Urwörter der Menschheit : Eine Archäologie der Sprache
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Richard Fester: Urwörter der Menschheit

Richard Fester

Urwörier der Menschheit Eine Archäologie der Sprache Vorwort: Joachim lllies

Kösel-Vertag München

Kösel Sachbuch Redaktion: Hermann Hemminger

Das Umschlagbild zeigt eine Elfenbeinplatte aus der Klausenhöhle bei Neuessing (Prähistorische Staatssammlung, München)

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Fester, Richard: Urwörter der Menschheit: e. Archäologie d. Sprache / Richard Fester. Vorw.: Joachim Illies. - München: Kösel, 1981. (Kösel Sachbuch) ISBN 3-466-11014-9

© 1981 Kösel-Verlag GmbH & Co., München Alle Rechte vorbehalten Gesamtherstellung: Kösel, Kempten Umschlag: Design Team, München Printed in Germany ISBN 3-466-11014-9

Inhalt

Vorwort................................................................................................... 7 Archäologie der Sprache..................................................................... 13 Die Archetypen..................................................................................... 33 Der Archetyp KALL............................................................................ 41 KALL und Kopf ....................................... ,........................................... 45 KALL und die Sinnesorgane am Kopf............................................. 55 Die Summe der Sinneseindrücke: Denken...................................... 67 KEHLE, HALS und NACKEN......................................................... 75 Der Mund............................................................................................... 83 Der KÖRper und das GANZE ......................................................... 93 Die HAND.............................................................................................. 107 Der denkbar größte HOHLraum: COELUM .................................121 Die RUNdung und der REIGEN........................................................ 129 Das HELLE KALL................................................................................ 137 Das Feuer .................................................................................................143 KALL und das Lebendige.................................................................... 157 Die FRAU—Lösung vieler Rätsel...................................................... 173 Die Mond und die Schiff ...................................................................... 213 KALL und die Gefäße........................................................................... 227 DieHÖHLE........................................................................................... 231 Schlußwort .............................................................................................. 247 Dokumentation....................................................................................... 251 Sprachenliste............ ........................................................................... 339 Literatur.................................................................................................. 345 Tafeln ....................................................................................................... 347

Vorwort

Richard Fester gehört keiner Universität an, und er leitet kein Institut für Sprachforschung. Aber diesem auf den ersten Blick so nachteiligen und ungewöhnlichen Umstand dürfte es zu danken sein, daß es ihn und seine Archäologie der Sprache in dieser eigenwilligen, unabhängigen und überaus fruchtbaren Form überhaupt gibt, und daß ein Buch wie das hier vorliegende in jahrelanger, ungestörter und zielgerichteter Arbeit entstehen konnte. Unsere Zeit huldigt im allgemeinen einer anderen Vorstellung vom etablierten Wissen­ schaftler: Er hat nicht nur mit Immatrikulation, Promotion, Habitilation und Ordination die Stufen zum Parnaß akademischer Höhenlage vorschriftsmäßig hinter sich gebracht, sondern er hat dabei in vorsichtiger Absetzung von seinem Lehrmeister ein vorgefundenes Forschungsgebiet unter ehrfurchtsvoller Übernahme der Tradition erweitert, sich selbst dabei auf einen winzigen Teilausschnitt speziali­ siert und dort durch beständigen Fleiß soviele Fakten gefördert und zusammengebracht, daß er schließlich als unbestrittener Fachmann für sein Spezialgebiet anerkannt ist und dort als Souverän regiert. Eine Planstelle ist ihm ebenso sicher wie die öffentliche Anhörung bei allem, was sein Spezialgebiet betrifft - und was er für richtig hält, das ist dann das letzte Wort der Wissenschaft. Von diesem Schema setzt sich Richard Fester so vollständig ab, daß er auch in unserer von so zahlreichen Wissenschaften und Wissen­ schaftlern erfüllten (und fast schon überfüllten) Zeit auffällt und sich nach dem gnadenlosen »Alles-oder-Nichts«-Gesetz für Außenseiter beurteilen lassen muß. Alles: Das wäre der geniale Einzelgänger, dem im Alleingang die kostbaren Funde glücken, die im vernetzten Teamwork der Spezialisten allemal durch die Maschen fallen. Nichts: Das wäre der versponnene Sonderling, der seiner fixen Idee nachjagt und von den Fachleuten mit Recht belächelt wird. Ich bin gewillt, die ganze Erfahrung meines jahrzehntelangen Umgangs mit Wissenschaftlern aller Sorten nachdrücklich in die 7

Waagschale des »Alles« zu werfen und Richard Fester zu bescheini­ gen, daß er der genuine Wissenschaftler eigenen Gepräges ist, der alle akademischen Normen sprengt und dem eben deshalb der Durchbruch in eine neue, in ihrer Ausdehnung heute erst zu erahnende Richtung gelingen konnte. Er ist »Amateur« - aber wem bei diesem Wort der abschätzige Beigeschmack mitklingt, den es im Munde etablierter Fachleute oft hat, der möge dem Wortsinn nachspüren (wozu er nicht einmal Paläolinguistik benötigt) und erkennen, daß gemeint ist: einer, der mit Liebe und Leidenschaft, mit wissenschaftlichem Eros der selbstgewählten Aufgabe hingegeben ist, und wie ein echt Liebender mit vollem Einsatz und unendlichem Fleiß, ja, mit Besessenheit sein Ziel über alle Widerstände hinweg unbeirrbar verfolgt. Nun ist freilich auch das Amateur-Sein allein kein unfehlbares Rezept, um in der Wissenschaft eine wertvolle Entdeckung zu machen. Unendlicher Eifer von Amateuren hat in Sackgassen ge­ führt, hat sich festgefahren und am Ende nur noch sich selbst genügt. Es gehört neben dem liebenden Eifer noch ein zweites zum Erfolg in der Wissenschaft: das Glück - das allerdings nach einem Sprichwort auf die Dauer nur der Tüchtige hat. Richard Fester kann man auch dieses Glück (und schon allemal diese Tüchtigkeit) bescheinigen. Er hat seine Art von Paläolinguistik als selbstentwickelte Forschungs­ richtung derart erfolgreich aufgebaut, daß heute bereits ein höchst beachtliches wissenschaftlichesLebenswerkvorliegt.demmandieHerkunft aus einem absoluten Ein-Mann-Betrieb kaum glauben kann. Manche großen wissenschaftlichen Institute könnten zufrieden sein, wenn sie nach intensiver, jahrzehntelanger Beschäftigung eines großen Mitarbeiterstabes schließlich eine solche Fülle von zu einem System gestalteten Ergebnissen vorlegen könnten. Die Entwicklungsschritte der Festerschen Paläolinguistik lassen sich an seinen Büchern seit 1962 verfolgen, zugleich die immer ausgefeiltere und raumgreifendere Methode, mit der er zu seinen Ergebnissen gelangt. War es am Anfang, ausgehend von der Grundüberzeugung der gemeinsamen Wurzel aller Sprachen, zu­ nächst der Vergleich einiger weniger Kultursprachen, so dehnte sich das Vergleichsmaterial kontinuierlich aus bis zu der heutigen Situation, in der sich in den Karteien von Fester der relevante Wortschatz von rund 200 Sprachen befindet - eine schier gigantische Materialfülle, die zu ihrer geistigen Bewältigung (ohne Computer!) eine gewaltige Disziplin erfordert. Aber es kam noch ein entschei­ dender methodologischer Schritt hinzu: die Entdeckung der »Flur8

und Ortsnamen-Konserven«, also der weit in die schriftlose Epoche der Kultur zurückreichenden linguistischen Fossilien, wie sie in den lokalen Bezeichnungen für Berge, Gewässer, Wege und Landmarken vorliegen. Fester schildert selbst auf Seite 19 dieses Buches, wie er zu der entscheidenden Erkenntnis kam, hier ein bisher kaum genütztes Feld direkter sprachlicher Ur-Relikte zu erschließen. Er hat auf diesem Felde unter jahrelanger systematischer Durcharbeitung des europäischen, später auch des überseeischen Kartenmaterials die ergiebigsten Funde gemacht bis hin zu der glücklichen Entdeckung seines ganz persönlichen »Steines von Rosette«, nämlich der so überaus aufschlußreichen Trilingue von Berg-Berg-Berg in dem Namen »MONTALBUCCO« (siehe S. 20). Der Kern seiner Entdeckung ist die Liste der sechs Urworte - er nennt sie Archetypen - BA, KALL, TAG, TAL, OS und ACQ, die er für die gemeinsame sprachliche Ausgangssituation aller späteren Entwicklung hält, mithin also für die Ursprache der Menschheit. Wenn es eine Möglichkeit gibt, eine so weitreichende und so kühne Behauptung durch Material plausibel zu machen, so hat Fester sie in den zahlreichen Tafeln erbracht, die er diesem Buche - wie zum Teil auch den früheren - beigibt. Daß er dabei eine staunenswerte Fähigkeit im Erkennen von Wurzel-Elementen und dem Gang der Verschiebungen und der Ablautung entwickelt, ist nicht verwunder­ lich, wenn sie auch dem Leser wegen ihrer Artistik manchmal den Atem verschlägt. Aber es geht eben auch in dieser Wissenschaft nicht ohne handwerkliche Grundbedingungen, doch gibt er die Legitima­ tion seiner Ableitungen durch die entsprechenden Hinweise und stellt sich so der Prüfung. Da mag also einer kommen und nachzuweisen suchen, daß es auch anders gehen müsse, daß etwa der KAJAK der Eskimos oder der KARAN (Schwan) der Araber kein KALL-Wort wären! Solange zumindest - also bis zum nachgewiese­ nen Irrtum - dürfen wir die Festerschen Ableitungen als gültig betrachten, und mehr kann man von keiner wissenschaftlichen Theorie verlangen. Es wird dem Leser aber nicht verborgen bleiben, daß Richard Fester uns in dem »Verwirrspiel der heutigen Sprachen« zur Einsicht in so überzeugende Querverbindungen und linguistische Verwandschaften führt, daß sie in der geballten Fülle und Eindring­ lichkeit zum Argument ihrer Richtigkeit werden. Ein System, das kreuz und quer gelesen, diagonal und von vorn und von hinten immer noch und immer wieder einen Sinn ergibt, dem darf man sich anvertrauen und von dem darf man sich auch dorthin tragen lassen, wo man als Nicht-Fachmann noch Fragezeichen setzen möchte.

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Ein Hinweis allerdings erscheint mir nötig: Richard Fester versucht aus der Sicherheit seiner linguistischen Überzeugung heraus immer wieder mit den Fakten zugleich den biologischen Unterbau zu liefern, wobei er auf ein sehr evolutionistisches und biologisches Konzept baut. Hier hätte Emst Haeckel seine reine Freude gehabt, die seinen Nachfolgern im Fach der Biologie in den letzten 100 Jahren weitgehend vergangen ist. Wenn also in diesem Zusammen­ hang auch mein eigenes Buch über die Zoologie des Menschen hier als Einbringung der Art Mensch in das Reich der Säugetiere gefeiert wird, so muß ich mit leichter Beklemmung konstatieren, daß die Ironie, die in dem Titel des Buches liegt, für Fester nicht spürbar war. Für ihn ist nur die biologische, die zoologische Seite des Menschen und seiner Evolution gültig - zumindest verschmäht er es fast völlig, aus der (nicht zuletzt durch die Sprache selbst bewiesenen) Tatsache der Geistigkeit des Menschen irgendwelche stützende Argumente für seine Fakten zu beziehen. Diese materialistische Einseitigkeit kann man bedauern, aber vermutlich gilt: ohne sie hätte Fester die Sicherheit für seinen tapferen und ungeschützten Alleingang nicht gewonnen. Im übrigen sind wir Biologen heute mit der Einbringung unserer Evolutionsvorstellungen sowieso vorsichtig geworden, seit uns der Erkenntnistheoretiker Sir Karl Popper gezeigt hat: Unsere Theorien sind doch zumeist falsch! Doch auf die einwandfreien Beobachtungen der Biologie kann man sich verlassen (solange sie nicht durch bessere überholt sind). Hier hat sich in den letzten Jahren manches gewandelt, und mancher biologistischen Spekulation wird dadurch der Boden knapp. So konnte man wohl einige Zeit lang meinen, wie Fester es auf S. 31 tut, daß Homo-Gruppen, die sich abspalteten und räumlich nahe beieinander blieben, »selbstverständlichen Kontakt zu ihrer unmit­ telbaren Mutterkolonie« hielten und daß so der kontinuierliche Fluß der Vokabeln sichergestellt war. Aber inzwischen haben die Frei­ landbeobachtungen von Jane van Lawick-Goodall bereits für die Schimpansen das Gegenteil bewiesen. Ehemals zusammengehörige Tiere führen schon wenige Jahre nach der Trennung und Aufspaltung in Tochtergruppen einen erbarmungslosen und tödlichen Krieg gegeneinander. Der Anschluß an Völkerkunde und Geschichte ist hier leicht: Gerade nahverwandte Gruppen (»Sekten« im Wortsin­ ne) bekämpfen sich untereinander am erbittertsten und lassen dadurch wenig Raum für eine linguistische Tradition. Die Zerstreu­ ung der Völker, ihr Nicht-Verstehen durch das Sprachwirrwarr und damit ihre Feindschaft (und so auch die Gefährdung ihrer sprachli­

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chen Tradition) stehen eben doch in einem kausalen Zusammenhang, und schon deshalb ist der alte Mythos von der babylonischen Sprachverwirrung vielleicht ein wenig ernster zu nehmen und mehr hinter ihm zu vermuten als nur die Ideologie israelischer Gastarbei­ ter. Hier muß weitergedacht werden, und Richard Fester wird es tun. Aber solche biologischen Einwände - unvermeidbar bei der Indienstnahme der Biologie als Hilfswissenschaft für Linguistik ändern nichts an der grundsätzlichen Bedeutung der hier von Fester vorgetragenen Grundthesen. Im Gegenteil: Seine zentrale Aussage läßt sich biologisch voll legitimieren. Sie lautet:

- Sprache entstand zu einer (wenn auch fernen) Zeit an nur einem Ort innerhalb einer kleinen Gruppe von Menschen. Diese Aussage ist biologisch völlig berechtigt, denn sie beruht auf einer entsprechenden einhelligen Einsicht der biologischen Anthro­ pologie: - Der Mensch entstand zu einer (wenn auch fernen) Zeit und nur an einem Ort innerhalb einer kleinen Gruppe von Vormenschen.

Hier sind sich alle Biologen ganz einig - man frage sie nur nicht, warum das so war und welche Faktoren hinter dem Evolutionsprozeß standen. Denn dann kommt es sofort zur babylonischen Verwirrung innerhalb der Wissenschaft, zum Nichtverstehen, zur Feindschaft alles wie gehabt im alten Babel. Nimmt man beide Aussagen - die linguistische von Fester und die anthropologische der Biologie - zusammen, so zeigt sich, daß Richard Fester die biologisch einzig akzeptable Stellung zur Entste­ hung von Sprache einnimmt, indem er ihr die Monophylie beschei­ nigt, die jeder Biologe für dieses wichtige Merkmal der Art Mensch ebenso unbedingt fordern muß wie für die Spezies Homo sapiens insgesamt. Die Entdeckung der sechs sprachgeschichtlichen Arche­ typen bedeutet dann die Erkenntnis, daß die Sprachentstehung bereits am Beginn der Menschwerdung stand und daß sie - wie sollte es anders sein? - aus ihrem Ursprung heraus sich in homologe (und nicht in analoge) Verzweigungen entfaltete, an deren Weg die geduldige und kluge Forschung im Vergleich die geheimnisvolle Ursprungssituation erschließen und rekonstruieren kann. Ich wüßte niemanden, der diesem Geheimnis heute so dicht auf der Spur ist wie Richard Fester. Prof. Dr. Joachim Illies 11

Archäologie der Sprache

Der erste Satz des Vorläufigen Berichts über Paläolinguistik, der 1962 unter dem Titel Sprache der Eiszeit. Die Archetypen der vox humana in Berlin erschien, könnte unverändert auch dieser die neue Forschung zusammenfassenden Arbeit vorangestellt werden: »Diese Schrift unternimmt es, zu beweisen, daß die Sprache des Menschen so alt ist wie er selbst.« Diese Folgerung konnte rechtens aus der damaligen Erkenntnis der Verhaltensforscher gezogen werden, wonach es viele und recht unterschiedliche Tierarten zu einer bewußten gegenseitigen Verstän­ digung innerhalb der Art gebracht haben, so daß ihnen eigentlich nur noch die Sprache fehlt, um es den Menschen gleich zu tun. Später las man noch griffiger formuliert, die Sprache sei das zoologische Merkmal, das den Menschen aus der Tierwelt herausgehoben habe (Illies). Selbstverständlich war dieses Buch längst geschrieben, ehe das Vorwort von Professor Illies dazugestellt wurde. Sein Satz gegen Schluß desselben (»Die Entdeckung der ... Archetypen bedeutet dann die Erkenntnis, daß die Sprachentstehung bereits am Beginn der Menschwerdung stand...«) bedeutet nun aber eine Herausfor­ derung, einen Schritt weiterzugehen und die gewissermaßen passiven Feststellungen oben in eine aktive Form umzugießen und zu sagen: Es spricht inzwischen allzuviel dafür, daß es die Sprache war, deren wachsende Verfügbarkeit eine zunächst kleine Gruppe von Vormen­ schen zu Menschen gemacht hat. Und das vor allem, weil die Sprache als Mittel der wechselseitigen Informatik und als zusätzliches Medium der Speicherung von Wissen die »Vererbung« erworbener Fähig- und Fertigkeiten ermöglicht hat. Denn selbst die höheren Arten der Tierwelt, die Primaten, müssen ihren heranwachsenden Jungen erworbene Fertigkeiten solange vorspielen, bis die Nachwachsenden vom Zuschauen und Nachma­ chen her zu Gleichem in der Lage sind. Später müssen auch sie dann 13

mit dem eigenen Nachwuchs wieder von vorne anfangen. Die Möglichkeit, sich sprachlich »mitzuteilen«, bildete die Grundlage und Voraussetzung für die einsetzende Beschleunigung der besonde­ ren menschlichen Entwicklung. Darum konnte und kann der oben wiederholte Satz auch weiterhin unverändert stehen bleiben, obwohl sich die Zeiträume, die wir heute der menschlichen Evolution geben, um ein Mehrfaches erweitert haben. Fast zeitgleich mit der Entdeckung des Pithecanthropus africanus wurde vor 20 Jahren vermutet, daß der Neandertaler gar nicht habe sprechen können, weil ihm die anatomischen Hohlräume als Resonanzboden für eine Lautsprache noch gefehlt hätten. Das wollte zwar überhaupt nicht zu den geistigen und kulturellen Leistungen passen, die die Funde von sorgfältigen, offensichtlich auf Wiedergeburt ausgerichteten Bestattungen bezeugten, aber es wurde zunächst einmal geglaubt. Inzwischen hat man nicht nur weitere Zeugnisse gefunden, die ohne eine sprachliche Überlieferung un­ denkbar sind, man hat den Erfinder dieser Hypothese auch korrigie­ ren können. Außerdem hat man jene Hohlräume nicht nur beim Homo erectus mit seiner runden Million, sondern sogar schon am Ramapithecus mit seinen neun Millionen Jahren aufgedeckt. Weiter wissen wir heute, daß die anatomischen Einzelteile des Sprachappa­ rates ursprünglich gar nicht für diesen Zweck ausgebildet wurden, sondern daß ihr Vorhandensein Sprache ermöglichte, indem sie gewissermaßen zweckentfremdet wurden. Sicher ist, daß in der Folge das Sprechen selbst sich die Instrumente für die einmal gefundene Lautsprache ständig verfeinerte. Wir wissen also, daß Vorläufer des eigentlichen Homo schon Jahrmillionen vor seinem Erscheinen die instrumentale Fähigkeit zu einer Lautsprache besaßen (und von dieser Möglichkeit sehr wahrscheinlich auch einen ihnen angemessenen Gebrauch gemacht haben), wir wissen aber auch, daß relativ noch früher auf der Leiter der Evolution das Hirn von Primaten eine Art Sprachzentrum aufweist, was sie zwar nicht zu einer echten Lautsprache führte, sie aber immerhin als lernfähig erwiesen hat, eine lautlose Sprache, nämlich das System der amerikanischen Taubstummensprache, zu erlernen und zu verwenden. »Verwenden« heißt hier nicht nur die Erlernung von 100 bis 650 Zeichen der American Sign Language (ASL), sondern auch deren selbstständige und vom Lernvorgang unabhängige Anwendung etwa bei der Charakterisierung einer Gurke als »grüne Banane« oder der ungehaltenen Äußerung eines Schimpansenmädchens gegenüber 14

einem jüngeren Artgenossen, dem sie ihrerseits das ASL beibringen wollte: »Du schneller denken!« Zweifellos war der Anteil der Gestik an früher Sprache größer als heute. Lautsprache aber hat gegenüber auch der bestentwickelten Zeichensprache den für das Überleben unter frühen Umweltbedin­ gungen entscheidenden Vorteil, daß der Empfangende wie der Zeichengeber dem jeweils anderen nicht ihre visuelle Aufmerksam­ keit zuwenden müssen. Lautsprache erreicht auch ohne Hinwendung zum anderen, ja sogar außer Sichtweite, ihre volle Wirkung. Biologen und Verhaltensforscher haben die vor dem Hinzutreten der Paläolinguistik vorherrschende Art von Sprachforschung oft in Bedrängnis und Verlegenheit gebracht. Denn nur zu natürlich war die Frage nach der Entstehung von Sprache schon seit dem Altertum gestellt worden, einem Altertum übrigens, das sich in seinen Mythen und späteren naturphilosophischen Denkweisen den Menschen als stets von Anbeginn an sprechend vorgestellt hatte. Oft recht phantasievolle Hypothesen führten schließlich in der Mitte des vorigen Jahrhunderts dazu, daß sich die internationale Vereinigung der Sprachwissenschaftler dazu verstand, keine weiteren Arbeiten über den gemeinsamen Ursprung von Sprache mehr zur Veröffentli­ chung oder Erörterung anzunehmen. Noch 100 Jahre später gehörte es zum guten Ton einer linguisti­ schen Doktorarbeit, irgendwo zumindest in einem Nebensatz einen gemeinsamen Ursprung menschlicher Sprache als unbeweisbar oder gar als unmöglich abzuqualifizieren. Wer anderer Meinung war, galt als Dilettant und blieb ein Außenseiter. Mit dem Ausweiten der Zeiträume, in denen der Mensch als »Mensch« existiert, und der von Biologen, Anthropologen und Verhaltensforschern an der bisherigen Sprachwissenschaft vorbei gefundenen und formulierten Bedeutung der Lautsprache als Motor der besonderen menschlichen Entwick­ lung seit dem Homo erectus oder gar schon seit dem Homo habilis, stand die eigentliche Sprachforschung mit ihrer selbstgewöllten Beschränkung auf schriftliche Belege recht armselig da. Da es solche schriftlichen Belege erst seit rund 6000 Jahren gibt, schrumpft dieser Zeitraum zu 0,5 bis 0,1 Prozent derZeit, in der menschliche Sprache heute als möglich gedacht werden kann. Paläolinguistik ist die Erforschung von Sprache in die Urzeit menschlicher Geschichte zurück. Sie dringt durch den Vergleich heutiger Sprachen mit den Archetypen bis zu den Anfängen selbst vor. Mit den neu hinzugewonnenen Erkenntnissen und Funden der

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Biologen, Anthropologen und Urgeschichtsforscher wurde die Aus­ flucht der Sprachforscher, Sprache sei eben irgendwann einmal zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten und bei unterschiedli­ chen Arten von Menschen ohne Zusammenhang untereinander entstanden, immer weniger haltbar. Auch die Behauptung, die vorkolumbischen Sprachen Amerikas seien ein Beweis mehr für die Unmöglichkeit eines solchen gemeinsamen Ursprungs, wurde mit der Sprache der Eiszeit und nochmals gezielt mit Die Eiszeit war ganz anders 1973 widerlegt. Ebensowenig sind die Idiome der inzwischen ausgerotteten Ureinwohner von Tasmanien, die, wie wir wissen, vor 100000 Jahren zunächst nach Australien gelangten und vor 30000 Jahren von den nachstoßenden heutigen Aborigines verdrängt wurden, geeignet, diese falsche Annahme zu stützen - im Gegenteil! Die heutigen Erkenntnisse über die Entstehung des Menschenge­ schlechts zusammengenommen, können wir jetzt sagen: Sprache entstand zu einer (wenn auch fernen) Zeit an nur einem Ort innerhalb einer kleinen Gruppe früher Menschen. Es ist die Absicht dieses Buchs, das für jedermann schlüssig zu beweisen. War es wirklich unumgänglich, sich bei der Erforschung von Sprache in die Vergangenheit zurück auf schriftliche Zeugnisse zu verlassen? Schrift ist eine der jüngsten Errungenschaften der Menschheit, wenn wir inzwischen auch Symbole und Bildzeichnun­ gen in den Höhlen als frühe Schrift verstehen. Aber das lag ja außerhalb der Reichweite der Etymologen. Das Studium auch der frühesten Inschriften aus ägyptischen, sumerischen und gleich frühen Funden vermittelte doch den Eindruck völlig fertiger, höchst komplizierter und voll grammatikalisierter Sprachen, keineswegs also von frühen. Daraufhin begann man mit der Erforschung der Sprachen sogenannter primitiver Völker in dem Glauben, dadurch früheren Formen näher zu kommen. Enttäuschung auch hier: Sprachen von Naturvölkern erwiesen sich oft als reicher und feingliedriger als die Muttersprachen der Forscher selbst. Von unserer oben gegebenen Definition her verstehen wir jetzt auch leicht, daß die Vorstellung, die Sprache primitiver Völker sei später entstanden und darum den Anfängen näher, in die Irre führen mußte: Da alle Sprache einst zugleich ihren Anfang nahm, sind alle heutigen Sprachen gleich weit von diesem Beginn entfernt oder, anders ausgedrückt, gleich alt. Und sie alle haben eine Entwicklung durchgemacht, die unendliche Zeiträume hindurch völlig parallel verlief und sich erst sehr viel später, bedingt durch die unterschied­ liche Erlebnisfähigkeit der unterschiedlichen Gruppen in ihrer 16

unterschiedliche Eindrücke vermittelnden Umwelt, auseinanderleb­ te und die sprachlichen Gewichte abweichend voneinander verteilte. Trotzdem hat die legendäre babylonische Sprachverwirrung nie stattgefunden. Sicherlich hat man beim Bau des damaligen Ziqqurat viele Gastarbeiter aus umliegenden Stämmen und Völkern zur Mitarbeit herangezogen, aber trotz der berichteten sprachlichen Schwierigkeiten ist der Bau vollendet worden - wir haben ihn inzwischen ausgegraben. Aber er galt ja noch in der Antike als eines der sieben Weltwunder. Übrigens bestand für das behauptete göttliche Eingreifen keinerlei Grund, denn kein Babylonier hatte die Absicht, diesen Turm in den Himmel hinein zu bauen. Das mochte israelischen Hilfsarbeitern, deren Bauwerke damals im wesentlichen aus Nomadenzelten bestanden, so vorkommen. Natürlich erscheint dem sprichwörtlichen »Mann von der Straße« die heutige Vielfalt der Sprachen leicht als eine Verwirrung, aber dem Wissenschaftler sind schon immer einmal wort- und buchstabenge­ treue Entsprechungen begegnet. Sie wurden in der Regel mit Wanderungen der betroffenen Völker oder mit dem einstigen Bestehen von Großreichen begründet, wenn anders die Distanz zwischen ihnen nicht zu erklären war. Doch diese Art der Deutungen läßt sich durch Übertreibungen leicht ad absurdum führen. Da läuft eine Entwicklung von dem englischen, mundartlichen GAL über das schottische QUAIL zu QUEY auf den Shetland-Inseln, alle drei in der Bedeutung »Mädchen«, als GIRL weltweit bekannter. QUEY sagen aber auch viele der 300 Sprachen und Dialekte der australi­ schen Aborigines. Und das haben sie mit Sicherheit nicht von Shetländern übernommen. Da das -L- am Ende eines Wortes gern zu -N- verweichlicht, gibt es neben dem QUAIL in Schottland auch ein CWEN für »junge Frau«. Das ist nicht nur im Grunde identisch mit der QUEEN und der nordischen KVINN, sondern auch mit unserer frühmittelalterlichen Form, der deutschen KVENNE. »Frau« selbst heißt im Griechischen GYNE, im Baskischen GUNE und im Norwegischen KUNA - das mag noch hingehen. Aber wo bleibt die Erklärung dafür, daß CUNA im Inkareich Perus, in der Sprache der Quechuas, so eindeutig gleichfalls Frau bedeutet wie das GUNA der australischen Aborigines? (Hier Großgedrucktes steht in unmittel­ barer Nachfolge eines Archetypen. Weitere Erläuterungen zur Schreibweise der Sprachbeispiele finden sich auf S. 42.) Flüsse in Mitteleuropa führen nicht selten den Namen AACH, in Österreich ist jede alpine ACHE ein Bach, in Frankreich haben wir ÄIGUES und AIX. Wenn nun auch der Himalaya von AK-Flüssen

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und -bächen wimmelt, so befremdet das schon ein wenig, aber auch Amerika hat seine AC, ACA und die Umkehrung: CACA-Gewässer in Hülle und Fülle. In Lappland und Alaska treffen wir auf JUKKA, JOKKA und YUKON, in Sibirien auf YUGAN und in Afrika auf NYAKKA — alles Gewässernamen mit der ursprünglichen Bedeu­ tung: »Wasser«. Die Eskimos kennen UK, die Japaner IK und die australischen Aborigines EAKE wie QUASCHA, auch letzteres nur eine Variante des ACQ-Themas. Auch hier bleibt nur die Erkennt­ nis, daß solche Namen nicht auf Entlehnungen oder Importe, sondern auf ein von allem Anbeginn gemeinsames Urwort zurück­ gehen. Die meisten Berge des Himalaya hören auf den Namen TAGH oder TACH. Das setzt sich nach Westen fort über das türkische DAG bis zu unseren TAUERN und dem TAUNUS, dem TJOKK der Lappen und dem TOUC früher Pyrenäen-Anlieger. Doch wiederum kennen das vorkolumbische Amerika und der Ferne Osten eigene TAG-Varianten für ihre Berge! Auch unser GLÜCK haben wir nicht nur mit unseren Nachbarn, den Briten - LUCK - und den nordischen Völkern - LYKKE -, gemeinsam, sondern unter anderem auch mit den Loma in Schwarz­ afrika und den Ureinwohnern der Philippinen, den Tagalog, die beide solch schönes Erleben GALAK nennen, eine ältere Form des gleichen Wortes. Einst als GAL’GAL eine Doppelung, um die besondere Bedeutung dieses Wortes zu betonen, wurde daraus aus Bequemlichkeit GAL’LAG, weil sich das besser spricht. Weil offenbar die Betonung sich allmählich auf die zweite Silbe verlagerte, wurde der Vokal -A- in der ersten bei uns verdünnt und landete schließlich bei einem schwachen -E-. Mit dadurch hatte sich auch das -A- gewandelt und geschwächt und die vorletzte Form ist daher G’LÜCK. Unsere Nachbarn gaben dann sogar das Anfangs-G auf, das bei uns noch immer die frühere Doppelung andeutet. Auch ansonsten bezeichnet die zu GE-verstümmelte Urform GAL bei uns die innere Mehrzahl eines Wortes an: Schwester/Ge-schwister, Bein/Ge-bein, folgen/Ge-folge, Wetter/Ge-witter, lachen/Ge-lächter usw. Wer aber würde ernstlich behaupten wollen, daß wir unser G’LÜCK aus Afrika oder die Loma das ihre von den Tagalog bezogen hätten? Sicherlich nicht mehr, wenn wir im zentralen Teil dieser Arbeit erfahren, daß Hunderte von Sprachen ihr Wort für diesen angenehmen Zustand aus der gleichen sprachlichen Quelle geschöpft haben. 18

Noch heute ist mir unbegreiflich, daß Linguisten auf ihrer spärlichen Suche nach alten und ältesten Formen der Sprache an der doch so offen zutage liegenden Dokumentation solcher Zeugen einfach vorbeigelaufen sind. Das mag daran liegen, daß man frühen Menschen im Gegensatz zur antiken Philosophie einfach keine Sprache zugetraut hat und daß zu Unrecht ernstgenommene Leute noch in der Mitte unseres Jahrhunderts den Höhlenmalem der Eiszeit bestenfalls ein Lallen zugestehen mochten. Sie konnten noch nicht wissen, daß wir jetzt dem neun Millionen Jahre fernen Vorläufer des Homo bereits mehr als ein solches Lallen zutrauen! Folglich übersahen sie, was die sie umgebende Landschaft ihnen an uraltem Sprachgut bot. Paläolinguistik begann mit dem Durchschauen von Landschafts­ kennzeichnungen, wie sie sich in Flur-, Orts-, Berg- und allgemeinen Landschaftsnamen darbieten. Ein »Segen der Sackgasse« bewirkt, daß Wörter, die aus einem bestimmten Grunde zu Namen werden, sich nicht mehr verändern. Ein Katzenbuckel oder Feldberg, ein Kilimandscharo oder Kailas (Himalaya) heißt insgesamt oder in Teilen noch heute so wie damals, als diese Berge zum ersten Male benannt wurden. Warum solche Namen nur in der Erinnerung und Überlieferung festgeschriebene Wörter sind, können wir heute besser verstehen wie noch vor 20 Jahren, als die Sprache der Ezszezientstand (die übrigens 1980 in zweiter Auflage erschienen ist). Frühe Menschen lebten genau wie ihre Vor- und Nebenläufer, ja, wie die meisten Säugetiere heute noch, in Gruppen innerhalb fest umgrenzter Wohnreviere. Je nach Fülle des Nahrungsangebots mochte ein solches Revier einen Durchmesser von 20 Kilometern haben - oder von entsprechend mehr oder auch weniger, je nach Größe der Gruppe und je nach Ergiebigkeit an Lebensnotwendigem. Im Kern des Reviers hielten sich die Frauen und Mütter mit Kindern auf, an der Peripherie die Männer. Das Revier mochte an einen Fluß grenzen, von einem oder einigen Bächen durchzogen werden, einen Berg oder Buckel aufweisen. Innerhalb der gruppeneigenen Geographie gab es nur »den Berg«, »den Fluß« oder »Bach«, »das Tal«, »den Wald« und »die Wiese«. Es bedurfte also keiner »Namen« im heutigen Sinne. Das ist in manchen Gegenden sicherlich nicht nur meiner Heimat auch jetzt noch nicht anders: Was da durch Ortschaft oder Dorf fließt, ist einfach »die Bach«, und erst beim Nachfragen erfährt der Ortsfremde etwas von Elz, Enz, Kinzig oder Aach (wobei auch diese Namen einst keine andere Bedeutung hatten als eben »die Bach«),

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Wenn später im Sinne einer Radiation, einer schrittweisen Ausbreitung durch Schaffung neuer Reviere am Rande des ersten und als Folge einer zu zahlreich gewordenen Mutter-Population, neues Gelände erforscht wurde, begann der Vorgang der Bezeich­ nung der vorgefundenen Oberflächengestaltung von neuem. Mit der fortschreitenden Sprachfähigkeit konnte dann schon mal ein neueres Wort für dieselbe Sache verwendet werden. Ja, es kam sogar vor, daß man an das noch vorhandene Wort das neuere anhängte oder davorstellte - bei Namen wie MONT’ALB’BUCCO in der Toskana oder bei TJAERRE’TUN’TURI in Lappland oder beim GAL’HÖI’PIGGEN Norwegens geschah das gleich dreimal nacheinander. Wahrscheinlich versteht sich der besondere Einstieg des Paläolinguisten in die Erforschung früher Sprache am besten, wenn ich hier kurz schildere, wie das beim ersten Mal geschah. Ein inzwischen verstorbener Freund, der Heidelberger Heimatforscher H. Chr. Schöll, zog mich mit folgender Frage zu Rate: »Es gibt in unserer engeren Heimat eine Fülle von Ortsnamen, die auf -BACH enden, ohne daß ein >Bach< gleichen Namens in der Nachbarschaft erkenn­ bar wäre. Im Gegenteil, es gibt Bäche, an denen fünf oder sechs -BACH-Ortsnamen aufgereiht sind, ohne daß auch nur ein einziger den Namen des >Baches< trägt. Könnte das nicht eine Verball­ hornung von -BERG sein, einer ja gleichfalls häufigen Ortsnamen­ endung?« Meine Antwort: »Es könnte auch eine Parallele zu dem nor­ dischen BAKK sein, ein Wort das man international zum Beispiel aus >Ski-BAKKEN< oder >Holmenkoll-BAKKEN< kennt. Das Wort bezeichnet einen sanften Hügel, der mit Erde und folglich mit Vegetation bedeckt ist, während das nordische BERG’et auf nacktes Gestein weist.« Uns wurde klar, daß diese Frage nirgendwo leichter zu klären war als gerade in der Gegend um Heidelberg, mit seinem Mittelgebirge im Rücken und der flachen oberrheinischen Tiefebene im Westen, die sich gut 300 Kilometer von Süd nach Nord erstreckt. Ich versprach, alle erreichbaren Karten Quadrat für Quadrat durchzu­ gehen. Nach drei Tagen und Nächten konnte ich meinem Freunde berichten, daß es in den Mittelgebirgen beiderseits des Rheingrabens von -BAKK-Vorkommen nur so wimmele, daß aber den Tausenden von Vorkommen im Odenwald, im Taunus, im Pfälzer Wald, in der Hardt und den Vogesen und wieder im Schwarzwald ein absolutes Null in der Ebene gegenüberstehe. Zwar habe der Kaiserstuhl wieder 20

solche Namen und auch der auf dem Westufer gegenüber Karlsruhe gelegene Rücken, aber das sei halt nicht Ebene. Es sei also als erstes festzustellen, daß der zu -BACH gewordene Sinngehalt BAKK sich genau an die vom Nordischen her vorgezeich­ nete Forderung halte und da, wo diese Voraussetzungen fehlen, wegbleibe. Aber nur, weil wir uns nicht scheuten, die Frage nach dem Warum einer solchen, deutlich abgegrenzten Verteilung zu stellen, kamen wir weiter. Diese Verteilung konnte, so unser Versuch, von der Unbewohnbarkeit oder gar Unpassierbarkeit des Rheingrabens nach oder noch während der Eiszeit herrühren, als die weite Ebene offenbar ein vom Fluß her ständig genährtes Sumpfgebiet war. Wenn aber die Kennzeichnung BACH nur während oder noch kurz nach der Eiszeit üblich gewesen sein sollte, dann mußte das auch andernorts und rund um die Alpen herum feststellbar sein. Nach wochenlanger minutiöser Kartenarbeit konnte ich belegen: 1. BAKK und BACH sind eiszeitlich - es gab sie im gesamten während der letzten Eiszeit bewohnbaren Raum, aber nur dort: weder in den Alpen, die während der Eiszeit völlig vergletschert waren, noch nördlich einer Grenze solcher Bewohnbarkeit. 2. BAKK stand nie allein, es war stets begleitet von ACH-, ACund ACQ-Namen - wo der eine aufhörte, blieben auch die anderen weg. Der dritte im Bunde war BUCH, BUC oder BOUC. Er war offensichtlich eine selbständig gewordene Variante von BAKK mit der Bedeutung »Anhöhe«, auf oder an einer Anhöhe. (Später fand ich BUKK in der gleichen Bedeutung in dem BUKIT der Malaien, dem PUKARA der Aymara Perus und dem PUKE der neuseeländi­ schen Maori...) 3. Das Vorkommen der drei Ortsnamenkonserven deckte sich im eiszeitlichen Frankreich genau mit den damals klimatisch bedingten Grenzen des Höhlenreviers. Nun möchte ich nicht dahin mißverstanden werden, es habe solche Orte schon während der Eiszeit gegeben. Ortsnamen folgen oft aus schon von altersher überlieferten Flurbezeichnungen. Die charakte­ ristischen Fluren seiner unmittelbaren Umwelt aber bezeichnete der Mensch noch bis in unsere Zeit, bis sie auf den Katasterämtem verewigt wurden und uns heute manches Rätsel aufgeben mit ihren Kühling, Klingenteich, Weidenrot, Schlößchen und so weiter und so fort. Auch Naturvölker kennen nicht nur Weg und Steg, sondern auch jedes Waldstück, jede Lichtung, jede Wiese oder Höhe oder Schlucht gewissermaßen bei Namen. Viele heutige Stadtnamen sind anders gar nicht zu erklären, die Bielefeld, Elberfeld, Aachen, Heidelberg,

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Burgau, aber auch Stockholm, Bergen, Aurignac, Bergerac oder, schon erwähnt: Montalbucco. Hier schnell die Übersetzung: BUCC ist unser oben behandeltes BUCC für Anhöhe, ALP ist das keltische, und MONTE das noch spätere romanische Wort für Berg oder Höhe., Dreimal dasselbe also. Im Laufe des monatelang fortgeführten Kartenstudiums, ausge­ dehnt auf ganz Europa, konnten weitere Entdeckungen von merk­ würdigen Übereinstimmungen nicht ausbleiben, wenn der Grundan­ satz richtig war. So fand sich zum Beispiel in dem Mittelgebirge um den Rhone-Zufluß Ardèche in Südfrankreich die Gebietsbezeich­ nung »Montagne de BERG«. Natürlich konnte man das im Sinne der Historiker damit abtun, daß etwa während der Völkerwanderungs­ zeit das Wort BERG hier von germanischen Völkern zurückgelassen wurde. Aber gerade das erweist sich dem, der in den heute noch echt-germanischen Sprachen zu Hause ist, als Fehlschluß. Da, wo es im Norden »Berge« gibt, spricht man je nach der äußeren Form, je nach der Höhe und je nach dem Zustand der Vegetation von ÄSEN, KJÖLEN, SÖLEN oder FJELL, kennt das Wort BERG aber nur für nacktes Felsgestein, unabhängig von äußerer Gestalt oder Höhe. Die bekannte »Bergstraße«, die sich von Heidelberg (dem vorgeschicht­ lichen Neckarlauf folgend) nach Norden wandte, führte nicht etwa über »Berge«, sondern an der relativ tiefsten Linie an diesen entlang. Uferlinien waren aber früher beliebte Wege, weil das Hochwasser der Flüsse immer wieder einmal für das Freischaffen von störender Vegetation sorgte. In Frankreich heißen daher diese nackten Uferstreifen heute noch »les berges«. In BERG steckt also das Wort BAR für das Nackte (vgl. BAR’fuß, BAR’haupt und sogar noch BAR’geld). Im Süden haben wir ja noch eine Landschaft, die BAAR zwischen Südschwarzwald und Schwäbischer Alb, von der man sich unschwer vorstellen kann, daß sie während und noch lange nach der Eiszeit durch ihre Kahlheit, BAR jeden Pflanzenwuchses, auffiel. BAR aber ist seinerseits nur eine - das Nackte betonende Variante von BAL, einem der frühesten Wörter für Höhen. In den Pyrenäen, der eiszeitlichen Südgrenze des Steinzeit-Reviers, beginnt es mit BAL und BIAL, setzt sich dann als - heute - VIAL und VIEL nach Norden fort, um sich in den nordischen Formen FJÄLL und FJELL erneut bestätigt zu finden. Das Wort FJELL’et bezeichnet zugleich eine baumlose Oberfläche, deren Vegetation Tundra-Cha­ rakter hat. Die Endung »-et« stellt einen angehängten Artikel dar, den man bei der Umstellung auf vorgesetzte vergaß, so daß man in Schottland heute von FIELD und in Deutschland von FELDbergen

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spricht. BAL/BIAL und später FJÄLL-Gebiete waren in Eiszeiten die bevorzugten Sommer-Weidegebiete für die damaligen Herden von Renen, Elchen, Hirschen und Mammuts, die um der Aufzucht ihrer Jungen willen das besonders eiweißreiche Futter der Fjellregionen suchten. Solche Regionen erstreckten sich weit genug nördlich auch bis ins Flachland, erst nach der Eiszeit beschränkten sie sich auf höheres Bergland, weil Wald die Täler eroberte. Wenn wir heute von »Feld-Zug« sprechen, dann bewahren wir mit diesem Wort- unabhängig von seinem gewandelten Sinngehalt - die Erinnerung an jene großen Jagdzüge in den Fjell (auch sonst ziehen wir noch immer ins Feld!), wie sie vor 10000 und mehr Jahren zum Jahresablauf gehörten. Bei den Lappen noch vor wenigen Jahrhun­ derten, damals, als es noch Wildrene gab. Der scheinbare Widerspruch zwischen RHEIN und RHÖN gab einen weiteren paläolinguistischen Anstoß. Das offensichtlich glei­ che Wort für einen Fluß und ein Mittelgebirge forderte eine Erklärung. Nun ist der RHEIN kein Einzelfall, jedes europäische Land hat Entsprechendes: Frankreich RHONE und ROANNE, Italien RENO, England RANNOCH, Norwegen RENA, Schweden und Finnland RÖNNE. Abseits des deutschen RHEINes gibt es eine Fülle von Ortsnamen auf RHEIN-, und: es gibt das märkische RHIN. Letzteres und die Ortsnamen führten zur Lösung: RHEIN-Namen finden sich immer da, wo in niederschlagsreicheren Zeiten Sümpfe, Moore und ganze Seenketten entstehen mußten. Das war am Oberrhein der Fall, ebenso an der Rhone. Das galt erst recht für das Rhin mit seinem Rheinsberg, bis zu seiner Trockenlegung. Damit aber wurde auch der Name Rhön verständlich, sind doch die selbst heute noch kaum geschmälert vorhandenen Hochmoore und die vielen Rinnsale (RINN=RHEIN!) das besondere Merkmal der Hochrhön. Später fand ich nahe Washington die indianische Roanoke und im tiefen Süden des Doppelkontinents zahlreiche Rhinihue. Die dort lebenden Mapuche-Indios haben für unser RINN’en das gleiche Wort: RIN’ün. Importiert? Woher wohl? Aus dem Sanskrit - RINA? Oder aus dem Tibetischen - RAN? Oder aus dem Japanischen - RYUN? Oder gar aus dem Kisuaheli Schwarzafrikas - baha’RINI? Europa wird nicht ausschließlich von indogermanischen Völkern bewohnt. Basken und Lappen gehören nicht dazu. Aber die in ihrem Lebensraum von ihren Vorläufern und Vorfahren hinterlassenen Landschaftskennzeichnungen fügen sich nahtlos in diejenigen in 23

anderen europäischen Räumen. War das ein Hinweis auf die etwaige Allgemeingültigkeit solcher Elemente der Erdbeschreibung? Also mußte auch außerhalb Europas die umfangreiche Dokumentation der Landschaftsnamen-Konserve so genau, wie es das vorhandene Kartenmaterial erlaubte, durchforscht werden. Das geschah in jahrelanger Arbeit. Schon diese Art von Einstieg mußte notwendigerweise zur Freilegung von Urformen führen. Beschleunigt wurde dieser For­ schungsvorgang jedoch noch von einer anderen, jedermann zugängli­ chen Einsicht: Die Umwelt der Menschen, und da besonders die Landschaft, ist sprachlich der Tummelplatz menschlicher Körperlich­ keit. Der Mensch verwendet Begriffe und Wörter, die er zuerst auf seine körperlichen Eigentümlichkeiten münzte, um parallele Er­ scheinungen in seiner Umgebung zu bezeichnen und so seinen Mitmenschen zu verdeutlichen, wovon gesprochen wird. Schließlich und endlich verfahren wir heute noch genauso, wenn wir von einem Flußarm oder einer Bachmündung, von einer Berghase oder einem Bergrücken, vom Knie eines Stromes oder vom Gipfel eines Felsmassivs sprechen (ist doch der Gipfel eine sehr direkte Ableitung von unserem »Kopf«). Gespenstisch deutlich wird diese Praxis, wenn unsere romanischen Nachbarn von einer GORGE, einer GURGEL oder KEHLE also, sprechen, wann immer sie eine besonders enge Schlucht oder Klamm meinen. Also durfte auch der Umkehrschluß erlaubt sein: Da, wo heutige Namen ursprünglich nur Wörter waren, konnten solche »Namen« Wörter für bestimmte Teile des menschlichen Körpers enthalten oder, noch einfacher, sein. Das hat sich im Laufe paläolinguistischer Forschung tausendfach bewahrheitet. Verwirrend ist im Anfang nur, daß im Laufe von Jahrmillionen nacheinander unterschiedliche Urformen etwa den Kopf und damit die »Namen« der Höhen bestimmten. Wir hatten schon BAR und BAL erwähnt, ihre Folgeformen sind die ältesten, gewissermaßen aus dem Sprach-Altertum stammend. Kahlen- oder Killesberg, der Riese Kailas im Himalaya oder der Kilimandscharo entstanden im Sprach-Mittelalter, als unser Kopf zum Beispiel S’CULL, CAL’va oder po’GAL, wie heute noch im Englischen, Spanischen oder Australischen, hieß. Gleiches widerfuhr allen anderen wichtigen körperlichen und - demzufolge - landschaftlichen Merkmalen. Verwirrend bleibt das aber nur, bis man die zugrundelie­ genden Urformen freigelegt hat. Es gehört sicherlich keine allzu große Überwindung dazu, sich 24

auch unter Fachleuten zu dem Konsens zu verstehen, daß frühe Sprache aus kurzen Wörtern, aus einsilbigen mit nur zwei, drei oder vier Lauten, bestanden haben dürfte. Das läßt sich aber auch heute noch leicht nachweisen: Wenn man aus einem oder zwei Dutzend beliebigen Sprachen die einsilbigen heraussiebt, dann ergibt sich kein Mischmasch an Sinngehalten solcher Wörter, sondern sie haben vor allem mit dem Menschen selbst und seiner Körperlichkeit zu tun. Genau wie auch im Deutschen: Kopf, Hirn, Stirn, Haar, Ohr, Mund, Zahn, Hals, Brust, Arm, Hand, Herz, Bauch, Darm, Bein, Fuß, Knie, und wenn man die bloßen Wortendungen -e- und -en- nicht rechnet, noch: Auge, Kehle, Backe, Lunge, Galle, Niere, Nacken, Rachen, Magen. Es gibt noch heute Sprachen, die aus lauter einsilbigen Wörtern bestehen, oder solche wie das Mongolische und das Chinesische, die aus lauter einsilbigen Einzelwörtem ihre komplizierteren Begriffe zu mehrsilbigen Wörtern zusammensetzen. Tiefer eindringend, be­ merkt man, daß auch wir einmal eine solche »chinesische Phase« durchlaufen haben müssen, denn auch unsere Wörter sind Zusam­ mensetzungen und oft auch Zusammenschliffe aus ursprünglich mehreren einsilbigen. Jenen Zweiflern aber, die sich nicht vorstellen zu können glauben, daß unsere heutige Sprache auch nur die geringste Verbindung zu den Idiomen von Menschen vor 10000 oder 100000 oder noch mehr Jahren haben sollte, ist entgegenzuhalten, daß auch sie, wie jeder von uns, am Ende einer Generationen-Kette stehen, die ohne jede, ohne auch nur eine einzige Unterbrechung, in die Vergangenheit zurück­ führt - nicht 10000 oder bloße 100000 Jahre, nein, zunächst einmal »nur« runde neun Millionen Jahre bis zum Ramapithecus als Zwischenglied zu noch weiter zurückliegender Evolution. Und wann immer menschliche Vorläufer in dieser Kette eine Lautsprache erwarben und wieder ausstarben, und erst recht, seit der eigentliche Homo erneut Sprache erfand, hat der Faktor, den wir volkstümlich, aber doch wohl allgemeinverständlich »Muttersprache« nennen, dafür gesorgt, daß Erworbenes genau so weitergereicht wurde, wie es erlernt worden war. Da wir selber der lebende Beweis dafür sind, daß es aus fernster menschlicher Vergangenheit eine durchgehende Linie bis zu uns gibt, hat die nie unterbrochene Tradition der Mutterspra­ che dafür gesorgt, daß wir noch immer besitzen, was vor undenkli­ chen Zeiten erdacht, geformt und ausgesprochen wurde. Das - und nichts anderes - ist der Grund für die vielen frappanten Entsprechungen und Übereinstimmungen zwischen einander heute 25

entfernten Sprachen wie zum weiteren Beispiel das erwähnte BAR und BERG, das sich bei den Antipoden, bei den australischen Aborigines als BAREE wiederfindet. Wir erklären das nicht mit gewagten Migrationshypothesen, bei deren Erfindung man geradezu schwindelfrei sein muß, sondern mit einfachen Selbstverständlichkei­ ten, die schon darum mehr Aussicht haben, richtig zu sein, weil sie einfach sind. Paläolinguistik heißt, Urformen oder - wie ich es in meinem »Vorläufigen Bericht« von 1962 genannt habe - Archetypen freizulegen und ihre Nachwirkungen in heutige Sprachen hinein zu verfolgen. Wie und warum Sprache überhaupt entstanden ist, war eine Frage, die wohlweislich beiseite blieb, denn dabei schien es zuvörderst um Spekulation zu gehen. Die Antike, die den Menschen von Anbeginn die Fähigkeit der Sprache zuerkannte, mochte sich damit begnügen, sie als Geschenk der Götter zu sehen. Immer wieder einmal, aber vorrangig im 19. und 20. Jahrhundert, haben sich hervorragende, aufgrund anderweitiger Leistungen berühmt gewor­ dene Denker mit dem Wie und dem Warum befaßt und Theorien aufgestellt. Im Endeffekt allerdings nur, um ihre Vorstellungen auf dem Hackklotz der Kritik des nächstfolgenden Nachdenkers geop­ fert zu sehen. Wahrscheinlich bedeutet das 1979 erschienene Buch meiner Mitautoren (von Weib und Macht und Kinder der Höhle) Doris F. und A. David Jonas ein Ende dieser Ära. Dieses Forscherehepaar vereinigt in sich eine Mehrzahl höchst relevanter Disziplinen - Anthropologie (im britischen Sinne einschließlich Völkerkunde und Urgeschichte), Evolutions- und Soziobiologie, Verhaltensfor­ schung, Primatologie und Psychiatrie. Sie kamen 1979 mit einem bemerkenswerten Buch heraus, dem sie den Titel Das erste Wort gaben und in dem sie schildern, wie die Menschen sprechen lernten. Ich möchte an dieser Stelle die Schilderung eines eigenen Erlebnisses voranstellen dürfen. In der Gesellschaft unserer Familie lebt seit 13 Jahren eine Katze, die vor acht Jahren sterilisiert wurde. Katzen leben laut Höhlenmalerei seit etwa 20 000 Jahren gesellig mit dem Menschen, ohne je ihre Eigenart und selbständige Natur aufgegeben zu haben. Sie vermenschlichten nicht wie der Hund. Im sicheren Schutz menschlicher Geselligkeit, bei der sie vor Feinden keine Sorge mehr zu haben brauchten, entwickelten sie eine vielfach variierte »Sprache« zwischen Mutter und Jungen, die über das bloße Reagieren auf Forderungen letzterer hinausgeht. Unsere Katze nun lebt so einbezogen in unsere Familie mit uns, daß sie begonnen hat, so 26

mit uns zu »sprechen«, wie sie das früher mit den eigenen Jungen getan hat. Sie variiert ein zärtliches Gurren, mit dem sie auf jede Zuwendung wiederholt antwortet, und sie läßt es hören, wenn sie ihrerseits Zuwendung wünscht. Und das ist außerhalb ihrer etwa 20 Stunden täglichen Schlafes sehr oft der Fall. Wir verstehen an Tonfall und Gehabe genau, was sie will, und da wir als Menschen halt ständig miteinander reden, hat sie sich angewöhnt, auch ihrerseits ständig zu »reden«. Und das, wie schon gesagt, immer in der Art, wie sie früher mit den eigenen Jungen umging. Man kann hieraus schließen, daß auch menschliche Sprache erst möglich wurde, als die Mütter nicht mehr fürchten mußten, sich durch ihre Lautgebung gegenüber lauernden Raubtieren zu verraten. Das konnte verschiedenen Umständen zu danken sein, zum Beispiel der sozialen Organisation innerhalb des eigenen Reviers, wie wir sie schon kurz erwähnten. Aber wenn dieser Schutz einmal gegeben war, dann begann auch die frühest denkbare menschliche Mutter, mit ihrem Baby andere Laute auszutauschen als die Antworten auf Forderungen. Jede Mutter, gleich welcher Säugetierart, ist darauf programmiert, auf akustische Auslöser der Jungen automatisch positiv zu reagieren. Nach einigen Monaten aber, dies der Hinweis von Jonas und Jonas, entdeckt das Baby einen gewissen Lustgewinn am Gebrauch seiner stimmlichen Möglichkeiten unabhängig von Not, es beginnt zu lallen. Und das gerade dann, wenn es sich unbeschwert und wohl fühlt. Welche Mutter nimmt eine solche Wahrnehmung nicht ihrerseits mit Genugtuung und Lustgewinn auf. Als Folge wird sie versuchen, das Kind solche Äußerungen des Wohlseins fortsetzen oder wiederholen zu lassen. Das beste Mittel dazu liegt denkbar nahe: Sie wiederholt und imitiert das Lallen des Babys, bis das seinerseits wieder darauf eingeht. So wird also wechselseitig gelallt, und beide fühlen sich sehr glücklich dabei. Gerade letzteres wird sie bewegen, das Spiel möglichst oft zu wiederholen. Es kann nicht ausbleiben, daß irgendwann einmal das Lallspiel von der einen oder der anderen Seite variiert wird, um ein bestimmtes Gefühl, einen Wunsch oder Dankbarkeit auszudrücken. Wie gesagt, das kann sogar meine Katze, die einige Dutzend Jahrmillionen weiter unten auf der Leiter der Evolution steht; und ich verstehe sie. Wieviel leichter muß da das gegenseitige Verstehen zwischen Mutter und Kleinkind gewesen oder noch sein! Und das noch vor dem eigentlichen Miteinander-Sprechen, heute wie damals. Aber das Fortschreiten zu einer Lautsprache ist hernach nur noch ein kleiner Schritt.

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Auf diese Weise haben aber Frauen in ihrer Rolle seit Menschen­ gedenken immer mehr gesprochen und mehr zu sagen gehabt als Männer. Während die Knaben mit ihrer Pubertät aus der mütterli­ chen Nestwärme ausschieden, hatten die Mädchen Sprache als Medium so nahen menschlichen Miteinanders nicht nur an sich erfahren, sondern in der Regel noch mehrmals an nachgeborenen Geschwistern und dann wieder, wenn sie selbst Kinder hatten. Jonas und Jonas weisen angesichts dieses quantitativen Unterschieds in der Anwendung von Sprache über möglicherweise Jahrmillionen betont auf die Untersuchungsergebnisse vieler Forscher hin, denen zufolge die Sprachfertigkeit bei kleinen Mädchen deutlich größer ist als bei den Knaben. Letztere holen die Mädchen erst wieder ein, wenn beide so an die 15 Jahre alt geworden sind. Auch Legasthenie, die sogenannte Rechtschreibschwäche, kommt bei Jungen viermal häufi­ ger vor als bei Mädchen. Aber noch als Erwachsene sind die Frauen überall auf der Welt deutlich redseliger als die Männer - wer wollte das bestreiten? Wie so vieles sonst, ist also auch die Sprache, die Voraussetzung jeder kulturellen Entwicklung, eine Errungenschaft der Frauen. Wenn nun aber schon der Beginn dieses neuen menschlichen Mediums in einer unvorstellbar fernen Vergangenheit auf einer so einfachen Stufe anzusiedeln ist, dann müssen wir bei unserer Erforschung der Anfänge der Tatsache eingedenk bleiben, daß Sprache zu keiner Zeit von Linguisten beeinflußt und weiterentwikkelt worden ist. Sondern von ganz einfachen Menschen, die sich dabei nichts weiter gedacht und dazu bis in frühgeschichtliche Zeit nichts Besonderes überlegt haben. Wie zufällig eine solche Weiterentwicklung vor sich ging, zeigen ein paar typische Beispiele: Das englische MOUTH bedeutet nicht nur »Mund«, es ist erkennbar auch das gleiche Wort. Davon abgeleitet ist nicht nur das englische MUZZLE für »Schnauze«, sondern auch MUTTER für »murmeln«, unser MOTZEN, MO­ SERN und MAUSCHELN und die romanischen MOT und MOTTO für »Wort«. An den Mund hängten sich bei uns noch schMATZEN und schMAUSEN, MUS und Ge’MÜSE. Eine andere Art Mund, MÖSE, führt weiter zu schMUSEN. Damit nicht genug, führen Flurund Ortsnamen an Quellen und Mündungen gern Namen wie MOS-(MUS- und/oder MIES-)bach, MOSbrunn. Das gleiche Thema variieren Gewässer wie die MOSEL, die MAAS oder die MEUSE. In Frankreich deuten Ortsnamen wie MOUStier gleichfalls auf Quellen, so vor allem das malerisch gelegene Moustier Sainte

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Marie in der Provence, wo der Wassermenge nach fast ein Fluß aus einem steil aufragenden Felsen herausquillt und fast senkrecht abstürzt. Paläolinguistisch folgerichtig hat man trotz des Steilabfalls eine stattliche Kapelle neben den Austritt des Wassers gebaut. Eis ist für die Griechen GALA, für die Romanen GLACE bis HIELO. Auch wir müssen einmal wie die laddinisch sprechenden Bewohner des Engadin dafür ein Wort GLATSCH gehabt haben, denn unsere Sprache enthält einige Ableitungen davon: GLET­ SCHER, GLITSCHIG, GLATT und GLEITEN, ja, sogar noch das Kinderwort GLENNEN. Aber Eis ist nicht nur glatt oder glitschig, es reflektiert das Sonnenlicht auch in besonderer Weise: es GLÄNZT, GLEISST und GLITZERT! Stellt sich die Frage, wovon das griechische GALA, das sichtlich einer Urform am nächsten steht, abgeleitet ist insbesondere ange­ sichts der Tatsache, daß ein romanisches Wort, CALOR, Wärme bedeutet! Ersteres muß aus der Zeit stammen, als man Kopf und Bergeshöhe von dem Archetyp KALL ableitete - Kallenberg, Kahler Asten, Galhöipiggen u. a. m. - und zwei besonders spürbare Eigen­ schaften solcher Höhenlagen assoziierte: nämlich, daß sie KAHL waren und besonders KAL’T. Damals, als diese Wörter geprägt wurden, waren diese Zustände zudem erheblich ausgedehnter und fühlbarer. Eine spätere Tafel wird den Leser überraschen, wieviele Sprachen in dieser Hinsicht gleichermaßen kombiniert haben wie die unseren hier in Europa. Auch die Herkunft von CALOR werden wir noch ausführlich besprechen, sie hat nichts mit dem Kopf zu tun. Einiges wird an diesen paar Beispielen klar. Es war für frühe Menschen selbstverständlich, Sinngehalte auf verwandte Erschei­ nungen zu übertragen - der Mund war gewissermaßen ein Synonym für jede beliebige Art Öffnung, der Gipfel eines Berges gleichbedeu­ tend mit »kahl« (weil er keine Vegetation aufwies) und mit »kalt« (meist der Grund für die fehlende Vegetation), da er lange Zeit im Jahre oder gar ständig von Schnee bedeckt war, dem äußeren Zeichen von Kälte. Da eine solche Schneedecke zugleich die Augen blendete, assoziierte man auch die Begriffe vom Gleißen und Glitzern. Der Glätte und dem Gleiten wurden viel später noch das Schlittern und der Schlitten angefügt. Auf solche Längs- und Querverbindungen stößt der Paläolinguist immer wieder, am besten entdeckt er sie natürlich in der eigenen Sprache. Wie primitiv im Grunde die Wortschöpfungen früher Menschen waren, verraten heute noch Beispiele wie das vielzitierte Wort »Begriff« von »begreifen«, bei dem niemand mehr auch nur im 29

Entferntesten an das Anfassen oder Betasten denkt, das dieses Wort einst zum Ausdruck bringen sollte. Ein ähnlicher Hintergrund steckt in unserem »Kennen«, ein Wort, das schon in unseren nordischen Sprachen auch den Sinn von »fühlen, empfinden« hat. Kennen also durch fühlen? Wie weit muß man wohl zurückgehen, um darin einen Sinn zu sehen? Ähnlich ist es mit dem heutigen Wort »Zuneigung«. Kein Zweifel, dieses Wort wurde einst vom Bilde eines dem anderen zu-geneigten Menschen, etwa einer Mutter zu ihrem Kinde, einer Frau zu ihrem Liebhaber, bestimmt. Aber damit nicht genug: Das Wort NEIGEN ist ja auch die Vorform von NICKEN, einem gleichen Vorgang, nur von kürzerer Dauer. Beide aber, NICKEN wie NEIGEN, beschreiben eine Bewegung des NACKENs. Das gleiche im Englischen, NECK, bezeichnet aber nicht nur den Nacken, sondern auch den Hals. Das bringt uns zu einem anderen Element des Verwirrspiels heutiger Sprachen, das es zu durchschauen gilt: Das gleiche Wort kann in zwei verwandten Sprachen schon zwei unterschiedliche Bedeutungen haben: französisch GROS und eng­ lisch GROSS sind nicht etwa »groß«, sondern »dick«. Und SMALL ist nicht etwa »schmal«, sondern »klein«. In einigen deutschen Ortsnamen, etwa Schmalkalden, oder Wörtern, wie »Schmaltier« für das weibliche Reh, hat es diesen englischen Sinn auch noch. Verständlich ist, wenn unterschiedliche Sprache zwar das erkennbar gleiche Wort verwenden, damit aber einmal »groß«, zum anderen »viel«, ja, auch hoch bezeichnen. Ein großer Berg ist natürlich ein hoher Berg, eine große Menge genau so gut viel. Es deutet an, daß frühe Sprache so feiner Unterschiede nicht bedurfte. Andererseits wiederum ist man verblüfft, wie sich ein Wort für den Begriff »groß«, das mit Sicherheit sehr früh entstanden ist, bis heute in mehreren Sprachen in sprachlich ganz engen Grenzen gehalten hat wie in der Magnus-Guppe: Lateinisch MAGnus, griechisch MAKros und MEGA (vgl. »Makrokosmos« und »Megatonnen«), arabisch MAcH, hindi MAHA, indianisch MAS bezeichnen das Große, englisch MUCH, schwedisch MYKKet und norwegisch MEGet und MANGe, englisch MANy drücken die MENGe, das Viel einer Sache aus. Auch unser MANCH gehört noch etwas abgeschwächt dazu, ebenso das spanische MAS für MEHR. Unmittelbarer Vorläufer der schon erwähnten GYNE, CUNA und GUNA waren überall GUL/ CUL, und das nicht nur für die »Frau«, sondern für »Mensch« überhaupt. Vor wenigen Jahrhunderten war CHIN’D unser Wort für Frau, so daß der Verdacht naheliegt, daß mit KIN’D nur die Mädchen gemeint waren, zumindest sprachursächlich. In dem lateinischen

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MAS’CUL’us haben wir daher eine aufschlußreiche Zusammenfü­ gung - CUL steht für Menschen allgemein, und MAS für den größeren, nämlich den Mann. Wenn männliche Exemplare bei den meisten Säugetierarten die größeren sind, so hängt das mit den Rangkämpfen und dem Vorrecht des Siegers zusammen, die weib­ liche Population bevorrechtet besamen zu dürfen. Wenn wir gleichartige, gleichwertige oder gar gleiche Wörter in heute weit voneinander entfernten Idiomen finden, dann ist das ein Beweis, daß sie sehr alt sein müssen. Solche Übereinstimmungen kommen sogar bei praktisch rein erhaltenen Urformen vor und gehen daher auf eine Zeit zurück, als die ersten Homo-Gruppen noch beieinander waren oder so nahe beieinander lebten, daß ein ständiger Austausch räumlich noch möglich war. Nun, das war sicherlich viel länger der Fall, als man gemeinhin annehmen mag. Die Radiation ging sehr langsam vor sich, und die jeweiligen Tochterkolonien hielten einen selbstverständlichen Kontakt zu ihrer unmittelbaren Mutterkolonie, und diese, ihrerseits eine Tochter, hatte weiter weg die eigene Muttergruppe. Bei der Erklärung der weltweiten Verbrei­ tung des heutigen Cro- Afagnon-Menschen verweisen die Anthropo­ logen auf die Wahrscheinlichkeit eines auch den Menschen innewoh­ nenden Wandertriebs, der uns bei Vögeln und Fischen, aber auch bei einer Reihe von Säugetieren bekannt ist. In einer Zeit, bei der eben »Zeit« noch kein Faktor war, spielten und spielen Entfernungen keine Rolle. Als die Eskimos noch nicht in Hütten seßhaft gemacht worden waren, scheuten sie winterliche Wege von 1500 Kilometer nicht, nur um an einer festlichen Zusammenkunft innerhalb ihrer weitläufigen Verwandtschaft teilzunehmen. Es ist sicher nicht abwe­ gig, solches Verhalten als Zeugen frühmenschlicher Gewohnheiten zu sehen.

