.

115 Gerichtsbarkeit und Immunität 116 Immunität natürlicher Personen 119 Immunität juristischer Personen 119 a) Ausländische Staaten aa) Europäisches Übereinkommen über 120 Staatenimmunität 121 bb) Völkergewohnheitsrecht 124 b) Staatsunternehmen 127 Immunität im Vollstreckungsverfahren

X.

Rechtsweg

XI.

Internationale Zuständigkeit nach 131 EuGVO 132 Anwendungsbereich der EuGVO a) Zeitlicher Anwendungsbereich der EuGVO 132 im Zuständigkeitsrecht b) Sachlicher Anwendungsbereich der 134 EuGVO c) Räumlich-persönlicher Anwendungsbe138 reich der EuGVO 138 aa) Grundsätze 140 bb) Einzelne Territorien 142 cc) Dänemark-Frage Allgemeiner Gerichtsstand (Art. 4 144 EuGVO) Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes 149 (Art. 7 Nr. 1 EuGVO) 150 a) Anwendungsbereich 154 b) Bestimmung des Erfüllungsortes 154 aa) Vereinbarung bb) Verordnungsautonome Bestim155 mung 156 cc) Bestimmung nach lex causae Besonderer Gerichtsstand des Tatorts (Art. 7 160 Nr. 2 EuGVO) 162 a) Anwendungsbereich 162 aa) Unerlaubte Handlung bb) Ausnahme: Ausschließlicher Gerichts163 stand des Art. 24 Nr. 4 cc) Sonstige Ausgleichsschuldverhält165 nisse

IX. 1. 2.

129 5.

1.

2. 3.

4.

Halfmeier

6. 7. 8.

dd) Vorbeugende Unterlassungs168 klage ee) Auskunft und Rechnungsle169 gung 170 ff) Feststellungsklage gg) Verhältnis zu vertraglichen Ansprü171 chen b) Ubiquitätsregel (Handlungs- oder Erfolgs174 ort) 179 c) Bestimmung des Handlungsortes 184 d) Bestimmung des Erfolgsortes 185 aa) Kein Klägergerichtsstand 186 bb) Erfolgsort als Marktort cc) Ausnahme: Bilaterale Wettbewerbs191 handlungen e) Beschränkung der Kognitionsbefugnis 192 des Gerichts am Erfolgsort? aa) Persönlichkeitsrechtliche Entschei192 dungen des EuGH bb) Martinez- und Svensk Handel-Ent193 scheidungen des EuGH cc) Konsequenzen für das Lauterkeits196 recht f) Besonderheiten bei Verbandskla198 gen? Gerichtsstand der Niederlassung (Art. 7 Nr. 5 201 EuGVO) Gerichtsstand der Konnexität in Mehrpersonen204 verhältnissen (Art. 8 Nr. 1 EuGVO) Gerichtsstandsvereinbarungen (Art. 25 209 EuGVO) Zuständigkeit kraft rügeloser Einlassung (Art. 26 214 EuGVO)

XII. Internationale Zuständigkeit nach 219 LugÜ 219 1. Anwendungsbereich 2. Weitgehende Identität mit der EuGVO

220

XIII. Autonomes deutsches Recht der internationalen 221 Zuständigkeit 1. Anwendungsbereich und Grundsatz der Doppel221 funktionalität 223 2. Allgemeiner Gerichtsstand 3. Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsor224 tes 4. Besonderer Gerichtsstand bei deliktsrechtlichen 228 Ansprüchen a) Besonderer Bezug zum Inland nö231 tig? 231 aa) Rechtsprechung 232 bb) Kritik b) Anwendung der Mosaiktheorie bei § 32 233 ZPO? c) Anspruchskonkurrenz bei § 32 234 ZPO

478

Alphabetisches Stichwortverzeichnis

5. 6. 7.

Gerichtsstand des Vermögens (§ 23 235 ZPO) Gerichtsstandsvereinbarungen (§ 38 239 ZPO) Zuständigkeit durch rügelose Einlassung (§ 39 242 ZPO) 243

XIV. Örtliche Zuständigkeit

XV. Vortrag zur Zuständigkeit und doppelrelevante 244 Tatsachen 246 XVI. Lis pendens 246 1. EuGVO/LugÜ 247 a) Art. 29 EuGVO 247 aa) Kernpunktheorie bb) Maßgeblicher Zeitpunkt 253 b) Art. 30 EuGVO 254 2. Autonomes deutsches Recht

252

256

XVII. Antisuit injunctions

257 XVIII. Zustellungen 257 1. Zustellung nach EuZVO a) Zustellung auf Betreiben des Ge258 richts 259 b) Zustellung im Parteibetrieb c) Sprachenproblematik bei Zustellun260 gen 261 2. Zustellung nach HZÜ XIX. Beweisaufnahme

263

1. 2. 3. 4.

Einleitung

263 Beweisaufnahme und Souveränität 267 Beweisaufnahme nach EuBVO 272 Beweisaufnahme nach HBÜ 273 Sonstiger Rechtshilfeverkehr

XX. Gerichtssprache

274

276 XXI. Einstweiliger Rechtsschutz 276 1. Zuständigkeit 276 a) EuGVO aa) Begriff der einstweiligen Maß277 nahme bb) Insbesondere: Beweissicherungsver278 fahren 279 b) Autonomes Verfahrensrecht 281 2. Parallelverfahren 282 3. Rechtsanwendung 282 a) Europarecht 283 b) Ermittlung ausländischen Rechts 284 XXII. Vollstreckungsverfahren 1. Erzwingung von Handlungen oder Unterlassun284 gen im Ausland durch Inlandszwang 2. Anerkennung und Vollstreckung ausländischer 287 Entscheidungen 287 a) Verfahren b) Anerkennungshindernisse, insbesondere 292 ordre public c) Vollstreckung einstweiliger Maßnahmen 295 ausländischer Gerichte XXIII. Kostenrisiken

297

Alphabetisches Stichwortverzeichnis Abmahnkosten 167 Abmahnung 63, 152 Abrufort 193 Absendeort 180 „acta iure imperii“ 120 ff., 135 „acta iure gestionis“ 120 ff., 135 „actor sequitur forum rei“ 144, 160, 177, 223 AGB 108 Agentur 120, 182, 202 Ägypten 261 Air Baltic-Entscheidung 108 Aktionär 125, 248 Albanien 261 Alderney 141 allgemeines Persönlichkeitsrecht (siehe auch Persönlichkeitsrecht) 294 Andorra 141 Anerkennung 24, 34, 42, 62, 81, 90, 131, 133, 254,277, 287 f., 292 ff.

479

Anerkennungshindernis 292 Anerkennungsverfahren 287 Ankerklage 205 Anspruchskonkurrenz 153, 172, 234 Antigua und Barbuda 261 „antisuit injunction“ 256 Anwaltszwang 111, 113 Argentinien 261 Armenien 261 Aruba 37 Aufenthaltsort 67 Aufrechnung 11 Aufwendung 269 Aufwendungsersatz 167 Augenscheinsbeweis 265 Ausgleichsschuldverhältnis 165 Auskunft 169 Auskunftsanspruch 11, 33 Australien/australisch 61, 102 f., 261

Halfmeier

Einleitung

E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

Azoren 140 Bahamas 261 Barbados 261 Begehungsort 67, 225, 228 Belgien 120 Belize 261 Beratungshilfe 48, 54, 59 bereicherungsrechtlich 165 f. Beseitigungsanspruch 162 Bevollmächtigung = Vollmacht 93 Beweis/beweisen 9, 245 Beweisaufnahme 25 f., 39 f., 263 ff., 267 ff., 272 Beweislast 9, 11, 263 Beweismittel 274 Beweismittelimport 265, 267, 272 Beweisrecht 3, 33, 45 Beweissicherungsmaßnahme 268 Beweissicherungsverfahren 278 Beweisverfahren 278 Beweiswürdigung 2, 11 Bosnien-Herzegowina 261 Botschaft 117, 127 Botswana 261 BRAO = Bundesrechtsanwaltsordnung 114 Briefkasten(-gesellschaft) 77, 81 Britische Kanalinseln (siehe auch Großbritannien) 37, 141 Bundeskonsul 271, 273 China 261 „class action“ 60, 101 comitas 110 Common Law 256 Dänemark 25 f., 36, 41, 55 f., 90, 142 f., 159, 257, 264, 269 Darlegungslast 11 DENIC 70 Dienstleistungsfreiheit 98, 113 Diplomat/diplomatisch 30, 117 „disclaimer“ 189 Diskriminierungsverbot 15 Distanzdelikt 174 „doing business jurisdiction“ 238 (Internet-)Domain 69 ff. EFTA-Staaten 38 Eilbedürftigkeit 63, 283 Eilverfahren 283 Eingriffskondiktion 165 Einigung 210 Einigungsstelle 67 Einrede 134 Einspruchsverfahren 163 einstweilige Maßnahmen 276 ff., 281, 295 f. einstweilige Verfügung 111, 259, 279 f., 282 einstweiliger Rechtsschutz 33, 111, 218, 247, 268, 276 ff., 281 ff., 295 ff. Eintrittsrecht 142

Halfmeier

Einvernehmensanwalt 113 Einziehungsklagen 99 E-Mail 180, 212 Enforcement-Richtlinien 2004/48/EG 23 England/englisch (siehe auch Großbritannien) 81, 275 Erfolgshonorar 298 Erfolgsort 174, 176 ff., 184 ff., 196, 198, 203, 228, 232 f. Erfolgsortzuständigkeit 186 f., 189 Erfüllungsort 149, 152, 154 ff., 172, 177, 224 f., 227 Erfüllungsortsvereinbarung 154 Erfüllungsortzuständigkeit 152 Erfüllungsvereinbarung 154 Erlass 111, 214, 282 Erscheinungsort 180 EuBVO = Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 25 f., 264 f., 267 ff., 278 EuGFVO = Verordnung (EG) Nr. 861/2007 25 f. EuInsVO = EU-Insolvenzverordnung 90 EuMVVO = Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 25 f. Europäischer Rechtsanwalt 112 f. Europäisches Übereinkommen über Staatenimmunität von 1972 119, 120 Europäisches Zivilprozessrecht 24 ff. EuRAG = Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland 112 f. EuVTVO = Verordung (EG) Nr. 805/2004 25 f., 286 EuZVO = Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 25 f., 40, 142, 257 ff. Exequaturklage/-verfahren 25, 27, 288, 296 Exterritorialität 116, 285 Fahrlässigkeit/fahrlässig 162 faktischer Sitz 146, 179 Faröer-Inseln 143 Feststellungsklage 61, 170, 247 f., 250, 255 Folgeschäden 185 Forderungskauf 95 Frankreich/französisch 140, 162, 187, 192, 233 Französisch-Guayana 140 Freiberufler 117, 241 GATS = Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen 34 GATT = Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen 34, 81 Gefährdungshaftung 162 geistiges Eigentum 23, 33, 163 Geldentschädigung 294 Generalprävention 294 Genugtuungsfunktion 294 „genuine (link)“ 31, 81 Gerichtsbarkeit 31, 115, 118, 126, 130 Gerichtspflichtigkeit 144, 187 Gerichtsstaat 120, 138

480

Alphabetisches Stichwortverzeichnis

Gerichtsstandsvereinbarung 41 ff., 64, 152, 154, 158, 209 ff., 214, 224, 227, 239 f., 249 f., 256 Gesamtschuldner 169 Geschäftsfähigkeit 83 ff., 211 Geschäftsführung ohne Auftrag 167 Gesellschaftsvertrag 146 Gewinnabschöpfung 22, 136, 166, 294 Gewinnherausgabe 166 Gibraltar 140 Grönland 143 Großbritannien/britisch 120, 141 f. Grundfreiheit 15 f. Gründungsort 51 Gründungstheorie 80 ff. Gruppenklage 60, 100 f. Guadeloupe 140 Guernsey 141 Haager Übereinkommen über den internationalen Zugang zur Rechtspflege von 1980 48 Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30.6.2005 41, 209, 239 Handelsbräuche 212 Handlungsort 174, 176, 179 ff., 192, 194, 198 f., 203, 228, 285 Hauptniederlassung 146 f. Hauptverwaltung 146 f. HBÜ = Haager Übereinkommen von 1970 über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen 39 f., 45, 264 f., 272 f. Heiliger Stuhl 261 Herausgabe 166 Herkunftslandprinzip 16 Hinterlegung 163 HZPÜ = Haager Übereinkommen von 1954 über den Zivilprozess 39, 261 f. HZÜ = Haager Übereinkommen von 1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen 39 f., 45, 261 f. ICANN 71 Immunität/immun (siehe auch Staatenimmunität) 30, 115 ff., 130, 235, 285 Indien 261 Industriespionage 191 Inkassodienstleistung 95 (Inkasso)zession 94 ff. Insolvenzverfahren 89 ff., 134 Insolvenzverwalter 50, 90 Interessenmittelpunkt/Mittelpunkt der Interessen 193 f., 196 ff., 232 Internet 180, 187, 193 ff., 231, 265 Internetdelikt 231 Internetveröffentlichung 231 Irland/irisch 141 f.

481

Einleitung

Island 38, 112, 219, 221, 261 Isle of Man 37, 141 Israel 261 Japan 261 Jersey 141 Kanada 261 Kanarische Inseln 140 Kaufmann/Kaufleute 79, 240 f. Kernpunkttheorie 247 ff., 281 Kirgistan 261 Klagebefugnis/klagebefugt 20 ff., 61, 104, 198 Klägergerichtsstand 159, 185 Kognitionsbefugnis 186, 192 ff., 196, 207, 233 Konsul/konsularisch 30, 117 Kuwait 261 „legal aid“ 56 Leistungsklage 170, 247 f., 255 Lettland/lettisch 108 Libanon 261 Liechtenstein 112 Lieferort 155 Liquidation 97 Lizenzgeber 159 Lizenzgebühr 166 Lizenzvertrag 155, 159 „loser pays-Prinzip“ 297 LugÜ = Lugano Übereinkommen 36, 38, 133, 219 ff., 236, 243, 246, 255, 279, 288, 295 Luxemburg 120 Madeira 140 Mahnverfahren 25 Malawi 261 Marke 163 Marktort 103, 175, 178, 186, 191, 197, 198, 228 Marktortzuständigkeit 186 Marokko 261 „Martinez-Entscheidung“ 193 ff., 232 f. Martinique 140 Mediation 65 f. Meistbegünstigungsprinzip 32, 34 f., 81 Mexiko 41, 261 Missbrauchskontrolle 213 Mittäter 181, 206 Moldawien 261 Monaco 141, 261 Montenegro 41, 261 Mosaiktheorie/-prinzip 192 ff., 233 Nebentäter 206 Nichtigkeitsverfahren 163 Niederlanden/niederländisch 187, 208, 277, 293 Niederländische Antillen 37 Niederlassung 114., 201 ff. Niederlassungsfreiheit 15, 80 Niederlassungsgerichtsstand 201 Norwegen 38, 112, 219, 221, 261 Notwehr 12

Halfmeier

Einleitung

E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

Online-Medien 195 opt-in-Verfahren 60, 142 opt-out-Verfahren 60, 293 Ordnungsgeld 19, 25, 137, 284, 286, 296 Ordre Public = Öffentliche Ordnung 12, 27, 72, 82, 90, 269 f., 289, 292 ff. Österreich 120, 165 „overruling“ 195 Pakistan 261 „par in parem (non habet imperium)“ 119, 125 Parteifähigkeit/parteifähig 34, 51, 72 ff.,, 83 f. Patent 163, 206, 220 Persönlichkeitsrecht 165, 192 ff., 196, 231 f., 294 Popularklage 21, 61, 102 f. Portugal 140 Postulationsfähigkeit 111 Printmedien 192, 195 „private enforcement“ 60 Prospekthaftungsklage 248 Prozessbevollmächtigung 257 Prozessfähigkeit 83 ff. Prozessfinanzierung 297 f. Prozessführungsbefugnis 62, 89 f., 94, 100, 107, 200 Prozessführungsverbot 256 Prozesshandlung 111, 113 Prozesskostenhilfe (PKH) 29, 48 f., 51, 53, 55 ff., 297 f. Prozesskostenhilfe-Richtlinie 2003/8/EG = Richtlinie 2003/8/EG zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen 29, 4954 ff. Prozesskostensicherheit 15, 35 Prozessstandschaft 90 ff., 99 f. „punitive damages“ (siehe auch Strafschadensersatz) 294 Qualifikation/qualifizieren 7 ff., 64, 98, 102, 105, 107, 108, 111 f., 126, 166, 176, 228 „quota litis“ 298 RDG = Gesetz über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen 95 ff. Rechnungslegung 169 Rechnungslegungsanspruch 11 Rechtsfähigkeit/rechtsfähig 72 ff., 81, 83, 97, 150 Rechtshängigkeit/rechtshängig 10, 252, 254 ff. Rechtshilfe 45, 262, 266, 273 Rechtskraft/rechtskräftig 248, 296 Rechtsmittel 9, 33 Rechtsnachfolge 150 Rechtsschein 202 Rechtsschutz (auch kollektiver) 31, 59 ff., 101, 162, 166, 232 Rechtsweg 129 f. Regressanspruch 169

Halfmeier

„remise au parquet“ 257 Réunion 140 Rom I-VO 94, 96, 108, 177, 202, 213, 227, 263 Rom II-VO 9, 103, 108, 110, 175, 191, 202, 213, 263 Rückabwicklung 165 Russland/russisch 231 f., 261 Sabotage 191 Sachverständiger 265, 269 Saint-Barthélemy 140 Saint-Martin 140 Sammelklage 60, 208 Sammelverfahren 293 San Marino 141, 261 Sark 141 Säumnisentscheidung 214 satzungsmäßiger Sitz 146 f. Schaden 19, 160, 162 ff., 184 ff., 192 ff., 233, 276, 294 Schadensberechnung 166 Schadenseintritt 168 Schadensersatz 19, 23, 33, 136, 151, 157, 163, 165 ff., 169 f., 186, 192, 206, 247 f., 250, 253, 294 Schadensort 185 Scheinauslandsgesellschaft 77, 79, 147 Schiedsgericht 267 Schiedsgerichtsbarkeit 134 Schiedsvereinbarung 256 Schiedsverfahren 68, 134 Schriftform 212, 240 Schuldanerkenntnis 225 Schuldnerberatung 98 Schweiz 38, 112, 114, 120, 219, 221, 261 Selbsthilfe 12 Sendeort 180 Serbien 261 Seychellen 261 „Shevill-Entscheidung“ 192 f., 195, 233 Sitz 44, 51, 67, 110, 139, 144, 146 f., 154, 158 ff., 163 f., 179 f., 185 f., 191 ff., 199, 201, 205, 207, 221, 227, 236 f., 269 Sitztheorie 78 ff., 82, 87 Skandinavien 60 Souveränität/souverän 4, 31, 118, 263 265 f., 284 f. Spanien/spanisch 126, 140 Spiegelbildprinzip 90 „spill over“ 187 Sprache 55, 231 f., 260, 274 f. Sri Lanka 261 St. Vincent und Grenadinen 261 Staatenimmunität (siehe auch Immunität) 119 f., 122, 125 Staatsangehörigkeit 50, 72, 138 Staatsgebiet 140 Staatsunternehmen/staatliches Unternehmen 124 ff. Strafschadensersatz 136, 294 Strafzahlung 226

482

Alphabetisches Stichwortverzeichnis

Streitbeilegungsverfahren 68 ff. Streitsache/-gegenstand 29, 49, 53, 59, 134, 254 f., 280, 288 Streudelikt 174 Substantiierungspflicht 2 Südkorea 261 Surinam 261 „tag jurisdiction“ 238 Täter 174, 180 f., 294 Tathandlung 183 Tatort 160, 164, 171, 174 ff., 185, 230, 245 Tatortgerichtsstand 160, 162, 164 f., 168 ff., 172, 175 ff., 185, 193, 225 Tatortprinzip 64 Tatortzuständigkeit 167, 181, 200, 244 Teilrechtsfähigkeit 76 Telefax 212 Tessili-Regel 159 Titelgläubiger 288 Tochtergesellschaft 52, 202 Torpedoklage 170, 248 ff., 280 TRIPS = Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum 32 ff. Trust 92 Türkei/türkisch 141, 261 Ubiquitätsregel/-prinzip 174 ff., 184 f. UDRP = Uniform Domain Name Dispute Resolution Policy 71 UGP RL = Richtlinie 2005/29/EG 17 ff., 109 UKlaG 20, 28, 102 f., 107 ff. Ukraine 261 Unfallort 185 unerlaubte Handlung 160, 162, 183, 232, 245 UN-Konvention über Staatenimmunität von 2004 119 Unterlassung/unterlassen 53, 134, 152, 159, 192, 233, 247, 256, 280, 284 Unterlassungsanspruch 19, 25, 152 f., 162, 168, 188, 196, 225, 286 Unterlassungsantrag 186 Unterlassungserklärung 152 Unterlassungsgebot 193 f. Unterlassungsklage 28, 136, 168, 185, 199, 248 Unterlassungspflicht 158 Unterlassungsverfügung 33, 137, 256 Unterlassungsverpflichtung 64, 152, 155 Unterlassungsvertrag 159 Unternehmensleitung 179 f. Unternehmenssitz 191 Unterwerfungserklärung 19, 64, 152 ff., 158, 209, 225 ff. Unzuständigkeit 217, 246 Urheberrechtsverletzung 206 USA/(US-)amerikanisch 34, 41, 44, 60, 81 f., 92, 101, 231 f., 238, 261, 293 f.

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Einleitung

Usbekistan 261 Vatikan 141 Venezuela 261 Verbandsklage 20, 60 f., 102 ff., 198 ff. Verbandsklagebefugnis 61, 103 f., 108, 110, 136, 199 f. Verbraucher 19 f., 43, 61, 99, 108, 110 Verbraucherinteressen 20 f., 28, 109 Verbraucherschutz 22, 97, 108, 139, 293 Verbrauchervertrag 190 Verbraucherzentrale 99 Verfahrensdauer 248 Verfahrenseffizienz 153 Verfahrensverbindung 9 Vergleich 208 Verhältnismäßigkeit 53, 98 Verletzer 166, 294 Verletzter 193 ff., 226, 232 Verletzungsklage 163, 220 Verletzungsort 185, 191 Verjährung 3, 11 Vermögen 26, 35, 185, 235 Vermögensgerichtsstand 238, 279 Vermögensschäden 185 Verordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz = VO (EG) Nr. 2006/2004 109 Verspätungsvorschrift 217 Vertragsstrafe 19, 64, 152, 173, 224 ff. Vertreter/Vertretung 87 f. Vertretungsmacht 88, 211 Verwaltungssitz 78 ff., 87 f. Vollstreckbarkeit 288, 296 Vollstreckung 24, 26, 36, 77, 128, 131, 235, 285, 288, 292, 295 f. Vollstreckungsmaßnahme 127 Vollstreckungstitel 25, 26, 259, 286 Vollstreckungsverfahren 31, 115, 123, 127, 284 ff. Warenverkehrsfreiheit 141 WCAM = Wet Collectieve Afwikkeling Massaschade 208 Weißrussland 261 Werbemaßnahme 180, 182, 186 Widerklage 163 Wiederholungsgefahr 168 Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen von 1961 117 Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen von 1963 117 Willenserklärung 212 WIPO = World Intellectual Property Organization 71 Wohnsitz 50, 56 f., 139, 145 ff., 232, 257, 276 WTO = World Trade Organization = Welthandelsorganisation 32, 34, 114 Zedent 95 Zessionar 94 f., 100

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Einleitung

E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

Zeuge 265 Zeugenaussage 265 f. Zeugenentschädigung 269 Zeugenvernehmung 277 Zuständigkeitsvereinbarung 139, 249 Zustellung 25, 39 f., 252, 257 ff., 274

Zustellungsform 258, 261 f. Zustellungsrecht 45 Zustellungsverfahren 257 Zwangsvollstreckung 127, 296 Zweigniederlassung 202 Zypern 120, 141

I. Gegenstand und Grundprinzip 1. Das lex fori-Prinzip 1 Mit dem Begriff des Internationalen Wettbewerbsverfahrensrechts bezeichnet man die rechtsförmige Durchsetzung lauterkeitsrechtlicher Ansprüche im Kontext transnationaler Wirtschafts- und Konkurrenzbeziehungen. Es behandelt somit diejenigen Rechtssätze des Verfahrensrechts, die bei Verfahren in Wettbewerbssachen mit Auslandsbezug anzuwenden sind.1 Es handelt sich also um einen Teil- und Sonderbereich des Internationalen Zivilverfahrensrechts. Beide Begriffe sind latent irreführend, denn sie suggerieren eine internationale Vereinheitlichung, die nur partiell existiert (s. im Detail zu den verschiedenartigen Rechtsquellen unten Rn. 13 ff.). Ebenso wie beim „Internationalen Privatrecht“ ist auch hier zwar der Sachverhalt notwendig international, das Recht dagegen – zumindest im Ausgangspunkt – nationaler Herkunft.2 Dies wird im Internationalen Zivilverfahrensrecht besonders deutlich, denn hier gilt wohl „in aller Welt“3 das lex fori-Prinzip. Ein Gericht wendet stets sein heimatliches Verfahrensrecht an: „Forum regit processum“. Dieses Grundprinzip ist auch in Deutschland allgemein anerkannt,4 in seinen Details aber noch keineswegs geklärt. Eine einschlägige gesetzliche Regelung gibt es im deutschen Recht nicht. 2 Die deutsche Rechtsprechung geht jedenfalls davon aus, dass sich „Verfahrensfragen nur nach dem jeweiligen Prozessrecht des erkennenden Gerichts (lex fori) bestimmen.“5 In concreto wurde dies vom BGH bisher für das Vorliegen von Prozessvoraussetzungen6 sowie für die Regeln der Beweiswürdigung gemäß § 286 ZPO7 festgestellt. Dagegen ordnet der BGH den Umfang der Substantiierungspflicht hinsichtlich eines geltend gemachten Anspruchs dem materiellen Recht zu.8 In der Literatur ist die Bedeutung und Reichweite des lex fori-Grundsatzes umstritten. 3 Während die ältere Literatur ihn als „uralten Grundsatz“ weitgehend uneingeschränkt geltend postuliert,9 wird er in der neueren Literatur differenzierter betrachtet.10 Dabei wird mit Recht erkannt, dass dieses Prinzip auf einer Unterscheidung zwischen Verfahrensrecht und materiellem Recht gründet, sich aber gerade diese Unterscheidung nicht „chemisch rein“ vornehmen

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Lindacher S. 1. von Bar/Mankowski § 5 Rn. 2. Heldrich S. 17. OLG Frankfurt/M. 5. 4. 2006 – 4 U 153/02 – Tz. III.2. m. w. N. BGH 27. 6. 1984 – IVb ZR 2/83 – NJW 1985, 552, 553. BGH 27. 6. 1984 – IVb ZR 2/83 – NJW 1985, 552, 553. BGH 27. 4. 1977 – VIII ZR 184/75 – WM 1977, 793, 794; zahlreiche Nachweise auf das ältere Schrifttum bei Soergel/ Kronke Art. 38 EGBGB Anhang IV Rn. 124 Fn. 1. 8 BGH 27. 4. 1977 – VIII ZR 184/75 – WM 1977, 793, 794. 9 von Bar IPR, Bd. I, 1. Aufl. (1987) Rn. 321. 10 Eine „Befreiung des IZVR von dem Dogma der lex fori“ konstatiert insbesondere Schack Rn. 50; ähnlich Lindacher S. 2: Der lex fori-Grundsatz habe „schon seit geraumer Zeit den Glanz der Allgemeingültigkeit verloren.“

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I. Gegenstand und Grundprinzip

Einleitung

lässt.11 Sie ist zwar als solche in Europa seit dem Mittelalter gängig,12 hat sich aber in den heute geltenden nationalstaatlichen Rechtsordnungen unterschiedlich entwickelt. Die Trennung zwischen Verfahrensrecht und materiellem Recht ist also nicht ontologisch vorgegeben, sondern ist Produkt historisch-dogmatischer Entwicklungen. Die Rechtsvergleichung zeigt, dass z. B. beim Beweisrecht13 und hinsichtlich der Verjährung14 erhebliche Unterschiede bestehen. Auch die Begründung des lex fori-Grundsatzes ist heute unsicher geworden. Eine eher 4 traditionelle Linie ordnet das Verfahrensrecht dem öffentlichen Recht zu, welches schon aus Souveränitätsgründen im Inland unbeschränkt gelte.15 Das überzeugt nicht ganz, denn auch die Abgrenzung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht ist keineswegs eindeutig und von Rechtsordnung zu Rechtsordnung verschieden. Auch das Privatrecht ist Ausübung staatlicher Souveränität, weil es darüber entscheidet, unter welchen Umständen ein Bürger die Staatsgewalt zur Durchsetzung seiner Interessen nutzen darf. Hinzu kommt, dass es der staatlichen Souveränität keinen Abbruch tut, wenn der Gesetzgeber oder die Rechtsprechung – in den durch die verfassungsmäßige Ordnung vorgegebenen Grenzen – erlauben, dass unter bestimmten Umständen ausländisches Recht von deutschen Gerichten angewandt wird.16 Sinnvollerweise wird daher der lex fori-Grundsatz nicht formalistisch begründet, sondern 5 vorwiegend mit Praktikabilitätserwägungen: Auch in Fällen mit Auslandsberührung soll der Richter das ihm vertraute heimische Verfahrensrecht anwenden, um schnell und sicher zu einer Entscheidung zu kommen.17 Diese pragmatische Begründung ist überzeugend und wohl deshalb auch so weit verbreitet: Wollte man in Fällen mit Auslandsberührung auch noch ein umfangreiches „prozessuales Kollisionsrecht“18 vorschalten, so wäre das Gericht schnell überfordert und den Parteien letztlich nicht gedient.19 Zugleich eröffnet das Verständnis des lex fori-Grundsatzes als bloß pragmatisch begründete Regel aber auch die Möglichkeit, in sachlich begründeten Konstellationen Ausnahmen zu machen und so die Geltung des inländischen Verfahrensrechts gegebenenfalls einzuschränken.20 Bei einer konkreten Falllösung sind daher zwei Schritte vorzunehmen: Erstens ist zu prü- 6 fen, ob die in Rede stehenden Normen zum Verfahrensrecht oder zum materiellen Recht gehören. Werden sie dem materiellen Recht zugeordnet, so ist in eine kollisionsrechtliche Prüfung einzutreten, um das anwendbare Recht zu bestimmen. Werden sie dagegen dem Verfahrensrecht zugeordnet, so gilt die lex fori, es sei denn, dass man in einem zweiten Schritt aus besonderen Gründen ausnahmsweise von dieser Regel abrückt.

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Schack Rn. 45. Zur Geschichte insoweit Heldrich S. 14 ff. Ausführlich dazu Coester-Waltjen S. 13 ff. Vgl. nur BGH 9. 6. 1960 – VIII ZR 109/59 – NJW 1960, 1720, 1721 zur prozessrechtlichen Betrachtung der Verjährung in den USA. 15 Verfahrensrecht als „Kernbereich staatlicher Souveränität“, so von Bar/Mankowski § 5 Rn. 75 und 77. 16 Vgl. zum Charakter des kraft IPR berufenen „fremden“ Rechts als im Ergebnis deutsches Bundesrecht Schinkels Normsatzstruktur des IPR (2007) 141 ff. und 149, der aber zugleich nur die Sachnormverweisung für verfassungsgemäß hält. 17 Schack Rn. 48; allerdings spräche diese pragmatische Begründung ebenso für die Anwendung des heimischen materiellen Rechts, so die berechtigte Kritik bei Soergel/Kronke Art. 38 EGBGB Anhang IV Rn. 124. 18 Vgl. zu dieser Begrifflichkeit Schack Rn. 4. 19 So begründet etwa Grunsky ZZP 89 (1976) 241, 254, den lex fori-Grundsatz aus Sicht der Parteien: Im materiellen Recht gehe es um ein bereits abgeschlossenes Geschehen, so dass Rücksicht auf die seinerzeit bestehende Einschätzung und Interessensituation genommen werden müsse. Im Prozessrecht dagegen sei eine Anpassung des Verhaltens der Parteien an die lex fori des Gerichts regelmäßig möglich und zumutbar. 20 Beispiele bei Grunsky ZZP 89 (1976) 241, 254. für den Fall, dass ausnahmsweise eine Verhaltensanpassung der Parteien an die lex fori nicht zumutbar erscheint.

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

2. Abgrenzung zwischen Verfahrensrecht und materiellem Recht 7 Die Abgrenzung zwischen Verfahrensrecht und materiellem Recht wird teilweise in Anlehnung an die kollisionsrechtliche Begrifflichkeit als Qualifikation bezeichnet.21 Dies ist zumindest insoweit sinnvoll, als damit ebenso wie im Kollisionsrecht auf das „Problem der Qualifikation“ hingewiesen wird, nämlich auf die Frage, nach welchen Begriffen und Maßstäben die Zuordnung zum Prozessrecht erfolgen soll. Ebenso wie im Kollisionsrecht gilt auch hier das Primat der lex fori, d. h. das Recht des Forumstaates entscheidet darüber, was es als Prozessrecht ansieht und damit kraft des lex-fori-Grundsatzes „an sich zieht“.22 Allerdings kann – ebenso wie im Kollisionsrecht – dieses Prinzip der Qualifikation gemäß 8 lex fori nicht mehr uneingeschränkt gelten, wenn die fragliche Materie durch Europarecht oder völkerrechtlichen Vertrag harmonisiert ist: Würde man hier nach lex fori qualifizieren, so wäre der mit diesen Instrumenten angestrebte Entscheidungseinklang gefährdet. Daher ist bei diesen Rechtsquellen in der Regel eine vertragsautonome bzw. europarechtlich-autonome Qualifikation vorzunehmen. Im Wettbewerbsverfahrensrecht ist dies insbesondere bei Art. 1 Abs. 3 Rom II-VO relevant. 9 Dieser bestimmt, dass Fragen von „Beweis und Verfahren“ nicht dem durch diese Verordnung harmonisierten europäischen Kollisionsrecht unterliegen sollen (allerdings vorbehaltlich der Art. 21 Rom II-VO zu Formfragen und Art. 22 Rom II-VO zur Beweislast). Um insoweit die Entscheidungsharmonie in den beteiligten EU-Mitgliedstaaten zu sichern, müssen die Begriffe „Beweis und Verfahren“ hier autonom ausgelegt werden; es kann insoweit nicht nach lex fori qualifiziert werden.23 Dazu hat sich allerdings noch keine europaweite Praxis herausgebildet. In der Literatur wird ein „Kriterium der Neutralität“ vorgeschlagen, wonach Verfahrensrecht im Sinne des Art. 1 Abs. 3 Rom II-VO diejenigen Vorschriften umfasse, die „neutral“ in dem Sinne seien, dass sie nicht die Entscheidung in der Sache betreffen.24 Dies seien insbesondere Formfragen der Klageeinreichung, Regeln über Verfahrensarten, Verfahrensleitung, Verfahrensverbindung, Zusammensetzung des Gerichts, Kosten und Rechtsmittel.25 Dieser Vorschlag muss im Detail noch konkretisiert werden. Er geht aber vom richtigen Ausgangspunkt aus: Ist die Rom II-VO anwendbar, so kann der Begriff des Verfahrensrechts nicht mehr ohne weiteres der lex fori entnommen werden, sondern es ist eine europarechtlich-autonome Definition der Regelungsgegenstände „Beweis und Verfahren“ durchzuführen, welche gemäß Art. 1 Abs. 3 Rom II-VO nicht dem europäisch harmonisierten Kollisionsrecht unterworfen sind. Die autonome Qualifikation der Verordnung erfordert also einen „dezisionistischen Akt“26 – in diesem Falle ggf. durch den Europäischen Gerichtshof in seiner Auslegung der Rom II-VO.

3. Ausnahmen vom lex fori-Grundsatz und Einzelfragen 10 Selbst wenn man aber als Ergebnis der beschriebenen Qualifikation ein Problem dem Prozessrecht zuordnet, ist zumindest in der Literatur weitgehend anerkannt, dass dies vor deutschen Gerichten nicht zwingend und nicht in jedem Fall zur Anwendung des deutschen Verfahrensrecht führen muss.27 Dies gilt insbesondere im Verhältnis zum Kollisionsrecht: Es mag Fälle 21 Schack Rn. 51 ff. m. w. N.; jedenfalls bezüglich der Abgrenzung von Verfahrensrecht und materiellem Recht zustimmend Basedow S. 136 ff.

22 So Schack Rn. 52. 23 Illmer Civil Justice Quarterly 2009, 237, 243 ff. 24 Illmer Civil Justice Quarterly 2009, 237, 246; für eine sehr enge Auslegung des Begriffs von „evidence and procedure“ auch Dickinson Rome II Regulation, S. 596.

25 Illmer Civil Justice Quarterly 2009, 237, 247. 26 Basedow S. 142. 27 Schack Rn. 49 m. w. N.

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II. Rechtsquellen

Einleitung

geben, in denen der Rechtsanwendungsbefehl des Kollisionsrechts nur dann sinnvoll ausgeführt werden kann, wenn auch das Verfahren entsprechend der vom Kollisionsrecht berufenen lex causae angepasst wird.28 Auch die Rechtsprechung nimmt trotz des apodiktisch vorgetragenen lex fori-Grundsatzes (s. oben Rn. 2) im konkreten Einzelfall durchaus auf fremdes Verfahrensrecht Rücksicht: So wird etwa die Frage der Rechtshängigkeit einer Klage im Ausland nach dortigem Verfahrensrecht bestimmt.29 Die auf den einzelnen Gebieten des Prozessrechts auftauchenden Probleme des lex-fori- 11 Grundsatzes werden in der folgenden Darstellung an der jeweils einschlägigen Stelle angesprochen. Überblicksartig kann aber auf die folgenden Einzelfragen hingewiesen werden: Zum materiellen Recht gehört aus deutscher Sicht insbesondere die Klagbarkeit30 und die Verjährung31 von Ansprüchen, die Darlegungslast32 und die Beweislast,33 die Voraussetzungen und Wirkungen einer Aufrechnung34 sowie das Bestehen von Auskunfts- und Rechnungslegungsansprüchen.35 Zum Prozessrecht gehört dagegen insbesondere das Vorliegen von Prozessvoraussetzungen36 und die Beweiswürdigung.37 In der Literatur wird darüber hinaus erwogen, auch die Voraussetzungen und Grenzen von 12 im Inland erlaubter Selbsthilfe und Notwehr stets dem deutschen Recht als lex fori zu entnehmen, weil der Rechtsfrieden im Inland auf dem Spiel stehe.38 Das ist im Ergebnis überzeugend. Systematisch gehören diese Fragen aber zum materiellen Recht, so dass insoweit zunächst das Kollisionsrecht zu befragen und dessen Ergebnis ggf. zum Schutz des inländischen ordre public zu korrigieren ist.

II. Rechtsquellen 1. Europarecht Das internationale Zivilprozessrecht und damit auch das internationale Wettbewerbsverfahrens- 13 recht ist heute in weiten Teilen europarechtlich vereinheitlicht; z. T. wird insoweit schon von einem „Europäischen Zivilprozessrecht“ gesprochen.39 Dabei muss das Europarecht als ranghöchste Rechtsquelle angesehen werden. Gegenüber dem nationalen Recht ergibt sich dies aus dem vom EuGH bereits 1964 postulierten Anwendungsvorrang des Europarechts.40 Dieser Anwendungsvorrang des Europarechts besteht in der Logik des Europarechts auch gegenüber nationalem Verfassungsrecht.41 Auch die von der EU abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge (dazu unten Rn. 41) gehen 14 gemäß Art. 216 Abs. 2 AEUV dem Recht der Mitgliedstaaten vor. Innerhalb der Normenhierarchie 28 Vgl. bereits Heldrich, S. 22; speziell zum Beweisrecht Coester-Waltjen S. 461 („Beweiskollisionsregel“ mit Rücksicht auf die lex causae); kritisch dazu Basedow S. 138 ff. 29 BGH 9. 10. 1985 – IVb ZR 36/84 – NJW 1986, 662, 663; zustimmend MünchKommZPO/Becker-Eberhard § 261 Rn. 73. 30 Geimer IZPR Rn. 344. 31 BGH 9. 6. 1960 – VIII ZR 109/59 – NJW 1960, 1720, 1721. 32 BGH 27. 4. 1977 – VIII ZR 184/75 – WM 1977, 793, 794. 33 BGH 8. 11. 1951 – IV ZR 10/51 – BGHZ 3, 342, 345 f. 34 Geimer Rn. 352. 35 Schack IPRax 1991, 347, 349 f. 36 BGH 27. 6. 1984 – IVb ZR 2/83 – NJW 1985, 552, 553. 37 BGH 27. 4. 1977 – VIII ZR 184/75 – WM 1977, 793, 794. 38 Schack Rn. 53; Geimer Rn. 334. 39 So der Werktitel bei Hess Europäisches Zivilprozessrecht (2010). 40 EuGH 15. 7. 1964 – 6/64 – Slg. 1964, 1251 – Costa/Enel. 41 EuGH 17. 12. 1970 – 11/70 – Slg. 1970, 1125 – Internationale Handelsgesellschaft; Schroeder Grundkurs Europarecht (5. Aufl. 2017) § 5 Rn. 18.

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

des Europarechts stehen solche völkerrechtlichen Verträge oberhalb des Sekundärrechts, jedoch unterhalb des Primärrechts.42 Dies ergibt sich einerseits aus der in Art. 216 Abs. 2 AEUV angeordneten Bindung der Organe an die von der EU abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge und andererseits daraus, dass diese Verträge gemäß Art. 218 Abs. 11 AEUV nicht gegen das EUPrimärrecht verstoßen dürfen. Die EU ist als Völkerrechtssubjekt (Art. 47 EUV) außerdem an das Völkergewohnheitsrecht gebunden.43

15 a) Primärrecht. Das EU-Primärrecht, d. h. insbesondere der Vertrag über die Europäische Union (EUV) und der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), enthält keine Vorschriften, die das Zivilverfahrensrecht unmittelbar regeln. Vielmehr sieht Art. 81 AEUV vor, dass die konkreten Maßnahmen zur „Justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen“ im Wege der Sekundärrechtssetzung getroffen werden. Trotzdem kann das Primärrecht in Einzelfällen Wirkung entfalten. Zu beachten sind insoweit vor allem das Diskriminierungsverbot (Art. 18 AEUV) sowie die Grundfreiheiten des Binnenmarkts (Art. 26 ff. AEUV), die u. a. den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr sowie die Niederlassungsfreiheit garantieren. In der Vergangenheit musste der EuGH z. B. wiederholt feststellen, dass eine Prozesskostensicherheit, die von EU-Ausländern, nicht aber von Inländern verlangt wird, gegen das europarechtliche Diskriminierungsverbot verstößt.44 Die Vorschrift des § 110 ZPO wurde daraufhin entsprechend angepasst. 16 Derartige Wirkungen des EU-Primärrechts auf das nationale Verfahrensrecht sind auch in Zukunft nicht ausgeschlossen. Sie werden allerdings selten sein, da die Grundfreiheiten des AEUV jedenfalls kein prozessrechtliches Herkunftslandprinzip in dem Sinne begründen können, dass eine aus der EU stammende Prozesspartei ihr heimatliches Prozessrecht „mitbringen“ dürfte.45 Hinzu kommt, dass die Harmonisierung des Prozessrechts heute vor allem durch das diesbezüglich inzwischen sehr umfangreich gewordene EU-Sekundärrecht stattfindet (dazu unten Rn. 17 ff.). Zwar sind auch sekundärrechtliche Vorschriften der EU schon aufgrund ihrer normenhierarchischen Stellung an den Vorgaben des Primärrechts zu messen,46 aber im Bereich der Grundfreiheiten scheint der EuGH das Sekundärrecht eher als Konkretisierung dieser Grundfreiheiten anzusehen.47 Ein Verstoß von Sekundärrecht gegen die Grundfreiheiten bleibt daher bisher nur eine theoretische Möglichkeit. Ggf. ist das Sekundärrecht zunächst primärrechtskonform auszulegen.48

b) Sekundärrecht 17 aa) UGP-Richtlinie 2005/29/EG. Im EU-Sekundärrecht steht für das materielle Lauterkeitsrecht die Richtlinie 2005/29/EG (UGPRL, dazu oben Einl. Teil C Rn. 235 ff.) ganz im Vordergrund. Sie enthält in ihren Art. 11–13 auch Ausführungen zur prozessualen Rechtsdurchsetzung. Aufgrund ihres Charakters als Normen einer Richtlinie sind diese Vorschriften im Verfahrensrecht nicht unmittelbar anwendbar. Sie sind aber für die Auslegung des nationalen Rechts heranzuziehen. Dabei gilt das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nicht nur für solche nationalen Normen, die zum Zwecke der Richtlinienumsetzung geschaffen wurden, sondern für den 42 Schroeder Grundkurs Europarecht § 21 Rn. 18. 43 EuGH 16. 6. 1998 – C-162/96 – Slg. 1998 I-3655 Tz. 49 ff. – Racke. 44 EuGH 20. 3. 1997 – C-323/95 – NJW 1998, 2127 – Hayes/Kronenberger. Vgl. auch zur völkerrechtskonformen Auslegung des § 110 ZPO im Lichte des TRIPS-Abkommens Dornis ZVglRWiss 114 (2015) 93, 109. 45 Lindacher S. 7. 46 Schroeder Grundkurs Europarecht (5. Aufl. 2017) § 6 Rn. 12. 47 EuGH 11. 12. 2003 – C-322/01 – GRUR 2004, 174, 175 Tz. 53 m. w. N. – Doc Morris. 48 Vgl. EuGH 23. 2. 2006 – C-471/04 – Slg. 2006 I-2107 Tz. 45 – Keller Holding.

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II. Rechtsquellen

Einleitung

gesamten Bestand des nationalen Rechts.49 Außerdem bilden Art. 11–13 UGPRL mit Bezug auf das Verfahrens- und Sanktionsrecht den Kontrollmaßstab für die richtlinienkonforme Umsetzung der UGPRL durch den mitgliedstaatlichen Gesetzgeber. Ist die Richtlinie insoweit unzureichend umgesetzt, so kommt ausnahmsweise auch eine unmittelbare Wirkung der Richtlinie zu Gunsten Privater in Betracht, um den nicht umgesetzten Rechtspositionen Geltung zu verschaffen.50 Ob das deutsche Verfahrens- und Sanktionsrecht den Anforderungen der Art. 11–13 18 UGPRL genügt, bedarf daher einer näheren Überprüfung. Die Rechtsprechung hatte bisher noch keine Gelegenheit, sich mit dieser Frage zu befassen. Die herrschende Literaturmeinung geht davon aus, dass das deutsche Verfahrensrecht keiner Änderung bedürfe und schon in der Fassung nach der UWG-Reform des Jahres 2004 den Vorgaben der UGPRL entspreche.51 Gegen diese Ansicht gibt es jedoch ernstzunehmende Einwände, die bisher nur unzureichend aufgearbeitet sind.52 Insbesondere kurzzeitige Verstöße gegen das Lauterkeitsrecht – etwa eine Werbekampag- 19 ne von kurzer Dauer – können in Deutschland entgegen Art. 11 Abs. 1 Satz 1 UGPRL kaum effektiv sanktioniert werden: Dem Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 UWG kann durch eine relativ kostengünstige Unterwerfungserklärung begegnet werden. Eine Vertragsstrafe – oder ein Ordnungsgeld im Falle einer gerichtlichen Entscheidung – wird nicht fällig, wenn die nächste Werbekampagne sich ausreichend unterscheidet, was angesichts der üblichen engen Tenorierungspraxis oft der Fall sein wird.53 Ein Schadensersatzanspruch der Mitbewerber ist zwar vorgesehen, in der Praxis ist ein Schaden aber oft schwer nachweisbar. Geschädigte Verbraucher können aus dem UWG bisher keinen Schadensersatzanspruch geltend machen. Zumindest die herrschende Auffassung verneint auch den Schutzgesetzcharakter des UWG im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB.54 Einzelne Verbraucher sind daher regelmäßig auf das Vertragsrecht verwiesen, das aber nur in besonderen Einzelfällen – insbesondere im Kaufrecht gemäß § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB – Werbeaussagen auch vertragsrechtlich explizit für relevant erklärt. Der herrschenden Meinung ist zuzugeben, dass die bisherige Fassung der UGPRL lauter- 20 keitsrechtliche Ansprüche einzelner Verbraucher noch nicht explizit fordert,55 sondern diese Frage „nicht berührt“ (Erwägungsgrund 9 UGPRL). Im Kontext des „New Deal for Consumers“ wird dies voraussichtlich geändert werden.56 Bisher setzt der deutsche Gesetzgeber zum Schutz der Verbraucherinteressen im Lauterkeitsrecht also vor allem auf Verbandsklagen, wie § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG belegt. Im Hinblick auf dieses Ziel der Rechtsdurchsetzung ist es jedoch unverständlich, warum die Gründung klagebefugter Verbände gleichzeitig durch den Verweis auf die einschränkenden Voraussetzungen des § 4 UKlaG erschwert wird. Die übliche Begründung,

49 Vgl. nur EuGH 10. 4. 1984 – 14/83 – Slg. 1984, 1891 Tz. 26 – von Colson und Kamann; EuGH 13. 11. 1990 – C-106/ 89 – Slg. 1990 I-4135 Tz. 8 – Marleasing; EuGH 27. 6. 2000 – C-240/98 bis C-244/98 – Slg. 2000 I-4941 Tz. 30 – Océano. 50 Dazu allgemein EuGH 12. 2. 2009 – C-138/07 – Slg. 2009 I-731 Tz. 31 – Cobelfret; speziell zur Rechtsdurchsetzung im Umweltrecht und zu einem direkt aus der Richtlinie ableitbaren Klagerecht von Umweltverbänden EuGH 12. 5. 2011 – C-115/09 – NJW 2011, 2779 Tz. 54 ff. – BUND. 51 Köhler GRUR 2005, 793, 800 f.; Alexander GRUR Int. 2005, 809, 815. 52 Wichtige Ansätze dazu aber bei Rott Effektivität des Verbraucherschutzes, Gutachten für die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (2007) 133 ff., http://download.ble.de/04HS033.pdf; Fezer WRP 2006, 781, 788 (für Schaffung von Ansprüchen einzelner Verbraucher im Lauterkeitsrecht); vgl. bereits Damm JZ 1994, 161, 175. 53 Rott Effektivität des Verbraucherschutzes, Gutachten für die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (2007) 133 ff., http://download.ble.de/04HS033.pdf, S. 136 unter Verweis auf Verbraucherzentrale Bundesverband Verbraucherschutzbilanz 2006. 54 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 9 UWG Rn. 1.10 m. w. N.; ebenso noch zum älteren Recht BGH 14. 5. 1974 – VI ZR 48/73 – GRUR 1975, 150; a. A. etwa Sack FS Ullmann (2006) 825, 841 ff.; Augenhofer WRP 2006, 169, 176. 55 Vgl. dazu die Kritik bei Augenhofer WRP 2006, 169, 172 („befremdlich“). 56 Vorschläge bei COM (2018) 185 final, derzeit im Gesetzgebungsverfahren.

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

dass nur „geeignete“ Verbände die Klagebefugnis haben sollen,57 passt nicht zu den von Gesetz und Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen. Es ist z. B. nicht ersichtlich, was die Zahl der Mitglieder (mindestens 75 gemäß § 4 Abs. 2 UKlaG) mit der inhaltlichen Kompetenz zur Beurteilung von UWG-Verstößen zu tun haben soll. Auch die Forderung nach „hinreichender“ Sachund Personalausstattung des Verbands58 und einer tatsächlichen Aufklärungs- und Beratungstätigkeit59 sind sachfremde Einschränkungen. Ein kleines, aber motiviertes Team von drei oder vier kompetenten Volljuristen, die sich auf Abmahn- und Klagetätigkeit konzentrieren, wäre selbstverständlich dazu in der Lage, einen Beitrag zur Durchsetzung des materiellen Lauterkeitsrechts zu leisten. 21 Hinter diesen Einschränkungen durch den Gesetzgeber und durch die Rechtsprechung steht eine diffuse Furcht vor der Popularklage,60 die aber bei näherer Betrachtung unberechtigt ist.61 Dasselbe gilt auch für die Missbrauchsklausel des § 8 Abs. 4 UWG, die von dem fragwürdigen Gedanken beherrscht wird, dass die Durchsetzung des Lauterkeitsrechts – als gesellschaftlich erwünschten Tätigkeit – nicht primär durch finanzielle Interessen motiviert sein dürfe.62 Die Durchsetzung des Lauterkeitsrechts im Verbraucherinteresse ist also von einem Paradox beherrscht: Einerseits wird sie weitgehend in die Hände von Verbänden gegeben, andererseits wird die Klagebefugnis dieser Verbände durch die genannten sachfremden Vorschriften stark beschränkt. Das ist mit dem Gebot effektiver Rechtsdurchsetzung in Art. 11 Abs. 1 Satz 1 UGPRL kaum zu vereinbaren. 22 Wenn dagegen behauptet wird, dass die bestehenden Sanktionen und Verfahren im Lauterkeitsrecht sich als „effektiv, erfolgreich, aber auch als abschreckend erwiesen“ hätten,63 gibt es dafür bisher nur wenig empirische Grundlagen. Entsprechende rechtstatsächliche Untersuchungen wären vielmehr dringend notwendig, um die Wirkung der de lege lata bestehenden Sanktionen und prozessrechtlichen Instrumente im Lauterkeitsrecht beurteilen zu können. Eine diesbezügliche Studie kam 2011 zu dem Ergebnis, dass zwar gewisse generalpräventive Wirkungen der im Lauterkeitsrecht geführten Prozesse bestehen, dass aber vor allem im Verbraucherschutzrecht weiterhin erhebliche Durchsetzungsdefizite existieren und dass für die klagebefugten Einrichtungen zu wenig Anreize zur Klageerhebung vorhanden sind.64 Auch die Einführung des Gewinnabschöpfungsanspruchs gemäß § 10 UWG habe an diesen Defiziten kaum etwas geändert.65 Allerdings ist auch diese Studie nicht in dem Sinne empirisch, dass sie z. B. die Realität des Verhaltens von Unternehmen in den Blick nimmt, sondern sie fußt nur auf der subjektiven Wahrnehmung dieses Verhaltens durch ausgewählte Experten. Hier besteht also weiterhin erheblicher Forschungsbedarf.

23 bb) Enforcement-Richtlinie 2004/48/EG. Auch wenn die „Enforcement-Richtlinie“ 2004/ 48/EG sich nicht auf das Lauterkeitsrecht im engeren Sinne bezieht, sondern auf die „Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums“, so kann sie doch aufgrund der Nähe dieser beiden Gebiete Einfluss auf die gebotenen Durchsetzungsvorschriften im Lauterkeitsrecht und auf de57 58 59 60 61 62

So bereits BGH 30. 6. 1972 – I ZR 16/71 – GRUR 1973, 78, 79. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 UWG Rn. 3.57. OVG Münster 13. 10. 2003 – 4 B 970/03 – GRUR 2004, 347, 348. Vgl. bereits BGH 30. 6. 1972 – I ZR 16/71 – GRUR 1973, 78, 79. Ausführlich dazu Halfmeier S. 96 f. und 372 ff. Kritisch zu dieser Vorschrift bzw. der entsprechenden früheren Rechtsprechung Homburger/Kötz Klagen Privater im öffentlichen Interesse (1975) 69, 95; Knieper NJW 1971, 2251, 2254; von Arnim Gemeinwohl und Gruppeninteresse (1977) 311 f.; von Hippel Verbraucherschutz, 3. Aufl. (1986) 114; Halfmeier S. 335 ff. Mit Recht konstatiert Beater Rn. 2600, dass es für die Durchsetzung des Lauterkeitsrechts völlig irrelevant sein müsste, „ob der Kläger aus ehrlichen, anständigen oder aus rein selbstsüchtigen Motiven vor Gericht zieht.“ 63 Alexander GRUR Int. 2005, 809, 811. 64 Meller-Hannich/Höland S. 139 f. 65 Meller-Hannich/Höland. S. 123.

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ren Auslegung haben.66 Dies gilt insbesondere für die Berechnung des Schadensersatzes bei Verletzungen „geistigen Eigentums“ im Sinne dieser Richtlinie.

cc) Europäisches Zivilprozessrecht. Als Teil des internationalen Verfahrensrechts wird das 24 internationale Wettbewerbsverfahrensrecht von der inzwischen weit fortgeschrittenen Europäisierung des Zivilverfahrensrechts maßgeblich beeinflusst. Diese Entwicklung begann im wesentlichen mit dem Brüsseler Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen von 1968 (EuGVÜ, dazu unten Rn. 36), welches heute – mit teilweise verändertem Inhalt – als EU-Sekundärrecht in Form der neu gefassten VO (EG) Nr. 1215/2012 (EuGVO)67 weiterlebt. Die EuGVO regelt die Zuständigkeit der Gerichte sowie die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen und damit auch im Lauterkeitsrecht. In weiten Teilen entspricht die EuGVO der Rechtslage unter dem EuGVÜ; insoweit kann daher auch die ältere Rechtsprechung und Literatur zur Auslegung der EuGVO herangezogen werden;68 dasselbe gilt auch für die Rechtsprechung zur früheren Fassung der EuGVO (VO Nr. 44/2001, s. Kommentierung in Voraufl.). Die EuGVO ist im Laufe der Zeit ergänzt worden durch eine Reihe weiterer Rechtsakte, die 25 im Zusammenspiel mit der EuGVO einen recht umfangreichen Korpus eines „Europäischen Zivilprozessrechts“69 bilden: Bereits im Jahr 2000 wurde die VO (EG) Nr. 1348/2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen erlassen, diese wurde zwischenzeitlich ersetzt durch die seit 2008 geltende VO (EG) Nr. 1393/2007 (EuZVO, dazu unten Rn. 257).70 Die grenzüberschreitende Beweisaufnahme innerhalb der EU ist geregelt in der VO (EG) Nr. 1206/2001 (EuBVO, dazu unten Rn. 267).71 Neben diesen auf die Durchführung mitgliedstaatlicher Verfahren bezogenen Verordnungen treten seit 2004 drei weitere Verordnungen, in welchen sich das von der EU-Kommission verfolgte Ziel des „freien Verkehrs von Entscheidungen“ manifestiert, d. h. es werden mit diesen jüngeren Verordnungen besondere Vollstreckungstitel geschaffen, die in allen EU-Mitgliedstaaten (mit Ausnahme Dänemarks, dazu sogleich) ohne ein Exequaturverfahren oder sonstige Formalia unmittelbar vollstreckbar sind. Dabei handelt es sich um die VO (EG) Nr. 805/2004 über einen Europäischen Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen (EuVTVO),72 die VO (EG) Nr. 1896/2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (EuMVVO)73 sowie die VO (EG) Nr. 861/2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen (EuGFVO).74 Alle drei Verordnungen haben im internationalen Wettbewerbsverfahrensrecht bisher nur beschränkte Bedeutung erlangt, zumal sie nur auf Zahlungsansprüche anwendbar sind – im Falle der EuGFVO sogar nur auf Zahlungsansprüche bis zu einer Höhe von A 5.000 (Art. 2 Abs. 1 EuGFVO). Hervorzuheben ist aber, dass der BGH die Anwendbarkeit der EuVTVO auch für die Titulierung von Ordnungsgeldern zur Durchsetzung lauterkeitsrechtlicher Unterlassungsansprüche jedenfalls im Grundsatz bejaht hat.75

66 67 68 69 70 71 72 73 74 75

Dazu Alexander S. 186 ff. sowie 270 ff.; Beyerlein WRP 2005, 1354 ff. ABl. EU 2012 L 351, 1. EuGH 16. 7. 2009 – C-189/08 – Slg. 2009, I-6917 Tz. 18 = NJW 2009, 3501 – Zuid-Chemie. Zu diesem Begriff Hess Europäisches Zivilprozessrecht (2010). ABl. EG 2007 L 324, 79. ABl. EG 2001 L 174, 1. ABl. EG 2004 L 2004, L 143, 15. ABl. EG 2006 L 399, 1; neu gefasst durch VO (EU) 2015/2421, ABl. EU 2015 L 341, 1 ABl. EG 2007 L 199, 1; neu gefasst durch VO (EU) 2015/2421, ABl. EU 2015 L 341, 1. BGH 25. 3. 2010 – I ZB 116/08 – GRUR 2010, 662; dazu abl. Anm. Stoffregen WRP 2010, 839; die Auffassung des BGH wird inzwischen gestützt durch eine sachlich vergleichbare Entscheidung des EuGH zur Vollstreckung eines deutschen Ordnungsgeldbeschlusses in den Niederlanden nach EuGVO: EuGH 18. 10. 2011 – C-406/09 – NJW 2011, 3568 – Realchemie Nederland BV, m. Anm. Giebel; s. auch unten Rn. 275.

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

Im Einzelfall zu beachten ist die Sonderrolle des Königreichs Dänemark hinsichtlich der vorstehend genannten Verordnungen. Das Königreich Dänemark hat sich bei der justiziellen Zusammenarbeit innerhalb der EU seit langem ein Sonderrecht ausbedungen, welches heute dazu führt, dass die in Rn. 25 genannten Verordnungen nicht in Dänemark gelten.76 Für die EuGVO und die EuZVO wurden jedoch völkerrechtliche Abkommen zwischen Dänemark und der EU geschlossen, die dazu führen, dass die EuGVO und die EuZVO zwar nicht als EU-Sekundärrecht, aber doch inhaltlich auch für Dänemark gelten.77 Dies gilt aber nicht für die EuBVO, so dass eine Beweisaufnahme in Dänemark nicht nach EuBVO stattfinden kann. Auch die Titel gemäß EuVTVO, EuMVVO oder EuGFVO können in Dänemark nicht kraft dieser Verordnungen vollstreckt werden, sondern es ist der Weg über die EuGVO zu wählen. Wohl aber kann z. B. in Deutschland ein Europäischer Vollstreckungstitel gemäß EuVTVO gegen einen in Dänemark – oder in jedem anderen Staat – ansässigen Schuldner geschaffen werden. Dies mag sinnvoll sein, wenn etwa die kraft EuVTVO vereinfachte Vollstreckung gegen dessen Vermögen nicht in Dänemark, sondern in einem anderen EU-Mitgliedstaat beabsichtigt ist. 27 Die am 10. 1. 2015 in Kraft getretene Reform der EuGVO ist vor allem gekennzeichnet durch den Wegfall des Exequaturverfahrens.78 Eine nachgelagerte Kontrolle am Maßstab des ordre public im Vollstreckungsstaat bleibt jedoch möglich.79 Außerdem enthält die seit 2015 geltende EuGVO zahlreiche Detailänderungen, etwa im Bereich parellel anhängiger Klagen.80 Im Bereich der kollektiven Rechtsdurchsetzung (dazu unten Rn. 60) gilt heute bereits die 28 Richtlinie 2009/22/EG über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen,81 die im geltenden deutschen Recht durch das UKlaG umgesetzt ist. 2018 legte die EU-Kommission im Rahmen des „New Deal for Consumers“ weitergehende Vorschläge für Repräsentativklagen im Verbraucherinteresse vor, die sich noch im Legislativprozess befinden.82 Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe (dazu unten Rn. 48 ff.) enthält die 29 Richtlinie 2003/8/EG zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug83 Mindestvorschriften, welche in §§ 1076–1078 ZPO umgesetzt wurden. 26

2. Völkerrecht 30 a) Völkergewohnheitsrecht. Soweit die Normen des Völkergewohnheitsrechts zugleich als „allgemeine Regeln des Völkerrechts“ aufgefasst werden können, gehen sie gemäß Art. 25 GG dem einfachen Bundesrecht vor. Im Bereich des internationalen Wettbewerbsverfahrensrechts spielt dies vor allem bezüglich der Immunität ausländischer Staaten sowie der Angehörigen diplomatischer und konsularischer Vertretungen eine Rolle (dazu unten Rn. 115 ff.), wobei diese Regeln z. T. in den einschlägigen völkerrechtlichen Verträgen84 sowie unter Bezug auf diese in §§ 18–20 GVG positiviert wurden.

76 Vgl. zuletzt das Protokoll Nr. 22 über die Position Dänemarks in der Fassung nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, ABl. EG 2008 C 115, 299. 77 ABl. EG 2005 L 299, 62 und 2007 L 94, 70 sowie 2008 L 331, 21; zur Teilnahme Dänemarks an der Neufassung der EuGVO s. ABl. EU 2013 L 79, 4. 78 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012, ABl. EU 2012, L 351. 79 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012, ABl. EU 2012, L 351, Art. 45 ff. 80 Überblick bei Cadet EuZW 2013, 218. 81 ABl. EG 2009 L 110, 30. 82 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG, COM(2018) 184 final v. 11. 4. 2018. 83 ABl. EG 2003 L 26, 41. 84 Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen v. 24. 4. 1963, BGBl. 1969 II 1585; Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen v. 18. 4. 1961, BGBl. 1964 II 957.

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II. Rechtsquellen

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Für andere Fragen des internationalen Zivilverfahrensrechts macht das Völkergewohnheits- 31 recht dagegen kaum einschränkenden Vorgaben. Dies gilt vor allem für die Zuständigkeit der Gerichte.85 Zwar wird in der völkerrechtlichen Literatur gelegentlich behauptet, dass das Völkerrecht ein bestimmtes Maß an Verbindung – einen genuine link – des Sachverhalts mit dem Forumstaat verlange.86 Für die Ausfüllung dieses Begriffs gibt es aber weder in der völkerrechtlichen Rechtsprechung87 noch in der Staatenpraxis88 ausreichendes Material. Allenfalls mag man eine gänzlich willkürliche Behandlung mit inneren Angelegenheiten eines fremden Staates nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen für völkerrechtswidrig halten, aber dies kommt im Bereich der Zivilgerichtsbarkeit nicht vor. Wendet sich nämlich ein Kläger oder Antragsteller an das Gericht im Forumstaat mit der Bitte um Rechtsschutz, so ist es gerade nicht willkürlich, wenn das Gericht sich daraufhin dieses Falles annimmt. Die ausreichende Verbindung mit dem Forumstaat liegt dann schon in der Klageerhebung in Verbindung mit den lokalen Zuständigkeitsnormen.89 Hinzu kommt, dass ein Zivilprozess im Forumstaat A keinerlei unmittelbare Auswirkungen auf die Verhältnisse in einem Staat B hat, da es dem Staat B kraft seiner Souveränität – sofern er diese nicht freiwillig durch völkerrechtliche Bindungen eingeschränkt hat – freisteht, ob und welche Wirkungen des im Ausland geführten Prozesses er auf seinem Territorium anerkennen möchte.90 Dies gilt nicht nur für das Erkenntnisverfahren, sondern auch für das Vollstreckungsverfahren, solange sich ein etwaiger Vollstreckungszwang auf das Inland des Forumstaats A beschränkt – mag dieser Zwang auch der Erzwingung oder Verhinderung von Verhalten im Ausland dienen (s. dazu unten Rn. 284).

b) Völkerrechtliche Verträge aa) WTO/TRIPS. Die Bundesrepublik Deutschland ist Mitglied der Welthandelsorganisation 32 (WTO) einschließlich des TRIPS-Vertrags.91 Diese Vertragswerke enthalten auf den ersten Blick keine Regeln, die das internationale Wettbewerbsverfahrensrecht unmittelbar betreffen. Mittelbar kann es hier aber doch zu Einflüssen kommen, und zwar sowohl hinsichtlich des vom WTO/ TRIPS-System angeordneten Durchsetzungsniveaus als auch in Bezug auf das Meistbegünstigungsprinzip. Was die Durchsetzung der TRIPS-Regeln betrifft, so muss man davon ausgehen, dass der 33 Begriff der „Rechte des geistigen Eigentums“ in Art. 50 Abs. 1 TRIPS auch solche Rechte umfas-

85 Zahlreiche Nachweise zur Diskussion bei Geimer Rn. 126 f. 86 Verdross/Simma Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. (1984) § 1183; in diesem Sinne wohl auch die umstrittene Entscheidung des BGH zu § 23 ZPO, die zusätzlich zum Wortlaut der Vorschrift einen „hinreichenden Inlandsbezug“ im Wege „völkerrechtskonformer Auslegung“ des nationalen Rechts verlangt, BGH 2. 7. 1991 – XI ZR 206/90 – BGHZ 115, 90, 94. 87 Vgl. zum Strafprozessrecht die berühmte Lotus-Entscheidung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes v. 7. 9. 1927, PCIJ Series A, no. 10 (1927), Rn. 46 f. (dazu Kunig/Uerpmann Jura 1994, 186): Das Völkerrecht verbiete es keinem Staat, die eigene Gerichtsbarkeit bezüglich eines im Ausland (oder hier auf hoher See) vorgefallenen Sachverhalts anzuwenden, es sei denn, es existiere eine besondere völkerrechtliche Verbotsnorm. 88 Vgl. nur die Zivilprozesse unter dem Alien Torts Claims Act in den USA, in denen unter Umständen ausländische Kläger gegen ausländische Unternehmen vorgehen konnten, um deren Verhalten im Ausland zu rügen, paradigmatisch etwa Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Co., 226 F.3d 88 (2nd Cir. 2000), cert. denied, 532 U. S. 941 (2001); diese Fälle sind inzwischen jedoch stark eingeschränkt worden durch Kiobel v. Royal Dutch (U. S. Supreme Court, 17. April 2013). 89 Geimer Rn. 377; vgl. auch Verdross/Simma Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. (1984) § 1186: Regeln der örtl. Zuständigkeit ergeben auch völkerrechtlich unbedenkliche internationale Zuständigkeit; in diesem Sinne auch Schack Rn. 215. 90 Vgl. Buchner S. 69. 91 BGBl. 1994 II 1625, 1730 ff.

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

sen kann, die nach deutschem Recht im UWG aufgehoben sind.92 Auch an anderen Stellen gibt es Überschneidungen in den Schutzgegenständen des TRIPS-Abkommens und des deutschen Lauterkeitsrechts.93 Daher muss sich auch das Durchsetzungsniveau in diesem Bereich des Lauterkeitsrechts an den Vorgaben der Art. 41 ff. TRIPS messen lassen. Diese Vorgaben sollen die rechtsstaatliche Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums sichern und betreffen mit Blick auf Zivilverfahren insbesondere „fair and equitable procedures“ (Art. 42 TRIPS), das Beweisrecht (Art. 43 TRIPS), Unterlassungsverfügungen (Art. 44 TRIPS), die Berechnung des Schadensersatzes (Art. 45 TRIPS), sonstige Anordnungen z. B. über Zerstörung von Waren (Art. 46 TRIPS), Auskunftsansprüche (Art. 47 TRIPS), Ersatzansprüche bei missbräuchlicher Geltendmachung von angeblichen Rechten (Art. 48 TRIPS) sowie detaillierte Regeln zu den Mindestanforderungen an das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (Art. 50 TRIPS).94 Gegen eine unmittelbare Berufung auf diese Regeln in einem konkreten Zivilprozess könnte man anführen, dass das TRIPS-Übereinkommen „keine Rechte von Privatpersonen“ begründen wollte.95 Selbst wenn dies zutreffen sollte, so ist jedenfalls das geltende Zivilverfahrensrecht nach Möglichkeit völkerrechtskonform auszulegen.96 Eine diesbezüglich falsche Auslegung des geltenden Verfahrensrechts wäre daher ein Rechtsfehler, der mit Rechtsmitteln auch im Zivilprozess gerügt werden kann. 34 Noch kaum geklärt sind die Auswirkungen des in GATT und GATS verankerten völkerrechtlichen Meistbegünstigungsprinzips auf das internationale Zivilverfahrensrecht. Dazu ist in der Literatur die Frage aufgeworfen worden, ob dieses Prinzip etwa zur Anerkennung und damit Parteifähigkeit sämtlicher Gesellschaften aus WTO-Mitgliedstaaten führen muss, weil Deutschland dies u. a. in einem bilateralen Vertrag Gesellschaften aus den USA gewährt.97 Der Bundesgerichtshof hat diese Frage bisher jedoch ausdrücklich verneint.98 In der Literatur wird mit Blick auf das Meistbegünstigungsprinzip darauf hingewiesen, dass 35 zumindest im Anwendungsbereich des TRIPS-Übereinkommens eine Prozesskostensicherheit gemäß § 110 ZPO von Nicht-EU-Ausländern nur dann verlangt werden kann, wenn dies wirklich notwendig ist, weil z. B. kein ausreichendes Vermögen des Klägers innerhalb des EU- oder EWRRaumes belegen ist.99

36 bb) EuGVÜ und LugÜ. Das Brüsseler Übereinkommen von 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen100 (EuGVÜ) ist 2001 durch die EuGVO ersetzt worden (Art. 68 EuGVO 2001). Dies gilt inzwischen auch für das zunächst von der EuGVO ausgenommene Königreich Dänemark, weil dieses sich 92 Beyerlein WRP 2005, 1354, 1357 unter Verweis auf EuGH 14. 12. 2000 – C-300/98 und C-392/98 – GRUR 2001, 235 – Dior. 93 Dazu umfassend z. B. Reger Der internationale Schutz gegen unlauteren Wettbewerb und das TRIPS-Übereinkommen (1999). 94 Ausführlich zu all diesen Vorschriften Correa Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights – A Commentary on the TRIPS Agreement (2007) 409 ff.; Busche/Stoll TRIPS (2007) Art. 41 ff. 95 So jedenfalls Köhler/Bornkamm/Feddersen § 17 UWG Rn. 3c; differenzierter und zT a. A. zu Art. 41 ff. TRIPS Schwartmann Private im Wirtschaftsvölkerrecht (2005) 290 ff. 96 Vgl. nur v. Münch/Kunig/Rojahn GG, 5. Aufl. (2001) Art. 59 Rn. 38d m. w. N. sowie konkret für das Strafverfahrensrecht BVerfG 26. 3. 1987 – 2 BvR 589/79 – BVerfGE 74, 358, 370. 97 Dazu Lehmann RIW 2004, 816 ff.; Mankowski in Leible/Ruffert (Hrsg.) Völkerrecht und IPR (2006) 235 ff.; Sonnenberger (Hrsg.) Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts (2007) 18; gegen eine solche Wirkung des Meistbegünstigungsprinzips MünchKommBGB/Kindler Internationales Gesellschaftsrecht Rn. 503 f.; dafür jedoch AnwKommBGB/Hoffmann Anh. zu § 12 EGBGB Rn. 146 ff. 98 BGH 27. 10. 2008 – II ZR 158/06 – NJW 2009, 289 Rn. 17 (Trabrennbahn) m. Anm. Kieninger; zu diesem Verfahren bereits Jung NZG 2008, 681, 683. 99 Dornis ZVglRWiss 114 (2015) 93, 109. 100 BGBl. 1972 II 774, Fassung gem. 4. Beitrittsübereinkommen v. 29. 11. 1996, BGBl. 1998 II 1412.

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II. Rechtsquellen

Einleitung

kraft eines mit der EU geschlossenen völkerrechtlichen Abkommens zur Anwendung der EuGVO verpflichtet hat.101 Die vom Europäischen Gerichtshof vorgenommene Auslegung des EuGVÜ ist jedoch auch für die EuGVO übertragbar, soweit die Bestimmungen gleichbedeutend sind.102 Der verbleibende Anwendungsbereich des EuGVÜ umfasst daher einerseits die noch vor 37 dem Inkrafttreten der ersten EuGVO (1. 3. 2002, s. Art. 76 EuGVO 2001) erhobene Klagen. Darüber hinaus gilt das EuGVÜ auch heute noch für jene Territorien der Vertragsstaaten, für die zwar das EuGVÜ galt, die aber von der nunmehr als Unionsrecht auftretenden EuGVO wegen Art. 52 EUV i. V. m. Art. 355 AEUV nicht erfasst werden.103 Dies sind insbesondere die niederländischen Antillen und Aruba.104 Für die britischen Kanalinseln, die Isle of Man und zahlreiche britische Überseegebiete gilt das EuGVÜ jedoch nicht.105 Das Lugano-Übereinkommen (LugÜ) wurde 1998 als Parallelabkommen zum EuGVÜ mit 38 den EFTA-Staaten abgeschlossen. Es gilt heute in einer veränderten Fassung von 2007, mit der es weitgehend an die mit der EuGVO 2001 vorgenommenen inhaltlichen Veränderungen angepasst wurde.106 Die Veränderungen der EuGVO durch ihre Neufassung (VO 1215/2012) wurden im Lugano-Übereinkommen jedoch bisher nicht nachvollzogen. Das LugÜ findet heute aus deutscher Sicht Anwendung im Verhältnis zu Island, Norwegen und der Schweiz (dazu und zu verbleibenden Differenzen gegenüber der EuGVO s. unten Rn. 219 f.). Das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland hat im April 2020 einen Antrag auf Beitritt zum LuganoÜbereinkommen gestellt.

cc) Haager Zivilprozessübereinkommen. Das Haager Übereinkommen von 1954 über den 39 Zivilprozess107 (HZPÜ) spielt heute nur noch eine untergeordnete Rolle, da es in wichtigen Teilen durch spätere Übereinkommen ersetzt wurde, nämlich hinsichtlich der Zustellung (Art. 1– 7 HZPÜ) durch das HZÜ (dazu sogleich Rn. 40 und unten Rn. 250) sowie hinsichtlich der Beweisaufnahme (Art. 8–16) durch das HBÜ (dazu Rn. 39 und 261). Das HZPÜ kommt in diesen Bereichen somit nur noch im Verhältnis zu denjenigen Staaten zur Anwendung, die zwar Vertragsstaaten des HZPÜ sind, nicht aber der jeweils neueren Konventionen. dd) Haager Zustellungs- und Beweisaufnahmeübereinkommen. Das Haager Überein- 40 kommen von 1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen108 (HZÜ) wird für Zustellungen innerhalb der EU von der insoweit vorrangigen EuZVO verdrängt (s. unten Rn. 257), ist aber bei der Zustellung in zahlreiche Drittstaaten weiterhin relevant (s. unten Rn. 261). Dasselbe gilt für das Haager Übereinkommen von 1970 über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen109 (HBÜ, dazu unten Rn. 272).

101 Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG 2005 L 299, 62; das Abkommen ist am 1. 7. 2007 in Kraft getreten, ABl. 2007 L 94, 70; Details dazu bei Nielsen IPRax 2007, 506 und Kropholler/v. Hein Einl EuGVO Rn. 42 ff. 102 EuGH 13. 3. 2014 – C-548/12 – NJW 2014, 1648, 1649 – Brogsitter. 103 Vgl. ausführlich Kropholler/v. Hein Einl EuGVO Rn. 41 ff. zum Geltungsbereich der EuGVO sowie Kropholler Europäisches Zivilprozessrecht (6. Aufl. 1998) Art. 60 EuGVÜ Rn. 1 ff. zum seinerzeitigen Geltungsbereich des EuGVÜ. 104 BGBl. 1994 II 2534. 105 Kropholler Europäisches Zivilprozessrecht (6. Aufl. 1998) Art. 60 EuGVÜ Rn. 11. 106 ABl. EG 2007 L 399, 3. 107 BGBl. 1958 II 576 sowie 1959 II 1388. 108 BGBl. 1977 II 1453. 109 BGBl. 1977 II 1742, 1979 II 780.

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

41 ee) Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen. Die EU hat von ihrer Kompetenz zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge (Art. 216 AEUV) im Bereich des Zivilverfahrensrechts Gebrauch gemacht, indem sie das Haager Übereinkommen vom 30. 6. 2005 über Gerichtsstandsvereinbarungen unterzeichnet hat.110 Das Übereinkommen ist am 1. 10. 2015 in Kraft getreten. Aufgrund dieser europarechtlichen Herkunft ist es in Deutschland als gegenüber dem Bundesrecht vorrangiges EU-Sekundärrecht zu behandeln. Auch das Königreich Dänemark ist dem Übereinkommen trotz seiner europarechtlichen Sonderstellung freiwillig beigetreten. Außerhalb der EU gilt es derzeit für Mexiko, Montenegro und Singapur. Die USA haben das Übereinkommen zwar unterzeichnet, aber bisher nicht ratifiziert. 42 Bei dem Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen handelt es sich um ein Restprodukt des gescheiterten Projekts eines weltweiten Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen, an dem die Haager Konferenz für Internationales Privatrecht Ende des 20. Jahrhunderts erfolglos gearbeitet hatte.111 Inzwischen ist unter dem Titel „Judgments Project“ von der Haager Konferenz ein neuer Anlauf zu einem Übereinkommen unternommen worden, das sich mit der Anerkennung von Entscheidungen befassen soll. 43 Das geltende Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen umfasst vom Ansatz her alle internationalen Zivil- und Handelssachen; zugleich ist aber eine lange Liste von Sachbereichen ausdrücklich ausgeschlossen, u. a. Kartellsachen und Immaterialgütersachen.112 Für das Lauterkeitsrecht ist es jedoch anwendbar.113 Das Übereinkommen gilt außerdem nicht für Gerichtsstandsvereinbarungen, an denen Verbraucher oder Arbeitnehmer beteiligt sind (Art. 2 Abs. 1 des Übereinkommens). Zum Verhältnis des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen zur 44 EuGVO – insbesondere zu Art. 25 EuGVO, der eine eigene Regelung über Gerichtsstandsvereinbarungen enthält – gilt folgendes: Einerseits ist das Übereinkommen wegen Art. 216 Abs. 2 AEUV im Grundsatz gegenüber der EuGVO vorrangig anzuwenden. andererseits enthält Art. 26 Abs. 6 des Übereinkommens eine Selbstbeschränkung, aus der sich ergibt, dass das Übereinkommen gegenüber der EuGVO freiwillig zurücktritt, wenn die Gerichtsstandsvereinbarung ausschließlich zwischen EU-ansässigen Unternehmen geschlossen wird. Somit ist das Übereinkommen anwendbar, wenn mindestens ein Beteiligter an der Gerichtsstandsvereinbarung nicht in der EU ansässig ist, aber beide Parteien ihren Sitz in Vertragsstaaten des Übereinkommens haben.114 So gilt das Übereinkommen z. B. für eine Gerichtsstandsvereinbarung zwischen einem deutschen und einem mexikanischen Unternehmen. Sollten auch die USA das Übereinkommen noch ratifizieren, so wäre dadurch im Bereich des Zivilverfahrensrechts eine – wenn auch geringfügige – transatlantische Harmonisierung erreicht, die als positives Beispiel für weitere Harmonisierungsbemühungen dienen könnte.115

45 ff ) Bilaterale Verträge. Im Bereich der internationalen Rechtshilfe gibt es im Übrigen zahlreiche bilaterale Verträge, die den oben dargestellten multilateralen Verträgen z. T. vorgehen; dies gilt insbesondere für das Zustellungsrecht (Art. 25 HZÜ) und in Teilen auch für das Beweisrecht (Art. 28 HBÜ). Eine Übersicht über diese bilateralen Verträge liefert der Fundstellennachweis B zum Bundesgesetzblatt. 110 ABl. EG 2009, L 133, 1; Text und Ratifikationsstand des Übereinkommens sind auch abrufbar unter www.hcch.net.; zum Inhalt des Übereinkommens z. B. Rühl IPRax 2005, 410 ff.; Wagner RabelsZ 73 (2009) 100 ff.; Bläsi Das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen (2010). 111 Dazu etwa Hess IPRax 2000, 342 ff.; von Mehren IPRax 2000, 465 ff.; Wagner IPRax 2001, 533 ff. 112 Details bei Rühl IPRax 2005, 410, 412. 113 Bläsi Das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen (2010) 95; Dogauchi/Hartley Draft Report on the Preliminary Draft Convention on Exclusive Choice of Court Agreements (2004) 33. 114 Rauscher/Mankowski Art 25 Brüssel Ia-VO Rn. 270 ff., dort auch zu weiteren denkbaren Fallgruppen. 115 In diesem Sinne auch Rühl IPRax 2005, 410, 415; kritisch zum Inhalt des Abkommens Schack Rn. 135.

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III. Zugang zum Recht

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3. Autonomes deutsches Prozessrecht Soweit es keine europarechtlichen oder völkerrechtlichen Vorgaben gibt, gilt im Übrigen auf- 46 grund des lex fori-Prinzips (s. oben Rn. 1 ff.) vor deutschen Gerichten das autonome – d. h. vom deutschen Gesetzgeber ohne externe Vorgaben gesetzte – deutsche Verfahrensrecht. Dieses besteht einerseits in den als lex specialis vorrangig zu prüfenden lauterkeitsrechtlichen Verfahrensnormen (§§ 12 ff. UWG) sowie andererseits aus dem im Übrigen geltenden allgemeinen Zivilverfahrensrecht insbesondere in Form von ZPO und GVG.

III. Zugang zum Recht Auch wenn die Parteien im internationalen Wettbewerbsverfahrensrecht oft wirtschaftlich in 47 der Lage sind, selbst größere Prozessrisiken zu schultern, so kann es doch Situationen geben, in denen dies problematisch sein mag: Man denke an die Beteiligung natürlicher Personen, kleinerer oder in der Krise befindlicher Unternehmen oder an die Tätigkeit von Interessenverbänden mit ggf. beschränkten Mitteln. Dem Zugang dieser Parteien zum Recht kommt auch deswegen eine besondere Bedeutung zu, weil das Lauterkeitsrecht nicht rein individualschützenden Charakter hat, sondern auch der Regulierung wirtschaftlichen Verhaltens im allgemeinen Interesse dient (dazu oben Einl. A).

1. Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe Das dazu einschlägige Haager Übereinkommen über den internationalen Zugang zur 48 Rechtspflege vom 25. 10. 1980116 garantiert den Angehörigen der Vertragsstaaten u. a. die Gleichbehandlung mit Inländern im Bereich der „unentgeltlichen Rechtspflege“ und der „unentgeltlichen Rechtsberatung“. Die Bundesrepublik Deutschland hat dieses Übereinkommen zwar unterzeichnet, aber nicht ratifiziert, so dass sich weder Ausländer vor deutschen Gerichten noch Deutsche vor ausländischen Gerichten auf die darin enthaltenen Garantien berufen können. In der Europäischen Union gilt jedoch die Richtlinie 2003/8/EG vom 27. 1. 2003 zur Ver- 49 besserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen.117 Diese wurde in §§ 1076–1078 ZPO umgesetzt, wobei § 1076 ZPO im wesentlichen auf die allgemeinen Vorschriften zur Prozesskostenhilfe (§§ 114–127 ZPO) verweist, soweit in §§ 1077 und 1078 ZPO nichts anderes bestimmt ist. § 1077 ZPO beschäftigt sich mit „ausgehenden“ Ersuchen auf Prozesskostenhilfe, d. h. solchen, die sich auf einen im EU-Ausland zu führenden Prozess beziehen. § 1078 ZPO regelt anschließend die „eingehenden“ Ersuchen auf Prozesskostenhilfe, die sich auf einen Prozess vor einem deutschen Gericht beziehen. Aus diesen Regeln ergibt sich insgesamt folgendes Bild:

a) Prozess im Inland. Es gelten die §§ 114 ff. ZPO. Gemäß diesen Vorschriften kann für natürli- 50 che Personen PKH gewährt werden, ohne dass es auf die Staatsangehörigkeit oder den Wohnsitz ankäme.118 Für Parteien kraft Amtes (z. B. Insolvenzverwalter) gilt die Sonderregelung in § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO.

116 Convention of 25 October 1980 on International Access to Justice, abzurufen über www.hcch.net. 117 ABl. EG 2003 L 26, 41; ABl. EU 2003 L 32, 15. 118 Prütting/Gehrlein/Völker/Zempel ZPO (10. Aufl. 2018) § 114 Rn. 9.

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

Für bestimmte juristische Personen und sonstige parteifähige Vereinigungen (z. B. Personengesellschaften) gilt § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO mit der dort enthaltenen Einschränkung auf die Verfolgung allgemeiner Interessen. Die Vorschrift umfasst juristische Personen bzw. Vereinigungen, die „im Inland, in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum gegründet und dort ansässig“ sind. Es müssen also sowohl Gründungsort als auch tatsächlicher Sitz innerhalb eines (nicht notwendig demselben) EU- oder EWR-Mitgliedstaates liegen.119 Für juristische Personen oder Personenvereinigungen, die diese Anforderungen nicht erfüllen – weil sie z. B. in einem Nicht-EU/EWR-Staat ihren Sitz haben – kommt also keine Prozesskostenhilfe in Betracht. PKH kann aber auch juristischen Personen oder Personenvereinigungen aus EU/EWR-Staaten gemäß § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO nur bei Armut der Partei oder der „am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten“ gewährt werden. Letzteres sind insbesondere die Gesellschafter oder Mitglieder der Partei, aber auch die Tochtergesellschaft im Verhältnis zur Muttergesellschaft, wenn ein Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag besteht.120 Bei gemeinnützigen Vereinen sind aber weder Mitglieder noch Vorstand „wirtschaftlich Beteiligte“.121 Außerdem schränkt § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO die PKH für juristische Personen und Personenvereinigungen auf solche Fälle ein, bei denen ein Unterlassen der Rechtsverfolgung oder der Rechtsverteidigung „allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde“.122 Nach der Rechtsprechung liegt ein allgemeines Interesse an der Rechtsverfolgung vor, wenn der Rechtsstreit erhebliche soziale oder ökonomische Wirkungen haben kann, z. B. bei Betroffenheit zahlreicher Arbeitnehmer oder Kleingläubiger.123 Kein solches Interesse liege dagegen vor, wenn nur 36 Gläubiger betroffen sind, die überwiegend mit der notleidenden Gesellschaft konzernmäßig verflochten sind.124 Allerdings ist fraglich, ob diese Rechtsprechung heute unverändert fortgeführt werden kann, denn Art. 47 Abs. 3 der EU-Grundrechtecharta garantiert in seiner Auslegung durch den EuGH auch juristischen Personen zumindest im Grundsatz die Gewährung von Prozesskostenhilfe.125 Diese Vorschrift lässt nach Ansicht des EuGH die Rücksichtnahme auf die Umstände des konkreten Falles zu, erlaube aber Einschränkungen nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit und unter Berücksichtigung von einzelfallbezogenen Faktoren wie Streitgegenstand, Erfolgsaussichten, Bedeutung des Rechtsstreits für die betroffene juristische Person, Komplexität des geltenden Rechts und Fähigkeit zur wirksamen Verteidigung.126 Gemäß § 114 Satz 1 ist weiterhin Voraussetzung für PKH, dass die Rechtsverfolgung hinreichende Erfolgsaussicht hat und nicht mutwillig erscheint. Dies steht potentiell im Gegensatz zu Art 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/8/EG, welcher eine Ablehnung des PKH-Antrags nur bei „offensichtlich unbegründeten Verfahren“ vorsieht.127 Allerdings erlaubt die Richtlinie in Art. 6 Abs. 2 ausdrücklich eine solche Vorprüfung der Erfolgsaussichten, wenn vorprozessuale Rechtsberatung angeboten wird, was in Deutschland durch die Beratungshilfe gegeben ist. Die Rechtslage in Deutschland ist daher noch europarechtskonform. Für das Verfahren bei eingehenden Anträgen aus EU-Staaten (mit Ausnahme von Dänemark, Art. 1 Abs. 3 Richtlinie 2003/8/EG) auf grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe gilt § 1078 ZPO. Es sind entweder die deutschen Formulare oder die im Europäischen Gerichtsatlas128 bereitgestellten Formulare aus der Richtlinie zu benutzen. Die Einreichung in deutscher

119 120 121 122 123 124 125 126 127 128

Der EWR umfasst neben der EU auch Island, Liechtenstein und Norwegen. OLG München 28. 10. 2002 – 7 U 4716/02 – ZIP 2002, 2131. Zimmermann ZPO (8. Aufl. 2008) § 116 Rn. 26. Zur Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift BVerfG 3. 7. 1973 – 1 BvR 153/69 – BVerfGE 35, 348. BGH 5. 11. 1985 – X ZR 23/85 – NJW 1986, 2058. OLG München 28. 10. 2002 – 7 U 4716/02 – ZIP 2002, 2131. EuGH 22. 12. 2010 – C-279/09 – EuZW 2011, 137 – DEB GmbH ./. Bundesrepublik Deutschland. EuGH 22. 12. 2010 – C-279/09 – EuZW 2011, 137, Rn. 61. Kritisch daher Büttner AnwBl 2007, 477, 482. http://ec.europa.eu/justice_home/judicialatlascivil/html/index_de.htm.

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III. Zugang zum Recht

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Sprache ist zwingend (§ 1078 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Bei Antragstellern aus Staaten mit wesentlich höheren Lebenshaltungskosten als in Deutschland kommt eine besondere Bedürftigkeit gemäß § 1078 Abs. 3 ZPO in Betracht.

b) Prozess im Ausland. Die deutsche Prozesskostenhilfe bezieht sich nur auf inländische Ver- 56 fahren. Für Verfahren im Ausland gelten hinsichtlich Prozesskostenhilfe und ähnlicher Instrumente des legal aid jeweils die dortigen Vorschriften, es gilt forum regit processum. Allerdings garantiert die Richtlinie 2003/8/EG im EU-Ausland die Gewährung von Prozesskostenhilfe für natürliche Personen mit Wohnsitz in einem EU-Mitgliedstaat. Die Richtlinie gilt aber nicht im Verhältnis zu Dänemark (Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie). Für das Verfahren bei einem Antrag auf Prozesskostenhilfe im Rahmen dieser Richtlinie 57 gilt § 1077 ZPO. Danach ist das Amtsgericht als Übermittlungsstelle zuständig, in dem der Antragsteller seinen Wohnsitz hat. Das Amtsgericht übersendet den Antrag an die jeweils zuständige Empfangsstelle in dem anderen Mitgliedstaat. Ist der Antrag offensichtlich unbegründet oder fällt er offensichtlich nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/8/EG, so kann das Amtsgericht die Übermittlung durch Beschluss verweigern (§ 1077 Abs. 3 ZPO); so z. B. bei erheblichen formalen Mängeln und unvollständigen Angaben.129 Nach der Rechtsprechung des EuGH haben darüber hinaus und unabhängig von der Richtli- 58 nie 2003/8/EG auch juristische Personen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten innerhalb der EU jedenfalls im Grundsatz einen Anspruch auf Prozesskostenhilfe; dies ergebe sich aus Art. 47 Abs. 3 der EU-Grundrechtecharta (dazu oben bei Rn. 53).130

c) Beratungshilfe. Für Rechtsberatung außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens gewährt das 59 deutsche Recht Beratungshilfe nach Maßgabe der §§ 1 ff. BerHG unter im wesentlichen denselben Voraussetzungen wie die Prozesskostenhilfe. Dies gilt gemäß § 10 BerHG auch für Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug im Sinne der Richtlinie 2003/8/EG. Die Hilfe umfasst nicht nur die außergerichtliche Beratung, sondern auch die Unterstützung bei ein- oder ausgehenden Anträgen auf Prozesskostenhilfe innerhalb der EU. Da der Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/8/EG auf natürliche Personen beschränkt ist (Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie), ist auch § 10 BerHG zunächst auf diese beschränkt. Angesichts des vom EuGH in Auslegung von Art. 47 EU-Grundrechtscharta postulierten Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz auch für juristische Personen131 kommt aber hier eine analoge Anwendung auch auf juristische Personen in Betracht. 2. Kollektiver Rechtsschutz Im Bereich des Lauterkeitsrechts gibt es – gerade in Deutschland seit Einführung der UWG- 60 Verbandsklage im Jahre 1896 – eine lange Tradition von Instrumenten des kollektiven Rechtsschutzes. Dies passt zu der anerkannten marktordnenden und regulierenden Funktion dieses Rechtsgebiets; hier spielt private enforcement im öffentlichen Interesse seit langem eine wichtige Rolle. Bei rechtsvergleichender Betrachtung lassen sich hier zwei Arten von Phänomenen unterscheiden: Einerseits gibt es Formen der gebündelten Geltendmachung ohnehin schon bestehender subjektiver Rechte, die in der Regel als Gruppen- oder Sammelklagen bezeichnet werden. Paradigmatisch ist hier die US-amerikanische class action, in der ein vom Gericht ernannter Repräsentant die addierten Ansprüche der Gruppenmitglieder vertritt, sofern diese 129 OLG Hamm 3. 2. 2010 – 5 WF 11/10 – BeckRS 2010, 4810. 130 EuGH 22. 12. 2010 – C-279/09 – EuZW 2011, 137 – DEB GmbH. 131 EuGH 22. 12. 2010 – C-279/09 – EuZW 2011, 137 – DEB GmbH.

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

nicht ihren Austritt aus dem Verfahren erklären.132 Innerhalb dieser Phänomene unterscheidet man wiederum opt-in und opt-out-Verfahren: Die US-amerikanische Sammelklage ist ein optout-Verfahren, weil ein Gruppenmitglied explizit austreten muss, wenn es nicht an die Verfahrenswirkungen gebunden sein möchte, während bei opt-in-Verfahren – wie es sie z. B. in Skandinavien gibt133 – ein Gruppenmitglied nur nach ausdrücklichem Beitritt an den Wirkungen des Verfahrens teilhat. 61 Eine zweite Kategorie von Verfahren sind solche, in denen es nicht um die gebündelte Durchsetzung individueller subjektiver Rechte geht, sondern in denen zusätzliche originäre Interventionskompetenzen ohne Rücksicht auf individuelle Betroffenheit geschaffen werden, die der Durchsetzung des objektiven Rechts dienen. Das klassische Modell dieser Interventionskompetenzen sind die Popularklagen des römischen Rechts.134 Heute gibt es die Popularklage z. B. im deutschen Patent- und Markenrecht135 sowie im Ausland z. B. im australischen Lauterkeits- und Kartellrecht, wo „any other person“ vor Gericht gegen unlauteres Wettbewerbsverhalten vorgehen kann.136 Die in Deutschland bestehende lauterkeitsrechtliche Verbandsklagebefugnis gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2–4 UWG lässt sich als eingeschränkte Popularklage begreifen: Einerseits ist eben nicht wie in Australien jedermann klagebefugt, sondern nur die in der Vorschrift genannten Verbände und Institutionen; andererseits wird aber bei diesen – anders als in § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG – gerade keine individuelle Betroffenheit vorausgesetzt. Die 2018 eingeführte Musterfeststellungsklage (§§ 606 ff. ZPO) ist als Verbandsklage konzipiert, wirkt jedoch in Form der dort zu treffenden Feststellungen auf individuelle Ansprüche, sofern die betroffenen Verbraucher diese Ansprüche in einem besonderen Klageregister anmelden. 62 Im internationalen Wettbewerbsverfahrensrecht werfen diese Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes insbesondere Fragen der Prozessführungsbefugnis (Rn. 100 ff.), der internationalen Zuständigkeit (unten Rn. 198) sowie der Anerkennung ausländischer Entscheidungen (Rn. 293) auf, die im Folgenden im jeweiligen systematischen Kontext erörtert werden.

IV. Außergerichtliche Streitbeilegung 1. Abmahnverfahren 63 Die Soll-Vorschrift zur Abmahnung in § 12 Abs. 1 UWG ist nicht auf deutsche Beteiligte beschränkt. Sie entfaltet daher ihre Wirkung als Obliegenheit – mit Blick auf die Vermeidung der Kostenfolge des § 93 ZPO – auch in vor deutschen Gerichten zu führenden Verfahren mit Auslandsberührung.137 Als Verfahrensvorschrift hängt ihre Geltung auch nicht von der Anwendung deutschen Sachrechts ab. Auch für die in Rechtsprechung und Literatur anerkannte Entbehrlichkeit der Abmahnung bei Unzumutbarkeit, z. B. wegen besonderer Eilbedürftigkeit, gelten in Verfahren mit Auslandsberührung keine Sonderregeln. Bei Nutzung moderner Kommunikationsmittel kann auch gegenüber einem im entfernten Ausland ansässigen Unternehmen eine Abmahnung schnell ausgesprochen werden.

132 Vgl. nur die Darstellung der Funktionsweise der class action z. B. bei Eichholtz Die US-amerikanische Class Action und ihre deutschen Funktionsäquivalente (2002); Baetge/Eichholtz in Basedow u. a. (Hrsg.) Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozess (1999) 287 ff. 133 Vgl. die rechtsvergleichende Übersicht z. B. bei Stadler JZ 2009, 121 ff. 134 Dazu und zur Systematik Halfmeier S. 5 ff. 135 S. § 81 PatG, § 55 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG. 136 Sec. 80, Competition and Consumer Act 2010; ebenso bereits Sec. 80 Trade Practices Act 1974. Die oft befürchtete Klageflut bei Popularklagebefugnissen fand auch in Australien nicht statt, s. Frischen Unlauterer Wettbewerb und Verbraucherschutz in Australien (1994) 221 f.; Harland GRUR Int. 1992, 193, 194. 137 Lindacher S. 31.

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IV. Außergerichtliche Streitbeilegung

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Bei der Formulierung einer mit Vertragsstrafe bewehrten Unterwerfungserklärung ist in 64 Sachverhalten mit Auslandsberührung eine Gerichtsstandsklausel (zu den Anforderungen an diese siehe unten Rn. 209 und 239) empfehlenswert, um sicherzustellen, dass ein ggf. entstehender Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe auch im gewünschten Forumstaat (d. h. in der Regel im Inland) durchgesetzt werden kann: Ohne Gerichtsstandsklausel riskiert man, dass der Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe – je nach dogmatischer Einordnung – als vertragsrechtlicher Anspruch qualifiziert wird, so dass ein Verstoß gegen die Unterlassungsverpflichtung im Inland jedenfalls nicht über das im deliktsrechtlichen Bereich geltende Tatortprinzip des Art. 7 Nr. 2 EuGVO bzw. § 32 ZPO zur Zuständigkeit deutscher Gerichte führt.138

2. Mediation Gerade in Streitigkeiten mit Auslandsberührung bietet sich die außergerichtliche Mediation als 65 kosten- und ressourcenschonende Möglichkeit der Streitbeilegung an.139 Die EU-Mediationsrichtlinie findet im Grundsatz auch auf Mediationsverfahren in grenzüberschreitenden Streitigkeiten mit lauterkeitsrechtlichem Gegenstand Anwendung, da sie alle „Zivil- und Handelssachen“ betrifft.140 Sie enthält u. a. Bestimmungen zur Qualitätssicherung der Mediation und zur Sicherung der Vertraulichkeit der Mediation. In Deutschland wurde sie mit einiger Verspätung durch das Mediationsgesetz umgesetzt.141 Eines der Hauptprobleme bei der Mediation ist die Frage nach der Fortsetzung oder Siche- 66 rung der Vertraulichkeit der Mediation in Bezug auf einen bei ihrem Scheitern ggf. zu führenden Zivilprozess. Weder die EU-Mediationsrichtlinie noch das deutsche Mediationsgesetz können jedoch eine umfassende Vertraulichkeit der Mediation garantieren.142 Die Praxis versucht, eine entsprechende Wirkung mit vertraglichen Vereinbarungen – z. B. zum Verbot bestimmten Tatsachenvortrags – zu erreichen.143 Bisher gibt es aber keine Rechtsprechung zur Wirksamkeit derartiger Klauseln. Angesichts des jedenfalls im deutschen Prozessrechts herrschenden Gebots zum wahrheitsgemäßen und vollständigen Vortrag (§ 138 ZPO) bestehen diesbezüglich auch erhebliche Zweifel.144

3. Einigungsstellen Die Einigungsstellen gemäß § 15 UWG können auch in Verfahren mit Auslandsberührung ange- 67 rufen werden. Die Zuständigkeit ergibt sich in derartigen Fällen aus § 15 Abs. 4 i. V. m. § 14, d. h. entweder am Sitz oder Aufenthaltsort des Beklagten im Inland oder am Begehungsort.

4. Schiedsverfahren und andere Streitbeilegungsverfahren Für Schiedsverfahren in lauterkeitsrechtlichen Angelegenheiten mit grenzüberschreitendem 68 Bezug gelten die allgemeinen Regeln der §§ 1025 ff. ZPO.

138 Lindacher. S. 34. 139 Ausführlich dazu Schmelz-Buchhold Mediation bei Wettbewerbsstreitigkeiten (2010). 140 Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. 5. 2008 über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen, ABl. EU 2008 L 136/3. 141 BGBl 2012 I, 1577; dazu etwa Ahrens NJW 2012, 2465. 142 Eidenmüller/Prause NJW 2008, 2737, 2741; Unberath JZ 2010, 975, 978; Ahrens NJW 2012, 2465, 2468. 143 Hofmann SchiedsVZ 2011, 148. 144 Dazu insbesondere Zöller/Greger § 138 Rn. 5 m. w. N.

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

In Streitigkeiten rund um die Internet-Domain „.eu“ kommt ein Streitbeilegungsverfahren gemäß Art. 22 der EG-Verordnung 874/2004 in Betracht;145 dies ist aber nur eine Kann-Bestimmung und schließt daher ein Verfahren vor den ordentlichen Gerichten nicht aus.146 Selbst wenn der Weg über Art. 22 dieser Verordnung gewählt wird, wird das Ergebnis des dort geregelten Streitbeilegungsverfahrens nur verbindlich, wenn nicht binnen 30 Tagen ein ordentliches Gericht angerufen wird.147 Die deutsche Vergabestelle DENIC für die Domain „.de“ bietet kein eigenes Streitbeile70 gungsverfahren an, sondern ermöglicht nur einen die Übertragung der Domain sperrenden „Dispute“-Eintrag und verweist im übrigen auf ein Verfahren vor den ordentlichen Gerichten.148 Für sonstige Domain-Streitigkeiten kommt das Streitbeilegungsverfahren nach der „Uni71 form Domain Name Dispute Resolution Policy“ (UDRP) der ICANN in Betracht.149 Dieses Verfahren wird bei dazu bestimmten Institutionen durchgeführt, insbesondere bei einem von der WIPO eingerichteten Zentrum.150 Die Einleitung eines solchen Verfahrens ist jedoch fakultativ und sperrt nicht den Weg zu den ordentlichen Gerichten. Auch die Entscheidung im UDRP-Verfahren ist für ein staatliches Gericht nicht bindend.151

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V. Parteifähigkeit 1. Natürliche Personen 72 Vor einem deutschen Gericht gilt für die Parteifähigkeit zunächst § 50 ZPO als lex fori. Diese Vorschrift verweist in ihrem Abs. 1 auf den Begriff der Rechtsfähigkeit, der jedoch kollisionsrechtlich in Art. 7 EGBGB nur für die natürlichen Personen gesetzlich geregelt ist. Für diese gilt demnach das Recht ihrer Staatsangehörigkeit, was aber kaum zu Problemen führt. Hinzu kommt, dass eine ausländische Norm, die einzelnen oder bestimmten Gruppen von Menschen die Rechtsfähigkeit verweigern wollte, nicht mit dem deutschen ordre public gemäß Art. 6 EGBGB vereinbar wäre.

2. Gesellschaften u. a. 73 a) Zusammenhang zwischen Rechtsfähigkeit und Parteifähigkeit. Für Gesellschaften oder andere Personenvereinigungen sowie verselbständigte Vermögensmassen stellt sich in Sachverhalten mit Auslandsbezug die Sachlage komplizierter dar. Eine gesetzliche Regelung zur Ermittlung ihrer Rechtsfähigkeit gibt es bisher in Deutschland nicht.152 Auch die europarechtlichen Rom-Verordnungen nehmen diese Frage ausdrücklich aus ihrem Anwendungsbereich aus.153

145 Verordnung (EG) Nr. 874/2004 der Kommission vom 28. 4. 2004 zur Festlegung von allgemeinen Regeln für die Durchführung der Domäne oberster Stufe „.eu“ und der allgemeinen Grundregeln für die Registrierung, ABl. EU 2004 L 162/40. 146 LG München I 27. 1. 2007 – 9HK O 17901/06 – MMR 2007, 395, 396. 147 Art. 22 Abs. 13 VO (EG) 874/2004, dazu OLG Düsseldorf 11. 9. 2007 – I-20 U 21/07 – MMR 2008, 107, 108. 148 Vgl. zum Dispute-Eintrag www.denic.de/de/faqs.html. 149 Dazu www.icann.org/en/help/dndr/udrp; Überblicke aus deutscher Sicht bei Hoeren/Sieber/Bettinger Handbuch Multimedia-Recht Teil 6.2; MünchKommBGB/Heine § 12 BGB Rn. 299 ff. 150 www.arbiter.wipo.int. 151 KG 21. 10. 2011 – 5 U 56/10 – BeckRS 2012, 3029. 152 Vgl. aber den Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums für ein Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen vom 14. 12. 2007, dazu Wagner/Timm IPRax 2008, 81. 153 Siehe Art. 1 (2) (a) der Rom I-VO Nr. 593/2008.

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V. Parteifähigkeit

Einleitung

Zur Ermittlung der Parteifähigkeit einer solchen nicht-natürlichen „Person“ werden daher verschiedene Lösungswege vertreten: Eine am Wortlaut des Gesetzes (§ 50 Abs. 1 ZPO) orientierte Auffassung geht auch hier über den Begriff der Rechtsfähigkeit vor und prüft, ob die fragliche „Person“ nach den anzuwendenden kollisionsrechtlichen Regeln (dazu unten bei Rn. 78 ff.) rechtsfähig ist; daraus ergibt sich dann auch die Antwort auf die Frage nach der Parteifähigkeit.154 Eine andere Meinung geht davon aus, dass es im deutschen internationalen Zivilprozessrecht eine ungeschriebene Kollisionsregel gebe, wonach sich die Parteifähigkeit nach dem Prozessrecht des – wiederum kollisionsrechtlich zu bestimmenden – „Heimatstaates“ bestimme, d. h. dass insoweit auf das ausländische Prozessrecht Rücksicht genommen werden solle.155 Es reiche daher aus, dass das fragliche Gebilde nach seinem Personalstatut parteifähig ist, ob es auch rechtsfähig ist, sei irrelevant.156 Diese Meinung wird z. T. noch dahingehend ergänzt, dass auch solche „Personen“ in Deutschland parteifähig seien, die nach ihrem Personalstatut zwar rechtsfähig, aber nicht parteifähig seien sowie schließlich auch solche Gruppierungen, die einem inländischen parteifähigen Verband ausreichend ähnlich sind.157 Die beiden zuletzt dargestellten Meinungen sind aus zwei Gründen problematisch: Erstens bedarf es keiner „ungeschriebenen Kollisionsnorm“, wenn das Gesetz – wie hier – in § 50 Abs. 1 ZPO eindeutig ist. Zweitens beruht die Diskussion im Wesentlichen auf einer durch die jüngeren Entwicklungen im deutschen Recht weitgehend überholten Begrifflichkeit: Die Rechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft ist von der Rechtsprechung heute anerkannt,158 auch wenn z. T. noch von einer „Teilrechtsfähigkeit“ gesprochen wird.159 Auch der Gesetzgeber spricht heute in § 14 Abs. 2 BGB von „rechtsfähigen Personengesellschaften“, so dass diesbezüglich eine Differenzierung zwischen Rechtsfähigkeit und Parteifähigkeit nicht mehr sinnvoll erscheint.160 Eine Lösung der Problematik muss am Charakter der Parteifähigkeit ansetzen, welche die „prozessuale Seite der Rechtsfähigkeit“161 darstellt. Eine Parteifähigkeit ohne Rechtsfähigkeit ist daher schwer vorstellbar und nur bestenfalls in Ausnahmefällen aus pragmatischen Erwägungen zuzulassen. Im Hinblick auf derartige Ausnahmefälle erscheint eine getrennte Betrachtung von Aktiv- und Passivprozessen angezeigt. Ein Aktivprozess eines aus deutscher Sicht nicht rechtsfähigen Gebildes widerspricht § 50 Abs. 1 ZPO und ist auch nicht sinnvoll, denn wer keine Rechte haben kann, hat auch nichts, was im Prozess durchzusetzen wäre. Anders mag es beim Passivprozess sein: Hier ist mit Rücksicht auf die früher geltende Fassung des § 50 Abs. 2 ZPO (seinerzeit nur passive Parteifähigkeit des nicht rechtsfähigen Vereins) eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auf nicht rechtsfähige Auslandsgebilde befürwortet worden.162 Auf dieser Grundlage kann somit ausnahmsweise ein aus deutscher Sicht nicht rechtsfähiges und nach ausländischem Recht gegründetes Gebilde in Deutschland trotzdem verklagt 154 So die Vorgehensweise in BGH 9. 7. 1965 – Ib ZR 83/63 – GRUR 1966, 104, 105; OLG Frankfurt/Main 24. 4. 1990 – 5 U 18/88 – NJW 1990, 2204; OLG Düsseldorf 8. 1. 1993 – 17 U 82/92 – NJW-RR 1993, 999, 1000. 155 Vgl. BGH 17. 10. 1968 – VII ZR 23/68 – BGHZ 51, 27, 28 (Rücksichtnahme auf schweizerische Regelungen zur Parteifähigkeit); BGH 3. 2. 1999 – VIII ZB 35/98 – NJW 1999, 1871, 1872; MünchKommZPO/Lindacher § 50 Rn. 55 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald § 43 Rn. 3; Prütting/Gehrlein Einl ZPO Rn. 70; Wagner ZZP 117 (2004) 305, 363; Schack Rn. 598 m. w. N. 156 Pagenstecher ZZP 64 (1951) 249 ff. 157 Lindacher S. 70 unter Verweis auf Soergel/Lüderitz BGB (12. Aufl. 1996) Anhang zu Art. 10 EGBGB Rn. 29. 158 BGH 29. 1. 2001 – II ZR 331/00 – BGHZ 146, 341. 159 BGH 4. 12. 2008 – V ZB 74/08 – BGHZ 179, 102 Rn. 10. Der Begriff der Teilrechtsfähigkeit ist aber keine Besonderheit der BGB-Gesellschaft, denn auch die „echte“ juristische Person ist stets nur teilrechtsfähig in dem Sinne, dass ihr auf den lebenden Menschen zugeschnittene Rechte nicht zustehen können, vgl. nur MünchKommBGB/ Reuter (6. Aufl. 2012) vor § 21 Rn. 15 ff. 160 So aber noch Schack Rn. 598, wenn er § 124 HGB so interpretiert, dass darin Parteifähigkeit gewährt, Rechtsfähigkeit jedoch „versagt“ bleibe. 161 Rosenberg/Schwab/Gottwald § 43 Rn. 2, wo aber die Parteifähigkeit ohne Rechtsfähigkeit für grundsätzlich möglich gehalten wird. 162 Vgl. Zöller/Althammer § 50 Rn. 30.

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

werden.163 Damit erspart man insbesondere den Gläubigern einer Briefkasten- oder Scheinauslandsgesellschaft die Suche nach den wahren Akteuren und ermöglicht ihnen ein Urteilsrubrum, welches bei der ggf. im Ausland durchzuführenden Vollstreckung nützlich sein kann.164 Dies ist aber als pragmatische Ausnahme von dem Grundsatz der Kongruenz zwischen Rechtsund Parteifähigkeit anzusehen.

b) Kollisionsrechtliche Grundsätze zur Beurteilung der Rechtsfähigkeit 78 aa) Sitztheorie. Da § 50 Abs. 1 ZPO zur Beurteilung der Parteifähigkeit auf die Rechtsfähigkeit verweist, muss letztere mit den Mitteln des Kollisionsrechts festgestellt werden. Die deutsche Rechtsprechung wendet mangels gesetzlicher Regelung traditionell die Sitztheorie an, nach der sich die Rechtsfähigkeit einer Personenvereinigung nach dem Recht des Staates beurteilt, in dem diese ihren tatsächlichen Verwaltungssitz hat.165 Dies gilt jedoch aufgrund der europarechtlichen Entwicklungen heute nur noch für Gesellschaften oder andere Personenvereinigungen, die nicht nach dem Recht eines EU- oder EWR-Staates wirksam gegründet wurden. Sind diese nach dem Recht eines solchen Drittstaates z. B. als Kapitalgesellschaft gegründet, haben sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz jedoch in Deutschland, so sind sie nur gemäß den Bestimmungen und unter den Voraussetzungen des deutschen Rechts rechts- und parteifähig.166 Außerdem ist zu beachten, dass die Sitztheorie wegen Art. 4 Abs. 1 EGBGB eine Gesamtverweisung darstellt, d. h. einer Rück- oder Weiterverweisung ist ggf. zu folgen.167 79 Liegt also der tatsächliche Verwaltungssitz des fraglichen Gebildes in Deutschland, so kommen nach der Sitztheorie die deutschen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften zur Anwendung, die z. B. für die Entstehung einer Personengesellschaft keine Registereintragung voraussetzen. Allerdings wurde im Rahmen der Sitztheorie auch die weitergehende Auffassung vertreten, dass solche Scheinauslandsgesellschaften in Deutschland gar nicht parteifähig seien.168 Eine solche Sanktion erscheint jedoch nicht notwendig,169 da der Gläubigerschutz und andere zentrale Schutzanliegen der Sitztheorie auch durch Behandlung als inländische Gesellschaftsform ausreichend zur Geltung kommen. Man geht daher heute mit Recht davon aus, dass Scheinauslandsgesellschaften mit tatsächlichem Verwaltungssitz im Inland in der Regel als Personengesellschaften einzuordnen sind, d. h. je nach geschäftlicher Tätigkeit typischerweise als BGBGesellschaft oder als OHG.170 Eine Einpersonen-Kapitalgesellschaft, die nach ausländischem Recht gegründet ist, aber in Deutschland ihren tatsächlichen Verwaltungssitz hat, wäre in diesem Sinne als Einzelkaufmann oder sonstige natürliche Person zu betrachten; eine Klage als „Gesellschaft“ kann sie nicht erheben.171

80 bb) Gründungstheorie innerhalb EWR. Die Sitztheorie gilt aber nicht für Gesellschaften und sonstige Personenvereinigungen, die nach dem Recht eines EU- oder EWR-Staat wirksam gegründet sind. Diese kommen vielmehr in den Genuss der europarechtlich garan-

163 BGH 21. 3. 1986 – V ZR 10/85 – BGHZ 97, 269; ebenso unter Berufung auf den „Rechtsgedanken des § 50 II ZPO“ BGH 13. 9. 2004 – II ZR 276/02 – NJW 2004, 3706, 3707. 164 Schack Rn. 599. 165 BGH 27. 10. 2008 – II ZR 158/06 – BGHZ 178, 192 Rn. 19 ff. m. w. N. 166 BGH 1. 7. 2002 – II ZR 380/00 – BGHZ 151, 204. 167 BGH 13. 9. 2004 – II ZR 276/02 – NJW 2004, 3706, 3707. 168 Staudinger/Großfeld Internationales Gesellschaftsrecht (1998) Rn. 427. 169 Von „Übermaß“ spricht mit Recht Lindacher S. 71. 170 BGH 1. 7. 2002 – II ZR 380/00 – BGHZ 151, 204, 207. 171 Lindacher S. 71.

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VI. Prozessfähigkeit und gesetzliche Vertretung

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tierten Niederlassungsfreiheit. Für sie gilt daher die Gründungstheorie, d. h. sie sind nach den Vorschriften des Gründungsrechts rechtsfähig, ohne dass es auf den Ort des tatsächlichen Verwaltungssitzes ankäme.172

cc) Bilaterale völkerrechtliche Verträge. Schließlich sind auch bilaterale völkerrechtliche 81 Verträge zu berücksichtigen, und zwar insbesondere der Deutsch-Amerikanische Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag von 1954.173 Aufgrund dieses Vertrags gilt auch für in den USA gegründete Gesellschaften die Gründungstheorie, d. h. der tatsächliche Verwaltungssitz ist irrelevant. In der Literatur wird teilweise gefordert, dass die Anerkennung der Rechtsfähigkeit einer solchen Gesellschaft einen „genuine link“ mit den USA voraussetze.174 Diese Ansicht findet im Wortlaut des Abkommens aber keine Stütze und ist auch sachlich nicht berechtigt: Die alltägliche Nutzung englischer „Briefkasten“-Limited-Gesellschaften und anderer Gesellschaftsformen aus dem EWR-Raum in Deutschland zeigt, dass der inländische Rechtsverkehr mit diesen Phänomenen vernünftig umgehen kann. Daher spricht nichts dagegen, in Ansehung des o.g. deutsch-amerikanischen Vertrags auch eine in Delaware gegründete „Briefkasten“-Incorporated als rechtsfähiges Gebilde zu akzeptieren. Eine Ausdehnung der den US-Gesellschaften gewährten Anerkennung auf Gesellschaften aus anderen Nicht-EU/EWR-Staaten im Sinne des Meistbegünstigungsprinzips nach GATT hat der BGH allerdings abgelehnt (s. oben Rn. 34). dd) Ausblick. Rechtspolitisch ist zu konstatieren, dass die Sitztheorie heute überholt ist. 82 Sie war immer schon gewichtigen Einwänden ausgesetzt.175 Sie kann heute aber auch ihren einst verfolgten Ordnungszweck kaum noch erreichen, weil der Rechtsverkehr in Deutschland sich durch die dargestellten Entwicklungen ohnehin mit vielfältigen Gesellschaftsformen aus dem EU/EWR-Bereich sowie aus den USA auseinandersetzen muss. Auch der beabsichtigte Gläubigerschutz erscheint kaum noch glaubwürdig, wenn selbst eine deutsche GmbH bei entsprechender Firmierung mit einem Stammkapital von einem Euro auskommt.176 All dies passt eher zu der auf Selbstverantwortung und Information setzenden Gründungstheorie. Diese sollte daher – wie 2008 im Bundesjustizministerium vorgeschlagen177 – vom Gesetzgeber auch für Nicht-EU/EWR-Gesellschaften eingeführt werden. Zwingende Regelungsinteressen des Forumsstaates können auch unter Geltung der Gründungstheorie berücksichtigt werden, z. B. über den Begriff der Eingriffsnormen, über den ordre public oder über im Einzelfall auszubildende Sonderanknüpfungen.178

VI. Prozessfähigkeit und gesetzliche Vertretung 1. Natürliche Personen So wie die Rechtsfähigkeit sich verfahrensrechtlich in der Parteifähigkeit widerspiegelt, so fin- 83 det auch die materiell-rechtliche Geschäftsfähigkeit ihr verfahrensrechtliches Pendant in der 172 BGH 19. 9. 2005 – II ZR 372/03 – BGHZ 164, 148, 151 ff.; vgl. EuGH 30. 9. 2003 – C-167/01 – Slg. 2003 I-10155 = NJW 2003, 3331 – Inspire Art. 173 BGBl. 1956 II 487. 174 MünchKommBGB/Kindler IntGesR Rn. 342; dagegen Damann RabelsZ 2004, 607, 644. 175 Dazu insbesondere Behrens RabelsZ 52 (1988) 498 ff. 176 § 5a Abs. 1 GmbHG, vgl. nur Michalski/Miras GmbHG § 5a Rn. 17. 177 Vgl. Wagner/Timm IPRax 2008, 81. 178 Behrens Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung im internationalen und europäischen Recht (2. Aufl. 1997) Rn. IPR 22 ff.

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

Prozessfähigkeit.179 Zur Prozessfähigkeit von Ausländern werden im wesentlichen zwei Meinungen vertreten: Die wohl überwiegende Ansicht interpretiert den ersten Halbsatz des § 55 ZPO als verfahrensrechtliche Kollisionsnorm, d. h. die Prozessfähigkeit werde nach dem Prozessrecht des „Heimatstaates“ der jeweiligen Person bestimmt.180 Hinzu komme dann noch die in § 55 ZPO, zweiter Halbsatz, geregelte Möglichkeit, dass schon nach der lex fori – d. h. vor deutschen Gerichten nach deutschem Recht – Prozessfähigkeit besteht.181 Im Ergebnis geht diese Ansicht also davon aus, dass vor deutschen Gerichten prozessfähig ist, wer entweder nach dem Prozessrecht des Heimatstaates oder nach deutschem Prozessrecht prozessfähig ist.182 Ebenso wie bei der Parteifähigkeit ist aber auch bei der Prozessfähigkeit wieder die Be84 trachtung über den Weg des Kollisionsrechts möglich. Dafür spricht immerhin § 52 ZPO, der die Prozessfähigkeit an die materiell-rechtliche Fähigkeit, sich vertraglich zu verpflichten, bindet. Wählt man diesen Weg, so wäre über den Weg des Kollisionsrechts (d. h. bei natürlichen Personen über Art. 7 EGBGB) die Geschäftsfähigkeit zu ermitteln und aus dieser dann auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen der Prozessfähigkeit zu schließen.183 Zusätzlich ist jedoch auch nach dieser Ansicht § 55 ZPO zu beachten, so dass schon eine nach deutschem Recht bestehende Prozessfähigkeit ausreicht.184 Die zuletzt dargestellte Meinung ist vorzuziehen, da die Prozessfähigkeit möglichst eng 85 an die Geschäftsfähigkeit zu binden ist. Dies verlangt auch der Wortlaut des § 52 ZPO, der nicht auf Deutsche beschränkt ist. Die Vorschrift des § 55 ZPO erweitert insoweit nur die Prozessfähigkeit mit Rücksicht auf die in Deutschland geltenden Regeln. Unabhängig von dem dargestellten Meinungsstreit muss man davon ausgehen, dass sich 86 eine in Deutschland ausgesprochene Beschränkung der Geschäftsfähigkeit, d. h. die Bestellung eines Betreuers durch ein deutsches Gericht, stets durchsetzt.185 Dies ergibt sich aus Art. 24 Abs. 1 Satz 2 EGBGB. In diesem Fall ist der Betreute nicht prozessfähig, soweit der Umfang der Betreuung betroffen ist. Umgekehrt gilt dies jedoch nicht: Eine im Ausland ausgesprochene Betreuung – oder eine vergleichbare Beschränkung der Geschäfts- und Prozessfähigkeit – schadet der Prozessfähigkeit im Inland wegen § 55 ZPO nicht, wenn die fragliche Person nach deutschem Recht prozessfähig wäre.186

2. Gesellschaften u. a 87 Bei Gesellschaften und sonstigen Personenvereinigungen oder verselbständigten Vermögensmassen will der Begriff der Prozessfähigkeit nicht recht passen. Vielmehr ist hier nach dem gesetzlichen Vertreter des jeweiligen Gebildes zu fragen. Dafür gelten die bisher ungeschriebenen Kollisionsregeln des internationalen Gesellschaftsrecht (s. oben Rn. 78 ff.). Mithin gilt also für die Vertretung solcher Gesellschaften, die nach dem Recht eines EU- oder EWRMitgliedstaates gegründet wurden, aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes dieses Gründungsrecht. Für Gesellschaften, die nach dem Recht eines sonstigen Staates gegründet wurden, gilt nach der insoweit vom Bundesgerichtshof weiter vertretenen Sitztheorie das Recht am Ort ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes. 88 Bei einer nach ausländischem (Drittstaaten-)Recht gegründeten Gesellschaft mit tatsächlichem Verwaltungssitz im Inland kann dies dazu führen, dass z. B. ein nach dortigem Recht 179 180 181 182 183 184 185 186

Rosenberg/Schwab/Gottwald § 44 Rn. 2. Schack Rn. 603 m. w. N. Prütting/Gehrlein § 55 Rn. 1; Lindacher S. 72 m. w. N. Lindacher S. 72. Vgl. BGH 7. 12. 1955 – IV ZR 177/55 – JZ 1956, 535; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 55 ZPO Rn. 1. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 55 ZPO Rn. 1. Prütting/Gehrlein § 55 Rn. 1. Prütting/Gehrlein § 55 Rn. 1.

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VII. Prozessführungsbefugnis

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bestellter Fremdgeschäftsführer (director o.ä.) aus deutscher Sicht nicht gesetzlicher Vertreter der Gesellschaft ist, weil diese Gesellschaft ggf. als OHG oder BGB-Gesellschaft zu betrachten ist (s. oben Rn. 79) und somit nur von ihren Gesellschaftern gesetzlich vertreten wird. Allerdings mag man dann diese Bestellung eines externen Geschäftsführers als rechtsgeschäftliche Erteilung einer der jeweiligen Stellung entsprechenden Vertretungsmacht einordnen.187

VII. Prozessführungsbefugnis Als Prozessführungsbefugnis bezeichnet man die Möglichkeit, ein Recht im eigenen Namen gel- 89 tend zu machen.188 Dies ist im Grundsatz unproblematisch, soweit es um Rechte geht, die materiell-rechtlich dem Kläger zugewiesen sind. Die Prozessführungsbefugnis ist daher nur dann problematisch, wenn entweder dem Rechtsträger diese Befugnis entzogen ist – wie etwa im Insolvenzverfahren dem Schuldner – oder wenn umgekehrt jemand ein Recht vor Gericht geltend machen möchte, das ihm materiell-rechtlich nicht zugewiesen ist.

1. Parteien kraft Amtes und gesetzliche Prozessstandschaft Insbesondere der Insolvenzverwalter (aber auch Nachlassverwalter und Testamentsvollstre- 90 cker) ist kraft seines Amtes zur Geltendmachung fremder Rechte befugt und hat insoweit auch Prozessführungsbefugnis. Diese Wirkung kann sich auch aus einem im Ausland angeordneten Insolvenzverfahren ergeben, soweit dessen Wirkungen in Deutschland anerkannt werden. Für Insolvenzverfahren in EU-Staaten (mit Ausnahme von Dänemark) ergibt sich letzteres aus Art. 20 Abs. 1 VO (EU) 2015/848 (EuInsVO) für die Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sowie aus Art. 32 Abs. 1 EuInsVO für sonstige Entscheidungen bei Durchführung oder Beendigung eines Insolvenzverfahrens. Für Insolvenzverfahren aus Nicht-EU-Mitgliedstaaten regelt das deutsche Insolvenzrecht die Anerkennung der Wirkungen der Eröffnung eines solchen Verfahrens (§ 343 Abs. 1 InsO) und sonstiger Entscheidungen zur Durchführung oder Beendigung des Insolvenzverfahrens einschließlich Sicherungsmaßnahmen (§ 343 Abs. 2 InsO). Alle diese Vorschriften stimmen darüber ein, dass die Frage der Anerkennung eines ausländischen Insolvenzverfahrens ohne besonderes Verfahren inzident zu prüfen sind, wenn es z. B. um die Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters (oder um den Mangel derselben beim Gemeinschuldner) geht. Sowohl § 343 InsO als auch Art. 33 EuInsVO enthalten auch den Vorbehalt des inländischen ordre public als Grenze der Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren. Sie unterscheiden sich allerdings darin, dass bei Insolvenzverfahren in Drittstaaten gemäß § 343 Abs. 1 InsO die Anerkennung auch die Zuständigkeit der dortigen Gerichte nach dem Spiegelbildprinzip voraussetzt. Im Bereich der EuInsVO kann dagegen die Zuständigkeit des im EU-Ausland belegenen Gerichts nicht überprüft werden.189 Bei der Behandlung sonstiger Fälle gesetzlicher Prozessstandschaft in Sachverhalten 91 mit Auslandsberührung ist danach zu unterscheiden, ob die jeweilige Befugnis sich aus dem materiellen Recht oder aus dem Prozessrecht ergibt. Handelt es sich um eine prozessrechtliche Befugnis, so gelten im Grundsatz die deutschen Vorschriften als lex fori, es sei denn, es gibt eine ggf. anzuerkennende ausländische Entscheidung mit entsprechenden Wirkungen. Beruht die geltend gemachte Prozessstandschaft jedoch auf einer auch materiell-rechtlich zu erklären-

187 Lindacher S. 73. 188 Rosenberg/Schwab/Gottwald § 46 Rn. 1. 189 EuGH 2. 5. 2006 – C-341/04 – Slg. 2006 I-3813 Tz. 42 – Eurofood.

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

den Befugnis, so ist für das Bestehen oder Nichtbestehen derselben die kollisionsrechtlich zu ermittelnde lex causae heranzuziehen.190 92 Bei einem Trust im Sinne des angloamerikanischen Rechts ist der Trustee im Außenverhältnis der eigentliche Rechtsträger. Auch wenn er für den Trust handelt, führt er entsprechende Prozesse im eigenen Namen und aus eigenem Recht; eine Prozessstandschaft ist nicht erforderlich.191

2. Gewillkürte Prozessstandschaft 93 Nach einer gut begründeten Mindermeinung im deutschen Schrifttum ist die Konzeption der gewillkürten Prozessstandschaft als überflüssig abzulehnen, weil die Vollrechtsübertragung oder die offene Bevollmächtigung als dogmatisch einfachere und damit vorzugswürdige Alternativen zur Verfügung stehen.192 Die in Deutschland herrschende Auffassung lässt die gewillkürte Prozessstandschaft jedoch unter bestimmten Voraussetzungen zu.193 Sowohl Zulässigkeit als auch Voraussetzungen der gewillkürten Prozessstandschaft sind jedenfalls Fragen des Verfahrensrechts und unterliegen als solche der lex fori, d. h. vor deutschen Gerichten dem deutschen Recht.194

3. Inkassozession 94 Bei der Inkassozession stellt sich regelmäßig das Problem der Prozessführungsbefugnis nicht, da der Zessionar materiell-rechtlich Inhaber der Forderung wird und somit ein eigenes Recht im eigenen Namen geltend macht. Für materiell-rechtliche Fragen der Zession gilt das gemäß Art. 14 Rom I-VO anzuwendende Recht. Beschränkungen der Geltendmachung zedierter Rechte und schon der Zession selbst kön95 nen sich allerdings aus dem Gesetz über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen (RDG) ergeben. Dieses unterwirft die Erbringung außergerichtlicher „Rechtsdienstleistungen“ einer Genehmigungspflicht. Eine solche Rechtsdienstleistung liegt gemäß § 2 Abs. 2 RDG insbesondere bei „Inkassodienstleistungen“ vor, welche wiederum dort definiert sind als „Einziehung fremder oder zum Zweck der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretener Forderungen, wenn die Forderungseinziehung als eigenständiges Geschäft betrieben wird.“ Die einschlägige Rechtsprechung und Literatur bejaht eine Rechtsdienstleistung in diesem Sinne bei Inkassozessionen, die zum Zwecke der Einziehung vorgenommen werden und bei denen das wirtschaftliche Risiko im wesentlichen beim Zedenten verbleibt.195 Bei einem Forderungskauf, mit dem der Zessionar selbst das Durchsetzungsrisiko übernimmt, ist dagegen keine solche genehmigungspflichtige Rechtsdienstleistung gegeben.196

190 191 192 193

Ausführlich dazu Schack Rn. 621 ff. Wilske/Meyer ZIP 2012, 459, 462. Koch JZ 1984, 809, 815. Nämlich bei Zustimmung durch den Rechtsinhaber sowie einem eigenen Interesse des Prozesstandschafters an der Rechtsverfolgung und nicht entgegenstehenden schutzwürdigen Interessen des Beklagten, vgl. etwa BGH 3. 12. 1987 – VII ZR 374/86 – BGHZ 102, 293, 296; Zöller/Althammer vor § 50 ZPO Rn. 40. 194 Schack Rn. 627. 195 Krenzler/Offermann-Burckart, RDG (2010), § 2 Rn. 83 ff. mit Verweis auf die Motive des Gesetzgebers in BTDrucks. 16/3655, 48 f. 196 Krenzler/Offermann-Burckart, RDG (2010), § 2 Rn. 94 ff.; vgl. im Kartellrecht den zulässigen Forderungsankauf gegen Erfolgsbeteiligung, OLG Düsseldorf 14. 5. 2008 – VI U (Kart) 14/07 – BeckRS 2008, 10947; BGH 7. 4. 2009 – KZR 42/08 – GRUR-RR 2009, 319; zu diesen Fällen u. a. Weitbrecht NJW 2012, 881, 885.

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VII. Prozessführungsbefugnis

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Ein Verstoß gegen das RDG führt nach der Rechtsprechung schon zur Unwirksamkeit der Zession gemäß § 134 BGB.197 Bei Sachverhalten mit Auslandsberührung muss das RDG wegen seines streng regulierenden Zwecks – nämlich den Markt für Rechtsdienstleistungen in Deutschland zu ordnen – jedenfalls insoweit als international zwingende Norm angesehen werden (d. h. als Eingriffsnorm i.S.v. Art. 9 Rom I-VO) als es um in Deutschland zu erbringende oder sich hier auswirkende Rechtsdienstleistungen geht.198 Die im RDG enthaltenen Verbote sind daher von deutschen Gerichten stets zu beachten, ohne dass es auf das Statut der Zession oder Hauptforderung ankäme. Allerdings bedingt dieser zwingende und die Privatautonomie stark beschränkende Zweck des RDG zugleich eine restriktive Auslegung der darin enthaltenen Vorschriften. Die o.g. Rechtsprechung ist daher nur mit Einschränkungen akzeptabel. Gründen z. B. mehrere Personen eine Gesellschaft und bringen sie in diese Gesellschaft ihre Forderungen – z. B. gegen ein und denselben Schuldner – als Gesellschaftsvermögen ein, so verbietet das RDG schon deswegen nicht die Geltendmachung dieser Forderungen durch die Gesellschaft, weil die Durchsetzung eigener Forderungen keine Besorgung „fremder“, sondern eben eigener Rechtsangelegenheiten ist.199 Die Annahme, dass es sich in einem solchen Fall um „wirtschaftlich fremde“ Forderungen handelt, ist nicht überzeugend: Wirtschaftlich kommt jede Forderungsdurchsetzung einer Gesellschaft ihren Gesellschaftern zu Gute, sei es durch eine spätere Gewinnausschüttung oder nach Liquidation der Gesellschaft; trotzdem trennt die Rechtsordnung aus guten Gründen bei der Zuordnung von Forderungen zwischen den Gesellschaftern einerseits und der Gesellschaft – letztere als juristische Person oder rechtsfähige Personengesellschaft – andererseits. Es ist auch kein sachlicher Grund erkennbar, warum eine gesammelte Durchsetzung von Ansprüchen über das Vehikel einer dazu gegründeten (Zweck-)Gesellschaft nicht wünschenswert wäre; sie ist in vielerlei Hinsicht effizienter und kostengünstiger als eine Vielzahl von Einzelprozessen. Letztere Erwägung ist vor allem in Sachverhalten mit Berührung zum EU-Ausland zu beachten. Es gilt dann die Dienstleistungsfreiheit der Art. 56 ff. AEUV. Eine im EU-Ausland legale Tätigkeit – z. B. das Sammeln von Einzelansprüchen durch Abtretung mit dem Ziel der gebündelten Geltendmachung – kann im Inland somit nur gemäß Art. 62 AEUV i. V. m. Art. 52 Abs. 1 AEUV oder durch sonstige zwingende Gründe des Allgemeininteresses und unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes beschränkt werden.200 Der BGH hat diesbezüglich zum RBerG a. F. und zur grenzüberschreitenden Schuldnerberatung entschieden, dass ein ausreichendes Allgemeininteresse daran bestehe, nur ausreichend qualifizierte Personen zur Schuldnerberatung zuzulassen.201 Der Schutz hochverschuldeter Individuen vor schlechter Beratung ist aber nicht vergleichbar mit einem Fall, in dem sich etwa eine Gruppe von Gläubigern aufgrund eines rationalen Kalküls und zur effizienteren Durchsetzung z. B. ihrer gegen einen gemeinsamen Schuldner gerichteten zahlreichen Zahlungsansprüche einer Zweckgesellschaft bedient – hier sind kaum Allgemeininteressen ersichtlich, die einen Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit rechtfertigen könnten. Verbraucherzentralen und andere mit öffentlichen Mitteln geförderte Verbände dürfen allerdings Einziehungsklagen für eine Mehrzahl von Verbrauchern gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 4 RDG

197 Vgl. (noch zum RBerG) BGH 12. 4. 2011 – II ZR 197/09 – NJW 2011, 2581 Tz. 14. 198 Vgl. zur Anwendung des RBerG a. F. in grenzüberschreitenden Fällen BGH 5. 10. 2006 – I ZR 7/04 – NJW 2007, 596.

199 Koch NJW 2006, 1469, 1471; vgl. auch Mann NJW 2010, 2391. 200 Vgl. nur Schroeder Grundkurs Europarecht (5. Aufl. 2017) § 14 Rn. 161 f.; EuGH 30. 11. 1995 – C-55/94 – Slg. 1995 I-4165 Tz. 37 = NJW 1996, 579, 581 – Gebhard. 201 BGH 5. 10. 2006 – I ZR 7/04 – NJW 2007, 596, 598 unter Berufung auf EuGH 25. 7. 1991 – C-76/90 – NJW 1991, 2693 – Säger ./. Dennemeyer & Co., wobei letztere Entscheidung zwar im Prinzip schutzwürdige Allgemeininteressen zur Regulierung des Marktes für Rechtsdienstleistungen anerkennt, aber zugleich – und im Ergebnis gerade gegen das RBerG a. F. – darauf hinweist, dass derartige Anforderungen nicht außer Verhältnis zum Schutzzweck stehen dürfen (EuGH 25. 7. 1991 – C-76/90 – NJW 1991, 2693, Tz. 20).

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und § 79 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. i. V. m. Abs. 2 Nr. 3 ZPO erheben, und zwar sowohl in Form der gewillkürten Prozessstandschaft als auch in Form der Inkassozession.202 Forderungen von Unternehmern können über diesen Weg jedoch nicht gebündelt werden.203 Außerdem beschränkt die Vorschrift die Einziehungsklage auf den „Aufgabenbereich“ der Verbraucherzentrale, was in Fällen mit Auslandsberührung problematisch sein kann. Dem Wortlaut nach ist die Vorschrift nicht auf inländische Verbraucherverbände beschränkt. Das unter Geltung von Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG a. F. noch strittige einschränkende Merkmal, dass die Rechtsverfolgung „im Interesse des Verbraucherschutzes erforderlich“ sein musste,204 ist mit Schaffung des RDG aufgegeben worden und spielt daher heute keine Rolle mehr.205

4. Verbands- und Gruppenklagebefugnisse 100 a) Verband als Zessionar oder Prozessstandschafter. Soweit ein Verband als Zessionar von Einzelansprüchen auftritt, ist seine Prozessführungsbefugnis unproblematisch und es sind allenfalls die oben dargestellten Probleme des deutschen RDG zu berücksichtigen. Dasselbe gilt auch für andere im deutschen Recht anerkannte Formen der mandatierten Repräsentation individueller Ansprüche, insbesondere für die gewillkürten Prozessstandschaft, deren Zulässigkeit sich nach lex fori richtet.206

101 b) Gruppenklagebefugnisse nach ausländischem Verfahrensrecht. Daraus folgt zugleich, dass vor deutschen Gerichten eine nach ausländischem Verfahrensrecht bestehende Repräsentationsbefugnis individueller Ansprüche – etwa eine class action nach US-amerikanischem Recht – nicht zulässig ist.207 Dies würde gegen den lex fori-Grundsatz verstoßen. Ein derartiger Import fremden Verfahrensrechts ist auch sachlich nicht angezeigt: Die Frage nach der angemessenen Bündelung individueller Ansprüche und damit nach den wünschenswerten Instrumenten kollektiven Rechtsschutzes ist eine sowohl akademisch wie auch rechtspolitisch umstrittene Frage und muss daher durch den jeweiligen nationalen Gesetzgeber beantwortet werden. Davon unberührt ist der Vorrang des EU-Rechts, falls der EU-Gesetzgeber in Zukunft einen einheitlichen Rechtsakt zu Gruppenklagen erlassen sollte (s. oben Rn. 28).

102 c) Originäre Interventionskompetenzen des Verbands. Schwieriger ist jedoch die Beurteilung eigenständiger Interventionskompetenzen von Verbänden oder anderen Personen oder Institutionen, d. h. solcher Befugnisse, die mit der lauterkeitsrechtlichen Verbandsklage des § 8 Abs. 3 oder den Verbandsklagen gemäß UKlaG vergleichbar sind. Hier findet man international sehr unterschiedliche Varianten, bis hin zur lauterkeitsrechtlichen Popularklage in Australien, die von „any other person“ erhoben werden kann (s. oben Rn. 21). Die verfahrensrechtliche Behandlung derartiger Befugnisse hängt von ihrer Qualifikation ab: Man kann diese Befugnisse entweder prozessual qualifizieren, so dass sie im Grundsatz der lex fori zu unterwerfen sind. Man kann diese Befugnisse aber auch als materiell-rechtliche Ansprüche konstruieren, so dass ihre Geltendmachung keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit einer Klage wäre.

202 203 204 205 206 207

Zöller/Althammer § 79 ZPO Rn. 8; vgl. zu dieser Form der „Sammelklage“ Stadler FS Schumann (2001) 474 ff. Musielak/Voith/Weth § 79 ZPO Rn. 13. Dazu BGH 14. 11. 2006 – XI ZR 294/05 – BGHZ 170, 18. Dreyer/Geißler, in: Dreyer/Lamm/Müller (Hrsg.), RDG (2009), § 8 RDG Rn. 34. Schack Rn. 627. Schack Rn. 625; Geimer Rn. 341a; Gloy/Loschelder/Erdmann/Schütze § 11 Rn. 30.

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VII. Prozessführungsbefugnis

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aa) Materiell-rechtliche Lösung. Folgte man letzterer Auffassung, so käme eine rein materi- 103 ell-rechtliche Lösung in Betracht: In den Verbandsklagebefugnissen des UWG und des UKlaG werden im Anschluss an den Gesetzeswortlaut – zumindest in der auf Inlandsfälle bezogenen Diskussion – überwiegend materiell-rechtliche Ansprüche gesehen.208 Nähme man diese Ansicht ernst, so müsste man daraus im Hinblick auf Sachverhalte mit Auslandsberührung folgende Konsequenzen ziehen: Das anwendbare Recht ist nach dem Kollisionsrecht zu bestimmen, insbesondere gilt wegen Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO für lauterkeitsrechtliche Ansprüche das Marktortrecht. Dieses wiederum entscheidet dann über das Bestehen oder Nicht-Bestehen der als materiell-rechtliche Ansprüche gedachten Verbands- oder Popularklagebefugnisse. Man käme dann zu dem intuitiv zumindestens überraschenden Ergebnis, dass vor deutschen Gerichten eine lauterkeitsrechtliche Popularklage möglich wäre, soweit es um den Wettbewerb auf dem australischen Markt geht. Diese im Sinne der herrschenden materiell-rechtlichen Auffassung naheliegende Konsequenz, nämlich das Bestehen von Popular- oder Verbandsklagebefugnissen ausschließlich der lex causae zu unterwerfen wird allerdings in der Literatur nur sehr vereinzelt gezogen.209 Die Rechtsprechung hat im Sinne dieser materiell-rechtlichen Theorie immerhin festgestellt, dass bei deutschem Recht als lex causae auch die deutschen Verbandsklagebefugnisse gegeben sind.210 Zu einer Stellungnahme hinsichtlich der umgekehrten Konsequenz, dass nämlich bei fremder lex causae auch die fremden Verbands- oder Popularklagebefugnisse importiert würden, gab es bisher keinen Anlass.

bb) Doppelnatur der Klagebefugnis. Ein zweiter Lösungsvorschlag überträgt die von der deut- 104 schen Rechtsprechung im Zusammenhang mit Inlandsfällen entwickelte Lehre von der Doppelnatur der Verbandsklagebefugnis – nämlich zugleich als Zulässigkeits- und Begründetheitsfrage – auf Fälle mit Auslandsberührung: Danach soll eine Verbandsklage vor deutschen Gerichten nur dann möglich sein, wenn sowohl die lex fori – also das deutsche Recht – und kumulativ dazu auch die ggf. fremde lex causae eine solche Befugnis vorsehen.211 Auch der BGH schien zunächst dieser Lesart zuzuneigen,212 hat die Frage später aber ausdrücklich unbeantwortet gelassen.213 cc) Prozessuale Einordnung. Drittens schließlich kommt eine prozessuale Qualifikation von 105 Popular- oder Verbandsklagen in Betracht: Danach hängt die Möglichkeit der Geltendmachung derartiger Befugnisse nur von der lex fori ab und es ist somit irrelevant, ob die maßgebliche lex causae eine entsprechende Befugnis enthält.214 Diese Lesart ist sowohl aus grundsätzlich-dogmatischen Erwägungen wie auch in der Sache vorzugswürdig. In dogmatischer Hinsicht ist zunächst ein deutlicher Unterschied zu machen zwischen der Geltendmachung subjektiver Individualrechte, die der lex causae unterliegen sollten, und andererseits zusätzlicher Kontrollbefugnisse wie Popular- und Verbandsklagen, die sich gerade nicht als disponible und individuell zugewiesene subjektive Rechte erklären lassen. Bei ihnen handelt es sich vielmehr um kompensatorische Befugnisse, 208 Greger NJW 2000, 2457, 2462; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 UWG Rn. 1.8. 209 Wilde, in: Gloy (Hrsg.), Handbuch des Wettbewerbsrechts (1986) 58; Pfeiffer S. 726 ff.; wohl auch AnwKommBGB/Wagner Art. 40 EGBGB Rn. 71.

210 BGH 9. 7. 2009 – Xa ZR 19/08 – BGHZ 182, 24 Rn. 16. 211 Sack WRP 2017, 1298, 1302; Fezer/Büscher/Hausmann/Obergfell IntLautVerfR Rn. 526; Ahrens WRP 1994, 649, 653 ff.; Lindacher S. 79; etwas abweichend Koch JZ 1991, 1039, 1041 (formelle Fragen unterliegen der lex fori, Umfang der Befugnis nach lex causae). 212 So zumindest implizit BGH 11. 3. 1982 – I ZR 39/78 – GRUR 1982, 495, 497. 213 BGH 15. 11. 1990 – I ZR 22/89 – BGHZ 113, 11, 16; BGH 26. 11. 1997 – I ZR 148/95 – GRUR 1998, 419, 420. 214 LG München I VuR 1993, 62; Staudinger/Fezer/Koos Internationales Wirtschaftsrecht Rn. 831; Schack Rn. 625; ders. BerDGesVR 32 (1992) 315, 337; Geimer Rn. 341a; Nagel/Gottwald § 5 Rn. 32; Rott/Ropp S. 13 f.; Gloy/Loschelder/ Erdmann/Schütze § 11 Rn. 30; Halfmeier S. 282 f.; ähnlich aus Sicht des französischen Rechts Kessedjian Riv. dir. int. priv. proc. 33 (1997) 281, 291.

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mit denen Durchsetzungsdefizite der objektiven Rechtsordnung korrigiert werden sollen.215 Inwieweit letztere gesellschaftlich notwendig und erwünscht sind, entscheidet aber jede Rechtsordnung für sich. Deswegen ist die rein materiell-rechtliche Betrachtung und die mit ihr verbundene ausschließliche Anknüpfung an die lex causae abzulehnen.

106 dd) Ergebnis. Zugleich sollte aber die lex fori auch das einzige Kriterium der Zulassung von Popular- oder Verbandsklagen sein, eine Kumulation ihrer Voraussetzungen mit denen der lex causae ist ebenfalls nicht sinnvoll: Inwieweit eine Kontrollbefugnis wie die Verbandsklage auch Verhalten auf ausländischen Märkten umfassen soll, ist ebenfalls eine wertende Entscheidung, die der lex fori überlassen bleiben sollte: Ob sich z. B. die lauterkeitsrechtliche Verbandsklage des § 8 Abs. 3 als Kontrollkompetenz auch auf das Verhalten deutscher Unternehmen auf ausländischen Märkten beziehen sollte, hängt von sachlichen Erwägungen ab, die der Gesetzgeber und ggf. die Rechtsprechung anzustellen haben. Die Beantwortung dieser Frage kann daher nicht vom Inhalt der ausländischen lex causae abhängig sein.216 Im Ergebnis hängt also die Zulässigkeit eigenständiger Interventionskompetenzen durch Popular- oder Verbandsklagen nur von den Regeln der lex fori ab. 107 Daraus ergibt sich vor deutschen Gerichten in Fällen mit Auslandsberührung das folgende Bild: Ein ausländischer Beklagter wirft keine Probleme der Prozessführungsbefugnis auf, sondern ggf. solche der Zuständigkeit (dazu unten Rn. 131 ff.). Ausländische Kläger – mag es sich um Einzelpersonen, Institutionen oder Verbände handeln – können dann eine Verbandsklage in Deutschland erheben, wenn sie die im deutschen Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen.217 Es gelten insoweit also die Anforderungen der §§ 8 Abs. 3 UWG, 3 ff. UKlaG. Über den in §§ 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG, 4 UKlaG enthaltenen Verweis auf das bei der EU-Kommission geführte Verzeichnis qualifizierter Einrichtungen ist damit auch die Einhaltung der Richtlinie 2009/22/ EG sichergestellt.218 108 Am umstrittensten ist hinsichtlich der Verbandsklagebefugnis die Frage nach der Zulässigkeit der Kontrolle von Verhalten im Ausland durch eine Verbandsklage vor deutschen Gerichten. In dieser Frage ist für solche Sachverhalte, die den Markt in der EU betreffen, zunächst die vom BGH zum AGB-Recht getroffene Air Baltic-Entscheidung219 zu berücksichtigen. Dort ging es allerdings nicht um ein nur im Ausland stattfindendes Marktverhalten, sondern um ein grenzüberschreitendes Verhalten, das auch im Inland Wirkung entfaltete – nämlich durch die Verwendung der fraglichen AGB gegenüber deutschen Kunden der lettischen Fluggesellschaft. Der BGH kam daher zur Geltung deutschen Sachrechts gemäß Art. 4 Rom II-VO, wobei er aber diesem nur die Verbandsklagebefugnis des § 4a UKlaG als solche entnahm. Die Gültigkeit der AGB und damit die materiell-rechtliche Beurteilung des inkriminierten Verhaltens knüpfte der BGH dagegen gesondert an das hypothetische Vertragsstatut an und gelangte so zur Prüfung des einschlägigen lettischen Verbraucherschutzrechts.220 Auch der Europäische Ge215 Ausführlich dazu Halfmeier S. 243 ff. 216 Im Ergebnis ebenso MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 483 ff. 217 Schack Rn. 625; weitergehend Fezer/Büscher/Hausmann/Obergfell IntLautVerfR Rn. 525 im Anschluss an Lindacher FS Lüke 377, 385 und 387: Verbandsklage sei auch zulässig, wenn der Verband nach seinem Heimatrecht klagebefugt ist und eine dem deutschen Recht vergleichbare Gewähr für Seriösität und Sachkunde bietet. Dieses sachlich einleuchtende Ergebnis ist aber ggf. auch über die entsprechende Interpretation der einschlägigen Normen des deutschen Rechts zu erzielen. 218 Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 19. 5. 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutze der Verbraucherinteressen, ABl. EG 1998 L 166, 51; zu ihrer Umsetzung in den Mitgliedstaaten vgl. Rott/ Ropp S. 3 ff. 219 BGH 9. 7. 2009 – Xa ZR 19/08 – BGHZ 182, 24 = NJW 2009, 3371 m. Anm. Staudinger/Czaplinski. 220 BGH BGH 9. 7. 2009 – Xa ZR 19/08 – BGHZ 182, 24 = NJW 2009, 3371 bei Tz. 25 ff., 41 ff.; zustimmend Stadler VuR 2010, 83; eine solche Sonderanknüpfung ablehnend jedoch Baetge ZEuP 19 (2011) 930 ff.; Mankowski IPRax 1991, 305, 307.

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VIII. Postulationsfähigkeit

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richtshof unterscheidet in seiner Amazon-Entscheidung zwischen einerseits der deliktsrechtlichen Qualifikation der betreffenden Wettbewerbshandlung (Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO) und andererseits der Ermittlung des Vertragsstatuts gemäß der Rom I-VO für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Vertragsinhalte gegenüber potentiell betroffenen Verbrauchern.221 Folgt man diesen von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen, so ist ist die Überprüfung von Marktverhalten anhand ausländischer Rechtsnormen durch eine in Deutschland erhobene Verbandsklage im Grundsatz möglich. Für das Lauterkeitsrecht ergibt sich daraus folgendes: Für den EU-Markt betreffende 109 Sachverhalte kann eine Verbandsklage in Deutschland jedenfalls dann auf § 4a UKlaG gestützt werden, wenn auch der deutsche Markt betroffen ist. Diese Vorschrift bezieht sich auf innergemeinschaftliche Verstöße gegen „Gesetze zum Schutze der Verbraucherinteressen“, wobei letztere im Sinne der VO (EG) Nr. 2006/2004 zu verstehen sind. Damit sind auch die nationalen Umsetzungsvorschriften der UGPRL umfasst und mithin der größte Teil des Lauterkeitsrechts. Die Vorschrift des § 8 Abs. 5 Satz 2 UWG lässt Klagen aufgrund von § 4a UKlaG ausdrücklich auch für den Bereich des Lauterkeitsrechts zu. Eine Verbandsklage gegen ein in Deutschland ansässiges Unternehmen ist daher auch dann möglich, wenn die gerügte Rechtsverletzung den dänischen Markt betrifft und in der Sache dänisches Recht zur Anwendung kommt.222 Für Sachverhalte, die (ausnahmsweise) weder den deutschen noch den EU-Markt be- 110 treffen, ist die Frage einer Verbandsklagebefugnis jedoch weiterhin offen. Zum alten UWG wurde z. T. die Ansicht vertreten, dass eine Verbandsklage in der Sache nur auf deutsches Recht als lex causae gestützt werden könne.223 Für eine solche enge Lesart spricht immerhin auch heute noch der Wortlaut des § 8 Abs. 1, der sich explizit auf Verstöße gegen das deutsche UWG bezieht. Dieses ist aber wegen Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO in der Regel nicht anwendbar, wenn der Wettbewerb auf einem Auslandsmarkt in Rede steht. Trotzdem sollte § 8 Abs. 1 so gelesen werden, dass auch Verstöße gegen eine ausländische lex causae mit Hilfe der Verbandsklagebefugnis bekämpft werden können.224 Dafür spricht schon der völkerrechtliche Grundsatz der comitas, der schutzwürdige Interessen auf Auslandsmärkten berücksichtigt.225 Außerdem können auch auf Auslandsmärkten durchaus deutsche Verbraucher oder andere Marktteilnehmer betroffen sein.226 Eine auf den nationalen Markt beschränkte Kontrollbefugnis erscheint angesichts der zunehmenden Globalisierung der Ökonomie kaum noch vertretbar und kann dem Gesetzgeber daher auch nicht ohne weiteres unterstellt werden.227 Soweit also die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte gegeben ist – etwa wegen des Sitzes des Beklagten im Inland – sollte auch die Kontrolle von Verhalten auf ausländischen Märkten nicht ausgeschlossen sein.

VIII. Postulationsfähigkeit Unter Postulationsfähigkeit versteht das deutsche Prozessrecht die Fähigkeit, wirksam Prozess- 111 handlungen vornehmen zu können.228 Vor dem Amtsgericht ist die Partei selbst postulationsfähig (§ 79 Abs. 1 ZPO); vor dem Landgericht, dem Oberlandesgericht und dem Bundesgerichtshof

221 EuGH 28. 7. 2016 – C-191/15 – GRUR 2016, 1183, 1185 – Amazon; s. dazu Mankowski NJW 2016, 2705; Rott EuZW 2016, 733.

222 KG 26. 9. 2011 – 24 U 111/10 – WRP 2012, 102. 223 LG Aachen VuR 1994, 37, 38; OLG Köln VuR 1995, 289. 224 Fezer/Büscher/Hausmann/Obergfell Einleitung I Rn. 527; aA mit Verweis auf den Wortlaut des § 8 Sack WRP 2017, 1298, 1300. 225 Lindacher FS Lüke 377, 381. 226 Dies zeigt z. B. der Fall BGHZ 113, 11 (deutscher Wolldeckenproduzent mit Vertrieb auf Gran Canaria). 227 In diesem Sinne bereits Koch JZ 1991, 1039, 1041; Lindacher FS Lüke 377, 390; Reich RabelsZ 56 (1992) 444, 471. 228 Rosenberg/Schwab/Gottwald § 45 Rn. 1.

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

besteht jedoch Anwaltszwang (§ 78 Abs. 1 ZPO). Dieser ist für den BGH dahingehend qualifiziert, dass nur beim BGH zugelassene Anwälte in Betracht kommen.229 Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, d. h. im Lauterkeitsrecht insbesondere bei einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, besteht für den Antrag wegen §§ 78 Abs. 3, 920 Abs. 3, 936 ZPO allerdings kein Anwaltszwang. Kommt es jedoch daraufhin zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht, so besteht für diese Anwaltszwang. 112 Für ausländische Anwälte aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie den anderen Mitgliedstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (Island, Liechtenstein und Norwegen) sowie aus der Schweiz gilt das EuRAG.230 Gemäß § 2 EuRAG kann sich ein Rechtsanwalt aus einem dieser Staaten in Deutschland niederlassen, Mitglied der Rechtsanwaltskammer werden und in den Deutschland den Rechtsanwaltsberuf ausüben, allerdings unter der Berufsbezeichnung seines Herkunftsstaates. Eine Prüfung oder ein sonstiger weiterer Qualifikationsnachweis ist nicht erforderlich.231 Ein solcher in Deutschland niedergelassener „europäischer Rechtsanwalt“ ist einem deutschen Rechtsanwalt u. a. im Hinblick auf § 78 ZPO gleichgestellt. 113 Ein aus den genannten Staaten stammender „europäischer Rechtsanwalt“ im Sinne von § 1 EuRAG, der nicht in Deutschland niedergelassen ist, darf zwar wegen der Dienstleistungsfreiheit auch in Deutschland seine Dienste vorübergehend anbieten und ausüben („dienstleistender europäischer Rechtsanwalt“, § 25 EuRAG). Er ist dann aber kein Rechtsanwalt im Sinne von § 78 ZPO und muss sich daher in Verfahren mit Anwaltszwang eines deutschen Kollegen als „Einvernehmensanwalt“ bedienen (§ 28 EuRAG). Der Einvernehmensanwalt hat den „dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt“ insbesondere im Hinblick auf das Verfahrensrecht zu informieren, muss aber nicht zwingend auch in einer mündlichen Verhandlung präsent sein.232 Das Einvernehmen ist nur bei der ersten Prozesshandlung gegenüber dem Gericht schriftlich nachzuweisen (§ 29 Abs. 1 EuRAG). 114 Ausländischen Anwälten aus anderen Staaten, d. h. weder aus der EU noch aus dem EWR oder der Schweiz, stehen diese Möglichkeiten nicht offen. Für sie kommt allenfalls eine Niederlassung in Deutschland gemäß § 206 Abs. 1 BRAO (für WTO-Staaten) oder § 206 Abs. 2 BRAO (für sonstige Staaten) in Betracht; beide Möglichkeiten schließen jedoch eine Beratung im deutschen Recht aus und beschränken die zulässige Beratungstätigkeit auf das Recht des Herkunftsstaates und – im Falle des § 206 Abs. 1 BRAO – das Völkerrecht. Beratungsleistungen im deutschen Recht sind ausgeschlossen. Auch ein Auftreten vor deutschen Gerichten ist diesen ausländischen Rechtsanwälten nicht gestattet.233

IX. Gerichtsbarkeit und Immunität 115 Mit dem Begriff der Gerichtsbarkeit wird die Frage nach den völkerrechtlichen Grenzen der staatlichen Gerichtsgewalt bezeichnet.234 Der Begriff der Immunität bezeichnet eine Ausnahme von dieser Gerichtsbarkeit in dem Sinne, als dass gegen eine Immunität genießende Person kein

229 Zur (problematischen) Verfassungsmäßigkeit dieses qualifizierten Anwaltszwangs BVerfG 27. 2. 2008 – 1 BvR 1295/07 – NJW 2008, 1293, 1294. 230 Gesetz zur Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet des Berufsrechts der Rechtsanwälte, BGBl. I 2000, 182 sowie 2003, 2074. 231 Allerdings kann gemäß §§ 16 ff. EuRAG eine Eignungsprüfung abgelegt werden, um den Status des deutschen Rechtsanwalts zu erlangen; letzteres ist auch möglich nach dreijähriger Tätigkeit als niedergelassener europäischer Rechtsanwalt in Deutschland, §§ 11 f. EuRAG. 232 Feuerich, in: Feuerich/Weyland, BRAO (8. Aufl. 2012), § 28 EuRAG Rn. 3 ff.; Kleine-Cosack BRAO (6. Aufl. 2009) Anhang III 1 Rn. 46. 233 Feuerich, in: Feuerich/Weyland, BRAO (8. Aufl. 2012), § 206 BRAO Rn. 6. 234 Schack Rn. 155 ff. m.w.N; Lindacher WRP 1999, 54 ff.

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IX. Gerichtsbarkeit und Immunität

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gerichtliches Verfahren durchgeführt werden kann, und zwar schon kein Erkenntnisverfahren (zur Immunität im Vollstreckungsverfahren siehe unten Rn. 127). Die in Deutschland geltenden Regeln sind teilweise in §§ 18–21 GVG gesetzlich geregelt, z. T. ergeben sie sich aber auch aus völkerrechtlichen Verträgen oder aus dem Völkergewohnheitsrecht, welches gemäß Art. 25 GG zu beachten ist.

1. Immunität natürlicher Personen Die Immunität natürlicher Personen ist vor allem in §§ 18–21 GVG geregelt, wobei § 20 Abs. 2 116 GVG in weitgehend deklaratorischer Weise hier auch auf das Völkergewohnheitsrecht, völkerrechtliche Verträge oder sonstige Rechtsvorschriften verweist. Die Verwendung des – wegen seiner räumlich-geographischen Konnotationen gelegentlich zu Missverständnissen einladenden235 – Begriffs der „Exterritorialität“ in §§ 18 ff. GVG macht gegenüber dem hier und im übrigen Schrifttum bevorzugten Begriff der Immunität keinen sachlichen Unterschied.236 Nach § 18 GVG genießen Diplomaten einschließlich ihrer Familienmitglieder und privaten 117 Hausangestellten weitgehend unbeschränkte Immunität nach Maßgabe des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen von 1961.237 Für Zwecke des Lauterkeitsrechts ist aber darauf hinzuweisen, dass dieses Übereinkommen in seinem Art. 31 immerhin solche Klagen erlaubt, die gegen den Diplomaten nicht wegen seiner dienstlichen Funktion erhoben werden, sondern in seiner Eigenschaft als Gewerbetreibender oder Freiberufler. Für das nicht-diplomatische Personal der Botschaft gilt gemäß Art. 37 Abs. 2 dieses Übereinkommens vor Zivilgerichten ohnehin nur eine Immunität in Bezug auf die dienstliche Tätigkeit. Dasselbe gilt gemäß § 19 GVG i. V. m. dem Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen von 1963238 auch für Konsuln und sonstige Mitglieder der konsularischen Vertretungen. Bei diesen Personen ist daher im Einzelfall eine Abgrenzung zwischen der durch Immunität geschützten dienstlichen Tätigkeit und der nicht geschützten sonstigen geschäftlichen oder privaten Tätigkeit zu treffen. Die Rechtsprechung rechnet z. B. die Tätigkeit für ein staatliches Exportunternehmen des Entsendestaats zu den dienstlichen Tätigkeiten eines Konsuls,239 nicht aber die Heimfahrt nach dem Besuch von Gaststätten.240 Weiterhin verbietet § 20 Abs. 1 GVG die Ausübung deutscher Gerichtsgewalt gegen Repräsentanten anderer Staaten, die auf amtliche Einladung die Bundesrepublik Deutschland besuchen, und ihre Begleitung; dies gilt allerdings nur für die Dauer des entsprechenden Aufenthalts.241 Die Regeln der §§ 18 ff. GVG zur Immunität natürlicher Personen sind aber nicht abschlie- 118 ßend und werden durch die wegen Art. 25 GG geltenden allgemeinen Regeln des Völkergewohnheitsrechts ergänzt.242 Danach unterliegen natürliche Personen auch dann nicht der deutschen Gerichtsbarkeit, wenn sich der gegen sie geltend gemachte Anspruch auf eine Handlung bezieht, die sie in Ausübung der Souveränität eines fremden Staates vorgenommen haben.243

235 236 237 238 239 240

Vgl. Schack Rn. 164 ff. Zöller/Lückemann Rn. 2 vor §§ 18–20 GVG. BGBl. 1964 II, 957; Einzelheiten bei Schack Rn. 161 ff. BGBl. 1969 II, 1585. LG Hamburg 10. 4. 1986 – 2 O 189/85 – NJW 1986, 3034. OLG Hamburg 30. 6. 1988 – 1 Ss 83/88 – NJW 1988, 2191; Teilnahme am Straßenverkehr ohnehin nur „ausnahmsweise“ im Zusammenhang mit konsularischen Aufgaben, so BayObLG 5. 11. 1991 – 1 Ob OWi 345/91 – NJW 1992, 641, 642; ähnlich OLG Karlsruhe 16. 7. 2004 – 2 Ss 42/04 – NJW 2004, 3273. 241 Vgl. aus dem Strafrecht OLG Düsseldorf 20. 3. 1986 – 1 Ws 1102/85 – NJW 1986, 2204. 242 BGH 26. 9. 1978 – VI ZR 267/76 – NJW 1979, 1101. 243 BGH 26. 9. 1978 – VI ZR 267/76 – NJW 1979, 1101: Immunität eines ehemaligen Scotland Yard-Mitarbeiters wegen eines auf Anforderung des Bundeskriminalamts erstellten kritischen Berichts über eine möglicherweise kriminelle religiöse Gemeinschaft.

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

2. Immunität juristischer Personen 119 a) Ausländische Staaten. Die Immunität ausländischer Staaten im Sinne des mittelalterlichen Grundsatzes par in parem non habet imperium ist in letzter Zeit im Bereich des allgemeinen Deliktsrechts und der Haftung für Kriegsverbrechen Gegenstand intensiver Diskussionen gewesen, die ihren vorläufigen Abschluss in einer Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs fanden.244 Völkerrechtliche Vereinbarungen zu diesem Thema gibt es in Form der bisher weder in Kraft getretenen noch von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichneten UN-Konvention über Staatenimmunität von 2004245 sowie des Europäischen Übereinkommens über Staatenimmunität von 1972.246 Soweit diese Übereinkommen nicht einschlägig sind, gilt jedoch Völkergewohnheitsrecht, welches wegen Art. 25 GG dem einfachen Bundesrecht und damit auch dem Verfahrensrecht vorgeht.

120 aa) Europäisches Übereinkommen über Staatenimmunität. Das Europäische Übereinkommen über Staatenimmunität von 1972 gilt heute für Belgien, Deutschland, Großbritannien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Schweiz und Zypern. Es gilt im Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander und geht dabei so vor, dass es zunächst bestimmte Fallgruppen benennt (Art. 1–13 des Übereinkommens), in denen der Immunitätsgrundsatz nicht gilt. Zu diesen Fallgruppen gehört auch Art. 7 des Übereinkommens, der die Staatenimmunität dann verneint, wenn der ausländische Staat im Gerichtsstaat über ein Büro, eine Agentur oder in ähnlicher Weise „wie eine Privatperson eine gewerbliche, kaufmännische oder finanzielle Tätigkeit ausübt“ und sich das Verfahren auf diese Tätigkeit bezieht. Soweit ein Verfahren aber nicht unter diese Fallgruppen fällt, kann ein Vertragsstaat stets Immunität vor den Gerichten der anderen Vertragsstaaten beanspruchen (Art. 15 des Übereinkommens). Allerdings wird diese im Ansatz recht moderne Struktur des Übereinkommens dadurch konterkariert, dass Art. 24 des Übereinkommens jedem Mitgliedstaat als „régime facultatif“ die Möglichkeit lässt, unabhängig von Art. 1–13 auf Verfahren gegen andere Mitgliedstaaten dieselben Regeln anzuwenden, wie er sie auf Verfahren gegen Nichtvertragsstaaten anwendet, solange es nicht um die Ausübung von Hoheitsrechten des ausländischen Staates (acta iure imperii) geht. Die Bundesrepublik Deutschland hat – ebenso wie zahlreiche andere Vertragsstaaten – eine solche Erklärung abgegeben.247 Das führt aus deutscher Sicht dazu, dass auch im Verhältnis zu den Vertragsstaaten nicht die im Übereinkommen vorgesehenen besonderen Ausnahmen von der Staatenimmunität gelten, sondern die von der Rechtsprechung entwickelte Unterscheidung zwischen acta iure imperii und acta iure gestionis. Zumindest insoweit besteht also kein Unterschied in der Behandlung von Vertragsstaaten und Nicht-Vertragsstaaten vor deutschen Gerichten.

121 bb) Völkergewohnheitsrecht. Das Bundesverfassungsgericht hat die insoweit einschlägigen allgemeinen Regeln des Völkerrechts dahingehend formuliert, dass sich nach neuerer Völkerrechtslehre die Immunität ausländischer Staaten auf acta iure imperii beschränke, während für ge-

244 IGH 3. 2. 2012 – Deutschland ./. Italien – http://www.icj-cij.org/docket/files/143/16883.pdf. Vor dieser Entscheidung war umstritten, ob sich ein ausländischer Staat auch dann auf den völkerrechtlichen Grundsatz der Staatenimmunität berufen kann, wenn der im Verfahren gemachte Vorwurf darin liegt, dass der Staat selber gegen zwingendes Völkerrecht (ius cogens) verstoßen habe, etwa durch Folter oder schwere Kriegsverbrechen. Der Internationale Gerichtshof hat diese Frage nun im Sinne Deutschlands entschieden und hat auch schwerste Kriegsverbrechen als zum Anwendungsbereich der Staatenimmunität gehörende acta iure imperii eingeordnet; vgl. Hess IPRax 2012, 201 ff. 245 United Nations Convention on Jurisdictional Immunities of States and Their Property of 2 December 2004, GA Resolution 59/38, siehe dazu Stewart Am. J. Int. L. 99 (2005) 194. 246 In Deutschland 1990 ratifiziert, s. BGBl. 1990 II 34, 1400. 247 BGBl. 1990 II, 1400 ff.

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IX. Gerichtsbarkeit und Immunität

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schäftsmäßige Handlungen (acta iure gestionis) keine Immunität bestehe.248 Bei der Abgrenzung zwischen diesen beiden Arten staatlichen Handelns spielt der Zweck des staatlichen Handelns jedoch keine Rolle, da letztendlich fast jede staatliche Betätigung hoheitlichen Zwecken diene. Vielmehr kommt es darauf an, ob der ausländische Staat in Ausübung seiner Hoheitsgewalt tätig geworden ist (acta iure imperii) oder „wie eine Privatperson, also privatrechtlich, tätig geworden ist“ (acta iure gestionis).249 Dies entspricht auch der heute international herrschenden Ansicht.250 Für das Lauterkeitsrecht bedeutet dies, dass keine Staatenimmunität vorliegt, wenn der 122 ausländische Staat sich selbst auf dem privatrechtlichen Markt für Güter oder Dienstleistungen betätigt, oder wenn er – z. B. in Form von Anzeigen oder sonstiger Werbung – in einer Form auf diesen Markt einwirkt, die ihrer Natur nach auch jedem Privatunternehmen möglich wäre. In Zweifelsfällen, und soweit das Völkerrecht dazu keine einheitlichen Kriterien bereitstellt, will die herrschende Auffassung die Abgrenzung zwischen acta iure gestionis und acta iure imperii nach der lex fori vornehmen.251 In der Regel werden acta iure gestionis und damit keine Immunität auch dann vorliegen, wenn ein ausländischer Staat den Wettbewerb „seiner“ heimischen Unternehmen fördert und darüber – wenn auch indirekt – in das Marktgeschehen eingreift.252 Ein Verzicht des ausländischen Staates auf die ihm zustehende Immunität ist möglich und 123 wirksam. Allerdings bedeutet ein Verzicht auf Immunität für das Erkenntnisverfahren nicht zugleich den Verzicht auf Immunität im Vollstreckungsverfahren.253

b) Staatsunternehmen. In der Literatur ist die Auffassung vorherrschend, dass auch juristisch 124 selbständige ausländische Staatsunternehmen – also Unternehmen, die vollständig oder überwiegend unter der Kontrolle des ausländischen Staates stehen – an der Immunität des ausländischen Staates teilnehmen können, soweit sie von staatlicher Hoheitsgewalt Gebrauch machen und ihre Tätigkeit daher als acta iure imperii zu beschreiben ist.254 Die deutsche Rechtsprechung ist dazu bisher uneinheitlich.255 Gegen die herrschende Auffassung zur Immunität von „Staatsunternehmen“ spricht aller- 125 dings, dass die par in parem-Situation, welche der traditionellen Lehre von der Staatenimmunität zugrunde liegt, gegenüber privatrechtlich organisierten Gesellschaften gar nicht gegeben ist. Dies wird deutlich, wenn es etwa um eine ausländische Kapitalgesellschaft geht, deren Aktien sich ganz oder teilweise in den Händen eines ausländischen Staates befinden. In derartigen Fällen wäre es nach der herrschenden Auffassung unklar, welcher Aktienanteil beim Staat liegen muss, um die Ausdehnung der Staatenimmunität auf dieses Unternehmen zu begründen, und wie mit Veränderungen in der Aktionärsstruktur umzugehen wäre. Auch angesichts dieser Unsicherheiten sollte man den Begriff der Staatenimmunität auf ausländische Staaten, Gebiets248 BVerfG 30. 4. 1963 – 2 BvM 1/62 – BVerfGE 16, 27, 61. 249 BVerfG 30. 4. 1963 – 2 BvM 1/62 – BVerfGE 16, 27, 61. 250 Vgl. zuletzt etwa die Verneinung von Staatenimmunität der Volksrepublik China wegen geschäftlichen Aktivitäten durch ein US-amerikanisches Bundesgericht: Cybersitter v. China, U. S. District Court (C.D.Cal.) 1. 8. 2011, GRUR Int. 2011, 1110. 251 BVerfG 30. 4. 1963 – 2 BvM 1/62 – BVerfGE 16, 27, 62; BGH 26. 9. 1978 – VI ZR 267/76 – NJW 1979, 1101; zustimmend Lindacher S. 37; Kronke IPRax 1991, 142; a. A. Gramlich RabelsZ 1981, 586 (Recht des Herkunftsstaats). 252 Lindacher S. 37 f. mit Verweis auf Handelsförderung durch ein Generalkonsulat als acta iure gestionis, so LG Hamburg 26. 3. 1981 – 18 T 13/81 – RIW 1981, 712 sowie die Aktivitäten eines staatlichen Fremdenverkehrsbüros, OLG Frankfurt/Main 30. 6. 1977 – 6 U 184/74 – RIW 1977, 720. 253 Nagel/Gottwald S. 43 f. 254 Hausmann IPRax 1982, 51, 54 f.; Fischer/v. Hoffmann BerDtGesVöR 25 (1984) 44, 48; v. Schönfeld NJW 1986, 2980, 2987; Schack Rn. 181 ff. 255 Ausdrücklich offen gelassen wird die Frage in BVerfG 12. 4. 1983 – 2 BvR 678/81 – BVerfGE 64, 1, 23; gegen eine Immunität rechtlich selbständiger Unternehmen in einem Warenzeichenstreit BGH 7. 6. 1955 – I ZR 64/53 – BGHZ 18, 1, 9 f.; ebenso in einer Arrestsache OLG Frankfurt 21. 10. 1980 – 5 W 24/80 – RIW 1980, 874; anders aber OLG Frankfurt 4. 5. 1982 – 5 U 202/81 – RIW 1982, 439 (auf hoheitliche oder nicht-hoheitliche Betätigung abstellend).

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

körperschaften oder sonstige ausländische juristische Personen des öffentlichen Rechts beschränken.256 126 Entscheidend sind demnach nicht die gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse eines Unternehmens, sondern – und insoweit ist der herrschenden Auffassung Recht zu geben – der Charakter der Tätigkeit, um die es geht. Handelt es sich um eine geschäftliche Tätigkeit, die jedes Unternehmen vornehmen könnte, so besteht keine Immunität vor deutschen Gerichten, ohne dass es darauf ankäme, ob das beklagte Unternehmen als „Staatsunternehmen“ zu qualifizieren wäre oder nicht. Solche acta iure gestionis darf man etwa bei Rundfunksendungen eines staatlichen Senders257 ebenso annehmen wie bei Werbefilmen der spanischen Fremdenverkehrsämter.258 Geht es dagegen um die Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt – auch etwa im Sinne einer Beleihung mit hoheitlichen Aufgaben durch den ausländischen Staat – so unterliegt diese hoheitliche Tätigkeit nicht der deutschen Gerichtsbarkeit, und zwar auch dann nicht, wenn sie von einem in privatrechtlichen Formen organisierten und ggf. von Privaten kontrollierten Unternehmen durchgeführt wird.259

3. Immunität im Vollstreckungsverfahren 127 Im Vollstreckungsverfahren ist bei der Frage nach der Immunität auf die Zweckbestimmung des Vermögensgegenstands abzustellen, gegen den die Vollstreckungsmaßnahme gerichtet ist. Dient der Gegenstand im Zeitpunkt des Beginns der Vollstreckungsmaßnahme hoheitlichen Zwecken des fremden Staats, so ist die Zwangsvollstreckung ohne Zustimmung jenes Staates unzulässig.260 Die Rechtsprechung hat etwa ein Botschaftskonto261 sowie Mietforderungen, die für den Erhalt einer kulturellen Einrichtung des ausländischen Staates verwendet werden,262 als immun angesehen, nicht aber das Konto einer staatlichen Ölhandelsgesellschaft.263 Eine Vollstreckung in öffentlich-rechtliche Forderungen eines ausländischen Staates gegen128 über Drittschuldnern in Deutschland scheitert nach Ansicht des BGH schon daran, dass derartige Forderungen nicht in Deutschland belegen seien, ohne dass es auf die Frage der Immunität ankäme.264

X. Rechtsweg 129 Gemäß § 13 GVG ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nur in Zivil- und Strafsachen eröffnet; letztere bleiben hier unberücksichtigt. Der Begriff der Zivilsachen im Sinne dieser Vorschrift wird im Wesentlichen negativ abgegrenzt zu den öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten, für die gemäß § 40 VwGO der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet ist. Während in der Wissenschaft zu dieser Abgrenzung zahlreiche Theorien entwickelt worden sind,265 stellt die Rechtsprechung für eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit darauf ab, ob die Parteien 256 257 258 259

In diesem Sinne wohl auch Lindacher S. 39. Hohloch ZUM 1986, 165, 172. OLG Frankfurt 30. 6. 1977 – 6 U 184/74 – RIW 1977, 720. Für Immunität der von einem ausländischen Staat Beliehenen Lindacher WRP 1999, 54, 55; Habscheid BerDGesVR 8 (1968) 171; gegen eine Immunität von Beliehenen jedoch Damian Staatenimmunität und Gerichtszwang (1985) S. 32. 260 BVerfG 12. 10. 2011 – 2 BvR 2984/09 u. a. – NJW 2012, 293, 295. 261 BVerfG 13. 12. 1977 – 2 BvM 1/76 – BVerfGE 46, 342 = NJW 1978, 485; vgl. auch EGMR 10. 11. 2009 – 30190/06 – EuGRZ 2011, 374. 262 BGH 1. 10. 2009 – VII ZB 37/08 – NJW 2010, 769, 770. 263 BVerfG 12. 4. 1983 – 2 BvR 678/81 u. a. – BVerfGE 64, 1 = NJW 1983, 2766, 2768. 264 BGH 25. 11. 2010 – VII ZB 120/09 – JZ 2011, 858. 265 Überblick bei Bull/Mehde Allgemeines Verwaltungsrecht (8. Aufl. 2009) Rn. 34 ff.

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XI. Internationale Zuständigkeit nach EuGVO

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zueinander „in einem hoheitlichen Verhältnis der Über- und Unterordnung stehen und ob sich der Träger hoheitlicher Gewalt der besonderen, ihm zugeordneten Rechtssätze des öffentlichen Rechts bedient oder ob er sich den für jedermann geltenden zivilrechtlichen Regelungen unterstellt.“266 Der zumindest teilweise tautologische Charakter dieser Erläuterung – eine öffentlichrechtliche Streitigkeit liegt vor, wenn es um öffentliches Recht geht – wird in der Praxis durch eine reichhaltige Kasuistik ergänzt und entschärft.267 Für das Lauterkeitsrecht sind u. a. Warentests und andere marktbezogene Warnungen oder sonstige Äußerungen relevant, die jedenfalls dann dem Verwaltungsrechtsweg zugeordnet sind, wenn sie von einer Behörde vorgenommen werden.268 Bei internationalen Sachverhalten kann die Frage des Rechtswegs mit derjenigen nach 130 den Grenzen der innerstaatlichen Gerichtsbarkeit zusammenfallen: Ist die Ausübung ausländischer Hoheitsgewalt Gegenstand der Klage, so ist nicht nur der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten versperrt, sondern generell die deutsche Gerichtsbarkeit nicht gegeben.269 Umgekehrt kann nach den oben zur Immunität dargelegten Grundsätzen (Rn. 119 ff.) ein ausländischer Staat nur dann verklagt werden, wenn es um geschäftliches Handeln (acta iure gestionis) geht; dann handelt es sich aber regelmäßig auch um eine Zivilsache, so dass auch der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben ist.

XI. Internationale Zuständigkeit nach EuGVO Die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung 131 und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVO)270 regelt in ihrem ersten Teil Fragen der Zuständigkeit, und zwar sowohl der internationalen Zuständigkeit wie auch teilweise solche der örtlichen Zuständigkeit (zu letzterer s. unten Rn. 243). Die EuGVO wird häufig auch als Brüssel Ia-Verordnung bezeichnet, wobei der Begriff „Brüssel“ auf die historische Herkunft aus dem Brüsseler Übereinkommen von 1968 verweist. Die römische Zahl „I“ dient der Abgrenzung zur parallelen Regelung im Familienrecht, die als „Brüssel II-VO“ bezeichnet wird, und mit „Ia“ soll schließlich auf die Neufassung von 2015 gegenüber der früheren Fassung (EG-VO Nr. 44/2001) hingewiesen werden. Aufgrund des Anwendungsvorrangs des Europarechts geht die EuGVO in ihrem Anwendungsbereich jeglichem mitgliedstaatlichen Recht vor.271 Daher sind im Anwendungsbereich der EuGVO auch die §§ 13 und 14 UWG nur insoweit anwendbar, als sie von der EuGVO nicht bereits geregelte Materien betreffen. Zum Verhältnis der EuGVO zum früheren EuGVÜ s. oben Rn. 36.

1. Anwendungsbereich der EuGVO a) Zeitlicher Anwendungsbereich der EuGVO im Zuständigkeitsrecht. Gemäß Art. 66 132 EuGVO ist die heute geltende Neufassung der Verordnung auf solche Verfahren anzuwenden, die nach ihrem Inkrafttreten, d. h. also ab dem 10. Januar 2015 eingeleitet wurden. Der Zeitpunkt der „Einleitung“ der Klage ist wegen der hier gebotenen europarechtlich-einheitlichen Ausle266 GmS OGB 29. 10. 1987 – GmS-OGB 1/86 – BGHZ 102, 280 = NJW 1988, 2295, 2296. 267 Beispiele insbes. bei Musielak/Voith/Wittschier ZPO § 13 GVG Rn. 23 ff.; Sodan/Ziekow VwGO (3. Aufl. 2010) § 40 Rn. 421 ff. 268 BVerwG 7. 12. 1995 – 3 C 23/94 – NJW 1996, 3161. Zum Rechtsweg bei Wettbewerbshandlungen durch die öffentliche Hand s. unten Einleitung F Rn. 22 ff. und 74 ff. 269 Vgl. die Konstellation in BGH 26. 9. 1978 – VI ZR 267/76 – NJW 1979, 1101. 270 ABl. EU 2012 L 351, 1, berichtigt 2016 L 264, 43. 271 Grundlegend zum Anwendungsvorrang des Europarechts EuGH 15. 7. 1964 – 6/64 – Slg. 1964, 1253 – Costa ./. ENEL; Erläuterungen dazu aus heutiger Sicht bei Schroeder Grundkurs Europarecht (5. Aufl. 2017) § 5 Rn. 14 ff.

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

gung nicht nach nationalem Prozessrecht zu bestimmen, sondern nach der Verordnung selbst, d. h. sinnvollerweise analog dem Begriff der „Anrufung“ eines Gerichts in Art. 32 EuGVO.272 Daran ändert auch der Wechsel der Begrifflichkeit von „Erhebung“ in der früheren Fassung der EuGVO zur nun verwendeten „Einleitung“ nichts.273 Für Verfahren, die zwischen dem 1. März 2002 und dem 9. Januar 2015 eingeleitet wurden, gilt die vorherige Fassung der EuGVO (EG-VO Nr. 44/1001), s. dazu die Vorauflage. 133 Für noch ältere Verfahren gelten für die Zuständigkeit der Gerichte ggf. innerhalb ihres räumlichen Anwendungsbereichs das EuGVÜ, das LugÜ oder sonstige anwendbare völkerrechtliche Verträge und ersatzweise das autonome deutsche Recht der internationalen Zuständigkeit (dazu unten Rn. 221 ff.). Zur zeitlichen Anwendbarkeit der EuGVO im Anerkennungs- und Vollstreckungsrecht s. unten Rn. 290.

134 b) Sachlicher Anwendungsbereich der EuGVO. Die EuGVO gilt ausweislich ihres Titels und Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EuGVO nur für Streitigkeiten in Zivil- und Handelssachen. In dieser Begrifflichkeit spielt allerdings der Begriff der Handelssache als Unterkategorie der Zivilsachen nur eine deklaratorische Rolle; dies zeigt schon Art. 81 AEUV, der nur von Zivilsachen spricht. Entscheidend ist daher auch hier die Abgrenzung zwischen den ausgeschlossenen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten einerseits (beispielhaft in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 EuGVO als „Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten“ beschrieben) und andererseits den der EuGVO unterfallenden Zivilsachen. Bei letzteren sind außerdem die Ausnahmebereiche des Art. 1 Abs. 2 EuGVO zu beachten, für welche die EuGVO nicht gilt: Neben erb- und familienrechtlichen Streitigkeiten sind dies vor allem Insolvenzverfahren, Fragen der sozialen Sicherheit und die Schiedsgerichtsbarkeit. Bei letzterer ist aber zu beachten, dass die EuGVO zwar nicht das Schiedsverfahren als solches regelt, dass aber vor staatlichen Gerichten erhobene Klagen, die sich auf ein Schiedsverfahren beziehen oder in denen die Einrede der Schiedsgerichtsbarkeit zum Streitgegenstand gehört, unter Umständen den Bestimmungen der EuGVO unterworfen sind. Dabei soll es darauf ankommen, ob das betreffende Verfahren vor dem staatlichen Gericht als „Hilfsverfahren“ zum Schiedsverfahren einzuordnen ist (so etwa bei Anträgen auf Aufhebung oder Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs); dann findet die EuGVO wegen ihres Art. 1 Abs. 2 d) keine Anwendung.274 Sofern jedoch ein eigenständiger Verfahrensgegenstand besteht, der nicht als Annex zum Schiedsverfahren angesehen werden kann, greift die EuGVO.275 Dies wird insbesondere für Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sowie für – soweit überhaupt zulässig – Klagen auf Unterlassung einer Prozessführung (anti-suit injunctions) angenommen.276 Der Begriff der Zivilsachen im Sinne des Art. 1 EuGVO ist europarechtlich autonom zu 135 bestimmen und wird vom EuGH negativ abgegrenzt zu öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten, die sich durch die Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse auszeichnen.277 Die Abgrenzung erfolgt also auch hier zwischen der EuGVO nicht unterliegenden acta iure imperii einerseits und den 272 So zur früheren Fassung der EuGVO bereits OLG Frankfurt/M. 25. 11. 2004 – 16 U 26/04 – OLGReport Frankfurt 2005, 507; Kropholler/v. Hein Art. 66 EuGVO a. F. Rn. 2; Magnus/Mankowski Art. 66 Rn. 6; die Frage ist allerdings umstritten. Die Gegenansicht will den Zeitpunkt der Klagerhebung nach dem Prozessrecht der lex fori bestimmen, z. B. in Deutschland nach § 253 Abs. 1 ZPO, dafür OLG Düsseldorf 7. 3. 2003 – 23 U 199/02; Rauscher/Staudinger Art. 66 Brüssel I-VO Rn. 2; die Frage konnte offen gelassen werden in BGH 30. 3. 2006 – VIII ZR 249/04 – BGHZ 167, 83. 273 Prütting/Gehrlein/Schinkels Art. 66 Brüssel Ia-VO Rn. 2. 274 Rauscher/Mankowski Art 1 Brüssel Ia-VO Rn 123 m. w. N.; zur Anwendung der neuen EuGVO im Kontext der Schiedsgerichtsbarkeit ausf. Baumann FS Ahrens (2016) 467 und Geimer FS Ahrens (2016) 501. 275 Zur Abgrenzung Domej FS Gottwald (2014) 97. 276 Rauscher/Mankowski, Art 1 Brüssel Ia-VO Rn 126 ff; vgl. zur früheren Fassung der EuGVO EuGH 10. 2. 2009 – C-185/07 – Slg. 2009-I, 686 – West Tankers = IPRax 2009, 336 m. Anm. Illmer S. 312 ff.; vgl. zur Beurteilung der West Tankers-Rechtsprechung unter der neuen EuGVO Kindler FS Geimer (2017) 321. 277 EuGH 14. 10. 1976 – 29/6 – Slg. 1976, 1541 = NJW 1977, 488, 489 – Eurocontrol.

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XI. Internationale Zuständigkeit nach EuGVO

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zum Zivilrecht gerechneten acta iure gestionis andererseits.278 Wirft eine in diesem Sinne zivilrechtliche Streitigkeit nur öffentlich-rechtliche Vorfragen auf, die vom Gericht inzident zu klären sind, so schadet dies der Einordnung als Zivilsache nicht. Für das Lauterkeitsrecht bedeutsam ist die Feststellung des EuGH, dass eine privatrechtlich 136 ausgestaltete Verbandsklagebefugnis auch dann Zivilsache im Sinne des EuGVÜ (und damit heute der EuGVO) ist, wenn sie der Sache nach öffentlichen Aufgaben dient.279 Der EuGH verweist hier mit Recht darauf, dass ein privatrechtlich verfasster Verband keine Behörde ist und dass vor allem die Befugnis zur privatrechtlichen Unterlassungsklage gerade keine Ausübung hoheitlicher Befugnisse darstellt.280 Dieselben Erwägungen können auch für andere möglicherweise (auch) im öffentlichen Interesse erhobene Klagen Privater angestellt werden. So ist z. B. auch die Gewinnabschöpfungsklage des § 10 UWG Zivilsache im Sinne der EuGVO, weil mit ihr gerade nicht von hoheitlichen Sonderrechten Gebrauch gemacht wird.281 Ob der abgeschöpfte Gewinn letztlich dem Kläger oder dem Fiskus zu Gute kommt, ist insoweit irrelevant. Auch Klagen, mit denen ggf. ein Strafschadensersatz nach ausländischem Recht geltend gemacht wird, sind Zivilsachen, wenn und soweit der private Kläger nicht von hoheitlichen Befugnissen Gebrauch macht.282 Der EuGH sieht auch die Festsetzung eines Ordnungsgelds nach deutschem Verfahrens- 137 recht zur Durchsetzung einer Unterlassungsverfügung als Zivilsache im Sinne der EuGVO an.283 Der Gerichtshof begründet dies damit, dass das Ordnungsgeld zwar einen Strafcharakter habe, dass aber auch dieser letztlich in dem zugrunde liegenden privatrechtlichen Rechtsverhältnis (in diesem Falle ein patentrechtlicher Streit unter Konkurrenten) wurzelt und das Ordnungsgeld nur eine Form der Realisierung subjektiver privater Rechte darstellt.284

c) Räumlich-persönlicher Anwendungsbereich der EuGVO aa) Grundsätze. Die EuGVO gilt nur für Rechtsstreitigkeiten mit Auslandsbezug. Auf einen 138 Fall, der von vorneherein keine Fragen hinsichtlich der Bestimmung der internationalen Zuständigkeit aufwerfen kann, ist sie nicht anwendbar.285 In einem solchen „reinen Inlandsfall“ gelten dann die Vorschriften des nationalen Prozessrechts, d. h. in Deutschland jene der ZPO sowie ggf. §§ 13 und 14 UWG. Allerdings muss der die Anwendung der EuGVO auslösende Auslandsbezug nicht notwendig zu einem anderen EU-Mitgliedstaat bestehen.286 Auch die aus Sicht des Gerichtsstaats fremde Staatsangehörigkeit einer Partei kann den notwendigen Auslandsbezug begründen.287 Von bestimmten Ausnahmen abgesehen – nämlich in den Fällen der ausschließlichen Zu- 139 ständigkeiten des Art. 24 EuGVO und ggf. bei einer Zuständigkeitsvereinbarung nach Art. 25 EuGVO sowie beim Arbeitnehmer- und Verbraucherschutz (Art.18 und 21 EuGVO) – setzen die Zuständigkeitsvorschriften der EuGVO grundsätzlich voraus, dass der Beklagte seinen Wohnsitz oder Sitz (vgl. Art. 62 und 63 EuGVO) in einem EU-Mitgliedstaat hat. Dies ergibt sich aus Art. 4 Abs. 1 EuGVO. Im Umkehrschluss daraus und aus Art. 6 Abs. 1 EuGVO folgt, dass die 278 EuGH 15. 2. 2007 – C-292/05 – Slg. 2007-I, 1540 – Lechouritou ./. Deutschland = IPRax 2008, 250 m. Anm. Geimer S. 225; vgl. zu dieser Unterscheidung im Recht der Staatenimmunität oben Rn. 119. 279 EuGH 1. 10. 2002 – C-167/00 – Slg. 2002 I-8111 – VKI ./. Henkel = IPRax 2003, 341, 342 f. m. Anm. Michailidou IPRax 2003, 223; ebenso für die Rom-Verordnungen: EuGH 28. 7. 2016 – C-191/15 – GRUR 2016, 1183, 1184 – Amazon. 280 EuGH 1. 10. 2002 – C-167/00 – Slg. 2002 I-8111 – VKI ./. Henkel Tz. 30. 281 Ebenso Alexander S. 498; Stadler JZ 2009, 121, 125. 282 Vgl. BGH 4. 6. 1992 – IX ZR 149/91 – BGHZ 118, 312 = NJW 1992, 3096, 3102. 283 EuGH 18. 10. 2011 – C-406/09 – Realchemie – NJW 2011, 3568 m. Anm. Giebel. 284 EuGH 18. 10. 2011 – C-406/09 – Realchemie Tz. 41 f. 285 EuGH 17. 11. 2011 – C-327/10 – NJW 2012, 1199, 1200 – Lindner. 286 EuGH 1. 3. 2005 – C-281/02 – Slg. 2005 I-1445, Tz. 26 – Owusu ./. Jackson. 287 EuGH 17. 11. 2011 – C-327/10 – NJW 2012, 1199, 1200 – Lindner.

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

EuGVO – von den genannten Ausnahmen abgesehen – nicht zur Anwendung kommt, wenn der Beklagte seinen Sitz außerhalb der EU hat (zum genauen räumlichen Anwendungsbereich sogleich bei Rn. 140 f.). Auch dann gilt das nationale Zuständigkeitsrecht. Bei unbekanntem Wohnsitz des Beklagten kommt die EuGVO nach der Rechtsprechung des EuGH jedenfalls dann zur Anwendung, wenn entweder der letzte bekannte Wohnsitz des Beklagten in einem Mitgliedstaat lag288 oder der unbekannt verzogene Beklagte mutmaßlich Unionsbürger ist und auch keine beweiskräftigen Indizien vorliegen, wonach dieser einen Wohnsitz außerhalb des Unionsgebiets hätte.289

140 bb) Einzelne Territorien. Das Unionsgebiet in diesem Sinne und damit der räumliche Anwendungsbereich der EuGVO ergibt sich wegen ihres Charakters als EU-Sekundärrecht aus den dazu geltenden allgemeinen Bestimmungen in EUV und AEUV. Insbesondere gelten die detaillierten Regeln über die Staatsgebiete der Mitgliedstaaten gemäß Art. 52 Abs. 2 EUV i. V. m. Art. 355 AEUV. Aus diesen Vorschriften ergibt sich, dass die EuGVO nicht nur in den europäischen Territorien der EU-Mitgliedstaaten gilt, sondern auch in den französischen Gebieten Guadeloupe, Französisch-Guayana, Martinique, Réunion, Saint-Barthélemy, Saint-Martin sowie auf den zu Spanien gehörenden Kanarischen Inseln sowie auf Madeira und den Azoren als Teile Portugals (Art. 355 Abs. 1 AEUV). Auch für Gibraltar gilt wegen Art. 355 Abs. 3 AEUV jedenfalls im Grundsatz das Primär- und Sekundärrecht der EU und damit auch die EuGVO.290 141 Das EU-Sekundärrecht und damit auch die EuGVO gilt jedoch nicht in den überseeischen „Ländern und Hoheitsgebieten“ gemäß Anhang II des AEUV, die dem Assoziierungssystem gemäß Art. 198 ff. AEUV unterliegen.291 Die EuGVO gilt auch nicht für die europäischen „Mikrostaaten“ Andorra, Monaco, San Marino und Vatikan, auch wenn deren Angelegenheiten z. T. von EU-Staaten wahrgenommen werden.292 Die EuGVO gilt ebenfalls nicht in den britischen Hoheitszonen auf Zypern (Art. 355 Abs. 5 lit. a AEUV) und auch nicht im türkisch besetzten Nordteil Zyperns.293 Die Kanalinseln Guernsey, Jersey, Alderney und Sark sowie die in der irischen See belegene Isle of Man gehören nicht zum Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland, sondern haben einen besonderen Status unter der britischen Krone. Gemäß Art. 355 Abs. 5 lit. c AEUV findet das EU-Recht daher auf dort nur beschränkte Anwendung, etwa im Bereich der Warenverkehrsfreiheit.294 Die EuGVO gilt für diese Inseln aber nicht.295

142 cc) Dänemark-Frage. Das Königreich Dänemark hat einen Sonderstatus, der auf die Privilegien zurückgeht, die Dänemark, Großbritannien und Irland im Anhang zum Amsterdamer Vertrag gewährt wurden.296 Danach sind diese Staaten nicht automatisch an den Maßnahmen der EU 288 EuGH 17. 11. 2011 – C-327/10 – NJW 2012, 1199, 1200 – Lindner. 289 EuGH 15. 3. 2012 – C-292/10 – BeckRS 2012, 80592 Tz. 42 – de Visser. 290 Calliess/Ruffert/Schmalenbach EUV/AEUV Art. 355 AEUV Rn. 9 auch zu den hier irrelevanten Ausnahmen im Zoll- und Steuerrecht.

291 Grönland, Neukaledonien und Nebengebiete, Franz.-Polynesien, Franz. Süd- und Antarktisgebiete, Wallis und Futuna, Mayotte, St. Pierre und Miquelon, Aruba, Niederländische Antillen (Bonaire, Curacao, Saba, Sint Eustatius, Sint Maarten), Anguilla, Kaimaninseln, Falklandinseln, Südgeorgien und südl. Sandwichinseln, Montserrat, Pitcairn, St. Helena und Nebengebiete, Brit. Territorium im Indischen Ozean, Turks- und Caicosinseln, Brit. Jungferninseln, Bermuda. 292 Kropholler/v. Hein Einl. EuGVO Rn. 53 m. w. N. 293 Kropholler/v. Hein Einl. EuGVO Rn. 45 m. w. N. zu Zypern. 294 Calliess/Ruffert/Schmalenbach EUV/AEUV Art. 355 AEUV Rn. 14. 295 Kropholler/v. Hein Einl. EuGVO Rn. 52. 296 Nunmehr auch unter Geltung des Lissabonner Vertrags bestätigt in Protokoll Nr. 21 über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (ABl. EU 2008 C 115/295) und Protokoll Nr. 22 über die Position Dänemarks (ABl. EU 2008 C 115/299).

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XI. Internationale Zuständigkeit nach EuGVO

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zur Bildung des „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ beteiligt. Dies gilt für die heutigen Kompetenznormen der Art. 67 ff. AEUV und damit auch für die hier einschlägige justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen gemäß Art. 81 AEUV. Allerdings nimmt Irland bezüglich der EuGVO – ebenso wie bei zahlreichen anderen Maßnahmen der justiziellen Zusammenarbeit – gemäß einem in dem einschlägigen Protokoll gewährten „Eintrittsrecht“ freiwillig an der Anwendung dieser Normen teil, so dass für Irland aus Sicht des Rechtsanwenders keine Besonderheiten gelten. Dänemark jedoch hat sich diesen Weg des freiwilligen opt-in in einzelne Rechtsakte nicht offengehalten. Stattdessen wurde zwischen der EU und dem Königreich Dänemark im Hinblick auf die EuGVO (ebenso zur EuZVO) ein besonderer völkerrechtlicher Vertrag abgeschlossen, der dazu führt, dass die EuGVO mit Wirkung vom 1. Juli 2007 auch in und für Dänemark gilt (s. oben Rn. 26). Bezüglich Großbritannien ist die EuGVO in der Übergangsphase bis 31.12.2020 noch anwendbar. Für die Zeit ab 2021 hängt dies von den laufenden Verhandlungen mit der EU ab, in Betracht kommt auch eine Erstreckung des Luganer Übereinkommens auf Großbritannien (s. oben Rn. 38). Für die Faröer-Inseln und Grönland gilt das EuGVO aber nicht, und zwar weder als EU- 143 Sekundärrecht – wegen Art. 355 Abs. 5 lit. a AEUV sowie Art. 355 Abs. 2 AEUV – noch kraft des zwischen der EU und Dänemark abgeschlossenen völkerrechtlichen Vertrags, der diesbezüglich nur auf das allgemeine EU-Recht in Form der genannten Vorschriften verweist.

2. Allgemeiner Gerichtsstand (Art. 4 EuGVO) Die Vorschrift des Art. 4 EuGVO entspricht dem tradierten Grundsatz des actor sequitur forum 144 rei, der allerdings bei näherer Betrachtung keineswegs so selbstverständlich ist, wie es gelegentlich dargestellt wird.297 Der EuGH weist diesem Grundsatz aber einen recht hohen Rang im Verhältnis zu den besonderen Gerichtsständen der Art. 7 und 8 EuGVO zu: Diese besonderen Regeln gewähren ja zusätzliche Gerichtsstände, die zu einer potentiellen Erweiterung der Gerichtspflichtigkeit einer Person auch außerhalb ihres (durch den Sitz definierten) Heimatstaates führen. Daher sollen Art. 7 und 8 EuGVO nach Ansicht des Gerichtshofs restriktiv ausgelegt werden.298 Es ist aber unklar, welche Konsequenzen aus diesem Programmsatz zu ziehen sind, der zwar vom EuGH regelmäßig wiederholt wird, aber dann in der Regel doch ohne erkennbaren Einfluss auf die nach sachbezogenen Kriterien getroffene Auslegungsfrage bleibt.299 Die nähere Bestimmung des Wohnsitzes im Sinne von Art. 4 EuGVO ergibt sich aus Art. 62 145 und 63 EuGVO. Für natürliche Personen sieht Art. 62 EuGVO vor, dass der Wohnsitz nach der lex fori bestimmt wird, d. h. nach den prozessrechtlichen und materiellrechtlichen Vorschriften des Forumsstaates unter Ausschluss derjenigen des Kollisionsrechts.300 Ein deutsches Gericht wendet mithin §§ 7 ff. BGB an. Ob ein Wohnsitz in einem anderen Staat besteht, ist von den dortigen Gerichten wiederum nach dortigem Sachrecht zu beurteilen.301 Dagegen wird der Wohnsitz von Gesellschaften und juristischen Personen in Art. 63 EuGVO 146 von der Verordnung selbst in europarechtlich-autonomer Weise bestimmt: Sowohl der satzungsmäßige Sitz als auch die Hauptverwaltung oder die Hauptniederlassung (Art. 63 Abs. 1 lit. a–c) be-

297 Kritisch diesbezüglich etwa Buchner S. 94 ff. 298 Vgl. zur früheren Fassung der EuGVO EuGH 16. 7. 2009 – C-189/08 – Slg. 2009, I-6917 Tz. 22 – Zuid-Chemie = NJW 2009, 3501, 3502 m. w. N.; ebenso bereits zum EuGVÜ EuGH 27. 9. 1988 – 189/87 – Slg. 1988, 5565 Tz. 19 – Kalfelis = NJW 1988, 3088. 299 Vgl. etwa den Martinez-Fall EuGH 25. 10. 2011 – C-509/09 und C-161/09 – GRUR 2012, 300, in dem der EuGH im Bereich des Persönlichkeitsrechts eine auf Art. 5 Nr. 3 EuGVO gestützte erhebliche Ausweitung der Gerichtspflichtigkeit des Beklagten außerhalb seines Heimatstaats geschaffen hat, die aber sachlich berechtigt ist und auch als Entscheidung mit „rechtspolitischem Augenmaß“ (Hess JZ 2012, 189, 191) gewürdigt wird. 300 Prütting/Gehrlein/Schinkels Art. 62 EuGVO Rn. 2. 301 MünchKommUWG/Mankowski Int WettbR Rn. 377.

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

gründen einen Wohnsitz der Gesellschaft oder juristischen Person. Für den Kläger kann sich daher ein Wahlrecht zwischen satzungsmäßigem Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung des Beklagten ergeben, soweit diese nicht identisch sind.302 Die nähere Auslegung der in Art. 60 Abs. 1 lit. a–c genannten Begriffe ist europarechtlich-autonom vorzunehmen und man kann für ihre Auslegung auf die zu Art. 54 AEUV entwickelten Maßstäbe zurückgreifen.303 Dabei ergibt sich der satzungsmäßige Sitz aus dem Gesellschaftsvertrag oder einem sonstigen Gründungsdokument. Die Hauptverwaltung liegt dort, wo die Willensbildung und eigentliche unternehmerische Leitung der Gesellschaft oder juristischen Person erfolgt, also regelmäßig am faktischen Sitz des Leitungsorgans.304 Der Begriff der Hauptniederlassung bezeichnet den tatsächlichen Geschäftsschwerpunkt, an dem sich die wichtigsten Personal- und Sachmittel des Unternehmens konzentrieren.305 Die in Art. 63 Abs. 1 EuGVO vorgeschriebene alternative Bestimmung des Wohnsitzes durch 147 satzungsmäßigen Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung führt dazu, dass die Zuständigkeitsregeln der EuGVO auch auf eine Klage gegen eine Scheinauslandsgesellschaft anzuwenden sind, wenn diese zwar ihren Satzungssitz in einem Nicht-EU-Mitgliedstaat hat, sich aber ihre faktische Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung innerhalb der EU befindet.306 Art. 4 EuGVO regelt nur die internationale Zuständigkeit („vor den Gerichten dieses Mit148 gliedsstaats“); die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus nationalem Prozessrecht.307 In Wettbewerbssachen gilt mithin § 14 UWG für die örtliche Zuständigkeit. §§ 12 ff. ZPO gelten nur ersatzweise, falls § 14 UWG nicht anwendbar sein sollte.308

3. Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes (Art. 7 Nr. 1 EuGVO) 149 Für vertragliche Streitigkeiten sieht Art. 7 Nr. 1 EuGVO einen besonderen Gerichtsstand am Erfüllungsort vor. Damit wird auf die vertragliche Bindung zwischen den Parteien Rücksicht genommen und es wird ein von etwaigen Wohnsitzwechseln unabhängiger und dadurch bei Vertragsschluss berechenbarer Gerichtsstand geschaffen.309

150 a) Anwendungsbereich. Die Anwendung des Art. 7 Nr. 1 EuGVO setzt nach dem Wortlaut der Vorschrift voraus, dass „ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden.“ Dies umfasst sämtliche vertragliche Ansprüche zwischen den Parteien, auch wenn sie durch Rechtsnachfolge in diese Stellung gelangt sind;310 nicht aber Ansprüche Dritter, die nicht Vertragspartei sind.311 Soweit eine akzessorische Haftung Dritter für die Verbindlichkeiten aus einem Vertrag geltend gemacht wird, etwa gegenüber den Gesellschaftern einer (rechtsfähigen) GbR oder OHG, so besteht zwar mit diesen Personen kein Vertrag, aber pragmatische Gründe sprechen dafür, auch die Klage gegen diese Personen im Vertragsgerichtsstand zuzulassen.312 302 303 304 305 306 307 308 309 310 311

MünchKommUWG/Mankowski Int WettbR Rn. 378; Saenger/Dörner ZPO (4. Aufl. 2011) Art. 60 EuGVO Rn. 7. MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 378 m. w. N. BAG 23. 1. 2008 – 5 AZR 60/07 – NJW 2008, 2797, 2798 m. w. N. Saenger/Dörner ZPO (4. Aufl. 2011) Art. 60 EuGVO Rn. 6; Kropholler/v. Hein Art. 60 EuGVO a. F. Rn. 2. Thole IPRax 2007, 519, 522 in krit. Anm. zu OLG Köln 31. 1. 2006 – 22 U 109/05 – IPRax 2007, 530. Prütting/Gehrlein/Pfeiffer Art. 2 EuGVO Rn. 4. MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 379. Schack Rn. 286. BGH 22. 4. 2009 – VIII ZR 156/07 – NJW 2009, 2606, 2607 m. w. N. EuGH 17. 6. 1992 – C-26/91 – Slg. 1992, I-3967 – Handte = JZ 1995, 90 m. Anm. Peifer; EuGH 27. 10. 1998 – C-51/ 97 – Slg. 1998, I-6511 Tz. 17 ff. – Réunion européenne = IPRax 2000, 210 m. Anm. Koch S. 186. 312 BGH, 2. 6. 2003 – II ZR 134/02 = NJW 2003, 2609 für Einlagenhaftung des Kommanditisten gegenüber dem Gesellschaftsgläubiger; ausführliche Begründung bei Lindacher FS Klamaris (2016) 459, 462 m. w. N.; aA Rauscher/ Leible Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 11.

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XI. Internationale Zuständigkeit nach EuGVO

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Auch Streitigkeiten über das Zustandekommen eines Vertrages313 sowie um auf einen Ver- 151 trag gestützte Schadensersatz- und andere Sekundäransprüche fallen unter diese Vorschrift.314 Der Begriff des Vertrags ist autonom zu definieren und umfasst nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs jede freiwillig gegenüber einem anderen eingegangene Verpflichtung.315 Damit wird der Begriff aus Sicht des Gerichtshofs „nicht eng ausgelegt“ und umfasst auch einseitige Verpflichtungen wie eine Gewinnzusage.316 Aus dieser Rechtsprechung muss man folgern, dass auch eine nach Abmahnung abgegebe- 152 ne Unterlassungserklärung ein Vertrag im Sinne von Art. 7 Nr. 1 EuGVO ist.317 Die hier geregelte Erfüllungsortzuständigkeit ist daher gegeben, wenn ein Anspruch aufgrund einer solchen Erklärung geltend gemacht wird, d. h. insbesondere ein Anspruch auf die versprochene Unterlassung oder auf Zahlung der versprochenen Vertragsstrafe. Da es sich hier um eine europarechtlich-autonom vorzunehmende Norminterpretation handelt, kann die entsprechende Diskussion in der deutschen Dogmatik allenfalls im Sinne von persuasive authority herangezogen werden. Auch sie geht aber ganz überwiegend vom vertraglichen Charakter der aus der Unterwerfungserklärung folgenden Ansprüche aus.318 Die mit guten Gründen vertretene Mindermeinung, wonach die Unterlassungserklärung nur feststellenden Charakter im Hinblick auf den deliktsrechtlichen Unterlassungsanspruch habe,319 ist jedenfalls mit der dargestellten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kaum vereinbar und daher für die Auslegung der EuGVO nur von theoretischem Interesse. Ihr ist allerdings zuzugeben, dass eine Einordnung der Unterwerfungserklärung als Vertrag eher zu neuen Unsicherheiten hinsichtlich des Gerichtsstands – nämlich im Hinblick auf die sogleich zu erörternde Lokalisierung des Erfüllungsorts der Unterlassungsverpflichtung – führt, denen man mit einem fortdauernden Bezug auf den deliktsrechtlichen Unterlassungsanspruch aus dem Wege gehen könnte. Angesichts der dargestellten Rechtsprechung ist der Praxis daher nur zu raten, derartige Unsicherheiten durch eine Gerichtsstandsvereinbarung in der Unterlassungserklärung von vorneherein zu beseitigen.320 Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine räumlich unbegrenzte vertragliche Unterlassungsverpflichtung gerade keinen Erfüllungsort im Sinne von Art. 7 Nr. 1 EuGVO begründen kann (dazu unten Rn. 158), so dass auch diese Unwägbarkeit für eine Gerichtsstandsvereinbarung spricht. Stehen vertragliche und deliktsrechtliche Ansprüche in Anspruchskonkurrenz, so ist bis- 153 her ungeklärt, ob im Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 1 EuGVO nur die vertraglichen Ansprüche geltend gemacht werden können oder ob dieser Gerichtsstand auch für etwaige auf dem gleichen Sachverhalt beruhenden deliktsrechtlichen Ansprüche eröffnet ist.321 Der Europäische Gerichtshof hat sich dazu bisher nicht geäußert, hat aber umgekehrt den Deliktsgerichtstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVO (früher Art. 5 Nr. 3) gerade nicht für in Anspruchskonkurrenz stehende vertragsrechtliche Ansprüche geöffnet.322 Daraus könnte man folgern, dass diese Trennung auch für den Vertragsgerichtsstand gilt, so dass in diesem keine deliktsrechtlichen Ansprüche geltend gemacht werden könnten. Allerdings ist ein solcher Schluss aus der EuGH-Rechtsprechung nicht 313 314 315 316

EuGH 4. 3. 1982 – 38/81 – Slg. 1982, 825 – Effer ./. Kantner = IPRax 1983, 31 m. Anm. Gottwald S. 13. EuGH 8. 3. 1988 – 9/87 – Slg. 1988, 1539 Tz. 13 – Arcado ./. Haviland = NJW 1989, 1424. EuGH 17. 9. 2002 – C-334/00 – Slg. 2002, I-7357 Tz. 23 m. w. N. – Tacconi = NJW 2002, 3159. EuGH 20. 1. 2005 – C-27/02 – Slg. 2005, I-499 Tz. 48 ff. – Engler = NJW 2005, 811 = IPRax 2005, 239 m. Anm. Lorenz/Unberath S. 219 = JZ 2005, 782 m. Anm. Mörsdorf-Schulte S. 770. 317 KG 25. 4. 2014 – 5 U 113/11 – IPRax 2015, 90, 92 mit zustimmender Anm. Thole IPRax 2015, 65. 318 BGH 12. 7. 1995 – I ZR 176/93 – BGHZ 130, 288, 293 – Kurze Verjährungsfrist = GRUR 1995, 678; Köhler/Bornkamm § 12 Rn. 1.197; Piper/Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 49; Dornis/Förster GRUR 2006, 195 m. w. N. 319 Lindacher S. 33 m.w.N; ders. FS Canaris Bd. I (2007), S. 1393 ff. 320 Lindacher S. 34. 321 Für eine Erweiterung sowohl von Art. 5 Nr. 1 als auch Art. 5 Nr. 3 EuGVO auf in Anspruchskonkurrenz stehende vertrags- und deliktsrechtliche Ansprüche etwa Geimer IPRax 1986, 81; Mansel IPRax 1989, 85, Wolf IPRax 1999, 87; dagegen jedoch Schack Rn. 396. 322 EuGH 27. 9. 1988 – 189/87 – Slg. 1988, 5565 Tz. 21 = NJW 1988, 3088 – Kalfelis; s. dazu unten Rn. 168.

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

zwingend: Es erscheint auch möglich – und im Interesse der Verfahrenseffizienz durchaus sinnvoll –, eine Asymmetrie zwischen Art. 7 Nr. 1 und Art. 7 Nr. 2 EuGVO in dem Sinne anzunehmen, dass nur ersterer eine „Anziehungskraft“ entwickelt, aufgrund derer in ihm auch deliktsrechtliche Ansprüche verhandelt werden können, so dass Art. 7 Nr. 1 EuGVO zu einem in diesem Sinne „dominierenden Gerichtsstand“ würde.323 Für das Lauterkeitsrecht wird sich diese Frage in der Praxis selten stellen, da jedenfalls nach der herrschenden deutschen Ansicht ein durch eine Unterwerfungserklärung entstandener vertragsrechtlicher Unterlassungsanspruch den deliktsrechtlichen Unterlassungsanspruch ja nicht ergänzt, sondern komplett ersetzt, so dass im Regelfall gar keine Anspruchskonkurrenz vorliegt.

b) Bestimmung des Erfüllungsortes 154 aa) Vereinbarung. Der den Gerichtsstand begründende Erfüllungsort einer vertraglichen Verpflichtung richtet sich primär nach den Vereinbarungen der Parteien. Für eine „echte“ Erfüllungsortsvereinbarung, d. h. eine solche, die den Ort festlegt, an dem die materiell-rechtlichen Verpflichtungen der Parteien zu erfüllen sind, enthält die EuGVO keine Form- oder sonstige Vorschriften.324 Es gilt mithin das per Kollisionsrecht zu ermittelnde, in der Sache anwendbare Recht. Anders behandelt die Rechtsprechung aber eine Erfüllungsvereinbarung, die nur zum Zwecke der Schaffung eines Gerichtsstands getroffen wird: Eine solche „unechte“ Erfüllungsortvereinbarung, die gar nicht die tatsächliche Vertragsdurchführung regeln soll, wird den Formvorschriften für Gerichtsstandsvereinbarungen (Art. 25 EuGVO, dazu unten Rn. 209) unterworfen, um diese nicht wirkungslos werden zu lassen.325 Für die Praxis – etwa bei der Formulierung einer Unterwerfungserklärung – ist es daher ratsam, gleich zum Instrument der Gerichtsstandsvereinbarung zu greifen. Dafür spricht auch die erhöhte Rechtssicherheit durch die – jedenfalls wegen Art. 25 Abs. 1 Satz 2 EuGVO mangels anderweitiger Vereinbarung geltende – Ausschließlichkeit des gemäß Art. 25 EuGVO begründeten Gerichtsstands. Im Unterschied dazu begründet eine wirksame Erfüllungsortvereinbarung ja nur einen zusätzlichen Gerichtsstand gemäß Art. 7 Nr. 1 EuGVO, der eine Klage am Sitz des Beklagten (Art. 4 EuGVO) oder an sonstigen im Einzelfall gegebenen Gerichtsständen nicht ausschließt.

155 bb) Verordnungsautonome Bestimmung. Wurde der Erfüllungsort einer vertraglichen Verpflichtung nicht von den Parteien vereinbart, so ist zwischen verschiedenen Vertragstypen zu unterscheiden. Für Kaufverträge über bewegliche Sachen und Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen löst Art. 7 Nr. 1b) EuGVO das Dauerproblem der Bestimmung des Erfüllungsortes durch eine eigene und damit einheitliche Definition des Erfüllungsortes, nämlich für Kaufverträge am Lieferort und für Dienstleistungsverträge am Ort der Erbringung der Dienstleistung. Bei diesen Verträgen wird auch nicht mehr zwischen den einzelnen Verpflichtungen der Vertragsparteien unterschieden, sondern es gilt der in Art. 7 Nr. 1b) EuGVO genannte Ort als konzentrierter Erfüllungsort für sämtliche vertragliche Verpflichtungen beider Parteien.326 Ein „Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen“ im Sinne von Art. 7 Nr. 1 b), 2. Spiegelstrich, liegt in Anlehnung an den Begriff der Dienstleistung in Art. 57 AEUV immer dann vor, wenn Leistungen „in der Regel gegen Entgelt“ erbracht werden, d. h. insbesondere gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche oder freiberufliche Tätigkeiten wie z. B. jene eines Rechtsanwalts.327 Allerdings muss 323 Schack Rn. 397; Kropholler/v. Hein Art. 5 EuGVO a. F. Rn. 79. 324 BGH 22. 4. 2009 – VIII ZR 156/07 – NJW 2009, 2606, 2608 (Erfüllungsortvereinbarung mit zuständigkeitsbegründender Wirkung möglich, wenn „dieser Ort einen Zusammenhang mit der Vertragswirklichkeit aufweist“). 325 BGH 22. 4. 2009 – VIII ZR 156/07 – NJW 2009, 2606, 2608; Kropholler/von Hein Art. 5 EuGVO a. F. Rn. 36. 326 BGH 2. 3. 2006 – IX ZR 15/05 – NJW 2006, 1806, 1807; krit. Schack Rn. 306 m. w. N. 327 BGH 2. 3. 2006 – IX ZR 15/05 – NJW 2006, 1806, 1807.

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XI. Internationale Zuständigkeit nach EuGVO

Einleitung

nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs die Leistung in einer Tätigkeit bestehen, so dass etwa ein Lizenzvertrag, der die Einräumung von Nutzungsrechten gegen Entgelt regelt, kein Dienstleistungsvertrag im Sinne dieser Vorschrift ist.328 Daraus muss man schließen, dass auch z. B. eine lauterkeitsrechtliche Unterwerfungserklärung kein Dienstleistungsvertrag im Sinne von Art. 7 Nr. 1b) EuGVO ist, weil die darin statuierte Unterlassungsverpflichtung weder gegen Entgelt erbracht wird noch in einer Tätigkeit besteht.

cc) Bestimmung nach lex causae. Für alle anderen Verträge – die weder Kaufvertrag über 156 bewegliche Sachen noch Dienstleistungsvertrag im dargestellten Sinne sind – verweist Art. 7 Nr. 1c) EuGVO auf Buchst. a) in derselben Ziffer, d. h. auf den Erfüllungsort der streitigen Verpflichtung. Dies hat vor allem zwei Konsequenzen: Erstens gibt es bei solchen „sonstigen Verträgen“ im Hinblick auf Art. 7 Nr. 1 EuGVO keinen einheitlichen „konzentrierten“ Erfüllungsort, sondern dieser ist getrennt für die jeweils mit der Klage geltend gemachte vertragliche Verpflichtung zu beurteilen (dazu sogleich Rn. 157). Zweitens enthält die Vorschrift für solche sonstige Verträge auch keine einheitliche Definition des Erfüllungsortes, so dass die Frage entsteht, nach welchem Recht dieser bestimmt werden soll (dazu unten Rn. 159). Wenn in Art. 7 Nr. 1a) vom „Ort, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen 157 wäre“ die Rede ist, so ist damit diejenige Verpflichtung gemeint, auf deren Verletzung die erhobene Klage gestützt wird.329 Somit ist bei der klageweisen Geltendmachung eines vertraglichen Primäranspruchs – vom Europäischen Gerichtshof auch „selbständige vertragliche Verpflichtung“330 genannt – der Erfüllungsort dieser Verpflichtung maßgeblich. Wird dagegen ein Sekundäranspruch wegen Pflichtverletzung geltend gemacht – „eine Verpflichtung, die an die Stelle der nichterfüllten vertraglichen Verpflichtung getreten ist“331 – so ist Erfüllungsort im Sinne von Art. 7 Nr. 1 EuGVO der Ort, an dem die verletzte Vertragspflicht zu erfüllen gewesen wäre und nicht etwa der Ort, wo z. B. der Schadensersatz zu zahlen wäre.332 Für räumlich unbeschränkte, d. h. „weltweit“ geltende vertragliche Unterlassungs- 158 pflichten lehnt der Europäische Gerichtshof die Anwendung von Art. 7 Nr. 1 EuGVO mangels konkretisierbarem Erfüllungsort allerdings ganz ab.333 Dieses zumindest in der Begründung umstrittene334 Urteil führt dazu, dass bei Verstößen gegen solche vertraglich begründeten weltweiten Unterlassungspflichten – wie man sie etwa in einer lauterkeitsrechtlichen Unterwerfungserklärung finden mag – kein besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsorts zur Verfügung steht, sondern nur die Klage am Sitz des Schuldners gemäß Art. 4 EuGVO in Betracht kommt. Auch dies spricht wieder für eine Gerichtsstandsvereinbarung in derartigen Vereinbarungen. In allen übrigen Fällen des Art. 7 Nr. 1a) EuGVO, d. h. wenn Art. 7 Nr. 1b) EuGVO keine 159 Anwendung findet, ist der Erfüllungsort nach der vom Europäischen Gerichtshof bereits 1976 entwickelten „Tessili-Regel“ gemäß dem auf den Vertrag anwendbaren Recht, d. h. nach der vertragsrechtlichen lex causae zu bestimmen.335 Gilt als lex causae etwa deutsches Recht, so ist der Erfüllungsort einer Verpflichtung somit gemäß § 269 BGB zu bestimmen, d. h. er liegt im Zweifel gemäß § 269 Abs. 1 BGB am Sitz des Schuldners zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses.

328 EuGH 23. 4. 2009 – C-533/07 – Slg. 2009 I-3369 – GRUR 2009, 753, 756 – Falco Privatstiftung. Der EuGH lehnt hier eine strikte Bindung der Auslegung des Art. 5 Nr. 1 EuGVO an den Dienstleistungsbegriff des AEUV (seinerzeit EG-Vertrag) ausdrücklich ab, EuGH 23. 4. 2009 – C-533/07 – Slg. 2009 I-3369 – GRUR 2009, 753, 756 – Falco Privatstiftung, Tz. 35 ff. 329 EuGH 6. 10. 1976 – 14/76 – Slg. 1976, 1497 – NJW 1977, 490, 491 – de Bloos. 330 EuGH 6. 10. 1976 – 14/76 – Slg. 1976, 1497 – NJW 1977, 490, 491 – de Bloos. 331 EuGH 6. 10. 1976 – 14/76 – Slg. 1976, 1497 – NJW 1977, 490, 491 – de Bloos. 332 Schack Rn. 296. 333 EuGH 19. 2. 2002 – C-256/00 – Slg. 2002 I-1699 – NJW 2002, 1407 – Besix. 334 Kritisch etwa Schack Rn. 309 m. w. N.; Hess IPRax 2002, 376. 335 EuGH 6. 10. 1976 – 12/76 – Slg. 1976, 1473 – NJW 1977, 491 – Tessili.

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

Trotz Kritik in der Literatur, die eine autonome Bestimmung des Erfüllungsorts fordert,336 hat der Europäische Gerichtshof an der Tessili-Regel festgehalten, und zwar selbst dann, wenn sie de facto zu einem Klägergerichtsstand führen sollte.337 Auch die Einführung der EuGVO, und damit einer verordnungsautonomen Bestimmung des Erfüllungsorts zumindest für Kauf- und Dienstleistungsverträge in Art. 7 Nr. 1b) EuGVO, hat den Europäischen Gerichtshof nicht zur Aufgabe der Tessili-Regel für alle übrigen Verträge (Art. 7 Nr. 1a EuGVO) bewegen können.338 Die an sich berechtigte Kritik der Literatur an der Tessili-Regel, die nicht zu einer echten Prozessrechtsharmonisierung führen könne,339 hat aber heute schon deshalb etwas an Schärfe verloren, weil seit Inkrafttreten der Rom I-Verordnung immerhin EU-weit (mit Ausnahme von Dänemark) einheitliche Kollisionsregeln zur Bestimmung der vertragsrechtlichen lex causae gelten. Insbesondere gilt mangels einer Rechtswahl Art. 4 Rom I-Verordnung mit seinem Grundsatz der Geltung des Rechts am Sitz der die charakteristische Leitung erbringenden Vertragspartei. Bei einem lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsvertrag – soweit dieser angesichts der oben (Rn. 158) dargestellten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs überhaupt einen Erfüllungsort im Sinne von Art. 7 Nr. 1 EuGVO begründen kann – liegt die charakteristische Leistung bei derjenigen Partei, welche die Unterlassung eines bestimmten Verhaltens verspricht.340 Für Lizenzverträge, die ebenfalls nicht unter den Dienstleistungsbegriff des Art. 7 Nr. 1b) EuGVO fallen (s. oben Rn. 155), liegt die charakteristische Leistung in der Regel beim Lizenzgeber.341 Anders soll es dagegen nach herrschender Ansicht beim Verlagsvertrag sein; hier sei der Verleger derjenige, der die charakteristische Leistung erbringt.342

4. Besonderer Gerichtsstand des Tatorts (Art. 7 Nr. 2 EuGVO) 160 Im internationalen Wettbewerbsverfahrensrecht spielt unter den besonderen Gerichtsständen der EuGVO der Tatortgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 (ehemals Art. 5 Nr. 3) EuGVO die Hauptrolle. Die EuGVO folgt mit dieser Vorschrift einem weit verbreiteten Prinzip, wonach bei deliktsrechtlichen Ansprüchen auch die Gerichte am Tatort des Delikts zuständig sind. Dafür sprechen schon pragmatische Erwägungen, nämlich insbesondere die Beweisnähe des Tatortgerichts.343 Hinzu kommt aber die Gerechtigkeitserwägung, dass in Deliktsfällen eine Ausnahme vom zu Gunsten des Beklagten bestehenden Grundsatz des actor sequitur forum rei (dazu oben Rn. 144) gerechtfertigt ist: Wenn der Beklagte im (aus seiner Sicht) Ausland eine unerlaubte Handlung begeht und dadurch jemanden schädigt, so wäre es unfair, diesen Geschädigten nun auch noch zu zwingen, sich an den Sitz des Beklagten begeben, um dort zu klagen. Stattdessen wird ihm die zusätzliche Möglichkeit eröffnet, nach seiner Wahl auch am Tatort – dessen Lokalisierung sich aus der dem Beklagten zuzurechnenden unerlaubten Handlung ergibt – Klage zu erheben. 161 Die Vorschrift des Art. 7 Nr. 2 EuGVO regelt – anders als Art. 7 Nr. 1 – aufgrund ihres Wortlauts („Gericht des Ortes“) nicht nur die internationale, sondern zugleich auch die örtliche Zuständigkeit und verdrängt auch insoweit das nationale Zuständigkeitsrecht. 336 337 338 339 340

Insbesondere Schack Rn. 303 ff. m. w. N. EuGH 29. 6. 1994 – C-288/92 – Slg. 1994 I-2913 – NJW 1995, 183 – Custom Made Commercial. EuGH 23. 4. 2009 – C-533/07 – Slg. 2009 I-3369 – GRUR 2009, 753, 756 – Falco Privatstiftung. Schack Rn. 301. Vgl. MünchKommBGB/Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn. 240 zum abstrakten Schuldversprechen, allerdings passt die Verwendung dieser dem deutschen Recht entlehnten Begriffe (kausales und abstraktes Schuldversprechen) nicht zu der bei Art. 4 Rom I-VO notwendigen europarechtlich-autonomen Auslegung. 341 MünchKommBGB/Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn. 265 m. w. N.; Calliess/Gebauer Rome Regulations, Rome I Art. 4 Rn. 63. 342 MünchKommBGB/Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn. 252 m. w. N.; Calliess/Gebauer Rome Regulations, Rome I Art. 4 Rn. 64. 343 EuGH 16. 7. 2009 – C-189/08 – Slg. 2009 I-6919 Tz. 24 = NJW 2009, 3501, 3502 – Zuid-Chemie.

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XI. Internationale Zuständigkeit nach EuGVO

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a) Anwendungsbereich aa) Unerlaubte Handlung. Der Tatortgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVO ist nach dem Wort- 162 laut dieser Vorschrift eröffnet für Ansprüche aus „unerlaubter Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist“. Die letztere Variante (in der französischen Fassung der Verordnung: „en matière délictuelle ou quasi-délictuelle“) stammt aus der im französischen Recht gängigen Unterscheidung zwischen délits und quasi-délits, wobei ein délit regelmäßig Vorsatz voraussetzt, während die fahrlässige Schadenszufügung als quasi-délit bezeichnet wird.344 Der deutsche Sprachgebrauch ist anders und versteht unter dem Begriff des Delikts oder der „unerlaubten Handlung“ sowohl vorsätzliches wie auch fahrlässiges Verhalten. Auf diese oder eine andere mitgliedstaatliche Terminologie kommt es jedoch bei der Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuGVO allenfalls als Auslegungshilfe an, denn die Vorschrift ist zunächst europarechtlich-autonom zu interpretieren. Sie betrifft nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sämtliche Klagen, „mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen Vertrag im Sinne von Art. 5 [heute: Art. 7] Nr. 1 anknüpfen.“345 Somit sind von dieser Vorschrift vorsätzliche und fahrlässige Schadenszufügungen außerhalb einer Vertragsbeziehung – also auch Schädigungen im vorvertraglichen Bereich unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluss346 – ebenso umfasst wie Ansprüche aus Gefährdungshaftung sowie verschuldensunabhängige Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche.347 Insbesondere außervertragliche Ansprüche, die auf Normen des Lauterkeitsrechts gestützt werden, fallen daher typischerweise unter Art. 7 Nr. 2 EuGVO.348 Ebenso wie beim Vertragsgerichtsstand sollte der Deliktsgerichtsstand auch für Klagen gegen mithaftende Personen gelten, auch wenn diese selbst nicht Deliktstäter sind, also etwa für Klagen gegen die Gesellschafter einer Personengesellschaft, die aus Delikt haften soll.349 In unionsrechtlich harmonisierten Bereichen des gewerblichen Rechtsschutzes wird Art. 7 Nr. 2 EuGVO z. T. durch vorrangige Spezialvorschriften verdrängt.350

bb) Ausnahme: Ausschließlicher Gerichtsstand des Art. 24 Nr. 4. Für marken- und 163 kennzeichenrechtliche Ansprüche und andere Ansprüche, die sich auf Rechte des geistigen Eigentums stützen, ist allerdings die Vorschrift des Art. 24 Nr. 4 EuGVO zu beachten. Diese begründet einen ausschließlichen und damit den Art. 7 Nr. 2 EuGVO verdrängenden Gerichtsstand in dem Mitgliedstaat, in welchem das jeweiligen Recht registriert ist, und zwar für „Klagen, welche die Eintragung oder die Gültigkeit von Patenten, Marken, Mustern und Modellen sowie ähnlicher Rechte, die einer Hinterlegung oder Registrierung bedürfen.“ Damit sind also vornehmlich Einspruchs- und Nichtigkeitsverfahren gegen die Eintragung derartiger Rechte gemeint, soweit man diese überhaupt dem Privatrecht zuordnen kann.351 Steht jedoch nicht die Gültigkeit, sondern nur die Inhaberschaft eines solchen Rechts im Streit, so kommt Art. 24 Nr. 4 344 Vgl. Ferid/Sonnenberger Das Französische Zivilrecht (2. Aufl. 1986) Rn. 203. 345 EuGH 1. 10. 2002 – C-167/00 – Slg. 2002, I-8111 – VKI ./. Henkel = NJW 2002, 3617, 3618 m. w. N. 346 EuGH 17. 9. 2002 – C-334/00 – Slg. 2002, I-7357 = NJW 2002, 3159 – Tacconi = IPRax 2003, 143 m. Anm. Mankowski S. 127.

347 Kropholler/von Hein Art. 5 EUGVO a. F. Rn. 74 m. w. N. 348 BGH 11. 2. 1988 – I ZR 201/86 – GRUR 1988, 483, 485 – AGIAV; BGH 28. 11. 2002 – III ZR 102/02 – BGHZ 153, 82 = NJW 2003, 426, 425 m. w. N. – Gewinnzusage; BGH 30. 3. 2006 – I ZR 24/03 – BGHZ 167, 91 = GRUR 2006, 513, 514 f. – Arzneimittelwerbung; OLG München 6. 12. 2007 – 29 U 2713/07 – IPRax 2009, 256 – Salzburger Nachrichten m. Anm. Heinze IPRax 2009, 231; Kropholler/von Hein Art. 5 EuGVO a. F. Rn. 74 m. w. N. aus der ausländischen Rechtsprechung. 349 Lindacher FS Klamaris (2016) 459, 464 m. w. N. 350 So für das Gemeinschaftsgeschmacksmuster EuGH 13. 7. 2017 – C-433/16 – GRUR 2017, 1129 – BMW/Acacia; dazu Endrich GRUR Int. 2017, 854. 351 Kropholler/von Hein Art. 22 EuGVO a. F. Rn. 47.

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

EuGVO nicht zur Anwendung, d. h. die Klage kann z. B. am Sitz des Belagten erhoben werden.352 Werden Unterlassungs- oder Schadensersatzansprüche wegen einer behaupteten Verletzung eines Kennzeichenrechts oder anderer dort genannter Rechte geltend gemacht, so ist zu unterscheiden: Soweit die Klage inzident auch die richtige Eintragung oder die Gültigkeit des Rechts aufwirft – und sei es, weil der Beklagte die Ungültigkeit des Rechts oder der Eintragung behauptet – so kann sie nach dem neuen Wortlaut des Art. 24 Nr. 4 Satz 1 EuGVO nur an dem dort genannten ausschließlichen Gerichtsstand erhoben werden. Diese Ergänzung des Wortlauts kodifiziert die schon zur alten EuGVO ergangene Rechtsprechung des EuGH.353 Aufgrund des Zweckes dieser Rechtsprechung, nämlich die Entscheidung über die Gültigkeit des fraglichen Rechts bei den Gerichten des Registrierungsstaates zu konzentrieren, gilt der ausschließliche Gerichtsstand unabhängig von der prozessualen Einkleidung dieser Frage, d. h. auch im Falle einer Widerklage, die sich auf die Gültigkeit eines der in Art. 24 Nr. 4 EuGVO genannten Rechte bezieht.354 In der Praxis bleibt damit der Tatortgerichtsstand für Verletzungsklagen hinsichtlich eingetragener Rechte nur noch für die Fälle uneingeschränkt zugänglich, in denen die Gültigkeit des angeblich verletzten Rechts nicht im Streit steht.355 Diese legislative Entscheidung wird in der Literatur zumindest de lege ferenda kritisiert,356 164 da sie insbesondere das Prinzip der perpetuatio fori untergräbt: Wird eine auf Rechtsverletzung gestützte Klage bei einem zunächst zuständigen Gericht erhoben – z. B. am Tatort oder am Sitz des Beklagten – so kann der Beklagte diese Zuständigkeit nachträglich dadurch aushebeln, dass er die Ungültigkeit des Rechts behauptet. Der Vorschlag, dass in diesem Falle das nicht (mehr) zuständige Gericht das Verfahren aussetzen könne, um eine vom ausschließlich zuständigen Gericht zu treffende Entscheidung über die Gültigkeit des Rechts abzuwarten,357 erscheint mit dem Wortlaut des Art. 24 Nr. 4 EuGVO kaum vereinbar.358

165 cc) Sonstige Ausgleichsschuldverhältnisse. Es ist umstritten, ob im Tatortgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVO auch bereicherungsrechtliche Ansprüche geltend gemacht werden können.359 Dagegen wird im Hinblick auf den Wortlaut der Vorschrift angeführt, dass es sich dabei nicht um „deliktische oder quasi-deliktische“ Ansprüche handele.360 Das trifft zwar aus Sicht der deutschen und österreichischen Dogmatik zu, kann aber aufgrund der hier gebotenen autonom-europarechtlichen Auslegung nicht entscheidend sein. Auch der Hinweis des Europäischen Gerichtshofs, dass der Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVO nicht für nicht-deliktische Ansprüche eröffnet sei,361 kann nicht zur Begründung des Ausschlusses von im deutschen Sinne bereicherungsrechtlichen Ansprüchen herangezogen werden,362 weil ja gerade zu prüfen ist, 352 EuGH 5. 10. 2017 – C-341/16 – GRUR 2017, 1167 – Knipping. 353 EuGH 13. 7. 2006 – C-4/03 – Slg. 2006, I-6523 = GRUR 2007, 49, 50 – GAT; Kritik an dieser Entscheidung u. a. bei Adolphsen IPRax 2007, 15; Heinze/Roffael GRUR Int. 2006, 787; Kropholler/von Hein Art. 22 EuGVO a. F. Rn. 50 m. w. N. 354 BGH 28. 6. 2007 – I ZR 49/04 – BGHZ 173, 57 = GRUR 2007, 884, 886 – Cambridge Institute. 355 So das Beispiel bei EuGH 13. 7. 2006 – C-4/03 – Slg. 2006, I-6523 = GRUR 2007, 49 – GAT. 356 Insbesondere durch Rauscher/Mankowski Art. 24 Brüssel Ia-VO Rn. 109 m. w. N. 357 Schack Rn. 350 m. w. N.; MünchKommZPO/Gottwald Art. 24 Brüssel Ia-VO Rn. 38. 358 Ebenso Rauscher/Mankowski Art. 24 Brüssel Ia-VO Rn. 107; 359 Gegen eine Einbeziehung bereicherungsrechtlicher Ansprüche etwa Fezer/Büscher//Hausmann/Obergfell IntLautVerfR Rn. 384 (die jedoch bei Rn. 388 de lege ferenda eine Einbeziehung fordern); für eine Einbeziehung schon de lege lata der italienische Kassationshof: Cass. 22. 6. 1990, krit. referiert durch Lorenz IPRax 1993, 44. 360 Kropholler/von Hein Art. 5 EuGVO a. F. Rn. 75 unter Verweis u. a. auf die österreichische Rechtsprechung; ähnlich Rauscher/Leible Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 112, der sich darauf bezieht, dass das Bereicherungsrecht keinen Schaden ausgleichen, sondern „unberechtigte Vermögensverschiebungen“ rückgängig machen soll. 361 EuGH 27. 9. 1988 – 189/87 – Slg. 1988, 5565 Rn. 21 = NJW 1988, 3088, 3089 – Kalfelis (in Bezug auf den Ausschluss vertragsrechtlicher Ansprüche). 362 So aber Fezer/Büscher/Hausmann/Obergfell IntLautVerfR Rn. 384.

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XI. Internationale Zuständigkeit nach EuGVO

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was „deliktsrechtlich“ im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVO bedeutet. Nach der oben dargestellten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof ist für die Anwendung des Art. 7 Nr. 2 EuGVO entscheidend, dass eine „Schadenshaftung“ geltend gemacht wird und dass diese nicht an einen Vertrag anknüpft. Das letztere Kriterium legt zunächst eine Differenzierung innerhalb der möglichen bereicherungsrechtlichen Ansprüche nahe: Soweit es um die Rückabwicklung nichtiger oder anderweitig fehlgeschlagener Verträge geht, kann Art. 7 Nr. 2 EuGVO nach dieser Definition tatsächlich nicht zur Anwendung kommen, es gilt möglicherweise Art. 7 Nr. 1 EuGVO.363 Soweit es aber um eine Eingriffskondiktion geht – also um einen rechtswidrigen Eingriff in dem Anspruchsteller ausschließlich zugewiesene Rechtspositionen – ist die Grenze zu einer Schadenshaftung keineswegs eindeutig und mag von Rechtsordnung zu Rechtsordnung unterschiedlich gezogen werden. Man denke hier etwa an die unbefugte Nutzung der vermögenswerten Bestandteile des Persönlichkeitsrechts, die vom Bundesgerichtshof sowohl deliktsrechtlich wie auch bereicherungsrechtlich eingeordnet wird.364 In solchen Fällen des Überlappens von Schadensersatz und Eingriffskondiktion kann man durchaus von einer „Schadenshaftung“ im europarechtlichen Sinne sprechen und so zur Anwendung von Art. 7 Nr. 2 EuGVO kommen.365 Dafür spricht auch, dass der „Schadensersatz“ jedenfalls im deutschen Lauterkeitsrecht 166 und im Recht des im gewerblichen Rechtsschutzes zumindest auch unter Verwendung bereicherungsrechtlicher Elemente berechnet wird, und zwar in Form der Zahlung einer angemessenen Lizenzgebühr oder der Herausgabe des vom Verletzer erzielten Gewinns bei Zulassung der „dreifachen Schadensberechnung“. Auch ein derartiges Verlangen nach „Schadensersatz“ wird vom Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVO nach ganz überwiegender und berechtigter Auffassung mit umfasst.366 Dann sollte es aber keine Rolle spielen, ob etwa das Verlangen nach Gewinnherausgabe auf Deliktsrecht oder auf Bereicherungsrecht im deutschen Sinne gestützt wird. Auch ein Anspruch eines Verbands auf Gewinnabschöpfung etwa im Sinne des deutschen § 10 UWG ist in diesem Sinne als Anspruch aus unerlaubter Handlung im Sinne des Art. 7 Nr. 2 EuGVO zu qualifizieren.367 Auch Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag – z. B. der Ersatz von Abmahnkos- 167 ten, soweit man diesen über die kodifizierten Fälle hinaus weiterhin auf die auftragslose Geschäftsführung stützen möchte368 – können entgegen der bisher überwiegenden Meinung durchaus unter Art. 7 Nr. 2 EuGVO fallen.369 Auch hier sind nämlich beide Elemente der europarechtlich-autonomen Definition des Anwendungsbereichs dieser Vorschrift erfüllt: Schon begrifflich setzt der Aufwendungsersatzanspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag das Fehlen eines Vertrages voraus. Es kann aber auch eine Schadenshaftung im europarechtlichen Sinne vorliegen: Schon nach deutschem Recht soll der Aufwendungsbegriff des § 670 BGB, auf den § 683 BGB verweist, jedenfalls nach der Rechtsprechung auch den Ersatz von Schäden des Beauftragten umfassen.370 Hinzu kommt, dass die Konstruktion des Anspruchs auf Ersatz von Ab363 So Kropholler/von Hein Art. 5 EuGVO a. F. Rn. 75; Spickhoff IPRax 2009, 128, 132. 364 Vgl. nur BGH 26. 10. 2006 – I ZR 182/04 – BGHZ 169, 340 = GRUR 2007, 139, 140 m. w. N.; MünchKommBGB/ Schwab § 812 BGB Rn. 311 ff. m. w. N. 365 In diesem Sinne Mankowski RIW 2017, 322; zustimmend Zöller/Geimer Art. 7 EuGVVO Rn. 44; ähnlich Rauscher/Leible Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 112. 366 Fezer/Büscher/Hausmann/Obergfell IntLautVerfR Rn. 385 f.; Staudinger/Fezer/Koos Internat WirtschaftsR Rn. 799; MünchKommZPO/Gottwald Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 48; anders allerdings Kubis S. 108 f. 367 Staudinger/Fezer/Koos Int WirtschaftsR Rn. 800; zweifelnd dagegen Fezer/Büscher/Hausmann/Obergfell IntLautVerfR Rn. 387. 368 Vgl. zur deutschen Rechtslage Jauernig/Mansel BGB § 677 Rn. 3 m. w. N. 369 Gegen die Einbeziehung von GoA-Ansprüchen in Art. 5 Nr. 3 EuGVO a. F. insbesondere OLG Köln 13. 5. 2009 – 6 U 217/08 – IPRax 2011, 174 m. Anm. Dutta S. 134. 370 BGH 5. 12. 1983 – II ZR 252/82 – BGHZ 89, 153 = NJW 1984, 789, 790 m. w. N. („Einmütigkeit“ trotz „unterschiedlicher dogmatischer Begründung“); speziell zur GoA BGH 4. 5. 1993 – VI ZR 283/92 – NJW 1993, 2234, 2235; allerdings unterscheidet der BGH dennoch begrifflich zwischen Aufwendungsersatz und Schadensersatz: BGH 10. 10. 1984 – IVa ZR 167/82 – BGHZ 92, 270 = NJW 1985, 492; die Literatur hält diese Begrifflichkeit z. T. für „gekünstelt“ und

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

mahnkosten aus Geschäftsführung ohne Auftrag keineswegs unumstritten ist und auch andere dogmatische Herangehensweisen möglich sind, z. B. ein Schadensersatzanspruch wegen Pflichtverletzung, soweit man ein vorher bereits bestehendes Schuldverhältnis annehmen kann.371 Auch das spricht dafür, jedenfalls solche Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag in die Tatortzuständigkeit des Art. 7 Nr. 2 EuGVO einzubeziehen, die sachlich einem Schadensersatzanspruch gleichkommen.372

168 dd) Vorbeugende Unterlassungsklage. Eine vorbeugende Unterlassungsklage kann im Tatortgerichtsstand erhoben werden. Dies hat der Europäische Gerichtshof bereits zum EuGVÜ festgestellt,373 so dass der heutige Wortlaut des Art. 7 Nr. 2 EuGVO („Ort, an dem das schädigende Ereignis ... einzutreten droht“) nur klarstellenden Charakter hat.374 Die Zuständigkeit gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVO setzt allerdings voraus, dass es konkrete Anhaltspunkte für einen möglichen Schadenseintritt im Forumsstaat gibt; die ganz unbestimmte Möglichkeit eines Schadenseintritts reicht nicht aus.375 Solche Anhaltspunkte liegen jedoch bei einer bereits erfolgten Schädigung und einem dann auf Wiederholungsgefahr gestütztem Unterlassungsanspruch regelmäßig vor.376

169 ee) Auskunft und Rechnungslegung. Ebenfalls unter den Tatortgerichtsstand fallen Ansprüche auf Auskunft und/oder Rechnungslegung, soweit diese im Zusammenhang mit behaupteten außervertraglichen Schadenszufügungen stehen.377 Dasselbe gilt für Regressansprüche – etwa unter Gesamtschuldnern – die im Zusammenhang mit einem außervertraglich begründeten Schadensersatzanspruch entstehen.378

170 ff ) Feststellungsklage. Der Tatortgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVO gilt aber nicht nur für deliktsrechtlich (im dargestellten Sinne) begründete Leistungsklagen, sondern auch für Feststellungsklagen. Er umfasst damit sowohl die positive Feststellungsklage – etwa auf Feststellung einer Verpflichtung zum Schadensersatz – wie auch die vom angeblichen Schädiger angestreng-

schlägt einen „echten Schadensersatzanspruch“ vor, so Jauernig/Mansel § 670 Rn. 9 m. w. N. Diese Diskussion zeigt jedenfalls, dass die Abgrenzung von Aufwendungsersatz und Schadensersatz je nach dogmatischem Ausgangspunkt unterschiedlich ausfallen kann. 371 Vgl. meinen Vorschlag zum Aufwendungsersatz bei der Verbandsklage: Halfmeier in: Brönneke (Hrsg.) Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozessrecht (2001) 137, 153 ff.; dieser Vorschlag stützt sich noch auf die bei näherer Betrachtung wohl kaum haltbare Annahme eines eigenen „Anspruchs“ des Verbandsklägers (dazu oben Rn. 101), zeigt aber immerhin, dass eine Konstruktion der Abmahnkosten als Schadensersatz nicht per se ausgeschlossen ist; vgl. S. Gottwald JR 1998, 95, 98. 372 So auch Magnus/Mankowski Art. 5 Brussels I Regulation Rn. 197. 373 EuGH 1. 10. 2002 – C-167/00 – Slg. 2002, I-8111, 8142 – VKI ./. Henkel (Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ gilt auch für eine „Klage zur Verhinderung des Eintritts eines Schadens“); EuGH 5. 2. 2004 – C-18/02 – Slg. 2004, I-1417, 1452 – DFDS Torline. 374 Zöller/Geimer Art. 7 EuGVVO Rn. 63 m. w. N. 375 Kropholler/von Hein Art. 5 EuGVO a. F. Rn. 76, Rauscher/Leible Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 115, beide mit Bezug auf die französische Rechtsprechung. 376 Rauscher/Leible Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 115; BGH 15. 2. 2007 – I ZR 114/04 – BGHZ 171, 151 = GRUR 2007, 871, 872 – Wagenfeld-Leuchte; EuGH 5. 2. 2004 – C-18/02 – Slg. 2004, I-1417 Tz. 37 – DFDS Torline (Zuständigkeit des Art. 5 Nr. 3 EuGVO a. F. besteht auch dann fort, wenn die schädigende Handlung zwischenzeitlich ausgesetzt wurde). 377 BGH 27. 11. 2014 – I ZR 1/11 – GRUR 2015, 689, 691 – Parfumflakon III; Fezer/Büscher/Hausmann/Obergfell IntLautVerfR Rn. 383 m. w. N. 378 OLG Celle 22. 3. 1990 – 5 U 129/88 – VersR 1991, 234.

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te negative Feststellungsklage. Letzteres war in der deutschen Rechtsprechung und Literatur lange umstritten,379 wurde aber vom EuGH inzwischen dahingehend geklärt, dass Art. 7 Nr. 2 EuGVO auch eine Zuständigkeit für negative Feststellungsklagen begründet.380 Der Entscheidung des EuGH ist zuzustimmen, weil die für den Tatortgerichtsstand sprechenden Erwägungen – etwa die Sach- und Beweisnähe des Gerichts – auch bei vertauschten Parteirollen zum Tragen kommen.381 Soweit gegen eine Anwendung von Art. 7 Nr. 2 (früher Art. 5 Nr. 3) EuGVO auf negative Feststellungsklagen die dadurch entstehende Gefahr weiterer Möglichkeiten für verzögernde „Torpedoklagen“ ins Felde geführt wurde,382 ist die Lösung dieser Problematik eher mit Hilfe der in der heutigen Fassung der EuGVO überarbeiteten Regeln zu lis pendens zu suchen. Unabhängig davon ist allerdings auch bei negativen Feststellungsklagen die oben (Rn. 163) erörterte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof und die Neufasung des Art. 24 Nr. 4 EuGVO zu beachten, d. h. der Tatortgerichtsstand ist nicht gegeben, wenn die negative Feststellungsklage auf die Ungültigkeit eines der in Art. 24 Nr. 4 EuGVO genannten Rechte gestützt wird.383

gg) Verhältnis zu vertraglichen Ansprüchen. Wird eine auf lauterkeits- und kennzeichen- 171 rechtliche Ansprüche gestützte Klage zulässigerweise im Gerichtsstand des Tatorts (heute Art. 7 Nr. 2 EuGVO) erhoben, und behauptet der Beklagte, dass ihm das gerügte Verhalten aufgrund vertraglicher Vereinbarung gestattet sei, so ändert dies nichts an der Zuständigkeit des Gerichts am Tatort; dieses hat dann den Einwand der vertraglichen Gestattung zu prüfen.384 Stehen jedoch deliktsrechtliche und vertragliche Ansprüche miteinander in Anspruchs- 172 konkurrenz, so können nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs im Tatortgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 nur die deliktsrechtlichen, nicht aber die vertragsrechtlichen Ansprüche geltend gemacht werden.385 Für etwaige vertragliche Ansprüche aufgrund desselben Sachverhalts steht nach dieser Rechtsprechung dann nur der allgemeine Gerichtsstand des Art. 4 EuGVO oder der Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 7 Nr. 1 EuGVO zur Verfügung. Eine auf deliktsrechtliche Ansprüche beschränkte Klage ist aber im Tatortgerichtsstand auch in Fällen der Konkurrenz mit vertragsrechtlichen Ansprüchen stets möglich.386 Diese Beschränkung des Tatortgerichtsstands auf die Prüfung außervertraglicher Ansprüche ist in der Literatur mit guten Gründen kritisiert worden;387 sie passt auch nicht zur Regelung der örtlichen Zuständigkeit in § 32 ZPO (dazu unten Rn. 234). Die Diskussion darüber erscheint aber angesichts der eindeutigen Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofs wie auch des Bundesgerichtshofs jedenfalls de lege lata abgeschlossen. Die Klage auf Zahlung einer Vertragsstrafe aufgrund einer entsprechenden Unterlassungs- 173 vereinbarung ist vertraglicher Natur und kann daher nicht im Deliktsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVO erhoben werden (dazu oben Rn. 152). 379 Gegen die Einbeziehung negativer Feststellungsklagen noch OLG Dresden 28. 7. 2009 – 14 U 1008/08 – Juris Tz. 24; Thomas/Putzo/Hüßtege Art. 5 EuGVVO Rn. 17; dafür jedoch u. a. Domej IPRax 2008, 550, 555 m. w. N. 380 EuGH 25. 10. 2012 – C-133/11 – GRUR 2013, 98 – Folien Fischer; zustimmend und mögliche Folgen aufzeigend R. Magnus LMK 2013, 341419. 381 So mit Recht Kropholler/von Hein Art. 5 EuGVO a. F. Rn. 78. 382 So noch GA Jääskinen, Schlussanträge v. 19. 4. 2012, Rs. C-133/11 – Folien Fischer – Tz. 70. 383 Vgl. die Fallgestaltung in EuGH 13. 7. 2006 – C-4/03 – Slg. 2006, I-6523 = GRUR 2007, 49 – GAT. 384 BGH 11. 2. 1988 – I ZR 201/86 – GRUR 1988, 483, 485. 385 EuGH 27. 9. 1988 – 189/87 – Slg. 1988, 5565 Tz. 19 – Kalfelis = NJW 1988, 3088 m. Anm. Geimer; BGH 7. 12. 2004 – XI ZR 266/03 – NJW-RR 2005, 581, 583 m. w. N. = IPRax 2006, 40 m. Anm. Looschelders S. 14. 386 BGH 27. 5. 2008 – VI ZR 69/07 – BGHZ 176, 342 Tz. 13 = IPRax 2009, 150 m. Anm. Spickhoff S. 128. 387 Geimer NJW 1988, 3088, 3090 (aus dem Gesichtspunkt der „bonne administration de justice wenig überzeugend“); ebenfalls kritisch Gottwald IPRax 1989, 272, 273; dem EuGH zustimmend jedoch Looschelders IPRax 2006, 14, 15 (im Interesse der Rechtssicherheit für den Beklagten und der engen Beschränkung der besonderen Gerichtsstände der EuGVO müsse die Prozessökonomie zurücktreten).

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

174 b) Ubiquitätsregel (Handlungs- oder Erfolgsort). Die Vorschrift des Art. 7 Nr. 2 EuGVO begründet eine Zuständigkeit am Tatort, der definiert ist als derjenige Ort, „an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht.“ Der Europäische Gerichtshof hat diesen Tatortbegriff bereits unter Geltung des EuGVÜ dahingehend interpretiert, dass er sowohl den Ort des ursächlichen Geschehens wie auch den Ort des Eintritts einer physischen Schädigung umfasst.388 Dem Geschädigten steht bei Distanzdelikten, bei denen die Handlung des Täters und der Ort der Schädigung auseinanderfallen, also ein Wahlrecht zwischen dem Gericht am Handlungsort oder dem Gericht am Erfolgsort zu. Je nach Fallgestaltung – etwa bei Streudelikten, die zu Schädigungen an mehreren Orten führen – können sogar zahlreiche solche Orte in Betracht kommen. Diese umfassende Interpretation des Tatortbegriffs wird auch als Ubiquitätsprinzip bezeichnet,389 da sie jeden Ort einer Schädigung als zuständigkeitsbegründend anerkennt. 175 Für das Wettbewerbsverfahrensrecht wird allerdings in der Literatur die Auffassung vertreten, dass aufgrund der marktordnenden Funktion des Lauterkeitsrechts die Ubiquitätsregel in diesem besonderen Bereich nicht gelten könne, sondern dass hier der Tatort im wesentlichen als Marktort bestimmt werden müsse.390 Dies wird teilweise auch damit begründet, dass insoweit ein Gleichlauf mit dem Kollisionsrecht anzustreben sei, welches ja in Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO im Grundsatz das Markortrecht zur Anwendung beruft und nur bei rein bilateralen Wettbewerbsverstößen im Sinne des Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO davon eine Ausnahme macht.391 Ein solcher Gleichlauf hätte immerhin den Vorteil, dass jedenfalls am Tatortgerichtsstand in der Regel auch das Sachrecht des Forumstaates zur Anwendung käme und so die Kosten und Unsicherheiten der Ermittlung ausländischen Rechts minimiert würden. Die Gegenansicht betont dagegen, dass es auch genuin verfahrensrechtliche Wertungen und Interessen geben kann, die nicht notwendig mit jenen des Kollisionsrechts übereinstimmen müssen und will daher zumindestens im Ausgangspunkt auch im Wettbewerbsverfahrensrecht an der Ubiquitätsregel festhalten.392 176 Die letztere Meinung verdient den Vorzug, d. h. auch im Bereich des Lauterkeitsrechts gilt im Grundsatz die vom Europäischen Gerichtshof postulierte Ubiquitätsregel zur Bestimmung des Tatorts im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVO. Dafür spricht zunächst, dass eine nach Deliktstypen getrennte Auffächerung oder Ausdifferenzierung der Zuständigkeitsregeln bezüglich des Tatortgerichtsstands eine Reihe von neuen Qualifikationsproblemen schaffen würde: Schon jetzt muss ja eine europarechtlich-autonome Qualifikation des geltend gemachten Anspruchs vorgenommen werden, um diesen als deliktsrechtlich im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVO einzuordnen und so zum Tatortgerichtsstand zu kommen. Bereits das bereitet mangels europaweit einheitlicher Begrifflichkeiten einige Schwierigkeiten (s. oben Rn. 162 ff.). Wollte man nun innerhalb von Art. 7 Nr. 2 EuGVO noch einen Sondertatbestand der lauterkeitsrechtlichen Ansprüche schaffen, so müsste man diesen erneut europarechtlich-autonom qualifizieren und von anderen, z. B. einfach-bürgerlich-rechtlichen Ansprüchen abgrenzen. Statt eine solche zusätzliche Komplexitätsstufe zu schaffen, sollte man eher versuchen, innerhalb der im Grundsatz geltenden Ubiquitätsregel die Besonderheiten des jeweiligen Falles – und damit auch des Lauterkeitsrechts – angemessen zu berücksichtigen, d. h. im Wesentlichen durch eine situations- und normenadäquaten Bestimmung von Handlungs- und Erfolgsort (dazu unten Rn. 179 ff.). 177 Auch ein Gleichlauf mit dem Kollisionsrecht ist weder vom europäischen Verordnungsgeber vorgesehen, noch ist er der Sache nach nötig. Hätte der Verordnungsgeber einen Gleichlauf gewollt, so hätte er dies im Zuge der europarechtlichen Harmonisierung des Kollisionsrechts 388 389 390 391

EuGH 30. 11. 1976 – 21/76 – Slg. 1976, 1735 – NJW 1977, 493, 494 – Bier ./. Mines de Potasse d’Alsace. MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 385. Staudinger/Fezer/Koos Int WirtschaftsR Rn. 804. Für einen Gleichlauf insbes. Harte/Henning/Glöckner Einl D Rn. 40; Staudinger/Fezer/Koos Int WirtschaftsR Rn. 804; Stein/Jonas/Wagner Art. 5 EuGVVO a. F. Rn. 179. 392 Fezer/Büscher/Hausmann/Obergfell Einl I Rn. 394; Lindacher S. 53; Kropholler/von Hein Art. 5 EuGVO a. F. Rn. 84a.

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tun können; dies ist aber unterblieben. Schon das in Art. 4 EuGVO kodifizierte Grundprinzip des actor sequitur forum rei macht einen solchen Gleichlauf unmöglich. Auch Art. 7 Nr. 1 EuGVO führt nicht zu einem notwendigen Gleichlauf zwischen Zuständigkeits- und Kollisionsrecht, da der Erfüllungsort ja nicht notwendig in demjenigen Staat liegen muss, dessen Recht entweder zwischen den Parteien vereinbart oder gemäß Art. 4 Rom I-VO anzuwenden ist. Schon deshalb ist aus systematischen Gründen nicht einzusehen, warum gerade bei Art. 7 Nr. 2 EuGVO ein Gleichlauf mit dem Kollisionsrecht anzustreben wäre. Auch der Sache nach ist diejenige Auffassung zu unterstützen, die auf die eigenständigen verfahrensrechtlichen Wertungen und Interessen verweist, die nicht unbedingt mit denen des Kollisionsrechts übereinstimmen müssen. So kann z. B. die Beweisnähe des Tatortgerichtsstands auch dann gegeben sein, wenn sich die lokal vorgenommene und ggf. beweisbedürftige Handlung auf fernen Märkten auswirkt. Insgesamt ist daher auch im Bereich des internationalen Wettbewerbsrechts an der grundsätzlichen Geltung der Ubiquitätsregel bei der Konkretisierung des Art. 7 Nr. 2 EuGVO festzuhalten.393 Es kommt also sowohl eine Zuständigkeit am Handlungs- als auch am Erfolgsort in Betracht. Allerdings steht außer Frage, dass die Besonderheiten des Lauterkeitsrechts bei der Bestim- 178 mung von Handlungs- und Erfolgsort angemessen zu berücksichtigen sind. Eine solche Vorgehensweise im Rahmen der Ubiquitätsregel mag dann im Ergebnis – insbesondere soweit man den Erfolgsort in vielen Fällen als den Marktort versteht (dazu unten Rn. 186) – zu teilweise ähnlichen Ergebnissen wie im Kollisionsrecht führen. Sie ist aber trotzdem kein Gleichlauf mit diesem, weil sie sich auf eigenständige zuständigkeitsrechtliche Kriterien stützt, die mit denen des Kollisionsrechts übereinstimmen können, aber nicht müssen.

c) Bestimmung des Handlungsortes. Der Handlungsort im Sinne der Ubiquitätsregel wird 179 vom Europäischen Gerichtshof als der „Ort des ursächlichen Geschehens“ und als „der Ort, an dem das schädigende Ereignis seinen Ausgang nahm“ bezeichnet.394 Dies kann bereits die Entscheidung oder Anordnung einer bestimmten geschäftlichen Handlung durch das handelnde Unternehmen sein. Der Ort der für die Verletzung ursächlichen unternehmerischen Entscheidung wird bei beklagten Unternehmen aber häufig mit dem faktischen Sitz der Unternehmensleitung zusammenfallen, so dass sich insoweit aus Art. 7 Nr. 2 EuGVO kein abweichender Gerichtsstand neben dem ohnehin gegebenen allgemeinen Gerichtsstand gemäß Art. 4 EuGVO ergäbe.395 Allerdings liegt es bei Werbemaßnahmen und anderen über den Markt vermittelten geschäft- 180 lichen Handlungen nahe, den Handlungsort dort zu sehen, wo die letzte dem Beklagten zurechenbare Handlung in der Kausalkette gesetzt wurde; dies muss nicht in jedem Fall mit dem Sitz der Unternehmensleitung übereinstimmen: So wird mit Recht bei der Versendung von Briefpost der Absendeort der Briefsendung als Handlungsort angenommen, bei e-mail-Werbung der Ort des email-Versands oder bei Telefonwerbung den Ort, von dem aus die Telefonwerbung vorgenommen wird.396 Wird in einem Pressemedium geworben, so wird auch der Erscheinungsort dieser Zeitung oder Zeitschrift als Handlungsort anzusehen sein, bei Rundfunk- oder Fernsehsendungen

393 So auch BGH 30. 3. 2006 – I ZR 24/03 – BGHZ 167, 91 – GRUR 2006, 513 Tz. 21 – Arzneimittelwerbung; ebenso die ganz überwiegende Ansicht in der Literatur, vgl. Lindacher S. 53 f.; Fezer/Büscher/Hausmann/Obergfell IntLautVerfR Rn. 394; Heinze IPRax 2009, 231, 233 m. w. N. 394 EuGH 7. 3. 1995 – C-68/93 – Slg. 1995, I-415 Tz. 24 = NJW 1995, 1881, 1882 – Shevill; vgl. die Abwandlungen in der Literatur: „Ort des für die Interessenverletzung ursächlichen Geschehens“, so Lindacher S. 58; „Ort des schadensbegründenden Geschehens“, so Rauscher/Leible Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 134 m. w. N. 395 Für ein solches Verständnis des Handlungsortes Heinze IPRax 2009, 231, 237. 396 Lindacher S. 58 m. w. N.; a. A. OLG Koblenz 25. 6. 2007 – 12 U 1717/05 – IPRax 2009, 151 m. Anm. Spickhoff S. 128: Bei Willenserklärungen über Telekommunikation liege der Handlungsort auch dort, wo die Erklärung empfangen werde; dagegen mit Recht Kropholler/von Hein Art. 5 EuGVO a. F. Rn. 83a m. w. N.

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der Sendeort.397 Bei Veröffentlichungen im Internet liegen Handlungsorte auch an dem Ort, an dem das fragliche Material in das Internet eingespeist wurde;398 Letzteres wird häufig der Ort sein, an dem die fragliche Webseite verwaltet wird; d. h. bei einer Anzeige, die von einem ausländischen Unternehmen auf der Webseite eines in Deutschland erscheinenden Nachrichtenmagazins erscheint, liegt insoweit der Handlungsort in Deutschland. Dem mag man entgegenhalten, dass in diesen Fällen nicht auf die Handlung des beklagten Unternehmens abgestellt wird, sondern auf diejenige des mit der Werbemaßnahme beauftragten Mediums.399 Das ist aber unschädlich, da der Täter, der sich z. B. persönlich in das benachbarte Ausland begibt und von dort Briefsendungen verschickt oder Inhalte in das Internet einspeist, nicht anders behandelt werden sollte als ein Täter, der diesen Versand von einem beauftragten Unternehmen durchführen lässt. 181 Während die deutsche Rechtsprechung bei der Bestimmung des Handlungsorts in Bezug auf § 32 ZPO auch eine wechselseitige Zurechnung des Handlungsortes unter arbeitsteilig handelnden Tätern für möglich hält,400 lehnt der EuGH eine solche wechselseitige Zurechnung im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVO ab.401 Darin drückt sich der Wunsch des EuGH aus, die Zuständigkeit aus Art. 7 Nr. 2 EuGVO nicht uferlos auszuweiten. Andererseits ergibt sich eine solche Ausweitung im Falle des arbeitsteiligen Handelns der Täter ja aus deren eigenem Tatplan, so dass insoweit wohl nur eine beschränkte Schutzwürdigkeit der arbeitsteilig handelnden Deliktstäter vorliegt.402 In der Literatur wird daher mit guten Gründen und in Fortentwicklung der jüngsten EuGH-Rechtsprechung erwogen, zumindest eine Tatortzuständigkeit am „Ort der Haupttat“ für alle Mittäter und Gehilfen zuzulassen, wenn ein solcher Haupttatort feststellbar ist.403 182 Bloße Vorbereitungshandlungen bleiben bei der Bestimmung des Handlungsorts außer Betracht.404 Die bloße Konzeption einer Werbemaßnahme oder ihre Vorbereitung durch Agenturen oder eigene Mitarbeiter begründet daher noch keinen Handlungsort im Sinne des Art. 7 Nr. 2 EuGVO. 183 In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass man für eine unerlaubte Handlung auch nur einen Handlungsort im Sinne des Art. 7 Nr. 2 EuGVO annehmen könne, so dass bei mehreren kausalen Handlungen durch dieselbe Person ausschließlich auf den „maßgeblichen Tatbeitrag“ abgestellt werden müsste.405 Nach dieser Auffassung sollen mehrere Handlungsorte nur in solchen Fällen möglich sein, in denen der Tatbestand der in Rede stehenden unerlaubten Handlung aus mehreren gleichgewichtigen Tathandlungen besteht.406 Der Europäische Gerichtshof musste sich mit dieser Problematik bisher noch nicht befassen; es ist aber jedenfalls logisch nicht ausgeschlossen, dass es nicht auch mehrere gleichberechtigt nebeneinander bestehende Handlungsorte geben kann.407 397 398 399 400 401

Lindacher S. 58. Rauscher/Leible Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 142; Fezer/Büscher/Hausmann/Obergfell IntLautVerfR Rn. 415. Puhr S. 187. BGH, 9. 3. 2010, BGHZ 184, 365; OLG Düsseldorf 20. 12. 2007 – I-6 U 225/06 – IPRax 2009, 158, 160. EuGH 16. 5. 2013 – C-228/11 – NJW 2013, 2099 – Melzer; dazu zustimmende Anmerkung Müller NJW 2013, 2101; EuGH, 5. 6. 2014 – C-360/12 – GRUR 2014, 806, 808 – Coty. 402 Für die wechselseitige Zurechnung des Handlungsorts daher vor der EuGH-Entscheidung u. a. v. Hein EuZW 2011, 369, 370 mit Bezug auf das Kapitalanlagerecht. 403 M. Weller LMK 2013, 348154 m. w. N. 404 Lindacher S. 58; Kropholler/von Hein Art. 5 EuGVO a. F. Rn. 83a; Schack Rn. 340; a. A. jedoch für die Konzeption und technische Herstellung von Werbematerial Puhr S. 187 f. 405 Rauscher/Leible Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 136; für eine Konzentration auf einen Handlungsort auch bei „gestreckten Geschehensabläufen“ ebenfalls Kropholler/von Hein Art. 5 EuGVO a. F. Rn. 83a am Ende. 406 Kropholler/von Hein Art. 5 EuGVO a. F. Rn. 83a. 407 Vgl. Schack Rn. 343, der zumindest bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen einen Handlungsort an jedem Ort der bestimmungsgemäßen Verbreitung des fraglichen Mediums sieht; vgl. aber EuGH 7. 3. 1995 – C-68/93 – Slg. 1995, I-415 Tz. 24 = NJW 1995, 1881, 1882 – Shevill (Handlungsort aber wohl nur am Sitz des Herausgebers) einerseits; EuGH 25. 10. 2011 – C/509/09 und C-161/10 – GRUR 2012, 300 – Martinez und eDate (keine explizite Differenzierung mehr zwischen Handlungs- und Erfolgsorten) andererseits.

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d) Bestimmung des Erfolgsortes. Erfolgsort im Sinne der oben (Rn. 174) dargestellten Ubi- 184 quitätsregel ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes derjenige Ort, an dem der „Schaden eingetreten ist“,408 wo sich also sich der „Schadenserfolg verwirklicht“ und „das auslösende Ereignis seine schädigende Wirkung entfaltet.“409 aa) Kein Klägergerichtsstand. Auch die Ubiquitätsregel und die genannten Definitionsversu- 185 che begründen jedoch keine money damage was suffered in my pocket rule, d. h. ein Schadensort liegt nicht bereits deshalb am Sitz des Geschädigten, weil dieser durch das Ereignis in seinem Vermögen geschädigt wird.410 Dies würde aus Art. 7 Nr. 2 EuGVO einen reinen Klägergerichtsstand machen, was weder intendiert war noch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Begrenzung der besonderen Zuständigkeiten in der EuGVO entspräche (dazu oben Rn. 144). Daher ist der Erfolgsort im Sinne der Ubiquitätsregel als derjenige Ort zu verstehen, an dem das jeweils geschützte Rechtsgut verletzt ist, d. h. man könnte statt Erfolgsort auch vom Verletzungsort sprechen oder vom Ort des Primärschadens.411 Diese Betrachtung führt bei der Verletzung von körperlichen Sachen oder bei Körper- und Gesundheitsschäden zu einem Tatortgerichtsstand am Ort der primären Verletzung (z. B. am Unfallort), unabhängig davon, wo physische Folgeschäden oder resultierende Vermögensschäden sich realisieren. Ein bloß mittelbar erlittener Vermögensschaden begründet daher keinen Erfolgsort.412 Bei den für die vorliegende Betrachtung wichtigeren „reinen“ Vermögensschäden ist die Betrachtung mangels einer räumlich lokalisierbaren physischen Verletzung schwieriger. Auch für diese gilt aber, dass nicht jeder Vermögensschaden automatisch zu einem Tatort im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVO am Ort dieses Vermögens führt, sondern dass auch hier der Erfolgs- oder Verletzungsort unter Bezug auf das zu schützende Rechtsgut bestimmt werden muss. Bei vorbeugenden Unterlassungsklagen liegt der Erfolgsort dort, wo aufgrund konkreter Anhaltspunkte die Möglichkeit besteht, dass der abzuwendende Schaden dort eintreten könnte.413

bb) Erfolgsort als Marktort. Der Erfolgsort im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVO ist demnach der 186 Ort, an dem das im jeweiligen Fall zu schützende Rechtsgut verletzt wird. Für lauterkeitsrechtliche Verstöße bedeutet dies, dass sich der Erfolgsort zumindest im Grundsatz am Marktort befindet, weil das Lauterkeitsrecht zwar auch den Schutz der Vermögensinteressen der Mitbewerber bezweckt, dies aber im Wesentlichen nur vermittelt durch seine marktordnende Funktion geschieht. Daher ist es berechtigt, die Erfolgsortzuständigkeit in Wettbewerbssachen primär als „Marktortzuständigkeit“ zu begreifen.414 Ein Erfolgsort im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVO liegt somit überall dort, wo der Wettbewerb um die im konkreten Fall relevanten Marktteilnehmer stattfindet. Dies sind im Normalfall die potentiellen Kunden der im Streit befindlichen Konkurrenten, d. h. der Marktort liegt im Regelfall am Sitz der Kunden.415 Wird allerdings Werbe- und Absatzmarkt getrennt, so liegt der zuständigkeitsbegründende Marktort am Ort der Durchfüh408 EuGH 30. 11. 1976 – 21/76 – Slg. 1976, 1735 – NJW 1977, 493, 494 – Bier ./. Mines de Potasse d’Alsace. 409 EuGH 16. 7. 2009 – C-189/08 – Slg. 2009, I-6919 – NJW 2009, 3501, 3502 – Zuid-Chemie. 410 Zöller/Geimer Art. 7 EuGVVO Rn. 69 m.w.N; vgl. EuGH 10. 6. 2004 – C-168/02 – Slg. 2004, I-6009 = NJW 2004, 2441 Tz. 21: Bei reinen Vermögensschäden liegt der Schadensort nicht automatisch am Wohnsitz des Klägers. 411 Stein/Jonas/Wagner Art. 5 EuGVVO Rn. 158. 412 EuGH 11. 1. 1990 – C-220/88 – Slg. 1990 I-49 = NJW 1991, 631: Vermögensschaden der französischen Muttergesellschaft resultierend aus einer Schadenszufügung gegen die deutsche Tochtergesellschaft führt nicht zum Erfolgsort in Frankreich; EuGH 19. 9. 1995 – C-364/93 – Slg. 1995 I-2719 Tz. 21 = IPRax 1997, 331 m. Anm. Hohloch S. 312: Beschlagnahme von Wertpapieren in England, die zu einem Vermögensschaden in Italien führt, begründet nur in England einen Erfolgsort. 413 Kropholler/von Hein Art. 5 EuGVO a. F. Rn. 76. 414 Lindacher S. 53; in der Sache ebenso Fezer/Büscher/Hausmann/Obergfell IntLautVerfR Rn. 395. 415 Lindacher S. 56.

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rung der Werbemaßnahme.416 Bei transnationalem Wettbewerb oder einer Einwirkung auf mehrere nationale Märkte liegen demnach auch stets mehrere Erfolgsorte vor, zwischen denen der Kläger die Wahl hat. Strittig ist allerdings, ob die Gerichte an den verschiedenen Marktorten auch über Unterlassungsanträge oder Schadensersatzforderungen befinden können, die über den Markt des jeweiligen Forumsstaates hinausgehen, oder ob es insoweit Beschränkungen der Kognitionsbefugnis gibt (dazu unten Rn. 192 ff.). 187 Eine Ausnahme von der Erfolgsortzuständigkeit wird in Teilen der Literatur bei nicht intendierten und auch vom Umfang her zu vernachlässigenden „spill over“-Effekten gemacht, d. h. ein solches leichtes „Überschwappen“ auf einen anderen Markt soll keinen Erfolgsort im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVO begründen.417 In ähnlichem Sinne wird auch behauptet, dass vor allem bei im Internet begangenen (angeblichen) Verstößen gegen das Lauterkeitsrecht ein Erfolgsort im Inland nur dann gegeben sei, wenn sich die inkriminierte Wettbewerbshandlung im Inland auch bestimmungsgemäß auswirken soll.418 Damit soll der technischen Ubiquität des Internets Rechnung getragen werden und der werbende Unternehmer vor einer möglicherweise ungewollten weltweiten Gerichtspflichtigkeit geschützt werden.419 Allerdings bestehen an der Berechtigung einer solchen Beschränkung des Erfolgsortbegriffs in Art. 7 Nr. 2 EuGVO erhebliche Zweifel. Diese Vorschrift setzt gerade nicht voraus, dass der Deliktstäter einen Schaden in einem bestimmten Staat intendiert hat, sondern verlangt nur, dass ein Schaden im Forumstaat eingetreten ist (oder noch einzutreten droht). Auch im berühmten Rheinverschmutzungsfall des Europäischen Gerichtshofs war die Verschmutzung der Gewässer in den Niederlanden nicht notwendigerweise durch die französische Beklagte intendiert; darauf kam es aber bei der Beurteilung der Zuständigkeit auch gar nicht an.420 Entscheidend ist also nicht die Intention des Beklagten – diese mag im materiellen Recht hinsichtlich der Frage eines ggf. notwendigen Verschuldens eine Rolle spielen – sondern die faktische Auswirkung und Schadenszufügung durch die inkriminierte Handlung. Liegt eine solche Schadenswirkung in nicht völlig unerheblicher Weise im Forumstaat vor, so befindet sich dort auch ein Erfolgsort und mithin eine internationale Zuständigkeit der dortigen Gerichte gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVO.421 Allerdings wird für das in Art. 7 Nr. 2 EuGVO hineinzulesende Merkmal der „bestimmungs188 gemäßen Auswirkung“ argumentiert, dass eine im Lauterkeitsrecht vorausgesetzte Wettbewerbsbeziehung gar nicht vorliege, wenn der Beklagte seinen Wettbewerb nicht auf den betreffenden Markt ausrichte und „am dortigen Warenabsatz nicht teilnimmt“.422 Daraus folgt aber noch nicht, dass ein Merkmal der „bestimmungsgemäßen“ Auswirkung notwendig ist: Inwie416 Fezer/Büscher/Hausmann/Obergfell IntLautVerfR Rn. 398. 417 Lindacher S. 57. 418 OLG München 6. 12. 2007 – 29 U 2713/07 – IPRax 2009, 256, 257 (keine „bestimmungsgemäße Auswirkung“ der Salzburger Nachrichten in Deutschland bei Verkauf weniger Exemplare in Deutschland, auch Webseite wirke sich nicht „bestimmungsgemäß“ auf Deutschland aus); für ein solches Merkmal auch Lindacher S. 60 f.; Fezer/Büscher/ Hausmann/Obergfell IntLautVerfR Rn. 407; BGH 30. 3. 2006 – I ZR 24/03 – BGHZ 167, 91 = GRUR 2006, 513, 514 – Arzneimittelwerbung im Internet; BGH 12. 12. 2013 – I ZR 131/12 – GRUR 2014, 601, 603 – englischsprachige Pressemitteilung. Bei den Aussagen des BGH im Arzneimittel-Urteil sowie im Pressemitteilungs-Urteil handelt es sich aber eher um obiter dicta, da in den konkreten Fällen ja ohnehin eine Auswirkung in Deutschland beabsichtigt war, d. h. der BGH hätte die Frage auch explizit offen lassen können, so noch in BGH 13. 10. 2004 – I ZR 163/02 – GRUR 2005, 431, 432 – Hotel Maritime; ebenfalls offengelassen in BGH 15. 2. 2018 – I ZR 201/16 – GRUR 2018, 935, 936 – goFit. 419 Fezer/Büscher/Hausmann/Obergfell IntLautVerfR Rn. 407. 420 EuGH – 30. 11. 1976 – 21/76 – Slg. 1976, 1735 – NJW 1977, 493, 494 – Bier ./. Mines de Potasse d’Alsace. 421 Gegen ein subjektives Kriterium auch Staudinger/Fezer/Koos IntWirtschaftsR Rn. 805; vgl. auch zum Kennzeichenrecht die Kritik an einem erfundenen zuständigkeitsrechtlichen Merkmal des „hinreichenden Inlandsbezugs“ bei Bettinger/Thum GRUR Int. 1999, 659, 669. Im Kennzeichenrecht verwendet der BGH inzwischen die Formulierung, dass ein „commercial effect“ im Inland notwendig sei, um die Zuständigkeit zu begründen, so BGH 8. 3. 2012 – I ZR 75/10 – GRUR Int. 2012, 570; dazu Peifer IPRax 2013, 228. 422 Heinze IPRax 2009, 231, 235.

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weit es z. B. für einen Unterlassungsanspruch auf die Intentionen des Beklagten ankommt oder ob faktische Auswirkungen ausreichen, ist eher eine Frage der Begründetheit der Klage und sollte nicht in die Zuständigkeitsprüfung verlagert werden. Folgt man allerdings der herrschenden Auffassung, die in den Art. 7 Nr. 2 EuGVO ein Merk- 189 mal der „bestimmungsgemäßen“ Auswirkung hineinlesen möchte, so kann der Werbende durch sogenannte „disclaimer“ die Annahme eines Erfolgsortes in bestimmten Staaten verhindern: Er teilt dann mit, dass sich diese Webseite nicht an bestimmte Märkte richte und/oder, dass er keine Kunden aus diesen Märkten annehmen werde. Allerdings muss er sich dann auch entsprechend dieser Ankündigung verhalten, um die Erfolgsortzuständigkeit in den „ausgeschlossenen“ Märkten zu verhindern.423 Gerade die letztere Einschränkung zeigt jedoch erneut, dass es bei der Prüfung der Erfolgsortzuständigkeit nicht auf die – sei es wahren oder vorgeschobenen – Intentionen des Beklagten ankommen kann, sondern nur auf die faktischen Auswirkungen auf den Markt im Forumstaat. Zeitweilig wurde in der Literatur erwogen, eine Bestimmung des Erfolgsorts bei Wettbe- 190 werbsverstößen zumindest auch anhand der vom EuGH entwickelten Kriterien zum „Ausrichten“ in Art. 17 Abs. 1 (c) EuGVO vorzunehmen.424 Zwar gelten diese Regeln unmittelbar nur für Ansprüche aus Verbraucherverträgen, aber ihre dem Lauterkeitsrecht vergleichbare Funktion der Bestimmung des jeweils betroffenen Marktes hätte eine einheitliche Anwendung begründen können.425 Der Europäische Gerichtshof hat dies aber in seiner jüngeren Rechtsprechung ausdrücklich abgelehnt.426 Angesichts der Unisicherheiten zur Auslegung des „Ausrichtens“427 wäre damit auch nicht viel gewonnen.

cc) Ausnahme: Bilaterale Wettbewerbshandlungen. Die Lokalisierung des Erfolgsorts am 191 Marktort ist allerdings nicht angemessen, wenn das wettbewerbswidrige Verhalten gar nicht über den Markt vermittelt ist, sondern sich unmittelbar und ausschließlich gegen einen bestimmten Konkurrenten richtet. Diese Fälle werden teilweise als „bilaterale“ Wettbewerbshandlungen bezeichnet.428 Es kann sich dabei nur um solche Verhaltensweisen handeln, die ohne den Umweg über einen Marktmechanismus auskommen, d. h. insbesondere Sabotageakte, Industriespionage und ähnliche „versteckte“ Tätigkeiten.429 In diesen Fällen mag man den Erfolgsort in der Regel am Sitz des geschädigten Unternehmens annehmen.430 Sind derartige Schäden jedoch physisch lokalisierbar – was insbesondere bei Sabotageakten oder der Entwendung von Akten gegeben sein kann – so liegt der Erfolgsort im Sinne des primären Verletzungsorts (dazu oben Rn. 185) nicht notwendig am Unternehmenssitz, sondern am Ort der physischen Beeinträchtigung. Verunglimpfungen des Konkurrenten oder ähnliche lauterkeitsrechtliche Äußerungsdelikte wirken nicht per se, sondern durch ihre Kundgabe und damit über den Markt. Sie sind daher keine „bilateralen“ Wettbewerbshandlungen im Sinne dieser Ausnahme, sondern bei ihnen liegt der Erfolgsort wie bei sonstigen wettbewerbsrechtlichen Verstößen am Marktort.431 Insgesamt bietet sich hier, d. h. bei der Beurteilung und Eingrenzung dieser Ausnahmegruppe von „bilateralen“ Wettbewerbsverstößen, ein weitgehender Gleichlauf mit dem Kollisi423 BGH 30. 3. 2006 – I ZR 24/03 – BGHZ 167, 91 = GRUR 2006, 513 – Arzneimittelwerbung im Internet; Lindacher S. 61.

