Urbane Ethiken und Umweltschutz: Ideale, Praktiken und Aushandlungen um die gute Stadt in Auckland, Aotearoa Neuseeland 9783839450390

About weeding, community gardening and waste initiatives - urban environmental protection as a venue for negotiating urb

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Urbane Ethiken und Umweltschutz: Ideale, Praktiken und Aushandlungen um die gute Stadt in Auckland, Aotearoa Neuseeland
 9783839450390

Table of contents :
Inhalt
Karten- und Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Danksagung
Vorwort
1. »Auckland is a city: you hate it or you like it«
2. Urbane Ethiken als Forschungsansatz
3. Wie erforscht man urbane Ethiken?
4. »I talk about the weediest city in the world«
5. »Come down to a garden, plant some plants, eat a cabbage and you’d feel better«
6. »Everything belongs together«
7. Wie soll man in der Stadt leben?
8. Literaturverzeichnis

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Jeannine-Madeleine Fischer Urbane Ethiken und Umweltschutz

UmweltEthnologie  | Band 4

Editorial Die Schriftenreihe UmweltEthnologie versammelt Studien, die auf ethnographischen Methoden basieren, emische Perspektiven reflektieren und zur umweltbezogenen Theoriebildung beitragen. Die Reihe geht von einem breiten Umweltbegriff aus, der sowohl die soziale, vom Menschen geschaffene, als auch die »natürliche« Umwelt inkludiert. Mit dieser großen thematischen Bandbreite bildet die Reihe die Vielfalt von kulturspezifischen Lebenswelten und Praktiken weltweit ab. Ziel der Reihe ist es auch, ethnologische Studien mit Umweltbezug zu bündeln und den Dialog mit interdisziplinären und internationalen Debatten zu fördern. Damit leisten die in der UmweltEthnologie erscheinenden Schriften einzigartige Beiträge zu drängenden umweltbezogenen Fragen der Gegenwart. Die Reihe wird herausgegeben von Eveline Dürr, Frank Heidemann, Oliver D. Liebig und Martin Sökefeld.

Jeannine-Madeleine Fischer hat am Institut für Ethnologie der Ludwig-Maximilians-Universität München im Rahmen der interdisziplinären Forschungsgruppe »Urbane Ethiken. Konflikte um gute und richtige städtische Lebensführung im 20. und 21. Jahrhundert« zu Umweltpraktiken und -idealen in Auckland (Aotearoa Neuseeland) promoviert. Ihre Interessenschwerpunkte liegen im Bereich der Umwelt- und Stadtforschung, Anthropologie der Ethik sowie psychologischer und medizinischer Anthropologie.

Jeannine-Madeleine Fischer

Urbane Ethiken und Umweltschutz Ideale, Praktiken und Aushandlungen um die gute Stadt in Auckland, Aotearoa Neuseeland

Inauguraldissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Die Dissertation wurde im Rahmen der Forschungsgruppe »Urbane Ethiken. Konflikte um gute und richtige städtische Lebensführung im 20. und 21. Jahrhundert (FOR 2101, 2015-2018)« als Teilprojekt unter dem Titel »Auckland: Umweltverschmutzung, urbane Ethiken und kulturelle Praxis« von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Die Feldaufenthalte wurden durch das Auslandsstipendienprogramm PROSA und die Fakultät für Kulturwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München unterstützt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2020 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: © Jeannine-Madeleine Fischer Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5039-6 PDF-ISBN 978-3-8394-5039-0 https://doi.org/10.14361/9783839450390 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