Die Archetypen

Die Sprache der Landschaft ist also für den Paläolinguisten das, was Hieroglyphen, Keilschrifttexte, Tontafeln und frühe Papyri oder Lederrollen für den Archäologen sind: Beweismittel und Vergleichs­ material. Schon sie enthüllen alle Archetypen. Sie haben ihren Niederschlag in deren unmittelbaren Nähe gefunden wie außer dem Körperlichen kaum ein anderer Erlebnisbereich des frühen Men­ schen. Jedem, der sich nun intensiver mit dieser neuen Forschung befassen will, sei angeraten, sich die Aha-Erlebnisse und die Entdeckerfreude zu verschaffen, die bei einer intensiven Erfor­ schung von Landschaftsnamen auf ihn warten. Dabei ist es wichtig, neben den formalen Gegebenheiten auch die dynamischen Kräfte aufzuspüren, die von innen her auf die Formen­ welt der Sprache eingewirkt haben. Welch gewaltige Spannung zwischen der ursprünglichen Formenarmut und der Fülle gedankli­ cher Vorstellungen, die nach Ausdruck drängten, bestanden haben muß, wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Zahl der echten Urformen auf ganze sechs begrenzt ist. Zweifel an dieser Zahl sind nur insoweit berechtigt, als es denkbar und möglich erscheint, daß zwei der nachfolgend genannten doch noch eine gemeinsame Herkunft von einem Dritten verraten könnten, die Gesamtzahl also auf fünf oder vier schrumpft. Vergegenwärtigen wir uns also das schier Unglaubliche: Das für die Evolution der Menschen entscheidende Erlebnis Sprache führte zu ganzen sechs differenzierten Grundformen - alles, was darnach kam, waren nur Variationen dieser sechs Themata! Zwangsläufig mußte jedes dieser Wörter mehreren Sinngehalten Heimstatt sein, Sinngehalten, die zwar untereinander durch die Brücke gedanklicher Assoziationen (z. B. Mund=Öffnung generell) verbunden blieben, die sich aber an den entgegengesetzten Enden erheblich voneinander entfernen können (Höhle - Haus - Schiff, Frau - Quell - Wärme - Feuer). Wenn der nachfolgend als erster besprochene Archetyp BA

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in den Wörtern für Mensch, Geburt, Volk, Geschlecht und Kopf zu finden ist, so mag das noch angehen. Wenn er aber auch in Berg und Tal, in Vulkan, Meer, Baum, Vieh, Bau, Boot, Göttern und Teufeln, in Leben und Tod steckt, dann gilt es, den Gedankengängen jener einfachen Menschen, die hier Urheberrechte wahrnahmen, nachzu­ spüren. Während so am Anfang der Sinngehalt immer weitergreift als das verwendete Wort, neigt im Nachhinein das Wort dazu, seinen Sinn weiter einzugrenzen. Daraus folgt der Antrieb, immer wieder neue, noch genauere Wortschöpfungen einzusetzen. Oft wird dabei in späterer Zeit auch auf einen anderen Archetyp zurückgegriffen. Fassen wir das Bisherige zusammen: Paläolinguistisch verstanden, bestand ein frühen Menschen gemeinsamer Urwortschatz von sechs Archetypen. Diese sind in zugleich zeitlicher Reihenfolge:

BA KALL TAG TAL OS ACQ

Die Sprache hat von Anbeginn bis zu ihren heutigen Formen einer gleich ununterbrochenen Kontinuität gehorcht wie die Aufeinander­ folge der Generationen. Trotz der Aufspaltung in über 2000 Sprachen und Dialekte ist das heute noch gültig und sichtbar. Voraussetzung für eine solche Kontinuität war und ist die ununter­ brochene Generationenfolge zusammen mit der Erscheinung Mut­ tersprache, die dafür sorgt, daß Erlerntes unverändert weitergereicht wird. Während einerseits Aufspaltungen und Veränderungen Platz griffen, sorgten auf der anderen Seite gewisse, noch nicht voll überschaubare psychologische Wirkungen dafür, daß zu jeder Zeit frühe Wörter nicht weiter variiert, sondern unverändert überliefert wurden. Gerade sie erleichtern die Rückverfolgung zu den Anfän­ gen. Ob übrigens »Anfang« oder »Beginn«, beide Wörter sind ein typisches Beispiel für frühe Denkweisen: FAVN und FANG sind in unseren Sprachen die weibliche Leibesöffnung, mit deren Verlassen das Leben »an’fängt«. GINNAN ist das Auseinanderklaffen dersel­ ben beim Geburtsvorgang, mit dem das Sein des Menschen »be’ginnt«. Gleiches gilt für eine Vielzahl anderer heutiger Sprachen, und das nicht etwa nur in Europa. BA findet sich überall dort, wo es um den Menschen geht, um sein 34

körperliches Bild, sein Buhlen um Weib oder Mann, um die Mühe von beiden, Vater wie Mutter, für Bub und Mädel der eigenen Familie, um Füttern und Wärmen, um Bauen und Wohnen, um den Fang von Vieh, Fischen und Vögeln. Es kennzeichnet Freund und Feind, die Verwandten, den Nachbarn. Es findet sich bei Viehnamen, wo Fruchtbarkeit das Wichtigste war, beim Wild und bei Pflanzen, wenn sie nützlich oder eßbar sind oder zur Matte, zum Gewand oder zum Gefäß verarbeitet werden konnten. BA durchdrang besonders dicht alles, was mit Bauen und Wohnen zusämmenhängt, Machen und Wollen sind gesättigt davon. Und wo immer Nähe und Beieinander typisch sind wie beim Weben, Binden, Fügen oder Buhlen, da stellt BA eine Majorität. Anmer­ kung: Alle Hauptwörter dieser Beschreibung sind heutige BAFormen. Für BA als den ersten Archetyp überhaupt sprechen einige gewichtige Gründe. Das -B- ist der am leichtesten zu sprechende Konsonant, es erfordert nur ein öffnen der Lippen bei geringem Luftdruck. Das gilt auch für das verschwisterte -P-; allein der Luftdruck, der hinter den Lippen zunächst gestaut wird, ist deutlich höher. -B- und -P- sind in fast allen heutigen Sprachen vorhanden, lediglich bei einigen Indio-Dialekten des Amazonas-Gebietes fehlt das eine oder das andere. -A- ist der mit dem geringsten Kraftauf­ wand sprechbare Vokal. Das ist wohl auch der Grund für seine Häufigkeit. Knapp unter 50 Prozent der für diesen ersten Band gesammelten 30000 Stichwörter primärer Sinngehalte aus weit über 200 Sprachen führen das -A-, der Rest verteilt sich abnehmend auf O, U, E und I samt ihren Zwischentönen. Denken wir an die Theorie mit der größten Wahrscheinlichkeit, zuzutreffen, zurück (Jonas und Jonas), daran, daß Sprache zuerst zwischen Mutter und Kind entstand, dann belegten Hunderte von Sprachen mit ihren BABBA und MAMA für »Mutter«, aber auch mit ihren BA-Abkömmlingen für das »Kind« wie BABY und viele andere -BOY, BARN, BOU, BEN- die an Gewißheit grenzende Wahrscheinlichkeit des BA als erstem Wort der Menschheit. Belege hierfür sind auszugsweise in Täfel 1 zusammengestellt. Wie weit aber kamen frühe Menschen mit einem solchen ZweiLaute-Wort wie BA? Hier ein paar Worte über den Bedarf, über unsere Forderungen an den uns verfügbaren Wortschatz. Der Erfinder des Basic English bescheinigte seinen Londoner Dockarbeitem der zwanziger Jahre, daß sie mit 200 Wörtern auskämen. Im Vergleich dazu erwähnt er Churchill, der über ein Vokabular von

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Tafel 1: Mutter und Kind australisch

romanisch

italienisch

fanti

PAPA

PAPilla

MAMMA

o’BAA

Mutterbrust

Muttermilch

Mutterbrust, Mutter Frau

tagalog

australisch

tagalog

schottisch

BABAE

BABUK

BO’BAYE

POU’t

Frau

Mutter

Weibliches

Mädchen

efik

englisch

englisch

schottisch

E’BA

WOMAN

WOMB

POP

Mutterbrust

Frau

Leib

alles Weibliche

englisch

fanti

loma

tagalog

WOO

A’WO

BOLO’dai

BOLOS

Liebeswerben

Ge’BURT

Kohabitation

BUHLE

efik

loma

BON

WON

Liebe

Liebe

englisch hindi BAB/BABE/BABY BACHCHA BABY Kleinkind

griechisch

indianisch

bäle

giriama

PAIS

PAPU’se

BA

WA

Kind

BABY

Kind

Kind

ukwani

bantu

fanti

hebräisch

NWA

BWA

MBA

BAR

Kleinkind

Kind

Kind

Kind

schottisch

nordisch

australisch

efik

BAIRN

BARN

BAM1

O’WONG

Kind

Kind

Kleinkind

Kind

tagalog

schwedisch

arabisch

schwedisch

BONG’so

POJK

BEN

PIKE

Kleinkind

Junge

Junge

Mädchen

60000 Wörtern verfügte. Das gleiche erreichte der deutsche Goethe. Der Engländer stellte dann die Wörter seiner Sprache zusammen, die notwendig seien, alles auszusprechen, was man von einem durch­ schnittlich gebildeten Briten erwarten darf. Dabei kam er auf 850 Wörter. Wir fragen uns daher: Bot BA frühen Menschen nach einer gewissen Zeit der Übung und Entwicklung jene 200 Wörter des Dockers oder gar jene 850 des Mannes von der Straße? Rechnen wir nach. Zunächst einmal ließ sich der Vokal variieren, über O bis zu I: 36

BA BOU

BAO BOE

BAU BOI

BAY BU

BAE BY

BAI BE

BO BI

Einige Sprachen bezeugen weitere Variationen als früh möglich BAA BUO

BOA BEO

BUA BIO

BYA BUU

BEA BEU

BIA BIU

BOO

Das sind 27 mögliche Wörter. Die Tafel 1 zeigt schon einige Varianten. Zunächst muß nicht BA, es kann auch PA gesprochen werden. Damit sind wir bei 54. BA kann zu WA, BWA, MBA, NBA, desgleichen zu PA werden. Zwischener­ gebnis: 2X4X27 = 216. Mit anderen Worten: Den Docker haben wir schon eingeholt. Das P aber verwandelt sich leicht und daher bald zu PF und zu F. Also plus 54 = 270. Auch die BA-Variante MA erlaubt alle oben durchgespielten Möglichkeiten: 297. Damit sind wir aber noch nicht am Ende: Alle Sprachen bezeugen heute noch eine ursprüngliche Neigung zur Verdoppelung, um die besondere Wichtigkeit eines Wortes zu betonen - BABA, MAMA, PAPA aus unserer ersten Tafel sind solche Beispiele. Dieses Prinzip wurde auf alle vorhergehenden Formenmöglichkeiten angewandt und verdop­ pelt das Ergebnis unserer bisherigen Rechnung auf rund 600 mögliche Wörter. Sprachen aber kennen noch eine Masche - den Abtausch der Laute: BA zu AB (im Arabischen: Kind), Buhlen zu Lieben, Pott zu Topp, Ziege zu Geiß oder Goat, Kahn zu Nachen, Schnee zu Neige im Französischen, das englische Push zu unserem Schub’sen usw. Ein legitimes Spiel einfacher Menschen vor undenkli­ chen Zeiten schon, um heutige Linguisten zu foppen. Es erhöht unsere Rechnung um weitere rund 300. Und das mindestens noch einmal von der gut vertretenen Variante ABA aus. Sie konnten es mit dem »Mann von der — heutigen — Straße« also aufnehmen. Es hat mit Sicherheit lange gedauert, ehe die BA-Phase der Sprache ausgereizt war. Grob geschätzt, dürfte die Hälfte der Zeit, seit es überhaupt eine Lautsprache beim Homo gibt, von BA bestimmt worden sein. Wenn man ein paar Dutzend heutige Sprachen nebeneinander durchforscht hat, dann ist der Eindruck, BA habe alle Erlebnisbereiche früher Menschen abgedeckt, zwingend. Dieses Ausreizen des Archetyps BA in alle vokalen und konsonan­ tischen Möglichkeiten hinein und entlang aller denkbaren sinnge­ haltlichen Assoziationen mag eine halbe Million Jahre gedauert haben. Am Ende wußten die Menschen, die diese Sprache verwende­

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ten, natürlicherweise nicht mehr, was etwa der Grund dafür gewesen sein konnte, daß BA sowohl in der VA’gina wie im BAUM, warum gleichermaßen in LEIB, LIEBE und LEBEN steckte, im BAILAR für Tanz, in der BAU’de zum Wohnen oder im BALE für FEU’er und WÄRME. Als der zweite Archetyp, KALL, die Bühne betrat, gab es für die inzwischen Hunderte von unterschiedlichen Vorstellungen starke und schwache BA-Wörter. Die starken behaupteten sich bis heute, andere erduldeten, daß man ihnen ein KÄLL vorsetzte oder anhängte - zum Beispiel VA’GINA, auf Philippinisch genau parallel BA’NGAL, gleichfalls philippinisch MU’LAG und schottisch BOU’CHAILL für Kind. Tibetisch KAL’BA für Frau dreht nur um, was eskimoisch MU’LIAK genannt wird. In wieder anderen hat sich KALL knallhart über Früheres hinweggesetzt, so im Schottischen und Englischen GAL, im Arabischen GAIL, im Irischen QUAIL, im Quiche Mittelamerikas A’KAL, im Samojedischen GAL’GO, im Tibetischen CAL’BA, im Hebräischen KALLAcH - alle mit der Bedeutung Frau. Die Schwachen unter den BA-Wörtern verschmol­ zen manchmal bis zur Unkenntlichkeit. Das Krasseste bietet wohl unsere F’RAU oder Wörter wie PFLEGE, PFLUG, B’LICK und andere, bei denen von BA gerade noch ein einziger Laut übriggeblie­ ben ist. Während BA, wie dargelegt, in seinen Sinngehalten alles umfaßte, was im Sprachaltertum menschliches Interesse erregte, beginnt mit KALL die zunehmende Abnahme der möglichen Bedeutungen. Jeder folgende Archetyp hat einen geringeren geistigen Umfang und endet schließlich bei ACQ mit der einzigen Bedeutung: Wasser. Auch an dieser quantitativen Rangfolge erkennt man zweifellos das zeitliche Nacheinander. Der Hauptteil dieses Büches widmet sich dem Archetyp KALL. Ein folgender Band wird sich mit dem Urwort TAG befassen, ein geplantes drittes Buch mit BA. Die verbleibenden drei Urformen (TAL, OS und ACQ) sind in der 1980 neu erschienenen Sprache der Eiszeit erschöpfend dargestellt. KALL ist jede Vertiefung, jede Kuhle, Höhle und Höhlung, jede Wölbung, jeder enge Durchlaß. Ferner Schale, Kehle, Wohnstatt, Kulthöhle und später Tempel und Kirche. In der Landschaft der Quell, Schlucht, Klamm und Tal sowie der Paß, der die Höhe an der niedrigsten Stelle überwindet. Vor allem aber der mütterliche Leib, Geburt und Kind. Folglich auch die Sippe, der Clan und das Volk. Ferner alles Lebendige, viele Tiere allgemein, und erst recht, wenn

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sie wie Schnecken oder Muscheln ihre Wohnhöhle bei sich tragen. Pflanzen mit hohlen Halmen oder Bäume mit hohlen Früchten oder solche, deren Holz sich zum Aushöhlen für Boote und Bütten eignet. Es ist auch Niederung, Senke, Meer, Flußbett, See. Auch Wege bedienen sich seiner. TAG ist der aufrecht stehende Mensch und in der Folge groß, hoch, erhaben, Berg, Spitze, Stein, hart, Waffe, Werkzeug. Es bezeichnet wehrhaftes Wild, das Raubtier, die Schlange, den großen Fisch. Bei Bäumen charakterisiert es den hohen Stamm und die Verwendbar­ keit beim Bauen. Es bezeichnet den sozial Höherstehenden, Gott und Götter. Am Körper Gliedmaßen, Zunge, Zähne, das männliche Zeugungsorgan und daher Zeugung allgemein. TAL ist unten, ist Einschnitt, ist das Tal der Landschaft, die Ebene, die Erde und manchmal auch Insel. Es steht deutlich auch für Weibliches. Nicht nur seine Sinngehalte, auch seine sprachlichen Formen decken sich oft mit denen von KALL. OS ist Körperöffnung, in der Regel mit Ausnahme der zu KALL tendierenden weiblichen. Es ist Quell und See und Mündung, »Esse« und oft auch Höhleneingang. ACQ ist das trinkbare Wasser.

Der Archetyp KALL

Aus drei Lauten zusammengesetzt, bietet dieser Archetyp wesentlich mehr Formenreichtum als das zwei-lautige BA. Diese Möglichkeit ist von den Sprachen auch weidlich genutzt worden. Wir werden uns hier im allgemeinen an die leichter durchschaubaren Formen halten, da schon so ein Vielfaches von dem an Beispielen zur Verfügung steht, was hier aufgenommen werden kann. Wie bei B A haben wir auch hier zunächst die fast 30 vom Vokal her möglichen Variationen. Die Umkehrung zu LAK erscheint dabei fast gleich oft. Aber auch das Durchmischen der Laute zu KLA und ALK spielt keine ganz unwesentliche Rolle. All diese Optionen kommen auf jeder weiteren Stufe der Lautwandlungen wieder zum Zuge, wenn nämlich Anfangs- und Endlaut ihrerseits Metamorphosen durchmachen. Der Anfangslaut K, G oder C kann sich zum Beispiel von schwedisch KÄLL zu deutsch QUELL und weiter zu englisch WELL wandeln und verliert sich gelegentlich ganz, wie die Gewässernamen ILL und ALLER zeigen. Von K zu CH ist nur ein kleiner Schritt, auch wenn es zu HALL und SCHALL weiterführt. Auch auf diesem Wege kann der Anfangslaut ganz entfallen. ALL oder ALLES ist gleichfalls eine KALL-Form. Das ist ferner auf dem Wege von K über KJ und J möglich. Der Endlaut L wird gleich gern zu R und zu N. Bei R gibt es Sprachen, die es wie in China anscheinend noch nicht kennen, oder solche, die L rundheraus und vollständig durch R ersetzt haben. Friedfertig ist das indianische Guarani, das es dem Sprechenden selbst überläßt, ob er L oder R, etwa Guarani oder Gualani, aussprechen will. Völlige Gleichberechtigung also. Das liegt sicher­ lich an dem mancherorts gerollten R, das sich von L kaum unterscheidet. Ziemlich selten fällt der Endlaut L einmal ganz weg, eher wird er schon durch einen Vokal ersetzt - GAU oder KAY und KAI sind 41

dann die Folgen. Es gilt jedoch, noch in der Umkehrung, etwa in AUGe, die KALL-Herkunft zu erkennen. Beim AUGe helfen dem Zweifler die zugehörigen Verben LOOK und LUGEN, die es ähnlich in vielen anderen Sprachen gibt. Eine Umkehrung des zu KA verstümmelten Archetyps könnte zu AK (ACQ) für Wasser geführt haben, eine Konsequenz, die sich mir aufdrängte, als ich in mehreren australischen Sprachen eine Reihe sehr KALL-naher Wörter für Wasser fand. Aber dann tauchte doch wieder EAKE und QUASCHA auf und plädierten für ein selbständiges Wasserwort auch in Australien. Es bleibt aber doch der eine der beiden erwähnten Fälle, der die Zahl der Archetypen noch schrumpfen lassen könnte. In den Grenzbereich zu TAL geraten Formen, bei denen sich der Anfangslaut K zu Z gewandelt hat, denn von T zu Z ist ein noch kleinerer Schritt - bekanntestes Beispiel das lateinische CAELUM oder COELUM für Himmel, das in alten Zeiten mit Sicherheit KOELUM, später und heute aber ZOELUM gesprochen wird. Je nach Sprache wird auch ein S statt Z geschrieben und/oder gesprochen. Auf unseren Beispieltafeln sind derartige S mit einem Akzent versehen (S) um ihre Herkunft zu legitimieren. TAL ist der zweite Archetyp, von dem man der Meinung sein könnte, er sei mit KALL identisch. Die Sinngehalte überschneiden sich, und die Folgeformen tun das Gleiche. Dennoch halte ich die beiden noch auseinander, weil ich doch noch wesentliche Unterschiede sehe. Quantitativ erreicht jedoch TAL höchstens zehn Prozent der KALL-Vorkommen. In der Form LAK wandelt sich der Anfangslaut L zu kaum mehr als zu Lj, der dann K-Endlaut jedoch entsprechend der zuvor angegebe­ nen Möglichkeiten und noch zum Nk/Ng und zu R. Auch in diesem letzteren Stadium -LAR- ist eine Umkehrung zu -RAL- möglich, die RILLE ist ja gleichfalls eine KALL-herausfor­ dernde Vertiefung. Die Form LANG kann sich zu LAN zurückbil­ den: In der Form LINIE/LIGNE/LINE wird bewahrt, daß erste Striche und Linien nicht aufgetragen wurden, sondern eingekratzt werden mußten. Es sei nochmals hervorgehoben: Die Lautfärbung des Vokals zwischen A und I spielt für die Zuordnung keinerlei Rolle. In einem Schema, das die lautlichen Variationen übersichtlich zeigen soll, setzen wir daher ein ★ für Vokal und schreiben KALL oder LikK (vgl. »Das KALL-Schema«, S. 43). Legen Sie hier ein Lesezeichen ein und ziehen Sie dieses Schema auch später noch zu Rate. 42

Das KALL-Schema + — W + — H J SCH ----------- / R LAK — CH — H \ Nk — N

Lj

sowie

oder K L

K R

K N

★ ★ ★

★ ★ ★

L K

R K N K

A bezeichnet jeden beliebigen Vokal, + den Verlust eines Konsonanten. Der Lautabtausch wie bei KAL und LAK ist auf jeder weiteren Stufe gleich gut möglich, etwa KAN/NAK, KOR/ROK, LIN/NIL, wobei das -L- am Ende wieder zu -N- werden kann, also zu NAN, NA und AN.

Die Beispiele auf den weiter unten textbegleitenden Tafeln sind zunächst nach den Vokalen in der Reihenfolge A/O/U/E/I geordnet und geben so zugleich auch die zeitliche Abfolge ihrer anzunehmen­ den Entwicklung. Nach den reinen Formen folgen in der Regel die Doppelungen KALAK und dann die Abwandlungen. GAL’GO im Tibetischen ist eine leicht verschlissene Doppelung (für Ehefrau) wie das schon erwähnte G’LÜCK. Die zweite Zeile zeigt mit großen Buchstaben den jeweiligen Anteil aus der KALL-Herkunft des Wortes, während die Sinn-Angabe der dritten Zeile dann gleichfalls groß gedruckt ist, wenn das deutsche, englische oder spanische Wort seinerseits eine KALL-Ableitung darstellt oder enthält. In Klam­ mern ist noch angegeben, mit welchem weiteren Archetyp das Stichwort gegebenenfalls kombiniert ist. Beispiel: arabisch

ba’GALA LastKAHN, LOGGER CALAdora (BA)

Da wir die Umkehrformen von KAL und LAK auf ferneren Stufen, nämlich KRA und KN-A, aber auch ALK, ARK und A'NK als gleichwertig betrachten müssen, erfolgt ihre Einordnung in die

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Abfolge der Beispiele entsprechend. Man gewöhnt sich schnell daran und hat einmal mehr den Vorteil, der tatsächlichen Entwicklung am nächsten zu kommen. Die gleichzeitige Übertragung in drei europä­ ische Sprachen bestimmt die Faszination dieser Tafeln, die mithin keine trockene Ansammlung von Wörtern sind.

KALL und Kopf

Kall steht unter dem kategorischen Imperativ des HOHLEN. Insoweit ist es reizvoll, das zufällige Wort dieser Kapitelüberschrift auseinanderzunehmen und auf seine zwei unterschiedlichen KALLQuellen zurückzuführen. IN ist zwar weit von seiner Ausgangsform entfernt, aber IN ist halt etwas, das irgendwo drin ist — ein solches Etwas muß notwendigerweise HOHL sein, sei es Gefäß oder Raum. Sprachlich ist es ein Schritt, wie man ihn in der Landschaft leicht von der ILL zum INN nachvollziehen kann. HAL’ten steht dagegen dem Archetyp noch sehr nahe. HAL’ten ist eine klare Funktion der HANd, genau wie HOLen oder HELfen. Denn von HAN zu HAL, das ist gerade nur ein einziger Schritt zurück in unserem Playback. IN’HALt ist daher eine Zusammenfügung von zwei Vorstellungen, die getrennt voneinander beide bei KALL einmünden. Viele Sprachen haben mit uns die frühere BA-Form (z. B. MANus) durch KALL abgelöst, weil der Innenraum der Hand und erst recht der beider Hände zusammen leicht hohl ist. Aber das nur nebenbei. Daher bevorzugen »Inhalte« allgemein, besonders flüssige, deutlich KALL-Ableitungen. Es kostet uns Heutige einige Mühe, nachzuempfinden, welche außerordentliche Bedeutung Findung und Erfindung des Hohlen für den frühen Menschen gehabt hat. Wir haben seit der Verwendung von Ton die (BA-benannten) Becher, Becken und Wannen wie auch die (KALL-bedingten) Schalen, Kannen, Krüge und Kellen zur bequemen Verfügung. Einst aber war die Hand das einzig verwend­ bare Gefäß. Viel später erst lernte man, mit Hilfe von abgeschlage­ nen Steinen und, wo es sie gab, von Muscheln, Holz zu bearbeiten, das heißt auszuhöhlen. Irgendwann einmal half auch der Zufall, eine einmal nicht verfaulte, sondern ausgetrocknete und daher hartge­ wordene KALAbasse aufzulesen und ihren Gefäßwert zu erkennen. Von Zeit zu Zeit werden wir immer wieder einmal daran erinnert, wie sehr wir irren, wenn wir die technische Fertigkeit früher

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Menschen abschätzen. Was die um die Jahrhundertwende vollends ausgerotteten Tasmanier an hölzernen Gerätschaften herzustellen verstanden, war für diese, als die primitivsten überhaupt Angesehe­ nen, erstaunlich. Ein deutscher Geologe zeigte mir einmal in Barcelona seine aus dem innersten Amazonasgebiet mitgebrachten Jagdwaffen und Flechtarbeiten. Imponierend die mannshohen Bo­ gen, die mit Hilfe eines Beines (!) und daher auf einem Bein stehend gespannt werden mußten, um die anderthalb Meter langen Pfeile voll auszuziehen. Aber das Erstaunlichste waren die knapp zwei Meter langen Blasrohre, die aus zwei zusammengebundenen Hälften bestanden, die man erst zusammenfügte, wenn der Schußkanal fertig war. Der Blick hindurch zeigte eine Genauigkeit der geraden Laufführung, die rundheraus verblüffte - einzig verfügbares Werk­ zeug bei der Herstellung: kleine Muscheln! Die sehr dünnen Pfeile von etwa 40 Zentimeter Länge wurden an der scharfen Spitze mit einem binnen Bruchteilen von Sekunden wirkenden Gift versehen, das Ende mit einer Art Wattebausch, der nach dem Verlassen des Rohres zurückfiel. Welche Perfektion der Technik mit einfachsten Mitteln und welch Erfindungsgeist offenbart sich in solch einem perfekten Gerät! Wenn diese »auf Steinzeitstufe« lebenden Stämme solche Fertigkeiten und ein solches Denkvermögen besitzen, dann müssen wir nicht nur bescheidener sein, wenn wir uns mit ihnen vergleichen, dann müssen wir erneut unsere Einschätzung des frühen Menschen überdenken. Dazu gehört auch die Frage, was wir denn wirklich von den Menschen der letzten Eiszeit, was vom Neandertaler, ja, was auch vom Homo erectus und seinem Vorgänger, dem Homo habilisv/issen, wenn wir nichts mehr von ihren Holzgerätschaften vor Augen haben und beurteilen können. HOL’Z, ein Wort übrigens, mit dem sie uns heute noch an ihr Material zum HOHLmachen erinnern. Auch in anderen Sprachen, nicht nur zufällig im Deutschen, fällt diese Nachbarschaft auf. Abgesehen von den wundervoll dekorativen Schnitzereien auf ihren Stöcken und Keulen, wer von uns Heutigen wäre denn in der Lage, einen Bumerang zu erfinden?! Wir werden ihn, den Bumerang, auch GALI genannt, mit verschiedenen Wort­ formen auf unseren Tafeln weiter unten wiederfinden, denn auch er bediente sich des KALL, sei es wegen seiner Krümmung, sei es wegen der mit seinem Wurf ausgelösten Drehung. Doch davon später. Die Verwendung der scharfkantigen Muschel als frühes Schabund Schnitzwerkzeug hat offensichtlich seine Wirkungen bei der Formung von Wörtern für das Messer und das Schneiden gehabt. Da 46

Tafel 2: Muschel und Messer ph-agta mag’GAL’GAL SCHNEIden, cut CORtar (BA)

quechua CALL’chay Sicheln, cut CORtar

arabisch LAcHZ Messer, KNIfe CUCHILLO

finnisch KAL’pa gr. Messer, big KNIfe, CUCHILLO

finnisch KAL’vin Schaber, scraper raspador (BA)

malai-punan ¡’LANG Messer, KNIfe CUCHILLO

lateinisch CAEL’are SCHNITZen, CAR ve, esCULpir

mentawei GAILAU Messer, KNIfe CUCHILLO

ph-binukid1 KALA’d SCHNEIden, cut CORtar

finnisch SAILÄ KLINGE, blade hoja

quechua KALLANA Messer, COLT CUCHILLO

suahili CHALE SCHNEIden, cut CORtar

suahili KALI scharf, sharp cortante

griechisch KAIN’is Messer, COLt CHUCHILLo

baskisch GANI’bet Messer, COLt CUCHILLO (BA)

schottisch COLL SCHNEIden, cut CORtar

schottisch KOL’t Messer, COLt CUCHILLO

kroatisch KOL’jem Messer, KNIfe CUCHILLO

englisch COL’ter Pflugmesser REJA del arado

griechisch KOL’os abschneiden, dock COR-tar

tasmanisch LOGUNE Schneiden, cut CORtar

lateinisch CUL’ter Messer, COLt CUCHILLO

dayak LUNG’GA Messer, KNIfe CUCHILLO

tagalog GULOC Messer, COLt CUCHILLO

mentawei LUGU gr. Messer, COLt CUCHILLO

suahili GELI Messer, COLt CUCHILLO

australisch mug’GIL Messer, KNIfe CUCHILLO

ph-dumagat GIL’GIL SCHNEIden, cut CORtar

1 ph bedeutet philippinische Sprache. Das folgende Wort (binukid) bezeichnet einen philippinischen Dialekt.

aber die Mu’SCHEL, englisch SHELL, ihrer Hohlheit wegen weltweit KALL bevorzugt, sind solche Wörter für ein Gerät und ein Tun überliefert, die sonst nicht unbedingt zu KALL tendieren würden. Tafel 2 zeigt eine kleine, aber repräsentative Auswahl. In diese weltweite Verteilung des KALL für Schneidendes gehört auch noch die deutsche KLINGE. Die KLINGE etwa eines alten Schwertes wird von der Mittellinie zur Schärfe hin hohl geschliffen, um einmal die gewünschte Schärfe zu erreichen, und zum anderen, um sie beim Nachschleifen leicht wiederherstellen zu können. In der 47

Landschaft finden wir die KLINGE als Orts- und Flurnamen immer dann, wenn ein kurzes, tief eingeschnittenes Tal sich quer zum Haupttalzug erstreckt, mancherorts auch noch einfach HOHLE genannt. Der gleiche Grundgedanke also. Übrigens gab es unter den die Atlantikküste bewohnenden Naturvölkern einst eine COL’COL genannte Währung, die aus Muscheln bestand, mit der man Güter aller Art bezahlen konnte. Sicherlich nicht wegen ihrer Schönheit, sondern wegen ihres weithin bekannten Gebrauchswertes als Schab- und Schnitzwerkzeug. Indios am Amazonas fertigen halbmeterlange Pfeilspitzen aus überhartem Eisenholz und verwenden dazu nichts anderes als Muscheln. Doch kehren wir zu der These zurück, wonach der Mensch wesentliche Merkmale zuerst an sich selber entdeckt, ehe er sie auf die Umwelt projiziert. Da stellt sich eine Frage, die auf Anhieb nicht zu beantworten ist: War es der Kopf mit seiner inneren Höhlung, der Körper mit seinen vielen Hohlräumen oder die Hand, die als erste KALL auf sich zogen? Jeder für sich hat gute Argumente. Der KÖR’per als größte Einheit, der Kopf wegen seiner vielen Öffnungen (AUGE, OHR, Mund, KEHLE), die HANd, weil sie so sichtbar ist und gerade auch wegen ihrer Hohlheit als nützlich wahrgenommen wird. Wir lassen uns jedoch von dieser Frage nicht aufhalten und beginnen schlicht oben, beim Kopf. Gegen Ende des vorigen Jahrzehnts wurden Funde aus Südafrika bekannt, welche eine »plötzliche« Vergrößerung des dortigen menschlichen Hirnvolumens vor rund zwei Millionen Jahren zu belegen schienen. Im zeitlichen Abstand von zwei Millionen Jahren ist »plötzlich« ein sehr relativer Begriff - der tatsächliche Vorgang einer solchen Anpassung mag Jahrtausende oder Jahrzehntausende gedauert haben. Die Vergrößerung des frühmenschlichen Hirns ist eines der wesentlichen Merkmale unserer Stammesgeschichte. Weni­ ger klar schienen zunächst die Gründe dafür. Inzwischen glaubt man, daß sich der soziale Zusammenhalt unter den Homines, eine gesteigerte soziale Interaktion fördernd für die Überlebenschancen der zuerst davon betroffenen Minderheit ausgewirkt und vererbt habe. Eine gesteigerte zwischenmenschliche Aktion wird aber von Sprache, wenn schon nicht ausgelöst, so doch entscheidend begün­ stigt und gefördert. Es kann also sein, daß sich auch in dieser Hinsicht die Sprache das nötige Instrumentarium schuf. Schließlich gehörte dazu auch ein erweiterter Speicherraum innerhalb der Großhirnrin­ de. Das könnte also auf ein Mindestalter von Sprache hinweisen, das wir bei gleichfalls zwei Jahrmillionen ansetzen könnten... 48

Der größere Kopf brachte aber auch Probleme. Der Geburtskanal jener 125 bis 140 Zentimeter großen Weibchen ließ keine beliebige Steigerung des Kopfdurchmessers ihrer Babys zu. Das Menschen­ kind mußte relativ früh geboren werden und kam daher noch hilfloser und noch abhängiger von der ständigen Gegenwart seiner Mutter zur Welt. Das erinnert uns an die These von der Entstehung von Sprache zwischen Mutter und Kleinkind. Der ganze Vorgang verstärkte zwangsläufig die schon seit dem Heraufkommen der Primaten bestehende Tendenz, die Kindheitsphase der Art zu verlängern. Eine solche Verlängerung aber begünstigt Experimentierfreudigkeit und Lerneifer bei den Jungen. Je älter sie werden, um so mehr läßt das nach. Bleiben sie also länger jung, können sie mehr an Erprobtem und Erlerntem aufnehmen. Das kam sicherlich auch der Sprachent­ wicklung zugute. Der Schädel ist der Sitz wichtiger Sinne, deren Eingänge alle durch die Erscheinung LOCH und HÖHLUNG gekennzeichnet sind. Was Wunder, wenn sie alle auf KALL hören. Das tut auch die HIRN’SCHALE, englisch S’CULL, in der alle durch die peripheren Löcher eindringenden Sinneseindrücke verarbeitet werden. Die besondere Bedeutung der Hirnschale muß den Menschen schon früh bewußt gewesen sein: In einer Höhle Südfrankreichs, bei Tautavel, und noch einmal in einer solchen des Monte Circeo in Mittelitalien fanden sich je ein Schädel, deutlich und bewußt in die Mitte der Haupthöhle gerückt, und im Falle des Monte Circeo mit einem Kreis runder Steine umgeben. Der Schädel von Tautavel ist rund 320000 Jahre, der spätere noch rund 170000 Jahre alt. Könnte man es bei Tautavel noch für ein zufälliges Zusammentreffen halten, in der italienischen Höhle bestätigen die im Kreise angeordneten runden Steine, daß die Menschen jener Zeit von der KALL-Gleichung gewußt haben müssen. Also mußten sie das Wort KALL schon gekannt haben. Denn alles Runde hat gleichfalls diesen Archetyp angezogen - warum, werden wir weiter unten schlüssig erklären. Da schon in ältesten Zeiten ganz offenbar die Hirnmasse von Toten entnommen und sehr wahrscheinlich rituell gegessen wurde, können wir davon ausgehen, daß die Menschen schon früh von der besonderen Wichtigkeit dieses Zentralorgans gewußt haben. Wenn wir also KALL-Wörter für den Kopf, die HIRN’SCHALE und das HIRN in vielen Sprachen antreffen (Tafel 3), dann sind wir berechtigt, auf ein hohes Alter zu schließen, ein Alter, das die Funde Vom Monte Circeo und von Tautavel möglicherweise mit einschließt. 49

Tafel 3: Kopf und HIRN batak ta’KAL Kopf, head (TAG) CALva

spanisch CAL’va (BA) Kopf, head cabeza

laddinisch CAL’vari (BA) Schädelstätte CALvary, CALvario

australisch po’GAL (BA) Kopf, head CALva

laddinisch

thai

VAUL

* KALOOG

HIRN, brain CERE’bro

Schädel, SKULL CALva

ilocan schottisch CALLO’GONG * HARNS Hut, hat HIRN, SKULL sombrero CAL’va

telugu

Kopf, head cabeza

spanisch CALA’morra Schädel, SKULL CAL’va

spanisch CALA’vera (B A) Totenschädel SKULL

griechisch KARA HIRN, HARNS CERE’bro

spanisch CALANtica Kopfschmuck, headOrnament

finnisch KALLO HIRNSCHALE SKULL, Cerebro

samojed KALLO Stirn, forehead frente

baskisch KALOI Schädel, SKULL CAL’va

europäisch KAL’otte Schädeldecke CAL’otta

finnisch pää’KALLO Schädel, SKULL CALA’morra

griechisch KALY’mma HIRNSCHALE SKULL, CAL’va

maori KARU Kopf, head cabeza

baskisch

lateinisch

GARUN

GALEa

HIRN, brain CERE-bro

HELm, HEL’met YEL’mo

lateinisch GALE’rum HAU’be, hood GORRA

lateinisch CALI’ptra Mütze, cap GORRo

tibetisch GLA’d HIRN, brain CERE’bro

tibetisch KLA’d Kopf, head CAL’va

slowakisch HLAVA Kopf, head cabeza

laddinisch CHAV’azza Schädel, SKULL CAL’va

maori

thai

KAWIU

KAN

SKAL’p es’CAL’po

Kopf, head CALA’morra

guarani A’CAN Kopf, head cabeza

baskisch KAN’KAR * HIRNSCHALE SKULL, CALA’mor

quechua

arabisch NAcHA HIRN, HARNS CERE’bro

arhuaco tiu’KANE Stirn, forehead frente

ph-subnun GANGA’S Stirn, forehead frente

maori pa’ANGANGA Schädel, SKULL CAL’va (BA)

maori ANGA’ANGA * Kopf, head cabeza

nheengatu A’CANGA Kopf, head cabeza

Sala

I’NACA Kopftuch, head­ dress, panuelo ph-bilaan

QANGA’s Stirn, forehead frente

50

chinesisch NAO HIRN, brain CERE’bro

griechisch KRAIRa Kopf, head, top cabeza

maori toi’HAU Kopf, head (TAG) cabeza

lateinisch Schädel, SKULL CAL’va

australisch KAO’GA * Kopf, head cabeza

polynesisch HAUO Kopf, head cabeza

quechua LLAU Haupt, head CAL’va

maori KAU’pane Kopf, head (BA) cabeza

japanisch to’GAI SCHALE, SKULL CALA’morra (TAG)

hebräisch GOL Schädel, SKULL CALA’vera

maya HOOL Kopf, head cabeza

polnisch CZOL Stirn, forehead frente

samojed SKOAL’ta Schädel, SKULL(!) CALA’morra

setswana LOGA’ta HIRN, brain CERE’bro (TAG)

spanisch GORRA HAU’be hood

griechisch KORRA SCHLÄ’fe, temple siön

ph-bontok1 QOLO Kopf, head cabeza

spanisch CHOLLo Schädel, SKULL CAL’va

mapuche LONCO Kopf, head cabeza

quiche HOLO Schädel, SKULL CAL’va

quiché cHOLOM Haupt, SKULL cabeza

setswana t’LHOGO Kopf, head cabeza (TAG)

spanisch COLO’drilio Hinterkopf, back of head,cogote

maori KORO’tu Schädel, SKULL CAL’va (TAG)

australisch * ROGOONA Stirn, forehead frente

welsch * CORYN HIRN, brain CERE’bro

griechisch KORYS HELM, HELMET casco

irisch CLOIGEANN * Schädel, SKULL CAL’va

serbokroatisch KLO’buk Hut, hat sombrero (B A)

polnisch GLOWA Kopf, head cabeza

irisch CLOG’ad HELM, HEL’met casco

tibetisch GON oben: KOPF, head cabeza

aynu KON’ci Kappe, cap GORRO

australisch KON’KAER * Kopf, head cabeza

japanisch NO HIRN, Verstand brain, CERE’bro

japanisch NORI HIRN, brain CERE’bro

maori RORO HIRN, brain CERE’bro

tibetisch m’GO Kopf, head cabeza

englisch SKULL HIRNSCHALE CALA’morro

hebräisch GUL’GOLA Schädel, SCULL CAL’va

CRANium

51

laddinisch

hebräisch

CHÜL

GUL’GULLU

Kopf, head CAL’va

Schädel, SCULL CAL’va

australisch CUR’ta Kopf, head cabeza (TAG)

Kopf, head CAL’va

australisch

KUR’LA *

ph-tagabili

ph-kallahan

baskisch

quechua

* KULUQ

* QULUQ

KU’KULA *

CHULLO

Kopf, head CAL’va

Kopf, SKULL CAL’va

Schädel, SKULL CALA’morra

Kappe, cap GORRO

ph-dumagat

ph-mansaka QURU Kopf, head cabeza

* QULOQ Kopf, head cabeza

lateinisch

arhuaco

CU’CULL’us

sa’KUN’di

HAU’be,hood GORRA

HIRN, brain CERE’bro (TAG)

arabisch

australisch

ph-itbayatan

maori

NUQAH

* NULLAR

* RUNGUH

papa’AHU

Hinterkopf, back of Stirn, forehead head, COLOdrillo frente

Stirn, forehead frente

SCHALE, SKULL CERE’bro (BA)

deutsch

slowakisch

duala

suahili

HEL’m

CELO

* KELEKE

WELE’KERU *

HEL’met casco (BA)

Stirn, forehead frente

Schädel, SKULL CAL’va

Verstand, HIRN brain, CERE’bro

thai

irisch

KENG

CEANN

HAU’be,hood GORRA

Kopf, head cabeza

deutsch HIRN brain CERE’bro

ph-manobo * KILAY HIRN, brain CERE’bro

ph-tagbanwa

ph-gaddang

bengalisch

suahili

KI’KILAYIN *

* KIRAY

GHILU

KILELE

Stirn, forehead frente

Stirn, forehead frente

HIRN, brain CERE’bro

Kopf, head CAL’va

tungusisch

quechua

dJILI

* CHILINA

Kopf, head cabeza

HIRN, brain CERE’bro

maori KIRI SCAL’p

türkisch A’LIN Stirn, forehead frente

irisch

ph-manobo * GINAQ Stim, forehead frente

IN’CHINN * HIRN, brain CERE’bro

japanisch

tungusisch

CHINO

IRGA

HIRN, Verstand brain, CERE’bro

HIRN, brain CERE’bro

* In dieser und in den folgenden Tafeln bezeichnet * hinter dem Wort eine Doppelung. 1 Ein philippinischer Dialekt.

52

Ich habe in diese Aufstellung auch einige Wörter für Kopfbedekkungen aufgenommen. Solche Bezeichnungen enthalten gern Hin­ weise auf den Kopf, wie im Englischen etwa mit der Folge HEAD/HAT/HOOD oder im Deutschen mit HAUPT und HAUBE, oder wie bei KAPPE und KAPUZE, die deutlich vom lateinischen CAPUT herstammen. Aus ähnlichem Grunde sind auch Wörter für Stirn und Schläfe aufgenommen, weil von früher Sprache zu vermuten ist, daß sie hier noch keine sonderlichen Unterschiede gemacht hat. Selbst bei dieser Beschränkung auf Schädel, Kopf und Hirn sind alle Kontinente mit KALL-Formen vertreten. Hier sei noch als Anmerkung das »Playback« der letzten drei Beispiele zurück zum Archetyp wiedergegeben: Das tungusische IRGA geht über GIRA und GILa sehr schnell zu KALL, das philippinische GIYA noch schneller über GILYA zu GILa, und das churritische EHLI dürfte seinen Weg über HELI — CHUL — COL/ KALL genommen haben. Um das Verständnis der Lautwandlungen, die hier eingangs besprochen wurden, zu erleichtern, sei an das KALL-Schema auf Seite 43 erinnert.

KALL und die Sinnes organe am Kopf

Ehe wir uns dem Reichtum der Wortformen zuwenden, welche den Wörtern für Schädel, Kopf und Hirn assoziiert sind, weil sie das Denken betreffen - wenn auch eng umrissen —, wollen wir uns mit den am Kopf einmündenden Sinneseindrücken befassen, die zusammen dem Hirn die Eindrücke vermitteln, die es erst zum Denken befähigen, dem, was wir sehen, hören, riechen. Das heute bei uns am geringsten geachtete Sinnesorgan ist, wenn auch sehr zu Unrecht, die NASE. Das Playback dieses Wortes läuft über das spanische NARIZ zu NAL, über die Umkehrung LAN und deren Vervollständigung LANG zu LAG und schließlich GAL. Als solches wird es uns gleich am Anfang der Tafel 4 wieder begegnen. Von unseren höher entwickelten Mitgeschöpfen, den Säugetieren, wissen wir, daß sie noch einen viel weitergehenden Gebrauch von ihrer Nase machen. Die von einem Bären oder einer Wölfin hinterlassenen Duftmarken dienen einem lebhaften Informations­ austausch und berichten dem nachschnüffelnden Artgenossen mehr über den Verursacher als wir uns mit unserem schlichten Menschen­ verstände vorstellen können. Aber nicht nur Säugetiere — selbst von den Fischen wissen wir inzwischen, daß sie auf ihren großen Wanderungen - Lachse, Dorsche, Heringe, Thunfische -, von anderen Merkmalen abgesehen, auch »an der Nase herumgeführt« werden. Die Wächterbienen vor der Beute stellen am Geruch fest, ob eine einfliegende Biene zu ihrem Volke gehört oder hinauszuwerfen ist. Ist allerdings eine fremde Biene schwer mit süßer Fracht beladen, läßt man sie schlitzohrig passieren... Bei uns hat sich die Erinnerung an solch »bessere« Zeit nur in einigen heute leeren Redensarten erhalten — »die oder den kann ich nicht riechen«, wobei wir uns allenfalls erinnern, daß einige Völker sich durch das Berühren ihrer Nasen begrüßen. Daß unser NIESSEN mit der NASE zu tun hat, sehen wir ein, auch, daß ein anderes, GE’NIESSEN, damit zu tun haben könnte, daß zum wahren Genuß eben auch der Duft einer

55

Tafel 4: NASE und RIECHEN ph-balangaw

australisch

australisch

GAARN

ALLAR

NASE, NOSE NARIZ

lateinisch HAL’atus Einatmen von Duft INHALING of smell

NASE, NOSE NARIZ

NASE, NOSE NARIZ

maori

spanisch pop.

telugu

zigeunerisch

HAUN’GA *

GANCHO

LAN’pu

NAK

RIECHEN, smell OLORar

NASE, NOSE NARIZ

RIECHEN, smell OLORar (BA)

NASE, NOSE NARIZ

bengalisch

bengalisch NAN’KA * NASE, NOSE NARIZ

QAN’GAL *

NAK NASE, NOSE NARIZ

spanisch slg.

estnisch

NACHo

NANA

NASE, NOSE NARIZ

NASE, NOSE NARIZ

spanisch pop.

lateinisch

laddinisch

aymara

NARI’GAL *

NAR’is

NAS

NASA(!)

NASE, NOSE NARIZ

NÜS’tern, NOSE NARIZ

NASE, NOSE NARIZ

NASE, NOSE NARIZ

lateinisch

deutsch

ph-kalagan

ph-ifugao

NAS’us

NASE

QON’GOL *

* QOLONG

NASE, NOSE NARIZ

NOSE NARIZ

NASE, NOSE NARIZ

NASE, NOSE NARIZ

tagalog

suahili

ph-sambal

aynu

FLONG

U’GOLO

ba’LONGO

EN’KOR

NASE, NOSE NARIZ

SCHNU’pfen, sniff NASE, NOSE GANGO’sear NARIZ(BA)

maori

ilocan australisch A’GONG GOONG’KOONG * NASE, NOSE NASE, NOSE NARIZ NARIZ

RONGO RIECHEN, smell OLOR’ar maori

RIECHEN, smell OLOR’ar russisch

SHON’KA *

NOS

RIECHEN, smell OLOR’ar

NASE, NOSE NARIZ

englisch

setswana

NOSE

NKO

tungusisch NGO

NASE NARIZ

NASE, NOSE NARIZ

NASE, NOSE NARIZ

RIECHEN, smell OLOR’ar polnisch

NOS NASE, NOSE NARIZ

56

polnisch

WON’iek

bengalisch

chinesisch XION RIECHEN, smell OLOR’ar

HON’gi

NASE, NOSE NARIZ

japanisch

australisch

norwegisch

baskisch

bi’KO

KOW

LUK’te

su’GUR

NASE, NOSE NARIZ (BA)

NASE, NOSE NARIZ

RIECHEN, smell OLOR’ar

NASE, NOSE NARIZ (TAG)

aynu

ph-tagbawana

deutsch

quechua

HURA

* QURUNG

RUCH

RUNC’u

GERUCH, smell OLOR

NASE, NOSE NARIZ

smell OLOR

NASE, NOSE NARIZ

ph-agta

ph-atta

ph-samal

quechua

QUI’GUNG

I’GUNG

UUNG

KUN’tuy

NASE, NOSE NARIZ

NASE, NOSE NARIZ

NASE, NOSE NARIZ

GERUCH, smell OLOR (TAG)

tibetisch

baskisch

twi

suahili

SNA’KUN

LURRUN

HUENE nase; nose

NUKA

NÜS’tern.NOS’trils GERUCH, smell NOS’triles OLOR

NARIZ

NASE, NOSE NARIZ

türkisch

lappisch

samojed

pame

bu’RUN

NJUNNE

NJUNNE

si’NYU

NASE, NOSE NARIZ (BA)

NASE, NOSE NARIZ

NASE, NOSE NARIZ

NASE, NOSE NARIZ

deutsch

ph-kallahan

welsch

australisch

NÜS’ter

* QELENG

o’GLEUO

JENI

NOS’trils ventanas nariz

NASE, NOSE NARIZ

RIECHEN, smell OLOR’ar

NASE, NOSE NARIZ

finnisch

nordisch

französisch

ph-itneg

NENÄ

NES

NEZ

QIN’GIL *

NASE, NOSE NARIZ

NASE, NOSE NARIZ

NASE, NOSE NARIZ

NASE, NOSE NARIZ

ph-bontok

ph-mananwa

ph-7 Spr.

ph-manobo

QIN’GIL *

* QIRONG

* QILUNG

* QIRUNG

NASE, NOSE NARIZ

NASE, NOSE NARIZ

NASE, NOSE NARIZ

NASE, NOSE NARIZ

ph-sangil

deutsch

griechisch

japanisch

I’RUNG

RIECH’en

RHIN’os

NIOU

NASE, NOSE NARIZ

smell OLOR’ar

NASE, NOSE NARIZ

RIECHEN, smell OLOR’ar

57

Sache gehört. Aber daß ein Mensch in einem schlechten »Gerüche« steht, daß »Gerüchte« über ihn umlaufen, das plappern wir nach, ohne uns noch etwas dabei zu denken. Die Sprachen und Dialekte der Philippinen (ph-) haben die KALL-formen gut konserviert. Sie sind hier auch vertreten, weil sie die Lautwandlungen zeigen. Außerdem bestehen sie insgesamt aus 50, ursprünglich wohl vom Malayischen herkommenden Sprachen, die untereinander erstaunlich wenig Ähnlichkeiten aufweisen. Wer die Überflüssigkeit unseres SCH schon bei »sch’mausen« und »sch’matzen« durchschaut hatte, könnte versucht sein, der NASE noch das SCH’NEUZ’en, das SCH’NAU’ben und das Sch’NÜ’ffeln zuzuordnen. Man sollte glauben, wenn sich ein so eindrucksvolles und unverwechselbares Erscheinungsbild wie die Nase in so vielen benachbarten Sprachen wie den indoeuropäischen eine fast gleiche Form bewahrt hat, dann müssen diese Sprachen von jeher nahe beieinander geblieben sein. Eine verlockende Folgerung, die nur von der Form NASA der Aymara Perus konterkariert wird - offenbar kommen Lautwandlungen auch unabhängig von der geographischen Nachbarschaft zu gleichen oder ähnlichen End-, das heißt heutigen Formen. Auf der anderen Seite verraten Wörter, die erst in jüngerer Zeit zu bilden notwendig wurde, die fortgeschrittene Unabhängigkeit. Das Wort LEER ist gleichfalls eine KALL-Form und läßt vermuten, daß es einst auf eine andere Art auch nur »hohl« bezeichnete, denn Hohles ist gemeinhin auch »leer«. Aber in unseren Nachbarsprachen gibt es Ähnliches nicht - da sprechen die romanischen Sprachen von »vacuus«, englisch von »empty«, die nordischen von »tomt«. Überhaupt keine Verwandtschaft also. Viele Sprachen drücken es umschreibend aus: »nichts drin«. Wie oft mag man solchen Um­ schreibungen aufsitzen, die einem Fremden nicht als solche erschei­ nen können! Trotzdem, es bleibt dem Paläolinguisten genug eindeu­ tiges Material, das seinen fossilen Wert zweifelsfrei verrät. Der Geruchssinn geht dem Menschen relativ selten verloren. Wenn, dann beklagt der Betroffene, daß ihm das Essen nicht mehr so schmecke wie zuvor. Beim Gehör sind die Folgen schlimmer. Das bezeugt auch die Sprache, die bei uns das »taub« unmittelbar mit »doof« und daher »dumm« auf eine Stufe stellt. Wir haben es in unsere Tafel 5 A mitaufgenommen, wenn auch nur in Einzelfällen. Die Zuordnung von OHR zu KALL wird durch das Verb HÖREN erleichtert, bei dem man nur das -R- gegen das vorrangige -L-

58

Tafel 5 A: HÖREN und LAUSCHEN australisch

ph-gaddang

türkisch

australisch

WAL

LAYAG

* QULAQ

* KALAJAH

OHR/HÖR’en EAR, OREJA?