424 Zum „Ausrichten“ insbes. EuGH 7. 12. 2010 – C-585/08 und C-144/09 – Pammer und Hotel Alpenhof = IPRax 2012, 160 m. Anm. Mankowski S. 144. 425 So Mankowski IPRax 2012, 144, 156. 426 So jedenfalls zum Urheberrecht in EuGH 3. 10. 2013 – C-170/12 – GRUR 2014, 100, 102 – Pinckney. 427 Vgl. nur EuGH 17. 10. 2013 – C-218/12 – NJW 2013, 3504 – Emrek. 428 Lindacher S. 19. 429 Lindacher S. 19. 430 Lindacher S. 20. 431 Sack WRP 2008, 845, 851; a. A. Lindacher S. 19 f. („Geschäftsehrverletzung“ sei auch ohne Rücksicht auf „Marktergebnisrelevanz“ geschützt).

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onsrecht an. Ein solcher Gleichlauf ist hier zweckmäßig (nicht aber generell, s. dazu oben Rn. 175 ff.), weil das Zuständigkeitsrecht dabei die gleichen Kriterien anlegt wie das Kollisionsrecht, welches in Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO ausnahmsweise vom Marktortprinzip abrückt. Insoweit kann daher auf die Ausführungen zu Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO verwiesen werden (oben Einleitung D Rn. 326 ff.).

e) Beschränkung der Kognitionsbefugnis des Gerichts am Erfolgsort? 192 aa) Persönlichkeitsrechtliche Entscheidungen des EuGH. Der EuGH hat bereits im 1995 entschiedenen Shevill-Fall für den Bereich des Persönlichkeitsrechts eine besondere Beschränkung der gerichtlichen Kognitionsbefugnis am Erfolgsort eingeführt, deren Spuren bis heute in der EuGH-Rechtsprechung fortwirken und die sich auch auf das Lauterkeitsrecht auswirkt. Gemäß der Shevill-Entscheidung sollten nur die Gerichte im Mitgliedstaat des Handlungsortes – dort mit Bezug auf Printmedien verstanden als Sitz des Herausgebers der betreffenden Zeitung – eine unbeschränkte Kognitionsbefugnis haben, d. h. über sämtlichen Schadensersatz und ein räumlich unbeschränktes Unterlassungsbegehren entscheiden können. Dagegen dürfen nach dieser Rechtsprechung die Gerichte in den Mitgliedstaaten der davon abweichenden Erfolgsorte (verstanden als die Orte der Verbreitung der Zeitung) nur über den in dem jeweiligen Mitgliedstaat entstandenen Schaden befinden und auch nur zur Unterlassung in diesem Mitgliedstaat verurteilen.432 Dieses – auch als Schaffung einer Mosaiktheorie bezeichnete – Urteil geht auf eine entsprechende Tradition im französischen Verfahrensrecht zurück.433 Es ist in der Literatur teils zustimmend, teils ablehnend aufgenommen worden.434 Der EuGH hat die Mosaiktheorie neben dem Persönlichkeitsrecht auch für den Bereich des Urheberrechts übernommen, unter besonderem Hinweis auf dessen Territorialbezug;435 ähnliches gilt für das Markenrecht.436

193 bb) Martinez- und Svensk Handel-Entscheidungen des EuGH. In seiner neueren Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof jedoch die Mosaiktheorie zumindest für über das Medium Internet begangene Persönlichkeitsrechtsverletzungen abgeändert und fortentwickelt. In der Sache Martinez akzeptierte der EuGH nun zwei Tatortgerichtsstände mit unbeschränkter Kognitionsbefugnis: Erstens, wie gehabt, den Sitz des veröffentlichenden Mediums, aber zweitens – und dies ist eine gravierende Veränderung gegenüber Shevill – haben nun auch die Gerichte desjenigen Mitgliedstaats eine unbeschränkte Kognitionsbefugnis, in welchem der Verletzte den „Mittelpunkt seiner Interessen“ hat.437 Nur an allen anderen Abruforten besteht auch nach dieser Entscheidung weiterhin eine beschränkte Kognitionsbefugnis der dortigen Gerichte auf den im Forumstaat eingetretenen Schaden bzw. auf ein entsprechend territorial beschränktes Unterlassungsgebot.438 194 Die Martinez-Entscheidung war noch auf natürliche Personen als Verletzte bezogen. Die Struktur der unterschiedlichen Kognitionsbefugnis wurde in Svensk Handel jedoch auch auf 432 EuGH 7. 3. 1995 – C-68/93 – Slg. 1995 I-415 – NJW 1995, 1881 – Shevill. 433 Die allerdings auch dort schon umstritten war, s. Cour d’appel de Paris 19. 3. 1984, Rev. crit. droit int. privé 74 (1985) 141 m. krit. Anm. Gaudemet-Tallon sowie die Nachweise bei Audit Droit International Privé (5. Aufl. 2008) Rn. 345. 434 Zustimmend etwa Stein/Jonas/Wagner Art. 5 EuGVVO Rn. 170 m. w. N.; krit. jedoch Kreuzer/Klötgen IPRax 1997, 90; Coester-Waltjen FS Schütze (1999) 175; Stein/Jonas/Roth § 32 ZPO Rn. 4. 435 EuGH 3.10. 2013 – C-170/12 – GRUR 2014, 100 – Pinckney; EuGH 22. 1. 2015 – C-441/13 – GRUR 2015, 296 – Hejduk. 436 EuGH 19. 4. 2012 – C-523/10 – GRUR 2012, 654 – Wintersteiger; vgl. dazu Kindler GRUR 2018, 1107. 437 EuGH 25. 10. 2011 – C-509/09 und C-161/10 – GRUR 2012, 300, 302 – eDate und Martinez = JZ 2012, 199 m. Anm. Hess S. 189 = NJW 2012, 137 m. Anm. Brand S. 127. 438 EuGH EuGH 25. 10. 2011 – C-509/09 und C-161/10 – GRUR 2012, 300, 302 – eDate und Martinez.

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die Verletzung des Unternehmenspersönlichkeitsrechts – soweit man ein solches anerkennen möchte – und damit ausdrücklich auch auf den Schutz von Vermögensinteressen von Unternehmen bezogen. Auch in solchen Fällen soll eine unbeschränkte Kognitionsbefugnis nicht nur für das Gericht am Handlungsort bestehen, sondern auch für das Gericht am „Mittelpunkt der Interessen“ des angeblich verletzten Unternehmens.439 Dieser Mittelpunkt soll sich in dem Mitgliedstaat befinden, in dem dieses Unternehmen den „wesentlichen Teil“ seiner wirtschaftlichen Tätigkeit ausübt; dies kann, muss aber nicht mit dem Sitz des Unternehmens zusammenfallen.440 An diesem Mittelpunkt der Interessen besteht – ebenso wie am Handlungsort – keine Beschränkung der Kognitionsbefugnis, d. h. das Gericht dieses Ortes kann sowohl über den gesamten Schaden entscheiden wie auch über etwaige Ansprüche auf Beseitigung oder Richtigstellung der im Internet befindlichen inkriminierten Inhalte.441 An allen anderen Verbreitungsorten besteht zwar auch eine Zuständigkeit, aber dort ist im Sinne der Mosaiktheorie die Kognitionsbefugnis auf den im Forumstaat entstandenen Schaden und ein ggf. entsprechend beschränktes Unterlassungsgebot beschränkt. Der EUGH musste sich noch nicht dazu äußern, ob die in Martinez eingeführte Struktur nun 195 auch für Inhalte in Printmedien gelten soll, oder ob insoweit die in Shevill entwickelten Grundsätze fortbestehen sollen. Möglicherweise sieht der EuGH einen qualitativen Unterschied zwischen der Veröffentlichung in einer Zeitung einerseits und dem Internet andererseits – dafür könnte die umfassende Breitenwirkung von Internet-Veröffentlichungen und deren dauerhafte Abrufbarkeit sprechen.442 Andererseits erscheint es zumindest intuitiv kaum einleuchtend warum ein und dieselbe Veröffentlichung unterschiedlich beurteilt werden soll, je nachdem, ob sie sich in der Print- oder Online-Ausgabe einer Zeitung befindet. Im konkreten Falle kann eine Veröffentlichung in einem auflagenstarken Printmedium aus Sicht des Verletzten belastender sein als eine Mitteilung auf einer möglicherweise obskuren und wenig frequentierten Webseite. Aus diesen Gründen ist daher eine kategoriale Unterscheidung zwischen Print- und OnlineMedien im Zuständigkeitsrecht abzulehnen. Dies bedeutet wiederum, dass die Martinez-Entscheidung sinnvollerweise nur als teilweises overruling der Shevill-Entscheidung verstanden werden kann.443 Daher sind zumindest im Bereich des Persönlichkeitrechts nur noch die in Martinez und Svensk Handel geschaffenen neuen Regeln anzuwenden.

cc) Konsequenzen für das Lauterkeitsrecht. Der Sache nach mag man Zweifel daran haben, 196 ob die durch den EuGH in Martinez etablierten Regeln für das Lauterkeitsrecht angemessen sind.444 Jedoch kann Svensk Handel sinnvollerweise nur so interpretiert werden, dass die beschriebene Struktur auch für das Lauterkeitsrecht gilt, denn zwischen dem Schutz eines fragwürdigen „Unternehmerpersönlichkeitsrechts“ und einer wettbewerbsrechtlichen Streitigkeit gibt es keinen signifikanten Unterschied. Ein Unternehmen hat kommerzielle Interessen, und es ist nur eine Frage der Redeweise, ob man diese zum „Persönlichkeitsrecht“ adelt oder ob man sie schlicht als Schutzinteressen im Wettbewerb bezeichnet.445 Daher ist auch die BGHRechtsprechung zum Erfolgsort bei auf Medienveröffentlichungen bezogenen lauterkeitsrechtlichen Streitigkeiten an die EuGH-Rechtsprechung anzupassen: Soweit etwa eine angeblich 439 440 441 442 443

EuGH 17. 10. 2017 – C-194/16 – Svensk Handel = GRUR 2018, 108 Rn. 44. EuGH 17. 10. 2017 – C-194/16 – Svensk Handel = GRUR 2018, 108 Rn. 41. EuGH 17. 10. 2017 – C-194/16 – Svensk Handel = GRUR 2018, 108 Rn. 44. EuGH EuGH 17. 10. 2017 – C-194/16 – Svensk Handel = GRUR 2018, 108 Rn. 44. Ähnlich Musielak/Voith/Stadler Art. 7 EuGVVO Rn. 20: „Anpassung“ der Mosaiktheorie, die praktisch an Bedeutung verliere; gegen eine Differenzierung zwischen offline- und online-Medien auch Brand NJW 2012, 127, 129; W.-H. Roth IPRax 2013, 215, 221; v. Hinden ZEuP 2012, 940, 950. 444 Vgl. Vorauflage an dieser Stelle. 445 So wohl auch Ahrens WRP 2018, 17, 19; gegen eine Übertragung von Svensk Handel auf das Lauterkeitsrecht jedoch Sack WRP 2018, 897, 899 ff.

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rechtswidrige Pressemitteilung des ausländischen Beklagten im Internet veröffentlicht wird, besteht bei Marktrelevanz im Inland hier durchaus ein Erfolgsort und somit eine Zuständigkeit.446 Zugleich ist aber zu fragen, wo der „Mittelpunkt der Interessen“ des Klägers liegt. Nur wenn sich dieser ebenfalls im Forumstaat befindet, besteht eine uneingeschränkte Kognitionsbefugnis des Gerichts. Ist dagegen der Kläger im wesentlichen auf anderen Märkten tätig, so liegt im Inland nur ein „sonstiger“ Erfolgsort im Sinne der dargestellten EuGH-Rechtsprechung, so dass zwar eine Zuständigkeit besteht, jedoch nur im Hinblick auf den im Forumstaat entstandenen Schaden; auch ein Unterlassungsanspruch bestünde dann nur territorial begrenzt. Beseitigung der Publikation könnte an einem solchen „einfachen“ Erfolgsort nicht verlangt werden. 197 Allerdings ist bei der Rezeption der EuGH-Rechtsprechung bisher noch offen, anhand welcher Kriterien der „Mittelpunkt der Interessen“ eines Unternehmens zu bestimmen ist. Teilweise wird die Sinnhaftigkeit eines solchen Kriteriums im Lauterkeitsrecht komplett abgelehnt, da jeder Marktort zugleich der Mittelpunkt der Interessen sei.447 Dies überzeugt jedoch nicht, denn zumindest dann, wenn ein Unternehmen auf einen nationalen Absatzmarkt fokussiert ist, kann dieser durchaus als Mittelpunkt der Interessen bezeichnet werden. Ist das Unternehmen grenzüberschreitend tätig, so kann man dieses Kriterium außerdem durchaus in Bezug auf den Umsatz des Unternehmens sinnvoll anwenden.448 Wird über die Hälfte des Umsatzes im Forumstaat erwirtschaftet, so liegt hier der Mittelpunkt der Interessen im Sinne der dargestellten EuGH-Rechtsprechung. Aber auch bei einer Streuung über mehrere Staaten kann ein deutlich erhöhter Umsatz im Forumstaat einen solchen Mittelpunkt begründen, wenn er zwar unter 50 % des Gesamtumsatzes liegt, aber doch deutlich höher ist als in anderen Staaten. Wird beispielsweise der Umsatz zu 40 % in Deutschland erzielt und zu 60 % im Rest der Welt, so kann der Mittelpunkt der Interessen trotzdem in Deutschland liegen, wenn in keinem anderen Staat mehr als 20 % des Gesamtumsatzes erzielt werden.

198 f ) Besonderheiten bei Verbandsklagen? Verbandsklagen gegen unlauteres Wettbewerbsverhalten fallen regelmäßig unter Art. 7 Nr. 2 EuGVO, da mit ihnen eine privatrechtlich ausgestaltete Kontrollbefugnis geltend gemacht wird, die sich nicht auf einen Vertrag stützt.449 In der Literatur wird allerdings erwogen, die Begriffe des Handlungs- und Erfolgsortes bei Verbandsklagen anders zu interpretieren als bei Klagen eines individuell betroffenen Konkurrenten.450 Dabei ist die Definition des Erfolgsortes als Marktort weitgehend unproblematisch, denn es ist unbestritten, dass die inländischen Gerichte zuständig sind, wenn sich das mit der Verbandsklage gerügte Verhalten (auch) auf den inländischen Markt auswirkt.451 Andere Erfolgsorte als den Marktort wird es bei Verbandsklagen kaum geben, da die insoweit einschlägigen bilateralen Wettbewerbsverstöße (dazu oben Rn. 191) sich nur gegen Konkurrenten richten können und nicht gegen klagebefugte Verbände oder andere Einrichtungen. Der Verband selber ist ja gerade nicht in seinen individuellen Interessen betroffen.452 Daher gibt es bei einer Verbandsklage auch keinen „Mittelpunkt der Interessen“ im Sinne der oben dargestellten EuGH-Rechtsprechung, so dass im Zweifel auch eine Unterlassungs- und Beseitigungsklage auch am einfachen Erfolgsort zulässig sein sollte.453

446 Zutreffend BGH 12. 12. 2013 – I ZR 131/12 – Englischsprachige Pressemitteilung = GRUR 2014, 601; krit. dazu unter dem Gesichtspunkt der EuGH-Rspr. Ahrens WRP 2018, 17, 19. 447 Sack WRP 2018, 897, 903. 448 So auch Köhler/Bornkamm/Feddersen UWG Einl. Rn. 5.54. 449 EuGH 1. 10. 2002 – C-167/00 – Slg. 2002 I-8111 = NJW 2002, 3617 – VKI ./. Henkel; BGH 9. 7. 2009 – Xa ZR 19/ 08 – BGHZ 182, 24 Tz. 10 ff. = NJW 2009, 3371. 450 Lindacher S. 55 und ders. FS Nakamura (1996) 321, 329. 451 Lindacher S. 55. 452 Kohler S. 127 f. 453 Köhler/Bornkamm/Feddersen UWG Einl. Rn. 5.55.

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Hinsichtlich der Zuständigkeit am Handlungsort wird jedoch die Auffassung vertreten, dass 199 diese für eine Verbandsklage dann nicht gegeben sei, wenn sich die im Inland vorgenommene Handlung nur auf solche Märkte auswirkt, die außerhalb der EU liegen und die daher nicht vom Schutzauftrag der Richtlinie über Unterlassungsklagen umfasst seien.454 Soweit es um einen Beklagten mit einem Sitz in einem Drittstaat geht, gilt insoweit die EuGVO nicht, so dass auf die Ausführungen zu § 14 Abs. 2 UWG zu verweisen ist (unten Rn. 228). Geht es um Beklagte mit Sitz in der EU, so ist die EuGVO anwendbar und eine entsprechende Einschränkung ist weder im Wortlaut der Verordnung angelegt noch aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ersichtlich.455 Auch die Unterlassungsklagenrichtlinie macht zur Zuständigkeit der Gerichte keine Aussage,456 sondern soll nur ein Mindestniveau an Verbandsklagebefugnissen innerhalb der EU insbesondere im Hinblick auf grenzüberschreitende Verstöße sichern. Die Frage, ob sich eine vom nationalen Gesetzgeber geschaffene Kontrollbefugnis nur auf 200 solches Verhalten bezieht, das Auswirkungen auf dem inländischen Markt hat, ist insgesamt nicht als Frage der Zuständigkeit zu verstehen, sondern als Frage nach dem Umfang der geltend gemachten Befugnisse. Diese wiederum sind nach der hier vertretenen Ansicht prozessrechtlicher Natur, so dass es sich um eine von der Zuständigkeit zu trennende Frage der Prozessführungsbefugnis handelt (s. oben Rn. 106 ff.). Folgt man dagegen der in der lauterkeitsrechtlichen Literatur bisher vorherrschenden materiell-rechtlichen Lehre vom eigenen Anspruch des Verbands, so handelt es sich um eine materiell-rechtliche Frage nach dem Inhalt dieses Anspruchs, nämlich ob dieser sich auch auf im Ausland wirkendes Verhalten beziehen soll und welches Recht dann ggf. anzuwenden wäre (s. oben Rn. 108). Auch dies sind aber keine Fragen der gerichtlichen Zuständigkeit. Daher gibt es hinsichtlich der Tatortzuständigkeit des Art. 7 Nr. 2 EuGVO für Verbandsklagen keine Besonderheiten. Insbesondere besteht auch eine Zuständigkeit am Ort der deliktischen Handlung, ohne dass damit die beschriebenen Fragen nach Inhalt und Grenzen der geltend gemachten Verbandsklagebefugnis präjudiziert wären.

5. Gerichtsstand der Niederlassung (Art. 7 Nr. 5 EuGVO) Der in Art. 7 Nr. 5 EuGVO geregelte Gerichtsstand der Niederlassung ist ein weiterer besonderer Ge- 201 richtsstand, der nach Wahl des Klägers zusätzlich zum allgemeinen Gerichtsstand des Art. 4 EuGVO eröffnet ist. Voraussetzung ist allerdings, dass die EuGVO überhaupt anwendbar ist, d. h. es muss sich nicht nur die Niederlassung, sondern auch der Sitz ihres Inhabers – also des Beklagten, denn der Niederlassungsgerichtsstand gilt nicht für Aktivprozesse der Niederlassung bzw. ihres Inhabers457 – innerhalb der EU befinden. Andernfalls gilt das autonome Zivilverfahrensrecht, d. h. in Wettbewerbssachen § 14 UWG; nur soweit dieser nicht einschlägig ist, kommt § 21 ZPO zur Anwendung. Im Rahmen des Art. 7 Nr. 5 EuGVO sind die in der Vorschrift verwendeten Begriffe der 202 „Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung“ europarechtlich-autonom auszulegen;458 sie ist daher nicht mit den entsprechenden Begriffen in § 14 UWG und § 21 ZPO identisch. Allerdings kommt eine Parallele zu den ebenfalls europarechtlich-autonom zu verstehenden Begriffen der Niederlassung in Art. 19 Abs. 2 Rom I-VO und Art. 23 Abs. 1 Satz 2 Rom II-VO in Betracht.459 Auch nach einem solchen europarechtlichen Verständnis ist eine Niederlassung 454 Lindacher S. 55. 455 Im Gegenteil: Der EuGH stellt im zur Verbandsklage ergangenen Urteil VKI ./. Henkel die Anwendbarkeit des Art. 5 Nr. 3 audrücklich im Sinne des Mines de Potasse d’Alsace-Urteils fest, d. h. er geht zumindest stillschweigend von der Maßgeblichkeit von Handlungs- und Erfolgsort aus, s. EuGH 1. 10. 2002 – C-167/00 – Slg. 2002 I-8111 = NJW 2002, 3617 – VKI ./. Henkel. 456 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 6 und Art. 2 Abs. 2 der Rl. 98/27. 457 Kropholler/von Hein Art. 5 EuGVO a. F. Rn. 101 m. w. N. 458 EuGH 22. 11. 1978 – 33/78 – Slg. 1978, 2183 Tz. 8 – Somafer. 459 Kropholler/von Hein Art. 5 EuGVO a. F. Rn. 102.

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aber eine unselbständige Unternehmenseinheit, d. h. eine „Außenstelle eines Stammhauses.“460 Eine rechtlich selbständige Tochtergesellschaft ist daher keine Niederlassung im Sinne dieser Vorschrift.461 Allerdings kommt Art. 7 Nr. 5 EuGVO zum Schutze der auf einen Rechtsschein vertrauenden Personen trotzdem zur Anwendung, wenn die konzernrechtliche Struktur nach außen nicht deutlich wird und die eine Konzerngesellschaft so auftritt, als handele sie als Außenstelle einer anderen Konzerngesellschaft.462 Bei Wettbewerbsverstößen durch die betreffende Niederlassung wird häufig zugleich am 203 Ort der Niederlassung auch ein Handlungs- oder Erfolgsort im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVO vorliegen, so dass Art. 7 Nr. 5 EuGVO in derartigen Fällen zwar auch einschlägig ist, aber keinen zusätzlichen Gerichtsstand schafft. Allerdings kann Art. 7 Nr. 5 EuGVO eigenständige Bedeutung in solchen Fällen erlangen, in denen die wettbewerbswidrige Handlung zwar dem Betrieb der Niederlassung zugerechnet werden kann, jedoch Handlungs- und Erfolgsort im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVO auf einem anderen Markt außerhalb des Staates der Niederlassung liegen.463

6. Gerichtsstand der Konnexität in Mehrpersonenverhältnissen (Art. 8 Nr. 1 EuGVO) 204 Neben Art. 7 EuGVO bietet auch Art. 8 EuGVO zusätzliche besondere Gerichtsstände, die nach Wahl des Klägers anstelle des allgemeinen Gerichtsstands des Art. 4 EuGVO genutzt werden können. Allen Varianten des Art. 8 EuGVO ist gemeinsam, dass sie bestimmte Fälle der Konnexität beschreiben, die eine einheitliche Behandlung vor einem Gericht rechtfertigt. Die Regelung des Art. 8 EuGVO ist abschließend, d. h. es gibt über die in dieser Vorschrift geregelten Fälle hinaus im Anwendungsbereich der EuGVO keine sonstige Möglichkeit, einen Gerichtsstand kraft Sachzusammenhangs zu begründen.464 Von den in Art. 8 EuGVO geregelten vier Alternativen soll hier nur Art. 8 Nr. 1 EuGVO in 205 den Blick genommen werden, da dieser in lauterkeitsrechtlichen Fällen mit einer Mehrzahl von Parteien eine Rolle spielen kann. Diese Vorschrift setzt voraus, dass einer der Beklagten an seinem in der EU belegenen Sitz verklagt wird – diese Klage wird auch als „Ankerklage“465 bezeichnet – und erlaubt dann, an demselben Gerichtsstand auch andere Beklagte zu verklagen, sofern zwischen den Klagen eine ausreichend „enge Beziehung“ besteht. Nach Ansicht des EuGH entfaltet Art. 8 Nr. 1 EuGVO jedoch keine Wirkung gegenüber Beklagten aus Drittstaaten,466 d. h. diese können nicht über diese Vorschrift in einen Prozess gegen den Ankerbeklagten gezwungen werden. Diese Entscheidung wird in der Literatur mit Recht kritisiert, da sie nicht der Prozessökonomie dient und auch der Sache nach kein Grund für eine Privilegierung dieser Beklagten aus Drittstaaten gegenüber in der EU ansässigen Beklagten ersichtlich ist.467 206 In jedem Fall ist für die Anwendung des Art. 8 Nr. 1 EuGVO eine hinreichende Konnexität erforderlich. Die dazu einschlägige Rechtsprechung ist bisher noch nicht sehr aussagekräftig. Zeitweise hatte der Gerichtshof geurteilt, dass mehrere angebliche Patentverletzungen durch Schwestergesellschaften nicht in diesem Sinne ausreichend eng verbunden seien, da die jeweili-

460 EuGH 22. 11. 1978 – 33/78 – Slg. 1978, 2183 Tz. 12 – Somafer. 461 Rauscher/Leible Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 160 m. w. N.; a. A. jedoch Magnus/Mankowski Art. 5 Brussels I Regulation Rn. 281. 462 EuGH 9. 12. 1987 – 218/86 – Slg. 1987, 4905 Tz. 16 – Schotte = IPRax 1989, 96 m. Anm. Kronke S. 81; zustimmend und jeweils m. w. N. Kropholler/von Hein Art. 5 EuGVO a. F. Rn. 108; Fezer/Büscher/Hausmann/Obergfell IntLautVerfR Rn. 422. 463 Kropholler/von Hein Art. 5 EuGVO a. F. Rn. 111; vgl. Pulkowski IPRax 2004, 543. 464 Kropholler/von Hein Art. 6 EuGVO a. F. Rn. 1; vgl. auch EuGH 24. 6. 1981 – 150/80 – Slg. 1981, 1671 Tz. 19 f. = RIW 1981, 709 – Elefanten Schuh; EuGH 11. 10. 2007 – C-98/06 – Slg. 2007 I-8319 = NJW 2007, 3702 – Freeport. 465 Musielak/Voith/Stadler Art. 8 EuGVVO Rn. 2. 466 EuGH 11. 4. 2013 – C-645/11 – NJW 2013, 1661 – Land Berlin. 467 Rauscher/Leible Art. 8 Brüssel Ia-VO Rn. 9.

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XI. Internationale Zuständigkeit nach EuGVO

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ge Patentverletzung nach unterschiedlichen nationalen Patentrechten zu beurteilen sei.468 In jüngerer Zeit sieht der Gerichtshof nun aber in unterschiedlichen Anspruchsgrundlagen für die jeweiligen Klagen kein Hindernis mehr und bejaht bei ausreichend enger Verbindung des Sachverhalts den Konnexitätsgerichtsstand des Art. 8 Nr. 1 EuGVO.469 Dieser sei etwa auch dann gegeben, wenn mehrere Verlage aus verschiedenen Mitgliedsstaaten wegen Urheberrechtsverletzungen bezüglich derselben Fotografien in Anspruch genommen werden, auch wenn sich die jeweiligen Ansprüche aus unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Urheberrechtsnormen ergeben.470 Auch im Kartellrecht kommt Art. 8 Nr. 1 EuGVO zur Anwendung, wenn Schadensersatzansprüche gegen mehrere Kartellteilnehmer geltend gemacht werden.471 Im Lauterkeitsrecht ist Art. 8 Nr. 1 EuGVO anwendbar, wenn sich die Klage gegen Wettbewerbsverstöße richtet, die von mehreren Mitbewerbern als Mit- oder Nebentäter begangen wurden.472 Die Zuständigkeit aus Art. 8 EuGVO kann auch dann noch geltend gemacht werden, wenn eine Zuständigkeit aus Art. 7 EuGVO (Art. 5 EuGVO a. F.) in einem Vorprozess verneint wurde.473 Wird die Zuständigkeit eines Gerichts auf den Gerichtsstand des Sachzusammenhangs in 207 Art. 8 Nr. 1 EuGVO gestützt, so ergibt sich allein daraus noch keine Beschränkung der Kognitionsbefugnis des Gerichts.474 Insbesondere ist es für eine umfassende Entscheidung der Streitigkeit nicht erforderlich, dass der an seinem Sitz verklagte „Ankerbeklagte“ der „Hauptverantwortliche“ der jeweiligen Handlung sein müsste.475 Im Hinblick auf de lege ferenda mögliche oder bereits nach ausländischem Recht zulässige 208 Sammelklagen kann Art. 8 Nr. 1 EuGVO ebenfalls eine Rolle spielen. So stützt das Berufungsgericht in Amsterdam sich auf diese Vorschrift, um eine Zuständigkeit auch gegenüber abwesenden Personen zu begründen, die von der Wirkung eines gerichtlich genehmigten Vergleich nach dem niederländischen WCAM-Verfahren (Wet Collectieve Afwikkeling Massaschade) betroffen sind.476

7. Gerichtsstandsvereinbarungen (Art. 25 EuGVO) Gerichtsstandsvereinbarungen spielen im Lauterkeitsrecht zumindest insoweit eine Rolle, als 209 sie Teil von Unterwerfungserklärungen oder sonstigen vertraglichen Vereinbarungen hinsichtlich der Duldung oder des Verbots eines Verhaltens sind. Die Regelung des Art. 25 EuGVO zu Gerichtsstandsvereinbarungen findet – anders als ihre Vorgängerin in Art. 23 EuGVo a. F. – nach ihrem Wortlaut schon dann Anwendung, wenn bei Sachverhalten mit Auslandsberührung die Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts vereinbart wird, ohne dass es noch auf die Herkunft der Parteien ankäme. Daher gilt Art. 25 EuGVO auch für Gerichtsstandsvereinbarungen zwischen Personen nur aus Drittstaaten, sofern das gewählte Forum in der EU liegt.477 Für die Frage der wirksamen Prorogation eines mitgliedstaatlichen Forums ist die Vorschrift also eindeutig. Anders liegt es im Hinblick auf die Zulässigkeit der Derogation einer an sich gegebenen Zuständigkeit von Gerichten in EU-Mitgliedstaaten; dazu schweigt der Wortlaut des Art. 25 EuGVO. Der EuGH hat die Anwendung der Vorschrift jedoch mit Recht auch für die Frage der wirksa468 469 470 471 472

EuGH 13. 7. 2006 – C-539/03 – Slg. 2006 I-6535 Tz. 35 = – Roche Nederland. EuGH 11. 10. 2007 – C-98/06 – Slg. 2007 I-8319 = NJW 2007, 3702 – Freeport. EuGH 1. 12. 2011 – C-145/10 – GRUR 2012, 166, 168 – Painer. EuGH 21. 5. 2015 – C-352/13 – GRUR Int. 2015, 1176 – Cartel Damage Claims; dazu Stadler JZ 2015, 1138. MünchKommUWG/Mankowski Int WettbewR Rn. 404; Fezer/Büscher/Hausmann/Obergfell IntLautVerfR Rn. 427b. 473 BGH, 13. 11. 2018 – VI ZR 71/18 = ZIP 2019, 391. 474 EuGH 27. 9. 2017 – C-24/16, C-25/16 – GRUR 2017, 1120, 1124 – Nintendo (zu Geschmacksmustern). 475 Kur GRUR 2017, 1127, 1128 zum in voriger Fn. zitierten Urteil des EuGH. 476 Gerechtshof Amsterdam 29. 5. 2009 – 106.010.887 – NIPR 2010, 71 – Shell; Gerechtshof Amsterdam 12. 11. 2010 – 200.070.039/01 – NIPR 2011, 85 – Converium; dazu Halfmeier NIPR 2012, 176 sowie ausführlich zum WCAM Mom Kollektiver Rechtsschutz in den Niederlanden (2011) S. 311 ff. 477 Rauscher/Mankowski Art. 25 Brüssel Ia-VO Rn. 4 ff.

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men Derogation bejaht;478 dies dient insbesondere zur Durchsetzung der Schutzvorschriften im Versicherungs-, Arbeits- und Verbraucherrecht, wo eine Gerichtsstandsvereinbarung nur sehr eingeschränkt zulässig ist.479 Zum Verhältnis von Art. 25 EuGVO zum Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen s. oben bei Rn. 41 ff. 210 Die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung setzt gemäß Art. 25 EuGVO insbesondere die Einigung über die Vereinbarung und und die Beachtung bestimmter Formerfordernisse voraus. Die Einigung über die Gerichtsstandsvereinbarung ist getrennt vom Bestehen des Hauptvertrags zu beurteilen480 und europarechtlich-autonom zu prüfen, d. h. ohne Rücksicht auf ein nationales Vertragsrecht.481 Der notwendige Konsens der Parteien ist hier „ein europäisches Konzept“.482 Auch das im Begriff des Konsenses enthaltene Erfordernis der freien Willensbildung ist nach europarechtlichen Maßstäben zu überprüfen.483 Dies gilt trotz des in Art. 25 Abs. 1 Satz 1 EuGVO am Ende enthaltenen Hinweises auf die Anwendung des Recht desjenigen Staates, dessen Gerichte vereinbart wurden, denn dieser betrifft nicht den Konsens als solchen, sondern nur besondere Nichtigkeitsgründe.484 Dazu gehören etwa Nichtigkeit wegen Täuschung oder Drohung, und zwar auch dann, wenn die Herbeiführung der Nichtigkeit wie im deutschen Recht noch eine Erklärung voraussetzt,485 aber auch Nichtigkeit wegen Sitten- oder Gesetzeswidrigkeit. Mit dem „Recht“ des Mitgliedstaates, auf dessen Gerichte die Gerichtsstandvereinbarung zielt, ist auch dessen IPR gemeint, d. h. es handelt sich um eine Gesamtverweisung auf das gemäß dem IPR des prorogierten Staates anwendbare Recht.486 211 Über den europarechtlich-autonom zu bestimmenden Konsens und die nach der soeben beschriebenen Anknüpfung zu beurteilenden materiellen Nichtigkeitsgründe hinaus kann es noch eine dritte Kategorie von in Art. 25 Abs. 1 nicht geregelten Fragen geben, welche die Wirksamkeit der Vereinbarung tangieren können, etwa Fragen der Geschäftsfähigkeit oder der Vertretungsmacht. Für diese sonstigen Fragen darf und muss mangels europarechtlicher Regelung auf das nach dem Kollisionsrecht des Forumstaates zu ermittelnde Vertragsstatut zurückgegriffen werden.487 Der potentielle Unterschied zur Anknüpfung der in Art. 25 Abs. 1 Satz 1 EuGVO erwähnten „materiellen Nichtigkeitsgründe“ liegt also darin, dass diese immer über das (Kollisions-) Recht des prorogierten Staates zu beurteilen sind, während sonstige Fragen dem aus Sicht des ggf. abweichenden Forumstaates geltenden Vertragsstatut unterworfen sind.488 212 Die notwendige Form der Gerichtsstandsvereinbarung ist dagegen in Art. 25 Abs. 1 Satz 3 EuGVO geregelt. Für lauterkeitsrechtliche Unterwerfungsvereinbarungen wird in der Regel die Schriftform gemäß Art. 25 Abs. 1 Satz 3 a) EuGVO empfehlenswert sein, da entsprechende Gepflogenheiten (lit. b desselben Satzes der Vorschrift) oder gar Handelsbräuche (lit. c) kaum bestehen. Auch hier handelt es sich um einen europarechtlich-autonomen Begriff der Schriftlichkeit; § 126 BGB gilt daher nicht. Die Willenserklärungen beider Parteien müssen nicht in ein und

478 479 480 481

EuGH 19. 7. 2012 – C-154/11 – Mahamdia = IPRax 2013, 572 m. Anm. Martiny. Rauscher/Mankowski Art. 25 Brüssel Ia-VO Rn. 14 m. w. N.; im Ergebnis ebenso Berner RIW 2017, 792. EuGH 3. 7. 1997 – C-269/95 – Slg. 1997 I-3767 Tz. 28 – Benincasa = JZ 1998, 896 m. Anm. Mankowski. EuGH 9. 12. 2003 – C-116/02 – Slg. 2003 I-14693 Tz. 51 = IPRax 2004, 243 – Gasser; BGH 15. 2. 2007 – I ZR 40/ 04 – BGHZ 171, 141 = NJW 2007, 2036, 2038 m. w. N. 482 Rauscher/Mankowski Art. 25 Brüssel Ia-VO Rn. 135 unter Verweis auf britische Rspr. 483 Leible/Röder RIW 2007, 481, 483 ff. 484 Rauscher/Mankowski Art. 25 Brüssel Ia-VO Rn. 44 m. w. N.; Magnus FS Martiny (2014) 785, 792; vgl. die Darstellung der verschiedenen Regelungsebenen bei Coester-Waltjen FS Geimer (2017) 31. 485 Rauscher/Mankowski Art. 25 Brüssel Ia-VO Rn. 41. 486 Kindler FS Coester-Waltjen (2015) 485, 486 m. w. N.; ebenso auch Rauscher/Mankowski Art. 25 Brüssel Ia-VO Rn. 33 ff., jedoch mit rechtspolitischer Kritik und Argumenten für eine Sachnormverweisung. 487 Rauscher/Mankowski Art. 25 Brüssel Ia-VO Rn. 146 ff. m. w. N. 488 Rauscher/Mankowski Art. 25 Brüssel Ia-VO Rn. 17: Die Gegenstände des Art. 25 Abs. 1 Satz 1 EuGVO seien „aus dem Vertragsstatut gleichsam herausgeschnitten.“

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derselben Urkunde enthalten sein, sondern es genügt ein Briefwechsel.489 Dieser kann wegen Art. 25 Abs. 2 EuGVO auch per Telefax oder per e-mail formwirksam stattfinden.490 Ebenso wie sämtliche andere Verträge, die auf rechtliche Durchsetzung abzielen, sind auch 213 Gerichtsstandsvereinbarungen nicht schrankenlos möglich. Sie unterliegen vielmehr einer Missbrauchskontrolle insbesondere im Hinblick darauf, dass mit ihnen international zwingende Normen im Sinne von Art. 9 Rom I-VO und Art. 16 Rom II-VO nicht ihrer Wirkung beraubt werden dürfen.491

8. Zuständigkeit kraft rügeloser Einlassung (Art. 26 EuGVO) Eine Prüfung der internationalen Zuständigkeit von Amts wegen sieht die EuGVO nur in zwei Ausnahmefällen vor: erstens zum Schutze der ausschließlichen Zuständigkeiten des Art. 24 EuGVO, d. h. das angerufene Gericht muss gemäß Art. 27 EuGVO überprüfen, ob nicht eine ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats gegeben ist. Außerdem muss das Gericht gemäß Art. 28 Abs. 1 EuGVO seine internationale Zuständigkeit von Amts wegen prüfen, wenn sich der Beklagte überhaupt nicht auf das Verfahren einlässt, d. h. in der Regel vor Erlass einer Säumnisentscheidung. Im Übrigen ist es Sache des Beklagten, das Fehlen der internationalen Zuständigkeit zu rügen, um zu vermeiden, dass das angerufene Gericht kraft rügeloser Einlassung gemäß Art. 26 EuGVO international zuständig wird. Auch das mögliche Vorliegen einer Gerichtsstandsvereinbarung hindert nicht die Entstehung einer Zuständigkeit kraft rügeloser Einlassung; das Gericht trifft insoweit keine Verpflichtung, diese von Amts wegen zu beachten.492 Auch die örtliche Zuständigkeit kann über diesen Weg begründet werden, soweit die Klage in einem Gerichtsstand erhoben wird, bei dem die EuGVO nicht nur die internationale, sondern auch die örtliche Zuständigkeit regelt.493 Eine Einlassung auf das Verfahren liegt jedoch nicht bereits in der bloßen Anzeige der Verteidigungsbereitschaft gemäß § 276 Abs. 1 ZPO.494 Erhebt der Beklagte jedoch Einwände gegen die Klage, so liegt eine Einlassung gemäß Art. 26 EuGVO vor, und zwar auch bei bloßer Bezugnahme auf eine angebliche Unzulässigkeit der Klage ohne Ausführungen zur Begründetheit.495 Eine hilfsweise Einlassung ist aber für den Beklagten unschädlich, solange er die internationale Zuständigkeit entweder ausdrücklich rügt oder zumindest aus seinem Vortrag erkennbar ist, dass er auch das Fehlen der internationalen Zuständigkeit geltend machen will. Insoweit ist in der Rüge der örtlichen Zuständigkeit im Zweifel auch die Rüge der internationalen Zuständigkeit enthalten.496 Der genaue Zeitpunkt, bis zu dem der Beklagte die Rüge der Unzuständigkeit des Gerichts erhoben haben muss, ergibt sich aus dem Verfahrensrecht des Forumstaats; die Rüge muss aber spätestens mit der Stellungnahme erhoben werden, die nach der lex fori als das erste Verteidigungsvorbringen vor dem angerufenen Gericht anzusehen ist.497 Für Deutschland bedeutet dies, dass die Rüge bereits in der Klageerwiderung gemäß § 277 ZPO enthalten sein muss, sofern der Beklagte eine solche einreicht.498 Äußert sich der Beklagte aber zunächst gar nicht, so kann er 489 BGH 9. 3. 1994 – VIII ZR 185/92 – NJW 1994, 2699, 2700; Kropholler/von Hein Art. 23 EuGVO a. F.; Musielak/ Voith/Stadler Art. 25 EuGVVO Rn. 9 m. w. N.

490 Rauscher/Mankowski Art. 25 Brüssel Ia-VO Rn. 90 m. w. N. 491 Vgl. zum autonomen deutschen Recht OLG München 17. 5. 2006 – 7 U 1781/06 – IPRax 2007, 322 m. Anm. Rühl S. 294; ausführlich aus europarechtlicher Sicht Leible/Röder RIW 2007, 481 ff. EuGH 17. 3. 2016 – C-175/15 – GRUR-RR 2016, 309 – Taser. Kropholler/von Hein Art. 24 EuGVO a. F. Rn. 6 mw.N. LG Frankfurt 15. 5. 1990 – 3/11 O 158/89 – EuZW 1990, 581 m. Anm. Mittelstädt. Zöller/Geimer Art. 26 EuGVVO Rn. 5 m. w. N. BGH 1. 6. 2005 – VIII ZR 256/04 – IPRax 2006, 594 m. Anm. Leible/Sommer S. 568. EuGH 24. 6. 1981 – 150/80 – Slg. 1981, 1671 Tz. 16 = NJW 1982, 507 – Elefanten Schuh. OLG Hamm 2. 10. 1998 – 29 U 212/97 – RIW 1999, 540; OLG Frankfurt/M. 9. 9. 1999 – 4 U 13/99 – IPRax 2000, 525 m. Anm. Kulms S. 488.

492 493 494 495 496 497 498

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auch noch bei einer späteren ersten Äußerung wirksam die Rüge der Unzuständigkeit des Gerichts erheben; die Anwendung der Verspätungsvorschriften kommt insoweit nicht in Betracht.499 218 Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist Art. 26 EuGVO nicht anwendbar, so dass das angerufene Gericht selbst bei rügeloser Einlassung des Antragsgegners nicht von den Beschränkungen des Art. 35 EuGVO befreit ist.500

XII. Internationale Zuständigkeit nach LugÜ 1. Anwendungsbereich 219 Im Verhältnis zu Norwegen, Island und der Schweiz findet das Lugano-Übereinkommen heute in seiner Fassung von 2007 Anwendung (s. oben Rn. 38), da diese Staaten das LugÜ 2007 inzwischen alle ratifiziert haben.501 Das LugÜ in seiner älteren Fassung von 1988 hat daher nur noch für Altfälle Bedeutung.

2. Weitgehende Identität mit der EuGVO 220 Mit dem LugÜ 2007 wurde das LugÜ im Wesentlichen an die Veränderungen angepasst, die mit dem Wechsel vom EuGVÜ zur EuGVO des Jahres 2001 verbunden waren; daher ist das LugÜ 2007 heute weitgehend mit der EuGVO in ihrer Fassung als VO (EG) 44/2001 identisch.502 Eine umfassende Angleichung des LugÜ an die Neufassung der EuGVO in ihrer Fassung als VO Nr. 1215/2012 wurde jedoch bisher nicht vorgenommen. Jedoch wurde in Art. 22 Nr. 4 LugÜ 2007 die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof zu Art. 22 Nr. 4 EuGVO a. F. kodifiziert, nach der sich dieser ausschließliche Gerichtsstand auch dann durchsetzt, wenn die Ungültigkeit eines Patents oder anderen Schutzrechts im Wege der Einrede gegenüber einer Verletzungsklage geltend gemacht wird; dies entspricht auch der Neufassung von Art. 24 Nr. 4 EuGVO (s. oben Rn. 163).

XIII. Autonomes deutsches Recht der internationalen Zuständigkeit 1. Anwendungsbereich und Grundsatz der Doppelfunktionalität 221 Soweit weder EuGVO noch das LugÜ anwendbar sind, gelten für die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte die Regeln des autonomen deutschen Rechts. Dies ist – vorbehaltlich einer entsprechenden Änderung der EuGVO – derzeit vor allem dann der Fall, wenn der Beklagte seinen Sitz weder innerhalb der EU noch in Island, Norwegen oder der Schweiz hat. 222 Im deutschen Zivilverfahrensrecht gibt es allerdings kaum Vorschriften, die explizit die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte regeln. Es gilt stattdessen der Grundsatz der Doppelfunktionalität, d. h. die Normen über die örtliche Zuständigkeit werden zugleich zur Beurteilung der internationalen Zuständigkeit herangezogen.503 Dies gilt insbesondere für lauterkeitsrechtliche Ansprüche, da § 14 Abs. 2 Satz 2 UWG schon von seinem Wortlaut her deutlich macht, dass er auch 499 Vgl. zu § 39 ZPO BGH 21. 11. 1996 – IX ZR 264/95 – BGHZ 134, 127 = NJW 1997, 397, 399. 500 EuGH 27. 4. 1999 – C-99/96 – Slg. 1999 I-2277 Tz. 52 – Mietz = EuZW 1999, 727, 730; Kropholler/von Hein Art. 24 EuGVO a. F. Rn. 7. 501 Ausführlich zur Historie des LugÜ Kropholler/von Hein Einl EuGVO (a. F.) Rn. 82 ff. Für Norwegen gilt das LuGÜ 2007 schon seit dem 1. 1. 2010, für die Schweiz seit 1. 1. 2011 und für Island seit 1. 5. 2011. 502 Zu den Abweichungen im Detail Kropholler/von Hein Einl EuGVO (a. F.) Rn. 94 ff. 503 Unbestritten seit BGH 14. 6. 1965 – GSZ 1/65 – BGHZ 44, 46 = NJW 1965, 1665 = JZ 1966, 237 m. Anm. Neuhaus; vgl. Schack Rn. 266 m. w. N.

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XIII. Autonomes deutsches Recht der internationalen Zuständigkeit

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die internationale Zuständigkeit mit regeln möchte. Daher kann unter Berücksichtigung der folgenden Ergänzungen hier im wesentlichen auf die Kommentierung zu § 14 verwiesen werden.

2. Allgemeiner Gerichtsstand Auch das deutsche Recht folgt mit den Regeln zum allgemeinen Gerichtsstand in §§ 12 ff. ZPO dem 223 Grundsatz actor sequitur forum rei. In diesem Gerichtsstand können Klagen jedweder Art erhoben werden, soweit nicht ein ausschließlicher Gerichtsstand gemäß §§ 24, 29a, 32a oder 32b ZPO eingreift, die aber im Lauterkeitsrecht regelmäßig nicht relevant sein werden. Stattdessen gilt im Lauterkeitsrecht die gegenüber §§ 12 ff. ZPO als lex specialis vorrangige Regel des § 14 UWG.

3. Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes Ebenso wie das europäische Recht in Art. 7 Nr. 1 EuGVO (dazu oben Rn. 149 ff.) kennt auch 224 das autonome deutsche Zuständigkeitsrecht in § 29 ZPO einen Gerichtsstand des vertraglichen Erfüllungsortes für Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis und über dessen Bestehen. Dieser Gerichtsstand kann in lauterkeitsrechtlichen Fällen insbesondere dann relevant werden, wenn sich die Klage auf einen Unterwerfungsvertrag stützt und aus diesem Vertrag die Zahlung einer Vertragsstrafe verlangt wird. Die Anwendung des § 29 ZPO auf derartige Klagen wegen „unterwerfungskonträrem Verhalten“504 hängt davon ab, ob man den als lex specialis im Grundsatz vorrangigen § 14 UWG auch auf derartige „vertragsrechtliche“ Ansprüche anwenden möchte. Der BGH hat sich zumindest im Hinblick auf den insoweit gleichlautenden § 13 UWG ausdrücklich für diese Lösung entschieden und ordnet Ansprüche auf Zahlung einer Vertragsstrafe auch als Ansprüche „auf Grund“ des UWG ein.505 Die wohl herrschende Auffassung in der Literatur und Teile der Rechtsprechung lehnten dies jedoch lange Zeit ab und grenzten vertraglich begründete Ansprüche aus dem Anwendungsbereich der §§ 13, 14 UWG aus.506 Folgte man dieser Literaturmeinung, so kommt für derartige Klagen – ggf. in Ermangelung einer Gerichtsstandsvereinbarung – neben dem allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten auch der Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß § 29 ZPO in Betracht. Hinter dieser Problematik steht die Streitfrage, ob man die lauterkeitsrechtliche Unterwerfungs- 225 erklärung als kausales (deklaratorisches) oder abstraktes (konstitutives) Schuldanerkenntnis einordnet.507 Ist sie kausaler Natur, so bestätigt sie nur den bestehenden deliktsrechtlichen Unterlassungsanspruch und belässt es damit bei den entsprechenden Zuständigkeiten aus § 14 UWG, d. h. es kann am Begehungsort der Wettbewerbshandlung sowohl der durch die erneute Zuwiderhandlung begründete deliktsrechtliche Unterlassungsanspruch geltend gemacht werden wie auch die Vertragsstrafe als dessen Nebenfolge.508 Wertet man dagegen die Unterwerfungserklärung mit der wohl herrschenden Meinung als abstraktes Schuldanerkenntnis, so ist zwar für einen durch die Zuwiderhandlung neu auflebenden deliktsrechtlichen Unterlassungsanspruch der Tatortgerichtsstand gegeben, nicht aber für den bei dieser Sicht allein vertragsrechtlich begründeten Anspruch auf die Vertragsstrafe. Für diesen käme dann – neben dem allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten – als zusätzlicher Gerichtsstand nur derjenige des Erfüllungsorts gemäß § 29 ZPO in Betracht. 504 So die treffende Bezeichnung bei Lindacher S. 63 ff. 505 BGH 19. 10. 2016 – I ZR 93/15 – WRP 2017, 179. 506 Dazu Teplitzky/Schaub Kapitel 45 Rn. 5; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 14 UWG Rn. 4 m. w. N.; OLG Rostock 7. 12. 2004 – 2 UH 4/04 – GRUR-RR 2005, 176; ebenso zur vergleichbaren Problematik des § 6 UKlaG Rieble JZ 2009, 716, 721. 507 Dazu Lindacher FS Kerameus (2009) 709, 711. 508 Lindacher S. 63 f., der den Anspruch auf die Vertragsstrafe als accessorium wertet und sich auf die „kompetenzrechtliche Regel accesorium sequitur principale“ beruft.

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

Im Ergebnis ist eher der herrschenden Meinung zu folgen, die den Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe als genuin vertragsrechtlich behandelt und ihn daher aus dem Anwendungsbereich des § 14 UWG ausgrenzt. Dafür spricht vor allem der Wortlaut des § 14 UWG, der von Klagen „auf Grund dieses Gesetzes“ spricht. Da das UWG aber keine Strafzahlungen an den Verletzten vorsieht, sind solche Zahlungsverpflichtungen, die qua Unterwerfungserklärung begründet werden, auch nicht „auf Grund“ des UWG begründet, sondern können ihren Grund nur im Vertragsrecht finden, welches wiederum zur Anwendung von § 29 ZPO führt. 227 Die Bestimmung des Erfüllungsortes der jeweils eingeklagten Verpflichtung im Sinne von § 29 ZPO ist nach dem durch das Kollisionsrecht – also gemäß Art. 3 ff. Rom I-VO – zu ermittelnden Vertragsstatut vorzunehmen.509 Ist dies deutsches Sachrecht, so gilt für die Zahlung einer Vertragsstrafe im Zweifel § 269 ZPO, d. h. die Zahlungsverpflichtung ist am Sitz des Schuldners zu erfüllen.510 Somit ist § 29 ZPO für einen Kläger, der die vom Gegner unterzeichnete Unterwerfungserklärung nicht mit einer Gerichtsstandsvereinbarung versehen hat, weitgehend nutzlos.

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4. Besonderer Gerichtsstand bei deliktsrechtlichen Ansprüchen 228 Für die im Normalfall deliktsrechtlich einzuordnenden Ansprüche wegen Wettbewerbsverstößen gilt im Sinne der Doppelfunktionalität auch für die internationale Zuständigkeit die Vorschrift des § 14 UWG. Der Sache nach ist allerdings bei der Auslegung des § 14 UWG kein Unterschied gegenüber der Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuGVO oder des § 32 ZPO zu machen. Der Begriff des Begehungsortes in § 14 Abs. 2 Satz 1 UWG ist daher entsprechend der zu Art. 7 Nr. 2 EuGVO entwickelten Konkretisierung als Handlungs- oder Erfolgsort zu verstehen, wobei der Erfolgsort in der Regel dem Marktort entspricht, sofern kein rein bilateraler Wettbewerbsverstoß vorliegt (s. oben Rn. 191). Die Anwendung des § 14 UWG als Norm der internationalen Zuständigkeit setzt auch nicht voraus, dass auf den geltend gemachten Anspruch in der Sache deutsches Lauterkeitsrecht Anwendung finden müsste; vielmehr ist die Norm immer dann heranzuziehen, wenn der geltend gemachte Anspruch aus deutscher Sicht als lauterkeitsrechtlicher Anspruch zu qualifizieren ist.511 229 Stützt der Kläger sich jedoch neben den Normen des UWG auch auf Anspruchsgrundlagen des bürgerlichen Rechts – etwa §§ 823 Abs. 2 oder 826 BGB – so können diese bürgerlich-rechtlichen Ansprüche in den durch die allgemeinen Zuständigkeitsregeln der §§ 12 ff. ZPO begründeten Gerichtsständen geltend gemacht werden, nicht aber die auf das UWG gestützten Ansprüche.512 Außerhalb des Anwendungsbereichs von § 14 UWG kommt für deliktsrechtliche Ansprüche vor 230 allem der besondere Gerichtsstand des Tatorts gemäß § 32 ZPO in Betracht. Auch hier sollte man schon aus Gerechtigkeitsgründen zu einer weitgehenden Annäherung an die Auslegung des Art. 5 Nr. 3 EuGVO kommen. Allerdings sind in Rechtsprechung und Literatur gewisse Abweichungen im Verhältnis zu Art. 7 Nr. 2 EuGVO zu verzeichnen, die hier dargestellt werden sollen.

a) Besonderer Bezug zum Inland nötig? 231 aa) Rechtsprechung. Erstens verlangt der Bundesgerichtshof in seiner Rechtsprechung zu Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet – die möglicherweise auch auf andere Internetdelikte zu übertragen ist – für eine Zuständigkeit deutscher Gerichte gemäß § 32 ZPO nicht nur 509 510 511 512

Stein/Jonas/Roth § 29 ZPO Rn. 25. OLG Rostock 7. 12. 2004 – 2 UH 4/04 – GRUR-RR 2005, 176. MünchKommUWG/Mankowski IntWettbR Rn. 411. Fezer/Büscher/Hausmann/Obergfell IntLautVerfR Rn. 465; a. A. noch BGH 30. 11. 1954 – I ZR 143/52 – BGHZ 15, 338 = NJW 1955, 382, 384 unter der (heute von der h.M. aufgegebenen) Annahme, dass das UWG ein Schutzgesetz gemäß § 823 Abs. 2 BGB sei; vgl. aber heute noch Zöller/Schultzky § 32 Rn. 10: Gericht am Tatort gemäß § 32 ZPO könne auch nach UWG prüfen sowie umgekehrt.

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XIII. Autonomes deutsches Recht der internationalen Zuständigkeit

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eine gewisse Auswirkung im Inland durch Abrufbarkeit der betreffenden Webseite, sondern zusätzlich auch noch einen „deutlichen Bezug zum Inland“.513 Dieser soll etwa dann fehlen, wenn sich ein in Deutschland wohnhafter Kläger russischer Abstammung gegen eine angeblich das Persönlichkeitsrecht verletzende Internetveröffentlichung wehrt, die in russischer Sprache von einem in den USA ansässigen Beklagten publiziert wurde.514

bb) Kritik. Diese Rechtsprechung ist abzulehnen, da sie mit dem Grundgedanken des § 32 ZPO 232 nicht vereinbar ist, der – neben den pragmatischen Erwägungen der Sach- und Beweisnähe – jedenfalls auch dazu dient, dem Geschädigten am Ort der Rechtsgutsverletzung angemessenen Rechtsschutz zu gewähren. Es liegt auf der Hand, dass eine Veröffentlichung in russischer Sprache für einen in Deutschland lebenden Russen in seinem sozialen Umfeld erhebliche Auswirkungen haben kann, so dass in diesem Fall mit Blick auf die behauptete Persönlichkeitsrechtsverletzung durchaus ein Erfolgsort in Deutschland gegeben war. Es wäre daher eher sinnvoll, diese Rechtsprechung mit der Martinez-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (dazu oben Rn. 193)515 dahingehend zu synchronisieren, dass ein zuständigkeitsbegründender Erfolgsort überall dort besteht, wo durch Abruf der Webseite eine Verletzung eintritt und anzuerkennen, dass dies am Wohnsitz des Verletzten als „Mittelpunkt seiner Interessen“ in der Regel der Fall ist.516 Die bei Zugrundelegung der bisherigen BGH-Rechtsprechung bestehende Alternative für einen in Deutschland lebenden Verletzten, sich nämlich zur Durchsetzung seiner Rechte vor z. B. die russischen oder US-amerikanischen Gerichte zu begeben, ist unter dem Gesichtspunkt des Zugangs zum Recht für den durch eine unerlaubte Handlung Geschädigten nicht zufriedenstellend.517 b) Anwendung der Mosaiktheorie bei § 32 ZPO? Des Weiteren ist im Vergleich zu Art. 7 233 Nr. 2 EuGVO ungeklärt, ob und inwieweit die Mosaiktheorie im Sinne der Shevill und MartinezEntscheidungen des Europäischen Gerichtshofes auch im autonomen deutschen Zuständigkeitsrecht des § 32 ZPO (oder des § 14 UWG) eine Rolle spielen sollte. Nach der hier vertretenen Auffassung ist dies für lauterkeitsrechtliche Ansprüche schon deswegen zu verneinen, weil die Mosaiktheorie ohnehin nicht auf das Lauterkeitsrecht zu übertragen ist (s. oben Rn. 196 ff.). Somit gibt es auch im Anwendungsbereich des autonomen deutschen Zivilprozessrechts für lauterkeitsrechtliche Ansprüche keine Beschränkung der Kognitionsbefugnis eines international zuständigen Gerichts. Selbst wenn man aber für Art. 7 Nr. 2 EuGVO die Geltung der Mosaiktheorie auch im Lauterkeitsrecht bejahen sollte, so ist diese doch nicht auf das deutsche Verfahrensrecht übertragbar: Dagegen spricht schon, dass eine entsprechende Beschränkung der Kognitionsbefugnis auch im Bereich der örtlichen Zuständigkeit nicht stattfindet, d. h. das am Erfolgsort Hamburg gemäß § 32 ZPO angerufene Gericht ist keineswegs darauf beschränkt, eine Unterlassung etwa nur für das Hamburgische Stadtgebiet anzuordnen und kann auch den 513 BGH 2. 3. 2010 – VI ZR 23/09 – BGHZ 184, 313 = GRUR 2010, 461 – New York Times (wo allerdings der BGH im Ergebnis eine Zuständigkeit deutscher Gerichte für eine angeblich ehrverletzende Berichterstattung über den in Deutschland wohnhaften Kläger in der Online-Ausgabe der New York Times bejaht, GRUR 2010, 461, 463 f.). 514 BGH 29. 3. 2011 – VI ZR 111/10 – GRUR 2011, 558 – womanineurope.com. 515 EuGH 25. 10. 2011 – C-509/09 und C-161/10 – GRUR 2012, 300, 302 – eDate und Martinez. 516 Für eine solche Angleichung der deutschen Rechtsprechung an Martinez auch Hess JZ 2012, 189, 193; Brand NJW 2012, 127, 130. 517 Abwegig daher das für die BGH-Rechtsprechung und gegen eine Übernahme der Martinez-Regeln vorgebrachte Argument, dass „ein einseitiges Aufschwingen deutscher Gerichte zum Weltpolizisten für die Durchsetzung der Persönlichkeitsrechte der deutschen Wohnbevölkerung“ zu weit gehe (Heinze EuZW 2011, 947, 950). Diese Auffassung verkennt, dass es schlicht keinen ansonsten ansprechbaren „Weltpolizisten“ gibt und muss sich fragen lassen, ob nicht gerade der Rechtsschutz für die „deutsche Wohnbevölkerung“ die ureigenste Aufgabe der deutschen Gerichte ist.

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

Schaden in Lübeck mit in seine Entscheidung einbeziehen. Hinzu kommt, dass die Mosaiktheorie aus der französischen Rechtsprechung entstammt und daher nicht ohne weiteres auf die historisch von unbeschränkter Kognitionsbefugnis ausgehende Norm des § 32 ZPO übertragen werden kann. Daher gibt es keinen Grund dafür, die durch die Martinez-Entscheidung ohnehin schwer angeschlagene Mosaiktheorie auch noch auf das deutsche Recht zu übertragen.518

234 c) Anspruchskonkurrenz bei § 32 ZPO. Stehen deliktsrechtliche und vertragsrechtliche Ansprüche in Anspruchskonkurrenz, so gilt die örtliche Zuständigkeit des § 32 ZPO nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sowohl für die deliktsrechtlichen wie auch die auf demselben Sachverhalt beruhenden vertragsrechtlichen Ansprüche. Das soll nach Ansicht des BGH aber nicht für die internationale Zuständigkeit gelten, diesbezüglich gelte § 32 ZPO nur für deliktsrechtliche Ansprüche.519 Insoweit besteht also kein Unterschied zur Rechtsprechung des EuGH zu Art. 7 Nr. 2 EuGVO (s. oben Rn. 172).520

5. Gerichtsstand des Vermögens (§ 23 ZPO) 235 Soweit es um Ansprüche geht, die nicht aus dem UWG hergeleitet werden und damit auch nicht der Norm zur ausschließlichen Zuständigkeit gemäß § 14 UWG unterfallen, kommt auch eine Klage am Gerichtsstand des Vermögens (§ 23 ZPO) in Betracht. Diese Norm setzt – wenn man einmal von der in Wettbewerbssachen kaum relevanten Alternative der Belegenheit des in Anspruch genommenen Gegenstands absieht – ihrem Wortlaut nach nur voraus, dass sich Vermögen des Beklagten im Bezirk des angerufenen Gerichts befindet, ohne dass es auf den Wert dieses Vermögens oder auf einen Zusammenhang des Vermögens mit der erhobenen Klage ankäme. Vermögen des Beklagten, das wegen Immunität nicht der Vollstreckung unterliegt, kann einen Gerichtsstand gemäß § 23 ZPO jedoch nicht begründen.521 236 Es handelt sich bei § 23 ZPO um einen oft als „exorbitant“ bezeichneten Gerichtsstand.522 Gegenüber Beklagten mit Sitz innerhalb des EWR kann er wegen des Vorrangs von EuGVO und LugÜ nicht angewandt werden; er ist gemäß Art. 5 Abs. 2 EuGVO bzw. Art. 3 Abs. 2 LugÜ auch ausdrücklich ausgeschlossen. Gegenüber Beklagten aus Drittstaaten ist er aber anwendbar. 237 Allerdings hat der Bundesgerichtshof die Verwendungsmöglichkeiten des § 23 ZPO stark eingeschränkt, indem er zusätzlich zum Wortlaut der Vorschrift auch noch fordert, dass der Rechtsstreit einen „hinreichenden Inlandsbezug“ aufweist.523 Dieser kann etwa durch den Sitz des Klägers im Inland begründet werden.524 238 Diese Einschränkung des Vermögensgerichtsstands ist in der Literatur mit Recht kritisiert worden.525 Sie stützt sich auf angebliche völkerrechtliche Verpflichtungen zur Rücksichtnahme, die tatsächlich nicht bestehen und von anderen Staaten auch nicht praktiziert werden, wenn man etwa an die tag jurisdiction oder die dem Vermögensgerichtsstand durchaus vergleichbare doing business jurisdiction in vielen US-Bundesstaaten denkt.526

518 So im Ergebnis auch Stein/Jonas/Roth § 32 Rn. 4; Geimer Rn. 867 und 1524; für eine derartige Übertragung jedoch Lindacher S. 59; ähnlich für Persönlichkeitsverletzungen AnwKommBGB/Wagner Art. 40 EGBGB Rn. 45; PWW/Schaub Art. 40 EGBGB Rn. 11. 519 BGH 10. 12. 2002 – X ARZ 208/02 – BGHZ 153, 173 = NJW 2003, 828, 830. 520 EuGH 27. 9. 1988 – 189/87 – Slg. 1988, 5565 Tz. 19 – Kalfelis = NJW 1988, 3088. 521 OLG Frankfurt/M. 1. 10. 1998 – 1 U 163/96 – IPRax 1999, 247 m. Anm. Hau S. 232. 522 Vgl. Junker S. 242 f. 523 BGH 2. 7. 1991 – XI ZR 206/90 – BGHZ 115, 90 = NJW 1991, 3092. 524 BGH 2. 7. 1991 – XI ZR 206/90 – BGHZ 115, 90, 99; BGH 13. 12. 2012 – III ZR 282/11 – NJW 2013, 386. 525 Schack Rn. 373 m. w. N.; Junker S. 244 f. 526 Dazu ausführlich Halfmeier RabelsZ 68 (2004) 653 ff.

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XIV. Örtliche Zuständigkeit

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6. Gerichtsstandsvereinbarungen (§ 38 ZPO) Soweit weder das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen (dazu oben 239 Rn. 41) noch Art. 25 EuGVO (dazu oben Rn. 209) zur Anwendung kommen, gilt für Gerichtsstandsvereinbarungen das autonome deutsche Verfahrensrecht in Form des § 38 ZPO. Eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung, welche die Durchsetzung international zwingenden Rechts unmöglich macht, wird von der Rechtsprechung für unwirksam gehalten.527 Unter Kaufleuten und den anderen gemäß § 38 Abs. 1 ZPO prorogationsbefugten Personen ist 240 eine Schriftform für die Gerichtsstandsvereinbarung nicht notwendig, denn § 38 Abs. 2 ZPO kommt unter diesen Personen nicht zur Anwendung. Das gilt nach umstrittener, allerdings wohl heute überwiegender Meinung auch für Fälle mit Auslandsberührung, weil § 38 Abs. 2 nach seinem Normzweck nur auf die Fälle passt, in denen nicht bereits § 38 Abs. 1 anwendbar ist.528 In der Praxis ist eine Schriftform allerdings empfehlenswert, um angesichts des umstrittenen Verhältnisses zwischen § 38 Abs. 1 und 2 ZPO sowie des ebenfalls nicht ganz eindeutigen Anwendungsbereichs des Art. 25 EuGVO (dazu oben Rn. 209) für Klarheit und Rechtssicherheit zu sorgen. Wer Kaufmann i.S.v. § 38 Abs. 1 ZPO ist, bestimmt sich nach der lex fori, d. h. vor deutschen 241 Gerichten nach §§ 1 ff. HGB.529 Eine erweiternde Anwendung auf Freiberufler scheidet angesichts des klaren Wortlauts der Vorschrift aus.530 Diese fallen daher nur dann unter § 38 Abs. 1 ZPO, wenn sie ihr Unternehmen z. B. als juristische Person und damit als Formkaufmann organisiert haben.

7. Zuständigkeit durch rügelose Einlassung (§ 39 ZPO) Die Vorschrift des § 39 ZPO gilt auch für die internationale Zuständigkeit.531 Im Gegensatz zur 242 Vorschrift des Art. 26 EuGVO, die vom EuGH so ausgelegt wird, dass die Rüge der internationalen Zuständigkeit im ersten Verteidigungsvorbingen des Beklagten enthalten sein muss (s. oben Rn. 217), lässt der BGH es angesichts des Wortlauts von § 39 ZPO ausreichen, dass diese Rüge in der ersten mündlichen Verhandlung geltend gemacht wird.532 Die Rüge der örtlichen Zuständigkeit enthält im Zweifel auch die Rüge der internationalen Zuständigkeit.533

XIV. Örtliche Zuständigkeit Die Normen der EuGVO (und des LugÜ) regeln teilweise auch die örtliche Zuständigkeit. Dies gilt 243 insbesondere für Art. 7 Nr. 1 und 2 EuGVO („Gericht des Ortes“). In diesen Fällen ergibt sich daher auch die örtliche Zuständigkeit aus der EuGVO, auf das nationale Recht kommt es nicht an.534 Soweit dagegen die EuGVO nur die internationale Zuständigkeit regelt – etwa bei Art. 4 EuGVO – gelten für die örtliche Zuständigkeit die nationalen Regeln, d. h. in Deutschland §§ 12 ff. ZPO. 527 BGH 5. 9. 2012 – VII ZR 25/12 – BB 2012, 3103 (Handelsvertreterrecht). 528 OLG Saarbrücken 13. 10. 1999 – 1 U 190/99 – NJW 2000, 670, 671; OLG München OLGR 2001, 27; Mark/ Gärtner MDR 2009, 837, 840 f.; Zöller/Schultzky § 38 Rn. 30; Prütting/Gehrlein/Lange § 38 Rn. 9 m. w. N.; Stein/ Jonas/Bork § 38 Rn. 19; Musielak/Voith/Heinrich § 38 Rn. 13; a. A. seinerzeit OLG Nürnberg 28. 11. 1984 – 9 U 3061/84 – NJW 1985, 1296, wonach § 38 Abs. 2 ZPO in Fällen mit Auslandsberührung gegenüber § 38 Abs. 1 ZPO lex specialis sei. 529 Prütting/Gehrlein/Lange § 38 Rn. 5 m. w. N. 530 OLG Köln 29. 6. 2015 – 8 AR 39/15 – NJW-RR 2015, 1533, 1534; HansOLG Hamburg 18. 1. 2008 – 13 AR 37/07 – OLGR 2008, 340; Zöller/Schultzky § 38 Rn. 22 m. w. N. 531 BGH 13. 7. 1987 – II ZR 280/86 – BGHZ 101, 296 = NJW 1987, 3181, 3182. 532 BGH 21. 11. 1996 – IX ZR 264/95 – BGHZ 134, 127 = NJW 1997, 397, 398. 533 BGH 1. 6. 2005 – VIII ZR 256/04 – NJW-RR 2005, 1518, 1519. 534 Kropholler/von Hein vor Art. 2 EuGVO Rn. 3.

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

XV. Vortrag zur Zuständigkeit und doppelrelevante Tatsachen 244 Die EuGVO regelt nicht die Frage, was ein Kläger vortragen muss, um einen Gerichtsstand nach den Vorschriften der EuGVO zu begründen. Diese Frage ist daher nach der lex fori zu beurteilen, d. h. vor deutschen Gerichten nach deutschem Verfahrensrecht.535 Der Europäische Gerichtshof hat allerdings implizit deutlich gemacht, dass die Tatortzuständigkeit gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVO nicht voraussetzt, dass auch tatsächlich ein (nach dem anwendbaren Lauterkeitsrecht zu beurteilender) Wettbewerbsverstoß begangen wurde.536 Diese Auffassung passt aber problemlos zu der im deutschen Prozessrecht vorherrschenden 245 Lehre von den „doppelrelevanten Tatsachen.“ Diese Lehre betrifft Tatsachen, die in dem Sinne doppelrelevant sind, dass sie sowohl für die Zulässigkeit (hier: internationale Zuständigkeit) als auch für die Begründetheit der Klage entscheidend sind. Solche Tatsachen müssen nicht vom Kläger bewiesen werden, um die internationale Zuständigkeit zu begründen, sondern dafür reicht der schlüssige Vortrag derartiger Tatsachen aus.537 Bei unerlaubten Handlungen ist aber nur die Frage nach dem Vorliegen einer unerlaubten Handlung in dem genannten Sinne doppelrelevant, nicht dagegen der Tatort als solcher. Ist daher nur der Tatort streitig, so ist darüber ggf. schon zur Prüfung der Zuständigkeit von Amts wegen Beweis zu erheben.538

XVI. Lis pendens 1. EuGVO/LugÜ 246 Die EuGVO regelt das Problem der Anhängigkeit paralleler Klagen in Art. 29 ff. EuGVO. Diese Vorschriften sind immer dann anwendbar, wenn es um Parallelverfahren in zwei Mitgliedstaaten der EU (sowie im Anwendungsbereich des LugÜ) geht, ohne dass es auf die Herkunft der betroffenen Prozessparteien oder auf die von den jeweiligen nationalen Gerichten angewandten Zuständigkeitsvorschriften ankäme.539 Im Gegensatz zur Regelung im deutschen Verfahrensrecht (dazu unten Rn. 254) ist allerdings die in einer bereits anderswo anhängigen Sache erhobene Klage nicht von vorneherein unzulässig, sondern das zweite Gericht setzt sein Verfahren zunächst nur aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts von diesem geklärt ist und weist die zweite Klage erst dann gemäß Art. 29 Abs. 3 EuGVO wegen Unzuständigkeit zurück, wenn das Erstgericht seine Zuständigkeit festgestellt hat.

a) Art. 29 EuGVO 247 aa) Kernpunktheorie. Voraussetzung dafür ist gemäß Art. 29 Abs. 1 EuGVO, dass die jeweiligen Prozessparteien identisch sind und dass beide Klagen „wegen desselben Anspruchs“ erhoben werden. Der Europäische Gerichtshof hat dieses Merkmal europarechtlich-autonom dahingehend ausgelegt, dass es immer dann vorliegt, wenn der Kernpunkt der beiden Prozesse

535 BGH 29. 11. 2011 – XI ZR 172/11 – ZIP 2012, 444 Tz. 12 m. w. N. 536 EuGH 5. 2. 2004 – C-18/02 – Slg. 2004 I-1417 Tz. 27 und 32 = IPRax 2006, 161 m. Anm. Franzen S. 127 – DFDS Torline. 537 BGH 2. 3. 2010 – VI ZR 23/09 – BGHZ 184, 313 – GRUR 2010, 461, 462 – New York Times; BGH 13. 10. 2004 – I ZR 163/02 – GRUR 2005, 431, 43 – Hotel Maritime; Rosenberg/Schwab/Gottwald § 9 Rn. 31; ausführlich Ost Doppelrelevante Tatsachen im internationalen Zivilverfahrensrecht (2002); kritisch zur Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen mit Bezug auf das Lauterkeitsrecht jedoch MünchKommLauterkeitsR/Mankowski IntWettbR Rn. 382 ff. 538 Prütting/Gehrlein/Wern § 32 Rn. 15 m. w. N. 539 EuGH 9. 12. 2003 – C-116/02 – Slg. 2003 I-14693 Tz. 41 – Gasser = IPRax 2004, 243 m. Anm. Grothe S. 210; EuGH 27. 6. 1991 – C-351/89 – Slg. 1991 I-3317 Tz. 13 – Gasser = NJW 1992, 3221.

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XVI. Lis pendens

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derselbe ist.540 Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs haben auch die Leistungsklage einerseits und die negative Feststellungsklage anderseits einen solchen identischen Kernpunkt, wenn sie sich auf einen und denselben Sachverhalt beziehen.541 Mag das nationale Verfahrensrecht auch abweichende Regeln enthalten, so tritt es im Anwendungsbereich der Art. 29 ff. EuGVO jedoch aufgrund des Anwendungsvorrangs des Europarechts zurück.542 Für das Lauterkeitsrecht bedeutet dies, dass etwa eine auf Unterlassung oder Schadensersatz gerichtete Klage gemäß Art. 29 Abs. 1 EuGVO auszusetzen und später ggf. gemäß Art. 29 Abs. 3 EuGVO als unzulässig abzuweisen ist, wenn vorher in einem anderen Mitgliedstaat bereits eine negative Feststellungsklage zwischen denselben Parteien anhängig gemacht wurde, mit der die Feststellung der Rechtmäßigkeit des betreffenden Verhaltens begehrt wird.543 Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die zu beurteilenden Parallelklagen sich auf denselben Kernpunkt auch in dem Sinne beziehen müssen, dass ein und derselbe nationale Markt in Rede steht, d. h. die auf den Markt im Staat A bezogene negative Feststellungsklage sperrt z. B. nicht eine auf den Markt in Staat B bezogene Leistungsklage.544 Außerdem geht die herrschende Auffassung davon aus, dass Art. 29 ff. EuGVO und die Kernpunktheorie im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht oder allenfalls eingeschränkt zur Anwendung kommen (s. dazu unten Rn. 281). Die vom Europäischen Gerichtshof entwickelte Kernpunkttheorie und insbesondere die aus 248 ihre folgende Sperrwirkung der negativen Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage wurde oft dahingehend kritisiert, dass sie sog. Torpedoklagen in dem Sinne ermögliche, dass ein potentieller Beklagter eine negative Feststellungsklage in einem Staat mit langsamer Justiz erhebt, um so die zu erwartende Unterlassungs- oder Schadensersatzklage für längere Zeit zu verhindern.545 Trotz dieser Kritik ist der Europäische Gerichtshof auch bei sehr langer Verfahrensdauer vor dem zuerst angerufenen Gericht nicht von der dargestellten Auffassung zu Art. 29 ff. abgewichen.546 Diese Rechtsprechung zur bisherigen Fassung der EuGVO ist konsistent und verdient Zustimmung. Der Europäische Gerichtshof gründet sie mit Recht auf die prinzipielle Gleichwertigkeit der Gerichte aller Mitgliedstaaten und das gegenseitige Vertrauen in die Justiz der jeweils anderen Mitgliedstaaten, welches dem europäischen Einigungsprozess inhärent ist.547 Damit soll nicht geleugnet werden, dass es faktische Missstände in den Justizsystemen zahlreicher Mitgliedstaaten gibt – auch in Deutschland, wo etwa viele Tausend Prospekthaftungsklagen von Aktionären nach über fünfzehn Jahren immer noch nicht rechtskräftig entschieden sind.548 Diese Probleme sind jedoch primär durch die Mitgliedstaaten selbst zu lösen. Bei extrem langer Verfahrensdauer kommt außerdem eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK sowie Art. 47 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta und damit der Weg zum EGMR in Betracht.549 Die Neufassung der EuGVO hat das Problem der Torpedoklagen ein Stück weit entschärft, 249 indem Art. 31 Abs. 2 EuGVO nunmehr vorsieht, dass die Sperrwirkung des zuerst anhängig gemachten Verfahrens dann nicht gilt, wenn eines der beteiligten Gerichte aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Art. 25 EuGVO ausschließlich zuständig ist. Dann soll erst dieses Gericht über die Zuständigkeit kraft der Vereinbarung entscheiden; es hat also die „Kompetenz540 EuGH 8. 12. 1987 – 144/86 – Slg. 1987, 4861 Tz. 16 – Gubisch ./. Palumbo = NJW 1989, 665, 666 (identischer „Kernpunkt“ bei Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit eines Vertrags einerseits und Erfüllungsklage aus diesem Vertrag andererseits). 541 EuGH 6. 12. 1994 – C-406/92 – Slg. 1994 I-5439 – Tatry = IPRax 1996, 108 m. Anm. Schack S. 80. 542 Vgl. Bereits unter Geltung des EuGVÜ BGH 11. 12. 1996 – VIII ZR 154/95 – BGHZ 134, 201 = NJW 1997, 870, 872. 543 Fezer/Büscher/Hausmann/Obergfell IntLautVerfR Rn. 440. 544 Lindacher GRUR Int. 2008, 453, 456 f. 545 S. etwa Magnus/Mankowski/Fentiman Introduction Art. 27–30 Rn. 15 ff.; vgl. die erneute Kritik an der Kernpunktheorie im Hinblick auf die aktuelle Fassung der EuGVO bei Sack GRUR 2018, 893. 546 EuGH 9. 12. 2003 – C-116/02 – Slg. 2003 I-14693 Tz. 73 – Gasser = IPRax 2004, 243 m. Anm. Grothe S. 210. 547 EuGH 9. 12. 2003 – C-116/02 – Slg. 2003 I-14693 Tz. 72 – Gasser. 548 Vgl. OLG Frankfurt/M. 16. 5. 2012 – 23 Kap 1/06 – BeckRS 2012, 10607. 549 Darauf verweist mit Recht Kropholler/von Hein Art. 27 EuGVO Rn. 21.

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

Kompetenz“550 hinsichtlich der Wirksamkeit der Zuständigkeitsvereinbarung auch dann, wenn zuvor ein anderes Gericht angerufen wurde. Bei der Anwendung dieser Vorschrift kann aber die Frage auftauchen, welcher Maßstab an die Behauptung einer solchen Zuständigkeitsvereinbarung anzulegen ist; es entsteht die Gefahr eines „umgekehrten Torpedos“,551 wenn eine Partei die Existenz einer solchen Gerichtsstandsvereinbarung vor einem als langsam bekannten Gericht schlicht behauptet. Ist die Existenz der Gerichtsstandsvereinbarung bestritten, so wird wohl mindestens eine gewisse „Anfangswahrscheinlichkeit“ ihres Vorliegens zu fordern sein, um die in Art. 31 Abs. 2 EuGVO vorgesehene Abweichung vom Prioritätsgrundsatz zu rechtfertigen.552 Liegt eine Gerichtsstandsvereinbarung nicht vor und wird dies auch nicht behauptet, so ist 250 eine klassische Torpedoklage in Form einer negativen Feststellungsklage bei einem langsamen Gericht jedoch auch unter den neuen Regeln der Art. 29 ff. EuGVO weiterhin möglich. In Extremfällen, in denen tatsächlich eine reine Verzögerungstaktik vorliegt und kein sachlicher Grund für die Wahl des „Torpedo“-Forums erkennbar ist, wird in der Literatur über einen zum Schadensersatz führenden Rechtsmissbrauch – etwa im Sinne des deutschen § 826 BGB – spekuliert; dafür gibt es aber nur wenig Präjudizien.553 Im Bereich der unionsrechtlich harmonisierten gewerblichen Schutzrechte wird die 251 EuGVO teilweise durch vorrangige Spezialvorschriften verdrängt und damit auch die TorpedoProblematik ein Stück weit entschärft.554

252 bb) Maßgeblicher Zeitpunkt. Die zeitliche Reihenfolge der Klagen wird für die Zwecke der Art. 29 ff. EuGVO in Art. 32 EuGVO europarechtlich-autonom geregelt. Danach kommt es im Normalfall der Einreichung einer Klage bei Gericht (Art. 32 lit. a EuGVO) auf den Zeitpunkt der Einreichung des entsprechenden Schriftstücks bei Gericht an und nicht – wie etwa im deutschen Recht beim Begriff der Rechtshängigkeit gemäß §§ 261 Abs. 1, 253 Abs. 1 ZPO – auf die Zustellung an den Beklagten. Wird dagegen nach dem Verfahrensrecht eines ausländischen Forumstaates die Klage zunächst dem Beklagten zugestellt und dann erst bei Gericht eingereicht, so gilt gemäß Art. 32 lit. b EuGVO derjenige Zeitpunkt, an dem das Schriftstück an die für die Zustellung verantwortliche Stelle gelangt ist.

253 b) Art. 30 EuGVO. Liegen die Voraussetzungen des Art. 29 EuGVO nicht vor, weil etwa die Prozessparteien nicht identisch sind oder weil es sich nicht um denselben Anspruch im oben dargestellten Sinne handelt, so kommt die Anwendung des Art. 30 EuGVO in Betracht, wenn die fraglichen Prozesse in einem weiter zu verstehenden Sinne miteinander „im Zusammenhang stehen“. Dies ist gemäß Art. 30 Abs. 3 EuGVO schon dann gegeben, wenn zwischen ihnen eine enge Beziehung besteht, aufgrund derer eine gemeinsame Entscheidung geboten erscheint und divergierende Urteile vermieden werden sollen. Die Vorschrift eröffnet damit ein recht weites Ermessen für das später angerufene Gericht, das bei ihm anhängige Verfahren auszusetzen. Dies ist z. B. möglich bei Schadensersatzklagen verschiedener Geschädigter aufgrund eines einheitli-

550 Schack Internationales Zivilverfahrensrecht Rn. 846. 551 Domej RabelsZ 78 (2014) 508, 535. 552 Domej RabelsZ 78 (2014) 508, 535 m. w. N.; Rauscher/Leible Art. 29 Brüssel Ia-VO Rn. 15 m. w. N.; ebenso Kindler FS Coester-Waltjen (2015) 485, 494 mit rechtsvergleichenden Hinweisen; vgl. zur Problematik auch Thorn/Paffhausen FS Lindacher (2017) 405, 420. 553 Einzelne Hinweise bei Schack Internationales Zivilverfahrensrecht Rn. 851 Fn. 1; eher skeptisch Rauscher/Leible Art. 29 Brüssel Ia-VO Rn. 36. 554 So zum Gemeinschaftsgeschmacksmuster EuGH 13. 7. 2017 – C-433/16 – GRUR 2017, 1129 – BMW/Acacia; dazu und zur Übertragung auch auf die Unionsmarkenverordnung Endrich GRUR Int. 2017, 854; Ahrens Der Wettbewerbsprozess Kapitel 16 Rn. 10 f.

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XVII. Antisuit injunctions

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chen Schädigungsvorgangs, um etwa das Ergebnis im Erstverfahren für das Zweitverfahren auszuwerten.555

2. Autonomes deutsches Recht Nach deutschem Zivilverfahrensrecht (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) ist eine Klage unzulässig, wenn 254 „die Streitsache“ – d. h. also identischer Streitgegenstand und identische Parteien – bereits anderweitig rechtshängig ist. Eine vor einem ausländischen Gericht erhobene Klage entfaltet diese Sperrwirkung jedoch nur dann, wenn aus deutscher Sicht mit einer Anerkennung der in dem betreffenden ausländischen Verfahren zu treffenden Entscheidung zu rechnen ist, d. h. es kommt auf eine positive „Anerkennungsprognose“ an.556 Der Zeitpunkt der im Ausland eingetretenen Rechtshängigkeit bestimmt sich in einem solchen Fall nach der dortigen lex fori.557 Die Regelung des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO kommt aus Sicht eines deutschen Gerichts aber nur 255 dann zur Anwendung, wenn das fragliche Parallelverfahren außerhalb des Geltungsbereichs der EuGVO und des LuGÜ stattfindet, ansonsten gelten Art. 29 ff. EuGVO.558 Ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Regelungen besteht darin, dass der Bundesgerichtshof – insoweit also anders als die oben bei Rn. 247 dargestellte Auffassung des Europäischen Gerichtshofs – den Streitgegenstand einer Leistungsklage nicht für identisch mit jenem einer auf demselben Sachverhalt beruhenden und bereits rechtshängigen negativen Feststellungsklage hält.559 Die Möglichkeit von „Torpedo“-Klagen in Form negativer Feststellungsklagen vor einem als langsam bekannten Gericht beschränkt sich daher im Wesentlichen auf den von EuGVO und LuGÜ abgedeckten europäischen Justizraum.

XVII. Antisuit injunctions Eine antisuit injunction ist eine aus dem Rechtskreis des Common Law stammende Unterlas- 256 sungsverfügung, mit der dem Verfügungsbeklagten die Prozessführung vor einem fremden Gericht untersagt wird, sei es, weil einer solchen Prozessführung die Rechtshängigkeit eines bereits anhängigen Verfahren entgegensteht, weil die verbotene Prozessführung angeblich gegen eine Gerichtsstands- oder Schiedsvereinbarung verstößt oder weil die Klageerhebung aus anderen Gründen „missbräuchlich“ sei.560 Eine solche antisuit injunction ist mit dem System der EuGVO – welches nämlich die Prüfung der Wirksamkeit einer Gerichtsstands- oder Schiedsvereinbarung dem zuerst angerufenen Gericht überlässt – nicht vereinbar und darf daher jedenfalls nicht zur Verhinderung der Prozessführung innerhalb der EU erlassen werden.561 Das deutsche Recht erlaubt eine derartige Vorgehensweise nur dann, wenn ein materiell-rechtlicher Anspruch auf Unterlassung der Prozessführung im Ausland vorliegt, was selten der Fall sein wird. Insbesondere ergibt sich ein solcher Anspruch nicht aus der Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstands, weil damit die formalen und ggf. auch inhaltlichen Anforderungen an die Wirk-

555 EuGH 6. 12. 1994 – C-406/92 – Slg. 1994 I-5439 – Tatry = IPRax 1996, 108 m. Anm. Schack S. 80; Wolf EuZW 1995, 365. 556 BGH 10. 10. 1985 – I ZR 1/83 – NJW 1986, 2195. 557 BGH 12. 2. 1992 – XII ZR 25/91 – NJW-RR 1992, 642, 643. 558 Vgl. EuGH 9. 12. 2003 – C-116/02 – Slg. 2003 I-14693 Tz. 41 – Gasser = IPRax 2004, 243 m. Anm. Grothe S. 210. 559 BGH 7. 7. 1994 – I ZR 30/92 – GRUR 1994, 846, 848 – Parallelverfahren II; vgl. dagegen EuGH 6. 12. 1994 – C406/92 – Slg. 1994 I-5439 – Tatry = IPRax 1996, 108 m. Anm. Schack S. 80. 560 Vgl. dazu Schack Rn. 860 m. w. N. 561 EuGH 10. 2. 2009 – C-185/07 – Slg. 2009 I-686 – West Tankers = NJW 2009, 1655 = IPRax 2009, 336 m. Anm. Illmer S. 312; EuGH 27. 4. 2004 – C-159/02 – Slg. 2004 I-3565 – Turner = IPRax 2004, 425 m. Anm. Rauscher S. 405; zur Fortsetzung des West Tankers-Falles vgl. Illmer IPRax 2012, 264 ff.

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

samkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung leerlaufen könnten.562 Neuerdings wird jedoch gegen die Maßnahme eines amerikanischen Gerichts eine „Anti-antisuit-injunction“ für möglich gehalten; dies ist aber bisher ein Einzelfall geblieben.563

XVIII. Zustellungen 1. Zustellung nach EuZVO 257 Ist eine Zustellung ins EU-Ausland zu bewirken, so gilt dafür die EuZVO (s. oben Rn. 25). Diese Verordnung gilt auch in und mit Bezug auf Dänemark, da das Königreich Dänemark mit der EU einen entsprechenden völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat (zur Sonderrolle Dänemarks oben Rn. 26). Der Anwendungsbereich der EuZVO ergibt sich aus Art. 1 EuZVO, d. h. er ist dann eröffnet, wenn „ein gerichtliches oder außergerichtliches Schriftstück von einem in einen anderen Mitgliedstaat zum Zwecke der Zustellung zu übermitteln ist.“ Daraus folgt, dass die EuZVO nicht anwendbar ist, wenn an eine im Ausland ansässige Partei ein Schriftstück im Inland zugestellt werden soll, etwa an einen bereits benannten inländischen Prozessbevollmächtigten. Die EuZVO regelt insbesondere nicht ausdrücklich die Frage, wann eine Zustellung an eine ausländische Partei im Inland zulässig sein kann; insoweit war lange Zeit die Zulässigkeit der in manchen EU-Mitgliedstaaten gebräuchlichen remise au parquet (Zustellung an eine ausländische Partei durch Übergabe des Schriftstücks an die im Inland befindliche Staatsanwaltschaft) umstritten.564 Der Europäische Gerichtshof hat inzwischen klargestellt, dass eine fiktive Inlandszustellung unzulässig ist, wenn der Zustellungsempfänger einen Wohnsitz hat und dieser in einem EU-Mitgliedstaat liegt.565 Will ein deutsches Gericht ein Schriftstück in das EUAusland zustellen lassen, so muss es dies daher zwingend unter Anwendung der EuZVO tun; auch der Rückgriff auf § 184 ZPO (Anordnung der Benennung eines inländischen Prozessbevollmächtigten) ist nicht gestattet.566

258 a) Zustellung auf Betreiben des Gerichts. Das Zustellungsverfahren der EuZVO findet zwischen den in Art. 2 EuZVO genannten Übermittlungs- und Empfangsstellen statt. In Deutschland ist die Übermittlungsstelle in diesem Sinne das die jeweilige Zustellung betreibende Gericht; die Empfangsstelle für eingehende Schriftstücke ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk das Schriftstück zugestellt werden soll (§ 1069 Abs. 1 und 2 ZPO). Darüber hinaus ist aber gemäß Art. 14 EuZVO für die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke auch der Versand durch die Post als Einschreiben mit Rückschein oder gleichwertigem Beleg in alle EU-Mitgliedstaaten zulässig; das die Zustellung betreibende Gericht hat insoweit die freie Wahl unter den in der EuZVO geregelten Zustellungsformen.567 Ein im Vergleich zum Rückschein „gleichwertiger Beleg“ im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn der tatsächliche Empfang der Sendung durch den Emp-

562 Schack Rn. 861 ff. m. w. N. auch zu abweichenden Auffassungen in der Literatur. 563 OLG München 12.12.2019 – 6 U 5042/19 – GRUR 2020, 379. Ein weiterer Einzelfall ist RGZ 157, 136, 140; diese Entscheidung wird von Schack Rn. 862 als „singulär“ bezeichnet; er schlägt statt dessen vor, auch in derartigen Extremfällen es bei der Nichtanerkennung der Entscheidung gemäß § 328 ZPO bewenden zu lassen und auf die Annahme eines Unterlassungsanspruchs gegen die Prozessführung zu verzichten. 564 Vgl. Musielak/Voith/Stadler Art. 1 EuZustVO Rn. 4 m. w. N.; zur Realität der remise au parquet auch Kondring RIW 2007, 330 ff. Beim EuGH ist ein einschlägiges Vorabentscheidungsverfahren eines polnischen Gerichts anhängig unter C-325/11. 565 EuGH 19. 12. 2012 – C-325/11 – NJW 2013, 443 – Alder. 566 BGH 2. 2. 2011 – VIII ZR 190/10 – BGHZ 188, 164 = NJW 2011, 1885, 1886 m. Anm. Sujecki. 567 EuGH 9. 2. 2006 – C-473/04 – Slg. 2006 I-1428 – NJW 2006, 975, 976 – Plumex.

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XVIII. Zustellungen

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fänger oder durch eine zur Familie gehörende oder beim Empfänger beschäftigte erwachsene Person (vgl. Art. 19 Abs. 1 lit. b EuZVO) bestätigt wird.568

b) Zustellung im Parteibetrieb. Für Zustellungen im Parteibetrieb, etwa bei einer einstweili- 259 gen Verfügung oder bei der Zustellung eines Vollstreckungstitels, gilt jedoch die vereinfachte Möglichkeit der Einschreibesendung gemäß Art. 14 EuZVO nur dann, wenn die zustellende Person zugleich Übermittlungsstelle im Sinne des Art. 2 EuZVO ist.569 Ansonsten gilt für die Parteizustellung Art. 15 EuZVO, der die unmittelbare Zustellung durch die zuständige Person oder Stelle im Empfangsmitgliedstaat vorsieht, d. h. die Zustellung im Parteibetrieb in das EU-Ausland setzt voraus, dass eine solche Zustellung auch nach dem Recht des Empfangsmitgliedstaats zulässig ist.570 Die die Zustellung betreibende Partei hat sich daher direkt an die zuständige Person oder Stelle im Empfangsmitgliedstaat zu wenden. Beim Auffinden dieser Stellen – und auch zu vielen anderen Zwecken im Rahmen der europäischen justiziellen Zusammenarbeit – kann der „Europäische Gerichtsatlas für Zivilsachen“ helfen.571 c) Sprachenproblematik bei Zustellungen. Die Sprachenproblematik bei Zustellungen im 260 europäischen Justizraum regelt Art. 8 EuZVO. Danach kann der Empfänger des Schriftstücks die Annahme verweigern, wenn das Schriftstück nicht in der Amtssprache des Empfangsmitgliedstaats abgefasst ist oder in „einer Sprache, die der Empfänger versteht“ (Art. 8 Abs. 1 EuZVO). Dieses letztere Merkmal ist bisher in der Rechtsprechung unzureichend geklärt und in der Literatur umstritten.572 Für die Praxis ist daher die Verwendung der Amtssprache des Empfangsstaates zu empfehlen. Nach der Rechtsprechung des EuGH muss bei umfangreicheren Schriftstücken jedoch nur das Hauptdokument – wie etwa eine Klageschrift – in eine der gemäß Art. 8 Abs. 1 EuZVO vorgesehenen Sprachen übersetzt werden, nicht dagegen die Anlagen.573

2. Zustellung nach HZÜ Soll eine Zustellung außerhalb der EU stattfinden, so sind gemäß § 183 Abs. 1 Satz 1 ZPO die 261 bestehenden völkerrechtlichen Vereinbarungen zu beachten. Dies sind – neben bilateralen Übereinkommen – im Wesentlichen das Haager Zustellungseinkommen von 1965 (HZÜ) und ersatzweise noch das Haager Übereinkommen über den Zivilprozess von 1954 (HZPÜ, s. oben Rn. 39). Auch diese Übereinkommen regeln jedoch nicht die Frage, „ob“ eine Zustellung ins Ausland zu erfolgen hat, sondern nur das „wie“ einer solchen Zustellung. Die erste Frage – ob also auch eine im Inland stattfindende Zustellungsform möglich ist – bleibt dagegen dem Verfahrensrecht des Forumstaates überlassen.574 Das HZÜ gilt heute im Verhältnis zu den folgenden Staaten, wobei EU-Staaten nicht berücksichtigt sind, da insoweit die EuZVO Vorrang hat (s. oben Rn. 257): Ägypten, Albanien, Antigua und Barbuda, Argentinien, Armenien, Australien, 568 EuGH 2. 3. 2017 – C-354/15 – EuZW 2017, 344, 347 – Henderson. 569 MünchKommZPO/Rauscher Anh. §§ 1067–1070 (EG-ZustellVO) Art. 14 Rn. 3; Zöller/Geimer EuZustVO Art. 14 Rn. 4.

570 Rauscher/Heiderhoff Art. 15 EuZVO Rn. 1. 571 http://ec.europa.eu/justice_home/judicialatlascivil/html/index_de.htm. 572 Vgl. zur Wirkung der Vereinbarung einer bestimmten Sprache inter partes EuGH 8. 5. 2008 – C-14/07 – Slg. 2008 I-3401 = NJW 2008, 1721, 1726; zur zulässigen Verwendung derjenigen Sprache, in der der Empfänger bereits geschäftliche Korrespondenz geführt hat LG Bonn 30. 11. 2010 – 10 O 502/09; weitere Nachweise bei Prütting/Gehrlein/Halfmeier Art. 8 EuZVO Rn. 6. 573 EuGH 8. 5. 2008 – C-14/07 – Slg. 2008 I-3401 = NJW 2008, 1721, 1725. 574 Schack Rn. 679; a. A. Stürner JZ 1992, 328 (Beschränkung des Forumstaats auf angemessene Tatbestände der Inlandszustellung mit Wirkung gegen Ausländer).

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

Bahamas, Barbados, Belize, Bosnien-Herzegowina, Botswana, Brasilien, VR China, Costa Rica, Island, Indien, Israel, Japan, Kanada, Kasachstan, Kolumbien, Kuwait, Malawi, Marokko, (Nord-) Mazedonien, Mexiko, Moldawien, Monaco, Montenegro, Norwegen, Pakistan, Russland, San Marino, Schweiz, Serbien, Seychellen, Sri Lanka, St. Vincent und Grenadinen, Südkorea, Türkei, Tunesien, Ukraine, USA, Venezuela, Vietnam und Weißrussland.575 Im Verhältnis zum Heiligen Stuhl sowie zu Kirgisistan, Libanon, Surinam und Usbekistan gilt für Zustellungen noch das HZPÜ.576 Sowohl HZÜ als auch HZPÜ sehen vor allem eine Zustellung auf dem Rechtshilfeweg vor. 262 Die Zustellung per Post durch Einschreiben mit Rückschein hat die Bundesrepublik Deutschland für ihr Territorium im Wege eines Vorbehalts zum HZÜ nicht zugelassen, d. h. sie ist nach Deutschland nicht zulässig. Ob die postalische Zulassung von Deutschland aus in einen anderen HZÜ-Staat zulässig ist, hängt zunächst davon ab, ob dieser Staat auch einen entsprechenden Vorbehalt erklärt hat; dann findet sie nicht statt.577 Hat der andere Staat diesen Vorbehalt nicht erklärt, so hängt die Möglichkeit der postalischen Zustellung von der Interpretation des deutschen Vorbehalts ab: Sieht man ihn als generelles Verbot dieser Zustellungsform, so ist sie nicht möglich, liest man ihn dagegen nur als einseitige Verhinderung der Postzustellung nach Deutschland, so mag man eine Zustellung in den betreffenden „vorbehaltslosen“ HZÜ-Staat für zulässig halten.578

XIX. Beweisaufnahme 1. Beweisaufnahme und Souveränität 263 In Prozessen mit Auslandsberührung findet die Beweisaufnahme im Grundsatz nach dem Verfahrensrecht des Forumstaates statt. Allerdings sind Regeln der Beweislast nach deutschem Verständnis solche des materiellen Rechts und unterliegen daher der über das Kollisionsrecht zu bestimmenden lex causae.579 Diese Unterscheidung entspricht auch der heute geltenden Regelung in Art. 18 Abs. 1 Rom I-VO und Art. 22 Abs. 2 Rom II-VO. Soll die Beweisaufnahme allerdings grenzüberschreitend stattfinden, so kommen ggf. wei264 tere Rechtsquellen zur Anwendung, nämlich im EU-Raum – mit Ausnahme von Dänemark – die EuBVO (dazu §§ 1072 ff. ZPO) sowie darüber hinaus das HBÜ (s. Rn. 40). Im Verhältnis dieser Rechtsquellen ist die EuBVO vorrangig, d. h. soweit sie zur Anwendung kommt, darf nicht auf das HBÜ zurückgegriffen werden, auch nicht auf Wunsch der Parteien.580 Das Recht der grenzüberschreitenden Beweisaufnahme ist traditionell sehr stark von einem 265 Denken in Kategorien der staatlichen Souveränität geprägt und soll nach herrschender Auffassung stets nur insoweit zulässig sein, als der „Anspruch des betroffenen Staates auf Achtung seiner Gebietshoheit“581 nicht beeinträchtigt wird. Dem ist prinzipiell zuzustimmen, allerdings ist für jede geplante Maßnahme der Beweisaufnahme genau zu prüfen, ob sie wirklich eine solche Verletzung der territorial verstandenen Souveränität des betroffenen fremden Staates beinhaltet. Insbesondere ist ein formloser und ohne Ausübung hoheitlichen Zwangs möglicher Beweismittelimport regelmäßig zulässig, weil er keinen Übergriff auf fremde Souveränität dar-

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Aktueller Stand abrufbar unter www.hcch.net. Aktueller Stand abrufbar unter www.hcch.net. Zu den jeweils erklärten Vorbehalten siehe ebenfalls www.hcch.net. Schack Rn. 682 m. w. N. zum Verhältnis zu den USA; ausführlich Lindacher S. 118 f. m. w. N. BGH 8. 11. 1951 – IV ZR 10/51 – BGHZ 3, 342, 346 = NJW 1952, 142; Coester-Waltjen Rn. 371; Schack Rn. 752. Knöfel EuZW 2008, 267, 269. Lindacher S. 124 m. w. N.

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XIX. Beweisaufnahme

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stellt. Daher darf ein im Ausland befindlicher Zeuge auf freiwilliger Basis durch das deutsche Gericht schriftlich befragt werden (§ 377 Abs. 3 ZPO) oder ohne Zwangsandrohung zum freiwilligen Erscheinen vor Gericht veranlasst werden, ohne dass EuBVO oder HBÜ angewandt werden müssten.582 Auch die freiwillige Videoübertragung einer Zeugenaussage aus dem Ausland ist möglich, ohne dass etwa die EuBVO dem entgegenstünde.583 Ebenso kann auch ein Sachverständiger auf ausländischem Territorium ohne Verletzung von Souveränitätsrechten und damit ohne Rückgriff auf EuBVO oder HBÜ tätig werden, solange er keinen Zwang androht oder anwendet.584 Auch die Einsichtnahme in das Internet durch das erkennende Gericht als Form des Augenscheinsbeweises ist stets zulässig, ohne dass es auf die Herkunft der einzusehenden Webseiten ankäme.585 Diese teilweise umstrittenen Fallgruppen haben einen gemeinsamen Kern, nämlich das Ver- 266 ständnis von Souveränität: Die restriktivere Ansicht, die ein solches Vorgehen nur im Wege der Rechtshilfe erlauben will, versteht jede richterliche Tätigkeit, die sich in irgendeiner Weise in dem fremden Staat manifestiert – also etwa die freiwillige schriftliche Zeugenaussage – als Eingriff in die dortige Souveränität.586 Dies ist jedoch zu weitgehend, denn der Begriff der Souveränität ist untrennbar mit der Idee des staatlichen Gewaltmonopols verbunden. Die Souveränität des fremden Staates ist daher nur dann betroffen, wenn auf seinem Gebiet hoheitliche Gewalt angewendet oder angedroht wird, nicht aber bei gänzlich freiwilliger transnationaler Kooperation, die nicht unnötig behindert werden sollte.

2. Beweisaufnahme nach EuBVO Die EuBVO ist gemäß ihrem Art. 1 immer dann anzuwenden, wenn eine Beweisaufnahme im 267 Ausland durchgeführt werden soll. Für die oben dargestellten formlosen Maßnahmen des „Beweismittelimports“ in das Inland gilt sie dagegen nicht. Die Abgrenzung zwischen diesen beiden Kategorien muss aber durch europarechtlich-autonome Interpretation der Vorschriften der EuGVO erfolgen, da diese sonst uneinheitlich angewandt und dadurch ihrer Wirksamkeit beraubt werden könnte.587 Für die Beweisaufnahme durch ein Schiedsgericht gilt die EuBVO nicht, da dieses kein „Gericht eines Mitgliedstaates“ i.S.v. Art. 1 EuBVO ist.588 Das Schiedsgericht kann jedoch, wenn es eine Beweisaufnahme im Ausland vornehmen möchte, ein staatliches Gericht gemäß § 1050 ZPO um Unterstützung bitten.589

582 EuGH 6. 9. 2012 – C-170/11 – NJW 2012, 3771 – Lippens; Schack Rn. 796 und 803 m. w. N.; Rauscher/von Hein Art. 1 EuBVO Rn. 21; a. A. noch das obiter dictum in BGH 10. 5. 1984 – III ZR 29/83 – NJW 1984, 2039; auch § 62 ZRHO will dem deutschen Gericht die unmittelbare schriftliche Befragung des im Ausland befindlichen Zeugen verbieten, weil der „ausländische Staat darin einen unzulässigen Eingriff in seine Hoheitsrechte erblicken kann“; es kommt jedoch insoweit nicht auf die Ansicht des ausländischen Staates an, sondern darauf, ob tatsächlich seine Souveränität verletzt wird. 583 So das britische House of Lords RIW 2006, 301 m. zustimmender Anm. Knöfel; a. A. jedoch Rauscher/von Hein Art. 1 EuBVO Rn. 22; Musielak/Voit/Stadler § 128a ZPO Rn. 8. 584 EuGH 21. 2. 2013 – C-332/11 – EuZW 2013, 313 – ProRail; Schack Rn. 790; Stein/Jonas/Berger § 363 ZPO Rn. 17; a. A. Lindacher S. 126; MünchKommZPO/Rauscher § 1072 Rn. 10; auch § 61 Abs. 5 ZRHO verlangt die Einholung deiner Genehmigung des ausländischen Staates für die dortige Tätigkeit eines von einem deutschen Gericht bestellten Sachverständigen. 585 Musielak/Voith/Stadler § 363 ZPO Rn. 9; Stein/Jonas/Berger § 363 ZPO Rn. 16. 586 So etwa Lindacher S. 126 zur Tätigkeit eines Sachverständigen im Ausland: Dieser sei „verlängerter Arm“ des ihn bestellenden Gerichts und kein Tourist. 587 In diesem Sinne zu Art. 17 EuBVO, der die unmittelbare Beweisaufnahme durch das ersuchende Gericht regelt, Rauscher/von Hein Art. 1 EuBVO Rn. 19. 588 MünchKommZPO/Rauscher Rn. 3 vor §§ 1072–1075 ZPO; a. A. Knöfel RIW 2007, 832, 836 ff. 589 Prütting/Gehrlein ZPO § 1051 Rn. 2.

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

Der Begriff der Beweisaufnahme in Art. 1 EuBVO ist weit auszulegen und umfasst „möglichst viele Maßnahmen der justiziellen Informationsbeschaffung.“590 Daher gilt die EuBVO im Grundsatz auch für auch Beweissicherungsmaßnahmen.591 Zum Verhältnis zwischen EuBVO und Art. 31 EuGVO bei Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes s. unten Rn. 278. Die EuBVO enthält im Wesentlichen zwei Formen der Beweisaufnahme im Ausland: Ers269 tens wird in Art. 2 ff. EuBVO ein unmittelbarer Geschäftsverkehr zwischen den mitgliedstaatlichen Gerichten zugelassen, mit dem das „ersuchende Gericht“ unmittelbar ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats – das „ersuchte Gericht“ – um die Durchführung einer Beweisaufnahme bitten kann. Dänemark nimmt allerdings an der EuBVO nicht teil.592 Die Beweisaufnahme durch das ersuchte Gericht findet nach dortigem Prozessrecht statt (Art. 10 Abs. 2 EuBVO). Das ersuchende Gericht kann allerdings die Beweisaufnahme in einer „besonderen Form“ beantragen, die wiederum dem Verfahrensrecht am Sitz des ersuchenden Gerichtes entsprechen muss. Das ersuchte Gericht muss diesem Wunsch entsprechen, es sei denn, dass die beantragte Form mit der lex fori des ersuchten Gerichts „unvereinbar ist“ (Art. 10 Abs. 3 EuBVO). Dabei handelt es sich um einen eng auszulegenden speziellen ordre public-Vorbehalt.593 Das ersuchte Gericht darf für die Erledigung des Ersuchens nur die in Art. 18 Abs. 2 EuBVO spezifizierten Kosten verlangen, d. h. Aufwendungen für Sachverständige und Dolmetscher sowie diejenigen Kosten, die durch Einhaltung einer vom ersuchenden Gericht gewünschten besonderen Form der Beweisaufnahme entstanden sind sowie schließlich die Kosten eine Videokonferenz oder sonstiger Nutzung von Kommunikationstechnologien. Sonstige Gebühren oder Auslagen können jedoch gemäß Art. 18 Abs. 1 EuBVO nicht verlangt werden. Daher muss auch eine von dem ersuchten Gericht ausgezahlte Zeugenentschädigung nicht vom ersuchenden Gericht erstattet werden und es dürfen auch keine entsprechenden Vorschüsse verlangt werden.594 Neben der Kooperation zwischen ersuchenden und ersuchtem Gericht enthält die EuBVO 270 auch die Möglichkeit einer unmittelbaren Beweisaufnahme durch das Prozessgericht in dem anderen Mitgliedstaat ohne Beteiligung der dortigen Gerichte (Art. 17 EuBVO). Dies ist allerdings nur in solchen Fällen zulässig, in denen die vorzunehmende Beweisaufnahme „auf freiwilliger Grundlage und ohne Zwang“ stattfindet (Art.17 Abs. 2 EuBVO). Außerdem ist eine Genehmigung der zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedsstaates bzw. der gemäß Art. 3 EuBVO von jedem Mitgliedstaat zu errichtenden „Zentralstelle“ notwendig, die allerdings nur aus besonderen Gründen – insbesondere Verstoß gegen den dortigen ordre public – versagt werden darf (Art. 17 Abs. 5 EuBVO).595 Die EuBVO ist in ihrem Anwendungsbereich jedoch nicht abschließend, d. h. dem Gericht 271 ist es nicht verwehrt, eine Beweisaufnahme nach den Regeln der lex fori durchzuführen, ohne auf das Verfahren der EuBVO zurückzugreifen.596 Der EuGH begründet dies damit, dass die EuBVO zusätzliche Möglichkeiten der Beweiserhebung schaffen und diese erleichtern, nicht erschweren soll.597 Daher ist z. B. die Beweisaufnahme durch einen Bundeskonsul (§ 363 Abs. 2 ZPO) auch in Mitgliedstaaten der EU weiterhin zulässig.598

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GA Kokott in EuGH 18. 7. 2007 – C-175/06 – Slg. 2007 I-7929 Tz. 43. MünchKommZPO/Rauscher Rn. 3 vor §§ 1072–1075 ZPO; Heinze IPRax 2008, 480. Erwägungsgrund 22 der EuBVO, vgl. Prütting/Gehrlein/Halfmeier Art. 1 EuBVO Rn. 5. MünchKommZPO/Rauscher § 1074 Rn. 34 f. mit Beispielen aus Sicht des deutschen Rechts, dazu auch Rauscher/von Hein Art. 10 EuBVO Rn. 20 ff. m. w. N. 594 EuGH 17. 2. 2011 – C-283/09 – NJW 2011, 2493, 2496. 595 Zu den Versagungsgründen Prütting/Gehrlein/Halfmeier Art. 17 EuBVO m. w. N.; insgesamt kritisch zum Erfordernis einer Genehmigung bei rein freiwillig durchgeführten Maßnahmen Knöfel EuZW 2008, 267, 269. 596 EuGH 21. 2. 2013 – C-332/11 – EuZW 2013, 313, 314 – ProRail. 597 EuGH 21. 2. 2013 – C-332/11 – EuZW 2013, 313, 314 – ProRail. 598 Musielak/Voit/Stadler § 363 ZPO Rn. 5; Jastrow IPRax 2004, 11, 12.

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XX. Gerichtssprache

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3. Beweisaufnahme nach HBÜ Ist die EuBVO räumlich nicht anwendbar, so kommt eine Anwendung des Haager Übereinkom- 272 mens von 1970 über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen (HBÜ)599 in Betracht. Auch hier ist aber zu beachten, dass das HBÜ nur das „wie“ einer Durchführung einer Beweisaufnahme im Ausland regelt, nicht dagegen „ob“ eine solche notwendig ist, so dass eine nah der lex fori gegebene Möglichkeit des „Beweismittelimports“ (dazu oben Rn. 265) durch das HBÜ nicht ausgeschlossen wird.600 Im Gegensatz zur EuBVO erlaubt das HBÜ jedoch keinen unmittelbaren Geschäftsverkehr zwischen den Gerichten, sondern die Korrespondenz findet über die von den Vertragsstaaten benannten „Zentralen Behörden“ (Art. 2 HBÜ) statt und ist daher tendenziell schwerfällig. Ebenso wie bei der EuBVO findet die Beweisaufnahme im Grundsatz nach der lex fori der ersuchten Behörde statt, aber die ersuchende Behörde kann eine besondere Form der Beweisaufnahme verlangen und diesem Verlangen ist auch zu entsprechen, soweit dies nicht mit dem Recht des ersuchten Staates unvereinbar ist (Art. 9 HBÜ).

4. Sonstiger Rechtshilfeverkehr Falls weder EuBVO noch HBÜ anwendbar sind, gilt § 363 ZPO, d. h. es ist der Weg über den 273 Bundeskonsul zu gehen oder der betreffende Staat muss um Rechtshilfe ersucht werden.601

XX. Gerichtssprache Die Gerichtssprache vor deutschen Gerichten ist gemäß § 184 Satz 1 GVG deutsch (die Sonderrege- 274 lung zu Gunsten der sorbischen Bevölkerung in § 184 Satz 2 GVG kann hier außer Betracht bleiben). Dahinter steht die Vorstellung, dass im Geltungsbereich des Grundgesetzes die deutsche Sprache das einzige offizielle Verständigungsmittel ist.602 Die Vorschrift des § 184 GVG bezieht sich nicht nur auf die mündliche Verhandlung, sondern auf den gesamten Schriftverkehr mit dem Gericht.603 Daher ist der Sachvortrag in deutscher Sprache zu halten; dies gilt auch für die notwendige schriftsätzliche Darstellung einer wissenschaftlichen Studie, welche eine Partei zur Stützung ihres Sachvortrags verwenden möchte.604 Dagegen können Beweismittel, insbesondere Urkunden, durchaus in fremder Sprache vorgelegt werden; es liegt dann im Ermessen des Gerichts, ob es gemäß § 142 Abs. 3 ZPO die Beibringung einer Übersetzung verlangt, von Amts wegen eine Übersetzung anfertigen lässt oder bei unstreitigem Inhalt der Urkunde ganz auf eine Übersetzung verzichtet.605 Zur Sprachenfrage bei Zustellung ins Ausland s. oben Rn. 260. 599 BGBl. 1977 II 1742, 1979 II 780. Vertragsstaaten des HBÜ sind (außerhalb der EU) Albanien, Andorra, Argentinien, Armenien, Australien, Barbados, Bosnien-Herzegowina, Brasilien, VR China, Costa Rica, Indien, Island, Israel, Kasachstan, Kolumbien, Kuwait, Liechtenstein, Mexiko, FYR Mazedonien, Monaco, Montenegro, Nicaragua, Norwegen, Russland, Schweiz, Serbien, Seychellen, Singapur, Sri Lanka, Südafrika, Südkorea, Türkei, Ukraine, USA, Venezuela und Weißrussland; Aktualisierung möglich über www.hcch.net. Das HBÜ verdrängt insoweit das HZPÜ, welches allerdings im Verhältnis zum Heiligen Stuhl sowie zu Japan, Kirgisistan, Libanon, Marokko, Moldawien, Surinam und Usbekistan noch anwendbar bleibt. 600 Ausführlich dazu, auch im Hinblick auf den dadurch z. T. entstandenen „Justizkonflikt“ mit den USA, Schack Rn. 808 und 817 ff. 601 S. etwa Musielak/Voith/Stadler § 363 ZPO Rn. 5 ff. 602 Prütting/Gehrlein/Neff § 184 GVG Rn. 1. 603 BGH 14. 7. 1981 – 1 StR 815/80 – BGHSt 30,182 = NJW 1982, 532, 533. 604 OLG Hamburg 12. 7. 2007 – 3 U 39/07 – GRUR-RR 2008, 100, 102. 605 BVerfG 10. 4. 1997 – 1 BvR 79/97 – NJW 1997, 2040, 2041; BVerwG 9. 2. 1996 – 9 B 418/95 – NJW 1996, 1553; OLG Brandenburg 30. 9. 2004 – 9 UF 186/04 – FamRZ 2005, 1842; vgl. Armbrüster NJW 2011, 812, 813 ff.

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Einleitung

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

Verschiedene Gesetzentwürfe606 zur Einführung englischsprachiger Verfahren vor „Kammern für internationale Handelssachen“ sind bisher nicht erfolgreich gewesen. Gegen eine solche Einführung englischsprachiger Verfahren spricht insbesondere die gemäß Art. 47 Abs. 2 EUGrundrechtscharta sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK geforderten Öffentlichkeit des Verfahrens.607 Trotzdem werden in einigen Bundesländern Modellversuche durchgeführt, bei denen mit Zustimmung beider Parteien das Verfahren in englischer Sprache geführt werden kann. Als Rechtsgrundlage dafür wird § 185 Abs. 2 GVG genannt.608 Diese Vorschrift bezieht sich aber systematisch (§ 185 Abs. 1 Satz 1 GVG) nur auf den Sonderfall der Verfahrensbeteiligung von Personen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind und kann daher eine komplette Verfahrensführung auf Englisch nicht rechtfertigen. In jedem Fall sind Schriftsätze der Parteien sowie Protokolle und Entscheidungen des Gerichts in deutscher Sprache abzufassen.609

XXI. Einstweiliger Rechtsschutz 1. Zuständigkeit 276 a) EuGVO. Die EuGVO verzichtet auf eigene Zuständigkeitsregeln für Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, sondern erlaubt in Art. 35 EuGVO den Gerichten der Mitgliedstaaten, ihre eigenen Zuständigkeitsregeln anzuwenden, soweit es um „einstweilige Maßnahmen“ geht. Damit soll Anspruchsinhabern bei der Sicherung ihrer Rechte geholfen werden und es soll verhindert werden, dass sich aufgrund der in internationalen Verfahren oft unvermeidbaren Verzögerungen Schäden ergeben.610 Dieser Schutz wird noch dadurch verstärkt, dass Art. 35 EuGVO nicht nur die Anwendung nationaler Zuständigkeitsvorschriften erlaubt, sondern kumulativ auch noch die Anwendung der Zuständigkeitsvorschriften der EuGVO ermöglicht, d. h. die internationale Zuständigkeit eines Gerichts für eine einstweilige Maßnahme i.S.v. Art. 35 EuGVO ist gegeben, wenn sie sich entweder aus dem nationalen Recht oder aus Art. 4 ff. EuGVO ergibt.611 Letzteres kann aufgrund des Anwendungsbereichs der EuGVO allerdings nur dann der Fall sein, wenn sich der Wohnsitz des Antragsgegners innerhalb der EU befindet.612

277 aa) Begriff der einstweiligen Maßnahme. Dieser große Freiraum für die Anwendung nationaler Vorschriften gemäß Art. 35 EuGVO wird allerdings durch die Interpretation seines Anwendungsbereichs durch den Europäischen Gerichtshof wieder beschränkt: Eine „einstweilige Maßnahme“ i.S.v. Art. 35 EuGVO ist danach eine solche, mit der eine Sach- oder Rechtslage „erhalten“ werden soll, „um Rechte zu sichern, deren Anerkennung im Übrigen bei dem in der Hauptsache zuständigen Gericht beantragt wird.“613 Daher sei etwa eine vorweggenommene Zeugenvernehmung, die in einem besonderen Verfahren des niederländischen Rechts stattfindet und mit der – ohne dass es dafür besondere Voraussetzungen gäbe – die Erfolgschancen einer künftigen Haupt606 BR-Drs. 17/2163 v. 16. 6. 2010 mit zurückhaltender Stellungnahme der Bundesregierung S. 15 (Gesetzentwurf sei im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 EMRK „noch vertretbar“); ebenfalls gescheitert BR-Drs. 18/1287. 607 Überzeugende Darlegung dieser Bedenken u. a. im Hinblick auf das Demokratieprinzip bei Flessner NJOZ 2011, 1913 ff.; a. A. Armbrüster ZRP 2011, 102, 104; Ewer NJW 2010, 1323; für englischsprachige Verfahren vor deutschen Gerichten auch Calliess/Hoffmann AnwBl 2009, 52; Salger AnwBl 2012, 40, 43. 608 Zöller/Lückemann § 185 ZPO Rn. 4. 609 Zöller/Lückemann § 185 ZPO Rn. 4. 610 EuGH 28. 4. 2005 – C-104/03 – Slg. 2005 I-3497 Tz. 12 – St. Paul Dairy = JZ 2005, 1166 m. krit. Anm. Mankowski S. 1144 = IPRax 2007, 208 m. Anm. Hess/Zhou S. 183. 611 EuGH 17. 11. 1998 – C-391/95 – Slg. 1998 I-7091 Tz. 19 – van Uden = IPRax 1999, 240 m. Anm. Hess/Vollkommer S. 220. 612 Fezer/Hoffmann/Obergfell Einl I Rn. 472. 613 EuGH 26. 3. 1992 – C-261/90 – Slg. 1992 I-2149 Tz. 34 – Reichert.

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XXI. Einstweiliger Rechtsschutz

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sacheklage eingeschätzt werden sollen, keine einstweilige Maßnahme i.S.v. Art. 35 EuGVO, so dass sie nur unter den Zuständigkeitsvoraussetzungen der Art. 4 ff. EuGVO zulässig sei.614 Außerdem setze der Begriff der einstweiligen Maßnahme i.S.v. Art. 35 EuGVO eine „reale Verknüpfung“ zwischen dem Gegenstand der beantragten Maßnahme und der gebietsbezogenen Zuständigkeit des nationalen Gerichts voraus, die etwa darin bestehen kann, dass es um den vorläufigen Zugriff auf im Gerichtsbezirk belegene Vermögensgegenstände geht.615

bb) Insbesondere: Beweissicherungsverfahren. Aus der Rechtsprechung des EuGH ergab 278 sich unter Geltung der früheren Fassung der EuGVO nicht eindeutig, ob auch ein Beweissicherungsverfahren – wie das in Deutschland gemäß §§ 485 ff. ZPO vorgesehene selbständige Beweisverfahren – als „einstweilige Maßnahme“ i. S. d. früheren Fassung (Art. 31 EuGVO aF.) galt.616 Der Verordnungsgeber hat jedoch in Erwägungsgrund 25 der neuen EuGVO klargestellt, dass auch „Anordnungen zur Beweiserhebung und Beweissicherung“ unter den Begriff der einstweiligen Maßnahmen i. S. d. Art. 35 EuGVO n.F. fallen sollen. Daher kann in Deutschland ein selbständiges Beweisverfahren gemäß den nationalen Zuständigkeitsregeln (§ 486 ZPO) durchgeführt werden, ohne dass es auf die Zuständigkeitsverteilung nach der EuGVO ankäme.617 Die Durchführung des Beweissicherungsverfahrens unterliegt jedoch ggf. den Regeln der EuBVO (s. oben Rn. 268). b) Autonomes Verfahrensrecht. Soweit weder EuGVO noch LugÜ zur Anwendung kommen, 279 sind auch im Bereich des einstweiligen Rechtsschutzes die Normen zur örtlichen Zuständigkeit doppelfunktional in dem Sinne, dass sie zugleich die internationale Zuständigkeit regeln.618 In Wettbewerbssachen ist daher wie in anderen Sachen für einen Antrag auf einstweilige Verfügung gemäß § 937 Abs. 1 ZPO das Gericht der Hauptsache international zuständig, so dass insoweit auf die Kommentierung zu § 14 UWG verwiesen werden kann (s. dort). Soweit ein Anspruch nicht auf das UWG, sondern auf bürgerlich-rechtliche Normen gestützt wird (s. oben Rn. 229), greift die ausschließliche Zuständigkeit des § 14 UWG jedoch nicht ein, und es kommen insoweit sämtliche andere Gerichtsstände der ZPO in Betracht – auch z. B. der Vermögensgerichtsstand des § 23 ZPO (dazu oben Rn. 235). Die internationale Zuständigkeit für einen Antrag auf einstweilige Verfügung kann außer- 280 dem gemäß § 942 Abs. 1 ZPO begründet werden. Die Vorschrift schafft eine örtliche – und damit wegen der Doppelfunktionalität auch internationale – Zuständigkeit an dem Ort, wo sich der „Streitgegenstand befindet.“ Für auf Vornahme oder Unterlassung einer Handlung gerichtete Verfügungen ist dies der Ort, an dem der Antragsgegner die betreffende Handlung vornehmen oder unterlassen soll.619 Allerdings darf auf § 942 ZPO ausweislich seines Wortlauts nur „in dringenden Fällen“ zurückgegriffen werden. Damit ist ein vom Anordnungsgrund – der ggf. wegen § 12 Abs. 2 UWG entbehrlich ist – zu unterscheidendes und zusätzliches Dringlichkeitsmerkmal gemeint. Es ist nur gegeben, wenn die Anrufung des Hauptsachegerichts mit erheblichen Verzögerungen verbunden und dadurch der Zweck des einstweiligen Rechtsschut614 EuGH 28. 4. 2005 – C-104/03 – Slg. 2005 I-3497 Tz. 14 ff. – St. Paul Dairy. 615 EuGH 17. 11. 1998 – C-391/95 – Slg. 1998 I-7091 Tz. 40 und 47 – van Uden = IPRax 1999, 240 m. Anm. Hess/ Vollkommer S. 220; EuGH 27. 4. 1999 – C-99/96 – Slg. 1999 I-2277 Tz. 42 – Mietz = IPRax 2000, 411 m. Anm. Hess S. 370. 616 Vgl. zu einer entsprechenden Maßnahme in den Niederlanden EuGH 28. 4. 2005 – C-104/03 – EuZW 2005, 401 – St. Paul Dairy. Die Frage war im deutschen Schrifttum „lebhaft umstritten“, so Kropholler/von Hein Art. 31 EuGVO a. F. Rn. 5 m. w. N. 617 Schack Rn. 491. 618 Einzelheiten und Einschränkungen bei Schack Rn. 475 ff. 619 Fezer/Büscher/Hausmann/Obergfell IntLautVerfR Rn. 485; Musielak/Voit/Huber § 942 Rn. 2.

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

zes gefährdet wäre.620 Im internationalen Kontext heißt dies, dass nur die Tatsache eines Hauptsachegerichtsstands im Ausland für sich genommen noch nicht die für § 942 ZPO nötige Dringlichkeit begründet.621 Es müssen weitere Tatsachen hinzukommen – und glaubhaft gemacht werden622 – welche die Rechtsverfolgung am ausländischen Hauptsachegerichtsstand als unzumutbare Verzögerung erscheinen lassen.623 Die Befürchtung, dass der Anspruchsgegner am ausländischen Hauptsachegericht mit bekannt langsamer Verfahrensführung eine „Torpedoklage“ erhebt, soll nach einer in der Literatur geäußerten Ansicht für die Anwendung des § 942 ZPO ebenfalls nicht ausreichen.624

2. Parallelverfahren 281 Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes kommen die Art. 29 ff. EuGVO und damit auch die vom Europäischen Gerichtshof entwickelte Kernpunktheorie (dazu oben Rn. 247) jedenfalls insoweit nicht zur Anwendung, als das Hauptsacheverfahren einerseits und einstweilige Maßnahmen gemäß Art. 35 EuGVO andererseits nicht als „derselbe Anspruch“ im Sinne von Art. 29 Abs. 1 EuGVO gelten können.625 Daher ist es sowohl möglich, bei bereits anhängiger Hauptsache noch bei einem anderen Gericht einstweilige Maßnahmen gemäß Art. 35 EuGVO zu beantragen wie auch umgekehrt trotz eines bereits laufenden einstweiligen Verfahrens die Hauptsache noch anderweitig anhängig zu machen.626 Problematisch ist allerdings der Fall, dass in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz zu ein und demselben Sachverhalt und mit sich gegenseitig ausschließendem Antragsinhalt gestellt werden; in einem solchen Fall kann Art. 29 zumindest analog zur Anwendung kommen.627

3. Rechtsanwendung 282 a) Europarecht. In Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gibt es auch bei Zweifeln an der Auslegung europarechtlicher Vorschriften abweichend von Art. 267 Abs. 3 AEUV keine Verpflichtung zur Vorlage an den EuGH, um diese Verfahren nicht unnötig zu verzögern.628 Dies

620 Musielak/Voit/Huber § 942 Rn. 2. 621 Fezer/Büscher/Hausmann/Obergfell IntLautVerfR Rn. 485; Eilers S. 12; Schack Internationales Zivilverfahrensrecht Rn. 476.

622 Zöller/Vollkommer § 942 Rn. 1. 623 Schack Rn. 476 nennt etwa den „Stillstand der Rechtspflege infolge Bürgerkriegs“, aber auch weniger einschneidende Hindernisse dürften für die Anwendung von § 942 ZPO ausreichen; vgl. für Inlandsfälle Kunath WRP 1991, 65. 624 Fezer/Büscher/Hausmann/Obergfell IntLautVerfR Rn. 485 unter Verweis auf LG Düsseldorf 8. 7. 1999 – 4 O 187/ 99 – GRUR 2000, 692, 697 – NMR Kontrastmittel; LG Düsseldorf 24. 9. 2001 – 4a O 162/01 – GRUR Int. 2002, 157, 162 – HIV-Immunoassay (die Entscheidungen betreffen allerdings nicht § 942 ZPO, sondern den Verfügungsgrund gemäß § 940 ZPO in Patentsachen). 625 HansOLG Hamburg 28. 2. 1997 – 1 U 167/95 – OLGR Hamburg 1997, 149 = EwiR 1997, 791 Anm. Mankowski. 626 EuGH 17. 11. 1998 – C-391/95 – Slg. 1998 I-7091 Tz. 29 – van Uden = IPRax 1999, 240 m. Anm. Hess/Vollkommer S. 221; LG Hamburg 22. 4. 2002 – 315 O 64/02 – GRUR Int. 2002, 1025, 1027; Fezer/Büscher/Hausmann/Obergfell IntLautVerfR Rn. 487; Kropholler/von Hein Art. 27 EuGVO a. F. Rn. 14. 627 In diesem Sinne MünchKommZPO/Gottwald Art. 29 EuGVO Rn. 12 unter Verweis auf Eilers Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes (1991) 220 f.; a. A. MünchKommUWG/Mankowski Internat WettbewR Rn. 481; Fezer/ Büscher/Hausmann/Obergfell IntLautVerfR Rn. 441a; Kropholler/von Hein Art. 27 EuGVO a. F. Rn. 14; Wolf EWS 2000, 11, 14 ff. 628 EuGH 24. 5. 1977 – 107/76 – Slg. 1977, 957 – NJW 1977, 1585 – Hoffman-LaRoche; EuGH 27. 10. 1982 – 35/82 – Slg. 1982, 3723 – NJW 1983, 2751 – Morson; OLG Frankfurt/M. 31. 5. 2001 – 6 U 240/00 – GRUR Int. 2001, 771, 774 – Internet-Apotheke.

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XXII. Vollstreckungsverfahren

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gilt auch dann, wenn es im einstweiligen Verfahren keine weitere Instanz gibt. Die unterlegene Partei kann in einem derartigen Fall das Verfahren zur Hauptsache betreiben, in dessen Verlauf dann das Gericht die europarechtliche Auslegungsfrage dem EuGH vorlegen kann oder im Falle von Art. 267 Abs. 3 AEUV sogar muss. In der Literatur wird vorgeschlagen, dass ein Richter, der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auf erhebliche Auslegungsprobleme im Europarecht stößt und sich trotzdem für den Erlass z. B. einer einstweiligen Verfügung entscheidet, diese Verfügung oder ihren Vollzug von der Leistung einer angemessenen Sicherheit abhängig macht, um so den Antragsteller zur Durchführung des Hauptsacheverfahrens zu motivieren.629

b) Ermittlung ausländischen Rechts. Grundsätzlich gilt die von § 293 ZPO vorausgesetzte 283 Pflicht des Gerichts zur kollisionsrechtlichen Bestimmung des anwendbaren Rechts und zur Ermittlung des Inhalts des anwendbaren Rechts in sämtlichen Verfahrensarten der ZPO.630 Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist aufgrund der Eilbedürftigkeit jedoch eine Abwägung zu treffen zwischen der mit der Ermittlung des ggf. anwendbaren fremden Rechts verbundenen Verzögerung einerseits und dem Interesse an einer richtigen – d. h. auf das kollisionsrechtlich zu ermittelnde richtige anwendbare Recht gestützten – Entscheidung andererseits.631 Das Gericht hat auch die Möglichkeit der Anordnung einer Sicherheitsleistung gemäß § 921 Satz 1 ZPO zu prüfen.632 In der Rechtsprechung wird diesbezüglich die Auffassung vertreten, dass das Gericht sich bei der Ermittlung fremden Rechts im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auf präsente Erkenntnisquellen beschränken könne und es im Übrigen Sache des Antragstellers sei, den Inhalt des anwendbaren Rechts vorzutragen.633 Ein vollständiger „Rückzug“ des Gerichts aus der ihm obliegenden Pflicht zur Ermittlung des anwendbaren Rechts wäre aber auch im Eilverfahren mit § 293 ZPO nicht vereinbar.634

XXII. Vollstreckungsverfahren 1. Erzwingung von Handlungen oder Unterlassungen im Ausland durch Inlandszwang Das Völkergewohnheitsrecht geht von der territorialen Souveränität der Staaten aus und verbietet 284 daher hoheitliches Handeln des einen Staates auf dem Gebiet eines anderen Staates. Dies gilt jedenfalls insoweit, als derartiges Handeln nicht durch Zustimmung des betroffenen Staates oder durch eine besondere Norm des Völkerrechts im Einzelfall erlaubt ist. Aus diesen Grundsätzen folgt aber keineswegs, dass ein Zwang im Inland nicht auch zur mittelbaren Erzwingung, Sanktionierung oder Verhinderung eines Verhaltens im Ausland eingesetzt werden könnte. Diese Möglichkeit – also etwa die Festsetzung eines Ordnungsgelds wegen eines Verstoßes gegen ein auf Verhalten im Ausland oder gar weltweites Unterlassen gerichtetes Unterlassungsurteil – wird daher von der herrschenden Auffassung in Literatur und Rechtsprechung mit Recht anerkannt.635 629 630 631 632 633

Lindacher S. 9. Zöller/Geimer § 293 Rn. 11; Schack Rn. 704. MünchKommZPO/Prütting § 293 Rn. 56. Schack Rn. 704. OLG Frankfurt/M. 7. 11. 1968 – 6 U 78/68 – GRUR 1970, 35, 36 – Rochas; OLG Koblenz 28. 1. 1993 – 5 U 1633/ 92 – RIW 1993, 939; KG 16. 10. 2006 – 10 U 286/05 – NJW 2007, 705, 706; OLG Köln 19. 1. 2007 – 6 U 163/06 – ZUM 2007, 401, 402. 634 OLG Düsseldorf 12. 9. 2019 – 15 U 48/19 – GRUR 2020, 204, 206; vgl. auch Fezer/Büscher/Hausmann/Obergfell IntLautVerfR Rn. 514 ff.: „Eingeschränkte“ Ermittlungspflicht. 635 BGH 13. 8. 2009 – I ZB 43/08 – NJW-RR 2010, 279 m. Anm. Eichel IPRax 2013, 146; BGH 23. 10. 1970 – I ZR 86/ 69 – GRUR 1971, 153, 155 – Tampax m. Anm. Droste; OLG München GRUR 2007, 419, 422 – Lateinlehrbuch = IPRax 2007, 531 m. Anm. Rosenkranz S. 524; Remien S. 299 ff.; Schack Rn. 1083 und 1084a; Lindacher S. 12 m. w. N.; vgl. auch zur Titelauslegung Köhler FS Ahrens (2016) 111.

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

Eine Minderheitsmeinung sieht dagegen auch bei im Inland ausgeübtem Vollstreckungszwang mit nur mittelbarer exterritorialer Wirkung die Souveränität des fremden Staates betroffen und möchte daher stets eine Interessenabwägung dahingehend vornehmen, dass ein Inlandszwang zur Sanktionierung von Handlungen im Ausland nur dann in Betracht kommen könne, wenn eine Vollstreckung am ausländischen Handlungsort nicht möglich sei.636 Eine derartige Einschränkung prozessualer Handlungsmöglichkeiten im Inland ist aber nicht überzeugend. Sie verkennt den Unterschied zwischen bloß faktischen Interessen des ausländischen Staates, die in vielerlei Konstellationen tangiert sein mögen, und der damit nicht identischen, völkerrechtlich geschützten und notwendig territorial verstandenen Souveränität. Zwar mag es einem fremden Staat unter Umständen nicht gleichgültig sein, wenn gegen ein dort ansässiges und/oder agierendes Unternehmen in Deutschland Vollstreckungszwang ausgeübt wird. Daraus folgt aber noch nicht, dass derartige politische oder wirtschaftliche Interessen auch völkerrechtlichen Schutz im Sinne der Souveränitätsgarantie genießen. Diese ist erst dann tangiert, wenn auf dem fremden Hoheitsgebiet Zwang ausgeübt wird oder wenn sich die Vollstreckung gegen der fremden Hoheitsgewalt dienende Gegenstände richtet (zur Immunität im Vollstreckungsverfahren oben Rn. 127). 286 Die Bestätigung eines durch Beschluss deutscher Gerichte festgesetzten Ordnungsgelds ist sowohl über die EuGVO wie auch über die EuVTVO als Europäischer Vollstreckungstitel möglich.637 Es handelt sich bei solchen Beschlüssen nach Ansicht des EuGH um Zivil- und Handelssachen im Sinne der EuGVO – der Begriff in Art. 2 EuVTVO ist inhaltlich identisch – weil das Ordnungsgeld der Durchsetzung zivilrechtlicher Unterlassungsansprüche dient, auch wenn es wie im deutschen System an die Staatskasse zu zahlen ist.638 Allerdings setzt eine entsprechende Bestätigung gemäß Art. 6 EuVTVO voraus, dass auch die verfahrensrechtlichen Mindestvorschriften der Art. 12 EuVTVO beachtet wurden.639 285

2. Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen 287 a) Verfahren. Die Anerkennung ausländischer Entscheidungen findet in Deutschland stets automatisch statt, ohne dass es dafür eines besonderen Verfahrens bedürfte. Dies ergibt sich ausdrücklich aus Art. 36 Abs. 1 EuGVO, aber auch implizit aus § 328 ZPO. Etwaige Hindernisse für eine Anerkennung werden daher nicht in einem besonderen Anerkennungsverfahren geprüft, sondern inzident in demjenigen Verfahren, in dem es auf die Anerkennung der Wirkungen der ausländischen Entscheidung ankommt. 288 Für die Vollstreckung ausländischer Entscheidungen sieht das autonome deutsche Recht die Exequaturklage gemäß § 722 ZPO vor. Stammt die Entscheidung aus einem Staat, in dem die EuGVO oder das LugÜ gilt, sah die frühere Fassung der EuGVO ebenso wie das LugÜ ein Antragsverfahren vor, welches der Titelgläubiger im Vollstreckungsstaat einleiten muss. Die Erleichterung in diesem Verfahren der Art. 38 ff. EuGVO a. F./LugÜ im Verhältnis zu § 722 ZPO bestand vor allem darin, dass die Exequaturklage ein förmliches Erkenntnisverfahren einleitet – allerdings mit dem Streitgegenstand der Verleihung der Vollstreckbarkeit im Inland640 – an dessen Ende ein Urteil steht. Dagegen ermöglichen Art. 38 ff. EuGVO a. F./LugÜ ein einseitiges Antragsverfahren, in dem der Gläubiger bei Erfüllung bestimmter Formalia unverzüglich die Vollstreckbarerklärung erhält, ohne dass der Schuldner angehört würde oder eine

636 Baur/Stürner/Bruns Zwangsvollstreckungsrecht Rn. 57.14. 637 Zu den Arten der Vollstreckung von Ordnungsgeldbeschlüssen Ahrens FS Schütze (2014) 1; Hall FS Bornkamm (2014) 1045. 638 EuGH 18. 10. 2011 – C-406/09 – NJW 2011, 3568 – Realchemie = EuZW 2012, 157, 158 m. Anm. Sujecki; ebenso bereits BGH 25. 3. 2010 – I ZB 116/08 – NJW 2010, 1883, 1884. 639 BGH 25. 3. 2010 – I ZB 116/08 – NJW 2010, 1883, 1885 f. = IPRax 2012, 72 m. Anm. Bittmann S. 62. 640 Vgl. nur Prütting/Gehrlein/Kroppenberg § 722 Rn. 8 m. w. N.

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XXII. Vollstreckungsverfahren

Einleitung

inhaltliche Prüfung von Anerkennungshindernissen stattfände. Etwaige Einwände des Schuldners werden dann erst in einem nachgeschalteten Überprüfungsverfahren gehört. Die neue Fassung der EuGVO hat jetzt in Art. 39 EuGVO das Verfahren der Vollstreckbar- 289 erklärung abgeschafft und somit eine volle Freizügigkeit der Titel aus EU-Mitgliedstaaten hergestellt. Der Titelgäubiger kann sich unter Vorlage der in Art. 42 EuGVO genannten Unterlagen unmittelbar an das Vollstreckungsorgan wenden. Einwände des Schuldners – auch die angebliche Verletzung des ordre public des Vollstreckungsstaates (s. unten) – sind gemäß Art. 45 EuGVO weiterhin möglich, werden aber erst auf einen besonderen Antrag des Schuldners (Art. 46 ff.) gerichtlich überprüft. In zeitlicher Hinsicht ist für die Anwendung der EuGVO in jedem Fall Voraussetzung, dass 290 die EuGVO bei Erlass der zu vollstreckenden Entscheidung bereits im Herkunfts- und im Vollstreckungsstaat in Kraft war.641 Die Erleichterungen der neuen EuGVO greifen gemäß Art. 66 Abs. 1 EuGVO außerdem nur für solche Verfahren, die ab dem 10. 1. 2015 eingeleitet wurden. Es kommt also nicht auf das Datum der zu vollstreckenden Entscheidung an, sondern auf die Verfahrenseinleitung unter der neuen EuGVO. Für Verfahren, die vor diesem Datum eingeleitet wurden, gilt gemäß Art. 66 Abs. 2 EuGVO noch die alte Fassung der EuGVO einschließlich des Verfahrens der Vollstreckbarerklärung in Art. 38 ff. EuGVO a. F.642 Art. 54 EuGVO sieht heute außerdem vor, dass eine im Vollstreckungsstaat unbekannte 291 Maßnahme oder Anordnung enthält, an das Recht im Vollstreckungsstaat angepasst werden kann, um auch bei insoweit divergierenden Rechtsordnungen die Titelfreizügigkeit zu gewährleisten; dies kann insbesondere im Bereich der Unterlasssungs- und Handlungsvollstreckung Bedeutung erlangen.643

b) Anerkennungshindernisse, insbesondere ordre public. Sowohl Art. 45 EuGVO als auch 292 § 328 ZPO enthalten eine Reihe von möglichen Hindernissen, die einer Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Urteils entgegenstehen können. Von diesen zahlreichen möglichen Gründen soll hier nur der Verstoß gegen die öffentliche Ordnung des Forumstaats (orde public) thematisiert werden, da dieser aufgrund der weltweit unterschiedlichen Wettbewerbsrechte eine besondere Rolle spielen kann. Zwar verwenden Art. 45 Abs. 1 lit. a EuGVO („öffentliche Ordnung“) und § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO („mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ... insbesondere mit den Grundrechten unvereinbar“) nicht denselben Wortlaut, sie meinen aber inhaltlich dasselbe.644 Es geht um die Grenze dessen, was aus Sicht der inländischen Rechtsordnung im Rahmen der Akzeptanz ausländischer Entscheidungen noch erträglich ist. Ein Verstoß gegen den deutschen ordre public kann sich entweder aus der Art und Weise, in der die Entscheidung zustandegekommen ist ergeben – man spricht dann vom verfahrensrechtlichen ordre public – oder aus dem Inhalt der Entscheidung.645 Der verfahrensrechtliche ordre public ist nicht schon deswegen verletzt, weil das auslän- 293 dische Verfahren anders ausgestaltet ist als ein hypothetisches deutsches Verfahren ähnlicher Sache.646 Vielmehr ist die Grenze des ordre public erst dann überschritten, wenn das in Rede stehende ausländische Verfahren nicht mehr als geordnetes rechtsstaatliches Verfahren angese-

641 642 643 644 645

EuGH 21. 6. 2012 – C-514/10 – Wolf Naturprodukte. MünchKommZPO/Gottwald Art. 66 Brüssel Ia-VO Rn. 11. Dazu von Hein, FS Geimer (2017) 245. Prütting/Gehrlein/Schinkels Art. 45 Brüssel Ia-VO Rn. 3. Vgl. die Unterscheidung dieser Kategorien bei Schack Rn. 952 ff., dort Rn. 962 auch zur mit Recht aufgegebenen Kategorie eines „kollisionsrechtlichen ordre public“. 646 BGH 18. 10. 1967 – VIII ZR 145/66 – BGHZ 48, 327, 331 = NJW 1968, 354, 355.

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E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

hen werden kann.647 Dies ist etwa bei Sammelverfahren im Bereich des Verbraucherschutz- oder Kartellrechts nicht schon deswegen der Fall, weil diese z. B. in einem opt-out-Verfahren durchgeführt werden, wie es etwa das US-amerikanische und das niederländische Recht ermöglichen. Vielmehr kommt es bei der Anerkennung der Ergebnisse solcher Sammelprozesse darauf an, ob die jeweiligen Verfahren den im deutschen Verfassungsrecht und in der Rechtsprechung zur Europäischen Menschenrechtskonvention entwickelten rechtsstaatlichen Anforderungen an Massenverfahren genügen.648 Der materiell-rechtliche ordre public ist verletzt, wenn das Ergebnis der Urteilsanerken294 nung im konkreten Fall „nach deutscher Vorstellung untragbar erscheint“.649 Die meisten Beispiele für ein in diesem Sinne inakzeptables Ergebnis entstammen dem hier nicht weiter zu erörternden Familienrecht, in dem sich unterschiedliche kulturelle Vorstellungen besonders stark widerspiegeln. Im Wirtschaftsrecht, wo es regelmäßig „nur“ um Geld geht, sind fremde Rechtsnormen und ihrer Ergebnisse nur selten „untragbar“. Allerdings hat der BGH entschieden, dass ein US-amerikanisches Urteil gegen den deutschen ordre public verstößt, soweit es einem Geschädigten neben der Kompensation seines Schadens auch noch exemplary and punitive damages zuspricht, d. h. Strafschadensersatz, welcher jedenfalls auch der Abschreckung potentieller Täter dient.650 Allerdings weist der BGH darauf hin, dass es hier durchaus auf die Funktion solcher Zahlungen ankommen kann, d. h. soweit sie eine Genugtuungsfunktion haben, können sie auch aus deutscher Sicht noch als Schadensersatz bezeichnet werden, und sie können – was im konkreten Fall allerdings nicht ersichtlich war – auch dazu dienen, den Geschädigten von den Kosten der Rechtsverfolgung freizustellen, die er ansonsten im USamerikanischen System ja selbst zu tragen hätte.651 Ob diese Rechtsprechung sich heute noch aufrechterhalten lässt, ist aber fraglich,652 denn auch das deutsche Zivilrecht enthält heute an mehreren Stellen pönale Elemente, die mit einer Kompensation von Schäden nichts zu tun haben: Dies gilt insbesondere für die Geldentschädigung bei schwerwiegenden Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, die nach der Rechtsprechung des BGH dem „aus dem Persönlichkeitsrecht heraus gebotenen Präventionszweck“ verfolgt und einen „echten Hemmungseffekt“ gegenüber potentiellen Verletzern erreichen soll,653 was sie damit kaum noch von exemplary and punitive damages im US-amerikanischen Recht unterscheidet. Auch die Gewinnabschöpfung in § 10 UWG dient nicht der Kompensation eines Schadens, sondern zumindest auch der Generalprävention. Daher ist entgegen der bisherigen BGH-Rechtsprechung davon auszugehen, dass ein auf Strafschadensersatz lautendes Urteil nicht schon per se den deutschen orde public verletzt; dies ist nur dann der Fall, wenn der Strafschadensersatz in exorbitanter und unangemessener Höhe zuerkannt wird.654 647 BGH (vorige Fn.); OLG Frankfurt/M. 31. 1. 2002 – 12 W 229/01 – IPRax 2002, 523, 524. In der Literatur wird dies – mit naturrechtlichen Anklängen – auch dahingehend formuliert, dass ein ordre public-Verstoß erst dann vorliege, „wenn das ausländische Erstverfahren gegen grundlegende Forderungen prozessualer Gerechtigkeit verstößt, von denen wir einfach nicht abgehen können, ohne dass unser Rechtsgefühl auf das Tiefste verletzt würde“, so Zöller/Geimer § 328 Rn. 216. 648 Vgl. dazu etwa Hess JZ 2000, 373; MünchKommZPO/Gottwald § 328 Rn. 160; Stadler JZ 2009, 121; Hess IPRax 2010, 116; Halfmeier/Wimalasena JZ 2012, 649. 649 BGH 21. 4. 1998 – XI ZR 377/97 – BGHZ 138, 331, 334 = NJW 1998, 2358 m. w. N. 650 BGH 4. 6. 1992 – IX ZR 149/91 – BGHZ 118, 312 = NJW 1992, 3096, 3102; zustimmend u. a. Schack Rn. 960 (die Sache sei aber „heillos umstritten“); Stürner FS Schlosser (2005) S. 967, 979; Prütting/Gehrlein/Völzmann-Stickelbrock § 328 Rn. 27; Zöller/Geimer § 328 Rn. 250; gänzlich gegen Anerkennungsfähigkeit von punitive damages noch Gloy/Loschelder/Erdmann/Schütze § 11 Rn. 43 u. 48. 651 BGH (vorige Fn.) NJW 1992, 3096, 3103. 652 Für großzügigere Maßstäbe bei der Anerkennung bereits Rosengarten NJW 1996, 1935; Zekoll/Rahlf JZ 1999, 384, 388 ff. 653 BGH 15. 11. 1994 – VI ZR 56/94 – BGHZ 128, 1 = NJW 1995, 861, 865. 654 So auch der französische Kassationshof: Cass. 1. 12. 2010 – 1ère chambre civil – D. 2011, 423 m. Anm. Licari; in diesem Sinne mit Blick auf verschiedene kontinentaleuropäische Rechtsordnungen auch Nagy NIPR 2012, 4, 11.

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XXIII. Kostenrisiken

Einleitung

c) Vollstreckung einstweiliger Maßnahmen ausländischer Gerichte. Innerhalb des Sys- 295 tems von EuGVO und LugÜ gilt, dass einstweilige Maßnahmen des in der Hauptsache zuständigen Gerichts auch in den anderen Mitgliedstaaten vollstreckt werden können.655 Dagegen kommen sonstige Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes, die in dem betreffenden Mitgliedstaat aufgrund autonomer Zuständigkeit und Art. 35 EuGVO erlassen werden, für eine Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat regelmäßig nicht in Betracht, zumal sie sich nach den Vorgaben des EuGH (dazu oben Rn. 277) ohnehin auf im Gerichtsbezirk belegene Vermögensgegenstände beziehen müssen.656 Einstweilige Maßnahmen von Gerichten aus Drittstaaten können in Deutschland regelmä- 296 ßig nicht über eine Exequaturklage vollstreckt werden, weil sie in der Hauptsache nicht der Rechtskraft fähig sind.657 Sollte eine solche Maßnahme nach dem Recht des Erststaates jedoch geeignet sein, die Sache endgültig zu erledigen, kommt ausnahmsweise doch eine Vollstreckbarkeit in Deutschland in Betracht.658 Die Zwangsvollstreckung, etwa durch Festsetzung eines Ordnungsgelds, findet aber in jedem Fall durch das deutsche Gericht und nach deutschem Verfahrensrecht statt.659

XXIII. Kostenrisiken Im Verfahren vor deutschen Gerichten – auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes – 297 gilt gemäß § 91 ZPO das loser pays-Prinzip, welches zu erheblichen Kostenrisiken führt. Zur Minimierung dieser Risiken kommt entweder ein Antrag auf Prozesskostenhilfe (insbesondere für Unternehmen aus EU-Mitgliedstaaten, dazu oben Rn. 51) oder eine Verlagerung des Risikos auf Dritte in Betracht. Letzteres ist in Form der Prozessfinanzierung in Deutschland seit einigen Jahren praktisch möglich und auch rechtlich zulässig,660 soweit es nicht die beteiligten Anwälte selber sind, die wirtschaftlich hinter der Prozessfinanzierungsgesellschaft stehen.661 Will ein Rechtsanwalt einen Teil des Risikos übernehmen, insbesondere durch Vereinba- 298 rung einer erfolgsabhängigen Anwaltsvergütung (etwa in Form einer quota litis oder in anderen Varianten), so war er daran lange Zeit durch das geltende deutsche Berufsrecht gehindert. Nachdem das Bundesverfassungsgericht jedoch ein ausnahmsloses Verbot von Erfolgshonoraren für verfassungswidrig erklärt hat,662 erlaubt heute die Vorschrift des § 4a Abs. 1 RVG die Vereinbarung von Erfolgshonoraren, wenn der Mandant „aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse bei verständiger Betrachtung ohne die Vereinbarung eines Erfolgshonorars von der Rechtsverfolgung abgehalten würde.“ Zur Interpretation dieser Bestimmung gibt es bisher allerdings kaum Material.663 Da sich die Vorschrift aber an die einschlägige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts anlehnt, ist ein Erfolgshonorar zumindest dann zulässig, wenn der Sachverhalt mit dem dort entschiedenen Fall vergleichbar ist, d. h. wenn eine Situation vorliegt, in der insbesondere ein Ausländer ohne Anspruch auf Prozesskostenhilfe bei der in § 4a RVG verlangten „verständigen Betrachtung“ von der Verfolgung seiner Rechte in Deutschland abge655 Kropholler/von Hein Art. 31 EuGVO a. F. Rn. 21 ff.; Fezer/Büscher/Hausmann/Obergfell IntLautVerfR Rn. 492; vgl. EuGH 27. 4. 1999 – C-99/96 – Slg. 1999 I-2277 – Mietz = EuZW 1999, 727, 729 f. Kropholler/von Hein Art. 31 EuGVO a. F. Rn. 24 m. w. N. Prütting/Gehrlein/Kroppenberg § 722 Rn. 4. Zöller/Geimer § 722 Rn. 13. Lindacher S. 162; Schack Rn. 1083; vgl. zu Art. 55 EuGVO n.F. Remien FS Coester-Waltjen (2015) 661. Zur Zulässigkeit bereits Dethloff NJW 2000, 2225, 2227 ff.; Frechen/Kochheim NJW 2004, 1213, 1215; Überblick über die Praxis z. B. bei Lenz AnwBl 2007, 483 ff. 661 Dazu OLG München 10. 5. 2012 – 23 U 4635/11 – BeckRS 2012, 10669. 662 BVerfG 12. 12. 2006 – 1 BvR 2576/04 – BVerfGE 117, 63 – NJW 2007, 979 = JZ 2007, 680 m. Anm. Zuck S. 684; für eine weitgehende Liberalisierung seinerzeit Grunewald AnwBl 2007, 469, 472. 663 Vgl. LG Berlin 2. 12. 2010 – 10 O 238/10 – AnwBl 2011, 150: Erfolgshonorar jedenfalls dann unzulässig, wenn Prozesskostenhilfe bewilligt worden wäre; dazu krit. Mayer/Kroiß/Teubel RVG § 4a Rn. 33a.

656 657 658 659 660

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Einleitung

E. Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht

halten würde, wenn er nicht die Möglichkeit der Vereinbarung eines Erfolgshonorars mit seinem deutschen Anwalt hätte. Die in § 4a RVG in Bezug genommen „wirtschaftlichen Verhältnisse“ des Mandanten dürfen dabei aber nicht mit Armut im Sinne der PKH-Vorschriften gleichgesetzt werden, sondern auch ein wirtschaftlich stärker Mandant kann „bei verständiger Betrachtung“ – d. h. etwa aufgrund einer rationalen Kalkulation des Erwartungswerts der Klage – die hohen Kostenrisiken eines Prozesses in Deutschland scheuen, so dass ein Erfolgshonorar gemäß § 4a RVG zulässig sein kann, um diesen Erwartungswert für den Mandanten zu erhöhen. So soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers ein Erfolgshonorar z. B. zulässig sein, wenn „ein mittelständisches Unternehmen“ einen „großen Bauprozess“ führen möchte.664 Für einen komplexen lauterkeits- oder kennzeichenrechtlichen Streitfall kann nichts anderes gelten. In der Literatur wird allerdings erwogen, dass die Vereinbarung eines Erfolgshonorars gegenüber der Prozessfinanzierung das subsidiäre Mittel ist, so dass zunächst an einen Prozessfinanzierer herangetreten werden müsste.665 Bei Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung mit dem Mandanten sind die Formvor299 schriften des § 3a RVG sowie die besonderen Anforderungen der § 4a Abs. 2 und 3 RVG zu beachten.

664 BTDrucks. 16/8916, S. 14. 665 Mayer/Kroiß/Teubel RVG § 4a Rn. 32.

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F. Wettbewerb der öffentlichen Hand Schrifttum Achatz Grundrechtliche Freiheit im Wettbewerb (2011); Ackermann Der Rückzug des Zivilrechts von der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung des Handelns der öffentlichen Hand – Ende eines „zivilrechtlichen Dilettierens“ oder Ende der Freiheit der privaten Marktteilnehmer? FS Tilmann (2003) 73 ff.; Alexander Öffentliche Auftragsvergabe und unlauterer Wettbewerb, WRP 2004, 700 ff.; Badura Die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand mit besonderer Berücksichtigung der öffentlich-rechtlichen Wettbewerbs-Versicherungsunternehmen, ZHR 146 (1982) 448 ff.; Bosten Wettbewerb ohne Wettbewerbsrecht, WRP 1999, 9 ff.; Brauser-Jung Religionsgewerbe und Religionsunternehmerfreiheit – Zum Spannungsverhältnis zwischen Religion und Wirtschaft aus wirtschaftsverwaltungsrechtlicher Perspektive (2002); Brohm Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand und Wettbewerb, NJW 1994, 281 ff.; Broß Überlegungen zum Wettbewerb der öffentlichen Hand, FS Piper (1996) 107 ff.; Brüning Die Wege des Rechts sind verschlungen – Wettbewerbsrelevante Tätigkeit der öffentlichen Hand und Rechtsschutz, NVwZ 2012, 671 ff.; Bullinger Öffentliches Recht und Privatrecht (1968); Doepner Unlauterer Wettbewerb durch Verletzung von Marktzutrittsregelungen? WRP 2003, 1292 ff.; Ehlers Verwaltung und Privatrechtsform (1984); Elskamp Gesetzesverstoß und Wettbewerbsrecht (2007); Emmerich Der unlautere Wettbewerb der öffentlichen Hand (1969); ders. Das Wirtschaftsrecht der öffentlichen Unternehmen (1969); Ennuschat Kommunalrecht und Wettbewerbsrecht, WRP 1999, 405 ff.; ders. Rechtsschutz privater Wettbewerber gegen kommunale Konkurrenz, WRP 2008, 883 ff.; Franz Gewinnerzielung durch kommunale Daseinsvorsorge (2005); Frenz Kommunalwirtschaft außerhalb des Wettbewerbsrechts? WRP 2002, 1367 ff.; Gaa Anwendung privaten Wettbewerbsrechts bei schlicht hoheitlichem Handeln? WRP 1997, 837 ff.; v. Gamm Verfassungs- und wettbewerbsrechtliche Grenzen des Wettbewerbs der öffentlichen Hand, WRP 1984, 303 ff.; Gröning Kommunalrechtliche Grenzen der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand und Drittschutz auf dem ordentlichen Rechtsweg, WRP 2002, 17 ff.; Guilliard Die Tätigkeiten der öffentlichen Hand als geschäftliche Handlung im UWG, GRUR 2018, 791 ff.; Hammer Verfassungsfragen wirtschaftlicher Betätigung der Kirchen, FS Stober (2008) 265 ff.; Hauck Dabeisein ist alles … – Der Rechtsschutz privater Unternehmen gegen die Teilnahme der öffentlichen Hand am Wettbewerb WRP 2006, 323 ff.; ders. Der „Standortvorteil“ im Wettbewerbsrecht – Problematik der Chancengleichheit zwischen kommunalen und privaten Anbietern, 2008, 665 ff.; Jensen Kommunale Daseinsvorsorge im europäischen Wettbewerb der Rechtsordnungen, 2015; Kluth Grenzen kommunaler Wettbewerbsteilnahme (1988); ders. Öffentlich-rechtliche Zulässigkeit gewinnorientierter staatlicher und kommunaler Tätigkeit, in Stober/Vogel (Hrsg.), Wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand (2000) 23 ff.; Köhler Wettbewerbsverstoß durch rechtswidrigen Marktzutritt? GRUR 2001, 777 ff.; ders. Zur wettbewerbsrechtlichen Sanktionierung öffentlichrechtlicher Normen, FS Schmitt-Glaeser (2003) 499 ff.; Mann Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft (2002); Mees Überlegungen zu Folgen der Privatisierung für das Wettbewerbsrecht, WRP 2000, 963 ff.; Mestmäcker Die Abgrenzung von öffentlich-rechtlichem und privatrechtlichem Handeln im Wettbewerbsrecht, NJW 1969, 1 ff.; Möstl Konkurrenzschutz gegen die öffentliche Hand, WiVerW 2011/4 („Konkurrenzschutz im Wettbewerb“, Themenheft zum Gewerbearchiv), 231 ff.; Pielow Grundstrukturen öffentlicher Versorgung (2001); Piper Zum Wettbewerb der öffentlichen Hand, GRUR 1986, 574 ff.; Pinger Der Rechtsweg bei Wettbewerbsverstößen der öffentlichen Hand, GRUR 1973, 456 ff.; Poppen Der Wettbewerb der öffentlichen Hand (2007); Püttner Unlauterer Wettbewerb der öffentlichen Hand, GRUR 1964, 359 ff.; Rittner/Dreher Europäisches und deutsches Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. (2007); Rüffler Die Anwendbarkeit des UWG auf juristische Personen des öffentlichen Rechts (1992); Schachtschneider Staatsunternehmen und Privatrecht (1986); Schmittat Rechtsschutz gegen staatliche Wirtschaftskonkurrenz, ZHR 148 (1984) 428 ff.; Schink Wirtschaftliche Betätigung kommunaler Unternehmen, NVwZ 2002, 129 ff.; Schliesky Öffentliches Wettbewerbsrecht (1997); ders. Über Notwendigkeit und Gestaltung eines öffentlichen Wettbewerbsrechts, DVBl. 1999, 78 ff.; ders. Öffentliches Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. (2008); ders. Die Verdrängung der Verwaltungsgerichtsbarkeit aus dem Öffentlichen Wirtschaftsrecht, FS Stober (2008) 523 ff.; Schmidt-Leithoff Gemeindewirtschaft im Wettbewerb (2011); Scholz Wettbewerbsrechtliche Klagen gegen Hoheitsträger: Zivil- oder Verwaltungsrechtsweg? NJW 1987, 16 ff.; ders. Wettbewerbsrecht und öffentliche Hand, ZHR 132 (1969) 97 ff.; Schricker G. Wettbewerb der öffentlichen Hand im Strukturwandel (1990); Schricker H. Wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand und unlauterer Wettbewerb, 2. Aufl. (1987); Schünemann Die wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand zwischen öffentlichem und privatem Wettbewerbsrecht, WRP 2000, 1001 ff.; ders. Wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit wirtschaftlicher Tätigkeit der öffentlichen Hand, in Stober/Vogel (Hrsg.), Wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand (2000) 41 ff.; ders. Der Maßstab der guten Sitten für die wirtschaftende öffentliche Hand, WRP 2001, 466 ff.; ders. Generalklausel und Interessenabwägung im neuen UWG, WRP 2004, 817 ff.; ders. Generalklausel und Regelbeispiele, JZ 2004, 271 ff.; Stober Rein gewerbliche Betätigung der öffentlichen Hand und Verfassung, ZHR145 (1981) 565 ff.; Stolze/Dietl Wettbewerbsrechtliche Möglichkeiten für Kommunen bei der Unterstützung kommunaler Unternehmen, IR 2016, 98 ff.; Storr Der Staat als Unternehmer (2001); Tettinger Rechtsschutz gegen kommunale Wettbewerbsteilnahme, NJW 1998,

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Schünemann/Peifer

Einleitung

F. Wettbewerb der öffentlichen Hand

3473 ff.; Tieben Die Einflussnahme der öffentlichen Hand auf den Wettbewerb, WRP 2011, 1101 ff; Tilmann Privatwirtschaftliche Betätigung der Kommunen, FS Schricker (2005) 763 ff.; Ulmer Die Anwendung von Wettbewerbs- und Kartellrecht auf die wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand beim Angebot von Waren- oder Dienstleistungen, ZHR 146 (1982) 466 ff.; Voigt Der Wettbewerb der öffentlichen Hand und seine privatrechtliche Beurteilung (1956); Vollmar Rechtsweg und Maßstab für Klagen gegen die öffentliche Hand wegen Wettbewerbsverstößen, Diss. Heidelberg (1987); Wenzel Wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, NJW 1961, 2102 ff.; Werner Die Abwehr staatlicher Wettbewerbseinflüsse (1986); Wolf D. Der Staat als Unternehmer – Belebung oder Gefahr für den Wettbewerb? in Stober/Vogel (Hrsg.), Wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand (2000) 5 ff.

Übersicht I.

Erscheinungs-, Organisations- und Handlungsformen der wirtschaftenden öffentlichen 1 Hand

II. 1. 2.

21 Grundsätzliche Problematik 21 Historie und Hintergrund Zur Doppelnatur der wirtschaftlichen Tätigkeit 28 der öffentlichen Hand

III.

Wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand 47 als „geschäftliche Handlung“ 47 Ausgangspunkt 51 Erfordernis der Außenwirkung „Geschäftliche Handlung“ im Lichte diverser 54 Handlungsfelder nach h.M. 54 a) Bedarfsdeckung 56 b) Erwerbswirtschaftliches Handeln c) Sozialwirtschaftliches Handeln im Bereich 57 der Daseinsvorsorge

1. 2. 3.

65

4.

Kritik

IV.

Lauterkeit der wirtschaftlichen Tätigkeit der öf79 fentlichen Hand 79 Einheitlicher Lauterkeitsmaßstab 87 Sedes materiae im geltenden Recht 91 Spezifische Fallgruppen a) Vertrauens- und Autoritätsmissbrauch als unzulässige Beeinflussung (§ 4a Abs. 1 S. 2 91 Nr. 3) b) Preisunterbietung als gezielte Mitbewerber101 behinderung (§ 4 Nr. 4) c) Verletzung insbesondere öffentlich-rechtli106 cher Marktverhaltensregeln (§ 3a) Weitergehende lauterkeitsrechtliche Sanktio113 nen?

1. 2. 3.

4.

Alphabetisches Stichwortverzeichnis Autoritätsmissbrauch 91 ff. Beschaffungswesen 7, 14, 54 f., 66 ff. Bestechlichkeit 100 Daseinsvorsorge 15 f., 57 ff., 69 f. Doppelnatur 28 ff., 34 f., 65, 70, 119 Doppelqualifikation s. Doppelnatur Eigenbetriebe 18 Eigengesellschaften 18 Empfehlung 95 ff. Erwerbswirtschaft 17, 44, 56 geschäftliche Handlung 44, 47 ff., 52 ff. Gewinnerzielungsabsicht 17, 61 Handlungsformen 19 Hoheitszeichen 98 Horizontalverhältnis 27 innerbehördliche Maßnahmen 51 ff. Kirchen 8 Marktstärke 82 ff. Marktstörung 116 Marktverhaltensregeln 106 ff.

Schünemann/Peifer

öffentliche Hand – Begriff 2 f. – Erwerbswirtschaft 16, 56 – Lauterkeitsmaßstab 21, 79 ff. – Sozialwirtschaft 57 öffentliches Unternehmen – Begriff 3 – Formen 18 ff. öffentliches Wettbewerbsrecht 43, 48 par condicio concurrentium 84, 111 Preisunterbietung 101 ff., 114 Randnutzung 72 Rechtsweg 22 ff., 74 ff. Rechtswegspaltung 78 Regiebetriebe 18 Rundfunk 7, 15 ff., 20, 105 f. Sicherheitsgewährleistung 16 Subjektionstheorie 31 Subventionen 63, 71 Verdrängungsabsicht 103

574

I. Erscheinungsformen der wirtschaftenden öffentlichen Hand

Verwaltungsprivatrecht 6, 41 Vorteilsannahme 100 Wahlfreiheit 20

Einleitung

Warnung 95 ff. Wettbewerbsabsicht 49 Zweckentfremdung öffentlicher Mittel 105, 114

I. Erscheinungs-, Organisations- und Handlungsformen der wirtschaftenden öffentlichen Hand Die öffentliche Hand hat auch in der marktwirtschaftlich verfassten, primär von Privatrechtssubjek- 1 ten und ihrer Marktaktivitäten geprägten Wirtschaftsordnung Deutschlands (vgl. Einl. A Rn. 142) ungeachtet der massiven Privatisierungswellen der jüngeren Vergangenheit eine große wirtschaftliche Bedeutung.1 Die Ursachen dafür sind komplex: Politische Strategieentscheidungen, relative Verknappung der Haushaltsmittel und Anpassungsdefizite, aber gerade umgekehrt auch die Wahrnehmung neu entdeckter Handlungsspielräume für die öffentliche Hand, wirken hier zusammen.2 Außerdem ist die öffentliche Hand allein schon in ihrer Funktion als Nachfrager zur Deckung ihres internen Bedarfs seit jeher ein erheblicher Wirtschaftsfaktor gewesen. Die größte Bedeutung hat die öffentliche Wirtschaftstätigkeit im Bereich des Grundstücks- und Wohnungswesens, bei der Energie-, Wasser- und Abwasserversorgung sowie im Gesundheitswesen.3 Unter der Sammelbezeichnung „öffentliche Hand“ werden üblicherweise zunächst Bund, 2 Länder, Kreise und Gemeinden (Kommunen) zusammengefasst. Ebenso rechnen dazu etwa öffentlich-rechtliche Körperschaften, Anstalten, Stiftungen und Zweckverbände. Der weit überwiegende Anteil öffentlich-rechtlicher Unternehmen betrifft die kommunale Ebene.4 Darauf aufbauend werden unter „öffentlichen Unternehmen“ in Anlehnung an § 185 GWB 3 (bis April 2016: § 130 GWB a. F.)5 die mehr oder weniger am Markt selbständig agierenden Organisationsteile der öffentlichen Hand sowie die ihnen ganz oder teilweise gehörenden oder wenigstens von ihnen verwalteten oder betriebenen Unternehmen verstanden.6 Für diesen funktionsorientierten Begriffsgebrauch des öffentlichen Unternehmens kennzeichnend ist, dass die öffentliche Hand in irgendeiner Weise als Marktteilnehmer in Erscheinung tritt.7 Notwendig wie hinreichend ist dabei ein beherrschender Einfluss der öffentlichen Hand auf das Unternehmen. Während es sich bei Unternehmen in öffentlich-rechtlicher Organisationsform deshalb eo ipso um öffentliche Unternehmen handelt, stellt sich bei Unternehmen in Privatrechtsform, speziell unter privater Mitbeteiligung (sog. gemischtwirtschaftliche Unternehmen),8 die Frage nach den Kriterien, die über die Beherrschung durch die öffentliche Hand entscheiden. 1 Rittner/Dreher § 11 Rn. 18 beziffern auch nach der Privatisierung früherer Beteiligungen an großen industriellen Konzernen wie VEBA, VIAG oder Salzgitter die anteilige Bruttowertschöpfung der öffentlichen Hand (wohl am Bruttoinlandsprodukt) in Deutschland auf fast 11 %. Zu einigen ausgewählten Beteiligungsquoten s. Rittner/Dreher § 11 Rn. 16. S. a. Schmidt-Leithoff S. 140 ff. Das Statistische Bundesamt gibt für 2015 die Zahl der öffentlichen Einrichtungen (Fonds, Einrichtungen und Unternehmen) mit 16.206 an. Sie erzielten Umsatzerlöse in Höhe von knapp 427 Mrd. Euro. Dagegen betrugen 2017 die Einnahmen aus der wirtschaftlichen Tätigkeit im Öffentlichen Gesamthaushalt mit 21,7 Mrd. Euro weniger als 1,5 % der bereinigten Gesamteinnahmen (Datenreport 2018 des Statistischen Bundesamtes, S. 144 und 139). 2 Mees WRP 2000, 963 f., 966; Kluth Zulässigkeit S. 23 ff.; Wolf S. 5 ff. Zur geschichtlichen Entwicklung s. SchmidtLeithoff S. 70 ff. 3 Datenreport 2018 des Statistischen Bundesamtes S. 144 (für 2015). 4 Datenreport 2018 des Statistischen Bundesamtes S. 144 (88 % für 2015). 5 Der bisherige § 130 GWB wurde durch das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts (VergRModG) v. 17. 2. 2016 (BGBl. I 203) in den heutigen § 185 GWB verschoben. Die Gesetzsänderung trat zum 18. 4. 2016 in Kraft. 6 Im Ergebnis wird § 185 GWB im Lauterkeitsrecht also analog angewendet und nicht etwa ein Gegenschluss gezogen, vgl. Schünemann Betätigung S. 45 f.; ders. WRP 2000, 1001, 1005 f.; s. a. Brohm 1994, 282, 287. 7 S. a. Pielow S. 20 f. 8 Näher Spannowsky ZHR 160 (1996) 563 ff.; kritisch zu der hergebrachten Klassifikation Schliesky Wettbewerbsrecht S. 22 ff.

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Schünemann/Peifer

Einleitung

F. Wettbewerb der öffentlichen Hand

Dafür haben sich allgemeine Grundsätze entwickelt,9 die ihren Niederschlag z. B. in den Maßgaben der Transparenzrichtlinie (früher RL 80/723/EWG, RL 2000/52/EG, jeweils ersetzt durch RL 2006/111/EG),10 in § 2 Abs. 3 des Gesetzes über die Statistiken der öffentlichen Finanzen und des Personals im öffentlichen Dienst (FPStatG) oder auch in § 53 Abs. 1 des Gesetzes über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder (HGrG) gefunden haben. Demzufolge ist eine Beherrschung durch die öffentliche Hand namentlich dann anzunehmen, wenn die öffentliche Hand die Kapital- oder die Stimmenmehrheit, also mehr als 50 % der stimmberechtigten Anteile, besitzt oder in der Lage ist, die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans zu bestellen. Ein solcher maßgebender Einfluss wird aus verfassungsrechtlichen Gründen für geboten gehalten, etwa um die Grundrechtsbindung öffentlich-rechtlicher Unternehmen zu begründen,11 und deshalb in gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen jedenfalls angestrebt.12 5 Zweifelhaft sein kann aber, ob bei gewichtigen rechtlichen Privilegien der öffentlichen Hand auch ohne die vorgenannten Mehrheitsverhältnisse das Vorliegen eines öffentlichen Unternehmens bejaht werden kann.13 Namentlich in Bezug auf die „Volkswagen AG“ stellte sich diese Frage im Blick auf § 4 Abs. 1, § 2 Abs. 1 i. V. m. § 4 Abs. 3 des Gesetzes über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mbH in private Hand (VWGmbHÜG, a. F.), durch die zugunsten des Landes Niedersachsen ein Entsenderecht, ein Höchststimmrecht und eine Sperrminorität statuiert wurden. Mittlerweile sind diese Privilegien durch eine Novellierung des Gesetzes vor dem Hintergrund eines von der Kommission angestrengten Vertragsverletzungsverfahrens allerdings bis auf die Sperrminorität Niedersachsens entfallen.14 Der EuGH hat sich damit zufriedengegeben und insbesondere die noch bestehende Satzungsbestimmung in der Satzung der Volkswagen AG, die eine Sperrminorität zugunsten des Landes Niedersachsen vorsieht, nicht für korrekturbedürftig gehalten, dabei allerdings auf prozessuale Gründe abgestellt.15 6 Unter lauterkeitsrechtlichem Aspekt bedarf die Frage, ob Privilegien namentlich der öffentlichen Hand zur Beherrschung eines Unternehmens ausreichen, allerdings keiner Entscheidung, da die „Volkswagen AG“ als Unternehmen in Privatrechtsform so oder so in ihrem Handeln an den Maßstäben des UWG zu messen ist (näher Rn. 28 ff., 42 ff.). Verwaltungs- wie auch lauterkeitsrechtlich besteht Einigkeit darüber, dass das Lauterkeitsrecht Fragen des wettbewerblichen Aufritts selbst („wie“ der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand) regeln darf, während die Frage der Zulässigkeit des Markteintritts solcher Unternehmen („ob“) durch die Normen des öffentlichen Rechts geregelt wird.16 Dass der Begriff des öffentlichen Unternehmens an seinen Rändern unscharf ist,17 wirkt sich hier nicht aus. Rechtliche Relevanz gewinnt der Status

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9 Vgl. Stober/Korte Öff. Wirtschaftsrecht Allg. Teil Rn. 768. 10 Richtlinie 2006/111/EG vom 16. 11. 2006 über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen sowie über die finanzielle Transparenz innerhalb bestimmter Unternehmen, ABL. L 318, S. 17. 11 BGH 16. 3. 2017 – I ZR 13/16 – NJW 2017, 3153 m. Anm. Huff; BGH 10. 2. 2005 – III ZR 294/04 – NJW 2005, 1720 (jeweils zur Auskunftsverpflichtung nach den Landespressegesetzen). 12 Vgl. Mann S. 55. 13 Zur Problematik von sog. goldenen Aktien oder der bevorzugten Entsendung von Aufsichtsratsmitgliedern (wegen deren grundsätzlicher Weisungsfreiheit nach § 101 Abs. 2 AktG, s. BGH 26. 3. 1984 – II ZR 171/83 – BGHZ 90, 381, 389 = NJW 1984, 1893, 1897) vgl. ganz allgemein Rittner/Dreher § 11 Rn. 24. 14 Zur Historie vgl. EuGH 23. 10. 2007 – C 112/05 – Slg. 2007, I-9020 – Kommission/Deutschland („VW-Gesetz“); Kilian NJW 2007, 3469 ff.; Krause NJW 2002, 2747 ff.; Sander EuZW 2005, 106 ff. 15 EuGH 22. 10. 2013 – C-95/12 – EuZW 2013, 946 m. Anm. Kalss – Kommission/Deutschland. 16 BVerwG 21. 3. 1995 – I B 211/94 – NJW 1995, 2938, 2939; BGH 25. 4. 2002 – I ZR 250/00 – BGHZ 150, 343, 348 m. Anm. Ehlers JZ 2003, 318; Gundlach/N. Schmidt EWiR 2002, 829; Knauff/F. Nolte VR 2003, 3; N. Meyer VR 2002, 410; H. Meyer NVwZ 2002, 1075; Warneke JuS 2003, 958; kritisch M. Dreher ZIP 2002, 1648; W. Frenz WRP 2002, 1367; S. Hanslinger WRP 2002, 1023. 17 Vgl. Rittner/Dreher § 11 Rn. 7; Storr S. 35 ff., 269 ff.

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I. Erscheinungsformen der wirtschaftenden öffentlichen Hand

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eines öffentlichen Unternehmens vielmehr in Richtung auf eine zumindest teilweise Beachtlichkeit auch des öffentlichen Rechts für gemischt-wirtschaftliche privatrechtsförmige Unternehmen i.S. eines Verwaltungsprivatrechts (vgl. Rn. 39), weil die öffentliche Hand durch Rechtsformwahl sich ihren öffentlich-rechtlichen Bindungen nicht soll entledigen können.18 Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk stellt, soweit er am Markt etwa durch sein Beschaffungswesen, durch Werbung, Lizenzvergabe etc. in Erscheinung tritt,19 ein öffentliches Unternehmen dar. Medienspezifische Besonderheiten wie vor allem die Grundrechtsrelevanz seines Programmauftrags im Blick auf Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG20 oder staatsvertragliche Einflussfaktoren ändern daran nichts, sondern betreffen die öffentlich-rechtlichen Rahmenbedingungen vornehmlich der Rundfunkfinanzierung.21 Nur wenig Beachtung im Kontext des öffentlichen Unternehmens findet gemeinhin die wirtschaftliche Betätigung der Kirchen mit dem Status öffentlich-rechtlicher Körperschaften,22 also traditionell der beiden großen christlichen Kirchen auf der Grundlage des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV. Jedenfalls in ihren Erscheinungsformen unterscheidet sich die wirtschaftliche Tätigkeit dieser Kirchen kaum von der säkularen Variante, wenn man etwa an kirchliche Verlage, Seniorenheime in kirchlicher Trägerschaft oder „Klosterbrauereien“ denkt. Auch die Motivlagen weisen deutliche Parallelen auf: Reklamieren Bund, Länder, Kreise, Gemeinden etc. bei ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit für sich gerne die Verfolgung von religionsindifferenten Gemeinwohlinteressen, so sehen die Kirchen ihre Wirtschaftstätigkeit in weitem Maße als karitativen und diakonischen Dienst im Kontext ihres Glaubens, teilweise auch als religiösen Wert an sich.23 Diese Übereinstimmungen legen es nahe, auch die Kirchen mit dem Status öffentlich-rechtlicher Körperschaften lauterkeitsrechtlich nicht anders als andere öffentliche Unternehmen zu behandeln. Dabei wird nicht der besondere verfassungsrechtliche Status der Kirchen nach Art. 140 GG i. V. m. Artt. 136 ff. WRV verkannt: Auch als Körperschaften des öffentlichen Rechts werden sie nicht Teil der Staatsorganisation und genießen deshalb z. B. Grundrechtsschutz.24 Irrelevant ist auch das in Art. 137 Abs. 3 WRV für alle, auch die privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften verbriefte Recht, innerkirchliche Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten. Denn erstens handelt es sich bei wirtschaftlicher, also marktgerichteter Tätigkeit schon eo ipso nicht um eine innerkirchliche, sondern gerade um eine nach außen wirkende Aktivität, und zweitens besteht selbst dieses Selbstverwaltungsrecht nur „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes.“ So streitig diese Schrankenbestimmung auch sein mag, so steht doch fest, dass z. B. das Bauordnungsrecht oder das allgemeine Sicherheits- und Ordnungsrecht das kirchliche Selbstverwaltungsrecht einschränken.25 Selbst wenn bei wirtschaftlicher Betätigung der Kirchen ihr Selbstverwaltungsrecht überhaupt berührt sein sollte, müsste das Lauterkeitsrecht, ganz sicher 18 BGH 16. 3. 2017 – I ZR 13/16 – NJW 2017, 3153 m. Anm. Huff; BGH 10. 2. 2005 – III ZR 294/04 – NJW 2005, 1720 (jeweils zur Auskunftsverpflichtung nach den Landespressegesetzen).

19 Ausführlich Anke Merchandising und Licensing. Die wirtschaftliche Betätigung öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten (2007); Mand Erwerbswirtschaftliche Betätigung öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten außerhalb des Programms (2002); Ferreau Öffentlich-rechtlicher Rundfunk und ökonomischer Wettbewerb (2017). 20 Wegweisend BVerfG 28. 2. 1961 – 1 BvG 1 u. 2/60 – BVerfGE 12, 205, 260 ff. 21 Vgl. BVerfG 5. 2. 1991 – 1 BvF 1/85 – BVerfGE 83, 238, 303 ff.; BVerfG 6. 10. 1992 – 1 BvR 1586/89, 1 BvR 487/92 – BVerfGE 87, 181, 189 ff.; BVerfG 22. 2. 1994 – 1 BvL 30/88 – BVerfGE 90, 60, 101 ff. 22 Vgl. zu den seltenen Fällen BGH 19. 6. 1981 – I ZR 100/79 – GRUR 1981, 823 – Ecclesia-Versicherungsdienst; Brauser-Jung sowie Hammer; s. a. Starosta Religionsgemeinschaften und wirtschaftliche Betätigung – Eine Untersuchung aus verfassungsrechtlicher Sicht (1986). 23 S. (auch im historischen Längsschnitt) eingehend Hammer FS Stober 265, 267 ff. 24 BVerfG 4. 10. 1965 – 1 BvR 498/62 – BVerfGE 19, 129, 132 ff.; BVerfG 21. 9. 1976 – 2 BvR 350/75 – BVerfGE 42, 312, 323 ff.; BVerfG 25. 11. 1980 – 2 BvL 7/76, 2 BvL 8/76, 2 BvL 9/76 – BVerfGE 55, 207, 230 ff. 25 S. dazu hier nur Maunz/Dürig/Korioth Art. 140 (GG)/137 WRV Rn. 44 ff. (Schrankenproblematik im Allgemeinen), 49.

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F. Wettbewerb der öffentlichen Hand

ein „für alle geltendes Gesetz“ in einer Reihe mit den genannten, auf die wirtschaftliche Betätigung der Kirchen unter denselben Voraussetzungen und mit denselben Maßgaben Anwendung finden, die für die wirtschaftliche Tätigkeit des Staates, der Kommunen etc. gelten. Angesichts des großen ökonomischen Staatssektors (unter Einschluss kommunaler Marktteilnehmer) sowie der großen christlichen Kirchen als Wirtschaftsfaktor ist beachtlich, dass die öffentliche Hand mit privaten Marktteilnehmern als Anbieter oder Nachfrager in Konkurrenz tritt. Umstritten ist dabei lediglich, inwieweit auch karitative Tätigkeiten, etwa durch die Einwerbung von Spenden, marktbezogen sind und damit dem lauterkeitsrechtlich kontrollierten Marktverhalten unterliegen. Gegen eine solche Einbeziehung spricht, dass es nicht um gewinnoder absatzfördernderndes Verhalten im eigentlichen Sinne geht.26 Für eine Einbeziehung spricht, dass auch die Einwerbung von Spenden eine Dienstleistung ist, die zum einen öffentliche Haushalte entlastet, zum anderen den Spendenden eine immaterielle Gegenleistung verspricht, die auch aus ökonomischen Nutzenerwägungen, nicht nur aus altruistischen Motiven entgegengenommen wird.27 Soweit die Spenden auch dazu dienen, Verwaltungskosten des Dienstleisters zu akquirieren, ist eine auf Kostendeckung und Gewinnerzielung gerichtete Tätigkeit jedenfalls nicht völlig auszuschließen.28 Da mittlerweile auch Unternehmen mit ethischen Argumenten werben, also ein „Markt der Tugenden“ entstanden ist, sollte das Lauterkeitsrecht jedenfalls auch auf diesem Markt Irreführungen vermeiden und Transparenz herstellen können. Sofern Kirchen und sonstige gemeinnützige Institutionen um Spenden werben, darf die wettbewerbliche Motivation gleichwohl nicht mechanisch vermutet werden. Der Kläger muss daher darlegen, warum die Spendentätigkeit marktbezogen ist, um in den Anwendungsbereich des Lauterkeitsrechts zu gelangen. Die Erscheinungsformen der wirtschaftenden öffentlichen Hand sind überaus vielfältig. Unter lauterkeitsrechtlichen Aspekten empfiehlt es sich, die zu beleuchtende wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand begrifflich sehr weit zu fassen, um nicht von vornherein Tätigkeiten der öffentlichen Hand mit Wettbewerbseffekten zu Lasten anderer auszugrenzen. Hierzu zählt z. B. auch die Subventionsvergabe (s. Rn. 63 f.). Annäherungsweise können drei große, sich überschneidende Handlungsfelder namhaft gemacht werden,29 wobei Staat und Kommunen im Vordergrund stehen:30 Zunächst verkörpert die wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand ein großes Nachfragepotential im verwaltungsinternen Beschaffungswesen. Zu diesem fiskalischen Handeln zählt der Erwerb sächlicher Mittel wie etwa Informationstechnik, Büromaterial und Mobiliar sowie Anschaffung von Behördenfahrzeugen. Die öffentliche Hand vergibt Aufträge über die Errichtung von Verwaltungsgebäuden, über Instandsetzungs- und Instandhaltungsmaßnahmen oder über die Erbringung von Bewachungsleistungen. Ferner wirtschaftet die öffentliche Hand im Bereich der sog. Daseinsvorsorge.31 Sie erbringt entgeltliche Infrastrukturleistungen im öffentlichen Personen- und Güterverkehr. Sie ist in der Energie- und Wasserversorgung ebenso wie in der Abfall- und Abwasserentsorgung und ferner in der Wohnungswirtschaft tätig.32 Die öffentliche Hand bewirtschaftet Schwimmbäder, Theater, Museen und Krankenhäuser und betreibt Häfen und Flughäfen, Förderbanken und Messen, Rundfunkanstalten und Krankenkassen, die dann – ohne Einschaltung selbständiger

26 LG Köln 11. 12. 1007 – 33 O 195/95 – GRUR 2008, 198, 199 (Spende als Schenkung). 27 Hierzu Voigt GRUR 2006, 466, 467. 28 Für eine Behandlung als geschäftliche Handlung insoweit Köhler/Bornkamm/Feddersen § 2 Rn. 41; Ohly/Sosnitza § 2 Rn. 42; Köhler GRUR 2008, 281 283; Schlinghoff FS Köhler (2014) 627, 626 f. 29 Schünemann WRP 2000, 1001, 1002 f.; ders. Zulässigkeit S. 41 ff. 30 Vieles ist substanziell auf die Wirtschaftstätigkeit der Kirchen übertragbar, doch fehlt es an einer übergreifenden Terminologie. 31 Zu diesem von Forsthoff geprägten Begriff s. aus gegenwartsbezogener Sicht Krajewski VerwArch 2008, 174 ff. 32 Schönberger GRUR 1999, 659 ff.

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I. Erscheinungsformen der wirtschaftenden öffentlichen Hand

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Optiker – Brillen liefern und Rollstühle überlassen.33 Sie agiert auf der Bühne dieser „Sozialwirtschaft“34 als Organisator von entgeltlichen Rettungsdiensten neben solchen der Privatwirtschaft, als Betreiberin eines Senioren-Cafés, veranstaltet Senioren-Ausflugsfahrten35 und unterhält Sozialstationen, deren Tätigkeit denjenigen privater Pflegeunternehmen entspricht.36 Eine besondere Variante der Daseinsvorsorge stellt die Gewährleistung der äußeren und 16 inneren Sicherheit dar. Hier hat die öffentliche Hand regelmäßig eine monopsonistische Position, indem – jedenfalls im legalen Beschaffungsbereich – niemand außer ihr Panzer, Waffen, Wasserwerfer oder sonstige Polizeieinsatzfahrzeuge nachfragt; dieser Markt lässt sich in seiner Abschottung noch am ehesten als „zweiter Markt“ bezeichnen.37 Schließlich können öffentliche Unternehmen nicht anders als privatwirtschaftlich initiierte 17 Unternehmen primär oder jedenfalls begleitend der Gewinnerzielung dienen, wie z. B. beim Betrieb von Brauereien, Weingütern oder kommunaler Reisebüros,38 aber auch bei einem Bestattungsunternehmen oder beim Verkauf von Kfz-Nummernschildern39 und beim Titel-Merchandising beliebter Rundfunksendungen.40 Kommunale Träger, hervorgegangen aus Gartenund Friedhofsämtern, bieten gärtnerische Leistungen am Markt an;41 auch Elektroarbeiten42 und die Verwertung von Altautos43 sind im Angebot. Reparaturwerkstätten der Polizei tragen zur Kostenreduktion dadurch bei, dass sie ihre Überkapazitäten nutzen, um entgeltliche Reparaturaufträge für Privatfahrzeuge erst nur der Polizisten, dann auch deren Angehöriger und schließlich für jedermann durchzuführen. Volkshochschulen veranstalten entgeltlichen Nachhilfeunterricht für schwache Schüler,44 Vermessungsämter erbringen entgeltliche Leistungen wie private Vermessungsingenieure.45 Der Phantasie für erwerbswirtschaftliche „Geschäftsideen“ scheinen hier keine Grenzen gesetzt.46 Die Organisations- bzw. Rechtsformen, in denen sich die Wirtschaftstätigkeit der öffentli- 18 chen Hand vollzieht, sind vielgestaltig:47 Neben Regie- und (kommunalen) Eigenbetrieben48

33 Vgl. die Leitentscheidungen BGH 18. 12. 1981 – I ZR 34/80 – BGHZ 82, 375 = GRUR 1982, 425 – Brillen-Selbstabgabestellen; GmS-OGB 29. 10. 1987 – GmS-OBG 1/86 – BGHZ 102, 280 = NJW 1988, 2295.

34 Scholz NJW 1974, 781. Zu der kaum darstellbaren klaren Abgrenzung zur „Erwerbswirtschaft“ s. Hill BB 1997, 425 ff.; Stober BB 1989, 716 f. KG 7. 5. 1985 – 5 U 5451/83 – WRP 1986, 207 – Gruppenfahrten für Senioren. LG Hannover 4. 7. 1990 – 18 O 79/90 – NJW-RR 1991, 432. Vgl. Stober BB 1989, 716 f. BGH 10. 2. 1956 – I ZR 61/54 – GRUR 1956, 227 – Reisebüro. OLG Köln 26. 10. 1990 – 6 U 84/90 – GRUR 1991, 381 – Kfz-Schilder; OLG Dresden 18. 4. 1996 – 7 U 2422/95 – WRP 1996, 911. 40 BGH 19. 11. 1992 – I ZR 254/90 – BGHZ 120, 228 = GRUR 1993, 692 – Guldenburg; BGH 26. 1. 2017 – I ZR 207/14 – GRUR 2017, 422 – ARD-Buffet; s. a. Emmerich/Steiner Möglichkeiten und Grenzen der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (1986). 41 OLG Hamm 23. 9. 1997 – 4 U 99–97 – NJW 1998, 3504 – Gelsengrün; m. Anm. Tettinger JuS 1999, 191; m. Anm. Emmerich JZ 1999, 576; m. Anm. M. Müller JZ 1998, 576; OLG Celle 9. 9. 2004 – 13 U 133/04 – GRUR-RR 2004, 374 f. – Grabpflegearbeiten. 42 BGH 25. 4. 2002 – I ZR 250/00 – GRUR 2002, 825 – Elektroarbeiten. 43 BGH 26. 9. 2002 – I ZR 293/99 – GRUR 2003, 164 – Altautoverwertung. 44 OLG Düsseldorf 10. 10. 1996 – 2 U 65/96 – WRP 1997, 42. 45 BGH 14. 1. 1993 – I ZB 24/91 – BGHZ 121, 126 – Vermessungsämter. 46 Schon vor Jahren liebäugelte die öffentliche Hand etwa auch mit wirtschaftlichem Engagement im Telekommunikationsmarkt, vgl. M. Müller DVBl. 1998, 1256 ff.; ders. in Stober (Hrsg.), Wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand (2000) S. 145 ff.; Pünder DVBl. 1997, 1353 ff. 47 Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß E 4 Rn. 1; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos S15 Rn. 1; Rittner/Dreher § 11 Rn. 19 ff. 48 Die Unterschiede liegen im unterschiedlichen Grad der verwaltungstechnischen und operativen Selbständigkeit. So verfügen Eigenbetriebe und Sondervermögen z. B. über eigenes Management. Zu den Abgrenzungsproblemen, auch im Blick auf den Unternehmensbegriff, s. Schmidt-Leithoff S. 166 ff.

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F. Wettbewerb der öffentlichen Hand

bzw. Sondervermögen (auf Landes- und Bundesebene)49 als (nur) faktisch selbständig agierende Wirtschaftseinheiten (z. B. Domänen, Schlachthöfe, Stadtwerke, früher Bundesbahn und -post) existieren – rechtlich verselbständigt – öffentlich-rechtlich verfasste Unternehmen (z. B. Sparkassen) sowie privatrechtlich, namentlich als GmbH oder AG organisierte Unternehmen, deren Gesellschafter entweder die öffentliche Hand allein ist (sog. Eigengesellschaften), oder an der die öffentliche Hand zumindest beteiligt ist (sog. gemischtwirtschaftliche Unternehmen, s. Rn. 3). 19 Als Handlungsformen der wirtschaftenden öffentlichen Hand kommen prinzipiell dieselben Instrumente in Betracht wie sonst auch: obrigkeitliches, schlicht-hoheitliches und privatrechtliches Handeln. Dabei kann der Gesetzgeber die öffentliche Hand auf eine bestimmte Handlungsform festlegen. 20 Im Übrigen kommt aber der Grundsatz der Wahlfreiheit zum Tragen. Dieser auch im Gemeinschaftsrecht anklingende Grundsatz50 besagt, dass die öffentliche Hand nicht darauf beschränkt ist, von ihrem Sonderrecht, dem öffentlichen Recht, Gebrauch zu machen, sondern sich auch privatrechtlicher Gestaltungsmittel bedienen darf.51 Was konkret aber als privatrechtliches oder aber öffentlich-rechtliches Handeln anzusehen ist, lässt sich nicht leicht entscheiden. Verträge etwa sind als privatrechtliche und als öffentlich-rechtliche Institute verankert. Im Bereich der Realakte (z. B. Ausstrahlung von Rundfunksendungen) ist eine Qualifizierung als schlicht-hoheitliches oder privatrechtliches Handeln erkennbar schwierig.52

II. Grundsätzliche Problematik 1. Historie und Hintergrund 21 Im Gefolge der Gemengelage von öffentlichem Recht und Privatrecht stellen sich große Probleme namentlich hinsichtlich der maßgeblichen Bewertungsmaßstäbe und des prozeduralen Rechtsschutzes. Nur eine, freilich wesentliche Facette innerhalb der Gesamtproblematik ist dabei, ob und in welcher Weise sich die wirtschaftende öffentliche Hand an lauterkeitsrechtlichen Maßstäben messen lassen muss. Die einschlägige Diskussion wird teilweise immer noch verzerrt geführt, wobei die Frage 22 des Rechtswegs gleichsam nur als Stellvertreterin für die Sache selbst steht. Daraus erklärt es sich, dass die Rechtswegfrage in der Literatur nicht nur im Zusammenhang mit den §§ 12 ff. UWG oft erheblichen Raum einnimmt.53 Hintergrund ist,54 dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit (und auch die gelegentlich befasste 23 Sozialgerichtsbarkeit) in der Vergangenheit eine „extreme Zurückhaltung“ bei der Schrankenziehung wirtschaftlicher Tätigkeit der öffentlichen Hand im Kontext des Schutzes privater Wettbewerber gezeigt hat,55 eine Zurückhaltung, die geradezu als „Rechtsschutzverweigerung“ apostrophiert worden ist.56 Denn die Verwaltungsgerichte haben sich durchweg auf die Prüfung von Grundrechtsverletzungen durch die wirtschaftende öffentliche Hand beschränkt, wofür die

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Vgl. Rittner/Dreher § 11 Rn. 35 ff. Vgl. Artt. 106, 335 AEUV. Näher Stober/Korte Öff. Wirtschaftsrecht Allg. Teil Rn. 1034 ff. Vgl. die beispielsbezogene kritische Bemerkung bei Emmerich/Lange Unlauterer Wettbewerb § 4 Rn. 24a f. Vgl. Baumbach/Hefermehl § 1 Rn. 917 ff.; Brüning NVwZ 2012, 671 ff.; Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß E 4 Rn. 4 ff.; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos S15 Rn. 5 ff.; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 22 ff.; im Verwaltungsprozessrecht ausführliche Behandlung bei Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. (2018) § 40 VwGO Rn. 454–458. 54 Schmidt-Leithoff S. 313 ff.; geraffte Darstellung bei Schliesky FS Stober 523, 533 ff. 55 Schliesky FS Stober 523, 534. 56 Harms BB 1986, Beilage 17 zu Heft 32, 1, 4; Schliesky FS Stober 523, 540; Schmittat ZHR 148 (1984) 428, 437 f.; Ulmer ZHR 146 (1982) 466, 471.

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II. Grundsätzliche Problematik

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Messlatte hoch liegt.57 Spezifisch lauterkeitsrechtliche Aspekte wurden mithin ausgeblendet.58 Die Novellierung des GVG von 1991, dem zufolge nach § 17 Abs. 2 GVG das zuständige Gericht über den Rechtsstreit unter allen rechtlichen Gesichtspunkten entscheidet, änderte daran kaum etwas.59 Als Reaktion darauf wurde von interessierter Seite, also von privaten Mitbewerbern, lange erfolgreich versucht, den Schutz wettbewerblicher Interessen mit Hilfe der Zivilgerichtsbarkeit herbeizuführen. Mangels ausdrücklicher Rechtswegzuweisung musste dafür das Vorliegen einer bürgerlich-rechtlichen Streitigkeit i.S.v. § 13 GVG dargetan werden. Die dabei zu eruierende wahre „Natur“ des geltend gemachten Anspruchs60 wurde nun unter Hinweis auf die von der damaligen h.M. getragene Fallgruppe „Vorsprung durch Rechtsbruch“ innerhalb des § 1 UWG a. F. als privatrechtlich geprägt gesehen; der Rechtsbruch (und der dadurch erzielte Vorsprung) wurde dabei allein schon im Überschreiten der öffentlich-rechtlichen Zulässigkeitsgrenzen für wirtschaftliches Handeln gesehen.61 Auf diesem Wege wurde nicht nur der Weg zu den Zivilgerichten eröffnet, sondern zugleich auch das Lauterkeitsrecht ins Spiel gebracht, dessen Heranziehung die Verwaltungsgerichte beharrlich verweigert hatten. Umgekehrt freilich scheuten sich die Zivilgerichte nicht, trotz des Vorwurfs des „Dilettierens“62 in weitem Umfang öffentliches Recht im Blick auf den möglichen Rechtsbruch zu prüfen. Dabei wurden die Zulässigkeitsgrenzen für eine wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand sehr eng gezogen.63 Später vollzog die höchstrichterliche Rechtsprechung insofern eine Wende, als nun ein Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften über die wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand nicht mehr eo ipso zur lauterkeitsrechtlichen Unzulässigkeit nach § 1 UWG a. F. als „Vorsprung durch Rechtsbruch“ führen sollte.64 Diese Neuausrichtung fand in der Literatur Zustimmung,65 aber auch Ablehnung.66 Parallel dazu konsolidierte sich die Sichtweise, dass es für die „Natur“ des maßgeblichen Rechtsverhältnisses im Rahmen des Schutzes privater Mitbewerber allein auf das wettbewerbliche Horizontalverhältnis der wirtschaftenden öffentlichen Hand zu den Mitbewerbern ankomme.67

57 Vgl. z. B. bei Erlangung einer Monopolstellung oder ähnlicher Marktpositionen BVerwG 19. 12. 1963 – I C 77.60 – BVerwGE 17, 306, 314; BVerwG 30. 8. 1968 – VII C 122.66 – BVerwG 30, 191, 198; BVerwG 22. 2. 1972 – I C 24.69 – BVerwGE 39, 329, 337. 58 Vgl. BVerwG 22. 2. 1972 – I C 24.69 – BVerwGE 39, 329, 331, 337; BVerwG 27. 5. 1981 – VII C34.77 – BVerwGE 62, 224; BVerwG 1. 3. 1978 – 7 B 144/76 – NJW 1978, 1539. Thematisch offenbar gewollte enge Fokussierung auf das Verfassungsrecht in der Beurteilung „öffentlicher Konkurrenzwirtschaft“ bei Achatz S. 92 ff. und passim. 59 S. in diesem Zusammenhang auch § 17a GVG mit der Bindung anderer Gerichte, wenn ein Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg rechtskräftig eröffnet hat; hierzu OLG Hamm 5. 11. 2013 – 4 U 72/13 – GRUR-RR 2014, 359 – Kostenlose Passbilder. 60 Vgl. für die ständige Rspr. hier nur GmS-OGB 10. 4. 1986 – GmS-OBG 1/85 – BGHZ 97, 312, 313 f. = GRUR 1986, 685 f.; GmS-OGB 29. 10. 1987 – GmS-OGB 1/86 – BGHZ 102, 280, 286 = NJW 1988, 2295, 2296; GmS-OGB 10. 7. 1989 – GmS-OBG 1/88 – BGHZ 108, 284, 286 = NJW 1990, 1527, 1527. 61 Vgl. OLG Düsseldorf 10. 10. 1996 – 2 U 65/96 – WRP 1997, 42; OLG Hamm 23. 9. 1997 – 4 U 99–97 – NJW 1998, 3504. 62 Scharf ablehnend Tettinger NJW 1998, 1373 f. 63 Schliesky FS Stober 523, 534: die Verletzung dieser Grenzen sei von den Zivilgerichten „oft vorschnell“ bejaht worden. 64 BGH 25. 4. 2002 – I ZR 250/00 – BGHZ 150, 343 = GRUR 2002, 825 – Elektroarbeiten; BGH 26. 9. 2002 – I ZR 293/ 99 – GRUR 2003, 164 – Altautoverwertung. 65 Fassbender DÖV 2005, 89, 100; Schliesky Wirtschaftsrecht S. 167 f.; ders. FS Stober 523, 535 ff. 66 Dreher ZIP 2002, 1648 ff.; Frenz WRP 2002, 1367 ff.; Haslinger WRP 2002, 1023 ff. 67 BGH 18. 12. 1981 – I ZR 34/80 – BGHZ 82, 375, 382 ff. = GRUR 1982, 425, 427 – Brillen-Selbstabgabestellen; GmSOGB 10. 4. 1986 – GmS-OBG 1/85 – BGHZ 97, 312, 313 ff. = NJW 1986, 2359, 2360; BGH 14. 1. 1993 – I ZB 24/91 – BGHZ 121, 126, 128 ff. = NJW 1993, 1659 f. – Vermessungsämter.

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Das Leistungsverhältnis, an das vordem auch angeknüpft worden war,68 sollte keine Rolle mehr spielen.

2. Zur Doppelnatur der wirtschaftlichen Tätigkeit der öffentlichen Hand 28 Kernpunkt dieser bis heute h.M., die den Schutz von privaten Konkurrenten der öffentlichen Hand an lauterkeitsrechtlichen Maßstäben misst, ist die These von der Doppelnatur oder auch Doppelqualifikation der wirtschaftlichen Tätigkeit der öffentlichen Hand i. V. m. einer bestimmten Wahrnehmung des Charakters von Privatrecht: Unabhängig von der privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Handlungsform im sog. Leistungsverhältnis, also im wettbewerblichen Vertikaloder Austauschverhältnis, stelle sich das wirtschaftliche Verhalten der öffentlichen Hand im wettbewerblichen Horizontalverhältnis zu den Mitbewerbern wegen der rechtlichen Gleichordnung der Beteiligten privatrechtlich dar und unterstehe somit dem Rechtsregime des UWG.69 Die Kritik setzt sehr verschieden an und lässt sich nur schwer verdichten.70 Vereinzelt wird 29 die Anwendbarkeit des Lauterkeitsrechts auf die öffentliche Hand a limine ausgeschlossen, weil die öffentliche Hand schon aus verfassungsrechtlichen Gründen keine Privatrechtssubjektivität besitze und somit nur am öffentlichen Recht gemessen werden könne.71 Gleichwohl sollen namentlich bei fiskalischer Tätigkeit (scheinbar) privatrechtliche Normen Anwendung finden können, soweit es sich dabei in Wahrheit um eine Art „neutrales/allgemeines“, nicht an „autonom“ agierende Subjekte adressiertes Recht handele.72 Überwiegend wird aber geltend gemacht, schon bei schlicht-hoheitlicher Wirtschafts30 tätigkeit unterlaufe die These von der Doppelnatur und in ihrem Gefolge die Anwendung des Lauterkeitsrechts im Verhältnis zu Mitbewerbern die Systematik und Dogmatik des öffentlichen Rechts. Unauflösliche Interferenzen zeigten sich in Fragen des subjektiv-öffentlichen Rechts, der Klagebefugnis, der Bestandskraft und des Vertrauensschutzes. Keinesfalls komme Lauterkeitsrecht als Privatrecht zur Anwendung, wenn sich die öffentliche Hand wirtschaftlich im Rahmen öffentlich-rechtlicher Kompetenzausübung betätige.73 Außerdem beruhe die Argumentation ersichtlich auf der ohnehin überwundenen Subjekti31 onstheorie und noch dazu auf ihrer methodisch falschen Anwendung. Die h.M., die im Verhältnis zwischen wirtschaftender öffentlicher Hand und deren Mitbewerbern sich deren rechtliche Gleichordnung in Umkehrung des subjektionstheoretischen Ansatzes nur privatrechtlich vorstellen könne, stehe mithin schon deshalb auf schwankendem Boden.74 Dieser Kritik an der h.M. ist zuzugeben, dass die Anwendung des Lauterkeitsrechts im Ver32 hältnis der wirtschaftenden öffentlichen Hand zu Mitbewerbern unabhängig von einem eventu68 BGH 10. 7. 1954 – VI ZR 120/53 – BGHZ 14, 222, 227 = NJW 1954, 1486 f.; BGH 19. 12. 1960 – GSZ 1/60 – BGHZ 34, 99, 104 = NJW 1961, 658, 660 m. w. N. Dazu Schünemann Zulässigkeit S. 47; ders. WRP 2000, 1001, 1005. 69 BGH 22. 3. 1976 – GSZ 1/75 – BGHZ 66, 229, 235 f. = GRUR 1976, 658, 659 f. – Studentenversicherung; BGH 18. 12. 1981 – I ZR 34/80 – BGHZ 82, 375, 382 = GRUR 1982, 425, 427 – Brillen-Selbstabgabestellen; BGH 22. 9. 1972 – I ZR 73/71 – GRUR 1973, 530 – Crailsheimer Stadtblatt; GmS-OGB 29. 10. 1987 – GmS-OBG 1/86 – BGHZ 102, 280 = NJW 1988, 2295; BGH 18. 5. 1995 – I ZB 22/94 – BGHZ 130, 13 = NJW 1995, 2295; BGH 22. 7. 1999 – KZR 13/97 – GRUR 2000, 340, 342 – Kartenlesegerät m. w. N.; Baumbach/Hefermehl § 1 Rn. 919 f., 925 ff., 929 ff.; Emmerich Öffentliche Hand S. 16 ff.; Guilliard GRUR 2018, 791, 792; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 2.11; Mestmäcker NJW 1969, 1 ff.; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 23; Scholz NJW 1974, 781 f.; Schönberger GRUR 1999, 656, 661 f.; G. Schricker S. 21 ff., 25; Werner S. 29. 70 Vgl. Schünemann WRP 2000, 1001, 1005; zusammenfassend Poppen Der Wettbewerb der öffentlichen Hand, S. 220 ff. 71 Schachtschneider passim, z. B. S. 129, 233, 265 ff., 457, 461. 72 Schachtschneider S. 117. 73 Brohm NJW 1994, 281, 287; Gaa WRP 1997, 837, 839 f.; Schliesky Wettbewerbsrecht S. 296 ff.; H. Schricker S. 102 ff., 115 (m. w. N. früherer Kritiker S. 101 Fn. 61). S. a. Koppensteiner § 23 Rn. 6; Rüffler S. 80 ff. 74 Schliesky Wettbewerbsrecht S. 281 ff., 296 ff.; ders. DÖV 1994, 114, 117 f.; ders. FS Stober 523, 538.

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II. Grundsätzliche Problematik

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ell hoheitlich organisierten Leistungsverhältnis nur unzureichend begründet ist. Schon die scharfe Trennung von Leistungsverhältnis einerseits, Gleichordnungsverhältnis andererseits ist nicht ohne weiteres eingängig, wenn man sich vor Augen hält, dass wettbewerbliche Horizontal- und Vertikalverhältnisse nicht unabhängig voneinander funktionieren, sondern interdependent verknüpft sind (näher Einl. A Rn. 46, 51 f.). Wenig überzeugt auch, „ein und dieselbe Handlung, je nach der Beziehung, in der sie ihre Wirkung äußert, einmal als hoheitlich, zum anderen als privatrechtlich zu qualifizieren.“75 So bleibt ein Verwaltungsakt doch ein Hoheitsakt und nur dies, gleich aus welcher Wirkungsdimension heraus man ihn betrachtet.76 Bei Realakten verhält es sich genauso, doch ist dies weniger deutlich, weil Realakte im Privat- wie im öffentlichen Recht vorkommen.77 Der zutreffende Kern der These von der Doppelqualifikation erschließt sich erst, wenn man nicht die Handlung selbst, sondern ihre Wirkungen zum Gegenstand der rechtlichen Qualifikation macht.78 Dann erscheint es eher möglich, diese Wirkungen aus unterschiedlicher, einmal öffentlich-rechtlicher, ein andermal privatrechtlicher Wertungsperspektive heraus, je nach Betroffenem, zu beurteilen. Insofern sind die üblichen Beschreibungen der Doppelqualifizierung79 nur schief, nicht völlig falsch.80 Gleichwohl handelt es sich bei der Rechtsfigur einer Doppelnatur oder Doppelqualifikation um eine dogmatische Krücke, die über das Fehlen eines spezifisch auf die öffentliche Hand zugeschnittenen, öffentlich-rechtlichen Wettbewerbsrechts hinweghelfen soll. Sie mildert, aber löst nicht die rechtlichen Probleme, die die Marktpräsenz der öffentlichen Hand als Marktteilnehmer aufwirft. Jenseits dieser grundsätzlichen Möglichkeit diverser rechtlicher Perspektiven auf ein und denselben Akt bleiben aber Zweifel, ob im Verhältnis der wirtschaftenden öffentlichen Hand zu Mitbewerbern wegen ihrer rechtlichen Gleichordnung Privatrecht und damit Lauterkeitsrecht ein geeignetes Beurteilungsraster liefert. Diese Zweifel nähren sich daraus, dass die vorausgesetzte rechtliche Gleichordnung der Beteiligten durchaus kein sicheres Kennzeichen privatrechtlich normierter Rechtsbeziehungen ist, wie bereits die Existenz des öffentlich-rechtlichen Vertrages zeigt.81 Merkwürdig erscheint auch, dass Lauterkeitsrecht als Privatrecht (!) auch dann zum Zuge kommen soll, wenn beide im Gleichordnungsverhältnis stehende wirtschaftliche Akteure öffentlich-rechtlich (!) verfasst sind und diesbezüglich – wie regelmäßig – keine spezifischen öffentlich-rechtlichen Vorschriften zur Lösung von wettbewerblichen Interessenkonflikten existieren.82 Zu denken ist dabei etwa an die Akquise von Mitgliedern bei gesetzlichen Krankenkassen und Ersatzkassen.83 Bei dieser Problemlage sollte das Verhältnis von Privatrecht und öffentlichem Recht vor Augen stehen: Wohl besteht hier ein Dualismus zwischen beiden Rechtsgebieten in dem Sinne, dass weder ein übergreifendes „Gemeinrecht“ anzuerkennen ist84 noch ein „neutrales“ Recht, 75 BGH 22. 3. 1976 – GSZ 1/75 – BGHZ 66, 229, 237 = GRUR 1976, 658, 660 – Studentenversicherung. 76 Offenbar a. A. BGH 14. 1. 1993 – I ZB 24/91 – BGHZ 121, 126 = NJW 1993, 1659 – Rechtswegprüfung II. Zu Recht kritisch dazu Schliesky DÖV 1994, 114, 118. 77 Scherer NJW 1989, 2724, 2727 f.; Schliesky Wettbewerbsrecht S. 302; H. Schricker S. 110 unter Hinweis auf Renck JuS 1978, 642. 78 Hierauf wird zutreffend, wenngleich eher beiläufig, in der Beschreibung der Lehre von der Doppelqualifikation bei Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 2.11 abgestellt. 79 S. exemplarisch das Zitat der Vornote. 80 Näher Schünemann FS Stober 41, 52; ders. WRP 2000, 1001, 1006. 81 Schliesky FS Stober 523, 537. 82 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 2.5. 83 Vgl. OLG Düsseldorf 2. 2. 1973 – 2 U 121/72 – GRUR 1973, 487 f.; OLG Celle 8. 2. 1984 – 13 U 246/83 – WRP 1984, 328 f.; so wohl auch GmS-OGB 10. 7. 1989 – GmS-OBG 1/88 – BGHZ 108, 284, 287 ff. = NJW 1990, 1527 f., wo im konkreten Fall § 86 SGB/X als „sozialversicherungsrechtliches Sonderrecht“ Anwendung finden sollte. 84 S. aber Bullinger S. 101 f.; a. A. z. B. Bettermann DVBl. 1977, 180, 183.

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was je nach Sachzusammenhang als Privatrecht oder als öffentliches Recht in Erscheinung treten könnte.85 Es fragt sich aber, ob Privatrecht und öffentliches Recht auf derselben Ebene als Gegensätze, also in wechselseitiger Exklusivität, einander gegenübertretenoder ob nicht das öffentliche Recht als lex specialis gegenüber dem Privatrecht als lex generalis zu betrachten ist. Letzteres ist zu bejahen:86 Das Privatrecht steht dem öffentlichen Recht nicht in Exklusivität gegenüber, sondern liefert dem öffentlichen Recht seine normative Basis. Die Normen des Privatrechts gelten überall dort, wo sie nicht durch öffentlich-rechtliche Spezialvorschriften verdrängt werden.87 Das Privatrecht ist in diesem Sinne also in der Tat „allgemeines“ Recht,88 eben als lex generalis. Entgegen ebenso verbreiteten wie vereinfachenden Vorstellungen89 folgt die Derogation einer lex generalis durch die lex specialis keinem Automatismus, sondern ist immer erst das Ergebnis einer genauen Analyse der in Rede stehenden Normen.90 Eben dies ist gemeint, wenn von „Wechselwirkungen“ zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht die Rede ist. Erst aus dieser Spezialität des öffentlichen Rechts gegenüber dem Privatrecht und der dabei stattfindenden differenzierten Derogation erklärt sich übrigens auch das sog. Verwaltungsprivatrecht:91 Die privatrechtliche wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand namentlich soll durch öffentlich-rechtliche Vorschriften in unterschiedlich eingeschätztem Umfang92 so „überlagert“ werden, dass das Privatrecht im Wesentlichen nur die „technische Handlungsform“ liefert, der öffentlichen Hand jedoch nicht die das Privatrecht dominierende Privatautonomie zu Gebote steht.93 Im Ergebnis ist die h.M. also zu bestätigen: Unabhängig von der Rechtsförmigkeit der wirtschaftlichen Tätigkeit der öffentlichen Hand im Leistungsverhältnis ist im Verhältnis gegenüber privatrechtlich wie öffentlich-rechtlich verfassten Mitbewerbern mangels eines eigenen öffentlichen Wettbewerbsrechts94 das Lauterkeitsrecht des UWG, also Privatrecht (vgl. Einl. A Rn. 18; Einl. G Rn. 17) als Maßstab zulässigen Marktverhaltens der öffentlichen Hand geeignet und heranzuziehen. Demgegenüber will Schliesky das UWG als öffentliches Recht (!) anwenden.95 Damit überdehnt er sein im Ansatz berechtigtes Anliegen, den Besonderheiten der wirtschaftenden öffentlichen Hand durch ein darauf zugeschnittenes öffentliches Wettbewerbsrecht Rechnung zu tragen. Eine schlichte Verdoppelung des Lauterkeitsrechts führt indes jedenfalls materiellrechtlich nicht weiter, würde lediglich in der Frage des einzuschlagenden Rechtswegs ihren Niederschlag finden und das Gewicht der Verwaltungs- (oder auch der Sozial-)Gerichtsbarkeit in Wettbewerbsstreitigkeiten erhöhen. Dies jedoch rechtfertigt den dogmatisch-konstruktiven Aufwand, den dieser Ansatz erfordert, nicht. Hierbei spielen etwaige Differenzierungen zwischen „sozialwirtschaftlicher“, erwerbswirtschaftlicher oder sonstiger fiskalischer Tätigkeit der öffentlichen Hand (vgl. Rn. 13 ff.) keine Rol85 Vgl. aber Bettermann DVBl. 1977, 180, 182; Püttner GRUR 1964, 359, 363; Schliesky Wettbewerbsrecht S. 294; Scholz ZHR 132 (1969) 97, 123; ders. NJW 1978, 16 f.

86 Näher Schünemann FS Stober 41, 53 ff.; s. a. ders. WRP 2000, 1001, 1006 f. m. w. N. 87 Ausdrücklich ebenso Brohm NJW 1994, 281, 286. 88 Insoweit ist Schachtschneider S. 117 zuzustimmen: Die dort in diesem Zusammenhang skizzierte Vorstellung eines „neutralen“ Rechts, vornehmlich konstituiert durch das herkömmlich so bezeichnete Privatrecht, das sich je nach Kontext in (genuines) Privat- oder aber in öffentliches Recht verwandelt, wird damit nicht geteilt. Insgesamt erscheint die Kritik von G. Schricker S. 21 Fn. 49 an den Überlegungen von Schachtschneider („abwegig“) jedoch als stark überzogen. 89 Vgl. Schmalz Methodenlehre für das juristische Studium, 4. Aufl. (1998) Rn. 82. 90 Bydlinski Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl. (1991) 465; Zippelius Juristische Methodenlehre, 11. Aufl. (2012) 39. 91 Stelkens Verwaltungsprivatrecht (2005); Stober/Korte Öff. Wirtschaftsrecht Allg. Teil Rn. 580. 92 S. BGH 2. 12. 2003 – XI ZR 397/02 – NJW 2004, 1031 m. w. N.; P. M. Huber JZ 2000, 877 ff. 93 Vgl. Püttner Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl. (1995) 76 ff. 94 Sein Fehlen bedauert zu Recht Schliesky DVBl. 1999, 78 ff.; ders. FS Stober 523, 543 f. 95 Schliesky Wettbewerbsrecht S. 281.

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III. Wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand als „geschäftliche Handlung“

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le. Diese könnten sich allenfalls auf der Tatbestandsebene des Lauterkeitsrechts niederschlagen, namentlich, ob insoweit jeweils überhaupt eine „geschäftliche Handlung“ vorliegt. Soweit Lauterkeitsrecht auf die wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand Anwendung 45 findet, kann sie auch selber wettbewerblichen Rechtsschutz zu ihren Gunsten in Anspruch nehmen.96 Ob es hierbei öffentlich-rechtlich begründbare Ausnahmen gibt,97 ist zweifelhaft.98 Eine Verdrängung des Lauterkeitsrechts durch öffentliches Recht müsste konstruktiv schon weit vorher ansetzen, nämlich bei der Frage, ob eine Tätigkeit der öffentlichen Hand überhaupt nach Lauterkeitsrecht zu beurteilen ist. Bei der Transformation grundsätzlicher rechtlicher Überlegungen zur Wirtschaftstätigkeit 46 der öffentlichen Hand in die operative Ebene des Lauterkeitsrechts sind dessen Maßgaben de lege lata zur Kenntnis zu nehmen. Nach der Reform des Lauterkeitsrechts können frühere Positionen nicht einfach fortgeschrieben werden, wenn nicht der Vorwurf greifen soll, es ginge nur darum, alten Wein in neue Schläuche zu füllen. Vielmehr ist sehr genau zu prüfen, inwieweit Kontinuität in Rechtsprechung und Dogmatik mit den Strukturen des geltenden Lauterkeitsrechts vereinbar ist.

III. Wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand als „geschäftliche Handlung“ 1. Ausgangspunkt Grundvoraussetzung einer lauterkeitsrechtlichen Kontrolle wirtschaftlicher Tätigkeit der öffent- 47 lichen Hand ist, dass diesbezüglich eine „geschäftliche Handlung“ i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 vorliegt.99 Inwieweit diese sich begrifflich wesentlich von dem nach früherem Recht maßgeblichen Handeln „im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs“ (vgl. § 1 a. F.) unterscheidet, kann im Einzelnen zweifelhaft sein,100 wirft jedoch im Kontext der öffentlichen Hand keine spezifischen Probleme auf. Insoweit kann behutsam auf die früheren Auffassungen in Judikatur und Literatur zurückgegriffen werden. Nach wie vor existieren auch keine Sonderregeln für eine entsprechende Tätigkeitsqualifi- 48 zierung gerade der öffentlichen Hand. Es gilt also grundsätzlich dasselbe wie für jeden anderen Marktteilnehmer auch, um die Existenz einer „geschäftlichen Handlung“ zu klären. Deshalb kann zunächst auf die Kommentierung von § 2 Abs. 1 Nr. 1 verwiesen werden. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 bedarf es für eine „geschäftliche Handlung“ keiner Wettbewerbsab- 49 sicht (mehr).101 Die für das frühere Recht im Zusammenhang mit der Tätigkeit der öffentlichen 96 BGH 27. 2. 1962 – I ZR 118/60 – BGHZ 37, 1, 15 ff. = GRUR 1962, 470, 474 f. – AKI; BGH 25. 2. 1977 – I ZR 165/75 – BGHZ 68, 132, 136 = GRUR 1977, 543, 545 – Der 7. Sinn; BGH 19. 11. 1992 – I ZR 254/90 – BGHZ 120, 228, 235 = GRUR 1993, 692, 694 – Guldenburg; BGH 28. 9. 2011 – I ZR 92/09 – GRUR 2012, 193, 195 – Sportwetten im Internet II; Fezer/ Büscher/Obergfell/Koos S15 Rn. 3; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 2.5 ff.; Piper GRUR 1986, 574, 575 f.; Ohly/ Sosnitza Einf. D Rn. 33. 97 S. zum Titel-Merchandising des öffentlich-rechtlichen Rundfunks BGH 19. 11. 1992 – I ZR 254/90 – BGHZ 120, 228, 236 = GRUR 1993, 692, 695 – Guldenburg. 98 Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 33 a. E. 99 Die „geschäftliche Handlung“ ist in jedem Fall, explizit formuliert oder nicht, Tatbestandsvoraussetzung aller Verbotstatbestände, vgl. Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Rn. 15 f., § 3 Rn. 32 ff.; Ohly/Sosnitza § 2 Rn. 7; a. A. Koppensteiner § 22 Rn. 10. 100 Einerseits wurde z. B. das seinerzeit angeblich erforderliche subjektive Moment ohnehin nicht wirklich ernst genommen, sondern letztlich aus dem objektiven Handlungsgehalt abgeleitet, vgl. eingehend (und ablehnend) Schünemann Erstaufl. 1994 Einl. D Rn. 241 ff. m. w. N. Andererseits wird nunmehr auch marktbezogenes Verhalten nach Vertragsschluss einer lauterkeitsrechtlichen Kontrolle zugänglich gemacht, vgl. Harte/Henning/Keller § 2 Rn. 25; Ohly/Sosnitza § 2 Rn. 6. 101 S. § 2 Rn. 160 ff.; Harte/Henning/Keller § 2 Rn. 4, 50; Ohly/Sosnitza § 2 Rn. 27. So schon für § 1 a. F. Schünemann Erstaufl. 1994 Einl. D Rn. 245 ff.

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F. Wettbewerb der öffentlichen Hand

Hand dazu angestellten Überlegungen und die diesbezügliche umfangreiche Kasuistik102 sind mithin obsolet. 50 Im Folgenden handelt es sich mangels eines für die öffentliche Hand einschlägigen Sonderrechts teilweise nur um Verdeutlichungen dessen, was eine „geschäftliche Handlung“ generell ausmacht. Teilweise wirft die Handhabung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 bezüglich wirtschaftlicher Tätigkeit der öffentlichen Hand aber auch besondere Fragen auf.

2. Erfordernis der Außenwirkung 51 Wie betriebsinterne Maßnahmen103 können auch innerbehördliche Maßnahmen wie z. B. Mitteilungen oder Anweisungen an die Mitarbeiter sowie Gremienbeschlüsse in Bezug auf wirtschaftliche Tätigkeit noch keine marktrelevanten Wirkungen äußern und stellen somit auch noch keine „geschäftlichen Handlungen“ dar.104 Dabei ist aber sorgfältig zu prüfen, ob nicht doch entfernte Außenwirkungen erzeugt werden. Dies kann der Fall sein, wenn es sich um primär behördeninterne Maßnahmen handelt, die aber auch Behördenexterne adressiert.105 Ob eine Außenwirkung schon zu bejahen ist, wenn eine behördeninterne Anweisung, Infor52 mation etc. an die Öffentlichkeit gelangt, kann zweifelhaft sein, da es für eine geschäftliche Handlung nicht auf die dahinter stehende Absicht, sondern auf die objektive Marktwirkung ankommt. Die Frage dürfte indes zu verneinen sein.106 Aber auch rein behördeninternes Verhalten kann eine Erstbegehungsgefahr begründen und ei53 nen vorbeugenden Abwehranspruch nach § 8 Abs. 1 S. 2 auslösen.107 Dass in dieser Konstellation noch keine geschäftliche Handlung vorliegt, liegt gerade im Wesen des Vorbeugecharakters.

3. „Geschäftliche Handlung“ im Lichte diverser Handlungsfelder nach h.M. 54 a) Bedarfsdeckung. Wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand im Zusammenhang mit der Deckung verwaltungsinternen Bedarfs, insbesondere also der Abschluss von Kauf-, Werkoder Dienstverträgen, soll nach h.M. grundsätzlich nicht als geschäftliche Handlung gelten. Denn die öffentliche Hand handele hierbei als Endabnehmer.108 Werde dabei jedoch die Bevorzugung eines bestimmten Anbieters bezweckt, könne von 55 einer geschäftlichen Handlung auszugehen sein. Dieser Zweck bedürfe aber einer besonderen Begründung. Nicht ausreichend sei, wenn die öffentliche Hand aus Gründen der Schnelligkeit und Einfachheit stets einen bestimmten Unternehmer beauftrage.109 Es komme hier sehr auf die Umstände des Einzelfalles, an, insbesondere auf das Vorliegen sachlicher Gründe und Motive für die Bevorzugung.110 102 S. etwa Fezer/Büscher/Obergfell/Koos S15 Rn. 8 ff., 13 ff. 103 BGH 3. 5. 1974 – I ZR 52/73 – GRUR 1974, 666, 667 f. – Reparaturversicherung, BGH 11. 5. 2000 – I ZR 28/98 – BGHZ 144, 255, 262 = GRUR 2000, 1076, 1077 – Abgasemissionen. 104 BGH 26. 5. 1987 – KZR 13/85 – BGHZ 101, 72, 76 = GRUR 1987, 829, 830 – Krankentransporte; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 3a Rn. 2.20. 105 Vgl. die gewerbliche Parallele in BGH 3. 5. 1974 – I ZR 52/73 – GRUR 1974, 666, 667 f. – Reparaturversicherung. 106 OLG Koblenz 16. 6. 1982 – 6 U 1512/81 – WRP 1983, 225 f. – Gemeinderatsbeschluss; Fezer/Büscher/Obergfell/ Koos S15 Rn. 19; differenzierend Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 2.20 (als Indiz für die Erstbegehungsgefahr im Hinblick auf eine geschäftliche Handlung tauglich). 107 OLG Koblenz 16. 6. 1982 – 6 U 1512/81 – WRP 1983, 225; Harte/Henning/Keller § 2 Rn. 43. 108 BGH 26. 4. 1976 – Ib ZR 22/65 – GRUR 1968, 95, 97 – Büchereinachlass; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 2.33; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 26. 109 BGH 2. 7. 1987 – I ZR 167/85 – GRUR 1988, 38 f. – Leichenaufbewahrung; BGH 21. 2. 1989 – KZR 7/88 – GRUR 1989, 430, 431 – Krankentransportbestellung; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 26. 110 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 2.33.

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III. Wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand als „geschäftliche Handlung“

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b) Erwerbswirtschaftliches Handeln. Bei ihrer erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit handelt die 56 öffentliche Hand nach allgemeiner Meinung geschäftlich und muss sich in der Folge an lauterkeitsrechtlichen Maßstäben messen lassen. Die Organisations- bzw. Rechtsform, in der die öffentliche Hand erwerbswirtschaftlich als Marktteilnehmer in Erscheinung tritt (vgl. Rn. 18), sei unerheblich, ebenso wie die Handlungsform, in der sie dabei tätig werde,111 und auch eventuell mitverfolgte öffentliche Zwecke.112 c) Sozialwirtschaftliches Handeln im Bereich der Daseinsvorsorge. In dem verbleibenden Bereich wirtschaftlicher Tätigkeit der öffentlichen Hand besteht ein unübersichtliches Bild. Klar ist, dass Gesetzgebungsakte keine geschäftlichen Handlungen darstellen,113 da es hier um parlamentarisches, nicht um unternehmerisches, unternehmensbezogenes Handeln114 geht. In der eigentlich zur Rede stehenden Materie geht die h.M. von dem Grundsatz aus, dass keine geschäftliche Handlung vorliege, wenn die öffentliche Hand (obrigkeitlich-)hoheitlich oder auch nur schlicht-hoheitlich handele. Denn dahinter stehe regelmäßig keine Wettbewerbsabsicht, sondern solches Handeln diene grundsätzlich der Erfüllung öffentlicher Aufgaben.115 Insbesondere hoheitliche Handlungen in Erledigung gesetzlicher Pflichtaufgaben und tatbestandlich präzisierter Ermächtigungen seien keine geschäftlichen Handlungen.116 Für Verwaltungshelfer wie z. B. von der Polizei beauftragte Abschleppunternehmer (und dann wohl erst recht: sog. beliehene Unternehmer) soll dasselbe gelten.117 Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben soll im Einzelfall einem geschäftlichen Handeln der öffentlichen Hand trotz hoheitlichem Akt aber nicht entgegenstehen.118 Die diesbezügliche Kasuistik liefert diverse Hinweise bezüglich des Für und Wider. Als Indiz für eine geschäftliche Handlung trotz hoheitlicher Handlungsform in Erfüllung öffentlicher Aufgaben wurde z. B. das Interesse der öffentlichen Hand an dem wirtschaftlichen Erfolg eines von der öffentlichen Hand begünstigten Unternehmers angesehen, weil die öffentli-

111 BGH 18. 12. 1981 – I ZR 34/80 – BGHZ 82, 375, 382 ff. = GRUR 1982, 425, 427 – Brillen-Selbstabgabestellen; BGH 21. 7. 2005 – I ZR 170/02 – GRUR 2005, 960 f. – Friedhofsruhe; BGH 26. 1. 2006 – I ZR 83/03 – GRUR 2006, 428 Tz. 12 – Abschleppkosten-Inkasso; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 2.18; Piper GRUR 1986, 574, 577; Ohly/ Sosnitza Einf. D Rn. 25. 112 BGH 27. 7. 2017 – I ZR 162/15 – GRUR 2018, 196, 197 – Eigenbetriebe Friedhöfe; BGH 20. 12. 2018 – I ZR 112/17 – GRUR 2019, 189, 195 – Crailsheimer Stadtblatt II. 113 Guilliard GRUR 2018, 791, 794; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos S15 Rn. 19; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 27. 114 Ohly/Sosnitza § 2 Rn. 45. 115 BGH 26. 2. 1960 – I ZR 166/58 – GRUR 1960, 384, 386 – Mampe Halb und Halb; BGH 21. 9. 1989 – I ZR 27/ 88 – GRUR 1990, 463 f. – Firmenrufnummer; Beater Rn. 920; Harte/Henning/Keller § 2 Rn. 44; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 3a Rn. 2.21 f.; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 27. 116 S. Vornote sowie BGH 18. 12. 1981 – I ZR 34/80 – BGHZ 82, 375, 395 = GRUR 1982, 425, 430 – Brillen-Selbstabgabestellen; BGH 26. 1. 2006 – I ZR 83/03 – GRUR 2006, 428 Tz. 12 – Abschleppkosten-Inkasso; BGH 23. 2. 2006 – I ZR 164/03 – GRUR 2006, 517 – Blutdruckmessungen; BGH 26. 1. 2006 – I ZR 83/03 – GRUR 2006, 428 Tz. 12 – Abschleppkosten-Inkasso; BGH 27. 7. 2017 – I ZR 162/15 – GRUR 2018, 196 Tz. 23 – Eigenbetrieb Friedhöfe; KG 19. 6. 2001 – 5 U 10475/99 – GRUR-RR 2002, 198, 200 – Online-Öffentlichkeitsarbeit; OLG München 15. 5. 2003 – 29 U 1703/03 – GRUR 2004, 169, 171 – Städtisches Krematorium; BGH 12.3.2020 – I ZR 126/18 – GRUR-RS 2020, 10653 Tz. 49 – WarnWetterApp. 117 BGH 26. 1. 2006 – I ZR 83/03 – GRUR 2006, 428 Tz. 14 – Abschleppkosten-Inkasso; Beater Rn. 920; Fezer/ Büscher/Obergfell/Koos S15 Rn. 19; Harte/Henning/Keller § 2 Rn. 44. 118 BGH 22. 2. 1990 – I ZR 78/88 – BGHZ 110, 278, 284 = GRUR 1990, 611, 613 – Werbung im Programm; BGH 18. 10. 2001 – I ZR 193/99 – GRUR 2002, 550, 554 – Elternbriefe; BGH 27. 7. 2017 – I ZR 162/15 – GRUR 2018, 196 Tz. 23 – Eigenbetrieb Friedhöfe; Harte/Henning/Keller § 2 Rn. 48; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 2.22; Götting/Nordemann/Ebert-Weidenfeller § 4 Rn. 6.23.

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che Hand daraus selber Vorteile ziehen könnte.119 Für das Vorliegen einer geschäftlichen Handlung in dem vorausgesetzten Szenario soll ferner sprechen, wenn ein Hoheitsakt einem Unternehmen der öffentlichen Hand zugutekommt.120 Es soll jedoch ein Indiz gegen eine geschäftliche Handlung sein, wenn die öffentliche Hand keine Gewinnerzielungsabsicht verfolgt; dies spreche vielmehr dafür, dass in erster Linie öffentliche Zwecke verfolgt würden.121 Die Judikatur hat indes trotz klar fehlender Gewinnerzielungsabsicht in der hier diskutierten Tatbestandskonstellation eine seinerzeit nach § 1 UWG a. F. erforderliche Wettbewerbshandlung der öffentlichen Hand gelegentlich bejaht, so z. B. in Bezug auf eine kostenlose Überlassung von Software an Zahnarztpraxen zur Erleichterung der dortigen Abrechnungsvorgänge.122 Sie müsste dies dann auch bezüglich des geschäftlichen Handelns i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 tun. Denn die „geschäftliche Handlung“ verlangt jedenfalls insoweit allenfalls weniger, keinesfalls mehr als das früher als Anknüpfung dienende Handeln „im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs“ (s. § 2 Rn. 160 ff.). Schwierigkeiten bereitet auch die lauterkeitsrechtliche Einordnung von Subventionen. Ihre Vergabe als Ausdruck wirtschaftlicher Tätigkeit der öffentlichen Hand drängt sich nicht auf, gehört aber in diesen Kontext, wenn man sich die naheliegende Möglichkeit negativer wettbewerblicher Wirkungen von Subventionen, namentlich zu Lasten nicht subventionierter Konkurrenten, vor Augen führt. Eben deshalb wird teilweise die Qualität der Subventionsvergabe als „geschäftliche Handlung“ bejaht: Staatliche Beihilfen könnten den Wettbewerb verfälschen, wogegen das Lauterkeitsrecht passende Zulässigkeitsmaßstäbe und effektive Sanktionen zur Verfügung stelle123 und somit dem Beihilferecht im Wege des private enforcement zu seiner Durchsetzung verhelfe.124 Die Gegenmeinung verweist darauf, dass die öffentliche Hand bei der Subventionsvergabe ausschließlich ihre hoheitliche Regelungskompetenz wahrnehme. Damit sei die Annahme einer geschäftlichen Handlung unvereinbar.125

4. Kritik 65 Die h.M. verdient aufs Ganze gesehen keine Zustimmung. Denn weder scheinen einschlägige gesetzliche Veränderungen hinreichend rezipiert worden zu sein, noch verfolgt die h.M. konsequent das von ihr selbst propagierte und im Ansatz auch nachvollziehbare Konzept von der Doppelnatur des wirtschaftliche Handelns der öffentlichen Hand. Auch bestehen wettbewerbstheoretische Einwände. Die verwaltungsinterne Bedarfsdeckung ist unternehmerisches126 Endabnehmerverhal66 ten und bedeutsamer Teil des Nachfragewettbewerbs. Der Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 1, der aus119 BGH 18. 10. 2001 – I ZR 193/99 – GRUR 2002, 550, 554 – Elternbriefe; BGH 3. 7. 2008 – I ZR 145/05 – BGHZ 177, 150 Tz. 33 = GRUR 2008, 810 Tz. 33 – Kommunalversicherer; BGH 12. 7. 2012 – I ZR 54/11 – GRUR 2013, 301, 303 – Solarinitiative. 120 BGH 21. 9. 1989 – I ZR 27/88 – GRUR 1990, 463 f. – Firmenrufnummer; s. a. BGH 20. 12. 1955 – I ZR 24/54 – BGHZ 19, 299 = GRUR 1956, 216 – Bad Ems. 121 Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 29. 122 BGH 8. 7. 1993 – I ZR 174/91 – BGHZ 123, 157 = GRUR 1993, 917 – Abrechnungssoftware für Zahnärzte. 123 BGH 10. 2. 2011 – I ZR 136/09 – GRUR 2011, 444, 448 f. – Flughafen Frankfurt-Hahn; Guilliard GRUR 2018, 791, 800; Haslinger WRP 2004, 58, 61; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 2.30, 2.75, 13.59; Martin-Ehlers EuZW 2011, 583, 587; Tilmann/Schreibauer GRUR 2002, 212, 220. 124 Guillard GRUR 2018, 791, 801; Koenig/Hellstern GRUR Int. 2012, 14, 17. 125 OLG München 15. 5. 2003 – 29 U 1703/03 – GRUR 2004, 169, 170 – Städtisches Krematorium; Mees FS Erdmann (2002) 657, 659; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 30; v. Walter Rechtsbruch als unlauteres Marktverhalten (2007) S. 236 f. 126 Zum Unternehmensbezug des „geschäftlichen Handelns“ s. Ohly/Sosnitza § 2 Rn. 10 ff. Dass die öffentliche Hand hier funktional unternehmerisch handelt (vgl. Rn. 3), sollte fraglos sein, zumal ihr der Verbraucherstatus nach § 13 BGB i. V. m. § 2 Abs. 2 schon wegen ihrer fehlenden natürlichen Persönlichkeit verschlossen ist.

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III. Wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand als „geschäftliche Handlung“

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drücklich den „Bezug“ nennt, stellt dies nur klar. Ob es sich hierbei um einen Endabnehmer handelt oder nicht, ist gleichgültig. Für ein Abstellen auf „sachliche Gründe und Motive“ im Rahmen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 ist kein Raum (mehr), nachdem der rein objektive Gehalt des Begriffs der geschäftlichen Handlung jedenfalls für das UWG 2008 außer Frage steht.127 Eine eventuelle Unsachlichkeit der Motivation eines wirtschaftlichen Akteurs hätte allenfalls Bedeutung für die Bewertung des Handelns als unlauter, wenn dies dort als Kriterium noch einen Platz beanspruchen könnte.128 Danach handelt die öffentliche Hand im Bereich ihrer Bedarfsdeckung in jedem Fall „geschäftlich“. Die Zulässigkeit ihrer Bedarfsdeckungspraxis, die eventuell bestimmte Anbieter bevorzugt, ist eine Frage der Lauterkeit. Das ergibt sich schon daraus, dass die öffentliche Hand insoweit „wie jeder andere“ am Wirtschaftsverkehr teilnimmt.129 Auch im Kontext der Daseinsvorsorge kommt es auf die Wettbewerbsabsicht im Zusammenhang mit der „geschäftlichen Handlung“ nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 nicht mehr an (vgl. schon Rn. 49). Demzufolge gibt es keinen Gegensatz zwischen ihr und der Erfüllung öffentlicher Aufgaben (vgl. Rn. 59 ff.). Das folgt auch der Prämisse von der Doppelnatur des Handelns der öffentlichen Hand (genauer: der Handlungswirkungen, s. Rn. 34). Ob die öffentliche Hand hoheitlich handelt oder in privatrechtlichen Formen, ob in Erfüllung öffentlicher Aufgaben, bedarfsdeckend oder erwerbswirtschaftlich, ist für eine „geschäftliche Handlung“ im maßgeblichen wettbewerblichen Horizontalverhältnisses, also im Verhältnis zu Mitbewerbern, gleichgültig. Auch die Subventionsvergabe macht dabei keine Ausnahme. Zwar verfolgt die öffentliche Hand bei der Subventionierung regelmäßig keine eigenen wirtschaftlichen Interessen, ist indes, was für eine geschäftliche Handlung nach ausdrücklicher Maßgabe von § 2 Abs. 1 Nr. 1 ausreicht, geeignet, wirtschaftliche Interessen anderer, „fremder“ Unternehmen zu fördern. Dass die Subventionsvergabe mit den wettbewerblichen Interessen nicht-subventionierter Unternehmen derart „objektiv zusammenhängt“, genügt. Unabhängig von dem Handlungsfeld der öffentlichen Hand und der von ihr praktizierten Handlungsform im Leistungsverhältnis liegt im Horizontalverhältnis wirtschaftliches Handeln der öffentlichen Hand und ihre diesbezügliche „geschäftliche Handlung“ als Basis einer privatrechtlich-lauterkeitsrechtlichen Beurteilung grundsätzlich dann vor, wenn wirtschaftlich-wettbewerbliche Interessen anderer Marktteilnehmer durch die (hoheitliche oder nicht-hoheitliche) Tätigkeit tangiert sein können. Auch Seiteneffekte wie bei der sog. Randnutzung öffentlicher Einrichtungen130 sind hierfür ausreichend. Wegen der Spezialität des öffentlichen Rechts gegenüber dem Privatrecht steht die vorgenannte Position unter dem Vorbehalt einer öffentlich-rechtlichen Sonderregelung nicht des sog. Leistungsverhältnisses, also des Vertikalverhältnisses, sondern des wettbewerblichen Horizontalverhältnisses. Ob öffentlich-rechtliche Normen (auch) diese Regelungsdimension aufweisen, ist durch Auslegung zu ermitteln. Für Rechtsstreitigkeiten zwischen der öffentlichen Hand und Marktteilnehmern, die in ihren wirtschaftlich-wettbewerblichen Interessen von deren unternehmerischer Tätigkeit betroffen sind, ist mithin grundsätzlich, also vorbehaltlich öffentlich-rechtlicher Sonderzuweisungen, gemäß § 13 GVG der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet. Ob die Beteiligten privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich verfasst sind, ist insoweit unerheblich. Dies gilt auch umge127 Für alle vgl. nur Harte/Henning/Keller § 2 Rn. 50, 52 f.; Ohly/Sosnitza § 2 Rn. 27. So schon für § 1 a. F. Schünemann Erstaufl. 1994 Einl. D Rn. 245 ff. 128 Ablehnend z. B. BGH 23. 6. 2005 – I ZR 194/02 – BGHZ 163, 265 ff. = GRUR 2005, 778 ff. – Atemtest; BGH 11. 1. 2007 – I ZR 96/04 – BGHZ 171, 73 Tz. 21 f. = GRUR 2007, 800 Tz. 21 f. – Außendienstmitarbeiter; OLG Köln 19. 10. 2012 – 6 U 46/12 – GRUR-RR 2013, 116, 117 – Versandhandelausreißer; Harte/Henning/Podszun § 3 Rn. 137 a. E.; juris-PK/Ullmann § 3 Rn. 30; Ohly/Sosnitza § 3 Rn. 40; Steinbeck WRP 2003, 1351 ff. 129 Sodan/Ziekow, VwGO, § 40 VwGO Rn. 355 und 454. 130 Vgl. BGH 26. 2. 2009 – I ZR 106/06 – GRUR 2009, 606 Tz. 14 – Buchgeschenk vom Standesamt.

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kehrt, soweit die öffentliche Hand durch Mitbewerber in ihren wirtschaftlich-wettbewerblichen Interessen tangiert wird. Schwierigkeiten kann insbesondere die Abgrenzung zum sozialgerichtlichen Rechtsweg aufweisen. Soweit es sich um eine Streitigkeit in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung handelt, ist nach § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGG der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben. Die „Natur“ der Streitigkeit als öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich spielt dabei keine Rolle.131 Soweit das Verhältnis zwischen Krankenkassen und medizinischen Leistungserbringern sozialrechtlich normiert ist, wird von einer abschließenden Regelung ausgegangen.132 Dies führt zur Zuständigkeit der Sozialgerichte.133 Allerdings soll noch Raum für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten i.S.v. § 13 GVG bleiben, sofern nämlich die geltend gemachten Ansprüche allein auf lauterkeitsrechtliche, also auch von privaten Unternehmern zu beachtende Normen gestützt werden.134 Klagen etwa einer gesetzlichen Krankenkasse wegen einer beanstandeten Werbung würden so durch die Sozialgerichte beurteilt, Klagen eines Konkurrenten gegen dieselbe Werbung aber durch die ordentlichen Gerichte. Diese Rechtswegspaltung wird als unbefriedigend empfunden.135 Sie ist aber letztlich in ihren vor allem befürchteten Auswirkungen, nämlich in divergierende Einschätzungen der Zulässigkeit durch die jeweils mit der Sache befassten Gerichte, nichts wirklich Befremdliches, sondern könnte wegen der subjektiven Grenzen der Rechtskraft auch das Ergebnis unterschiedlicher Judikate innerhalb ein und derselben Gerichtsbarkeit sein. Dass die Prozessmaximen in ordentlicher Gerichtsbarkeit und Sozialgerichtsbarkeit differieren, dürfte in diesem Zusammenhang keine wesentliche Rolle spielen.

IV. Lauterkeit der wirtschaftlichen Tätigkeit der öffentlichen Hand 1. Einheitlicher Lauterkeitsmaßstab 79 Es besteht mittlerweile weitgehend Einigkeit darüber, dass die wirtschaftende öffentliche Hand, soweit sie überhaupt dem Lauterkeitsrecht unterliegt, mit ein und derselben rechtlichen Elle zu messen ist, die auch ansonsten angelegt wird.136 Dieser Grundsatz der Gleichbehandlung liegt gerade für ein rein wettbewerbsfunktionales Verständnis des Lauterkeitsrechts137 nahe und ist auch gemeinschaftsrechtlich hinterlegt.138 Deshalb findet keine Privilegierung der öffentlichen Hand statt. Nur weil und soweit die 80 öffentliche Hand ihre wirtschaftliche Tätigkeit in den Dienst einer (fast beliebig zu reklamieren131 BGH 4. 12. 2003 – I ZB 19/03 – GRUR 2004, 444 f. – Arzneimittel-Substitution; BGH 9. 11. 2006 – I ZB 28/06 – GRUR 2007, 535 Tz. 10 – Gesamtzufriedenheit; BGH 30. 1. 2008 – I ZB 8/07 – GRUR 2008, 447 Tz. 13 – Treuebonus. 132 Vgl. § 69 SGB/V; BGH 23. 2. 2006 – I ZR 164/03 – GRUR 2006, 517 Tz. 22 – Blutdruckmessungen. 133 BGH 5. 11. 1998 – I ZB 50/98 – GRUR 1999, 520, 521 – Abrechnungsprüfung; BGH 8. 9. 2000 – I ZB 21/99 – GRUR 2001, 87 f. – Sondenernährung; BGH 15. 9. 1999 – I ZB 59/98 – GRUR 2000, 251, 252 f. – Arzneimittelversorgung. 134 BGH 9. 11. 2006 – I ZB 28/06 – GRUR 2007, 535 Tz. 13 – Gesamtzufriedenheit; BGH 30. 1. 2008 – I ZB 8/07 – GRUR 2008, 447 Tz. 14 – Treuebonus; a. A. BGH 19. 12. 2002 – I ZB 24/02 – GRUR 2003, 549 f. – Arzneimittel-Versandhandel. 135 Brüning NVwZ 2012, 671, 673 f.; Knispel NZS 2008, 129 ff.; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 23a; Schmidt-Leithoff S. 323 ff. 136 BGH 12. 2. 1965 – Ib ZR 42/63 – GRUR 1965, 373, 375 – Blockeis II; BGH 26. 3. 1998 – I ZR 222/95 – GRUR 1999, 256, 257 – 1000 DM Umwelt-Bonus; BGH 9. 7. 2002 – KZR 30/00 – BGHZ 151, 274 f. = GRUR 2003, 77 f. – Fernwärme für Börnsen; Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß E 4 Rn. 20; Fuchs FS Brohm (2002) 275, 287; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 33; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 2.41; H. Schricker S. 135 ff. 137 Für die jetzt ganz h.M. vgl. hier nur Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 3 Rn. 199 ff. m. w. N. 138 H. Schricker S. 143 m. w. N.

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IV. Lauterkeit der wirtschaftlichen Tätigkeit der öffentlichen Hand

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den) öffentlichen Aufgabe stellt, kann man ihren marktbezogenen Interessen keine höhere Dignität beimessen als den wettbewerblichen Interessen privater Marktteilnehmer.139 Insbesondere verfolgt die öffentliche Hand nicht eo ipso ein höherwertiges Allgemeininteresse.140 Umgekehrt werden an die öffentliche Hand auch nicht eo ipso strengere Lauterkeitsanforderungen gestellt, etwa weil die öffentliche Hand im Wettbewerb mit (besonders) gutem Beispiel voranzugehen hätte.141 Auch bedeutet es eine schwer zu verifizierende Annahme, die öffentliche Hand verfüge über „zahlreiche inhärente Wettbewerbsvorteile“ und setze diese Vorteile auch immer ein; geschäftliche Handlungen, die bei den privaten Konkurrenten der wirtschaftenden öffentlichen Hand noch unbedenklich sein mögen, könnten bei der öffentlichen Hand deshalb schon als unlauter zu qualifizieren sein.142 Letztlich zielt diese Argumentation auf ein allgemeineres, auch für private Marktteilnehmer in Betracht kommendes Szenario: die Marktstärke eines Unternehmens bis hin zur Marktmacht (unterhalb kartellrechtlicher Relevanzschwellen). Es kommt mithin darauf an, ob man die lauterkeitsrechtlichen Anforderungen in eine Abhängigkeit zur Marktstärke setzen darf. Bejaht man dies, würde auch die öffentliche Hand derart adressiert werden. Ein solcher „gespaltener Lauterkeitsmaßstab“143 wird in der Literatur vielfach befürwor144 tet, in der Judikatur indes wohl überwiegend abgelehnt.145 Vorzugswürdig ist es, einen einheitlich geltenden Maßstab anzulegen:146 Wettbewerbstheoretisch ist schon der dabei festzulegende „relevante Markt“ ein Problem, ebenso die dort vermutete Marktmacht zu identifizieren und zu messen. Außerdem erscheint Marktmacht keineswegs von vornherein als wettbewerbspolitisch prekär, da sie auch als Ausdruck komparativer Effizienzvorteile in der Vergangenheit gedeutet werden kann. Ein gespaltener Lauterkeitsmaßstab steht schließlich auch im Widerspruch zu einer rechtsformal zu verstehenden par condicio concurrentium. Festzuhalten ist somit, dass die Marktmacht eines Unternehmens für die lauterkeitsrechtlichen Anforderungen gleichgültig ist. Für die wirtschaftende öffentliche Hand wie für private Marktteilnehmer gilt somit ein lauterkeitsrechtlich marktmachtindifferenter Maßstab. Auf eine wie auch immer geartete Marktmacht der öffentlichen Hand kommt es somit von Seiten des Rechts nicht an. Ein einheitlicher, insbesondere marktmachtindifferenter Lauterkeitsmaßstab schließt indes nicht aus, dass die öffentliche Hand „tendenziell eher in den wettbewerbsrechtlich inkriminierten Bereich (gerät) als Durchschnittsunternehmen.“147 Denn die öffentliche Hand verfügt aufgrund ihrer Eigenart, z. B. wegen ihrer besonderen, abgabenrechtlich fundierten Finanzierungsmöglichkeiten und wegen des ihr jedenfalls in Deutschland noch immer verbreitet entgegengebrachten Vertrauens148 über wettbewerbliche Instrumente, die so den privaten Marktteilnehmern entweder gar nicht oder oft nur in vergleichsweise geringerem Umfang zu Gebote stehen. 139 Emmerich/Lange Unlauterer Wettbewerb § 4 Rn. 26; Piper GRUR 1986, 574, 576; Schünemann WRP 2001, 466 f.; a. A. früher Ascher JR 1929, 89 (mit der extremen Auffassung, in Verfolgung öffentlicher Ziele sei unlauteres Handeln begrifflich ausgeschlossen); Ulmer ZHR 146 (1982) 446, 487; Voigt S. 166. 140 Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 3 Rn. 256. 141 So Ackermann FS Tilmann, 73, 84; Burmann DB 1966, 369; v. Gamm GRUR 1959, 303; ders. WRP 1984, 303, 308. 142 So aber Emmerich/Lange Unlauterer Wettbewerb § 4 Rn. 26 f. 143 Harte/Henning/Podszun § 3 Rn. 162. 144 S. z. B. Baumbach/Hefermehl Einl. Rn. 119, § 1 Rn. 845; Fezer/Büscher/Obergfell § 1 Rn. 59, 82; ders. BB 1976, 705 f.; Hahn WRP 1984, 589, 591 f.; Koppensteiner § 32 Rn. 60 f.; Kübler/Simitis JZ 1969, 445, 452; Sack WRP 1975, 65, 72 f.; Sambuc GRUR 1981, 796, 798 ff.; Ulmer GRUR 1977, 565, 577 ff. Die Rspr. lässt eine lauterkeitsrechtliche Bevorzugung mittelständischer Unternehmen allenfalls entfernt anklingen, vgl. z. B. BGH 27. 10. 1988 – I ZR 29/87 – GRUR 1990, 371 – Preiskampf; OLG Düsseldorf 9. 3. 1973 – 2 U 84/72 – GRUR 1974, 161 f. – Bettelbriefe. 145 Sehr deutlich BGH 26. 2. 1965 – Ib ZR 51/63 – BGHZ 43, 278, 283 = GRUR 1965, 489, 491 – Kleenex. 146 Zum Folgenden näher Harte/Henning/Podszun § 3 Rn. 162 ff. 147 Schünemann WRP 2001, 466 f. 148 Vgl. Schünemann WRP 2001, 466, 468.

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2. Sedes materiae im geltenden Recht 87 Vor Inkrafttreten des UWG 2004 hat sich die Diskussion um die lauterkeitsrechtliche Beurteilung der wirtschaftenden öffentlichen Hand unter der Herrschaft der sog. großen Generalklausel des § 1 UWG a. F. abgespielt. Dieser sehr weitgespannte Rahmen ließ, von der Kommentierung des UWG durch Hefermehl geprägt,149 in Rechtsprechung und Lehre eine Fallgruppenkultur in der Rolle von Ersatztatbestandsmerkmalen entstehen, deren Legalität durchaus kritisch gesehen werden konnte.150 Seit dem UWG 2004 gilt aber ein entscheidend geänderter Rechtsrahmen. Er zwingt 88 dazu, die bisherigen Beurteilungslinien mit der Systematik des geltenden Rechts in Einklang zu bringen. Dies bedeutet vor allem eine an den einzelnen Verbotstatbeständen orientierte und dadurch disziplinierte Vorgehensweise. Nur grundsätzlich, nämlich mit eben diesem Vorbehalt, können die bisherigen Diskussionsergebnisse als fortgeltend betrachtet werden.151 In den Blick geraten so namentlich §§ 3a, 4 Nr. 4; 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3. § 3a spielt eine Rolle, 89 wenn der Staat hoheitlich in einem Bereich tätig wird, in dem er durch öffentlich-rechtliche Normen besonders gebunden ist (unten Rn. 106). § 4 Nr. 4 ist relevant, wenn der Staat seine Ressourcen in einer Weise einsetzt, die Marktprozesse verfälscht (unten Rn. 101),152 § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 ist insbesondere dort betroffen, wo der Staat seine Autorität einsetzt, um Druck auszuüben (unten Rn. 91).153 Auch Fallgestaltungen im überkommenen Stoff, die § 5 ins Spiel bringen, sind denkbar. Vor allem diese Normen liefern – von den genannten Extrem- und Evidenzfällen einmal abgesehen – das maßgebliche gesetzliche Raster, in dem sich ein unlauteres geschäftliches Verhalten der wirtschaftenden öffentlichen Hand abbilden lassen muss. Bei den nun zu erörternden Fallgruppen ist, was in Vergessenheit geraten könnte, vorauszu90 setzen, dass jeweils überhaupt „geschäftliche Handlungen“ der öffentlichen Hand i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 vorliegen, weil sich sonst die Frage deren Lauterkeit nicht stellt (vgl. Rn. 47).154 Dabei ist auf das wettbewerbliche Horizontalverhältnis abzustellen (s. Rn. 70).

3. Spezifische Fallgruppen 91 a) Vertrauens- und Autoritätsmissbrauch als unzulässige Beeinflussung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3). Die öffentliche Hand genießt in der Öffentlichkeit nach wie vor Vertrauen. Dass sich dieses Vertrauen bei einem verständigen Verbraucher nur auf das hoheitliche, nicht aber auf das erwerbswirtschaftliche Handeln, etwa einer Sparkasse, beziehen soll,155 leuchtet nicht recht ein.156 Dass daneben auch eine Irreführung über die Vertrauenswürdigkeit (§ 5) vorliegen kann,157 spielt dafür keine Rolle. Soweit dieses Vertrauen begründet ist, liegt darin keine unsachliche Beeinflussung der Ent92 scheidung der Marktteilnehmer i.S.v. § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 vor. Sogar eine diesbezügliche Vermu149 Baumbach/Hefermehl Einl. 160 ff., § 1 Rn. 3 ff. 150 Dazu eingehend Schünemann Erstaufl. Einl. D Rn. 158 ff., 164 m. w. N. aus Rspr. und Schrifttum. 151 Vgl. BGH 21. 7. 2005 – I ZR 170/02 – GRUR 2005, 960 f. – Friedhofsruhe; Schmidt-Leithoff S. 334 ff.; zu § 3 Abs. 1 und 2 als Auffangtatbestand wohl nur für Extrem- und Evidenzfälle wettbewerbswidriger geschäftlicher Handlungen s. a. Einl. G Rn. 25, 170; a. A. Peukert Voraufl. § 3 Rn. 494. 152 Wie hier Fezer/Büscher/Obergfell/Koos S 15 Rn. 35 ff; Ohly/Sosnitza, Einl. Rn. 47 ff.; Köhler/Bornkamm § 3a Rn. 2.42 ff.; Gloy/Loschelder/Altmann § 66 Rn. 25. 153 Wie hier Fezer/Büscher/Obergfell/Koos S 15 Rn. 33 f; Ohly/Sosnitza, Einl. Rn. 36 ff.; Köhler/Bornkamm § 3a Rn. 2.49 ff.; Gloy/Loschelder/Altmann § 66 Rn. 20 ff. 154 S. a. Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 37. 155 So Köhler/Bornkamm/Feddersen§ 3a Rn. 2.56; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 36; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos S 15 Rn. 34; a. A. BGH 7. 3. 1985 – I ZR 34/83 – GRUR 1985, 975 f. – Sparkassenverkaufsaktion. 156 Gleichsinnig wie der Text auch BGH 7. 3. 1985 – I ZR 34/83 – GRUR 1985, 975 f. – Sparkassenverkaufsaktion. 157 Vgl. BGH 19. 6. 1981 – I ZR 100/79 – GRUR 1981, 823 – Ecclesia-Versicherungsdienst.

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tung für sachlich begründetes Vertrauen lässt sich jedenfalls in Deutschland durchaus rechtfertigen, wenn man vor allem gemischtwirtschaftliche Unternehmungen (zu den Organisationsbzw. Rechtsformen, s. Rn. 18 ff.) davon ausnimmt. Diese Vermutung trägt selbstverständlich nicht in jedem Einzelfall.158 Soweit die öffentliche Hand mit Schülern, Senioren und Angehörigen typischerweise mental ähnlich strukturierten Gruppen von Verbrauchern in geschäftlichen Kontakt tritt, kommt ebenfalls § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 in Betracht, wie insbesondere die Qualifikationen in § 4a Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 2 S. 2 UWG zeigen. Der Missbrauch des Vertrauens in die Integrität der öffentlichen Hand ist dabei noch mehr als das Ausnutzen von „Leichtgläubigkeit“, denn auch der verständige Verbraucher darf der öffentlichen Hand Vertrauen entgegenbringen, selbst wenn auch gegenüber der öffentlichen Hand nicht „blinder Gehorsam“, sondern lebenspraktische Skepsis zu walten hat.159 Der Missbrauch amtlicher Autorität liefert einen Anwendungsfall für die Ausübung von „Druck“ auf die Marktteilnehmer. Druckausübung setzt voraus, dass den adressierten Marktteilnehmern Nachteile in Aussicht gestellt werden.160 Nachteile auf einer Rechtsgrundlage scheiden hier aus. Soweit obrigkeitlich-hoheitliches Handeln in Rede steht, hat die Nichtbefolgung der Anordnung die in der Vollstreckung beschlossenen Nachteile, deren mögliches Platzgreifen Druck ausübt, ausüben soll und ausüben darf. Insoweit liegt selbstverständlich kein Autoritätsmissbrauch vor. Schlicht-hoheitliches geschäftliches Handeln der öffentlichen Hand durch Empfehlungen, Rat, Auskünfte, Warnungen und Kritik birgt mehr Potenzial für einen Missbrauch amtlicher Autorität. Doch ist auch hier zu klären, ob die öffentliche Hand Nachteile in Aussicht stellt, namentlich bei der Nichtbefolgung von Ratschlägen und Empfehlungen.161 Nicht jede falsche Auskunft oder Empfehlung und jeder falsche Rat stellen sich mithin als lauterkeitsrechtlich relevanter Autoritätsmissbrauch dar. Unter der Voraussetzung des Vorliegens einer geschäftlichen Handlung (s. Rn. 47 ff.) und einer freilich häufig gegebenen, subtilen Druckausübung ist von einem Missbrauch amtlicher Autorität aber dann auszugehen, wenn der Rat, die Empfehlung, die Auskunft nicht neutral, objektiv und sachgerecht erteilt werden und der Adressat dieses Verhalten der öffentlichen Hand als solcher zuordnet.162 Objektivität und Neutralität sind nicht schlechthin mit Vollständigkeit gleichzusetzen. So können nach Lage der Dinge, insbesondere bei großer Dringlichkeit der erbetenen Auskunft oder Empfehlung, Abstriche an der Vollständigkeit geradezu sachgerecht sein. So müssen z. B. nicht alle an sich in Frage kommenden Anbieter einer nachgefragten Leistung benannt werden.163 Die Inanspruchnahme amtlichen Vertrauens und amtlicher Autorität ist dann zweifelsfrei, wenn Hoheitszeichen, amtliche Symbole und Ähnliches Verwendung finden. Ihre Benutzung 158 Vgl. BGH 20. 12. 1955 – I ZR 24/54 – BGHZ 19, 299 = GRUR 1956, 216 – Bad Ems; BGH 4. 4. 1984 – I ZR 9/82 – GRUR 1984, 665, 667 – Werbung in Schulen; BGH 18. 10. 2001 – I ZR 193/99 – GRUR 2002, 550, 553 – Elternbriefe. 159 Vgl. Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 38. 160 BGH 18. 10. 2001 – I ZR 193/99 – GRUR 2002, 550, 553 – Elternbriefe. 161 BGH 3. 11. 1978 – I ZR 90/77 – GRUR 1979, 157 f. – Kindergarten-Malwettbewerb; BGH 4. 4. 1984 – I ZR 9/82 – GRUR 1984, 665, 667 – Werbung in Schulen; BGH 20. 10. 2005 – I ZR 112/03 – GRUR 2006, 77 Tz. 20 – Schulfotoaktion; BGH 12. 7. 2007 – I ZR 82/05 – GRUR 2008, 183 Tz. 22 – Tony Taler; OLG Celle 21. 7. 2005 – 13 U 13/05 – GRURRR 2005, 387 – Klassensparbuch. 162 BGH 20. 12. 1955 – I ZR 24/54 – BGHZ 19, 299 = GRUR 1956, 216 – Bad Ems; BGH 4. 4. 1984 – I ZR 9/82 – GRUR 1984, 665, 667 – Werbung in Schulen; BGH 23. 5. 1985 – I ZR 18/83 – GRUR 1985, 1063 f. – Landesinnungsmeister; BGH 19. 6. 1986 – I ZR 53/84 – GRUR 1987, 119, 121 f. – Kommunaler Bestattungswirtschaftsbetrieb II; BGH 24. 2. 1994 – I ZR 59/92 – GRUR 1994, 516 f. – Auskunft über Notdienste; BGH 18. 10. 2001 – I ZR 193/99 – GRUR 2002, 550 f. – Elternbriefe; BGH 12. 7. 2012 – I ZR 54/11 – GRUR 2013, 301, 303 – Solarinitiative; Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß E 4 Rn. 27 f., 34 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 2.52. 163 BGH 24. 2. 1994 – I ZR 59/92 – GRUR 1994, 516 f. – Auskunft über Notdienste; BGH 26. 5. 1987 – KZR 13/85 – BGHZ 101, 72 = GRUR 1987, 829 – Krankentransporte.

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bei einer geschäftlichen Handlung stellt nicht schon als solche einen Vertrauens- und Autoritätsmissbrauch dar, weil sonst die markenrechtliche Sonderstellung von Hoheitszeichen nach § 8 Abs. 4 S. 2 MarkenG keinen Sinn ergäbe. Denn der zeichenmäßige Gebrauch von Hoheitszeichen ist kaum anders als in Gestalt einer geschäftlichen Handlung denkbar.164 Soweit öffentlichrechtliche Vorschriften der Verwendung entgegenstehen, ist die Rechtslage anhand von § 3a zu beurteilen (näher Rn. 106 ff.). 99 Ob sich die öffentliche Hand für ihre Auskunft oder Empfehlungen von dem dadurch Begünstigten Vorteile versprechen oder gewähren lässt, ist als solches unter dem Aspekt des § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 unerheblich, weil die Vorteilsnahme als solche keinen Einfluss auf die Entscheidungsfreiheit der Adressaten von Auskünften, Empfehlungen etc. nimmt.165 Soweit dadurch aber das Verhalten der öffentlichen Hand zu (höherem) Druck in Richtung auf eine erwünschte Marktentscheidung des Adressaten führt, wird die Missbrauchsschwelle eher überschritten werden. In diesem Zusammenhang stellt sich allerdings die weitere Frage, ob dabei nicht Straftatbe100 stände der Bestechlichkeit oder der Vorteilsannahme (§§ 331 ff. StGB) erfüllt sind. Die Unlauterkeit liegt dann eben in diesem strafbaren Verhalten,166 wenn man in diesen Straftatbeständen Marktverhaltensregelungen i.S.v. § 3a sieht.167

101 b) Preisunterbietung als gezielte Mitbewerberbehinderung (§ 4 Nr. 4). Die freie Preisbildung in ggf. hartem Preiswettbewerb bildet einen wesentlichen Eckpfeiler der wettbewerbsgesteuerten Marktwirtschaft.168 Die Preisunterbietung mag Mitbewerber „gezielt (…) behindern“, doch ist dies vollkommen wettbewerbskonform und deshalb bei der im Lichte des § 1 gebotenen restriktiven Interpretation des § 4 Nr. 4 nicht unlauter. Es besteht grundsätzlich kein Schutz gegen aggressive Preispolitik. Hier ist daran zu erinnern, dass die öffentliche Hand auch bezüglich ihrer Preisgestaltungs102 freiheit169 keinen anderen Anforderungen unterliegt als jeder andere Marktteilnehmer (vgl. Rn. 79 ff.). Die Preisunterbietung auch durch die öffentliche Hand ist deshalb grundsätzlich nicht zu beanstanden.

164 Schünemann WRP 2001, 466, 468; s. a. H. Schricker S. 192. 165 Vgl. BGH 20. 10. 2005 – I ZR 112/03 – GRUR 2006, 77 Tz. 16 ff. – Schulfotoaktion; wohl a. A. BGH 4. 4. 1984 – I ZR 9/82 – GRUR 1984, 665, 667 – Werbung in Schulen; OLG Brandenburg 8. 4. 2003 – 6 U 173/02 – WRP 2003, 903 – Schulfotovertrieb; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 2.52; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 39. 166 Ob in casu ein strafbares Verhalten überhaupt vorliegt, ist dabei Vorfrage. Strafbares Verhalten soll demnach nicht vorliegen, wenn Leistung und Gegenleistung in keinem unangemessenen Verhältnis stehen, vgl. BGH 20. 10. 2005 – I ZR 112/03 – GRUR 2006, 77 Tz. 29 – Schulfotoaktion (Durchführung einer Fotoaktion in der Schule gegen Überlassung eines PC unbedenklich). Ebenso Ambos/Ziehn NStZ 2008, 498 ff.; a. A. Busch NJW 2006, 1100 ff.; Heermann WRP 2006, 8, 16. Die strafrechtliche Vorfrage anders entschieden hat OLG Karlsruhe 13. 11. 2002 – 6 U 93/02 – GRUR-RR 2003, 191 f. – Schulschließfächer: Bereitschaft der Schule, der Aufsichtsbehörde die Aufstellung von Schließfächern zu empfehlen, als Gegenleistung für finanzielle Zuwendung an die Schule durch den Aufsteller. 167 So jedenfalls BGH 20. 10. 2005 – I ZR 112/03 – GRUR 2006, 77 Tz. 27 f. – Schulfotoaktion; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 3a Rn. 1.328; MünchKommUWG/Schaffert § 3a Rn. 559; a. A. Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 90. 168 Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 153; Schünemann Wettbewerbsrecht (1989) 85; ders. WRP 2001, 466 f. – Trotz Geltung der PAngV kann sich die Versicherungsbranche dem Preiswettbewerb völlig entziehen, indem sie mit nicht nachvollziehbarer Billigung der Aufsichtsbehörde (nur) die Prämie beziffert. Die Prämie ist aber nur z. T. ein Preis, nämlich nur insoweit, als darin das Entgelt für die Organisationsdienstleistung des Versicherers enthalten ist. Der Beitrag zum Deckungsstock ist indessen lediglich (umstrukturierter) Durchfluss von und (als sog. Versicherungsleistung) zu den Versicherungsnehmern. Die Quote zwischen beiden Prämienteilen legt der Versicherer nur der Aufsichtsbehörde gegenüber offen, die darüber keine Auskunft erteilt. Dem Versicherungsnehmer bleibt der Preis der Dienstleistung also verborgen. S. dazu Schünemann JZ 1995, 430, 431 f.; ders. JuS 1995, 1062 ff.; ders. NVersZ 1999, 345 ff. 169 Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 47.

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Die von der h.M. befürworteten Ausnahmen vom Grundsatz der freien Preisgestaltung auf 103 der Basis unternehmerischer Kalkulationsfreiheit sind hier nicht darzustellen und kritisch zu kommentieren.170 Soweit man also z. B. die Preisunterbietung durch „Kampfpreise“171 bei „Verdrängungsabsicht“ als „gezielte Behinderung“ i.S.v. § 4 Nr. 4 ansieht,172 gilt dies dann in gleicher Weise für eine solche Preisunterbietung durch die öffentliche Hand.173 Auch soweit die Preisunterbietung durch Einsatz öffentlicher Mittel ermöglicht wird, liegt 104 allein darin noch keine unlautere „gezielte“ Behinderung. Diese Quersubventionierung ist Teil der Kalkulations- und Preisgestaltungsfreiheit, die in die gebotene wettbewerbsfunktional-restriktive Interpretation des § 4 Nr. 4 einfließt.174 Ansonsten wäre nicht nur die erwerbswirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand in lauterkeitsrechtlich unbedenklicher Weise ganz und gar unmöglich.175 Auch dass diese Kalkulation unter Einsatz öffentlicher Mittel öffentlich-rechtlichen Normen 105 widerspricht, insbesondere eine Zweckbindung der Mittel verletzt, ist in diesem Kontext unerheblich. Ob die Zweckentfremdung öffentlicher Mittel für wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand lauterkeitsrechtlich überhaupt sanktioniert ist, bleibt dabei noch offen (dazu Rn. 114 ff.). Ausnahmen von der Preisgestaltungsfreiheit können sich aber im Einzelfall aus der gesetzlichen Verpflichtung ergeben, Entgelte zu erheben oder kostendeckend zu wirtschaften, wobei dann Anküpfungspunkt der Unlauterkeit zunächst der Rechtsbruchtatbestand des § 3a ist, wenn das Gebot zumindest auch dem Schutz der Marktteilnehmer vor einer uferlosen Betätigung der öffentlichen Hand dienen soll.176 In diese Kategorie fällt auch der Fall der Gratisbereitstellung einer Tagesschau-App durch öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, die der BGH als Verstoß gegen die Handlungsverbote des § 11 f RStV ansah.177

c) Verletzung insbesondere öffentlich-rechtlicher Marktverhaltensregeln (§ 3a). Die 106 öffentliche Hand ist in vielerlei Hinsicht einem Sonderrecht, eben dem öffentlichen Recht, unterworfen. Das Grundgesetz, Staatsverträge (für Rundfunk), Gesetze im formellen Sinn, Verordnungen und Satzungen üben ein nur für die öffentliche Hand geltendes, spezifisches Rechtsregime aus, dem sich die öffentliche Hand nicht dadurch entziehen kann, dass sie sich im Geltungsbereich des Grundsatzes der Wahlfreiheit (vgl. Rn. 20) privatrechtlicher Handlungsfor-

170 Vieles geht hier viel zu weit. So ist z. B. die lauterkeitsrechtliche Verurteilung des Preiskampfes als Störfaktor des Wettbewerbs (vgl. nur BGH 27. 10. 1988 – I ZR 29/87 – GRUR 1990, 371 ff. – Preiskampf) nun wirklich nicht nachvollziehbar, ganz abgesehen von dem Widerspruch zu dem auch von der Rspr. jedenfalls verbaliter verfochtenen Grundsatz der Preisgestaltungsfreiheit. Von ihr bleibt nichts mehr übrig, wenn man z. B. die Kalkulation an ein „vernünftiges, anzuerkennendes Eigeninteresse“ (vgl. Harte/Henning/Omsels § 4 Rn. 167) bindet, ansonsten von einer „Verdrängungsabsicht“ als Basis einer unlauteren, wettbewerbswidrigen „gezielten Behinderung“ ausgeht. Zu Recht gegen eine „richterliche Kalkulationskontrolle“ jenseits des (in seiner Berechtigung ebenfalls zweifelhaften) § 20 Abs. 4 S. 2 GWB Fezer/Büscher/Obergfell/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 39; zustimmend Ohly/Sosnitza § 4 Rn. 4/95 a. E. 171 Gloy FS Gaedertz (1992) 209. 172 BGH 29. 6. 2000 – I ZR 128/98 – GRUR 2001, 80 f. – Ad hoc-Meldung. 173 Vgl. aus der Zeit vor der UWG-Reform BGH 25. 2. 1982 – I ZR 175/79 – GRUR 1982, 433, 436 – Kinderbeiträge; BGH 19. 6. 1986 – I ZR 54/84 – GRUR 1987, 116, 118 – Kommunaler Bestattungswirtschaftsbetrieb. 174 A.A. Emmerich/Lange Unlauterer Wettbewerb § 4 Rn. 29 für günstige Tarifgestaltung einer Ersatzkasse unter Verwendung der Beiträge von Pflichtversicherten. Die Einordnung unter dem Stichwort „Preisunterbietung“ ist allerdings nicht ganz sachgerecht, da die Prämie nur z. T. ein Preis ist, vgl. Fn. 168 bei Rn. 101. 175 S. BGH 19. 6. 1986 – I ZR 54/84 – GRUR 1987, 116, 118 – Kommunaler Bestattungswirtschaftsbetrieb; Köhler/ Bornkamm § 4 Rn. 13.32 f.; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 47. 176 Vgl. dazu BGH 12.3.2020 – I ZR 126/18 – GRUR-RS 2020, 10653 Tz. 77. 177 BGH 30. 4. 2015 – I ZR 13/14 – AfP 2015, 553 – Tagesschau-App, dazu Hain/Brings-Wiesen AfP 2016, 11; Wimmer/ Nawrath ZUM 2016, 126; vgl. auch die Vorinstanz OLG Köln 30. 9. 2016 – 6 U 188/12 – GRUR 2017, 311 und OLG Köln 30. 9. 2016 – 6 U 188/12 − GRUR 2017, 311 – Tagesschau-App II.

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men bedient. Im Übrigen gilt auch für die wirtschaftliche Tätigkeit Privatrecht (zum Verhältnis des öffentlichen Rechts zum Privatrecht s. Rn. 38 ff.). Vor der UWG-Reform 2004 wurde im Kontext der Fallgruppe „Vorsprung durch Rechtsbruch“ innerhalb des § 1 UWG a. F. breit erörtert, inwieweit die Verletzung von Normen, insbesondere von nicht-wettbewerbsrechtlichen Normen, als Verstoß gegen die guten Sitten zu werten ist; die Kasuistik ist enorm.178 Einschlägige Judikatur und Literatur sind aber nach Inkrafttreten des UWG 2004 nur noch von dogmengeschichtlichem Interesse. Denn nunmehr müssen wissenschaftliche Diskussion und Rechtsprechungspraxis sub specie des § 3a erfolgen. Lauterkeitsrechtlich relevant ist insoweit ausschließlich die Zuwiderhandlung gegen eine gesetzliche Vorschrift, die zumindest „auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln.“ Begrifflich werden dabei Marktzutrittsregeln („ob“) und Marktverhaltensregeln („wie“) unterschieden.179 Selbstverständlich gibt es aber zahllose Normen, die weder das eine noch das andere sind. Der Gesetzgeber hat mit § 3a (§ 4 Nr. 11 UWG 2004) eine Entwicklung in der Rechtsprechung aufgegriffen, die den „Vorsprung durch Rechtsbruch“ nur noch bei Wettbewerbsbezug der verletzten Rechtsnorm lauterkeitsrechtlich beachten wollte,180 statt ein lauterkeitsrechtliches per se-Verbot an den Wertbezug der verletzten Norm zu knüpfen (s. näher die Kommentierung zu § 3a). Die Abgrenzung von Marktverhaltens- und Marktzutrittsregeln ist im Einzelfall schwierig und auch rechtspolitisch fragwürdig, weil die rechtliche par condicio concurrentium so nur auf Teile der Rechtsordnung bezogen wird.181 Die Abgrenzung ist aber unter der Herrschaft des insoweit eindeutigen § 3a unabweisbar, zumal es der historische Gesetzgeber dezidiert abgelehnt hat, auch Marktzutrittsregeln bzw. deren Verletzung lauterkeitsrechtlich zu sanktionieren.182 Auf die privatrechtliche oder öffentlich-rechtliche Natur der gesetzlichen Marktverhaltensregelung kommt es dabei aber nicht an. Richtet man vor diesem Hintergrund bei der Anwendung des § 3a den Fokus auf die wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand, so bedarf die überaus umstrittene Frage, ob und ggf. unter welchen rechtlichen Restriktionen die öffentliche Hand überhaupt als Marktteilnehmer in Erscheinung treten darf,183 keiner lauterkeitsrechtlichen Antwort. Insbesondere sind diesbezügliche kommunalrechtliche184 oder sozialrechtliche185 Regelungen über den zulässigen

178 Vgl. Teplitzky Erstaufl. § 1 G Rn. 1 ff. mit umfassenden Nachw. von Rspr. und Lehre. Verdichtete Darstellung bei Schmidt-Leithoff S. 323 ff. 179 BGH 26. 4. 1974 – I ZR 8/73 – GRUR 1974, 733, 734 – Schilderverkauf; BGH 25. 4. 2002 – I ZR 250/00 – GRUR 2002, 825, 827 – Elektroarbeiten; OLG Hamm 5. 11. 2013 – 4 U 72/13 – GRUR-RR 2014, 359, 360 – Kostenlose Passbilder; Möstl WiVerw 2011, 231, 236 ff. (mit Bevorzugung einer vom Europarecht inspirierten Lösung); Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 14. 180 Die Neuorientierung wurde erstmals offengelegt in BGH 11. 5. 2000 – I ZR 28/98 – BGHZ 144, 255 = GRUR 2000, 1076 – Abgasemissionen; zur Konsolidierung dieser Konzeption s. BGH 5. 10. 2000 – I ZR 224/98 – GRUR 2001, 354, 356 – Verbandsklage gegen Vielfachabmahner; BGH 25. 4. 2002 – I ZR 250/00 – BGHZ 150, 343, 347 f. = GRUR 2002, 825, 826 – Elektroarbeiten; BGH 26. 9. 2002 – I ZR 293/99 – GRUR 2003, 164 f. – Altautoverwertung. Zu den Vorzeichen dieser Neuorientierung s. a. BGH 17. 7. 1997 – I ZR 58/95 – GRUR 1998, 407, 411 – Tiapridal; BGH 3. 12. 1998 – I ZR 119/96 – BGHZ 140, 134, 138 f. = GRUR 1999, 1128, 1129 – Hormonpräparate; BGH 6. 10. 1999 – I ZR 46/97 – GRUR 2000, 237 f. – Giftnotrufbox. 181 Vgl. hier nur Schünemann WRP 2001, 466, 469 f. 182 Vgl. BTDrucks. 15/1487 S. 19, 41 (der Bundesrat war anderer Ansicht gewesen, BTDrucks. 15/1487 S. 31); dazu eingehend Schmidt-Leithoff S. 335 ff. 183 Vgl. hier nur Kluth Zulässigkeit S. 23 ff.; Stober/Korte Öff. Wirtschaftsrecht Allg. Teil Rn. 769 ff. m. w. N. 184 S. z. B. § 107 NRWGO. 185 S. z. B. § 30 SGB/IV für gesetzliche Krankenversicherer.

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IV. Lauterkeit der wirtschaftlichen Tätigkeit der öffentlichen Hand

Einleitung

Marktzutritt lauterkeitsrechtlich jedenfalls im Regelungsbereich des § 3a belanglos.186 In jüngster Zeit hat der BGH sogar in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG eine Marktverhaltensnorm zugunsten der Presse gesehen, die es der privat finanzierten Presse erlaube, die Verbreitung kommunaler presseähnlich aufgemachter Informationen zu unterbinden.187

4. Weitergehende lauterkeitsrechtliche Sanktionen? Vielfach wird es nämlich als unbefriedigend empfunden, dass Verstöße der wirtschaftenden öffentlichen Hand gegen andere als Marktverhalten regelnde Normen ohne lauterkeitsrechtliche Sanktion bleiben sollten. Es gehe nicht an, dass sich die öffentliche Hand im Wettbewerb mit privaten Konkurrenten über die von ihr erlassenen Gesetze nach Belieben hinwegsetze.188 Dabei richtet sich das Interesse z. B. auf eine über die sog. Randnutzung öffentlicher Einrichtungen hinausgehende Inanspruchnahme für erwerbswirtschaftliche Betätigung189 als Spezialfall einer Zweckentfremdung öffentlicher Mittel. Diese soll lauterkeitsrechtlich jedenfalls dann unlauter sein, wenn sie zu Preisunterbietungen führt, wenn und weil diese nur dadurch ermöglicht werden, dass das Verlustrisiko dabei aufgrund der Abgabenhoheit der öffentlichen Hand auf die Allgemeinheit überwälzt wird.190 Noch weitergehend wird die Auffassung vertreten, die wirtschaftende öffentliche Hand verhalte sich unlauter, wenn sie durch den Einsatz öffentlicher Mittel (selbst ohne Verletzung einer Zweckbindung) und die dadurch ermöglichte besonders günstige Kalkulation ihrer Angebote eine Gefährdung des Wettbewerbsbestandes herbeiführe, die nicht mehr durch Verfassungsrecht oder Sachgebote zu rechtfertigen seien.191 Soweit in diesen Fällen Rechtsverletzungen identifiziert werden können, handelt es sich hauptsächlich um haushaltsrechtliche Vorschriften, die keine Marktverhaltensregelungen i.S.v. § 3a darstellen. Lauterkeitsrechtlich könnte – neben dem bereits angesprochenen § 4 Nr. 4192 − also allenfalls193 § 3 Abs. 1 und 2 als eigenständiger Verbotstatbestand in Frage kommen. Auch die Gefährdung des Wettbewerbsbestandes könnte als sog. Marktstörung (allgemeine 186 Vgl. (für das Kommunalrecht) BGH 25. 4. 2002 – I ZR 250/00 – BGHZ 150, 343 = GRUR 2002, 825 – Elektroarbeiten; BGH 26. 9. 2002 – I ZR 293/99 – GRUR 2003, 164, 165 f. – Altautoverwertung; BGH 4. 11. 2003 – KZR 16/02 – BGHZ 156, 379, 390 = GRUR 2004, 255, 258 f. – Strom und Telefon I; BGH 4. 11. 2003 – KZR 38/02 – GRUR 2004, 259, 262 – Strom und Telefon II; Köhler GRUR 2001, 777, 780 ff.; ders. NJW 2002, 2761 f.; ders. GRUR 2004, 381, 385; Poppen S. 253 ff. (mit Differenzierungen); Schmidt-Leithoff S. 337 f.; Ullmann GRUR 2003, 817, 823 f.; vgl. (für das Sozialrecht) Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 2.74; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 55. 187 BGH 20. 12. 2018 – I ZR 112/17 – GRUR 2019, 189 – Crailsheimer Stadtblatt = WRP 2019, 317 m. Anm. Peifer = NJW 2019, 763 m. Anm. Alexander = JZ 2019, 361 m. Anm. Winkler = VBlBW 2019, 285 m. Anm. Enzensperger. Vgl. vorher bereits BGH 15. 12. 2011 – I ZR 129/10 – GRUR 2012, 728 – Einkauf-Aktuell und im Rundfunkbereich BGH 30. 4. 2015 – I ZR 13/14 – GRUR 2015, 1228 – Tagesschau-App; BGH 26. 1. 2017 – I ZR 207/14 – GRUR 2017, 422 – ARDBuffet; OLG Hamm 14. 2. 2019 – 4 W 87/18 – MMR 2019, 692 (Internetportal einer Kommune). 188 Emmerich/Lange Unlauterer Wettbewerb § 4 Rn. 27; ders. AG 1985, 293, 298. 189 Vgl. BGH 26. 2. 2009 – I ZR 106/06 – GRUR 2009, 606 Tz. 14 – Buchgeschenk vom Standesamt. 190 BGH 25. 2. 1982 – I ZR 175/79 – GRUR 1982, 433, 436 – Kinderbeiträge; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 2.44. 191 BGH 18. 12. 1981 – I ZR 34/80 – BGHZ 82, 375 = GRUR 1982, 425 – Brillen-Selbstabgabestellen; BGH 8. 7. 1993 – I ZR 174/91 – BGHZ 123, 157 = GRUR 1993, 917 – Abrechnungssoftware für Zahnärzte; Beater Rn. 2527; Ekey/Klippel/ Kotthoff/Meckel/Plaß E 4 Rn. 56. 192 S.o. Rn. 101 ff. 193 Haushaltsrecht gilt allerdings als reines Innenrecht der öffentlichen Hand (vgl. Baumbach/Hefermehl § 1 Rn. 932; Kirchhof NVwZ 1983, 505, 507 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 2.71; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 54; H. Schricker S. 158 f.) und kann deshalb schwerlich mit Hilfe eines wie auch immer gearteten lauterkeitsrechtlichen Hebels Außenwirkung erlangen. – Für eine Restriktion des § 3 als eigenständiger Verbotstatbestand auch hier nur für „Extrem- und Evidenzfälle“ (so Schünemann z. B. WRP 2004, 925, 927; JZ 2005, 271, 278 f.) ausdrücklich SchmidtLeithoff S. 338.