Abkürzungsverzeichnis................................................................... 9 Danksagung .............................................................................. 11 Vorwort ..................................................................................13 1. »Auckland is a city: you hate it or you like it«.......................................... 15 Gliederung der Arbeit ............................................................................................. 21 Tāmaki Makaurau – Auckland als junge Schönheit mit tausend Liebhabern ....................... 24 Urbane Strukturen und Dynamiken........................................................................... 30 The most liveable city – politische Maßnahmen für Stadtplanung und Umwelt................... 33 Die Stadtteile Māngere East und Devonport................................................................. 37 2. Urbane Ethiken als Forschungsansatz ................................................ 43 Ethiken, das gute Leben und richtige Lebensstile ........................................................ 43 Subjektivierung..................................................................................................... 51 Governance ..........................................................................................................54 Urbanität und die gute Stadt....................................................................................59 3. Wie erforscht man urbane Ethiken? Feldforschung in Auckland ...................... 63 »So you keep jumping around all the time?«.............................................................. 63 »You are not from here, are you?« ............................................................................69 »Maybe you talk to the local boards first« .................................................................. 77 »You took the bus? For real?«................................................................................. 86 »And now you’re writing a book about us?« ................................................................90 4. »I talk about the weediest city in the world«. Weeding, Caring und Beziehungen zu Anderen ................................................................................. 97 Declare or Dispose................................................................................................. 97 Gegen »Weeds« kämpfen.......................................................................................100 Zugehörigkeiten aushandeln ...................................................................................109

»Native« Spezies beschützen ................................................................................. 116 Was Weeding wert ist ............................................................................................ 121 Spezifische Natur schaffen ....................................................................................126 5. »Come down to a garden, plant some plants, eat a cabbage and you’d feel better«. Community Gardening als Selbstpraxis .................................................. 131 Garden Tour ........................................................................................................ 131 Städtischen Raum nutzen...................................................................................... 134 Mit Pflanzen interagieren ...................................................................................... 139 Erinnern an kulturelle Traditionen............................................................................ 146 In und mit der Natur verbinden ............................................................................... 154 Lokale Identitäten stärken .....................................................................................156 Teilen und nachhaltig wirtschaften .......................................................................... 161 Kontemplieren und zurückziehen.............................................................................169 6. »Everything belongs together« Abfallinitiativen als kollaboratives Stadtverbessern .. 173 Städtischer Abfall im Wandel .................................................................................. 173 Gemeinschaft schaffen.......................................................................................... 178 Lokalität stärken ..................................................................................................186 Chaos institutionalisieren.......................................................................................190 In die Nachbarschaft integrieren ............................................................................ 193 Kulturelle Werte leben ...........................................................................................196 Den Stadtteil verantwortlich führen......................................................................... 203 7. Wie soll man in der Stadt leben? Perspektiven auf Auckland .......................... 211 Community als »idealer« Interaktionsraum ............................................................... 213 Verschleiern sozialer Konflikte ................................................................................ 215 Politische Er- und Entmächtigungen......................................................................... 217 Ethiken als Beziehungen ........................................................................................ 218 8. Literaturverzeichnis ..................................................................221

Karten- und Abbildungsverzeichnis

Karte 1: Aotearoa Neuseeland mit Auckland auf der Nordinsel ........................................ 16 Abbildung 1: Ausblick von Maungawhau, 15.09.2012 ....................................................... 18 Abbildung 2: Ausblick vom Sky Tower, 13.10.2012 .......................................................... 18 Abbildung 3: SOUL-Protest 03.02.2016........................................................................28 Karte 2: Māngere East und Devonport ....................................................................... 38 Abbildung 4: Blick auf Waiwera, 23.09.2012 .................................................................64 Karte 3: Waiwera...................................................................................................66 Abbildung 5: Blick auf die Victoria Road in Devonport, 05.10.2015 .................................... 67 Abbildung 6: Wochenmarkt in Māngere Town, 17.10.2015 ................................................ 67 Abbildung 7: Community Garden Māngere East, 11.02.2016...............................................84 Abbildung 8: Blick von Devonport nach Auckland City, 02.03.2016 ................................... 85 Abbildung 9: Weeding-Site in Avondale, West-Auckland 23.09.2015.................................. 108 Abbildung 10: Bush im westlichen Stadtgebiet, 17.11.2012 .............................................. 108 Abbildung 11: Community Garden 1 in Devonport, 24.02.2016 ........................................... 145 Abbildung 12: Setzlinge im Community Garden Māngere East, 25.02.2016 .......................... 145 Abbildung 13: Community Garden Māngere, 26.04.2014..................................................165 Abbildung 14: Mülltrennung auf dem EcoFestival Birkendale, 05.03.2016 ........................... 174 Abbildung 15: CRC Devonport, 02.03.2016 ...................................................................183 Abbildung 16: Container-Raum im CRC, 02.03.2016 ...................................................... 183 Abbildung 17: Anlegen eines Kompost in Māngere East, 18.02.2016.................................. 202 Abbildung 18: Six-Weeks-Challenge Māngere Bridge, 08.11.2015...................................... 202