OHR, EAR OREJA

OHR, EAR OREJA

OHR, EAR OREJA

bengalisch

australisch

japanisch

laddinisch

KALA

GARINNI

RAICHO

U’RAGLIA

taub, deaf mudo

LAUSCHen Listen,escuchar

zuHOREN LISten,escuchar

OHR, EAR OREJA

bengalisch

zigeunerisch

tungusisch

bengalisch

KAN

KAN

SlAN

KAN

OHR, EAR OREJA

OHR, EAR OREJA

OHR, EAR OREJA

OHR, EAR OREJA

japanisch

arhuaco

slowakisch

tibetisch

cho’KAN

KANO’KUAN *

NACU’vat

NANpa

GEHÖR, HEARING, OIR

HÖREN, HEAR OIR

LAUSCHen LISten, escuchar

LAUSCHen Listen, escuchar

australisch

australisch

welsch

tibetisch

bee’NARRA

NARRANA

GWRAN’do

KOL’to

OHR, EAR OREJA (BA)

HÖREN, HEAR OIR

LAUSCHen LISten, escuchar

taub-dumm, deaf mudo, sordo australisch

mealanesisch

maori

ilocan

LOGOI/LOGOR

RONGO

NAN’GOLN’GOL * * COOLEENIE

HÖREN, HEAR OIR

HÖREN, HEAR OIR

taub-dumm, deaf sordo

nordisch

spanisch

ph-bontok

australisch

H0RE

OIR

KOLING

KORINNI

HÖREN, HEAR OIR

HÖREN, HEAR OIR

OHR, EAR OREJA

HÖREN, HEAR OIR

bengalisch

slowakisch

maori

polnisch

SHONA

u’CHO

HOI

SLUCH

HÖREN, HEAR OIR

OHR, EAR OREJA

taub, deaf sordo

GEHÖR, HEARING, OREJA

slowakisch

slowakisch

slowakisch

türkisch

HLUCH

SLUCH

SLYCH

* KULAK

taub, deaf sordo

GEHÖR, HEARING, OIR

HÖREN, HEAR OIR

LAUSCHen LISten, escuchar

türkisch

chaskaszki

finnisch

samojed

* KULAK

* CHULACH

KUULLA

GULLA’t

OHR, EAR OREJA

OHR, EAR OREJA

HÖREN, HEAR OIR

HÖREN, HEAR OIR

HÖREN, HEAR OIR

59

lateinisch os’CUL’tar HORCHEN, HEAR escuchar

australisch GUL’GA * OHR, EAR OREJA

samojed GULLO GEHÖR, HEA­ RING, OIR

quechua LLUCU OHR.EAR OREJA

am.-spanisch GUALE’ta Ohrenklappe ear-cap

lateinisch CLU’ere sich gerufen hören hear oneself called

welsch CLY’wed HÖREN, HEAR OIR(BA)

griechisch KLY’o HÖREN, HEAR OIR

australisch KUN’GUN * HÖREN, verstehen HEAR, understand

zigeunerisch HUNAUA HÖREN, HEAR OIR

finnisch KUUNEL LAUSCHen Listen,escuchar

pame NUHU HÖREN, HEAR OIR

australisch URE OHR, EAR OREJA

thai HUU OHR, EAR OREJA

telugu CHEVI OHR, EAR OREJA

guarani HEN’du HÖREN, HEAR OIR (TAG)

tungusisch HEN OHR, EAR OREJA

guarani NEENGU taub, deaf sordo

ph-kallahan NGILA OHR, EAR OREJA

ph-tagabili KLINGUH OHR.EAR OREJA

ph-12Spr. ta’LINGA OHR, EAR OREJA

ph-bilaan KLINGI OHR, EAR OREJA

maori ta’RINGA OHR, EAR OREJA

aymara JINCHU OHR, EAR OREJA

auszutauschen braucht, um mitten im Klangbild des Archetyps zu enden. Bei vielen Völkern bedeutet »hören« zugleich auch »verstehen, begreifen«. Nicht von ungefähr, denn es mag viele Situationen geben, in denen hören und verstehen nicht selbstverständlich waren. Erst wenn das Gehörte verstanden war, konnte es als gehört gelten. Wenn im einen oder anderen Falle die Wörter für »taub« und für »hören« fast gleich lauten, dann muß man wohl davon ausgehen, daß Betonung oder Tonhöhe den Unterschied kennzeichneten. Nicht alle Sprachen sind ja so mono-ton wie die unseren. In den mongolischen Sprachen etwa wird die Tonhöhe dreifach variiert, und das gleiche Wort, etwa KHON, bedeutet in anderer Tonhöhe etwas anderes. Im Grunde identisch mit dem LAUSCHen ist das intensivere 60

Tafel 5 B: Der KLANG arabisch

ilocan

QAL’QAL

a’GAL’LANGO’GAN

KLANG, sound son

echoen,echo eco

lappisch RAGG’jat LÄRMen, NOISE ruido

irisch ma’CALLA Echo eco

deutsch HALL/SCHALL sound son

tagalog

polnisch

KALAN’sing

HALAS

KLINGELN, RING HALL/SCHALL sound, son tocarcampanilla

tagalog

arabisch

setswana

slowakisch

LAKA’san

LAGAN

se’GALO

RACHO’t

Laut, tone sonido

KLANG, sound son

KLANG, sound son

KRACH, Noise ruido

tagalog

griechisch

maori

finnisch

LAGUN’LONG *

* KALYKE

HARURU

RAIKUA

KLANG fallen­ den Wassers

Liedart, type of song, CANZon

dumpfer KLANG dull sound

KLINGELN, RING tocar el timbre

tibetisch KLAN-KA Geräusch, noise ruido

laddinisch

englisch

deutsch

RAGN’ar

CLANK

KLA’tsch

quaken, squeak graznar

KLINGEN, sonar

clap chasquear

deutsch

deutsch

KNACK’en

KNARR’en

Mißklang mal son

deutsch KNALL plötzlicher SCHALL

CRACK CRUJir

CREAK CHILLar

arabisch

thai

malayisch

thai

GANN

LAN

deo’HAN

KANG’waan

KLANG, sound son

KNALLen CRACK, CRUJir

DonnerKLANG thunder, trueno

Echo, Resonance resonancia

griechisch

chinesisch

maori

lateinisch

KANACH

XIANG

NGANAU

CAN’or

Geräusche noise, ruido

SCHALL, sound sonido

KLANG, sound son

Ton, sound son

suahili

arabisch

arabisch

guaraní

GHANI

NAGA

QARA’QAR

CHARARA

Gesang, song CANZon

KLANG, sound son

KRACH, noise ruido

SCHARRendes Geräusch

griechisch LARYN’o GURRen,COO ZUREar

japanisch NARI KLINGEN, sound sonar

hebräisch KOL

irisch

SCHALL, sound son

zirpen, chirp chirriar

englisch

JANGLE

GIOL’cadb

61

irisch COLLOI’d Geräusch, noise ruido

deutsch KOLLERN special noise ruido especial

griechisch KOLO’syrtos Radau, noise ruido

suahili KOKOLEKA gackern und KRÄHen von Hühnern

finnisch HÖLY LÄRm, noise ruido

irisch CLOG GLOCKe, bell campana

irisch GLOR KLANG, sound son

englisch KNOLL Glockengeläute campanas tocandas

thai KONG WiderHALL echo

australisch KOON’GARRA SCHWIRREN auf­ fliegender Vögel

lappisch ROACCA Rauschen v. Regen aufs Zeltdach

laddinisch ROL GLOCKE/SCHELLE, bell, campana

bengali KUL’KUL GLUCKsen von Wasser

laddinisch RUC’LÖZ GURREN, COO ZUREar

guarani GUALALA GLUCKern, GUR­ GLE, GLOGLOteo

guarani GUARARA rauschen, ROAR murmurar

guarani GUILILI Murmeln v. flie­ ßendem Wasser

lateinisch GRYLL’are zirpen, chirp CHILLar

englisch CRUNCH KNIRSCHen RECHINar

malayisch GUN’tur donnern, thunder trunear

tibetisch S’GUN KRACH, noise ruido

quechua KUNUNUY LÄRMen, make noise

irisch CEOL Musik, music musica

finnisch HELKE KLINGen, sound sonar

englisch YEL’p KLÄ’ffen, GANir

irisch CREILL Glockenläuten tocar campanas

suahili KELELE Geschrei, CALLing aloud

suahili KENGELE GLOCKE, bell campana

polnisch HEYNAL KLANG, sound son

japanisch NEIRO KLANG, sound son

griechisch LIG’a laut und klar im Ton

suahili a’LIKA KNACKen CRACK, CRUJir

deutsch SCHRILL sehr laut loud, alto

suahili KILIO Ton, sound son

irisch CLING KLANG, sound son

laddinisch CLING KLANG, sound son

deutsch KLICK’en type of noise menor ruido

deutsch KLIRR’en CLINK tintinar

chinesisch YIN KLANG, sound son

thai KRING KLINGELN, RING tocar el timbre

62

Tafel 6: Das AUGE lappisch

samojed

arabisch

arabisch

CAL’me

CAL’bme

GAL’in

LAcHH

AUGE, EYE OJO

AUGE, EYE

OJO

sehen, LOOK ver

weinen, weep LLOR’ar

arabisch LAcHZ LUGEN, LOOK mirar

quiché

arabisch

arabisch

CAL

HAL

GAR

sichtbar, visible visible

SCHIELEN, SOINT AUGENHÖHLE HOLLOWo.th.EYE bizcar

irisch

suahili

arabisch

arabisch

GLIU’CAIL

an’GAL’ta

KALA

KARA

blinzeln, GLIMpse beobachten, ob­ GUIÑAR serve, observare

hinsehen, LOOK to, vera

sehen, LOOK ver

arabisch

quiché

hethitisch

tagalog

QARA

CAUILO

* HALUKI

HALU’KAYIN *

lesen, read LEER

sehen, LOOK mirar

erkunden, scout informarse

suchen, LOOK for, inquirir

nahuatl

quiché

griechisch

englisch

LACHIA

* CARIL

GLAUK’ia *

GLANCE

LUGEN, LOOK mirar

gesehen,seen visto

starren, stare mirarfijamente

b’LICKen ver

tibetisch

chinesisch

japanisch

arhuaco

O’GLA’d

KAN

GAN

CUAN

besehen, see at vera

b’LICKen, LOOK mirar

AUGE,B’LICK EYE.GLANCE

sehen, LOOK ver

chinesisch

ph-kallahan

japanisch

arhuaco

YAN

QANG’QANG *

NAI’KAN

wa’KAN

AUGE, EYE OJO

LUGEN, LOOK mirar

SCHAUen.LOOKi. b’LICKen ** veralinterior LOOK, ver

anglosaxon

suahili

arabisch

EAGAN

ANGAA

HANA’dir

LUGEN, LOOK ver

Pupille, pupil pupila

japanisch * NAGURE b’LICKen, LOOK mirar

quechua

benghalisch ANKHI AUGE, EYE, OJO AUGEN, EYEs (Vorform v. EYE) OJOs

maori

telugu

KANO’hi

KANNU

AUGE, EYE OJO

AUGE, EYE

OJO

NAHUI AUGEN, EYEs OJOs

finnisch

australisch

arabisch

australisch

NÄKE

NAKE’LANG *

KAN’in

NAKI

sehen, LOOK ver

sehen, LOOK ver

sehen, LOOK ver

AUGE, EYE OJO

63

australisch NAN’GANA * sehen, LOOK ver

guarani NANGA’RECO * wachen, guard guardar

aymara NAIRA AUGE, EYE OJO

twi ANI AUGE, EYE OJO

lateinisch CAV’ere wachen, guard guardar

hethitisch AU sehen, LOOK ver

etruskisch AU sehen, LOOK READ, ver, leer

chontal AHU AUGE, EYE OJO

quechua QAWAY sehen, LOOK ver

maori KAIKA’mo AUGE, EYE OJO

irisch GOL weinen, weep LLOR’ar

türkisch GÖR’mek sehen, LOOK ver(BA)

bengalisch

lat.-griechisch COR’a Pupille, pupil pupila

australisch HOLANYI * weinen, weep LLOR’ar

griechisch LOG’as AUGEN, EYEs OJOs

laddinisch ÖGL AUGE, EYE OJO

deutsch GLOTZ’en * GOGGLE, esparrancar ojos

aymara AI’KONA weinen, weep LLOR’ar

AUGE, EYE OJO

thai KHON AUGE, EYE OJO

chinesisch KONG LUGEN, LOOK mirar

thai CONG starren, Stare mirar fijamente

bengalisch KHON’ja suchen, seek buscar

suahili LONYO LUGEN, LOOK mirar

ph-inibaloi QON’QAN * LUGEN, LOOK mirar

australisch * NOKUNA sehen, LOOK ver

slowakisch

spanisch OJO AUGE EYE

mazatek

AUGE, EYE OJO

polnisch OKO AUGE,'EYE OJO

AUGE, EYE OJO

hethitisch GULS schauen, LOOK ver

schottisch LUIK suchen, seek buscar

thai LUUG’ta AUGapfel, EYEball globo del ojo

welsch LLYG’ad1 AUGE, EYE OJO

englisch LOOK sehen, schauen blicken, mirar

griechisch KYLA AUGENHÖHLE CUEVA de los ojos

samojed GUOULA’t LUGEN, LOOK ver

lateinisch OCUL’um AUGE, EYE OJO

GOLA b’LICKen.LOOK mirar englisch

GOGGLE GLOTZ’en, esparrancar ojos schwedisch

ÖGON

OKO

64

SKOA

quechua

deutsch

finnisch

KUYRU

LUG’en

LUKEA

Pupille, pupil pupila

LOOK mirar

LESEN, read leer

chinesisch XIUN suchen, seek buscar

ph-kallahan QUN’QAN * LUGEN, LOOK mirar

australisch

australisch

spanisch

KUN’dolo

NGAI’KUNG *

GUlN’ar

AUGE, EYE OJO

AUGE, EYE OJO

b’LINZELN t’WINKLE

aynu NUKAR sehen, LOOK ver

tagalog LIN’GUNIN zurückschauen,see back, ver atras

twi

popoluka

HU

is’KUY

sehen, LOOK ver

AUGE, EYE OJO

twi

mapuche

hethitisch

welsch

HUE

NGUE

sa’KUI

GWEL’d

SCHAU’en LOOK, mirar

AUGE, EYE OJO

AUGE, EYE OJO (TAG)

sehen, LOOK ver

lateinisch

quiché

griechisch

englisch

LEG’ere

QUEILIC

GLENE

KEN

lesen,read leer

gesehen werden, be AUGapfel, EYEball Sehbereich, view LOOKed for extentode vista globo del ojo

thai HEN sehen, LOOK ver

suahili

quechua

luo

KEN’geza

KENLLA

NENO

SCHIELEN SQUINT, bizcar

b’LINZELN, t’WIN­ sehen, LOOK KLE, GUINar ver

eifik

mapuche

französisch

englisch

ENYEN

NGE

YEUX

EYE

AUGE, EYE OJO

AUGE, EYE OJO

AUGE, EYE

OJO

AUGE OJO

quiché

maya

deutsch

ph-batak

QUIL

CHIL

b’LICK’en

LIQ’GAN *

sehen, LOOK ver

SCHAUen, LOOK SCHAUen, LOOK sehen, LOOK mirar mirar ver

finnisch

australisch

ph-kankaney

ph-manobo

VIL’KAI *

WILL’KILLA *

QILA

* KILAQ

sehen, LOOK ver

b’LICKEN, GLAN­ CE, mirar

b’LICKEN, G LAN­ sich umsehen CE, mirar LOOK around

ph-kalinga

deutsch

welsch

schottisch

* QILAN

SCHIEL’en

CHWIL’io

GLIN’t

sehen, LOOK ver

S'QUINT bizcar

suchen,seek buscar

B’LICK, GLANCE mirada

65

australisch

AL’KINGAR * AUGE.EYE QJO

ph-atta ma’SlNGAN * sehen, LOOK ver

lappisch

englisch

QINUL’as

s’QUIN’t

sichtbar, visible visible

SCHIELEN bizcar

** weist auf gleiche Kombination von Archetypen hin. 1 Einige Wörter für »suchen« sind aufgenommen, da auch bei KALL eine ähnlich nahe Beziehung vermutet werden darf wie zwischen unserem SEHEN und SUCHEN (von TAG). Man beachte im Deutschen das Paar LUGEN und b’LICKEN, das gleiche Wort also hinter einem Überrest von BA.

Hören in HORCHen. Die größere Intensität hat in früher Sprache eine Verdoppelung bewirkt - HORCHEN ist davon übriggeblieben. Eine Expansion seines Sinngehalts erfuhr HÖREN mit unserem Worte GEHÖREN. »Der Badeanzug >gehört< mir« ist gegebenen­ falls eine heute selbstverständliche, im Grunde aber sinnlose Floskel. Welcher Badeanzug, Garten, Hut oder Logenplatz »hört« schon auf uns? Denn diese beiden Dinge »gehören« nun einmal zusammen; am Anfang dieser Wortschöpfung stand zweifellos das Kind, das einer Mutter »ge’hört«, weil es auf seine ihm geltenden Lock- und Warnrufe »hört«, während es die Lautäußerungen anderer Wesen eher unbeachtet läßt. Aber nicht nur, wie und womit man hört, auch was man hört, hat sich in unmittelbarer Nachbarschaft des für das Ohr zuständigen Archetyps angesiedelt. Dabei fällt auf, wie selbst solche Wörter, denen man prima fade die Lautmalerei ansieht, sich dennoch im Machtbereich des KALL zu halten suchen - etwa KNARRen, KNIRSCHen, KRÄHen, KNACKen, KLICKen und viele andere mehr. Hier in Tafel 5 B ein weltweiter Überblick. Mit dem Thema AUGE (vgl. Tafel 6) nähern wir uns dem Sinnesorgan, das beim Menschen - zum Teil auf Kosten der anderen - die größte Bedeutung erlangt hat. Bei der so wichtigen Fortent­ wicklung zwischenmenschlicher Aktionen war der gegenseitige Blickkontakt ein sehr wesentliches Element gegenseitigen Verste­ hens. Apropos B’LICK: Ein schönes Beispiel für eine Zusammenset­ zung und Verschmelzung von BA- und KALL-Formen zu einer einzigen, neuen. 66

Die Summe der Sinnes eindriicke: Denken

Wir übergehen hier fürs erste die Gruppe von Sinneseindrücken, die nicht durch eine Öffnung im Kopf in unser Gehirn eintreten, die aber zweifellos eine wichtige Rolle innehaben: das Gefühl. Es ist kein eindeutiges Phänomen wie das Hören oder Sehen: wir fühlen Berührung, Wärme und Kälte, Schmerz innen wie außen, und haben auch sonst noch Gefühle, die schwer zu beschreiben und noch schwerer zu lokalisieren sind. Wie beim Hören das Verstehen und beim Nicht-Hören das Dumm-Sein eingehängt sind, so zweigt beim Gefühl auch noch etwas ab, was reichlich verwirrt: das nordische KJENNE ist nicht etwa nur identisch mit unserem KENNEN, es bedeutet zunächst »fühlen«. Fühlen in jeder unserer Bedeutungen bis hin zum Tasten. Übrigens führen so weit voneinander entfernte Sprachen wie das Japanische, das Indio-arhuaco, das Suahili und das Tibetische das Wort KAN als Kennzeichnung von Gefühl. Es geht vermutlich zurück auf eine Zeit, da man zwischen Fühlen und Kennen noch gar nicht unterschied. Es lohnt sich, ein paar Augenblicke über die Bedeutung der Sinneseindrücke für das Hirn der Menschen nachzudenken. Das soeben geborene Menschenkind verfügt zwar schon über ein Viertel seines Schädelinhalts und damit über etwa gleich viel seiner endgültigen Gehirnmasse, aber diese Himmasse ist so leer wie ein noch unbeschriebenes Blatt. Aber schon zwei Wochen nach dem Verlassen des Mutterleibes beginnen sich Strukturen zu bilden, und zwar als Reaktion auf die ersten Sinneseindrücke des Schmeckens, Fühlens, Hörens und - sehr viel später - Sehens. Die entscheidende erste Phase des Aufbaues einer »Hardware« kommt noch ohne das Sehen aus. Je mehr Sinneseindrücke das Kleinkind empfängt, um so vielfältiger kann sich seine Grundstruktur aufbauen - und um so leichter kann es später das Hinzuerlernte, die »Software«, darin unterbringen. Sinneseindrücke werden aber in erster Linie von der Mutter vermittelt; das Saugen überträgt Geschmacks-, das Berühren

67

ihrer Haut Gefühlseindrücke vom Tasten und körperlicher Wärme. Auch das Gehör wird von den ersten Tagen an voll eingeschaltet. Je inniger daher der Kontakt zwischen dem Neugeborenen und seiner Mutter, um so besser entfaltet sich die so wichtige Grundstruktur des menschlichen Hirns. Da hat der Mensch einen vielleicht entscheiden­ den Vorrang vor anderen Primaten und erst recht vor solchen Säugetieren gewonnen, die schon nach wenigen Stunden auf eigenen Beinen stehen und der Mutter in zwar geringem, aber doch eben in einem kontaktärmeren Abstand folgen müssen. Weil die stammesgeschichtliche Entwicklung des Homo obendrein seine Nacktheit genetisch begünstigte, waren die Sinneseindrücke von Menschenkin­ dern in ihrer ersten Lebensphase nochmals intensiver — und für die Bildung der Hardware entsprechend günstiger. Das gleiche gilt erst recht von der gegenüber Primaten gesteigerten Hilflosigkeit der jungen Menschenkinder, die wegen ihres zunehmenden Schädel­ durchmessers viel zu früh geboren werden mußten, verglichen etwa mit dem Jungen eines Büffels oder Bisons, das viel fertiger auf die Welt kommt. Da die menschliche Mutter darauf programmiert ist, jede Regung oder Lautäußerung ihres Babys sofort und positiv zu beantworten, vermehren sich die anfänglichen Sinneseindrücke beträchtlich. So war das Him der Menschen nicht nur größer, es wurde auch besser durchstrukturiert. Nebenbei bemerkt eine weitere sehr wichtige Vorbedingung auch für das spätere Beherrschen der Lautsprache. Seit C. G. Jung wissen wir von gewissen Archetypen der gemeinsamen menschlichen Erinnerung, seit Theodor Dolezol haben wir einen konkreten Versuch, die alten Mythen der Menschheit als einstige Tatsachen zu verstehen. In seinem 1979 erschienenen weitausgreifenden Buch über die »Abstammung und Urgeschichte des Menschen« scheut er sich nicht, aus den Drachenmythen vieler Völker die echte Erfahrung menschlicher Vorläufer aus der Saurierzeit herauszulesen und durch Details wie dem feurigen oder stinkenden Atem der Sage aufzuzei­ gen, daß nur unsere gleichzeitigen tierischen Vorläufer solche Information an die Erinnerung der Art genetisch weitergereicht haben können. Gerade beim Neugeborenen haben sich mehrere Verhaltensweisen erhalten, die in eine ferne, tierische Vergangenheit weisen und sich heute nur deshalb so schnell verlieren, weil sie nicht mehr benötigt werden. Dazu gehört das Auseinanderbreiten der Arme beim Erschrecken oder Fallen, das in unserer arborealen Vergangenheit einmal sinnvoll war, um einen Sturz aufzuhalten oder zu mildern. Dazu gehört ferner der Klammerreflex, sobald das Baby 68

etwas mit den Händen zu fassen vermag, wobei es anfangs eine Kraft entwickelt, die ausreicht, das eigene Gewicht zu halten. Auch das durchaus sinnvoll in einer Zeit, da es für das Überleben entscheidend war, sich am Fell der Mutter auch bei plötzlicher Flucht vor Raubtieren festhalten zu können - wer dabei verlorenging, war verloren. In noch fernere stammesgeschichtliche Vergangenheiten weist die Schwimmbewegung des Neugeborenen, die denen der Fische gewissermaßen nachempfunden ist, und auch der Tauchreflex, der als Sofortmaßnahme auf das Wegbleiben der Luftzufuhr die Herzschläge radikal vermindert, um den gerade vorhandenen Sauer­ stoffvorrat zu strecken. Heute wissen wir auch besser als vor 20 Jahren, daß die stammesgeschichtliche Entwicklung der Hominiden und der frühe­ sten Homines nicht gleichmäßig oder geradlinig vor sich ging. Immer wieder unterbrachen geologische Katastrophen oder große Klima­ schwankungen das perfekte Einpassen in die vorgefundene ökologi­ sche Nische und dezimierten auf die eine oder andere Weise die Vorläufer und die frühen Exemplare unserer Art. Die Überlebenden solcher Umweltkatastrophen verbreiteten sich danach um so schneller in die freigewordenen Nischen. Bei solchem Überleben spielte die durch Intelligenz erhöhte Anpassungsfähigkeit eine immer wichtigere Rolle. Und da Intelligenz sich erst voll auswirkt, wenn damit ein Informationsaustausch stattfinden und die zwischenmenschliche Aktion begünstigen kann, muß in immer stärkerem Maße auch die Sprache zum Zuge gekommen sein. Neben unserem Wissen darum haben wir auch die Empfindung, das klare Gefühl, daß wir mit und innerhalb unseres Kopfes denken. Das ist beileibe nicht selbstverständlich. Offenbar aber haben das auch unsere frühen Vorläufer schon gewußt, denn auch ohne die nur unsicher deutbaren Schädelkulte haben sie es uns verraten. Aus allen großen Zeitaltern früher Sprachen haben sie den jeweils vorherr­ schenden Archetypen für Kopf auch für das »Denken« eingesetzt - letzteres aus der Zeit, in der man Kopf und Gipfel mit TAG-Formen ansprach. Ich habe KALL als dominantes Thema für dieses Buch nicht zuletzt darum gewählt, weil es zwischen dem älteren BA und dem jüngeren TAG steht und weil dadurch die Übergänge und Bruchstel­ len besondere Erkenntnisse anbieten. Tafel 7 beschränkt sich auf die dem Kopf als Gefäß des Hirns unmittelbar zugeordneten Funktionen und Eigenschaften und läßt die Fülle von assoziativen Erscheinungen außer Betracht, obwohl es sehr reizvoll wäre, auch das vorhandene 69

Tafel 7: Das Denken arabisch HAUL sehr KLUG, cun­ ning, intelligente

arabisch HAL sich denken imagine, imaginar

arabisch LAQN Schnell v. Begriff rápido entendiendo

ilocan LAING Intelligenz, in­ telligence, -cia

lateinisch CAL’CUL’are RECHnen, RECKon CALCULar

quechua LLAQCHI Illusion, illu­ sion, illución

tibetisch GAL’mtun Gewissen, con­ science, consciencia

bengalisch * CHALAK KLUG, CLEVER listo

arabisch * GALAN rege, vivid intelligente

arabisch LAcHAN verstehen, under­ stand, entender

laddinisch RASCH’lar RECH’nen, CALculate, CALCUL’ar

suahili * KALAMKA KLUG, CLEVER listo

irisch * CIALLAIN meinen, believe pensar

thai KAN’LANGGA * Willen, willpower fuerza de voluntad

arabisch HALAM Traum, dream sueño

ilocan CARA’RAGAN * f’RAG’en, ask inter ROGar

baskisch LAKOAN denken, think pensar

maori wha’KAARO Absicht, intention intención (BA)

japanisch NAGORI Erinnerung, memo­ ry, memoria

quechua KALLU SCHLAU, cunning sagaz

tungusisch A’LAGU’si LEHREN, teach docer, informar

australisch NYALU Wille, will voluntad

hethi tisch HALUKI * Erkundung, findingout, pesquisa

lateinisch HALLU’cinatio Wahnvorstellung hallucinación

tibetisch LHAGGE verständlich, dear intelligible

lateinisch CALL’ere weise sein, be wise, sagaz

spanisch CALEZ’a * KLUGheit, CLEVERness, inteilig.

tagalog KALI denken, think pensar

suahili KAULI Ansicht, meaning opinión

lateinisch CALI’dus ' KLUG, SCHLAU CLEVER, sagaz

arabisch LAQI erklären, explain explicar

aynu pa’KARI denken, think pensar (BA)

ilocan GA’GAN’GAY * Instinkt, instinct instincto

guarani A’CANGAU * s.d.Kopf zerbrechen break one’s brain

japanisch NAI’KAN * Intuition intuición

zapotee s’KAAN’da Traum, dream sueño (TAG)

tibetisch CAN’ba vermuten, presume creer (BA)

tibetisch CANpo KLUG, CLEVER listo (BA)

englisch HUNCH Vorahnung presentimiento

japanisch chok’KAN Intuition intuición

70

thai

thai

suahili

maori

NAG

KHANA’naa

ba’YANA

ti’KANGA

Erfahrung, expe­ RECH’nen, CAL’- Wissen, knowrience, experiencia culate, CAL’cular legde, sabiduría

Sinngehalt, mea­ ning, sentido (TAG)

maori KAIN’GA’KAU * werten, value valuare

maya

thai

suahili

* CCANUUK

KHANYNG

KANI

vermuten, presume Denken, thinking creer pensando

Energie, energy fuerza de voluntad

guarani

polnisch

ilocan

arabisch

ANGUEN

NAUKA

NACAL’LAGip * NAKARA

HALLUzination

LEHRE, Wissen KNOWledge

erinnerlich memorable

polnisch

slowakisch

japanisch

tibetisch

NAUCZ

NAHL’ad

NARAU

GRANba

LEHREN, teach docear

Ansicht, view opinión

LERNEN, LURN apprender

RECHnen, CALcul. CALCAULar(BA)

tibetisch d'RANpa Erinnerung, memo­ ry, memoria (B A)

bengali

tibetisch

maori

CHAON

COLba

A’KORANGA *

wollen, want querer

vertrauen, con­ fide, confider

Erfahrung, experi­ ence, educatiön

japanisch SCHLAU, CUN­ NING, listo

telugu KORU Wunsch, desire deseo

finnisch

KOULA

KLUGheit, CLEVER’ness, prud.

telugu

griechisch

KORU’ta

LOGEIA

wünschen, want desear

RECHnen, RECKon, CALCULar

baskisch

tibetisch

tibetisch

GO’GOAN

S’GONpa

ZON

unterweisen teach, docear

denken, think pensar

nachdenken, specu­ Aufmerksamkeit attention late, pensar (BA)

tibetisch

maori

tibetisch

griechisch

R’NOG

A’KONGA

d’GONSba

KONN’eo

ROKAI

Vorahnung, HUNCH LERNEN, LURN apprender presentimiento

beabsichtigen, in­ wissen, KNOW tend, intentar (BA) saber

finnisch

japanisch

japanisch

maori

* NOKKELA

RON’ri

NORIKI

a’KO

intelligent intelligente

LOGIK

Interesse interés

LERNEN, LURN apprender

nahuatl

tibetisch LUGS Meinung, view opinion

deutsch

arabisch

KLUG CLEVER

QULLAb

yo’KOYA erfinden, invent inventar

listo

SCHLAU, KLUG CLEVER, listo

71

suahili LUJA Meditation

maori KURA LERNEN, LURN apprender

japanisch RYOKAI Verständnis, under­ stand., comprensión

finnisch LUULLA GLAUben, beLIEVE, creer

japanisch RYOKEN Gedanke, thought pensamiento

japanisch RYOCHI Intuition intuciön

australisch KUN’GULLIN * denken, think pensar

laddinisch (GLÜNA * !) LAUNE, mood antojo

chaszkaski CHYN wollen, want QUERER

tibetisch KUN-m’KYEN allwissend, omni­ scient, omniscio

suahili KUNGA LEHREN, teach docear

quechua KUNA raten, consult consultar

arabisch HUNUK KLUG, CLEVER listo

norwegisch LYNNE LAUNE, mood antojo

tagalog GUNI’GUNI * Meditation

tagalog GUNI’ta Erinnerung, me­ mory, memoria

quechua NUNA Geist, Verstand intelligence

thai KHRUN’NYG * nachdenken, think over, pensar bien

maori * RUANUKU Weiser, wise man sagazioso

anglosaxon GELE’fan GLAU’ben, be'LIEVE, creer

deutsch RECH’nen CALCULate CALCULar

irisch CEILLI vernünftig, reason­ able, racional

japanisch REIKA Vergeistigung spiritualisation

japanisch REIKON Geist, spirit espiritu

deutsch LEHREN teach ensenar

japanisch REICHI Verstand, intelli­ gence, intelligencia

englisch CLEVER KLUG listo

aynu ONNEKA verstehen, under­ stand, entender

japanisch NEN Gedanke, thought pensamiento

irisch GLIC KLUG, CLEVER listo

fidschi KILA wissen, KNOW saber

dayak-sentah KIRA denken, think pensar

tibetisch RIGpa wissen, KNOW saber

suahili HILA Geist, Verstand intelligence

japanisch RIKAI Verständnis, under­ stand., comprensión

japanisch RIKO KLUGheit, CLEVER’ness, prüden.

suahili a’KILI Verstand, intelli­ gence, razon

quiche CO’cHINA denken, think pensar

quiche QUINAO denken, think pensar

japanisch SHIN Sinn, sense sentido

72

Material über Gemütsverfassungen und Stimmungen mit einzubezie­ hen - Wut, Ärger, GROLL, Heiterkeit, ULK, Spannung, Sorge um andere und was dergleichen mehr in unseren Köpfen vorgeht. Wenden wir uns mit dieser Tafel also den unmittelbaren Formen des Denkens zu. Von hier und jetzt an werden die Beweistafeln für zweierlei Leser getrennt fortgeführt: - Für solche, die Sprache als Medium der Urgeschichtsforschung erleben wollen, sind sie weiter in den Text eingefügt - und auch im folgenden arabisch numeriert. - Für solche, die noch mehr über das linguistische Element wissen oder ihre Zweifel an der paläolinguistischen Erforschung früher Sprache durch noch mehr Beweise widerlegt wissen wollen. Diese zweite Art Tafeln wird mit römischen Ziffern numeriert und nach Abschluß des Textteiles in einer eigenen »Dokumentation« (ab Seite 251) zusammengestellt. Tafel (römisch) I befaßt sich daher ergänzend zu dem hier Gesagten mit Wörtern und Namen für den Begriff »Berg« einer Zeit, in der man für »Kopf« aus den hier dargestellten Gründen KALL verwendete. Viele der aufgeführten »Namen« waren früher »nur« Wörter, die dann, wenn sie als »Namen« mißverstanden wurden, dem zu anderer Zeit gültigen Terminus für Kopf - und damit für Berg - vorgesetzt oder angehängt wurden. So entstanden reizvolle Bilinguen.

KEHLE, HALS und NACKEN

Im Fortgang unserer Suche nach fossilen Formen wenden wir uns nun der lebenswichtigen Verbindung zwischen Kopf und Körper zu, dem HALse, seinem NACKEN und seinem zentralen Teil, der KEHLE. Die Druckweise deutet schon an, daß alle drei leicht erkennbare KALL-Nachfahren sind. Eng beieinander finden sich hier die überlebenswichtigen Luft- und Speiseröhren, die großen Schlag­ adern, Sehnen und Muskeln, die verbinden und stützen. Dieser Teil unseres Körpers ist manchen Sprachen so wichtig, daß sie für ein Berühren oder Verletzen dieser Zone eigene Wörter entwickelt haben. Wenn niemand sonst, so hatten schon die großen afrikanischen Raubkatzen seiner afrikanischen Urheimat dem Menschen demon­ striert, daß HALS und GENICK die verletzbarsten Teile eines Beutetieres sind, darunter damals eingeschlossen: der Mensch. In einer weiten halboffenen Höhle Südafrikas fand man einen Platz, zu dem die Carnivoren ihre Beute schleppten, um sie in Ruhe zu verzehren. Daraus erhellt, wie unsere Vorläufer vor zwei und mehr Millionen Jahren in ihrem individuellen Leben sicherlich mehrfach Zeugen solcher Vorgänge wurden. Nun ist jeder Tod im Grunde ein Erstickungstod, nicht nur der gewaltsam herbeigeführte. Das norwegische KVAELE bietet uns eine Brücke zu der Einsicht, daß gerade das auch der frühe Mensch schon gewußt haben muß: KVAELE bezeichnet das Ersticken, das aktive wie das passive, und da es das gleiche Wort ist, steht unsere QUAL für den »qualvollen« Zustand, bei dem das Atmen be- oder verhindert wird. Die englische Parallele des - aktiv gemeinten - KILL heißt daher vom Grunde her: erwürgen. Noch in unserem QUALM, der ja gleichfalls das Atmen zur QUAL machen kann, steckt diese primäre Charakterisierung von lebensbedrohender Atemnot - und natürlich im GALGEN, englisch GALLOWS, beide Wörter einst KALL-Verdoppelungen. Das seltenere QUELL steht

75

Tafel 8: KEHLE/SCHLUCHT maya

finnisch

arabisch

arabisch

KAL

HAL’KIO

GAR’GAR

HARR

KEHLE, throat CUELLO

SCHLUCHT GLEN, GORGE

GURGeln, GUR­ GLE, gargarizar

SCHNARCHEN SNORE, RONCAR

arabisch

australisch

KAL’de

RACHEN, throat GARGAN’ta

KEHLE, throat CUELLO

süddeutsch KAR SCHLUCHT GLEN, GORGE

spanisch

HAR’qada

arabisch

hebräisch

arab.-syrisch

HAL’qam

GAR’gerot

GAR’a

SCHLUCKEN GULCH, tragar

GURGEL, throat CUELLo

SCHLUCHt GORGE, GLEN

hebräisch GARON KEHLE, throat CUELLo

griechisch

phönizisch

GAR’GAR

KAL’pe

GURGeln, GUR­ GLE, gargarizar

Meerenge, straits estrecho

spanisch GAR’GAN’tear jodeln, trillern jodelar

australisch

griechisch

spanisch

australisch

LACH’LANN *

GAR’GAR’eon *

GAR’GERO *

tally’WALKA

SCHLUCHT GLEN, GORGE

Luftröhre, vent pipe, traquea

RACHEN, throat CUELLO

SCHLUCHT GLEN, GORGE

bengali

spanisch CALA’da KEHLE throat

GALA KEHLE, throat CUELLO

GAR’GAN’ta GURGEL, ENGE throat, NARROWS

französisch

GAR’GOUILLE KEHLE,KLAMM GLEN, CUELLO

finnisch

arabisch

KALLAS

* HALAQ

Abgrund, abyss GORGE

KEHLE, throat CUELLO

ph-manobo

finnisch

ilocan

griechisch

ba’KALANG *

ON’KALO *

CARA’bucop

LAUKANIE

KEHLE, throat CUELLO (BA)

KLUFT, GLEN GARGANTA

KEHLE, throat CUELLO (BA)

KEHLE, throat CUELLO

französisch SCHLUCHT GLEN, GORGE

bengali GALA-antKANO ersticken, stifle a. d. Kehle, at throat, al CUELLO ahogar

ph-balangwa

ph-mananwa

Quebec NA

polnisch

KALO’bokob

ti’LAQOK

LACHINE

GAROLO

KEHLE, throat CUELLO

KEHLE, throat CUELLO

SCHLUCHT rapids, GORGE

GURGEL, throat CUELLO

englisch

deutsch

ph-kankaney

S’WALLOW

KLAMM

QALOGO

SCHLUCKEN tragar

GLEN GORGE

KEHLE, throat CUELLO

ph-bontok QALOGO KEHLE, throat CUELLO

CAILLE

76

arabisch

samojed

GALAS

LAEKKE SCHLUCHT GLEN, GORGE

ilocan

laddinisch

ph-itneg

CHAVORGIA

KALOWO’kob

SCHLUCHT GLEN, GORGE

KEHLE, throat CUELLO

ph-inibaloi KALONG’KONG KEHLE, throat CUELLO

ph-ifugao KEHLE, throat CUELLO

ph-kallahan GALUNG’GUNG KEHLE, throat CUELLO

arabisch HANA’dil NIL’SCHLUCHT GORGES del Nil

lateinisch

spanisch

nordisch

deutsch

LARYNX

CAÑA’da

KVAELE

RACHEN

KEHLE, throat CUELLO

SCHLUCHT GLEN, GORGE

ersticken, stifle ahogar

throat GARGAN’ta

spanisch CAÑON SCHLUCHT CANON

spanisch

lappisch

KEHLkopf larynx

tungusisch mon’GAN KEHLE, throat CUELLO

arabisch * HANAO erwürgen, QUELL ahogar

spanisch

spanisch

tibetisch

GAÑO’te

GAÑIL'es

RAL

SCHLUND, throat KEHLE, throat CUELLO CUELLO

arabisch

arabisch

GAÑIZ

NAGA

KEHLE, throat CUELLO

SCHLUCKEN GULCH, tragar

QALU’gug

LARINGE

welsch NAN'T Schrunde, GLEN VAL

RAG’CANG * KLUFT, GLEN GARGANTA

ph-satnbal

bo’KLAW KEHLE, throat CUELLO

RAIGE KLUFT, GLEN VAL

KLUFT, GLEN GORGE

arabisch

NAcHIQ Kehlkopf,LA­ RYNX, LARINGE

tagalog

ph-isneg

polnisch

mongolisch

I’LAYA

bu’QLAW

d’LAWIC

GOL

SCHLUCHT GARGANTA

KEHLE, throat CUELLO

WÜRGEN, stifle ahogar

tiefes Tal valley, VAL

ph-atta bul’LAW KEHLE, throat CUELLO

quiche

quechua

ph-subnun

RAY

LLOQLLA

ti’LOQ

QU AL, QUELL penas

KLAMM, GLEN GORGE

KEHLE, throat CUELLO

arabisch

tibetisch

L’KOL-mdud

Tal, VALLEY VAL

KEHLE, throat CUELLO

tibetisch LKOG-ma GURGEL, GUR­ GLE, GARGANTA

tibetisch

GHOR

spanisch

spanisch COLANA SCHLUCK GORGORO

spanisch

suahili

GORGORO

ma’KOROKORO *

GOLA KEHLE, throat CUELLO

GLOG-po Tal, VALLEY VAL(BA)

SCHLUCK,GULCH KEHLE, throat COLANA CUELLO

77

tibetisch

setswana

spanisch

spanisch

HOLE

mogo’GORO

GORGE

GOLLIZO

KEHLE, throat CUELLO

SCHLUN’D.GLEN GURGEL, throat GORGE (BA) GARGANTA

ph-tagabili

chinesisch

ph-sangil

romanisch

bi’KLONG

HOU LONG *

ting’GOANG

GORGE

KEHLE, throat CUELLO

KEHLE, throat CUELLO

KEHLE, throat CUELLO (TAG)

SCHLUCHT GLEN

SCHLUCHT GLEN, GORGE

ph-manobo

englisch

schottisch

ph-bilaan

biko’KONG

NOCK

CORRIE

bka’KONG

KEHLE, throat CUELLO

GURGEL, GUR­ SCHLUCHT GLE,GARGANTA GLEN, GORGE

guarani NOCOE

slowakisch

suahili

spanisch

* ROKLINA

KOO

HOYUELA

KEHLkopf, LA­ RYNX, LARINGE

SCHLUCHT GLEN, GORGE

KEHLE, throat CUELLO

KEHLgrube throat, pit

romanisch

ph-agta

tibetisch

deutsch

COM’ba

HUL

RON

SCHLUCK

SCHLUCHT GLEN, GORGE

KEHLE, throat CUELLO

KLUFT, GLEN GARGANTA

GULCH tragón

altenglisch KEHLE, throat CUELLO

US-amerik. GULCH SCHLUCHT GLEN, GORGE

aymara

arabisch

zigeunerisch

KULL’KU *

HUL’qum

SCHLUCH’ta

GULCH

ENGesTal, den estrecho, VAL

KEHLE, throat CUELLO

englisch

ph-kallahan

GUL’P

KUL’KULUNG *

SCHLINGEN ENGULLIR

KEHLE, throat CUELLO

lateinisch GULA Speiseröhre, GUL­ KEHLE, throat CUELLO LET, esófago

SCHLUCHT GLEN, GORGE

finnisch

deutsch

samojed

arabisch

KULAH

GUR’GEL *

GURRA

* HULAQ

SCHLUCK, GULP throat trago CUELLO

wunde KEHLE, sore SCHLUCHT GULLY, GORGE throat, CUELLO

deutsch

telugu

spanisch

ph-kalinga

WÜRGEN

GURAKA

CUELLO

QUL’ququq

QUELL ahogar

KLUFT, GULLY GARGANTA

KEHLE throat

KEHLE, throat CUELLO

finnisch KUILU KLAMM, GLEN GORGE

78

nheengatu

englisch

finnisch

CURU’CAUA *

GULL’ET

KURU

KEHLE, throat CUELLO

KEHLE, throat CUELLO

CAÑON

tagalog GUWANG SCHLUCHT GULCH, GORGE

quechua KUN’KA KEHLE, GUL­ LET, CUELLO

australisch KUNGAGNARRA KEHLE, GUL­ LET, CUELLO

arabisch HUNUQ KLAMM, GLEN GORGE

aymara CUN’CA KEHLE, GUL­ LET, CUELLO

arabisch HUNAQ KEHLE, GUL­ LET, CUELLO

hindi NULLAH SCHLUCHT GULCH, GORGE

arabisch NUGNUG KEHLE, GUL­ LET, CUELLO

deutsch RÜL’psen GUL’P E’RUC’tar

laddinisch t’RÜNA SCHLUCHT GULCH, GORGE

griechisch pha’RYNX KEHLE, GUL­ LET, CUELLO

australisch RUNYANZ KEHLE, GUL­ LET, CUELLO

samojed GUOI’KA Stromschnelle rapids,cataract

slowakisch KRY GURGEL, GUR­ GLE, GARGANTA

englisch QUELL ersticken ahogar

Kongo YELLALA Wasserfall, falls cataracts

ph-sangil LEHEC KEHLE, GUL­ LET, CUELLO

englisch GLEN KLAMM GARGANTA

spanisch CUELLO KEHLE GULLET

deutsch KEHLE GULLET, throat CUELLO

maori KENA’KENA KEHLkopf, LA­ RYNX, LARINGE

irisch GLEANN enges Tal GLEN, VAL

finnisch NIELU KEHLE, GUL­ LET, CUELLO

ph-tausug LIUG KEHLE, GUL­ LET, CUELLO

chinesisch YEN SCHLUCHT GULCH, GORGE

quiché cHIL sich QUÄLEN QUELL, ahogar

popoluka HILK ersticken QUELL, ahogar

englisch GILL SCHLUCHT GULCH, GORGE

ph-batak ti’KIRAW KEHLE, GUL­ LET, CUELLO

ph-samal KILLONG KEHLE, GUL­ LET, CUELLO

mapuche QUIL’GHEN * KLAMM, GILL GORGE

ph-binukid ba’KILLING KEHLE, GUL­ LET, CUELLO

ph-manobo qabi’LINGAN KEHLE GUL­ LET, CUELLO

deutsch KIN’zig HOHLweg, ravine torrentera

ph-tausug bi’KIRNIG KEHLE, GUL­ LET, CUELLO

ph-manobo-I bi’KIRINGAN * KEHLE, GUL­ LET, CUELLO

quechua QUIJLLU KLUFT, ravines estrechos

australisch KURE KEHLE, GUL­ LET, CUELLO

thai KLUA’KHOO GURGELN, GUR­ GLE, gargarizar

79

tungusisch

arabisch

finnisch

finnisch

b’ILGA

HINAQ

NIELLÄ

NIELLU

KEHLE, GULLET, CUELLO

KEHLE, GULLET, CUELLO

Schluck GULP, trago

KEHLE, GULLET, CUELLO

für das Ersticken, das frühmittelalterliche CWELAN noch nicht für KILL (töten), sondern für das Aufhören des Atmens, fürs »Sterben«. Die Übertragung dieser Körperzone in die Landschaft hinaus zeigt dramatische Wirkungen: das landschaftliche Äquivalent der KEHLE ist die Schlucht, die Klamm, die Meeresenge. Auf der Tafel 8 stellen wir diese Merkmale zwischen parallele Beispiele aus dem körperlichen Bereich und überlassen es dem Leser, sich darüber Gedanken zu machen und selbst weitere Beispiele zu finden. Von daher zweigt auch der Themenkreis »Fluß« und »Tal allgemein« ab, dem wir in Tafel III des Anhangs Raum geben. Nun, die KEHLE ist spracharchäologisch so wenig der einzige Aspekt dieser Zone wie die KLAMM draußen in der Landschaft. Gewiß, nicht alle Sprachen machen so deutliche Unterschiede wie wir, schon das englische NECK deckt zwei Seiten ab, den HALS und den NACKEN. Wieder andere dürfen sich mit einem einzigen Wort begnügen. Wenn man aber nun glauben möchte, daß Sprachen heute sogenannter primitiver Völker die Ärmeren im Ausdruck seien, dann liefert man sich unweigerlich herben Enttäuschungen aus. Wo etwa wir nur ein Ren sehen, Ochs, Kuh oder Kalb, da hat der Lappe viele dutzend Wörter für die nach Alter, Geschlecht, Zustand und Verhalten unterschiedlichen Tiere und für deren Geweih noch einmal unabhängig davon. Wo wir von Onkel und Tante sprechen, muß ein Lappenkind über 40 Wörter lernen, um das jeweils richtige für den gemeinten Verwandten zu wählen, der anders genannt wird, je nachdem er über Mutter oder Vater, und je nachdem, in welcher Altersfolge er oder sie innerhalb ihrer eigenen Familie steht. Auf der anderen Seite gibt es auch den Vorgang des Verkümmerns und des Verschleißes, einer sprachlichen Erosion also, der besonders gern Sprachen anheimzufallen scheinen, die lange Zeit Völkern in Hochkulturen gedient haben. So hat das Chinesische eine überra80

Tafel 9: NACKEN/NEIGEN/NICKEN maya

arabisch

hethi tisch

polnisch

KAL

HAL

LAKNU

KARK

NACKEN, NECK NUCA

geNEIGt, incline * inclinarse

NEIGEN, incline inclinar

NACKEN, NECK NUCA

bengali

welsch

arabisch

finnisch

GHAR

GWAR

GALA

KAULA

NACKEN, NECK NUCA

NACKEN, NECK NUCA

sich NEIGEN bend, inclinarse

NACKEN, HALS NECK, CUELLO

ph-ivatan LAGAW

finnisch

HALS, NACKEN NECK, CUELLO

s. NEIGEN, bend inclinarse

slowakisch KLA NEIGEN, bend inclinarse

KALLEL

ph-balangaw

arabisch

ba’GANG

HANA

HALS/NACKEN NECK, CUELLO

NEIGEN, bend inclinarse

lappisch

slowakisch

NJAGAS

NACHYL

GE’NEIG’T bent, inclinado

arhuaco GANE’katte NACKEN, NECK CUELLO (BA)

polnisch

s’KLANIAL NEIGEN, bend inclinarse arabisch

NAcHcH NEIGUNG, ben­ ding, inclinándose

arabisch

NEIGEN, bend inclinar

arabisch NAUcHA GENICK, NECK CUELLO/NUCA

NACKEN, NECK CUELLO/NUCA

setswana

ph-gaddang

suahili

ph-tagabili

mo’LALA

buq’LAW

KAI

LI’HOL *

NACKEN, NECK CUELLO (BA)

HALS/NACKEN CUELLO/NUCA

NEIGEN, bend inclinarse

HALS/NACKEN CUELLO/NUCA

slowakisch KLON NEIGEN, bend inclinarse

NAQR

thai

thai

twi

KOM’LONG

KHOON

ä’KONETJI

NEIGEN, bend inclinar

GE’NEIGT, bent inclinado

NACKEN, NECK NUCA

finnisch

japanisch

tibetisch

polnisch

NUOKU

NOKKE

M’GUL

CHYLIC

NICKEN, NOD inclinar la cabeza

NEIGEN, bend inclinar

NACKEN, NECK NUCA

NEIGEN, bend inclinar

thai

spanisch

NYG’NYG

NUCA

NICKEN, nod mover la cabeza

GENICK NECK

lateinisch NUCHA NACKEN, NECK NUCA

ph-sangil

englisch

englisch

deutsch

LEHEQ

LEAN

NECK

NEIGEN

NACKEN, NECK NUCA

NEIGEN, bend inclinar

GENICK, NAKKEN.NUCA

LEAN inclinar

finnisch

NUOKKO NICKEN, nod mover la cabeza

81

lappisch

anglosaxon

NIEKKA

HNECCA

NACKEN, NECK NUCA

GENICK NUCA

hethitisch

KILA

ph-agta LIG HALS/NACKEN NECK, NUCA

ph-atta LIOG NACKEN, NECK NUCA

ph-samal

tagalog

ph-batag u. a.

* KILLONG

* HILIG

LIQIG

NACKEN, NECK NUCA

NACKEN, NECK NUCA

NEIGUNG, ben­ ding, inclinación

NACKEN, NECK NUCA

griechisch

schottisch

chinesisch

maori

KLINO

KINK

JING XIANG

HINGA

LEHNEN.NEIGEN NEIGEN, bend bend, inclinar inclinar

NACKEN, NECK NUCA

NEIGEN, bend inclinar

suahili

zigeunerisch

deutsch

deutsch

SCHINGO

KNICKA

NICKEN

KNICKEN

NACKEN, NECK NUCA

NACKEN, NECK NUCA

nod, mover la cabeza

bend RAJAR

1 »inclinar« zeigt die Hilflosigkeit einer Sprache, die kein unmittelbares Wort hat - inclinar ist eigentlich »sich auf etwas lehnen«, wobei man sich beugt, also auch »NEIGT«.

sehende Fülle von KALL-Derivaten, aber kaum noch reine Formen, ganz im Gegensatz zu den doch so nah verwandten Idiomen wie dem Mongolischen, dem Tibetischen oder dem Thai Siams. Wir verweisen unsere Tafel über den Aspekt HALS als Tafel IV in den Anhang, wo er auf die Sammlung »Fluß und Tal« folgt, zu der er zwingend gehört. Denn KLAMM ist nur eine Seite, Fluß und Tal die großräumigeren Erscheinungsformen dieses gleichen Phänomens. Gönnen wir uns aber die Freude, oben die Tafel 9 mit den Themata »NACKEN/NEIGEN/NICKEN« abzudrucken.

Der Mund

Der Mund ist die letzte große Öffnung am Kopf, von der wir annehmen dürfen, daß auch sie ganz besonders dem kategorischen Imperativ des KALL unterliegt. In unseren eigenen Sprachen sind wir prima facie enttäuscht - MUND, MOUTH und das romanische BOCA sind BA-Formen, die sich nicht vertreiben ließen. Dagegen sind die Funktionen unserer europäischen Münder anscheinend mit fliegenden Fahnen und auf breiter Front zu KALL übergelaufen - LACHEN, LECKEN, SCHLECKEN, KAUEN, SCHLUCKEN, lateinisch LOQUI für sprechen, das sind nur einige wenige Hinweise. Auch Teile des Mundes - wer weiß: vielleicht erst später genauer benannt - wie GAU’men, RACHEN, LARYNX, LINGUA haben sich von KALL her formen lassen. Nur als Anmerkung: Bei dem Paar LECKEN/SCHLECKEN, die sich inhaltlich weitgehend decken, ersehen wir ein weiteres Mal die eigentlich überflüssige Rolle des SCH bei uns. Vielleicht ist es ein bloßes Anzeichen mehr für die nach Osten fortschreitende »VerKonsonantierung« der europäischen Sprachen, bei der gerade die Zischlaute sich häufen. Daher können wir uns beim SCH’LUCKEN den Anlaut gut wegdenken, trifft der Rest für sich allein doch viel genauer das Verschwinden von Nahrung in jener LUKE, die wir Mund nennen. Wie fein spätere Sprache eine im Grunde gleiche Sache zu differenzieren weiß, zeigt auch die Reihe LOCH/LUG/LUKE/ LUNKER/LÜCKE/LECK/LUIK. Für frühe Sprache war das alles und noch viel mehr einfach LOCH! Und das sogar wortwörtlich, wie die vielen Entsprechungen heute noch zeigen. Auch der feine Unterschied, den wir vom lateinischen LOQUI für sprechen und unserem LÜGEN her kennen, bestand einstmals mit Sicherheit nicht, ist doch das Lügen nur ein Aspekt des Sprechens, laut Cato und Talleyrand dazu da, unsere Gedanken zu verbergen. Als Instrument der Nahrungsaufnahme war der Mund im Sprach-

83

Tafel 10: Sprache und Mund deutsch ma.

englisch

arabisch

arabisch

KALL

S’QUALL

LAG’LAG *

QAIL

schwatzen, chatter CHARLAR

aufschreien CHILLAR

stottern, stammer balbucear

sprechen,speak hablar

tibetisch

welsch GALW rufen, CALL llamar

luwisch

Mund, mouth boca

australisch KAL’de Sprache, LAN­ GUAGE, LENGUA

maya CHAAL sagen, say decir

arabisch GAR Mundhöhle, mouth boca

ph-atta

samojed CAEL’ket sagen,say decir

ZAL

HAL’t rufen, CALL llamar

irisch

aynu

GAIR

CAR

SCHREIen, CRY chillar

Mund, mouth boca

laddinisch

australisch

pi’CAL

KAR’bol’QAR *

Mund, mouth boca (BA)

mund, mouth boca

hethitisch HAL’zai rufen, CALL llamar

finnisch

Geschwätz, chat­ ter, CHARLAR

samojed NJAL’me Mund, mouth boca (BA)

aymara LAKA Mund, mouth boca

polnisch LAJAC SCHEL’ten SCOL’D, REÑIR

spanisch arabisch CALA’da KALAHA * RÜGE, reprimand Mund, mouth reprensión boca

maga’GAL rufen, CALL llamar (BA)

spanisch GARLA

VAL’he LÜGE, LIE mentida

tasmanisch

lateinisch

arabisch

ph-isneg

CAUALLA

CALA’tor

LAGA

KARRA’wan

rufen, CALL llamar

Rufer, CALLER llamador

sprechen, speak hablar

rufen, CALL llamar (BA)

arabisch

irisch

irisch

KALAM

CALLAIRE

a’GALLAMH

Sprecher, speaker hablador

Dialog, dialogue dialogo

thai

spanisch

KALON

CALO

quechua QALLU Sprache, LAN­ GUAGE, LENGUA

samojed HALLA’tdas Wort, the word, sprechen, talk la palabra hablar ph-mananwa LAQONQ sagen,say Schwätzer, chat­ terer, CHILLAdor decir

quechua

is’KALLU Redner, speaker hablador

84

quechua KALLU Mundart, dialect dialecto

Rotwelsch, slang CALO griechisch KALEO rufen, CALL llamar

ph-balangaw

QALE sagen,say decir

altertum also zu BA-Zeiten, sicherlich auch sprachlich besonders eindrucksvoll. In ganz frühen Zeiten nahm er nicht nur Nahrung auf, er gab auch solche von sich: Frühe Mütter mußten ihren kleinen Kindern neben der bis ins vierte Lebensjahr reichenden Muttermilch in zunehmendem Maße auch festere Kost bieten, und das ging nur gut, wenn es gründlich vorgekaut war. Noch die Eskimomütter unserer Zeit verfuhren so, bis ihnen der dänische Wohlfahrtsstaat vorgefertigte Dosennahrung anlieferte. Da Sprache aber zwischen Mutter und Kind begann, wird klar, daß ein einmal dafür geschaffe­ nes Wort sich besonders zäh verteidigte. Als Mündung in GMÜND, MOUTH, BOUCHE, FOS, BOCA usw. in die Landschaft übertra­ gen, geriet es gewässeraufwärts weltweit zu späteren Gewässerna­ men, Main, Mosel, Lippe, Elbe, das sind BA-Formen wie die sardinischen Manno-Bäche oder der Po der norditalienischen Ebene, wie der sibirische Ob und der indianische See Poopoo, die Baga Tibets oder der Sam’besi Afrikas (sam=groß). So wichtig war der Mund den Menschen, daß er sich in späterer Zeit sogar noch einen eigenen Archetyp zulegte: OS. Er gelangte als Wort in dieser Form bis ins Lateinische, fand dagegen als Kennzeich­ nung von Mündungen eine außerordentliche Verbreitung in Nord­ europa. Gerade an solchen Parallelen erkennt man gelegentlich, wie irreführend die leicht-fertige Feststellung eingleisiger Linguisten sein kann, die gern einfach alles vom Lateinischen oder Griechischen her­ leiten und solche Vorkommen zu Fremd- oder Lehnwörtern stem­ peln. - Unsere Tafel 10 untersucht Mund und Sprache im engeren Sinne, weitere Beispiele finden sich auf Tafel V A im Anhang. Eine Zwischenbemerkung möge mir nachgesehen werden, auch wenn dies mitten in der Abfolge einer Tafel geschieht. Es muß mir darum gehen, dem Leser etwas von der Spannung und der Faszina­ tion zu übertragen, welche diese Tafeln dem Urheber vermitteln. Da sind jahre-, ja, jahrzehntelang Stichwörter aus immer mehr Sprachen zusammengetragen worden und unter bestimmten KALL-bedingten Themenkreisen zunächst einmal grob eingeordnet worden. Der Karteikasten »Mund« enthielt neben der Anatomie des Mundes wirr durcheinander alle denkbaren Aspekte, sprechen, sagen, erzählen, singen, schelten, raunzen und raunen, essen und trinken, schmecken und schlecken, schreien und murmeln, schlucken und spucken, lachen, klagen und fluchen. Wann immer ich zwischendurch neue Karten in die richtige Reihenfolge schob, erlebte ich meine kleinen Sensationen. Nichts aber läßt sich vergleichen mit dem, was jetzt geschieht. Gezwungen, die einzelnen Aspekte auf ihr Mindestmaß zu 85

(Fortsetzung) lateinisch CAL’ere rufen, CALL llamar

griechisch LAKE’ros gesprächig, LOQUAcious

ph-ifugao QALI sagen, say decir

laddinisch LAUNGIA Mundwerk, LAN­ GUAGE, LENGUA

hethitisch KALLES rufen, CALL llamar

suahili KAULI Ausdruck, expression, expresión

quechua LLACHI LÜGNER, LIER mentidor

suahili KALI’ma Wort, word palabra (BA)

quechua AN’KAYLLI reden, speak hablar

lateinisch GARR’ire plaudern, chatter CHARLAR

Nepal GOR’KHALI deren Sprache, their LANGUAGE

aymara LAJJ’RA Sprache, LANGU’age, LENGUA

quiché RAC SCHREIen.CRY CHILLar

lappisch RAIKE’stit SCHREIen.CRY CHILLar

thai KHAAN rufen, CALL llamar

thai KAN Ansprache, speech LENGUAJE

chinesisch HAN SCHREIen.CRY CHILLar

quiché ahu’GHAN Redner, speaker hablador

tibetisch R’KAN GAUmen, palate paladar

suahili KAN’wa Mund, mouth boca (BA)

thai KHUJ’KAN anreden, talk to hablar con

chinesisch GIANG HUA sagen, say decir

arabisch HANN LOCKEN, CALL ENGOLOzinar

ph-kallahan QAN sagen, say decir

arabisch GANN sagen,say decir, hablar

englisch NAG NÖRGELN REGAÑar

spanisch re’GAÑ’ar NÖRGELN NAG

tibetisch NAG-dban gesprächig, LOQUAcious

ph-tausug QIAN sagen, say decir

deutsch ma. SCH’NACK Gespräch conversation

tagalog NGANGA off. Mund, open mouth, boca abierta

tungusisch dil’GAN sprechen, speak teil, hablar

griechisch CHAN’don off. Mund, open mouth, boca abierta

irisch CAIN’t sprechen, talk hablar

tibetisch zog’CAN LÜGNER, LIER mentidor (TAG)

motilón KAIN’dabi sprechen, speak hablar

tibetisch KANA mündlich, oral oral

australisch wen’KANA sprechen,speak hablar

polnisch NAGANA * SCHEL’te, SCOL’d REÑar

ilocan INA’GANAN * rufen, CALL llamar

86

ph-bontok

arhuaco

suahili

griechisch

SANAN

A’KANAN

KANO

CHAN’os

sagen,say decir

SCHREIen, CRY CHILLar

LEUGnen, deny NEGar

Mund, mouth boca

suahili

japanisch

tasmanisch

norwegisch

NGANO

NAKU

KANE

S’NAKKE

Sage,saga fama

HEULen,HOWL AHULLar

Mund, Sprache mouth, boca

sprechen, talk hablar

ph-tagbanwa

arabisch

japanisch

ph-tagbawan

QANING

NAQIL

NAKI’GOE *

NGANGAQ

sagen,say decir

Erzähler, NARRA- SCHREI, CRY tor, NARRAdor CHILLA

tibetisch

spanisch

tibetisch

japanisch

LAN

NARRar

R’NAN-tar

NAN’NAN

antworten, reply contestar

erzählen teil

Sage,saga fama (TAG)

gesprächig, LOQUAcious

Mund, mouth boca

japanisch

telugu

fanti

twi

NAN’KO’GAI

ANU’ta

ANO

ANO

GAUmen, palate palado

sagen, say decir

Mund, mouth boca

Mund, mouth boca

australisch

deutsch

australisch

ph-kalagan

wu’RANA

RAUNen

GUR’NJANA *

LAW

sagen, say decir

speaking low murmurar

reden, speak hablar

sagen, say hablar

arabisch

irisch

aynu

tagalog

LAcH’wa

GLAONNA

HAUEAN

LAH’ad

redselig, LOQUAcious, LOCUAZ

rufen, CALL llamar

reden, talk hablar

erzählen, tell contar

sumerisch

dayak

maori

finnisch

SA

NYAUA

* KAUWHAU

LAU’su

Mund, mouth boca

Stimme, voice voce, voz

predigen, preach predicar

sagen, say decir

popoluka

quechua

mapuche

japanisch

HAY

QAYAY

LLAI

ben’KAI

sprechen, talk hablar

rufen, CALL llamar

murmeln, murmur murmurar

erklären, explain explicar

chontal

tibetisch

mapuche

englisch

KOL

COL-CUN

COILA

GOLLAR

sagen, say decir

babbeln, babble balbucear

LÜGE, LIE mentida

sprechen, speak hablar

87

griechisch

polnisch

griechisch

griechisch

LOGAO

WOLAC

KOLO’ao

LOG’os

SCHEL’ten SCOL’d, REÑir

Wort, word palabra

redselig, LOQUA- rufen, CALL cious, LOCUAZ llamar lateinisch

finnisch

guarani

australisch

ROG’are

HOILLO’ttaa

CORORO

LOKULUN

f’RAG’en, ask preGUNtar

laut rufen, GELLen b’RÜLLen, shout CALL, llamar RUGir

HEULen, HOWL AHULLir

maori

maori

zigeunerisch

weanerisch

HORU

KORERO

dau’GOLE

HOLLER

GELLEN, YELL sonido fuerte

sprechen,speak hablar

rufen, CALL llamar (TAG)

Geschwätz, chatter CHARLADO

lateinisch LOQUI sprechen, speak hablar

japanisch

thai

Rezitation, reci­ ting, recitación

thai ROONG rufen, CALL llamar

deutsch ma.

tungusisch

chinesisch

thai

KLÖN’en

NGÖN

KON

KHON

schwatzen, chatter CHARLar

sagen,say decir

Mund, mouth boca

Dichter, poet poeta

japanisch

maori

türkisch

baskisch

den’GON

NGOEN’GOE *

KONU’smak

itz’KONGA

Wort, word palabra (TAG)

SCHREIen, CRY CHILLar

sprechen,speak hablar (BA)

Sprache, LAN­ GUAGE, LENGUA

telugu

setswana

bengali

baskisch

NORU

GOA

KOA

A’GOA

Mund, mouth boca

SCHREIen, CRY CHILLar

sprechen, speak hablar

Mund, mouth boca

bengali erzählen, teil contar

ph-inibaloi qi’KOWAN sagen, say decir

tibetisch

S’KUL-ba rufen, CALL llamar

Gebrüll, ROARING lautes Reden, loud sagen, say RUGido speech, habí, fuerte decir

tagalog

spanisch

arabisch

náhuatl

HA’GUL’HOL *

a’HULL’ar

LUGA

LUKA

SCHREI, CRY CHILLado

HEULEN HOWL

Sprache, LAN­ GUAGE, LENGUA

Sprache, LAN­ GUAGE, LENGUA

KOWA

88

ROGIN

KHLONG redegewandt, LOQUAcious

australisch

bengali

KUL’pana

GUL

sprechen,speak hablar

LÜGen, LIE mentir

polnisch

lappisch

ph-subnun

RYK

RUOGGJA

mokta’LUO

suahili

lateinisch

am.-spanisch

mapuche

LUGHA

GULA

GUARAGUA

LUCAN

Sprache, LANGUAGE, LENGUA

GAUmen, palate palado

LÜGE, LIE mentida

SCHELten, SCOLd RENir

griechisch

luo

suahili

telugu

GON’GYL’os

LUONGO

mKURO

pa’LUGU

Mund, mouth boca

rufen, CALL llamar

SCHREI, CRY CHILLado

reden, talk hablar(BA)

australisch

guaraní

ph-subnun

australisch

KAI’KULUN *

CHURE

ti’LUQIN

KURRIN

rufen, CALL llamar

LÜGEN, LIE mentir

sagen, say decir

fragen, ask preGUNtar

japanisch

tibetisch

quechua

tungusisch

AN’GURI

KLUI

LLULLA

GUN

off. Mund, open mouth, boca ab.