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Einleitung

F. Wettbewerb der öffentlichen Hand

Marktbehinderung) allenfalls auf dieser Rechtsgrundlage lauterkeitsrechtlich bekämpft werden.194 117 Diese Frage kann hier nicht hinreichend geklärt werden. Es spricht aber nur wenig für, vieles aber gegen eine Heranziehung des § 3 Abs. 1 und 2 in den genannten Konstellationen. Neben allgemeinen binnensystematischen Einwänden (vgl. Einl. G Rn. 25 m. w. N.) wird zu Recht geltend gemacht, auf die Generalklausel könne nicht zurückgegriffen werden, um Gesetzesverstöße zu sanktionieren, die nicht den Voraussetzungen des § 3a genügten, da sich der Gesetzgeber ganz bewusst auf die Einengung der früher von der h.M. sehr weit gefassten Fallgruppe des Rechtsbruchs festgelegt und dies in der Formulierung des § 3a auch zum Ausdruck gebracht habe.195 Eine Mobilisierung der Generalklausel gegen die wirtschaftende öffentliche Hand ist auch 118 aus einer grundsätzlichen Erwägung heraus nicht attraktiv. Denn es kann nicht Sinn des Lauterkeitsrechts sein, Defizite im öffentlich-rechtlichen Rechtsschutz gegenüber einer Zulässigkeitsgrenzen überschreitenden öffentlichen Hand aufzufüllen. Im Ergebnis wird § 3a durch die ausgedehnte Rechtsprechung zum Kontrollinstrument für Streitigkeiten, die öffentlich-rechtlicher Natur sind. Diese Entwicklung hängt vor allem mit der Schnelligkeit und Durchsetzungsstärke des UWG zusammen. Das Wirtschaftsverwaltungsrecht könnte ihr nur begegnen, wenn es die Effizienz der gerichtlichen Überprüfung solcher Konstellationen steigern könnte. Dass diese Defizite bestehen, ist nicht von der Hand zu weisen (vgl. Rn. 23 ff.). Ihre Beseiti119 gung vornehmlich im Rahmen eines öffentlichen Wettbewerbsrechts196 ist aber Sache des Gesetzgebers. Damit würden auch letztlich wenig befriedigende Hilfskonstruktionen wie die Lehre von der Doppelnatur der wirtschaftlichen Tätigkeit der öffentlichen Hand (vgl. Rn. 28 ff.) überflüssig. Vielfach muss das UWG daher auch weiterhin „Ausputzerdienste“ verrichten.

194 Die Rechtsgrundlage für solche Überlegungen nach der UWG-Reform 2004 bleibt zumeist offen (vgl. die in der Vornote genannte Literatur sowie Einl. A Rn. 222). 195 Schaffert FS Ullmann (2006) 845, 849; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 8; a. A. Elskamp S. 223 ff.; Emmerich/Lange Unlauterer Wettbewerb § 4 Rn. 27; Sack BB 2003, 1073, 1077; ders. WRP 2004, 1307, 1315. 196 Schliesky FS Stober 523, 544 m. w. N.

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G. Einordnung des Wettbewerbsrechts in das Rechtssystem Schrifttum Ackermann Die Beteiligung an fremdem Vertragsbruch als Delikt, ZfPW 2018, 27; Alexander Vertrag und unlauterer Wettbewerb (2002); ders. Vertragsrecht und Lauterkeitsrecht unter dem Einfluss der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken, WRP 2012, 515 ff.; ders. Wege und Irrwege – Europäisierung im Kartell- und Lauterkeitsrecht, GRUR Int. 2013, 636 ff.; Augenhofer Individualrechtliche Ansprüche des Verbrauchers bei unlauterem Wettbewerbsverhalten des Unternehmers, in Krejci/Keßler/Augenhofer (Hrsg.), Lauterkeitsrecht im Umbruch (2005) 103 ff.; Bärenfänger Das Spannungsfeld von Lauterkeitsrecht und Markenrecht unter dem neuen UWG – Symbiotische Theorie zum Kennzeichen- und Lauterkeitsrecht (2010); ders. Symbiotische Theorie zum Kennzeichen- und Lauterkeitsrecht, WRP 2011, 16 ff., 160 ff.; Baudenbacher Zur funktionalen Anwendung von § 1 des deutschen und Art. 1 des schweizerischen UWG, ZHR 144 (1980) 145 ff.; ders. Machtbedingte Wettbewerbsstörungen als Unlauterkeitstatbestände, GRUR 1981, 1 ff.; ders. Zusammenhänge zwischen Recht des unlauteren Wettbewerbs und Kartellrecht, ZBJV 119 (1983) 161 ff.; Bauerschmidt Die Sperrwirkung im Europarecht, EuR 2014, 277; Beater Nachahmen im Wettbewerb (1995); ders. Mitbewerber und sonstige unternehmerische Marktteilnehmer, WRP 209, 768 ff.; Bork Kennzeichenschutz im Wandel – Zum Verhältnis des bürgerlich-rechtlichen zum wettbewerbsrechtlichen Schutz der berühmten Marke gegen Verwässerungsgefahr, GRUR 1989, 725 ff.; Bornkamm Markenrecht und wettbewerbsrechtlicher Kennzeichenschutz – Zur Vorrangthese der Rechtsprechung, GRUR 2005, 97 ff.; ders. Die Schnittstellen zwischen gewerblichem Rechtsschutz und UWG, GRUR 2011, 1 ff.; Büscher Schnittstellen zwischen Markenrecht und Wettbewerbsrecht, GRUR 2009, 230 ff.; v. Danwitz Rechtswirkungen von Richtlinien in der neueren Rechtsprechung des EuGH, JZ 2007, 697 ff.; Elskamp Gesetzesverstoß und Wettbewerbsrecht (2008); Emmerich Der unlautere Wettbewerb der öffentlichen Hand (1969); ders. Überlegungen zum Verhältnis von Kartellrecht und Lauterkeitsrecht aus deutscher Sicht, in Augenhofer (Hrsg.), Die Europäisierung des Kartell- und Lauterkeitsrechts (2009) 73 ff.; Fezer Leistungsschutz im Wettbewerbsrecht, WRP 1993, 63 ff.; ders. Kumulative Normenkonkurrenz zwischen Markenrecht und Lauterkeitsrecht, GRUR 2010, 953 ff.; Fikentscher Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz (1958); ders. Das Verhältnis von Kartellrecht und Recht des unlauteren Wettbewerbs, GRUR Int. 1966, 181 ff.; ders. Das Verhältnis von Kartellrecht und Recht des unlauteren Wettbewerbs im deutschen und europäischen Recht, FS Hallstein (1966) 127 ff.; Gewiese Die Ausnutzung fremder Gedanken und Arbeiten, GRUR 1935, 633 ff.; ders. Sklavische Nachahmung, GRUR 1936, 296 ff.; Glöckner Individualschutz und Funktionenschutz in der privaten Durchsetzung des Kartellrechts – Der Zweck heiligt die Mittel nicht; er bestimmt sie! WRP 2007, 490 ff.; Goll Verbraucherschutz im Kartellrecht, GRUR 1976, 486 ff.; Groh Die Übernahme fremder Leistung im Wettbewerb, Jura 1984, 586 ff.; Haberkamm Die Auslegung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken im Lichte der europäischen Grundrechte (2013); Hahn Die Haftung des Unternehmensinhabers nach § 8 Abs. 2 UWG (2007); Haines Bereicherungsansprüche bei Warenzeichenverletzungen und unlauterem Wettbewerb (1969); Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig (Hrsg.) UWG (Kommentar), 4. Aufl. (2016), zit. Harte/Henning/(Bearbeiter); Hefermehl Entwicklungen im Recht gegen unlauteren Wettbewerb, FS R. Fischer (1979) 197 ff.; ders. Grenzen des Lauterkeitsschutzes, GRUR Int. 1983, 507 ff.; Heiderhoff Der Einfluss des europäischen Rechts auf das nationale Privatrecht, ZJS 2008, 25 ff.; Hellenschmidt Die unmittelbare Leistungsübernahme (1980); Hempel Privater Rechtsschutz im deutschen Kartellrecht nach der 7. GWB-Novelle, WuW 2004, 362 ff.; Hetmank Der Rechtsbruchtatbestand und die Suche nach den Grenzen des Lauterkeitsrechts, JZ 2014, 120; Hirtz Die Relevanz der Marktmacht bei der Anwendung des UWG, GRUR 1980, 93 ff.; Hönn Zur Bedeutung spezieller Normen für die Konkretisierung von Generalklauseln, am Beispiel des Wettbewerbsrechts, FS Mühl (1981) 309 ff.; Honsell Die Erosion des Privatrechts durch das Europarecht, ZIP 2008, 621 ff.; Hoppmann/Mestmäcker Normzwecke und Systemfunktionen im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen (1974); Hubmann Die sklavische Nachahmung, GRUR 1975, 230 ff.; Ingerl Der wettbewerbsrechtliche Kennzeichenschutz und sein Verhältnis zum MarkenG in der neueren Rechtsprechung des BGH und in der UWG-Reform, WRP 2004, 809 ff.; Katzenberger Das Recht am Unternehmen und unlauterer Wettbewerb (1967); Kellermann Die gewerblichen Schutzrechte im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, GRUR 1958, 581 ff.; Keßler Vom Recht des unlauteren Wettbewerbs zum Recht der Marktkommunikation – Individualrechtliche und institutionelle Aspekte des deutschen und europäischen Lauterkeitsrechts, in Kreijci/Keßler/Augenhofer (Hrsg.), Lauterkeitsrecht im Umbruch (2005) 81 ff. (zit. Marktkommunikation); ders. Verbraucherschutz im GWB de lege lata und de lege ferenda, VuR 2012, 391 ff.; Kleinheyer Rechtsgutverwendung und Bereicherungsausgleich, JZ 1970, 471 ff.; Klippel Grundfragen des Schutzes gewerblicher Kennzeichen gegen Verwässerungsgefahr, GRUR 1986, 697 ff.; Knöpfle Der Rechtsbegriff „Wettbewerb“ und die Realität des Wirtschaftslebens (1966); ders. Die marktbezogene Unlauterkeit (1983); Köhler Wettbewerbsverstoß durch rechtswidrigen Marktzutritt? GRUR 2001, 777 ff.; ders. Zur Konkurrenz lauterkeitsrechtlicher und kartellrechtlicher Normen, WRP 2005, 645 ff.; ders. Das Verhältnis des Wettbewerbsrechts zum Recht des geistigen Eigentums, GRUR 2007, 548 ff.; ders. Unzulässige geschäftliche Handlungen bei Abschluss und Durchführung eines Vertrags, WRP 2009, 898 ff.;

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Einleitung

G. Einordnung des Wettbewerbsrechts in das Rechtssystem

ders. Die Durchsetzung des Vertragsrechts mit den Mitteln des Lauterkeitsrechts, FS Medicus (2009) 225 ff.; ders. Wettbewerbsverstoß und Vertragsnichtigkeit, JZ 2010, 767 ff.; Koenigs Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und das Recht des unlauteren Wettbewerbs unter besonderer Berücksichtigung der Wettbewerbsregeln, GRUR 1958, 589 ff.; ders. Wechselwirkungen zwischen dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und Recht des unlauteren Wettbewerbs, NJW 1961, 1041 ff.; v. Köhler Wie weit gilt im Wettbewerbsrecht der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung? NJW 1971, 118 ff.; Körner Verstöße gegen die Vorschriften des UWG und WZG und ihrer Auswirkung auf Drittverträge, GRUR 1968, 348 ff.; ders. Das allgemeine Wettbewerbsrecht als Auffangtatbestand für fehlgeschlagenen oder abgelaufenen Sonderrechtsschutz, FS Ullmann (2006) 701 ff.; Kraft Gemeinschaftsschädliche Wirtschaftsstörungen als unlauterer Wettbewerb? GRUR 1980, 966 ff.; ders. Wettbewerbsrecht und Diskriminierungsverbot, FS Kummer (1980) 389 ff.; Kummer Anwendungsbereich und Schutzgut der privatrechtlichen Rechtssätze gegen unlauteren und gegen freiheitsbeschränkenden Wettbewerb (1960); Kur Der wettbewerbliche Leistungsschutz, GRUR 1990, 1 ff.; Lindacher Grundfragen des Wettbewerbsrechts, BB 1975, 1311 ff.; Lubberger Grundsatz der Nachahmungsfreiheit? FS Ullmann (2006) 737 ff.; Lux Der Tatbestand der „allgemeinen Marktbehinderung“ im Recht gegen den unlauteren Wettbewerb (2006); Mankowski, Die durch Marketing beeinflusste Willenserklärung – Wertungslinien zwischen Lauterkeitsrecht und Zivilrecht, FS Köhler (2014) 477 ff.; Martin Imitationsanreiz und Schutz vor Nachahmung im Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (1981); Merz Die Vorfeldthese (1988); Mestmäcker Über das Verhältnis des Rechts der Wettbewerbsbeschränkungen zum Privatrecht, AcP 168 (1968) 235 ff.; ders. Der verwaltete Wettbewerb (1984); Möschel Die Kontrolle von Marktmacht außerhalb des Kartellrechts, FS Locher (1990) 461 ff.; ders. Behördliche oder privatrechtliche Durchsetzung des Kartellrechts? WuW 2007, 483 ff.; Möhring Wettbewerbsordnung und Kartellrecht, WuW 1954, 387 ff.; Müller-Laube Wettbewerbsrechtlicher Schutz gegen Nachahmung und Nachbildung gewerblicher Erzeugnisse, ZHR 156 (1992), 480 ff.; Ohly Geistiges Eigentum? JZ 2003, 545 ff.; ders. Klemmbausteine im Wandel der Zeit – Ein Plädoyer für eine strikte Subsidiarität des UWG-Nachahmungsschutzes, FS Ullmann (2006) 795 ff.; ders. Designschutz im Spannungsfeld von Geschmacksmuster-, Kennzeichen- und Lauterkeitsrecht, GRUR 2007, 731; ders. Bausteine eines europäischen Lauterkeitsrechts, WRP 2008, 177 ff.; ders. Nachahmungsschutz versus Wettbewerbsfreiheit, in Lange/Klippel/Ohly (Hrsg.) Geistiges Eigentum und Wettbewerb (2009) 99 ff.; ders. Urheberrecht und UWG, GRUR Int. 2015, 693; ders./Kur Lauterkeitsrechtliche Einflüsse auf das Markenrecht, GRUR 2020, 457; Peifer Individualität im Zivilrecht (2001); ders. Verträge – das Eigentum des 21. Jahrhunderts? Gedächtnisschrift für Ulrich Hübner (2012) S. 411; Peters Zur Gesetzestechnik des § 823 II BGB, JZ 1983, 913 ff.; Pichler Das Verhältnis von Kartell- und Lauterkeitsrecht (2009); Quiring Zum wettbewerbsrechtlichen Schutz von kurzlebigen Produkten gegen Nachahmung, WRP 1985, 684 ff.; Raiser Rechtsschutz und Institutionenschutz im Privatrecht, in summum ius summa iniuria (1963), 145 ff.; Rehbinder Urheberrecht, 16. Aufl. (2010); Reichold Lauterkeitsrecht als Sonderdeliktsrecht. Zur Rolle zivilistischen Denkens bei der Anwendung von § 1 UWG, AcP 193 (1993) 204 ff.; Rinck/ Schwark Wirtschaftsrecht, 6. Aufl. (1986); Sack Sittenwidrigkeit, Sozialwidrigkeit und Interessenabwägung, GRUR 1970, 493 ff.; ders. Produzentenhaftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 3 UWG? BB 1974, 1369 ff.; ders. Zur Sittenwidrigkeit von anläßlich sogenannter „Kaffeefahrten“ abgeschlossenen Kaufverträgen, NJW 1974, 564 ff.; ders. Unlauterer Wettbewerb und Folgeverträge, WRP 1974, 445 ff.; ders. Deliktsrechtlicher Verbraucherschutz gegen unlauteren Wettbewerb, NJW 1975, 1303 ff.; ders. Folgeverträge unlauteren Wettbewerbs, GRUR 2004, 625 ff.; ders. Das Recht am Gewerbebetrieb (2007); Sambuc Monopolisierung als UWG-Tatbestand, GRUR 1981, 796 ff.; Scherer Zur Frage der Schutzgesetzqualität von §§ 1, 3 UWG für Verbraucher, WRP 1992, 607 ff.; dies. Wechselwirkungen zwischen Kartellrecht und UWG, WRP 1996, 174 ff.; dies. Lauterkeitsrecht und Leistungsstörungsrecht – Veränderung des Verhältnisses durch § 2 I Nr. 1 UWG? WRP 2009, 761 ff.; Schmidt K. Kartellverfahrensrecht – Kartellverwaltungsrecht – Bürgerliches Recht (1977); Schmidt M. Zur Annäherung von Lauterkeitsrecht und Verbraucherkreditrecht, JZ 2007, 78 ff.; Schmitz Preisunterbietung als Problem des GWB, WuW 1992, 209 ff.; Schrauder Wettbewerbsverstöße als Eingriffe in das Recht am Gewerbebetrieb (1970); Schricker Schadensersatzansprüche der Abnehmer wegen täuschender Werbung? GRUR 1975, 111 ff.; Schroeter Die Sittenwidrigkeit bei der Benutzung fremder Arbeit und Gedanken im Wettbewerb, GRUR 1949, 228 ff.; Schünemann Mündigkeit versus Schutzbedürftigkeit: Legitimationsprobleme des Verbraucherleitbildes, FS Brandner (1996) 279 ff.; Schwark Individualansprüche Privater aus wirtschaftlichen Gesetzen, JZ 1979, 670 ff.; ders. Generalklauseln und Regelbeispiele, JZ 2005, 271 ff.; Schwipps Wechselwirkungen zwischen Lauterkeitsrecht und Kartellrecht (2009); Seydel Zur Systematik des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, NJW 1957, 1300 ff.; Spengler Ergänzender wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz in den Grenzgebieten des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts, WuW 1955, 599 ff.; Steckler Der Sonderschutz berühmter Geschäftszeichen gegen Verwässerungsgefahr (1985); Stieper Das Verhältnis von Immaterialgüterrechtsschutz und Nachahmungsschutz nach neuem UWG, WRP 2006, 409 ff.; Tilmann Über das Verhältnis von GWB und UWG, GRUR 1979, 825 ff.; Thouvenin Funktionale Systematisierung von Wettbewerbsrecht und Immaterialgüterrechten (2007); Traub Durchführungsverbot und Folgeverträge, GRUR 1980, 673 ff.; Tyllack Wettbewerb und Behinderung (1984); Ullmann Das Koordinatensystem des Rechts des unlauteren Wettbewerbs im Spannungsfeld von

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Einleitung

Alphabetisches Stichwortverzeichnis

Europa und Deutschland, GRUR 2003, 817 ff.; Ulmer Der Begriff „Leistungswettbewerb“ und seine Bedeutung für die Anwendung von GWB und UWG-Tatbeständen, GRUR 1977, 565 ff.; ders. Die Anwendung von Wettbewerbs- und Kartellrecht auf die wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand beim Angebot von Waren- oder Dienstleistungen, ZHR 146 (1982) 466 ff.; Walch Ergänzender Leistungsschutz nach § 1 UWG (1992); v. Walter Rechtsbruch als unlauteres Marktverhalten (2007); Wandtke (Hrsg.) Urheberrecht, 3. Aufl. (2012); Wedemeyer Wettbewerbswidrige Kaffeefahrten – Nichtige Kaufverträge? WRP 1972, 117 ff.; Wilhelm Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und das UWG, FS Canaris Bd. I (2007) 1293 ff.; Willemer GWB-Einwendungen gegen UWG-Ansprüche, WRP 1976, 16 ff.; Wrage UWG-Sanktionen bei GWB-Verstößen (1984).

Übersicht I.

Verhältnis zum Unionsrecht

II.

Verhältnis zu lauterkeitsrechtlichen Sonder17 und Nebengesetzen

III.

Verhältnis zum Recht der Wettbewerbsbeschrän28 kungen (Kartellrecht, GWB)

IV.

Verhältnis zum Gewerblichen Rechtsschutz (mit 63 Urheberrecht) Begriff und Wesen des Gewerblichen Rechts63 schutzes Grundsatz und Grenzen der Nachahmungsfrei79 heit

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d)

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VI. V. 1. 2.

99 Verhältnis zum bürgerlichen Recht 99 Überblick 102 UWG und Deliktsrecht 102 a) Sonderdeliktsrecht? 112 b) Konkurrenzrechtlicher Grundsatz 124 c) UWG-Normen als Schutzgesetze?

Schutzgesetze außerhalb 133 des UWG 134 e) Haftung für Gehilfen 138 f) Zusammenfassung 139 UWG und Bereicherungsrecht 146 UWG und Vertragsrecht 146 a) Ausgangspunkt b) Vertragsnichtigkeit wegen Unlauter149 keit? c) Unlauterkeit der Vertragsdurchfüh166 rung? d) Unlauterkeit des Verleitens zum Vertrags185 bruch? Verhältnis zum Gleichbehandlungsrecht 189 (AGG)

VII. Verhältnis zum Handelsrecht VIII. Verhältnis zum Verwaltungsrecht

193 198

Alphabetisches Stichwortverzeichnis Abwerben 185 Anwendungsvorrang 1 f. Auslegung – europarechtskonforme 2, 5 – teleologische 5 Basisverträge 162 Behördliche Erlaubnisse 201 Behördliche Verbote 200 Brachialwettbewerb 117 Doppelverstoß 57 Designrecht 64, 70, 96 f. Eingriffskondiktion 139 Einheit des Wettbewerbsrechts 36 ff., 110 Ergänzungsfunktion des BGB 101, 113 Exkulpation 135 ff. Folgeverträge 158 ff. Gehilfenhaftung 134 ff. Geistiges Eigentum 63, 71

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Geltungsvorrang des europäischen Rechts 10 Gemeinschaftsgeschmacksmuster 97 Gerichtsstand s. Zuständigkeit, örtliche Geschmacksmuster s. Designrecht Gewährleistung 74, 175, 180 ff. Gleichbehandlungsrecht 189 ff. Grundfreiheiten 6 Grundrechtecharta 7 Handelsbräuche 195 Immaterialgüterrecht 59 ff., 65, 71, 75 ff., 81 ff., 89 ff., 98 ff., 116, 139 Konvergenzthese 36 Leistungsschutz, ergänzender 80 ff., 86 ff., 97, 116, 139 Markenrecht 64, 90 ff., 194 Marktbehinderung, allgemeine 55 f. marktbezogene Unlauterkeit 30, 45 Marktgepflogenheiten 197

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Einleitung

G. Einordnung des Wettbewerbsrechts in das Rechtssystem

Marktintervention 53 Marktverhaltensregelung 24 ff., 58 f., 98, 190 ff., 199 ff. Marktwirtschaft – offene 11 Nachahmungsfreiheit 79 ff. Nebengesetze, lauterkeitsrechtliche 20 Normerschleichung 44 öffentliche Hand 202 Privatrecht 17, 37, 59, 99, 111, 131, 202 Recht am Unternehmen 120, 122, 140 Rundfunk 67 f. Sanktionenkonkurrenz 61 Schleichbezug 185 Schutzgesetze 109, 120, 124 ff. Schutzobjekt 34, 107 Schutzrechtsverwarnung 123 self executing 16 Sittenwidrigkeit 149 ff. Sonderdeliktsrecht 101 ff. Sondergesetze 19 Sperrwirkung 47 f., 54 ff., 59 ff., 92 Straftatbestände 130 ff., 165 ff. Subsidiarität gegenüber UWG 62, 98, 15, 128 f., 132, 138, 145; s. a. Vorrangthese

Teilnahme 114, 133 f. Transformationspflicht 15 ff. Trennungsthese 31 ff., 42 Überschneidungsthese 46 ff. Urheberrecht 63, 66 ff., 76 Verbotsgesetze 156 ff. Verbraucherschutz im GWB 34 Verjährung 118 f. Verleiten zum Vertragsbruch 185 ff. Verletzergewinn 144 Vertragsdurchführung 166 ff. Vertragsnichtigkeit 149 ff. Vollharmonisierung 12 Vorabentscheidungsverfahren 3 Vorfeldthese 30, 51 ff. Vorrangthese 91 ff. Vorsprung durch Rechtsbruch 58 Vorsprungsgewinne 88 Wertungskonkordanz 50 Wettbewerbsfreiheit 31, 37 ff. Wucher 153 ff. Zurechnungsfähigkeit 102, 112 Zuständigkeit, örtliche 118, 121

I. Verhältnis zum Unionsrecht 1 Anders als der Geltungsvorrang in der traditionellen Rechtsquellenlehre, der zu einer genuinen Hierarchisierung von Normen verschiedener Ebenen führt und dabei das höherrangige Recht das im Rang niedrigere „bricht“,1 lässt supranationales Unionsrecht sachlich mit ihm unvereinbares nationales Recht der Mitgliedsstaaten der EU in ihrer Rechtsverbindlichkeit, in ihrer Geltung, unberührt. Wie aber das nationale Recht der Mitgliedsstaaten der EU insgesamt, so unterliegt auch das deutsche Lauterkeitsrecht einem Anwendungsvorrang des Unionsrechts in seinem jeweiligen sachlichen Geltungsbereich.2 Der trotz seiner die Grundrechte berührenden Wirkung bestehende Anwendungsvorrang3 bezieht sich sowohl auf europäisches Primär- als auch auf Sekundärrecht, insbesondere also auf Verordnungen und Richtlinien nach Art. 288 AEUV (s. zu Arten, Wirkungen und Auslegung des europäischen Rechts eingehend Einl. C Rn. 1 ff.). Soweit vollharmonisiertes Recht vorliegt – wie dies etwa im Anwendungsbereich der UGP-Richtlinie 2005/29/EG der Fall ist – setzt sich der Anwendungsvorrang auch im Bereich der Unionsgrundrechte durch, soweit Spielraum für die Mitgliedstaaten bei der Richtlinienanwendung besteht, sind nationale Grundrechte nach wie vor maßgeblich, sofern deren Anwendung nicht in Kollision mit dem Schutzniveau der EU-Grundrechte-Charta oder den Grundsätzen von Vorrang, Einheit und Wirksamkeit des Unions-

1 Z. B. „Bundesrecht bricht Landesrecht“, Art. 31 GG. 2 EuGH 13. 3. 1997 – C-358/95 – Slg. 1997 I-1431 Tz. 18 – Morellato; Harte/Henning/Ahrens Einl. G Rn. 1 ff.; Jochum Rn. 552 ff.; Oppermann/Classen/Nettesheim § 10 Rn. 32 ff.

3 BVerfG 22. 10. 1986 – 2 BvR 197/83 – BVerfGE 73, 339, 387 – Solange II. S. aber auch BVerfG 12. 10. 1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92 – BVerfGE 89, 155, 188 – Maastricht: Anwendungsvorrang nur in den Grenzen des deutschen Zustimmungsgesetzes (v. 8. 10. 2008, BGBl. 2008 II S. 1038); BVerfG 6. 11. 2019 – 1 BvR 16/13 – GRUR 2020, 74 Tz. 45 ff. – Recht auf Vergessen I; BVerfG 6. 11. 2019 – 1 BvR 276/17 – GRUR 2020, 88 Tz. 42 ff. – Recht auf Vergessen II. Aus Sicht des Unionsrechts EuGH 15. 7. 1964 – Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251, 1269 – Consta/ENEL; EuGH 26. 2. 2013 – C-617/10 – NJW 2013, 1415 Tz. 29 − Åkerberg Fransson; EuGH 29. 7. 2019 – C-476/17 – GRUR 2019, 929 Tz. 80 f. – Pelham/Hütter; Grabitz Gemeinschaftsrecht bricht nationales Recht (1966).

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I. Verhältnis zum Unionsrecht

Einleitung

rechts gerät.4 In der grundrechtskonformen Auslegung des einfachen Rechts sieht sich das BVerfG in der Lage, auch die Unionsgrundrechte unmittelbar anzuwenden.5 BVerfG und EuGH geraten insoweit in ein Konkurrenzverhältnis, das prozessual durchaus von Bedeutung ist. Sofern unionsverfassungsrechtliche Auslegungsmaßstäbe in Rede stehen, kommt eine Vorlage an den EuGH in jedem Instanzenzug optional in Betracht (Art. 267 Abs. 1 S. 2 AEUV, unten Rn. 3), die Aussetzung des Verfahrens mit korrespondierender Vorlage beim BVerfG kommt dagegen nur durch Verfassungsbeschwerde in Betracht, wenn der Instanzenzug durchlaufen ist (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a und 4b GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG) oder auf Richtervorlage, wenn ein Instanzgericht Zweifel an der Vereinbarkeit eines nationalen Gesetzes mit dem GG hat (Art. 100 Abs. 1 GG, § 13 Nr. 11 BVerfGG). Potentiell erhält der EuGH damit einen schnelleren Zugriff auf die Auslegungsfrage, es sei denn, das BVerfG akzeptiert eine Richtervorlage auch in Fällen, in denen nicht nationale, sondern Unionsgrundrechte zur Entscheidung stehen. Darüber hinaus nimmt das Unionsrecht auf das deutsche Lauterkeitsrecht durch die gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung zu (in Einzelheiten umstrittener) unionsrechtskonformer Auslegung6 nationalen Rechts Einfluss. Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts kommt dadurch in seinen praktischen Konsequenzen weniger zum Tragen, weil durch die harmonisierende Interpretation normative Divergenzen von vornherein klein zu halten sind. Allerdings soll das Gebot unionsrechtskonformer Auslegung des nationalen Rechts seine Geltungsgrenze jedenfalls dort finden, wo der nationale Gesetzgeber bewusst von unionsrechtlichen Vorgaben abweicht, weil dafür spezielle gemeinschaftsrechtliche Konsequenzen, namentlich das Vertragsverletzungsverfahren nach Artt. 258 ff. AEUV, vorgesehen seien.7 Die Klärung von (verbleibenden) Auslegungsfragen ist nach Art. 267 AEUV Sache des EuGH,8 der im Vorabentscheidungsverfahren entscheidet (näher Einl. C Rn. 35 ff.).9 Grundsätzlich besteht ein Vorlagerecht des nationalen Gerichts. Eine grundsätzliche Vorlagepflicht trifft das nationale Gericht, das letztinstanzlich entscheidet. Ausnahmen von der Vorlagepflicht bestehen bei einer gesicherten Rechtsprechung oder dann, wenn über die Auslegung keinerlei vernünftige Zweifel möglich sind.10 Regelungsgegenstand der primärrechtlichen „Wettbewerbsregeln“ nach Artt. 101 ff. AEUV sind i.S. der deutschen Wettbewerbsrechtsdogmatik spezifisch kartellrechtliche Konstellationen. Die genannten Normen haben also für das Lauterkeitsrecht als Marktverhaltensrecht keine unmittelbare Bedeutung. Ihre mittelbare rechtliche Relevanz für ein primärrechtliches, wenngleich nur als dogmatisch fassbarer Subtext vorhandenes europäisches Lauterkeitsrecht ergibt sich aber daraus, dass Lauterkeits- und Kartellrecht keine voneinander sachlich ganz unabhängige Materien darstellen, sondern – wie auch im deutschen Wettbewerbsrecht (vgl. Rn. 28 ff., 36) – auf einen gemeinsamen Zweck hin ausgerichtet sind, nämlich auf den funktionierenden, freien, unverfälschten Wettbewerb auf Märkten (s. Einl. A Rn. 17, 33 ff.). Insofern sollte auch das europäische Primär4 EuGH 29. 7. 2019 – C-476/17 – GRUR 2019, 929 Tz. 80 – Pelham/Hütter; BVerfG 6. 11. 2019 – 1 BvR 16/13 – GRUR 2020, 74 Tz. 48 – Recht auf Vergessen I; BVerfG 6. 11. 2019 – 1 BvR 276/17 – GRUR 2020, 88 Tz. 47 – Recht auf Vergessen II. 5 BVerfG 6. 11. 2019 – 1 BvR 16/13 – GRUR 2020, 74 Tz. 51. – Recht auf Vergessen I; BVerfG 6. 11. 2019 – 1 BvR 276/ 17 – GRUR 2020, 88 Tz. 50 ff. – Recht auf Vergessen II. 6 EuGH 13. 11. 1990 – C-106/89 – Slg. 1990, I-4135, 4159 Tz. 8 – Marleasing; 5. 10. 2004 – C-397/01 bis C-403/01 – Slg. 2004, I-8835 Tz. 113 ff. – Pfeiffer/DRK; EuGH 4. 7. 2006 – C-212/04 – Slg. 2006, I-6057 Tz. 111 – Adeneler/ELOG; Beater Rn. 644 ff.; MünchKommUWG/Leible EG A Rn. 179 ff.; Ohly/Sosnitza Einf. C Rn. 27. 7 Beater Rn. 648. 8 Zur Auslegung des EU-Rechts durch den EuGH, insbesondere zu den dabei verfolgten Zielen und Methoden s. näher Kilian/Wendt S. 77 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. 3.11; Schröder JuS 2004, 180 ff.; s. a. Anweiler Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (1997). 9 S. a. Harte/Henning/Ahrens Einl. G Rn. 15 ff. 10 Sog. acte claire-Doktrin, vgl. BGH 19. 1. 2006 – I ZR 151/02 – GRUR 2006, 346 Tz. 7 – Jeans II; Harte/Henning/ Ahrens Einl. G Rn. 17.

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recht durchaus für eine teleologisch-europarechtskonforme Auslegung und Anwendung auch des deutschen Lauterkeitsrechts eine Rolle spielen. Jedenfalls gewinnt das europäische Primärrecht für die Handhabung des deutschen Lauterkeitsrechts Maßstabsfunktion dadurch, dass Auslegung und Anwendung namentlich des UWG nicht mit den sog. unionsrechtlichen Grundfreiheiten kollidieren dürfen. Einschlägig sind hier vor allem die Warenverkehrs- und die Dienstleistungsfreiheit nach Artt. 34 und 56 AEUV,11 sodann das Diskriminierungsverbot nach Art. 18 AEUV. Über Art. 6 Abs. 1 EUV ist der Sache nach auch die Europäische Grundrechtecharta (EuChGr, vgl. Einl. A Rn. 217, eingehend Einl. C Rn. 199 ff.) in das europäische Primärrecht inkorporiert.12 Ausdrücklich verweist Art. 6 Abs. 2 EUV auf die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, vgl. Einl. A Rn. 214 ff.).13 Diese Einflussfaktoren auf das deutsche Lauterkeitsrecht spielen indes in der Spruchpraxis des EuGH bisher noch kaum eine Rolle,14 während in anderen Rechtsgebieten, insbesondere im Urheber-15 und providerbezogenen Haftungsrecht16 eine wachsende Bedeutung schon deshalb zu beobachten ist, weil dort die EU-Grundrechte-Charta zunehmend Beachtung findet. Da die GrundrechteCharta nicht nur auf die Verfassungstradition der Mitgliedstaaten, sondern auch auf den Grundrechtekatalog der EMRK und deren Auslegung durch den EGMR zurückgreift, ist zu erwarten, dass auch das UWG eine deutliche Konstitutionalisierung erleben wird.17 Nicht beigepflichtet werden kann der Auffassung, dass „gewisse Beschränkungen des Waren- und Dienstleistungsverkehrs aus Gründen des Lauterkeitsschutzes hingenommen werden“ müssten, weil einerseits der Schutz des Wettbewerbs vor Verfälschungen nicht mehr im AEUV vorgesehen sei, andererseits aber der Verbraucherschutz nach Artt. 4 lit. f., 169 AEUV zu den Zielen der Gemeinschaft zählten.18 Denn diese Argumentation beruht auf falschen Ausgangsannahmen: Der Schutz des unverfälschten Wettbewerbs ist sehr wohl Teil des Primärrechtes (s. Einl. A Rn. 275) und der Verbraucherschutz ist seinerseits Bestandteil funktionierender freiheitlich-wettbewerbsgesteuerter Märkte (vgl. Einl. A Rn. 174).19 Nach der Rechtsprechung des EuGH soll das europäische Primärrecht als Maßstab des nationalen Rechts möglicherweise ausscheiden, sofern das jeweilige Rechtsgebiet sekundärrechtlich abschließend geregelt ist. In diesem Fall soll das nationale Recht allein anhand des Sekundärrechts auf seine Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht hin zu beurteilen sein.20 Angesichts der hohen Regelungsdichte durch Sekundärrecht lauterkeitsrechtlichen Inhalts21 wäre diese Maßgabe ein wichtiges hermeneutisches Faktum. 11 Näher Gloy/Loschelder/Danckwerts/Schulte-Beckhausen § 8 Rn. 2 ff. 12 Dazu Haratsch/Koenig/Pechstein Rn. 684 ff.; relevant werden können vor allem Artt. 11 (Meinungs- und Medienfreiheit), 15 (Berufsfreiheit) und 16 (unternehmerische Freiheit) der Grundrechtecharta (EuChGr).

13 S. dazu etwa Jochum Rn. 25 ff. 14 Mand JZ 2010, 337, 340 f. 15 EuGH 29. 7. 2019 – C-476/17 – GRUR 2019, 929 Tz. 34 – Pelham/Hütter; EuGH 29. 7. 2019 – C-516/17 – GRUR 2019, 940 Tz. 58 – Spiegel Online; EuGH 29. 7. 2019 – C-469/17 – GRUR 2019, 934 Tz. 74 – Funke Medien NRW; jeweils mit Verweisungen auf EGMR 10. 1. 2013 – 36769/08 – GRUR 2013, 859 Tz. 39 – Ashby Donald/Frankreich. 16 EuGH 16. 2. 2012 – C-360/10 – GRUR 2012, 382 Tz. 44 m. Anm. Metzger = K&R 2012, 269 m. Anm. Ettig/Raue = MMR 2012, 334 m. Anm. Dam/Solmecke. 17 Hierzu in anderem, aber vergleichbaren Zusammenhang G. Hager Von der Konstitutionalisierung des Zivilrechts zur Zivilisierung der Konstitutionalisierung, JuS 2006, 769; Chr. Walter Der Internationale Menschenrechtsschutz zwischen Konstitutionalisierung und Fragmentierung, ZaöRV 2015, 753, 756 (Konstitutionalisierung von Arbeitsund Tarifrecht). 18 Ohly/Sosnitza Einf. C Rn. 9. 19 Etwas abweichend in diesem Punkte die Vorauflage. 20 Zu dieser verbreiteten Wahrnehmung der EuGH-Rspr. z. B. durch Ohly/Sosnitza Einf. C Rn. 10; vgl. EuGH 13. 12. 2001 – C-324/99 – Slg. 2001, I-9897 Tz. 32 – Daimler Chrysler; EuGH 11. 12. 2003 – C-322/01 – Slg. 2003, I14887 = GRUR 2004, 174 Tz. 64 – Doc Morris. 21 Eingehend Beater Rn. 676 ff.; Harte/Henning/Glöckner Einl. B Rn. 47 ff.

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In dieser Allgemeinheit kann die dem EuGH zugeschriebene Position wegen des völlig unzweifelhaften Geltungsvorrangs des Primärrechts vor dem Sekundärrecht nicht richtig sein. Denn Sekundärrecht, namentlich in Gestalt von Richtlinien, kann überhaupt nur Anwendungsvorrang vor nationalem Recht beanspruchen, soweit es im Einklang mit Primärrecht steht. Ob es sich so verhält, mag aber gerade fraglich sein. Die stereotypen Beteuerungen in den Erwägungsgründen, alles stehe in vollem Einklang mit dem Primärrecht, genügen daher nicht.22 Hinzu kommt, dass mit der Konstitutionalisierung auch des Unionsrechts der Fall unionsverfassungswidrigen Sekundärrechts greifbar wird. Ein Beispiel für primärrechtsbedenkliches Sekundärrecht liefert die für das 2008 novellierte Lauterkeitsrecht zentrale Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern (RL 2005/29/EG). Ihr zufolge (Art. 2 lit. h) ist unter dem Lauterkeitsmaßstab (vgl. Art. 5 RL 2005/29/EG) der „berufliche(n) Sorgfalt der Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt“ zu verstehen, „bei denen billigerweise davon ausgegangen werden kann, dass der Gewerbetreibende sie gegenüber dem Verbraucher gemäß dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben in seinem Tätigkeitsbereich anwendet.“ Was immer dies konkret bedeuten mag,23 die sehr weitgehende Formulierung stößt sich an Grundvoraussetzungen einer Unions-Wirtschaftsverfassung nach Artt. 119 f. AEUV, weil diese eine „offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ (Einl. A Rn. 263 ff., 275 ff., 283) vorsieht, also nicht generell durch Einschränkungen oder Selbstbeschränkungen der Branchenübung einschränkbar ist. Deshalb ist auch die Auslegung von § 3 Abs. 2 UWG jedenfalls insoweit nicht an der Richtlinie, sondern in ihrer wettbewerbsfunktionalen Ausrichtung am europäischen Primärrecht zu orientieren. Damit darf nicht der Aspekt einer eventuellen Vollharmonisierung vermischt werden: Soweit Sekundärrecht (wie zu betonen ist: im Einklang mit Primärrecht) eine Materie zum Zwecke der Rechtsangleichung abschließend geregelt hat, bleibt einem Mitgliedsstaat kein Spielraum mehr zu eigener Rechtssetzung oder zu einer vom Sekundärrecht abweichenden Handhabung des nationalen Rechts. So ist z. B. § 3a i. V. m. der PAngV im Lichte der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (RL 2005/29/EG) restriktiv zu handhaben, weil das deutsche Preisangabenrecht teilweise (z. B. mit § 4 Abs. 1 PAngV für die Preisauszeichnung von Schaufensterware) über den Richtlinienstandard hinausgeht.24 Werden indes durch Richtlinien nur Mindeststandards vorgegeben, kann das nationale Recht im Prinzip Regelungen mit höheren Standards treffen, muss dabei aber Primärrecht respektieren. Soweit primärrechtlich statuierte Freiräume wie z. B. die Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit eingeschränkt werden sollen, ist dies nur unter den rechtfertigenden Voraussetzungen der Art. 36 bzw. 56 ff. AEUV unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips möglich. Im Gegensatz zu Verordnungen, die nach Art. 288 Abs. 2 AEUV allgemeine und unmittelbare Geltung in den Mitgliedsstaaten haben, adressieren Richtlinien nach Art. 288 Abs. 3 AEUV die Mitgliedsstaaten und geben dabei (vorbehaltlich ihrer Vereinbarkeit mit Primärrecht, vgl. Rn. 8 ff.) verbindlich ein zu erreichendes Ziel vor, überlassen es aber grundsätzlich der Transformation durch den Mitgliedsstaat, wie dieses Ziel zu erreichen ist. Daraus folgt aber auch eine Gestaltungspflicht hinsichtlich einer sinnvollen Einfügung der Richtlinienmaterie in die nationale Rechtsordnung, also in ihre Systematik, Dogmatik und Terminologie. Dieser Transformationspflicht ist der deutsche Gesetzgeber namentlich bei der bereits vorstehend kritisch beleuchteten Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (RL 2005/29/EG) nicht 22 S. Honsell ZIP 2008, 621, 623, der das Sekundärrecht hauptsächlich als das Produkt einer „riesigen Bürokratie“ sieht, „die für eine gigantische Fehlallokation knapper Ressourcen steht und zweifelhafte Geldtransfers betreibt.“

23 S. die (letztlich vergeblichen) Deutungsversuche z. B. bei Harte/Henning/Podszun § 3 Rn. 136 ff., 138 unter Berücksichtigung von Nr. 53 S. 2 und 3 der Vorschlagsbegründung KOM (2003) 356 endg.; scharfe Kritik auch bei Harte/Henning/Glöckner Einl. B Rn. 265 („verfehlt“); ders. Europäisches Lauterkeitsrecht S. 74 f.; Sosnitza WRP 2008, 1014, 1018. 24 S. näher Götting/Nordemann/Ebert-Weidenfeller § 3a Rn. 15, 17 mit weiteren Beispielen überschießender deutscher Regelungen.

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nachgekommen, soweit er, wie namentlich mit § 3 Abs. 2 und mit dem Anhang zu § 3 Abs. 3 (sog. schwarze Liste), schlicht den Richtlinientext in das UWG 2008 übernommen hat.25 Mit dieser nach Terminologie und Substanz fehlenden Einpassung der Richtlinie in die deutsche Rechtsordnung hat der Gesetzgeber sich nur sehr vordergründig richtlinienkonform verhalten und, wie die massiven Interpretationsprobleme bei § 3 Abs. 2 und 3 (Anhang) zeigen,26 vor allem der Wissenschaft materiell die eigentlich hoheitliche Transformationsaufgabe überbürdet. Die allerdings dadurch zugleich sichergestellte richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts gleicht dem legendären Ei des Kolumbus, denn durch die Textübernahme bedarf es ihrer scheinbar gar nicht mehr. 16 Ausnahmsweise soll eine Richtlinie aber auch ohne Transformationsakt innerstaatliche Geltung erlangen, wenn sie bis zum Ablauf der jeweils in der Richtlinie genannten Frist vom Mitgliedsstaat nicht oder nicht hinreichend umgesetzt wurde und inhaltlich spezifiziert genug ist (sog. self executing).27 Eine Richtlinie, welche die letztgenannte Eigenschaft aufweist, sprengt jedoch den ihr mit Art. 288 Abs. 3 AEUV gesetzten begrifflichen Rahmen, provoziert deshalb Zweifel an ihrer primärrechtlichen Zulässigkeit28 und lässt so die Denkfigur des self executing auf einem inneren Widerspruch basieren. Im Bereich des deutschen Lauterkeitsrechts ist zur Zeit freilich kein Handlungsbedarf bei einer aufgegebenen Umsetzung von Richtlinien zu sehen, sodass dieser Einwirkungsvariante des supranationalen Rechts hier nicht weiter nachzugehen ist.

II. Verhältnis zu lauterkeitsrechtlichen Sonder- und Nebengesetzen 17 Das UWG enthält den Kernbestand der lauterkeitsrechtlichen Normen des deutschen (verhaltensbezogenen) Wettbewerbsrechts und verortet sie ausweislich der anspruchsbasierten Sanktionen nach §§ 8 ff. innerhalb des Privatrechts (s. a. Einl. A Rn. 18). 18 Die Identifikation der lauterkeitsrechtlichen Sonder- und Nebengesetze als Teil des Wettbewerbsrechts i.w.S. ist unbestimmt, weil schon über den Begriff des Wettbewerbsrechts i. e. S. unterschiedliche Auffassungen bestehen (vgl. Einl. A Rn. 1 ff.). Nach der hier befürworteten Systematik (Einl. A Rn. 10 f.) sind unter lauterkeitsrechtlichen Sonder- und Nebengesetzen diejenigen Materien zu verstehen, die außerhalb des UWG geregelt sind, mit ihm aber wegen ihres sachlichen Bezugs zum Wettbewerbsverhaltensrecht in innerem Zusammenhang stehen. 19 Soweit es sich dabei um Normen handelt, die wie z. B. aus AMG, HWG und LFGB (früher LMBG) zwar einen besonderen Wirtschaftssektor fokussieren, ansonsten aber ebenso gut in das UWG inkorporiert hätten werden können29 und sich demzufolge als leges speciales zum UWG als lex generalis (als „allgemeines“ Wettbewerbsverhaltensrecht, s. Einl. A Rn. 12) darstellen, handelt es sich um lauterkeitsrechtliche Sondergesetze. Dies gilt erst recht für die PAngV, die keinen wirtschaftssektorialen Charakter hat, sondern das korrekte Preisangabeverhalten am Markt gegenüber Letztverbrauchern generell betrifft. Soweit eine derartige Sachlogik von lex generalis und lex specialis nicht festzustellen ist, 20 gleichwohl aber wie namentlich zu den Materien des Gewerblichen Rechtsschutzes enger Wettbewerbsbezug besteht, kann von lauterkeitsrechtlichen Nebengesetzen gesprochen werden. Darin liegt selbstverständlich keine Aussage über deren wirtschaftsrechtliche und wirtschaftspraktische Bedeutung, sondern lediglich eine systematische Standortbestimmung. 25 Kritisch bereits Harte/Henning/Schünemann (2. Auflage 2009) § 3 Rn. 2.; so auch Fezer/Büscher/Obergfell Einl. Rn. 245 („Recht existiert als Sprache“); Hetmank GRUR 2015, 323, 328 ff. 26 Eingehend Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 3 Rn. 127 ff., 179 ff. 27 EuGH 19. 1. 1982 – C-8/81 – Slg. 1982, 53 Tz. 27 – Becker; EuGH 1. 6. 1999 – C-319/97 – Slg. 1999, I-3143 Tz. 21 – Kortas; v. Danwitz JZ 2007, 697, 699. 28 Auch von daher begegnet die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (RL 2005/29/EG) Bedenken. 29 Vgl. etwa § 8 Abs. 1 Nr. 2 AMG (irreführende Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung) und mit derselben Stoßrichtung § 3 HWG (§ 1 a. F.) und dazu BGH 14. 4. 1983 – I ZR 173/80 – GRUR 1983, 595, 596 – Grippewerbung III; ebenso § 27 LMBG (§ 1 a. F.) für Irreführung beim Inverkehrbringen kosmetischer Mittel.

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II. Verhältnis zu lauterkeitsrechtlichen Sonder- und Nebengesetzen

Einleitung

Die begriffliche Unterscheidung von lauterkeitsrechtlichen Sondergesetzen einerseits, Nebengesetzen andererseits, könnte konkurrenzrechtliche Bedeutung gewinnen, weil nach der geläufigen Sentenz „lex specialis derogat legi generali“30 im Regelungsbereich der Sondernorm ein Rückgriff auf die Allgemeinnorm generell nicht in Betracht kommen soll.31 Für lauterkeitsrechtliche Nebengesetze hingegen ist das Konkurrenzverhältnis nicht in gleicher Weise präjudiziert. Nach früherem Recht vor der grundlegenden Reform des UWG im Jahre 2004 spielten die aufgeworfenen Fragen eine wichtige Rolle vor allem im Hinblick auf RabattG und ZugabeVO, die in der Folge beide ersatzlos gestrichen wurden. Zweifelhaft war die Rechtslage in doppelter Hinsicht, nämlich ob ein Verstoß gegen lauterkeitsrechtliche Sondergesetze wie vor allem gegen die genannten zugleich „sittenwidrig“ i.S. der damaligen großen Generalklausel des § 1 UWG a. F. sein könne, und ob auch sondergesetzlich zulässige Wettbewerbshandlungen nach UWG als „sittenwidrig“ beanstandet werden könnten. Mit Rücksicht auf die ersatzlose Streichung von RabattG und ZugabeVO bedarf die Thematik jedenfalls insoweit keiner Erörterung mehr.32 Aber auch darüber hinaus stellen sich nach der Konstruktion des geltenden Lauterkeitsrechts die konkurrenzrechtlichen Fragen völlig anders als bisher oder auch gar nicht mehr. Denn mit § 3a nimmt das UWG selber unterschiedslos Bezug auf jede gesetzliche Vorschrift, „die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln“, und erklärt Zuwiderhandlungen dagegen für unlauter. Es kommt mithin auf den Charakter der Norm („auch“) als Regelung des Marktverhaltens an, nicht auf ihre Zuordnung als wettbewerbsrechtliches, insbesondere lauterkeitsrechtliches Sonder- oder aber Nebengebiet. Immerhin muss es sich bei den Marktverhaltensnormen i.S.v. § 3a jedoch um Wettbewerbsrecht i.w.S. handeln, weil solche Normen ohne wettbewerbsrechtliche Substanz gar nicht vorstellbar oder aber jedenfalls unbeachtlich sind (s. a. Einl. A Rn. 11). Soweit eine geschäftliche Handlung nicht gegen Marktverhaltensrecht außerhalb des UWG verstößt, der konkrete Sachverhalt aber durchaus zur dortigen Regelungsmaterie rechnet, mag man versucht sein, ein Unlauterkeitsverdikt im Einzelfall unter Hinweis auf eine „Auffangfunktion“ von Generalklauseln unmittelbar auf § 3 Abs. 1 oder auch Abs. 2 zu stützen. Ein Rückgriff darauf als unmittelbare Verbotstatbestände kann aus binnensystematischen Gründen des UWG aber wohl allenfalls bei „Extrem- und Evidenzfällen“ wettbewerbswidrigen Verhaltens erwogen werden,33 die im Zusammenhang mit den wettbewerblichen Sonder- und Nebengesetzen schlechterdings gar nicht vorstellbar sind. 30 Damit macht schon die juristische Ausbildungsliteratur vertraut, s. Schmalz Methodenlehre für das juristische Studium, 4. Aufl. (1998) Rn. 82.

31 A.A. Schünemann JZ 2005, 271, 276 m. w. N. jedenfalls für Generalklauseln als lex generalis im Verhältnis für Regelbeispiele als leges speciales. 32 Eingehend dazu Schünemann Erstaufl. 1994 Einl. E Rn. 1 ff. mit zahlreichen Nachweisen: Das methodologisch gefärbte Derogationsproblem wurde von einer zweiten Problemdimension geschnitten, die in der (verfehlten) Unterscheidung der damals h.M. von „wertbezogenen“ und „wertneutralen“ Normen wurzelte. Trotz allem scheint gelegentlich eine Neigung dazu zu bestehen, RabattG und ZugabeVO trotz ihrer Streichung nun anderweitig, z. B. im Rahmen von § 4 Nr. 1, weiterleben zu lassen (vgl. Dreher/Kulka Rn. 304 ff. trotz der in Rn. 303 begrüßten Liberalisierung), was mit dem maßgeblichen Prinzip der Wettbewerbsfreiheit (s. Einl. A Rn. 105 ff.) nicht in Einklang zu bringen ist. 33 So dezidiert jedenfalls Harte/Henning/Podszun § 3 Rn. 107 ff.; ausdrücklich zustimmend Boesche Rn. 16; in der Sache zumindest tendenziell ebenso Fezer/Büscher/Obergfell § 3 Rn. 325; Groner Der Rückgriff auf die Generalklausel des § 3 UWG zur Bestimmung der Unlauterkeit einer Wettbewerbshandlung (2008) 215 ff.; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 3 Rn. 2.29; Ohly/Sosnitza § 3 Rn. 13; a. A. etwa Beater Rn. 1060 (der den Gegenstand der einschlägigen Diskussion in die Nähe einer „Scheinproblematik“ rückt); Götting/Nordemann/Wirtz § 3 Rn. 26. Auch die Rspr. neigt zu dieser bedenklich weiten Anwendung des § 3 Abs. 1 als eigenständigem Verbotstatbestand, vgl. z. B. BGH 9. 2. 2006 – I ZR 73/02 – GRUR 2006, 426 Tz. 16 – Direktansprache am Arbeitsplatz II; BGH 12. 7. 2007 – I ZR 18/04 – GRUR 2007, 890 Tz. 22 – Jugendgefährdende Medien bei ebay; BGH 22. 11. 2007 – I ZR 183/04 – GRUR 2008, 262 Tz. 9 – Direktansprache am Arbeitsplatz III; OLG Hamburg 28. 9. 2006 – 3 U 78/05 – WRP 2007, 210 ff. – Fliegerzeitschrift; OLG Hamburg 15. 1. 2007 – 3 U 240/06 – WRP 2007, 557 – Testhinweise ohne Fundstelle.

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Unberührt davon bleibt, dass ein Sachverhalt nicht nur § 3a, sondern tatbestandlich zugleich auch einem anderen Regelbeispiel für Unlauterkeit unterfällt. Eine solche Kumulation von (spezifizierten) Unlauterkeitsaspekten bezüglich ein und derselben geschäftlichen Handlung ist rechtssystematisch und anwendungstechnisch unproblematisch. So kann eine konkrete geschäftliche Handlung als Zuwiderhandlung gegen die PAngV und damit gegen eine Marktverhaltensregelung unlauter nach § 3a sein und zugleich als Irreführung über den „Preis oder die Art und Weise, wie er berechnet wird“, nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 als unlauter gelten. 27 Erst recht denkbar ist umgekehrt, dass bei preisbezogenen Angaben nur § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 einschlägig ist, weil es sich um einen Fall handelt, der überhaupt nicht Regelungsgegenstand der PAngV ist. So verhält es sich z. B. bei Verwendung irreführender Preisschlagwörter.34

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III. Verhältnis zum Recht der Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellrecht, GWB) 28 Das systematische Verhältnis des Lauterkeitsrechtes zum Kartellrecht (i. S. d. Regelungsmaterie des GWB insgesamt) ist seit dessen Anfängen35 streitig gewesen. Die Bedeutung dieser Diskussion liegt dabei keineswegs nur im schieren Gewinn an Einsicht in die innere Struktur einer homogenen Gesamtordnung des Wettbewerbs oder aber auch in der Einsicht, dass es eine solche Gesamtordnung gar nicht gäbe. Vielmehr resultieren aus einer derartigen Positionsbestimmung dogmatische Konsequen29 zen, so etwa bei der Frage, ob sich die Inhaltsbestimmung der Unlauterkeit in Widerspruch zu den Wertungen des Kartellrechts setzen darf, ja, ob eine solche Kollision überhaupt möglich ist. Eine solche Unmöglichkeit könnte sich etwa daraus ergeben, dass die jeweiligen Regelungsmaterien heterogen sind, aber (bei grundsätzlich gleichartigen Regelungsmaterien) auch aus Spezialitätsgründen. Auch könnten dem UWG unterstützende Dienste für das Kartellrecht angesonnen werden, 30 indem das UWG z. B. unter dem Aspekt einer „marktbezogenen Unlauterkeit“ gegen im Kartellrecht (noch) nicht36 inkriminierte geschäftliche Handlungen mobilisiert wird (sog. Vorfeldthese, s. a. Rn. 51 f.)37 oder kartellrechtliche Verbote (insbesondere das Kartellverbot des § 1 GWB und die diversen Missbrauchs-, Diskriminierungs- und Behinderungsverbote der §§ 19 ff. GWB) in den Anwendungsbereich des § 3a einzubeziehen wären und so eventuell der Kreis der Anspruchslegitimierten bei einer Doppelung kartell- und lauterkeitsrechtlicher Sanktionen drastisch ausgeweitet werden könnte. Ursprünglich wurden Lauterkeitsrecht und Kartellrecht in einen scharfen Gegensatz ge31 stellt, was angesichts der um Jahrhunderte versetzten dogmengeschichtlichen Wurzeln nicht verwundert. Die hierzu formulierte sog. Trennungsthese38 sah durch das noch sehr junge Kartellrecht den Schutz des Wettbewerbs als marktwirtschaftliche Institution bezweckt, während das Wettbewerbsrecht im engeren Sinne des Lauterkeitsrechtes innerhalb der in der Marktwirtschaft bestehenden Wettbewerbsfreiheit die Anwendung unlauterer Wettbewerbsmethoden bekämpfe; dem Lauterkeitsrecht sei die Vorstellung des Schutzes des Wettbewerbs als Institution „fremd“.39 Anders ausgedrückt sollte das Kartellrecht auf das „Ob“, auf Existenz und Intensität

34 Vgl. die Aufzählung bei Götting/Nordemann § 5 Rn. 2.63 ff. sowie Rn. 2.86 ff. 35 Vgl. die allerdings weitgehend folgenlose NotVO vom 2. 11. 1923 (RGBl I S. 1067, 1090) mit ihrem bloßen Kartellmissbrauchsverbot, vor allem aber die alliierte Dekartellierungsgesetzgebung aus dem Jahre 1947. Zu alledem s. etwa Möschel Wettbewerbsbeschränkungen Rn. 23 ff. 36 Das „noch“ ist selbstverständlich nicht zeitlich, sondern i.S. konkret nicht erreichter Schwellenwerte etc. zu verstehen. 37 S. zur Thematik eingehend (und ablehnend) hier nur Merz passim. 38 Zu ihr, ihrer Dogmengeschichte und ihrer Überwindung s. Pichler S. 165, 173 ff. 39 Würdinger WuW 1953, 721, 731; s. a. Benisch WuW 1956, 480, 482 f.; v. Brunn Grundzüge des deutschen Kartellrechts (1938) 11 ff.; Möhring WuW 1954, 387.

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des Wettbewerbs, das UWG hingegen auf das „Wie“, auf die Qualität des Wettbewerbs, bezogen sein.40 Die Trennungsthese impliziert dabei genaugenommen zweierlei: nicht nur einen behaupteten Gegensatz, ein „antinomisches Spannungsverhältnis“41 zwischen wettbewerblichem Institutionsschutz und wettbewerblichem Individualschutz, sondern auch die jeweils exklusive Zuordnung dieser Schutzrichtungen zu Kartellrecht einerseits, Lauterkeitsrecht andererseits.42 Dies erhellt aus einem dabei zugrundeliegenden Verständnis des Lauterkeitsrechts als „einzelaktionsbezogener Kampfordnung für den geschäftlichen Wettstreit der Kaufleute und Gewerbetreibenden“,43 einer Kampfordnung, die einem allein kartellrechtlich vermittelten Institutionsschutz des Wettbewerbs schon deshalb „neutral“ gegenüberstehen sollte, weil die Existenz eines Lauterkeitsrechts historisch von der Kartellproblematik völlig gelöst sei44 (zu der mit unterschiedlichen Akzenten vorgetragenen Neutralitätsthese s. a. Einl. A Rn. 23 ff.). Wird die Trennungsthese konsequent zu Ende gedacht und angewandt, ist somit die Verhältnisbestimmung des Lauterkeitsrechts zum kartellrechtlichen Institutionsschutz sehr einfach, weil von vornherein keine Berührungsflächen und schon gar keine Überschneidungen der jeweiligen Regelungsbereiche in Betracht kommen: Die begriffliche Opposition schließt „jede Idealkonkurrenz, jede Häufung beider im identischen Sachverhalt“ unbedingt aus.45 Die kartellrechtliche Dogmatik hat sich diese Sichtweise letztlich nicht zu Eigen gemacht, jedenfalls insoweit, als die Trennungsthese einen begrifflichen Gegensatz von Individual- und Institutionsschutz postuliert. Das GWB wird vielmehr seit Langem ganz überwiegend als Vollzug der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Garantie der ökonomischen Handlungs- und Entscheidungsfreiheit des einzelnen Wirtschaftssubjekts gedeutet46 (zur Wirtschaftsverfassung des GG und des Europarechts s. Einl. A Rn. 139 ff., 258 ff.). Kartellrechtliche Schutzobjekte sind demzufolge sowohl die Marktwirtschaft und ihr Wettbewerbsprinzip als Institution als auch der dadurch vermittelte individuelle wirtschaftliche Bewegungsraum.47 Institutions- und Individualschutz sind keine substantiell unterscheidbaren, gegensätzlichen Größen, sondern verschiedene Erscheinungsformen ein und desselben Schutzobjektes unter Einbeziehung des Verbraucherschutzes.48 Auch in der lauterkeitsrechtlichen Diskussion verlor die Trennungsthese bald an Einfluss. Die Einbeziehung eines lauterkeitsrechtlich zu berücksichtigenden „Allgemeininteresses“, das dem konkurrentenbezogenen Individualschutz an die Seite trat,49 ließ sich kaum ohne konzeptionelle Friktionen darstellen. Spätestens nach 2004, als das Allgemeininteresse einen Brü40 Fikentscher Wettbewerb S. 227 f.; ders. GRUR Int. 1966, 181 ff.; Götting/Nordemann Einl. Rn. 64; Koenigs GRUR 1958, 589 f.; ders. NJW 1961, 1041 ff.; Kraft Interessenabwägung S. 106 ff.; ders. GRUR 1980, 966 f.; Möhring WuW 1954, 387; Schluep GRUR Int. 1973, 446, 448. 41 Koenigs NJW 1961, 1041 f. In der Formel vom „antinomischen Spannungsverhältnis“ sieht Pichler S. 166 bereits einen Ablösungsprozess von der Trennungsthese. 42 So richtig Merz S. 191 gegen Wrage S. 13. 43 Lehmann GRUR 1977, 580, 587. 44 Wrage S. 13 f. 45 Kummer S. 89 f.; dazu Wrage S. 14. 46 Koenigs GRUR 1958, 589 f.; ders. NJW 1961, 1041. 47 Flume WuW 1956, 457; Koenigs S. 150 ff.; ders. NJW 1961, 1041; Raiser in summum ius, summa iniuria, S. 145, 157; Schluep GRUR Int. 1973, 446, 448; Willemer WRP 1976, 16, 19; a. A. aber Fikentscher Wettbewerb S. 227 f. sowie Kellermann GRUR 1958, 581 und Seydel NJW 1957, 1300, die das GWB in seiner damaligen Fassung rein individualrechtlich interpretieren. 48 Speziell zum Aspekt des Verbraucherschutzes s. Keßler VuR 2012, 391 ff.; generell s. Merz S. 192; Mestmäcker Wettbewerb S. 78 ff.; ders. AcP 168 (1968) 235, 245; Möschel Wettbewerbsbeschränkungen Rn. 111. 49 Der Ausdruck geht offenbar zurück auf Ulmer Sinnzusammenhänge im modernen Wettbewerbsrecht (1932); ders. GRUR 1937, 772 f.; zur Rezeption s. z. B. Fezer/Büscher/Obergfell § 1 Rn. 69 ff.; jede Assoziation an das „Sozialrecht“ genannte Rechtsgebiet, namentlich an das SGB, ist in diesem Zusammenhang allerdings verfehlt, s. Harte/ Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 1 Rn. 12.

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ckenschlag zum wettbewerblichen Institutionsschutz nicht nur zuließ, sondern wegen der in § 1 angeordneten ausdrücklichen und exklusiven Ausrichtung auf den Wettbewerbsschutz sogar fordert,50 kann die Trennungsthese als überwunden gelten:51 36 Die ganz h.M.52 geht zutreffend davon aus, dass GWB und UWG zwei Seiten einer einheitlichen Gesamtordnung des Wettbewerbs darstellen, zwei Rechtskreise, die einander nicht fremd und beziehungslos gegenüberstehen, sondern sich „gleichberechtigt“ und ranggleich53 zu einem Wettbewerbsrecht i. e. S. (s. Einl. A Rn. 10), zu einem „allgemeinen Marktordnungsrecht“,54 zusammenschließen.55 Freiheit und Lauterkeit des Wettbewerbs sind sonach keine Gegensätze, sondern marktwirtschaftlich „korrelative Postulate“.56 In der Diskussion hat sich für diese Sichtweise der Begriff „Konvergenzthese“ etabliert.57 Unmöglich wird es damit die Aufspaltung der Wettbewerbsfreiheit in das Maß und die 37 Art ihrer Ausübung dem GWB einerseits, dem UWG andererseits als Regelungssubstrat zuzuordnen.58 Denn die Aufteilung des Wettbewerbsrechts auf zwei Gesetze noch dazu mit unterschiedlichen Zuordnungen zum Privatrecht einerseits (UWG, s. Einl. A Rn. 18), zum öffentlichen Recht andererseits (GWB), ist „keine in der Natur der Sache begründete Notwendigkeit (…), sondern (beruht) letztlich auf historischen Zufälligkeiten.“59 Eine Differenzierung zwischen strukturellen Vorgaben und Verhaltensregeln ist „geküns38 telt“.60 Daher sollte auch der Aufteilung der Materie auf diese beiden Gesetze keine überzeugende Lehre aufbauen. Das UWG mit seiner Generalklausel in § 3 Abs. 161 könnte durchaus auch als

50 Harte/Henning/Podszun § 1 Rn. 71 ff. 51 Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 3 Rn. 219 f. m. w. N.; Schwipps S. 55 ff., 60 f. 52 Baudenbacher ZHR 144 (1980) 145, 169; Baumbach/Hefermehl Allg. Rn. 86 ff.; Emmerich/Lange Unlauterer Wettbewerb § 5 Rn. 17; Fikentscher Bd. II § 22 XI 1a und 4b; ders. FS Hallstein 127 ff.; v. Gamm NJW 1980, 2489; ders. WM 1981, 730; Goll GRUR 1976, 486, 489 f.; Heinze Zur Rechtsnatur wettbewerbsbeschränkender Verträge, FS Fechner (1973) 75, 86; Harte/Henning/Ahrens Einl. G Rn. 108; Hirtz GRUR 1980, 93 f.; Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 6. 11; ders. WRP 2005, 645; Keßler WRP 2005, 264, 266; Lindacher BB 1975, 1311 f.; Loewenheim GRUR 1975, 99, 104; Merz S. 197; Martin S. 66 ff.; Möschel Wettbewerbsbeschränkungen Rn. 5; ders. Pressekonzentration S. 151; ders. FS Locher 461, 469 f.; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 71; Sachon WRP 1980, 659, 665; Sack GRUR 1970, 493, 501 f.; ders. GRUR 1975, 297, 299, 301; Schluep GRUR Int. 1973, 446 ff.; K. Schmidt Kartellverfahrensrecht S. 409; ders. JuS 1978, 736; Schrauder Wettbewerbsverstöße als Eingriffe in das Recht am Gewerbebetrieb (1970) 97 ff.; Ullmann GRUR 2003, 817, 821; Ulmer Schranken zulässigen Wettbewerbs marktbeherrschender Unternehmen (1977) 63 ff.; Willemer WRP 1976, 16, 19; Wrage S. 17 ff., insbesondere S. 24 f.; a. A. Knöpfle Unlauterkeit S. 7 ff.; ders. Rechtsbegriff S. 345; s. a. Dreher/Kulka Rn. 21 ff., 115 ff. 53 Emmerich Überlegungen S. 75. 54 Schünemann Erstaufl. Einl. E Rn. 13 unter Bezugnahme auf Schramm GRUR 1937, 433 (dort vor einem aus heutiger Sicht obsoleten wirtschaftsverfassungsrechtlichen und wirtschaftspolitischen Hintergrund). S. a. Pichler S. 184, 205. 55 Fezer/Büscher/Obergfell Einl. F Rn. 347: „Monismus“ von UWG und GWB; zustimmend Götting/Nordemann Einl. 64, freilich im Widerspruch zu der aaO angenommenen „Rollenverteilung“ (Kartellrecht ziele auf das „Ob“, Lauterkeitsrecht auf das „Wie“ des Wettbewerbs) als Charakteristikum der Trennungsthese. Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 6.11: „einheitliche Gesamtordnung“. Auch mit Blick auf eine deshalb nur noch formelle kodifikatorische Zusammenführung von GWB und UWG nach dem Vorbild ausländischer Rechtsordnungen s. Pichler S. 184 f. m. w. N.; a. A. Knöpfle Rechtsbegriff S. 345; ders. Unlauterkeit S. 8 ff: Das Lauterkeitsrecht sei seiner Natur nach überwiegend Deliktsrecht und bilde deshalb eher mit diesem eine Gesamtordnung als zusammen mit dem GWB. Kritisch auch Dreher/Kulka Rn. 21 ff; 115. 56 Baumbach/Hefermehl Allg. Rn. 86; ähnlich MünchKommUWG/Sosnitza Grundl. Rn. 29 ff. (Komplementärverhältnis von UWG und GWB). 57 Emmerich/Lange Unlauterer Wettbewerb § 5 Rn. 17; Pichler S. 167 f. m. w. N.; Schwipps S. 58 ff. 58 Merz S. 201. 59 Emmerich Überlegungen S. 74; zu dieser zitierten Historie s. näher Köhler WRP 2005, 645 f.; Pichler S. 173 f., 183. 60 Keßler Marktkommunikation S. 91. 61 Zu den lediglich binnensystematischen Einwänden (Anwendbarkeit des Art. 3 Abs. 1 nur auf „Extrem- und Evidenzfälle“) s. ausführlich Harte/Henning/Podszun § 3 Rn. 110 ff. (Zitat Rn. 112); ders. WRP 2004, 925, 927. Ausdrück-

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Instrument z. B. der Marktstrukturkontrolle fungieren oder gegen Kartelle in Stellung gebracht werden; umgekehrt könnte das GWB auch noch andere Marktverhaltensnormen als etwa dasjenige „des unglückseligen Verbots des Verkauf unter Einstandspreis“ nach § 20 Abs. 3 GWB in sich aufnehmen,62 das früher ja gerade als Fall sittenwidrigen Wettbewerbsverhaltens nach § 1 a. F. UWG diskutiert worden ist.63 Mit Überwindung der Trennungs- durch die Konvergenzthese ist noch nichts über die Art der „wechselseitige(n) Abhängigkeit“64 zwischen GWB und UWG, noch nichts über den rechtslogischen Mechanismus ausgesagt, der den Zusammenhang zwischen Kartell- und Lauterkeitsrecht stiftet und steuert.65 Zunächst darf der Zusammenhang zwischen beiden Rechtsgebieten nicht eindimensional darin gesehen werden, dass nur der lautere Wettbewerb am (institutionellen) Schutz der Wettbewerbsfreiheit partizipiere, dass also Wettbewerbsfreiheit nur im Rahmen der Lauterkeit instituiert sei.66 Denn dies liefe in äußerster Konsequenz doch auf einen allseits verneinten Vorrang des UWG gegenüber dem GWB (s. Rn. 36) hinaus. In dieser Rigorosität wird das Postulat des „Nur der lautere Wettbewerb ist frei“ wohl deshalb auch nicht vertreten. Vielmehr sollen die Wertungen des GWB ihrerseits derart auf die lauterkeitsrechtlichen Anforderungen einwirken, dass sie „mit dem Grundziel des GWB, den freien Wettbewerb und dessen Funktionsfähigkeit zu gewährleisten, im Einklang stehen“.67 Die methodische Schwäche der Argumentation liegt jedoch darin, dass sie – insoweit der Trennungsthese (s. Rn. 31 ff.) verhaftet68 – wettbewerbliche Lauterkeit und Wettbewerbsfreiheit, wenn schon nicht als wirkliche kontradiktorische Gegensätze, so doch als begrifflich voneinander a priori ganz unabhängige, erst auf definitionslogisch höherer Ebene in irgendeinem Oberbegriff aufgehobene Größen versteht bzw. von dem „reinen“ Begriff der Lauterkeit im Interesse des wettbewerblichen Freiheitsschutzes Abstriche macht. In dem Maße jedoch, in dem man von einem moralisierenden Interpretationsansatz der Lauterkeit Abschied nimmt und an dessen Stelle den Maßstab der Lauterkeit allein am Sinngehalt der Institutionen Markt und Wettbewerb objektiviert,69 definiert sich die wettbewerbliche Lauterkeit über die wettbewerbliche Freiheit.70 Das Lauterkeitsrecht leistet insoweit nicht anlich zustimmend Boesche Rn. 16; in der Sache zumindest tendenziell ebenso Fezer/Büscher/Obergfell § 3 Rn. 325; Groner Der Rückgriff auf die Generalklausel des § 3 UWG zur Bestimmung der Unlauterkeit einer Wettbewerbshandlung (2008) 215 ff.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 2.26 ff.; Ohly/Sosnitza § 3 Rn. 12; a. A. etwa Beater Rn. 1060 (der den Gegenstand der einschlägigen Diskussion in die Nähe einer „Scheinproblematik“ rückt); Götting/Nordemann/Wirtz § 3 Rn. 7, 84. Auch die Rspr. neigt zu dieser bedenklich weiten Anwendung des § 3 Abs. 1 als eigenständigem Verbotstatbestand, vgl. z. B. BGH 9. 2. 2006 – I ZR 73/02 – GRUR 2006, 426 Tz. 16 – Direktansprache am Arbeitsplatz II; BGH 12. 7. 2007 – I ZR 18/04 – GRUR 2007, 890 Tz. 22 – Jugendgefährdende Medien bei ebay; BGH 22. 11. 2007 – I ZR 183/04 – GRUR 2008, 262 Tz. 9 – Direktansprache am Arbeitsplatz III; OLG Hamburg 28. 9. 2006 – 3 U 78/05 – WRP 2007, 210 ff. – Fliegerzeitschrift; OLG Hamburg 15. 1. 2007 – 3 U 240/06 – WRP 2007, 557 – Testhinweise ohne Fundstelle. 62 Emmerich Überlegungen S. 74. 63 Vgl. Brandner/Bergmann Erstaufl. § 1 Rn. 51 ff. Zu weiteren Spuren des Konvergenzgedankens, gerade auch in den zahlreichen Novellierungen des Kartellrechts, s. Pichler S. 173. 64 Baumbach/Hefermehl Allg. Rn. 87, 89a. 65 Diese Fragestellung schwingt bereits dort mit, wo im Rahmen der Trennungsthese die angebliche Antinomie von kartellrechtlichem Institutionsschutz und lauterkeitsrechtlichem Individualschutz in ein „Spannungsverhältnis“ eingebunden, also gerade keine beziehungslose Antithetik proklamiert wird. So richtig Merz S. 193 f. zu Koenigs NJW 1961, 1041, 1048. 66 S. aber sehr nahe an dieser Position die Formulierungen in BGH 26. 10. 1961 – KZR 3/61– BGHZ 36, 105, 112 = GRUR 1962, 154, 157; Koenigs GRUR 1958, 589 f.; Willemer WRP 1976, 16 f.; Wrage S. 25. 67 Baumbach/Hefermehl Allg. Rn. 86; s. a. Wrage S. 19 ff., insb. S. 24 f. 68 Merz S. 197 f.; Pichler S. 192. 69 S. für viele nur Harte/Henning/Podszun § 3 Rn. 123 ff. 70 S. a. Mestmäcker AcP 168 (1968) 235, 255 f.; ders. Wettbewerb S. 83, 90; Möschel in Immenga/Mestmäcker (Hrsg.) GWB 2. Aufl. (1992) § 22 Rn. 10.

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ders als das Kartellrecht seinen „organisatorischen Beitrag“ für das Funktionieren einer Wettbewerbswirtschaft,71 sodass es zwischen beiden nur „Quasikonflikte“ geben kann.72 So ist eine echte Ausweitung der Unlauterkeit auf Kosten der Wettbewerbsfreiheit, eine tatbestandliche Ausweitung des UWG unter gleichzeitiger Verengung des GWB, nur vorstellbar, wenn im Wege der „Normerschleichung“73 mit Hilfe des UWG im Grunde außerwettbewerbliche, und das heißt eben: nicht auf die Wettbewerbsfreiheit gemünzte Beurteilungstopoi zur Geltung gebracht werden sollen. Die Konkordanz der Wertungen in GWB und UWG im Hinblick auf die Wettbewerbsfreiheit schließt demgegenüber einen „Wettbewerbsschutz“ in einem der beiden Normkomplexe, die in dem anderen als „Wettbewerbsbeschränkung“ erscheinen könnte, aus.74 Fraglich kann demzufolge auch nicht sein, ob eine „marktbezogene Unlauterkeit“ anzuerkennen ist – deren Existenz quasi als Absage an ein moralisierendes Verständnis der Unlauterkeit ist vielmehr uneingeschränkt zu bejahen75 –, sondern ob man diese mit einer ganz bestimmten, marktfolgen- oder marktstrukturorientierten Sinngebung als dogmatisches Instrument benutzen darf76 und ob § 3 Abs. 1 dafür eine Plattform liefert.77 Für die Rechtskreise UWG und GWB folgt die überkommene h.M.78 wohl einer „Überschneidungsthese“,79 der zufolge UWG und GWB (nur) eine gemeinsame Schnittmenge haben. In ihr befinden sich jedenfalls Konstellationen wie Boykott (§ 4 Nr. 4 UWG/§ 21 GWB) und diverse Varianten der Behinderung (§ 4 Nr. 4 UWG/§§ 19 f. GWB); über diese augenfälligen Überschneidungen hinaus soll eine nicht näher beschriebene „wechselseitige Abhängigkeit“80 zwischen UWG und GWB bestehen. Systematisch bzw. methodologisch gesehen legt die Überschneidungsthese eine Anspruchskonkurrenz nahe, bei der insoweit die Normen des UWG und des GWB nach Tatbestand und Rechtsfolgen nebeneinander zum Zuge kommen würden.81 Dies entspricht aber gerade nicht den Vorstellungen der h.M., die ja zu Recht sicherstellen will, dass keine Wertungswidersprüche auftreten. Dem beugen große Teile der Literatur und auch die neuere Rspr. dadurch vor, dass eine gewisse „Sperrwirkung“82 des GWB gegenüber dem UWG bejaht wird.83

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Schluep GRUR Int. 1973, 446, 450. Schluep GRUR Int. 1973, 446, 452. Mestmäcker Wettbewerb S. 90. So aufgrund überzeugender Analyse Merz S. 201 f. Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 3 Rn. 203; ders. Erstaufl. 1994 Einl. D Rn. 37 ff. Vgl. aus der affirmativen Rspr. BGH 28. 2. 1985 – I ZR 174/82 – GRUR 1985, 883 ff. – Abwehrblatt I; BGH 10. 12. 1985 – KZR 22/85 – BGHZ 96, 337 = GRUR 1986, 397 – Abwehrblatt II; BGH 27. 10. 1988 – I ZR 29/87 – GRUR 1990, 371 – Schallplatten-Preiskampf; BGH 26. 4. 1990 – I ZR 71/88 – BGHZ 111, 188 = GRUR 1990, 685 – Anzeigenpreis I; BGH 26. 4. 1990 – I ZR 99/88 – GRUR 1990, 687 – Anzeigenpreis II; BGH 14. 3. 1991 – I ZR 55/89 – BGHZ 114, 82 = GRUR 1991, 616 – Motorbootfachzeitschrift; BGH 14. 12. 2000 – I ZR 147/98 – GRUR 2001, 752 – Eröffnungswerbung; BGH 29. 6. 2000 – I ZR 128/98 – GRUR 2001, 80 – ad-hoc-Meldung; BGH 20. 11. 2003 – I ZR 151/01 – BGHZ 157, 55 = GRUR 2004, 603 – 20 Minuten Köln; Monographisch s. Knöpfle Marktbezogene Unlauterkeit (1983). 77 Entgegen Götting/Nordemann/Schwipps § 4 Rn. 5.1 ff.; Köhler WRP 2005, 645, 651 f.; Koppensteiner WRP 2007, 475 ff.; Peukert § 3 Rn. 459 ff.; wie hier z. B. Emmerich Überlegungen S. 79 ff.; Schünemann JZ 2005, 271 ff.; WRP 2004, 925 ff.; Lux S. 237, 372 ff.; Ohly/Sosnitza § 4 Rn. 4/95 ff.; Steinbeck GRUR 2008, 848, 852. 78 S. z. B. Ahrens Wettbewerbsrecht Rn. 19: „partielle Überschneidungen“; Götting/Nordemann Einl. Rn. 64; Harte/ Henning/Ahrens Einl. G Rn. 111; MünchKommUWG/Sosnitza Grundl. Rn. 27 ff.; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 72. 79 Pichler S. 192. 80 Baumbach/Hefermehl Allg. Rn. 87, 89a. 81 So jedenfalls im Ansatz BGH 20. 11. 2003 – I ZR 151/01 – BGHZ 157, 55 = GRUR 2004, 603 – 20 Minuten Köln; dazu s. a. Götting/Nordemann/Schwipps § 4 Rn. 5.14; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 73; s. eingehend, gerade auch in methodologischer Hinsicht, Pichler S. 187 ff., insbesondere 192 f. 82 Schünemann Erstaufl. Einl. E Rn. 23. 83 BGH 21. 6. 1971 – KZR 8/70 – BGHZ 56, 327, 336 f. = GRUR 1972, 40, 42 f. – Verbandszeitschrift; BGH 4. 4. 1995 – KZR 34/93 – BGHZ 129 203, 210 ff. = GRUR 1995, 690, 692 – Hitlisten-Platten; Baudenbacher GRUR 1981, 19, 26 f.; Fezer/Büscher/Obergfell/Osterrieth/Schöning S1 Rn. 134 ff.; Immenga NJW 1995 1921; Knöpfle Unlauterkeit S. 20 ff.;

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III. Verhältnis zum Recht der Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellrecht, GWB)

Einleitung

Diese Sperrwirkung ist der Sache nach eine Konsequenz angenommener Gesetzeskonkurrenz, genauer: der Regel „lex specialis derogat legi generali“, mit dem GWB als spezieller Regelung.84 Bildlich gesprochen muss es sich dann bei UWG und GWB nicht um sich schneidende, sondern um konzentrische Kreise handeln, wobei das UWG den größeren Radius hat.85 So gesehen ist Freiheitsschutz nur ein „Sonderfall“ des Lauterkeitsschutzes.86 Dieser Verhältnisbestimmung ist grundsätzlich zu folgen.87 Sie beruht zum Einen auf der Identität der von UWG wie GWB verfolgten Schutzzwecke, dem Schutz der Wettbewerbsfreiheit, und dem Fehlen bzw. der Unmöglichkeit einer – mathematisch gesprochen – „eindeutigen“, also wechselseitig hinreichend definierten Zuordnung von Regelungsmaterien. Zum Anderen aber und vor allem ganz formal gesehen beruht diese Verhältnisbestimmung auf der gesetzlichen Regelungstechnik: Die Generalklausel des § 3 Abs. 1 UWG deckt grundsätzlich alle auf Markt und Wettbewerb bezogenen, den Interessen der Marktteilnehmer wie der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb zuwiderlaufenden Verhaltensweisen ab. Das GWB hingegen kennt keine vergleichbare umfassende Generalklausel, wenngleich dort die Technik der Einzeltatbestände im Laufe der Zeit von weitgefassten Normen wie z. B. §§ 1, 19 Abs. 1 und 20 Abs. 1, 3 und 4 GWB zurückgedrängt wurde (vgl. die aufgehobenen §§ 4–18 GWB a. F.), nicht zuletzt, um den Anschluss an Artt. 101 f. AEUV herzustellen. Die Herstellung einer Wertungskonkordanz ist mit dieser Positionierung von UWG und GWB nicht vorgezeichnet. Denn die Derogation einer lex generalis durch die lex specialis folgt keinem Automatismus, sondern ist Ergebnis einer Analyse der in Rede stehenden Normen.88 Sie ist der Einzelkommentierung vorbehalten. Gleichwohl lassen sich einige markante Punkte beleuchten, aus denen die Tendenz einer herzustellenden Wertungskonkordanz erkennbar wird. Aufschlussreich kann hier z. B. die mittlerweile weitgehend abgeschlossene89 Diskussion der sog. Vorfeldthese90 sein. Dabei handelt es sich im Kern – mit Varianten im Einzelnen91 – um den Versuch, die Eingriffsschwelle wettbewerblicher Sanktionen mit Hilfe des Lauterkeitsrechts und der ihm zugedachten Auffangfunktion92 vor die vom GWB gezogenen Marktmachtgrenzen zu verlegen. Vornehmlich zur Stärkung des „Leistungswettbewerbs“, verstanden als die Möglichkeit, die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens unabhängig von seiner jeweiligen Marktstellung zur Geltung bringen zu können,93 soll dabei eine Indienstnahme des Lauterkeitsrechtes für marktstrukturelle Überlegungen erfolgen können, was in aller Regel auf mittelstandspolitisch wirksame Effekte hinausläuft.

Köhler Erstaufl. § 1 D Rn. 14; Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 6.17; Köhler WRP 2005, 645, 647 f.; Merz S. 241; Mestmäcker Wettbewerb S. 90, 143 ff.; Scherer WRP 1996, 174, 179. 84 So schon Baudenbacher ZHR 144 (1980) 145, 170: Freiheitsschutz als Sonderfall des Lauterkeitsschutzes. 85 Köhler WRP 2005, 645, 647 f. 86 Baudenbacher ZHR 144 (1980) 145, 170. 87 Pichler S. 195, 205 nach eingehender Analyse; a. A. Boesche Rn. 30. 88 Bydlinski Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl. (1991) 465; Zippelius Juristische Methodenlehre, 10. Aufl. (2006) 39. 89 S. aber Pichler S. 196 f. 90 Ulmer GRUR 1977, 565, 577 ff.; ders. Schranken zulässigen Wettbewerbs marktbeherrschender Unternehmen (1977) 104; im Anschluss daran z. B. Baudenbacher ZHR 144 (1980), 145, 168; ders. GRUR 1981, 19, 26 f.; Bunte GRUR 1981, 397, 399, 406; Hölzler/Satzky Wettbewerbsverzerrungen durch nachfragemächtige Handelsunternehmen: Möglichkeiten und Grenzen ihrer Kontrolle (1980) 48 f., 134 ff.; v. Gamm NJW 1980, 2489, 2491 ff.; Hefermehl GRUR Int. 1983, 507, 512; Sack GRUR 1970, 493, 499; ders. WRP 1974, 247, 251; ders. WRP 1975, 65, 69 ff.; ders. WRP 1975, 261, 263; Sambuc GRUR 1981, 796, 800; Tillmann GRUR 1979, 825, 830. Der Ausdruck geht – soweit ersichtlich – zurück auf Möschel Pressekonzentration S. 131 ff. 91 S. Merz S. 31 ff. 92 Den Hebel dafür soll die Generalklausel liefern, früher also § 1 a. F., jetzt § 3 Abs. 1. 93 Ulmer Schranken zulässigen Wettbewerbs marktbeherrschender Unternehmen (1977) 61; ders. Kartellrechtswidrige Konkurrentenbehinderung durch leistungsfremdes Verhalten marktbeherrschender Unternehmen, FS Kummer (1980) 565, 572.

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Einleitung

G. Einordnung des Wettbewerbsrechts in das Rechtssystem

Die Vorfeldthese ist abzulehnen.94 Sie würde die ohnehin abgesenkten Marktmachtschwellen des GWB noch unterlaufen und damit die wettbewerblichen Freiheitsgrade noch mehr verringern.95 Dabei muss man sich im Klaren darüber sein, dass die kartellrechtlich gewählten marktstrukturellen Anknüpfungspunkte ihrerseits nur gleichsam methodische Kinder der Not sind, weil keine verlässlichen Messgrößen für Bedrohung oder für schon erfolgte Einschränkung von Wettbewerbsfreiheit zu Gebote stehen (vgl. Einl. A Rn. 69 f., 75, 78 ff.). Diese Schwellen sind letztlich Ausdruck einer gesetzgeberischen Vermutung, wonach die Inhaber von Marktmacht diese tatsächlich auch zur (unlauteren) Beschränkung der Wettbewerbsfreiheit anderer einsetzen würden. 53 Ebenso wenig sind auch die konkreten wettbewerblichen Effekte einer Marktintervention abschätzbar (s. a. Einl. A Rn. 96 f., 107).96 Von daher sind die Marktmachtschwellen des GWB als legislatorisches Optimierungskalkül zwischen dem Risiko eines voreiligen Einschreitens des GWB mit der Folge eines „kartellbehördlich verwalteten Wettbewerbs“97 einerseits, dem Risiko einer verspäteten und dann in ihrer Wettbewerbseffizienz möglicherweise nur noch unzureichenden wettbewerbsrechtlichen Intervention andererseits zu begreifen. Mit der Übernahme der Vorfeldthese würde nicht nur die im GWB wahrgenommene Wertungsprärogative des Gesetzgebers konterkariert, sondern auch das interventionsimmanente Irrtumsrisiko zu Lasten der Wettbewerbsfreiheit (weiter) erhöht. 54 Die in den kartellrechtlichen Marktmachtkriterien gebundene gesetzliche Wertung entfaltet deshalb eine grundsätzliche Sperrwirkung gegenüber einem an sich denkbaren marktmachtorientierten lauterkeitsrechtlichen Schutz der Wettbewerbsfreiheit.98 Dies bedeutet insbesondere auch eine Absage an jeden Versuch, ein vom GWB abgelehntes allgemeines Diskriminierungsverbot jenseits von § 20 GWB mit Hilfe der lauterkeitsrechtlichen Generalklausel zu etablieren.99 55 Auch soweit GWB und UWG außerhalb der im Kartellrecht fixierten Marktmachtgrenzen miteinander tatbestandlich in Berührung treten, ist die Gefahr einer Kollision der jeweiligen gesetzlichen Wertungen gegeben. Als „besonders kritische Fallgruppe unlauteren Wettbewerbs im Grenzbereich von UWG und GWB“100 hat dabei die sog. allgemeine Marktbehinderung oder Marktstörung intensive Beachtung gefunden (dazu eingehend die Kommentierung zu § 3).101 52

94 A.A. Glöckner S. 465. 95 Emmerich/Lange Unlauterer Wettbewerb § 5 Rn. 18; Fezer/Büscher/Obergfell/Osterrieht/Schöning S1 Rn. 126 ff.; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Holtorf § 16 Rn. 6; Hönn FS Mühl 309, 326 ff.; Lux S. 227 ff.; Merz S. 241 ff.; MünchKommUWG/Heermann (2. Aufl. 2014) Anh. §§ 1–7 B Rn. 8; MünchKommUWG/Sosnitza Grundl. Rn. 33; Ohly/Sosnitza Einf. D. Rn. 74; Pichler S. 170, 172; Scherer WRP 1996, 174, 180; Schünemann Erstaufl. Einl. Rn. 22 f. Hinzukommen binnensystematische Einwände bezüglich der Reichweite des „Auffangtatbestandes“ des § 3 Abs. 1. Dazu Harte/ Henning/Podszun § 3 Rn. 110 ff. 96 Emmerich Überlegungen S. 80; Lux S. 385 ff.; Merz S. 190 ff., 234 ff.; Mestmäcker WuW 2008, 6, 15 ff.; Ohly WRP 2008, 177, 179. 97 Mestmäcker Wettbewerb S. 51. 98 Im Ergebnis ebenso BGH 21. 6. 1971 – KZR 8/70 – BGHZ 56, 327, 336 f. = GRUR 1972, 40, 42 f. – Verbandszeitschrift; BGH 4. 4. 1995 – BGHZ 129, 203, 210 ff. = GRUR 1995, 690, 692 – Hitlisten-Platten; Emmerich Überlegungen S. 80 f.; v. Gamm NJW 1980, 2489, 2492; Hirtz GRUR 1980, 93, 96; Hönn FS Mühl 309, 326 ff.; Knöpfle Unlauterkeit S. 21 ff., 150 ff.; Lehmann GRUR 1979, 368, 398; Lindacher Lockvogel- und Sonderangebote: rechtliche Grenzen selektiver Niedrigpreisstellungen (1979) 40 f.; ders. BB 1975, 1311 ff.; Loewenheim GRUR 1976, 224, 227; Köhler Wettbewerbs- und kartellrechtliche Kontrolle der Nachfragemacht (1979) 23; Merz S. 239, 241; Mestmäcker Wettbewerb S. 96, 143 ff.; Möschel Pressekonzentration S. 130 ff.; ders. FS Locher 461, 471 f.; Sachon WRP 1980, 659, 665; ders. WRP 1982, 183, 187; Scherer WRP 1996, 174, 179; Schwipps S. 138 ff.; a. A. Koppensteiner WRP 2007, 475; Schnieders Allgemeininteressen im Wettbewerbsrecht (1999) 246 ff. 99 BGH 18. 4. 1958 – I ZR 158/56 – GRUR 1958, 487 – Antibiotika; Hirtz GRUR 1980, 96; Herrmann GRUR 1982, 395, 398 f.; Kraft FS Kummer 389 ff. 100 Emmerich Überlegungen S. 78. 101 S. monographisch namentlich Lux passim m. w. N.

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III. Verhältnis zum Recht der Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellrecht, GWB)

Einleitung

Gegen ihre auch in der Rspr. immer wieder trotz mancher Vorbehalte bestätigte Anerkennung102 sprechen indes schon wettbewerbstheoretische Gründe (s. Einl. A Rn. 114 f.), sodass es auf weitere, insbesondere auch konkurrenzrechtliche Erwägungen hier eigentlich gar nicht mehr ankommt. Solche Erwägungen führen im Übrigen erst recht zur Ablehnung dieser Fallgruppe.103 Denn mit dem Instrument der allgemeinen Marktbehinderung erfolgt eine kaschierte Marktstrukturkontrolle am GWB und seinen einzeltatbestandlichen Wertungen104 vorbei. Dadurch wird die Wettbewerbsfreiheit der Marktteilnehmer ungerechtfertigt beeinträchtigt. Auch insoweit entfaltet das GWB also (noch) eine Sperrwirkung.105 Es verbleiben somit zum Einen noch Fälle eines Doppelverstoßes bei Tatbestandsidentität sowohl nach UWG als auch nach GWB. Im Fokus stehen hier Boykott und sonstige individuelle Behinderungen, etwa durch Kartellabsprachen, die im konkreten Fall sowohl unter § 4 Nr. 4 UWG als auch unter §§ 19 ff. GWB subsumiert werden können. Die dabei auftretende Normenkonkurrenz ist nach h.M. als echte Anspruchskonkurrenz zu begreifen,106 sodass demnach die Rechtsfolgen beider wettbewerblicher Teilrechtsordnungen parallel, also kumulativ eintreten.107 Zweifelsfrei ist diese kaum begründete Position indes nicht (s. dazu auch die Kommentierung des § 4 Nr. 4), zumal dem GWB gegenüber dem UWG ansonsten mit gut nachvollziehbaren Argumenten ja eine Sperrwirkung zugesprochen wird (s. a. noch Rn. 59). Zum Anderen stellt sich abschließend die Frage, ob gerade in einem Verstoß gegen kartellrechtliche Normen eine Unlauterkeit liegen kann, was über §§ 8 ff. letztlich zu einer Ausweitung sowohl der Sanktionsmöglichkeiten als auch der Aktivlegitimation führen könnte.108 Schon angesichts der gegenüber der Rechtslage vor 2004 völlig veränderten Normsituation in Gestalt des seitdem existierenden Rechtsbruchtatbestandes und der damit definitiv abgelösten, ohnedies verfehlten Unterscheidung von wertbezogenen und wertneutralen Normen109 sowie des seinerzeit verfolgten Vorsprungsgedankens,110 aber auch seit der vollkommenen Neuordnung des kartellrechtlichen Sanktionensystems durch die 7. GWB-Novelle aus dem Jahre 2005 sind die zu diesem Thema „Kartellrechtsverstoß als Verletzung einer Marktverhaltensnorm“ früher geäußerten Ansichten111 durchweg Makulatur.112 Auszugehen ist wegen der materiellen Identität und des einheitlichen Schutzzwecks von UWG und GWB davon, dass Kartellrechtsverstöße zugleich Zuwiderhandlungen gegen Marktverhaltensregeln i. S. v. § 3a darstellen113 (s. a. Einl. A Rn. 11: das dort zum Wettbewerbsrecht 102 BGH 20. 11. 2003 – I ZR 151/01 – BGHZ 157, 55 = GRUR 2004, 603 – 20 Minuten Köln; BGH 20. 11. 2003 – I ZR 120/00 – WRP 2004, 746 – Zeitung am Sonntag; BGH 24. 6. 2004 – I ZR 26/02 – GRUR 2004, 877 – Werbeblocker; BGH 21. 4. 2005 – I ZR 201/02 – GRUR 2005, 1059 – Laborgemeinschaften; BGH 2. 10. 2008 – I ZR 48/06 – GRUR 2009, 416 Tz. 25 – Küchentiefstpreis-Garantie; BGH 17. 8. 2011 – I ZR 13/10 – GRUR 2011, 1163, 1165 – Arzneimitteldatenbank; BGH 19. 4. 2018 – I ZR 154/16 – BGHZ 218, 236, 252 f. = GRUR 2018, 1251, 1256 – Werbeblocker II. 103 Emmerich Überlegungen S. 79 f.; Pichler S. 275 ff., 308 ff., 348 f.; Ohly/Sosnitza § 4 Rn. 4/97; Schwipps S. 190. 104 S. namentlich § 20 Abs. 4 S. 2 GWB bezüglich der Preisunterbietung. 105 Zutreffend weist Emmerich (Überlegungen S. 82) aber darauf hin, dass das GWB seinerseits auch nicht über jeden Zweifel darüber erhaben ist, ein Garant der Wettbewerbsfreiheit zu sein, wofür gerade § 20 Abs. 4 Nr. 2 GWB und seine wahltaktische Entstehungsgeschichte zeuge. Dies verweist auf die Notwendigkeit, das Wettbewerbsrecht immer auch wirtschaftsverfassungskonform (und d. h. wohl häufig: restriktiv) zu interpretieren. S. zur Wirtschaftsverfassung Einl. A Rn. 139 ff. 106 Ebenso Hefermehl GRUR Int. 1983, 507, 512; Hönn FS Mühl 309, 324 f.; Mestmäcker Wettbewerb S. 141; Möschel Pressekonzentration S. 153; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 73; Ulmer ZHR 146 (1982) 466, 485. 107 BGH 5. 2. 2009 – I ZR 119/06 – GRUR 2009, 876 Tz. 10 – Änderung der Voreinstellung II. 108 S. a. Emmerich Überlegungen S. 82. 109 S. zur diesbezüglichen Rechtsentwicklung eingehend Pichler S. 401 ff. 110 BGH 9. 11. 1973 – I ZR 126/72 – GRUR 1974, 281 f. – Clipper. Für weiterbestehende Relevanz des Vorsprungsgedankens z. B. Sack WRP 2005, 532, 539 f., dagegen z. B. Pichler S. 408 f.; Scherer WRP 2006, 401, 405; v. Walther Rechtsbruch als unlauteres Marktverhalten (2007) 132 f., 194. 111 Vgl. Doepner GRUR 2003, 825 ff.; Schünemann Erstaufl. Einl. E Rn. 18 ff. m. w. N.; Wrage passim. 112 S. a. Hempel WuW 2004, 362 ff. 113 Pichler S. 414.

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G. Einordnung des Wettbewerbsrechts in das Rechtssystem

i. w. S. Gesagte gilt erst recht für das Wettbewerbsrecht i. e. S.). Gleichwohl würde es den Wertungen des GWB in doppelter Hinsicht widersprechen, wollte man hier eine Anspruchskonkurrenz i.S. einer Anspruchsparallelität, also eine Kumulation kartellrechtlicher und lauterkeitsrechtlicher Sanktionen, bejahen. Denn zum Einen würden die gerade den Kartellbehörden zustehenden Eingriffsoptionen unterlaufen114 und die Entscheidung den nach §§ 8 ff. lauterkeitsrechtlich Anspruchsberechtigen überlassen, und zum Anderen das detaillierte privatrechtliche Anspruchsinstrumentarium nebst Aktivlegitimation der §§ 33, 34a GWB gefährdet.115 Der aktuellen höchstrichterlichen Rspr.116 ist somit darin beizupflichten, dass das GWB auch gegenüber § 3a eine Sperrwirkung entfaltet.117 Das europäische Kartellrecht der Artt. 101 f. AEUV muss aus denselben Überlegungen he60 raus eine Sperrwirkung gegenüber § 3a entfalten,118 zumal §§ 33, 34a GWB über § 22 GWB auch hierfür Anwendung finden.119 Für das Verhältnis des Kartellrechts zum Lauterkeitsrecht wird das Problem der Sperrwir61 kung des Kartellrechts sehr anschaulich auch unter dem Stichwort „Sanktionenkonkurrenz“ erörtert.120 Doch wird hierdurch auch leicht eine falsche dogmatische Spur gelegt. Denn es handelt sich nicht um eine besondere, gar neue Variante der überkommenen Konkurrenzlehre;121 vielmehr stellt sich das Problem der „Sanktionenkonkurrenz“ in der Konkurrenzlehre ganz generell, ja, ist der Gegenstand der Konkurrenzlehre schlechthin. Will man die (weitreichende, aber wohl nicht ausnahmslose) Sperrwirkung in das Gefüge 62 der Konkurrenzlehre einpassen, bietet sich die Figur der lex specialis/lex generalis an. Denn erstens ist das GWB gegenüber dem UWG die speziellere Regelung, sofern man beide Rechtsmaterien substanziell als homogen betrachtet, das GWB wie das UWG also auf den Schutz des unverfälschten Wettbewerbs ausgerichtet sieht, und die Generalklausel des § 3 Abs. 1 als die lex generalis ausweist (s. Rn. 36 ff. und 48 f.). Und zweitens verdrängt die lex specialis keineswegs ausnahmslos die lex generalis (s. Rn. 50). Es handelt sich dabei freilich um einen sehr formellen Erklärungsansatz, der lediglich auf der eher rechtstechnischen Zufälligkeit beruht, dass das UWG in § 3 Abs. 1 über eine umfassende Generalklausel verfügt, das GWB hingegen nicht. In der Sache handelt es sich deshalb nicht nur im Verhältnis des GWB zu § 3a um eine gesetzlich nicht ausdrücklich angeordnete, sich aber aus Gründen teleologisch-systematischer Interpretation ergebende Subsidiarität des Lauterkeitsrechts.122

IV. Verhältnis zum Gewerblichen Rechtsschutz (mit Urheberrecht) 1. Begriff und Wesen des Gewerblichen Rechtsschutzes 63 Der im deutschen Recht123 oft sog. Gewerbliche Rechtsschutz umfasst diejenigen Gesetze, die den Schutz des geistigen Schaffens auf gewerblichem Gebiet bezwecken. Der internationale 114 S. insbesondere § 30 Abs. 3 GWB. Zu diesem Wertungstopos s. a. Emmerich Überlegungen S. 83. 115 S. a. Möschel WuW 2007, 483 ff. 116 Grundlegend BGH 7. 2. 2006 – KZR 33/04 – BGHZ 166, 154 Tz. 13 = GRUR 2006, 773 Tz. 13 – Probeabonnement. S. a. BGH 3. 7. 2008 – I ZR 145/05 – BGHZ 177, 150 Tz. 11 = GRUR 2008, 810 Tz. 11 – Kommunalversicherer. 117 Bechtold WRP 2006, 1162 f.; Emmerich Überlegungen S. 83; Glöckner WRP 2007, 490, 492; Gloy/Loschelder/ Danckwerts/Holtorf § 16 Rn. 6; Köhler GRUR 2004, 381, 387; ders. WRP 2005, 645; MünchKommUWG/Schaffert § 3a Rn. 24; Ohly WRP 2008, 177, 183; Pichler S. 418 f.; Schwipps S. 224 f.; a. A. MünchKommUWG/Sosnitza Grundl. Rn. 34. 118 BGH 14. 2. 2008 – I ZR 207/05 – BGHZ 175, 238 Tz. 15 ff., 24 = GRUR 2008, 438 Tz. 15 ff., 24 – Oddset; zustimmend Emmerich Überlegungen S. 83. 119 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.37; Pichler S. 416. 120 Götting/Nordemann/Schwipps § 4 Rn. 5.15; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.33; Schwipps S. 220. 121 S. nur Larenz/Canaris Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995) 87 ff. 122 Im Ergebnis teilweise ähnlich Pichler S. 416. 123 Vgl. etwa Artt. 73 Nr. 9, 96 Abs. 1 GG.

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IV. Verhältnis zum Gewerblichen Rechtsschutz (mit Urheberrecht)

Einleitung

Sprachgebrauch124 präferiert zur Bezeichnung der Regelungsmaterie hingegen die Wendung „Geistiges Eigentum“, gelegentlich auch getrennt nach „Geistigem“ und „Gewerblichem Eigentum“ (Propriété Intéllectuelle/Industrielle) eine Begrifflichkeit, die wegen des auf körperliche Sachen bezogenen Eigentumsbegriffs nach deutschem Recht in §§ 903, 90 BGB aber von vornherein schief ansetzt und deshalb für die deutsche Dogmatik wenig hilfreich ist.125 Über den Umfang der dem Gewerblichen Rechtsschutz zuzuordnenden Materien besteht keine vollständige Einigkeit. Nach wohl allgemeiner Meinung126 zählen zum Gewerblichen Rechtsschutz jedenfalls das Patent- und Gebrauchsmusterrecht sowie das Kennzeichenrecht mit dem Markenrecht als Kern, aber auch das Designrecht (ehemals Geschmacksmusterrecht), ferner das Halbleiterschutzgesetz (HalblSchG) und das Sortenschutzgesetz (SortSchG). Auch das Gesetz über Einheiten im Messwesen und die Zeitbestimmung (EinhZeitG) und die Einheitenverordnung (EinhV) werden hier eingeordnet.127 Dies leuchtet allerdings nicht ein, denn diese Normen gewähren im Gegensatz zu PatG etc. keine absoluten Rechte und stehen funktional eher in einer Reihe mit der PAngV. Stellt man auf diesen Aspekt ab, so zeigt sich, dass zum Gewerblichen Rechtsschutz die objektbezogenen Materien des Immaterialgüterrechts sowie die verhaltensbezogenen Vorschriften des Wettbewerbsrechts gehören. Charakteristisch für den Objektschutz ist, dass sie ein Leistungsergebnis an sich schützen, während verhaltensbezogene Schutzvorschriften im Zentrum die wirtschaftliche Entfaltungsfreiheit gegen bestimmte Verhaltensweisen schützen, die man als unlauter oder im Übrigen wettbewerbsfeindlich bezeichnen kann. Sehr geteilt waren lange die Auffassungen zu einer Einordnung des Urheberrechts in den Gewerblichen Rechtsschutz.128 Das Urheberrecht an Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst sowie die ihm verwandten Schutzrechte (§§ 70 ff. UrhG) zählen nicht zu den gewerblichen Schutzrechten, wenn man darauf abstellt, dass für urheberrechtliche Werke deren gewerbliche Verwertbarkeit weder Schutzvoraussetzung noch Schutzgrund ist, zudem für den Schutz der urhebergesetzlich erfassten Leistungsergebnisse die persönliche Prägung durch ihre natürlichen Schöpfer kennzeichnend und wesensbegründend sind. Das Urheberrecht ist insoweit subjekt(persönlichkeits-)bezogen, der Gewerbliche Rechtsschutz objektzentriert,129 was sich etwa daran zeigt, dass die Schutzfristen des Urheberrechts post mortem auctoris (§ 64 Abs. 1 UrhG), die des Gewerblichen Rechtsschutzes post factum (z. B. § 16 PatG) beginnen. Die im Urheberrechtsgesetz kodifizierten verwandten Schutzrechte knüpfen zwar ebenfalls post factum an (z. B. § 82 UrhG), doch unterstützen sie nur den vorrangigen Urheberschutz, setzen sein Bestehen also im Regelfall voraus. Die enge Verwandtschaft des Urheberrechts mit den Materien, die dem Gewerblichen Rechtsschutz zuzuordnen sind, zeigt sich bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise in ihrer gemeinsamen Rolle als zumindest temporär wirksames Instrument des Marktausschlusses von (aktuellen wie potenziellen) Konkurrenten.130 Das liegt weniger an der Konzeption des Urheberrechts, sondern daran, dass die wirtschaftliche Verwertung typischerweise durch vom Urheber

124 Vgl. z. B. § 1 Abs. 2 PVÜ. 125 So auch Beater Medienrecht Rn. 459; a. A. die h.M., vgl. für viele nur Götting Gewerblicher Rechtsschutz § 1 Rn. 2. 126 Vgl. Baumbach/Hefermehl Allg. Rn. 91; Götting Gewerblicher Rechtsschutz § 1 Rn. 1, 10 ff.; Dreher/Kulka Rn. 108; Martin S. 3 ff. 127 Boesche Rn. 39. 128 Dafür insbesondere schon Elster Urheber- und Erfinder-, Warenzeichen- und Wettbewerbsrecht (Gewerblicher Rechtsschutz), 2. Aufl. (1928) S. 3 ff.; dagegen etwa Hubmann Gewerblicher Rechtsschutz, 5. Aufl. (1988) § 1 II; monographisch insbesondere Peifer S. 90 ff. 129 Peifer S. 328. 130 Fikentscher Wettbewerb 148; Schünemann Wettbewerbsrecht (1989) 103 f.; zur (zweifelhaften) wettbewerbstheoretischen Rechtfertigung gewerblicher Ausschließlichkeitsrechte durch Überwiegen positiver Wettbewerbseffekte wie z. B. Innovationsanreize s. Peifer S. 333 ff., 339 m. w. N.

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verschiedene Beteiligte, z. B. Verleger, Tonträgerhersteller, Konzertveranstalter, Rundfunkunternehmen oder Interdienstebetreiber erfolgt. Für das Urheberrecht wird der durch solche Ausschlusswirkungen erzeugte negative Wettbewerbseffekt heute vor allem hinsichtlich des Schutzes von Computerprogrammen (Software) praktisch, dem eigens die §§ 69a ff. UrhG gewidmet sind. Einen technikinduzierten Bedeutungswandel des Urheberrechts legen auch die §§ 87a ff. UrhG mit ihrem Schutz für Datenbanken deutlich, ferner die §§ 85 ff. UrhG (Leistungsschutzrechte zugunsten der Hersteller von Tonträgern und des Rundfunks). Der Gegensatz von gewerblicher Leistung einerseits, kultureller Leistung andererseits, und damit ein antinomischer Charakter von Gewerblichem Rechtsschutz und Urheberrecht besteht konzeptionell, weil der besondere Charakter des Urheberrechts auf der Basis der Werkschöpfer-Individualität als seiner Legitimationsquelle mit beachtlichen kultur- und persönlichkeitsrechtlichen Gründen gerade in jüngerer Zeit eine besondere Rolle spielt.131 Doch treibt die Realität des Wirtschaftslebens und die dort vor allem im Medienbereich mithilfe des Urheberrechts ausgefochtenen harten Verteilungskämpfe die essenzielle persönlichkeitsrechtliche Prägung des Urheberrechts häufig in eine Verteidigungsposition, welche die Legitimität des Rechtsgebietes mit seinen weitreichenden und weit über den Tod des Berechtigten hinaus geschützten Rechten gefährdet.132 Für die materielle Teilhabe des Urheberrechts am Gewerblichen Rechtsschutz wird gelegentlich die sachliche Nähe des Urheberrechts zum Designrecht angeführt,133 das in Deutschland heute ganz überwiegend134 (und international seit Langem) dem Gewerblichen Rechtsschutz (bzw. dem „gewerblichen Eigentum“) zugerechnet wird.135 Doch hat insbesondere die Rechtsentwicklung auf Ebene des Unionsrechts klargestellt, dass gewerbliche Designs keine persönlichen Schöpfungen, sondern eigenständige Schutzgegenstände sind,136 so dass die früher vertretene Theorie, wonach Urheber- und Designrecht in einem Stufenverhältnis zueinander stehen,137 mittlerweile als aufgegeben angesehen werden kann.138 Designs sind eigenständige Schutzgegenstände, deren Schutzrechtfertigung nicht auf die persönliche Schöpfung, sondern auf ihre objektive Eigenart im Markt der Produktgestaltungen zurückgeht.139 Die Definitionsfrage ist in den Hintergrund getreten, weil mittlerweile bevorzugt mit dem Oberbegriff des „geistigen Eigentums“ („IP“: Intellectual Property) operiert wird.140 Trotz seiner Verbreitung richtet sich gegen diesen Sprachgebrauch der bereits (s. Rn. 63) genannte Einwand einer problematischen Gleichsetzung von Eigentum und absolutem Recht. Vorzugswürdig er131 Peifer S. 55 ff., 128 ff. Die nachfolgenden Ausführungen zum Verhältnis des Urheberrechts zum Gewerblichen Rechtsschutz weichen von der Vorauflage aus der Feder von Schünemann konzeptionell deutlich ab.

132 Götting Gewerblicher Rechtsschutz § 1 Rn. 8. 133 Früher sprach § 1 GeschMG a. F. (vor dem 1. 6. 2004) sogar vom „Urheber“ entgegen jetzt § 7 Abs. 1 DesignG vom „Entwerfer“. 134 So deutlich im innerdeutschen Einigungsvertrag (BGBl. II 1990, S. 537) Anlage I, Kap. III, Sachgebiet E, Abschnitt II. 135 Götting Gewerblicher Rechtsschutz § 1 Rn. 13 m. w. N.; insoweit ebenso Peifer S. 333. 136 Vgl. EuGH 27. 1. 2011 – C-168/09 – Slg. 2011, I-181 Tz. 36 f. – Flos/Semeraro mit Art. 17 Satz 2 Richtlinie 98/71/ EG über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen (Designrichtlinie), EG-ABl. L 289, S. 28 einerseits und EuGH 1. 12. 2011 – C-145/10 – GRUR 2012, 166 Tz. 88 mit 92 – Painer andererseits. 137 Nordemann Ufita 50 (1967) 906, 908; von Gamm GeschmMG (2. Aufl. 1989) § 1 Rn. 56; in der Rspr. RGZ 76, 339, 344; 124, 68, 72 − Besteckmuster; BGH 27. 2. 1961 – I ZR 127/89 – GRUR 1961, 635, 636 − Stahlrohrstuhl; BGH 5. 3. 1998 – I ZR 13/96 – GRUR 1998, 830, 832 − Les-Paul-Gitarren. 138 BGH 13. 11. 2013 – I ZR 143/12 – GRUR 2014, 175 Tz. 33 − Geburtstagszug. 139 Peifer S. 333. 140 S. z. B. das TRIPS-Übereinkommen, das freilich das Urheberpersönlichkeitsrecht ausklammert, sowie das „Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums“ v. 7. 7. 2008 (BGBl. I, S. 1191); Ekey/ Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß E 2 Rn. 13; Götting GRUR 2006, 353, 358; Harte/Henning/Sambuc (2. Aufl. 2009) Einl. F Rn. 180; Ohly JZ 2003, 545 ff.; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 77 ff.; Wandtke/Wandtke 1. Kap. Rn. 73.

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scheint demgegenüber der ebenfalls gut eingeführte Terminus „Immaterialgüterrecht“,141 der zudem keine ideologiegeschichtlich-naturrechtlichen, mit dem Eigentumsbegriff verknüpften Angriffsflächen bietet,142 allerdings das Wettbewerbsrecht allenfalls als Ausübungsgrenze von Ausübungsbefugnissen erfasst. Auch das Lauterkeitsrecht gehöhrt zum Gewerblichen Rechtsschutz. Dies wurde vor allem früher nicht selten bejaht mit der Begründung, das den Gewerblichen Rechtsschutz begriffliche konstituierende Moment liege im Schutz des gewerblichen Schaffens, der gewerblichen Leistung, und eben dies sei auch der Leitgedanke des Lauterkeitsrechts.143 Dieser Standpunkt begegnet keinen Bedenken, wenn man berücksichtigt, dass nach seiner formalen Struktur das Lauterkeitsrecht – anders als Patentrecht, Gebrauchsmusterrecht etc. – keine absolut-rechtlichen Positionen definiert und zuweist, sondern Verhaltensstandards normiert.144 Zwar mag die rechtliche Gewährleistung von Besitzständen mithilfe absoluter Rechte vom gedanklichen Ansatz her, nämlich aus Sicht der zu sichernden Wettbewerbsfreiheit, geradezu kontraproduktiv sein, so dass deshalb der Gewerbliche Rechtsschutz in einem gegenläufigen Prinzip zum so verstandenen Wettbewerbsrecht gründet,145 doch zielen Lauterkeitsrecht und Gewerblicher Rechtsschutz durchaus beide auf den Schutz des Wettbewerbs als Institution und die Wahrung des marktwirtschaftlichen Gesamtmechanismus, weil auch Ausschließlichkeitsrechte nur funktionsadäquat für wettbewerbliche Prozesse sind, sofern das System der Zuweisung von Schutzgegenstand, Schutzrechtfertigung und Schutzschranken auch wettbewerbsverträglich gestaltet wird. Einerseits also ist die Zuweisung von Eigentumsrechten ein bedeutsamer Anreiz für die wirtschaftliche Entfaltung, andererseits unterliegt die Ausübung dieser Rechte wettbewerbsfunktional bestimmten Schranken (Irreführungsverbot, Transparenzgebot, Aggressionsverbot). Das Lauterkeitsrecht ist vor diesem Hintergrund Teil des Gewerblichen Rechtsschutzes.146 Allerdings ist es ungenau anzunehmen, das Immaterialgüterrecht sei lex specialis gegenüber dem Lauterkeitsrecht.147 Dass auch das Immaterialgüterrecht einen spezifischen Wettbewerbsbezug aufweist und deshalb zum Wettbewerbsrecht i.w.S. zu rechnen ist (vgl. Einl. A Rn. 7 ff.), sagt noch nichts über das normlogische Verhältnis des Immaterialgüterrechts und damit auch des Kennzeichenrechts zum Lauterkeitsrecht. Jedenfalls bedarf es nicht einer solchen Verhältnisbestimmung, um sicherzustellen, dass die immaterialgüterrechtlichen Wertungen nicht durch Lauterkeitsrecht unterlaufen werden,148 weil dieses Ziel auch durch Subsidiarität als andere Variante der Gesetzeskonkurrenz erreicht werden kann. Gemeinsam ist Patent-, Muster-, Zeichen- und Urheberrecht, dass sie in Form absoluter Rechte immaterielle Güter unter Zubilligung von verwertungs- und ggf. persönlichkeitsrechtlichen Befugnissen schützen. Diese Immaterialgüterrechte genießen den verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz des Art. 14 GG, den deliktsrechtlichen Schutz als sonstige Rechte i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB und sie sind Ausfluss von Schutzgesetzen i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB. Angesichts ihrer umfassenden Sonderregelungen, die den allgemeinen Vorschriften der unerlaubten Handlung grundsätzlich vorgehen, kommt der Verletzung von Immaterialgüterrechten als unerlaubter Handlung keine große Bedeutung zu. Lediglich dort, wo Regelungen in den Sondergesetzen 141 Vgl. Ahrens Wettbewerbsrecht Rn. 17; Boesche Rn. 33; Fezer/Büscher/Obergfell Einl. H Rn. 447 ff.; Wandtke/ Wandtke 1. Kap. Rn. 73. 142 Ablehnung der gängigen Begriffsbildung aus eben diesen Gründen namentlich durch Rehbinder Rn. 97. 143 Baumbach/Hefermehl Allg. Rn. 96; Fischer Grundzüge des Gewerblichen Rechtsschutzes, 2. Aufl. (1986) § 1 III 6; Hubmann Gewerblicher Rechtsschutz, 5. Aufl. (1988) § 1 II 4. S. a. (referierend) Ekey/Klippel/ Kotthoff/Meckel/ Plaß E 2 Rn. 12. 144 A.A. zur Einordnung Vorauflage, vgl. Im Übrigen Harte/Henning/Ahrens Einl. G Rn. 208. 145 So die Vorauflage. 146 Dreher/Kulka Rn. 39: Lauterkeitsrecht als „Randgebiet des Gewerblichen Rechtsschutzes“; a. A. Vorauflage sowie im Ergebnis Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß E 2 Rn. 13; Rinck/Schwark Rn. 660. 147 MünchKommUWG/Hauck Grundl. Rn. 244 ff., 248, 290 f. 148 MünchKommUWG/Hauck Grundl. Rn. 245; dementsprechend auch ohne diesbezügliche Festlegung Ohly/Kur GRUR 2020, 457.

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fehlen, etwa zur Mittäterschaft, Anstiftung oder Beihilfe, ist der Rückgriff auf § 830 BGB erforderlich,149 da eine gesetzliche Störerhaftung in den Spezialgesetzen ebenso fehlt, bedarf es zudem des Rückgriffs auf § 1004 Abs. 1 BGB (analog).150 77 Gemeinsam ist den immaterialgüterrechtlichen Sondergesetzen auch die Tatsache, dass sie Ausdruck einer grundlegenden und damit abschließend zum Ausdruck gebrachten gesetzgeberischen Interessenabwägung sind zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an einer ungehinderten, dem Wettbewerb ausgesetzten Nutzung des Fortschritts in Wissenschaft, Technik und Kultur einerseits sowie andererseits dem Interesse des Leistungsträgers an einem möglichst langen und umfassenden Verwertungsmonopol an seinem oft mit Mühe und Kosten geschaffenen Leistungssubstrat. Beide Interessen treffen sich dort, wo der Leistungsträger durch die Zubilligung von Ausschließlichkeitsrechten Investitionsanreize erhält, die im Interesse der Allgemeinheit dafür sorgen, dass Innovationswettbewerb stattfindet und die daraus hervorgehenden Erzeugnisse den Abnehmern als Produktalternativen zur Verfügung stehen.151 78 Der Gesetzgeber hat diesen Interessenkonflikt durch Zubilligung durchweg sachlich und zeitlich begrenzter Ausschließlichkeitsrechte des Leistungsträgers gelöst.152 Bei seiner Abwägung hat der Gesetzgeber den involvierten Interessen durch Unterschiede in Schutzgegenstand, Entstehungsvoraussetzungen sowie Schutzumfang der Immaterialgüterrechte differenziert Rechnung getragen. Diese legislatorischen Entscheidungen dürfen weder durch privatautonome Akte (Immaterialgüterrecht ist zwingendes Recht) noch anderweitig, insbesondere auch nicht durch Lauterkeitsrecht, unterlaufen werden.153

2. Grundsatz und Grenzen der Nachahmungsfreiheit 79 Ob aus der bloßen Existenz der Immaterialgüterrechte schon im Umkehrschluss ein Grundsatz der Nachahmungsfreiheit und damit eine Absage an Ersatz-Ausschließlichkeitsrechte154 folgt, kann fraglich sein.155 Jedoch ist jedenfalls vor dem Hintergrund der die Wirtschaftsverfassung dominierenden Wettbewerbsfreiheit (s. Einl. A Rn. 165 ff.)156 als in ihr enthalten auch die grundsätzliche Freiheit festzustellen, die Leistung anderer zu übernehmen, nachzuahmen und ökonomisch zu verwerten. Jenseits der sachlichen und zeitlichen Grenzen des Sonderrechtsschutzes gilt also der Grundsatz der Übernahme-, Nachahmungs- und Annäherungsfreiheit.157

149 Vgl. hierzu BGH 11. 3. 2009 – I ZR 114/06 – BGHZ 180, 134 Tz. 14 = GRUR 2009, 597 Tz. 14 – Halzband (Verletzung von Urheber- und Kennzeichenrechten nebst lauterkeitsrechtlicher Haftung). 150 BGH 17. 7. 2003 – I ZR 259/00 – BGHZ 156, 1, 11 = GRUR 2003, 958, 961 – Paperboy (Urheberrecht); BGH 30. 4. 2008 – I ZR 73/05 – GRUR 2008, 702 Tz. 49 – Internet-Versteigerung IIII (Markenrecht); im UWG spielt die Störerhaftung dagegen keine Rolle mehr seit BGH 12. 7. 2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 Tz. 22 = GRUR 2007, 890 Tz. 22 – Jugendgefährdende Medien bei eBay. 151 Vgl. insoweit zur Entwicklung im Patentrecht Kurz, Weltgeschichte des Erfindungsschutzes, 2001, 20 ff. mit zahlreichen Beispielen. 152 Aus neuerer Zeit zum Verhältnis von Lauterkeitsrecht zum Immaterialgüterschutz s. monographisch vor allem Thouvenin. 153 Emmerich/Lange Unlauterer Wettbewerb § 11 Rn. 6, 46; MünchKommUWG/Hauck Grundl. Rn. 245; Ohly FS Ullmann 795 ff. 154 Emmerich/Lange Unlauterer Wettbewerb § 11 Rn. 4 a. E.; Walch S. 6 ff. 155 So zutreffend Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 21. 156 Ohly/Sosnitza § 4 Rn. 3/15. 157 BGH 28. 10. 2004 – I ZR 326/01 – GRUR 2005, 166, 168 – Puppenausstattungen; BGH 21. 9. 2006 – I ZR 270/ 03 – GRUR 2007, 339 Tz. 27 – Stufenleitern; BGH 26. 6. 2008 – I ZR 170/05 – GRUR 2008, 1115 Tz. 32 – ICON; BGH 19. 11. 2015 – I ZR 149/14 – GRUR 2016, 725, 729 – Pippi-Langstrumpf-Kostüm II; BGH 4. 5. 2016 – I ZR 58/14 – BGHZ 210, 144, 174 ff. = GRUR 2017, 79, 87 – Segmentstruktur; Beater Rn. 1912; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 21; MünchKommUWG/Hauck Grundl. Rn. 246, 296; Troller, Immaterialgüterrecht I, § 5 III 2; ders., Ist der immaterialgüterrechtliche „numerus clausus“ der Rechtsobjekte gerecht?, FS M. Gutzwiller, 1959, 769 ff.; a. A. Köhler GRUR 2007,

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Entgegen einer auch im juristischen Bereich trotz aller Lippenbekenntnisse latent verbrei- 80 tet vorhandenen Animosität gegenüber einer rechtlich grundsätzlich anzuerkennenden Imitationsfreiheit158 ist zu betonen, dass die Nachahmung gesellschaftlich nicht nur tolerabel, sondern geradezu wünschenswert ist. Denn ohne imitatorisches Lernen ist wirtschaftlicher, technischer und kultureller Fortschritt einer Gesellschaft undenkbar.159 Es ist also positiv einzuschätzen, wenn auf den jeweils aktuellen Entwicklungsstand und den in ihm kumulierten Erfahrungsschatz möglichst frei zurückgegriffen werden kann, wenn also das übernommen und dem Wettbewerb unterworfen werden kann, was sich schon als gut oder erfolgreich erwiesen hat.160 Insofern und insbesondere unter dem Gesichtspunkt der freien Preisbildung kommt dem Imitationswettbewerb eine dem Innovationswettbewerb gleichwertige Rolle zu.161 Dies gilt im technischen wie nichttechnischen Bereich gleichermaßen162 und sollte auch bei der Diskussion eines ergänzenden Leistungsschutzes durch Lauterkeitsrecht nicht in Vergessenheit geraten. Der Grundsatz dieser Nachahmungsfreiheit als Teil der Wettbewerbsfreiheit163 bedeutet 81 aber nicht, dass bei der wettbewerblichen Aneignung und Verwertung fremder Leistungen außerhalb des immaterialgüterrechtlichen Regelungsbereichs alles erlaubt sei. Eine solche Aussage kann weder im Gegenschluss dem Sonderrechtsschutz noch wirtschaftsverfassungsrechtlichen oder fortschrittspolitischen Erwägungen entnommen werden. Das Immaterialgüterrecht entscheidet zwar abschließend die Frage, ob und inwieweit dem 82 Leistungsträger ein Verwertungsmonopol an der besonderen Leistung zusteht. Hingegen bleibt es noch Aufgabe des Lauterkeitsrechts, sicherzustellen, dass dort, wo der Sonderrechtsschutz nicht eingreift, die grundsätzlich zulässige Nutzung fremder Leistung durch Dritte in lauterer Art und Weise stattfindet,164 insbesondere also in Form einer wettbewerbsgerechten Aneignungs- und Verwertungshandlung. Insoweit besteht durchaus ein funktionaler Zusammenhang mit dem Immaterialgüterrecht. Denn das Immaterialgüterrecht knüpft die Rechtswidrigkeit eines Verhaltens an den Eingriff in einen absolut geschützten Bereich, das Lauterkeitsrecht hingegen an eine wettbewerbsdysfunktionale Handlungsmodalität.165

230 f.; Nerreter Wettbewerbsrechtlicher Schutz technischer und ästhetischer Arbeitsergebnisse, GRUR 1957, 533: allgemeiner Rechtsgedanke, daß einer schöpferische Leistung wenigstens begrenzte Zeit hindurch Schutz gegen Nachahmung gebührt. 158 Vgl. zu den in diesem Zusammenhang aufgetauchten diversen argumentativen Merkwürdigkeiten (z. B. Anstößigkeit bzw. rechtliche Unzulässigkeit des „Pflügens mit fremdem Kalbe“) Beater Rn. 1923. 159 Ebenso entschieden Emmerich/Lange Unlauterer Wettbewerb § 11 Rn. 6. 160 So schon RG 7. 4. 1910 – Rep. VI. 344/09 – RGZ 73, 294 – Schallplatten; RG 26. 10. 1920 – Rep. III. 239/20 – RGZ 101, 1 – Siegfried-Möbel; RG 31. 1. 1928 – II 77/27 – RGZ 120, 94 = GRUR 1928, 289 – Huthaken; RG 19. 3. 1932 – I 345/ 31 – RGZ 135, 385, 394 f. = GRUR 1932, 751, 754 – Künstliche Blumen; RG 23. 2. 1934 – II 266/33 – RGZ 144, 41 – Hosenträger; s. weiterhin BGH 2. 7. 1969 – I ZR 118/67 – GRUR 1969, 618 f. – Kunststoffzähne; BGH 8. 11. 2001 – I ZR 199/99 – GRUR 2002, 275 f. – Noppenbahnen; BGH 21. 9. 2006 – I ZR 270/03 GRUR 2007, 339 Tz. 27 – Stufenleiter; BGH 24. 5. 2007 – I ZR 104/04 – GRUR 2007, 984 Tz. 20 – Gartenliege; BGH 9. 10. 2008 – I ZR 126/06 – GRUR 2009, 79 Tz. 26 – Gebäckpresse; Martin Imitationsanreiz S. 10. 161 Eingehend und m. w. N. Leistner Voraufl. § 4 Nr. 9 Rn. 26 ff. 162 Zur gelegentlich in Frage gestellten Gleichbehandlung von technischer und nicht technischer Leistung s. Martin Imitationsanreiz S. 12 f. m. w. N. 163 A.A. Köhler GRUR 2007, 230 f. 164 BGH 25. 2. 1999 – I ZR 118/96 – BGHZ 141, 13, 27 = GRUR 1999, 707, 711 – Kopienversand; BGH 10. 12. 1998 – I ZR 100/96 – GRUR 1999, 325 ff. – Elektronische Pressearchive; BGH 17. 7. 2003 – I ZR 259/00 – BGHZ 156, 1, 17 = GRUR 2003, 958, 962 – Paperboy: BGH 19. 11. 2015 – I ZR 149/14 – GRUR 2016, 725, 726 – Pippi-Langstrumpf-Kostüm II; Bärenfänger WRP 2011, 16, 21, 23 („Lauterkeitsvorbehalt“ speziell im Markenrecht). 165 S. a. MünchKommUWG/Gauck Grundl. Rn. 290 (für das Urheberrecht); etwas abweichend zum hier Vertretenen: Vorauflage/Schünemann. Den Funktionszusammenhang im Bereich des Markenrechts betont dagegen Bärenfänger Spannungsfeld S. 58 ff.; ders. WRP 2011, 16, 25 ff., der von einer „Symbiose“ jedenfalls von Marken- und Lauterkeitsrecht (und darüber hinaus für Immaterialgüterrechte schlechthin, z. B. WRP 2011, 16, 28) spricht und so namentlich für die Markenverletzung „immer Unlauterkeit“ verlangt (WRP 2011, 16, 27).

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Doch ist auch hier darauf zu achten, dass nicht im Ergebnis doch Ersatz-Ausschließlichkeitsrechte gewährt und damit die vorrangig zu sichernde Wettbewerbsfreiheit paradoxerweise gerade durch ein dem unverfälschten Wettbewerb (§ 1) verpflichtetes Wettbewerbsrecht beschnitten wird.166 Dies lässt sich nur sicherstellen, wenn für die Unlauterkeit grundsätzlich nur jene außerhalb des Sonderrechtsschutzes liegende, spezifisch wettbewerbliche Umstände die Urteilsbasis bilden, die der Gesetzgeber ausgewählt hat. Alles andere missachtet dessen Prärogative.167 In Betracht kommen deshalb für eine Anwendung des Lauterkeitsrechts bei Berührungen 84 mit Immaterialgüterrecht grundsätzlich nur die expliziten Unlauterkeitstatbestände des UWG, also nachahmungsbedingte Verwechselungsgefahr bezüglich der Warenherkunft (§ 4 Nr. 3 lit. a), Rufausbeutung (§ 4 Nr. 3 lit. b), die Nachahmung erst ermöglichende, unredliche Kenntniserlangung (§ 4 Nr. 3 lit. c) wie z. B. durch Vertrauensbruch oder auch gezielte Behinderung (§ 4 Nr. 4) durch systematische Nachahmung zu Lasten von Mitbewerbern.168 Ein lauterkeitsrechtlicher Leistungsschutz über § 4 Nr. 3 und 4 hinaus gestützt auf § 3 Abs. 1 85 wird allenfalls dort erwogen werden dürfen, wo es um „provisorischen“ Schutz quasi als „Notlösung“ im zeitlichen Vorfeld einer gesetzlichen Regelung geht, um extreme, evidente169 „Schutzlücken zu schließen, die dadurch entstehen, dass der Gesetzgeber nicht in der Lage ist, schnell genug auf die technischen und wirtschaftlichen Schutzbedürfnisse zu reagieren“.170 Schutzlücken dieser Art dürften sich angesichts einer zu unterstellenden Handlungsfähigkeit des Gesetzgebers kaum jemals identifizieren lassen. Die langjährig und verbreitet vertretene Meinung, die demgegenüber den sondergesetzlichen Immaterialgüterschutz in weitem Umfang für ergänzungsbedürftig und dabei gerade für lauterkeitsrechtlich ergänzungsfähig hält,171 ist mithin abzulehnen. Die Vorstellung, das Lauterkeitsrecht sei geradezu ein „Jungbrunnen des Immaterialgüter86 rechts“,172 also wohl: eine rechtlich gefasste, ergiebige Quelle immer neuer wettbewerblicher Exklaven, war schon nach früherem Lauterkeitsrecht dogmatisch zweifelhaft,173 ist im Rahmen des geltenden Lauterkeitsrechts und seiner Systematik aber unannehmbar geworden: Sie verschließt schon die Augen davor, dass die überkommenen Vorstellungen unter der Geltung des auch systematisch völlig veränderten Lauterkeitsrechts letztlich aus Unwilligkeit gegenüber einer umfassenden dogmatischen Neuausrichtung nach 2004 nicht einfach fortgeschrieben werden können.174 Auch der historische Gesetzgeber kann für diese Position kaum vereinnahmt 83

166 A.A. Fezer WRP 1993, 63 f.: „Schutz der unternehmerischen Leistung“ sei „originäre Aufgabe des Wettbewerbsrechts“.

167 Beater Nachahmen S. 344 ff.; Emmerich/Lange Unlauterer Wettbewerb § 11 Rn. 6; Ohly FS Ullmann, 795 ff.; ders. WRP 2008, 177, 184 f.; Rößler GRUR 1995, 549; a. A. etwa Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 2, die sehr bedenklich von einer qua Generalklausel „delegierten Gesetzgebung“ (Anführungszeichen im Original) sprechen. In Wahrheit muss man wohl eher von einer „angemaßten Gesetzgebung“ sprechen. 168 Konsequent Rehbinder Rn. 128 für das Urheberrecht. 169 Zu dieser aus der gesetzlichen Systematik ergebenden materiellen Subsidiarität einer Generalklausel im Zusammenhang mit gesetzlich ausformulierten Regelbeispielen s. Harte/Henning/Podszun § 3 Rn. 107 ff. m. w. N.; diskutiert, aber verneint in BGH 28. 10. 2010 – I ZR 60/09 – BGHZ 187, 255 Tz. 25 ff. = GRUR 2011, 436 Tz. 25 ff. – Hartplatzhelden; BGH 19. 4. 2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 Tz. 43 f. – Werbeblocker II. 170 Götting Gewerblicher Rechtsschutz § 6 Rn. 25; gleichsinnig Beater Rn. 1970. 171 S. für viele Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 5. Nur vorsichtige Zustimmung aber von Bornkamm GRUR 2005, 97, 101 f. (mit primärem Blick auf das Markenrecht). 172 Fezer/Büscher/Obergfell Einl. H Rn. 448. 173 S. Schünemann Erstaufl. Einl. E Rn. 44, 49 f. 174 Vielfach noch mit Bezug auch auf das UWG 2004 äußern sich Fezer/Büscher/Obergfell Einl. H Rn. 450 ff. nicht zur präzisen lauterkeitsrechtlichen Verankerung des behaupteten Grundsatzes einer kumulativen Normenkonkurrenz von Immaterialgüterrecht und Lauterkeitsrecht aufgrund dessen angeblicher „Autonomie“ (Fezer/Büscher/ Obergfell Einl. H Rn. 320, 326); ebenso Bärenfänger Spannungsfeld S. 176 ff.; ders. WRP 2011, 16, 20 ff.): Sollte § 3 Abs. 1 die Plattform bilden oder eine dogmatisch-systematisch nicht minder prekäre Gesamtanalogie zu § 4 Nr. 3a)–c)

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werden, weist er doch selber auf die Gefahr hin, dass es über das Vehikel des ergänzenden Leistungsschutzes nur allzu leicht zu einer Einschränkung der Nachahmungsfreiheit (und damit der Wettbewerbsfreiheit) kommen kann.175 Ferner entleeren die Befürworter eines weitgespannten ergänzenden Leistungsschutzes 87 durch Lauterkeitsrecht176 den auch von ihnen kolportierten Grundsatz der Nachahmungsfreiheit zur Worthülse.177 Diesbezüglich sprechen die die wettbewerbsrechtliche Rspr. der letzten 100 Jahre (trotz Betonung der grundsätzlichen Nachahmungsfreiheit in concreto fast immer dessen Durchbrechung)178 und die umfangreichen Kommentierungen zur angenommenen Bandbreite der Tatbestände des ergänzenden Leistungsschutzes (sämtlich als „Ausnahmen“ deklariert)179 eine sehr deutliche Sprache. Auch war und ist diese Auffassung mit wirtschaftsverfassungsrechtlichen, die Wettbewerbsfreiheit fokussierenden Vorgaben (s. Einl. A Rn. 165 ff.) nicht in Einklang zu bringen.180 In einem spezifisch ökonomisch-wettbewerblich geprägten Kontext wird das Anliegen, die 88 Nachahmungsfreiheit zu verkürzen, nicht dadurch legitimiert, dass in einer langen Tradition mit der Gefährdung von Vorsprungsgewinnen die Verminderung von Innovationsanreizen argumentiert und dadurch auch eine institutionelle Gefährdung des Wettbewerbs behauptet wird.181 Wettbewerbstheoretisch betrachtet liegt zwar in der Tat in der Aussicht auf Vorsprungsgewinne des Pioniers gerade eine jener Triebfedern, die den Wettbewerb als Prozess überhaupt in Gang setzt und in Gang hält, dies jedoch nur solange, wie wettbewerbliche Vorund Nr. 4? Oft wird in diesem Zusammenhang lapidar darauf hingewiesen, der ergänzende Leistungsschutz jenseits des Immaterialgüterrechts und des § 4 Nr. 3) finde seine Grundlage nach wie vor in der Generalklausel, s. Harte/ Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 50 (umfangreicher formuliert, aber ohne erweiterten Inhalt Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 1 f.). S. a. Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß § 4 Rn. 388. Widersprüchlich MünchKommUWG/Hauck Grundl. Rn. 305 (im Zusammenhang mit einem das Urheberrecht ergänzenden lauterkeitsrechtlichen Leistungsschutz): „Die Generalklausel des Art. 3 (könne) bei Berücksichtigung des Grundsatzes der Nachahmungsfreiheit nicht als Auffangvorschrift fungieren,“ dennoch bestehe Einigkeit über die Wettbewerbswidrigkeit der unmittelbaren Übernahme, der sklavischen Nachahmung und der nachschaffenden Übernahme eines sonderschutzrechtlich nicht erfassten Arbeitsergebnisses, sofern das übernommene Leistungsergebnis wettbewerbliche Eigenart besitze und zudem besondere Umstände die Unlauterkeit begründen A.A. (für das Urheberrecht) offenbar Rehbinder Rn. 128. Ganz i.S. einer ungebrochenen Kontinuität BGH 28. 10. 2004 – I ZR 326/01 – GRUR 2005, 166 f. – Puppenausstattungen; BGH 11. 1. 2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795 Tz. 19 – Handtaschen; BGH 30. 4. 2008 – I ZR 123/05 – GRUR 2008, 793 Tz. 25 – Rillenkoffer. 175 Vgl. BTDrucks. 15/1487, S. 18, r. Sp. „Zu Nr. 9“ Abs. 1, wo allerdings auch auf den nicht abschließenden Charakter von § 4 Nr. 9 a.F. verwiesen wird. 176 S. aus neuerer Zeit z. B. BGH 4. 11. 1966 – Ib ZR 77/65 – GRUR 1967, 315, 317 – skai cubana; Bopp GRUR 1997, 34 ff.; Fezer GRUR 1986, 485 ff.; ders. WRP 1993, 138 ff.; ders. WRP 2001, 989, 1004 ff.; ders. WRP 2006, 591 ff.; ders. WRP 2006, 781, 789 f.; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 22; Keller FS Erdmann (2002) 595, 601 ff.; Köhler WRP 1999, 1075 ff.; ders. GRUR 2007, 548 ff.; Rohnke GRUR 1991, 284 ff.; Sack ZHR 160 (1996) 493 ff.; Stieper WRP 2006, 291 ff. m. w. N. 177 Gleichsinnig Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß § 4 Rn. 372. Gelegentlich wurde die Nachahmungsfreiheit gar ganz ausdrücklich unter den Vorbehalt eines „sachlich anzuerkennenden Grundes“ gestellt, vgl. OLG Hamburg 23. 6. 1983 – 3 U 59/83 – GRUR 1984, 139 – Garnierschneider. 178 So von Anfang an auch die höchstrichterliche Rspr. der Nachkriegszeit beginnend mit BGH 22. 1. 1952 – I ZR 68/51 – BGHZ 5, 1 = GRUR 1952, 516 – Hummelfiguren I. Zu den einschlägigen „Irrwegen“ und „Paradoxien“ dieser Rspr. s. Beater Rn. 1935 ff. m. w. N.; s. a. Kur GRUR 1990, 1 ff. m. w. N. 179 Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 22 ff., 51 ff. 180 Ebenso Ohly/Sosnitza § 4 Rn. 3/15. 181 S. bereits RG 31. 1. 1928 – II 77/27 – RGZ 120, 94 = GRUR 1928, 289 – Huthaken; sodann BGH 24. 6. 1966 – Ib ZR 32/64 – GRUR 1966, 617, 620 – Saxophon; BGH 8. 10. 1971 – I ZR 12/70 – BGHZ 57, 116 = GRUR 1972, 189 – Wandsteckdose II; BGH 19.1.73 – I ZR 39/71 – BGHZ 60, 168 = GRUR 1973, 478 – Modeneuheit; Gewiese GRUR 1935, 633, 635; ders. GRUR 1936, 294, 296; Hubmann GRUR 1975, 230, 236 f.; Luchterhand GRUR 1959, 592 ff.; Nerreter GRUR 1957, 534 ff.; Osterried GRUR 1935, 132; Reimer GRUR 1933, 454; Schramm WuW 1956, 199, 205; Seligsohn GRUR 1926, 248; Smoschewer 1929, 381, 384; Spengler WuW 1955, 599; aus neuerer Zeit etwa Harte/Henning/Sambuc Einl. G Rn. 192; Quiring WRP 1985, 684, 687 f.

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sprünge durch den Einsatz ökonomischer, nicht rechtlich-prohibitiver Aktionsparameter verteidigt oder wieder neu gewonnen werden müssen. Die unternehmerische Leistung muss also grundsätzlich vom Markt belohnt werden, vom Recht allenfalls in den Grenzen des Immaterialgüterrechts, nicht aber (und schon gar nicht darüber hinaus) vom Lauterkeitsrecht. Die Antagonisten Innovation und Imitation sind für den funktionierenden Wettbewerb also gleichermaßen essenziell;182 erst in ihrer immerwährenden, wechselseitig zerstörerischen Abfolge kann sich gesamtwirtschaftlicher Fortschritt entfalten.183 Für das insoweit als besonders prekär geltende Verhältnis des Markenrechts zum Lauterkeitsrecht184 gelten ungeachtet der umfassenden Neuregelung des Kennzeichenrechtes seit 1995 aber Besonderheiten, denn die rein immaterialgüterrechtliche Deutung des Markenrechts verkennt, dass dieses Rechtsgebiet seine Wurzeln im lauterkeitsrechtlichen Irreführungsverbot hat und bis heute Lauterkeitsaspekte auch zur Bestimmung des Schutzumfangs verwendet (z. B. § 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG). Hinzu kommt, dass das Markenrecht – anders als sonstige Materien des Immaterialgüterrechts – die Marke nicht per se schützt, sondern diesen Schutz stets an das Verkehrsverständnis knüpft. Eine Marke, die zur Gattungsbezeichnung degeneriert, verliert ihren Schutz ebenso wie eine Marke, die vom Verkehr nicht verwechselt wird, erst gar keinen Schutz begründet. Daher muss die Marke als „unvollständiges Immaterialgüterrecht“ angesehen werden.185 Dass § 2 MarkenG die Anwendung anderer Rechtsnormen nicht ausschließt, bedeutet noch keine echte Anspruchskonkurrenz (Anspruchskumulation) mit dem Lauterkeitsrecht,186 gibt vielmehr doch erst auf, das Verhältnis der markengesetzlichen Normen zu denen anderer Materien näher zu bestimmen, nicht anders als übrigens § 102a UrhG. Die bisher vertretene These vom Vorrang des Kennzeichenrechts187 ist dagegen vom BGH zwischenzeitlich zu Recht fallengelassen worden.188 Sie ist in der Tat nicht haltbar (Vor §§ 5, 5a Rn. 152) und sie hat der These vom Gleichrang zu weichen. Zutreffend bleibt dabei, dass die kennzeichenrechtlichen Wertungen im Rahmen des Irreführungstatbestands zu berücksichtigen sind, was etwa dazu führt, dass eine irreführende Kennzeichnung, an welcher ein Besitzstand erworben wurde, weitergeführt werden kann, die insoweit bestehende Irreführung also zu tolerieren ist.189 Keine Sperrwirkung gibt es daher für § 4 Nr. 1 und 3 sowie § 6 Abs. 2 Nr. 4, ungeachtet des Umstandes, dass diese Normen mit § 9 Abs. 1 Nr. 3, § 14 Abs. 2 Nr. 3 und § 15 Abs. 3 MarkenG deutliche Parallelen aufweisen.190 Auch im Zusammenhang mit § 5 Abs. 2 besteht kein starrer

182 A.A. Fezer WRP 1993, 63 f.: Vorrang des Innovationsschutzes. 183 Arndt Schöpferischer Wettbewerb und klassenlose Gesellschaft (1952) 35 ff.; Groh Jura 1984, 586, 589 f.; Heuß Allgemeine Markttheorie (1965) 110 ff.; Meyer-Cording WuW 1962, 462; Schumpeter Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie (1950) passim. Insoweit wirtschaftstheoretischen Argumenten distanziert gegenüberstehend Walch S. 92 ff. Noch zurückhaltender Müller-Laube ZHR 156 (1992) 480, 496. Nachahmungsfreiheit sei nur ein Ordnungsfaktor unter vielen im Rahmen der Wettbewerbsordnung, sodass schon ein Grundsatz der Nachahmungsfreiheit nicht anzuerkennen sei (ZHR 156 (1992) 480, 484 f.). 184 S. nur Bärenfänger Spannungsfeld passim; ders. WRP 2011, 16, 17 ff.; Emmerich/Lange Unlauterer Wettbewerb § 15 Rn. 36 ff., § 18 Rn. 41 ff. 185 Ausführlich dazu Peifer S. 415. 186 A.A. Fezer/Büscher/Obergfell Einl. H Rn. 449 ff.,; ders. Markenrecht § 2 Rn. 4, 16; Sack WRP 2004, 1405, 1414. 187 BGH 30. 4. 1998 – I ZR 268/95 – BGHZ 138, 349 = GRUR 1999, 161 – MAC Dog; BGH 2. 7. 1998 – I ZR 55/96 – GRUR 1999, 252 – Warsteiner II; BGH 22. 11. 2001 – I ZR 138/99 – BGHZ 149, 191 = GRUR 2002, 622 – shell.de; BGH 26. 4. 2001 – I ZR 212/98 – GRUR 2002, 167, 171 – Bit/Bud; Bornkamm GRUR 2005, 97; ders. GRUR 2011, 1, 13; Ohly GRUR 2007, 731, 737; Sosnitza WRP 2003, 1186 f., Stieper WRP 2006, 291, 300; i.E. zust. Vorauflage/Schünemann. 188 BGH 15. 8. 2013 – I ZR 188/11 – GRUR 2013, 1161 Tz. 60 – Hard Rock Café (für § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1); Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 5 Rn. 0–104; ebenso bereits vorher Harte/Henning/Dreyer § 5 B Rn. 206; Gloy/Loschelder/ Erdmann/Helm § 59 Rn. 4; anders noch BGH 22. 11. 2001 – I ZR 138/99 – BGHZ 149, 191, 195 – shell.de; a. A. auch Vorauflage/Schünemann. 189 BGH 7. 11. 2002 – I ZR 276/99 – GRUR 2003, 628, 631 – Klosterbrauerei. 190 Vgl. Emmerich/Lange Unlauterer Wettbewerb §§ 15 Rn. 35, 18 Rn. 3; a. A. Vorauflage/Schünemann

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Vorrang des Immaterialgüterrechts gegenüber dem Lauterkeitsrecht, ebenso wenig im Blick auf Art. 6 Abs. 2 lit. a der RL 2005/29/EG (über unlautere Geschäftspraktiken), denn die dort zu findende Regelung in Art. 3 Abs. 4 regelt keinen Vorrang des Markenrechts, sondern nur die selbstverständlich Pflicht, die Wertungen anderer Richtlinien ernst zu nehmen.191 Allerdings ist auch hier (vgl. Rn. 82 ff.) sicherzustellen, dass die Wettbewerbsfreiheit nicht über die markengesetzlich gezogenen Grenzen hinaus beschnitten192 und die binnensystematisch bedingt nur sehr beschränkte Reichweite der lauterkeitsrechtlichen Generalklausel des § 3 Abs. 1 als unmittelbarer Verbotstatbestand beachtet wird. Dies hat namentlich folgende Konsequenzen: Da das Markenrecht nur den Schutz bekannter Kennzeichen im Auge hat, kommt deshalb ein an keine weiteren Voraussetzungen gebundener lauterkeitsrechtlicher Schutz noch nicht bekannter Kennzeichen grundsätzlich nicht in Betracht. Ob sich aus § 4 Nr. 1 etwas anderes ergeben kann, ist Gegenstand der dortigen Kommentierung. Da das Markenrecht seinen Schutz an Eintragung oder Verkehrsgeltung knüpft, darf ferner diese gesetzgeberische Unterscheidung nicht auf Kosten der Wettbewerbsfreiheit dadurch unterlaufen werden, dass mithilfe des Lauterkeitsrechts schon im zeitlichen Vorfeld einer Eintragung oder der Verkehrsgeltung per se ein Kennzeichenschutz erfolgt.193 Das MarkenG hat nun einmal auf den Schutz einer „Marken-“ bzw. „Verkehrsgeltungsanwartschaft“ verzichtet.194 Das Lauterkeitsrecht steht speziell auch nicht zur Verfügung, vermeintliche Schutzlücken im Bereich des Designrechts zu schließen. Gerade hier wurde in der Vergangenheit deutlich, dass das Beharren auf dem Grundsatz der Nachahmungsfreiheit ein bloßes Lippenbekenntnis war,195 weil mithilfe des Lauterkeitsrechtes faktisch eben doch ein Ersatz-Schutzrecht für Produktgestaltungen außerhalb der Schutzvoraussetzungen und Schutzgrenzen des DesignG (bzw. früher GeschmMG) etabliert wurde.196 Die Fehlerhaftigkeit dieser Entwicklung wird deutlich, wenn bemerkt wird, das Geschmacksmuster werde geradezu überflüssig, weil der lauterkeitsrechtliche Nachahmungsschutz geringere Anforderungen stelle als derjenige nach dem GeschmMG.197 Ganz unabhängig von der konkurrenzrechtlichen Verhältnisbestimmung auf der Ebene des deutschen Rechts verbietet sich eine Instrumentalisierung des Lauterkeitsrechts auch im Blick auf europäisches Recht und das dort geschaffene Gemeinschaftsgeschmacksmuster. Denn nach Art. 11 GemGeschmVO Nr. 6/2002 v. 12. 12. 2001 besteht sogar ein Nachahmungsschutz für Produktgestaltungen ohne Eintragung, allerdings nur für 3 Jahre. Diese Wertentscheidung des europäischen Gesetzgebers würde mit einem ominösen ergänzenden Leistungsschutz zu Lasten der Wettbewerbsfreiheit konterkariert. Konkurrenzrechtlich ist somit durchgängig von der Verschiedenartigkeit des Lauterkeitsrechts gegenüber dem Immaterialgüterrecht auszugehen.198 Soweit der sondergesetzliche Immaterialgüterschutz reicht, sind seine Wertungen durch das Lauterkeitsrecht zu akzeptieren. Verstöße gegen immaterialgüterrechtliche Vorschriften führen deshalb namentlich auch bei Be191 Vgl. Ohly/Sosnitza § 5 Rn. 417, 710 f. 192 Ingerl WRP 2004, 809 ff. 193 S. (allerdings halbherzig) BGH 20. 3. 1997 – I ZR 246/94 – GRUR 1997, 754, 755 f. – grau/magenta; OLG Hamburg 13. 6. 2002 – 3 U 293/01 – GRUR-RR 2002, 356 f. – Marzipanherzen. S. a. schon für die Zeit vor Inkrafttreten des MarkenG BGH 24. 2. 1994 – I ZR 230/91 – GRUR 1994, 905, 908 – Schwarzwaldsprudel. 194 MünchKommUWG/Hauck Grundl. Rn. 255; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 82. 195 Dass der angebliche „Grundsatz der Nachahmungsfreiheit praktisch in sein Gegenteil verkehrt“ wurde, beklagen auch Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 64. 196 BGH 19. 1. 1973 – I ZR 39/71 – BGHZ 60, 168 = GRUR 1973, 478 – Modeneuheit; BGH 24. 3. 1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322 = GRUR 1994, 630 ff. – Cartier-Armreif; BGH 18. 10. 1990 – I ZR 283/88 – GRUR 1991, 223 ff. – Finnischer Schmuck. S. a. Ohly/Sosnitza Einf. D. Rn. 83. 197 Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß § 4 Rn. 374. 198 So in der gebotenen Deutlichkeit und Konsequenz vor allem Ohly FS Ullmann 795 ff.; eigenartig Boesche Rn. 41, die im Zusammenhang mit dem UrhG in einem Atemzug von dessen „Spezialität“ und von der diesbezüglichen „Subsidiarität“ des UWG spricht.

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jahung ihres Charakters als Marktverhaltensnormen nicht zur Anwendung des § 3a und erst recht nicht des § 3 Abs. 1.199 Das Lauterkeitsrecht liefert ferner bei konsequentem Respekt vor der Wettbewerbsfreiheit auch keinen Hebel für einen den umfangreichen sondergesetzlichen Immaterialgüterschutz nochmals ausdehnenden ergänzenden Leistungsschutz i.S. der Gewährung von quasi subjektiv-rechtlichen Positionen, zumal diese letztlich auf einen dem Recht fremden Ideenschutz200 hinauslaufen könnten.201

V. Verhältnis zum bürgerlichen Recht 1. Überblick 99 Das Lauterkeitsrecht hat sich, unbeschadet seiner diversen Neufassungen und substanziellen Veränderungen seit 1909,202 also nach Inkrafttreten von BGB und HGB zum 1. 1. 1900, unabhängig von diesen privatrechtlichen Kodifikationen entwickelt. Die Klarstellung der kodifikationsrechtlichen Bezüge des UWG wurde schon in der ersten legislativen Phase verabsäumt und ist bis heute von Rechtsprechung und Lehre nur unbefriedigend aufgearbeitet worden. Schon prima facie steht das UWG in engem Kontext zum BGB. Vergleichsweise unproblema100 tisch ist die Verzahnung, wo es zur Abwicklung lauterkeitsrechtlicher Unterlassungs- und Schadensersatzverpflichtungen des Rückgriffs auf bürgerliches Recht bedarf. Das ist der Fall etwa für die Berechnung der Anspruchsverjährung nach § 11 (Hemmung, Ablaufhemmung, Neubeginn: §§ 203 ff., 213 ff. BGB) oder für Art und Umfang eines zu leistenden Schadensersatzes (§§ 249 ff. BGB), weil das UWG in den §§ 8 ff. hierfür keine Regelung trifft. Insoweit unproblematisch hat das BGB eine rechtstechnische Ergänzungsfunktion. Sie 101 folgt aus der Regelungstechnik des BGB, bei der die Normen des allgemeinen Schuldrechts „vor die Klammer“ der einzelnen Schadensersatzansprüche normierenden Tatbestände gezogen wurden.203 Darüber hinaus ergeben sich indes zahlreiche Fragen der Verhältnisbestimmung des Lauterkeitsrechts zum bürgerlichen Recht, vor allem zum Deliktsrecht, zum Bereicherungsrecht und schließlich zum Vertragsrecht.

2. UWG und Deliktsrecht 102 a) Sonderdeliktsrecht? Das Recht des unlauteren Wettbewerbs wird in systematischer Hinsicht dem Deliktsrecht, dem Recht der unerlaubten Handlungen i. S. d. §§ 823 ff. BGB, zugerech-

199 Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 79. S. aber auch Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.6 f. 200 Vgl. z. B. BGH 20. 9. 1955 – I ZR 194/53 – BGHZ 18, 175, 183 f. = GRUR 1955, 598, 600 f. – Werbeidee; OLG München 10. 9. 1992 – 6 U 2761/92 – NJW-RR 1993, 619 – TV-Sendeidee; BGH 2. 4. 2009 – I ZR 144/06 – GRUR 2009, 1069, 1071 – Knoblauchwürste; BGH 22. 3. 2012 – I ZR 21/11 – GRUR 2012, 1155, 1156 – Sandmalkasten; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 49; Emmerich/Lange Unlauterer Wettbewerb § 11 Rn. 21. 201 Diese Überlegung zielt nicht zuletzt auf die sog. LEGO-Doktrin in der Fallgruppe des „Einschiebens in eine fremde Serie“, konkret: Herstellung und Vertrieb von Kunststoffartikeln, die mit LEGO-Bausteinen kompatibel sind. Dazu BGH 6. 11. 1963 – Ib ZR 37/62 – BGHZ 41, 55 = GRUR 1964, 621 – Klemmbausteine I; BGH 7. 5. 1992 – I ZR 163/ 90 – GRUR 1992, 619 – Klemmbausteine II. Von der dabei praktizierten Großzügigkeit bei der Gewährung eines ergänzenden lauterkeitsrechtlichen Leistungsschutzes ist der BGH fast vollkommen abgerückt, vgl. BGH 2. 12. 2004 – I ZR 30/02 – BGHZ 161, 204, 213 = GRUR 2005, 349, 352 – Klemmbausteine III. S. a. BGH 15. 9. 2005 – I ZR 151/02 – GRUR 2006, 79 Tz. 18 f. – Jeans I. Dazu Beater Rn. 1960 ff.; Rauda GRUR 2002, 38 ff.; Riesenhuber WRP 2005, 1118 ff.; Schrader WRP 2005, 562 ff. 202 Zur Geschichte des Lauterkeitsrechts s. Einl. B.; zur Rechtsentwicklung vor dem UWG 2004 s. a. Schünemann Erstaufl. Einl. Rn. B 1 ff. 203 S. z. B. Schünemann Wirtschaftsprivatrecht, 6. Aufl. (2011) 17 ff.

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net.204 Mit der Qualifizierung als Sonderdeliktsrecht kann sich in wettbewerblich geprägten Fällen ein Rückgriff auf deliktsrechtliche Vorschriften dogmatisch unproblematisch gestalten, wenn – wie etwa hinsichtlich der Zurechnungsfähigkeit, aber früher auch in international-privatrechtlicher Hinsicht205 – spezifische wettbewerbsrechtliche Vorgaben fehlen.206 Im geltenden Unionskollisionsrecht findet sich ein sehr deutlicher Hinweis auf den sonderdeliktsrechtlichen Charakter des Lauterkeitsrechts, nachdem Art. 6 Abs. 1 der VO Nr. 864/ 2007/EG v. 11. 7. 2007 („Rom II“) von „außervertraglichen Schuldverhältnissen aus unlauterem Wettbewerbsverhalten“ im Zusammenhang mit „unerlaubten Handlungen“ (Art. 4 Abs. 1 sowie Kapitelüberschrift II) spricht.207 Diese Einordnung findet sich auch im ausländischen, z. B. im französischen (Artt. 1382 f. Code Civil) oder italienischen (Art. 2598 Codice Civile) Recht. Andere bezweifeln die systematische Verwurzelung des Lauterkeitsrechts im Deliktsrecht.208 Historisch gesehen nährt sich die These vom Lauterkeitsrecht als Deliktsrecht im deutschen Recht maßgeblich der Tatsache, dass ursprünglich § 826 BGB als Generalklausel auch für wettbewerbsrechtlich geprägte Konstellationen instrumentalisiert werden sollte.209 Die übereinstimmende Terminologie des § 1 UWG a. F. und des § 826 BGB (Verstoß gegen die „guten Sitten“) hielten die Erinnerung an diese historische Wurzel auf der sprachlichen Ebene noch wach. Mit dem UWG 2004, das die „Unlauterkeit“ in den Mittelpunkt der lauterkeitsrechtlichen Bewertungen gerückt hat, ist die terminologische Übereinstimmung allerdings deutlich schwächer geworden. Kein bedeutsames Argument für den Charakter des Lauterkeitsrechts als Sonderdeliktsrecht ist die Tatsache, dass das Lauterkeitsrecht mit § 9 einen eigenen Schadensersatzspruch vorsieht, weil auch andere Rechtsmaterien wie z. B. das Vertragsrecht solche Ansprüche kennen (§ 280 BGB). Allerdings ist das Deliktsrecht nach traditioneller Auffassung durch seine Zielrichtung auf den Individualschutz gekennzeichnet.210 Dogmengeschichtlich war das Lauterkeitsrecht zunächstauf den Konkurrentenschutz ausgerichtet,211 hat diese Einseitigkeit aber seit Langem abgelegt und zielt nunmehr durch § 1 ganz ausdrücklich auch auf den Verbraucherschutz, den Schutz sonstiger Marktteilnehmer außer den Mitbewerbern sowie auf den Schutz des unverfälschten Wettbewerbs als Institution. Diese Schutzzwecktrias führt dazu, dass das individualbezogene Lauterkeitsrecht nunmehr auch durch kollektive Schutzinteressen, vor allem aber kollektive Durchsetzungsmechanismen aufgeladen wird. Sofern diese Veränderungen vor allem die kollektive Durchsetzung betreffen, spricht dies noch nicht dagegen, weiterhin auch von einer deliktsrechtlichen Wurzel auszugehen. 204 BGH 13. 7. 1954 – I ZR 14/53 – BGHZ 14, 286, 291 = GRUR 1955, 150, 151 – Farina Belgien; BGH 20. 12. 1963 – Ib ZR 104/62 – BGHZ 40, 391, 394 = GRUR 1964, 316, 318 – Stahlexport; BGH 30. 11. 1954 – I ZR 143/52 – BGHZ 15, 338 = GRUR 1955, 351 – Gema; BGH 11. 3. 1982 – I ZR 39/78 – GRUR 1982, 495, 497 – Domgartenbrand; BGH 14. 1. 1999 – I ZR 203/96 – GRUR 1999, 751, 754 – Güllepumpen; Ahrens Wettbewerbsrecht Rn. 16; Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/ Plaß E 2 Rn. 6; Harte/Henning/Ahrens Einl. G Rn. 121; Harte/Henning/Keller § 2 Rn. 3; Keßler WRP 2005, 264, 273; Knöpfle Unlauterkeit, S. 14; Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. 7.2; Leistner S. 229 ff.; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 56; Raue NJW 2017, 1841, 1845; Reichold AcP 193 (1993) 204 ff.; Dreher/Kulka Rn. 39; a. A. Callmann Der unlautere Wettbewerb (1929) 48; s. a. Schrauder Wettbewerbsverstöße als Eingriffe in das Recht am Gewerbebetrieb (1970) 106; krit. auch Vorauflage/Schünemann. 205 Vgl. für die Rechtslage vor Geltung der VO Nr. 864/2007/EG v. 11. 7. 2007 („Rom II“); Beater Rn. 719 ff.; Schricker Erstaufl. 1994 Einl. F Rn. 157 ff.; s. aber auch Bernhard EuZW 1992, 437. 206 Harte/Henning/Ahrens Einl. G Rn. 123. 207 S. dazu aber auch differenzierend Beater Rn. 723 f. 208 Vorauflage/Schünemann mit Hinweis auf Beater Rn. 13 ff., 73, 719. 209 S. Ahrens WRP 1980, 129, 132 mit Fn. 59; Harte/Henning/Ahrens Einl. G Rn. 122. 210 v. Bar Deliktsrecht, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts Bd. II (1981) S. 1681, 1694; Baumbach/Hefermehl Einl. UWG Rn. 58; s. a. Prot. III, S. 567. 211 Vgl. zur Historie des Lauterkeitsrechts Einl. B; zur Rechtsentwicklung bis zum UWG 2004 s. a. Schünemann Erstaufl. Einl. B Rn. 1 ff.

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Schwieriger wird die Annahme, wenn man die Frage nach dem zugrunde liegenden Schutzobjekt stellt. In Betracht kommen hier nach wie vor subjektiv-rechtliche Positionen „absoluter“ Natur nach dem Vorbild des § 823 Abs. 1 BGB. Solche Überlegungen können indes nur bezüglich der im Wettbewerbsprozess involvierten Unternehmer weiterführen, für die in der Vergangenheit eine ganze Reihe solcher Rechtsfiguren diskutiert worden sind, z. B. in den Lehren vom (wirtschaftlichen) Persönlichkeitsschutz, vom Schutz des Betätigungsrechts, vom Schutz an der Wettbewerbsstellung oder vom Unternehmensschutz.212 Sie versagen dagegen für die Verbraucher als Marktteilnehmer und erst recht für die Allgemeinheit mit ihrem rechtlich ausgewiesenen Interesse an einem unverfälschten Wettbewerb, da die Allgemeinheit nicht als QuasiRechtsinhaber gedacht werden kann. Diese Diskussion wird seit Längerem nicht mehr geführt, weil die Bemühungen um die Identifizierung solcher Schutzobjekte letztlich erfolglos waren.213 Dies führte allerdings nicht dazu, die Verortung des Lauterkeitsrechtes im Deliktsrecht vom Ansatz her in Frage zu stellen. Möglicherweise lässt sich das Lauterkeitsrecht deshalb als Sonderdeliktsrecht begreifen, weil die Unlauterkeitstatbestände sich zwar nicht befriedigend auf absolute Positionen auf der Linie des § 823 Abs. 1 BGB zurückführen lassen, sich aber als Schutzgesetze i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB darstellen lassen. Dies wird überwiegend bejaht,214 aber auch verneint.215 Die vorwiegend im Blick auf die Herleitung einer gewünschten und nach dem im § 1 erklärten Schutzzweck des Gesetzes auch naheliegenden, von § 8 Abs. 3 aber versagten Aktivlegitimation geführte Auseinandersetzung ist allerdings für die Frage irrelevant, ob das Lauterkeitsrecht ein Sonderdeliktsrecht darstellt. Denn selbst wenn das UWG Schutzgesetze i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB generieren sollte (verneinend Rn. 124 ff.), bedeutet dies hier nichts, weil sonst ja alle Schutzgesetze ihre jeweiligen Quellregelungen zur lex specialis gegenüber dem bürgerlichen Deliktsrecht machen und ihm den Charakter eines Sonderdeliktsrecht verschaffen würden. Gegen den Charakter des Lauterkeitsrechts als Sonderdeliktsrecht spricht allerdings die Einsicht in die Einheit des Wettbewerbsrechts (vgl. Rn. 36 ff.).216 Bilden Lauterkeits- und Kartellrecht ein inhaltliches Amalgam, so müsste auch das Kartellrecht als Sonderdeliktsrecht gelten. Diese Ansicht ist, soweit ersichtlich, noch nicht geäußert worden. Danach ist die Einordnung des Lauterkeitsrechts als Sonderdeliktsrecht allenfalls aufrechtzuerhalten, soweit im Bereich des Konkurrentenschutzes zivilrechtliche Abwehransprüche gegenüber individuellen Behinderungen unter Unternehmern gewährt werden, also letztlich in dem Bereich, in dem außerhalb geschäftlicher Handlungen das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb einen negatorischen und schadensersatzbewehrten Rechtsschutz gewährt. Im Übrigen handelt es sich bei den Vorschriften des UWG „nicht mehr um typische Deliktsrechtsnormen“, soweit auch kollektive Rechtsgüter verteigt werden können.217 Dadurch erhält das Wettbewerbsrecht innerhalb des deutschen und unionalen Rechtssystems eigenständige Aufgaben. Das deutsche Lauterkeitsrecht ist mithin Sonderprivatrecht, aber nicht nur auf individuellen Rechtsschutz bezogenes Sonderdeliktsrecht.218

212 Dazu eingehend Schünemann Erstaufl. Einl. Rn. C 9 ff. 213 Schünemann Erstaufl. Einl. C Rn. 9 ff.,15; s. a. Burmann WRP 1967, 240, 246. 214 BGH 24. 4. 1964 – Ib ZR 73/63 – BGHZ 41, 314, 317 = GRUR 1964, 567, 568 – Lavamat I; BGH 14. 5. 1974 – VI ZR 48/73 – GRUR 1975, 150 – Prüfzeichen; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 3; Sack NJW 1975, 1303; Sack GRUR 2004, 625, 629 ff.; Schricker GRUR 1975, 111; Schricker BB 2003, 1073, 1079 f.; Säcker WRP 2004, 119, 1219 f.; WimmerLeonhardt GRUR 2004, 12, 20. 215 Köhler GRUR 2003, 265, 271; Leistner S. 567 ff.; Schmidt JZ 2007, 78, 83; Schünemann Erstaufl. 1994 Einl. E Rn. 77. 216 Hierzu andeutungsweise auch Keßler Marktkommunikation S. 90 ff., 102. 217 Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 56. S. a. Beater Rn. 13 ff., der durchaus i.S. des Textes ausführt, warum das Lauterkeitsrecht die „prinzipiellen Grenzen des Deliktsrecht“ überschreitet. 218 Weitergehend in der Ablehnung eines sonderdeliktsrechtlichen Charakters Voraufl./Schünemann.

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b) Konkurrenzrechtlicher Grundsatz. Konkurrenzrechtlich folgt daraus, dass das Lauter- 112 keitsrecht gegenüber den §§ 823 ff. BGB nur im individualschützenden Bereich Spezialmaterie i.S. einer lex specialis darstellt.219 Gleichwohl kann auch über diesen Bereich hinaus im Wege der Analogie auf Deliktsrecht zurückgegriffen werden, soweit das UWG keine abschließende Regelung trifft.220 Eine abschließende Regelung ist allerdings schon angesichts des hohen Grades der Ausarbeitung des Lauterkeitsrechts oft zu vermuten. Bei dieser Ausgangslage ist die Anwendung der §§ 827 f. BGB auf wettbewerbsrechtliche Schadensersatzansprüche problemlos, weil in diesen Vorschriften ein allgemeiner Rechtsgrundsatz haftungsrechtlicher Verantwortung Ausdruck findet, wie § 276 Abs. 1 S. 3 BGB zeigt. Darüber hinaus bleibt es bei der selbstverständlichen, unmittelbaren (ggf. nur ergänzenden) Anwendbarkeit von Normen des allgemeinen Schuldrechts auf privatrechtliche Ansprüche innerhalb und außerhalb des BGB (s. Rn. 99 ff.). Die wettbewerbsrechtliche Verantwortlichkeit kann hingegen nicht über den Kreis der mit § 8 Abs. 2 erfassten Subjekte hinaus erweitert werden. Es handelt sich erkennbar um eine Sonderregelung der Passivlegitimation, die nicht mit Hilfe des Deliktsrechts, auch nicht in dessen analoger Anwendung, überspielt werden darf. Eine allgemeine tätergleiche wettbewerbsrechtliche Verantwortlichkeit für Anstifter und Gehilfen nach dem Muster des § 830 Abs. 2 BGB scheidet mithin aus.221 Die weitgehend abschließende Regelung lauterkeitsrechtlicher Schadensersatzansprüche führt dazu, dass jedenfalls überall dort, wo lauterkeitsrechtliche Tatbestände erfüllt sind, das UWG eine Sperrwirkung entfaltet. Dem Lauterkeitsrecht ist also der Vorrang gegenüber dem bürgerlichen Deliktsrecht einzuräumen, es besteht Gesetzeskonkurrenz in Form der Subsidiarität.222 Im Übrigen ist auch hier (zur umgekehrten Konstellation, in dem das Lauterkeitsrecht gegenüber dem Immaterialgüterrecht angeblich einen „ergänzenden Leistungsschutz“ gewähren soll, vgl. Rn. 85) ganz unabhängig von der systematischen Positionierung des Lauterkeitsrechts im Verhältnis zum Deliktsrecht (Spezialität oder nicht) die gesetzgeberische Prärogative zu respektieren. Der Vorrang des Lauterkeitsrechts223 greift deshalb auch dort, wo das Lauterkeitsrecht in concreto zwar keine Ansprüche generiert, der Fall aber im Regelungsbereich des UWG ressortiert, insbesondere also, soweit eine „geschäftliche Handlung“ eines Marktteilnehmers vorliegt. Wenn dann mangels Unlauterkeit oder Spürbarkeit Ansprüche nicht bestehen, kann diese vom Gesetz so gewollte Konsequenz nicht durch den Rückgriff auf das wettbewerbsunspezifische bürgerliche Deliktsrecht umgangen werden, wenn die Wettbewerbsfreiheit nicht leiden soll. Diesbezüglich entfaltet das Lauterkeitsrecht eine Sperrwirkung. Die h.M. ist weitgehend anderer Auffassung, ohne dass ein konsistentes dogmatisches Konzept erkennbar wäre. Konsequent ist die Anwendung der BGB-Schutznormen nur, soweit man 219 Vgl. aber Harte/Henning/Ahrens Einl. G Rn. 121, die das Lauterkeitsrecht als Sonderdeliktsrecht ansehen, aber nicht von einer lex specialis sprechen.

220 BGH 18. 10. 2001 – I ZR 22/99 – GRUR 2002, 618 f. – Meißner Dekor; Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 7.2; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 57. 221 A.A. die h.M., die hierfür wie bei § 830 Abs. 2 BGB auf die strafrechtliche Begrifflichkeit zurückgreift, vgl. BGH 3. 7. 2008 – I ZR 145/05 – BGHZ 177, 150 Tz. 14 f. = GRUR 2008, 810 Tz. 14 f. – Kommunalversicherer; BGH 5. 10. 2017 – I ZR 184/16 – GRUR 2018, 203, 206 – Betriebspsychologe; Dettmar Unlauterer Wettbewerb durch Rechtsbruch nach Maßgabe des § 4 Nr. 11 UWG (2007) 160 ff.; Emmerich/Lange Unlauterer Wettbewerb § 21 Rn. 43; Günes WRP 2008, 731, 735; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.49 f. 222 Teilweise a. A. Peukert § 3 Rn. 62 ff. – Dies deckt sich wenigstens im Ergebnis und im Blick auf die Verjährungsfrage mit den Vorstellungen des Bundesrates, während die Bundesregierung bei Ansprüchen aus §§ 824, 826 BGB bei gleichzeitig bestehenden lauterkeitsrechtlichen Ansprüchen keine Erstreckung des § 11 wünschte (vgl. BTDrucks. 15/1487, S. 35, 44). Es handelt sich indes lediglich um unverbindliche Stellungnahmen in den Gesetzgebungsmaterialien, die weder in der einen noch in der anderen Richtung einen hinreichenden Ausdruck im Gesetz gefunden haben. S. sogleich näher im Text. 223 Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 7.27; juris-PK/Ullmann Einl. Rn. 140.

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sich außerhalb des Bereichs geschäftlicher Handlungen bewegt. Allerdings nimmt die h.M. in größerem Maße Anspruchskonkurrenz (Anspruchskumulation) zwischen Lauterkeitsrecht und bürgerlichem Deliktsrecht an, so z. B. in den Fällen des sog. Brachialwettbewerbs (Beschädigung oder gar Zerstören fremder Betriebsmittel, körperlicher Einwirkungen auf den Konkurrenten).224 Hier sollen parallel zu § 4 Nr. 4 die § 823 Abs. 1 BGB und § 1004 Abs. 1 BGB (analog als deliktischer Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch) eingreifen,225 weil das Deliktsrecht eine andere Perspektive habe.226 Dasselbe soll etwa bei Beleidigungen eines Mitbewerbers gelten, also Anspruchskonkurrenz zwischen § 823 Abs. 1 wegen Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechtes und § 4 Nr. 1227 sowie bei § 824 BGB und § 4 Nr. 2, ferner generell für § 826 BGB.228 Den Befürwortern einer Anspruchskonkurrenz stehen vor allem die unterschiedlichen Verjäh118 rungsregelungen und örtlichen Zuständigkeiten der Gerichte vor Augen:229 Die Verjährung nach § 11 ist wesentlich kürzer als das, was sich aus §§ 195, 199 BGB (und erst recht aus § 852 BGB) ergibt. Auch der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach § 32 ZPO kann attraktiver erscheinen als die lauterkeitsrechtliche Regelung der örtlichen forensischen Zuständigkeit nach § 14, weil § 32 ZPO mehrere Gerichtsstände generiert, wenn sich mehrere Tatorte feststellen lassen. § 14 stellt hingegen grundsätzlich allein auf den Bezirk ab, in dem der Beklagte seine Niederlassung hat, hilfsweise auf dessen Wohnsitz und letztlich auf dessen inländischen Aufenthaltsort. Im Grunde wird hier aber nicht dogmatisch, sondern nur vom erwünschten bzw. uner119 wünschten Ergebnis her argumentiert. Gewiss erscheint es auf dem ersten Blick unbefriedigend, den Täter hinsichtlich der Verjährung zu „privilegieren“, wenn wegen der Unlauterkeit einer geschäftlichen Handlung ausschließlich § 11 UWG Anwendung finden soll.230 Doch ist diese deutliche Besserstellung des geschäftlich unlauter Handelnden letztlich nur wertungsfolgerichtig. Denn der UWG-Gesetzgeber hat nun einmal keine unterschiedliche Verjährung für schwere und leichte Verstöße gegen die Gebote der Lauterkeit vorgesehen, eine Wertung, die nicht durch Rückgriff auf Deliktsrecht in Fällen des Brachialwettbewerbs und äquivalenter Fallkonstellationen konterkariert werden darf. 120 Nimmt man mit der h.M. Anspruchskonkurrenz an, so zeigt sich kein klares Bild, gerade auch im Punkt der Verjährung.231 So ist unerfindlich, weshalb bei Anspruchskonkurrenz zwischen lauterkeitsrechtlichen Ansprüchen und solchen aus §§ 824 und 826 BGB erstere nach der kürzeren Frist des UWG (jetzt § 11), letztere aber nach BGB (jetzt §§ 195, 199 BGB) verjähren sollen, während bei Anspruchskonkurrenz wegen Eingriffs in das Recht am Unternehmen (s. a. sogleich Rn. 122) auch für den deliktsrechtlichen Anspruch die kurze lauterkeitsrechtliche Verjährungsfrist gelten soll.232 Denn das Argument einer unangemessenen Privilegierung des Täters, wenn dieser zusätzlich zu den außerwettbewerblichen Vorschriften auch noch gegen das Lauterkeitsrecht verstößt, würde eine solche Differenzierung nicht tragen. Konsequent erscheint es hingegen, die kurze lauterkeitsrechtliche Verjährungsfrist auf deliktsrechtliche Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB zu erstrecken, wenn die verletzten Schutzgesetze gerade solche des UWG sind (s. zu ihrer allerdings umstrittenen Existenz sogleich Rn. 124). 224 Ulmer/Reimer Das Recht des unlauteren Wettbewerbs in Mitgliedsstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Bd. III (1968) Rn. 516. 225 Außerdem kennt das bürgerlich-rechtliche Deliktsrecht die Besonderheit des § 852 BGB. 226 Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 7.4; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 61. 227 S. Vornote. 228 Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 7.7; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 63. Zum Ganzen ausführlich Harte/Henning/Brüning/Ahrens (2. Aufl. 2009) Einl. F Rn. 128 ff. 229 S. a. Nirk GRUR 1993, 247, 254. 230 Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 7.4; s. a. Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 64. 231 Die Rspr. nimmt auch gar kein Konzept in Anspruch, vgl. BGH 22. 12. 1961 – I ZR 152/59 – BGHZ 36, 252 = GRUR 1962, 310 – Gründerbildnis. 232 BGH 12. 7. 1995 – I ZR 176/93 – BGHZ 130, 288, 290 = GRUR 1995, 678, 679 – Kurze Verjährungsfrist; BGH 28. 9. 1973 – I ZR 136/71 – GRUR 1974, 99 f. – Brünova; BGH 14. 1. 1999 – I ZR 203/96 – GRUR 1999, 751, 754 – Güllepumpen.

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Zuzugeben ist, dass der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach § 32 ZPO wegen 121 der u. U. multiplen Tatorte unlauterer geschäftlicher Handlungen Wahlvorteile bei der Rechtsverfolgung verschafft. Diese Vorteile bestehen tendenziell immer noch, auch nachdem die früheren Beschränkungen der Postulationsfähigkeit weggefallen sind,233 die es dem „Hausanwalt“ eines Unternehmens verwehrt hatten, an einem anderen als dem Zulassungsgericht aufzutreten.234 Diese rechtspraktischen Vorteile können aber wiederum nicht rechtfertigen, die gesetzliche Entscheidung des § 14 für eine eingeschränktere örtliche Zuständigkeit der Gerichte zu makulieren. Das sog. Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb235 (oder kürzer und 122 vor allem unter Einbeziehung „freier“ Berufe: Recht am Unternehmen)236 verdient in seinem Verhältnis zum Lauterkeitsrecht nur noch ergänzende Beachtung.237 Ob es in seiner Existenz überhaupt anzuerkennen ist, wird mittlerweile in der Literatur vielfach verneint.238 Die Rspr. hält demgegenüber seit mehr als einem Jahrhundert an dieser Rechtsfigur fest.239 Das ist zu begrüßen, soweit es um Handlungen außerhalb des wettbewerbliche relevanten Bereichs geht, der durch das UWG geregelt ist. Hier ergibt sich sowohl für § 824 als auch für § 823 BGB noch ein Restbereich an Anwendungsfeldern.240 Auch bei Anerkennung eines Rechts am Unternehmen muss dieses bei wettbewerbsbezo- 123 genen Handlungen gegenüber dem § 4 Nr. 2, 4 zurücktreten,241 wenn es angesichts seines innerhalb des Deliktsrechts nur lückenfüllenden Charakters242 überhaupt eingreifen kann. Die Relevanz des Rechts am Unternehmen rechtfertigt sich aus seinem Charakter als echter Individualschutz rechtfertige, während das UWG auch dem institutionellen Wettbewerbsschutz dient.243 Zwar zielt auch das UWG spätestens seit 2004 ausweislich seines § 1 auch auf den Individualschutz der Marktteilnehmer (s. a. Rn. 31 ff.), doch bleiben außerhalb geschäftlicher Handlungen auch dann noch Anwendungsbereich für den reinen Deliktsschutz. Von dem Vorrang des lauterkeitsrechtlichen Schutzinstrumentariums vor einem Recht am Unternehmen ist auch für die in diesem Zusammenhang praktisch besonders wichtige unberechtigte Schutz233 Vgl. § 78 ZPO a. F. (bis 1999) i. V. m. §§ 18, 23 BRAO a. F. (bis 2007). 234 Allein darauf stellen aber Harte/Henning/Ahrens Einl. G Rn. 130 ab. 235 Zur überkommenen Dogmatik s. Buchner Die Bedeutung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb für den deliktsrechtlichen Unternehmensschutz (1971); Schippel Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (1956). Zur Entwicklung dieser Rechtsfigur und zu seiner Position im Spannungsfeld von Immaterialgüterrecht, Wettbewerbsfreiheit und Persönlichkeitsschutz s. Peifer S. 466 ff., 469 ff. 236 Katzenberger; K. Schmidt JuS 1993, 985; Stadtmüller Schutzbereich und Schutzgegenstand des Rechts am Unternehmen (1985); s. a. Beater Medienrecht Rn. 493 ff.; ders. WRP 2009, 768, 770; Harte/Henning/Ahrens Einl. G Rn. 132 f., 140. 237 S. für die früher ständige Rspr., die die unberechtigte Schutzrechtsverwarnung entgegen der sonstigen Linie der Judikatur (Vorrang des UWG) als Eingriff in das Recht am Unternehmen sanktionierte, BGH 11. 12. 1973 – X ZR 14/70 – BGHZ 62, 29, 32 ff. = GRUR 1974, 290, 291 f. – Maschenfester Strumpf. 238 Eingehend Katzenberger S. 11 ff., 37 ff.; Sack Recht S. 142 ff.; ders. VersR 2006, 1001, 1003 ff. (sämtlich m. w. N.); s. a. Canaris VersR 2005, 577, 582 f.; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 59; Sack VersR 2006, 1001. 239 Im Anschluss an RG 27. 2. 1904 – Rep. I. 418/03 – RGZ 58, 24 vgl. z. B. BGH 26. 10. 1951 – I ZR 8/51 – BGHZ 3, 270 = GRUR 1952, 410 – Constanze I; BGH 9. 12. 1958 – VI ZR 199/57 – BGHZ 29, 65 = GRUR 1959, 282 – Stromunterbrechung, m. Anm. Schippel; ferner BGH 15. 7. 2005 – GSZ 1/04 – BGHZ 164, 1 = GRUR 2005, 882 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung; BGH 15. 5. 2012 – VI ZR 117/11 – BeckRS 2012, 12408 Tz. 18 ff. 240 Peifer S. 464 ff., 476 ff.; ebenso i.E. MünchKommBGB/Wagner § 823 Rn. 317. 241 BGH 22. 12. 1961 – I ZR 152/59 – BGHZ 36, 252 = GRUR 1962, 310 – Gründerbildnis; BGH 8. 10. 1971 – I ZR 12/ 70 – BGHZ 57, 116 = GRUR 1972, 189, 191 – Wandsteckdose II; BGH 24. 2. 1983 – I ZR 207/80 – GRUR 1983, 467 f. – Photokina; Beater Medienrecht Rn. 443 f.; Beater WRP 2009, 768, 770; Katzenberger S. 46; G. Schricker AcP 172 (1972), 203, 209; MünchKommBGB/Wagner § 823 Rn. 326; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 60; Dreher/Kulka Rn. 100; Sack Recht S. 139 ff., 176 ff.; so auch schon für das Lauterkeitsrecht vor 2004: Schrauder S. 249 ff.; Schünemann Erstaufl. 1994 Einl. E Rn. 68; Wilhelm FS Canaris Bd. I (2007) 1293 ff. 242 MünchKommBGB/Wagner § 823 Rn. 326. 243 Peifer S. 478.

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rechtsverwarnung244 betroffen:245 Sie ist zwar vorrangig am Maßstab des Lauterkeitsrechts zu messen, wobei vor allem der § 4 Nr. 2 und 4 sowie § 4a in Betracht kommen;246 doch kommt außerhalb des Anwendungsbereichs des UWG nach wie vor eine Anwendung der §§ 823 Abs. 1, 824 BGB in Betracht, so dass die bisherige Rspr. insoweit fortgeführt werden kann.247

124 c) UWG-Normen als Schutzgesetze? Zweifelhaft ist, ob die Normen des UWG Schutzgesetze i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB darstellen. Dies wird man vor dem Hintergrund der Schutzzweckbestimmung des § 1 demzufolge das UWG gerade auch dem Schutz der Mitbewerber, Verbraucher („und Verbraucherinnen“)248 sowie sonstiger Marktteilnehmer dient, im Ansatz kaum in Abrede stellen können.249 Daraus aber im Ergebnis de lege lata eine Aktivlegitimation der Verbraucher für verbrau125 cherbezogene lauterkeitsrechtliche Verstöße ableiten zu wollen, welche die §§ 8 ff. den Verbrauchern gerade vorenthalten (ein Gegenschluss ist angesichts des Gesetzestextes wohl unausweichlich), erscheint doch problematisch: Einerseits mag die den Verbrauchern versagte Aktivlegitimation zwar eine eklatante gesetzgeberische Inkonsequenz und Fehlleistung sein, sie ist aber eben so gewollt.250 Andererseits ist in der Tat zu fragen, ob man dem Gesetzgeber, der sich mit seinen eigenen 126 Vorgaben in Widerspruch setzt und seine eigene Schutzzwecksetzung bezüglich der Verbraucherinteressen zur „inhaltsleeren Gesetzeslyrik“251 degradiert, die Gefolgschaft versagen darf, ja, vielleicht sogar: muss, um auf dem Wege der Interpretation eine folgerichtige Entscheidung zu treffen.252 Immerhin ist festzustellen, dass das Zivilrecht253 auch so schon die Verbraucherinteressen breit schützt.254 Insbesondere bei der Verletzung von Informationspflichten kommen auch Schadensersatzansprüche des Verbrauchers als Vertragspartner nach §§ 280, 241 Abs. 2 BGB bereits derzeit in Betracht.255 Vorsätzliche Informationspflichtverletzungen können gar zu Schadensersatzpflichten nach § 826 BGB führen.256 Dies lässt das Vorenthalten einer lauterkeits244 Peifer S. 479. 245 Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 7.4, § 4 Rn. 4.176; juris-PK/Ullmann Einl. Rn. 140; Wagner/Thole NJW 2005, 3470 f. 246 Zutreffend BGH 12. 8. 2004 – I ZR 98/02 – GRUR 2004, 958 ff. – Verwarnung aus Kennzeichenrecht (Vorlagebeschluss). 247 Vgl. BGH GSZ 15. 7. 2005 – GSZ 1/04 – BGHZ 164, 1 = GRUR 2005, 882 ff. – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung (dort mit Hinweis auf den „uneingeschränkten Rechtsgüterschutz …, den § 823 I und § 826 gewähren“, GRUR 2005, 882, 884; s. a. Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 60. 248 Zu dieser „höchst befremdlichen Sprachfassung“, die offensichtlich dem Bemühen um sog. politische Korrektheit entsprungen ist, indes gerade Frauen auf die Konsumentenrolle reduziert und eben dadurch diskriminiert, s. Harte/Henning/Schünemann (2. Aufl. 2009) § 1 Rn. 10 m. Fn. 21. 249 Augenhofer Ansprüche S. 119 f.; dies. WRP 2006, 169, 176 f. (aus Sicht Österreichs); Emmerich/Lange Unlauterer Wettbewerb § 14 Rn. 7; Fezer/Büscher/Obergfell/Koos § 9 Rn. 3; Lehmann FS Schricker (2005) 77, 80; Sack GRUR 2004, 625, 629 f.; Säcker WRP 2004, 1199, 1219 f.; Wimmer-Leonhardt GRUR 2004, 12, 20; a. A. juris-PK/Ullmann Einl. Rn. 142 (Schutzzweck nach § 1 zu weit gefasst); auch unter gemeinschaftsrechtlichem Aspekt M. Schmidt JZ 2007, 78, 81 ff. (jedenfalls kein Schutz des individuellen Verbrauchers). S. a. Scherer WRP 1992, 607 ff. 250 S. a. die Begründung des Regierungsentwurfs für das UWG 2004 zu § 8, BTDrucks. 15/1487, S. 22; M. Schmidt JZ 2007, 78, 83. 251 Säcker WRP 2004, 1199, 1219. 252 So namentlich Augenhofer Ansprüche S. 120 f. 253 Vgl. z. B. §§ 119 ff. (Anfechtung), § 311 Abs. 2 (culpa in contrahendo), §§ 434 ff./474 ff. (Mängelhaftung beim Verbrauchsgüterkauf), §§ 312 ff., 355 ff. (Informationspflichten und Widerrufsrechte bei Haustürgeschäften, im Fernabsatz und im elektronischen Geschäftsverkehr) BGB. 254 S. die Überblicke bei Alexander S. 85 ff.; Köhler GRUR 2003, 265 ff.; Leistner S. 615 ff.; Sack GRUR 2004, 625 ff. 255 BGH 1. 2. 2013 – V ZR 72/11 – NJW 2013, 1807, 1808. 256 BGH 21. 12. 2004 – VI ZR 306/03 – NJW-RR 2005, 611, 612; BGH 18. 1. 2011 – VI ZR 325/09 – NJW 2011, 1962, 1963.

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rechtlichen Aktivlegitimation für Verbraucher rechtspolitisch noch erträglich erscheinen, erscheint aber zur Zeit nicht rechtsdogmatisch begründbar. Eine überzeugende dogmatische Klärung der hier wirkenden Zusammenhänge steht noch aus: Möglicherweise setzt die Existenz eines breit aufgestellten zivilrechtlichen Verbraucherschutzes die Eintrittsschwelle für Lauterkeitsverstöße generell so herauf, dass das Lauterkeitsrecht gar nicht mehr zum Zuge kommt und sich damit auch die prekäre Frage einer diesbezüglichen Aktivlegitimation der Verbraucher nicht mehr stellt. Damit würden sich von vornherein auch diffizile Konkurrenzprobleme257 erledigen. Allerdings zeigen Entwicklungen auf der Ebene des Unionsrechts, dass die Kommission der Europäischen Union durchaus bereit ist, die zivilrechtliche Durchsetzung des Verbraucherschutzrechts zu stärken. So sieht Art. 8 Abs. 2 lit. b), 8b Abs. 3 lit. b) der RL (EU) 2019/2161258 vor, dass die Mitgliedstaaten sicherzustellen haben, dass im Rahmen des Sanktionensystems zu berücksichtigen ist, inwieweit ein Gewerbetreibender Maßnahmen zur Minderung oder Beseitigung eines Schadens trifft, die einem Verbraucher entstanden sind. Nach Art. 11a Abs. 1 der Richtlinie müssen Verbraucher Zugang zu angemessenen und wirksamen Rechtsbehelfen haben, „einschließlich Ersatz des dem Verbraucher entstandenen Schadens sowie gegebenenfalls Preisminderung oder Beendigung des Vertrages“. Zwar gibt die Richtlinie nicht vor, mit welchen Rechtsinstrumenten diese Folgen durchzusetzen sind, doch wird auch nicht ausgeschlossen, dass dies durch das Lauterkeitsrecht geschehen kann. Sofern das Zivilrecht selbst nicht wirksam ist, wäre das sogar naheliegend. Auf der Basis der hier angenommenen grundsätzlichen Subsidiarität des bürgerlich-rechtlichen Deliktsrechts gegenüber dem Lauterkeitsrecht gibt es aber noch eine andere logische Linie: Es ist nämlich durchaus auch folgerichtig, den Rückgriff auf § 823 Abs. 2 BGB zu sperren, obwohl die Schutzgesetzqualität der UWG-Normen bejaht wird. Denn es wäre seltsam, wollte man jene Normen, die § 823 Abs. 2 BGB überhaupt erst zur Anwendung bringen, im Effekt dann von eben diesem Deliktsrecht überspielen lassen. Man wird deshalb hier davon auszugehen haben, dass die Vorschriften des Lauterkeitsrechts zwar die Qualität von Schutzgesetzen haben, das Lauterkeitsrecht aber grundsätzlich zumindest bezüglich der die Verbraucher ausschließenden Aktivlegitimation Vorrang hat.259 Zu demselben Ergebnis kommt man auch, wenn man schon die Schutzgesetzqualität verneint, weil „Ansprüche und Anspruchsberechtigung wegen eines Verstoßes gegen § 3 und gegen § 7 abschließend in den §§ 8–10 geregelt“ seien.260 Schutzgesetzqualität und Subsidiarität haben allerdings nichts miteinander zu tun.261 Die Straftatbestände des UWG, also die §§ 16 ff., sollen hingegen wie auch sonstige Strafrechtsnormen als Schutzgesetze i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB zu verstehen sein. Doch soll durch Auslegung zu ermitteln sein, wer nun Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB geltend machen könne. Grund dafür sei, dass die strafrechtlichen Bestimmungen keine und deshalb auch keine abschließende Regelung der zivilrechtlichen Regelungen enthielten.262 Da Straftatbestände ihrem Wesen nach allein strafrechtliche Sanktionen aussprechen, kann ihnen auch keine Sperrwirkung gegenüber Privatrechtstatbeständen zukommen. Nur insofern, ist das vorstehend genannte Argument überzeugend.

257 S. Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 68. 258 Richtlinie (EU) 2019/2161 vom 27. 11. 2019 zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der Verbraucherschutzvorschriften der Union, ABl. L 328/7. 259 Ebenso Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß E 2 Rn. 8. 260 So Harte/Henning/Ahrens Einl. G Rn. 138; Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 7.5; Leistner S. 218 mit Fn. 213, S. 253 mit Fn. 334, S. 1001 f.; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 62; M. Schmidt JZ 2007, 78, 82 f. 261 Richtig Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß E 2 Rn. 8. 262 BGH 30. 5. 2008 – 1 StR 166/07 – BGHSt 52, 227 Tz. 87 = GRUR 2008, 818 Tz. 87 – Strafbare Werbung im Versandhandel; Alexander WRP 2004, 407, 420; Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 7.5, § 16 Rn. 32; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 62 (die nur von „§§ 17 ff.“ sprechen). Zurückhaltend juris-PK/Ullmann Einl. Rn. 144.

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Allerdings folgt daraus keineswegs, dass § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 16 ff. Ansprüche generiert. Denn die §§ 16 ff., die der Sache nach besonders gewichtige und eben deshalb mit Strafe belegte unlautere geschäftliche Handlungen beschreiben, können ihrerseits als „Extrem- und Evidenzfälle“ von der Generalklausel des Art. 3 Abs. 1 umfasst sein263 und deshalb die lauterkeitsrechtlichen Ansprüche der §§ 8 ff. nach sich ziehen. Diese bilden eine abschließende Regelung, sodass für § 823 Abs. 2 BGB des subsidiären Deliktsrechts kein Raum mehr ist.

133 d) Schutzgesetze außerhalb des UWG. Wenn Schutzgesetze außerhalb des UWG in Rede stehen, diese aber zugleich unter § 3a fallen, kann das Lauterkeitsrecht erst recht Vorrang beanspruchen. Es kommt also nicht zu einer Anspruchskonkurrenz zwischen § 9 und § 823 Abs. 2 BGB.264

134 e) Haftung für Gehilfen. Fragwürdig ist hingegen der Rekurs auf § 831 Abs. 1 BGB im Zusammenhang mit Schadensersatzansprüchen nach § 9. Er wird damit begründet, dass § 8 Abs. 2 nur für den verschuldensunabhängigen Abwehranspruch nach § 8 gelte.265 Die Bedeutung dieser Vorschrift liegt in der grundsätzlich bestehenden Möglichkeit des 135 Exkulpationsbeweises nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB, sofern den Geschäftsherrn (den Unternehmensträger bzw. dessen Organpersonen wie Geschäftsführer oder Vorstände) kein (eigenes) Auswahl- oder Leitungsverschulden trifft. Die praktische Bedeutung für § 9 wird aber wohl überschätzt, weil die Rspr. in lauterkeitsrechtlichem Zusammenhang ganz allgemein sehr schnell mit einem Verschuldensvorwurf bei der Hand ist, sodass der Exkulpationsbeweis regelmäßig misslingen wird.266 Die Anwendbarkeit des § 831 Abs. 1 BGB dürfte also vielfach nur Steine statt Brot gewähren. Außerdem kommt häufig ein eigenes Organisationsverschulden des Geschäftsherrn in Betracht, so dass § 8 unmittelbar greift und es einer Haftung aus (vermutetem) Auswahl- und Leitungsverschulden nach § 831 Abs. 1 BGB von vornherein nicht bedarf.267 § 831 Abs. 1 BGB kann nur Anwendung finden, wenn das Lauterkeitsrecht im Bereich der 136 Haftung für Gehilfen keine abschließende Regelung trifft. Eben dies wird unter Hinweis auf § 8 Abs. 2 vorgetragen, da dieser nur für verschuldensunabhängige Abwehransprüche gelte.268 Das Argument stützt sich ersichtlich allein auf den Wortlaut des § 8 Abs. 2. Teilt man die Auffassung, dass bürgerliches Deliktsrecht ohnehin nur analog (und selbst dies nur in engen Grenzen) herangezogen werden kann (s. Rn. 111 f.), so liegt eine Analogie zu dem lauterkeitsrechtlichen § 8 Abs. 2 für Schadensansprüche und die damit im Zusammenhang stehenden Auskunftsansprüche nach § 9 näher (s. a. Rn. 113). Diese Analogie stützt sich auch darauf, dass § 8 Abs. 2 von der herrschenden Gegenmei137 nung als verschärfende, zu einer Erfolgshaftung für Gehilfenverschulden führende Sonderregelung gegenüber § 831 Abs. 1 BGB gesehen wird.269 Dies legt eine abschließende Regelung nicht nur für lauterkeitsrechtliche Abwehransprüche, sondern auch für diesbezügliche Schadensersatzansprüche nahe. Denn gerade Schadensersatzansprüche sind die spezifische Rege263 264 265 266

Harte/Henning/v. Jagow § 3a Rn. 120. A.A. z. B. BGH 6. 12. 2001 – I ZR 14/99 – GRUR 2002, 987, 993 – Wir Schuldenmacher; Dreher/Kulka Rn. 99. BGH 12. 6. 1997 – I ZR 36/95 – GRUR 1998, 167, 169 – Restaurantführer. Vgl. z. B. BGH 7. 3. 1969 – I ZR 116/67 – GRUR 1969, 418, 422 – Standesbeamte; besonders deutlich beim Rechtsirrtum: z. B. BGH 8. 1. 1960 – I ZR 7/59 – GRUR 1960, 331 ff. – Schleuderpreise; BGH 30. 10. 1962 – I ZR 128/61 – GRUR 1963, 197, 202 – Zahnprothesenpflegemittel; BGH 30. 9. 1964 – Ib ZR 65/63 – GRUR 1965, 198, 202 – Küchenmaschine; BGH 23. 5. 1975 – I ZR 22/74 – GRUR 1975, 667, 669 – Reichswehrprozess; BGH 10. 10. 1989 – KZR 22/88 – GRUR 1990, 474, 476 – Neugeborenentransporte, m. w. N. 267 Ohly/Sosnitza § 9 Rn. 26. 268 S. Vornote 269 Baumbach/Hefermehl § 13 Rn. 60, 62; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 143; zur Funktion der Norm grundsätzlich a. A. Schünemann WRP 1998, 120 ff. (für § 13 Abs. 2 a. F.), aber insoweit ohne Konsequenz für die Ausführungen im Text.

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lungsmaterie des § 831 Abs. 1 BGB. Außerdem bliebe ansonsten völlig offen, warum eine solche verschärfte, keine Exkulpation ermöglichende Haftung als Ausgleich für arbeitsteilige Organisation und dadurch erhöhte Effizienz und erweiterten geschäftlichen Wirkungskreis270 gerade vor Schadensersatzansprüchen nach § 9 haltmachen sollte.271

f) Zusammenfassung. Rückblickend besteht zwischen Lauterkeitsrecht und Deliktsrecht kei- 138 ne Anspruchskonkurrenz: Entweder fehlt es dem Sachverhalt an Wettbewerbsbezug, sodass das Lauterkeitsrecht nicht eingreift, oder, in Fällen mit Wettbewerbsbezug, bei denen prima facie auch bürgerlich-rechtliche Deliktstatbestände erfüllt sind, entfaltet das Lauterkeitsrecht gegenüber dem Deliktsrecht aufgrund dessen Subsidiarität eine Sperrwirkung.272 3. UWG und Bereicherungsrecht Das Verhältnis von Lauterkeits- und Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB) findet in der neueren 139 Diskussion273 nur wenig Beachtung.274 Grund dafür dürfte zunächst sein, dass Bereicherungsansprüche (in näheren Betracht kommt nur die Eingriffskondiktion)275 nach traditioneller Vorstellung den Eingriff in eine mit Zuweisungsgehalt versehene Rechtsposition voraussetzen, wie sie ihn absolute Rechte aufweisen.276 Solche absolut, also jedermann gegenüber, geschützte Rechtspositionen kennt das Lauterkeitsrecht jedoch nach richtiger Auffassung überhaupt nicht, auch nicht in Gestalt eines das Immaterialgüterrecht „ergänzenden Leistungsschutzes“ mit Ersatz-Ausschließlichkeitsrechten (vgl. Rn. 83 ff.). Das sog. Recht am Unternehmen (Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebe- 140 trieb) weist einen solchen Zuweisungsgehalt als bloßes Rahmenrecht jedenfalls nicht auf,277 (s. auch oben Rn. 122). Eine Anspruchskonkurrenz zwischen Lauterkeitsrecht und bürgerlichem Deliktsrecht scheidet somit von vornherein aus. Vor allem aber stellt sich auch hier die Frage eines Vorrangs des Lauterkeitsrechts. Denn 141 ersichtlich ist der vollkommen neuartige § 10 „eine legislatorische Konstruktion ohne Vorbild“,278 doch an das bürgerlich-rechtliche Bereicherungsrecht angelehnt,279 wenngleich das Merkmal „auf Kosten“ des § 812 Abs. 1 S. 1 BGB in § 10 als „zu Lasten“ erscheint. Allerdings ist

270 BGH 19. 12. 2002 – I ZR 119/00 – GRUR 2003, 453, 454 – Verwertung von Kundenlisten; BGH 19. 4. 2007 – I ZR 92/04 – GRUR 2007, 994 Tz. 19 – Gefälligkeit; BGH 28. 6. 2007 – I ZR 153/04 – GRUR 2008, 186 Tz. 22 – Telefonaktion; s. a. BGH 5. 4. 1995 – I ZR 133/93 – GRUR 1995, 605, 607 – Franchise-Nehmer; Beater Rn. 2728; Hahn S. 186 ff.; Köhler GRUR 1991, 344, 346. 271 S. a. Beater Rn. 2734, der in diesem Zusammenhang nur ausführt, vertragliche (Schadensersatz-)Ansprüche erfasse § 8 Abs. 2 nicht; für sie gelte § 278 BGB. Die Nichterwähnung lauterkeitsrechtlicher Schadensersatzansprüche sollte allerdings nicht überinterpretiert werden. 272 Zu dieser Quintessenz s. schon v. Bar Deliktsrecht, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts Bd. II (1981) 1681 ff., 1719: Größte Zurückhaltung gegenüber deliktsrechtlicher Haftung in einer freien Marktwirtschaft beim Versuch des Vermögensschutzes sei ganz allgemein geboten. 273 Für die Zeit vor dem UWG 2004 s. z. B. Schünemann Erstaufl. Einl. E Rn. 81 ff. sowie Baumbach/Hefermehl Einl. UWG Rn. 417 ff.; Brandner GRUR 1980, 359, 364; Haines S. 93 ff.; Köhler NJW 1992, 1477 ff.; Loewenheim WRP 1997, 913 ff. 274 S. z. B. Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß Vor §§ 8 ff. Rn. 27 ff. 275 Vgl. § 812 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. BGB: „in sonstiger Weise“, also nicht durch Leistung, insbesondere durch Eingriff. 276 BGH 9. 3. 1989 – I ZR 189/86 – BGHZ 107, 117 = GRUR 1990, 221 – Forschungskosten; Mestmäcker JZ 1958, 521 ff.; Raiser JZ 1961, 465, 468. Weitergehend z. B. Kleinheyer JZ 1970, 471, 473: Nutzung eines fremden Rechtsguts ausreichend. 277 BGH 14. 2. 1978 – X ZR 19/76 – BGHZ 71, 86, 98 = GRUR 1978, 492, 495 f. – Fahrradgepäckträger II; von Caemmerer, FS 100 Jahre DJT, Band II, 49, 89 f.; Peifer S. 470. 278 Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß § 10 Rn. 11. 279 Ohly/Sosnitza § 10 Rn. 1.

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der Destinatär des abgeschöpften Gewinns der Staat, weder die Aktivlegitimierten, noch die faktisch ohnedies nicht identifizierbare „Vielzahl von Abnehmern“. Auch wenn es sich dabei um eine Fehlkonstruktion des Gesetzgebers handeln sollte,280 ist diese der Sache nach bereicherungsrechtliche Sonderregelung zu respektieren und kann nicht mit bürgerlich-rechtlichen Konstruktionen umgangen werden. Vor dem UWG 2004 existierte eine dem § 10 vergleichbare Regelung nicht, sodass die damals angestellten Erwägungen zu einer Anspruchskonkurrenz zwischen Lauterkeitsrecht und §§ 812 ff. BGB wegen Lückenhaftigkeit des UWG281 obsolet sind. Die Rspr. hat sich ohnehin zu keiner Zeit einer Anspruchskonkurrenz von Lauterkeits- und Bereicherungsrecht zugeneigt gezeigt.282 Grund dafür ist wohl vor allem die von ihr seit Langem entwickelte dreifach mögliche Schadensberechnung im Rahmen (jetzt) des § 9.283 Dieser Konstruktion ist erkennbar auch die Grundidee einer Gewinnabschöpfung entnommen. Vor allem in der Variante einer Abschöpfung des Verletzergewinns verkörpert die dreifache Schadensberechnung in Wahrheit Kondiktionsrecht284 und macht damit einen Rückgriff auf die §§ 812 ff. BGB weitgehend entbehrlich, wenn man einmal davon absieht, dass ein Bereicherungsanspruch nach §§ 812 ff. BGB im Gegensatz zu §§ 9 f. kein Verschulden voraussetzt. Doch war die Rspr. in der Vergangenheit im Lauterkeitsrecht mit der Bejahung eines Verschuldens durchweg schnell bei der Hand, sodass der Unterschied in den Anspruchsgrundlagen in den praktischen Ergebnissen doch marginal ist.285 Zusammenfassend ist zu sagen, dass auch §§ 812 ff. BGB gegenüber dem Lauterkeitsrecht subsidiär sind, sofern in concreto seine tatbestandlichen Voraussetzungen überhaupt einmal erfüllt sein sollten.286 Die Konkurrenzfrage hat insgesamt gesehen wenig praktische Relevanz: Entweder ist (wohl selten genug)287 § 10 erfüllt und entfaltet dann gegenüber §§ 812 ff. BGB eine Sperrwirkung, oder es liegt zwar eine geschäftliche Handlung vor, ohne dass die sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 10 erfüllt sind, dann ist ein Rückgriff auf §§ 812 ff. BGB wegen des abschließenden Charakters der lauterkeitsrechtlichen Regelung ebenfalls ausgeschlossen. Im Übrigen bietet die dreifach mögliche Schadensberechnung im Rahmen des § 9 ausreichende Flexibilität, um praktischen Bedürfnissen Rechnung zu tragen.

4. UWG und Vertragsrecht 146 a) Ausgangspunkt. Lauterkeitsrecht und Vertragsrecht berühren sich an vielen Stellen, allein schon bedingt durch das Wesen des ökonomischen Wettbewerbs, da die Marktbeteiligten das jeweilige wettbewerbliche Vertikalverhältnis, nämlich ihre Austauschbeziehungen (vgl. Einl. A Rn. 46, 50 f.), durchweg vertraglich organisieren.288 Darüber hinaus nähern sich insbesondere 280 S. schon die Bedenken des Bundesrats BTDrucks. 15/1487, S. 34 f.; in derselben Richtung z. B. Engels/Salomon WRP 2004, 32, 42; Sack WRP 2003, 549 ff.; Wimmer-Leonhardt GRUR 2004, 12, 16; a. A. z. B. Stadtler/Micklitz WRP 2005, 559 ff. 281 Brandner GRUR 1980, 359, 364; Haines S. 93 ff.; Köhler Erstaufl. Vor § 13 B Rn. 352 ff.; Loewenheim WRP 1997, 913 f. 282 BGH 17. 5. 1960 – I ZR 34/59 – GRUR 1960, 554, 557 – Handstrickverfahren; BGH 9. 3. 1989 – I ZR 189/86 – BGHZ 107, 117 = GRUR 1990, 221 – Forschungskosten. 283 S. überblicksweise Heermann GRUR 1999, 625 ff. 284 Vgl. BGH 23. 6. 2005 – I ZR 263/02 – GRUR 2006, 143, 145 – Catwalk, schon für die weniger deutlich bereicherungsrechtlich aufgeladene Schadensberechnung auf der Grundlage einer fiktiven Lizenzanalogie. 285 Durchaus selbstkritisch BGH 30. 11. 1976 – X ZR 81/72 – GRUR 1977, 250 – Kunststoffhohlprofil I. S. a. Haines S. 157. 286 Kategorisch gegen Anspruchskonkurrenz auch Fikentscher Deutsches Wirtschaftsrecht Bd. II (1983) § 22 XI 10 (A) (a). 287 Vgl. z. B. OLG Stuttgart 2. 11. 2006 – 2 U 58/06 – GRUR 2007, 435 – Veralteter Matratzentest; OLG Frankfurt/M. 4. 12. 2008 – 6 U 186/07 – GRUR-RR 2009, 265 – Abo-Fallen. 288 Eingehend zur komplexen Beziehung von Vertrag und Wettbewerb unter funktionalem Aspekt Alexander S. 28 ff., 38 ff.

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Verbraucherprivatrecht und Lauterkeitsrecht immer stärker einander an, maßgeblich getrieben durch Gemeinschaftsrecht.289 Diese (zunehmende) Nähe macht es notwendig, auf einen Wertungsgleichlauf in beiden Rechtsmaterien zu achten,290 obwohl Lauterkeits- und Vertragsrecht jeweils unterschiedliche Perspektiven haben und deshalb eigenständig sind.291 Die jeweilige Eigenständigkeit von Lauterkeitsrecht und Vertragsrecht wird auch durch 147 das Gemeinschaftsrecht trotz der von ihm initiierten axiologischen Annäherung nicht in Frage gestellt. So unterstreicht Art. 3 Abs. 2 der RL 2005/29/EG (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern), dass die dortigen Normierungen das Vertragsrecht unberührt lassen. Die Eigenständigkeit beider Rechtsgebiete hat zur Folge, dass lauterkeits- und vertragsrecht- 148 liche Normen prinzipiell nebeneinander herlaufen.292 Insbesondere besteht zwischen lauterkeitsund vertragsrechtlichen Ansprüchen Anspruchskonkurrenz (Anspruchskumulation). Sie kann schlechterdings wohl überhaupt nur bei Schadensersatzansprüchen (§ 9 einerseits und z. B. § 280 BGB andererseits) praktisch werden, weil das Vertragsrecht Abwehransprüche in Parallele zu dem lauterkeitsrechtlichen § 8 nicht kennt, sondern nur über § 249 Abs. 1 BGB in Form der Naturalrestitution, dann aber verschuldensabhängig, durchsetzen könnte. Die Ansprüche aus § 8 ähneln denjenigen zur Verteidigung absolut-rechtlicher Positionen,293 hier allerdings bezogen auf die Verteidigung der Wettbewerbsordnung als ganzer,294 denn auf eine individuelle Betroffenheit kommt es für die lauterkeitsrechtliche Aktivlegitimation für Abwehransprüche gar nicht an.

b) Vertragsnichtigkeit wegen Unlauterkeit? Fraglich ist, inwieweit die Unlauterkeit einer 149 geschäftlichen Handlung auf die Wirksamkeit der mit dieser Handlung im Zusammenhang stehenden (Basis- und Folge-)Verträge über § 138 Abs. 1 BGB Einfluss nimmt. Schon vor der Reform des Lauterkeitsrechts 2004 bestand weithin Klarheit darüber, dass wegen der substanziellen Verschiedenheit des Begriffs der „guten Sitten“ in § 1 UWG a. F. und § 138 Abs. 1 UWG keine Automatik zwischen beiden Normen bestehe, also von genereller Vertragsnichtigkeit wegen lauterkeitsrechtlich unzulässigem Verhalten keine Rede sein könne.295 Daran hat sich für das geltende Lauterkeitsrecht nichts geändert,296 zumal dieses schon terminologisch Abschied von den „guten Sitten“ genommen hat.297 § 138 Abs. 1 BGB kann grundsätzlich nur eingreifen, wenn der Inhalt des Rechtsgeschäfts, 150 insbesondere also eines Vertrages, gegen die „guten Sitten“ verstößt. Welcher Maßstab dabei angelegt werden muss – im Wege der Rezeption außerrechtlicher Wertungen z. B. Sittlichkeit, Moral, Gesinnungsethik, oder unmittelbar die im Gesamtsystem der Rechtsordnung als Rechtsund Sozialethik immanenten Wertungen – ist unklar.298 Die Messlatte liegt in jedem Fall hoch: 289 290 291 292 293 294

Näher M. Schmidt JZ 2007, 78 ff. Alexander WRP 2012, 515, 519, 522; Beater WRP 2009, 768, 776; Leistner passim, z. B. S. 265 ff., 615 ff., 653 ff., 1084. Beater Rn. 86 f. Alexander S. 20 ff., 45, 49 f., 85 ff. und öfter; Beater Rn. 87. S. a. MünchKommBGB/Raff § 1004 Rn. 16. Die Aktivlegitimierten handeln insoweit als „Funktionäre des Allgemeininteresses“ an der Bewährung der wettbewerblichen Wirtschaftsordnung (s. bereits Schünemann Wettbewerbsrecht S. 238 f.; ders. Erstaufl. 1994 Einl. D Rn. 40 ff., jeweils m. w. N.) mit weitreichenden Konsequenzen, etwa bezüglich der (ausgeschlossenen) Anspruchsverwirkung wegen „unclean hands“. 295 S. nur BGH 25. 1. 1990 – I ZR 19/87 – BGHZ 110, 156 = GRUR 1990, 522 – HBV-Familien- und Wohnungsrechtsschutz; BGH 14. 5. 1998 – I ZR 10/96 – GRUR 1998, 945 f. – Co-Verlagsvereinbarung; Alexander S. 98 f. m. w. N.; Köhler GRUR 2003, 265, 267; s. aber auch Sack WRP 1974, 445, 448; Sack WRP 1985, 1, 4. 296 Leistner S. 892 ff.; M. Schmidt JZ 2007, 78, 83 f. 297 Harte/Henning/Ahrens Einl. G Rn. 149; Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 7.8; Leistner S. 527 ff. 298 Dazu etwa BVerfG 15. 1. 1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198, 206 = GRUR 1958, 254, 255 – Lüth; BVerfG 16. 10. 1968 – 1 BvR 241/66 – BVerfGE 24, 236, 251 = GRUR 1969, 137, 140 – Aktion Rumpelkammer; BGH 9. 2. 1978 – III ZR 59/76 – BGHZ 70, 313, 324 = NJW 1978, 943, 945.

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Nur der Verstoß gegen elementare Werte, die auch verfassungsrechtliche Relevanz haben, kann Grundlage des Sittenwidrigkeitsurteils sein und damit der Privatautonomie der Vertragspartner eine Grenze setzen.299 Schon wegen der Fokussierung des § 138 Abs. 1 BGB auf den Vertragsinhalt300 wird eine Konkurrenzsituation mit einem lauterkeitsrechtlichen Verbotstatbestand nur selten auftreten, da das UWG sein Augenmerk in den §§ 4 ff. eher auf Modalitäten und Methoden legt, in die das Vertragsgeschehen eingebunden ist. Allerdings sollen ausnahmsweise auch die Vertragsumstände innerhalb des § 138 Abs. 1 zu berücksichtigen sein, wenn sie in ihrer Gesamtheit dem Vertrag den Stempel der Sittenwidrigkeit aufdrücken.301 Doch wird selbst diese (fragwürdige) tatbestandliche Erweiterung nur sehr selten zu einer Normenkonkurrenz i.S. eines gleichzeitigen Eingreifens von § 138 Abs. 1 BGB und §§ 3 ff. führen können: Erstens ist die Zielrichtung beider Normen völlig unterschiedlich (Setzung äußerster Grenzen der Vertragsfreiheit einerseits, Sicherung des unverfälschten Wettbewerbs andererseits), und zweitens ist die Eingriffsschwelle bei § 138 Abs. 1 BGB noch weit höher als das unter der Leitidee der Wettbewerbsfreiheit interpretierte Lauterkeitsrecht. Normenkonkurrenz wird für möglich gehalten zwischen § 138 Abs. 2 BGB (Wucher) und § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 2.302 Dies liegt nach der tatbestandlich umschriebenen Situation beider Vorschriften zwar nahe, doch liegen die Probleme tiefer. Ein prinzipielles Problem besteht allerdings auf Seiten des § 138 Abs. 2 BGB im Tatbestandsmerkmal des „auffälligen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung“. Diese Verhältnisbestimmung setzt gedanklich den Bezugspunkt eines außerhalb des Vertrages angesiedelten angemessenen Verhältnisses der synallagmatischen Leistungen voraus. Diesen Bezugspunkt kann es jedoch in einer Marktwirtschaft, in der sich Preise durch Angebot und Nachfrage für jede Transaktion erst bilden, nicht geben.303 Auch der empirisch erhobene, wie auch immer gemittelte Marktpreis ist als Maßstab abwegig: Der sog. Marktpreis ist das aggregierte Resultat der diesbezüglichen individuellen Transaktionen. Ihn als normative Größe benutzen zu wollen, stellt die ökonomischen Dinge auf den Kopf. § 138 Abs. 2 BGB beruht auf der vergeblichen Suche nach einem pretium iustum. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass speziell ein nach § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 mit Abs. 2 Nr. 3 unlauteres geschäftliches Handeln keine Vertragsnichtigkeit nach § 138 Abs. 2 BGB zur Folge hat. Ähnliche Grundsatzprobleme birgt auch § 134 BGB, wie allein schon die ausufernde, wenig konsistente Kasuistik erweist.304 Diese Inkonsistenz zeigt sich auch in der Einschätzung der Unlauterkeitstatbestände als Verbotsgesetze i. S. d. § 134 BGB: Sie wurde früher höchstrichterlich durchweg verneint,305 doch wird sie für §§ 3 und 7 (zumindest im Grundsatz) nun auch bejaht,306 obwohl sich die Gesetzeslage insoweit nicht geändert hat. 299 BGH 8. 12. 1982 – IVb ZR 333/81 – BGHZ 86, 82, 88 = NJW 1983, 1851, 1852 f.; BGH 28. 2. 1989 – IX ZR 130/88 – BGHZ 107, 92, 97 = NJW 1989, 1276, 1277; BGH 19. 1. 2001 – V ZR 437/99 – BGHZ 146, 298, 301 = NJW 2001, 1127. 300 Der Inhaltsbezug gilt auch für § 138 Abs. 2 BGB: Leistungs- und Gegenleistungspflicht sind ja der Kern der synallagmatischen Vertragsbeziehung. 301 BGH 31. 3. 1970 – III ZB 23/68 – BGHZ 53, 369, 376 = NJW 1970, 1273, 1275; BGH 17. 10. 2003 – V ZR 429/02 – NJW 2003, 3692 f.; BGH 29. 6. 2005 – VIII ZR 299/04 – NJW 2005, 2991 f.; Nasall NJW 2006, 127; Sack GRUR 2004, 625, 627; a. A. M. Schmidt JZ 2007, 78, 83 f.; Stürner ZZP 119 (2006) 219 f. 302 Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 7.9. 303 Hierzu und zum Folgenden Schünemann FS Brandner 279, 286 ff. (dort auch weitere Gründe dafür, dass § 138 Abs. 2 BGB obsolet und unanwendbar ist); s. a. ders. Wirtschaftsprivatrecht, 6. Aufl. (2011) 85. 304 Vgl. z. B. MünchKommBGB/Armbrüster § 134 Rn. 50 ff. 305 BGH 25. 1. 1990 – I ZR 19/87 – BGHZ 110, 156, 175 = GRUR 1990, 522, 528 – HBV-Familien- und Wohnungsrechtsschutz; BGH 14. 5. 1998 – I ZR 10/96 – GRUR 1998, 945, 947 – Co-Verlagsvereinbarung; s. a. OLG Hamburg 25. 3. 1993 – 3 U 245/92 – GRUR 1994, 65 – Fruchtziehung; Alexander S. 92 ff., 97; Baumbach/Hefermehl § 1 Rn. 913 m. w. N.; a. A. Reich JZ 1975, 550, 553; Reichelsdorfer WRP 1998, 142, 144. 306 BGH 26. 2. 2009 – I ZR 106/06 – GRUR 2009, 606 Tz. 11 – Buchgeschenk vom Standesamt; Köhler/Bornkamm/ Feddersen Einl. Rn. 7.8.

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Zutreffend für die Beurteilung der Wirksamkeit dieser sog. Folgeverträge, die also unter Umständen geschlossen wurden, die Unlauterkeitstatbestände erfüllen, erscheint die ablehnende Position. Denn auch § 134 BGB stellt (wie § 138 Abs. 1 BGB) darauf ab, ob ein Vertrag gegen den Inhalt (!) eines Gesetzes verstößt; die lauterkeitsrechtlichen Normen bestimmen jedoch nicht den Inhalt von Verträgen. Dass es sich um einen einheitlichen Lebensvorgang handele, nämlich der unlauteren geschäftlichen Handlung (z. B. irreführender Werbung) und dem daran anknüpfenden Vertrag,307 mag natürlicher Betrachtungsweise entsprechen, ist für die vertragsrechtliche Wertung aber nicht zwingend. Die Unlauterkeitstatbestände stellen mithin grundsätzlich keine Verbotsgesetze i. S. d. § 134 BGB dar308 und lassen deshalb die Wirksamkeit von Folgeverträgen unberührt. Aber auch die Gegenmeinung ist nicht gezwungen, mit § 134 BGB die Nichtigkeit solcher sog. Folgeverträge zu bejahen. Denn § 134 BGB stellt diese Rechtsfolge unter den Vorbehalt, dass „sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt“. Dies lässt interpretatorischen Spielraum für die Annahme unberührt bleibender Vertragswirksamkeit.309 Gegen die Beurteilung von Folgeverträgen als nichtig sprechen in bestimmten Konstellationen auch Gründe der Wertungsfolgerichtigkeit. Bei Anwendung psychologischen Kaufzwangs (§ 4a), bei irreführender Werbung (§§ 5. 5a) und ähnlichen mit Willensmängeln auf der Marktgegenseite einhergehenden Marketingaktivitäten ist nach der bürgerlich-rechtlichen Systematik der hier wirkende Motivirrtum grundsätzlich unbeachtlich und soll allenfalls, selbst bei Arglist, nur zur Anfechtung berechtigen (arg. §§ 119, 123 BGB). Dem betroffenen Vertragspartner soll also nur die Option gegeben werden, die Nichtigkeit herbeizuführen (§ 142 Abs. 1 BGB), umgekehrt eben die Möglichkeit belassen werden, an dem Vertrag festzuhalten. Diese Alternative würde durch Annahme einer Vertragsnichtigkeit ex lege indes entfallen. Von der vorgenannten Fallgestaltung zu unterscheiden sind sog. Basisverträge, Verträge also, die zu unlauterem Verhalten verpflichten. Sie werden vielfach unter § 134 BGB subsumiert und für nichtig angesehen, wenn eben dies Vertragsinhalt ist310 und nicht lediglich die Gefahr besteht, dass eine Vertragsverpflichtung auf unlautere Weise erfüllt wird.311 Es wird aber auch dafür plädiert, solche Basisverträge nach den Vorschriften über die anfängliche rechtliche Unmöglichkeit der Leistung (§§ 311a/275 Abs. 1 BGB) zu behandeln,312 also Wirksamkeit des Vertrages bei eventuell ausgelösten Schadens- oder Aufwendungsersatzansprüchen (§ 311a Abs. 2 BGB) anzunehmen. Diese Auffassungen überzeugen nur teilweise: Geht man davon aus, dass die Unlauterkeitstatbestände grundsätzlich keine Verbotsgesetze i. S. d. § 134 BGB darstellen, so kann sich daran nichts ändern, nur weil der Vertragsinhalt auf unlauteres Verhalten gerichtet ist. Dies ist der richtige Kern jener soeben zitierten Auffassung, die § 134 BGB auch auf Basisverträge nicht anwendet. Allerdings ist dem daraus gezogenen Schluss, Basisverträge dem § 311a BGB zu unterwerfen, nicht beizutreten. Denn er setzt sich mit seiner eigenen Grundannahme in Widerspruch 307 v. Gamm WRP 1974, 1 ff.; Traub GRUR 1980, 678 ff. 308 BGH 25. 1. 1990 – I ZR 19/87 – BGHZ 110, 156, 175 = GRUR 1990, 522, 528 – HBV-Familien- und Wohnungsrechtsschutz; BGH 14. 5. 1998 – I ZR 10/96 – GRUR 1998, 945, 947 – Co-Verlagsvereinbarung. Für die Literatur unter der Geltung des reformierten UWG s. namentlich Beater Rn. 87; Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß E 2 Rn. 10; Harte/ Henning/Ahrens Einl. G Rn. 149; grundsätzlich auch Leistner S. 527 ff., 533; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn 67; Sack GRUR 2004, 625 f. 309 Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. Rn. 7.8; näher ders. JZ 2010, 767 ff. 310 Z. B. Verträge über redaktionell getarnte Werbung (Nr. 11 des Anhangs zu § 3 Abs. 3) oder unlauteres product placement (§ 5a) oder über die Durchführung irreführender Werbung. S. a. juris-PK/Ullmann Einl. Rn. 147; Lorenz WRP 2008, 1494, 1498. 311 BGH 14. 5. 1998 – I ZR 10/96 – GRUR 1998, 945, 947 – Co-Verlagsvereinbarung; BGH 26. 2. 2009 – I ZR 106/06 – GRUR 2009, 606 Tz. 13, 22 – Buchgeschenk vom Standesamt; Leistner S. 535 ff.; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 67; Sack GRUR 2004, 625 f. 312 Köhler JZ 2010, 767, 769 f.

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und bewegt sich in einem logischen Zirkel: Die rechtliche Unmöglichkeit der versprochenen Leistung müsste sich ja überhaupt erst aus § 134 BGB ergeben, der indes gerade nicht eingreifen soll. Auch Basisverträge sind deshalb grundsätzlich als wirksam anzusehen. 165 Eine Ausnahme, also Vertragsnichtigkeit nach § 134 BGB, mag zu erwägen sein, wenn der Vertragsinhalt auf ein Verhalten gerichtet ist, das lauterkeitsrechtlich strafbedroht ist (§§ 16 ff.), sofern man die Strafandrohung als wichtiges Indiz für ein Verbotsgesetz i. S. d. § 134 BGB akzeptiert.313 Die Rspr. verlangt hier grundsätzlich die Strafbarkeit beider Parteien,314 möchte jedoch ausnahmsweise auch die Strafbarkeit nur eines Beteiligten genügen lassen, wenn der Zweck des Verbotsgesetzes sich nur so erreichen lässt.315 Sie kann sich insbesondere aus der Strafbarkeit auch der Anstiftung (§ 26 StGB) ergeben.

166 c) Unlauterkeit der Vertragsdurchführung? Es entsprach vor dem Inkrafttreten des UWG 2008 der allgemeinen Meinung, dass Lauterkeitsrecht und Vertragsrecht jedenfalls insoweit klar voneinander getrennt seien, als das Lauterkeitsrecht nur das Verhalten bis zum Vertragsschluss in den Blick nehme, nicht jedoch das auf die Vertragsdurchführung bezogene Verhalten der Parteien, insbesondere auch nicht Leistungsstörungen. Dies wurde ursprünglich aus dem nach § 1 UWG a. F. maßgeblichen Anknüpfungspunkt, dem Handeln im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs gefolgert, das seine Erfüllung und Grenze in der Marktentscheidung der Marktgegenseite, also im Vertragsschluss fand.316 Auch § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG 2004 brachte insoweit keine sachliche Änderung, weil auch er 167 i. S. d. bisherigen Doktrin auf die Förderung von „Absatz“ oder „Bezug“ von Gütern und damit wie bisher auf den Vertragsschluss als Zäsur zwischen Lauterkeits- und Vertragsrecht abstellte. Zwischen Lauterkeits- und Vertragsrecht war somit im (nicht vollkommen durchgehaltenen) Grundsatz keine Normenkonkurrenz im Bereich der Vertragsdurchführung möglich.317 Nunmehr stellen §§ 3 ff. auf eine „geschäftliche Handlung“ ab, die nach der Legaldefinition 168 des § 2 Abs. 1 Nr. 1 „vor, bei oder nach einem Geschäftsabschluss“ vorliegen kann. Dies hat die Frage aufgeworfen, ob damit „die systematische Trennung von Lauterkeitsrecht und Vertragsrecht, namentlich Leistungsstörungsrecht (…) obsolet“ geworden ist.318 Dies wird sowohl verneint319 als auch bejaht.320 Der Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 1 legt nahe, dass unlautere „geschäftliche Handlungen“ mit 169 Vertragsbezug nunmehr auch nach Vertragsschluss in Betracht kommen, sich die Rechtslage mit dem UWG 2008 mithin geändert hat. Ausgangspunkt weiterer Überlegungen ist, dass Ver-

313 So MünchKommBGB/Armbrüster § 134 Rn. 51. 314 Vgl. z. B. BGH 12. 7. 1962 – VII ZR 28/61 – BGHZ 37, 363, 365 = NJW 1962, 1671 – Spielbank I; BGH 12. 1. 1970 – VII ZR 48/68 – BGHZ 53, 152, 157 = NJW 1970, 609, 610; BGH 10. 12. 1975 – VIII ZR 306/74 – BGHZ 65, 368, 370 = NJW 1976, 415; BGH 22. 9. 1983 – III ZR 171/82 – NJW 1984, 229; s. a. Palandt/Ellenberger § 134 Rn. 8. 315 BGH 19. 1. 1984 – VII ZR 121/83 – BGHZ 89, 369, 373 = NJW 1984, 1175, 1176; BGH 16. 4. 1996 – XI ZR 138/95 – BGHZ 132, 313 – NJW 1996, 1812, 1813. 316 BGH 21. 4. 1983 – I ZR 30/81 – GRUR 1983, 451 ff. – Ausschank unter Eichstrich I; BGH 7. 5. 1986 – I ZR 95/84 – GRUR 1986, 816, 819 – Widerrufsbelehrung bei Teilzahlungskauf; BGH 10. 12. 1986 – I ZR 136/84 – GRUR 1987, 180 f. – Ausschank unter Eichstrich II; BGH 14. 4. 1994 GRUR 1994, 640 f. – Ziegelvorhangfassade; Schünemann Erstaufl. 1994 Einl. D Rn. 250 m. w. N., z. B. Bauer Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs (1991) 34 ff. 317 Vgl. zusätzlich zu den Nachweisen in der Vornote BGH 29. 3. 2007 – I ZR 164/04 – GRUR 2007, 987 Tz. 24 – Änderung der Voreinstellung. 318 Scherer WRP 2009, 761 ff. 319 Teilweise noch aus Sicht der RL 2005/29/EG, die mit der jetzigen Fassung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 umgesetzt werden soll, sich textlich aber nicht mit ihr deckt, Glöckner/Henning/Bodewig WRP 2005, 1311, 1326; Köhler WRP 2007, 1393 ff.; ders. WRP 2008, 109, 111; Köhler/Bornkamm Einl. Rn. 7.13a; Scherer WRP 2009, 761, 767. 320 Harte/Henning/Keller § 2 Rn. 7; Kulka DB 2008, 1548, 1551; Leistner S. 597 f.; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 66; Sosnitza WRP 2008, 1014, 1017.

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tragsverletzungen nach wie vor nicht per se unlauter sind.321 Damit stellt sich die Frage sachgerechter Abgrenzungen. Teilweise deuten sich Antworten bereits auf Tatbestandsebene an. So scheidet als Rechtsgrundlage § 3 Abs. 1 in aller Regel bereits deshalb aus, weil er als eigenständige Verbotsnorm auf „Extrem- und Evidenzfälle“ unlauteren Verhaltens zu beschränken ist;322 um solche dürfte es sich bei (vereinzelten) Vertragsverletzungen aber kaum jemals handeln. In Betracht kommen allenfalls vorsätzliche, völlig grundlose Erfüllungsverweigerung oder massivste vorsätzliche Schutzpflichtverletzung, etwa als Körperverletzungen zu Lasten des Vertragspartners. Aber auch insoweit bleibt der Wettbewerbsbezug und damit die Unlauterkeit des inkriminierten Verhaltens unklar. Die Unlauterkeit einer Vertragsverletzung kann sich mithin wohl nur aus einem speziellen Unlauterkeitstatbestand ergeben. Hier fällt § 3a ins Auge. Diese Norm scheidet indes als Rechtsgrundlage ebenfalls aus: Wer einem vertraglichen Pflichtenprogramm nicht nachkommt, handelt damit nicht einer „gesetzlichen Vorschrift“ zuwider – auch wenn die Verletzung im Verstoß gegen dispositives Gesetzesrecht besteht, das erst durch den Vertrag überhaupt zur Anwendung kommt. Bei Nichtleistung, Schlechtleistung und Leistungsverzögerung kann ferner an § 5 Abs. 1 gedacht werden. Zwar kann auch eine (pflichtwidrige) Unterlassung eine geschäftliche Handlung darstellen,323 doch ist es völlig überzogen, allein schon in dem Unterlassen des vertraglich geschuldeten Verhaltens eine Handlung zu sehen, die geeignet ist, konkludent z. B. über die „Ausführung“, „Beschaffenheit“ oder den „Zeitpunkt“ der Lieferung oder sonstigen Leistung (§ 5 Abs. 1 Nr. 1) zu täuschen. Dabei käme es nicht einmal darauf an, ob der Vertragspartner die Leistungsstörung bemerkt oder nicht,324 da schon die Eignung der Handlung zur Täuschung ausreicht. Auf der Rechtsfolgenseite ist prinzipiell zu bedenken, dass es vertragsrechtlich, begründet in der Relativität des Schuldverhältnisses, allein den Beteiligten obliegt, Rechte auf Erfüllung, Schadensersatz, Rückgewähr erbrachter Leistungen etc. geltend zu machen. Damit steht die Regelung der lauterkeitsrechtlichen Aktivlegitimation in den §§ 8 ff. in einem deutlichen Wertungswiderspruch, der tunlichst zu vermeiden ist.325 Hilfreich für die Orientierung dürfte hier sein, einen Vorrang des Vertragsrechts vor dem Lauterkeitsrecht zugrunde zu legen, wie er schon früher empfohlen wurde.326 Wenn unter diesen Umständen die mit der begrifflichen Weite der „geschäftlichen Handlung“ gewollte Überschneidung von Lauterkeits- und Vertragsrecht überhaupt stattfinden soll, bedarf es einer Rückbesinnung darauf, dass das Lauterkeitsrecht auf die Funktionsfähigkeit jener interaktiven Marktprozesse abzielt, die in ihrer Gesamtheit den unverfälschten Wettbewerb darstellen (s. Einl. A Rn. 17, 33, 120, 123). Als geschäftliche Handlung kann dann (jedenfalls 321 BGH 12. 1. 2017 – I ZR 253/17 – GRUR 2017, 397, 403 – World of Warcraft II; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 66. 322 So Harte/Henning/Podszun § 3 Rn. 110 ff.; ders. WRP 2004, 925, 927. Ausdrücklich zustimmend Boesche Rn. 16; in der Sache zumindest tendenziell ebenso Fezer/Büscher/Obergfell § 3 Rn. 325; Groner Der Rückgriff auf die Generalklausel des § 3 UWG zur Bestimmung der Unlauterkeit einer Wettbewerbshandlung (2008) 215 ff.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 2.26 ff.; Ohly/Sosnitza § 3 Rn. 12; a. A. etwa Beater Rn. 1060 (der den Gegenstand der einschlägigen Diskussion in die Nähe einer „Scheinproblematik“ rückt); Götting/Nordemann/Wirtz § 3 Rn. 7, 84. Auch die Rspr. neigt zu dieser bedenklich weiten Anwendung des § 3 Abs. 1 als eigenständigem Verbotstatbestand, vgl. z. B. BGH 9. 2. 2006 – I ZR 73/02 – GRUR 2006, 426 Tz. 16 – Direktansprache am Arbeitsplatz II; BGH 12. 7. 2007 – I ZR 18/04 – GRUR 2007, 890 Tz. 22 – Jugendgefährdende Medien bei ebay; BGH 22. 11. 2007 – I ZR 183/04 – GRUR 2008, 262 Tz. 9 – Direktansprache am Arbeitsplatz III; OLG Hamburg 28. 9. 2006 – 3 U 78/05 – WRP 2007, 210 ff. – Fliegerzeitschrift; OLG Hamburg 15. 1. 2007 – 3 U 240/06 – WRP 2007, 557 – Testhinweise ohne Fundstelle. 323 Harte/Henning/Keller § 2 Rn. 19. 324 Auf das Unbemerktbleiben stellen Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 66 ab. 325 Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 66. 326 Vgl. Baumbach/Hefermehl Einl. UWG Rn. 247; Büchler Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs und Wettbewerbsverhältnis im UWG, Diss. Heidelberg (1981) 89.

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im Blick auf das Vertragsrecht) nur ein solches Verhalten gelten, das auf den Vertragspartner einwirkt, auf seine vertragsbezogene Entscheidungen Einfluss nehmen kann.327 Ein solches Einwirkungspotential haben Leistungsstörungen als solche nicht. Mit dieser Maßgabe lassen sich durchaus Schnittstellen zwischen Lauterkeits- und Vertragsrecht denken, die allerdings nur in lockerem Zusammenhang mit Leistungsstörungen stehen. So mag der eine Vertragspartner versuchen, den anderen von der Geltendmachung seiner Rechte z. B. auf Erfüllung, Gewährleistung, Schadens- oder Aufwendungsersatz, aber auch von der Ausübung von Rücktritts-, Widerrufs- oder Anfechtungsrechte durch Drohung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 2) oder durch Täuschung (§ 5 Abs. 1) abzuhalten. Auch mag der eine Vertragspartner den anderen (über die bloße Schlechtleistung hinaus!) über die Vertragsmäßigkeit seiner Leistung täuschen. Mit alledem wird geschäftlich vertragsbezogen unlauter gehandelt. Die zu fordernde Einwirkungshandlung stützt sich, wie ausgeführt, auf allgemeine Erwägungen, nicht auf Überlegungen zu einer richtlinienkonformen Auslegung mit Bezug auf die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern (RL 2005/29/EG).328 Auch im Verhältnis zwischen unternehmerischen Vertragspartnern können sich die vorgenannten Konstellationen im Schnittfeld von Lauterkeits- und Vertragsrecht ergeben. Den Einwirkungscharakter der geschäftlichen Handlung als deren „Verbraucherrelevanz“ zu bezeichnen,329 ist deshalb einerseits zu eng, nämlich im Hinblick auf unternehmerische Vertragspartner, und andererseits zu weit, weil „Relevanz“ nicht eben die Einwirkungsqualität der geschäftlichen Handlung benennt. Auch ist außer dieser Einwirkungsqualität nichts Weiteres nötig, wie es die Forderung nach einer „qualifizierten Einwirkung“330 nahelegt. Damit sind die jeweiligen vertrags- bzw. lauterkeitsrechtlichen Grenzen des maßgeblichen Rechtsregimes abgesteckt: Leistungsstörungen ebenso wie die Wahrnehmung und Durchsetzung vertraglicher Rechte regeln sich ausschließlich nach Vertragsrecht. Vertragsbezogene geschäftliche Handlungen sind, soweit sie sich nicht in dem bloßen vertragswidrigen Verhalten erschöpfen, anhand der lauterkeitsrechtlichen Zulässigkeitsmaßstäbe zu beurteilen und ziehen im Falle der Unzulässigkeit des vertragsbezogenen geschäftlichen Verhaltens die in §§ 8 ff. normierten Rechtsfolgen nach sich. Konkurrenzsituationen könnten sich dabei wegen der ansonsten ganz unterschiedlichen Rechtsbehelfe allenfalls im Bereich von Schadensersatzansprüchen (z. B. § 280 BGB einerseits, § 9 andererseits) ergeben. Doch sind sie letztlich ausgeschlossen, weil insoweit lauterkeitsrechtlich aktivlegitimiert nur „Mitbewerber“ sind, also Marktteilnehmer, die dem Täter im wettbewerblichen Horizontalverhältnis verbunden sind (vgl. Einl. A Rn. 46 ff.). Vertragspartner begegnen sich aber im Leistungsaustausch, also im wettbewerblichen Vertikalverhältnis, und sind schon deshalb keine Mitbewerber. Selbst im sog. Stufenwettbewerb sind nicht die jeweiligen Vertragspartner Mitbewerber, sondern potenzielle andere Vertragspartner des Täters.331 Keine Besonderheiten gegenüber dem Gesagten weist die gesetzliche Gewährleistung (insbesondere also §§ 434 ff. BGB) auf. Als besondere Ausgestaltung der Regelung von Schlechtleistungen gilt für sie dasselbe wie für die wie beim Dienstvertrag der §§ 611 ff. BGB gesetzlich nicht eigens geregelte Schlechtleistung: Die bloß vereinzelte Lieferung einer fehlerhaften Kaufsache etwa stellt keine „geschäftliche Handlung“ dar. Erst z. B. der Versuch, den Käufer über seine Gewährleistungsrechte zu täuschen oder ihn durch Druck von der Geltendmachung dieser seiner Rechte abzuhalten, enthält das erforderliche Potenzial, auf die Dispositionen des Käufers Einfluss zu nehmen (vgl. Rn. 175) und kann die Unlauterkeit nach § 5 Abs. 1 bzw. § 4a begrün327 So im Ergebnis auch Köhler WRP 2009, 898, 901 f.; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 66; Scherer WRP 2009, 761, 767. 328 Darauf basieren die Überlegungen der in der Vornote genannten Autoren. Insbesondere dürfte Art. 3 Abs. 2 RL 2005/29/EG (Vertragsrecht bleibt unberührt) als Argumentationsbasis überstrapaziert werden. 329 Scherer WRP 2009, 761, 766 f. 330 Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 66. 331 Schünemann Erstaufl. § 1 C Rn. 1 ff., 59.

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V. Verhältnis zum bürgerlichen Recht

Einleitung

den. Die Grenze zur „geschäftlichen Handlung“ überschreitet überdies die massenhafte Verletzungsverletzung („efficient breach of contract“). Im Zusammenhang mit dem Gewährleistungsthema ist auch noch auf einen weiteren Berührungspunkt zwischen Lauterkeitsrecht und Vertragsrecht aufmerksam zu machen, der allerdings an Problematik verloren hat. War es früher zweifelhaft, ob irreführende Werbung in die vertragliche Sollbeschaffenheit einer Leistung eingeht, der damit nicht korrespondierende Istzustand der Leistung also deren Fehlerhaftigkeit begründet,332 hat sich dieser Zweifel zumindest für die Gewährleistung beim Kauf durch § 434 Abs. 1 S. 3 BGB, ein Teil der Schuldrechtsreform von 2002, erledigt. Denn danach gehören zur Sollbeschaffenheit der Kaufsache auch die „Eigenschaften, die der Käufer nach den öffentlichen Äußerungen des Verkäufers, des Herstellers (§ 4 Abs. 1 und Abs. 2 des Produkthaftungsgesetzes) (…) insbesondere in der Werbung (…) erwarten kann.“ Korrespondieren Werbeangaben nicht mit dem realen Zustand der Kaufsache, löst dies grundsätzlich333 Gewährleistungsansprüche des Käufers aus. War jene Werbung irreführend namentlich nach § 5 Abs. 1 Nr. 1, so folgen daraus parallel lauterkeitsrechtliche Ansprüche nach §§ 8 ff. der lauterkeitsrechtlich Aktivlegitimierten. Die Neufassung des § 434 BGB diente zwar der Umsetzung der RL 1999/44/EG mit dem Fokus Verbrauchsgüterkauf,334 hat aber von einer Differenzierung zwischen solchen Verträgen und sonstigen Kaufverträgen abgesehen. Die Parallelität von Lauterkeitsrecht und kaufvertraglichem Gewährleistungsrecht gilt also generell. Wohl dem Anlass geschuldet, nämlich der Umsetzung der RL 1999/44/EG mit ihrer Orientierung am Verbrauchsgüterkauf, hat der Gesetzgeber nur § 434 BGB novelliert, nicht aber die sonstigen gewährleistungsrechtlichen Vorschriften, die den Begriff der fehlerhaften Leistung zur Grundlage haben, wie z. B. §§ 536, 633 BGB. In § 434 Abs. 1 S. 3 BGB sind indes keine Besonderheiten des Kaufrechts erkennbar. Es handelt sich vielmehr um allgemeine dogmatische Eckpunkte des Fehlerbegriffs, sodass diese Norm auch für die Bestimmung eines Leistungsfehlers z. B. im Mietrecht oder Werkvertragsrecht analog anzuwenden ist. Auch hier laufen insbesondere die aus irreführender Werbung und Gewährleistung folgenden Rechte nebeneinander her. Für moderne Vertragstypen, die häufig unter § 611 BGB fallen, fehlt dagegen eine gesetzliche Fehlerdefinition, auch hier wäre aber eine Haftung für Werbeversprechen bedenkenswert.

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d) Unlauterkeit des Verleitens zum Vertragsbruch? Leistungsstörungen können auch auf 185 der Einflussnahme Dritter beruhen, die einen Vertragspartner zum Vertragsbruch verleiten, um daraus wirtschaftliche Vorteile zu ziehen. Diskutiert hierzu werden Fallgruppen, die z. B. mit „Abwerben von Arbeitnehmern“, „Abwerbung von Kunden“ oder „Schleichbezug“ (im Zusammenhang mit dem Aufbrechen selektiver Vertriebssysteme) apostrophiert werden und der h.M. seit jeher als unlauter gelten.335 332 Vgl. Schünemann Erstaufl. Einl. E Rn. 91; vgl. zur Problematik M. Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, 1981; Peifer JR 2001, 265.

333 S. aber §§ 434 Abs. 1 S. 3 a. E., 442 BGB. 334 Zum Begriff s. § 474 Abs. 1 BGB. 335 RG 11. 10. 1935 – II 198/35 – RGZ 148, 364, 369 – 4711; BGH 17. 2. 1956 – I ZR 57/54 – GRUR 1956, 273, 275 – Drahtverschluss; BGH 23. 5. 1975 – I ZR 39/74 – GRUR 1975, 555 ff. – Speiseeis; BGH 17. 3. 1961 – I ZR 26/60 – GRUR 1961, 482 f. – Spritzgussmaschine; BGH 24. 2. 1994 – I ZR 74/92 – GRUR 1994, 447 f. – Sistierung von Aufträgen; BGH 8. 11. 2001 – I ZR 124/99 – GRUR 2002, 548 f. – Mietwagenkostenersatz; BGH 11. 1. 2007 – I ZR 96/04 – BGHZ 171, 73 Tz. 14 ff. = GRUR 2007, 800 Tz. 14 ff. – Außendienstmitarbeiter; BGH 11. 9. 2008 – I ZR 74/06 – GRUR 2009, 173, 175 – bundesligakarten.de; OLG Stuttgart 17. 12. 1999 – 2 U 133/99 – GRUR 2000, 1096 f. – Headhunter; OLG Hamm 9. 5. 2003 – 35 U 59/02 – GRUR-RR 2004, 27 ff. – AVAD; Baumbach/Hefermehl § 1 Rn. 679; Boesche Rn. 432 ff.; Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß § 4 Rn. 527; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 37; Klaka GRUR 1966, 266 f.; MünchKommUWG/Jänisch § 4 Nr. 4 Rn. 89; Piper GRUR 1990, 643, 647; ders./Ohly/Sosnitza § 4.10 Rn. 10/28; Schramm GRUR 1961, 328 ff.

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Einleitung

G. Einordnung des Wettbewerbsrechts in das Rechtssystem

Die Unlauterkeit einer solchen geschäftlichen Handlung ist an dieser Stelle nur ansatzweise zu beurteilen. Mitnichten aber ist sie „problemlos“ z. B. unter § 4 Nr. 4 zu subsumieren.336 Vielmehr mehren sich die kritischen Stimmen.337 Ohnehin nur vordergründig moralisch basierte Argumentationen (zu wirtschaftsethischen 187 Aspekten des Wettbewerbs s. Einl. A Rn. 124 ff.) sollten sich von vornherein verbieten.338 Ob aber im Lichte der auf Wettbewerbsfreiheit und auf funktionsfähigen Wettbewerb zielenden Teleologie des Lauterkeitsrechts im Verleiten zum Vertragsbruch eine Funktionsstörung des Wettbewerbs zu erblicken ist, die als lauterkeitsrechtlich relevante und inkriminierte „Behinderung“ zu werten ist, erscheint mehr als fraglich. Im Übrigen setzt sich die Auffassung, Verleiten zum Vertragsbruch sei unlauter, über die 188 Relativität schuldrechtlicher Beziehungen hinweg.339 In der Tat fehlt der noch h.M., die letztlich schlicht Überkommenes mit erstaunlichem Beharrungsvermögen fortschreibt, also mehr denn je „eine überzeugende dogmatische Begründung“.340 Zu diesem Themenkomplex wird vertiefend auf die einschlägige Kommentierung (§ 4 Nr. 4 Rn. 176, 188 ff.) verwiesen. 186

VI. Verhältnis zum Gleichbehandlungsrecht (AGG) 189 § 19 AGG statuiert ein eher wenig beachtetes allgemeines zivilrechtliches Gleichbehandlungsgebot jenseits spezieller Regelungen namentlich für die weithin als praktisch besonders wichtig wahrgenommenen Arbeitsverhältnisse (§§ 1, 7 AGG als Nachfolger der engeren §§ 611a, 611b BGB). Unter dem Vorbehalt der in § 20 AGG genannten Ausnahmen dürfen demnach i. V. m. § 1 AGG im Zivilrechtsverkehr Rasse, ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Identität keine negativen Differenzierungsmerkmale darstellen. Als Sanktion für Zuwiderhandlungen kennt § 21 AGG Abwehr- und Schadensersatzansprüche. Lauterkeitsrechtliche Relevanz soll § 19 AGG durch seine Qualität als Marktverhalten re190 gelndes Gesetz i.S.v. § 3a haben.341 Eine Begründung dafür fehlt in den Gesetzesmaterialien, die freilich eben diese Auffassung vertreten.342 Eine überzeugende Begründung dafür dürfte sich auch kaum finden lassen. Denn gerade 191 die ganz allgemeine Fassung des § 19 AGG begründet doch das Fehlen jeglicher marktspezifischer Ausrichtung dieser Norm. Sie stellt also per se keine Marktverhaltensregelung dar. Damit stellt sich aber die Konkurrenzfrage zwischen Lauterkeitsrecht und AGG, da ein Ver192 tragsschluss geradezu die prototypische „geschäftliche Handlung“ i.S.v. § 3 Abs. 1 darstellt, sich aber eben nicht darin erschöpft, sondern auch die Rechtsbeziehungen unter Verbrauchern dominiert. Die Konkurrenzfrage bedarf gewiss noch näherer Klärung.343 Doch spricht eine kursorische Einschätzung für eine Normenkonkurrenz i.S. einer Normenkumulation beider Rechtsmaterien. Sie wird aber wohl selten praktisch werden, denn es fällt schwer, gedankliche Szenarien zu entwerfen, in denen gleichermaßen die Anspruchsvoraussetzungen des Lauterkeits- wie des 336 So aber Harte/Henning/Ahrens Einl. G Rn. 143. Ähnlich Boesche Rn. 441 f. 337 Zum Folgenden s. hier nur Beater Rn. 1163 ff.; Emmerich/Lange Unlauterer Wettbewerb § 6 Rn. 36 ff.; Haedicke/ Nemeczek FS Bornkamm, 2014, 353, 358 ff.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 4. 108 ff.; Scherer WRP 2009, 518, 522; Sosnitza WRP 2009, 373 ff.; ders. GRUR 2018, 255, 261. Vermittelnd Ackermann ZfPW 2018, 27. 338 Umfassende Darstellung und Kritik der überkommenen moralisierenden Auffassungen, die jedenfalls verbaliter einem wettbewerbsfunktionalen Verständnis der Unlauterkeit als Wettbewerbswidrigkeit gewichen ist: Harte/ Henning/Podszun § 3 Rn. 123 ff., 140 ff. und m. umfassenden Nachw noch Harte/Henning/Schünemann (2. Auflage 2009) § 3 Rn. 122 ff., 199 ff. Bezeichnungen wie „Ausspannen“ (statt „Abwerben“) und auch „Schleichbezug“ sind bereits manifeste Hinweise für eine im Kern immer moralisierende Betrachtungsweise. 339 Peifer GedS Hübner, 2012, 411. 340 So immerhin selbstkritisch Ohly/Sosnitza § 4 Rn. 4/28a als Vertreter der h.M. 341 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.294; Ohly/Sosnitza § 4 Rn. 4/80; v. Walter S. 240 f. 342 BTDrucks. 16/1780 v. 8. 6. 2006, S. 49; vgl. aber v. Walter, S. 240 f. 343 Erste Schritte in diese Richtung bei Freudenau Ungleichbehandlung im Wettbewerbsrecht (2011) 175 ff.

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VII. Verhältnis zum Handelsrecht

Einleitung

Gleichbehandlungsrechts erfüllt sind. Soweit die §§ 19–21 AGG Benachteiligungsverbote für den Zivilrechtsverkehr enthalten, etwa die Vermietung von Wohnraum betreffen (§ 19 Abs. 3 AGG), können sie allerdings Marktrelevanz erhalten, wenn diese Benachteiligungen systematisch sind und darauf zielen, bestimmte Benachteiligungen zu institutionalisieren.

VII. Verhältnis zum Handelsrecht Lauterkeitsrecht und Handelsrecht haben nur eine kleine Berührungsfläche. Denn auf weite Strecken beschäftigt sich das Handelsrecht mit vertragsrechtlichen Materien (§§ 343 ff. HGB) unter Einschluss vertretungsrechtlicher Besonderheiten (§§ 48 ff. HGB), sodass sich diesbezüglich keine neuen, vom sonstigen Vertragsrecht verschiedene Fragen stellen. Außerdem normiert das HGB den Kaufmannsstatus (§§ 1 ff. HGB), Gesellschaftsformen (§§ 105 ff.) sowie die Handelsbücher (§§ 238 ff. BGB), alles Vorschriften ohne Bezug zum Lauterkeitsrecht. Der frühere, allein konfliktträchtige Fragenkreis rund um den Firmenschutz, der vor allem das Verhältnis von § 37 Abs. 2 HGB und § 16 a. F. thematisierte,344 ist mit der Zuordnung der Regelungsmaterie des § 16 a. F. (Unternehmenskennzeichen) zum Markenrecht (§§ 5, 15 MarkenG) entfallen. Bei diesem Befund sollte unzweifelhaft sein, dass das UWG systematisch kein Handelsrecht darstellt.345 Ausgehend von der Anstandsformel bzw. vom Verständnis wettbewerblicher Sittenwidrigkeit als Verletzung von Konventionalnormen346 konnten für die seinerzeit h.M. die nach § 346 HGB zu berücksichtigenden Handelsbräuche auch wettbewerbsrechtliche Bedeutung erlangen: Handelsbräuche, die als Ausdruck gefestigter Berufs- und Standesüberzeugung auf sittlichen Motiven beruhten oder aber unabhängig davon nach dem Anstandsgefühl der beteiligten Verkehrskreise unerlässlich seien, um einen redlichen Geschäftsverkehr in dem betreffenden Berufs- oder Gewerbezweig zu gewährleisten, sollten ohne Weiteres mit den guten Sitten i. S. d. § 1 a. F. zu identifizieren sein. Verstöße gegen sonstige Handelsbräuche sollten hingegen erst im Zusammenwirken mit anderen Gesichtspunkten als sittenwidrig erscheinen.347 Dies ist schon damals auf Kritik gestoßen348 und wird gerade im reformierten Lauterkeitsrecht zunehmend als prinzipiell unzutreffender Ansatz erkannt.349 Denn dies würde auf die Normativität des Faktischen hinauslaufen und stünde so in kontradiktorischem Gegensatz zum Innovationspotential des Wettbewerbs, von dem letztlich alle Marktbeteiligen profitieren. Auch fehlt es im UWG 2008 an der Möglichkeit einer tatbestandlichen Anknüpfung: § 3a steht dafür nicht zur Verfügung, da Handelsbräuche keine „gesetzlichen Vorschriften“ darstellen,350 auch wenn § 346 HGB auf sie Bezug nimmt. Schließlich bilden auch die „anständigen Marktgepflogenheiten“ in § 2 Nr. 7 entgegen dem ersten Anschein kein Einfallstor für die lauterkeitsrechtliche Relevanz von Handelsbräuchen, da der § 3 Abs. 2, der im Begriff der „unternehmerischen Sorgfalt“ sachlich auf § 2 Nr. 7 Bezug nimmt,

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S. Schünemann Erstaufl. Einl. E Rn. 94. A.A. ohne Begründung Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann § 3 Rn. 1. S. Schünemann Erstaufl. Einl. D Rn. 23 ff. BGH 28. 3. 1969 – I ZR 33/67 – GRUR 1969, 474, 476 – Bierbezug I; BGH 27. 6. 1958 – I ZR 109/56 – BGHZ 28, 54, 60 = GRUR 1958, 557, 559 f. – Direktverkäufe; Pflug ZHR 135 (1971) 12 ff. Näher m. w. N. Schünemann Erstaufl. Einl. D Rn. 74, Einl. E Rn. 95. 348 S. Schünemann Erstaufl. Einl. D Rn. 75 ff., Einl. E Rn. 95. 349 S. hierzu und zum Folgenden die kritische Tendenz mit Unterschieden im Einzelnen in BGH 7. 2. 2006 – KZR 33/04 – BGHZ 166, 154 Tz. 19 ff. = GRUR 2006, 773 Tz. 19 ff. – Probeabonnement; Harte/Henning/Podszun § 3 Rn. 124; dies./v. Jagow § 4 Rn. 33; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 14; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.57 350 v. Walter S. 209.

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G. Einordnung des Wettbewerbsrechts in das Rechtssystem

gegenüber § 3 Abs. 1 kein rechtliches Eigenleben entfaltet und mithin an der rein wettbewerbsfunktionalen Inhaltsbestimmung der Lauterkeit bzw. Unlauterkeit keinerlei Abstriche bedeutet.351

VIII. Verhältnis zum Verwaltungsrecht 198 Das Verwaltungsrecht, genauer: das Wirtschaftsverwaltungsrecht, kennt eine Fülle von Normen, die auf das Marktverhalten zumeist der unternehmerischen Marktteilnehmer zielen und dann über § 3a lauterkeitsrechtliche Relevanz gewinnen. Dazu wird auf die einschlägige Kommentierung verwiesen (vgl. zudem oben Teil F). Grundsätzlich wird von einer Anwendungsparallelität zwischen Lauterkeits- und Ver199 waltungsrecht ausgegangen.352 Dem ist nicht ohne Vorbehalt zuzustimmen. Gewiss steht die lauterkeitsrechtliche Ahndung einer Zuwiderhandlung gegen öffentlich-rechtliche Marktverhaltensregelungen über § 4 3a/§§ 8 ff. einem behördlichen Eingreifen, das sich unmittelbar auf die Verletzung einer solchen Norm stützt, nicht entgegen.353 Dasselbe gilt jedenfalls tendenziell auch in umgekehrter Richtung: Behördliche Verbote 200 eines bestimmten Marktverhaltens (und erst recht behördliche Untätigkeit)354 lassen prinzipiell Raum für ein Vorgehen der Aktivlegitimierten auf der Basis des Lauterkeitsrechts. Zu erwägen ist aber, ob nicht ein behördliches Verbot im Bereich der Verletzung von Marktverhaltensvorschriften die Spürbarkeitsschwelle des § 3a anhebt.355 Behördliche Erlaubnisse356 eines bestimmten Marktverhaltens sollen seiner Beurteilung 201 als unlauter entgegenstehen. Die Fehlerhaftigkeit des entsprechenden Verwaltungsaktes ist unschädlich, nicht jedoch dessen (seltene) Nichtigkeit.357 Als Grund dafür wird die Einheit der Rechtsordnung genannt: Sie verlange, das öffentlich-rechtlich erlaubte Verhalten nicht über das Zivilrecht zu verbieten.358 Das ist im Ergebnis zutreffend, weil es auch in der Rechtswegfrage klarstellt, dass die behördliche Erlaubnis auf dem Verwaltungsrechtsweg anzufechten wäre, nicht aber inzidient durch Zivilgerichte in Frage gestellt werden sollte. Berührungspunkte bzw. Abgrenzungsfragen zwischen Lauterkeits- und Verwaltungsrecht 202 ergeben sich schließlich für die wirtschaftende öffentliche Hand. Dort findet der postulierte Grundsatz von der Anwendungsparallelität von Verwaltungs- und Lauterkeitsrecht in gewisser Weise seine konstruktive Fortsetzung in der These von der Doppelnatur oder Doppelqualifikation der wirtschaftlichen Tätigkeit der öffentlichen Hand: Diese Tätigkeit sei im Verhältnis zu Mitbewerbern privatrechtlicher Art und deshalb am Maßstab des Lauterkeitsrechts zu messen, auch wenn dasselbe Verhalten im sog. Leistungsverhältnis öffentlich-rechtlicher Natur sei. Diese These bedarf indes nach Voraussetzung und Wirkung der näheren Prüfung (dazu s. Einl. F Rn. 28 ff.). 351 Brömmelmeyer GRUR 2007, 295, 298; Dröge Lauterkeitsrechtliche Generalklauseln im Vergleich (2007) 127 ff.; Gamerith WRP 2005, 391, 417 f.; Glöckner/Henning-Bodewig WRP 2005, 1311, 1327 f.; Harte/Henning/Podszun § 3 Rn. 124 ff.; Sosnitza WRP 2006, 1, 7; a. A. wohl Fezer/Büscher/Obergfell/Götting/Hetmank § 3a Rn. 55. 352 juris-PK/Ullmann Einl. Rn. 157 ff. 353 BGH 23. 6. 2005 – I ZR 194/02 – BGHZ 163, 265 f. = GRUR 2005, 778, 779 – Atemtest. 354 BGH 20. 10. 2005 – I ZR 10/03 – GRUR 2006, 82 Tz. 21 – Betonstahl. 355 Harte/Henning/Podszun § 3 Rn. 219; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.44–1.46; wohl noch weitergehend BGH 5. 7. 2001 – I ZR 104/99 – GRUR 2001, 1166, 1169 – Fernflugpreise. 356 Der Begriff wird hier nicht rechtstechnisch (etwa im Gegensatz zu Gestattungen, Genehmigungen etc.) verwendet. 357 BGH 23. 6. 2005 – I ZR 194/02 – BGHZ 163, 265 f. = GRUR 2005, 778, 779 – Atemtest I; BGH 11. 10. 2001 – I ZR 172/99 – GRUR 2002, 269 f. – Sportwetten-Genehmigung; s. a. BGH 2. 10. 2002 – I ZR 177/00 – GRUR 2003, 162 f. – Progona; Doepner GRUR 2003, 825, 831; BGH 24. 9. 2013 – I ZR 73/12 – GRUR 2014, 405, 406 – Atemtest II; BGH 30. 4. 2015 – I ZR 13/14 – GRUR 2015, 1228 Tz. 31 – Tagesschau-App; BGH 13. 12. 2018 – I ZR 3/16 – GRUR 2019, 298, 300 – Uber Black II; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.48. 358 juris-PK/Ullmann Einl. Rn. 159.

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§ 1 Zweck des Gesetzes Dieses Gesetz dient dem Schutz der Mitbewerber, der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie der sonstigen Marktteilnehmer vor unlauteren geschäftlichen Handlungen. Es schützt zugleich das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb.

Schrifttum H.-J. Ahrens Die Benetton-Rechtsprechung des BVerfG und die UWG-Fachgerichtsbarkeit, JZ 2004, 763; Alexander Vertrag und unlauterer Wettbewerb (2002); Apostolopoulos Einige Gedanken zur Auslegung der nationalen Generalklausel im Hinblick auf eine Vollharmonisierung des europäischen Lauterkeitsrechts, WRP 2005, 152; Balssen Attitude-Werbung. Wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit gesellschaftspolitisch stellungsbeziehender Werbung (2004); Basedow Von der deutschen zur europäischen Wirtschaftsverfassung (1992); ders. Zielkonflikte und Zielhierarchien im Vertrag über die Europäische Gemeinschaft, Festschrift Everling (1995) 49; Baumbach Kommentar zum Wettbewerbsrecht (1929); Baumbach/Hefermehl Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, 6. Aufl. (1951), 7. Aufl. (1956); Beater Allgemeinheitsinteressen und UWG, WRP 2012, 6; ders. Entwicklungen des Wettbewerbsrechts durch die gesetzgebende und die rechtsprechende Gewalt – Eine rechtshistorische und rechtsvergleichende Skizze, Festschrift Erdmann (2002) 513; ders. Europäisches Recht gegen unlauteren Wettbewerb – Ansatzpunkte, Grundlagen, Entwicklung, Erforderlichkeit, ZEuP 2003, 11; ders. Nachahmen im Wettbewerb. Eine rechtsvergleichende Untersuchung zu § 1 UWG (1995); ders. Schutzzweckdenken im Recht gegen den unlauteren Wettbewerb, JZ 1997, 916; ders. Unlauterer Wettbewerb (2002) (zitiert mit Jahreszahl); ders. Verbraucherschutz und Schutzzweckdenken im Wettbewerbsrecht (2000) (zitiert: Schutzzweckdenken); ders. Verbraucherverhalten und Wettbewerbsrecht, Festschrift Tilmann (2003) 87; Beckert Die Sittlichkeit der Wirtschaft, MPIfG Working Paper 11/8 (2011); Beier Entwicklung und gegenwärtiger Stand des Wettbewerbsrechts in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, GRUR Int. 1984, 61; Böhm Die Ordnung der Wirtschaft als geschichtliche Aufgabe und rechtsschöpferische Leistung (1937); ders. Wettbewerb und Monopolkampf. Eine Untersuchung zur Frage des wirtschaftlichen Kampfrechts und zur Frage der rechtlichen Struktur der geltenden Wirtschaftsordnung (1933); Böhm/Eucken/Großmann-Doerth Unsere Aufgabe, in: Böhm (Hrsg.), Die Ordnung der Wirtschaft als geschichtliche Aufgabe und rechtsschöpferische Leistung (1937) VII-XXI; Bornkamm Irrungen, Wirrungen, WRP 2012, 1; ders. Novelle zur Anpassung des UWG an europäische Vorgaben: Ist das UWG noch zu retten? BB-Magazin 2009 M1; ders. Wettbewerbs- und Kartellrechtsprechung zwischen nationalem und europäischem Recht, Festschrift 50 Jahre Bundesgerichtshof (2000) 343; Brandner Imagewerbung mit dem Word Trade Center? Werbung zwischen Sittenwidrigkeit und Meinungsfreiheit, Festschrift Erdmann (2002) 533; Brömmelmeyer Der Binnenmarkt als Leitstern der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2007, 295; Bülow Lauterkeitsrecht oder Unlauterkeitsrecht? GRUR 2012, 889; Burmann Strukturwandel des Werbe- und Wettbewerbsrechts – Die Relationen: Öffentliches Interesse – Allgemeinheits- und Verbraucherinteresse, WRP 1967, 71; ders. Wettbewerb als sinnvariabler Rechts- und Wirtschaftsbegriff. Entwicklungstendenzen des Wettbewerbsrechts – Wettbewerbsrecht als Funktionsrecht, WRP 1967, 240; ders. Wettbewerbsrecht und gewerblicher Rechtsschutz. Die Entwicklung vom Persönlichkeitsrecht zum Funktionsrecht im Wettbewerb, WRP 1968, 258; ders. Zur Problematik eines werberechtlichen Verbraucherschutzes, WRP 1973, 313; de Vrey Towards a European Unfair Competition Law. A Clash Between Legal Families (2006); Dethloff Europäisierung des Wettbewerbsrechts (2001); Drettmann Wirtschaftswerbung und Meinungsfreiheit (1984); Drexl Die Einwirkung der Grundrechte auf die Auslegung der Generalklauseln des UWG, in: Schricker u. a. (Hrsg.), Neuordnung des Wettbewerbsrechts (1998), 163 ff.; ders. Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998); ders. Mehr oder weniger Verbraucherschutz durch Europäisches Lauterkeitsrecht? in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.), Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009) 227; Dröge Lauterkeitsrechtliche Generalklauseln im Vergleich (2007); Emmerich Wettbewerbsbeschränkungen durch die Rechtsprechung, Festschrift Gernhuber (1993) 857; Engels/Salomon Vom Lauterkeitsrecht zum Verbraucherschutz: UWG-Reform 2003, WRP 2004, 32; Eucken Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 7. Aufl. (2004); Fenchel Negative Informationsfreiheit: zugleich ein Beitrag zur negativen Grundrechtsfreiheit (1997); Fezer Das wettbewerbsrechtliche Vertragsauflösungsrecht in der UWG-Reform, WRP 2003, 127; ders. Der Dualismus der Lauterkeitsrechtsordnungen des b2c-Geschäftsverkehrs und des b2b-Geschäftsverkehrs im UWG, WRP 2009, 1163; ders. Plädoyer für eine offensive Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken in das deutsche UWG, WRP 2006, 781; ders. Schadensersatz und subjektives Recht im Wettbewerbsrecht, WRP 1993, 565; ders. Teilhabe und Verantwortung. Die personale Funktionsweise des subjektiven Privatrechts (1986); ders. Telefonmarketing im b2cund b2b-Geschäftsverkehr, WRP 2010, 1075; ders. Verantwortete Marktwirtschaft, JZ 1990, 657; ders. Wettbewerbsrecht als Verbraucherschutz – das Informationsmodell im Kommissionsentwurf über Verkaufsförderung, WuW 2002, 217; Fikentscher Das Verhältnis von Kartellrecht und Recht des unlauteren Wettbewerbs im deutschen und europä-

647 https://doi.org/10.1515/9783110545883-002

Peukert/Fritzsche

§1

Zweck des Gesetzes

ischen Recht, Festschrift Hallstein (1966) 127; ders. Die Freiheit und ihr Paradox (1997); ders. Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz – Die Stellung des Rechts der Wettbewerbsbeschränkungen in der Rechtsordnung (1958); ders. Wirtschaftsrecht, Bd. 2 (1983); Fikentscher/Möllers Die (negative) Informationsfreiheit als Grenze von Werbung und Kunstdarbietung, NJW 1998, 1337; Fournier Bereicherungsausgleich bei Verstößen gegen das UWG (1999); Freitag Der Leistungswettbewerb als rechtliche Denkfigur, Diss. Göttingen 1968; Gamerith Der Richtlinienvorschlag über unlautere Geschäftspraktiken – Möglichkeiten einer harmonischen Umsetzung, WRP 2005, 391; ders. Neue Herausforderungen für ein europäisches Lauterkeitsrecht, WRP 2003, 143; Geis Das Lauterkeitsrecht in der rechtspolitischen Diskussion, Festschrift Tilmann (2003) 121; Geyer Der Gedanke des Verbraucherschutzes, 2001; v. Gierke Deutsches Privatrecht, Bd. 1, Allgemeiner Teil und Personenrecht (1895), Bd. 3, Schuldrecht (1917); Glöckner Entwicklungslinien des Lauterkeitsrechts, in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.), Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009) 263; ders. Europäisches Lauterkeitsrecht (2006); ders. Wettbewerbsbezogenes Verständnis der Unlauterkeit und Vorsprungserlangung durch Rechtsbruch, GRUR 2008, 960; Glöckner/Henning-Bodewig EG-Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken: Was wird aus dem „neuen“ UWG? WRP 2005, 1311; Hefermehl Der Anwendungsbereich des Wettbewerbsrecht, Festschrift Nipperdey (1955) 283; ders. Grenzen des Lauterkeitsschutzes, GRUR Int. 1983, 507; Helm Der Abschied vom „verständigen“ Verbraucher, WRP 2005, 931; ders. Hohes Verbraucherschutzniveau. Zur Umsetzung der UGP-Richtlinie 2005/29/EG, WRP 2013, 710; Henjes Spürbarkeit und Missbrauch – Zwei Schranken des UWG (2014); Henning-Bodewig Das neue Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, GRUR Int. 2004, 713; dies. Der „ehrbare Kaufmann“. Corporate Social Responsibility und das Lauterkeitsrecht, WRP 2011, 1014; dies. Der Schutzzweck des UWG und die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2013, 238; dies. Die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR Int. 2005, 629; dies. Europäisches Wettbewerbsrecht – Zwischenbilanz, GRUR Int. 2002, 389; dies. UWG und Geschäftsethik, WRP 2010, 1094; dies. Was gehört zum Lauterkeitsrecht? in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.), Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009) 9; dies. Werbung mit der Realität oder wettbewerbswidrige Schockwerbung? GRUR 1993, 950; Herdzina Wettbewerbspolitik, 5. Aufl. (1999); Herrnberger Wettbewerbsrechtlicher Schutz vor Kinderarbeit (2013); Hetmank „Wettbewerbsfunktionales Verständnis“ im Lauterkeitsrecht, GRUR 2014, 437; Hilty/Henning-Bodewig Leistungsschutzrechte zugunsten von Sportveranstaltern? Rechtsgutachten (2007); v. Hippel Verbraucherschutz, 3. Aufl. (1986); Homann/Suchanek Ökonomik. Eine Einführung, 2. Aufl. (2005); Honneth Das Recht der Freiheit: Grundriß einer demokratischen Sittlichkeit (2011); Hoppmann Freiheitliche Wirtschaftspolitik und Verfassung, Festschrift Willgerodt (1994) 3; Immenga Wettbewerbspolitik contra Industriepolitik nach Maastricht, EuZW 1994, 14; H. Isay Das Rechtsgut des Wettbewerbsrechtes (1933); R. Isay Das Recht am Unternehmen (1910); Jellinek System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. (1905); Jenny Die Nachahmungsfreiheit (1997); Keßler Europäisches Lauterkeitsrecht – Dogmatische und ökonomische Aspekte einer Harmonisierung des Wettbewerbsverhaltensrechts im europäischen Binnenmarkt, GRUR Int. 2002, 885; ders. Lauterkeitsschutz und Wettbewerbsordnung – zur Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken in Deutschland und Österreich, WRP 2007, 714; ders. UWG und Verbraucherschutz – Wege und Umwege zum Recht der Marktkommunikation, WRP 2005, 264; ders. Vom Recht des unlauteren Wettbewerbs zum Recht der Marktkommunikation – Individualrechtliche und institutionelle Aspekte des deutschen und europäischen Lauterkeitsrechts, WRP 2005, 1203–1212; Keßler/Micklitz Die Harmonisierung des Lauterkeitsrechts in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und die Reform des UWG (2003); dies. Die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern, BB 2005/49, BB-Special 13, 1; Kisseler Wettbewerbsrecht und Verbraucherschutz, WRP 1972, 557; Klagge Normative Kohärenz des deutschen Lauterkeitsrechts (2017); Koch Die Richtlinie gegen unlautere Geschäftspraktiken. Aggressives Geschäftsgebaren in Deutschland und England und die Auswirkungen der Richtlinie (2006); Köhler Das neue UWG, NJW 2004, 2121; ders. Das Verhältnis des Wettbewerbsrechts zum Recht des geistigen Eigentums. Zur Notwendigkeit einer Neubestimmung auf Grund der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2007, 548; ders. Der Schutz von Kollektivinteressen und Individualinteressen im UWG, Festschrift Büscher (2018) 333; ders. Der Streit um die Telefonwerbung, Festschrift Koppensteiner (2001) 431; ders. Die „Bagatellklausel“ in § 3 UWG, GRUR 2005, 1; ders. Die Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken in Deutschland – eine kritische Analyse (2014); ders. Ist die Regelung der Telefonwerbung im UWG richtlinienkonform? WRP 2012, 1329; ders. Richtlinienkonforme Gesetzgebung statt richtlinienkonforme Auslegung: Plädoyer für eine weitere UWG-Novelle, WRP 2012, 251; ders. Richtlinienumsetzung im UWG – eine unvollendete Aufgabe, WRP 2013, 403; ders. Vom deutschen zum europäischen Lauterkeitsrecht – Folgen der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken für die Praxis, NJW 2008, 3032; ders. Zur Konkurrenz lauterkeitsrechtlicher und kartellrechtlicher Normen, WRP 2005, 645; Köhler/ Bornkamm/Henning-Bodewig Vorschlag für eine Richtlinie zum Lauterkeitsrecht und eine UWG-Reform, WRP 2002, 1317; Köhler/Henning-Bodewig Stellungnahme zum Entwurf für eine europäische Richtlinie und ein deutsches Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb, GRUR 2003, 127; Kohte Verletzliche Verbraucher, VuR 2012, 338; Koos Europäischer Lauterkeitsmaßstab und globale Integration (1996); Koppensteiner Grundfragen des UWG im Lichte der Richtlinie

Peukert/Fritzsche

648

Schrifttum

§1

über unlautere Geschäftspraktiken, wbl 2006, 553; ders. Marktbezogene Unlauterkeit und Missbrauch von Marktmacht, WRP 2007, 475; Kraft Gemeinschaftsschädliche Wirtschaftsstörungen als unlauterer Wettbewerb? GRUR 1980, 966; ders. Interessenabwägung und gute Sitten im Wettbewerbsrecht (1963); ders. Verbraucherschutz im Markenrecht, GRUR 1980, 416; Krüger Von „Club X“ zu „Jacubowski“ – Ein Bericht zu § 1 UWG und Art. 10 EMRK, GRUR 1996, 252; Kulka Welche „Interessen“ schützt das UWG? Festschrift Keßler (2015) 309; Kulms Werbung: Geschützte Meinungsäußerung oder unlauterer Wettbewerb? Zum Verhältnis von Art. 10 EMRK und UWG, RabelsZ 63 (1999), 520; Kummer Anwendungsbereich und Schutzgut der privatrechtlichen Rechtssätze gegen unlauteren und gegen freiheitsbeschränkenden Wettbewerb (1960); Kur Die Harmonisierung des Lauterkeitsrechts durch Angleichungsmaßnahmen in angrenzenden Bereichen, in: Schricker u. a. (Hrsg.), Neuordnung des Wettbewerbsrechts, (1998) 116 ff.; Ladeur Der rechtliche Schutz der Fernsehwerbung gegen technische Blockierung durch die „Fernsehfee“, GRUR 2005, 559; Leistner Behavioural Economics und Lauterkeitsrecht. Versuch einer Annäherung, ZGE/IPJ 1 2009, 3; ders. Bestand und Entwicklungsperspektive des Europäischen Lauterkeitsrechts, ZEuP 2009, 56; ders. Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb (2007); Lettl Das neue UWG (2004) (zitiert Lettl); ders. Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor irreführender Werbung in Europa, 2004 (zitiert Lettl Schutz); ders. Der Schutz der Verbraucher nach der UWG-Reform, GRUR 2004, 449; Lobe Die Bekämpfung des Unlauteren Wettbewerbs, I. Bd. (1907); Lochmann Die Einräumung von Fernsehübertragungsrechten an Sportveranstaltungen. Zugleich ein Beitrag zur Einräumung von Nutzungs- und Verwertungsrechten im System des Privatrechts (2005); Löwenheim Möglichkeiten der dreifachen Berechnung des Schadens im Recht gegen den unlauteren Wettbewerb, ZHR 135 (1971), 97; ders. Suggestivwerbung, unlauterer Wettbewerb, Wettbewerbsfreiheit und Verbraucherschutz, GRUR 1975, 99; Mankowski Ist die Bagatellklausel des § 3 UWG bei belästigender Werbung (§ 7 UWG) zu beachten? WRP 2008, 15; Mäsch Europäisches Lauterkeitsrecht – von Gesetzen und Würsten, EuR 2005, 625; Mayrhofer Rufausbeutung im Recht des unlauteren Wettbewerbs (1995); Mestmäcker Macht – Recht – Wirtschaftsverfassung, ZHR 137 (1973), 97; ders. Zur Wirtschaftsverfassung in der Europäischen Union, Festschrift Willgerodt (1994) 263; Micklitz Brauchen Konsumenten und Unternehmen eine neue Architektur des Verbraucherrechts? Plädoyer für ein bewegliches System, Gutachten A zum 69. DJT, 2012 mit Kurzfassung NJW-Beilage 3/2012, 77; Micklitz/Keßler Europäisches Lauterkeitsrecht – Dogmatische und ökonomische Aspekte einer Harmonisierung des Wettbewerbsverhaltensrechts im europäischen Binnenmarkt, GRUR Int. 2002, 885; dies. Europäisches Lauterkeitsrecht, GRUR Int. 2002, 885; dies. Funktionswandel des UWG, WRP 2003, 919; Münker Verbandsklagen im sogenannten ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz, Festschrift Ullmann (2006) 781; Nerreter Allgemeine Grundlagen eines deutschen Wettbewerbsrechtes (1936); Nipperdey Wettbewerb und Existenzvernichtung, Kartell-Rundschau 1930, 127; Ohly Bausteine eines europäischen Lauterkeitsrechts, WRP 2008, 177; ders. Das neue UWG – Mehr Freiheit für den Wettbewerb? GRUR 2004, 889; ders. Die Bemühungen um eine Rechtsvereinheitlichung auf EU-Ebene von den Anfängen bis zur Richtlinie über irreführende Werbung von 1984, in: Schricker u. a. (Hrsg.), Neuordnung des Wettbewerbsrechts (1998), 69 ff.; ders. Richterrecht und Generalklausel im Recht des unlauteren Wettbewerbs (1997); Omsels, Zur Unlauterkeit der gezielten Behinderung von Mitbewerbern (§ 4 Nr. 10 UWG), WRP 2004, 136–145; Ophüls Grundzüge europäischer Wirtschaftsverfassung, ZHR 124 (1962), 136; Oppermann/Müller Wie verbraucherfreundlich muss das neue UWG sein? – Eine Synopse lauterkeitsrechtlicher Instrumente, GRUR 2005, 280; Osterrieth Das Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs v. 27. 5. 1896 (1986); Ott Systemwandel im Wettbewerbsrecht, Festschrift Raiser (1974) 403; Otto Allgemeininteressen im neuen UWG (2007); Paulus/Wesche Rechtsetzung durch Rechtsprechung fachfremder Gerichte, GRUR 2012, 112; Pause Die Berücksichtigung der Allgemeinheit bei der Beurteilung wettbewerblichen Handelns (1984); Peifer Schutz ethischer Werte im Europäischen Lauterkeitsrecht oder rein wirtschaftliche Betrachtungsweise? in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.), Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009) 125; Peukert Das Prinzip der Selbstverantwortung im Lauterkeitsrecht, in: Riesenhuber (Hrsg.), Das Prinzip der Selbstverantwortung (2011) 395; ders. Der Wandel der europäischen Wirtschaftsverfassung im Spiegel des Sekundärrechts – Erläutert am Beispiel des Rechts gegen unlauteren Wettbewerb, ZHR 173 (2009), 536; ders. Die Ziele des Primärrechts und ihre Bedeutung für das europäische Lauterkeitsrecht: Auflösungserscheinungen eines Rechtsgebiets? in: Hilty/Henning-Bodewig, Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire (2009) 27; ders. Güterzuordnung als Rechtsprinzip (2008); Pichler Das Verhältnis von Kartell- und Lauterkeitsrecht (2009); Podszun Der „more economic approach“ im Lauterkeitsrecht, WRP 2009, 509; Radeideh Fair Trading in EC Law (2005); Raiser Marktbezogene Unlauterkeit, GRUR Int. 1973, 443; Rehberg, Wettbewerb und Intervention, in: Zetzsche u. a., Recht und Wirtschaft, Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler 2007 (2008), 49, 75; Reich/Micklitz Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. (2003); Reuter Die ethischen Grundlagen des Privatrechts – formale Freiheitsethik oder materiale Verantwortungsethik? AcP 189 (1989), 199; Rosenthal Reichsgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 8. Aufl. (1930); Rüthers Die unbegrenzte Auslegung. Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus, 8. Aufl. (2017); Sack Auswirkungen der Art. 30, 36, 59 EGVertrag auf das Recht des unlauteren Wettbewerbs, in: Schricker u. a. (Hrsg.), Neuordnung des Wettbewerbsrechts (1998), 139 ff.; ders. Die lückenfüllende Funktion der Generalklausel des § 3 UWG, WRP 2005, 531; ders. Die neue

649

Peukert/Fritzsche

§1

Zweck des Gesetzes

deutsche Formel des europäischen Verbraucherleitbilds, WRP 2005, 462; ders. Folgeverträge unlauteren Wettbewerbs, GRUR 2004, 625; ders. Sittenwidrigkeit, Sozialwidrigkeit und Interessenabwägung, GRUR 1970, 493; Sambuc Der UWG-Nachahmungsschutz (1996); Samwer Verbraucherschutz und Wettbewerbsrecht, GRUR 1969, 326; Scherer Privatrechtliche Grenzen der Verbraucherwerbung (1996); dies. Die Leerformel vom „hohen Verbraucherschutzniveau“, WRP 2013, 977; Schill Der Einfluss der Wettbewerbsideologie des Nationalsozialismus auf den Schutzzweck des UWG (2004); Schluep Über den Begriff der Wettbewerbsverfälschung, Festschrift Kummer (1980) 487; ders. Vom lauteren zum freien Wettbewerb, GRUR Int. 1973, 446; Schnieders Allgemeininteressen im Wettbewerbsrecht (1999); Schrauder Hundert Jahre Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb – Licht und Schatten, GRUR Int. 1996, 473–479; ders. Möglichkeiten zur Verbesserung des Schutzes der Verbraucher und des funktionsfähigen Wettbewerbs im Recht des unlauteren Wettbewerbs, ZHR 139 (1975), 208; ders. Öffentliche Kritik an gewerblichen Erzeugnissen und beruflichen Leistungen, AcP 172 (1972), 203; Schumacher The Unfair Commercial Practices Directive, in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.), Law Against Unfair Competition (2007) 127; Schünemann „Unlauterkeit“ in den Generalklauseln und Interessenabwägung nach neuem UWG, WRP 2004, 925; Schwartz Verfolgung unlauteren Wettbewerbs im Allgemeininteresse, GRUR 1967, 333; Seichter Der Umsetzungsbedarf der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, WRP 2005, 1087; Sevecke Die Benetton-Werbung als Problem der Kommunikationsfreiheiten, AfP 1994, 196; ders. Wettbewerbsrecht und Kommunikationsgrundrechte – Zur rechtlichen Bewertung gesellschaftskritischer Aufmerksamkeitswerbung in der Presse und auf Plakaten am Beispiel der Benetton-Kampagne (1997); Sosnitza Die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken – Voll- oder Teilharmonisierung? WRP 2006, 1; ders. Markenrecht und Verbraucherschutz – Verbraucherschutz im Markenrecht, ZGE/IPJ Bd. 5 2013, 176; ders. Wettbewerbsbeschränkungen durch die Rechtsprechung (1995); Steinbeck Übertriebenes Anlocken, psychischer Kaufzwang etc. … gibt es sie noch? GRUR 2005, 540; dies. Werbung von Rechtsanwälten im Internet NJW 2003, 1481; v. Stechow Das Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs vom 27. Mai 1896 (2002); Stock EU-Medienfreiheit – Kommunikationsgrundrecht oder Unternehmerfreiheit? K&R 2001, 289; Swift Political Philosophy: A Beginner's Guide for Students and Politicians (2001); Thouvenin Funktionale Systematisierung von Wettbewerbsrecht (UWG) und Immaterialgüterrechten (2007); Ulbrich Der BGH auf dem Weg zum normativen Verbraucherleitbild? WRP 2005, 940; Ullmann Das Koordinatensystem des Rechts des unlauteren Wettbewerbs im Spannungsfeld von Europa und Deutschland, GRUR 2003, 817; E. Ulmer Die Widerrufsklage im Wettbewerbsrecht, ZAkDR 1936, 535; ders. Sinnzusammenhänge im modernen Wettbewerbsrecht. Ein Beitrag zum Aufbau des Wettbewerbsrechts (1932); ders. Wandlungen und Aufgaben im Wettbewerbrecht, GRUR 1937, 769; E. Ulmer/Beier Das Recht des unlauteren Wettbewerbs in den Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Band I: Vergleichende Darstellung mit Vorschlägen zur Rechtsangleichung (1965); E. Ulmer/Reimer Das Recht des unlauteren Wettbewerbs in den Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Band III (1968); P. Ulmer Der Begriff „Leistungswettbewerb“ und seine Bedeutung für die Anwendung von GWB und UWG-Tatbeständen, GRUR 1977, 565; Unberath/Johnston The Double-Headed Approach of the European Court of Justice concerning Consumer Protection, CML Rev. 2007, 1237; v. Ungern-Sternberg Wettbewerbsbezogene Anwendung des § 1 UWG und normzweckgerechte Auslegung der Sittenwidrigkeit, Festschrift Erdmann (2002) 741; Vollmer Anmerkung zu BVerfG – Benetton-Werbung, ZIP 2001, 45; Völzmann Geschlechtsdiskriminierende Wirtschaftswerbung: zur Rechtmäßigkeit eines Verbots geschlechtsdiskriminierender Werbung im UWG (2014); Wassermeyer Schockierende Werbung, GRUR 2002, 126; M. Weber Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl. (1972); R. Weber Welches Lauterkeitsrecht braucht die Schweiz? sic! 2012, 231; I. Westermann Bekämpfung irreführender Werbung ohne demoskopische Gutachten, GRUR 2002, 403; Willgerodt Die gesellschaftliche Aneignung privater Leistungserfolge als Grundelement der wettbewerblichen Marktwirtschaft, in: Sauermann/Mestmäcker, Festschrift Böhm (1975) 687; Wunderle Verbraucherschutz im Europäischen Lauterkeitsrecht (2010); Wünnenberg Schockierende Werbung – Verstoß gegen § 1 UWG? (1996); Wuttke Die Bedeutung der Schutzzwecke für ein liberales Wettbewerbsrecht (UWG), WRP 2007, 119.