Abkürzungsverzeichnis

CCET Chinese Conservation Education Trust CRC Community Recycling Centre DOC Department of Conservation GB Governing Body EP Erinnerungsprotokoll I Interview LB Local Boards NZ Aotearoa Neuseeland NZD New Zealand Dollar RMA Resource Management Act STS Science and Technology Studies SOUL Save Our Unique Landscape UPE Urban Political Ecology

Danksagung

»Ko Au Te Whenua, Ko Te Whenua Ko Au« Ich bin das Land, das Land bin ich.   An dieser Stelle möchte ich mich bei all jenen bedanken, die mich bei meiner Forschung und dem Verfassen dieser Dissertation begleitet und unterstützt haben. Vor allem danke ich ganz herzlich meinen Freund*innen, Bekannten und Gesprächspartner*innen aus Auckland, die mir von Beginn an sehr offen und liebenswürdig begegnet sind. Ich danke besonders Toha, Koia, Sinua, Iri, Diane, Fiona, Betty, Val, Hone, Lawrence, Nikki, Lise und Jacob. Ich danke den fantastischen Teams der Community Gardens und Community Centres. Außerdem möchte ich mich herzlich bei der Protestgruppe SOUL bedanken, die mich nicht nur warmherzig aufgenommen, sondern mich mit ihren tiefen Überzeugungen auch persönlich berührt hat. Von Herzen danken und gedenken möchte ich Angela, die mit uns die Samen für den Community Garden Māngere East gesät hat und im Januar 2017 nach schwerer Krankheit verstorben ist; ebenso John, der sich leidenschaftlich für die Ideale der SOUL-Gruppe engagiert hat und im Februar 2016 bei einem tragischen Verkehrsunfall ums Leben kam. Mein besonderer Dank gilt meiner Betreuerin Frau Professorin Eveline Dürr, die dieses Forschungsvorhaben von Beginn an sehr kompetent und engagiert begleitet hat. Außerdem danke ich Herrn Professor Charles Crothers von der AUT University in Auckland, der meine Forschungsphasen vor Ort tatkräftig unterstützt hat. Ich danke den Projektleiter*innen und Projektmitarbeiter*innen aus der Forschungsgruppe »Urbane Ethiken« unter der Leitung von Herrn Professor Moser, die mich mit neuen Ideen und anregenden Diskussionen inspiriert und konkretes Feedback zu meinen Entwürfen und Texten gegeben haben. Ebenso danke ich unserer Ontologien-Lesegruppe, die mich ebenfalls mit frischen Gedanken und Konzepten bereichert hat. Ich danke Arno Pascht, Barbara Vodopivec, Desirée Hetzel, Laura Gozzer, Oliver Liebig, Saskia Brill und Saskia Walther für die aufschlussreichen Gespräche und ausführlichen Rückmeldungen zu meiner Arbeit und ganz besonders David Kühner!

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Urbane Ethiken und Umweltschutz

Außerdem danke ich von Herzen all meinen Lieben für ihre liebevollen Unterstützungen und vielfältigen Inspirationen.   No reira, e hoa ma. Tēnā Koutou, Tēnā Koutou, Mauri Ora ki a Tatou Katoa.