Sprache, LANGUAGE, LENGUA

LÜGE, LIE mentida

SCHREI, CRY CHILLado

australisch

ph-isneg

quechua

eifik

KUN’demer

bu’GUNG

NUK’NAY *

I’NUA

Mund, mouth boca

Mund, mouth boca(BA)

LÜGE, LIE mentida

Mund, mouth boca

chinesisch

ph-kalamian

SCHUOHUA

GUUY

polynesisch

guaraní

NGU’tu

cuo

Mund, mouth boca

SCHELten, SCOLd sprechen, speak RENir hablar

rufen, CALL llamar

ph-sangil

thai

maori

griechisch

KUI

KHUJ

KUI’HUI *

KEL-

rufen, CALL llamar

schwatzen, chatter RAUNen, murmur ansagen, command cuchichear CHARLar mandar

französisch

deutsch

spanisch

griechisch

GUEUILE

SCHEL’ten

LENGUA

LEGO

Mund, mouth boca

S’COLd RENir

Sp’RACHe LANGUAGE

erzählen, tell con tar

tasmanisch

deutsch

griechisch

suahili

LEGÖNE

LEUG’nen

KELOR’ion

KELELE

singen, sing CAN’tar

deNY NEGar

SCHREIen.CRY CHILLar

GELLEN, CALL CHILLar

guarani

griechisch

mapuche

deutsch

GUELELE

LEX’is

NGENEL

QUENGELN

Wort, word palabra

NÖRGELN, NAG reGANar

stammeln, stammer Rede, speech tartamudear discurso

89

suahili NENA sprechen, speak hablar

guarani NEE sprechen, speak hablar

ph-kallahan QIHIL sagen, say decir

finnisch KIL’jäh GELLEN, HOWL aHULLar

Sanskrit GIR Stimme, voice voz

spanisch CHILL’ar KREISCHen SCREAM

suahili A’LIKA zusammenrufen CALL, llamar

samojed GIELLA Sprache, LAN­ GUAGE, LENGUA

quechua WILLAY erzählen, tell contar

finnisch KIELAS schwätzen, chatter CHARLar

samojed GIELA LÜGEN, LIE mentir

ph-samal LINGAN rufen, CALL llamar

finnisch KIELI Sprache, LAN­ GUAGE, LENGUA

ph-sambal a’HILLING * sagen, say hablar

suahili KILI’mi Sprechweise, mode of speech

suahili KILIO SCHREI, CRY CHILLAdo

chakaszki * SULIRXA SCHREIen, CRY CHILLar

chakaszki SÖLIRGE sagen, say hablar

baskisch ELEGIN rufen, CALL llamar

ph-batak QIN’gat rufen, CALL llamar (TAG)

laddinisch QUIN’tar erzählen, tell CONtar

ph-kalagan GINGA rufen, CALL llamar

arabisch GINA Gesang, song CANzón

suahili KINY’wa Mund, mouth boca (BA)

bengali KA’HINI * sprechen, speak hablar

zapotek RINI sprechen, speak hablar

englisch SHRIEK KREISCHen CHILLar

finnisch NIELLU Mund, mouth boca

begrenzen wie jetzt bei »Mund und Sprache«, überwältigt mich immer wieder die schier unfaßbare Dichte der Beweiskette, das scheinbar willkürliche Hin- und Herspringen über den ganzen Globus, die formellen Ähnlichkeiten zwischen Sprachen, die nach bisheriger Lesart gar nichts miteinander zu tun haben können sollten - Übereinstimmungen, die mit Konstruktionen einfach nicht mehr erklärbar sind. Und das kann von jedermann nachvollzogen werden. Wenn ich hier ein Vierteltausend Sprachen und Mundarten heranziehe, so 90

umgreift das gewiß nur ein Achtel oder Zehntel der tatsächlich gesprochenen. Aber sie stammen halt relativ gleichmäßig von allen Kontinenten und sind darum repräsentativ für den Rest; man kann noch jahrzehntelang daran arbeiten und noch viele Lücken füllen. Die Funde aber werden sich zwanglos in das Netz der Archetypen einfügen, man dürfte nichts grundsätzlich Neues mehr dazu ent­ decken. Die außerordentliche, aber für uns inzwischen verständliche Bandbreite all dessen, was mit dem Munde zusammenhängt, findet weiteren Ausdruck in der Tafel V A (LACHEN, KLAGEN, F’LUCHen) sowie in Tafel V B (Essen, SCHLUCKEN und SCHLECKEN). Was mundet und mündet, hat eben weltweit in beliebigen Sprachen seine enge Nähe bei den Archetypen gefunden, die sich die Menschen je nach Gusto erwählt haben. Dazu Tafel VI (NAHRUNG) der »Dokumentation«.

Der KORper und das GANZE

Auch der Körper des Menschen ist solch eine primäre Wahrneh­ mung, die nacheinander alle wichtigen Archetypen auf sich gezogen hat. Das englische BO’DY ist noch erkennbar eine BA/TAG-Verbin­ dung, das lateinische COR’PUS wie auch unser KÖR’PER oder das nordische LEGE’ME eine KALL/BA-Gruppierung, bei der die ursprünglichen Formen noch deutlich nebeneinander stehen. Es hat sicherlich im Sprachaltertum keinen wahrnehmbaren inneren oder äußeren Teil unseres Körpers gegeben, der nicht von BA abgedeckt war. Als KALL mit seinem kategorischen Imperativ des Hohlen die Szene betrat, eroberte es weite Bezirke körperlichen Daseins. Das Aufkommen an KALL-gebundenen Wörtern menschlicher Körperlichkeit ist in allen hier verwendeten Sprachen groß, kaum ein anderer Themenkreis bietet eine gleich große Auswahl. Im Anhang wird das deutlich, wo unsere Tafeln sich mit den wichtigsten Aspekten, mit Hunger und Durst, den Organen und dem Blut, den einzelnen Teilen wie Haut und Knochen und den Muskeln, mit den wichtigsten Haltungen, mit den Gelenken an Knie und Schulter, vor allem aber auch mit dem Bereich Schmerz-Wunde-Krankheit befas­ sen. Gerade letzterer war nicht nur von überlebensentscheidender Bedeutung für den Einzelmenschen, er hat in ganz besonderem Maße körperliche Vorstellungen »festgeschrieben« - ein natürlich falsch gewähltes Wort, denn geschrieben hat man damals noch nichts. Aber wir haben das Wort »beschreiben« längst für mündliche Berichte zu verwenden uns angewöhnt, sinnwidrig und zweckentfremdet. Wir wollen uns im Textteil mit dem Körper als Ganzem befassen, denn gerade dies, seine GANZHEIT oder auch seine HEILHEIT, war ja für unsere frühen Vorfahren von entscheidender Bedeutung. Verletzungen und Krankheiten auch leichterer Art gingen meist tödlich aus, weil ja die ganze Natur darauf ausgerichtet ist, geschwächte Exemplare auszumerzen. Davon leben die Raubtiere, die Greifvögel und ebenso Haie und andere Raubfische. Für unsere 93

frühen schon sprechenden Menschen muß zwangsläufig die Vorstel­ lung von ihrem heilen und unversehrten Körper gleichbedeutend gewesen sein mit den Begriffen, die wir heute mit »Sein«, mit »Leben« oder »Dasein« umschreiben. Dieser Körper hatte ein Bündel Kraft zu sein, wenn er bestehen sollte. Körper war zugleich der Inbegriff von Kraft und Stärke und Gesundheit, denn ohne sie war er ein Nichts, das Opfer des nächstbesten Stärkeren. Die außerordentlich starke Verwendung des Archetyps KALL für Tierarten verrät uns, daß schon früheste Menschen die Wesensgleich­ heit zwischen sich und der sie umgebenden Welt der Säugetiere gesehen haben, dabei aber auch den Unterschied wahrgenommen haben, der sich zunehmend deutlicher zeigte: daß nämlich sie, die Menschen, NACK’t waren. Ihr Körper war nicht mehr unter einem Fellkleid verborgen, er trat offen zutage, zumindest solange, bis sie lernten, sich zu bekleiden. In den Wörtern für »nackt« steckt also auch der Sinn »bloßer Körper«, ebenso wie in vielen späteren Wörtern für KLEI’d oder KIL’t oder - eskimoisch - KULIK’tag (alle drei KALL/TAG-Verbindungen) die Elemente »Körper« und »Deckung« eine sprachliche Ehe eingegangen sind. »Deckung« ist übrigens diesmal ein zufällig richtig gewähltes Wort, denn »DECKendes« setzt sich bei uns noch in TAG-Formen wie ZEUG und TEXtilien fort. Der kategorische Imperativ des Hohlen hat auch den Begriff des GANZEN geprägt. Denn hohl ist ja nur, was von einem anderen Medium ganz oder teilweise umfaßt ist. Das ALL-Umfassende umschließt daher das GANZE, und beide, ALL wie GANZ, sind sehr KALL-nahe Schöpfungen, die sich im griechischen HOLOS, im englischen WHOLE und in den nordischen HEL und HEIL in unmittelbarer Nähe des Archetyps halten. Eine Sonderform im Deutschen gehört gleichfalls hierher: unsere HELLE Freude, der HELLE Haufe des Bauernkriegs, die HELLEN Scharen, die ins Stadium strömen, sind nicht etwa HELL als im Gegensatz zu »dunkel« zu verstehen, sondern gehören zu der nordischen Form des »Ganzen«. Das Grußwort HEIL! oder HEI! oder bloß noch HE! gibt dem Wunsch Ausdruck, der so Begrüßte möge »heil«, ganz und unversehrt sein, ein Sinn und ein Wort, das sich in weitem Abstand wiederfindet, im jüdischen HALLE(lujah), im vorinkanischen Que­ chua HUAILLI, im tibetischen R’GYAL, im Quiche, einer Maya­ sprache CALA, im Maori KARANGA und im finnischen ELÄKÖÖN, während HUAILA im Quechua und HIL’sen im Norwegi­ schen heute einfach »grüßen« zum Inhalt hat. 94

Wie sehr GANZ und HEIL synonyme Inhalte haben, verraten wir uns jedesmal, wenn wir unseren Kindern versprechen, ihr Spielzeug wieder »ganz« zu machen. Bei der außerordentlich überlebenswich­ tigen Bedeutung des HEILseins nimmt es nicht wunder, daß auch der Begriff des HEILENS, eben des Wieder-GANZ-Machens, gesell­ schaftlich wie sprachlich einen hohen Rang einnahm. Waren es zuerst sicherlich die Mütter, und da vornehmlich die uralten Mütter aufgrund ihrer längeren Erfahrung, welche beim HEILEN HAL’fen, so muß sich schon früh der besondere Stand des oder der Heilkundi­ gen entwickelt haben. - Ich meine, ein kleiner Seitensprung in dieser Richtung ist hier zu verantworten, fördert er doch das Verständnis sprachlicher Formen (vgl. Tafel 11). Was wir »Gesundheit« nennen, bezeichnen unsere nordischen Nachbarn als HÄL’se und HEL’se, die Engländer als HEAL’th. Auch das drückt die GANZheit aus, (nordisch HEL, englisch WHOLE), die HEILheit, die wirkliche Grundlage jeder »Gesund­ heit«. Wenn wir bei heutigen sogenannten Naturvölkern die Heil­ kunst in großer Blüte sehen und ihr auch wissenschaftlich deutliche Erfolge einräumen müssen, dann fragen wir uns ganz selbstverständ­ lich, wie stand es damit bei unseren unmittelbaren Vorläufern, die schon vor 5000 oder 10000 oder mehr Jahren auf einer vergleichba­ ren Stufe standen? Nun, was die chinesische, die indische und die Heilkunst der Naturvölker vor der unsrigen auszeichnet, ist ihr stets auf die GANZheit des leidenden Menschen gerichteter Blick. Sie mobilisieren den ganzen Menschen gegen seine partielle Erkran­ kung. Wie aber erwarben sie ihre bedeutenden Arznei-Kenntnisse? Ich glaube, wir müssen uns freimachen von der Vorstellung, Afrikaner oder Indios hätten jahrtausendelang alle erreichbaren Blätter, Früchte und Wurzeln der Pflanzen ihrer Umwelt systematisch durchprobiert, um so ihre spezifischen Wirkungen herauszufinden. Wir dürfen uns vielmehr den frühen Menschen noch mit einigen Instinktfunktionen mehr vorstellen, als sie uns überkommen sind. Einige eigene Erlebnisse werden am einfachsten vermitteln, was ich damit meine. Als junger Mann lebte ich mehrere Jahre in einer kleinen norwegischen Hütte zwischen Wald, Wiese und einem forellenrei­ chen Gebirgsfluß. Als ich in einer herbstlichen und mondhellen Septembernacht noch einmal an die Rückfront der Hütte ging, um einen Arm voll Brennholz hereinzuholen, sah ich mich unvermittelt einem Elchbullen gegenüber. Da ich mich ihm nicht weiter näherte,

95

Tafel 11: KÖRper und Leben samojed

arabisch

quiché

LAEK

HAIL

KA’KAL *

sein, to be estar

Kraft, power fuerza

Kraft, power fuerza

quechua

chakaszki po’LARXA sein, to be estar

polnisch CIAL KOR’per, body CUERpo

quechua CALL’pa Kraft, power fuerza (BA)

tibetisch LAGS-pa sein, to be estar

baskisch KALA’pio Kraft, power strength, fuerza (BA)

spanisch

arabisch

tagalog

CALA’to

* GALAZ

LAKAS

NACKt, NAKed NUdo

stark, strong fuerte

Kraft, strength fuerza

that

arabisch KAIN Leben, life vida

arabisch Dasein, being existencia

arhuaco KUAN Leben, life vida

chinesisch

australisch

tasmanisch

aymara

GIANG

WANGANJO

KRA’KANA *

KAN’KAÑA *

stark, strong fuerte

Leben, life vida

sein, being estar

sein, being estar

mapuche

slowakisch

NAHO’ta

polnisch NAGI

japanisch

ANGA KORper, body CUER’po

NACKTHEIT nudity, sernudo

NACKT, NAKed nudo

KORper, body CUERpo

arhuaco NANAN sein, to be estar

setswana NNA sein, be/live estar

japanisch

NARI

KAN’LANG Kraft, strength fuerza

QALA NACKt, NAKed NUdo

KAUN

NAKA

dayak

isländisch

NYAUA

NAR

Leben, life vida

KÖRper, body CUERpo

quechua

quechua

australisch

CAU’sa -

CAY

GAWU

Gestalt, figure estatura

Leben, life la vida

das Sein, the be­ ing, la existencia

KÖRper, body CUERpo

suahili

quiche GOL leben, live vivir

chontai

tibetisch COL-ba leben, live vivir

HAI am Leben, alive vivo

96

XOL’GOL * leben, live vivir

quiche

welsch

baskisch

irisch

QOWIL

COR’ff

GOR’putz

* COLAINN

Kraft, strength fuerza

KÖRper, body CUERpo (BA)

KÖRper, body CUERpo (BA)

KÖRper, body CUERpo

loma

samojed

telugu

slowakisch

* KOLOGIE

GORO’d

VOLLU

HOLY

KÖRper, body CUERpo

KÖRper, body CUERpo

KÖRper, body CUERpo

NACKt, NAKed nudo

polnisch

tibetisch

mapuche

thai

GOLY

KLON

pil’LONCO

LONCON

NACKt, NAKed nodo

KÖRper, body cuerpo

NACKt, NAKed nudo

NACKt, NAKed nudo

baskisch

chakaszki

baskisch

irisch

EGON

* CHONYCH

zozo’KON

NOCH’t

Sein, being existencia

Leben, Life vida

KÖRper, body CUERpo (TAG)

NACKt, NAKed nudo

guarani

baskisch

englisch

chinesisch

COVE

LOI

HULK

CUN-zai

Leben, life vida

KÖRper, body CUERpo

KÖRper, body CUERpo

leben, live vivir

lateinisch

mapuche

suahili

norwegisch

NUG’dus

NGUEN

ki’CHELE

LEGE’me

NACKt, NAKed NUdo

Sein, being existencia

NACKt, NAKed NUdo

KÖRper, body CUERpo, (BA)

finnisch KEILI KÖRper, body CUERpo

setswana

thai

chinesisch

bo’LENG

KHENG

SCHEN’ti

Leben, life vida

Kraft, strength fuerza

KÖRper, body CUERpo

chinesisch

slowakisch

hethitisch

thai

SCHENGCUN

pe’CIENKA

NEKU’mant

REENG

Leben, life vida

Leben, life vida (BA)

NACKt, NAKed NUdo

Kraft, strength fuerza

niederländisch

suahili MWILI KÖRper, body CUERpo

maori

suahili

KIRI’KAU *

KINE’NA

NACKt, NAKed NUdo

KÖRper, body CUERpo

LIGGAOM KÖRper, body CUERpo

97

nahm er seine »Tätigkeit« wieder auf: Er stand auf dem seit Jahrhunderten sich immer erneuernden Teppich von verfaulendem Holz um den Hackklotz herum und tat sich an genau diesem verfaulten Holze gütlich. Als ich mein Erlebnis ein paar Tage später bei meinen Freunden, den Bergbauern von Undseth, zum besten gab, erfuhr ich mehr. Nicht nur mein Elch, auch ihre Rinder und Schafe taten im September Gleiches: Um diese letzte Zeit der Tiere auf den zehn bis 70 Kilometer entfernten Setern verließen sie beim täglichen völlig freien Weidegang die baumlose Fjellfläche und wanderten in die obere Randzone der Talwälder, um genau das gleiche zu tun, gestürzte und verfaulte Stämme aufzusuchen und davon zu fressen. Die Bauern meinten, daß die Tiere irgendwie zu wissen scheinen, wie und warum ihnen das gut tue, denn um des Wohlgeschmackes willen könnten sie ja zu jeder beliebigen Zeit faules Holz fressen, aber nein, das täten sie nur im September. Im Juli blühe auf dem Fjell an nur wenigen Plätzen, aber dann in Überfülle, eine Sedum-Art, bei uns als Hauswurz bekannt, und die Herden wanderten oft 20 und mehr Kilometer, um sich den Bauch damit vollzuschlagen. Die Milch und noch die Butter sei dann quittegelb, und die sei es, die sie, die Bauern, sich dann für den Winter aufhöben. Im August wanderten sie gleich zielbewußt in die Trakte, wo besonders gern Stein- und Birkenpilze wachsen, und täten sich daran gütlich. All das ist nur möglich, weil die Rinder und Schafherden in der Sommerzeit der norwegischen Viehhalter für zehn bis zwölf Wochen der Wildnis zurückgegeben werden und die Tiere sich völlig selbst überlassen bleiben. Folglich erleben ihre Instinkte alljährlich eine heilsame Wiederbelebung. Nun muß man diesen Bergbauern zuge­ stehen, daß sie viel mehr mit ihren Tieren lebten als unsere sogenannten Landwirte, ihre Verhaltensweisen beobachteten und entsprechende Konsequenzen zogen. Da die Rinder den ganzen Winter im Stall verbringen, müssen sie im Frühling regelrecht trainiert werden, ehe man sie Ende Mai wieder auf die Seter (Almen bei uns) treiben kann. Also marschiert man mit ihnen die einzig vorhandene Landstraße entlang, auf der zur gleichen Zeit ein lebhafter Fuhrverkehr mit Pferden zu herrschen pflegte. Dabei beobachteten die Leute, daß ihre Kühe mit befremdlicher Vorliebe die hinterlassenen Pferdeäpfel fraßen. Zu meiner Zeit dort bekamen die Kühe im April und Mai einen aus einer Wacholderart gebrühten Tee, dem Pferdeexkremente beigemischt waren, und der von den Kühen offensichtlich mit Behagen geschlürft wurde; mit Sicherheit

98

nicht aus Durst, denn Wasser war ja immer für sie greifbar. Ich habe später erfahren, warum die Kühe sich so verhielten: Pferdeexkre­ mente scheiden um diese Zeit in erhöhtem Maße Follikelhormone mit aus. Als Folge blieben die Kühe nie güst. Nun, die Bauern wußten das wahrscheinlich gar nicht, sie kannten es auch nicht anders, als daß alle Jahre wieder alle Kühe trächtig wurden. Um so höher ist ihnen anzurechnen, daß sie solcherart auf die Bedürfnisse ihrer Tiere eingingen. Wie aber wußten die Kühe, daß ihr Stoffwechsel einen Zuschuß an Follikelhormonen begrüßen würde und wie, by Jove, wußten sie, daß sie die ausgerechnet in Pferdeäpfeln erhalten konnten? Und wie, zum Teufel, wußte meine Katze während der vergangenen Weihnachtsta­ ge, daß Holzkohle vom Grill auf der Terrasse ihr helfen könnte, eine kleine Magenverstimmung zu beheben? Sie hatte Holzkohle in den zwölf Jahren ihres Lebens bei uns noch nie eines Blickes gewürdigt. Solch miterlebtes Verhalten der Tiere beweist mir, daß unsere tierischen Mitgeschöpfe auf eine rätselhafte instinktive Art und Weise »wissen«, was ihnen zu helfen vermag. Sie wissen ja auch, welche Pflanzen sie auf natürlicher Weide wie in Skandinavien meiden müssen, während sie auf der anderen Seite genau wissen, wann sie blühende Seden und später Pilze antreffen. Daran, daß sie bequemer erreichbare Futterflächen verschmähen und weite Wege nicht scheuen, um diese Besonderheiten einschließlich des faulen Holzes zu erlangen, zeigt sich, daß es damit eine ganz besondere Bewandtnis für sie haben muß, wobei es gleichgültig ist, ob wir die Gründe kennen oder nicht. Ist es nun sonderlich verwegen, aus tierischem Verhalten zu schließen, daß auch unsere tierischen Vorläufer über gleiche Voraus­ kenntnisse verfügt und solche bis in ihre menschliche Entwicklung hinein bewahrt haben? Je weiter diese spezifisch menschliche Entwicklung vorankam, um so mehr verdrängte der aus Überlebens­ gründen immer wichtigere Intellekt die ursprünglichen Instinkte des limbischen Systems. In Einzelexemplaren hielten sie sich zwar, wenn auch immer seltener, bis in unsere Zeit. Erfolgreiche Medizinmän­ ner, gleichgültig, ob bei Eskimos, Aborigines oder bei uns, sehen noch immer in der Wiederherstellung der GANZheit das Ziel ihrer Bemühungen. Halten wir fest, daß Heilkunde schon früh ein wichtiger Faktor war, der vom Urgrunde der Entwicklung her durch ein instinktives Vorwissen weit höher begünstigt worden war als wir uns heute noch vorzustellen vermögen (vgl. Tafel 12). Aber das liegt eben an uns und nicht an unseren Homo-erectus-Vorfahren. 99

Tafel 12: GANZ und HEILEN polnisch

schwedisch

irisch

tagalog

CAL’KA

HÄL’se

LIACH’t

LAG’noto

HEILEN, HEAL CURar

HEILpfl., med. herb planta medical

GÄNZLICH Gesundheit WHOLLY, en todo HEALTH, salud

griechisch

griechisch

lappisch

aynu

* GALAGGA

A’XALLA

OALA’d

I’KARAI’KURU *

HEILpfl.,med.herb HEILkr., med. herb ALLES, WHOLE planta medical hierba medical todo

Arzt, doctor medico

polnisch

loma

polnisch

suahili

CALO

GALU

CALY

HALULI

HEIL, WHOLE entero

HEILkr., med. herb GANZ, WHOLE hierba medical todo/entero

HEILkr., med. herb hierba medical

schottisch

norwegisch LAEGE Arzt, doctor medico

schwedisch

spanisch

LÄKARE

GALENO

guarani CAARE HEILkr., med. herb hierba medical

englisch

suahili

CARE

ashe’KALI

pf’LEGen CURar

genesen,recover CURar

arabisch

hebräisch

KARIt

KALIL

GANZ, WHOLE entero

völlig, total total

englisch ALL ALLES todo

schwedisch ALLA ALLE, ALL todos

quechua

suahili

deutsch

ph-batak

ÄLLI’yachi

GANGA

GANZ

man’GANI’tu

HEILEN, HEAL CURar

HEILEN, HEAL CURar

ALL-, WHOLE todo

Arzt, doc medico japanisch

HALE GANZ, WHOLE todo/entero lappisch

OALLE ALLES, ALL todo

Arzt, doctor medico

irisch

ilocan

slowakisch

LAN

NAGA’san

NAC’isto

GEHEILt, CURed GANZ, WHOLE das GANZE, the entero WHOLE, el entero CURado

HElLkundiger . doc. medico

NAIGE’KA HEILkunst, medi­ cine, la medicina

japanisch

ilocan

quiche

aymara

NANKO

NAANANAY

COOL

KOLL’yatiri

HEILsalbe, oint­ ment, unguento

GANZ, WHOLE entero

Pf’LEGER, ward CURador

Arzt, doctor medico (TAG)

aymara

aymara

hebräisch

griechisch

KOLLA

KOLLANA

KOL

HOL’os

GANZ ALL

GANZ, WHOLE entero

HEILmittel, medi­ HEILEN, HEAL cine, medicina CURar

100

griechisch * KOLLYRA Salbe, ointment salve

englisch WHOLE GANZ entero

aymara KOLLIRI Arzt, doctor medico

australisch KOON’KIE HEILkundiger doc, medico

quichd CONOCH ALLE, ALL todos

maori RONGOA HEILmittel, medi­ cine, medicina

slowakisch HOJ’it HEILEN, HEAL CURar

polnisch GOIC HEILEN, HEAL CURar

arabisch KULL das GANZE, the WHOLE, el entero

australisch NGUL’dum HEILEN, HEAL CURar

sumerisch GULA HEILEN, HEAL CURar

lateinisch CUR’are HEILEN, HEAL CURar

SA-indianisch CURARE HEILmittel, medi­ cine, medicina

laddinisch CHÜR’ar pf’LEGEN, CARE CURar

ilocan CURANGNA GANZ-, WHOLE entero

guarani CURU’pa HEILmittel, medi­ cine, medicina (B A)

guarani GUAI’CURU * HEILkr., med. herb hierba medical

aymara CULLEN HEILkr., med. herb hierba medical

guarani CURE HEILpfl.,med.herb hierba medical

quiche GUN HEILEN, HEAL CURar

quiche CUN AH HEILEN, HEAL CURar

quiché KUN Medizin, medi­ cine, medicina

thai LUAN GANZ, WHOLE entero

chinesisch GUAN GANZ, WHOLE entero

suahiii GUN’GA pf’LEGEN HEAL, CURar

suahiii englisch A’HUENI HEAL’th Genesung, recover Gesundheit restablecerse salud

polnisch LEK Arznei, medicine medicina

altdeutsch HELL GANZ, WHOLE entero

norwegisch HEIL GANZ, WHOLE entero

isländisch HEILL gesund, HEALthy de salud

slowakisch CEL GANZ, WHOLE entero

deutsch HEIL unversehrt, en­ tire, entero

slowakisch LEKAR Arzt, doctor medico

polnisch LEKARZ Arzt, doctor medico

slowakisch CELOK GANZheit, whole­ ness, enteridad

slowakisch CELY HEIL, WHOLE entero

griechisch A’LEGYNO pf’LEGEN CARE, CURar

deutsch Pf’LEGE sorgen für, CARE CURar

deutsch HEILEN CURE, HEAL CURar

101

polnisch

englisch

suahili

LECZWY

LECHE

KENYE’KENYE iwan’KERE

HEILEN, HEAL CURar

HEILEN, HEAL CURar

GANZ, WHOLE entero

HEILEN, HEAL CURar

quechua

slowakisch

slowakisch

englisch

CHILLKA

LIEC

LIEK

HEAL

Medizin, medicine, medicina

HEILEN, CURE CURar

HEILkr., med. herb HEILEN, HEAL CURar hierba medical

aynu

An dem Beispiel der »hellen« Scharen, die bei passender Gelegenheit in »hellen« Jubel ausbrechen, haben wir auch gelernt, daß Redensarten eine sprachlich konservierende Tendenz haben. Dazu und in unseren gerade abgehandelten Zusammenhang gehört auch die deutsche Wendung von der »Hülle und Fülle«. Da besteht der dringende Verdacht, daß diese »Hülle« eher mit HOLOS und WHOLE verschwistert ist als mit einer Verpackung der Fülle in eine Hülle... Tiere verfügen noch über einen weiteren Instinkt, den Menschen offenbar in ihre eigene Entwicklung eine Zeitlang mit hinübergeret­ tet haben: den Richtungssinn. Damit meine ich, genaugenommen, nicht den phänomenalen Orientierungssinn der wandernden Fische und Vögel, von denen wir wissen, daß sie sich bestimmte deutliche landmarks einprägen. Das kann bei Fischen bis zu der Wiederentdekkung eines bestimmten Geruches des Wassers (!) gehen, bei Vögeln bis zur Orientierung nach den Gestirnen. Nein, damit meine ich jene Hunde, die während einer Ferienreise verlorengingen und Wochen oder Monate danach wieder zu Hause anlangen, oder, wiederum bei meinen Freunden, den Bergbauern des norwegischen österdalen, die Katzen, die man auf dem bis zu 70 Kilometer langen Wege zu den Setern (zu diesem Worte noch eine Bemerkung weiter unten) in eine Kiste sperrt, so daß sie den zurückgelegten Weg nicht sehen. Hütet man sie nicht die ersten drei Tage und Nächte sorgfältig in der Seterhütte, dann laufen sie schnurstracks zurück auf den Hof, zurück also ins eigene Revier. Und, wie meine Freunde dort meinten, sie laufen wirklich schnurstracks, nicht auf dem vorhandenen (Um-) Weg, sondern querbeet auf der kürzest denkbaren Linie. Nicht selbst miterlebt, aber unter dröhnendem Gelächter immer wieder einmal erzählt, hörte ich folgende Geschichte: Da hatte einer der sieben Undseth-Bauern Anfang der dreißiger

102

Jahre im Gudbrandsdal sechs junge Schweine gekauft. Die waren im dortigen Stall geboren, und, weil noch Schnee lag in Undseth, auch weiterhin im Stall gehalten worden, bei den Kühen, wo es schön warm ist. Als dann Ende Mai das Gras auf dem Hofplatz grün geworden, ließ man sie zum Abweiden aus dem Stall. Sie genossen Sonne und Gras sehr. Wenige Tage danach, bei der Rückkehr vom Feld, vermißten die Bauersleute ihre Läuferschweine. Alles Suchen blieb vergeblich, die teuren Viecher waren weg. Gut vier Wochen später rief der Bauer aus dem Gudbrandsdal an und fragte, ob man dort die von ihm gekauften Jungschweine vermisse? Er telefoniere schon nacheinander alle Abnehmer an, aber keiner habe bisher vermißte Schweine gemeldet, an Undseth habe er nicht glauben wollen, das liege doch immerhin 250 Kilometer (Luftlinie!) entfernt. Der Undsether durfte sich seine Schweine zum zweiten Male abholen. Nun, immerhin, die Nachkommen kannte ich noch. Die Bergbauern schätzen an einigen, leider nicht mehr allen, ihrer Pferde einen gleichen Zielsinn. Sie mußten im Spätwinter über den Fjell, bis zu 30 Kilometer weit, um bei Abnahme ihrer Futtervorräte das wertvolle Seterheu noch heimzuholen, ehe der schwindende Schnee das leichtere Schlittenfahren beendete. Der Weg führte 20 Kilometer weit über eine topfebene Tundra in 1100 Meter Höhe. Im Winter sah die überall gleich aus, der Weg nur zu ahnen. Der leichteste Wind verwehte zudem die Schlittenspuren für die Rück­ kehr. Nun, trotzdem ging es fast immer gut. Kam es zu heiklen Situationen, blieb der Schlitten in aufkommendem Nebel oder Schneegestöber stecken, nachdem jede Orientierung unmöglich geworden war, dann schnallte man das Pferd los und ließ es laufen. Man selbst kroch ins Heu und wartete, bis man geholt wurde. Denn auch das Pferd lief trotz Nebel oder Schneegestöber auf dem direktesten Wege auf seinen Hof und wieherte vor dem Stall. Dann wußte man Bescheid und rüstete ein Entsatzkommando, um aufzu­ brechen, sobald der Nebel sich verzogen oder das Schneien aufgehört hatte. Nora Hergel wanderte anfangs der dreißiger Jahre mit ihrem Mann Knut, damals Chef an einer der drei Osloer Bühnen, und einem Freunde von Undseth zur Kverninghögda, einem sanften Dreizehn­ hunderter, drei Stunden Wegs jenseits der Baumgrenze. Wie überall auf dem Fjell gab es, wenn man den Seterweg einmal verlassen hatte, nur noch die wirren und unnützen Trampelpfade der Elche und weidenden Rinder. Man ging besser querbeet. Ein herrlicher Junitag und eine herrliche Fernsicht. Als sie den Rückweg antraten,

103

bemerkten sie, daß sich das Undsethtal mit einem Nebel gefüllt hatte, der sich anschickte, auch die Fjellfläche zwischen Baumgrenze und dem Fuß der Kverninghögda zu überfluten. Als sie eingehüllt wurden, wußten sie, daß sie nur noch anderthalb Stunden vom Erreichen der Baumgrenze trennten. Einmal dort, brauchten sie nur noch abwärtszustreben, um so den querverlaufenden Fahrweg zu kreuzen. Nora, die in der Mitte marschiert war, hatte eine steigende Unruhe ergriffen. Als man nach drei Stunden innehielt, gestand man sich ein, in die Irre gegangen zu sein. »Natürlich«, meinte Nora, »dorthin hätten wir gehen müssen«, und zeigte in die Richtung, aus der man gerade gekommen war. Knut erinnerte sich an manch seltsames Erlebnis mit seiner Frau, und ganz plötzlich traute er ihr den gleichen Richtungssinn zu wie den Pferden. Man ruhte kurz, und dann folgte man ihr. Nach einer halben Stunde erreichten sie den Talwald in dichtem Nebel. Als man die Seterzufahrt kreuzte, lichtete sich der Nebel, und wenig später war man wieder in Undseth. Richtungssinn ist also ein im limbischen System verankertes instinktives Bewußtsein um die kürzeste Verbindung zum eigenen Revier. Wenn wir es bei Tierarten, aber noch in einzelnen Exempla­ ren unserer Art präsent oder remobilisierbar finden, dann können wir davon ausgehen, daß auch unsere frühen Vorfahren noch über solche Fähigkeiten verfügt haben müssen. Das erweitert unsere Vorstellungskraft hinsichtlich der Ausbrei­ tung auch von Sprache - von dem viel späteren Bau von Bogen und Booten einmal ganz abgesehen. Wenn wir auch dem frühen Menschen noch eine Art biologischen, genetisch tradierten Wander­ triebs unterstellen, dann erweitern Orientierungs- und Richtungs­ oder Zielsinn den frühmenschlichen Aktionsradius sicherlich nicht unerheblich. Und gerade die Frage, wie denn die letztgültige Art Homo sich über den ganzen Erdball verbreiten konnte, beschäftigt die Forschung immer wieder. Das liegt, wie Dolezol beiläufig erwähnt, auch an unserer falschen Perspektive hinsichtlich des Faktors Zeit. Bei nur 30 Kilometer Radiation je Generation würden zu solcher Ausbreitung schon weniger als 12 000 Jahre genügen. Nun ist das sicherlich zu hoch gegriffen, aber selbst bei nur 3 Kilometer Ausbreitung je Generation genügten dazu bloße 120 000 Jahre—was ist das schon angesichts der tatsächlich verfügbaren Zeiträume! Die Erscheinung des geschilderten Richtungs- oder Zielsinnes ist auch sprachlich nicht spurlos verschwunden. Das Wort RICHTUNG selbst trägt ein Token dieses Sinnes in sich - RICHT und RECHT und noch klarer das romanische Fremdwort DI’REKT kennzeichnet ja

104

die unmittelbare Verbindung zwischen dem Individuum und seinem wie immer gearteten Ziel. Die jeweilige RICHTUNG ist RECHT oder RICHTIG, wenn sie die kürzestmögliche Verbindung herstellt. Das taten alte Wege, die zu Fuß begangen wurden, überall wo sie von Menschen be- und ausgetreten wurden. Wenn in der ausgehenden Eiszeit solche Richtungslinien markiert wurden, dann vielleicht, weil dieser ursprüngliche Richtungssinn nicht mehr Allgemeingut war und zumindest durch äußere Merkmale (d. h. Male zum Merken) unterstützt werden sollte. Es gibt kein Flur- und Ortsnamen-Element, das in seiner Häufigkeit hier in Mitteleuropa an diejenigen herankommt, die auf den alten Linien und schnurgeraden Wegver­ bindungen liegen. Ich habe darauf ausführlicher in den Protokollen der Steinzeit (1974) hingewiesen, und ich werde darauf im nächsten Bande zurückkommen müssen, da die Eckpfeiler dieses eiszeitlichen Wegesystems TAG-markiert sind. Eiszeitlich übrigens deshalb, weil die zum Markieren gesetzten Steine in ihrer Masse niedrig und daher nur bei tundrenähnlicher Vegetation sichtbar waren. KALL spielt dabei insoweit eine Rolle, als es auf die Wege an solchen Linien hinweist, erhalten noch im lateinischen CALLis für Saumpfad, der spanischen CALLE und der französischen ALLEE, die das Mal der Schnurgeradheit noch deutlich in sich trägt. KALL zur Kennzeich­ nung von Wegen und insbesondere auch von Pässen ist ein weiteres Mal weltweit ziemlich gleichmäßig verbreitet. Da auch hier das körperliche Hin und Her so deutlich wird wie bei FUSS, PFAD und PISTE, setzen wir die KALL-Formen für das Bein in Tafel VIII der Tafel IX für Weg voraus, um durch diese Nachbarschaft erneut die logische Beziehung zwischen beiden zu verdeutlichen. Hinzukommt noch, daß ein gut ausgetretener und ständig benutzter Weg auch von seiner Vertiefung her die Anlehnung an KALL herausfordert. Hier noch die versprochene Anmerkung zu dem nordischen Wort SETER und SÄTER, das im alpenländischen Raum zu SENN zusammengezogen scheint. Ursprüngliche Form oder Parallele ist das lappische SITA. Es kennzeichnet den Wohnplatz, an dem man für Tage, Wochen oder Monate die Kota aufbaut. Natürlich wurden günstige SITAs, das heißt in bezug auf Wind, Wasserreichtum und Blickwinkel vorteilhaft gelegene Wohnplätze, immer wieder aufge­ sucht, so daß die umgebende Flur diese Bezeichnung mit übernahm. Nicht nur in Skandinavien gibt es unendlich viele -SETH-Orte, auch bei uns enthüllen etwa NeuSES, die LauSITZ, SETH in Holstein und die vielen SESSENbach, SESSENhausen, SESSlach, SETHlage, SETTmarshausen, SIDDessen, SIEDELSbrunn und -bach, SIESS105

bach und SIESSwende querbeet die einstige Nutzung als vorüberge­ hende Wohnplätze, und auch unser SIEDELN kann die Verwandt­ schaft zu den lappisch-nordischen SITAs und SETERn nie mehr leugnen. Und weite Verbreitung deutet ja immer auch auf Alter.., Sprachlich am Ende unserer Körperlichkeit angelangt und zugege­ benermaßen die Beine mit nur einem Nebensatz abgefertigt, bleibt uns noch das nächste Kapitel, das gewichtige der vorderen Extre­ mitäten.

Die HAND

So wichtig wie die Vergrößerung des Hirns war für die menschliche Entwicklung die Abwendung von der Blätternahrung des dichten Urwaldes zur Früchtenahrung in lichterem Walde mit früchtetragen­ den Buscharten, eine Änderung der Vegetation in den angestammten Revieren als Folge von Klimaänderungen. Man kam von der Fortbewegung in Bäumen weg und ging auf den Boden und fand dadurch leicht zu aufrechter Gangart. Zwar dauerte die Anpassung mit Sicherheit Jahrhunderttausende, weil sowohl die Stellung des Kopfes zum Halse wie die des Beckens zur Wirbelsäule erst mühsam der neuen Lebensweise angepaßt werden mußte. Am Ende aber stand die Freiheit der Hände, ihre vom Mittragen des Körpers befreite Beweglichkeit (Tafel 13). Erst mit der völligen Befreiung der Hände von der Aufgabe, an der Fortbewegung mitzuwirken, konnte deren eigenständige Entfaltung beginnen und sich zu einem entscheidenden Element menschlicher Evolution fortentwickeln. Unseren Händen vor allem verdanken wir das Fortschreiten zum Werkzeug und somit den Beginn jeglicher Technologie. KEIL und KEULE verraten sprachlich heute noch die Funktionserweiterung und -Verbesserung der HANd, und mit ihnen tun das in Hunderten von Sprachen Tausende von Wörtern für frühe Geräte. So dicht wie die innere Beziehung zwischen MUND, MUNDEN und MÜNDEN hat sich nun auch die Kette der Assoziationen um das gelegt, was die HAND mit ihren zahlreichen Wirkungen verbindet - als eine der ersten wohl mit dem Geben und Nehmen. Das »Geben« blieb bei uns noch im BA-Bereich: GEB = BEG, und BEG und BOG sind frühe Wörter für den Arm samt der Hand, die sich noch im englischen BOXing und im spanischen BOGar (für rudern) erhalten haben. Daran, daß die KALL-Nachkommenschaft der HAND in den meisten Sprachen außerordentlich zahlreich ist, erkennt man den frühen und weitverbreiteten Übergang von BA zu KALL-Formen für die Hand. Wenn dabei das Geben eine 107

Tafel 13: Die HAND cataian

popoluka

tibetisch

finnisch

CALL

KAL

LAG

KAL’voin

Innenfläche, palm palma

HANd mano

HANd mano

HANdGELENK wrist, muñeca (B A)

spanisch

bengali

tibetisch

tungusisch

GAR’fa

ba’GAL

LAG-mtil

GALA

KLAUE, CLAW GARRA(BA)

HANdm. Unterarm Palma, palm mano con brazo palma

tungusisch

ph-gaddang

NGALA(NALA) LANGALAY *

HANd mano

spanisch

guaraní

GARRA

CARA’catu

HANd mano

HANd mano

KLAUE CLAW

H ANdlich, HANdy bien con los manos

australisch

suahili

ph-tagbanwa

ph-batak

NYALU

mSHALE

KALI’maq

QALI’ma

HANd mano(BA)

HANd mano(BA)

HOHLE HAND, the HANd HOLLOW of the H. mano

polnisch

englisch

irisch

deutsch

RAC’ica

CLAW

GLAC»

KLAUE

KLAUE, CLAW GARRA

KLAUE GARRA

HANdvoll, HANd- CLAW fu), mano llena GARRA

ph-kallahan

welsch

lateinisch

schottisch

ta’KLAY

LLAW

LAEVA

HAN1

HAND mano

HANd mano

LINKE HANd, leit HANd HANd, mano izq mano

thai

ph-samal

thai

suahili

KAN

tan’GAN

KAN’pan

NGAN’da

HANdHALten GUANtar la mano

HANd mano (TAG)

HANd, Faust, fist mano, puño (BA)

HANdvoll mano llena (TAG)

romanisch

suahili

laddinisch

australisch

-QUANta

GAN’ja

CHAN’VELLA

mau’NANYUK

-zig,-ty -en’ta (TAG)

Palma, palm palma (TAG)

HANdGELENK wrist, muñeca

HANd mano(BA)

zapotek

tasmanisch

tungusisch

finnisch

NA

NANA

NALA

RANNE

HANd mano

HANd mano

HANd mano

HANDGELENK wrist, muñeca

finnisch

suahili

suahili

chakaszki

KAH’va

GAO

KIN’GAYA

CHOL

HENKEL, handle asa

offene HANd mano abierta

HANDRÜCKEN backofhand

HANd mano

108

samojed

finnisch KOURA HANDvol), HANd- Faust, fist ful, mano llena puño

irisch CRO’bh HANd mano

griechisch

thai

chinesisch

chinesisch

baskisch

KOON

GON-

SCHON

KOIN

Arm, HANd mano

HANdmano

HANd mano

HANd mano

romanisch

suahili

polnisch

suahili

-CON’ta

KON’de

d’LON

MKONO

-zig,-ty -enta

Faust, fist puño

Palma, palm palma

Arm, HANd, brazo y mano

ph-ivatan

chinesisch

englisch

baskisch

ta’NOROO

SCHOU XIN

HULL’GULL *

A’GUR

HANd mano

Palma, palm palma

HANdspiel juego de mano

HOHLEHAND interior d. 1. m.

polnisch

ilocan

slowakisch

chinesisch

KULAK

da’CULAp

RUKA

GUAN

Faust, fist puno

Palma, palm palma

HANd mano

Faust, fist puño

quechua

arhuaco

luo

baskisch

CHUNKA

GUNE

LUE’do

es’KU

zehn, ten diez

HANd mano

HANd mano

Hand mano

COR’bma

GRON’dos Faust, fist puño

finnisch

griechisch

australisch

polnisch

NYRKKI

CHEIR

QUEARR

REKA

Faust, fist puño

HANd mano

HANd mano

HANd

deutsch

setswana

türkisch

telugu

HENKEL

LE’tsogo

EL

CHEYYI

HANd mano

HANd mano

HANdgriff.HANdle HANd asa mano (TAG)

tungusisch

maori

lateinisch

telugu

pa’LINGA

RINGA

pu’GIL’um

pidi’KILI

Palma, palm palma

HANd mano

Faust, fist puño(BA)

Faust, fist puño (BA)

1 das -d- am Ende von HAN'd ist ein ursprünglich angehängter Artikel wie bei FJELL'et zu FEL’D, und findet sich auch bei HUN'D und vielen anderen entsprechenden Wörtern. Eine Zusammensetzung mit BA geht auf das früher vorherrschende BA zurück (vgl. lat. MANus) oder umgreift noch die FINGER mit, was auch bei TAG-Teilen der Fall ist - vgl. lat. DIGis.

109

Tafel 14: Geben etruskisch

arabisch

finnisch

ph-batak

HAL

HALA

LAHJA

bi’GAY

geben, give dar

geben, give dar

Gabe, gift REGALO

geben, give dar(BA)

guarani

thai

australisch

arhuaco

CUAVE

KHAN

JIN’KANA

KANAN

REICHEN REGALar

geben, give dar

geben, give dar

SCHENKen, give REGALar

australisch

aynu

quiche

etruskisch

NOOKO

KORE

CUL

CUL

geben, give dar

geben, give dar

geben, give dar

geben, give dar

Weitere Beispiele siehe Tafel X A.

so starke Rolle spielt, dann ganz einfach deshalb, weil es die gleiche große Rolle für das Überleben der Menschen von Anbeginn gespielt hat (Tafel 14). Dabei ging die Entwicklung schon relativ früh über das nur Selbstverständliche des Gebens der Mutter an ihr Kind hinaus. In der noch vom Tierdasein her übernommenen sozialen Ordnung, bei der die Männer von den Frauen und Kindern getrennt an der jeweiligen Peripherie des Clan-Reviers lebten und dieses, indem sie sich selbst verteidigten, auch schützten, mochten besonders die jüngeren Männer, die sich gut an die Nestwärme ihrer Kindheit erinnerten, immer wieder einmal versuchen, zurück in den weiblich bestimmten inneren Kreis zu gelangen. Sie mochten durch Zufall einmal erfahren haben, daß sie leichter zugelassen wurden, wenn sie dabei etwas Wertvolles oder Gutschmeckendes als Geschenk mitbrachten. Mit dem Augenblick, wo neben dem Geben auch das Nehmen (siehe Tafel 15) zum Teil einer intersozialen Aktion wurde, war wieder einmal ein Schritt vorwärts getan. Wir ahnen heute, daß gerade die Menschenart, die sich bis zu uns fortgesetzt hat, ihr Überleben am Ende nicht nur der Intelligenz, sondern den durch sie gesteigerten intersozialen Zusammenhalt verdankt - und damit wiederum der

110

Tafel 15: Nehmen arabisch QAL nehmen, take tomar

welsch

thai

griechisch

CAEL

LAG

LAG’CHAN’o

bekommen, get LOGrar

KLAUen, steal O’CULtar

erHALten, receive obtener

quiché

tungusisch

maori

telugu

CALA’ba

GAIRA

HORO

KONU

wegnehmen, take away, tomar

nehmen, take tomar

nehmen, take tomar

nehmen, get tomar

náhuatl

suahili

polynesisch

setswana

CUILIA

LUJA

LECH

amo’GELA

nehmen, take tomar

Dieb, thief cotta

nehmen, take tomar

empfangen, recei­ ve, recibir (BA)

Weitere Beispiele siehe Tafel X B.

Sprache, einer wesentlichen Voraussetzung zwischenmenschlicher Handlungen. Der Leser wird gewiß Verständnis für den Verfasser haben, der um der flüssigen Lesbarkeit seiner Arbeit wegen zu der Methode der Kurztafeln gegriffen hat, um die vielseitigen Funktionen der Hand in je einem Dutzend von Wortbeispielen zu belegen, das Gros seiner Beispiele aber in den Anhang, in die dortige Dokumentation zu verlagern. Es ist dem Leser ja unbenommen, dort auch jetzt gleich nachzuschlagen, um sich ein Bild von dem Reichtum der Formen und ihrer Verbreitung auf dieser Erdkugel zu machen. Denn mit Geben und Nehmen haben wir ja nur einen Anfang gemacht, die unmittelba­ ren Wirkungen der Hand auf die Sprache sind hier auf »nur« zehn Tafeln zusammengedrängt. Künftigen Paläolinguisten bleibt ein weites, noch unbeackertes Feld... Immer wieder aber sei auf zweierlei hingewiesen: Einmal: Vor KALL wurde auch für die Hand BA, und nach ihm noch TAG verwendet, letzteres besonders mit dem Schwergewicht auf den Fingern. Dazwischen aber bewegen sich Hunderte von Sprachen im KALL-Bereich. Eine der nächsten, KALL-nahen Funktionen ist das HAL’ten (Tafel 16).

111

Tafel 16: HALten australisch

ph-atta

telugu

australisch

GAL’GUNU *

tang’NGALAN

KALU’guta

WALINI

HALten, HOLd GUAN’tar

HALten, HOLd GUANtar (TAG)

haben, have tener1

HALten. HOLd GUANtar

quiche

tibetisch

chinesisch

quiche

CAY

CAN-ba

NA

COL

HALten, HOLd GUANtar

HALten, HOLd GUANtar (BA)

HALten, HOLd GUANtar

bewahren, beHOLd, GUANtar

irisch

aynu

etruskisch

guarani

COINEAIL

KOR

HEL

RECO

HALten, HOLd GUANtar

haben,have tener1

HALten, HOLd GUANtar

HALten, HOLd GUANtar

1 In vielen Sprachen sind die Begriffe HALTEN und HABEN nicht unterschieden. Weitere Beispiele siehe Tafel X C.

Zweiter, wiederholter Hinweis: Sprache wurde von einfachen Leuten geschaffen. Solange sie mit ein- und demselben Wort für Dinge auskamen, die so nahe beieinander lagen wie haben und halten, wie HAND und HÄNDIGEN und HANDELN und sogar HINDERN, blieben sie dabei und begannen mit Variationen erst spät und auch dann noch eher zögernd. Dabei wäre es eine weitere Illusion, anzunehmen, daß e.inmal gefundene Wörter gewissermaßen »vor dem Gesetz« gleich behandelt worden wären - die einen wurden bis zur Unkenntlichkeit verschlissen, andere fast archetypisch rein erhalten. Warum? Ich gönne meinen Nachfolgern die Freude, das einmal herauszubekommen... Eine weitere Rolle der Hand in KALL-Nähe ist das HEL’fen (Tafel 17 A). Das HELFEN ist — könnte man sagen — der Inbegriff intersozialer Aktion und zwischenmenschlichen Miteinanders. Wenn dabei die Hand eine so große Rolle spielte, dann rührt das von frühmenschlichen Verhaltensweisen. Dazu gehörte auch das Sam­ meln von Nahrung. Die bestand zu Dreivierteln aus pflanzlicher Kost, also aus gesammelten Früchten und später Wurzeln. Alle unsere Wurzelgemüse haben wilde Arten als Vorläufer. Dieses

112

Tafel 17 A: HELfen schwedisch

polnisch

tasmanisch

quiche

HJÄL’p

o’CALAC *

LAGERA

CAN

HILfe, HELp ayuda

retten, save SALvar

HELfen, HELp SALvar

HELfen, HELp SAL’var

hethitisch

quechua

arabisch

aynu

HAN’tiyai

YANA’pa

NAJAH

KARNY

helfen, help salvar (TAG)

HELfen, HELp §ALvar(BA)

HELfen, HELp SALvar

HELfen, HELp SALvar

australisch

quiche

ilocan

luo

mi’RANA

KOL

tu’LONG

KONY

HELfen, HELp SALvar

retten, save SALvar

HELfen, HELp SALvar

HILfe, HELp ayuda

Weitere Beispiele siehe Tafel X D.

Tafel 17 B: PFLÜCKEN aynu

arabisch

lateinisch

suahili

KAR

KAR’KAR *

CAR’pere

CHANGA

Pf’LUCKen PLUCK, COGER

sammeln, col­ lect, coger

PFLUCKen PLUCK, coger

sammeln, col­ lect, coger

luo

deutsch

laddinisch

irisch

KWANYO

KLAU’ben

RACOGLIER

COL

PFLUCKen, PLUCK, coger

P’LUCK coger

PFLUCKen coger

auslesen, select selectar

tibetisch

chinesisch

suahili

englisch

KLOG-pa

COI

KON’YOA

CULL

lesen, collect coger

PFLUCKen PLUCK, coger

PFLUCKen PLUCK, coger

Pf’LUCKen coger

Weitere Beispiele siehe Tafel X E.

113

Sammeln ist nur mit den Händen zu bewerkstelligen - LEG’ere auf lateinisch und eben dieser Kern steckt auch in unserem Pf’LÜKK’en von Früchten aller Art. Ein Seitensprung des LEGere ist seine spätere Bedeutung »lesen«, während wir umgekehrt im »auf/esen« wieder das Sammeln und in der »Lese« die Ernte meinen. KALL-nahe ist und aus dieser frühen Zeit stammt auch noch unser HOLEN. Tafel 17 B gibt eine Probe vom Sammeln und Pflücken. Hatten wir in GANZ eine wichtige KALL-Ableitung erkannt, so gilt dies auch für HAL’B. Das ist der eine Strang, der uns zur KALL-bedingten QUAN’tität führt. Wollte man von dieser noch recht summarischen Mengenbestimmung mehr ins einzelne gehen, so boten sich dafür Hände und Füße an. Die Eskimos beispielsweise benannten jeden ihrer zehn Finger und zehn Zehen mit einem eigenen Namen, und zwar der Reihe nach. So brauchten sie nur den Namen eines Fingers, um eine Zahl unter, oder den eines Zehen, um eine Zahl über zehn zu nennen. Aber das Zählen scheint doch insgesamt eine späte Errungenschaft, zählen doch die australischen Sprachen oft nur bis zur 4, alles weitere ist dann nur eine Variante von »vielen«. So drückt auch das lateinische CEN’tum zunächst nur ein großes QUAN’tum aus, wie das sanskrit LAKSH, das zunächst die Bedeutung »unendlich viel« hatte, ehe es auf die Zahl 100000 festgeschrieben wurde. Wie auch immer, so stand zum Zählen die Hand zur Verfügung, wobei noch die Römer mit ihrem QUIN’QUE die Erinnerung an die hohle Hand bei geschlossenen Fingern bewahrten, ebenso die Hohlform beider Hände in ihren ursprünglich -QUAN’TA genannten Endungen für unser -zig. Aber auch dieses -ZIG geht zur TAG-Zeit von der Vorstellung der zehn Finger, im lateinischen DIG’is besonders deutlich, aus. Diese Eigenschaften der Hand sind aber nicht nur die Grundlage unserer Zehner-Rechnung, sondern auch die der altertümlichen Dutzend-Rechnung mit der 12: Fünf Finger und die Hand selbst ergeben 6, bei beiden Händen die 12! Die 12 aber war von altersher eine wichtige Zahl, ergab sie sich doch aus den steinzeitlichen Kardinalzahlen 3 mal 4! Sie im Zählbereich der Hände wiederzufinden, war sicherlich ein bedeutsa­ mes Aha-Erlebnis. - Die Tafel 18 führt nur wieder ein Dutzend Beispiele zum Thema HANdeln auf. Neben den direkten Anschlüssen Händigen, Handeln und Hindern gibt es natürlich noch eine Fülle positiverer Aspekte des Machens und Tuns der Hände. Die Zahl der Möglichkeiten ist Legion, auch die Tafel X F kann nur einen schmalen Ausschnitt geben, erst recht das hier im Text gebotene Beispielsdutzend (Tafel 19).