Gesetzgebungsmaterialien Referentenentwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, 23. 1. 2003, GRUR 2003, 298 (zit. RefE UWG 2004) Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), 22. 8. 2003, BTDrucks. 15/1487 (zit. RegE UWG 2004) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 15/1487 – Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), 26. 3. 2004, BTDrucks. 15/2795 (zit. Rechtsausschuss UWG 2004) Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, 12. 8. 2004, BTDrucks. 15/3640 (zit. RegE GWB)

Peukert/Fritzsche

650

Übersicht

§1

Diskussionsentwurf, Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), BMJ, Referat III B 5, 8. 5. 2007 (zit. DiskE UWG 2008) Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, 20. 8. 2008, BTDrucks. 16/10145 (zit. RegE UWG 2008) Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung unerlaubter Telefonwerbung und zur Verbesserung des Verbraucherschutzes bei besonderen Vertriebsformen, 31. 10. 2008, BTDrucks. 16/10734 (zit. RegE Telefonwerbung 2008)

Übersicht 1

b)

A.

Einführung

I. 1. 2. 3. 4.

1 Entstehungsgeschichte 1 Der Schutzzweck des UWG 1909 2 Das UWG 2004 7 Das UWG 2008 Bewertung und Grundansatz der Kommentie12 rung

II.

Zweck und praktische Relevanz des § 1

III.

Anwendungsbereich des § 1

B.

Der Schutzzweck des UWG

I. 1.

31 Individueller Rechtsgüterschutz Das individualbezogene Verständnis des Lauter31 keitsrechts 34 Kritische Würdigung

2. II. 1. 2. III. 1. 2. IV. 1. 2. V. 1. 2.

651

3.

14

22 31

Schutzzwecktrias und Mehrzahl der Schutzzwe37 cke Konzeption und Begründung der Schutzzweck37 trias 41 Kritische Würdigung „Sozialrechtliches“ Verständnis und Schutz all49 gemeiner Interessen durch das UWG Ursprünge und zeitgenössische Versionen der „so49 zialrechtlichen“ Theorie des UWG 58 Kritische Würdigung Dualismus der Lauterkeitsrechtsordnun67 gen Aufspaltung von verbraucherbezogenem und mit67 bewerberbezogenem Lauterkeitsrecht 70 Kritische Würdigung Der Grundsatz wettbewerbsfunktionaler Ausle76 gung und Abweichungen hiervon Grundzüge der hier vertretenen Auffas76 sung Der Schutz des unverfälschten Wettbewerbs als 83 primärer Zweck des UWG a) Koordination der wirtschaftlichen Hand83 lungsfreiheit der Marktteilnehmer

VI.

Koordination nach Maßgabe des Allgemeininteresses am unverfälschten Wettbe91 werb Abweichungen vom Grundsatz wettbewerbsfunk111 tionaler Auslegung a) Schutz der Verbraucherautonomie im An114 wendungsbereich der UGPRL aa) Generelle Ausdifferenzierung des UWG im Hinblick auf die Schutzsub114 jekte 118 bb) Die Teleologie der UGPRL (1) Der wettbewerbsfunktionale Grundcharakter des EU-Lauter119 keitsrechts (2) Der Verbraucherschutzfokus der 123 UGPRL 131 (3) Ergebnis b) Ausnahmsweise Maßgeblichkeit nicht wettbewerbsfunktionaler Gesichts137 punkte aa) Der Schutz des Grundrechts auf Privatsphäre im Rahmen des Verbots 140 unzumutbarer Belästigungen (1) Das Verbot unzumutbarer Belästigungen als Schutz vor wettbewerbsfremder Aggressivi140 tät (2) Primärer Schutz des Grundrechts auf Privatsphäre gem. § 7 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt., Nr. 3 und 4; 148 Abs. 3 155 bb) Rechtsbruch cc) Beeinträchtigung gesetzlicher Neutralitätspflichten sonstiger Marktteilneh162 mer (Dreieckskopplung) dd) Verbot menschenverachtender Wer167 bung ee) Hartnäckige Verstöße gegen den ethischen Minimalkonsens auf dem 170 Markt Zusammenfassung: Einheit und Vielfalt des Lau174 terkeitsrechts

Peukert/Fritzsche

§1

Zweck des Gesetzes

C.

Die vom UWG geschützten Interessen der Marktteilnehmer und der Allgemein182 heit

I.

Relevanz und Methodik der Interessenana182 lyse

II. 1.

186 Interessen der Mitbewerber Unmittelbare und mittelbare Beeinträchtigung der 186 Interessen der Mitbewerber Das Interesse an der unverfälschten Entfaltung 190 wirtschaftlicher Handlungsfreiheit 190 a) Grundsätze b) Schutz der täuschungsfreien Bildung von 193 Entscheidungsgrundlagen c) Schutz des Entscheidungsprozesses vor wett195 bewerbsfremder Aggressivität d) Schutz des Interesses an der Wahrung der institutionellen Funktionsbedingungen 196 des Wettbewerbs e) Klageberechtigung trotz eigener unlauterer 200 Handlungen Das nicht schutzwürdige Interesse an der Vermei201 dung wettbewerbskonformer Zwänge

2.

3.

III. 1.

2. 3. 4.

5.

6.

Interessen der Verbraucherinnen und Verbrau204 cher Stellenwert und Funktion des Verbraucherschutzes im Recht des unlauteren Wettbe204 werbs Grundkonzeption des Verbraucherschutzes durch 209 Unlauterkeitsrecht Verbraucherschutz und Schutz anderer Interes216 sen 224 Vorgaben und Einfluss des Unionsrechts 225 a) Der Einfluss der Grundfreiheiten 228 b) Rechtsvereinheitlichung c) Vollharmonisierung mit hohem Verbraucher231 schutzniveau 235 d) Relevante Verbraucherinteressen Geschützte Interessen der Verbraucherinnen und 237 Verbraucher a) Schutz der Entscheidungsgrundlagen und 238 des Entscheidungsprozesses b) Schutz vor unangemessener Beeinflussung 240 (vgl. § 4a UWG) c) Feststellung der unangemessenen Beeinflus243 sung d) Schutz vor überhöhten Preisen bzw. des Inte246 resses an Wettbewerb? e) Schutz sonstiger Verbraucherinteressen und 247 -rechte f) Geschäftliche Relevanz, § 3 Abs. 2 UWG 248 u. a Grundrechte und UWG-Verbraucher250 schutz

Peukert/Fritzsche

a)

7.

IV. 1.

2.

3.

V.

Berücksichtigung der Grundrechte bei der 251 Anwendung des UWG 256 b) Werbung und Menschenwürde c) Verbraucherschutz und Kommunikations258 grundrechte aa) Schutzumfang der Kommunikations259 grundrechte des Art. 5 GG bb) Wechselwirkungen zwischen den Kommunikationsgrundrechten und dem 262 UWG als Schrankennorm cc) Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 265 1 GG) und Werbung dd) Informationsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 1 268 Hs. 2 GG ee) Presse- und Rundfunkfreiheit und Wer269 bung ff) Kunst- und Wissenschaftsfreiheit, 270 Art. 5 Abs. 3 GG 273 gg) Art. 10 EMRK hh) Kommunikationsgrundrechte des Art. 11 EU-Grundrechte280 charta d) Berufs- bzw. Handlungsfreiheit, Art. 12 bzw. 282 2 Abs. 1 GG e) Werbung und Religionsfreiheit, Art. 4 285 GG f) Schutz von Interessen der Adressaten ge286 schäftlicher Handlungen aa) Verbraucherpersönlichkeits287 recht bb) Negative Informationsfreiheit und 288 UWG Tatsächliche Gewährleistung des Verbraucher289 schutzes Interessen der sonstigen Marktteilnehmer 293 Unmittelbare und mittelbare Beeinträchtigung der Interessen der sonstigen Marktteilneh293 mer Das Interesse an der unverfälschten Entfaltung 298 wirtschaftlicher Handlungsfreiheit 298 a) Grundsätze b) Schutz der täuschungsfreien Bildung von 299 Entscheidungsgrundlagen c) Schutz des Entscheidungsprozesses vor wett300 bewerbsfremder Aggressivität d) Schutz des Interesses an der Wahrung der institutionellen Funktionsbedingungen 304 des Wettbewerbs Das nicht schutzwürdige Interesse an der Vermei308 dung wettbewerbskonformer Zwänge Schutz des Allgemeininteresses am unverfälsch310 ten Wettbewerb

652

Alphabetisches Stichwortverzeichnis

1. 2.

3.

VI. 1. 2. 3.

Der Zusammenhang zwischen Wettbewerb und 310 Allgemeininteresse Auswirkungen auf die Klagebefugnis und Aktivlegitimation zur Verfolgung von UWG-Verstö313 ßen Der Grundsatz wettbewerbsfunktionaler Ausle316 gung Ausnahmsweiser Schutz nicht wettbewerbsbezo322 gener Interessen Ausnahmen vom Grundsatz wettbewerbsfunktio322 naler Auslegung 323 Rechtsbruch und Dreieckskopplung Hartnäckige Verstöße gegen den ethischen Mini326 malkonsens

4. 5.

§1

Grundrechtliche Schutzpflichten im Hinblick auf 327 die Menschenwürde und die Privatheit Abschließender Charakter der Ausnahmen vom Grundsatz wettbewerbsfunktionaler Ausle330 gung

VII. Verhältnis der geschützten Interessen zueinan332 der 1. Gleichrang wettbewerbsbezogener Individualinte332 ressen 2. Lösung von Konfliktfällen anhand der gesetzgeberischen Vorgaben im Hinblick auf das Allgemein335 interesse am unverfälschten Wettbewerb

Alphabetisches Stichwortverzeichnis Adressat 70, 115, 117, 153, 211, 269, 286, 288 Aggressive Geschäftspraktiken 121, 188, 204, 232, 235, 238 Allgemeininteressen 37 ff., 51 ff., 62 ff., 91 ff., 205, 247, 310 ff., 335 ff. Anstand 61, 122, 172, 180, 262, 331 Anwendungsbereich 8 ff., 14, 22 ff., 64, 69, 99, 118 Auslegung, richtlinienkonforme 11 Auslegungsdirektive 15, 20, 56 Belästigung, unzumutbare 136, 140 ff., 247, 253, 288, 334 besonders schutzwürdige Verbrauchergruppen 115, 127 Böhm, Franz 51 ff. Charta der Grundrechte 152, 190, 255 f., 280 f., 298, 328 Datenschutz 146, 286 DatenschutzRL-EK 27, 75, 81, 139, 148 ff., 175, 236, 328 Diskriminierung 56, 170 f. Dreieckskopplung 139, 162 ff., 175 Dualismus der Lauterkeitsrechtsordnungen 67, 71 Durchschnittsverbraucher 115, 122, 209, 221, 230, 233, 241, 253 Durchsetzung des Verbraucherschutzes 289 ff. Eigentum 147, 247, 287 Empfänger 115, 141 Entscheidungsfreiheit 6, 57, 60, 75, 78, 116, 130, 163, 167, 209, 235, 239 f., 247, 256, 291, 301, 312, 325, 329 Entwicklung des Verbraucherschutzes 246 ethischer Minimalkonsens 65, 81, 139, 170 f. Funktionen des Wettbewerbs 78, 93, 311 Generalklausel 1, 15, 41, 48, 50, 64, 68, 70, 99, 117, 128, 135, 139 f., 142, 176, 180, 207, 210, 212, 215 f., 220, 232, 235, 237, 238 f., 249, 252 ff., 269, 272, 275, 282, 288, 318 Geschäftliche Handlung 215, 220 ff., 240 ff., 247 f., 255, 257 – aggressive 98, 301 f. – irreführende 98, 193

653

– gegenüber Verbrauchern 70, 117, 135 Gesetze – wertneutrale 64 – sittlich fundierte 64 Gesundheitsschutz 55, 63, 159, 324 Gewährleistung des Verbraucherschutzes 289 ff. Gewinnabschöpfungsanspruch 99, 246, 315 Gleichrangigkeit 205 Grundfreiheiten 58, 103, 122, 224 ff. Grundrechte 56, 90, 250 ff., 328 Grundsatz der einheitlichen Marktverhaltensregulierung 74 Grundsatz der Lauterkeit des Handelsverkehrs 106 Grundsatz wettbewerbsfunktionaler Auslegung 76 ff., 111, 316, 322 Gute Sitten 1, 12, 61, 122, 172, 220, 262, 331 GWB 54, 100 f., 208, 220, 246 Handlungsfreiheit 83 ff., 190 ff., 253, 282, 298 ff. Hefermehl, Wolfgang 54 ff. Horizontalverhältnis 38, 43, 189 Idealverein 44, 293 Ideologisierung 13 in dubio pro libertate 91 Individualismus, normativer 88 Individualrecht 35, 56, 255 integriertes Modell 6, 97, 114 ff., 130 f., 145 Interessen – der Mitbewerber 186 ff. – der sonstigen Marktteilnehmer 293 ff. – der Allgemeinheit 310 ff. – nicht wettbewerbsbezogene 322 ff. Interessen, schutzwürdige – wettbewerbsbezogene 204 f., 208, 216 ff., 235 ff., 246 f., 249 Interessenabwägung 47, 61, 210, 254 f., 333, 336 ff. Irreführung 121 ff., 192 ff., 207, 211, 215, 222 ff, 228 ff., 298 f.

Peukert/Fritzsche

§1

Zweck des Gesetzes

Jugendschutz 23, 64, 158 Kartellrecht 54, 84, 100 ff., 246 Klagebefugnis 19, 99, 185, 246, 248, 297, 313 f. Kommunikationsgrundrechte 258 ff. Kunden 104, 115, 153, 203, 209 ff., 216 ff., 243 ff., 295, 309 Lauterkeitsrecht 2 ff., 12 ff., 31, 45, 58, 67 ff., 94 f., 119 ff., 174 ff., 230 ff., 307, 314, 327 Leistungswettbewerb 42, 50 f., 56, 104, 210 f., 220 ff. Liberalisierung 2, 12, 58, 103, 212, 252 Marktstörung, allgemeine 99, 219, 246, 306 f. Marktteilnehmer 204 ff., 214 ff., 248 ff., 256 f. Marktteilnehmer, sonstige 293 ff. Marktverhalten 206, 217, 220, 262 Meinungsfreiheit 251, 253, 256, 260 ff., 265 ff., 271 f., 285 Menschenwürde 56, 65, 75, 167 ff., 171, 175, 256 f., 327, 329 Mitbewerber 31 ff., 36 ff., 39, 43 ff., 49, 53, 67, 70 ff, 78, 83, 89, 97, 114 f., 129, 136, 155 f., 186 ff., 204 ff., 217 ff., 222, 237, 248 ff., 257, 288, 291, 293 ff. mittelbare Beeinträchtigung 186, 293 Neutralitätspflichten 162 ff. öffentliche Hand, Missbrauch hoheitlicher Vorzugsstellungen 99 Ökonomik 109 par conditio concurrentium 155 Paradigmenwechsel 54, 206, 241 Per-se-Verbote 120, 148, 154, 333 Persönlichkeitsrecht 81, 142, 152, 247, 286 f, 290. primärer Zweck des UWG 83 Privatsphäre 65, 139, 140 ff., 148 ff., 209, 236 f., 245, 286 ff., 320 Produktionsstandards 318 Prozesskostenhilfe 17 Rationalität 163, 211, 238 Rechtsbruch 81, 99, 139, 155 ff., 312, 318, 323 Rechtsmissbrauch 19 f., 200 Rechtssicherheit 13, 48, 119 Richterrecht 160 Rom-II-VO 176 ff. Sachlichkeitsgebot 241 f. Schutzobjekt 33, 40, 49 Schutzsubjekt 40, 43, 97, 114 ff., 185, 206 Schutzzwecke 204 f., 222 f., 247, 257, 273 Schutzzwecktrias 6 ff., 37 ff., 49, 53, 61, 67, 75, 204 f., 207 Schweizerisches Lauterkeitsrecht 108 Sittlichkeit – marktbegleitende 59 f., 81 – marktbegrenzende 49, 142, 326 – marktermöglichende 59 f., 81, 172 Sonderdeliktsrecht 179 sozialrechtliches Verständnis 49, 56, 58, 62, 67 Sozialstandards 66 Sponsoring 57, 320 Spürbarkeit 144, 248 f., 257 Telefonwerbung 149 ff., 248, 283, 286 f., 290

Peukert/Fritzsche

Tierschutz 318 UGPRL 114 ff., 205 ff., 213 ff., 220 f., 224 ff., 233 ff., 245, 253 ff. Umweltschutz 38, 319 Unlauterkeit 14 f., 18, 23 f., 33, 48, 64, 70, 77, 84, 109, 114, 140, 157, 171, 195, 205, 209 ff., 221 ff., 254 ff., 285, 292, 334, 338 Unlauterkeitsrecht 205, 207 f., 209 ff., 216, 220, 224 f., 230 ff., 246 ff, 252, 269, 272, 274, 284 f. unmittelbare Beeinträchtigung 186, 293 Unterlassungsanspruch 99, 246, 292 Unternehmer 44, 51, 73, 78, 89, 91, 156, 186 ff., 204 ff., 210, 237, 245, 253, 257, 293, 295, 319 unzumutbare Belästigung 136, 140 ff., 149, 151, 247 f., 253, 288 UWG 1909 1, 12, 31, 37, 41, 48, 50, 55, 67, 103 f., 156, 204, 209, 211, 216, 219, 221, 225, 229, 240, 248, 252 f., 256, 275, 336 UWG 2004 1 f., 5 ff., 48, 55, 58, 70, 84, 108, 140, 156, 158, 167, 204 ff., 210, 214, 218, 221, 225, 240, 244 f., 253, 256, 289 UWG 2008 7, 68, 70, 84, 118, 132, 167, 207, 248 f., 256 UWG 2015 132, 136 Verbotstatbestand, primärer 140 Verbraucher, 67 ff., 114 ff., 123 ff. Verbraucherautonomie 91, 114, 238, 335 Verbraucherindividualrecht 33, 289 Verbraucherpersönlichkeitsrecht 287 Verbraucherschutz 4, 12, 73, 75, 123 ff., 154, 204 ff., 288 ff. Verbraucherschutzrecht, Begriff 206 vergleichende Werbung 27, 67, 124, 127, 212, 223, 230, 232, 242 Verhaltenskodex 18 Verkehrsverbot 59 Vertikalverhältnis 38, 43, 188 f., 204, 293 Vollharmonisierung 25, 45, 69, 120, 212, 214, 224 f., 231, 237 Vorrang des Unionsrechts 26, 70, 113 Wechselwirkung 262 ff., 288 Werbeanruf 149, 302 Werbeverbot 59, 66, 227, 285, 288 Wettbewerb – Begriff 86 – freier 83 ff., 91 – funktionsfähiger 4, 6, 77, 104, 108, 110, 126 – verfälschter 57, 83 ff., 91 ff., 105, 110, 310 ff., 335 ff. – wirtschaftlicher 77 Wettbewerbsfreiheit, Grundsatz 88 f., 116, 184, 309 wettbewerbsfunktionales Verständnis 29, 123 Wettbewerbsverhalten 56, 176 ff., 199, 302, 307 wirtschaftspolitische Neutralität 54, 58 Zwang 92, 188, 121, 211, 245 – wettbewerbskonformer 91, 201 ff., 308 – wettbewerbsfremder 121

654

A. Einführung

§1

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte 1. Der Schutzzweck des UWG 1909 Der Zweck des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb erfuhr erst mit der Neufassung des 1 UWG 2004 eine ausdrückliche Kodifikation. Das UWG 1896 kannte weder eine solche Zwecknorm noch eine Generalklausel zum Verbot unlauteren Wettbewerbs.1 Gemäß § 1 UWG 1909 konnte auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch genommen werden, „wer im geschäftlichen Verkehre zu Zwecken des Wettbewerbes Handlungen vornimmt, die gegen die guten Sitten verstoßen.“ Da der Begriff der guten Sitten weder definiert noch durch Regelbeispiele konkretisiert worden war, kam der teleologischen Auslegung hervorragende Bedeutung zu. Entsprechend intensiv wurde über den Zweck des UWG 1909 gestritten.2 Diese Diskussion bildet den Hintergrund des § 1 UWG in seiner gültigen Fassung. Da der Gesetzgeber der UWG-Novellen 2004, 2008 und 2015 eine weitgehende Kontinuität der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung wünschte, kommt diesem an sich historischen Disput weiterhin Bedeutung zu.3 Es wird zu erläutern sein, welche der im 20. Jahrhundert entwickelten Auffassungen zum Telos des Lauterkeitsrechts in § 1 kodifiziert wurde.4

2. Das UWG 2004 Das UWG 2004 sollte eine umfassende Reform und grundlegende Modernisierung des Lau- 2 terkeitsrechts herbeiführen. Unter „Modernisierung“ wurde dabei vor allen Dingen Liberalisierung verstanden. Das bis dato geltende deutsche Lauterkeitsrecht sei nicht mehr zeitgemäß und im internationalen Vergleich in einzelnen Bereichen besonders restriktiv. Auch unter europapolitischen Gesichtspunkten gelte es, das deutsche Lauterkeitsrecht „weitgehend“ zu liberalisieren. Außerdem solle der Verbraucher den ihm gebührenden Stellenwert in einer schlankeren, europaverträglichen Fassung des UWG erhalten.5 Zur Vorbereitung der Novelle setzte die Bundesregierung beim Bundesministerium der Jus- 3 tiz eine Arbeitsgruppe „Unlauterer Wettbewerb“ ein. Aufgabe der Arbeitsgruppe war es zum einen, die rechtstatsächlichen Grundlagen für die Gesetzgebung zu ermitteln. Zum anderen sollte die Arbeitsgruppe Konzepte für die Fortentwicklung des europäischen Lauterkeitsrechts und für eine europakonforme Modernisierung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb entwerfen. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe Prof. Helmut Köhler, Richter am Bundesgerichtshof, Prof. Joachim Bornkamm sowie Dr. Frauke Henning-Bodewig legten in eigener Initiative einen vollständig ausformulierten Vorschlag für eine Richtlinie zum Lauterkeitsrecht und eine UWGReform vor, der das schließlich erlassene Gesetz in verschiedener Hinsicht prägte.6 Hierzu zählte insbesondere die Zwecknorm in Artikel 1 des Privatentwurfs mit folgen- 4 dem Wortlaut: „Diese Richtlinie bezweckt den Schutz der Verbraucher, der Mitbewerber und der

1 Näher Einl. B Rn. 13 ff. 2 Zur Bedeutung der Schutzzwecküberlegungen zum UWG 1909 nur Beater JZ 1997, 31 ff. 3 Siehe BGH 24. 2. 2005 – I ZR 101/02 – BGHZ 162, 246, 251 = GRUR 2005, 519 – Vitamin-Zell-Komplex (mit Verweis auf den „Schutz der Interessen der Allgemeinheit“ gem. § 1 UWG 1909 und die Entscheidung RG 13. 3. 1944 – II 97/ 43 – GRUR 1944, 88 f.). Vorschnell Schünemann WRP 2004, 925, 934 (diese Diskussion brauche seit dem Inkrafttreten des UWG 2004 nicht mehr nachgezeichnet zu werden). Zur Schutzzweckdiskussion im UWG 1909 siehe etwa Kraft S. 196 ff.; Baumbach/Hefermehl Einl. UWG Rn. 44 ff. 4 Dazu unten § 1 Rn. 76 ff. 5 RegE UWG 2004 BTDrucks. 15/1487, S. 12, 15. 6 RefE UWG 2004, GRUR 2003, 298, 302; RegE UWG 2004 BTDrucks. 15/1487, S. 12; Köhler/Bornkamm/HenningBodewig WRP 2002, 1317 ff.

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Peukert/Fritzsche

§1

Zweck des Gesetzes

sonstigen Marktteilnehmer vor unlauterem Wettbewerb. Sie schützt damit auch das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb.“7 Die Entwurfsverfasser erläuterten diesen Vorschlag unter Verweis auf Rechtsprechung des BGH und des BVerfG8 dahingehend, dass die Marktteilnehmer, insbesondere Verbraucher und Mitbewerber, durch den Vorschlag gleichermaßen und gleichrangig geschützt würden. Der Vorschlag gewährleiste nicht nur den Verbraucherschutz, sondern auch den Schutz der Mitbewerber und der sonstigen Marktteilnehmer vor unlauteren Wettbewerbshandlungen. Denn das Lauterkeitsrecht lasse sich nicht auf einen bloßen Verbraucherschutz reduzieren. Im Übrigen diene der Schutz der Mitbewerber mittelbar stets auch dem Verbraucherschutz, weil er im Interesse der Verbraucher die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs sichere. Verbraucherschutz und Mitbewerberschutz ließen sich daher nicht auseinanderdividieren. Der Schutz aller Marktteilnehmer diene damit auch dem Interesse der Allgemeinheit an einem fairen und unverfälschten Wettbewerb. Ein Schutz sonstiger Allgemeininteressen sei nicht Aufgabe des Lauterkeitsrechts, das in erster Linie das Marktverhalten reguliere. Ein weitergehender Regelungsbedarf sei der freiwilligen Selbstkontrolle der Marktteilnehmer zu überlassen.9 Der Vorschlag für eine Kodifikation des Zwecks des UWG wurde vom Gesetzgeber aufgegrif5 fen. Die am 8. 7. 2004 in Kraft getretene Fassung des § 1 UWG 2004 lautete: „Dieses Gesetz dient dem Schutz der Mitbewerber, der Verbraucher und der sonstigen Marktteilnehmer vor unlauterem Wettbewerb. Es schützt zugleich das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb.“10 Die Begründung des Regierungsentwurfs, der im Gesetzgebungsverfahren unverändert 6 blieb, lehnt sich eng an die Erläuterungen des Vorschlags aus der Arbeitsgruppe an.11 Demnach folge aus § 1 UWG 2004, dass das UWG die Angebotsfreiheit der Wettbewerber und die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher schütze. § 1 unterstreiche die Stellung, die dem Verbraucher aufgrund eines von der Rechtsprechung angenommenen Funktionswandels im Lauterkeitsrecht zukomme. Gleichzeitig werde an der von der Rechtsprechung entwickelten Schutzzwecktrias festgehalten, wonach das UWG die Mitbewerber, die Verbraucher und Belange der Allgemeinheit schütze. Die Marktteilnehmer, insbesondere die Verbraucher und die Mitbewerber, würden durch das UWG gleichermaßen und gleichrangig geschützt. Der Zweck des UWG liege darin, das Marktverhalten der Unternehmen im Interesse der Marktteilnehmer, insbesondere der Mitbewerber und der Verbraucher und damit zugleich das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten und damit funktionsfähigen Wettbewerb zu regeln. Das Recht gehe insoweit von einem integrierten Modell eines gleichberechtigten Schutzes der Mitbewerber, der Verbraucher und der Allgemeinheit aus. Der Schutz sonstiger Allgemeininteressen sei weiterhin nicht Aufgabe des Wettbewerbsrechts.12

3. Das UWG 2008 7 Die grundlegende Reform des Lauterkeitsrechts durch das UWG 2004 war eine autonome Entscheidung des deutschen Gesetzgebers. Demgegenüber hatte das am 30. 12. 2008 in Kraft getretene erste Änderungsgesetz (UWG 2008)13 den Zweck, die vollharmonisierende UGPRL in deutsches 7 Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, 1318. 8 BGH 3. 12. 1998 – I ZR 119/96 – BGHZ 140, 134, 138 = GRUR 1999, 1128 – Hormonpräparate; BGH 6. 10. 1999 – I ZR 46/97 – GRUR 2000, 237 – Giftnotruf-Box; BVerfG 1. 8. 2001 – 1 BvR 1188/92 – GRUR 2001, 1058, 1160 – Therapeutische Äquivalenz; BVerfG 6. 2. 2002 – 1 BvR 952/90 – GRUR 2002, 455 – Tier- und Artenschutz. 9 Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, 1325. 10 BGBl. I 2004, 1414; dazu RefE UWG 2004, GRUR 2003, 298, 301; RegE UWG 2004 BTDrucks. 15/1487, S. 5. 11 RefE UWG 2004, GRUR 2003, 298, 303 f.; RegE UWG 2004 BTDrucks. 15/1487, S. 13, 15 f.; Beater Rn. 2453. 12 RegE UWG 2004 BTDrucks. 15/1487, S. 15 f. 13 BGBl. I 2008, S. 2949.

Peukert/Fritzsche

656

A. Einführung

§1

Recht umzusetzen und das gerade erst neu gefasste UWG anzupassen, soweit das Schutzniveau des UWG 2004 über das der UGPRL hinausging oder dahinter zurückblieb.14 Dabei verfolgte die Bundesregierung eine Kompromisslinie. Einerseits orientierte sie sich an den Vorgaben der UGPRL, andererseits versuchte sie die Systematik des UWG 2004 zu bewahren, zu der insbesondere auch die bewährte Schutzzwecktrias des deutschen Lauterkeitsrechts gezählt wurde.15 In einem Diskussionsentwurf des Bundesministeriums der Justiz vom 8. 5. 2007 war § 1 UWG 2004 noch unverändert geblieben. Zur Begründung hieß es, der Anwendungsbereich des UWG sei weiter als derjenige der UGPRL. Denn das Gesetz diene nach § 1 UWG zwar – wie die Richtlinie – auch dem Schutz der Verbraucher. Seit jeher schütze das UWG aber auch und gerade Mitbewerber und sonstige Marktteilnehmer sowie die Interessen der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb.16 Der im späteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens insoweit unverändert gebliebene Regierungsentwurf vom 20. 8. 2008 änderte den Wortlaut von § 1 S. 1 dahingehend, dass die Marktteilnehmer nicht mehr „vor unlauterem Wettbewerb“, sondern „vor unlauteren geschäftlichen Handlungen“ geschützt werden. Hierbei habe es sich um eine terminologische Anpassung an den neuen Grundbegriff der geschäftlichen Handlung als Grenze des Anwendungsbereichs des UWG gehandelt.17 In der über den Begriff der Geschäftspraktik der UGPRL hinausgehenden Definition der geschäftlichen Handlung gem. § 2 Abs. 1 Nr. 118 komme der auch weiterhin geltende, umfassende Schutzzweck des UWG zum Ausdruck, der sich gleichermaßen auf Mitbewerber, Verbraucher und sonstige Marktteilnehmer erstrecke. Zwar schütze die Richtlinie unmittelbar nur die wirtschaftlichen Interessen von Verbrauchern. Im Erwägungsgrund 8 der UGPRL werde jedoch eingeräumt, dass die Richtlinie mittelbar auch rechtmäßig handelnde Unternehmen vor Mitbewerbern schützt, die sich nicht an die Regeln des lauteren Wettbewerbs halten. Im Übrigen verwehre es die UGPRL dem nationalen Gesetzgeber nicht, über den Regelungsbereich der Richtlinie hinausgehende lauterkeitsrechtliche Bestimmungen zu erlassen und in einem Gesetz zusammenzufassen, die das Verhältnis der Unternehmen zu ihren Mitbewerbern betreffen. Sie zwinge daher nicht zu einer Aufgabe der bewährten allgemeinen Schutzzwecktrias des deutschen Rechts.19 Dieser integrierte Ansatz trage dem Umstand Rechnung, dass das Verhalten von Unternehmen am Markt im Prinzip unteilbar sei. Denn durch ein unlauteres Verhalten werden Verbraucher und Mitbewerber im Regelfall gleichermaßen geschädigt.20 Dieser umfassende Anwendungsbereich des UWG komme in § 1 zum Ausdruck. Denn das Gesetz diene nach § 1 zwar – wie die Richtlinie – auch dem Schutz der Verbraucher. Seit jeher schütze das UWG aber auch und gerade Mitbewerber und sonstige Marktteilnehmer (§ 1 S. 1) sowie das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb (§ 1 S. 2). Der in Art. 1 UGPRL normierte Schutzzweck werde von der Schutzzweckbestimmung des § 1 „bereits mit umfasst“.21 Da § 1 den Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern vor unlauterem Wettbewerb ausdrücklich nenne, liege bereits eine richtlinienkonforme Schutzzweckbestimmung vor. Unschädlich sei, dass das UWG darüber hinaus auch Mitbewerber, sonstige Marktteilnehmer und gewisse Interessen der Allgemeinheit schütze. Denn der insoweit weitere Schutzbereich des UWG sei nicht Regelungsgegenstand der Richtlinie; für den Bereich des Mitbewerberschutzes und des Schutzes der Allgemeinheit enthalte sie keine Vorgaben. Daher bestehe hinsichtlich der Schutzzweckbe-

14 15 16 17 18 19 20 21

657

RegE UWG 2008 BTDrucks. 16/10145, S. 1. Gegenäußerung BReg UWG 2008 BTDrucks. 16/10145, S. 40. DiskE UWG 2008, S. 12. RegE UWG 2008 BTDrucks. 16/10145, S. 38 f. Dazu § 2 Rn. 23 ff. RegE UWG 2008 BTDrucks. 16/10145, S. 21. RegE UWG 2008 BTDrucks. 16/10145, S. 10 f. So auch Matutis Rn. 3; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 5.

Peukert/Fritzsche

8

9

10

11

§1

Zweck des Gesetzes

stimmung insgesamt kein Umsetzungsbedarf.22 Dementsprechend blieb § 1 UWG auch im Zuge der UWG-Reform 2015, die einer weiteren Anpassung des UWG an die UGP-Richtlinie diente, unverändert.

4. Bewertung und Grundansatz der Kommentierung 12 Bereits die legislativen Begründungen zu § 1 lassen die Schwierigkeiten erkennen, der Schutzzweckbestimmung eine kohärente teleologische Konzeption für das Lauterkeitsrecht zu entnehmen. Der Gesetzgeber hat in der Vorschrift nämlich drei, jedenfalls im Ausgangspunkt zu unterscheidende Ansätze niederlegen wollen. Erstens soll § 1 die von der Rechtsprechung zum UWG 1909 entwickelte Schutzzwecktrias kodifizieren, womit an die Schutzzweckdiskussion zum Begriff der guten Sitten angeknüpft wird. Zweitens ist § 1 ein Element der grundlegenden Reform und Liberalisierung des früheren Lauterkeitsrechts, indem andere Allgemeininteressen als dasjenige am unverfälschten Wettbewerb aus dem UWG verabschiedet werden. Drittens soll § 1 den Schutzzweck der UGPRL in deutsches Recht umsetzen, indem die auf Verbraucherschutz fokussierte Teleologie der UGPRL in das integrale Konzept des deutschen Lauterkeitsrechts eingefügt wird. 13 Damit sind in § 1 drei nicht notwendig komplementäre oder gar deckungsgleiche Rechtsschichten verborgen. Allein diese Gemengelage lässt daran zweifeln, ob § 1 der Praxis des Lauterkeitsrechts die teleologische Orientierung zu bieten vermag, die sich seine Verfasser wünschten. Und doch ist die Vorschrift als geltendes Recht zu achten und zu realisieren. Das UWG ist allenfalls dann als kohärente Materie „zu retten“,23 wenn die Kompromisse und Verwerfungen zwischen deutschem und europäischem Lauterkeitsrecht offengelegt und dogmatisch verarbeitet werden. Hierfür bedient sich die folgende Kommentierung der verfassungsrechtlich anerkannten Auslegungsmethoden. Dieser positivistische Grundansatz24 reflektiert das Bestreben des deutschen und des EU-Gesetzgebers, das Lauterkeitsrecht durch Kodifikation auch seines Zwecks zu präzisieren und damit zur Rechtssicherheit beizutragen. Eine solche Methodik steht im Gegensatz zu Konzeptionen des Lauterkeitsrechts, die zwar in sich schlüssig sein mögen, sich dafür aber vom Wortlaut und der Entstehungsgeschichte des § 1 weitgehend lösen oder sich sogar hiergegen offen auflehnen, um ein eigenes Verständnis der „richtigen“ Marktregulierung zu propagieren – welches dann aber schnell den Vorwurf der Ideologisierung auf sich zieht.25

II. Zweck und praktische Relevanz des § 1 14 Eine unvoreingenommene Lektüre des UWG muss § 1 bereits aufgrund seiner Stellung an der Spitze des Gesetzes eine zentrale Rolle bei der Anwendung des Lauterkeitsrechts zubilligen. Und tatsächlich nimmt die Vorschrift ihrem Wortlaut nach in Anspruch, den Zweck „dieses Gesetzes“, also sämtlicher, im UWG versammelter Normen vorzugeben. Auch die übrigen Formulierungen der Norm legen eine Geltung des § 1 für alle Bereiche des Lauterkeitsrechts nahe. So werden die Interessen sämtlicher Marktteilnehmer angesprochen. Jene Personenkreise werden vor unlauteren geschäftlichen Handlungen geschützt, womit der gesamte Anwendungsbereich des Gesetzes (§ 2 Abs. 1 Nr. 1) und das zentrale Unwerturteil der Unlauterkeit (§ 3 Abs. 1) angesprochen werden. 15 In Übereinstimmung mit diesem Befund betont das Schrifttum, dass es sich bei § 1 nicht etwa um einen unverbindlichen Programmsatz zur wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Le22 23 24 25

RegE UWG 2008 BTDrucks. 16/10145, S. 11; Ekey Rn. 68. Siehe Bornkamm BB-Magazin 2009, M1. Dazu auch § 3 Rn. 17 f. Siehe einerseits Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 69 mit Fn. 45 gegen Schünemann („neoliberaler Ökonomismus“) und andererseits Harte/Henning2/Schünemann Rn. 90 f. gegen Fezer („Synkretismus“ zur Durchsetzung „allgemeiner Gemeinschaftsgüter“).

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gitimation des UWG handele, sondern um die Kodifikation eines verbindlichen Maßstabs für die teleologische Auslegung aller folgenden Normen einschließlich der Generalklausel des § 3 Abs. 1.26 Auch der BGH geht davon aus, dass die Feststellung der Unlauterkeit eine funktionelle, d. h. am Schutzzweck des Lauterkeitsrechts und damit an der Auslegungsdirektive des § 1 ausgerichtete Betrachtung erfordert.27 Diese theoretische Einschätzung schlägt sich in der Praxis aber nicht nieder. Auch 15 Jahre nach ihrem Inkrafttreten hat die Schutzzweckbestimmung des § 1 keine eigenständige praktische Relevanz erlangt. Soweit ersichtlich, ist die Vorschrift in keiner Entscheidung näher erläutert worden. Nur vereinzelt und dann knapp wird § 1 als ein Begründungselement referiert.28 So hat es das OLG Köln abgelehnt, einem Mitbewerber für eine beabsichtigte Klage wegen irreführender Werbung eines Konkurrenten allein deshalb Prozesskostenhilfe zu gewähren, weil die Unterlassung der Rechtsverfolgung stets allgemeinen Interessen i.S. des § 116 Nr. 2 ZPO zuwiderlaufe, da das UWG gem. § 1 S. 2 den Zweck habe, das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb zu schützen. Die Verfolgung des in § 1 S. 2 genannten Allgemeininteresses obliege vielmehr den gem. § 8 Abs. 3 Nr. 2–4 klagebefugten Verbänden, Einrichtungen und Kammern sowie den solventen, im Eigeninteresse handelnden Mitbewerbern.29 Das Gericht billigt § 1 S. 2 also zumindest im Kontext der Prozesskostenhilfe keinen eigenständigen normativen Gehalt zu. Ebenso rekurriert das OLG Düsseldorf auf § 1 S. 2, um Verbänden eine Anspruchsberechtigung für einen Verstoß gegen § 4 Nr. 2 (Anschwärzung) zuzusprechen.30 Trotz Normzitats kaum bedeutsamer war § 1 für die Entscheidung des BGH, den Verstoß gegen selbst gesetzte Regeln eines Verbands für die Unlauterkeit nur dann als relevant zu erachten, wenn sich der Verstoß gegen den privaten Kodex auch als eine wettbewerbsbezogene, d. h. von den Schutzzwecken des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb „(vgl. § 1 UWG)“ erfasste Unzulässigkeit erweise; denn es sei nicht Aufgabe des Lauterkeitsrechts, alle nur denkbaren Regelverstöße im Zusammenhang mit geschäftlichen Handlungen auch lauterkeitsrechtlich zu sanktionieren.31 Unter Hinweis darauf, dass das UWG gem. § 1 auch dem Schutz von Interessen der Allgemeinheit dient, hält der BGH es immerhin für zweckwidrig, Verfahren über Ansprüche wegen unlauterer geschäftlicher Handlungen mit der Prüfung zu belasten, ob der Kläger bei seiner eigenen Wettbewerbstätigkeit gesetzwidrig oder wettbewerbsrechtlich unlauter handelt.32 Bei der Anwendung des Grundsatzes, dass der Einwand der unclean hands auch gem. § 1 S. 2 ausgeschlossen ist, kommen die Instanzgerichte jedoch trotz identischer Sachlage zu unterschiedlichen Ergebnissen. Das OLG Naumburg schätzte die Geltendmachung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche gegen eine Lotto-Toto-Gesellschaft eines Bundeslandes durch einen Verband, dem ausschließlich private Gewerbetreibende im Glücksspielwesen angehören, unter Berücksichtigung des § 1 S. 2 jedenfalls dann als rechtsmissbräuchlich ein, wenn der Verband planmäßig den unlauteren Wettbewerb seiner eigenen Mitglieder dulde und gegen die öffentlichen Anbieter nur mit dem Ziel der Beendigung des staatlichen Lizenzsystems im Glücksspielwesen 26 Siehe Köhler GRUR 2007, 548, 549; Münker Festschrift Ullmann, S. 781, 785; in Bezug auf die Liberalisierung des Lauterkeitsrechts Wuttke WRP 2007, 119, 122; HK-Wettbewerbsrecht/Klippel/Brämer Rn. 3; Götting/Nordemann Rn. 1. 27 BGH 11. 1. 2007 – I ZR 96/04 – BGHZ 171, 73 = GRUR 2007, 800 Tz. 21 – Außendienstmitarbeiter. 28 Siehe auch OLG Celle 5. 9. 2007 – 13 U 62/07 – GewArch 2010, 311 (gem. § 1 sei Zweck des UWG nur die Kontrolle des Marktverhaltens, während die Überwachung der Grenzen der wirtschaftl. Betätigung des Staates nicht Aufgabe des Lauterkeitsrechts sei); LG Berlin 12. 8. 2004 – 16 O 50/04 – LRE 50, 325 (die Vorschriften des LMBG und der DiätV dienen bestimmungsgemäß dem Schutz der Verbraucher, die nach § 1 UWG neben den Mitbewerbern ausdrücklich auch den Schutz des UWG genießen, so dass die Gesetzesverstöße wettbewerbliche Relevanz besitzen); LG München I 17. 1. 2008 – 17 HKO 22794/07 – Magazindienst 2008, 429 (§ 8 Abs. 1 S. 1 diene gem. § 1 S. 1 dem Schutz der Wettbewerber sowie der Verbraucher). 29 OLG Köln 20. 6. 2006 – 6 W 63/06 – GRUR 2007, 86. 30 OLG Düsseldorf 12. 9. 2019 – 15 U 48/19 – WRP 2020, 88 Rn. 57. 31 BGH 9. 9. 2010 – I ZR 157/08 – GRUR 2011, 431 Tz. 13 ff. – FSA-Kodex. 32 BGH 24. 2. 2005 – I ZR 101/02 – BGHZ 162, 246, 251 = GRUR 2005, 519 – Vitamin-Zell-Komplex.

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vorgehe.33 Das OLG Hamburg hingegen sah in dieser Konstellation ein Vollzugsdefizit gegeben, dem die Klägerin zulässigerweise im Interesse der Marktteilnehmer und der Allgemeinheit abhelfe.34 Mithin berufen sich die Oberlandesgerichte jeweils auf § 1 S. 2, entnehmen der Vorschrift aber konträre Wertungen. Der BGH, der diesen Streit schließlich zugunsten der Klagebefugnis und Anspruchsberechtigung des privaten Glücksspielverbands und gegen den Rechtsmissbrauch entschied, bezieht sich zwar darauf, dass die Prozessführungsbefugnis der Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen ihre Rechtfertigung darin finde, dass die Bekämpfung unlauterer Wettbewerbshandlungen nicht nur im Interesse des unmittelbar Betroffenen, sondern auch im öffentlichen Interesse liege, zitiert § 1 für diese Erwägung jedoch nicht.35 Insgesamt erweist sich § 1 selbst für eine Frage wie den Rechtsmissbrauch, die anders als 20 zweckorientiert gar nicht beantwortet werden kann, als letztlich nicht operabel. Die Gerichte beziehen sich auf die Vorschrift nur, um ihr Ergebnis argumentativ abzusichern. Die geringe praktische Bedeutung der Schutzzweckbestimmung beruht darauf, dass die Auslegungsdirektive des § 1 ihrerseits höchst auslegungsbedürftig ist.36 Welchen Telos die Vorschrift zum Ausdruck bringt und welche Verbote hiermit gerechtfertigt werden können, ist umstritten. Bevor jedoch hierauf einzugehen ist,37 muss zunächst der Anwendungsbereich des § 1 im Ver21 hältnis zu den im UWG umgesetzten EU-Richtlinien bestimmt werden. Denn bereits die Eingangsworte, dass § 1 den Zweck „des“ UWG niederlegt, bedürfen der einschränkenden Präzisierung.

III. Anwendungsbereich des § 1 22 Nach der amtlichen Überschrift und dem Wortlaut des § 1 gilt die Schutzzweckbestimmung für das gesamte UWG. Gesetzliche Regelungen außerhalb des UWG, die ebenfalls das Marktverhalten regeln, verfolgen ggf. andere Zwecke. Hierzu zählen berufsregelnde Vorschriften (z. B. für Ärzte, Rechtsanwälte) sowie Regelungen zur Verkehrsfähigkeit (z. B. Arzneimittel) oder zur Werbung für bestimmte Waren (z. B. Tabakwaren) und Dienstleistungen bzw. zur Werbung in bestimmten Medien.38 Für die Anwendung und Auslegung dieser Vorschriften ist § 1 schon aus systematischen Gründen bedeutungslos. Soweit diese gesetzlichen Vorschriften aber auch dazu bestimmt sind, im Interesse der 23 Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, kann eine Zuwiderhandlung über den Rechtsbruchtatbestand des § 3a doch zur Unlauterkeit und damit zu einem lauterkeitsrechtlichen Verbot führen. Indes bleibt auch dann die Zwecksetzung der Marktverhaltensvorschrift maßgeblich. Da nach der Rechtsprechung auch solche Vorschriften für den Rechtsbruchtatbestand in Betracht kommen, die primär andere als wettbewerbsbezogene Interessen der Marktteilnehmer schützen (z. B. Gesundheits- oder Jugendschutz), deutet sich bereits hier eine erste Abweichung vom einheitlichen Schutzzweck des Gesetzes an.39 Streitig ist, ob § 1 zur Beurteilung unzumutbarer Belästigungen gem. § 7 heranzuziehen 24 ist.40 Soweit die Vorschrift auf einer autonomen Entscheidung des deutschen Gesetzgebers beruht, ist dies zu bejahen. Zwar ist die Vorschrift als eigenständiger Verbotstatbestand ohne Verweis auf die Unlauterkeit der Handlung ausgestaltet. Indes betrifft § 7 wie § 1 geschäftliche Handlungen und

33 OLG Naumburg 18. 6. 2010 – 10 U 61/09 – BeckRS 2010, 20441. 34 OLG Hamburg 11. 8. 2011 – 3 U 145/09 – GRUR-RR 2012, 21, 24 – LOTTO guter Tipp. 35 BGH 17. 8. 2011 – I ZR 148/10 – GRUR 2012, 411, 413 Tz. 22 – Glücksspielverband; vgl. auch OLG Düsseldorf 12. 9. 2019 – 15 U 48/19 – WRP 2020, 88 Rn. 57 (Verbände für Verstöße gegen § 4 Nr. 2 aktivlegitimiert, da das Verbot der Anschwärzung gem. § 1 S. 2 auch dem Schutz des Interesses am unverfälschten Wettbewerb diene). 36 Klagge 221; juris-PK/Ernst Rn. 3; Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 9. 37 Dazu unten § 1 Rn. 31 ff. 38 juris-PK/Ullmann Einleitung Rn. 19 ff. 39 Dazu unten § 1 Rn. 155 ff. 40 Näher unten § 1 Rn. 140 ff.

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bezieht sich auf sämtliche Marktteilnehmer. Die geschlossene Systematik des Gesetzes bringt zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber das Marktverhalten im Anwendungsbereich des UWG grundsätzlich an einheitlichen Maßstäben messen wollte, für die wiederum § 1 einschlägig ist. Allerdings gilt dies eben nur grundsätzlich, und das heißt zunächst nur insoweit als der deutsche Gesetzgeber die Teleologie des Lauterkeitsrechts überhaupt autonom festlegen kann. Dies ist nicht der Fall, soweit Richtlinien im UWG umgesetzt wurden, die eine vollständige Rechtsangleichung herbeiführen. Eine derartige Vollharmonisierung bedeutet zunächst, dass das sachliche Schutzniveau vor unlauteren geschäftlichen Handlungen weder über die unionsrechtliche Vorgabe hinausgehen noch dahinter zurückbleiben darf.41 Mit anderen Worten müssen deutsche Gerichte im Anwendungsbereich einer Vollharmonisierung die Unzulässigkeit auch eines rein inländischen Verhaltens feststellen, wenn das Unionsrecht dies verlangt; zugleich dürfen sie kein Verhalten verbieten, wenn das Unionsrecht insofern kein Verbot vorsieht. Sie müssen also alles, aber auch nur das untersagen, was dem Unionsrecht zuwiderläuft.42 Hiervon abweichende Verbote oder Erlaubnisse haben zu unterbleiben. Eine solch strikte Ausrichtung am Verbotsniveau des Unionsrechts ist nur erreichbar, wenn auch die Zwecke der einschlägigen Rechtsakte ohne Modifikation befolgt werden. Jene werden vom Unionsrecht autonom festgelegt und können nicht von den Mitgliedstaaten verändert werden.43 Folglich kann § 1 im vollharmonisierten Bereich des Lauterkeitsrechts nur unter dem Vorbehalt zur Anwendung kommen, dass die betreffende Richtlinie genau denselben Zweck verfolgt. Andernfalls ist die Norm europarechtskonform auszulegen und notfalls ganz außer Anwendung zu lassen, um den Vorrang des Unionsrechts effektiv zur Geltung zu bringen. Die im UWG umgesetzten Richtlinien sehen nun ganz überwiegend eine vollständige Rechtsangleichung ohne sachlichen Spielraum für die Mitgliedstaaten vor. So erlaubt die UGPRL den Mitgliedstaaten nicht, strengere als die in der Richtlinie festgelegten Maßnahmen zu erlassen, und zwar auch nicht, um ein höheres Verbraucherschutzniveau zu erreichen.44 Auch die Bedingungen, unter denen vergleichende Werbung in den Mitgliedstaaten zulässig sind, wurden abschließend harmonisiert. Eine solche Angleichung setzt voraus, dass allein anhand der vom Unionsgesetzgeber aufgestellten Kriterien zu beurteilen ist, wann vergleichende Werbung in der ganzen Union zulässig ist. Folglich dürfen strengere nationale Vorschriften zum Schutz gegen irreführende Werbung nicht auf vergleichende Werbung hinsichtlich der Form und des Inhalts des Vergleichs angewandt werden.45 Wie sich im Umkehrschluss aus den ausdrücklichen Umsetzungsoptionen in Art. 13 Abs. 3 und 5 DatenschutzRL-EK ergibt, sind die in § 7 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt., Nr. 3 und 4 sowie Abs. 3 umgesetzten Vorgaben ebenfalls strikt bindend.46 Demnach verbleiben aus dem Kreis der im UWG umgesetzten Richtlinienbestimmungen nur die Vorschriften zur irreführenden Werbung, die gem. Art. 8 Abs. 1 UA 1 IrreführungsRL 2006 die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, Bestimmungen aufrechtzuerhalten oder zu erlassen, die bei irreführender Werbung einen weiterreichenden Schutz der Gewerbetreibenden und Mitbewerber vorsehen. Im Anwendungsbereich aller vollständig harmonisierten Regelungen ist allein die Teleologie der jeweiligen Richtlinie maßgeblich. Zwar geht der deutsche Gesetzgeber wie gezeigt davon aus, der Zweck der UGPRL sei von § 1 „mit umfasst“, und auch sonst hätten die Richtlinien in der Zweck41 Zur UGPRL RegE UWG 2008 BTDrucks. 16/10145, S. 11. 42 Rechtsausschuss UWG 2015 BTDrucks. 18/6571, S. 1. Anders aber wohl juris-PK/Ullmann § 3 Rn. 12 (parallele Anwendung des deutschen Lauterkeitsmaßstabs und des Maßstabs der UGPRL).

43 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 5. Siehe auch RegE UWG 2008 BTDrucks. 16/10145, S. 20 (UWG mit dem EURecht vereinbar). 44 EuGH 23. 4. 2009 – verb. Rs. 261/07 und 299/07 – Slg. 2009 I-2949 Tz. 52 – VTB-VAB/Galatea; EuGH 14. 1. 2010 – C-304/08 – Slg. 2010 I-217 Tz. 28, 41 – Plus; BGH 19. 7. 2012 – I ZR 2/11 – GRUR 2012, 1056 Tz. 12 – GOOD NEWS. 45 Siehe Art. 8 Abs. 1 UA 2 IrreführungsRL 2006/114; ferner EuGH 8. 4. 2003 – C-44/01 – Slg. 2003 I-3095 Tz. 44 – Pippig/Hartlauer; EuGH 18. 11. 2010 – C159/09 – Slg. 2010 I-11761 Tz. 22 – Lidl/Vierzon. 46 Zur Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. L 281, S. 31) siehe auch EuGH 24. 11. 2011 – C468/10 und C469/10 – Slg. 2011 I-12181 Tz. 52 – ASNEF/FECEMD/Administración del Estado.

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bestimmung und im systematisch geschlossenen UWG ihren getreulichen Niederschlag gefunden.47 Allerdings erübrigt diese Einschätzung eine Überprüfung nicht, da ausschlaggebend eben nicht die Auffassung eines Mitgliedstaats, sondern letztlich die authentische Auslegung des autonomen Unionsrechts durch den EuGH ist. Schon vor diesem Hintergrund bedarf die wohl herrschende Auffassung, wonach in § 1 ein wettbewerbsfunktionales Verständnis des Lauterkeitsrechts zum Ausdruck komme, das in allen Bereichen Beachtung verlange, einer kritischen Überprüfung.48 Im Ansatz zutreffend erscheint hingegen Fezers Unterscheidung zwischen der formal30 systematischen Gesetzeseinheit des UWG und der Vielfalt der in diesem Gesetz realisierten materiellen Regelungszwecke.49 Nach hier vertretener Auffassung kodifiziert § 1 den grundsätzlich einheitlichen und übergreifenden Zweck des UWG, von dem jedoch nach Maßgabe der umgesetzten Richtlinien sowie abweichenden teleologischen Vorgaben des deutschen Gesetzgebers Ausnahmen anzuerkennen und offenzulegen sind.50 Nur eine solche, am geschriebenen Recht und den dokumentierten Regelungsabsichten des historischen Gesetzgebers orientierte Überprüfung der überkommenen Schutzzwecktheorien erlaubt es, Wertungswidersprüche zu identifizieren und – soweit methodisch zulässig – durch Auslegung zu vermeiden.

B. Der Schutzzweck des UWG I. Individueller Rechtsgüterschutz 1. Das individualbezogene Verständnis des Lauterkeitsrechts 31 Das UWG 1896 und auch noch das ursprüngliche UWG 1909 waren primär auf den Schutz der Interessen der Mitbewerber ausgerichtet. Neben dem Irreführungsverbot wurden die Warenzeichen, Betriebsgeheimnisse und der Ruf der Gewerbetreibenden geschützt. Hieran anknüpfend wurde ein individualbezogenes Verständnis des Lauterkeitsrechts, verbunden mit der Annahme, dass wettbewerbsrechtliche Ansprüche aus der Verletzung eines subjektiven „absoluten“ Rechts erwachsen, vornehmlich im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert vertreten.51 Als Schutzgüter wurden entweder die Persönlichkeit des Wettbewerbers52 oder das Im32 materialgut „Unternehmen“ als Inbegriff der Einzelgüter bzw. als Goodwill53 aufgefasst. Damit

47 Oben § 1 Rn. 11. Zur Zulässigkeit der Umsetzung der Richtlinien in einem Gesetz Glöckner/Henning-Bodewig WRP 2005, 1311, 1325; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann § 3 Rn. 8. So aber Glöckner/Henning-Bodewig WRP 2005, 1311, 1325 f. Insofern zutreffend Fezer/Büscher/Obergfell Einleitung C Rn. 173. Siehe auch Harte/Henning2/Schünemann Rn. 2, 4 (gelegentliche Rechtsspaltung). Näher unten § 1 Rn. 76 ff. Siehe Schrauder S. 110 m. w. N.; ferner Fikentscher Wettbewerb, S. 157 ff.; Fezer S. 542 ff.; Schricker AcP 172 (1972), 203, 219. 52 Kohler S. 17 f. („Hiernach ist die Wirtschaft individualistisch frei, aber so, daß die Persönlichkeit nicht angetastet werden darf. Jede Wirtschaft des Einen hat sich in den Grenzen zu halten, welche die Persönlichkeit des Anderen erfordert. Die Persönlichkeit eines jeden verlangt aber, daß er nicht durch täuschende anstandswidrige Mittel geschädigt oder unterdrückt wird.“); v. Gierke IherJb. 35 (1896), 137, 168 f. (bei voller Erfassung des Rechts der Persönlichkeit könne die Rechtsprechung hieraus den erforderlichen privatrechtlichen Schutz gegen unlauteren Wettbewerb herleiten, ohne dass erst die Gesetzgebung bemüht zu werden brauche); ders., Dt. Privatrecht I, S. 71 ff.; Rosenthal S. 1 ff.; unter Berufung hierauf RG 19. 3. 1932 – I 354/31 – RGZ 135, 385, 395 – künstliche Blumen. Siehe auch Bericht Reichstagskommission, 4 (Schutz des redlichen Wettbewerbers); siehe aber auch Osterrieth S. 15 f. (es fehle bei trügerischen Reklamen ein sachlich fassbares Rechtsgut); zum UWG 1909 Stenographischer Bericht über die Lesungen des UWG, XII. Legislaturperiode, 1. Session 1907/ 1909, 8498 (2. Lesung am 17. 5. 1909, Abgeordneter Dr. Bitter: Schutz des „ehrlichen Gewerbetreibenden“); kritisch zu einem „immaterielle[n] Rechtsgut der ungehinderten Ausübung einer Gewerbstätigkeit und des Rechts auf Kundschaft“ aber Bericht der 35. Kommission v. 5. 5. 1909, XII. Legislaturperiode, 1. Session 1907/1909, 8436 (Nr. 1390 der Anlagen). 53 R. Isay S. 57 ff.; Callmann S. 26 ff. m. w. N.; Baumbach S. 126 f. (absolutes Recht, das jede fremde Einwirkung eigentumsartig ausschließe, weil es inhaltlich dem Eigentum völlig entspreche).

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einher ging zunächst die Ausblendung der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher.54 Anerkannt war hingegen, dass der Schutz der Persönlichkeit des Gewerbetreibenden bzw. seines Unternehmens letztlich in eine Wettbewerbsordnung eingebettet ist, die auf freier wirtschaftlicher Betätigung beruht und allgemeine Interessen fördern soll.55 Auch das geltende Recht wird unter dem Aspekt des Individualschutzes erklärt.56 Zwar wer- 33 den in der Regel weitere oder gar vorrangige Schutzzwecke formuliert. Bestimmte gesetzliche Konkretisierungen der Unlauterkeit bzw. Fallgruppen sollen jedoch in erster Linie dem Schutz individueller Interessen und Rechtsgüter dienen. Im Hinblick auf die Mitbewerber werden hierzu der wettbewerbsrechtliche Schutz bestimmter Leistungen vor unerlaubter Nachahmung57 sowie der Schutz der Geschäftsehre vor Herabsetzung und Anschwärzung ohne Rücksicht auf eine Beeinträchtigung von Absatzchancen im Wettbewerb gezählt.58 Die individuellen, letztlich persönlichkeitsrechtlichen Interessen und namentlich das Rechtsgut der Privatheit von Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern sollen primäres Schutzobjekt des § 7 Abs. 2 sein.59 Schließlich wird die Existenz eines subjektiven Verbraucherindividualrechts propagiert, das insbesondere durch vertragsbezogene unlautere Handlungen verletzt werden könne. Rechtsfolge sei ein Schadensersatzanspruch des betroffenen Verbrauchers gem. § 823 Abs. 1 BGB auf Aufhebung von Verträgen, die etwa im Zuge verbotener Telefonanrufe zustande kommen.60

2. Kritische Würdigung Als generelle Erklärung des UWG werden rein individualistische Theorien bereits seit den 1930er 34 Jahren kaum noch vertreten, weil sie die Schutzzwecke des Lauterkeitsrechts allenfalls teilweise erschöpfen. Mit § 1 UWG ist ein solcher Ansatz offensichtlich unvereinbar, weil das Interesse der Allgemeinheit am unverfälschten Wettbewerb „zugleich“ mit in den Telos einbezogen wird. Eine fulminante Kritik individualrechtlicher Erklärungsversuche formulierte bereits Her- 35 mann Isay in seiner Schrift „Das Rechtsgut des Wettbewerbsrechts“ (1933). Seiner Auffassung nach gingen die individualrechtlichen Auffassungen begründungslos und ohne Rückkopplung auf die Rechtsordnung vom Bestehen eines subjektiv-absoluten Rechts an der Persönlichkeit 54 Callmann S. 34 (das UWG wolle in erster Linie nicht das kaufende Publikum, sondern die ehrbaren Geschäftsleute schützen); Baumbach S. 128 (es sei ein grundlegender, nicht auszurottender Irrtum, dass das deutsche Wettbewerbsrecht auch das Publikum, den Verbraucher, schütze). 55 Zum Schutz der persönlichen Betätigungsfreiheit siehe Lobe S. 183 ff., 197; Rosenthal S. 5 (Schutzgegenstand sei die Persönlichkeit, deren Recht auf gewerbliche Betätigung vor rechtswidrigen Beeinträchtigungen behütet werden müsse); E. Ulmer S. 8 (Schutzgut sei die geschäftliche Betätigung von Personen und Unternehmen); Nerreter S. 97 (Betätigungsrecht); Fikentscher Wettbewerb, S. 228, 230; ders. Wirtschaftsrecht II 378 mit Fn. 770 (Ableitung aus einer persönlichkeitsrechtlichen Betrachtung); Fournier S. 105; a. A. Kummer S. 87 ff., 100 (Schutzgut des UWG sei ein „Recht an der Wettbewerbsstellung“ im Sinne eines absoluten subjektiven Rechts). Kummer beruft sich zu Unrecht auf ein „ähnliches Ergebnis“ Franz Böhms, wenn dieser die „Siegchance“ als geschütztes Interesse bezeichnet (a. a. O., 88). Zu Böhms funktionaler Theorie unten 4. Zum Schutz der Allgemeininteressen an lauterem Wettbewerb: Callmann S. 35; Baumbach S. 128 (die Redlichkeit des Verkehrs komme „letzten Endes“ in stärkstem Maß der Allgemeinheit zugute); Kummer S. 110 (reflexweiser Schutz der Wettbewerbsordnung). 56 Götting S. 3 (der „Akzent“ des UWG im Gegensatz zum GWB sei der Individualschutz); Harte/Henning/Ahrens Einl. G Rn. 110 (das UWG schütze die Lauterkeit des Wettbewerbs als primär wettbewerblicher Individualschutz); zweifelnd an der Aufgabe der klassischen Vorstellung vom Schutz individueller Interessen durch subjektive Rechte auch Fikentscher Wettbewerb, S. 162; für eine persönlichkeitsrechtliche Betrachtung auch ders. Wirtschaftsrecht II, S. 378. 57 Siehe § 4 Nr. 3 und Lochmann S. 221 (es sei nicht einzusehen, den Individualschutz abzulehnen); dazu eingehend Peukert Güterzuordnung, S. 340 ff. 58 Siehe Gloy/Loschelder/Danckwerts/v. Ungern-Sternberg/Schaub § 24 Rn. 5. 59 Siehe Beater WRP 2012, 6, 10; Gloy/Loschelder/Danckwerts/v. Ungern-Sternberg/Schaub § 23 Rn. 11 ff., § 27 Rn. 2; ferner unten § 1 Rn. 140 ff. 60 Fezer/Büscher/Obergfell Einleitung J Rn. 547.

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bzw. dem Unternehmen aus.61 Ein solches Recht bestehe jedoch nicht, weil nicht jede Störung in Ausübung der allgemeinen Freiheit verboten sei und Ansprüche zur Bewehrung lauterkeitsrechtlicher Verbote kein primäres Recht voraussetzten.62 36 Im Übrigen war bereits frühzeitig und zutreffend moniert worden, dass der Schutz der Verbraucher63 und die Aktivlegitimation von Verbänden unerklärt bleibe.64 Außerdem müssten zulässige, aber den einzelnen Mitbewerber doch in gewissem Umfang beeinträchtigende Wettbewerbshandlungen akzeptiert werden,65 ohne dass die hierfür maßgeblichen Kriterien aus dem Persönlichkeits- oder Unternehmensschutzgedanken abzuleiten seien.66

II. Schutzzwecktrias und Mehrzahl der Schutzzwecke 1. Konzeption und Begründung der Schutzzwecktrias 37 Die wohl herrschende Meinung zum UWG 1909 beschrieb die Funktion des Lauterkeitsrechts im Sinne einer Schutzzwecktrias. Demnach schütze das UWG die Interessen der Mitbewerber, der Verbraucher sowie der Allgemeinheit mit dem objektiven Ziel, die Lauterkeit des Wettbewerbs sicherzustellen.67 38 Dieser Ansatz soll nach Auffassung des Reformgesetzgebers von 2004 und 2008 in § 1 kodifiziert worden sein.68 Demnach stehen die Allgemeininteressen gleichrangig neben den Interessen der Verbraucher (Vertikalverhältnis) und der Mitbewerber (Horizontalverhältnis).69 § 1 S. 2 61 H. Isay S. 10, 14 f. 62 H. Isay S. 13, 17, 32 (Normenschutz und subjektives Recht seien nicht identisch); Kraft S. 203; Baumbach/Hefermehl Allg. Rn. 88 (Institutionsschutz und Individualschutz seien keine unvereinbaren Gegensätze). 63 Kritisch E. Ulmer S. 20 m. w. N.; aus späterer Zeit Baumbach/Hefermehl Einl. UWG Rn. 46; E. Ulmer/Reimer S. 17; mit pointiert subjektivrechtlicher Begründung Fezer WRP 1993, 565, 568 ff.; siehe BGH 14. 1. 1999 – I ZR 203/96 – GRUR 1999, 751 – Güllepumpen m. w. N. 64 Siehe dazu RG 29. 4. 1930 – II 355/29 – RGZ 128, 330, 342; RG 21. 4. 1931 – IIb 7/31 – RGZ 132, 311, 317 (die Klagebefugnis der Verbände entstamme grundsätzlich nicht einem Individualrecht). Allerdings wurde bereits zum UWG 1909 festgehalten, das UWG diene nicht dem Schutz der Verbände selbst; siehe BGH 18. 1. 1966 – VI ZR 147/ 64 – BGHZ 44, 393, 397 = NJW 1966, 654. 65 Siehe für die Persönlichkeitsrechtstheorie etwa Kohler S. 17 („… der Einzelne mag versinken: das ist sein Schicksal; er stirbt im redlichen Kampfe“); v. Gierke Dt. Privatrecht I, S. 714; Rosenthal S. 4; Kummer S. 126 (sonderbare Zweiteilung des negatorischen Schutzes); für die Immaterialgüterrechtstheorie etwa R. Isay S. 59. 66 Kritisch in diesem Sinne Nipperdey Kartell-Rundschau, S. 127 f. Siehe die entsprechenden Ausführungen von Kohler S. 17 („der Wettstreit ist ein Kampf, aber er ist kein Krieg, kein bellum omnium contra omnes“); v. Gierke Dt. Privatrecht I, S. 714 (das Recht auf freie Gewerbebetätigung verleihe keinen Freibrief zur Unterdrückung oder Anmaßung der einem anderen Persönlichkeitsbereiche angehörigen Kräfte und Mittel); R. Isay S. 59 ff. (der Kampf solle ein ehrlicher sein). Ohne konkretes Abgrenzungskriterium auch H. Isay S. 54 ff. (erforderlich sei ein neues „Berufsethos“, dessen Inhalt H. Isay aber schuldig bleibt). 67 Vgl. BGH 3. 12. 1998 – I ZR 119/96 – BGHZ, 140, 134 f. = GRUR 1999, 1128 – Hormonpräparate; OLG Frankfurt 22. 11. 2001 – 6 U 153/01 – GRUR 2002, 236, 237 – Eilbedürfnis in Patentsachen; BVerfG 1. 8. 2001 – 1 BvR 1188/92 – GRUR 2001, 1058 – Therapeutische Äquivalenz; BVerfG 6. 2. 2002 – 1 BvR 952/90, 1 BvR 2151/96 – GRUR 2002, 455 – Produktwerbung; BGH 30. 6. 1961 – I ZR 39/60 – BGHZ 35, 329, 336 – Kindersaugflaschen; BGH 3. 5. 1968 – I ZR 66/66 – BGHZ 50, 125, 128 = NJW 1968, 1474 – Pulverbehälter; BGH 14. 1. 1999 – I ZR 203/96 – GRUR 1999, 751, 753 f. – Güllepumpen; BGH 8. 12. 1999 – I ZR 101/97 – GRUR 2000, 521, 525 – Modulgerüst; aus der Literatur etwa Köhler/Piper Einf. Rn. 23; Baumbach/Hefermehl Allg. Rn. 79, Einl. UWG Rn. 42 ff. m. w. N.; Schricker S. 4; Schrauder S. 136; Fezer JZ 1990, 657, 660 f. 68 Siehe RefE UWG 2004, GRUR 2003, 298, 301; RegE UWG 2004 BTDrucks. 15/1487, S. 13 m. w. N. zum Funktionswandel; RegE UWG 2008, 41 (bewährte allgemeine Schutzzwecktrias des deutschen Rechts); Gloy/Loschelder/ Danckwerts/v. Ungern-Sternberg/Schaub § 23 Rn. 1; Berlit Rn. 12; Peifer in Hilty/Henning-Bodewig Rn. 5; Lettl Rn. 47; Nordemann Rn. 44 ff.; Götting/Nordemann Rn. 3; Henning-Bodewig GRUR Int. 2004, 713, 715; Lehmler Rn. 1; C. Ahrens Rn. 2; Emmerich Unlauterer Wettbewerb, S. 20 f.; Leistner S. 221 ff. Zu ideologischen Einflüssen Schill S. 81 f. 69 HK-Wettbewerbsrecht/Klippel E 2 Rn. 2.

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B. Der Schutzzweck des UWG

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stelle lediglich klar, dass sonstige Belange wie Gesundheits- und Umweltschutz ein lauterkeitsrechtliches Verbot nicht tragen können.70 Im Übrigen wird für § 1 S. 2 nach Konstellationen gesucht, bei denen ausnahmsweise einmal keine individuellen, sondern allein Allgemeinheitsinteressen am unverfälschten Wettbewerb betroffen sind.71 Der BGH formuliert in Anlehnung an § 1 S. 1 zurückhaltend, Aufgabe des Gesetzes gegen den 39 unlauteren Wettbewerb sei es, das Marktverhalten im Interesse der Marktteilnehmer, insbesondere der Verbraucher und Mitbewerber, zu regeln.72 Freilich bleibt der BGH hiermit eine Antwort auf die Frage schuldig, warum und nach Maßgabe welcher normativen Grundsätze das Marktverhalten reguliert wird. Es wird also gerade kein kohärenter Schutzzweck formuliert. Während der BGH seine farblose Lesart nur gewählt haben mag, um auf nicht entscheidungs- 40 erhebliche dogmatische Ausführungen zu verzichten, gehen v. Ungern-Sternberg und Schaub einen Schritt weiter und vertreten offensiv, dass das UWG gar keinen übergeordneten Schutzzweck, kein definierbares Schutzobjekt aufweise.73 Das UWG gewährleiste insbesondere nicht den unverfälschten Wettbewerb als Institution, sondern schütze die in § 1 S. 1 genannten Marktteilnehmer vor unlauteren geschäftlichen Handlungen. Die wettbewerblichen Interessen dieser Schutzsubjekte seien sehr verschiedenartig und könnten nicht auf solche reduziert werden, bei deren Verletzung zugleich die Funktionen „des“ wirtschaftlichen Wettbewerbs verfälscht seien. § 1 S. 2 stelle mit dem Wort „zugleich“ klar, dass sich die relevanten individuellen Belange der Marktteilnehmer gem. S. 1 nicht im Interesse am unverfälschten Wettbewerb erschöpfen, und dass Allgemeininteressen nur insoweit lauterkeitsrechtlich relevant sind, als sie auf unverfälschten Wettbewerb gerichtet sind. Der Rechtsanwender habe „eine – an der Rechtsordnung insgesamt ausgerichtete – Würdigung des Gesamtcharakters des Verhaltens“ vorzunehmen, die keine Subsumtion sei, sondern ein „Vorgang der Rechtsfindung, [der] den Gerichten anvertraut ist“.74

2. Kritische Würdigung Die Theorie der Schutzzwecktrias und ihre konsequente Fortschreibung zu einer Schutzzweckleh- 41 re ohne Schutzzweck sind abzulehnen. Diese Lesarten wurden zum UWG 1909 und seiner großen Generalklausel entwickelt. Das UWG 1909 und seine gesamte Grundanlage gelten jedoch nicht mehr. Die auch vom Reformgesetzgeber geteilte, apodiktische Rede von der Fortgeltung einer 42 Schutzzwecktrias lässt unberücksichtigt, dass bis zur Kodifikation von § 1 UWG 2004 ausgesprochen umstritten war, welche Allgemeininteressen im Lauterkeitsrecht Berücksichtigung finden durften,75 und was unter zulässigem „Leistungswettbewerb“ zu verstehen war,76 während 70 So RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 16; HK-Wettbewerbsrecht/Klippel/Brämer Rn. 21 f.; Köhler NJW 2004, 2121; Henning-Bodewig GRUR Int. 2004, 713, 715; Glöckner/Henning-Bodewig WRP 2005, 1311, 1317; Leistner S. 226 (klarstellender Charakter des Verweises auf die Allgemeininteressen). 71 Siehe Ohly GRUR 2004, 889, 894 f. 72 BGH 11. 1. 2007 – I ZR 96/04 – BGHZ 171, 73 = GRUR 2007, 800 Tz. 21 – Außendienstmitarbeiter. 73 Gloy/Loschelder/Danckwerts/v. Ungern-Sternberg/Schaub § 23 Rn. 11 ff., § 27 Rn. 2; siehe auch Hilty/HenningBodewig S. 22 (Schutzzwecke). 74 Gloy/Loschelder/Danckwerts/v. Ungern-Sternberg/Schaub § 23 Rn. 29. 75 Siehe die Kritik bei Burmann WRP 1968, 258, 259; Raiser GRUR Int. 1973, 443 mit Fn. 3 (mit zutreffender Differenzierung zwischen dem Argument der Berücksichtigung der Verbraucherinteressen und der Frage nach dem sonstigen „öffentlichen Interesse“ am lauteren Wettbewerb); Möschel S. 134 (begriffliche Unschärfen und Scheingegensätze); Reichold AcP 193 (1993), 204, 216, 232 f. (Zauberformel); Schricker GRUR Int. 1996, 473, 476; Schwartz GRUR 1967, 333, 342 (Lehrsatz als Hilfskonstruktion); Giese S. 97 (schillernder Begriff, der einer nur an Teilproblemen ausgerichteten Betrachtungsweise Vorschub leiste). Zur Entwicklung von Rechtsprechung und Literatur zum Begriff des Allgemeininteresses ausführlich Giese S. 21 ff.; Schnieders S. 6 ff. 76 Freitag S. 123 ff. (keine rechtlich erhebliche Bedeutung); Sosnitza S. 84 („schillerndes Schlagwort“); Schricker GRUR Int. 1996, 473, 476 („Schimäre“). Dunkel denn auch die Verweise von Kraft S. 214; Schricker S. 235, 275 (jeweils auf eine „Natur der Sache“ des zulässigen Leistungswettbewerbs).

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eine umfassende Erklärung des Lauterkeitsrechts unter Einbeziehung von Mitbewerber- und Verbraucherinteressen ausdrücklich vermisst wurde.77 Der Vorwurf der Unbestimmtheit gilt unverändert für Verweise auf „wettbewerbsbezogene Interessen“ und „besonders gewichtige“, „außerwettbewerbliche Rechtsgüter“.78 43 Darüber hinaus steht eine Schutzzwecktrias schon auf den ersten Blick mit § 1 in Widerspruch. Die Norm nennt nämlich vier verschiedene Schutzsubjekte, nämlich die Mitbewerber, die Verbraucher, die sonstigen Marktteilnehmer und die Allgemeinheit.79 Die herrschende Meinung verweigert sich dieser Erkenntnis, indem die sonstigen Marktteilnehmer entweder als eigenständige Kategorie negiert80 oder mit den Verbrauchern als Gegenseite der Mitbewerber zusammengefasst werden. Die Trias bestehe in der Regelung des Horizontalverhältnisses zwischen Mitbewerbern, dem Vertikalverhältnis zu sonstigen Marktteilnehmern und Verbrauchern sowie den Allgemeinheitsinteressen.81 Diese Konzeption widerspricht aber der gesetzlichen Regelung. Mit der Nennung der 44 „sonstigen Marktteilnehmer“ wird nicht eine überflüssige Kategorie eingeführt, sondern ausweislich des § 2 Abs. 1 Nr. 2 werden hiermit neben Mitbewerbern und Verbrauchern „alle Personen, die als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen tätig sind“, angesprochen.82 Es handelt sich zum einen um Unternehmer, die mit dem unlauter handelnden oder geförderten Unternehmen nicht in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis stehen, weil sie auf einem anderen Markt tätig sind; zum anderen erfasst der Begriff nicht-unternehmerisches Nachfrageverhalten von juristischen Personen wie Idealvereinen und der öffentlichen Hand.83 Die wettbewerblichen Interessen und schutzwürdigen Belange dieses Personenkreises unterscheiden sich sowohl von den Mitbewerbern als auch von den Verbrauchern als natürlichen Personen.84 In § 7 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. erfahren die „sonstigen Marktteilnehmer“ auch in der Sache einen speziellen, von den beiden übrigen Personengruppen abweichenden Rechtsschutz.85 Generell widerspricht die Zusammenfassung von unternehmerisch agierenden oder als 45 juristische Person verfassten Marktteilnehmern und Verbrauchern dem europäischen Lauterkeitsrecht und seiner Umsetzung in deutsches Recht.86 Der EuGH legt bei Werbung, die sich an gewerbliche Abnehmer richtet, andere Maßstäbe an als bei Verbrauchern.87 Die Vollharmonisierung der UGPRL gilt nur für Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern, während der deutsche Gesetzgeber im Hinblick auf den Schutz unternehmerischer Marktteilnehmer abgesehen von vergleichender Werbung weitgehende Regelungsautonomie genießt. Insbe77 E. Ulmer/Reimer S. 18 (eine befriedigende Definition des geschützten Rechtsguts sei bisher nicht gelungen); kritisch zu den Versuchen, ein einheitliches, durch das Wettbewerbsrecht geschütztes, subjektives Recht zu konstruieren Schricker S. 4 („Fata Morgana“). 78 Gegen Gloy/Loschelder/Danckwerts/v. Ungern-Sternberg/Schaub § 23 Rn. 20, 27. 79 So auch Ohly/Sosnitza Rn. 3; zu sonstigen Marktteilnehmern Beater Rn. 2161. 80 Boesche Rn. 1 (eines besonderen Schutzes der „sonstigen Marktteilnehmer“ hätte es nicht bedurft, da diese entweder Mitbewerber oder Verbraucher sind). 81 Lettl Rn. 46 f.; Nordemann Rn. 44 ff.; Götting/Nordemann Rn. 4. 82 Siehe Omsels WRP 2004, 136, 139; a. A. MünchKommUWG/Sosnitza Rn. 10; widersprüchlich C. Ahrens Rn. 13 (Oberbegriff, aber eigenständige Bedeutung). 83 Dazu § 2 Rn. 86 ff., 79 ff. 84 Dazu Beater WRP 2009, 768, 773 ff. 85 Dazu Fezer WRP 2010, 1075, 1094 („Die lauterkeitsrechtliche Beurteilung des b2b-Telefonmarketings nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. UWG ist im Unterschied zum b2c-Telefonmarketing anhand einer eigenständigen Interessenanalyse und Interessenbewertung unter Würdigung der gesamten Umstände der konkreten Fallkonstellation nach dem Leitbild eines am Markt wirtschaftlich vernünftig urteilenden und handelnden Unternehmers (reasonable competitor) vorzunehmen.“). 86 Insoweit zutreffend Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 13. 87 Vgl. EuGH 25. 10. 2001 – C-112/99 – Slg. 2001 I-7945 Tz. 52 – Toshiba/Katun (Kopierbedarf); EuGH 23. 2. 2006 – C-59/05 – Slg. 2006 I-2147 Tz. 19 – Siemens/VIPA.

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B. Der Schutzzweck des UWG

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sondere im Hinblick auf § 3 Abs. 3 und den Anhang hat der deutsche Gesetzgeber ausdrücklich darauf verzichtet, die verbraucherschützenden Vorgaben der UGPRL auf unternehmerisch handelnde Marktteilnehmer zu erstrecken.88 Auch insoweit ist eine teleologische Unterscheidung zwischen sonstigen Marktteilnehmern und Verbrauchern geboten. Ungeklärt bleibt nach der Theorie der Schutzzwecktrias auch das Verhältnis zwischen § 1 46 S. 1 und S. 2. In beiden Sätzen werden nämlich nicht nur vier Subjekte genannt, deren Interessen das UWG gewährleistet, sondern auch ein objektiver Schutzgehalt, nämlich der unverfälschte Wettbewerb.89 Insoweit konnten bisher keine Fallgruppen benannt werden, bei denen ausschließlich Allgemeininteressen am unverfälschten Wettbewerb betroffen sind, nicht aber Belange einzelner Marktteilnehmer, so dass § 1 S. 2 mit seinem angeblich eigenständigen Gehalt im Ergebnis leerläuft.90 Es kann aber dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, eine letztlich überflüssige Regelung ohne Anwendungsbereich erlassen zu haben. Das ist auch nicht der Fall. Denn das Allgemeininteresse am unverfälschten Wettbewerb steht nicht gesondert neben den Interessen der einzelnen Marktteilnehmer, sondern ist das übergreifende Kriterium zur Entscheidung von Interessenkonflikten im wirtschaftlichen Wettbewerb.91 Nicht zuletzt bleibt bei einer Gleichrangigkeit aller Belange offen, warum die einzelnen Inte- 47 ressen Schutz verdienen,92 und anhand welcher Kriterien Interessenkollisionen zu lösen sind.93 Die Methode der Interessenabwägung krankt generell am Fehlen eines Entscheidungsmaßstabs, der im Konfliktfall besagt, welches Interesse aus welchem Grund vorzuziehen ist.94 Soweit die Vertreter der Schutzzwecktrias die nicht schutzwürdigen Interessen nicht letztlich doch wieder mit dem „Leitbild des unverfälschten Wettbewerbs“ (§ 1 S. 2) identifizieren und damit auf eine wettbewerbsfunktionale Lesart einschwenken,95 wiegen sie ohne Waage.96 V. Ungern-Sternberg und Schaub haben diese Beliebigkeit in aller Deutlichkeit offengelegt. 48 Hierbei dürfte es sich durchaus um eine realistische Beschreibung der richterlichen Entscheidungsfindung im Lauterkeitsrecht handeln, die im Fachgespräch mit Anwälten eine „gewisse Unbestimmtheit“ ertragen und produktiv bearbeiten kann.97 Beschreibender Realismus darf aber nicht mit normativem Begründungsanspruch gleichgesetzt werden. Sowohl das UWG 2004/ 2008/2015 als auch die UGPRL und die anderen europäischen Rechtsakte im Lauterkeitsrecht sind durch einen hohen Konkretisierungsgrad gekennzeichnet. An die Stelle der großen Generalklausel des § 1 UWG 1909, aus der Rechtsprechung und Wissenschaft unter „gewisser Unbestimmtheit“ Fallgruppen deduzierten, sind detaillierte gesetzliche Vorgaben zur Unlauterkeit getreten.98 Zweck dieser Regelungstechnik ist es, für größere Rechtssicherheit zu sorgen 88 Unten § 3 Rn. 77 ff. 89 Siehe Götting/Nordemann Rn. 2 f. 90 Ohly GRUR 2004, 889, 894; C. Ahrens Rn. 15 (es falle schwer, solche Fälle zu finden). Zur allgemeinen Marktbehinderung siehe Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 48.

91 Unten § 1 Rn. 335 ff. 92 Das erkennen HK-Wettbewerbsrecht/Klippel/Brämer Rn. 6 ohne Konsequenzen; aus diesem Grund letztlich doch für das Allgemeininteresse am unverfälschten Wettbewerb als maßgeblichen „Abwägungsmaßstab“ bei der Berücksichtigung der verschiedenen Schutzzwecke Wuttke WRP 2007, 119, 124. 93 Ohne entsprechende Maßstäbe denn auch MünchKommUWG/Sosnitza Rn. 39 (die Abwägung entscheide zugleich über die Rangfolge der betroffenen Interessen); Wuttke WRP 2007, 119, 124 (deshalb sei das Allgemeininteresse am unverfälschten Wettbewerb der „teleologisch fundierte Abwägungsmaßstab“). Den Wortlaut des Gesetzes apodiktisch als „Irrweg“ überwindend Lochmann S. 224 f. 94 Raiser GRUR Int. 1973, 443, 445 mit Fn. 24; kritisch ohne Alternativvorschlag Schricker GRUR Int. 1996, 473, 476. 95 Gloy/Loschelder/Danckwerts/v. Ungern-Sternberg/Schaub § 25 Rn. 7; siehe auch § 27 Rn. 3 a. E. (das UWG ziele gem. § 1 S. 2 darauf ab, „die unterschiedlichen Interessen in einem einheitlichen Schutzzweck des Gesetzes zu integrieren, der als Leitlinie für die Gesetzesauslegung und die Beurteilung von Einzelfällen dienen soll“). 96 Koppensteiner WRP 2007, 475, 480; a. A. Gloy/Loschelder/Danckwerts/v. Ungern-Sternberg/Schaub § 23 Rn. 28. 97 Aus der Sicht des Richters Gloy/Loschelder/Danckwerts/v. Ungern-Sternberg/Schaub § 27 Rn. 7; und aus der Sicht der Anwaltschaft Gloy/Loschelder/Danckwerts/Lubberger/Weller § 43 Rn. 40. 98 Gegen Gloy/Loschelder/Danckwerts/v. Ungern-Sternberg/Schaub § 23 Rn. 29.

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und das Lauterkeitsrecht durch eine präzisierende Begrenzung von Verbotstatbeständen zu liberalisieren. Damit sollte einer das 20. Jahrhundert prägenden, interventionistischen Tendenz der Rechtsprechung entgegengewirkt werden.99 In diesem Kontext steht auch § 1, der einer teleologischen Beliebigkeit Einhalt gebieten soll. Es läuft daher der gesamten Konzeption des modernisierten Lauterkeitsrechts zuwider, in der Vorschrift allenfalls noch einen Hinweis auf die „Rechtsordnung insgesamt“ zu sehen.100

III. „Sozialrechtliches“ Verständnis und Schutz allgemeiner Interessen durch das UWG 1. Ursprünge und zeitgenössische Versionen der „sozialrechtlichen“ Theorie des UWG 49 Das häufig als „sozialrechtlich“ apostrophierte Verständnis des Lauterkeitsrechts101 bekennt sich anders als die Lehre von der Schutzzwecktrias zu einem identifizierbaren, übergeordneten Schutzobjekt, anhand dessen Interessenkollisionen zu beurteilen sind. Kennzeichen dieser Auffassung ist es, solche Interessen als vom UWG geschützt anzuerkennen und als ausschlaggebend zur Entscheidung von Konfliktfällen zu erachten, „die nicht zur Disposition von Angebot und Nachfrage stehen und die dem Wettbewerb aus wettbewerbsfremden Gründen äußere Grenzen setzen“.102 Die Anerkennung einer solch „marktbegrenzenden Sittlichkeit“103 als Programm des UWG hat eine lange Tradition, die aufgrund ihrer fortdauernden Relevanz für die gegenwärtige Diskussion zu rekapitulieren ist. 50 Nachdem das erste UWG von 1896 eine Überreglementierung des Wettbewerbs insbesondere durch den Verzicht auf eine Generalklausel vermeiden wollte, setzte man mit dem UWG 1909 die Gewerbefreiheit als wirtschaftsverfassungsrechtliche Grundentscheidung zwar weiterhin voraus, bezweckte aber vor allen Dingen, den Mittelstand gegen ruinösen Wettbewerb zu schützen.104 Die Rechtsprechung vertraute bereits während der Weimarer Republik auf eine korporatistische Selbstregulierung der Wirtschaft. So bezogen sich die Leitentscheidungen des Reichsgerichts zur Einbeziehung öffentlicher Interessen in das Lauterkeitsrecht auf die Durchsetzung eines nicht (!) für unlauter erklärten Preiskartells,105 auf die Vermeidung von

99 Geschichtsvergessen Gloy/Loschelder/Danckwerts/Lubberger/Weller § 43 Rn. 49. 100 Gegen Gloy/Loschelder/Danckwerts/v. Ungern-Sternberg/Schaub § 23 Rn. 29. 101 Siehe Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 100; Götting S. 84 ff. Teilweise werden hierfür Begriffe wie „kollektivrechtlicher Schutz“ (Köhler/Piper Einf. Rn. 11) oder „sozialrechtliche Funktion“ (Hefermehl Festschrift Nipperdey, S. 283, 286; Baumbach/Hefermehl Einl. UWG Rn. 43) gewählt. 102 So zum Begriff der Allgemeinheitsinteressen Beater WRP 2012, 6; zum UWG 1909 Giese S. 200 ff., 211 (die Ordnung des Wettbewerbs wurde nicht in der Institution des freien Wettbewerbs, sondern in einem System der genossenschaftlichen Selbsthilfe gesehen); Reuter AcP 189 (1989), 199, 216 (zur Rechtfertigung von Kartellen als Ausdruck einer materialen Wertethik); anders Schill S. 51 (der Schutz der Allgemeinheit habe vor 1933 nicht dazu gedient, wettbewerbsfremde Überlegungen in das UWG einzuführen). 103 Beckert S. 3 ff. 104 Siehe die stenographischen Berichte über die Lesungen des UWG, XII. Legislaturperiode, 1. Session 1907/1909, 6523–6552 (1. Lesung am 25. 1. 1909), 8433–8438, 8458–8460 (Bericht der 35. Kommission v. 5. 5. 1909, Nr. 1390 der Anlagen), 8496–8500 (2. Lesung am 17. 5. 1909). 105 Siehe RG 25. 6. 1890 – I 96/90 – RGZ 28, 238, 244 (aus dem Prinzip der Gewerbefreiheit folge keine Unantastbarkeit des freien Spiels wirtschaftlicher Kräfte in dem Sinne, dass den Gewerbetreibenden der Versuch untersagt wäre, im Wege genossenschaftlicher Selbsthilfe die Betätigung dieser Kräfte zu regeln und Ausschreitungen, die für schädlich erachtet werden, zu verhindern); RG 4. 2. 1897 – VI 307/96 – RGZ 38, 155, 158 (es verstoße nicht wider das Prinzip der Gewerbefreiheit, wenn sich Gewerbsgenossen miteinander verbinden, um einen Gewerbszweig durch Schutz vor Preisunterbietungen Einzelner lebensfähig zu erhalten); RG 18. 12. 1931 – II 514/30 – RGZ 134, 342, 349 (dem deutschen Recht sei die Auffassung fremd, eine Preiskonvention mit dem Ziel der Schaffung einer Monopolstellung durch Preiskampf sei ohne Weiteres sittenwidrig). Bemerkenswert ist, dass zwei Entscheidungen

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B. Der Schutzzweck des UWG

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„Auswüchsen des Wettbewerbs“106 sowie die Herleitung der Aktivlegitimation von Kollektiven.107 Das von Nipperdey betonte Begriffspaar Leistungs- und Nichtleistungswettbewerb ließ jenseits seiner metaphorischen Kraft nicht nur offen, anhand welcher Kriterien eine zulässige Schädigung durch Konkurrenz von einer verbotenen Behinderung des Mitbewerbers zu unterscheiden war, sondern – und das gilt es in Erinnerung zu rufen – es diente der Rechtfertigung eines nach heutigem Recht zweifellos wettbewerbswidrigen Kartells.108 Erst Franz Böhms Werk „Wettbewerb und Monopolkampf“ aus dem Jahr 1933 erklärte auf 51 der Basis der klassischen Nationalökonomie, weshalb in einer herrschaftsfreien Wirtschaftsverfassung eine Ordnung des Wettbewerbskampfes erforderlich sei, damit die hiermit verknüpften Vorteile im Allgemeininteresse tatsächlich eintreten.109 Zu diesem Zweck müsse der Leistungswettbewerb selbst als Schutzgut des UWG anerkannt werden.110 Die Abgrenzung vom unzulässigen Nichtleistungswettbewerb habe unter Berücksichtigung ökonomischer Erkenntnisse zu erfolgen. Könne der Anbieter wählen, welche Ware oder Dienstleistung er offeriert, und sei der Nachfrager in seiner Entscheidung hierüber ebenfalls frei, so zähle zum Nichtleistungswettbewerb alles, was geeignet ist, einen echten Vergleich der Angebote zu verfälschen oder zu verhindern.111 Geschützt sei dann nicht wie in einer berufsständischen Ordnung die Persönlichkeit des Unternehmers oder das Unternehmen als die Summe des Erworbenen, sondern nur die Gleichheit der Siegchance in einem geregelten Wettbewerbskampf.112 Hierbei handelte es sich keineswegs um eine bloß „ökonomische“ Argumentation, vielmehr machte Böhm die eminent ethisch motivierte Grundentscheidung für eine freiheitliche Wirtschaftsverfassung für das Lauterkeitsrecht fruchtbar und versuchte damit, planwirtschaftliche Tendenzen zurückzudrängen.113 Allerdings kam diese, mit der hier vertretenen Auffassung übereinstimmende Lösung zu 52 spät, um dem UWG eine Funktion zuzuweisen, die es gegen nationalsozialistische Vereinnahmung wenigstens vorübergehend gestärkt hätte.114 So aber konnten sich die bereits vor 1933 angelegten, wettbewerbsfeindlichen Tendenzen ungehindert entfalten. Das Lauterkeitsrecht die Ansprüche der Kläger gegen die Kartelle im Einzelfall gewährten, aber nur wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls (siehe RG 25. 6. 1890 – I 96/90 – RGZ 28, 238, 245 ff.; RG 18. 12. 1931 – II 514/30 – RGZ 134, 342, 355 f.). Gleichwohl konnte sich die Rechtsprechung bis 1933 nicht durchringen, die Freiheit des Leistungswettbewerbs als solche zum Schutzgegenstand des UWG 1909 zu erklären. 106 RG 24. 1. 1928 – II 272/27 – RGZ 120, 47, 49; RG 21. 4. 1931 – IIb 7/31 – RGZ 132, 311, 317 („Wahrung des Rechtsfriedens“). Bezeichnend die Berufung auf die Entscheidung RG 24. 1. 1928 – II 272/27 – RGZ 120, 47 in RG 5. 6. 1935 – II 332/34 – RGZ 148, 114, 125 f. (die aus dem Reichsverband der Kautschukindustrie hervorgegangene „Fachgruppe Kautschukindustrie“ habe polizeiliche Befugnisse im Interesse der Allgemeinheit für die Reinhaltung des geschäftlichen Verkehrs, in diesem Fall gegen die Geschäftsführung durch einen Juden). Zur Entwicklung auch Schwartz GRUR 1967, 333, 334 ff.; Möschel S. 134 ff.; Pause S. 11 ff. 107 RG 29. 4. 1930 – II 355/29 – RGZ 128, 330, 342 f. Zur Einbindung der kartellartigen Verbände der Weimarer Republik in die nationalsozialistische Planwirtschaft, unter anderem zur Ausschaltung jüdischer Unternehmer siehe RG 5. 6. 1935 – II 332/34 – RGZ 148, 114, 125 f. 108 Siehe Nipperdey Kartell-Rundschau, 1930, 127, 136, 139 ff. 109 Böhm Wettbewerb und Monopolkampf, S. 125 f.; ders. Die Ordnung der Wirtschaft, S. 4, 104 („Damit in einer solchen freien Wirtschaft ein geordnetes, vernünftiges Zusammenwirken der einzelnen zum Wohl der Gesamtheit stattfinde, bedarf es verfassungsrechtlicher Einrichtungen, die dafür sorgen, daß die einzelnen von ihrer so außerordentlich weit bemessenen Bewegungsfreiheit zu jeder Zeit denjenigen Gebrauch machen – und keinen andern –, der dem Interesse der Gesamtheit am besten entspricht.“). 110 Böhm Wettbewerb und Monopolkampf, S. 178 ff., 284 mit Kritik an anderen Theorien. 111 Böhm/Eucken/Großmann-Doerth, in Böhm, XIX f.; Böhm Die Ordnung der Wirtschaft, S. 123 f. (Spielregeln für ein organisiertes Ausleseverfahren). Zu den Voraussetzungen des Leistungswettbewerbs aus ökonomischer Sicht Homann/Suchanek S. 150 f. (definierte und durchsetzbare property rights, freier Marktzutritt, faire Bedingungen). 112 Böhm Wettbewerb und Monopolkampf, S. 285 ff.; Willgerodt Festschrift Böhm, S. 687, 696; Kraft S. 205; a. A. Kummer S. 112 (mit wenig überzeugender Berufung auf Böhm a. a. O., 88). 113 Siehe Böhm Die Ordnung der Wirtschaft, S. 126 (mit Hinweis auf die „Moral der freien Verkehrswirtschaft; sie ist das Äquivalent der Freiheit …“). Zur Moralität der Marktfreiheit auch Reuter AcP 189 (1989), 199, 214 ff. m. w. N. 114 Giese S. 243.

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vermochte den Wechsel von der zumindest noch im Grundsatz freien Markt- zur zentralisierten Planwirtschaft im Interesse des „Volksganzen“ äußerlich unverändert nachzuvollziehen.115 Das Reichsgericht hatte keine Schwierigkeiten, die Lauterkeit einer Werbemaßnahme am „gesunde[n] Volksempfinden“ zu messen, weil es hierfür auf den seit jeher anerkannten Zweck des UWG verweisen konnte, „Auswüchse[n] im Wettbewerb … zu steuern“.116 53 Auch die für die spätere Entwicklung des Lauterkeitsrechts bedeutsamen Schriften von Eugen Ulmer zu „Wandlungen und Aufgaben im Wettbewerbsrecht“ (1937)117 sowie die „Allgemeinen Grundlagen eines deutschen Wettbewerbsrechtes“ von Paul Nerreter (1936)118 stehen auf dem Boden der damaligen Wettbewerbs- und Rechtspolitik. Ulmer würdigt die Schriften von Franz Böhm zwar eingangs als imponierend. Doch sei die Wirtschaftsverfassung eben nicht mehr auf die freie Verkehrswirtschaft, sondern auf staatliche Lenkung ausgerichtet; die Gewerbefreiheit im einstigen Sinne bestehe nicht mehr.119 Mit dem „breiten Einbruch des Gemeinschaftsgedankens im Wettbewerbsrecht“ habe sich ein „Wandel von einer individual- zu einer sozialethischen Beurteilung vollzogen“.120 Die Wettbewerbsordnung gewährleiste „das Interesse des Volksganzen an einer gesunden und sauberen Ordnung des Wirtschaftslebens“ sowie die Interessen der Abnehmer.121 In Gestalt von Verweisen auf die Lauterkeit der deutschen Wirtschaftsordnung, den Schutz des ehrlichen Schaffens der einzelnen Mitbewerber sowie den Schutz der Abnehmer bereitete Ulmer der Lehre von der Schutzzwecktrias den Boden. Allerdings bezog sich diese theoretische Grundlegung wie gezeigt ausdrücklich nicht auf eine freiheitliche, dezentrale Mehrplanwirtschaft. 54 Während das Kartellrecht mit dem GWB 1957 die verfassungsrechtlichen und wirtschaftspolitischen Grundentscheidungen für eine auf individueller Handlungsfreiheit beruhende Marktwirtschaft nachvollzog, wurden in der lauterkeitsrechtlichen Schutzzweckdiskussion die vor und während der NS-Zeit formulierten, im Kern wettbewerbsfeindlichen Thesen fortgeschrieben.122 Besonders aufschlussreich hierfür ist die Neubearbeitung des UWG-Kommentars von Baumbach durch Hefermehl in den 1950er Jahren. In der bereits von Hefermehl bearbeiteten sechsten Auflage 1951 wird noch das Unternehmen als primäres Schutzgut des Wettbewerbsrechts benannt, daneben aber – unter ausdrücklichem Verweis auf Böhms „Wettbewerb und Monopolkampf“ – „das Interesse der Allgemeinheit an der Verwirklichung eines auf dem Grundsatz der Leistung beruhenden Wettbewerbs“.123 In der siebten Auflage von 1955 heißt es dann

115 Giese S. 227 ff.; Schill S. 6 ff.; Rüthers S. 219 ff.; Pause S. 313 ff.; Sambuc S. 26 f.; Nordemann Rn. 78. 116 RG 27. 3. 1936 – II 228/35 – GRUR 1936, 810, 811 f. – Diamantine; zum Werberecht auch E. Ulmer ZAkDR 1936, 535 (mit Verweis auf die Führung der Wirtschaftswerbung durch den Werberat und die ergänzenden privatrechtlichen Streitigkeiten, die der „Säuberung des Werbungswesens“ und „der Gesamtheit“ dienten, von der die Wettbewerber „ihre Rechtsgüter als Lehen“ erhielten). Siehe ferner Schwartz GRUR 1967, 333, 336 f. m. w. N. (die Urteile trügen den Stempel und führten die Sprache der Zeit). 117 E. Ulmer GRUR 1937, 769 ff. m. w. N. 118 Nerreter stellt seiner Arbeit ein Zitat Hitlers voran: „Von nun an gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Recht und Moral.“ Zur Rolle Nerreters in der „Akademie für Deutsches Recht“ Schill S. 35 f. 119 E. Ulmer GRUR 1937, 769 f. (aber: die Vorschriften gegen unerwünschten Wettbewerb dienten nicht einer planmäßigen Wirtschaftslenkung, sondern sie bezweckten nur die Verhinderung von Auswüchsen im Wettbewerb; a. a. O., 772); siehe dagegen E. Ulmer S. 10 (die rechtliche Ordnung im Wettbewerb sei am Grundsatz der freien Konkurrenz ausgerichtet). Auch Nerreter S. 97 f., bezeichnet Böhms Werk als „wertvoll“, lehnt es aber ohne Diskussion der wettbewerbspolitischen Grundlagen ab, weil kein Grund bestehe, das Wettbewerbsrecht auf die künftige Siegchance auszurichten und nicht auf die gegenwärtige Betätigungsfreiheit. 120 E. Ulmer GRUR 1937, 769, 771; Nerreter S. 23 f. (mit Berufung auf die Vorgaben der NSDAP und einer Definition des „Rechts“ als die „Aktivierung des sittlichen Volksbewußtseins durch den Staat“; hingegen Betonung der Vorzüge der Wettbewerbsfreiheit im Vergleich zu einer vollständigen Planung a. a. O., 69, 71). 121 E. Ulmer GRUR 1937, 769, 772; siehe auch Nerreter S. 68. 122 Schill S. 47 ff., für einzelne Fallgruppen der Rechtsprechung a. a. O., 61 ff. 123 Baumbach/Hefermehl Wettbewerbsrecht6, Allg III Anm. 2, 3. Siehe dazu Schill S. 4 mit Fn. 20 (Hefermehl habe die Entwicklungen im Nationalsozialismus totgeschwiegen).

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B. Der Schutzzweck des UWG

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jedoch, das UWG fördere die Interessen der Allgemeinheit nicht nur als Reflex des Individualschutzes, sondern beide Aspekte gleichmäßig.124 Hefermehl leitet diesen Paradigmenwechsel entwicklungsgeschichtlich her. Nach einer individualistischen Betrachtung habe sich „in einer Zeit umfassender staatlicher Wirtschaftslenkung“ eine „sozialrechtliche Auffassung des Wettbewerbsrechts“ immer stärker in den Vordergrund gedrängt; teilweise sei sogar geleugnet worden, dass das Wettbewerbsrecht den einzelnen Wettbewerber schütze.125 Der Zweck des Wettbewerbsrechts sei aber nicht in einem Entweder-Oder, sondern in einer Synthese beider Auffassungen zu suchen.126 Im Übrigen sei das UWG „wirtschaftspolitisch neutral“, so dass es nicht darauf ankomme, ob die Abgrenzung zwischen lauterem und unlauterem Wettbewerb in einer freien oder gelenkten Wirtschaft erfolge.127 Die Theorieentwicklung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts müsste nicht so einge- 55 hend nachgezeichnet werden, hätte sie nicht prägenden Einfluss auf die Betrachtung des unverändert fortgeltenden UWG 1909 nach Kriegsende gehabt,128 und wirkten sich diese Denkweisen nicht auch noch auf das geltende UWG aus. So schreibt der BGH dem UWG 2004 ohne nähere Auseinandersetzung mit § 1, dafür aber mit Verweisen auf die Rechtslage zum UWG 1909 einschließlich einer Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahr 1944 den Zweck zu, den Gesundheitsschutz der Bevölkerung zu gewährleisten.129 Auch die Literatur stützt sich unverändert auf Quellenmaterial aus der Zeit nach 1933, ohne dies mit einem Hinweis auf die grundlegend abweichende Wirtschaftsverfassung jener Zeit zu versehen.130 Dezidiert und unter ausdrücklicher Berufung auf Hefermehl wird ein „sozialrechtliches“ Ver- 56 ständnis des geltenden UWG von Fezer vertreten. Allerdings entwickelt Fezer unter diesem Topos eine eigenständige „Theorie der sozialen Grundwerte als marktbezogener Allgemeininteressen“,131 die in der bisherigen Diskussion kein Vorbild findet. Demnach habe das UWG neben „verbraucherrechtlichen“ und „ordnungsrechtlichen“ auch „allgemein gesellschaftsrechtliche“ Wertungen unrechtsbegründend zu berücksichtigen.132 In § 1 S. 1 kämen vorrangige, lauterkeitsbezogene Allgemeininteressen zum Ausdruck, denen Satz 2 das institutionelle Allgemeininteres-

124 Baumbach/Hefermehl Wettbewerbsrecht7, Allg Rn. 42 f., 57; siehe auch Hefermehl Festschrift Nipperdey, S. 283, 286 (die sozialrechtliche Betrachtung des Wettbewerbs sei „an die Stelle oder neben“ die individualrechtliche getreten). 125 Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht7, Allg Rn. 42. 126 Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht7, Allg Rn. 42 (mit Verweis auf E. Ulmer GRUR 1937, 769, 772). Nur am Rande sei bemerkt, dass „Wettbewerb und Monopolkampf“ anders als in der 6. Aufl. nicht mehr im Literaturverzeichnis genannt wird, obwohl das Werk Hefermehl bekannt war; siehe Hefermehl Festschrift Nipperdey, S. 283, 285 mit Fn. 2 und Verweis auf Böhm. 127 Hefermehl Festschrift Nipperdey, S. 283 f.; Freitag S. 121; weitere Nachweise bei Reichold AcP 193 (1993), 204, 230. So noch zum UWG 2004 Götting S. 72 ff. 128 Speziell für die Schutzzweckdiskussion Beater JZ 1997, S. 11 f.; Schill S. 47 ff.; Giese S. 245 f. m. w. N.; Pause S. 325 (der BGH scheine sich nicht darüber im Klaren gewesen zu sein, an welche Traditionen er anknüpfe); Burmann WRP 1968, 258, 259 f., 265. Siehe auch die auf die Zeit zwischen 1933 und 1945 bezogenen Nachweise bei Hefermehl Festschrift Nipperdey, S. 283, 286 f.; Ott Festschrift Raiser, S. 403, 418; E. Ulmer/Reimer S. 18; Beater JZ 1997, 916, 918 (mit Verweis auf Nerreter, E. Ulmer 1936/37 und Hefermehl, der diese Ansätze kombiniert habe); regelrecht irreführend Fezer WRP 1993, 565, 570 („Anfang der 30er Jahre …“ mit Verweis auf E. Ulmer GRUR 1937, 769). 129 BGH 24. 2. 2005 – I ZR 101/02 – BGHZ 162, 246, 251 ff. = GRUR 2005, 519 – Vitamin-Zell-Komplex mit Verweis auf RG 13. 3. 1944 – II 97/43 – GRUR 1944, 88 f. (Schutz „allgemeiner Belange der Gesundheitspflege“). 130 Siehe Glöckner/Henning-Bodewig WRP 2005, 1311, 1317 (Verweis auf RG 27. 3. 1936 – II 229/35 – GRUR 1936, 810 zum Schutzzweck des UWG 2004); MünchKommUWG/Sosnitza Rn. 6 (Verweis auf E. Ulmer GRUR 1937, 769). Zum UWG 2008 Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 65 f. (Verweise auf E. Ulmer 1937 und RG 27. 3. 1936 – II 229/35 – GRUR 1936, 810). 131 Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 108. 132 Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 77; ferner Sack WRP 2005, 531, 543 f. (eine die „Würde des Menschen als Gattungswesen“ beeinträchtigende Werbung werde von § 3 UWG erfasst).

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se an einem unverfälschten Wettbewerb hinzufüge.133 Der Markt als der zentrale Ort der Interaktion der Bürger als Marktteilnehmer diene nicht nur der individuellen und kollektiven Wohlstandsmehrung, sondern auch einer effektiven Verwirklichung der Individualrechte der Bürger im Sinne ihrer Würde und Selbstbestimmung sowie einer Realisierung ethischer Standards.134 Fezer geht von einer „Synthese zwischen marktwirtschaftlicher Wettbewerbsordnung und den sozialen Aufgaben des Staates“135 aus und fordert eine „sozialökologische Neuausrichtung eines sozialethischen Leistungswettbewerbs“.136 Die gesetzlichen Rahmenbedingungen des wirtschaftlichen Wettbewerbs seien so auszugestalten, dass nachhaltiges, ökologisches Wachstum durch das Wettbewerbsverhalten selbst gefördert werde.137 Rechtliche Ausgangspunkte dieses Konzepts seien die „Verfassungsbindung des Lauterkeitsrechts in der Privatrechtsordnung, die Rechtsverbindlichkeit der Grundrechte, Verfassungsprinzipien und Staatszielbestimmungen der nationalen Verfassungen, des Gemeinschaftsrechts und der internationalen Konventionen als Auslegungsdirektiven bei der Anwendung des einfachen Gesetzesrechts, sowie die rechtliche Anerkennung der sozialen Marktwirtschaft als Wirtschaftsverfassung einschließlich der Leitbildfunktion eines ethisch verantworteten Leistungswettbewerbs im globalen Handels- und Wirtschaftsrecht.“138 Für die konkrete Anwendung des UWG bedeutet dies, dass das UWG Werbung verbiete, die diskriminiert, die Menschenwürde oder Kinderrechte verletzt, in die Privatsphäre der Bürger eingreift oder deren Gesundheit gefährdet.139 Auch Frauke Henning-Bodewig wendet sich gegen ein strikt wettbewerbsfunktional57 ökonomisches Verständnis des UWG.140 Die Herstellung unverfälschten Wettbewerbs und wirtschaftlicher Effizienz sei nicht das alleinige Ziel des Lauterkeitsrechts. Vielmehr seien bei der Abwägung der Interessen auch geschäftsethische Belange mit in die Bewertung einzubeziehen. Unverfälschter Wettbewerb bedeute nicht allein die Existenz formaler Handlungs- und Entscheidungsfreiheit, sondern impliziere auch ein Mindestmaß an Wirtschaftsethik. Zwar sei das Lauterkeitsrecht nicht der richtige Ort, um Unternehmen zu einer „good governance“ zu zwingen oder Geschmacks- und allgemeine Moralfragen zu klären. Wohl aber habe z. B. gemeinnütziges Sponsoring zu Marketingzwecken verschärften Transparenzanforderungen zu genügen. Schließlich seien eindeutige Verletzungen der allgemein anerkannten Geschäftsethik durch das UWG sanktionierbar.

2. Kritische Würdigung 58 Abzulehnen ist zunächst ein „sozialrechtliches“ Verständnis, das die dargestellten Konzeptionen der 1930er Jahre fortschreiben würde. Denn jene wurden auf dem Boden einer Wirtschaftsverfassung formuliert, die mit den Grundsätzen der freiheitlich-sozialen Marktwirtschaft des Unionsrechts und des Grundgesetzes unvereinbar ist.141 Ihre Folge über weite Strecken des 20. Jahrhunderts war ein im internationalen Vergleich strenges deutsches Lauterkeitsrecht mit wettbewerbsfeindlichen Tendenzen.142 Die zugrundeliegenden Wertungen wurden nicht offengelegt, sondern unter Behauptung einer vermeintlichen „wirtschaftspolitischen Neut133 Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 118; ohne Zitat des § 1 S. 2 UWG bei der Herleitung des „sozialrechtlichen“ Schutzobjekts des UWG Götting S. 87. 134 Fezer/Büscher/Obergfell Einleitung F Rn. 392; in diesem Sinne auch Honneth S. 322 ff. 135 Fezer/Büscher/Obergfell Einleitung F Rn. 412. 136 Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 72. 137 Fezer/Büscher/Obergfell Einleitung F Rn. 413. 138 Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 108. 139 Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 108; vgl. auch Herrnberger S. 239 ff.; Völzmann S. 228 ff. 140 Henning-Bodewig WRP 2010, 1094, 1105; dies. WRP 2011, 1014 ff. 141 Näher Einl. B Rn. 25 ff. 142 Siehe Emmerich Festschrift Gernhuber S. 857 ff. m. w. N.; Schwartz GRUR 1967, 333, 343 (der Keim richterlichen Dirigismus werde erkennbar); umfassend Sosnitza passim.

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B. Der Schutzzweck des UWG

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ralität“ des UWG zur Ausbildung kaum mehr überschaubarer Fallgruppen eingesetzt.143 Solchen Theorien waren gegen Ende des 20. Jahrhunderts bereits der EuGH im Interesse der Grundfreiheiten und das BVerfG in Anwendung der Grundrechte der Marktteilnehmer entgegengetreten; das UWG 2004 kodifizierte diese externen Einflüsse unter anderem in Gestalt von § 1 im Interesse einer „weitgehenden Liberalisierung“ des Lauterkeitsrechts.144 Fraglich aber ist, ob hiermit jede nicht-wettbewerbsfunktionale Erwägung aus dem UWG 59 eliminiert wurde. Den insoweit skeptischen Stimmen ist aus sozialwissenschaftlicher Sicht zunächst zuzugestehen, dass sich Markt und Wettbewerb in der Tat rein ökonomisch-effizienzbasiert nicht verstehen lassen. Vielmehr können mit Jens Beckert drei Dimensionen der „Sittlichkeit der Wirtschaft“ als eines zunächst empirischen Phänomens unterschieden werden:145 Die marktermöglichende Sittlichkeit betrifft die unverzichtbaren Grundlagen dezentraler Marktbeziehungen, die – wie insbesondere das Vertrauen in die Vertragstreue des Gegenüber – nicht ihrerseits mit rein nutzenmaximierenden Erwägungen erklärt werden können. Die marktbegleitende Sittlichkeit meint moralische Vorstellungen und sittliche Maßstäbe, die die Präferenzen der Marktakteure beeinflussen und die Nachfrage lenken. Verwiesen sei insofern auf die Bereitschaft vieler Verbraucher, im Interesse der Gesundheit, der Umwelt oder allgemein der Gerechtigkeit hochpreisige Bio- und Fair-Trade-Produkte oder umweltfreundliche Energie nachzufragen. Schließlich können sittliche Standards marktbegrenzend wirken. Offensichtlich ist dies im Fall von Verkehrsverboten, etwa für den Organhandel und die Kinderprostitution. Weniger unmittelbar, aber ebenfalls mit marktbegrenzendem Lenkungseffekt wirken Werbeverbote oder positive Vorgaben für zulässige Werbung. Die marktermöglichende und die marktbegleitende Sittlichkeit lassen sich in einem 60 wettbewerbsfunktionalen Konzept mit Fokus auf die Wahrung der rechtsgleichen Entscheidungsfreiheit der Marktteilnehmer ohne Weiteres abbilden. So lässt sich das Verbot von Irreführungen nicht nur dadurch rechtfertigen, dass leistungswidrige Fehlallokationen vermieden werden. Zugleich wird das Vertrauen der Marktteilnehmer rechtlich stabilisiert, dass der Vertragspartner erbringt, was er verspricht. Soweit ein Marktteilnehmer seine Angebots- oder Nachfrageentscheidung auf sittliche Erwägungen stützt, wird diese frei gewählte Entscheidungsgrundlage und ihre praktische Realisierung vor Manipulationen durch Irreführungen und Aggressivität genau so geschützt, wie wenn der Marktteilnehmer rein nutzenmaximierend auf Preis und Leistung schaut. Im Gegenteil, je wirksamer Werbung mit sittlichen Entscheidungsparametern ist, desto strengere Maßstäbe können an ihre sachliche Richtigkeit und Transparenz angelegt werden, um Fehlallokationen und damit Wettbewerbsverfälschungen zu vermeiden.146 Problematisch und nicht ohne Weiteres mit einer wettbewerbsfunktionalen Lesart des UWG 61 in Einklang zu bringen ist hingegen eine marktbegrenzende Regulierung der Werbung im Interesse der Sittlichkeit, wie sie Fezer und mit Einschränkungen Henning-Bodewig propagieren. In normativer Hinsicht vermeidet dieser Ansatz die Defizite der Schutzzwecktrias, die sich in einer Interessenabwägung ohne erkennbaren Letztentscheidungsmaßstab erschöpft. Versteht man den Harmonisierungsvorbehalt zugunsten nationaler Anforderungen in Fragen der guten Sitten und des Anstands gem. ErwGrd. 7 S. 3 UGPRL im Sinne der Wahrung eines kulturellen Mindeststandards bzw. wesentlicher, nicht wettbewerbsbezogener Grundwerte,147 so stünde die UGPRL einer solch autonom-deutschen Sittlichkeitsregulierung nicht entgegen. Schließlich 143 Das wird als Flexibilität sogar begrüßt von Götting S. 73 f.; zu Recht a. A. hingegen die inzwischen ganz h.M., siehe bereits Schluep GRUR Int. 1973, 446, 452; P. Ulmer GRUR 1977, 565, 578 ff. m. w. N.; Möschel S. 147 ff.; Pause S. 423; Ohly/Sosnitza Einf. A Rn. 23; Giese S. 248 (Versuch, überholte wirtschaftspolitische Vorstellungen zu retten). 144 Sosnitza GRUR 2018, 255. 145 Beckert S. 3 ff. 146 Peifer in Hilty/Henning-Bodewig, S. 140 f.; Henning-Bodewig WRP 2010, 1094, 1104; dies. WRP 2011, 1014, 1021 f. („Generell sollten gerade unter geschäftsethischen Gesichtspunkten starken Anlockeffekte in der Sponsoringwerbung erhöhte Transparenzpflichten gegenüber stehen.“); Wuttke WRP 2007, 119, 126 ff. 147 Gloy/Loschelder/Danckwerts/v. Ungern-Sternberg/Schaub § 23 Rn. 45 ff.

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wird noch zu zeigen sein, dass das UWG in der Tat geschäftliche Handlungen ohne Rücksicht auf den unverfälschten Wettbewerb und die wirtschaftliche Handlungsfreiheit der Marktakteure untersagt.148 Die Sittlichkeit der Marktbeziehungen kann also auch insoweit weder im Sinne einer Tatsache noch als Regulierungsziel vollständig ausgeblendet werden. 62 Mit dem geltenden UWG unvereinbar und daher abzulehnen ist indes ein „sozialrechtliches“ Verständnis, das den Schutz nicht wettbewerbsbezogener Interessen zum generell maßgeblichen, primären Zweck des UWG erhebt. § 1 S. 2 nennt nur die Allgemeininteressen an einem unverfälschten Wettbewerb.149 Dies entspricht der in den Gesetzesmaterialien erklärten Absicht des Gesetzgebers, wonach sonstige Belange wie der Schutz der Gesundheit, der Umwelt usw. nicht unmittelbar vom UWG erfasst werden.150 Im Zuge der Umsetzung der UGPRL wurde an dieser teleologischen Begrenzung des Lauterkeitsrechts ausdrücklich festgehalten.151 Hieraus folgt selbstverständlich keineswegs, dass bei geschäftlichen Handlungen keine 63 Rücksicht auf Gemeinwohlbelange jenseits des unverfälschten Wettbewerbs genommen werden muss. Nur werden diese Ziele – wie zum Beispiel der Gesundheitsschutz152 – von speziellen gesetzlichen Regelungen außerhalb des UWG verfolgt. Ein strukturelles Regulierungsdefizit ist insoweit nicht erkennbar.153 Das UWG schützt primär den unverfälschten Wettbewerb, andere Gesetze haben andere Zwecke.154 Diese Zwecke können über den Rechtsbruchtatbestand mittelbar lauterkeitsrechtliche Be64 deutung erlangen. Hierfür aber muss die verletzte gesetzliche Vorschrift zumindest auch dazu bestimmt sein, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln (§ 3a). Folglich werden gesundheits- oder jugendschützende Vorschriften nur unter dem Vorbehalt zumindest sekundärer wettbewerblicher Relevanz als unlautere geschäftliche Handlung sanktionierbar.155 Auch mit dieser Einschränkung sollte der Anwendungsbereich des UWG begrenzt werden. Nicht jeder Gesetzesverstoß begründet die Unlauterkeit; zwischen „sittlich fundierten“ und „wertneutralen“ Gesetzen darf dabei nicht mehr unterschieden werden.156 Öffnet man das UWG nun wieder undifferenziert für eine Vielzahl allenfalls grob umrissener Allgemeininteressen,157 würden diese gesetzgeberischen Vorgaben unterlaufen. Die Wettbewerbsrichter könnten auf der Basis der §§ 1, 3 Abs. 1 UWG Regelungszwecke realisieren, die ggf. materiell und formell abschließend in anderen Gesetzen ihren Niederschlag gefunden haben.158 Die Entwicklung arbeits-, umwelt-, tier-, gesundheits- oder jugendschutzrechtlicher Standards auf der Basis der Generalklauseln des UWG überschreitet zudem die Kompetenz der Judikative im Verhältnis zum europäischen bzw. deutschen Gesetzgeber.159

148 Unten § 1 Rn. 137 ff. 149 MünchKommUWG/Sosnitza Rn. 30 ff.; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 41; Wuttke WRP 2007, 119, 126 f. (der BGH wende das UWG 2004 nicht „de lege artis“ an); Leistner S. 222 ff. 150 RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 16; Wuttke WRP 2007, 119, 122 f.; Ohly WRP 2008, 177, 183 f. Hiergegen Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 101 f. („überraschende“ und „unzutreffende“ Aussage der Gesetzesbegründung), 82 (zur rechtlichen Grundlage der lauterkeitsbezogenen Allgemeininteressen). 151 RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 11 (es seien neben den Verbrauchern „Mitbewerber, sonstige Marktteilnehmer und gewisse Interessen der Allgemeinheit“ geschützt (Hervorh. v. Verf.); für den Bereich des Schutzes der Allgemeininteressen enthalte die Richtlinie keine Vorgaben, so dass kein Umsetzungsbedarf bestehe). 152 Siehe etwa § 1 AMG. 153 Anders noch RG 12. 4. 1927 – II 425/26 – RGZ 117, 16, 22 – Tarifvertragsverstoß. 154 Ebenso Klagge S. 217. 155 Zu dieser Abweichung vom wettbewerbsfunktionalen Programm des UWG unten § 1 Rn. 155 ff. 156 Grundlegend dazu Schricker S. 239 ff., 274 f. 157 Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 100 ff. („lauterkeitsbezogene Allgemeininteressen“ in Gestalt „sozialer Grundwerte“). 158 Zur Glücksspielregulierung etwa BGH 28. 9. 2011 – I ZR 93/10 – BeckRS 2011, 27467 – Poker im Internet; Siehe auch Art. 3 Abs. 2–4, 7–10 und ErwGrd. 9 UGPRL. 159 Beater WRP 2012, 6, 16.

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B. Der Schutzzweck des UWG

§1

Letztlich ist es die Auflösung der positivrechtlichen Grenzen des Lauterkeitsrechts, die 65 die zeitgenössischen Verfechter einer „sozialrechtlichen“ Lesart mit den Vätern dieser Konzeption teilen. Eine solch gesetzesferne Dogmatik ist auch dann abzulehnen, wenn sie im Namen der Grundwerte der geltenden Rechtsordnung auftritt. Stattdessen sind Abweichungen und Ausnahmen von der in § 1 niedergelegten wettbewerbsfunktionalen Teleologie des UWG nur insoweit anzuerkennen, als hierfür eine Entscheidung des europäischen oder deutschen Gesetzgebers angeführt werden kann. Dies ist der Fall für lauterkeitsrechtlich relevante Zuwiderhandlungen gegen primär andere als wettbewerbsbezogene Interessen gewährleistende Marktverhaltensregeln (§ 3a), für den Schutz des Rechts auf Privatsphäre gem. § 7 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt., Nr. 3 und 4 sowie gem. § 3 Abs. 1 für Verletzungen der Menschenwürde und hartnäckige Verstöße gegen den von der Selbstregulierung der Marktteilnehmer anerkannten, ethischen Minimalkonsens auf dem Markt.160 Im Übrigen („grundsätzlich“) beschränkt sich das UWG darauf, die Eigenlogik des unver- 66 fälschten wirtschaftlichen Wettbewerbs zu flankieren und zu stabilisieren. Daher scheiden Verbote geschäftlicher Handlungen ggf. selbst dann aus, wenn die Betroffenen und vielleicht sogar eine Mehrheit der Marktteilnehmer das in Frage stehende Verhalten sittlich missbilligt.161 Zu nennen sind insoweit zunächst absolute Verkehrs- und Werbeverbote für Waren oder Dienstleistungen unabhängig von einer irreführenden oder aggressiven Vermarktung, da es nicht Aufgabe des UWG ist, „Produkte auf deren Sinnhaftigkeit und Zweckbestimmung zu untersuchen und eine etwaige Werbung für solche Produkte einzuschränken bzw. zu unterbinden“.162 Ferner ist es den Wettbewerbsgerichten untersagt, inländische Produkt-, Umweltoder Sozialstandards unmittelbar auf der Basis des UWG gegen Importprodukte durchzusetzen.163 Auch insoweit bedarf es besonderer Umstände – insbesondere in Gestalt einer Irreführung – um ein im Übrigen gesetzeskonformes Verhalten lauterkeitsrechtlich zu sanktionieren.

IV. Dualismus der Lauterkeitsrechtsordnungen 1. Aufspaltung von verbraucherbezogenem und mitbewerberbezogenem Lauterkeitsrecht Die Theorien des Individualschutzes der Marktteilnehmer, der Schutzzwecktrias und das „sozi- 67 alrechtliche“ Verständnis des UWG gehen allesamt auf den Streit um den Schutzzweck des UWG 1909 zurück. Dieses Gesetz ist aufgrund einer autonomen Entscheidung des deutschen Gesetzgebers im Jahr 2004 einer „grundlegenden“ Reform und Neufassung unterzogen worden, die allerdings zugleich an die Rechtsprechung und damit auch die Teleologie des UWG 1909 anknüpfen sollte.164 Bereits zu diesem Zeitpunkt wurden im UWG mehrere EU-Richtlinien umgesetzt. Da aber die IrreführungsRL 1984 nur eine Mindestharmonisierung vorsah und zudem wie in den vollharmonisierenden Vorschriften über die vergleichende Werbung sämtliche Marktteilnehmer in die Betrachtung einbezogen wurden, ergaben sich noch keine grundlegenden

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Dazu unten § 1 Rn. 137 ff. Dazu auch unten § 3 Rn. 355 ff. LG Aschaffenburg 20. 5. 2010 – 1 HK O 64/09 – Magazindienst 2010, 750 – Mauertrockenlegungssystem. So auch Henning-Bodewig WRP 2010, 1094, 1103 („Nicht das umwelt- oder sozialschädliche Verhalten von Unternehmen (und m. E. auch nicht die „good governance“-Regeln als solche) können also dem Lauterkeitsrecht unterliegen, sehr wohl jedoch ihr Einsatz zu Marketingzwecken“); BGH 9. 5. 1980 – I ZR 76/78 – GRUR 1980, 858, 860 f. – Asbestimporte (Vertrieb importierter Asbestware, die im Ausland nach den dortigen Vorschriften ordnungsgemäß, aber ohne Beachtung von Sicherheitsbestimmungen hergestellt worden ist, wie sie im Inland zum Schutz der Arbeitnehmer vor Asbestose bestehen, nicht wettbewerbswidrig gem. § 1 UWG 1909); a. A. für Waren, die unter menschenverachtenden und ausbeuterischen Formen der Kinderarbeit produziert wurden, Herrnberger S. 239 ff. 164 § 1 Rn. 2 ff.

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§1

Zweck des Gesetzes

Konflikte mit der Teleologie des ebenfalls umfassend konzipierten und durch die Rechtsprechung vorsichtig liberalisierten deutschen Lauterkeitsrechts.165 68 Dieser weitgehende Gleichklang änderte sich mit der UGPRL, die dem Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher dient und dementsprechend nur Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern erfasst (business to consumer, B2C), nicht jedoch den rein gewerblichen Bereich (business to business, B2B). Der verbraucherbezogene Teilbereich des Marktverhaltens wird dann allerdings mit einer Generalklausel vollständig harmonisiert, so dass die Mitgliedstaaten abgesehen von den ausdrücklichen Bereichsausnahmen das Verbotsniveau der UGPRL weder unter- noch überschreiten dürfen.166 Die Umsetzung dieser Vorgaben erfolgte durch die UWG-Reformen 2008 und 2015, die die Schutzzweckbestimmung des § 1 jedoch abgesehen von einer terminologischen Anpassung an den neuen Begriff der geschäftlichen Handlung unverändert ließen.167 69 Gleichwohl bildet das UWG nach Auffassung von Fezer aufgrund der Vollharmonisierung des verbraucherschützenden Lauterkeitsrechts durch die UGPRL nur noch eine formale, systematische Einheit.168 „Rechtsinhaltlich und konzeptionell“ sei das deutsche Lauterkeitsrecht durch die UGPRL aufgespalten worden. Im Anwendungsbereich der UGPRL sei von einem einseitigen Vorrang der Verbraucherinteressen auszugehen, während das autonome deutsche Recht im B2B-Bereich den Mitbewerberinteressen den Vorrang einräume. Diese unterschiedlichen Zielsetzungen führten trotz des unverändert belassenen § 1 im Ergebnis zu „zwei verschiedene[n] Lauterkeitsrechtsordnungen“,169 die in einem regelrechten „Dualismus“ zueinander stünden.170

2. Kritische Würdigung 70 Überzeugend an dieser Konzeption ist ihr Bestreben um eine europarechtskonforme Dogmatik des deutschen Lauterkeitsrechts. Der Vorrang des Unionsrechts in Kombination mit einer vollständig harmonisierenden Zwecknorm und Generalklausel der UGPRL für Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern ist in die Teleologie des UWG aufzunehmen, und zwar mit Blick auf und aus Sicht des Unionsrechts und nicht des deutschen Rechts. Die Umsetzung der UGPRL bringt die von Fezer verfochtene Zweiteilung zudem durchaus zum Ausdruck. Während § 1 unverändert blieb, wurde die ehemals umfassende Generalklausel des § 3 UWG 2004 im Zuge der zweimaligen Umsetzungsbemühungen 2008 und 2015 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die UGPRL in mehrere Absätze aufgespalten. Während § 3 Abs. 1 in der deutschen Tradition der integralen Regulierung des gesamten Marktverhaltens unlautere geschäftliche Handlungen für unzulässig erklärt, betreffen die Absätze 2–4 nur das von der UGPRL erfasste B2C-Verhältnis.171 Weitere Fragmentierungen nach Maßgabe des Adressaten der geschäftlichen Handlung finden sich in den Konkretisierungen der Unlauterkeit, hinsichtlich derer zwischen dem Mitbewerberschutz gem. § 4 und dem Schutz von Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern gem. §§ 4a-5a zu unterscheiden ist, sowie im eigenständigen Verbotstatbestand des § 7 zu unzumutbaren Belästigungen.172 71 Gleichwohl kann der Theorie eines Dualismus der Lauterkeitsrechtsordnungen nicht zugestimmt werden, da sie in mancher Hinsicht zu weit geht, in anderer Hinsicht nicht weit genug. 165 166 167 168 169 170 171 172

Näher Peukert ZHR 173 (2009), 536 ff. Art. 1, 2 lit. d, 5 Abs. 1 UGPRL. § 1 Rn. 7 ff. Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 24 ff., 86–88. Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 29; Harte/Henning/Podszun Rn. 28. Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 29. Dazu unten § 1 Rn. 114 ff. sowie § 3 Rn. 137 ff. Dazu unten § 1 Rn. 137 ff. sowie § 3 Rn. 116 ff.

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B. Der Schutzzweck des UWG

§1

Zu weitreichend ist die Annahme einer regelrechten Aufspaltung des Lauterkeitsrechts für den B2C-Sektor einerseits und den B2B-Sektor andererseits, die vorrangig im Interesse der Verbraucher bzw. der Mitbewerber zu beurteilen seien. Ein solcher Schematismus ist unvereinbar mit dem Bemühen des deutschen Gesetzgebers, grundsätzlich und so weit wie möglich an einheitlichen Maßstäben der Lauterkeit für das gesamte Marktverhalten festzuhalten. Die §§ 1 S. 1, 3a, 7 Abs. 1 nennen nicht nur alle Marktteilnehmer als Schutzsubjekte des UWG, sondern bringen nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers einen Gleichrang dieser Interessen zum Ausdruck.173 Ein pauschaler Vorrang der Mitbewerberinteressen ist mit diesem integralen Konzept unvereinbar.174 Ebenso wenig verlangt die UGPRL eine einseitige Bevorzugung der Verbraucher,175 da die Richtlinie neben dem Verbraucherschutz ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarkts bezweckt, die Relevanz der wirtschaftlichen Interessen rechtmäßig handelnder Mitbewerber ausdrücklich anerkennt und im Einklang mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht jede unerhebliche Auswirkung auf Verbraucher für verbotswürdig erklärt.176 Die UGPRL verfolgt auch kein anderes Allgemeininteresse als dasjenige am unverfälschten Wettbewerb (§ 1 S. 2), wenngleich sie diesen Zweck primär aus der Warte der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher verfolgt, die erst in einem zweiten Schritt mit den Interessen der Unternehmer in Einklang gebracht werden.177 Für beide vermeintlich eigenständigen Säulen des Lauterkeitsrechts fehlt schließlich ein Kriterium, anhand dessen zu entscheiden wäre, ob im Einzelfall den Verbraucher- oder den Mitbewerberinteressen der Vorzug einzuräumen ist.178 Statt das UWG also zur nur noch formalen Hülle für „zwei Lauterkeitsrechtsordnungen“179 zu erklären, ist vielmehr von einem Grundsatz der einheitlichen Marktverhaltensregulierung im Interesse aller Marktteilnehmer auszugehen, der nur dort durchbrochen wird, wo der europäische oder der deutsche Gesetzgeber hiervon Abweichungen und Ausnahmen vorsehen.180 Geht die Annahme eines regelrechten Dualismus der B2B- und B2C-Regulierung im UWG zu weit, bleibt Fezers Konzept in anderer Hinsicht hinter den Fragmentierungen des UWG zurück. Zunächst werden erneut die „sonstigen Marktteilnehmer“ übergangen, die – wie bereits zur Schutzzwecktrias erläutert – eine eigenständige Rolle neben Verbrauchern und Mitbewerbern einnehmen und in jener auch einen speziell zugeschnittenen Schutz erfahren.181 Ferner dient das UWG Regelungszwecken, die sich weder als Verbraucherschutz noch als wettbewerbsfunktionaler Mitbewerberschutz qualifizieren lassen. Zu nennen sind insoweit insbesondere der Schutz der Privatheit natürlicher Personen gem. § 7 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt., Nr. 3 und 4 in Umsetzung von Art. 13 DatenschutzRL-EK sowie der autonom-deutsche Schutz der Menschenwürde ohne Rücksicht auf eine Beeinflussung der Entscheidungsfreiheit der Marktteilnehmer.182 173 Oben § 1 Rn. 4. 174 A.A. Fezer/Büscher/Obergfell § 3 Rn. 171 (Vorrang der Unternehmerinteressen im B2B-Verkehr „sachgerechter“); einschränkend dann aber a. a. O. Rn. 215 a. E. (oder Schutzzwecktrias „Basis einer teleologischen Auslegung“); a. a. O. Rn. 103 f. (zur Spürbarkeit). 175 So aber Fezer/Büscher/Obergfell § 3 Rn. 174 ff. 176 Art. 1, ErwGrd. 6 S. 1, 2 UGPRL. 177 Näher unten § 1 Rn. 114 ff. 178 Unverständlich Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 84 („Der duale Interessenschutz der Mitbewerber und der Verbraucher vor unlauterem Wettbewerb schützt die lauterkeitsbezogenen Allgemeininteressen und sozialen Grundwerte, die innerhalb des wettbewerblichen Marktausleseprozesses die wirtschaftliche Handlungsfreiheit der Wettbewerber und die souveräne Entscheidungsfreiheit der Verbraucher beeinträchtigen.“). 179 So aber Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 29. 180 Dazu sogleich § 1 Rn. 76 ff.; ähnlich Harte/Henning/Podszun Rn. 17 (Mischung aus verbraucherschützenden und weiteren Normen zur Beurteilung der Fairness geschäftlicher Handlungen). 181 Siehe oben § 1 Rn. 43 sowie § 7 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. 182 Rechtsausschuss UWG 2015 BTDrucks. 18/6571, S. 14 sowie unten § 1 Rn. 137 ff.

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V. Der Grundsatz wettbewerbsfunktionaler Auslegung und Abweichungen hiervon 1. Grundzüge der hier vertretenen Auffassung 76 Die wohl herrschende Meinung sieht im Gegensatz zu den vorstehend kritisierten Ansätzen in § 1 ein wettbewerbsfunktionales Konzept verwirklicht.183 Demnach impliziert wirtschaftlicher Wettbewerb zunächst die Handlungsfreiheit der in 77 § 1 S. 1 angesprochenen Marktteilnehmer. Die Frage nach der Unlauterkeit unternehmerischen Marktverhaltens kann sich nur stellen, wenn überhaupt freier Wettbewerb besteht. Die Koordination der wirtschaftlichen Handlungsfreiheiten der Marktteilnehmer in einer solchen, dezentralen Mehrplanwirtschaft erfolgt grundsätzlich durch den Wettbewerb selbst.184 Dieser zwingt die Beteiligten, ihre Pläne an die zur Verfügung stehenden Ressourcen und 78 die Bedürfnisse der Marktgegenseite anzupassen. Hierdurch werden eine effiziente Ressourcenallokation, technisch-wirtschaftlicher Fortschritt und eine leistungsgerechte Verteilung der Erfolgsprämien gewährleistet. Diese im Allgemeininteresse liegenden Funktionen des Wettbewerbs können jedoch unter anderem dadurch verfälscht werden, dass Unternehmer die Entscheidungsfreiheit anderer Marktteilnehmer beeinträchtigen, indem sie ihre Leistung irreführend oder unzumutbar aggressiv vermarkten. Solchen Manipulationen des Marktgeschehens tritt das UWG gem. § 1 S. 2 im Allgemeininteresse am unverfälschten Wettbewerb entgegen. Gewahrt werden sollen die Funktionsbedingungen des freien Wettbewerbs als des Ordnungsinstruments der deutschen und europäischen Wirtschaftsverfassung. Die Individualinteressen der Mitbewerber, Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer sind hierfür Anknüpfungspunkt, aber nicht ihrerseits Selbst- und Endzweck; die Entscheidung über ihren Schutz muss letztlich („zugleich“) auf das Allgemeininteresse am unverfälschten Wettbewerb ausgerichtet und anhand dieses Maßstabs gerechtfertigt sein. 79 Die weit überwiegende Anzahl der Tatbestände des deutschen und europäischen Lauterkeitsrechts entspricht dieser wettbewerbsfunktionalen Teleologie. Es sind aber auch Perspektivverschiebungen und regelrechte Ausnahmen von dieser grundsätzlichen Zwecksetzung zu konstatieren und offenzulegen.185 Diese Abweichungen gehen zum einen auf die im UWG umgesetzten EU-Richtlinien zurück. Die UGPRL hat zwar ebenfalls den Zweck, Manipulationen des Marktgeschehens insbeson80 dere in Gestalt von Irreführungen und Aggressivität zu unterbinden. Die Richtlinie beschränkt sich dabei jedoch auf Geschäftspraktiken gegenüber Verbrauchern und beurteilt jene primär im Hinblick auf den Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher, während die Interessen anderer Marktbeteiligter erst auf einer zweiten Stufe zum Tragen kommen. Insgesamt handelt es sich um einen Perspektivwechsel ohne prinzipielle Aufgabe des wettbewerbsfunktionalen Programms. Einen gänzlich anderen Zweck, nämlich den persönlichkeitsrechtlichen Schutz der Pri81 vatheit, verfolgt der in § 7 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt., Nr. 3 und 4 umgesetzte Art. 13 DatenschutzRLEK. Als gleichfalls echte, allerdings auf den deutschen Gesetzgeber zurückzuführende Ausnahme von der grundsätzlich wettbewerbsfunktionalen Lesart des UWG ist das generelle Verbot menschenverachtender, Art. 1 Abs. 1 GG zuwiderlaufender geschäftlicher Handlungen hervorzuheben. Nach hier vertretener Auffassung trägt das UWG ferner ein Verbot hartnäckiger Verstöße gegen den ethischen Minimalkonsens auf dem Markt, das im Graubereich zwischen marktermöglichender und marktbegrenzender Sittlichkeit anzusiedeln ist. Schließlich fließen über den Rechtsbruchtatbestand Regelungszwecke in das Unlauterkeitsurteil ein, die sich aus dem UWG selbst nicht herleiten lassen. 183 Matutis Rn. 2; Lehmler § 3 Rn. 16; Emmerich Unlauterer Wettbewerb, § 3 Rn. 9 f.; Jestaedt Rn. 165 ff.; Beater Rn. 987; Harte/Henning/Podszun Rn. 33; anders wohl juris-PK/Ernst Rn. 12 (nachrangige Bedeutung des § 1 S. 2). 184 Lobe S. 6; Böhm Wettbewerb und Monopolkampf, S. 285 ff. 185 In diesem Sinne Beater WRP 2012, 6, 8 ff. Im Einzelnen unten § 1 Rn. 111 ff.

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B. Der Schutzzweck des UWG

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In der Gesamtschau ergibt sich eine Theorie von Grundsatz und Ausnahme, die zwischen 82 der scheinbaren Kohärenz des § 1 und einer völligen, auch teleologischen Fragmentierung des Lauterkeitsrechts vermittelt. Grundsätzlich ist die Anwendung des UWG im Interesse aller Marktteilnehmer und der Allgemeinheit auf die Funktionsbedingungen des Wettbewerbs auszurichten. Dieser primäre Zweck kommt jedoch nur modifiziert oder gar nicht zum Tragen, soweit der europäische oder der deutsche Gesetzgeber hiervon Ausnahmen vorsehen.

2. Der Schutz des unverfälschten Wettbewerbs als primärer Zweck des UWG a) Koordination der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit der Marktteilnehmer. Ausgangspunkt jeder lauterkeitsrechtlichen Beurteilung sind die Belange der Marktteilnehmer. Gem. § 1 S. 1 dient das UWG dem Schutz der Mitbewerber, der Verbraucher sowie der sonstigen Marktteilnehmer vor unlauteren geschäftlichen Handlungen. Auch der Rechtsbruchtatbestand des § 3a stellt auf eine Beeinträchtigung dieser individuellen Interessen ab.186 Demgegenüber bezog sich § 3 UWG 2004 noch abstrakt auf „den Wettbewerb“, der nicht zum Nachteil der Marktteilnehmer „beeinträchtigt“ werden dürfe. Hieraus wurde in der Literatur zum Teil abgeleitet, das UWG schütze unmittelbar und primär den unverfälschten Wettbewerb als Institution.187 Diese stark kartellrechtlich geprägte Auffassung ist jedenfalls mit Rücksicht auf die Neufassung des § 3 Abs. 1 durch das UWG 2008 überholt.188 Denn hierbei wurde das „unklare Merkmal der Beeinträchtigung des Wettbewerbs zum Nachteil von Marktteilnehmern zugunsten der Einführung des Merkmals der Beeinträchtigung ihrer Interessen aufgegeben“.189 Mithin hat jede Entscheidung über die Unlauterkeit zunächst bei den individuellen Belangen der Marktteilnehmer anzusetzen.190 Dafür spricht nicht zuletzt auch der Wortlaut des § 1 S. 2. Denn wenn das UWG „zugleich“ das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb schützt, dann kann dieser Zweck nicht losgelöst von den in S. 1 genannten Interessen der Marktteilnehmer verfolgt werden.191 Fraglich aber ist, welcher Art diese individuellen Interessen sind. Weder § 1 S. 1 noch § 3a geben hierüber Auskunft. Unter Wettbewerb wird im Allgemeinen das Streben von zwei oder mehr Personen nach einem Ziel verstanden, wobei der höhere Zielerreichungsgrad des Einen in der Regel einen geringeren Erfolg des Anderen bedingt. Im Wirtschaftsleben wird Wettbewerb durch die Existenz von Märkten mit mindestens zwei sich antagonistisch verhaltenden Anbietern oder Nachfragern charakterisiert.192 Von Wettbewerb kann nun aber nur die Rede sein, wenn der Sieger nicht bereits feststeht. Das Ergebnis hängt vielmehr vom Verhalten der Beteiligten ab. Wenn das Ergebnis noch offen ist, dürfen auch der Kreis der Teilnehmer und ihr Handeln nicht von vornherein determiniert sein. Deshalb impliziert Wettbewerb im Prinzip, dass man frei entscheiden kann, ob und 186 Zum Zusammenhang zwischen Schutzzweck- und Generalklausel Harte/Henning/Schünemann Rn. 9. 187 In diesem Sinne HK-Wettbewerbsrecht/Klippel/Brämer Rn. 26; Koppensteiner WRP 2007, 475, 477 (einzelne Unternehmen werden nur reflexartig geschützt); anders aber bereits RefE UWG 2004, GRUR 2003, 298, 305 („Unter der Beeinträchtigung des Wettbewerbs ist von vornherein nicht eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs als Institution der Marktwirtschaft zu verstehen. Maßstab sind vielmehr die Wirkungen wettbewerbswidrigen Verhaltens auf das Marktgeschehen. Die Feststellung, ob ein Wettbewerbsverstoß geeignet ist, den Wettbewerb nicht unerheblich zu verfälschen, setzt eine nach objektiven und subjektiven Momenten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu treffende Wertung voraus. In diese Wertung sind neben der Art und Schwere des Verstoßes die zu erwartenden Auswirkungen auf den Wettbewerb sowie der Schutzzweck des Wettbewerbsrechts einzubeziehen.“); RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 17, li. Sp. 188 Beater Rn. 836. 189 RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 22. 190 Nordemann Rn. 49. 191 Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 116; Boesche Rn. 1; Otto S. 217 f. 192 Siehe § 2 Abs. 1 Nr. 3 sowie Harte/Henning/Podszun Rn. 76 ff.

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wie man sich beteiligt. Auch der Wettbewerb als Ordnungsmechanismus der Wirtschaft ist ohne individuelle Handlungsfreiheit der Marktteilnehmer nicht denkbar.193 88 Zudem reflektiert die Bezugnahme auf individuelle Interessen in §§ 1 S. 1, 3a den normativen Individualismus, auf dem die Entscheidung für die dezentrale Verkehrswirtschaft ebenfalls beruht, und der seinerseits subjektive Handlungsspielräume fordert.194 Zutreffend geht der BGH daher von einem „Grundsatz der Wettbewerbsfreiheit“ aus.195 Auch nach Auffassung des BVerfG enthalte die deutsche Rechtsordnung den grundsätzlich freien Wettbewerb der Anbieter und Nachfrager als eines ihrer Prinzipien.196 Konkret sollen Mitbewerber, Verbraucher und sonstige Marktteilnehmer ihre wirtschaftlichen 89 Entscheidungen insbesondere frei von Täuschung und wettbewerbsfremder Aggressivität fällen können. Das Verbot von Irreführungen gewährleistet eine den Tatsachen entsprechende Informationsgrundlage, auf deren Basis eine rationale Entscheidung möglich ist.197 Der hierauf fußende Entscheidungsprozess wird vor aggressiven Beeinträchtigungen geschützt. Dementsprechend liegt eine unzulässige Beeinflussung von Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern vor, wenn ein Unternehmer eine Machtposition zur Ausübung von Druck in einer Weise ausnutzt, die die Fähigkeit der Marktgegenseite zu einer informierten Entscheidung wesentlich einschränkt.198 Der Rechtsbruchtatbestand des § 3a erfasst nur solche Vorschriften, die eine zumindest sekundäre wettbewerbsbezogene Schutzfunktion aufweisen und das Marktverhalten außerdem im Interesse der Marktteilnehmer regeln. Letzteres ist nach Auffassung des BGH der Fall, wenn die betreffende Norm die Freiheit der wettbewerblichen Entfaltung von Marktteilnehmern schützt.199 Das UWG koordiniert die prinzipiell gleichrangigen wirtschaftlichen Handlungsfrei90 heiten der Marktakteure. Hierzu werden geschäftliche Handlungen verboten, soweit sie gem. §§ 3 ff. unzulässig sind. Das deliktsrechtliche Konzept des Verhaltensunrechts signalisiert, dass auf Seiten der Betroffenen keine vorab definierten ausschließlichen Rechte, sondern Handlungsfreiheiten geschützt werden.200 Ein lauterkeitsrechtliches Verbot bedarf der Rechtfertigung, da hiermit stets zumindest in die allgemeine Handlungsfreiheit des Anspruchsgegners eingegriffen wird,201 die mit der gleichrangigen Freiheit des Betroffenen in Einklang zu bringen ist.202 Die Rechtfertigung des Verbots erfolgt nach Maßgabe der enumerativ aufgeführten Verbotstatbestände der §§ 3 ff. unter umfassender Berücksichtigung der involvierten Interessen. Verbote auf der Basis des UWG dienen der Verwirklichung der Grundrechte zum wirtschaftlichen Erwerb im rechtlich geordneten Wettbewerb.203

193 Aus der wettbewerbsrechtlichen Literatur Köhler/Bornkamm/Feddersen UWG Einl. Rn. 1.17; Fezer JZ 1990, 657, 660 f.; Drexl S. 184; Beater Nachahmen im Wettbewerb, S. 352 („Es ist die Wettbewerbsidee selbst, die nach Freiheit und Beweglichkeit verlangt.“); Thouvenin S. 72 f. 194 Wuttke WRP 2007, 119, 122 f.; skeptisch Giese S. 279 f. (Gefahr einer völligen Funktionalisierung individueller Freiheit durch die Ökonomie). 195 BGH 19. 2. 2009 – I ZR 135/06 – WRP 2009, 803 Tz. 41 – ahd.de. 196 Siehe dazu BVerfG 8. 2. 1972 – 1 BvR 170/71 – BVerfGE 32, 311, 317 – Steinmetz-Wettbewerb; BVerfG 1. 3. 1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 – BVerfGE 50, 290, 336 – Mitbestimmung; BVerfG 7. 2. 1990 – 1 BvR 26/84 – BVerfGE 81, 242, 254 – Wettbewerbsverbot des Handelsvertreters. 197 Aus der Rechtsprechung OLG Köln 9. 3. 2007 – 6 W 23/07 – GRUR-RR 2007, 364, 365 – Das Große RabattWürfeln; LG Aschaffenburg 20. 5. 2010 – 1 HK O 64/09 Magazindienst 2010, 750 –Mauertrockenlegungssystem. 198 § 4a Abs. 1 S. 3. 199 BGH 2. 12. 2009 – I ZR 152/07 – GRUR 2010, 654 Tz. 18 – Zweckbetrieb. 200 Dazu Peukert Güterzuordnung S. 383 f. 201 BVerfG 13. 7. 1992 – 1 BvR 310/90 – GRUR 1993, 751; BVerfG 13. 7. 1992 – 1 BvR 238/92 – GRUR 1993, 754; BVerfG 18. 2. 2004 – 1 BvR 2121/98 – NZG 2004, 616, 617. 202 BVerfG 12. 12. 2000 – 1 BvR 1762/95, 1 BvR 1787/95 – BVerfGE 102, 347, 360 – Benetton-Werbung („Die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung darf nicht dazu führen, dass Einzelne sich durch unzulässige Praktiken Vorteile im Wettbewerb verschaffen.“). 203 BVerfG 8. 2. 1972 – 1 BvR 170/71 – BVerfGE 32, 311, 317 ff., 319 – Steinmetz-Wettbewerb; BVerfG 13. 7. 1992 – 1 BvR 310/90 – GRUR 1993, 751, 753; für Goodwill und den Unternehmensruf offengelassen von BVerfG 18. 2. 2004 –

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B. Der Schutzzweck des UWG

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b) Koordination nach Maßgabe des Allgemeininteresses am unverfälschten Wettbe- 91 werb. Damit ist freilich noch nicht die Frage beantwortet, anhand welchen Maßstabs kollidierende Freiheitsinteressen im Markt zu koordinieren sind. Zu kurz greift zunächst der Verweis auf den Grundsatz „in dubio pro libertate“.204 Dies gilt jedenfalls, wenn man die Gewährleistung von Verbraucherautonomie durch Informationspflichten und Irreführungsverbote als freiheitsfördernde Maßnahme einordnet.205 Dann können sich nämlich sowohl der betroffene Verbraucher als auch der mit einem Verbot belegte Unternehmer auf Freiheitsinteressen berufen, ohne dass der Grundsatz „in dubio pro libertate“ erkennen ließe, wem der Vorzug gebührt. Und selbst wenn man den Begriff der Freiheit rein negativ versteht, so dass auch gesetzliche Regelungen zur Förderung der Selbstbestimmung der Verbraucher als hoheitliche Zwangsmaßnahme zu qualifizieren sind,206 liefert besagtes Prinzip keinen Maßstab, wann ein solcher Eingriff ausnahmsweise doch gerechtfertigt ist. Erforderlich ist ein Kriterium, das zwischen wettbewerbskonformen Anpassungszwängen, die alle Marktteilnehmer eigenverantwortlich hinzunehmen haben,207 und rechtlich zu sanktionierenden, wettbewerbsverfälschenden Manipulationen,208 unterscheiden hilft. Dieses Kriterium sind die Funktionsbedingungen des Wettbewerbs als dem vom Gesetz 92 vorausgesetzten und zugleich geschützten Ordnungsprinzip der Wirtschaft.209 Zur Erklärung dieses Phänomens wird wie gezeigt methodisch und normativ vom einzelnen Akteur ausgegangen, der seinen Wirtschaftsplan unabhängig von äußerem Zwang aufstellt und verfolgt. Diese individuellen, gleichrangigen Wettbewerbsfreiheiten der Marktteilnehmer spricht § 1 S. 1 UWG an. Ihr egoistisch-antagonistisches Streben zeitigt „zugleich“ Wirkungen, die im Allgemeininteresse liegen. Diese Allgemeininteressen meint § 1 S. 2. Zu den zu schützenden Funktionen des Wettbewerbs zählt es, die Einzelpläne an die 93 zur Verfügung stehenden Güter und die bestehenden Bedürfnisse anzupassen und so zu einer effizienten Ressourcenallokation beizutragen (Anpassungs- und Steuerungsfunktion), technisch-wirtschaftlichen Fortschritt zu generieren und Profite nach individueller Leistung zu verteilen. Zudem ist Wettbewerb eine mögliche Antwort auf das Problem privater Macht.210 Diese normativ erwünschten Effekte des wirtschaftlichen Wettbewerbs bedürfen viel- 94 fältiger rechtlicher Absicherung, da Marktteilnehmer immer wieder versuchen, sich den Zwängen dieses selbststeuernden Mechanismus zu entziehen bzw. seine Ergebnisse im eigenen Interesse zu verfälschen.211 Die hierfür erforderliche regulative Leistung wird unter anderem vom Lauterkeitsrecht erbracht. UWG-Verbote müssen demnach der Erhaltung der Funktionsbedingungen des Gesamtsystems Wettbewerb dienen.212 Eine geschäftliche Handlung muss dann, aber darf auch nur dann als unlauter verboten werden, wenn sie den Zielerreichungsgrad des selbststeuernden Systems Wettbewerb beeinträchtigt.213 1 BvR 2121/98 – NZG 2004, 616, 617; BGH 3. 12. 1998 – I ZR 119/96 – BGHZ 140, 134, 145 = GRUR 1999, 1128 – Hormonpräparate; BGH 29. 3. 2007 – I ZR 164/04 – GRUR 2007, 987, 988 – Änderung der Voreinstellung I (ein Mitbewerber habe keinen Anspruch auf Erhaltung seines Kundenstamms). 204 So noch Harte/Henning/Schünemann Rn. 39 ff., 43 m. w. N. 205 Instruktiv zum Unterschied zwischen negativer Freiheit und Freiheit als Autonomie Swift S. 51 ff. 206 Oben § 1 Rn. 88 ff. 207 Peukert in Riesenhuber S. 419 ff. 208 Siehe Harte/Henning/Podszun Rn. 94 ff. 209 Harte/Henning/Podszun Rn. 92. Allgemein zum ordoliberalen Verständnis der Wirtschaft Hoppmann Festschrift Willgerodt, S. 3 ff. 210 Zu den Funktionen des Wettbewerbs Schmidt S. 31 ff.; Herdzina S. 20 ff.; Thouvenin S. 77 ff.; Beater Rn. 110 ff.; vgl. auch BGH 19. 4. 2018 – I ZR 154/16 – LSK 2018, 11793 Tz. 39 – Werbeblocker II (der Markt lebe von der Kraft der Innovation). 211 Fikentscher Die Freiheit und ihr Paradox, S. 13 ff. 212 Thouvenin S. 140 ff., 548; Otto S. 217 f.; Harte/Henning/Podszun Rn. 92. 213 Schluep Festschrift Kummer, S. 487, 496 f.; Rehberg in Zetzsche S. 49, 74 ff.; Thouvenin S. 421 ff.; Podszun WRP 2009, 50 ff.

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Für diesen wettbewerbsfunktionalen Ansatz sprechen Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte der Schutzzweckklausel. Das UWG schützt gem. § 1 negativ-abwehrend „vor unlauteren geschäftlichen Handlungen“ und positiv-ermöglichend den unverfälschten Wettbewerb. Also sind unlautere Verhaltensweisen solche, die den Wettbewerb verfälschen.214 Aus der bewusst gewählten215 Formulierung, wonach dieses Gesetz „zugleich“ das Interes96 se der Allgemeinheit am unverfälschten Wettbewerb schützt, folgt ein inhärenter Bezug zwischen subjektiver und objektiv-allgemeiner Ebene. Dagegen treten die Allgemeininteressen nicht im Sinne einer kumulativen Aufzählung („und“/„auch“) gesondert neben die Belange der einzelnen Marktteilnehmer. Vielmehr müssen alle Beeinträchtigungen individueller Interessen „zugleich“ eine Verfälschung des Wettbewerbs hervorrufen können, um überhaupt wettbewerbsrechtlich relevant zu sein.216 Letztlich maßgeblich ist mithin, ob die angegriffene geschäftliche Handlung die Allgemeininteressen am unverfälschten Wettbewerb beeinträchtigt. Für diese Stufenordnung spricht auch die Systematik des § 1, der Partikular- und Allgemeininteressen in getrennten Sätzen ausweist und hiermit einen qualitativen Unterschied signalisiert.217 97 In diesem Sinne formuliert auch die Begründung zu § 1, der „eigentliche Zweck“ des UWG liege darin, das Marktverhalten im Interesse der genannten drei Schutzsubjekte „und damit zugleich“ das Interesse der Allgemeinheit zu regeln.218 Von einem gleichrangigen Schutz ist lediglich hinsichtlich der in Satz 1 genannten Mitbewerber, Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer die Rede,219 während davon abgesetzt ausgeführt wird, das Gesetz verfolge ein „integrierte[s] Modell eines gleichberechtigten Schutzes der Mitbewerber, der Verbraucher und der Allgemeinheit“.220 Gleichrang und Gleichberechtigung können unterschieden werden. In einem ersten Schritt sind die wettbewerbsbezogenen Freiheitsinteressen der drei Gruppen von Marktteilnehmern zu erfassen. Hiermit zwar verknüpft und insoweit gleichberechtigt, aber bei Interessenkonflikten zwischen den Marktteilnehmern ausschlaggebend, ist der Schutz des Allgemeininteresses am unverfälschten Wettbewerb. Damit hat der Gesetzgeber sowohl einer Mehrheit oder gar einem „Dualismus“ von Schutzzwecken als auch einer Realisierung sonstiger Gemeinwohlbelange durch das UWG eine Absage erteilt. 98 Der Verbots- bzw. Unlauterkeitsgehalt der §§ 3a–7 folgt dieser wettbewerbsfunktionalen Teleologie bis auf wenige Ausnahmen.221 Die wirtschaftliche Handlungsfreiheit der in § 1 S. 1 genannten Marktteilnehmer wird in zweierlei Weise vor unlauteren geschäftlichen Handlungen geschützt. Erstens wird durch das Verbot irreführender geschäftlicher Handlungen dafür Sorge getragen, dass die Marktteilnehmer ihre Entscheidungen auf sachlich zutreffender Grundlage treffen können.222 Zweitens werden aggressive geschäftliche Handlungen untersagt, die 95

214 Götting/Nordemann Rn. 30; Harte/Henning/Podszun Rn. 91 ff.; a. A. mit Hinweis auf den isolierten Wortsinn von „unlauter“ und „unverfälscht“ Gloy/Loschelder/Danckwerts/v. Ungern-Sternberg/Schaub § 27 Rn. 6.

215 Der Entwurf von Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, hatte noch von „damit“ statt „zugleich“ gesprochen; siehe HK-Wettbewerbsrecht/Klippel/Brämer Rn. 25. 216 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 48; HK-Wettbewerbsrecht/Klippel/Brämer Rn. 25 f. („das geeinte Interesse aller Marktbeteiligten und überhaupt der Gesellschaft an einem funktionierenden Wettbewerb“); anders Kulka Festschrift Keßler, S. 309, 350 f. (Gleichrang von Individual- und Allgemeininteressen). 217 Insoweit zutreffend Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 29, der daraus allerdings eine ganz andere als die hier vertretene Schlussfolgerung zieht. 218 RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 15 f. In diesem Sinne bereits der Entwurf von Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, 1324; ferner Lettl Rn. 64 (Schutz des Wettbewerbs als Institution). 219 Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, 1324; RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 15 f.; OLG Düsseldorf 19. 6. 2007 – 20 U 154/06 – GRUR-RR 2008, 64, 65 f.; Ohly GRUR 2004, 889, 894 (Gleichrangigkeit des Konkurrenten- und Verbraucherschutzes). 220 RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 16. 221 Näher dazu § 3 Rn. 116 ff. 222 Siehe dazu § 4 Nr. 2, 3 lit. a und lit. b 2. Alt., §§ 5, 5a, 6 Abs. 2 Nr. 1–3; 16 Abs. 1 und 2; Anhang zu § 3 Abs. 3 Nr. 1–24; Art. 5 Abs. 4 lit. a, 6, 7 UGPRL. Ferner Beater § 16; Keßler/Micklitz BB 2005/49, BB-Special 13, 1, 16. Zum Abwerben von Mitarbeitern als Fallgruppe des § 3 Abs. 1 siehe § 3 Rn. 274 ff.

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B. Der Schutzzweck des UWG

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den freien Entscheidungsprozess beeinträchtigen.223 Beide Verbotskategorien gewährleisten durch den Schutz individueller Interessen zugleich den unverfälschten Wettbewerb. Denn es kommt zu Fehlallokationen, wenn Marktentscheidungen auf Täuschung und aggressiver Beeinflussung statt auf Preis, Qualität und sonstiger Leistung beruhen.224 Dem Allgemeininteresse am unverfälschten Wettbewerb dient ferner der Rechtsbruchtatbestand des § 3a, da zumindest auch sichergestellt wird, dass sich alle Teilnehmer an die im Wettbewerb geltenden Vorschriften halten, ohne die Chancengleichheit zu verzerren.225 Über eine vornehmlich institutionelle Dimension verfügen schließlich zwei Fallgruppen im Anwendungsbereich der Generalklausel des § 3 Abs. 1, nämlich die allgemeine Marktstörung226 und das Verbot des Missbrauchs hoheitlicher Vorzugsstellungen.227 Auf der Ebene der Sanktionen schlägt sich das gemeinwohlbezogene Schutzgut des UWG in Gestalt der grundsätzlichen Entkopplung von individueller Interessenbeeinträchtigung und Klagebefugnis nieder.228 Zudem können Unterlassungsansprüche auch und Gewinnabschöpfungsansprüche sogar nur von Verbänden, qualifizierten Einrichtungen und Kammern geltend gemacht werden.229 Die Ausrichtung des Lauterkeitsrechts auf die subjektive und objektive Wettbewerbsfreiheit offenbart sich überdies in weitgehenden Parallelen zum Kartellrecht. Nicht nur, dass das GWB über eine ähnliche Struktur wie das UWG verfügt, indem Verbote unzulässigen Wettbewerbshandelns von wiederum ähnlichen Rechtsfolgen gem. §§ 8 ff. UWG, 33–34a GWB flankiert werden.230 Wichtiger noch ist die sich in diesen Äußerlichkeiten ausprägende Zielkomplementarität des Lauterkeits- und Kartellrechts. Das GWB und die Art. 101, 102 AEUV verbieten Marktverhalten, das eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt oder bewirkt. Diese Regelungen dienen daher wie das UWG dem Schutz des freien und lauteren Wettbewerbs im öffentlichen Interesse an den Wirkungen dieses Ordnungsprinzips.231 Verkürzt ausgedrückt, widmet sich das GWB der Sicherung des „Ob“ der Betätigungsfreiheit, das UWG dem „Wie“.232 Hingegen ist es verfehlt, unter Verweis auf die Beschränkung der „ungezügelten“ Wettbewerbsfreiheit durch das Lauterkeitsrecht einen Gegensatz zwischen beiden Rechtsmaterien zu konstruieren.233 Denn dabei wird verkannt, dass individuelle Betätigungsfreiheit – so sie 223 Siehe dazu § 4 Nr. 1, 3 lit. b 1. Alt. und lit. c, 4, §§ 4a, 6 Abs. 2 Nr. 4–6; 7 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1; 17–19; Anhang zu § 3 Abs. 3 Nr. 25–30; Art. 5 Abs. 4 lit. b, 8, 9 UGPRL. Ferner Beater § 17; Keßler/Micklitz BB 2005/49, BB-Special 13, 1, 16. 224 Dies ist der wettbewerbstheoretisch berechtigte Kern des Begriffs „Leistungswettbewerb“, der freilich im Laufe der Geschichte des UWG auch zur Begründung wettbewerbsfeindlicher Tendenzen instrumentalisiert wurde. Siehe dazu oben § 1 Rn. 49 ff.; ferner Gloy/Loschelder/Danckwerts/Leistner § 4 Rn. 24 (verfehlter Begriff für in der Sache berechtigte Gesichtspunkte); Apostolopoulos WRP 2005, 152, 154; ablehnend zum Begriff Leistungswettbewerb Harte/Henning/Ahrens Einl. G Rn. 80; Harte/Henning/Podszun Rn. 91; Ohly/Sosnitza Einf. A Rn. 23; Beater Rn. 766 ff.; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 44. 225 Zur lauterkeitsrechtlichen Sanktionierung anderer Interessen über den Rechtsbruchtatbestand siehe § 1 Rn. 155 ff.; ferner Emmerich Unlauterer Wettbewerb, §§ 19, 20. 226 § 3 Rn. 278 ff. 227 § 3 Rn. 311 ff. 228 Unten § 1 Rn. 313 ff. und OLG Düsseldorf 12. 9. 2019 – 15 U 48/19 – WRP 2020, 88 Rn. 57 (Verbände für Verstöße gegen § 4 Nr. 2 aktivlegitimiert, da das Verbot der Anschwärzung gem. § 1 S. 2 auch dem Schutz des Interesses am unverfälschten Wettbewerb diene). 229 Siehe §§ 8 Abs. 3 Nr. 2–4, 10. 230 RegE GWB, BTDrucks. 15/3640, S. 69; BGH 7. 2. 2006 – KZR 33/04 – BGHZ 166, 154, 160 f. = GRUR 2006, 773 – Probeabonnement (Vergleich der Anspruchsgrundlagen von UWG und GWB). Zur Streitwertherabsetzung im Interesse der Effektivität der Verfolgung von Verstößen siehe die §§ 12 Abs. 4 UWG, 89a GWB. 231 E. Ulmer/Beier S. 5; Raiser GRUR Int. 1973, 443, 445; Schluep GRUR Int. 1973, 446, 448; Keßler WRP 2005, 1203 ff. 232 Schluep GRUR Int. 1973, 446, 448. 233 So insbesondere – aus geistesgeschichtlicher Sicht wie gezeigt nicht überraschend – die „sozialrechtliche“ Auffassung, die für eine scharfe Unterscheidung zwischen dem wettbewerbs- und dem kartellrechtlichen Tat-

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mit Hilfe des Kartellrechts besteht – im kompetitiven Verhaltensprozess gar nicht unbeschränkt gedacht werden kann und daher einer Ordnung bedarf, die die unausweichlichen gegenseitigen Beeinträchtigungen auf die mit Wettbewerb verknüpften Allgemeininteressen ausrichtet.234 Folglich etablieren UWG und Kartellrecht den allgemeinen Rahmen, innerhalb dessen die Marktteilnehmer ihre rechtsgleiche Wettbewerbsfreiheit ausüben.235 103 Die wettbewerbsfunktionale Theorie reflektiert ferner die grund- und europarechtlichen Rahmenbedingungen des UWG. Die Grundrechtsjudikatur des Bundesverfassungsgerichts und die Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten läuteten seit den 1990er Jahren eine Phase der Liberalisierung des deutschen Lauterkeitsrechts ein. Diese externen Einflüsse auf das deutsche Lauterkeitsrecht haben bereits zum UWG 1909 der funktionalen, auf die Institution Wettbewerb bezogenen Betrachtungsweise zum Durchbruch verholfen.236 Das Bundesverfassungsgericht hielt eine auf der Basis des UWG 1909 erfolgende Einschrän104 kung der wirtschaftlichen Handlungs- bzw. Meinungsfreiheit nur für gerechtfertigt, wenn dadurch eine konkrete Gefährdung des Leistungswettbewerbs unterbunden werde. Verfassungsrechtlich zulässiger Zweck des UWG sei es, im Interesse des Schutzes der Wettbewerber, Verbraucher und sonstiger Marktbeteiligter Verhaltensweisen zu verhindern, welche die Funktionsfähigkeit des leistungsorientierten Wettbewerbs stören, zum Beispiel durch unlautere Einflussnahmen auf die freie Entschließung der Kunden.237 Diese Zielsetzung formuliert § 1 S. 2.238 Der Schutz des unverfälschten Wettbewerbs ist ferner ein zentrales Motiv des europä105 ischen Wirtschaftsrechts.239 In seiner Rechtsprechung zum EG-Vertrag ging der EuGH davon aus, dass die primärrechtlichen Vorschriften zum Binnenmarkt, zur Wirtschaftspolitik, zu den Grundfreiheiten sowie die Wettbewerbsregeln das einheitliche Ziel verfolgten, dass „auf einem Markt, der die Merkmale eines einzigen Marktes aufweist, ein wirksamer, unverfälschter Wettbewerb hergestellt wird“ und umgekehrt Wettbewerbsverfälschungen „zum Schaden des öffentlichen Interesses, der einzelnen Unternehmen und der Verbraucher“ vermieden werden.240 Eine solch geordnete Marktöffnung wurde vom Gerichtshof immer wieder als „grundlegendes“ und bestand eintrat; siehe Hefermehl Festschrift Nipperdey, S. 283, 299; Kummer S. 122 ff. (Lauterkeits- und Freiheitsschutz seien streng zu unterscheiden, das Lauterkeitsrecht diene nicht der Erhaltung des freien Wettbewerbs). Differenzierend noch zum UWG 2004 Götting S. 3 f. („unterschiedliche Schwerpunkte“ zwischen UWG und GWB). 234 Böhm Wettbewerb und Monopolkampf, S. 11, 120 ff.; Schluep GRUR Int. 1973, 446, 451. 235 Raiser GRUR Int. 1973, 443, 445; Schluep GRUR Int. 1973, 446, 451 f. 236 Siehe dazu Sosnitza GRUR 2018, 255; Emmerich Festschrift Gernhuber, S. 857, 862; zum Einfluss des Verfassungsrechts H.-J. Ahrens JZ 2004, 763. 237 Siehe zum UWG 1909 BVerfG 22. 5. 1979 – 1 BvL 9/75 – BVerfGE 51, 193, 215 = GRUR 1979, 773 – Schloßberg („Schutzgut ist die Lauterkeit des geschäftlichen Verkehrs; die Institution des Wettbewerbs wird geschützt.“); BVerfG 8. 3. 1988 – 1 BvR 1092/84 – BVerfGE 78, 58, 72 = GRUR 1988, 610 – Ausstattungsschutz; BVerfG 12. 12. 2000 – 1 BvR 1762/95, 1 BvR 1787/95 – BVerfGE 102, 347, 360, 364 = GRUR 2001, 170 – Benetton-Werbung (Belange des Leistungswettbewerbs als Rechtfertigungsgrund); BVerfG 6. 2. 2002 – 1 BvR 952/90, 1 BvR 2151/96 – GRUR 2002, 455 f. – Tier- und Artenschutz; dito BVerfG 7. 11. 2002 – 1 BvR 580/02 – NJW 2003, 277, 278 (Relevanz weiterer Schutzgüter offengelassen); BVerfG 4. 8. 2003 – 1 BvR 2108/02 – GRUR 2003, 965, 966 – Interessenschwerpunkt „Sportrecht“ (Schutz gegen unlauteren Wettbewerb); BVerfG 21. 7. 2005 – 1 BvR 217/99 – NJW 2005, 3201 f. (Schutz der Lauterkeit des Wettbewerbs); BVerfG 12. 7. 2007 – 1 BvR 2041/02 – GRUR 2008, 81, 82 f. – Pharmakartell; zum UWG 2004 entsprechend OLG Düsseldorf 19. 6. 2007 – 20 U 154/06 – GRUR-RR 2008, 64, 65 f. – FußballticketWeiterverkauf; zur Bedeutung der Grundrechte für den Begriff der Unlauterkeit näher § 3 Rn. 175 ff. 238 Ekey Rn. 129 f. (der Gesetzgeber habe sich der Rechtsprechung des BVerfG und nicht derjenigen des BGH angeschlossen); kritisch H.-J. Ahrens JZ 2004, 763, 771. 239 Immenga EuZW 1994, 14, 15; Basedow Festschrift Everling, S. 49, 52 (zur Zeit nach Maastricht ebenso a. a. O., 58); Mestmäcker Festschrift Willgerodt S. 263, 270. Zum gegenwärtigen Primärrecht siehe aber unten § 1 Rn. 119 ff. 240 EuGH 13. 7. 1966 – Rs. 32/65 – Slg. 1966, 459, 483 – Italienische Republik/Rat und Kommission; EuGH 13. 7. 1966 – verb. Rs. 56 und 58/64 – Slg. 1966, 321, 388 – Consten/Grundig; EuGH 8. 6. 1971 – Rs. 78/70 – Slg. 1971, 487 Tz. 8 – Deutsche Grammophon (Art. 3 lit. f EWG und Grundfreiheiten); EuGH 18. 4. 1975 – Rs. 6/72 – Slg. 1973, 215 Tz. 23 f. – Europemballage u. Continental Can/Kommission; EuGH 13. 2. 1979 – Rs. 85/76 – Slg. 1979, 461 Tz. 132 –

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„wesentliches“ Ziel der EG bzw. als „fundamentaler“, „allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts“ bezeichnet.241 Die in den folgenden Jahrzehnten ergangene Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten und namentlich zum Grundsatz der Lauterkeit des Handelsverkehrs kann durchaus im Sinne des Schutzes eines intensiven, unverfälschten Wettbewerbs gelesen werden.242 Folge der negativen Integration war eine Schleifung nationaler, wettbewerbsbeschränkender Marktverhaltensregeln. So wurden die zuvor teilweise rigiden Anforderungen an zulässige Werbung im deutschen Recht deutlich abgesenkt.243 Spätestens seit der Kodifikation dieser externen Einflüsse in Gestalt von § 1 steht der wettbewerbsfunktionale Zweck des Lauterkeitsrechts nicht mehr zur Disposition der Gerichte.244 Das gilt auch und gerade in Anbetracht der Umsetzung der UGPRL. Denn anders als der europäische Gesetzgeber, der sich in diesem Rechtsakt auf die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher kapriziert, hat die deutsche Legislative bewusst am umfassenden lauterkeitsrechtlichen Ansatz festgehalten, die Interessen aller Marktteilnehmer und damit zugleich das Allgemeininteresse am unverfälschten Wettbewerb zu schützen.245 § 1 verbietet daher jedenfalls eine „unbegrenzte Auslegung“ des UWG im Sinne eines Ordnungsinstruments für jedwede Wirtschaftsordnung, sei sie marktwirtschaftlich, ständisch oder streng dirigistisch geprägt.246 Rechtsvergleichend ist für die wettbewerbsfunktionale Theorie auf das schweizerische Lauterkeitsrecht zu verweisen, das gerade in den grundlegenden Ziel- und Strukturentscheidungen Vorbild für das UWG 2004 war. Gem. Art. 1 CH-UWG bezweckt jenes Gesetz, „den lauteren und unverfälschten Wettbewerb im Interesse aller Beteiligten zu gewährleisten“. Damit wird wie in § 1 S. 2 der Schutz der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs zum Programm des Gesetzes erklärt.247 Unverkennbar stützt sich die wettbewerbsfunktionale Lesart des UWG auf Erkenntnisse der Ökonomik.248 Das bedeutet zwar nicht, dass nunmehr ökonomische Modelle die lauterkeits-

Hoffmann-La Roch/Kommission; EuGH 26. 6. 1980 – Rs. 136/79 – Slg. 80, 2033 Tz. 20 – National Panasonic/Kommission; EuGH 29. 1. 1985 – Rs. 231/83 – Slg. 85, 305 Tz. 11 – Cullet; EuGH 11. 6. 1985 – Rs. 229/83 – Slg. 85, 1 Tz. 8 f. – Leclerc/SARL; EuGH 19. 3. 1991 – Rs. 202/88 – Slg. 1991 I-1223 Tz. 41 – Französische Republik/Kommission; Ophüls ZHR 124 (1962), 136, 147; Fikentscher Festschrift Hallstein, S. 127, 161; ders. Wirtschaftsrecht, 667 f. (europäische Grundsätze lauteren Wettbewerbs); anders Reich/Micklitz S. 14 (produktivistische, anbieterorientierte Ausrichtung des EWGV). 241 EuGH 13. 7. 1966 – verb. Rs. 56 und 58/64 – Slg. 1966, 321, 388 – Consten/Grundig; EuGH 8. 6. 1971 – Rs. 78/70 – Slg. 1971, 487 Tz. 12 – Deutsche Grammophon; EuGH 18. 4. 1975 – Rs. 6/72 – Slg. 1973, 215 Tz. 24 – Europemballage u. Continental Can/Kommission (so wesentlich, dass sonst zahlreiche Vertragsvorschriften gegenstandslos wären); EuGH 29. 1. 1985 – Rs. 231/83 – Slg. 85, 305 Tz. 10 – Cullet; EuGH 7. 2. 1985 – Rs. 240/83 – Slg. 85, 531 Tz. 9 – Procureur de la République/ADBHU; EuGH 11. 6. 1985 – Rs. 229/83 – Slg. 85, 1 Tz. 8 – Leclerc/SARL; EuGH 26. 11. 1985 – Rs. 182/84 – Slg. 85, 3731 Tz. 25 – Miro. 242 Im Einzelnen unten § 3 Rn. 157 ff. 243 Näher Peukert ZHR 173 (2009), 536 ff. m. w. N. 244 Siehe MünchKommUWG/Sosnitza vor § 1 Rn. 21. 245 BTDrucks. 16/10145, S. 16–18. 246 Zutreffend Wuttke WRP 2007, 119, 121 f. 247 Botschaft CH-UWG, BBl. 1983 II, 1009, 1037 ff. (auch zur Berücksichtigung der Lauterkeit des Verhaltens, also „geschäftsmoralischer“ Kriterien, die aber letztlich mit Blick auf eine Wahrung der Funktionen des Wettbewerbs angewendet werden müssten). Siehe ferner BGE 126 III 198, 202 (2000); BGE 131 III, 384, 388 (2005); Jenny S. 163 ff. m. w. N.; Thouvenin S. 123 f., 421 ff. m. w. N.; Weber sic! 2012, 231 ff. 248 Auch in Bezug auf das Lauterkeitsrecht wird die Berücksichtigung wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse vermehrt gefordert und akzeptiert, weil nicht über Wettbewerb geurteilt werden könne, wenn dessen Funktionsweise nicht klar sei; siehe Mestmäcker ZHR 137 (1973), 97, 100 f.; Reuter AcP 189 (1989), 199, 214 ff.; Emmerich Festschrift Gernhuber, S. 857, 864; Harte/Henning/Podszun Rn. 81 ff.; Thouvenin S. 5 ff.; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Leistner § 4 Rn. 2 ff.; Podszun WRP 2009, 509 ff.; Leistner ZEuP 2009, 56, 88 ff.; ders. ZGE 2009, 3 ff.; für das europäische Lauterkeitsrecht bereits Beier GRUR Int. 1984, 61, 66; Keßler/Micklitz BB 2005/49, BB-Special, 15.

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rechtliche Beurteilung leiten könnten oder gar sollten.249 Um dem Wettbewerbsrichter letztlich nicht zu leistende Auswirkungsanalysen abzunehmen, hat der Gesetzgeber die Maßstäbe der Unlauterkeit viel detaillierter als im früheren Recht konkretisiert.250 Bei deren Auslegung tritt eine wettbewerbstheoretisch informierte, funktions- und folgenorientierte Argumentation zur Herleitung lauterkeitsrechtlicher Verbote an die Stelle eines letztlich beliebigen „lauterkeitsrechtliche[n] Empfinden[s]“251 oder zumindest schiefer Metaphern aus der Welt des Sports.252 Freilich ist zu konstatieren, dass die lauterkeitsrechtliche Literatur bis in die jüngste Ver110 gangenheit rätselte, was denn eigentlich unter den geschützten Allgemeininteressen zu verstehen sei, obwohl die Theorie des Lauterkeitsrechts als Instrument zur dauerhaften Wahrung der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs vor Jahrzehnten formuliert und von der herrschenden Meinung zumindest äußerlich rezipiert wurde.253 Micklitz und Namyslowska begründen die im Zuge der UGPRL erfolgte Streichung der Interessen der Allgemeinheit an einem Schutz vor irreführender Werbung und ihren unlauteren Auswirkungen aus dem Zweckartikel der IrreführungsRL 1984/1997 lapidar damit, dass es Schwierigkeiten mache, ein allgemeines europäisches Interesse zu definieren.254 Demgegenüber bringt § 1 weiterhin zum Ausdruck, dass intensiver und unverfälschter Wettbewerb als solcher im Allgemeininteresse liegt, weil dadurch Ressourcen effizient genutzt, Bedürfnisse befriedigt und Gewinne leistungsgerecht und breit gestreut werden.

3. Abweichungen vom Grundsatz wettbewerbsfunktionaler Auslegung 111 Die wettbewerbsfunktionale Theorie liefert eine schlüssige Erklärung des UWG und seiner Bedeutung im Rahmen der Wirtschaftsverfassung. Sie kann jedoch nicht mehr vorbehaltlos zum alleinigen Zweck des geltenden Lauterkeitsrechts erklärt werden. Denn selbst das systematisch einheitliche UWG fragmentiert in teleologischer Hinsicht zunehmend. 112 Auslöser hierfür sind zum einen im UWG umgesetzte EU-Richtlinien, die mit eigenständiger und von § 1 abweichender Zielsetzung eine vollständige Rechtsangleichung herbeiführen. Zum anderen hat der deutsche Gesetzgeber seinerseits lauterkeitsrechtliche Verbote angeordnet, die nicht oder jedenfalls nicht primär der Wahrung der Funktionsbedingungen des Wettbewerbs dienen, sondern anderen Zwecken. 113 Diese teleologische Vielfalt ist offenzulegen, um Wertungsdivergenzen zu erklären und Wertungswidersprüche so weit wie möglich zu vermeiden. Freilich darf das Bemühen um Kohärenz aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts nicht so weit gehen, die europarechtlichen Regelungszwecke aus der Warte einer autonom-deutschen Funktionslehre zu ignorieren oder zu modifizieren.255

a) Schutz der Verbraucherautonomie im Anwendungsbereich der UGPRL 114 aa) Generelle Ausdifferenzierung des UWG im Hinblick auf die Schutzsubjekte. In der Schutzzweckklausel des § 1 kommt das umfassende, integrierte Regulierungsmodell des deut249 Zum more economic approach im Lauterkeitsrecht siehe § 3 Rn. 103 ff.; ferner Ohly/Sosnitza Einf A Rn. 18 f.; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Leistner § 4 Rn. 29 (nur begrenzt weiterführende Bedeutung wettbewerbstheoretischer Konzepte). 250 Siehe Mestmäcker ZHR 137 (1973), 97, 106. 251 So aber noch Piper/Ohly Rn. 3. 252 Nordemann Rn. 3 (Tour de France). 253 Siehe Micklitz/Keßler GRUR Int. 2002, 885, 899 (mit Vorschlag für eine Richtlinie über unlautere Marktkommunikation: „Zweck dieses Rechtsrahmens ist es, Unternehmen sowie insbesondere Verbraucher und die öffentlichen Interessen im allgemeinen vor unlauterer wirtschaftlicher Kommunikation zu schützen.“). Zur parallelen Unklarheit im deutschen Recht Peukert Güterzuordnung, S. 353 ff. m. w. N. 254 MünchKommUWG/Micklitz/Namyslowska Teil II. UGP-Richtlinie Art. 1 Rn. 13. 255 Insoweit zutreffend Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 32.

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B. Der Schutzzweck des UWG

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schen Gesetzgebers zum Ausdruck. Mitbewerber, Verbraucher und sonstige Marktteilnehmer werden gleichrangig vor unlauteren geschäftlichen Handlungen geschützt, womit zugleich dem wiederum gleichberechtigten Allgemeininteresse am unverfälschten Wettbewerb gedient ist. Unlautere Verhaltensweisen wie zum Beispiel eine Irreführung von Verbrauchern betreffen in aller Regel nicht nur bestimmte Marktteilnehmer, sondern wirken sich auf die miteinander vernetzten Entscheidungsprozesse weiterer Personenkreise wie zum Beispiel der Mitbewerber des Akteurs aus. Sie sind damit geeignet, den Wettbewerb insgesamt zu verfälschen.256 Dementsprechend unterscheiden die Konkretisierungen der Unlauterkeit gem. § 3a und § 6 nicht zwischen Mitbewerbern, Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern. Selbiges gilt für den Grundtatbestand der unzumutbaren Belästigung gem. § 7 Abs. 1. In anderen Tatbeständen wird hingegen zwischen den drei Gruppen von Marktteilnehmern 115 differenziert. Die in § 4 geregelten Fallgruppen betreffen den Schutz der Mitbewerber. Verbraucher und sonstige Marktteilnehmer werden in §§ 4a-5a als Marktgegenseite zusammengefasst, in § 7 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 1. Alt. (nur Verbraucher) und § 7 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. (nur sonstige Marktteilnehmer) hingegen getrennt adressiert. Darüber hinaus ist nach Maßgabe des § 3 Abs. 4 noch zwischen dem Durchschnittsverbraucher und besonders schutzwürdigen Verbrauchergruppen zu unterscheiden. Schließlich werden in § 7 Abs. 2 Schutzsubjekte benannt, die in § 1 und § 3a gar nicht erwähnt werden. § 7 Abs. 2 Nr. 3 schützt „Adressaten“, Nr. 4 „Empfänger“ vor bestimmten Werbemethoden; § 7 Abs. 3 Nr. 3 und 4 stellen hinsichtlich der Zulässigkeit elektronischer Post auf Erklärungen und Informationen des „Kunden“ ab. Nun widersprechen diese Unterscheidungen nicht per se einem prinzipiell integralen, alle 116 Marktteilnehmer einbeziehenden Modell. Zunächst entspricht es der Struktur des § 1, in einem ersten Schritt die individuellen Interessen der betroffenen Marktteilnehmer zu erfassen. Dies ist generell der Ausgangspunkt der auf die Wettbewerbsfunktionen ausgerichteten, lauterkeitsrechtlichen Beurteilung.257 In §§ 4 ff. wurden typische Fallgruppen kodifiziert, die z. T. eben nur oder jedenfalls primär die Interessen bestimmter Marktteilnehmer betreffen. Insoweit sind die dargestellten Ausdifferenzierungen als Folgen der konkretisierenden und zugleich liberalisierenden Kodifikation des Lauterkeitsrechts einzuordnen. Schließlich entspricht es dem Grundsatz der Wettbewerbsfreiheit, für ein Verbot genau zu prüfen, ob die konkret betroffenen Marktakteure überhaupt in ihrer wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit tangiert sind. Dazu ist es geradezu geboten, zwischen verschiedenen Verkehrskreisen zu differenzieren.258 Allerdings geht die personelle Fragmentierung im UWG über die Unterscheidung von typi- 117 schen Fallgruppen und Adressaten geschäftlicher Handlungen hinaus. Im Zuge der Umsetzung der UGPRL ist weitergehend sogar die Generalklausel des § 3 aufgespalten worden. Zwar ist der Vorstoß der Bundesregierung im Zuge der UWG-Reform 2015, unter dem Dach einer bloßen Rechtsfolgennorm zwei Generalklauseln für den B2C- und den B2B-Bereich zu kodifizieren, nicht Gesetz geworden.259 Dennoch ist zwischen Absatz 1, der in Fortführung des integral-ganzheitlichen deutschen Lauterkeitsrechts unlautere geschäftliche Handlungen für unzulässig erklärt, und Absatz 2–4 zu unterscheiden, die in Umsetzung der UGPRL nur auf geschäftliche Handlungen im B2C-Verhältnis anwendbar sind. Ungeachtet der streitigen Frage, in welchem Verhältnis § 3 Abs. 1 zu den übrigen Absätzen der Vorschrift steht,260 weckt allein die Aufspaltung der ehemals umfassenden Generalklausel, die in besonders engem Zusammenhang zur Zwecknorm des § 1 steht, Zweifel, ob unverändert von einem einheitlichen Telos des UWG ausgegangen werden kann. 256 Oben § 1 Rn. 83 ff. 257 Glöckner/Henning-Bodewig WRP 2005, 1311, 1329. 258 Zur vergleichenden Werbung siehe z. B. EuGH 25. 10. 2001 – C-112/99 – Slg. 2001 I-7945 Tz. 52 – Toshiba/Katun (Assoziation zwischen dem Ruf verschiedener Erzeugnisse bei Fachhändlern wesentlich weniger wahrscheinlich als bei Endverbrauchern). 259 Dazu § 3 Rn. 11 ff. 260 Dazu § 3 Rn. 88 ff.

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Zweck des Gesetzes

118 bb) Die Teleologie der UGPRL. Im Entwurf zur Umsetzung der UGPRL im UWG 2008 wird ohne Bezug auf die Ausdifferenzierung des § 3 argumentiert, der umfassende, einheitliche Anwendungsbereich des Gesetzes auf alle „geschäftlichen Handlungen“ ziehe einen einheitlichen Zweck unter Einschluss des Anwendungsbereichs der UGPRL nach sich.261 Dieser Schluss vom geregelten Lebenssachverhalt auf die Teleologie ist indes schon per se nicht zwingend, da es sich um zwei unterschiedliche Regelungsaspekte handelt. Eine Analyse der UGPRL zeigt überdies, dass sich der Zweck dieser vollständigen Rechtsangleichung nicht mit § 1 deckt.262 Die UGPRL lässt sich zwar wettbewerbsfunktional deuten, so dass nicht von einer regelrechten Ausnahme von diesem Programm gesprochen werden kann (1). Die Teleologie der Richtlinie weicht aber von § 1 insoweit ab, als sie eine andere, nämlich verbraucherschützende Perspektive auf das Wettbewerbsgeschehen einnimmt (2).

119 (1) Der wettbewerbsfunktionale Grundcharakter des EU-Lauterkeitsrechts. Die Regelungstechnik und der Regelungsgehalt der UGPRL lassen erkennen, dass auch dieser europäische Rechtsakt dem Schutz des unverfälschten Wettbewerbs im Binnenmarkt dient (vgl. § 1 S. 2). Wie die Richtlinie zur vergleichenden Werbung führt die UGPRL zu einer vollständigen Rechtsangleichung.263 Dieses Vorgehen richtet sich gegen Verzerrungen des Wettbewerbs durch unterschiedliche Regulierungsniveaus. Es gewährleistet Rechtssicherheit und unionsweit einheitliche Marktbedingungen zur Förderung grenzüberschreitender Angebots- und Nachfrageaktivitäten.264 Außerdem schließt die Vollharmonisierung strengere nationale Verbraucherschutzniveaus 120 aus. Gem. Art. 4 UGPRL dürfen die Mitgliedstaaten den freien Dienstleistungs- und Warenverkehr nicht aus Gründen, die mit dem durch diese Richtlinie angeglichenen Bereich zusammenhängen, einschränken. Das nationale Lauterkeitsrecht wird gewissermaßen gedeckelt und dadurch begrenzend liberalisiert. Insbesondere sind Per-se-Verbote ungeachtet der spezifischen Umstände des konkreten Falles nur nach Maßgabe des abschließend geregelten Anhangs zur UGPRL zulässig.265 In der Sache widmen sich die UGPRL und die IrreführungsRL 2006 den klassischen Fällen 121 unlauteren Wettbewerbs, nämlich Irreführungen und aggressiven Geschäftspraktiken. Die Verbote von Täuschungen und wettbewerbsfremdem Zwang sollen gewährleisten, dass Gewerbetreibende und Verbraucher informierte und freie Entscheidungen treffen können, wodurch wiederum sichergestellt wird, dass der Wettbewerb ohne Verfälschungen abläuft.266 Geschützt werden geschäftliche Entscheidungen im Wirtschaftsleben, auch wenn sich die Akteure hierbei von sittlichen Erwägungen leiten lassen.267 Die Verbote von Irreführungen und wettbewerbsfremder Aggressivität als Archetypen wett122 bewerbsfunktionaler Regulierung bildeten den gemeineuropäischen Nenner, der mit der UGPRL 261 RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 11. 262 Zu diesem Erfordernis oben § 1 Rn. 12 ff. 263 Siehe Art. 8 Abs. 1 2. UA RL 2006/114; Art. 1 und ErwGrde. 6, 8, 11–13, 15 RL 2005/29; Sosnitza WRP 2006, 1 ff.; de Vrey S. 58 f.

264 Vgl. ErwGrd. 2–5, 12, 17 UGPRL. 265 EuGH 14. 1. 2010 – C-304/08 – Slg. 2010 I-217 Tz. 53 – Plus; EuGH 11. 3. 2010 – C522/08 – Slg. 2010 I-2079 Tz. 33 – Telekommunikacja Polska; EuGH 7. 3. 2013 – C-343/12 – GRUR Int. 2013, 936, 937 Tz. 24 – Euronics Belgium; Brömmelmeyer GRUR 2007, 295, 299 ff. m. w. N.; Leistner ZEuP 2009, 56, 66 ff. (deklaratorische Festschreibung der Vollharmonisierung). 266 Siehe Art. 2 lit. e, 5 Abs. 4, 8 und ErwGrd. 14 S. 1, 16 RL 2005/29 (Schutz der Freiheit der Verbraucher, eine informierte und deshalb effektive Wahl zu treffen); ErwGrd. 3 RL 2006/114 (unverfälschter Wettbewerb); zum Verbot aggressiver Geschäftspraktiken Koch passim. 267 Zu dieser marktbegleitenden Sittlichkeit oben § 1 Rn. 59 f. Ferner RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 34 (zum Verbot wahrheitswidriger Behauptungen, der Vertrieb einer Ware oder einer angebotenen Dienstleistung diene sozialen oder humanitären Zwecken).

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B. Der Schutzzweck des UWG

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vollharmonisiert werden konnte. Ob eine wesentliche Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens des Verbrauchers vorliegt, bestimmt sich nach Maßgabe des aus der Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten bekannten Durchschnittsverbrauchers, der angemessen gut unterrichtet und angemessen aufmerksam und kritisch ist.268 Demgegenüber lässt die Richtlinie „kulturell“ motivierte Verbote aus Gründen der „guten Sitten und des Anstands“ (taste and decency), bei denen die Wahlfreiheit des Verbrauchers nicht in Rede steht, unberührt.269 Schließlich verbietet die UGPRL keine bestimmten Inhalte oder Formen der Wirtschaftswerbung und formuliert insoweit auch keine positiven Vorgaben.270

(2) Der Verbraucherschutzfokus der UGPRL. Insgesamt scheint es, als würden sowohl das 123 Primärrecht271 als auch das Sekundärrecht unter Einschluss der UGPRL ein wettbewerbsfunktionales Verständnis des UWG nicht nur nahelegen, sondern geradezu fordern.272 Dieser Schlussfolgerung steht indes die besondere, von § 1 abweichende Perspektive der UGPRL auf das Marktgeschehen entgegen.273 Das in § 1 formulierte, integral-wettbewerbsfunktionale Verständnis des Lauterkeitsrechts 124 fand sich bis Ende 2007 noch prominent im Eingangsartikel der IrreführungsRL 1984/1997. Ihr Zweck war der Schutz der Verbraucher, der Gewerbetreibenden sowie der Interessen der Allgemeinheit vor irreführender Werbung und deren unlauteren Auswirkungen sowie die Festlegung der Bedingungen für zulässige vergleichende Werbung.274 Zweck der UGPRL ist es hingegen, durch Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvor- 125 schriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken, die die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher beeinträchtigen, zu einem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts und zum Erreichen eines hohen Verbraucherschutzniveaus beizutragen.275 Verhindert werden soll die unmittelbare Schädigung der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher.276 Zugleich wurden die Allgemeininteressen an der Verhinderung irreführender Werbung und ihrer unlauteren Auswirkungen aus der IrreführungsRL 1984/1997 gestrichen, so dass jene Richtlinie nunmehr nur noch Gewerbetreibende vor irreführender Werbung schützt.277

268 ErwGrd. 18, Art. 5 Abs. 2 lit. b UGPRL. 269 ErwGrd. 7 S. 3–5 UGPRL; Keßler/Micklitz BB 2005/49, BB-Special 13, 1, 13. 270 Siehe ErwGrd. 6 S. 5, 14 UGPRL. Zur Zulässigkeit vergleichender Werbung im Lebensmittelbereich EuGH 18. 11. 2010 – C159/09 – Slg. 2010 I-11761 Tz. 38 ff. – Lidl/Vierzon. 271 Dazu oben § 1 Rn. 105 f. 272 Glöckner S. 509, 512 (Schutzobjekt des europäischen Lauterkeitsrechts sei demgemäß „allein“ das den Individualinteressen übergeordnete Allgemeininteresse am funktionsfähigen Wettbewerb); Ohly/Sosnitza § 3 Rn. 23; Podszun WRP 2009, 509 ff.; Brömmelmeyer GRUR 2007, 295, 297 (der unverfälschte Wettbewerb sei als Schutzzweck der Richtlinie anzuerkennen); für eine wettbewerbstheoretische Verankerung des Lauterkeitsrechts unter Ausgrenzung ethisch-moralischer Erwägungen auch MünchKommUWG/Micklitz/Namyslowska Teil II. UGP-Richtlinie Art. 5 Rn. 15, 22 (funktionsbezogenes Wettbewerbskonzept); anders unter Hinweis auf den Verbraucherschutzgedanken Koos S. 77 f. (der gemeinschaftsrechtliche Lauterkeitsmaßstab sei ausgehend vom höchsten mitgliedstaatlichen Schutzniveau unter Beachtung der Grundfreiheiten zu ermitteln). 273 In diesem Sinne insbesondere Reich/Micklitz S. 11 („Das vorliegende Buch thematisiert und systematisiert das Europäische Wirtschaftsrecht aus der Perspektive des Verbrauchers als homo oeconimicus passivus …“.), S. 13 (das europäische Wirtschaftsrecht habe „letztlich dem Verbraucherinteresse zu dienen“). Zu Änderungen des Primärrechts als Ursache dieser Zieldiversifizierung Peukert ZHR 173 (2009), 536 ff. 274 ErwGrd. 6 IrreführungsRL 1984; EuGH 2. 2. 1994 – Rs. 315/92 – Slg. 1994, 317 Tz. 9 – Verband sozialer Wettbewerb/Clinique Laboratories; umfassend auch das Verständnis des Zwecks der Richtlinie bei EuGH 16. 1. 1992 – Rs. C-373/90 – Slg. 1992 I-131 Tz. 9 – Ermittlungsverfahren gegen X; Lettl Rn. 64 f. (Allgemeininteressen seien nur in Bezug auf einen funktionsfähigen Wettbewerb im Binnenmarkt geschützt). 275 Vgl. Art. 1, ErwGrd. 1 UGPRL. 276 Siehe ErwGrd. 6, 7 RL 2005/29. Zu früheren Fassungen der Erwägungsgründe Gamerith WRP 2005, 391, 412 f. 277 Siehe Art. 14 UGPRL; Art. 1 IrreführungsRL 2006/114.

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Zweck des Gesetzes

Mit diesen Weichenstellungen wendet sich der europäische Gesetzgeber explizit von einem Lauterkeitsrecht ab, das im Interesse aller Marktteilnehmer und der Allgemeinheit die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs stabilisiert.278 Zugleich wurde der Anwendungsbereich der Regelungen zu irreführender Werbung aufgespalten, je nachdem, ob es sich um den Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern (B2C) oder um denjenigen zwischen Unternehmen (B2B) handelt.279 Trotz ihrer wie gezeigt wettbewerbsfunktionalen Grundanlage bringt die perspektivische 127 Engführung der UGPRL auf den Verbraucherschutz in der Sache strengere Vorgaben für vergleichende Werbung280 und generell hohe Anforderungen an die Lauterkeit von Geschäftspraktiken mit sich, etwa im Hinblick auf besonders schutzbedürftige Verbrauchergruppen281 oder irreführende Unterlassungen.282 Das hohe Verbraucherschutzniveau der UGPRL trägt zwar keine genuin marktbegrenzenden Züge, es soll aber die Selbstbestimmung des Verbrauchers mit Rücksicht auf seine grundsätzlich schwache Position im Markt ausgleichend sicherstellen.283 Die Rechtsprechung des EuGH zeigt, dass das Ziel eines hohen Verbraucherschutzni128 veaus die Auslegung der UGPRL prägt. Allein die schiere Masse unbestimmter Rechtsbegriffe zur Erläuterung dessen, was lauter oder unlauter ist („Erfordernisse der beruflichen Sorgfalt“, die wiederum als „Standard von Fachkenntnissen und Sorgfalt“ definiert werden, deren Anwendung „billigerweise“ gemäß den „anständigen Marktgepflogenheiten und/oder dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben“ erwartet werden kann), trägt dazu bei, dass die Generalklausel vorrangig anhand ihres Zwecks konkretisiert wird.284 Beispiele aus anderen Bereichen bestärken die Vermutung, dass sich der EuGH in kritischen Fällen auf die relativ klare Vorgabe eines hohen Verbraucherschutzniveaus kaprizieren wird.285 So fallen Entscheidungen im Ver126

278 Gamerith WRP 2005, 391, 427; a. A. ohne Rücksicht hierauf Brömmelmeyer GRUR 2007, 295, 297; Glöckner/ Henning-Bodewig WRP 2005, 1311, 1324 f. (weder Verbraucher noch Mitbewerber dürften auf der Grundlage des Lauterkeitsrechts mehr verlangen als der Schutz des funktionsfähigen Wettbewerbs gebiete). 279 Siehe Art. 3 Abs. 1, 2 lit. d UGPRL; näher § 3 Rn. 69 ff. 280 Zur vergleichenden Werbung vgl. Art. 4 lit. a IrreführungsRL 2006; Gamerith WRP 2005, 391, 429; ferner EuGH 18. 6. 2009 – C487/07 – Slg. 2009 I-5185 Tz. 68 f. – L’Oréal/Bellure (Abwägung der verschiedenen Interessen, die durch die Genehmigung der vergleichenden Werbung berührt sein können); EuGH 18. 11. 2010 – C159/09 – Slg. 2010 I-11761 Tz. 21 f. – Lidl/Vierzon. 281 Im Einzelnen Peukert ZHR 173 (2009), 536 ff. Zu Art. 5 Abs. 3 UGPRL RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 22 (der Schutz der erwähnten Gruppen sei der Richtlinie ein besonderes Anliegen); Böhler WRP 2011, 827, 828 („Folglich müssen Unternehmer bei Werbung in Massenmedien, welche zwar nicht nur, aber auch Minderjährige/Kinder anspricht, stets auf die Sicht dieser besonders geschützten Verbrauchergruppe abstellen.“); Radeideh S. 279; Schumacher in Hilty/Henning-Bodewig S. 127, 134; a. A. Glöckner/Henning-Bodewig WRP 2005, 1311, 1330 (keine Rückkehr des leichtgläubigen Verbrauchers); aus rechtspolitischer Sicht zustimmend Rehberg in Zetzsche S. 49, 67 f.; Leistner ZEuP 2009, 56, 76 f. 282 Siehe Art. 7 UGPRL und MünchKommUWG/Micklitz/Namyslowska Teil II. UGP-Richtlinie Art. 1 Rn. 11 („Es ist ja schließlich so, dass die Werbung den Verbraucher anspricht, und nicht der Verbraucher bei der Werbung nachfragt.“). 283 EuGH 3. 10. 2013 – C-59/12 – GRUR Int. 2013, 1155, 1158 Tz. 34 f. – BKK Mobil Oil; grundlegend Drexl; Keßler/ Micklitz BB 2005/49, BB-Special 13, 1, 7 („marktbezogene Emanzipation der Verbraucher“); anders wohl Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 79 (Schutz des Verbrauchers als Träger einer sozialen Rolle); wieder anders Beater Rn. 1131 ff. (Schutz der Verbraucherinteressen durch rechtlich flankierten Wettbewerb). 284 öOGH 4Ob225/07b, MR 2008, 114, 120; MünchKommUWG/Micklitz/Namyslowska Teil II. UGP-Richtlinie Art. 5 Rn. 13 (es sei auf das „wettbewerbstheoretische Modell des europäischen Lauterkeitsrechts“ zu rekurrieren). Allgemein zur teleologischen Auslegung EuGH 27. 2. 1962 – Rs. 10/61 – Slg. 2003 I-513 Tz. 48 – Kommission/Italien m. w. N. Kritisch zur Unklarheit der Generalklausel Dröge S. 67; Henning-Bodewig GRUR Int. 2005, 629, 631; MünchKommUWG/Micklitz/Namyslowska Teil II. UGP-Richtlinie Art. 5 Rn. 36, 42; Brömmelmeyer GRUR 2007, 295, 298; Gamerith WRP 2005, 391, 416 ff.; Köhler NJW 2008, 3032, 3035. 285 Hierfür wohl Dröge S. 82 (es komme „nur auf die Auffassung des Verbrauchers, mithin der Allgemeinheit“ an); kritisch Unberath/Johnston CML Rev. 2007, 1237, 1280 f. („consumer protection is not the only value prevailing in the EC“); ferner Reich in Reich/Micklitz S. 21 f. m. w. N.

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B. Der Schutzzweck des UWG

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brauchervertragsrecht selbst dann häufig zugunsten des Konsumenten aus, wenn der einschlägige Rechtsakt nicht ausdrücklich ein entsprechend hohes Schutzniveau einfordert.286 Ausschlaggebend dafür, den gesamten Harmonisierungsbereich der UGPRL als in letzter 129 Konsequenz mit § 1 unvereinbar anzusehen, ist indes die von der Richtlinie eingenommene Perspektive auf das Marktgeschehen und die hiermit einhergehende Methodik der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung. Nach dem in §§ 1, 3a kodifizierten, integralen Modell des deutschen Lauterkeitsrechts sind die Interessen aller Marktteilnehmer gleichrangig zu berücksichtigen.287 Demgegenüber reguliert die UGPRL Geschäftspraktiken zwischen Unternehmen und Verbrauchern primär und „unmittelbar“ im Hinblick auf die wirtschaftlichen Interessen der Konsumenten. Ihre Bestimmungen sind „im Wesentlichen aus der Sicht des Verbrauchers als des Adressaten und Opfers unlauterer Geschäftspraktiken konzipiert“.288 Die Belange rechtmäßig handelnder Mitbewerber geraten hingegen nur „mittelbar“, reflexartig in den Blick.289 In methodischer Hinsicht folgt, dass im Anwendungsbereich der UGPRL zunächst nur zu fra- 130 gen ist, ob eine Geschäftspraktik die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher beeinträchtigt. Erst in einem zweiten Schritt ist zu fragen, ob in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ggf. kein Verbot ergehen darf. Auch wenn diese Prüfungsreihenfolge letztlich wie das deutsche Recht auf die Gewährleistung des unverfälschten Wettbewerbs ausgerichtet ist, schließt es dieser divergierende Ausgangspunkt aus, die Vorgaben der UGPRL als einfach vom integrierten Modell des § 1 „mit umfasst“ anzusehen.290 Denn es ist ein grundlegender teleologisch-methodischer Unterschied, ob die normative Bewertung alle Interessen gleichrangig oder ein bestimmtes Interesse vorrangig und andere Belange erst auf einer späteren Stufe in Betracht zieht.

(3) Ergebnis. Im Ergebnis tragen sowohl das autonome deutsche UWG als auch das europä- 131 ische Lauterkeitsrecht dazu bei, den wirtschaftlichen Wettbewerb vor Verfälschungen zu schützen. Das gemeinsame Regelungsziel rechtfertigt es weiterhin, alle lauterkeitsrechtlichen Tatbestände unter Einschluss des Anwendungsbereichs der UGPRL in einem systematisch geschlossenen Gesetz zu regeln.291 Und doch wird der Grundsatz wettbewerbsfunktionaler Auslegung in unterschiedlicher 132 Weise durchgeführt. Unter dem formal einheitlichen Dach des UWG sind zwei im Ausgangspunkt und der Beurteilungsperspektive divergierende Konzepte vereint. § 1 S. 1 bezieht alle Interessen der Marktteilnehmer gleichrangig und gleichberechtigt in die Analyse ein. Die UGPRL und aufgrund ihrer vollharmonisierenden Wirkung auch ihre Umsetzung im UWG 2008 und UWG 2015 fokussieren hingegen auf die Verbraucherinteressen. Diese teleologische Divergenz ist in der Anwendungspraxis durchgängig zu beachten. 133 Zwar kann ein und dasselbe Marktverhalten eines Unternehmens nur einem Lauterkeitsmaßstab unterliegen. Insoweit ist eine geschäftliche Handlung „unteilbar“ lauter oder unlauter, verboten oder erlaubt.292 Hingegen ist es ohne Weiteres möglich, verschiedene geschäftliche Verhaltensweisen 134 aus unterschiedlichen Perspektiven an unterschiedlichen Maßstäben zu messen. Damit ist 286 Siehe zur Richtlinie 90/314/EWG über Pauschalreisen, ABl. L 158/90 EuGH 8. 10. 1996 – Rs. C-178/94 – Slg. 1996 I-4845 Tz. 30 ff. – Dillenkofer u. a./Bundesrepublik Deutschland; ferner EuGH 12. 3. 2002 – Rs. C-168/00 – Slg. 2002 I-2631 Tz. 22 – Leitner/TUI; EuGH 30. 4. 2002 – Rs. C-400/00 – Slg. 2002 I-4051 Tz. 13 – Club Tour/Garrido; weitere Nachweise bei Unberath/Johnston CML Rev. 2007, 1237, 1274 ff., 1281 („great majority of cases … appears to be most consumer-friendly“). 287 Oben § 1 Rn. 4. 288 EuGH 3. 10. 2013 – C-59/12 – GRUR Int. 2013, 1155, 1158 Tz. 36 – BKK Mobil Oil. 289 ErwGrd. 6 S. 1 UGPRL; Helm WRP 2013, 710. 290 So aber die Begründung zum UWG 2008, dazu oben § 1 Rn. 11. Insoweit zutreffend Fezers Differenzierungsthese, dazu oben § 1 Rn. 67 ff. 291 RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 11. 292 RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 11.

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Zweck des Gesetzes

die landläufige Differenzierung zwischen dem B2C- und dem B2B-Geschäftsverkehr angesprochen, die eben auch eine teleologische Fragmentierung bedeutet. 135 Zum Ausdruck kommt diese Aufspaltung in den vier Absätzen des § 3, der schon deshalb nicht mehr vorbehaltlos als Generalklausel bezeichnet werden kann. Absatz 2–4 sind nur für einen Teilbereich aller geschäftlichen Handlungen einschlägig, nämlich solchen „gegenüber Verbrauchern“. Hierbei handelt es sich um den Harmonisierungsbereich der UGPRL, der vom deutschen Gesetzgeber auf gewisse weitere Fallgestaltungen erstreckt wurde.293 Für diesen Ausschnitt des Marktverhaltens gilt ausschließlich die Teleologie der UGPRL und nicht das ganzheitliche Modell des § 1. Jenes kommt nur für geschäftliche Handlungen zum Tragen, die in den Anwendungsbe136 reich des § 3 Abs. 1 fallen, der seit dem UWG 2015 nur noch apodiktisch und ohne Bezug auf die Interessen der in § 1 S. 1 genannten Marktteilnehmer besagt, dass unlautere geschäftliche Handlungen unzulässig sind.294 Außerdem gilt § 1 für unzumutbare Belästigungen von Mitbewerbern und sonstigen Marktteilnehmern gem. § 7 Abs. 1.295

137 b) Ausnahmsweise Maßgeblichkeit nicht wettbewerbsfunktionaler Gesichtspunkte. Die UGPRL gewährleistet den unverfälschten Wettbewerb zwar anhand einer vom integrierten Konzept des § 1 abweichenden Perspektive und Methodik. Doch fließen dadurch noch keine Zwecke in das UWG ein, die gar nicht oder jedenfalls nicht primär wettbewerbsfunktional gedeutet werden können. Denn der UGPRL geht es letztlich um die Gewährleistung der informierten und auch sonst autonomen Nachfrageentscheidung der Verbraucher. Ihr Verbraucherschutzfokus stellt daher noch keine eigentliche Ausnahme vom Grundsatz wettbewerbsfunktionaler Auslegung dar. Anders ist dies bei den folgenden Tatbeständen und Fallgruppen. Sie sind nicht, jedenfalls 138 nicht primär, auf das Allgemeininteresse am unverfälschten Wettbewerb ausgerichtet, sondern verfolgen vorrangig andere Regelungszwecke. § 1 kann insoweit keine Geltung beanspruchen, weil die speziellen Zielsetzungen nach der erklärten Absicht des Gesetzgebers den allgemeinen Grundsatz wettbewerbsfunktionaler Auslegung verdrängen. Hierbei handelt es sich zum einen um den unionsrechtlichen Schutz des Grundrechts auf 139 Privatsphäre im wirtschaftlichen Wettbewerb, das in Umsetzung von Art. 13 DatenschutzRLEK in § 7 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt., Nr. 3 und 4, Abs. 3 UWG gewährleistet wird. Zum anderen verfolgt der deutsche Gesetzgeber aufgrund einer autonomen Entscheidung im UWG Zwecke, die jedenfalls nicht primär auf die Eigenlogik des Wettbewerbs ausgerichtet sind. Hierzu zählen der Rechtsbruchtatbestand des § 3a sowie im Anwendungsbereich der Generalklausel des § 3 Abs. 1 die zum Rechtsbruch funktional äquivalente Fallgruppe der sog. Dreieckskopplung, das generelle Verbot menschenverachtender geschäftlicher Handlungen und nach hier vertretener, ebenfalls auf den historischen Willen des Gesetzgebers rückführbarer Auffassung, das Verbot hartnäckiger Verstöße gegen den ethischen Minimalkonsens auf dem Markt.

aa) Der Schutz des Grundrechts auf Privatsphäre im Rahmen des Verbots unzumutbarer Belästigungen 140 (1) Das Verbot unzumutbarer Belästigungen als Schutz vor wettbewerbsfremder Aggressivität. Anders als noch im UWG 2004 ist das Verbot unzumutbarer Belästigungen gem. § 7 nunmehr als eigenständiger, primärer Verbotstatbestand neben § 3 ausgestaltet.296 Unzumutbare Belästigungen sind nach Maßgabe des § 7 unzulässig; der Terminus der Unlauterkeit 293 294 295 296

Dazu § 3 Rn. 88 ff. Zur Abgrenzung § 3 Rn. 69 ff. Dazu auch unten § 1 Rn. 140 ff. Beater WRP 2012, 6, 11.

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B. Der Schutzzweck des UWG

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wird in der Norm nicht verwendet. Konsequent knüpfen die Sanktionsnormen der §§ 8 bis 10 alternativ an Verstöße gegen § 3 „oder“ § 7 an. Folglich steht § 7 jedenfalls gesondert neben der scheinbar umfassenden Generalklausel des § 3. Die Abgrenzung zwischen beiden Normen erfolgt nach Maßgabe Vorwurfs, der gegen die geschäftliche Handlung erhoben wird. § 3 betrifft den Inhalt des Marktverhaltens, das als solches irreführt oder anderweitig den Entscheidungsprozess manipuliert. Unter § 7 fallen hingegen geschäftliche Handlungen, die unabhängig von ihrem Inhalt allein aufgrund der Art und Weise ihrer Realisierung als Belästigung empfunden werden. Die Belästigung besteht darin, dass ein Angebot den Empfängern „in unzumutbarer Weise“, also unter Verwendung bestimmter Methoden der Absatzförderung aufgedrängt wird.297 Hierzu zählen insbesondere die in Absatz 2 aufgezählten Formen der Wirtschaftswerbung, das Ansprechen in der Öffentlichkeit oder die sog. Scheibenwischerwerbung.298 Nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung steht § 7 nicht nur systematisch gesondert neben der Generalklausel des § 3, sondern verfolgt seinem Sinn und Zweck nach kein wettbewerbsfunktionales Anliegen. Vielmehr diene die Vorschrift dem persönlichkeitsrechtlichen Interesse, von Wirtschaftswerbung verschont zu bleiben, in Ruhe gelassen zu werden.299 Verwiesen wird hierzu insbesondere auf das Verbot unaufgeforderter Vertreterbesuche nach einem Todesfall, das zumindest auch der Pietät und der Wahrung der Intimsphäre der Trauernden diene.300 Nach dieser Lesart wäre § 7 insgesamt Ausdruck einer marktbegrenzenden Sittlichkeit. Dieses Ziel entspräche in der Tat nicht dem in § 1 formulierten Schutzzweck des UWG. In dieser Allgemeinheit und für den gesamten Tatbestand des § 7 kann dieser Auffassung jedoch nicht zugestimmt werden. Vielmehr ist auch das Verbot unzumutbarer Belästigungen grundsätzlich wettbewerbsfunktional auszulegen und anzuwenden.301 Dass das UWG die Beurteilung des Inhalts (§ 3) und der Art und Weise (§ 7) einer geschäftlichen Handlung in zwei primären Verbots- und Auffangtatbeständen regelt, bedeutet noch nicht, dass insoweit jeweils unterschiedliche Wertungsmaßstäbe gelten. Der Gesetzgeber des UWG wollte mit dieser Regelungssystematik nur klarstellen, dass es im Anwendungsbereich des § 7 keiner nachgeschalteten Prüfung der Spürbarkeit der Belästigung gem. § 3 Abs. 1 bedarf, da das Tatbestandsmerkmal der Unzumutbarkeit gem. § 7 bereits eine umfassende Wertung ermögliche.302 Wie bei der Ausdifferenzierung im Hinblick auf die Schutzsubjekte303 handelt es sich hier also wiederum um eine bloße Folge der detaillierteren Kodifikation des Lauterkeitsrechts. Die systematische Einheit des UWG, an dessen Spitze die Schutzzweckbestimmung des § 1 steht, ist hingegen beibehalten worden. Ferner folgt § 7 Abs. 1 S. 1 dem integriert-ganzheitlichen Modell, indem alle Marktteilnehmer vor unzumutbaren Belästigungen geschützt werden.304 Das in Satz 2 folgende Beispiel verbietet nicht jede Wirtschaftswerbung, sondern nur solche, die der angesprochene Marktteilnehmer erkennbar nicht wünscht. Es geht also nicht um eine generelle Eindämmung der Wirtschaftswerbung. Es soll lediglich gewährleistet werden, dass jeder Marktteilnehmer frei entscheiden kann, ob er sich gezielter kommerzieller Kommunikation aussetzen möchte oder nicht. Auch die negative Ausübung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit bleibt ein schützens-

297 298 299 300

RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 20; Beater Rn. 2428. RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 29. Beater Rn. 2376; Beater WRP 2012, 6, 8 ff. Peifer in Hilty/Henning-Bodewig, S. 142 f.; siehe dazu auch BVerfG 8. 2. 1972 – 1 BvR 170/71 – NJW 1972, 537 – Steinmetz-Wettbewerb (Schutz der Intimsphäre des Einzelnen habe Vorrang vor dem wirtschaftlichen Gewinnstreben, weshalb wirtschaftliche Werbung in diesem Bereich mit Zurückhaltung ausgeübt werden müsse). 301 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 7 Rn. 2, 10. 302 RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 28; Mankowski WRP 2008, 15 ff. 303 Oben § 1 Rn. 114 ff. 304 A.A. Beater Rn. 2383 ff. (keine Geltung für Mitbewerber und sonstige Marktteilnehmer).

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werter, wettbewerbsbezogener Akt. Indem die Marktteilnehmer gewisse, personalisierte Werbeformen ausblenden, gewinnen sie Freiraum und Aufmerksamkeit für andere Angebote. Diese Entscheidung zu gewährleisten, dient dem unverfälschten Wettbewerb. Denn wer anderen seine Angebote aufdrängt, verfälscht damit potentiell das andernfalls ohne diese Aggressivität zu beobachtende Entscheidungsverhalten.305 146 Für diese Auslegung spricht ferner die in § 7 Abs. 2 Nr. 1 erfolgte, teilweise Umsetzung des Anhangs I Nr. 26 der UGPRL.306 Demnach ist eine unzumutbare Belästigung stets anzunehmen bei Werbung unter Verwendung eines in § 7 Abs. 2 Nr. 2 und 3 nicht aufgeführten, für den Fernabsatz geeigneten Mittels der kommerziellen Kommunikation, durch die ein Verbraucher hartnäckig angesprochen wird, obwohl er dies erkennbar nicht wünscht. Wie erläutert, sollen die UGPRL insgesamt und speziell das hier konkretisierte Verbot aggressiver Geschäftspraktiken die Wahlfreiheit des Verbrauchers im Interesse des unverfälschten Wettbewerbs gewährleisten.307 Diese Ausrichtung bestätigt der ausdrückliche Vorbehalt der UGPRL zugunsten strengerer Verhaltensregeln nach Maßgabe des europäischen Datenschutzrechts, das in der Tat andere Zwecke verfolgt.308 147 Im Ergebnis ist die Auffangklausel des § 7 Abs. 1 wettbewerbsfunktional auszulegen.309 Eine geschäftliche Handlung ist als unzumutbare Belästigung zu untersagen, wenn das freie Entscheidungsverhalten eines Marktteilnehmers aufgrund der aggressiven Art und Weise der geschäftlichen Handlung spürbar beeinträchtigt wird.310 Andere Rechte und Interessen wie die Privatsphäre oder das Eigentum werden hierdurch nur reflexartig mitgeschützt.

148 (2) Primärer Schutz des Grundrechts auf Privatsphäre gem. § 7 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt., Nr. 3 und 4; Abs. 3. Die vorgenannte Einschätzung gilt jedoch nicht für die in § 7 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt., Nr. 3 und 4 kodifizierten Per-se-Verbote. Denn die hier umgesetzten Vorgaben des Art. 13 DatenschutzRL-EK 2002/58 i.d.F. der Richtlinie 2009/136 haben primär den Zweck, das Grundrecht der Privatsphäre natürlicher Personen zu gewährleisten. Gem. § 7 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt. ist nach dem sog. Opt-in-System bereits der erste, ohne vorherige 149 ausdrückliche Zustimmung vorgenommene Werbeanruf gegenüber einem Verbraucher unzulässig. Diese Bestimmung geht über den in § 7 Abs. 2 Nr. 1 teilweise umgesetzten Anhang I Nr. 26 UGPRL hinaus, der nur „hartnäckiges und unerwünschtes Ansprechen über Telefon“ usw. erfasst. Für die insoweit strengere Regelung beruft sich der deutsche Gesetzgeber auf Art. 13 Abs. 3 DatenschutzRL-EK, der nach der ausdrücklichen Regelung in Anhang I Nr. 26 S. 2 UGPRL unberührt bleibt und seinerseits den Mitgliedstaaten freistellt, ein Opt-in- oder ein Opt-out-System für Werbeanrufe einzuführen.311 Im Gesetz zur Bekämpfung unerlaubter Telefonwerbung vom 29. 7. 2009 wurde zudem klarstellend verfügt, dass der Verbraucher „ausdrücklich“ in diese Werbeform eingewilligt haben muss, und dass bereits Werbung mit nur einem Anruf eine unzumutbare Belästigung darstellen kann.312 Zweck des Schutzes der Verbraucher vor unerwünschter Telefonwerbung ist es, deren Recht auf Privatsphäre zu gewährleisten.313 Hiervon in der Sache und auch teleologisch zu unterscheiden ist die Regelung zu den Gren150 zen der Telefonwerbung gegenüber sonstigen Marktteilnehmern gem. § 7 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt.,

305 306 307 308 309 310

A.A. Beater Rn. 2381. Dazu nur Köhler/Bornkamm/Feddersen § 7 Rn. 97. Siehe ErwGrd. 16 UGPRL; Fezer/Büscher/Obergfell § 3 Rn. 249 und oben § 1 Rn. 119 ff. Siehe S. 2 Anhang Nr. 26 UGPRL; S. 8 ErwGrd. 14 UGPRL. Dies gilt ferner für § 7 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. Soweit § 7 Abs. 1 im Hinblick auf Art. 8 f. UGPRL richtlinienkonform auszulegen ist, kommt freilich nicht § 1, sondern die Teleologie der UGPRL zum Tragen; dazu oben § 1 Rn. 118 ff. 311 RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 29; RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 21. 312 RegE Telefonwerbung 2008, BTDrucks. 16/10734, S. 8, 13. 313 RegE Telefonwerbung 2008, BTDrucks. 16/10734, S. 15 (zur Unterdrückung der Rufnummer bei Werbeanrufen).

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B. Der Schutzzweck des UWG

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bei denen auch eine mutmaßliche Einwilligung genügt.314 Hiermit hat der deutsche Gesetzgeber vom weiten Umsetzungsspielraum Gebrauch gemacht, den Art. 13 Abs. 5 S. 2 DatenschutzRL-EK im Hinblick auf andere Werbeadressaten als natürliche Personen einräumt. Insoweit kommt § 1 zum Tragen, so dass allein auf die wirtschaftlichen Handlungsfreiheiten der Beteiligten abzustellen ist.315 § 7 Abs. 2 Nr. 3 und 4, Abs. 3 dienen hingegen wie § 7 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt. der Umsetzung von Art. 13 DatenschutzRL-EK. Nr. 3 implementiert Art. 13 Abs. 1 DatenschutzRL-EK zu automatischen Anrufmaschinen, Faxgeräten und elektronischer Post, die für Zwecke der Direktwerbung ebenfalls nur bei vorheriger Einwilligung der Teilnehmer zulässig ist. Nr. 4 setzt Art. 13 Abs. 4 DatenschutzRL-EK zu den übrigen Anforderungen um, denen elektronische Werbenachrichten genügen müssen.316 Abs. 3 regelt nach Maßgabe von Art. 13 Abs. 2 DatenschutzRL-EK, unter welchen Voraussetzungen eine unzumutbare Belästigung bei einer Werbung unter Verwendung elektronischer Post nicht anzunehmen ist.317 Der Zweck dieser Regelungen folgt nicht aus § 1, sondern bestimmt sich nach dem Telos der insoweit vollharmonisierenden DatenschutzRL-EK.318 Jene gewährleistet unter Verweis auf Art. 7 und 8 Charta „insbesondere“ das Grundrecht auf Privatsphäre und Vertraulichkeit in Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten im Bereich der elektronischen Kommunikation.319 Zwar fördert es die erfolgreiche grenzüberschreitende Entwicklung elektronischer Kommunikationsdienste, wenn die Nutzer darauf vertrauen können, dass ihre Privatsphäre unangetastet bleibt.320 Diese wettbewerbsbezogene Schutzfunktion ist aber nur ein Nebeneffekt einer datenschutz- und damit nach deutschem Verständnis persönlichkeitsrechtlich motivierten Regulierung.321 Für diese Einordnung spricht neben dem bereits erwähnten Abgrenzungsvorbehalt in Anhang I Nr. 26 UGPRL nicht zuletzt der Umstand, dass die in Art. 7 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 umgesetzten Art. 13 Abs. 1 und 3 DatenschutzRL-EK nur für natürliche Personen gelten, während hinsichtlich anderer Kommunikationsteilnehmer als natürlicher Personen nur ein allgemeiner, auf ein „ausreichendes“ Niveau abzielender Schutzauftrag formuliert wird.322 Dieser unionsrechtliche Hintergrund erklärt, weshalb in § 7 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 3 nicht vom Verbraucher, sondern allgemeiner und auch insoweit über § 1 hinaus vom „Adressaten“ bzw. „Kunden“ die Rede ist. Festzuhalten ist mithin, dass das Verbot unzumutbarer Belästigungen nur im Hinblick auf den allgemeinen Auffangtatbestand in Absatz 1 sowie die Sonderregel für sonstige Marktteilnehmer in Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. wettbewerbsfunktional nach Maßgabe von § 1 auszulegen ist. Für die übrigen Per-se-Verbote in Absatz 2 sowie Absatz 3 gelten hingegen der Verbraucherschutzfokus der UGPRL (Nr. 1) bzw. das auf den Schutz der Privatsphäre ausgerichtete Programm der insoweit ebenfalls vollharmonisierenden DatenschutzRL-EK (Nr. 2 1. Alt, Nr. 3 und 4, Abs. 3). 314 Dazu § 7 Rn. 172 ff. 315 A.A. Köhler WRP 2012, 1329, 1332 f. 316 RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 21, 29. Zur Verschärfung dieser Vorgaben durch die Richtlinie 2009/136 und den diesbezüglichen Umsetzungserfordernissen in § 7 II Nr. 4 siehe Köhler WRP 2012, 251, 258. 317 Siehe dazu § 7 Rn. 219 ff. 318 Köhler WRP 2012, 1329, 1332. 319 Siehe Art. 1, ErwGrd. 2 DatenschutzRL-EK i.d.F. der Richtlinie 2009/136. 320 Siehe ErwGrd. 5–7 DatenschutzRL-EK i.d.F. der Richtlinie 2009/136; KG 29. 4. 2011 – 5 W 88/11 – GRUR-RR 2012, 19, 21 – Gefällt-mir-Button (der Verbraucher sei auch in seiner Stellung als Marktteilnehmer betroffen). 321 Beater WRP 2012, 6, 10; Köhler WRP 2012, 1329, 1331 f. (völlig unterschiedliche Schutzkonzepte). Im Kontext des § 4 Nr. 11 auch OLG München 12. 1. 2012 – 29 U 3926/11 – BeckRS 2012, 04407 (das BDSG habe auch nicht sekundär den Zweck, das Werbeverhalten von Unternehmen im Interesse der Marktteilnehmer zu regeln bzw. gleiche Voraussetzungen für werbende Unternehmen zu schaffen); im Ergebnis auch KG 29. 4. 2011 – 5 W 88/11 – GRURRR 2012, 19, 21 – Gefällt-mir-Button. Ungeachtet dessen konnte der deutsche Gesetzgeber unionsrechtskonform anordnen, dass auch Mitbewerber und Verbände Verstöße gegen § 7 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 und Abs. 3 verfolgen können; vgl. BGH 20. 3. 2013 – I ZR 209/11 – BeckRS 2013, 16817 Tz. 10 ff. – Telefonwerbung für DSL-Produkte. 322 Art. 13 Abs. 5 DatenschutzRL-EK.

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155 bb) Rechtsbruch. Unlauter handelt gem. § 3a, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen. Das Verbot, im wirtschaftlichen Wettbewerb Rechtsnormen zu verletzen, an die sich die rechtstreuen Mitbewerber halten, lässt sich vor allen Dingen dann wettbewerbsfunktional erklären, wenn jeder marktbezogene Rechtsbruch als unlauter qualifiziert wird, der die rechtsgleichen Marktchancen, die par conditio concurrentium, verfälscht.323 Der Gedanke des unlauteren Vorsprungs durch Rechtsbruch war aber nicht derjenige, 156 den der Reformgesetzgeber des UWG 2004 zu kodifizieren gedachte. Ausweislich der amtlichen Begründung sei es nicht Aufgabe des UWG, Gesetzesverstöße „generell zu sanktionieren“. Die Vorschrift sei so gefasst, dass nicht jede geschäftliche Handlung, die auf dem Verstoß gegen eine gesetzliche Vorschrift beruht, unlauter ist. Vielmehr müsse der verletzten Norm ausweislich des Wortes „auch“ „zumindest eine sekundäre Schutzfunktion zu Gunsten des Wettbewerbs zukommen“.324 Auch nach Auffassung des BGH reicht das Interesse der Mitbewerber an einer Gleichbehandlung in dem Sinne, dass alle auf dem betreffenden Markt tätigen Unternehmer gleichen Verhaltensregeln unterliegen, für sich allein nicht aus, weil die Schaffung gleicher Voraussetzungen für alle Mitbewerber in der Regel nicht Zweck, sondern Folge jeder gesetzlichen Regelung sei. Die in Streit stehende Norm müsse daher unmittelbar die unternehmerische Betätigung und nicht nur reflexartig das Interesse an allgemeiner Gesetzestreue schützen.325 Unter Verweis hierauf werden Marktzutrittsregeln oder allgemeine Rahmenbedingungen des Wettbewerbs nicht über §§ 3, 3a lauterkeitsrechtlich sanktioniert.326 Einerseits hatte diese Beschränkung des Rechtsbruchtatbestands gerade den Zweck, das 157 UWG auf das Allgemeininteresse am unverfälschten Wettbewerb auszurichten. Allein eine hohe sittliche Relevanz eines Gesetzes, seine Bedeutung für das generelle Gemeinwohl, können die Unlauterkeit seither nicht mehr begründen.327 Erforderlich ist vielmehr eine auf die Lauterkeit des Wettbewerbs bezogene Schutzfunktion, ein Wettbewerbsbezug in der Form, dass die betreffende Vorschrift die wettbewerblichen Belange der als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in Betracht kommenden Personen schützt. Das ist nur der Fall, wenn das von der UWG-externen Vorschrift geschützte Interesse gerade durch die Marktteilnahme, also durch den Abschluss von Austauschverträgen und den nachfolgenden Verbrauch oder Gebrauch der erworbenen Ware oder in Anspruch genommenen Dienstleistung, berührt wird. Mit anderen Worten muss ein marktrelevanter unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Zweck des in Streit stehenden Gesetzes und einer geschäftlichen Handlung oder geschäftlichen Entscheidung bestehen.328 Daran fehlt es, wenn eine Vorschrift lediglich bestimmte Unternehmen von bestimmten Märkten fernhalten oder die allgemeinen Rahmenbedingungen des Wettbewerbs festlegen soll.329 Andererseits werden damit Gesetzesverstöße ausgeblendet, die – wie Marktzutrittsregeln – 158 durchaus zu einer Verfälschung des Wettbewerbs mit rechtstreuen Konkurrenten führen können. Zugleich verlangt die Rechtsprechung in Übereinstimmung mit dem historischen Willen des Gesetzgebers wie gezeigt nur eine „sekundäre“ lauterkeitsrechtliche Schutzfunktion des ver-

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In diesem Sinne Glöckner GRUR 2008, 960, 964 ff. RefE UWG 2004, GRUR 2003, 298, 307; RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 19. BGH 8. 10. 2015 – I ZR 225/13 – WRP 2016, 586 Tz. 28 – Eizellspende m. w. N. Vgl. BGH 25. 4. 2002 – I ZR 250/00 – BGHZ 150, 343, 347 = GRUR 2002, 825 – Elektroarbeiten; BGH 26. 9. 2002 – I ZR 293/99 – GRUR 2003, 164, 166 – Altautoverwertung; BGH 2. 12. 2009 – I ZR 152/07 – GRUR 2010, 654 – Zweckbetrieb. 327 Oben § 1 Rn. 58 ff. 328 BGH 8. 10. 2015 – I ZR 225/13 – WRP 2016, 586 Tz. 21, 25 – Eizellspende. 329 St. Rspr.; vgl. nur BGH 2. 12. 2009 – I ZR 152/07 – GRUR 2010, 654 Rn. 23 – Zweckbetrieb; BGH 26. 1. 2017 – I ZR 207/14 – GRUR 2017, 422 Rz. 31 – ARD-Buffet.

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B. Der Schutzzweck des UWG

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letzten Gesetzes. Nicht erforderlich ist eine spezifisch wettbewerbsbezogene Schutzfunktion in dem Sinne, dass die betreffende Regelung die Marktteilnehmer speziell vor dem Risiko einer unlauteren Beeinflussung ihres Marktverhaltens schützt. Es ist unschädlich, wenn die betreffende Rechtsnorm vorrangig andere Zwecke verfolgt, solange sie zumindest auch den Schutz der wettbewerblichen Interessen der Marktteilnehmer bezweckt; lediglich reflexartige Auswirkungen zu deren Gunsten genügen nicht.330 So dient die Beschränkung des Versandhandels mit indizierten Medien „insbesondere dem Schutz der Kinder und Jugendlichen“. Da aber die betreffenden Regelungen des Jugendschutzes einen gewissen, wenn auch sekundären Wettbewerbsbezug aufweisen, indem immerhin der Versandhandel reguliert wird, wird durch ihre Verletzung der Wettbewerb i. S. d. § 1 S. 2 zum Nachteil der Verbraucher verfälscht, so dass der BGH von einem lauterkeitsrechtlich relevanten Rechtsbruch ausgeht.331 Erst wenn wie bei den strafrechtlichen Tatbeständen des Verbots der Eizellspende, der Volksverhetzung und Gewaltdarstellung gar kein Bezug mehr zu wettbewerblichen Interessen der Marktteilnehmer bestehe, scheide die Anwendung des Rechtsbruchtatbestands aus.332 Folgt man dieser herrschenden Meinung, realisiert das UWG über den Rechtsbruchtatbe- 159 stand Regelungszwecke, die vorrangig nicht dem Allgemeininteresse am unverfälschten Wettbewerb dienen, sondern etwa dem Jugend- oder Gesundheitsschutz. Da § 1 S. 2 diese Zielsetzungen aber eigentlich aus dem UWG verweist, ist § 3a insoweit als Ausnahme vom Grundsatz wettbewerbsfunktionaler Auslegung zu begreifen.333 Diese Ausnahme ist immerhin in zweifacher Weise begrenzt. Erstens muss eine gesetzliche 160 Vorschrift vorliegen, so dass richterrechtliche Verbote im Interesse sonstiger Gemeinwohlbelange im Umkehrschluss ausscheiden.334 Zweitens muss die verletzte Vorschrift wenigstens sekundär der Regelung des Marktverhaltens im Interesse der Marktteilnehmer dienen.335 In der Literatur wird diese Divergenz vom in § 1 formulierten Regelungsprogramm zum An- 161 lass genommen, für eine restriktive Auslegung von § 3a einzutreten. Demnach soll ein Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften, die neben wettbewerblichen Interessen auch solche der Allgemeinheit betreffen, nur dann lauterkeitsrechtlich relevant sein, wenn die wettbewerbliche Schutzrichtung überwiege. Sichere die verletzte Norm dagegen hauptsächlich sonstige Allgemeininteressen, gebiete es die in § 1 normierte Schutzzwecksystematik, einen Rechtsbruch abzulehnen.336 Der BGH hat sich dieser restriktiven Lesart jedoch nicht angeschlossen.337 § 3a lässt sich daher nicht vorbehaltlos mit dem Programm des § 1 in Einklang bringen.

cc) Beeinträchtigung gesetzlicher Neutralitätspflichten sonstiger Marktteilnehmer 162 (Dreieckskopplung). Problematischer noch als diese, immerhin auf die Gesetzesmaterialien rückführbare Ausnahme vom Primat wettbewerbsfunktionaler Anwendung des UWG stellt sich eine hiermit funktional verwandte Fallgruppe dar, nämlich die sog. Dreieckskopplung.338 Sie 330 BGH 8. 10. 2015 – I ZR 225/13 – WRP 2016, 586 Tz. 21 – Eizellspende. 331 BGH 12. 7. 2007 – I ZR 18/04 – GRUR 2007, 890 Tz. 34 f. – Jugendgefährdende Medien bei eBay. Zum Verstoß gegen den Schutz der „öffentlichen Ordnung“ in Gewerbeordnungen als relevanter Rechtsbruch Glöckner in Hilty/ Henning-Bodewig S. 278 f. 332 BGH 12. 7. 2007 – I ZR 18/04 – GRUR 2007, 890 Tz. 29 – Jugendgefährdende Medien bei eBay; BGH 8. 10. 2015 – I ZR 225/13 – WRP 2016, 586 Tz. 20 ff. – Eizellspende. 333 Beater WRP 2012, 6, 13 ff.; BGH 8. 10. 2015 – I ZR 225/13 – WRP 2016, 586 Tz. 21 – Eizellspende (spezifisch wettbewerbsbezogene Schutzfunktion nicht erforderlich). 334 § 3a Rn. 20 ff. 335 Beater Rn. 2462. 336 Beater WRP 2012, 6, 14; kritisch zur h.M. auch Ohly WRP 2008, 177, 184 f. (es seien nur marktbezogene Interessen der Verbraucher zu schützen). 337 BGH 8. 10. 2015 – I ZR 225/13 – WRP 2016, 586 Tz. 21 – Eizellspende (eine spezifisch wettbewerbsbezogene Schutzfunktion des Gesetzes sei nicht erforderlich). 338 Näher § 3 Rn. 326 ff.

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betrifft geschäftliche Handlungen gegenüber Ärzten, Rechtsanwälten, Steuerberatern oder Wirtschaftsprüfern, die ihrerseits aufgrund spezieller, berufsrechtlich geregelter Pflichten die Interessen ihrer Patienten bzw. Mandanten in objektiver und neutraler Weise zu wahren haben. Werden diese Marktteilnehmer durch die Gewährung oder das Inaussichtstellen eines finanziellen Vorteils dazu veranlasst, ihre Interessenwahrnehmungspflicht gegenüber Patienten oder Mandanten zu verletzen, wird dies von der Rechtsprechung über das UWG sanktioniert.339 Indes steht in den einschlägigen Urteilen nicht die Entscheidungsfreiheit der Ärzte oder Rechtsanwälte im Vordergrund. Hierfür wäre erforderlich, dass die Rationalität der Nachfrageentscheidung dieser sonstigen Marktteilnehmer vollständig in den Hintergrund tritt.340 Das aber ist in den betreffenden Konstellationen – etwa einem für unlauter erklärten Gewinnspiel, bei dem Rechtsanwälte bei einer Vermittlung einer Vorratsgesellschaft einen PKW gewinnen konnten341 – an sich nicht der Fall. Vielmehr begründet der BGH sein Unlauterkeitsverdikt damit, dass die angegriffene geschäftliche Handlung dazu führen kann, dass sich die Ärzte oder Rechtsanwälte bei ihren Empfehlungen gegenüber den Patienten bzw. Mandanten nicht mehr ausschließlich von deren Interessen, sondern (auch) von einer ihnen zufließenden, persönlichen Vergünstigung leiten lassen.342 Mit dieser Fallgruppe werden also letztlich die gesetzlich verankerten Objektivitäts- und Neutralitätspflichten von Ärzten etc. zum Wohle ihrer Patienten geschützt. Labore und andere Dienstleister, mit denen Ärzte oder Rechtsanwälte zusammenarbeiten, sind allerdings nicht an diese Regelungen gebunden. Über das UWG werden die Interessenwahrnehmungspflichten nun insoweit auf sie ausgeweitet, als sie es unterlassen sollen, auf die Objektivität von Ärzten etc. in unzulässiger Weise einzuwirken. Dies kann mit guten Gründen als Überschreitung der Grenzen kritisiert werden, die § 3a der Berücksichtigung sonstiger, dem UWG eigentlich fremder Gesetzeszwecke setzt. Aus teleologischer Sicht haltbar ist die Fallgruppe der sog. Dreieckskopplung daher nur, wenn man auf die besonderen gesetzlichen Wettbewerbsbedingungen im Gesundheitsund Rechtsberatungsmarkt abstellt. Ärzte, Rechtsanwälte usw. sind in ihren eigenen geschäftlichen Entscheidungen nicht wie andere Marktteilnehmer frei, sondern strikt auf die objektive und neutrale Wahrung der Interessen ihrer Patienten bzw. Mandanten verpflichtet. Soweit sich diese drittbezogene Neutralitätspflicht auf vorgelagerte Nachfrageentscheidungen von Ärzten und Rechtsanwälten auswirkt, bedarf sie des ebenso intensiven Schutzes. Das Verbot von Dreieckskopplungen kann daher als Verstoß gegen einen – als solchen freilich ungeschriebenen – Rechtsgrundsatz des Marktverhaltens in den Gesundheits- und Beratungsmärkten betrachtet werden. Diese „Vorschrift“ schützt wie in anderen Anwendungsfällen des § 3a primär nicht wettbewerbsbezogene Interessen.343 Um den Ausnahmecharakter dieser Fallgruppe offenzulegen, sollte sie direkt unter die allgemeine Auffangklausel des § 3 Abs. 1 subsumiert werden.344

167 dd) Verbot menschenverachtender Werbung. Selbiges gilt für den Schutz der Menschenwürde im Geschäftsverkehr, für die es nach Streichung des § 4 Nr. 1 UWG 2008 ohnehin an einer speziellen Regelung fehlt. § 4 Nr. 1 a. F. erklärte eine menschenverachtende geschäftliche 339 Vgl. BGH 21. 4. 2005 – I ZR 201/02 – GRUR 2005, 1059, 1060 – Quersubventionierung von Laborgemeinschaften I; BGH 8. 11. 2007 – I ZR 60/05 – GRUR 2008, 530 Tz. 14 – Nachlass bei der Selbstbeteiligung; BGH 24. 6. 2010 – I ZR 182/08 – GRUR 2010, 850 Tz. 17 – Brillenversorgung II. 340 Köhler WRP 2012, 638, 641. 341 BGH 2. 7. 2009 – I ZR 147/06 – GRUR 2009, 969 – Winteraktion. 342 Siehe BGH 2. 7. 2009 – I ZR 147/06 – GRUR 2009, 969 Tz. 11, 14 – Winteraktion. 343 Zum Begriff der gesetzlichen Vorschrift gem. § 3a siehe dort Rn. 49 ff. 344 Dazu auch § 3 Rn. 326 ff.

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B. Der Schutzzweck des UWG

§1

Handlung für unlauter, wenn sie geeignet war, die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher oder sonstiger Marktteilnehmer zu beeinträchtigen. Aufgrund des Bezuges auf die wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit konnte diese Regelung weiterhin mit dem wettbewerbsfunktionalen Grundansatz des UWG in Einklang gebracht werden. Doch entsprach ein solcher Menschenwürdeschutz unter wettbewerbsfunktionalem Vorbehalt seit jeher nicht dem Willen des historischen Gesetzgebers. Nach intensiven Diskussionen im Zuge des Erlasses des UWG 2004 wurde der Verweis auf die Menschenwürde in § 4 Nr. 1 a. F. dahingehend erläutert, dass es gelungen sei, im Gesetz die menschenverachtende Werbung als eine typische Unlauterkeitshandlung festzuschreiben. Hierdurch werde klargestellt, dass der hohe Rang der menschlichen Würde auch im Wettbewerb zu achten und zu wahren sei.345 Demnach seien geschäftliche Handlungen verboten, „wenn sie dem Betroffenen durch Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung, Ächtung oder andere Verhaltensweisen seinen Achtungsanspruch als Mensch absprechen“.346 Hieran hat sich durch die Streichung des § 4 Nr. 1 a. F. im Zuge der UWG-Reform 2015 168 nichts geändert. Denn nach den Erläuterungen des Rechtsausschusses finde sich der Regelungsgehalt dieses Regelbeispiels nunmehr in § 4a „und der Schutz vor menschenverachtenden geschäftlichen Handlungen außerhalb des Anwendungsbereichs der [UGP-]Richtlinie“ werde „wie nach bisheriger Rechtslage durch § 3 Absatz 1 in seiner Funktion als Auffangtatbestand gewährleistet“.347 Hieraus folgt, dass der Gesetzgeber mit dem UWG auch seiner Schutzpflicht im Hinblick 169 auf die Menschenwürde gem. Art. 1 Abs. 1 GG nachkommen will. Dann aber verbietet sich die zusätzliche Prüfung, ob durch eine menschenverachtende geschäftliche Handlung irgendwelche wirtschaftlichen Entscheidungen beeinträchtigt wurden. Vielmehr ist eine geschäftliche Handlung gem. § 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG unzulässig, wenn sie die abwägungsresistente Menschenwürde einer Person oder Personengruppe verletzt.

ee) Hartnäckige Verstöße gegen den ethischen Minimalkonsens auf dem Markt. Aller- 170 dings kommt es sehr selten dazu, dass eine geschäftliche Handlung einer Person ihren „Achtungsanspruch als Mensch“ abspricht. Häufiger anzutreffen ist Werbung, die Frauen diskriminiert348 oder gewaltverherrlichenden oder jugendgefährdenden Charakter hat. Eine Menschenwürdeverletzung liegt in diesen Konstellationen zwar nicht vor. Gleichwohl 171 soll das UWG nach dem Willen des Gesetzgebers auch den genannten Verhaltensweisen Grenzen setzen. So heißt es im Zusammenhang mit dem wie gezeigt fortgeltenden Verbot menschenverachtender Werbung weiter, „entsprechend der Rechtsprechung zur diskriminierenden Werbung auf der Grundlage von § 1 UWG a. F. können aber gleichwohl Übertreibungen der Werbung mit anzüglich-obszönen Themen im Einzelfall den Tatbestand der Unlauterkeit erfüllen.“349 Diese Aussage steht im Einklang mit einem Verweis des Rechtsausschusses auf die Benetton-Rechtsprechung des BVerfG, die kodifiziert werden sollte, für den damals streitgegenständlichen Sachverhalt aber bekanntlich gerade keinen Verstoß gegen die Menschenwürde festgestellt hatte.350 Für verfassungsrechtlich unbedenklich hält das BVerfG hingegen ein lauterkeitsrechtliches Verbot, wenn „ekelerregende, furchteinflößende oder jugendgefährdende Bilder gezeigt werden.“351 345 346 347 348 349 350

Rechtsausschuss UWG 2004 BTDrucks. 15/2795, S. 20. Rechtsausschuss UWG 2004 BTDrucks. 15/2795, S. 21. Rechtsausschuss UWG 2015 BTDrucks. 18/6571, S. 14. Vgl. Völzmann S. 35 ff. Rechtsausschuss UWG 2004 BTDrucks. 15/2795, S. 21. Rechtsausschuss UWG 2004 BTDrucks. 15/2795, S. 21 mit Verweis auf BVerfG 11. 3. 2003 – 1 BvR 426/02 – BVerfGE 107, 275 – Benetton-Werbung. 351 BVerfG 12. 12. 2000 – 1 BvR 1762/95, 1 BvR 1787/95 – BVerfGE 102, 347 Tz. 54 ff. – Benetton I. Auch Art. 10 EMRK erlaubt Einschränkungen der Meinungsfreiheit, wenn dieser Eingriff einem „dringenden sozialen Bedürfnis“

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§1

Zweck des Gesetzes

Im Einklang mit dieser, auf den historisch nachweisbaren Willen des Gesetzgebers rückführbaren Entscheidung, sollten hartnäckige Verstöße gegen den ethischen Minimalkonsens auf dem Markt gem. § 3 Abs. 1 untersagt werden. Die Harmonisierungswirkung der UGPRL erfasst solche, auf die Marktkultur eines Mitgliedstaats bezogenen Fragen der „guten Sitten und des Anstands“ nicht.352 Es besteht kein gemeineuropäischer Konsens, solche Gesichtspunkte vollständig aus dem Lauterkeitsrecht auszublenden.353 Die Einhaltung des ethischen Minimalkonsenses auf dem Markt hat zudem nicht nur marktbegrenzenden Charakter. Denn eine solche Regulierung dient auch der erst marktermöglichenden Sittlichkeit,354 indem das Vertrauen der Marktteilnehmer in die Sozialverträglichkeit des grundsätzlich selbststeuernden wirtschaftlichen Wettbewerbs stabilisiert wird. Diese Lesart entspricht dem Selbstverständnis des Deutschen Werberats als dem für die freiwillige Regulierung der Werbewirtschaft zuständigen Gremium.355 173 Auch vor diesem Hintergrund können und sollten offensichtliche und unerträgliche Verletzungen der allgemein anerkannten Geschäftsethik als Verstöße gegen die „anständigen Gepflogenheiten“ über § 3 Abs. 1 UWG sanktioniert werden.356 Allerdings muss es sich hierbei mit Blick auf den Grundsatz wettbewerbsfunktionaler Auslegung und die schwache kodifikatorische Basis dieser Fallgruppe um extreme Ausnahmefälle handeln. Die Einhaltung ethischmoralischer Grundsätze sollte vorrangig der Selbstregulierung durch den Werberat überlassen bleiben. Nur wenn dessen Entscheidungen trotz einer öffentlichen Rüge hartnäckig ignoriert werden, sollte das UWG eingreifen.357 172

VI. Zusammenfassung: Einheit und Vielfalt des Lauterkeitsrechts 174 Eine Gesamtschau des UWG ergibt, dass Wortlaut und Stellung des § 1 in die Irre führen können. Selbst wenn man der Vorschrift, wie hier vertreten, einen übergeordneten und die Anwendung des UWG nachvollziehbar leitenden Zweck – nämlich die Gewährleistung der Funktionsbedingungen des wirtschaftlichen Wettbewerbs – entnimmt, entsprechen die folgenden Regelungen des Gesetzes dem wettbewerbsfunktionalen Programmsatz nicht durchgängig.358 175 Diese Abweichungen und regelrechten Ausnahmen von der Schutzzweckbestimmung sind offenzulegen, ohne in eine teleologische Beliebigkeit abzugleiten. Sie betreffen die verbraucherschützende Perspektive der UGPRL, den Schutz des Grundrechts auf Privatsphäre in § 7 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt., Nr. 2 und 3, Abs. 3 in Umsetzung der DatenschutzRL-EK sowie aufgrund autonomer Entscheidungen des deutschen Gesetzgebers den Rechtsbruchtatbestand gem. § 3a und die Fallgruppen der Dreieckskopplung, des Schutzes der Menschenwürde sowie des Verbots hartnäckiger Verstöße gegen den ethischen Minimalkonsens auf dem Markt. Indem diese Ausnahmen benannt werden, wird zugleich der im Übrigen fortgeltende, integral-wettbewerbsfunktionale Ansatz des § 1 vor einer gänzlichen Aufweichung bewahrt. 176 Fraglich ist auf dem Boden dieser Theorie von Grundsatz und Ausnahme dann allerdings, was die verbindende Klammer des immerhin noch systematisch geschlossenen UWG ist. Obwohl es in vielen Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten sowie im Lauterkeitsrecht der EU

entspricht, zu dem verfolgten berechtigten Ziel verhältnismäßig ist und die von den Behörden und Gerichten dafür genannten Gründe „stichhaltig und ausreichend“ sind; siehe etwa EGMR 10. 5. 2011 − 1685/10 – NJW 2012, 745 – Ulla Annikki Karttunen/Finnland. 352 Siehe ErwGrd. 7 S. 3 UGPRL; Völzmann S. 238 ff. 353 Henning-Bodewig WRP 2010, 1094, 1102. 354 Hierzu oben § 1 Rn. 59. 355 Werberat, Grundregeln zur kommerziellen Kommunikation und deren Beurteilung, Fassung September 2007. 356 So auch Henning-Bodewig WRP 2011, 1014, 1018. 357 Näher und mit Beispielen § 3 Rn. 342 ff. Im Ergebnis ähnlich Völzmann S. 271 ff. (Implementierung geschlechtsdiskriminierender Werbung setzt Änderung des UWG voraus). Ganz ablehnend Beater WRP 2012, 6, 16. 358 Siehe auch Harte/Henning2/Schünemann Rn. 10 („Mehrdimensionalität des Schutzzwecks“ des UWG).

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B. Der Schutzzweck des UWG

§1

bereits an diesem formalen Anknüpfungspunkt fehlt, geht der europäische Gesetzgeber von der Existenz einer vom allgemeinen Deliktsrecht gesonderten Materie aus. Im europäischen Kollisionsrecht wird nämlich das allgemeine Recht gegen unlautere Handlungen von „außervertraglichen Schuldverhältnissen aus unlauterem Wettbewerbsverhalten“ unterschieden. Auf letztgenannten Bereich ist gem. Art. 6 Abs. 1 Rom-II-VO in Abweichung von der Generalklausel des Art. 4 Rom-II-VO zu unerlaubten Handlungen das Recht des Staates anzuwenden, in dessen Gebiet die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt worden sind oder wahrscheinlich beeinträchtigt werden. Nach Erwägungsgrund 21 Rom-II-VO soll diese „Präzisierung“359 der allgemeinen Deliktskollisionsnorm die Wettbewerber, die Verbraucher und die Öffentlichkeit schützen und das reibungslose Funktionieren der Marktwirtschaft sicherstellen. Freilich schlägt sich die teleologische Fragmentierung des Lauterkeitsrechts auch im europäischen IPR nieder. Gem. Art. 6 Abs. 2 Rom-II-VO ist nämlich nicht das Marktortrecht gem. Absatz 1, sondern die allgemeine Kollisionsnorm für unerlaubte Handlungen anzuwenden, wenn ein unlauteres Wettbewerbsverhalten „ausschließlich die Interessen eines bestimmten Wettbewerbers“ beeinträchtigt. Hier offenbart sich auf kollisionsrechtlicher Ebene, dass innerhalb des unlauteren Wettbewerbs unterschiedliche Interessen berührt sein können und hierfür ggf. besondere Regelungszwecke zum Tragen kommen. Als Lösung bietet sich an, die verbindende Gemeinsamkeit des deutschen und europäischen Lauterkeitsrechts vor allen Dingen in seinem tatsächlich eigenständigen Regelungsgegenstand zu sehen – nämlich dem „Wettbewerbsverhalten“ (Art. 6 Abs. 1 Rom-II-VO) bzw. den „geschäftlichen Handlungen“ (§ 2 Abs. 1 Nr. 1). Hiermit werden die Anwendungsbereiche der besonderen IPR-Vorschrift wie auch des UWG von den sonstigen Kollisionsnormen bzw. dem allgemeinen Deliktsrecht abgegrenzt. Folgt man dieser Betrachtungsweise, bleibt die Reichweite von Art. 6 Rom-II-VO wie auch des deutschen UWG bestimmbar, ohne dass vorab eine Aussage über den Zweck der diesen Anwendungsbereich betreffenden Regelungen getroffen wurde. Der dogmatische Begriff des europäischen und deutschen Lauterkeitsrechts bezeichnet mithin nicht mehr als ein Sonderdeliktsrecht für Wettbewerbsverhalten/geschäftliche Handlungen.360 In teleologischer Hinsicht gilt, dass das Lauterkeitsrecht grundsätzlich den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt, soweit das UWG nicht aufgrund gesetzgeberischer Entscheidungen ausnahmsweise andere Regelungszwecke verfolgt. Diese zurückhaltende Einschätzung dürfte allein aufgrund der weitgehenden Europäisierung des Lauterkeitsrechts auf absehbare Zeit gültig bleiben.361 Natürlich kann man erwägen, die systematische und teleologische Fragmentierung durch einen „großen Wurf“ zu beheben – möglichst in Gestalt einer EU-Verordnung, die alle mitgliedstaatlichen Regelungen zum unlauteren Wettbewerb ersetzt und zugleich das integral-wettbewerbsfunktionale Konzept des deutschen Rechts mit einer Generalklausel auf europäischer Ebene etabliert.362 Doch hierfür dürfte es nicht nur am politischen Willen fehlen. Eine solch umfassende Ordnung des Wettbewerbsverhaltens beruht auf dem Gedanken des allzuständigen Gesetzgebers, der auf seinem Territorium ein einheitliches und kohärentes Regelwerk schaffen kann. Über diese Kompetenz verfügt die EU jedoch nach dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung zur Verwirklichung der im Primärrecht niedergelegten Ziele nicht.363 Eine einheitliche europäische Gene359 Siehe ErwGrd. 21 S. 1 Rom-II-VO. 360 Peukert in Hilty/Henning-Bodewig S. 58. 361 Im Rahmen der bisherigen Strukturen verbleiben auch die Vorschläge der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über unlautere Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Lebensmittelversorgungskette, COM(2018) 173, 2018/0082 (COD) und für eine Richtlinie zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der EU-Verbraucherschutzvorschriften, COM(2018) 185, 2018/0090 (COD) v. 11. bzw. 12. 4. 2018. 362 Drexl in Hilty/Henning-Bodewig S. 251. 363 „Die Union wird nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig, die die Mitgliedstaaten ihr in den Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben.“; siehe Art. 5 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 EUV;

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ralklausel zum Lauterkeitsrecht – gewissermaßen ein Art. 5 Abs. 1 UGPRL für jedes Wettbewerbsverhalten ohne Vorbehalt zugunsten nationaler Vorstellungen von Sitte und Anstand – dürfte den Kern derjenigen Regelungsbefugnisse berühren, die jedenfalls dem deutschen Gesetzgeber unter Geltung des Grundgesetzes verbleiben müssen.364 Dieser Schritt würde also eine Integrationsstufe erfordern, die auch mit dem Lissaboner Vertrag noch nicht erreicht ist und vielleicht niemals Wirklichkeit werden wird. Statt sich Gedankenspielen zu solch hypothetischen Lösungen hinzugeben, besteht die Aufgabe für Theorie und Praxis des europäischen und deutschen Lauterkeitsrechts darin, sich den dargestellten dogmatischen Herausforderungen in kleinteiliger Weise zu stellen und die dabei auftretenden Wertungswidersprüche aufzudecken und wo möglich zu vermeiden.365 § 1 scheint in diesem Zusammenhang nur geringe Bedeutung zuzukommen. In der Rechts181 praxis fristet die Vorschrift ein Schattendasein. Dieser Umstand kann aber auch darauf zurückzuführen sein, dass die weitaus meisten Verbotstatbestände des UWG einer wettbewerbsfunktionalen Betrachtung folgen und sich deshalb eine gesonderte Auseinandersetzung mit § 1 erübrigt. Eigenständige Relevanz dürfte § 1 erst erlangen, wenn erneut versucht würde, das UWG zum Schutz anderer Interessen als des Allgemeininteresses am unverfälschten Wettbewerb zu instrumentalisieren. Abgesehen von den oben erläuterten Ausnahmebereichen, die auf spezielle Entscheidungen des Gesetzgebers zurückgehen, schließt § 1 solche Umwidmungen des Gesetzes aus. Diese begrenzend-liberalisierende Wirkung entfaltet sich gerade langfristig. Deshalb sollte an § 1 trotz und gerade aufgrund des Trends zur teleologischen Fragmentierung des Lauterkeitsrechts festgehalten werden.

C. Die vom UWG geschützten Interessen der Marktteilnehmer und der Allgemeinheit I. Relevanz und Methodik der Interessenanalyse 182 Der Schutzzweck des UWG bestimmt zugleich, welche Interessen der Mitbewerber, der Verbraucher, der sonstigen Marktteilnehmer und der Allgemeinheit schutzwürdig sind. Die Frage nach diesen lauterkeitsrechtlich relevanten Interessen ist daher letztlich nur eine Variante der Frage nach dem generellen Telos des Gesetzes. Dieser Zusammenhang kommt bereits in § 1 zum Ausdruck. Während Satz 1 abstrakt von einem „Schutz“ der Marktteilnehmer vor unlauteren geschäftlichen Handlungen spricht, stellt Satz 2 auf die „Interessen“ der Allgemeinheit am unverfälschten Wettbewerb ab. Umgekehrt kann auch der „Schutz“ der Mitbewerber usw. als Schutz ihrer, auf die eigene Person und die eigenen Güter gerichteten „Interessen“ formuliert werden.366 Das UWG stellt im Übrigen an mehreren zentralen Punkten auf die Analyse der betroffe183 nen Interessen ab. Gem. § 3a handelt unlauter, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhanvgl. auch Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 6, Art. 4 Abs. 1, Art. 48 Abs. 6 UAbs. 3 EUV; Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 4 Abs. 1, Art. 7, Art. 19, Art. 32, Art. 130, Art. 132 Abs. 1, Art. 207 Abs. 6, Art. 337 AEUV; Erklärung Nr. 18 zur Abgrenzung der Zuständigkeiten; Erklärung Nr. 24 zur Rechtspersönlichkeit der Europäischen Union. Dazu und zur Bedeutung dieser fehlenden Kompetenz-Kompetenz aus der Sicht der deutschen Verfassungsordnung BVerfG 30. 6. 2009 – 2 BvE 2/08 – BVerfGE 123, 267 Tz. 301 ff. – Lissabon-Vertrag. 364 Zu den Grenzen der europäischen Integration im Verhältnis zum deutschen Grundgesetz BVerfG 30. 6. 2009 – 2 BvE 2/08 – BVerfGE 123, 267 Tz. 240 – Lissabon-Vertrag („Die europäische Vereinigung auf der Grundlage einer Vertragsunion souveräner Staaten darf allerdings nicht so verwirklicht werden, dass in den Mitgliedstaaten kein ausreichender Raum zur politischen Gestaltung der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Lebensverhältnisse mehr bleibt.“). 365 Lösungsvorschläge de lege ferenda bei Klagge S. 321 ff.; Ohly GRUR 2014, 1137; ders. WRP 2015, 1443 („große Lösung“). 366 Siehe zum Begriff der Interessen allgemein Fikentscher Wirtschaftsrecht II, 378; ähnlich Jellinek S. 43 („Was objektiv gefasst als Gut erscheint, wird subjektiv zum Interesse.“).

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C. Die vom UWG geschützten Interessen der Marktteilnehmer und der Allgemeinheit

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delt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen. Generell wird jede Prüfung eines Verstoßes gegen das UWG durch eine umfassende Analyse der betroffenen Interessen eingeleitet.367 Die Aktivlegitimation von Unternehmerverbänden gem. § 8 Abs. 3 Nr. 2 hängt u. a. davon ab, dass die angegriffene Zuwiderhandlung die „Interessen“ der Verbandsmitglieder berührt. In all diesen Fällen ist in einem ersten Schritt zu entscheiden, welche Interessen über- 184 haupt lauterkeitsrechtlich relevant und über das UWG zu schützen sind. Dabei kann es aufgrund des Grundsatzes der Wettbewerbsfreiheit nicht darum gehen, die geschützten Interessen ex ante abschließend aufzuzählen. Vielmehr sind in negativ-abgrenzender Weise diejenigen Interessen der Marktteilnehmer und der Allgemeinheit zu benennen, die für die Anwendung des UWG jedenfalls nicht von Belang sind. Die Klagebefugnis und Aktivlegitimation für Ansprüche gem. §§ 8 ff. sind von der materi- 185 ellen Interessenverletzung unabhängig. Wie das Klagerecht der Verbände zeigt, muss der Anspruchsteller nicht in seinen eigenen Interessen verletzt sein. Umgekehrt sind Verbraucher zwar Schutzsubjekt des UWG, aber bisher nicht zur Geltendmachung von Ansprüchen wegen Verstößen gegen §§ 3, 7 UWG befugt.368 Nur ausnahmsweise ist die Klagebefugnis auf einen bestimmten Mitbewerber beschränkt, wenn die Zuwiderhandlung ausschließlich die Interessen dieser Person berührt.369

II. Interessen der Mitbewerber 1. Unmittelbare und mittelbare Beeinträchtigung der Interessen der Mitbewerber Gem. §§ 1 S. 1, 3a, 4 werden die Interessen der Mitbewerber vor einer Beeinträchtigung durch 186 unlautere geschäftliche Handlungen geschützt. Mitbewerber ist gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 jeder Unternehmer, der mit einem oder mehreren Unternehmern als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis steht. Ein solches Wettbewerbsverhältnis besteht zu allen Unternehmern, die durch die streitgegenständliche geschäftliche Handlung in ihren Interessen am Absatz eigener Produkte oder der Nachfrage für das eigene Unternehmen unmittelbar nachteilig betroffen sind. Es kollidieren also gegenläufige unternehmerische Absatz- oder Nachfrageinteressen.370 Kommt es zwischen Unternehmern im horizontalen Konkurrenzverhältnis zu unlaute- 187 ren geschäftlichen Handlungen, indem zum Beispiel ein Mitbewerber den anderen irreführt oder gezielt behindert, sind dessen Interessen unmittelbar beeinträchtigt. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn der betroffene Unternehmer an sich nicht im selben Markt wie der Handelnde bzw. Geförderte tätig ist.371 Wird eine unlautere geschäftliche Handlung hingegen gegenüber Verbrauchern oder 188 sonstigen Marktteilnehmern vorgenommen, ist zunächst das Vertikalverhältnis zur Marktgegenseite betroffen. Wie indes auch die auf das B2C-Verhältnis beschränkte UGPRL anerkennt,

367 Dazu § 3 Rn. 98 ff. 368 Gloy/Loschelder/Danckwerts/v. Ungern-Sternberg/Schaub § 23 Rn. 9 f. Vgl. aber Art. 11a RL-Vorschlag Durchsetzung und Modernisierung der EU-Verbraucherschutzvorschriften, COM(2018) 185, 2018/0090 (COD) (die Mitgliedstaaten stellen sicher, „dass vertragliche und außervertragliche Rechtsbehelfe auch Verbrauchern zur Verfügung stehen, die durch solche unlauteren Geschäftspraktiken geschädigt wurden“). 369 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.40, 3.28; OLG Düsseldorf 12. 9. 2019 – 15 U 48/19 – WRP 2020, 88 Rn. 57 (Verbände für Verstöße gegen § 4 Nr. 2 aktivlegitimiert, da das Verbot der Anschwärzung gem. § 1 S. 2 auch dem Schutz des Interesses am unverfälschten Wettbewerb diene). 370 Im Einzelnen § 2 Rn. 424 ff. 371 Zu solchen Ad-hoc-Wettbewerbsverhältnissen § 2 Rn. 472 ff.

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wirken sich irreführende und aggressive Geschäftspraktiken gegenüber Verbrauchern unmittelbar auf rechtmäßig handelnde Mitbewerber auf demselben Markt aus.372 Denn wenn sich Konsumenten oder sonstige Marktteilnehmer aufgrund von Täuschung oder Zwang für die Angebots- oder Nachfrageleistung eines Unternehmers entscheiden, die sie sonst nicht gewählt hätten, gehen dessen Konkurrenten mögliche Geschäftsabschlüsse für ihre substituierenden Produkte verloren. Ein solches Verhalten verfälscht den Wettbewerb unter Mitbewerbern, weil die leistungsgerechte Verteilung der Profite gestört und Anreize zu technisch-betriebswirtschaftlichen Innovationen untergraben werden. Nach dem ganzheitlichen Ansatz des deutschen Lauterkeitsrechts sind solche Auswirkungen auf konkurrierende Unternehmen daher ebenfalls lauterkeitsrechtlich relevant.373 Hieraus folgt, dass sich eine Beeinträchtigung der Interessen von Verbrauchern und 189 sonstigen Marktteilnehmern im Vertikalverhältnis374 stets zugleich auf die Interessen der auf demselben Markt tätigen Mitbewerber desjenigen auswirkt, der eine gem. §§ 3, 7 UWG unzulässige geschäftliche Handlung eigennützig vornimmt oder von Dritten in dieser verbotenen Weise gefördert wird (Horizontalverhältnis). Dementsprechend stehen die Beseitigungs-, Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche wegen Zuwiderhandlungen gegen § 3 und § 7 allen auf demselben Markt tätigen Unternehmern zu, auch wenn sich die geschäftliche Handlung an Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer richtet.375

2. Das Interesse an der unverfälschten Entfaltung wirtschaftlicher Handlungsfreiheit 190 a) Grundsätze. Nach dem in § 1 verankerten Grundsatz wettbewerbsfunktionaler Anwendung des UWG richten sich die lauterkeitsrechtlich relevanten Interessen der Mitbewerber auf die Wahrung der rechtsgleichen Ausübung ihrer wirtschaftlichen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1, 12 GG bzw. der unternehmerischen Freiheit gem. Art. 16 Charta.376 Die antagonistische Angebots- und Nachfragefreiheit der Wettbewerber bildet den Ausgangspunkt der mitbewerberbezogenen, lauterkeitsrechtlichen Analyse.377 Sie bezieht sich auf sämtliche Aktionsparameter wie zum Beispiel den Preis des eigenen Angebots, die Merkmale der eigenen Ware oder Dienstleistung, die Zeit, den Ort und die Art ihrer Bewerbung sowie die Auswahl der Abnehmer, Lieferanten und sonstigen Vertragspartner.378 191 Diese negative Handlungsfreiheit ist mit der gleichen Freiheit anderer Marktteilnehmer und speziell der gegenläufigen Wettbewerbsfreiheit der jeweiligen Mitbewerber in Einklang zu bringen. Diese Koordination erfolgt im Hinblick auf das Allgemeininteresse am unverfälschten Wettbewerb (§ 1 S. 2). Demnach darf sich kein Konkurrent den inhärenten Zwängen des Wettbewerbs entziehen. Durchsetzen sollen sich Preis und Leistung, nicht aber Täuschung und Aggressivität. 192 Folglich lässt sich das schützenswerte Interesse der Mitbewerber dahingehend zusammenfassen, dass sie ihre Angebots- und Nachfrageaktivitäten frei von wettbewerbsfremden Manipulationen durch Konkurrenten entfalten können. Dieses Interesse wird in § 4 in Gestalt bestimmter Verbotstatbestände konkretisiert, die sich spezifisch auf Mitbewerber beziehen. Dabei kann wie generell zwischen Irreführungen, wettbewerbsfremder Aggressivität und einer

372 ErwGrd. 6 S. 1 UGPRL. Unternehmen auf demselben Markt sind per se Mitbewerber im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3; siehe § 2 Rn. 435 ff. 373 Oben § 1 Rn. 37 ff. 374 Dazu unten § 1 Rn. 204 ff. und 293 ff. 375 §§ 8 Abs. 3 Nr. 1, 9 S. 1. 376 Im Kontext von § 3a vgl. BGH 8. 10. 2015 – I ZR 225/13 – WRP 2016, 586 Tz. 28 – Eizellspende („Eine Regelung dient dem Interesse der Mitbewerber, wenn sie die Freiheit ihrer wettbewerblichen Entfaltung schützt.“). 377 RefE UWG 2004, GRUR 2003, 298, 302 („Geschützt werden die Angebotsfreiheit der Wettbewerber und die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher.“). 378 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 10; Götting/Nordemann Rn. 5; Ohly/Sosnitza Rn. 15.

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C. Die vom UWG geschützten Interessen der Marktteilnehmer und der Allgemeinheit

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sonstigen Verfälschung des Allgemeininteresses am unverfälschten Wettbewerb unterschieden werden.379

b) Schutz der täuschungsfreien Bildung von Entscheidungsgrundlagen. Das unterneh- 193 merische Interesse, Entscheidungen auf einer von Täuschung freien Grundlage bilden zu können, ist unmittelbar beeinträchtigt, wenn ein Mitbewerber seinen Konkurrenten in die Irre führt und dadurch dessen geschäftliches Handeln beeinträchtigt. Die speziellen Irreführungstatbestände der §§ 5, 5a sind seit der UWG-Reform 2015 auf derartige Sachverhalte nicht mehr anwendbar, da sie voraussetzen, dass die Irreführung Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Handlung veranlasst hat, die sie andernfalls nicht getroffen hätten. Irreführungen im Verhältnis zwischen Mitbewerbern sind seither gem. § 3 Abs. 1, ggf. i. V. m. § 4 zu beurteilen.380 Mittelbar tangiert ist das Interesse an der Teilnahme an einem unverfälschten Wettbe- 194 werb, wenn ein Mitbewerber die Marktgegenseite, also Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer, irreführt und so Nachfrage oder günstige Angebote auf sich umzulenken versucht (§§ 5, 5a). Diese Dreieckskonstellation ist auch gegeben, wenn ein Mitbewerber gegenüber Abnehmern über die Waren, Dienstleistungen oder das Unternehmen eines anderen Mitbewerbers Tatsachen behauptet oder verbreitet, die geeignet sind, den Betrieb des Unternehmens oder den Kredit des Unternehmers zu schädigen, sofern die Tatsachen nicht erweislich wahr sind (§ 4 Nr. 2).381 In diesem Zusammenhang ist schließlich auf § 4 Nr. 3 lit. a hinzuweisen, wonach es unlauter ist, Nachahmungen der Waren oder Dienstleistungen eines Mitbewerbers anzubieten, wenn hierdurch eine vermeidbare Täuschung der Abnehmer über die betriebliche Herkunft herbeigeführt wird.382 c) Schutz des Entscheidungsprozesses vor wettbewerbsfremder Aggressivität. Eine 195 zweite Gruppe gesetzlicher Konkretisierungen der Unlauterkeit betrifft das Interesse der Mitbewerber, das eigene Angebot frei von wettbewerbsfremder Aggressivität präsentieren zu können.383 Hierzu zählen die Verbote, die Kennzeichen, Waren, Dienstleistungen, Tätigkeiten oder persönlichen oder geschäftlichen Verhältnisse eines Mitbewerbers herabzusetzen oder zu verunglimpfen;384 andere Mitbewerber gezielt zu behindern;385 Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der Konkurrenz auszuspionieren und insbesondere zur Herstellung von Nachahmungen zu verwerten;386 sowie eine Art und Weise des Marktverhaltens, durch die ein Mitbewerber in unzumutbarer Weise belästigt wird.387

d) Schutz des Interesses an der Wahrung der institutionellen Funktionsbedingungen 196 des Wettbewerbs. Drittens sind alle Mitbewerber daran interessiert, dass Konkurrenten nicht in sonstiger Weise die rechtsgleichen Marktchancen verzerren. Hierbei handelt es sich um Fälle, in denen eine geschäftliche Handlung nicht einen bestimmten Mitbewerber irreführt oder

379 Im Einzelnen § 3 Rn. 113 ff. 380 Näher dazu § 3 Rn. 269 ff. 381 Zum Erfordernis, dass die Behauptung oder Verbreitung gegenüber einem Dritten erfolgen muss, siehe Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 2.18b. 382 Siehe ferner Anhang zu § 3 Abs. 3 Nr. 13. 383 Im Einzelnen § 3 Rn. 119 ff. 384 Siehe §§ 4 Nr. 1, 3 lit. b; 6 Abs. 2 Nr. 4 und Nr. 5. 385 § 4 Nr. 4. 386 Siehe §§ 17–19 und § 4 Nr. 3 lit. c. 387 § 7 Abs. 1.

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Zweck des Gesetzes

behindert, aber die institutionellen Bedingungen des Wettbewerbs zu verfälschen geeignet ist. Im Vordergrund steht das Allgemeininteresse am unverfälschten Wettbewerb, dessen Wahrung aber zugleich den individuellen Interessen der betroffenen Marktteilnehmer dient. 197 In diesem Sinne dient das teleologisch ambivalente Verbot des Rechtsbruchs gem. § 3a zumindest auch der Gewährleistung rechtsgleicher Wettbewerbsbedingungen. Jeder Mitbewerber hat ein schutzwürdiges Interesse daran, dass sich die Konkurrenz ebenfalls rechtstreu verhält, da sonst kein geordneter Wettbewerb möglich wäre. Dies ist das Interesse, dem die verletzte gesetzliche Vorschrift gem. § 3a zumindest sekundär dienen muss.388 Die Fallgruppe der allgemeinen Marktbehinderung stellt sicher, dass keine geschäftli198 chen Handlungen vorgenommen werden, die den Wettbewerb insgesamt auszuschalten drohen. Denn schutzwürdig ist das Interesse aller potentiellen Mitbewerber, dass überhaupt geordneter Wettbewerb stattfinden kann.389 Schließlich ist in diesem Zusammenhang auf die besondere lauterkeitsrechtliche Kontrolle 199 des Wettbewerbsverhaltens der öffentlichen Hand zu verweisen. Deren private Mitbewerber haben ein schutzwürdiges Interesse, nicht aufgrund struktureller Vorteile des Staates ins Hintertreffen zu geraten.390

200 e) Klageberechtigung trotz eigener unlauterer Handlungen. Die vorgenannten Interessen können grundsätzlich auch von solchen Mitbewerbern individuell geltend gemacht werden (vgl. §§ 8 Abs. 3 Nr. 1, 9 S. 1), die ihrerseits gleichartige Interessen der Konkurrenz beeinträchtigen. Soweit nicht die allgemeinen Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchs gegeben sind, gebietet das Allgemeininteresse am unverfälschten Wettbewerb als übergeordneter Schutzzweck des UWG, lauterkeitsrechtliche Verfahren nicht mit der Prüfung zu belasten, ob der Kläger bei seiner eigenen Wettbewerbstätigkeit gesetzeswidrig und insbesondere wettbewerbsrechtlich unlauter handelt.391

3. Das nicht schutzwürdige Interesse an der Vermeidung wettbewerbskonformer Zwänge 201 Nicht schutzwürdig ist hingegen das Interesse eines Mitbewerbers, sich den wettbewerbsimmanenten Zwängen unter Berufung auf das UWG zu entziehen. Wettbewerb als wirtschaftlicher Ordnungsmechanismus funktioniert primär über nicht-rechtliche Sanktionen.392 Unternehmer müssen sich an die Angebots- und Nachfragesituation sowie ggf. bessere Leistungen der Konkurrenz anpassen. Sie müssen ihr Geschäftsmodell anpassen, wenn sich die technisch-wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ändern, etwa durch die Digitalisierung.393 Eine geschäftliche Fehleinschätzung wird sonst „ihre unerbittliche Sühne in Verlusten und schließlich durch den Konkurs im Ausscheiden aus der Reihe der für die Produktion Verantwortlichen finde[n]“.394 Vor diesen wettbewerblichen Zwängen schützt das UWG nicht. Im Gegenteil, es soll gem. 202 § 1 dazu beitragen, dass diese Zwänge möglichst uneingeschränkt und dauerhaft zum Tragen kommen. Es würde daher dem Zweck des Gesetzes zuwiderlaufen, wenn Wettbewerbsge-

388 Zur Realisierung anderweitiger Interessen über §§ 3 Abs. 1, 3a oben § 1 Rn. 155 ff.; BGH 8. 10. 2015 – I ZR 225/ 13 – WRP 2016, 586 Tz. 28 f. – Eizellspende. 389 Dazu § 3 Rn. 278 ff. 390 Dazu § 3 Rn. 311 ff. 391 BGH 24. 2. 2005 – I ZR 101/02 – BGHZ 162, 246, 251 = GRUR 2005, 519 – Vitamin-Zell-Komplex; Beater Rn. 2581 ff. m. w. N. 392 Siehe Weber S. 439 f. 393 BGH 19. 4. 2018 – I ZR 154/16 – LSK 2018, 11793 Tz. 39 – Werbeblocker II (Medienunternehmen müssen sich den Herausforderungen des digitalen Marktes stellen). 394 Eucken S. 281.

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C. Die vom UWG geschützten Interessen der Marktteilnehmer und der Allgemeinheit

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richte einem etablierten Marktteilnehmer die Verantwortung für unternehmerische Fehler dadurch abnehmen, dass Mitbewerbern konkurrierende Tätigkeit untersagt wird.395 Lauterkeitsrechtlich in keinem Fall relevant ist daher das Interesse eines Mitbewerbers, 203 den eigenen Kunden- oder Mitarbeiterstamm zu behalten und Konkurrenten wettbewerbskonformes Verhalten zu untersagen. Wettbewerbskonform ist es insbesondere, erstmals in einen bestehenden Anbieter- oder Nachfragermarkt einzutreten; innovativere Produkte anzubieten; eine gänzlich neuartige Ware oder Dienstleistung anzubieten; das bestehende Verbraucherbedürfnis durch ein neues Geschäftsmodell effizienter als bisher zu befriedigen; die Preise der Konkurrenz zu unterbieten; inhaltlich zutreffende Vergleiche anzustellen.396

III. Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher Zusätzliches Schrifttum (über die Angaben von Herrn Peukert hinaus, die hier nicht wiederholt werden): Alexander Die Erkennbarkeit kommerzieller Kommunikation – Neuerungen durch die UWG-Novelle, K&R 2016, 73; Augenhofer Deutsche und europäische Initiativen zur Durchsetzung des Verbraucherrechts, 2018; Alexander/Augenhofer (Hrsg.) 10 Jahre UGP-Richtlinie – Erfahrungen und Perspektiven, 2016; Brömmelmeyer Internetwettbewerbsrecht: das Recht der Ubiquität, das Recht der Domain Names, das Recht der kommerziellen Kommunikation, 2007; Engelsing Sexistische Werbung im 21. Jahrhundert – nach wie vor nur eine Frage des Geschmacks?, RuP 2018, 296; Franz „Ein bisschen Spaß muss sein!“ – Ein Überblick über die Rechtsprechung zu Scherzen, Parodien, Ironie und Satire in der Werbung, WRP 2019, 15; Fritzsche/Barth Sieg der Werbeblocker als Impuls für Zugangsschranken im Internet? Anmerkung zu BGH, 19. 4. 2018 – I ZR 154/16 – Werbeblocker II, WRP 2018, 1405; Gomille „Sex sells“ und der lautere Wettbewerb, ZRP 2016, 134; Günther Der Verbraucher und die Wettbewerbspolitik, WuW 1972, 427; Hetmank „Wettbewerbsfunktionales Verständnis“ im Lauterkeitsrecht, GRUR 2014, 437; v. Hippel Grundfragen des Verbraucherschutzes, JZ. 1972, 417; Köhler "Gib mal Zeitung" – oder "Scherz und Ernst in der Jurisprudenz" von heute, WRP 2010, 571; ders. Die Verbote der unerbetenen Telefon-, Fax- und E-MailWerbung: Geschützte Personen, Schutzzwecke und Durchsetzung, WRP 2017, 1025; ders. Die Stellung des UWG innerhalb der allgemeinen Zivilrechtsdogmatik, FS Canaris, 2017, 969; ders. Die Regelung der „unerbetenen Kommunikation“ in der ePrivacy-Verordnung und ihre Folgen für das UWG, WRP 2017, 1291; ders. Behördliche Durchsetzung des Lauterkeitsrechts – eine Aufgabe für das Bundeskartellamt?, WRP 2018, 519; ders. Das Gebot der „Staatsferne der Presse“ als Schranke kommunaler Öffentlichkeitsarbeit, GRUR 2019, 265; ders. Behördliche Rechtsdurchsetzung – auch im Lauterkeitsrecht?, WRP 2020, 861; Lettl Die geschäftliche Relevanz nach §§ 3 Abs. 2, 3a, 4a Abs. 1, 5 Abs. 1 S. 1 und 5a Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 2 UWG, WRP 2019, 1265; Lorenz Chatbots im praktischen Einsatz: Grundbegriffe, Rechtsfragen und Anwendungsszenarien, K&R 2019, 1; Meyer Inhaltliche Aspekte unzumutbarer Belästigung, WRP 2017, 501; Ohly 120 Jahre im Spiegel von 125 Jahren GRUR, GRUR 2016, 1229; Peukert Aufbau und innere Logik des UWG – Bestandsaufnahme und Alternativvorschlag, WRP 2019, 544; Podszun/ Busch/Henning-Bodewig Behördliche Durchsetzung des Verbraucherrechts? Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, 2018 (abrufbar Stand 1. 4. 2019 unter https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/ Publikationen/Studien/behoerdliche-durchsetzung-des-verbraucherrechts.html); dies. Die Durchsetzung des Verbraucherrechts: Das BKartA als UWG-Behörde?, GRUR 2018, 1004; Scherer Abwehransprüche von Verbrauchern und sonstigen Marktbeteiligten gegen unzulässige geschäftliche Handlungen, GRUR 2019, 361; Schmitt Datenschutzverletzungen als Wettbewerbsverstöße? Kritische Betrachtungen der neuen DSGVO unter strafrechtlichen und wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten; WRP 2017, 27; Wolf Behördliche Durchsetzung des Lauterkeitsrechts zur Optimierung des Wettbewerbsschutzes, WRP 2019, 283.

1. Stellenwert und Funktion des Verbraucherschutzes im Recht des unlauteren Wettbewerbs Der Verbraucherschutz nimmt heute bei der Anwendung des UWG eine zentrale Rolle ein. Wie 204 § 1 Satz 1 UWG zu entnehmen ist, zählt der Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern zu 395 Dazu Peukert in Riesenhuber, S. 395. 396 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 11.

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Peukert

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Zweck des Gesetzes

den Zwecken des Gesetzes, das damit ein Verbraucherschutzgesetz i.S. der Definition des § 2 Abs. 1 S. 1 UKlaG enthält. Dass das UWG neben den Interessen der Mitbewerber und der Allgemeinheit auch Verbraucherinteressen schützt (sog. Schutzzwecktrias), war allerdings bereits vor dem Inkrafttreten des heutigen UWG am 8.7. seit langem allgemein anerkannt.397 Zwar beruhte § 1 UWG 1909 seiner ursprünglichen Konzeption nach auf dem Gedanken des Mitbewerberschutzes,398 doch hat das Reichsgericht bereits im Jahr 1914 ausgesprochen, dass das Schutzzweckverständnis des § 1 UWG 1909 über den Schutz der Mitbewerber hinausreiche und den Schutz der Verbraucher und der Allgemeinheit einschließe,399 was im Schrifttum alsbald aufgegriffen und ausgebaut wurde.400 Diese Schutzzweckbestimmung ist seit langem allgemein und auch verfassungsrechtlich anerkannt;401 der Verbraucherschutz bildet einen eigenständigen Zweck des UWG,402 was seit dem 8. 7. 2004 durch die Schutzzweckbestimmung des § 1 Satz 1 UWG zum Ausdruck kommt. Umso befremdlicher ist es, dass das UWG den Begriff des Verbrauchers – anders als den des Unternehmers, vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 6 UWG – nicht selbst definiert, sondern stattdessen in § 2 Abs. 2 UWG auf § 13 BGB verweist und diesen für entsprechend geltend erklärt (§ 2 Rn. 773 ff.). Entgegen der Darstellung in Politik und Gesetzesbegründung zum UWG 2004 wurde durch § 1 S. 1 UWG der Verbraucherschutz nicht wirklich gestärkt, sondern nur explizit in den Gesetzeswortlaut der neuen Schutzzwecknorm aufgenommen. Inhaltlich könnte man sogar eine größere Bedeutung darin sehen, dass auch klargestellt wurde, dass neben den Mitbewerbern und Verbrauchern auch die „sonstigen Marktteilnehmer“ geschützt sind, also gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG alle weiteren „Personen, die als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen tätig sind.“ Dabei handelt es sich im Wesentlichen um andere Unternehmer i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 6 UWG, die in einem Vertikalverhältnis zum geschäftlich handelnden Unternehmer stehen,403 und zwar in der Regel als Nachfrager, aber auch als Anbieter auftreten (dazu näher unten Peukert Rn. 298). In ihren schützenswerten Interessen unterscheiden sich die sonstigen Marktteilnehmer nur begrenzt von Verbrauchern.404 Dies hat der Gesetzgeber inzwischen in § 4a Abs. 1 UWG anerkannt und den Schutz vor aggressiven Geschäftspraktiken auch auf sonstige Marktteilnehmer erstreckt, die bereits zuvor nach §§ 5, 5a Abs. 1 UWG gegen Irreführungen geschützt wurden.

397 Vgl. GK-UWG/Schünemann1 Einl. C Rn. 5 ff. (m. Nachw. auch zur früher vertretenen Gegenposition), 18, 24 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 1 Rn. 2 f.; Fezer/Büscher/Obergfell § 1 Rn. 1; Harte/Henning2/Schünemann § 1 Rn. 3 m.w.Nachw. – A.A. früher etwa v. Godin § 1 Rn. 48: „… das UWG den echten Leistungswettbewerb zwar auch im Interesse der Allgemeinheit aber nur secundär, vorwiegend jedoch zu Schutz der Mitbewerber … zu fördern trachtet. Das Verbraucherinteresse zu wahren, war nicht die Aufgabe des Gesetzes, wie heute immer wieder fälschlich angenommen wird.“, abschwächend jedoch Rn. 14; krit. auch noch Samwer GRUR 1969, 326, 328 ff. 398 Näher GK-UWG/Schünemann1 Einl. C Rn. 4. 399 RG 7. 4. 1914 – 4 D 1386/13 – MuW XV [1915/16], 48, 49 – Ärztlicher Bezirksverein; s. a. RG 29. 4. 1930 – II 355/ 29 – RGZ 128, 330, 342; zur Entwicklung näher GK-UWG/Schünemann1 Einl. B Rn. 32, 40 ff., 47 ff., C Rn. 4 ff.; Fezer/ Büscher/Obergfell § 1 Rn. 53 ff.; Kisseler WRP 1972, 557 ff. 400 S. zur Entwicklung GK-UWG/Schünemann1 Einl. B Rn. 40 ff., 47 ff., Einl. C Rn. 32; ferner etwa Brömmelmeyer S. 29 m. w. N.; Fezer/Büscher/Obergfell Einl. Rn. 27, § 1 Rn. 53 ff.; Kisseler WRP 1972, 557 ff. 401 Vgl. BVerfG 8. 2. 1972 – 1 BvR 170/71 – BVerfGE 32, 311, 316 = GRUR 1972, 358, 359 f.; BVerfG 22. 5. 1979 – 1 BvL 9/75 – BVerfGE 51, 193, 214 f. = GRUR 1979, 773, 777; BVerfG 12. 12. 2000 – 1 BvR 1787/95 – BVerfGE 102, 347, 360, 364 = GRUR 2001, 170, 173 – Benetton-Werbung I; BVerfG 1. 8. 2001 – 1 BvR 1188/92 – GRUR 2001, 1058, 1060 – Therapeutische Äquivalenz; BVerfG 6. 2. 2002 – 1 BvR 952/90 – GRUR 2002, 455 f. – Tier- und Artenschutz; BVerfG 4. 8. 2003 – 1 BvR 2108/02 – GRUR 2003, 965, 966 – Interessenschwerpunkt „Sportrecht“; Lettl GRUR 2004, 449; krit. etwa noch Samwer GRUR 1969, 326, 327, 328 ff. m. w. N. zu Rechtsprechung und Schrifttum bis dahin. 402 BeckOK UWG/Alexander § 1 Rn. 38. 403 Harte/Henning/Podszun § 1 Rn. 68 f.: auch die öffentliche Hand; Ohly/Sosnitza § 1 Rn. 27. 404 Deutlich Ohly/Sosnitza § 1 Rn. 28; i.E. ebenso Harte/Henning/Podszun § 1 Rn. 70. Vgl. ferner Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 1 Rn. 14 ff., der Verbraucher und sonstige Marktteilnehmer im Hinblick auf ihre Interessen gleichbehandelt bzw. die sonstigen Marktteilnehmer meist nicht gesondert erwähnt; wenig Unterscheidung insofern auch bei Fezer/Büscher/Obergfell § 1 Rn. 73 ff.

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C. Die vom UWG geschützten Interessen der Marktteilnehmer und der Allgemeinheit

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Seit der UWG-Reform 2004 ist also die traditionelle Schutzzwecktrias in § 1 UWG enthal- 205 ten,405 der insbesondere den Schutz von Verbrauchern und Verbraucherinnen explizit als Zweck des Gesetzes nennt. Die Aufnahme einer Schutzzweckbestimmung in das UWG trägt in erster Linie der hohen Bedeutung der teleologischen Auslegung bei der Anwendung des Gesetzes406 Rechnung.407 Sie erinnert an die EU-Richtlinien, die ihren Zweck meist im ersten Artikel benennen, zuvor allerdings meist schon ausführlicher in den üblichen Erwägungsgründen beleuchten.408 Die 2004 eingeführte Vorschrift des § 1 UWG änderte das Rangverhältnis der tradierten Schutzzwecke des UWG nicht etwa zugunsten des Verbraucherschutzes, sondern generell zulasten des Schutzes allgemeiner Interessen, denn Satz 2 stellt klar, dass das UWG ausschließlich dem Allgemeininteresse an einem unverfälschten Wettbewerb dienen soll.409 Zugleich wurde durch § 1 UWG klargestellt, dass der Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern sowie von sonstigen Marktteilnehmern ein mit dem Mitbewerberschutz gleichrangiges Ziel des Unlauterkeitsrechts410 ist. Die Vorschrift enthält mit ihrer Schutzzweckbestimmung zugleich eine Auslegungsdirektive für das UWG,411 der es freilich an den meisten Stellen kaum bedarf, da in den Einzeltatbeständen oft deutlich zum Ausdruck kommt, welche Marktteilnehmer gerade in besonderem Maße geschützt werden sollen. Noch bedeutsamer als diese Schutzzwecknorm dürfte bei der Auslegung und Anwendung des UWG in seinen verbraucherschützenden Teilen aber seit Ablauf ihrer Umsetzungsfrist die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken412 (im Folgenden: UGPRL) sein, die nach ihren Art. 3 und 4 den Verbraucherschutz durch Unlauterkeitsrecht in der EU weitgehend harmonisiert hat. Die UGPRL bezweckt gem. ihrem Art. 1 und ihren Erwägungsgründen 6 S. 1 und 8 S. 1 einen Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher, die „vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts“ (Art. 3 Abs. 1 UGPRL) relevant bzw. durch geschäftliche Handlungen von Unternehmern beeinträchtigt werden können.413 In der Praxis hat der Verbraucherschutz bei der Anwendung des UWG seit langem die größ- 206 te Bedeutung, was sich seit der Neufassung von 2004 auch in den Beispielstatbeständen des UWG widerspiegelt: Primär dem Mitbewerberschutz zuzuordnen sind § 4 UWG (§ 4 Nr. 7–10 UWG 2004/2008) und § 6 Abs. 2 Nrn. 4–6 UWG sowie die §§ 17 ff. UWG. Dem Schutz der Verbraucher und oft auch der sonstigen Marktteilnehmer dienen hingegen § 4a UWG (§ 4 Nrn. 1–6 UWG 2004/2008) und §§ 5, 5a UWG mit ihren vorrangigen Konkretisierungen im Anhang zu § 3 Abs. 3 UWG, ferner § 6 Abs. 2 Nrn. 1–2 und § 7 UWG sowie schließlich die §§ 16 Abs. 2 und 20 UWG. Demgegenüber lassen sich die §§ 4 Nr. 3a), 6 Nr. 3 und 16 Abs. 1 UWG nicht einseitig dem Schutz der Mitbewerber oder der Marktgegenseite zuordnen, sondern dienen beiden Zwecken je nach den Umständen letztlich in gleichem Maße. Ähnlich verhält es sich mit dem Rechtsbruchtatbe405 S.a. BTDrucks. 15/1487, S. 13, 15 f. 406 Vgl. etwa BGH 3. 12. 1998 – I ZR 119/96 – GRUR 1999, 1128, 1129 – Hormonpräparate. 407 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 1 Rn. 4; Harte/Henning/Podszun § 1 Rn. 1; ähnlich, aber leicht krit. Fezer/Büscher/Obergfell § 1 Rn. 26 f. 408 Fezer/Büscher/Obergfell § 1 Rn. 29. 409 Vgl. Köhler NJW 2004, 2121; Fezer/Büscher/Obergfell § 1 Rn. 61, 65; Schünemann WRP 2004, 925, 933 ff. 410 So der vorzugswürdige Terminus, da dieses Rechtsgebiet nur durch Verbote definiert wird, also nur die Unlauterkeit regelt und keine positiven Vorgaben für die Lauterkeit Bülow GRUR 2012, 889 f. 411 Fezer/Büscher/Obergfell § 1 Rn. 19 ff. 412 Richtlinie 2005/29/EG des Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken), ABl. EU L 149/22 v. 11. 6. 2005. 413 Ebenso etwa EuGH 9. 11. 2010 − C-540/08 – Slg. I 2010, 10957 = GRUR 2010, 76 Tz. 24 ff. – Mediaprint; EuGH 30. 6. 2011 – C-288/10 – GRUR Int. 2011, 853 Tz. 20 ff. – Wamo; EuGH 15. 12. 2011 – C-126/11 − CELEX 62011CO0126 (Ls.) = BeckRS 2012, 80286 Tz. 26 ff.; EuGH 4. 10. 2012 – C-559/11 – ABl EU 2013, Nr C 9, 23 (Ls.) = GRUR 2013, Tz. 19 – Pelckmans Turnhout; EuGH 17. 1. 2013 – C-206/11 – GRUR 2013, 297 Tz. 29 – Köck; näher Lettl WRP 2019, 1265 Rn. 2 ff.

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stand des § 3a UWG (§ 4 Nr. 11 UWG 2004/2008), der auf die Interessen aller Schutzsubjekte i.S.v. § 1 S. 1 UWG verweist und bei dem die Zuordnung zum Schutz der Mitbewerber oder der Marktgegenseite einschließlich der Verbraucher vom Zweck der verletzten Marktverhaltensregelung abhing. Damit führte die UWG-Reform 2004 nicht zu einem Paradigmenwechsel hin zu einem Verbraucherschutzrecht,414 sondern kodifizierte lediglich den zuvor bereits allgemein anerkannten Rechtszustand ausdrücklich415 und rückte ihn damit stärker ins Rampenlicht. Eine stärkere Betonung des Verbraucherschutzes haben hingegen die beiden Änderungsgesetze zur Umsetzung der UGPRL aus den Jahren 2008416 und 2015417 gebracht,418 auch wenn die rein verbraucherschützenden Tatbestände im UWG-Anhang weitgehend nur regeln, was sich aus der Sicht der deutschen UWG-Tradition gewissermaßen von selbst versteht oder zumindest in der Rechtsprechung anerkannt war. Flankierend sollten insbesondere419 das Gesetz zur Bekämpfung unerlaubter Telefonwerbung von 2009420 und das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken421 das Verbraucherschutzniveau ebenfalls erhöhen.422 Seit Anfang 2020 wird ferner ein Gesetz über faire Verbraucherverträge erwogen, das frühere Ansätze zu einem weiteren Verbraucherschutz bei Telefonwerbung eher begrenzt aufgreift.423 Einen wirklichen Impuls für den Verbraucherschutz durch das Unlauterkeitsrecht – denn 207 nicht die „Lauterkeit“ eines Verhaltens ist gesetzlich geregelt oder regelbar, sondern nur die Unlauterkeit424 – lieferte die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken (UGPRL), die eine weitere Harmonisierung und Vereinheitlichung des Verbraucherschutzniveau in der Europäischen Union bewirkte, dieses Mal auf der Ebene des Rechts des unlauteren Wettbewerbs.425 Im Rahmen ihrer Umsetzung durch das 1. UWG-ÄndG 2008 wurde, zumindest was die Anzahl der Regelungen angeht, der Verbraucherschutz im UWG nochmals gestärkt; dennoch wurde die Schutzzwecktrias beibehalten.426 Damit besteht heute ein latentes Spannungsverhältnis zwischen dem UWG mit seiner Schutzzwecktrias und der UGPRL, die in einer Art von „Tunnelblick“ allein auf den Verbraucherschutz ausgerichtet ist.427 Zu den bereits vorhandenen Beispielstatbeständen, die weitgehend beibehalten wurden, tritt seitdem die sog. „Schwarze Liste“ unlauterer Geschäftspraktiken gegenüber Verbrauchern im Anhang zu § 3 Abs. 3 UWG hinzu. Als allgemeines Fundament des Verbraucherschutzes fungiert seitdem die Verbrauchergeneralklausel des § 3 Abs. 2 UWG. Zu nennen ist ferner die Kodifikation der Irreführung durch Unterlassen in § 5a UWG, die gerade im Verhältnis zu Verbrauchern (Abs. 2–6) durch den Hinweis auf diverse Informationspflichten in Absatz 3 und 4 klarere Konturen im Normtext erhalten hat.

414 So Engels/Salomon WRP 2004, 32 f.; s. a. Fezer/Büscher/Obergfell § 1 Rn. 4. 415 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 1 Rn. 3; s. a. BTDrucks. 15/1487, S. 13. 416 Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (1. UWG-ÄndG) v. 22. 12. 2008, BGBl. I 2008, S. 2949. 417 Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (2. UWG-ÄndG) v. 2. 12. 2015, BGBl. I S. 2158. 418 Dazu eingehend Fezer/Büscher/Obergfell Einl. Rn. 80 ff., 168 ff., 240 ff. m. w. N., § 1 Rn. 34 ff. 419 Zu allen Änderungen s. Fezer/Büscher/Obergfell Einl. Rn. 193 ff. 420 Gesetz zur Bekämpfung unerlaubter Telefonwerbung und zur Verbesserung des Verbraucherschutzes bei besonderen Vertriebsformen vom 29. 7. 2009, BGBl. I S. 2413. 421 Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken vom 1. 10. 2013, BGBl. I S. 3714. 422 Dazu eingehend mit Erläuterung der jeweiligen Hintergründe Fezer/Büscher/Obergfell Einl. Rn. 193 ff. bzw. Rn. 221 ff. m. w. N. 423 Referententwurf für ein Entwurf für ein Gesetz für faire Verbraucherverträge, abrufbar unter www.bmjv.de; dazu Möller NJW 2020, 1635. 424 Bülow GRUR 2012, 889, 890. 425 Vgl. Art. 1 UGPRL; zum Ganzen eingehend Fezer/Büscher/Obergfell Einl. Rn. 90 ff. m. w. N., § 1 Rn. 34 ff.: Köhler/Bornkamm/Feddersen § 1 Rn. 5, 8. 426 Vgl. Fezer/Büscher/Obergfell § 1 Rn. 24 ff. 427 Augenhofer/Alexander/Ohly 10 Jahre UGPRL, 2016, 125, 143; ferner Harte/Henning/Podszun § 1 Rn. 26 ff. m. w. N.

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Schließlich sollte man erwähnen, dass der Verbraucherschutz durch den erweiterten Anwendungsbereich des UWG insgesamt heute auch Handlungen erfasst, die für seine Anwendung nach früherer Anschauung bedeutungslos waren, nämlich nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG nun gleichfalls Handlungen während und nach einem Vertragsabschluss (eingehend dazu Peukert § 2 Rn. 257 ff. und 292 ff.). Das 2. UWG-ÄndG 2015 hat die Anzahl der verbraucherschützenden Tatbestände wieder reduziert, weil § 4 Nr. 1 und Nr. 2 UWG 2004/2008 richtlinienkonform durch § 4a UWG ersetzt und ferner § 4 Nr. 4 – 6 UWG 2004/2008 gestrichen wurden, die de facto bereits zuvor von § 5a Abs. 2 und 3 UWG mit umfasst waren; ferner wurde § 4 Nr. 3 UWG 2004/ 2008 auf Verbraucher beschränkt und nach § 5a Abs. 6 UWG verschoben.428 Während das Niveau des Verbraucherschutzes angesichts der bereits zuvor von der Rechtsprechung betriebenen richtlinienkonformen Auslegung des (insbesondere § 4 Nr. 1) UWG 2008429 gleichgeblieben ist, sind an anderer Stelle jedenfalls im Gesetzestext Lücken entstanden. So ist heute eine getarnte geschäftliche Handlung gegenüber Nicht-Verbrauchern nach dem Gesetzeswortlaut nicht mehr ohne weiteres verboten und muss mit Hilfe einer Analogie430 oder über § 5a Abs. 1 bzw. bei aktiver Täuschung § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2431 oder § 3 Abs. 1 UWG432 erfasst werden. In den letzten Jahren ist zudem eine für den Verbraucherschutz bedeutsame Diskussion 208 darüber entstanden, ob eine zumindest ergänzende behördliche Durchsetzung des UWG zweckmäßig sei,433 was auch von der Europäischen Kommission zumindest für Teilbereiche des Unlauterkeitsrechts erwogen worden ist.434 Denn bei der üblichen und durchaus bewährten zivilprozessualen Durchsetzung können sich zumindest im Einzelfall Schwierigkeiten mit der Beweislast,435 mit schutzwürdigen Geheimhaltungsinteressen und in Bezug auf eine effiziente Durchsetzung oder auch die Gefahr für einen Missbrauch i.S.v. § 8 Abs. 4 UWG ergeben.436 Durch die 9. GWB-Novelle hat das Bundeskartellamt einstweilen die Möglichkeit erhalten, nach § 32e Abs. 5 S. 1 GWB bei begründetem Verdacht auf erhebliche, dauerhafte oder wiederholte Verstöße gegen verbraucherrechtliche Vorschriften, die nach ihrer Art oder ihrem Umfang die Interessen einer Vielzahl von Verbraucherinnen und Verbrauchern beeinträchtigen, Sektoruntersuchungen vorzunehmen. Derartige Verstöße sind etwa bei den §§ 4a und 16 Abs. 1 UWG und bei Nr. 14 und 21, vielleicht auch 28 des UWG-Anhangs denkbar.437 Große Bedeutung wird der behördlichen Durchsetzung auch gegenüber Machteffekten beigemessen, die ergänzend zum GWB über die §§ 4 Nr. 4, 4a UWG bekämpft werden können, was insbesondere in digitalen Märkten mit hoher Neigung zu schnellem Machtaufbau letztlich auch dem Verbraucher – wenn auch indirekt – zugutekäme.438 Soweit man eine behördliche Durchsetzung des UWG künftig vorsehen wollte, wäre diese auf schwerwiegende Verstöße gegen Verbraucherinteressen zu be428 Dazu und zur Entwicklung bei der „Schleichwerbung“ insgesamt ausführlich Götting/Nordemann/Hasselblatt § 5a Rn. 205 ff. bzw. allgemein Rn. 203 ff. m. w. N. 429 Vgl. dazu etwa BGH 5. 10. 2010 – I ZR 4/06 – BGHZ 187, 231 = GRUR 2011, 532 Tz. 15 ff., 25, 27 – MillionenChance II; BGH 3. 4. 2014 – I ZR 96/13 – GRUR 2014, 1117 Tz. 26 f. m. w. N. – Zeugnisaktion; BGH 19. 3. 2015 – I ZR 157/13 – GRUR 2015, 1134 Tz. 13 – Schufa-Hinweis (zu § 4 Nr. 1 UWG 2008) 430 Dafür Götting/Nordemann/Hasselblatt § 5a Rn. 207; Köhler/Bornkamm/Feddersen UWG § 5a Rn. 7.9. 431 So BeckOK UWG/Ritlewski § 5a Rn. 173 f.; Alexander K&R 2016, 73, 78. 432 Fezer/Büscher/Obergfell § 5a Rn. 197. 433 Podszun/Busch/Henning-Bodewig S. 165 ff. 169; dazu dies. GRUR 2018, 1004, 1008 f.; ferner Augenhofer S. 83; Wolf WRP 2019, 283; Köhler WRP 2020, 803 Rn. 6 ff. m.w.N.; dazu bereits vor langem Günther WuW 1972, 427, 437; v. Hippel JZ 1972, 417, 422. 434 Kommission Grünbuch über unlautere Handelspraktiken in der B2B-Lieferkette v. 31. 1. 2013, COM (2013) 37 final, S. 20. 435 Vgl. zu prozessualen Hilfsmöglichkeiten nur BGH 19. 2. 2014 – I ZR 230/12 – GRUR 2014, 578 Tz. 14 m. w. N. – Umweltengel für Tragetasche. 436 Podszun/Busch/Henning-Bodewig S. 165 ff. 169; dazu dies. GRUR 2018, 1004, 1006 f.; Köhler WRP 2018, 519 Rn. 8 ff.; Köhler WRP 2020, 803 Rn. 6 ff. m.w.N. 437 Köhler WRP 2018, 519 Rn. 28 ff. 438 Wolf WRP 2019, 283 Rn. 30 ff. m. w. N.

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schränken und zweckmäßiger Weise so auszugestalten, dass eine Mehrfachverfolgung durch die Behörde und nach § 8 Abs. 3 UWG Anspruchsberechtigte möglichst ausgeschlossen ist.439 Hier wird auch zu klären sein, wie sich ein behördliches Verfahren bzw. Verpflichtungszusagen in diesem auf die Wiederholungsgefahr i.S.v. § 8 Abs. 1 S. 1 UWG auswirkt. Als zuständige Behörde dürfte sich das Bundeskartellamt eher anbieten als das Bundesamt für Justiz, weil so die in Einzelfällen drohende Gefahr einer Doppelverfolgung nach UWG und Kartellrecht vermieden werden kann.440

2. Grundkonzeption des Verbraucherschutzes durch Unlauterkeitsrecht 209 Der Schutz der Interessen der Verbraucher i.S.v. § 1 S. 1 UWG über § 3 Abs. 2 und die §§ 4a bis 6 UWG sowie (teils in anderer Weise) durch § 7 UWG zielt darauf ab, eine unlautere Kundenwerbung bzw. –beeinflussung zu verhindern. Damit deckt sich der Zweck des Verbraucherschutzes im UWG weitgehend mit dem Schutzzweck, den Art. 1 UGPRL dahin festlegt, die Verbraucher vor der Beeinträchtigung ihrer wirtschaftlichen Interessen durch unlautere Geschäftspraktiken zu schützen. Dabei basiert der heutige Schutz der Verbraucher durch das UWG auf den Vorgaben der UGPRL und ist durch das in § 3 Abs. 4 S. 1 UWG angedeutete und in Erwägungsgrund 18 UGPRL erwähnte Leitbild eines (jeweils angemessen) informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers (dazu § 3 Rn. 503) geprägt. Der Verbraucher, den das Unlauterkeitsrecht primär schützt, ist ein eigenverantwortlich handelnder und mündiger Marktteilnehmer,441 der in der Lage ist, autonome geschäftliche Entscheidungen (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 9 UWG) zu treffen, um seine Bedürfnisse am Markt zu befriedigen. Deshalb muss das Unlauterkeitsrecht, zumindest soweit es um die Umsetzung der UGPRL geht, was die Regel darstellt, gerade die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers und die für sie elementaren Informationsinteressen des Verbrauchers schützen. Darüber hinaus bzw. unabhängig davon442 schützt das deutsche Recht über § 7 UWG die Privatsphäre des Verbrauchers in bestimmten Grenzen,443 was überwiegend auf die Rechtsprechung zu § 1 UWG 1909, teils aber auch auf die Vorgaben der Datenschutz-RL für elektronische Kommunikation 2002/83/EG zurückgeht. Wieviel nach der Ablösung dieser Richtlinie durch die geplante ePrivacy-VO444 von § 7 UWG noch übrigbleiben wird,445 muss man abwarten. Der Begriff der unlauteren Kundenwerbung kennzeichnet ein geschäftliches Verhalten, das 210 auf eine Beeinflussung der Entschließung des Kunden und seines Verhaltens nicht mit Mitteln des sog. Leistungswettbewerbs, sondern auf sachfremde Art und Weise abzielt. Seit der Umsetzung der UGPRL ist der Grundgedanke zudem in der „großen“ Verbrauchergeneralklausel des § 3 Abs. 2 UWG enthalten; er fand sich aber seit 2004 auch in der „kleinen Generalklausel“ des § 4 Nr. 1 UWG 2004/2008.446 Letztere wurde 2015 durch § 4a UWG ersetzt. Die Schwierigkeit liegt aber, unabhängig von der momentanen Gesetzesfassung, in der Abgrenzung der sachlichen von der sachfremden Beeinflussung bzw. der Festlegung, wann ein unsachlicher Einfluss auf den Verbraucher unangemessen (§ 4 Nr. 1 UWG 2004/2008) bzw. „unzulässig“ (§ 4a Abs. 1 439 Näher ; Köhler WRP 2020, 803 Rn. 44 ff. m.w.N. 440 Köhler WRP 2020, 803 Rn. 35 ff. 441 Dazu grundl. Drexl Die wirtschaftliche Selbstbestimmung der Verbraucher, 1998; ebenso etwa BeckOK UWG/ Alexander § 1 Rn. 49.

442 Vgl. BGH 25. 4. 2019 − I ZR 23/18 − GRUR 2019, 750 Rn. 12 m. w. N., Rn. 35 – WifiSpot. 443 Ohly/Sosnitza § 1 Rn. 20 ff. 444 Bislang „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Achtung des Privatlebens und den Schutz personenbezogener Daten in der elektronischen Kommunikation und zur Aufhebung der Richtlinie 2002/58/EG (Verordnung über Privatsphäre und elektronische Kommunikation), COM(2017) 10 final; zu deren Gesetzgebungsstand vgl. BeckOK UWG/Fritzsche § 7 Rn. 14 m. w. N. 445 Zum Inhalt des Entwurfs insbesondere Köhler WRP 2017, 1291 Rn. 4 ff., zu den Folgen für § 7 UWG Rn. 49 ff. 446 Vgl. Köhler NJW 2004, 2121, 2123.

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S. 2 und 3 UWG) wird. So beinhaltet Werbung stets den Versuch, den Kunden in Richtung auf das eigene Unternehmen und seine Produkte und Dienstleistungen zu beeinflussen. Die Beeinflussung des Kunden ist dem wirtschaftlichen Wettbewerb immanent und deshalb als solche nicht generell zu beanstanden. Sie führt zugleich dazu, dass die Wettbewerber des handelnden Unternehmens in ihren Möglichkeiten Beschränkungen hinnehmen müssen. Da nach § 1 S. 1 UWG aber auch die Interessen von Unternehmern geschützt sind, bedarf es stets einer Interessenabwägung, um eine unzulässige Beeinträchtigung von Verbraucherinteressen zu begründen, sofern nicht ein Beispielstatbestand diese Abwägung vorwegnimmt.447 Die grundsätzlich erlaubte Beeinflussung des (potentiellen) Kunden wird wettbewerbswid- 211 rig, wenn Mittel zum Einsatz kommen, die zur Beeinträchtigung der freien und rationalen Willensentschließung des Adressaten einer geschäftlichen Handlung auf der Basis hinreichender Informationen448 oder seiner Verhaltensfreiheit geeignet sind,449 so dass seine geschäftliche Entscheidung (§ 2 Abs. 1 Nr. 9 UWG) für oder gegen ein Angebot von sachfremden Erwägungen überlagert wird. In der Rechtsprechung zu § 1 UWG 1909 waren als Mittel der unlauteren Kundenwerbung vor allem anerkannt die Täuschung (bzw. Irreführung, heute §§ 5, 5a UWG), die Belästigung, Nötigung oder Hervorrufen einer ähnlichen psychischen Zwangslage (Druckausübung, heute § 4a UWG mit § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG,450 mit anderer Zielsetzung auch § 7 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 – 4 UWG), Maßnahmen der früheren sog. Wertreklame451 (oder auch „Verlockung“, heute: Verkaufsförderungsmaßnahmen),452 Ausnutzung der Spielleidenschaft, des Gewinnstrebens oder der Risikobereitschaft, Appelle an Gefühle sowie das Ausnutzen von Vertrauen oder Unerfahrenheit. In diesen Fällen bestand zumindest die Gefahr, dass sich der Kunde nicht mehr oder nur noch eingeschränkt aufgrund von Kriterien des sog. Leistungswettbewerbs – Qualität, Preiswürdigkeit, Konditionen, Service – leiten lässt.453 Im Kern orientiert sich die Betrachtung auch heute noch an einem wesentlichen Teil dieser Kriterien; allerdings hat das moderne Verbraucherleitbild einige davon auch ihrer Grundlage beraubt, und zudem hat die Rechtsprechung insbesondere auch das BVerfG dazu geführt, dass man heute aus der Unsachlichkeit einer Werbung nicht mehr auf ihre Unlauterkeit schließen kann, wenn keine sonstigen Aspekte hinzutreten. Werbung als praktisch häufigste Ausprägung der geschäftlichen Handlungen im Sinne des UWG muss nicht (mehr) stets sachlich sein, und auch der Appell an Meinungen und Gefühle ist wegen Art. 5 GG zulässig454 (dazu unten Rn. 265 ff.). Bei der Beurteilung, ob eine geschäftliche Handlung die Kundenentscheidung durch sachfremde Mittel beeinflusst, spielen oft mehrere der eben erwähnten Aspekte eine Rolle.455 Nach früherer Praxis konnte sich das Unlauterkeitsurteil in bestimmten Konstellationen sogar erst aus der Kumulation von zwar bedenklichen, bei isolierter Betrachtung jeweils aber noch tolerierbaren Beeinflus447 S.a. Schünemann WRP 2004, 925, 932 f. 448 Vgl. etwa BGH 12. 12. 2013 – I ZR 192/12 – GRUR 2014, 686 Tz. 23 – Goldbärenbarren; Lettl WRP 2019, 1265 Rn. 3 ff. 449 So bereits etwa Baumbach/Hefermehl Einl. Rn. 161; § 1 Rn. 4; Köhler/Piper³ § 1 Rn. 10 (ohne Beschränkung auf die bloße Eignung). 450 Zu dessen Schutzzwecken Köhler WRP 2017, 1025 Rn. 7, 12, 20 ff. 451 Vgl. die früheren Unlauterkeitskriterien zusammenfassend BGH 20. 11. 2003 – I ZR 151/01 – GRUR 2004, 802, 803 m.w.N. – 20 Minuten Köln; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 8.5. f. 452 Vgl. zur Entwicklung der Begrifflichkeit Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 8.2. 453 Vgl. Fezer WRP 2001, 989, 997 ff. sowie Fezer/Büscher/Obergfell § 3 Rn. 379 ff. m. w. N. Zu Recht kritisch zum Begriff der Leistungswettbewerbs: Köhler/Bornkamm/Feddersen § 1 Rn. 44; Harte/Henning/Ahrens Einl. G Rn. 67 m. w. N. 454 Grundlegend BVerfG 6. 2. 2002 – 1 BvR 952/90 – GRUR 2002, 455 f. – Tier- und Artenschutz; im Gefolge auch BGH 2. 9. 2005 – I ZR 55/02 – BGHZ 164, 154 = GRUR 2006, 75 – Artenschutz. 455 Vgl. bereits v. Godin § 1 Rn. 208. Aus der Rspr. etwa BGH 18. 10. 1990 – I ZR 113/89 – GRUR 1991, 542, 543 – Biowerbung mit Fahrpreiserstattung: Verstärkung des Anlockeffekts der Wertreklame durch gefühlsbetonte (Bio-)Werbung; BGH 9. 4. 1992 – I ZR 173/90 – GRUR 1992, 855, 856 – Gutscheinübersendung: unzulässige Wertreklame und Belästigung durch Übersendung eines Warengutscheins über 30 DM statt Rücksendung einer zur Erstellung eines Kostenvoranschlags eingesandten Kamera.

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sungsfaktoren ergeben.456 Das spielte u. a. für die Imagewerbung eine Rolle, teils aber auch bei der Wertreklame, also im Bereich der Verkaufsförderungsmaßnahmen. Heute ist das überholt, weil die Grenze zur Unlauterkeit nach inzwischen ständiger Rechtsprechung erst später überschritten wird, nämlich wenn die Rationalität der geschäftlichen Entscheidung mehr oder weniger völlig ausgeschlossen wird.457 Eine ansatzweise vergleichbare Wertung findet sich heute in § 3 Abs. 2 UWG, dessen genauer Regelungsgehalt sich nur über die in § 2 Abs. 1 Nr. 7–9 UWG umgesetzten Definitionen aus Art. 2 lit. j) und k) UGPRL erschließt; dabei hat sich der Akzent vom völligen Ausschluss der Rationalität der Verbraucherentscheidung etwas fortbewegt, weil Verbraucherentscheidungen nicht stets völlig rational sind und es auch nicht sein müssen,458 sodass es heute um die in § 2 Abs. 1 Nr. 9 UWG beschriebene „wesentliche Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens“ von Verbrauchern geht.459 Der Verbraucherschutz über das Unlauterkeitsrecht hat sich über Jahrzehnte hinweg 212 stetig weiterentwickelt. Eine Ursache liegt darin, dass sich die Werbung und sonstige Beeinflussungsversuche gegenüber Verbrauchern naturgemäß ständig wandeln. Dazu trägt neben dem Zeitgeist und den Veränderungen gesellschaftlicher Anschauungen in nicht erheblichem Umfang die Wettbewerbsrechtsprechung bei, die zumindest in der Vergangenheit zahlreiche Werbemethoden untersagt und die Werbenden damit gezwungen hat, wiederum neue Verhaltensmuster zu entwickeln. In den letzten Jahren sind ungewohnt viele Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen hinzugekommen, namentlich die Regelung über die zulässige vergleichende Werbung in § 6 UWG, die den Verbraucherschutz umwälzende Aufhebung von RabattG und ZugabeVO im Jahr 2001 sowie die UWG-Reform von 2004, welche die starke und zu begrüßende Liberalisierung des deutschen Unlauterkeitsrechts fortgeführt hat.460 Auch das BVerfG hat in den letzten Jahren erheblich zur Liberalisierung beigetragen, indem es verstärkt auf die Bedeutung der Meinungsfreiheit für die Wirtschaftswerbung und die daraus folgenden verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Anwendung der Generalklausel und die Begründung für ihre Anwendung hingewiesen hat (näher unten Rn. 252 ff.). In Zukunft werden nennenswerte Impulse überwiegend nur noch aus dem EU-Recht bzw. der Rechtsprechung des EuGH zu erwarten sein, da die weitgehende Vollharmonisierung den Gestaltungsmöglichkeiten von nationaler Rechtsprechung und nationalem Schrifttum zunehmend Grenzen setzt. 213 Seit der Reform 2004 nennt § 1 S. 1 UWG den Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern ausdrücklich als Gesetzeszweck. Diese – begrüßenswerte – Änderung führte letztlich zu keiner echten Stärkung des Verbraucherschutzes über das Wettbewerbsrecht, weil dieser auch zuvor schon umfassend ausgestaltet war und durch die Übernahme des europäischen Verbraucherleitbildes durch die deutsche Rechtsprechung (dazu unten Rn. 230 ff.) gegenüber dem früheren Zustand sogar eher, wenn auch auf ein vernünftiges Maß, reduziert worden war. Überdies haben die Reformen von 2004, 2008 und 2015 wiederum keine Anspruchsberechtigung für einzelne Verbraucher/innen eingeführt (vgl. unten Rn. 289 ff.). Allenfalls bietet die zum 1. 11. 2018 eingeführte Musterfeststellungsklage nach den §§ 606 ff. ZPO gewisse Möglichkeiten, auf Grundlage anderer Vorschriften gegen Verhaltensweisen vorzugehen, die zugleich gegen das UWG verstoßen. Allerdings sind aus den Richtlinienvorschlägen der Europäischen Kommis-

456 Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß § 1 Rn. 5; Köhler/Piper § 1 Rn. 11. 457 BGH 22. 9. 2005 – I ZR 55/02 – BGHZ 164, 154 = GRUR 2006, 75 Tz. 16 ff. – Artenschutz; BGH 22. 9. 2005 – I ZR 28/03 – GRUR 2006, 161 Tz. 13 ff., 17 – Zeitschrift mit Sonnenbrille, m. Anm. Steinbeck; BGH 23. 2. 2006 – I ZR 245/ 02 – GRUR 2006, 511 Tz. 21 – Umsatzsteuererstattungs-Modell, Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 8.6; Ohly/Sosnitza § 1 Rn. 21. 458 Vgl. EuGH 18. 10. 2012 – C-428/11 – GRUR 2012, 1269 Tz. 38 – Purely Creative. 459 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 8.14; offengelassen von BGH 5. 10. 2010 – I ZR 4/06 – GRUR 2011, 532 Tz. 26 f. – Millionen-Chance II. 460 Vgl. Begründung zum RegE, BTDrucks. 15/1487, S. 12 ff.

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sion zu einem „New Deal for Consumers“461 inzwischen Änderungsrichtlinien sowohl (u. a.) für die UGPRL als auch für die Unterlassungsklagen-RL geworden, die den Verbraucherschutz verbessern sollen. In Art. 11a UGPRL ist deshalb seit 7. 1. 2020 vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten – in deutscher Terminologie formuliert – für Verbraucher, die durch unlautere Geschäftspraktiken geschädigt worden sind, Ansprüche vorsehen müssen, welche die entstandenen Nachteile ausgleichen (näher Rn. 292). Den auf den ersten Blick gravierendsten Fortschritt für den Verbraucherschutz brachte die 214 bereits soeben erwähnte Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken, welche die Verbraucherschutzgesetzgebung weiter fortgeführt hat. Allerdings ist für Deutschland zu konstatieren, dass diese UGPRL den Verbraucherschutz teilweise eher nochmals zurückgeführt hat, da sie aufgrund ihres abschließenden Charakters einer Vollharmonisierung im nationalen Recht vorgesehene strikte Regelungen ausschließt, die in ihr keine Entsprechung finden, so namentlich Koppelungsverbote wie in § 4 Nr. 6 UWG 2004/2008, dessen Unvereinbarkeit mit der UGPRL vom EuGH festgestellt wurde,462 was zur späteren Streichung des Tatbestands geführt hat. Aber auch Beispielstatbestände mit unbestimmten Rechtsbegriffen, die eine Wertung des Rechtsanwenders erfordern, sind an den Vorgaben der Richtlinie für die Unlauterkeit in Art. 5 Abs. 2 und 3 UGPRL zu messen, also letztlich durch eine zusätzliche Anwendung des § 3 Abs. 2 UWG auf ihre Richtlinienkonformität zu überprüfen bzw. richtlinienkonform anzuwenden. Seit den UWG-Novellen von 2008 und 2015 trägt das UWG dem Verbraucherschutz in Umset- 215 zung der UGPRL nicht unbedingt generell in stärkerem Maße, aber mit anderen Akzenten Rechnung. Dies zeigen insbesondere die sog. „Verbrauchergeneralklauseln“ in § 3 Abs. 2 UWG und die gemäß § 3 Abs. 3 UWG stets unlauteren geschäftlichen Handlungen des UWG-Anhangs, ferner die erst seit 2015 gelungene Umsetzung der Art. 6–9 UGPRL in den §§ 4a–5a UWG. Erweitert worden ist der Verbraucherschutz vor allem durch die Erweiterung des Anwendungsbereichs des UWG insgesamt, die mit der Übernahme des Begriffs der geschäftlichen Handlung gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG einhergegangen ist, da das UWG heute – im Vergleich zur früheren Anknüpfung an die sog. Wettbewerbshandlung463 – grundsätzlich auch Verhaltensweisen nach einem Vertragsschluss bzw. bei der Durchführung von Verträgen erfasst.464 Zudem stellt § 5a Abs. 2 UWG mit den sich anschließenden Absätzen klar, dass Verbrauchern die für ihre geschäftlichen Entscheidungen notwendigen Entscheidungsgrundlagen zur Verfügung gestellt werden müssen; insbesondere sind also aus dem EU-Recht folgende oder auf diesem beruhende Informationspflichten zu erfüllen, ohne dass es hier zu einer Irreführung im eigentlich Sinne kommen müsste, die letztlich gesetzlich vermutet wird, vgl. auch Art. 6 UGPRL.465 Erwähnen lässt sich auch, dass § 5 Abs. 2 UWG seit 2008 explizit auch das Hervorrufen einer Verwechselungsgefahr bei anderen Marktteilnehmern erfasst, sodass sich der Anwendungsbereich des Unlauterkeitsrechts seitdem schon nach dem Gesetzeswortlaut teilweise mit dem des Kennzeichenrechts überschneidet. Das Kennzeichenrecht, insbesondere Markenrecht, dient zwar nicht unmittelbar dem Schutz von Verbraucherinteressen, umfasst diesen aber über die Markenfunktionen zumindest reflexartig mit.466 Bei geografischen Herkunftsangaben und Ursprungsbezeichnungen verhält es sich kaum anders.467 461 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, Neugestaltung der Rahmenbedingungen für die Verbraucher, COM(2018) 183 final; dazu etwa Dröge WRP 2019, 160. 462 EuGH 14. 1. 2010 – C-304/08 – Slg 2010, I-217 = GRUR 2010, 244 – Plus Warenhandelsgesellschaft. 463 Vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG 2004 und § 1 UWG 1909. 464 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 4.5. 465 Vgl. nur Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5 Rn. 1.16. 466 Eingehend Sosnitza ZGE/IPJ Band 5 (2013), 176, 177 ff., 195 ff.; s. ferner BeckOK Markenrecht/Kur (15. Ed. 1. 10. 2018), § 14 Rn. 120 ff. Fezer MarkenG Einl. C. Rn. 4, 15, Einl. D Rn. 1 ff., 8, 22 ff. m. w. N.; ders. GRUR 2010, 953, 958; früh bereits Kraft GRUR 1980, 416 ff. 467 Vgl. etwa BGH 31. 3. 2016 – I ZR 86/13 – GRUR 2016, 741 Tz. 15, 21 ff. – Himalaya Salz; den „verbraucherschützenden Weg“ des deutschen Rechts der Herkunftsangaben betonend Loschelder GRUR 2016, 339 ff. (mit Gegenüberstellung zum Irreführungsschutz S. 341 ff. m. w. N.).

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3. Verbraucherschutz und Schutz anderer Interessen 216 Dem Verbraucherschutz widmete das Unlauterkeitsrecht bereits im Rahmen der alten Generalklausel des § 1 UWG 1909 verschiedene Fallgruppen. Dabei handelte es sich – und handelt es sich auch heute noch – an sich um einen Unterfall des Schutzes der Marktgegenseite, die auch noch die sog. „sonstigen Marktteilnehmer“ i.S. des heutigen § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG umfasst. Beide Bereiche hat man früher unter den Oberbegriff „Kundenfang“ gefasst.468 Sie wenden sich gegen eine Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit der Abnehmer durch unlautere Werbemaßnahmen, was heute etwa auch in § 4 Nr. 1 UWG sowie Art. 1 und 5 Abs. 2 lit. b) UGPRL zum Ausdruck kommt. Gleichwohl bestehen zahlreiche Verbindungslinien sowohl zum Schutz der Mitbewerber als 217 auch zum Schutz des Wettbewerbs als Institution, wie er in § 1 Satz 2 UWG zum Ausdruck kommt: Der „Kundenfang“ ist nicht zuletzt deshalb verboten, weil die damit angesprochenen Werbe- und Vertriebsmethoden Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbssystems insgesamt nach sich ziehen könnten, wenn sie in größerem Umfang Schule machen würden. Überhaupt darf man die seit langem übliche Betonung der „Schutzgegenstände“ des UWG bzw. der von ihm geschützten Interessen der Marktteilnehmer i.S.v. § 1 S. 1 UWG nicht dahingehend fehlinterpretieren, es gehe insofern um geschützte Rechtsgüter im technischen Sinne. Das deutsche UWG schützt als objektives Marktverhaltensrecht den Wettbewerb als solchen ergänzend (§ 1 S. 2 UWG) über die Gewährleistung der Interessen von Mitbewerbern, Verbrauchern und der sonstigen Marktteilnehmer. 218 Allerdings ist zuzugestehen, dass – jedenfalls seit der UWG-Reform 2008 – das UWG entgegen der noch im Gesetzgebungsverfahren zum UWG 2004 verfolgten Konzeption inzwischen kein reines Wettbewerbsrecht mehr darstellt, weil das UWG in Umsetzung der UGPRL gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG nun auch unlautere Handlungen während und nach Vertragsschluss erfasst, die nicht notwendigerweise einen Bezug zum Wettbewerb haben müssen.469 Das spricht dafür, nun eher (auch zur Unterscheidung vom Recht der Wettbewerbsbeschränkungen oder Kartellrecht) von einem Unlauterkeitsrecht zu sprechen, das sowohl Aspekte des Verbraucherschutzes (und des Schutzes unternehmerischer Kunden) als auch eher wettbewerbsbezogene Aspekte umfasst, nämlich den Schutz der Mitbewerber und von sonstigen Marktteilnehmern, die nicht Verbrauchern ähnlich sind, also insbesondere von Lieferanten. 219 Von daher ist die zu § 1 UWG 1909 etablierte Einteilung in Hauptfallgruppen anhand dieser Schutz- oder besser Interessentrias heute nur noch eingeschränkt von Bedeutung. Im Bereich des Mitbewerberschutzes hat der Gesetzgeber 2004 die dortigen Hauptfallgruppen in § 4 Nr. 3 UWG („Ausbeutung“) und § 4 Nr. 4 UWG („individuelle Behinderung“) konserviert; hinzutritt der Schutz des Wettbewerbs an sich vor „allgemeiner Marktstörung“ (heute §§ 1 S. 2 UWG, 3 Abs. 1 UWG). Daneben tritt der Schutz der Interessen von Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern (§§ 4a–5a UWG), aber auch der Rechtsbruch, der Interessen aller Gruppen von Marktteilnehmern schützt bzw. schützen kann (§ 3a UWG). Beim Schutz von Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern, also der Marktgegenseite, sind die früheren Kategorien mit Ausnahme der Irreführung aber obsolet, vgl. § 4a UWG. Ferner ist die Unterscheidung zwischen der Beeinflussung von Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern auf der Ebene des eigentlichen Unlauterkeitskriteriums durch die Gleichstellung in den §§ 4a–5a Abs. 1 UWG hinfällig; dass der selbständigberuflich auf dem Markt Tätige aufgrund seiner Marktstellung tendenziell schwerer zu beeinflussen oder mutmaßlich besser informiert ist als der private Endverbraucher i.S.v. § 23 Abs. 2 UWG lässt sich auf der zweiten Tatbestandsebene – Eignung zur Veranlassung zu einer abweichenden geschäftlichen Entscheidung – gut berücksichtigen, die zudem die Möglichkeit bietet, anhand des konkreten Adressatenkreises zu differenzieren, vgl. § 3 Abs. 4 S. 1 UWG; allerdings wird man kaum unter Heranziehung des Rechtsgedankens aus § 3 Abs. 4 S. 2 UWG Kleinunternehmer oder 468 Vgl. Baumbach/Hefermehl § 1 a. F. Rn. 4 aE; sachlich übereinstimmend Köhler/Piper³ § 1 a. F. Rn. 10. 469 Fezer/Büscher/Obergfell § 5a Rn. 5, 24, 69; jurisPK-UWG/Seichter § 5a Rn. 57; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 1 Rn. 5; Ohly/Sosnitza § 5a Rn. 6.

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Unternehmer bei branchenfremden Geschäften nicht stärker schützen können als den Durchschnittsadressaten. Ansonsten trägt das Gesetz heute aber dem Umstand Rechnung, dass die Erscheinungsformen der unlauteren Beeinflussung von Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern bei ihren geschäftlichen Entscheidungen im Grunde dieselben sind.470 Früher wurde zudem die weitergehende These vertreten, jeglicher Einsatz von Mitteln au- 220 ßerhalb des „Leistungswettbewerbs“ lasse eine Werbung stets ohne weiteres wettbewerbswidrig werden.471 Das – zumindest in dieser Form472 – auf Nipperdey473 zurückgehende Begriffspaar Leistungs-/Nichtleistungswettbewerb hat im Laufe der letzten Jahrzehnte breiten Eingang in Rechtsprechung und Schrifttum gefunden. In jüngerer Zeit ist es leider ohne Not auch noch vom BVerfG aufgegriffen474 und damit gewissermaßen geadelt worden.475 Zugleich hatte Fezer in seinem Gutachten zur Reform des Unlauterkeitsrechts vorgeschlagen, den Tatbestand der Generalklausel von den guten Sitten auf den (Nicht-)Leistungswettbewerb umzustellen,476 was so aber nicht Gesetz geworden ist. Stattdessen wurde im Zuge der UWG-Reform 2004 der Begriff der „guten Sitten“ gegen den Begriff der Unlauterkeit ausgetauscht.477 Es ist hier nicht der Ort, sich mit dieser ohnehin seit Jahrzehnten festgefahrenen Diskussion näher auseinander zu setzen (dazu Peukert § 3 Rn. 232 ff.).478 Das Begriffspaar Leistungs-/Nichtleistungswettbewerb wirkt zwar vielleicht moderner als der bis 2004 verwendete Begriff der guten Sitten im geschäftlichen Verkehr und weist begrifflich einen klareren Bezug zur Regelungsmaterie „Marktverhalten“ auf. Letztlich ist „Nichtleistungswettbewerb“ aber nur ein Synonym für unlautere geschäftliche Handlungen, das die unbillige Behinderung von Wettbewerbern i.S.v. Art. 102 AEUV und §§ 19 Abs. 2 Nr. 1, 20 Abs. 3 S. 1 GWB einschließt. Zumindest außerhalb dieser klar umrissenen Tatbestände und ihrer Fallgruppen ist aber der Begriff „Nichtleistungswettbewerb“ ebenso konkretisierungsbedürftig wie die Unlauterkeit an sich. Demgegenüber benennt das UWG heute in Umsetzung der UGPRL mit dem Verstoß gegen die unternehmerische Sorgfalt gegenüber Verbrauchern ein neues Kriterium,479 das zwar ebenfalls konkretisierungsbedürftig ist, aber unter Berücksichtigung der Definition in § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG doch eine Spur aussagekräftiger sein dürfte als der Begriff „Nichtleistungswettbewerb“. Gerade die Hauptfallgruppe des früheren „Kundenfangs“ zu § 1 UWG 1909 offenbarte näm- 221 lich die Schwächen des Konzepts von Leistungs- und Nichtleistungswettbewerb480 in eindrucksvoller Weise: So ordnet man das Verschenken von Waren zu Probezwecken – ebenso wie andere Formen der Aufmerksamkeitswerbung – zum Teil zwar prinzipiell dem Nichtleistungswettbewerb zu, hielt es aber dennoch innerhalb angemessener Grenzen für grundsätzlich zulässig, 470 Deutlich Ohly/Sosnitza § 1 Rn. 28; ebenso Harte/Henning/Podszun § 1 Rn. 70; weniger deutlich, aber i.E. nicht anders Fezer/Büscher/Obergfell § 1 Rn. 73 ff.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 1 Rn. 14 ff.

471 Dazu eingehend GK-UWG/Schünemann1 Einl. D Rn. 81 ff. m.w.N. 472 Zu den Grundlagen der Begriffsbildung in der noch früheren Literatur vgl. Emmerich § 5, 6; Sosnitza S. 76 m.w.N. 473 Nipperdey Wettbewerb und Existenzvernichtung, 1930, S. 16 = KartRdsch 1930, 127 ff. – Vgl. zuvor bereits Lobe – GRUR 1910, 5 f. 474 BVerfG 1. 8. 2001 – 1 BvR 1188/92 – GRUR 2001, 1058, 1061 – Therapeutische Äquivalenz; BVerfG 7. 11. 2002 – 1 BvR 580/02 – WRP 2003, 69, 70 f. – Anwalts-Ranking im Juve-Handbuch, s. a. BVerfG 11. 3. 2003 – 1 BvR 426/02 – GRUR 2003, 442, 443 – Benetton-Werbung II; BVerfG 12. 7. 2007 – 1 BvR 2041/02 – GRUR 2008, 81, 82 f. (Tz. 43) m. w. N. – Pharmakartell. 475 Kritisch auch Hartwig NJW 2002, 38 f. m.w.N. 476 Fezer WRP 2001, 989, 999. 477 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 2.9, 2.11. 478 S. eingehend ferner bereits GK-UWG/Schünemann1 Einl. D Rn. 85 ff. m.w.N.; s. a. Fezer WRP 2001, 989, 997 ff.; Harte/Henning/Podszun § 3 Rn. 121 ff. 479 Vgl. § 3 Abs. 2 S. 1 UWG bzw. Art. 5 Abs. 2 lit. a) UGPRL, dazu näher Fritzsche § 2 Rn. 681 ff. und § 3 Rn. 599 ff. 480 Dazu eingehend m.w.N. GK-UWG/Schünemann1 Einl. D Rn. 85 ff.; abweichend Drexl in: Schricker Neuorientierung, S. 163, 173 ff., der den Leistungswettbewerb als subjektiv bestimmt ansieht und ihm deshalb die Eignung als objektives Kriterium abspricht.

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solange die Aufmerksamkeit für die Entschließung des Umworbenen kein zu starkes Gewicht erlangte.481 Wenn aber über die Zuordnung einer Maßnahme zum Nichtleistungswettbewerb erst der Einsatz der eben erwähnten Mittel der unsachlichen Beeinflussung entscheidet, bleibt das bloße Verschenken von Waren zu einem bestimmten Zweck – aus der relevanten Sicht der Verbraucher – eben doch eine Leistung und kann als solche keine Maßnahme des Nichtleistungswettbewerbs darstellen. Diese einfache Überlegung zeigt bereits, wie wenig die Differenzierung von Leistungs- und Nichtleistungswettbewerb für die Rechtsanwendung bzw. die Beurteilung der Unlauterkeit hilft. Auch § 3 UWG 2004 verwendete nicht den Begriff des Leistungswettbewerbs, sondern sprach von „unlauteren Wettbewerbshandlungen“, über den auch die Gesetzesmaterialien nicht hinausgingen.482 Die UWG-Novelle von 2008 hat lediglich die „geschäftliche Handlung“ in § 3 Abs. 1 UWG zum Anknüpfungspunkt für die dort nicht näher erläuterte Unlauterkeit gemacht. Für den Verbraucherschutz hingegen wird seit 2008 in § 3 Abs. 2 UWG die Unlauterkeit in Umsetzung von Art. 5 Abs. 2 UGPRL als Verstoß gegen die unternehmerische Sorgfalt definiert, zu der noch die Eignung zur wesentlichen Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens des Durchschnittsverbrauchers, den sie erreicht oder an den sie sich richtet, treten muss. 222 Trotz dieser Neuakzentuierung der Beurteilungskriterien, die für den Verbraucherschutz zentral sind, hat § 1 UWG aber am umfassenden Ansatz der Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs festgehalten. Daher muss die Beurteilung eines Wettbewerbsverhaltens weiterhin, auch beim Verstoß gegen die verbraucherschützenden Funktionen des UWG, anhand einer Prüfung des einheitlichen Lebensvorgangs der ihn prägenden Gesamtumstände erfolgen. Dies führt dazu, dass ein Lebensvorgang sowohl im Hinblick auf die betroffenen Interessen der Mitbewerber als auch der Allgemeinheit und der Verbraucher und der sonstigen Marktteilnehmer zu erfolgen hat.483 Auch innerhalb der Fallgruppen (bzw. Beispielstatbestände) des Verbraucherschutzes kann sich also das Unwerturteil der Unlauterkeit erst aus dem Zusammenwirken mehrerer Umstände ergeben; insbesondere erfordert der mitbewerberschützende Tatbestand des Leistungsschutzes nach § 4 Nr. 3 UWG in der Variante von lit. a) eine Eignung zur Herkunftstäuschung, die beim Verbraucher oder beim sonstigen Marktteilnehmer auftreten muss. Ferner sind auch die Interessen der Mitbewerber zwangsläufig tangiert, wenn Kunden sich infolge einer (unangemessen) unzulässigen Beeinflussung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 UWG) oder Irreführung (§§ 5, 5a UWG) für das Angebot eines anderen Anbieters (oder Nachfragers) entscheiden. Ferner kann eine geschäftliche Handlung, die Auswirkungen auf die Interessen der Verbraucher hat, zumindest nach früher h.M.484 unter Umständen erst aufgrund einer Nachahmungsgefahr wettbewerbswidrig sein, wenn sie die Mitbewerber aus Wettbewerbsgründen faktisch dazu zwingt, zu gleichen oder ähnlichen Mitteln greifen zu müssen.485 Zu weiteren Fragen der Konkurrenz unterschiedlicher Schutzzwecke s. unten Peukert Rn. 332 ff.

481 Vgl. etwa Köhler/Piper³ § 1 Rn. 192 f. m.N. 482 Vgl. BTDrucks. 15/1487, S. 5, 16 ff., 29 ff. 483 BGH 22. 5. 1981 – I ZR 85/79 – GRUR 1981, 746, 747 – Ein-Groschen-Werbeaktion; BGH 20. 3. 1986 – I ZR 228/ 83 – GRUR 1986, 622 – Umgekehrte Versteigerung I. 484 BGH 26. 2. 1965 – Ib ZR 51/63 – GRUR 1965, 489, 491 – Kleenex; BGH 18. 12. 1981 – I ZR 34/80 – GRUR 1982, 425, 430 – Brillen-Selbstabgabestellen; BGH 27. 10. 1988 – I ZR 29/87 – GRUR 1990, 371, 372 – Preiskampf; BGH 14. 3. 1991 – I ZR 55/89 – NJW 1991, 2151, 2152 – Motorboot-Fachzeitschrift; BGH 29. 6. 2000 – I ZR 128/98 – GRUR 2001, 80, 81 – ad-hoc-Meldung; BGH 14. 12. 2000 – I ZR 147/98 – GRUR 2001, 752, 753 f. – Eröffnungswerbung; BGH 29. 10. 2009 – I ZR 180/07 – GRUR 2010, 455 – Stumme Verkäufer II; in BGH 28. 3. 2019 – I ZR 85/18 – GRUR 2019, 641– Kaffeekapseln – als Erwägung der Vorinstanz erwähnt (vgl. Tz. 10), aber sonst nicht aufgegriffen. 485 BGH 26. 2. 1965 – Ib ZR 51/63 – GRUR 1965, 489, 491 – Kleenex; BGH 18. 12. 1981 – I ZR 34/80 – GRUR 1982, 425, 430 – Brillen-Selbstabgabestellen; BGH 27. 10. 1988 – I ZR 29/87 – GRUR 1990, 371, 372 – Preiskampf; BGH 14. 3. 1991 – I ZR 55/89 – NJW 1991, 2151, 2152 – Motorboot-Fachzeitschrift; BGH 29. 6. 2000 – I ZR 128/98 – GRUR 2001, 80, 81 – ad-hoc-Meldung; BGH 14. 12. 2000 – I ZR 147/98 – GRUR 2001, 752, 753 f. – Eröffnungswerbung; s. ferner BGH 22. 5. 1981 – I ZR 85/79 – GRUR 1981, 746, 748 – Ein-Groschen-Werbeaktion.

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Zusammenfassend ist festzuhalten, dass zwar bestimmte Verhaltensweisen im Wettbewerb 223 in erster Linie durch unzulässige Einwirkungsversuche auf den Verbraucher (oder sonstigen potentiellen Vertragspartner) gekennzeichnet sind. Ihr Charakteristikum liegt entweder in einer Irreführung (§§ 5, 5a UWG) oder einer aggressiven geschäftlichen Handlung (§ 4a UWG) also einer Belästigung, Nötigung oder sonstigen unangemessenen Beeinflussung. Dies ist heute in den Beispielstatbeständen der §§ 4 bis 5a UWG und dem – eigenständigen – Verbotstatbestand des § 7 Abs. 1 UWG festgeschrieben. Kritisieren kann man, dass sich der Aufbau der Beispielstatbestände im UWG nicht an den Schutzzwecken des § 1 UWG orientiert, wenn auch verschiedene Tatbestände irreführender geschäftlicher Handlungen in § 5 und der vergleichenden Werbung in § 6 UWG zusammengefasst sind.486

4. Vorgaben und Einfluss des Unionsrechts Im Recht der Europäischen Union ist eine umfassende Kodifikation des Unlauterkeitsrechts bis 224 heute nicht vorhanden, doch hat die Regelungsdichte in den letzten Jahren erheblich zugenommen.487 Dies gilt in besonderem Maße für den Verbraucherschutz, für den die UGPRL eine grundsätzliche Vollharmonisierung gebracht hat, auch wenn Art. 3 UGPRL noch einige Ausnahmebereiche anerkennt. Auch die IrreführungsRL und die Grundfreiheiten spielen eine Rolle.488 Diverse speziellere Richtlinien zu verbraucherrelevanten Aspekten enthalten einzelne unlauterkeitsrechtliche Regelungen, insbesondere spezielle Irreführungsverbote oder Vermarktungsregeln. Zunehmende Bedeutung erlangt auch, zumindest als Begründungsansatz, die EUGrRCh.

a) Der Einfluss der Grundfreiheiten. Bei der Anwendung des § 1 UWG 1909 waren, soweit 225 es um seine Funktionalisierung im Rahmen des Verbraucherschutzes geht, vor der Schaffung substantieller Rechtsvereinheitlichung im Bereich des Verbraucherschutzes durch Richtlinien zu Fragen des Unlauterkeitsrechts die Grundfreiheiten des AEUV zu beachten.489 Daran hat sich grundsätzlich auch unter der Geltung des UWG 2004 nichts geändert, soweit es nicht durch UGPRL und ihrer Umsetzung Ende 2008 und Ende 2015 zu einer Vollharmonisierung gekommen ist. Soweit Art. 3 UGPRL Ausnahmen zulässt, blieben in diesen Bereichen die Grundfreiheiten weiter von Bedeutung, wenn nicht wiederum speziellere Richtlinien (oder Verordnungen) eingreifen. Dabei sind Werbemaßnahmen, um die es beim Verbraucherschutz zumeist bis heute geht, von Werbeagenturen und anderen Unternehmen als Dienstleistungen anzusehen, die dem Schutz des Art. 56 AEUV unterliegen. Hingegen ist die konkrete Werbung für eine einzelne Ware oder Dienstleistung gegenüber dieser als „akzessorisch“ anzusehen mit der Folge, dass sich der Schutz durch die Grundfreiheiten auf die beworbene Ware und Art. 34 AEUV bzw. die beworbene Dienstleistung und Art. 56 AEUV bezieht.490 Der EuGH hat immer wieder entschieden, dass nationale Verbote irreführender Verhaltenswei- 226 sen im weitesten Sinne die Warenverkehrsfreiheit des Art. 34 AEUV nicht verletzen, denn zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, die eine Beeinträchtigung des freien Warenverkehrs zu rechtfertigen vermögen, zählen insbesondere der Schutz der Lauterkeit des Handelsver486 Vgl. dazu etwa den aktuellen Neuordnungsvorschlag von Peukert WRP 2019, 544 Rn. 29 ff. 487 Zur Entwicklung der Rechtsvereinheitlichung vgl. eingehend GK-UWG/Schricker1 Einl. F Rn. 330 ff.; HenningBodewig GRUR Int 2002, 389, 391 ff.; Lettl Schutz, S. 2 ff.; zum Stand der Rechtsvereinheitlichung sowie zur Handhabung des vereinheitlichten Bereichs in den einzelnen Mitgliedstaaten Hucke S. 40 ff., 62 ff. sowie 126–388; Lettl Schutz, S. 151 ff. s. a. Ohly S. 69 ff.; Micklitz/Kessler GRUR Int 2002, 885 ff. 488 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl. 3.14. 489 Vgl. dazu eingehend GK-UWG/Schricker1 Einl. F Rn. 318 ff.; näher auch Beater Rn. 439 ff., 479 ff. 490 Vgl. Schwarze/U. Becker, EU-Kommentar, Art. 28 Rn. 48, dort Rn. 77 auch zur Kritik an dieser formalen Betrachtungsweise; Rolshoven S. 56 f. Fn. 95.

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kehrs und der Verbraucherschutz.491 Ob nach dem autonomen Recht der Mitgliedstaaten zwingende Gründe ein Verbot erfordern, müssen die Gerichte des jeweiligen Mitgliedstaats entscheiden.492 Als zulässig anzusehen sind – allerdings vor dem Inkrafttreten der UGPRL – insbesondere nationale Verbote von Zugaben bzw. allgemeiner von Gratisgaben.493 Durch die Keck-Rechtsprechung wurden zudem diskriminierungsfrei gehandhabte Regelungen über Verkaufsmodalitäten, zu denen insbesondere Werberegelungen typischerweise zählen, aus dem Anwendungsbereich des Art. 34 AEUV ausgenommen, so dass es bei ihnen einer Rechtfertigung nicht bedarf. 227 Anders verhält es sich bei der im Werbebereich ebenfalls oft einschlägigen Dienstleistungsfreiheit, auf die die Keck-Rechtsprechung bislang mit guten Gründen nicht übertragen wurde.494 Hier bedarf es daher, sobald eine Beschränkung vorliegt, einer Rechtfertigung aus überwiegenden Gründen des Allgemeininteresses. Auf diese Aspekte ist bei einzelnen Verbraucherschutztatbeständen, insbesondere Telefon- und ähnlichen Werbeverboten, jeweils gesondert zurückzukommen. Durch die fortgeschrittene Rechtsvereinheitlichung im Verbraucherbereich spielen die Grundfreiheiten für das Recht des unlauteren Wettbewerbs fast nur noch dort eine Rolle, wo es eine solche Vereinheitlichung nicht gibt oder Ausnahmebereiche vorliegen; so hatte der EuGH im nach Art. 3 Abs. 8 UGPRL von dieser ausgenommenen Recht der freien Berufe über ein umfassendes Werbeverbot für belgische Zahnärzte zu urteilen, das er für unzulässig gehalten hat;495 zulässig sein kann ein solches Verbot nur zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und der Würde des Zahnarztberufs,496 was letztlich – in Einklang mit dem in Deutschland auf der Grundlage der zahllosen Vorgaben des BVerfG497 geltenden Recht, aber auch mit dem Gedankengut von Art. 5 UGPRL – insbesondere ein Verbot von aggressiven und irreführenden Werbepraktiken erlaubt, sodass in498 gewisser Weise doch ein Gleichlauf mit der nicht geltenden UGPRL erreicht und die Grenzen der Werbung durch die Gefährdung nicht nur gesundheitlicher, sondern insbesondere auch wirtschaftlicher Interessen der Patienten und damit Verbraucher gezogen werden.

228 b) Rechtsvereinheitlichung. Das europäische Sekundärrecht enthielt lange Zeit im Wesentlichen partielle Regelungen, die sich entweder – aus deutscher Sicht – unmittelbar mit Fragen des unlauteren Wettbewerbs befassen oder zumindest Ausstrahlungswirkungen zeitigen können. Dabei sind hier nur die für die Fragen des Verbraucherschutzes relevanten zu behandeln. Insofern ermöglicht Art. 169 Abs. 2 AEUV eine ergänzende Verbraucherschutzpolitik, insbesondere durch Maßnahmen der Rechtsangleichung nach Art. 114 AEUV.499 Ausgangspunkt für die Vereinheitlichung der Bekämpfung verbraucherbezogenen unlauteren Wettbewerbs war die sog.

491 EuGH 13. 12. 1990 – C-238/89 – Slg. 1990, I-4827 = GRUR Int. 1991, 215, 216 Tz. 12 – Pall/Dahlhausen; EuGH 18. 5. 1993 – C-126/91 – Slg. 1993, I-2361 = GRUR 1993, 747 f. Tz. 12 – Yves Rocher; EuGH 2. 2. 1994 – C-315/92 – Slg. 1994, I-317 = GRUR 1994, 303, 304 Tz. 15 – Clinique; EuGH 5. 4. 2001 – C-123/00 – Slg. 2001, 2795. Tz. 21 f. = WRP 2001, 525 – Bellamy (zu – aus deutscher Sicht betrachtet – einem Verbot der Werbung mit Selbstverständlichkeiten, das den Vorgaben in Art. 2 Abs. 1 lit. a) der Richtlinie 79/112 entsprach). Vgl. zum Ganzen auch Hucke S. 65 ff. m.w.N. 492 EuGH 9. 7. 1997 – C-34/95, C-35/95 und C-36/95 – Slg. 1997, I-3843 = GRUR Int. 1997, 913, 917 Tz. 52 – De Agostini. 493 EuGH 15. 12. 1982 – C-286/81 – Slg. 1982, 4575 Tz. 18, 20 = GRUR Int. 1983, 648, 650 – Osterhoek. 494 Ebenso Lettl Schutz, S. 144. 495 EuGH 4. 5. 2017 – C-339/15 – GRUR 2017, 627 Tz. 63 ff., 70 – Vanderborght, m. Anm. Fritzsche/Knapp LMK 2017, 392672; Ogorek JA 2017, 957. 496 EuGH 4. 5. 2017 – C-339/15 – GRUR 2017, 627 Tz. 42 ff., 68 f. – Vanderborght. 497 Etwa BVerfG 26. 8. 2003 – 1 BvR 1003/02 – GRUR 2003, 966 – Internetwerbung von Zahnärzten; BVerfG 26. 9. 2003 – 1 BvR 1608/02 – GRUR 20043, 68 – Werbung einer Zahnarzt-GmbH; BVerfG 1. 6. 2011 – 1 BvR 233/10, 1 BvR 235/10 – GRUR 2011, 838 – Zahnarzt für Implantologie. 498 EuGH 4. 5. 2017 – C-339/15 – GRUR 2017, 627 Tz. 69 – Vanderborght, m. Anm. Fritzsche/Knapp LMK 2017, 392672; Ogorek JA 2017, 957. 499 Beater Rn. 464 ff. m. w. N.

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Irreführungsrichtlinie aus dem Jahr 1984.500 Sie wurde in der materiellen Wirkung durch spezielle Rechtsakte der Europäischen Union ergänzt, die zwar grundsätzlich andere Fragen regelten, aber oft spezielle Regelungen zur Verbraucherwerbung enthielten und enthalten und Auswirkungen auf die Anwendung der §§ 3 Abs. 1 und 3a UWG haben können.501 Der sog. Irreführungsrichtlinie von 1984502 kam, entgegen dem Eindruck, den man bei der 229 Lektüre der zahllosen Stellungnahmen zu den durch sie begründeten Fragen gewinnen könnte, keineswegs nur für das alte Irreführungsverbot des § 3 UWG 1909 Bedeutung zu; vielmehr war sie in gleicher Weise für bestimmte Fallgruppen des Kundenfangs relevant. Zwar schien Art. 3 der Irreführungsrichtlinie auf den ersten Blick etwas Anderes nahezulegen, da dort insbesondere verschiedene irreführende Angaben als Bestandteile einer Werbung aufgezählt sind. Jedoch handelt es sich bei diesen Angaben nur um Beispiele („insbesondere“), und Art. 3 verlangt ausdrücklich die Berücksichtigung aller Bestandteile einer Werbung bei der Beurteilung der Frage, ob sie irreführend ist. Die Definition der irreführenden Werbung in Art. 2 Nr. 2 Irreführungsrichtlinie ging wesentlich weiter als die Regelung in § 3 UWG 1909, da sie jede Form der Täuschung der Werbeadressaten erfasst, die deren wirtschaftliches Verhalten beeinflussen oder Mitbewerber schädigen kann.503 Daran hat sich nichts geändert, auch wenn die Irreführungsrichtlinie 2006/114/EG mittlerweile nur noch für den Schutz Gewerbetreibender gilt, Art. 14 UGPRL, während die Irreführung von Verbrauchern mittlerweile nach Art. 6 und 7 UGPRL mit Nrn. 1–24 des Anhangs I zur UGPRL detaillierter geregelt ist. Lange Zeit bildeten für den Verbraucherschutz im Binnenmarkt die nicht deckungsgleichen 230 Verbraucherleitbilder von BGH und EuGH ein erhebliches Problem.504 Dabei handelte es sich aber nicht etwa um ein singulär deutsches Problem, denn das Leitbild des mehr oder weniger flüchtigen Verbrauchers galt auch noch in Österreich und den skandinavischen Ländern.505 Aber auch in Ländern, die schon länger von einem mehr oder weniger aufmerksamen und vernünftigen Durchschnittsverbraucher ausgehen, gab es im Einzelfall durchaus Ausnahmen.506 Da unterschiedliche Schutzstandards in einzelnen Mitgliedstaaten zu Wettbewerbsverzerrungen im Gemeinsamen Markt führen können, ist eine weitere Harmonisierung des Wettbewerbs- bzw. Unlauterkeitsrechts in Europa sinnvoll. Dies gilt umso mehr, als die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten auch ganz unterschiedlichen Schutzkonzepten im Wettbewerbsrecht folgen.507 Zwar hätte sich auch ohne weiteres Tätigwerden der Union eine Harmonisierung dadurch vorantreiben lassen, dass die Gerichte und Behörden aller Mitgliedstaaten dem europäischen Verbraucherleitbild folgen sowie eine einheitliche Konkretisierung der Vorgaben der Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung erfolgte.508 Indes ermöglichte dies lediglich eine abgestimmte Anwendung bereits vereinheitlichter Rechtsvorschriften und war zur Lösung des Grundproblems nicht geeignet, das gerade in der fehlenden Harmonisierung außerhalb des Irreführungsrechts lag. 500 Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10. September 1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung, ABl. EG L 250 v. 19. 9. 1984, 17, geändert durch Richtlinie 97/ 55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Oktober 1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung ABl. EG Nr. L 290 v. 23. 10. 1997, 18. 501 Vgl. dazu Kur S. 116–120, 122–124. 502 Ursprünglich Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10. September 1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung, ABl. EG L 250 v. 19. 9. 1984, 17, geändert durch Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Oktober 1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung ABl. EG Nr. L 290 v. 23. 10. 1997, 18. 503 Ähnlich Westermann GRUR 2002, 403, 405; wohl auch Lettl Schutz, S. 38. 504 Dazu GK-UWG/Lindacher1 § 3 Rn. 15. 505 Vgl. näher Hucke S. 230 ff. bzw. S. 294 ff. 506 Vgl. dazu näher Hucke S. 248 ff. zu Belgien, S. 259 zu Luxemburg, S. 271 ff. zu Frankreich, S. 312 ff. zu den Niederlanden. 507 Vgl. zusammenfassend Hucke S. 389 ff. 508 So Hucke S. 431 ff. sowie S. 446 ff.

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231 c) Vollharmonisierung mit hohem Verbraucherschutzniveau. Angesichts der nur begrenzten Vereinheitlichung von Fragen der irreführenden und vergleichenden Werbung war es zu begrüßen, dass die Kommission wegen bestehender Unterschiede in den Unlauterkeitsrechten der Mitgliedstaaten i.w.S. eine Verordnung über Verkaufsförderung im Binnenmarkt vorgeschlagen und darüber hinaus ein Grünbuch zum Verbraucherschutz in der Europäischen Union veröffentlicht hat.509 Die Verordnung über Verkaufsförderung sollte grundsätzliche nationale Verbote von Maßnahmen der Verkaufsförderung ausschließen und EU-weit einheitlich bestimmte Grenzen von Verkaufsförderungsmaßnahmen sowie weitreichende Informationspflichten einführen.510 Aufgrund tiefgreifender Meinungsverschiedenheiten der Mitgliedstaaten führten auch verschiedene Überarbeitungen des ursprünglichen Entwurfs und Kompromissvorschläge mehrerer Ratspräsidentschaften nicht zu einer Verabschiedung, sodass der Vorschlag im Jahr 2006 von der Kommission zurückgenommen wurde. Jedoch kann man den Themenkomplex „Informationspflichten“ auch gut mit dem Verbot der Vorenthaltung wesentlicher Informationen in Art. 7 UGPRL handhaben. 232 Die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken beruht auf langjährigen Vorarbeiten und einem Vorschlag,511 der sich allerdings auf den Verbraucherschutz beschränkte. Nach mehrfacher Überarbeitung ist die Richtlinie schließlich verabschiedet worden und 2005 in Kraft getreten. Sie enthält ein Verbot in Gestalt einer Generalklausel (Art. 5 Abs. 1), das lediglich durch nähere Regelungen insbesondere zu irreführenden und aggressiven Praktiken teilweise konkretisiert wird und dem speziellere Regelungen des Sekundärrechts vorgehen, die in einem Anhang aufgeführt werden. Die enthaltenen Beispiele und Regelungen geben Anlass zu einer teilweisen Neuorientierung beim Verbraucherschutz durch das UWG. Von Bedeutung ist weiterhin die Irreführungs-RL, die zwar hinsichtlich der Irreführung mittlerweile nur noch für den Schutz Gewerbetreibender gilt, Art. 14 UGPRL. Doch enthält die Irreführungs-RL darüber hinaus den rechtlichen Rahmen für die vergleichende Werbung, die auch Verbraucherrelevanz aufweist und ebenfalls abschließend geregelt ist. 233 Die UGPRL hat das Unlauterkeitsrecht im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmern und Verbrauchern weitgehend harmonisiert, vgl. Art. 3 UGPRL, auch wenn in Art. 3 Abs. 3 UGPRL noch eine Übergangsphase vorgesehen ist. Das bisherige Verbot irreführender Praktiken gegenüber Verbrauchern findet sich nunmehr in Art. 6 Abs. 1 UGPRL. Danach gilt eine Geschäftspraxis als irreführend nicht nur, „wenn sie falsche Angaben enthält und somit unwahr ist“, sondern auch, „wenn sie in irgendeiner Weise, einschließlich sämtlicher Umstände ihrer Präsentation, selbst mit sachlich richtigen Angaben den Durchschnittsverbraucher … in Bezug auf einen oder mehrere der nachstehend aufgeführten Punkte täuscht oder ihn zu täuschen geeignet ist“. 234 Die UGPRL schreibt für die Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken ein hohes Verbraucherschutzniveau fest,512 das für sich gesehen zunächst nur von begrenzter Aussagekraft ist513 und für die Anwendung auf den konkreten Einzelfall der Konkretisierung bedarf. Hierfür spielt das sog. Verbraucherleitbild eine zentrale Rolle.514 Das hohe Verbraucherschutzniveau ist heute als Verpflichtung der EU-Organe in Art. 114 Abs. 3 AEUV vorgeschrieben, doch liegt darin wegen der Komplexität des Verbraucherschutzes letztlich nur eine Leerfloskel.515

509 Zum jeweiligen Inhalt näher Göhre WRP 2002, 37 ff.; s. a. Micklitz/Keßler GRUR Int 2002, 885, 892. 510 Vgl. Fezer WuW 2002, 217. 511 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinien 84/450/EWG, 97/7/EG und 98/27/EG (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken), KOM (2003) 356 endgültig v. 18. 6. 2003. Vgl. auch die wesentlich differenzierteren Vorschläge von Micklitz/Keßler GRUR Int 2002, 885, 899 ff. 512 Vgl. Erwägungsgründe 1, 5, 11, 20, 34, 24 sowie Art. 1 UGPRL. 513 Weitergehend Scherer WRP 2013, 977 ff. (Rn. 5 ff.). 514 Zutreffend Scherer WRP 2013, 977 ff. (Rn. 5 ff.). 515 Beater Rn. 466 f.

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d) Relevante Verbraucherinteressen. Schon nach Art. 169 Abs. 1 AEUV wird das hohe Ver- 235 braucherschutzniveau in der EU durch den Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher gewährleistet. Dies greifen die relevanten Richtlinien, die für die Schutzzweckbestimmung auch im nationalen Recht meist herangezogen werden,516 also an sich lediglich wieder auf. Ihre Bedeutung liegt aber darin, dass sie diesen abstrakt vorgegebenen Schutz konkretisieren, so etwa in den Erwägungsgründen der Irreführungs-RL dahingehend, dass es um den Schutz der Wahl- und Entscheidungsfreiheit der Verbraucher und ihren Schutz vor nachteiligen Entscheidungen geht.517 Besonders deutlich ist dies Art. 1 UGPRL und den Erwägungsgründen 6 S. 1 und 8 S. 1 zu entnehmen: Der Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher soll hier, wie sich aus Art. 3 Abs. 1 UGPRL ergibt, „vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts“ bezogen werden; dabei zeigt die Generalklausel in Art. 5 Abs. 2 lit. b) UGPRL, dass eine wesentliche Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidung von Verbrauchern durch unlautere Geschäftspraktiken verhindert werden soll. Dieser Aspekt wird in den Tatbeständen der irreführenden und aggressiven Geschäftspraktiken (Art. 6 Abs. 1, 7 Abs. 1, 8 UGPRL) aufgegriffen (vgl. auch Erwägungsgrund 14 S. 3 UGPRL), sodass der bereits in Erwägungsgrund 4, 10 und 12 UGPRL erwähnte Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher also wie bei der Irreführungs-RL durch den Schutz der Entscheidungsgrundlagen, aber auch den Schutz der Freiheit der geschäftlichen Entscheidung erfolgen soll. Der Schutz anderer Interessen ist hingegen grundsätzlich den Mitgliedstaaten überlassen, 236 da der Richtliniengeber hier auf kulturelle und soziale Besonderheiten Rücksicht nehmen will; erwähnt werden dabei in Erwägungsgrund 7 S. 4 UGPRL Aspekte wie das Ansprechen in der Öffentlichkeit, die in Deutschland der belästigenden Werbung i.S.v. § 7 Abs. 1 UWG zugeordnet werden können.518 Der Schutz der Privatsphäre in der Telekommunikation wird durch die spezielle Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation 2002/58/EG gewährleistet, die der deutsche Gesetzgeber in § 7 Abs. 2 UWG teilweise umgesetzt hat519 und die grundsätzlich neben die UGPRL tritt;520 ihre Ablösung durch die ePrivacy-VO, die § 7 Abs. 1 UWG vermutlich künftig zu einem guten Teil verdrängen könnte,521 steht noch aus. 5. Geschützte Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher Die UGPRL dient, wie erläutert, dem Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher 237 (Art. 1 UGPRL) und verpflichtet die Mitgliedstaaten zu entsprechenden Maßnahmen. Der Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher vollzieht sich dabei in erster Linie dadurch, dass die Grundlagen für eine informierte geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers und dessen eigentlicher Entscheidungsprozess vor unzulässigen Beeinflussungen bewahrt werden (vgl. Erwägungsgründe 6 f. und 14 ff. UGPRL). Darin wird ein Schutz der wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten der Verbraucher gesehen,522 was von der Wortwahl her zu sehr an Gedankengut des Mitbewerberschutzes v. a. durch § 4 Nr. 4 UWG erinnert. Gemeint ist wohl, dass der Verbraucher seine wirtschaftlichen Interessen auf den Märkten wahrnehmen können soll, ohne dabei durch unlautere Geschäftspraktiken beeinflusst zu werden, die ihn zu geschäftlichen Entschei-

516 S. etwa BeckOK UWG/Alexander § 1 Rn. 45. 517 Erwägungsgrund 4 IrreführungsRL; ebenso bereits Abs. 3 und 4 Erwägungsgründe RL 84/450/EWG. 518 Vgl. dazu BGH 1. 4. 2004 – I ZR 227/01 – GRUR 2004, 699, 700 – Ansprechen in der Öffentlichkeit I; BGH 9. 9. 2004 – I ZR 93/02 – GRUR 2005, 443, 445 – Ansprechen in der Öffentlichkeit II; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 7 Rn. 63 ff. 519 Zu Umsetzungsmängeln Köhler WRP 2012, 1329, 1330 ff. 520 Zum Verhältnis der Richtlinien Köhler WRP 2012, 1329, 1331 f. 521 Eingehend insbesondere Köhler WRP 2017, 1291 Rn. 49 ff.; zu bereits bestehenden Verwerfungen mit dem geltenden Unionsrecht ders. WRP 2017, 253 Rn. ff. 522 So Harte/Henning/Podszun § 1 Rn. 52; ihm zust. BeckOK UWG/Alexander § 1 Rn. 46.

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dungen veranlassen, die seinen geschützten Interessen zuwiderlaufen, arg. Art. 5 Abs. 2, Art. 6, 7 und 8 UGPRL. Denn nach Erwägungsgrund 14 S. 1 UGPRL ist eine Entscheidung auf der Grundlage aller benötigten und zutreffenden Informationen eine „effektive Entscheidung“. Somit gründet sich der Schutz des Verbrauchers in der UGPRL und auch im UWG darauf, dass dieser im Vergleich zum Unternehmer meist einen schlechteren Informationsstand hat523 und über weniger geschäftliche Erfahrung524 und u. U. Fachkenntnisse525 verfügt. Der Unternehmer hat daher zahlreiche Möglichkeiten, eine freie und informierte geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers, die dessen wirtschaftlichen Interessen entspricht und in diesem Sinne „effektiv“ ist, in Kenntnis aller relevanten Umstände zu verhindern.526 Diese Zwecke sind bei der Auslegung des UWG zu berücksichtigen. Hinzu tritt jenseits der Vollharmonisierung (vgl. Erwägungsgrund 7 UGPRL) der Schutz der Privatsphäre gegenüber Belästigungen nach § 7 Abs. 1 UWG

238 a) Schutz der Entscheidungsgrundlagen und des Entscheidungsprozesses. Im heutigen UWG stellt der Schutz einer informierten und damit rationalen Entscheidung das wohl wichtigste Element des Verbraucherschutzes dar, das aber – unter Berücksichtigung von Erwägungsgrund 14 Satz 1 UGPRL – kein Selbstzweck ist, sondern die (wirtschaftliche) Effizienz des Verbraucherhandelns unterstützen soll. Dies ergibt sich besonders deutlich aus dem Wortlaut der Verbrauchergeneralklausel des § 3 Abs. 2 UWG mit ihrem Relevanzerfordernis, aber auch aus den Verboten aggressiver und irreführender geschäftlicher Handlungen in den §§ 4a–5a UWG, die jeweils eine Eignung zur Beeinflussung von geschäftlichen Entscheidungen voraussetzen. Damit der Verbraucher eine informierte Entscheidung rational treffen kann, bedarf es zunächst eines Schutzes der Entscheidungsgrundlagen und des Entscheidungsprozesses.527 Hierin liegt der Kern des Schutzes der wettbewerblichen Autonomie der Verbraucher;528 dementsprechend hat der EuGH nicht nur im Zusammenhang mit Irreführungen,529 sondern auch bei aggressiven Geschäftspraktiken und im Zusammenhang mit der Generalklausel auf die elementare Bedeutung der für eine geschäftliche Entscheidung erforderlichen Informationen hingewiesen.530 Teils wird dieser Schutz auch in den Zusammenhang einer ökonomischen „Schiedsrichterfunktion“ des Verbrauchers gestellt, weil der Verbraucher mit seiner Nachfrage darüber entscheidet, welches Angebot ihm als das preiswürdigste oder qualitativ hochwertigste oder das mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis erscheint;531 dies steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Gewährleistung einer wirtschaftlich effektiven Verbraucherentscheidung (Erwägungsgrund 14 Satz 1 UGPRL). Auch wenn das anschauliche Modell vom „Schiedsrichter“ zweifelhaft ist, 523 So etwa EuGH 16. 4. 2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 53 – UPC Magyarország; EuGH 13. 9. 2018 – C-54/17, C-55/17 – GRUR 2018, 1156 Tz. 52 ff. – AGCM/Wind u. Vodafone; dazu bereits Anm. Fritzsche WRP 2018, 1309; ebenso zur Klausel-RL 93/13/EWG EuGH 15. 3. 2012 – C-453/10 – GRUR 2012, 639 Tz. 27 m. w. N. – Pereničová und Perenič/ SOS. 524 EuGH 3. 10. 2013 – C-59/12 – GRUR 2013, 1159 Tz. 35 – BKK Mobiloil/Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs; EuGH 16. 4. 2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 53 – UPC Magyarország. 525 Vgl. EuGH 13. 9. 2018 – C-54/17, C-55/17 – GRUR 2018, 1156 Tz. 52 – AGCM/Wind u. Vodafone. 526 Vgl. EuGH 13. 9. 2018 – C-54/17, C-55/17 – GRUR 2018, 1156 Tz. 42 ff. m. w. N. – AGCM/Wind u. Vodafone; BeckOK UWG/Alexander § 1 Rn. 47 ff. 527 Beater Rn. 471 f., 1084 f., näher Rn. 1175 ff. zu den Grundlagen der Entscheidung und Rn. 1568 ff. zum Entscheidungsprozess und den dafür relevanten Umständen; Harte/Henning/Podszun § 1 Rn. 61 ff.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 1 Rn. 16 ff. 528 Beater Rn. 1134 ff. 529 Vgl. EuGH 26. 10. 2016 – C-611/14 – GRUR 2016, 1307 Tz. 48, 55 ff.– Canal Digital;. 530 Vgl. EuGH 7. 9. 2016 – C-310/15 – GRUR 2016, 1180 Tz. 36 ff., 48 ff. – Deroo-Blanquart/Sony; EuGH 13. 9. 2018 – C-54/17, C-55/17 – GRUR 2018, 1156 Tz. 40, 45 ff.– AGCM/Wind u. Vodafone; dazu bereits Anm. Fritzsche WRP 2018, 1309. 531 Etwa Beater Rn. 1093 und FS Tilmann, 2003, S. 87; Drexl S. 91 ff., 128 ff., 133 ff.; Lettl Schutz, S. 88 ff. und GRUR 2004, 449, 452 m. w. N.

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weil der Verbraucher nicht wirklich neutral oder gar zur Neutralität verpflichtet ist;532 er entscheidet sich häufig nicht ausschließlich anhand von Preis, Qualität und ähnlichen Kriterien, sondern aufgrund von Verfügbarkeit, Gewohnheiten oder Aussagen Dritter (etwa von Influencern) über Produkte. Gleichwohl nimmt der Verbraucher eine ganz wesentliche Rolle und Funktion im Marktgeschehen ein, die den Markterfolg der Unternehmen häufig erheblich beeinflusst oder zumindest dazu geeignet sein kann. Dies gibt Anlass, die wirtschaftlichen Entscheidungen von Verbrauchern besonders zu schützen, damit sie zu möglichst „zutreffenden“ Ergebnissen gelangen.533 Damit er die richtige Entscheidung trifft, benötigt er bestimmte wesentliche Informationen (vgl. § 5a Abs. 2 ff. UWG), die ihm nicht vorenthalten und auch nicht in zu Missverständnissen geeigneter Weise gegeben werden dürfen. Dies gewährleistet den Schutz der Verbrauchersouveränität als wichtiges Kriterium für den Schutz des lauteren Wettbewerbs.534 Dem Schutz der Entscheidungsgrundlagen wird dabei in erster Linie durch das Verbot 239 irreführender geschäftlicher Handlungen in § 5 und § 5a UWG, dem Schutz der Entscheidungsfreiheit durch § 4a UWG Rechnung getragen; ergänzend tritt die Verbrauchergeneralklausel des § 3 Abs. 2 UWG hinzu (zum Verhältnis dieser Norm zu den Spezialtatbeständen s. Peukert § 3 Rn. 93 ff. und Fritzsche § 3 Rn. 417 ff., § 2 Rn. 734 ff.). Die Entscheidungsfreiheit wird allerdings auch dann beeinträchtigt, wenn der Unternehmer dem Verbraucher die notwendigen Grundlagen, also Informationen, dafür vorenthält.535 Soweit man dies vom Entscheidungsprozess noch trennen will, schützt das UWG aber neben der wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit auch die wirtschaftliche Verhaltensfreiheit des Verbrauchers.536

b) Schutz vor unangemessener Beeinflussung (vgl. § 4a UWG). Als Grundgedanken der 240 verbraucherrelevanten Fallgruppen des § 1 UWG 1909 kann man den Schutz der Verbraucher vor einer unsachlichen Beeinflussung durch die anderen Marktbeteiligten und ihre Hilfspersonen im weitesten Sinne ausmachen. Damit ist die wettbewerbsrechtliche Beurteilung also stets am Obergedanken der Verhinderung einer unsachlichen Beeinflussung537 von Verbrauchern bzw. allgemeiner von potentiellen Vertragspartnern zu messen. In der Neufassung formulierte § 4 Nr. 1 UWG 2004/2008 es als ausdrückliches Regelbeispiel unlauteren Wettbewerbs, die Entscheidungsfreiheit von Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern unsachlich zu beeinflussen.538 Damit formulierte § 4 Nr. 1 UWG 2004/2008 letztlich den Grundgedanken aus Art. 1 und 5 Abs. 2 UGPRL als konkreten Tatbestand. Da dies allerdings nicht der Vorgabe aus Art. 8 UGPRL entsprach, wurde die Regelung durch das 2. UWG-ÄndG aufgehoben und – zumindest von der Funktion her – durch § 4a UWG ersetzt, der seitdem aggressive geschäftliche Handlungen verbietet. Der Auffang- und Grundtatbestand wurde aus der wenig glücklichen deutschen Sprachfassung des Art. 8 UGPRL übernommen und wird in § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 UWG als „unzulässige Beeinflussung“ bezeichnet; diese Formulierung ist deshalb misslungen, weil auch die anderen Varianten, also Belästigung und Nötigung Formen unzulässiger Beeinflussung darstellen. Richtiger wäre es, in Übereinstimmung mit etwa der englischen oder französischen Sprachfassung von „unangemessener Beeinflussung“ zu sprechen, was wie die Formulierung in § 4 Nr. 1 UWG 2004/2008 das entscheidende Wertungskriterium zum Ausdruck bringen würde.

532 So etwa auch BeckOK UWG/Alexander § 1 Rn. 40.1. sowie BeckOGK/Alexander 1. 3. 2019, BGB § 13 Rn. 45.1: MünchKommUWG/Sosnitza³ § 1 Rn. 27. 533 Näher Beater FS Tilmann, S. 87 ff. sowie Rn. 1093 f., 1175; ferner Drexl S. 91 ff., 128 ff.; Lettl 88 ff. 534 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 1 Rn. 17; ähnlich Fezer/Büscher/Obergfell § 3 Rn. 379 ff. im Kontext des Leistungswettbewerbs. 535 EuGH 13. 9. 2018 – C-54/17, C-55/17 – GRUR 2018, 1156 Tz. 52 ff.– AGCM/Wind u. Vodafone; dazu bereits Anm. Fritzsche WRP 2018, 1309. 536 LG Essen 17. 9. 2019 – 31 O 19/19 − Magazindienst 2019, 1110, 1112; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.67. 537 Ähnlich Speckmann Rn. 351, 369 ff.: „unlautere Kundenbeeinflussung“. 538 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 1.2.

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Diesen Grundgedanken darf man bei der Beurteilung geschäftlicher Handlungen nie aus den Augen verlieren, da das Betreiben von Wirtschaftswerbung im weitesten Sinne durch die Art. 5 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG geschützt wird539 und jegliche Form der Werbung im weitesten Sinne darauf abzielt, einen potentiellen Vertragspartner zu beeinflussen, sich für den Werbenden und seine Angebote zu entscheiden. Dennoch folgt aus dem Schutz der Verbraucher vor unsachlicher Beeinflussung kein allgemeines Sachlichkeitsgebot für die Werbung.540 Der Gedanke eines Sachlichkeitsgebots geht offenbar auf Callmann zurück, der es 1929 formulierte. Er fand schnell Eingang in die wettbewerbsrechtliche Literatur und Rechtsprechung541 und wurde insbesondere bei verbraucherschützenden Fallgruppen häufig herangezogen. Im Schrifttum hat sich die These, in der Werbung gelte der „allgemeine Grundsatz, dass eine Werbung sachlich sein soll“,542 lange gehalten. Da die Rechtsprechung ein solches Gebot aber ablehnt und auch Art. 5 Abs. 3 S. 2 UGPRL gegen seine allgemeine Anerkennung spricht, darf man in der Werbung z. B. bekannte Persönlichkeiten einsetzen, um deren positives Image für die Wertschätzung der eigenen Angebote einzusetzen.543 Übertreibung in der Werbung ist nach Art. 5 Abs. 3 S. 2 UGPRL ebenso eine gängige und anerkannte rechtmäßige Praxis wie der Einsatz von Humor und Ironie, die der verständige Durchschnittsverbraucher in der Regel als solche zu erkennen vermag.544 Deshalb darf mittlerweile auch der deutsche Verbraucher von Werbung mehr oder weniger unterhalten werden.545 Dies ist früher von der Instanzrechtsprechung teils anders gesehen worden,546 doch schlägt auch hier der Paradigmenwechsel im Verbraucherleitbild durch. Dem Sachlichkeitsgebot kommt also nur in bestimmten Konstellationen Geltung zu, 242 und zwar namentlich bei vergleichender Werbung hinsichtlich der Objektivität des Vergleichs bei § 6 Abs. 2 Nr. 2 UWG, wenn man diese Norm richtlinienkonform in diesem Sinne auslegt547 bei Informationen des Werbenden gegenüber den Medien548 sowie für die Angehörigen bestimmter freier Berufe auf der Grundlage ihrer jeweiligen Berufsordnung.549 – Zum früheren Sachlichkeitsgebot im Zusammenhang mit Imagewerbung vgl. oben Rn. 241. 241

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Dazu unten Rn. 93 ff., 110 ff. BGH 14. 12. 2000 – I ZR 147/98 – GRUR 2001, 752, 754 – Eröffnungswerbung. Zur Entwicklung eingehend Sosnitza S. 86 ff. m.w.N. Baumbach/Hefermehl vor §§ 3–8 Rn. 6; Wassermeyer GRUR 2002, 126, 127 unter Hinweis auf BGH 4. 12. 1968 – I ZR 17/67 – GRUR 1969, 283 – Schornsteinauskleidung; in dieser Entscheidung wird ein Sachlichkeitsgebot allerdings lediglich für die vergleichende Werbung formuliert, vgl. S. 285, für die man es heute auf § 6 2 Abs. 2 Nr. 2 stützen kann, vgl. Köhler/Piper³ § 2 Rn. 38 m.w.N. 543 BGH 14. 12. 2000 – I ZR 147/98 – GRUR 2001, 752, 754 – Eröffnungswerbung. 544 So zur vergleichenden Werbung BGH 12. 7. 2001 – I ZR 89/99 – GRUR 2002, 72, 74 – Preisgegenüberstellung im Schaufenster; BGH 17. 1. 2002 – I ZR 215/99 – GRUR 2002, 828, 830 – Lottoschein; OLG München 22. 8. 2002 – 29 U 3339/02 – GRUR-RR 2003, 189, 190 – Dogge; Eck/Ikas WRP 1999, 251, 269; s. a. zur österreichischen Sicht H. Schmidt WRP 2000, 998, 1000. 545 S. die Nachw. und Darstellung bei Franz WRP 2019, 15 Rn. 50 ff. 546 S. etwa OLG Köln 2. 6. 1980 – 6 W 15/80 – WRP 1980, 715; KG 28. 11. 1990 – 27 U 617/89 – WRP 1991, 312 – Naschen erlaubt m.Anm. Möllering; bedenklich zu § 2 Abs. 2 Nr. 5 auch OLG Jena 28. 8. 2002 – 2 U 268/02 – GRURRR 2003, 254 f. – Fremdgehen; OLG München 16. 9. 1999 – 6 U 2646/98 – NJWE-WettbR 2000, 177, 178 – Hängen Sie noch an der Flasche? 547 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 6 Rn. 117 m. w. N. unter Hinweis auf EuGH 19. 9. 2006 – C-356/04 – Slg. I 2006, 8525 = GRUR 2007, 69 Tz. 40 ff. – LIDL Belgium; s. auch BGH 1. 10. 2009 – I ZR 134/07 GRUR 2010, 161 Tz. 20 ff. – Gib mal Zeitung; dazu näher Köhler WRP 2010, 571; Franz WRP 2019, 15 Tz. 67 ff. 548 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 6 Rn. 117. 549 Vgl. nur BGH 27. 4. 2000 – I ZR 292/97- GRUR 2000, 822, 823 – Steuerberateranzeige; BGH 19. 4. 2001 – I ZR 46/ 99 – GRUR 2002, 81, 82 – Anwalts- und Steuerkanzlei; BGH 1. 3. 2001 – I ZR 300/98 – GRUR 2002, 84, 85 – Anwaltswerbung II; BGH 21. 2. 2002 – I ZR 281/99 – GRUR 2002, 902, 904 – Vanity-Nummer; BVerfG 26. 8. 2003 – 1 BvR 1003/02 – GRUR 2003, 966, 968 – Internetwerbung von Zahnärzten; BGH 9. 10. 2003 – I ZR 167/01 – GRUR 2004, 164, 165 – Arztwerbung im Internet; BGH 27. 1. 2005 – I ZR 202/02 – GRUR 2005, 520, 521 – Optimale Interessenvertretung; OLG Braunschweig 31. 10. 2002 – 2 U 33/02 – NJW-RR 2003, 686, 688; OLG Frankfurt 17. 5. 1999 – 6 W 56–99 – NJW 1999,

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c) Feststellung der unangemessenen Beeinflussung. Die entscheidende Frage lautet, 243 wann die von einer Werbung oder sonstigen geschäftlichen Handlung ausgehende Beeinflussung der als potentielle Kunden angesprochenen Verkehrskreise den Bereich des Zulässigen verlässt und unzulässig wird. Die in Rn. 240 erwähnten traditionellen Fallgruppen bieten dafür Anhaltspunkte, sind aber nicht allzu verlässlich. Das hängt auch damit zusammen, dass man nach einmal erfolgter Fallgruppenbildung meist versucht hat, neue Phänomene in die alten Schubladen zu sortieren. So hat man etwa die Umweltwerbung meist bei der Gefühlsausnutzung untergebracht, was zwar nicht völlig verfehlt ist, den Kern aber nur teilweise trifft. Zu den relevanten Gesichtspunkten des Kundenfangs ist zu sagen: Ein deutlich auszumachender erster Aspekt ist das Verbot der Täuschung, also das in § 5 244 Abs. 1 S. 1 UWG (und diversen Tatbeständen des UWG-Anhangs) zu findende Wahrheitsgebot. Es deckt sich zwar nicht mit dem achten Gebot des Alten Testaments, ist aber offensichtlich tief im gesellschaftlichen Grundverständnis verwurzelt; Hefermehl hat die Täuschung als etwas anderes als eine unsachliche Beeinflussung gesehen.550 Das ist zwar nicht völlig falsch, doch wird die Verbraucherentscheidung auch durch unrichtige und irreführende Angaben in eine falsche Richtung gelenkt, was man kaum als zulässige sachliche Beeinflussung ansehen kann. Im UWG 2004 wurde dies z. T. explizit geregelt, nämlich in § 4 Nrn. 3–5 UWG 2004/2008 und (wie schon zuvor) im Irreführungsverbot des § 5 Abs. 1 UWG, dem eine ergänzende ausdrückliche Regelung zur Irreführung durch Unterlassen in § 5a UWG zur Seite gestellt wurde. Ein zweiter relativ klarer Aspekt betrifft das Belästigungsverbot: Die Privatsphäre hat 245 heute eine hohe Bedeutung und soll auch von unerwünschter Werbung freigehalten werden. Dem trägt heute § 7 UWG Rechnung, auch wenn es in § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG um etwas anderes geht. Bei den weiteren traditionellen Fallgruppen wird es aber schwierig. Denn die „Kundenbestechung“ durch Wertreklame ist im Gegensatz zu früher nicht mehr generell unzulässig, sondern nur noch ganz ausnahmsweise bei Hinzutreten weiterer Aspekte;551 insofern kommen wiederum die Täuschung, aber vielleicht auch ein rechtlicher oder psychischer Kaufzwang oder ein übermäßiges Anlocken, auf jeden Fall heute aber die fehlende Transparenz der Angebotsbedingungen552 in Betracht. Der rechtliche Kaufzwang steht in der Nähe eines dritten deutlichen Aspekts, nämlich des Nötigungs- bzw. Druckverbots, das zunächst in § 4 Nr. 1 UWG 2004 enthalten war und nach Umsetzung der UGPRL nun in § 4a Abs. 1 UWG als Verbot aggressiver geschäftlicher Handlungen zu finden ist. Die freie Willensbetätigung wird also auch geschützt, wie schon das Täuschungsverbot nahelegt; die Gesamtparallele zur Wertung des § 123 BGB ist heute auch im Hinblick auf § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 5 UWG unverkennbar. Weitere Aspekte lagen früher im Hervorrufen eines psychischen Kaufzwangs und der Übersteigerung von Werbemaßnahmen, die man typischerweise mit dem Stichwort vom übertriebenen Anlocken gekennzeichnet hat. Diese Figur stammt aus der Zeit, als Verkaufsförderungsmaßnahmen als „Wertreklame“ generell kritisch gesehen wurden,553 und wird von der Rechtsprechung, die sie später restriktiv handhabte bzw. meist verneinte,554 heute nicht mehr verwendet.555 Diese Entwicklung ist durch die Aufhebung von RabattG und ZugabeVO sowie die Schaffung des UWG 2004 weiter 2826; OLG Zweibrücken 7. 2. 2002 – 4 U 90/01 – NJW-RR 2002, 1066; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.183. S. ferner Balzer Standesrechtliche Werbenachteile für Ärzte – ein ungerechter Anachronismus? Aktuelle Rechtsprobleme aus dem Arzt- und Klinikwerberecht, Diss. Regensburg 2002, S. 79 ff.; Steinbeck NJW 2003, 1481, 1482, 1484. 550 Baumbach/Hefermehl § 1 Rn. 5 gegen Ende. 551 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 40. 552 Vgl. § 4 Nrn. 4 und 5 UWG 2004/2008, jetzt § 5a Abs. 2 ff. UWG. 553 BGH 17. 11. 1972 – I ZR 71/71 – GRUR 1973, 474, 476 – Preisausschreiben; BGH 22. 5. 1981 – I ZR 85/79 – GRUR 1981, 746, 748 – Ein-Groschen-Werbeaktion. 554 BGH 29. 6. 1989 – I ZR 180/87 – GRUR 1989, 757 f. – McBacon; BGH 29. 4. 1993 – I ZR 92/91 – GRUR 1993, 774, 775 f. m. w. N. – Hotelgutschein; BGH 22. 5. 2003 – I ZR 8/01 – GRUR 2003, 1057 m. w. N. – Einkaufsgutschein; BGH 31. 3. 2010 – I ZR 75/08 – GRUR 2010, 1022 Tz. 19 – Ohne 19 % Mehrwertsteuer. 555 Vgl. etwa BGH 14. 10. 2010 – I ZR 212/08 – GRUR 2011, 546 – Mega-Kasten-Gewinnspiel (nur im Vorbringen der Parteien; BGH 3. 4. 2014 – I ZR 96/13 – GRUR 2014, 1117 Tz. 22 ff. – Zeugnisaktion.

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vorangetrieben worden, so dass dieser Gedanke zwar nicht völlig zu Grabe getragen ist, aber nur noch Ausnahmecharakter hat.556 Auch der EuGH geht davon aus, dass die Beeinflussung eines Verbrauchers durch ein Kopplungsangebot grundsätzlich zulässig und nur dann unlauter ist, wenn es gegen die unternehmerische Sorgfalt verstößt und die Entscheidungsfähigkeit des Verbrauchers beeinflusst.

246 d) Schutz vor überhöhten Preisen bzw. des Interesses an Wettbewerb? Beater vertritt die Ansicht, der Verbraucherschutz durch das UWG habe auch die Verhinderung überhöhter Preise zum Gegenstand, und begründet dies u. a. mit Hinweisen auf das europäische und österreichische Recht.557 Dabei betont er auch das Verbraucherinteresse an Preis- und sonstigem Wettbewerb.558 Bei näherer Betrachtung vollzieht sich der Schutz vor überhöhten Preisen allerdings vor allem durch die Existenz von Wettbewerb an sich. Das Interesse am Wettbewerb an sich ist nichts anderes als der Schutz des Wettbewerbs als Institution, dem das UWG nur in untergeordneter Hinsicht dient. Zwar zählt es seit den 1950er Jahren zur traditionellen Sichtweise, dass das UWG auch dem Institutionenschutz dient; die entsprechenden Fallgruppen sind aber seit Jahrzehnten umstritten und vermutlich in erster Linie mit einem Fehlen kartellrechtlicher Normen zu erklären, da das GWB erst 1958 in Kraft getreten ist. Der Schutz des Wettbewerbs an sich ist heute primär die Aufgabe der Vorschriften gegen Wettbewerbsbeschränkungen; dass diese zugleich Verbraucherinteressen berücksichtigen, ist eine zwangsläufige Folge des Schutzes des Allgemeininteresses am unverfälschten Wettbewerb, wie ihn (auch) § 1 S. 2 UWG postuliert. Die Fallgruppen der ruinösen Preisunterbietung und/oder des Verkaufs unter Einstandspreis kann man ohnehin nur mit viel gutem Willen als Ausdruck des Schutzes des Verbrauchers gegen überhöhte Preise ansehen,559 da es allenfalls um den Schutz vor künftigen Preisüberhöhungen nach der Verdrängung von Mitbewerbern vom Markt gehen kann. Das Interesse des Verbrauchers an Wettbewerb und niedrigen Preisen hat also mit dem Schutz seiner Entscheidungsgrundlagen kaum etwas zu tun.560 Man sollte die Zulässigkeit von Preisunterbietungen und Verdrängungswettbewerb daher an ihrem anerkannten systematischen Standort, also bei den §§ 19 Abs. 2 Nr. 2 und 3, 20 Abs. 3 GWB und Art. 102 AEUV belassen, mithin im UWG bei der individuellen Behinderung (§ 4 Nr. 4 UWG) und der allgemeinen Marktstörung (§ 3 Abs. 1 UWG). Ein wirklicher Schutz gegen überhöhte Preise lässt sich aber mit Hilfe von § 3 Abs. 1 und 2 UWG kaum verwirklichen; hinzu kommt der Konflikt mit den Wertungen der §§ 19 f. GWB, Art. 102 AEUV, die an marktbeherrschende und ähnliche Stellungen auf dem Markt anknüpfen. Zudem bleibt die Frage, ob man in überhöhten Preisen ein unlauteres Marktverhalten sehen kann, wenn das Wettbewerbsrecht grundsätzlich die Preisgestaltungsfreiheit anerkennt. Denn dann bedürfte es klarer Kriterien, die bei überhöhten Preisen den Unlauterkeitsvorwurf zu begründen vermögen. Kriterien dafür könnten letztlich nur Verbraucher- bzw. Allgemeininteressen liefern, die man ab einem bestimmten Punkt als verletzt ansehen könnte. Doch bleibt dunkel, wie man diesen Punkt ermitteln will – anhand der Gewinnspanne etwa? Letztlich würde das die bekannten Schwierigkeiten der Preismissbrauchskontrolle über marktbeherrschende Unternehmen aus dem Kartell- ins Unlauterkeitsrecht übertragen und nicht lösen. Denn wenn ein einzelnes Unternehmen, das nicht marktbeherrschend ist, überhöhte Preise verlangt, besteht kein echter Anlass, dagegen vorzugehen, sofern die 556 Vgl. Steinbeck GRUR 2005, 540 ff. 557 Beater Unlauterer Wettbewerb (2002), § 14 Rn. 1 ff.; abgeschwächt, aber in Ansätzen auch noch in Beater Rn. 470, 1132, 1138 ff., 1158 ff., wobei in Rn. 1148 ff. betont wird, dass Grundlage eines Verbots von Preiskämpfen usw. nur § 4 Nr. 10 UWG 2008 sein könne, und der Schutz in Rn. 470 auf das Irreführungsverbot bzw. Transparenzgebote zurückgeführt zu werden scheint. 558 Beater Rn. 1138 ff. 559 A.A. Beater Unlauterer Wettbewerb (2002), § 14 Rn. 9 ff., anders Beater Rn. 1143 ff., 1148 ff. 560 A.A. Beater Rn. 1144 ff. mit Beispielen aus der Rechtsprechung.

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Preisforderung nicht im Zusammenhang mit einer aggressiven geschäftlichen Handlung (§ 4a UWG) steht. Beruhen die Preise auf Absprachen i.S.v. § 1 GWB bzw. Art. 101 Abs. 1 AEUV, bedarf es eines Doppelschutzes über das UWG auch nicht; er würde nicht schaden, aber auch kaum nützen, sieht man einmal von der Klagebefugnis nach § 8 Abs. 3 UWG ab, die weiter ist als diejenige nach §§ 33, 33a GWB. Jedoch hat die 7. GWB-Novelle 2005 die private Verfolgung von Kartellrechtsverstößen gestärkt, insbesondere durch Änderungen bei der Anspruchsberechtigung, vgl. § 33 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 GWB 2005, und beim Schadensersatz, vgl. § 33a GWB. Seit der 8. GWB-Novelle 2013 ist der kollektive Verbraucherschutz hier noch weiter ausgebaut worden, weil nun auch Verbraucherverbände nach § 33 Abs. 2 Nr. 2 GWB Kartellrechtsverstöße mit Hilfe von Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen sowie Gewinnabschöpfungsansprüchen nach § 34 GWB verfolgen können, insbesondere also auch gegen überhöhte Preise als Folge von Kartellabsprachen und Marktmachtmissbrauch vorgehen können. Da der BGH aber davon ausgeht, dass man das GWB nicht als Marktverhaltensregel im Sinne von § 3a UWG ansehen darf, weil dies die speziellere Regelung zur Klagebefugnis im GWB erweitern und mittlerweile die weiteren Regelungen in den §§ 33b ff. GWB bis hin zur Verjährungsfrist unterlaufen könnte, sollte man gänzlich darauf verzichten, Wettbewerbsbeschränkungen des Kartellrechts über UWG-Normen zu erfassen.

e) Schutz sonstiger Verbraucherinteressen und -rechte. Der Schutz von Verbraucherinte- 247 ressen oder -rechten, die mit dem Wettbewerb nicht in einem näheren Bezug stehen, mit Mitteln des UWG scheidet in der Regel aus. Zwar können geschäftliche Handlungen in sonstige Rechte der Verbraucher eingreifen, namentlich in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, ggf. auch in Eigentum und Besitz, wenn es um die Übermittlung von Werbung geht; über die Fälle der Belästigung i. S. d. § 7 UWG hinaus greift das Unlauterkeitsrecht hier aber nicht ein.561 Der Schutz gegen Belästigungen kann insofern unabhängig davon eingreifen, ob eine Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit droht; das zeigt das heutige Nebeneinander von § 4a UWG, bei dem es um die Beeinflussung geschäftlicher Entscheidungen durch Belästigung und ähnliche Mittel geht, und § 7 Abs. 1 UWG andererseits, für den seit Schaffung von § 4a UWG nur der Schutz des Individuums vor unzumutbaren Belästigungen zählt, also der Schutz der Privatsphäre und des Persönlichkeitsrechts.562 Sonstige Rechte und Interessen, namentlich Gesundheit und Freiheit bzw. das Vermögen des Verbrauchers, schützt das UWG allerdings allenfalls mittelbar bzw. in Sonderfällen (vgl. § 16 UWG). Grundsätzlich geht ein solcher Schutz, sofern sich ein Bezug zu den geschützten wettbewerblichen Interessen – also der Entscheidungsgrundlagen und der Freiheit der informierten Entscheidung – nicht herstellen lässt, über den Schutzzweck des UWG hinaus.563 f ) Geschäftliche Relevanz, § 3 Abs. 2 UWG u. a. Nach § 3 UWG 2004 und § 3 Abs. 1 UWG 248 2008 waren geschäftliche Handlungen nur dann unzulässig, wenn sie geeignet waren, die Interessen von Mitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern nicht nur unerheblich bzw. spürbar zu beeinträchtigen. Aus dem mit dem 1. UWG-ÄndG vorgenommenen Austausch der „nicht nur unerheblichen“ durch die „spürbare“ Beeinträchtigung von Interessen der Marktteilnehmer war keine inhaltliche Änderung verbunden.564 Zuvor fand sich eine entsprechende Voraussetzung bereits für die Anspruchsberechtigung und Klagebefugnis von Wirtschafts- und Verbraucherverbänden nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 und 3 UWG 1909. Die Übernahme einer Bagatellgrenze in das materielle Unlauterkeitsrecht führte zwar dazu, dass ab 8. 7. 2004 – dem Verhält561 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 1 Rn. 20. 562 BGH 21. 4. 2016 – I ZR 276/14 – GRUR 2016, 831 Tz. 16 – Lebens-Kost; Fezer/Büscher/Obergfell/Mankowski § 7 Rn. 45.

563 Harte/Henning/Podszun § 1 Rn. 67 m. w. N. 564 Vgl. Ohly/Sosnitza § 3 Rn. 45.

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nismäßigkeitsgrundsatz entsprechend – auch Mitbewerber und Kammern i. S. v. § 8 Abs. 3 Nr. 1 und 5 UWG nicht mehr jedweden Wettbewerbsverstoß verfolgen konnten, sondern nur noch relevante Verstöße. Doch führen unzulässige geschäftliche Handlungen, die Verbraucherinteressen i.S.v. §§ 1 Satz 1, 3 Abs. 2 UWG betreffen, in aller Regel auch zu einer mehr als nur unerheblichen bzw. zu einer spürbaren Beeinträchtigung dieser Interessen.565 Nur in seltenen Fällen hat die Rechtsprechung dies einmal anders gesehen.566 Durch das 2. UWG-ÄndG von 2015 wurde das Spürbarkeitserfordernis aus § 3 Abs. 1 UWG wieder entfernt und nach § 3a UWG verschoben, also auf den ersten Blick auf Fälle des Rechtsbruchs beschränkt. Allerdings findet es sich auch in den Tatbeständen, die den von Art. 6 ff. UGPRL vorgegebenen Verbraucherschutz umsetzen, also m. a. W. in den §§ 4a–5a UWG, die jeweils als eigenes Tatbestandsmerkmal die Eignung der geschäftlichen Entscheidung enthalten, den Verbraucher (oder sonstigen Marktteilnehmer) zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Im Zusammenhang mit dem Verbraucherschutz spielte das Spürbarkeitserfordernis des § 3 Abs. 1 UWG 2008 allerdings keine Rolle mehr, da es in § 3 Abs. 2 S. 1 UWG 2008 für geschäftliche Handlungen gegenüber Verbrauchern mit dem Erfordernis, das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers wesentlich zu beeinflussen, in qualifizierter Weise enthalten ist; daran hat sich in der heutigen Vorschrift (§ 3 Abs. 2 UWG) nichts geändert. Eine nicht nur unerhebliche Verletzung von Verbraucherinteressen liegt insbesondere bei einer unzumutbar belästigenden geschäftlichen Handlung i.S.v. § 7 Abs. 1 UWG vor,567 insbesondere in Fällen der Telefon-568 und E-Mail-Werbung ohne vorherige ausdrückliche Einwilligung. 249 Dagegen ist nicht erforderlich, dass das Wettbewerbsverhalten die Belange einer größeren Anzahl von Verbrauchern betrifft.569 Nach h.M. zu § 13 Abs. 2 Nr. 3 UWG a. F. durften Verbraucherinteressen nicht nur „am Rande“ berührt sein;570 dies änderte sich in gewisser Weise, da nach § 3 UWG 2004 das Erfordernis einer spürbaren Beeinträchtigung geschützter Interessen i.S.v. § 1 S. 1 UWG erforderlich, aber auch hinreichend war. Eine nur unwesentliche Beeinträchtigung von Verbraucherinteressen reichte somit zwar für ein verbotenes unlauteres Verhalten i.S.v. § 3 UWG 2004 nicht aus, doch konnte die Wesentlichkeitsschwelle auch dadurch überschritten werden, dass der Wettbewerb zusätzlich zum Nachteil der Mitbewerber oder sonstiger Marktteilnehmer beeinträchtigt wurde. Durch die Schaffung der Verbrauchergeneralklausel des § 3 Abs. 2 mit dem UWG 2008 änderte sich daran nichts; zwar enthält diese Regelung mit dem Erfordernis der geschäftlichen Relevanz eine eigene Spürbarkeitsgrenze, doch war bei deren Unterschreitung weiterhin eine Unlauterkeit über § 3 Abs. 1 UWG 2008 wegen Verletzung weiterer Interessen in einem insgesamt spürbaren Ausmaß denkbar. Seit Ende 2015 enthält § 3 Abs. 1 UWG keine Spürbarkeitsschwelle mehr, was aber letztlich nichts am gerade getroffenen Befund ändert. Soweit nun im Rahmen von § 3a UWG eine spürbare Beeinträchtigung geschützter Interessen erforderlich ist, kann sich diese aus der Kumulation von Nachteilen geschäftlicher Handlungen für Mitbewerber, Verbraucher und sonstiger Marktteilnehmer ergeben. Ist dies der Fall, kann auch eine nur geringfügige Beeinträchtigung von Verbraucherinteressen, die unterhalb der geschäftlichen Relevanz des § 3 Abs. 2 UWG verbleibt, ggf. im Rahmen der §§ 3 Abs. 1 und 3a UWG mitverfolgt werden.

565 Vgl. BGH 2. 3. 2017 – I ZR 41/16 – GRUR 2017, 922 Tz. 32 ff. m. w. N. – Komplettküchen (zu § 5a Abs. 2 UWG); 31. 10. 2018 – I ZR 73/17 – GRUR 2019, 82 Tz. 32 f. m. w. N. – Jogginghosen (zu § 3a UWG). 566 Etwa in BGH 23. 2. 1995 – I ZR 36/94 – GRUR 1995, 427 – Zollangaben; zu § 3a UWG auch BGH 31. 10. 2018 – I ZR 73/17 – GRUR 2019, 82 Tz. 28 ff. m. w. N. – Jogginghosen. 567 So Köhler/Piper § 13 Rn. 35. 568 BGH 27. 1. 2000 – I ZR 241/97 – GRUR 2000, 818, 819 – Telefonwerbung VI. 569 So aber Baumbach/Hefermehl § 13 Rn. 43; dagegen auch BGH 8. 6. 1989 – I ZR 178/87 – GRUR 1989, 753, 754 – Telefonwerbung II; BGH 8. 11. 1989 – I ZR 55/88 – GRUR 1990, 280, 281 – Telefonwerbung III. 570 Köhler/Piper § 13 Rn. 15.

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6. Grundrechte und UWG-Verbraucherschutz Die verfassungsrechtlichen Grundlagen von Wettbewerb und Wirtschaftsordnung sowie die Be- 250 deutung der Grundrechte für die Anwendung des UWG sind bereits von Schünemann in der ersten Auflage dieses Kommentars ausführlich und grundsätzlich behandelt.571 Da grundrechtliche Wertungen bei der Beurteilung der verbraucherschützenden Aspekte des UWG aber eine besondere Rolle spielen und das BVerfG darauf in jüngerer Zeit mehrfach deutlich hingewiesen hat,572 bedarf die Problematik an dieser Stelle im Hinblick auf den Schutz der Interessen von Verbraucherinnen und Verbrauchern näherer Betrachtung. Sie spielt häufig allerdings auch eine Rolle, wenn es um Interessen von Mitbewerbern und sonstigen Marktteilnehmern geht, insbesondere von Inhabern von Marken und anderen Rechten.573 Dieser Bereich ist hier auszuklammern, auch soweit es um die Nutzung von Namens- und Bildrechten natürlicher Personen geht,574 da dies nicht mit deren eventueller Rolle als Verbraucher zu tun hat.

a) Berücksichtigung der Grundrechte bei der Anwendung des UWG. Es ist heute allge- 251 mein anerkannt, dass die Grundrechte nicht nur Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat sind, sondern auch im Verhältnis zwischen Privatpersonen untereinander wirken.575 Nach der herrschenden Lehre der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte576 gelten die Grundrechte zwar nicht als gesetzliche Verbote (§ 134 BGB) oder Schutzgesetze (§ 823 Abs. 2 BGB) unmittelbar für den privaten Rechtsverkehr.577 Die Grundrechte als objektive Grundsatzentscheidungen wirken jedoch auf das Privatrecht ein (sog. „Ausstrahlungswirkung“). Die Auslegung und Anwendung des Privatrechts hat demzufolge im Lichte der Grundrechte zu erfolgen, ohne dass daraus – insbesondere im Bereich der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG – eine allgemeine Tendenz für oder gegen die Zulässigkeit eines Verhaltens abzuleiten wäre, da aus den Grundrechten im Privatrecht in erster Linie Erkenntnisse für die berührten Belange und das Ausmaß ihrer Schutzbedürftigkeit abzuleiten sind.578 Vor allem die Generalklauseln des Zivilrechts bilden das Einfalltor für grundrechtliche Wer- 252 tungen im Zivilrecht. Somit sind die grundlegenden Wertungen des Verfassungsrechts, insbesondere die Grundrechte, bei der Auslegung der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel(n) zu berücksichtigen579 und werden von der Rechtsprechung auch berücksichtigt. Dies war insbesondere für § 1 UWG 1909 bereits seit langem anerkannt und hat für die in den letzten Jahren ablaufende Liberalisierung der Wettbewerbsrechtsprechung eine nicht unerhebliche Rolle gespielt.580 Heute werden die Grundrechte bei der Anwendung der beiden unlauterkeitsrechtlichen Verbotsnormen, also bei § 3 Abs. 1 und 2 sowie § 7 Abs. 1 UWG von den Fachgerichten herangezogen.581 Die verfassungsrechtliche Prüfung hat sich auf die Frage zu beschränken, ob Vgl. GK-UWG/Schünemann1 Einl. A Rn. 43 ff. sowie Rn. 61 ff. Zuletzt BVerfG 1. 8. 2001 – 1 BvR 1188/92 – GRUR 2001, 1058, 1059 – Therapeutische Äquivalenz. Dazu eingehend m. w. N. zur Rspr. Franz WRP 2019, 15 Rn. 1 ff. Dazu eingehend m. w. N. zur Rspr. Franz WRP 2019, 15 Rn. 50 ff. St. Rspr. seit BVerfG 15. 1. 1958 – 1 BvR 400/57 – BVerfGE 7, 198, 204 ff. = NJW 1958, 257 – Lüth. S. etwa Palandt/Grüneberg § 242 Rn. 8; MünchKommBGB/Armbrüster § 134 Rn. 34; Larenz/Wolf AT, § 4 Rn. 52; Staudinger/Sack/Seibl BGB (2011), § 134 Rn. 41 m. w. N. – Ferner speziell zum UWG etwa Gloy/Loschelder/Erdmann/ Leistner/Facius § 14 Rn. 30 ff.; Harte/Henning/Podszun § 1 Rn. 110; Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 1; Götting/Nordemann Einl. Rn. 47 ff. 577 Anders noch BAGE 1, 185, 191 ff.; 4, 274, 276 ff. 578 In diesem Sinne Harte/Henning/Ahrens Einl. G Rn. 59 ff. m. w. N.; ähnlich Götting/Nordemann Einl. Rn. 48 ff.; der Sache nach auch juris-PK/Ullmann § 3 Rn. 34 ff. 579 Ackermann WRP 1998, 665, 667; Kulms RabelsZ 63 (1999), 520, 533 f. 580 Vgl. auch Drexl Neuordnung, 163, 165; Meyer WRP 2017, 501 Rn. 27 ff. m. w. N. 581 Zum Belästigungsverbot des § 7 UWG s. BGH 22. 4. 2010 – I ZR 29/09 – GRUR 2010, 1113 Tz. 15 – Grabmalwerbung; BGH 3. 3. 2011 – I ZR 167/09 – GRUR 2011, 747 Tz. 17 – Kreditkartenübersendung.

571 572 573 574 575 576

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die Auslegung der Generalklausel Fehler enthält, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts beruhen und den Umfang seines Schutzbereichs verkennen; das ist der Fall, wenn die Fachgerichte bei der Auslegung der Norm die Tragweite des Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigen oder die Auslegung im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt.582 Widerstreitende Grundrechte bedürfen ggf. der Abwägung,583 insbesondere bei der Anwendung der Generalklausel des § 3 Abs. 1 UWG.584 Darüber hinaus hat das BVerfG mehrfach betont, dass es aus verfassungsrechtlichen Grün253 den für die Anwendung des § 1 UWG 1909 und seiner Fallgruppen nicht mehr ohne weiteres ausreiche, den jeweiligen Sachverhalt unter die entsprechenden Tatbestandsmerkmale zu subsumieren. Vielmehr bedürfe es in jedem Einzelfall zusätzlich einer Berücksichtigung der von einem Unterlassungsgebot tangierten Grundrechte und einer Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips.585 Dies gelte insbesondere dann, wenn das Unterlassungsgebot einen Eingriff in die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG bedeutet, was bei Werbemaßnahmen zumeist der Fall sein wird (dazu gleich). Der Eingriff in grundrechtlich geschützte Positionen durch ein Verbot von Wettbewerbshandlungen bedarf der Rechtfertigung, die sich aus der Gefahr eines (erstmaligen oder wiederholten) Wettbewerbsverstoßes ergibt.586 Daher muss, so das BVerfG aaO. wörtlich, „eine Fallprüfung, die der Bedeutung und Tragweite des berührten Grundrechts Rechnung tragen soll, bei der Frage ansetzen, ob die in der Werbeaussage liegende Meinungsäußerung nach Inhalt und Form eine hinreichende Gefährdung der von § 1 geschützten Interessen mit sich bringt“. Die Bestimmung des Schutzgutes ist zwar grundsätzlich Aufgabe der Fachgerichte,587 doch muss eine in Grundrechte eingreifende Entscheidung auch im Wettbewerbsrecht die Frage nach dem Schutzgut behandeln, dessen Gefährdung darlegen und die betroffenen widerstreitenden Grundrechtspositionen abwägen. Dem müssen die Fachgerichte bereits bei der Fallgruppenbildung abstrakt Rechnung tragen.588 Nur wenn dies geschehen ist, kommt den von den Fachgerichten erarbeiteten Fallgruppen eine Indizwirkung hinsichtlich der Gefährdung des Schutzgutes zu; das BVerfG hat etwa bei der unlauteren Kundenbeeinflussung oder der individuellen Mitbewerberbehinderung einen hinreichenden Bezug zu den Schutzgütern des § 1 UWG gesehen, nicht aber bei der gefühlsbetonten Werbung und beim Warenartenvergleich589 sowie bei der getarnten Werbung.590 Denn bei diesen Fallgruppen bestehe die Notwendigkeit einer

582 BVerfG 10. 6. 1964 – 1 BvR 37/63 – BVerfGE 18, 85, 92 f., 96 = GRUR 1964, 554 – Künstliche Bräunung; BVerfG 11. 2. 1992 – 1 BvR 153 1/90 – BVerfGE 85, 248, 257 f. = GRUR 1992, 866, 868 – Ärztliches Werbeverbot/Hackethal; BVerfG 4. 11. 1992 – 1 BvR 79/85 – BVerfGE 87, 287, 323 = NJW 1993, 317, 319 (insofern in WRP 1993, 209 nicht abgedruckt); BVerfG 17. 4. 2000 – 1 BvR 721/99 – WRP 2000, 721, 722 – Sponsoring; BVerfG 25. 4. 2001 – 1 BvR 494/00 – NJW 2001, 1926, 1927; s. a. BVerfG 7. 11. 2002 – 1 BvR 580/02 – WRP 2003, 69, 70 f. – Anwalts-Ranking im Juve-Handbuch. 583 Vgl. Drexl Neuorientierung, 163, 188. 584 St. Rspr., s. nur BGH 16. 11. 2017 – I ZR 161/16 – GRUR 2018, 535 Tz. 30 m. w. N. – Knochenzement I. 585 BVerfG 1. 8. 2001 – 1 BvR 1188/92 – GRUR 2001, 1058, 1059 f. – Therapeutische Äquivalenz; BVerfG 6. 2. 2002 – 1 BvR 952/90, – 1 BvR 2151/96 – GRUR 2002, 455, 456 – Tier- und Artenschutz; BVerfG 7. 11. 2002 – 1 BvR 580/02 – WRP 2003, 69, 70 f. – Anwalts-Ranking im Juve-Handbuch; ähnlich Art. 52 Abs. 1 EU-Grundrechtscharta. 586 BVerfG 1. 8. 2001 – 1 BvR 1188/92 – GRUR 2001, 1058, 1059 f. – Therapeutische Äquivalenz. 587 St. Rspr., etwa BVerfG 10. 6. 1964 – 1 BvR 37/63 – BVerfGE 18, 85, 92 f. = GRUR 1964, 554 – Künstliche Bräunung; BVerfG 9. 10. 1991 – 1 BvR 397/87 – BVerfGE 84, 372, 379 = NJW 1992, 549; BVerfG 12. 12. 2000 – 1 BvR 1787/ 95 – BVerfGE 102, 347, 362 = GRUR 2001, 170 – Benetton-Werbung I; BVerfG 12. 7. 2007 – 1 BvR 2041/02 – GRUR 2008, 81, 82 f. (Tz. 43) m. w. N. – Pharmakartell; s. auch BVerfG 7. 3. 2012 – 1 BvR 1209/11 – MedR 2012, 516 Tz. 18 ff., 29 – Zentrum für Zahnmedizin (m. Anm. Berg sowie Anm. Bonvie, jurisPR–MedizinR 4/2012 Anm. 1). 588 BVerfG 12. 12. 2000 – 1 BvR 1787/95 – BVerfGE 102, 347, 364 ff. = GRUR 2001, 170, 173 – Benetton-Werbung I; BVerfG 1. 8. 2001 – 1 BvR 1188/92 – GRUR 2001, 1058, 1059 f. – Therapeutische Äquivalenz; vgl. BVerfG 6. 2. 2002 – 1 BvR 952/90, – 1 BvR 2151/96 – GRUR 2002, 455, 456 – Tier- und Artenschutz; BVerfG 11. 3. 2003 – 1 BvR 426/02 – BVerfGE 107, 275 = GRUR 2003, 442, 443 – Benetton-Werbung II. 589 Vgl. BVerfG 6. 2. 2002 – 1 BvR 952/90, 1 BvR 2151/96 – GRUR 2002, 455, 456 – Tier- und Artenschutz. 590 BVerfG 7. 11. 2002 – 1 BvR 580/02 – WRP 2003, 69, 71 – Anwalts-Ranking im Juve-Handbuch.

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Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe und des Rückgriffs auf Prognosen, so dass das Ergebnis der Rechtsanwendung nicht eindeutig vorgegeben ist und es eines Rückgriffs auf Art. 5 Abs. 1 GG bedarf.591 Durch die Kodifizierung diverser Fallgruppen der Rechtsprechung zu § 1 UWG 1909 als Beispielstatbestände der §§ 4 und 7 UWG 2004/2008 hat sich die Notwendigkeit einer grundrechtsabwägenden Begründung zwar seit 2004 deutlich reduziert,592 doch sind bzw. waren diese Normen ihrerseits teilweise auch wieder als „kleine“ Generalklauseln ausgestaltet, deren unbestimmte Rechtsbegriffe und Wertungsmöglichkeiten durchaus im Lichte der Grundrechte zu betrachten sind. Das galt für die „unangemessene unsachliche Beeinflussung“ in § 4 Nr. 1 UWG 2004/2008 und gilt bis heute für die „unzumutbare Belästigung“ des § 7 Abs. 1 UWG.593 Daran haben auch die Wertungen und Vorgaben der UGPRL einschließlich ihrer Erwägungsgründe nichts geändert. Seitdem diese Richtlinie durch das 2. UWG-ÄndG vollständig umgesetzt ist, ergibt sich aus § 3 Abs. 2 UWG i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG, dass die unternehmerische Sorgfalt, deren Einhaltung vom Unternehmer gegenüber den Verbrauchern in konkreten Situationen zu erwarten ist, die grundrechtliche Handlungs-, Berufsausübungs- und Meinungsfreiheit des Unternehmers im Hinblick auf die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher einschränkt; dies zeigen insbesondere der Tatbestand des § 2 Abs. 1 Nr. 8 UWG über die wesentliche Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens von Verbrauchern und die Erwägungsgründe zur UGPRL, welcher durch die verbraucherschützenden Teile des UWG umgesetzt wird. Dabei trägt insbesondere der Maßstab des Durchschnittsverbrauchers in § 3 Abs. 4 S. 1 UWG dazu bei, dass die Unternehmer in ihren Grundrechten nicht unverhältnismäßig beschränkt werden.594 Vor diesem Hintergrund muss das angerufene Gericht insbesondere im Rahmen der General- 254 klausel des § 3 Abs. 1 UWG, in abnehmendem Ausmaß aber auch bei den übrigen „kleinen“ Generalklauseln (§§ 3a, 4a, 5 UWG) und den ausdifferenzierten Spezialtatbeständen der Unlauterkeit (§§ 4, 5a Abs. 2 ff., 6 UWG) eine hinreichende Gefährdung des Schutzguts für den Einzelfall dartun, damit ein Grundrechtseingriff überhaupt zu rechtfertigen ist. Zusätzlich muss der Eingriff, das heißt typischerweise das Unterlassungsgebot595 auch noch auf einer Interessenabwägung beruhen und verhältnismäßig sein.596 Mit anderen Worten hat sich der Begründungsaufwand bei der Anwendung der wettbewerbsrechtlichen Generalklauseln – einschließlich der weit formulierten Beispielstatbestände – deutlich verändert, da es bei fehlender Typisierung der Unlauterkeit durch den Gesetzgeber in Spezialtatbeständen einer angemessenen Berücksichtigung der betroffenen Grundrechtspositionen im Wege der Abwägung bereits bei der Bildung neuer Fallgruppen und erneut bei deren Anwendung im Einzelfall bedarf. Das zwingt zugleich dazu, die bisherigen Fallgruppen zu § 3 Abs. 1 UWG (bzw. nach deren Bildung auch bei § 3 Abs. 2 UWG) auf ihre Vereinbarkeit mit diesen Grundsätzen hin zu überprüfen. Zu berücksichtigen sind grundsätzlich nicht nur die Vorgaben der Art. 1–19 GG, sondern auch die Grundrechte der EMRK und bei grenzüberschreitenden Sachverhalten die Garantien der EU-Grundrechtscharta, doch dürften sich die Unterschiede in engen Grenzen halten. Damit hat sich die grundrechtliche Kontrolldichte wettbewerbsrechtlicher Entscheidungen stark erhöht.597 Der BGH trägt dem mittlerweile in geeigneten Fällen Rechnung.598 Überdies eignen sich die Grundrechte sogar vereinzelt, 591 BVerfG 6. 2. 2002 – 1 BvR 952/90, 1 BvR 2151/96 – GRUR 2002, 455, 456 – Tier- und Artenschutz. 592 Vgl. Harte/Henning/Ahrens Einl. G Rn. 59 ff.; zur Grundrechtsrelevanz der UGPRL s. sehr lapidar deren Erwägungsgrund 25. 593 Zur Grundrechtsabwägung bei der unzumutbaren Belästigung näher Meyer WRP 2017, 501 Rn. 27 ff. m. w. N. 594 S. bereits Erwägungsgrund 6, 17, 23 UGPRL. 595 Zur Relevanz gerade des gerichtlichen Unterlassungsgebots für die verfassungsrechtliche Beurteilung vgl. bereits BVerfG 13. 7. 1992 – 1 BvR 303/90 – NJW 1993, 1969, 1970 f. 596 BVerfG 1. 8. 2001 – 1 BvR 1188/92 – GRUR 2001, 1058 – Therapeutische Äquivalenz, S. 1060; BVerfG 6. 2. 2002 – 1 BvR 952/90, 1 BvR 2151/96 – GRUR 2002, 455, 456 – Tier- und Artenschutz. 597 Eher krit. Brandner FS Erdmann, 2002, S. 533, 541 f. 598 Vgl. zu telefonischen Abwerbeversuchen am Arbeitsplatz BGH 4. 3. 2004 – I ZR 221/01 – BGHZ 158, 174 = GRUR 2004, 696, 697 f. – Direktansprache am Arbeitsplatz I; BGH 9. 2. 2006 – I ZR 73/02 – GRUR 2006, 426 Tz. 16, 19 f. – Direktansprache am Arbeitsplatz II.

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um Marktverhaltensregeln i.S.v. § 3a UWG aufzustellen, wie die entsprechende Deutung des „Gebots der Staatsferne der Presse“ durch den BGH zeigt, das aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG abgeleitet wird,599 was aber in erster Linie den Presseverlagen dient und weniger dem Verbraucherschutz.600 255 Was die EU-Grundrechtecharta angeht, so ist dort in Art. 38 sogar eine Art „Grundrecht auf ein hohes Verbraucherschutzniveau“ geregelt. Die dahingehende mehr programmatische denn konkrete Aussage des Art. 38 EU-GRCharta begründet jedenfalls keine individualrechtliche, sondern bildet eine Zielvorgabe, mit der die Regelungen in Art. 12 und vor allem Art. 169 AEUV grundrechtlich unterlegt werden.601 Da die Vorschrift die EU-Organe bei der Schaffung und Anwendung von EU-Recht bindet, hält sich ihre unmittelbare Bedeutung für das deutsche UWG und die Praxis seiner Anwendung in Grenzen. Das gebotene hohe Verbraucherschutzniveau wird durch die UGPRL vorgegeben, deren Maßstäbe in den Art. 5 ff. und im Anhang ausreichend sein dürften. Bedeutung kann Art. 38 EU-GRCharta wohl am ehesten im Rahmen der Generalklausel des Art. 5 Abs. 2 UGPRL (und ihrer nationalen Umsetzungsakte wie § 3 Abs. 2 UWG) erlangen, der nach dem Scheitern der zunächst geplanten Verordnung über Verkaufsförderung unter anderem in deren Anwendungsbereich größere Bedeutung zukommen dürfte. Anders formuliert wird man das Gebot eines hohen Verbraucherschutzniveaus aus Art. 38 EU-GRCharta bei geschäftlichen Handlungen berücksichtigen müssen, die weder irreführend noch aggressiv im Sinne der Art. 6 bis 9 UGPRL sind. Allerdings gewährleistet hier wohl die (Verbraucher-)Generalklausel des Art. 5 Abs. 3 UGPRL grundsätzlich ein hohes Schutzniveau. Dennoch sind die Mitgliedstaaten und ihre Gerichte gem. Art. 51 Abs. 1 S. 1 EU-GRCharta bei der Anwendung von Unionsrecht verpflichtet, dem Gebot des Art. 38 EU-GRCharta auch bei der Anwendung der nationalen Umsetzungsvorschriften bereits vorsorglich Rechnung zu tragen, um Vorlagen an den EuGH nicht allzu oft notwendig werden zu lassen. Im Übrigen ist es dann Aufgabe des Gerichtshofs, der grundrechtlichen Vorgabe Rechnung zu tragen, die sicherlich dazu verpflichtet, dem Gebot des hohen Schutzniveaus im Rahmen der bei der Anwendung der Generalklausel notwendigen Interessenabwägung durch eine entsprechende Gewichtung der Verbraucherinteressen Rechnung zu tragen.602 Da im Rahmen des Verbraucherschutzes das UWG aber der Umsetzung von Unionsrecht dient, trifft die gleiche Verpflichtung die mitgliedstaatlichen Gerichte. Somit ist auch bei der Anwendung der verbraucherschützenden Normen des UWG ein hohes Schutzniveau zugunsten der Verbraucher zu gewährleisten.

256 b) Werbung und Menschenwürde. Mehrfach hat das BVerfG betonen müssen, dass die Menschenwürde als Fundament aller Grundrechte für die Auslegung des § 1 UWG 1909 von Bedeutung sei; die fundamentale Bedeutung der Menschenwürde erlaubt nach der Rechtsprechung des EuGH auch Einschränkungen der Grundfreiheiten im Binnenmarkt.603 Dies führte schließlich zu der Regelung in § 4 Nr. 1 UWG 2004/2008, nach der unlauter insbesondere handelte, wer „Handlungen vornimmt, die geeignet sind, die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher oder sonstiger Marktteilnehmer durch Ausübung von Druck, in menschenverachtender Weise oder durch sonstigen unangemessenen unsachlichen Einfluss zu beeinträchtigen“. Der Gesetzgeber des UWG 2004 hatte dies im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens etwas unmotiviert nachträglich

599 Dazu BGH 20. 12. 2018 – I ZR 112/17 – GRUR 2019, 189 Tz. 17 ff. – Crailsheimer Tagblatt II, m.Anm. Peifer; Köhler GRUR 2019, 265. 600 Köhler GRUR 2019, 265, 266. 601 In diesem Sinne auch Callies/Ruffert/Krebber Art. 38 EU-GRCharta Rn. 5; Jarass EU-GRCharta, 3. Aufl. 2016, Art. 38 Rn. 3 m. w. N. – S. ferner die Erläuterungen zur EU-Grundrechte-Charta, ABl. 2007 C 303/17, 28. 602 Jarass EU-GRCharta, 3. Aufl. 2010, Art. 38 Rn. 8 m. w. N. 603 EuGH 4. 10. 2004 – C-36/02 – Slg. 2004, I-9609 = EuZW 2004, 753 Tz. 32 ff. – Omega, m. Anm. Bröhmer EuZW 2004, 755 ff.

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in § 4 Nr. 1 UWG 2004 aufgegriffen,604 so dass dort nun Beeinflussungen der Entscheidungsfreiheit von Marktteilnehmern „in menschenverachtender Weise“ aufgeführt sind. Das löste allerdings die Frage aus, wie man „in menschenverachtender Weise“ auf Verbraucherentscheidungen einwirkt, und sollte zudem die Konsequenz haben, dass menschenverachtende Aufmerksamkeits- bzw. Imagewerbung von der Vorschrift nicht erfasst seien.605 Ob eine solche Verengung geboten war, kann man anzweifeln, denn die Begründung zum fraglichen Passus606 nimmt auf den sonstigen Wortlaut des § 4 Nr. 1 UWG 2004 keinen Bezug und erweckt eher den Eindruck, dass man hier die Benetton-Rechtsprechung des BGH nachträglich sanktionieren wollte, wenngleich an der Stelle auch auf das Urteil BVerfGE 107, 275607 hingewiesen wird. In der Gesamtformulierung des § 4 Nr. 1 UWG 2004/2008 wirkte die Passage „in menschenverachtender Weise“ ohnehin wie ein Fremdkörper. Gleichwohl hatte die Norm theoretisch den Vorteil, dass ein Verbot von gegen die Menschenwürde verstoßenden geschäftlichen Handlungen keiner besonderen Rechtfertigung mehr bedurfte. Mit dem 2. UWG-ÄndG wurde § 4 Nr. 1 UWG 2008 aber vollständig aufgehoben, sodass das Verbot nun wieder auf § 3 Abs. 1 UWG zu stützen, aber ggf. auch möglich ist, weil die Menschenwürde auch konkurrierenden Grundrechten anderer – insbesondere der Meinungsfreiheit des Werbenden – eine absolute Grenze setzt.608 Die Bildung von Fallgruppen zu Beeinträchtigungen der Menschenwürde im Rahmen von § 3 Abs. 1 UWG wäre verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig. Generell ist aber anzumerken, dass eine gegen die Menschenwürde verstoßende Werbung wohl nur in Ausnahmefällen anzunehmen ist und der BGH hier in der Vergangenheit vielleicht zu großzügig war.609 Seit dem 2. UWGÄndG reicht nach dem Wortlaut von § 3 Abs. 1 UWG wieder die bloße Un- 257 lauterkeit einer geschäftlichen Handlung aus, ohne dass sie zu einer spürbaren Beeinträchtigung des Wettbewerbs zum Nachteil von Mitbewerbern, Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern führen müsste. Verstöße gegen die Menschenwürde werden allerdings nur dann anzunehmen sein, wenn der Vorfall von einigem Gewicht ist. Soweit Verbraucher durch Handlungen, die ihre eigene Menschenwürde tangieren, zu einer abweichenden geschäftlichen Entscheidung veranlasst werden, kann man dies zudem mit § 4a UWG erfassen. Soweit dagegen die geschäftliche Handlung gegen die Menschenwürde insbesondere der in einer Werbung etc. gezeigten Personen verstößt, müsste man dies heute ggf. mit § 3 Abs. 2 UWG erfassen. Denn eine solche Darbietung von Menschen kann man als gegen die unternehmerische Sorgfalt verstoßend ansehen. Allerdings kommt es für die Unlauterkeit im Verhältnis zu Verbrauchern nach § 3 Abs. 2 UWG auch noch darauf an, ob die geschäftliche Handlung die auf Informationen gegründete Entscheidungsfähigkeit des Verbrauchers spürbar beeinträchtigen und ihn zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlassen kann, die er ohne die Verletzung der fremden Menschenwürde nicht getroffen hätte. Ob man das annehmen kann, hängt von der konkreten geschäftlichen Handlung ab. Eine spürbare Beeinträchtigung von Interessen der Verbraucher und Mitbewerber scheidet in den Benetton-Fällen wohl aus, da die Werbung die Verbraucher teils eher abschreckte und somit den Mitbewerbern eher nützte;610 jedenfalls war eine solche Verbraucherbeeinflussung nicht erforderlich.611 Soweit die selbständigen Benetton-Händler, also sonstige Marktteilnehmer, Umsatzeinbußen erlitten,612 könnte man eine spürbare Wirkung annehmen, die aber nicht unter § 3 Abs. 2 UWG fällt, sondern nur mit § 3 Abs. 1 UWG erfasst

604 605 606 607 608

S. Bericht und Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. 14/2795, S. 20, 21. So jedenfalls Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 2.34, 9.15. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. 15/2795, S. 21. BVerfG 11. 3. 2003 – 1 BvR 426/02 – BVerfGE 107, 275 = GRUR 2003, 442 – Benetton-Werbung II. BVerfG 12. 12. 2000 – 1 BvR 1787/95 – BVerfGE 102, 347, 366 f. = GRUR 2001, 170, 174 – Benetton-Werbung I/ Schockwerbung; BVerfG 11. 3. 2003 – 1 BvR 426/02 – BVerfGE 107, 275 = GRUR 2003, 442, 443 – Benetton-Werbung II. 609 So Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 2.35, 9.15. 610 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 2.34, 9.14. 611 Engelsing RuP 2018, 296, 299 ff. m.N. 612 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 9.15.

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werden kann.613 Dennoch ist zweifelhaft, ob es vom Schutzzweck des UWG umfasst ist, Angehörige einer Vertriebsstruktur vor Werbemaßnahmen ihrer obersten Ebene zu schützen, die nicht unter § 4a UWG fallen. Der gleiche Zweifel besteht auch, wenn die „menschenverachtende“ Werbung nur dem werbenden Unternehmen selbst schadet, das man nicht indirekt über § 3 Abs. 1 UWG vor sich selbst oder seiner Marketingagentur schützen sollte. Jenseits der BenettonFälle mit ausgebeuteten Kindern und HIV-Kranken wird die Frage der Menschenwürde heute vor allem in Bezug auf sexistische Werbung diskutiert,614 die vom deutschen Werberat oft beanstandet wird.615 Das UWG um Wertungen der Gleichstellungspolitik zu ergänzen, dürfte deutlich über seine eigentlichen Schutzzwecke (vgl. § 1 UWG) hinausgehen und wäre nicht sinnvoll.616 Gleichwohl wäre es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, diesen Schritt zu tun.617 Die Rechtsprechung und der Werberat sind aber auch jetzt in der Lage, mit Hilfe von § 3 Abs. 1 UWG gegen Extremfälle vorzugehen.618

258 c) Verbraucherschutz und Kommunikationsgrundrechte. Von erheblicher Bedeutung für das traditionell zivilrechtlich geprägte Wettbewerbsrecht ist vor allem die durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützte Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit. Sie hat noch zum UWG 1909 zu einem Überdenken überkommener Wertungen und einer Neuorientierung in der Entscheidungspraxis genötigt, insbesondere beim sog. „Kundenfang“,619 also bei der Beurteilung geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern.

259 aa) Schutzumfang der Kommunikationsgrundrechte des Art. 5 GG. Angesichts der modernen technischen Möglichkeiten scheint sich – zumindest im Zusammenhang mit Werbung und anderen Formen der Unternehmenskommunikation620 – der Begriff der „Kommunikationsgrundrechte“ einzubürgern,621 der allerdings auch die im Rahmen des UWG kaum relevante Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) und die Koalitionsfreiheit (Art. 9 GG) mit einschließt.622 Aus Art. 5 Abs. 1 GG lassen sich unterschiedliche Grundrechte entnehmen bzw. ableiten. 260 Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG enthält die Meinungsfreiheit als „das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten“623 (1. Hs.) und die Informationsfreiheit als das Recht, „sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten“ (2. Hs.).624 Meinungsäußerungen sind in erster Linie Werturteile, und zwar unabhängig davon, auf welchen Gegenstand sie sich beziehen und welchen Inhalt sie haben, jedoch auch Tatsachenbehauptungen,

613 614 615 616 617 618 619 620 621

A.A. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 2.33 ff. Vgl. dazu Engelsing RuP 2018, 296, 298 ff.; Gomille ZRP 2018, 134 ff. m. w. N. S. Engelsing RuP 2018, 296, 303 ff. m.N. und Beispielen. Ebenso Gomille ZRP 2018, 134, 135 ff. Gomille ZRP 2018, 134, 136. Engelsing RuP 2018, 296, 299 ff. m. w. N. Zutreffend Hartwig NJW 2002, 38. Vgl. Sevecke S. 28 ff. Verwendet etwa von BVerfG 14. 1. 1998 – 1 BvR 1861/93 – BVerfGE 97, 125, 147 = NJW 1998, 1381, 1383 – Caroline von Monaco I; BVerfG 12. 12. 2000 – 1 BvR 1787/95 – BVerfGE 102, 347 = GRUR 2001, 170, 174 – Benetton-Werbung I; BK/Degenhart Art. 5 Rn. 2 ff.; Sevecke Wettbewerbsrecht und Kommunikationsgrundrechte, 1997 passim, sowie AfP 1994, 196; Tettinger JuS 1997, 769, 770. 622 Vgl. Flitsch 20 f.; s. a. GK-UWG/Schünemann1 Einl. a. F. A Rn. 74. 623 Dazu Maunz/Dürig/Grabenwarter GG, 85. EL November 2018, Art. 5 I, II Rn. 82 ff.; BK/Degenhart Art. 5 Rn. 6, 86 ff.; v. Münch/Kunig/Wendt GG, 6. Aufl. 2012, Art. 5 Rn. 4 ff.; Jarass/Pieroth GG, 15. Aufl. 2018, Art. 5 Rn. 2 ff. 624 Dazu Maunz/Dürig/Grabenwarter GG Art. 5 I, II Rn. 996 ff.; BK/Degenhart Art. 5 Rn. 7 f., 318 ff.; v. Münch/Kunig/Wendt, Art. 5 Rn. 22 ff.; Jarass/Pieroth GG Art. 5 Rn. 14 ff.

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soweit sie Voraussetzung zur Bildung eines Werturteils sind.625 Hinzutreten die Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG. Das Verhältnis dieser einzelnen Grundrechte zueinander ist im verfassungsrechtlichen Schrifttum umstritten,626 doch spielt das für die hier in Frage stehenden Probleme keine ernsthafte Rolle. Entscheidend ist nur, dass die Kommunikationsgrundrechte überhaupt massiven Einfluss auf die Auslegung des UWG gewinnen. Das hängt von ihrem Schutzumfang ab: Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gewährleistet eine umfängliche, von der Informationsbeschaffung bis 261 hin zur Verbreitung der Nachrichten und Meinungen reichende Pressefreiheit.627 Grundrechtsberechtigt sind insoweit alle im Pressewesen tätigen Personen und Unternehmen.628 Von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG ist ebenfalls die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film umfasst. Wie bei der Pressefreiheit reicht auch der Umfang der Gewährleistung von der Beschaffung der Informationen bis zur Verbreitung von Nachricht und Meinung629 und erstreckt sich auch auf die Werbung und ähnliche Maßnahmen im Programm wie beispielsweise Gewinnspiele.630 Der Schutz der Medienfreiheiten gem. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG schließt auch das Anzeigen- und sonstige Werbegeschäft und daher – ggf. mit abgeschwächtem Umfang631 – auch Werbeblätter mit geringem redaktionellen Inhalt ein.632 Außerdem genießt auch eine Werbung, soweit sie Meinungsäußerungen enthält, die über die bloße Produktempfehlung hinausgeht und sich auf politische, soziale, kulturelle oder wirtschaftliche Fragen bezieht, ihrerseits den Schutz der Meinungsfreiheit.633

bb) Wechselwirkungen zwischen den Kommunikationsgrundrechten und dem UWG 262 als Schrankennorm. Die Kommunikationsgrundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG werden durch die sog. Schrankentrias des Art. 5 Abs. 2 GG begrenzt, deren bedeutsamste die Schranke der allgemeinen Gesetze ist. Hierunter sind nach umstrittener, aber seit dem Lüth-Urteil des BVerfG634 herrschender Auffassung Gesetze zu verstehen, die sich weder gegen bestimmte Meinungen als solche richten, sondern „die vielmehr dem Schutze eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen, dem Schutze eines Gemeinschaftswerts, der gegenüber der Betätigung der Meinungsfreiheit den Vorrang hat“. Zu diesen allgemeinen Gesetzen zählt auch das

625 Jarass/Pieroth, Art. 5 Rn. 2; BK/Degenhart Art. 5 Rn. 98 f.; BVerfG 13. 2. 1996 – 1 BvR 262/91 – BVerfGE 94, 1, 7; BVerfG 22. 6. 1982 – 1 BvR 1376/79 – BVerfGE 61, 1, 8 – Wahlkampf; BVerfG 15. 12. 1983 – u. a. 1 BvR 209/83 – BVerfGE 65, 1, 41 – Volkszählung. 626 Vgl. m.w.N. BK/Degenhart Art. 5 Rn. 29 ff.; Sevecke S. 116 f. 627 BVerfG 5. 8. 1966 – 1 BvR 586/62 – BVerfGE 20, 162, 176 – Spiegel; Maunz/Dürig/Grabenwarter GG Art. 5 I, II Rn. 1 ff., 987 ff.; BK/Degenhart Art. 5 Rn. 9 ff., 388 ff.; Jarass/Pieroth GG Art. 5 Rn. 23 ff.; v. Münch/Kunig/Wendt, Art. 5 Rn. 30 ff. 628 BVerfG 5. 8. 1966 – 1 BvR 586/62 – BVerfGE 29, 162, 175; BK/Degenhart Art. 5 Rn. 551 ff.; Jarass/Pieroth GG Art. 5 Rn. 28. 629 BK/Degenhart, Art. 5 Rn. 12 ff.; v. Münch/Kunig/Wendt, Art. 5 Rn. 44 ff.; Jarass/Pieroth Rn. 35 ff. 630 Vgl. Pohlmann EWiR 2003, 1055 f. zu BGH – GRUR 2002, 1083, 1085 – Gewinnspiel im Programm. 631 BGH 5. 2. 2015 – I ZR 136/13 – GRUR 2015, 906- Tz. 34 ff., 37 – TIP der Woche; vgl. bereits Lerche Werbung und Verfassung, 1967, S. 77 ff. 632 BVerfG 4. 4. 1967 – 1 BvR 414/64 – BVerfGE 21, 271, 278 = NJW 1967, 976; BVerfG 12. 12. 2000 – 1 BvR 1762/95; – 1 BvR 1787/95 – BVerfGE 102, 347, 359 = GRUR 2001, 170, 172 – Benetton-Werbung I/Schockwerbung; BVerfG 1. 8. 2001 – 1 BvR 1188/92 – GRUR 2001, 1058, 1059 – Therapeutische Äquivalenz; BGH 26. 4. 1990 – I ZR 127/88 – GRUR 1990, 1012, 1014 – Pressehaftung; BGH 6. 7. 1995 – I ZR 110/93 – GRUR 1995, 595, 597 – Kinderarbeit; BGH 5. 2. 2015 – I ZR 136/13 – GRUR 2015, 906- Tz. 34 ff. – TIP der Woche; vgl. bereits Lerche Werbung und Verfassung, 1967, S. 77 ff. 633 Vgl. nur BVerfG 12. 12. 2000 – 1 BvR 1762/95; – 1 BvR 1787/95 – BVerfGE 102, 347 = GRUR 2001, 170, 173 – Benetton-Werbung I/Schockwerbung; BVerfG 11. 3. 2003 – 1 BvR 426/02 – BVerfGE 107, 275 = GRUR 2003, 1303, 1304 – Benetton-Werbung II. 634 BVerfG 15. 1. 1958 – 1 BvR 400/577 – BVerfGE 198, 209 f. = NJW 1958, 257 – Lüth.

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UWG,635 das somit die Meinungsfreiheit grundsätzlich einschränken kann. Denn das UWG ist nicht kommunikationsbezogen, dient nicht der Beschränkung der Äußerung oder Verbreitung von Meinungen oder des Prozesses der Meinungsbildung insgesamt. Es zielt vielmehr auf die verfassungsrechtlich legitime Kontrolle des Marktverhaltens der Wirtschaftssubjekte, das es in bestimmten Bahnen des Anstandes, der Redlichkeit und der guten kaufmännischen Sitten halten soll.636 263 Damit die Meinungsfreiheit und die übrigen Kommunikationsfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG dadurch aber nicht einem Gesetzesvorbehalt unterworfen werden, sind allgemeine Gesetze wie das UWG allgemein und insbesondere § 3 Abs. 1 und 2 UWG nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG ihrerseits im Lichte der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts zu sehen und so in ihrer grundrechtsbeschränkenden Wirkung selbst wieder einzuschränken, sog. Wechselwirkungslehre.637 Dies zwingt im Rahmen der Beurteilung nach Art. 5 Abs. 2 GG zu einer Abwägung der Rechtsgüter und Interessen der Beteiligten.638 Da Werbung dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG unterfällt, sind dessen Wertungen bei der 264 Auslegung und Anwendung der privatrechtlichen Normen des § 3 Abs. 1 bzw. § 3 Abs. 2 UWG zu berücksichtigen.639 Wenn Äußerungen in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit fallen und nach dem UWG verboten werden sollen, muss im konkreten Einzelfall eine Gefährdung von Schutzbelangen des § 1 UWG dargelegt werden.640 Dies erlangt Bedeutung insbesondere – aber nicht nur – in Fällen der Aufmerksamkeits- und Imagewerbung, die allgemeine, wirtschaftliche, politische, soziale oder kulturelle Themen zu ihrem Gegenstand macht und schon aus diesem Grunde – also durch das bloße Aufgreifen – einen Beitrag zur Auseinandersetzung über das jeweilige Thema liefert und somit dem Schutz der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG unterliegt.641 Auf die Wesentlichkeit des Beitrags kommt es nicht an.642 Aber auch die Presse- und Rundfunkfreiheit sind zu berücksichtigen, wenn es um die Festlegung von Prüfungspflichten von Medienunternehmen hinsichtlich der Wettbewerbsverstöße Dritter und die daran anknüpfende Störerhaftung geht.643

265 cc) Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG) und Werbung. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit für Wirtschaftswerbung ist (neben der Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 GG644) 635 Wohl unstr., st. Rspr., – BVerfGE 15. 11. 1982 – 1 BvR 108, 437, 438/80 – BVerfGE 62, 230, 245 ff. = NJW 1983, 1181 – NDR-Staatsvertrag; BVerfG 4. 10. 1988 – 1 BvR 1611/87 – NJW 1992, 1153, 1154; BVerfG 11. 2. 1992 – 1 BvR 153 1/90 – BVerfGE 85, 248, 263 = GRUR 1992, 866, 870 – Ärztliches Werbeverbot/Hackethal; BVerfG 12. 12. 2000 – 1 BvR 1787/95 – BVerfGE 102, 347, 360 = GRUR 2001, 170, 173 – Benetton-Werbung I; BVerfG 1. 8. 2001 – 1 BvR 1188/92 – GRUR 2001, 1058, 1060 – Therapeutische Äquivalenz; BK/Degenhart Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 230 m. w. N. 636 BVerfG 8. 2. 1972 – 1 BvR 170/71 – BVerfGE 32, 311, 316 = NJW 1972, 573; BVerfG 12. 12. 2000 – 1 BvR 1787/95 – BVerfGE 102, 347, 360 = GRUR 2001, 170, 173 – Benetton-Werbung I/Schockwerbung. 637 St. Rspr. BVerfGE 7, 198, 206 ff. = NJW 1958, 257, 258 – Lüth; BVerfG 25. 1. 1961 – 1 BvR 9/57 – BVerfGE 12, 113, 124 f. – Spiegel; BVerfG 22. 6. 1982 – 1 BvR 1376/79 – BVerfGE 61, 1, 10 f. – Wahlkampf; BVerfG 12. 12. 2000 – 1 BvR 1787/95 – BVerfGE 102, 347, 362 – Benetton-Werbung I/Schockwerbung; BGH 6. 7. 1995 – I ZR 110/93 – GRUR 1995, 593, 597 – Kinderarbeit; h.L., Dreier/Schulze-Fielitz GG, 1996, Art. 5 Rn. 126 ff.; v. Münch/Kuhn/Wendt, GG, 5. Aufl. 2000, Art. 5 Rn. 75 f.; Jarass/Pieroth GG Art. 5 Rn. 57 ff. 638 BVerfG 4. 10. 1988 – 1 BvR 1611/87 – NJW 1992, 1153, 1154 m. w. N. 639 BVerfG 12. 12. 2000 – 1 BvR 1787/95 – BVerfGE 102, 347 = GRUR 2001, 170, 173 – Benetton-Werbung I; BVerfG 1. 8. 2001 – 1 BvR 1188/92 – GRUR 2001, 1058, 1059 – Therapeutische Äquivalenz. Vgl. auch BVerfG 15. 1. 1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198, 206 ff. = NJW 1958, 257 – Lüth; BVerfG 19. 5. 1992 – 1 BvR 126/85 – BVerfGE 86, 122, 128 f. = NJW 1992, 2409 m. Bespr. Boemke NJW 1993, 2083. Aus der Literatur zur Entwicklung bis Mitte der 1980er Jahre Drettmann S. 62 ff., 93 ff. m. w. N. 640 BVerfG 1. 8. 2001 – 1 BvR 1188/92 – GRUR 2001, 1058, 1059 f. – Therapeutische Äquivalenz; BVerfG 6. 2. 2002 – 1 BvR 952/90, 1 BvR 2151/96 – GRUR 2002, 455, 456 – Tier- und Artenschutz. 641 BVerfG 12. 12. 2000 – 1 BvR 1787/95 – BVerfGE 102, 347 = GRUR 2001, 170, 173 f. – Benetton-Werbung I. 642 BVerfG 12. 12. 2000 – 1 BvR 1787/95 – BVerfGE 102, 347 = GRUR 2001, 170, 174 – Benetton-Werbung I; ebenso bereits Sevecke S. 134. 643 Vgl. jetzt BGH 1. 4. 2004 – I ZR 317/01 – GRUR 2004, 693, 695 – Schöner Wetten. 644 Meyer WRP 2017, 501.

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jedenfalls dann als Prüfungsmaßstab heranzuziehen, wenn eine Ankündigung einen wertenden, meinungsbildenden Inhalt hat oder Angaben enthält, die der Meinungsbildung dienen.645 Sofern also in der Produkt- oder Imagewerbung Meinungsäußerungen enthalten sind, genießen diese grundsätzlich den Schutz der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG.646 Der Schutz der Meinungsfreiheit tritt auch nicht deshalb zurück, weil eine Äußerung wirtschaftliche Vorteile bringen soll und Zwecken des Wettbewerbs dient, denn dies würde einen grundrechtlichen Schutz im wirtschaftlichen Bereich völlig ausschließen.647 Dies ist bei der Auslegung von Meinungsäußerungen im Rahmen der Anwendung des § 3 266 Abs. 1 und 2 S. 1 UWG – aber auch des § 7 UWG648 – zu beachten. Daraus folgt insbesondere, dass sie unter Einbeziehung ihres jeweiligen Kontextes auszulegen sind und ihnen kein Sinn beigemessen werden darf, den sie objektiv nicht haben; insbesondere ist die eventuelle Mehrdeutigkeit einer Äußerung zu berücksichtigen und ihre Deutung in einem bestimmten Sinne, die der verfassungsgerichtlichen Nachprüfung unterliegt, nachvollziehbar zu begründen.649 So darf man die kommentarlose Abbildung eines menschlichen Gesäßes mit dem Aufdruck „H.I.V.POSITIVE“ nicht als verharmlosende oder verstärkende Ausgrenzung von AIDS-Kranken deuten, ohne sich mit der ebenfalls möglichen Deutung der Abbildung als kritischen Aufruf gegen die Ausgrenzung auseinander zu setzen.650 Im Übrigen hat der Schutz von Werbeaussagen über Art. 5 Abs. 1 GG allerdings zunächst 267 dort seine Grenze, wo eine Tatsachenbehauptung zur Meinungsbildung nichts beizutragen vermag, also insbesondere wenn sie nicht erweislich wahr ist.651 Im Bereich des Wettbewerbsrechts ist die Grenze dahin vorzuverlagern, wo von einer Tatsachenbehauptung die Gefahr einer Irreführung oder Täuschung oder einer Herabsetzung von Konkurrenten ausgeht. Daher ist beim Hinweis auf wissenschaftliche Angaben darauf zu achten, dass diese vollständig und nicht herabsetzend sind;652 außerdem spielt es eine Rolle, ob sich die Studien an ein Fachpublikum oder an die Allgemeinheit wenden.653 Nicht von der Meinungsfreiheit geschützt sind verschleierte Werbeaussagen, die im Anwendungsbereich von EU-Richtlinien anhand der Maßstäbe von Art. 11, 51, 52 EU-Grundrechtecharta zu messen sind, aber nach Art. 7 UGPRL, der als Vorgabe für § 5a Abs. 6 UWG diesen Maßstäben genügt, wirksam vom Schutz ausgenommen sind.654

645 Vgl. BVerfG 19. 11. 1985 – 1 BvR 934/82 – BVerfGE 71, 162, 175 = GRUR 1986, 382, 385 – Arztwerbung; BVerfG 4. 10. 1988 – 1 BvR 1611/87 – NJW 1992, 1153 f.; BVerfG 27. 5. 1994 – 1 BvR 916/94 – NJW 1994, 3342 f. – Mars-Kondom; BVerfG 12. 12. 2000 – 1 BvR 1787/95 – BVerfGE 102, 347, 359 = GRUR 2001, 170 – Benetton-Werbung I; BGH 19. 4. 2018 – I ZR 154/16 – BGHZ 218, 236 = GRUR 2018, 1251 Tz. 37 m. w. N. – Werbeblocker II. 646 BVerfG 12. 12. 2000 – 1 BvR 1787/95 – BVerfGE 102, 347, 359 = GRUR 2001, 170, 172 – Benetton-Werbung I/ Schockwerbung; BVerfG 1. 8. 2001 – 1 BvR 1188/92 – GRUR 2001, 1058, 1059 – Therapeutische Äquivalenz; Jarass/ Pieroth, GG, 7. Aufl. 2004, Art. 5 Rn. 4 m. w. N.; noch offengelassen von BVerfG 27. 5. 1994 – 1 BvR 916/94 – NJW 1994, 3342 – Mars-Kondom. 647 BVerfG 4. 10. 1988 – 1 BvR 1611/87 – NJW 1992, 1153 m. w. N. 648 Zum Belästigungsverbot des § 7 UWG s. BGH 22. 4. 2010 – I ZR 29/09 – GRUR 2010, 1113 Tz. 15 – Grabmalwerbung; BGH 3. 3. 2011 – I ZR 167/09 – GRUR 2011, 747 Tz. 17 – Kreditkartenübersendung. 649 BVerfG 13. 2. 1996 – 1 BvR 262/91 – BVerfGE 94, 1, 10 f. = NJW 1996, 1529; BVerfG 12. 12. 2000 – 1 BvR 1787/95 – BVerfGE 102, 347 = GRUR 2001, 170, 174 f. – Benetton-Werbung I/Schockwerbung; Jarass/Pieroth, GG, 7. Aufl. 2004, Art. 5 Rn. 81. 650 BVerfG 12. 12. 2000 – 1 BvR 1787/95 – BVerfGE 102, 347 = GRUR 2001, 170, 175 – Benetton-Werbung I/Schockwerbung. 651 Vgl. BVerfG 13. 4. 1994 – 1 BvR 23/94 – BVerfGE 90, 241 = NJW 1994, 1779; OLG Hamburg 3. 7. 2003 – 3 U 211/ 02 – GRUR-RR 2004, 52, 54 – Kooperation Forum. 652 OLG Hamburg 10. 4. 2003 – 5 U 115/02 – GRUR-RR 2004, 49, 50 f. – Motorradreiniger. 653 Vgl. BVerfG 1. 8. 2001 – 1 BvR 1188/92 – GRUR 2001, 1058, 1059 – Therapeutische Äquivalenz; OLG Hamburg 10. 4. 2003 – 5 U 115/02 – GRUR-RR 2004, 49, 51 – Motorradreiniger. 654 KG 8. 1. 2019 – 5 U 83/18 – WRP 2019, 339 Tz. 46 ff. – #vrenifrost.

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268 dd) Informationsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG. Das Grundgesetz erwähnt außerdem die Freiheit, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten oder solche Informationen einfach nur entgegenzunehmen, Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG.655 Dabei handelt es sich um ein passives „Gegenstück“ zu den übrigen Grundrechten des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG,656 weil es zunächst einmal um die Entgegennahme von Informationen und den Zugang zu ihnen geht. Insofern kann man der Werbung einen Schutz zubilligen, als sie auch Informationen – z. B. über Produkteigenschaften – enthält. – Zur negativen Informationsfreiheit Rn. 288.

269 ee) Presse- und Rundfunkfreiheit und Werbung. Auch die Presse- und Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG spielen bei der Anwendung des Unlauterkeitsrechts eine Rolle. Beide Freiheitsrechte erfassen auch die in den Medien enthaltene Werbung und sind deshalb bei der Anwendung der Generalklauseln des Unlauterkeitsrechts zu berücksichtigen.657 Ein Anspruch auf ungestörte Werbebetätigung und damit auf ein Verbot von Maßnahmen oder Geräten, welche es dem Werbeadressaten ermöglichen, sich vor Werbung zu schützen, lässt sich daraus aber nicht ableiten, da eine wirtschaftliche Gefährdung derzeit nicht ersichtlich ist658 und die Abwägung zugunsten der Anbieter von Werbeblockern ausfällt.659

270 ff) Kunst- und Wissenschaftsfreiheit, Art. 5 Abs. 3 GG. Gerade die Fälle der BenettonWerbung belegen auch die Bedeutung der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) für die Anwendung des UWG. Denn Werbeanzeigen, Werbespots oder ganze Werbekampagnen können durchaus bei entsprechender Gestaltung künstlerischen Charakter aufweisen. Die Interpretation einer künstlerischen Aussage muss für die Zwecke der Rechtsanwendung grundsätzlich in einer Gesamtschau erfolgen.660 Soweit die Verwendung des Kunstwerks im Rahmen der Meinungsäußerung Dritter nicht hinter diese als Beiwerk zurücktritt, bildet Art. 5 Abs. 3 GG den Prüfungsmaßstab, da die Kunstfreiheit auch die Verbreitung des Kunstwerks erfasst.661 Insofern sind also auch Medienunternehmen, die als Mittler zwischen dem Künstler und dem allgemeinen Publikum auftreten, sowie ihre Redakteure in den Wirkbereich der Kunstfreiheit einbezogen.662 Dies muss auch für die Verwendung von Kunst zu Werbezwecken wie in den Benetton-Fällen gelten.663 Diese Erwägungen dürften auf die Wissenschaftsfreiheit übertragbar sein. 271 Etwas diffus ist das Verhältnis der Kunst- zur Meinungsfreiheit, soweit es um ihre Anwendung auf Werbeaussagen geht. Zwar hat das BVerfG frühzeitig entschieden, die Kunstfreiheit sei lex specialis zur Meinungsäußerungsfreiheit, und die Meinungsäußerung, die in einer künst-

655 Aktive und passive Informationsfreiheit, vgl. BVerfG 3. 10. 1969 – 1 BvR 46/65 – BVerfGE 27, 71, 82 = NJW 1970, 235; BVerfG 14. 10. 1969 – 1 BvR 30/66 – BVerfGE 27, 88, 98 = NJW 1970, 238; Jarass/Pieroth, GG, 7. Aufl. 2004, Art. 5 Rn. 14 ff. m. w. N. 656 Flitsch S. 83. 657 BVerfG 1. 8. 2001 – 1 BvR 1188/92 – GRUR 2001, 1058, 1059 f. – Therapeutische Äquivalenz; BGH 24. 6. 2004 – I ZR 26/02 – GRUR 2004, 877, 880 – Werbeblocker m. Anm. Fritzsche LMK 2004, 192; Jarass/Pieroth GG Art. 5 Rn. 26 f. bzw. 38. 658 BGH 24. 6. 2004 – I ZR 26/02 – GRUR 2004, 877, 880 – Werbeblocker m. Anm. Fritzsche LMK 2004, 192, a. A. auf spekulativer tatsächlicher Grundlage Ladeur GRUR 2005, 559, 561 f. 659 BGH 19. 4. 2018 – I ZR 154/16 – BGHZ 218, 236 = GRUR 2018, 1251 Tz. 37 – Werbeblocker II, dazu Fritzsche/ Barth WRP 2018, 1405. 660 BVerfG 17. 7. 1984 – 1 BvR 816/82 – BVerfGE 67, 213 = NJW 1985, 261, 263. 661 Vgl. BVerfG 7. 3. 1990 – 1 BvR 1215/87 – BVerfGE 81, 298, 305 = NJW 1990, 1985. 662 Vgl. BVerfG 7. 3. 1990 – 1 BvR 1215/87 – BVerfGE 81, 298, 306. 663 Ebenso Manssen JuS 2001, 1169, 1172; Sevecke S. 152 ff.; ähnlich v. Becker GRUR 2001, 1101, 1104.

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lerischen Aussage enthalten sei, trete hinter dieser, die ein aliud bilde, zurück.664 Damit ist auch die Schrankenregelung des Art. 5 Abs. 2 GG auf künstlerische Aussagen nicht anwendbar. Jedoch hat das BVerfG häufig665 und gerade auch im Zusammenhang mit der Benetton-Werbung die Frage nach der Verletzung der Kunstfreiheit durch die Feststellung vermieden, es sei jedenfalls die Meinungsfreiheit verletzt. Dies wird teils dahin gedeutet, das Gericht folge einer Art von Schwerpunkttheorie und wende das Grundrecht an, das im Einzelfall eine größere Sachnähe aufweise.666 Das deckt sich mit der Erwägung, die wirtschaftliche Verwertung sei nicht von der Kunstfreiheit, sondern über andere Grundrechte geschützt,667 bzw. die Werbung tendiere mehr zur Meinungsfreiheit, und die Verpackung von Werbung als Kunst sei eher eine Frage der technischen Einkleidung als des zutreffenden grundrechtlichen Schutzes668 Der BGH hatte demgegenüber darauf hingewiesen, das Verbot an ein Unternehmen, künst- 272 lerische Fotografien zu Werbezwecken einzusetzen, berühre die Kunstfreiheit und die Verbreitung des Kunstwerks als solches nicht;669 das BVerfG hat das jedenfalls nicht beanstandet, und für die fragliche Konstellation wird man die Aussage wohl auch akzeptieren können. Denn eine Rechtfertigung für einen Eingriff in die grundsätzlich vorbehaltlos gewährte, nur durch konkurrierende Grundrechte beschränkte Kunstfreiheit wäre in den Benetton-Fällen wohl kaum zu finden gewesen.670 So kann man das Verbot, einen Kinofilm ohne den Hinweis zu vertreiben bzw. aufzuführen, dass er Produktwerbung darstellt, zwar als Verstoß gegen den äußersten Rand des Wirkbereichs der Kunstfreiheit ansehen. Dieses eingeschränkte Verbot ist aber durch den verfassungsrechtlichen Schutz der Persönlichkeit vor nicht erkennbaren Manipulationen gerechtfertigt.671 Fehlt es an einer konkurrierenden Grundrechtsposition, müsste man wegen des Vorrangs der Kunstfreiheit vor der Meinungsfreiheit vermutlich sogar höchst fragwürdige Werbeaussagen zulassen; das Verbot unlauteren Wettbewerbs ließe sich damit bequem unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit und ihres Wirkbereichs unterlaufen.672 Darin liegt aber nicht der Sinn der grundrechtlichen Gewährleistung der Kunstfreiheit. Von daher ist es vorzugswürdig, den Werbungtreibenden aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG auszunehmen und ihn auf den Schutz der ökonomischen Grundrechte aus Art. 12 und 14 GG zu verweisen,673 sofern er sich auf den Einsatz von Kunst für seine Zwecke beschränkt und keinerlei inhaltlichen, konzeptionellen und kreativen Einfluss auf das konkrete Projekt nimmt.674 Freilich bliebe zu klären, wo hier die Grenze verläuft, und die Gefahr des Missbrauchs des Kunsteinsatzes zur Überwindung der im Übrigen anerkannten Grenzen der unlauterkeitsrechtlichen Generalklausel bliebe ein ernsthaftes Problem. Gerade dann, wenn im Rahmen von Werbung fremde (Kunst-) Werke unter Einsatz von Parodie oder Satire eingesetzt werden, kommt man um eine Einzelfallabwägung nicht herum.675

664 BVerfG 24. 2. 1971 – 1 BvR 435/68 – BVerfGE 30, 173, 200 = GRUR 1971, 461, 466 – Mephisto; BVerfG 25. 4. 1972 – 1 BvL 13/67 – BVerfGE 33, 52, 70 = NJW 1972, 1934; BVerfG 3. 6. 1987 – 1 BvR 313/85 – BVerfGE 75, 369, 377 = NJW 1987, 2661 – Strauß-Karikatur, aus der Lit.: Maunz/Dürig/Scholz Art. 5 III Rn. 11 ff., 50. 665 BVerfG 5. 6. 1973 – 1 BvR 536/72 – BVerfGE 35, 202, 244 = NJW 1973, 1226, 1233 – Lebach; – BVerfGE 31. 10. 1984 – 1 BvR 753/83 – BVerfGE68, 226, 233 = NJW 1985, 787, 788 – Schwarze Sheriffs. 666 v. Becker GRUR 2001, 1101, 1103; Maunz/Dürig/Scholz Art. 5 III Rn. 13; Sevecke S. 155 f. 667 Jarass/Pieroth GG Art. 5 Rn. 107 m.N. 668 Lerche Werbung und Verfassung, 1967, S. 88 ff. 669 BGH 6. 7. 1995 – I ZR 239/93 BGHZ 130, 196, 202 f. = GRUR 1995, 598 – Ölverschmutzte Ente. 670 Zutreffend v. Becker – GRUR 2001, 1101, 1104 f.; vgl. auch Sevecke S. 154 ff. 671 BGH 6. 7. 1995 – I ZR 58/93 BGHZ 130, 205, 218 f. = GRUR 1995, 744, 747 – Feuer, Eis & Dynamit I; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 1.23 f.; Jarass/Pieroth7, GG, Art. 5 Rn. 112. 672 Ähnlich i.Erg. Sevecke S. 151 ff., vgl. auch Lerche Werbung und Verfassung, 1967, S. 89 ff. 673 Maunz/Dürig/Scholz Art. 5 III Rn. 35; ähnlich Jarass/Pieroth7, GG, Art. 5 Rn. 112; Sevecke S. 155 f. 674 Näher v. Becker GRUR 2001, 1101, 1105; vgl. auch Wünnenberg S. 143 f. 675 Zu den diversen Fällen, welche die Gerichte im Laufe der Jahrzehnte insofern beschäftigt haben, eingehend Franz WRP 2019, 15 ff. m. w. N.

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273 gg) Art. 10 EMRK. Nicht nur Art. 5 GG schützt die für die Meinungsbildung und Information besonders wichtigen Grundrechte. Daneben ist – auch für rein nationale Sachverhalte – Art. 10 EMRK zu beachten, der in Abs. 1 im Wesentlichen den gleichen Schutzzwecken dient und insofern selbstverständlich bei der Anwendung des § 1 UWG auch zu beachten ist. 274 So hat auch der EGMR sich in einigen Fällen mit dem Verhältnis des nationalen Unlauterkeitsrechts zu Art. 10 EMRK beschäftigt. Der Gerichtshof geht davon aus, dass auch Werbung grundsätzlich eine Form der Meinungsäußerung darstellt und daher Werbeverbote, z. B. auf der Grundlage des § 5 UWG, grundsätzlich den Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 EMRK berühren;676 diese Vorschrift erfasst also auch Äußerungen im geschäftlichen Bereich und zu Zwecken der kommerziellen Werbung.677 Jedoch kann sich die Zulässigkeit von Werbeverboten auf der Grundlage des UWG aus 275 Art. 10 Abs. 2 EMRK ergeben.678 Danach kann die Ausübung der Meinungs- und Pressefreiheit u. a. Einschränkungen unterworfen werden, „wie sie vom Gesetz vorgeschrieben und in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse … der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer … notwendig sind“. Diese Schrankenbestimmung deckt sich nicht wirklich mit Art. 5 Abs. 2 GG und kann daher unter Umständen im Zusammenhang mit § 1 UWG zu abweichenden Ergebnissen führen. Jedoch geht der Gerichtshof davon aus, dass die Ausgestaltung des § 1 UWG 1909 bzw. § 3 Abs. 1 und 2 UWG als Generalklausel mit Art. 10 Abs. 2 EMRK vereinbar ist, da gerade im Bereich des Wettbewerbs wegen der stets in Bewegung befindlichen tatsächlichen Verhältnisse am Markt und im Bereich der Kommunikation eine absolut präzise Fassung der Gesetze nicht möglich sei und die Interpretation solcher Gesetze unvermeidbar eine Frage der Praxis sei.679 Zumindest bei Vorliegen einer ständigen Rechtsprechung des zuständigen obersten Gerichtshofs (BGH) vermögen daher auch Generalklauseln „das Verhalten der wirtschaftlichen Akteure und ihrer Ratgeber in der relevanten Sphäre zu leiten“.680 Bei der Beurteilung, ob ein Verbot „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ zum 276 Schutz der erwähnten Interessen und Rechte ist, gewährt der EGMR den Institutionen der Vertragsstaaten einen Beurteilungsspielraum, sofern die innerstaatliche Maßnahme unter Berücksichtigung der tangierten Interessen verhältnismäßig erscheint.681 Dieser Beurteilungsspielraum, dessen Handhabung nicht unumstritten ist,682 ist schon deshalb notwendig, weil der EGMR andernfalls zur Superrevisionsinstanz würde.683 Er ist einerseits besonders groß, wenn es um das einem ständigen Wandel unterworfene Gebiet des unlauteren Wettbewerbs geht, und andererseits eingeschränkt, wenn eine Äußerung nicht dem rein wirtschaftlichen Raum zuzuordnen ist, sondern in erster Linie der Beteiligung an einer Diskussion von öffentlichem Interesse dient.684 676 EGMR EuGH-MR 3/1988 147/201 EuGRZ 1996, 302, 304 – markt intern; EGMR 17. 10. 2002 – 37928/97 – NJW 2003, 497, 498 – Stambuk; näher Kulms RabelsZ 99 [1999], 520, 521 ff. m.w.N.; s. a. BK/Degenhart Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 236; Sevecke S. 109. 677 EGMR 28. 3. 1990 – 14/1988/158/214 = NJW 1991, 615, 616 Tz. 54 f. – Groppera Radio AG; EGMR ÖJBl. 1994, 636, 637 Tz. 35 – Casado Coca. 678 EGMR 23. 10. 2007 – 2357/05 – GRUR-RR 2009, 175 f. – Hessman/Deutschland bzw. „Verkehrsspezialist“. 679 EGMR 26. 4. 1979 – 6538/74 – EuGRZ 1979, 386 Tz. 49 – Sunday Times; EGMR 25. 3. 1985 – 10/1983/66/101 – NJW 1985, 2885 = GRUR Int. 1985, 468, 470 Tz. 47 – Barthold (Tierärztlicher Nachtdienst II); EGMR 20. 11. 1989 – 3/ 1988/147/201 – EuGRZ 1996, 302, 304 Tz. 30 – markt intern; EGMR 17. 10. 2002 – 37928/97 – NJW 2003, 497, 498 f. – Stambuk. 680 EGMR 20. 11. 1989 – 3/1988/147/201 – EuGRZ 1996, 302, 304 Tz. 30 – markt intern. 681 EGMR 20. 11. 1989 – 3/1988/147/201 – EuGRZ 1996, 302 Tz. 33 ff. – markt intern m.w.N.; EGMR 23. 6. 1994 – 7/ 1993/402/480 = NJW 1995, 857, 858 – Jacubowski Tz. 26; EGMR – NJW 2003, 497, 498 – Stambuk. 682 Vgl. Callies EuGRZ 1996, 293, 294 ff. m. w. N. 683 Krüger GRUR 1996, 252, 253. 684 EGMR 25. 8. 1998 – 59/1997/843/1049 = GRUR Int. 1999, 156, 159 f. Tz. 47 – Hertel/Schweiz.

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Konkret wurde das Verbot von Berichten über ein Unternehmen, die teils unwahr und auch 277 ansonsten nachteilig waren bzw. ein Unternehmen ohne rechtfertigenden Anlass unnötig herabsetzten, für vom Beurteilungsspielraum gedeckt gehalten.685 Dagegen wurde es als unverhältnismäßig angesehen, wenn der Hinweis eines Freiberuflers auf einen allgemein anerkannten Missstand zugleich eine unvermeidliche Werbewirkung von untergeordneter Bedeutung mit sich bringt:686 Dies ist bei der Deutung des Tatbestandsmerkmals des Handelns zu Zwecken des Wettbewerbs zu berücksichtigen.687 Auch das wettbewerbsrechtliche Verbot von wissenschaftlichen Äußerungen über die Schädlichkeit von Mikrowellengeräten im Zusammenhang mit der Nahrungsherstellung ist nicht unentbehrlich i.S.v. Art. 10 Abs. 2 EMRK;688 ebenso wenig stark restriktive berufsrechtliche Werbeverbote, die sogar eine ausgewogene Berichterstattung mit patienteninformierendem Charakter unter Hinzufügung eines Fotos für unzulässig halten.689 Für den von § 1 UWG gewährleisteten Schutz von Verbraucherinteressen hat Art. 10 EMRK 278 bislang noch keine besondere Bedeutung erlangt; immerhin hat das OLG Karlsruhe die Vorschrift im Zusammenhang mit irreführender Werbung einmal berücksichtigt, aber nicht für durch ein Verbot verletzt gehalten, da der Schutz vor irreführenden Angaben einem dringenden sozialen Bedürfnis i.S.v. Art. 10 Abs. 2 EMRK diene und die Angabe in erster Linie zu Werbezwecken erfolge.690 Der EGMR sieht auch berufsrechtliche Werbeverbote als zulässig an, wenn bzw. weil sie Irreführungen des Publikums verhindern sollen,691 also dem Verbraucherschutz dienen. Ferner kann Art. 10 EMRK, der nur im Rang eines einfachen Gesetzes steht,692 wie Art. 5 Abs. 1 GG insbesondere für den Bereich der Imagewerbung von Bedeutung sein. Im Übrigen ist Art. 10 EMRK aber auch von Bedeutung für das Unionsrecht: Soweit es im 279 Rahmen der Art. 34, 56 AEUV um die Frage geht, ob eine die Warenverkehrs- bzw. Dienstleistungsfreiheit beschränkende Maßnahme durch zwingende Erfordernisse gerechtfertigt ist, ist die Rechtfertigung im Licht der allgemeinen Rechtsgrundsätze und damit auch der Grundrechte auszulegen, zu denen auch die Grundrechte des Art. 10 EMRK zählen.693

hh) Kommunikationsgrundrechte des Art. 11 EU-Grundrechtecharta. Die Entwicklung ist 280 mit der EMRK für das institutionalisierte Europa nicht abgeschlossen. Auf der Grundlage des Art. 10 EMRK ist ein Art. 11 der EU-Grundrechtecharta entstanden. Dessen Abs. 1 ist wörtlich von Art. 10 Abs. 1 S. 1 und S. 2 EMRK übernommen worden. Nach Art. 52 Abs. 3 EU-Grundrechtecharta hat dieses Recht die gleiche Bedeutung und Tragweite wie die durch die EMRK garantierte Meinungs- und Informationsfreiheit. Einen besonderen Fortschritt gegenüber Art. 10 EMRK stellt Art. 11 EU-Grundrechtecharta allenfalls insofern dar, als die neue Norm in ihrem Absatz 2 auch ein Mediengrundrecht enthält, das die Freiheit der Medien und ihre Pluralität garantiert.694 Die gemäß Art. 6 EUV verbindliche Charta der Grundrechte hat für die Anwendung des 281 UWG allenfalls geringe Bedeutung. Denn die Bestimmungen der Charta finden unter Einhaltung 685 EGMR 20. 11. 1989 – 3/1988/147/201 – EuGRZ 1996, 302 Tz. 36 – markt intern; EGMR 23. 6. 1994 – 7/1993/402/ 480 = NJW 1995, 857, 858 – Jacubowski Tz. 25 ff.; näher GK-UWG/Schricker1 Einl. F Rn. 412 ff. 686 EGMR 25. 3. 1985 – 10/1983/66/101 = GRUR Int. 1985, 468, 471 Tz. 58 – Barthold. 687 EGMR 25. 3. 1985 – 10/1983/66/101 = GRUR Int. 1985, 468, 471 Tz. 58 – Barthold; Ring GRUR Int. 1986, 103, 108; vgl. auch OLG Hamburg 17. 12. 1992 – 3 U 64/92 – WRP 1993, 498, 501 – Werbewirksamer Zeitungsartikel. 688 EGMR 25. 8. 1998 – 59/1997/843/1049 = GRUR Int. 1999, 156, 160 Tz. 48 ff. – Hertel/Schweiz. 689 EGMR 17. 10. 2002 – 37928/97 – NJW 2003, 497, 499 – Stambuk. 690 OLG Karlsruhe 21. 6. 1990 – 4 U 217/88 – NJW 1990, 3093, 3096. 691 EGMR 23. 10. 2007 – 2357/05 – GRUR-RR 2009, 175 f. – Hessman/Deutschland bzw. „Verkehrsspezialist“. 692 GK-UWG/Schricker1 Einl. F Rn. 412 ff. m. w. N. 693 EuGH 26. 6. 1997 – C-368/95 Slg. 1991 I-2925 Tz. 43 f. = EuZW 1991, 507 – ERT; EuGH Slg. 1997 I-3689 Tz. 24 f. = GRUR Int. 1997, 829, 831 – Familiapress/Laura. 694 Zur Entstehungsgeschichte eingehend Stock K&R 2001, 289, 297 ff.

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des Subsidiaritätsprinzips in erster Linie auf die Tätigkeit der Organe und Einrichtungen der EU Anwendung; für die Mitgliedstaaten gelten sie ausschließlich bei der Durchführung des EURechts (Art. 51 Abs. 1 S. 1 EU-Grundrechtecharta). Insofern sind also die Informationsgrundrechte auch bei der Schaffung eines einheitlichen europäischen Wettbewerbsrechts und seiner Umsetzung bzw. Anwendung in den Mitgliedstaaten zu beachten. Darüber hinaus könnte der EuGH zwar der EU-Grundrechtecharta bei der Rechtskontrolle der Gemeinschaftsorgane sowie der Mitgliedstaaten und der Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechts zusätzliche Bedeutung beimessen, wie es im Diskriminierungsrecht bereits geschehen ist,695 doch dürfte die Kontrolldichte im Verbraucherschutz bereits so hoch sein, dass dafür wenig Anlass besteht. Bei der Anwendung und Auslegung der Normen, die – wie das UWG im Bereich des Verbraucherschutzes – der Umsetzung von EU-Richtlinien dienen, sind nach Art. 51 Abs. 1 S. 2 EU-Grundrechtecharta die in dieser niedergelegten Grundsätze und damit auch die dortigen Grundrechte vorrangig anzuwenden, insbesondere also Art. 11 Abs. 1 und 2 EU-Grundrechtecharta.696

282 d) Berufs- bzw. Handlungsfreiheit, Art. 12 bzw. 2 Abs. 1 GG. Werbeverbote auf der Grundlage des UWG – heute häufig in Fällen des § 3a UWG in Verbindung mit Spezialnormen697 – können auch die von Art. 12 GG geschützte Berufs(ausübungs)freiheit tangieren.698 Denn Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG schützt die wirtschaftliche und berufliche Betätigung und damit auch die Werbung. Das UWG enthält im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG zulässige Beschränkungen der Berufsausübungsfreiheit; auch die konkretisierungsbedürftigen Generalklauseln des § 3 Abs. 1 und 2 UWG sind insofern unbedenklich.699 Allerdings sind Beschränkungen der Berufsausübungsfreiheit – wie schon bei Art. 5 GG – wiederum ihrerseits im Lichte des Art.12 GG auszulegen.700 Ein Verbot von Wettbewerbshandlungen auf der Grundlage des UWG ist daher nur dann zulässig, wenn es durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist, die gewählten Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich sind und die durch sie bewirkte Beschränkung für den Betroffenen zumutbar ist.701Die Berufsfreiheit schützt auch die berufliche Außendarstellung einschließlich der Werbung für die eigene Tätigkeit702 und die Entgegennahme von Werbung für andere Beschäftigungsmöglichkeiten.703 Ge-

695 S. insbes. EuGH 22. 11. 2005 – C-144/04, EuGH Slg. 2005, I-9981 = EuZW 2006, 17 Tz. 74 ff. – Mangold; Herdegen Europarecht, 15. Aufl. 2013, § 8 Rn. 24 ff., 31 ff. m. w. N., Ansätze hierzu bereits in EuGH 6. 12. 2001 – C-353/99 P – Slg. 2001 I-9565 Tz. 80 ff. 696 BGH 19. 5. 2011 – I ZR 147/09 – GRUR 2012, Tz. 19 – Coaching-Newsletter; BGH 31. 3. 2016 – I ZR 160/14 – GRUR 2016, 710 Tz. 45 – Im Immobiliensumpf; KG 8. 1. 2019 – 5 U 83/18 – WRP 2019, 339 Tz. 47 ff. – #vrenifrost. 697 Vgl. etwa §§ 7 HWG und 78 Abs. 2 AMG BGH 29. 11. 2018 – I ZR 237/16 – GRUR 2019, 203 Tz. 14 ff., (zu Art. 12 GG:) Tz. 42 ff. m. w. N. – Versandapotheke. 698 Dazu etwa BVerfG 8. 2. 1972 – 1 BvR 170/71 – BVerfGE 32, 311, 317 = NJW 1972, 573; BVerfG 8. 11. 1983 – 1 BvL 8/81 – BVerfGE 65, 237, 247 = NVwZ 1984, 365; BVerfG 13. 7. 1992 – 1 BvR 310/90 – GRUR 1993, 751 – GroßmarktWerbung I; BVerfG 13. 7. 1992 – 1 BvR 238/92 – GRUR 1993, 754 – Großmarkt-Werbung II; BVerfG 7. 8. 2000 – 1 BvR 254/99 – NZS 2000, 548, 550. 699 BVerfG 8. 2. 1972 – 1 BvR 170/71 – BVerfGE 32, 311, 316 f. = GRUR 1972, 358, 360 – Grabsteinwerbung; BVerfG 13. 7. 1992 – 1 BvR 310/90 – GRUR 1993, 751 – Großmarkt-Werbung I; BVerfG 13. 7. 1992 – 1 BvR 238/92 – GRUR 1993, 754 – Großmarkt-Werbung II; Jarass/Pieroth7, GG, Art. 12 Rn. 15. 700 BVerfG 4. 6. 1998 – 1 BvR 2652/95 – GRUR 1999, 247, 249 – Metro. 701 BVerfGE 15. 12. 1987 – 1 BvR 563/85 – BVerfGE 77, 308, 322 = NJW 1988, 1899, 1900 – Bezahlter Bildungsurlaub; BVerfG 4. 6. 1998 – 1 BvR 2652/95 – GRUR 1999, 247, 249 – Metro. 702 BVerfG 11. 2. 1992 – 1 BvR 153 1/90 – BVerfGE 85, 248, 256 = GRUR 1992, 866, 868 – Ärztliches Werbeverbot/ Hackethal; BVerfG 22. 5. 1996 – u. a. 1 BvR 744/88 – BVerfGE 94, 372, 389 = GRUR 1996, 899, 902 – Werbeverbot für Apotheker; BVerfG 17. 4. 2000 – 1 BvR 721/99 – WRP 2000, 720, 721 – Sponsoring; BVerfG 25. 4. 2001 – 1 BvR 494/ 00 – NJW 2001, 1926, 1927; BGH 24. 6. 2004 – I ZR 26/02 – GRUR 2004, 877, 879 f. – Werbeblocker m. Anm. Fritzsche LMK 2004, 192; s. a. Jarass/Pieroth7, GG, Art. 12 Rn. 15. 703 Vgl. BGH 4. 3. 2004 – I ZR 221/01 – BGHZ 158, 174 = GRUR 2004, 696, 698 – Direktansprache am Arbeitsplatz.

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setzliche Beschränkungen der Werbemöglichkeiten sind ihrerseits im Lichte der Berufsfreiheit auszulegen.704 Im Anwendungsbereich des Art. 12 Abs. 1 GG ist es in den vergangenen Jahren zumindest 283 zu einer größeren Sensibilisierung für die Grundrechtsrelevanz gekommen, vielleicht sogar zu einer Verschärfung der Anforderungen an die Begründung von Unterlassungsgeboten. Das betrifft vor allem die früher verbreiteten berufs- und standesrechtlichen Werbeverbote, deren Behandlung durch die zuständigen Fachgerichte das BVerfG einer zunehmend705 kritischen Überprüfung unterzogen hat.706 Für den hier interessierenden Bereich des Verbraucherschutzes hat dies insofern Bedeutung, als die Berufsausübungsfreiheit des Werbenden im Rahmen der bei der Anwendung von § 3 Abs. 1 und Abs. 2 UWG notwendigen Abwägung aller betroffenen Interessen ebenfalls angemessen zu berücksichtigen ist. Insofern spielen für den Umfang, der der Berufsausübungsfreiheit zukommt, auch die Interessen Dritter eine Rolle. Somit sind auch die Interessen von Verbrauchern von Bedeutung, die sich als lästig empfundener Werbung entziehen wollen707 oder die Interessen sonstiger Marktteilnehmer, deren Betriebsabläufe etwa durch unerwünschte Telefonwerbung für Waren und Dienstleistungen eine Störung erleiden, was ihre Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 GG ins Spiel bringt.708 Zielt die Telefonwerbung auf Abwerbung von Mitarbeitern, spielen auch deren Grundrechte eine Rolle und können sogar bis zu einem gewissen Grad in Widerstreit geraten, da der Verbraucher auch als Arbeitnehmer einerseits ein gewisses „Recht, in Ruhe gelassen zu werden,“ hat, andererseits aber auch an Jobangeboten interessiert sein mag, die ihn auf anderem Wege nicht erreichen können.709 Außerdem ist die Werbung von Ärzten und anderen Freiberuflern grundsätzlich in jedem Medium zulässig, soweit sie sich im Rahmen des Sachlichen hält. Dies gilt insbesondere für die Werbung im Internet, weil es sich dabei um ein passives Medium handelt, das sich den Patienten nicht aufdrängt, sondern von diesen erst aktiv abgerufen werden muss.710 Darüber hinaus kommt es in erster Linie auf den Inhalt einer Werbung an und nicht auf das Medium, über das sie betrieben wird, so dass z. B. auch Apotheken mit Sportlern oder Zahnarzt-GmbHs in Automobilzeitschriften werben dürfen.711

704 BVerfG 17. 4. 2000 – 1 BvR 721/99 – WRP 2000, 720, 721 = NJW 2000, 3195, 3196 – Sponsoring. 705 Vgl. aus der früheren Rechtsprechungslinie etwa BVerfG 19. 11. 1985 – 1 BvR 934/82 – BVerfGE 71, 162, 174 (Ärzte); BVerfG 3. 1. 1980 – 2 BvR 1022/79 – BVerfGE 53, 96, 98 (Apotheker); BVerfG 20. 4. 1982 – 1 BvR 522/78 – BVerfGE 60, 215, 231 ff. (Steuerberater); BVerfG 13. 5. 1981 – 1 BvR 610/77 – BVerfGE 57, 121, 133 (Rechtsanwälte). Zur Entwicklung der verfassungsgerichtlichen Kontrolle ärztlicher Werbeverbote eingehend Balzer Standesrechtliche Werbenachteile für Ärzte – ein ungerechter Anachronismus? Aktuelle Rechtsprobleme aus dem Arzt- und Klinikwerberecht, Diss. Regensburg 2002, S. 44 ff. m. zahlr. Nachw.; s. a. Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl. 2018, Art. 12 Rn. 54. 706 BVerfG 17. 2. 1992 – 1 BvR 899/90 – NJW 1992, 1613 f. zur Teilnahme am Anwaltsuchservice; BVerfG 18. 10. 2001 – 1 BvR 881/00 – WRP 2001, 1437, 1439 ff. – Zahnarztsuchservice; BVerfG 26. 8. 2003 – 1 BvR 1003/02 – Implantologie; BVerfG 26. 9. 2003 – 1 BvR 1608/02 – GRUR 2004, 68, 69 f. – Werbung einer Zahnarzt-GmbH. Dazu auch Jarass/Pieroth7 GG, Art. 12 Rn. 55. 707 Vgl. KG 24. 7. 2001 – 5 U 1112/00 – MMR 2002, 483, 485 – Fernsehfee; OLG Frankfurt 23. 9. 1999 – 6 U 74/99 – NJW 2000, 2029, 2030 – Fernsehfee m. Anm. Dörr JuS 2001, 192; s. a. BGH 24. 6. 2004 – I ZR 26/02 – GRUR 2004, 877, 880 – Werbeblocker m. Anm. Fritzsche LMK 2004, 192. 708 Vgl. BGH 4. 3. 2004 – I ZR 221/01 – BGHZ 158, 174 = GRUR 2004, 696, 698 – Direktansprache am Arbeitsplatz; Köhler FS Koppensteiner, 431, 439 f. 709 Vgl. OLG Frankfurt 9. 8. 2018 – 6 U 51/18 – GRUR-RR 2019, 65 Tz. 9 ff. m. w. N. – Kontaktversuch über Privathandy; s. auch Klein/Insam GRUR 2006, 379, 381 f. 710 Vgl. BVerfG 17. 7. 2003 – 1 BvR 2115/02 – WRP 2003, 1099, 1101 – Klinikwerbung im Internet; BVerfG 26. 8. 2003 – 1 BvR 1003/02 – GRUR 2003, 966, 967 – Internetwerbung von Zahnärzten; BGH 9. 10. 2003 – I ZR 167/01 = GRUR 2004, 166, 167 – Arztwerbung im Internet; OLG München 20. 12. 2001 – 29 U 4592/01 – NJW 2002, 760, 761; LG Berlin 24. 4. 2001 – 15 O 391/00 – BB 2001, 1434, 1435 f. = NJW-RR 2001, 1643; AG Stuttgart 4. 6. 2002 – 1 C 2871/02 – NJW 2002, 2572; Steinbeck NJW 2003, 1481, 1482 f. 711 BVerfG 22. 5. 1996 – 1 BvR 744/88 – BVerfGE 94, 372, 393 = GRUR 1996, 899 – Werbeverbot für Apotheker; BVerfG 26. 9. 2003 – 1 BvR 1608/02 – GRUR 2004, 68, 70 – Werbung einer Zahnarzt-GmbH.

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Inwieweit neben Art. 12 GG auch noch Art. 2 Abs. 1 GG als Grundnorm für die grundsätzliche Freiheit wirtschaftlicher Betätigung heranzuziehen ist und seinerseits wieder durch allgemeine Gesetze wie das UWG bzw. die Rechte anderer beschränkt wird712 kann dahinstehen. Im Regelfall dürfte Art. 12 GG im Bereich des Unlauterkeitsrechts den Vorrang haben.713

285 e) Werbung und Religionsfreiheit, Art. 4 GG. Werbeverbote auf der Grundlage des § 3 Abs. 1 und 2 UWG müssen schließlich auch die in Art. 4 GG verbürgte Religions- und Weltanschauungsfreiheit beachten. Handelt ein Wettbewerber in Ausübung seiner Religion, indem er etwa von der Kanzel für eine Sammlung zu religiösen Zwecken wirbt, ist die Ausstrahlungswirkung des Art. 4 GG bei der Beurteilung der Unlauterkeit der Handlung zu berücksichtigen.714 Darüber hinaus ist Art. 4 GG im Zusammenhang mit den eher seltenen Fällen der Verwendung religiöser Motive zu Werbezwecken in die Diskussion gebracht worden. Dabei halten Teile der Literatur eine „Trivialisierung“ der Religion und des religiösen Empfindens für eine Beeinträchtigung der Religionsfreiheit, die Vorrang vor der Meinungsfreiheit des werbenden Unternehmens haben soll.715 Selbst wenn man dies akzeptieren will, stellt sich doch die Frage, inwieweit es angesichts von § 1 UWG Aufgabe des Unlauterkeitsrechts ist, solche weltanschaulichen Fragen zu regeln.

286 f ) Schutz von Interessen der Adressaten geschäftlicher Handlungen. Die Grundrechte erlangen im Rahmen der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung schließlich auch Bedeutung für den Schutz berechtigter Belange der Werbeadressaten.716 So hat der BGH mehrfach auf die Grundrechte der Werbeadressaten als für die im Rahmen des Unlauterkeitsurteils zu berücksichtigende Kategorie hingewiesen. Der Schutz der Privatsphäre erlangt insbesondere gegenüber belästigenden Werbeformen Bedeutung,717 so namentlich bei der Telefonwerbung oder der unzulässigen Ausspähung von (potentiellen) Werbeadressaten.718 Generell können die Kommunikationsgrundrechte ihre Grenze in Persönlichkeitsrechten anderer Personen finden.719 Das Interesse der Adressatenseite auf Achtung ihrer (Berufs- bzw. Unternehmens- oder insbesondere ) Privatsphäre gegen eindringende geschäftliche Handlungen ist grundrechtlich durch Art. 2 Abs. 1, 5 Abs. 1, 12, 14 GG, durch Art. 7, 11 Abs. 1, 15–17 EU-GrCharta und Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützt.720 Wiederum bedarf es aber einer Abwägung mit den Grundrechten der Unternehmen, welche die unerwünschten geschäftlichen Handlungen, hier insbesondere Telefon- und E-Mail-Werbung, vornehmen, also mit Art. 5, 12 GG, Art. 11 Abs. 1, 15, 16 EU-GrCharta und Art. 10 EMRK.721 Vieles wird hier – insbesondere im Bereich von § 7 UWG – inzwischen durch das Datenschutzrecht, insbesondere die DSG-VO überlagert, die den Konflikt zwischen Art. 12 GG auf Seiten datenverarbeitender Stellen und dem Persönlichkeitsrecht des Einzelnen einfachrechtlich überformt.722 712 713 714 715 716 717 718 719

Dazu bereits Nordemann GRUR 1975, 625, 628 f. sowie Rn. 130. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 1.26 m.N. BVerfG 16. 10. 1968 – 1 BvR 241/66 – BVerfGE 24, 236, 251 = GRUR 1969, 137, 140 – Aktion Rumpelkammer. Wünnenberg S. 121 ff., 147 ff. Statt aller BK/Degenhart, Art. 5 I, II Rn. 358. Vgl. näher Rn. 140 ff. Vgl. BGH 14. 5. 1992 – I ZR 204/90 – GRUR 1992, 622, 623 f. – Verdeckte Laienwerbung. Vgl. zur Rundfunkfreiheit etwa BVerfG 24. 1. 2001 – 1 BvR 2623/95 – BVerfGE 103, 44 = NJW 2001, 1632, 1636 f. m. w. N. 720 BGH 10. 7. 2018 – VI ZR 225/17 – GRUR 2018, 1178 Tz. 22 – Kundenzufriedenheitsbefragung; Meyer WRP 2017, 501 Rn. 26 ff. m. w. N. 721 Meyer WRP 2017, 501 Rn. 28 ff. m. w. N. 722 Zur Frage, ob Datenschutzverstöße zugleich als unlauter anzusehen sind, etwa Schmitt WRP 2017, 27 ff., dort Rn. 7 auch zum verfassungsrechtlichen Hintergrund; dazu ferner etwa Lorenz K&R 2019, 1, 6 m. w. N.

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aa) Verbraucherpersönlichkeitsrecht. Daraus versucht man zum Teil, ein „Verbraucherper- 287 sönlichkeitsrecht“ zu konstruieren, das als Ausfluss des allgemeinen Selbstbestimmungsrechts den Verbraucher vor unerwünschter Werbung schützt.723 Freilich erscheint es grundrechtsdogmatisch zweifelhaft, ob sich ein solches Recht auf ein „von-Werbung-in-Ruhe-gelassen-zu-werden“ konstruieren lässt, soweit kein konkret-individueller Eingriff in die Privat- oder gar Intimsphäre vorliegt.724 Dabei kann man auch die Wertungen weiterer Grundrechte heranziehen, namentlich die Art. 10 und 13 GG, soweit es um den Schutz der Privatsphäre etwa gegenüber Brief- und Telefonwerbung geht.725 Nimmt man aber die Achtung der Privatsphäre hinzu, so lässt sich darüber durchaus ein Recht darauf, von Werbung generell oder in speziellen Situationen verschont zu bleiben, konstruieren.726 Es handelt sich dabei um eine spezielle Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das im allgemeinen Deliktsrecht – neben den Grundrechtspositionen Eigentum und berechtigter Besitz bzw. Recht am Gewerbebetrieb727 – eine Abwehr von unerwünschter Werbung analog § 1004 Abs. 1 BGB ermöglicht.728 Ein anderer Ansatz geht dahin, den §§ 1 und 3 UWG die Aufgabe einer Gewährleistung materieller Vertragsfreiheit in Abweichung von der formalen Privatautonomie im Vorfeld des Vertragsschlusses, also bei der Vertragsanbahnung, zu gewährleisten.729 Verfassungsrechtlich ist dann ein Bezug zu Art. 2 Abs. 1 GG hergestellt.730

bb) Negative Informationsfreiheit und UWG. Auch die („negative“) Informationsfreiheit 288 kann zur Rechtfertigung von Werbeverboten über die §§ 3 Abs. 1 und 2 und vor allem § 7 Abs. 1 UWG herangezogen werden. Denn sie bezieht sich auch auf die Entgegennahme von Informationen, zu der niemand gezwungen werden darf.731 Diese negative Informationsfreiheit kann im Rahmen des § 1 UWG für den Verbraucherschutz Bedeutung erlangen: Wenn auch Werbung dem Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit unterliegt, kann man den Schutz vor unerwünschter Werbung unter dem Gesichtspunkt wettbewerbswidriger Belästigung nicht nur über den Schutz der Privatsphäre nach Art. 2 Abs. 1 GG begründen,732 sondern auch über Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG.733 Dieser Aspekt muss bei der Funktionalisierung des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG insgesamt über die zivilrechtlichen Generalklauseln im Verhältnis der Bürger untereinander734 Berücksichtigung finden. Dabei geht es nicht darum, den einzelnen Werbeadressaten vor der Allgegenwart von Werbung zu schützen, der er als Passant oder bei der Nutzung der Medien ausgesetzt ist, sondern primär um den Schutz vor gezielter, individueller Werbung.735 Die negative Informationsfreiheit lässt sich also insbesondere im Zusammenhang 723 Wünnenberg S. 125 ff., insbesondere zum Schutz vor der Benetton-Werbung, vgl. S. 132 ff., unter Hinweis auf ähnliche Äußerungen Henning-Bodewig WRP 1992, 533, 538 f.; s. a. dies. GRUR 1993, 950, 952 f. 724 Vgl. Grigoleit/Kersten DVBl. 1996, 596, 604 f.; Sevecke S. 145 ff.; Zabel S. 184. 725 Grigoleit/Kersten DVBl. 1996, 596, 604 f. 726 Zum Belästigungsverbot des § 7 UWG s. BGH 22. 4. 2010 – I ZR 29/09 – GRUR 2010, 1113 Tz. 15 – Grabmalwerbung; BGH 3. 3. 2011 – I ZR 167/09 – GRUR 2011, 747 Tz. 17 – Kreditkartenübersendung. 727 Vgl. näher die Kommentierungen zu § 7 UWG. Ferner BGH 20. 5. 2009 – I ZR 218/07 – GRUR 2009, 980 Tz. 10 ff. m. w. N. – E-Mail-Werbung II. 728 Vgl. näher die Kommentierungen zu § 7 UWG. Ferner BGH 11. 3. 2004 – I ZR 81/01 – GRUR 2004, 517 – E-MailWerbung I. 729 Drexl in Schricker Neuordnung, S. 163, 169 f. 730 Drexl aaO. S. 170 f.; vgl. auch Nordemann Rn. 130 sowie ders. GRUR 1975, 625, 628 f. 731 BK/Degenhart Art. 5 Abs. 1 u. 2 Rn. 270; Fenchel S. 137 ff.; Jarass/Pieroth7 GG, Art. 5 Rn. 17, 21; Maunz/Dürig/ Grabenwarter GG Art. 5 Abs. I, II Rn. 1018 f.; Sachs/Bethge GG, 8. Aufl. 2018, Art. 5 Rn. 53, 57a; vgl. auch Fikentscher/ Möllers NJW 1998, 1337, 1340 f. m. w. N. 732 Vgl. auch OLG Frankfurt 23. 9. 1999 – 6 U 74/99 – GRUR 2000, 152, 154 – TV-Werbeblocker. 733 Ebenso Köhler FS Koppensteiner, S. 431, 438 f. 734 Dazu Flitsch S. 100 ff. m. w. N.; vgl. auch Apel FS Hertin, 337, 352 ff.; BK/Degenhart Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 358. 735 Vgl. BK/Degenhart Art. 5 Rn. 358; Jarass/Pieroth7, GG, Art. 5 Rn. 21.

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mit der sog. belästigenden Werbung instrumentalisieren736 und ermöglicht eine Begründung dafür, warum es einen Schutz vor unzumutbaren, weil aufgedrängten Belästigungen (§ 7 Abs. 1 UWG) durch Wettbewerbsmaßnahmen geben kann und muss.737 Dies ist zugleich bei der Beurteilung von Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit durch das UWG im Rahmen der Wechselwirkungstheorie zu bedenken, für die es etwa eine Rolle spielen kann, ob sich jemand im öffentlichen Verkehrsraum bewegt und es um dort übliche Informationsangebote geht.738 Das „Recht, in Ruhe gelassen zu werden“, wird durch die Digitalisierung der Wirtschaft immer bedeutsamer; auch der Einsatz von künstlicher Intelligenz, um Verbraucher zu beeinflussen, kann mit §§ 4a und 7 UWG kollidieren.739 Der Schutz der Verbraucher in ihrer Privatsphäre, der durch § 7 UWG gewährleistet werden soll, wird erst dadurch wirklich effizient, dass der BGH in mittlerweile ständiger Rechtsprechung die Wertung des § 7 UWG als gesetzgeberische Entscheidung bei der Anwendung der §§ 823 Abs. 1, 1004 (analog) BGB überträgt,740 damit die Verbraucher diesen Schutz selbst in die Hände nehmen können. Mittlerweile ist auch anerkannt, dass dies durch Art. 13 DS-RL EK 2002/58/EG geboten ist.741 Aber auch im Rahmen von § 4 Nr. 4 UWG kann es eine Rolle spielen, ob eine geschäftliche Handlung, die den Mitbewerber in seinen wettbewerblichen Entfaltungsmöglichkeiten beeinträchtigt, dem Interesse der Internetnutzer (Verbraucher) dient, von aufgedrängter Werbung verschont zu bleiben.742

7. Tatsächliche Gewährleistung des Verbraucherschutzes 289 Die tatsächliche Gewährleistung des in § 1 Satz 1 UWG zum Gesetzeszweck erklärten Verbraucherschutzes erfolgt durch die zivilrechtlichen Ansprüche nach den §§ 8 ff. UWG. Der Verbraucher selbst ist dabei bis heute – trotz einer langjährigen rechtspolitischen Diskussion – selbst nach den §§ 8 Abs. 3, 9 S. 1 und 10 Abs. 1 UWG nicht anspruchsberechtigt, sondern wird lediglich durch eine Anspruchsberechtigung Dritter mit geschützt. Für die Verbraucherinnen und Verbraucher sind Verbraucherverbände als qualifizierte Einrichtungen i.S.v. § 4 UKlaG nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG anspruchsberechtigt, d. h. der Verbraucherschutz erfolgt nicht über eine individuelle, sondern nur über eine kollektive Anspruchsberechtigung. Ferner können die anderen Anspruchsberechtigten des § 8 Abs. 3 UWG den Schutz der Verbraucherinteressen mitverfolgen, soweit ihre eigene Anspruchsberechtigung dies erlaubt. Diese Anspruchsberechtigung ist abschließend, und sie kann deshalb auch nicht dadurch unterlaufen werden, dass man die Tatbestände der §§ 3 bis 7 UWG als Schutzgesetze i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Verbraucher ansieht.743 Dem stehen die Systematik des UWG und der erklärte Wille des Gesetzgebers entgegen; anders verhält es sich, wie der Gesetzgeber zum UWG 2004 klargestellt hat, bei den Straftatbeständen der §§ 16 bis 19 UWG.744 Ein Verbraucherindividualrecht ist dem UWG somit weiterhin fremd. Dies wird sich allerdings bis Ende 2021 ändern müssen, weil Art. 11a UGPRL die Mitgliedstaaten seit dem 7. 1. 2020 dazu verpflichtet, für Verbraucher, die durch unlautere Geschäftspraktiken „geschädigt“ worden sind, „Rechtsbehelfe“ vorzusehen, um die erlittenen 736 Ebenso Köhler FS Koppensteiner, S. 431, 438 f.; s. a. unten Rn. 463 ff. 737 Vgl. BK/Degenhart Art. 5 Rn. 358 und Jarass a. a. O. zur E-Mail-Werbung; dazu auch BGH 11. 3. 2004 – I ZR 81/ 01 – GRUR 2004, 517, 518 f. – E-Mail-Werbung I. 738 BK/Degenhart Art. 5 Rn. 358. 739 Vgl. Lorenz K&R 2019, 1 ff., 6 f. 740 S. m. w. N. nur BGH 14. 3. 2017 – VI ZR 721/15 – BGHZ 214, 204 = GRUR 2017, 748 Tz. 17 – Robinson Liste; BGH 10. 7. 2018 – VI ZR 225/17 – GRUR 2018, 1178 Tz. 23 – Kundenzufriedenheitsbefragung. 741 BGH 10. 7. 2018 – VI ZR 225/17 – GRUR 2018, 1178 Tz. 16 m. w. N. – Kundenzufriedenheitsbefragung. 742 S. BGH 19. 4. 2018 – I ZR 154/16 – BGHZ 218, 236 = GRUR 2018, 1251 Tz. 37 – Werbeblocker II, dazu Fritzsche/ Barth WRP 2018, 1405. 743 H.M., Köhler/Bornkamm/Feddersen § 1 Rn. 39 m. w. N. 744 Vgl. Begr. zum RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 22 f.

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Nachteile auszugleichen (Rn. 292). Im Übrigen haben die Verbraucher/innen schon seit jeder die Möglichkeit, sich mit den Ansprüchen des BGB gegen die Folgen unlauteren Wettbewerbs zu wehren, soweit sie individuell betroffen sind; gegen Irreführungen und aggressive Beeinflussungen kommen neben den Anfechtungsrechten der §§ 119 ff. BGB auch Ersatzansprüche aus c.i.c. (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB) und ggf. aus § 826 BGB in Betracht, während Belästigungen über das allgemeine Persönlichkeitsrecht und Ansprüche aus § 1004 Abs. 1 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB in Betracht kommen; in bestehenden Schuldverhältnissen, insbesondere Vertragsbeziehungen, können unlautere geschäftliche Handlungen unter Umständen ebenfalls Ersatzansprüche nach § 280 Abs. 1 BGB auslösen oder Gewährleistungsrechte begründen, wie insbesondere § 434 Abs. 1 S. 3 BGB zeigt.745 Davon unabhängig wird im deutschen Schrifttum in den letzten Jahren diskutiert, ob zu- 290 mindest bei unerbetener Telefonwerbung i.S.v. § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG eine individuelle Anspruchsberechtigung von Verbraucherinnen und Verbrauchern denkbar oder gar im Wege der richtlinienkonformen Auslegung erforderlich ist.746 Das kann für das UWG letztlich dahinstehen, da sich eine Anspruchsberechtigung der Verbraucher insofern jedenfalls aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. dem Schutzgesetz des § 20 Abs. 1 UWG ergibt; dass diese Anspruchsberechtigung durch Art. 13 DS-RL EK 2002/58/EG geboten ist, entspricht in Deutschland mittlerweile der h.M.747 Eine weitergehende Anspruchsberechtigung von Verbraucherinnen und Verbrauchern auch in sonstigen Fällen der Belästigung i.S.v. § 7 UWG wird ebenfalls in Erwägung gezogen,748 doch besteht dafür wiederum neben den Möglichkeiten, die das BGB über Ansprüche wegen Verletzung von Persönlichkeitsrechten bzw. des Rechts am Gewerbebetrieb gibt, keine Notwendigkeit.749 Soweit das Unionsrecht eine individuelle Anspruchsberechtigung gebietet, gilt dies nur allgemein für die nationale Rechtsordnung insgesamt und zwingt nicht dazu, Verbrauchern (und sonstigen Marktteilnehmern) auch im UWG und im UKlaG Ansprüche einzuräumen. Das gilt auch für die Anspruchsberechtigung nach Art. 11a UGPRL-Entwurf, den die Europäische Kommission im Rahmen ihrer Richtlinienvorschläge zu einem „New Deal for Consumers“ plant.750 In Fällen einer Beeinträchtigung seiner Entscheidungsgrundlagen und Entscheidungsfrei- 291 heit (§§ 3 Abs. 2, 4a–5a UWG und UWG-Anhang) ist der Verbraucher selbst ebenfalls auf die Ansprüche angewiesen, die ihm nach dem bürgerlichen Recht zustehen und die aufgrund ihrer großen Bandbreite einen hinreichenden Schutz gewährleisten.751 Gerade das Vertragsrecht stellt mit Anfechtungs- und Widerrufsrechten (§§ 119 ff., 312 ff. BGB), Ansprüchen wegen der Verletzung vorvertraglicher Rücksichtnahmepflichten (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB) und diversen Gewährleistungsrechten (vgl. etwa §§ 437, 634 BGB) individuelle Schutzinstrumente für Fälle zur Verfügung, in denen die Entscheidungsfähigkeit des Verbrauchers in unlauterer Weise beeinträchtigt worden ist,752 sodass das UWG sich auf einen kollektiven Interessenschutz der Verbrau745 Zu alldem statt aller Scherer GRUR 2019, 361 ff. 746 Köhler GRUR 2012, 1073, 1078 ff. sowie WRP 2013, 403, 410; ablehnend OLG Köln 7. 12. 2012 – 6 U 69/12 – WRP 2013, 659, 660 f. – Hausnotruf. 747 BGH 10. 7. 2018 – VI ZR 225/17 – GRUR 2018, 1178 Tz. 16 m. w. N. – Kundenzufriedenheitsbefragung. 748 Dafür Köhler GRUR 2012, 1073, 1080 ff. sowie WRP 2013, 403, 410. 749 Vgl. BGH 14. 3. 2017 – VI ZR 721/15 – BGHZ 214, 204 = GRUR 2017, 748 Tz. 14 ff., 17 – Robinson Liste; Gloy/ Loschelder/Danckwerts/Fritzsche § 79 Rn. 164. 750 Mitteilung Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, Neugestaltung der Rahmenbedingungen für die Verbraucher, COM(2018) 183 final; dazu etwa Dröge WRP 2019, 160. 751 BGH 20. 5. 2009 – I ZR 218/07 – GRUR 2009, 980 Tz. 9 ff. m. w. N. – E-Mail-Werbung II; OLG Oldenburg 23. 10. 2003 – 1 U 63/03 – GRUR-RR 2004, 209, 210 – Mittelmeerkreuzfahrt; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 1 Rn. 39; Harte/Henning/Keller § 2 Rn. 243; Ohly/Sosnitza § 1 Rn. 26; Engels/Salomon WRP 2004, 32, 33; Lettl GRUR 2004, 449, 460; Weiler WRP 2003, 415. A.A. oder zumindest krit. Sack GRUR 2004, 625, 629 f. sowie WRP 2009, 1330; ferner Fezer/Büscher/Obergfell/Fezer Einl. E Rn. 103; Ohly4 § 1 Rn. 11; Säcker WRP 2004, 1199, 1219. 752 Näher Harte/Henning/Ahrens Einl. G Rn. 147 ff. m. w. N.; Dröge WRP 2019, 160, 162 ff. m. w. N.

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cherinteressen beschränken kann, der auch den Belangen der Mitbewerber und der Allgemeinheit Rechnung tragen kann.753 292 Durch Art. 11a UGPRL werden die Mitgliedstaaten seit 7. 1. 2020 verpflichtet, für Verbraucher, die durch unlautere Geschäftspraktiken geschädigt worden sind, angemessene und wirksame Rechtsbehelfe vorzusehen, welche die entstandenen Nachteile ausgleichen. Nach der deutschen Zivilrechtsdogmatik bedarf es also entsprechender Ansprüche der Verbraucher, welche einen vollständigen Ausgleich der erlittenen Nachteile ermöglichen. Denn nach Art. 11a Abs. 1 S. 1 UGPRL müssen die Rechtsbehelfe bzw. Ansprüche auch „den Ersatz des dem Verbraucher entstandenen Schadens sowie gegebenenfalls Preisminderung oder Aufhebung des Vertrags“ umfassen. Unberührt davon bleiben gem. Art. 11a Abs. 2 UGPRL sonstige Rechtsbehelfe der Verbraucher, die nach dem sonstigen nationalen Recht ohnehin bestehen, also die in Rn. 291 genannten Ansprüche. Der deutsche Gesetzgeber wird daher nicht länger umhinkönnen, im durch Art. 11a UGPRL vorgegebenen Umfang eine Anspruchsberechtigung der Verbraucher vorzusehen. Zu beachten ist allerdings, dass Art. 11a UGPRL nur „Rechtsbehelfe“ vorschreibt, mit denen die erlittenen Nachteile (wohl) umfassend auszugleichen sind; das bedeutet auch, dass die Anspruchsberechtigung nicht Unterlassungsansprüche nach § 8 Abs. 1 UWG umfassen muss. Was den ebenfalls in § 8 Abs. 1 S. 1 geregelten Beseitigungsanspruch angeht, so ist ein solcher Anspruch zwar zugunsten der Verbraucher geboten, dies aber nach Wortlaut und Intention von Art. 11a Abs. 1 UGPRL nur hinsichtlich der eigenen Nachteile des Verbrauchers und nicht generell im Sinne einer Durchsetzung kollektiver Interessen. Ferner haben die Mitgliedstaaten nach Art. 11a Abs. 1 S. 2 und 3 UGPRL einen großen inhaltlichen Ausgestaltungsspielraum für die individuellen Ansprüche der Verbraucher. Es liegt daher nahe, eine eigene Anspruchsnorm zu schaffen, die den Vorgaben des Art. 11a UGPRL Rechnung trägt und die §§ 8 ff. UWG davon unberührt zu lassen. In einem § 11a UWG könnte der Gesetzgeber also etwa vorsehen: „Wer gegen § 3 verstößt, ist einem von den Folgen seiner geschäftlichen Handlung betroffenen Verbraucher zum Ersatz sämtlicher Schäden verpflichtet. Der Verbraucher kann gegebenenfalls auch eine Preisherabsetzung oder eine Aufhebung des Vertrags verlangen.“ Auch wenn Art. 11a Abs. 1 S. 3 UGPRL den Mitgliedstaaten ermöglicht, ggf. die Schwere und die Art der unlauteren Geschäftspraxis (und andere Aspekte) zu berücksichtigen, legt das Gebot aus Abs. 1 S. 1 doch nahe, dass ein verschuldensunabhängiger Anspruch geschaffen werden muss. Denn die Richtlinie macht die Unlauterkeit nicht von subjektiven Tatbestandsmerkmalen abhängig, und nach Art. 11a Abs. 1 UGPRL müssen die Folgen unlauterer Geschäftspraktiken für einen Verbraucher vollständig beseitigt werden, wie es explizit auch in Erwägungsgrund 16 Satz 1 und am Ende von Satz 4 heißt. Mehr ist dem Erwägungsgrund leider nicht zu entnehmen.

IV. Interessen der sonstigen Marktteilnehmer 1. Unmittelbare und mittelbare Beeinträchtigung der Interessen der sonstigen Marktteilnehmer 293 Neben Mitbewerbern und Verbrauchern werden gem. § 1 S. 1 UWG die Interessen sonstiger Marktteilnehmer vor einer Beeinträchtigung durch unlautere geschäftliche Handlungen geschützt. Hierzu zählen gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG alle Personen, die als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen tätig sind, ohne dabei als Mitbewerber oder Verbraucher zu agieren. Dies sind zum einen Unternehmer, die zum Handelnden nicht in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis stehen, weil sie auf einem anderen Markt tätig sind. Zum anderen fallen unter den Begriff juristische Personen und rechtsfähige Personengesellschaften, die nicht unternehmerisch am Marktgeschehen teilnehmen, indem sie (z. B. als Idealvereine gem. 753 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 1 Rn. 17.

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§ 21 BGB und als öffentliche Hand) zur Erfüllung nicht wirtschaftlicher Zwecke Waren und Dienstleistungen nachfragen. Im Verhältnis zu demjenigen, der eine geschäftliche Handlung vornimmt, ist in beiden Fällen mithin nicht das horizontale Konkurrenzverhältnis, sondern das Vertikalverhältnis zu Anbietern bzw. Nachfragern angesprochen.754 Wie bei Mitbewerbern und Verbrauchern können die lauterkeitsrechtlich relevanten Interessen sonstiger Marktteilnehmer unmittelbar oder mittelbar betroffen sein. Unmittelbar sind ihre Interessen beeinträchtigt, wenn die unlautere geschäftliche Handlung ihnen gegenüber vorgenommen wird. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Bauunternehmen oder die öffentliche Hand bei der Anschaffung einer Buchhaltungssoftware vom betreffenden IT-Unternehmen irregeführt wird. Mittelbar sind auf anderen Märkten als der Handelnde tätige Unternehmer tangiert, wenn ihre eigenen Lieferanten oder Kunden irregeführt werden und sie deshalb selbst z. B. minderwertige Software anschaffen oder Nachfrageströme auf andere Märkte umgeleitet werden. Ob ein schutzwürdiges Interesse im Einzelfall beeinträchtigt ist, beurteilt sich aus der Sicht eines durchschnittlichen sonstigen Marktteilnehmers, der dem betroffenen Verkehrskreis angehört. § 3 Abs. 4 S. 2 UWG ist nicht analog anwendbar.755 Aus der Beeinträchtigung der schutzwürdigen Interessen eines sonstigen Marktteilnehmers folgt wie bei Verbrauchern keine individuelle Klagebefugnis und Aktivlegitimation. Vielmehr muss ein sonstiger Marktteilnehmer die Verbände zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen oder eine Industrie-, Handels- oder Handwerkskammer einschalten.756 Individuell zur Wahrung der Lauterkeit des Wettbewerbs aufgerufen und berechtigt sind nur die Mitbewerber des unlauter Handelnden.757 Für diese, letztlich historisch begründete Beschränkung758 lässt sich anführen, dass die auf einem Anbieter- oder Nachfragermarkt konkurrierenden Unternehmen die engste Beziehung zu den dort herrschenden „anständigen Gepflogenheiten“ haben, während die Marktgegenseite (Verbraucher und sonstige unternehmerische Marktteilnehmer), die nur gelegentlich und jedenfalls nicht im Rahmen ihrer selbständigen unternehmerischen Tätigkeit auf dem betreffenden Markt tätig ist, diese Normen nur vermittelt über bestimmte Kollektivkläger beeinflussen können soll.

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2. Das Interesse an der unverfälschten Entfaltung wirtschaftlicher Handlungsfreiheit a) Grundsätze. Gemäß dem allgemeinen Schutzzweck des UWG richten sich die lauterkeits- 298 rechtlich relevanten Interessen der sonstigen Marktteilnehmer auf die Wahrung der rechtsgleichen Ausübung ihrer wirtschaftlichen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1, 12 GG bzw. der unternehmerischen Freiheit gem. Art. 16 Charta. Nach dem in § 1 verankerten Grundsatz wettbewerbsfunktionaler Anwendung des UWG bildet die Angebots- und Nachfragefreiheit der sonstigen Marktteilnehmer den Ausgangspunkt der lauterkeitsrechtlichen Analyse.759 Sie bezieht sich auf sämtliche Aktionsparameter wie zum Beispiel den Preis, die Merkmale der eigenen Leistung, die Zeit, den Ort und die Art des Marktauftritts sowie die Auswahl der Abnehmer, Lieferanten und sonstigen Vertragspartner auf anderen Märkten.760 Im Einzelnen kann wie

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Näher § 2 Rn. 342 ff. Vgl. auch § 7 Abs. 2 Nr. 2. § 8 Abs. 3 Nr. 2, 4. Zur weiten Auslegung dieses Begriffs unter Einschluss von ad-hoc-Wettbewerbsverhältnissen jenseits der Grenzen eines Marktes siehe § 2 Rn. 472 ff. 758 Zum Mitbewerberschutz im UWG 1896 und im frühen UWG 1909 vgl. oben § 1 Rn. 31 ff. 759 RefE UWG 2004, GRUR 2003, 298, 302 („Geschützt werden die Angebotsfreiheit der Wettbewerber und die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher.“). 760 Entsprechend zu Mitbewerbern siehe oben § 1 Rn. 190 ff.

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generell zwischen Irreführungen, wettbewerbsfremder Aggressivität und einer sonstigen Verfälschung des Allgemeininteresses am unverfälschten Wettbewerb unterschieden werden.761

299 b) Schutz der täuschungsfreien Bildung von Entscheidungsgrundlagen. Die allgemeinen Irreführungsverbote der §§ 5, 5a Abs. 1 dienen dem Interesse, geschäftliche Entscheidungen auf einer von Täuschung freien Grundlage bilden zu können. Sonstige Marktteilnehmer sollen davor bewahrt werden, dass sie ein Angebot machen oder eine Nachfrageentscheidung treffen, weil sie von einem auf einem anderen Markt tätigen Zulieferer oder Abnehmer getäuscht wurden. Hierdurch werden ihre eigenen Interessen unmittelbar und die Interessen der Mitbewerber des Anspruchsgegners wie bei einer Irreführung von Verbrauchern mittelbar beeinträchtigt.762

300 c) Schutz des Entscheidungsprozesses vor wettbewerbsfremder Aggressivität. Ebenso ungestört soll der Entscheidungsprozess ablaufen, ob ein Unternehmen beliefert oder eine Leistung nachgefragt wird. Wird diese Wahlfreiheit durch wettbewerbsfremde Aggressivität der Marktgegenseite beeinträchtigt, sind die schutzwürdigen Interessen sonstiger Marktteilnehmer unmittelbar tangiert. 301 In diesem Sinne erklärt § 4a aggressive geschäftliche Handlungen für unlauter, die im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände geeignet sind, die Entscheidungsfreiheit sonstiger Marktteilnehmer durch Belästigung, Nötigung einschließlich der Anwendung körperlicher Gewalt oder sonstige unzulässige Beeinflussung erheblich zu beeinträchtigen. 302 Während es bei § 4a um eine als solche, aufgrund ihres Inhalts aggressive geschäftliche Handlung geht, betrifft § 7 die Art und Weise des Wettbewerbsverhaltens.763 Belästigt eine geschäftliche Handlung einen sonstigen Marktteilnehmer in unzumutbarer Weise, ist sie unzulässig; dies gilt insbesondere für Werbung, obwohl erkennbar ist, dass der angesprochene Marktteilnehmer diese Werbung nicht wünscht (§ 7 Abs. 1). Sonstigen Marktteilnehmern ist es gem. § 7 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt stets unzumutbar, wenn ihnen gegenüber mit einem Telefonanruf geworben wird, ohne dass sie zumindest mutmaßlich eingewilligt haben. Mit diesen Tatbeständen wird das rechtlich relevante Interesse sonstiger Marktteilnehmer geschützt, gezielter Werbung nur ausgesetzt zu sein, wenn sie dies wünschen. Indem sie gewisse, personalisierte Werbeformen ausblenden, gewinnen sie Freiraum und Aufmerksamkeit für andere Angebote. Zudem wird die Freiheit zur Entscheidung gewahrt, wann und wofür die eigenen Ressourcen eingesetzt werden. 303 Diese Interessen zu gewährleisten, dient dem unverfälschten Wettbewerb. Denn wer anderen – seien es Verbraucher oder als juristische Person oder rechtsfähige Personengesellschaft agierende, sonstige Marktteilnehmer – seine Leistungen aufdrängt, verfälscht damit potentiell das andernfalls ohne die Aggressivität zu beobachtende Entscheidungsverhalten. Wendet sich die aggressive geschäftliche Handlung nicht unmittelbar an einen sonstigen Marktteilnehmer, sondern an die Mitbewerber des unlauter Handelnden (dazu § 4) oder an Verbraucher (dazu § 4a), können die Interessen eines sonstigen Marktteilnehmers gleichwohl mittelbar tangiert sein. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein eigentlich lieferungswilliger Unternehmer von einem seiner Mitbewerber gezielt daran gehindert wird (§ 4 Nr. 4), die Nachfrage eines sonstigen Marktteilnehmers zu bedienen.

304 d) Schutz des Interesses an der Wahrung der institutionellen Funktionsbedingungen des Wettbewerbs. Schließlich haben alle Marktteilnehmer ein Interesse, dass die rechts761 Im Einzelnen § 3 Rn. 113 ff. 762 Für Verbraucher ErwGrd. 6 S. 1 UGPRL. 763 Dazu § 3 Rn. 48 f.

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gleichen Angebots- und Nachfragechancen nicht verzerrt werden. Hierbei handelt es sich um Fälle, in denen eine geschäftliche Handlung nicht einen bestimmten Marktteilnehmer irreführt oder behindert, aber doch die institutionellen Bedingungen des Wettbewerbs zu verfälschen geeignet ist. Im Vordergrund steht das Allgemeininteresse am unverfälschten Wettbewerb, dessen Wahrung aber zugleich den individuellen Interessen der Marktteilnehmer dient. In diesem Sinne dient das Verbot des Rechtsbruchs gem. § 3a der Gewährleistung rechts- 305 gleicher Wettbewerbsbedingungen. Jeder Marktteilnehmer ist daran interessiert, dass sich die anderen bei ihrem Marktverhalten rechtstreu verhalten, da sonst kein geordneter Wettbewerb möglich wäre. Dies ist das Interesse, dem die verletzte gesetzliche Vorschrift gem. § 3a zumindest sekundär dienen muss.764 Die Fallgruppe der allgemeinen Marktstörung stellt sicher, dass keine geschäftlichen 306 Handlungen vorgenommen werden, die den Wettbewerb insgesamt auszuschalten drohen. Geschützt wird hier das Interesse sonstiger Marktteilnehmer, dass auch auf Märkten, auf denen sie selbst nicht tätig sind, geordneter Wettbewerb stattfindet, so dass sie die dort generierten Waren oder Dienstleistungen zu Wettbewerbsbedingungen nachfragen können bzw. dort mehr als einen Abnehmer für ihre eigenen Angebote finden.765 Schließlich ist in diesem Zusammenhang auf die besondere lauterkeitsrechtliche Kon- 307 trolle des Wettbewerbsverhaltens der öffentlichen Hand zu verweisen. Parallel zur allgemeinen Marktstörung richtet sich das Interesse sonstiger Marktteilnehmer insoweit darauf, dass Märkte nicht aufgrund struktureller Vorteile des Staates zugunsten der öffentlichen Hand vermarkten, so dass dort ggf. nur noch dieser Abnehmer bzw. Lieferant zur Verfügung steht.766

3. Das nicht schutzwürdige Interesse an der Vermeidung wettbewerbskonformer Zwänge Nicht schutzwürdig ist hingegen das Interesse eines sonstigen Marktteilnehmers, sich den 308 wettbewerbsimmanenten Zwängen mithilfe des UWG zu entziehen. Wettbewerb als wirtschaftlicher Ordnungsmechanismus funktioniert über nicht-rechtliche Sanktionen.767 Wie Verbraucher müssen sich auch und erst recht sonstige, unternehmerisch tätige bzw. als juristische Person/Personengesellschaft verfasste Marktteilnehmer über günstige Angebote informieren, um Preis- und Qualitätsvorteile genießen zu können. Es obliegt ihnen, im Wettbewerb mit ihren Konkurrenten bzw. anderen Nachfragern die besten Lieferanten bzw. Abnehmer auf anderen Märkten zu finden. Fehleinschätzungen müssen sie nach dem Grundsatz der Eigenverantwortung selbst tragen. Vor diesen wirtschaftlichen Prozessen schützt das UWG nicht. Im Gegenteil, es soll gem. § 1 dazu beitragen, dass diese Zwänge möglichst uneingeschränkt und dauerhaft wirksam sind. Nicht schutzwürdig ist deshalb insbesondere das Interesse, mit Hilfe lauterkeitsrechtlicher 309 Verbote den eigenen Kunden-, Lieferanten- oder Mitarbeiterstamm zu erhalten. Selbiges gilt für den Wunsch, vor geschäftlichen Handlungen nicht auf dem eigenen Markt tätiger Dritter verschont zu bleiben. Schließlich haben sonstige Marktteilnehmer mit Rücksicht auf den Grundsatz der Wettbewerbsfreiheit kein rechtlich geschütztes Interesse, dass die Marktgegenseite sämtliche Eigenschaften und Defizite eines Produkts dezidiert offenlegt oder gar von sich aus auf bessere Alternativen hinweist.

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Zur Realisierung anderweitiger Interessen über § 3a vgl. § 3 Rn. 128 ff. Dazu § 3 Rn. 278 ff. Dazu § 3 Rn. 277 ff, 311 ff. Siehe Weber S. 439 f.

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V. Schutz des Allgemeininteresses am unverfälschten Wettbewerb 1. Der Zusammenhang zwischen Wettbewerb und Allgemeininteresse 310 Indem das UWG die Marktteilnehmer vor unlauteren geschäftlichen Handlungen schützt, dient es zugleich dem Allgemeininteresse am unverfälschten Wettbewerb. Dieses in § 1 S. 2 niedergelegte Regelungsziel ist der primäre und bei Interessenkonflikten grundsätzlich maßgebliche Schutzzweck des UWG.768 Es soll die Eigenlogik des wirtschaftlichen Wettbewerbs als selbststeuernden Ordnungsmechanismus’ der Wirtschaft rechtlich flankieren. Zu den rechtlich geschützten Funktionen des Wettbewerbs zählt es, die Pläne der Markt311 teilnehmer an die zur Verfügung stehenden Güter und die Bedürfnisse anzupassen und so zu einer effizienten Ressourcenallokation beizutragen (Anpassungs- und Steuerungsfunktion), technisch-wirtschaftlichen Fortschritt zu fördern und Renten nach individueller Leistung zu verteilen. Nicht zuletzt ist Wettbewerb eine mögliche Antwort auf das Problem privater Macht. Diese ökonomischen und normativen Wirkungen liegen im allgemeinen Interesse. Jene Allgemeininteressen erklärt § 1 S. 2 für lauterkeitsrechtlich maßgeblich. Eine geschäftliche Handlung muss dann, aber darf auch nur dann als unlauter verboten werden, wenn sie den Zielerreichungsgrad des selbststeuernden Systems Wettbewerb beeinträchtigt.769 312 Fast alle geschriebenen Tatbestände und Fallgruppen des UWG lassen sich diesem wettbewerbsfunktionalen Programm zuordnen. Die Verbote von Irreführungen und wettbewerbsfremder Aggressivität schützen individuelle Entscheidungsfreiheit im Markt und zugleich den an Preis und Leistung orientierten Wettbewerbsprozess. Die Verbote des Rechtsbruchs, der allgemeinen Marktbehinderung sowie die lauterkeitsrechtliche Kontrolle des Marktverhaltens der öffentlichen Hand gewährleisten rechtsgleiche Wettbewerbsbedingungen und systemischinstitutionelle Grundbedingungen unverfälschten Wettbewerbs. Während bei Irreführungen und Aggressivität vom Individualinteresse der Marktteilnehmer zum Allgemeininteresse gedacht wird, verläuft die Argumentation bei den letztgenannten Fallgruppen umgekehrt. Hier steht das Allgemeininteresse am unverfälschten Wettbewerb im Vordergrund, wodurch zugleich die wettbewerbsbezogenen Interessen der Marktteilnehmer gewahrt werden.

2. Auswirkungen auf die Klagebefugnis und Aktivlegitimation zur Verfolgung von UWG-Verstößen 313 Diese Verflechtung individueller und allgemeiner Interessen erlaubt es ferner, die gerichtliche Durchsetzung des Allgemeininteresses am unverfälschten Wettbewerb wiederum den Marktteilnehmern zu überlassen, statt staatliche Institutionen mit dieser Aufgabe zu betrauen. Dabei hat der deutsche Gesetzgeber nur die Mitbewerber mit individuellen Abwehr- und Schadensersatzansprüchen ausgestattet. Zwar werden sie in aller Regel nur aus eigenem Antrieb und Interesse tätig. Wenn Sie aber dafür sorgen, dass eine unlautere Handlung eines Konkurrenten untersagt wird, realisieren sie damit zugleich das Allgemeininteresse am unverfälschten Wettbewerb. 314 Der Gedanke, dass die Anspruchsteller in lauterkeitsrechtlichen Verfahren zugleich das Allgemeininteresse repräsentieren, rechtfertigt es auch, die Klagebefugnis und die Aktivlegitimation für Verstöße gegen das UWG vom Nachweis einer individuellen Interessenbeeinträchtigung zu entkoppeln. Deshalb sind die in § 8 Abs. 3 Nr. 2–4 genannten Verbände, Einrichtungen und Kammern zur Geltendmachung von Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen berechtigt.770 768 Zu Ausnahmen oben § 1 Rn. 137 ff. 769 Oben § 1 Rn. 91 ff. 770 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 50.

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Auch der Gewinnabschöpfungsanspruch gem. § 10 beruht auf diesem Konzept. Zwar 315 kann der Anspruch auf Herausgabe des Gewinns, der durch einen vorsätzlichen Verstoß gegen § 3 oder § 7 zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern erzielt wird, von Verbänden, Einrichtungen und Kammern geltend gemacht werden. Der ausgeurteilte Betrag aber fließt an den Bundeshaushalt und nicht an das klägerische Kollektiv, das unmittelbar eben nur einen Ausschnitt aller Marktteilnehmer repräsentiert. Diese eingeschränkte Legitimation genügt nicht, um den zu Lasten des Allgemeininteresses erzielten Gewinn gerade dieser Gruppe von Marktteilnehmern zuzuweisen.

3. Der Grundsatz wettbewerbsfunktionaler Auslegung Gem. § 1 bezweckt das UWG grundsätzlich nur den Schutz des Allgemeininteresses am unverfälschten Wettbewerb. Abgesehen von spezifisch angeordneten Ausnahmen können andere individuelle und öffentliche Belange ein lauterkeitsrechtliches Verbot nicht rechtfertigen. Zu diesen nicht über das UWG realisierbaren Zielen zählt zunächst das dem Wettbewerb als Ordnungsinstrument der Wirtschaft diametral entgegengesetzte Interesse, die Befriedigung von Bedürfnissen nicht der dezentralen Mehrplanwirtschaft zu überlassen, sondern Wettbewerb und Markt zu begrenzen und allenfalls staatliche Zuteilungen zuzulassen. Daher kann ein lauterkeitsrechtliches Verbot nicht mit angeblich schädlichen Wirkungen eines „ungesunden“, „übertriebenen“ oder sonst gemeinschaftsschädlichen Wettbewerbs begründet werden.771 Das deutsche und europäische Lauterkeitsrecht soll den Wettbewerb nicht beschränken, sondern fördern. Ebenso wenig darf der geschäftliche Verkehr mit bestimmten Waren oder Dienstleistungen unter Berufung auf den Tierschutz,772 die Durchsetzung inländischer Produktionsstandards773 und andere öffentliche Belange auf der Basis des UWG und namentlich der Generalklauseln des § 3 Abs. 1 und 2 unterbunden werden. Diese nicht wettbewerbsbezogenen Allgemeininteressen müssen in speziellen gesetzlichen Vorschriften niedergelegt sein, die zumindest sekundär dem Allgemeininteresse am unverfälschten Wettbewerb dienen, um über den Tatbestand des Rechtsbruchs lauterkeitsrechtliche Bedeutung zu erlangen.774 Das UWG erlaubt es ferner nicht, eine originär marktbegrenzende Sittlichkeit zu verfolgen, indem Unternehmer verpflichtet werden, alle irgendwie schädlichen Auswirkungen einer Ware oder Dienstleitung auf die Gesundheit, die Umwelt etc. offenzulegen. Die Irreführung durch Unterlassen ist nur dann verbotswürdig, wenn durchschnittliche Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer zu wirtschaftlichen Entscheidungen veranlasst werden können, die sonst unterblieben wären.775 Dies kann zwar auch durch eine – deshalb lauterkeitsrechtlich relevante – Täuschung über sittliche, marktbegleitende Entscheidungsparameter geschehen. Hingegen hat das Transparenzgebot nicht den Zweck, den Gesundheits- oder Umweltschutz etc. zu fördern. Dies geschieht wiederum über spezielle Gesetze und nicht zuletzt den unverfälschten Wettbewerb, wenn und soweit es Marktteilnehmer gibt, die ihre Entscheidungen hierauf in freier Entscheidung ausrichten. Grundsätzlich schließt der Fokus auf das Allgemeininteresse am unverfälschten Wettbewerb auch eine marktbegrenzende, sittlich motivierte Kontrolle kommerzieller Kommu771 Zur nicht konsumfeindlichen Tendenz der UGPRL in diesem Sinne oben § 1 Rn. 119 ff. 772 Ebenso bereits zum UWG 1909 BGH 6. 7. 1995 – I ZR 4/93 – BGHZ 130, 182, 187 = GRUR 1995, 817 – Legehennenhaltung; Beater Rn. 997 f. 773 BGH 9. 5. 1980 – 1 ZR 76/78 – GRUR 1980, 858, 860 f. – Asbestimporte; einschränkend für unter Kinderarbeit entstandene Produkte Herrnberger S. 239 ff. 774 § 3a und oben § 1 Rn. 155 ff. 775 § 5a Abs. 1.

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nikation aus. So hat die Rechtsprechung geschäftliche Handlungen nicht beanstandet, die sittliche Haltungen durch gemeinwohlorientiertes Sponsoring kommerzialisiert776 oder das Marktgeschehen in die Privatsphäre erstreckt.777 321 Generell gilt, dass das UWG den Wettbewerb und „den Markt“ mit Blick auf die Eigenlogik und die Funktionsbedingungen dieser Institutionen einhegt. Es tritt hingegen nicht von außen begrenzend an das Marktgeschehen heran. Derartige Regulierungsziele werden nur ausnahmsweise aufgrund spezieller Entscheidungen des Gesetzgebers im UWG, im Übrigen aber in anderen gesetzlichen Vorschriften verfolgt. Diese Differenzierung zum Ausdruck zu bringen, ist der bleibende Beitrag des § 1.

VI. Ausnahmsweiser Schutz nicht wettbewerbsbezogener Interessen 1. Ausnahmen vom Grundsatz wettbewerbsfunktionaler Auslegung 322 Wie bereits mehrfach angeklungen und im Abschnitt über den Schutzzweck des UWG erläutert, gibt es Ausnahmen vom Grundsatz wettbewerbsfunktionaler Auslegung. Hierdurch werden über das UWG individuelle und öffentliche Interessen realisiert, die von § 1 eigentlich aus dem UWG verwiesen werden. Da allerdings der Gesetzgeber des UWG selbst diese anderweitigen Zielsetzungen in das UWG eingebracht hat, sind die betreffenden Entscheidungen dogmatisch als Ausnahmen vom wettbewerbsfunktionalen Programm anzuerkennen und offenzulegen.778

2. Rechtsbruch und Dreieckskopplung 323 Ambivalent erweist sich in diesem Zusammenhang zunächst der Rechtsbruchtatbestand des § 3a. Einerseits gewährleistet das Verbot, gesetzlichen Vorschriften zuwiderzuhandeln, die auch dazu bestimmt sind, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, den unverfälschten Wettbewerb. 324 Andererseits lässt es die herrschende Meinung in Übereinstimmung mit dem Willen des historischen Gesetzgebers genügen, dass dieser Zweck von der dem UWG externen Marktverhaltensvorschrift nur in zweiter Linie verfolgt wird. Daher können über § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3a Gesetzesverstöße lauterkeitsrechtlich sanktioniert werden, die primär anderen Allgemeininteressen wie z. B. dem Gesundheitsschutz dienen.779 325 In ähnlicher Weise fließt ein wettbewerbsexterner Regelungszweck in das UWG ein, wenn die Rechtsprechung in der Fallgruppe der sog. Dreieckskopplung vorrangig die berufsrechtlich vorgesehene Objektivität und Neutralität von Ärzten, Rechtsanwälten usw. im Verhältnis zu ihren Patienten und Mandanten schützt, nicht hingegen deren eigene Entscheidungsfreiheit.780

3. Hartnäckige Verstöße gegen den ethischen Minimalkonsens 326 Zumindest Bezüge zum Allgemeininteresse am unverfälschten Wettbewerb weist ferner eine Fallgruppe auf, die nach hier vertretener Auffassung direkt unter § 3 Abs. 1 subsumiert werden 776 777 778 779 780

BGH 22. 9. 2005 – I ZR 55/02 – GRUR 2006, 75 – Artenschutz. BGH 6. 7. 2006 – I ZR 145/03 – GRUR 2006, 949 – Kunden werben Kunden. Oben § 1 Rn. 137 ff. Oben § 1 Rn. 155 ff. § 3 Rn. 326 ff.

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kann, nämlich das Verbot hartnäckiger Verstöße gegen den ethischen Minimalkonsens auf dem Markt. Vordergründig geht es beim verfassungsrechtlich zulässigen und gesetzgeberisch gewollten Verbot ekelerregender, furchteinflößender und jugendgefährdender geschäftlicher Handlungen um marktbegrenzende Sittlichkeit. Indem aber das UWG die entsprechenden Einschätzungen der Selbstregulierungsorgane der Marktteilnehmer mit rechtlicher Bindung versieht, sichert es zugleich die langfristige gesellschaftliche Akzeptanz des im Übrigen freien Wettbewerbs.781

4. Grundrechtliche Schutzpflichten im Hinblick auf die Menschenwürde und die Privatheit Wie zu den drei Kategorien von Marktteilnehmern dargestellt, werden deren individuelle Inte- 327 ressen ebenfalls nur insoweit vom UWG geschützt, als diese mit dem Allgemeininteresse am unverfälschten Wettbewerb vereinbar sind. Lauterkeitsrechtlich relevant ist daher grundsätzlich nur das Interesse, eine von Täuschung und wettbewerbsfremder Aggressivität freie wirtschaftliche Entscheidung in einem auch sonst nicht strukturell verzerrten Wettbewerb fällen zu können. In zwei Tatbeständen dominieren aufgrund einer wiederum speziellen Entscheidung des 328 UWG-Gesetzgebers jedoch andere individuelle Interessen. Hierzu zählt zunächst die Umsetzung von Art. 13 DatenschutzRL-EK in § 7 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt, Nr. 3 und 4 sowie Abs. 3 zum Schutz der Grundrechte natürlicher Personen auf Achtung ihres Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten gem. Art. 7 und 8 Charta.782 Ferner kann auf der Basis des UWG eine menschenverachtende geschäftliche Handlung 329 unabhängig von einer Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit der Marktteilnehmer untersagt werden. In diesem Fall wird die staatliche Schutzpflicht für die unantastbare Menschenwürde gem. Art. 1 Abs. 1 GG über § 3 Abs. 1 realisiert.783

5. Abschließender Charakter der Ausnahmen vom Grundsatz wettbewerbsfunktionaler Auslegung Die Liste dieser, auf eine gesetzgeberische Entscheidung rückführbaren Ausnahmen vom 330 wettbewerbsfunktionalen Programm des UWG ist abschließend. Im Übrigen gilt gem. § 1, dass das UWG nur auf den unverfälschten Wettbewerb bezogene Interessen schützt.784 Dieser restriktive Ansatz nimmt Rücksicht auf die Harmonisierungswirkung der UGPRL, 331 die autonom-mitgliedstaatliche Regelungen in Fragen der „guten Sitten und des Anstands“ nur dann zulässt, wenn diese Anforderungen „gesetzlich“ verankert sind.785 Das aber ist nur in den oben genannten, auf den Willen des historischen Gesetzgebers rückführbaren Tatbeständen der Fall. Diese dürfen nicht erweiternd oder gar analog angewendet werden. Zudem sind auch in den Ausnahmefällen wettbewerbsbezogene Interessen anderer Marktteilnehmer und der Allgemeinheit stets mit in die Betrachtung einzubeziehen.

781 782 783 784 785

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§ 3 Rn. 342 ff. § 1 Rn. 152. Oben § 1 Rn. 167 ff.; § 3 Rn. 152; 210; 335 ff. RegE UWG 2004 BTDrucks. 15/1487, S. 15 f.; Beater Rn. 2453. Siehe ErwGrd. 7 S. 3 UGPRL und Sosnitza WRP 2006, 1, 4 ff.

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VII. Verhältnis der geschützten Interessen zueinander 1. Gleichrang wettbewerbsbezogener Individualinteressen 332 Gem. § 1 S. 1 werden „die Marktteilnehmer, insbesondere die Verbraucher und die Mitbewerber … durch das UWG gleichermaßen und gleichrangig geschützt“.786 Für die Analyse und Beurteilung der geschützten Interessen folgt hieraus zunächst, dass die jeweiligen Interessen der betroffenen Personen(kreise) eigenständig zu erfassen sind. Eine geschäftliche Handlung ist bereits dann gem. § 3 oder § 7 für unzulässig zu erklären, wenn ein schutzwürdiges Interesse eines Personenkreises spürbar bzw. unzumutbar beeinträchtigt wurde.787 Aufgrund des auch in § 7 Abs. 1 S. 1 niedergelegten, integral-ganzheitlichen Ansatzes des 333 deutschen Gesetzgebers müssen bei einer lauterkeitsrechtlichen Entscheidung immer die ggf. berührten Interessen aller drei Kategorien von Marktteilnehmern in Betracht gezogen werden. Jedenfalls genügt es nicht, nur auf die Interessen des beeinträchtigten Mitbewerbers, Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers abzustellen. Da zumindest die Interessen des Anspruchsgegners berücksichtigt werden müssen, bedarf es – abgesehen von den Per-se-Verboten des Anhangs zu § 3 Abs. 3 und des § 7 Abs. 2 – stets einer, ggf. durch gesetzliche Regelbeispiele typisierten, umfassenden Interessenabwägung. Bei diesem Abwägungsvorgang darf grundsätzlich keinem, für sich gesehen schutzwür334 digen Interesse per se der Vorzug gewährt werden. Nach einer Gegenauffassung ist jeweils derjenige Marktteilnehmer vorrangig zu schützen, dessen Interessen die einschlägige gesetzliche Konkretisierung der Unlauterkeit gewährleistet, so dass bei gezielten Behinderungen die Interessen der Mitbewerber, bei unzumutbaren Belästigungen von Verbrauchern hingegen jene zu schützen seien.788 Eine solch selektive Betrachtung und erst recht eine schematisch unterschiedliche Gewichtung tangierter Interessen ist mit dem umfassenden Ansatz des deutschen UWG nicht vereinbar. Vielmehr sind alle, nach dem Parteivortrag möglicherweise tangierten Interessen gleichrangig in die Abwägung einzubeziehen.

2. Lösung von Konfliktfällen anhand der gesetzgeberischen Vorgaben im Hinblick auf das Allgemeininteresse am unverfälschten Wettbewerb 335 Im Konflikt zwischen den von den Prozessparteien geltend gemachten Interessen, aber in der Regel auch im Verhältnis zu mittelbar tangierten Drittinteressen ist eine Entscheidung erforderlich, welchem Interesse der Vorzug gebührt.789 So mag die Verbraucherautonomie für hohe Transparenzanforderungen in der Werbung sprechen, während die hiervon betroffenen Unternehmen Kostensteigerungen geltend machen, die ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit und den Markteintritt neuer Mitbewerber beschränken können. Unter Mitbewerbern kann ein weitreichender Schutz vor Nachahmungen das Innovationspotential etablierter Marktteilnehmer gewährleisten, was wiederum für die Konkurrenten und mittelbar die Verbraucher von Nachteil sein kann, weil sich kein Preiswettbewerb einstellt und Marktzutrittshürden errichtet werden.790 Zur Lösung dieser Interessenkonflikte sind mit abnehmendem Konkretisierungsgrad die ge336 setzgeberischen Vorgaben zur Unzulässigkeit geschäftlicher Handlungen anzuwenden. Durch die im Vergleich zum UWG 1909 höhere Regelungsdichte des europäischen und deutschen Lauterkeitsrechts ist die Bedeutung der Interessenabwägung als Methode der Entscheidungsfindung deutlich zurückgegangen. 786 787 788 789 790

RegE UWG 2004 BTDrucks. 15/1487, 15 f. Siehe § 3 Abs. 1 („oder“). So Lettl Rn. 108; juris-PK/Ernst Rn. 13. Wuttke WRP 2007, 119, 127. Dazu näher mit Beispielen aus der Rechtsprechung Peukert Güterzuordnung, S. 375 f.

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In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob ein Per-se-Verbot gem. Anhang zu § 3 Abs. 3 oder § 7 Abs. 2 einschlägig ist. In diesen Fällen verbietet sich eine über den Tatbestand hinausgehende, allgemeine Interessenabwägung. In einem zweiten Schritt sind die detaillierten Konkretisierungen der Unlauterkeit gem. §§ 3a–6 und der unzumutbaren Belästigung gem. § 7 Abs. 1 S. 2 anzuwenden. Diese Normen geben eine vom Gesetzgeber vorgenommene, typisierte Interessenabwägung wieder, die bei der Auslegung der betreffenden Vorschrift zu vollziehen ist.791 Erst im subsidiären Anwendungsbereich der allgemeinen Auffangklauseln des § 3 Abs. 1 und 2 sowie § 7 Abs. 1 S. 1 beginnt die Prüfung mit einer umfassenden Analyse der tangierten Interessen.792 Aber auch hier besagt die Interessenabwägung für sich betrachtet nicht, welches Interesse inwieweit rechtlich schutz- und im Vergleich zu anderen vorzugswürdig ist.793 Ausschlaggebend hierfür ist vielmehr grundsätzlich das Allgemeininteresse am unverfälschten Wettbewerb. Für das autonome deutsche Recht folgt dies aus § 1 S. 2; auch das europäische Lauterkeitsrecht unter Einschluss der UGPRL verfolgt diese überwölbende Zielsetzung.794 Eine geschäftliche Handlung muss dann, aber darf auch nur dann als unlauter verboten werden, wenn sie den Zielerreichungsgrad des selbststeuernden Systems Wettbewerb beeinträchtigt.795 Hierbei ist eine langfristige („nachhaltige“) und umfassende Perspektive einzunehmen. Nicht die aktuelle Wettbewerbslage ist vor Veränderungen zu schützen, sondern die Funktionsbedingungen des Wettbewerbs im Interesse sämtlicher Marktteilnehmer.

791 792 793 794 795

Zum Verhältnis der §§ 3a–6 zu § 3 unten § 3 Rn. 426 ff. § 3 Rn. 98 ff. Anders Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 47. Oben Rn. 119 ff. Schluep Festschrift Kummer, S. 487, 496 f.; Rehberg in Zetzsche, S. 49, 74 ff.; Thouvenin S. 421 ff.; Podszun WRP 2009, 509 ff.