114

Tafel 18: HANdeln arabisch

tibetisch

tibetisch

tagalog

HAL

GAL

* GAL-RKYEN

KALA’KAL *

HIN’dern, HINder, detener

Zwang, forca fuerza

HINdernis HANdicap

Handelsware good, mercantiles

quiché

lappisch

setswana

maori

CHALA

NAGA’dit

NAYA

NAO

tauschen CHANGE

manage ARREGLar

H ANdigen, HANd beHANdeln treat, trattar dar

griechisch

suahili

quiché

australisch

KOL’yo

HULU

CULE’LAAI

YIN’JINYI

HINder, HINder impedir

abH ALten, withHOLd, impedir

HINdern, HINder impedir

HANdigen, HANd dar

ilocan

Tafel 19: Tun arabisch

quechua

tagalog

QAL’QAL *

CALL’cha

LAGAY

LAGAEN

schütteln shake, sacudir

ernten, HARvest, cosechar

LEGEN, LAY pongar

zwirnen, twist retorcer

australisch

quiché

thai

thai

ya’KALYA

e’CALECH

KAAN

KHWANG

brechen, break romper

tragen, bear portar

Arbeit, work trabajo

werfen, cast LANZar

suahili

australisch

zapotek

japanisch

KAN’da

AN’KANA *

NAG

NAGE’ru

KNEten, KNEAd amasar

tun, do hacer

flechten, plait trenzar

werfen, LOUNGE LANZar

Tafel 20: Fangen und Jagen ph-atta

maori

quiche

suahili

ma’GALUQU

HAO

CAN

NYANKA

fangen, HUNt cacciar

fangen, catch apresar

fangen, catch apresar

fangen, catch apresar

arabisch

ph-bilaan

slowakisch

australisch

NAJAS

LOK

HON

KONKON’bah

jagen, HUNt cacciar

jagen, HUNt cacciar

Jagd, HUNt caccia

jagen, HUNt cacciar

suahili

mordwinisch

welsch

chinesisch

KORO’weza

KUN’dwams

HELA

LIE

fangen, catch apresar

fangen, catch apresar

jagen, HUNt cacciar

jagen, HUNt cacciar

115

In vielen Sprachen hat das jeweilige Wort für »jagen« gleichzeitig den Sinn »fangen«. Das erscheint um so glaubhafter, als wir von frühen Menschen heute annehmen, daß sie ihre erste tierische Beute erliefen und mit den Händen griffen. Einige indianische Völker können das heute noch. Im mexikanischen Olympiajahr wurden uns einheimische Sportarten gezeigt, bei denen die Teilnehmer den ganzen Tag lang in forciertem Laufschritt einer Kugel nachjagten, und das in freier Wildbahn, sozusagen. Auch einige Höhlenzeichnun­ gen des Mesolithikums weisen auf beschwingtes Laufen im allgemei­ nen und insbesondere bei der Jagd. Wenn die Ausbeute bei KALL und bei der Hand nicht so eindrucksvoll ist wie bei anderen Funktionen der Hand, dann liegt das einmal daran, daß dies genau so gut beim Bein zu assoziieren war, zum anderen aber, weil das nachfolgende TAG geradezu prädestiniert war, Jagdwörter neu von sich aus zu prägen. Unser JAGEN ist selbst ein solches Beispiel, während das englische HUN’T noch im Banne des KALL geformt und dort festgehalten wurde (siehe Tafel 20). Bleibt uns hier noch eine letzte, passiv wie aktiv als eindrucksvoll empfundene Funktion der Hand, das Sch’LAG’en. Der Wortkern LAG, ein seitenverkehrtes KALL, entspricht dem englischen LICK und hat auch außerhalb der indoeuropäischen Sprachwelt eine schier unübersehbare Nachkommenschaft hervorgebracht. Abgesehen von seiner Rolle bei frühen Rangkämpfen wurde es schon früh wichtig bei der Zerkleinerung und beim Weichklopfen der Nahrung für die Kinder, die ja wie die Erwachsenen viel zu kleine Zähne behielten, um mit zäherer Nahrung allein fertig zu werden. In dieser mütterli­ chen Vorarbeit sieht man heute einen wichtigen Impetus zum Werkzeuggebrauch überhaupt. Die Vorstellung von SCHLAG und SCHLAGen ist viel weiter in unseren Sprachgebrauch eingedrungen, als man sich auf Anhieb vergegenwärtigen kann. Darum hier ein wenig Nachhilfe: Blitz­ schlag, Stromschlag, »mit einem Schlage«, Schlaganfall, schlagartig, Schlagader, Schlagbaum, Schlagbolzen, Schlager, Slogan, schlagfer­ tig, Schlaglicht, Schlagloch, Schlagsahne, Schlagregen, Schlagschat­ ten, Schlagweite, Schlagwetter, Schlagwort, Schlagzeile. Oder noch dies: Die Briten sind ein ganz anderer SCHLAG Menschen als wir. Hier steht SCHLAG für Art oder Klasse und hat mit dem handgreiflichen SCHLAGen überhaupt nichts mehr zu tun (siehe auch Tafel 21). Jemanden beim Tauchen, Rennen oder Stricken zu »schlagen«, zeigt einmal mehr, wie unbedenklich wir von einem Wort Gebrauch 116

Tafel 21: SCHLAGEN quechua

arabisch

tibetisch

samojed

LAQ’LAY *

LAKK

LCAG

LAGG’jit

SCHLAGen LICK.GOLpear

SCHLAG, strike GOLpe

SCHLAG, strike GOLpe

SCHLAGEN LICK, GOLpear

baskisch

spanisch

australisch

australisch

U’KAL’di

CALE

be’GAN

poon’GANYEE

Stoß, hit GOLpe

SCHLAG, hit GOLpe

SCHLAGen SLOUGH

töten, KILL matar

tasmanisch

suahili

laddinisch

irisch

LANE

GONGA

CUOL’P

LEAGAN

SCHLAGen, hit GOLpear

SCHLAG KNOCK, GOLpe

SCHLAG, hit GOLpe

SCHLAGen LICK.GOLpear

Weitere Beispiele siehe Tafel X G.

gemacht haben, das einmal eine sehr und nur handgreifliche Bedeutung gehabt hat. Es sei hier noch einmal daran erinnert, daß Hand und handeigene Funktionen in früherer als der KALL-Zeit, im eigentlichen Sprachal­ tertum, BA-Formen in jeder erforderlichen Menge hervorgebracht haben — lateinisch MANUS und die angehängten Funktionen MANIpulieren und noch das moderne MANAGE erinnern uns daran. KALL scheint jedoch dem BA gerade auf diesem Felde ein großes Terrain abgewonnen zu haben. Es fällt auf, daß es dieses Terrain auch gegenüber dem nachfolgenden TAG recht gut behaup­ tet hat - TAG-Wörter für Funktionen der Hand kommen auf dem Umweg über das eingesetzte Werkzeug zustande, denn das Werkzeug ist wiederum eine bevorzugte Domäne des TAG (vgl. ZEUG etwa in WerkZEUG). Als die HAND noch dem KALL gehorchte und sich Hilfen verschaffte, um ihre Wirkung zu verbessern oder doch zu intensivie­ ren, blieben solche Instrumente genau so nah an der Hand wie zuvor ihre Funktionen. Das erste Hilfsmittel war der Knüppel, der Stock, Stab, Prügel und die KEULE (Tafel 22). 117

Tafel 22: Knüppel und KEULE australisch

suahili

quechua

tibetisch

KALK’KALK *

GAL’me

CALL’hua

GAL’ta

KEULE, CLUB maza

Stange, pole barra (B A)

Stab, stäke percha

Stange, stäke percha

australisch

mapuche

am.-spanisch

samojed

KAR’NICK *

RON’CAL

CALLA

LAEGGA

Wurfstock, pole barra

KNÜ’ppel, CUDGEL, GARRote

Stock, stock percha

Stock, staff CAÑa

griechisch

aymara

griechisch

baskisch

KALAI’ros

LAWA

KAYL’os

jo’GAlLU

Stab, rod barra

Pfahl, pole estaca

Schaft, shaft CAÑa

KEULE, CLUb maza

finnisch

lateinisch

malayisch

quechua

* KALIKKA

CLAVa

GAN

WANQA

KEULE, CLUb maza

KEULE, CUDGEL, maza

Schaft, shaft barra

Stange, rod estaca

finnisch

thai

australisch

quechua

HANKO

KHAANG

KANA’KE

ma’KANA

Stock,rod CAÑA

Stab, pole estaca

KEULE, CLUB maza

gr. KNÜppelCUDGEL, GARROte

mapuche

australisch

aynu

australisch

ma’CANA

KANING

NKANNI

bir’RANA

KEULE, CLUb maza

Wurfstock, casted stick, estaca

KEULE, CLUb maza

Wurfstock, lounged stick, estaca de tirar

maori

suahili

finnisch

deutsch

KA’HERU

CHAO

KOLK’KA

Pf’LOCK

Grabscheit, digging stick, barra

Stock, stick estaca

KEULE, CLUb maza

kl. Stock, pin estaca

deutsch

australisch

griechisch

polnisch

HOL’m

HOL’tar

KORYNE

KOLEK

Griff, HANDLE CAÑA

Stock, stick GARRO’te

KEULE, CLUb maza

Stock, stick estaca

suahili

griechisch

australisch

australisch

GONGO

KON’tos

KON’du

KONNUNG

KEULE, CLUb maza

Stange, stäke percha

KEULE, CLUb maza

Knüppel, CANE GARROte

englisch

maori

australisch

quechua

KNOO’te

KO

* KULLAK

CULLU

KNUte, GARROte

Scheit, stick estaca

KEULE, CLUB maza

Stock, stick GARROte

118

quechua

zigeunerisch

australisch

suahili

KULL’CU

RUK

YULUGU

LUNGU

P’RÜGEL, CANE CAÑA

Deichsel, shaft tRONCo

KEULE, CLUb maza

KNÜppel, CUDGEL, percha

luo

englisch

baskisch

finnisch

a’RUNGU

CUDGEL

LUKI

* KURIKKA

KEULE, CLUb maza

KEULE, CLUb maza

KEULE, CLUb maza

Stampfer, stamp mazo

englisch

deutsch

australisch

australisch

CLU’b

P’RÜGEL

KUN’da

QUUN’der

KEULE maza

Knüppel, stick GARROte, (BA)

Grabstock, digging KEULE, CLUb stick, estacad, labr. maza (TAG)

chakaszki

laddinisch

quechua

deutsch

KUN’TSCHog

ANCHÜNA

UINU

KNÜ’ttel

Stock, stick estaca (TAG)

Stock, stick estaca

KEULE, CLUb maza

stick GARROte (TAG)

finnisch

australisch

popoluka

chinesisch

NUIJA

NULLA’NULLA KUY

KEULE, CLUb maza

schw. KEULE CLUb, maza pesada

P’RÜGEL, KNOUt KEULE, CLUb GARROte maza

slowakisch

quechua

tasmanisch

baskisch

KYJ

KERO

LE

KILO’seska

KEULE, CLUb maza

Stange, stäke percha

WurfKEULE CLUb, maza

KEULE.CLUb maza

baskisch

baskisch

baskisch

quechua

ma’KIL

KIN’KIN

XIN’GANA *

HUINI

Stock, stick barra

PRÜGEL, KNOUt Stock, stick GARROte barra

KUI

KEULE, hammer maza y martillo

Als frühe Menschen Wörter für ihre Hand weiterentwickelten und BA durch KALL ablösten, geschah dies unter dem kategorischen Imperativ des Hohlen. Die zugeordneten Funktionen wie noch später auch die Werkzeuge solcher Funktionen brachen aus dem Befehlsbe­ reich dieses Imperativs - natürlich - aus, ein Knüppel und eine Keule waren alles andere als hohl. Das meine ich, wenn ich sage, nicht Linguisten, sondern einfache, unbeschwerte Menschen haben einst unsere gemeinsame Sprache geschaffen. Einige von ihnen haben im Laufe ihres unbekümmerten Fortspinnens ihrer Assoziationen

119

KALL sogar für Spitzes verwendet, und sie haben mir viel Kummer bereitet damit, wollte das doch unerklärbar erscheinen, paradox, ja, es durfte eigentlich gar nicht wahr sein. Aber gemach — eine BA-Parallele brachte die Lösung. Unser Kopf, wir sagten es schon, steckt auch in unserem Gipfel, aber nur in dem Teil GIP - dagegen ist FEL der Rest eines vorausgegangenen FJELL. GIP aber ist genau wie KOP ein seitenverkehrtes PIK, das wir in den romanischen PIC und den nordischen PIGG als Wörter für Gipfel zur Genüge kennen. Obwohl man nun auch von dem Ausgangswort »Kopf« nicht sagen kann, daß er spitz sei, ist er doch zumindest oben, das obere Ende unseres Körpers, und genau das ist auch bei den Bergen gemeint. Aber PIK und »pieken«, die »Pickelhaube« und das spitze »picken« haben alle hier ihren Ausgang, und da das romanische PIC sich auch zu PIZ gewandelt hat, fällt es nicht mehr schwer, dies PIZ auch in der leichten Tarnung S’PITZ wiederzuerkennen. Auch bei BA konnte also aus dem runden Kopp ein Wort für das eigentliche Gegenteil, für »spitz« werden - eben weil noch nie die Zunft der Sprachforscher Sprache auch geschaffen hat... Die Tafeln XI unserer Dokumentation befassen sich ausführlicher mit dem Begriff des »Handwerkzeugs« und sind noch für viele Überraschungen gut. Anschließend die Tafel XII: Mengenlehre. Die Anwendung von KALL auf Stein und Gestein vermittelt nur prima facie ein Rätsel, hört doch alles, was mit Stein zusammenhängt, vorwiegend auf TAG. Aber schon, wo solche Steine rund sind, gehorchen sie einem anderen KALL-Imperativ, auf den wir weiter unten stoßen werden. Wenn solche Steine obendrein »handlich« sind, sind sie genau wie KEIL und KEULE weitergedachte Handbe­ griffe, weil sie die Wirkung der Hand vermehren oder verstärken. Steine mit Abschlägen in der Art des Acheuleen wurden schon beim Pithecanthropus africanus' (ca. zwei Millionen Jahre vor heute) gefunden, die Verwendung von runden und handlichen Steinen ohne Bearbeitung dürfte wesentlich weiter zurückliegen. Die Tafel XI B widmet sich diesem Aspekt etwas ausführlicher.

Der denkbar größte HOHLraum: COELUM

Es wird vielleicht einmal mit Hilfe der Paläolinguistik möglich werden, den Zeitpunkt auf 100000 Jahre genau zu bestimmen, von dem an sich der Mensch intensiv mit dem Himmel und den Himmelserscheinungen Sonne, Mond und Gestirnen befaßt hat. Schon jetzt läßt sich vermuten, daß dies recht früh geschehen ist nicht, weil wir inzwischen sogar noch bei Tieren, insbesondere den Vögeln, eine zweckdienliche Himmelskenntnis zur Orientierung bei ihren weiten Wanderungen annehmen, sondern weil selbst heutige Völker, die ansonsten »auf Steinzeitstufe« leben, eine erhebliche Kenntnis besitzen, und ferner auch, weil Völker der Vergangenheit auf Steinzeitstufe - Musterbeispiel: die Maya - sich einen astronomi­ schen Kalender von einer Genauigkeit erarbeitet haben, die auch von uns nicht übertroffen wird. Es ist daher vielleicht gar nicht so gewagt, wenn heutige Fachkollegen behaupten, die Himmelskunde sei die erste echte Wissenschaft der Menschheit und die Mathematik ihre legitime erstgeborene Tochter. Wir wollen versuchen, uns in jene frühen Menschen zurückzuver­ setzen, die zum ersten Male den Himmel über sich bewußt wahrgenommen haben. Zugegeben, das haben seit der Antike immer wieder Dichter, Philosophen und Religionsgeschichtler getan. Aber uns interessieren hier weniger die philosophischen Dimensionen als vielmehr der unmittelbare Eindruck und die daraus in sprachlicher Hinsicht gezogenen Folgerungen des frühen Menschen. Des wie frühen Menschen? Es ist immer hilfreich, sich auch die zeitlichen Dimensionen mit zu vergegenwärtigen. Wenn wir anneh­ men, daß Homo-Arten seit 4 Millionen Jahren existieren, dann lebten die Menschen die Hälfte dieser Zeit ohne Himmel in unserem Sinne. Der war für sie ein Strickmuster von Fetzen, die tags durchs Blätterdach seines Waldes schimmerten, nachts dagegen noch diffuser glitzerten, war doch das Licht von Mond und Sternen ungleich schwächer als das der Sonne. Wie ich bei Theodor Dolezol 121

lernte, gab es sogar infolge tiefgreifender Klimaschwankungen im Tertiär Jahrtausende und Jahrzehntausende ohne Sonne, Mond und Sterne, weil die weltweit von Wolken verdeckt waren. Was uns an das englische SKY erinnert, neben dem mehr theologischen HEAVEN der »Himmel« der Briten, aber nur das Wolkenmeer der Nor­ weger ... Als die Menschen den Wald verließen oder, wahrscheinlich richtiger, als der Wald sie verließ, als sie in lichteren Wäldern und schließlich in der lockeren Savanne überleben mußten, da mußte auch der Himmel in ihr helles Bewußtsein treten. Und das mit zwei überraschenden Wahrnehmungen - vor allen anderen: Dieser Himmel wölbte sich rund über ihnen und hatte eine kreisrunde horizontale Begrenzung, und sie selbst befanden sich immer und unausweichlich in der Mitte sowohl der Himmelswölbung als auch in der Mitte der durch sie bestimmten Kreisfläche! Und alle Himmels­ körper des Tages und der Nacht bewegten sich in einem Halbkreis um sie, die Menschen. Natürlich wissen wir heute, daß all dies eine optische Täuschung war, eine Täuschung jedoch, die von unseren Vorläufern nicht anders denn als Wahrheit gesehen werden konnte. Wann immer sie daher zu KALL als dem überragenden Ausdruck für das HOHLE fortschrit­ ten, mußten sie KALL auch zu dem größten und ersten GeWÖLbe sagen, das ihnen begegnete! Die Himmelskörper innerhalb dieses Himmelsgewölbes wurden dann ganz von selbst gleichfalls mit KALL ausgedrückt, ebenso selbstverständlich wie wir heute noch von Himmelsgewölbe und Himmelskörper, himmelhoch und himmelblau sprechen - alles Begriffe, die man früher mit einem Wort ausdrückte. Gerade die Farbe B’LAU, im Mallorquinischen gleichfalls B’LAU, im Französi­ schen B’LEU, im Südeuropäischen A’ZUL und A’ZUR und dem lateinischen COERULeus sind unmittelbare Ableitungen, nein, bedeuteten ursprünglich einfach »Himmel«, wie »orange« ja auch heute noch die Orange bezeichnet. Wir werden daher in unserer Tafel 23 den Himmel zusammenbringen mit seinen Himmelskörpern, der Sonne, dem Mond und den Sternen. Sonne und Sterne sind zwar im Sprachmittelalter in vielen Sprachen zu TAG übergelaufen, und das aus guten Gründen. Himmel und Mond blieben dem KALL eher treu, gleichfalls aus guten Gründen, wie wir später entdecken werden. Es scheint, daß »australisch« auf unseren Tafeln gelegentlich, und so auch in Tafel 23, ein wenig überrepräsentiert ist. Das läßt sich 122

Tafel 23: Himmel und Himmelskörper ph-balangwa * HALAQ Mond, moon luna

polynesich bu’LAK Mond, moon LUNA

arabisch GARR Mond, moon LUNA

australisch AI’JAL * Himmel, HEAven CIEL

arabisch QARN Sonnenstrahl beam, rayo

arabisch HALAL zun. Mond, crescent crescenda LUNA

aymara anta’WALLA Komet comet

australisch QUARALLIA Stern,star estrello

arabisch HALA’t Mondhof, HALO CORONA

tungusisch di’LACA Sonne, sun sol

griechisch HALO Hof b. Mond CORONA

maya CALOCAN Himmel, HEAVen CIEL

lateinisch CAEL’um Himmel, SKY CIEL

tasmanisch wor’KALENNA Sonne, sun sol (BA)

australisch ILL’CARRIE Himmel, SKY CIEL

ilocan LANGI’t Himmel, SKY CIEL

malayisch mata’HARI Himmel, SKY CIEL

ph-batak LANG’it Himmel, SKY CIELO

maori RANGI Himmel, SKY CIELO

telugu CAN’dhe Mond, moon LUNA

aynu KAN’to Himmel, SKY CIELO

bengali CHAN’d Mond, moon LUNA

hindi NAK Mond, moon LUNA

australisch NGANGGA Sonne, sun sol

australisch NGANGOR Stem, star estrella

Sanskrit CAN’dra Mond, moon LUNA

quechua cha’CANA Sternbild, stars estrellos

quechua KANANAY Sonne 12 h, NOON sol mediodia

ph-mansaka QAWANAN Himmel, SKY CIELO

ph-ivatan GANIT Himmel, SKY CIELO

ph-allg. bu’LAN Mond, moon LUNA

tasmanisch LANA Stern, star estrella

quechua ANA LUNAR LUNAR

sumer NANNA Mond, moon LUNA

tibetisch M’KA Himmel, SKY CIELO

motilon CA’HUIN * HALO

tibetisch Z’LA Mond, moon LUNA

japanisch KAI Himmel, SKY CIELO

chinesisch LAI YANG Sonne, sun sol

lateinisch COEL’um Himmel, SKY CIELO

123

quechua

australisch

australisch

aymara

KOLL’KA

GOOLARA

KORANA

* COYLLUR

Sternbild, stars estrellos

Mondlicht, moonlight Mond, moon LUNA la luz de la LUNA

Stern,star estrella

australisch

australisch

australisch

australisch

LOOREA

COLIE

A’LONJI

GOONA’GULLA

Mond, moon LUNA

Sonne, sun sol

Himmel, SKY CIELO

HIMMEL HEAVen, CIELO

eifik

slowakisch

baskisch

thai

ENYONG

ob’LOHA

GOI

LUUG

Himmel, SKY CIELO

Himmel, SKY CIELO

Himmel, SKY CIELO

Meteor

australisch

chakaszki

australisch

australisch

KUL’KA

TSCHÜL’tys

GUR’WAL

AL’LUNGA *

Stern,Star estrella

Stern,star estrella

Himmel, SKY CIELO

Sonne, sun sol

guarani

ph-agta

aynu

rumantsch

CUARA’hi

HULAN

NIS’KURU

G’LÜNA * 1

Sonne, sun sol

Mond, moon LUNA

Himmel, SKY CIELO

Mond, moon LUNA

chakaszki

finnisch

australisch

maori

KÜN’KÜNCHA

KUUN’KEHÄ

NYUNGIE

HUANGA

Sonne, sun sol

HALO

Mond, moon LUNA

Vollmond, full moon LUNALLENA

mapuche

aynu

türkisch

australisch

HUENU

KUNNEcup

GÜNES

NUL’GERONG

Himmel, SKY CIELO

Mond, moon LUNA

Sonne, sun sol

Mondlicht, moonlight la luz de la LUNA

australisch

guarani

NURRIGA

NUAU

Mond, moon LUNA

LUNAR

rumänisch

tSCHEL

finnisch

mapuche

KUU

CÜYEN

Mond, moon LUNA

Mond, moon LUNA

griechisch

irisch

griechisch

E’LEK’tor

* GEALACH 1

HELIO-

Himmel, SKY CIELO

Sonne, sun sol

Mond, moon LUNA

Sonne, sun sol

australisch

pame

suahili

irisch

KEIN

KEN’tampa

KEN’GEE

REANNA

Mond, moon LUNA

Himmel, SKY CIELO

Sonnen, sun sol

Mond, Zeit, moon time, LUNA, edad

124

-

anglosaxon

chakaszki

quechua

arabisch

HEO’fen

ti’GIR

QUILLA

HILAL

Himmel (BA) CIELO

Himmel, SKY CIELO (TAG)

Mond, moon LUNA

1. Mondviertel la phase de la LUNA

quechua

quechua

irisch

baskisch

cata’CHILLAI

WILLKA

GRIAN

* ILLARGI

Sternbild, stars estrellas (TAG)

Sonne, sun sol

Sonne, sun sol

Mond, moon LUNA

ph-allg.

australisch

chinesisch

chinesisch

bittu’QIN

CHIN’to

XING

yue LIAN

Stem, star estrella

Sonne, sun sol

Stern,star estrella

Mond, moon LUNA

1 Im Falle ladd. G'LÜNA gerade noch, in irisch GEALACH voll erhaltene Verdoppelung.

relativieren: Es gibt über 300 australische Sprachen und Dialekte. Unsere Quellen hier stammen aus neun der wichtigeren Sprachen. Das ist natürlich mehr als das, was wir aus dem Deutschen oder Spanischen beisteuern. Aber es ist so auffällig, wie sehr diese Sprachen das KALL für unser Thema verwenden. Dabei haben wir daran zu denken, daß diese Aborigines vor 30000 Jahren ganz offensichtlich zusammen mit diesen Aspekten ihrer Sprachen ein­ wanderten, und noch beklemmender ist diese Perspektive bei den vor 100000 Jahren zunächst nach Australien eingewanderten, inzwi­ schen ausgerotteten Tasmaniern. KALL war also beiden Rassen schon voll bekannt und geläufig, denn Wörter für den Himmel, Sonne, Mond und Sterne hatten sie mit Sicherheit schon, halfen sie ihnen doch bei der weiten Wanderung, bei der Suche nach einer neuen Heimat. In dem Maße, in dem sich frühe Menschen von ihrer tropischen Urheimat weg nach Norden und Süden ausbreiteten und damit in Zonen gerieten, in denen der Übergang von Tag und Nacht und wieder zum Tag länger dauerte, mußte auch das Schauspiel des Wechsels von Tag zu Nacht und wieder zu Tag ihre Aufmerksamkeit 125

erregen und fesseln. Wer einmal weit genug im Norden erlebt hat, wie sich die »Mitternacht« dadurch auszeichnet, daß sich das Abendrot stillschweigend in Morgenrot verwandelt, der empfindet, was frühe Menschen nach dem Verlassen äquatornaher Breiten empfunden haben müssen. Irgendwann einmal ist ihnen aufgefallen, daß das Selbstverständliche der morgendlich erlebten Wiederkehr der Sonne recht eigentlich ein Wunder ist. Noch deutlicher muß sich ein solches Gefühl großen Staunens beim Mond eingestellt haben, der sein Tun und Lassen ja noch spannender macht dadurch, daß er nicht stets in der gleichen Gestalt wiederaufersteht. Wenn er Nacht für Nacht kleiner und schmaler wird, dann hat das sicher Ängste vor seinem völligen Verschwinden geweckt, Ängste, die sich ja als durchaus berechtigt erwiesen. Welche Befreiung, wenn er dann nach drei Tagen wieder neu erschien und die Nächte der Menschen wieder zunehmend erhellte. So wichtig die leuchtende und wärmende Kraft der Sonne sein mochte, mehr fasziniert hat die Menschen von jeher der Mond. Wie die Briten noch heute mit ihrer »fortnight« vermuten lassen, zählte man die Nächte, weniger die Tage, und man teilte die Zeit ein nach dem Mondrhythmus. Darüber hinaus aber vermittelten die Himmelskörper die Gewißheit der ständigen Wiederkehr, und auch in der Natur um sie herum gab es vieles, was auf eine solche ständige Wiederkehr deutete. Was Wunder, daß die Menschen schon früh auch an ihre eigene Wiederkehr dachten, denn die frühesten, aus der Zeit des Neandertalers stammenden Grablegungen, runde 100000 Jahre vor heute, bezeugen ihren Glauben an einen Neuan­ fang, genauer später an eine Wiedergeburt. Wenn nun so alte Grablegungen schon dadurch auffallen, daß Körper und umgebende Erdschichten mit rotem Ocker bestreut wurden, dann gebe ich am ehesten der Deutung von Marie E. P. König in unserem gemeinsam geschriebenen Buche Weib und Macht. Fünf Millionen Jahre Urgeschichte der Frau (1979) recht, wonach die Rotfärbung von Sonne und Mond bei Unter- und Aufgang die Folgerung nahegelegt habe, die Farbe Rot habe auf die Wiederkehr einen günstigen Einfluß. Bis ans Ende der Eiszeit erleben wir immer wieder diese wichtige Grabbeigabe, auch in Landschaften, die ein weiter Weg von den Fundorten roten Ockers trennte. Der Mond mit seinen drei sichtbaren Phasen stellte die DREI als Gleichnis für den Begriff der Zeit, aber auch der Wiedergeburt, und schließlich der Frau als der Vermittlerin solcher Wiederkehr ins Leben heraus. Die vielen altsteinzeitlichen Gravuren um drei Punkte, drei Linien oder Dreiecke sind alle in diesem Sinne zu lesen,

126

Tafel 24: WOLKEN, BLITZ un d Regenbogen ph-ifugao

slowakisch

bun’GAL’GAL

ob’LAK

Regenbogen, rain- WOLKE, CLOUd bow, arco iris (BA) nube

ph-balangwa te’LAG Regenbogen, rain­ bow, arco iris

australisch

doon’GARA B’LITZ, LIGHTning, rayo

japanisch

malayisch

ph-isneg

slowakisch

RAKU’RAI

se’KALIT

QALU’yut

MRAKY

B’LITZ, LIGHTNING, rayo

BLITZ, LIGHT­ NING, rayo

WOLKE, CLOUd nubes

WOLKE, CLOUd nubes

australisch

WOLKE, CLOUd nube

arabisch NAQH WOLKE, CLOUd nube

japanisch

ph-ivatan

RANUN

RAANI’RANG *

WOLKEN CLOUds, nubes

australisch

aynu

NALIN

RAYOKI

B’LITZ, LIGHT­ NING, rayo

Regenbogen, rain­ bow, arco iris ph-inibaloi

Regenbogen, rain­ bow, arco iris

japanisch RAIU Gewitter, storm tempestad

tibetisch

australisch

ph-kallahan

ph-manobo

KOR-SON

O’KOLYER

KUL’put

bi’LUG’tu

WOLKE, CLOUd nube

Regenbogen, rain­ bow, arco iris

LARK

WOLKig, CLOUdy WOLKE, CLOUd nubes nube

KOL’pot WOLKE, CLOUd nube

aynu

ph-agta

maori

koreanisch

NIS’KUR

KULAM

KAHU’KURA

KURUM

WOLKE, CLOUd nube

WOLKE, CLOUd nube

Regenbogen, rain­ bow, arco iris

WOLKE, CLOUD nube

australisch

ph-agta

KUN’dart

HUNG’LUN *

ph-atta KUNAM

mu’YUNU

WOLKE, CLOUd nube

Regenbogen, rain­ bow, arco iris

WOLKE, CLOUd nube

WOLKE, CLOUd nube

ph-tagbanwa WOLKE, CLOUd nube

polynesisch UILA B’LITZ, LIGHT­ NING, rayo

spanisch CELAJE WOLKEN CLOUds, nubes

griechisch KEL’as WOLKEN CLOUds, nubes

irisch

ph-bilaanu. a.

dayak

tibetisch

NEAL

* KILAQ

KILA’t

KLIG-pa

WOLKE, CLOUd nube

B’LITZ, LIGHT­ NING, rayo

BLITZ, LIGHT­ NING, rayo

WOLKig, CLOUdy con nubes

KUNUM

australisch

127

ausgehend von der einst intensiven Beobachtung des Mondes, der übrigens in den allermeisten Sprachen dieser Welt feminin dekliniert und als Frau gedacht wird. Wir kommen darauf noch einmal zurück, wenn wir die sprachlichen Engramme verfolgen, welche das Wesen Frau hinterlassen hat. Mit den Beispielen der Tafel 23 haben wir die regelmäßig wiederkehrenden Erscheinungen am Himmel herausgezogen. Dar­ über hinaus gibt es solche, die nicht immer zu sehen sind, wie etwa die Wolken, die Regenbogen, die Blitze und dergleichen mehr. Auch sie gehorchen, weil am Himmel, gern dem - himmlischen - KALL. Tafel 24 widmet sich daher diesen, weniger dauerhaften Himmelserschei­ nungen.

Die RUNdung und der REIGEN

Auch das bot der Himmel frühen Menschen als frühen Eindruck: Sowohl die WÖLbung über ihm wie auch der von ihnen rundum wahrgenommene Horizont waren kreisrund. Sie stellten zugleich den denkbar größten Kreis dar, der Menschen begegnen konnte. Kein Wunder daher, wenn sie ihre Wörter für Rundes in unmittelbarer Nachbarschaft des Himmels ansiedelten. KALL für Rundes hielt sich auch gegen alle späteren Anfechtungen besser als der sprachliche Ausdruck für Himmel. Wenn man eine beliebige Gruppe von Menschen mit einem gezeichneten Kreise und der Darstellung einer Spitze konfrontiert und sie auffordert, auf diese beiden Figuren die - angeblichen - Phantasie-Wörter TAG und KALL zu verteilen, dann werden sie sich in ihrer großen Mehrheit archetypengerecht verhalten und den Kreis mit KALL zusammenbringen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie sehr weit voneinander entfernte Sprachen dem gleichen Trend folgen. Offenbar ist unser Hirn längst auf solche Ordnungen festgelegt. Nachfolgende Paläolinguisten werden es sich sicherlich nicht nehmen lassen, die Archetypen und ihre Folgeerscheinungen in ein wissenschaftlicher anmutendes System zu pressen und zum Beispiel Kennziffern einführen, an denen man erkennt, wieviele Schritte das jeweilige Wort vom Anfang entfernt ist. Sicherlich ein löbliches Unterfangen, unser Wort CIRCUS = KREIS etwa mit der Kennziffer K-3 zu versehen - bei der Gleichwertigkeit von -R- und -L- verrät schon der erste Schritt rückwärts CILC bzw. CIL’C die zusammen­ geschliffene Form einer ursprünglichen Doppelung CILIC bzw. KALAK, von der uns nur ein kurzer Sprung zur Urform bleibt. KREIS wäre dann eine K-4 (wegen des Seitensprungs von -R- wie auch in Born und Brunnen oder »burn« und brennen). Bei RUND (RUN/LUN/LUNG/LUG=KALL) hätten wir dann eine K-5 vor uns...

129

Tafel 25 A: RUNde Proben spanisch

hebräisch

spanisch

arabisch

GAL’GA

GAL’GAL

CAL’ce

LAQ

Mühlstein milling stone

Rad, WHEEL rueda

Reifen COLLAR

KURve, CURve CURva

tibetisch

ph-kankaney

suahili

hebräisch

KYAL

GAL’mat

GALA’GALA

GALAL

RUNd,ROUNd redondo

RING, RING arGOLLa

ROLLen, ROLL ROLLar

ROLLen, ROLL ROLLar

spanisch

spanisch

tagalog

arabisch

CALLAO

CAN’GALLA

* GALANG

HA LAQ

GERÖLL, gravel pedernal

KARRE, barrow CARRo

Reif, Arm-RING ANILLo

KREIS, HALO CIRCULo

ph-ivatan

hebräisch

hebräisch

* GALANG

CHUL

GIL

RING, RING ANILLo

hebr.-arabisch CHEL um-herum, around RUNd, ROUNd redondo cercando

KREIS, CIRCLE CIRCULo

KALL als Urgrund alles Runden war offenbar noch voll aktiv, als Menschen das Rad erfanden - CARRO/CAR für KARRE oder Wagen drücken das Wesentliche aus, das RUNDe Rad, das das Fortbewegen erleichtert (Tafel 25 A). Wir verlegen die außerordent­ lich reichhaltige Dokumentation alles Runden als Tafel XIII in den Anhang, gönnen uns aber, hier noch einer Sonderform desselben nachzuspüren, dem REIGEN (Tafel 25 B). Wir müssen nur wiederum das -R- durch ein gleichrangiges -Lersetzen, nicht nur, um bei LEIG- zu einer reinen KALL-form zu gelangen, sondern auch in die Nachbarschaft unseres LAICH, des schottischen LAIGH und vieler anderer Wörter für den meist kultischen Rundtanz. Ich glaube, man kann sogar sagen, daß alle Arten Rundtänze REIGEN, das heißt Tänze kultischen Inhaltes sind. Kultische Tänze rundum zu tanzen, konnte viele Gründe haben, aber sie waren jedenfalls auch ein Abbild der himmlischen Bahnen und symbolisierten wie später der KRANZ (K-5) die Endlosigkeit der Kreislinie und, im übertragenen Sinne, die Ewigkeit des Seins, sei es als Erkenntnis oder Wunsch. Unser LAICH für Tanz oder REIGEN steckt auch in dem kultisch

130

Tafel 25 B: Der REIGEN anglosaxon althochdeutsch mittelhochdeutsch dayak LAIK LAICH KAR’LAICH NGI’GAL REIGEN, LAIGH REIGEN, LAIGH Tanzlied,song-dance tanzen, dance * CORRO CORRO CORRO a canzon bailar

tibetisch ilocan GAR RAG’RAG’sac REIGEN, LAIGH Tanzfest, dance CORRO fiesta

türkisch HAL’KA * REIGEN, LAIGH CORRO

griechisch KALLA’bis org. Tanz, dancing bailando orgiastic.

ungarisch KALA’maika Tanzart, folk dance bailando

quechua WAYLLACHA REIGEN, LAIGH CORRO

Siam LAKON Tempeltanz, dance baile del templo

gälisch malayisch CAROL GARONG REIGEN, LAIGH kult.Tanz, dance CORRO baile cultico

griechisch KALLINIR’os att. Tanz, dance baile attico

am.-spanisch CALIN’da Tanz, dance baile de negros

hindi kata’KALI Kulttanz, dance baile cultico

dayak be’LANGI tanzen, dancing' bailar

griechisch GLAU’z Tanz, dance baile

suahili CHAN’do REIGEN, LAIGH CORRO

duala NGAN’do Tanzfest, dancing fiesta de baile

aymara HUAYNO Kulttanz, dance baile cultico

maori KANI’KANI tanzen, dancing bailar

chinesisch SUAN SCHAN REIGEN, LAIGH CORRO

maori irisch HA’KA LAOI REIGEN, LAIGH Tanzlied, LAIK CORRO CORRO

englisch LAY Tanzspiel baile

tasmanisch LOGARA Tanzspiel, LAY CORRO

altdeutsch CHORAL REIGENlied, LAY CORRO

setswana KHORA’se REIGEN, LAIGH CORRO

kroatisch KOLO REIGEN, LAIGH CORRO

maya spanisch COLOM’che CORRO REIGEN, LAIGH REIGEN CORRO LAIGH

australisch CORRO’boree REIGEN, LAIGH CORRO

bretonisch COROLL REIGENlied, LAY CORRO

australisch KORO’bra tanzen,dance bailar

griechisch CHOREA REIGEN, LAIGH CORRO

griechisch KOYREI’os Tänzer, dancer bailador

hethitisch GALA Tanz, dance baile

schwyzerisch CORAULA REIGENlied, LAY CORRO

griechisch KOLEA Tanzart, dance modo de bailar

131

hebräisch CHUL REIGEN, LAIGH CORRO

aynu HORI tanzen, dance bailar

Mexico

hawai HULA Tanzplatz, place for Tanzart, dancing cult-dances, baile baile de pais

CUFCUIL’co

aymara tho’KOÑA tanzen, dance bailar

quiché SCHTZUL Maskentanz, dance in masks, bailar

spanisch GUARACHA Tanzart, dance baile antiguo

australisch NGRIL’KULUN tanzen, dance bailar

Tänzer, dancer bailador

suahili quechua KUNG’wia HUAYNO REIGEN, LAIGH REIGEN, LAIGH REIGENlied, LAY CORRO CORRO CORRO

arch, suahili

chakaszki

GUNGU

o’JYN

griechisch

GRYLL’os

guaraní

CURURU

mapuche RÜNCAN REIGEN, LAIGH REIGEN, LAIGH tanzen, dance CORRO CORRO bailar

suahili u’NYAGO Tanzritual, dancerite, ritual de bailar

hethitisch

irisch

tar’KUAI

CEILI

tanzen, dance bailar (TAG)

Tanzfest, dancing fiesta de bailar

malayisch o’LEK Tanz, dance baile

zigeunerisch

griechisch

KELLE’ben

CHELI’CHELONE

nordisch LEK Tanzspiel, dance bailada

REIGEN, LAIGH Ringtanz, ring-dance baile anular CORRO

deutsch

Timor

REIGen

* LIKURAI

LAIGH CORRO

Rundtanz, roundlay, CORRO

tasmanisch LIKE’ALI * REIGEN, LAIGH CORRO

tasmanisch LENE Tanzspiel, dance CORRO suahili SHINA Tanzart, dance baile

1 Der Begriff »Tanz« ist hier mit einbezogen, weil im Laufe der Zeit das Wort für Reigen auch auf das Tanzen allgemein übertragen wurde. Auch dem BAILAR hört man nicht mehr an, daß es einst ein sexuelles Vorspiel bezeichnete, was wahrscheinlich auch von TAG-Tänzen gesagt werden kann.

132

so reichen und auf vorchristliche Bräuche zurückgehenden »Fron­ leichnam«, der nichts mit einem »Leich-nam«, sondern nur mit dem LAICH, dem kultischen REIGEN zu Ehren einer »Fron-vrouwenFrauen« zu tun hat, das heißt also mit den Frauen- und Wiederge­ burtskulten der Altsteinzeit bis in die letzten Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung. Es dürfte kaum ein Volk auf dieser Erde geben, das nicht den kultischen Rundtanz kennt und bis in jüngste Zeit ausgeführt hat, und ebensowenig kaum eines, das dabei nicht sprachlich auf die KALLform parallel zu LAIGH und REIGEN zurückgegriffen hat. Gewiß hat der Tanz zunächst einen sexuellen Ursachenstrang in seiner frühen Funktion, eine sexuelle Vereinigung vorzubereiten, wie er uns aus der Tierwelt bekannt ist. Nicht nur sprachlich scheint mir daher das, was die Spanier bei ihren Tänzen BAILAR nennen, mit unserer BALZ innig verwandt. Das soll spätere Veredelungstenden­ zen nicht schmälern, wie sie in der BALLADE, einem getanzten Lied im Dienste der Überlieferung eigener Sagen und Mythen, zum Ausdruck kommt. Der andere Ursachenstrang, der zum Tanze führte, war tief religiöser Art, war kultisches Ritual. Geradezu Beklemmung über­ fällt den Nachdenklichen angesichts der Fakten: Urmongolische Völker sprechen von GAR, Urkelten von CAROL, Malayen von GARONG, Spanier von CORRO, Aborigines von CORRO’boree und Indios aus dem zentralen Südamerika von CURURU, während sich dem europäischen LAICH und LAIGH die Thai mit LAKON und die Eingeborenen Timors mit LIKURAI annähem, unterstützt von Kroaten und Maya mit KOLO und COLOM’che! Wenn sprachlich so kongruente Formen die gleiche Sache bezeichnen, nämlich den kultischen Rundtanz, dann bleibt uns heute Forschen­ den die beinahe bange Frage: Wie alt sind diese Bräuche, wenn sie in so verschiedenen Orten noch gleich genannt werden?! Müssen sie nicht zu einer Zeit schon bestanden haben, als die angehende Menschheit noch so nahe miteinander verbunden war, daß sich ein irgendwo aufspringender Impuls noch allen anderen Gruppen mitteilen konnte? Und da der Rundtanz die Himmelsbeachtung und schließlich -beobachtung zur Voraussetzung hat, welch unermeßliche Zeiträume mögen vergangen sein, seit die ersten Menschen das Himmelsgewölbe (wie wir noch) KALL nannten und darunter neben seiner Hohlheit auch seine Rundung verstanden? Und wie alt ist dann der Archetyp KALL? Steine KALL zu nennen, bildet die Ausnahme und geht wahr­ 133

scheinlich auf die Benennung runder Kiesel zurück, die nicht nur als handliche Werkzeuge zur Zerkleinerung zäher Nahrung dienten, sondern auch bei Grablegungen eine Rolle spielten, in Kreisform um Schädel oder Körper gruppiert, vielerorts und schon früh. Schon zur Zeit des nach Portmann so sprachlosen Neandertalers. Ja, noch früher. Wenn die Rundung der Welt einen so tiefen Eindruck auf frühe Menschen gemacht hat, dann liegt nahe, daß man diesem Weltgefühl oder dieser Welt-Anschauung (im wörtlichen Sinne) Ausdruck zu geben versuchte. Man fand Steine, die gewaltsam bearbeitet wurden, um sie rund zu machen. Und es grenzt an ein Wunder des gütigen Zufalls, wenn man bei Achenheim nahe Straßburg am Boden einer heutigen Kiesgrube unter 17 (in Worten: siebzehn) Metern Rhein­ ablagerung versinterte Lehmkugeln fand, die so die Zeiten überdau­ ert und die Fingerabdrücke der Menschen, die sie vor - und das ist kein Druckfehler! - 300000 Jahren geformt hatten, an uns überlie­ fert haben. Auch der gleichaltrige Schädel inmitten der Höhle von Tautavel war ja nicht nur hohl, sondern auch rund wie der Himmel über und die Kuppel in der Höhle der Pyrenäen. HOHL und RUND, von Himmel, Höhle und Schädel, dieses vielfache KALL war sicherlich schon für diese frühen Menschen nicht ohne besondere Bedeutung... Sonst hätten sie ja nicht noch runde Kiesel dazugelegt. Siehe die Tafel 26. Im Solutreen-Aurignacien beginnen jene steinzeitlichen Frauen­ statuetten, die der Forschung manch ein Rätsel aufgaben. Da so nur Frauen dargestellt waren, entstand die Mär von den fettsteißigen Damen der Eiszeit, die sich auf diese Weise, den Karakulschafen ähnlich, durch den Winter gebracht haben sollen. Eine Deutung, die nie zustandegekommen wäre, wenn man auch Männer so dargestellt hätte. So aber fiel es den durchweg männlichen Forschern leicht, die Statuetten für bare Münze zu nehmen und sich für sich selbst ein klassischeres Ideal zu bewahren... Wenn aber für frühe Menschen alles Runde so besonders symbolträchtig war, dann war die Überbe­ tonung weiblicher Rundungen ein einfacher und griffiger Ausdruck für die damals weiblich bestimmte Welt und die Verewigung des Lebens durch Wiedergeburt. Als der ursprüngliche Sinn der betonten Rundung vergessen war, wurden die Gestalten der steinzeitlichen Damen zunehmend schlanker - am Ende fiel der Übergang zum antiken Schönheitsideal vom weiblichen Körper gar nicht mehr sonderlich schwer. Aber für uns sind diese aus lauter Rundungen bestehenden

134

Tafel 26: Steine und GERÖLL lateinisch

griechisch

tibetisch

quechua

CAL’culus

LAX

LHAG

KALL’ca

kl. Stein, small stone, CANtos

Stein, stone piedra

rd. Stein, rd. stone piedra redonda

Geröll, GRAVEL CANtos

quechua

aymara

spanisch

slowakisch

KALA

KALLA

LAJA

SKALA

Stein, stone piedra

Stein, stone piedra

Kiesel, pebble GRAVA

Stein, stone piedra

tasmanisch

irisch

arabisch

spanisch

mun’GARA

GALLAN

HALAM’bus

CALEJO

Flintknollen, flint piedra de chispa

Pfeilerstein, rd. Seg­ Flintknollen, flint ment, piedra pilar piedra de chispa

Stein, stone piedra

griechisch

mapuche

lateinisch

laddinisch

CHALIX

LLANCA

G LAREA

GRAVA

GERÖLL, pebble GRAVA

Stein, stone piedra

Kiesel, GRAVEL GRAVA

GERÖLL, GRA­ VEL, GRAVA

australisch

australisch

mapuche

quechua

KAAIN

HANYA

CANCA

WANKA

Stein, stone piedra

Stein, stone piedra

Stein, stone piedra

Stein, stone piedra

griechisch

etruskisch

irisch

aymara

LA’os

LAU

* CLOCH

* KOLAKA

Stein, stone piedra

Stein, stone piedra

Stein, stone piedra

Mahlstein, milling st., GALGA

kalmückisch

finnisch

englisch

aymara

* CHOLONG

KOLU

LOGAN

KJONA

Stein, stone piedra

Stein, stone piedra

Waagenstein piedra escala

Mahlstein, milling stone, GALGA

maori

suahili

mapuche

australisch

KO’hatu

KUUN’GO

CURA

CHURINGA

Stein, stone piedra

kl. Stein, small stone Stein, stone piedra pequeña piedra

welsch

irisch

altnordisch

aymara

LECH

LEAC

HELLUR

LLINKA

Stein, stone piedra

Stein, stone piedra

Stein, stone piedra

Stein, stone piedra

Steinamulett piedra de adorno

irisch

arabisch

mapuche

thai

LIAG

QILA

LICAN

HIN

Stein, stone piedra

Stein, stone piedra

GERÖLL, pebble GRAVA

Stein, stone piedra

135

Statuetten ein materieller Beweis mehr für den bedeutsamen Sinngehalt alles Runden. Dieses Runde aber, man erinnere sich, ging von der Beachtung des Himmelsgewölbes aus. Wenn schon KALL den Himmel eroberte, dann natürlich eine weitere wesentliche Eigenschaft desselben gleich mit, wie im nächsten Kapitel ausgeführt.

Das HELLE KALL

Die große Höhle über der Erde ist zuerst und vor allem der Tummelplatz der Sonne. Für uns heute so selbstverständlich, daß wir keinen Gedanken mehr daran verschwenden. Das war sicherlich bei frühen Menschen nicht anders, wenn auch aus anderen Gründen. Irgendwann aber fiel ihnen auf, daß es tagsüber HELL war, und weil Wörter wie HELL und LEUCH’ten so nahe bei Wörtern für Himmel angesiedelt wurden, erkennen wir heute, daß es eben doch eines Tages auffiel, dieses Hellsein. Mag sogar sein, daß das weniger Selbstverständliche zuerst auffiel, die Tatsache nämlich, daß der Himmel auch dann hell war, wenn die Sonne nicht zu sehen war! Und wir erinnern uns wieder des Umstandes, daß es Zeiten gegeben hat, während derer Wolken aufgrund von Klimaschwankungen jahrtau­ sendelang die Sonne verhüllten. Trotzdem genügte das die Wolken­ decke durchdringende Licht, die Welt der Menschen zu erhellen und die Pflanzen Blätter und Früchte tragen zu lassen. Die Generationen­ kette wurde durch solches Geschehen nicht unterbrochen. Nur der Generalnenner Himmel erlaubt es auch, gewisse seltsame Nachbarschaften zu erklären, etwa die von griechisch LEUK’os (weiß) und unserem LEUCH’ten (vgl. Tafel 27). Der Wortkern ist offensichtlich der gleiche. An einem sehr hellen Tage ist der Himmel tatsächlich fast weiß, so daß man Verständnis dafür aufbringen kann, wenn dies einstmals nicht zu definitiv unterschieden wurde. Eine andere Seltsamkeit stellt das romanische Wort für weiß, BLANCus, BLANCo oder BIANCHo dar. Was hat unser BLANK damit zu tun? Jedenfalls ist es das gleiche Wort. Nun, diese kleinen Sinnverschie­ bungen für im Grunde doch eine gleiche Sache kennen wir schon von zum Beispiel englisch »small« und »schmal« oder »gross« und »groß«. BLANK aber und seine romanischen Geschwister sind eine sehr eng gruppierte BA/KALL-Verbindung. Das -B-, das von BA übriggeblieben ist, geht auf die Form BAL für den hohen und daher langer oder immer mit Schnee bedeckten Berg zurück, und genau das 137

Tafel 27: LEUCHten und HELLIGkeit arabisch HALL GRELL. Schein GLARE, CHILLON

ph-isneg QAL’GAW Tag, day dia

welsch LLACHR HELL, LIGHT CLARo

marathi JAL Feuerschein, fire fuego

bengali uj’JAL HELL.LIGHTLUGd, CLARo

arabisch GARR HELL, LUCid CLARo

australisch Tag,day dia

tibetisch LHAGGE KLAR, CLEAR CLARO

hebräisch HALAL LEUCHten SHINE, LUCir

laddinisch slowakisch CHALA ZIARA LEUCHten, LIGHt Feuerschein, fire LUCir fuego

suahili NGARA HELL, SCHEINEN SHINE, LUCir

malayisch NJALA Flamme, flame Hama

ph-kalinga QALLAW Tag, day dia

aymara KALLAL LEUCHten SHINE, LUCir

ph-samal QALLO Tag, day dia

griechisch HALO SCHEIN, HALO resplando

GAR’bu

australisch NUN’KALO’we LICHt.LIGHt LUZ

bengali

uj’JAL

Feuerschein, fire fuego

LEUCHten SHINE, LUCir

tungusisch

hethitisch HAR HELL, bright CLARo

GAR’pa strahlen, radiate radiar australisch

setswana

KALLA

GALA’LELA

Feuer, fire fuego

HELL, SHINING dar LUZ

spanisch

CHALANA Feuerschiff LIGHT-ship hebräisch KALLAI LICHt, LIGHt LUZ

quechua

LLANKA GRELL, GLARE CHILLON

australisch

akkadisch

LARONG

KALU

LICHt.LIGHt LUZ

HELL, CLEAR CLARO

HELL, CLEAR CLARO

schottisch

GRELL, GLA­ RING, CHILLON

australisch KLAR’tin GLÄNZEN SHINE, BRILLAR

chinesisch

quechua

SCHANdien

KAN’CHAY

funkeln, sparkle reLUCir

HELLE, LIGHtness, CLARIdad

spanisch

griechisch KAN’dele Fackel, torch CANdela

138

tibetisch

GAL’me

finnisch

irisch CLAR KLAR, CLEAR CLARo

KERZE CANDLE

türkisch par’LAK GRELL, GLA­ RING, CHILLON

VALO

akkadisch HALU HELLsein.be CLEAR, ser CLARo

CAN’dela

ph-ifugao QAL’GO Tag, day dia

GLAIK’it

quechua

ph-manobo

Sanskrit

tibetisch

CAN’CHA

QAN’diw

CAN’dami

od-CAN

LEUCHten LIGHT, ¡Iluminar

TAG, day dia (TAG)

GLÄNZend,SHIHELL sein, be LIGHT, ser CLARO NING, brillar

japanisch

japanisch

slowakisch

eifik

to’KAN

chu’KAN

KA’HAN *

I’KANG

BeLEUCHtung LIGHTing

Tag,day dia

Lampe, lamp lampara

Feuerschein, fire fuego

tasmanisch

suahili

suahili

aymara

LAINA

KIANGA

ANGA

KJANA

Buschfeuer,bushfire starker Schein fuego de bosque resplandor forte

LICHT, LIGHT LUZ

LICHT, LIGHT LUZ

suahili

aymara

ilocan

arabisch

M’CHANA

KHANA’ki

SlL’NAGAN

NAHAR

TAG, day dia

KLAR, CLEAR CLARO

beLEUCHten, illu­ HELLes LICHt LIGHt, LUZ CL. minate, -nar

griechisch

quiché

ilocan

tibetisch

GÁN’os

CANI’COU

NALA’wag

S’NAN-ba

HELLE, LIGHtness

LEUCHten, LIGHt strahlend, bright ¡Iluminar LUCIENte

ilocan

ilocan

LICHt, LIGHt LUZ

japanisch

suahili

ag’RANG’RANG'’ag’RANIAG

RAN’RAN

NGAA

GLÄNZEN, SHINE glitzern, sparkle brillar blaze, brillar

GLÄNZEND bright, brillando

GLÄNZEN SHINE, brillar

polynesisch

tasmanisch

arabisch

tagalog

LAH

KAUA

LAUH

I’LAW

LICHt, LIGHt LUZ

Feuer, fire fuego

LEUCHten, LIGHt LICHT, LIGHT LUZ illumenate

australisch

griechisch

tibetisch

irisch

KAI’KAI

KAI’o

S’KYA

LOCH’RANN *

LICHT, LIGHT LUZ

brennen, burn quemar

HELL, CLEAR CLARO

Fackel, torch antorcha

australisch

quechua

türkisch

welsch

COLOR

QOYLLU

GÖRÜN

GOLEUNI

Flamme, flame llama

GLANZ, SHINE brillo

SCHEIN, SHINE brillo

LICHt, LIGHt LUZ

tibetisch

tibetisch

thai

tibetisch

GLON-ma

KROL-KROL

KOONG’faj

RKYON-tse

Latente, lamp lampara

GLÄNZEN SHINE, brillar

Feuer, fire fuego

KERze, CANdle CANdela

139

ph-subnun

irisch

tasmanisch

quiché

GON’dow

COINNEAL

NOOENA

CHUL

Tag, day dia(TAG)

KERze, CANdle CANdela

Feuer, fire fuego

GLÄNZEN SHINE, brillar

hethitisch

slowakisch

quechua

lateinisch

LUK

LUC

LLIUK

LUX

HELL, LIGHt CLARO

Strahl, beam rayo

LEUCHten,LIGHt LICHt.LIGHt illuminate LUZ

Sanskrit

australisch

finnisch

quiché

RUK

KUL’KUN *

KUUL’to

ca’CHUL

HELL, LIGHT CLARO

Fackel, torch antorcha

HELL, LIGHt CLARO

HELL, LIGHT CLARO

australisch

arabisch

batak

welsch

KUR’LA

GURRAN

Sulu

Syllu

FEUER, fire fuego

HELL, CLEAR CLARO

Fackel, torch antorcha

GRELL, GLARING, CHILLON

lateinisch

telugu

telugu

australisch

LUCU’lentus

veLUGU’ta

ve’LUSURU

NGOR’KULLE

sehr HELL, bright muy CLARO

LEUCHten,LIGHt LICHt.LIGHt illuminate, LUCir LUZ

NA-indianisch

schottisch

lateinisch

lateinisch

KYLE

SKYRE

LUCERN’a

LUC’ere

Lampe, lamp lampara

SCHEINEN SHINE, esplandor

Lampe, lamp lampara

LEUCHten LIGHt, LUCir

laddinisch

norwegisch

chakaszki

schwedisch

LUCID

LYK’t

TSCHYL’tyra

LJUS

HELL, CLEAR CLARO

LEUCHte, lamp lampara

funkeln, sparkle brillar

LICHt, LIGHt LUZ

laddinisch

tibetisch

australisch

chinesisch

G’LÜSCH *

D’GUN

NGUN’GYEN *

GUAN

LICHt.LIGHt LUZ

Mittag, NOON mediodía

LEUCHten, LIGHt LUCir

LICHt, LIGHt LUZ

arabisch

HELL, flame llama y CLARO

chinesisch

polnisch

tagalog

GUAN XIANG

LUNA

LUNING’NING NUR

LICHtstrahl, beam Feuerschein, fire brillo del fuego rayo de LUZ

GLÄNZend, SHINING, brillando

Himmelslicht, skylight, LUZ del cielo

suahili

chinesisch

irisch

tungusisch

NURU

HUO

GEAL

GEL’tara

HELLE, LIGHt CLARIdad

Feuer, fire fuego

GLÄNZend, SHINING, brillando

HELL, LIGHt CLARO (TAG)

140

japanisch REKKA HELLes Feuer, fire fuego bien claro

irisch GEALAN HELLE, LIGHtness, CLARIdad

finnisch HELAKKA strahlend, spark­ ling, brillando

griechisch LEUK’os auch HELL, KLAR, CLEAR, CLARO

tungusisch GERE HELL werden, get LIGHt, ponerse CL

irisch GLEIGEAL sehr HELL, very CLEAR, m. CLARO

welsch dis’GLEIR’io LEUCHten, LIGHt LUCir

suahili KEN’GEE Strahl, beam rayo

tasmanisch LENA Tageslicht, day­ light, LUZ del dia

polynesisch NERENE LICHt, LIGHt LUZ

arhuaco GEI LICHt, LIGHt LUZ

tungusisch GIL’ta HELL, LIGHt CLARO

japanisch CHIRA’CHIRA schimmern GLEAM, reLUCir

quechua CHIRAU HELL, CLEAR CLARO

australisch oolie’KIRRA HELL, CLEAR CLARO

australisch ba’RINGA LICHt, LIGHt LUZ

japanisch RINKE schimmern GLEAM, reLUCir

finnisch KILO schimmern GLEAM, reLUCir

slowakisch LIGO LEUCHten, LIGHt brillar

akkadisch KILO’tu Feuer, fire fuego

finnisch KIILLE GLÄNZEN SHINE, brillar

quechua ILLAY LEUCHten, LIGHt LUCir

maya KIN Tag, day dia

ph-subnun GIN’daw Tag, day dia

ilocan KINA’LAWAG LICHt, LIGHt LUZ

anglosaxon SCIN’an SCHEINen brillar

japanisch NIKKO SonnenSCHEIN LIGHt, LUZ d.sol

tagalog NIN’gas Flamme, flame Hama

gleiche tut der Rest LANK/LAK für Berg zu einer Zeit, als man KALL für Kopf zu verwenden sich angewöhnt hatte. Und da BA’KAL oder BAL’KAL sich umgekehrt, das heißt als BAL’LAK leichter und als BAL’LANK besser spricht, entstand nach und nach B’LANK. Aus den gleichen Elementen entstand auch B’LEICH, im Finnischen eine KALL/BA-Gruppierung: KAL’PEA, in umgekehr­ ter Folge das gleiche. Alle Farben gehen auf ganz einfache Gedankenverbindungen zurück wie bei »blau« und »orange«. Das B’LAU der Mapuche-Indios dreht nur wieder die Aufeinanderfolge 141

um: CALL’FÜ. Ja, selbst unser GRÜN fand ich bisher noch zweimal fast buchstabengetreu - mapuche CARÜN und tungusisch CURIN — und Dutzende Male in der gleichen Struktur. Nur zu natürlich ließe sich auch die Wärme hier mit einordnen. Es sind aber zwei weitere Ursachenstränge für Wärme denkbar, die bei KALL-Formen wirksam geworden sein können — einmal das schon früh verwendete Feuer, und zum anderen die mütterliche Wärme als unmittelbar körperliche Empfindung. Und denken wir auch jetzt schon daran, welch ungeheure Bedeutung künstliche Helligkeit gewann, als die Menschen began­ nen, natürliche Höhlen zu betreten, auszukundschaften und zu benutzen, rund eine Million Jahre vor unserer Zeit.