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§ 2 Definitionen (1) Im Sinne dieses Gesetzes bedeutet 1. „geschäftliche Handlung“ jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens vor, bei oder nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt; als Waren gelten auch Grundstücke, als Dienstleistungen auch Rechte und Verpflichtungen; 2. „Marktteilnehmer“ neben Mitbewerbern und Verbrauchern alle Personen, die als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen tätig sind; 3. „Mitbewerber“ jeder Unternehmer, der mit einem oder mehreren Unternehmern als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis steht; 4. „Nachricht“ jede Information, die zwischen einer endlichen Zahl von Beteiligten über einen öffentlich zugänglichen elektronischen Kommunikationsdienst ausgetauscht oder weitergeleitet wird; dies schließt nicht Informationen ein, die als Teil eines Rundfunkdienstes über ein elektronisches Kommunikationsnetz an die Öffentlichkeit weitergeleitet werden, soweit die Informationen nicht mit dem identifizierbaren Teilnehmer oder Nutzer, der sie erhält, in Verbindung gebracht werden können; 5. „Verhaltenskodex“ Vereinbarungen oder Vorschriften über das Verhalten von Unternehmern, zu welchem diese sich in Bezug auf Wirtschaftszweige oder einzelne geschäftliche Handlungen verpflichtet haben, ohne dass sich solche Verpflichtungen aus Gesetzes- oder Verwaltungsvorschriften ergeben; 6. „Unternehmer“ jede natürliche oder juristische Person, die geschäftliche Handlungen im Rahmen ihrer gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit vornimmt, und jede Person, die im Namen oder Auftrag einer solchen Person handelt; 7. „unternehmerische Sorgfalt“ der Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt, von dem billigerweise angenommen werden kann, dass ein Unternehmer ihn in seinem Tätigkeitsbereich gegenüber Verbrauchern nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der anständigen Marktgepflogenheiten einhält; 8. „wesentliche Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens des Verbrauchers“ die Vornahme einer geschäftlichen Handlung, um die Fähigkeit des Verbrauchers, eine informierte Entscheidung zu treffen, spürbar zu beeinträchtigen und damit den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte; 9. „geschäftliche Entscheidung“ jede Entscheidung eines Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers darüber, ob, wie und unter welchen Bedingungen er ein Geschäft abschließen, eine Zahlung leisten, eine Ware oder Dienstleistung behalten oder abgeben oder ein vertragliches Recht im Zusammenhang mit einer Ware oder Dienstleistung ausüben will, unabhängig davon, ob der Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer sich entschließt, tätig zu werden. (2) Für den Verbraucherbegriff gilt § 13 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechend. Art. 2 lit. h) UGPRL: „berufliche Sorgfalt“ der Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt, bei denen billigerweise davon ausgegangen werden kann, dass der Gewerbetreibende sie gegenüber dem Verbraucher gemäß den anständigen Marktgepflogenheiten und/oder dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben in seinem Tätigkeitsbereich anwendet;

Peukert/Fritzsche https://doi.org/10.1515/9783110545883-003

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Schrifttum

§2

Art. 2 lit. a) UGP-Richtlinie: „Verbraucher“ jede natürliche Person, die im Geschäftsverkehr im Sinne dieser Richtlinie zu Zwecken handelt, die nicht ihrer gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können;

Schrifttum Zu § 2 Abs. 1 Nr. 1: Alexander Vertrag und unlauterer Wettbewerb – Eine Untersuchung der wechselseitigen Beziehungen von Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht zueinander (2002); ders. Die „Aufforderung zum Kauf“ im Lauterkeitsrecht, WRP 2012, 125; ders. Vertragsrecht und Lauterkeitsrecht unter dem Einfluss der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken, WRP 2012, 515; Alexander/Katz Wettbewerbscharakter und Wettbewerbszweck geschäftlicher Handlungen, NJW 1954, 129; Armgardt Verbraucherschutz und Wettbewerbsrecht: unwirksame AGB-Klauseln im Licht der neueren Rechtsprechung zum UWG und zur UGP-Richtlinie, WRP 2009, 122; Bauer Handeln zu Zwecken des Wettbewerbsrechts (1991); Brinkmann Der äußerungsrechtliche Unternehmensschutz in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, GRUR 1988, 516; Diemer Meinungsfreiheit und Wettbewerbsrecht, Festschrift Klaka (1987) 44; Degenhart Staatspresse in der Informationsgesellschaft – Verfassungsrechtliche und wettbewerbsrechtliche Schranken für die Publikationstätigkeit der öffentlichen Hand, AfP 2009, 207; Ellscheid Verbände und Wettbewerbsrecht, GRUR 1972, 284; Engels/Stulz-Herrnstadt Aktuelle Rechtsfragen des Direktmarketings nach der UWG-Reform, WRP 2005, 1218; Federer Das Wettbewerbsverhältnis im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (1990); Fezer Markenrechtliche Produktabgrenzung zwischen Ware und Dienstleistung. Zur markenrechtlichen Produkteigenschaft von Leasing, Computersoftware und Franchising, GRUR Int. 1996, 445; ders. Objektive Theorie der Lauterkeit im Wettbewerb, Festschrift Schricker (2005) 671; P. Fischer Zur Abgrenzung von privatem und unternehmerischem Handeln auf Auktionsplattformen im Internet, WRP 2008, 193; U. Fischer Unlauterer Wettbewerb durch Doping im europäischen Profisport? EuZW 2002, 297; Forst Unterlassungsanspruch bei „versehentlicher“ Nichtportierung von Telekommunikationsanschlüssen? WRP 2010, 1231; de Franceschi Unlautere Geschäftspraktiken und Luftbeförderungsverträge: Der Fall Ryanair und die Leitlinien der italienischen Rechtsprechung, euvr 2012, 41; Franz Preisvergleichsportale aus wettbewerbsrechtlicher Sicht, WRP 2018, 20; Frisinger/ Summerer Doping als unlauterer Wettbewerb im Profibereich – Eigene Ansprüche der Mitbewerber gegen den Dopingsünder aus UWG, GRUR 2007, 554; Glöckner Der gegenständliche Anwendungsbereich des Lauterkeitsrechts nach der UWG-Novelle 2008 – ein Paradigmenwechsel mit Folgen, WRP 2009, 1175; Gomille Äußerungsfreiheit und geschäftliche Handlung, WRP 2009, 525; Guilliard Die Tätigkeiten der öffentlichen Hand als geschäftliche Handlung im UWG, GRUR 2018, 791; Hefermehl Der Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts, Festschrift Nipperdey (1955) 233; Hemmerich Möglichkeiten und Grenzen wirtschaftlicher Betätigung von Idealvereinen, Diss. Heidelberg 1981; Hennigs Unlauterer Wettbewerb durch Verwendung unwirksamer Vertragsklauseln, 2017; Henning-Bodewig Haften Privatpersonen nach dem UWG? GRUR 2013, 26; Hintz Die Bedeutung des Wettbewerbsverhältnisses für die Anwendung des UWG, GRUR 1988, 173; Hoffrichter-Daunicht Unlauterer Wettbewerb auf dem Spendenmarkt? Festschrift v. Gamm (1990) 39; Holzgraefe Alles nur ein Spiel? – Rechtsfragen medialer Werbung in Videospielen, UFITA 2011, 519; Hoth Ware und gewerbliche Leistung, WRP 1956, 261; Isele Von der „Wettbewerbshandlung“ zur „geschäftlichen Handlung“: Hat die „Änderung der Voreinstellung“ ausgedient? GRUR 2009, 727; ders. Update: Bearbeitungsfehler im Massengeschäft – „Änderung der Voreinstellung II“, GRUR 2010, 309; Keßler/Micklitz Das neue UWG – auf halbem Wege nach Europa? VuR 2009, 88; Kaumanns/Wießner Vermarktung durch den fingierten Konsumenten K&R 2013, 145; Klöhn Wettbewerbswidrigkeit von Kapitalmarktinformation? ZHR 172 (2008), 388; Koch Kann die Äußerung unrichtiger Rechtsansichten wettbewerbsrechtlich verboten werden?, WRP 2019, 1259; Köhler Zur Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2005, 793; ders. „Wettbewerbshandlung“ und „Geschäftspraktiken“ – Zur richtlinienkonformen Auslegung des Begriffs der Wettbewerbshandlung und zu seiner Definition im künftigen UWG, WRP 2007, 1393; ders. Unrichtige Arztabrechnungen: ein Fall fürs UWG, Festschrift Doepner (2008) 31; ders. Spendenwerbung und Wettbewerbsrecht, GRUR 2008, 281; ders. Unzulässige geschäftliche Handlungen bei Abschluss und Durchführung eines Vertrags, WRP 2009, 898; ders. Die Verwendung unwirksamer Vertragsklauseln: ein Fall für das UWG, GRUR 2010, 1047; ders. Neujustierung des UWG am Beispiel der Verkaufsförderungsmaßnahmen, GRUR 2010, 767; ders. Richtlinienkonforme Gesetzgebung statt richtlinienkonforme Auslegung: Plädoyer für eine weitere UWG-Novelle, WRP 2012, 251; Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig Vorschlag für eine Richtlinie zum Lauterkeitsrecht und eine UWG-Reform, WRP 2002, 1317; Kohte Die Durchführung und Abwicklung von Verträgen im Blickfeld des Lauterkeitsrechts, VuR 2017, 403; Kübler/Simitis Presse und Wettbewerb, JZ 1969, 445; Kulka Der Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, DB 2008, 1548; Kummer Anwendungsbereich und Schutzgut der privatrechtlichen Rechtssätze gegen unlauteren und gegen freiheitsbeschränkenden Wettbewerb (1960); Lehmann Die wettbewerbs- und bürgerlich-rechtlichen Grenzen der wirtschaftlichen Betätigung von Idealvereinen, WRP 1986, 63; Leible/Lehmann/Zech Unkörperliche Güter im Zivilrecht (2011); Leistner Richtiger Vertrag und laute-

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Definitionen

rer Wettbewerb (2007); Lettl Zur Frage der Irreführung bei Kontoauszügen, WuB V B § 5 UWG 1.07; ders. Die geschäftliche Relevanz nach §§ 3 Abs. 2, 3a, 4a Abs. 1, 5 Abs. 1 S. 1 und 5a Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 2 UWG, WRP 2019, 1265; Lindacher Grundfragen des Wettbewerbsrechts, BB 1975, 1311; Luhmann Die Gesellschaft der Gesellschaft, 1997; Lutz Veränderung des Wettbewerbsrechts im Zuge der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2006, 908; Mees Zur wettbewerbsrechtlichen Beurteilung des Verhaltens nach Vertragsschluss, Festschrift Brandner (1996) 473; Mach Influencer-Marketing: „Raus aus der Grauzone – hinein in die rechtliche Problemzone“, WRP 2018, 1166–1171; Mallick/Weller „Authentisch, glaubwürdig, aber nicht privat“ – Ein Blick auf die aktuellen Entwicklungen im Influencer Marketing, WRP 2018, 1289; Messer Wettbewerbsrechtliche Beurteilung von Presseäußerungen, Festschrift v. Gramm (1990) 95; Mestmäcker Die Abgrenzung von öffentlichrechtlichem und privatrechtlichem Handeln im Wettbewerbsrecht, NJW 1969, 1; Ohly Anmerkung zum BGH-Urteil vom 31. 3. 2010 (I ZR 34/08, GRUR 2010, 1117) – Der Ausschluss der Sachmangelhaftung als unlautere geschäftliche Handlung und deren Folgen für die wettbewerbsrechtliche Haftung, LMK 2011, 312950; Piper Zur wettbewerbsrechtlichen Beurteilung von Werbeanzeigen und redaktionellen Beiträgen werbenden Inhalts insbesondere in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, Festschrift Vieregge (1995) 715; ders. Warenproduktion und Lauterkeitsrecht, WRP 2002, 1197; Pommerening Unlautere Vertragsdurchführung (2018); Reimer Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, 2. Aufl. (1947); Reuter Wettbewerbsrechtliche Ansprüche bei Konflikten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern – Terra Incognita? NJW 2008, 3538; Ruhl/Bohner Vorsicht Anzeige! Als Information getarnte Werbung nach der UWGReform 2008, WRP 2011, 375; Samwer Die Störerhaftung und die Haftung für fremdes Handeln im wettbewerblichen Unterlassungsrecht, WRP 1999, 67; Scherer Lauterkeitsrecht und Leistungsstörungsrecht – Veränderung des Verhältnisses durch § 2 I Nr 1 UWG? WRP 2009, 761; dies. Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal für die „Geschäftspraxis“ nach Art. 2 d) UGP-RL − Weitreichende Konsequenzen für die „geschäftliche Handlung“ nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG?, WRP 2014, 517; dies. Abwehransprüche von Verbrauchern und sonstigen Marktbeteiligten gegen unzulässige geschäftliche Handlungen, GRUR 2019, 361; Schirmbacher UWG 2008 – Auswirkungen auf den ECommerce, K&R 2009, 433; Schmidtke Unlautere geschäftliche Handlungen bei und nach Vertragsabschluss (2011); Schlingloff Werbung um Geldspenden gegenüber Verbrauchern als geschäftliche Handlung – Änderungsbedarf im europäischen Kontext?, Festschrift Köhler 2014, 617; Schünemann Die wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand zwischen öffentlichem und privatem Wettbewerbsrecht, WRP 2000, 1001; ders. Handeln „im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs“, WRP 2003, 16; Seichter Der Umsetzungsbedarf der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, WRP 2005, 1087; Sosnitza Der Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, WRP 2008, 1014; v. Tuhr Der Allgemeine Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, Band 2/2 (1918/1957); Ullmann Spenden-Sponsern-Werben, Festschrift Traub (1994) 411; Voigt Idealvereine und andere Nonprofit-Organisationen im Wettbewerbsrecht, Diss. Düsseldorf 2006; ders. Spendenwerbung – ein Fall für das Lauterkeitsrecht? GRUR 2006, 466; ders. Preisangabenverordnung erzwingt mehr Transparenz im Spendenmarkt, WRP 2007, 44; Wilhelm Unlauterer Wettbewerb und Wettbewerbsverhältnis, ZIP 1992, 1139 Zu § 2 Abs. 1 Nr. 2: Beater Mitbewerber und sonstige unternehmerische Marktteilnehmer – Wandel, Bedeutung und Abgrenzung der unternehmensbezogenen Schutzzwecke des UWG, WRP 2009, 768; Köhler Ist die Regelung der Telefonwerbung im UWG richtlinienkonform? WRP 2012, 1329 Zu § 2 Abs. 1 Nr. 3: Beater Mitbewerber und sonstige unternehmerische Marktteilnehmer, WRP 2009, 768; Blankenberg Gespaltenes Verständnis des Mitbewerberbegriffs im UWG? WRP 2008, 186; Borck Aktivlegitimation und Prozessführungsbefugnis beim Wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch, WRP 1988, 707; Bornkamm Das Wettbewerbsverhältnis und die Sachbefugnis des Mitbewerbers, GRUR 1996, 527; Büchler Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs und Wettbewerbsverhältnis im UWG (1981); Dieselhorst Der „unmittelbar Verletzte“ im Wettbewerbsrecht nach der UWG-Novelle, WRP 1995, 1; Dreyer Konvergenz oder Divergenz – Der deutsche und der europäische Mitbewerberbegriff im Wettbewerbsrecht, GRUR 2008, 123; Federer Das Wettbewerbsverhältnis im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (1989); v. Gierke Grenzen der wettbewerbsrechtlichen Störerhaftung, WRP 1997, 892; Hadding Die Klagebefugnis der Mitbewerber und Verbände nach § 13 Abs. 1 UWG im System des Zivilprozessrechts, JZ 1970, 305; Hefermehl Das Prokrustesbett „Wettbewerbsverhältnis“, Festschrift Max Kummer (1980) 345; ders. Grenzen der Klagebefugnis der Gewerbetreibenden und Verbände im Recht gegen den unlauteren Wettbewerb, WRP, 1987, 281; Hintz Die Bedeutung des Wettbewerbsverhältnisses für die Anwendung des UWG, GRUR 1988, 173; Köhler Der „Mitbewerber“, WRP 2009, 499; ders. Funktion und Anwendungsbereich des Mitbewerberbegriffs im UWG, GRUR 2019, 123; Lettl Der Begriff des Mitbewerbers im Lauterkeitsrecht und Kartellrecht, Festschrift Köhler (2014) 429; Nägele Das konkrete Wettbewerbsverhältnis – Entwicklungen und Ausblick, WRP 1996, 997; Rohlfing Unternehmer qua Indizwirkung? MMR 2006, 271; Sack Der Schutzzweck des UWG und die Klagebefugnis des „unmittelbar Verletzten“, Festschrift v. Gamm (1990) 161; ders. Der Mitbewerberbegriff des § 6 UWG, WRP 2008, 1141; ders. Individualschutz gegen unlauteren Wettbewerb, WRP 2009, 1330; ders. Neuere Entwicklungen der Individualklagebefugnis im Wettbewerbsrecht, GRUR 2011, 953

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Schrifttum

§2

Zu § 2 Abs. 1 Nr. 4: Eckhardt Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation – Auswirkungen auf Werbung mittels elektronischer Post, MMR 2003, 557; Micklitz/Schirmbacher Distanzkommunikation im europäischen Lauterkeitsrecht, WRP 2006, 148; Ohlenburg Die neue EU-Datenschutzrichtlinie 2002/58/EG – Auswirkungen und Neuerungen für elektronische Kommunikation, MMR 2003, 82 Zu § 2 Abs. 1 Nr. 5: Alexander Verhaltenskodizes im europäischen und deutschen Lauterkeitsrecht, GRUR Int. 2012, 965; Beck Verhaltenskodizes im Lauterkeitsrecht (2015); Beisheim Gestaltung von Globalisierung durch Selbstverpflichtungen und Verhaltenskodizes, in: Bass/Melchers, Neue Instrumente zur sozialen und ökologischen Gestaltung der Globalisierung (2004) 172; Birk Corporate Responsibility, unternehmerische Selbstverpflichtungen und unlauterer Wettbewerb, GRUR 2011, 196; Buntenbroich Menschenrechte und Unternehmen: Transnationale Rechtswirkungen „freiwilliger“ Verhaltenskodizes (2007); Dreyer Verhaltenskodizes im Referentenentwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb, WRP 2007, 1294; Hoeren Das neue UWG und dessen Auswirkungen auf den B2B-Bereich, WRP 2009, 789; Keßler/Micklitz Die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern, BB Special 13 2005, 1; Lamberti/Wendel Verkäufe außerhalb von Vertriebsbindungssystemen – Bringt die UWG-Reform neue Handlungsmöglichkeiten gegen „Außenseiter“? WRP 2009, 1479; G. Meier Verhaltensregeln der Wirtschaft und „Leistungswettbewerb“, WRP 1978, 514; Messen Internationale Verhaltenskodizes und Sittenwidrigkeitsklauseln, NJW 1981, 1131; Pfister Sportverbandsregeln als Verhaltenskodizes im Sinne des Wettbewerbsrechts, GRUR 2017, 1091; Sack Lauterer und leistungsgerechter Wettbewerb durch Wettbewerbsregeln, GRUR 1975, 297; Schirmbacher UWG 2008 – Auswirkungen auf den E-Commerce, K&R 2009, 433; Schmidhuber Verhaltenskodizes im nationalen und grenzüberschreitenden elektronischen Geschäftsverkehr – Zur Frage der Integration der Selbstregulierung durch Private in die staatliche Rechtsordnung (2004); ders. Verhaltenskodizes im neuen UWG, WRP 2010, 593; Spindler Codes of Conduct im UWG – de lege lata und de lege ferenda, Feschrift Fezer 2016, 849; ders. Selbstregulierung und Zertifizierungsverfahren nach der DS-GVO, ZD 2016, 407; Sosnitza Wettbewerbsregeln nach §§ 24 ff. GWB im Lichte der 7. GWB-Novelle und des neuen Lauterkeitsrechts, Festschrift Bechtold (2006) 515 Zu § 2 Abs. 1 Nr. 6: Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, 38. Aufl. (2018); Forst Die Krankenkassen als Unternehmen im Wirtschaftsrecht der Europäischen Union, ZESAR 2014, 163; Köhler Der „Unternehmer“ im Lauterkeitsrecht, Festschrift Hopt, Band 2 (2010) 2825; Ultsch Der einheitliche Verbraucherbegriff (2005) Zu § 2 Abs. 1 Nr. 7: Alexander Vertragsrecht und Unlauterkeitsrecht unter dem Einfluss der Richtlinie 2005/ 29/EG über unlautere Geschäftspraktiken. Zugleich Besprechung der Entscheidung EuGH, 15. 3. 2012 – C-453/10 – Pereničová und Perenič/SOS, WRP 2012, 515; ders. Verhaltenskodizes im europäischen und deutschen Unlauterkeitsrecht, GRUR Int 2012, 965; ders. Die Rechtsprechung des EuGH zur Richtlinie 2005/29/EG bis zum Jahr 2012, WRP 2013, 17; ders. Die Umsetzung der Verbraucherrechte-Richtlinie und die Auswirkungen auf das Unlauterkeitsrecht, WRP 2014, 501; ders. Fachliche Sorgfalt und Gewinnspielwerbung gegenüber Kindern, WRP 2014, 1010; ders. Anmerkungen zum Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des UWG, WRP 2014, 1384; ders. Die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers, FS Ahrens, 2016, S. 17; ders. Die Neufassung von § 5a UWG, WRP 2016, 139; Bärenfänger Symbiotische Theorie zum Kennzeichen- und Unlauterkeitsrecht, Teil I und II, WRP 2011, 16 bzw. WRP 2011, 160; Berlit Die Zukunft des Preisausschreibens im Lichte der Entscheidung „MillionenChance II“, WRP 2011, 1225; Bieber Die Kontrolle des Berufsrechts der Freiberufler – insbesondere der Rechtsanwälte – mit Hilfe von § 4 Nr. 11 UWG, WRP 2008, 723; Böhler Wettbewerbsrechtliche Schranken für Werbemaßnahmen gegenüber Minderjährigen. Einfluss der UGPRL auf die kinderschützenden Beispielstatbestände des § 4 UWG, WRP 2011, 1028; Boesche Drum kopple, was sich (nicht) ewig bindet. Hohe Hürde der gemeinschaftsrechtlichen Unzulässigkeit von Kopplungsangeboten, WRP 2011, 1345; Dembowski Richtlinienkonformität nationaler Regelungen zum Verbot von Kopplungsangeboten, jurisPR-WettbR 6/2009 Anm. 1; Doepner Selbstwiderlegung der Dringlichkeit in wettbewerbsrechtlichen Verfügungsverfahren: wider eine feste Zeitspanne, WRP 2011; Dohrn Die Generalklausel der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken – ihre Interpretation und Umsetzung, 2008; Dreher/ Ballmaier Die Werbung mit der Rechtsform durch Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, VersR 2011, 1087; Dröge Der „New Deal for Consumers“ – ein Paradigmenwechsel im deutschen UWG, WRP 2019, 160; Emmerich Wettbewerbsbeschränkungen durch die Rechtsprechung, FS Gernhuber, 1993, 857; Fezer Lebensmittelimitate, gentechnisch veränderte Produkte und CSR-Standards als Gegenstand des Informationsgebots im Sinne des Art 7 UGPRL, WRP 2010, 577; Franz „Ein bisschen Spaß muss sein!“, WRP 2019, 15; Fritzsche Überlegungen zum Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des UWG, WRP 2014, 1392; Glöckner Wettbewerbsbezogenes Verständnis der Unlauterkeit und Vorsprungserlangung durch Rechtsbruch, GRUR 2008, 960; ders. Der gegenständliche Anwendungsbereich des Unlauterkeitsrechts nach der UWG-Novelle 2008 – ein Paradigmenwechsel mit Folgen, WRP 2009, 1175; ders. Über die Schwierigkeit, Proteus zu beschreiben – die Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken in Deutschland, GRUR 2013, 224; ders. Rechtsbruchtatbestand oder … The Saga Continues! GRUR 2013, 568; ders. UWG-Novelle mit Konzept und Konsequenz – Anmerkungen zum Referentenent-

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§2

Definitionen

wurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, WRP 2014, 1399; Goldhammer Unlauterkeitsrecht und Leistungsstörungsrecht, 2011; Haberkamm/Kühne Ist Glück (im Spiel) nun käuflich? Zur Zulässigkeit der Koppelung von Warenabsatz und Gewinnspiel – „Plus“, EWS 2010, 417; Helm Hohes Verbraucherschutzniveau. Zur Umsetzung der UGPRL 2005/29/EG, WRP 2013, 710; Henning-Bodewig UWG und Geschäftsethik, WRP 2010, 1094; dies. Der „ehrbare Kaufmann“, Corporate Social Responsibility und das Unlauterkeitsrecht, WRP 2011, 1014; dies. Der Schutzzweck des UWG und die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2013, 238; dies. Erneute UWG-Reform? Einige Anmerkungen zum Referentenentwurf 2014, WRP 2014, 1407; Hobusch/Ochs Rechtsprechungsübersicht zum Medizinprodukterecht und angrenzenden Gebieten 2009/2010, MedR 2011, 553; Hoeren Das neue UWG und dessen Auswirkungen auf den B2B-Bereich, WRP 2009, 789; Kock/ Dinkel Die zivilrechtliche Haftung von Vorständen für unternehmerische Entscheidungen − Die geplante Kodifizierung der Business Judgment Rule im Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts, NZG 2004, 441; Köhler „Täter“ und „Störer“ im Wettbewerbs- und Markenrecht – Zur BGH-Entscheidung „Jugendgefährdende Medien bei eBay“, GRUR 2008, 1; ders. Die UWG-Novelle 2008, WRP 2009, 109; ders. Ist der Unlauterkeitstatbestand des § 4 Nr. 6 UWG mit der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken vereinbar?, GRUR 2009, 626; ders. Unzulässige geschäftliche Handlungen bei Abschluss und Durchführung eines Vertrags, WRP 2009, 898; ders. Neujustierung des UWG am Beispiel der Verkaufsförderungsmaßnahmen, GRUR 2010, 767; ders. Die Verwendung unwirksamer Vertragsklauseln: ein Fall für das UWG. Zugleich Besprechung der BGH-Entscheidungen „Gewährleistungsausschluss im Internet“ und „Vollmachtsnachweis“, GRUR 2010, 1047; ders. Grenzstreitigkeiten im UWG. Zum Anwendungsbereich der Verbotstatbestände des § 3 Abs. 1 UWG und des § 3 Abs. 2 S. 1 UWG, WRP 2010, 1293; ders. Die Kopplung von Gewinnspielen an Umsatzgeschäfte: Wende in der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung. Zugleich Besprechung von BGH, Urt. v. 5. 10. 2010 –I ZR 406 I ZR 4/06 – Millionen-Chance II, GRUR 2011, 478; ders. „Fachliche Sorgfalt“ – Der weiße Fleck auf der Landkarte des UWG, WRP 2012, 22; ders. Dogmatik des Beispielskatalogs des § 4 UWG. Die Ausstrahlung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken auf die Tatbestände des § 4 UWG, WRP 2012, 638; ders Zur Mitbewerberklage gegen die Verwendung unwirksamer AGB. Zugleich Besprechung von BGH, Urteil vom 31. 5. 2012 – I ZR 45/11 – Missbräuchliche Vertragsstrafe, WRP 2012, 1475; ders. Richtlinienumsetzung im UWG – eine unvollendete Aufgabe, WRP 2013, 403; ders. „Haircut“ bei der Preisangabenverordnung am 12. 6. 2013, WRP 2013, 723; Klug Die Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken in Spanien, 2014; Koppensteiner Zwecke im Unlauterkeitsrecht im Zeichen „beruflicher Sorgfalt“, FS Fezer, 2016, 285; Krüger Die Kopplung von Umsatzgeschäften mit Glücksspielen, GRURPrax 2012, 129; Kulka Der Entwurf eines „Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb“, DB 2008, 1548; Leible/Günther „Millionen-Chance II“ – Das endgültige Aus für § 4 Nr. 6 UWG? GRUR-Prax 2011, 209; Luttermann Unternehmensfinanzierung, Geschäftsleiterpflicht und Haftkapital bei Kapitalgesellschaften, BB 2001, 2433; Matern Absatzförderung auf nachgeordneten Vertriebsstufen – lauterkeitsrechtliche Bewertung von Verkaufswettbewerben in der Reisebranche, WRP 2008, 575; Meyer Briefkastenwerbung in Plastikfolie und Gratiszeitungen. Zugleich Anmerkung zu OLG Frankfurt, 9. 12. 2011 – 25 U 106/11, WRP 2012, 788; Möllers/Mederle Werbung von Rechtsanwälten. Moderne Marketingkonzepte und einzelne verfassungs- und europarechtswidrige Normen der BRAO, WRP 2008, 871; Namysłowska Trifft die Schwarze Liste der unlauteren Geschäftspraktiken ins Schwarze? Bewertung im Lichte der EuGH-Rechtsprechung, GRUR Int 2010, 1033; Obergfell Vollharmonisierung im Unlauterkeitsrecht, in: M. Stürner (Hrsg.), Vollharmonisierung im Europäischen Verbraucherrecht, 2009, S. 159; Ohly Nach der Reform ist vor der Reform, GRUR 2014, 1137; Scherer Unlauterkeitsrecht und Leistungsstörungsrecht – Veränderung des Verhältnisses durch § 2 I Nr 1 UWG?, WRP 2009, 761; dies. Die „Verbrauchergeneralklausel“ des § 3 II 1 UWG – eine überflüssige Norm, WRP 2010, 586; Schmidhuber Verhaltenskodizes im neuen UWG. Überlegungen zur Bedeutung für die lauterkeitsrechtliche Praxis in Deutschland, WRP 2010, 593; Schmidtke Unlautere geschäftliche Handlungen bei und nach Vertragsschluss, 2011; Schröder Preisauszeichnung de lege lata mit Risiken? – Rechtsunsicherheiten bei der Preisauszeichnung pfandpflichtiger Getränke durch KG, 21. 6. 2017 – 5 U 185/ 16 – Lieferservice-Portal, abgedruckt in WRP 2018, 226 ff., WRP 2019, 984; Sosnitza Der Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, WRP 2008, 1014; ders. Die Generalklausel des Art. 5 Abs. 2 UGPRL-RL – Totes Recht oder „undiscovered country“?, FS Köhler, 2014, S. 685; Spengler Die Verbrauchergeneralklausel des UWG, 2016; ders. Die lauterkeitsrechtlichen Schranken von In-App-Angeboten, WRP 2015, 1187; Steinbeck Irrwege bei der Irreführung durch Unterlassen, WRP 2011, 1221; Tiller Gewährleistung und Irreführung – Eine Untersuchung zum Schutz des Verbrauchers bei irreführender Werbung, 2005; Wollschläger/Baustian „Der Wettstreit um den Kunden“ – Rechtliche Möglichkeiten des Dialogmarketings nach der Novellierung des UWG 2009, IR 2010, 126; Zabel Das Regelungskonzept des § 3 UWG und die lauterkeitsrechtliche Beurteilung von Gewährleistungsausschlüssen in Verbrauchsgüterkaufverträgen – Teil 1 und 2, VuR 2011, 403 und 449. Zu § 2 Abs. 1 Nr. 8: Alexander Neue Transparenzanforderungen im Internet – Ergänzungen der UGPRL durch den „New Deal for Consumers“, WRP 2019, 1235; Dröge Der „New Deal for Consumers“ – ein Paradigmenwechsel

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Schrifttum

§2

im deutschen UWG, WRP 2019, 160; Pukas Die lauterkeitsrechtliche Zulässigkeit des Erwerbs positiver Kundenbewertungen durch das Bieten finanzieller Anreize oder die Gewährung sonstiger Entgelte, WRP 2019, 1421. Zu § 2 Abs. 1 Nr. 9: Alexander Die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers, FS Ahrens, 2016, S. 17; Köhler UWG-Reform 2015: Im Regierungsentwurf nicht angesprochene Defizite bei der Umsetzung der UGP-Richtlinie, WRP 2015, 1037; ders. Zur „geschäftlichen Relevanz“ unlauterer geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern, WRP 2014, 259; Omsels Die geschäftliche Entscheidung, WRP 2016, 553; Radtke/Camen Des Wortlauts letzter Schluss? Für mehr Rechtssicherheit bei der Kennzeichnung kommerzieller Influencer-Beiträge, WRP 2020, 24; Ruess/Bredies Millionäre dank Millionen Follower: Rechtliche Bewertung der Entscheidungspraxis zum Influencer-Marketing, WRP 2020, 18; Scherer Lauterkeitsrechtliche Grenzen bei Zahlungsaufforderungen durch Mahnschreiben, NJW 2018, 3609. Zu § 2 Abs. 2: Adomeit Die gestörte Vertragsparität – ein Trugbild? NJW 1994, 2467; Alexander Vertragsrecht und Lauterkeitsrecht unter dem Einfluss der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken. Zugleich Besprechung der Entscheidung EuGH, 15. 3. 2012 – C-453/10 – Pereničová und Perenič/SOS, WRP 2012, 515; ders. Die Rechtsprechung des EuGH zur Richtlinie 2005/29/EG bis zum Jahr 2012, WRP 2013, 17; Apetz Das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken, 2011; Apel/Grappenhaus Das Offline-Online-Chaos oder wie die Europäische Kommission den grenzüberschreitenden Werbemarkt zu harmonisieren droht, WRP 1999, 1247; Armgardt Verbraucherschutz und Wettbewerbsrecht: unwirksame AGB-Klauseln im Licht der neueren Rechtsprechung zum UWG und zur UGP-RL, WRP 2009, 122; Balzer Arzt- und Klinikwerberecht. Aktuelle Werbechancen für Arzt und Klinik, 2004; Augenhofer Individualrechtliche Ansprüche des Verbrauchers bei unlauterem Wettbewerbsverhalten des Unternehmers, WRP 2006, 169; Barnert Die formelle Vertragsethik des BGB im Spannungsverhältnis zum Sonderprivatrecht und zur judikativen Kompensation der Vertragsdisparität, zugleich ein Befund judikativer Entwicklungsphasen materieller Vertragsethik im Interzessionsrecht, 1999; Batereau/Barbasch Mitgliedermarketing und Lauterkeitsrecht, ZfgG 62 (2012), 51; Beater Verbraucherschutz und Schutzzweckdenken im Wettbewerbsrecht, 2000; ders. Verbraucherverhalten und Wettbewerbsrecht, Festschrift Tilmann (2003), S. 87; ders. Mitbewerber und sonstige unternehmerische Marktteilnehmer, WRP 2009, 768; Berneke Zum Lauterkeitsrecht nach einer Aufhebung von Zugabeverordnung und Rabattgesetz, WRP 2001, 615; ders. Absicht und Versehen bei Massengeschäften, Festschrift Doepner (2008), 3; Birk Corporate Responsibility, unternehmerische Selbstverpflichtungen und unlauterer Wettbewerb, GRUR 2011, 196; Böttner 80 Jahre „Gute Sitten“. Zum 80. Geburtstag des UWG, WRP 1989, 433; Bornkamm Das Wettbewerbsverhältnis und die Sachbefugnis des Mitbewerbers, GRUR 1996, 927; ders. Wettbewerbs- und Kartellrechtsprechung zwischen nationalem und europäischem Recht, Festschrift 50 Jahre BGH (2000), 343; Brammsen/Apel Madoff, Phoenix, Ponzi und Co. – Bedarf das „Schneeballverbot“ der progressiven Kundenwerbung in § 16 II UWG der Erweiterung? WRP 2011, 400; Bülow Lauterkeitsrecht oder Unlauterkeitsrecht? GRUR 2012, 889; Bülow/Artz, Fernabsatzverträge und Strukturen eines Verbraucherprivatrechts im BGB, NJW 2000, 2049; Bürglen Die Verfremdung bekannter Marken zu Scherzartikeln, Festschrift Gaedertz (1992), 71; Damm, Privatautonomie und Verbraucherschutz, VersR 1999, 129; Dauses, Die Rechtsprechung des EuGH zum Verbraucherschutz und zur Werbefreiheit im Binnenmarkt, EuZW 1995, 425; Dichtl/Brinkmann/Hardock/Ohlwein/Schellhase/Wolf Der Deregulierungsbedarf bei für die Wirtschaft relevanten Rechtsnormen, BB Beilage 1995, Nr. 12; Dohrn Die Generalklausel der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken – ihre Interpretation und Umsetzung, 2008; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998; ders. Die Einwirkung der Grundrechte auf die Auslegung der Generalklauseln des UWG, in: Schricker u. a. (Hrsg.), Neuordnung des Wettbewerbsrechts, 1998, S. 163 ff.; ders. Verbraucherschutz und Electronic Commerce in Europa, in Lehmann (Hrsg), Electronic Business in Europa, 2002, 473; Dreyer Verhaltenskodizes im Referentenentwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb, WRP 2007, 1294; dies. Konvergenz oder Divergenz – Der deutsche und der europäische Mitbewerberbegriff im Wettbewerbsrecht, GRUR 2008, 123; Eck/Ikas Neue Grenzen vergleichender Werbung, WRP 1999, 251; Engel/Stark Verbraucherrecht ohne Verbraucher?, ZEuP 2015, 32; Engels/Stulz-Herrnstadt Aktuelle Rechtsfragen des Direktmarketings nach der UWG-Reform, WRP 2005, 1218; v. Falckenstein Die Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken durch Verbraucherverbände, 1977 (zitiert Verbraucherverbände); ders. Schäden der Verbraucher durch unlauteren Wettbewerb, 1979 (zitiert Schäden); Fechner/Kocher Mindestlohngesetz und Lauterkeitsrecht, NZA 2017, 755; Fezer Die Verteidigung von Marken – Eine Skizze zum neuen Recht, WRP 1995, 617; ders. Objektive Theorie der Lauterkeit im Wettbewerb, Festschrift Schricker (2005), 671; ders. Plädoyer für eine offensive Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken in das deutsche UWG, WRP 2006, 781; Fehrenbacher/Herr Die BGB-Gesellschaft – eine natürliche Person im Sinne des Verbraucherschutzrechts? BB 2002, 1006; Glöckner Der gegenständliche Anwendungsbereich des Lauterkeitsrechts nach der UWG-Novelle 2008 – ein Paradigmenwechsel mit Folgen, WRP 2009, 1175; Göhre Frischer Wind aus Brüssel? Der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung über Verkaufsförderung im Binnenmarkt und das Grünbuch der Europäischen Kommission zum Verbraucherschutz in der Europäischen Union, WRP 2002, 36; Gomille Äußerungsfreiheit

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Definitionen

und geschäftliche Handlung, WRP 2009, 525; Heermann/Ruess Verbraucherschutz nach RabattG und ZugabeVO – Schutzlücke oder Freiheitsgewinn? WRP 2001, 883Henning-Bodewig Richtlinienvorschlag über unlautere Geschäftspraktiken und UWG-Reform, GRUR Int 2004, 183; dies. Die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR Int 2005, 629; dies. Haften Privatpersonen nach dem UWG? GRUR 2013, 26; Herresthal Scheinunternehmer und Scheinverbraucher im BGB, JZ 2006, 695; Hoeren Das neue UWG und dessen Auswirkungen auf den B2B-Bereich, WRP 2009, 789; Isele Von der „Wettbewerbshandlung“ zur „geschäftlichen Handlung“: Hat die „Änderung der Voreinstellung“ ausgedient?, GRUR 2009, 727; Hoffmann Die Verbraucherrolle, 2019; Kessler/Micklitz Das neue UWG – auf halbem Wege nach Europa?, VuR 2009, 88; Kisseler Das deutsche Wettbewerbsrecht im Binnenmarkt, 1994, 1; Klein/Insam Telefonische Abwerbung von Mitarbeitern am Arbeitsplatz und im Privatbereich nach neuem UWG, GRUR 2006, 379; Klöhn Wettbewerbswidrigkeit von Kapitalmarktinformation?, ZHR 172 (2008), 388; Köber Rechtsprechungsübersicht 2012 zum Wettbewerbsrecht in der gesetzlichen Krankenversicherung, KrV 2013, 93; Köhler UWG-Reform und Verbraucherschutz, GRUR 1993, 265; ders. Zum Anwendungsbereich der §§ 1 und 3 UWG nach Aufhebung von RabattG und ZugabeVO, GRUR 2001, 1067; ders. Das neue UWG, NJW 2004, 2121; ders. „Wettbewerbshandlung“ und „Geschäftspraktiken“, WRP 2007, 1393; ders. Spendenwerbung und Wettbewerbsrecht, GRUR 2008, 281; ders. Die Unlauterkeitstatbestände des § 4 UWG und ihre Auslegung im Lichte der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2008, 841; ders. Vom deutschen zum europäischen Lauterkeitsrecht – Folgen der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken für die Praxis, NJW 2008, 3032; ders. Der „Mitbewerber“, WRP 2009, 499; ders. Unzulässige geschäftliche Handlungen bei Abschluss und Durchführung eines Vertrags, WRP 2009, 898; ders. Die Durchsetzung des Vertragsrechts mit den Mitteln des Lauterkeitsrechts, Festschrift Medicus (2009), 225; ders. Der „Unternehmer“ im Lauterkeitsrecht, Festschrift Hopt (2010), 2825; ders. Die Kopplung von Gewinnspielen an Umsatzgeschäfte: Wende in der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung – Zugleich Besprechung von BGH, Urt. v. 5. 10. 2010 – I ZR 4/06 – Millionen-Chance II, GRUR 2011, 478; ders. Ist die Regelung der Telefonwerbung im UWG richtlinienkonform? WRP 2012, 1329; ders. Die Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken in Deutschland – eine kritische Analyse, GRUR 2012, 1073; ders. Richtlinienumsetzung im UWG – eine unvollendete Aufgabe, WRP 2013, 403; Köhler/Lettl Das geltende europäische Lauterkeitsrecht, der Vorschlag für eine EG-Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken und die UWG-Reform, WRP 2003, 1019; ders. UWG-Reform 2015: Im Regierungsentwurf nicht angesprochene Defizite bei der Umsetzung der UGP-Richtlinie, WRP 2015, 1037; M. Köhler #Alles Werbung? – Sind Influencer-Posts redaktionell getarnte Werbung? – Anmerkung zu KG, Urteil vom 8. 1. 2019 – 5 U 83/18, ZUM-RD 2019, 135; Krebs Verbraucher, Unternehmer oder Zivilpersonen. Zur Einordnung von BGB-Gesellschaften und anderen „Verbänden“ ohne eigenes Gewerbe oder selbstständige berufliche Tätigkeit, DB 2002, 517; Kulka Der Entwurf eines „Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb“, DB 2008, 1548; Kur Die Harmonisierung des Lauterkeitsrechts durch Angleichungsmaßnahmen in angrenzenden Bereichen, in: Schricker u. a. (Hrsg.), Neuordnung des Wettbewerbsrechts, 1998, S. 116 ff.; Lehmler Das Recht des unlauteren Wettbewerbs. Eine systematische Darstellung, 2002; Leisner Der mündige Verbraucher in der Rechtsprechung des EuGH – Zur europarechtlichen Zulässigkeit abstrakter Gefährdungstatbestände (§§ 6a, 6b UWG), EuZW 1991, 498; Lettl Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor irreführender Werbung in Europa, 2004; ders. Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor Irreführung in Europa, GRUR Int. 2004, 85; ders. Das neue UWG, GRUR-RR 2009, 41; ders. Werbung mit einem Telefonanruf gegenüber einem Verbraucher nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 UWG n.F., WRP 2009, 1315; Mach Influencer-Marketing: „Raus aus der Grauzone – hinein in die rechtliche Problemzone“, WRP 2018, 1166; Mäsch/Hesse Multi-Level-Marketing im straffreien Raum – Veränderungen der strafrechtlichen Beurteilung von Direktvertriebssystemen durch die UWG-Novelle 2004. GRUR 2010, 10; Mallick/Weller „Authentisch, glaubwürdig, aber nicht privat“ – Ein Blick auf die aktuellen Entwicklungen im Influencer Marketing, WRP 2018, 1289; Mees Der Patient als Verbraucher – Ein neuer Topos des wettbewerbsrechtlichen Verbraucherschutzes? Festschrift Ullmann (2006), 755; Messer Wettbewerbsrechtliche Beurteilung von Presseäußerungen, Festschrift v. Gamm (1990), 95; Micklitz/Keßler Funktionswandel des UWG, WRP 2003, 919; Nägele Das konkrete Wettbewerbsverhältnis – Entwicklungen und Ausblick, WRP 1996, 977; Nippe Belästigung zwischen Wettbewerbshandlung und Werbung, WRP 2006, 951; Ohly Die Bemühungen um eine Rechtsvereinheitlichung auf EU-Ebene von den Anfängen bis zur Richtlinie über irreführende Werbung von 1984, in: Schricker u. a. (Hrsg.), Neuordnung des Wettbewerbsrechts, 1998, S. 69 ff.; Omsels Kritische Anmerkungen zur Bestimmung der Irreführungsgefahr, GRUR 2005, 548; Pfeiffer Der Verbraucher nach § 13 BGB, in Schulze/Schulte-Noelke (Hrsg.), Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts, 2001, 177; Quiring Die Abwerbung von Mitarbeitern im Licht der UWG-Reform – und vice versa, WRP 2003, 1181; v Randow Rating und Wettbewerb, ZBB 1996, 85; Rohlfing Unternehmer qua Indizwirkung?, MMR 2006, 271; Sack Auswirkungen der Art. 30, 36, 59 EG-Vertrag auf das Recht des unlauteren Wettbewerbs, in: Schricker u. a. (Hrsg.), Neuordnung des Wettbewerbsrechts, 1998, S. 139 ff.; ders. Regierungsentwurf einer UWG-Novelle – ausgewählte Probleme, BB 2003, 1073; ders, Die relevante Irreführung im Wettbewerbsrecht, WRP 2004, 521; ders. Der Mitbewerberbegriff des § 6 UWG, WRP 2008, 1141;

Peukert/Fritzsche

766

Gesetzgebungsmaterialien

§2

ders. Individualschutz gegen unlauteren Wettbewerb, WRP 2009, 1330; Scherer Privatrechtliche Grenzen der Verbraucherwerbung, 1996; dies. Lauterkeitsrecht und Leistungsstörungsrecht – Veränderung des Verhältnisses durch § 2 I Nr. 1 UWG?, WRP 2009, 761; dies. Die Verwechslungsgefahr im Marken- und Wettbewerbsrecht – einheitliche Auslegung? WRP 2013, 8; dies. Die Leerformel vom „hohen Verbraucherschutzniveau“, WRP 2013, 977; Schloßer Unlautere Werbung durch Stellenanzeigen; Schmidhuber Verhaltenskodizes im neuen UWG, WRP 2010, 593; K. Schmidt Verbraucherbegriff und Verbrauchervertrag – Grundlagen des § 13 BGB, JuS 2006, 1; Schmidtke Unlautere geschäftliche Handlungen bei und nach Vertragsabschluss, 2011; Schubert Fragen der wettbewerbsrechtlichen Aktivlegitimation und des Wettbewerbsverhältnisses, ÖBl 1991, 5; Sosnitza Der Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, WRP 2008, 1014; Spliethoff Verkehrsauffassung und Wettbewerbsrecht, 1992; Steindorff Unlauterer Wettbewerb im System des EG-Rechts, WRP 1993, 139; Stuyck/Terryn/van Dyck Confidence through fairness? The new Directive on unfair Business-to-Consumer Commercial Practices in the Internal Market, CML Rev 43 (2006), 107; Tiller Gewährleistung und Irreführung, 2005; Ullmann Das Koordinatensystem des Rechts des unlauteren Wettbewerbs im Spannungsfeld von Europa und Deutschland, GRUR 2003, 817; Ultsch Der einheitliche Verbraucherbegriff, 2006; Voigt Spendenwerbung – ein Fall für das Lauterkeitsrecht?, GRUR 2006, 466; Wassermeyer Schockierende Werbung, GRUR 2002, 126; Weber Die BGB-Gesellschaft als Verbraucher?, JA 2018, 307; I. Westermann Bekämpfung irreführender Werbung ohne demoskopische Gutachten, GRUR 2002, 403; Wilhelm Unlauterer Wettbewerb und Wettbewerbsverhältnis, ZIP 1992, 1139; ders. Der durch unlauteren Wettbewerb Verletzte, Festschrift Musielak (2004), 675.

Gesetzgebungsmaterialien Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. 3. 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (Rahmenrichtlinie), EG-Abl. L 108/33 (zit.: Rahmenrichtlinie 2002/21) Referentenentwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, 23. 1. 2003, GRUR 2003, 298 (zit.: RefE UWG 2004) Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinien 84/450/EWG, 97/7/EG und 98/27/EG (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken), 18. 6. 2003, KOM (2003) 356 endgültig, 2003/0134 (COD) (zit.: Vorschlag UGPRL) Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), 22. 8. 2003, BTDrucks. 15/1487 (zit.: RegE UWG 2004) Europäisches Parlament, Bericht über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinien 84/450/EWG, 97/7/EG und 98/27/EG (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (KOM(2003) 356 – C50288/2003 – 2003/0134(COD)), 18. 3. 2004, A5–0188/2004 (zit.: Europäisches Parlament, Bericht UGPRL) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, – Drucksache 15/1487 – Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), 26. 3. 2004 (zit.: Bericht Rechtsausschuss UWG 2004) Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinien 84/450/EWG, 97/7/EG und 98/27/EG (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (KOM (2003) 356 – C5–0288/2003 – 2003/0134 (COD)), 20. 4. 2004, P5_ TA(2004)0298 (zit.: Europäisches Parlament, Legislative Entschließung UGPRL, 20. 4. 2004) Europäischer Rat, Entwurf der Begründung des Rates, Gemeinsamer Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/ EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr./2004 des Europäischen Parlaments und des Rates („Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken“), 29. 10. 2004, 11630/04 ADD 1 (zit.: Europäischer Rat, Standpunkt UGPRL) Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über

767

Peukert/Fritzsche

§2

Definitionen

unlautere Geschäftspraktiken) (11630/2/2004 – C60190/2004 – 2003/0134 (COD)), 24. 2. 2005, P6_TA(2005)0048 (zit.: Europäisches Parlament, Legislative Entschließung UGPRL, 24. 2. 2005) Diskussionsentwurf, Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), BMJ, Referat III B 5, 8. 5. 2007 (zit.: DiskE UWG 2008) Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, 20. 8. 2008, BTDrucks. 16/10145 (zit.: RegE UWG 2008) Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, EU-ABl. L 304/64 (zit.: VerbraucherR-RL) Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs, 30. 9. 2018. (RefE fairer Wettbewerb)

Übersicht 1

A.

Einführung

I.

Entstehungsgeschichte des Definitionskata1 logs

II.

Bedeutung und Kritik des Definitionskata4 logs

B.

Die Definitionen im Einzelnen

I. 1.

15 Geschäftliche Handlung, § 2 Abs. 1 Nr. 1 15 Entstehungsgeschichte 16 a) UWG 1909 19 b) UWG 2004 23 c) UWG 2008 Vergleich zu unionsrechtlichen Begrif29 fen a) Wettbewerbsverhalten gem. Art. 6 Abs. 1 30 und 2 Rom II-VO b) Geschäftspraktik gem. Art. 2 lit. d 32 UGPRL c) (Vergleichende) Werbung gem. Art. 2 lit. a, 43 c IrreführungsRL 2006 d) Unerbetene Nachrichten zu Zwecken der Direktwerbung gem. Art. 13 Daten46 schutzRL-EK 48 Funktion und Bedeutung 48 a) Anwendungsbereich des Gesetzes b) Die Unterscheidung zwischen Marktverhalten und nicht-wirtschaftlichem Verhal53 ten c) Vorrang spezieller Regelungen zur Unzuläs59 sigkeit geschäftlicher Handlungen d) Tatbestandsvoraussetzungen im Über61 blick 62 Unternehmensbezug des Verhaltens 62 a) Jedes Verhalten b) Einer Person zugunsten des eigenen Unter67 nehmens aa) Eigennütziges Verhalten eines Unter69 nehmers

2.

3.

4.

Peukert/Fritzsche

15

5.

6.

7.

bb) Private Verhaltensweisen natürlicher 73 Personen cc) Nicht-unternehmerisches Verhalten juristischer Personen und rechtsfähi79 ger Personengesellschaften 86 dd) Hoheitliches Handeln c) Verhalten einer Person zugunsten eines 93 fremden Unternehmens aa) Beauftragte, Mitarbeiter und Vertrags95 partner eines Unternehmens bb) Förderung fremden Wettbewerbs aus 102 eigener Initiative 111 Waren und Dienstleistungen a) Bedeutung des Tatbestandsmerk111 mals 115 b) Begriff der Ware 120 c) Begriff der Dienstleistung 126 Der objektive Zusammenhang a) Bedeutung des Tatbestandsmerkmals: geschäftliches oder außergeschäftliches Ver126 halten b) Kriterien zur Bestimmung des objektiven 136 Zusammenhangs aa) Anwendungsbereich des UWG und Unzulässigkeit geschäftlicher Hand136 lungen 141 bb) Kausalität? cc) Funktionaler Zusammenhang zum eigenen bzw. geförderten Marktverhal143 ten? dd) Funktionaler Zusammenhang zu geschäftlichen Entscheidungen anderer Marktteilnehmer und zum Schutz145 zweck des UWG ee) Objektiver, nicht unmittelbarer Zu158 sammenhang ff) Objektiver, nicht subjektiver Beurtei160 lungsmaßstab Verhalten vor einem Geschäftsabschluss, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen objektiv 174 zusammenhängt

768

Übersicht

a) b) c)

8.

9.

769

Absatz- oder Bezugsförderung 175 186 Unternehmensinterne Vorgänge Außergeschäftliches Verhalten vor einem 191 Geschäftsabschluss 191 aa) Grundsätze bb) Redaktionelle Äußerungen in den Me198 dien cc) Meinungsfreiheit in Bezug auf öffentli210 che Angelegenheiten dd) Wissenschaftliche Kommunika219 tion ee) Künstlerische Kommunika228 tion ff) Religiöse und weltanschauliche Kom232 munikation 236 gg) Spendenwerbung hh) Wettbewerb zwischen Idealvereinen, Gewerkschaften und politischen Par242 teien ii) Äußerungen im Rahmen eines Gerichtsverfahrens: Kommunikation im 246 Rechtssystem 249 jj) Sportliche Wettbewerbe kk) Keine Erweiterung des Anwendungsbereichs des UWG über wettbewerbs254 rechtliche Verkehrspflichten Verhalten bei einem Geschäftsabschluss, das mit dem Abschluss eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammen257 hängt a) Die Rechtslage nach UWG 1909 und UWG 258 2004 b) Vorgaben der UGPRL und Umsetzung im 260 UWG 263 c) Bei einem Geschäftsabschluss 264 aa) Vertragstypen bb) Geschäft zugunsten des eigenen oder eines fremden Unterneh270 mens cc) Zeitliche Dimension: Bei einem Ge274 schäftsabschluss 277 d) Objektiver Zusammenhang aa) Vertragsbezogenes Verhalten von be278 sonderem Gewicht bb) Jede Pflichtverletzung/Leistungsstö281 rung cc) Eignung zur Beeinträchtigung weiterer geschäftlicher Entscheidungen 285 des Vertragspartners Verhalten nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammen292 hängt 293 a) UWG 1909 und UWG 2004 b) Vorgaben der UGPRL und Umsetzung im 295 UWG

c) d)

§2

298 Nach einem Geschäftsabschluss 301 Objektiver Zusammenhang aa) Grundsatz: Eignung zur Beeinflussung geschäftlicher Entscheidun302 gen bb) Erfüllungshandlungen und Pflichtver310 letzungen cc) Sonstiges Verhalten im objektiven Zusammenhang mit der Durchführung 318 eines Produktvertrags

II. 1. 2.

329 Marktteilnehmer, § 2 Abs. 1 Nr. 2 329 Entstehungsgeschichte 333 Bedeutung und Tatbestandsmerkmale 334 a) Marktteilnehmer als Oberbegriff 342 b) Sonstige Marktteilnehmer 342 aa) Bedeutung bb) Begriff des sonstigen Marktteilneh349 mers

III. 1.

356 Mitbewerber, § 2 Abs. 1 Nr. 3 356 Entstehungsgeschichte 356 a) UWG 1896 und UWG 1909 362 b) UWG 2004 Bedeutung und Anwendungsbereich der Legal371 definition 371 a) Übersicht b) Verbotstatbestände und Konkretisierungen 375 der Unlauterkeit 376 aa) Vergleichende Werbung, § 6 bb) Lauterkeitsrechtlicher Schutz vor Ver386 wechslungen gem. § 5 Abs. 2 390 cc) Anhang Nr. 13 zu § 3 Abs. 3 391 dd) Mitbewerberschutz gem. § 4 394 c) Anspruchsberechtigung 399 Jeder Unternehmer Der mit einem oder mehreren Unternehmern in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis 406 steht a) Der Begriff des konkreten Wettbewerbsver406 hältnisses aa) Wortlaut und entstehungsgeschichtli406 cher Hintergrund bb) Wechselbeziehung zwischen Vortei410 len und Nachteilen cc) Verdichtete Wettbewerbsbezie416 hung dd) Behinderungs- und Substitutionswett418 bewerb ee) Die besondere Interessenlage von Mit421 bewerbern ff) Antagonistische, unternehmerische 424 Interessenkollision b) Per-se-Mitbewerber: Unternehmer auf dem435 selben Markt

2.

3. 4.

Peukert/Fritzsche

§2

Definitionen

c)

aa) Grundsätze der lauterkeitsrechtlichen 435 Marktabgrenzung 443 bb) Derselbe sachliche Markt 443 (1) Grundsatz (2) Gleichartige/substituierbare Waren oder Dienstleistun445 gen (3) Ungleichartige/nicht substituierbare Waren oder Dienstleistun455 gen 461 cc) Derselbe räumliche Markt 470 dd) Derselbe zeitliche Markt Ad-hoc-Mitbewerber: Unmittelbare Beeinträchtigung marktfremder Unterneh472 mer 472 aa) Grundsätze bb) Fallgruppen unmittelbarer Beeinträchtigung marktfremder Unterneh476 mer (1) Insbesondere Herabsetzungen und Anschwärzungen gem. § 4 476 Nr. 1 und 2 (2) Insbesondere unlautere Nachah479 mungen gem. § 4 Nr. 3 (3) Insbesondere gezielte Behinde482 rungen gem. § 4 Nr. 4 485 (4) Rechtsbruch gem. § 3a (5) Andere geschäftliche Handlun489 gen (6) Konkretes Wettbewerbsverhältnis bei Förderung fremden Ab494 satzes oder Bezugs

IV. 1. 2.

499 Nachricht, § 2 Abs. 1 Nr. 4 499 Bedeutung und Entstehungsgeschichte 510 Begriff der Nachricht a) Definition gem. § 2 Abs. 1 Nr. 4 510 1. Hs b) Ausnahmeregelung gem. § 2 Abs. 1 Nr. 4 519 2. Hs

V. 1. 2.

525 Verhaltenskodex, § 2 Abs. 1 Nr. 5 525 Entstehungsgeschichte Bedeutung von Verhaltenskodizes im Lauter531 keitsrecht a) Verhaltenskodex und Lauterkeitsmaß531 stab b) Irreführende geschäftliche Handlungen im 537 Hinblick auf Verhaltenskodizes c) Verhaltenskodizes, die UWG-Verstößen Vor542 schub leisten 546 Begriff des Verhaltenskodexes 549 a) Vereinbarungen oder Vorschriften b) Selbstregulierung geschäftlicher Handlungen im Hinblick auf die Lauterkeit 557 des Wettbewerbs

3.

Peukert/Fritzsche

c) d) VI. 1.

2.

3.

4.

Wirksamkeit und Verbindlichkeit des Ver567 haltenskodexes 574 Beispiele für Verhaltenskodizes

575 Unternehmer, § 2 Abs. 1 Nr. 6 575 Entstehungsgeschichte 575 a) UWG 1909 576 b) UWG 2004 579 c) UWG 2008 Bedeutung des Unternehmerbegriffs im 583 UWG 584 a) Unternehmen und Unternehmer 586 b) Unternehmer als Marktteilnehmer c) Unternehmer und die Unzulässigkeit ge590 schäftlicher Handlungen 594 d) Anspruchsberechtigung e) Unternehmer als Adressaten lauterkeits595 rechtlicher Verbote aa) Europäisches Lauterkeitsrecht: nur 596 Gewerbetreibende bb) UWG: Jede Person, die eine gem. § 3 oder § 7 unzulässige geschäftliche 600 Handlung vornimmt Unternehmensinhaber gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 606 1. Hs 606 a) Grundsätze 611 b) Absatz von Produkten c) Planmäßigkeit und Dauer der Absatztätig615 keiten 619 d) Entgeltlichkeit 623 e) Selbständigkeit f) Beginn und Ende des Unternehmer625 tums 630 g) Person 642 h) Darlegungs- und Beweislast Personen, die im Namen oder Auftrag eines Unter644 nehmers handeln (§ 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs.) a) Unionsrechtlicher Hintergrund und Bedeu644 tung b) Bedeutung des § 2 Abs. 1 Nr. 6 649 2. Hs aa) Verhältnis zur Förderung fremden Wettbewerbs gem. § 2 Abs. 1 649 Nr. 1 651 bb) Verhältnis zu § 8 Abs. 2 cc) Unternehmerbezogene Regelungen im 655 UWG c) Tatbestandsvoraussetzungen des § 2 Abs. 1 661 Nr. 6 2. Hs

666 VII. § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG 666 1. Einführung a) Entstehungsgeschichte und umgesetzter 666 Tatbestand der UGPRL 669 b) Inhalt und Zweck der Regelung

770

§2

Alphabetisches Stichwortverzeichnis

c)

2.

3.

Anwendungsbereich und Bedeu673 tung 682 Elemente der Definition a) Standard an Fachkenntnissen und Sorg682 falt 683 aa) Fachkenntnisse bb) „Sorgfalt“ innerhalb der unternehme685 rischen Sorgfalt cc) Standard an Fachkenntnissen und 689 Sorgfalt (1) Vorgaben der UGPRL und 690 des UWG (2) Gesetzliche Vorgaben aus dem 691 Verbraucherrecht (3) Berufsrecht und ähnliche Markt692 verhaltensregeln (4) Verhaltenskodizes und Werbe694 richtlinien (etc.) (5) Empfehlungen von Fachleuten und Sachverständigen 697 (etc.) (6) Ermittlung der Standards im Üb699 rigen b) Im Tätigkeitsbereich des Unternehmers ge701 genüber Verbrauchern c) Treu und Glauben unter Berücksichtigung 704 der Marktgepflogenheiten aa) Anständige Marktgepflogenhei705 ten 709 bb) Treu und Glauben d) Billigerweise zu erwartende Einhaltung ge711 genüber Verbrauchern Unternehmerische Sorgfalt in Rechtsprechung 719 und Schrifttum

721 VIII. § 2 Abs. 1 Nr. 8 UWG 721 1. Einführung a) Entstehungsgeschichte und umgesetzter 721 Tatbestand der UGPRL 722 b) Bedeutung des Begriffs 2. Wesentliche Beeinflussung des wirtschaftlichen 724 Verhaltens des Verbrauchers a) Vornahme einer geschäftlichen Handlung 725 gegenüber einem Verbraucher b) Spürbare Beeinträchtigung der Fähigkeit des Verbrauchers, eine informierte Entschei725 dung zu treffen 726 aa) Informierte Entscheidung bb) Beeinträchtigung der Fähigkeit zur 728 Entscheidung

cc)

c)

d) e)

Spürbarkeit der Beeinträchtigung der 729 Fähigkeit zur Entscheidung dd) Zielgerichtetheit der geschäftlichen 731 Handlung bzw. Kausalität Veranlassung einer geschäftlichen Entscheidung, die der Verbraucher andernfalls nicht 731 getroffen hätte Kasuistik zur „wesentlichen Beeinflus733 sung“ Entscheidungsrelevanz bei Irreführungen und außerhalb des harmonisierten Be734 reichs

4.

737 § 2 Abs. 1 Nr. 9 UWG EU-rechtlicher Hintergrund und Entstehungsge738 schichte Bedeutung des Begriffs „geschäftliche Entschei742 dung“ 746 Der Begriff im Einzelnen 746 a) „Entscheidung“ 747 b) Geschäftsbezug der Entscheidung 752 Einzelfälle

C.

Verbraucherbegriff, § 2 Abs. 2

I. 1.

759 Einführung Entstehungsgeschichte, Entwicklung des Verbraucherbegriffs und unionsrechtlicher Hinter759 grund 767 Inhalt und Zweck der Regelung

IX. 1. 2. 3.

2. II.

759

5. 6.

Elemente des Tatbestands (§ 13 BGB i. V. m. § 2 771 Abs. 2 UWG) Entsprechende Anwendung für Zwecke des Un773 lauterkeitsrechts 775 Natürliche Person (§ 13 BGB) Kein überwiegender Zusammenhang mit der gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätig782 keit der natürlichen Person Objektiver Zweck der Tätigkeit der natürlichen 789 Person 792 Dual-use-Fälle 798 Maßgeblicher Zeitpunkt

III.

Beweislast

IV.

Verbraucherleitbild (§ 3 Abs. 4 UWG)

1. 2. 3.

4.

800 801

Alphabetisches Stichwortverzeichnis Abmahnung 248 Abschluss eines Vertrags 61, 134, 257 ff., 296, 563, 772 ff.

771

Ad-hoc-Meldung 140 Adressat 191, 198, 203, 247, 322, 800 Adressatenkreis 802

Peukert/Fritzsche

§2

Definitionen

AGB 434, 671, 681 Aggressive Geschäftspraxis 677, 680, 689, 719, 722 Aktivlegitimation 347, 370, 394, 402, 415 Allgemeine Geschäftsbedingung, s. auch AGB 288, 487, 554 als Information getarnte Werbung 202, 498, 795 Anfechtung 291 Angebote, private 77 f., 617 f., 787 Anhang zu § 3 Abs. 3, Nr. 1, Nr. 3, Nr. 8, Nr. 13, s. auch UWG-Anhang 5, 538, 659, 719, 742, 760 Anschwärzung 420, 476, 478 Anspruchsberechtigung 394, 594 Anständige Marktgepflogenheiten 668 ff., 704 ff. Anwendungsbereich 48 ff., 136 ff., 254 ff., 371 ff., 673 ff. Anzeigengeschäft 201 Arbeitnehmer 95, 100 f., 122 ff., 189, 341, 401, 554, 566, 624, 662, 764 f., 782 f., 788, 791 Aufforderung zum Kauf 12 Aufklärungspflicht 686, 718 Aufmerksamer Verbraucher 765 Auslegung 5, 42, 139, 372, 413, 507, 684, 688, 742, 790, 799 Auslegung – richtlinienkonforme 10, 12, 38 f., 44, 373, 377, 385, 389, 419, 545, 599, 668, 672, 679, 721, 738, 752, 765, 769, 772, 774, 792 – gespaltene 9, 385 f. Ausreißer 691, 714 außergeschäftliches Verhalten 28, 54, 59, 126, 137, 191 Austauschbarkeit 380 f., 438, 454, 474, 479 Beauftragter 95 ff., 401, 494 f., 551, 580, 585, 592, 603, 624, 639, 651 ff. Bedarfsmarktkonzept 437 Bedeutung des Verbraucherbegriffs 733 ff. Behinderung, gezielte 431, 482 ff. Behinderungswettbewerb 418 Beispiele für Verstöße gegen die unternehmerische Sorgfalt 719 ff. Beispielstatbestände 676, 679, 719 Belästigung 677, 690, 752 Belästigung, unzumutbare 345, 433, 499, 677, 690 Beratung 718 Berücksichtigung sozialer, kultureller und sprachlicher Faktoren 765 Berufliche Sorgfalt 527, 529, 666, 670 f., 673 ff., 680, 694 f., 713 Berufsausübung 684, 692 f. Berufsrecht 692 f., 716 Beschwerdeverfahren 671 ff., 715 Beseitigungsanspruch 403, 580, 651 betriebsinterne Vorgänge 190 Beweisaufnahme 728 Beweislast 642 f., 793, 800 BGB 2, 79, 119, 254, 264, 269, 275, 300, 339, 554, 577 f., 580 ff., 631, 636, 660, 670, 672, 674 f., 681, 686,

Peukert/Fritzsche

689 ff., 709, 735, 747, 750, 764, 773 ff., 788, 798 ff. BGB (§ 13 BGB) 759, 764 f., 769 f., 771 ff., 800 Billigerweise zu erwartende Einhaltung 711 ff. Billigkeit 713 Black List s. UWG-Anhang Branchenüblichkeit 668, 706 ff., 715 business to business (B2B) 41, 159, 270, 382, 559, 671 business to consumer (B2C) 36, 152, 270, 305, 393, 538, 559 consumer to business (C2B) 35, 77, 270 Corporate Governance Kodex 555 Corporate Social Responsibility 566 Darlegungslast 18, 179, 642 f. Datenschutzrecht 7, 47, 346, 503 ff., 520 ff. DatenschutzRL-EK 7, 46 f., 346, 500 ff., 592 Dauerhaftigkeit 616 Dauerschuldverhältnis 315 f. De Landtsheer 378 ff., 389, 394 ff., 418, 451, 478 Definition 682 ff. Deliktsrecht, allgemeines 48 ff., 55 ff., 125, 153, 205, 243, 405 Dienstleistung, Begriff 120 ff. Direktwerbung 7, 46 ff., 500, 505, 512 Doping 250 ff. Dual-use-Güter 793 Durchführung eines Vertrages 26, 36, 292 ff. Durchschnittsverbraucher 170, 344, 679, 689, 703, 711, 713, 727 ff., 765 Eignung zur Beeinflussung 674 ff., 730 ff. Einwilligung 690, 751, 753 Einzelkaufmann 634 elektronische Post 7, 47, 509, 515, 524 E-Mail 7, 138, 241, 335, 414 f., 433 f., 491, 509 ff., 690, 748, 753 Empfänger 133, 287, 325, 346, 433, 499, 520, 523 f. Empfehlungen 754 Entgeltlichkeit 619 ff. Entsprechende Geltung (von § 13 BGB) 765, 773, 784, 792, 800 Erbrecht 267 Erfüllungsanspruch 319 Erfüllungshandlungen 274 ff., 300, 310 ff. Erstbegehungsgefahr 190, 256, 470, 545, 794 Europarechtliche Vorgaben 762 ff., 784 Existenzgründer 798 f. Existenzgründung 625 ff., 798 f. Fachkenntnisse 682 ff., 689 ff., 711 f. fachliche Sorgfalt, auch unternehmerische Sorgfalt 666 ff., 682 ff., 717 ff. Fahrlässigkeit 675 Fahrschule 692, 733 Familienrecht 267 Filmunternehmen 452 Förderung des Absatzes oder des Bezugs 36, 119, 128 ff., 174 ff., 516

772

Alphabetisches Stichwortverzeichnis

Fortbildung 786 Freie Berufe 688 Freizeitgestaltung 786 Fundstelle 727 Funktionale Betrachtung 668 Funktionsidentität 380, 438 Gebot 702, 712 Geschäft 263 ff. geschäftliche Entscheidung 12, 26, 65, 147 ff., 191 ff., 285 ff., 302 ff., 679, 682, 687 Geschäftliche Handlung 3, 5, 8, 14 ff., 24 ff., 34, 41, 49, 57 ff., 78, 82, 85, 87, 95 ff., 101 ff., 114 ff., 134, 137 ff., 156, 163, 171, 185, 189 ff., 199 ff., 223, 234, 246 ff., 255 ff., 260, 283, 297, 313, 317 ff., 327, 341 ff., 370, 400, 408, 418, 425 ff., 448, 472 ff., 505, 511, 545, 557 ff., 572 ff., 587, 606 ff., 665 ff., 687 ff., 701 ff., 717 Geschäfts- und Betriebsgeheimnis 50, 185 f. Geschäftsabschluss 174 ff., 257 ff., 292 ff. Geschäftspraktik 32 ff. Gesellschafter 120, 639 f. Gesellschaftsverträge 120, 267 gesetzliche Krankenversicherung 88, 90, 605 gesetzliche Pflicht 178, 555 Gesetzliche Vorschriften 555, 684, 692 Gewerbetreibender 17, 545, 552, 575 ff., 581, 598, 645 f. Gewerbliche u. ä. Tätigkeit 606 ff., 759, 763 f., 769, 772, 782 ff. Gewerkschaft 28, 55 ff., 81, 99, 125, 242 f. Gewinnerzielungsabsicht 70, 400, 620, 787 Gewinn-/Glückspiel 183, 438, 458, 700, 706, 733, 753, 756 Gleichartigkeit 440 f., 445, 451 f., 474 Grundstück 76, 115 Gründungsphase 70, 402 Gute Sitten 674, 677 Haftungsrecht 675, 685 Handelbarkeit 114 ff., 127, 269, 299, 444 Handeln im geschäftlichen Verkehre zu Zwecken des Wettbewerbs 15 f. Handelsbrauch 555, 671, 705 Handelsgeschäft 28, 32 ff., 53, 97, 114, 131, 141 ff., 260 ff., 296, 774, 793 Handelsgewerbe 575 Handelsvertreter 97, 188 ff., 623, 634 Handlung 62 ff. Handlungswille 66 Handwerkskammer 88 Hausverbot 185 Herabsetzung 136, 383, 391, 476 ff. Hersteller 117, 390, 411, 422, 439, 447 ff., 480, 483, 498 Herstellung 188, 561 hoheitliches Handeln 86 f. Holdinggesellschaft 404 Idealverein 242 ff 781

773

§2

im Auftrag 7644 ff., 661 ff. im Namen 644 ff., 654 ff. Image 133, 182 ff., 379 ff., 702, 773 Immobilienmakler 76, 453, 465 Immobilienverwaltung 787 Impressumspflicht 684 Information 671, 680 ff., 714, 717 ff., 726 ff. Influencer 70, 204 Informationspflicht 681, 684, 689, 891, 772 f. Innengesellschaft 638 Insolvenzverwalter 640 Interessen – antagonistische 397, 423 ff., 435, 442, 454 f., 460, 472 f., 476, 485, 497 – gegenläufige 421, 462 – gleichgerichtete 421 Interessenabwägung 712 interne Vorgänge 186 f. Internet – Domain 73, 414, 458, 484, 487, 628 – Forum 74, 107 – Netzwerk 74 – Verbraucherbewertung 107, 217 Interview 184, 205 Irreführung 53, 140, 146, 223, 237, 393, 528, 537, 540 f., 562, 566, 570, 591, 596, 679, 714, 720, 727, 733 ff., 774 f. Irreführungsrichtlinie 762, 802 IrreführungsRL 2006 43 ff. Juristische Person 776 ff. Kapitalgesellschaft 79, 635, 642 Kartellrecht 266 ff., 299, 437 ff., 535, 568, 609, 693 Kaufkraftwettbewerb 397, 431 Kaufmann 671 Kausalität 141, 303, 312 Kirche 55 ff., 238, 338, 405, 492 Klagebefugnis 360 f., 398 Kommunikationsdienst, elektronischer 502 ff., 510 ff. Kommunikationsnetz – elektronisches 506, 513 ff. – öffentliches 504, 521 Konkretisierung 674, 676 Konsumverein 84 Konzern 188, 404, 554 Koppelung 700, 706, 733 Körperschaft 79, 88 ff., 605, 781 Krankenkasse 88 ff., 109, 605, 631, 786 Krankheit 786 Kulturelle Faktoren 765 Kunde 110, 177 ff., 208, 278, 294, 314 ff., 346, 361, 429, 458, 484, 491, 498, 555 Kundenbeschwerde 326, 671 Kundenzufriedenheit 677 Kundenzufriedenheitsanruf 227, 324, 676 Kunst 54 f., 115, 155, 228 ff., 241, 452, 623 Ladengeschäft 429, 464, 628

Peukert/Fritzsche

§2

Definitionen

Lebensmittel 679, 786 Lebensmittelsicherheit 697 Leistungsstörungsrecht 675, 685 Lohnsteuerhilfeverein 84, 188, 457 Markt – derselbe 443 ff., 461 ff., 470 ff. – sachliche 443 ff. – räumliche 461 ff. – zeitliche 470 ff. Marktabgrenzung 435 ff. Marktforschung 227 Marktgepflogenheiten 668 ff., 677, 686, 704 ff. Marktpartner 676, 689, 712 Marktteilnehmer 329 ff., 585 ff. – Oberbegriff 333 ff. – sonstiger 342 ff., 586 ff. Marktverhaltensregeln 673 ff., 692 f. Maßgeblicher Zeitpunkt 798 f. Mehrheit von Verbrauchern 777 ff. Meinungsforschung 677 Meinungsfreiheit 54 ff., 139, 210 ff. Mitarbeiter 57, 95 ff., 188 f., 225, 401, 494 f. Mitbewerber 356 ff., 701 – abstrakter 360 Mitgliederwerbung 81, 84, 90, 243 Mitgliedsbeitrag 84, 243 Mitgliedstaatliche Vorschriften 691 Monopolist 21, 27, 72, 407 Multi-Level-Marketing 799 Muttergesellschaft 404 Nachahmung 117, 420, 479 Nachfragemarkt 450, 463 ff., 472 Nachfrager 334 f., 447 Nachfragewerbung 35, 45, 181 ff., 377 Nachlassverwalter 641 Nachricht, elektronische 7, 346, 499 ff. Nationaler Gesetzgeber 676, 679, 691, 694, 706 Natürliche Person 775 ff. Nebenerwerbstätigkeit 791 Negative Abgrenzung 757, 793 Nicht-Verbraucher 764 f., 780 Normatives Verbraucherleitbild 802 Nutzer 346, 508 Objektiver Maßstab 676 f., 683, 688, 709 Objektiver Zweck des Handelns 789 ff. öffentliche Hand siehe Staat Online-Shop 618, 628 Partei 57, 239, 242, 245 Per-se-Mitbewerber 411, 435 ff. Person – juristische 69, 79 ff., 349 ff. – natürliche 69, 73 ff., 334 f., 350587, 640 – unternehmergleiche 352, 401, 644 ff. Personengesellschaft 79, 82 f., 639, 777 f., 781 Personengesellschaften 777 ff. Pflichtverletzung 144, 281 ff., 310 ff.

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Planmäßigkeit 57, 68, 608 ff., 615 ff. Preisangaben 692, 714 Preisvergleich 271 Presseerklärung 184 Pressekodex 562 Private Zwecke 779, 782 ff., 786, 790 ff. privater Konsum 75, 106, 590 Privatsphäre 47, 187, 504 ff., 520 ff. Produkt 54 ff., 112 ff., 127,200 Professionalität 676 ff., 704 PVÜ 670, 672, 674, 705 ff. Rahmenrichtlinie 2002/21 513 f. Rechnung 259, 320 ff. Rechtsangleichung, vollständige 8, 42, 284, 313, 373, 377, 387, 599 Rechtsanwalt 205, 218, 414, 453, 459, 471 Rechtsbruch 60, 485 ff., 533, 678 f., 694, 735 Rechtsgeschäft 747, 759, 772 f., 782 ff. redaktionelle Äußerungen 132 f., 198 ff. reglementierter Beruf 12 Reichweite des Verbraucherleitbilds 801 Reichweitenforschung siehe Marktforschung Reisebüro 718 Religion 48, 54, 232 ff. Richtlinien 762 ff. Rom II-VO 30 f., 52 Rücksichtnahme 681, 686 f., 696, 713, 715 Rufausbeutung 382, 391, 422 Rundfunkanstalt 452, 458 Sanktionsdefizit 240, 253, 434 Schadensersatzanspruch 403, 470, 498 Scheinunternehmer 797 Schneeballsysteme 799 Schutzbedürftigkeit 765 f., 775 ff., 788, 793, 798 Schutzgesetz 799 Schutzniveau 138, 529, 573, 712, 738 Schutzsubjekt 14, 77, 106, 337 ff., 375, 591, 761, 767 f. Selbständige berufliche Tätigkeit 782 ff. Selbständigkeit 623 f. Selbstregulierung 526 ff., 557 ff. Sendeunternehmen 422 f., 448, 452, 458, 484 Sorgfalt 666 ff., 682 ff., 711 ff Spendenwerbung 236 ff. Sport 54 f., 244, 249 ff. Staat 30, 41, 57, 86 ff., 270, 405, 572, 631, 646 Standard 670, 676, 682 ff., 689 ff. Steuerberater 84, 453, 623 Störerhaftung 254, 367 f., 646 Substituierbarkeit 85, 374, 379 ff., 411, 438 ff., 445 ff. Substitutionswettbewerb 418 ff. Tarifvertrag 566 Tätigkeit – berufliche 69, 77, 453, 579 ff., 606 f., 623, 645 f. – gewerbliche 69, 77, 350 f., 400, 579 f., 615 f., 645 f. – handwerkliche 69, 579, 606, 615 f. Tätigkeit des Unternehmers 701 ff.

774

Alphabetisches Stichwortverzeichnis

technische Störung 66 Teilnehmer 74, 333, 346, 519, 521 f. Telekommunikation 480, 504 f., 514 f., 574 Teleologische Auslegung 778 Testamentsvollstrecker 641 Testfoto 218 Testkauf 185 Treu und Glauben 668, 704 ff., 709 ff. Typenbezeichnung 689 Typisierte Verstöße 680, 714 Überobligationsmäßiges Verhalten 696, 714 Übertriebenes Anlocken 544 Üblichkeit 706, 709 UGP-Richtlinie, UGPRL 32 ff., 260 ff., 295 ff., 666 ff., 721 ff., 738 ff., 763 ff. Umsetzung von Richtlinien 762 ff., 780 ff. Unionsrecht 6, 11, 29, 41, 52, 373, 384, 391, 394, 419, 509, 545, 604, 644, 652, 672, 684 ff., 714, 733, 759 ff. Unlauterkeit 5, 117, 136 ff., 281, 316, 343, 372, 375, 391, 534, 560, 572, 590, 666 ff., 700 ff., 714 f., 730, 735 ff., 764 Unlauterkeitsdefinition 673 Unlauterkeitstatbestände 347, 485, 689 f., 722 unmittelbar Verletzter 17 Unterlassen 63 ff., 149, 255, 549 Unterlassungsanspruch 328, 360, 467, 575, 651 Unternehmen 67 ff., 93 ff., 270 ff., 584 ff. Unternehmer 69 ff., 333 ff., 399 ff., 574 ff. Unternehmerische Tätigkeit 70, 587, 608, 618, 620, 625, 628, 793 ff., 798 f. unzulässige Beeinflussung 12 Urheber eines Kodex 7, 12, 545 UWG 1896 1, 17, 356 ff., 383, 676 UWG 1994 361, 366 f., 398, 445 UWG 2004 19 ff., 258 ff., 293 ff., 362 ff. UWG-Anhang 676, 714, 727, 729, 743, 750, 757, 775, 799 Veräußerungsgeschäft 791 Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen 361 Verbot 13 f., 119, 140, 153, 261, 296, 392, 394, 564, 595, 673, 690 Verbraucher 1, 8, 30 ff., 57, 77 ff., 105 ff., 145 ff., 202, 211, 259 ff., 296, 329 ff., 391 ff., 405, 425 ff., 453, 472, 487, 491 ff., 535 ff., 550 ff., 577, 586 ff., 604 ff., 615 ff., 633, 669 ff., 679, 682 ff. Verbraucherleitbild 770 f., 801 ff. Verbraucherbegriff/-definition 759 ff. Verbrauchergeneralklausel 679, 701, 721 ff., 730, 735, 741 f., 760 Verbraucherrechterichtlinie 764Verbraucherschutz 6, 216, 686, 691, 697, 710 ff. vergleichende Werbung 1, 43, 376 f., 381, 388 Verhaltenskodex 3, 7, 525 ff., 694 f. Verhaltensunrecht 14, 341, 423, 587

775

§2

Verkaufsförderungsmaßnahme 184, 700, 706, 733 Verkehrspflicht 65, 253 ff. Verkehrssitte 694, 705 Vermögensverwaltung 777 ff., 787, 791 Vermutung für Verbraucherhandeln 783, 793 Vernünftigerweise zu erwartende Einhaltung 713 ff. Versicherung 99, 109, 454, 456, 484, 493, 786 Versicherungsunternehmen 74, 90, 459, 477, 493 Vertragsanbahnung 686, 709 f., 746, 748, 756, 772, 800 Vertragsdurchführung 702, 710, 732 Vertragspartner 26, 95 ff., 281, 285 ff., 304 ff., 665 Vertragsrecht 26, 258, 284, 313, 318 f. Vertragstypus 702 Vertriebsbindungssystem 449, 564 Verwaltungsvorschrift 531, 546 f., 571 Vollharmonisierung 710, 764 f., 780, 796 vollständige Rechtsangleichung 8, 42, 284, 313, 373, 377, 387, 599 Vorabentscheidungsverfahren 605 Vorgesellschaft 637 Vorgründungsgesellschaft 637 Vorschriftenkatalog 547, 549, 567 Vorsorge 786 Vorvertragliche Pflichten 681, 686, 718, 772 f. Ware 115 ff. Warentest 217 Wechselbeziehung 359, 365, 410 ff. Werbeagentur 452 Werberichtlinien 694 ff., 716 Werbung 180 ff. – vergleichende 1, 43, 376 f., 381, 388, 762 – irreführende 1, 12, 382, 431 wesentliche Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens des Verbrauchers 12, 281 Wesentliche Informationen 673, 680, 684, 699,, 714, 730, 734, 742 Wettbewerbsabsicht 18, 21 f., 40, 129, 160 ff., 168 ff., 220 ff. wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung 266, 544, 568 Wettbewerbshandlung 1 ff., 15 f., 19 ff., 129, 162, 259, 363 ff. Wettbewerbsregel 532, 544 f., 550, 574 Wettbewerbsverbot 640 Wettbewerbsverhalten 30 ff., 359, 411, 604, 633 Wettbewerbsverhältnis – abstraktes 360 ff., 408 – horizontales 36, 152, 355, 399 – konkretes 5, 14, 21, 338, 350 f., 356 ff., 363 ff., 383, 389 f., 406 ff., 449, 464 ff., 473 f., 484, 588, 660 – potentielles 407 – vertikales 432 Widerruf 275, 288, 291 Wiederholungsgefahr 101, 138, 328, 470, 794

Peukert/Fritzsche

§2

Definitionen

Wirksamkeitsangabe 680 – konkretes 21, 358 f., 363 ff., 383, 410 ff., 449, 473 f., 484, 659 Wirtschaftsstufen 344, 365, 411, 422 f., 448 Wissenschaft 48, 54, 219 ff. Wissenschaftliche Absicherung 680 Zeitpunkt der Beurteilung 798 f.

Zeitschriftenbeitrag 184 Zeitung 56, 200, 438, 452 Zugabe 183, 265, 535, 621 Zusammenhang – objektiver 58, 104, 141, 147, 152 f., 156 ff., 175, 301 ff. – unmittelbarer 38, 151, 158 ff. Zweck des Verbraucherhandelns 782 ff.

A. Einführung I. Entstehungsgeschichte des Definitionskatalogs 1 Weder dem UWG 1896 noch dem UWG 1909 waren Definitionen wesentlicher Gesetzesbegriffe vorangestellt. Diese Regelungstechnik hat erst im Zuge der Neufassung des UWG im Jahr 2004 Einzug in das Lauterkeitsrecht gefunden. Sie geht zurück auf den privaten Entwurf für eine EU-Richtlinie zum Lauterkeitsrecht und eine parallele UWG-Reform, den Helmut Köhler, Joachim Bornkamm und Frauke Henning-Bodewig im Jahr 2002 auf der Basis von Diskussionen einer Arbeitsgruppe „Unlauterer Wettbewerb“ des Bundesministeriums der Justiz vorlegten. Art. 2 des Richtlinien- und wortgleich § 2 des UWG-Entwurfs sollten die „wesentlichen Begriffe“ des Vorschlags definieren, wie dies in Richtlinien üblich sei.1 Hierzu zählten die Begriffe Wettbewerbshandlung,2 unlautere Wettbewerbshandlung,3 Verbraucher,4 Mitbewerber,5 Marktteilnehmer,6 Werbung,7 vergleichende Werbung8 und irreführende Werbung.9 2 Wie in manch anderer Hinsicht10 beeinflusste dieser Vorschlag für einen Definitionskatalog die UWG-Reform 2004 maßgeblich. „Entsprechend neuerer Gesetzgebungstechnik“11 fanden

1 Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, 1325 f. 2 Definiert als „jede Handlung mit dem Ziel, zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens den Absatz oder den Bezug von Waren oder die Erbringung oder den Bezug von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen, zu fördern“, siehe Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, 1319. 3 Definiert als „jede Wettbewerbshandlung, die den anständigen Gepflogenheiten in Handel, Gewerbe, Handwerk oder selbständiger beruflicher Tätigkeit zuwiderläuft;“, siehe Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, 1319. 4 Definiert als „jede Person, die als Partner eines Rechtsgeschäfts in Betracht kommt, das weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zuzurechnen ist;“, siehe Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, 1319. 5 Definiert als „jeder Unternehmer, der mit einem oder mehreren Unternehmern als Nachfrager oder Anbieter von Waren oder Dienstleistungen in Wettbewerb steht;“, siehe Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, 1319. 6 Definiert als „neben Verbrauchern und Mitbewerbern alle Unternehmer, die als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen auf einem Markt tätig sind;“, siehe Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, 1319. 7 Definiert als „jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder einer selbständigen beruflichen Tätigkeit mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen, zu fördern;“, siehe Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, 1319. 8 Definiert als „jede Werbung, die Waren, Dienstleistungen, Tätigkeiten oder persönliche oder geschäftliche Verhältnisse von Mitbewerbern vergleicht und die Mitbewerber oder die von ihnen angebotenen Waren oder Dienstleistungen unmittelbar oder mittelbar erkennbar macht;“, siehe Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, 1319. 9 Definiert als „jede Werbung, die in irgendeiner Weise – einschließlich ihrer Aufmachung – die Personen, an die sie sich richtet oder die von ihr erreicht werden, zu täuschen geeignet ist und die aus diesem Grund ihr wirtschaftliches Verhalten beeinflussen oder Mitbewerber schädigen kann.“, siehe Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, 1319. 10 Zur Zweckklausel des § 1 siehe § 1 Rn. 3 ff. 11 RefE UWG 2004, GRUR 2003, 298, 303 f.; RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 13, 16.

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A. Einführung

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sich in § 2 UWG 2004 Begriffsbestimmungen für die Wettbewerbshandlung,12 den Marktteilnehmer13 und den Mitbewerber,14 die sich trotz Abweichungen im Detail an den Vorschlägen von Köhler, Bornkamm und Henning-Bodewig orientierten. Für den Verbraucher- und Unternehmerbegriff wurden § 13 und § 14 BGB für entsprechend anwendbar erklärt. Neu hinzu trat lediglich die Definition des Begriffs „Nachricht“. Im Zuge der Umsetzung der UGPRL durch das UWG 2008 wurde der Begriff der „Wettbe- 3 werbshandlung“ durch „geschäftliche Handlung“ ersetzt, die in § 2 Abs. 1 Nr. 1 mit abweichendem Wortlaut definiert wird. Ebenfalls geändert wurde die Begriffsbestimmung des Unternehmers, die nunmehr eine eigenständige Formulierung in § 2 Abs. 1 Nr. 6 gefunden hat. Neu hinzu traten die Definitionen der aus der UGPRL stammenden Termini Verhaltenskodex und fachliche Sorgfalt in § 2 Abs. 1 Nr. 5 und 7.15 Die „klarstellende“ Ergänzung der Umsetzung der UGPRL durch das UWG 2015 führte zu einer Änderung im Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 7 sowie zu zwei weiteren Definitionen, nämlich der Definition der „wesentlichen Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens des Verbrauchers“ (§ 2 Abs. 1 Nr. 8) und der „geschäftlichen Entscheidung“ (§ 2 Abs. 1 Nr. 9).16

II. Bedeutung und Kritik des Definitionskatalogs Der Definitionskatalog soll im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit eine ver- 4 bindliche Grundlage für eine möglichst einheitliche Auslegung und Anwendung des UWG bieten.17 Hierfür werden in Absatz 1 neun Begriffe eigenständig definiert, während Absatz 2 den Verbraucherbegriff des § 13 BGB für entsprechend anwendbar erklärt.18 Dieses Regelungsziel wird allerdings nur bedingt erreicht: Zunächst sind die Definitions- 5 normen ihrerseits in ganz erheblichem Maße auslegungsbedürftig. Das gilt etwa für die wortreiche Bestimmung dessen, was eine geschäftliche Handlung ausmacht, oder für den dogmatischen Begriff des „konkreten Wettbewerbsverhältnisses“ in § 2 Abs. 1 Nr. 3. Diese Auslegung umfasst eine Analyse der §§ 3 ff., die mit den Definitionsvorschriften eine systematische Einheit in Kapitel 1 des Gesetzes bilden. So lässt sich den Spezialregelungen der Unlauterkeit gem. §§ 3a ff. und dem Anhang zu § 3 Abs. 3 entnehmen, welche Verhaltensweisen jedenfalls eine geschäftliche Handlung gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 darstellen. Es besteht also ein komplexer Erläuterungszusammenhang zwischen dem Definitionskatalog und den übrigen Vorschriften des UWG, der durch eine Betrachtung des gesamten Gesetzes zu erschließen ist. Das Verständnis und damit die praktische Wirksamkeit der Definitionen werden ferner da- 6 durch erschwert, dass § 2 wie das UWG insgesamt sowohl deutsche als auch unionsrechtliche Konzepte des Lauterkeitsrechts kodifiziert. Diese Ansätze unterscheiden sich jedoch zum Teil grundlegend. Insbesondere reguliert das UWG das Marktverhalten aller Marktteilnehmer im Allgemeininteresse am unverfälschten Wettbewerb, während die UGPRL mit einem Fokus auf den Verbraucherschutz nur Geschäftspraktiken von Gewerbetreibenden (Unternehmern) gegenüber Verbrauchern erfasst.19

12 Definiert in § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG 2004 als „jede Handlung einer Person mit dem Ziel, zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens den Absatz oder den Bezug von Waren oder die Erbringung oder den Bezug von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen zu fördern“. 13 Definiert in § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG 2004 als „neben Mitbewerbern und Verbrauchern alle Personen, die als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen tätig sind;“. 14 Definiert in § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG 2004 als „jeder Unternehmer, der mit einem oder mehreren Unternehmern als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis steht;“. 15 Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 30 Rn. 2. 16 Dazu RegE UWG 2015, BRDrucks. 26/15, S. 8; Rechtsausschuss UWG 2015, BTDrucks. 18/6571, S. 14. 17 Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 30 Rn. 4; Götting/Nordemann Rn. 1. 18 Zu diesem Unterschied siehe Fezer/Büscher/Obergfell § 2 A Rn. 2 ff. (Definitionsnorm und Verweisungsnorm). 19 Dazu § 1 Rn. 123 ff.

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Definitionen

Auf den ersten Blick unproblematisch scheint die Umsetzung von Definitionen aus EURichtlinien noch zu sein, wenn dies gesondert von autonom-deutschen Begriffen und mit dem genauen Wortlaut der betreffenden Richtlinie erfolgt. So verhält es sich bei Absatz 1 Nr. 4 bis 6, 8 und 9 die die Art. 2 lit. d DatenschutzRL-EK, Art. 2 lit. f UGPRL und Art. 2 lit. b, lit. e und lit. k UGPRL/Art. 2 lit. d IrreführungsRL 2006 umsetzen.20 Freilich bleiben selbst dann Irritationen nicht aus, da die Richtlinienbegriffe selektiv in das deutsche System übernommen werden. Der Begriff der Nachricht gem. § 2 Abs. 1 Nr. 4 ist nur vor dem telekommunikations- und datenschutzrechtlichen Hintergrund der DatenschutzRL-EK verständlich; zudem weicht seine einzige Verwendung in § 7 Abs. 2 Nr. 4 von der Richtlinie ab, die im Kontext verschleierter Direktwerbung eigentlich nur elektronische Post (E-Mails) und nicht wie die deutsche Regelung alle elektronischen Nachrichten erfasst.21 Während der „Verhaltenskodex“ in § 2 Abs. 1 Nr. 5 gemäß der UGPRL definiert wird, hielt der Gesetzgeber eine Umsetzung der Begriffsbestimmung für den „Urheber eines Kodex“ für überflüssig, obwohl es sich hierbei ebenfalls um ein Element der Verhaltenskodizes im europäischen Lauterkeitsrecht handelt.22 Schließlich führt die wortlautgetreue Umsetzung der Definition des „Gewerbetreibenden“ in § 2 Abs. 1 Nr. 6 im Hinblick auf diejenigen Personen, die im Namen oder Auftrag eines Unternehmers handeln (2. Halbsatz), zu Abstimmungsproblemen im Verhältnis zur Definition geschäftlicher Handlungen gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1, die in deutscher Tradition bereits die Förderung fremden Wettbewerbs durch Nicht-Unternehmer erfasst.23 Der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit ist es ferner nicht zuträglich, zentrale Begriffe wie 8 die „geschäftliche Handlung“ und den „Verbraucher“ abweichend von den entsprechenden Begrifflichkeiten der UGPRL zu definieren. Zwar hat man hierdurch einheitliche Begriffe für das UWG geschaffen, das einen weiteren Anwendungsbereich als die Richtlinie hat. Da die UGPRL aber zu einer vollständigen Rechtsangleichung führt, ist dennoch stets zu prüfen, ob ein Sachverhalt in ihren Harmonisierungsbereich fällt. Diese für das Verbotsniveau und die Letztentscheidungskompetenz (EuGH oder BGH/BVerfG) entscheidende Frage ist innerhalb der nur scheinbar kohärenten Begriffe der geschäftlichen Handlung und des Verbrauchers zu beantworten, aus denen letztlich doch wieder die „Geschäftspraktik“ bzw. der „Verbraucher“ gem. Art. 2 lit. a und b UGPRL herauszuschälen sind.24 9 Ähnliche Abstimmungsschwierigkeiten zum EU-Lauterkeitsrecht wirft die Definition des Mitbewerbers in § 2 Abs. 1 Nr. 3 auf. Hierbei handelt es sich wiederum nur auf den ersten Blick um eine rein innerdeutsche Angelegenheit, da eine vergleichbare Begriffsbestimmung im europäischen Lauterkeitsrecht fehlt. Indes findet sich der Terminus des Mitbewerbers auch in den vollharmonisierenden Art. 4 lit. d, f, h IrreführungsRL 2006 und Art. 6 Abs. 2 lit. a UGPRL. Deren autonome Auslegung durch den EuGH orientiert sich selbstverständlich nicht an der Definition des UWG. Abweichungen im Begriffsverständnis führen zu einem gespaltenen Mitbewerberbegriff, je nachdem, ob der Sachverhalt vom Harmonisierungsbereich der Richtlinien erfasst ist oder nicht.25 10 Im Ergebnis wirft daher nur eine von zehn Definitionen keine Folgefragen zur richtlinienkonformen Auslegung des UWG auf. Hierbei handelt es sich um die in der Tat rein autonom-deutsche Definition des „sonstigen Marktteilnehmers“, die jedoch eher von akademischem denn von praktischem Interesse ist.26 7

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Ebenso zum Begriff vergleichender Werbung § 6 Abs. 1 in Umsetzung Art. 2 lit. c IrreführungsRL 2006/114. Dazu unten § 2 Abs. 1 Nr. 4 Rn. 499 ff. Siehe Art. 2 lit. g UGPRL und Art. 2 lit. e IrreführungsRL 2006/114. Dazu unten § 2 Rn. 93 ff. Dazu § 3 Rn. 69 ff. Dazu § 2 Rn. 375 ff. Dazu § 2 Rn. 329 ff.

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Im Übrigen verdeckt der Definitionskatalog des § 2 nur die vom Unionsrecht ausgelöste, systematische und teleologische Fragmentierung des Lauterkeitsrechts. Die Vorschrift erleichtert daher eine kohärente Anwendung des Gesetzes nicht, sondern hat eher den gegenteiligen Effekt. Hierzu trägt nicht zuletzt der Umstand bei, dass mehrere Definitionen des EU-Lauterkeitsrechts keinen Eingang in das UWG gefunden haben, nämlich zu den Begriffen „Werbung“ und „irreführende Werbung“,27 „Urheber eines Kodex“,28 „Produkt“,29 „Aufforderung zum Kauf“,30 „unzulässige Beeinflussung“31 und „reglementierter Beruf“.32 Insoweit wird der Rechtsanwender auch nach zwei Umsetzungsgesetzen von vornherein darauf verwiesen, dass er, „um das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung zu beachten, gleichsam in der einen Hand das UWG, in der anderen die Richtlinie halten“ muss.33 Ein letzter Grund dafür, dass § 2 kaum zur Rechtsklarheit und Rechtssicherheit beiträgt, ist dogmatischer Natur. Vier von zehn Definitionen beziehen sich auf Personenkategorien, nämlich auf Marktteilnehmer, Mitbewerber, Unternehmer und Verbraucher. Hierdurch entsteht der Eindruck, das UWG reguliere auf der Basis eindeutig zugeteilter Rollen. Diese werden anhand allgemeiner Kriterien ex ante und somit statisch festgelegt. Ob ein lauterkeitsrechtliches Verbot ergeht, hängt dann unter anderem davon ab, welche Personenkategorie betroffen ist. Aber auch dieser Schein trügt. Richtig ist zwar, dass das UWG im Hinblick auf die Schutzsubjekte, die Aktiv- und die Passivlegitimation zwischen verschiedenen Personenkreisen unterscheidet. Und doch ist das UWG als Verhaltensunrecht konzipiert.34 Es ist anwendbar auf geschäftliche Handlungen, die gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 grundsätzlich von jeder „Person“ vorgenommen werden können: Private können eigeninitiativ den Wettbewerb fremder Unternehmen fördern, während Unternehmer ggf. rein private Nachfragehandlungen vornehmen. Ob das UWG einschlägig ist und eine geschäftliche Handlung untersagt, hängt also nicht von einer vorher zugewiesenen Rolle im Markt, sondern von der konkret in Rede stehenden Verhaltensweise ab.35 Jene ist maßgeblicher Bezugspunkt der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung. Sie konstituiert den Interessengegensatz, der zu lösen ist. Nur in Bezug auf die streitgegenständliche geschäftliche Handlung kann bestimmt werden, welche Personen und Interessen betroffen sind, und ob ein Verbot zu ergehen hat. Deshalb zählen zu den Mitbewerbern nicht nur diejenigen Unternehmer, die von vornherein im selben Markt wie der unlauter handelnde bzw. geförderte Unternehmer tätig sind, sondern ggf. auch marktfremde Unternehmer, die erst durch die geschäftliche Handlung unmittelbar nachteilig in ihren unternehmerischen Interessen beeinträchtigt werden und hierdurch zu Ad-hoc-Mitbewerbern werden.36 Das konkrete Wettbewerbsverhältnis gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 besteht also nicht im statischen Sinne, sondern wird durch eine geschäftliche Handlung ggf. begründet. Nur diese Betrachtungsweise entspricht der Dynamik des grundsätzlich freien wirtschaftlichen Wettbewerbs, dessen Ergebnis und Teilnehmerkreis nicht vorab feststehen.

27 Siehe Art. 2 lit. a und b IrreführungsRL 2006/114. Definitionen für Werbung, irreführende und vergleichende Werbung hingegen noch bei Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, 1319. Art. 2 lit. e IrreführungsRL 2006/114, Art. 2 lit. g UGPRL. Art. 2 lit. c UGPRL. Art. 2 lit. i UGPRL. Dazu und zur Umsetzung in § 5a Abs. 3 UWG Alexander WRP 2012, 125 ff. Art. 2 lit. j UGPRL. Art. 2 lit. l UGPRL. Siehe Köhler GRUR 2010, 767, 768; Köhler WRP 2012, 251, 252; zu Recht kritisch Götting/Nordemann/Wirtz § 3 Rn. 2 ff. Siehe § 1 Rn. 83 ff.; Henning-Bodewig GRUR 2013, 26, 27; verfehlt EuGH 3. 10. 2013 – C-59/12 – GRUR 2013, 1159, 1161 Tz. 41 („persönlicher Anwendungsbereich“ der UGPRL). 35 Henning-Bodewig GRUR 2013, 26, 27; Glöckner/Kur GRUR-Beilage 2014, 29, 39. 36 Dazu § 2 Rn. 472 ff.

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B. Die Definitionen im Einzelnen I. Geschäftliche Handlung, § 2 Abs. 1 Nr. 1 1. Entstehungsgeschichte 15 Die für den Anwendungsbereich des UWG zentrale Definition der geschäftlichen Handlung geht teilweise auf die entsprechenden Begrifflichkeiten des UWG 1909 und des UWG 2004 zurück. Daher sind die Kernelemente des „Handelns im geschäftlichen Verkehre zu Zwecken des Wettbewerbs“ (§ 1 UWG 1909) und der „Wettbewerbshandlung“ (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG 2004) im Rahmen der Entstehungsgeschichte des geltenden Begriffs der geschäftlichen Handlung zu skizzieren.

16 a) UWG 1909. § 1 UWG 1909 war auf Handlungen anwendbar, die „im geschäftlichen Verkehre zu Zwecken des Wettbewerbes“ vorgenommen wurden. Als Handeln im geschäftlichen Verkehr wurde jedes der Förderung eines Geschäftszweckes dienende Verhalten im Gegensatz zu einer rein privaten oder amtlichen Betätigung angesehen.37 Zu Zwecken des Wettbewerbs agierte man, wenn ein objektiv als Wettbewerbshandlung zu beurteilendes Verhalten in der Absicht erfolgte, den eigenen oder fremden Wettbewerb zum Nachteil eines anderen zu fördern, sofern diese Absicht nicht völlig hinter anderen Beweggründen – wie etwa redaktioneller Berichterstattung – zurücktrat.38 In objektiver Beziehung wurde ein Tun verlangt, das äußerlich geeignet war, den Absatz 17 des eigenen oder eines fremden Unternehmens39 zu fördern, wodurch der Absatz der Mitbewerber beeinträchtigt wird. Es musste also zwischen den erstrebten Vorteilen, die auch in der Abwendung eines Nachteils bestehen konnten, und den dem Verletzten durch das angegriffene Verhalten drohenden Nachteilen eine Wechselwirkung bestehen.40 Diese Wechselwirkungslehre lässt sich bis zum UWG 1896 zurückverfolgen, zu dem der 3. Strafsenat des Reichsgerichts entschied, dass der Begriff des Wettbewerbs bedeutet, dass der Geschäftsbetrieb anderer Gewerbetreibender beeinträchtigt und gerade hierdurch der eigene Absatz gefördert wird.41 Hiermit war der Grundstein gelegt, dass unmittelbar Verletzter des § 1 UWG 1909 nur derjenige sein konnte, der durch das Handeln im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs beeinträchtigt wurde. Die Verknüpfung von Anwendungsbereich und Mitbewerberstellung ist durch die Unterscheidung zwischen geschäftlicher Handlung (§ 2 Abs. 1 Nr. 1) und Mitbewerber (§ 2 Abs. 1 Nr. 3) aufgegeben worden.42 Neben der objektiven Eignung einer Handlung, den Wettbewerb zu beeinflussen, wurde 18 in subjektiver Hinsicht eine auf die Förderung des eigenen oder fremden Wettbewerbs gerichtete Absicht des Handelnden verlangt.43 Hierfür genügte es, wenn diese Absicht gegen37 RG 27. 5. 1924 – II 332/23 – RGZ 108, 272 – Merr; RG 18. 10. 1932 – I 774/32 – RGSt 66, 380; BGH 17. 3. 1953 – I ZR 118/52 – GRUR 1953, 293, 294 – Fleischbezug; ausführlich GK-UWG1/Schünemann Einl. D Rn. 165 ff. m. w. N.

38 Vgl. BGH 27. 6. 2002 – I ZR 86/00 – GRUR 2002, 1093, 1094 – Kontostandsauskunft m. w. N.; BGH 1. 4. 2004 – I ZR 317/01 – GRUR 2004, 693, 694 – Schöner Wetten; ausführlich GK-UWG1/Schünemann Einl. D Rn. 193 ff. m. w. N.

39 Zur Förderung fremden Wettbewerbs RG 16. 2. 1899 – 4767/98 – RGSt 32, 27, 29 – Drucktuch (UWG 1896); BGH 17. 3. 1953 – I ZR 118/52 – GRUR 1953, 293, 294 – Fleischbezug; BGH 7. 3. 1996 – I ZR 33/94 – GRUR 1996, 798, 800 – Lohnentwesungen. 40 RG 24. 6. 1930 – II 43/30 – GRUR 1930, 977, 978; BGH 17. 3. 1953 – I ZR 118/52 – GRUR 1953, 293, 294 – Fleischbezug; BGH 26. 2. 1960 – I ZR 166/58 – GRUR 1960, 384, 386 – Mampe Halb und Halb; BGH 14. 7. 1961 – I ZR 40/60 – GRUR 1962, 45, 47 – Betonzusatzmittel m. w. N. 41 RG 16. 2. 1899 – 4767/98 – RGSt 32, 27, 28 – Drucktuch. 42 Näher § 2 Rn. 362 ff. 43 RG 19. 5. 1926 – I 2 57/25 – MuW 1927, 53, 55; RG 27. 11. 1928 – II 175/28 – MuW 1929, 121, 122; BGH 26. 10. 1951 – I ZR 8/51 – BGHZ 3, 270, 276, 277 – Constanze I; BGH 17. 3. 1953 – I ZR 118/52 – GRUR 1953, 293, 294 – Fleischbezug; a. A. Reimer Kap. 67 Anm. 5.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

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über den eigentlichen Beweggründen (etwa redaktioneller oder weltanschaulicher Art) nicht völlig in den Hintergrund trat.44 Handelten Kaufleute im geschäftlichen Verkehr, wurde die Wettbewerbsabsicht vermutet.45 Bei der Förderung fremden Wettbewerbs musste der Anspruchsteller hingegen die Wettbewerbsabsicht anhand der Umstände und Indizien darlegen und ggf. beweisen.46

b) UWG 2004. Der Anwendungsbereich des UWG 2004 wurde durch den Begriff der „Wettbe- 19 werbshandlung“ bestimmt.47 Hierunter war gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG 2004 „jede Handlung einer Person mit dem Ziel“ zu verstehen, „zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens den Absatz oder den Bezug von Waren oder die Erbringung oder den Bezug von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen zu fördern.“ Diese Begriffsbestimmung geht auf den Privatentwurf von Köhler, Bornkamm und Hen- 20 ning-Bodewig zurück, der bis auf die Worte „einer Person“ bereits eine gleichlautende Regelung der Wettbewerbshandlung enthielt.48 Zur Erläuterung hieß es, dieser Terminus reiche weiter als der Begriff der Werbung gem. Art. 2 lit. a IrreführungsRL 2006/114, da auch das Handeln von Personen (Privatpersonen, Behörden, Organisationen usw.), die den Wettbewerb eines fremden Unternehmens fördern wollen, sowie Handlungen im Nachfragewettbewerb erfasst seien. Damit entspreche der Begriff in der Sache dem Handeln im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs im Sinne von § 1 UWG 1909.49 Während der Referentenentwurf noch davon ausging, dass die erforderliche Wettbewerbs- 21 absicht wie zu § 1 UWG 1909 ein konkretes Wettbewerbsverhältnis zwischen dem geförderten und dem benachteiligten Unternehmen bedinge,50 erläuterte der Regierungsentwurf zum UWG 2004, ein solches Verhältnis sei für die Anwendung des UWG nicht mehr Voraussetzung, so dass auch Unternehmer mit Monopolstellung erfasst würden.51 In der Tat fehlt im Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG 2004 der Konnex zwischen der beabsichtigten Wettbewerbsförderung und dem Nachteil eines anderen Mitbewerbers, der in § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG 2004 gesondert definiert wurde.52

44 St. Rspr. BGH 26. 10. 1951 – I ZR 8/51 – BGHZ 3, 270, 276, 277 – Constanze I; BGH 17. 3. 1953 – I ZR 118/52 – GRUR 1953, 293, 294 – Fleischbezug; BGH 6. 7. 1954 – I ZR 38/53 – GRUR 1955, 97, 99 – Constanze II (Wettbewerbsförderung neben kirchlichem Standpunkt nicht völlig nebensächlich); BGH 26. 6. 1959 – I ZR 81/58 – GRUR 1959, 488, 489 – Konsumgenossenschaft m. w. N.; BGH 15. 5. 1997 – I ZR 10/95 – GRUR 1997, 761, 763 – Politikerschelte; BGH 6. 12. 2001 – I ZR 14/99 – GRUR 2002, 987, 993 – Wir Schuldenmacher m. w. N.; BGH 13. 2. 2003 – I ZR 41/00 – GRUR 2003, 800, 801 – Schachcomputerkatalog; zu § 2 I Nr. 1 UWG 2004 entsprechend BGH 11. 1. 2007 – I ZR 87/04 – GRUR 2007, 805 Tz. 15 – Irreführender Kontoauszug. 45 St. Rspr. BGH 26. 2. 1960 – I ZR 166/58 – GRUR 1960, 384, 386 – Mampe Halb und Halb m. w. N.; BGH 25. 6. 1992 – I ZR 60/91 – GRUR 1992, 707, 708 – Erdgassteuer; BGH 7. 3. 1996 – I ZR 33/94 – GRUR 1996, 798, 799 – Lohnentwesungen; BGH 27. 6. 2002 – I ZR 86/00 – GRUR 2002, 1093, 1094 – Kontostandsauskunft m. w. N.; BGH 13. 2. 2003 – I ZR 41/00 – GRUR 2003, 800, 801 – Schachcomputerkatalog; BGH 5. 2. 2009 – I ZR 119/06 – GRUR 2009, 876 Tz. 17 – Änderung der Voreinstellung II. Zu § 2 I Nr. 1 UWG 2004 entsprechend BGH 11. 1. 2007 – I ZR 87/04 – GRUR 2007, 805 Tz. 15 – Irreführender Kontoauszug. 46 BGH 26. 10. 1951 – I ZR 8/51 – BGHZ 3, 270, 276, 277 – Constanze I; BGH 20. 3. 1981 – I ZR 10/79 – GRUR 1981, 658, 660 – Preisvergleich; BGH 17. 2. 1983 – I ZR 194/80 – GRUR 1983, 379, 381 – Geldmafiosi; BGH 22. 5. 1986 – I ZR 72/ 84 – GRUR 1986, 898, 899 – Frank der Tat; BGH 1. 4. 2004 – I ZR 317/01 – GRUR 2004, 693, 694 – Schöner Wetten. 47 RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 16. 48 Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, 1319. 49 Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, 1325 f.; RefE UWG 2004, GRUR 2003, 298, 304; RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 16. 50 RefE UWG 2004, GRUR 2003, 298, 304. 51 RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 16. 52 Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 31 Rn. 51; Ohly/Sosnitza Rn. 5; Fezer Festschrift Schricker, S. 671, 675.

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§2

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Definitionen

Abgesehen von dieser Unterscheidung zwischen dem Anwendungsbereich des UWG 2004 und der nachgeordneten Frage nach der Mitbewerbereigenschaft ging die Rechtsprechung davon aus, dass die Neuregelung keine maßgeblichen Änderungen im Vergleich zum UWG 1909 herbeigeführt habe. Folglich wurden die Tatbestandsvoraussetzungen des Handelns im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs fortgeschrieben – nach herrschender Meinung auch im Hinblick auf die weiterhin erforderliche Wettbewerbsabsicht.53

23 c) UWG 2008. Dieses deutsche Konzept weicht allerdings in verschiedener Hinsicht vom entsprechenden Zentralbegriff der UGPRL, nämlich der „Geschäftspraktik“ gem. Art. 2 lit. d UGPRL ab, so dass die Definition bereits nach kurzer Zeit wieder geändert werden musste.54 Der Diskussionsentwurf zur Umsetzung der UGPRL verfolgte insoweit eine konservative Linie, wonach das gerade neu gefasste UWG so wenig wie möglich modifiziert werden sollte.55 Die Definition der „Wettbewerbshandlung“ sollte demnach „jedes Verhalten einer Person, das zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens unmittelbar mit der Förderung des Absatzes, des Bezugs oder der Lieferung von Waren oder der Erbringung oder des Bezugs von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen, zusammenhängt“, umfassen.56 Festgehalten wurde am umfassenden Anwendungsbereich des UWG, das nicht zwischen Wettbewerbshandlungen im Verhältnis zu Verbrauchern und im Verhältnis von Unternehmern untereinander unterscheide, und den Nachfragewettbewerb sowie Handlungen, die nicht von Unternehmern vorgenommen werden, erfasse.57 Die Anpassungen betrafen den Austausch des subjektiven Merkmals der „Wettbewerbsförderungsabsicht“ gegen das objektive Kriterium des „Zusammenhangs“ sowie den Einbezug wettbewerbsrelevanten Verhaltens nach Vertragsabschluss.58 Die schließlich Gesetz gewordene Fassung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 geht auf den Regierungsent24 wurf zurück, der sich stärker als der Diskussionsentwurf an den Begrifflichkeiten und Konzepten der UGPRL orientierte.59 Schon durch die Ersetzung des überkommenen Begriffs der Wettbewerbshandlung durch den neuen Terminus der „geschäftlichen Handlung“ wurde deutlich, dass die Umsetzung der UGPRL mehr als eine nur geringfügige Änderung im Hinblick auf den Anwendungsbereich des UWG mit sich bringt.60 Zwar wurden die in der Richtlinie verwendeten Begriffe „geschäftliche Praxis“ bzw. „Praktik“ nicht übernommen, weil ihnen in der deutschen Sprache eine abwertende Bedeutung zukomme. Im UWG müsse demgegenüber ein neutralerer Begriff verwendet werden, weil es neben den unlauteren auch die lauterkeitsrechtlich nicht zu beanstandenden geschäftlichen Handlungen gebe.61 Im Übrigen decke der Begriff „Wettbe53 BGH 26. 1. 2006 – I ZR 83/03 – GRUR 2006, 428 Tz. 12 – Abschleppkosten-Inkasso; BGH 11. 1. 2007 – I ZR 87/ 04 – GRUR 2007, 805 Tz. 12 ff. – Irreführender Kontoauszug; OLG Düsseldorf 13. 9. 2005 – 20 U 19/05 – GRUR-RR 2006, 99 – Pfandleihunternehmen; OLG Frankfurt a. M. 29. 6. 2006 – 6 U 103/05 – GRUR-RR 2007, 16, 17 – ÖKO-Test. Zur Kritik der Literatur am Kriterium der Wettbewerbsabsicht vgl. Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 31 Rn. 47; Emmerich Unlauterer Wettbewerb, § 4 Rn. 17 m. w. N. 54 Das UWG 2004 ist ab dem 12. 12. 2007 richtlinienkonform auszulegen gewesen, vgl. Art. 19 II 1 UGPRL und Köhler/Bornkamm/Feddersen UWG Einl. Rn. 3.64. Zur Rechtslage zwischen dem Ablauf der Umsetzungsfrist am 12. 12. 2007 und dem Inkrafttreten des UWG 2008 Köhler WRP 2007, 1393 ff. 55 Dazu allgemein § 3 Rn. 32 f. 56 DiskE UWG 2008, S. 2. 57 DiskE UWG 2008, S. 33. 58 DiskE UWG 2008, S. 15. 59 Dazu allgemein § 3 Rn. 13 f. Der Rechtsausschuss ersetzte noch die aus der UGPRL stammende Formulierung „während“ eines Handelsgeschäfts (vgl. Art. 3 Abs. 1 UGPRL) aus „grammatikalischen“ Gründen mit dem Wort „bei“ einem Geschäftsabschluss, ohne dass hiermit eine inhaltliche Änderung bezweckt sei; siehe Rechtsausschuss UWG 2008, BTDrucks. 16/11070, S. 5. 60 Zu den Änderungen im Überblick auch Ohly/Sosnitza Rn. 6. 61 RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 20. Der Begriff „geschäftliche Handlung“ geht auf einen Vorschlag von Köhler zurück. Durch die neuartige Begrifflichkeit sollen die Änderungen durch die UGPRL erkennbar werden;

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B. Die Definitionen im Einzelnen

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werbshandlung“ nicht zweifelsfrei ab, was er im Hinblick auf die UGPRL erfassen solle. Denn Handlungen während und nach Vertragsschluss hätten nach deutscher Tradition nicht notwendigerweise etwas mit Wettbewerb zu tun.62 Zudem müsse das subjektive Merkmal der Wettbewerbsförderungsabsicht gegen das Erfordernis des „objektiven Zusammenhangs“ ausgetauscht werden.63 Festgehalten werde aber am umfassenden Anwendungsbereich des UWG, das nicht auf geschäftliche Handlungen von Unternehmern gegenüber Verbrauchern beschränkt sei, sondern insbesondere auch Verhaltensweisen im Verhältnis „Unternehmen zu Unternehmen“ reguliere.64 Das UWG 2015 führte zu keinen Änderungen im Wortlaut der Definition. In der bisherigen Rechtsprechung zu § 2 Abs. 1 Nr. 1 i.d.F. des UWG 2008 wurden die Tatbestandsvoraussetzungen so ausgelegt, dass der Anwendungsbereich des geltenden UWG im Vergleich zu früheren Fassungen jedenfalls nicht kleiner geworden ist. Was als „Handeln im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs“ bzw. als „Wettbewerbshandlung“ angesehen wurde, stellt auch eine „geschäftliche Handlung“ dar; die diesbezügliche frühere Rechtsprechung bleibt mithin relevant.65 Veranlasst durch die UGPRL wurde der Anwendungsbereich des UWG im Vergleich zum früheren deutschen Lauterkeitsrecht vielmehr ausgeweitet. Dies betrifft vor allen Dingen Verhalten bei („während“) und nach einem Geschäftsabschluss, das mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt. Die Praxis zum UWG 1909 und 2004 hatte (nach-)vertragliches Verhalten nur ausnahmsweise am Lauterkeitsrecht gemessen, da man davon ausging, dass der Wettbewerb durch den Geschäftsabschluss beendet und im zweiseitigen Verhältnis der Vertragspartner grundsätzlich allein das Vertragsrecht maßgeblich sei. Die UGPRL aber geht davon aus, dass auch Verhalten in diesen Phasen für geschäftliche Entscheidungen der Verbraucher und damit den Wettbewerb insgesamt relevant sind. Folglich kann (nach-)vertragliches Verhalten jedenfalls nicht mehr grundsätzlich als lauterkeitsrechtlich irrelevant außer Betracht bleiben.66 Ebenfalls entfallen ist das Erfordernis einer Wechselbeziehung zwischen den Vorteilen der „Wettbewerbshandlung“ und den Nachteilen eines Mitbewerbers. § 2 Abs. 1 Nr. 1 verlangt nur noch eine Wettbewerbsförderung („zugunsten“). Der Begriff des Mitbewerbers ist gesondert in § 2 Abs. 1 Nr. 3 definiert. Durch die Entkopplung von geschäftlicher Handlung (Wettbewerbsförderung) und Mitbewerberstellung lässt sich insbesondere das Marktverhalten von Monopolisten ohne Weiteres lauterkeitsrechtlich subsumieren.67 Keine prinzipielle Erweiterung des Anwendungsbereichs des UWG ergibt sich hingegen durch die Ersetzung des Erfordernisses einer subjektiven Wettbewerbsabsicht durch den „objektiven Zusammenhang“ zur Wettbewerbsförderung vor, bei und nach Abschluss eines Handelsgeschäfts. Zwar entfällt das Erfordernis, zur inneren Willensrichtung des Anspruchsgegners vorzutragen. Indes sind die allgemeinen Kriterien und im Prozess die Indizien, die nach früherem Recht für oder gegen eine Wettbewerbsabsicht sprachen, dieselben, die heute ggf. die Annahme eines „objektiven Zusammenhangs“ rechtfertigen. Unverändert ist das UWG ein außerdem stelle der Begriff eine angemessenere Übersetzung des englischen Begriffs der „commercial practices“ dar; vgl. Köhler WRP 2007, 1393, 1397. 62 RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 20. 63 RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 12. 64 RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 39 f.; BGH 5. 2. 2009 – I ZR 119/06 – GRUR 2009, 876 Tz. 24 – Änderung der Voreinstellung II. 65 Siehe z. B. BGH 15. 1. 2009 – I ZR 141/06 – GRUR 2009, 881 Tz. 11 – Überregionaler Krankentransport; BGH 22. 4. 2009 – I ZR 216/06 – GRUR 2009, 845 Tz. 38 – Internet-Videorecorder; BGH 30. 4. 2009 – I ZR 117/07 – GRUR 2009, 1189 Tz. 12 – Blutspendedienst; BGH 15. 4. 2010 – I ZR 145/08 – GRUR 2010, 1125 Tz. 17 – Femur-Teil; BGH 14. 4. 2011 – I ZR 133/09 – GRUR 2011, 638 Tz. 17 – Werbung mit Garantie; BGH 27. 7. 2017 – I ZR 162/15 – WRP 2018, 186 Tz. 22 – Eigenbetrieb Friedhöfe. 66 Näher § 3 Rn. 408 f. Zu den erheblichen praktischen, auch rechtspolitischen Implikationen dieser Erweiterung, etwa im Hinblick auf die lauterkeitsrechtliche Kontrolle unwirksamer allgemeiner Geschäftsbedingungen siehe Ohly LMK 2011, 312950. 67 Ohly/Sosnitza Rn. 5.

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Sonderdeliktsrecht zur Regulierung geschäftlichen Verhaltens im wirtschaftlichen Wettbewerb. Es erstreckt sich nicht auf nicht wirtschaftliches (außergeschäftliches) Verhalten in anderen Sphären und Kommunikationszusammenhängen der modernen Gesellschaft. Deshalb stellen redaktionelle und weltanschauliche Äußerungen ebenso wenig eine geschäftliche Handlung dar wie die Werbung um karitative Spenden oder der Wettbewerb von Gewerkschaften und anderen Idealvereinen um Mitglieder.68

2. Vergleich zu unionsrechtlichen Begriffen 29 Die begriffliche Vielfalt zur Beschreibung des Verhaltens, das dem Sonderdeliktsrecht UWG unterfällt, ist nicht nur in der Geschichte des deutschen Lauterkeitsrechts groß. Auch das europäische Lauterkeitsrecht operiert insoweit mit unterschiedlichen Formulierungen, deren Verhältnis und Bedeutung im Vergleich zur „geschäftlichen Handlung“ klärungsbedürftig ist.

30 a) Wettbewerbsverhalten gem. Art. 6 Abs. 1 und 2 Rom II-VO. Im europäischen Kollisionsrecht werden außervertragliche Schuldverhältnisse aus unerlaubter Handlung von „außervertraglichen Schuldverhältnissen aus unlauterem Wettbewerbsverhalten“ (act of unfair competition/acte de concurrence déloyale) unterschieden. Auf diesen „unlauteren Wettbewerb“ ist gem. Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO in Abweichung von der Generalklausel des Art. 4 Rom II-VO zu unerlaubten Handlungen das Recht des Staates anzuwenden, in dessen Gebiet die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt worden sind oder wahrscheinlich beeinträchtigt werden. Nach Erwägungsgrund 21 Rom II-VO soll diese „Präzisierung“ der allgemeinen Deliktskollisionsnorm die Wettbewerber, die Verbraucher und die Öffentlichkeit schützen und das reibungslose Funktionieren der Marktwirtschaft sicherstellen. Beeinträchtigt ein unlauteres Wettbewerbsverhalten hingegen ausschließlich die Interessen eines bestimmten Wettbewerbers, bleibt Art. 4 Rom II-VO maßgeblich.69 Diesen Vorschriften ist zu entnehmen, dass der Unionsgesetzgeber das Recht gegen unlau31 teren Wettbewerb als Sonderdeliktsrecht qualifiziert. Sein Anwendungsbereich im Unterschied zum allgemeinen Recht gegen unerlaubte Handlungen wird mit dem Begriff des „Wettbewerbsverhaltens“ markiert. Diesem Begriff entspricht im deutschen Sachrecht der Terminus „geschäftliche Handlung“.

32 b) Geschäftspraktik gem. Art. 2 lit. d UGPRL. Während der internationalprivatrechtliche Begriff des „Wettbewerbsverhaltens“ also wie derjenige der „geschäftlichen Handlung“ den gesamten Anwendungsbereich des UWG beschreibt, betrifft die „Geschäftspraktik“70 (commercial practice/pratique commerciale) im Sinne der UGPRL lediglich einen Ausschnitt des regulierten Marktverhaltens. Gem. Art. 3 Abs. 1 UGPRL gilt die Richtlinie für unlautere Geschäftspraktiken im Sinne des 33 Art. 5 UGPRL „von Unternehmen gegenüber Verbrauchern vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts.“ Art. 2 lit. d UGPRL definiert die Wendung „Geschäftspraktiken im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern“ als jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerzielle Mitteilung einschließlich Werbung und Marketing eines Gewerbetreibenden, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts an Verbraucher zusammenhängt. Der EuGH versteht unter einer „Geschäftspraktik“ ein Verhalten, das sich in den Rahmen der Geschäftsstrategie eines 68 Näher unten § 2 Rn. 191 ff. 69 Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO. 70 Zur Geschichte des Begriffs im deutschen Recht Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 1 B Rn. 21 ff.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

§2

Wirtschaftsteilnehmers einfügt und unmittelbar mit der Absatzförderung und dem Verkauf seiner Produkte und Dienstleistungen zusammenhängt.71 Im Fokus der UGPRL steht also das Absatzverhalten von Unternehmern („Gewerbetreibenden“) gegenüber Verbrauchern. Der deutsche Gesetzgeber hat auf eine Übernahme des Begriffs „Geschäftspraktik“ verzichtet, weil diese Redeweise in der deutschen Sprache negativ konnotiert sei. Die Umsetzung des Art. 5 UGPRL in § 3 Abs. 2 und 3 erfolgte stattdessen mit den Formulierungen „geschäftliche Handlungen, die sich an Verbraucher richten oder diese erreichen“ bzw. „geschäftliche Handlungen gegenüber Verbrauchern“. Hiermit ist wiederum lediglich ein Ausschnitt der vom UWG insgesamt regulierten „geschäftlichen Handlungen“ gemeint.72 Der Begriff der geschäftlichen Handlung ist in dreierlei Hinsicht umfassender als derjenige der Geschäftspraktik: Erstens erfasst das UWG ausweislich des Wortlauts von § 2 Abs. 1 Nr. 1 nicht nur den Absatz, sondern auch den Bezug von Waren oder Dienstleistungen, also den Nachfragewettbewerb bzw. die Nachfragewerbung.73 Hierdurch fällt – über die UGPRL hinaus – etwa das Nachfrageverhalten von Unternehmern gegenüber privaten Anbietern (consumer to business, C2B) in den Anwendungsbereich des UWG. Zweitens erstreckt sich das UWG nicht nur auf Wettbewerbsverhalten im unmittelbaren business-to-consumer (B2C)-Absatzverhältnis, sondern auch auf Absatz- und Nachfrageverhalten gegenüber Mitbewerbern im Horizontalverhältnis sowie gegenüber unternehmerisch oder nicht unternehmerisch tätigen, sonstigen Marktteilnehmern im Vertikalverhältnis.74 Dieser erweiterte Anwendungsbereich kommt dadurch zum Ausdruck, dass § 2 Abs. 1 Nr. 1 lediglich einen „objektiven Zusammenhang“ des Verhaltens zur Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen, mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren und Dienstleistungen verlangt, während die UGPRL einen „unmittelbaren Zusammenhang“ mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts an Verbraucher voraussetzt. Drittens reguliert das UWG anders als die UGPRL nicht nur das geschäftliche Verhalten von Unternehmern gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 (Art. 2 lit. b UGPRL: „Gewerbetreibende“), sondern auch die Förderung fremden Wettbewerbs im eigenen Namen und aus eigener Initiative durch potentiell jede „Person … zugunsten eines fremden Unternehmens.“75 Diese Abweichungen werfen die Frage nach ihrer Vereinbarkeit mit der UGPRL auf. Zum Teil wird pauschal davon ausgegangen, der Begriff der geschäftlichen Handlung gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 sei richtlinienkonform im Sinne der UGPRL auszulegen; der Begriff des „objektiven Zusammenhangs“ setze die Formulierung „unmittelbarer Zusammenhang“ gem. Art. 2 lit. d UGPRL um, dessen Verständnis maßgebend sei.76 Letzteres gilt jedoch nur, soweit der streitgegenständliche Sachverhalt überhaupt in den Harmonisierungsbereich der UGPRL fällt.77 Ob dem so ist, richtet sich in der Tat allein nach den Vorgaben der UGPRL, also insbesondere nach dem Begriff der Geschäftspraktik und den in der Richtlinie selbst vorgesehenen Ausnahmen von ihrem Anwendungsbereich. Was eine richtlinienkonforme Auslegung von § 2 Abs. 1 Nr. 1 vor allem sicherstellen muss, ist, dass jedes Verhalten, das unter die UGPRL fällt, auch vom UWG erfasst wird, das der Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht dient. Mit anderen Worten muss der Begriff der geschäftlichen Handlung

71 EuGH 17. 10. 2013 – C-391/12 – GRUR 2013, 1245, 1246 Tz. 36 – RLvS Verlagsgesellschaft. 72 Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 31 Rn. 7; Köhler GRUR 2005, 793, 794; Köhler/Bornkamm/ Feddersen Rn. 8. Dazu und zur Abgrenzung § 3 Rn. 54 ff.; anders Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 1 B Rn. 32 (es sei der Begriff der Geschäftspraktik zu verwenden). 73 BGH 30. 4. 2009 – I ZR 117/07 – GRUR 2009, 1189 Tz. 12 – Blutspendedienst. 74 Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 31 Rn. 8. 75 Unten § 2 Rn. 93 ff. 76 BGH 22. 1. 2014 – I ZR 218/12 – WRP 2014, 835 Tz. 15 – Nordjob-Messe; BGH 30. 4. 2014 – I ZR 170/10 – WRP 2014, 1304 Tz. 15 – Betriebskrankenkasse II; BGH 11. 12. 2014 – I ZR 113/13 – WRP 2015, 855 Tz. 22 – Bezugsquellen für Bachblüten. 77 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 43.

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den Harmonisierungsbereich der UGPRL vollständig abdecken.78 Ob das streitgegenständliche Verhalten dann den Maßstäben der UGPRL, anderen Richtlinien oder dem autonom-deutschen Lauterkeitsrecht unterliegt, ist im Rahmen der §§ 3 ff., subsidiär im Zuge der Abgrenzung von § 3 Abs. 1 einerseits und § 3 Abs. 2–4 andererseits zu prüfen.79 40 Um diesen Anforderungen zu genügen, darf insbesondere nicht mehr der Nachweis einer irgend gearteten subjektiven Wettbewerbsabsicht verlangt werden; die UGPRL bestimmt ihren Anwendungsbereich anhand rein objektiver Kriterien.80 Diese objektivierende Betrachtung gilt im Interesse der Rechtssicherheit auch für nicht vom Harmonisierungsbereich der UGPRL erfasste Sachverhalte.81 Ferner sind wie erläutert auch Verhaltensweisen „während und nach Abschluss eines Handelsgeschäfts“, die mit dem Verkauf oder der Lieferung eines „Produkts“ an Verbraucher unmittelbar zusammenhängen, unter § 2 Abs. 1 Nr. 1 zu subsumieren.82 Dabei muss zumindest die marktbezogene wirtschaftliche Tätigkeit von Unternehmen und der in ihrem Namen oder Auftrag Handelnden erfasst werden.83 Diese Vorgaben sind in § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 6 sowie Abs. 2 umgesetzt worden. 41 Wie erläutert, bleibt der Anwendungsbereich des UWG aber nicht hinter demjenigen der UGPRL zurück, sondern geht in mehrerer Hinsicht darüber hinaus. Die im Vergleich zum früheren deutschen Recht expansiven Anlagen der UGPRL im Hinblick auf (nach-) vertragliches Verhalten und die rein objektive Bestimmung des Anwendungsbereichs des Lauterkeitsrechts wurden nicht nur umgesetzt, sondern im Interesse einheitlicher Beurteilungsmaßstäbe auf sämtliche geschäftliche Handlungen – z. B. auch solche, die ganz im B2B-Verhältnis verbleiben – erstreckt.84 Diese gewissermaßen überschießende Umsetzung von Konzepten der UGPRL u. a. im Rahmen von § 2 Abs. 1 Nr. 1 ist richtlinienkonform.85 Die UGPRL betont ausdrücklich, dass die Mitgliedstaaten nicht unter die Richtlinie fallendes Wettbewerbsverhalten weiterhin unter uneingeschränkter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips im Einklang mit dem Unionsrecht regeln können.86 Eine der zulässigen Regulierungsvarianten besteht darin, insoweit die Maßstäbe der UGPRL anzuwenden. 42 Hieraus folgt, dass nicht eine besonders weite Auslegung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 gegen die UGPRL verstoßen kann, sondern allenfalls eine zu restriktive. Die Richtlinienkonformität einer Auslegung von § 2 Abs. 1 Nr. 1 steht daher vor allem in Rede, wenn ein Verhalten nicht als geschäftliche Handlung eingeordnet werden soll. Denn das heißt zugleich, dass auch keine Geschäftspraktik im Sinne der UGPRL vorliegt und die vollständige Rechtsangleichung durch die Richtlinie nicht zum Tragen kommt. Dies gilt zum Beispiel für die Abgrenzung zwischen geschäftlichen Handlungen einerseits und redaktioneller, weltanschaulicher oder sonstiger, nicht-wirtschaftlicher Kommunikation andererseits. Soweit der Richtlinie wie in dieser Hinsicht keine eindeutigen Vorgaben zu entnehmen sind, ist ggf. ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten.87

78 Köhler WRP 2007, 1393, 1395. Zu undifferenziert daher BGH 22. 1. 2014 – I ZR 218/12 – WRP 2014, 835 Tz. 15 – Nordjob-Messe.

79 Dazu § 3 Rn. 137 ff. 80 Köhler WRP 2007, 1393, 1396. 81 BGH 31. 3. 2016 – I ZR 160/14 – WRP 2016, 843 Tz. 13 – Im Immobiliensumpf. Dennoch stellt der BGH weiterhin in subjektivierender Betrachtungsweise auf das mit der Handlung verfolgte Ziel ab; a. a. O. Tz. 12.

82 Siehe Art. 2 lit. c, d UGPRL; Köhler GRUR 2005, 793, 794. 83 Dazu Art. 2 lit. b UGPRL und § 2 Abs. 1 Nr. 6 sowie BGH 22. 1. 2014 – I ZR 218/12 – WRP 2014, 835 Tz. 15 f. – Nordjob-Messe; BGH 30. 4. 2014 – I ZR 170/10 – WRP 2014, 1304 Tz. 18 – Betriebskrankenkasse II. 84 Köhler WRP 2007, 1393, 1397; Scherer WRP 2014, 517, 521; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 31 Rn. 11. 85 BGH 11. 12. 2014 – I ZR 113/13 – WRP 2015, 855 Tz. 26 – Bezugsquellen für Bachblüten. 86 EG 6 S. 3 2. Hs. UGPRL; Scherer WRP 2014, 517, 521. 87 Für einen Gleichlauf der überkommenen deutschen und der unionsrechtlichen Maßstäbe insoweit OLG Hamburg 2. 1. 2008 – 3 W 224/07 – OLGR Hamburg 2009, 1020, 1022 = juris Rn. 18. Gerade umgekehrt die Fragestellung von BGH 18. 1. 2012 – I ZR 170/10 – GRUR 2012. 288 – Betriebskrankenkasse.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

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c) (Vergleichende) Werbung gem. Art. 2 lit. a, c IrreführungsRL 2006. Die IrreführungsRL 43 2006 bezieht sich ebenfalls nur auf einen Ausschnitt der im UWG geregelten „geschäftlichen Handlungen“, nämlich auf (vergleichende) Werbung. Werbung ist gem. Art. 2 lit. a IrreführungsRL 2006 „jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen, zu fördern.“ Um vergleichende Werbung handelt es sich gem. Art. 2 lit. c IrreführungsRL 2006, wenn die Werbung „unmittelbar oder mittelbar einen Mitbewerber oder die Erzeugnisse oder Dienstleistungen, die von einem Mitbewerber angeboten, erkennbar macht.“ Beide, auf die Förderung eigenen Absatzes gerichteten Verhaltensweisen, sind vom Begriff der geschäftlichen Handlung zweifellos umfasst.88 Dass die Richtlinie wie das frühere deutsche Recht ein subjektives Element, nämlich das 44 Ziel der Absatzförderung, aufweist, ist im Ergebnis unproblematisch. Wiederum verlangt eine richtlinienkonforme Auslegung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 lediglich, dass jedes Verhalten am UWG gemessen werden muss, das unter die in diesem Gesetz umgesetzten Richtlinien fällt. Äußerungen, die aufgrund objektiver Umstände ersichtlich von der Absicht getragen sind, Waren oder Dienstleistungen abzusetzen, unterfallen dem UWG zweifellos. Es erscheint ausgeschlossen, dass ein Verhalten aufgrund von Indizien oder sogar nachgewiesenermaßen auf Absatzförderung zielt, aber zugleich keinen objektiven Zusammenhang zur Absatzförderung aufweisen soll. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Begriff des objektiven Zusammenhangs lediglich ausschließt, den positiven Nachweis einer subjektiven Wettbewerbsabsicht zu verlangen. Hingegen ist es nicht verboten, subjektive Gesichtspunkte bei der Gesamtbeurteilung des objektiven Zusammenhangs mit in Betracht zu ziehen.89 Auch im Hinblick auf die IrreführungsRL 2006 gilt mithin, dass der Anwendungsbereich 45 des UWG umfassender ist als derjenige der Richtlinie. Zugleich erstreckt das UWG die sachlichen Verbotsmaßstäbe der IrreführungsRL 2006 auf von der Richtlinie nicht erfasstes Verhalten, insbesondere auf Nachfragewerbung.90 Diese überschießende Umsetzung ist wiederum nicht unionsrechtswidrig.

d) Unerbetene Nachrichten zu Zwecken der Direktwerbung gem. Art. 13 Daten- 46 schutzRL-EK. Die Regelungen in § 7 Abs. 2 Nr. 2, Nr. 3 und 4 sowie Abs. 3 dienen der Umsetzung von Art. 13 DatenschutzRL-EK zu unerbetenen Nachrichten für Zwecke der Direktwerbung. Letztgenannter Begriff wird in der Richtlinie weder definiert noch näher erläutert.91 Er wird jedoch wie der allgemeinere Begriff der „Werbung“ von § 2 Abs. 1 Nr. 1 ohne weiteres umfasst, und zwar auch dann, wenn mit der Werbung Waren oder Dienstleistungen nachgefragt und nicht abgesetzt werden sollen.92 Auch hinsichtlich der Art und Weise, wie Direktwerbung betrieben wird, ist § 2 Abs. 1 47 Nr. 1 und damit das UWG offen. Die primär telekommunikations- und datenschutzrechtlich motivierte Richtlinie betrifft Formen der elektronischen Kommunikation wie automatische Anrufsysteme, Faxgeräte und elektronische Post, einschließlich SMS,93 die aufgrund ihrer Nachverfolgbarkeit besonderes Schädigungspotential für das Recht auf Privatsphäre und Vertraulichkeit der Teilnehmer aufweisen. § 2 Abs. 1 Nr. 1 erstreckt sich hingegen umfassend auf „jedes Verhalten“, solange es nur in objektivem Zusammenhang namentlich zur Absatzförderung (Werbung) steht. Ob dies über einen elektronischen Kommunikationsdienst oder anderweitig erfolgt, ist

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Siehe für vergleichende Werbung § 6 Abs. 1 und Lettl Das neue UWG Rn. 162 ff. Näher unten § 2 Rn. 160 ff. Unten § 2 Rn. 175 ff. BGH 17. 7. 2008 – I ZR 75/06 – GRUR 2008, 923 Tz. 10 – Faxanfrage im Autohandel. BGH 17. 7. 2008 – I ZR 75/06 – GRUR 2008, 923 Tz. 10 – Faxanfrage im Autohandel. Vgl. EG 40 DatenschutzRL-EK.

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§2

Definitionen

erst bei der Prüfung der Unzulässigkeit bestimmter Arten und Weisen der Wirtschaftswerbung gem. § 7 von Belang.

3. Funktion und Bedeutung 48 a) Anwendungsbereich des Gesetzes. Der Begriff der geschäftlichen Handlung beschreibt den Anwendungsbereich des UWG. Das UWG als Sonderdeliktsrecht reguliert in Abgrenzung zum allgemeinen und sonstigen besonderen Deliktsrecht nicht jedes Verhalten, sondern nur Verhalten, das den in § 2 Abs. 1 Nr. 1 kodifizierten objektiven Zusammenhang zum Marktgeschehen aufweist.94 Privates, hoheitliches und rein betriebsinternes Handeln sowie Kommunikationsvorgänge in anderen gesellschaftlichen Sphären wie z. B. der öffentlichen Information und Meinung, der Religion und Weltanschauung, der Wissenschaft oder Kultur, unterfallen daher nicht dem auf wirtschaftlichen Wettbewerb und seine im Allgemeininteresse liegenden Funktionen ausgerichteten UWG. 49 Diese zentrale Bedeutung des Begriffs der geschäftlichen Handlung kommt bereits in der Zwecknorm des § 1 S. 1 zum Ausdruck, wonach das UWG dem Schutz der Marktteilnehmer vor unlauteren geschäftlichen Handlungen dient. Die beiden primären Verbotsnormen des § 3 und des § 7 beziehen sich ebenfalls auf geschäftliche Handlungen. Dementsprechend findet der Begriff auch in den Spezifikationen unlauteren Verhaltens gem. §§ 3a–6 Verwendung. Die dort kodifizierten Handlungen stellen jedenfalls geschäftliche Handlungen gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 dar. Für Verstöße gegen § 3 oder § 7 haftet, wer eine nach diesen Normen unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt oder wem ein solches Verhalten zugerechnet wird (vgl. §§ 8–10). Schließlich ist der Begriff des individuell anspruchsberechtigten Mitbewerbers ausgehend von der angegriffenen geschäftlichen Handlung zu bestimmen. 50 In den straf- und ordnungswidrigkeitsrechtlichen Bestimmungen des § 16 und des § 20, die von der Umsetzung der UGPRL unberührt blieben, findet der Begriff der geschäftlichen Handlung keine Verwendung. Gleichwohl gehen auch diese Bestimmungen nicht über den Anwendungsbereich des Gesetzes hinaus, der von § 2 Abs. 1 Nr. 1 abgesteckt wird. Zum einen rekurriert § 16 Abs. 2 auf den „geschäftlichen Verkehr“, womit nichts anderes als ein objektivierter Oberbegriff für alle geschäftlichen Handlungen gemeint ist. Zum anderen lässt sich strafbare bzw. bußgeldbewehrte Werbung gem. § 16 und § 20 unter § 2 Abs. 1 Nr. 1 subsumieren.95 51 Der dem UWG unterfallende Handlungsbereich wird in Reminiszenz an § 1 UWG 1909 häufig noch mit „geschäftlichem Verkehr“ beschrieben. Diese Wendung findet sich in den §§ 6 Abs. 2 Nr. 3, 16 Abs. 2 und soll auch im Übrigen ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Anwendbarkeit des UWG sein. Hierzu wird jede selbstständige, wirtschaftliche Zwecke verfolgende Tätigkeit gezählt, die irgendwie der Förderung eines beliebigen, auch fremden Geschäftszwecks dient und in der eine Teilnahme am Erwerbsleben zum Ausdruck kommt; den Gegensatz zu dieser geschäftlichen bildet die rein private oder rein amtliche Betätigung.96 Eine alternative, im Vordringen befindliche Kurzformel zur Beschreibung des Regelungsgegenstands des UWG ist das „marktbezogene Verhalten“, welches geeignet ist, sich auf das Markt- und Wettbewerbsgeschehen auszuwirken und das mit der Förderung eines beliebigen – auch fremden – Geschäfts-

94 BGH 10. 1. 2013 – I ZR 190/11 – GRUR 2013, 945 Tz. 17 – Standardisierte Mandatsbearbeitung; Gloy/Loschelder/ Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 31 Rn. 2; Köhler WRP 2007, 1393, 1394. Kritisch zur rechtstechnischen Umsetzung dieser Regelungsfunktion gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Beater Rn. 865. 95 Zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen gem. §§ 17–19 a. F. siehe GK-UWG/Peukert2 Rn. 50. 96 Siehe KG 19. 6. 2001 – 5 U 10475/99 – GRUR-RR 2002, 198, 200 – Online-Öffentlichkeitsarbeit; Gloy/Loschelder/ Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 31 Rn. 15; Emmerich Unlauterer Wettbewerb § 4 Rn. 1; Ohly/Sosnitza Rn. 7 f.; Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 1 B Rn. 51, 65; skeptisch Götting/Nordemann Rn. 8.

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zwecks zusammenhängt.97 Gegenstand des UWG als eines Wettbewerbsgesetzes sei nicht allgemein das Handeln eines Unternehmers im geschäftlichen Verkehr, sondern nur das marktbezogene, nach außen in Erscheinung tretende und nicht rein betriebsinterne Verhalten eines Unternehmers.98 Unabhängig davon, welcher dieser dogmatischen Ausdrücke sich in der Sprachpraxis durchsetzen wird, sind in jedem Fall die in § 2 Abs. 1 Nr. 1 kodifizierten Tatbestandsvoraussetzungen maßgeblich. Der durch den Begriff der geschäftlichen Handlung bzw. im Unionsrecht mit „Wettbewerbs- 52 verhalten“ (Art. 6 Abs. 1 Rom-II-VO) beschriebene Anwendungsbereich des UWG ist die letzte verbindende Klammer des deutschen und europäischen Lauterkeitsrechts.99 Das Wettbewerbsverhalten als Teilaspekt des Verhaltens von Personen wird in unterschiedlichen Rechtsakten aus unterschiedlichen Gründen (Wettbewerbs-, Verbraucher-, Gesundheitsschutz usw.) reguliert. Die nur noch anwendungsbezogene Gemeinsamkeit reflektiert die systematische und teleologische Fragmentierung des Lauterkeitsrechts, das sich nur mehr auf diesen kleinen Nenner bringen lässt.100

b) Die Unterscheidung zwischen Marktverhalten und nicht-wirtschaftlichem Verhal- 53 ten. Der Begriff der geschäftlichen Handlung signalisiert bereits, dass das UWG den Bereich der Wirtschaft und hierauf bezogenes Verhalten betrifft.101 Dementsprechend bezieht sich das UWG keineswegs auf alle Verträge, sondern nur auf Geschäftsabschlüsse102 bzw. Handelsgeschäfte über Waren oder Dienstleistungen.103 Regelungsgegenstand ist das Marktverhalten104 bzw. das wirtschaftliche Verhalten105 im Hinblick auf wirtschaftliche Interessen der Verbraucher,106 der Unternehmer107 und anderer Marktteilnehmer.108 Diese Interessen beziehen sich primär auf die Gewährleistung einer von Irreführung und wettbewerbsfremdem Zwang freien geschäftlichen Entscheidung.109 Primärer Regelungszweck des UWG ist der Schutz des Allgemeininteresses am unverfälschten – wirtschaftlichen – Wettbewerb.110 Dessen Funktionen (effiziente Ressourcenallokation, Innovation, Verteilung der Renditen nach Leistung) sollen vor Manipulationen durch die Marktteilnehmer geschützt werden. Maßstab hierfür sind die „anständigen Marktgepflogenheiten“.111 Aus dem Anwendungsbereich, dem Inhalt und dem Zweck des UWG folgt mithin, dass das UWG nur das wettbewerbliche Verhalten auf dem Markt im

97 Harte/Henning/Keller Rn. 28; juris-PK/Ernst Rn. 3. Für einen Vorrang des Merkmals „geschäftlicher Verkehr“ im Verhältnis zum Merkmal des „Marktbezugs“ hingegen Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 1 B Rn. 57. 98 RefE UWG 2004, GRUR 2003, 298, 305; RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 16; OLG Hamburg 29. 6. 2006 – 3 U 12/06 – GRUR-RR 2007, 206, 208 – Emissionsprospekt; Harte/Henning/Keller Rn. 39. 99 Peukert in Hilty/Henning-Bodewig S. 27, 58. 100 Dazu oben § 1. 101 Siehe auch § 2 Abs. 1 Nr. 5 (Wirtschaftszweige); Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/ Pommerening § 31 Rn. 16; Ohly/Sosnitza Rn. 8; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 48; Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 1 B Rn. 174. 102 § 2 Abs. 1 Nr. 1. 103 Art. 3 Abs. 1 UGPRL. 104 § 3a. Zum Begriff der kommerziellen Kommunikation siehe Art. 2 lit. f E-Commerce-RL (alle Formen der Kommunikation, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen eines Unternehmens dienen); Emmerich Unlauterer Wettbewerb, § 4 Rn. 2. 105 Vgl. Art. 2 lit. b IrreführungsRL 2006/114. 106 Art. 1 UGPRL. 107 Art. 1 und EG 4 IrreführungsRL 2006/114. 108 § 1 S. 1, § 2 Abs. 1 Nr. 2, 3, Abs. 2. 109 Vgl. Art. 2 lit. k UGPRL. 110 § 1 S. 2 UWG. 111 § 2 Abs. 1 Nr. 7 und Art. 2 lit. h UGPRL.

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wirtschaftlichen Sinn reguliert, auf dem materielle Bedürfnisse durch den Absatz und den Bezug von Waren oder Dienstleistungen gedeckt werden.112 Nicht hingegen erstreckt sich das UWG auf außergeschäftliches Verhalten in anderen Sphären der Gesellschaft, wo nicht Produkte, sondern Informationen und Meinungen, Glaubensinhalte, Wahrheiten etc. ausgetauscht, „beworben“ und hierauf bezogene, ideelle Bedürfnisse befriedigt werden.113 Das deutsche und europäische Lauterkeitsrecht reflektiert mit dieser Selbstbegrenzung auf wirtschaftliche Tätigkeiten die funktionale Differenzierung der modernen Gesellschaft. Verhalten im wirtschaftlichen Bereich unterliegt anderen Bedingungen und hat andere Zwecke als Verhalten in den Sphären von Politik, Religion, Recht, Wissenschaft, Sport usw. Hier geht es um Geschäftsabschlüsse, um zahlen/nicht-zahlen; dort um Macht/keine Macht, Immanenz/Transzendenz, Recht/Unrecht, Wahrheit/Unwahrheit, Sieg und Niederlage im sportlichen Wettkampf usw.114 Die divergierenden Funktionslogiken dieser Sphären ziehen unterschiedliche rechtliche Beurteilungen nach sich. Dies kommt bereits in den Grundrechten zum Ausdruck, in denen namentlich die Berufs- und wirtschaftliche Handlungsfreiheit von anderen Freiheitssphären wie den politischen Freiheitsrechten, der Glaubensfreiheit, den rechtsstaatlichen Garantien, der Meinungs-, Presse, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit, der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit unterschieden wird. Das UWG selbst lässt wie gezeigt erkennen, dass es nicht dazu geeignet und bestimmt ist, Interessenkollisionen in nicht wirtschaftlichen Sphären zu regulieren. Streitigkeiten über die rechtliche Zulässigkeit öffentlicher Meinungen und Informationen, über Glaubensinhalte, wissenschaftliche Thesen, über Kunst, über rechtliche Argumente im Prozess, über das Verhalten im Sport etc. sind nach den hierfür ggf. geltenden Sondervorschriften und im Übrigen nach allgemeinem Deliktsrecht zu lösen. Zwar kann man von „Märkten für Ideen“ oder einem „Wettbewerb“ um karitative Spenden, um Kirchen- oder Gewerkschaftsmitglieder und den sportlichen Siegerkranz sprechen. Hierbei aber handelt es sich um einen sprachlichen Imperialismus des Ökonomischen, dem keine Expansion des Wirtschaftsrechts in nicht wirtschaftliche Sphären folgen darf, da sonst die dort geltenden Handlungsbedingungen und -absichten der betreffenden Akteure verfehlt und verzerrt werden. Öffentliche Informationen und Meinungen, Glaubensinhalte oder politische Programme sind keine „Produkte“, die „abgesetzt“ und „bezogen“ werden wie eine Ware oder Dienstleistung. Daher unterliegt zum Beispiel die Presseberichterstattung über Unternehmen auch dann nicht dem UWG, wenn sie immanente Auswirkungen auf den Wettbewerb hat.115 Das Presseunternehmen offeriert mit der Zeitung zwar ein entgeltliches Produkt auf dem Markt für Presseerzeugnisse. Die einzelne Berichterstattung aber soll sich nach den Wertungen der Rechtsordnung primär an der Wahrheit der Information bzw. an der Meinungsbildung in einer offenen Gesellschaft orientieren. Diese gesellschaftliche und rechtliche Differenzierung kann im Ansatz auch personenbezogen erläutert werden. Geschäftliche Handlungen müssen gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 einen Unternehmensbezug aufweisen. Im Regelfall werden sie von Unternehmern, ihren Mitarbeitern oder Beauftragten vorgenommen. Nicht-Unternehmer wie private Verbraucher, der Staat, Kirchen, Gewerkschaften, Idealvereine, politische Parteien unterliegen dem UWG nur dann, wenn sie entweder – entgegen ihrer Rechtsform bzw. Zwecksetzung – tatsächlich dauerhaft und planmäßig Produkte anbieten und damit unternehmerisch agieren oder wenn sie mit ihrem Verhalten den Wettbewerb eines fremden Unternehmens fördern. Letzteres ist nicht der Fall, wenn diese Förderung die immanente, notwendige Folge des Handelns im Rahmen der je eigenen, außergeschäftlichen Kommunikationssphäre und -zielsetzung ist. Nur und erst, wenn eine Kirche oder 112 Anders Beater Rn. 859 (die Negativabgrenzung des Wettbewerbsrechts zu anderen Rechtsgebieten sei „im Grunde komplett ungeregelt“). 113 Näher unten § 2 Rn. 191 ff. 114 Luhmann Gesellschaft der Gesellschaft, S. 707 ff., 743 ff. 115 Fezer Festschrift Schricker, S. 671, 677.

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eine Gewerkschaft etc. in einer mehr als für ihre eigenen Zwecke notwendigen Weise den Wettbewerb eines fremden Unternehmens fördert, verlässt sie ihre religiöse, soziale oder sonst nicht wirtschaftliche Sphäre und nimmt zugleich am wirtschaftlichen Wettbewerb teil, so dass sie insoweit die vom UWG aufgestellten Verhaltensregeln beachten muss. In einer solchen Konstellation besteht ein ausreichend „objektiver Zusammenhang“ zum 58 geschäftlichen Verkehr. Hingegen fehlt es hieran bei außergeschäftlichen Handlungen in anderen Kommunikations- und Handlungssphären.

c) Vorrang spezieller Regelungen zur Unzulässigkeit geschäftlicher Handlungen. Auch 59 soweit eine geschäftliche Handlung und nicht ein außergeschäftliches Verhalten vorliegt, folgt der maßgebliche Beurteilungsmaßstab nicht notwendigerweise aus dem UWG. Jenes stellt zwar eine Sondermaterie im Verhältnis zum allgemeinen Deliktsrecht dar. Soweit jedoch Marktverhalten in Streit steht, bildet das UWG mit seinen Auffangklauseln zum Inhalt und zur Art und Weise geschäftlicher Handlungen gem. § 3 Abs. 1 und 2 bzw. § 7 Abs. 1 Satz 1 die allgemeinste Regelung. Die Zulässigkeit geschäftlicher Handlungen kann sich wiederum nach speziellen Vorschriften richten.116 Damit ergeben sich drei konzentrische Kreise: Das allgemeine Deliktsrecht erfasst prinzi- 60 piell alle Verhaltensweisen, das UWG als allgemeines Marktverhaltensrecht die Beeinträchtigung wirtschaftlicher Interessen durch sämtliche geschäftliche Handlungen, die Unzulässigkeit bestimmter Formen des Marktverhaltens kann sich aber vorrangig aus weiteren Spezialgesetzen wie etwa dem HWG ergeben, deren Wertungen ggf. über den Rechtsbruchtatbestand des § 3a lauterkeitsrechtlich nachvollzogen und sanktioniert werden können.

d) Tatbestandsvoraussetzungen im Überblick. Eine geschäftliche Handlung ist nach dem 61 Wortlaut von § 2 Abs. 1 Nr. 1 unter folgenden Voraussetzungen gegeben: Eine Person muss sich zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens verhalten (dazu 4). Es müssen Waren oder Dienstleistungen in Rede stehen (dazu 5). Das Verhalten muss objektiv zusammenhängen (dazu 6): – vor einem Geschäftsabschluss mit der Förderung des Absatzes oder Bezugs von Waren oder Dienstleistungen (dazu 7); – bei einem Geschäftsabschluss mit dem Abschluss eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen (dazu 8); – nach einem Geschäftsabschluss mit der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen (dazu 9). 4. Unternehmensbezug des Verhaltens a) Jedes Verhalten. Das UWG erstreckt sich auf „jedes Verhalten“, wobei aus den weiteren 62 Tatbestandsmerkmalen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 und dem Gesamtzusammenhang des UWG folgt, dass hiermit nur jedes wirtschaftliche Marktverhalten gemeint ist. Um zum Ausdruck zu bringen, dass als geschäftliche Handlung gleichermaßen ein positi- 63 ves Tun wie auch ein Unterlassen in Betracht kommen kann, wurde im Zuge der Umsetzung der UGPRL der herkömmliche Begriff der Handlung durch die umfassender erscheinende Formulierung „Verhalten“ ersetzt.117 In diesem weiten Sinne definiert auch Art. 2 lit. d UGPRL eine

116 Anhang II der UGPRL listet Bestimmungen des Unionsrechts zu Werbung und kommerzieller Kommunikation auf, die gem. Art. 3 Abs. 4 UGPRL den Bestimmungen der UGPRL vorgehen, soweit sie „besondere Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken regeln“. Zu vielfältigen und vorrangig zu beachtenden berufs-, produkt-, absatz- und vertragsbezogenen Regelungen im deutschen Recht siehe § 3a Rn. 96 ff. 117 RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 20 f.

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Geschäftspraktik als „jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerzielle Mitteilung einschließlich Werbung und Marketing“. 64 Ein Unterlassen ist nach allgemeinen Grundsätzen nur dann rechtlich relevant, wenn eine Erfolgsabwendungspflicht besteht, die sich aus Gesetz, Vertrag oder vorangegangenem Tun ergeben kann. Es muss ein spezifisch lauterkeitsrechtlicher Erfolg abgewehrt werden, namentlich eine Zuwiderhandlung gegen § 3 oder § 7. 65 Ein geschäftliches Unterlassen stellt es insbesondere dar, wenn Tatsachen verschwiegen werden und hierdurch geschäftliche Entscheidungen beeinflusst werden (§ 5a), wenn die Wohnung eines Verbrauchers trotz Aufforderung nicht verlassen wird (Anhang Nr. 26 zu § 3 Abs. 3) und Verbraucherschreiben systematisch nicht beantwortet werden (Anhang Nr. 27 2. Alt. zu § 3 Abs. 3). Auch die Verletzung einer wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflicht gem. § 3 Abs. 1 bzw. 2 besteht häufig darin, dass eine lauterkeitsrechtlich relevante Gefahr nicht verhindert wird, indem z. B. der Betreiber einer Online-Handelsplattform nichts gegen unlautere geschäftliche Handlungen einzelner Anbieter unternimmt.118 Verstößt ein Unterlassen hingegen gegen ein Gesetz, das keine Marktverhaltensregel gem. § 3a darstellt (z. B. unterlassene Hilfeleistung gem. § 323c StGB), liegt grundsätzlich auch kein lauterkeitsrechtlich relevantes Unterlassen und damit auch keine geschäftliche Handlung vor.119 66 Tun und Unterlassen müssen von einem natürlichen Handlungswillen getragen sein, um zunächst einer natürlichen Person und dann ggf. einer juristischen Person oder rechtsfähigen Personengesellschaft zugerechnet werden zu können.120 Das ist der Fall, wenn das betreffende Verhalten der Bewusstseinskontrolle und Willenslenkung unterliegt und somit beherrschbar ist. Hieran fehlt es bei Reflexen oder einem Verhalten im Schlaf oder unter Hypnose.121 Auch technische Störungen, die vom Anspruchsgegner weder verursacht noch beherrscht werden konnten, stellen kein zurechenbares Verhalten dar.122

67 b) Einer Person zugunsten des eigenen Unternehmens. Das Tun oder Unterlassen muss dem eigenen oder einem fremden Unternehmen zugute kommen. Ein Verhalten begünstigt ein Unternehmen, wenn es sich in irgendeiner Weise positiv auf den Marktauftritt oder die Marktposition eines Unternehmens auswirkt, indem der Kundenstamm und die Absatz- oder Bezugschancen erhalten oder verbessert werden.123 68 § 2 Abs. 1 Nr. 1 nimmt nicht auf den Unternehmer, sondern auf das Unternehmen Bezug. Hierbei handelt es sich um eine betriebliche und organisatorische Einheit, mit der dauerhaft und planmäßig Waren oder Dienstleistungen gegen Entgelt vertrieben werden.124

69 aa) Eigennütziges Verhalten eines Unternehmers. Zugunsten des eigenen Unternehmens handelt der Unternehmensinhaber i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs., also jede natürliche, juristische Person oder rechtsfähige Personengesellschaft, die geschäftliche Handlungen im Rahmen ihrer gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit vornimmt.

118 Siehe § 3 Rn. 362 ff.; Beater Rn. 878. 119 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 12; Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 1 B Rn. 62; Gloy/Loschelder/Danckwerts/ Erdmann/Pommerening § 31 Rn. 14. Beater Rn. 882. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 11; Beater Rn. 873 f. mit Verweis auf deliktsrechtliche Grundsätze. BGH 29. 3. 2007 – I ZR 164/04 – GRUR 2007, 987 Tz. 22 – Änderung der Voreinstellung. Ebenso zur Wettbewerbsförderung unter Geltung des UWG 1909 BGH 12. 10. 1956 – I ZR 34/56 – GRUR 1957, 93, 94 – Jugendfilmverleih; BGH 26. 6. 1959 – I ZR 81/58 – GRUR 1959, 488, 489 – Konsumgenossenschaft; BGH 17. 12. 1969 – I ZR 152/67 – GRUR 1970, 465, 467 – Prämixe; schon RG 20. 9. 1904 – II 580/03 – RGZ 59, 1, 2; RG 28. 2. 1905 – II 384/04 – RGZ 60, 189, 190; ferner Lettl § 1 Rn. 120; Harte/Henning/Keller Rn. 57. 124 Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 31 Rn. 30.

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Eine solche unternehmerische Tätigkeit ist gegeben, wenn – auch ohne Gewinner- 70 zielungsabsicht125 – Waren oder Dienstleistungen dauerhaft und planmäßig gegen Entgelt angeboten werden.126 Maßgeblich ist eine tatsächliche Betrachtung unabhängig von der Rechtsform, in der das Unternehmen betrieben wird. Sog. Influencer, die ihren Lebensunterhalt bestreiten, indem sie ihr eigenes Image in sozialen Medien vermarkten, um Werbeaufträge zu erhalten, sind demgemäß Unternehmer gem. § 2 Abs. Nr. 6 1. Hs. Ob sie mit ihren Posts jedoch eine geschäftliche Handlung vornehmen oder sich auf das Medienprivileg für redaktionelle Berichterstattung berufen können, ist eine gesonderte, differenziert zu betrachtende Frage.127 Der Zeitraum, in dem zugunsten des eigenen Unternehmens gehandelt wird, erstreckt sich von der Gründungsphase bis zur endgültigen Einstellung des Unternehmens.128 § 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs. bestimmt zwar, dass auch Personen, die im Namen oder Auftrag 71 eines Unternehmers handeln, Unternehmer im Sinne des UWG sind. Allerdings betreiben sie kein eigenes Unternehmen. Sie können daher auch keine eigennützigen geschäftlichen Handlungen vornehmen, sondern nur solche, die ein fremdes Unternehmen (nämlich das des Auftrag- oder Arbeitgebers) fördern.129 Anders als unter Geltung des UWG 1909130 ist der Anwendungsbereich des UWG unabhän- 72 gig davon eröffnet, ob und wenn ja welchem Unternehmen das streitgegenständliche Verhalten einen Nachteil verursacht. Es genügt der Nachweis einer Unternehmensförderung. Dass dies auf Kosten eines bestimmten anderen Unternehmens geschieht, muss nicht dargetan werden.131 Daher ist insbesondere auch das eigennützige Verhalten eines Monopolisten ohne Weiteres vom Begriff der geschäftlichen Handlung erfasst.132 Die Frage, wessen unternehmerische Interessen durch die geschäftliche Handlung beeinträchtigt wurden, ist vielmehr erst für die Prüfung des Mitbewerberbegriffs und damit namentlich die Anspruchsberechtigung gem. §§ 2 Abs. 1 Nr. 3, 8 Abs. 3 Nr. 1 von Belang.

bb) Private Verhaltensweisen natürlicher Personen. Das nicht unternehmerische, 73 selbstbezügliche Verhalten natürlicher Personen fördert kein „eigenes Unternehmen“ des Akteurs und unterfällt daher nicht dem UWG.133 Hierzu zählt zunächst das Privatleben außerhalb von Gewerbe und Beruf, auch wenn es sich öffentlich in den Medien oder im Internet vollzieht.134 So stellt die Anmeldung und Aufrechterhaltung einer Internet-Domain keine geschäftliche Handlung dar, soweit dies zu außergeschäftlichen Zwecken wie z. B. der präventiven Warnung vor Gefahren der Spielsucht beim Glücksspiel in Spielbanken oder der Verbreitung

125 BGH 3. 4. 1981 – I ZR 4 1/80 – GRUR 1981, 665, 666 – Knochenbrecherin; BGH 19. 6. 1981 – I ZR 100/79 – GRUR 1981, 823, 825 – Ecclesia-Versicherungsdienst; OLG Hamm 7. 2. 2008 – 1–4 U 154/07 – MMR 2008, 750, 751 – ungeschwärztes Urteil. 126 RG 26. 4. 1937 – I V B 9/37 – RGZ 154, 343, 351; BGH 14. 7. 1966 – II ZB 2/66 – BGHZ 45, 395, 398; BGH 2. 7. 1985 – X ZR 77/84 – BGHZ 95, 155, 157 ff. – Deutsche Bundesbahn; BGH 20. 2. 1997 – I ZR 12/95 – GRUR 1997, 907, 908 – EmilGrünbär-Klub; BAG 31. 5. 2005 – 1 AZR 141/04 – GRUR 2006, 244, 245 f. – Mitgliederwerbung von Gewerkschaften. 127 Siehe unten Rn. 204. Zu undifferenziert LG Hamburg 28. 3. 2019 – 403 HKO 127/18 –, juris Tz. 34 ff.; LG München I 29. 4. 2019 – 4 HK O 14312/18 – WRP 2019, 931 ff. – Cathy Hummels. 128 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 30. 129 Dazu § 2 Rn. 643 ff. 130 Z. B. BGH 10. 4. 1997 – I ZR 3/95 – GRUR 1997, 909, 910 f. – Branchenbuch-Nomenklatur (keine wettbewerbliche Wechselbeziehung zwischen einem Verlag und einem Lohnsteuerhilfeverein). 131 OLG Hamm 7. 2. 2008 – 1–4 U 154/07 – MMR 2008, 750, 751 – ungeschwärztes Urteil. 132 Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 31 Rn. 51 f. 133 Harte/Henning/Keller Rn. 38; Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 1 B Rn. 75. Zur Förderung fremden Wettbewerbs unten § 2 Rn. 93 ff. 134 Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 1 B Rn. 58.

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statistischer Daten zu den vom Anmelder unternehmerisch betriebenen Spielbanken dient.135 Dies gilt ggf. auch für .com-Domains, da auch jene von Privatpersonen für private Zwecke benutzt werden.136 Gibt hingegen ein Teilnehmer einer an sich privaten, außergeschäftlichen Kommunikation seinen Aussagen eine geschäftliche Wendung, indem er seinen eigenen oder fremden Wettbewerb fördert (z. B. wirbt oder einen konkreten Geschäftsabschluss tätigt), wechselt er in den geschäftlichen Verkehr und unterliegt insoweit den Vorgaben des UWG.137 Ebenso verhält es sich, wenn ein Personaldienstleister in einem Online-Netzwerk ein geschäftliches Profil erstellt und dort nach Mitarbeitern sucht138 oder wenn eine Person von einer IP-Adresse, die zum Netzwerk eines Versicherungsunternehmens gehört, einen dieses Unternehmen und seine Produkte lobenden Forum-Beitrag zu einem Rechtsanwalts-Blog verfasst, in dem dieser Versicherer kritisiert worden war.139 Keine geschäftliche Handlung i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 ist der eigennützige, private Konsum durch Letztverbraucher.140 Dies gilt auch, wenn ein Unternehmer für den privaten Bedarf im eigenen Geschäft einkauft.141 Zwar nehmen Verbraucher am Marktgeschehen teil und beeinflussen durch ihre geschäftlichen Entscheidungen das Wettbewerbsgeschehen maßgeblich. Indes decken sie mit ihren Nachfragehandlungen lediglich ihren privaten Bedarf, nicht aber fördern sie den Wettbewerb eines eigenen Unternehmens. Auch genügt allein der Geschäftsabschluss mit einem bestimmten Unternehmen nicht, um von einer lauterkeitsrechtlich relevanten Wettbewerbsförderung gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 auszugehen. Selbiges gilt, wenn eine natürliche Person im privaten Rahmen, also nicht dauerhaft und planmäßig im Rahmen eines Unternehmens, Waren oder Dienstleistungen gegen Entgelt anbietet, z. B. ihren privaten PKW verkauft oder ihre Arbeitskraft zu Markte trägt. Nicht im geschäftlichen Verkehr agiert daher ein Immobilienmakler, der ein Grundstück aus seinem Privatbesitz in Zeitungsanzeigen zum Verkauf anbietet. Eine durch den Verkauf mögliche Liquiditätsverbesserung im geschäftlichen Bereich reicht zur Annahme eines Handelns im geschäftlichen Verkehr nicht aus.142 All diese Angebotsaktivitäten erfolgen weder zugunsten eines eigenen noch zugunsten eines fremden Unternehmens, auch wenn ein solcher der Abnehmer ist. Sie unterliegen daher nicht dem UWG. Ob bei einem entgeltlichen Angebot von Waren oder Dienstleistungen noch im privaten Rahmen oder bereits im geschäftlichen Verkehr unternehmerisch agiert wird, ist auf Grund einer Gesamtschau der relevanten Umstände zu beurteilen.143 Streitig ist, zu welcher Kategorie von Schutzsubjekten des UWG nicht unternehmerische Anbieter von Waren oder Dienstleistungen zählen. Nach einer Ansicht sind sie keine Ver135 OLG München 28. 10. 2010 – 29 U 2590/10 – juris Rn. 51 – Bayerische Spielbanken. Siehe dazu auch EuGH Rechtssache C-657/11, Vorabentscheidungsersuchen des Hof van Cassatie van België (Belgien), eingereicht am 21. Dezember 2011 — Belgian Electronic Sorting Technology NV/Bert Peelaers und Visys NV, Amtsblatt Nr. C 073 vom 10/03/2012, 17 („Ist der Begriff „Werbung“ in Art. 2 der Richtlinie 84/450/EWG vom 10. September 1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung und in Art. 2 der Richtlinie 2006/114/EG vom 12. Dezember 2006 über irreführende und vergleichende Werbung dahin auszulegen, dass er die Registrierung und Nutzung eines Domain-Namens sowie die Nutzung von Metatags in Metadaten einer Website umfasst?“). 136 Harte/Henning/Keller Rn. 38. 137 BGH 17. 3. 1953 – I ZR 118/52 – GRUR 1953, 293, 294 – Fleischbezug; BGH 26. 2. 1960 – I ZR 166/58 – GRUR 1960, 384, 386 – Mampe Halb und Halb. 138 LG Heidelberg 23. 5. 2012 – 1 S 58/11 – MMR 2012, 607 – Unlauteres Abwerben über XING. 139 LG Hamburg 24. 4. 2012 − 312 O 715/11 – GRUR-RR 2012, 400 – Beste Rechtsschutzversicherung. 140 OLG München 21. 8. 1963 – 6 W 834/63 – NJW 1963, 2129; LG Heidelberg 23. 5. 2012 – 1 S 58/11 – MMR 2012, 607 – Unlauteres Abwerben über XING; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/ Pommerening § 31 Rn. 20. 141 Beater Rn. 894. 142 BGH 22. 4. 1993 – I ZR 75/91 – GRUR 1993, 761 – Makler Privatangebot. 143 BGH 4. 12. 2008 – I ZR 3/06 – GRUR 2009, 871 Tz. 23–25, 33 – Ohrclips. Zur Abgrenzung bei Online-Verkaufsplattformen unten § 2 Rn. 617.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

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braucher,144 und daher wohl als „sonstige Marktteilnehmer“ gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 einzuordnen. Richtig ist zwar, dass die handelnden Personen aus der Rolle der bloßen Konsumenten in diejenige des Anbieters wechseln. Der Wortlaut der Verbraucherdefinition gem. §§ 2 Abs. 2, 13 BGB ist aber offen genug, um auch solches Verhalten zu erfassen. Demnach kommt es nur darauf an, ob eine natürliche Person zu Zwecken handelt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Dies ist bei privaten Angebotshandlungen der Fall. Auch erscheinen natürliche Personen, die in nicht unternehmerischer Weise am Marktgeschehen teilnehmen, bei ihren privaten Nachfrage- und Angebotshandlungen gleichermaßen schutzwürdig. In beiden Konstellationen agieren sie daher als Verbraucher.145 Folge ist vor allen Dingen, dass Unternehmen bei ihrem Nachfrageverhalten gegenüber Verbrauchern (C2B) die verbraucherschützenden Regelungen des UWG einzuhalten haben. Wird auf einer Website mit im Übrigen privater Kommunikation Werbung geschaltet, unter- 78 liegt die Werbung dem UWG.146 Ist ein Verhalten nicht in geschäftliche und private Aspekte teilbar – zum Beispiel, wenn ein Unternehmer eine IT-Dienstleistung nachfragt, die er sowohl für das Geschäft als auch privat verwendet –, kommt es darauf an, ob die Marktaktivität im Schwerpunkt unternehmerischer oder privater Natur ist.147 Soweit ein mehr als nur bei Gelegenheit der privaten Anschaffung genutzter, in Quantität und Qualität zu vernachlässigender Unternehmensbezug besteht, liegt eine geschäftliche Handlung vor.148

cc) Nicht-unternehmerisches Verhalten juristischer Personen und rechtsfähiger Per- 79 sonengesellschaften. Natürliche Personen handeln nicht im geschäftlichen Verkehr, wenn sie entweder ganz außerhalb des Marktgeschehens in privater, nicht wirtschaftlicher Weise agieren oder als Verbraucher am Markt teilnehmen. Beide Varianten können auch für juristische Personen in Betracht kommen, soweit sie nicht wie Kapitalgesellschaften oder Personenhandelsgesellschaften bereits ihrem Zweck nach zugunsten des eigenen Unternehmens agieren. Dies gilt insbesondere für nicht wirtschaftliche Vereine gem. § 21 BGB (Idealvereine), deren geschäftliche Betätigung aus Gründen der Sicherheit des Rechtsverkehrs, insbesondere des Gläubigerschutzes grundsätzlich verhindert werden soll, soweit es sich nicht lediglich um eine untergeordnete, den idealen Hauptzwecken des Vereins dienende wirtschaftliche Betätigung im Rahmen des sogenannten Nebenzweckprivilegs handelt.149 Auch sonstige Körperschaften, die gem. §§ 51 ff. AO ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke verfolgen, fördern grundsätzlich nicht den eigenen Wettbewerb im geschäftlichen Verkehr.150 So erfolgen satzungsgemäße, verbraucherpolitische Aktivitäten von Idealvereinen wie 80 Greenpeace nicht zugunsten des eigenen „Unternehmens“, auch wenn sie das Marktverhalten von Unternehmern gezielt beeinflussen sollen.151 Das Rundschreiben einer Berufskammer an ihre Mitglieder über den Verlauf einer lauterkeitsrechtlichen Auseinandersetzung stellt einen internen, im Übrigen lediglich die nicht unternehmerischen Aufgaben der Kammer betreffenden Vorgang dar.152 144 So Beater Rn. 917 ff. 145 Köhler Festschrift Hopt, S. 2825, 2830 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 18. Für Arbeitnehmer entsprechend Ultsch S. 235 ff. 146 Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 1 B Rn. 80 m. w. N. 147 Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 6 Rn. G 34; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 35 Rn. 9. 148 Entsprechend zur Abgrenzung zwischen geschäftlichen Handlungen und nicht-wirtschaftlichem Verhalten unten § 2 Rn. 191 ff. 149 Dazu BGH 29. 9. 1982 – I ZR 88/80 – GRUR 1983, 120, 123 f. – ADAC-Verkehrsrechtsschutz. 150 BGH 19. 6. 1981 – I ZR 100/79 – GRUR 1981, 823, 825 – Ecclesia-Versicherungsdienst. 151 OLG Stuttgart 15. 9. 2005 – 2 U 60/05 – GRUR-RR 2006, 20 – Absperrband-Aktion. 152 OLG Brandenburg 29. 9. 2005 – 6 U 28/05 – GRUR-RR 2006, 199 f. – Anonymisierung; OLG Brandenburg 25. 9. 2007 – 6 U 100/06 – GRUR 2008, 356 – Rundschreiben.

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Peukert

§2

Definitionen

Ebenso fördert die eigennützige Spenden-153 und reine Mitgliederwerbung von Idealvereinen kein Unternehmen, sondern eben nur einen nicht wirtschaftlichen Verein, der keine Waren oder Dienstleistungen gegen Entgelt anbietet.154 Dies gilt insbesondere für die Mitgliederwerbung von Gewerkschaften, die vor allen Dingen die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder, also primär soziale und gesellschaftspolitische Aufgaben wahrnehmen. Kommen die Mitglieder einer Gewerkschaft wie auch diejenigen eines anderen Idealvereins in den Genuss von Waren oder Dienstleistungen, die üblicherweise gegen Entgelt angeboten werden, so bleibt die Mitgliederwerbung gleichwohl außerhalb des geschäftlichen Verkehrs und damit der Regulierung durch das UWG, soweit sich diese Angebote akzessorisch zum nicht wirtschaftlichen Hauptzweck des Vereins verhalten und nicht den Hauptzweck oder gar alleinigen Zweck der Vereinstätigkeit darstellen.155 82 Keine geschäftliche Handlung stellt es ferner dar, wenn ein Idealverein oder eine andere, satzungsgemäß nicht unternehmerisch agierende juristische Person oder rechtsfähige Personengesellschaft für den je eigenen Bedarf Waren oder Dienstleistungen nachfragt. Wie beim privaten Konsum natürlicher Personen (Verbraucher) fördert dieses Verhalten kein Unternehmen. Verwaltet etwa eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts lediglich das eigene Vermögen, ohne hierfür unternehmerisch tätig zu werden, liegt keine geschäftliche Handlung vor.156 Ebenso verhält es sich, wenn Idealvereine etc. wie Privatpersonen im Einzelfall Waren oder Dienstleistungen gegen Entgelt anbieten, indem z. B. die Möblierung eines Vereinshauses im Zuge einer Renovierung veräußert wird. 83 Allerdings kommt es für die Entscheidung über das Vorliegen einer geschäftlichen Handlung nicht auf die Rechtsform juristischer Personen und rechtsfähiger Personengesellschaften an, sondern auf ihre tatsächliche Stellung im Wettbewerb.157 So wie eine natürliche Person sowohl rein privat als auch unternehmerisch handeln kann, ist das Verhalten von Idealvereinen etc. dem UWG nicht von vornherein entzogen. 84 Ergibt sich bereits aus der Satzung, dass der Hauptzweck des Vereins etc. nicht etwa die Förderung sozialer, verbraucherpolitischer oder sonstiger, nicht geschäftlicher Zwecke ist, sondern im Austausch für die Mitgliedsbeiträge Waren oder Dienstleistungen angeboten werden, die auch sonst am Markt gegen Entgelt vertrieben werden, so stellt sich nicht nur dieses Verhalten, sondern auch die Mitgliederwerbung als eine geschäftliche Handlung dar. Denn gefördert wird dann ein in die Rechtsform des Idealvereins gekleidetes Unternehmen. So hat die Rechtsprechung die Mitgliederwerbung von Lohnsteuerhilfevereinen am UWG gemessen, da diese Werbung den primären Zweck habe, die marktmäßige Erbringung von Dienstleistungen an die Mitglieder zu fördern. Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise handele es sich bei den Mitgliedsbeiträgen um ein pauschaliertes Leistungsentgelt für die Lohnsteuerberatung, die im Wettbewerb zu Steuerberatern angeboten werde.158 Ebenso zu beurteilen sind Konsumoder Einkaufsvereine, die den Mitgliedern durch die Errichtung eines Systems von Einkaufsausweisen und die Bündelung der Nachfrage ein preiswertes und günstiges Einkaufen ermöglichen. Da der Mitgliedsbeitrag nichts anderes als ein pauschaliertes Entgelt für bessere Warenan81

153 Dazu unten § 2 Rn. 236 ff. 154 BGH 15. 11. 1967 – Ib ZR 137/65 – GRUR 1968, 205, 207 – Teppichreinigung; BAG 11. 11. 1968 – 1 AZR 16/68 – BGHZ 42, 210, 218; BGH 28. 11. 1969 – I ZR 139/67 – NJW 1970, 378, 380 – Sportkommission; BGH 14. 1. 1972 – I ZR 95/70 – GRUR 1972, 427, 428 – Mitgliederwerbung; BGH 20. 2. 1997 – I ZR 12/95 – GRUR 1997, 907, 908 – EmilGrünbär-Klub; kritisch dazu, vor allem mit Blick auf die Spendenwerbung, Hoffrichter-Daunicht Festschrift v. Gamm, S. 39, 42 ff.; Ullmann Festschrift Traub, S. 411, 413 f. 155 Zum Angebot von Rechtsschutz durch Gewerkschaften siehe BAG 31. 5. 2005 – 1 AZR 141/04 – GRUR 2006, 244, 245 f. – Mitgliederwerbung von Gewerkschaften. 156 BGH 23. 10. 2001 – XI ZR 63/01 – NJW 2002, 368, 368 ff. 157 BGH 23. 1. 1976 – I ZR 95/75 – GRUR 1976, 370, 371 – Lohnsteuerhilfevereine I. 158 BGH 23. 1. 1976 – I ZR 95/75 – GRUR 1976, 370, 371 – Lohnsteuerhilfevereine I.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

§2

gebote darstellt, erfolgt die Mitgliederwerbung und sonstige werbliche Eigendarstellung „zugunsten des eigenen Unternehmens“ i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1.159 Schließlich agiert ein nicht wirtschaftlicher Verein auch dann zugunsten des eigenen Unter- 85 nehmens, wenn der Verein tatsächlich und ggf. entgegen der Satzung unternehmerisch agiert und damit in Wettbewerb zu Unternehmern tritt, die substituierbare Waren oder Dienstleistungen gegen Entgelt anbieten.160 Eine geschäftliche Handlung zugunsten des eigenen Unternehmens ist daher zum Beispiel gegeben, wenn ein Verein Nichtmitgliedern gegen Entgelt Vermögensberatung in Erbfällen anbietet161 oder sie außergerichtlich vertritt;162 wenn die an alle Mitglieder verteilte Verbandszeitschrift einer sonst im Pressemarkt angebotenen Fachzeitschrift entspricht;163 oder wenn sich die Zentralstelle für das Versicherungswesen im kirchlich-diakonisch-karitativen Bereich von den Versicherungsgesellschaften, mit denen sie zusammenarbeitet, Vergütungen in Form von Provisionen gewähren lässt.164

dd) Hoheitliches Handeln. Sind Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge privatisiert wor- 86 den, so agieren die ggf. mit einer staatlichen Genehmigung ausgestatteten Unternehmen im geschäftlichen Verkehr.165 Doch auch soweit eine solche Privatisierung nicht stattgefunden hat, können juristische Personen des öffentlichen Rechts sowohl unternehmerisch als auch nicht unternehmerisch handeln.166 Wie bei natürlichen und juristischen Personen des Privatrechts hat die Abgrenzung auch hier anhand einer objektiven Gesamtbeurteilung des in Streit stehenden Verhaltens zu erfolgen: Vertreibt die öffentliche Hand über eine gewisse Dauer und planmäßig Waren oder Dienstleistungen gegen Entgelt, agiert sie in diesem Rahmen – anders als im Zuge behördeninterner Weisungen167 – zugunsten des eigenen Unternehmens als Unternehmer und folglich im Anwendungsbereich des UWG. Fremden Wettbewerb fördert die öffentliche Hand insbesondere, wenn sie in den Wettbewerb zugunsten eines fremden Unternehmens eingreift, weil sie von seinem wirtschaftlichen Erfolg aufgrund vertraglicher oder sonstiger Beziehungen profitiert.168 Von der Anwendbarkeit des UWG streng zu unterscheiden ist die nachgeordnete Frage der lauterkeitsrechtlichen Zulässigkeit dieser geschäftlichen Handlung.169

159 A.A. OLG München 21. 8. 1963 – 6 W 834/63 – NJW 1963, 2129; OLG Celle 23. 1. 1974 – 13 U 145/73 – WRP 1974, 273, 275.

160 BGH 14. 1. 1972 – I ZR 95/70 – GRUR 1972, 427, 428 – Mitgliederwerbung; OLG Celle 23. 1. 1974 – 13 U 145/73 – WRP 1974, 273, 275; OLG Köln 15. 5. 1985 – 6 U 42/85 – WRP 1985, 660. 161 BGH 20. 10. 1983 – I ZR 130/81 – GRUR 1984, 283, 284 f. – Erbenberatung. 162 Anders BGH 1. 6. 2011 – I ZR 58/10 – WRP 2012, 963 Tz. 13 – Rechtsberatung durch Einzelhandelsverband. 163 BGH 21. 6. 1971 – KZR 8/70 – GRUR 1972, 40, 42 – Feld und Wald I. 164 BGH 19. 6. 1981 – I ZR 100/79 – GRUR 1981, 823, 825 – Ecclesia-Versicherungsdienst. 165 BGH 15. 1. 2009 – I ZR 141/06 – GRUR 2009, 881 Tz. 10 – Überregionaler Krankentransport. 166 BGH 30. 4. 2014 – I ZR 170/10 – WRP 2014, 1304 Tz. 19 ff. – Betriebskrankenkasse II; BGH 27. 7. 2017 – I ZR 162/ 15 – WRP 2018, 186 Tz. 23 – Eigenbetrieb Friedhöfe; für die UGPRL EuGH 3. 10. 2013 – C-59/12 – GRUR 2013, 1159 Tz. 23 ff. – BKK Mobil Oil. Die bloße Möglichkeit der Privatisierung öffentlicher Aufgaben genügt aber noch nicht; anders BGH 2. 7. 1985 – X ZR 77/84 – BGHZ 95, 155, 157 ff. – Deutsche Bundesbahn (ein wirtschaftliches Unternehmen der öffentlichen Hand sei ein solches, das auch von einem Privatunternehmen mit der Absicht der Erzielung dauernder Einnahmen betrieben werden könne). Allgemein zur sog. Lehre von der Doppelnatur hoheitlicher Maßnahmen Guilliard GRUR 2018, 791, 792 f. 167 Guilliard GRUR 2018, 791, 793. 168 BGH 24. 3. 2016 – I ZR 263/14 – WRP 2016, 1500 Tz. 22 – Kreiskliniken Calw. 169 A.A. OLG Stuttgart 5. 8. 2010 – 2-U 53/10 – WRP 2011, 1207 ff. – Pflegedienst („Denn ist das Verhalten der öffentlichen Hand sachlich nicht geboten, ist von einer geschäftlichen Handlung auszugehen.“); im Ergebnis ähnlich das Unwerturteil und die Anwendbarkeit des UWG vermengend BGH 20. 12. 2018 – I ZR 112/17 – WRP 2018, 317 Tz. 52 – Crailsheimer Stadtblatt II mit insoweit kritischer Anm. Peifer.

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§2

Definitionen

Nicht zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens betätigen sich staatliche Stellen, wenn sie aufgrund öffentlich-rechtlicher Ermächtigungsgrundlagen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben hoheitlich tätig werden.170 Ob dies der Fall ist, hängt maßgeblich von den öffentlich-rechtlichen Aufgabe- und Befugnisnormen ab, die der streitigen Handlung zugrundeliegen.171 Soweit die hoheitliche Aufgabennorm reicht, kann die betreffende Tätigkeit durch eigene Aktivitäten etwa eines gemeindlichen Eigenbetriebs oder durch Beauftragung privater Marktteilnehmer erfüllt werden. Die Entscheidung für eine behördliche oder eine privatwirtschaftliche Erfüllung der öffentlichen Aufgabe ist keine geschäftliche Handlung und unterliegt daher nicht dem UWG.172 Verstöße gegen die öffentlich-rechtliche Aufgabe- und Befugnisnorm sind nach Maßgabe des öffentlichen Rechts vor den Verwaltungsgerichten geltend zu machen.173 Das gilt auch dann, wenn das streitgegenständliche Verhalten im pflichtgemäßen Ermessen des in Anspruch genommenen Hoheitsträgers steht; Auswirkungen auf den Wettbewerb, die sich aus der pflichtgemäßen Ausübung einer bestimmten, öffentlich-rechtlichen Ermessensnorm ergeben, sind als notwendige Begleiterscheinung der Erfüllung öffentlicher Aufgaben einer Überprüfung nach Maßgabe des UWG entzogen.174 Hoheitliches Handeln liegt ferner vor, wenn ein privates Unternehmen im Auftrag der Polizei ein Fahrzeug abgeschleppt und dafür Kostenansprüche geltend macht. Denn der Abschleppvorgang ist eine polizeiliche Vollstreckungsmaßnahme, die einem privaten Unternehmer „als verlängerter Arm“ der Verwaltungsbehörde anvertraut wurde.175 Erst recht hoheitlich agiert eine Gemeinde, die eine öffentlich-rechtliche Pflicht durch einen Eigenbetrieb erfüllt.176 Nicht unter das UWG fallen ferner Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversiche88 rung. Eine solche liegt vor, wenn durch den Gegenstand des Streits Maßnahmen betroffen sind, die unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgaben dienen.177 In Wahrnehmung der ihr gesetzlich zugewiesenen Aufgaben, nicht aber zugunsten eines eigenen oder fremden Unternehmens handelt schließlich eine als Körperschaft des öffentlichen Rechts konstituierte Handwerkskammer, wenn sie ihren Mitgliedern und Existenzgründern als potenziellen Mitgliedern kostenlos Beratungsleistungen anbietet.178 Handelt die öffentliche Hand dagegen zwar zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe, wird 89 sie aber ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung tätig, ist eine geschäftliche Handlung nicht von vornherein ausgeschlossen. Allerdings kann anders als bei privaten Unternehmen 87

170 BGH 26. 1. 2006 – I ZR 83/03 – GRUR 2006, 428 Tz. 12 – Abschleppkosten-Inkasso; BGH 13. 12. 2018 – I ZR 165/ 17 – GRUR 2019, 741 Tz. 14 – Durchleitungssystem. differenzierend zwischen Eingriffs- und Leistungsverwaltung Guilliard GRUR 2018, 791, 794 ff. 171 BGH 27. 7. 2017 – I ZR 162/15 – WRP 2018, 186 Tz. 27 – Eigenbetrieb Friedhöfe; OLG Köln 13. 7. 2018 – 6 U 180/ 17 – GRUR-RR 2018, 461, 464 – DWD WarnWetterApp; ohne Rücksicht hierauf OLG Schleswig 12. 5. 2016 – 6 U 22/ 15 – MMR 2016, 752 f. – Ehrenkodex. 172 BGH 27. 7. 2017 – I ZR 162/15 – WRP 2018, 186 Tz. 23 ff. – Eigenbetrieb Friedhöfe, zur Pflicht der zuständigen Behörde, selbst für eine Bestattung Verstorbener zu sorgen, wenn die Angehörigen ihrer Pflicht nicht oder nicht rechtzeitig nachkommen. 173 OLG Köln 13. 7. 2018 – 6 U 180/17 – GRUR-RR 2018, 461, 464 f. – DWD WarnWetterApp. 174 BGH 13. 12. 2018 – I ZR 165/17 – GRUR 2019, 741 Tz. 15 ff. – Durchleitungssystem (betr. eine Vorschrift des KfWG, wonach die KfW bei der Gewährung von Finanzierungen grundsätzlich Kreditinstitute oder andere Finanzierungsinstitutionen einzuschalten hat; mit Zustimmung des Verwaltungsrats Finanzierungen aber auch unmittelbar gewährt werden können). 175 BGH 26. 1. 2006 – I ZR 83/03 – GRUR 2006, 428 Tz. 12 – Abschleppkosten-Inkasso. 176 BGH 27. 7. 2017 – I ZR 162/15 – WRP 2018, 186 Tz. 35 – Eigenbetrieb Friedhöfe. 177 BSG 31. 3. 1998 – B 1 KR 9 – 95 R – NJW 1999, 892; BGH 9. 11. 2006 – I ZB 28/06 – GRUR 2007, 535 – Gesamtzufriedenheit; OLG Celle 2. 4. 2009 – 13 W 16/09 – GRUR-RR 2010, 86 – Sonderkündigungsrecht; OLG Celle 9. 9. 2010 – 13 U 173/09 – WRP 2010, 1548, 1550 – Sonderkündigungsrecht; OLG Hamm 13. 8. 2019 – 4 U 9/19 – GRUR-RR 2019, 532 (öffentliche Informationskampagne einer kassenärztlichen Vereinigung über das Verhalten bestimmter Krankenkassen im Rahmen laufender Vergütungsverhandlungen). 178 OLG Koblenz 11. 1. 2001 – 6 U 1414/98 – GRUR-RR 2002, 114 f. – Handwerkskammer.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

§2

nicht vermutet werden, dass staatliche Einrichtungen wie Private am wirtschaftlichen Wettbewerb teilnehmen. Vielmehr kommt es unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls darauf an, ob das Tätigwerden zur Erfüllung der öffentlichen Aufgabe nach Art und Umfang sachlich notwendig ist und die Auswirkungen auf den Wettbewerb nur notwendige Begleiterscheinung der Erfüllung öffentlicher Aufgaben sind.179 Nimmt die öffentliche Hand im Privatrechtsverkehr am Wirtschaftsleben teil, indem sie sich mit privaten Wettbewerbern auf dem Boden der Gleichordnung um die Nachfrage auf einem bestimmten Markt bewirbt, fördert sie einen eigenen Geschäftszweck und verlässt damit den rein amtlichen bzw. hoheitlichen Bereich, bei dem die Verfolgung öffentlicher Interessen im Vordergrund steht. Ebenso verhält es sich bei der Förderung bestimmter privater Marktteilnehmer.180 Solch erwerbswirtschaftliches Verhalten des Staates unterliegt der Kontrolle des Lauterkeitsrechts.181 Im geschäftlichen Verkehr handelt demgemäß etwa eine Gemeinde, die ein kostenloses 90 redaktionelles Stadtblatt über das gesamte politische und gesellschaftliche Leben im Ort herausgibt;182 eine Gemeinde, die unter der Rubrik „Amtliche Bekanntmachungen und Informationen“ eine Solarinitiative mit zwei namentlich genannten und prominent herausgestellten Unternehmen dieser Branche ankündigt;183 eine als Körperschaft des öffentlichen Rechts organisierte Allgemeine Ortskrankenkasse, die in gleicher Weise wie Optiker Gestelle und Gläser an ihre Versicherten ausgibt;184 ein Landkreis, der als Mitgesellschafter einer gemeinnützigen KlinikGmbH defizitär wirtschaftenden Kreiskliniken Zuwendungen macht.185 Ungeachtet ihrer weiterhin öffentlich-rechtlichen Organisation und Trägerschaft sozialer Sicherungssysteme stellt ferner die Mitgliederwerbung gesetzlicher Krankenversicherungen, die nach dem Willen des Gesetzgebers wie private Versicherungsunternehmen um Kunden werben sollen, eine geschäftliche Handlung dar.186 Indes kann keinesfalls jede staatliche Aktivität jenseits gesetzlicher Eingriffsermächtigun- 91 gen als wirtschaftliches Marktverhalten qualifiziert werden.187 Soweit die Daseinsvorsorge dem Staat vorbehalten und nicht marktmäßig organisiert ist, handelt der Staat hoheitlich und nicht geschäftlich. So fehlt es an einem Verhalten zugunsten des eigenen Unternehmens, wenn ein Rentenversicherungsträger eine Software zur Erfüllung seiner öffentlich-rechtlichen Aufgaben 179 BGH 27. 7. 2017 – I ZR 162/15 – WRP 2018, 186 Tz. 34 – Eigenbetrieb Friedhöfe, wo eine Anwendung des UWG auf den Fall für möglich erachtet wird, dass eine hoheitliche Aufgabenerfüllung „nur oder zumindest in besserer Weise“ durch private Unternehmen gewährleistet werden kann; BGH 20. 12. 2018 – I ZR 112/17 – GRUR 2019, 189 Tz. 56 – Crailsheimer Stadtblatt II (verlasse eine Gemeinde mit der Herausgabe eines Amtsblatts in erweiterter Form den öffentlich-rechtlichen Bereich in deutlich erkennbarer Weise, müsse sie sich an den insoweit geltenden Regeln des Wettbewerbsrechts messen lassen); BGH 13. 12. 2018 – I ZR 165/17 – GRUR 2019, 741 Tz. 14 – Durchleitungssystem; OLG Hamburg 27. 9. 2013 – 3 U 56/11 – MMR 2014, 318, 320 f. – Prozedurenschlüssel; Jänich § 4 Rn. 21 (es komme darauf an, ob im öffentlichen Interesse Defizite bei der Bedarfsdeckung geschlossen werden). 180 Z. B. OLG Schleswig 12. 5. 2016 – 6 U 22/15 – MMR 2016, 752 f. – Ehrenkodex. 181 BGH 21. 7. 2005 – I ZR 170/02 – GRUR 2005, 960, 961 – Friedhofsruhe; BGH 26. 1. 2006 – I ZR 83/03 – GRUR 2006, 428 Tz. 12 – Abschleppkosten-Inkasso; BGH 24. 3. 2016 – I ZR 263/14 – WRP 2016, 1500 Tz. 22 – Kreiskliniken Calw; OLG Karlsruhe 28. 4. 1999 – 6 U 6/99 – NJWE-WettbR 2000, 6 f.; KG 19. 6. 2001 – 5 U 10475/99 – GRUR-RR 2002, 198, 200 – Online-Öffentlichkeitsarbeit; Guilliard GRUR 2018, 791, 798. 182 BGH 20. 12. 2018 – I ZR 112/17 – GRUR 2019, 189 Tz. 56 – Crailsheimer Stadtblatt II (die Gemeinde bewege sich deutlich erkennbar außerhalb des ihr zugewiesenen Aufgabenbereichs). 183 BGH 12. 7. 2012 – I ZR 54/11 – GRUR 2013, 301 Tz. 21 f. – Solarinitiative. 184 BGH 18. 12. 1981 – I ZR 34/80 – GRUR 1982, 425, 427 – Brillen-Selbstabgabestellen. 185 BGH 24. 3. 2016 – I ZR 263/14 – WRP 2016, 1500 Tz. 20–22 – Kreiskliniken Calw; OLG Nürnberg 21. 11. 2017 – 3 U 134/17 – GRUR-RR 2018, 243 f. – Seniorenpflegeheim (Zuwendungen einer Stadt an ein Alten-/Pflegeheim, an dessen Träger die Stadt zu 100 % beteiligt ist). 186 EuGH 3. 10. 2013 – C-59/12 – GRUR 2013, 1159 Tz. 23 ff. – BKK Mobil Oil; BGH 30. 4. 2014 – I ZR 170/10 – WRP 2014, 1304 Tz. 15 ff. – Betriebskrankenkasse II; BGH 22. 1. 2014 – I ZR 218/12 – WRP 2014, 835 Tz. 15 f. – NordjobMesse. 187 So aber dem Obersatz nach BGH 26. 1. 2006 – I ZR 83/03 – GRUR 2006, 428 Tz. 12 – Abschleppkosten-Inkasso mit Verweis auf BGH 18. 10. 2001 – I ZR 193/99 – GRUR 2002, 550, 554 – Elternbriefe.

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Peukert

§2

Definitionen

erstellt und an andere Hoheitsträger zu diesen Zwecken weitergibt, statt hiermit private Anbieter zu beauftragen.188 So wenig wie der Marktzutritt des Staates mit dem UWG abgewehrt werden kann,189 so wenig kann ein solcher umgekehrt mit dem UWG erzwungen werden.190 92 Ohnehin unterfällt die Beschaffungstätigkeit der öffentlichen Hand nicht § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG, da und soweit sie der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben dient. So wie die private Nachfrage von Verbrauchern und nicht wirtschaftlichen Vereinen fördert solches Verhalten kein Unternehmen, sondern ist auf die Erfüllung nicht geschäftlicher, sondern hoheitlicher Zwecke ausgerichtet.191 Aussagen in öffentlichen Ausschreibungen sowie Vergabebedingungen stellen daher grundsätzlich keine geschäftlichen Handlungen dar.192 Die Nachfragemacht des Staates hat ihren spezialgesetzlichen Niederschlag im Vergaberecht (§§ 97 ff. GWB) gefunden. Nur soweit die öffentliche Hand erwerbswirtschaftlich tätig ist und im Rahmen dieser unternehmerischen Betätigung nachfragend am Markt agiert, unterliegt sie wie jeder andere Unternehmer dem UWG. Selbiges gilt für hoheitliche Zuwendungen an Privatunternehmen. Derartige Förderungen fremden Wettbewerbs können über § 3a auf ihre Vereinbarkeit mit dem Beihilferecht überprüft werden.193

93 c) Verhalten einer Person zugunsten eines fremden Unternehmens. Der Begriff der geschäftlichen Handlung und damit das UWG insgesamt erfassen nicht nur eigennütziges Verhalten eines Unternehmers zur Förderung des eigenen Wettbewerbs, sondern jedes Verhalten einer Person zugunsten eines fremden Unternehmens, das mit dessen Wettbewerbssituation objektiv zusammenhängt. Der Kreis derjenigen Personen, die diese fremdnützige Wettbewerbsförderung vornehmen können, ist also nicht auf Unternehmer im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs. beschränkt. Bereits zum UWG 1909 war anerkannt, dass auch Dritte, die selbst kein Gewerbe betreiben, sich in den Wettbewerb anderer einschalten und dergestalt „zu Zwecken des Wettbewerbs im geschäftlichen Verkehr“ handeln können.194 Aufgrund der Kontinuität dieser Rechtslage ist die insoweit einschlägige ältere Rechtsprechung weiterhin relevant. 94 Da der Anwendungsbereich des UWG in diesem Zusammenhang über den Kreis derjenigen Personen hinausgeht, die als Unternehmer typischerweise für das Wettbewerbsgeschehen und damit auch für die Einhaltung der Lauterkeit des Wettbewerbs verantwortlich sind, ist der Abgrenzung zum nicht wirtschaftlichen Verhalten besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Wird einer Person, die selbst kein Unternehmen betreibt, ein Verstoß gegen das UWG vorgeworfen, ist im Einzelnen darzulegen, weshalb das Verhalten einen objektiven, förderlichen Zusammenhang zur Wettbewerbssituation eines Unternehmens aufweist.

95 aa) Beauftragte, Mitarbeiter und Vertragspartner eines Unternehmens. Die gesetzlichen Vertreter, sonstigen Beauftragten und nicht zuletzt die Mitarbeiter eines Unternehmens sind keine Unternehmensinhaber i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs. Das sind vielmehr die juristischen Personen, rechtsfähigen Personengesellschaften oder der eingetragene Kaufmann etc., die sie vertreten oder für die sie als Arbeitnehmer tätig sind. Folglich können Beauftragte und Mitarbeiter nicht zugunsten des eigenen Unternehmens geschäftliche Handlungen vornehmen. 188 189 190 191 192

OLG Karlsruhe 28. 4. 1999 – 6 U 6/99 – NJWE-WettbR 2000, 6 f. Siehe dazu § 3a Rn. 20 f.; 65 f.; OLG Hamm 5. 11. 2013 – 4 U 72/13 – GRUR-RR 2014, 359 f. BGH 27. 7. 2017 – I ZR 162/15 – WRP 2018, 186 Tz. 22 ff. – Eigenbetrieb Friedhöfe. BGH 27. 7. 2017 – I ZR 162/15 – WRP 2018, 186 Tz. 22 ff. – Eigenbetrieb Friedhöfe. KG 19. 6. 2001 – 5 U 10475/99 – GRUR-RR 2002, 198, 200 f. – Online-Öffentlichkeitsarbeit; OLG Hamburg 30. 7. 2007 – 3 U 126/07 – OLGR Hamburg 2009, 646, 647 = juris Rn. 6; LG Saarbrücken 19. 8. 2011 – 7 O 33/11; Köhler/ Bornkamm/Feddersen Rn. 25; a. A. ohne nähere Begründung Harte/Henning/Keller Rn. 45; juris-PK/Ernst Rn. 17. 193 BGH 24. 3. 2016 – I ZR 263/14 – WRP 2016, 1500 Tz. 20–22 – Kreiskliniken Calw. 194 OLG Celle 23. 1. 1974 – 13 U 145/73 – WRP 1974, 273, 275.

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Indes weisen diese Personen eine besondere Nähe zum vertretenen bzw. arbeitgebenden Unternehmer auf. Denn der Erfolg eines Unternehmens kommt zugleich den Vertretern, Beauftragten und Mitarbeitern zugute. Es sind daher typischerweise jene Personen, die zugunsten eines fremden Unternehmens geschäftliche Handlungen vornehmen. Diese Wertung kommt zum einen in § 8 Abs. 2 zum Ausdruck, der impliziert, dass Zuwiderhandlungen gegen das UWG – also geschäftliche Handlungen – in einem Unternehmen von einem Mitarbeiter oder Beauftragten begangen werden können. § 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs. erklärt sogar alle Personen zu Unternehmern im Sinne des UWG, die im Namen oder Auftrag eines Unternehmers handeln.195 Fördern Beauftragte oder Mitarbeiter den Absatz oder die Nachfrage, den Abschluss oder die Durchführung von Handelsgeschäften des vertretenen oder arbeitgebenden Unternehmens, liegt in der Regel eine ihnen selbst zuzurechnende, fremdnützige geschäftliche Handlung vor. Dies gilt insbesondere für die Organe juristischer Personen wie den Vorstand einer AG und den Geschäftsführer einer GmbH, darüber hinaus aber auch für Prokuristen und Handelsvertreter sowie für sonstige entgeltlich oder unentgeltlich Beauftragte.196 Auch ein Unternehmensverband und sonstige Wirtschafts- oder Berufsvereinigungen, die satzungsgemäß den Wettbewerb ihrer Mitglieder fördern, weisen eine solche Nähebeziehung zu fremdem Wettbewerb auf.197 Die Verbände bzw. Vereine bieten zwar selbst keine Waren oder Dienstleistungen gegen Entgelt an und unterhalten daher keinen eigenen Geschäftsbetrieb. Soweit sie aber satzungsgemäß das Ziel verfolgen, die wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder zu fördern, wird zum Beispiel der Name eines solchen Verbands insgesamt im geschäftlichen Verkehr verwendet und unterliegt daher dem UWG.198 Eine geschäftliche Handlung liegt auch vor, wenn die Mitgliederwerbung zugleich den Wettbewerb der im Verband aktiven Mitglieder fördert;199 wenn ein Verband zugunsten eines von ihm und seinen Untergliederungen getragenen und in der Form der GmbH betriebenen Fachverlags agiert;200 wenn ein Hotelierverband ein Hotel-Klassifizierungssystem aufstellt und organisiert;201 wenn ein Dachverband der Brauereiwirtschaft sich auf seiner Homepage positiv über die Auswirkungen von Bier auf die Gesundheit und den menschlichen Körper äußert;202 oder wenn ein Fachverband der Schlossund Beschlagindustrie ein Rundschreiben an Schlüsseldienste und Sicherheitsfachgeschäfte richtet, in dem vor möglichen Patent- und Markenrechtsverletzungen durch bestimmte Fräsmaschinen gewarnt wird.203 Vertragspartner eines Unternehmers fördern dessen Wettbewerb vor allem dann, wenn sie für die streitgegenständliche Handlung ein spezielles Entgelt oder einen sonstigen Vorteil in Aussicht gestellt bekommen haben.204 Aber auch ohne dieses Indiz kann sich eine Wettbewerbsförderung eines fremden Unternehmens aus den Gesamtumständen ergeben. Schließt eine Gewerkschaft einen Gruppenversicherungsvertrag mit einem Rechtsschutzversicherer ab, durch den die Gewerkschaft ihren Mitgliedern als Versicherten auch ohne deren Zustimmung allein kraft der Satzung Familien- und Wohnungsrechtsschutz mit Mitteln des Beitragsauf195 Dazu und zum Verhältnis von § 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs. zu §§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 8 Abs. 2 § 2 Rn. 650 ff. 196 Vgl. BGH, 19. 6. 1997 – I ZR 16/95 – GRUR 1997, 916 ff. – Kaffeebohne; OLG München 9. 3. 2006 – 6 U 5757/04 – GRUR-RR 2006, 268, 271; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 55. 197 Zu solchen Wirtschafts- und Berufsvereinigungen siehe auch § 20 Abs. 6 GWB und Harte/Henning/Keller Rn. 41. 198 BGH 10. 11. 1972 – J ZR 60/71 – GRUR 1973, 371, 372 – Gesamtverband; OLG Stuttgart 19. 4. 1996 – 2 U 105/95 – NJWE-WettbR 1996, 197, 198 – Christian Chamber of Commerce. 199 BGH 14. 1. 1972 – I ZR 95/70 – GRUR 1972, 427, 428 – Mitgliederwerbung. 200 BGH 21. 6. 1971 – KZR 8/70 – GRUR 1972, 40, 42 – Verbandszeitschrift; BGH 29. 11. 1974 – I ZR 117/73 – GRUR 1975, 377, 378 – Verleger von Tonträgern. 201 LG Berlin 10. 8. 2010 – 16 O 479/08 – WRP 2011, 131 f. 202 LG Berlin 10. 5. 2011 – 16 O 259/10, juris Rn. 21. 203 BGH 15. 1. 2009 – I ZR 123/06 – GRUR 2009, 878 Tz. 11 – Fräsautomat. 204 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 56.

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kommens verschafft, fördert sie den Wettbewerb des Versicherers, mit dem sie kontrahiert.205 Ebenso fördert ein Mieterverein den Wettbewerb der Rechtsanwälte, die als Prozessvertreter für die Mitglieder bevorzugt werden.206 Stellt ein Interessenverband bestimmte Versicherungsgesellschaften lobend heraus, weil sie auf sein Betreiben besonders günstige Versicherungen für Mitglieder des Verbandes anbieten, betätigt sich der Verband zugunsten eines fremden Unternehmens.207 Schließlich zählen die in einem Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer zu denjeni100 gen Personen, die typischerweise ein Interesse an der Förderung ihres Arbeitgebers als eines fremden Unternehmens haben.208 So handelt ein Arbeitnehmer auch dann zugunsten des Arbeitgeber-Unternehmens im geschäftlichen Verkehr, wenn er unter einem privaten Aliasnamen in einem Internet-Blog negative Berichte über einen Mitbewerber veröffentlicht und hierbei auf seine langjährige Erfahrung in der betreffenden Branche verweist.209 Allerdings kann eine solche Wettbewerbsförderung einem Arbeitnehmer nur als eigene 101 Handlung zugerechnet werden, wenn sich das betreffende Verhalten nicht lediglich als Ausführung einer Weisung von Vorgesetzten darstellt. Auch der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 geforderte Unternehmensbezug der geschäftlichen Handlung impliziert, dass ein gewisser Entscheidungsspielraum bestehen und zur Beeinflussung des Wettbewerbsgeschehens benutzt werden muss. Daher stellt das weisungsgebundene Verhalten untergeordneter Arbeitnehmer keine eigenständige geschäftliche Handlung dar, auch wenn es letztlich stets zugunsten des Arbeitgebers geschieht. Anzuknüpfen ist vielmehr an die zugrundeliegende interne Weisung und die hieraus erwachsende Erst- oder Wiederholungsgefahr, dass das entsprechende Verhalten nach außen praktiziert wird.210 Das UWG adressiert somit diejenigen Arbeitnehmer, denen ein Aufgabenbereich zur selbständigen und eigenverantwortlichen Erledigung zugewiesen ist.211

102 bb) Förderung fremden Wettbewerbs aus eigener Initiative. Indes können nicht nur Vertreter, Beauftragte und Mitarbeiter fremden Wettbewerb fördern. § 2 Abs. 1 Nr. 1 erfasst seinem Wortlaut nach jedes Verhalten einer Person zugunsten eines fremden Unternehmens. Hierunter fällt auch eine im eigenen Namen und aus eigener Initiative vorgenommene Wettbewerbsförderung, die das begünstigte Unternehmen weder in Auftrag gegeben noch sonst initiiert hat. In dieser Hinsicht geht das UWG über die UGPRL und die IrreführungsRL 2006 hinaus, 103 die lediglich Geschäftspraktiken von Gewerbetreibenden erfassen. Hierzu zählen nach den Legaldefinitionen des Gewerbetreibenden zwar auch Personen, die im Namen oder im Auftrag des Gewerbetreibenden handeln.212 Fehlt es aber sowohl an einem Handeln in fremdem Namen als auch an einer Beauftragung, liegt keine Geschäftspraktik gem. UGPRL bzw. keine Werbung gem.

205 BGH 25. 1. 1990 – I ZR 19/87 – GRUR 1990, 522, 524 – HBV-Familien- und Wohnungsrechtsschutz; OLG Celle 23. 1. 1974 – 13 U 145/73 – WRP 1974, 273, 275 – Förderung der Vertragshändler einer Endverbraucherorganisation. 206 BGH 26. 10. 1989 – I ZR 242/87 – GRUR 2005, 877, 878 – Werbung mit Testergebnis. 207 OLG Hamburg 26. 4. 2001 – 3 U 241/00 – GRUR-RR 2002, 113, 114 – Windkraftanlage. 208 BGH 21. 2. 1964 – Ib ZR 102 – GRUR 1964, 392, 394 – Weizenkeimöl; BGH 7. 3. 1996 – I ZR 33/94 – GRUR 1996, 798, 800 – Lohnentwesungen; LG Hamburg 24. 4. 2012 − 312 O 715/11 – GRUR-RR 2012, 400 – Beste Rechtsschutzversicherung; Ohly/Sosnitza Rn. 31. 209 OLG Hamm 23. 10. 2007 – 4 U 87/07 – MMR 2008, 757 – Private Äußerung in Blogs als Wettbewerbshandlung. 210 Harte/Henning/Keller Rn. 31 m.w.N; Lettl § 1 Rn. 126. Zur Abgrenzung zwischen betriebsinternem Verhalten und nach außen gerichtetem Marktverhalten unten § 2 Rn. 186 ff. 211 Vgl. BGH 10. 2. 2011 – I ZR 183/09 – GRUR 2011, 340 Tz. 27 – Irische Butter; wesentlich weiter MünchKommUWG/Bähr Rn. 168. 212 Art. 2 lit. b UGPRL, 2 lit. d IrreführungsRL 2006.

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der IrreführungsRL 2006 vor, wohl aber ggf. eine geschäftliche Handlung gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1, die eben auch rein eigeninitiativ erfolgen kann.213 Die Förderung des Wettbewerbs eines fremden Unternehmens im eigenen Namen und aus eigenem Antrieb stellt jedoch einen untypischen Sachverhalt dar. Während Vertreter, Beauftragte und Mitarbeiter typischerweise auch ein Eigeninteresse haben, die Wettbewerbsposition des Vertretenen bzw. des Arbeitgebers zu verbessern, fehlt es hieran prima facie bei sonstigen Dritten. Bei dieser Fallgruppe ist daher besonders sorgfältig zu prüfen, ob ein objektiver Zusammenhang zur Wettbewerbsförderung besteht oder ob der Akteur nicht vielmehr in einem außergeschäftlichen Kontext agiert und lediglich die immanenten Auswirkungen redaktioneller, meinungsbildender, weltanschaulicher oder sonstiger Verhaltensweisen auf das Wettbewerbsgeschehen beklagt werden, die als solche jedoch nicht dem UWG unterliegen.214 Streitig ist, ob und unter welchen Voraussetzungen Verbraucher geschäftliche Handlungen zugunsten fremder Unternehmen vornehmen können. Nach einer Auffassung können nur Unternehmensinhaber und mit der Wahrnehmung der Interessen des geförderten fremden Unternehmens betraute Personen wie namentlich Beauftragte und Mitarbeiter im geschäftlichen Verkehr agieren.215 Nach anderer Meinung erfasst § 2 Abs. 1 Nr. 1 das Verhalten von Privatpersonen prinzipiell uneingeschränkt, wenn sie denn zugunsten fremder Unternehmen agieren.216 Schließlich wird vertreten, dass nur solche Verhaltensweisen von Verbrauchern lauterkeitsrechtlich relevant wären, denen eine gewisse Breitenwirkung für den Wettbewerb zukommt.217 Letztgenannter Auffassung ist im Ansatz zuzustimmen. Keine geschäftliche Handlung ist jedenfalls der private Konsum. Zwar begünstigt jede Nachfrageentscheidung das Unternehmen, mit dem der Verbraucher kontrahiert. Hierin aber erschöpft sich die Relevanz des einzelnen Geschäftsabschlusses. Auch aus der strukturellen Unterscheidung zwischen Unternehmern als den typischen Adressaten des UWG und Verbrauchern als typischen Schutzsubjekten des UWG folgt, dass eine weitergehende Beeinflussung des Wettbewerbsgeschehens vorliegen muss, die es rechtfertigt, einen privaten Marktteilnehmer dem UWG zu unterwerfen. Über eine solche Wettbewerbsrelevanz verfügen zum Beispiel Verbraucherbewertungen von Unternehmensleistungen im Internet. Schon vereinzelte positive oder negative Beurteilungen können in ganz erheblicher Weise den Absatz bestimmter Unternehmen fördern oder beeinträchtigen, da sich andere Verbraucher an Erfahrungsberichten orientieren, die als unabhängig eingeschätzt werden.218 Ist diese Unabhängigkeit aber gegeben, handelt es sich um eine Tatsachen- oder Meinungsäußerung über bestimmte Unternehmen und ihre Produkte, nicht aber um eine Förderung fremden Wettbewerbs.219 Wie Leserbriefe,220 Testergebnisse und verbraucherpolitische Äußerungen von Verbänden etc.221 ist solches Verbraucherverhalten der Sphäre der öffentlichen Information und Meinungsäußerung über geschäftlichen Verkehr zuzuordnen, nicht dem geschäftlichen Verkehr selbst. Dies gilt insbesondere für negative Beurteilungen, ohne dass ein anderes Unternehmen positiv dargestellt und damit gefördert wird. 213 Vgl. EuGH 17. 10. 2013 – C-391/12 – GRUR 2013, 1245, 1246Tz. 38–42 – RLvS Verlagsgesellschaft. Näher unten § 2 Rn. 643 ff. 214 Näher unten § 2 Rn. 191 ff. 215 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 62; Ohly/Sosnitza Rn. 31. 216 Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 1 B Rn. 164. 217 Beater Rn. 919. 218 Anders OLG Köln 8. 3. 2012 – 15 U 193/11 – MMR 2012, 667 – Bewertungskommentare bei eBay (drei Negativbewertungen bei 11.000 positiven Bewertungen ohne gravierendes Gewicht). 219 So wohl auch Beater Rn. 919 a. E. (Meinungsäußerung), 942; offengelassen von OLG Köln 8. 3. 2012 – 15 U 193/ 11 – MMR 2012, 667 – Bewertungskommentare bei eBay. 220 KG 18. 8. 2009 – 5 W 95/09 – WRP 2009, 1296 (Die Aussage eines Apothekers in einem Leserbrief über ein Pharmaunternehmen („Bundesweit erhält ein Garagenvertrieb mit Kartoffelpresse in Spanien den Zuschlag: K.“) betreffe vorrangig ein öffentliches Anliegen und stelle mangels eigenem wirtschaftlichen Interesse des Handelnden mit Rücksicht auf die Meinungsfreiheit kein Handeln im geschäftlichen Verkehr dar.). 221 Dazu unten § 2 Rn. 210 ff.

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Die dem außergeschäftlichen Kommunikationszusammenhang angemessene Reaktion auf eine solche Meinungsäußerung von Konsumenten ist ein Gegenkommentar des betroffenen Unternehmens im Online-Forum.222 108 Prinzipiell ausgeschlossen ist die Anwendung des UWG auf das Verhalten von Privatpersonen aber nicht. Ergibt sich aus den Umständen des Einzelfalls, dass der Akteur die Sphäre der öffentlichen Meinung über unternehmerisches Marktverhalten verlassen hat und objektiv zugunsten eines bestimmten Unternehmens in den Wettbewerb eingreift, liegt eine geschäftliche Handlung vor. Indizien hierfür können sein, dass der Verbraucher ein bestimmtes Unternehmen wiederholt und einseitig lobt oder eine sonstige Geschäftsbeziehung zum geförderten Unternehmen pflegt.223 Der gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 erforderliche Unternehmensbezug fehlt ferner grundsätzlich, wenn 109 ein Idealverein oder Verband seinen satzungsgemäßen, nicht wirtschaftlichen Aufgaben nachgeht.224 Wie Verbraucher haben auch diese Marktteilnehmer grundsätzlich kein Interesse, bestimmte Unternehmen im Markt zu fördern, so dass es besonderer Anhaltspunkte für eine Förderung fremden Wettbewerbs bedarf. Nicht dem UWG unterfällt demgemäß eine Greenpeace-Aktion, die Verbraucher vom Erwerb gentechnisch veränderter Produkte abhalten soll und lediglich als Nebeneffekt die Anbieter gentechnikfreier Waren fördert.225 Hingegen wurde als geschäftliche Handlung qualifiziert, dass ein Ärzteverband seinen Mitgliedern empfiehlt, eine Patienteninformation in den Praxen auszulegen, wonach ein Wechsel zu einer bestimmten Krankenkasse angeregt wird, die ärztliche Leistungen in einem größeren Umfang als andere Versicherungen übernimmt, da hiermit im unternehmerischen Interesse der Ärzte auf den Wettbewerb zwischen Krankenkassen eingewirkt werden sollte.226 Schließlich kann auch die öffentliche Hand nach den Umständen des Einzelfalls den 110 Wettbewerb fremder Unternehmen fördern. So fördert eine Gemeinde den Absatz eines Verlags und seiner Anzeigenkunden, wenn bei jeder Eheschließung ein bestimmtes Kochbuch an die Eheleute verschenkt wird und hierüber ein Vertrag mit dem Verlag abgeschlossen wurde.227 Nennt eine Gemeinde nur einen Eigenbetrieb zur ambulanten Pflege unter den „wichtigen Rufnummern“ im Amtsblatt, obwohl es andere Pflegedienste im Ort gibt, agiert sie zugunsten dieses Eigenbetriebs, für dessen Kosten sie aufzukommen hat.228

5. Waren und Dienstleistungen 111 a) Bedeutung des Tatbestandsmerkmals. Das UWG regelt das Marktverhalten. Auf dem Markt im wirtschaftlichen Sinne werden Waren oder Dienstleistungen gehandelt, deren Konsum materielle Bedürfnisse befriedigt. Demgemäß setzt § 2 Abs. 1 Nr. 1 ein Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens voraus, das objektiv mit dem Absatz oder Bezug bzw. dem Abschluss oder der Durchführung von Verträgen über Waren oder Dienstleistungen zusammenhängt. 112 Die UGPRL verwendet als Oberbegriff für Waren und Dienstleistungen einschließlich Immobilien, Rechten und Verpflichtungen den Ausdruck „Produkt“.229 Auf eine Umsetzung die-

222 Siehe OLG Köln 8. 3. 2012 – 15 U 193/11 – MMR 2012, 667 – Bewertungskommentare bei eBay (kein Verfügungsgrund für eine einstweilige Verfügung gegen negative Kommentare, wenn bereits ein Gegenkommentar veröffentlicht wurde). 223 A.A. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 62 (nur bei gewerblichem Charakter des Handelns). 224 Oben § 2 Rn. 79 ff. 225 OLG Stuttgart 15. 9. 2005 – 2 U 60/05 – GRUR-RR 2006, 20 – Absperrband-Aktion. 226 LG München I 17. 6. 2009 – 11 HKO 6351/09 – WRP 2009, 1156 Rn. 49. 227 BGH 26. 2. 2009 – I ZR 106/06 – GRUR 2009, 606 Tz. 12 – Buchgeschenk vom Standesamt. 228 OLG Stuttgart 5. 8. 2010 – 2 U 53/10 – WRP 2011, 1207 ff. – Pflegedienst. 229 Vgl. Art. 2 lit. c UGPRL.

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ser Terminologie wurde verzichtet, da sie nicht zur weiteren Präzisierung beitrage und das deutsche Wettbewerbs- und Markenrecht seit jeher mit den Begriffen Ware oder Dienstleistung operiere.230 Indes entschlackt die auch im Folgenden verwendete Rede vom „Produkt“ als Oberbegriff für Waren und Dienstleistungen nicht nur den Gesetzeswortlaut, sondern macht entgegen den wortreichen Differenzierungen in § 2 Abs. 1 Nr. 1 2. Hs. deutlich, dass es einer Abgrenzung zwischen beiden Kategorien nicht bedarf, da sie lauterkeitsrechtlich gleich behandelt werden.231 Die Begriffe Ware und Dienstleistung sollen generell weit auszulegen sein.232 Maßgeblich 113 sei eine wirtschaftliche Betrachtung unter Berücksichtigung wandelbarer Verkehrsanschauungen.233 Das aber bedeutet nicht, dass die Begriffe „Ware oder Dienstleistung“ bedeutungslos wä- 114 ren.234 Denn auch mit diesen Tatbestandsmerkmalen werden bestimmte Verhaltensweisen aus dem Anwendungsbereich des UWG ausgegrenzt, nämlich solche, die sich auf generell nicht handelbare Güter beziehen. Die Unterscheidung zwischen handelbaren Produkten und nicht kommerzialisierbaren Gütern folgt nicht der Verkehrsanschauung, sondern ist anhand der Rechtsordnung zu beantworten. Es geht um die Bestimmung der rechtlichen Grenzen des Marktes und damit des Kommerzialisierbaren. Alles, was in rechtlich zulässiger Weise gegen Entgelt abgesetzt und nachgefragt werden kann, stellt ein Produkt dar. Hierauf objektiv bezogenes Verhalten ist Marktverhalten, das vom UWG erfasst wird. Verhalten im Hinblick auf Güter, die aus Rechtsgründen prinzipiell nicht Gegenstand von Handelsgeschäften sein dürfen, ist keine geschäftliche Handlung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1.

b) Begriff der Ware. Der Begriff der Ware wird nicht eigenständig definiert.235 § 2 Abs. 1 Nr. 1 115 2. Hs. stellt lediglich klar, dass „auch Grundstücke“ zu den Waren zählen. Hieraus folgt zunächst, dass namentlich bewegliche Sachen wie zum Beispiel Kunstwerke236 Waren sein können. Unter den Begriff der Ware fallen ferner sonstige Gegenstände237 wie Elektrizität und Fernwärme, Sachgesamtheiten wie Unternehmen und Unternehmensteile (Betriebe) sowie Immaterialgüter wie nicht patentierte Erfindungen, Know-how, Software als solche, Werbeideen usw. Um eine Ware im Sinne des UWG handelt es sich allerdings nur, wenn über die Sache 116 oder den sonstigen Gegenstand ein wirksames Verpflichtungsgeschäft abgeschlossen werden kann. Nur unter dieser Voraussetzung ist ein handelbares Wirtschaftsgut gegeben, das unter den Bedingungen des Wettbewerbs produziert und vertrieben werden darf.238 Zu den Waren i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 zählt nach Auffassung des BGH auch ein Präparat, 117 dessen Vertrieb mangels arzneimittelrechtlicher Zulassung im Inland verboten ist. Andere Hersteller hätten ein schutzwürdiges Interesse, gegen den Vertrieb des an sich verbotenen Präparats unter dem Aspekt einer unlauteren Nachahmung vorgehen zu können. Dabei sei zu beachten, dass nicht von vornherein ausgeschlossen werden könne, dass das Präparat als Arzneimittel zugelassen oder so verändert werde, dass der Vertrieb rechtmäßig werde. Lauterkeitsrechtliche Ansprüche schieden nur aus, wenn aus der Art des Gesetzesverstoßes oder der wett-

230 RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 12. 231 Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 1 B Rn. 198 u.ö.; Götting/Nordemann Rn. 27; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 31 Rn. 36. 232 Lettl § 1 Rn. 115; Götting/Nordemann Rn. 27 (im „weitesten Sinne“). 233 Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 31 Rn. 34. 234 A.A. Beater Rn. 900 (inhaltsleeres Kriterium). 235 Zu § 2 UWG 1909 und seiner Aufhebung im Jahr 2000 Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 1 B Rn. 191 f. 236 Ohly/Sosnitza Rn. 30. 237 Zu diesem Begriff vgl. § 453 Abs. 1 2. Alt. BGB; Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts v. 14. 5. 2001, BTDrucks. 15/6040, S. 242; Peukert in Leible/Lehmann/Zech S. 95 ff. 238 Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 1 B Rn. 202; Köhler WRP 2009, 898, 900.

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bewerbsrechtlichen Unlauterkeit folge, dass auch die Geltendmachung der auf die Stellung als Wettbewerber gestützten Ansprüche sittenwidrig oder rechtsmissbräuchlich sei.239 118 Dem ist zunächst insoweit zuzustimmen, als das Anbieten von Waren oder Dienstleistungen auch dann eine geschäftliche Handlung darstellt, wenn – wie insbesondere bei Arzneimitteln – eine hierfür ggf. erforderliche Genehmigung fehlt. Denn in diesem Fall wendet sich die Rechtsordnung nicht prinzipiell gegen eine marktmäßige Kommerzialisierung des Gutes, sondern lässt diese nur unter bestimmten Bedingungen zu. Werden diese Bedingungen nicht eingehalten, liegt ein Verstoß gegen eine Marktverhaltensregel vor, der über § 3a auch lauterkeitsrechtlich sanktioniert ist.240 Keine Ware (und entsprechend auch keine Dienstleistung) im Sinne des UWG ist aber ein 119 Gut, das als solches ausnahmslos nicht verkehrsfähig ist und in Bezug auf das Verpflichtungsgeschäfte stets gem. §§ 134, 138 BGB unabhängig von den Umständen des Einzelfalls nichtig sind. Ein solches generelles Verkehrsverbot gilt spezialgesetzlich etwa für Organe oder Gewebe, die einer Heilbehandlung zu dienen bestimmt sind.241 Ferner zählt zu den anerkannten Fallgruppen des § 138 Abs. 1 BGB die sog. sittenwidrige Kommerzialisierung eines Lebensbereichs, für den sich nach Maßgabe der Rechtsordnung kein Markt entwickeln soll, auch wenn – wie etwa im Hinblick auf Radarwarngeräte, Sterbehilfe oder akademische Titel – durchaus eine Nachfrage bestehen mag.242 Hier stellt sich die Rechtsordnung aus normativen Gründen gegen das Entstehen eines Marktes. Dieser Grundentscheidung würde es widersprechen, wenn das ausnahmslos rechtswidrig ablaufende Marktverhalten am UWG gemessen würde. Denn ein wirtschaftlicher Wettbewerb mit diesen rechtswidrigen Gütern soll nicht vor Verfälschungen bewahrt und hiermit gefördert werden, sondern gar nicht ablaufen. Dieses generelle Verbot ist durchzusetzen. Verhaltensweisen, die mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von oder mit dem Abschluss oder der Durchführung von Verträgen über solche rechtswidrigen Güter objektiv zusammenhängen, stellen keine geschäftlichen Handlungen gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 dar und unterfallen nicht dem UWG.

120 c) Begriff der Dienstleistung. Der Begriff der Dienstleistung umfasst gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 2. Hs. „auch Rechte und Verpflichtungen“. Mithin liegt eine dienstleistungsbezogene geschäftliche Handlung vor, wenn dingliche Rechte, Immaterialgüterrechte, Forderungen243 und andere subjektive Rechte Gegenstand des Marktverhaltens sind.244 Gesellschaftsverträge, in denen unter anderem die Stammeinlagen der Gesellschafter geregelt werden, beziehen sich zwar

239 BGH 24. 2. 2005 – I ZR 101/02 – GRUR 2005, 519, 520 – Vitamin-Zell-Komplex; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 27. 240 Dazu § 4 Nr. 11 Rn. 98 ff. 241 Siehe § 17 I S. 1 TPG („Es ist verboten, mit Organen oder Geweben, die einer Heilbehandlung eines anderen zu dienen bestimmt sind, Handel zu treiben.“). Die Nichtigkeit von Verpflichtungsgeschäften wegen Gesetzesverstoßes ist zu unterscheiden von Veräußerungsverboten, die sich auf das Verfügungsgeschäft beziehen; dazu v. Tuhr S. 8 ff.; BGH 27. 9. 1989 – VIII ZR 57/89 – BGHZ 108, 364, 367 ff. (zu § 2 III PbefG als Verbot der Übertragung von Taxikonzessionen); BGH 1. 3. 2007 – IX ZR 189/05 – NJW 2007, 1196 ff. – Abtretung anwaltlicher Honorarforderungen. 242 BGH 23. 2. 2005 – VIII ZR 129/04 – NJW 2005, 1490 f. – Kaufvertrag über Radarwarngerät; BGH 10. 11. 2005 – III ZR 72/05 – NJW 2006, 45 f. – Schenkkreise; OLG Koblenz 16. 12. 1998 – 7 U 124–98 – NJW 1999, 2904 f. – Titelhandel; LG Köln 20. 1. 1964 – 7 O 231/63 – MDR 1964, 842 f. – Verpachtung einer Taxikonzession. Zu Exklusivvereinbarungen über persönlichkeitsrechtlich relevante Informationen BGH 27. 10. 1967 – Ib ZR 140/65 – GRUR 1968, 209 f. – Lengede; OLG München 20. 12. 1979 – 6 U 3430/79 – AfP 1981, 347, 348 (keine Sittenwidrigkeit, weil die betroffenen Informationen anderweitig verfügbar waren und der Vertrag gerade den Zweck hatte, eine weitestgehende Breitenwirkung durch Veröffentlichung zu erzielen). Ferner Palandt/Ellenberger § 138 Rn. 56 m. w. N. 243 Zu Bankgeschäften mit Kapitalanlagen und Darlehen BGH 19. 4. 2007 – I ZR 57/05 – GRUR 2007, 981 Tz. 27 – 150 % Zinsbonus; zu Inkassodiensten EuGH 20. 7. 2017 – C-357/16 – NJW 2017, 2980 Tz. 23 – Gelvora. 244 Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 1 B Rn. 205 f.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

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auf solche Rechte, sind aber zunächst noch betriebsinterne Verhaltensweisen ohne ausreichenden Marktbezug nach außen.245 Im Übrigen erfasst der Begriff der Dienstleistung jede geldwerte unkörperliche Leistung, ohne dass es auf die rechtliche Qualifikation des zu Grunde liegenden Vertrags als Dienst-, Werk-, Geschäftsbesorgungsvertrag usw. ankommt.246 Im Hinblick auf die Tätigkeit eines Arbeitnehmers ist zu unterscheiden. Innerbetriebliche Tätigkeiten stellen keine geschäftliche Handlung dar. Selbiges gilt für weisungsgebundene Verhaltensweisen von Arbeitnehmern, auch soweit sie nach außen in Erscheinung treten. Ein Arbeitnehmer, der in selbständiger und eigenverantwortlicher Erledigung ihm übertragener Aufgaben den Wettbewerb des Arbeitgeber-Unternehmens fördert, nimmt hingegen eine ihm selbst zuzurechnende, fremdnützige geschäftliche Handlung vor.247 Auch bei der Suche nach einem Arbeitsplatz und dem Abschluss eines Arbeitsvertrags sind Arbeitnehmer als Verbraucher im Sinne des UWG und nicht als Unternehmer in eigener Angelegenheit einzuordnen, denn sie wollen gerade kein selbständig geführtes Unternehmen betreiben.248 Umgekehrt aber stellt es eine geschäftliche Handlung dar, wenn ein Unternehmer Arbeitskräfte249 oder selbständige Vertriebspartner nachfragt und hierfür wirbt.250 Keine Dienstleistungen im Sinne des UWG sind zunächst solche Tätigkeiten und Leistungen, die ausnahmslos verboten sind. Wie im Hinblick auf rechtswidrige Waren soll der Wettbewerb mit solch per se rechtswidrigen Dienstleistungen nicht vor Verfälschungen geschützt, sondern von vornherein verhindert werden.251 Ebenfalls nicht als Dienstleistungen im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 zu qualifizieren sind Tätigkeiten, die nicht gegen Entgelt zugunsten eines Unternehmens, sondern zur Erfüllung außergeschäftlicher Zwecke von Idealvereinen, Verbänden usw. vorgenommen werden. Hierzu zählt etwa die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Arbeitnehmern durch Gewerkschaften.252 Auch eine karitative Spende ist kein Entgelt für die Durchführung einer Dienstleistung zum Wohle des Spenders, sondern eine wohltätige Schenkung an den Idealverein, mit der Bedürftigen geholfen werden soll.253 Das Verhalten in diesen nicht wirtschaftlichen Sphären unterliegt nicht dem UWG, sondern vorbehaltlich von Spezialregelungen dem allgemeinen Deliktsrecht.

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6. Der objektive Zusammenhang a) Bedeutung des Tatbestandsmerkmals: geschäftliches oder außergeschäftliches Ver- 126 halten. Die Legaldefinition der geschäftlichen Handlung setzt sich aus drei Tatbestandselementen zusammen, denen jeweils eine andere Funktion zur Bestimmung des Anwendungsbereichs

245 Köhler WRP 2009, 898, 900. Anders ist es, wenn Forderungen gegen die Gesellschaft oder die Gesellschafter als Vermögensgegenstände marktmäßig gehandelt werden. 246 BGH 19. 4. 2007 – I ZR 57/05 – GRUR 2007, 981 Tz. 27 – 150 % Zinsbonus. Z. B. die Platzierung von Bannerwerbung auf einer Internetseite (BGH 17. 7. 2008 – I ZR 197/05 – GRUR 2008, 925 Tz. 12 – FC Troschenreuth) und ärztliche Dienstleistungen jeder Art (EuGH 26. 10. 2017 – C-356/16 − ECLI:EU:C:2017:809 Tz. 18 f. – Wamo und Van Mol; EuGH 4. 5. 2017 – C-339/15 – WRP 2017, 670 Tz. 24 f. – Luc Vanderborght; OLG Karlsruhe 9. 7. 2009 – 4 U 188/07 – GRURRR 2010, 47 f.). 247 Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 31 Rn. 38. 248 Dazu § 2 Rn. 605 ff. 249 Ohly/Sosnitza Rn. 48. 250 OLG Karlsruhe 10. 3. 2009 – 4 U 168/08 – GRUR-RR 2010, 51, 52 – Direktmarketing. 251 Keine geschäftlichen Handlungen im Sinne des UWG sind demnach z. B. Verhaltensweisen zur Förderung des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung oder zur Ausbeutung von Arbeitskraft gem. §§ 232 f. StGB. 252 BAG 31. 5. 2005 – 1 AZR 141/04 – GRUR 2006, 244, 246 – Mitgliederwerbung von Gewerkschaften. 253 LG Köln 11. 12. 2007 – 33 O 195/07 – GRUR-RR 2008, 198 f. – Spendenwerbung; näher unten § 2 Rn. 236 ff.

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des UWG zukommt. Mit dem erforderlichen Unternehmensbezug werden rein private, vereinsoder verbandsbezogene sowie hoheitliche Verhaltensweisen aus dem UWG ausgegrenzt. Der vorausgesetzte Bezug auf eine Ware oder Dienstleistung im Sinne eines handelbaren Produkts soll gewährleisten, dass Verhalten im Hinblick auf per se nicht verkehrsfähige, rechtswidrige Güter (z. B. menschliche Organe, Menschenhandel) gar nicht erst auf seine (Un-)Lauterkeit hin überprüft und dadurch inzident als grundsätzlich zulässig reguliert wird. Geschäftliche Handlungen müssen aber nicht nur das eigene oder ein fremdes Unternehmen fördern und auf verkehrsfähige Waren oder Dienstleistungen bezogen sein, sondern vor, bei oder nach einem Geschäftsabschluss mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängen. Das Tatbestandsmerkmal des objektiven Zusammenhangs führt dazu, dass auch Verhaltensweisen zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens im Hinblick auf verkehrsfähige Wirtschaftsgüter nicht dem UWG unterfallen, weil sie nach ihrem objektiven Erklärungsgehalt kein Marktverhalten darstellen, sondern vom durchschnittlichen Adressaten anderen Handlungs- und Kommunikationssphären zugeordnet werden. Solch „außergeschäftliches“,254 „wettbewerbsneutrales“255 oder synonym nicht wirtschaftliches Verhalten wurde unter Geltung des UWG 1909 und des UWG 2004 durch das Tatbestandsmerkmal der subjektiven Wettbewerbsabsicht aus dem Lauterkeitsrecht ausgeschieden. Demnach stellte es keine Wettbewerbshandlung dar, wenn der Handelnde nicht die Förderung des Wettbewerbs bezweckte, sondern zum Beispiel die Öffentlichkeit informieren oder eine Meinung kundtun wollte.256 An die Stelle dieses Erfordernisses ist das Kriterium des objektiven Zusammenhangs getreten. Dementsprechend heißt es in der amtlichen Begründung zum UWG 2008, weltanschauliche, wissenschaftliche, redaktionelle oder verbraucherpolitische Äußerungen von Unternehmen und anderen Personen stünden in keinem ausreichenden Zusammenhang zum Marktverhalten und seien daher weiterhin nicht vom UWG erfasst.257 Die Anwendungsbereiche der UGPRL und der IrreführungsRL 2006 sind in entsprechender Weise auf das Marktverhalten von Gewerbetreibenden im Geschäftsverkehr zu Verbrauchern bzw. anderen Gewerbetreibenden beschränkt.258 Auch hier zeigt die Entstehungsgeschichte der UGPRL, dass es an einem unmittelbaren Zusammenhang zur Absatzförderung, zum Abschluss und zur Durchführung von Handelsgeschäften im Sinne von Art. 2 lit. b UGPRL insbesondere im Hinblick auf „Konsumentenjournalismus oder andere Formen redaktionellen Materials“ fehlt.259 Nach gegenteiliger Auffassung von Glöckner soll das UWG auch verbraucherpolitische Aktionen (z. B. gegen Gentechnik) und redaktionelle Äußerungen wie Erfahrungsberichte und Tests erfassen, da und soweit sie sich objektiv auf das Marktgeschehen auswirken. Statt diese Verhaltensweisen von vornherein aus dem UWG auszugrenzen, sei eine Binnen-Differenzierung mit Rücksicht auf die ggf. berührten Kommunikationsgrundrechte erst auf der Ebene des Lauterkeitsmaßstabs vorzunehmen.260 Diese ganz erhebliche Ausweitung des Anwendungsbereichs des UWG ist schon mit Rücksicht auf die Entstehungsgeschichte des § 2 Abs. 1 Nr. 1 abzulehnen. Geschieht dies mit dem Ziel, die Anforderungen an zulässige verbraucherpolitische oder redaktionelle Äußerungen mit Auswirkungen auf das Marktgeschehen zu verschärfen, handelt es sich um eine petitio principii. Zu254 255 256 257 258 259 260

Harte/Henning/Keller Rn. 40. Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 31 Rn. 62 ff. Oben § 2 Rn. 19 ff. RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 13, 20 f.; DiskE UWG 2008, 34. Köhler WRP 2007, 1393, 1396. Europäisches Parlament, Bericht UGPRL, 14. Glöckner WRP 2009, 1175, 1183 ff.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

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dem anerkennt auch Glöckner, dass Aktionen von Umwelt- oder Verbraucherschutzverbänden sowie redaktionelle Beiträge eine ganz andere Wirkung auf die geschäftlichen Entscheidungen von Marktteilnehmern haben als eine Produkt- oder Imagewerbung eines Unternehmens.261 Solchen außergeschäftlichen Äußerungen wird häufig eine höhere Glaubwürdigkeit zugebilligt als den Werbeaussagen eines Unternehmens.262 Aus objektiver Empfängersicht handelt es sich hierbei um Kommunikation über das Marktgeschehen, nicht hingegen um Handlungen im Geschäftsverkehr. Die streitgegenständliche Handlung muss nach dem Wortlaut von § 2 Abs. 1 Nr. 1 alternativ 134 zumindest mit einer der drei Phasen des Marktgeschehens zusammenhängen:263 vor einem Geschäftsabschluss mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Produkten, bei einem Geschäftsabschluss mit dem Abschluss eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen oder schließlich nach einem Geschäftsabschluss mit der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen. Diese drei Phasen werden vom Gesetz als je gesonderter Anknüpfungszeitraum für relevant erklärt („oder“).264 Liegt eine unlautere Absatz- oder Bezugsförderung vor, kommt es daher nicht darauf an, ob sich dieses Verhalten vor, bei oder nach Vertragsabschluss ausgewirkt hat.265 Umgekehrt kann eine Person bei oder nach einem Geschäftsabschluss eine geschäftliche Handlung vornehmen, welche die streitgegenständliche Ware oder Dienstleistung lauter oder sogar gar nicht beworben hat. Da sich das Marktverhalten in den drei Phasen inhaltlich und im Hinblick auf seine wettbe- 135 werbliche Relevanz voneinander unterscheidet, sind die Voraussetzungen des objektiven Zusammenhangs für jeden Zeitabschnitt des Marktgeschehens gesondert darzustellen.266 Zunächst aber gilt es zu klären, welche Kriterien generell für die Prüfung des objektiven Zusammenhangs maßgeblich sind.

b) Kriterien zur Bestimmung des objektiven Zusammenhangs aa) Anwendungsbereich des UWG und Unzulässigkeit geschäftlicher Handlungen. In 136 vielen Entscheidungen der Instanzgerichte wurde und wird die Anwendbarkeit des Lauterkeitsrechts mit Rücksicht auf die qualitative Verbotswürdigkeit des angegriffenen Verhaltens, also die Sittenwidrigkeit bzw. Unlauterkeit beurteilt. So bejahte die Rechtsprechung die nach früherem Recht erforderliche Wettbewerbsabsicht mit der Begründung, dass der irreführende, absatzfördernde Charakter einer Presseveröffentlichung klar und deutlich zu Tage trete;267 dass in Unterrichtsmaterialien Aussagen enthalten seien, die auf die Herabsetzung von Konkurrenzprodukten gerichtet seien oder persönliche Angriffe enthielten;268 dass eine Ad-hocMitteilung nach dem Wertpapierrecht inhaltlich falsch sei;269 dass die angegriffene Äußerung eine besonders grobe Herabsetzung der Klägerin darstelle.270 261 BGH 3. 2. 1994 – I ZR 321/91 – GRUR 1994, 441, 442 f. – Kosmetikstudio; so auch Glöckner WRP 2009, 1175, 1186.

262 LG Hamburg 24. 4. 2012 − 312 O 715/11 – GRUR-RR 2012, 400 – Beste Rechtsschutzversicherung. 263 Verfehlt Beater Rn. 866, 901 ff. (das Merkmal der Förderung des Absatzes oder Bezugs betreffe das Horizontalverhältnis zu Mitbewerbern, die Merkmale des Abschlusses oder der Durchführung eines Vertrags betreffe das Vertikalverhältnis zu Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern). 264 Köhler WRP 2009, 898, 899; Harte/Henning/Keller Rn. 67 (bei nachvertraglichem Handeln keine Absatzförderung erforderlich). 265 BGH 19. 5. 2010 – I ZR 140/08 – GRUR 2010, 1120 Tz. 25 – Vollmachtsnachweis; Köhler GRUR 2010, 1047, 1049. 266 A.A. Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 1 B Rn. 91 (Abgrenzung rechtlich unerheblich). 267 OLG Frankfurt a. M. 29. 6. 2006 – 6 U 103/05 – GRUR-RR 2007, 16, 17 – ÖKO-Test. 268 OLG Hamburg 29. 6. 2006 – 3 U 12/06 – GRUR-RR 2007, 206, 208 – Emissionsprospekt. 269 OLG Hamburg 19. 7. 2006 – 5 U 10/06 – GRUR-RR 2006, 377, 378 – ad-hoc-Mitteilung; Harte/Henning/Keller Rn. 33; Klöhn ZHR 172 (2008), 388, 412 ff. 270 OLG Frankfurt a. M. 18. 6. 2015 – 6 U 46/14 – GRUR-RR 2016, 14, 15 f. – Schmuddelkind.

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Ein solcher Rück- und Zirkelschluss von der Verbotswürdigkeit eines Verhaltens auf die Anwendbarkeit des UWG ist abzulehnen.271 Das UWG unterscheidet in § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 7, § 3 und § 7 eindeutig zwischen der Voraussetzung, dass eine geschäftliche Handlung vorliegt, und den weiteren, gesonderten Merkmalen der Unlauterkeit/Unzulässigkeit des Marktverhaltens und seiner quantitativen Relevanz (Spürbarkeit).272 Folglich sind diese Prüfungsschritte gedanklich und argumentativ auseinanderzuhalten.273 Geschäftliche Handlungen sind grundsätzlich zulässig und nur ausnahmsweise verboten. Zugleich kann sich ein außergeschäftliches Verhalten zwar nicht nach Maßgabe des UWG, aber nach allgemeinem Deliktsrecht oder sonstigen Vorschriften als rechtswidrig erweisen. Die Entscheidung über den Anwendungsbereich des UWG nimmt Rücksicht auf die Gesamtsystematik des Wirtschafts- und Deliktsrechts, nicht jedoch auf die Verbotswürdigkeit des Verhaltens. 138 Entgegen einer lange herrschenden Meinung ist die Abgrenzung des UWG zu anderen Tatbeständen des Deliktsrechts auch nicht dem strengen Haftungsregime des Lauterkeitsrechts geschuldet, das keine adäquate Rücksicht auf Grundrechte wie namentlich die Kommunikationsfreiheiten des Art. 5 GG nehme.274 Richtig ist zwar, dass die Ausdifferenzierung des Deliktsrechts den Zweck hat, divergierende Verbots- und Schutzniveaus für unterschiedliche Handlungssphären und rechtlich geschützte Interessen zu etablieren. Insoweit werden geschäftliche Verhaltensweisen in der Tat zum Teil strengeren Maßstäben unterworfen als nicht wettbewerbsbezogene Handlungen.275 Beispielsweise bedürfen Werbeanrufe und Werbe-E-Mails der ausdrücklichen vorherigen Einwilligung eines Verbrauchers, während die Regelungen zu politischer Wahlwerbung den Kandidaten weitreichende Möglichkeiten einräumen, für die eigene Person und für ihre politischen Ziele zu werben.276 An die Ausräumung einer Wiederholungsgefahr werden im UWG strengere Anforderungen gestellt als bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.277 139 Selbstverständlich aber muss eine verfassungs- und europarechtskonforme Auslegung des UWG auf die Grundrechte und Grundfreiheiten des Anspruchsgegners Rücksicht nehmen. Die Liberalisierung des Lauterkeitsrechts seit den 1990er Jahren hat dazu geführt, dass insbesondere die Meinungsfreiheit des Handelnden einen wesentlich größeren Stellenwert bei der Prüfung der Unlauterkeit einnimmt als zuvor.278 Das UWG kann daher nicht mehr pauschal als ein außerordentlich strenges Regime beurteilt werden.279 Schließlich liefe es der Systematik des UWG und nicht zuletzt rechtspraktischen Bedürfnissen zuwider, bereits die Prüfung des Anwendungsbereichs des UWG mit der Frage nach dem Verbotsniveau des Lauterkeitsrechts im Vergleich zum allgemeinen Deliktsrecht zu vermengen und zu belasten.280 137

271 OLG Frankfurt a. M. 29. 6. 2006 – 6 U 103/05 – GRUR-RR 2007, 16, 17 – ÖKO-Test. 272 So auch BGH 11. 1. 2007 – I ZR 87/04 – GRUR 2007, 805 Tz. 14 – Irreführender Kontoauszug. 273 Verfehlt daher auch aufbaumäßig OLG Hamm 7. 2. 2008 – 1–4 U 154/07 – MMR 2008, 750, 751 – ungeschwärztes Urteil; Anwendungsbereich des UWG und Unlauterkeit vermengend auch Klöhn ZHR 172 (2008), 388 ff. Anders und richtig z. B. BGH 31. 3. 2016 – I ZR 160/14 – WRP 2016, 843 Tz. 12 ff., 22 ff. – Im Immobiliensumpf. 274 So aber weiterhin Harte/Henning/Keller Rn. 91; Beater Rn. 936; Gomille WRP 2009, 525, 527; Glöckner WRP 2009, 1175, 1183 ff.; Ohly/Sosnitza Rn. 39. 275 BGH 1. 3. 2018 – I ZR 264/16 – GRUR 2018, 622 Tz. 35 – Verkürzter Versorgungsweg II. 276 Vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 2 und 3 mit VG Minden 28. 2. 2007 – 3 K 620/05 – juris Rn. 74. 277 Vgl. OLG Karlsruhe 9. 7. 2009 – 4 U 188/07 – GRUR-RR 2010, 47 f. 278 Siehe auch Glöckner WRP 2009, 1175, 1183 f. Zur Liberalisierung des Lauterkeitsrechts siehe § 1 Rn. 2 ff. Zur Auslegung von § 4 Nr. 1 und 2 mit Rücksicht auf die Rechtsprechung des BVerfG zum Schutz der Meinungsfreiheit siehe z. B. BGH 31. 3. 2016 – I ZR 160/14 – WRP 2016, 843 Tz. 22 ff. – Im Immobiliensumpf; BGH 1. 3. 2018 – I ZR 264/16 – GRUR 2018, 622 Tz. 13 ff. – Verkürzter Versorgungsweg II; zur Berücksichtigung von Art. 5 GG im Rahmen des UWG siehe § 3 Rn. 189 ff.; ferner BVerfG 16. 10. 1968 – 1 BvR 241/66 – BVerfGE 24, 236, 237 = GRUR 1969, 137, 138 – Aktion Rumpelkammer (Religionsfreiheit); BGH 13. 2. 2003 – I ZR 41/00 – GRUR 2003, 800, 801 – Schachcomputerkatalog. 279 Zutreffend KG 14. 8. 2012 – 5 U 92/07 – BeckRS 2012, 18880 – International anerkannter Arzt. 280 BGH 11. 12. 2014 – I ZR 113/13 – WRP 2015, 855 Tz. 34 – Bezugsquellen für Bachblüten; Glöckner WRP 2009, 1175, 1183.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

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Demgemäß stellt eine öffentliche Ad-hoc-Meldung eines Unternehmens über gewonnene 140 Zivilprozesse eine geschäftliche Handlung dar, weil diese positive Unternehmensnachricht im objektiven Zusammenhang zur Förderung des eigenen Produktabsatzes und zur Förderung der Nachfrage nach Fremdkapital (steigender Aktienkurs) steht. Trifft die Mitteilung in der Sache zu, ist das Marktverhalten lauter, andernfalls kann eine unlautere Irreführung vorliegen.281 Ebenso ist bei der Beurteilung redaktioneller Äußerungen der Presse zu unterscheiden. Fördert eine solche, grundsätzlich außergeschäftliche Handlung ein Unternehmen in einer mehr als für die öffentliche Information notwendigen Art und Weise, bewegt sich das Presseunternehmen nicht mehr in der Sphäre der Meinungsbildung, sondern im geschäftlichen Verkehr, so dass eine geschäftliche Handlung gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 vorliegt. Aus diesem Umstand aber folgt nicht zwangsläufig ein Verbot. Die Unzulässigkeit der Veröffentlichung hängt dann insbesondere davon ab, ob der werbende Charakter des Artikels erkennbar ist oder eine sonstige Irreführung oder wettbewerbsfremde Aggressivität kommuniziert wird. Erst in diesem Zusammenhang ist – nicht anders als bei der Beurteilung redaktioneller Äußerungen im Verhältnis zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht – auf die Pressefreiheit Rücksicht zu nehmen.282

bb) Kausalität? Ein objektiver Zusammenhang zum Marktverhalten im Sinne des § 2 Abs. 1 141 Nr. 1 ist nicht schon dann gegeben, wenn das streitgegenständliche Verhalten für die Absatz- oder Bezugsförderung, den Abschluss oder die Durchführung eines Handelsgeschäfts irgendwie kausal war.283 Bereits die Formulierung „objektiver Zusammenhang“ impliziert eine auch teleologisch motivierte, engere Verknüpfung. Würde man lediglich nach einer Verursachung des Marktverhaltens fragen, wäre selbst solches Verhalten unter das UWG zu subsumieren, das für sich betrachtet keinerlei geschäftliche Relevanz aufweist. So stellen die privaten Lebensentscheidungen der Marktteilnehmer keine geschäftli- 142 chen Handlungen dar, obwohl sie das Marktgeschehen in ganz erheblicher Weise beeinflussen. Auch die unternehmensinterne Kommunikation und Beschlussfassung ist für den Marktauftritt zwar unmittelbar kausal; das UWG aber soll nach seinem Inhalt und Zweck nur das nach außen gerichtete, als solches das Marktgeschehen beeinflussende Verhalten regulieren.

cc) Funktionaler Zusammenhang zum eigenen bzw. geförderten Marktverhalten? Nach 143 dem Wortlaut von § 2 Abs. 1 Nr. 1 muss ein objektiver Zusammenhang zum eigenen oder geförderten Marktverhalten von Unternehmen bestehen, die am Markt Produkte absetzen oder beziehen und Geschäftsabschlüsse tätigen und durchführen. Demgemäß wird gefordert, dass das streitgegenständliche Verhalten bei objektiver Betrachtung nicht nur geeignet, sondern auch darauf gerichtet sein muss, eigenen oder fremden Absatz bzw. Bezug zu fördern, Handelsgeschäfte abzuschließen oder durchzuführen.284 Diese Auffassung stellt mithin auf den funktionalen Zusammenhang zwischen dem angegriffenen Verhalten und der eigenen oder fremden, geförderten Wettbewerbsposition ab. Auch diese Deutung ist abzulehnen, da sie das Erfordernis des objektiven Zusammenhangs 144 letztlich eliminiert. Verhalten zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens steht 281 OLG Hamburg 19. 7. 2006 – 5 U 10/06 – GRUR-RR 2006, 377, 378 – ad-hoc-Mitteilung; zustimmend Ohly/Sosnitza Rn. 30. Diese Grundsätze gelten auch für die Erfüllung anderer gesetzlicher Pflichten im Zuge des Marktverhaltens; siehe Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 49. 282 Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 31 Rn. 65; zu geschäftlichen Äußerungen in der Presse BGH 31. 3. 2016 – I ZR 160/14 – WRP 2016, 843 Tz. 12 ff. – Im Immobiliensumpf. 283 OLG Karlsruhe 9. 7. 2009 – 4 U 188/07 – GRUR-RR 2010, 47 f.; Köhler WRP 2007, 1393, 1396; Köhler/Bornkamm/ Feddersen Rn. 47; in diese Richtung aber Pommerening S. 101 ff., der demgemäß grundsätzlich alle Erfüllungshandlungen im Vertragsverhältnis unter das UWG fasst. 284 Köhler WRP 2007, 1393, 1394; Gomille WRP 2009, 525, 529.

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Definitionen

praktisch immer mit dem Marktverhalten des betreffenden Unternehmens in einem objektiven Zusammenhang. So prägen unternehmensinterne Verhaltensweisen den sich anschließenden Marktauftritt unmittelbar. Ebenso sind sämtliche Pflichtverletzungen beim Abschluss oder bei der Durchführung eines Handelsgeschäfts direkt auf die Vertragsabwicklung bezogen. Und doch sollen diese weit vorgelagerten bzw. primär vertragsbezogenen Verhaltensweisen nach ganz herrschender Meinung nicht dem UWG unterfallen. Soll das Kriterium des objektiven Zusammenhangs eine eigenständige Bedeutung haben, kann mithin nicht der Zusammenhang zum geförderten Wettbewerb gemeint sein. Stattdessen ist in teleologischer Hinsicht zu fragen, warum unternehmensbezogenes Verhalten überhaupt den Maßstäben des UWG unterworfen wird.

145 dd) Funktionaler Zusammenhang zu geschäftlichen Entscheidungen anderer Marktteilnehmer und zum Schutzzweck des UWG. Ausweislich der amtlichen Begründung zu § 2 Abs. 1 Nr. 1 kommt in der Definition der geschäftlichen Handlung „der auch weiterhin geltende, umfassende Schutzzweck des UWG zum Ausdruck, der sich gleichermaßen auf Mitbewerber, Verbraucher und sonstige Marktteilnehmer erstreckt.“285 Mithin ist der in § 1 kodifizierte Zweck des UWG auch bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs des Gesetzes zu beachten.286 Nur ein Verhalten, das die vom UWG verfolgten Schutzzwecke beeinträchtigen kann, soll vom Gesetz erfasst sein. Grundsätzlich dient das UWG dem Schutz des Allgemeininteresses am unverfälschten 146 Wettbewerb (§ 1 S. 2). Hierfür werden zum einen die individuellen Entscheidungsfreiheiten der Marktteilnehmer vor Irreführungen und wettbewerbsfremd aggressiven Manipulationen geschützt. Zum anderen werden mit stärker institutioneller Perspektive die rechtsgleichen Wettbewerbschancen der Marktteilnehmer vor Verhaltensweisen bewahrt, die den Wettbewerb insgesamt verfälschen (insbes. allgemeine Marktstörung). In beiden Varianten knüpft das UWG an die rechtsgleiche wirtschaftliche Handlungsfreiheit der Marktteilnehmer an. Diese sollen ihre geschäftlichen Entscheidungen frei von wettbewerbsfremden Manipulationen treffen können. Nur dann ist zu erwarten, dass der Wettbewerb die ihm immanenten Funktionen (effektive Ressourcenallokation, Innovationsanreize, Gewinnverteilung nach Leistung) tatsächlich erfüllt.287 Aus diesem wettbewerbsfunktionalen Schutzzweck des UWG folgt, dass ein unternehmens147 und produktbezogenes Verhalten nur dann unter das UWG fällt, wenn in den drei Phasen des Marktgeschehens ein objektiver Zusammenhang zu den durch das UWG geschützten Entscheidungen anderer Marktteilnehmer besteht.288 Das streitgegenständliche Verhalten muss objektiv geeignet sein, geschäftliche Entscheidungen und hierauf bezogene wirtschaftliche Interessen zu beeinflussen. An dieser Beeinflussung muss der Handelnde wiederum ein wirtschaftliches Interesse haben.289 Die zentrale Rolle der geschäftlichen Entscheidung als Gegenpart zur geschäftlichen 148 Handlung kommt seit dem UWG 2015 in der Definition des § 2 Abs. 1 Nr. 9 sowie in den §§ 2 Abs. 1 Nr. 8, 4a, 5 und 5a zum Ausdruck.290 Damit knüpft das UWG an die UGPRL an, die eine entsprechende Begriffsbestimmung in 149 Art. 2 lit. k UGPRL vorsieht. Demnach bezeichnet der Ausdruck geschäftliche Entscheidung „jede 285 RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 21. 286 Vgl. auch Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 1 B Rn. 4 ff.; Beater Rn. 863 (UWG auf alle Konstellationen anwendbar, die Schutzzwecke des UWG berühren).

287 Dazu oben § 1 Rn. 91 ff. 288 BGH 10. 1. 2013 – I ZR 190/11 – GRUR 2013, 945 Tz. 17 – Standardisierte Mandatsbearbeitung; BGH 11. 12. 2014 – I ZR 113/13 – WRP 2015, 855 Tz. 21 f. – Bezugsquellen für Bachblüten; Köhler WRP 2009, 898, 899; Köhler/Bornkamm/ Feddersen Rn. 48; Ekey Grundriss Rn. 73; zur UGPRL in diesem Sinne Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 1 B Rn. 137 ff. 289 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 48. 290 Rechtsausschuss UWG 2015, BTDrucks. 17/6571, S. 13, allerdings ohne Begründung; Omsels WRP 2016, 553 ff.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

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Entscheidung eines Verbrauchers291 darüber, ob, wie und unter welchen Bedingungen er einen Kauf tätigen, eine Zahlung insgesamt oder teilweise leisten, ein Produkt behalten oder abgeben oder ein vertragliches Recht im Zusammenhang mit dem Produkt ausüben will, unabhängig davon, ob der Verbraucher beschließt, tätig zu werden oder ein Tätigwerden zu unterlassen.“ Anders als der deutsche Gesetzgeber zunächst meinte, ist dieses Begriffsverständnis keineswegs aus sich heraus verständlich und damit überflüssig.292 Die Legaldefinition der geschäftlichen Entscheidung ist vielmehr in mehrerer Hinsicht auf den Begriff der Geschäftspraktik, den Zweck und den Regelungsinhalt der UGPRL bezogen. Erstens unterscheidet Art. 2 lit. k UGPRL wie Art. 2 lit. d UGPRL und § 2 Abs. 1 Nr. 1 drei Phasen des Marktgeschehens. Vor dem Geschäftsabschluss fördert der Handelnde den Absatz oder Bezug von Produkten, während der Verbraucher zu entscheiden hat, „ob … er einen Kauf tätigen … will.“ Bei einem Geschäftsabschluss muss der Konsument ferner erwägen, „wie und unter welchen Bedingungen er einen Kauf tätigen … will.“ Und nach einem Geschäftsabschluss ist zu entscheiden, ob eine Zahlung insgesamt oder teilweise geleistet, ein Produkt behalten oder abgeben oder ein vertragliches Recht im Zusammenhang mit dem Produkt ausgeübt werden soll. All diese geschäftlichen Entscheidungen werden geschützt, und zwar unabhängig davon, ob der Verbraucher schließlich handelt oder nicht. Wenn die freie geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers den Schutzgegenstand der UGPRL bildet, dann ist ein Verhalten nicht vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst, das keinen unmittelbaren Zusammenhang zu diesem Regelungszweck aufweist. Die Legaldefinition der Geschäftspraktik gem. Art. 2 lit. d UGPRL präzisiert dies dahingehend, dass ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts an Verbraucher gegeben sein muss. Der Begriff der geschäftlichen Handlung ist zwar in verschiedener Hinsicht umfassender als derjenige der Geschäftspraktik; insbesondere ist das UWG nicht auf das B2C-Verhältnis beschränkt. Die Grundstrukturen der UGPRL aber wurden in das UWG übernommen und im Interesse eines grundsätzlich einheitlichen Lauterkeitsrechts auf den gesamten Anwendungsbereich des Gesetzes erstreckt.293 Folglich gilt auch für den Begriff der geschäftlichen Handlung, dass ein objektiver Zusammenhang zwischen dem unternehmensbezogenen Marktverhalten und den geschäftlichen Entscheidungen anderer Marktteilnehmer (Mitbewerber, Verbraucher und sonstige Marktteilnehmer) bestehen muss.294 Es sind diese horizontalen und vertikalen Wettbewerbsbeziehungen, die das UWG reguliert. Ein Verhalten, das keinen objektiven Zusammenhang zu geschäftlichen Entscheidungen und wirtschaftlichen Interessen anderer Marktteilnehmer aufweist, unterfällt dem UWG nicht. Dies gilt auch im Hinblick auf teleologische Ausnahmen vom wettbewerbsfunktionalen Programm des § 1, also für lauterkeitsrechtliche Verbote, die die Menschenwürde schützen oder Marktverhaltensregeln sanktionieren, die primär dem Jugend- oder Gesundheitsschutz dienen.295 Auch diese Schutzzwecke werden vom UWG nur verfolgt, soweit ein objektiver Zusammenhang zu geschäftlichen Entscheidungen von Marktteilnehmern besteht. Nur in diesem wirtschaftlichen, marktbezogenen Kontext ist das UWG anwendbar. Fehlt es hieran, sind das allgemeine Deliktsrecht oder spezielle Rechtsgrundlagen im öffentlichen Recht etc. einschlägig. Vom UWG nicht erfasst ist demnach ein Verhalten, das nicht mit geschäftlichen Entscheidungen vor, bei oder nach Geschäftsabschlüssen zusammenhängt, sondern Entscheidungen 291 292 293 294

Siehe KG 25. 1. 2008 – 5 W 344/07 – GRUR-RR 2008, 308 ff. So aber noch RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 13 (Art. 2 lit. k UGPRL müsse nicht umgesetzt werden). Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 75. BGH 10. 1. 2013 – I ZR 190/11 – GRUR 2013, 945 Tz. 19 – Standardisierte Mandatsbearbeitung; BGH 11. 12. 2014 – I ZR 113/13 – WRP 2015, 855 Tz. 21 f. – Bezugsquellen für Bachblüten; Köhler WRP 2009, 898, 899; a. A. Pommerening S. 101 f. (eine funktionale Auslegung sei weder erforderlich noch geboten). 295 Dazu § 1 Rn. 137 ff.

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in anderen, nicht wirtschaftlichen Handlungs- und Kommunikationssphären adressiert.296 155 So beeinflussen das redaktionelle Verhalten der Presse und sonstige Meinungsäußerungen zu öffentlichen Angelegenheiten die Haltung der Leser zu allgemeinen gesellschaftlichen und ggf. wirtschaftlichen Fragen, ohne dass ein konkreter Geschäftsabschluss in Rede steht. Auch künstlerische, wissenschaftliche und religiöse Kommunikation führt zu Reaktionen und Entscheidungen im Hinblick auf ästhetische bzw. die Wahrheit oder den Glauben betreffende Fragen. Ist der wirtschaftliche Wettbewerb Gegenstand redaktioneller, verbraucherpolitischer und anderer Diskurse, wird über den Geschäftsverkehr gesprochen, nicht aber im Geschäftsverkehr agiert, auch wenn Absatz- oder Nachfrageentscheidungen am Markt hiervon mittelbar beeinflusst werden können. An einem für die Anwendbarkeit des UWG erforderlichen, objektiven Zusammenhang zu geschäftlichen Entscheidungen fehlt es dann. 156 Diese Lesart des Tatbestandsmerkmals „objektiver Zusammenhang“ führt nicht zu einer unzulässigen Vermengung der Frage nach dem Anwendungsbereich und dem sachlichen Verbotsniveau des UWG. Denn allein das Bestehen eines objektiven Zusammenhangs zwischen dem einem Unternehmen förderlichen Marktverhalten vor, bei oder nach einem Geschäftsabschluss und den geschäftlichen Entscheidungen anderer Marktteilnehmer besagt noch nicht, ob sich diese geschäftliche Handlung als wettbewerbskonform oder unlauter darstellt.297 Auch die Frage der Spürbarkeit einer unlauteren geschäftlichen Handlung wird damit noch 157 nicht vorweggenommen. An einem objektiven Zusammenhang fehlt es vielmehr nur dann, wenn lediglich eine rein theoretische Möglichkeit der Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidung eines Marktteilnehmers besteht. Für den Begriff der geschäftlichen Handlung ist es ausreichend, dass konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das streitgegenständliche Verhalten für geschäftliche Entscheidungen relevant sein kann. Dies ist beispielsweise nicht der Fall, wenn ein Arzt seinem IT-Dienstleister mitteilt, dass ein Kollege die Gemeinschaftspraxis „auf Grund einer gerichtlichen Verfügung“ und nicht – wie wahrheitsgemäß – aufgrund eines Vergleichs verlassen hat. Zwar kann diese Aussage die unzutreffende Assoziation hervorrufen, der genannte Kollege und Kläger habe sich rechtswidrig verhalten. Es besteht aber eine allenfalls theoretische Möglichkeit, dass diese Fehlinformation die geschäftlichen Entscheidungen des ITDienstleisters im Hinblick auf das Anbieten von Softwarelösungen und die Nachfrage nach Heilbehandlungen tangiert. Mangels geschäftlicher Handlung kommt daher nur eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des betroffenen Arztes in Betracht.298

158 ee) Objektiver, nicht unmittelbarer Zusammenhang. Die UGPRL und das UWG stimmen darin überein, dass ein Zusammenhang zwischen dem Marktverhalten vor, bei und nach einem Geschäftsabschluss und – in Reaktion hierauf – geschäftlichen Entscheidungen gegeben sein muss.299 Der Kreis der vom UWG erfassten Handlungen und dementsprechend der hiervon beeinflussten geschäftlichen Entscheidungen reicht aber wesentlich weiter als der Anwendungsbereich der UGPRL. Jene verlangt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts durch Gewerbetreibende und der geschäftlichen Entscheidung von Verbrauchern.300 § 2 Abs. 1 Nr. 1 hingegen spricht von einem objektiven Zusammenhang. Ein solcher besteht 159 nicht nur im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern im Sinne der UGPRL.301 Das UWG reguliert auch geschäftliche Handlungen von Unternehmern und ihren ggf. eigeninitia296 297 298 299 300 301

Siehe auch Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 1 B Rn. 169 ff. (Funktionsbereich spezifischer Tätigkeitsbereiche). BGH 11. 12. 2014 – I ZR 113/13 – WRP 2015, 855 Tz. 34 – Bezugsquellen für Bachblüten; Köhler WRP 2009, 898, 899. OLG Karlsruhe 9. 7. 2009 – 4 U 188/07 – GRUR-RR 2010, 47 f. BGH 31. 3. 2016 – I ZR 160/14 – WRP 2016, 843 Tz. 12 – Im Immobiliensumpf. Siehe Art. 2 lit. d und k UGPRL. Zur Umsetzung siehe RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 20 f.

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tiv handelnden Förderern, die geschäftliche Entscheidungen von Mitbewerbern und sonstigen Marktteilnehmern beeinflussen können („B2B“).302 Hierbei handelt es sich zum einen um Verhaltensweisen, die insgesamt im inner-unternehmerischen Bereich verbleiben, als auch um solche, die zwar Verbraucher erreichen und sogar an sie gerichtet sein können, aber noch nicht unmittelbar der Förderung des eigenen Absatzes dienen, sondern zunächst einmal den Marktauftritt eines Mitbewerbers beeinträchtigen sollen, indem dieser gezielt behindert, herabgesetzt oder angeschwärzt wird,303 oder um Handlungen, die allein wegen der Beeinträchtigung von Mitbewerberinteressen für unlauter erklärt werden.304 Ferner erfasst das UWG den Nachfragewettbewerb, sowohl im Verhältnis zwischen Mitbewerbern als auch im Verhältnis zu Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern. Schließlich ist das UWG auf Verhalten anwendbar, auf das sich der Harmonisierungsbereich der UGPRL aufgrund von Ausnahmen in der Richtlinie nicht erstreckt. Der Ausdruck „objektiver“ statt „unmittelbarer“ Zusammenhang signalisiert den umfassenden Regulierungsanspruch des UWG, das sich auf sämtliche Marktbeziehungen erstreckt.

ff ) Objektiver, nicht subjektiver Beurteilungsmaßstab. Sowohl das UWG 1909 als auch das UWG 2004 waren nur auf Verhalten anwendbar, das in Wettbewerbsabsicht vorgenommen wurde.305 Auch eine Werbung im Sinne von Art. 2 lit. a IrreführungsRL 2006 muss mit dem subjektiven Ziel ausgeübt werden, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen, zu fördern. Die Legaldefinition der Geschäftspraktik gem. Art. 2 lit. d UGPRL verzichtet demgegenüber auf subjektive Tatbestandsmerkmale. Erforderlich und ausreichend ist vielmehr ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem unternehmerischen Absatzverhalten und geschäftlichen Nachfrageentscheidungen von Verbrauchern. Auch diese Strukturentscheidung wurde vom UWG 2008 in Gestalt des objektiven Zusammenhangs übernommen.306 Letztgenannte Voraussetzung tritt funktional an die Stelle der Wettbewerbsabsicht nach UWG 1909 und 2004.307 Demnach ist nicht mehr danach zu fragen, ob ein objektiv als Wettbewerbshandlung zu beurteilendes Verhalten in der Absicht erfolgte, den eigenen oder fremden Wettbewerb zum Nachteil eines anderen zu fördern oder ob diese Absicht hinter anderen Beweggründen – wie etwa redaktionelle Berichterstattung – zurücktrat. Maßgeblich ist vielmehr allein eine funktional-objektive Betrachtung des Verhaltens in seinen Auswirkungen auf geschäftliche Entscheidungen anderer Marktteilnehmer.308 Obwohl der BGH und die herrschende Meinung diese funktionale Betrachtungsweise teilen, stellen sie im Übrigen in stark subjektivierender Betrachtung darauf ab, ob die streitgegenständliche Handlung dem Ziel der Förderung des Absatzes oder Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder vorrangig anderen Zielen als der Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidung von Verbrauchern in Bezug auf Produkte dient und sich daher lediglich reflexartig auf die Absatz- oder Bezugsförderung auswirkt. Welches Ziel im Vordergrund stehe, sei unter umfassender Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls aus Sicht der angesprochenen Verkehrs302 RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 20 f.; BGH 5. 2. 2009 – I ZR 119/06 – GRUR 2009, 876 Tz. 24 – Änderung der Voreinstellung II; Berlit Wettbewerbsrecht Rn. 3. 303 Siehe dazu RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 20 f. (unberechtigte Abmahnung); Gloy/Loschelder/ Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 31 Rn. 8; Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 1 B Rn. 139; zweifelnd Sosnitza WRP 2008, 1014, 1017. 304 Dazu § 4 und § 3 Rn. 269 ff. sowie z. B. BGH 31. 3. 2016 – I ZR 160/14 – WRP 2016, 843 Tz. 12 ff. – Im Immobiliensumpf. 305 Oben § 2 Rn. 16 ff. 306 Zur richtlinienkonformen Auslegung des UWG 2004 siehe OLG Hamm 7. 2. 2008 – 1–4 U 154/07 – MMR 2008, 750, 751 – ungeschwärztes Urteil. 307 Siehe DiskE UWG 2008, 34; RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 20; Köhler GRUR 2005, 793, 795. 308 Oben Rn. 145 ff.; OLG Karlsruhe 9. 7. 2009 – 4 U 188/07 – GRUR-RR 2010, 47 f.; LG Heidelberg 23. 5. 2012 – 1 S 58/11 – MMR 2012, 607 – Unlauteres Abwerben über XING.

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kreise zu bewerten.309 Konsequent werden zum Beispiel versehentliche Vertragsverletzungen wie die fahrlässig nicht erfolgte, technische Umsetzung der Wahl eines bestimmten TK-Anbieters nicht als geschäftliche Handlung qualifiziert.310 Nach gegenteiliger Ansicht soll hingegen allein ausschlaggebend sein, ob das streitgegenständliche Verhalten rein objektiv geeignet ist, unter Beeinflussung geschäftlicher Entscheidungen vor, bei und nach Geschäftsabschluss den Wettbewerb eines Unternehmens zu fördern.311 Maßgeblich sind demnach nur die potentiellen Auswirkungen eines Verhaltens auf das Marktgeschehen, nicht hingegen die hiermit verfolgten Zwecke. Richtigerweise ist zu differenzieren. Einerseits setzt die Anwendung des UWG nicht mehr voraus, dass Feststellungen zu den Absichten des Handelnden getroffen werden. Vielmehr ist nach einem objektiven Zusammenhang zwischen Marktverhalten und geschäftlichen Entscheidungen zu fragen. Andererseits lässt die UGPRL erkennen, dass die subjektive Willensrichtung ein relevanter Gesichtspunkt bei der Prüfung dieser objektiven Voraussetzung sein kann. So bezieht sich die Richtlinie gem. EG 7 S. 2 nicht auf Geschäftspraktiken, die vorrangig anderen Zielen als der Beeinflussung von geschäftlichen Entscheidungen von Verbrauchern dienen, wie etwa bei kommerziellen, für Investoren gedachten Mitteilungen, Jahresberichten und Unternehmensprospekten.312 Auf die Intentionen des Handelnden stellt auch Nr. 11 des Anhangs zu als Information getarnter Werbung ab. Stets unlauter ist demnach ein vom Unternehmer finanzierter Einsatz redaktioneller Inhalte zu Zwecken der Verkaufsförderung, ohne dass sich dieser Zusammenhang aus dem Inhalt oder aus der Art der optischen oder akustischen Darstellung eindeutig ergibt.313 Hieraus folgt, dass eine objektiv belegte oder sonst nach außen hervortretende Zielsetzung des Handelnden berücksichtigt werden darf.314 Es handelt sich hierbei um einen lauterkeitsrechtlich weiterhin zulässigen und in Verbindung mit objektiven Umständen315 ggf. sogar hinreichenden Gesichtspunkt zur Bejahung des unmittelbaren Zusammenhangs im Sinne der UGPRL und parallel hierzu des objektiven Zusammenhangs gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1. Nicht aber stellt die Wettbewerbsabsicht ein notwendiges Element des Begriffs der geschäftlichen Handlung dar. Vielmehr ist das UWG auch auf nur versehentliche Beeinflussungen von geschäftlichen Entscheidungen anwendbar, da auch in diesem Fall ein objektiver Zusammenhang zum Wettbewerbsgeschehen besteht.316 Die Abkehr vom zwingenden Erfordernis der Wettbewerbsabsicht führt nicht dazu, dass nunmehr eine Unterscheidung zwischen geschäftlichem und außergeschäftlichem Verhalten unmöglich würde.317 Diese normative, auf die begrenzten Regelungszwecke des UWG Rücksicht nehmende Unterscheidung orientiert sich nur nicht mehr allein an Handlungszielen, sondern am angegriffenen Verhalten und seinen Auswirkungen. Das UWG ist auf jedes Verhalten anwendbar, das geschäftliche Entscheidungen beeinflussen kann. Dies gilt auch dann, wenn 309 BGH 10. 1. 2013 – I ZR 190/11 – GRUR 2013, 945 Tz. 18 – Standardisierte Mandatsbearbeitung; BGH 31. 3. 2016 – I ZR 160/14 – WRP 2016, 843 Tz. 12 – Im Immobiliensumpf; OLG Hamm, GRUR-RR 2012, 279, 280; Ohly/Sosnitza Rn. 43; Köhler WRP 2007, 1393, 1394; Köhler WRP 2009, 898, 899 m. w. N.; Isele GRUR 2009, 727, 729; juris-PK/Ernst Rn. 19; Nordemann Rn. 64; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 31 Rn. 55, 59; Gomille WRP 2009, 525, 530. 310 Isele GRUR 2009, 727, 729 f. 311 Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 1 B Rn. 149 ff. (objektive Finalität); wohl auch Beater Rn. 911, anders aber a. a. O. Rn. 938 (es sei auch auf die Motive des Äußernden abzustellen). 312 Anders Glöckner WRP 2009, 1175, 1180 f. 313 Dazu ausführlich Ruhl/Bohner WRP 2011, 375 ff. 314 Harte/Henning/Keller Rn. 22. 315 Nicht aber per se: Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 37 (bloße Absicht als Wunschvorstellung genügt nicht). 316 Im Ergebnis auch Köhler WRP 2009, 898, 903; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 81 f.; a. A. Isele GRUR 2009, 727, 729. 317 So aber Emmerich Unlauterer Wettbewerb § 4 Rn. 14.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

der Akteur (vorgeblich) andere Ziele verfolgte oder die Beeinflussung des Wettbewerbsgeschehens nur versehentlich erfolgte. Nur auf diesem Wege lässt sich sicherstellen, dass alle Verfälschungen des Wettbewerbs unterbunden werden können. Ob das Verhalten im objektiven Zusammenhang zum Marktgeschehen oder zu anderen Handlungs- und Kommunikationssphären steht, ist aus einem objektiven Empfängerhorizont zu entscheiden. Abzustellen ist auf den durchschnittlich verständigen Marktteilnehmer, an den sich das angegriffene Verhalten richtet.318 Bei Handlungen gegenüber Verbrauchern ist auf die Figur des Durchschnittsverbrauchers,319 im Übrigen auf ein durchschnittliches Mitglied der angesprochenen Fachkreise abzustellen. Ist ein Verhalten aufgrund seiner objektiven Bedeutung und seiner potentiellen Auswirkungen dem Marktverhalten zuzuschlagen, ist hiermit noch nichts über seine lauterkeitsrechtliche Zulässigkeit oder Unzulässigkeit gesagt. Dies gilt namentlich für versehentliche Beeinflussungen geschäftlicher Entscheidungen. Die herrschende Meinung hält das UWG auf derartige Verhaltensweisen bereits für nicht anwendbar. Nach hier vertretener Ansicht unterfällt eine in Unkenntnis der relevanten Tatumstände vorgenommene geschäftliche Handlung zwar dem UWG, sie ist aber nicht unlauter.320 Die praktische Bedeutung der Ersetzung der Wettbewerbsabsicht durch das Kriterium des objektiven Zusammenhangs ist nach alledem gering. Bereits unter Geltung des früheren Rechts wurde in aller Regel von äußeren Umständen auf die innere Zielsetzung des Handelnden geschlossen.321 Vor allem aber soll sich an der Unterscheidung zwischen geschäftlichen Handlungen auf dem Markt und nicht wirtschaftlichen Aktivitäten wie zum Beispiel redaktionellen Beiträgen der Presse in der Sache nichts ändern.322 Die diesbezügliche Rechtsprechung zum UWG 1909 und zum UWG 2004 behält daher ihre Bedeutung.

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7. Verhalten vor einem Geschäftsabschluss, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt § 2 Abs. 1 Nr. 1 unterscheidet drei Phasen des Marktgeschehens, zu denen das streitgegen- 174 ständliche Verhalten einen objektiven Zusammenhang aufweisen kann. Die erste Phase betrifft Verhalten vor einem Geschäftsabschluss.

a) Absatz- oder Bezugsförderung. In diesem Stadium muss ein objektiver Zusammenhang 175 zur Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen bestehen. Das ist der Fall, wenn das Verhalten des Akteurs geeignet ist, die geschäftliche Entschei- 176 dung eines Marktteilnehmers zu beeinflussen, ob er einen Vertrag über Waren oder Dienstleistungen tätigen will, unabhängig davon, ob er beschließt, tätig zu werden oder ein Tätigwerden zu unterlassen.323 Dieses Potential weist jede Handlung oder Unterlassung auf, die geeignet ist, sich irgendwie 177 positiv auf den Marktauftritt oder die Marktposition eines Unternehmens auszuwirken und dessen Absatz- oder Bezugschancen zu erhalten oder zu verbessern.324 Hiervon sind sowohl 318 319 320 321 322

Vgl. Art. 2 lit. b IrreführungsRL 2006/114 zu vergleichender Werbung. Siehe § 3 Abs. 4 und Gomille WRP 2009, 525, 530; a. A. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 67. Siehe § 3 Rn. 231 ff. Oben § 2 Rn. 18; ferner z. B. BGH 7. 3. 1996 – I ZR 33/94 – GRUR 1996, 798, 799 f. – Lohnentwesungen. RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 13; BGH 31. 3. 2016 – I ZR 160/14 – WRP 2016, 843 Tz. 12 – Im Immobiliensumpf. 323 Vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 9 a. E. und Art. 2 lit. k UGPRL. 324 Harte/Henning/Keller Rn. 57.

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Maßnahmen zur Erweiterung als auch zur bloßen Erhaltung des Kunden- bzw. Lieferantenstamms erfasst.325 Gleichgültig ist, ob die Aktivität den Geschäftsverkehr zwischen Mitbewerbern oder das Vertikalverhältnis zu Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern betrifft.326 178 Auch Verhaltensweisen in Erfüllung gesetzlicher Pflichten können den unternehmerischen Absatz oder Bezug fördern. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Tankstelleninhaber seine Kunden darauf hinweist, er führe normgerechtes Benzin;327 wenn ein Unternehmen verpflichtende Kapitalmarktinformationen veröffentlicht und damit den Absatz selbst begebener Wertpapiere oder allgemein den Unternehmenswert und damit die Marktposition fördert;328 wenn eine Unternehmensbezeichnung wie „Buchführungsbüro“ in das Gewerberegister eingetragen wird;329 oder wenn ein gewerblicher Pfandleiher seiner gesetzlichen Verpflichtung nachkommt, hereingenommene Pfänder spätestens sechs Monate nach Verwertungsreife zu verwerten.330 Von Relevanz für die eigene Marktposition ist auch die Mitteilung eines Versicherungsunternehmens an eine von der Versicherungswirtschaft betriebene Auskunftsstelle über das Ausscheiden eines Versicherungsvertreters.331 179 Verhaltensweisen eines Unternehmensinhabers sowie seiner Vertreter und eigenverantwortlich handelnder Mitarbeiter, die die Wettbewerbsposition des Unternehmens unter Beeinflussung geschäftlicher Entscheidungen anderer Marktteilnehmer typischerweise fördern, weisen in der Regel einen objektiven Zusammenhang zu diesem vorvertraglichen Marktgeschehen auf, so dass es gesonderter Darlegungen zu diesem Erfordernis nicht bedarf.332 Dies gilt insbesondere für die im UWG aufgeführten Beispiele (ggf. unlauterer) Verhaltensweisen vor einem Geschäftsabschluss. 180 Hierzu zählen sämtliche Aktivitäten zur Vermarktung von Waren und Dienstleistungen,333 namentlich die Werbung.334 Hierunter ist gem. Art. 2 lit. a IrreführungsRL 2006 wie auch nach der UGPRL jede Äußerung335 in Wort und Bild336 mit dem Ziel bzw. im unmittelbaren

325 RG 20. 9. 1904 – II 580/03 – RGZ 59, 1, 2; RG 28. 2. 1905 – II 384/04 – RGZ 60, 189, 190; BGH 12. 10. 1956 – I ZR 34/56 – GRUR 1957, 93, 94 – Jugendfilmverleih; BGH 26. 6. 1959 – I ZR 81/58 – GRUR 1959, 488, 489 – Konsumgenossenschaft; BGH 17. 12. 1969 – I ZR 152/67 – GRUR 1970, 465, 467 – Prämixe; Lettl § 1 Rn. 120. 326 Harte/Henning/Keller Rn. 57; verfehlt Beater Rn. 866 (nur Horizontalverhältnis zu Mitbewerbern). 327 BGH 19. 5. 1988 – I ZR 170/86 – GRUR 1988, 832, 834 – Benzinwerbung. 328 Anders Klöhn ZHR 172 (2008), 388, 402 ff. (UWG nur auf evident unrichtige oder nicht veröffentlichungspflichtige Sekundärmarktinformationen anwendbar); differenzierend zwischen Pflichtinformationen und werblicher Verwendung von Kapitalmarktinformationen MünchKommUWG/Bähr Rn. 130 f. 329 OLG Brandenburg 12. 7. 2005 – 6 U 108/04 – GRUR-RR 2006, 167, 168 – Buchführungsbüro. 330 OLG Düsseldorf 13. 9. 2005 – 20 U 19/05 – GRUR-RR 2006, 99 – Pfandleihunternehmen. 331 A.A. LG Nürnberg-Fürth 8. 11. 2012 – 3 HK O 3256/12 – VersR 2013, 716 ff. 332 Nach früherem Recht bestand bei der Handlung eines Wirtschaftsunternehmens, die objektiv geeignet ist, seinen Absatz oder Bezug zu fördern, eine tatsächliche Vermutung für die zudem erforderliche Wettbewerbsabsicht; vgl. BGH 27. 6. 2002 – I ZR 86/00 – GRUR 2002, 1093, 1094 – Kontostandsauskunft; BGH 13. 2. 2003 – I ZR 41/00 – GRUR 2003, 800, 801 – Schachcomputerkatalog m. w. N.; BGH 11. 1. 2007 – I ZR 87/04 – GRUR 2007, 805 Tz. 15 – Irreführender Kontoauszug. 333 Vgl. § 5 Abs. 2. 334 Siehe §§ 5a Abs. 4, 7 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2, 16, Anhang Nr. 11, 13, 14, 22, 28. Zur Aufforderung zum Kauf gem. Art. 2 lit. i UGPRL siehe EuGH 12. 5. 2011 – Rs. C-122/10 – GRUR Int. 2011, 726, 729 Tz. 27 ff. – Konsumentenombudsmannen. 335 Dies umfasst insbesondere Äußerungen über bestimmte geschäftliche Umstände (vgl. §§ 5, 5a, Anhang Nr. 1– 4, 7, 9, 10, 12, 15–19, 23, 24–27, 29–30), die wesentlichen Merkmale eines Produkts (vgl. §§ 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 5a Abs. 3 Nr. 1), den Anlass und die Bedingungen des Verkaufs (vgl. §§ 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 5a Abs. 3 Nr. 1), die Person des Unternehmers (vgl. §§ 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, 5a Abs. 3 Nr. 2); zur Angabe von Kooperationspartnern als Werbung siehe BGH 1. 2. 1990 – I ZR 45/88 – GRUR 1990, 609 – Monatlicher Ratenzuschlag und BGH 21. 1. 1993 – I ZR 43/91 – GRUR 1993, 675, 676 – Kooperationspartner, über Sponsoring und Zulassungen (vgl. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 4), über die Notwendigkeit der Leistung (vgl. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 5), die Einhaltung eines Verhaltenskodexes (vgl. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 6), über vertragliche Bedingungen und Verbraucherrechte (vgl. §§ 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 7, 5a Abs. 3 Nr. 4, 5) sowie OLG Frankfurt a. M. 14. 12. 2006 – 6 U 129/06 – GRUR-RR 2007, 56, 57 f. – sprechender Link. 336 Vgl. § 5 Abs. 3.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

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Zusammenhang mit der Absatzförderung gemeint.337 Ob eine solche Äußerung gegeben ist, bestimmt sich aus objektiver Sicht der angesprochenen Verkehrskreise unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls.338 Beispiele sind die Werbung eines Einzelhandelsunternehmens, bei der die kostenlose Teilnahme des Verbrauchers an einer Lotterie davon abhängig gemacht wurde, dass in bestimmtem Umfang Waren oder Dienstleistungen erworben bzw. in Anspruch genommen werden;339 der Versand von Ankündigungen einer Preisermäßigung durch ein Bekleidungsgeschäft;340 die Nutzung eines Domain-​Namens und von Metatags, nicht aber die Eintragung eines Domain-​Namens als solche;341 der Versand von Empfehlungs-E-Mails, mit denen auf eine Internetplattform eines Unternehmens hingewiesen wird.342 Das UWG erstreckt sich gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 weitergehend auch auf die Förderung des Bezugs von Waren und Dienstleistungen und damit alle Formen der Nachfragewerbung. Die §§ 3–7 sind daher auf unzulässig aggressive, irreführende, vergleichende und unzumutbar belästigende Nachfragewerbung anwendbar.343 Auch wenn es an einem konkreten Produktbezug fehlt, stellt die allgemeine Image-Werbung eines Unternehmens eine typische geschäftliche Handlung dar, da hiermit letztlich alle Wettbewerbsbeziehungen positiv beeinflusst werden sollen.344 Dies kann auch im Rahmen einer Stellenanzeige345 oder durch ein Schreiben eines Unternehmers an seine Lieferanten geschehen, in dem um kostenlose Lieferungen oder Gutschriften gebeten wird, die anschließend als Spende an einen vom Unternehmer geführten Sportverein weitergeleitet werden.346 Am UWG zu messen sind ferner andere Formen der Verkaufsförderung wie Preisnachlässe, Zugaben oder Geschenke, Preisausschreiben und Gewinnspiele mit Werbecharakter,347 Kopplungsangebote348 und Kundenbefragungen zur Zufriedenheit mit einem bestimmten Produkt.349 Auch die bloße Vortäuschung von Qualität350 und das Angebot nachgeahmter Produkte sollen den eigenen Absatz voranbringen.351 Im Gegensatz zu diesen Maßnahmen sind sog. Schneeball- oder Pyramidensysteme, die Aufforderung zur Bezahlung nicht bestellter Produkte und die Aufforderung zur Rücksendung oder Aufbewahrung nicht bestellter Sachen gegenüber Verbrauchern stets unzulässig.352 Der Absatzförderung dienen jedoch nicht nur klassische Formen der Produkt- oder Imagewerbung sowie weitere Verkaufsförderungsmaßnahmen, sondern auch sonstige Äußerungen im Geschäftsverkehr, die Abnehmer oder Lieferanten zugunsten eines Unternehmens beein337 Siehe BGH 9. 2. 2006 – I ZR 124/03 – GRUR 2006, 875 Tz. 22 – Rechtsanwalts-Ranglisten; BGH 17. 7. 2008 – I ZR 75/06 – GRUR 2008, 923 Tz. 11 – Faxanfrage im Autohandel. 338 Vgl. BGH 14. 1. 2016 – I ZR 65/14 – GRUR 2016, 946 Tz. 38 – Freunde finden. 339 EuGH 14. 1. 2010 – C-304/08 – Slg. 2010 I-217 Tz. 37–39 – Plus. Zur vergleichenden Werbung eines LebensmittelDiscounters EuGH 19. 9. 2006 – C 356/04 – Slg. 2006 I-8501 Tz. 78 – Lidl/Colruyt; EuGH 18. 11. 2010 – C159/09 – Slg. 2010 I-11761 Tz. 47 – Lidl/Vierzon. 340 EuGH 30. 6. 2011 – C288/10 – GRUR Int. 2011, 853, 855 Tz. 31 – Wamo/JBC. 341 EuGH 11. 7. 2013 – C-657/11 – GRUR Int. 2013, 937, 941 Tz. 42 ff. – Belgian Electronic Sorting Technology. 342 BGH 14. 1. 2016 – I ZR 65/14 – GRUR 2016, 946 Tz. 26 ff. – Freunde finden. 343 BGH 17. 7. 2008 – I ZR 75/06 – GRUR 2008, 923 Tz. 12 f. – Faxanfrage im Autohandel; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 15 a. E., § 6 Rn. 63; i.E. auch Harte/Henning/Keller Rn. 17 und Harte/Henning/Sack § 6 Rn. 39 (Anwendung der Generalklausel). 344 RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 20 f.; BGH 15. 5. 1997 – I ZR 10/95 – GRUR 1997, 761, 763 f. – Politikerschelte. 345 BGH 5. 12. 2002 – I ZR 115/00 – GRUR 2003, 540, 541 – Stellenanzeige. 346 Im Ergebnis verneinend BGH 16. 12. 1982 – I ZR 163/80 – GRUR 1983, 374 f. – Spendenbitte m. Anm. Tilmann (zw.). 347 Anhang Nr. 20. Beispiel: EuGH 9. 11. 2010 – C540/08 – Slg. 2010 I-10909 Tz. 18 – Mediaprint. 348 EuGH 23. 4. 2009 – verb. Rs. 261/07 und 299/07 – Slg. 2009 I-2949 Tz. 50 – VTB-VAB und Galatea. Siehe auch Schlussanträge GA Trstenjak 21. 10. 2008 – verb. Rs. 261/07 und 299/07 – Slg. 2009 I-2949 Tz. 70 – VTB-VAB und Galatea. 349 Vgl. OLG Oldenburg 24. 11. 2005 – 1 U 49/05 – GRUR-RR 2006, 239 – Pharma-Marktforschung; OLG Köln 30. 3. 2012 – 6 U 191/11 – WRP 2012, 725 f. – Telefonische Kundenzufriedenheitsabfrage. 350 BGH 10. 1. 2013 – I ZR 190/11 – GRUR 2013, 945 Tz. 37 – Standardisierte Mandatsbearbeitung. 351 Vgl. § 4 Nr. 3, Anhang Nr. 5, 6, 21. 352 Anhang Nr. 14, 29.

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flussen sollen. Am UWG gemessen wurden demgemäß Presseerklärungen von Unternehmen, in denen zu Konkurrenzprodukten und ihrer DIN-Kompatibilität353 oder zu einem gewonnenen Zivilprozess gegen einen Mitbewerber Stellung genommen wurde;354 Interviews in Presse und Rundfunk, die vom Unternehmer oder verantwortlichen Mitarbeitern wie dem Pressesprecher zur Absatzförderung genutzt werden;355 sowie ein Zeitschriftenbeitrag, in dem die Seriosität eines Mitbewerbers in Frage gestellt wird.356 Auch bei fingierten Konsumentenbewertungen handelt es sich um eine Marketingstrategie, die dem UWG unterliegt.357 Anders als die UGPRL und die IrreführungsRL 2006 beschränkt sich die Anwendbarkeit 185 des UWG in der Phase vor einem Geschäftsabschluss nicht auf Maßnahmen der unmittelbaren Absatzförderung. Vielmehr stellen bereits Verhaltensweisen im Vorfeld des eigenen Absatzes geschäftliche Handlungen dar, soweit sie, vermittelt über die negative Beeinflussung geschäftlicher Entscheidungen anderer Marktteilnehmer, zugleich den eigenen Absatz fördern können. Ein objektiver Zusammenhang zur Absatz- oder Bezugsförderung in diesem Sinne besteht, wenn Mitbewerber herabgesetzt oder verunglimpft, angeschwärzt oder sonst gezielt behindert werden,358 wenn Testkäufe getätigt bzw. durch die Erteilung hierauf gerichteter Hausverbote verhindert werden sollen;359 sowie in den gem. § 4 GeschGehG verbotenen Fällen des Erlangens, Nutzens oder Offenlegens von Geschäftsgeheimnissen.