Das Feuer

In meinem 1974 in München erschienenen Buche Protokolle der Steinzeit beschrieb ich zum ersten Male ausführlicher die besondere Rolle des Feuers in der menschlichen Sprache. Durch die Zusam­ menarbeit mit den Professoren Doris und David Jonas sowie Marie E. P. König bei den folgenden Arbeiten habe ich viel hinzugelernt. Da das erstgenannte Buch seit Jahren vergriffen und angesichts der Erwartung dieses jetzt vorliegenden Buches nicht anzunehmen ist, daß es noch einmal neu aufgelegt wird, werden wir uns hier mit der Gründlichkeit, die das Teilthema verdient, mit dem Phänomen »Feuer« befassen müssen. Hätten das vor meiner Begründung paläolinguistischer Forschung beliebige andere Sprachwissenschaftler getan, dann wären sie nicht nur selbst zu Begründern der Paläolinguistik geworden, sie hätten ihre Wissenschaft damit auch vor so laienhaften Axiomen bewahrt, wie es die von der Unbeweisbarkeit eines gemeinsamen Ursprungs menschlicher Sprache war. Sie wurde auch nicht dadurch wahrer oder weniger blamabel, weil sie ständig wiederholt wurde und in kaum einer einschlägigen Doktorarbeit fehlen durfte. Spätestens zu Beginn dieses Jahrhunderts, als die ersten Funde und Fakten der Urge­ schichtsforschung ans Licht kamen, hätte man die mögliche Unhalt­ barkeit solcher Thesen ahnen und entsprechend vorsichtiger werden müssen. Aber niemand war auf die Idee gekommen, besonders schwergewichtige Erscheinungen menschlichen Lebens auf ihren Niederschlag in der Sprache hin zu untersuchen und zu vergleichen. Das gilt nicht nur für das Feuer, da aber ist es besonders eklatant. Man hat sich dadurch die Gelegenheit entgehen lassen, gleich drei Urformen auf einmal zu entdecken. Wir ahnen heute aufgrund anthropologischer Forschungsfort­ schritte, daß es durchaus mehrere Ansätze zu einer Lautsprache gegeben haben kann, da mehrere schon früh wieder ausgestorbene Homo-Vorläufer von der Anatomie her in der Lage gewesen sein 143

dürften, auch zu sprechen. Für die Gruppe aber, die vor Jahrmillio­ nen damit begann und über den Homo sapiens sapiens bis zu uns führte, hat Sprache einen gemeinsamen Ursprung, dessen Formen über die Brücke der Generationenkette bis zu uns Heutigen weitergereicht wurde. Wir haben also nicht nur einen gemeinsamen Ursprung, wir sprechen auch im Grunde immer noch die gleiche Sprache. Das hinfort erkennen zu lassen, ist die Aufgabe dieses Buches. Zurück zum Feuer. So ziemlich alles im Leben der Menschen begann mit einem Zufall. Ein Blitzschlag brachte sie irgendwann einmal in die Reichweite eines sich ausbreitenden Brandes. Das geschah kaum in ihrer wahrscheinlichen afrikanischen Waldheimat, da tropische Dschungel viel zu feucht sind, um nach einem Einschlag gleich lichterloh zu brennen. Erst als die Wälder zu Savannen wurden, imprägnierte sich die Flora mit ätherischen ölen bis hin zu Harzen gegen allzu schnelle Verdunstung des knapp gewordenen Wassers. Dann und dort brannte es lichterloh, wenn ein Blitz in Baum oder Büsche schlug. Zunächst einmal wird das unsere frühen Menschen wie die Tiere auch in Angst und Schrecken versetzt und zu wilder Flucht veranlaßt haben. Aber nicht allzulange. Die größeren Tiere der Savanne und vergleichbarer Regionen haben gelernt, die in aller Regel nicht sehr breite Feuerwand mit großer Schnelligkeit oft unversehrt zu durchbrechen. Außerdem konnten unsere frühen Vorfahren beobachten, wie sich unmittelbar hinter dem Buschfeuer kleine und große Raubtiere sowie Greifvögel über einen mit verletzten oder umgekommenen Kleintieren gedeckten Tisch her­ machten und sich gütlich taten. Die Menschen hatten längst gelernt, erste Fleischnahrung schätzen zu lernen, indem sie andere Aasfresser von den Resten gelegentlicher Raubtierbeute in ihrem Habitat verjagten. Das taten sie dann auch mit denen, die sich die leichte Beute nach einem Buschfeuer einverleiben wollten. Genau auf diese zufällige Weise entdeckten sie, daß gegartes Fleisch ebenfalls gut schmeckte, vor allem aber leichter zu essen war - denn die Menschen hatten ja das Gebiß von Pflanzenfressern und taten sich mit zähen Fleischbissen schwer. Es war mühsam, größere Brocken zu Mus menschenmundgerecht zu zerstampfen, wogegen das, was aus dem Feuer kam, ohne verbrannt zu sein, wohltuend leicht zu kauen und zu schlucken war. Es hat sicherlich Jahrtausende gedauert, bis man den nächsten Schritt tat, bis man sich ein eigenes kleines Feuer herüberrettete in das eigene Habitat und es dort solange unterhielt, wie man dort

144

verweilte. Und noch einmal Jahrtausende dürften vergangen sein, bis man die erste große Erfindung auf diesem Gebiete verwirklichte, bis man das Feuer transportabel machte. Das Ergebnis reicht bis in unsere Zeit: Man verbirgt einige Glutreste in Asche und trägt dieses in einem Behältnis mit sich herum, bis man wieder einmal ein Feuer braucht. Dann bläst man die Glutreste an und entzündet zunächst trockene Gräser und dünne Zweige oder bei den Lappen Birkenrinde und dünnes — noch grünes — Birkenreisig und hat binnen kürzester Zeit ein neues Feuer. Früh schon bemerkte man auch, daß die jeder Kreatur eingeborene Angst vor Feuer nächtliche Raubtiere von einem Lagerplatz fernhielt, der erleuchtet war. Man gewöhnte sich daran, genug Brennmaterial für die Nacht bereitzulegen und sich beim Bewachen und Unterhalten des Lagerfeuers abzulösen. Eine gewaltige Wende: Einst gefürchtet, war das Feuer nun beherrscht. Beherrscht, um es zu nutzen. Zum Wärmen und Garen der Nahrung, zum Erleuchten während der Nacht und damit zur Abwehr von Gefahren aus dem Dunkel. Und zum Wärmen gegen die Kühle der Nacht. Und noch einmal spielte das Feuer eine entscheidende Rolle: Als die Menschen in Landschaften vordrangen, in denen es Höhlen gab. Höhlen zu betreten und zu erforschen und schließlich zu nutzen, war von kontrollierbarem und jederzeit wiederholbarem Zünden von Feuer abhängig. Ein Lebenselement aber, das so einschneidende und das Leben erleichternde Eigenschaften entwickeln ließ, mußte auch und erst recht in der Sprache seinen Niederschlag finden. Und das tat es denn auch, weiß Gott! FEUER und WÄRME sind noch heute BA-Formen, die sich im Altertum der Sprache bildeten, zu KALL fortschritten und bei TAG endeten, als der Mensch offenbar seine nächste große Erfindung hinter sich hatte, das Entzünden von Feuer nach eigenem Willen! Zunächst BA (Tafel 28). Immer wieder einmal ist BA in Wörtern für Feuriges mit den späteren KALL und TAG gekoppelt, das heißt, das BA-Element hat sich behauptet. Für unsere FAK’kel (BA/KALL) sagt man auf suahilisch BA’HALUI - und das ist genau die gleiche Zusammen­ stellung der beiden Archetypen in einem Wort. Da denkt man leichthin, man habe in einem Wort wie FACKEL oder PFLUG ein Wort vor sich, und in Wirklichkeit sind es deren zwei, und manchmal sogar deren drei oder vier. Wer das übersieht, hat es nicht leicht mit der Sprachforschung. 145

Tafel 28: BA und das Feuer finnisch

suahili

parné

quechua

PAH’de

BA’halui

MPA

illa’PA

Hitze, heat calor (TAG)

FAckel, torch antorcha

Sonne, sun sol

B’LITZ, lightning . rayo (KALL)

irisch

finnisch

finnisch

suahili

PAI’deoge

PAI’VÄ *

PAI

WAA

FAK’kel, torch antorcha (TAG)

Sonne, sun sol

hell, warm, light warm, claro

hell, clear claro

deutsch

griechisch

lateinisch

japanisch

WAB’ern

PHAO

FA’VILLA

BOBO

flammen, flame quemar

strahlen, radiate radiar

Glut, embers braza

entflammen kindle, encender

tagalog

japanisch

lateinisch

lateinisch

A’POY

BOYA

FOV’ere

FA’cula

FEUER, FIRE FUEGO

FEUER, FIRE FUEGO

WÄRMEN, WARM FAK'kel, torch calientar antorcha (KALL)

deutsch

romanisch

suahili

lateinisch

an’FACH’en

FOC

FOKA

FOC’us

kindle encender

FEUER, FIRE FUEGO

erhitzen, heat calientar

FEUERstelle, FIREplace, chiminea

quechua

suahili

suahili

schottisch

PUK’tik

li’PUKA

FUKA

BEEK

heiß, hot caliente (TAG)

flammen, BURN quemar

FEUER, FIRE FUEGO

WÄRMen,WARM calientar

suahili

phönizisch

altenglisch

sumerisch

PIKA

BAAL

BALE/BAEL

BEL

erhitzen, heat calientar

Sonne, sun sol

gr. FEUER gran FUEGO

Sonne, sun sol

hebräisch

germanisch

finnisch

baskisch

BAAL

BAL’dur

PAL’aa

LAB’a

Sonne, sun sol

Sonnengott, sungod, dios de sol

BRENNEN,BURN FEUER, FIRE FUEGO quemar

nordisch

altenglisch

finnisch

japanisch

BAL

BOL

POLA

to’BORU

gr. FEUER, big BRENNEN,BURN gr.FEUER, FIRE gran FUEGO FIRE, gran FUEGO quemar

BRENNEN,BURN quemar (TAG)

altenglisch

tibetisch

sumerisch

akkadisch

BEOR’nen

BAR’BA

BAR

BAR’ku

BRENNEN BURN, quemar

BRENNEN BURN, quemar

Leuchten, light ¡Iluminar, lucir

B’litzen, lightning, rayar

146

deutsch

arabisch

englisch

japanisch

WARM

BAR’Q

s’PARK

tea’BURI

WARM caliente

Blitz, light­ ning, rayo

FUNKEN centilla

BRENNEN,BURN quemar (TAG)

lateinisch FURN’us Ofen, stove estufa

griechisch PYR FEUER, FIRE FUEGO

französisch FEU FEUER, FIRE FUEGO

tibetisch

ME FEUER, FIRE FUEGO

nordisch

.lateinisch

FYR

FERV’ere

FEUER, FIRE FUEGO

erhitzen, heat calientar

ibo

französisch

finnisch

ok’POFUFU

FOU’dre

PUH’de

Hitze, heat calor

Blitz, lightning rayo

Licht, light candela

japanisch Bl’on WARM, WARM caliente

altägyptisch

norwegisch

BES

PEIS

FEUER, FIRE FUEGO

FEUERstelle, chimney, chiminea

Wie aber konnte sich KALL so zahlreich in den Themenkreis FEUER und WÄRME hineindrängen, wie wir auf nachfolgenden Tafeln hier und im Dokumentationsteil sehen werden? Der Paläolinguist sieht, wir wiederholen es, in dem kategorischen Imperativ des HOHLEN Ursache und Fortwirken von KALL. Der Himmel war ein solcher Hohlraum, den sprachlich zu besetzen KALL leicht fallen mußte. Wesentlicher Bestandteil des Himmels ist die Sonne, neben dem mütterlichen Körper die erste zu erfahrende und auf Dauer wichtige Wärmequelle. Was Wunder also, wenn man beim Aufkom­ men der neuen Wärmequelle Feuer das schon vorhandene KALL für sonnen- oder körpergebundene Wärme beibehielt. Es fügte sich ja ganz harmonisch in die vorgegebenen Vorstellungen ein. Aber: es hatte prima facie nichts mehr mit dem Hohlen zu tun... Das war noch eher beim Körper der Fall, wenn man schon Wärme von Hohlem ableiten wollte. Der Körper ist, wir wissen es bereits, auf vielerlei Weise hohl. Er ist aber in der Form des mütterlichen Körpers auch die erste und auf lange Zeit wichtigste Wärmequelle des Neugeborenen. Dies wurde für das Menschenjunge um so wichtiger, je weniger Haare der menschliche Körper im Laufe seiner Entwick­

147

lung aufwies. Von dem einstigen Fell des frühesten Homo sind heute kaum nennenswerte Reste erhalten geblieben. Die Erinnerung an das wärmende Fell der Mutter ist noch im Klammerreflex unserer heutigen Babys erhalten, die aus gleichem Grunde noch heute in der Lage sind, unmittelbar nach der Geburt ihr eigenes Körpergewicht mit den Händen zu halten — eine Frage des Überlebens, wenn früher einmal plötzliche Flucht die Mütter zwang, sich auf eben diesen Klammerreflex ihrer Babys zu verlassen. Mit dem Verlust des eigenen Haarkleides aber war es für die Kleinen noch wichtiger, sich eng an die Mutter zu schmiegen, die ihrerseits - wann immer möglich — das Kleine umfing und zu wärmen versuchte. Die Ursachenkette, die von dieser Notwendigkeit zu KALL für Wärme — und daher Feuer - führte, ist sicherlich gleich stark wie die von der Sonnenwär­ me herrührende. Und das um so mehr als nicht nur der Körper, sondern mehr noch der Begriff Frau und Mutter von KALL besetzt wurde, wenn auch aus anderen Gründen. Eine Erinnerung an diese frühen Zusammenhänge ist auch in dem Umstand zu sehen, daß es ganz besonders die Frauen sind, denen in aller Welt das Feuer anvertraut ist, nicht nur bei den Lappen und Andaman-Insulanern oder den Vestalinnen Roms, sondern praktisch heute noch bei allen sogenannten Naturvölkern der Erde. — In der Tafel 29 beschränken wir uns auf Feuer, Flamme, Glut und dergleichen; andere Aspekte erscheinen auf Tafel XV im Anhang. Wie sich bei BA in dieser Aufstellung Kombinationen mit KALL und TAG zeigten, ergeben sich bei KALL solche mit BA und TAG - und bei TAG wiederum mit KALL und BA. In allen diesen Fällen bedeuten die zusammengestellten Wortteile sehr wahrscheinlich jeweils dasselbe. Es sei hier noch einmal an unsere KALL-Ableitungen von Farben erinnert, an das Weiße von den SCHNEE-(auch KALL!)bedeckten Bergen und das B’LAUE vom Himmel (siehe auch die Tafel XIV). Leider fand ich in all den Jahren meiner Forschung keine überzeu­ gende Verbindung zur roten Farbe, wie ich das eigentlich erwartet hatte. Aber so kann man sich irren, wenn man von eingefahrenen Denkgewohnheiten nicht abgeht. Dagegen war mir aufgefallen, daß sich außerordentlich viele Sprachen des KALL bedienen, um ein Wort für GEL’B zu bilden. Und erst jetzt, während ich an diesem Kapitel schreibe, ist mir eingefallen, daß Feuer ja gar nicht rot, sondern vielmehr GELB leuchtet! Man ist so daran gewöhnt, sich Feuer rot vorzustellen, daß man sich der tatsächlichen Farbe gar nicht mehr bewußt ist - natürlich ist 148

Tafel 29: KALL und das Feuer türkisch

baskisch

bengali

marathi

tnan’GHAL

GAL’da

i’HAL’sano

JAL’ne

sengen, burn/ singe, quemar

brennen, burn quemar

Glutbecken, embers sengend, burning quemando (TAG) brazero

bengali

arabisch

tagalog

UJJAL’AGNFshika

HARR

LAGA

lodern, flame arder

GLÜHENd GLOWING

Feuer, fire fuego

hebräisch

chakaszki

batak

arabisch

* KALAcH

CHOI’CHALA

GARA

HARA

Feuer, fire fuego

sengen, singe quemar

Flamme, flame llama

brennen, burn quemar

arabisch

tagalog

laddinisch

australisch

LAZA

KALAN

CHALUR

LAROLK

flammen, flame arder

Feuerstelle, hearth GLUt.GLOW chiminea braza

Feuer, fire fuego

hebräisch

australisch

suahili

chinesisch

GALU

bul’GARU

m’WALI

SCHAN

brennen, burn quemar

GLUt, embers braza (BA)

Flamme, flame llama

brennen, bum quemar

zigeunerisch

ilocan

australisch

ph-itbayaten

JAN’geri

GANG’tan

GAN’binyi

sugsu’GAN

GLUt, embers braza

zünden, KINDLE encender (TAG)

brennen, burn quemar (BA)

brennen, burn quemar (TAG)

ph-isneg

ph-atta

aymara

aymara

siqdu’GAN

tug’GIAN

NAK’SUNA *

NAK’tayana

brennen, bum quemar (TAG)

brennen, burn quemar (TAG)

brennen, burn quemar

zünden, KINDLE encender (TAG)

quechua

arhuaco

quechua

aymara

CANA

GANA

CANAY

KAÑAY

feuern, fire quemar bosque

Feuer, fire fuego

anstecken,KINDLE anbrennen, KINencender DLE, encender

sanskrit

maori

arabisch

arhuaco

AGNI’KANA

pu’HANA

NAKAH

geis’KANE

Flamme, flame llama

GLÜHEN, GLOW GLÜHEN, GLOW GLÜHEN, GLOW braza (TAG) braza (BA) braza

dayak

marathi

arabisch

japanisch

ANGKA

LAWNE

NAIRA

RAIKA

brennen, burn quemar

zünden, KINDLE encender

Flamme, flame llama

Brand, fire fuego

149

setswana

maori

japanisch

quiché

ma’RANG

KA

tai’KA

CAY

GLUt, embers braza

brennen, burn quemar

Großfeuer, big fire gran fuego

Brand, fire fuego

etruskisch

hethitisch

guarani

welsch

AU

AU/UR

CAI

LLOSG

brennen quemar

brennen, burn quemar

verbrennen, burn quemar

sengen, singe quemar

ph-inibaloi

ph-gaddang

australisch

aymara

po’QOL

masi’KOL

NAR’COOL’ba *

LOKA

brennen, burn quemar (BA)

brennen,burn quemar (BA)

GLUt, embers braza (BA)

GLUt, embers braza

japanisch

bengali

ph-sambal

mentawei

ROKA

JOLA

QOLA’m

* KOLOKO

Feuer, fire fuego

brennen,burn quemar

brennen, burn quemar

Feuerstelle, hearth chiminea

australisch

keltisch

finnisch

suahili

GOORUNG

LOGE

LOGE

KOLE’za

Feuerstelle, hearth chiminea

Flamme, flame Hama

Flamme, flame llama

feuern, fire quemar

australisch

quechua

ph-sarangan

schottisch

COLLIN

KONOY

so’NOG

LOWE

Feuer, fire fuego

zünden, KINDLE encender

brennen, burn quemar

Feuer, fire fuego

marathi

thai

thai

australisch

CHUL

LUAG

LUG’may

o’RUCK’NURRA

Feuerstelle, hearth chiminea

brennen, heat calientar

brennen, burn quemar (BA)

gr. Feuer, fire gran fuego

australisch

telugu

maori

aynu

KUR’LA

ve’LUGU

HURU

HURE

Feuer, fire fuego

GLUt, embers braza (BA)

GLÜHEN, GLOW Flamme, flame arder llama

tungusisch

bengali

tibetisch

australisch

NGURE

a’GUN

KUN’duru

KUN’tun

zünden, KINDLE encender (TAG)

brennen, burn quemar (TAG)

GLÜHEN, GLOW Feuer, fire brazar fuego welsch

maori

maori

twi

CYNNAU

pa’HUNA

HUNU’HUNU

HUNE’HU

zünden, KINDLE encender

Feuer, fire fuego

versengt, burnt quemado

sengen, singe quemar

150

lappisch NJUOR Feuer, fire fuego

mentawei a’LU Feuer, fire fuego

quiché LU zünden, KINDLE encender

chinesisch faHUO lodern, burn llamar (BA)

chinesisch HUOyan Flamme, flame llama

irisch aibh’LEOG GLUt, embers braza (BA)

japanisch REIKA Feuer, fire fuego

griechisch KELE’os brennend, burning quemando

guarani GUEN’di zünden, KINDLE encender (TAG)

japanisch NEN’sho Verbrennung, com­ bustion, quemada

arabisch LIYAG Flamme, flame llama

samojed HILLA GLUt, embers braza

suahili mu’LIKA GLÜHEN, GLOW brazar (BA)

finnisch HIILUA GLÜHEN, GLOW arder

telugu RA’GILIN * zünden,-KINDLE encender

australisch KIN’ba Buschfeuer, bushfire fuego del bosque

polnisch o’GIEN Feuer, fire fuego

türkisch KIVIL’KIN * Feuer, fire fuego

maori paka’KINA GLUt, embers braza

maori HINA’tore GLÜHEN, GLOW arder

schottisch KINNEL zünden, KINDLE encender

telugu NIN’dinghu lodern, flame llamar (TAG)

quiché NIC lodern, flame llamar

aymara NINA Feuer, fire fuego

die hellbrennende Flamme gelb, man denke an Kerzenlicht, und natürlich ist ein Holzfeuer im Freien, das genug Zug (d. h. Sauerstoff) bekommt, leuchtend gelb, wenn das auch ein rötliches, »warmes« und ungemein angenehmes Gelb ist. Gelb ist auch heller als rot, was bei Kerze und Fackel sogar wichtig ist. Wenn also von dem so wichtigen Feuer auch ein Farbwort abzuleiten war, dann eben »gelb«. Das beantwortet also die Frage, warum GEL’B so oft von KALL abgeleitet wurde (vgl. Tafel 30). Die gelbe Farbe solcher von Menschen unterhaltener Feuer geht zum Teil auch auf das verwende­ te Brennmaterial zurück - Holz von Koniferen und solchen Pflanzen, die sich gegen Austrocknung mit ätherischen ölen imprägniert haben, brennt schon dieser Harze und öle wegen heller, genau wie weiland eine Petroleumlampe...

151

Tafel 30: GELB lateinisch GAL’bus

spanisch GAL’banado

griechisch GAL’biya

ph-manobo bo’LAQ

ph-subnun da’LAG

ph-kalagan ma’LALAG

thai LYANG

arabisch QALAcH *

batak ma’KALA’wag

spanisch CALA’mocha

ph-kallahan qamba’LANGA

bengali HALU’d

luwisch HALI

hethitisch HAHLAU’vant

quiche KAN

chinesisch HUANG

suahili man’JANO

französisch JAUNE

suahili m’NANA

ph-mansaka bi’NANING

japanisch RANO

australisch KORRAKO

ph-sambal ma’HOLYAW

batak LOHI’ta

bontok KÖNIG

quechua ph-kankaney KINA’QONIGAN CORI

arabisch KUL’fa(!)

spanisch GUAL’da

spanisch GUAL’dado

quechua HUILA

am.-spanisch LUAN

welsch me’LYN

australisch GUN’bari

ph-gaddang KUNIG

batak HUNIG

batak-karo KUNNIG

malayisch KUNING

ph-tagbanwa ma’KUNI’t

deutsch ma. GEEL

laddinisch GELG

lateinisch HELV’us

schottisch YELLA

finnisch KELLAN

quechua QELLU

aymara KKELLU

deutsch GIL’ben

ph-agta NGILA

ph-atta NGILA

ph-maobo KILA’wag

ph-isneg NAN’GILA *

aymara VILA

lateinisch GIL’bus

spanisch GIL’vo

australisch WILGEE

ph-kalinga mang’NGILA

dayak CHILAU

zigeunerisch DJILK’es

ph-itneg qama’LILIO

mentawei KINÄU

aynu NIKA'piw

tagalog GININ’tuan

spanisch ama’RILL’o

152

nordisch GUL

Auffallend ist, wie Kombinationen - mit einer TAG-Ausnahme - stets mit BA vollzogen werden, genau wie bei unserem GEL’B, wenn auch BA manchmal vorangestellt wird. Wir können wohl darin übereinstimmen, die klassische Prome­ theus-Sage als einen Ausdruck der Freude und des Stolzes darüber zu sehen, daß der Mensch von einem bestimmten Zeitpunkt an in der Lage war, selbst Feuer zu zünden. Da muß also ein Halbgott her - denn Menschen sind zu klein und da muß das so nützliche Element niemandem Geringeren entwendet werden als den Göttern selbst. Und für diesen, aus welchen Gründen immer, ungeheuren Frevel muß der Wohltäter der Menschen, Prometheus, auf das grausamste büßen. Wir wollen uns hier nicht aufhalten mit Parallelen aus anderen Mythologien, sondern aus diesem einen Beispiel das Wesentliche ablesen: Die außerordentliche Wert- und Einschätzung, die die Menschen diesem Wandel beimaßen. Das ist uns eigentlich nicht recht verständlich. Denn die Verfügbarmachung von Feuer zu jeder Zeit, wie sie die Lappenfrauen noch bis vor wenigen Jahrzehn­ ten praktizierten (als auch die letzten von ihnen von den billigen »tändstikker« der skandinavischen Staatsmonopole erreicht wur­ den), war doch im Grunde schon perfekt. Und wenn wirklich einmal einer von ihnen der Glutrest in der Holzschachtel verloschen war, fand sich in der Regel eine Nachbarin, die gern aushalf. Übrigenshat sich diese Sitte des Glutbewahrens auch noch gehalten, als man längst Feuer zu zünden verstand - selbst dann war es wohl noch bequemer. Woher und warum also die Aufregung? Nun, wir dürfen daraus schließen, daß auch frühen Menschen der Segen des Feuers seiner vielfältigen Wirkungen und Möglichkeiten wegen voll bewußt war. Sicherlich betrachteten sie es als ein Geschenk ihnen günstig gesinnter überirdischer Kräfte und Gestalten. Gerade weil sie das so intensiv empfanden, machte die Erfindung des Zündens sie unabhän­ gig und selbständig, sie waren plötzlich jenen Überirdischen eben­ bürtig und gleichgestellt. Stolz und Freude darüber kommen wohl am unmittelbarsten zum Ausdruck in dem erstaunlichen Brauchtum einiger Alpenlandschaften: Zu einer bestimmten Zeit im Jahresab­ lauf löschte man alle vorhandenen Herd- und Ofenfeuer, nur um neues Feuer auf alte Art zu schlagen und in allen Feuerstellen neues Feuer zu legen. Für den paläolinguistischen Feinschmecker sind schon solche Redensarten enthüllend: Feuer LEGEN hat mit unserem normalen »legen« oder »liegen« nichts zu tun, es ist eine alte KALL-Form für das Zünden wie schottisch KINNEL, während ein Feuer »anzustecken« wiederum nichts mit »stecken« oder »stechen« 153

Tafel 31: TAG und das Feuer maya

zigeunerisch

lappisch

lappisch

K’JAK

YAK

TZACH’HIT1

GAS’KAT1

finnisch JAKKA

TAKU1 japanisch

japanisch

finnisch

baskisch

TAKKA

YAKA

akkadisch

japanisch

lappisch

KADU1

YAKU

TSCHAKKE’TIT1 TAKI

baskisch

etruskisch

hethitisch

etruskisch

SU’TZAR

a’ZARU

a’SARU

SAZ

lappisch

japanisch

aymara

zigeunerisch

DASSAT1

TO’DAI

AK’TAYANA1

DATES2

japanisch

japanisch

DAN2

DAN’ro

tibetisch TSAN2

TANKA

aymara

hethi tisch

SANKKA

SANZ

tibetisch

etruskisch

TSA’ba2

SA

quechua SANSA suahili JOKO2

japanisch zapotek

DA2 aymara

KHOTO2

chontal

lappisch

quechua

englisch

TORA’ke *

DOR’RIT

TOI’huiy1

TORCH

baskisch

japanisch

japanisch

schottisch

TORTXH’e

TORI2

TON’DO

TAWN’ie

mazatek

suahili

tibetisch

maya

TSCHO1

TSCHO’ma1

YUG’pa

KUS

quechua

hattisch

japanisch

japanisch

CUSA2

TETE’KUZZ’an TSUKU *

finnisch

baskisch

japanisch

chaldäisch

SY’TYKE1

SUKE’TA1

SUKE’ru1

AT’TUN

a’TSUKE2

hebräisch

quechua

aymara

mapuche

AT’TUN

TUNNI

e’TUNNI

COTÜN2

deutsch

quechua

etruskisch

baskisch

ZÜND’en

YUNGA

ZUAS

zuzu

finnisch

baskisch

SYTTÄ1

SU

japanisch a’TSUI2

TSUI

japanisch

suahili

aztek

quechua

nahuatl

TEKE’TEZA2

TSCHIU

TECH’TIY2

TECUI1

baskisch

schwedisch

keltisch

deutsch

I’ZEKI1

TANNE1

TEINNE1

SENGEN

154

eifik TEM2

japanisch DENKA1

japanisch TEN’JIRU'

spanisch

quechua

tibetisch

quiche

TEA

puk’TIK2

TSIG-pa1

TSCHIX1

suahili

suahili

aymara

lappisch

ZIGA2

JIKO

TTIR’ina1

SIN

hethitisch TESA2

1 weist auf Zünden, 2 auf Hitze; Feuer und brennen blieben ohne Markierung.

zu tun hat, sondern eine TAG-Form fürs Zünden ist, weil weltweit mit der Erfindung TAG die Termini für das Zünden, für Hitze (statt Wärme) und schließlich für das Feuer selbst an sich zog. Warum und wie abgeleitet, ist noch nicht geklärt. Es kann der TAG-Stein sein, den man gegen einen anderen schlug, oder der Stecken, den man durch Reibung entflammte, jedenfalls sind beide, STEIN wie STECKEN, uralte, erste TAG-Wörter. Und doch haben sich Unterschiede erhalten. Während Wörter von BA und KALL den Begriff Wärme definieren, beschreibt TAG die Hitze und ganz besonders immer wieder das Zünden, das bei BA und KALL selten vorkommt. Man kann also folgern, daß die Erfindung des Prometheus zugleich den Umbruch zu TAG-Formen des Themenkreises »Feuer« bewirkte. Innerhalb der Aufstellung, die ich in dem Buch Protokolle der Steinzeit 1974 erstmals veröffentlichte, steht TAG 97mal für heiß, Feuer und Zünden, aber nur neunmal für die Empfindung von Wärme. 82mal bezeichnet es die Himmelser­ scheinungen, 31mal den hellen »TAG«. - Die Beispiele der Tafel 31 sind Wörter für Feuer und Hitze sowie für das Zünden. Während alpenländisches Brauchtum den urtümlichen Stolz an der Herrschaft des Menschen über das Feuer dokumentiert, bewahrt der Brauch der »Ewigen Flamme« oder des »Ewigen Feuers« im kultischen Bereich den Gedanken an das einst so wichtige Inganghal­ ten eines Feuerrestes, der sich jederzeit wieder zur hellen Flamme beleben ließ. Wie leicht ließen sich solchem Brauchtum, das die Erinnerung an frühere Lebensnotwendigkeiten bewahrt, religiöse Vorstellungen unterlegen, vom »Ewigen Leben« etwa oder von der Wiedergeburt. Alle Religionen kennen Kerzen und Licht als kultisches Szenario. Bei alledem spielte KALL seine besondere Rolle — manchmal als Ursache, ein andermal als Wirkung und Fort­ setzung an dieses Wort geknüpfter Vorstellungen. 155

KALL und das Lebendige

Die Wörtersammlung über Tiernamen ist eine der zahlreichsten Einzelabteilungen in meiner Kartothek. Es ist dies um so bemerkens­ werter als die üblichen Lexika nicht allzuviel, die Exotika herzlich wenig hergeben, weil die Fauna etwa von Innerafrika, Australien oder dem Amazonasgebiet kaum übersetzbar ist. Auch der Fragen­ katalog, der in alle Welt versandt und von freiwilligen Mitarbeitern beantwortet wurde, enthält außer der Frage nach dem Wort für »Tier« keine spezifischen Fragestellungen. Es würde ja auch zuviel Leerraum kosten, etwa Eskimos nach Elefanten und Indios nach Eisbären zu fragen... Man ist übrigens — nebenbei bemerkt - immer wieder verblüfft, wenn man einen solchen Terminus wie zum Beispiel »Tier« hinter­ fragt - das englische wortgleiche DEER bezeichnet Hirsch, Reh oder Hochwild allgemein, in romanischen Sprachen mit TORO den S’TIER. Wir erfahren also, welche Tierarten im Mittelpunkt menschlichen Interesses standen, als man dieses Wort von einer Art her auf die Fauna insgesamt verallgemeinerte. Bei KALL aber scheint man eher umgekehrt verfahren zu sein - es war ja auch viel früher. Die Unverfrorenheit, mit der da KALL auf alles angewandt erscheint, was da läuft, kreucht und fleucht und dazu noch schwimmt, ist überwältigend. Das kann einfach nichts mit der Benennung einzelner Arten zu tun haben, es kann nur bedeuten, daß die Menschen während einer langen Zeit alles, was sich bewegte, was lebendig war, schlicht und einfach KALL nannten, großes und kleines Getier, Mammuts und Mäuse, Muscheln, Maden und Mücken. Das ist gewiß seltsam, unsere Tafeln aber belegen es. Bei den Muscheln, Schnecken und allen Schalentieren mag da noch der Imperativ des Hohlen hereingespielt haben, wie auch bei den Pflanzen, der anderen Art von Lebendigem: hier bestimmen hohle Früchte, aber auch Teile wie beim HALm, SCHILf oder RÖHRICHt die Anwesenheit von KALL. Und das wiederum weltweit. 157

Da wird auch zwischen Säugetieren, Vögeln und Fischen kein Unterschied gemacht. Am deutlichsten wird bei den Fischen, wie sehr KALL einfach das Lebendige, sich Bewegende ohne weitere Differenzierung zu benennen hatte, denn gerade bei Fischen dürfte die Differenzierung noch später eingesetzt haben als bei Land- und Lufttieren. Wenn man das aber erst einmal weiß, dann ahnt man, daß auch heutige Namen nur Folgeformen der ursprünglichen Bedeutung des Lebendigen sein können - alle die QUALLen, SCHOLLen, KABELJAUS, die WALe und KAULquappen. Die zwei spätesten Neuentdeckungen oder Neuerwerbungen des steinzeitlichen Menschen sind der Hund und das Kanu. KAHN, NACHEN und KANU stehen unter dem Imperativ des HOHLEN, denn weil sie HOHL sind, trägt sie das Wasser - eine geniale Erfindung! Der HUN’d aber steht im offenbar ähnlich alten Imperativ des Lebendigen, und, das ist das Aufregende, beides geschieht noch vor rund 10000 Jahren. Damals gelang es dem Menschen, junge Wölfe zu domestizieren und in Gefangenschaft zu vermehren, zu züchten also, und es gelang ihm eine gegenseitige Zweckgemeinschaft, eine Art Symbiose, bei der jeder Teil soviele Vorteile hatte, daß er weniger angenehme Seiten des Miteinander in Kauf nahm. Seit aber Menschen KALL verwenden, wenden sie es auch auf sich selber an. Ihre Frauen, ihre Kinder wurden von KALL okkupiert, und auf dem Umwege über den Begriff »Mensch« schließlich auch die Männer. Von letzterem ging allerdings viel wieder verloren, sobald TAG auf der Bildfläche erschien. Diese Anwendung des Archetyps auf sich selbst ist sicherlich das Primäre, erst als das schon geschehen war, erweiterte man es auf alles Lebendige. Das Warum sollte uns nachdenklich machen. Es ist schwer in Worte zu fassen, aber sie müssen Wesensgleiches zwischen sich und den sie umgebenden lebendigen Mitgeschöpfen empfunden haben. Das heißt, ein solches Gefühl muß ihnen völlig natürlich und selbstverständlich gewesen sein, denn diese unsere frühen Menschen waren keine Philosophen, keine Geistesgrößen, sondern ganz einfa­ che Menschen, Leute von nebenan oder »von der Straße«, die es allerdings damals so noch nicht gab. Es ist nicht Sache des Paläolinguisten, das herauszufinden und zu beantworten, aber er muß aus seiner Sicht heraus diese Fragen an die kompetenten Leute vom zuständigen Fachbereich stellen können. Es erstaunt in hohem Maße, daß so spät noch, nach Jahrmillionen vorausgegangener Anwendung von Sprache, Archetypen so relativ

158

Tafel 32: HUNDE spanisch GAL’GO * WindHUND, greyHOUND, CAN

arabisch KAL’b HUND, HOUND CAN

suahili KALA’b HUND, HOUND CAN

SA-indianisch GUARA WindHUND, greyHOUND.CAN

maori KARA’REHE HUND, HOUND CAN

javanisch KALONG HUND, HOUND CAN

finnisch HALLI HUND, HOUND CAN

spanisch CAN HUND, HOUND CAN

laddinisch CHAUN HUND, HOUND CAN

laddinisch CHAGNA HÜNdin, female HOUND, bicha

arabisch HANAS HYÄNE, HYENA HIENA

lateinisch CAN’is HUND, HOUND CAN

australisch NAGGI HUND, HOUND CAN

hindi KHOL’sun WildHUND, wild dog, CAN salvaje

buruschaski HÖR JagdHUND HOUND, CAN

äthiopisch KHOLAcH SCHAKAL, JAKKAL, CHACAL

aynu HOR’kew Wolf, wolf lobo

mapuche CHOLA HUND, HOUND CAN

finnisch KOIRA HUND, HOUND CAN

schottisch COLLIE HUND, dog CAN

motilon mai’KONG WildHUND, wild HOUND CAN d.s.

griechisch KYONHUND, HOUND CAN

chinesisch chinesisch CHOW cou HUNdeart, type of HUND, HOUND CAN dog, tipo de CAN

nahuatl KOYO KOYOte, COYOT COYOta

lateinisch LYCAON HYÄNE, HYENA HIENA

bengalisch KU’KUR HUND, HOUND CAN

griechisch LYK’os Wolf, wolf lobo

aymara CHULO Wolf, wolf lobo

australisch yu’GURU HUND, HOUND CAN

australisch KUN’da HUND, HOUND CAN

samojed GUN’pe Wolf, wolf lobo

australisch KUA Dingo dingo

arabisch KEL’b HUND, HOUND CAN

setswana LEGA’tlape Köter, dog perro

weanerisch KEL’ef HUND, HOUND CAN

australisch KELI HUND, HOUND CAN

englisch KENNEL HUNDEgespann dos cans juntos

japanisch ban’KEN HUND, HOUND CAN

am.-spanisch QUIL’tro HUND, HOUND CAN

159

mapuche

französisch

tungusisch

suahili

QUIL’to

CHIEN

NGIN’daa

KIN’gugwa

HUND, HOUND CAN

HUND, HOUND CAN

HUND, HOUND CAN

HYÄNE, HYENA HIENA

rein auf Hunde und Schiffe angewendet wurden. Das stimmt zumindest sehr nachdenklich. Wir gesellen dem Hunde in unserer Tafel 32 noch Wolf, Schakal, Hyäne und Coyoten zu. Im Laufe seiner erfolgreichen Abrichtung zum Wach- und Jagdhund fanden TAG-Termini Eingang - DOGGE, DACKEL und die Umkehrung KÖTER zielten auf die scharfen Zähne und die anerzogene Bissigkeit und lösten KALL-Formen entsprechend ab. Angesichts der Überfülle an verfügbaren Beispielen ist im nächsten Abschnitt auf zunächst einmal das eingeengt, was wir im weitesten Sinne als »Vieh« bezeichnen. Nun ist gerade diese BA-Form auch nicht ohne Hintergrund. »FJE« im Norwegischen und FÄ im Schwedischen bedeuten zwar das gleiche, aber noch etwas deutlicher als im Deutschen sind damit die Muttertiere eines Herdenbestandes gemeint. Das wird noch deutlicher in der »FÄHE«, dem weiblichen Fuchs oder Wolf. FÄ aber ist inhalts- und wesensgleich mit dem FE etwa in der lateinischen FE’MINA oder der FE’FINA der Tagalog von den Philippinischen Inseln. Ein weiteres Mal also kein Wesensunterschied zwischen Mensch und Tier, zwischen Muttertieren und Menschenmüttern... Neben dem Vieh zeigt die Tafel 33 noch Tierarten, die dem Menschen des Jungpaläolithikums geläufig gewesen sind, denen er täglich begegnete und die seine Beute ausmachten. Nicht aufgenom­ men sind Raubtiere, nicht einmal die Katzen. Zwar sind die LÖWen etwa bei KALL geblieben, im Grunde aber zu Unrecht, sie hätten ruhig zu TAG überlaufen können wie TIGER, JAGUAR und unsere KATZE auch, des scharfen Gebisses und der gefährlichen Krallen wegen, die TAG herausfordern. Die KATZE ist dabei nur ein seitenvertauschter TIGER: KATZ=TZAK, das sagt genug. Auch beim Hund verwenden wir den Ausdruck KÖTER ja dann, wenn es

160

Tafel 33: TIERE des frühen Menschen heute deutsch

mittelhochdeutsch

äthiopisch

kashmir

GAUL

HAL’pful

JAAL

KAIL

Pferd, NAG CAVALLO

Frischling, young ofwild boar

Wildziege, wild goat, cabra salvaje

sib. Ziege, sib. goat, cabra sibirica

ilocan

arabisch

griechisch

laddinisch

CAL’ding

HAL’bat

KAL’pe

chu’CAL

Ziege, goat cabra (TAG)

GAUL, horse CAVALLO (B A)

GAUL, horse CAVALLO

SCHWEIN, boar cerdo

tibetisch

französisch

hindi

guarani

KAL-ma

CHEVAL

KAL’ki

ba’GUAL

GAUL, NAG CAVALLO

wildes RINd, wild cattle, vacadesalvaje

Lasttier, beastofbur- GAUL, NAG den, animalde cargos CAVALLO mongolisch

englisch

deutsch

spanisch

sar’LAK

CAL’f

* WALLACH

CHALA’te

Yak yak (TAG)

KALB ternero

GELding CAVALLO capon

GAUL NAG

tagalog

mentawei

suahili

suahili

KALA’baw

KALA’ba

mba’WALA

pala’HALA

Antilope antilop

Säbeiantilope antilop (BA)

Wasserbüffel, buffa­ Hirsch, deer lo, búfalo d. agua ciervo suahili

bantu

am.-spanisch

suahili

ba’GHALA

IN’YALA

CHALA’te

a’YALA

Muli, mule mulo

Antilope antilop

Mähre NAG

Hirsch, deer ciervo

polnisch

thai

dayak

mongolisch

JALOWKA

CHALUU

KALEO

ar’GALI

Färse, heifer, novilla

Ochse, ox buey

Büffel, buffalo bufalo

Schaf, sheep cordero

tibetisch

tibetisch

griechisch

laddinisch

GLAN

GLAN-to

ALKE

CHAVAGL

Ochse, ox buey

Büffel, buffalo búfalo

ELCH, ELK ALCo

GAUL, NAG CAVALLo

etruskisch

NA-indianisch

persisch

luwisch

LAIVE

mai’QUAW

GAU

HAUI

RINd, cattle vaca

Bär, bear OSO

KUH, COW vaca

Hammel, ham cordero

arabisch

thai

hindi

chinesisch

HAU’wan

KWANG

may’CAY

KIANG

Tier, animal animal

Hirsch, deer ciervo

Ziege, goat cabra

Wildesel, wild ass asino de salvaje

161

arabisch

aynu

griechisch

australisch

HAN’tab

KU’CAN

KAN’delos

KAN’GAROO *

Ziege, goat cabra

Bär, bear

Packesel, ass asino

KÄNGURUH CANGAROO

OSO

bantu KAIN’si Klippspringer genere de gazela

tibetisch

slowakisch

arabisch

R’KAN-gros

JAHNA

GANA’m

Zuchtvieh, cattle animales de casta

Lamm, lam cordero

Schafe, sheep corderos

aymara

loma

¡locan

slowakisch

GUANACO

to’GANI

CAANI’malan

KANEC

GUANACO

Haustiere, cattle animales de casa

Vieh, cattle animales de casa

KEILER, boar cerdo macho

englisch

schottisch

NAIG

GAUL CAVALLo

Reitpferd CAVALLO

arabisch NAGA $ Kamel, camel camelo

bantu

NAG

Zulu

hindi

NAHOOR

Antilope antilop

Schaf, sheep cordero

eifik e’NANG Vieh, cattle animales domestic.

kisuahili

NAGOR

Antilope antelop

malayisch ANOA Waldbüffel, buffalo búfalo de bosque

ukwani ANU Tier, animal animal

finnisch

KAR’ja

NAKONG Antilope antilop

NAN’GUER

hindi

aymara

GAUR

KAR’wa

RIND, COW vaca

Lama, lama lama (BA)

finnisch

dayak

batak

KAR’ju

KAR’bau

KAR’bo

Vieh, cattle animales domestic.

KEILER, boar cerdo padre

Büffel, buffalo búfalo (BA)

Büffel, buffalo bufalo(BA)

eskimo

finnisch

irisch

irisch

KARI’bou

KAR’HUN *

LARACH

CAORA

REN.RENdeer REINo(BA)

Bär, bear OSO

Mähre, NAG CAVALLO

Schaf, sheep cordero

finnisch

griechisch

griechisch

hindi

KAUR’is

KARA

GARO’tas

bah’RAINGA

Ziege, goat cabra

Ziege, goat cabra

Ochse, ox buey

Hirsch, deer ciervo

lappisch RANAG REN.RENdeer RENo

irisch

englisch

australisch

COLLACH

bul’LOCK

KOALA

KEILER cerdo padre

Ochse, ox buey

KOALA-Bär, koala coala

162

australisch

tungusisch

setswana

griechisch

KOOLA

LOGO’so

pholo’GOLO

KOL’os

KÄNGURUH CANGAROO

REH, deer CORzo

Tier, animal animal

Ziege, goat cabra

polnisch

tungusisch

mongolisch

irisch

WOLOW

LÖKÜ

KOULAN

COILEAN

RINd.COW vaca

GAUL, NAG CAVALLo

Wildesel, wild ass asinodesalvaje

Jungtier, voung animal, animal joven

laddinisch

tibetisch

tungusisch

australisch

COLI

dud-GLO

GOR

GORANG

Schaf, sheep cordero

KÄNGURUH CANGAROO

Rappe, black horse Tier, animal CAVALLO negro animal

irisch

slowakisch

bantu

suahili

LOILIOCH

KON

NAKONG

KON’GONI *

KUH, COW vaca

GAUL, NAG CAVALLo

Antilope antilop

GNU

suahili

suahili

bantu

finnisch

KON’GORO

KON’doo

KON’zi

KON’tio

Bulle, bull toro

Schaf, sheep cordero (TAG)

Hartbeest

slowakisch

finnisch

tungusisch

tibetisch

KONIK

KONI

HONIN

NOR

GAUL, NAG CAVALLo

GAUL, NAG CAVALLO

Schaf, sheep cordero

Vieh, cattle, animales domesticados

thai

samojed

tibetisch

eskimo

KHOO

GUOU’za

LUG

LUK

KUH, COW vaca

Bär, bear

Schaf, sheep cordero

Tier, animal animal

thai

tibetisch

mongolisch

gälisch

LUUG’NGEE

LUG-GU

GUL’jar

KYL’des

KALb, CALf ternero

Lamm, lam cordero

Wildschaf, w. sheep RINd, COW cordero de salvaje vaca

suahili

finnisch

quechua

tungusisch

* KULUNGU

e’LUKKA

LUYCHU

LUKUCEN

Antilope clase de antelop

Tier, animal animal

Hirsch, deer ciervo

ELCH, ELK ELGo

suahili

mapuche

thai

irisch

NGULU’we

CULLIN

KUN

CUINGIR

SCHWEIN, pork cerdo

Tier, animal animal

SCHWEIN, pig porco

Pferde, 2 horses dos CAVALLos

OSO

Bär, bear OSO

163

quechua CHUN’KU Vieh, cattle animales

quechua vi’KUÑA Lamaart, type of lama, clase de lamas

afrikanisch GNU antilope antelop

maori KUAO Junges, young, kid joven del animal

arhuaco ANA’NUGA Tier, animal animal

hindi mar’KHUR Wildziege, wild goat cabra de salvaje

suahili NGURUwe SCHWEIN, pig cerdo (BA)

guarani CURE Ferkel, sucking pig, cerdito

tibetisch KURUG Fohlen, COLt potro

samojed ELLEKA ELCH, ELK ELGo

griechisch KEYL’os Esel, donkey asino

griechisch KEL’es GAUL, NAG CAVALLo

deutsch REH deer CORzo

norwegisch REIN REN, RENdeer RENo

thai KEENG Hirsch, deer ciervo

schottisch GILLIE GAUL cavallo

irisch GIN Lebewesen, living being, animal

suahili KIN’da Tierjunges, kid joven de un animal

suahili KINO’KERO * Gazelle, gazel gazela

japanisch NIK Antilope antelop

sich um ein bissiges Tier handelt. Selbst unsere Zähne gehorchen ja dem TAG. Es sei nochmals auf die deutliche Wahrscheinlichkeit dafür hingewiesen, daß auch hier - wie bei der Landschaftskennzeichnung - nicht Namen, sondern Wörter, in diesem Fall für »Tier«, die Szene beherrschen. Gerade auch bei der allgemeinen Bedeutung »Vieh« wird das klar, weil viele Sprachen noch heute keine unterschiedlichen Ausdrücke für »Vieh« und »Tier« kennen. Und war erst einmal das eigene Vieh »Tier« genannt, wieviel eher dann auch alles andere, was sich in Sicht- und Greifweite befand. Auch das hier des öfteren in der Übersetzung verwandte Wort ANIMAL ist ja wiederum nicht ohne Hintergrund, geht es doch auf das lateinische ANI’MA zurück, was wahlweise »Atem« oder »Seele« bedeutet. Nun stürzen sich natür­ lich die Philosophen unter uns erst einmal auf den Umstand, daß die Antike für Seele und Atem das gleiche Wort benutzte, diese beiden Begriffe also für identisch und austauschbar gehalten haben muß. Wir hier interessieren uns aber nur für den Umstand der Definition des Lebendigen entweder vom Faktum des Atmens her - oder, noch aufregender, billigte man im Altertum den Tieren schon eine SEELE

164

Tafel 34: Die Welt der Vögel englisch

laddinisch

australisch

tibetisch

QUAIL

GIAL

* GALAH

G’LAG *

Wachtel codorniz

HAHN, cock GALLo

Papageien-Art nur in Australien

Adler, EAGLE AGUILa

am.-spanisch

spanisch

australisch

mapuche

CAL’QUIN *

GAL’farro

KAL’tes

CAL’QUIN

Adler-Art d. Anden EAGLE, AGUILA

Sperber, HAWK HALCON

Emu, ein gr. Laufvogel, emu.emu

Steinadler Chiles EAGLE, AGUILA

deutsch

laddinisch

quechua

quechua

SCH’WAL’be

GAL’diner

WALL’pa

yana’KALL’wa

S’WALLOW COLONdrina

Truthahn, turkey pavo

HUHN.HEN GALLINa

SCHWALbe SWALLOW

mapuche

spanisch

spanisch

australisch

HUALA

CALA’dre

GALLA’RON

* GARAGA

Ente, duck ANAde

LERCHE LARK

ROHRdommel bittern

KRANICH CRANE.GRULLA

griechisch

irisch

maori

arabisch

KALA’vis

LACHA

KARA’kahia

GARAN

graue Ente, grey duck, anade gris

Adler, EAGLE AGUILA

kl. Vogelart, small Ente, duck type of bird, pajaro ANAde australisch

griechisch

guam

ilocan

KA’KALAN

KALAN’dros

KALALAN

CALA’pati

Habicht, HAWK HALCON

LERCHE, LARK alondra

langschnäb. Vogel- Taube, pigeon art, engl. CURLEW COLOMba

tibetisch

hindi

lateinisch

maori

KALA’pin

ar’GALA

LAGO’is

KARORO

Pfau,peacock pavo

eine Art Marabu marabú

Auerhahn, heath cock, GALLo m.

schwarzrück. Möwe black-backed GULL

suahili

mapuche

spanisch

hindi

KWALE

CAULLE

GALLIN’a

KALIJ

RebHUHN perdiz

Möwe, GULL gaviota

HUHN.HEN gallina

Fasan, phesan faisan

w.-ind. Inseln

deutsch

ph-in 15 Spr.

guayana

KYALLIE

ALK

GAYANG

GUAN

der grüne Heron green heron

Meeresvogel, AUK KRÄHE, CROW CORNEJA pajaro del mar

aymara

quechua

tibetisch

finnisch

KKANKKA

CANCA

KAN-KA

KANA

HAHN, cock GALLO

HAHN, cock GALLO

REIHER, HERON HENNE, HEN GARza GALLINa

Vogelart, type of birds, clase d. pajar.

165

guarani NAHANI

guarani

slowakisch

australisch

KANA

poo’KANAH

Bussard, HAWK HALCON

Albatros

mapuche

australisch

australisch

maori

CANIN

boo’RAN

be’RALLAH

pa’KAU

HAHN, cock GALLO

PeliKAN

Enten-Art, duck el. de añades

Milan, HAWK HALCON

maori

guarani

náhuatl

australisch

KA’HU

CAU’CAU

CUAW

KOLKA’WILL

Falke, HAWK HALCON

Vogelart, type of birds, cl.depaj.

Adler, EAGLE AGUILA

Greifvögel pajaro de caccia

irisch

mordwinisch

lateinisch

australisch

COL’m

LOK’sii

COR’NIX

GOLLA-WILLEL

Taube, pigeon COLOmba

SCHWAN, SWAN CYGNE

KRÄHE, CROW CORNEJA

Haubentaube, pi­ geon, COLOmba

australisch

polnisch

australisch

mazatek

beri’GORA

GOLA’b

GOOLAY-yali

KOLO

kl. Falke, m. HAWK HALCON minor

Taube, pigeon COLOmba

Peli’KAN

Truthahn, turkey pavo

CARA CARA

Wasserhuhn, water Vogel-Art, type of HEN birds, clase de paj.

spanisch

mapuche

mapuche

australisch

GOLON’drina

COLLONCA

KORORA

GOROKE

SCHWALbe SWALLOW

Art HUHN, HEN tipo de GALLINA

kl. blauer Pinguin penguin

ELster, magpie URRACa

suahili

tasmanisch

australisch

griechisch

KORONGO

GOOLUNG’ta

KOOLYN

KOLLYR’is

Adler, EAGLE KRANICH CRANE, GRULLa AGUILa

schwarzer SCHWAN Vogelart, type of bl. SWAN, CYGNE birds, cl.depaj.

tasmanisch

suahili

australisch

irisch

KORÜNA

CHOLE

KOL’et

* COILEACH

Adler, EAGLE AGUILA

Vogelart, bird pajaro

Taube, pigeon COLOmba

HAHN, cock GALLo

finnisch

thai

suahili

thai

LOKKI

NOG

KON’goti

HONG

Möwe, GULL gaviota

Vogel allg., bird payaro en general

Storch,stork CiGUEÑA

SCHWAN, SWAN CYGNE

australisch

mapuche

suahili

australisch

GOONA

CONO

KOI’KOI

KOI’RANAH

SCHWAN, SWAN CYGNE

Taubenart, pigeon COLOmba de SA

REIHER, HERON Adler, EAGLE GRULLa AGUILa

166

englisch

quechua

mapuche

GULL

KULL’ku

HUIL’qui

KUR

Möwe gaviota

Turteltaube, pi­ geon, COLOmba

Drossel, thrush tordo

HUHN, HEN GALLINa

arabisch

quechua

mapuche

spanisch

GUR’NUQ

CHULLA

HUALA

GUALA

Sumpfvogel, bird ofbogs, paj.

Schwimmvogel, of the sea

KRANICH Tauchvogel, diving CRANE, GRULLa bird, paj.delmar

slowakisch

hindi

polnisch

guarani

hawai

KULANG

KURA

GÜIRA

HULU

Vogel allg., bird in general, pajaro

Honigsauger, bird sucking honey

KRANICH HUHN, HEN CRANE, GRULLa GALLINa

telugu

guarani

australisch

quechua

pu’LUGU

CURU’CAU *

CURRINGA

KUN’tur

Vogel, bird pajaro en general

Vogel-Art, bird clase de pajaras

schwarze Ente, black KONdor duck, anade negra

slowakisch

tibetisch

quiché

mapuche

GUNAR

KUNALA

QUEL

QUELUY

GANter, male goose Vogelart, type of bird Papagei GANso clase de pajaro

Greifvögel, bird of prey, paj. de caccia

aymara

australisch

arabisch

quechua

LEKE’LEKE

KIL’KEE

GIR’GIR

KILLI’chu

Möwe, GULL gaviota

WasserHUHN waterHEN

guinea-HUHN,-HEN Falke, HAWK GALLINa de Guinea HALCON

Der genaueren Beschreibung zuliebe muß hier gelegentlich auf die Übersetzung ins Englische oder Spanische verzichtet werden.

zu? Wurden Tiere zu den »be-seel-ten« Wesen gerechnet? Nun, das Wort ANI’MA ist eine KALL/Ba-Kombination und gibt auch dem Paläolinguisten nur eine zwei-deutige Antwort: LUNGE wie SEELE sind KALL-Formen... Die Tiergruppe der Vögel (vgl. Tafel 34) hat neben dem Aspekt des allgemeinen Lebendigen noch eine besondere Beziehung zu KALL von »CAELum«, vom Himmel her, in dem sich Vögel frei bewegen. Auch das Wort F’LÜGEL ist eine BA/KALL-Kombination wie PF’LEGE oder PF’LUG, nur kann hier der KALL-Anteil auf »Himmel« deuten. Nicht nur in klassischen Mythologien, schon in der Steinzeit dienten die Vögel allgemein und einige bestimmte besonders deutlich

167

allegorischen Zwecken bei der Darstellung des himmlischen, überir­ dischen oder jenseitigen Bereichs menschlicher Glaubenswelten. Der Mensch hat offenbar früh gelernt, das Verhalten besonders der großen und daher gut sichtbaren Vögel zu beobachten. Das mag bei der primitiven Erfahrung begonnen haben, daß es da, wo jene kreisten, möglicherweise auch für diese etwas zu ergattern gab von den übrigbleibenden Brocken der Raubtiermahlzeiten. Die Tischsit­ ten etwa von Löwen sind ja auch nicht die feinsten, denn da balgen sich alle miteinander, und am anspruchsvollsten sind diejenigen, welche die geringsten Verdienste an der Beute erworben haben. Es ist immer wieder lustig, bei heutigen Filmdarstellungen zu beobachten, wie aufdringlich und dreist sich die wartenden Schakale und Aasvögel an die raufenden, reißenden und schließlich schlingenden Großkatzen heranwagen, um diesen oder jenen Fetzen schon zu erwischen, bevor deren Sättigung eingetreten ist. Frühe Menschen kamen ziemlich zweifellos auf die gleiche Weise zu ersten Fleischge­ nüssen. Da sie sehr viel kleiner waren als wir, flößten sie ihren Konkurrenten nicht allzuviel Respekt ein. Sicherlich begann die Beobachtung von Lebendigem im Wasser später, und zweifellos hatte es mit einer Unterscheidung Zeit bis zu erstem Fischfang. Nur kann man diesen auch schon relativ früh vermuten, sind doch Naturvölker »auf Steinzeitstufe« sonst meist schon geschickte Fischer mit einfachsten Mitteln, ganz zu schweigen von den Bären Alaskas. Darstellungen von Fischen finden sich sowohl in den Höhlen der Pyrenäen wie an Felswänden Spitzbergens, wo sogar Wale abgebildet sind. Die Tafel 35 vermittelt einen lebendigen Eindruck von der KALL-Rolle bei Fischen. Wenn wir uns erinnern, daß die Abwandlung des Mittelvokals von A über alle denkbaren Laute bis zum I für die Zugehörigkeit ohne jede Bedeutung ist, dann wird einmal mehr deutlich, wieviele KAL-, KUL-, KIL-Formen in unmittelbarer Urform oder in nächster Nachbarschaft zum Archetypen den allgemeinen, nicht auf bestimm­ te Arten beschränkten Sinn »Fisch« - oder ursprünglich noch einfacher »Tier« - haben. Und das, wie dargestellt, weltweit. Heute weltweit... Während wir in unserer Zeit noch miterleben, wie ganze Stämme an den Küsten, ansonsten »auf Steinzeitstufe«, vom Fischfang leben, ja, zum Teil andere tierische Nahrung kaum kennen, dann dürfen wir vermuten, daß auch frühe Menschen an dafür geeigneten Gewässern sehr wohl das Handwerk Petri schnell erlernten und ihre Fangmetho­ den auch von Land aus verfeinerten. Fischer aber waren es ja wohl, 168

Tafel 35: Fische norwegisch

deutsch

hindi

thai

KVAL

LACHS

KAL’basu

CHAL’aam

WAL, WHALE VALLENA

Salmon salmon

Barbe, barbel barbo

HAI, shark ESCUALo

spanisch

griechisch

samojed

KALLA’rias

ak’KALAGGES

KABELjau cod

algonkin mas’KALONGE * Hecht, pike SOLLo

Dorsch, cod LANGA

HAI, shark ESCUALO

griechisch

suahili

NA-indianisch

finnisch

GALLAZ

KALA’mbezi

ma’HALLA

si’LAKKA

LACHS, salmon salmono

HERING, HER­ RING, ARENQUE

LANGA

SCHELLfisch, had­ Makreele, mackrel dock, pescadilla macarela

finnisch HATKALA HAI, shark ESCUALO

griechisch

spanisch

keltisch

se’LACH’os

GALLO

CARROCO

HAI, shark ESCUALO

Wimpern­ fisch

Stör, sturgeon esturión

lateinisch

deutsch

suahili

mapuche

S’QUAL’us

AAL

GAU’GAU

CAU’que

HundsHAl, dogshark, ESCUALo

EEL ANGUILA

Flunder, flounder rodaballo

kl. Flußf. small fresh-water fish

australisch

englisch

finnisch

maori

KAAN’dha

LOACH

KOL’ja

to’HORA

WAL, WHALE VALLENA

WELS GLANo

Dorsch, cod LANGA

WAL, WHALE VALLENa

quechua

Baikalsee

maori

lateinisch

ho’KOLLO

GOLO’mynca

NGOIRO

GON’ger

KAULquappe tadpole

ölreicher Fisch sculpin

See-AAL, sea-EEL CONGER AAL -EEL, ANGUILA ANGUILA del mar

australisch

NA-indianisch

englisch

KON’darle

nos’KONONGE KUL’p

NGURU

WAL, WHALE VALLENA

Forelle, trout truito

Kingfish pescado real

HAI ESCUALo

suahili

suahili

15 sib. Spr.

suahili

englisch

GURU’GURU

GUOLLE

GULE’GULE

LUCE

SCHOLLE, plaice lenguado

v. KALbisKVEL = Fisch allg.

Tintenfisch CALA’mar

Sollo

hawai

suahili

australisch

australisch

a’KULE

KUN’GU

KYENA

KUNARA

Trachurops brachychira

guter Speisefisch muy bien a comer

Barracuda

Tigerhai, tiger­ shark

Hecht, pike

169

quiché CAR

mapuche CHALL’hua

quechua CHALL’wa

irisch bal’LACH

gälisch pol’LACH

hawai KALA

finnisch KALA

ph-atta NGALA’p

NA-indianisch JALLAO

norwegisch LAKA

hindi mir’GHALA

maori pi’HARAU

polynesisch KAHALA

finnisch sa’LAKKA kniitoi palu’KALUKA

loma KALE’te

mapuche LLAUQI

ilocan I’CAN

ph-tagbanwa QIAN

mapuche ma’CANA

japanisch sa’KANA

maori I’KA

sumerisch HA

ph-mansaka KAYA

maori KAEO

NA-indianisch CAI’man

mapuche CHOL’GO

ph-ifugao do’LOG

australisch KON’GOOLA *

maori KOURA

griechisch KOLO’ios

australisch WOLLO’mai

suahili KOLE’KOLE

suahili CHOLE

ph-gaddang KORORAW

suahili MKONGE

australisch KOOYA

australisch CUL’ma

chakaszki pa’LYG

motilon bira’GURU

suahili MKULE

griechisch LEYR’os

luo RECH

ph-kallahan pa’QILLING

schwyzerisch KILCH

ph-sangil KINAQ

australisch KINE

maori pa’KAURUA

Bei der Bedeutung »Fisch allg.« oder bei nicht näher ersichtlicher »FischArt« entfällt det Text der dritten und vierten Zeile.

die sich als erste aufs offene Wasser und schließlich auch aufs offene Meer hinauswagten oder hinausgetrieben wurden. Thor Heyerdahl hat mit seiner Pazifik-Floßfahrt dieses Scenario gewissermaßen nachgestellt und gezeigt, wie man aus dem Meere leben und auf dem Meere lange überleben kann, solange wie im allgemeinen nötig, um irgendwo wieder auf Land zu stoßen. Nicht einmal verdursten muß man dabei: Das aus rohen Fischen gesaugte Wasser ist Süßwasser. Im Binnenlande fischte man noch vor der Erfindung besonderer Geräte, wie Reusen oder Netze, indem man kleinere Buchten durch

170

eine dichte Kette von Menschen absperrte und dann unter lautem Geschrei und durch Schlagen aufs Wasser die Fische gegen den Strand trieb, wo man sie schließlich mit den Händen einfing. Ein geschickter Fischer kann etwa Forellen auch in Bächen mit der Hand fangen, wenn ihm nicht entgeht, wohin die blitzschnelle Flucht den Fisch geführt hat. Dort verharrt er instinktiv reglos und kann durch behenden Zugriff gehalten oder aufs Land geworfen werden. All das und mehr dürfen wir unseren frühen Vorläufern zutrauen. Aber man fischte nicht nur Fische, sondern an Meerufern auch Schalentiere. Krabben, Krebse, Schnecken, Muscheln von den einfachen Miesmuscheln bis hin zu Austern waren für viele an Küsten lebende frühe Menschen nicht nur Leckerbissen, sondern tagtägli­ cher Eiweißanteil der Nahrung. Berge von leeren Schalen bezeugen an manchen Küstenstrichen des Pazifik, daß hier jahrtausendelang Menschengruppen aus dem Meere auf diese einfache Weise gelebt haben. Wenn SCHALENtiere das KALL noch zusätzlich auf sich gezogen haben, dann eben wegen dieser innen hohlen Schutzschilde. Davon blieben weder SCH’NECKen noch Schildkröten verschont. Im Anhang findet man diesen Aspekt dokumentiert - Tafel XV: Schalentiere. Es verdient noch eine Anmerkung, daß die KALLSCHALE natürlicher Abkunft auch bei der vom Menschen nachge­ schaffenen SCHALE sprachlich Pate gestanden hat. Im altägypti­ schen Alphabet ist das Zeichen für den Buchstaben K eine SCHALE, später ein LOCH-Stab - deutliche Hinweise auf ein mit K beginnen­ des, also KALL-Wort auch noch im Ägyptischen. Tafel XVI des Anhangs gibt noch eine kleine Übersicht über das Sonderkapitel SCHLANGE. Es verdient eine getrennte Auflistung, weil die Einstellung der Menschen zur Schlange anscheinend schon früh eine besondere war. Sie ist immer für eine Überraschung gut, wenn sie in Erscheinung tritt, sie war so gefürchtet wie verehrt. Aus der Antike stammt ihre Einschätzung als Helfer in der Heilkunst, als Symbol der Klugheit. Ägyptische Potentaten führten sie als ehrenden Kopfschmuck, und in den Religionen der frühen Hochkulturen galt sie als Garant ewigen Lebens und ständiger Wiedergeburt — warf sie doch jährlich einmal die ältliche Haut ab und kroch aus ihr wie neugeboren hervor. Erst in der alttestamentarischen Schöpfungsge­ schichte wurde die Rolle der Schlange in den Hochkulturen in ihr Gegenteil verkehrt, als Folge einer Umwertung insbesondere der Gewichtigkeit der Frau in Glaube und Gesellschaft. Auf Tafel XVIII der Dokumentation ist nochmals, frei von 171

Unterteilung, ein Einblick in die außerordentliche Häufigkeit des Archetyps KALL bei Tiernamen gegeben. Es sei an die einleitende Anmerkung erinnert, wonach dies überraschend sei angesichts der eher mageren Quellen. Könnte man die gesamte Fauna jeder Sprache ausschöpfen, würde sich ein Vielfaches an verfügbaren Beispielen ergeben. Die Tiernamen der Texttafel 33 decken auch jene Tiere zum größten Teile mit ab, welche wir in Höhlen und an Felsüberhängen Europas, Afrikas, Asiens und Australiens von Menschenhand gezeichnet, geritzt und gemalt vorfinden. Was nun das uns nächstlie­ gende steinzeitliche Höhlenrevier Frankreichs betrifft, so hat der französische Forscher Leroi-Gourhan beim Vergleich aller Fundorte eine gewisse Anordnung entdeckt, die sich überall wiederholt und daher nicht zufällig entstanden sein dürfte. Ohne seine Deutung einer Aufteilung in männliche und weibliche Zonen zu akzeptieren, kann aber festgestellt werden, daß die wichtige Mittelgruppe der Malerei­ en fast nur aus Tierdarstellungen besteht, die wir heute noch bei KALL-Namen kennen. Hinzu mag kommen, daß zur Zeit der Malerei selbst noch mehr Tiere KALL-Namen trugen als in unseren heutigen Sprachen. Die Anhäufung von KALL-Tierdarstellungen im Zentrum aber hat ganz gewiß einen Sinn, auf den wir zurückkommen werden, wenn wir uns im letzten Teil dieses Buches den Höhlenkulten aus der Sicht der Paläolinguistik zuwenden werden. Zunächst aber steht uns noch die Bedeutung des Archetyps im zwischenmenschli­ chen Leben bevor. Wir wenden uns also dem Menschen, genauer: der Frau, zu.

Die FRAU — Lösung vieler Rätsel

Wer sich auf welche Weise immer in die Paläolinguistik einarbeitet, kommt früher oder später zu einer dann selbstverständlichen Kenntnis der archetypischen Ausformungen in heutigen Sprachen. Man geht dann dazu über, in beliebigen alphabetischen Wortsamm­ lungen fremder Sprachen zuerst nach diesen Formen — KAL bis NAK und LAG bis NIN usw. - Ausschau zu halten und ist in aller Regel überwältigt von der Fülle der Formen im Bereich der KALL-Sinngehalte. Wenn man das lange genug getan hat, schälen sich bestimmte Gruppen heraus als quantitativ häufiger als andere. Nun sind jedem Archetyp assoziativ nachrangige Sinngehalte verbunden, die zusam­ men eine erhebliche Bandbreite erreichen. Das ist bei der Frau und all den Aspekten dieses Begriffes in besonderer Weise der Fall. Unter all den Bereichen, die KALL abdeckt, nimmt der das Weibliche umgreifende den größten Raum ein. Schon 1974, in Protokolle der Steinzeit, habe ich diesem Thema ein besonderes Kapitel gewidmet. Wenige Jahre später gewann ich drei weitere Wissenschaftler zu einem gemeinsamen Buch über die Urgeschichte der Frau (Weib und Macht). Es ist ein unerschöpfliches Thema, weil es ein in hohem Maße zentrales Thema der Mensch­ heitsgeschichte ist. Aus der Überfülle der weibliche Aspekte betreffenden Wörter in den an die 200 Sprachen umfassenden Wortschatz schloß ich auf eine lange Periode weiblicher Vorherrschaft, auch und vor allem wegen des gravierenden Mangels gleichgewichtiger Termini maskuliner Herkunft. Inzwischen habe ich gelernt, daß das gar nicht anders hat sein können. Es hängt zusammen mit der an sich selbstverständlichen, aber erst in jüngster Zeit ins Bewußtsein der Wissenschaft gerückten Tatsache, daß wir Menschen zoologisch zur Gruppe der Säugetiere gehören. Joachim Illies hat damit um 1970 den Anfang gemacht (Zoologie des Menschen), andere folgten ihm bald nach. Seither haben Anthropo­

173

logie und Verhaltensforschung weitere große Fortschritte gemacht, in deren Folge wir immer bescheidener in dem zu werden hatten, was wir vermeintlich den Tieren voraus haben. Weder der Werkzeugge­ brauch noch zuletzt die Lautsprache konnte solcher Umwertung aller »menschlichen« Werte standhalten; Noch-Tiere wie die Primaten verwenden Werkzeuge, wenn auch in ihrer natürlichen Form, und wenn der Ramapithecus vor neun Millionen Jahren die bei ihm bereits vorhandenen Anlagen zu einer Lautsprache nutzte, dann haben »Tiere« auch schon gesprochen - auch das wieder eine Frage der Definition: Bewußte gegenseitige Verständigung und Austausch von Informationen ist auch unter Tieren weit fortgeschritten, sei es bei den Bienen, deren Tänze über Richtung, Entfernung, Art und Fülle der mitgeteilten Tracht genaueste Auskunft geben, oder sei es bei den Jungstörchen, die sich vor ihrem ersten getrennten Überwin­ terungsflug nach Afrika »verloben«, um sich im kommenden Frühling wieder zu treffen und an die Gründung einer Familie zu gehen. Will man »Sprache« von tierischen Errungenschaften abgren­ zen, muß man immer engere Kreise ziehen. An der zoologischen Tatsache, den Menschen als Säugetier eingeordnet zu sehen, interessiert uns hier ein besonderer Umstand. Ein Huhn oder eine Ente legt eine Anzahl Eier je nach Hochrech­ nung der Natur für die Überlebenschancen der Art und brütet sie aus. Sobald die Küken die Eier verlassen haben, können sie laufen oder/und schwimmen, und sie können Nahrung aufnehmen, die sich von der der Mutter kaum unterscheidet. Die Mutter dient ihnen als Schutz und zentraler Stützpunkt, für Ruhepausen und für die Nacht als zusätzliche Wärmequelle. Sie sind also fast »fertig« und brauchen nur noch wachsen, um »erwachsen« zu sein. Da sie als Lauf- oder Schwimmvögel nicht erst das Fliegen erlernen müssen, ehe sie das Nest verlassen können, sind sie vom ersten Tage an in der Lage, die wichtigsten Funktionen, Nahrungsaufnahme und Fortbewegung, selbständig auszuführen. Anders das Säugetierjunge. Es hat sehr viel weniger Geschwister und kommt bei vielen Arten sogar allein zur Welt. Es dauert bei vielen nicht lange, bis sie auf eigenen Beinen stehen und gehen, nach Stunden sogar schon laufen und gegebenenfalls mit der Mutter zusammen fliehen können. Trotzdem sind diese ersten Stunden und Tage die Zeit seiner größten Gefährdung. Die Nahrungsaufnahme erfolgt durch das Saugen der Muttermilch. Ein Säugetierjunges ist von der ständigen Anwesenheit seiner Mutter in viel höherem Maße abhängig als alle weiter unten auf der Evolutionsleiter eingeordneten 174

Tierarten. Wird ihm die Mutter geraubt, geht es kläglich ein. Das gilt für alle Säugetiere, für solche, die schon nach Wochen, und für andere, die erst nach Jahren das Stadium des selbständigen Erwach­ senendaseins erreichen. Das traf nicht nur auf das frühest denkbare Menschenjunge zu, es hatte es sogar zunehmend schwerer als die Jungen anderer Arten. Als Homo-Arten sich - zunächst kaum merklich - von anderen Primaten abhoben, lebten sie in den Bäumen eines tropischen Urwaldes hauptsächlich von Blättern. Das Neugeborene konnte sich nicht nach Stunden neben der Mutter her bewegen wie eine Antilope, sondern mußte sich am Fell der Mutter mit Händen und Füßen, die damals noch greifen konnten, anklammern. Bei der nächsten großen Veränderung gingen die Homines auf den Waldboden und begannen, von Früchten zu leben. Mit dem aufrechten Menschen, dem Homo erectus, verloren die Füße zunehmend ihre Greiffähigkeit, weil die Finger zu Zehen verkümmerten. Zugleich verloren die Erwachsenen im Zuge der »Menschwerdung« der Art ihr ursprünglich dichtes Haarkleid. So verlor das Junge zunächst zwei Gliedmaßen, womit, und seine Mutter schließlich das, woran es sich festhalten konnte. Entsprechend hilfloser und gefährdeter war es. Auch die Mutter war schlechter dran als andere Mütter: Sie mußte das Kleine jahrelang auf dem Arm mit sich herumschleppen. Auf die Jahrmillionen dieses Tragens der Kinder führt man auch unsere überwiegende Rechtshän­ digkeit zurück: Da heute noch die Mütter ihre Babys vorwiegend auf der linken Seite tragen, weil — wie man inzwischen weiß — der stetige Herzschlag das Kind beruhigt, diente die Linke zum Halten, während die Rechte frei blieb für etwa das Pflücken von Früchten oder das Versorgen eines Feuers. Wenn das einige -zigtausend Generationen lang geschah, dann ist das heutige Ergebnis nicht weiter verwunder­ lich. Für das Überleben des menschlichen Jungen war also die ständige Präsenz der Mutter, ihre ununterbrochene Bereitschaft, den Bedürf­ nissen des Jungen zu entsprechen, überlebensentscheidend. Dem steigenden Bedarf entsprechend wurden menschliche Mütter ange­ paßt und vorprogrammiert. Bei den meisten Säugetierarten spielen dabei sogenannte akustische Auslöser eine wichtige Rolle - wir sagten es schon. Hier den Ansatz zur Sprache zu sehen, erscheint überaus natürlich. Anders aber als bei den Säugetieren wuchs die Abhängigkeit des Menschenkindes von seiner Mutter um so mehr, je weiter sich die Art auf ihrem Wege zum Menschen entwickelte. Däbei blieben mit ziemlicher Sicherheit Tendenzen des Säugetier175

Stadiums erhalten wie die, sich außerhalb der Brunstzeit von den männlichen Individuen getrennt zu halten. Die Männer gehörten nicht zur Familie, die Kinder wurden in eine weiblich bestimmte Welt hineingeboren und wuchsen in ihr auf. Einen weiteren Schub vermehrter Hilflosigkeit erfuhr das Men­ schenjunge vor etwa zwei Millionen Jahren, als das menschliche Hirn sich vergrößerte und die Gefahr bestand, daß ein vergrößerter Schädel des Babys den Geburtskanal nicht mehr passieren könnte. Es mußte also im Verhältnis zu seiner nachgeburtlichen Lebensfähigkeit noch früher geboren werden, der Schädel mußte entsprechend weich und flexibel, und das heißt nach der Geburt entsprechend verletzli­ cher in die Außenwelt treten, die Mutter für noch mehr Sorgfalt, Präsenz und Liebe programmiert werden. All das geschah in ausreichendem Maße - sonst gäbe es uns gar nicht. Vielleicht aber war es menschliche Sprache, die zusammen mit der durch sie geförderten und wachsenden intersozialen Aktion das Größenwachstum des Hirns angestoßen hatte. Einmal mehr aber gewann die Rolle der Mutter an Bedeutung, einmal mehr gewann das Verhältnis Mutter-Kind an Innigkeit. Theodor Dolezol schildert in seinem Buch Adam zeugte Adam eingehend, welche Folgerungen unsere Forscher heute aus fossilen menschlichen Resten zu ziehen vermögen, in bezug auf den restlichen Körperbau, Größe und Gangart, Nahrungsarten und Lebensweisen. Man vergleicht solche Schlüsse in zunehmendem Maße mit den Beobachtungen an Naturvölkern, die noch in etwa so leben wie einst frühe Menschen. Besonders die !Kung des südlicheren Afrika spielen dabei eine wichtige Rolle, übrigens auch, weil man vermuten zu können glaubt, daß sie die Urheimat des Menschengeschlechts noch nie verlassen haben... Mit einigen zeitbedingten Abstrichen kann ihre Organisation und Lebensweise einen recht zutreffenden Ein­ druck vom Leben früher Homo-erectus-Gruppen vermitteln. Man bewohnte gewissermaßen Clan-weise ein eigenes Habitat oder Revier, im Inneren desselben die Mütter und Frauen mit ihren Kindern und Kindeskindern, während die Männer als »Außenseiter« am Rande des Reviers lebten und so zugleich eine gewisse Schutz­ funktion ausübten. Während die Männer alle drei oder vier Tage einmal auf die Jagd gehen und das durchaus nicht immer mit Erfolg, sammeln die Frauen Früchte und Wurzeln, auch Eier zu seiner Zeit, und verschmähen auch nicht die Jagd auf kleines Getier oder ein junges Antilopenkitz. Der Beitrag zur Ernährung, den die Frauen erbringen, beläuft sich auf 75 bis 80 Prozent beim Eiweiß, insgesamt

176

sogar mehr. Was sie von einem Arbeitsgang mitbringen, reicht in der Regel für zwei bis drei Tage. Es blieb ihnen also Zeit genug zu geselligem Miteinander und zur intensiven Hinwendung zu den Kindern. Bis in geschichtliche Zeit reichen bei vielen Völkern gynaikokratische, also frauenherrschaftliche Ordnungen, in denen der Mann die - »eigene« - Frau zu meiden hat, solange sie ein Kind stillt. Es gehörte offenbar zur urgeschichtlichen Kontrolle der Populations­ dichte im eigenen Revier, nicht allzuoft Kinder zu haben. Der größere Abstand zwischen den Geburten verlängerte auch die Stillzeiten. Und damit die Abwesenheitsdauer der Männer. Kinder kannten also vor allem ihre Mütter. Da die Mitwirkung des Mannes bei der Zeugung neuen Lebens erst eine sehr späte Erkenntnis ist, konnte er in früher Zeit, selbst dann, als eheähnliche Ordnungen schon bestehen mochten, aus seiner kurzen Rolle als Besamer keine väterlichen Ansprüche an Kinder ableiten,'deren Zustandekommen er als einen alleinigen Willensakt seiner Frau empfand. Ein sehr wesentlicher Faktor für das enge Mutter-Kind-Verhältnis, offenbar ein letztes Tabu in unserer so aufgeklärten Welt, ist der für die Mutter sexuell lustbetonte Vorgang des Saugens an der Brust. Frauen, die darüber sprechen, vergleichen das durch ihr Kind erzeugte Gefühl mit der Annäherung an und der wollüstigen Entspannung nach einem Orgasmus. Die Natur belohnt also mütter­ liche Hingabe mit eigener Lust. Wie weise. Aber es erweitert das Mutter-Kind-Verhältnis um eine starke Gefühlskomponente. Uns hier erklärt es mancherlei sprachliche Besonderheiten. Es hat natürlich seine Bedeutung für das Entstehen einer Lautsprache überhaupt gehabt, weil es den Drang, Gefühlen Ausdruck zu verleihen, notwendig verstärkt und die Entwicklung nach einem ersten Anfang beschleunigt haben muß. Mit dem Erwachsenwerden änderte sich das Leben für den männlichen Teil der Kinder von Grund auf. Beim Eintritt der Pubertät verließen sie das mütterlich bestimmte Zentrum und wichen an den Rand des Reviers aus, gesellten sich zu den anderen Männern, ähnlich jungen und älteren, bei denen eine zunächst nach dem Alter gegliederte Rangordnung herrschte - wie bei den Frauen auch -, die sich aber nach Säugetierart außerdem nach der Stärke des einzelnen richtete. Lange Zeiten hindurch bestimmten Rangkämpfe das Geschehen in der Männergruppe, keine angenehme Sache für die neu Hinzugekommenen. Von der Evolution her gesehen, sind solche Rangkämpfe zweckvoll, weil sie nur die Stärksten zur Besamung der

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weiblichen Population zulassen und so dem besseren Überleben der ganzen Population nutzen. Wir Heutigen identifizieren uns dabei allzu bereitwillig mit den jeweiligen Siegern solcher Rangkämpfe, nicht zuletzt wohl, weil wir ja allesamt von solchen »Siegern« abstammen. So verschwenden wir zu Unrecht keinen Gedanken an die ständig Unterlegenen und Rangniederen, an den Streß eines solchen Daseins und an die im Laufe der Zeit sich ergebenden Fehlentwicklungen bis hin zu sexueller Abartigkeit. Für die jungen Männer war der Verlust der Nestwärme ein schmerzliches Erlebnis, an das sich zu gewöhnen sie sicherlich viel Zeit brauchten. Sie werden heimlich immer wieder einmal versucht haben, sich dem inneren Kreise zu nähern. Jahrhunderttausendelang ohne jeden Erfolg. Diese soziale Organisation, welche die männli­ chen Mitglieder zu »Außenseitern« der Gemeinschaft stempelte und ihnen den Zutritt zum weiblichen Innenraum bis auf Zeiten sexueller Erwünschtheit strikt verwehrte, muß bis in die Zeit des ausgehenden Sprachaltertums, bis in die KALL-Zeit also, angedauert haben. Die hier angedeutete Situation läßt sich leicht nachstellen: Ein junger Mann schleicht sich an die Gruppe der Mütter, Frauen und Kinder heran, in sehnsüchtiger Erinnerung an die ihm seither fehlende Zuwendung. Er wird schließlich von einer oder mehreren der Frauen entdeckt und mit wütendem Protest auf die Verletzung der Tabus hingewiesen. Das war mit einem Wort deutlich genug zu sagen, nämlich mit dem Wort für »Frauen«, »Clan« in dem Sinne: »Hier ist unser Revier, nicht deines — auf keinen Fall weiter, scher dich weg!« All dies konnte man mit dem Wort für »Frauen!«in der entsprechend abweisenden Betonung ausdrücken. Es ist daher sicherlich nicht verwunderlich, wenn Sprachen aus den verschiedensten Winkeln dieser Erde auf KALL zurückgreifen, wenn sie Formen der Verneinung verwenden. Eine andere Quelle hätte die Höhle sein können, die zu betreten Mütter ihre zu neugierigen Kinder gleichermaßen mit »KALL!« warnen mochten - aber erstens war das sehr viel später, und zweitens war die andere Ursache viel allgemeiner, während ja der größte Teil der Menschheit mit Höhlen gar nicht in Berührung gekommen ist. Wir vermuten daher höchstwahrscheinlich richtiger, wenn wir den Ursprung der Verneinungsformen NEIN, NICHT, KEIN, NON, NULLUS usw. von jenem aus der reinen Tierzeit herstammenden Verhaltensweisen der Trennung der Geschlechter außerhalb der Zeiten sexueller Vereinigungen sehen. Verneinungsformen waren allgemein eine frühe Notwendigkeit

178

Tafel 36: NEIN, NIE und KEIN guarani

polnisch

slowakisch

spanisch

a’NI

NIE

NIE

NIN’gun

nein, no no

nein no

nein, nicht no, not, no

kein, none no

lateinisch

deutsch

polnisch

slowakisch

NIN’gulus

NICH’t/NICH’ts NIK’t

kein, none ninguno

not, nothing no, nada

guarani

a’NIKE

NUAK

niemand, nobody ninguno

kein, none ninguno

polnisch

slowakisch

lateinisch

NIC

NlC

NIHIL

nein, no no

nichts, nothing nada

nichts, nothing nada

nichts, nothing nada

nordisch

lateinisch

nordisch

ph-subnun

IN’te

IN-

INGA/INGEN

KINAQ

nicht, not no

Verneinung, nega­ kein, none tion, neg.,UN-, AN- ninguno

nicht, not no

ilocan

ph-gaddang

ph-bontok

tagalog

KINA-

bi’KIN

ba’KIN

HIN’di

un-, un- anin- (negativ)

nicht, not no

nicht, not no

nicht, nein, no not, no

etruskisch

französisch

ph-sangil

australisch

LI

RIEN

ba’LINE

ILLA’ILLA

nicht, not no

nichts, nothing nada

nicht, not no

nein/nicht no/not, no

ph-kalagan

lateinisch

samojed

finnisch

di’LIQ

HIL’um

GIEL’det

KIEL’to

nicht, not no

nichts, nothing nada, NIHIL

verweigern, negate verbieten, forbid prohibidar negar

schottisch

guarani

portugiesisch

deutsch

NEER

NE

NEN’hom

NEIN

nie, never nunca

nee, no no

kein, none ninguno

no no

russisch

arhuaco

slowakisch

slowakisch

NJET

NEKI

NECHUE

NE-

nein, no no

nie/nichts, nothing never, no/nunca

nichtig, nothing nada

un- un-, inin- (Negation)

lateinisch

bengali

ph-kallahan

deutsch

NEG’are

REYUNA

bek’KEN

KEIN

verneinen, negate negar

kein, none ninguno

nicht, not no

NONE NINGUNO

179

hethitisch

ph-kallahan

slowakisch

lateinisch

LE

QELEG

NUL

NULL’us

nicht, not no

nicht, not no

nichts, null, nothing, nada, zero

keiner, none ninguno, zero

laddinisch

spanisch

deutsch

churritisch

NUN

NUN’ca

NÜCH’tern

man’NUKKU

nicht, not non

niemals, never ni una vez

empty stomach, en ayunas

gibt’s nicht, nonever, no hay razön

telugu

slowakisch

laddinisch

ph-tausug

KYNOZ

GE’GÜN

bu’KUN

nichts, nothing, nada

vernichten, annihilate, anullar

NÜCHtern, sober sobrio

nicht, not no

twi

australisch

ital.-span.

luo

HUEE

NOWAIY

NO

ONGE

nichts, nothing nada

nicht, kein, no/none kein, none kein, nichts, none nothing, nada, ning. no, ninguno ninguno

Sunna

deutsch

lateinisch

guajiro

tasmanisch

OHNE

NON

NOJO

NOIA

without sin

nicht, not no

nein, no no

nicht, not no

laddinisch

schottisch

ph-atta

ph-subnun

NÖGLIA

NOCH’t

KONOQ

KONAQ

nichts, nothing nada

nichts, nothing nada

nicht, not no

nicht, not no

ph-ifugao

tibetisch

maori

ph-balangwa

bo’QON

KON-

HORE

LOQ

nicht, not no

un-, inan- (Negation)

nicht, not no

nicht, not no

australisch

tupi

tupi

slowakisch

ter’NALO

AANI

NAANI

NANIC

niemals, never nunca

nichts, nothiñg nada

kein, none ninguno

nichts wert, wortless, sin valor japanisch

japanisch

schottisch

guarani

NANIGE-

NANE

NA!

-NAI

Vorsilbe un-, unin-

kein, none ninguno

nein! no! no!

Nachsilbe: nicht not, no

guarani

irisch

portugiesisch

englisch

NANGA!

AIN-/AN-

NA’da

NAUGH’T

nein ¡nicht no-not, no!

Vorsilbe wie un-, un-, in-

nichts, nothing NA’da

nichts, nothing nada

180

luwisch

arabisch

arabisch

ph-manobo

NAUHA

LAN!

HANI

KANAQ

nicht, not no

Auf keinen Fall! No! No!

vernichten, annihilate, anular

nicht, not no

ph-agta

maya

ilocan

ph-agta

a’WAN

QAWAN/QWAN KAN

nein, nicht, kein no, none, ninguno

nicht, not no

finnisch

arabisch

arabisch

suahili

KAAN

LAIYY

LA

HAI-

nicht, not no

nein, negierend, no, negating, no

nein, no no

verneinend unun-, in-

maori

maori

australisch

ph-ivatan

KAUA

KAO

muk’KA

QALIH

nicht, not no

nicht, not no

NEIN! kein, no! nicht, not none, NO! Ninguno no

nicht, not no

ÖAN nicht, not no

ph-kallahan

ph-kalinga

arabisch

ph-batak

QALI’wa

wa’LAQ

KALLA!!

bi’LAG

nicht, not no

nicht, not no case!

Auf keinen Fall!! In nicht, not no case! No, nunca! no

ph-sambal

hebräisch

arabisch

ph-bilaan

QAL’wa

KALA

HALAK

LAQ

nicht, not no

VerNICHtung anNIHILation

annullieren, anul annular

NICH’t.NO’t NO

sprachlichen Informationsaustausches. Sie waren häufiger Bestand­ teil jedweder Unterhaltung und sind das noch. Tafel 36 übernimmt trotz eines gewissen anteilmäßigen Übergewichts auch die philippini­ schen Sprachen, insbesondere weil sie die Übergänge und Zwischen­ stufen deutlich zeigen. Man beachte auch die hier gewählte umge­ kehrte Reihenfolge der Beispiele. Auch diese Tabelle ist übrigensein »by-product« der Vorbereitung zu diesem Band - es fiel einfach auf, daß unter den aufgefundenen KALL-Formen eine beträchtliche Anzahl Termini der Verneinung auftraten. Nichts war leichter als sie dann auszusondem. Zwar sind die meisten von ihnen relativ weit vom Archetyp entfernt, aber dennoch finden sich schon in dieser notwendig unvollständigen 181

Auflistung fast zwei Dutzend fast reine und reine Formen des Archetyps, der in einem so großen Umfang weibliche Sinngehalte abdeckt. Finden sich ähnliche Formen auch bei BA, dann ist das eine bloße zeitlich frühere Parallelerscheinung. Finden sie sich dagegen bei TAG, das in einem folgenden Band behandelt werden wird, nicht (wie ich vermute), dann spricht viel für die gebotene Deutung. Dieser Aspekt wird daher im nächsten Bande nochmals erwähnt werden. Es liegt an der Arbeitsweise, wenn ich diese Frage nicht hier und jetzt schon beantworten kann. Ich verfüge etwa über 5000 TAG-Beispiele (die aber noch nicht auf diesen Aspekt hin durchgesehen sind) und erweitere deren Zahl parallel zu diesem Band auf rund 30000, ehe ich an die Niederschrift gehe. Dabei läßt sich dann auch auf die Verneinungsformen achten. Nebenbei: »JA« geht in den meisten Sprachen auf TAG zurück. Die Tendenz auch sonst bei Säugetieren, die jungen Männchen aus dem inneren Kreise der weiblich-mütterlich dominierten Herde zu verbannen, mußte menschliche Jungmänner besonders hart treffen, weil ja ihre Kindheit gegenüber den meisten Säugetierarten um ein Vielfaches verlängert ist und weil, wie schon erwähnt, das Verhältnis zwischen Mutter und Kind (auch wenn es ein Knabe war) sich besonders innig gestaltete. Also ist es nur natürlich, wenn diese zu den »Außenseitern« verbannten Jungmänner immer wieder einmal versuchten, sich zurückzuschleichen. Dabei mag ihnen irgendwann einmal in den Jahrtausenden, die für einen solchen Zufall zur Verfügung standen, ein Mißverständnis zu Hilfe gekommen sein, wie es David Jonas in dem Buch Weib und Macht skizziert hat. Irgendwann einmal kam so ein junger Mann von einem Gerangel mit anderen Aasfressern um eine Raubtierbeute zurück, das in relativer Nähe des inneren Reviers stattgefunden hatte. Als er von einer Frau gestellt und am Weitergehen gehindert wurde, hob er wie immer abwehrend die Hände und beugte wohl auch den Oberkörper - eine Unterordnungsgeste, wie bei Säugetieren üblich. Die Frau mißver­ stand die Geste als Angebot, nahm den Fleischfetzen, den er unbewußt noch in einer Hand hielt, und verzichtete auf feindselige Aktionen. Wenn so etwas auch nur einmal passiert ist, dann war der Weg weit offen für Wiederholungstäter. Schließlich lassen ja sogar die gewissenhaften Wächterbienen volksfremde Bienen dann in die eigene Beute ein, wenn diese schwerbeladen mit Nektar oder Pollen anfliegen... Eine solche positive Erfahrung hat mit Sicherheit den Eifer der Männer beflügelt, mit weiteren Leckerbissen zu den Frauen zu kommen und dies am Ende nicht mehr nur mit Aasfetzen, sondern

182

mit selbst Erjagtem. Man könnte in großherziger Anlehnung an Goethe sagen - weil sie das Ewig-Weibliche hinanzog, wurden sie so zu echten Jägern... Im Laufe vieler Jahrhunderttausende fanden die Männer schließ­ lich eine biologische Nische, die den dominierenden Frauen die größere Nähe der Männer genehm machte: ihre gesteigerte Schutz­ funktion und die Beisteuerung von begehrter fleischlicher Nahrung. Es hat aber dennoch bis in geschichtliche Zeit gedauert, bis sie die Vorherrschaft der Frau in der Gesellschaft abzulösen vermochten. Wenn das so lange gedauert hat, so gibt es dafür gute Gründe. Die außerordentliche Dominanz weiblicher Termini in früher Sprache und da besonders deutlich bei KALL angesiedelt, fordert eine etwas eingehendere Beschäftigung mit der besonderen Rolle der Frau in urgeschichtlicher Zeit und damit eine Fortführung der weiter oben bereits begonnenen Betrachtungen. Zwischen 1906 und 1921 entdeckte D. Perony unter einem Felsdach bei La Ferrassie in dem so fundträchtigen Gebiet entlang der Dordogne nacheinander sechs menschliche Skelette, die offensichtlich mit größter Sorgfalt bestattet worden waren. Die Bedeutung dieses Fundes ging weit über die hinaus, die man ihm zunächst beimaß. Die Toten waren bequem, wie zum Schlafen gebettet worden, sie waren in ost-westlicher Richtung niedergelegt und der ganze Bestattungsplatz eher verschwenderisch mit rotem Ocker geschmückt worden. Und es waren Neandertaler. Das Alter der Grabstätte wurde im Laufe weiteren Studiums auf gut 100000 Jahre geschätzt. Schon der Neandertaler kannte sich also in seinem Himmelsgewöl­ be aus und bettete die Toten gen Sonnenauf- und Sonnenuntergang - ein Brauch, der sich bis weit in unser Mittelalter erhielt. Man verwendete roten Ocker, die Farbe der Sonne bei Auf- und Untergang, die Farbe also des Lebens, des Immer-wieder-neu-zumLeben-Erwachens, und man gab den Toten Beigaben mit auf ihrem Wege zu neuem Leben, die sie dann wieder zu eigen haben würden. Diesem Brauch der Beigaben verdankt die Urgeschichtsforschung ihre Kenntnis von Werkzeugen und Schmuck, denn besonders erstere wurden normalerweise bis zur Unkenntlichkeit verbraucht und verschlissen. Den Toten dagegen gab man neue oder doch neuwertige Stücke mit ins nächste Leben. Wie aber sollte neues Leben sich einstellen können? Für diese einfachen und inmitten einer hautnahen Natur lebenden und miterlebenden frühen Menschen war das nur denkbar durch erneute Geburt, durch Wiedergeburt, wie wir heute sagen.

183

Wohl bewies ihnen die Natur tausendfach das immer wieder eintretende Erwachen zu neuem Leben, wohl ging die Sonne an jedem Morgen von neuem auf, und erst recht erschien auch der auf Null abnehmende Mond nach einigen Nächten völligen Erlöschens als schmale zunehmende Sichel wieder am Nachthimmel und wuchs von Nacht zu Nacht, bis er strahlend sein volles Maß wieder erreichte. Auf sich selbst aber bezogen war Gleiches nur denkbar durch Geburt, durch eine Geburt, wie man sie immer wieder einmal miterlebt hatte. An sich selbst, wenn man eine Frau war, an der eigenen Mutter und deren Schwestern und ältesten Töchtern, solange man im inneren Kreise lebte, aus der Distanz, wenn man erst einmal ein Mann war. Aber auch für sie war das ein natürlicher Vorgang, wenn sie ihre mindere gesellschaftliche Rolle vielleicht auch leichter ertrugen angesichts dessen, was die Frauen vor und bei der Geburt durch­ machten. Ist doch der Mann keiner annähernd so großen Anstren­ gung je in seinem Leben unterworfen. Wenn neues Leben neue Geburt voraussetzte, dann waren es die Frauen, durch welche man wiedergeboren werden konnte, nicht die Männer. Deren biologische Funktion bei der Zeugung neuen Lebens war völlig unbekannt; erst in Lascaux findet sich ein erster Hinweis auf solches Wissen - vor allerdings nur rund 13000 Jahren. Jahrhunderttausendelang waren im Denken der Menschen die Frauen diejenigen, die »zeugten«, nach eigenem Willen und ohne jedes Zutun von männlicher Seite. Sex hatte nichts mit Nachkommen zu tun. Noch in unserer Zeit konnten islamische Herrscher sich von ihren Frauen wegen Kinderlosigkeit trennen, weil die Vorstellung, gebären hänge vom Willen der Frauen ab, noch lebendig ist. Im Yemen gar konnte eine Frau dem geschiedenen Mann noch nach Jahren eine Vaterschaft anhängen, weil man ihr glaubte, daß sie aus Ärger über ihn die Schwangerschaft habe bis jetzt ruhen lassen... Der gesellschaftliche Machtzuwachs der Frauen muß mit dem Glauben an eine nur durch sie mögliche Wiedergeburt seinen Höhepunkt erreicht und auf lange Zeiten behalten haben. Denn ganz offensichtlich war solche Wiedergeburt kein automatischer Vorgang. Das Leben der Verstorbenen zählte mit - und die Sorgfalt der Bestattung durch die nächsten Angehörigen. Noch in der römischen Rechtspflege ist das Parricidium hervorgehoben, der Mord an einem Menschen aus dem gleichen Mutterschoß wie Mörder oder Mörde­ rin. Täter oder Täterin wurden nicht nur mit dem Tode, sondern über diesen hinaus bestraft: Sie durften nicht in der Erde bestattet werden (weil dies eine Voraussetzung zur Wiedergeburt war), sondern

184

wurden in einen Sack genäht und ins Wasser geworfen - sie sollten nie mehr einer Wiedergeburt teilhaftig werden können! Man lief also immer Gefahr, nicht wiedergeboren zu werden; die Frauen hatten es in ihrer Hand, solches zu gewähren oder zu verweigern. Welch eine ungeheure Macht! Umgekehrt gewann die Vorstellung die Oberhand, daß jede Geburt, die man miterlebte, zugleich eine Wiedergeburt, die Wiederkehr eines Ahnen sei. Australische Mütter, die ein Kind durch Tod verlieren, pflegten zu sagen: »Nicht schlimm, es kommt bald wieder.« Ein deutsches Wort hat uns germanischen Glauben bewahrt, das Wort ENKEL. Es hieß vor 2000 Jahren noch ENIN CHILIN, im jetzigen Deutsch »Der kleine Ahne«! Man erhoffte sich also, in einem seiner nachgeborenen Enkel wiedergeboren zu werden. Solches Glauben bescherte aber nicht nur den Frauen eine fast absolute Macht, es verhalf auch den Menschen ganz allgemein dazu, leichter »gut« sein zu können als später. Die vage Furcht vor einem »Jüngsten Gericht« ist ein schwaches Motiv dazu - verglichen mit der massiven Gewißheit, in dieses so geliebte Leben nicht zurückkehren zu dürfen, wenn man die bestehenden Gebote verletzt. Die Schöpfungsgeschichten unterschiedlichster Mythologien be­ antworten die Frage nach dem Entstehen der Menschen in streng gynaikokratischer Manier: Da ist eine Urmutter das erste lebende Wesen. Sie gebärt aus sich selbst, ohne männliches Zutun, einen Sohn, mit dem sie sich zu gegebener Zeit verbindet und—wie GAIA— die Titanen, oder - wie GINNANGAGAB, die Sich-Öffnende den Ymir, oder wie INANNA den Tammuz »zeugt«. Dann erst folgen die Menschen. Unbefleckte Empfängnis und reine Mutterge­ burten sind daher ein uralter mythischer Zug menschlicher Kultur. Verglichen mit den sie umgebenden Hochkulturen hätte unsere Schöpfungsgeschichte eigentlich lauten müssen: »Zuerst war Eva. Sie gebar Gott und zeugte später mit ihm Adam.« Das Merkwürdige ist die Wiederholung dieses Prinzips der Parthenogenese in der Natur. Eine unendlich lange Zeit behalf sich die Evolution der Lebensformen mit ungeschlechtlicher Vermeh­ rung. Noch heute pflanzen sich viele Lebewesen bis herauf zu den Crustaceen so fort, und selbst die Bienenkönigin ist noch immer fähig, unbefruchtete Eier zu legen, aus denen dann Drohnen schlüpfen. Die genauere Erforschung der Entwicklung menschlicher Foeten hat erst unlängst die Behelfskonstruktion widerlegt, wonach Ei und sich entwickelnder Embryo zunächst sexuell neutral seien - sie sind in Wahrheit und von Anbeginn weiblich. Erst nach sechs 185

Tafel 37: Überdauern von KALL tamachek (tuareg)

arabisch

quechua

quechua

a’KALAK

LAQAH

HUALL’pa

QALLALAY

zeugen, GENErate zeugen, GENErate erschaffen, CREate zeugungsfähig, proenGENdrar enGENdrar CREar creative, creable

arabisch

arabisch

tagalog

quiché

* HALAQ

HALIQ

LA’LANG

tza’KOL

erschaffen, procreate, procrear

Schöpfer, creator CREAdor

Schöpfung, creation Schöpfer, creator creación cread, divino (TAG)

thai

mapuche

suahili

thai

KOO

CHOYEN

* HULUKU

KHYN

zeugen, CREAte crear

zeugen, gebären create,crear

Schöpfung, creation erschaffen, beGIN creación crear, empezar

anglosaxon

chinesisch

lateinisch

CENNAN

SCHENGCHAN GEN’ere

hervorbringen crear

zeugen, CREAte enGENdrar

lateinisch

CREA’re

erschaffen, GENE- zeugen, GENErate rate, enGENdrar CREAr

tagalog

lateinisch

tagalog

irisch

LIKHAIN

GIGN’ere

KINA’pal

GINIUN’t

zeugen, GENErate hervorbringen enGENdrar CREAte, CREAr

Schöpfung, creation zeugen, GENErate creación (BA) enGENdrar

Wochen beginnt bei knapp der Hälfte der Foeten die Abspaltung in Richtung auf eine männliche Ausformung. Wir werden also zunächst einmal alle miteinander weiblich gezeugt! Es ist sicherlich ziemlich unerheblich, ob unsere fernen Vorfahren solches schon gewußt oder ausweislich ihrer Mythologien nur geglaubt haben - sie kannten da noch keinen Unterschied. Im Ganzen lagen sie also richtig. Wie erstaunlich! Als die Einsicht in die Zeugungsvorgänge allgemein wurde, wechselten die Sprachen überwiegend zu TAG-Formen - ZEUGEN ist schon eine solche, wie auch das sumerische TI — mit Ausnahme wahrscheinlich derer, die weiter unter mutterrechtlicher Ordnung lebten, wie gleich das erste Beispiel der Tafel 37 zeigt. Um die Bandbreite weiblicher Vorstellungen in der Sprache zu übersehen, muß man sich auch das Wirken weiblicher Sexualität vergegenwärtigen. Die Häufigkeit sexueller Vereinigung variiert in der Welt der Tiere von einmal im Leben bis hin zu jederzeit. Bei den großen Säugern wie Wal oder Elefant (und Mammut) dauert die Laktationsperiode bis zu zwei oder gar drei Jahre - entsprechend selten ist Sex. Zudem signalisiert in der Welt der höheren Tierarten 186

jeweils das Weibchen, wann sie eine Beiwohnung wünscht. Die Männchen sind darauf programmiert, entsprechende Signale abzu­ warten. Auch beim Menschen müssen wir davon ausgehen, daß es im frühesten Stadium einmal im Jahre eine Art Brunstzeit gab. Folgte darauf eine Schwangerschaft und die Stillzeit für ein Baby, dann war eine solche Frau für zwei bis fünf Jahre sexuell tabu. Bei Völkern unter Mutterrecht durfte der Ehemann sich dann anderswo binden. Aber das war erst sehr viel später. In der vor-ehelichen Zeit menschlicher intersexueller Beziehungen bestimmte die Frau weit­ hin. Es muß die zwischenmenschlichen Beziehungen auf eine völlig neue Grundlage gestellt haben, als die Frauen in immer kürzerem Abstand zu sexuellem Zusammengehen bereit waren. Dazu trug wahrscheinlich ihre Errungenschaft eines Orgasmus bei, der zur Wiederholung anreizte. Heute zeichnet sich das menschliche Sexual­ leben vor dem der Tiere dadurch aus, daß beide Teile praktisch täglich oder sogar zu jeder Stunde fähig sind, sich mit einem Partner zu vereinen. Entsprechend vermehrte sich der Wortschatz. Wenn wir ehrlich sind, kann das GLÜCK eines Orgasmus oder einer Ejakulation in seiner Intensität kaum von einem anderen Lustgefühl übertroffen werden. Kein Wunder, daß Wörter dafür dem der weiblichen Leibesöffnung so nahe bleiben. Das wesentliche Merkmal von KALL ist sein kategorischer Imperativ des HOHLEN. Diesem Imperativ entspricht die Frau in frühmenschlicher Sicht gleich zwei- oder dreimal. Einmal der hohle Leib, in dem neues Leben sichtbar heranwächst, zum anderen die Körperöffnung der Vagina, die nicht nur höchstes Glücksgefühl zu vermitteln vermag, sondern auch den Weg neuen Lebens nach draußen bildet, und schließlich die Brust, die ja irgendwie hohl sein muß, wenn das Baby daraus zu trinken vermag. Von den möglichen drei ist aus früh­ menschlichem Begreifen sicherlich die Vagina das wichtigste Merkmal. Wenn wir heute »VA’GINA« sagen, weil uns ein einfacheres Wort vulgär erscheint, dann tun wir auch diesem lateinischen Wort Unrecht: Es bezeichnet einmal von BA her und in Verbindung damit über KALL den sehr einfachen Tatbestand: LOCH. Das tut auch das tasmanische LOWA, ein Synonym für gleich drei Begriffe: F’RAU, LOCH und sogar HÖHLE (!). Tasmanisches hat immer ein besonderes Gewicht, weil diese Menschen vor einem Jahrhundert­ tausend zuerst nach Australien und vor rund 30000 Jahren nach Tasmanien einwanderten. Alle Übereinstimmungen bezeugen, daß die Menschheit vor 100000 Jahren schon - oder noch - jenen 187

Tafel 38: Das LOCH georgisch

ph-ifugao

isländisch

mapuche

GAL’ta

ban’GAL

KJAL

CAL’cha

arabisch

spanisch

quechua

telugu

GAR

LACHA

JAALI

baskisch

mentawei

AL’tzo

LALAN

RACA thai KHAN

australisch

tasmanisch

quiché

arabisch

HAN’bi

ma’GANA

sch’KANIL

NAKH

quechua

setswana

laddinisch

arabisch

NAUKI

se’NANA

RAVUOGL

HAYAN

chinesisch

chinesisch

bengali

griechisch

tagalog

KAN’dugan

HAI bau

waiYIN

KOL

KOL’pos

chakaszki

aynu

türkisch

luo

CHOR’by

KOR’pe

döl’YOLU

NGWON

nordisch

griechisch

polnisch

slowakisch

KJÖNN

GONE

LONO

LONO

thai

loma

telugu

quechua

LYNG

KULU

SULLI

ULLU

lateinisch

baskisch

bengali

lateinisch

VUL’va

KUN’de

i’GUNO’dar

CUNN’us

englisch slg.

guarani

setswana

tibetisch

CUN’t

GUANI

NYO

KU-pan

aymara

irisch

ph-subnun

ph-agta

CHENKE

GNE’as

bu’LIQ

SILA

tegulu

welsch

türkisch

chinesisch

LINGA’mu

GLIN

CIN’s

YINdao

lateinisch

suahili

suahili

arabisch

va’GINA

JINA

KIN’embe

HIRR

Sinn der Wörter: Vulva, Vagina, Schoß.

gemeinsamen Urwortschatz besaß, der aus unseren Archetypen bestand. Es liegt noch vor uns, zu entdecken, daß auch unsere Sprachen kaum anders verfahren sind als das tasmanische LOWA - auch unsere KALL-Formen für die genannten drei Inhalte entsprechen einander weitgehend. Ein Aspekt nicht nur von großem Interesse in mancherlei Hinsicht, sondern auch von großer kulturel­ ler Auswirkung (vgl. Tafel 38). Das Wort F’RAU ist übrigens gleichfalls eine BA/KALL-Verbin­ dung, innig verschmolzen, da von BA nur der Anfangslaut -F188

Tafel 39: VaGINA und Sex norwegisch

arabisch

griechisch

quiché

GAL

HAL

GAR’GAL

CAR

GEIL, LECHER LOCO

verLOCKen, beGUILE, seducir

erregt, excited excitado

buhlen, loving cohabitando

quiche

aymara

thai

lappisch

RAI CH

a’CHALA

RAAKHA

RAKKA’staddat

lüstern, voluptious, LOCO

liebkosen, make love,carezar

beGEHRen, LON- GEIL, RANK GINGfor.QUERer LOCO

arabisch

griechisch

lappisch

quiché

GARA’m

LAGN’os

NARGO

CALUCH

sex. GIER, RANK- wollüstig, LECHe- sex. Verkehr, con­ ness, voluptidad rous, LUJURiose gress, cohabitación

Coitus

telugu

slowakisch

griechisch

lateinisch

CHAALU

NARU’zivy

LAGN’eion

LAQUE’are

GEIL, RANK LOCO

lüstern, LECHerous, LOCO

Kohabitation

LOCKen, beGUILE, seducir

quechua

aynu

chinesisch

tibetisch

hua’KALLI

u’KAUN/u’KOR KUANG

umfangen, make love, cohabitación

sex. Vereinigung congress, coitus

tibetisch

maori

arabisch

quechua

LHAN-pa

tango’HANGA

HANA

YANGUA

Koitieren, sexual congress, coitus

heiraten, wedding casarse

koitieren, sex. congress, coitus

Lüsternheit, LECHerous, QUIERENdo

australisch

suahili

englisch

arabisch

yi’GANA

t’WAANA

CANOO’dle

GANIJ

Coitus

Coitus

liebkosen carezar

verliebt, in love enamorado

arabisch

tibetisch

tibetisch

arabisch

NAKAH

NYAL-po

NAL-bu

NAJAL

heiraten, wed casarse

Coitus

lüstern, RANK LOCO

begatten, beget cohabitar

englisch

telugu

spanisch

CAJOLE

KAA’VAALAN GAY’o

verLOCKen seducir

GEIL, RANK LOCO

tibetisch

KOL-pa GEIL, RANK LOCO

RKAN-pa

toll, GEIL, RANK beGEHRen, HANLOCO KER after

guarani

HAI’hu

lüstern, GAY ALEGre

beGEHREN, HAN KER after

quechua

bengali

suahili

LLOQAY

KOLA’KOLI

bon’GOLA

begatten, beget cohabitar

umarmen, embrace Coitus amar

189

tasmanisch LOANGA kohabitieren, beget coitus

spanisch LOC’o GEIL RANK

griechisch a’LOCH’os Sexpartner

spanisch GOLLE’ria GEILheit RANKness

aymara LOKJE

chakaszki

japanisch

GEIL, RANK LOCO

GEIL, RANK LOCO

setswana KOREL’wa GEIL, RANK LOCO

suahili NGONO Coitus

suahili

englisch COVE’t beGEHRen, HAN- BeGEHREN KER after QUERer

thai LUG’LIK obszön, obscene obsceno

tagalog

quechua KULLA Lüsternheit, tust QUERER

LUNG’gate BeGEHR, HAN­ KER after spanisch

KÖLEN’dzik

NGOA

bek’KON Intimität

chakaszki

quiché

a’LYNXAN

CURAICH

GEIL, RANK LOCO

beGEHRen, COVEt QUERer

quiche

guaraní

CULUN

ha’GUIRO

lieben, make love, amar

sex. erregen excite, excitar

Wollust, orgasm orgasmo

finnisch HULU GEIL, RANK LOCO

suahili

chinesisch

türkisch

chakaszki

GHURI

jie’HUN

düs’KÜN

a’TSCHÜN

verführen, beGUILE, seducir

kohabitazion

lüstern, lustful LOCO

lüstern, LECHErous, LOCO

quechua NUKII kopulieren, sexual congress, coitus

quechua

deutsch

KUYAY

GEIL

mapuche N’GELN kopulieren, sex. congress, coitar

quiche

englisch

spanisch

QUERAH

LECHER

QUER’er

LUJU’ria

beGEHRen, HAN- RANK, LECHEKER a., QUERer rous, LOCO

beGEHRen, HAN­ s. d. Wollust hingeb. be’GEHR’en KER aft., QUERer darse a volupticidad want, hanker after

japanisch NEN BeGIER, desire deseo sexual

tibetisch KLIG-pa beiwohnen, sex. con­ gress, cohabitación

deutsch GIER even sexual desire ansia

tagalog LIGA’wan verführen, make love, seducir

polynesisch a’HILEK * beGEHRen, want QUERer

thai

mentawei

türkisch

englisch

KILE’ed

KIN

kiz’GIN

(to) KIN’d

Lüste, lust GANA

Coitus

GEIL, RANK LOCO

begatten, beget cohabitación

190

mapuche

chinesisch YINyu sich vereinigen, go lüstern, lustful together, ser juntos LOCO

chinesisch

QUIN’CHAN

XING jiao

aynu KININ

Coitus

Kopulation

japanisch

arabisch

japanisch

japanisch

NIKKAN

NIKAH

NIKKO

NIKU’jo

GEILheit, RANK- Kohabitation ness, ser LOCO

Sex.-Verkehr, -con- sinnliche GIER, sex. gress, cohabitación lust, QUERer sex.

übriggeblieben ist. Aber das haben wir schon an anderen Beispielen gesehen. Tauscht man das -R- des KALL-Teiles ’RAU gegen das frühere -L-, erhält man LAU und damit eine deutlichere KALLForm. Mit vier, höchstens fünf Schritten kommt man von BA’KALL zu FRAU. Die Vagina - es könnte kaum anders sein - stellt ein Grundthema in allen Sprachen, die wir hier für unsere Vergleiche heranziehen. Ihr unmittelbar verbunden sind die Aspekte der Sexualität und des Gebärens. Und das weitgehend nach dem schon bei der Hand aufgezeigten Schema, man erinnere: HAND/HANDELN/HÄNDIGEN/HINDERN/HELFEN/HALTEN/HOLEN usw. Zunächst die Sexualität: siehe Tafel 39. Längst nicht alle Sprachen haben ein eigenes KALL-Wort für Sch’WANGER. Die romanischen behelfen sich mit dem Wort für »schwer«, gravidus, oder leiten es vom »tragen« ab. Wo aber dieser Zustand unmittelbar mit der Frau ausgedrückt wird, als einem nur ihr eigenen und möglichen Zustand, wird KALL herangezogen (Tafel 40 A). Unser Wort »Gebären« ist eigentlich ein falsches Wort, weil BARAN genau genommen »tragen« bedeutet (daher die »Bahre«), was dem Geburtsvorgang vorausgeht. Andere Sprachen verfügen zum Teil sogar über mehrere KALL-Ableitungen für diesen Vorgang (vgl. Tafel 40 B). In jener frühen Zeit, in der Sprache entstand, waren die Frauen auch noch die alleinigen Regulatoren der Populationsdichte. Diese Verhaltensweise aller Tierarten sorgt dafür, daß in dem jeweiligen Wohnrevier oder Habitat nur so viele Individuen einer Art leben, wie dieses Revier zu schützen und zu ernähren vermag. Neue Individuen werden nur geboren - und daher gezeugt, wenn Platz für sie 191

Tafel 40 A: Schwangerschaft thai KHAN

deutsch sch’WANGER

finnisch KAN’taa

australisch NAN’yee

chakaszki * CHARYNNYX

chinesisch zi’GONG

aynu KOR

thai ROG

thai mod’LUUG

kroatisch KUL’java

arabisch LUQQAH

telugu CHULU

tibetisch SHIN’KUN

chinesisch YUN hu

japanisch cha’KUI

bantu WELEKA

lateinisch GENFtus

suahili KILENGA

irisch GIN (Embryo)

japanisch NIN’SHIN

Tafel 40 B: Geburt baskisch GAL’tzar

quichi CHAL

arabisch LAZA

sumerisch KAL’amma

quichi CALA’xic

quichi SCHALAN

arabisch LAQIH

quiche AL

churritisch HAN

chinesisch maori SCHANGCHAN ko’HANGA

visaya GANAKAN

etruskisch CLAN

guarani a’LANIC

ilocan NAG’taudan

spanisch NAC’er

naSina

aymara

lateinisch NASC’i

ilocan NAY’ANAC

polnisch NARO’dzenic

griechisch LOCH’os

griechisch LOCH’eia

suahili KON’do

thai tog’LUUG

lateinisch LUCIN’a

baskisch sor’KUN

tibetisch KLUN-ba

anglosaxon CUN’d

arhuaco KUA’KUNAN

luo NYUOL

quechua KURAQ

guarani CURU

arabisch QURU/QARA

mapuche LLEQ’tun

quiche SCHEALANIC

griechisch GENE’sis

welsch GENI

setswana mme’REKO

tibetisch HIN

192

ilocan a’GANAC

vorhanden ist. Raubtiere etwa markieren ihr Revier durch Duftmar­ ken, beim Bär kommen noch Kratzzeichen hinzu, die so hoch wie möglich an Grenzbäumen angebracht werden. Die Höhe der Einrisse bezeugt die Größe des Urhebers und soll Respekt einflößen. Da es aus biologischen Gründen unter Tieren Rangordnungen gibt, denen Rangkämpfe vorausgegangen sind, verweigert sich etwa bei Wolfsru­ deln die führende Wolfsfähe dem »zuständigen« (welch ein Wort! Sprache steckt voller Sexismen!) Rüden und wacht schärfstens darüber, daß auch keine andere Fähe in der laufenden Brunstzeit noch gedeckt wird. Ist reichlich Beute im Revier verfügbar, werden auch die nachgeordneten Muttertiere gedeckt. Wolfsrudel gehen in der Regelung der Populationsdichte sogar so weit, zwischen sich und dem nächsten Rudel einen breiten Streifen zu belassen, in dem sich ihre Beutetiere ungehindert vermehren können. Weder jagen sie darin, noch dulden sie, daß das Nachbarrudel darin jagt. Da in jenen fernen, noch säugetiernahen Zeiten die Männer sexuell nur auf Aufforderung hin aktiv werden konnten, war das System auch bei den Menschen ziemlich narrensicher. Die Folge: Man lebte in einem vergleichsweise wohlversorgten Paradiese, in einem Garten Eden, in dem der Zeitaufwand für die Nahrungssuche angenehm begrenzt gewesen sein muß. Bis zu der Zeit, etwa 10000 Jahre vor heute, mag das Regiment der Frauen auch die relativ geringe Populationsdichte in menschlichen Wohnrevieren garantiert haben. Das änderte sich erst, als die Ausbreitung der Gruppen über praktisch den ganzen bewohnbaren Erdball zusammen mit Klimaän­ derungen Ackerbau und Herdenhaltung nahelegten. Von da an war jedes Individuum mehr eine erwünschte Arbeitskraft mehr. Entspre­ chend verringerten sich die Stillzeiten, um so kürzer wurden die Zeiten zwischen den Geburten einer Frau. Mit dem Übergang zu männerrechtlichen Ordnungen gefiel es dem internen Dominanz­ streben der Frau, mehr Kinder zu haben, blieb ihr doch dieses Reservat eigener Machtausübung in vielen Gesellschaften als einzi­ ges übrig. Aber soweit sind wir noch nicht. Wenn wir in unserer Sprache von ANFANG und BEGINN sprechen, dann tun wir das ganz im Sinne jener frühen, in ihrem Denken zutiefst einfachen Menschen, für die der Geburtsvorgang gleichfalls der Anfang aller Dinge, der Beginn allen Werdens war. ANFANG nämlich ist eine Folgeform des FANG oder FAVN, des weiblichen Schoßes, wie auch der BEGINN von GINNAN, sich öffnen, ergänzt durch GINAN, das GÄHNEN einer Öffnung, sich herleitet und nur allzu deutlich den Geburtshergang beschreibt. Hier

193

Tafel 41: BeGINN und Abstammung aymara

englisch HAIL from beGINN, beGIN- stammen von NING, comenziam. oriGINar

KALL’ta

quechua

quechua CALLA’ri Nachkommenschaft beGINNEN, beGIN proGENy, descend. comenzar

VIL’LAC

beGINN, beGINNING, principio

finnisch ALK’aa beGINNen, beGIN empezar

suahili CHAN’zo beGINN, beGINNING, principio

tagalog

thai

türkisch

HANGO

KHANG’ton

* KAYNAK

abstammen, des­ cend, descender

BEGINN, BEGIN­ Ursprung, oriGIN oriGEN NING, principio

suahili to’KANA abstammen, oriGINate, descender

quechua

suahili

QALLAY

a’WALI

anfangen, beGIN principiar

quechua

japanisch NAGA’re beGINNen, beGIN Herkunft, oriGIN empezar oriGEN

lappisch NALAG beGINNen, beGIN abstammend, oricomenzar GINating slowakisch

CHAN’CA

naCin

japanisch

japanisch RANSCHO beGINNen, beGIN Ursprung, oriGIN comenzar oriGEN

chinesisch KAI schu Anfang, beGINNING, principio

chinesisch KAI schi Ursprung, oriGIN oriGEN

setswana

thai KOO beGINNen, beGIN empezar

guarani GUARA Ursprung, oriGIN oriGEN

arabisch

japanisch

arabisch

guarani

finnisch

RUIGEN

NUJAR

GUA

te’KEILLE

Abstammung, ori­ GIN, oriGEN

Abstammung, ori­ GIN, descensión

Herkunft, oriGIN oriGEN

anfangen, beGIN comenzar

quiché SCHEN

türkisch

türkisch

arabisch

a’SCHIL

ILK

HINJ

Herkunft, oriGIN oriGEN

Ursprung, oriGIN oriGEN

beGINN, beGINNING, principio

Ursprung, oriGIN oriGEN

NARU

tshimi’LOGO Ursprung, oriGIN oriGEN

194

GURA’bat beGINN, beGINNING, principio

den Anfang aller Dinge wie auch den Begriff der Abstammung zu lokalisieren, fällt sprachlich leicht. Wir bringen diese beiden Begriffe in der Tafel 41 zusammen, kommen aber danach auf einen weiteren wichtigen Asp-ekt zurück: Wörter und Namen für Völker (vgl. hierzu auch Tafel XX). Es fällt uns Europäern leicht, einen weiteren wichtigen Schritt nachzuvollziehen - in allen unseren Sprachen gibt es - mit nur leichten Abwandlungen - das Wort NATION. Es sieht nicht so aus, aber es ist ein KALL-Wort, das man an seiner Ausgangsform NASCI, »geboren werden«, gerade noch erkennt. Wenn also das, was wir heute alles unter NATION verstehen, schon von dem Faktum des Geborenwerdens abgeleitet ist, gewissermaßen die Gemeinschaft aller in eine NATION Hineingeborenen, um wieviel eher muß das dann für die Sippe, die Großfamilie, den CLAN oder das VOLK gelten. Die beiden letzteren Beispiele sind KALL-Ableitungen. Das ist in anderen Sprachen nicht anders, nicht bei den Tuareg, die AKALAK für »zeugen« und dann KEL für den einzelnen Stamm sagen, und nicht bei den primitiven Seri-Indianern der kalifornischen Halbinsel, die sogar mit ihrem Wort KUN’KAK für »Volk«, das eigene, nur etwa »Frauenschaft« zum Ausdruck bringen. Dafür kennen sie keinerlei Wort für »Vater«, weil sie gar nicht wissen, was das ist. Die Tafel XIX der Dokumentation gibt, wenn auch noch immer eine Auswahl, einen Eindruck von der Fülle der aus den oben entwickelten Gründen bei KALL beheimateten Wörter für CLAN und VOLK, einschließlich der Völker-Namen, die, genau wie bei Landschaftsmerkmalen schon erwähnt, ursprünglich nur Wörter für die gleichen Begriffe CLAN, VOLK usw. waren. Das gilt für Gallier, Galater, Galizier, und Galla oder Kalapala und Hunderte andere. Die Tafel XIX des Anhangs befaßt sich dann mit der Frau selber, mit Ausnahme einer K2-Gruppe, die wir herausnehmen und hier als Texttafel 42 einfügen. Es handelt sich um die Schwesterformen der griechischen GYNE, wie wir sie von zahlreichen Fremd- und Lehnwörtern aus anderen europäischen Sprachen kennen - nur zum allergeringsten Teil allerdings. Die Heranziehung aller in der Anmerkung zu Tafel 42 genannten Formen wurde nicht nur aus Gründen der Platzersparnis vorgenom­ men, sondern auch, um die Dichte der Beweisführung zu verstärken - schließlich sind sie alle, Mütter und Gattinnen, Ammen und Omas in erster Linie Frauen und waren früher alle das und nichts weiter — die Aufgliederung in die heutigen Bedeutungen erfolgte erst nach und nach im Zuge oft nur geringfügiger Akzentverschiebungen. Das 195

Tafel 42: Schwestern der GYNE chontal KAN

Can

maya

irisch QUAIN

arabisch GAN

chinesisch KANfu

NA-indianisch QUAN’dy

australisch NGAN’GAN

thai KHWAN’ta

schwedisch GJÄN’te

etruskisch * CANA

australisch YAN’GANNA

arabisch HANNA’t

arabisch HAINAG

suahili NYANYA1

Buschmann KHUANA

australisch bak’KANO1

quechua YANAY

ibo NWANY

italienisch GAGNE’dda

finnisch pi’KAANEN

samojed UANI

tibetisch NAG

schottisch NAIG

etruskisch NAC’na

zapotek NAAKA

australisch NAJAN

japanisch NAIGI

arabisch NAKIH

thai KHON

ibo baskisch a’GHON’GHON ez’KON’GAI

laotisch CON’GAI

yoruba eb’GON

mapuche CON’cho

quechua KON’chu

australisch KOON

quechua CONA

norwegisch KONA

australisch KONAN’ba

japanisch te’KONA

polnisch mal’ZONKA

finnisch NAIK’KONEN

tungusisch XONIL

australisch NONGO

tasmanisch NOUA

aynu NONNO

laddinisch NONINA1

baskisch GUN

ägyptisch HUN’t

nheengatu CUN’ha

nheengatu CUN’ha’mucu

thai KHUN’jing

vedisch KUN’ti

tibetisch CUN-ma

japanisch sai’KUN

baskisch LAGUN

tibetisch NA’CUN

seri KUN’

thai KHUN’naajkha

norwegisch HUN

chakaszki CHYN’xany

suahili MKUNGA

deutsch ma. KUN’KEL

maori HUNGOINGOI

quechua aclla’CUNA

guarani

cuNa

australisch ber’GUNA

twi o’KUNA’fuo

guarani CUNAI

zapotek GUNAA

samojed KUINA

196

ph-bilaan ya’QON

guarani CUNA’tai

guarani CUN’CARAI

guarani CUNA’mi

twi oKUNU

suahili KUNE

griechisch GYNE

schottisch GUNEL

australisch GUNEE

tungusisch HUNIL

tasmanisch luo KUANI/QUANE NYAKO

japanisch NYOGO

australisch NUKUNG

irisch NUACHAR

australisch NUNGGAYIE

anglosaxon CWEN/GWEN

englisch QUEEN

englisch slg. QUEAN

arch, englisch WENCH

norwegisch GJEN’te

welsch GEIN’yddes

maori HENGAHENGA

griechisch GENE’teira

polynesisch KENI

suahili ku’KENI

slowakisch

Zena

australisch GIN

ph-samal HIN’da

ph-sambal QIN’dog

ph-bontok QIN’LIKAS

ph-tagabili YI’HIN

thai JING

thai puu’JING

altdeutsch CHIN’den

chinesisch GIN ai de

kenyanisch NGINA

quechua CHINA

ph-24 Spr. QINA

quechua CHINA’yan

ph-atta QINAY/QINIY

ph-subnun QINAQ

ph-sangil QINANG

tagalog GINANG

quechua CHINAN

nordisch KVINNA

mapuche CHINA

slawisch SCHINA

maori HINE

maori tua’HINE

maori ko’HINE

maori wa’HINE

maori HINENGA

Gemeint sind Frau, Mutter, Weib, Gattin, Amme, Dirne, Mädchen, Sweetheart, Großmutter. 1 bedeutet Großmutter; sie wurde hier mit aufgenommen, weil sie unter frauenherrschaftlichen Ordnungen eine besonders respektierte Rolle innehatte und ja für den Kreis der eigenen erwachsenen Kinder nach wie vor »Mutter« war und auch so genannt wurde, am Ende von allen Clan-Mitgliedern.