186 b) Unternehmensinterne Vorgänge. Insbesondere die zuletzt genannten, unerlaubten Nutzungen von Geschäftsgeheimnissen stehen nur noch in einem relativ entfernten Zusammenhang zur Förderung des Absatzes oder Bezugs von Produkten. Ob und wann das fremde Geheimnis den Wettbewerb eines anderen Unternehmens fördert, ist häufig noch ungewiss. Gleichwohl ist der erforderliche „objektive“ Zusammenhang zum vorvertraglichen Marktverhalten eines Unternehmens bereits bei einem gem. § 4 Abs. 1 GeschGehG verbotenen Erlangen von Geschäftsgeheimnissen gegeben, weil die Handelnden immerhin nach außen agieren und die geschäftlichen Entscheidungen anderer Marktteilnehmer beeinflussen. 187 Demgegenüber stellen unternehmensinterne Vorgänge für sich betrachtet keine geschäftlichen Handlungen dar.360 Da sie in der Außenwelt nicht in Erscheinung treten, können sie keine geschäftlichen Entscheidungen anderer Marktteilnehmer beeinflussen.361 Es ist aber diese Beziehung zwischen Marktteilnehmern, die das UWG reguliert. Zudem gebietet die wirtschaftliche Handlungsfreiheit des Unternehmers und ggf. die Privatsphäre der handelnden Personen, dass die unternehmensinterne Kommunikation in einem geschützten Raum zunächst ohne Rücksicht auf die Interessen Dritter ablaufen kann. Beispielsweise dürfen intern auch solche geschäftlichen Handlungen erwogen werden, deren lauterkeitsrechtliche Zulässigkeit zweifelhaft und nach rechtlicher Beratung ggf. unzulässig erscheint. Andernfalls bestünde das Risiko, dass die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle durch früh greifende Haftungsrisiken beeinträchtigt wird. 188 Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls sind folgende Verhaltensweisen von der Rechtsprechung als rein betriebsinterne Verhaltensweisen eingeschätzt und als solche daher nicht dem UWG unterworfen: der Versand von empfohlenen Werbebehauptungen 353 OLG Hamburg 6. 7. 2006 – 3 U 51/06 – WRP 2007, 443, 445. 354 OLG Hamburg 19. 7. 2006 – 5 U 10/06 – GRUR-RR 2006, 377, 378 – ad-hoc-Mitteilung. 355 Vgl. BGH 9. 10. 1963 – Ib ZR 28/62 – GRUR 1964, 208, 209 – Fernsehinterview; BGH 4. 4. 1984 – I ZR 222/81 – GRUR 1984, 823, 824 – Charterfluggesellschaften. 356 BGH 10. 11. 1994 – I ZR 216/92 – GRUR 1995, 270, 272 – Dubioses Geschäftsgebaren. 357 Kaumanns/Wießner K&R 2013, 145 ff. 358 Vgl. § 4 Nr. 1, 2, 4. 359 OLG Köln, Urteil vom 15. Februar 2019 – I-6 U 214/18 –, juris Tz. 53; Harte/Henning/Keller Rn. 57. 360 BGH 25. 9. 1970 – I ZR 47/69 – GRUR 1971, 119 f. – Branchenverzeichnis; BGH 11. 5. 2000 – I ZR 28/98 – GRUR 2000, 1076, 1077 – Abgasemissionen m. w. N. 361 OLG Stuttgart 18. 3. 1983 – 2 U 187/82 – WRP 1983, 446; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/ Pommerening § 31 Rn. 23.

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und sonstigen Informationen an Mitarbeiter, selbstständige Handelsvertreter und Vertragshändler;362 ein Rundschreiben an die Mitglieder eines Lohnsteuerhilfevereins;363 der Betrieb eines Werks und die Herstellung von Produkten unter Verstoß gegen gesetzliche Immissionsschutzvorschriften;364 Warenbewegungen innerhalb eines Unternehmens365 und zwischen einer Einkaufsgesellschaft eines Konzerns und anderen Konzerngesellschaften, soweit die Einkaufsgesellschaft nicht mit konzernfremden Anbietern konkurriert.366 Als bereits nach außen gerichtete geschäftliche Handlung qualifiziert wurde hingegen 189 ein Werbeschreiben einer Versicherungsgesellschaft an mit ihr nicht geschäftlich verbundene Fernsehgeräte-Fachhändler.367 Auch ein Brief an die Mitarbeiter eines Unternehmens kann eine geschäftliche Handlung darstellen, wenn hiermit Abwerbeversuchen anderer Arbeitgeber entgegengetreten wird.368 In dieser Konstellation tritt der Unternehmer seinen Arbeitnehmern nicht als Dienstherr bei der Abwicklung interner Vorgänge gegenüber, sondern wendet sich an sie als künftige Mitarbeiter, um die in Konkurrenz zu anderen Nachfragern auf dem Arbeitsmarkt geworben wird. Diese Nachfragewerbung unterliegt dem UWG. Selbst wenn die Umstände des Einzelfalls ergeben, dass ein rein betriebsinterner Vorgang in 190 Streit steht, ist weiter zu prüfen, ob hierdurch bereits eine Erstbegehungsgefahr für anschließende, nach außen gerichtete geschäftliche Handlungen wie etwa die Werbung durch Handelsvertreter oder das Inverkehrbringen von hergestellten Waren begründet wird.369 Denn ein Anspruch auf Unterlassung besteht gem. § 8 Abs. 1 Satz 2 bereits dann, wenn eine Zuwiderhandlung gegen § 3 oder § 7 droht.370 Unter diesem Gesichtspunkt können zwar auch betriebsinterne Vorgänge Gegenstand der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung werden. Der Anspruch aber kann wiederum nur gegen die erstmals drohende, den betreffenden Betrieb verlassende Handlung gerichtet sein.

c) Außergeschäftliches Verhalten vor einem Geschäftsabschluss aa) Grundsätze. Weltanschauliche, wissenschaftliche, redaktionelle oder verbraucherpo- 191 litische Äußerungen von Unternehmen und anderen Personen weisen keinen objektiven Zusammenhang zum Wettbewerbsgeschehen auf.371 Sie beeinflussen nicht geschäftliche Entscheidungen im Hinblick auf das Angebot oder den Bezug von Waren oder Dienstleistungen, sondern 362 BGH 25. 9. 1970 – I ZR 47/69 – GRUR 1971, 119 f. – Branchenverzeichnis; OLG München 4. 2. 1971 – 6 U 1944/ 70 – WRP 1971, 280 f. – Informationsschreiben; OLG Hamburg 18. 4. 1985 – 3 U 253/84 – WRP 1985, 651, 652 f. – Rundschreiben (30.000 Mitarbeiter und weitere Vertragshändler); zur Abgrenzung von nach außen gerichteter Werbung siehe BGH 3. 5. 1974 – I ZR 52/73 – GRUR 1974, 666, 667 f. – Reparaturversicherung. 363 OLG Brandenburg 29. 9. 2005 – 6 U 28/05 – GRUR-RR 2006, 199 f. – Anonymisierung; OLG Brandenburg 25. 9. 2007 – 6 U 100/06 – GRUR 2008, 356 – Rundschreiben. 364 BGH 11. 5. 2000 – I ZR 28/98 – GRUR 2000, 1076, 1077 – Abgasemissionen; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 36; weitergehend Ohly/Sosnitza Rn. 15 (unselbständige Teilakte einer geschäftlichen Handlung). Zur nicht nach außen gerichteten Tätigkeit von Arbeitnehmern Harte/Henning/Keller Rn. 31. 365 juris-PK/Ernst Rn. 11. 366 BGH 16. 4. 1969 – I ZR 59–60/67 – GRUR 1969, 479, 480 – Colle de Cologne; Gloy/Loschelder/Danckwerts/ Erdmann/Pommerening § 31 Rn. 25. 367 BGH 3. 5. 1974 – I ZR 52/73 – GRUR 1974, 666, 667 f. – Reparaturversicherung. 368 OLG München 4. 2. 1971 – 6 U 1944/70 – WRP 1971, 280 f. – Informationsschreiben; OLG Stuttgart 18. 3. 1983 – 2 U 187/82 – WRP 1983, 446. 369 Vgl. BGH 25. 9. 1970 – I ZR 47/69 – GRUR 1971, 119 f. – Branchenverzeichnis; BGH 11. 5. 2000 – I ZR 28/98 – GRUR 2000, 1076, 1077 – Abgasemissionen (Herstellung begründet ggf. Erstbegehungsgefahr für Inverkehrbringen der Ware); OLG Hamburg 18. 4. 1985 – 3 U 253/84 – WRP 1985, 651, 652 f. – Rundschreiben; OLG Koblenz 28. 1. 1998 – 6 U 1602/87 – WRP 1988, 557, 558 (Erstbegehungsgefahr auch dann, wenn Handelsvertreter in einem Rundschreiben nicht zur Verwendung einer Werbebehauptung aufgefordert werden); Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 36; weitergehend Ohly/Sosnitza Rn. 15 (unselbständige Teilakte einer geschäftlichen Handlung). 370 juris-PK/Ernst Rn. 12. 371 RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 13, 20 f.; DiskE UWG 2008, 34.

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die Haltung der Adressaten im Hinblick auf religiöse, ästhetische oder die Wahrheit betreffende Fragen sowie politische Einstellungen, ggf. auch zum wirtschaftlichen Wettbewerb. Zwar können derartige Verhaltensweisen und Entscheidungen ganz erhebliche Effekte auf das Marktgeschehen zeitigen. Diese aber entstammen nicht dem Marktverhalten selbst, sondern werden von außen an den Geschäftsverkehr herangetragen. Diese mittelbaren Auswirkungen sind nicht Gegenstand des UWG. Die Abgrenzung zwischen dem vom UWG regulierten Geschäftsverkehr und anderen Kommunikations- und Handlungssphären wird von der Rechtsprechung nicht einheitlich gehandhabt. Bei redaktionellen Beiträgen der Presse soll es darauf ankommen, ob die Förderung des eigenen oder fremden Wettbewerbs eine größere als notwendig begleitende Rolle spielt.372 Private Meinungsäußerungen hingegen werden schon dann am UWG gemessen, wenn der Aspekt der Wettbewerbsförderung nicht völlig hinter außergeschäftliche Gesichtspunkte zurücktritt.373 Diese Unterscheidungen finden im Gesetz keine Stütze. Mit dem Merkmal des objektiven Zusammenhangs sollen redaktionelle, meinungsbildende und andere außergeschäftliche Verhaltensweisen gleichermaßen aus dem UWG verwiesen werden. Daher sollte ein einheitlicher Maßstab gelten.374 Abzustellen ist auf das Kriterium der mehr als notwendigen Wettbewerbsförderung. Mit diesem Erfordernis wird anerkannt, dass z. B. redaktionelle Berichte oder verbraucherpolitische Maßnahmen häufig in sehr erheblichem Maße auf das Marktgeschehen einwirken können, indem der Absatz oder Bezug lobend hervorgehobener Unternehmen gefördert, die wettbewerbliche Stellung kritisierter Unternehmen hingegen geschwächt wird. Hierbei aber handelt es sich um mittelbare Effekte nicht wirtschaftlicher Diskurse auf den Wettbewerb. Erst und nur dann, wenn eine Äußerung, die nicht schon ihrem äußeren Erscheinungsbild nach eine typische geschäftliche Handlung wie etwa eine Werbeannonce darstellt, sondern als redaktioneller, politischer, religiöser etc. Beitrag aufgemacht ist, unter objektiver Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls eigentlich den Absatz oder Bezug von Produkten eines Unternehmens fördert, agiert der Handelnde nicht (mehr) in der Sphäre der öffentlichen Information und Meinung etc., sondern im Wettbewerbsgeschehen. Dieser wettbewerbsbezogene Überschuss einer Äußerung wird durch das Merkmal der „mehr als notwendigen“ Unternehmensförderung anschaulich adressiert. Nicht erforderlich ist es hingegen, dass der geschäftliche Zusammenhang die außergeschäftliche Dimension der Äußerung überwiegt.375 Hingegen droht der Anwendungsbereich des UWG zu weit ausgedehnt zu werden, wenn jede nicht ganz untergeordnete Einflussnahme auf geschäftliche Entscheidungen von Marktteilnehmern für eine geschäftliche Handlung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 genügt. Insbesondere verbraucherpolitische Äußerungen sollen häufig gerade die Wirkung entfalten, das Nachfrageverhalten von Konsumenten von bestimmten Unternehmen zu anderen Anbietern zu lenken. Und doch wäre es verfehlt, sie am Lauterkeitsrecht zu messen. Die wettbewerbsfunktionale Teleologie des UWG und seine Fokussierung auf wettbewerblich-ökonomische Prozesse eignen sich nicht zur Regulierung etwa politischer Kommunikation. Auch hat der Gesetzgeber einem solchen Imperialismus ökonomischer Regulierung nicht ökonomischer Handlungssphären eine ausdrückliche Absage erteilt.

198 bb) Redaktionelle Äußerungen in den Medien. Redaktionelle Äußerungen in Presse, Rundfunk und Telemedien stellen geradezu das Paradigma solch außergeschäftlicher Hand372 Unten § 2 Rn. 198 ff. 373 Unten § 2 Rn. 213. 374 Siehe auch BGH 20. 3. 1981 – I ZR 10/79 – GRUR 1981, 658, 660 – Preisvergleich (Preisvergleiche und redaktionelle Beiträge). 375 Offengelassen von KG 14. 8. 2012 – 5 U 92/07 – BeckRS 2012, 18880 – International anerkannter Arzt.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

§2

lungen dar. Sie unterfallen nach der erklärten Absicht des historischen Gesetzgebers weiterhin nicht dem UWG, soweit sie nur der Information des Publikums dienen.376 Das UWG ist auch in seiner geltenden Fassung „grundsätzlich kein Gesetz, das ein Maßstab für die Beschränkung der Pressefreiheit sein könnte, solange das angegriffene Presseorgan seine publizistische Aufgabe wahrnimmt.“377 Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn ein Beitrag allein der Information und Meinungsbildung seiner Adressaten dient.378 Die Auswirkungen einer im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG/Art. 11 Abs. 2 Charta „funktionsgerechten“ medialen Berichterstattung über Unternehmen und ihre Leistungen – sei sie positiv lobend oder negativ kritisierend – ist typischerweise nur eine unvermeidbare Folge der Erfüllung journalistischer Aufgaben, die für sich betrachtet die Anwendung des UWG nicht rechtfertigt.379 Die öffentliche Verbreitung von Tatsachenberichten und Meinungen durch Presse- und 199 Rundfunkunternehmen steht in einem anderen Kommunikationszusammenhang als geschäftliche Handlungen und Entscheidungen. Es geht nicht um Geschäftsabschlüsse und die Befriedigung materieller Bedürfnisse, sondern um die argumentative Auseinandersetzung über allgemeine politische, soziale, kulturelle oder wirtschaftliche Belange.380 Es ist weder sinnvoll noch angemessen, Interessenkonflikte in diesem Kontext einer lauterkeitsrechtlichen Beurteilung im Hinblick auf den unverfälschten Wettbewerb zu unterwerfen. Hieran ändert der Umstand nichts, dass die Presse- und Rundfunkberichterstattung von 200 einem Unternehmen betrieben wird, das diese Beiträge als Produkt gegen Entgelt im Wettbewerb zu anderen Medienunternehmen kommerzialisiert. Der entgeltliche Absatz eines Presseoder Rundfunkprodukts und seine teilweise oder vollständige Finanzierung durch Anzeigen führen nicht dazu, dass auch die Informationen und Meinungskundgaben als solche zur geschäftlichen Handlung werden.381 Insoweit ist zwischen dem publizistischen Beitrag als marktgängigem Produkt und seinem Inhalt zu unterscheiden. Demnach stellt insbesondere die Werbung für ein mediales Produkt wie jede andere 201 Form der Förderung des Absatzes oder Bezugs eines Medienunternehmens eine geschäftliche Handlung dar.382 Auch das Anzeigengeschäft ist vom meinungsbildenden und informierenden Funktionsbereich zu unterscheiden. Denn hiermit fördert das Presseunternehmen sowohl den eigenen als auch den Wettbewerb desjenigen Unternehmers, der eine Annonce schaltet.383 Eine geschäftliche Handlung ist ferner gegeben, wenn ein Rundfunkunternehmen außerhalb einer Sendung über allgemein interessierende Rechtsfragen einen telefonischen Rechtsberatungsservice einrichtet und hierdurch mit Rechtsanwälten in Konkurrenz tritt.384 376 RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 13. 377 LG München I 14. 10. 2009 – 1 HKO 3140/09 – juris Rn. 35; MünchKommUWG/Bähr Rn. 88; Ohly/Sosnitza Rn. 39 (Funktionsbereich der Medien). 378 BGH 19. 5. 2011 – I ZR 147/09 – GRUR 2012, 74 Tz. 15 – Coaching-Newsletter; BGH 17. 12. 2015 – I ZR 219/13 – GRUR-RR 2016, 410 Tz. 11 – Dr. Estrich. 379 OLG Hamburg 27. 1. 2005 – 3 U 113/04 – GRUR-RR 2005, 385, 386 – Ladenhüter. 380 BVerfG 15. 11. 1982 – 1 BvR 108/80 u. a. – BVerfGE 62, 230, 232 = GRUR 1984, 357, 359 – Boykottaufruf; BGH 2. 2. 1984 – I ZR 4/82 – GRUR 1984, 461, 463 – Kundenboykott; BGH 20. 3. 1986 – I ZR 13/84 – GRUR 1986, 812, 813 – Gastrokritiker; ferner BGH 12. 10. 1989 – I ZR 29/88 – GRUR 1990, 373, 375 – Schönheits-Chirurgie; BGH 20. 2. 1997 – I ZR 12/95 – GRUR 1997, 907, 908 – Emil-Grünbär-Klub; OLG Hamburg 27. 1. 2005 – 3 U 113/04 – GRUR-RR 2005, 385, 386 – Ladenhüter. 381 BGH 9. 2. 2006 – I ZR 124/03 – GRUR 2006, 875 Tz. 24, 28 – Rechtsanwalts-Ranglisten; LG München I 14. 10. 2009 – 1 HKO 3140/09 – juris Rn. 36. 382 OLG München 2. 8. 2012 – 29 U 1471/12 – MMR 2012, 824. 383 BGH 26. 4. 1990 – 1 ZR 127/88 – GRUR 1990, 1012, 1013 – Pressehaftung; BGH 19. 3. 1992 – I ZR 166/90 – GRUR 1993, 53, 54 – Ausländischer Inserent. Zu Branchenbüchern BGH 10. 4. 1997 – I ZR 3/95 – GRUR 1997, 909, 910 f. – Branchenbuch-Nomenklatur (Grundeinträge aufgrund gesetzlich verpflichtender Meldung keine Wettbewerbshandlung). Verkannt von EuGH 17. 10. 2013 – C-391/12 – GRUR 2013, 1245, 1246 Tz. 39 ff. – RLvS Verlagsgesellschaft. 384 BGH 6. 12. 2001 – I ZR 14/99 – GRUR 2002, 987, 993 – Wir Schuldenmacher.

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Peukert

§2

Definitionen

Im Einzelfall kann aber auch eine Äußerung, die ihrem Erscheinungsbild nach zur redaktionellen Berichterstattung oder Meinungsbildung zu zählen scheint, eine geschäftliche Handlung darstellen. Das UWG bestätigt diese Möglichkeit ausdrücklich, indem das Verschleiern des Werbecharakters einer geschäftlichen Handlung in § 5 Abs. 6 für unlauter erklärt wird. Gegenüber Verbrauchern stets unzulässig ist gem. § 3 Abs. 3 i. V. m. Anhang Nr. 11 ein von einem Unternehmer finanzierter Einsatz redaktioneller Inhalte zu Zwecken der Verkaufsförderung, ohne dass sich dieser Zusammenhang aus dem Inhalt oder aus der Art der optischen oder akustischen Darstellung eindeutig ergibt (als Information getarnte Werbung). Ob eine öffentliche Äußerung als redaktioneller Beitrag oder als geschäftliche Handlung 203 einzuordnen ist, entscheidet sich anhand einer objektiven Beurteilung des äußeren Erscheinungsbilds der Publikation aus Sicht eines durchschnittlichen Adressaten. Nicht ausschlaggebend ist hingegen die Urheberschaft eines Textes etc., da eine Redaktion den Wettbewerb eines Unternehmens sogar aus eigener Initiative fördern und so in den Geschäftsverkehr eingreifen kann.385 Auch die Frage, ob ein Medienunternehmen in gutem Glauben genaue und zuverlässige Informationen in Übereinstimmung mit dem Berufsethos des Journalisten vermitteln möchte, ist lediglich ein subjektives Indiz für eine letztlich objektive Beurteilung.386 Nach zutreffender Auffassung der Rechtsprechung ist darauf abzustellen, ob die Einflussnah204 me auf den wirtschaftlichen Wettbewerb lediglich eine immanente Begleiterscheinung einer funktionsgerechten Berichterstattung über den geschäftlichen Verkehr darstellt (dann kein UWG) oder ob ein bestimmtes Unternehmen in mehr als nur notwendig begleitender Art und Weise gefördert wurde.387 In letztgenannter Konstellation betreibt ein Medienunternehmen unter dem Deckmantel eines redaktionell aufgemachten Beitrags Werbung für ein bestimmtes Unternehmen und hat daher die für geschäftliche Handlungen geltenden Vorgaben zu beachten.388 Diese Grundsätze sollten auch auf neuartige Formen der öffentlichen Meinungsbildung in sozialen Netzwerken angewendet werden, insbes. auf sog. Influencer. Soweit jene wie etwa Modejournale ohne konkrete Gegenleistung lediglich über bestimmte Produktentwicklungen berichten, können sie sich auf das redaktionelle Medienprivileg berufen. Dass sie hiermit ihr eigenes Unternehmen fördern, indem sie sich als Werbeträger interessant machen, steht dem grundsätzlich nicht entgegen. Denn auch traditionelle Special-Interest-Medien agieren sowohl als Berichterstatter über bestimmte Produktkategorien als auch als Forum, in dem für just jene Produkte geworben wird. Sobald jedoch Influencer für einen Post eine konkrete Gegenleistung erhalten oder fremden Wettbewerb sonst in mehr als nur notwendig begleitender Art fördern, etwa durch Verlinkung direkt auf eine Seite, auf der das Produkt gekauft werden kann, nehmen sie eine geschäftliche Handlung vor.389 202

385 Vgl. Ruhl/Bohner WRP 2011, 375 m. w. N. 386 Siehe aber Lettl § 1 Rn. 132. Zum Erfordernis eines „objektiven“ Zusammenhangs zum Geschäftsverkehr oben § 2 Rn. 126 ff.

387 BGH 20. 12. 1967 – Ib ZR 127/65 – GRUR 1968, 314, 316 – fix und clever; BGH 12. 10. 1989 – I ZR 29/88 – GRUR 1990, 373, 374 f. – Schönheits-Chirurgie; BGH 3. 2. 1994 – I ZR 321/91 – GRUR 1994, 441, 442 f. – Kosmetikstudio; BGH 10. 11. 1994 – I ZR 216/92 – GRUR 1995, 270, 272 – Dubioses Geschäftsgebaren; BGH 28. 11. 1996 – I ZR 184/94 – GRUR 1997, 473, 474 – Versierter Ansprechpartner; BGH 30. 4. 1997 – I ZR 196/94 – GRUR 1997, 912, 913 – Die Besten I; BGH 13. 4. 2000 – I ZR 282/97 – GRUR 2000, 703, 706 – Mattscheibe; BGH 6. 12. 2001 – I ZR 14/99 – GRUR 2002, 987, 993 – Wir Schuldenmacher; BGH 1. 4. 2004 – I ZR 317/01 – GRUR 2004, 693, 694 – Schöner Wetten; BGH 9. 2. 2006 – I ZR 124/03 – GRUR 2006, 875 Tz. 23 – Rechtsanwalts-Ranglisten; OLG Hamburg 27. 1. 2005 – 3 U 113/ 04 – GRUR-RR 2005, 385, 386 – Ladenhüter. 388 BVerfG 15. 11. 1982 – 1 BvR 108/80 u. a. – BVerfGE 62, 230, 232 = GRUR 1984, 357, 359 – Boykottaufruf; BGH 2. 2. 1984 – I ZR 4/82 – GRUR 1984, 461, 463 – Kundenboykott; BGH 20. 3. 1986 – I ZR 13/84 – GRUR 1986, 812, 813 – Gastrokritiker; ferner BGH 12. 10. 1989 – I ZR 29/88 – GRUR 1990, 373, 375 – Schönheits-Chirurgie; BGH 20. 2. 1997 – I ZR 12/95 – GRUR 1997, 907, 908 – Emil-Grünbär-Klub; OLG Hamburg 27. 1. 2005 – 3 U 113/04 – GRUR-RR 2005, 385, 386 – Ladenhüter; LG München I 14. 10. 2009 – 1 HKO 3140/09 – juris Rn. 33. 389 KG 17. 10. 2017 – 5 W 233/17 – WRP 2018, 224 f. – Instagram-Influencerin; zu undifferenziert LG Hamburg 28. 3. 2019 – 403 HKO 127/18 –, juris Tz. 34 ff.; LG München I 29. 4. 2019 – 4 HK O 14312/18 – WRP 2019, 931 ff. – Cathy Hummels; vgl. ferner Mach WRP 2018, 1166, 1168 f.; Mallick/Weller WRP 2018, 1289, 1290 ff.

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824

B. Die Definitionen im Einzelnen

§2

Nicht dem UWG unterworfen wurden demgemäß eine Titelschlagzeile über die Markt- 205 einführung, die Preise, Funktionen und Leistung eines allgemein beachteten Mobiltelefons;390 ein Pressebericht, in dem ein Rechtsanwalt K. Frank in Unterscheidung zu einem Rechtsanwalt Dr. A. Frank als tatkräftig gelobt wurde;391 ein Artikel über Möglichkeiten und Ergebnisse kosmetischer Operationen unter mehrfacher Erwähnung und Abbildung eines Arztes;392 ein Artikel über eine steuerrechtlich günstige Geldanlage mit Hinweis auf weiterführende Ratschläge durch vom Presseunternehmen vermittelte Experten;393 die namentliche Nennung regionaler Unternehmen, die Ausbildungsplätze anbieten;394 ein redaktioneller Beitrag mit der Überschrift „Husten, Schnupfen, Heiserkeit – Erkältungen gezielt behandeln“ und auf derselben Seite eine Werbeanzeige für ein Präparat unter der Überschrift „Erkältung, Halsschmerzen, Heiserkeit“;395 die Angabe der Internetadresse einer bekannten Glücksspielunternehmerin und deren Ausgestaltung als Hyperlink in einem Online-Beitrag über dieses Unternehmen;396 ein anzeigenfinanziertes Handbuch mit einer Rangliste von Rechtsanwälten und dem – in der Sache zutreffenden – Hinweis, dass die Auswahl der Kanzleien auf Interviews der Redaktion beruht;397 ein Beitrag zu einer Angelegenheit von öffentlichem Interesse, in dem ein bestimmtes Unternehmen in polemisch überspitzter, subjektiv einseitiger und sogar herabsetzender Weise kritisiert wird;398 die herabsetzende Fernsehparodie einer Unternehmenswerbung unter unveränderter Nennung des beworbenen Produkts.399 In all diesen Fällen war die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verhaltensweise nach allgemeinem Deliktsrecht zu beurteilen.400 Zur geschäftlichen Handlung wird ein journalistischer Beitrag hingegen stets dann, wenn 206 ein Unternehmen sich die redaktionelle Äußerung in der Werbung für ein Produkt zu eigen macht.401 In diesem Fall widmet der Unternehmer die Information oder Meinungskundgabe in eine werbliche Anpreisung um. Diese hat dann in vollem Umfang den Vorgaben des UWG zu genügen. Verantwortlich hierfür ist der werbende Unternehmer, nicht das Presseunternehmen, das diesen Kommunikationszusammenhang nicht hergestellt hat. Aber auch die einem Presse- oder Rundfunkunternehmen zuzurechnende Äußerung, die 207 ihrem Erscheinungsbild nach zur redaktionellen Berichterstattung zählt, kann in mehr als notwendiger Weise den Wettbewerb eines Unternehmens fördern und damit zur geschäftlichen Handlung werden. Dies ist insbesondere bei verschleierter bzw. als Information getarnter Werbung für namentlich genannte Produkte bestimmter Unternehmen der Fall.402 Eine unzulässige geschäftliche Handlung stellt es dar, wenn ein Presseunternehmen neben der zum

390 391 392 393 394 395 396

OLG Hamburg 2. 1. 2008 – 3 W 224/07 – OLGR Hamburg 2009, 1020, 1021 f. = juris Rn. 12 ff. BGH 22. 5. 1986 – I ZR 72/84 – GRUR 1986, 898, 899 – Frank der Tat. BGH 12. 10. 1989 – I ZR 29/88 – GRUR 1990, 373, 374 f. – Schönheits-Chirurgie. BGH 28. 11. 1996 – I ZR 184/94 – GRUR 1997, 473, 474 – Versierter Ansprechpartner. BGH 19. 2. 1998 – I ZR 120–95 – GRUR 1998, 947, 948 – AZUBl ’94. BGH 23. 1. 1992 – I ZR l29/90 – GRUR 1992, 463, 464 – Anzeigenplazierung (zw.). BGH 1. 4. 2004 – I ZR 317/01 – GRUR 2004, 693, 694 – Schöner Wetten; anders im Einzelfall aber OLG Hamm 7. 2. 2008 – 1–4 U 154/07 – MMR 2008, 750, 751 f. – ungeschwärztes Urteil. 397 BGH 9. 2. 2006 – I ZR 124/03 – GRUR 2006, 875 Tz. 25, 27 – Rechtsanwalts-Ranglisten. Entsprechend zu Steuerberater-Rankings LG München I – 14. 10. 2009 – 1 HKO 3140/09 – juris Rn. 33 ff. 398 BGH 10. 11. 1994 – I ZR 216/92 – GRUR 1995, 270, 272 – Dubioses Geschäftsgebaren. 399 BGH 13. 4. 2000 – I ZR 282/97 – GRUR 2000, 703, 706 f. – Mattscheibe. 400 Siehe z. B. BGH 22. 5. 1986 – I ZR 72/84 – GRUR 1986, 898, 899 – Frank der Tat (§§ 824, 826, allgemeines Persönlichkeitsrecht); BGH 10. 11. 1994 – I ZR 216/92 – GRUR 1995, 270, 272 – Dubioses Geschäftsgebaren (allgemeines Persönlichkeitsrecht). 401 Z. B. BGH 20. 2. 1997 – I ZR 12/95 – GRUR 1997, 907, 908 – Emil-Grünbär-Klub; ferner BGH 19. 5. 2011 – I ZR 147/ 09 – GRUR 2012, 74 Tz. 16, 35 ff. – Coaching-Newsletter. 402 Zu § 4 Nr. 3 und Anhang Nr. 11 siehe BGH 29. 3. 1974 – I ZR 15/73 – GRUR 1975, 75, 77 – Wirtschaftsanzeigen – public-relations; BGH 10. 7. 1981 – I ZR 96/79 – BGHZ 81, 247, 250 = GRUR 1981, 835 – Getarnte Werbung I; BGH 18. 2. 1993 – I ZR 219/91 – GRUR 1993, 565, 566 – Faltenglätter; BGH 20. 2. 1997 – I ZR 12/95 – GRUR 1997, 907, 908 – Emil-Grünbär-Klub; ferner Ruhl/Bohner WRP 2011, 375 ff.

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Peukert

§2

Definitionen

Anzeigentarif veröffentlichten Anzeige eine Nebenleistung in Form einer (getarnten) redaktionellen Unterstützung der Anzeigenwerbung gewährt.403 208 Bejaht wurde die Anwendbarkeit des UWG ferner für pauschal lobende Berichte über Unternehmen neben Anzeigen der betreffenden Unternehmen;404 für eine übermäßig werbende Titelstory über die „500 besten Ärzte“ Deutschlands;405 für die lobende Darstellung eines Epiliergeräts als Gewinn eines Preisrätsels in einer Gesundheitszeitschrift;406 für Zeichnungen eines bekannten Autors und Malers in einer von Apotheken kostenlos verteilten Kundenzeitschrift;407 für einen Wikipedia-Eintrag, in dem die vom Verfasser vertriebenen Nahrungsergänzungsmittel im Gegensatz zu Konkurrenzprodukten als in inländischen Apotheken erhältlich herausgestellt werden;408 für einen Artikel in einem Börseninformationsblatt, in dem es zu einem namentlich genannten, konkurrierenden Presseunternehmen heißt, es publiziere „völlig falsche Argumente“ und sei „nicht eben für Seriosität bekannt“;409 für den Aufruf eines Informationsdienstes des Uhrenfachhandels, den Uhrenhandel eines „Kaffee-Rösters“ zu boykottieren;410 für einen Online-Bericht mit Links auf bestimmte Produktangebote;411 für einen Presseartikel über ein Unternehmen, der fast wörtlich mit einer durch das Unternehmen selbst verbreiteten, werblichen Verlautbarung übereinstimmt.412 209 Fraglich ist, inwieweit falsche redaktionelle Informationen über bestimmte Unternehmen und Produkte lauterkeitsrechtlich relevant sind. Kann nachgewiesen werden, dass es sich um bewusst unwahre Angaben zu Produkten handelt, ist dies ein starkes Indiz für das Bestehen eines objektiven Zusammenhangs zur Förderung des Absatzes eines fremden Unternehmens.413 Zwar unterfallen dem UWG nach hier vertretener Auffassung auch versehentliche Eingriffe in das Marktgeschehen. Eine fahrlässige Falschmeldung der Presse über ein Unternehmen, die ggf. den Aktienkurs einbrechen lässt, bleibt ungeachtet ihrer Wirkungen eine außergeschäftliche, eben redaktionelle Handlung. Sie ist nach Maßgabe des allgemeinen Delikts- und Presserechts zu beurteilen. Anders kann sich dies unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ausnahmsweise dann darstellen, wenn das Presseunternehmen ein eigenes unternehmerisches Interesse hat, bestimmte Drittunternehmen zu fördern und die Falschinformation diesem Zweck dient. So verhält es sich, wenn eine Programmzeitschrift das von ihr präsentierte Fernsehangebot frei empfangbarer Sender mit dem Hinweis auf „TV-Premieren“ hervorhebt, obwohl die betreffenden Filme bereits im Bezahlfernsehen ausgestrahlt wurden.414

210 cc) Meinungsfreiheit in Bezug auf öffentliche Angelegenheiten. Redaktionelle Berichte der Presse und des Rundfunks stellen keine geschäftlichen Handlungen dar, da sie nicht im objektiven Zusammenhang zum Marktverhalten eines bestimmten Unternehmens stehen, sondern der öffentlichen Information und Meinungsbildung dienen. Diesen außergeschäftlichen 403 BGH 18. 9. 1997 – I ZR 71/95 – GRUR 1998, 471, 473 – Modenschau im Salvatorkeller; BGH 23. 10. 1997 – I ZR 123/95 – GRUR 1998, 481, 482 – Auto ’94. 404 BGH 3. 2. 1994 – I ZR 321/91 – GRUR 1994, 441, 442 f. – Kosmetikstudio; vgl. auch BGH 5. 6. 1997 – I ZR 69/ 95 – GRUR 1998, 489, 492 – Unbestimmter Unterlassungsantrag III (lobender Bericht neben einer Anzeige). 405 BGH 30. 4. 1997 – I ZR 196/94 – GRUR 1997, 912, 913 – Die Besten I. 406 OLG Karlsruhe 20. 10. 2011 – 4 U 160/10 – WRP 2012, 990, 991 – Preisrätsel. 407 BGH 20. 2. 1997 – I ZR 12/95 – GRUR 1997, 907, 908 – Emil-Grünbär-Klub. 408 OLG München 10. 5. 2012 – 29 U 515/12 – MMR 2012, 534, 535 – Verschleierte Werbung auf Wikipedia. 409 BGH 30. 10. 1981 – I ZR 93/79 – GRUR 1982, 234, 235 f. – Großbanken-Restquoten. 410 BGH 2. 2. 1984 – I ZR 4/82 – GRUR 1984, 461, 462 – Kundenboykott. 411 OLG Hamm 7. 2. 2008 – 1–4 U 154/07 – MMR 2008, 750, 751 f. – ungeschwärztes Urteil. 412 OLG Frankfurt 22. 8. 2019 – 6 W 64/19 – GRUR-RS 2019, 26691. 413 Vgl. BGH 29. 9. 1994 – XII ZB 82/93 – NJW-RR 1995, 1 – Bio-Tabletten; KG 14. 8. 2012 – 5 U 92/07 – BeckRS 2012, 18880 – International anerkannter Arzt; Ruhl/Bohner WRP 2011, 375, 381. Zur Zulässigkeit der Berücksichtigung subjektiver Umstände bei der Prüfung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 oben § 2 Rn. 165 ff. 414 OLG Köln 7. 2. 2008 – 6 W 12/08 – GRUR-RR 2008, 404 – TV-Premiere.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

§2

Kommunikationszusammenhang weisen nicht nur Presse- und Rundfunkberichte auf, sondern ebenso Äußerungen neutraler Experten sowie Meinungskundgaben sonstiger Personen als Mittel zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden, auch wirtschaftspolitischen Frage in Ausübung der Meinungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 GG/11 Abs. 1 Satz 1 Charta. Damit unterliegt die Kommunikation über wirtschaftlichen Wettbewerb in Ausübung der Kommunikationsfreiheiten des Art. 5 GG/Art. 11 Charta anders als kommerzielle Kommunikation im Wettbewerb insgesamt nicht dem UWG, unabhängig davon, ob ein Medienunternehmen oder eine sonstige Person handelt. Unter Geltung des UWG 1909 und des UWG 2004 hatte die Rechtsprechung Meinungen und Tatsachenbehauptungen mit wettbewerbsrechtlichem Bezug die erforderliche Wettbewerbsabsicht abgesprochen.415 Dies betraf insbesondere Wettbewerbs- und verbraucherpolitische Äußerungen, die nicht der Erfüllung der erwerbswirtschaftlichen Zielsetzung einzelner Unternehmen dienten, sondern im Interesse der Verbraucher und im volkswirtschaftlichen Gesamtinteresse auf die Erreichung allgemeiner wettbewerbspolitischer Zwecke gerichtet waren.416 An die Stelle der subjektiven Wettbewerbsabsicht ist im Zuge des UWG 2008 das Kriterium des objektiven Zusammenhangs getreten.417 An der sachlichen Unterscheidung zwischen geschäftlichen Handlungen und außergeschäftlicher Meinungs- und Tatsachenkundgabe aber hat sich dadurch nichts geändert. Weiterhin sollen „weltanschauliche … oder verbraucherpolitische Äußerungen von Unternehmen oder anderen Personen“ nicht dem UWG unterfallen.418 Aufgrund dieser inhaltlichen Kontinuität behält die einschlägige ältere Rechtsprechung ihre Bedeutung.419 Das UWG 1909/2004 wurde von der Rechtsprechung bereits dann für anwendbar erklärt, wenn mit der in Rede stehenden Handlung auch Wettbewerbszwecke verfolgt wurden, die nicht als völlig nebensächlich hinter den eigentlichen Beweggrund der Meinungskundgabe zurücktraten.420 Zum UWG 2008/2015 stellt der BGH darauf ab, ob die Handlung vorrangig anderen Zielen als der Beeinflussung geschäftlicher Entscheidungen von Marktteilnehmern dient und sich daher lediglich reflexartig auf die Absatz- oder Bezugsförderung auswirkt.421 Während Meinungsäußerungen sonstiger Personen also bereits bei geringen Bezügen zum geschäftlichen Verkehr am UWG gemessen werden, sollen ihrem äußeren Erscheinungsbild nach redaktionelle Beiträge in Presse und Rundfunk erst dann dem UWG unterliegen, wenn ein bestimmtes Unternehmen in mehr als nur notwendig begleitender Art und Weise gefördert wird.422 Diese Differenzierung zwischen der Meinungsfreiheit einerseits und den Medienfreiheiten andererseits ist abzulehnen. Für alle Kommunikationsfreiheiten des Art. 5 GG/11 Charta sollten dieselben Abgrenzungskriterien zum UWG gelten.423 Zwar kann das redaktionelle Verhalten von Medienunternehmen möglicherweise eindeutiger als solches identifiziert werden als eine Ausübung der Meinungsfreiheit durch andere Unternehmen und sonstige Personen. Und doch geht es um ein und denselben außergeschäftlichen Handlungszusammenhang. Alle Kommunikationsfreiheiten weisen einen Öffentlichkeits- und Demokratiebezug auf. Ihr gemeinsamer Nenner 415 BGH 25. 6. 1992 – I ZR 60/91 – GRUR 1992, 707, 708 f. – Erdgassteuer. 416 Vgl. BGH 9. 12. 1975 – VI ZR 157/73 – BGHZ 65, 326, 332 = GRUR 1976, 268, 270 – Stiftung Warentest/Warentest II; BGH 17. 2. 1983 – I ZR 194/80 – GRUR 1983, 379, 381 – Geldmafiosi. 417 Oben § 2 Rn. 160 ff. 418 RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 13. 419 BGH 31. 3. 2016 – I ZR 160/14 – WRP 2016, 843 Tz. 12 ff. – Im Immobiliensumpf m. w. N. 420 BGH 20. 3. 1986 – I ZR 13/84 – GRUR 1986, 812, 813 – Gastrokritiker; BGH 25. 6. 1992 – I ZR 60/91 – GRUR 1992, 707, 708 f. – Erdgassteuer; BGH 15. 5. 1997 – I ZR 10/95 – GRUR 1997, 761, 763 f. – Politikerschelte; BGH 27. 6. 2002 – I ZR 86/00 – GRUR 2002, 1093, 1094 – Kontostandsauskunft; BGH 13. 2. 2003 – I ZR 41/00 – GRUR 2003, 800, 801 – Schachcomputerkatalog m. w. N. 421 KG 18. 8. 2009 – 5 W 95/09 – BeckRS 2009, 24222; KG 14. 8. 2012 – 5 U 92/07 – BeckRS 2012, 18880 – International anerkannter Arzt; OLG Hamm 23. 8. 2011 – I-4 U 67/11 – MMR 2012, 750 f. 422 Oben § 2 Rn. 204. 423 Differenzierend hingegen BGH 11. 12. 2014 – I ZR 113/13 – WRP 2015, 855 Tz. 34 – Bezugsquellen für Bachblüten.

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Definitionen

ist der freie Austausch von Informationen und Meinungen zur öffentlichen Meinungsbildung, ggf. im Hinblick auf den wirtschaftlichen Wettbewerb. Nur wenn dieses Verhalten in mehr als nur notwendig begleitender (immanenter) Weise auf den Wettbewerb eines Unternehmens Einfluss nimmt, begibt sich der Äußernde in den geschäftlichen Verkehr. 215 Ob es sich um kommerzielle oder außergeschäftliche Kommunikation handelt, ist unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere des Inhalts der gewählten Äußerung zu entscheiden.424 Je deutlicher auf ein bestimmtes Unternehmen und seine Produkte Bezug genommen wird, desto größer sind in der Regel die Auswirkungen auf den Wettbewerb. Je näher die handelnde Person diesem Wettbewerb – namentlich als Unternehmensinhaber, aber auch als Mitbewerber oder Interessenverband von Mitbewerbern – steht, desto eher weist eine Meinungsäußerung mehr als notwendig begleitende, wettbewerbsfördernde Aspekte auf. Wird hingegen kein bestimmtes Unternehmen bzw. Produktangebot namentlich hervorgehoben, fehlt es in der Regel am erforderlichen objektiven Zusammenhang zum Marktverhalten.425 216 Doch auch wenn eine Äußerung einen konkreten Bezug zu einem Unternehmen herstellt, kann es sich um eine außergeschäftliche Meinungsäußerung mit nur immanenten Nebeneffekten auf den Wettbewerb handeln. Das ist beispielsweise der Fall, wenn ein Apotheker in einem Leserbrief zu einer allgemein-gesundheitspolitischen Frage kundtut, das klagende Pharmaunternehmen sei ein „Garagenvertrieb mit Kartoffelpresse in Spanien“.426 Ebenfalls Informationen über und wertende, insbesondere umwelt- und verbraucherschutzpolitische Stellungnahmen zu Unternehmen und den wirtschaftlichen Wettbewerb im Allgemeinen sind gegeben, wenn ein Verbraucherschutzverein eine Telefon-Ansage-Aktion zum Thema „Vorsicht vor Kredithaien“ veranstaltet;427 wenn eine Umweltschutzorganisation zum Boykott eines Molkereiunternehmens aufruft, weil es Milch von Kühen verwende, die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln gefüttert werden;428 wenn ein Verbraucherverband ein nicht rechtskräftiges Urteil in einer Wettbewerbsstreitigkeit veröffentlicht;429 wenn ein gemeinnütziger eingetragener Berufsverband von zumindest 14 industriellen Matratzenherstellern über sich und seine Aufgaben informiert;430 wenn ein Professor der Zahnheilkunde und Vizepräsident der Berufsvertretung aller Zahnärzte in Deutschland ohne Bezug zu einem bestimmten Hersteller in einer Verbandspublikation äußert, bei Zahnpaste, die kein Fluorid enthalte, sei der Kariesschutz deutlich geringer.431 217 Aus demselben Grund unterfallen Warentests,432 Preisvergleiche433 und Produktkritiken434 nicht dem UWG, wenn sie in transparenter, neutraler und nichtdiskriminierender Weise

424 BGH 25. 6. 1992 – I ZR 60/91 – GRUR 1992, 707, 708 f. – Erdgassteuer; BGH 11. 12. 2014 – I ZR 113/13 – WRP 2015, 855 Tz. 28 – Bezugsquellen für Bachblüten; BGH 31. 3. 2016 – I ZR 160/14 – WRP 2016, 843 Tz. 12 ff. – Im Immobiliensumpf. 425 Vgl. BGH 12. 7. 2012 – I ZR 54/11 – GRUR 2013 Tz. 21 f. – Solarinitiative. Insoweit zutreffend auch KG 18. 8. 2009 – 5 W 95/09 – WRP 2009, 1296 (UWG nicht anwendbar, wenn das Unternehmen mit einer Äußerung vorrangig einen im Allgemeininteresse liegende Zweck verfolgt, mag diese sich auch zugunsten eines fremden Unternehmens auswirken); OLG Köln 20. 5. 2016 – 6 U 107/15 – juris. Rn. 28 ff. 426 KG 18. 8. 2009 – 5 W 95/09 – WRP 2009, 1296. 427 BGH 17. 2. 1983 – I ZR 194/80 – GRUR 1983, 379, 381 – Geldmafiosi. 428 OLG Stuttgart 15. 9. 2005 – 2 U 60/05 – GRUR-RR 2006, 20 – Absperrband-Aktion. 429 KG 25. 1. 1977 – 9 U 312/76 – BB 1978, 468. 430 OLG Köln 27. 9. 2019 – 6 U 83/19 – BeckRS 2019, 23387 (anders bei Kritik an einem Testergebnis eines bestimmten Produkts). 431 OLG Düsseldorf – 2. 5. 2019 – I-20 U 116/18 – WRP 2019, 899. 432 BGH 9. 12. 1975 – VI ZR 157/73 – GRUR 1976, 268 ff. – Stiftung Warentest/Warentest II m. zust. Anm. Schricker; OLG Frankfurt a. M. 29. 6. 2006 – 6 U 103/05 – GRUR-RR 2007, 16, 17 – ÖKO-Test. 433 BGH 20. 3. 1981 – I ZR 10/79 – GRUR 1981, 658, 660 – Preisvergleich m. krit. Anm. Schulze zur Wiesche (Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs sei zu bejahen); Franz WRP 2018, 20 ff. m. w. N. 434 BGH 20. 3. 1986 – I ZR 13/84 – GRUR 1986, 812, 813 – Gastrokritiker (trotz Hinweises auf den eigenen Weinhandel); ebenfalls ablehnend zur Anwendung des UWG BGH 12. 6. 1997 – I ZR 36/95 – GRUR 1998, 167, 168 f. – Restaurantführer; OLG Frankfurt/Main 10. 12. 2015 – 6 U 244/14 – GRUR-RR 2016, 121, 122 – Kritischer Thread.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

§2

über Marktverhältnisse informieren. Das gilt sowohl, wenn diese Informationen über wirtschaftlichen Wettbewerb von Unternehmen als kommerzielles Produkt angeboten werden, als auch, wenn es sich um Verbraucherbewertungen handelt.435 Je näher allerdings ein Akteur dem betroffenen Marktsegment und Wettbewerb steht, desto 218 eher dominieren wirtschaftliche Interessen an der Förderung eines oder mehrerer Unternehmen, so dass das UWG anwendbar ist. Dem geschäftlichen Verkehr zugeordnet wurden demgemäß Preisvergleichsportale, die sich nicht über Werbung, sondern über Provisionen der in den Vergleich einbezogenen Unternehmen finanzieren;436 Testfotos eines Wettbewerbsverbands, zu dessen Mitgliedern auch Mitbewerber des mutmaßlichen Verletzers zählen;437 die Klassifizierung von Hotels durch einen Hotelierverband;438 die Verknüpfung eines Hotelbewertungsportals mit einem Online-Reisedienst;439 die positive Darstellung des Bierkonsums durch einen Interessenverband von Brauereiunternehmen;440 die Anzeige eines Unternehmens, in der unter auffälliger Verwendung der Firma politische Missstände beklagt werden;441 die als gesundheitspolitische Meinungsäußerung aufgemachte Anzeige eines Arztes, in der er selbst und die von ihm angebotenen Produkte hervorgehoben werden;442 die Anzeige einer Arbeitsgemeinschaft von Gasversorgungsunternehmen, in der Erdgas im Vergleich zu Heizöl und Kernenergie unter dem Gesichtspunkt des Umweltschutzes als optimale Energiequelle herausgestellt wird;443 die Veröffentlichung einer Liste als „trivial“ bezeichneter Patente eines Mitbewerbers;444 die Veröffentlichung eines Kommentars eines Internetnutzers auf der Internetseite eines Rechtsanwalts, in dem das Verhalten eines konkurrierenden Rechtsanwalts als moralisch bedenklich und rechtsmissbräuchlich beurteilt wird;445 Informationen über Produkte eines bestimmten Herstellers mit Hyperlink auf die Seite einer Verkaufsplattform, auf der nur diese Produkte angeboten werden;446 Kritik an der Wissenschaftlichkeit der Dissertation eines Sachverständigen für Estrichfußböden durch einen Mitbewerber;447 die Bezeichnung einer Bank als „Schmuddelkind der Bankenbranche“ in Schreiben eines Brancheninformationsdienstes, der sich selbst als „publizistisches Sprachrohr“ anderer Banken bezeichnet, an Werbepartner der kritisierten Bank;448 die in einem Presseartikel zitierte Äußerung eines namentlich genannten Rechtsanwalts, er halte das Geschäftsgebaren eines ebenfalls benannten Notars für organisierte Wirtschaftskriminalität, bei der gezielt Anleger ruiniert würden.449

dd) Wissenschaftliche Kommunikation. Wissenschaftliche Kommunikation als der nach 219 Inhalt und Form ernsthafte Versuch zur Ermittlung von Wahrheit450 unterliegt ebenfalls nicht 435 Zu Preisvergleichsportalen näher Franz WRP 2018, 20, 27 f. m. w. N. Zu Verbraucherbewertungen im Internet auch oben § 2 Rn. 107.

436 Ohne Begründung BGH 27. 4. 2017 – I ZR 55/16 – GRUR 2017, 1265 Tz. 14 ff. – Preisportal; näher Franz WRP 2018, 20 ff. m. w. N. BGH 23. 5. 1996 – I ZR 122/94 – WRP 1996, 1099, 1100 – Testfotos II. LG Berlin 10. 8. 2010 – 16 O 479/08 – WRP 2011, 131 f. BGH 19. 3. 2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 Tz. 17 – Hotelbewertungsportal. LG Berlin 10. 5. 2011 – 16 O 259/10 – juris Rn. 21. BGH 15. 5. 1997 – I ZR 10/95 – GRUR 1997, 761, 763 f. – Politikerschelte (Imagewerbung). KG 14. 8. 2012 – 5 U 92/07 – BeckRS 2012, 18880 – International anerkannter Arzt. BGH 25. 6. 1992 – I ZR 60/91 – GRUR 1992, 707, 708 f. – Erdgassteuer (zw.). OLG München 9. 3. 2006 – 6 U 5757/04 – GRUR-RR 2006, 268 ff. – Trivial-Patente (zw.). OLG Hamm 23. 8. 2011 – I-4 U 67/11 – MMR 2012, 750 f. BGH 11. 12. 2014 – I ZR 113/13 – WRP 2015, 855 Tz. 23 ff. – Bezugsquellen für Bachblüten. BGH 17. 12. 2015 – I ZR 219/13 – GRUR-RR 2016, 410 Tz. 11 ff. – Dr. Estrich. OLG Frankfurt a. M. 18. 6. 2015 – 6 U 46/14 – GRUR-RR 2016, 14, 15 f. – Schmuddelkind (zw.). BGH 31. 3. 2016 – I ZR 160/14 – WRP 2016, 843 Tz. 12 ff. – Im Immobiliensumpf BVerfG 1. 3. 1978 – 1 BvR 333/75, 1 BvR 174/71, 1 BvR 178/71, 1 BvR 191/71 – BVerfGE 47, 327, 347 zu Art. 5 Abs. 3 S. 1 – Hessisches Universitätsgesetz.

437 438 439 440 441 442 443 444 445 446 447 448 449 450

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dem UWG. Wie bei öffentlichen Informationen und wertenden Stellungnahmen können sich wissenschaftliche Forschung und Lehre auf bestimmte Unternehmen oder das Marktverhalten insgesamt beziehen und auf diesem Wege das Wettbewerbsgeschehen beeinflussen. Gleichwohl handelt es sich lediglich um immanente Reflexwirkungen eines Verhaltens im Wissenschaftssystem. Maßstab dieses Handelns ist nicht die Förderung von Geschäftsabschlüssen, sondern die Ermittlung wahrer Aussagen. In grundrechtlicher Perspektive wird von der Wissenschaftsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG/13 Satz 2 Charta und nicht von der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit Gebrauch gemacht. Demgemäß war bereits zum früheren Recht anerkannt, dass bei wissenschaftlichen Aufsätzen oder sonstigen fachlichen Äußerungen in der Regel die für das UWG erforderliche Wettbewerbsabsicht fehlt, es sei denn, die wissenschaftliche Aufmachung der Äußerung dient nur der Tarnung geschäftlichen Verhaltens.451 Ebenso heißt es in der amtlichen Begründung zum UWG 2008, dass „wissenschaftliche Äußerungen von Unternehmen oder anderen Personen“ weiterhin nicht dem UWG unterfallen, soweit sie in keinem objektiven Zusammenhang mit dem Absatz von Waren und den anderen in § 2 Abs. 1 Nr. 1 genannten Unternehmensaktivitäten stehen.452 Der BGH unterscheidet insoweit zwischen Äußerungen neutraler Experten (Beobachter) und Äußerungen ihrerseits am Wettbewerb Beteiligter.453 Für die Abgrenzung von Wissenschaft und wirtschaftlichem Wettbewerb kommt es wie im Hinblick auf andere außergeschäftliche Handlungskontexte darauf an, ob sich anhand objektiver Umstände feststellen lässt, dass bei einer dem äußeren Erscheinungsbild nach wissenschaftlichen Äußerung die Förderung eigenen oder fremden Wettbewerbs eine größere als nur notwendig begleitende Rolle gespielt hat.454 In einem solchen Fall wird nicht mehr über Unternehmen oder den Wettbewerb geforscht bzw. über diese Gegenstände gelehrt, sondern im geschäftlichen Verkehr gehandelt. Grundsätzlich nicht ausschlaggebend ist hingegen, ob eine Studie wissenschaftlichen Anforderungen genügt.455 Wissenschaftliches Fehlverhalten ist grundsätzlich anhand wissenschaftsinterner Maßstäbe und Mechanismen zu beurteilen. Fehlerhafte Versuche zur Ermittlung der Wahrheit bleiben (schlechte) Wissenschaft. Anders stellt sich die Situation erst dar, wenn eine Äußerung objektiv derart falsch oder schlechterdings unvertretbar ist, dass dem Äußernden das Anliegen, seine wissenschaftliche Meinung darzustellen, nicht mehr abgenommen werden kann.456 Nur wenn wissenschaftliche Studien von Unternehmen in der Werbung benutzt457 oder vom Wissenschaftler selbst in einen objektiven Zusammenhang zum Marktverhalten gebracht werden, liegt eine geschäftliche Handlung vor. Dies ist etwa der Fall, wenn sich ein pharmazeutisches Unternehmen in seiner Werbung auf einen wissenschaftlichen Beitrag beruft. Da die per se wissenschaftliche Äußerung in einen absatzfördernden, geschäftlichen Kontext gestellt wird, sind dann auch die wettbewerbsrechtlichen Maßstäbe des UWG zu beachten, so dass als Vorfrage der Irreführung zu prüfen ist, ob der fragliche Beitrag wissenschaftlichen Anforderungen genügt.458 Für einen objektiven Zusammenhang zum Marktverhalten i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 genügt es hingegen nicht, wenn ein Unternehmen oder ein Produkt in Forschung und Lehre analysiert wird. Auch wenn die Aussagen sachlich falsch sind, handelt es sich um einen Versuch

451 452 453 454 455 456 457 458

KG 30. 11. 2004 – 5 U 55/04 – GRUR-RR 2005, 162, 163 – Arzneimitteleigenschaften kraft Präsentation. RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 13. BGH 31. 3. 2016 – I ZR 160/14 – WRP 2016, 843 Tz. 16 – Im Immobiliensumpf. OLG Hamburg 29. 6. 2006 – 3 U 12/06 – GRUR-RR 2007, 206, 208 – Emissionsprospekt. So aber Götting/Nordemann Rn. 24. OLG Frankfurt/M 11. 5. 2017 – 6 U 76/16 – GRUR-RR 2018, 105 f. – Unterkieferprotrusionsschienen. OLG Frankfurt/M 11. 5. 2017 – 6 U 76/16 – GRUR-RR 2018, 105 f. – Unterkieferprotrusionsschienen. BGH 17. 1. 2002 – I ZR 161/99 – GRUR 2002, 633, 634 – Hormonersatztherapie.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

§2

zur Ermittlung bzw. Vermittlung der Wahrheit, der nach allgemeinem Deliktsrecht zu beurteilen ist.459 Ein dem äußeren Erscheinungsbild nach wissenschaftlicher Beitrag, der objektiv neutrale Studienergebnisse wiedergibt, wird ferner nicht allein dadurch zur geschäftlichen Handlung, dass ein im Beitrag positiv erwähntes Unternehmen die betreffende Studie finanziert und/oder in Auftrag gegeben hat.460 Wie bei redaktionellen Beiträgen von Medienunternehmen ist zwischen der Vermarktung von Informationen oder hier eben wissenschaftlichen Erkenntnissen als geschäftlicher Handlung gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 einerseits und dem grundsätzlich nicht wirtschaftlichen Inhalt dieser Waren andererseits zu unterscheiden. Um als Wissenschaft getarnte Werbung handelt es sich hingegen bei einem Fachaufsatz 225 eines Mitarbeiters, in dem die Produkte des Arbeitgebers als günstiger im Vergleich zu überdies falsch dargestellten Konkurrenzangeboten gelobt werden.461 Ist ein Wissenschaftler am Absatz einer Ware selbst wirtschaftlich interessiert, weisen seine diesbezüglichen Äußerungen auch dann in der Regel einen objektiven Zusammenhang zum geschäftlichen Verkehr auf, wenn sie wissenschaftlichen Gehalt haben.462 Die Forschung über Medienkontakte (sog. Reichweitenforschung) weist in themati- 226 scher Hinsicht einen besonders engen Zusammenhang zum geschäftlichen Verkehr und namentlich zur Werbung auf. Dient aber eine solche Studie „nur … der die Anonymität der befragten Personen wahrenden Markt- und Meinungsforschung“, soll es nach der amtlichen Begründung zum UWG 2008 an einem objektiven Zusammenhang zum Warenabsatz fehlen, so dass eine geschäftliche Handlung nicht vorliege.463 Wie bei anderen Umfragen wird dann in der Tat lediglich die allgemeine Marktrealität erforscht. Dass sich Unternehmen in ihrem Marktauftritt an den Forschungsergebnissen einer unabhängigen dritten Stelle orientieren, ändert an der Einordnung als Wissenschaft nichts.464 Doch kommt es auch insoweit auf die Umstände des Einzelfalls an. Insbesondere die sog. 227 angewandte Produkt- und Marktforschung im Auftrag eines bestimmten Unternehmens wird zutreffend als geschäftliche Handlung des Meinungs- bzw. Marktforschungsinstituts eingeordnet. Dies betrifft etwa Kundenzufriedenheitsabfragen465 oder die Aufforderung an Ärzte, sich an einer Befragung zu einer Erkrankung zu beteiligen, wenn der Fragenkatalog insbesondere auf ein Produkt des auftraggebenden Pharmaunternehmens Bezug nimmt.466 Zwar werden in diesen Fällen zunächst Marktparameter mit wissenschaftlichen Methoden ermittelt. Der erforschte Umstand ist aber so eng auf eine bestimme Ware oder Dienstleistung bezogen, dass der Aspekt der Wahrheitsermittlung ganz in den Hintergrund tritt. Umfragen der genannten Art dienen per se dem Erhalt der Kundschaft und der Ermittlung von Informationen zur Verbesserung der Absatzmöglichkeiten.

459 OLG Hamburg 29. 6. 2006 – 3 U 12/06 – GRUR-RR 2007, 206, 208 – Emissionsprospekt (Emissionsprospekt der Antragstellerin als Schulfall einer nicht plausiblen Ertragsrechnung im Rahmen einer Lehrveranstaltung, Ansprüche aus § 824 BGB); OLG Frankfurt/M 11. 5. 2017 – 6 U 76/16 – GRUR-RR 2018, 105 f. – Unterkieferprotrusionsschienen (in Abgrenzung von Äußerungen, die objektiv derart falsch oder schlechterdings unvertretbar erscheinen, dass dem Äußernden das Anliegen, eine wissenschaftliche Aussage zu tätigen, nicht mehr abgenommen werden könne). 460 OLG Frankfurt/M 11. 5. 2017 – 6 U 76/16 – GRUR-RR 2018, 105 f. – Unterkieferprotrusionsschienen; Gomille WRP 2009, 525, 531. 461 BGH 7. 3. 1996 – I ZR 33/94 – GRUR 1996, 798, 800 – Lohnentwesungen (auch wenn der Name und die Mitarbeitertätigkeit am Ende des Textes offengelegt werden). 462 KG 30. 11. 2004 – 5 U 55/04 – GRUR-RR 2005, 162, 163 – Arzneimitteleigenschaften kraft Präsentation (evident bei Herabsetzung von Konkurrenten). 463 RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 13. 464 Rechtsausschuss UWG 2008, BTDrucks. 16/11070, S. 5; OLG Köln 12. 12. 2008 – 6 U 41/08 – MMR 2009, 267, 268; OLG Köln 30. 3. 2012 – 6 U 191/11 – WRP 2012, 725 f. – Telefonische Kundenzufriedenheitsabfrage. 465 OLG Köln 12. 12. 2008 – 6 U 41/08 – MMR 2009, 267, 268; OLG Köln 30. 3. 2012 – 6 U 191/11 – WRP 2012, 725 f. – Telefonische Kundenzufriedenheitsabfrage. 466 OLG Oldenburg 24. 11. 2005 – 1 U 49/05 – GRUR-RR 2006, 239 – Pharma-Marktforschung.

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§2

Definitionen

228 ee) Künstlerische Kommunikation. Wie die Wissenschaft bildet auch die Kunst einen autonomen Kommunikationszusammenhang, der eigenständigen Regeln folgt und als solcher nicht der wettbewerbsfunktionalen Regulierung durch das UWG unterliegt. Die „freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden,“467 stellt als solche keine geschäftliche Handlung dar. Wie bei redaktionellen Beiträgen und wissenschaftlichen Äußerungen ist erneut der nicht 229 dem UWG unterliegende Inhalt der künstlerischen Äußerung von seiner Vermarktung im geschäftlichen Verkehr z. B. durch Werbung in Galerieprospekten zu unterscheiden.468 Als Kunstwerk aufgemachte (getarnte) Werbung aber unterliegt dem UWG, da das 230 Kunstwerk dann in einen geschäftlichen Kontext gestellt wird und den insoweit geltenden Regeln zu gehorchen hat. So liegt eine geschäftliche Handlung vor, wenn in einem Film bestimmte Produkte gegen Entgelt mit werbender Wirkung platziert werden (product placement), ohne dass dies zur Erreichung der künstlerischen Wirkungen veranlasst wäre.469 Die künstlerische Auseinandersetzung mit Unternehmen, Produkten und dem Wett231 bewerbsgeschehen insgesamt bleibt hingegen der wirtschaftsrechtlichen Regulierung im Hinblick auf die Lauterkeit entzogen. Denn dann wird nicht im, sondern über den geschäftlichen Verkehr kommuniziert. Dies gilt auch und gerade dann, wenn hierfür satirische oder sonst scharf kritisierende Ausdrucksformen gewählt werden.

232 ff ) Religiöse und weltanschauliche Kommunikation. Ausübungen der Glaubens- und Gewissensfreiheit gem. Art 4 GG/10 Charta unterfallen grundsätzlich ebenfalls nicht dem UWG. Ergibt eine objektive Betrachtung, dass ein Verhalten Ausdruck des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses ist, wird nicht im geschäftlichen Verkehr gehandelt. Eine weltanschauliche Äußerung befriedigt das Bedürfnis nach bekenntnishafter Orientierung, nicht hingegen werden wirtschaftliche Interessen nach materiellen Produkten angesprochen.470 Deshalb ist das UWG auch nicht auf den Wettbewerb von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften um Anhänger anwendbar. Von diesem außergeschäftlichen Kommunikationsinhalt ist wie stets die Vermarktung 233 konkreter Produkte (z. B. Bücher) rund um eine Religion oder Weltanschauung zu unterscheiden, bei der die Gebote des lauteren Wettbewerbs zu beachten sind.471 Erst wenn sich aus den Umständen des Einzelfalls ergibt, dass eine dem äußeren Anschein 234 nach weltanschauliche Verhaltensweise in mehr als für ihre Zwecke notwendiger Weise den Wettbewerb eines Unternehmens fördert, liegt eine geschäftliche Handlung vor. In diesem Fall kann von einer als Bekenntnis getarnten Werbung für Waren oder Dienstleistungen gesprochen werden. Religiösen und nicht geschäftlichen Charakter hat demnach eine karitative Altkleider235 sammlung einer Vereinigung katholischer ländlicher Jugend, die durch Kanzelabkündigungen und Pressehinweise beworben wird und beim Verkauf des Materials einen Millionenumsatz erzielt, wodurch kommerzielle Altkleidersammler in existenzbedrohender Weise Geschäftschancen verlieren. Eine solche Sammlung fördert nicht den Wettbewerb eines Unternehmens, wenn 467 So zum verfassungsrechtlichen Kunstbegriff BVerfG 24. 2. 1971 – 1 BvR 435/68 – BVerfGE 30, 173, 188 f. – Mephisto; vgl. auch BVerfG 7. 7. 1971 – 1 BvR 765/66 – BVerfGE 31, 229, 238 f. – Kirchen- und Schulgebrauch; Maunz/ Dürig/Scholz Art. 5 Abs. 3 Rn. 22 ff. m. w. N. 468 Zur Abgrenzung von Kunstfreiheit und wirtschaftlicher Handlungsfreiheit siehe BVerfG 7. 7. 1971 – 1 BvR 765/ 66 – BVerfGE 31, 229, 239 f. – Kirchen- und Schulgebrauch; Maunz/Dürig/Scholz Art. 5 Abs. 3 Rn. 18 f. m. w. N. 469 BGH 6. 7. 1995 – I ZR 58/93 – GRUR 1995, 744, 147 – Feuer, Eis & Dynamit I. 470 RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 13 (weltanschauliche Äußerungen). 471 OLG Köln 7. 12. 2012 – 6 U 69/12 – MMR 2013, 516, 517 (Werbeanruf für den Hausnotruf einer Wohlfahrtsorganisation); LG Berlin 14. 2. 2013 – 91 D 105/12 – juris Tz. 68 (Ausbildungsveranstaltungen).

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B. Die Definitionen im Einzelnen

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die Spender unentgeltlich und als Ausdruck ihrer religiösen Gesinnung ein Vermögensopfer für mildtätige Zwecke aufbringen. Ob die Spende direkt oder unter Zwischenschaltung von Unternehmern in anderer Form an die Bedürftigen weitergeleitet wird, ist dann nicht von Belang; Sammlung und Verwertung lassen sich insoweit nicht trennen.472

gg) Spendenwerbung. Die Werbung um Spenden und die Durchführung von Spendenprojekten werden von der Rechtsprechung generell nicht am UWG gemessen. Zur Begründung wird angeführt, die Spendenaufrufe und das Versprechen an die Spender, mit dem Geld konkrete Projekte religiöser, wohltätiger oder sonst gemeinnütziger Art durchzuführen, stelle sich nicht als entgeltliche Dienstleistung gegenüber dem Spender dar, sondern sei eine Leistung zu Gunsten eines Dritten, die dem Spendenwerber schenkweise überlassen werde.473 In der Literatur wird die Anwendbarkeit des UWG hingegen jedenfalls für Spendenorganisationen bejaht, deren Mitarbeiter nicht rein ehrenamtlich tätig werden, sondern aus dem Spendenaufkommen vergütet werden. Aus wirtschaftlicher Sicht werde in dieser Konstellation eine Dienstleistung gegen Entgelt erbracht.474 Die Spende sei das Entgelt für die Vermittlung eines guten Gefühls/Gewissens. Diese Dienstleistung werde auf einem Markt erbracht, auf dem mehrere Anbieter um Spenden konkurrierten.475 Konsequenz dieser Auffassung ist, dass Spendenwerbung sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich der Art und Weise ihrer Durchführung am UWG zu messen ist. Unzulässig sind demnach unzumutbar belästigende (§ 7) oder sonst unlautere Spendenwerbungen (§ 3). Insbesondere soll eine unlautere Irreführung vorliegen, wenn eine Organisation mehr verspricht als sie tatsächlich leistet und dadurch die berechtigten Erwartungen der Spender enttäuscht werden.476 Diese ökonomische Betrachtungsweise und Regulierung des karitativen Spendenwesens vermag nicht zu überzeugen. Um Spenden werbende Kirchen und Idealvereine sind keine Unternehmer im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs.477 Vielmehr handeln sie nach zutreffender Auffassung der Rechtsprechung grundsätzlich außerhalb des geschäftlichen Verkehrs. Zwar kann man das Spendenwesen wie praktisch jeden anderen Lebensbereich mit ökonomischen Begriffen wie dem „Markt für Spenden“ und dem „Wettbewerb der Spendenorganisationen“ analysieren.478 Verfehlt ist dann aber zumindest die normative Folgerung aus dieser ökonomischen Betrachtungsweise, dass nämlich der Spendenmarkt als Markt „rechtlich wie andere Märkte zu behandeln“ sei.479 Wäre diese Aussage zutreffend, würde das UWG sämtliche Handlungssphären regulieren, die sich in der Terminologie des Marktes und des Wettbewerbs beschreiben lassen. Auf „Märkte“ für Ideen, für Glaubensinhalte, für politische Inhalte usw. und den dort herrschenden Wettbewerb unter Wissenschaftlern, Religionsgemeinschaften und politischen Parteien aber ist das UWG unstreitig und nach erklärter Absicht des historischen Gesetzgebers nicht anwendbar. Zweck und Regelungsinhalt des UWG sind auf wirtschaftlichen Wettbewerb und seine Funktionen zur effizienten Bedürfnisbefriedigung zugeschnitten. Die Kommunikation über Wahrheit, 472 BVerfG 16. 10. 1968 – 1 BvR 241/66 – BVerfGE 24, 236, 237 = GRUR 1969, 137, 138 – Aktion Rumpelkammer. 473 BVerfG 16. 10. 1968 – 1 BvR 241/66 – BVerfGE 24, 236, 237 = GRUR 1969, 137, 138 – Aktion Rumpelkammer; LG Köln 11. 12. 2007 – 33 O 195/07 – GRUR-RR 2008, 198 f. – Spendenwerbung; LG Berlin 22. 7. 2011 – 15 O 138/11 – WRP 2012, 237, 238 f. – Gemeinnütziges Festival (Förderung gemeinnütziger oder wohltätiger Zwecke durch das Einwerben von Spenden ggf. keine Wettbewerbshandlung). 474 Köhler GRUR 2008, 281, 283 f. m. w. N.; Ohly/Sosnitza Rn. 42; Emmerich § 3 Rn. 15. 475 Voigt Idealvereine, S. 71 ff.; Voigt GRUR 2006, 466 ff.; Köhler GRUR 2008, 281 ff. 476 Köhler GRUR 2008, 281, 284 f.; Götting/Nordemann Rn. 23; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 31 Rn. 43; Harte/Henning/Keller Rn. 32. 477 Dazu § 2 Rn. 81. 478 Voigt GRUR 2006, 466, 469 („Wettbewerb ist sprachlich gesehen der Wettstreit mehrerer Beteiligter um die beste Leistung, um eine führende Stellung.“). 479 Insbesondere Voigt GRUR 2006, 466, 470. Wie hier MünchKommUWG/Bähr Rn. 76.

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Definitionen

Glaube, Politik und wohltätige Gaben unterliegt anderen Vorschriften, da es in diesen Bereichen nicht darum geht, einen möglichst intensiven Wettbewerb von Unternehmen vor Verfälschungen zu schützen und im Übrigen rechtlich freizustellen. Im Gegenteil. Diese gesellschaftlichen Sphären sollen nach der Rechtsordnung grundsätzlich nicht auf einem Austausch von Wissen, Glauben, Macht und Gaben etc. gegen Entgelt basieren. Die Anwendung des Lauterkeitsrechts auf das mildtätige Spendenwesen etc. würde hingegen zu einer Ökonomisierung außergeschäftlicher Handlungssphären führen, die hierdurch regulativ und in ihrer Wahrnehmung verzerrt und auf Dauer zersetzt werden können. So würde eine lauterkeits- und verbraucherschutzrechtliche Normierung der Spende als eines Entgelts für eine Dienstleistung dazu beitragen, die Idee der wohltätigen Gabe insgesamt zu unterminieren. 240 Ein vermeintliches Sanktionsdefizit im Bereich der Spendenwerbung rechtfertigt die Anwendung des UWG ebenfalls nicht.480 Straßen- und Haussammlungen bedürfen nach dem Sammlungsrecht der Länder der öffentlich-rechtlichen Erlaubnis. Hierbei wird insbesondere geprüft, ob Gewähr für die ordnungsmäßige Durchführung der Sammlung und für die zweckentsprechende, einwandfreie Verwendung des Sammlungsertrages gegeben ist und nicht zu befürchten ist, dass die Unkosten der Sammlung in einem offensichtlichen Missverhältnis zum Reinertrag der Sammlung stehen werden.481 Mit dem Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen existiert außerdem eine gesellschaftliche Institution, die die Öffentlichkeit über die Seriosität von Spendenorganisationen informiert und ein Spenden-Siegel erteilt.482 241 Anwendbar ist das UWG hingegen auf geschäftliche Handlungen im Zuge der Durchführung eines Spendenprojekts. Dies betrifft zum Beispiel den Fall, dass ein Musikverlag per EMail Preisanfragen an Hotels sendet, in denen Künstler untergebracht werden sollen, die auf einem vom Verlag veranstalteten Wohltätigkeitsmusikfestival auftreten.483 Ferner unterliegt der planmäßige, entgeltliche Vertrieb von Produkten durch eine Spendenorganisation dem UWG, auch wenn aus dem Erlös karitative Aufgaben bestritten werden.484 Schließlich kann sich aus den Umständen ergeben, dass ein Unternehmen Absatzförderung unter dem Deckmantel der Werbung um gemeinnützige Spenden betreibt. Ruft ein Unternehmen in einer „Charity-Aktion“ per E-Mail zu Spenden auf und nennt dabei mehrfach und in optisch hervorgehobener Form seinen Namen, ist ein ausreichender, weil mehr als für die Spendenwerbung notwendiger, objektiver Zusammenhang zur Förderung des eigenen Wettbewerbs gegeben.485

242 hh) Wettbewerb zwischen Idealvereinen, Gewerkschaften und politischen Parteien. Nicht nur der Wettbewerb unter Spendenorganisationen um mildtätige Gaben vollzieht sich jenseits des UWG. Generell gilt, dass das außergeschäftliche Verhalten nicht wirtschaftlicher Vereine und Organisationen nicht dadurch zu einer geschäftlichen Handlung gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 wird, dass diese Institutionen in Konkurrenz zueinander um Mitglieder bzw. Anhänger werben. 243 Demgemäß unterliegt die reine Mitgliederwerbung von Gewerkschaften, Unternehmensverbänden und anderen Idealvereinen nach ständiger Rechtsprechung nicht dem UWG, sondern dem allgemeinen Deliktsrecht.486 Voraussetzung hierfür ist freilich, dass die Mitglieds-

480 481 482 483 484 485

So aber insbes. Voigt GRUR 2006, 466, 470. Vgl. z. B. § 1 f. SammlG Rheinland-Pfalz. Dazu Stiftung Deutsches Zentralinstitut für soziale Fragen, www.dzi.de. LG Berlin 22. 7. 2011 – 15 O 138/11 – WRP 2012, 237, 238 f. – Gemeinnütziges Festival. BGH 16. 1. 1976 – I ZR 32/75 – NJW 1976, 753 f. – UNICEF-Grußkarten. Unter Geltung des UWG 1909 offengelassen von AG Hannover 19. 2. 2003 – 526 C 15759/02 – GRUR-RR 2003, 322, 323 – Spendenaufruf. 486 BGH 6. 10. 1964 – VI ZR 176/63 – BGHZ 42, 210, 218 = NJW 1965, 156 – Gewerkschaften; BGH 15. 11. 1967 – Ib ZR 137/65 – GRUR 1968, 205, 207 – Teppichreinigung (Rundschreiben eines Fachverbands an einschlägige Fachbetriebe zu Methoden der Teppichreinigung); BAG 11. 11. 1968 – 1 AZR 16/68 – NJW 1969, 861, 862; OLG Hamburg 1. 2. 1983 – 3 W 10/83 – GRUR 1983, 389 – Wettbewerbsvereine; OLG Köln 21. 8. 1989 – 6 W 72/89 – WRP 1990, 544–545.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

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beiträge tatsächlich der Erfüllung außergeschäftlicher, etwa sozialpolitischer Ziele dienen und nicht satzungsgemäß oder in mehr als für die ideellen Zwecke notwendiger Weise faktisch für Unternehmenszwecke verwendet werden. In diesem Fall ist den Bedingungen und Funktionen einer spezifisch koalitionsmäßigen Betätigung i. S. d. Art. 9 Abs. 3 GG/12 Abs. 1 Charta bzw. anderen, nicht wirtschaftlichen Handlungszusammenhängen Rechnung zu tragen. Während das allgemeine Deliktsrecht hierfür die nötige Flexibilität aufweist, ist das UWG auf den wirtschaftlichen Wettbewerb im geschäftlichen Verkehr und damit anders geartete Interessenkonflikte zugeschnitten.487 Neben der Werbung um Mitglieder unterfällt auch die Führung eines bestimmten Ver- 244 einsnamens oder einer sonstigen Bezeichnung nicht dem UWG, wenn die Aktivitäten des Idealvereins ganz überwiegend nicht im geschäftlichen Verkehr, sondern etwa im sportlichen Bereich angesiedelt sind. Nur wenn unter dem Deckmantel einer nicht wirtschaftlichen Organisation Absatzförderung betrieben wird, liegt insoweit eine geschäftliche Handlung vor.488 Schließlich unterliegt die Wahlwerbung politischer Parteien nicht dem UWG. Politische 245 Überzeugungen und Machtpositionen sind keine kommerzialisierbaren Waren im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1.489 Zudem gelten für Wahlwerbung spezielle Vorschriften, die auf die Besonderheiten des politischen Meinungskampfs Rücksicht nehmen.490 Benutzt eine Partei eine bekannte Marke oder Unternehmensbezeichnung in identischer oder abgewandelter Form, kann ein Eingriff in das Rahmenrecht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb vorliegen.491

ii) Äußerungen im Rahmen eines Gerichtsverfahrens: Kommunikation im Rechtssys- 246 tem. Grundsätzlich außerhalb des geschäftlichen Verkehrs angesiedelt sind ferner Äußerungen im Rahmen eines rechtsförmigen Verfahrens vor Behörden oder Gerichten.492 Die Kommunikation im Rechtssystem über die Frage Recht/Unrecht unterliegt nicht dem Lauterkeits- und sonstigen Deliktsrecht, sondern den speziell einschlägigen verfahrensrechtlichen Bestimmungen. Es wäre mit der rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar, wenn Parteien in einem lauterkeitsrechtlichen Rechtsstreit verurteilt werden könnten, Erklärungen zu widerrufen oder zu unterlassen, die sie in einem anderen Verfahren abgegeben haben. Ob ein Vorbringen wahr und erheblich ist, soll allein in dem seiner eigenen Ordnung unterliegenden Ausgangsverfahren geprüft werden.493 Daher stellt zum Beispiel ein rechtsmissbräuchliches Gebot im Rahmen eines Zwangsversteigerungsverfahrens keine geschäftliche Handlung dar.494 Anders ist zu entscheiden, wenn die Äußerung keinen erkennbaren Bezug zum Verfahren 247 oder Rechtsstreit aufweist, sondern unter dem Deckmantel verfahrensmäßiger Erklärungen Wettbewerbsförderung betrieben wird.495 Ein in diesem Sinne mehr als für die Rechtsverfolgung notwendiger Zusammenhang zum geschäftlichen Verkehr kann nach den Umständen des Falles zum Beispiel dadurch hergestellt werden, dass ein Schriftsatz an das Gericht im Internet veröffentlicht und darin in der Sache Werbung betrieben wird.496 Für eine als rechtsförmige Erklärung getarnte geschäftliche Handlung kann sprechen, dass die Äußerung offensichtlich

487 BGH 6. 10. 1964 – VI ZR 176/63 – NJW 1965, 29, 32 (öffentliche Auseinandersetzung zweier Gewerkschaften darüber, wer eine umworbene Berufsgruppe in sozialpolitischer Hinsicht besser betreut); BGH 5. 2. 1980 – VI ZR 174/78 – GRUR 1980, 309 – Straßen- und Autolobby. 488 BGH 28. 11. 1969 – I ZR 139/67 – NJW 1970, 378, 380 f. – Sportkommission. 489 Vgl. §§ 108b, 108e StGB. 490 VG Minden 28. 2. 2007 – 3 K 620/05 – juris Rn. 74. 491 OLG Hamburg 12. 9. 1997 – 3 U 202/97 – NJW-RR 1998, 552. 492 Ohly/Sosnitza Rn. 38; Nordemann Rn. 68; Gomille WRP 2009, 525, 526. 493 BGH 11. 12. 2007 – VI ZR 14/07 – NJW 2008, 996 Tz. 13, 17 – Ehrenschutzklage. 494 LG Augsburg 19. 4. 2010 – 8 O 4038/09 – juris Rn. 21. 495 Allgemein BGH 11. 12. 2007 – VI ZR 14/07 – NJW 2008, 996 Tz. 13, 17 – Ehrenschutzklage. 496 Ohly/Sosnitza Rn. 38.

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oder bewusst unwahr oder unhaltbar ist.497 Freilich darf nicht vom qualitativen Unwerturteil auf die Anwendbarkeit des UWG rückgeschlossen werden. Ob eine geschäftliche Handlung vorliegt, ist anhand ihres objektiven Erklärungsgehalts aus der Sicht eines durchschnittlichen Adressaten zu entscheiden. Die offensichtliche Unwahrheit oder Unhaltbarkeit einer wettbewerbsbezogenen Äußerung in einem rechtsförmigen Verfahren stellt lediglich ein Indiz für einen mehr als für die Rechtsverfolgung notwendigen Konnex zum geschäftlichen Verkehr dar. 248 Der Schriftverkehr im Vorfeld eines rechtsförmigen Verfahrens, insbesondere in Gestalt einer Abmahnung wegen eines vermeintlich rechtswidrigen Verhaltens eines Mitbewerbers oder sonstigen Marktteilnehmers, ist dem UWG hingegen grundsätzlich nicht entzogen. Hier kommt es wie bei anderen unternehmensbezogenen Äußerungen maßgeblich auf den Inhalt der Erklärung an.498 Einer bloßen Bitte um Verlängerung einer von den Rechtsanwälten der Gegenseite gesetzten Stellungnahmefrist fehlt der erforderliche Marktbezug.499 Selbiges gilt für wahrheitswidrige Angaben im vorprozessualen Schriftverkehr mit der Gegenseite.500

249 jj) Sportliche Wettbewerbe. Wirtschaftlicher Wettbewerb und seine lauterkeitsrechtliche Regulierung werden seit jeher gern mit Metaphern aus der Welt des Sports erklärt. So wie der gedopte Radfahrer gegen die Regeln der Fairness verstoße, verschaffe sich ein Unternehmer in verbotener Weise Vorteile im wirtschaftlichen Wettbewerb, wenn er Konsumenten täusche oder zum Geschäftsabschluss zwinge.501 250 Unter dem Eindruck der Professionalisierung und Kommerzialisierung des Sports werden diese begrifflichen Parallelen in jüngerer Zeit zum Anlass genommen, Verhaltensweisen im sportlichen Wettkampf wie namentlich das Doping am UWG zu messen.502 Profisportler böten als Unternehmer gegen Entgelt sportliche Leistungen an. Sportlicher Wettkampf müsse wie der Wettbewerb zwischen Konkurrenten auf anderen Märkten fair und regelkonform ablaufen.503 Eine solche Ausdehnung des Lauterkeitsrechts auf den sportlichen Wettbewerb ist 251 abzulehnen. Zunächst vermengen die Vertreter dieser Auffassung den sportlichen Wettkampf als solchen mit der Vermarktung des Sports.504 Profisportler agieren als Unternehmer zweifellos im geschäftlichen Verkehr, wenn sie etwa auf dem Trikot für fremde Unternehmen werben oder ihre eigene Prominenz vermarkten, indem z. B. Produkte mit dem Namen oder dem Bild des Sportlers vertrieben werden.505 Selbiges gilt für Sportverbände, die Sportereignisse vermarkten. Der Wettstreit unter Sportlern als solcher unterliegt indes nicht dem Lauterkeitsrecht, 252 sondern primär den für das jeweilige Spiel geltenden Regeln und Sanktionen.506 Dabei ist zu beachten, dass sich wirtschaftlicher Wettbewerb im Sinne des UWG und sportlicher Wettkampf prinzipiell unterscheiden. Während Ersterer hinsichtlich der Teilnehmerzahl und der wirtschaftlichen Entscheidungen der Marktteilnehmer grundsätzlich freigestellt wird, sind sportliche Betätigungen vollständig durchreglementiert. Dieses autonome Regelwerk muss vom UWG unberührt bleiben, um die Funktionsweise des Sports als eigenständiger gesellschaftlicher Sphäre zu 497 498 499 500 501 502 503

Siehe Ohly/Sosnitza Rn. 38. Allgemein BGH 11. 12. 2007 – VI ZR 14/07 – NJW 2008, 996 Tz. 13, 17 – Ehrenschutzklage. Harte/Henning/Keller Rn. 78. OLG Hamburg 12. 9. 2007 – 5 U 208/06 – OLGR Hamburg 2008, 76, 76 = juris Rn. 25 f. BGH 10. 1. 2013 – I ZR 190/11 – GRUR 2013, 945 Tz. 29 – Standardisierte Mandatsbearbeitung. Nordemann Rn. 3 (Tour de France). U. Fischer EuZW 2002, 297 ff.; Frisinger/Summerer GRUR 2007, 554 ff.; zweifelnd Harte/Henning/Keller Rn. 35. Zur Rechtfertigung von Anti-Doping-Regeln siehe EuGH 18. 7. 2006 – C-519/04 P – EuZW 2006, 593, Tz. 45 („Eine solche Beschränkung ist nämlich mit der Organisation und dem ordnungsgemäßen Ablauf eines sportlichen Wettkampfs untrennbar verbunden und dient gerade dazu, einen fairen Wettstreit zwischen den Sportlern zu gewährleisten“). 504 Beides vermengend Frisinger/Summerer GRUR 2007, 554, 556. 505 Götting/Nordemann Rn. 9. 506 BGH 28. 11. 1969 – I ZR 139/67 – NJW 1970, 378, 380 f. – Sportkommission.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

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gewährleisten.507 Würde etwa ein regelwidrig erzieltes und fehlerhaft gewertetes Tor im Fußball lauterkeitsrechtliche Ansprüche auslösen, wäre ein geordneter Spielbetrieb unmöglich, da das endgültige Ergebnis erst Monate später feststünde. Diese Erwägungen gelten entsprechend für die rechtliche Beurteilung des Dopings. Wel- 253 ches Verhalten unerlaubtes Doping darstellt und wie hiergegen vorgegangen werden kann, ist mit Rücksicht auf die Bedingungen und Funktionsweisen des Sports durch Sportverbandssatzungen und ggf. spezialgesetzlich zu regeln.508 Etwaige Sanktionsdefizite rechtfertigen die Anwendung des UWG wie generell nicht. Sie zu beheben, ist eine politische Entscheidung, zu der der Wettbewerbsrichter nicht berufen ist.

kk) Keine Erweiterung des Anwendungsbereichs des UWG über wettbewerbsrechtli- 254 che Verkehrspflichten. Nach ständiger Rechtsprechung zum UWG 1909 haftete derjenige in entsprechender Anwendung des § 1004 BGB als Störer, der auch ohne Wettbewerbsförderungsabsicht und ohne Verschulden an dem Wettbewerbsverstoß eines Dritten in der Weise beteiligt ist, dass er unter Verletzung zumutbarer Prüfungspflichten in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal an der Herbeiführung der rechtswidrigen Beeinträchtigung mitwirkte.509 Zwar setzte die Störerhaftung voraus, dass ein Dritter einen Wettbewerbsverstoß begangen hatte.510 Das Verhalten des Störers aber wurde auch ohne Wettbewerbsförderungsabsicht dem UWG unterworfen, obwohl dieses Merkmal eigentlich zu den Anwendungsvoraussetzungen des Gesetzes zählte. Diese Rechtsprechung ist seit der Entscheidung „Jugendgefährdende Medien bei eBay“ 255 überholt. Demnach begeht derjenige, der durch sein Handeln im geschäftlichen Verkehr in einer ihm zurechenbaren Weise die Gefahr eröffnet, dass Dritte lauterkeitsrechtlich relevante Interessen von Marktteilnehmern verletzen, selbst eine Zuwiderhandlung gegen das UWG, wenn er diese Gefahr nicht im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren begrenzt. Eine solche täterschaftliche Haftung wegen Verletzung einer lauterkeitsrechtlichen Verkehrspflicht kommt nur in Betracht, wenn das angegriffene Tun oder Unterlassen eine geschäftliche Handlung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 darstellt.511 Rein private, hoheitliche oder sonst außergeschäftliche Handlungen (z. B. redaktionel- 256 le Beiträge) unterfallen hingegen auch dann nicht dem UWG, wenn hierdurch die Gefahr eröffnet wird, dass Dritte im geschäftlichen Verkehr gegen das UWG verstoßen. Allenfalls können derartige Verhaltensweisen eine Erstbegehungsgefahr im Sinne des § 8 Abs. 1 S. 2 auslösen, die dann aber wiederum nur Ansprüche gegen eine erst drohende, unzulässige geschäftliche Handlung nach sich zieht.

8. Verhalten bei einem Geschäftsabschluss, das mit dem Abschluss eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt Die zweite Phase des Marktverhaltens, auf das sich das UWG gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 erstreckt, 257 betrifft jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens

507 Gegen Frisinger/Summerer GRUR 2007, 554, 557. 508 Hieran für die lauterkeitsrechtliche Prüfung anknüpfend Fischer EuZW 2002, 297 ff.; Frisinger/Summerer GRUR 2007, 554 f. 509 BGH 2. 5. 1991 – I ZR 227/89 – GRUR 1991, 769, 770 – Honoraranfrage; BGH 7. 3. 1996 – I ZR 33/94 – GRUR 1996, 798, 799 f. – Lohnentwesungen; BGH 10. 4. 1997 – I ZR 3/95 – GRUR 1997, 909, 911 – Branchenbuch-Nomenklatur. 510 BGH 12. 10. 1989 – I ZR 29/88 – GRUR 1990, 373, 375 – Schönheits-Chirurgie (eigene Wettbewerbsförderungsabsicht des Störers nicht erforderlich); BGH 28. 11. 1996 – I ZR 184/94 – GRUR 1997, 473, 474 – Versierter Ansprechpartner. 511 Zur Pressehaftung für getarnte Werbung BGH 3. 2. 1994 – I ZR 321/91 – GRUR 1994, 441, 442 f. – Kosmetikstudio; BGH 30. 6. 1994 – I ZR 40/92 – GRUR 1994, 841, 842 – Suchwort; BGH 12. 7. 2007 – I ZR 18/04 – GRUR 2007, 890 Tz. 22, 24 – Jugendgefährdende Medien bei eBay.

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bei einem Geschäftsabschluss, das mit dem Abschluss eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt. Das UWG ist also nicht auf absatz- oder bezugsfördernde Maßnahmen vor Aufnahme konkreter Vertragsverhandlungen beschränkt, sondern reicht in zeitlicher Hinsicht weiter.

258 a) Die Rechtslage nach UWG 1909 und UWG 2004. Anders stellte sich die Rechtslage nach früherem Recht dar. Rechtsprechung und herrschende Meinung gingen davon aus, der vom UWG regulierte Wettbewerb finde mit dem erstrebten Geschäftsabschluss sein Ende, und das Rechtsverhältnis zwischen bestimmten Vertragsparteien sei grundsätzlich nur anhand des Vertragsrechts zu beurteilen. 259 Auf vorvertragliches Verhalten wendete die Rechtsprechung nur dann das UWG an, wenn die streitgegenständliche Handlung vom Unternehmer in einer Mehrzahl von Fällen systematisch, planmäßig und gezielt vorgenommen wurde. Mit dieser Maßgabe wurden etwa Vertragsvordrucke untersagt, die den Vorschriften des Abzahlungsgesetzes widersprachen und so den falschen Eindruck erweckten, die getätigten Vertragsabschlüsse unterlägen keinem gesetzlichen Widerrufsrecht.512 Auch Vertragsangebote, die in irreführender Weise wie Rechnungen aufgemacht waren, wurden als unlauter verboten.513 Unter Geltung des UWG 2004 ging die Rechtsprechung bereits dazu über, etwa die Verwendung inhaltlich unzureichender Widerrufsbelehrungen generell und ohne Rücksicht auf ein systematisches Vorgehen als Wettbewerbshandlung einzuordnen. Ein solches Verhalten wirke sich auch im Einzelfall über die zweiseitige Vertragsbeziehung auf den Wettbewerb aus, da der betreffende Verbraucher davon abgehalten werde, sich für gleichartige Konkurrenzangebote zu interessieren.514

260 b) Vorgaben der UGPRL und Umsetzung im UWG. Die UGPRL und in ihrem Gefolge das UWG 2008 basieren auf abweichenden wettbewerbstheoretischen Grundannahmen. Demnach gilt, dass nach einem Geschäftsabschluss vor einem Geschäftsabschluss ist. In der Tat erschöpfen sich geschäftliche Handlungen und hierzu korrespondierende geschäftliche Entscheidungen bei und nach dem Abschluss eines Produktvertrags nicht in der Begründung und Erfüllung zweiseitiger, vertraglicher Pflichten. Vielmehr wirkt sich das Verhalten in dieser Marktphase auf weitere geschäftliche Handlungen der Vertragsparteien im Verhältnis zu Dritten sowie auf andere Marktteilnehmer aus, denen der Erfolg dieses Geschäftsabschlusses und sich ggf. anschließende Handelsgeschäfte sowie hieraus erwachsende, weitere Wettbewerbsvorteile vorenthalten bleiben. Ein Handelsgeschäft bildet somit keine den Wettbewerb vorübergehend beendende Zäsur, sondern lediglich einen Zwischenschritt in einem prinzipiell unabgeschlossenen, vielseitig verflochtenen Wettbewerb. Jener kann nicht nur vor, sondern eben auch bei und nach einem Geschäftsabschluss verfälscht werden, weshalb das UWG auch in diesen Marktphasen anwendbar ist. Damit ist der Grundsatz des früheren Rechts überholt, dass Verhaltensweisen, die im Rahmen eines bestehenden Vertragsverhältnisses bei oder nach Vertragsschluss erfolgen, nur ausnahmsweise dem UWG unterliegen.515 Erwägungsgrund 13 der UGPRL erläutert die Anwendbarkeit der Richtlinie auf das Verhal261 ten eines Gewerbetreibenden, das „unmittelbar mit … dem Verkauf … eines Produkts an Verbraucher zusammenhängt“ (Art. 2 lit. d UGPRL) bzw. auf „unlautere Geschäftspraktiken zwischen Unternehmen und Verbrauchern … während … [des] Abschluss[es] eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts“ (Art. 3 Abs. 1 UGPRL) nicht im vorstehend erläuterten, wettbe512 513 514 515

BGH 7. 5. 1986 – I ZR 95/84 – GRUR 1986, 816, 818 f. m. w. N. – Widerrufsbelehrung bei Teilzahlungskauf. BGH 26. 11. 1997 – I ZR 109/95 – GRUR 1998, 415, 416 –Wirtschaftsregister. OLG Frankfurt a. M. 14. 12. 2006 – 6 U 129/06 – GRUR-RR 2007, 56, 57 f. – sprechender Link. BGH 5. 2. 2009 – I ZR 119/06 – GRUR 2009, 876 Tz. 25 – Änderung der Voreinstellung II (Begr. d. RegE zu § 2 Nr. 2, BTDrucks. 16/10145, S. 40; vgl. auch Sosnitza WRP 2008, 1014, 1017).

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werbsfunktionalen Sinne, sondern entsprechend der verbraucherschützenden Perspektive und Teleologie der Richtlinie. Demnach hat die Geltung des Verbots unlauterer Geschäftspraktiken „sowohl außerhalb einer vertraglichen Beziehung zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern als auch nach Abschluss eines Vertrags und während dessen Ausführung“ den Zweck, das Verbrauchervertrauen im Binnenmarkt zu fördern.516 Das UWG erfasst hingegen nicht nur den Geschäftsverkehr zwischen Unternehmern und 262 Verbrauchern, sondern das gesamte Marktverhalten. Da dieses Marktverhalten grundsätzlich einheitlichen Maßstäben unterliegen soll, kam der deutsche Gesetzgeber nicht umhin, die Grundstrukturen der vollharmonisierenden UGPRL auf sämtliche geschäftlichen Handlungen auszudehnen. Dies betrifft auch die Erweiterung des Anwendungsbereichs des UWG auf geschäftliche Handlungen „während“ (so Art. 2 lit. d UGPRL) bzw. „bei“ (so § 2 Abs. 1 Nr. 1) einem Geschäftsabschluss.517 Hiermit sind nicht nur Produktverkäufe an Verbraucher gemeint, sondern sämtliche Verträge über Waren oder Dienstleistungen, an denen zumindest ein Unternehmer beteiligt ist. Eine lauterkeitsrechtliche Regulierung vertragsbezogenen Verhaltens schützt nicht nur Verbraucher, sondern gem. § 1 alle Marktteilnehmer im Allgemeininteresse am unverfälschten Wettbewerb.

c) Bei einem Geschäftsabschluss. Das UWG reguliert nicht jedes Verhalten, sondern nur das 263 Marktverhalten im geschäftlichen Verkehr. Dementsprechend bezieht sich der Wortlaut von § 2 Abs. 1 Nr. 1 nicht auf jeden beliebigen Vertrag, sondern nur auf den Abschluss eines „Geschäfts“ bzw. auf Verträge „über Waren oder Dienstleistungen“. Art. 3 Abs. 1 UGRL spricht von einem „auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäft“.

aa) Vertragstypen. Der Begriff des „Geschäfts“ signalisiert, dass hiermit nicht nur der „Verkauf“ von Waren oder Dienstleistungen im Sinne der §§ 433, 453 BGB gemeint ist.518 Vielmehr sind zunächst alle entgeltlichen Verträge über den Absatz oder Bezug von Waren oder Dienstleistungen unabhängig von ihrer vertragstypologischen Einordnung erfasst. Auch unentgeltliche Verträge wie Aufträge, Auslobungen, (gemischte) Schenkungen (z. B. Werbegeschenke, Zugaben), Leih- und Garantieverträge werden von oder zugunsten von Unternehmen im geschäftlichen Verkehr abgeschlossen und stellen dann „Geschäfte“ i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 dar.519 Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen betreffen den Absatz oder Bezug von Produkten im geschäftlichen Verkehr und werden zugunsten der beteiligten Unternehmen abgeschlossen. Sie können also durchaus zu den Geschäftsabschlüssen gezählt werden, bezüglich derer das UWG unlautere Verhaltensweisen untersagt. Das gilt jedoch im Interesse der Einheit des Wirtschaftsrechts nur, wenn eine solche Vereinbarung kartellrechtlich unbedenklich, also namentlich gem. Art. 101 Abs. 3 AEUV, § 2 GWB freigestellt ist. Kartellrechtswidrige und damit nichtige Vereinbarungen sind keine lauterkeitsrechtlich schutzwürdigen Geschäfte i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 1.520 Erb- und familienrechtliche Verträge betreffen hingegen nicht den Absatz oder Bezug von Waren oder Dienstleistungen, sofern sie nur die Vermögensnachfolge von Todes wegen

516 Siehe EG 13 S. 3 UGPRL. 517 Siehe RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 12, 20 f. Zur Wortwahl „bei“ einem Geschäftsabschluss siehe Rechtsausschuss UWG 2008, BTDrucks. 16/11070, S. 5 (Abweichung vom Richtlinienwortlaut aus grammatikalischen, nicht inhaltlichen Gründen). 518 Rechtsausschuss UWG 2015, BTDrucks. 18/6571, S. 13. Siehe hingegen Art. 2 lit. d UGPRL. 519 Köhler WRP 2009, 898, 900. 520 Die Anwendbarkeit des UWG generell verneinend Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 33.

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oder familiäre Rechtsbeziehungen regeln.521 Gesellschaftsverträge unterliegen typischerweise ebenfalls nicht dem UWG, da sie nur die rechtliche Binnenstruktur eines Unternehmens festlegen, ohne nach außen auf das Marktverhalten einzuwirken.522 Anders kann sich die Sachlage im Einzelfall darstellen, wenn ein Erb-, Ehe- oder Gesellschaftsvertrag Pflichten zur marktmäßigen Lieferung von Produkten durch ein Unternehmen umfasst. Zumindest insoweit kann ein Geschäftsabschluss i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 vorliegen. 268 Grundsätzlich unerheblich ist, ob der Vertrag wirksam zustande kommt.523 Gerade ein Verhalten, das den falschen Eindruck erweckt, es bestehe eine durchsetzbare vertragliche Verpflichtung zum Absatz oder Bezug von Produkten, kann wettbewerbsverfälschende Wirkungen aufweisen. Anders verhält es sich nur bei kartellrechtswidrigen Vereinbarungen und nicht handel269 baren Gütern, bezüglich derer jedes Verpflichtungsgeschäft gem. §§ 134, 138 Abs. 1 BGB nichtig ist. In einer solchen Konstellation liegt kein Vertrag über eine „Ware oder Dienstleistung“ vor, sondern eine von der Rechtsordnung per se missbilligte Abrede, die unter keinen Umständen das Siegel der Lauterkeit erhalten kann und deshalb auch nicht lauterkeitsrechtlich relevant ist.524

270 bb) Geschäft zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens. Das Geschäft muss sich zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens auswirken können. Dies ist typischerweise der Fall, wenn am Vertrag zumindest ein Unternehmer beteiligt ist, der eigene Waren oder Dienstleistungen absetzt oder im eigenen unternehmerischen Interesse Produkte nachfragt. Anders als die UGPRL erfasst das UWG insoweit nicht nur Produktabsatzverträge zwischen Unternehmen und Verbrauchern (B2C), sondern ferner Verträge, mit denen Unternehmer Produkte von Verbrauchern nachfragen (C2B), Geschäfte zwischen Unternehmern (B2B)525 sowie Geschäfte zwischen Unternehmern und nicht unternehmerisch tätigen, sonstigen Marktteilnehmern wie etwa dem Staat oder Idealvereinen. Ist an einem Vertrag über Waren oder Dienstleistungen nur ein Unternehmer beteiligt und 271 agiert dieser ausschließlich zu außergeschäftlichen Zwecken, liegt kein „Geschäft“ i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 vor, da kein Unternehmen im Wettbewerb gefördert wird.526 Sind an einem Vertrag hingegen nur Verbraucher oder nicht unternehmerisch agieren272 de sonstige Marktteilnehmer (z. B. Idealvereine) beteiligt, fehlt es grundsätzlich bereits an einem gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 erforderlichen Unternehmensbezug. Solch gelegentliche, nicht planmäßige Vertragsbeziehungen zählen ebenso wenig zum geschäftlichen Verkehr wie die Werbung eines privaten Anbieters von Waren oder Dienstleistungen.527 Ein von einem Nicht-Unternehmer abgeschlossener Produktvertrag kann aber nach Maßga273 be der Umstände des Einzelfalls ausnahmsweise dem UWG unterfallen, wenn hiermit zugleich der Wettbewerb eines fremden, am Vertrag nicht beteiligten Unternehmens gefördert werden soll. Indem dieser Bezug hergestellt wird, wird aus dem rein privaten Vertrag ein „Geschäft“ im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1. 521 522 523 524 525

Köhler WRP 2009, 898, 900. Köhler WRP 2009, 898, 900. Köhler WRP 2009, 898, 900. § 2 Rn. 116 ff. Ein Geschäft ist auch gegeben, wenn eine Vertragspartei zu außergeschäftlichen Zwecken handelt, z. B., wenn ein Unternehmer eine nicht als Werbung getarnte politische Anzeige bei einem Presseunternehmen schaltet. Die politische Meinungsäußerung stellt als solche keine geschäftliche Handlung dar, wohl aber die hierfür erforderlichen Geschäftsabschlüsse. 526 Z. B., wenn ein Unternehmer von einer Kirchengemeinde Einrichtungsgegenstände zu einem Preis über dem Marktpreis erwirbt und diese Gegenstände zu karitativen Zwecken spendet. 527 Z. B. Privatverkäufe auf Flohmärkten oder im Internet oder der Verkauf einer Schankraumausstattung durch einen Fußballverein an den anderen.

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cc) Zeitliche Dimension: Bei einem Geschäftsabschluss. § 2 Abs. 1 Nr. 1 unterscheidet drei 274 Phasen des Marktverhaltens, nämlich das Verhalten vor, bei und nach einem Geschäftsabschluss. Der mittlere dieser drei Abschnitte erstreckt sich von der Aufnahme von Vertragsverhandlungen528 bis zum Beginn von Erfüllungshandlungen („Durchführung“).529 Während eine invitatio ad offerendum noch der Absatz- oder Bezugsförderung vor einem 275 Geschäftsabschluss angehört,530 fallen in diese zweite Phase Verhaltensweisen im Hinblick auf den Abschluss des Vertrages wie ggf. durch Vertreter oder Boten erklärte bzw. übermittelte Angebote und Annahmen gem. §§ 145 ff. BGB, Widerrufe von noch nicht zugegangenen Willenserklärungen gem. § 130 Abs. 1 S. 2 BGB, kaufmännische Bestätigungsschreiben sowie Maßnahmen zur Vereitelung der Abgabe oder des Zugangs von Erklärungen.531 Noch den Geschäftsabschluss und nicht die sich anschließende „Durchführung“ des Vertra- 276 ges betreffen die Zurückweisung einer wirksamen Annahmeerklärung als verspätet und das Angebot zur Änderung, Auflösung oder Rückgängigmachung eines Vertrags.532 Auch derartige Verhaltensweisen ereignen sich lauterkeitsrechtlich noch „bei“ einem Vertragsabschluss. Erst mit Erfüllungshandlungen treten die Parteien in die dritte und letzte Phase des Marktverhaltens „nach“ einem Geschäftsabschluss ein.

d) Objektiver Zusammenhang. Nicht jedes irgendwie mit einem Geschäftsabschluss in 277 Verbindung stehende Verhalten unterliegt dem UWG, sondern nur ein solches, das mit diesem Aspekt des Marktverhaltens objektiv zusammenhängt. Die Bedeutung dieses Kriteriums ist umstritten.

aa) Vertragsbezogenes Verhalten von besonderem Gewicht. Nach einer Auffassung weist 278 ein Verhalten bei einem Geschäftsabschluss nur dann einen objektiven Zusammenhang zum Marktverhalten auf, wenn hiermit über das einzelne Vertragsverhältnis hinausgehende Effekte auf den Wettbewerb ausgelöst werden.533 Dem vertragsbezogenen Verhalten müsse nach Ausmaß und Umfang ein besonderes Gewicht zukommen,534 zum Beispiel dadurch, dass eine Vielzahl von Kunden betroffen ist bzw. eine ganze Geschäftsstrategie in Streit steht.535 Versehentliche, objektiv geringfügige Vertragsverletzungen, die sich nur auf das zweiseitige Verhältnis auswirken, sollen hingegen nicht dem UWG unterliegen.536 Dem ist nicht zu folgen. Die vorgenannten Kriterien entsprechen den Voraussetzungen, unter 279 denen die Rechtsprechung zum UWG 1909 und UWG 2004 ausnahmsweise vertragsbezogene Verhaltensweisen am UWG gemessen hat. Diese Rechtspraxis aber ist nach erklärter Absicht des Gesetzgebers überholt.537 In Umsetzung der abweichenden Konzeption der UGPRL unterliegt nunmehr nicht nur Verhalten vor, sondern auch bei und nach Vertragsabschluss dem UWG, ohne dass § 2 Abs. 1 Nr. 1 insoweit unterschiedliche Tatbestandsvoraussetzungen formuliert. Folglich ist das Kriterium des objektiven Zusammenhangs in allen drei Phasen des 280 Marktverhaltens einheitlich auszulegen. Eine Auswirkung auf das gesamte Wettbewerbsge-

528 529 530 531 532 533 534 535 536 537

Vgl. § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Eingehend Schmidtke S. 99 ff. Köhler WRP 2009, 898, 901. Köhler WRP 2007, 1393, 1396; Köhler WRP 2009, 898, 901. Köhler WRP 2009, 898, 901. Glöckner WRP 2009, 1175, 1181 f. Harte/Henning/Keller Rn. 101. Harte/Henning/Keller Rn. 95; Beater Rn. 907. Harte/Henning/Keller Rn. 101. Begr. d. RegE zu § 2 Nr. 2, BTDrucks. 16/10145, S. 40; BGH 5. 2. 2009 – I ZR 119/06 – GRUR 2009, 876 Tz. 25 – Änderung der Voreinstellung II.

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Definitionen

schehen ist weder für vorgeschäftliche noch für vertragsbezogene Verhaltensweisen erforderlich. Dies ergibt sich auch aus dem Erfordernis der Spürbarkeit (vgl. § 3a). Dieses quantitative Relevanzkriterium wäre überflüssig, wenn das UWG schon nur auf Handlungen mit besonderem Gewicht für das allgemeine Marktverhalten anwendbar wäre.

281 bb) Jede Pflichtverletzung/Leistungsstörung. Nach entgegengesetzter Auffassung erfasst das UWG jedes Verhalten bei und nach Geschäftsabschluss, insbesondere auch vertragliche Pflichtverletzungen in Gestalt nicht oder nicht wie geschuldet erbrachter Leistungen.538 Hierfür wird vorgebracht, jede Pflichtverletzung wirke sich zumindest auf die Entscheidung des Vertragspartners aus, ob die Ware behalten oder die Dienstleistung weiter in Anspruch genommen werde. Folglich tangiere jede Pflichtverletzung das Marktverhalten. Auf eine gar wesentliche Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens von Marktteilnehmern und ihrer geschäftlichen Entscheidungen komme es nicht an, da diese Gesichtspunkte erst im Rahmen der Unlauterkeit zu prüfen seien, während der Begriff der geschäftlichen Handlung die Vorfrage nach dem Anwendungsbereich des Lauterkeitsrechts betreffe.539 282 Diese Meinung ist als zu weitgehend abzulehnen.540 Das UWG erfasst nicht jedes Verhalten bei und nach einem Geschäftsabschluss, sondern nur ein solches, das einen „objektiven Zusammenhang“ zu diesen Vorgängen aufweist. Dieses Tatbestandsmerkmal verliert nach vorgenannter Lesart jede erkennbare Relevanz, was im Zweifel nicht der gesetzgeberischen Regelungsabsicht entspricht. 283 Zudem wird der spezifische lauterkeitsrechtliche Zweck der Anwendung des UWG auf Verhalten bei und nach einem Geschäftsabschluss verkannt. Grundgedanke hierfür ist, dass sich das Marktverhalten und der Wettbewerb in einer prinzipiell unabgeschlossenen Kette von Verhaltensweisen vor, bei und nach einem Geschäft vollzieht, an das weitere geschäftliche Handlungen vor, bei und nach einem Geschäft usw. anschließen. Keine dieser Phasen darf isoliert von diesen wettbewerblichen Zusammenhängen betrachtet werden. Hierfür spricht auch der Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 1, wonach sich die Voraussetzungen der Förderung des eigenen oder eines fremden Unternehmens und des objektiven Zusammenhangs jeweils einheitlich auf die drei Marktphasen beziehen. 284 Dieser übergreifende Ansatz zur Regulierung des Marktverhaltens unterscheidet sich grundlegend vom Vertragsrecht, das vor allem die Rechte und Pflichten der Parteien eines bestimmten Schuldverhältnisses betrifft und hierauf auch grundsätzlich beschränkt ist. Damit mangelt es dem Vertragsrecht an einer über den einzelnen Vertrag hinausweisenden, wirtschaftlichen Perspektive auf den unverfälschten Wettbewerb. Diese teleologischen Unterschiede verbieten es, jeden Verstoß gegen zwingende vertragsrechtliche Vorschriften, jede Verletzung vertraglicher Pflichten per se für lauterkeitsrechtlich relevant zu erklären.541 Weder die UGPRL noch im Anschluss hieran das UWG haben den Zweck, vertragsrechtliche Regelungen flächendeckend mit lauterkeitsrechtlichen Sanktionen zu verstärken.542 Wäre dem so, hätte die UGPRL praktisch zu einer vollständigen Rechtsangleichung auch des Verbrauchervertragsrechts geführt. Das ist aber ausweislich von Art. 3 Abs. 2 UGPRL, wonach die Richtlinie das Vertragsrecht unberührt lässt, nicht der Fall.543 Gefragt ist also ein genuin lauterkeitsrechtlicher Maßstab dafür, welches vertragsbezogene Verhalten dem UWG unterliegt. 538 MünchKommUWG/Bähr Rn. 156; Matutis Rn. 4; Ohly/Sosnitza Rn. 23; Kulka DB 2008, 1548 ff., 1551; Leistner, S. 597 f. 539 Sosnitza WRP 2008, 1014, 1017; Ohly/ders. Rn. 23. Siehe Art. 2 lit. e, lit. k, Art. 5 Abs. 2 lit. b UGPRL, § 3 Abs. 1 und 2 einerseits und Art. 2 lit. d UGPRL, § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG andererseits. 540 Ebenso zur Rechtslage in Italien De Franceschi, euvr 2012, 41, 43. 541 Köhler WRP 2009, 898, 912. 542 Vgl. Armgardt WRP 2009, 122, 126. 543 Scherer WRP 2009, 761, 762.

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cc) Eignung zur Beeinträchtigung weiterer geschäftlicher Entscheidungen des Ver- 285 tragspartners. Abzustellen ist wie in der vorangehenden Phase der Absatz- oder Bezugsförderung darauf, ob ein Verhalten bei einem Geschäftsabschluss einen objektiven Zusammenhang zu den lauterkeitsrechtlich geschützten, geschäftlichen Entscheidungen anderer Marktteilnehmer aufweist. Die Handlung muss mit anderen Worten objektiv geeignet sein, geschäftliche Entscheidungen und hierauf bezogene wirtschaftliche Interessen beeinflussen zu können. An dieser Beeinflussung muss der Handelnde wiederum ein wirtschaftliches Interesse haben. Mit diesem Kriterium werden die wettbewerblichen Zusammenhänge adressiert, die den Gegenstand des UWG bilden. Der Begriff der geschäftlichen Entscheidung ist in § 2 Abs. 1 Nr. 9 in Umsetzung von Art. 2 lit. k UGPRL legaldefiniert und im Interesse eines einheitlichen Lauterkeitsmaßstabs auf sämtliche dem UWG unterfallende Marktbeziehungen zu erstrecken.544 In der Phase „bei“ einem Geschäftsabschluss ist allerdings nicht mehr auf unbestimmte Marktteilnehmer, sondern auf den Empfänger von Angebots- oder Annahmeerklärungen, also den avisierten Vertragspartner abzustellen. Dieser hat bei einem Geschäftsabschluss vor allem noch zu entscheiden, wie und unter welchen Bedingungen er einen Vertrag über Waren oder Dienstleistungen abschließen will (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 9).545 Ist das streitgegenständliche Verhalten objektiv geeignet,546 diese geschäftlichen Entscheidungen zu beeinflussen, stellt es eine geschäftliche Handlung gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 dar. Dabei kommt es entsprechend § 2 Abs. 1 Nr. 9 nicht darauf an, ob der Mitbewerber, Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer beschließt, tätig zu werden oder ein Tätigwerden zu unterlassen.547 Auf die Entscheidung eines anderen Marktteilnehmers über den Inhalt eines Geschäfts kann in vielerlei Weise Einfluss genommen werden. Zuvorderst geschieht dies durch Zahlungs-, Liefer- und Leistungsbedingungen, Garantieversprechen548 sowie Vereinbarungen zu einem Rücktritt oder Widerruf, häufig in Gestalt allgemeiner Geschäftsbedingungen.549 Damit unterfällt der gesamte Inhalt geschäftlicher Angebots- und Annahmeerklärungen dem UWG.550 Denn gerade hiermit soll eine korrespondierende Entscheidung der Gegenseite herbeigeführt werden. Ob die betreffende Vertragsbedingung für den anderen Marktteilnehmer günstig oder ungünstig ist, spielt keine Rolle. Nicht nur positive (ggf. irreführende) Versprechungen beeinflussen die Entscheidung des angesprochenen Käufers, sondern auch Einschränkungen seiner vertraglichen Rechte, insbesondere durch einen Gewährleistungsausschluss. Auch auf die rechtliche Wirksamkeit einer Klausel oder einer sonstigen Erklärung kommt es nicht an, da das UWG tatsächliche Verhaltenseffekte im geschäftlichen Verkehr regelt. Beispielsweise ist ein nicht durchsetzbarer, weil gegen AGB-Recht verstoßender Gewährleistungsausschluss faktisch geeignet, dem Unternehmer Kosten zu ersparen, da der Vertragspartner davon abgehalten werden kann, seine bestehenden Ansprüche geltend zu machen. Hierdurch wird der künftige Produktabsatz des Klauselverwenders gefördert, so dass eine geschäftliche Handlung vorliegt.551 Die Entscheidung des Vertragspartners über einen Geschäftsabschluss kann schließlich durch weitere Verhaltensweisen herbeigeführt oder aber verhindert werden. Zu denken ist etwa

544 545 546 547 548

Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 48. Schmidtke S. 228 (Bestand des Vertrags). A.A. Schmidtke S. 226 f. (es komme auf die subjektive Zielsetzung des Handelnden an). Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 75. So bereits zum UWG 1909 BGH 20. 2. 1986 – I ZR 149/83 – GRUR 1986, 615, 618 – Reimportierte Kraftfahrzeuge (aber keine relevante Irreführung gem. § 3 UWG a. F.). 549 Vgl. §§ 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 7, 5a Abs. 3 Nr. 4 und 5 sowie Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 78. 550 Gegen z. B. im Internet veröffentliche AGB kann aufgrund einer Erstbegehungsgefahr für ihren Einsatz bei einem Geschäftsabschluss vorgegangen werden; BGH 19. 5. 2010 – I ZR 140/08 – GRUR 2010, 1120 Tz. 25 – Vollmachtsnachweis; Köhler GRUR 2010, 1047, 1049; Hennigs S. 125 ff. 551 BGH 31. 3. 2010 – I ZR 34/08 – GRUR 2010, 1117 Tz. 18 – Gewährleistungsausschluss im Internet; Hennigs S. 133.

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an die Aussage, ein eigentlich wirksamer Widerruf sei unbeachtlich552 bzw. an einen unberechtigten Widerruf oder eine unberechtigte Anfechtung der eigenen Vertragserklärung.553

9. Verhalten nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt 292 Die dritte und letzte Phase des Marktverhaltens, auf das sich das UWG gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 erstreckt, betrifft jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt.

293 a) UWG 1909 und UWG 2004. Wie die vorangehende Phase „bei“ einem Vertragsabschluss wurde auch die Durchführung von Verträgen grundsätzlich nicht unter das UWG 1909 und das UWG 2004 subsumiert. Die Förderung des eigenen Wettbewerbs zu Lasten von Mitbewerbern wurde mit einem Geschäftsabschluss als verwirklicht und abgeschlossen betrachtet. Mit der Erfüllung und Durchsetzung individueller vertraglicher Pflichten oder der Abwehr von Gewährleistungsansprüchen oder Reklamationen würden lediglich bereits erlangte Rechtspositionen wahrgenommen, nicht aber eigener oder fremder Wettbewerb zum Nachteil eines Mitbewerbers gefördert. Das UWG wurde nur auf solche vertraglichen Pflichtverletzungen angewendet, die in 294 Umfang und Ausmaß von besonderem Gewicht waren, so dass sie sich über den einzelnen Vertrag hinaus auf den Wettbewerb insgesamt auswirkten. Hiervon ging die Rechtsprechung zum Beispiel aus, wenn gezielte und planmäßig wiederholte Kundentäuschungen zum Mittel des Wettbewerbs gemacht wurden; versehentliche oder nur vereinzelte, bewusste Vertragsverletzungen wurden hingegen nicht am UWG gemessen.554

295 b) Vorgaben der UGPRL und Umsetzung im UWG. Auch diese grundsätzliche Ausgrenzung nachvertraglichen Verhaltens aus dem UWG ist überholt.555 Die UGPRL erfasst Verhaltensweisen von Gewerbetreibenden gegenüber Verbrauchern 296 „nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts“ (Art. 3 Abs. 1 UGPRL), die „unmittelbar mit der … Lieferung eines Produkts an Verbraucher zusammenhängen“ (Art. 2 lit. d UGPRL). Das Verbot unlauterer Geschäftspraktiken soll „auch nach Abschluss eines Vertrags“ gelten, um das Verbrauchervertrauen zu fördern.556 Ein Beispiel für die Erfassung nachvertraglichen Verhaltens findet sich in Anhang I Nr. 27 UGPRL. Demnach ist es stets unzulässig, einen Verbraucher, der eine Versicherungspolice in Anspruch nehmen möchte, aufzufordern, überflüssige Dokumente vorzulegen oder einschlägige Schreiben systematisch nicht zu beantworten, um den Konsumenten auf diesen Wegen von der Ausübung seiner vertraglichen Rechte abzuhalten.557 Nach Auffassung des EuGH umfasst der Ausdruck „unmittelbar mit … dem Verkauf …

552 Bereits zum UWG 1909 bejahend OLG Frankfurt a. M. 21. 3. 2002 – 6 U 50/01 – GRUR 2002, 727, 728 – Kerosinzuschlag. 553 Schmidtke S. 228. 554 BGH 10. 12. 1986 – I ZR 136/84 – GRUR 1987, 180, 181 m. w. N. – Ausschank unter Eichstrich II; BGH 26. 4. 2001 – I ZR 314/98 – GRUR 2001, 1178, 1180 – Gewinn-Zertifikat; BGH 27. 6. 2002 – I ZR 86/00 – GRUR 2002, 1093, 1094 m. w. N. – Kontostandsauskunft; BGH 16. 10. 2002 – IV ZR 307/01 – NJW-RR 2003, 103 f. – Rundschreiben mit geänderten Versicherungsbedingungen. 555 RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 20 f., 40; BGH 5. 2. 2009 – I ZR 119/06 – GRUR 2009, 876 Tz. 25 – Änderung der Voreinstellung II. 556 Vgl. EG 13 S. 3 UGPRL. 557 Vgl. RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 34.

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eines Produkts … zusammenhängt“ jede Maßnahme, die nicht nur in Bezug auf den Abschluss, sondern auch in Bezug auf die Durchführung eines Vertrags ergriffen wird, insbesondere um die Bezahlung des Produkts zu erreichen.558 Die Einbeziehung nachvertraglichen Verhaltens in den Anwendungsbereich des Lauter- 297 keitsrechts wurde bei der Umsetzung der UGPRL im Interesse eines einheitlichen Lauterkeitsmaßstabs verallgemeinert. Demnach stellt jedes unternehmensbezogene Verhalten, das „nach einem Geschäftsabschluss, … mit … der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt“, eine geschäftliche Handlung dar.

c) Nach einem Geschäftsabschluss. Erforderlich ist zunächst ein „Geschäftsabschluss“, 298 also ein Vertrag über Waren oder Dienstleistungen, der sich zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens auswirken kann. Insoweit gelten dieselben Maßstäbe wie für die vorangehende Phase „bei“ einem Geschäftsabschluss.559 Da das Lauterkeitsrecht als Sonderdeliktsrecht die tatsächliche Funktionsweise des Wettbe- 299 werbs gewährleisten soll, ist die Wirksamkeit eines Geschäfts grundsätzlich ohne Belang. Auch und gerade die Durchführung eines objektiv unwirksamen Vertrages kann den Wettbewerb verfälschen, da Verbraucher und andere Marktteilnehmer davon abgehalten werden, mit anderen Unternehmern zu kontrahieren.560 Anders ist es nur, wenn der Vertrag kartellrechtswidrig ist oder ein per se nicht handelbares Gut (wie etwa menschliche Organe) betrifft; es fehlt dann schon an einer Ware oder Dienstleistung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1.561 Die zeitliche Phase der „Durchführung“ eines Produktvertrags erstreckt sich vom Ver- 300 tragsabschluss und der Aufnahme von Erfüllungshandlungen bis zur Beendigung aller Leistungs- und Schutzpflichten gem. § 241 BGB. Erfasst sind damit insbesondere alle Erfüllungshandlungen wie etwa die vereinbarte Durchführung eines Krankentransports.562 Aber auch Verhaltensweisen im Zuge eines Streits um die Rückabwicklung eines Vertrags betreffen noch die Durchführung eines faktische Wirkungen zeitigenden Vertrags.563

d) Objektiver Zusammenhang. Nicht jedes irgendwie mit der Durchführung eines Ge- 301 schäfts in Verbindung stehende Verhalten unterliegt dem UWG, sondern nur ein solches, das mit diesem Aspekt des Marktverhaltens „objektiv zusammenhängt“.

aa) Grundsatz: Eignung zur Beeinflussung geschäftlicher Entscheidungen. Einerseits 302 besteht ein objektiver Zusammenhang in diesem Sinne nicht erst unter den Voraussetzungen, die die frühere Rechtspraxis aufgestellt hatte; eine Breitenwirkung auf den Wettbewerb muss also nicht dargetan werden.564 Andererseits ist nicht jedes vertragswidrige Verhalten per se lauterkeitsrechtlich rele- 303 vant, da zwischen Vertrags- und Lauterkeitsrecht zu unterscheiden ist und allein die Kausalität zwischen unternehmensbezogenem Verhalten und Auswirkungen auf das Marktverhalten nicht genügt.565 558 559 560 561 562 563

EuGH 20. 7. 2017 – C-357/16 – NJW 2017, 2980 Tz. 21 – Gelvora. Dazu oben § 2 Rn. 264 ff. Schmidtke S. 227 f. Siehe oben § 2 Rn. 116 ff. BGH 15. 1. 2009 – I ZR 141/06 – GRUR 2009, 881 Tz. 11 – Überregionaler Krankentransport. Im Ergebnis auch Köhler WRP 2009, 898, 901; ebenso zur Rechtslage in Italien De Franceschi, euvr 2012, 41,

43.

564 Köhler WRP 2009, 898, 902; ebenso zur Rechtslage in Italien De Franceschi, euvr 2012, 41, 42. 565 Oben § 2 Rn. 141 ff.

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Vielmehr ist wie generell zur Auslegung des Kriteriums des „objektiven Zusammenhangs“ darauf abzustellen, ob das streitgegenständliche, den Wettbewerb eines Unternehmens fördernde Verhalten objektiv geeignet ist, geschäftliche Entscheidungen des Vertragspartners in Bezug auf die Durchführung des Produktvertrags zu beeinflussen.566 Der Begriff der geschäftlichen Entscheidung ist in § 2 Abs. 1 Nr. 9 legaldefiniert. Da § 2 Abs. 1 Nr. 1 jedoch nicht nur den B2C-Geschäftsverkehr erfasst, sondern sich auf alle Verträge über Waren oder Dienstleistungen im geschäftlichen Verkehr erstreckt, sind nicht nur geschäftliche Entscheidungen von Verbrauchern, sondern auch solche von Mitbewerbern und sonstigen Marktteilnehmern relevant. Ferner ist der auf Absatzgeschäfte zugeschnittene Begriff der geschäftlichen Entscheidung gem. Art. 2 lit. k UGPRL auf die Nachfrage von Produkten zu erweitern. Demnach muss das streitgegenständliche Verhalten nach einem Geschäftsabschluss einen objektiven Zusammenhang aufweisen zu einer Entscheidung des Vertragspartners darüber, ob, wie und unter welchen Bedingungen dieser eine Zahlung insgesamt oder teilweise leisten,567 ein Produkt behalten oder abgeben568 oder ein vertragliches Recht im Zusammenhang mit dem Produkt ausüben will. Dabei kommt es entsprechend § 2 Abs. 1 Nr. 9 jeweils nicht darauf an, ob der Marktteilnehmer beschließt, tätig zu werden oder ein Tätigwerden zu unterlassen. Demnach muss das Verhalten nach einem Geschäftsabschluss geeignet sein, Entscheidungen der anderen Vertragspartei im Hinblick auf die weitere Durchführung des Vertrags zu beeinflussen. Dieser Einfluss kann sich entweder auf die Erfüllung der Leistungspflichten oder die Geltendmachung vertraglicher Rechtsbehelfe erstrecken. Diesbezügliche geschäftliche Entscheidungen müssen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit tangiert sein; ein bloß theoretischer, weit hergeholter Zusammenhang zum Marktverhalten des Vertragspartners genügt nicht.569 Soll bereits wieder der künftige Absatz oder die künftige Nachfrage eines Unternehmens gefördert werden, handelt es sich um eine wettbewerbsfördernde Maßnahme vor einem Geschäftsabschluss (1. Phase), die im Zuge der Durchführung eines früheren Produktvertrags (3. Phase) vorgenommen wird.

310 bb) Erfüllungshandlungen und Pflichtverletzungen. Erfüllungshandlungen stellen grundsätzlich keine geschäftlichen Handlungen dar.570 Mit Erfüllungshandlungen werden eigene Leistungspflichten des Akteurs und im Ergebnis das gesamte Schuldverhältnis zum Erlöschen gebracht; geschäftliche Entscheidungen des anderen Vertragspartners sind hiermit nicht verbunden. Auch Verletzungen vertraglicher Leistungs- oder Schutzpflichten fehlt ein objektiver 311 Zusammenhang zu weiteren geschäftlichen Entscheidungen der Gegenseite.571 Sie lösen ggf. Ansprüche und das Bedürfnis aus, über die Geltendmachung von Rechtsbehelfen zu entschei566 Köhler WRP 2007, 1393, 1397; Kohte VuR 2017, 403; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/ Pommerening § 31 Rn. 84. 567 Bzw. in Nachfragekonstellationen eine Ware oder Dienstleistung liefern will. 568 Bzw. in Nachfragekonstellationen eine Zahlung behalten will. 569 Vgl. OLG Brandenburg 25. 1. 2005 – 6 W 8/05 – GRUR-RR 2005, 322; OLG Karlsruhe 9. 7. 2009 – 4 U 188/07 – GRUR-RR 2010, 47 f. 570 Schmidtke S. 229. 571 BGH 10. 1. 2013 – I ZR 190/11 – GRUR 2013, 945 Tz. 26 – Standardisierte Mandatsbearbeitung; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 81; Köhler WRP 2007, 1393, 1397; Schmidtke, S. 106 ff., 229 f.; Koch WRP 2019, 1259; im Ergebnis wohl auch Keßler/Micklitz VuR 2009, 88, 91 (Vertragsverletzungen könnten „im Einzelfall“ eine unlautere geschäftliche Handlung darstellen); für die Verletzung von Nebenpflichten a. A. Schmidtke, S. 230 (der Verbraucher könne die Verletzung von Nebenpflichten häufig nicht erkennen); für alle Arten von Pflichtverletzungen Pommerening S. 119 ff.

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den, aber sie beeinflussen als solche noch keine Entscheidungen.572 Vor einer Pflichtverletzung ist noch keine Entscheidungssituation gegeben. Selbstverständlich wirken sich Pflichtverletzungen wie ggf. auch pflichtgemäße Leistungen auf das weitere Verhalten des Vertragspartners aus. Diese bloße Kausalität genügt aber nicht. Ob eine unproblematische Erfüllung oder eine allenfalls lauterkeitsrechtlich relevante Pflichtverletzung vorliegt, ist anhand des Vertragsinhalts zu beurteilen. Jener wurde von den Parteien im Zuge des Geschäftsabschlusses fixiert. Die Erfüllung des Pflichtenprogramms oder aber die Nicht- oder Schlechtleistung ist daher ein auf vergangene geschäftliche Entscheidungen bezogenes Verhalten. Ihm fehlt ein Zusammenhang zu weiteren geschäftlichen Entscheidungen des Vertragspartners, die über die ursprüngliche Vereinbarung hinausgehen bzw. diese näher konkretisieren und so zugleich Auswirkungen auf das künftige Wettbewerbsgeschehen haben können. Gegen die Einordnung vertraglicher Pflichtverletzungen als geschäftliche Handlungen gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 spricht zudem, dass das Lauterkeitsrecht das Vertragsrecht unberührt lässt. Wäre jede Pflichtverletzung wegen ihres Potentials, das weitere vertragsbezogene Verhalten des Partners zu tangieren, Gegenstand des UWG, wäre diese Unterscheidung hinfällig, da neben dem Vertragsrecht stets das UWG anwendbar wäre. Eine solch flächendeckende lauterkeitsrechtliche Relevanz vertraglichen Verhaltens ist aber von der vollständigen Rechtsangleichung durch die UGPRL nicht bezweckt.573 Entsprechendes gilt für die Umsetzung der Richtlinie in das UWG. Anhang Nr. 8 zu § 3 Abs. 3 läuft diesem Grundsatz nicht zuwider. Ihrem Wortlaut nach untersagt die Regelung im ersten Halbsatz zwar die Erbringung von Kundendienstleistungen in einer anderen Sprache als derjenigen, in der die Verhandlungen vor dem Abschluss des Geschäfts geführt worden sind. Damit scheint sie sich gegen eine ggf. pflichtwidrige Erfüllungshandlung nach Vertragsabschluss zu richten. Der in der Vorschrift umgesetzte Anhang I Nr. 8 UGPRL verdeutlicht aber, dass hier vielmehr eine irreführende Zusicherung bei einem Geschäftsabschluss reguliert wird, die sich bei der Durchführung des Vertrags nachteilig auf die wirtschaftlichen Interessen des Verbrauchers auswirkt.574 Ausnahmsweise aber kann eine Pflichtverletzung objektiv geeignet sein, weitere geschäftliche Entscheidungen des Vertragspartners im Hinblick auf die Erfüllung seiner Pflichten und die Geltendmachung seiner vertraglichen Rechtsbehelfe zu beeinflussen.575 Dies kann namentlich bei Dauerschuldverhältnissen der Fall sein, da hier nicht nur die Abwicklung eines fixierten Vertragsprogramms in Rede steht, sondern künftige Entscheidungen über den Leistungsaustausch zu fällen sind. So wirkt sich eine weisungswidrig unterbliebene Änderung einer dauerhaften Voreinstellung (Preselection) eines Teilnehmeranschlusses auf einen bestimmten Verbindungsnetzbetreiber durch den einzigen Teilnehmernetzbetreiber darauf aus, wie oft ein Kunde telefoniert und damit künftig entgeltliche Leistungen in Anspruch nimmt. Dies sind weitere geschäftliche Entscheidungen, die objektiv mit der Durchführung eines Dauerschuldverhältnisses zwischen dem Teilnehmernetzbetreiber und dem Kunden zusammenhängen.576 Ob die Änderung bewusst oder nur versehentlich unterbleibt, ist für den Begriff der geschäftlichen Handlung und damit den Anwendungsbereich des UWG ohne Belang, da insoweit allein auf die 572 Zum Beispiel der Minderausschank von Bier (vgl. BGH 10. 12. 1986 – I ZR 136/84 – GRUR 1987, 180 – Ausschank unter Eichstrich II); siehe Köhler WRP 2009, 898, 902. 573 Vgl. Art. 3 Abs. 2 UGPRL und Einl. C Rn. 255 ff. 574 Scherer WRP 2009, 761, 763 f. 575 Scherer WRP 2009, 761, 767. 576 Ebenso Köhler WRP 2009, 898, 902; Forst WRP 2010, 1231, 1233; Keßler/Micklitz VuR 2009, 88, 91; a. A. BGH 29. 3. 2007 – I ZR 164/04 – GRUR 2007, 987 Tz. 24, 32, 36 – Änderung der Voreinstellung; BGH 5. 2. 2009 – I ZR 119/ 06 – GRUR 2009, 876 Tz. 15 ff. – Änderung der Voreinstellung II; OLG Jena 14. 11. 2007 – 2 U 654/07 – GRUR-RR 2008, 83 – Kundenreklamation; Isele GRUR 2009, 727, 729; ders., GRUR 2010, 309 ff.

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objektiven Auswirkungen auf geschäftliche Entscheidungen des Vertragspartners abzustellen ist.577 Subjektive Umstände sind erst im Rahmen der Prüfung der Unlauterkeit der geschäftlichen Handlung zu berücksichtigen. Jene ist nicht gegeben, solange der Handelnde die Tatumstände nicht kennt, die die Unlauterkeit begründen.578 317 Auch eine falsche Kontostandsauskunft durch eine Bank stellt eine geschäftliche Handlung im Zuge der Durchführung eines Zahlungsdiensterahmenvertrags (§ 675f Abs. 2 BGB) dar.579 Denn die Bankkunden werden in der Annahme eines günstigen Kontostands weitere Abbuchungen und damit geschäftliche Handlungen vornehmen, die Überziehungszinsen auslösen, welche wiederum der Bank zugutekommen.580 Hingegen handelt ein Rechtsanwalt nicht im geschäftlichen Verkehr, wenn er in Schrift-sätzen an die Gegenseite wahrheitswidrige Angaben macht, weil die Möglichkeit, dass ein Mandant einen solchen Rechtsanwalt erneut beauftragen oder anderen empfehlen könnte, lediglich eine Reflexwirkung der anwaltlichen Pflichtverletzung darstellt.581

318 cc) Sonstiges Verhalten im objektiven Zusammenhang mit der Durchführung eines Produktvertrags. Die reale Bewirkung (Erfüllung) des bei Geschäftsabschluss vereinbarten, eigenen Pflichtenprogramms unterfällt somit grundsätzlich nicht dem UWG. Ist ein Verhalten hingegen nicht vorrangig auf die eigenen Leistungspflichten bezogen, sondern geeignet, Entscheidungen des Geschäftspartners im Hinblick auf die Erfüllung seiner Pflichten oder der Geltendmachung seiner Vertragsrechte zu beeinflussen, liegt der für § 2 Abs. 1 Nr. 1 erforderliche, objektive Zusammenhang zur Durchführung eines Produktvertrags vor. 319 Daher stellt die Geltendmachung (vermeintlicher) vertraglicher Erfüllungsansprüche und sonstiger Vertragsrechte582 durch einen Unternehmer bzw. Unternehmensförderer eine geschäftliche Handlung dar.583 Hiermit wird nicht das eigene Pflichtenprogramm erledigt, sondern in nach außen wirkender Weise die Entscheidung der Gegenseite beeinflusst, ob eine Zahlung geleistet, ein Produkt geliefert oder ein Vertragsrecht ausgeübt wird. Folglich ist eine ggf. unzulässige geschäftliche Handlung gegeben, wenn Rechnungen 320 oder Aufforderungen zu anderen Leistungen ihrem Inhalt nach irreführend584 oder – etwa bei Einschaltung von Inkassobüros – wettbewerbsfremd aggressiv585 sind; ferner können unzumutbar belästigende Erfüllungsverlangen abgewehrt werden (§ 7).586 Die in Nr. 22 und 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 kodifizierten Fälle von Zahlungsaufforderungen sind gegenüber Verbrauchern stets unzulässig.

577 Nordemann Rn. 64. Anders ist es nur, wenn kein zurechenbares Verhalten vorliegt, etwa ein nicht vorhersehbarer und kontrollierbarer, technischer Defekt.

578 Dazu § 3 Rn. 222 ff. 579 Köhler WRP 2009, 898, 902. 580 Im Ergebnis ebenso bereits zum UWG 1909 und UWG 2004 BGH 27. 6. 2002 – I ZR 86/00 – GRUR 2002, 1093, 1094 – Kontostandsauskunft; BGH 11. 1. 2007 – I ZR 87/04 – GRUR 2007, 805 Tz. 12 ff. – Irreführender Kontoauszug. 581 BGH 10. 1. 2013 – I ZR 190/11 – GRUR 2013, 945 Tz. 28 f. – Standardisierte Mandatsbearbeitung. 582 Verneinend noch zum UWG 1909 BGH 7. 5. 1986 – I ZR 95/84 – GRUR 1986, 816, 818 f. – Widerrufsbelehrung bei Teilzahlungskauf. 583 EuGH 20. 7. 2017 – C-357/16 – NJW 2017, 2980 Tz. 21 ff. – Gelvora (Tätigkeiten einer Inkassogesellschaft); OLG München 9. 7. 2009 – 29 U 1852/09 – GRUR-RR 2010, 50 – Besuch durch Inkasso-Team; Koch WRP 2019, 1259. 584 Siehe Köhler WRP 2009, 898, 901, 906; ders. Festschrift Doepner, 31 ff. (unrichtige und damit irreführende Arztabrechnungen). 585 BGH 19. 3. 2015 – I ZR 157/13 – GRUR 2015, 1134 Tz. 12 – Schufa-Hinweis; OLG München 9. 7. 2009 – 29 U 1852/ 09 – GRUR-RR 2010, 50 – Besuch durch Inkasso-Team; Köhler WRP 2009, 898, 902 (Drohung mit Anzeige wegen Steuerdelikts); Kohte VuR 2017, 403 ff. m. w. N. 586 Ablehnend noch OLG Dresden 27. 5. 1997 – 14 U 2059/96 – NJWE-WettbR 1997, 241, 243 – Städtisches Friedhofsund Bestattungswesen Dresden.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

§2

Nicht erforderlich ist, dass das angegriffene Verhalten systematisch betrieben wird. Jede einzelne Aufforderung zur Leistung unterfällt dem UWG und ist nach Maßgabe der weiteren Voraussetzungen (insbes. Spürbarkeit) ggf. unzulässig.587 Erst recht liegt eine geschäftliche Handlung vor, wenn ein Angebot für eine Vertragsänderung oder einen neuen Vertragsabschluss als Erfüllungsverlangen getarnt ist.588 Denn dann handelt der Unternehmer oder Unternehmensförderer in Tat und Wahrheit „bei“ einem Geschäftsabschluss und im gezielten Zusammenhang zu einer geschäftlichen Entscheidung des Adressaten, ob, wie und unter welchen Bedingungen der avisierte Vertrag zustande kommen soll.589 Eine geschäftliche Handlung liegt ferner vor, wenn in der Rechnung eines Ratenzahlungskredits unzutreffende Angaben über den effektiven Jahreszinssatz gemacht werden.590 Da der vereinbarte Zinssatz nicht mehr einseitig abänderbar ist, kann diese Äußerung nur auf künftige Entscheidungen des Rechnungsempfängers über neue Ratenzahlungskredite gerichtet sein. Dieser über den Vertrag hinausweisende Einfluss auf das wirtschaftliche Entscheidungsverhalten des anderen Marktteilnehmers rechtfertigt die Anwendung des UWG. Aus diesem Grund unterliegen auch Kundenzufriedenheitsanrufe und vergleichbares Verhalten dem UWG. Sie dienen nicht nur der Abwicklung des bestehenden Vertragsverhältnisses, sondern zugleich der weiteren Absatzförderung.591 Auf die geschäftlichen Entscheidungen des Vertragspartners wird ferner eingewirkt, wenn verhindert wird, dass die Gegenseite vertragliche Rechte im Zusammenhang mit dem Produkt geltend macht (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 9). Anhang Nr. 27 zu § 3 Abs. 3 erklärt bestimmte Maßnahmen, durch die ein Verbraucher von der Durchsetzung seiner vertraglichen Rechte aus einem Versicherungsverhältnis abgehalten werden soll, für stets unzulässig.592 Eine geschäftliche Handlung liegt ferner vor, wenn Ansprüche der Gegenseite mit (ggf. falschen) Angaben zur Rechts- oder Sachlage zurückgewiesen werden.593 Wie generell ist nicht erforderlich, dass dies systematisch oder in einer Vielzahl von Fällen geschieht. § 2 Abs. 1 Nr. 1 erfasst auch versehentliches geschäftliches Verhalten im Einzelfall, mit dem nach einem Geschäftsabschluss auf weitere Entscheidungen der Gegenseite eingewirkt wird.594 Selbst die Unterlassung einer Reaktion auf Kundenbeschwerden etc. ist grundsätzlich geeignet, eine solche Auswirkung zu zeitigen. Unlauter ist ein Untätigbleiben nach Geschäftsabschluss allerdings nur, wenn eine spezifisch lauterkeitsrechtliche Pflicht zum Handeln besteht;595 allein der Vorwurf eines vertragswidrigen Schweigens trägt den Vorwurf einer Zuwiderhandlung gegen das UWG daher nicht. Diese durchaus weitgehende Anwendbarkeit des UWG auf Verhalten im Zuge der Durchführung eines Geschäfts muss generell von der Frage unterschieden werden, ob die betreffende geschäftliche Handlung gem. § 3 oder § 7 unzulässig ist. Hierfür kann es insbesondere an der mangelnden quantitativen Spürbarkeit einer vertragsbezogenen, unzulässigen geschäftlichen Handlung fehlen. 587 BGH 19. 3. 2015 – I ZR 157/13 – GRUR 2015, 1134 Tz. 12 – Schufa-Hinweis. Anders und enger noch BGH 7. 10. 1993 – I ZR 293/91 – GRUR 1994, 126, 127 – Folgeverträge; BGH 26. 1. 1995 – I ZR 39/93 – GRUR 1995, 358 – Folgeverträge II. 588 Die Anwendung des UWG 1909 bejahend auch BGH 13. 2. 1992 – I ZR 79/90 – GRUR 1992, 450, 452 –Beitragsrechnung (als Rechnung aufgemachtes Vertragsangebot); anders zum UWG 1909 aber BGH 16. 10. 2002 – IV ZR 307/ 01 – NJW-RR 2003, 103 f. – Rundschreiben mit geänderten Versicherungsbedingungen. 589 Dazu oben § 2 Rn. 274 ff. 590 Vgl. BGH 1. 2. 1990 – I ZR 45/88 – GRUR 1990, 609 – Monatlicher Ratenzuschlag. 591 OLG Köln 30. 3. 2012 – 6 U 191/11 – WRP 2012, 725 f. – Telefonische Kundenzufriedenheitsabfrage. 592 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 85. 593 Köhler WRP 2009, 898, 906; Hennigs S. 136 ff. (Berufung auf AGB). 594 Enger zum früheren Recht noch OLG Frankfurt a. M. 21. 3. 2002 – 6 U 50/01 – GRUR 2002, 727, 728 – Kerosinzuschlag; OLG Düsseldorf 25. 11. 2008 – I-20 U 202/07 – MMR 2009, 565. 595 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 85.

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Für einen Unterlassungsanspruch muss zudem eine Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr gegeben sein. Im Interesse einer wirksamen lauterkeitsrechtlichen Kontrolle geschäftlicher Handlungen nach einem Geschäftsabschluss sollte insofern freilich nicht auf die kaum je relevante Gefahr einer erneuten unlauteren Handlung im Rahmen des konkret streitgegenständlichen Vertragsverhältnisses abgestellt werden, sondern auf das drohende Risiko, dass sich im Kern identisches Verhalten gegenüber anderen Vertragspartnern wiederholt.596

II. Marktteilnehmer, § 2 Abs. 1 Nr. 2 1. Entstehungsgeschichte 329 Die Legaldefinition des Marktteilnehmers geht zurück auf das UWG 2004. Der hierfür prägende Privatentwurf von Köhler, Bornkamm und Henning-Bodewig hatte als Marktteilnehmer neben Verbrauchern und Mitbewerbern noch alle Unternehmer bezeichnet, die als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen auf einem Markt tätig sind.597 In den Gesetzentwürfen des Justizministeriums sowie der Bundesregierung für das 330 UWG 2004 wurden dann aber nicht mehr nur Unternehmer als Marktteilnehmer bezeichnet, sondern – wie schließlich in der Gesetz gewordenen Fassung – alle Personen, die neben Mitbewerbern und Verbrauchern als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen tätig sind.598 Hiermit seien im Sinne eines Oberbegriffs Mitbewerber, Verbraucher und sonstige Marktteilnehmer erfasst. Unter letztgenannten Begriff fielen diejenigen Marktteilnehmer, die weder Mitbewerber noch Verbraucher sind. Hierzu zählten vor allem die Gewerbetreibenden, soweit sie für den Verbrauch im Rahmen ihrer gewerblichen Tätigkeit Waren erwerben oder Dienstleistungen in Anspruch nehmen.599 331 Bei der Umsetzung der UGPRL durch das UWG 2008 blieb § 2 Abs. 1 Nr. 2 unverändert. Generell ist die Figur des sonstigen Marktteilnehmers dem europäischen Lauterkeitsrecht fremd. Die UGPRL ist auf das Verhältnis zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern, die IrreführungsRL 2006 auf das Verhältnis zwischen Gewerbetreibenden beschränkt. Marktteilnehmer, die keiner dieser beiden Kategorien angehören, werden von den Richtlinien nicht erfasst. § 2 Abs. 1 Nr. 2 bildet somit die einzige rein autonom-deutsche Begrifflichkeit im Definitionskatalog.600 332 Durch die UWG-Reform 2015 hat die Unterscheidung zwischen Mitbewerbern, Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern nochmals an Bedeutung gewonnen. Dabei belegt die Entstehungsgeschichte des UWG 2015 eine tiefgreifende Unsicherheit über die richtige Verortung der sonstigen Marktteilnehmer im System des UWG. Einerseits handelt es sich überwiegend (aber keineswegs ausschließlich, s. u.) um Unternehmer i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs., andererseits werden diese unternehmerischen Marktteilnehmer typischerweise als Abnehmer mit unlauteren geschäftlichen Handlungen konfrontiert, denn sonst wären sie als Mitbewerber einzuordnen. Wer wie der Regierungsentwurf zum UWG 2015 die erste Kategorisierung betont, wird sonstige Marktteilnehmer mit Mitbewerbern in Vorschriften zur Regulierung von B2B-Konstellationen zusammenfassen.601 Wer die sonstigen Marktteilnehmer hingegen wie der Rechtsaus-

596 Anders Köhler WRP 2009, 898, 903; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 86 (zu fragen sei, ob die konkrete Handlung ihrer Art nach wiederholbar sei). Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, 1319. RefE UWG 2004, GRUR 2003, 298; RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 5. RefE UWG 2004, GRUR 2003, 298, 305; RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 16. Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 32 Rn. 1. Vgl. RegE UWG 2015, BRDrucks. 26/15, S. 8 (systematisch eindeutigere Trennung der Anwendungsbereiche der Generalklauseln in § 3 Abs. 1 und 2 hinsichtlich der geschäftlichen Handlungen mit Verbraucherbezug auf der einen und hinsichtlich der geschäftlichen Handlungen mit Bezug auf Unternehmer als Mitbewerber und sonstige Marktteilnehmer auf der anderen Seite).

597 598 599 600 601

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B. Die Definitionen im Einzelnen

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schuss des Bundestages primär als Abnehmer betrachtet, wird sie neben Verbrauchern unter die Vorschriften zu geschäftlichen Handlungen im Vertikalverhältnis fassen.602 Ursache dieser Schwierigkeiten ist die prinzipiell verfehlte Systematisierung des UWG anhand von Personengruppen (Mitbewerber, Verbraucher, sonstiger Marktteilnehmer), die jedoch nicht ex ante feststehen, sondern für jede geschäftliche Handlung gesondert zu bestimmen sind.603

2. Bedeutung und Tatbestandsmerkmale Nach der amtlichen Begründung zu § 2 Abs. 1 Nr. 2 ist zwischen dem Begriff des Marktteilneh- 333 mers als Oberbegriff für sämtliche Teilnehmer am geschäftlichen Verkehr einerseits und der Figur des sonstigen Marktteilnehmers andererseits zu unterscheiden.

a) Marktteilnehmer als Oberbegriff. Der Oberbegriff des Marktteilnehmers erfasst Mitbewerber, Verbraucher604 und alle sonstigen natürlichen und sonst rechtsfähigen Personen, die als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen tätig sind. Diese Angebots- oder Nachfragetätigkeit muss nicht dauerhaft oder planmäßig zur Bestreitung des Lebensunterhalts erfolgen. Auch wenn eine natürliche Person nur ganz vereinzelt Waren für den privaten Gebrauch anschafft, agiert sie als Verbraucher und ist daher im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 als Nachfrager von Waren „tätig“. Selbiges gilt für juristische Personen wie Idealvereine, die gelegentlich am Markt auftreten, um ihre nicht wirtschaftlichen Vereinszwecke verfolgen zu können. Selbst wer gar nicht aktiv am Marktgeschehen teilnimmt, aber sich zum Beispiel einer unerwünschten Werbe-E-Mail ausgesetzt sieht, ist als potentieller Nachfrager oder Anbieter von § 2 Abs. 1 Nr. 2 erfasst. Damit erstreckt sich der Oberbegriff des Marktteilnehmers letztlich auf alle überhaupt am geschäftlichen Verkehr aktiv oder passiv beteiligten Personen. Das sich zwischen ihnen ereignende Marktverhalten ist Gegenstand des UWG. Der Oberbegriff des Marktteilnehmers beschreibt also, für welche Personen das UWG relevant ist. Dabei ist zwischen potentiell lauterkeitsrechtlich Haftenden und den Schutzsubjekten des UWG zu unterscheiden. Zu den Marktteilnehmern zählen zum einen alle Personen, die geschäftliche Handlungen gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 vornehmen und hierbei die Vorgaben des UWG zu achten haben. Schon in diesem Zusammenhang sind nicht nur Unternehmer, sondern auch andere Personen erfasst, die ein fremdes Unternehmen fördern.605 Marktteilnehmer sind zum anderen die Schutzsubjekte des UWG. In diesem Sinne wird der Begriff des Marktteilnehmers in § 3a und § 7 Abs. 1 verwendet. Hierunter fallen die Verbraucher, die Mitbewerber, sonstige Unternehmer außerhalb eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses zum geförderten Unternehmen sowie die nicht unternehmerisch agierenden Marktteilnehmer wie Idealvereine, Kirchen oder die öffentliche Hand, soweit sie kein fremdes Unternehmen fördern, sondern zur Erfüllung ihres außergeschäftlichen Zwecks Produkte absetzen oder nachfragen.606 Keine Marktteilnehmer sind hingegen Personen, die nicht als Anbieter oder Nachfrager von Produkten tätig sind. Eine in diesem Sinne abgrenzbare Personengruppe aber gibt es nicht. In normativer Hinsicht garantiert das Grundrecht der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit allen Privatrechtssubjekten, am Marktgeschehen teilnehmen zu können. Sie entscheiden, ob, wann, in welchem Umfang und in welcher Hinsicht sie Produkte nachfragen oder anbieten. Auch Ho602 603 604 605 606

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Rechtsausschuss UWG 2015, BTDrucks. 18/6571, S. 14 f. Dazu auch unten § 2 Rn. 341. OLG Düsseldorf 5. 6. 2007 – 20 U 176/06 – juris Rn. 24. Dazu oben § 2 Rn. 93 ff. Dazu oben § 2 Rn. 81.

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heitsträgern ist eine geschäftliche Betätigung nicht prinzipiell verboten.607 Folglich können alle rechtsfähigen Personen jederzeit zu Marktteilnehmern werden. Wer gem. §§ 104 ff. BGB nicht voll geschäftsfähig ist, nimmt ggf. durch seine Vertreter am geschäftlichen Verkehr teil. 340 Auch aus praktischer Sicht stellt die Kategorie der Nicht-Marktteilnehmer ein Phantom dar. In einer arbeitsteiligen, modernen Wirtschaft kann sich kaum jemand dem Marktgeschehen auf Dauer entziehen. Kein auch noch so wirtschaftsferner Handlungszweck lässt sich ohne fremde Waren und Dienstleistungen verfolgen. Und wer eigentlich gar nicht am Markt teilnehmen möchte, der kann sich unerwünschter Werbung ausgesetzt sehen und damit doch zum Marktteilnehmer avancieren. 341 Die Konturlosigkeit und praktische Irrelevanz des Oberbegriffs „Marktteilnehmer“ beruht auf einer verfehlten dogmatischen und wettbewerbstheoretischen Perspektive des § 2 Abs. 1 Nr. 2 auf das UWG. Das UWG stellt ein Sonderdelikts- und Verhaltensunrecht dar; es richtet sich gegen unzulässige geschäftliche Handlungen, die prinzipiell von jeder Person vorgenommen werden können. Mit dieser Handlungsorientierung ist eine Einteilung in Personenkategorien unvereinbar.608 Einen lauterkeitsrechtlich fixierten Personenstatus gibt es nicht. Entscheidend ist vielmehr der jeweilige Handlungskontext. So agiert ein eingetragener Kaufmann als Verbraucher, wenn er private Geschäfte tätigt, während ein Arbeitnehmer eine geschäftliche Handlung vornimmt, wenn er aus eigener Initiative den Absatz seines Arbeitgebers fördert. Eine Regulierung des wirtschaftlichen Wettbewerbs mit vorab definierten Personenkategorien wäre mit dem Grundsatz der Wettbewerbsfreiheit unvereinbar.

b) Sonstige Marktteilnehmer 342 aa) Bedeutung. Während sich der Oberbegriff des Marktteilnehmers als praktisch bedeutungslose, überdies dogmatisch verfehlte Kategorie erwiesen hat, kommt dem Begriff des sonstigen Marktteilnehmers erhebliche Bedeutung zu. Hiermit sind gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 alle Personen gemeint, die neben Mitbewerbern und Verbrauchern als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen tätig sind.609 Die Figur des sonstigen Marktteilnehmers beschreibt also eine dritte Kategorie von Marktteilnehmern. In diesem Sinne wird der Begriff des „sonstigen Marktteilnehmers“ in §§ 1 S. 1, 2 Nr. 9, 3a, 343 4a, 5 und § 7 Abs. 2 Nr. 2 verwendet. Bedeutsam ist die Subsumtion unter die Kategorie der „sonstigen Marktteilnehmer“ dabei insbesondere im Hinblick auf die Anwendbarkeit der praktisch sehr relevanten Tatbestände des § 4a (aggressive geschäftliche Handlungen) und § 5 (irreführende geschäftliche Handlungen), die nur die Freiheit der geschäftlichen Entscheidungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 9) von Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern schützen.610 Sonstige Marktteilnehmer sind als Schutzsubjekte ferner von allen Konkretisierungen der Unlauterkeit erfasst, die nicht ausschließlich Verbraucher (§§ 3 Abs. 2–4, 5a Abs. 2–5) oder Mitbewerber (§ 4) schützen. Neben §§ 5a Abs. 1 und 6611 zählt hierzu die Auffangklausel des § 3 Abs. 1, der subsidiär auf alle geschäftlichen Handlungen Anwendung finden kann, die sich nicht an Verbraucher richten oder diese erreichen.612

607 Dazu § 3 Rn. 311 ff. 608 Zur entsprechenden Problematik beim Begriff des Mitbewerbers gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 unten Rn. 356 ff. 609 § 2 Abs. 1 Nr. 2 sollte dahingehend geändert werden, dass mit dieser Definition der „sonstige Marktteilnehmer“ erläutert wird. 610 Siehe Rechtausschuss UWG 2015, BTDrucks. 18/6571, S. 14 f. 611 BGH 7. 7. 2005 – I ZR 253/02 – GRUR 2005, 877, 879 – Werbung mit Testergebnis (durch eine Stellenanzeige angesprochene, an einer (neben-)beruflichen Tätigkeit interessierte Personen als sonstige „Marktteilnehmer“ durch §§ 5, 6 UWG geschützt). 612 Rechtsausschuss UWG 2015, BTDrucks. 18/6571, S. 14.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

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Auch wenn ein gesetzlicher Tatbestand nicht zwischen den drei Gruppen von Marktteilnehmern differenziert, kann diese Unterscheidung gleichwohl im Rahmen der Beurteilung einer konkreten geschäftlichen Handlung Bedeutung erlangen. Ob nämlich eine geschäftliche Handlung vorliegt und ob sie irreführend, aggressiv oder sonst unlauter und unzulässig ist, ist aus der objektiven Sicht eines durchschnittlichen Marktteilnehmers zu beurteilen, an den sich das Verhalten richtet. Hierbei können sich signifikante Beurteilungsunterschiede in Abhängigkeit davon ergeben, ob auf das Verständnis eines für unlautere geschäftliche Handlungen besonders anfälligen und daher besonders schutzbedürftigen Verbrauchers, auf einen Durchschnittsverbraucher, auf einen durchschnittlichen Mitbewerber oder auf einen durchschnittlichen sonstigen Marktteilnehmer abzustellen ist.613 Auf die Figur des „sonstigen Marktteilnehmers“ wird ferner in § 7 Abs. 2 Nr. 2 Bezug genommen. Demnach ist eine unzumutbare Belästigung stets anzunehmen bei Werbung mit einem Telefonanruf gegenüber einem Verbraucher ohne dessen vorherige ausdrückliche Einwilligung oder gegenüber einem sonstigen Marktteilnehmer ohne dessen zumindest mutmaßliche Einwilligung. Wiederum wird der Schutz sonstiger Marktteilnehmer im systematischen Zusammenhang mit dem Schutz von Verbrauchern reguliert, während für Mitbewerber andere Vorschriften – hier § 7 Abs. 1 – gelten. Die Begriffe „Adressat“ und „Kunde“ gem. § 7 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 3 dienen der Umsetzung der in Art. 13 Abs. 1, 3 und 4 DatenschutzRL-EK verwendeten Begriffe „Teilnehmer“ bzw. „Nutzer“ eines öffentlich zugänglichen elektronischen Kommunikationsdienstes bzw. „Empfänger“ einer elektronischen Nachricht. Diese datenschutzrechtlich motivierten Termini stehen quer zur marktorientierten Begrifflichkeit des UWG.614 Adressat und Kunde im Sinne von § 7 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 3 ist demnach jede natürliche oder juristische Person, die eine für unzulässig erklärte Form von Werbung erhält. Hierbei kann es sich um Verbraucher, Mitbewerber oder sonstige Marktteilnehmer handeln.615 Wie Verbraucher sind sonstige Marktteilnehmer im Gegensatz zu Mitbewerbern nicht individuell aktivlegitimiert, um lauterkeitsrechtliche Ansprüche geltend zu machen.616 Stehen Verstöße gegen Unlauterkeitstatbestände in Rede, die wie §§ 4a, 5 und § 5a Abs. 1 Verbraucher und sonstige Marktteilnehmer als Abnehmer schützen, sind nur Mitbewerber aktivlegitimiert, die tatsächlich gleichartige Produkte wie der Anspruchsgegner abzusetzen versuchen. Lediglich mittelbare Auswirkungen unlauteren Verhaltens im Vertikalverhältnis auf Unternehmer, die nicht gleichartige Produkte offerieren, verschaffen diesen keine individuelle Aktivlegitimation.617 Dafür können sie – wie jede andere Person – geschäftliche Handlungen gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 vornehmen, indem sie zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens Wettbewerbsförderung betreiben.

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bb) Begriff des sonstigen Marktteilnehmers. Wie Verbraucher und Mitbewerber müssen 349 auch sonstige Marktteilnehmer gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen tätig sein. Hierzu zählen sämtliche Personen, die geschäftliche Handlungen vornehmen oder solchen ausgesetzt sind. In diesem Sinne am geschäftlichen Verkehr beteiligt

613 Vgl. § 3 Abs. 4, ErwGrd. 18 f. UGPRL sowie Beater Rn. 2160 ff.; RegE UWG 2015, BRDrucks. 26/15, S. 11; BGH 19. 4. 2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 Tz. 71 – Werbeblocker II (es sei von einer durchschnittlichen geschäftlichen Erfahrenheit der beteiligten Unternehmen auszugehen). 614 Siehe dazu auch § 1 Rn. 148 ff. 615 Köhler WRP 2012, 1329 ff; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 89; Gloy/Loschelder/Danckwerts/ Erdmann/Pommerening § 32 Rn. 7. 616 A.A. Beater WRP 2009, 768, 778 ff.; ders. Rn. 2626 ff. (ungeschriebenes Klagerecht des unmittelbar verletzten, sonstigen Marktteilnehmers). 617 Vgl. unten § 2 Rn. 431.

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sind sowohl Unternehmer gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 als auch nicht unternehmerisch agierende, natürliche (Verbraucher) oder juristische Personen bzw. rechtsfähige Personengesellschaften. Konturen gewinnt der Begriff des sonstigen Marktteilnehmers erst in Abgrenzung zu den Legaldefinitionen des Verbrauchers und des Mitbewerbers. Dabei ist von der konkret streitgegenständlichen geschäftlichen Handlung auszugehen. Ist eine natürliche Person im Hinblick auf eine Tätigkeit, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann, durch eine geschäftliche Handlung betroffen, ist gem. §§ 2 Abs. 2, 13 BGB ein verbraucherbezogener Sachverhalt gegeben. Diejenigen Unternehmer, die zum (unlauter) handelnden oder geförderten Unternehmer in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis stehen, werden vom UWG als Mitbewerber gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 eingeordnet und geschützt. Alle anderen Marktteilnehmer fallen in die Kategorie der „sonstigen Marktteilnehmer“. Hierzu zählen zunächst Unternehmensinhaber gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs., also jede natürliche oder juristische Person, die geschäftliche Handlungen im Rahmen ihrer gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit vornimmt, soweit sie in keinem konkreten Wettbewerbsverhältnis zum gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 handelnden oder geförderten Unternehmen stehen. Dies sind alle auf anderen Märkten tätigen und durch die geschäftliche Handlung auch sonst nicht in ihren gegenläufigen unternehmerischen Absatz- oder Nachfrageinteressen ad hoc unmittelbar beeinträchtigten Unternehmer, insbesondere unternehmerische Abnehmer.618 Personen, die gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs. im Namen oder Auftrag eines Unternehmensinhabers handeln, agieren hierbei generell nicht als Mitbewerber i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 3, da ein konkretes Wettbewerbsverhältnis nur zwischen eigenverantwortlich handelnden Unternehmensinhabern bestehen kann.619 Fördert eine solche unternehmergleiche Person den Wettbewerb ihres Auftrag- oder Arbeitgebers, ist sie insoweit als sonstiger Marktteilnehmer einzuordnen. Anders als noch der Privatentwurf von Köhler, Bornkamm und Henning-Bodewig erstreckt sich der Begriff des sonstigen Marktteilnehmers aber nicht nur auf Unternehmer, sondern auch auf nicht unternehmerisch tätige Personen mit Ausnahme von Verbrauchern. In diese Kategorie fallen juristische Personen des Privatrechts wie insbesondere Idealvereine und juristische Personen des öffentlichen Rechts, die am Markt nicht planmäßig und dauerhaft Leistungen gegen Entgelt anbieten, sondern außergeschäftlichen (ideellen, hoheitlichen usw.) Zielsetzungen nachgehen. Natürliche Personen, die in nicht unternehmerischer Weise Waren oder Dienstleistungen anbieten, zählen hingegen zu den Verbrauchern und nicht zu den sonstigen Marktteilnehmern.620 Insgesamt bilden die sonstigen Marktteilnehmer mit den Verbrauchern die Marktgegenseite des handelnden oder geförderten Unternehmers. Da sie nicht auf demselben Markt wie jener tätig sind, sind sie anders als die in einem horizontalen Wettbewerbsverhältnis stehenden Mitbewerber nicht individuell zur Durchsetzung des Lauterkeitsrechts berufen. Die in § 7 Abs. 2 Nr. 2 zum Ausdruck kommende, geringere Schutzwürdigkeit der sonstigen Marktteilnehmer im Vergleich zu Verbrauchern beruht darauf, dass zu den sonstigen Marktteilnehmern zum einen Unternehmer und zum anderen juristische Personen zählen, die zwar kein Unternehmen betreiben, deren Organe und sonstigen Vertreter aber typischerweise über eine gewisse geschäftliche Erfahrung verfügen, die in geringerem Maße als bei Verbrauchern befürchten lässt, dass geschäftliche Entscheidungen manipulierbar sind.

618 Dazu unten § 2 Rn. 424 ff. sowie Beater Rn. 2166 f., 2173; RegE UWG 2015, BRDrucks. 26/15 S. 8. 619 § 2 Rn. 406 ff. 620 Beater Rn. 2168; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 89.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

§2

III. Mitbewerber, § 2 Abs. 1 Nr. 3 1. Entstehungsgeschichte a) UWG 1896 und UWG 1909. Weder das UWG 1896 noch das UWG 1909 kannten eine Legal- 356 definition des Begriffs „Mitbewerber“. Gleichwohl ist § 2 Abs. 1 Nr. 3 nur vor dem Hintergrund der Rechtspraxis zu jenen Gesetzen verständlich. Dies gilt insbesondere für das zentrale Tatbestandsmerkmal des „konkreten Wettbewerbsverhältnisses“. Hierbei handelt es sich um eine dogmatische Begrifflichkeit, die sich bis zum UWG 1896 zurückverfolgen lässt. Das Tatbestandsmerkmal eines Handelns zu Zwecken des Wettbewerbs gem. §§ 6, 9 und 10 UWG 1896 legte das Reichsgericht dahingehend aus, dass ein anderer Geschäftsbetrieb beeinträchtigt und gerade hierdurch der eigene Absatz gefördert werden muss.621 Eine solche Korrelation zwischen wettbewerblichen Vor- und Nachteilen wurde in der Folge auch für ein Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs gem. §§ 1, 3 UWG 1909 verlangt.622 Der entsprechende Zusammenhang wurde als „konkretes Wettbewerbsverhältnis“ bezeichnet. Nur einem Mitbewerber, der zu dem Verletzer (oder dem von diesem Geförderten) in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis stand, wurde als unmittelbar Verletztem aus § 1 UWG 1909 eine Sachbefugnis zugestanden. Mit dem ungeschriebenen Erfordernis des konkreten Wettbewerbsverhältnisses wurde das Tatbestandsmerkmal des Handelns zu Zwecken des Wettbewerbs „im Blick auf die Klageberechtigung umschrieben“.623 Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis setzte voraus, dass zwischen den Vorteilen, die jemand durch eine Maßnahme für sein Unternehmen oder das eines Dritten zu erreichen sucht, und den Nachteilen, die ein anderer dadurch erleidet, eine Wechselbeziehung in dem Sinne besteht, dass der eigene Wettbewerb gefördert und der fremde Wettbewerb beeinträchtigt werden kann.624 Maßgeblich hierfür war vor allem eine gegenwärtige oder künftige Konkurrenzsituation im Hinblick auf den Absatz oder die Nachfrage von Waren oder Dienstleistungen.625 Richteten sich die Streitparteien mit gleichartigen Produkten an denselben Endverbraucherkreis, ging die Rechtspraxis davon aus, dass das konkret beanstandete Wettbewerbsverhalten des einen Wettbewerbers den anderen beeinträchtigen, das heißt im Absatz behindern oder stören kann.626 Die Interessenbeeinträchtigung musste zwar mit einer – sei es auch nur geringen – Wahrscheinlichkeit praktisch in Betracht kommen; eine tatsächliche Behinderung musste aber nicht nachgewiesen werden.627 Vom konkreten Wettbewerbsverhältnis wurde das abstrakte Wettbewerbsverhältnis und die hieran anknüpfende Klagebefugnis abstrakter Mitbewerber gem. § 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG 1909

621 RG 16. 2. 1899 – 4767/98 – RGSt 32, 27, 28 – Drucktuch. 622 Baumbach/Hefermehl Einl. UWG Rn. 216. 623 BGH 7. 12. 1989 – I ZR 3/88 – GRUR 1990, 375, 376 – Steuersparmodell; BGH 5. 3. 1998 – I ZR 229/95 – GRUR 1998, 1039, 1040 – Fotovergrößerungen; BGH 5. 10. 2000 – I ZR 237/98 – GRUR 2001, 260 – Vielfachabmahner; zur Kritik aus der Literatur Sack GRUR 2011, 953, 954 m. w. N. 624 Baumbach/Hefermehl Einl. UWG Rn. 216 m. w. N. 625 BGH 11. 5. 1954 – I ZR 178/52 – BGHZ 13, 244, 249 = GRUR 1955, 37 – Cupresa-Kunstseide; BGH 19. 10. 1966 – Ib ZR 156/64 – GRUR 1967, 138, 141 – Streckenwerbung. 626 BGH 29. 6. 2000 – I ZR 29/98 – GRUR 2000, 907, 908 – Filialleiterfehler; BGH 5. 10. 2000 – I ZR 210/98 – GRUR 2001, 258 – Immobilienpreisangaben; BGH 6. 12. 2001 – I ZR 214/99 – GRUR 2002, 985, 986 – WISO; BGH 3. 5. 2007 – I ZR 19/05 – GRUR 2007, 978, 979 – Rechtsberatung durch Haftpflichtversicherer; OLG Düsseldorf 13. 4. 2006 – U 23/05 – GRUR 2006, 782, 783 – Lottofonds; OLG Brandenburg 16. 9. 2008 – 6 U 6/08 – GRUR-RR 2009, 140, 141 – Steinschlagreparatur; GK-UWG1/Erdmann § 13 Rn. 13 f. 627 BGH 6. 12. 2001 – I ZR 214/99 – GRUR 2002, 985, 986 – WISO; OLG Düsseldorf 24. 8. 1994 – 2 W 88/94 – GRUR 1994, 837 f. – Fliegender Gerichtsstand. Vgl. auch BGH 13. 2. 1981 – I ZR 63/79 – GRUR 1981, 529, 530 – Rechtsberatungsanschein.

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§2

Definitionen

unterschieden.628 Nach der ursprünglichen Fassung der Vorschrift konnte der Unterlassungsanspruch von allen Gewerbetreibenden geltend gemacht werden, die Waren oder Leistungen gleicher oder verwandter Art vertrieben.629 Sie mussten hierfür, anders als unmittelbar verletzte Mitbewerber, keine konkrete Beeinträchtigungsgefahr im Hinblick auf geschützte Interessen dartun.630 Es genügte vielmehr der Umstand, dass die von den Streitparteien vertriebenen Waren oder gewerblichen Leistungen sich derart glichen oder nahestanden, dass der Vertrieb der einen durch den Vertrieb der anderen beeinträchtigt werden konnte.631 1994 wurde diese individuelle Klagebefugnis dahingehend eingeschränkt, dass die Waren 361 oder gewerblichen Leistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertrieben werden mussten. Zudem musste der Anspruch eine Handlung betreffen, die geeignet war, den Wettbewerb auf diesem Markt wesentlich zu beeinträchtigen. Die Klagebefugnis rechtsfähiger Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen gem. § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG 1994 war ebenfalls an die Voraussetzung geknüpft, dass den Verbänden eine erhebliche Zahl von Gewerbetreibenden angehörte, die Waren oder gewerbliche Leistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt anboten. Damit reichte die Klagebefugnis eines Verbandes nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG 1994 nicht weiter als die seiner Mitglieder nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG 1994.632 Die vorgenannten Tatbestandsvoraussetzungen des „abstrakten“ Wettbewerbsverhältnisses finden sich weiterhin in § 8 Abs. 3 Nr. 2. Mit dem Rekurs auf „denselben Markt“, der im Wesentlichen durch die Geschäftstätigkeit des angegriffenen werbenden Unternehmens bestimmt wurde,633 sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass es nicht genügte, wenn auch nur teilweise Waren gleicher oder verwandter Art vertrieben wurden und deshalb eine Beeinträchtigungsmöglichkeit abstrakt möglich erschien. Vielmehr musste eine nicht gänzlich unbedeutende Beeinträchtigung mit einer gewissen – sei es auch nur geringen – Wahrscheinlichkeit in Betracht gezogen werden können.634 Die Wettbewerbsmaßnahme des Verletzers musste zumindest auch auf den potentiellen Kundenkreis des Gewerbetreibenden einwirken können.635

362 b) UWG 2004. Die gegenwärtige Fassung von § 2 Abs. 1 Nr. 3 geht auf den Vorschlag für eine Richtlinie zum Lauterkeitsrecht und eine UWG-Reform zurück, den Helmut Köhler, Joachim Bornkamm und Frauke Henning-Bodewig im Jahr 2002 vorlegten.636 Demnach sollte der Begriff

628 BGH 9. 10. 1959 – I ZR 78/58 – GRUR 1960, 144, 146 – Bambi; BGH 23. 3. 1966 – Ib ZR 28/64 – GRUR 1966, 445, 446 – Glutamal; BGH 14. 4. 1988 – I ZR 35/86 – GRUR 1988, 620, 621 – Vespa-Roller; OLG Düsseldorf 24. 8. 1994 – 2 W 88/94 – GRUR 1994, 837 – Fliegender Gerichtsstand; GK-UWG1/Erdmann § 13 Rn. 27 f. 629 Vgl. BGH 11. 5. 1954 – I ZR 178/52 – BGHZ 13, 244, 249 = GRUR 1955, 37, 39 – Cupresa-Kunstseide; BGH 5. 10. 2000 – I ZR 237/98 – GRUR 2001, 260 – Vielfachabmahner. 630 GK-UWG1/Erdmann § 13 Rn. 33 m. w. N.; Baumbach/Hefermehl Einl. UWG Rn. 225 (Wettbewerbshandlung, die an unbestimmte Mehrheit von Mitbewerbern gerichtet ist); Dreyer GRUR 2008, 123, 125. 631 BGH 30. 4. 1997 – I ZR 30/95 – GRUR 1997, 934, 935 – 50 % Sonder-AfA; BGH 5. 6. 1997 – I ZR 69/95 – GRUR 1998, 489, 491 – Unbestimmter Unterlassungsantrag III; BGH 24. 11. 1999 – I ZR 189/97 – GRUR 2000, 438, 440 – Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge; BGH 5. 10. 2000 – I ZR 237/98 – GRUR 2001, 260, 260 – Vielfachabmahner. 632 BGH 27. 2. 1997 – I ZR 217/94 – GRUR 1997, 478 – Haustürgeschäft II; Baumbach/Hefermehl § 13 Rn. 23a. 633 BGH 5. 10. 2000 – I ZR 237/98 – GRUR 2001, 260 – Vielfachabmahner; vgl. BGH 11. 7. 1996 – I ZR 79/94 GRUR 1996, 804, 805 – Preisrätselgewinnauslobung III; BGH 19. 6. 1997 – I ZR 72/95 – GRUR 1998, 170 – Händlervereinigung. 634 BGH 11. 7. 1996 – I ZR 79/94 – GRUR 1996, 804, 805 – Preisrätselgewinnauslobung III; BGH 11. 7. 1996 – I ZR 183/93 – GRUR 1997, 145, 146 – Preisrätselgewinnauslobung IV; BGH 14. 11. 1996 – I ZR 162/94 – GRUR 1997, 479, 480 – Münzangebot; BGH 30. 4. 1997 – I ZR 30/95 – GRUR 1997, 934, 935 – 50 % Sonder-AfA; BGH 5. 6. 1997 – I ZR 69/95 – GRUR 1998, 489, 491 – Unbestimmter Unterlassungsantrag III; BGH 24. 11. 1999 – I ZR 189/97 – WRP 2000, 389, 391 – Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge. 635 KG 3. 11. 1994 – 25 U 4969/94 – GRUR 1995, 157, 159 f. – Fermate-Tee; OLG Karlsruhe 15. 1. 1995 – 6 U 227/94 – WRP 1995, 413, 414 – Anonymisierte Mitgliederliste; OLG Köln 30. 10. 1996 – 6 U 185/95 – GRUR 1997, 316, 317 f. – Branchenanzeiger. 636 Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317 ff.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

§2

des Mitbewerbers sowohl im künftigen UWG als auch in der avisierten Richtlinie jeden Unternehmer erfassen, „der mit einem oder mehreren Unternehmern als Nachfrager oder Anbieter von Waren oder Dienstleistungen in Wettbewerb steht.“637 Ausweislich der Erläuterungen zur individuellen Anspruchsberechtigung der Mitbewerber gem. § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 des Entwurfs war hiermit der Mitbewerber im Sinne der Rechtsprechung zum „unmittelbar Verletzten“ gem. §§ 1, 3 UWG 1909 gemeint. Die Anspruchsberechtigung der „Gewerbetreibenden“ i.S.v. § 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG 1909 wurde hingegen beseitigt, da diese nur abstrakt betroffenen Mitbewerber kein schutzwürdiges Eigeninteresse an der Geltendmachung von Abwehransprüchen hätten. Ihnen stehe vielmehr die Möglichkeit offen, einen Wirtschafts- oder Verbraucherverband zur Bekämpfung des Wettbewerbsverstoßes einzuschalten.638 Der Referentenentwurf des Justizministeriums v. 23. 1. 2003 übernahm die Formulierung des Privatentwurfs von Köhler, Bornkamm und Henning-Bodewig, fügte aber die Wendung „oder durch die Wettbewerbshandlung unmittelbar betroffen ist“, hinzu.639 Unverändert sollte an die Rechtspraxis zum unmittelbar Verletzten nach UWG 1909 angeknüpft werden. Die Einordnung als Mitbewerber setze wie der Begriff der Wettbewerbshandlung ein konkretes Wettbewerbsverhältnis zwischen dem Zuwiderhandelnden und dem benachteiligten Unternehmen voraus.640 Der Gesetzentwurf der Bundesregierung kehrte zum Wortlaut des Vorschlags von Köhler, Bornkamm und Henning-Bodewig zurück.641 Zunächst wurde entgegen dem Referentenentwurf klargestellt, dass der Begriff der Wettbewerbshandlung anders als nach früherer Rechtslage nur mehr eine Wettbewerbsförderung, nicht aber ein konkretes Wettbewerbsverhältnis voraussetzt. Anwendungsbereich des Gesetzes und individuelle Klageberechtigung wurden also entkoppelt. Nur für den Mitbewerberbegriff sei zu prüfen, ob zwischen dem Zuwiderhandelnden oder einem Dritten und dem benachteiligten Unternehmen ein konkretes Wettbewerbsverhältnis gegeben sei. Ein solches liege vor, wenn zwischen den Vorteilen, die jemand durch eine Maßnahme für sein Unternehmen oder das eines Dritten zu erreichen sucht und den Nachteilen, die ein anderer dadurch erleidet, eine Wechselbeziehung in dem Sinne besteht, dass der eigene Wettbewerb gefördert und der fremde Wettbewerb beeinträchtigt werden kann. Unternehmen stünden in der Regel dann miteinander im Wettbewerb, wenn sie den gleichen Abnehmerkreis bzw. Lieferantenkreis hätten. Es könne aber auch zwischen Unternehmern verschiedener Wirtschaftsstufen ein konkretes Wettbewerbsverhältnis bestehen. Dies werde immer dann zu bejahen sein, wenn ein Hersteller oder Großhändler sich nicht auf seine Wirtschaftsstufe beschränke, sondern seine Ware direkt an den Endverbraucher absetze. Entsprechend der Rechtslage zum UWG 1909 genüge also auch weiterhin ein mittelbares Wettbewerbsverhältnis.642 „Daher“ könnten insbesondere auch Unternehmer verschiedener Branchen durch eine Wettbewerbshandlung in eine wettbewerbliche Beziehung zueinander treten, ohne dass der Absatz der beiderseitigen ungleichartigen Waren beeinträchtigt werde. Das Wettbewerbsverhältnis werde in diesem Fall durch die konkrete Handlung begründet, so beispielsweise unter dem Aspekt der Behinderung, wenn ein Unternehmen für Kaffee als Geschenk mit dem Hinweis „statt Blumen ONKO-Kaffee“ werbe.643 Die in § 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG 1994 geregelte Anspruchsberechtigung entfalle hingegen, da nur abstrakt betroffene Mitbewerber kein schutzwürdiges Eigeninteresse an der Geltendmachung von Abwehransprüchen hätten.644 637 638 639 640 641 642 643

Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, 1319 (§ 2 Nr. 4 UWG-E, Art. 2 Nr. 4 RL-E). Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, 1328. RefE UWG 2004, GRUR 2003, 298 (§ 2 Nr. 3). RefE UWG 2004, GRUR 2003, 298, 305. RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 5. RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 16 (wie zuvor RefE UWG 2004 zum Begriff der Wettbewerbshandlung). RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 16 mit Verweis auf BGH 12. 1. 1972 – I ZR 60/70 – GRUR 1972, 553 – Statt Blumen ONKO-Kaffee. 644 RegE UWG 2004, BTDrucks 15/1487, S. 22.

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In seiner Stellungnahme regte der Bundesrat an, die Wörter in „Wettbewerb steht“ durch die Wörter in „einem konkreten Wettbewerbsverhältnis steht und durch die Wettbewerbshandlung unmittelbar verletzt ist“ zu ersetzen. Im Entwurfstext komme nicht hinreichend zum Ausdruck, dass ein konkretes Wettbewerbsverhältnis vorliegen müsse. Ferner sei klarzustellen, dass der Begriff des Mitbewerbers nur den unmittelbar Verletzten im Sinne der Rechtsprechung zum UWG 1909, nicht aber den abstrakt betroffenen Mitbewerber gem. § 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG 1994 erfasse.645 Die Bundesregierung stimmte dem Anliegen dieser Stellungnahme zu, schlug hierfür aber 368 die schließlich Gesetz gewordene Fassung646 vor, wonach „Mitbewerber“ jeder Unternehmer ist, der mit einem oder mehreren Unternehmern als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis steht. Der Einfügung der Wörter „und durch die Wettbewerbshandlung unmittelbar verletzt ist“, bedürfe es nicht, da ein konkretes Wettbewerbsverhältnis bereits begrifflich voraussetze, dass zwischen den Vorteilen, die jemand durch eine Maßnahme für sein Unternehmen oder das eines Dritten zu erreichen sucht, und den Nachteilen, die ein anderer dadurch erleidet, eine Wechselbeziehung in dem Sinne besteht, dass der eigene Wettbewerb gefördert und der fremde Wettbewerb beeinträchtigt werden kann.647 Insgesamt bezeugt die Entstehungsgeschichte des § 2 Abs. 1 Nr. 3, dass mit der Legaldefini369 tion des Mitbewerbers die Rechtspraxis zum „unmittelbar Verletzten“ unter Geltung des UWG 1909 kodifiziert werden sollte. Schwierigkeiten bereitete lediglich die Formulierung eines Wortlauts, der diesen allgemein konsentierten Regelungszweck adäquat zum Ausdruck bringt. Einigen konnte man sich schließlich auf die zum UWG 1909 entwickelte, dogmatische Rede vom „konkreten Wettbewerbsverhältnis“. Hierbei handelt es sich letztlich um einen Pauschalverweis auf die einschlägigen Rechtsprechungsgrundsätze. Im Zuge der Umsetzung der UGPRL durch die UWG-Reformen 2008 und 2015 blieb § 2 370 Abs. 1 Nr. 3 unverändert. Mit dem Ziel, Abmahnmissbrauch einzudämmen, ohne die effiziente Rechtsdurchsetzung sowie die Interessen der in diesem Bereich tätigen seriösen Akteure unbillig zu behindern, sah ein Referentenentwurf des BMJV für ein Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs v. 30. 9. 2018 eine Einschränkung der Aktivlegitimation der Mitbewerber gem. § 8 Abs. 3 Nr. 1 vor. Demnach sollen Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche nur noch demjenigen Mitbewerber zustehen, „der in nicht unerheblichem Maße ähnliche Waren oder Dienstleistungen vertreibt oder nachfragt“. In der Begründung zu dieser Vorschrift wird auf Rechtsprechung Bezug genommen, die es für ein konkretes Wettbewerbsverhältnis gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 als ausreichend erachtet habe, dass der Abmahnende nur einige wenige Waren gleicher Art zu überteuerten Preisen auf einem Portal anbietet. In anderen Fällen hätten Mitbewerber eine hohe Anzahl von Abmahnungen ausgesprochen, die erst kurze Zeit zuvor ihr Gewerbe angemeldet hatten oder bei denen bereits ein Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Demgegenüber müsse ein Mitbewerber, der Abwehransprüche nach § 8 Abs. 1 erhebt, nach der Entwurfsfassung nachweisen, dass er tatsächlich in nicht unerheblichem Maße ähnliche Waren oder Dienstleistungen vertreibt oder nachfragt wie derjenige, der die unzulässige geschäftliche Handlung vorgenommen hat. Wettbewerber, die ihre Geschäftstätigkeit gerade erst aufgenommen haben oder bei denen bereits das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, könnten sich hierauf nur in Ausnahmefällen berufen. Ebenso reiche es nicht aus, wenn der Mitbewerber ähnliche Waren oder Dienstleistungen lediglich anbiete. Spreche der Mitbewerber eine größere Anzahl von Abmahnungen aus, müsse der Umfang der geschäftlichen Tätigkeit entsprechend größer sein.648 367

645 646 647 648

Stellungnahme BRat, BTDrucks. 15/1487, S. 29. Siehe Bericht Rechtsausschuss UWG 2004, BTDrucks. 15/2795, S. 3. Gegenäußerung der Bundesregierung BTDrucks. 15/1487, S. 40. RefE Fairer Wettbewerb, S. 20.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

§2

2. Bedeutung und Anwendungsbereich der Legaldefinition a) Übersicht. Aus der Systematik des UWG und dem Regelungszweck des Definitionskatalogs folgt an sich, dass alle Begriffsverwendungen einheitlich im Sinne des § 2 ausgelegt werden müssen. Dies gilt auch für den Begriff des Mitbewerbers, der mehrfach in Kapitel 1 und 2 des Gesetzes sowie im Anhang Nr. 13 zu § 3 Abs. 3 Verwendung findet. Eine solch einseitige Betrachtung des UWG aus der Perspektive des § 2 genügt aber nicht. Zunächst ist zu beachten, dass die Auslegung der Legaldefinitionen des § 2 wichtige Impulse aus den folgenden Vorschriften empfängt, die mit den in § 2 erläuterten Begriffen operieren.649 So lassen die auf Mitbewerber bezogenen Konkretisierungen der Unlauterkeit erkennen, in welchen Konstellationen typischerweise ein konkretes Wettbewerbsverhältnis anzunehmen ist. Ferner dient das UWG der Umsetzung mehrerer EU-Richtlinien, die überwiegend eine vollständige Rechtsangleichung herbeiführen. In diesem Kontext ist aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts vor allem eine richtlinienkonforme Auslegung des Begriffs „Mitbewerber“ sicherzustellen. Dies gilt insbesondere für § 6 und § 5 Abs. 2. Es ist daher zu prüfen, inwieweit die ganz an der deutschen Rechtstradition orientierte Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Nr. 3 überhaupt auf unionsrechtlich geprägte Mitbewerberbegriffe anwendbar ist. Dabei ist zwischen zwei Kategorien von Mitbewerbern zu unterscheiden. Per se zu den Mitbewerbern zählen erstens alle Unternehmen, die auf demselben sachlichen, zeitlichen und räumlichen Markt wie das handelnde bzw. geförderte Unternehmen tätig sind und zumindest in gewisser Weise substituierbare Produkte anbieten. Ihre unternehmerischen Interessen sind stets nachteilig betroffen, wenn ein Konkurrent seine Wettbewerbsposition auf dem Markt durch eine unzulässige geschäftliche Handlung fördert.650 Mitbewerber sind zweitens Unternehmer, die durch die konkret streitgegenständliche geschäftliche Handlung in ihren unternehmerischen Absatz- oder Nachfrageinteressen unmittelbar nachteilig betroffen sind. Solche sich ad hoc, durch die angegriffene Handlung konstituierenden, konkreten Wettbewerbsverhältnisse können auch zwischen Unternehmern entstehen, die auf unterschiedlichen Märkten ganz verschiedenartige Produkte anbieten oder nachfragen.651

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b) Verbotstatbestände und Konkretisierungen der Unlauterkeit. Auf den Mitbewerber 375 als Schutzsubjekt des UWG wird in einer ganzen Reihe von Vorschriften Bezug genommen. Eine Analyse dieser Normen muss wie generell im UWG vom Besonderen zum Allgemeinen voranschreiten.652

aa) Vergleichende Werbung, § 6. Vergleichende Werbung ist gem. § 6 Abs. 1 jede Werbung, 376 die unmittelbar oder mittelbar einen Mitbewerber oder die von einem Mitbewerber angebotenen Waren oder Dienstleistungen erkennbar macht.653 Eine solche vergleichende Werbung ist unter anderem dann gem. § 6 Abs. 2 Nr. 3–5 unlauter, wenn der Vergleich zu einer Gefahr von Verwechslungen zwischen dem Werbenden und einem Mitbewerber oder zwischen den von diesen angebotenen Waren oder Dienstleistungen oder den von ihnen verwendeten Kennzeichen führt; wenn der Vergleich den Ruf des von einem Mitbewerber verwendeten Kennzeichens in unlauterer Weise ausnutzt oder beeinträchtigt; oder wenn der Vergleich die Waren, 649 Zu diesem Verweisungszusammenhang oben § 2 Rn. 4 ff. sowie Köhler WRP 2009, 499, 505 ff. 650 Dazu unten § 2 Rn. 435 ff.; Köhler WRP 2009, 499, 507. 651 Der BGH spricht in diesem Zusammenhang terminologisch unglücklich von einem „mittelbaren Wettbewerbsverhältnis“; BGH 17. 10. 2013 – I ZR 173/12 – WRP 2014, 552 Tz. 17 – Werbung für Fremdprodukte. Dazu unten § 2 Rn. 472 ff. 652 Siehe § 3 Rn. 47. 653 Mit identischem Wortlaut Art. 2 lit. c IrreführungsRL 2006.

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Definitionen

Dienstleistungen, Tätigkeiten oder die persönlichen oder geschäftlichen Verhältnisse eines Mitbewerbers herabsetzt oder verunglimpft.654 § 6 dient der Umsetzung von Art. 4 IrreführungsRL 2006, der für vergleichende Werbung eine vollständige Rechtsangleichung herbeiführt.655 Zwar hat der deutsche Gesetzgeber diese zwingenden Vorgaben über die absatzfördernde Werbung auf von der Richtlinie nicht erfasste Nachfragewerbung erstreckt.656 Doch auch insoweit ist § 6 und der dort verwendete Begriff des Mitbewerbers richtlinienkonform auszulegen.657 Da der deutsche Gesetzgeber vom vollharmonisierenden Verbotsniveau des Art. 4 IrreführungsRL 2006 weder nach oben noch nach unten abweichen darf, sind als Mitbewerber im Sinne des § 6 nur, zugleich aber alle Unternehmer anzusehen, die auch nach der IrreführungsRL 2006 zu den Mitbewerbern zählen. Die Grundsätze zur Auslegung dieses Begriffs hat der EuGH in der Entscheidung De Landtsheer dargelegt.658 Das Vorabentscheidungsersuchen betraf einen Rechtsstreit zwischen (Schaum-)Weinproduzenten aus der Champagne und einem Brauereiunternehmen über die Zulässigkeit der Bezeichnung „Malheur Brut Réserve“ für Bier. Nach Auffassung des EuGH beruht die Einstufung von Unternehmern als Mitbewerbern „definitionsgemäß“ und mit Rücksicht auf das Erfordernis, dass Waren oder Dienstleistungen für den gleichen Bedarf oder dieselbe Zweckbestimmung verglichen werden müssen, auf der „Substituierbarkeit der Waren oder Dienstleistungen, die sie auf dem Markt anbieten“.659 Die Substituierbarkeit könne nicht unabhängig von den Waren oder Dienstleistungen festgestellt werden, die das in der vergleichenden Werbung erkennbar gemachte Unternehmen anbietet. Ausreichend sei, dass die gegenübergestellten Produkte in gewisser Weise gleichen Bedürfnissen dienen können und daher ein gewisser Substitutionsgrad zwischen ihnen besteht.660 Die konkrete Beurteilung des Substitutionsgrades obliege den nationalen Gerichten. Diese haben anhand von Kriterien zu prüfen, ob „zumindest zwischen einem Teil der von den betreffenden Unternehmen angebotenen Produktpalette ein Wettbewerbsverhältnis besteht.“661 Dabei sei auch auf die im Rahmen des freien Warenverkehrs gegebenen Entwicklungsmöglichkeiten und auf neue Anreize für die Substitution von Erzeugnissen, die sich aus einem verstärkten Handel ergeben können, sowie auf die konkreten Merkmale der beworbenen Produkte, insbesondere das Image einer Ware oder Dienstleistung Rücksicht zu nehmen.662 Nach diesen Vorgaben spricht viel dafür, dass zwischen Champagner und Bier ein gewisser Substitutionsgrad besteht, so dass die jeweiligen Anbieter Mitbewerber im Sinne von Art. 2 lit. c, 4 IrreführungsRL sind. In einer früher ergangenen Entscheidung hatte der BGH ebenfalls bereits auf die Austauschbarkeit bzw. „Funktionsidentität“ der verglichenen Waren aus der Sicht der angesprochenen Verkehrskreise abgestellt.663 Das sei nicht der Fall, wenn die Parteien in völlig verschiedenen Branchen tätig sind und völlig unterschiedliche Produkte anbieten, wie eine Lotteriegesellschaft (Gewinnspiele) auf der einen und ein Wirtschaftsverlag (Zeitschriften) auf der anderen Seite.664 654 655 656 657

Siehe Art. 4 lit. d, f und h IrreführungsRL 2006. Art. 8 Abs. 1 UA 2 IrreführungsRL 2006. Siehe oben § 2 Rn. 181. Im Ergebnis auch Sack WRP 2008, 1141, 1146 (keine abweichende Umsetzung beabsichtigt); Dreyer GRUR 2008, 123, 128 f.; Köhler WRP 2009, 499, 500. 658 EuGH 19. 4. 2007 – C-381/05 – Slg. 2007 I-03115 = GRUR 2007, 511 – De Landtsheer. 659 Siehe Art. 4 lit. b IrreführungsRL 2006; EuGH 19. 4. 2007 – C-381/05 – Slg. 2007 I-03115 = GRUR 2007, 511 Tz. 28 ff. – De Landtsheer. 660 Vgl. EuGH 27. 2. 1980 – 170/78 – Slg. 1980, 417 Tz. 14 – Kommission/Vereinigtes Königreich; EuGH 9. 7. 1987 – 356/85 – Slg. 1987, 3299 Tz. 10 – Kommission/Königreich Belgien. 661 EuGH 19. 4. 2007 – C-381/05 – Slg. 2007 I-03115 = GRUR 2007, 511 Tz. 33 – De Landtsheer. 662 EuGH 19. 4. 2007 – C-381/05 – Slg. 2007 I-03115 = GRUR 2007, 511 Tz. 39 ff. – De Landtsheer. 663 BGH 17. 1. 2002 – I ZR 215/99 – GRUR 2002, 828 – Lottoschein. 664 BGH 17. 1. 2002 – I ZR 215/99 – GRUR 2002, 828, 829 – Lottoschein (zu vergleichender Werbung).

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B. Die Definitionen im Einzelnen

§2

Festzuhalten ist, dass für den Begriff des Mitbewerbers im Sinne von § 6 auf die Austauschbarkeit der verglichenen Produkte abzustellen ist. Auch wenn ein gewisser Grad an Substituierbarkeit genügt und auf die konkreten Merkmale, insbesondere das Image der gegenübergestellten Produkte Rücksicht zu nehmen ist,665 wird das erforderliche Wettbewerbsverhältnis nicht erst durch die vergleichende Werbung konstituiert, sondern es besteht unabhängig von der streitgegenständlichen Handlung aufgrund einer zumindest teilweise überlappenden, substituierbaren Produktpalette. Nicht unter § 6 und Art. 4 IrreführungsRL 2006 fallen hingegen insbesondere Fälle von Rufausbeutungen, die völlig verschiedene Produkte – etwa Blumen und Kaffee – betreffen. In einem solchen Fall stehen sich keine Mitbewerber i.S.v. § 6 gegenüber. Andernfalls wäre eine Bezugnahme auf Waren oder Dienstleistungen, die nicht teilweise und in gewisser Hinsicht den gleichen Bedarf decken oder dieselbe Zweckbestimmung aufweisen, schon gem. § 6 Abs. 2 Nr. 1 unlauter und unzulässig.666 Diesen Regelungsanspruch aber erhebt Art. 4 IrreführungsRL nicht. Die vollständige, also tief in die mitgliedstaatlichen Lauterkeitsrechte eingreifende Rechtsangleichung sollte nur den schmalen Bereich „echter“ vergleichender Werbung im Interesse einer marktkonformen Information der Verbraucher legalisieren.667 Im Übrigen sieht die IrreführungsRL 2006 nur eine Mindestharmonisierung für irreführende Werbung im B2B-Bereich vor;668 aggressive geschäftliche Handlungen zwischen Unternehmern sind weiterhin gar nicht vom europäischen Lauterkeitsrecht erfasst. Diese Tatbestände haben denn auch im UWG eine eigenständige Regelung in § 4 und für unternehmerische Abnehmer in §§ 5, 5a Abs. 1 erfahren. Hieran ist eine werbliche Äußerung wie „statt Blumen ONKO-Kaffee“ zu messen, die völlig verschiedene Waren oder Dienstleistungen betrifft.669 Kommt es dabei zum Beispiel zu einer Herabsetzung oder Verunglimpfung nicht substituierbarer Produkte, soll nach erklärter Absicht des Gesetzgebers gleichwohl ein konkretes Wettbewerbsverhältnis gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3670 und damit ggf. der Tatbestand des § 4 Nr. 1 vorliegen. Insoweit gilt der in § 2 Abs. 1 Nr. 3 kodifizierte, an das UWG 1896/1909 anknüpfende, autonom-deutsche Mitbewerberbegriff, der sich auch auf marktfremde Unternehmen erstreckt, wenn deren unternehmerische Interessen durch die geschäftliche Handlung ad hoc unmittelbar negativ betroffen sind.671 Folglich ist zwischen dem unionsrechtlichen Begriff des Mitbewerbers gem. § 6 und der in der Tradition des deutschen Lauterkeitsrechts stehenden Legaldefinition des Mitbewerbers gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 zu unterscheiden.672 Nur Letzterer erfasst auch Wettbewerbsverhältnisse zwischen Unternehmern, die völlig verschiedene, nicht substituierbare Produkte anbieten. Um eine richtlinienkonforme Auslegung des § 6 zu gewährleisten, ist das Tatbestandsmerkmal des „konkreten Wettbewerbsverhältnisses“ in §§ 2 Abs. 1 Nr. 3, 8 Abs. 3 Nr. 1, 9 S. 1 nach den Vorgaben der De Landtsheer-Entscheidung des EuGH auszulegen, soweit der Begriff des Mitbewerbers im Kontext vergleichender Werbung in Rede steht. Der Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 3 steht einer solch gespaltenen Auslegung nicht zwingend entgegen, zumal im Rahmen des § 6 auf die konkret verglichenen Produkte abzustellen ist. Die historische Auslegung fördert nur zu Tage, dass der deutsche Gesetzgeber den Unterschied zwischen dem Begriff des unmittel-

665 666 667 668 669 670

Insoweit kritisch Blankenburg WRP 2008, 186, 189 ff. Blankenburg WRP 2008, 186, 189. Beater WRP 2009, 768, 773. Vgl. Art. 8 Abs. 1 IrreführungsRL 2006. Verkannt von Boesche Rn. 45. RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 16 mit Verweis auf BGH 12. 1. 1972 – I ZR 60/70 – GRUR 1972, 553 – Statt Blumen ONKO-Kaffee. 671 Näher unten § 2 Rn. 472 ff. 672 Blankenburg WRP 2008, 186, 192 f.; Sack WRP 2008, 1141, 1145 ff.; Dreyer GRUR 2008, 123, 128 f.; Köhler WRP 2009, 499, 500; Ohly/Sosnitza Rn. 56; dem Grundsatz nach auch Harte/Henning/Keller Rn. 112; a. A. Sack GRUR 2011, 953, 958; Boesche Rn. 42 ff. m. w. N.

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bar Verletzten gem. UWG 1909 und dem vollharmonisierten Begriff des Mitbewerbers gem. § 6 übersehen hat, aber jedenfalls ein europarechtskonformes UWG zu kodifizieren gedachte.673

386 bb) Lauterkeitsrechtlicher Schutz vor Verwechslungen gem. § 5 Abs. 2. § 5 Abs. 2 erklärt geschäftliche Handlungen für irreführend, wenn sie im Zusammenhang mit der Vermarktung von Waren oder Dienstleistungen einschließlich vergleichender Werbung eine Verwechslungsgefahr mit einer anderen Ware oder Dienstleistung oder mit der Marke oder einem anderen Kennzeichen eines Mitbewerbers hervorrufen. Die Vorschrift setzt Art. 6 Abs. 2 lit. a UGPRL überschießend, nämlich nicht beschränkt auf geschäftliche Handlungen von Unternehmern gegenüber Verbrauchern, in deutsches Recht um. 387 Wie Art. 4 IrreführungsRL 2006 führt die UGPRL eine vollständige Rechtsangleichung herbei. Der Begriff des Mitbewerbers gem. § 5 Abs. 2 muss also gleichbedeutend mit dem von Art. 6 Abs. 2 lit. a UGPRL verwendeten Begriff sein, und zwar im Interesse der Kohärenz der Umsetzungsvorschrift auch, soweit von der UGPRL nicht erfasste geschäftliche Handlungen in Rede stehen. Die UGPRL definiert den Terminus des Mitbewerbers ebenso wenig wie die IrreführungsRL 388 2006. Dafür bezieht Art. 6 Abs. 2 lit. a UGPRL ausdrücklich vergleichende Werbung in den Anwendungsbereich der Norm mit ein. Diese ist in Art. 2 lit. c, 4 IrreführungsRL 2006 definiert und geregelt. Die Systematik und Einheitlichkeit des europäischen Lauterkeitsrechts sprechen dafür, dass daher auch der Begriff des Mitbewerbers in beiden Regelungen deckungsgleich ist. Für diese Auffassung lässt sich des Weiteren anführen, dass Verwechslungsgefahren zwischen Produkten und Kennzeichen in der Regel nur drohen, wenn eine gewisse Substituierbarkeit – markenrechtlich gesprochen eine „Ähnlichkeit“ – zwischen den betroffenen Waren und Dienstleistungen besteht.674 Folglich ist auch der richtlinienkonform auszulegende Begriff des Mitbewerbers i.S.v. § 5 389 Abs. 2 von der allgemeinen Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Nr. 3 zu unterscheiden. Im Hinblick auf § 5 Abs. 2 ist das Merkmal des „konkreten Wettbewerbsverhältnisses“ allein anhand der Kriterien der De Landtsheer-Entscheidung des EuGH zu bestimmen.675

390 cc) Anhang Nr. 13 zu § 3 Abs. 3. Im UWG 2008 hatte der Begriff des Mitbewerbers auch in Anhang Nr. 13 zu § 3 Abs. 3 Verwendung gefunden. Demnach sollte eine Werbung für eine Ware oder Dienstleistung, die der Ware oder Dienstleistung eines Mitbewerbers ähnlich ist, gegenüber Verbrauchern stets unzulässig sein, wenn dies in der Absicht geschieht, über die betriebliche Herkunft der beworbenen Ware oder Dienstleistung zu täuschen. In Nr. 13 Anhang I UGPRL ist demgegenüber nicht von einem Mitbewerber, sondern offener vom Produkt „eines bestimmten Herstellers“ die Rede. In diesem Sinne war der Begriff des Mitbewerbers in Anhang Nr. 13 UWG 2008 auszulegen.676 Im Zuge der UWG-Reform 2015 beseitigte der Rechtausschuss diese überflüssige Diskrepanz und ersetzte den „Mitbewerber“ durch den „bestimmten Hersteller“.677

673 Damit ist der Versuch, den Terminus des Mitbewerbers für das gesamte, zu einem guten Teil europäisierte UWG legal zu definieren, als gescheitert zu betrachten. Es spricht viel für eine ersatzlose Streichung von § 2 Abs. 1 Nr. 3. Allgemein zur Problematik, deutsche UWG-Tradition und europäisches Lauterkeitsrecht in einem Gesetz zu vereinigen, § 3 Rn. 17 f.; 157 ff. 674 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 91; Köhler WRP 2009, 499, 502; a. A. Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 3 Rn. D 14. 675 Nur diese Per-se-Mitbewerber sind für Verstöße gegen §§ 3, 5 Abs. 2 individuell anspruchsberechtigt. 676 GK-UWG/Peukert2 Rn. 390 m. w. N. 677 Rechtausschuss UWG 2015, BTDrucks. 18/6571, S. 15.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

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dd) Mitbewerberschutz gem. § 4. Nicht unionsrechtlich determiniert sind die in § 4 versam- 391 melten Fallgruppen des Mitbewerberschutzes.678 Auf sie ist daher die Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Nr. 3 uneingeschränkt anwendbar. Hier wie im Anwendungsbereich der Auffangklausel der Unlauterkeit gem. § 3 Abs. 1 kommt daher auch die Figur des marktfremden Ad-hocMitbewerbers zum Tragen, dessen unternehmerische Absatz- oder Nachfrageinteressen durch eine geschäftliche Handlung – wie zum Beispiel eine Rufausbeutung – unmittelbar beeinträchtigt sein können, so dass ein konkretes Wettbewerbsverhältnis etabliert wird.679 ee) Sonstiger Schutz von Mitbewerberinteressen gem. § 1 S. 1. Mitbewerber werden aber 392 nicht nur durch Regelungen des UWG geschützt, die – wie auch § 3a – ausdrücklich auf diese Kategorie von Marktteilnehmern Bezug nehmen oder wie § 7 Abs. 1 die Interessen aller Marktteilnehmer gewährleisten.680 Nach dem umfassend-integralen Konzept des deutschen Lauterkeitsrechts dienen auch primär verbraucherschützende Verbote mittelbar den wettbewerblichen Interessen der Mitbewerber. Denn ein auf unlauterem Handeln beruhender Geschäftsabschluss nimmt den Konkurrenten in verbotener Weise die Chance, den betreffenden wettbewerblichen Vorteil für sich zu verbuchen. Der diesbezügliche, in § 1 S. 1 zu verortende Begriff des Mitbewerbers ist vom europä- 393 ischen Lauterkeitsrecht nicht determiniert. Die UGPRL anerkennt ausdrücklich, dass unlautere Geschäftspraktiken im B2C-Geschäftsverkehr die wirtschaftlichen Interessen rechtmäßig handelnder Mitbewerber mittelbar schädigen können. Zugleich verbietet die Richtlinie den Mitgliedstaaten nicht, diese Auswirkungen bei der Anwendung der verbraucherschützenden Tatbestände zu berücksichtigen.681 Die IrreführungsRL 2006 hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, Bestimmungen aufrechtzuerhalten oder zu erlassen, die bei irreführender Werbung einen weiterreichenden Schutz der Gewerbetreibenden und der Mitbewerber als nach der Richtlinie vorsehen.682 Hieraus folgt, dass zumindest Mitbewerber im Sinne der Regelungen zu vergleichender Werbung – also Unternehmer, die in gewissem Grade substituierbare Produkte anbieten – vor Irreführungen gem. §§ 5, 5a Abs. 1 geschützt werden müssen.683 Der deutsche Gesetzgeber ist aber frei, über diese Mindestharmonisierung hinaus auch Unternehmer als Mitbewerber anzuerkennen und vor den Auswirkungen einer Irreführung zu bewahren, die in ganz anderen Märkten tätig sind als der Handelnde bzw. Geförderte.684 Folglich kann die Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Nr. 3 in all diesen Zusammenhängen uneingeschränkt zur Anwendung kommen. c) Anspruchsberechtigung. Die vorstehend erläuterte Offenheit des europäischen Lauter- 394 keitsrechts im Hinblick auf den Schutz von Mitbewerberinteressen und damit auch den Begriff des Mitbewerbers erweist sich vor allen Dingen auf der Ebene der Rechtsdurchsetzung. Insoweit verlangen die Richtlinien lediglich in allgemeiner Weise, dass geeignete und wirksame Mittel bereitgestellt werden. Diese Mittel umfassen gem. Art. 5 Abs. 1 IrreführungsRL 2006, 11 Abs. 1 UA 2 UGPRL Rechtsvorschriften, die es den Personen oder Organisationen, die nach dem nationalen Recht ein berechtigtes Interesse am Verbot irreführender Werbung oder an der Regelung vergleichender Werbung bzw. an der Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken haben, „einschließlich Mitbewerbern“, gestatten, bestimmte Rechtsbehelfe geltend zu ma678 679 680 681 682 683 684

Siehe § 3 Rn. 64. Siehe Dreyer GRUR 2008, 123, 126; Köhler WRP 2009, 499, 505; kritisch Beater WRP 2009, 768, 772. Köhler WRP 2009, 499, 500. Siehe ErwGrd. 6 und 8 UGPRL. Siehe Art. 8 Abs. 1 UA 1 IrreführungsRL 2006. Zum Schutz von Mitbewerbern vor Irreführungen gem. § 3 Abs. 1 siehe § 3 Rn. 269 ff. Dreyer GRUR 2008, 123, 129 f. So zum Beispiel, wenn ein KfZ-Reparaturbetrieb gegenüber Verbrauchern oder anderen Marktteilnehmern falsche Angaben über die Versicherungsleistungen eines KfZ-Versicherers macht; dazu unten § 2 Rn. 477.

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chen. Selbst wenn man dem Begriff des Mitbewerbers in diesen Vorschriften einen bestimmten, nämlich den in der De Landtsheer-Entscheidung des EuGH erläuterten Gehalt zuschreibt, steht es den Mitgliedstaaten nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts offen, auch anderen Personen eine individuelle Anspruchsberechtigung zuzuweisen, ggf. durch einen umfassenderen Begriff des Mitbewerbers. Umgekehrt steht das Unionsrecht verhältnismäßigen mitgliedstaatlichen Einschränkungen der Aktivlegitimation von Mitbewerbern zur Verhinderung rechtsmissbräuchlicher Abmahnungen nicht entgegen, wie sie im Referentenentwurf für ein Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs v. 30. 9. 2018 vorgesehen sind.685 Für den Begriff des Mitbewerbers gem. §§ 8 Abs. 3 Nr. 1, 9 S. 1 gilt daher die in § 2 Abs. 1 Nr. 3 kodifizierte, überkommene Figur des „unmittelbar Verletzten“, bei dem es sich auch um ein marktfremdes, ad hoc negativ betroffenes Unternehmen handeln kann.686 Unmittelbar Verletzte einer gem. § 6 oder § 5 Abs. 2 unlauteren geschäftlichen Handlung können nach der De Landtsheer-Entscheidung allerdings nur Unternehmer sein, die zumindest in gewisser Weise austauschbare Produkte anbieten. Daher ist auch der Kreis der individuell anspruchsberechtigten Unternehmer gem. §§ 8 Abs. 3 Nr. 1, 9 S. 1 auf sie begrenzt. Die abschließende Regelung der Anspruchsberechtigungen gem. §§ 8–10 bestätigt generell,687 dass nicht jeder irgendwie entfernt von einem unzulässigen Verhalten berührte Unternehmer zu den Mitbewerbern zählt, sondern eben nur ein solcher, der in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis zum unzulässig handelnden oder geförderten Unternehmer steht.688 Das gegenteilige Ergebnis ließe sich auf das ökonomische Modell des Kaufkraftwettbewerbs stützen, wonach jede unlautere geschäftliche Handlung allen Unternehmern auf dem vom UWG regulierten inländischen Markt in gewissem, wenn auch geringem Umfang Kaufkraft entzieht, und zwar unabhängig davon, ob sie auf demselben sachlichen, zeitlichen und ggf. räumlich begrenzten Markt agieren wie der Verletzer.689 Die §§ 2 Abs. 1 Nr. 3, 8 Abs. 3 Nr. 1 machen aber deutlich, dass ein engeres, eben konkretes Verhältnis zwischen Unternehmern betroffen sein muss, damit von einem Mitbewerber die Rede sein kann. Diese Konkretisierung ergibt sich entweder aus dem Umstand, dass die Unternehmer auf demselben sachlichen, zeitlichen und räumlichen Markt tätig sind, oder aus der streitgegenständlichen Handlung, die ad hoc einen antagonistischen, unternehmerischen Interessenkonflikt auslöst. Aus der Entstehungsgeschichte des § 2 Abs. 1 Nr. 3 und der Systematik des § 8 Abs. 3 ergibt sich schließlich, dass Mitbewerber von Unternehmern zu unterscheiden sind, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben. In dieser Formulierung des § 8 Abs. 3 Nr. 2 zur Anspruchsberechtigung von Verbänden lebt der früher sog. abstrakte Mitbewerber fort, dessen individuelle Klagebefugnis gem. § 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG 1994 entfallen ist.690 Die diesbezügliche Rechtsprechung darf trotz des Rekurses auf denselben Markt nicht ohne Weiteres zur Begründung eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses herangezogen werden.691

3. Jeder Unternehmer 399 Nur Unternehmer können Mitbewerber sein. Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ist nur gegeben, wenn hieran zwei oder mehr Unternehmer beteiligt sind.692 Das 685 686 687 688 689 690 691 692

Oben Rn. 370. RegE UWG 2004, BTDrucks 15/1487, S. 22. A.A. Sack WRP 2009, 1330, 1332 ff. Harte/Henning/Keller Rn. 124. Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 97; Harte/Henning/Keller Rn. 124. Siehe RegE UWG 2004, BTDrucks 15/1487, S. 22 f. Vgl. Köhler WRP 2009, 499, 500; Harte/Henning/Keller Rn. 116. BGH 10. 4. 2014 – I ZR 43/13 – WRP 2014, 1307 Tz. 21 f. – nickelfrei.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

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Verhältnis zwischen einem Unternehmer einerseits und einem Verbraucher oder einem nichtunternehmerisch agierenden, sonstigen Marktteilnehmer andererseits ist nie ein horizontales unter Mitbewerbern, sondern ein vertikales zwischen sich gegenüberstehenden Marktteilnehmern. Unternehmer ist gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs. jede natürliche oder juristische Person, die geschäftliche Handlungen im Rahmen ihrer gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit vornimmt. Unternehmerisch in diesem Sinne handelt, wer auch ohne Gewinnerzielungsabsicht planmäßig und dauerhaft Waren oder Dienstleistungen gegen Entgelt anbietet.693 Nach § 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs. gilt ferner jede Person, die im Namen oder Auftrag eines Unternehmers handelt, selbst als Unternehmer. Diese unternehmergleichen Personen betreiben keinen eigennützigen Wettbewerb, sondern fördern als Beauftragte oder Mitarbeiter den Wettbewerb eines fremden Auftraggeber- oder Arbeitnehmer-Unternehmens. In einer solchen Konstellation muss das konkrete Wettbewerbsverhältnis zwischen dem geförderten Unternehmen und dem Anspruchsteller bestehen. Hieraus folgt zugleich, dass Personen, die nur gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs. als Unternehmer gelten, ohne selbständig, planmäßig und dauerhaft Produkte gegen Entgelt anzubieten, keine Unternehmer im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3 sind.694 Zu ihnen kann kein konkretes Wettbewerbsverhältnis bestehen, sondern nur zum von ihnen geförderten, fremden Unternehmen. Die Unternehmer- und damit ggf. Mitbewerberstellung beginnt mit der Beschlussfassung zur Gründung eines Unternehmens und der Aufnahme ernsthafter Vorbereitungsmaßnahmen zur Eröffnung (Gründungsphase) und endet mit der endgültigen Einstellung der unternehmerischen Tätigkeit.695 Im Kontext der Anspruchsberechtigung eines Mitbewerbers werden insoweit zum Teil relativ strenge Anforderungen gestellt, um zu verhindern, dass Unternehmer sich eine wettbewerbsrechtliche Aktivlegitimation erschleichen. So wurden erste Vorbereitungen für eine künftige unternehmerische Aktivität, insbesondere in Gestalt von Anträgen auf behördliche Genehmigungen, teilweise noch nicht als ausreichend für die Annahme einer Mitbewerberstellung erachtet.696 Für Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche muss die Unternehmerstellung noch zum Ende der letzten mündlichen Verhandlung gegeben sein; bei Schadensersatzansprüchen kommt es auf den Zeitpunkt der angegriffenen geschäftlichen Handlung an.697 Unternehmerisch agierender Mitbewerber kann auch eine Konzern- oder Holdinggesellschaft sein, soweit sie mit Außenwirkung im Wettbewerb in Erscheinung tritt. Bejaht wurde dies für den Hersteller von Produkten, die nur an Tochtergesellschaften geliefert werden,698 für Franchisegeber699 und eine Muttergesellschaft, die die Geschäftspolitik einer ganzen Unternehmensgruppe sowie deren streitgegenständliches Auftreten in der Öffentlichkeit bestimmt.700 Keine Unternehmer und damit auch keine Mitbewerber i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 3 sind demgegenüber für den privaten Eigenbedarf Produkte nachfragende oder anbietende Verbraucher sowie nicht unternehmerisch agierende sonstige Marktteilnehmer wie Idealvereine, Kir693 Dazu im Einzelnen unten § 2 Rn. 605 ff. sowie OLG Frankfurt a. M. 17. 3. 2005 – 6 U 195/04 – MMR 2005, 461 f. 694 Unten § 2 Rn. 659. 695 Näher unten § 2 Rn. 624 ff. Zu gesellschaftsrechtlichen Umwandlungen OLG Hamburg 9. 9. 2010 – 3 U 58/09 – BeckRS 2010, 26123. 696 KG 11. 11. 1980 – 5 U 3844/80 – WRP 1981, 461 f. – Linienverkehr; OLG Hamburg 6. 5. 1982 – 3 U 12/82 – WRP 1982, 533 f.; enger noch RefE Fairer Wettbewerb, S. 20 (Wettbewerber, die ihre Geschäftstätigkeit gerade erst aufgenommen haben, werden sich auf das im Entwurf vorgesehene Erfordernis, wonach aktivlegitimiert nur Mitbewerber sind, die nachweisen können, dass sie tatsächlich in nicht unerheblichem Maße ähnliche Waren oder Dienstleistungen vertreiben oder nachfragen wie derjenige, der die unzulässige geschäftliche Handlung vorgenommen hat, „nur in Ausnahmefällen berufen können“). 697 Köhler WRP 2009, 499, 503. 698 BGH 21. 1. 2016 – I ZR 252/14 – WRP 2016, 974 Tz. 17–25 – Kundenbewertung im Internet. 699 BGH 26. 11. 1992 – I ZR 108/91 – GRUR 1993, 563 – Neu nach Umbau (Franchisegeber). 700 OLG Bremen 9. 4. 2010 – 2 U 7/10 – BeckRS 2011, 16475 – swb.

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chen und der Staat bei der Erfüllung ihrer außergeschäftlichen Aufgaben. Konkurrieren diese Personen untereinander, um z. B. auf privaten Flohmärkten erfolgreich Verkäufe zu tätigen oder für ihren privaten oder sonst außergeschäftlichen Zweck Produkte beziehen zu können, so liegen weder geschäftliche Handlungen gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 noch konkrete Wettbewerbsverhältnisse gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 vor. Interessenkonflikte unter Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern unterliegen auch dann nicht dem UWG, wenn sie sich auf wirtschaftliche Erwerbstatbestände beziehen. Einschlägig ist dann vielmehr das allgemeine Deliktsrecht.701

4. Der mit einem oder mehreren Unternehmern in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis steht a) Der Begriff des konkreten Wettbewerbsverhältnisses 406 aa) Wortlaut und entstehungsgeschichtlicher Hintergrund. Aus dem Wortlaut von § 2 Abs. 1 Nr. 3 folgt zunächst, dass ein konkretes Wettbewerbsverhältnis nur zwischen Unternehmern im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs. bestehen kann. Doch schon der Begriff des „Wettbewerbsverhältnisses“ hat nur geringe Aussagekraft. Das 407 UWG erfasst gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 jedes geschäftliche Verhalten, das sich zugunsten eines Unternehmens auswirken kann. Hierbei kann es sich auch um ein Monopolunternehmen handeln, das gar keinem Wettbewerb ausgesetzt ist.702 Wenn das UWG die geschäftlichen Handlungen eines Monopolisten wirksam regulieren soll, muss es auch in einer solchen Konstellation Mitbewerber geben, die gegen unzulässiges Marktverhalten individuell vorgehen können. Folglich sind jedenfalls diejenigen Unternehmer als Mitbewerber anzuerkennen, die ernsthafte Vorbereitungshandlungen treffen, um in einen noch monopolistisch dominierten Markt als neue Konkurrenten einzutreten. Ein solch potentielles Wettbewerbsverhältnis genügt für die Mitbewerberstellung ebenso wie der Umstand, dass sich die Produktpalette eines über ein gesetzlich abgesichertes Monopol verfügenden Unternehmens mit derjenigen eines anderen Anbieters nur teilweise deckt.703 408 Aus dem Wort „konkret“ lässt sich immerhin folgern, dass Ausgangspunkt der Betrachtung die angegriffene geschäftliche Handlung und die hierdurch ggf. konstituierte Wettbewerbsbeziehung zu einem anderen Unternehmer ist. Jedenfalls nicht allein maßgeblich ist hingegen die vom konkreten Fall losgelöste Prüfung, ob die von den Streitparteien angebotenen Produkte substituierbar sind und daher ein Konkurrenzverhältnis auf demselben Markt besteht. Ein solch abstraktes Wettbewerbsverhältnis zwischen Unternehmern, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben, ist im Rahmen von § 8 Abs. 3 Nr. 2 ausschlaggebend, nicht jedoch für den Begriff des Mitbewerbers gem. §§ 2 Abs. 1 Nr. 3, 8 Abs. 3 Nr. 1. Diese Unterscheidung entspricht der Regelungsabsicht des historischen Gesetzgebers, der mit § 2 Abs. 1 Nr. 3 die Figur des unmittelbar Verletzten gem. §§ 1, 3 UWG a. F. kodifizieren wollte, während die Anspruchsberechtigung des abstrakten Mitbewerbers gem. § 13 Abs. 2 Nr. 1 ersatzlos entfiel.704 409 Trotz dieser Anknüpfung an die frühere Rechtspraxis muss als ungeklärt gelten, unter welchen Voraussetzungen von einem ausreichend konkreten Wettbewerbsverhältnis zwischen Unternehmern ausgegangen werden kann. In Rechtsprechung und Literatur werden unterschiedliche Lösungsansätze vertreten.

410 bb) Wechselbeziehung zwischen Vorteilen und Nachteilen. Nach der amtlichen Begründung zu § 2 Abs. 1 Nr. 3 liegt ein konkretes Wettbewerbsverhältnis vor, „wenn zwischen den 701 702 703 704

Köhler WRP 2009, 499, 503. Oben § 2 Rn. 21. BGH 29. 3. 2007 – I ZR 122/04 – GRUR 2007, 1079, 1081 – Bundesdruckerei. Oben § 2 Rn. 362 ff.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

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Vorteilen, die jemand durch eine Maßnahme für sein Unternehmen oder das eines Dritten zu erreichen sucht und den Nachteilen, die ein anderer dadurch erleidet, eine Wechselbeziehung in dem Sinne besteht, dass der eigene Wettbewerb gefördert und der fremde Wettbewerb beeinträchtigt werden kann.“705 Diese Wechselwirkungslehre lässt sich bis zu einer Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahr 1899 zurückverfolgen und wird vom BGH in ständiger Rechtsprechung praktiziert.706 Die hierauf beruhende Rechtspraxis erweist sich aber bei näherer Prüfung als uneinheitlich und nicht frei von Widersprüchen. In der Regel wird ein konkretes Wettbewerbsverhältnis i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 3 damit begründet, 411 dass die Parteien, wenn auch auf unterschiedlichen Wirtschaftsstufen (Hersteller, Groß- und Einzelhändler), gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen suchen mit der Folge, dass das konkret beanstandete Wettbewerbsverhalten des einen Wettbewerbers den anderen beeinträchtigen, das heißt im Absatz behindern oder stören kann.707 Diese Per-se-Mitbewerber bieten zumindest zu einem gewissen Grade substituierbare Produkte auf demselben sachlichen, zeitlichen und räumlichen Markt an. Wird die Wettbewerbsposition eines Konkurrenten durch unzulässige Handlungen gefördert, werden die Chancen der anderen, auf diesem Markt tätigen Unternehmer beeinträchtigt. Dies gilt auch dann, wenn die unlautere geschäftliche Handlung gegenüber Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern vorgenommen wird. Denn um deren Gunst wirbt auch der Mitbewerber, der konsequent gegen jede unzulässige geschäftliche Handlung seiner Konkurrenten vorgehen kann. Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis kann aber auch zwischen Unternehmern bestehen, 412 die nicht auf demselben Markt, sondern in verschiedenen Branchen tätig sind. Das Wettbewerbsverhältnis wird in diesem Fall ad hoc durch die konkrete Handlung begründet, so beispielsweise unter dem Aspekt der Behinderung, wenn ein Unternehmen für Kaffee als Geschenk mit dem Hinweis „statt Blumen ONKO-Kaffee“ wirbt. Auf eine Beeinträchtigung des Absatzes der ungleichartigen Waren soll es dann nicht ankommen.708 Auch andere Rechtsprechungsgrundsätze erweisen sich als ambivalent. Einerseits 413 werden im Interesse eines wirksamen wettbewerbsrechtlichen Individualschutzes an das Bestehen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses keine hohen Anforderungen gestellt. Deshalb, und weil für die lauterkeitsrechtliche Beurteilung „regelmäßig“ die konkret beanstandete Handlung maßgeblich sei, durch die die Parteien in Wettbewerb treten, müssten die Unternehmen nicht derselben Branche angehören.709 Ausreichend sei es, dass sich der Verletzer durch seine Verletzungshandlung im konkreten Fall in irgendeiner Weise in Wettbewerb zu dem Betroffenen stellt.710 Die weite Auslegung des Begriffs „konkretes Wettbewerbsverhältnis“ soll einen allgemeinen Rechtsgrundsatz darstellen.711

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RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 16. Oben § 2 Rn. 357 und BGH 19. 4. 2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 Tz. 17 – Werbeblocker II m. w. N. St. Rspr., zuletzt BGH 19. 4. 2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 Tz. 17 – Werbeblocker II m. w. N. RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 16. Der BGH spricht insoweit von einem „mittelbaren“ Wettbewerbsverhältnis; BGH 17. 10. 2013 – I ZR 173/12 – WRP 2014, 552 Tz. 17 – Werbung für Fremdprodukte. 709 BGH 10. 1. 1972 – I ZR 60/70 – GRUR 1972, 553 – Statt Blumen ONKO-Kaffee; BGH 29. 11. 1984 – I ZR 158/82 – BGHZ 93, 96 = GRUR 1985, 550 – DIMPLE; BGH 7. 12. 1989 – I ZR 3/88 – GRUR 1990, 375 – Steuersparmodell; BGH 30. 4. 1997 – I ZR 30/95 – GRUR 1997, 934, 935 – 50 % Sonder-AfA; BGH 5. 10. 2000 – I ZR 237/98 – GRUR 2001, 260, 261 – Vielfachabmahner; BGH 24. 6. 2004 – I ZR 26/02 – GRUR 2004, 877 – Werbeblocker; BGH 13. 7. 2006 – I ZR 241/03 – GRUR 2006, 1042 Tz. 16 – Kontaktanzeigen; BGH 3. 5. 2007 – I ZR 19/05 – GRUR 2007, 978 Tz. 17 – Rechtsberatung durch Haftpflichtversicherer; BGH 22. 4. 2009 – I ZR 216/06 – GRUR 2009, 845 Tz. 40 – Internet-Videorecorder; KG 30. 6. 2006 – 5 U 127/05 – GRUR 2007, 254 f. – Getarnte Link-Werbung; OLG Hamm 1. 3. 2007 – 4 U 142/06 – GRUR-RR 2007, 282, 283; OLG Köln 5. 6. 2009 – 6 U 223/08 – GRUR-RR 2009, 339 ff. 710 BGH 19. 4. 2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 Tz. 17 – Werbeblocker II. 711 BGH 10. 4. 2014 – I ZR 43/13 – WRP 2014, 1307 Tz. 32 – nickelfrei; BGH 19. 4. 2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 Tz. 17 – Werbeblocker II („grundsätzlich“); Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 97 (Grundsatz der weiten Auslegung); Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 3 Rn. D 47 (Rechtsgrundsatz).

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Andererseits ist immer wieder und in den letzten Jahren verstärkt das Bemühen der Rechtsprechung erkennbar, den Kreis der individuell anspruchsberechtigten Mitbewerber zu begrenzen.712 Nicht ausreichend sei es, wenn die Maßnahme den anderen nur irgendwie in seinem Marktstreben betreffe; eine bloße Beeinträchtigung reiche zur Begründung eines Wettbewerbsverhältnisses nicht aus, wenn es an jeglichem Konkurrenzmoment im Angebots- oder Nachfragewettbewerb fehle.713 So soll ein Internetdiensteanbieter, der Suchmaschinenoptimierung betreibt, kein Mitbewerber eines Internetdiensteanbieters sein, der Domainregistrierungen anbietet. Trotz der großen Branchennähe, wenn nicht -identität werde der Anspruchsteller durch einen behaupteten Verstoß gegen verbraucherschützende Marktverhaltensregeln (AGBRecht) nur potentiell mit einer nur geringen Wahrscheinlichkeit beeinträchtigt, so dass es an einer „irgendwie konkret fassbaren Beeinträchtigung eigener wettbewerblicher Interessen“ fehle.714 Eine ebenso restriktive Linie verfolgt der BGH im Hinblick auf das Verhältnis zwischen rechtsberatenden und nicht rechtsberatenden Tätigkeiten. Weder in der Konstellation, dass Rechtsanwälte lauterkeitsrechtliche Ansprüche, etwa wegen unerwünschter Werbe-E-Mails von Anlageberatern, geltend machen,715 noch in der umgekehrten Fallgestaltung, dass ein Unternehmen aus der Branche, in der ein Anwalt überwiegend tätig ist, gegen dessen Äußerungen vorgeht,716 sieht der BGH ein konkretes Wettbewerbsverhältnis als gegeben an. Dabei spielt auch die generelle Wertung eine Rolle, eine „ungebührliche Ausweitung der wettbewerbsrechtlichen Anspruchsberechtigung“ zu vermeiden.717 Diese Beispiele zeigen, dass die Wechselwirkungslehre kein brauchbares Kriterium zur 415 Bestimmung des Begriffs „konkretes Wettbewerbsverhältnis“ liefert. Der angebliche Grundsatz einer weiten Auslegung im Interesse eines wirksamen lauterkeitsrechtlichen Individualschutzes wird von der Rechtsprechung in bestimmten Konstellationen mit offenbar gegensätzlicher Zielsetzung nicht befolgt. Diese Differenzierungen können mit dem Erfordernis einer Vorteil-Nachteil-Korrelation nicht erklärt werden.718 Es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, dass die Frage der Mitbewerberstellung und damit Aktivlegitimation auch von an sich sachfremden Erwägungen zur Verbots- und Sanktionierungswürdigkeit der angegriffenen Handlung bzw. der latenten Rechtsmissbräuchlichkeit des Vorgehens des Anspruchstellers abhängig gemacht wird. Zurückhaltung ist insbesondere spürbar, wenn Vertreter rechtsberatender Berufe als Partei am Verfahren beteiligt sind.719

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416 cc) Verdichtete Wettbewerbsbeziehung. In der Literatur wird vorgeschlagen, den Begriff des konkreten Wettbewerbsverhältnisses als eine „irgendwie ‚verdichtete‘ Wettbewerbsbeziehung“720 bzw. als gesteigerte Nähebeziehung im Wirtschaftsverkehr aufzufassen, die es wahrscheinlich mache, dass die Vorteile der unternehmerischen Tätigkeit des einen auf Kosten der unternehmerischen Tätigkeit des anderen gehen.721 712 Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 33 Rn. 17a. 713 BGH 17. 10. 2013 – I ZR 173/12 – WRP 2014, 552 Tz. 21 – Werbung für Fremdprodukte (geringerer Provisionsanspruch für Werbung); BGH 19. 4. 2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 Tz. 17 – Werbeblocker II. 714 OLG München 8. 7. 2010 – 29 U 2252/10 – MMR 2011, 99 f. 715 BGH 20. 5. 2009 – I ZR 218/07 – GRUR 2009, 980, 981 – E-Mail-Werbung II; kritisch Sack WRP 2009, 1330, 1332 ff. 716 BGH 26. 1. 2017 – I ZR 217/15 – WRP 2017, 1085 Tz. 17 ff. – Wettbewerbsbezug. 717 BGH 26. 1. 2017 – I ZR 217/15 – WRP 2017, 1085 Tz. 20 – Wettbewerbsbezug; vgl. auch Beispiel: OLG Frankfurt 28. 1. 2016 – 6 W 4/15 – WRP 2015, 461 f. (Fotograf v. Rechtsanwalt). 718 Insoweit zutreffend die Kritik von Sack WRP 2009, 1330, 1332 ff. 719 Vgl. z. B. die Entscheidungen BGH 10. 4. 2014 – I ZR 43/13 – WRP 2014, 1307 – nickelfrei sowie BGH 19. 4. 2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 – Werbeblocker II (Mitbewerberstellung bejaht) mit BGH GRUR 2017, 918 Tz. 16 – Wettbewerbsbezug (Online-Reisedienst v. Verbraucherschutzverband); OLG Frankfurt 28. 1. 2016 – 6 W 4/15 – WRP 2015, 461 f. (Fotograf v. Rechtsanwalt). 720 Harte/Henning/Keller Rn. 127. 721 Dreyer GRUR 2008, 123, 126.

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Auch diese Ansätze führen nicht weiter. Zum einen stellen ihre Vertreter weiterhin auf 417 die überkommene Vorteil-Nachteil-Korrelation ab. Zum anderen mangelt es an einem Kriterium, anhand dessen vorhersehbar beurteilt werden kann, ob eine ausreichende Verdichtung bzw. Nähe der wirtschaftlichen Beziehungen gegeben ist.

dd) Behinderungs- und Substitutionswettbewerb. Nach Auffassung von Köhler hängt der 418 Begriff des konkreten Wettbewerbsverhältnisses und damit das Vorliegen einer Mitbewerberstellung davon ab, ob ein Fall des Behinderungs- oder des Substitutionswettbewerbs gegeben ist. Die in § 4 geregelten Tatbestände beträfen Fälle des unlauteren Behinderungswettbewerbs. Werde ein solcher Vorwurf erhoben, liege ein konkretes Wettbewerbsverhältnis vor, wenn die streitgegenständliche geschäftliche Handlung objektiv geeignet und darauf gerichtet sei, den Absatz oder Bezug des Handelnden zum Nachteil des Absatzes oder Bezuges eines anderen Unternehmers zu fördern.722 In § 5 Abs. 2 und § 6 würden Mitbewerber hingegen vor unlauterem Substitutionswettbewerb geschützt. Insoweit sei nach der De Landtsheer-Entscheidung des EuGH zu fragen, ob die von den Streitparteien angebotenen Produkte aus der Sicht der angesprochenen Verkehrskreise zumindest zu einem gewissen Grade austauschbar sind.723 Der Mitbewerberbegriff gem. §§ 8 Abs. 3 Nr. 1, 9 S. 1 sei abhängig von der geltend gemachten Zuwiderhandlung in der einen oder anderen Weise auszulegen.724 Richtig ist, dass der Begriff des Mitbewerbers gem. § 5 Abs. 2 und § 6 richtlinienkonform 419 und daher abweichend von der in § 2 Abs. 1 Nr. 3 kodifizierten deutschen Tradition auszulegen ist. Diese Erkenntnis ist aber von der weitergehenden Frage der Auslegung des Begriffs des konkreten Wettbewerbsverhältnisses zu unterscheiden, soweit jener nicht unionsrechtlich geprägt ist. Hierfür rekurriert Köhler aber mit der herrschenden Meinung auf die Wechselwirkungslehre, die sich als unbrauchbar erwiesen hat. Hinzu kommt, dass die Kategorien des Behinderungs- und Substitutionswettbewerbs dem 420 UWG fremd sind. Nach dem Vorbild der UGPRL sind vielmehr irreführende, aggressive und sonst das Allgemeininteresse am unverfälschten Wettbewerb beeinträchtigende geschäftliche Handlungen zu unterscheiden.725 Mitbewerber gem. § 4 ist jedenfalls, wer auf demselben Markt tätig ist. Für diese Unternehmer stellt sich eine unlautere Nachahmung oder Anschwärzung nicht nur als verbotene Behinderung, sondern auch und ggf. sogar primär als unlautere Substitution ihrer Produkte dar. Vor allem aber lässt Köhlers Lösungsvorschlag offen, wie der Begriff des Mitbewerbers gem. §§ 8 f. bei Verstößen gegen §§ 3a, 4a-5a und § 7 zu bestimmen ist. Gerade in Bezug auf diese Tatbestände, insbesondere im Hinblick auf § 3a und § 7 Abs. 2 Nr. 3, judiziert die Rechtsprechung in einer Art und Weise, die mit der überkommenen Wechselwirkungslehre nicht mehr erklärt werden kann. ee) Die besondere Interessenlage von Mitbewerbern. Beater schlägt vor, die Entschei- 421 dung über ein konkretes Wettbewerbsverhältnis von der Interessenlage abhängig zu machen.726 Demnach seien Unternehmen Mitbewerber, „sofern und soweit sie gegenläufige geschäftliche Interessen haben, also insbesondere im eigenen geschäftlichen Interesse auf die ‚Vernichtung‘ des jeweils anderen zielen müssen. Sie sind dagegen keine Mitbewerber, wenn sie gleichgerichtete geschäftliche Interessen haben. Eine solche Gleichrichtung von Interessen kommt namentlich in Betracht, wenn ein Unternehmen aus geschäftlichem Eigeninteresse auf 722 Köhler WRP 2009, 499, 506; wohl auch Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 33 Rn. 35 (gezielte Substitutionshinweise).

723 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 108a. 724 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 98; zustimmend OLG Nürnberg 12. 11. 2019 – 3 U 592/19 –, juris Tz. 46 ff. Von „Substitutionswettbewerb“ spricht auch BGH 26. 1. 2017 – I ZR 217/15 – WRP 2017, 1085 Tz. 19 – Wettbewerbsbezug. 725 Vgl. § 3 Rn. 116 ff. 726 Beater WRP 2009, 768, 773 ff.; ders. Rn. 1691 ff.

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die Belange des anderen Unternehmens Rücksicht nehmen wird, wenn der Erfolg des handelnden Unternehmens auch dem anderen Unternehmen zugutekommen kann und wenn der Schaden des beeinträchtigten Unternehmens auch das handelnde Unternehmen trifft.“727 422 Demgemäß seien Sendeunternehmen und Anbieter von Werbeblockern oder Unternehmer auf verschiedenen Wirtschaftsstufen wie Hersteller und Großhändler entgegen der herrschenden Meinung nicht als Mitbewerber, sondern als sonstige Marktteilnehmer einzuordnen, da sie aufeinander angewiesen seien oder jedenfalls ein Interesse am dauerhaften Fortbestand des anderen Unternehmens hätten. Rufausbeutungen und Substitutionswettbewerb wie in der Entscheidung „statt Blumen ONKO-Kaffee“ könnten hingegen auch im Verhältnis zwischen branchenfremden Unternehmen eine Mitbewerberstellung begründen.728 Dieser Betrachtungsweise ist insoweit zuzustimmen, als für den Begriff des Mitbewerbers 423 in der Tat auf die typische, antagonistische Interessenlage im Wettbewerb abgestellt werden sollte. Die jeweiligen Interessen und Rollen im Wettbewerb sind aber – anders als die kategorische Unterscheidung Beaters nahelegt – nicht statisch verteilt, sondern entwickeln sich dynamisch in Reaktion auf das Verhalten der je anderen Marktteilnehmer. Da das UWG als Verhaltensunrecht konzipiert ist, muss auch die Auslegung des Begriffs des Mitbewerbers von der angegriffenen geschäftlichen Handlung und der durch sie ggf. erstmalig konstituierten Interessenbeziehung zwischen den Unternehmen ausgehen. Zudem vermögen die Schlussfolgerungen Beaters nicht zu überzeugen. Unternehmen auf verschiedenen Wirtschaftsstufen oder das von einem Werbeblocker beeinträchtigte Sendeunternehmen nicht als Mitbewerber, sondern als sonstige Marktteilnehmer einzuordnen, ihnen aber dennoch ein eigenständiges Klagerecht als unmittelbar Verletzte zuzugestehen,729 ist weder mit dem Wortlaut und der Systematik des UWG noch mit der Absicht des Reformgesetzgebers vereinbar.

424 ff ) Antagonistische, unternehmerische Interessenkollision. Statt also eine der Konzeption des UWG zuwiderlaufende Dogmatik des Mitbewerbers zu entwickeln, ist ein Erklärungsansatz gefragt, der die Spannung, wenn nicht den Widerspruch zwischen status- und handlungsbezogener Regulierung im UWG bewältigt.730 Diese Spannung beruht darauf, dass § 2 einerseits mehrere Personenkategorien definiert. 425 Das erweckt den Eindruck, als könnten Personen ex ante anhand abstrakter Kriterien als Marktteilnehmer, Mitbewerber, Unternehmer und/oder Verbraucher eingeordnet werden. Dieser Eindruck aber täuscht. Denn andererseits besteht der Regelungsgegenstand des UWG darin, unzulässige geschäftliche Handlungen zu untersagen. Diese können gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 von prinzipiell jeder Person vorgenommen werden, so wie in Ausübung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit jede natürlich und juristische Person Marktteilnehmer, Mitbewerber und Unternehmer sein bzw. werden kann, und jede natürliche Person ggf. auch als Verbraucher agiert. Welcher Kategorie eine Person unterfällt, kann nur mit Rücksicht auf die konkret in Rede stehende geschäftliche Handlung beantwortet werden. Hier also muss das Verständnis aller Personenkategorien des § 2 einschließlich derjenigen des Mitbewerbers ansetzen.731 Demnach ist Mitbewerber 426 – jeder Unternehmer, – der durch die angegriffene geschäftliche Handlung (zugunsten des handelnden oder geförderten Unternehmens, § 2 Abs. 1 Nr. 1) 727 728 729 730

Beater WRP 2009, 768, 776. Beater WRP 2009, 768, 774 ff. So Beater WRP 2009, 768, 778 ff. Kritisch auch Beater WRP 2009, 768, 773 („Der Gesetzgeber hat dem Wettbewerbsrecht mit der Definition eines einheitlichen Mitbewerberbegriffs einen Bärendienst erwiesen.“). 731 BGH 17. 10. 2013 – I ZR 173/12 – WRP 2014, 552 Tz. 19 – Werbung für Fremdprodukte; Harte/Henning/Keller Rn. 130; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 96, 98.

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in seinen gegenläufigen Interessen am Absatz der eigenen Waren oder Dienstleistungen oder an der Nachfrage für das eigene Unternehmen – unmittelbar nachteilig betroffen ist. Das konkrete Wettbewerbsverhältnis besteht somit in einer, durch die streitgegenständliche geschäftliche Handlung ausgelösten, antagonistischen, unternehmerischen Interessenlage. Eine solche Konstellation ist typischerweise zwischen Unternehmern gegeben, die austauschbare Produkte auf demselben räumlichen und zeitlichen Markt anbieten. Fördert einer seine Wettbewerbsposition in unzulässiger Weise, reduziert er dadurch die gegenläufigen Absatz- oder Nachfragechancen eines anderen, nicht zum Zuge kommenden Unternehmers in diesem Markt.732 Dieser Zusammenhang zwischen unzulässigen Vorteilen und vom UWG zu verhindernden bzw. auszugleichenden Nachteilen besteht zum einen, wenn ein Unternehmer seine Mitbewerber irreführt, gegen sie mit wettbewerbsfremder Aggressivität vorgeht oder eine sonstige unlautere geschäftliche Handlung ihnen gegenüber vornimmt. Aber auch wenn sich ein Unternehmer gegenüber den auf der Marktgegenseite agierenden Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern in unzulässiger Weise verhält, werden hierdurch typischerweise die wirtschaftlichen Interessen anderer, auf dem Markt tätiger Unternehmer unmittelbar beeinträchtigt. Die auf demselben Markt tätigen Unternehmer sind daher per se Mitbewerber. Das zwischen ihnen bestehende Wettbewerbsverhältnis ist ein konkretes i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 3, weil sie auf einem Markt miteinander konkurrieren. Eine antagonistische Interessenlage kann sich aber auch zwischen Unternehmern einstellen, die auf unterschiedlichen Märkten nicht substituierbare Produkte anbieten oder nachfragen.733 Eine solche Situation ist als atypisch einzuschätzen, da auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist, weshalb ein Unternehmer in Konflikt mit einem Unternehmer geraten soll, der auf einem ganz anderen Markt agiert. Die Erfahrung lehrt aber, dass Beeinträchtigungen des Absatzes734 marktfremder Unternehmen durchaus häufig vorkommen. So kollidieren unternehmerische Absatzinteressen zum Beispiel, wenn der Anbieter einer Werbeblocker-Software es Internetnutzern ermöglicht, Werbeanzeigen auf Verlagsseiten zu blockieren; wenn Verbraucher in der Werbung aufgefordert werden, statt Blumen ONKO-Kaffee als Mitbringsel zu erwerben; wenn ein Unternehmer Werbeplakate für ganz andere Produkte überklebt; oder wenn ein Unternehmer benachbarte Ladengeschäfte mit anderem Sortiment verunglimpft oder herabsetzt, um Kunden zu gewinnen. In diesen Fällen wird das Wettbewerbsverhältnis durch die angegriffene geschäftliche Handlung ad hoc begründet und konkretisiert. Hierfür ist aber Voraussetzung, dass das streitgegenständliche Marktverhalten die unternehmerische Entfaltungsfreiheit des marktfremden Unternehmens unmittelbar beeinträchtigen kann. Nur theoretisch mögliche oder jeden marktfremden Unternehmer in gleicher Weise tangierende Beeinträchtigungen genügen nicht.735 Das Unmittelbarkeitserfordernis nimmt Rücksicht auf die aus §§ 8 Abs. 3 Nr. 1, 9 S. 1 ableitbare Wertung des Gesetzes, dass nicht alle Unternehmer als Mitbewerber individuell anspruchsberechtigt sein sollen, sondern nur solche, die von einer geschäftlichen Handlung individualisierbar und besonders betroffen sind.736 Zu732 BGH 26. 1. 2017 – I ZR 217/15 – WRP 2017, 1085 Tz. 19 – Wettbewerbsbezug (Substitutionswettbewerb); OLG Hamburg 15. 11. 2007 – 3 U 231/06 – BeckRS 2008, 08332; Harte/Henning/Keller Rn. 130, 133; Beater Rn. 1693; vgl. auch Baumbach/Hefermehl Einl. UWG Rn. 220 ff. 733 Baumbach/Hefermehl Einl. UWG Rn. 228 ff.; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/ Pommerening § 33 Rn. 23 (andere „Branchen“). 734 Kaum vorstellbar ist hingegen eine Kollision unternehmerischer Nachfrageinteressen, wenn die betreffenden Unternehmer weder auf denselben Absatz- noch denselben Nachfragemärkten tätig sind und daher nicht schon per se zu den Mitbewerbern zählen. 735 BGH 17. 10. 2013 – I ZR 173/12 – GRUR 2014, 573 Tz. 20 f. – Werbung für Fremdprodukte; BGH GRUR 2014, 1114 Tz. 32 − nickelfrei; BGH GRUR 2017, 918 Tz. 16 – Wettbewerbsbezug; BGH 19. 4. 2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 Tz. 17 – Werbeblocker II. 736 Vgl. auch Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 33 Rn. 38.

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dem soll § 2 Abs. 1 Nr. 3 die frühere Rechtsprechung zum unmittelbar Verletzten kodifizieren, die ebenfalls verlangte, dass eine greifbare Beeinträchtigung unternehmerischer Absatzinteressen vorgebracht wurde.737 Das Kriterium der Unmittelbarkeit wurde nur deshalb nicht in den Wortlaut des Gesetzes aufgenommen, weil es sich bereits aus dem Erfordernis des konkreten Wettbewerbsverhältnisses ergebe.738 431 Folglich können unlautere geschäftliche Handlungen gegenüber Verbrauchern und sonstigen, nicht unternehmerisch agierenden Marktteilnehmern nur von Unternehmern lauterkeitsrechtlich verfolgt werden, die auf demselben Markt wie der Handelnde tätig sind.739 Denn derartige, auf das Nachfrageverhalten der Marktgegenseite gerichtete Verhaltensweisen betreffen nur deren Absatzinteressen unmittelbar, während Unternehmer auf anderen Märkten hiervon allenfalls mittelbar, im Sinne eines unstreitig nicht genügenden Kaufkraftwettbewerbs tangiert sind. Ein Presseverlag kann daher gegen den Anbieter von Werbeblocker-Software nur eine gezielte Behinderung seines eigenen Marktauftritts geltend machen, nicht aber eine unlautere Aggressivität gegenüber allen Werbetreibenden als sonstigen Marktteilnehmern (§§ 4a, 2 Abs. 1 Nr. 2).740 Der Inhaber eines Patents zur Herstellung nickelfreien Edelstahls ist nicht aktivlegitimiert, gegen die irreführende Werbung eines Schmuckhändlers für tatsächlich nicht nickelfreien Schmuck vorzugehen, weil sich die Wettbewerbsverfälschung auf dem Schmuckmarkt nur mittelbar auf den Erfolg der Vermarktung des Patents (Technologiemarkt) auswirkt.741 Ein Versicherungsunternehmen kann gegen einen gewerblicher Ankäufer von Forderungen und Rechten aus Versicherungsverträgen lauterkeitsrechtliche Ansprüche nur unter den Gesichtspunkten des Ausnutzens eines fremden Vertragsbruchs und des Einwirkens auf Kunden in unangemessener Weise, nicht jedoch im Hinblick auf verbraucherschutzwidrige Vertragsklauseln geltend machen.742 Auch ein Unternehmer, der auf einem Markt, auf dem er selbst nicht als Anbieter tätig 432 ist, Produkte nachfragt und dabei irregeführt oder sonst unlauter in seinen geschäftlichen Entscheidungen manipuliert wird, zählt nicht zu den Mitbewerbern des unlauter Handelnden. Zwar ist er unmittelbar in seinen unternehmerischen Nachfrageinteressen betroffen. Der Interessenkonflikt ist aber kein antagonistischer in dem Sinne, dass die beiden Unternehmer in Verfolgung ihrer parallelen Absatz- oder Nachfrageinteressen aufeinanderprallen. Vielmehr möchte der Handelnde seine Produkte absetzen, während der Betroffene Waren oder Dienstleistungen beziehen möchte. Diese Konstellation ist typisch für ein vertikales Wettbewerbsverhältnis zwischen Unternehmern und Verbrauchern oder eben sonstigen Marktteilnehmern als Marktgegenseite. 433 Schon aufgrund dieser Erwägung begründen unzumutbare Belästigungen marktfremder Unternehmen, z. B. in Gestalt unerwünschter Werbe-E-Mails, die ein Kapitalanlageberater an Rechtsanwälte verschickt, kein Mitbewerberverhältnis. Die Adressaten werden als Abnehmer und nicht als Konkurrenten angesprochen. Zudem betreffen massenhaft versandte Werbe-EMails die Empfänger nicht in besonders hervorgehobener, individualisierbarer Weise.743 737 Vgl. BGH 13. 2. 1981 – I ZR 63/79 – GRUR 1981, 529, 530 – Rechtsberatungsanschein. 738 Oben § 2 Rn. 368. 739 Köhler GRUR 2019, 123, 128; zutreffend daher OLG München 8. 7. 2010 – 29 U 2252/10 – MMR 2011, 99 f.; im Ergebnis auch BGH 26. 1. 2017 – I ZR 217/15 – WRP 2017, 1085 Tz. 17 ff. – Wettbewerbsbezug (Finanzmarktdienstleister kein Mitbewerber eines auf Kapitalanlagegesellschaft spezialisierten Rechtsanwalts im Hinblick auf eine Irreführung der Verbraucher); anders BGH 10. 4. 2014 – I ZR 43/13 – WRP 2014, 1307 Tz. 21–35 – nickelfrei (Patentlizenzgeber und Händler potentieller Lizenzprodukte Mitbewerber in einem Irreführungsfall, obwohl Lizenzvergabe und Warenvertrieb nicht gleichartig seien). 740 Noch restriktiver Köhler GRUR 2019, 123, 126 ff.; a. A. BGH 19. 4. 2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 Tz. 17 f., 58 – Werbeblocker II; vgl. auch OLG Nürnberg 12. 11. 2019 – 3 U 592/19 –, juris Tz. 46 ff. 741 A.A. BGH 10. 4. 2014 – I ZR 43/13 – WRP 2014, 1307 Tz. 35 – nickelfrei (der Erfolg der Vermarktung des Patents von dem Erfolg der Vermarktung der vom Patent erfassten Schmuckwaren aus nickelfreiem Edelstahl abhängt 742 OLG Nürnberg 12. 11. 2019 – 3 U 592/19 –, juris Tz. 46 ff. 743 Zutreffend daher i.Erg. BGH 20. 5. 2009 – I ZR 218/07 – GRUR 2009, 980, 981 – E-Mail-Werbung II; verkannt von Sack WRP 2009, 1330, 1332 ff.

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§2

Ein etwaiges Sanktionsdefizit im Hinblick auf unzulässige, aber gleichwohl häufig oder 434 gar massenhaft vorfallende geschäftliche Handlungen wie unwirksame AGB oder unerwünschte Werbe-E-Mails darf nicht durch eine contra legem erfolgende, uferlose Auslegung des Mitbewerberbegriffs korrigiert werden. Aufgerufen ist dann vielmehr der Gesetzgeber, der ggf. das System der privaten Rechtsverfolgung gem. §§ 8–10 überdenken muss. Ohnehin scheint die Durchsetzung des UWG in der Praxis eher von einem teilweise missbräuchlichen Zuviel als einem Zuwenig gekennzeichnet zu sein.744

b) Per-se-Mitbewerber: Unternehmer auf demselben Markt aa) Grundsätze der lauterkeitsrechtlichen Marktabgrenzung. Wie dargestellt, besteht die 435 für Mitbewerber kennzeichnende antagonistische Interessenlage typischerweise zwischen Unternehmern, die auf demselben Markt im Wettstreit miteinander Produkte absetzen oder nachfragen. Unter welchen Voraussetzungen ein solches Per-se-Mitbewerberverhältnis gegeben ist, wird unterschiedlich beurteilt. Die überwiegende Rechtsprechung und auch der Reformgesetzgeber des UWG 2004 stellen darauf ab, ob die Parteien gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen suchen.745 Im Rahmen von § 8 Abs. 3 Nr. 2 ist ebenfalls zu prüfen, ob Unternehmen Produkte gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben. In anderen, vornehmlich jüngeren Entscheidungen wird die Annahme eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses daran geknüpft, dass sich die beteiligten Unternehmer auf demselben sachlich, räumlich und zeitlich relevanten Markt betätigen.746 Insoweit soll es entsprechend dem im Kartellrecht maßgeblichen Bedarfsmarktkonzept747 darauf ankommen, ob sich die von den beteiligten Unternehmen angebotenen Waren oder Dienstleistungen nach ihren Eigenschaften, ihrem Verwendungszweck und ihrer Preislage so nahe stehen, dass sie der verständige Nachfrager als austauschbar ansieht.748 Auch der Mitbewerberbegriff im Sinne von § 6 wird sowohl vom EuGH als auch vom BGH abhängig von der Substituierbarkeit der angebotenen Produkte beurteilt. Der erforderliche und ausreichende, gewisse Grad an Austauschbarkeit oder Funktionsidentität sei gegeben, wenn Waren oder Dienstleistungen in gewisser Weise gleichen Bedürfnissen dienen können.749 Sind die Parteien hingegen in völlig verschiedenen Branchen tätig, und bieten sie völlig unterschiedliche Produkte wie Gewinnspiele und Zeitungen an, sind sie keine Mitbewerber.750 Zwar können die kartellrechtlichen Grundsätze der Marktabgrenzung nicht unverändert auf das Lauterkeitsrecht übertragen werden. Denn die Marktabgrenzung zur Bestimmung von

744 Vgl. RefE Fairer Wettbewerb. 745 Oben Rn. 411. 746 BGH 29. 3. 2007 – I ZR 122/04 – GRUR 2007, 1079, 1081 – Bundesdruckerei; BGH 17. 10. 2013 – I ZR 173/12 – WRP 2014, 552 Tz. 15 – Werbung für Fremdprodukte. 747 EuGH 9. 11. 1983 – C-322/81 – Slg. 1983, 3461 Tz. 37 = WuW/E EWG/MUV 642 – Michelin; BGH 13. 7. 2004 – KZR 40/02 – BGHZ 160, 67, 73 = GRUR 2004, 966, 967 – Standard-Spundfass; BGH 16. 1. 2007 – KVR 12/06 – BGHZ 170, 299 = NJW 2007, 1823 Tz. 18 – National Geographic II; BGH 4. 3. 2008 – KVR 21/07 – BGHZ 176, 1 – Soda Club II; BGH 10. 12. 2008 – KVR 2/08 – GRUR 2009, 514 Tz. 7 – Stadtwerke Uelzen. 748 BGH 26. 1. 2017 – I ZR 217/15 – WRP 2017, 1085 Tz. 19 – Wettbewerbsbezug (Ersetzbarkeit); OLG Koblenz 8. 8. 2006 – 4 U 2686/06 – GRUR-RR 2006, 380, 381 – Markenparfüms; OLG Braunschweig 27. 1. 2010 – 2 U 225/09 – MMR 2010, 252. 749 EuGH 19. 4. 2007 – C-381/05 – Slg. 2007 I-03115 = GRUR 2007, 511 Tz. 28 ff. – De Landtsheer, mit Verweis auf EuGH 27. 2. 1980 – C-170/78 – Slg. 1980, 417 Tz. 14 – Kommission/Vereinigtes Königreich; EuGH 9. 7. 1987 – 356/85 – Slg. 1987, 3299 Tz. 10 – Kommission/Königreich Belgien. 750 BGH 17. 1. 2002 – I ZR 215/99 – GRUR 2002, 828, 829 – Lottoschein (zu vergleichender Werbung); Lettl § 1 Rn. 60.

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Marktmacht751 hat eine andere normative Funktion als die Frage, ob ein Unternehmen im lauterkeitsrechtlichen Sinn Mitbewerber eines unlauter handelnden oder geförderten Unternehmens und in dieser Rolle besonders geschützt und vor allem individuell anspruchsberechtigt ist.752 Daher schließt der Umstand, dass nach kartellrechtlichen Grundsätzen ein Markt im Allgemeinen nur eine Handelsstufe umfasst, nicht aus, dass Hersteller, Großhändler und Einzelhändler im lauterkeitsrechtlichen Sinne als Mitbewerber aufgefasst werden, wenn und soweit sie sich mit substituierbaren Produkten an dieselben Endabnehmer wenden.753 Gleichwohl spricht viel dafür, die Gleichartigkeit der Produkte entweder durch die Frage 440 nach ihrer Substituierbarkeit zu ersetzen oder zumindest anhand dieses Gesichtspunkts zu entscheiden. Waren oder Dienstleistungen sind mithin gleichartig, wenn sie aus der Sicht des angesprochenen, durchschnittlichen Marktteilnehmers zumindest in gewisser Hinsicht substituierbar sind.754 Maßgeblich sind insoweit die tatsächlichen, objektiven Umstände, nicht die subjektiven Absichten der betreffenden Unternehmer.755 Für diesen Ansatz spricht, dass die abstrakte Prüfung der Gleichartigkeit oder Ver441 wandtschaft von Produkten an einem nachprüfbaren, wettbewerblich relevanten Gesichtspunkt gemessen wird. Wie die jüngere Rechtsprechung rekurriert auch § 8 Abs. 3 Nr. 2 letztlich auf die Frage nach demselben Markt. Kartell- und Lauterkeitsrecht bilden komplementäre Elemente der Wettbewerbsordnung, so dass die Marktabgrenzung zumindest im Ansatz denselben rechtlichen Grundsätzen folgen sollte. Zudem verwendet der EuGH diesen Maßstab zur Auslegung des Begriffs des Mitbewerbers bei vergleichender Werbung.756 Da das UWG auch ausweislich des vor die Klammer gezogenen Definitionskatalogs des § 2 grundsätzlich einheitliche Maßstäbe der Lauterkeit etabliert, sollte der Gesichtspunkt der Substituierbarkeit der angebotenen Produkte für den allgemeinen Mitbewerberbegriff gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 fruchtbar gemacht werden. 442 Ein wirtschaftlicher Markt hat eine sachliche, eine zeitliche und eine räumliche Dimension. In allen drei Hinsichten muss eine ausreichende Überschneidung gegeben sein, damit Unternehmer per se als Mitbewerber eingeordnet werden können. Wer zum selben Zeitpunkt am selben Ort identische Produkte vertreibt, ist Mitbewerber. Dienen die Waren oder Dienstleistungen hingegen nur „in gewisser Weise gleichen Bedürfnissen“, überschneidet sich die Produktpalette der Unternehmen nur zum Teil757 oder liegen zeitliche oder räumliche Abstände zwischen den jeweiligen unternehmerischen Tätigkeiten, ist die konkrete, antagonistische Interessenlage und damit das konkrete Wettbewerbsverhältnis im Einzelnen zu begründen.

bb) Derselbe sachliche Markt 443 (1) Grundsatz. Unternehmen sind auf demselben sachlichen Markt tätig, wenn sie aus Sicht der Endabnehmer gleichartige, und das heißt in zumindest gewisser Hinsicht gleiche Bedürfnisse befriedigende, austauschbare Produkte anbieten. Ob dies der Fall ist, hängt vom tatsächlich

751 Siehe z. B. EuGH 9. 11. 1983 – 322/81 – Slg. 1983, 3461 Tz. 37 = WuW/E EWG/MUV 642 – Michelin. 752 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 94; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 33 Rn. 27. Zum Verhältnis zwischen Kartell- und Lauterkeitsrecht allgemein Einl. G Rn. 28 ff. 753 OLG Karlsruhe 15. 1. 1995 – 6 U 227/94 – WRP 1995, 413, 414 – Anonymisierte Mitgliederliste (zu § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG a. F.). 754 Vgl. EuGH 19. 4. 2007 – C-381/05 – Slg. 2007 I-03115 = GRUR 2007, 511 Tz. 28 ff. – De Landtsheer; BGH 26. 1. 2017 – I ZR 217/15 – WRP 2017, 1085 Tz. 19 – Wettbewerbsbezug; Boesche Rn. 520. 755 Vgl. BGH 23. 1. 1976 – I ZR 95/75 – GRUR 1976, 370, 371 – Lohnsteuerhilfevereine I; BGH 24. 2. 2005 – I ZR 101/ 02 – GRUR 2005, 519, 520 – Vitamin-Zell-Komplex; BGH 28. 9. 2011 – I ZR 92/09 – WRP 2012, 201, 203 – Sportwetten im Internet II (öffentlich-rechtlicher Glücksspielbetreiber, der Spielsucht begrenzen soll, ist Mitbewerber privater Wettanbieter); Harte/Henning/Keller Rn. 126. 756 Oben § 2 Rn. 378 ff. 757 Vgl. EuGH 19. 4. 2007 – C-381/05 – Slg. 2007 I-03115 = GRUR 2007, 511 Tz. 28 ff. – De Landtsheer; ebenso BGH 29. 3. 2007 – I ZR 122/04 – GRUR 2007, 1079, 1081 – Bundesdruckerei.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

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erstrebten Absatz und nicht von Formulierungen ab, die in der angegriffenen Werbung verwendet werden.758 In Betracht kommen insoweit nur handelbare Waren oder Dienstleistungen. Ausnahms- 444 los verbotene, rechtswidrige Gütermärkte unterliegen nicht dem UWG. Wer sich auf einem solchen Markt betätigt, ist auch im Verhältnis zu Unternehmern, die legale, dieselben Bedürfnisse betreffende Produkte anbieten, kein Mitbewerber i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 3.759

(2) Gleichartige/substituierbare Waren oder Dienstleistungen. § 2 Abs. 1 Nr. 3 soll die Rechtsprechung zum Begriff des unmittelbar Verletzten nach früherem Recht kodifizieren.760 Die entsprechende Rechtspraxis ist also weiterhin von Belang. Allerdings sollten die einschlägigen Ergebnisse nicht unbesehen fortgeschrieben werden, da sich die Orientierung an der Substituierbarkeit von Produkten erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts durchsetzte. Diese Vorbehalte gelten erst recht für Entscheidungen zum Begriff des abstrakten Mitbewerbers gem. § 13 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UWG 1994. Die Vorschriften stellten zwar ebenfalls auf die Gleichartigkeit bzw. Verwandtschaft von Produkten ab, sollen aber in § 2 Abs. 1 Nr. 3 gerade nicht fortgelten. Unternehmen sind als Mitbewerber auf demselben sachlichen Absatzmarkt tätig, wenn sie gleiche Waren oder Dienstleistungen anbieten, weil hiermit zweifellos dasselbe Bedürfnis durch austauschbare Produkte angesprochen wird.761 Hieran ändert sich nichts, wenn die Unternehmen unterschiedliche Vertriebswege benutzen, wenn also z. B. ein Hersteller seine Waren über den Groß- und Einzelhandel oder aber direkt über das Internet in Verkehr bringt;762 wenn ein Informationsdienst für Rechtsanwälte im Internet oder als wöchentlicher Rundbrief erscheint;763 oder wenn Verlagsprodukte online, über Buchhandlungen oder Buchgemeinschaften vertrieben werden.764 Denn ausschlaggebend ist die Substituierbarkeit der Produkte aus Sicht des angesprochenen, durchschnittlichen Nachfragers. Aus diesem Grund können auch Unternehmen auf unterschiedlichen Wirtschaftsstufen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis zueinander stehen.765 Dies gilt zum einen, wenn austauschbare Produkte unterschiedlicher betrieblicher Herkunft in Rede stehen. Der Hersteller einer Ware – etwa eines KfZ – ist durch eine irreführende geschäftliche Handlung eines Händlers oder sonstigen Absatzmittlers, die den Absatz einer anderen, austauschbaren Ware fördert, in seinen antagonistischen Absatzinteressen genauso unmittelbar betroffen, wie wenn der Hersteller der anderen Ware irreführend wirbt.766 In einer solchen Konstellation haben der Hersteller von Ware A und der Händler von Ware B keine komplementären Interessen, wie sie im Verhältnis zwi758 OLG Dresden 20. 6. 2017 – 14 U 50/17 – WRP 2017, 994 Tz. 13 – Frankiermaschine mit Zubehör. 759 Oben § 2 Rn. 116 ff.; offengelassen von BGH 28. 10. 2004 – I ZR 59/02 – GRUR 2005, 176, 177 – Nur bei Lotto, m. w. N. Man denke an Organhändler einerseits und Pharmaunternehmen oder Hersteller von Implantaten andererseits. 760 Oben § 2 Rn. 362 ff. 761 Vgl. z. B. BGH 13. 12. 1963 – Ib ZR 212 – GRUR 1964, 389, 391 – Fußbekleidung (Herstellung orthopädischen Schuhwerks und Lizenzierung neuer Produkte); BGH 29. 6. 2000 – I ZR 29/98 – GRUR 2000, 907, 908 – Filialleiterfehler (Verbrauchermärkte für Elektronikprodukte); BGH 29. 3. 2007 – I ZR 122/04 – GRUR 2007, 1079, 1081 – Bundesdruckerei (sicherheitsrelevante Druckerzeugnisse); OLG Düsseldorf 24. 8. 1994 – 2 W 88/94 – GRUR 1994, 837 f. – Fliegender Gerichtsstand (Schwangerschaftstests für den Hausgebrauch); OLG München 7. 5. 2015 – 6 U 1211/14 – ZUM 2016, 56, 62 f. (Nehmer und Verwerter von Urheberrechtslizenzen für die Internetnutzung). Die Bereitstellung von Werbemöglichkeiten etwa auf einer Internetseite macht den Betreiber einer Internetseite (Online-Reisebüro) noch nicht zum Anbieter der beworbenen Waren (Reiseliteratur) und zum Mitbewerber der auf diesem Warenmarkt tätigen Unternehmen; BGH 17. 10. 2013 – I ZR 173/12 – WRP 2014, 552 Tz. 18 – Werbung für Fremdprodukte. 762 OLG Hamburg 15. 11. 2007 – 3 U 231/06 – BeckRS 2008, 08332. 763 OLG Hamm 12. 1. 2006 – 4 U 140/05 – BeckRS 2007, 18447. 764 BGH 12. 2. 1969 – I ZR 137/66 – GRUR 1969, 413, 414 – Angélique II. 765 Sog. mittelbares Wettbewerbsverhältnis; vgl. RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 16. 766 BGH 30. 10. 1956 – I ZR 199/55 – GRUR 1957, 342, 347 – Underberg; BGH 14. 4. 1965 – Ib ZR 72/63 – GRUR 1965, 612, 615 – Warnschild; BGH 6. 10. 1983 – I ZR 39/83 – GRUR 1984, 204 – Verkauf unter Einstandspreis II (Hersteller

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schen Anbietern und Nachfragern identischer Waren typisch sind, sondern es prallen gegenläufige, sich substituierende Absatzinteressen aufeinander, so dass eine Mitbewerberkonstellation gegeben ist. Ebenso ist es, wenn Unternehmer auf verschiedenen Marktstufen austauschbare Dienstleistungen anbieten, etwa der Produzent einer Fernsehsendung und ein Sendeunternehmen767 oder Prostituierte und der Betreiber einer Bar, in der auch Prostitution stattfindet.768 Ungleichartig sind hingegen die Dienstleistung eines Patentlizenzgebers und das Angebot eines Händlers, der Waren vertreibt, in denen die patentierte Erfindung typischerweise verkörpert ist.769 Hiervon zu unterscheiden ist ein Konflikt zwischen Herstellern und Händlern im Hin449 blick auf identische Waren, die einem Vertriebsbindungssystem unterliegen. Nach Auffassung der Rechtsprechung zum UWG 1909 bestand zwischen dem Importeur kosmetischer Erzeugnisse und einem unerlaubt mit diesen Waren belieferten Händler ein konkretes Wettbewerbsverhältnis.770 Auch der Reformgesetzgeber des UWG 2004 war der Auffassung, dass ein konkretes Wettbewerbsverhältnis insbesondere dann gegeben sei, wenn ein Hersteller oder Großhändler sich nicht auf seine Wirtschaftsstufe beschränkt, sondern seine Ware direkt an den Endverbraucher absetzt.771 Grundsätzlich haben Hersteller und Händler identischer Produkte zwar gleichlaufende und nicht konträre Absatzinteressen. Etabliert ein Hersteller aber ein Vertriebssystem, kollidieren seine unternehmerischen Interessen in antagonistischer Weise mit Händlern, die seine Produkte außerhalb dieses Systems abzusetzen suchen. Daher sind diese Unternehmer im Hinblick auf die konkret in Streit stehende geschäftliche Handlung Mitbewerber gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3.772 450 Auf demselben Absatzmarkt agierende Unternehmer konkurrieren typischerweise auch in antagonistischer Weise beim Bezug von Waren oder Dienstleistungen, die sie für ihr Unternehmen benötigen. Auf demselben Nachfragemarkt betätigen sich demgemäß Werbeunternehmer, die Gebäudeflächen suchen, die sich für Werbeplakate eignen,773 oder kommerzielle Blutspendedienste, die um Blutspenden werben.774 Auf dem Arbeitsmarkt konkurrieren häufig Unternehmen um dieselben qualifizierten Mitarbeiter, die auf dem Absatzmarkt nicht als Mitbewerber anzusehen wären, da ihre Produkte ganz verschiedene Bedürfnisse befriedigen.775 Die Rechtsprechung zum Begriff des unmittelbar Verletzten nach dem UWG 1909 bejahte 451 auch dann ein konkretes Wettbewerbsverhältnis, wenn die Parteien eine „im Kern identische Leistung“ anboten. Diese Frage nach der Gleichartigkeit der Leistungen ist nach dem Vorbild

von Elektrogeräten und Elektrogerätehändler); BGH 20. 2. 1986 – I ZR 202/83 – GRUR 1986, 618, 619 – VorsatzFensterflügel (Hersteller von Fenstern und Glaserei); BGH 14. 7. 1988 – I ZR 184/86 – GRUR 1988, 916 – PKWSchleichbezug; BGH 15. 7. 1999 – I ZR 44/97 – GRUR 1999, 1122 – EG Neuwagen I (KfZ-Hersteller und -Händler); OLG Karlsruhe 15. 1. 1995 – 6 U 227/94 – WRP 1995, 413, 414 – Anonymisierte Mitgliederliste (zu § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG a. F.); OLG Zweibrücken 9. 2. 1996 – 2 W 21/95 – GRUR 1997, 77. Zu § 13 Abs. 2 Nr. 2 sehr weitgehend BGH 11. 7. 1996 – I ZR 79/94 – GRUR 1996, 804, 805 – Preisrätselgewinnauslobung III (Produzentin von Kosmetikartikeln und Unternehmen, die mit dem Vertrieb von hautpflegenden Mitteln befasst sind). Zur Unterscheidung zwischen aktiv- und passivlegitimierten Absatzmittlern wie Handelsvertretern oder Kommissionären im Gegensatz zur passiven Bewerbung fremder Waren BGH 17. 10. 2013 – I ZR 173/12 – WRP 2014, 552 Tz. 24 f. – Werbung für Fremdprodukte. 767 BGH 13. 4. 2000 – I ZR 282/97 – GRUR 2000, 703, 706 – Mattscheibe. 768 BGH 13. 7. 2006 – I ZR 241/03 – GRUR 2006, 1042, 1043 – Kontaktanzeigen. 769 BGH 10. 4. 2014 – I ZR 43/13 – WRP 2014, 1307 Tz. 26 – nickelfrei. 770 BGH 5. 5. 1988 – I ZR 179/86 – GRUR 1988, 826, 827 – Entfernung von Kontrollnummern II; BGH 5. 10. 2000 – I ZR 1/98 – GRUR 2001, 448 – Kontrollnummernbeseitigung II. 771 RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 16. 772 A.A. Beater WRP 2009, 768, 774 ff. 773 BGH 19. 10. 1966 – Ib ZR 156/64 – GRUR 1967, 138, 141 – Streckenwerbung. 774 BGH 30. 4. 2009 – I ZR 117/07 – GRUR 2009, 1189 – Blutspendedienst. 775 Zu Arbeitgeber-Mitbewerbern auf dem Arbeitsmarkt siehe OLG Karlsruhe 10. 3. 2009 – 4 U 168/08 – GRUR-RR 2010, 51, 52 – Direktmarketing; LG Heidelberg 23. 5. 2012 – 1 S 58/11 – MMR 2012, 607 – Unlauteres Abwerben über XING; juris-PK/Ernst Rn. 39. Beispiel: KfZ-Hersteller und Hersteller von Funkgeräten sind Mitbewerber auf dem Arbeitsmarkt für Elektroingenieure.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

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der De Landtsheer-Entscheidung des EuGH davon abhängig zu machen, dass die Produkte zumindest in gewisser Weise gleichen Bedürfnissen dienen können und daher ein gewisser Substitutionsgrad besteht, auch wenn diese Überschneidung nur einen Teil der Produktpalette der Unternehmen betrifft.776 Maßgeblich hierfür sind die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Eigenschaften und der Verwendungszweck der Waren oder Dienstleistungen. In der Medienbranche liegt Gleichartigkeit/Substituierbarkeit vor bezüglich einer Abonne- 452 ment-Zeitung und einem Anzeigenblatt777 sowie einem Branchenanzeigenbuch und einem Anzeigenblatt;778 zwischen einer Tageszeitung und einer Werbeagentur im Hinblick auf die Anzeigenakquise;779 zwischen Online-Informationsdiensten allgemeiner und speziell verbraucherschützender Themenstellung;780 zwischen einer Rundfunkanstalt und einem Filmunternehmen;781 zwischen dem Veranstalter künstlerischer Darbietungen und einem Sendeunternehmen;782 zwischen der GEMA und Tonträgerproduzenten und -händlern.783 Im Beratungssektor besteht ein konkretes Wettbewerbsverhältnis zwischen Rechtsanwäl- 453 ten, die im selben Landgerichtsbezirk, wenngleich mit unterschiedlichen Tätigkeitsschwerpunkten, zugelassen sind;784 zwischen einem Rechtsanwalt und einer in einer wirtschafts- und steuerrechtlichen Kanzlei tätigen Steuerberaterin;785 zwischen einem Rechtsanwalt und einem Notar, da Verbraucher bei der Wahrnehmung des Rufs eines Anwaltsnotars nicht zwischen seiner Tätigkeit als Notar und als Rechtsanwalt differenzierten;786 zwischen dem Anbieter eines steuerlich motivierten Immobilienanlagemodells und Steuerberatern;787 zwischen einem Immobilienmakler und Maklern, Bauträgern, Bauunternehmern und Anbietern von Kapitalanlagemöglichkeiten, die gelegentlich Immobilien oder Immobilienanlagen vermitteln;788 zwischen einem Versicherungsmakler und einem Versicherungsunternehmen.789 Entgegen dem BGH sind auch ein Immobilienmakler und ein Rechtsanwalt, der nebenberuflich als Bauträger und Altbausanierer tätig ist und Eigentumswohnungen für Kapitalanleger anbietet, als Mitbewerber im Markt für eigen oder fremd genutzte Immobilien tätig.790 Im Übrigen besteht ein ausreichender Grad an Austauschbarkeit und damit typischer- 454 weise ein Mitbewerber kennzeichnendes, antagonistisches Absatzinteresse der jeweiligen Anbieter zwischen dem Betrieb eines Festzeltes durch einen Schützenverein und einem Gastwirt, der Tanzmusik veranstaltet;791 zwischen (Schaum-)Weinproduzenten und einem Brauereiunternehmen;792 zwischen Händlern von Münzen, Medaillen und anderen Wertobjekten wie Silber-

776 EuGH 19. 4. 2007 – C-381/05 – Slg. 2007 I-03115 = GRUR 2007, 511 Tz. 28 ff. – De Landtsheer; BGH 29. 3. 2007 – I ZR 122/04 – GRUR 2007, 1079, 1081 – Bundesdruckerei. 777 BGH 27. 1. 1956 – I ZR 146/54 – BGHZ 19, 392, 394 = GRUR 1956, 223, 224 – Wochenbericht. 778 OLG Köln 30. 10. 1996 – 6 U 185/95 – GRUR 1997, 316, 317 f. – Branchenanzeiger. 779 OLG Hamm 25. 1. 1979 – 4 U 206/78 – WRP 1979, 477. 780 KG 30. 6. 2006 – 5 U 127/05 – GRUR 2007, 254 f. – Getarnte Link-Werbung. 781 BGH 27. 2. 1962 – I ZR 118/60 – BGHZ 37, 1, 13 = GRUR 1962, 470, 474 – AKI. 782 BGH 24. 5. 1963 – Ib ZR 62/62 – BGHZ 39, 352, 356 = GRUR 1963, 575, 576 – Vortragsabend. 783 BGH 9. 10. 1964 – I ZR 149/62 – GRUR 1965, 309 – gemafrei. 784 OLG Stuttgart 22. 10. 2015 – 2 U 35/15 – NJW-RR 2015, 1528 Tz. 50 f. (es sei nicht ausgeschlossen, dass die Parteien Mandate außerhalb ihres Tätigkeitsschwerpunktes annehmen). 785 OLG Dresden 9. 6. 1998 – 14 U 3245/97 – NJW 1999, 144, 146 – Anwaltliche Werbung in Rundschreiben. 786 BGH 31. 3. 2016 – I ZR 160/14 – WRP 2016, 843 Tz. 21 – Im Immobiliensumpf. 787 BGH 7. 12. 1989 – I ZR 3/88 – GRUR 1990, 375 – Steuersparmodell. 788 BGH 30. 4. 1997 – I ZR 30/95 – GRUR 1997, 934, 935 – 50 % Sonder-AfA. 789 BGH 21. 4. 2016 – I ZR 151/15 – WRP 2016, 1354 Tz. 16–18 – Ansprechpartner (jedenfalls im Hinblick auf einen Versicherungsnehmer, der mit beiden Parteien Versicherungen abgeschlossen hat). 790 A.A. BGH 5. 10. 2000 – I ZR 210/98 – GRUR 2001, 258 f. – Immobilienpreisangaben. 791 OLG Köln 15. 5. 1985 – 6 U 42/85 – WRP 1985, 660 f. – Schützenfest (zu § 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG 1909). 792 Vgl. EuGH 19. 4. 2007 – C-381/05 – Slg. 2007 I-03115 = GRUR 2007, 511 – De Landtsheer (zu vergleichender Werbung).