197

althochdeutsche CHIN’den, eine deutliche Schwester der GYNE, bedeutet übrigens »Frau« und nicht »Kind«, das erst aus einer späteren Akzentverschiebung von »Frau« zu »Mädchen« hervorge­ gangen sein dürfte. Das Christ’KIND, das Münchner und das Berliner KINDL sind allesamt Mädchen; so verraten sie noch heute den einst weiblichen Sinngehalt von »Kind«. Aber wir haben in die vorstehende Darstellung weder Kind, noch Tochter, Schwester oder Schwägerin aufgenommen, sondern allein die in der Kopfleiste genannten fraulich-weiblichen Termini. Knapp 90 verschiedene Sprachen führt Tafel 42 auf, das ergibt - hochgerechnet - einen Anteil allein der GYNE-Sonderform an der Gesamtheit der Sprachen von einem guten Drittel, das heißt: weit über 500 Sprachen allein derer, von denen eine Bibelübersetzung erhältlich ist, enthalten GYNE-Formen für Weibliches. Unfaßbar angesichts dieser einen Tatsache, daß anerkannte Wissenschaftler je die These von der Unbeweisbarkeit einer gemeinsamen Ursprache der Menschen aufstellen und jahrzehntelang aufrechterhalten moch­ ten. Sie schauten halt über den Tellerrand der eigenen, speziellen und daher begrenzten Forschung nicht hinaus. Schade. Man sollte hinfort Sprachforschung nicht mehr ohne Kenntnis von Ergebnissen und Fragestellungen der Anthropologie und der Urgeschichtsforschung betreiben, wenn man nicht auf Schritt und Tritt die Möglichkeit wissenschaftlicher Fehltritte einkalkulieren will... Hinzukommen die übrigen KALL-Formen für die Frau, die insgesamt ein Vielfaches von dem ausmachen, was die unmittelbaren Schwesterformen von GYNE zu bieten haben. Noch einmal unbe­ greiflicher erscheint die Nicht-Entdeckung der Frau in der Sprach­ forschung, wenn man die ihr unmittelbar assoziierten Eigenschaften und Funktionen noch mit heranzieht. Da sind etwa im Englischen die QUEEN, CWEN, QUAIN und das Wort KIND und KINDRED für Art und Clan, das heißt, die über die Frau hergestellte Blutsver­ wandtschaft, die Fortsetzung zu CYNN für Volk, aber auch A’KIN für verwandt. Selbst das englische KIN’D mit der Bedeutung gütig, freundlich ist noch auf die Vorstellung von Frau und Mutter bezogen. Das ist aber nicht nur im Englischen so, sondern beinahe in jeder beliebigen Sprache. Auch FRAU, FROH und FREU’DE stehen in einer ähnlichen Assoziationskette. Freude und GLÜCK sind daher sprachliche Zeugen für jenes schönste Gefühl, dessen Menschen teilhaftig werden können. Während die Männer aus biologischen Gründen mittels Rang­ kämpfen untereinander auszumachen hatten, wer bei der Besamung

198

der weiblichen Population bevorzugt zum Zuge kommen sollte, ergab dieser biologische Zwang den zu Größe und Stärke tendieren­ den Mann. Darum sind Männer im großen Schnitt überall auf der Welt größer und meist - mit Ausnahmen - auch stärker als die Frauen. Bei den Frauen gab es immer schon gleiche Rangkämpfe, nur wurden sie mit diskreteren Mitteln ausgetragen. Während bei Männern der Begriff »schön« eher komisch wirkt, ist Schönheit bei der Frau ein Vorteil bei der Erreichung einer höheren Rangstufe und daher und zugleich die bessere Chance zu sexueller Auswahl und folglich zu vermehrter Fortpflanzung. SCHÖN aber ist eine KALLForm, das Playback relativ kurz: SCHÖN/SCHOL/CHAL/KALL - und so hieß es noch im griechischen KALL’os. SCHÖN findet sich auch in der Landschaft, wenn auch in einer anderen Bedeutung. Trotzdem, es vermittelt die sprachliche Ab­ wandlung zurück zu KALL überdeutlich: SCHÖNbrunn, nicht weit davon SCHOLLbrunn und weiter zu KALENbom, KALbach und KALtenbrunn. Bei letzterem ist KAL’t eine Mißdeutung aus inzwischen eingetretenem Unverständnis, gemeint ist KALL, die QUELLE. SCHÖNbrunn ist also eine Bilingue. Da KALL auch an Mündungen zu stehen pflegt, gilt das gleich deutlich von KALLmünz, KELLmünz oder HOLLmuth. Gleiches läßt sich weltweit nachwei­ sen. Alle Sprachen halten solche Bilinguen für den Paläolinguisten bereit. Aber zurück zur weiblichen Schönheit. Halten wir fest, daß beim Mann die größere Stärke und die größere Figur, bei der Frau die größere Schönheit zählte, wenn es um den Rang in der jeweiligen Hierarchie ging, und das einige Millionen Jahre lang. Eine einfache Erklärung für den Umstand, daß es weitaus mehr schöne Frauen gibt als Männer. GLÜCK und SCHÖNheit sind die beiden Faktoren, die sich am zahlreichsten an das KALL der Frau anlagern (Tafel 43). Wir kommen nun zu der feineren Art, zu lieben, jene, welche von Zärtlichkeit und Innigkeit geprägt ist, welche Lüsternheit und sexuelle Geilheit sublimiert und transformiert hat. Das ist in keiner Weise eine nur menschliche Errungenschaft. Je tiefer unsere For­ scher in das Verhalten der Tiere eindringen, um so weniger bleibt von dem übrig, was wir noch vor wenigen Jahren als nur dem Menschen möglich oder zugänglich verstanden wissen wollten. KALL-Wörter dafür und für zwischenmenschliche Bindungen ganz allgemein, für Mutterliebe und kindliche Anhänglichkeit, für das Umsorgen, für das Sanfte, Zarte, Weiche, die Wertschätzung geliebter Menschen, all das hat sich noch in auffallender Nähe des Archetyps angesiedelt und 199

Tafel 43: GLÜCK und SCHÜNheit hebräisch

tibetisch

tagalog

loma

GAIL

S’KAL-dan

* GALAK

* GALAK

Freude, joy ALLEGria

GLÜCKLICH happy, feLIZ

GLÜCK, LUCK feLICidad

GLÜCK, LUCK felicidad

finnisch

quechua

aymara

catalan

HAL’tio

LAYQA

KALLAL’KIRI

GALA

Jubel, JOY ALEGria

SCHÖN, fair guapo

SCHÖN, fair guapo

SCHÖN, fair hermoso

griechisch

griechisch

australisch

australisch

KAL’os

KAL’os

bi’GALY

NJALY

SCHÖN, fair hermoso

GLÜCKlich happy, feLIZ

GLÜCK, LUCK aLEGria

SCHÖN, fair hermoso

mapuche

quechua

englisch

französisch

ALLA

ALLIN’nyok

GLA’dden

JOIE

SCHÖN, fair hermoso

GLÜCKLICH happy, feLIZ

erfreuen aLEGriar

Freude, JOY aLEGria

arabisch

maori

griechisch

griechisch

GARAN

HARI

CHAR’is

CHAR’ieis

SCHÖNheit, fairness, hermosidad

Freude, JOY ALEGria

Grazie, gracious gracia

SCHÖN, fair hermoso

nheengatu

maori

etruskisch

pu’RANGA

tu’RANGA’hakoia CAN

CAN’ta

SCHÖN, fair hermoso

Freude, JOY ALEGria

SCHÖN, fair hermoso

hübsch, NICE guapo

chinesisch

chinesisch

griechisch

quechua

HUAN xi

HAN LE

GAN’os

KANUY’mana

selig, happy feLIZ

Freude, JOY ALEGria

GLÜCK, LUCK feLICidad

sehr SCHÖN, very fair, muy hermoso

irisch

telugu

arabisch

arabisch

finnisch

chak’KANI

KAN’is

GANIYA

KAUNIS

SCHÖN, beautiful, hermoso

SCHÖNheit, beauty SCHÖN, beautiful, hermoso hermosidad

SCHÖN, fair hermoso

arabisch

quechua

telugu

telugu

NAJAH

ACNA’puy

NAN’damu

AANAN’da

GLÜCKLICH happy, feLIZ

SCHÖN, beautiful, hermoso

selig, happy feLIZ

GLÜCK, LUCK felicidad

ilocan

bengali

mapuche

anglosaxon

NAAN’gaw

ANAN’da

ANA’GEN

GAI

GLÜCKlich happy, feLIZ

GLÜCK, LUCK fortuna

SCHÖN, fair hermoso

Freude, JOY ALLEGria

200

baskisch

maori

chinesisch

suahili

JAY

KAI

KAI LE

HAI’ba

Freude, JOY ALEGria

Freude, JOY GAYA

GLUCK, LUCK feLIZ

SCHÖN, beautiful, hermoso

baskisch

polnisch

maori

irisch

a’LAI

b’LOGI

KOA

ad’HUIL

GLÜCKlich happy, feLIZ

GLÜCKlich happy, feLIZ

GLÜCKlich happy, feLIZ

GLÜCKlich happy, feLIZ

englisch

quechua

quechua

irisch

LUCK

KULLAY

ko’CHULLA

LUCHAIR

GLÜCK fortuna

Freude, JOY aLEGria

froh, happy aLEGre

Freude, JOY aLEGria

tagalog

akkadisch

norwegisch

aztek

LUGOA

GULU

LYKKE

ma’CUILLI

GLÜCK, LUCK felizidad

sich freuen, enjoy, aLEGrarse

GLÜCK, happiness, felicidad

Wonne, rapture enCANto

australisch

australisch

irisch

tasmanisch

KUN’thun

NUNK’eri

ailLEACH’t

LEKE’ner

GLÜCKlich happy, feLIZ

hübsch, fair guapo

SCHÖNheit, beau- hübsch, NICE ty, hermosidad guapo

suahili

tibetisch

tibetisch

griechisch

che’LEKA

LEGS-pa

LEGS-ba

GELAN’es

Freude, JOY aLEGria

GLÜCKlich happy, feLIZ

SCHÖN, beautiful, hermoso

erfreut, delighted deliciado

tasmanisch

quechua

tagalog

lateinisch

LEENEALE

KILL’pu

LIGAYA

fe’LIX

Freude, JOY aLEGria

GLÜCK, happyness GLÜCK, happyness GLÜCKlich feLICidad (BA) feLICidad happy, feLIZ (BA)

lateinisch

akkadisch

sumerisch

irisch

HILAR’is

GILU

GILUM

GILE

GLÜCKlich, GAY sich freuen, enaLEGRE joy, aLEGrarse

Freude, JOY aLEGria

SCHÖNheit, beauty, hermosidad

irisch

spanisch

ilocan

twi

GLION’dar

LIN’do

KINA’RAG’sac ä’NIGJIE

Freude, JOY aLEGria (TAG)

SCHÖN, fair hermoso

GLÜCK, LUCK fortuna

GLÜCK, happyness, feLICidad

201

Tafel 44: GLEICHEN und ÄHNELN quiché

finnisch

ilocan

samojed

HAL

KAL’tai

LAOC’na

LAGAN

sehr ähnlich, aLIKE GLEICHen, LIKE GLEICH, LIKE muy semejante iGUALar(TAG) IGUAL

ÄHNlich, LIKELy semejante

suahili

australisch

arabisch

tagalog

HALF si

* NGLALIN

LAcHIZ

ka’WANG’ki

GLEICH, aLIKE IGUAL

GLEICHen, LIKE ÄHNlich, LIKELy ÄHNlich, LIKELy semejar semejante semejante

suahili

tibetisch

tibetisch

deutsch

LAN’da

NAN-tar

NYAN-pa

ÄHNEL’n

ÄHNELN, LIKE semejar

GLEICH wie, aLIKE ÄHNlich, LIKEly as, semejante semejante (BA)

tibetisch

japanisch

griechisch

deutsch

NO

RUI’ji

i’KEL’os

G’LEICH’en *

GLEICH, aLIKE IGUAL

be aLIKE IGUALar

ÄHNlichkeit.LIKE- ÄHNlichkeit LIKEness, semej. ness, semejanza

to be similar semejar

suahili

englisch

norwegisch

griechisch

LINGA

LIKE

LIGNE

a’LIKG’ios

GLEICH sein aLIKE, IGUAL

GLEICH(en) IGUAL(ar)

GLEICHen.be aLIKE, IGUALar

ÄHNlich sein LIKE, semejar

schott.-englisch

japanisch

japanisch

japanisch

RIN

NIGAO

NIKAYOU

NIRU

von gleicher Art IGUAL de clase

GLEICHen.be aLIKE, semejar

sehr ÄHNlich, very GLEICH sein, be similar, muy semej. aLIKE, ser IGUAL

verrät uns noch nach Jahrhunderttausenden das enge Verhältnis zwischen Müttern und Kindern wie auch zwischen Partnern über­ haupt. Man möge mir nachsehen, wenn ich die Sammlung der Tafel XXI mit »Die feinere Art, zu lieben«, überschreibe. Das englische Wort LIRE hat als Verb zwei Bedeutungen: einmal »gern haben, mögen, lieben«, zum anderen »G’LEICHEN«. Wie beim LUCK ist auch beim LIRE nur die zweite Hälfte einer Doppelung übriggeblieben, die bei uns an dem vorgesetzten -Ggerade noch erkennbar ist. LEICH und LIRE sind im zweiten Falle also das »gleiche« Wort. Einander zu GLEICHEN ist ein weiterer Aspekt der Beziehungen zwischen Müttern und Kindern, der schon früh bemerkt und daher auch im sprachlichen Ausdruck festgehalten

202

wurde. Noch die AHNEN und das ÄHNELN gehören hierher, wenn auch etwas weiter am Rande der möglichen Abwandlungen angesie­ delt. GLEICHEN und ÄHNELN ist das Thema der Texttafel 44. Aus der gleichen Quelle weiblichen Verhaltens scheint mir der Begriff des NAHEN gespeist. Schon bei BA zeigt sich ähnliches - das Wort BEI für sich und in Verbindungen drückt große Nähe aus. So im BEI’wohnen, in BEI’NAHE. »Bei’wohnen« drückt auch in seinem zweiten Wortteil mehr aus als unser bloßes »wohnen«: da sagt schon das »ver-wöhnen« mehr aus, und erst recht das »woo« der Briten, das heute die Bedeutung »freien« hat. Die Verwendung des BA für Wohnen und Bauen ist ein sehr frühes Wort mit einer erheblichen Bandbreite an assoziierten Sinngehalten. NAHE scheint da eine bescheidene Nachfolge angetreten zu haben; eine gründlichere Erfassung als hier scheint daher erfolgversprechend. NAHE und NACH gehören natürlich irgendwie zusammen, NACH geht man, um jemandem oder einer Sache NAHE zu sein. Das eine in des anderen Bedeutung findet sich in unserem NACH’BAR oder englisch NEIGH’BOUR, denn der Nach’bar ist der »nahe-Wohnende«. Ein paar Beispiele zeigt die Tafel 45. Wir wissen aus den Beobachtungen von Naturvölkern, daß sie dem Ereignis der Geschlechtsreife ihrer Jugend eine ganz besondere Bedeutung beimessen. Sie wird mit festlichen, manchmal auch zumindest uns absurd erscheinenden Riten gefeiert. Bezogen auf frühe Menschen erscheint es uns daher denkbar, daß auch bei ihnen schon früh dieser Anlaß beachtet und vielleicht auch schon gefeiert wurde. In dem Maße, in dem Sex eine nicht mehr an seltene Brunstzeiten gebundene Verhaltensweise war, gewinnt auch das Feiern an Wahrscheinlichkeit. Einigermaßen sicher ist ja die aus der tierischen Phase übernommene Sitte, die jungen Männer bei Erreichen der Geschlechtsreife an die Peripherie des Reviers zu verbannen. Einige Wissenschaftler begründen ein solches Verhalten mit der Notwendigkeit, Inzest zwischen Sohn und Mutter zu vermeiden. Ich halte das für Anthropomorphismus, das Projizieren menschlicher Vorstellungen auf die Tierwelt. In der Tierwelt gibt es solchen Inzest sehr wohl, wenn die jungen Männchen schnell genug geschlechtsreif werden. Es gibt wahrscheinlich keine »natürliche Moral«, die solches verbietet. Man vergißt leicht, daß die frühen Menschen eine sehr viel geringere Lebenserwartung hatten als wir. Ehe ein junger und geschlechtsreifer Sohn sich in der männlichen Gruppe einen vorderen Rangplatz erkämpfen konnte, war seine Mutter entweder schon tot oder nicht mehr gebärfähig.

203

Tafel 45: NAHE bei quechua

samojed

arabisch

irisch

KAYLLA

LAKKA

QARA’b

GAIRE

NAHE, bei, NEAR NAHE.CLOse cerca CERCa

NAHE, NEAR CERCa

NAHE, NEARness estando CERCA

finnisch LÄCHI

irisch

finnisch

CON’GAR *

LUONA

NAHE bei, NEAR NAH, NEAR with, CERCa de CERCA

NAHE, NEIGH CERCA

NAHE.NEAR CERCA

finnisch

maori

suahili

englisch

NUUKA

pa’NUKU

UNYO

NEIGH/NEX’t

ENG.CLOse CERCA

NÄCHst.NEXt lo mas CERCA

NAHE, NEAR CERCA

NAHE,NÄCHst CERCA

maya NAC

Die »Fähigkeit« aber ist genau die Protokollnotiz, die uns hier weiterhilft. FE und FÄ steckt in einer Vielzahl von Wörtern für Weibliches, im mittelhochdeutschen umb’FAH’en und ent’FAH’en so deutlich wie im FAVN, dem Schoß, und FE’mina, der Frau. Die Ableitung eines Eigenschaftswortes kann also nur den Sinn haben, weiblich funktionieren zu können, was sowohl Sex wie Geburt bezeichnet haben dürfte, eben die »Fähigkeit« dazu. Mit dem Fortschreiten von BA zu KALL waren entsprechende Neubildungen fällig. Ich habe unser deutsches Wort KÖNNEN im Verdacht, die Nachfolge von »fähig« angetreten zu haben, bedeutet doch schon im Norwegischen das Wort KJÖNN »Geschlecht«, ursprünglich natür­ lich das weibliche. Es würde in die ja auch bei FÄHE/FÄHIG bewiesene Art einfachster Denkweisen früher Menschen passen, das KÖNNEN auf die für sie so wichtige Reife in geschlechtlicher Hinsicht zu beziehen. Noch sicherer erscheint mir das bei dem fast gleichklingenden Wort GÖNNEN ... GÖNNEN und GUN’st stehen klanglich Wörtern für Weibliches so nahe wie nur denkbar. Mit der Abwendung von nur einmai-jährlichen Brunstzeiten zu stän­ diger Wiederkehr sexueller Bereitschaft muß ja notwendigerweise dieser Teil ihres Gefühlslebens stark in den Vordergrund gerückt worden sein - aus solcher Zeit des Umbruchs dürfte die sprach­ liche Zuordnung von KÖNNEN und GÖNNEN stammen (Tafel 46). Jeder Abschluß dieses Kapitels muß notwendigerweise ein gewalt­ samer sein - allein die Zahl der noch verfügbaren Beispiele

204

Täfel 46: KÖNNEN und GÖNNEN quechua

baskisch

telugu

setswana

KALL’may

a’HAL

cheya’GALA

tsh’WAELA

KÖNNen, CAN poder (BA)

KÖNNEN, CAN poder

fähig, able capable

GÖNNEN, GRANt conceder

samojed

bengali

englisch

dayak

an’KALOS

RAH

CAN

KAÄN

GÜNstig, favorable, favorable

GÖNNEN, GRANt KÖNNEN conceder poder

fähig, able capable

griechisch

dayak-sadong

tibetisch

tibetisch

CHAN’dano

IN’SHAUN

NAN-ba

NYAN-pa

fähig, able capable (TAG)

fähig, able capable

beGÜNstigen, favor, favorisar

fähig, able capable

griechisch

setswana

tagalog

malay

CHAR’is

KA

KAYA

KON’GANG

GUNst, sexual favors, favor sexual

KÖNNEN, CAN poder

Fähigkeit, ability capacidad, aptitud

fähig, able capable

tibetisch

setswana

deutsch

deutsch

KON-pa

KGONA

KÖNN’en

GÖNNEN

fähig, able capable

fähig, able capable

fähig sein to CAN, poder

gewähren, GRANt dejar, conceder

welsch

lateinisch

laddinisch

lateinisch

RHOI

fa’CUL’tas

CUIR

fe’CUN’dus

GÖNNen, GRANt Fähigkeit, abiconceder lity, capacidad

GÖNNen, GRANt fruchtbar, fertil conceder fertil

lappisch

luo

finnisch

schottisch

NUKK’it

NYALO

KEL’po

s’KEELIE

fähig, able apto

KÖNNen, CAN poder

fähig, able apto

fähig, able apto

chinesisch

chinesisch

chinesisch

maori

NENGLI

NENGGAE

GEIfu

a’HEI

fähig, able apto

KÖNNen, CAN poder

GÖNNen, GRANt fähig, able conceder apto

205

weiblicher Wirkungen in der Sprache würde jedes Maß sprengen. Nun, um so mehr Erfolgserlebnisse bleiben meinen Nachfolgern... Mit der Vorherrschaft weiblicher Termini über solche, die vom Manne abgeleitet wurden, geht es wie mit den weiblichen Kleinplasti­ ken aus der Steinzeit. Hunderte sind von ihnen an steinzeitlichen Wohnplätzen, in Höhlen und in Gräbern gefunden worden, männ­ liche dagegen fehlen fast ganz. Es sind jene »fettsteißigen« Torsi ohne Kopf und Füße, an denen die weiblichen Merkmale in aller Regel überbetont sind. Alle diese sind zugleich KALL-Merkmale, gefun­ den an Orten, die gleichfalls das KALL auf sich bezogen haben. Wir dürfen auch nicht vergessen, daß diese Menschen noch weit von unserer Art des ursächlichen, des materiellen und des logischen Denkens entfernt waren, ihr Geist bezog seine Bilder noch weitge­ hend aus dem sogenannten limbischen System, sie dachten in Bildern und Assoziationen nicht unähnlich der Art, wie wir heute im Traum »denken«. Ihre Figurinen sind keine Abbilder der Wirklichkeit, es sind Idole, die einige der wesentlichsten Eigenschaften oder Wirkun­ gen der Welt und des menschlichen Lebens allegorisch sichtbar und mit den Händen zu greifen machten. Genauso verfuhren sie auch mit ihrer Sprache, sie formten die Wörter nach dem Vorbild, an das sie unwillkürlich denken mußten, wenn ihnen Neues auf- oder einfiel. Das verraten die Sprachen in ihrer heutigen Form dem Paläolinguisten auf Schritt und Tritt, und genau das macht seine Art der Sprachforschung so überaus lebendig und faszinierend. Denken wir bei den Rundungen auch noch einmal zurück an den REIGEN. Es fällt auf, wieviele der heutigen Tänze, die man unter diesen Begriff noch einordnen kann (Gegensatz: das Paar-Tanzen), von Männern oder vor allem von Frauen allein getanzt werden. Hier war das ursprüngliche Motiv noch kultischer Art. Wir können vermuten, daß diese Art Tanz schon früh neben die Balz, die sexuelle Werbung, trat, denn unsere Funde beweisen immer deutlicher, wie früh schon religiöses Denken die Menschen ergriffen hatte. Das beweist nicht nur das Grab von La Ferrassie, der Schädel vom Monte Circeo, sondern auch schon der von Tautavel mit seinen mehr als 300000 Jahren. Das religiöse Moment hat seitdem die menschliche Entwicklung gefördert und vergeistigt. Die hohen kulturellen Lei­ stungen der Menschen der letzten Eiszeit gehen darauf zurück. Bei den Mandara-Negern beobachtete man eine merkwürdige Sitte. Sie umschritten einzeln oder zu mehreren große Felsblöcke. Dabei schlugen sie in rhythmischen Abständen mit einem Stein in der Faust gegen den Fels. Auch in den Höhlen der Ile de France südlich

206

Paris gibt es in den Fels gehauene Figuren, die offensichtlich immer wieder aufgesucht und weiter vertieft wurden. Es läßt sich kaum ein anderer Grund denken als der einer kultischen Handlung. Zu den vielen Zeichen, die in die Felsen geschlagen wurden, gehört auch die Vulva. Auch die VUL’va ist ist eine KALL/BA-Verbindung wie die Va’GINA. Das Zeichen hat nichts mit steinzeitlicher Pornographie zu tun, es ist ein Symbol — für das Mütterliche? Für die ersehnte Wiedergeburt? Oder einfach als Token, als Zeichen dafür, daß dieser Ort weiblichen Gottheiten geweiht sei? Oder war es ein frühes Schriftzeichen für KALL!? Wie das ja auch bei den in Höhlen erhaltenen Handabklatschen denkbar ist... ? Wie die Welt der menschlichen Ordnungen von Frauen beherrscht, war auch ihr frühester Himmel zunächst ausschließlich mit Frauen und Urmüttern bevölkert. Und ganz gleich, welche noch so exotische Mythenwelt man sich vornimmt, unter diesen frühen himmlischen Müttern, später »Himmelsköniginnen«, dominieren KALL-Namen. Wer sich für diesen weiblichen Aspekt menschlicher Geschichte über das hinaus interessiert, was hier dargestellt ist, dem sei das 1979 erschienene Buch über fünf Millionen Jahre Urgeschichte der Frau empfohlen, das den Titel Weib und Macht trägt. Dort wird man auch ausführliche Beschreibungen der Wirkungen solch weiblicher Vor­ herrschaft bis in unsere Zeit finden, die ich hier nicht wiederholen möchte. Wie ich mich ja insgesamt bemühe, schon Veröffentlichtes nur insoweit heranzuziehen, als es zum Verständnis der hier geschilderten Zusammenhänge mit sprachlichen Entwicklungen unbedingt erforderlich ist. Warum unser Wort KIN’D eigentlich nur die Mädchen meint, war schon erwähnt. Dabei geschah wahrscheinlich das gleiche, was uns in der beinahigen Gleichstellung MANN/MENSCH heute wieder begegnet. Im Englischen ist es noch ärger, da bezeichnet MAN beides, Mann und Menschen. Solche, wenn auch irrtümlichen, Gleichsetzungen haben Folgen in der Denkweise: Wenn uns »der« Mensch der Steinzeit beschäftigt, dann stellen wir uns darunter inzwischen unwillkürlich wirklich Männer vor, obwohl die doch an den wesentlichen Entwicklungen weniger beteiligt waren und von der Gesamtbevölkerung jeweils weniger als die Hälfte ausmachten. Grammatik formt also sehr wohl Denkweisen, wie wir gleich sehen werden. Nun war das früher wahrscheinlich genau umgekehrt — die Dominanz der Frauen in der Sprache und im Leben früher Menschen brachte es dazu, daß - genau wie beim KIN’D - auch das allgemeinere Wort für Mensch von KALL abgeleitet wurde. Viele 207

Tafel 47: Mensch und Mann spanisch

quiché

slowakisch

weanerisch

GAL’farro1

CALAL

CHALAN

KLACHL

Bursche, GUY hombre

KERL, GUY CONO tagalog

GAUNER, HOO­ Herr, master LIGAN, CONO señor

chontal

mapuche

australisch

LAK’we

GUA’GUAL

i’WALA

la’LAKI

Mann, male hombre

KERL, GUY gran hombre

Mensch, man hombre

männlich, male masculino

batak

lateinisch

spanisch

laddinisch

* KALAK

CAL’o

CERNFGAL’o

GALOSCH’a

Mensch, man hombre

Bursche, GUY hombre

GAUNER, HOO­ Mann, male LIGAN, CONO hombre

quechua

aymara

baskisch

deutsch

KALLU

CHAULU

LAGUN

HALUNKE1

Mann, male hombre

Indio, manof one’sownrace

LEUte, folks GENte

GAUNER, HOO­ LIGAN, CONO

finnisch

australisch

lappisch

batak

ROI’KALE

KARE

RAGGE

LAKI

KERL, GUY gran hombre

Mensch, man hombre

gr. Mensch, big male, gran hombre

Mensch, man hombre australisch

malayisch

quechua

schwedisch

ORANGLAKI

QARI

KARL

KAINGANI

Mensch, man hombre

Mensch, man hombre

KERL, GUY hombre

j. Mann, young male, joven

tibetisch

quechua

tasmanisch

tasmanisch

GAN-zag

KANA1

KANA

NÖ’GANA *

Mensch, man hombre (TAG)

GAUNER HOO­ LIGAN, COÑO

Mensch, man gente

Mensch, person persona

deutsch

spanisch

quich6

maori

GANO’ve

GAÑAN

WI’NAQ

NAUHEA

GAUNER, HOO­ LIGAN, CONO

KERL, GUY COÑO

Mann, male hombre

KERL, GUY hombre

chinesisch NAN Mann, male hombre

sanskrit

australisch

batak

NARA

NARA

o’RANG

Mensch, man hombre2

Mitmensch, fellow- Mensch, man man, hombre hombre

zapotek

griechisch

etruskisch

maya

LAA

LA’os

LAU’tn

LAY

Person, person persona

LEUte, people GENte

LEUte, people GENte

er, he ELLo

208

maori KAIAKA KERL, GUY coflo

bengali

finnisch

australisch

LOK

KOL’ho

KOALA

Menschen, people GENte

KERL, GUY CONO

Mensch, man GENte

mapuche CHOLO KERL, GUY hombre

polnisch HOLO’ta LEUte, people GENte

australisch KOLEIN Mensch, man hombre

australisch KORNE Menschen, people GENte

australisch e’LOIN Mensch, man GENte

slowakisch ÖLOV’ek Mensch, man GENte

thai KON Mann, male hombre

thai KHON Person persona

finnisch KONNA GAUNER, HOO­ LIGAN, CONO

spanisch COfl’o GAUNER HOOLIGAN

polynesisch-bauro i’NONI Mensch, man hombre2

aynu KUR Mensch, man hombre

suahili GHULA’mu j. Mensch, young human being, joven

suahili mah’LUKU Mensch, man hombre2

englisch HOOLI’GAN * GAUNER CONO

polynesisch o’HUN Mann, male * hombre2

slowakisch HUN’cut GAUNER, HOO­ LIGAN, CONO

mapuche HUEN’chu KERL, GUY hombre

am.-spanisch GUAINA Bursche, GUY joven

suahili KIUNG’wana Mann, man hombre

pame KUNU er, sie, es, he, she, it, ELLO, ELLA

japanisch a’KUNIN GAUNER, HOO­ LIGAN, CONO

quechua RUNA Mensch, man hombre

australisch ma’RUNJU Mensch, man hombre

sumerisch LU Menschen, people GENte

hethi tisch LU Mann, male hombre

deutsch finnisch KEL’mi SCHEL’m GAUNER, HOO­ SCOUNdrel CONO(BA) LIGAN, CONO

arhuaco CEIRUA Mann/Mensch man/male, hombre

lateinisch GEN’s LEUte, people GENte

baskisch JEN’de LEUte, folks GENte

finnisch HEN’KILÖ Person persona

irisch NEACH Person persona

suahili KILA jedermann, every­ one, CUALQier

tungusisch NIYAL’ma Mensch, man hombre

quechua KILLI’KILLI3 GAUNER, HOO­ LIGAN, CONO

209

australisch KINGA er, sie, es, he-she-it ELLO, ELLA

australisch bra’KINI Mensch, man hombre

japanisch NIN4 Mensch, man hombre

japanisch NIN Person, individual persona individual

1 GAUNER und Gleichwertiges ist hier mit aufgenommen, weil es erst spät einen negativen Beigeschmack bekommen zu haben scheint, und das nicht einmal überall. Die ursprüngliche Bedeutung war - wie auch bei NARR und CLOWN - eigentlich »Mensch«. 2 Auch die spanische Sprache kennt nur das Wort für »Mann«, HOMBRE, auch für »Mensch«. Im Englischen kann man einen Unterschied machen, indem man MALE für »Mann« sagt und damit die unmißverständliche Männlichkeit zum Ausdruck bringt. 3 Es fällt auf, wie liebevoll KALL-nah so viele Sprachen ein Wort für den GAUNER oder GANOVEN übrig haben. Tatsächlich wird dieser Ausdruck nicht nur im Deutschen und Spanischen kumpelhaft und mit Sympathie befrachtet angewendet. 4 Das japanische NIN für Mensch, Person und Individuum ist ein Wort mit besonders weiblichem Timbre, bezeichnen doch parallele Formen in einer Vielzahl von Sprachen mit NAN/NON/NUN/NEN und NIN betont Weibliches und vor allem Mütterliches.

solcher Wörter haben ein ausgesprochen weibliches Timbre. Auch Wörter der Rangordnung bis hin zu Titeln zeigen viel zu häufig weibliche Herkunft - sie wurden eben einfach übernommen oder weitergeführt, als Männer diese Positionen einnahmen. Als Titel oder Namen war der ursprünglich weibliche Sinn solcher Wörter längst vergessen (vgl. Tafel 47). In der Sprache der Aynu, der Urbevölkerung Japans, denen eine indogermanische Abstammung nachgesagt wird und von denen es kaum noch 15 000 reinrassige Menschen gibt, heißt Mensch: AYNU. Es spricht viel dafür, daß sich auch andere Menschengruppen in früher Zeit zum Unterschied von der sie umgebenden Fauna einfach »Menschen« genannt haben und daß viele heutige Völkernamen wiederum nichts anderes sind als vergessene Wörter für unsere Art. Dafür spricht auch das Begleiten entsprechender Völkernamen in die TAG-Zeit hinein, als der Mensch wegen seiner aufrechten Haltung schließlich auch noch TAG genannt wurde. Umgekehrt spricht einiges auch für die frühe Gleichsetzung - in einer der australischen Sprachen heißt auch der Mensch KOALA genauso wie das Urbild unseres Teddybären.

210

In der Tafel XXII der Dokumentation sind die Wörter für den ranghöheren Menschen, die sich zum Teil auch als Titel gehalten haben, wiedergegeben, die noch aus gynaikokratischer Ordnung stammen und, weil nicht mehr als weiblich durchschaut, in männer­ rechtliche Zeiten übernommen wurden. Das ist ein ganz natürlicher und, wie die Tafel zeigt, weltweit verbreiteter Vorgang. Zu den Zeiten, da solche Bezeichnungen auf Männer übernommen wurden, waren die Gründe und Zusammenhänge für die Wortwahl längst vergessen, so wie wir heute noch hirnrissigerweise von den »Fähig­ keiten« eines Mannes sprechen oder davon, der Bundespräsident gebe einen »Empfang«: der dürfte sich heute hüten, jemanden zu »umb-« oder zu »ent’FAH’en« ... Es mußte für frühe Menschen naheliegend sein, KIN’D mit einem Wort für KLEIN auszudrücken oder/und umgekehrt. Unser althoch­ deutsches CHILIN ist dem altenglischen CHAILL benachbart, einmal haben wir »klein«, das andere Mal »child« vor uns. In der Grammatik hat KALL von diesem Winkel her mehrfach Eingang gefunden, -CHEN und -LEIN sind solche auf Kind und klein zurückgehenden Formen. Ebenso ist die Endung -UNG, die aus einem beliebigen Verb ein Substantiv zu machen vermag, eine KALL-Form, welche die Zusammengehörigkeit ausweist, die Zuge­ hörigkeit zu einem Mutter-Wort also. Auch die Aufspaltung einer Frau in mehrere Individuen wird grammatisch nachvollzogen, wenn wir einem Wort die Silbe GE- voransetzen - etwa Wetter und GEwitter, Wasser und GEwässer, Heulen und GEheul: Dies ist die frühere Form, ein Mehrfaches auszudrücken, ehe die Variierung der Endungen diese Aufgabe übernahm. Wieder anders wird die Zugehörigkeit einer Eigenschaft zu einem substantiven Begriff durch KALL bewirkt: mit unserer Endung -LICH. Hier noch eine allgemein recht bekannte Kette von KALL-Inhalten und Ausdrucksformen. GENUS ist das weibliche Geschlecht, die Art. GENERE ist das Zeugen und Erschaffen, das Erschaffene die GENEration und von daher GENS, das Volk oder die Leute schlechthin. Das weibliche Element bricht noch einmal durch im GENTILIS, einmal das Vornehme, zum anderen das Gütige, Freundliche. Selbst in den Genitiven von Ursprung und Jungfrau bricht sich unser Wort wieder Bahn, in ORTGIN’is und in VIR’GIN’is. Übrigens geht aus der letztgenannten Form VIRGO hervor, daß nicht einmal VIR ursprünglich nur »Mann« bedeutet haben kann, sondern »Mensch«. Diese BA-Form setzt sich fort bis in unsere »WÜR’de« und in »WORL’d«, unserer vom nordischen »VÄRL-

211

’den« her verstümmelten »Welt«. Welt meint ursprünglich also die Gesamtheit der Menschen, nicht das All. Dies das Ende einer kleinen Nachlese. Aber auch beim nächsten Abschnitt bleiben wir auf eine vielleicht heute noch rätselhafte Weise im Bannkreis weiblicher Vorstellungen und Funktionen.

Die Mond und die Schiff

Immer dann, wenn unserer heutigen Sprache oder gar der eigenen Grammatik Unregelmäßigkeiten unterlaufen, besteht für den Paläolinguisten der Verdacht, auf frühe Vorstellungen zu stoßen, die sich auf diese irreguläre Weise noch zu behaupten versuchen. Das englische THE ist ein Einheitsartikel, der keinerlei grammatische Geschlechtszugehörigkeit mehr erkennen läßt, auch fehlen Endun­ gen, die solches noch anzeigen könnten wie im Lateinischen oder Schwedischen. Wenn das englische Fremdwort NATION dennoch weiblich verstanden wird, erkennt man das nur mittelbar: »Germany and her government« zeigt das weibliche Element deutlich an, die Nation ist selbst als Fremdwort noch die Urmutter, welche alle ihre Kinder in diese eine Volksgruppe hineingeboren hat -NASCI=ge­ boren werden. Auch ansonsten hat das Wort in den unterschiedlich­ sten Sprachen seinen weiblichen Grundcharakter sogar in der Grammatik, das heißt in einer reichlich artifiziellen Konstruktion, bewahrt. Und das will schon etwas heißen. Wir Deutschen gehören zu den wenigen Völkern auf dieser Erde, die dem Mond einen maskulinen Artikel aufgedrängt haben. Weltweit ist »er« vor allem weiblich zu deklinieren. Auch hier wieder sind unsere britischen Nachbarn Zeugen: »the Moon and her light« oder »the first man who stepped on her surface«. Auch in westfälischer Mundart wird sie, der Mond, noch drastisch als Frau angesprochen: »Fru Rotte med sülverne Tötte« heißt es da in einem Kindervers (Schöll). Auch als man im Mond noch eine Gottheit sah, war sie weltweit weiblich, bei Frau LUNA angefangen über die griechische Selene oder Helena bis zu der Mamaquilla der Inkas. Die Tafel 48 zeigt Wörter ausschließlich mit der Bedeutung »Mond«, die von überallher zusammengetragen auf KALL hören. In vielen Sprachen ist der Mond genau wie bei uns der Gradmesser der Zeitrechnung und bezeichnet den Monat. Bei einigen Völkern hat der Monat übrigens auch heute noch genau 28 Tage und das Jahr

213

Tafel 48: KALL und Mond ph-balangaw

polynesich

arabisch

arabisch

* HALAQ

bu’LAK

GARR

HALAL

telugu

bengali

hindi

sanskrit

CAN’dha

CHAN’d

NAK

CAN’dra

ph-40 Spr.

sumerisch

tibetisch

bu’LAN

NANNA

Zla

australisch

GOOLARA

australisch

australisch

ph-agta

laddinisch

KORANA

LOOREA

HULAN

G’LÜNA

lateinisch

australisch

maori

aynu

LUNA

NYUNGIE

HUANGA

KUNNEcup

australisch

guarani

NUL’GERONG NUAU

finnisch

mapuche

KUU

CÜYEN

irisch

australisch

irisch

quechua

GEALACH

KEIN

REANNA

KILLA

folglich 13 Monate und einen Tag. Die Römer rechneten ja nur mit zehn Monaten und füllten die Lücken dann entsprechend phan­ tasievoll aus. Jedenfalls verdanken wir ihnen, daß wir den neun­ ten bis zwölften Monat auf gut Lateinisch den siebten bis zehnten nennen. Von Völkern wie den Maya, sonst »auf Steinzeitstufe«, wissen wir, daß sie aufgrund ihrer außerordentlichen Beobachtung der Gestirne einen ganz genauen Kalender berechnet hatten, der bis auf Sekunden etwa an die richtige Dauer eines astronomischen Jahres herankam. Im Mond ein weibliches Gestirn zu sehen, hing sicher schon früh mit der Beobachtung der weiblichen Menses zusammen, die ja gleichfalls 28 Tage braucht, ehe ein neuer Zyklus beginnt. Das mag der Grund sein, warum der Mond so gründlich von weiblichen Vorstellungen besetzt wurde. Zweifellos wurde der Mond zu einer wichtigen Voraussetzung des Glaubens an eine Wiedergeburt. So verband sich mit dieser seiner hervorstechenden Eigenschaft von der Fortsetzung des Lebens die von der Frau als der einzigen, die uns Menschen die Gnade der Wiedergeburt zuteil werden lassen konnte. Wenn unsere fernen

214

Vorfahren glaubten, um solche persönliche Wiedergeburt trotzdem bangen zu müssen, so hing das mit ihrer ganz einfachen Beobachtung der Tatsache zusammen, daß zuzeiten eben gar nicht genug Frauen in gebärfähigem Alter die Gruppe bevölkerten wie ältere Menschen, die mit ihrem baldigen Tode rechnen mußten. Mit dem Bewußtwerden des Todes, des Einmal-Sterben-Müssens, wuchsen die Bemü­ hungen, etwas dafür zu tun, an, stieg aber auch das Ansehen der Frauen im eigenen Umkreis. Lunarsymbolik wird also zur Wiederge­ burtssymbolik. Lunarsymbolik nimmt offenbar einen breiten Raum ein bei allen schriftlichen, zeichnerischen und bildhaften Darstellungen der Vor­ zeit. Die Dreiheit von Punkten, Strichen und Figuren deutet auf Mond und Muttergottheit gleichermaßen, wie die vielen in der Mythologie überkommenen Dreiheitsgestalten anzeigen. Bis in geschichtliche Zeit gelten auch die Hörner des Stieres als allegorische Abbilder der Mondsicheln; noch Shakespeare dichtet von dem »gehörnten Mond«. Aber schon in den Höhlen der klassischen Steinzeit spielen sie die gleiche Rolle: Man hat erst spät bemerkt, daß viele Hörner der Urrinder und Bisons nicht logischerweise auch im Profil wiedergegeben waren wie das ganze Tier, sondern von vom! Nur so nämlich konnte die Mondsichelform deutlich werden und damit der lunare Symbolgehalt. Diese Lunarsymbolik in der Darstel­ lung von Stieren läuft ungebrochen durch von der Steinzeit bis zu den Sumerern, bei denen die Mondscheibe den Stieren zusätzlich zwischen die Hörner plaziert wurde, über Ägypten, das seine Hathor mit gleich verdrehtem Gehörn zeigt wie die Höhlenbilder, und über die Antike bis hin zu Michelangelo, der noch sein Bildwerk von Moses mit Hörnern versah. Im tiefsten Grunde aber sind das immer noch die Symbole, mit denen man Wiedergeburt zu beschwören hoffte. Wenn noch die Grammatik die Weiblichkeit des Mondes bestätigt, dann ist das ein untrügliches Zeichen für die außerordentliche Bedeutung, die man dieser Vorstellung beimaß. Da war auch die 28tägige Menses der Frauen kinderleicht mit ihrer Zusammengehö­ rigkeit oder gar Einsheit mit dem nächtlichen Gestirn erklärt. Die in ihren Kulten der Nacht und dem Monde besonders offenen kelti­ schen Ureinwohner Britanniens haben alle nachfolgenden Völker­ schaften noch einmal zusätzlich geprägt. Und alle, die wir Englisch lernen, müssen uns daher heute noch mit solcher Ausnahmeregel abfinden. Die natürliche Umwelt des Mondes ist, so meinen wir, die Nacht.

215

in Wahrheit dürfte er insgesamt die gleiche Zeitdauer am taghellen Himmel sichtbar sein, aber wirklich zählen tut für uns nur der Mond in der Nacht. Frühe Menschen empfanden das sicherlich noch deutlicher als wir heute, und sie bangten mit dem abnehmenden Mond der Zeit entgegen, da er ganz verschwand und drei Nächte lang wegblieb. Bei den Sumerern noch wurde sein Wiedererscheinen mit Hörnerschall gefeiert, keltische Frauen tanzten in der ersten Nacht, da er wieder sichtbar wurde. Nur in der Neumondphase empfanden die Menschen die Nacht als wirklich dunkel, als rabenschwarz, wie wir heute leichthin sagen. Bei reiner Luft ist aber selbst das Licht der Sterne allein noch hell genug, sich zurechtzufinden, aber die Sterne sind ja zuweilen auch verhüllt. Denken wir wieder an die einfachen Menschen unserer Frühzeit zurück, dann mußte ihnen der Gedanke an die Nacht zugleich den Gedanken an das Dunkel und bei absolutem Dunkel an die Farbempfindung Schwarz suggerieren. Sie konnten das leicht mit einem einzigen Wort ausdrücken. Warum drückten sie das weithin auch mit KALL aus? Spielte bei der Nacht noch der Himmel, spielte CAELUM die entscheidende Rolle? Zweifellos war der strahlende Nachthimmel sehr eindrucksvoll und die bloße Rückseite des Tageshimmels. Auch konnte das Wort sich von der dunklen, ohne künstliche Beleuchtung absolut schwarzdunklen HÖHLE herleiten wie etwa im Sanskrit, wo KALA für beides steht, für HÖHLE und für NACH’t. Aber die Menschen entdeckten Höhlen sehr viel später als ihre Sprachfähigkeit, und nur wenige Menschen der gesamten Art kamen je mit Höhlen in Berührung. So schön er auch wäre, so wenig wahrscheinlich ist ein solcher einfacher Zusammenhang. Man muß halt auch »schönen« Argumenten gegenüber korrekt bleiben... Ich habe meine Funde unter diesem Gesichtspunkt der Dreiteilung der möglichen Bedeutungen zusammengesteckt. Ich habe sie noch erweitert auf die »kleine Portion« Dunkelheit, die der Schatten darstellt. Es bot sich an. Ich bin aber nicht ganz sicher, es gibt auch andere Zusammenhänge: Etwa die skandinavische Paarung SKOG/ SKYGGE — Wald und Schatten. Beides TAG-Formen. Insgesamt aber erscheint die KALL-Nachbarschaft Schatten-Dunkel als recht natürlich (Tafel 49). Ich habe in die Tafel 49 auch das japanische NE aufgenommen, das nicht nur »Mitternacht«, sondern auch »Norden« bezeichnet. Sowie wir gelegentlich den »Mittag« auch als Richtungswort für den Süden verwenden, tun es also die Japaner mit dem Norden. Aber tun wir nicht Gleiches? Ist NOR’den nicht auch vielleicht ein Wort, das 216

Tafel 49: NACHt, Dunkel, Schatten und Schwärze arabisch HAL’kam schwarz, bLACK NEGro

irisch LACH’na schwarz, bLACK NEGro

nahuatl yo’WAL NACHt, NIGHt NOCHE

englisch b’LACK schwarz NEGro

hindi KALA schwarz, bLACK NEGro

thai KAALA schwarz, bLACK NEGro

chakaszki CHARA schwarz, bLACK NEGro

bengali KALA schwarz, bLACK NEGro

chakaszki CHARA NACHt, NIGHt NOCHE

türkisch KARA schwarz, bLACK NEGro

Sanskrit KALA dunkel, dark osCURo

australisch boon’GALA Schatten, shadow sombra (BA)

arabisch GARA’b Dunkelheit, dark­ ness, oscuridad

arabisch HALAJ NACHt, NIGHt NOCHE

chakaszki CHARA’schy dunkel, dark osCURo

türkisch KARAN’LIK dunkel, dark osCURo

aymara LAJJA dunkel, dark osCURo

tasmanisch LARA’bu dunkel, dark osCURo (BA)

arabisch GALAS Dunkelheit, dark­ ness, osCURidad

irisch LACHAN Dämmerung, dawn anochecer

ph-manobo QALANG Schatten, shadow sombra

zigeunerisch GALO schwarz, bLACK NEGro

bengali KALO dunkel, dark osCURo

ph-atta * QALUNG Schatten, shadow sombra

mongolisch KARU schwarz, bLACK NEGro

dayak NGARUM NACHt, NIGHt NOCHE

dayak-sentah KARUM dunkel, dark osCURo

australisch GALURU * schwarz, bLACK NEGro

australisch WARU’gadi dunkel, dark osCURo (TAG)

- arabisch HALIK schwarz, bLACK NEGro

spanisch CALI’GINO’so düster, darkish osCURO

arabisch HALIQ NACHt, NIGHt NOCHE

bengali KALI dunkel, dark osCURo

hethitisch HALI NACHt, NIGHt NOCHE

lateinisch CALI’gatio Dunkelh., darkness osCURidad (TAG)

ph-gaddang QALI’naw Schatten, shadow sombra

ph-ilongo KALI’bian NACHt, NIGHt NOCHE

ph-tagbanwa LAGIM schwarz, bLACK NEGro

tungusisch sa’KALIN schwarz, bLACK NEGro

ph-agta QALINU Schatten, shadow sombra

217

tagalog

ph-atta

ph-kallahan

arabisch

KARIMLAN

a’LAINU

QALLIN

LAILA

Dunkelheit, dark­ ness, osCURidad

Schatten, shadow sombra

Schatten, shadow sombra

NACHt, NIGHt NOCHE

hebräisch

nahuatl

australisch

LAILA

LAILO

boo’KANG

NACHt.NIGHt NOCHE

NACHt.NIGHt NOCHE

NACHt.NIGHt NOCHE

arabisch KANN Schatten, shadow sombra

tibetisch

thai

tibetisch

NAG

KAAN

NAG

schwarz, bLACK NEGro

schwarz sein, be Dunkelheit, dark­ bLACK, ser NEGro ness, osCURidad

ph-balangaw

ph-kallahan

guarani

NGA’ta’GAN

QAN’deket

CAN’ba

schwarz, bLACK NEGro

schwarz, bLACK NEGro (TAG)

schwarz, bLACK NEGre

nordisch NATT NACHt, NIGHt NOCHE

arabisch

tungusisch

ph-ifugao

qüechua

HANA’dis

XANAN

NAHA’dom

YANA

NACHt.NIGHt NOCHE

Schatten, shadow sombra

NACHt.NIGHt NOCHE

schwarz, bLACK NEGro

ph-ivatan

ph-batak

ilocan

australisch

QANI’NOG *

QANI’NUNG

NANGI’sit

bi’ANG’ri

Schatten, shadow sombra

Schatten, shadow sombra

schwarz, bLACK NEGro

NACHt.NIGHt NOCHE

telugu NALU’pu schwarz, bLACK NEGro

chinesisch AN dunkel, dark osCURo

baskisch GAU NACHt.NIGHt NOCHE türkisch GÖL’ge Schatten, shadow sombra

koreanisch KÄN schwarz, bLACK NEGro

ph-ifugao NGAO Dämmerung, dawn Schatten, shadow anochecer sombra maori

NGA’HAE

NACHt.NIGHt NOCHE

quichö KOL Finsternis, dark­ ness, osCURidad

chakaszki

tibetisch

KÖL’etki

ROG-po

Schatten, shadow sombra

schwarz, bLACK NEGro

englisch GLOOM Dunkelheit, dark­ ness, osCURidad polnisch

australisch

to’KAI

ph-tagabili

QOLUNG Schatten, shadow sombra

australisch

australisch

australisch

boo’LOOL

bo’LOOL

KURRA’GONG NOC

dunkel, dark osCURo

NACHt.NIGHt NOCHE

Schatten, shadow sombra

218

NACHt, NIGHt NOCHE

slowakisch NOQ NACHt.NIGHt NOCHE

lateinisch NOX NACHt.NIGHt NOCHE

laddinisch NOT1 NACHt.NIGHt NOCHE

japanisch

tasmanisch

NO

NÖN’ta

dunkel, dark osCURo

NACHts, at NIGHt de NOCHE

tagalog LUK’sa schwarz, bLACK NEGro

aynu

schwarz, bLACK osCURo

welsch ty’WYLL dunkel, dark osCURo

aynu KUR Schatten, shadow sombra

dunkel, dark osCURo

tungusisch

japanisch

australisch

japanisch

XÜRGÜ

KURA’si

CURRA

KURO

schwarz, bLACK NEGro

dunkel, dark osCURo

schwarz, bLACK NEGro

schwarz, bLACK NEGro

aynu

ph-tagbanwa

QULUNG

dunkel, dark osCURo

Schatten, shadow sombra

japanisch KURU dunkeln, get dark osCURecer

mapuche

e’KUROK

mapuche CURÜN dunkel, dark osCURo

koreanisch KURUM dunkle Wolke, dark cloud, cielo oscuro

quechua KULLI dunkel, dark osCURo

griechisch

thai

NUK’to-

KHYYN

Nacht-, nightNOCHE

NACHt.NIGHt NOCHE

griechisch NYX NACHt, NIGHt NOCHE

griechisch KYAN’odunkel, dark osCURo

■aynu

mapuche

parné

CUNU

KUN’pu

schwarz, bLACK NEGro

schwarz, bLACK NEGro

französisch Nurt NACHt.NIGHt NOCHE

tasmanisch

popoluka cuu NACHt.NIGHt NOCHE

hethitisch dan’KUI dunkel, dark osCURo

KUR

NÜNA NACHt.NIGHt NOCHE

KUNNE schwarz, bLACK NEGro

aynu KUNNE NACHt.NIGHt NOCHE

französisch NOIR schwarz, bLACK NEGro australisch

yon’GUL’dye Dunkelheit, dark­ ness, osCURidad laddinisch

CHÜR

CURÜ schwarz, bLACK NEGro thai

KUN NACHt, NIGHt NOCHE

arabisch

HUNA’bis sehr dunkel, very dark, muy osCURo aynu

KUNNE dunkel, dark osCURo

australisch

NU’ta NACHt, NIGHt NUIT, NOTTE schottisch

LECK schwarz, bLACK NEGro

219

griechisch

griechisch

dayak

ama

KELAI

KELAI’nos

CHELUM

NEKO

schwarz, bLACK NEGro

dunkel, dark osCURo

schwarz, bLACK NEGro

schwarz, bLACK NEGro

schottisch

hethitisch

suahili

setswana

LELA

LEHIHI

NACHt.NIGHt NOCHE

NACHt.NIGHt NOCHE

dunkel, dark osCURo

japanisch

telugu

japanisch

japanisch

bo’KEI

REYI

NE

NE1

Mitternacht, mid­ night, media noche

NORden, NORth NORte

NECH’t/NICH’t NEKU’t NACHt.NIGHt NOCHE

Dämmerung, dawn NACHt.NIGHt anochecer NOCHE australisch

ph-ilongo

ph-subnun

quechua

WIL’tscha

bi’LING

LINGAW

CHILLU

NACHt.NIGHt NOCHE

schwarz, bLACK NEGro

Schatten, shadow sombra

schwarz, bLACK NEGro

ph-kallahan

ph-manobo

finnisch

ph-dumagat

HILENG

KILIM

HIILI

KILI’p

NACHt.NIGHt NOCHE

NACHt.NIGHt NOCHE

schwarz, bLACK NEGro

NACHt.NIGHt NOCHE

australisch

baskisch ILLUN Dunkelheit, dark­ ness, osCURidad

arabisch

ph-sangir

KIN

KING’KAU

NACHt.NIGHt NOCHE

Schatten, shadow sombra

LILLIRI Schatten, shadow sombra

1 Laddinisch NOT ist wie französisch NUIT, italienisch NOTTE und nordisch NATT eine Zusammenziehung, bei der der K-Laut verloren gegangen ist und daher die KALL-Form nur kenntlich ist, weil man die benachbarten indogermani­ schen Formen kennt.

ursprünglich die größte Dunkelheit der Nacht bezeichnete? Es gibt im Finnischen eine BA-Form POHJA, Erde, von der deren Wort für Norden abgeleitet ist und sinngemäß aussagt: »da, wo die Sonne am tiefsten unter der Erde steht.« Eine ähnliche Ableitung fand ich im Mapuche der chilenischen Ureinwohner, nur ist das Wort dort fehl am Platze, steht doch bei ihnen die Sonne heute um Mitternacht im Süden! Also muß das Wort schon lange, bevor die Mapuche den Äquator südwärts überschritten, ein fester Bestandteil ihres Wort­ schatzes gewesen sein!

220

Mit Sicherheit steht das Phänomen NACHT ganz im Anfang unserer Sprachschöpfungen; wir werden ihr auch bei BA wieder begegnen. KALL hat jedoch den größeren Teil übernommen. Nacht und Dunkelheit, Schwärze und Schatten sind frühe Erfahrungen des Menschen, und wichtige zudem. In unserer arborealen Vergangen­ heit galt es, Nacht für Nacht aufs Neue eine sichere Bleibe außerhalb der Reichweite von Raubtieren zu finden. Erst sehr langsam hat man sich dazu verstanden, etwas festere Plattformen im Geäst zu bauen. Je schöner und sicherer die wurden, um so eher hat man dann einige Nächte dort verbracht. Und doch nicht für lange, sei es, daß man der geweckten Aufmerksamkeit von Raubkatzen erneut entgehen wollte, sei es, daß das Nahrungssortiment in der unmittelbaren Nähe zu sehr verbraucht war. Die Sorge um nächtliche Sicherheit war gewiß ein früher Bestandteil täglicher Vorsorge. Das beweist uns die weltweite Anwendung einander so ähnlicher Wörter aus dem KALL-Bereich. Das zeigt auch die Nähe der Wörter für alle vier Komponenten der Nacht. Ganz am anderen, am jüngeren Ende der Sprachentwicklung stehen die auffallend vielen KALL-Wörter für das Schiff oder Boot. Auch hier wieder die von einigen Grammatiken bewahrte Feminität der Begriffe. Wieder behandeln vor allem die Briten das Schiff wie eine Lady und sprechen von »her crew, her captain, her load, her course«. Wie weiblich sie sich Schiffe denken, kommt noch einmal in dem Ausdruck »the ship’s husband« zutage, dem Agenten, der für alles zu sorgen hat, während sie im Hafen ist (Ladung, Mannschaft, Proviant, Wasser, Papiere usw.). Auch wir sprechen in weiblichen Wendungen von der »Meteor«, wir schicken die »Gorch Fock« auf Reise. Diese Feminisierung von Schiffen treffen wir in den meisten Sprachen an. Es ist die Folge jenes kategorischen Imperativs des Hohlen, der schon früh auch die Frau umfaßt hatte und von ihr auf alle möglichen Dinge ausstrahlte, wenn sie nur auch hohl waren. Wörter für Boote und schließlich Schiffe von den gegebenen Wörtern für Hohles abzuleiten, bezeugt eine epochemachende technische Einsicht: Hohles verdrängt Wasser und ragt höher daraus hervor als das gleiche Material in vollem Zustande. Ein Baumstamm schwimmt zwar auch, taucht aber viel tiefer ein. Irgendwann einmal kam den Menschen ein Zufall zu Hilfe, durch Fäulnis oder Feuer verursacht, hatte ein zur Schwimmhilfe verwendeter Stamm ein Loch. Man konnte sich beim Aufsitzen eine gewisse Bequemlichkeit verschaffen und die Füße da hineinstellen, sich also auf dem Wasser 221

treiben lassen oder bewegen, ohne selber noch naß zu werden. In der jüngeren Steinzeit, in der das vermutlich geschah, hatte man schon sehr effektive Werkzeuge, um Holz von Koniferen auszuhöhlen. Wer immer diese Entdeckung gemacht hatte, er mußte verlockt werden, das Loch im Stamm zu erweitern und schließlich für einen Mitfahrer oder Lasten Platz zu schaffen. Die Folge: es entstand der Einbaum. Möglicherweise ein irreführendes Wort. Man denkt unwillkürlich an Ein im Gegensatz zu Zwei und mehr. Es gibt aber auch einen AINbaum noch im Mittelhochdeutschen, und zwar für eine Art Sarg. So könnte AIN auch eine KALL-Form für den hohlen Sarg sein und daher KALL genauso auf sich gezogen haben wie das Boot. Da bis ins 19. Jahrhundert Holz das Bootsbaumaterial war, konnten Boote praktisch überall gebaut werden. Aber man lernte auch, bloße Holzgerippe mit Häuten zu bespannen wie den mesopo­ tamischen KAJK, den CLJRRAUGH in Schottland und den KAYAK bei den Eskimos. Die kanadischen Indianer bauten RindenKANUs, die gleichfalls sehr brauchbar waren. Es ist bei all dem noch besonders an die Windeseile zu denken, mit der sich diese bedeutungsvolle technische Errungenschaft über den ganzen Erdball ausbreitete — wo immer es Wasser gibt, kommen seit dem Mesolithi­ kum auch Wasserfahrzeuge vor, die schon das bloße Floßstadium hinter sich gelassen haben. Immer aber ist die Frage, wann genauer und wo die ersten Boote entstanden sind, im wesentlichen unbeant­ wortet. Und es wäre doch so wichtig zu wissen, wie die späteren Tasmanier zuerst nach Australien, und wie dessen heutige Aborigines auf ihren fünften Kontinent gelangt sind. Die Geologen jedenfalls lehnen nach wie vor eine Landverbindung ab, wie Dolezol erst jüngst berichtete. Ebenso gibt es in größerer Nähe von uns eine ganze Reihe von Inseln wie die Kanarischen und die Balearischen, die zweifelsfrei in vorgeschichtlicher Zeit schon von Menschen bewohnt waren und diese Frage nach dem Woher und dem Wie immer erneut aufwerfen. Gerade Fragen wie diese aber drängen uns, unsere Vorstellungen von unbedarften Eiszeitmenschen und Naturvölkern zu revidieren. — Mit der Tafel 50 erschließen wir uns die Welt früher Seefahrer und Fischer, auch auf Binnengewässern. Gewiß haben unsere Vorläufer lange vor dem ersten Bootsbau erkannt, daß Hölzer verschieden schwer sind, daß also ein Eichen­ stamm tiefer im Wasser liegt als ein Stück von einer Pappel oder Linde. Als man daranging, solche Stämme auszuhöhlen, merkte man wiederum einen wesentlichen Unterschied: je härter ein Holz, desto schwerer war es auch — aber es war dauerhafter. Möglicherweise hat 222

Tafel 50: KANU bis GALEONE nahuatl

baskisch

spanisch-amerik.

a’KAL

GAL’ga

a’CAL

ph-ifugai

GAL’GALUNG *

Boot nach Einbaum­ Schiffsrumpf, LE- Einbaum oder KUNEu.us’GUNE primitives Boot art gearbeitet

einfaches KANU der Philippinen

suanili

hindi

guarani

GALA’wa

LAGGAR

GARA’ta

3-Mast-Fischerbarke

Barke auf Flüssen Zentral-Südamerik.

nheengatu y’GARA Boot nach Einbaum­ Indio-Nachen in art gearbeitet Nord-Kolumbien

arabisch

griechisch

suahili

malayisch

KALLA

KARA’bos

NGALA’wa

ba’GALLA

Werft, HELLING Ankerplatz

leichtes Schiff an der Küste

KANU mit Ausleger

SCHALuppeder Sunda-Inseln

arabisch

spanisch

CALA’dora

2-Mast-Segler für schwere Lasten

Schiffsart in Latein-Amerika

spanisch CALA’LUZ Bootstyp aus Ostindien

italienisch

ba’GALA

Dreimast-Schiff im Mittelmeer

tagalog

polynesich

spanisch

spanisch

KALAN

* KALANK

CHALANA

HALOQUE

Prahm, Fracht­ kahn, Ewer

altertümliches Boot

Einbaum u.KANU seegehendes Aus­ der Philippinen legerboot

po’LACCA

lateinisch

malayisch-kayan

deutsch/europ.

lateinisch

GAUL’us

HARUK

SCHAL’uppe

GALEA

sehr bauchiges Kauffahrteischiff

gebräuchlicher Bootstyp

allgemeiner Lastensegler

ganz allgemein: Schiff

spanisch

europäisch

arabisch

suahili

GALLEONA

GALEERE

HALIJ

ti’SHALI

kleiner Küsten­ segler

LEICHter, Ent­ ladeboot, Prahm

3-Mast-Segelschiff antikes Großschiff des Mittelalters im Mittelmeer

malayisch

lateinisch

ph-kalagan

ph-sarangani

GALLI’vat

CARINA

ba’LANGAY

ba’RANGAY

sehr wendiges Piratenschiff

Boot und Schiff allg . Kanu, Bootstyp auch: KIEL der Philippinen

deutsch

indianisch

irisch

KAHN

KANOU

po’KHAUN

einfacher, ziemlich schwerer Bootstyp

leichtes Paddel­ boot

kleines Segelboot

chinesisch CHUAN Schiff, Dschunke Lastensegler

ph-sangir

japanisch tai’KAN großes Kriegs­ schiff

ph-agta

tibetisch

ba’HANGY

SHAN

kleines Boot KANU

kleines Boot auf Flüssen und Seen

sa’KAING Paddelboot, KA­ NU auf Luzon

dgl.

223

thai

NA-indianisch

malayisch

malayisch

KAN’pan

KANA’wa

tu’KANG

tong’KANG

jede Art Schiff oder Boot

Variante zu KANU

flaches Ruderund Segelboot

eine Art Dschunke tong(TAG) = groß

tagalog

ph-mansaka u. a.

tasmanisch

arabisch

ba’LANGAY

ba’RANGAY

nun’GANAN *

NACO

KAHN der Urein­ wohner

Schiffsart im Roten Meer

sehr großes KANU KANU seegehend spanisch

deutsch ma.

suahili

deutsch ma.

NAO

NACH’en

GANGI

NÄHE

v. Lat. her: Schiff, allg.

syn. und Umkeh­ rung von KAHN

eine Art arabi­ scher Dhau

eine Art Fähre zu NACHEN

ägyptisch

griechisch

australisch

tibetisch

NAGGAR

NAUS

NAN’wai

NYAN

starker Bootstyp auf dem Nil

wie auch lat.NAVIS KANUartiger = Schiff allg. Bootstyp (BA)

KAHN, festeres Boot

anamitisch

ph-batak

annamitisch

GAY’diang

sa’KAYAN

GAY’you

eskimo KAYAK Boot für Frachten, mit Seehundsfell 3 Masten und Segel bespanntes Boot

KANUartiger schmales, flaches Bootstyp Mindanao Boot mit Ausleger

türkisch

finnisch

griechisch

irisch

KAY’ik

LAI’va

HOL’ka

LONG

Lastenkahn oder Schiff, LOGGER

Schiff seegehend

NACHEN auf Bin­ allgemein: Boot nengewässern und Schiff welsch

lateinisch

englisch

ph-inibaloi

LLONG

COR’bita

YAWL

bi’LOG

Küstenschiff Fischerboot

Lastensegler der Antike

leichtes Segel­ boot, JOLLE

KANUartiges Boot leichter Bauart

setswana

finnisch

polnisch

setswana

mok’GOR’wana LOTJA

CZOL’no

mo’KORO

NACHEN, KAHN Barke, LEICH ter (BA), mok = groß Prahm

KAHN, NACHEN leichtes Boot Boot KANU

australisch

spanisch

englisch

lateinisch

KOORONG

GOLE’ta

LOGGER

HORIOLA

leichtes Boot KANU

mediterraner Zweimastschoner

seegehendes Fischerboot

ein leichtes Fischerboot

italienisch

mediterran

baskisch

deutsch

GON’dola

ac’CON

u’GON’tzi

SCHONER

Schiff all­ gemein

mehrmastiges Segelschiff

Bootstyp besonders flachbodiger in Venedig LEICHter

224

englisch

bengalisch

ägyptisch

SCHOONER

NOUKA

NOGGUR

scow

Segelbarke

Boot allg. auch KAHN

wie NAGGAR ein Nilboot

ein LEICHter oder Prahm

schottisch

englisch HÜLL Schiffsrumpf

arabisch

naut.-englisch

QUR’QUR

HULK

großes, seegehen­ des Langschiff

die äußere Hülle, d. Leib ein. Schiffes

batak

arabisch

schottisch

ilocano

wa’LUCH

fa’LUCCA

CURRAGH

NACA’LUGAN

Schiff allg.

Schiff, aber auch >rund< und >hohl