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waren oder Schmuck;793 zwischen einer Lottogesellschaft und dem Anbieter von Lottodienstleistungen in Gestalt so genannter WinFonds, die auf Zeit für eine oder mehrere Ausspielungen gebildet werden;794 zwischen den Anbietern unterschiedlicher, entgeltlicher oder werbefinanzierter Glücksspiele im Internet;795 zwischen Internet-Access-Providern und dem Anbieter kommerzieller WLAN-Netzwerke;796 zwischen dem Vermieter von Fernsehgeräten und einer Versicherung, die im Benehmen mit dem Elektrofachhandel eine Reparaturversicherung für Fernseher anbietet;797 zwischen einem Krankentransport- und einem Mietwagenunternehmen;798 zwischen dem Vertrieb von Arzneimitteln und der Durchführung von Heilbehandlungen in einem Sanatorium;799 zwischen dem Anbieter eines Kräuter-Gewürztees, dem schlankheitsfördernde Wirkungen zugeschrieben werden, und Pharmaunternehmen, Ernährungsberatern, Getränkeherstellern, Kurkliniken und Lebensmittelfilialbetrieben, die ebenfalls Schlankheitsmittel vertreiben;800 zwischen Anbietern (Lizenzgebern) gleichartiger Technologien sowie zwischen Lizenznehmern, die Lizenzprodukte herstellen und Anbietern gleichartiger Waren;801 trotz erheblicher Preisunterschiede zwischen regulären und platinbeschichteten bzw. handbemalten Fliesen.802

455 (3) Ungleichartige/nicht substituierbare Waren oder Dienstleistungen. Als ungleichartig und nicht zumindest in gewisser Weise austauschbar sind hingegen folgende Waren und Dienstleistungen eingeschätzt worden, deren Anbieter somit auf verschiedenen sachlichen Märkten tätig sind und grundsätzlich nicht in einem antagonistischen Interessengegensatz gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 zueinander stehen: Im Waren- bzw. Dienstleistungssektor Möbelbezugstoffe und Polstermöbel, bei denen die 456 Bezugstoffe verarbeitet werden;803 Damen- und Kinderbekleidung einerseits und Herrenunterwäsche und Herrenbademode andererseits;804 Matratzen und Teppiche;805 Vertrieb von Reisen und Verbraucherberatung sowie Vertrieb verbraucherrechtlicher Literatur;806 Schmuck und Lizenzen für eine Erfindung zur Herstellung nickelfreien Edelstahls;807 Versicherungen und Pannen- und Abschleppleistungen;808 Messebetreiber und Aussteller809 und entsprechend der Betreiber eines Online-Markt457 platzes und die dort agierenden Unternehmen;810 der Verleger eines Branchenbuchs und ein

793 BGH 14. 11. 1996 – I ZR 162/94 – GRUR 1997, 479, 480 – Münzangebot. 794 OLG Oldenburg 18. 9. 2008 – 1 W 66/08 – GRUR-RR 2009, 67, 69; KG Berlin 30. 3. 2009 – 24 U 145/08 – GRURRR 2010, 22, 26. 795 BGH 28. 9. 2011 – I ZR 92/09 – WRP 2012, 201, 203 – Sportwetten im Internet II. 796 OLG Köln 5. 6. 2009 – 6 U 223/08 – GRUR-RR 2009, 339 ff. – Gemeinschaftliche Internetnutzung. 797 OLG München 7. 7. 1988 – 6 U 3573/87 – WRP 1989, 50 f. 798 OLG Hamm 22. 3. 2011 – I-4 U 186/10 – BeckRS 2011, 08077 (zw.). 799 BGH 24. 11. 1999 – I ZR 189/97 –WRP 2000, 389, 391 – Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge. 800 KG 3. 11. 1994 – 25 U 4969/94 – GRUR 1995, 157, 160 – Fermate-Tee. 801 BGH 10. 4. 2014 – I ZR 43/13 – WRP 2014, 1307 Tz. 28 m. w. N. – nickelfrei. 802 LG Köln 29. 11. 2016 – 33 O 64/15 – juris Tz. 27 ff. 803 BGH 26. 1. 1951 – I ZR 19/50 – GRUR 1951, 283, 284. 804 OLG Braunschweig 27. 1. 2010 – 2 U 225/09 – MMR 2010, 252, 253. 805 A.A. KG 6. 6. 2000 – 5 U 1944/99 – WRP 2001, 48, 50 (da auch Teppiche als Schlafunterlage benutzt würden). 806 BGH 17. 10. 2013 – I ZR 173/12 – WRP 2014, 552 Tz. 16 – Werbung für Fremdprodukte. 807 BGH 10. 4. 2014 – I ZR 43/13 – WRP 2014, 1307 Tz. 26 – nickelfrei. 808 OLG Köln 16. 12. 2016 – 6 U 166/15 – WRP 2017, 1007 Tz. 21; OLG München 16. 3. 2017 – 29 U 3923/16 – GRURRR 2018, 21 Tz. 27 – Pannenhilfe. 809 BGH 24. 2. 1983 – I ZR 207/80 – GRUR 1983, 467, 468 – Photokina; vgl. auch LG Köln 10. 7. 2019 – 28 O 438/ 18 –, juris Tz. 23 (Hundezüchter und Veranstalter von Hundeschauen). 810 OLG Koblenz 8. 8. 2006 – 4 U 2686/06 – GRUR-RR 2006, 380, 381 – Markenparfüms; offengelassen von BGH 17. 10. 2013 – I ZR 173/12 – WRP 2014, 552 Tz. 18 – Werbung für Fremdprodukte.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

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Lohnsteuerhilfeverein;811 der Verleger eines Hotelführers und ein darin aufgeführtes Hotel;812 ein Hotelbetreiber und ein Online-Reisebüro mit Hotelbewertungsportal;813 im Dienstleistungs- und Medienbereich der Betrieb einer Diskothek und einer Rundfunk- 458 anstalt;814 die Vermarktung von Filmrechten und das Angebot eines Online-Videorekorders;815 Filmverleihunternehmen und Gebrauchsgraphiker;816 Domainregistrierung für private Endkunden und Suchmaschinenoptimierung;817 Anbieter von Call by Call-Tarifen und Anbieter von Gewinnspielen, auch wenn dieser sich für seine Tätigkeit eines Mehrwertdienstanschlusses bedient;818 eine Lotteriegesellschaft und ein Zeitschriftenverlag;819 das Angebot werbefinanzierter redaktioneller Inhalte im Internet und die Bereitstellung einer Software zur Unterdrückung von Werbung auf Internetseiten;820 im Beratungs- und Versicherungssektor Rechtsanwälte und Unternehmer in nicht rechts- 459 beratenden Branchen, in denen der betreffende Anwalt forensisch oder beratend tätig ist;821 KfzSachverständiger und Versicherungsunternehmen;822 KfZ-Reparaturwerkstatt und KfZ-Versicherer;823 Versicherungsunternehmen und gewerbliche Ankäufer von Forderungen und Rechten aus Versicherungsverträgen.824 In all diesen Konstellationen bleibt zu prüfen, ob die für Mitbewerber typische, antagonis- 460 tische Interessenlage trotz Marktverschiedenheit nicht doch durch die angegriffene geschäftliche Handlung herbeigeführt wird. In diesem Fall wird das konkrete Wettbewerbsverhältnis und die Mitbewerbereigenschaft der Streitparteien gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ad hoc begründet.825

cc) Derselbe räumliche Markt. Per-se-Mitbewerber müssen nicht nur auf demselben sachli- 461 chen, sondern auch auf demselben räumlichen Markt tätig sein. Der räumlich maßgebliche Markt wird im Wesentlichen durch die Reichweite der Geschäftstätigkeit des handelnden oder geförderten Unternehmens bestimmt. Jene kann örtlich oder regional begrenzt sein. Zu berücksichtigen sind die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Art des beworbenen Produkts, die gängigen Vertriebsweisen und die Form und Reichweite der absatzfördernden geschäftlichen Handlungen.826 Wie generell muss eine gewisse, hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehen, dass zwi- 462 schen den Parteien eine für Mitbewerber kennzeichnende, gegenläufige Interessenlage besteht, 811 812 813 814 815

Z. B. BGH 10. 4. 1997 – I ZR 3/95 – GRUR 1997, 909, 910 f. – Branchenbuch-Nomenklatur. OLG Frankfurt a. M. 24. 1. 1974 – 6 U 51/73 – WRP 1974, 212, 213 f. BGH 19. 3. 2015 – I ZR 94/13 – WRP 2015, 1326 Tz. 20 – Hotelbewertungsportal. BGH 27. 1. 1982 – I ZR 61/80 – GRUR 1982, 431, 433 – POINT (zw.). OLG Köln 9. 9. 2005 – 6 U 90/05 – GRUR-RR 2006, 5, 7 – Personal Video Recorder; ferner OLG Düsseldorf 6. 7. 2010 – 20 U 8/10 – BeckRS 2010, 17917 (zw.). 816 BGH 27. 11. 1956 – I ZR 57/55 – GRUR 1957, 291, 294 – Europapost. 817 OLG München 8. 7. 2010 – 29 U 2252/10 – MMR 2011, 99 f. 818 OLG Düsseldorf 14. 12. 2004 – 20 U 109/04 – GRUR 2005, 523 – Mitbewerbereigenschaft. 819 BGH 17. 1. 2002 – I ZR 215/99 – GRUR 2002, 828, 829 – Lottoschein (zu vergleichender Werbung). 820 BGH 19. 4. 2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 Tz. 18 – Werbeblocker II. 821 BGH 13. 2. 1981 – I ZR 63/79 – GRUR 1981, 529, 530 – Rechtsberatungsanschein (Rechtsanwalt und Verlag einer Publikumszeitschrift); BGH 20. 5. 2009 – I ZR 218/07 – GRUR 2009, 980, 981 – E-Mail-Werbung II (Rechtsanwalt und Kapitalanlageberater); BGH 26. 1. 2017 – I ZR 217/15 – WRP 2017, 1085 Tz. 20 f. – Wettbewerbsbezug (Rechtsanwalt und Finanzdienstleister) m. w. N.; OLG Brandenburg 25. 1. 2005 – 6 W 8/05 – NJW 2005, 2091 f.; a. A. LG Hamburg 24. 4. 2012 − 312 O 715/11 – GRUR-RR 2012, 400 – Beste Rechtsschutzversicherung; kritisch Sack WRP 2009, 1330, 1332 ff. 822 LG Frankenthal 12. 8. 2010 – 3 O 288/10 – juris Tz. 23 ff. 823 OLG Brandenburg 16. 9. 2008 – 6 U 6/08 – GRUR-RR 2009, 140, 141 – Steinschlagreparatur. 824 OLG Nürnberg 12. 11. 2019 – 3 U 592/19 –, juris Tz. 55 ff. 825 Näher unten § 2 Rn. 472 ff. 826 OLG Celle 8. 3. 2012 – 13 U 174/11 – WRP 2012, 743 f. – Goldankauf; Harte/Henning/Keller Rn. 138; juris-PK/ Ernst Rn. 31 f.

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so dass jede unzulässige geschäftliche Handlung den jeweils anderen Unternehmer unmittelbar beeinträchtigt. Das ist nicht der Fall, wenn sich die jeweiligen geschäftlichen Aktivitäten auf unterschiedliche Gebiete beschränken und sich die Parteien daher nicht im Markt begegnen.827 Völlig unbedeutende oder nur theoretische Absatzchancen in einem räumlich entfernten Markt rechtfertigen die Annahme einer Mitbewerberstellung nicht.828 Ausreichend aber ist die Erweckung des falschen Eindrucks, ein bestimmtes Angebot sei bundesweit verfügbar, wenn allein dadurch das tatsächlich verfügbare Angebot von Mitbewerbern weniger attraktiv erscheint.829 Die Reichweite des räumlich relevanten Markts hängt zum einen von der Art der von den Unternehmern angebotenen Leistungen ab. Je seltener angeboten, nachgefragt und zugleich hochpreisig ein Produkt ist, desto größer ist in der Regel der räumlich relevante Markt. Bei Waren des täglichen Bedarfs ist der räumliche Markt hingegen enger zu bemessen, da die Nachfrager typischerweise keinen weiten Weg auf sich nehmen, um wiederkehrende Anschaffungen zu einem relativ geringen Preis zu tätigen. Anders ist es wiederum bei Telekommunikationsdienstleistungen, bei der sich das Verkehrsverständnis deutlich von demjenigen der Internetpräsenz stationärer Betriebe unterscheiden kann.830 Mitbewerber sind demnach Unternehmer, die in derselben Stadt, wenn auch einige Kilometer voneinander entfernt, Ladengeschäfte für Fotoarbeiten betreiben.831 Hingegen agieren Goldankäufer, deren Geschäfte sich in Baden-Württemberg und Niedersachsen befinden und deren Ankaufagenturen ebenfalls nicht näher als 170 km voneinander entfernt tätig werden, nicht auf demselben Markt. Das Angebot, den Goldankauf bundesweit über den Postweg abzuwickeln, stellt nur eine theoretische, nicht hinreichend wahrscheinliche Aktivität außerhalb des näheren Einzugsbereichs der Ladengeschäfte dar und vermag daher ein konkretes Wettbewerbsverhältnis ebenfalls nicht zu begründen.832 Der Einzugsbereich von Kraftfahrzeughändlern, Teppich- sowie Elektro-Verbrauchermärkten ist schon aufgrund der Art der vertriebenen Waren größer zu bemessen und erstreckt sich jedenfalls auf benachbarte Ortschaften und ggf. eine ganze Region.833 Eine überregional erschienene Anzeige für eine Immobilie in München richtet sich jedenfalls dann nicht nur an die Käuferschaft im Großraum München, wenn die Immobilie sich als Kapitalanlage eignet oder gar unter Hinweis hierauf beworben wird. Denn in diesem Fall kommt es auf den (avisierten) Wohnsitz des Erwerbers nicht an, so dass auch ein Berliner Immobilienmakler von einer unlauteren Werbung unmittelbar betroffen und als Mitbewerber anspruchsberechtigt ist.834 Bei Rechtsanwälten kommt es ebenfalls auf die Art der angebotenen Rechtsberatung und die Größe der Praxis an.835 Bejaht wurde ein konkretes Wettbewerbsverhältnis zwischen Anwälten, die in Sachsen und Thüringen im Medizin- und Arztrecht tätig sind.836 Verneint wurde eine Mitbewerberstellung hingegen für Rechtsanwälte, die im Raum Flensburg für lokale Mandant827 OLG Frankfurt a. M. 9. 5. 2003 – 24 U 15/03 – GRUR-RR 2003, 248, 249 – Hausanwälte. 828 OLG München 28. 9. 1995 – 6 U 3255/95 – WRP 1995, 1057, 1059 – Derselbe Markt; OLG Celle 8. 3. 2012 – 13 U 174/11 – WRP 2012, 743 f. – Goldankauf. 829 BGH 28. 4. 2016 – I ZR 23/15 – WRP 2016, 1228 Tz. 19 – Geo-Targeting. 830 BGH 28. 4. 2016 – I ZR 23/15 – WRP 2016, 1228 Tz. 24 – Geo-Targeting. 831 BGH 5. 3. 1998 – I ZR 229/95 – GRUR 1998, 1039, 1040 – Fotovergrößerungen. 832 OLG Celle 8. 3. 2012 – 13 U 174/11 – WRP 2012, 743 f. – Goldankauf I; OLG Celle 2. 8. 2012 – 13 U 4/12 – WRP 2012, 1427 ff. – Goldankauf II. 833 BGH 19. 6. 1997 – I ZR 72/95 – GRUR 1998, 170 – Händlervereinigung (Zeitungsanzeigen für KfZ auch für entfernter wohnende Verbraucher relevant); BGH 20. 10. 1999 – I ZR 167/97 – GRUR 2000, 619, 620 – Orient-Teppichmuster (Markt für Teppichhändler in Berlin auch Brandenburger Umland); BGH 24. 5. 2000 – I ZR 222/97 – GRUR 2001, 78 – Falsche Herstellerpreisempfehlung (Elektro-Fachmärkte). 834 A.A. BGH 5. 10. 2000 – I ZR 237/98 – GRUR 2001, 260, 260 – Vielfachabmahner; ablehnend auch Harte/Henning/Keller Rn. 138. 835 BGH 27. 1. 2005 – I ZR 202/02 – GRUR 2005, 520, 521 – Optimale Interessenvertretung. 836 OLG Dresden 9. 6. 1998 – 14 U 3245/97 – NJW 1999, 144, 145 f. – Anwaltliche Werbung in Rundschreiben.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

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schaft bzw. in Berlin mit einem Fokus auf osteuropäische Mandanten Wirtschaftsrechtskanzleien betreiben,837 sowie für in Stuttgart bzw. Köln ansässige, im Privatversicherungsrecht tätige Anwälte.838 Auch Sprachschulen mit Sitz in München bzw. Freiburg i. Br. sollen keine Mitbewerber sein.839 Darf eine Geschäftstätigkeit aus rechtlichen Gründen nur in einem bestimmten Bundes- 467 land ausgeübt werden und liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der betreffende Unternehmer seine Tätigkeit gleichwohl bundesweit ausübt, ist der räumlich relevante Markt in diesem Fall regional begrenzt, so dass zu Anbietern in anderen Bundesländern kein konkretes Wettbewerbsverhältnis besteht.840 In einer solchen Konstellation ist ein etwaiger Unterlassungsanspruch nicht bundesweit durchsetzbar.841 Die Reichweite des räumlich relevanten Marktes hängt ferner vom Medium ab, mit dem 468 die jeweiligen Leistungen beworben und vertrieben werden. Eine bundesweit erscheinende Anzeige in Printmedien und im Rundfunk stellt ein bundesweites Angebot dar und begründet daher zu allen inländischen Unternehmern auf dem sachlichen Markt ein konkretes Wettbewerbsverhältnis.842 Räumlich begrenzt ist hingegen die wettbewerbliche Relevanz einer Annonce in einem lokal vertriebenen Anzeigenblatt.843 Bei Internetauftritten kommt es auf die beworbene Ware oder Dienstleistung an. Werden digi- 469 tale Güter und Dienstleistungen direkt über das Internet vermarktet, liegt stets eine bundesweite Tätigkeit vor.844 Ebenso verhält es sich bei Angeboten zum bundesweiten Warenversand oder der bundesweiten Durchführung von Dienstleistungen. Anders aber kann der räumliche Markt abzugrenzen sein, wenn die Art der beworbenen Waren eine Tätigkeit außerhalb eines bestimmten Gebiets ausschließt. So ist ein Restaurant, das im Internet einen Bringdienst bewirbt, unverändert nur in einem Umkreis um das Lokal tätig, in dem üblicherweise warme Mahlzeiten geliefert werden. Allein der Umstand, dass im Internet geworben wird, ändert an der räumlichen Begrenzung der Geschäftstätigkeit nichts. Anders aber kann es wiederum sein, wenn die Art des beworbenen Produkts – im konkreten Fall Internetzugangsdienste – und die bundesweiten Medien, in denen sie beworben werden, den falschen Eindruck erwecken, das Angebot sei bundesweit verfügbar.845

dd) Derselbe zeitliche Markt. Schließlich müssen die Unternehmer auch in zeitlicher Hin- 470 sicht auf demselben Markt tätig sein. Diese zeitliche Überschneidung muss bei Abwehransprüchen vom Zeitpunkt der Verletzungshandlung bis zur letzten mündlichen Verhandlung gegeben sein,846 während bei Schadensersatzansprüchen auf den Zeitpunkt der angegriffenen geschäftlichen Handlung abzustellen ist. Wer in einen Markt erst eintritt, nachdem sich die angegriffene 837 LG Hamburg 27. 1. 1995 – 5 W 403/95 – GRUR-RR 2001, 95, 96 – Wettbewerbsverhältnis zwischen Anwälten. 838 OLG Frankfurt a. M. 9. 5. 2003 – 24 U 15/03 – GRUR-RR 2003, 248, 249 – Hausanwälte (in privatversicherungsrechtlichen Streitigkeiten würden in der Regel ortsnahe Anwälte aufgesucht). 839 BGH 28. 6. 2007 – I ZR 49/04 – GRUR 2007, 884, 887 – Cambridge Institute (zw., da Beklagte expandierte). 840 BGH 14. 2. 2008 – I ZR 207/05 – GRUR 2008, 438 Tz. 28 – ODDSET. 841 BGH 14. 2. 2008 – I ZR 207/05 – GRUR 2008, 438 Tz. 28 – ODDSET. Grundsätzlich anders im Interesse einer effektiven Durchsetzung des Lauterkeitsrechts BGH 10. 12. 1998 – I ZR 141/96 – GRUR 1999, 509, 510 – Vorratslücken; BGH 29. 6. 2000 – I ZR 29/98 – GRUR 2000, 907, 909 – Filialleiterfehler. 842 juris-PK/Ernst Rn. 33. Zur Erweckung des falschen Eindrucks, eine Dienstleistung sei bundesweit verfügbar, vgl. BGH 28. 4. 2016 – I ZR 23/15 – WRP 2016, 1228 Tz. 18 f. – Geo-Targeting. 843 OLG München 28. 9. 1995 – 6 U 3255/95 – WRP 1995, 1057, 1059 – Derselbe Markt. 844 BGH 28. 10. 2004 – I ZR 59/02 – GRUR 2005, 176, 177 – Nur bei Lotto; BGH 28. 9. 2011 – I ZR 92/09 – WRP 2012, 201, 203 – Sportwetten im Internet II (Wettunternehmen mit Sitz in Gibraltar); BGH 19. 4. 2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 Tz. 17 f. – Werbeblocker II; das gilt selbst dann, wenn die beworbene Telekommunikationsdienstleistung tatsächlich nur in einem Bundesland angeboten werden kann, vgl. BGH 28. 4. 2016 – I ZR 23/15 – WRP 2016, 1228 Tz. 18 f. – Geo-Targeting; a. A. juris-PK/Ernst Rn. 33. 845 BGH 28. 4. 2016 – I ZR 23/15 – WRP 2016, 1228 Tz. 18 f. – Geo-Targeting. 846 BGH 10. 3. 2016 – I ZR 183/14 – GRUR 2016, 1187 Tz. 16 – Stirnlampen.

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geschäftliche Handlung ereignet hat, kann einen Unterlassungsanspruch mithin nicht auf Wiederholungsgefahr, sondern allenfalls auf eine Erstbegehungsgefahr stützen.847 471 Auch insoweit genügt allerdings eine konkrete, hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Marktzutritts bzw. einer künftigen Konkurrenzsituation zwischen den Parteien.848 Daher ist jedenfalls ein Unternehmer, der ernsthafte Vorbereitungshandlungen für substituierende Angebote unternimmt, bereits als potenzieller Mitbewerber anzusehen.849 Ein Rechtsanwalt ist befugt, seine Beratungstätigkeit jederzeit auf bisher nicht praktizierte Gebiete auszudehnen, so dass es für ein konkretes Wettbewerbsverhältnis zu anderen Rechtsanwälten nicht darauf ankommt, auf welchen Rechtsgebieten die Parteien bisher tätig waren.850 Nicht ausreichend ist hingegen die nur theoretische, noch nicht durch konkrete Erfindungen bestätigte Möglichkeit technischer Entwicklungen und neuer Verwendungsmöglichkeiten von Produkten.851

c) Ad-hoc-Mitbewerber: Unmittelbare Beeinträchtigung marktfremder Unternehmer 472 aa) Grundsätze. Auf demselben Absatz- oder Nachfragemarkt tätige Unternehmer sind per se Mitbewerber. Jede geschäftliche Handlung eines Unternehmers betrifft die Konkurrenten unmittelbar in ihren antagonistischen Absatz- oder Nachfrageinteressen. Deshalb sind Unternehmer, die auf demselben Markt wie der unzulässig Handelnde oder Geförderte tätig sind, im Hinblick auf jede unzulässige geschäftliche Handlung ihrer Konkurrenten gem. §§ 2 Abs. 1 Nr. 3, 8 Abs. 3 Nr. 1, 9 S. 1 anspruchsberechtigt, auch wenn diese sich an Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer richtet bzw. lediglich deren wirtschaftliche Interessen berührt. 473 Doch auch zwischen Unternehmern, die auf unterschiedlichen Märkten nicht substituierbare, ungleichartige Produkte anbieten, kann im Einzelfall ein konkretes Wettbewerbsverhältnis gegeben sein. Die hierfür kennzeichnende, antagonistische Interessenlage wird dann ad hoc durch die streitgegenständliche geschäftliche Handlung begründet, die unmittelbar auf die wirtschaftlichen Interessen des Anspruchstellers einwirkt. Die einschlägige Rechtsprechung zum Begriff des unmittelbar Verletzten gem. §§ 1, 3 UWG 1909, der auch bei Marktfremdheit Mitbewerber sein konnte, sollte in Gestalt von § 2 Abs. 1 Nr. 3 kodifiziert werden.852 In dieser Konstellation zeigt sich besonders deutlich, dass der Begriff des Mitbewerbers nicht 474 eine statische Rolle beschreibt, sondern dynamisch im Hinblick auf die konkret angegriffene Verhaltensweise zu bestimmen ist. Die Gleichartigkeit bzw. Austauschbarkeit der angebotenen Produkte ist weiterhin hinreichende, nicht aber notwendige Bedingung für ein konkretes Wettbewerbsverhältnis.853 Die Flexibilität des Mitbewerberbegriffs lässt das Bedürfnis entfallen, die abschließende Regelung der Anspruchsberechtigung in §§ 8–10 in Frage zu stellen und contra legem die in § 2 Abs. 1 Nr. 3 aufgegangene Figur des unmittelbar Verletzten wiederzubeleben.854 847 BGH 10. 3. 2016 – I ZR 183/14 – GRUR 2016, 1187 Tz. 16 ff. – Stirnlampen. 848 OLG Frankfurt a.M. 9. 5. 2003 – 24 U 15/03 – GRUR-RR 2003, 248, 249 – Hausanwälte; OLG Braunschweig 27. 1. 2010 – 2 U 225/09 – MMR 2010, 252, 253. Enger RefE Fairer Wettbewerb, S. 20 (als Mitbewerber sei nur aktivlegitimiert, wer nachweisen könne, dass er tatsächlich in nicht unerheblichem Maße ähnliche Waren oder Dienstleistungen vertreibt oder nachfragt wie derjenige, der die unzulässige geschäftliche Handlung vorgenommen hat). 849 Zur vergleichenden Werbung EuGH 19. 4. 2007 – C-381/05 – Slg. 2007 I-03115 = GRUR 2007, 511 – De Landtsheer; offengelassen von BGH 10. 3. 2016 – I ZR 183/14 – GRUR 2016, 1187 Tz. 17 – Stirnlampen. 850 OLG Dresden 9. 6. 1998 – 14 U 3245/97 – NJW 1999, 144, 146 – Anwaltliche Werbung in Rundschreiben. 851 A.A. BGH 11. 5. 1954 – I ZR 178/52 – BGHZ 13, 244, 249 = GRUR 1955, 37 – Cupresa-Kunstseide (Kunstseidenfaden dürfte bei technischer Entwicklung nach dem 2. Weltkrieg bald als Nähseide verfügbar sein). 852 RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 16 mit Verweis auf BGH 10. 1. 1972 – I ZR 60/70 – GRUR 1972, 553 – Statt Blumen ONKO-Kaffee. 853 BGH 19. 4. 2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 Tz. 17 f. – Werbeblocker II; a. A. Sack GRUR 2011, 953, 957 ff. unter Berufung auf BGH 20. 5. 2009 – I ZR 218/07 – GRUR 2009, 980, 981 – E-Mail-Werbung II. 854 So aber Sack GRUR 2011, 953, 962 ff., der sich damit für just diejenige Lösung einsetzt, die er für das UWG 1909 kritisiert hatte (a. a. O., 954 m. w. N.).

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B. Die Definitionen im Einzelnen

§2

Wie erläutert, wird ein Unternehmer, der auf einem anderen Markt als der handelnde oder 475 geförderte Unternehmer tätig ist, ad hoc zu dessen Mitbewerber, wenn er durch die angegriffene geschäftliche Handlung in seinen gegenläufigen Interessen am Absatz der eigenen Waren oder Dienstleistungen oder an der Nachfrage für das eigene Unternehmen unmittelbar nachteilig betroffen ist.855 Ob eine solche wettbewerbliche Interessenkollision gegeben ist, ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Erforderlich ist trotz fehlender Substituierbarkeit der Produkte ein „wettbewerblicher Bezug“ dergestalt, dass die Angebote der Streitparteien im Wettbewerb zusammentreffen und sich das angegriffene Verhalten deshalb unmittelbar auf den Absatz des Anspruchstellers auswirkt.856 Im Übrigen ist zwischen verschiedenen Fallgruppen unlauteren bzw. unzulässigen Verhaltens gem. §§ 3a–7 zu unterscheiden.

bb) Fallgruppen unmittelbarer Beeinträchtigung marktfremder Unternehmer (1) Insbesondere Herabsetzungen und Anschwärzungen gem. § 4 Nr. 1 und 2. Die Er- 476 fahrung zeigt, dass der Wettbewerb eines Unternehmens gefördert werden kann, indem marktfremde Unternehmer bzw. ihre Leistungen und Kennzeichen negativ beurteilt werden. Während die Äußerung den Absatz oder die Nachfrage des Handelnden fördert, beeinträchtigt sie die wirtschaftlichen Interessen der betroffenen Unternehmer unmittelbar. Es entsteht also eine antagonistische Interessenlage ungeachtet des Umstands, dass die Unternehmer auf unterschiedlichen Märkten nicht substituierbare Produkte anbieten. Als Ad-hoc-Mitbewerber können Unternehmer daher insbesondere individuell dagegen vorgehen, dass sie oder ihre Leistungen gem. § 4 Nr. 1 oder 2 herabgesetzt, verunglimpft oder angeschwärzt werden. Doch gilt das nur für Äußerungen eines Unternehmens, das sich im Wettbewerb zum Anspruchsteller befindet, indem es Produkte abzusetzen versucht, die in einem gewissen wettbewerblichen Bezug zu dessen Angebot stehen, nicht für Äußerungen über Marktverhalten durch außenstehende Dritte, etwa Rechtsanwälte.857 Demgemäß entsteht ein konkretes Wettbewerbsverhältnis zwischen dem Betreiber ei- 477 nes Fotokopierwerks und einer Messegesellschaft, wenn der ehemalige Aussteller öffentlich kundtut, er verlasse die Messe aus Protest, weil sein Messestand anderweitig vergeben worden sei.858 Ebenso prallen unternehmerische Absatzinteressen aufeinander, wenn ein KfZ-Reparaturbetrieb gegenüber Verbrauchern äußert, ein Versicherungsunternehmen bezahle möglicherweise Steinschlagreparaturen nicht,859 oder wenn auf einem Hotelbewertungsportal mit OnlineReisebüro eine negative Hotelbewertung publiziert wird.860 Während die Produkte der Streitparteien in diesen Fällen zwar keine Substitute darstellen, aber doch im Wettbewerb konkret aufeinandertreffen (Durchführung von Messen, KfZ-Reparaturen, Hotelbuchungen), fehlt es an einem solchen wettbewerblichen Bezug bei der Äußerung von Rechtsanwälten über Unternehmen, die nicht rechtsberatend tätig sind.861 Diese Grundsätze kommen jedoch nicht zum Tragen, wenn die Äußerung im Rahmen ei- 478 ner vergleichenden Werbung i.S.v. § 6 Abs. 1 getätigt wird. Mitbewerber ist dann nur, wer 855 Oben § 2 Rn. 424 ff.; MünchKommUWG/Bähr Rn. 252. 856 Vgl. BGH 26. 1. 2017 – I ZR 217/15 – WRP 2017, 1085 Tz. 20 – Wettbewerbsbezug (Absatz von Hotelbuchungen im Verhältnis zwischen einem Hotelbewertungsportal mit Online-Reisebüro und Hotelbetrieb; Absatz von Schmuck im Verhältnis zwischen einem Schmuckhändler und dem Inhaber eines Patents zur Herstellung von nickelfreiem Edelstahl als Werkstoff für Schmuck; Wahrnehmbarkeit von Werbung im Verhältnis zwischen werbefinanzierten Medienunternehmen und dem Anbieter eines Werbeblockers; nicht aber Absatz von Finanzdienstleistungen und Rechtsberatung). 857 BGH 26. 1. 2017 – I ZR 217/15 – WRP 2017, 1085 Tz. 19 ff. – Wettbewerbsbezug. 858 A.A. BGH 24. 2. 1983 – I ZR 207/80 – GRUR 1983, 467, 468 – Photokina. 859 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 109d; a. A. OLG Brandenburg 16. 9. 2008 – 6 U 6/08 – GRUR-RR 2009, 140, 141 – Steinschlagreparatur. 860 BGH 19. 3. 2015 – I ZR 94/13 – WRP 2015, 1326 Tz. 20 – Hotelbewertungsportal. 861 BGH 26. 1. 2017 – I ZR 217/15 – WRP 2017, 1085 Tz. 19 f. – Wettbewerbsbezug.

883

Peukert

§2

Definitionen

zumindest in gewisser Hinsicht substituierbare Waren oder Dienstleistungen anbietet.862 Eine Schutzlücke entsteht hierdurch nicht, da Herabsetzungen und Anschwärzungen marktfremder Unternehmer nicht unter § 6 und den engeren Mitbewerberbegriff der De Landtsheer-Entscheidung des EuGH fallen, sondern gem. § 4 Nr. 1 oder 2 i. V. m. § 3 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 Nr. 3 zu beurteilen sind.

479 (2) Insbesondere unlautere Nachahmungen gem. § 4 Nr. 3. Interessenkonflikte zwischen Unternehmern, die auf unterschiedlichen Märkten tätig sind, können auch durch nicht erlaubte Nachahmungen von Waren oder Dienstleistungen ausgelöst werden. So mag ein Unternehmen eine Ware imitieren, um diese als Vorprodukt für eine ganz andersartige Leistung zu verwenden.863 Obwohl es an der Austauschbarkeit der Produkte fehlt, sind die Parteien dann Mitbewerber gem. §§ 2 Abs. 1 Nr. 3, 4 Nr. 3, 8 Abs. 3 Nr. 1.864 In vergleichbarer Weise hat die Rechtsprechung zum UWG 1909 Unternehmer als unmittel480 bar Verletzte betrachtet, deren guter Ruf durch branchenfremde Unternehmer als Vorspann für deren Absatzwerbung ausgenutzt oder ausgebeutet wurde.865 Demgemäß als Mitbewerber angesehen wurden der Betreiber eines Formel 1-Rennstalls und der Hersteller von Spielzeugautos,866 die Hersteller von Kraftfahrzeugen und Whiskey,867 von Whiskey und Herrenkosmetik,868 von Champagner und Mineralwasser,869 von Wintersportgeräten und Tabakwaren,870 von Schoko-Riegeln und Kondomen871 sowie eine Musikgruppe und ein Unternehmen der Telekommunikationsbranche.872 Zu beachten ist allerdings, dass diese Rechtsprechung als Reaktion auf die warenzeichen481 rechtlichen Grenzen des Schutzes bekannter Marken zu verstehen ist.873 Da bekannte Marken nunmehr ausdrücklich auch außerhalb des Ähnlichkeitsbereichs der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen geschützt sind, ist diese Rechtspraxis überholt. Ein über das Markenrecht und § 4 Nr. 3 hinausgehender, lauterkeitsrechtlicher Schutz des guten Rufs eines Unternehmens ist abzulehnen.874 Auch fehlt es bei vollkommen ungleichartigen Produkten am erforderlichen wettbewerblichen Bezug.875

482 (3) Insbesondere gezielte Behinderungen gem. § 4 Nr. 4. Unternehmer können des Weiteren versuchen, den eigenen Absatz zu fördern, indem sie den Absatz anderer Unternehmer unmittelbar beeinträchtigen, die nicht austauschbare Produkte vertreiben. Der für § 2 862 863 864 865

Oben § 2 Rn. 376 ff.; a. A. Nordemann Rn. 873. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 110 (Nachahmung von Vorprodukten). Anders im Kontext vergleichender Werbung, siehe oben § 2 Rn. 376 ff.; a. A. Nordemann Rn. 873. BGH 9. 12. 1982 – I ZR 133/80 – GRUR 1983, 247, 248 – Rolls-Royce; BGH 8. 11. 1984 – I ZR 128/82 – GRUR 1985, 876, 878 – Tchibo/Rolex I; BGH 4. 6. 1987 – I ZR 109/85 – GRUR 1988, 453, 455 m. w. N. – Ein Champagner unter den Mineralwässern; BGH 9. 6. 1994 – I ZR 272/91 – GRUR 1994, 732, 733 – McLaren; BGH 10. 4. 2014 – I ZR 43/13 – WRP 2014, 1307 Tz. 33 f. – nickelfrei m. w. N. 866 BGH 9. 6. 1994 – I ZR 272/91 – GRUR 1994, 732, 733 – McLaren; Sack WRP 2008, 1141, 1145. 867 BGH 9. 12. 1982 – I ZR 133/80 – GRUR 1983, 247, 248 – Rolls-Royce. 868 BGH 29. 11. 1984 – I ZR 158/82 – BGHZ 93, 96 = GRUR 1985, 550, 552 – DIMPLE. 869 BGH 4. 6. 1987 – I ZR 109/85 – GRUR 1988, 453, 454 – Ein Champagner unter den Mineralwässern. 870 BGH 29. 11. 1990 – I ZR 13/89 – GRUR 1991, 465 ff. – Salomon. 871 BGH 10. 2. 1994 – I ZR 79/92 – GRUR 1994, 808, 811 f. – Markenverunglimpfung. 872 LG Stuttgart 31. 10. 2005 – 17 O 441/05 – BeckRS 2006, 07096. 873 Vgl. Sack GRUR 2011, 953 ff. m. w. N. 874 Kritisch mit Blick auf den Begriff des Mitbewerbers auch Blankenburg WRP 2008, 186, 193; ablehnend wie hier Ohly/Sosnitza Rn. 65; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 33 Rn. 37. 875 Vgl. auch BGH 10. 4. 2014 – I ZR 43/13 – WRP 2014, 1307 Tz. 33 – nickelfrei (konkretes Wettbewerbsverhältnis bei Nachahmung substituierender Produkte).

Peukert

884

B. Die Definitionen im Einzelnen

§2

Abs. 1 Nr. 3 an sich nicht genügende Wettbewerb aller Unternehmer um die insgesamt verfügbare Kaufkraft wird in einer solchen Konstellation in einem Maße verdichtet, dass von einem konkreten Interessenkonflikt und damit einem konkreten Wettbewerbsverhältnis ausgegangen werden kann. Ein von einer gezielten Behinderung gem. § 4 Nr. 4 betroffener Unternehmer ist daher auch dann Mitbewerber des handelnden bzw. geförderten Unternehmers, wenn dieser in einem ganz anderen Markt tätig ist.876 Zu dieser Fallgruppe zählt zunächst das klassische Beispiel einer geschäftlichen Hand- 483 lung, die zwischen marktfremden Unternehmen einen Interessenkonflikt um den je eigenen Absatz auslöst, nämlich die – damals wie heute zulässige – Werbung eines Kaffee-Herstellers mit der Aussage, die Verbraucher könnten doch statt Blumen eine Packung Kaffee verschenken.877 Ungeachtet der Märkte, auf denen die betroffenen Unternehmen tätig sind, wird ein 484 konkretes Wettbewerbsverhältnis durch (gezielte) Behinderungen ferner begründet, wenn ein Internetdienstleister tausende Internet-Domains für sich registriert, um diese an Inhaber entsprechender Kennzeichenrechte zu veräußern;878 wenn versucht wird, durch sog. Tippfehlerdomains Internetnutzer auf andere Online-Angebote zu lenken;879 wenn der Betreiber einer Reiseportalseite seine Nutzer auf irrtümlich zu niedrig ausgewiesene Preise einer Fluggesellschaft aufmerksam macht;880 wenn der Anbieter eines Spamfilters die Webseite eines Reiseanbieters auf die Liste der spamverdächtigen Seiten setzt;881 wenn technische Geräte wie Werbeblocker882 oder Internet-Video-Rekorder883 das Geschäftsmodell von Presseverlagen und Sendeunternehmen beeinträchtigen;884 wenn eine KfZ-Versicherung ihren Kunden mitteilt, dass sie die Kosten eines bestimmten Schadenssachverständigen nicht übernehmen wird;885 wenn ein Versicherungsunternehmen einem Aufkäufer von Ansprüchen aus Versicherungsverträgen die Ausnutzung fremden Vertragsbruchs vorwirft;886 wenn ggf. ganz andere Produkte bewerbende Plakate überklebt werden.887 Auf mehrseitigen Online-Märkten können gezielte Behinderungen im Einzelfall sogar dann individuell angegriffen werden, wenn der Anspruchsteller zugleich Abnehmer einer als unzulässig aggressiv eingeschätzten geschäftlichen Handlung ist.888 In all diesen Fällen substituieren die Angebote der Streitparteien einander zwar nicht, die jeweiligen Produkte treffen auf dem Markt aber doch aufeinander und weisen daher den erforderlichen wettbewerblichen Bezug auf.889 An dieser Voraussetzung fehlt es hingegen, wenn ein Abschleppunternehmen ein Versicherungsunternehmen mit unberechtigten Aufwendungen konfrontiert, da das

876 877 878 879 880 881 882

Ohly/Sosnitza Rn. 63. BGH 10. 1. 1972 – I ZR 60/70 – GRUR 1972, 553 – Statt Blumen ONKO-Kaffee. Sog. Domain-Grabbing, vgl. BGH 19. 2. 2009 – I ZR 135/06 – WRP 2009, 803, 807 – ahd.de. OLG Köln 10. 2. 2012 – 6 U 187/11 – MMR 2012, 462 f. – wetteronline.de. LG München I 11. 12. 2017 – 37 O 14236/17 – GRUR-RR 2018, 302 – Error Fares. OLG Hamm 1. 3. 2007 – 4 U 142/06 – GRUR-RR 2007, 282, 283 – Google-Spamfilter. BGH 24. 6. 2004 – I ZR 26/02 – GRUR 2004, 877 – Werbeblocker I; BGH 19. 4. 2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 Tz. 17 f. – Werbeblocker II. 883 BGH 22. 4. 2009 – I ZR 216/06 – GRUR 2009, 845, 849 – Internet-Videorecorder. 884 Die Auswirkungen von Werbeblockern auf Werbetreibende hingegen können Medienunternehmen, die Anzeigen der Werbenden schalten, nicht geltend machen. Denn hierbei handelt es sich um eine unlautere geschäftliche Handlung des Softwareanbieters im Vertikalverhältnis zu nicht näher identifizierten Dritten (§ 4a), die von jenen selbst als gezielte Behinderung geltend gemacht werden muss; vgl. oben Rn. 431. 885 OLG Nürnberg 20. 11. 2006 – 3 U 1838/06 – WRP 2007, 202, 203; a. A. LG Frankenthal 12. 8. 2010 – 3 O 288/ 10 – juris Rn. 23 ff. 886 OLG Nürnberg 12. 11. 2019 – 3 U 592/19 –, juris Tz. 55 ff. 887 Harte/Henning/Keller Rn. 145; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 111; a. A. noch Köhler WRP 2009, 499, 505 (Plakate von Konzertveranstalter auf Plakaten eines Möbelhändlers). 888 BGH 19. 4. 2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 Tz. 17 f. – Werbeblocker II. 889 Nutzung von Internet-Domains, Erreichbarkeit bzw. Wahrnehmbarkeit von Werbung und anderen kommerziellen Inhalten, Erstattungsfähigkeit und damit Absetzbarkeit von Sachverständigengutachten.

885

Peukert

§2

Definitionen

hierdurch erhöhte Regulierungsaufkommen den Absatz von Versicherungsleistungen nicht unmittelbar beeinträchtigt.890

485 (4) Rechtsbruch gem. § 3a. Die mitbewerberschützenden Unlauterkeitstatbestände des § 4 betreffen unlautere geschäftliche Handlungen, die gegenläufige Absatz- oder Bezugsinteressen anderer Unternehmer beeinträchtigen. Dass die Vorschriften jeweils auf Mitbewerber als Schutzsubjekte Bezug nehmen, bestätigt, dass die antagonistische unternehmerische Interessenlage das maßgebliche Kriterium zur Bestimmung des konkreten Wettbewerbsverhältnisses darstellt. 486 Wie sich aus dem Wortlaut der Spürbarkeitsklausel in § 3a ergibt, werden vor Rechtsbrüchen hingegen alle Marktteilnehmer gleichermaßen geschützt. Die besondere Stellung als Mitbewerber ist insoweit nur für die Frage nach der individuellen Anspruchsberechtigung in dieser Fallgruppe von Belang. Insoweit kommt es auf den Schutzzweck der verletzten Norm an.891 Schützt die Marktverhaltensvorschrift Verbraucher, nicht unternehmerisch tätige 487 sonstige Marktteilnehmer und/oder die Allgemeinheit, sind nur auf demselben Markt wie der Verletzer bzw. der Geförderte tätige Unternehmer individuell aktivlegitimiert. Denn der Rechtsbruch verfälscht den Wettbewerb nur auf diesem Markt. Unternehmer auf anderen Märkten sind hierdurch nicht unmittelbar in ihren Absatz- oder Nachfrageinteressen betroffen. Daher kann ein Anbieter von Suchmaschinenoptimierungen nicht individuell gegen unwirksame Allgemeine Geschäftsbedingungen eines Anbieters von Domainregistrierungen vorgehen.892 In diesem Zusammenhang erweist sich, dass es einen Grundsatz der weiten Auslegung des Mitbewerberbegriffs nicht gibt.893 Anders ist zu entscheiden, wenn die verletzte Norm unternehmerische Absatz- oder 488 Nachfrageinteressen schützt und der Ansprüche geltend machende Unternehmer zu diesem Personenkreis zählt. In diesem Fall beeinträchtigt der Rechtsbruch die gesetzlich gewährleisteten, wettbewerblichen Interessen des Unternehmers unmittelbar. Folglich ist der betroffene Unternehmer Mitbewerber, ohne Rücksicht darauf, ob er im Übrigen auf demselben Markt wie der unlauter handelnde oder geförderte Unternehmer tätig ist. Daher sind Rechtsanwälte im Hinblick auf jede, ihrer Ansicht nach unerlaubte Rechtsberatung individuell anspruchsberechtigt, unabhängig davon, ob diese von einem Kraftfahrzeugversicherer,894 einem Abschleppunternehmer,895 einem Zeitschriftenverleger896 oder einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt unternommen wird.897 Ebenso stehen eine Fluggesellschaft und ein Fluggastrechteportal in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis, wenn die Fluggesellschaft Erstattungsansprüche ihrer Kunden einschränkt, wenn diese ein Fluggastrechteportal einschalten.898 Nach Auffassung des OLG Hamm nicht als Mitbewerber aktivlegitimiert ist hingegen der Betreiber eines Rücknahmesystems für gebrauchte LED-Lampen, der gegen einen Händler

890 OLG Köln 16. 12. 2016 – 6 U 166/15 – WRP 2017, 1007 Tz. 21; OLG München 16. 3. 2017 – 29 U 3923/16 – GRURRR 2018, 21 Tz. 27 – Pannenhilfe. Der Umstand, dass Kostensteigerungen ggf. höhere Preise nach sich ziehen, die zu einem geringeren Absatz führen, stellt eine lediglich mittelbare Beeinträchtigung dar, die kein konkretes Wettbewerbsverhältnis begründet. 891 Köhler WRP 2009, 499, 507. 892 Siehe OLG München 8. 7. 2010 – 29 U 2252/10 – MMR 2011, 99 f. 893 Anders aber die ganz h.M., s. o. Rn. 413. 894 BGH 3. 5. 2007 – I ZR 19/05 – GRUR 2007, 978, 979 – Rechtsberatung durch Haftpflichtversicherer. 895 OLG Naumburg 26. 10. 2005 – 5 U 101/05 – GRUR-RR 2006, 169. 896 Vgl. BGH 13. 2. 1981 – I ZR 63/79 – GRUR 1981, 529, 530 – Rechtsberatungsanschein (im Ergebnis Rechtsbruch verneint); BGH 5. 2. 1987 – I ZR 100/86 – GRUR 1987, 373 – Rentenberechnungsaktion (Rechtsbruch bejaht). 897 BGH 6. 12. 2001 – I ZR 214/99 – GRUR 2002, 985, 986 – WISO. 898 LG Düsseldorf, Urteil vom 18. April 2019 – 37 O 133/18 –, juris Tz. 38.

Peukert

886

B. Die Definitionen im Einzelnen

§2

vorgeht, der unter Verstoß gegen das EnergieG nicht amtlich registrierte Beleuchtungskörper vertreibt.899

(5) Andere geschäftliche Handlungen. Auch für alle übrigen, nach Ansicht des klagenden Unternehmens unzulässigen geschäftlichen Handlungen ist zu prüfen, ob durch das angegriffene Verhalten ein für Konkurrenten typischer Interessenkonflikt begründet wird, obwohl die Parteien nicht auf demselben Markt tätig sind. Ist dem so, liegt ein konkretes Wettbewerbsverhältnis gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 vor. Andernfalls ist der marktfremde Unternehmer als sonstiger Marktteilnehmer einzustufen. Grundsätzlich keine Mitbewerber sind Unternehmer, die sich im konkreten Fall als Anbieter und Nachfrager gegenüberstehen. Denn in einer solchen Situation verfolgen die Beteiligten sich ergänzende und nicht sich gegenseitig ausschließende unternehmerische Interessen. Zwar werden die jeweiligen unternehmerischen Interessen unmittelbar beeinträchtigt, wenn es in einem solch vertikalen Verhältnis zur Marktgegenseite zu unzulässigen geschäftlichen Handlungen kommt.900 Indes prallen keine gegenläufigen Absatz- oder Nachfrageinteressen aufeinander, sondern ein Unternehmen fördert seinen Absatz, während das andere seine im Prinzip komplementären Nachfrageinteressen verfolgt. Ein solcher Konflikt ist keiner zwischen Mitbewerbern i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 3, sondern zwischen sonstigen Marktteilnehmern gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2. Deshalb begründet eine unverlangte Werbe-E-Mail, die ein Kapitalanlageberater an Rechtsanwälte als potentielle Kunden sendet, kein konkretes Wettbewerbsverhältnis zwischen den Parteien.901 Gegen solch unzulässige Werbeformen sollen nur die auf dem Markt für Kapitalanlagen tätigen Konkurrenten des Absenders individuell vorgehen können, nicht hingegen die umworbenen Adressaten, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Verbraucher oder um sonstige, unternehmerisch oder nicht unternehmerisch agierende Marktteilnehmer handelt.902 Ebenso verhält es sich grundsätzlich bei geschäftlichen Handlungen gegenüber Verbrauchern und nicht-unternehmerisch agierenden, sonstigen Marktteilnehmern wie Idealvereinen oder Kirchen. Die hiermit einhergehende Wettbewerbsverfälschung im vertikalen Marktverhältnis beeinträchtigt in der Regel nur diejenigen Unternehmer unmittelbar, die auf demselben Markt wie das unlauter handelnde bzw. geförderte Unternehmen agieren.903 Alle anderen Unternehmer können allenfalls eine verbotene Manipulation der generellen Kaufkraftströme geltend machen. Diese reflexhafte Betroffenheit begründet jedoch kein konkretes Wettbewerbsverhältnis gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3.904 Vielmehr steht wiederum nur das allgemeine Wettbewerbsverhältnis zwischen sonstigen, unternehmerisch tätigen Marktteilnehmern in Rede. Ausnahmsweise kann ein konkretes Wettbewerbsverhältnis zu einem marktfremden Unternehmer aber auch durch eine geschäftliche Handlung gegenüber Verbrauchern oder anderen, nicht-unternehmerischen Nachfragern begründet werden. Ein Beispiel hierfür bildet die ggf. irreführende Aussage eines KfZ-Reparaturbetriebs, ein Haftpflichtversicherer übernehme bestimmte Reparaturen nicht.905 In dieser Konstellation ist das Versicherungsunternehmen in besonderer Weise und anders als alle anderen, nicht auf dem Markt für KfZ-Reparaturen 899 OLG Hamm 24. 7. 2014 – 4 U 142/13 – GRUR 2015, 60 ff. – Energiesparlampen (zweifelhaft, da die verletzte Registrierungspflicht auch den Zweck hat, eine ordentliche Entsorgung zu gewährleisten, die vom Antragsteller durchgeführt wird). 900 Z. B. in Gestalt einer Irreführung gem. §§ 5, 5a oder einer aggressiven geschäftlichen Handlung gem. § 4a. 901 BGH 20. 5. 2009 – I ZR 218/07 – GRUR 2009, 980, 981 – E-Mail-Werbung II. 902 A.A. Sack WRP 2009, 1330, 1332 ff. 903 A.A. BGH 19. 4. 2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 Tz. 17, 58 – Werbeblocker II. 904 Ebenso OLG Nürnberg 12. 11. 2019 – 3 U 592/19 –, juris Tz. 79 ff. (keine Aktivlegitimation eines Unternehmens auf einem anderen Markt jenseits der Tatbestände des Behinderungswettbewerbs). 905 A.A. OLG Brandenburg 16. 9. 2008 – 6 U 6/08 – GRUR-RR 2009, 140, 141 – Steinschlagreparatur.

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Definitionen

tätigen Unternehmen in seinen wettbewerblichen Interessen betroffen. Während die Äußerung dem Absatz des Akteurs förderlich ist, beeinträchtigt sie mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Marktchancen des Versicherers. Dieser Interessenkonflikt rechtfertigt die Annahme eines ad hoc durch die geschäftliche Handlung begründeten konkreten Wettbewerbsverhältnisses gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3.

494 (6) Konkretes Wettbewerbsverhältnis bei Förderung fremden Absatzes oder Bezugs. Das UWG erfasst gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 nicht nur geschäftliche Handlungen von Unternehmern zugunsten des eigenen Unternehmens, sondern auch jedes Verhalten einer Person zugunsten eines fremden Unternehmens. Diese Person muss ihrerseits nicht selbst Unternehmer i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs. sein, sondern kann einen Unternehmer in dessen Namen oder Auftrag oder aus ganz eigener Initiative fördern. Der typische Fall ist der Mitarbeiter, der für seinen Arbeitgeber wirbt. Agiert ein Mitarbeiter oder eine andere Person aber im Namen oder Auftrag eines Unterneh495 mers, gilt er gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs. selbst als Unternehmer. Dies könnte den Schluss nahelegen, dass auch für den Begriff des Mitbewerbers gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 auf den im fremden Namen oder Auftrag Handelnden abzustellen ist. Nach zutreffender Auffassung der Rechtsprechung und h.M. ist bei der Förderung fremden 496 Wettbewerbs hingegen stets auf den geförderten Unternehmer i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs. abzustellen. Zu jenem und nicht zum Förderer muss ein konkretes Wettbewerbsverhältnis bestehen.906 Die Förderung fremden Wettbewerbs macht einen Förderer auch nicht zum Mitbewerber auf dem Markt des geförderten Unternehmers; ein Förderer kann sich also lauterkeitsrechtlichen Ansprüchen ausgesetzt sehen, ist aber seinerseits nicht individuell aktivlegitimiert, weil diese bevorzugte Position nur selbst im Produktabsatz tätigen Unternehmern vorbehalten ist.907 Hierfür spricht, dass sich die angegriffene Handlung auf dem Markt auswirkt, auf dem der 497 Geförderte agiert. Unmittelbar betroffen sind die mit dem Geförderten konkurrierenden Unternehmen. Die zu ihnen bestehende bzw. begründete antagonistische Interessenlage ist für das konkrete Wettbewerbsverhältnis i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 3 maßgeblich. Für die Maßgeblichkeit der wettbewerblichen Beziehungen des geförderten Unternehmers spricht schließlich, dass auch solche Personen fremden Wettbewerb fördern können, die keine Unternehmer gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs. sind. Dies gilt etwa für Privatpersonen oder Idealvereine, die aus eigener Initiative geschäftliche Handlungen zugunsten eines fremden Unternehmens vornehmen. Da Mitbewerber gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 nur Unternehmer sein können, gäbe es im Verhältnis zu solchen Akteuren gar keine Mitbewerber und somit auch keine individuell Anspruchsberechtigten. Eine solche Rechtsschutzlücke ist mit der Konzeption der §§ 8–10 unvereinbar, die auf der Annahme beruhen, dass jede geschäftliche Handlung ein konkretes Wettbewerbsverhältnis betreffen oder begründen kann. Demzufolge können z. B. Getränkeproduzenten oder Maschinenbauer individuell Abwehr498 und Schadensersatzansprüche gegen Presseunternehmen geltend machen, die Getränkehersteller bzw. Maschinenbauer in unlauterer Weise fördern und damit den Wettbewerb auf diesen Märkten verfälschen.908 Hingegen kann das konkrete Wettbewerbsverhältnis zwischen zwei, auf demselben Markt tätigen Verlegern von Kundenzeitschriften nicht damit begründet werden, dass eine als Information getarnte Werbung den Wettbewerb eines Apothekers fördert, denn jener agiert gerade auf einem anderen Markt als der klagende Verleger. Dessen Mitbewerberstel906 BGH 7. 12. 1989 – I ZR 3/88 – GRUR 1990, 375, 376 – Steuersparmodell; BGH 17. 10. 2013 – I ZR 173/12 – WRP 2014, 552 Tz. 19 – Werbung für Fremdprodukte. Ebenso zum Mitbewerberbegriff des europäischen Lauterkeitsrechts Dreyer GRUR 2008, 123, 129. 907 BGH 17. 10. 2013 – I ZR 173/12 – WRP 2014, 552 Tz. 20 – Werbung für Fremdprodukte. 908 Siehe RG 10. 1. 1902 – II 307/01 – RGZ 50, 107, 110 – Künstliches Mineralwasser; BGH 23. 4. 1998 – I ZR 2/96 – GRUR 1999, 69 – Preisvergleichsliste II.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

§2

lung folgt vielmehr daraus, dass die angegriffene Anzeige zugleich den eigenen Wettbewerb des beklagten Verlegers fördert, und somit die Konkurrenten auf dem Markt für Kundenzeitschriften unmittelbar betroffen sind.909

IV. Nachricht, § 2 Abs. 1 Nr. 4 1. Bedeutung und Entstehungsgeschichte Der in § 2 Abs. 1 Nr. 4 definierte Begriff der Nachricht findet nur in einer Vorschrift des UWG Verwendung, nämlich in § 7 Abs. 2 Nr. 4. Demnach ist eine unzumutbare Belästigung stets anzunehmen bei Werbung mit einer Nachricht, bei der die Identität des Absenders, in dessen Auftrag die Nachricht übermittelt wird, verschleiert oder verheimlicht wird oder bei der keine gültige Adresse vorhanden ist, an die der Empfänger eine Aufforderung zur Einstellung solcher Nachrichten richten kann, ohne dass hierfür andere als die Übermittlungskosten nach den Basistarifen entstehen.910 § 7 Abs. 2 Nr. 4 dient wie § 7 Abs. 2 Nr. 2 und 3 sowie Abs. 3 der Umsetzung von Art. 13 DatenschutzRL-EK.911 Die Vorschrift betrifft die Zulässigkeit unerbetener Nachrichten,912 die für Zwecke der Direktwerbung versandt werden. Diese Form der Absatzförderung war unter dem Aspekt der belästigenden Werbung anhand von § 1 UWG 1909 beurteilt worden, so dass der Gesetzgeber eine Umsetzung der Richtlinienbestimmung im UWG 2004 für angezeigt erachtete.913 Der Begriff der Nachricht wird in Art. 2 lit. d DatenschutzRL-EK definiert.914 Mit Rücksicht auf die Umsetzung von Art. 13 DatenschutzRL-EK im UWG hielt der Gesetzgeber eine ausdrückliche Umsetzung dieser Legaldefinition für erforderlich.915 Der Wortlaut der Definition wurde im Gesetzgebungsverfahren zum UWG 2004 eingehend erörtert. Ministeriums- und Regierungsentwurf hatten noch „Nachrichten“ im Plural definiert, wobei der Regierungsentwurf besonders genau darauf achtete, dass der Wortlaut von § 2 Abs. 1 Nr. 4 sich vollständig mit Art. 2 lit. d DatenschutzRL-EK deckte.916 Der Bundesrat sah sich zum Hinweis bemüßigt, die Wörter „einer endlichen Zahl von“ Kommunikationsteilnehmern seien überflüssig, unverständlich und daher zu streichen.917 Die Bundesregierung hielt dem entgegen, in der Regel sei eine wortgleiche Umsetzung des Richtlinientextes geboten, da sonst Auslegungsschwierigkeiten entstehen könnten. Zudem gewönne die Definition auch durch die vorgeschlagene Streichung kaum an Verständlichkeit.918 Der Rechtsausschuss des Bundestages schließlich ersetzte den Plural des Begriffs „Nachricht“ durch den Singular919 und strich im 909 BGH 20. 2. 1997 – I ZR 12/95 – GRUR 1997, 907, 908 – Emil-Grünbär-Klub. Verkannt von EuGH 17. 10. 2013 – C391/12 – GRUR 2013, 1245, 1246 Tz. 39–42 – RLvS Verlagsgesellschaft. 910 Vgl. BGH 30. 1. 2020 – I ZR 25/19 – juris Tz. 58 – Inbox-Werbung. 911 Die DatenschutzRL-EK soll durch eine Verordnung über die Achtung des Privatlebens und den Schutz personenbezogener Daten (E-Privacy-Verordnung) ersetzt werden; vgl. Vorschlag der Europäischen Kommission v. 17. 1. 2017, COM/2017/10 final, 2017/03 (COD) und hier insbes. Art. 16 („Unerbetene Kommunikation“). 912 Darunter auch automatische Werbeeinblendungen in E-Mail-Postfächern, vgl. BGH 30. 1. 2020 – I ZR 25/19 – juris Tz. 2 ff., 58 – Inbox-Werbung. 913 RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 15. 914 Der Vorschlag für eine E-Privacy-Verordnung, COM/2017/010 final − 2017/03 (COD) operiert zwar in Art. 16 („Unerbetene Kommunikation“) noch mit dem Begriff der „Nachricht“, enthält aber keine diesbezügliche Legaldefinition mehr. 915 RefE UWG 2004, GRUR 2003, 298, 305; RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 16. 916 Vgl. RefE UWG 2004, GRUR 2003, 298, 305 und RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 5 (dritte Verwendung von „Information“ im Wortlaut im Plural). 917 Stellungnahme BRat, BTDrucks. 15/1487, S. 29. 918 Gegenäußerung BReg, BTDrucks. 15/1487, S. 40. 919 Bericht Rechtsausschuss UWG 2004, BTDrucks. 15/2795, S. 3.

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Interesse einer sprachlichen Verbesserung das Wort „elektronische“ Nachricht aus § 7 Abs. 2 Nr. 4, da bereits die Nachricht so definiert sei, dass sie über einen elektronischen Kommunikationsdienst ausgetauscht werden muss.920 All diese gesetzgeberischen Bemühungen um Transparenz ändern nichts daran, dass § 2 Abs. 1 Nr. 4 im Kontext des UWG unverständlich bleibt. Ursache hierfür ist der Umstand, dass der Begriff der Nachricht ein telekommunikations- und datenschutzrechtlicher Terminus ist, dessen auf Art. 2 lit. d DatenschutzRL-EK zurückgehende Definition keinerlei Bezug zur Regulierung des geschäftlichen Verkehrs im Allgemeininteresse am unverfälschten Wettbewerb aufweist. Ausweislich ihres Titels betrifft die DatenschutzRL-EK „die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation“. Sie zählt zu den Sekundärrechtsakten im Bereich der Telekommunikation.921 Reguliert wird die Nutzung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste in öffentlichen Kommunikationsnetzen in der EU.922 Die Richtlinie stellt ausdrücklich klar, dass sie nur den Vorgang der Übertragung von Nachrichten (Telekommunikation) betrifft, nicht aber die Inhalte, die über elektronische Kommunikationsdienste und -netze bereitgestellt werden, wie Rundfunkinhalte oder Finanzdienste und bestimmte Dienste der Informationsgesellschaft.923 Vor diesem telekommunikationsrechtlichen Hintergrund erscheint eine Umsetzung von Art. 13 DatenschutzRL-EK in § 7 naheliegend. Zum einen bezieht sich Art. 13 nur auf unerbetene Nachrichten zu Zwecken der Direktwerbung, also auf geschäftliche Handlungen gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1. Zum anderen erklärt § 7 geschäftliche Handlungen allein wegen der Art und Weise ihrer Übermittlung, unabhängig von ihrem Inhalt für unzulässig und entspricht damit der Begrenzung der DatenschutzRL-EK auf den Übertragungsaspekt der kommerziellen Kommunikation. Diesen Anknüpfungspunkten steht aber der spezifisch datenschutzrechtliche Zweck der Richtlinie entgegen. Die Richtlinie soll gem. Art. 1 Abs. 1 „einen gleichwertigen Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten, insbesondere des Rechts auf Privatsphäre und Vertraulichkeit, in Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten im Bereich der elektronischen Kommunikation sowie den freien Verkehr dieser Daten und von elektronischen Kommunikationsgeräten und -diensten … gewährleisten.“ Sie stellt eine gesetzgeberische Reaktion auf die Möglichkeiten und Risiken dar, die das Internet und andere elektronisch-digitale Kommunikationsnetze für ihre Nutzer, ihre personenbezogenen Daten und ihre Privatsphäre darstellen.924 Das UWG hingegen koordiniert gem. § 1 die wirtschaftlichen Handlungsfreiheiten der Marktteilnehmer im Hinblick auf das Allgemeininteresse am unverfälschten Wettbewerb. Diese spezifisch wettbewerbsrechtliche, auf die Eigenlogik und die Funktionsbedingungen des wirtschaftlichen Wettbewerbs ausgerichtete Zielsetzung stellt ein Aliud im Vergleich zum Telos der DatenschutzRL-EK dar. Deshalb bilden § 7 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt., Nr. 3 und 4 sowie Abs. 3 eine echte Ausnahme vom Grundsatz wettbewerbsfunktionaler Auslegung des UWG.925 Eine entsprechende Sonderrolle nimmt damit auch § 2 Abs. 1 Nr. 4 ein. Die Legaldefinition ist also nur vor ihrem telekommunikations- und datenschutzrechtlichen Hintergrund verständlich, nicht aber im Kontext des UWG. Jenes betrifft gerade nicht „jede Information“ (Art. 2 lit. d DatenschutzRL-EK), sondern nur Handlungen und Äußerungen im geschäftlichen Verkehr. Auch kommt es für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung anders als nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 nicht darauf an, ob eine Information mit einem identifizierbaren Teilnehmer oder Nutzer, der sie erhält, in Verbindung gebracht werden kann oder nicht.

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Bericht Rechtsausschuss UWG 2004, BTDrucks. 15/2795, S. 21. Ohlenburg MMR 2003, 82. Vgl. Art. 3 DatenschutzRL-EK. Siehe ErwGrd. 5 und 9 DatenschutzRL-EK. Vgl. ErwGrd. 6 DatenschutzRL-EK. Dazu § 1 Rn. 148 ff.

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Zu allem Überfluss betrifft der in § 7 Abs. 2 Nr. 4 umgesetzte Art. 13 Abs. 4 DatenschutzRL- 509 EK ausweislich der englischen Sprachfassung und seines Regelungsgehalts nicht elektronische Nachrichten jeder Art, sondern nur elektronische Post (E-Mail). Folglich hätte es der Begrifflichkeit im UWG und der Umsetzung von Art. 2 lit. d DatenschutzRL-EK aus unionsrechtlicher Sicht gar nicht bedurft. Betrachtet man die von Art. 13 Abs. 4 DatenschutzRL-EK abweichende Umsetzung nicht als ein unbeachtliches Redaktionsversehen, stellt sich die weitergehende Frage, ob die Richtlinie es überhaupt zulässt, andere Formen der elektronischen Kommunikation als elektronische Post den Vorgaben des Art. 13 Abs. 4 DatenschutzRL-EK zu unterwerfen.926 In beiden Varianten erscheint § 2 Abs. 1 Nr. 4 verzichtbar.927

2. Begriff der Nachricht a) Definition gem. § 2 Abs. 1 Nr. 4 1. Hs. Der Begriff der Nachricht steht gem. § 2 Abs. 1 Nr. 4 510 1. Hs. und wortgleich Art. 2 lit. d S. 1 DatenschutzRL-EK für „jede Information, die zwischen einer endlichen Zahl von Beteiligten über einen öffentlich zugänglichen elektronischen Kommunikationsdienst ausgetauscht oder weitergeleitet wird.“ In Bezug auf den Inhalt der Nachricht ist die Definition offen und keineswegs auf Werbung und andere geschäftliche Handlungen zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 beschränkt. Jede Information kann eine Nachricht sein, auch eine solche mit außergeschäftlichem Gehalt und Zweck, z. B. eine rein private oder redaktionelle Äußerung. Diese Inhaltsneutralität folgt aus dem Umstand, dass die DatenschutzRL-EK als telekommunikationsrechtliche Materie den Vorgang der Übertragung, nicht aber den Inhalt von Nachrichten betrifft. Demgegenüber bezieht sich der im UWG umgesetzte Art. 13 DatenschutzRL-EK nur auf Nachrichten für Zwecke der Direktwerbung. Schon über diesen, auf Werbung beschränkten Regelungsgehalt von § 7 Abs. 2 Nr. 4 geht § 2 Abs. 1 Nr. 4 hinaus und ist insoweit bedeutungslos. Selbiges gilt für das Kriterium der endlichen Zahl von Beteiligten. Relevant ist hingegen das weitere Erfordernis, wonach eine Nachricht i.S.v. §§ 2 Abs. 1 Nr. 4, 7 Abs. 2 Nr. 4 nur vorliegt, wenn die Information „über einen öffentlich zugänglichen elektronischen Kommunikationsdienst“ übertragen wird. Hierbei handelt es sich gem. der Legaldefinitionen des Art. 2 Nr. 4 und 8 RL 2018/1972 (europäischer Kodex für die elektronische Kommunikation) um „gewöhnlich gegen Entgelt über elektronische Kommunikationsnetze erbrachte Dienste, die — mit der Ausnahme von Diensten, die Inhalte über elektronische Kommunikationsnetze und -dienste anbieten oder eine redaktionelle Kontrolle über sie ausüben – folgende Dienste umfassen: a) „Internetzugangsdienste“ im Sinne der Begriffsbestimmung des Artikels 2 Absatz 2 Nummer 2 der Verordnung (EU) 2015/2120, b) interpersonelle Kommunikationsdienste und c) Dienste, die ganz oder überwiegend in der Übertragung von Signalen bestehen, wie Übertragungsdienste, die für die Maschine-Maschine-Kommunikation und für den Rundfunk genutzt werden,“ soweit diese Dienste gem. Art. 2 Nr. 8 RL 2018/1972 „öffentlich zugänglich“ sind.928 Diese Kommunikationsdienste funktionieren auf der Basis elektronischer Kommunikationsnetze, die in Art. 2 Nr. 1 und für öffentliche elektronische Kommunikationsnetze in Art. 2 Nr. 8 RL 2018/1972 (europäischer Kodex für die elektronische Kommunikation) eine Legaldefini926 Nicht aufgeworfen im Vorlagebeschluss BGH 30. 1. 2020 – I ZR 25/19 – juris – Inbox-Werbung (betr. Legaldefinition „elektronische Post“). 927 So auch Köhler WRP 2012, 251, 258; ders. WRP 2013, 403. Gelegenheit hierzu würde die Umsetzung der noch im Gesetzgebungsverfahren befindlichen E-Privacy-Verordnung (COM/2017/10 final, 2017/03 (COD)) bieten, die keine entsprechende Legaldefinition aufweist. 928 Bis zum 20. 12. 2020 gilt die Definition des Art. 2 lit. c Rahmenrichtlinie 2002/21 (siehe Art. 125 RL 2018/1972 sowie GK-UWG2/Peukert Rn. 513).

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tion erfahren haben.929 Elektronische Kommunikationsnetze stellen mit anderen Worten die Infrastruktur der elektronischen Telekommunikation dar. Diesen Definitionen ist zu entnehmen, dass eine Nachricht i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 4 nur vorliegt, wenn sie auf eine bestimmte Art und Weise kommuniziert wird, nämlich auf elektronischem Wege über ein elektronisches Netz. Hierunter fallen das Internet, das Fest- und Mobilfunknetz und die hierüber von Telekommunikationsanbietern übertragenen Nachrichten wie Sprach- und Videoanrufe, Faxe, SMS und elektronische Post.930 Lauterkeitsrechtlich relevant sind derartige elektronische Nachrichten aber nur, wenn sie der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen dienen, also werbenden Charakter haben. Nicht um eine Nachricht i. S. d. §§ 2 Abs. 1 Nr. 4 1. Hs., 7 Abs. 2 Nr. 4 handelt es sich hingegen bei Werbung, die außerhalb der elektronischen Kommunikationsnetze stattfindet, etwa durch Plakate, das Ansprechen in der Öffentlichkeit, Handzettel, Briefe oder Vertreterbesuche.931 Ferner müssen der elektronische Kommunikationsdienst und das elektronische Kommunikationsnetz öffentlich zugänglich sein.932 Das ist nicht der Fall, wenn der Zugang zum Netz auf eine bestimmte Personengruppe beschränkt ist, wie z. B. bei nach außen geschlossenen unternehmensinternen oder privaten Netzwerken.933

519 b) Ausnahmeregelung gem. § 2 Abs. 1 Nr. 4 2. Hs. Gem. § 2 Abs. 1 Nr. 4 2. Hs. schließt die Definition der „Nachricht“ gem. Hs. 1 „nicht Informationen ein, die als Teil eines Rundfunkdienstes über ein elektronisches Kommunikationsnetz an die Öffentlichkeit weitergeleitet werden, soweit die Informationen nicht mit dem identifizierbaren Teilnehmer oder Nutzer, der sie erhält, in Verbindung gebracht werden können.“ Während die Begriffsbestimmung der Nachricht im 1. Halbsatz nur vor dem telekommunika520 tionsrechtlichen Regelungsgegenstand der DatenschutzRL-EK verständlich ist, beruht die in Halbsatz 2 normierte, mit dem Wortlaut von Art. 2 lit. d S. 2 DatenschutzRL-EK identische Ausnahme auf dem datenschutzrechtlichen Regelungszweck der Richtlinie. Ob eine elektronische Werbenachricht mit einem identifizierbaren Empfänger in Verbindung gebracht werden kann, ist für den Schutz der Privatsphäre dieser Person von hoher Bedeutung, für das Lauterkeitsrecht aber im Prinzip irrelevant. Erwägungsgrund 16 der DatenschutzRL-EK erläutert die Vorschrift dahingehend, dass eine 521 Information, die als Teil eines Rundfunkdienstes über ein öffentliches Kommunikationsnetz weitergeleitet wird, für einen potenziell unbegrenzten Personenkreis bestimmt sei und keine Nachricht im Sinne der Richtlinie darstelle. Könne jedoch ein einzelner Teilnehmer oder Nutzer, der eine derartige Information erhält, beispielsweise durch einen Videoabruf-Dienst identifiziert werden, so sei die weitergeleitete Information (das Video) als Nachricht im Sinne der Richtlinie zu verstehen. Folglich unterfällt Werbung im digitalen Fernsehen und Rundfunk nicht den 929 Bis zum 20. 12. 2020 gilt die Definition des Art. 2 lit. a Rahmenrichtlinie 2002/21 (siehe Art. 125 RL 2018/1972 sowie GK-UWG2/Peukert Rn. 514). 930 BGH 30. 1. 2020 – I ZR 25/19 – juris Tz. 58 – Inbox-Werbung. Vgl. ErwGrd. 27 und Art. 13 Abs. 2 DatenschutzRLEK, § 7 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 3; ferner RefE UWG 2004, GRUR 2003, 298, 305; RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 16; ferner LG Berlin 13. 5. 2004 – 16 O 524/03 – MMR 2004, 699 (Versand einer Nachricht an Blöcke von IPAdressen, die sich auf dem Bildschirm des Empfängers öffnet, nachdem eine Verbindung zum Internet hergestellt ist); Harte/Henning/Keller Rn. 149; Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 4 Rn. E 6 (Beiträge in Foren und Chat-Räumen). 931 Harte/Henning/Keller Rn. 154. 932 Vgl. dazu die Legaldefinition in Art. 2 Nr. 8 RL 2018/1972 (europäischer Kodex für die elektronische Kommunikation): elektronisches Kommunikationsnetz, das ganz oder überwiegend der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste dient, die die Übertragung von Informationen zwischen Netzabschlusspunkten ermöglichen. 933 Harte/Henning/Keller Rn. 155; Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 4 Rn. E 18.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

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§§ 2 Abs. 1 Nr. 4, 7 Abs. 2 Nr. 4, soweit technisch nicht feststellbar ist, wer die Werbung tatsächlich empfangen hat.934 Wie die Richtlinie anerkennt, sind Internetnutzer, die einen Video-Abrufdienst oder ein an- 522 deres Online-Angebot mit Werbung abrufen, durchaus identifizierbar. Für diese Teilnehmer realisiert sich die besondere Gefahr für die Privatsphäre, die mit elektronischen Kommunikationsdiensten und -netzen einhergeht und vor der die DatenschutzRL-EK schützen soll. Zudem nimmt die Richtlinie ausdrücklich zu datenschutzrechtlich relevanten Aspekten der Gestaltung von Websites Stellung, insbesondere zu Cookies.935 Es vermag daher nicht zu überzeugen, Werbenachrichten auf Internetseiten und im Rahmen von gestreamten Rundfunkprogrammen vom Begriff der Nachricht gem. Art. 2 lit. d DatenschutzRL-EK und § 2 Abs. 1 Nr. 4 auszugrenzen, da technisch feststellbar ist, wer diese Werbung empfangen hat.936 Richtig ist vorgenannte Auslegung aber im Kontext des § 7 Abs. 2 Nr. 4. Die Vorschrift 523 passt offenbar nicht auf Werbung, die auf Internetseiten geschaltet oder in Streamingdienste eingebettet ist, denn diese elektronischen „Nachrichten“ i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 4 nennen typischerweise keinen „Absender“ und erst recht keine „gültige Adresse …, an die der Empfänger eine Aufforderung zur Einstellung solcher Nachrichten richten kann“. Diese Diskrepanz zwischen Definition und definierter Regelung beruht darauf, dass § 7 524 Abs. 2 Nr. 4 von Art. 13 Abs. 4 DatenschutzRL-EK abweicht. Anders als der in § 7 Abs. 2 Nr. 2 umgesetzte Art. 13 Abs. 3 DatenschutzRL-EK937 bezieht sich Art. 13 Abs. 4 DatenschutzRL-EK nämlich ausweislich der englischen Sprachfassung nur auf elektronische Post i.S.v. Art. 2 lit. h DatenschutzRL-EK und nicht auf elektronische Nachrichten gem. Art. 2 lit. d DatenschutzRL-EK.938 Bei Text-, Sprach-, Ton- oder Bildnachrichten, die im Netz oder im Endgerät des Empfängers gespeichert werden können, bis sie von diesem abgerufen werden, macht es Sinn, einen eindeutig identifizierbaren Absender zu verlangen, an den man sich mit der Aufforderung zur Einstellung solcher Post wenden kann.939 Anders aber ist es bei Werbung auf Websites, die vom Internetnutzer selbst aufgerufen werden. Derartige elektronische Kommunikation unterfällt nicht der engeren Definition der elektronischen Post gem. Art. 2 lit. h DatenschutzRL-EK und somit auch nicht Art. 13 Abs. 4 DatenschutzRL-EK sowie seiner Umsetzung in § 7 Abs. 2 Nr. 4.940 Anhaltspunkte dafür, dass der deutsche Gesetzgeber hiervon bewusst und nicht aufgrund eines unbeachtlichen Redaktionsversehens abgewichen ist, sind der amtlichen Begründung allenfalls für Telefonanrufe, nicht aber für Online-Werbung im Allgemeinen zu entnehmen.941

V. Verhaltenskodex, § 2 Abs. 1 Nr. 5 1. Entstehungsgeschichte Die Legaldefinition des Verhaltenskodexes gem. § 2 Abs. 1 Nr. 5 dient der Umsetzung von Art. 2 525 lit. f UGPRL. Die Vorschrift wurde im Zuge des UWG 2008 in den Definitionskatalog aufgenom934 Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 36 Rn. 9. Zum Amateurfunk Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 4 Rn. E 12 (Amateurfunk an nicht begrenzte Empfängerzahl gerichtet). 935 Vgl. ErwGrd. 25 DatenschutzRL-EK; a. A. Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 4 Rn. E 9 f. (nur bei passwortgeschützter Seite). 936 So aber Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 4 Rn. E 8 f., 19; Harte/Henning/Keller Rn. 153; Gloy/Loschelder/ Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 36 Rn. 9, 15; MünchKommUWG/Bähr Rn. 286. 937 Vgl. Ohlenburg MMR 2003, 82, 84. 938 Siehe bereits Eckhardt MMR 2003, 557; ferner Köhler WRP 2012, 251, 258. Zum Begriff der elektronischen Post vgl. BGH 30. 1. 2020 – I ZR 25/19 – juris – Inbox-Werbung. 939 So für Werbeeinblendungen in E-Mail-Postfächern auch BGH 30. 1. 2020 – I ZR 25/19 – juris Tz. 58 – Inbox-Werbung. 940 Micklitz/Schirmbacher WRP 2006, 148, 166 f. Einschlägig ist vielmehr die Auffangklausel des § 7 Abs. 1; vgl. z. B. LG Düsseldorf 26. 3. 2003 – 2a O 186/02 – MMR 2003, 486 – Exit-Pop-up-Fenster (zu § 1 UWG 1909). 941 Siehe RegE UWG 2004, BTDrucks 15/1487, S. 21.

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men, um ein richtlinienkonformes Verständnis des auf Verhaltenskodizes bezogenen § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 sicherzustellen. Für die Legaldefinition des „Urhebers eines Kodex“ gem. Art. 2 lit. g UGPRL erkannte der Gesetzgeber hingegen keinen Umsetzungsbedarf.942 Früheren Fassungen des UWG war die Begrifflichkeit „Verhaltenskodex“ unbekannt. Im Zuge der Beratungen der UGPRL nahm die Selbstregulierung des Marktverhaltens durch Verhaltenskodizes eine prominente Rolle ein. Vor allem die EU-Kommission erkannte in EU-weit vereinbarten Verhaltenskodizes von Unternehmen ein geeignetes Instrument zur Etablierung einheitlicher Lauterkeitsmaßstäbe im gemeinsamen Markt. Ursprünglich hatte die Kommission erwogen, eine geprüfte Positivliste von Verhaltenskodizes zu veröffentlichen, deren Einhaltung im Zweifel unionsweit als lauter gegolten hätte.943 In der Begründung des Richtlinienvorschlags führte die Kommission immerhin noch aus, Kodizes könnten den nationalen Behörden die Feststellung erleichtern, welche Anforderungen in der konkreten Branche an die berufliche Sorgfalt zu stellen sind, sofern gewährleistet sei, dass derartige Kodizes nicht ihrerseits den Wettbewerb verhindern, einschränken oder verzerren.944 Diese Form der regulierten Selbstregulierung könne die Inanspruchnahme der Verwaltungsbehörden oder Gerichte unnötig machen und sollte daher gefördert werden.945 Doch blieb bereits der Richtlinientext der Kommission hinter diesen weitreichenden Vorstellungen zurück. Neben Definitionen des Verhaltenskodexes, des Verhaltenskodexes auf Gemeinschaftsebene und des Urhebers eines Kodexes946 sah der Vorschlag lediglich Regelungen zu Irreführungen im Hinblick auf eine angebliche Unterzeichnung, behördliche Billigung bzw. Einhaltung eines Kodexes vor und stellte klar, dass die Richtlinie der Selbstregulierung durch die Unternehmen nicht entgegenstehe, wenn diese zusätzlich zu den staatlichen Verfahren zur Verfügung stehe.947 Während der Beratungen im Europäischen Parlament setzte sich eine noch skeptischere Haltung zur Selbstregulierung des Marktverhaltens durch Verhaltenskodizes durch, an deren Wirksamkeit zur Etablierung eines hohen, verbraucherschützenden Lauterkeitsstandards im gemeinsamen Markt gezweifelt wurde.948 In der Folge wurde die Definition des gemeinschaftsweiten Verhaltenskodexes gestrichen und der einschlägige Erwägungsgrund weiter abge-

942 RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 12, 21. Anders noch DiskE UWG 2008, 2 f., 35 und dazu Dreyer WRP 2007, 1294 ff.

943 Siehe Keßler/Micklitz BB Special 13 2005, 1, 20. 944 Vorschlag UGPRL, KOM (2003) 356 endgültig, S. 3 f., 7 f. (65 % der befragten Unternehmen hielten europäische Verhaltenskodizes für einen effizienten Weg zur Erleichterung des Absatzes in der gesamten EU), 19, 25. 945 Vorschlag UGPRL, KOM (2003) 356 endgültig, S. 25; Europäisches Parlament, Bericht UGPRL, A5–0188/2004, S. 33 f. 946 Art. 2 lit. g Vorschlag UGPRL, KOM (2003) 356 endgültig („Verhaltenskodex eine Vereinbarung, die das Verhalten der Gewerbetreibenden definiert, die sich in Bezug auf eine oder mehrere spezielle Geschäftspraktiken oder Wirtschaftszweige auf diesen Kodex verpflichten.“), Art. 2 lit. h Vorschlag UGPRL, KOM (2003) 356 endgültig („Verhaltenskodex auf Gemeinschaftsebene‘ ein Verhaltenskodex, der es jedem Gewerbetreibenden aus jedem Mitgliedstaat, der die Anforderungen des Kodex erfüllt, erlaubt, sich ohne jede Diskriminierung an diesem Kodex zu beteiligen, und der geeignete und wirksame Verfahren für die Überwachung und Durchsetzung seiner Bestimmungen enthält.“), Art. 2 lit. i Vorschlag UGPRL, KOM (2003) 356 endgültig („Urheber eines Kodex‘ jedes Rechtssubjekt, einschließlich einzelner Gewerbetreibender oder Gruppen von Gewerbetreibenden, das für die Formulierung und Überarbeitung eines Verhaltenskodex und/oder für die Überwachung der Einhaltung dieses Kodex durch alle diejenigen, die sich darauf verpflichtet haben, zuständig ist.“). 947 Siehe Art. 6 Abs. 2 lit. b, 10, 11 Abs. 1 UA 4, Anhang Nr. 1 und 2 Vorschlag UGPRL 18. 6. 2003, KOM (2003) 356 endg. Kritisch zur Haftung von Urhebern von Verhaltenskodizes aufgrund der abschreckenden Wirkung dieses Haftungsrisikos Europäisches Parlament, Bericht UGPRL, A5–0188/2004, S. 35; dem im Wesentlichen zustimmend Europäischer Rat, Standpunkt UGPRL, 11630/04 ADD 1, S. 8. 948 Europäisches Parlament, Bericht UGPRL, A5–0188/2004, S. 62.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

§2

schwächt.949 Der Europäische Rat schloss sich dieser zurückhaltenden Linie im Wesentlichen an,950 so dass es nunmehr in ErwGrd. 20 UGPRL nur noch heißt, es sei zweckmäßig, die Möglichkeit von Verhaltenskodizes vorzusehen, die es Gewerbetreibenden ermöglichen, die Grundsätze der Richtlinie in spezifischen Wirtschaftsbranchen wirksam anzuwenden. Selbstregulierung „könnte“ das Eingreifen staatlicher Institutionen unnötig machen. Zugleich „könnten“ Verbraucherverbände an der Ausarbeitung von Verhaltenskodizes beteiligt werden, um ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten. Gestrichen wurde hingegen der noch im Kommissionsvorschlag enthaltene Hinweis, Kodizes könnten den nationalen Behörden die Feststellung erleichtern, welche Anforderungen in der konkreten Branche an die berufliche Sorgfalt und damit letztlich die Lauterkeit zu stellen sind.951 Bereits die Entstehungsgeschichte der UGPRL lässt erkennen, dass die unternehmerische 530 Selbstregulierung als ein ambivalentes Instrument zur Gewährleistung der Lauterkeit des Geschäftsverkehrs einzuschätzen ist.952 Einerseits zeigt die Erfahrung, etwa im Hinblick auf die Tätigkeit des Deutschen Werberats, dass privat vereinbarte Regelwerke und Sanktionsverfahren ein sehr wirksames und allseits akzeptiertes Instrument zur Gewährleistung lauteren Marktverhaltens darstellen können. Andererseits wohnt insbesondere Vereinbarungen, an denen nur Unternehmer beteiligt sind, die als Mitbewerber auf demselben Markt agieren, das Potential inne, wettbewerbsbeschränkende und für die Marktgegenseite nachteilige Verhaltensweisen zur Norm zu erklären. Der Zwiespalt zwischen der Effizienz und der begrenzten Legitimität unternehmerischer Selbstregulierung kommt auch in den Vorschriften zu Verhaltenskodizes zum Ausdruck.

2. Bedeutung von Verhaltenskodizes im Lauterkeitsrecht a) Verhaltenskodex und Lauterkeitsmaßstab. Ein Verhaltenskodex wird freiwillig ausgear- 531 beitet, vereinbart oder als verpflichtend anerkannt. § 2 Abs. 1 Nr. 5 stellt ausdrücklich klar, dass sich die diesbezüglichen, privatautonomen Verpflichtungen nicht aus Gesetzes- oder Verwaltungsvorschriften ergeben. Private Vereinbarungen und Regelwerke („Vorschriften“) binden nur diejenigen, die hier- 532 zu ihre Zustimmung erklärt haben. Ihren Autoren fehlt die Legitimität, für Dritte bzw. die Allgemeinheit verpflichtende Regeln aufzustellen. Das staatliche Gewaltmonopol darf nur für demokratisch legitimierte Beschlüsse durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt werden (Art. 20 Abs. 2 GG). Freiwillig vereinbarte Verhaltenskodizes erfüllen diese Legitimitätsanforderungen nicht. Es würde daher verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen, wenn zur Ausfüllung des Begriffs der Lauterkeit Wettbewerbsregeln oder andere Regelwerke herangezogen würden, denen keine Gesetzesqualität zukommt. Zudem würde der Wettbewerb in bedenklicher Weise beschränkt, wenn das Übliche zur Norm erhoben würde.953 949 Europäisches Parlament, Bericht UGPRL, A5–0188/2004, S. 15 f. Siehe ErwGrd. 16 Europäisches Parlament, Legislative Entschließung UGPRL, 20. 4. 2004, P5_TA(2004)0298 („Es ist zweckmäßig, die Möglichkeit von Verhaltenskodizes vorzusehen, die es Gewerbetreibenden ermöglichen, Selbstbeschränkungsregelungen nach den Grundsätzen dieser Richtlinie zu erlassen. Die Aufstellung und die Verwendung dieser Kodizes und der festen Verpflichtungen in derartigen Kodizes sollte unter Achtung der Anforderungen des Wettbewerbsrechts erfolgen. Zur Verfolgung eines hohen Verbraucherschutzniveaus müssen Verbraucherorganisationen unterrichtet und an der Ausarbeitung des Verhaltenskodex beteiligt werden.“). 950 Europäischer Rat, Standpunkt UGPRL, 11630/04 ADD 1, S. 5 ff. 951 Vorschlag UGPRL, KOM (2003) 356 endgültig, S. 25. 952 Anders Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 5 Rn. F 18 f. („vorzügliches Instrument zur Förderung der Lauterkeit im Geschäftsverkehr“). 953 BGH 7. 2. 2006 – KZR 33/04 – BGHZ 166, 154 = GRUR 2006, 773 Tz. 21 – Probeabonnement; BGH 9. 9. 2010 – I ZR 157/08 – GRUR 2011, 431 Tz. 14 – FSA-Kodex.

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Peukert

§2

Definitionen

Daher ist eine geschäftliche Handlung, die gegen einen Verhaltenskodex i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 5 verstößt, nicht ohne Weiteres unlauter.954 Mangels gesetzlicher Vorschrift liegt auch kein Rechtsbruch gem. § 3a vor.955 Vielmehr entnimmt die Rechtsprechung des BGH Verhaltenskodizes „unter Umständen“ zu534 nächst nur, ob innerhalb der in Rede stehenden Verkehrskreise eine bestimmte tatsächliche Übung herrscht. Für die normative, lauterkeitsrechtliche Bewertung dieser Übung und hiervon abweichenden Marktverhaltens komme privaten Regelwerken „allenfalls eine indizielle Bedeutung“ zu, die aber eine abschließende Beurteilung anhand der sich aus den Bestimmungen des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb ergebenden Wertungen nicht ersetzen könne.956 Da die UGPRL Verhaltenskodizes keine größere Bedeutung zuweist, sind diese Grundsätze auch für den europarechtlichen Begriff der Unlauterkeit gem. §§ 3 Abs. 2, 2 Abs. 1 Nr. 7 maßgeblich.957 Zuwiderhandlungen gegen einen Verhaltenskodex sind daher vor staatlichen Gerichten al535 lein an den gesetzlichen Maßstäben des UWG zu messen. So ist etwa zu prüfen, ob kodexwidrige Preisgestaltungen und Zugaben aggressive geschäftliche Handlungen darstellen, die geeignet sind, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.958 Ist das nicht der Fall, liegt kein unzulässiges Marktverhalten vor. Es stellt sich dann vielmehr die Anschlussfrage, ob der über das gesetzliche Verbotsniveau hinausgehende Kodex wettbewerbsbeschränkende, kartellrechtswidrige Vereinbarungen enthält.959 So wie die lauterkeitsrechtliche Zulässigkeit eines Verhaltens unabhängig von den Regeln 536 eines Verhaltenskodexes anhand des UWG zu beurteilen ist, stehen auch die privaten Verfahren zur Durchsetzung des Kodexes und die staatlichen Verfahren zur Durchsetzung des UWG unabhängig nebeneinander. Die Inanspruchnahme eines von einer Selbstregulierung angebotenen Verfahrens schließt den Rechtsweg zu den Wettbewerbsgerichten nicht aus.960 533

537 b) Irreführende geschäftliche Handlungen im Hinblick auf Verhaltenskodizes. Eigenständige normative Bedeutung zur Begründung der Unzulässigkeit eines Marktverhaltens kommt Verhaltenskodizes demnach nicht zu. Verhaltenskodizes können aber im Sinne eines faktischen, auf den Unternehmer und seine Leistungen bezogenen Umstands wettbewerbliche Relevanz erlangen. Dies gilt insbesondere, wenn im Rahmen einer geschäftlichen Handlung auf einen Verhaltenskodex hingewiesen wird. Diesbezügliche Irreführungen verstoßen ggf. gegen das UWG. Bei geschäftlichen Handlungen gegenüber Verbrauchern stets unzulässig ist gem. Nr. 1 An538 hang zu § 3 Abs. 3 die unwahre Angabe eines Unternehmers, zu den Unterzeichnern eines Verhaltenskodexes zu gehören. Schon aufgrund der bloßen Bezugnahme auf die Unterzeichnereigenschaft erwarten die Verbraucher, dass die im Kodex verankerten Verhaltensstandards ein954 BGH 7. 2. 2006 – KZR 33/04 – BGHZ 166, 154 = GRUR 2006, 773 Tz. 18 ff. – Probeabonnement; BGH 9. 9. 2010 – I ZR 157/08 – GRUR 2011, 431 Tz. 12 ff. – FSA-Kodex; Beater Rn. 1048; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 37 Rn. 7. 955 BGH 9. 9. 2010 – I ZR 157/08 – GRUR 2011, 431 Tz. 10 – FSA-Kodex. 956 BGH 7. 2. 2006 – KZR 33/04 – BGHZ 166, 154 = GRUR 2006, 773 Tz. 18 ff. – Probeabonnement; BGH 9. 9. 2010 – I ZR 157/08 – GRUR 2011, 431 Tz. 12 ff. – FSA-Kodex; großzügiger Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 37 Rn. 9; gegen jede indizielle Bedeutung Beck Verhaltenskodizes S. 179. 957 Wie hier wohl Alexander GRUR Int. 2012, 965, 972; anders Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 115a. 958 Zu § 4 Nr. 1 a. F. BGH 7. 2. 2006 – KZR 33/04 – BGHZ 166, 154 = GRUR 2006, 773 Tz. 18 ff. – Probeabonnement; BGH 9. 9. 2010 – I ZR 157/08 – GRUR 2011, 431 Tz. 15 – FSA-Kodex; Alexander GRUR Int. 2012, 965, 971. 959 § 2 Rn. 567. 960 Vgl. Art. 10 UGPRL, 6 IrreführungsRL 2006; ferner RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 18; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 116. Zur materiellrechtlichen Subsidiarität eines Anspruchs gem. §§ 3 Abs. 1, 8 f. wegen hartnäckiger Verstöße gegen den ethischen Minimalkonsens auf dem Markt, wenn Selbstregulierungsmechanismen vorhanden sind, siehe aber § 3 Rn. 360.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

§2

gehalten werden.961 Im B2C-Verkehr gem. Nr. 3 Anhang zu § 3 Abs. 3 ebenfalls stets verboten ist die unwahre Angabe, ein Verhaltenskodex sei von einer öffentlichen oder anderen Stelle gebilligt, da hiermit über eine wesentliche Eigenschaft dieser von der Wirtschaft eingegangenen Selbstverpflichtung getäuscht werde.962 Gem. § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ist eine geschäftliche Handlung unter Berücksichtigung aller 539 Umstände des Einzelfalls als irreführend einzustufen, wenn sie unwahre oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben enthält über die Einhaltung eines Verhaltenskodexes, auf den sich der Unternehmer verbindlich verpflichtet hat, wenn er auf diese Bindung hinweist. Die Vorschrift setzt den wesentlich wortreicheren Art. 6 Abs. 2 lit. b UGPRL in deutsches Recht um. Demnach gilt eine Geschäftspraxis ggf. als irreführend, die die Nichteinhaltung von Verpflichtungen beinhaltet, die der Gewerbetreibende im Rahmen von Verhaltenskodizes, auf die er sich verpflichtet hat, eingegangen ist, sofern i) es sich nicht um eine Absichtserklärung, sondern um eine eindeutige Verpflichtung handelt, deren Einhaltung nachprüfbar ist, und ii) der Gewerbetreibende im Rahmen einer Geschäftspraxis darauf hinweist, dass er durch den Kodex gebunden ist.963 Aus diesen Regelungen ergibt sich, dass Verhaltenskodizes mittelbare lauterkeitsrechtli- 540 che Relevanz erlangen, wenn sich ein Marktteilnehmer auf sie beruft. Diese Bezugnahme darf nicht irreführend sein. Falsche Angaben zur Beteiligung an bzw. zur behördlichen oder sonstigen Billigung von Verhaltenskodizes sind gegenüber Verbrauchern stets verboten, weil hiermit besonderes Vertrauen erweckt und missbraucht wird. Der Inhalt eines Verhaltenskodexes ist hingegen nur im Rahmen der Prüfung von § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 von Belang, und auch dies nur dann, wenn auf eindeutige, nachprüfbare Verpflichtungen hingewiesen wurde. Allerdings geht das UWG in diesem Zusammenhang insoweit über die Vorgaben der UGPRL hinaus, als § 5 Abs. 1 S. 1 jede irreführende geschäftliche Handlung für unlauter erklärt, die geeignet ist, die Entscheidungsfreiheit von Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern zu beeinträchtigen. Eine solche Irreführung kann sich aus auch Bezugnahmen auf Selbstverpflichtungen oder andere private Regelwerke ergeben, die nicht unter den Begriff des Verhaltenskodexes fallen. In Umsetzung von Art. 6 (1) lit. n der Richtlinie 2011/83 über die Rechte der Verbraucher 541 sind Unternehmer gem. Art. 246a § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 10 EGBGB bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen (mit Ausnahme von Finanzdienstleistungsverträgen) verpflichtet, dem Verbraucher Informationen über gegebenenfalls bestehende einschlägige Verhaltenskodizes und wie Exemplare davon erhalten werden können, zur Verfügung zu stellen. Diese Informationen gelten gem. § 5a Abs. 4 als wesentlich, weshalb ihre Vorenthaltung eine Irreführung durch Unterlassen gem. § 5a Abs. 2 darstellen kann.964 Freilich kommt es in einem solchen Fall wie stets auf die Umstände an (§ 5a Abs. 2 S. 1). Wenn der Verhaltenskodex lediglich versehentlich unerwähnt bleibt, wird er schon begrifflich nicht „verheimlicht“ (§ 5a Abs. 2 S. 2 Nr. 1). Überdies kann es „je nach den Umständen“ durchaus so sein, dass der Verbraucher diese an sich wesentliche Information doch nicht für eine informierte Entscheidung benötigt oder ihre Vorenthaltung jedenfalls nicht geeignet war, die geschäftliche Entscheidung zu beeinflussen (§ 5a Abs. 2 S. 1).

c) Verhaltenskodizes, die UWG-Verstößen Vorschub leisten. Die UGPRL betrachtet unter- 542 nehmerische Selbstregulierung durch Verhaltenskodizes grundsätzlich positiv. Diese Einstellung beruht auf der Annahme, dass derartige Regelwerke die Grundsätze der Richtlinie wirksam werden lassen und ihr nicht etwa zuwiderlaufen.965 961 962 963 964 965

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RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 31. RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 31. RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 17, 24. Beck Verhaltenskodizes S. 181. Vgl. ErwGrd. 20 S. 1 UGPRL.

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§2

Definitionen

Das europäische Lauterkeitsrecht erkennt zugleich aber auch an, dass privatautonome Selbstregulierung „der Nichteinhaltung rechtlicher Vorschriften Vorschub“ leisten kann. In einer solchen Konstellation können die Mitgliedstaaten auch Sanktionen gegen den Urheber eines rechtswidrigen Verhaltenskodexes vorsehen.966 Gedacht ist hier offenbar an Vereinbarungen und Regelwerke, die die beteiligten Unterneh544 mer zu geschäftlichen Handlungen verpflichten, die gegen § 3 oder § 7 verstoßen. Praktisch häufiger anzutreffen sind Verhaltenskodizes, die über den gesetzlichen Lauterkeitsmaßstab hinausgehen und zur Unterlassung von erlaubten geschäftlichen Handlungen verpflichten. Solch wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen finden sich sogar in Wettbewerbsregeln, die das Bundeskartellamt gem. § 26 GWB auf eindeutige und offensichtliche Verstöße gegen das GWB, das UWG und andere Rechtsvorschriften hin überprüft hat.967 Gebilligt wurden zum Beispiel Wettbewerbsregeln des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger, in denen Probeabonnements als übertriebenes Anlocken untersagt wurden, obwohl dieses Verhalten anders als nach früherer Rechtslage keinen durchgreifenden lauterkeitsrechtlichen Bedenken mehr unterliegt.968 Die optionale Prüfung und Anerkennung durch das Bundeskartellamt bindet aber nur die Behörde selbst und schließt eine Überprüfung der Wettbewerbsregel durch die Zivilgerichte nicht aus.969 Insoweit kann auch geltend gemacht werden, dass die Vereinbarung des Verhaltenskodexes 545 bzw. der Wettbewerbsregel eine Erstbegehungsgefahr für unlautere geschäftliche Handlungen der beteiligten Unternehmen erzeugt. Die Legaldefinition zum „Urheber eines Kodex“ gem. Art. 2 lit. g UGPRL, 2 lit. e IrreführungsRL 2006 bestimmt, wer hierfür lauterkeitsrechtlich verantwortlich gemacht werden kann, nämlich „jede Rechtspersönlichkeit, einschließlich einzelner Gewerbetreibender oder Gruppen von Gewerbetreibenden, die für die Formulierung und Überarbeitung eines Verhaltenskodex und/oder für die Überwachung der Einhaltung dieses Kodex durch alle diejenigen, die sich darauf verpflichtet haben, zuständig ist.“ Gemeint ist jeder, der den Inhalt und die Einhaltung des Kodexes in verantwortlicher Weise kontrolliert.970 Dass der deutsche Gesetzgeber insoweit keinen Umsetzungsbedarf erkannte,971 schließt nicht aus, den unionsrechtlichen Begriff des „Urhebers eines Kodex“ bei der Prüfung der Passivlegitimation in richtlinienkonformer Auslegung zu berücksichtigen. 543

3. Begriff des Verhaltenskodexes 546 Nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 bezeichnet der Begriff Verhaltenskodex im UWG „Vereinbarungen oder Vorschriften über das Verhalten von Unternehmern, zu welchem diese sich in Bezug auf Wirtschaftszweige oder einzelne geschäftliche Handlungen verpflichtet haben, ohne dass sich solche Verpflichtungen aus Gesetzes- oder Verwaltungsvorschriften ergeben.“ Der hiermit umgesetzte Art. 2 lit. f UGPRL definiert den Begriff Verhaltenskodex mit etwas 547 abweichendem Wortlaut als „eine Vereinbarung oder ein Vorschriftenkatalog, die bzw. der nicht durch die Rechts- und Verwaltungsvorschriften eines Mitgliedstaates vorgeschrieben ist 966 Vgl. Art. 11 Abs. 1 S. 5 UGPRL, 5 Abs. 2 UA 2 IrreführungsRL 2006. Zur Entstehungsgeschichte der Vorschriften siehe Europäisches Parlament, Bericht UGPRL, A5–0188/2004, S. 35; dem im Wesentlichen zustimmend Europäischer Rat, Standpunkt UGPRL, 11630/04 ADD 1, S. 8 (Änderungen 64 und 65). 967 BGH 7. 2. 2006 – KZR 33/04 – BGHZ 166, 154 = GRUR 2006, 773 Tz. 20, 27 – Probeabonnement (Prüfung, ob „in etwa“ die Grenzen des lauterkeitsrechtlich Zulässigen beschrieben werden); dazu Sosnitza Festschrift Bechtold, S. 515 ff.; Bechtold § 26 GWB Rn. 4. 968 BGH 7. 2. 2006 – KZR 33/04 – BGHZ 166, 154 = GRUR 2006, 773 Tz. 27 – Probeabonnement. Weitere Beispiele bei Sosnitza Festschrift Bechtold, S. 515, 522 ff. m. w. N. 969 Vgl. § 24 Abs. 3 GWB und BGH 7. 2. 2006 – KZR 33/04 – BGHZ 166, 154 = GRUR 2006, 773 Tz. 20 – Probeabonnement. 970 Vgl. DiskE UWG 2008, 2 f., 35; Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 5 Rn. F 17. 971 RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 12.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

§2

und das Verhalten der Gewerbetreibenden definiert, die sich in Bezug auf eine oder mehrere spezielle Geschäftspraktiken oder Wirtschaftszweige auf diesen Kodex verpflichten.“ Aus dem Wortlaut dieser Legaldefinitionen, ihrer systematischen Stellung im Lauterkeits- 548 recht und ihrem entstehungsgeschichtlich dokumentierten Zweck ergibt sich, dass für einen Verhaltenskodex i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 5 folgende Voraussetzungen gegeben sein müssen: Es muss sich um Vereinbarungen oder Vorschriften (dazu a) im Hinblick auf die Gewährleistung der Lauterkeit des geschäftlichen Verkehrs (dazu b) handeln, zu denen sich mehrere Unternehmer wirksam und überprüfbar verpflichtet haben (dazu c).

a) Vereinbarungen oder Vorschriften. Die Begriffe „Vereinbarung“ einerseits und „Vor- 549 schrift“ bzw. „Vorschriftenkatalog“ (Art. 2 lit. f UGPRL) andererseits beziehen sich lediglich auf die rechtstechnische Ausgestaltung von Verpflichtungsinhalten. Diese können die Form gegenseitiger vertraglicher Verpflichtungen (dann „Vereinbarung“) oder die äußere Gestalt allgemeiner Regelungen annehmen (dann „Vorschrift“). In beiden Fällen beruhen die Verpflichtungen zu einem Tun oder Unterlassen auf der freiwilligen Zustimmung der beteiligten Unternehmer.972 Welche Begriffe die Beteiligten wählen, ist ohne Belang.973 Ein spezielles Sanktionsregime ist ebenfalls nicht erforderlich.974 Ein Verhaltenskodex kann auf unterschiedliche Weise zustande kommen. Die Verbind- 550 lichkeit und Legitimität der Selbstregulierung ergibt sich in jedem Fall nicht aus dem UWG oder sonstigen Hoheitsakten, sondern aus der privatautonomen Zustimmung der beteiligten Unternehmer. Einer behördlichen oder sonstigen Anerkennung bedarf ein Verhaltenskodex nicht.975 Verbraucherverbände können gem. ErwGrd. 20 UGPRL informiert und an der Ausarbeitung von Verhaltenskodizes beteiligt werden. Anders als zwischenzeitlich vom Europäischen Parlament gefordert976 und durch § 25 GWB für Wettbewerbsregeln gewährleistet, müssen Verbraucherund andere Wettbewerbsverbände aber nicht einbezogen werden. Im Idealfall der regulierten Selbstregulierung verpflichten sich mehrere Unternehmer 551 freiwillig zu einem bestimmten Verhalten.977 Nur Unternehmer können sich zu einem Verhaltenskodex i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 5 verpflichten („diese sich“ bzw. „die sich“). Hiermit regeln sie ihr je eigenes geschäftliches Verhalten. Ob sie auf demselben oder auf unterschiedlichen Märkten tätig sind, ist ohne Belang. Zugunsten des eigenen Unternehmens agieren nur selbständige Unternehmer i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs., nicht hingegen andere Personen, die im Namen oder Auftrag eines Unternehmers handeln. Diese Personen gelten zwar gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs. als Unternehmer. Diese Gleichstellung betrifft aber nur das außervertragliche Verhältnis gegenüber Dritten, nicht die Frage, wer als Unternehmer Verhaltenskodizes vereinbaren kann. Das sind nur die im eigenen Namen und Interesse handelnden Unternehmer, die ggf. von Mitarbeitern oder Beauftragten vertreten werden. Wie sich aus der Legaldefinition des „Urhebers eines Kodex“ gem. Art. 2 lit. g UGPRL ergibt, 552 kann ein Verhaltenskodex aber generell von jeder „Rechtspersönlichkeit“, also jeder rechtsfähigen Person, „einschließlich einzelner Gewerbetreibender oder Gruppen von Gewerbetreibenden“ formuliert, überarbeitet bzw. überwacht werden. Folglich kann eine Vorschrift über das Marktverhalten auch von einer einzelnen natürlichen oder juristischen Person, insbesondere einem Unternehmensverband, oder von einer staatlichen Institution ausgearbeitet werden.978 972 973 974 975

Vorschlag UGPRL, KOM (2003) 356 endgültig, S. 18. Alexander GRUR Int. 2012, 965. Alexander GRUR Int. 2012, 965, 970; Beck Verhaltenskodizes S. 62 f. Aber eine diesbezügliche Irreführung ist gem. Nr. 3 Anhang zu § 3 Abs. 3 gegenüber Verbrauchern stets unzulässig. 976 Siehe ErwGrd. 16 Europäisches Parlament, Legislative Entschließung UGPRL, 20. 4. 2004, P5_TA (2004) 0298. 977 Europäisches Parlament, Bericht UGPRL, A5–0188/2004, S. 11. 978 Alexander GRUR Int. 2012, 965.

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Peukert

§2

Definitionen

Zu einem Verhaltenskodex i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 5 und Art. 2 lit. f UGPRL wird das betreffende Regelwerk aber erst dann, wenn sich wenigstens zwei Unternehmer verpflichtet haben, die entsprechenden Vorgaben einzuhalten.979 Zuvor existiert lediglich eine einseitige Erklärung, auf die die Irreführungsvorschriften des Anhangs Nr. 1 und 3 zu § 3 Abs. 3 sowie § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 nicht anwendbar sind, weil noch kein ausreichender Vertrauenstatbestand im Hinblick auf eine mehrseitige unternehmerische Selbstregulierung begründet wurde. Von einem Unternehmer oder einer anderen Person einseitig formulierte Regeln, zu de554 nen sich noch kein weiterer Unternehmer verpflichtet hat, stellen folglich keinen Verhaltenskodex i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 5 dar. Dies gilt etwa für Bestimmungen, die ein Unternehmer unter Bezeichnungen wie Compliance-Regeln, Unternehmensleitsätze, Code of Ethics oder auch Verhaltenskodex für das Verhalten der eigenen Mitarbeiter aufstellt;980 für konzerninterne Vorgaben etwa zum Arbeitnehmerschutz oder zur Gestaltung von Franchiseverträgen durch die Konzernunternehmen;981 für Allgemeine Geschäftsbedingungen gem. § 305 Abs. 1 BGB;982 für Regelungen zur Nutzung unternehmenseigener Ressourcen durch Dritte wie etwa Hausordnungen oder „Verhaltenskodizes“ für soziale Netzwerke.983 555 Ergeben sich die Verpflichtungen aus gesetzlichen Vorschriften, liegt kein Verhaltenskodex vor. Demzufolge unterfällt auch der Deutsche Corporate Governance Kodex nicht § 2 Abs. 1 Nr. 5.984 Zwar weist der Kodex einen ausreichenden Bezug zum geschäftlichen Verkehr auf, indem die darin niedergelegten Regeln insbesondere das Vertrauen der internationalen und nationalen Anleger sowie der Kunden in die Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften fördern sollen. Indes wird der Kodex nicht freiwillig vereinbart bzw. anerkannt, sondern durch eine „Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex“ ausgearbeitet. Zu den im Bundesanzeiger bekannt gemachten Empfehlungen müssen sich Vorstand und Aufsichtsrat börsennotierter Gesellschaften gem. § 161 AktG auch dann jährlich erklären, wenn sie mit dem Kodex nicht einverstanden sind. 556 Handelsbräuche gehen aus dauerhaften Übungen hervor, während die freiwillige Selbstregulierung durch Verhaltenskodizes auf der Zustimmung mindestens zweier Unternehmer beruht. Handelsbräuche fallen daher nicht unter § 2 Abs. 1 Nr. 5.985 553

557 b) Selbstregulierung geschäftlicher Handlungen im Hinblick auf die Lauterkeit des Wettbewerbs. Nicht jede Vereinbarung bzw. Vorschrift stellt einen Verhaltenskodex i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 5 dar. Vielmehr müssen sich die beteiligten Unternehmer zu einem „Verhalten … in Bezug auf Wirtschaftszweige oder einzelne geschäftliche Handlungen“ verpflichten. Der Regelungsgegenstand des Kodexes muss also auf den geschäftlichen Verkehr und damit den Anwendungsbereich des UWG bezogen sein.986 Da die Ausübung von Sport, auch wenn sie professionell erfolgt, keine geschäftliche Handlung darstellt, zählen Sportverbandsregeln nicht zu den Verhaltenskodizes i. S. d. UWG, und zwar weder im Hinblick auf die Spielregeln im engeren Sinne noch im Hinblick auf sog. „Rechtsregeln“, etwa im Hinblick auf Dopingverstöße.987

979 Siehe § 2 Abs. 1 Nr. 5 („Verhalten von Unternehmern, zu welchem diese sich … verpflichtet haben“), Art. 2 lit. f UGPRL („Verhalten der Gewerbetreibenden“); a. A. Alexander GRUR Int. 2012, 965 (es genüge die Möglichkeit, sich anzuschließen). 980 Im Ergebnis auch Alexander GRUR Int. 2012, 965, 968 (betriebsinterne Regelungen). 981 Birk GRUR 2011, 196, 199 ff.; Alexander GRUR Int. 2012, 965, 968; a. A. Dreyer WRP 2007, 1294, 1296. 982 Anders ist es, wenn sich Unternehmer auf Muster-AGB verpflichten; vgl. Alexander GRUR Int. 2012, 965, 968. 983 A.A. Schirmbacher K&R 2009, 433. 984 Birk GRUR 2011, 196, 199; im Ergebnis auch Alexander GRUR Int. 2012, 965, 968 (innerbetriebliche Angelegenheit); https://www.dcgk.de/de/index.html. 985 Alexander GRUR Int. 2012, 965, 970. 986 BGH 9. 9. 2010 – I ZR 157/08 – GRUR 2011, 431 Tz. 13 – FSA-Kodex; Alexander GRUR Int. 2012, 965, 967 f. 987 S.o. § 2 Rn. 249 ff.; a. A. für die sog. Rechtsregeln Pfister GRUR 2017, 1091 ff.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

§2

Dies betrifft zunächst den räumlichen Geltungsbereich des UWG. Es kommt zwar nicht darauf an, ob die Vereinbarung von in- und/oder ausländischen Unternehmern geschlossen wurde. Allerdings muss der Verhaltenskodex zumindest auch die inländischen Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der inländischen Verbraucher regulieren.988 Eine nur auf ausländische Märkte bezogene Selbstregulierung des Marktverhaltens fällt nicht unter § 2 Abs. 1 Nr. 5.989 Die UGPRL erfasst lediglich Geschäftspraktiken von Unternehmern gegenüber Verbrauchern beim Absatz von Produkten. Dementsprechend bezieht sich auch Art. 2 lit. f UGPRL auf „eine oder mehrere spezielle Geschäftspraktiken“. Zwar soll ein Kodex auch allgemein das Verhalten von ganzen „Wirtschaftszweigen“ betreffen können. Doch auch hiermit ist nur der B2C-Geschäftsverkehr in diesem Sektor gemeint, denn geschäftliche Handlungen im B2B-Bereich liegen außerhalb des Anwendungsbereichs der UGPRL und damit auch des Begriffs des Verhaltenskodexes gem. Art. 2 lit. f UGPRL. Nach Auffassung der Kommission sind für diesen Begriff „ausschließlich“ Regelungen von Verhaltensweisen zu berücksichtigen, „die das Wirtschaftsverhalten eines verständigen Verbrauchers in Bezug auf das Produkt tatsächlich wesentlich beeinflussen oder hierzu geeignet sind. Fragen des Geschmacks, des Anstands oder der sozialen Verantwortung fallen … somit nicht hierunter, es sei denn, der Gewerbetreibende stellt im Rahmen seiner Marketingunterlagen einen konkreten Bezug zwischen seinen einschlägigen Verpflichtungen und seinen Produkten her.“990 Gem. Art. 3 Abs. 8 lässt die UGPRL ferner alle berufsständischen Verhaltenskodizes unberührt, damit die strengen Integritätsstandards, die die Mitgliedstaaten den im Beruf tätigen Personen bzw. diese sich selbst nach Maßgabe des Gemeinschaftsrechts auferlegen können, gewährleistet bleiben.991 Der Anwendungsbereich des UWG und damit auch der Begriff des Verhaltenskodexes gem. § 2 Abs. 1 Nr. 5 ist hingegen in verschiedener Hinsicht weiter. Zum einen erstreckt sich das UWG auf alle geschäftlichen Handlungen potentiell jeder Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens, unabhängig davon, ob der Absatz oder der Bezug von Produkten gefördert wird und ob dies gegenüber Verbrauchern, Mitbewerbern oder sonstigen Marktteilnehmern geschieht. All diese geschäftlichen Verhaltensweisen sind tauglicher Gegenstand eines Verhaltenskodexes gem. § 2 Abs. 1 Nr. 5. Erst im Rahmen der Prüfung der Unlauterkeit kommt es darauf an, ob gegenüber Verbrauchern oder gegenüber anderen Marktteilnehmern auf einen Verhaltenskodex hingewiesen wurde. Während Nr. 1 und Nr. 3 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 auf geschäftliche Handlungen gegenüber Verbrauchern beschränkt sind, erfasst § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 auch geschäftliche Handlungen gegenüber sonstigen Marktteilnehmern.992 Schließlich unterfallen § 2 Abs. 1 Nr. 5 auch berufsständische Verhaltenskodizes, etwa über das Marktverhalten von Rechtsanwälten.993 Der für einen Verhaltenskodex erforderliche Bezug auf den geschäftlichen Verkehr fehlt bei rein produktbezogenen Vereinbarungen zwischen Unternehmern, etwa über die betriebliche oder geografische Herkunft, die Art, die Qualität oder sonstige Eigenschaften von Waren oder Dienstleistungen.994 Verpflichtungen im Hinblick auf derartige Produktmerkmale betreffen den betriebsinternen Herstellungsprozess, noch nicht hingegen das vom UWG regulierte ge-

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Vgl. Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO. Siehe Vorschlag UGPRL, KOM (2003) 356 endgültig, S. 18; Dreyer WRP 2007, 1294, 1297. Vorschlag UGPRL, KOM (2003) 356 endgültig, S. 18. Europäisches Parlament, Bericht UGPRL, A5–0188/2004, S. 19 f. Zum Terminus „berufsständische“ Verhaltenskodizes siehe Europäisches Parlament, Legislative Entschließung UGPRL, 24. 2. 2005, P6_TA(2005)0048, Konsolidierter Text, Art. 3 Abs. 8. 992 Zu dieser Unterscheidung siehe § 3 Rn. 55. 993 Dreyer WRP 2007, 1294, 1298; a. A. Beck Verhaltenskodizes S. 57, unter Verkennung des Unterschieds zwischen UGPRL und weitergehendem UWG. 994 Vgl. § 97 Abs. 1 MarkenG.

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Definitionen

schäftliche Verhalten mit Außenwirkung am Markt.995 Demgemäß unterscheidet Anhang Nr. 2 zu § 3 Abs. 3 die Verwendung von Gütezeichen, Qualitätskennzeichen oder Ähnlichem ohne die erforderliche Genehmigung von irreführenden geschäftlichen Handlungen unter Hinweis auf einen Verhaltenskodex gem. Anhang Nr. 1 und 3 zu § 3 Abs. 3. Ebenso wenig wie außergeschäftliches, nichtwirtschaftliches Verhalten von Unternehmen vom UWG erfasst wird,996 stellen entsprechende Selbstregulierungsregimes Verhaltenskodizes gem. § 2 Abs. 1 Nr. 5 dar.997 Diese Unterscheidung betrifft vor allem die Selbstverpflichtungen von Presse- und Rundfunkunternehmen im Hinblick auf redaktionelles Verhalten. Folglich fällt etwa der Pressekodex des Deutschen Presserats nicht unter § 2 Abs. 1 Nr. 5.998 Anders ist dies nur im Hinblick auf Verpflichtungen zu beurteilen, die die Lauterkeit geschäftlicher Handlungen betreffen, etwa die Verpflichtung zur Trennung von Werbung und Redaktion999 oder Kennzeichnungspflichten beim Vertrieb von Medienprodukten.1000 Wirbt ein Presseunternehmen für seine Produkte wahrheitswidrig damit, stets die Vorgaben des Pressekodexes für redaktionelle Inhalte einzuhalten, kann eine Irreführung über ein Merkmal der Ware oder eine Eigenschaft des Unternehmers gem. § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 oder 3 vorliegen. Zwar kann auch der Abschluss eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen zwischen zwei oder mehreren Unternehmern eine geschäftliche Handlung i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 darstellen. Diese geschäftliche Handlung ist aber von einem Verhaltenskodex „in Bezug auf“ solche und gleichartige geschäftliche Handlungen zu unterscheiden. Im Verhaltenskodex verpflichten sich Unternehmer zu bestimmten Regeln bei der Vornahme weiterer geschäftlicher Handlungen, nicht aber darf eine einzelne geschäftliche Handlung mit einem Verhaltenskodex gleichgesetzt werden.1001 Schon deshalb sind Vertriebsverträge und Vertriebsbindungssysteme nach zutreffender Ansicht nicht als Verhaltenskodex i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 5 einzuordnen.1002 Die Gegenauffassung1003 verwechselt geschäftliche Handlungen mit ihrer privaten Selbstregulierung durch vorgeschaltete Vereinbarungen oder Vorschriften. Dies erweist sich etwa daran, dass es jedenfalls praktisch ausgeschlossen ist, Verbraucherverbände in die Ausarbeitung von Vertriebsverträgen einzubeziehen. Diese Möglichkeit setzt ErwGrd. 20 S. 4 UGPRL aber voraus. Schon gar nicht kann aus §§ 2 Abs. 1 Nr. 5, 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ein im UWG sonst gerade nicht angelegtes, ausnahmsloses Verbot des Schleichbezugs und des Ausnutzens eines Vertragsbruchs zum Nachteil selektiver Vertriebsbindungssysteme abgeleitet werden.1004 Schließlich müssen Verhaltenskodizes i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 5 das geschäftliche Verhalten der beteiligten Unternehmer gerade im Hinblick auf die Lauterkeit des Marktverhaltens regulieren.1005 Gem. ErwGrd. 20 S. 1 UGPRL sollen Verhaltenskodizes es Gewerbetreibenden ermöglichen, die Grundsätze der Richtlinie in spezifischen Wirtschaftsbranchen wirksam anzuwenden. Ihrem 995 996 997 998 999

Dazu oben § 2 Rn. 186 ff. Oben § 2 Rn. 191 ff. Zu Sportverbandsregeln oben Rn. 556. Siehe auch Vorschlag UGPRL, KOM (2003) 356 endgültig, S. 18. Siehe Pressekodex, Deutscher Presserat (22. 3. 2017); Alexander GRUR Int. 2012, 965, 968. Siehe z. B. Ziff. 6 f. Verhaltenskodex Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e.V. (17. 11. 2010), https://www.fsm.de/sites/default/files/FSM_Verhaltenskodex_2010-11-17_0.pdf. 1000 Siehe z. B. Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK); Dreyer WRP 2007, 1294, 1296; Fezer/Büscher/ Obergfell § 2 Nr. 5 Rn. F 43, 46, 47; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 113b; Alexander GRUR Int. 2012, 965, 968. 1001 Alexander GRUR Int. 2012, 965, 971; Beck Verhaltenskodizes S. 61. 1002 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 113d; Schmidhuber WRP 2010, 593, 597 ff.; Birk GRUR 2011, 196, 199. 1003 Hoeren WRP 2009, 789, 793 f.; Lamberti/Wendel WRP 2009, 1479, 1482 ff. 1004 Birk GRUR 2011, 196, 199; gegen Lamberti/Wendel WRP 2009, 1479, 1486 f. („Insoweit kann es bereits ausreichend sein, dass der Händler Produkte vertreibt, die der Geschäftsverkehr besonderen Händlergruppierungen zuweist.“). 1005 Siehe entsprechend § 24 Abs. 2 GWB für Wettbewerbsregeln von Wirtschafts- und Berufsvereinigungen: Wettbewerbsregeln sind Bestimmungen, die das Verhalten von Unternehmen im Wettbewerb regeln zu dem Zweck, einem den Grundsätzen des lauteren oder der Wirksamkeit eines leistungsgerechten Wettbewerbs zuwiderlaufenden Verhalten im Wettbewerb entgegenzuwirken und ein diesen Grundsätzen entsprechendes Verhalten im Wettbewerb anzuregen. A.A. Alexander GRUR Int. 2012, 965, 969 (Inhalt des Kodexes irrelevant).

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B. Die Definitionen im Einzelnen

§2

Sinn und Zweck nach sollen Verhaltenskodizes das gesetzliche Verbot unlauteren Wettbewerbs im Wege der privaten Selbstregulierung flankieren.1006 Entsprechend § 3a muss ein Verhaltenskodex gerade das Marktverhalten von Unternehmern gegenüber Abnehmern und Mitbewerbern adressieren und zumindest auch wettbewerbliche Interessen der Marktteilnehmer schützen.1007 Demgemäß stellen Verhaltensregeln und Zertifizierungen gem. Art. 40 ff. DSGVO Verhal- 566 tenskodizes gem. § 2 Abs. 1 Nr. 5 dar, da und soweit sie geschäftliche Handlungen von der Absatzförderung (Werbung) über den Abschluss von Verträgen bis hin zu ihrer Durchführung betreffen.1008 Demgegenüber werden etwa gesetzliche Regelungen zum Arbeitnehmer-, Tier- und Umweltschutz nicht als Marktverhaltensvorschriften gem. § 3a eingeordnet, soweit sie nicht gerade das geschäftliche Handeln auf dem Markt, sondern betriebsinternes Verhalten regeln.1009 Dementsprechend sind Tarifverträge,1010 sog. Corporate Social Responsibility-Initiativen zu sozialen und ökologischen Standards1011 wie der UN Global Compact1012 oder der Verhaltenskodex der Business Social Compliance Initiative1013 keine Verhaltenskodizes gem. § 2 Abs. 1 Nr. 5.1014 Das bedeutet freilich nicht, dass derartigen Vereinbarungen und Regelwerken gar keine lauterkeitsrechtliche Bedeutung zukommen kann. Wirbt ein Unternehmer entgegen der Wahrheit oder in sonstiger, zur Täuschung geeigneter Weise damit, diese außerwettbewerblichen Standards einzuhalten, kann eine unlautere Irreführung vorliegen – nur eben nicht im Hinblick auf den Spezialfall des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6.1015

c) Wirksamkeit und Verbindlichkeit des Verhaltenskodexes. Gem. § 2 Abs. 1 Nr. 5 muss 567 ein Verhaltenskodex die mindestens zwei beteiligten Unternehmer (§ 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs.) zu einem Marktverhalten verpflichten. Auch nach Art. 2 lit. f UGPRL „definiert“ eine Vereinbarung oder ein Vorschriftenkatalog das Verhalten von Gewerbetreibenden. Hieraus folgt, dass die freiwillige Vereinbarung rechtswirksam sein muss. Das ist insbeson- 568 dere dann nicht der Fall, wenn es sich um eine kartellrechtlich verbotene, wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung handelt.1016 Im Zuge der Entstehungsgeschichte wurde mehrfach klargestellt, dass Verhaltenskodizes wettbewerbsrechtlich unbedenklich sein müssen.1017 Es würde der Einheit des Wirtschaftsrechts zuwiderlaufen, die Einhaltung von Vereinbarungen lauterkeitsrechtlich zu schützen, die kartellrechtlich verboten sind.1018 Streitig ist, welchen Konkretisierungsgrad diese Verpflichtungen erreichen müssen. 569 Nach einer Auffassung genügen unternehmerische Initiativen, die lediglich allgemeine Grundsätze und Zielbestimmungen formulieren, generell nicht.1019 1006 Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 5 Rn. F 3. 1007 Vgl. zu § 3a BGH 8. 10. 2015 – I ZR 225/13 – GRUR 2016, 513 Tz. 21 m. w. N. – Eizellspende. 1008 Vgl. Spindler ZD 2016, 407, 413. Zu datenschutzrechtlichen Vorschriften als Marktverhaltensregeln siehe § 3a Rn. 286 ff. Siehe § 3a Rn. 60. Alexander GRUR Int. 2012, 965, 968. Allgemein dazu Beisheim in Bass/Melchers, Neue Instrumente, 172 ff. http://www.unglobalcompact.org/. https://www.amfori.org/content/amfori-bsci. Birk GRUR 2011, 196, 199 ff.; a. A. Alexander GRUR Int. 2012, 965, 969; Beck Verhaltenskodizes S. 178. Birk GRUR 2011, 196, 201 ff.; a. A. Alexander GRUR Int. 2012, 965, 969. § 1 GWB, Art. 101 AEUV. Zu Fällen der Teilnichtigkeit Bechtold § 26 GWB Rn. 6. A.A. Alexander GRUR Int. 2012, 965, 970. 1017 Vorschlag UGPRL, KOM (2003) 356 endgültig, S. 19 („sofern gewährleistet ist, dass derartige Kodizes den Wettbewerb nicht verhindern, einschränken oder verzerren“); Europäisches Parlament, Bericht UGPRL, A5–0188/ 2004, S. 11 („Die Aufstellung und die Verwendung dieser Kodizes und der festen Verpflichtungen in derartigen Kodizes sollte unter Achtung der Anforderungen des Wettbewerbsrechts erfolgen.“). 1018 Dreyer WRP 2007, 1294, 1302. 1019 Birk GRUR 2011, 196, 199; zur UGPRL Keßler/Micklitz BB Special 13 2005, 1, 20.

1009 1010 1011 1012 1013 1014 1015 1016

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§2

Definitionen

Zwar muss für eine Irreführung über die Einhaltung eines Verhaltenskodexes auf verbindliche bzw. eindeutige Verpflichtungen hingewiesen worden sein; auf bloße Absichtserklärungen kann ein Irreführungsvorwurf in dieser Hinsicht nicht gestützt werden.1020 Aus Art. 6 Abs. 2 lit. b i UGPRL folgt aber, dass auch nicht eindeutige Absichtserklärungen, deren Einhaltung nicht nachprüfbar ist, relevante unternehmerische Selbstverpflichtungen darstellen. Dem Grunde nach handelt es sich daher auch bei derartig allgemeinen Vereinbarungen um Verhaltenskodizes i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 5.1021 In Bezug auf sie können immerhin noch Irreführungen nach Nr. 1 und 3 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 begangen werden, indem unwahr angegeben wird, zu den Unterzeichnern zu gehören oder eine unternehmerische Absichtserklärung sei von Dritten gebilligt worden. 571 Ein Verhaltenskodex zeichnet sich gem. § 2 Abs. 1 Nr. 5 schließlich dadurch aus, dass sich die von den Unternehmern eingegangenen Verpflichtungen nicht aus Gesetzes- oder Verwaltungsvorschriften ergeben. Hiermit sind die auf den inländischen geschäftlichen Verkehr anwendbaren Gesetze und Verwaltungsakte gemeint.1022 572 Mit diesem Tatbestandsmerkmal wird zunächst klargestellt, dass private Selbstregulierungsregimes von hoheitlicher Regulierung zu unterscheiden sind und aus sich heraus einen Unlauterkeitsvorwurf nicht zu rechtfertigen vermögen.1023 Ferner können Verhaltenskodizes strengere Maßstäbe für geschäftliche Handlungen aufstellen als das UWG. Hierbei handelt es sich um den praktisch relevanten, zugleich aber ambivalenten Aspekt privater Selbstregulierung des Wettbewerbs. Einerseits kann der Staat auf zwingende Vorschriften – etwa zu diskriminierender Werbung – verzichten, wenn die Unternehmer bereits freiwillig bestimmte geschäftliche Handlungen unterlassen. Andererseits kommt gerade solchen Vereinbarungen, die über das gesetzliche Verbotsniveau hinausgehen, wettbewerbsbeschränkendes Potential zu. 573 Allerdings folgt aus dem Verweis auf das überschießende Regulierungspotential von Verhaltenskodizes nicht, dass eine Vereinbarung zwingend über das gesetzliche Schutzniveau hinausgehen muss, um unter § 2 Abs. 1 Nr. 5 zu fallen. Erstens ist nicht für alle geschäftlichen Handlungen eindeutig, wo die Grenzen der Unzulässigkeit verlaufen. Gerade in solch ungeklärten Bereichen vermögen Verhaltenskodizes verhaltenssteuernd zu wirken. Stellt sich nachträglich heraus, dass sich vereinbarte Regel und Lauterkeitsmaßstab decken, verliert die Verpflichtung nicht ihren Charakter als lauterkeitsrechtlicher Verhaltenskodex. Zweitens entfalten auch solche Verhaltenskodizes, die lediglich die Rechtslage abbilden, Wirkungen im Wettbewerb. Die Unterzeichner haben in der Regel eine geringere Neigung, Verstöße zu begehen, wenn sie sich ausdrücklich zu bestimmten Verhaltensnormen verpflichten und einem besonderen Sanktionsregime unterwerfen. Für Außenstehende hat ein werbender Hinweis auf einen gesetzesidentischen Verhaltenskodex häufig keine geringere, vertrauensbildende Wirkung als ein Bekenntnis zu einem besonders strengen Kodex.1024

570

574 d) Beispiele für Verhaltenskodizes. Zu den Verhaltenskodizes i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 5 zählen zum Beispiel die verschiedenen Verhaltensregeln des Deutschen Werberats,1025 die Wettbewerbsregeln des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) für den Vertrieb von abonnierbaren Publikumszeitschriften,1026 die Richtlinien des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft 1020 Vgl. Art. 6 Abs. 2 lit. b UGPRL, § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 6. 1021 Dreyer WRP 2007, 1294, 1297 f.; Alexander GRUR Int. 2012, 965, 969; Beck Verhaltenskodizes S. 178 („Verhaltenskodizes zweiter Klasse“).

1022 Alexander GRUR Int. 2012, 965, 969 (auch Verwaltungsakte und Allgemeinverfügungen, nicht aber verwaltungsinterne Vorschriften). DiskE UWG 2008, 35. Dreyer WRP 2007, 1294, 1298; Beck Verhaltenskodizes S. 55. http://www.werberat.de/; dazu auch § 3 Rn. 530 ff. BGH 7. 2. 2006 – KZR 33/04 – BGHZ 166, 154 = GRUR 2006, 773 – Probeabonnement.

1023 1024 1025 1026

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§2

B. Die Definitionen im Einzelnen

(ZAW) für redaktionell gestaltete Anzeigen,1027 die Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft,1028 der Kodex Deutschland für Telekommunikation und Medien des Deutschen Verbands für Telekommunikation und Medien,1029 der Werbekodex des Deutschen Zigarettenverbands1030 sowie der Kodex für den Fahrzeughandel im Internet.1031

VI. Unternehmer, § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Entstehungsgeschichte a) UWG 1909. Das UWG 1909 operierte noch nicht mit dem Begriff „Unternehmer“, sondern 575 sprach insbesondere im Kontext der Anspruchsberechtigung vom „Gewerbetreibenden“. Gem. § 13 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UWG a. F. konnte der Unterlassungsanspruch unter anderem von Gewerbetreibenden, die Waren oder gewerbliche Leistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben, sowie von rechtsfähigen Verbänden zur Förderung gewerblicher Interessen geltend gemacht werden, soweit ihnen eine erhebliche Zahl von Gewerbetreibenden angehört, die Waren oder gewerbliche Leistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben. Mit Rücksicht darauf, dass das UWG 1909 den gesamten geschäftlichen Verkehr unter Einschluss etwa der Freiberufler regulieren sollte, wurde dieser Begriff weit ausgelegt. Gewerbetreibender war nicht nur, wer ein Handelsgewerbe gem. § 1 Abs. 2 HGB oder ein Gewerbe gem. § 1 GewO betrieb, sondern jeder, der sich für eine gewisse Dauer und auf Erwerb abzielend wirtschaftlich betätigte.1032

b) UWG 2004. Im Privatentwurf von Köhler, Bornkamm und Henning-Bodewig, der gerade für 576 den Definitionskatalog des § 2 prägend war, fand sich der Begriff des Unternehmers noch nicht,1033 ebenso wenig wie im Referentenentwurf des Justizministeriums für das UWG 2004.1034 Erst § 2 Abs. 2 des Regierungsentwurfs für das UWG 2004 besagte, dass für den Verbrau- 577 cherbegriff und den Unternehmerbegriff die §§ 13 und 14 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechend gelten sollten.1035 Die Ersetzung des Begriffs „Gewerbetreibender“ durch „Unternehmer“ wurde mit einer sprachlichen Anpassung an § 14 BGB begründet; eine inhaltliche Änderung sei hiermit aber nicht verbunden.1036 Demnach galt als Unternehmer gem. § 2 Abs. 2 UWG 2004 i. V. m. § 14 BGB jede natürliche 578 oder juristische Person, die in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt. Die Rechtsprechung legte den Begriff des Unternehmers weiterhin funktional aus. Ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Gewerbebetrieb wurde nicht verlangt. Unternehmer war vielmehr jeder, der am Markt selbständig, planmäßig und auf eine gewisse Dauer angelegt Leistungen gegen Entgelt anbot.1037 1027 https://www.vdz.de/fileadmin/vdz/upload/print-digital/Regelwerke/37_ZAW_Richtlinien_redaktionell_ gestalteter_Anzeigen.pdf. https://kvoptimal.de/download/Wettbewerbsrichtlinien.pdf. http://www.dvtm.net/. https://www.zigarettenverband.de/pos-data/page_img/Themen/Werbung/DZV_Werbekodex.pdf. https://www.wettbewerbszentrale.de/media/getlivedoc.aspx?id=33004. GK-UWG1/Erdmann § 13 Rn. 28, § 24 Rn. 16. Siehe Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, 1319. RefE UWG 2004, GRUR 2003, 298. RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 5. RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 27; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 35 Rn. 3. BGH 29. 3. 2006 – VIII ZR 173/05 – NJW 2006, 2250 Tz. 14; BGH 4. 12. 2008 – I ZR 3/06 – GRUR 2009, 871 Tz. 33 – Ohrclips; OLG Frankfurt a.M. 27. 7. 2004 – 6 W 80/04 – GRUR 2004, 1043 f. – Cartier-Stil; LG Berlin 5. 9. 2006 – 103 O 75/06 – MMR 2007, 401; aus der Literatur nur etwa Jestaedt Rn. 88.

1028 1029 1030 1031 1032 1033 1034 1035 1036 1037

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§2

Definitionen

579 c) UWG 2008. Die derzeitige Fassung von § 2 Abs. 1 Nr. 6 geht zurück auf die Umsetzung der UGPRL durch das UWG 2008. Art. 2 lit. b UGPRL definiert den Gewerbetreibenden als „jede natürliche oder juristische Person, die im Geschäftsverkehr im Sinne der Richtlinie im Rahmen ihrer gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit handelt, und jede Person, die im Namen oder Auftrag des Gewerbetreibenden handelt“. 580 Der primär auf Bewahrung des damals geltenden Rechtszustandes ausgerichtete Diskussionsentwurf des Justizministeriums vom 8. 5. 20071038 erkannte in dieser Begriffsbestimmung noch keinen sachlichen Unterschied zum Begriff des Unternehmers gem. § 2 Abs. 2 UWG 2004 i. V. m. § 14 BGB. Dass Art. 2 lit. b UGPRL auch Personen, die im Namen oder Auftrag des Gewerbetreibenden handeln, als Gewerbetreibende einordne, erzeuge ebenfalls keinen Umsetzungsbedarf, da dieses erweiterte Begriffsverständnis von § 8 Abs. 2 UWG 2004 mit abgedeckt sei. Hiernach würden unlautere Wettbewerbshandlungen eines Gehilfen (Mitarbeiter oder Beauftragte) dem Unternehmensinhaber zugerechnet, so dass Handlungen und Unterlassungen dieser Personengruppe die im Gesetz vorgesehenen Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche in gleicher Weise auslösen könnten wie das Verhalten des Unternehmers selbst.1039 581 Der Regierungsentwurf vom 22. 8. 2003 gab diese in der Tat verfehlte dogmatische Einordnung von Art. 2 lit. b 2. Hs. UGPRL auf und plädierte für eine neue Legaldefinition, wie sie nun in § 2 Abs. 1 Nr. 6 kodifiziert ist. Art. 2 lit. b UGPRL erfasse auch unselbständige berufliche Tätigkeiten und Personen, die im Namen oder Auftrag des Gewerbetreibenden handeln. Der Begriff sei daher weiter als der im UWG 2004 verwendete Begriff des Unternehmers im Sinne des § 14 BGB, so dass Umsetzungsbedarf bestehe.1040 Statt des Wortes „Gewerbetreibender“ werde jedoch in § 2 Abs. 1 Nr. 6 der Begriff „Unternehmer“ verwendet, da der Begriff „Gewerbetreibender“ nicht mit Art. 2 lit. b UGPRL übereinstimme. Die Definition erfasse nämlich nicht nur gewerbliche, sondern auch handwerkliche und berufliche Tätigkeiten.1041 Im Zuge der UWGReform 2015 blieb § 2 Abs. 1 Nr. 6 unverändert. 582 Die Entstehungsgeschichte von § 2 Abs. 1 Nr. 6 erweist damit zum einen eine durchgängige Kontinuität, die vom Begriff des Gewerbetreibenden gem. § 13 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UWG 1909 über den Begriff des Unternehmers gem. § 2 Abs. 2 UWG 2004 i. V. m. § 14 BGB bis hin zur Definition des Unternehmers gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs. verläuft. Kaum Anhaltspunkte sind der Entstehungsgeschichte des UWG 2008 zum anderen aber für die Regelung des § 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs. zu entnehmen, wonach auch Personen als Unternehmer gelten, die im Namen oder Auftrag eines Unternehmers handeln. Diese Regelung wurde aus Art. 2 lit. b UGPRL übernommen, ohne dass ihre Bedeutung im Gefüge des UWG geklärt worden wäre.

2. Bedeutung des Unternehmerbegriffs im UWG 583 Wie alle anderen Definitionen steht auch § 2 Abs. 1 Nr. 6 in einem Erklärungszusammenhang zu den Regelungen der §§ 3 ff., in denen der Begriff des Unternehmers Verwendung findet.1042 Aus diesen Vorschriften ergibt sich die Bedeutung, die dem Begriff im UWG zukommt. Dabei ist insbesondere auf die bisher ungeklärte Einordnung der in § 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs. genannten Personen, die im Namen oder Auftrag eines Unternehmers handeln, einzugehen.

584 a) Unternehmen und Unternehmer. Zunächst ist zwischen dem Unternehmen als der betrieblichen und organisatorischen Einheit, mit der dauerhaft und planmäßig Waren oder 1038 1039 1040 1041 1042

Dazu allgemein § 3 Rn. 32 f. DiskE UWG 2008, 14 f. RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 12. RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 21; kritisch Sosnitza WRP 2008, 1014, 1015 f. Dazu oben § 2 Rn. 4 ff.

Peukert

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B. Die Definitionen im Einzelnen

§2

Dienstleistungen gegen Entgelt vertrieben werden,1043 und der Person des Unternehmers zu unterscheiden. Auf das Unternehmen und nicht seinen Inhaber verweisen § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Nr. 2, § 8 Abs. 2 und § 17 Abs. 1 und 2. Aus diesen Vorschriften ergibt sich, dass der Unternehmer und seine Mitbewerber zuguns- 585 ten des je eigenen Unternehmens handeln (§§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 4 Nr. 2) und dass Mitarbeiter, Beauftragte, Beschäftigte und auch die Mitglieder der Unternehmensleitung zwar in einem Unternehmen agieren, aber vom Inhaber des Unternehmens zu unterscheiden sind (vgl. §§ 4 Nr. 2, 8 Abs. 2, 17 Abs. 1 Satz 1). Damit spiegelt das UWG die Differenzierung zwischen den eigentlichen Unternehmern (Unternehmensinhabern) gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs. und diesen gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs. nur gleichgestellten weiteren Personen wider. Welche dieser beiden Kategorien einschlägig ist, ist für jede Verwendung des Begriffs „Unternehmer“ im UWG zu prüfen.

b) Unternehmer als Marktteilnehmer. Der Begriff des Unternehmers steht in einem komple- 586 xen Gefüge unterschiedlicher Personenkategorien, die in § 2 legal definiert werden. Wer als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen tätig ist, zählt gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 zu den Marktteilnehmern. Dieser Oberbegriff umfasst Verbraucher (§ 2 Abs. 2 i. V. m. § 13 BGB), Mitbewerber (§ 2 Abs. 1 Nr. 3) und sonstige Marktteilnehmer (§ 2 Abs. 1 Nr. 2). Aber auch Unternehmer gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 nehmen am geschäftlichen Verkehr teil und sind daher Marktteilnehmer im Sinne des allgemeinen Oberbegriffs. Wer im Rahmen seiner unternehmerischen Tätigkeit handelt, kann nicht zugleich als Ver- 587 braucher agieren.1044 Die Abgrenzungsfrage stellt sich nur für natürliche Personen. Entweder eine natürliche Person nimmt geschäftliche Handlungen im Rahmen ihrer gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit vor oder sie nimmt am geschäftlichen Verkehr zu einem Zwecke teil, der überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Welche Rolle eine natürliche Person einnimmt, ist anhand einer objektiven Beurteilung des konkreten Verhaltens aus Sicht eines durchschnittlichen Marktteilnehmers zu beurteilen, an den sich die Handlung wendet. Eine Person kann zwar sowohl ein Unternehmen betreiben als auch private Anschaffungen tätigen. Eine bestimmte Verhaltensweise im geschäftlichen Verkehr kann aber nur entweder im unternehmerischen oder im privaten Rahmen erfolgen. Bei Verhaltensweisen, die sowohl im objektiven Zusammenhang zum geschäftlichen Verkehr als auch rein privater Natur sind (z. B. Anschaffung eines KfZ, das von einem Freiberufler auch privat genutzt wird), kommt es darauf an, ob der geschäftliche (dann Handeln als Unternehmer) oder private (dann Handlung als Verbraucher) Zweck überwiegt.1045 Auch hier zeigt sich, dass das UWG als Verhaltensunrecht primär auf die einzelne (geschäftliche) Handlung bezogen ist und keinen festen Status zuweist.1046 Es ist daher konzeptionell verfehlt, den Anwendungsbereich des Lauterkeitsrechts abstrakt „persönlich“ und nicht konkret handlungsbezogen zu bestimmen.1047 Letztlich kann eben doch „jede natürliche oder juristische Person“ eine unternehmerische Tätigkeit ausüben.1048 1043 Oben § 2 Rn. 605 ff. 1044 EuGH 3. 10. 2013 – C-59/12 – GRUR 2013, 1159 Tz. 33 – BKK Mobil Oil; EuGH 4. 10. 2018 – C-105/17 – GRUR 2018, 1154 Tz. 33 f. – Kamenova.

1045 Vgl. ErwGrd. 17 VerbraucherR-RL. 1046 Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 35 Rn. 9; Köhler Festschrift Hopt, S. 2825, 2828; Henning-Bodewig GRUR 2013, 26, 27.

1047 So aber EuGH 3. 10. 2013 – C-59/12 – GRUR 2013, 1159 Tz. 24, 41 – BKK Mobil Oil, in Verkennung bzw. Abänderung der explizit handlungsbezogenen Vorlagefrage des BGH; richtig EuGH 4. 10. 2018 – C-105/17 – GRUR 2018, 1154 Tz. 37 ff. – Kamenova („Vorgehensweise von Fall zu Fall“). 1048 BGH 30. 4. 2014 – I ZR 170/10 – WRP 2014, 1304 Tz. 20 – Betriebskrankenkasse II (auch Einrichtungen, die eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe erfüllen, und öffentlich-rechtliche Einrichtungen können „Gewerbetreibende“ i. S. d. UGPRL sein).

907

Peukert

§2

Definitionen

Wer als Unternehmer am Marktgeschehen teilnimmt, agiert im Verhältnis zu manchen anderen Unternehmern als Mitbewerber, im Verhältnis zu den übrigen Unternehmern als sonstiger Marktteilnehmer. Unternehmer, zwischen denen ein konkretes Wettbewerbsverhältnis besteht, sind gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 Mitbewerber. Dies ist der Fall, wenn die Beteiligten gegenläufige Absatz- oder aber Nachfrageinteressen verfolgen. Stehen sich Unternehmer hingegen als Anbieter und Nachfrager gegenüber, verfolgen sie komplementäre Interessen. In dieser Konstellation treffen Unternehmer als sonstige Marktteilnehmer aufeinander (§ 2 Abs. 1 Nr. 2).1049 Die Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Nr. 6 erschließt diese Mehrdimensionalität des Unter589 nehmerbegriffs nicht. Die dargestellte Komplexität rührt zum einen daher, dass das UWG auf der Basis des Grundsatzes der Wettbewerbsfreiheit bestimmte Verhaltensweisen untersagt, ohne Personen fixe Rollen zuzuteilen. Dieser Ansatz kommt auch in § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs. zum Ausdruck, wonach sich ein Unternehmer dadurch auszeichnet, dass er geschäftliche Handlungen im Rahmen einer unternehmerischen Tätigkeit vornimmt. Zum anderen stellen die Legaldefinitionen des Unternehmers und des Verbrauchers auf das Verhalten der betroffenen Personen ab, während die Begriffe des Mitbewerbers und des sonstigen Marktteilnehmers Relationen zwischen Unternehmern beschreiben und daher eine ganz andere Struktur als § 2 Abs. 1 Nr. 6 und Abs. 2 aufweisen.

588

590 c) Unternehmer und die Unzulässigkeit geschäftlicher Handlungen. Sowohl die beiden primären lauterkeitsrechtlichen Verbotsnormen § 3 und § 7 als auch die Spezialregelungen der Unlauterkeit gem. §§ 3a–6 operieren mit den Begriffen Unternehmer bzw. Unternehmen. Dies geschieht wiederum zu unterschiedlichen Zwecken. Zum einen zählen Unternehmer zu den Schutzsubjekten des UWG. Dabei ist für zahlrei591 che Tatbestände des UWG zu unterscheiden zwischen Unternehmern, die als Mitbewerber (§ 2 Abs. 1 Nr. 3) von einer geschäftlichen Handlung betroffen sind, und Unternehmern, die im Verhältnis zum Handelnden zu den sonstigen Marktteilnehmern zählen. Die Interessen von Mitbewerber-Unternehmern genießen speziellen Schutz nach Maßgabe des § 4, während Irreführungen von und Aggressivität gegenüber sonstigen unternehmerischen Marktteilnehmern nach Maßgabe der §§ 4a–5a Abs. 1 zu beurteilen sind. Trotz dieser systematischen Zusammenfassung von Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern belegt § 7 Abs. 2 Nr. 2, dass der Gesetzgeber Unternehmer als weniger schutzbedürftig einstuft als Verbraucher. In der Tat agieren Unternehmer im Markt typischerweise mit einem höheren Maß an Erfahrung und kritischer Rationalität als die nur für private Bedürfnisse konsumierenden bzw. gelegentlich etwas verkaufenden Verbraucher.1050 Zum anderen nimmt das UWG Unternehmer als passivlegitimierte Täter oder Profiteure 592 von UWG-Verstößen in den Blick. Den gesetzlichen Normalfall des Passivlegitimierten nach UWG bildet der Einzelunternehmer, der in einer nach § 3 oder § 7 unzulässigen Weise den eigenen Wettbewerb fördert.1051 Ihm und anderen „Inhabern des Unternehmens“ wie namentlich Kapitalgesellschaften und rechtsfähigen Personenhandelsgesellschaften werden UWG-Verstöße von Mitarbeitern oder Beauftragten, mit denen jene „in einem Unternehmen“ den Wettbewerb des Unternehmensinhabers fördern (§ 2 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 6 2. Hs.), gem. § 8 Abs. 2 zugerechnet. Profitiert ein Unternehmer hingegen von der Förderung eines sonstigen, unternehmensfremden Dritten, haftet nur dieser Dritte für die Wettbewerbsförderung. 1049 Oben § 2 Rn. 349 ff.; ferner Köhler Festschrift Hopt, S. 2825, 2828 (in der Hauptsache Unternehmer); a. A. Emmerich § 3 Rn. 18.

1050 EuGH 4. 10. 2018 – C-105/17 – GRUR 2018, 1154 Tz. 33 f. – Kamenova; BGH 19. 4. 2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 Tz. 71 – Werbeblocker II (es sei von einer durchschnittlichen geschäftlichen Erfahrenheit unternehmerischer sonstiger Marktteilnehmer auszugehen); Hart /Henning/Keller Rn. 252. 1051 In diesem Sinne vgl. § 4a Abs. 1 S. 3, Abs. 2 Nr. 4; § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, Nr. 4 und Nr. 6; § 5a Abs. 3 Nr. 2 und Abs. 5 Nr. 2; § 7 Abs. 3 Nr. 1 und 2 sowie Anhang Nr. 1, 4, 5, 6, 8, 11, 15, 23, 30.

Peukert

908

B. Die Definitionen im Einzelnen

§2

Die betreffenden Vorschriften dienen teilweise der Umsetzung der UGPRL (insbes. §§ 4a, 593 5, 5a Abs. 3 sowie Anhang), teilweise der Umsetzung der DatenschutzRL-EK (insbes. § 7 Abs. 3 Nr. 1 und 2), teilweise beruhen sie auf einer autonomen Entscheidung des deutschen Gesetzgebers (insbes. § 4). Schon deshalb muss mit dem Begriff des Unternehmers nicht zwingend auch eine in dessen Namen oder Auftrag handelnde Person gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs. gemeint sein. Aus dem Sinn und Zweck der Regelungen ergibt sich vielmehr, dass das UWG in den genannten Vorschriften überwiegend nur den Unternehmensinhaber gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs. als Schutzsubjekt bzw. als Täter anspricht.

d) Anspruchsberechtigung. Nur bestimmte Unternehmer, nämlich die Mitbewerber desjeni- 594 gen, der eine geschäftliche Handlung vornimmt, sind gem. §§ 8 Abs. 3 Nr. 1, 9 Satz 1 individuell anspruchsberechtigt. Andere Unternehmer, die im Verhältnis zum angegriffenen Verletzer als sonstige Marktteilnehmer einzustufen sind, sind darauf angewiesen, dass die von ihnen ggf. gegründeten Verbände zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen gegen unzulässige geschäftliche Handlungen vorgehen.1052 „Sachverständige“ Unternehmer können ferner neben Verbrauchern als beisitzende Personen an den Einigungsstellen gem. § 15 mitwirken.1053 In all diesen Fällen ist ausschließlich der Unternehmensinhaber gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs. gemeint.

e) Unternehmer als Adressaten lauterkeitsrechtlicher Verbote. Im Hinblick auf die Fra- 595 ge, wer die lauterkeitsrechtlichen Verbote zu beachten hat und ggf. für Zuwiderhandlungen haftet, weichen das europäische und das deutsche Lauterkeitsrecht grundlegend voneinander ab. In diesem Zusammenhang steht auch die Regelung zu Personen, die im Namen oder Auftrag eines Unternehmers handeln (§ 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs).

aa) Europäisches Lauterkeitsrecht: nur Gewerbetreibende. Die UGPRL und die Irrefüh- 596 rungsRL 2006 regulieren nur das Verhalten von Gewerbetreibenden.1054 So definiert Art. 2 lit. d UGPRL den Begriff der Geschäftspraktik als „jede Handlung … eines Gewerbetreibenden, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts an Verbraucher zusammenhängt“. „Werbung“ bedeutet gem. Art. 2 lit. a IrreführungsRL 2006 „jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen, zu fördern“. Eine „Geschäftspraxis“ bzw. „Werbung“ im Sinne dieser Richtlinien ist mithin nur gegeben, wenn das betreffende Verhalten von einem „Gewerbetreibenden“ ausgeht.1055 In Umsetzung von Art. 5 Abs. 1–4 UGPRL heißt es dementsprechend in § 3 Abs. 2 Satz 1, 597 dass geschäftliche Handlungen, die sich an Verbraucher richten oder diese erreichen, der unternehmerischen Sorgfalt entsprechen müssen. Hiermit ist gem. § 2 Abs. 1 Nr. 7 der Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt gemeint, von dem billigerweise angenommen werden kann, dass „ein Unternehmer ihn in seinem Tätigkeitsbereich“ gegenüber Verbrauchern nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Marktgepflogenheiten einhält. Mit der Formulierung „unternehmerisch“ statt „beruflich“ (Art. 5 Abs. 2 lit. a UGPRL) bzw. „fachlich“1056 wollte der 1052 Näher oben § 2 Rn. 424 ff., 431. 1053 Vgl. § 15 Abs. 2 S. 2, Abs. 11 S. 1. 1054 EuGH 3. 10. 2013 – C-59/12 – GRUR 2013, 1159 Tz. 27 ff. – BKK Mobil Oil; EuGH 4. 10. 2018 – C-105/17 – GRUR 2018, 1154 Tz. 24–29 – Kamenova (auch zur Verbraucherrechte-Richtlinie 2011/83).

1055 EuGH 4. 10. 2018 – C-105/17 – GRUR 2018, 1154 Tz. 43 – Kamenova. 1056 So RegE UWG 2015, BRDrucks. 26/15, S. 8.

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Peukert

§2

Definitionen

Gesetzgeber zum Ausdruck bringen, dass nach der UGPRL nur Unternehmer Adressaten der Sorgfaltspflicht sind.1057 Auf die Sicht eines durchschnittlichen Mitglieds einer besonders schutzbedürftigen Gruppe von Verbrauchern ist gem. § 3 Abs. 4 S. 2 abzustellen, wenn „für den Unternehmer“ vorhersehbar das wirtschaftliche Verhalten nur dieser Gruppe wesentlich beeinflusst wird. Schließlich beziehen sich mehrere Fallgruppen des Anhangs zu § 3 Abs. 3 ausdrücklich auf Verhaltensweisen von Unternehmern.1058 Der zentralen Bedeutung des Begriffs des Gewerbetreibenden im europäischen Recht tra598 gen die Legaldefinitionen in Art. 2 lit. b UGPRL, 2 lit. d IrreführungsRL 2006 Rechnung. Gewerbetreibender ist demnach „jede natürliche oder juristische Person, die im Rahmen ihrer gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit handelt, und jede Person, die im Namen oder Auftrag des Gewerbetreibenden handelt.“1059 Nur das Verhalten dieses Personenkreises wird von den Richtlinien erfasst, wobei sich die UGPRL wiederum nur auf einen Ausschnitt des unternehmerischen Geschäftsverkehrs bezieht, nämlich auf den Produktabsatz gegenüber Verbrauchern.1060 Diese europäische Begrifflichkeit ist in § 2 Abs. 1 Nr. 6 umgesetzt worden.1061 Die Vor599 schrift ist daher richtlinienkonform auszulegen.1062 Und zwar muss das UWG alle Personen erfassen, die zu den Gewerbetreibenden i. S. d. europäischen Lauterkeitsrechts zählen. Anderenfalls würden die vollständige Rechtsangleichung durch Art. 4 IrreführungsRL 2006 und die UGPRL bzw. das Niveau der Mindestharmonisierung durch die sonstigen Vorschriften der IrreführungsRL 2006 missachtet.

600 bb) UWG: Jede Person, die eine gem. § 3 oder § 7 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt. Die Gefahr eines zu engen Anwendungsbereichs besteht nach der Konzeption des UWG aber nicht. Im Gegenteil. Das UWG erstreckt sich auf geschäftliche Handlungen, also gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 auf jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens usw. Wer eine nach § 3 oder § 7 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, haftet nach §§ 8–10. Passivlegitimiert sind demnach zum einen Personen, die zugunsten des eigenen Unterneh601 mens unzulässige geschäftliche Handlungen vornehmen. Hierbei handelt es sich um den Unternehmensinhaber, also den Unternehmer i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs. Passivlegitimiert sind zum anderen auch Personen, die zugunsten eines fremden Unterneh602 mens gegen das UWG verstoßen. Fremden Wettbewerb kann grundsätzlich jede natürliche oder juristische Person fördern. Hierzu zählen jedenfalls Personen, die im Namen oder Auftrag eines Unternehmers handeln, also diejenigen Personen, die § 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs. zu Unternehmern erklärt. Für ihr Handeln „im Unternehmen“ haftet der betreffende Unternehmensinhaber gem. § 8 Abs. 2 stets.

1057 Rechtsausschuss UWG 2015, BTDrucks. 18/6571, S. 13. 1058 Vgl. Nr. 1, 5, 6, 8, 11, 15, 23, 30 Anhang zu § 3 Abs. 3. 1059 Der Unternehmerbegriff der Verbraucherrechte-Richtlinie 2011/83 (Art. 2 Nr. 2: „jede natürliche oder juristische Person, unabhängig davon, ob Letztere öffentlicher oder privater Natur ist, die bei von dieser Richtlinie erfassten Verträgen selbst oder durch eine andere Person, die in ihrem Namen oder Auftrag handelt, zu Zwecken tätig wird, die ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können“) umschreibt denselben Personenkreis; vgl. EuGH 4. 10. 2018 – C-105/17 – GRUR 2018, 1154 Tz. 29 – Kamenova (einheitliche Auslegung). 1060 Vgl. Art. 2 lit. b („im Geschäftsverkehr im Sinne dieser Richtlinie“), Art. 3 Abs. 1 UGPRL und EuGH 4. 10. 2018 – C-105/17 – GRUR 2018, 1154 Tz. 43 – Kamenova. 1061 Zur Übereinstimmung dieser Begriffe EuGH 3. 10. 2013 – C-59/12 – GRUR 2013, 1159 Tz. 31 – BKK Mobil Oil; BGH 30. 4. 2014 – I ZR 170/10 – WRP 2014, 1304 Tz. 15 – Betriebskrankenkasse II. 1062 Insoweit zutreffend BGH 18. 1. 2012 – I ZR 170/10 – GRUR 2012, 288, 289 – Betriebskrankenkasse I; BGH 22. 1. 2014 – I ZR 218/12 – WRP 2014, 835 Tz. 15 – Nordjob Messe.

Peukert

910

B. Die Definitionen im Einzelnen

§2

Darüber hinaus erfasst das UWG auch noch die Förderung fremden Wettbewerbs im ei- 603 genen Namen aus eigener Initiative.1063 Personen, die selbst kein Unternehmen betreiben und auch nicht im Namen oder Auftrag eines Unternehmers handeln, unterliegen also potentiell ebenfalls dem UWG. Sie zählen aber weder zu den unternehmensgleichen Personen gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs. noch zu den Mitarbeitern oder Beauftragten gem. § 8 Abs. 2. Damit verfügt das UWG über einen größeren Anwendungsbereich als das europäische Lauterkeitsrecht. Diese Erstreckung des harmonisierten Lauterkeitsmaßstabs auf Personen und Verhal- 604 tensweisen, die das Sekundärrecht nicht erfasst, wird zutreffend als unproblematisch erachtet. Die UGPRL stellt ausdrücklich klar, dass die Mitgliedstaaten Wettbewerbsverhalten außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie im Einklang mit dem Unionsrecht weiterhin uneingeschränkt regeln können.1064 Es steht ihnen mit anderen Worten frei, ob sie insoweit die Maßstäbe der Richtlinie entsprechend anwenden oder andere Vorgaben machen. Der deutsche Gesetzgeber hat von der ersten Variante in vielerlei Hinsicht Gebrauch gemacht; verwiesen sei nur auf den Begriff des Verbrauchers nach § 2 Abs. 2 i. V. m. § 13 BGB, der umfassender ist als derjenige des Unionsrechts.1065 Daher ist auch die Anwendung des auf den Richtlinien basierenden Lauterkeitsrechts auf Verhalten von Personen, die keine Gewerbetreibenden gem. Art. 2 lit. b UGPRL, 2 lit. d IrreführungsRL 2006 sind, mit dem Unionsrecht grundsätzlich vereinbar.1066 Die UGPRL macht insoweit eben keine Vorgaben. Anders und nicht überzeugend argumentierte der BGH in einem Vorabentscheidungsverfah- 605 ren zur Einordnung des werblichen Verhaltens von Betriebskrankenkassen gegenüber Versicherten, die erwägen, die Krankenkasse zu wechseln.1067 Der BGH sah es als ungeklärt an, ob Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 lit. b und d UGPRL eine Auslegung von § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 6 erlaubt, nach der die beanstandete Handlung als Geschäftspraktik im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmern und Verbrauchern anzusehen ist und die Beklagte, die als Körperschaft des öffentlichen Rechts die Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung erfüllt, bei Vornahme der beanstandeten Maßnahme als Gewerbetreibende gehandelt hat.1068 Die Beantwortung dieser Frage wäre wie erläutert aber nur dann gem. Art. 267 Abs. 2 AEUV erforderlich gewesen, wenn der BGH die Krankenkasse nicht als Gewerbetreibende bzw. Unternehmerin einordnen und überdies den von der UGPRL vorgesehenen Lauterkeitsmaßstabs nicht anwenden wollte. Hierin könnte eine richtlinienwidrige Unterschreitung des Anwendungs- und Verbotsniveaus der UGPRL liegen. Indes ging der BGH in seinem Beschluss wie die Vorinstanzen gerade davon aus, dass die Betriebskrankenkasse als Unternehmerin gem. Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Alt. eine geschäftliche Handlung gegenüber Verbrauchern vorgenommen habe, für die die Maßstäbe der UGPRL gelten sollten.1069 Das ist unproblematisch, wenn das Verhalten der Beklagten in den Anwendungsbereich der UGPRL fällt. Die Richtlinie verwehrt es den Mitgliedstaaten aber wie erläutert auch nicht, das Verhalten weiterer Personen entsprechend zu regulieren. Zu allem Überfluss beantwortete der EuGH die Vorlagefrage nicht nur im Sinne der Anwendbarkeit der UGPRL auf das konkret streitgegenständliche Verhalten, sondern formulierte einen viel zu weitgehenden Leitsatz, wonach eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die mit einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe wie der Verwaltung eines gesetzlichen Krankenversicherungssystems betraut ist, in den „persönlichen Anwendungsbereich“ der UGPRL falle.1070

1063 1064 1065 1066 1067 1068 1069 1070

Oben § 2 Rn. 102 ff. Vgl. ErwGrd. 6 S. 3 UGPRL. Siehe unten § 2 Rn. 759 ff.; § 3 Rn. 89. Siehe nur Köhler GRUR 2005, 793, 795. BGH 18. 1. 2012 – I ZR 170/10 – GRUR 2012, 288, 289 – Betriebskrankenkasse I. BGH 18. 1. 2012 – I ZR 170/10 – GRUR 2012, 288, 289 – Betriebskrankenkasse I. Vgl. BGH 18. 1. 2012 – I ZR 170/10 – GRUR 2012, 288, 290 – Betriebskrankenkasse I. EuGH 3. 10. 2013 – C-59/12 – GRUR 2013, 1159 Tz. 24, 41 – BKK Mobil Oil, in Verkennung bzw. Abänderung der explizit handlungsbezogenen Vorlagefrage des BGH.

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Peukert

§2

Definitionen

3. Unternehmensinhaber gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs 606 a) Grundsätze. Sämtliche Vorschriften des UWG, die auf den Unternehmer Bezug nehmen, meinen hiermit jedenfalls den Unternehmensinhaber gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs., also eine Person, die geschäftliche Handlungen im Rahmen ihrer gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit vornimmt und hiermit ihren eigenen Wettbewerb fördert. Da juristische Personen bzw. rechtsfähige Personengesellschaften nicht selbst handeln können, beruht ihre Passivlegitimation auf der Zurechnung des fremdnützigen Handelns ihrer Organe, Mitarbeiter und Beauftragten (§ 8 Abs. 2). 607 Zwar können geschäftliche Handlungen gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 auch von Personen vorgenommen werden, die selbst keine Unternehmer sind.1071 Ohnehin ist zwischen dem generellen Status einer Person als Unternehmer und der Qualifikation einer konkreten Verhaltensweise als geschäftlicher oder nicht geschäftlicher Handlung zu unterscheiden.1072 § 2 Abs. 1 Nr. 6 betrifft die erstgenannte, § 2 Abs. 1 Nr. 1 die zweitgenannte Frage. Wer im Rahmen seiner gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit handelt, fördert im Zweifel seine eigene Wettbewerbsposition. Wer das nicht tut, unterfällt dem UWG nur, wenn er den Wettbewerb eines bestimmten fremden Unternehmens fördert. Die Passivlegitimation nach dem UWG setzt also stets einen Unternehmensbezug voraus. 608 Eine unternehmerische Tätigkeit wird nach ständiger deutscher Rechtsprechung von demjenigen ausgeübt, der am Markt selbständig, planmäßig und auf eine gewisse Dauer angelegt Waren oder Dienstleistungen gegen Entgelt anbietet.1073 Erforderlich ist eine absatzbezogene, wirtschaftliche Tätigkeit von gewisser Dauer und Planmäßigkeit.1074 Den Begriff des Gewerbetreibenden im Sinne der UGPRL sowie den gleichlaufenden 609 Unternehmerbegriff der Verbraucherrechte-Richtlinie 2011/83 bestimmt der EuGH funktional anhand des korrelativen, aber antinomischen Begriffs „Verbraucher“. Diese Personengruppe sei nicht gewerblich oder selbständig beruflich tätig und zeichne sich dadurch aus, dass sie sich im Vergleich zu einem Gewerbetreibenden in einer unterlegenen Position befinde, da sie als wirtschaftlich schwächer und rechtlich weniger erfahren als der Vertragspartner angesehen werden müsse. Eine Geschäftspraxis bzw. Vertragsbeziehung sei von den genannten Richtlinien erfasst, wenn sie innerhalb der Tätigkeiten liege, die eine Person im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit vornimmt.1075 Wie die differenzierte Qualifikation gesetzlicher Krankenversicherer belegt, hat der EuGH hiermit einen funktionalen Unternehmerbegriff entwickelt, der vom Verbraucherschutzzweck der Richtlinien geprägt ist und vom Unternehmerbegriff des Kartellrechts abweicht.1076 Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, ist anhand der Umstände des Einzelfalls objektiv 610 zu beurteilen; auf den inneren Willen des Handelnden kommt es nicht an.1077 Auch der objektive Eindruck, den ein Marktverhalten beim durchschnittlichen Marktteilnehmer auslöst, ist für den Begriff des Unternehmers – und das heißt für seine selbständige geschäftliche Tätigkeit – nicht 1071 Oben § 2 Rn. 105 ff. 1072 BGH 21. 1. 2016 – I ZR 252/14 – WRP 2016, 974 Tz. 18 – Kundenbewertung im Internet. 1073 BGH 29. 3. 2006 – VIII ZR 173/05 – NJW 2006, 2250 Tz. 14; BGH 4. 12. 2008 – I ZR 3/06 – GRUR 2009, 871 Tz. 33 – Ohrclips; OLG Frankfurt a. M. 27. 7. 2004 – 6 W 80/04 – GRUR 2004, 1043 f. – Cartier-Stil; LG Berlin 5. 9. 2006 – 103 O 75/06 – MMR 2007, 401; aus der Literatur nur etwa Jestaedt Rn. 88. 1074 BGH 18. 1. 2012 – I ZR 170/10 – GRUR 2012, 288, 289 – Betriebskrankenkasse I; EuGH 3. 10. 2013 – C-59/12 – GRUR 2013, 1159 Tz. 32 – BKK Mobil Oil (weites Konzept entgeltlicher Tätigkeit); BGH 30. 4. 2014 – I ZR 170/10 – WRP 2014, 1304 Tz. 18 – Betriebskrankenkasse II (marktbezogene wirtschaftliche Tätigkeit eines Unternehmens). 1075 EuGH 4. 10. 2018 – C-105/17 – GRUR 2018, 1154 Tz. 33 ff. – Kamenova. 1076 Forst ZESAR 2014, 163 ff. m. w. N. 1077 EuGH 4. 10. 2018 – C-105/17 – GRUR 2018, 1154 Tz. 37 – Kamenova („Vorgehensweise von Fall zu Fall“ auf der Grundlage aller tatsächlichen Angaben); BGH 4. 12. 2008 – I ZR 3/06 – GRUR 2009, 871 Tz. 23 ff., 33 – Ohrclips; BGH 15. 11. 2007 – III ZR 295/06 – NJW 2008, 435; BGH 24. 2. 2011 − 5 StR 514/09 – NJW 2011, 1236 Tz. 24 – Schneeballseminare.

Peukert

912

B. Die Definitionen im Einzelnen

§2

maßgeblich. Diese Betrachtungsweise gilt nur für die Frage, ob eine einzelne Handlung eine geschäftliche i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 oder aber eine private bzw. außergeschäftliche (z. B. redaktionelle) ist.1078 Ob hingegen eine Person planmäßig und dauerhaft Waren oder Dienstleistungen gegen Entgelt anbietet, hängt nicht vom Eindruck ab, den die Person im geschäftlichen Verkehr erweckt, sondern von den wirklichen Gegebenheiten. Daher agiert eine Person unverändert als Unternehmer, wenn sie sich als Verbraucher ausgibt,1079 so wie umgekehrt als Verbraucher am Marktgeschehen teilnimmt, wer nur den Schein erweckt, ein Unternehmen zu betreiben.1080

b) Absatz von Produkten. Der Begriff der geschäftlichen Handlung und damit das UWG er- 611 strecken sich nicht nur auf den Absatz von Waren oder Dienstleistungen, sondern auch auf die Förderung und Durchführung des Bezugs von Produkten, also auf den Nachfragewettbewerb. Hieraus wird teilweise gefolgert, dass Unternehmer sei, wer planmäßig und dauerhaft gegen Entgelt Produkte absetzt oder bezieht.1081 Damit kann aber nicht gemeint sein, dass als Unternehmer auch agiert, wer nichts anderes 612 tut, als Waren oder Dienstleistungen zu beziehen. Vielmehr muss die betreffende Person stets in einem ausreichend planmäßigen und dauerhaften Maße am Absatzwettbewerb teilnehmen. Hierfür genügt es auch, als Hersteller Produkte ausschließlich an eigene Tochtergesellschaften zu liefern, soweit die fraglichen Produkte letztlich für Endverbraucher bestimmt sind und es sich nicht um eine konzerninterne Versorgung mit nicht für einen Weiterverkauf auf dem Markt bestimmten Betriebsmitteln handelt.1082 Das europäische Lauterkeitsrecht erstreckt sich schon gar nicht auf das Nachfrageverhalten 613 im Wettbewerb. Aber auch der traditionelle deutsche Begriff des Unternehmers, der in § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs. fortgelten soll, bezieht sich nur auf eine Absatztätigkeit.1083 Hierin kommt eine Selbstverständlichkeit zum Ausdruck. Nur Produkte nachzufragen, stellt kein dauerhaftes Geschäftsmodell dar. Eine Person, die nur entgeltliche Produkte nachfragt, wird die hierfür erforderlichen Mittel jedenfalls nicht dauerhaft aus dem wirtschaftlichen Wettbewerb generieren können. Es zeichnet den Unternehmer aus, sich aktiv wertschöpfend und nicht nur konsumierend am Marktgeschehen zu beteiligen. Daher rechtfertigt auch eine sehr umfangreiche, planmäßige und dauerhafte Nachfra- 614 getätigkeit nicht die Annahme, die betreffende Person agiere als Unternehmer. Beim bloßen Bezug von Waren und Dienstleistungen zur Erfüllung ihrer außergeschäftlichen Ziele handeln insbesondere die öffentliche Hand und Idealvereine vielmehr als sonstige, nicht-unternehmerische Marktteilnehmer.1084

c) Planmäßigkeit und Dauer der Absatztätigkeiten. Bereits aus der Gegenüberstellung ei- 615 ner gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen1085 Tätigkeit und der in ihrem Rahmen vorgenommenen geschäftlichen Handlung ergibt sich, dass Unternehmer nicht schon ist, wer einmalig oder nur gelegentlich Waren oder Dienstleistungen gegen Entgelt absetzt. Der im UWG

1078 A.A. EuGH 3. 10. 2013 – C-59/12 – GRUR 2013, 1159 Tz. 33 ff. – BKK Mobil Oil (Perspektive des Verbrauchers zur Bestimmung des „persönlichen Anwendungsbereiches“ der UGPRL maßgeblich). Siehe Anhang Nr. 23 zu § 3 Abs. 3; Köhler Festschrift Hopt, S. 2825, 2831. A.A. Köhler Festschrift Hopt, S. 2825, 2831 f. (auch diese Person greife störend in den Wettbewerb ein). Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 35 Rn. 9. BGH 21. 1. 2016 – I ZR 252/14 – WRP 2016, 974 Tz. 17–25 – Kundenbewertung im Internet. Vgl. BGH 2. 7. 1985 – X ZR 77/84 – BGHZ 95, 155, 157 ff. = NJW 1985, 3063 – Deutsche Bundesbahn. Zum handelsrechtlichen Unternehmensbegriff in diesem Sinne Baumbach/Hopt § 1 Rn. 16. 1084 Köhler Festschrift Hopt, S. 2825, 2829 f.; zur öffentlichen Hand OLG München 28. 10. 2010 – 29 U 2590/10 – MMR 2011, 243 f. – bayerischespielbank.de. 1085 Dazu Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 6 Rn. 31.

1079 1080 1081 1082 1083

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ebenfalls verwendete Begriff des Unternehmens signalisiert, dass ein gewisses Maß an betrieblich-organisatorischer Verfestigung erforderlich ist. Schließlich basieren die vor allem an Unternehmer gerichteten Verhaltensanforderungen des UWG und ihre im Vergleich zu Verbrauchern und nicht-unternehmerischen, sonstigen Marktteilnehmern geringere Schutzwürdigkeit darauf, dass sie aufgrund intensiver geschäftlicher Betätigung über größere Erfahrung und Aufmerksamkeit im geschäftlichen Verkehr verfügen.1086 Diese Gesichtspunkte schlagen sich in den Erfordernissen der Planmäßigkeit und Dauer616 haftigkeit der unternehmerischen Tätigkeit nieder. Planmäßig handelt, wer durchdacht und zielbewusst am Markt gegen Entgelt Produkte abzusetzen sucht. Dauerhaft agiert, wer über einen gewissen Zeitraum und nicht nur gelegentlich aus einzelnem Anlass – wie z. B. bei Verkäufen im Zuge einer Haushaltsauflösung – Waren oder Dienstleistungen offeriert.1087 Dabei kann es sich auch um einen Nebenerwerb handeln. Nicht erforderlich ist ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Geschäftsbetrieb gem. § 1 Abs. 2 HGB.1088 Die Abgrenzung zwischen planmäßig-dauerhafter, unternehmerischer Tätigkeit und 617 gelegentlichen Privatverkäufen durch Verbraucher spielt vor allen Dingen für Verkaufsplattformen im Internet eine Rolle, die beide Personenkreise gleichermaßen nutzen können. Hier wie generell ist anhand einer Gesamtschau der Umstände zu beurteilen, ob die betreffende Person im Rahmen einer unternehmerischen Tätigkeit handelt. Im Kamenova-Urteil hat der EuGH insoweit folgenden, nicht abschließenden Kriterienkatalog aufgestellt: Ob der Verkauf über die Online-Plattform planmäßig erfolgte; ob mit diesem Verkauf Erwerbszwecke verfolgt wurden; ob der Verkäufer über Informationen oder technische Fähigkeiten hinsichtlich der von ihm zum Verkauf angebotenen Waren verfügt, über die der Verbraucher nicht notwendigerweise verfügt, so dass er sich gegenüber diesem Verbraucher in einer vorteilhafteren Position befindet; ob der Verkäufer eine Rechtsform hat, die ihm die Vornahme von Handelsgeschäften erlaubt, und in welchem Ausmaß der Online-Verkauf mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit des Verkäufers zusammenhängt; ob der Verkäufer umsatzsteuerpflichtig ist; ob der Verkäufer, der im Namen oder im Auftrag eines bestimmten Gewerbetreibenden oder durch eine andere Person auftritt, die in seinem Namen oder Auftrag handelt, eine Vergütung oder Erfolgsbeteiligung erhalten hat; ob der Verkäufer neue oder gebrauchte Waren zum Zweck des Wiederverkaufs erwirbt und dieser Tätigkeit auf diese Weise eine gewisse Regelmäßigkeit, Häufigkeit und/oder Gleichzeitigkeit im Verhältnis zu seiner gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit verleiht; ob die zum Verkauf gestellten Waren alle gleichartig sind oder denselben Wert haben,1089 insbesondere, ob sich das Angebot auf eine begrenzte Anzahl von Waren konzentriert.1090 Für eine Qualifikation als unternehmerische Tätigkeit genügt es für sich betrachtet 618 nicht, dass sich Online-Anzeigen an eine unbestimmte Öffentlichkeit richten, dass mehrere Anzeigen geschaltet werden und ein Gewinn („Erwerbszweck“) erstrebt wird.1091 Acht auf einer Verkaufsplattform unter einem Pseudonym geschaltete Anzeigen über den Verkauf verschiedener Waren, darunter eine Uhr, stellen nach Auffassung des EuGH keine „Geschäftspraxis“ eines „Gewerbetreibenden“ im Sinne der UGPRL dar.1092 Für eine planmäßige, dauerhafte Absatztätigkeit spricht hingegen, dass der Betreffende einen eigenen Online-Shop betreibt, der 476 Mal 1086 EuGH 4. 10. 2018 – C-105/17 – GRUR 2018, 1154 Tz. 33 f. – Kamenova; OLG Frankfurt/M. 7. 4. 2005 – 6 U 149/ 04 – MMR 2005, 458 f. – Markenplagiat.

1087 Jestaedt Rn. 90. 1088 Ultsch Verbraucherbegriff, S. 226 ff.; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 35 Rn. 11. 1089 Vgl. Fischer WRP 2008, 193, 196 ff. m. w. N. (Verkauf von drei KfZ anders zu beurteilen als Verkauf von drei Kleidungsstücken).

1090 EuGH 4. 10. 2018 – C-105/17 – GRUR 2018, 1154 Tz. 38 f. – Kamenova. Vgl. auch BGH 4. 12. 2008 – I ZR 3/06 – GRUR 2009, 871 Tz. 23 ff., 33 – Ohrclips; OLG Frankfurt/M. 7. 4. 2005 – 6 U 149/04 – MMR 2005, 458 f. – Markenplagiat; Fischer WRP 2008, 193, 196 ff. m. w. N. 1091 EuGH 4. 10. 2018 – C-105/17 – GRUR 2018, 1154 Tz. 40 – Kamenova; BGH 30. 4. 2008 – I ZR 73/05 – GRUR 2008, 702 Tz. 41 – Internet-Versteigerung III. 1092 EuGH 4. 10. 2018 – C-105/17 – GRUR 2018, 1154 Tz. 44 – Kamenova.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

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bewertet wurde;1093 dass er wiederholt mit gleichartigen, insbesondere auch neuen Gegenständen handelt1094 oder innerhalb eines Monats 51 Gegenstände der verschiedensten Art anbietet;1095 dass er hinsichtlich der angebotenen Waren auch sonst gewerblich tätig ist;1096 dass die angebotenen Produkte erst kurz zuvor erworben wurden.1097

d) Entgeltlichkeit. Unternehmerisch agiert nur, wer planmäßig und dauerhaft Waren oder Dienstleistungen gegen Entgelt vertreibt. Ob dieses Entgelt in weitere unternehmerische Aktivitäten investiert oder für rein private oder sonstige, außergeschäftliche Zwecke verwendet wird, ist ohne Belang.1098 Schon deshalb muss keine Gewinnerzielungsabsicht dargetan werden.1099 Auch wer durch einen planmäßigen, dauerhaften und entgeltlichen Vertrieb von Produkten nur die Unkosten eines außergeschäftlichen Vorhabens decken möchte, übt eine unternehmerische Tätigkeit aus. Die subjektiven Zielsetzungen eines Unternehmers sind den übrigen Marktteilnehmern in der Regel unbekannt. Eine gegen das UWG verstoßende geschäftliche Handlung eines solchen Unternehmers verfälscht den Wettbewerb nicht anders als das entsprechende Verhalten eines profitorientierten Mitbewerbers. Daher gebietet es der Schutzzweck des UWG, einen Akteur auch dann als Unternehmer zu betrachten, wenn er atypischerweise keine Gewinne anstrebt. Die Angebotstätigkeit muss sich in einer Gesamtschau als entgeltlich darstellen. Hingegen kommt es nicht darauf an, ob die konkret angegriffene geschäftliche Handlung gegen Entgelt vorgenommen wurde. Kostenlose Zugaben oder sog. Freeware zählen zu den gängigen unternehmerischen Absatzstrategien. Ebenfalls irrelevant ist, mit welchem Geschäftsmodell ein Umsatz erwirtschaftet wird. Insbesondere ist gleichgültig, ob die Zahlung für das einzelne Produkt, als Pauschalbetrag für wiederkehrende Leistungen oder wie häufig bei Online-Diensten über Werbung erfolgt. Daher ist ein Idealverein als Unternehmer einzustufen, der seinen Mitgliedern gegen Zahlung eines laufenden Mitgliedsbeitrags Beratungsdienstleistungen zur Verfügung stellt, die auf dem Markt gegen Entgelt offeriert werden.1100 Unentgeltlich ist hingegen die Tätigkeit karitativer Spendenorganisationen. Die Spenden werden der Organisation schenkweise überlassen. Weder vom Spender noch von demjenigen, zu dessen Gunsten die Spenden verwendet werden, fordert oder erhält eine Spendenorganisation ein Entgelt. Sie agiert daher nicht als Unternehmer i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs.1101 Werbung um Spenden stellt keine geschäftliche Handlung gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 dar.1102

1093 OLG Frankfurt a. M. 27. 7. 2004 – 6 W 80/04 – GRUR 2004, 1043 f. – Cartier-Stil; siehe auch OLG Frankfurt/M. 7. 4. 2005 – 6 U 149/04 – MMR 2005, 458 f. – Markenplagiat.

1094 BGH 30. 4. 2008 – I ZR 73/05 – GRUR 2008, 702 Tz. 43 – Internet-Versteigerung III; LG Berlin 5. 9. 2006 – 103 O 75/06 – MMR 2007, 401.

1095 BGH 4. 12. 2008 – I ZR 3/06 – GRUR 2009, 871 Tz. 23 ff., 33 – Ohrclips. 1096 BGH 19. 4. 2007 – I ZR 35/04 – BGHZ 172, 119 = GRUR 2007, 708 Tz. 23 – Internet-Versteigerung II; BGH 30. 4. 2008 – I ZR 73/05 – GRUR 2008, 702 Tz. 43 – Internet-Versteigerung III.

1097 BGH 11. 3. 2004 – I ZR 304/01 – BGHZ 158, 236, 249 = GRUR 2004, 860, 863 – Internet-Versteigerung I; BGH 30. 4. 2008 – I ZR 73/05 – GRUR 2008, 702 Tz. 43 – Internet-Versteigerung III.

1098 BGH 2. 7. 1985 – X ZR 77/84 – BGHZ 95, 155, 157 ff. – NJW 1985, 3063 – Deutsche Bundesbahn; BAG 31. 5. 2005 – 1 AZR 141/04 – GRUR 2006, 244, 245 f. – Mitgliederwerbung von Gewerkschaften; BGH 29. 3. 2006 – VIII ZR 173/ 05 – NJW 2006, 2250 Tz. 19 m. w. N. 1099 BGH 2. 7. 1985 – X ZR 77/84 – BGHZ 95, 155, 157 ff. – NJW 1985, 3063 – Deutsche Bundesbahn; zu § 14 BGB siehe BGH 24. 6. 2003 – XI ZR 100/02 – BGHZ 155, 240, 246 = NJW 2003, 2742; BGH 29. 3. 2006 – VIII ZR 173/05 – NJW 2006, 2250 Tz. 16 ff. m. w. N.; zur UGPRL EuGH 3. 10. 2013 – C-59/12 – GRUR 2013, 1159 Tz. 33 – BKK Mobil Oil. 1100 BAG 31. 5. 2005 – 1 AZR 141/04 – GRUR 2006, 244, 245 f. – Mitgliederwerbung von Gewerkschaften. 1101 A.A. Voigt Idealvereine, S. 124 ff.; Köhler Festschrift Hopt, S. 2825, 2832. 1102 Oben § 2 Rn. 236 ff.

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623 e) Selbständigkeit. Gewerbe- und Handwerksbetriebe werden von ihrem Inhaber selbständig geführt.1103 Hieraus und im Umkehrschluss aus § 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs. folgt, dass mit der „beruflichen“ Tätigkeit ebenfalls nur der selbständig ausgeübte Beruf gemeint ist.1104 Selbständig in diesem Sinne agieren insbesondere Land- und Forstwirte, Freiberufler wie Ärzte, Rechtsanwälte,1105 Steuerberater und Künstler1106 sowie Handelsvertreter gem. § 84 Abs. 1 HGB.1107 Weisungsabhängige Arbeitnehmer1108 und Beauftragte sind keine selbständigen Unter624 nehmensinhaber (arg. § 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs.). Sie nehmen geschäftliche Handlungen gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 vor und haften daher täterschaftlich für etwaige Zuwiderhandlungen gegen das UWG, wenn und soweit sie den für sie fremden Wettbewerb ihres Arbeitgebers oder Auftraggebers fördern. Jenem wird ihr Verhalten nach Maßgabe des § 8 Abs. 2 zugerechnet, so dass der Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch auch gegen den Unternehmensinhaber begründet sind.

625 f ) Beginn und Ende des Unternehmertums. Eine geschäftliche Handlung wird nur dann von einem Unternehmer vorgenommen, wenn die betreffende Person zu diesem Zeitpunkt schon oder noch eine unternehmerische Tätigkeit ausübt.1109 Dieser zeitliche Rahmen ist von erheblicher praktischer Relevanz sowohl im Hinblick auf die Frage, ob ein Anspruchsteller schon als Unternehmer und damit ggf. Mitbewerber gem. §§ 8 Abs. 3 Nr. 1, 9 Satz 1 aktivlegitimiert ist, als auch im Hinblick auf die Passivlegitimation und die Frage, ob zugunsten eines noch existierenden Unternehmens im Wettbewerb gehandelt wird. Noch nicht unternehmerisch tätig ist, wer eine Existenzgründung erwägt und die Ent626 scheidung, ob es überhaupt zu einer solchen kommen soll, erst vorbereitet. Aktivitäten in dieser Sondierungsphase wie der Besuch von Seminaren zur Beratung von Existenzgründern betreffen daher Verbraucherhandeln.1110 Ist die Entscheidung über die Aufnahme einer unternehmerischen Tätigkeit gefallen und 627 wird die ernstliche Absicht, ein Unternehmen zu eröffnen, durch Verhalten im geschäftlichen Verkehr in die Tat umgesetzt, agiert der Betreffende als Unternehmer i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs. Bereits in dieser Phase der planmäßigen Existenzgründung können die in greifbare Nähe gerückten, vom UWG geschützten Interessen beeinträchtigt und hierdurch der Wettbewerb verfälscht werden.1111 Als ausreichende Indizien für eine ernstliche Absicht, ein Unternehmen gründen zu 628 wollen, hat es die Rechtsprechung angesehen, wenn eine Person ein Gewerbe anmeldet, ein Geschäftslokal anmietet und die baldige Eröffnung des Ladengeschäfts öffentlich ankündigt.1112 Bei leichter und kostengünstiger zu initiierenden Online-Aktivitäten kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Wird ein auch für Privatpersonen verfügbarer Online-Shop auf einer Verkaufsplattform im Internet eingerichtet, spricht dies anders als bei der Eröffnung eines Ladenlokals zumindest dann noch nicht für eine ausreichende unternehmerische Tätigkeit, wenn die 1103 1104 1105 1106 1107 1108

Siehe Köhler Festschrift Hopt, S. 2825, 2827; juris-PK/Ernst Rn. 46. Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 35 Rn. 12; Köhler Festschrift Hopt, S. 2825, 2827. OLG Stuttgart 22. 10. 2015 – 2 U 35/15 – NJW-RR 2015, 1528. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 29. OLG Karlsruhe 10. 3. 2009 – 4 U 168/08 – GRUR-RR 2010, 51 – Direktmarketing. Auch beim Abschluss eines Arbeitsverhältnisses werden Arbeitnehmer als Verbraucher und nicht als Unternehmer in eigener Sache angesehen; vgl. BVerfG 23. 11. 2006 – 1 BvR 1909/06 – NJW 2007, 286, 287; BGH 24. 2. 2011 − 5 StR 514/09 – NJW 2011, 1236 Tz. 24 – Schneeballseminare. 1109 BGH 24. 2. 2011 − 5 StR 514/09 – NJW 2011, 1236 Tz. 25 – Schneeballseminare; Jestaedt Rn. 96. 1110 BGH 24. 2. 2005 – III ZB 36/04 – BGHZ 162, 253, 256 = NJW 2005, 1273 m. w. N.; BGH 15. 11. 2007 – III ZR 295/ 06 – NJW 2008, 435; BGH 24. 2. 2011 − 5 StR 514/09 – NJW 2011, 1236 Tz. 24 – Schneeballseminare. 1111 BGH 24. 2. 2011 − 5 StR 514/09 – NJW 2011, 1236 Tz. 24 – Schneeballseminare; zum Mitbewerberbegriff vgl. auch oben § 2 Rn. 402. 1112 OLG Hamm 13. 3. 1986 – 4 U 10/86 – NJW-RR 1987, 34.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

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betreffende Internetseite keine Kontaktdaten enthält und keine Aktivitäten außerhalb des Internets dargetan werden.1113 Zum Nachweis einer Existenzgründung genügt es ebenfalls nicht, nur Computerausdrucke einer Homepage und eine Gewerbeanmeldung1114 oder die Anmeldung von Internet-Domains und Markenrechten1115 darzutun, wenn ggf. über längere Zeit keine weiteren Schritte zum Start des Online-Geschäfts unternommen wurden. Auch die Anmeldung und Eintragung einer Marke rechtfertigen als solche noch nicht die Einordnung einer Person als Unternehmer, wenn unter dem Zeichen weder Produkte angeboten noch Lizenzen erteilt und insofern auch keine weiteren Vorbereitungshandlungen dargetan werden.1116 Das Unternehmertum endet mit der endgültigen Aufgabe der Geschäftstätigkeit.1117 Nach 629 diesem Zeitpunkt können auch Dritte keine geschäftlichen Handlungen mehr zugunsten eines ehemaligen Unternehmens vornehmen. Ihr Verhalten unterfällt dem UWG daher nur, wenn sie ihr eigenes oder ein anderes, schon oder noch aktives Unternehmen fördern.

g) Person. Jede natürliche oder juristische Person kann gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs. Unterneh- 630 mer sein. Person ist, wer fähig ist, Träger von Rechten und Pflichten zu sein.1118 Diese Rechtsfähigkeit ist erforderlich, damit das Unternehmen als betrieblich-organisatorische Einheit1119 und in seinen einzelnen Gegenständen einem Unternehmensinhaber zugeordnet werden kann. Da juristische Personen und rechtsfähige Personengesellschaften nicht handeln können, beruht ihre Passivlegitimation auf der Zurechnung der im Unternehmen handelnden Mitarbeiter oder Beauftragten (§ 8 Abs. 2). Für den lauterkeitsrechtlichen Begriff des Unternehmers kommt es nicht auf die Rechts- 631 form und den satzungsgemäßen Zweck einer juristischen Person, sondern auf eine wirtschaftliche Betrachtung der tatsächlichen Umstände an. Auch nicht wirtschaftliche Vereine gem. § 21 BGB, gemeinnützige Stiftungen, der Staat usw. können – wenngleich ggf. rechtswidrig – planmäßig und dauerhaft Produkte gegen Entgelt anbieten. So verhält es sich im Hinblick auf gesetzliche Krankenkassen, wenn sie außerhalb ihrer Aufgabe rein sozialer Art im Rahmen der Verwaltung des deutschen Systems der sozialen Sicherheit im Wettbewerb mit anderen gesetzlichen und privaten Krankenkassen Geschäftstätigkeiten ausüben, die keinen sozialen, sondern einen wirtschaftlichen Zweck haben.1120 In diesem Fall sind sie als Unternehmer gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs. einzustufen.1121 Hingegen ist es verfehlt, gesetzliche Krankenkassen unabhängig von der konkret angegriffenen Geschäftspraktik dem „persönlichen“ Anwendungsbereich der UGPRL zu unterwerfen.1122 Umgekehrt ist eine Komplementär-GmbH einer GmbH & Co. KG, die selbst keine eigene 632 Geschäftstätigkeit nach außen entfaltet, sondern lediglich finanziell an aktiv tätigen Betreibern (den KGs) beteiligt ist, kein Unternehmer und damit auch kein aktivlegitimierter Mitbewerber.1123 1113 OLG Zweibrücken 2. 6. 2005 – 4 U 256/04 – BeckRS 2005, 07387. 1114 BGH 12. 7. 1995 – I ZR 85/93 – GRUR 1995, 697, 699 – FUNNY PAPER. 1115 KG 30. 6. 2006 – 5 U 127/05 – GRUR 2007, 254 f. – Getarnte Link-Werbung; vgl. auch EuGH 11. 7. 2013 – C-657/ 11 – GRUR 2013, 1159 Tz. 44 – Belgian Electronics Sorting Technology.

1116 BGH 12. 7. 1995 – I ZR 85/93 – GRUR 1995, 697, 699 – FUNNY PAPER. 1117 BGH 12. 7. 1995 – I ZR 85/93 – GRUR 1995, 697, 699 – FUNNY PAPER; KG 11. 11. 1980 – 5 U 3844/80 – WRP 1981, 461, 462; OLG Zweibrücken 2. 6. 2005 – 4 U 256/04 – BeckRS 2005, 07387. Palandt/Ellenberger vor § 1 BGB Rn. 1. Zivilrechtlich gesprochen ein sonstiger Gegenstand gem. § 453 Abs. 1 2. Alt. BGB. BGH 30. 4. 2014 – I ZR 170/10 – WRP 2014, 1304 Tz. 20 – Betriebskrankenkasse II. OLG München 28. 10. 2010 – 29 U 2590/10 – MMR 2011, 243 f. – bayerischespielbank.de; Köhler/Bornkamm/ Feddersen Rn. 24. 1122 So aber EuGH 3. 10. 2013 – C-59/12 – GRUR 2013, 1159 Tz. 24, 41 – BKK Mobil Oil, in Verkennung bzw. Abänderung der explizit handlungsbezogenen Vorlagefrage des BGH. 1123 OLG Hamburg 12. 8. 2004 – 3 U 55/04 – GRUR-RR 2005, 167 f. – Mitbewerbereigenschaft.

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Das UWG ist auf unlauteres Wettbewerbsverhalten anwendbar, wenn inländische Wettbewerbsbeziehungen oder die inländischen kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt oder wahrscheinlich beeinträchtigt werden.1124 Auf das Personalstatut der mit Auswirkungen auf den inländischen Wettbewerb handelnden natürlichen oder juristischen Person kommt es nicht an. Daher sind auch ausländische Gesellschaften, die nach dem für sie maßgeblichen Recht rechtsfähig sind, potentiell Unternehmer gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs.1125 Werden im Handelsregister eingetragene Einzelkaufleute und selbstständige Handelsvertreter1126 im geschäftlichen Verkehr tätig, handeln sie im Zweifel zugunsten des eigenen Unternehmens.1127 Dasselbe gilt für Freiberufler wie Rechtsanwälte, auch wenn sie in einer z. B. als Partnerschaftsgesellschaft verselbständigten Sozietät tätig sind.1128 Im Übrigen muss im Einzelnen dargetan werden, dass eine natürliche Person ein Unternehmen betreibt und dieses oder ein drittes Unternehmen gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 fördert. Kapitalgesellschaften (GmbH, AG, SE, KGaA) und eingetragene Genossenschaften agieren durch ihre Organe, Mitarbeiter und Beauftragten ebenfalls im Zweifel im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit, während bei anderen juristischen Personen wie einem Idealverein oder einer Stiftung dargetan werden muss, dass tatsächlich planmäßig und für eine gewisse Dauer Produkte gegen Entgelt auf dem Markt angeboten werden. Der Wortlaut von § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs. bezieht sich zwar nur auf juristische Personen und nicht auf rechtsfähige Personengesellschaften gem. § 14 Abs. 2 BGB, die nach deutscher Dogmatik von juristischen Personen verschieden sind.1129 Der Begriff der juristischen Person stammt aber aus dem europäischen Lauterkeitsrecht, wo ihm eine weitere, nämlich funktionale Bedeutung zukommt. Daher können alle rechtsfähigen Personengesellschaften Unternehmer sein.1130 Personenhandelsgesellschaften (OHG, KG, GmbH & Co. KG) werden im Zweifel im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit am Markt aktiv; selbiges gilt für die deutsche EWIV und Partnerschaften, in denen sich Angehörige Freier Berufe zur Ausübung ihrer (selbständigen) Berufe zusammenschließen. Bei einer rechtsfähigen Außengesellschaft gem. §§ 705 ff. kommt es darauf an, ob die Gesellschaft unternehmenstragend oder zu anderen Zwecken tätig wird.1131 Soweit Vorgesellschaften und Vorgründungsgesellschaften Rechtsfähigkeit zuerkannt wird, können sie Unternehmer sein.1132 Der Abschluss des Gesellschaftsvertrags läutet die Existenzgründerphase ein und indiziert im Zweifel, dass ernstlich beabsichtigt ist, unternehmerisch tätig zu werden. Bei erst auf den Abschluss eines Gründungsvertrags gerichteten Vorgründungsgesellschaften ist näher darzutun, ob bereits die Phase der bloßen Sondierung verlassen wurde. Innengesellschaften wie insbesondere die stille Gesellschaft gem. §§ 230 ff. HGB können schon mangels Rechtsfähigkeit nicht Unternehmensträger und damit Unternehmer i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs. sein.1133 Gesellschafter, gesetzliche und vertragliche Vertreter (Beauftragte) sowie Mitarbeiter einer juristischen Person oder rechtsfähigen Personengesellschaft sind ebenfalls keine Unternehmer, da das Unternehmen der juristischen Person bzw. Personengesellschaft zugeordnet

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Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO. GK-UWG1/Erdmann § 13 Rn. 30. OLG Karlsruhe 10. 3. 2009 – 4 U 168/08 – GRUR-RR 2010, 51, 52 – Direktmarketing. Zu privaten Anschaffungsvorgängen von Unternehmern (die insofern als Verbraucher tätig sind) oben § 2 Rn. 73 ff. 1128 OLG Stuttgart 22. 10. 2015 – 2 U 35/15 – NJW-RR 2015, 1528. 1129 Vgl. § 14 Abs. 1 BGB und Sosnitza WRP 2008, 1014, 1015. 1130 Siehe nur juris-PK/Ernst Rn. 45. 1131 Für die Rechtsfähigkeit kommt es auf diese Frage nicht an; vgl. nur Palandt/Sprau § 705 Rn. 24 m. w. N. 1132 Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 6 Rn. G 23. 1133 Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 6 Rn. G 22; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 35 Rn. 6.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

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ist.1134 Soweit sie im Namen oder Auftrag des Unternehmers handeln, gelten sie lediglich gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs. als Unternehmer.1135 Selbiges gilt für bloße Vertragspartner eines Unternehmers.1136 Das Verhalten dieser Personen unterfällt dem UWG unter dem Gesichtspunkt, dass sie den Wettbewerb des Unternehmensträgers fördern.1137 Der Unternehmensinhaber haftet für solche Handlungen gem. § 8 Abs. 2. Ein Streit über ein persönliches Wettbewerbsverbot betrifft hingegen die avisierte Grün- 640 dung eines Unternehmens durch eine natürliche Person. Jene agiert insoweit als selbständiger Existenzgründer und nicht mehr als Gesellschafter, Mitarbeiter usw., so dass der Tatbestand des § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs. gegeben ist.1138 Ist das Recht, ein Unternehmen zu verwalten und über es zu verfügen, auf einen Insol- 641 venz-, Nachlassverwalter oder Testamentsvollstrecker übergegangen, so agieren diese Organe als Unternehmer.1139

h) Darlegungs- und Beweislast. Die Darlegungs- und Beweislast für die Unternehmerei- 642 genschaft einer Person trifft den Anspruchsteller, der hieraus eine für sich günstige Rechtsfolge, nämlich seinen Schutz als Unternehmer und Mitbewerber eines anderen Unternehmers, ableitet.1140 Unternehmer ist im Zweifel, wer in einer für Unternehmen i. S. d. UWG vorgesehenen Rechtsform, also namentlich als Kapitalgesellschaft, eingetragene Genossenschaft, Personenhandelsgesellschaft oder Partnerschaft konstituiert ist. Hat der Anspruchsteller substanziiert zur Unternehmereigenschaft des Anspruchsgegners 643 vorgetragen, trifft diesen eine sekundäre Darlegungs- und ggf. Beweislast im Hinblick auf Umstände, die gegen seine Unternehmerstellung sprechen.1141

4. Personen, die im Namen oder Auftrag eines Unternehmers handeln (§ 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs.) a) Unionsrechtlicher Hintergrund und Bedeutung. Unternehmer ist nicht nur derjenige, der 644 planmäßig und dauerhaft in selbständiger Tätigkeit Produkte gegen Entgelt anbietet, sondern gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs. auch „jede Person, die im Namen oder Auftrag einer solchen Person“ – soll heißen eines Unternehmensinhabers wie einer GmbH oder eines eingetragenen Kaufmanns – „handelt.“ Die Regelung geht zurück auf Art. 2 lit. b UGPRL und Art. 2 lit. d IrreführungsRL 2006, die mit identischem Wortlaut bestimmte Personen zu Gewerbetreibenden im Sinne der Richtlinien erklären. Der deutsche Gesetzgeber hat sich zum Sinn und Zweck dieser Vorschrift und ihrer Einpas- 645 sung in die Dogmatik des UWG nicht geäußert. Aufschlussreich sind hingegen die Dokumente 1134 OLG Köln 15. 2. 2019 – I-6 U 214/18 –, juris Tz. 41. Anders kann es sich wiederum bei Freiberuflern wie Rechtsanwälten verhalten; vgl. OLG Stuttgart 22. 10. 2015 – 2 U 35/15 – NJW-RR 2015, 1528. A.A. obiter für Organe juristischer Personen BGH 18. 6. 2014 – I ZR 242/12 – GRUR 2014, 833 Tz. 22 – Geschäftsführerhaftung. 1135 Dazu OLG Stuttgart 3. 11. 1995 – 2 U 114/95 – WRP 1996, 63 ff.; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 35 Rn. 7. 1136 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 125 (Lizenzgeber); Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 35 Rn. 6. 1137 So fördert der Geschäftsführer einer GmbH nicht „seinen“ Absatz, sondern den der GmbH. Er haftet für diese Förderung fremden Wettbewerbs täterschaftlich, wenn er die betreffende Handlung selbst vorgenommen oder verkehrspflichtwidrig nicht unterbunden hat; zu den diesbezüglichen Haftungsvoraussetzungen BGH 18. 6. 2014 – I ZR 242/12 – GRUR 2014, 833 – Geschäftsführerhaftung. 1138 OLG Köln 28. 2. 2011 – 6 W 35/11 – GRUR-RR 2011, 370 f. – Gesellschafter-Unternehmer. 1139 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 125; Götting/Nordemann Rn. 53. 1140 BGH 30. 4. 2008 – I ZR 73/05 – GRUR 2008, 702 Tz. 46 – Internet-Versteigerung III. 1141 BGH 30. 4. 2008 – I ZR 73/05 – GRUR 2008, 702 Tz. 46 f. – Internet-Versteigerung III; OLG Koblenz 17. 10. 2005 – 5 U 1145/05 – NJW 2006, 1438 – Powerseller; Fischer WRP 2008, 193, 196 m. w. N.

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Definitionen

zur Entstehung der UGPRL. Nach Art. 2 lit. c des Richtlinienentwurfs der Kommission sollte „Gewerbetreibender“ nur jede natürliche oder juristische Person sein, „die im Geschäftsverkehr im Sinne dieser Richtlinie im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit handelt“.1142 Gemeint sind die selbstständig und eigenverantwortlich agierenden Unternehmensinhaber. 646 Die schließlich in Kraft getretene Regelung lässt sich auf einen Vorschlag des Europäischen Parlaments zurückführen. Demnach sollten die Begriffe „Verkäufer oder Lieferant“ bzw. „Gewerbetreibender“ bezeichnen: „– jede natürliche oder juristische Person, die im Geschäftsverkehr im Sinne dieser Richtlinie im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit oder im Hinblick auf die Verwirklichung ihres satzungsmäßigen Ziels handelt; eine Handlung, die der Gewerbetreibende bewusst durch eigenes Verhalten fördert oder bewusst ermöglicht, wird ihm zugerechnet; – der Staat oder die juristische Person, an der der Staat einen Mehrheitsanteil hat, die eine gewerbliche, finanzielle oder industrielle Tätigkeit ausübt und die Produkte oder Dienstleistungen anbietet oder verkauft; – die Personen, die entweder in eigenem Namen, oder im Namen oder auf Rechnung eines Dritten mit oder ohne Rechtspersönlichkeit, mit oder ohne Verfolgung eines Erwerbszwecks eine gewerbliche, finanzielle oder industrielle Tätigkeit ausüben und Produkte oder Dienstleistungen anbieten oder verkaufen.“1143 Zur Begründung hieß es, es sei sicherzustellen, „dass die Förderung fremden Wettbewerbs durch die Richtlinie erfasst wird, da in der Praxis immer häufiger unlautere Praktiken von Dritten gesetzt werden, die zu einem Gewerbetreibenden in einem Auftragsverhältnis stehen. Auch durch das Zusammenspiel zahlreicher Unternehmen (Werbung, Vertrieb, Versand) ist oftmals der unmittelbare Störer nicht ermittelbar.“1144 Aus dem Wortlaut und der Begründung des Vorstoßes ergibt sich, dass das europäische 647 Parlament mehrere Aspekte der lauterkeitsrechtlichen Passivlegitimation regeln wollte. Der erste Spiegelstrich betrifft Unternehmensinhaber und die Frage, unter welchen Voraussetzungen ihnen ein Verhalten Dritter zugerechnet werden kann. Der zweite Spiegelstrich bezieht sich auf unternehmerische Aktivitäten der öffentlichen Hand. Der dritte Spiegelstrich schließlich regelt, unter welchen Voraussetzungen sonstige Personen, darunter auch solche, die „im Namen oder auf Rechnung eines Dritten“ handeln, als Gewerbetreibende einzuordnen sind. Aus den Ratsdokumenten ist zu entnehmen, dass der Europäische Rat diesen Vorschlag 648 zwar in der Sache übernahm, allerdings unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Richtlinie keine Haftungsfragen („liability“) regele, womit wohl insbesondere die im ersten Spiegelstrich angesprochene Zurechnung fremden Verhaltens gemeint ist.1145 Hingegen soll das europäische Lauterkeitsrecht auch nach Auffassung des Rates die Förderung fremden Wettbewerbs durch Personen erfassen, die selbst nicht unternehmerisch tätig sind. Hierzu musste der Begriff des Gewerbetreibenden erweitert werden, da die UGPRL und die IrreführungsRL 2006 nur das Verhalten von Gewerbetreibenden betreffen.1146

b) Bedeutung des § 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs 649 aa) Verhältnis zur Förderung fremden Wettbewerbs gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1. Das UWG ist gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 auf das geschäftliche Handeln „jeder Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens“ anwendbar. Die Verbotsnormen des § 3 und des § 7 richten sich also anders als das europäische Lauterkeitsrecht nicht nur an Gewerbetreibende bzw. Unterneh1142 Siehe Art. 2 lit. c UGPRL, Art. 2 Abs. 2 IrreführungsRL gem. Vorschlag UGPRL, KOM (2003) 356 endgültig. 1143 Europäisches Parlament, Legislative Entschließung UGPRL, 20. 4. 2004, P5_TA (2004) 0298, konsolidierter Text, Art. 2 lit. d.

1144 Europäisches Parlament, Bericht UGPRL, A5–0188/2004, S. 14, 65. 1145 Europäischer Rat, Standpunkt UGPRL, 11630/04, ADD. 1, S. 6, 13 (Wortlaut der Richtlinie). 1146 Vgl. auch EuGH 17. 10. 2013 – C-391/12 – GRUR 2013, 1159 Tz. 38 – RLvS Verlagsgesellschaft.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

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mer. Vielmehr kann prinzipiell jede Person fremden Wettbewerb fördern und hierbei dem UWG unterliegen. Damit kommt es zu einer Doppelregelung der Förderung fremden Wettbewerbs im 650 UWG:1147 Erstens kann jede Person gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 zugunsten eines fremden Unternehmens eine geschäftliche Handlung vornehmen, für die sie täterschaftlich haftet, wenn sie hierbei gegen § 3 oder § 7 verstößt. Fremden Wettbewerb fördern zweitens insbesondere Personen, die im Namen oder Auftrag eines Unternehmensinhabers agieren (§ 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs.). Sie gelten dann als Unternehmer, was jedoch anders als im europäischen Lauterkeitsrecht keine Voraussetzung für eine Zuwiderhandlung gegen § 3 oder § 7 und die Ansprüche gem. §§ 8–10 ist.

bb) Verhältnis zu § 8 Abs. 2. Werden Zuwiderhandlungen gegen § 3 oder § 7 in einem Unter- 651 nehmen von einem Mitarbeiter oder Beauftragten begangen, so sind der Unterlassungsanspruch und der Beseitigungsanspruch gem. § 8 Abs. 2 auch gegen den Inhaber des Unternehmens begründet. Ungeachtet der im Einzelnen umstrittenen Rechtsnatur der Vorschrift stellt sie jedenfalls keine Anspruchsgrundlage gegen Mitarbeiter oder Beauftragte dar. Ihr Zweck ist es nicht, die unzulässige Förderung fremder Unternehmer zu sanktionieren. Vielmehr handelt es sich um eine Erfolgshaftung des Unternehmensinhabers für Zuwiderhandlungen seiner Mitarbeiter oder Beauftragten ohne die Möglichkeit einer Entlastung. Regelungsgegenstand und -zweck des § 8 Abs. 2 unterscheiden sich daher grundlegend von 652 § 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs.1148 Als autonome deutsche Regelung zu den Rechtsfolgen eines UWGVerstoßes besagt § 8 Abs. 2 nicht, wer im unionsrechtlichen Sinne den Unternehmern gleichzustellen ist. Schließlich unterscheiden sich die Tatbestandsvoraussetzungen beider Vorschriften. 653 Zwar ist jeder Mitarbeiter und Beauftragte i.S.v. § 8 Abs. 2 im Auftrag des Unternehmensinhabers tätig und erfüllt somit zugleich den Tatbestand des § 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs. Eine unzulässige Förderung des Wettbewerbs des Arbeitgebers/Auftraggebers durch diese Personen zieht daher sowohl Ansprüche gegen sie selbst als handelnde „Unternehmer“ (§ 2 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 6 2. Hs.) als auch gem. § 8 Abs. 2 gegen den Unternehmensinhaber i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs. nach sich. Einem Unternehmer gleichgestellt wird nach dem Wortlaut von § 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs. eine 654 Person auch dann, wenn sie nur im Namen, nicht aber („oder“) im Auftrag eines Unternehmensinhabers agiert. Ein solch eigenmächtiges Verhalten ist dem ungewollt Geförderten nicht gem. § 8 Abs. 2 zurechenbar. Die lauterkeitsrechtlichen Ansprüche richten sich in dieser Konstellation nur gegen den Handelnden.

cc) Unternehmerbezogene Regelungen im UWG. Mit den Begriffen „Unternehmer“ und 655 „Mitbewerber“ ist stets der Unternehmensinhaber gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs. gemeint. Die diesen selbständigen Unternehmern nur gleichgestellten Personen werden von den be- 656 treffenden Vorschriften hingegen nur erfasst, wenn der begrenzte Regelungszweck des § 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs. dies gebietet. Die Vorschrift soll sicherstellen, dass die Förderung fremden Wettbewerbs durch Personen, die im Namen oder Auftrag eines Unternehmers handeln, dem UWG unterliegt. Dieser Regelungszweck ist insbesondere bei Tatbeständen zu gewährleisten, die der Umsetzung der UGPRL und der IrreführungsRL 2006 dienen. Explizit auf andere Personen als Unternehmensinhaber Bezug nimmt nur § 5a Abs. 3 Nr. 2 657 2. Alt., und zwar mit der Formulierung, dass ein Unternehmer für einen anderen Unternehmer handelt. Auch der Unternehmerbegriff in § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 31149 und Nr. 4 umfasst Personen, 1147 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 123. 1148 A.A. DiskE UWG 2008, 14 f. (aufgrund von § 8 Abs. 2 sei eine Umsetzung von Art. 2 lit. b 2. Hs. UGPRL nicht erforderlich); Jestaedt Rn. 86; Harte/Henning/Keller Rn. 250.

1149 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 121b.

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Definitionen

die im Namen oder Auftrag eines Unternehmensinhabers handeln und dabei über ihre Qualifikationen etc. oder Zulassungen irreführende Angaben machen. 658 Ob der Unternehmerbegriff in § 2 Abs. 1 Nr. 7 und § 3 Abs. 2 auch Personen meint, die im Namen oder Auftrag eines Unternehmers handeln, erscheint fraglich. Einerseits dienen die Vorschriften der Umsetzung von Art. 2 lit. h, 5 Abs. 1–4 UGPRL, die nur auf Gewerbetreibende i.S.v. Art. 2 lit. b UGPRL unter Einschluss der Gewerbetreibenden gleichgestellten Personen anwendbar sind. Andererseits stellt die Richtlinie auf die anständigen Marktgepflogenheiten ab, die unter selbständig agierenden Gewerbetreibenden herrschen. Die in ihrem Auftrag Handelnden vermögen keine entsprechenden Übungen zu prägen; sie sind daher keine Unternehmer i.S.v. §§ 2 Abs. 1 Nr. 7, 3 Abs. 2. Anders sind Personen zu beurteilen, die, ohne selbst Inhaber eines Unternehmens zu sein, einen fremden Unternehmer in dessen Namen fördern, ohne von ihm beauftragt worden zu sein.1150 Sie müssen die anständigen Marktgepflogenheiten genau so berücksichtigen wie das von ihnen ungewollt geförderte Unternehmen. 659 Die übrigen Bezugnahmen auf Unternehmer im UWG meinen gemäß ihrer Tatbestandsmerkmale nur Unternehmensinhaber oder betreffen den Zweck des § 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs. nicht, so dass sie teleologisch auf den eigentlichen Unternehmer gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs. zu reduzieren sind. Von vornherein nur auf selbständige Unternehmer passen die meisten Regelungen zu Verhaltenskodizes, zu denen sich nur selbständige Unternehmer und nicht ihre Vertreter oder Beauftragten verpflichten können,1151 § 7 Abs. 3 Nr. 1 und 21152 sowie bis auf eine Ausnahme die Vorschriften zu Unternehmern im Anhang zu § 3 Abs. 3.1153 Seinem Sinn und Zweck nach auf selbständig im Markt agierende Unternehmer beschränkt ist ferner § 4 Nr. 2.1154 Schon aus der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Nr. 3 folgt schließlich, dass das UWG mit Mit660 bewerbern stets nur die Unternehmensinhaber anspricht. Es sind jene, die in Ausübung ihrer unternehmerischen Handlungsfreiheit entscheiden, ob und mit welchen anderen Unternehmern sie als verantwortliche Anbieter oder Nachfrager von Produkten in ein konkretes Wettbewerbsverhältnis treten wollen. Wer nur Kraft der Fiktion des § 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs. als Unternehmer gilt oder gar fremden Wettbewerb aus eigenem Antrieb fördert, ist kein Mitbewerber i. S. d. UWG.1155 Folglich sind im Namen oder Auftrag eines Unternehmers handelnde Personen als solche nicht individuell anspruchsberechtigt.1156 Interessenkonflikte unter Mitarbeitern und Beauftragten unterliegen dem Deliktsrecht des BGB.

661 c) Tatbestandsvoraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs. § 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs. bezieht sich auf „jede Person, die im Namen oder Auftrag“ eines Unternehmensinhabers handelt. Die Person muss rechtsfähig sein. Ob sie selbst Inhaber eines Unternehmens gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs. ist oder nicht, ist ohne Belang. 662 Zu den Personen gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs. zählen zunächst alle, die im fremden Namen und im Auftrag eines Unternehmensinhabers dessen Wettbewerb fördern. Der Wortlaut spricht zwar vom Handeln im Namen „oder“ Auftrag. Sinn und Zweck der Norm gebieten aber, diejenigen Personen zu subsumieren, die typischerweise und besonders wirksam den Wettbe-

1150 Vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs. (im Namen „oder“ Auftrag). 1151 Siehe §§ 2 Abs. 1 Nr. 5, 5 Abs. 3 Nr. 6, Anhang Nr. 1 zu § 3 Abs. 3. Ein Vertreter oder Beauftragter kann aber unwahr angeben, ein Verhaltenskodex sei von einer öffentlichen oder anderen Stelle gebilligt (Anhang Nr. 3 zu § 3 Abs. 3). 1152 Siehe § 7 Abs. 3 Nr. 2 („eigene … Waren oder Dienstleistungen“). 1153 Nur Unternehmensinhaber betreffen Anhang Nr. 5, 6, 8, 11, 15, 23 („sein Geschäft“) zu § 3 Abs. 3. Auch Unternehmern gleichgestellte Personen meint Anhang Nr. 30 zu § 3 Abs. 3. 1154 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 122. 1155 Siehe Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 122; anders noch ders. Festschrift Hopt, S. 2825, 2835. 1156 Oben § 2 Rn. 401, 496 und BGH 17. 10. 2013 – I ZR 173/12 – WRP 2014, 552 Tz. 20 – Werbung für Fremdprodukte.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

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werb eines fremden Unternehmens unterstützen können, indem sie in dessen Namen und Auftrag agieren. Hierzu zählen namentlich Mitarbeiter, gesetzliche Vertreter1157 sowie sonstige, ggf. ihrerseits unternehmerisch agierende Beauftragte.1158 Weisungsabhängige Arbeitnehmer, die über keinen eigenen Entscheidungsspielraum verfügen, können Unternehmern hingegen nicht gleichgestellt werden; ihr Verhalten unterfällt nicht dem UWG.1159 Unternehmern gleichzustellen sind erst recht Personen, die fremden Wettbewerb zwar im 663 Auftrag eines Unternehmers fördern, dabei aber nach außen im eigenen Namen auftreten.1160 Selbiges gilt im umgekehrten Fall, wenn eine Person zwar im Namen eines anderen Unter- 664 nehmers agiert, hierzu aber nicht beauftragt war.1161 Allerdings ist solch eigenmächtiges Verhalten dem ungewollt Geförderten nicht zurechenbar, so dass dieser nicht gem. § 8 Abs. 2 in Anspruch genommen werden kann. Schließlich kann der Wettbewerb eines Unternehmers auch durch eine Person gefördert 665 werden, die weder im Namen des Geförderten auftritt noch in dessen Auftrag agiert. Verwiesen sei etwa auf die Äußerungen eines Lieferanten über einen angeblich besonders zuverlässigen Vertragspartner.1162 Seinem Wortlaut nach erfasst § 2 Abs. 1 Nr. 6 2. Hs. diese Konstellation nicht, da über einen anderen Unternehmer, aber nicht in dessen Namen gesprochen wird. Das Verhalten stellt aber eine geschäftliche Handlung zugunsten eines fremden Unternehmens gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 dar und unterfällt somit dem UWG. Dass die Passivlegitimation nach UWG weiter reicht als nach der UGPRL und der IrreführungsRL 2006, ist unbedenklich, da die Richtlinien insoweit keine abschließende Regelung vorsehen.1163

VII. § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG 1. Einführung a) Entstehungsgeschichte und umgesetzter Tatbestand der UGPRL. Der Begriff der un- 666 ternehmerischen Sorgfalt geht auf die UGPRL zurück, die ihn allerdings so nicht verwendet. Vielmehr wird in der deutschen, englischen und französischen Sprachfassung des Art. 2 lit. h) UGPRL der Begriff „berufliche Sorgfalt“ verwendet. Nach Art. 5 Abs. 2 UGPRL und § 3 Abs. 2 UWG ist der Verstoß gegen diese Sorgfalt eine der beiden Voraussetzungen der Unlauterkeit. Im UWG findet sich die Definition erst seit dem 1. UWG-ÄndG von 2008. Damals wurde die „berufliche Sorgfalt“ der UGPRL vom deutschen Gesetzgeber jedoch als „fachliche Sorgfalt“ bezeichnet, was die Gesetzesbegründung damit erklärt, dass ein Beruf nach deutschem Verständnis (oder deutscher Rechtsterminologie) nur von einer natürlichen Person ausgeübt werden könne, während die Sorgfaltspflichten des Unlauterkeitsrechts auch für juristische Personen gelten sollten.1164 Im Zuge der verbesserten Umsetzung der UGPRL durch das 2. UWG-ÄndG1165 wurde aus der „fachlichen“ die „unternehmerische Sorgfalt“, was im Regierungsentwurf noch gar nicht vorgesehen war.1166 Erst im Bericht des Rechtsausschusses wurde die Änderung mit der Begründung vorgeschlagen, sie sei sinnvoll, weil der Unternehmer Adressat der Sorgfaltspflicht sei,

1157 1158 1159 1160 1161 1162 1163 1164 1165 1166

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Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 6 Rn. G 46. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 121. Oben § 2 Rn. 100 f. Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 35 Rn. 6. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 121 (Wirksamkeit des Auftrags irrelevant). Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Nr. 6 Rn. G 42. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 119a, 121 f. Begr. zum RegE, BTDrucks. 16/10145, S. 21 f.; krit. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 2 Rn. 131. Vom 2. 12. 2015, BGBl. I S. 2158. Dazu eingehend Spengler S. 74 ff. m. w. N. Vgl. RegE, BTDrucks. 18/4535, S. 5, 10.

Fritzsche

§2

Definitionen

um die es in der Definition gehe.1167 Hintergrund für die sprachliche Änderung war die Kritik des Schrifttums an dem Begriff der fachlichen Sorgfalt, die unter anderem besagte, dass es inhaltlich eher um eine Art von „unternehmerischer“ Sorgfalt gehe, weshalb man die gesetzliche Definition entsprechend fassen solle.1168 Ein inhaltlicher Unterschied war damit nicht gemeint, sondern es handelte sich letztlich um eine Frage des Sprachempfindens. Der frühere Begriff der „fachlichen Sorgfalt“ hatte immerhin den Vorteil, dass er zum Ausdruck brachte, dass es nicht um eine Sorgfalt geht, die bei jedem Unternehmer und in jeder Situation identisch ist; immerhin ergibt sich dies aber aus den Einzelelementen, mit denen die unternehmerischfachlich-berufliche Sorgfalt sodann definiert wird. 667 Der Begriff der beruflichen bzw. unternehmerischen Sorgfalt war dem deutschen Unlauterkeitsrecht bis zur Schaffung der UGPRL unbekannt,1169 und so ist er zunächst auf ein bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbares allgemeines Unverständnis gestoßen, das teils bis heute andauert.1170 Inzwischen haben Rechtsprechung und Lehre aber begonnen, den Begriff mit Leben zu erfüllen und ihm die Rolle beizumessen, die er – wenn auch bislang nur für verbraucherbezogene geschäftliche Handlungen – nach Art. 5 Abs. 2 UGPRL und § 3 Abs. 2 UWG eigentlich haben sollte (dazu unten und Vorauflage Rn. 717 ff. noch umfassender Rn. 719 f.). Im Zuge des 2. UWG-ÄndG wollte der Gesetzgeber den Begriff sogar ursprünglich auch für die Unlauterkeit gegenüber sonstigen Marktteilnehmern und Mitbewerbern verwenden,1171 hat davon wegen zahlreicher Bedenken aus dem Schrifttum aber wieder Abstand genommen;1172 im Verhältnis zu Mitbewerbern dürfte dies richtig gewesen sein, im Verhältnis zu sonstigen Marktteilnehmern hätte man den Begriff wegen der im Regierungsentwurf zutreffend erläuterten Ähnlichkeiten1173 in modifizierter Weise gut verwenden können. 668 Der Begriff der beruflichen Sorgfalt war in Art. 2 lit. j) des Richtlinienvorschlags vom 18. 6. 2003 noch als „das Maß an Fachkenntnissen und Sorgfalt, das den Erfordernissen der im Binnenmarkt im Tätigkeitsbereich des Gewerbetreibenden üblichen Handelspraxis entspricht“, definiert.1174 Daran war kritisiert worden, dass das Abstellen auf das am Markt übliche Verhalten auch solche Geschäftspraktiken zulässig hätte machen können, die nach der Rechtstradition mehrerer Mitgliedstaaten und bei funktionaler Betrachtung als unlauter angesehen werden sollten.1175 Diese Gefahr ist durch die endgültige Definition, welche auf die anständigen Marktgepflogenheiten und den Grundsatz von Treu und Glauben verweist, in der Richtlinie vermieden worden, während die Formulierung des § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG in der Fassung von 2008 diese Klarstellung nicht in gleicher Weise zum Ausdruck brachte.1176 Gleichwohl bestand bei richtlinienkonformer Auslegung Einklang mit der in Deutschland schon seit längerem vorherrschenden Ansicht, dass das in einer Branche Übliche für die Beurteilung im Wettbewerbsrecht zwar von Bedeutung ist, aber allein nicht zur Unlauterkeit führen kann.1177 Durch das 2. UWG-ÄndG wurden die Definitionsmerkmale in § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG aber auch stärker an die Richtlinienvorgabe angepasst, sodass die erwähnten Probleme heute als behoben anzusehen sind. Insgesamt ist die Umsetzung von Art. 2 lit. h) UGPRL in § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG nun erst recht als richtlinienkonform 1167 Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. 18/6571, S. 13. 1168 So Köhler WRP 2013, 403, 405 (mit Neuformulierungsvorschlag auf S. 412); zust. GK-UWG²/Fritzsche § 2 Rn. 665, 670.

1169 JurisPK/Ernst § 2 Rn. 50; jurisPK/Ullmann § 3 Rn. 21. 1170 Vor allem Henning-Bodewig WRP 2010, 1094, 1099 sowie WRP 2011, 1014, 1016 f. und GRUR 2013, 238, 242 m. w. N.

1171 Vgl. RegE, BTDrucks. 18/4535, S. 5, 10. – Dafür zum österreichischen § 1 UWG in st. Rspr. der öOGH, etwa OGH 17. 9. 2014 − 4 Ob 62/14t – wbl 2015, 1715, 716; OGH 21. 12. 291017 – 4 Ob 96/17x – wbl 2018, 169, 171 f. m. w. N. Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. 18/6571, S. 4 f., 13 f. Vgl. RegE, BTDrucks. 18/4535, S. 10. KOM (2003) 256 endg. Harte/Henning/Glöckner Einl. B Rn. 266 ff.; Scherer WRP 2009, 761, 764 f. Ebenso Helm WRP 2013, 710 Rn. 12–15. BGH 7. 2. 2006 – KZR 33/04 – BGHZ 166, 154 Tz. 19 m. w. N. = GRUR 2006, 773 – Probeabonnement.

1172 1173 1174 1175 1176 1177

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B. Die Definitionen im Einzelnen

§2

anzusehen, auch wenn weiterhin nicht von „beruflicher Sorgfalt“ die Rede ist, da es nicht auf die Wortwahl ankommt, solange die Vorgabe des EU-Rechts ihrem Inhalt nach im nationalen Recht korrekt abgebildet wird, woran man angesichts der weitgehenden Übereinstimmung bei den Definitionselementen kaum zweifeln kann.

b) Inhalt und Zweck der Regelung. Die Definitionsnorm legt fest, was im UWG unter dem 669 Begriff der unternehmerischen Sorgfalt zu verstehen ist. Die unternehmerische Sorgfalt legt in § 3 Abs. 2 UWG vor allem den allgemeinen Maßstab für die Unlauterkeit geschäftlicher Handlungen von Unternehmern gegenüber Verbrauchern fest und ist insofern Teil einer aus Art. 5 Abs. 2 UGPRL (im UWG 2008 zunächst noch etwas halbherzig) übernommenen Definition der Unlauterkeit. Ein Verstoß gegen die unternehmerische Sorgfalt allein reicht gemäß § 3 Abs. 2 UWG (Art. 5 Abs. 2 UGPRL) jedoch noch nicht aus, um die Unlauterkeit zu begründen, sondern es muss noch eine Art von „geschäftlicher Relevanz“ hinzukommen.1178 Soweit eine geschäftliche Handlung einen spezielleren Unlauterkeitstatbestand erfüllt, gibt es wenig Anlass, auf den Verstoß gegen die unternehmerische Sorgfalt einzugehen, weil dieser dann in den spezielleren Tatbeständen von Gesetz und Richtlinie näher typisiert ist.1179 Insgesamt glaubte der Gesetzgeber vor diesem Hintergrund nicht ganz zu Unrecht, dass sich durch die von der Richtlinie geforderte Einführung des neuen Begriffs im Rahmen der Unlauterkeit geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern im Vergleich zum bisherigen Rechtszustand nicht viel ändern würde.1180 In Art. 2 lit. h) UGPRL findet sich die Definition der beruflichen Sorgfalt, die der deutsche 670 Gesetzgeber in § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG nicht wörtlich, sondern sinngemäß übernommen hat. Denn nach der Richtliniendefinition meint die berufliche Sorgfalt den „Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt, bei denen billigerweise davon ausgegangen werden kann, dass der Gewerbetreibende sie gegenüber dem Verbraucher gemäß den anständigen Marktgepflogenheiten und/oder dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben in seinem Tätigkeitsbereich anwendet“. Der deutsche Gesetzgeber hatte zunächst, ohne dies zu begründen, bei der Umsetzung in § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG 2008 nicht nur das Attribut „beruflich“ durch „fachlich“ ersetzt (dazu oben Rn. 666), sondern hat in der eigentlichen Definition auch den Hinweis auf die anständigen Marktgepflogenheiten weggelassen1181 und damit aus der Definition der Unlauterkeit einen wesentlichen Bestandteil eliminiert, der in der Formel der Rechtsprechung zur Unlauterkeit und dem ihr zugrundeliegenden Art. 10bis Abs. 2 PVÜ seit langem enthalten war. Offenbar hat der deutsche Gesetzgeber sich insofern 2008 mehr von den im Kontext des Unlauterkeitsrechts nicht ganz passenden Formulierungen in den §§ 157 und 242 BGB leiten lassen1182 und wollte möglicherweise auch einen Rückfall in einen als antiquiert empfundenen Sprachgebrauch vermeiden, von dem man sich erst mit dem UWG 2004 verabschiedet hatte.1183 Dennoch war auch die Umsetzung von 2008 als richtlinienkonform anzusehen.1184 Durch das 2. UWG-ÄndG wurde die Definition aber stärker an Art. 2 lit. h) UGPRL angepasst, sodass nun auch im nationalen Recht auf die „anständigen Marktgepflogenheiten“ verwiesen wird. 1178 BGH 9. 9. 2010 – I ZR 157/08 – GRUR 2011, 431 Tz. 15 m. w. N. – FSA-Kodex I; OLG München 9. 6. 2011 – 29 U 2026/08 – WRP 2012, 347, 349 – Arzt-Seminare.

1179 Köhler WRP 2012, 638, 639; ähnlich Steinbeck WRP 2011, 1221, 1223 f. Vgl. auch den Hinweis von Alexander WRP 2012, 515, 517 zum Urteil und den Schlussanträgen in der Sache EuGH 15. 3. 2012 – C-453/10 – Slg. 2012, I0000 = GRUR 2012, 639 – Pereničová und Perenič/SOS. 1180 Begr. des RegE zum 1. UWG-ÄndG, BTDrucks. 16/10145, S. 27. 1181 Bedauernd auch Harte/Henning/Keller § 2 Rn. 181a. 1182 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 2 Rn. 130. 1183 Vgl. insofern Begr. zum RegE des UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 16; krit. zur Wortwahl von Gesetz und Richtlinie Boesche WRP 2011, 1345, 1352 (allerdings ohne Idee, wie man sonst formulieren könnte). 1184 Vgl. GK-UWG²/Fritzsche § 2 Rn. 670.

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§2

Definitionen

Was den geltenden Normtext angeht, so trägt die nun geltende Terminologie des UWG dem Umstand Rechnung, dass der Inhalt der Definition es nahelegt, von „unternehmerischer Sorgfalt“ zu sprechen.1185 Dies gilt umso mehr, als § 347 Abs. 1 HGB seit jeher auf die „Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns“ verweist, was in eine ähnliche Richtung deutet,1186 wenn man von der rechtspolitisch seit langem umstrittenen Beschränkung des HGB auf ein Kaufmannsanstelle eines echten Unternehmensrechts absieht. Gleichwohl zeigt der überlieferte Sorgfaltsmaßstab des HGB, dass ein Begriff wie die fachliche oder berufliche Sorgfalt dem deutschen Recht nicht völlig unbekannt ist und deshalb auch im Rahmen des UWG fruchtbar gemacht werden kann.1187 Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass er für das deutsche Unlauterkeitsrecht immer noch relatives Neuland darstellt, auch wenn der BGH den Gedanken des Verstoßes gegen kaufmännische Sorgfaltspflichten bereits deutlich früher bei der Beurteilung einer nicht ausreichenden Bevorratung von Aktionswaren herangezogen hatte.1188 Ansonsten finden sich Ansätze in diese Richtung allenfalls noch im Kontext der Werbung mit Testergebnissen,1189 auf die nach dem 1. UWG-ÄndG der Sache nach zurückgegriffen werden konnte.1190 Auch die Kommission hat in ihrem Richtlinienvorschlag ganz ähnliche Erwägungen angestellt und Bezug auf „den Begriff des ordnungsgemäßen Geschäftsgebarens, den man in den Rechtssystemen der meisten Mitgliedstaaten finden kann“, genommen, und diesen Begriff erläutert als „das Maß an Sorgfalt und Sachkenntnis, das von einem ordentlichen Kaufmann gemäß den allgemein anerkannten Regeln des Handelsbrauchs in seiner besonderen Branche zu erwarten ist.“1191 Versteht man die unternehmerische Sorgfalt in diesem Sinne, erlangt sie aber im Ergebnis auch Bedeutung für den von der UGPRL an sich nicht erfassten B2B-Bereich, etwa wenn es um die unzutreffende oder fehlende Information über Kundenbeschwerdesysteme geht, deren Fehlen nicht nur nach § 5a Abs. 4 UWG, sondern auch nach §§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 5a Abs. 1 UWG irreführend sein kann,1192 oder wenn ein Unternehmen seinen Kunden Leistungen eines Mitbewerbers anbietet, dabei entgegen § 5a Abs. 3 Nr. 4 UWG aber die AGB des Mitbewerbers nicht zugänglich macht.1193 672 Der Begriff der unternehmerischen Sorgfalt bedarf einer richtlinienkonformen Auslegung, soweit er der Vorgabe in Art. 2 lit. h) UGPRL nicht vollständig entspricht;1194 allerdings ist die Abweichung seit dem 2. UWG-ÄndG nur noch vergleichsweise gering: So verlangt die Richtlinie vom Unternehmer, dass er dem Verbraucher gegenüber die Sorgfalt „gemäß den anständigen Marktgepflogenheiten und/oder dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben in seinem Tätigkeitsbereich anwendet“, während es im UWG – der deutschen Formulierungstradition etwa des BGB entsprechend – auf die Einhaltung der Standards „nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der anständigen Marktgepflogenheiten“ ankommt. Gegen das Erfordernis einer richtlinienkonformen Auslegung spricht nicht etwa, dass der Sorgfaltsbegriff des Unionsrecht, 671

1185 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 2 Rn. 131. 1186 KG 30. 3. 2009 – 24 U 145/08 – WRP 2010, 129, 141 f. = GRUR-RR 2010, 22 – JACKPOT!; KG 12. 8. 2009 – 24 U 40/09 – WRP 2010, 142, 148; jeweils im Anschluss an Köhler/Bornkamm27 § 3 Rn. 40; ebenso Köhler GRUR 2010, 767, 773. 1187 Ähnlich Emmerich § 5 Rn. 26; s. auch Harte/Henning/Keller § 2 Rn. 183; eingehend Peukert § 3 Rn. 276 ff. m. w. N. 1188 BGH 27. 5. 1982 – I ZR 35/80 – GRUR 1982, 681 – Skistiefel, BGH 21. 4. 1983 – I ZR 15/81 – GRUR 1983, 582 – Tonbandgerät; BGH 18. 4. 1985 – I ZR 155/83 – GRUR 1985, 980 – Tennisschuhe; BGH 25. 6. 1992 – I ZR 136/90 – GRUR 1992, 858 – Clementinen; BGH 16. 3. 2000 – I ZR 229/97 – GRUR 2002, 187, 188 f. – Lieferstörung. 1189 OLG Frankfurt 30. 10. 2008 – 16 U 237/07 – LMuR 2008, 155, 158. 1190 BGH 16. 7. 2009 – I ZR 50/07 – GRUR 2010, 248 Tz. 32 – Kamerakauf im Internet: Gebot zur klaren Angabe einer Fundstelle bei der Werbung mit Testergebnissen. 1191 Richtlinienvorschlag der Kommission v 18. 6. 2003, KOM (2003) 356 endg., Rn. 53. 1192 Hoeren WRP 2009, 789, 792. 1193 OLG Hamburg 24. 10. 2012 – 5 U 38/10 – juris Tz. 245 = BeckRS 2012, 22946. 1194 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 2 Rn. 130, § 3 Rn. 3.1 ff.; ferner Helm WRP 2013, 710, 713 (Rn. 13–15); eingehend Spengler S. 141 ff. m. w. N.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

§2

soweit er der Rechtsprechung des EuGH zu verschiedenen Rechtsgebieten entnommen werden kann,1195 im Ergebnis funktional zu bestimmen ist,1196 und sich auch dem Gesamtkontext des UWG entnehmen lassen dürfte, worauf sich der objektive Begriff1197 der Sorgfalt bezieht. Zu betonen ist allerdings, dass eine richtlinienkonforme Auslegung auch bei den Begriffen „anständige Marktgepflogenheiten“, „Treu und Glauben“ und „gängige Marktpraxis“ erfolgen muss,1198 die dem deutschen Recht seit langem vertraut sind, aber im Kontext der Richtlinie unter Umständen etwas anders zu verstehen sein könnten, als es der deutschen Rechtsprechungstradition entspricht. Sicherlich ist diese Gefahr sehr gering, zumindest soweit die Begriffe aus Art. 10bis PVÜ stammen. Trotz der Notwendigkeit einer richtlinienkonformen Auslegung ist es Sache der nationalen Gerichte, die konkreten Anforderungen der beruflich-unternehmerischen Sorgfalt und einen eventuellen Verstoß gegen diese festzustellen,1199 da der EuGH insofern nur Hinweise geben kann.1200

c) Anwendungsbereich und Bedeutung. Nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut gilt die Defini- 673 tionsnorm nur für geschäftliche Handlungen von Unternehmern gegenüber Verbrauchern, wie es auch dem Anwendungsbereich der UGPRL entspricht. In § 3 Abs. 2 UWG bildet die unternehmerische Sorgfalt den einen Teil der Unlauterkeitsdefinition, die aus Art. 5 Abs. 2 UGPRL übernommen worden ist. Gleichwohl spricht viel dafür, dass der Begriff der unternehmerischen Sorgfalt auch außerhalb des B2C-Bereichs in Zukunft Bedeutung erlangen könnte.1201 Zwar ist in der Literatur auch die Ansicht vertreten worden, die berufliche bzw. unternehmerische Sorgfalt statuiere keine Verhaltenspflichten von Unternehmern gegenüber Verbrauchern, sondern solle (im Rahmen von § 3 Abs. 2 UWG) lediglich bestimmte Handlungen vom Unlauterkeitsverdikt ausnehmen.1202 Dagegen spricht aber die Formulierung in § 3 Abs. 2 UWG, der in Übereinstimmung mit Art. 5 Abs. 2 UGPRL die unternehmerische bzw. berufliche Sorgfalt zum maßgeblichen Unlauterkeitskriterium erklärt.1203 Dem entspricht es, wenn der EuGH zu pauschalen nationale Verboten, die weder in den Art. 5 bis 9 noch im Anhang der UGPRL eine Entsprechung finden, auf die Notwendigkeit hinweist, die Unlauterkeit im Einzelfall festzustellen und dabei auch zu überprüfen, ob die Geschäftspraxis den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt entspricht.1204 Gleichwohl beschränkt die nationale Rechtsprechung sich bislang meist darauf, der unternehmerischen Sorgfalt nur bei geschäftlichen Handlungen gegenüber Verbrauchern Bedeutung beizumessen, selbst wenn ein Verstoß gegen Marktverhaltensregeln vorliegt.1205 Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass die unternehmerische Sorgfalt auch für die Unlauterkeit durch das Vorenthalten wesentlicher Informationen von Bedeutung ist, denn nach § 5a Abs. 3 Nr. 4 UWG (Art. 7 Abs. 4 lit. d) UGPRL) zählen zu diesen Informationen „Zahlungs-, Liefer- und Leis1195 1196 1197 1198 1199 1200

So eingehend Dohrn Rn. 259 ff., 287 ff. Dohrn Rn. 320 ff., 519 ff. Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Abs. 1 Nr. 7 Rn. 3 m. w. N. Vgl. BeckOK UWG/Alexander § 2 Rn. 375. EuGH 7. 9. 2016 – C-310/15 – GRUR 2016, 1180 Tz. 37 – Vincent Deroo-Blanquart/Sony Europe Limited. BeckOK UWG/Alexander § 2 Rn. 376 unter Hinweis auf EuGH 7. 9. 2016 – C-310/15 – GRUR 2016, 1180 Tz. 37 – Vincent Deroo-Blanquart/Sony Europe Limited. 1201 Ebenso Harte/Henning/Keller § 2 Rn. 180; Harte/Henning/Podszun § 3 Rn. 60; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 2 Rn. 135; Köhler WRP 2012, 22, 31. 1202 Scherer WRP 2009, 761, 765. 1203 Köhler WRP 2009, 898, 909 Fn. 69. 1204 Besonders deutlich EuGH 9. 11. 2010 – C-540/08 – Slg 2010, I-10909 = GRUR 2011, 76 Tz. 46 – Mediaprint/ Österreich-Zeitungsverlag; weniger deutlich EuGH 23. 4. 2009 – C-261/07, C-299/07 – Slg. 2009, I-2949 = GRUR 2009, 599 Tz. 52 ff., 54, 65 – VTB/Total Belgium und Galatea/Sanoma; EuGH 14. 1. 2010 – C-304/08 – Slg 2010, I-217 = GRUR 2010, 244 Tz. 43 ff., 47, 53 – Plus Warenhandelsgesellschaft; EuGH 30. 6. 2011 – C-288/10 – Slg 2011, I-5835 = GRUR Int. 2011, 853 Tz. 35 ff., 38 f. – Wamo/JBC und Modemakers Fashion. 1205 Vgl. OLG Köln 31. 5. 2010 – 6 U 150/09 – GRUR-RR 2011, 113, 116 – Dithianon.

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Definitionen

tungsbedingungen sowie Verfahren zum Umgang mit Beschwerden, soweit sie von Erfordernissen der unternehmerischen Sorgfalt abweichen“. 674 Nimmt man die Zentralnorm des europäischen Unlauterkeitsrechts, also Art. 5 Abs. 1 und 2 UGPRL zum Maßstab, so besteht die Unlauterkeit aus zwei Elementen (vgl. dazu § 3 Rn. 410, 431 ff.), nämlich dem Verstoß gegen die berufliche Sorgfalt und seiner (zusätzlich erforderlichen1206) Eignung, das wirtschaftliche Verhalten eines Durchschnittsadressaten wesentlich zu beeinflussen.1207 Dem folgt die Umsetzung der UGPRL in § 3 Abs. 2 UWG für verbraucherbezogene geschäftliche Handlungen. Die Unlauterkeit besteht damit auch auf nationaler Ebene heute in erster Linie aus dem Verstoß gegen die berufliche bzw. unternehmerische Sorgfalt, gepaart mit der Eignung zur Beeinflussung einer geschäftlichen Entscheidung des Verbrauchers.1208 Der europäische Gesetzgeber hat auf diese Weise einen modernen Begriff zur Umschreibung der Unlauterkeit geprägt, der im UWG (bislang nur) für geschäftliche Handlungen gegenüber Verbrauchern übernommen wurde: Es kommt nicht (mehr) auf einen Verstoß gegen die heute als antiquiert geltenden „guten Sitten“ an, den § 1 UWG 1909 zum Unlauterkeitstatbestand erhob.1209 Dieser alte Begriff war wenig konturiert und abstrakt kaum zu konkretisieren, obwohl das deutsche Schrifttum dies jahrzehntelang mit zahlreichen Ansätzen immer wieder erfolglos versucht hat,1210 ohne dadurch nennenswerte Impulse für die Rechtsanwendung liefern zu können: Vor der Aufgabe des Begriffs der guten Sitten in § 3 UWG 2004 konnte am Ende immerhin als sicher gelten, dass die guten Sitten im Kontext des UWG eine andere Funktion und damit Bedeutung haben müssten als in § 138 Abs. 1 BGB für die Rechtsgeschäftslehre, während sich zu § 826 BGB immerhin ein gewisser historischer Bezug herstellen ließ.1211 Ansonsten hat sich die überwiegende Auffassung zu § 1 UWG 1909 zuletzt mit einem Verweis auf die bereits in Art. 10bis PVÜ zu findende Anstandsformel und die Bildung von Fallgruppen beschränkt, die den unbestimmten Rechtsbegriff der guten Sitten im Hinblick auf die Schutzzwecke des UWG konkretisierten.1212 Insofern verwundert es nicht, dass im UWG 2004 eine Definition der Unlauterkeit fehlte, weil man sich nicht einigen konnte, sodass letztlich in § 3 UWG 2004 einfach unlautere Wettbewerbshandlungen (bei Hinzutreten einer gewissen Erheblichkeit für die nach § 1 UWG geschützten Interessen) für unzulässig erklärt wurden, ohne einen Versuch zu machen, den Begriff inhaltlich in irgendeiner Weise – und sei es durch die Anstandsformel – zu konkretisieren. Im Vergleich dazu kann man durchaus einen Fortschritt darin sehen, dass der europäische Gesetzgeber eine modernere Umschreibung gewählt und die Unlauterkeit in erster Linie an den Verstoß gegen die berufliche Sorgfalt geknüpft hat. Natürlich kann man dagegen einwenden, der Begriff „passe“ aus deutscher Sicht nicht oder sei zumindest ungewöhnlich, doch wird jeder Versuch einer Definition der Unlauterkeit Kritik heraufbeschwören; insofern sei auf die für die Rechtsanwendung weithin fruchtlosen Bemühungen zur Sittenwidrigkeit in § 1 UWG

1206 Fezer WRP 2010, 677, 681; Harte/Henning/Keller § 2 Rn.184; Köhler WRP 2012, 22, 25. 1207 Ebenso Harte/Henning/Keller § 2 Rn. 184. 1208 Ähnlich OLG Frankfurt 25. 3. 2010 – 6 U 219/09 LMRR 2010, 81 – Whiskey-Cola (am Ende); Berlit WRP 2011, 1225, 1228; Köhler GRUR 2010, 767, 773 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 5.8; Kulka DB 2008, 1548, 1553; Ohly/ Sosnitza § 3 Rn. 79 ff. 1209 RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 15; siehe dazu auch Einl. A Rn. 26, 124 sowie Einl. C Rn. 286 ff. 1210 Dazu jeweils m. w. N. umfassend GK-UWG1/Schünemann Einl. D Rn. 1 – 116; ferner Baumbach/Hefermehl Einl. UWG a. F. Rn. 66 ff., 84 ff.; Einl. B Rn. 32 ff. 1211 Vgl. zuletzt BGH 14. 5. 1998 – I ZR 10/96 – GRUR 1998, 945, 946 f. m. w. N. – Co-Verlagsvereinbarung; vgl. auch BGH 26. 4. 2001 – I ZR 314/98 – BGHZ 147, 296, 303 = GRUR 2001, 1178 – Gewinn-Zertifikat; GK-UWG1/Schünemann Einl. D Rn. 1, 7 m. w. N.; Köhler/Piper Einf. UWG a. F. Rn. 262 m. w. N. 1212 S. etwa BGH 3. 12. 1998 – I ZR 119/96 – BGHZ 140, 134, 138 f., 145 f. = GRUR 1999, 1128– Hormonpräparate; BGH 6. 10. 1999 – I ZR 46/97 – GRUR 2000, 237, 238 – GiftnotrufBox; BGH 26. 4. 2001 – I ZR 314/98 – BGHZ 147, 296, 303 = GRUR 2001, 1178 – Gewinn-Zertifikat; näher jeweils m. w. N. Baumbach/Hefermehl Einl. UWG aF Rn.109 ff. sowie § 1 UWG a. F. Rn. 2 f., 4 ff.; Emmerich FS Gernhuber, S. 857, 859; Köhler/Piper Einf. UWG a. F. Rn. 271 ff., § 1 UWG a. F. Rn. 9.

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B. Die Definitionen im Einzelnen

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1909 verwiesen.1213 Überdies erweist sich der Begriff der beruflichen bzw. unternehmerischen Sorgfalt auch für andere Rechtsordnungen als fremd oder jedenfalls im Kontext des Marktverhaltens ungebräuchlich.1214 Somit hat er als Vorgabe für die Rechtsvereinheitlichung im Unlauterkeitsrecht den nicht zu unterschätzenden Vorteil, in keiner Rechtsordnung mit einem Vorverständnis oder einer Rechtspraxis in Zusammenhang zu stehen, die möglicherweise mit Intentionen des Richtliniengebers und dem objektiven Regelungsgehalt der UGPRL in Widerspruch stehen könnten. Mit den Definitionselementen der „anständigen Marktgepflogenheiten“, des Grundsatzes von „Treu und Glauben“ und der „gängige[n] Marktpraxis“ knüpft die Definition allerdings an Rechtsbegriffe an, die in Rechtsvorschriften einiger Mitgliedstaaten zuvor bereits enthalten und somit anerkannt waren.1215 Diese Grundsätze sollen die Geltung normativer Werte bei der jeweiligen speziellen wirtschaftlichen Tätigkeit unterstreichen.1216 Im deutschen Schrifttum wurde die (zunächst) „fachliche Sorgfalt“ von Anfang an kritisiert: 675 Der Begriff „passe“ aus deutscher Sicht nicht oder sei zumindest ungewöhnlich.1217 Von der Wortwahl abgesehen mag man an der beruflichen bzw. unternehmerischen Sorgfalt als Ansatzpunkt für die Beurteilung eines Marktverhaltens zweierlei kritisieren: Zum einen deutet – jedenfalls aus Sicht der deutschen Rechtssprache – der Begriff der beruflichen bzw. unternehmerischen Sorgfalt in die Richtung des Haftungs- und des Leistungsstörungsrechts.1218 Das muss aber nicht bedeuten, dass man das Kriterium – angepasst an die dortigen Funktionen und Schutzzwecke – nicht auch im Unlauterkeitsrecht fruchtbar machen könnte. Natürlich verbleibt für den deutschen Juristen das Problem, dass die „berufliche Sorgfalt“ eher noch an die Fahrlässigkeitsdefinition des § 276 Abs. 2 BGB erinnert und somit zwangsläufig einen gewissen Verschuldensbezug erhält, auf den es für die Feststellung eines objektiven Wettbewerbsverstoßes nicht ankommen kann. Indes bleibt zu hoffen, dass der deutsche Jurist gleichwohl in der Lage ist, mit dem neuen Begriff der unternehmerischen Sorgfalt im Unlauterkeitsrecht umzugehen.1219 Zum anderen kann man gegen den Maßstab der unternehmerischen Sorgfalt einwenden, 676 dass er höchst unklar bleibt, weil seine Definition wegen der in ihr enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe keine allzu große Konkretisierung mit sich bringt.1220 Dies ist zwar nicht falsch, liegt aber in der Natur der Sache: Ein Unlauterkeitsrecht muss, wie die Erfahrungen mit dem UWG 1896 gezeigt haben, auf unbestimmte Rechtsbegriffe und eine Generalklausel zurückgreifen. Die nähere Konkretisierung erfolgt entweder durch Beispielstatbestände wie in den Art. 6 bis 9 UGPRL und dem Richtlinien-Anhang1221 bzw. in den §§ 4 bis 6 UWG sowie dem UWG-Anhang1222 oder durch die Fallgruppenbildung in Rechtspraxis und Rechtswissenschaft. Die Bezugnahme auf eine berufliche bzw. unternehmerische Sorgfalt zeigt aber immerhin, welche Aspekte für die Unlauterkeit überhaupt relevant sein können, nämlich die Einhaltung professioneller Standards, die auf die Belange des jeweiligen Marktpartners – insbesondere Ver1213 1214 1215 1216

Dazu ausführlich insbesondere GK-Voraufl./Schünemann Einl. D Rn. 1 – 136 m. w. N. Vgl. Dohrn Rn. 442 ff., 519 m. w. N. BeckOK UWG/Alexander § 2 Rn. 374. Kommission, Leitlinien zur Umsetzung/Anwendung der Richtlinie 2005/29 über unlautere Geschäftspraktiken, SWD(2016) 163 final, 63; BeckOK UWG/Alexander § 2 Rn. 274. 1217 Vgl. zu dieser Kritik eingehend Spengler S. 137 ff. m. w. N. 1218 So Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 38 Rn. 4; Harte/Henning/Glöckner Einl. B Rn. 265 m.Nachw. auch zu anderen EU-Staaten; Harte/Henning/Podszun § 3 Rn. 80; Goldhammer S. 42 f.; Henning-Bodewig WRP 2011, 1014, 1017; Scherer WRP 2009, 761, 765. 1219 Vgl. auch die Kritik von Sosnitza FS Köhler, 2014, S. 685, 691 an EuGH 19. 9. 2013 – C-435/11 – GRUR 2013, 1157 Tz. 43 ff. – CHS Tour Services /Team4 Travel. 1220 So oder ähnlich Böhler WRP 2011, 1028, 1034; Emmerich § 5 Rn. 27; Götting/Nordemann § 2 Rn. 56; HenningBodewig WRP 2011, 1014, 1017; Kulka DB 2008, 1548, 1553 f. 1221 So letztlich EuGH 23. 4. 2009 – C-261/07 (u. a.) – Slg. 2009, I-2949 = GRUR 2009, 599 Tz. 54 ff. – VTB/Total Belgium u. Galatea/Sanoma; Köhler GRUR 2009, 626, 631. 1222 Köhler GRUR 2009, 626, 631 und WRP 2012, 22, 29.

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brauchers – Rücksicht nehmen.1223 Insofern kann man nicht ernsthaft annehmen, der Begriff der unternehmerischen Sorgfalt sei nicht operational,1224 denn dies müsste man für den Begriff der Unlauterkeit als solchen ohne nähere Konkretisierung ebenso behaupten. Zudem helfen die Konkretisierungen, die Art. 5 Abs. 5 und 6 bis 9 UGPRL geben, über die zunächst aufgetretene Irritation angesichts des zunächst neuen Begriffs hinweg. Auch der nationale Gesetzgeber hat grundsätzlich die Möglichkeit, die unternehmerische Sorgfalt durch zumutbare Verhaltenspflichten für Unternehmer zu konkretisieren, die den wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher Rechnung tragen, soweit er sich dabei an den Handlungsrahmen hält, den ihm das Unionsrecht belässt,1225 also vor allem im nicht harmonisierten Bereich.1226 Insbesondere darf der nationale Gesetzgeber also nur die unternehmerische Sorgfalt näher ausgestalten, nicht aber eine per-se-Unlauterkeit ohne Klärung der Eignung zur Beeinflussung der Verbraucherentscheidung im Einzelfall vorsehen.1227 Insgesamt kommt dem Begriff der unternehmerischen Sorgfalt somit zentrale Bedeutung 677 für die Beurteilung der Unlauterkeit von geschäftlichen Handlungen zu, denen weder die UGPRL noch das UWG konkretere Tatbestände widmet.1228 Der Maßstab der beruflich-unternehmerischen Sorgfalt eignet sich dabei nicht nur, wie es § 3 Abs. 1 und 2 UWG heute nahelegt, für die Beurteilung verbraucherbezogener geschäftlicher Handlungen, sondern in einem weiteren Umfang für das Verhalten eines Unternehmers im konkreten Verhältnis zu Angehörigen der Marktgegenseite, also auch anderen Unternehmern als „sonstigen Marktteilnehmern“.1229 Dies ist während des Gesetzgebungsverfahrens zum 2. UWG-ÄndG in den Jahren 2014/15 intensiver diskutiert worden, als man darüber nachgedacht hat, die Unlauterkeit in § 3 UWG allgemein näher zu beschreiben. Wie hier bereits in der Vorauflage, wurde durchaus erwogen, den Verstoß gegen die unternehmerische Sorgfalt für die Beurteilung geschäftlicher Handlungen nicht nur gegenüber Verbrauchern, sondern gegenüber der Marktgegenseite insgesamt zum Maßstab zu erklären, dies ergänzt durch die in § 3 Abs. 2 UWG (Art. 5 Abs. 2 lit. b) UGPRL) geforderte Eignung, das wirtschaftliche Verhalten des Adressaten wesentlich zu beeinflussen. Denn in zahlreichen Konstellationen ergeben sich hinsichtlich der Interessenlage keine nennenswerten Unterschiede zwischen Verbrauchern und Unternehmern, man denke nur an irreführende oder aggressive Geschäftspraktiken; bei diesen beiden Kategorien sind Verbraucher und sonstige Marktteilnehmer in den §§ 4a – 5a Abs. 1 gleichgestellt, bei den (von der UGPRL nicht erfassten) unzumutbaren Belästigungen gilt dies sogar auch für Mitbewerber. So spielt es bei einem Anruf durch ein Meinungsforschungsunternehmen zur Ermittlung der Kundenzufriedenheit letztlich für die Frage der Belästigung keine ausschlaggebende Rolle, ob ein Verbraucher oder ein Unternehmer befragt werden soll.1230 Insgesamt kann der objektive Maßstab der unternehmerischen Sorgfalt in einzelnen Konstellationen sogar dazu führen, dass geschäftliche Handlungen über das früher in Deutschland übliche Maß hinaus als unlauter anzusehen sein könnten. Dass die Definition der unternehmeri1223 1224 1225 1226 1227

Ähnlich Harte/Henning/Keller § 2 Rn. 181a. So jedoch Harte/Henning2/Schünemann § 3 Rn. 190. BGH 5. 6. 2008 – I ZR 4/06 – GRUR 2008, 807 Tz. 20 – Millionen-Chance I; Köhler WRP 2012, 22, 25 ff., 30 f. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 3.17. St. Rspr., zuletzt EuGH 17. 1. 2013 – C-206/11 – GRUR 2013, 297 Tz. 35 ff., 49 – Köck, m. w. N.; ebenso Glöckner GRUR 2013, 224, 232 f. 1228 Ebenso für die UGPRL EuGH 9. 11. 2010 – C-540/08 – Slg 2010, I-10909 = GRUR 2011, 76 Tz. 46 – Mediaprint/ Österreich-Zeitungsverlag; EuGH 19. 9. 2013 – C-435/11 – GRUR 2013, 1157 Tz. 31 ff. – CHS Tour Services/Team4 Travel; EuGH 16. 4. 2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 62 f. – UPC Magyarország; EuGH 7. 9. 2016 – C-310/15 – GRUR 2016, 1180 Tz. 30 ff. – Deroo-Blanquart/Sony. 1229 Ebenso für Handlungen gegenüber Verbrauchern bzw. sonstigen Marktteilnehmern Köhler WRP 2012, 22, 23 ff., 31; ähnlich Harte/Henning/Keller § 2 Rn. 180, 184; Ohly/Sosnitza § 3 Rn. 75. – A.A. Kulka DB 2008, 1548, 1554, der aus der Unlauterkeit auf den Sorgfaltsverstoß schließen will. 1230 Vgl. die Ausführungen in OLG Köln 30. 3. 2012 – 6 U 191/11 – WRP 2012, 725, 727 f. – Telefonanruf durch Meinungsforschungsinstitut.

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schen Sorgfalt als für die Unlauterkeit zumindest gegenüber Verbrauchern zentrales Tatbestandsmerkmal durch sehr unbestimmte Rechtsbegriffe gekennzeichnet ist, mag man zwar als unbefriedigend ansehen, doch werden immerhin gewisse Kriterien genannt, die für die Unlauterkeit maßgeblich sind, was über die Situation unter § 3 UWG 2004 hinausgeht, der es beim reinen Begriff der Unlauterkeit beließ (wie heute § 3 Abs. 1 UWG auch). Dabei sind die Elemente der unternehmerischen Sorgfalt im Vergleich zu den guten Sitten des § 1 UWG 1909 oder den anständigen Marktgepflogenheiten des Art. 10bis PVÜ immerhin weniger antiquiert und zumindest etwas besser geeignet, den entscheidenden Gesichtspunkt zum Ausdruck zu bringen: Es geht im Unlauterkeitsrecht nicht etwa um Fragen der allgemeinen Moral, sondern um ein professionelles Verhalten bei der Marktteilnahme, um eine europäische Geschäftsethik als Teil eines Systems unverfälschten Wettbewerbs.1231 Der auf den ersten Blick für das deutsche Unlauterkeitsrecht immer noch recht neue Begriff 678 der unternehmerischen Sorgfalt eignet sich zudem, altbekannte Rechtsinstitute aus der Zeit des UWG 1909 mit neuem Leben zu füllen. Namentlich ist hier an den sog. Rechtsbruch zu denken, der wegen der von § 1 UWG vorgegebenen Schutzzwecke in § 4 Nr. 11 UWG 2004/2008 (heute § 3a UWG) tatbestandlich enger kodifiziert worden ist, als er in früheren Jahrzehnten gehandhabt wurde.1232 Die sog. Marktverhaltensregeln des § 3a UWG spiegeln sogar typischerweise gerade die unternehmerische Sorgfalt wider, die in bestimmten Bereichen unternehmerischer Betätigung auf dem Markt zu beachten sind. Marktverhaltensregelnde Gesetze können also im Einzelfall die unternehmerische Sorgfalt des Unternehmers erweitern.1233 Naturgemäß ergibt sich die im Einzelfall gebotene unternehmerische Sorgfalt aber nicht nur aus den Vorgaben, die Gesetze, Berufsordnungen usw. für die Marktteilnahme machen, sondern auch aus den Umständen des Einzelfalls. Gleichwohl stellt sich angesichts des Vorrangs, den § 3 Abs. 2 UWG im Verbraucherbereich 679 gegenüber § 3a UWG in Anbetracht von Art. 4 UGPRL haben muss, zunächst die Frage, ob der Verstoß gegen sonstige, also nicht das Marktverhalten regelnde Gesetze nun wieder unlauter sein kann, wie es der früheren Rechtsprechung und Lehre entsprach, weil es der unternehmerischen Sorgfalt widersprechen könnte, überhaupt gegen Gesetze zu verstoßen. Anders formuliert könnte man die Erzielung eines „Vorsprungs durch Rechtsbruch“ grundsätzlich als gegen die unternehmerische Sorgfalt verstoßend ansehen, sodass diese bei einigen Autoren immer noch beliebte Rechtsfigur1234 zumindest im Anwendungsbereich des § 3 Abs. 2 UWG auch ohne Gesetzesänderung wieder auferstehen könnte. Dagegen spricht zwar die Wertungsentscheidung, die der nationale Gesetzgeber mit der Schaffung von § 4 Nr. 11 UWG 2004 bzw. dem heutigen § 3a UWG getroffen hat; allerdings ist es, wie schon erwähnt, im harmonisierten Bereich generell sehr zweifelhaft, ob man § 3a UWG ohne Berücksichtigung des § 3 Abs. 2 UWG anwenden kann.1235 Denn ein Verstoß gegen die unternehmerische Sorgfalt ist nach § 3 Abs. 2 UWG zu beurteilen, soweit es keinen Tatbestand gibt, der sich auf die UGPRL zurückführen lässt, und dies ist bei § 3a UWG nicht der Fall. Zwar ordnet § 3a UWG keine per-se-Unlauterkeit an, sondern enthält mit der spürbaren Beeinflussung von (u. a.) Interessen der Verbraucher noch ein weiteres Kriterium, doch entspricht dieses nicht der Vorgabe des Art. 5 Abs. 2 lit. b) UGPRL und müsste ggf. richtlinienkonform ausgelegt werden. Dies klingt in der letzten Zeit in der Rechtsprechung des BGH allerdings auch gelegentlich an, zumindest im Verhältnis des § 3a UWG zu § 5a

1231 Zu letzterem s. Emmerich § 5 Rn. 27. 1232 Zum Verständnis der früheren Rspr. und h.L. s. etwa jeweils m. w. N. zuletzt BGH 3. 12. 1998 – I ZR 119/96 – BGHZ 140, 134, 138 f = GRUR 1999, 1128 – Hormonpräparate; BGH 6. 10. 1999 – I ZR 46/97 – GRUR 2000, 237, 238 – Giftnotrufbox; Baumbach/Hefermehl (22. Aufl. 2001) § 1 Rn. 609 ff.; Köhler/Piper3 § 1 Rn. 727 ff., 745 ff., 785 ff. 1233 So auch Köhler WRP 2012, 22, 25. 1234 Vor allem Glöckner GRUR 2008, 960, 965 ff. m. w. N. sowie ders. GRUR 2013, 568, 573 ff. m. w. N. 1235 So LG Frankfurt/M. 4. 1. 2012 – 3–08 O 113/11 – WRP 2012, 868, 869; s. nun auch LG Hamburg 3. 9. 2019 – 406 HKO 56/19 – K&R 2020, 83, 84, wo neben § 3a auch ein Verstoß gegen § 3 Abs. 2 UWG angenommen wird.

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UWG;1236 auch die Instanzgerichte greifen gelegentlich auf § 3 Abs. 2 UWG in Verbindung mit anderen Gesetzen als Maßstab der unternehmerischen Sorgfalt zurück.1237 Konsequenterweise dürfte man § 3a UWG bei verbraucherbezogenen oder -relevanten Geschäftspraktiken i.S.v. § 3 Abs. 2 UWG gar nicht mehr anwenden, soweit nicht einer der Ausnahmebereich des Art. 3 UGPRL betroffen ist. Dass sich in Zukunft Fälle zeigen könnten, in denen man jenseits der Marktverhaltensregeln des § 3a UWG über einen Verstoß gegen die unternehmerische Sorgfalt gegenüber Verbrauchern nachdenken müsste, ist allerdings nicht allzu wahrscheinlich. Denn die unternehmerische Sorgfalt im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG bezieht sich gerade auf das Verhalten des Unternehmers gegenüber Verbrauchern, also den Bereich, den der deutsche Gesetzgeber mit den „Marktverhaltensregeln“ des § 3a UWG wohl vollständig abgedeckt haben dürfte; beliebige Gesetzesverstöße genügen hingegen nicht.1238 Denkt man insbesondere an die Einhaltung von Umweltstandards bei der Produktion, die keinen Bezug zur Qualität oder gesundheitlichen Unbedenklichkeit der Produkte haben, oder auch die Herkunft von Produkten, insbesondere Lebensmitteln, so können diese zwar heute geschäftliche Entscheidungen des Durchschnittsverbrauchers regelmäßig in relevanter Weise beeinflussen, doch geht es im Vorfeld nicht um eine Sorgfalt, die der Unternehmer gegenüber dem Verbraucher einzuhalten hätte, sondern gegenüber der Allgemeinheit oder Arbeitnehmern usw. Gleiches gilt für die Einhaltung von Sozialstandards, insbesondere in der Dritten Welt, deren Einhaltung wiederum nicht gegenüber dem Verbraucher geboten ist, sofern nicht gerade damit geworben wird; wird damit geworben und der Standard nicht eingehalten, liegt eine Irreführung vor, die einen Rückgriff auf die Generalklausel verbietet. Letztlich dürfte der Aspekt des „Vorsprungs durch Rechtsbruch“, der schon von der Wortwahl her seine Herkunft im Mitbewerberschutz nicht verleugnen kann, für die Generalklausel kaum Bedeutung haben; allenfalls wenn das ethische Bewusstsein des Durchschnittsverbrauchers in Zukunft ein solches Ausmaß erreichen sollte, dass er die Einhaltung von beliebigen Gesetzen oder Sozialstandards höher einstuft als einen günstigen Preis, müsste man über den (Vorsprung durch) Rechtsbruch jenseits § 3a UWG im Rahmen der Verbrauchergeneralklausel des § 3 Abs. 2 UWG nochmals intensiver nachdenken.1239 Im Übrigen kann man natürlich de lege ferenda in Erwägung ziehen, den alten Vorsprung durch Rechtsbruch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 3 Abs. 2 UWG wieder als Unlauterkeitstatbestand einzuführen,1240 doch würde dies einen erheblichen Rückschritt in der Dogmatik des Unlauterkeitsrechts und einen Widerspruch zur Wertung des § 1 Satz 2 UWG auslösen. 680 Ferner stellt sich die Frage, wie sich die allgemeine Definition der unternehmerischen Sorgfalt und der daran anknüpfende Unlauterkeitstatbestand des § 3 Abs. 2 UWG zu den spezielleren Regelungen insbesondere in §§ 4a-5a UWG verhalten. Insofern folgt aus der Systematik der Art. 5 bis 9 UGPRL, dass irreführende (und aggressive) Geschäftspraktiken bzw. geschäftliche Handlungen typisierte Beispiele für Verstöße gegen die beruflich-unternehmerische Sorgfalt darstellen, so dass aus dem Vorliegen einer irreführenden oder aggressiven Geschäftspraxis ohne weiteres ein Verstoß gegen die unternehmerische Sorgfalt folgt, der keiner darüber hinausgehenden Begründung oder einer Prüfung anhand von Art. 5 Abs. 2 lit. a) UGPRL mehr bedarf.1241 Dies gilt insbesondere auch beim Unterlassen von nach Art. 7 Abs. 2 bis 5 UGPRL bzw. § 5a Abs. 2

1236 BGH 31. 10. 2018 – I ZR 73/17 – GRUR 2019, 82 Tz. 29 ff. – Jogginghosen. 1237 Etwa LG Lübeck 10. 9. 2019 − 13 HKO 4/19 – WRP 2019, 1619 Tz. 15 – HCG. 1238 Ebenso bereits öOGH 11. 3. 2008 – 4 Ob 225/07b – GRUR Int 2009, 342, 345 ff. – Stadtrundfahrten, allerdings mit einem angesichts des objektiven Kriteriums der beruflichen Sorgfalt nicht überzeugenden Abstellen auf die Frage der Vertretbarkeit einer Auslegung. 1239 Ebenso Glöckner WRP 2009, 1175, 1182; Tüngler/Ruess WRP 2009, 1336, 1341. 1240 So nun Glöckner GRUR 2013, 568, 576. 1241 Ebenso EuGH 9. 9. 2013 – C-435/11 – GRUR 2013, 1157 Tz. 35 ff., 48 – CHS Tour Services GmbH/Team4 Travel GmbH; EuGH 16. 4. 2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. UPC Magyarország; OLG Hamburg 12. 7. 2012 – 3 U 65/10 – MD 2012, 1121, 1138 – 40 #1 hits The Sixties; Wiebe/Kodek/Heidinger östUWG [2. Aufl. 2013 ff.] § 1 Rn. 13; Köhler WRP 2010, 1293, 1298; Scherer WRP 2010, 586, 589; Zabel VuR 2011, 403, 405 ff.

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bis 4 UWG wesentlichen Informationen, die nach der Vorstellung der Richtlinienverfasser ohne weiteres einen Verstoß gegen die berufliche Sorgfaltspflicht darstellen sollen.1242 Gleichwohl hat der öOGH den EuGH angerufen, um klären zu lassen, ob dem wirklich so ist oder ob ein Unternehmer sich darauf berufen kann, eine irreführende oder aggressive Geschäftspraktik entspreche im Einzelfall der beruflichen Sorgfalt.1243 Maßgebend für die Vorlage war dabei neben der systematischen Erwägung, dass die Art. 6 bis 9 UGPRL letztlich Konkretisierungen der Unlauterkeit i.S.v. Art. 5 Abs. 2 UGPRL darstellten, der Umstand, dass in der deutschen Instanzrechtsprechung der Verstoß gegen die unternehmerische Sorgfalt auch in Irreführungsfällen teils gesondert geprüft wurde1244 und in der Literatur vereinzelt der Sorgfaltsverstoß als Tatbestandsmerkmal auch des Irreführungstatbestands angesehen werde.1245 Die Vorlage erscheint angesichts der doch recht eindeutigen Gesamtsystematik der Art. 5–9 UGPRL eher entbehrlich,1246 und in der Tat hat der EuGH sie dahingehend beantwortet, dass in Irreführungsfällen der Verstoß gegen die berufliche Sorgfaltspflicht nicht gesondert zu prüfen ist.1247 Man wird den Gesichtspunkt des Verstoßes gegen die unternehmerische Sorgfalt wohl nur in Fällen ergänzend heranziehen können bzw. müssen, in denen es weder um unwahre Tatsachenbehauptungen noch um die in Beispielstatbeständen konkretisierte Irreführungseignung geht. So könnte man etwa bei der Arzneimittelwerbung die Qualifikation von nicht wissenschaftlich erwiesenen Wirkungen als irreführend1248 durchaus damit begründen, dass der notwendige Schutz des Verbrauchers es gebiete, in der Patienteninformation auf eine fehlende wissenschaftliche Absicherung bzw. Anerkennung bestimmter Wirksamkeitsangaben hinzuweisen.1249 Insofern dürfte dem Kriterium der unternehmerischen Sorgfalt in nicht eindeutigen Fällen also auch für die Auslegung der Tatbestände irreführender und aggressiver Geschäftspraktiken eine mittelbare Bedeutung,1250 auch im Rahmen sonstiger Unlauterkeit i.S.v. § 3 Abs. 2 UWG bzw. Art. 5 Abs. 1 und 2 UGPRL eine zentrale Bedeutung zukommen. Schließlich stellt sich die Frage, ob der rein objektive Begriff der unternehmerischen Sorgfalt 681 von Unternehmern gegenüber Verbrauchern nicht einen größeren Gleichlauf zwischen UWG und BGB nahelegt, weil ein Verstoß gegen die unternehmerische Sorgfalt im Sinne einer Rücksichtnahmepflicht zugleich regelmäßig die Verletzung einer Pflicht i.S.v. § 241 Abs. 2 BGB darstellt.1251 Dies bedarf immer noch näherer Klärung, liegt aber im Bereich der Verletzung von Informationspflichten vor und nach dem Vertragsschluss sicherlich nahe. Damit wäre zugleich die leidige Kontroverse um die Notwendigkeit einer Anspruchsberechtigung der Verbraucher für UWG-Verstöße obsolet,1252 die jedoch mittlerweile auf der EU-Ebene im Rahmen des „New Deal for Consumers“1253

1242 So bereits die Begründung zum Richtlinienvorschlag KOM (2003) 256 endg. Rn. 52, 56 ff.; ebenso Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 2 Rn. 128; Köhler WRP 2009, 109, 116. ÖOGH 5. 7. 2011 – 4 Ob 27/11s – GRURInt 2012, 268, 270 – Exklusivbuchung. Vom OLG Jena 8. 7. 2009 – 2 U 983/08 MD 2010, 177 = NJOZ 2010, 1216, 1221. – Weitere Beispiele s. Rn. 717 ff. Götting/Nordemann1 § 5 Rn. 0.33. S. auch Henning-Bodewig GRUR 2013, 238, 242. EuGH 9. 11. 2010 – C-540/08 – Slg 2010, I-10909 = GRUR 2011, 76 Tz. 46 – Mediaprint/Österreich-Zeitungsverlag; EuGH 19. 9. 2013 – C-435/11 – GRUR 2013, 1157 Tz. 31 ff. – CHS Tour Services/Team4 Travel; EuGH 16. 4. 2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 62 f. – UPC Magyarország; EuGH 7. 9. 2016 – C-310/15 – GRUR 2016, 1180 Tz. 30 ff. – Deroo-Blanquart/Sony. 1248 Dazu etwa OLG Hamburg 20. 9. 2012 – 3 U 53/11 – WRP 2013, 196, 199 f. – Überlegen wirksam; näher dazu Sachs WRP 2010, 26, 27 f., 34 ff. m. w. N. aus der Rechtsprechung. 1249 So zum Parallelproblem in der Kosmetikwerbung zumindest ansatzweise Sachs WRP 2010, 26, 27, 36 f. 1250 So bereits Gloy/Loschelder/Danckwerts/Erdmann/Pommerening § 38 Rn. 2. 1251 So auch Bärenfänger WRP 2011, 16, 24. 1252 Im Ansatz ähnlich Bärenfänger WRP 2011, 16, 24. 1253 Informationen und Materialien dazu abrufbar (Stand 1. 4. 2019) bei der EU unter: https://ec.europa.eu/newsroom/just/item-detail.cfm?item_id=620435; zu den Hintergründen und Vorarbeiten s. http://ec.europa.eu/newsroom/just/item-detail.cfm?item_id=59332; zum Inhalt der Richtlinienvorschläge Dröge WRP 2019, 160.

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als Art. 11a UGPRL vorgeschlagen wird.1254 Derzeit ist der Verbraucher noch nicht aus unionsrechtlichen Gründen entgegen dem Wortlaut des § 8 Abs. 3 UWG selbst berechtigt, Ansprüche aus Wettbewerbsverstößen geltend zu machen. Er könnte aber unter Umständen wegen der Verletzung vorvertraglicher (oder nach einem Vertragsschluss vertraglicher) Rücksichtnahmepflichten eigene Ansprüche auf anderer Grundlage haben, die an dasselbe Verhalten anknüpfen. Zwar lässt die UGPRL gemäß ihrem Art. 3 Abs. 2 das Vertragsrecht grundsätzlich unberührt, sodass man aus der Unlauterkeit etwa nicht ohne weiteres auf die Missbräuchlichkeit von AGB-Klauseln schließen kann oder umgekehrt,1255 doch gibt es sicherlich eine gemeinsame Schnittmenge von Beurteilungskriterien, die im Einzelfall zu einer parallelen Beurteilung führen kann, wenn auch nicht zwangsläufig muss. Nach dem Vorschlag eines Art. 11a UGPRL-E wäre allerdings künftig eine individuelle Anspruchsberechtigung des Verbrauchers zumindest in § 9 UWG vorzusehen; nach Art. 11a Abs. 1 UGPRL-E wären die Mitgliedstaaten verpflichtet, zur Beseitigung jeglicher Wirkung unlauterer Geschäftspraktiken im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften sicherzustellen, dass vertragliche und außervertragliche Rechtsbehelfe auch Verbrauchern zur Verfügung stehen, die durch solche unlauteren Geschäftspraktiken geschädigt wurden. Nach Art. 11a Abs. 2 UGPRL-E müssten vertragliche Rechtsbehelfe mindestens beinhalten, dass der Verbraucher den Vertrag einseitig kündigen kann, was man vielleicht eher im BGB regeln sollte. Nach Art. 11a Abs. 3 UGPRL-E müssten außervertragliche Rechtsbehelfe mindestens beinhalten, dass der Verbraucher für den ihm entstandenen Schaden entschädigt werden kann, was man an § 9 UWG anhängen könnte. Natürlich wäre auch vorstellbar, beides im BGB oder in einem § 10a UWG-E zu regeln.

2. Elemente der Definition 682 a) Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt. In Übereinstimmung mit der Definition in der Richtlinie besteht die unternehmerische Sorgfalt aus einem Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt, der von einem Unternehmer in einem bestimmten geschäftlichen Kontext zu beachten ist. Mit dieser Formulierung sollen die Anforderungen an das Verhalten beschrieben werden, die ein Unternehmer gegenüber einem Verbraucher bei einer geschäftlichen Handlung zu beachten hat. Somit geht es im Hinblick auf die Unlauterkeit i.S.v. § 3 Abs. 2 UWG letztlich um die Grenzen einer zulässigen Einflussnahme auf eine geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers. Nicht damit gemeint sind unternehmerische Sorgfaltspflichten, wie sie etwa nach den §§ 93 Abs. 1 S. 1 AktG, 43 Abs. 1 GmbHG die Geschäftsleiter von Kapitalgesellschaften oder von anderen Unternehmen oder auch die Emittenten von börsengehandelten Wertpapieren treffen.1256

683 aa) Fachkenntnisse. Der Begriff der Fachkenntnisse in der Definition der beruflichen bzw. unternehmerischen Sorgfalt ist im deutschen Schrifttum auf viel Unverständnis gestoßen, da der relevante Zusammenhang zwischen Fachkenntnissen und Unlauterkeitsrecht nicht ohne weiteres ersichtlich ist.1257 Immerhin hat die Neuartigkeit des Begriffs – aus der Sicht des Richtlinienge1254 Vgl. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 93/ 13/EWG des Rates vom 5. April 1993, der Richtlinie 98/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der EU-Verbraucherschutzvorschriften, COM(2018) 185 final, Begründung 1.1, Gründe und Ziele des Vorschlags, S. 3; abrufbar unter (Stand 1. 4. 2019) unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?qid=1523880940100&uri=COM%3A2018 %3A185 %3AFIN. 1255 Vgl. EuGH 15. 3. 2012 – C-453/10 – Slg. 2012, I-0000 = GRUR 2012, 639 Tz. 42 ff. – Pereničová und Perenič; Alexander WRP 2013, 17, 20 f.; s. auch Tüngler/Ruess WRP 2009, 1336, 1341 f. 1256 Vgl. zu den Geschäftsleitern etwa K. Schmidt/Lutter/Drygala, AktG, 3. Aufl. 2015, § 116 AktG Rn. 13 ff.; Kock/ Dinkel NZG 2004, 441 ff.; Luttermann BB 2001, 2433, 2435; zu Emittentenpflichten Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 4. Auflage 2018, Rn. 12.5. 1257 Vgl. etwa Dohrn Rn. 607 ff. m. w. N.; Spengler S. 145 f. m. w. N. – S. ferner bereits oben § 2 Rn. 667 f., 675 f.

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bers – sicherlich den Vorteil, dass es in den Rechtsordnungen kein tradiertes und nur schwer zu überwindendes Vorverständnis gibt, was damit gemeint sein könnte. Was das Kriterium bedeutet, muss man deshalb den Überlegungen der Kommission und dem Wortlaut der Definition entnehmen. Demnach geht es um einen Standard von Fachkenntnissen und Sorgfalt, womit zum Ausdruck kommt, dass unterschiedliche Aspekte eine Rolle spielen können. So deuten Fachkenntnisse immerhin auf einen objektiven Maßstab und darauf hin, dass der Unternehmer sich im wirtschaftlichen Umfeld der konkreten geschäftlichen Handlung oft besser auskennen wird als der Verbraucher und dass er dies beim Umgang mit dem Verbraucher zu beachten hat. Ferner deuten Fachkenntnisse darauf hin, dass der Unternehmer gerade bei der Ausgestaltung seiner Produkte und der Durchführung von Verträgen technischen, kaufmännischen und sonstigen Standards Rechnung zu tragen hat, die in seiner Branche als geboten und üblich anzusehen sind.1258 Ein Juwelier, Antiquitätenhändler oder auch Pfandleiher muss die notwendigen Kenntnisse haben, um die Echtheit bzw. den Wert von Sachen zu beurteilen, die ihm im geschäftlichen Verkehr vorgelegt werden, und ein Taxifahrer benötigt Ortskenntnisse.1259 Von Bedeutung können die Fachkenntnisse auch bei einer vorvertraglichen Beratung hinsichtlich der Auswahl eines konkreten Produkts oder ggf. auch seiner Konfiguration sein, denn sie können die Frage beeinflussen, welche Informationen man einem Verbraucher zur Ermöglichung einer informierten geschäftlichen Entscheidung geben sollte. Geht es um Produkte oder Dienstleistungen mit besonderen Anforderungen, etwa für Behinderte, muss der Unternehmer selbst über die notwendigen Kenntnisse verfügen oder zumindest entsprechend geschultes Personal einsetzen.1260 Darüber hinaus zählen zu den Fachkenntnissen aber sicherlich die gesetzlichen Vorschrif- 684 ten,1261 die für die Berufsausübung allgemein oder in einer bestimmten Branche gelten. Unternehmer, die Produkte i.S.v. § 1 Abs. 1 ProdSG auf den Markt bringen, müssen die Vorgaben dieses Gesetzes beachten und ihre Fachkenntnisse weitergeben, indem sie dem Verbraucher in der Regel eine Bedienungsanleitung in der Sprache des Marktstaats zur Verfügung stellen.1262 Auch die Wahrung gesundheitlicher Belange von Kunden (Verbrauchern) bei der Herstellung von Produkten oder der Erbringung von Dienstleistungen zählen zur unternehmerischen Sorgfalt, deren Einhaltung zumindest insoweit erwartet werden kann, als es sich um in den Fachkreisen bekannte Aspekte handelt; das Gleiche gilt, wenn es gesetzliche Vorgaben für Inhaltsstoffe usw. gibt, die dem Schutz von Gesundheitsinteressen dienen wie etwa § 3 ElektroStoffV.1263 Dass Art. 3 Abs. 3 UGPRL diesen Bereich vom Geltungsbereich dieser Richtlinie ausnimmt, ändert nichts daran, dass die Vermeidung von Gesundheitsgefahren für den Kunden (also nicht nur für den Verbraucher) grundsätzlich als Bestandteil der unternehmerischen Sorgfalt anzusehen ist, auch wenn wegen der Herausnahme aus der UGPRL auf nationaler Ebene eine Behandlung der entsprechenden Fragen ggf., soweit es gesetzliche Vorschriften gibt, welche die Gesundheit schützen sollen, über § 3a UWG erfolgen kann (aber nicht müsste). Soweit Pflichten ihre Grundlage im Unionsrecht haben und für kommerzielle Kommunikation einschließlich Werbung angeordnet sind, gelten sie nach Art. 7 Abs. 5 UGPRL bzw. § 5 Abs. 4 UWG als wesentlich; man denke etwa an die Impressumspflichten aus § 5 TMG.1264 Andere im Unionsrecht angeordneten Informationspflichten können gleichwohl wesentliche Informationen i.S.v. Art. 7 Abs. 1 UGPRL bzw. § 5a Abs. 1 UWG darstel-

1258 1259 1260 1261 1262

Fezer/Büscher/Obergfell § 2 Abs. 1 Nr. 7 Rn. 24; Spengler S. 146 m. w. N. Spengler S. 146 m.N. Spengler S. 147. Ebenso Harte/Henning/Keller § 2 Rn. 186. Vgl. LG Potsdam 26. 6. 2014 – 2 O 188/13 – MMR 2015, 335, 337 f. (ohne Abdruck der Ausführungen zur unternehmerischen Sorgfalt (unter 1. d), vgl. juris Rn. Tz. 38). 1263 Vgl. im Zusammenhang von § 3a UWG BGH 21. 9. 2016 − I ZR 234/15 – GRUR 2017, 203 Tz. 28 − Quecksilberhaltige Leuchtstofflampen; ferner OLG Frankfurt 25. 7. 2019 – 6 U 51/19 – WRP 2019, 1351 Tz. 14 − Durchgestrichene Abfalltonne. 1264 Dazu etwa OLG Naumburg 13. 8. 2010 – 1 U 28/10 – MMR 2010, 760, 761.

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Fritzsche

§2

Definitionen

len,1265 im Übrigen aber die unternehmerische Sorgfalt beeinflussen. Letzteres gilt aber auch für nationale Vorschriften ohne Grundlage im EU-Recht, zumindest soweit sie nach diesem zulässig (also nicht ausgeschlossen) sind.1266 Für die Auslegung aller im Unionsrecht basierten Anforderungen an die unternehmerische Sorgfalt ist grundsätzlich der EuGH zuständig, doch kommt auch den nationalen Gerichten eine Konkretisierungsbefugnis zu,1267 da bei der Anwendung der in der UGPRL enthaltenen Begriffe auf das jeweilige Verbraucherverständnis im konkreten Einzelfall abzustellen ist, das u. a. von kulturellen Gegebenheiten abhängig ist. Deshalb bedarf es einer Vorlage an den EuGH nicht, wenn das nationale Gericht die notwendige Auslegung selbst vornehmen kann.1268

685 bb) „Sorgfalt“ innerhalb der unternehmerischen Sorgfalt. Der Begriff der Sorgfalt deutet in der deutschen Rechtssprache außerhalb des UWG in die Richtung des Haftungs- und des Leistungsstörungsrechts.1269 Die dort geltenden Maßstäbe können jedoch im Kontext des Unlauterkeitsrechts nicht oder allenfalls stark modifiziert verwendet werden, da hier ganz andere Zwecke verfolgt werden. Daher bedarf es für die Anwendung der §§ 2 Abs. 1 Nr. 7 und 3 Abs. 2 UWG eines eigenständigen Sorgfaltsbegriffs, der im Hinblick auf die Zwecke des Unlauterkeitsrecht zwangsläufig rein objektiver Natur sein muss und im Sinne allgemeiner Verhaltensanforderungen zu verstehen ist.1270 Überdies ist ein Rückgriff auf das tradierte deutsche Verständnis im bürgerlichen Recht auch unzulässig, weil der Begriff der Sorgfalt aus Art. 2 lit. h) UGPRL stammt und somit autonom auszulegen ist. 686 Bestätigt wird dies ferner durch eine von Köhler herausgearbeitete Schwäche der deutschen Sprachfassung des Art. 2 lit. h) UGPRL, die sich in der Umsetzung in § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG fortsetzt und d