Vorwort

Wohl kaum eine andere Stadt weltweit präsentiert sich idyllischer als die neuseeländische Metropole Auckland. Pittoreske Darstellungen von gleichzeitiger Naturnähe und Urbanität werden für den Tourismus in Wert gesetzt, sind aber auch zentrale Bestandteile der nationalen Identität und des Alltagsdiskurses der Stadtbewohner*innen. Ungeachtet dessen kämpft Auckland mit wachsender, massiver Verschmutzung, die das Image von »Unberührtheit« und »Reinheit« bedroht. Diese Reibungen im Sinne von Anna Tsing tragen dazu bei, dass die Themen Umwelt(verhalten) und Vorstellungen von einer »guten Stadt« eine prominente Stellung im städtischen Alltag besitzen. Ausgehend von lokalen Debatten und städtischen Direktiven untersucht die Studie die ethisch artikulierten Aushandlungen, Vorstellungen und Praktiken zur Etablierung einer guten, mit hoher Lebensqualität ausgestatteten Stadt sowie eines richtigen Lebensstils in Auckland. Methodisch orientiert sich die Studie nicht primär an Stadtvierteln, sondern fokussiert mikroskopisch auf drei Aktivitäten: das weeding, d.h. Unkrautjäten im städtischen Raum, das Anlegen von community gardens sowie auf verschiedene Formen des Recyclings und der Abfalltrennung. Entlang dieser Praktiken ist die Arbeit auch inhaltlich gegliedert. Quer dazu beleuchtet die Studie daraus resultierende Beziehungsformen. Mit diesem innovativen Zugang gelingt es der Autorin, die Relationalität von Ethiken sowie die Dynamik der Bezugssysteme, insbesondere des Sich-in-Beziehung-Setzens zur Umwelt und zu Anderen, differenziert herauszuarbeiten. Es zeigt sich, dass die gute Stadt und die gute Umwelt stets das Soziale reflektieren und auf gemeinschaftliche Imaginationen von nationaler Identität und neuseelandspezifischen Formen der Selbstinszenierung rekurrieren. Dabei spielen Subjektivierungsprozesse und Governance-Strategien, die im Einklang mit der neoliberalen Regierung Neuseelands stehen, eine wichtige Rolle. Die vorliegende Ethnographie, die im Kontext der von der DFG geförderten Forschungsgruppe »Urbane Ethiken. Konflikte um gute und richtige städtische Lebensführung in Städten des 20. und 21. Jahrhundert« entstanden ist, weist aufgrund der differenzierten theoriegeleiteten Diskussion über das Fallbeispiel Neuseeland deutlich hinaus, entwickelt den Ethikbegriff

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Urbane Ethiken und Umweltschutz

im urbanen Kontext weiter und vermittelt gleichzeitig tiefe Einblicke in die Vielfalt der Lebenswelten in Auckland. Eveline Dürr, Januar 2020

1. »Auckland is a city: you hate it or you like it«1

Diesen Satz höre ich von einer Anthropologie-Doktorandin aus der Hauptstadt Wellington, als wir uns auf der jährlichen Anthropologie-Tagung in Palmerston North, einer Universitätsstadt auf der Nordinsel, über unsere Dissertationsthemen unterhalten.2 Im Laufe meiner etwa einjährigen Feldforschung in der größten Stadt Aotearoa Neuseelands verweisen mich viele meiner Gesprächspartner*innen darauf, dass Auckland anders sei als das übrige Land. Sie beschreiben die Stadt zunächst im Kontrast zu der weitläufig rural geprägten Nation, die unter dem Schlagwort »100 % pure« mit unberührter Natur und wilden Stränden repräsentiert wird (New Zealand Tourism o.D.). Die idyllischen Beschreibungen Aotearoa Neuseelands finden sich nicht nur in kommerziellen Tourismuskampagnen, sondern werden von vielen Bewohner*innen geteilt. Der explizite Naturbezug ist als zentrales Merkmal in die nationale Identität Aotearoa Neuseelands eingewoben (vgl. Coyle/Fairweather 2005; Clark 2004; Bell 1996). Auckland liegt im nördlichen Teil der Nordinsel, ist auf über 50 Vulkanen erbaut und verfügt über vielfältige Landschaften. Das Stadtgebiet ist von drei Häfen, unzähligen Stränden, Parks und Wäldern (»bush«) geprägt. In der 1,606 Millionen Einwohner*innen zählenden Metropole wohnen 33 Prozent der neuseeländischen Gesamtbevölkerung.3 Als dichtes, urbanisiertes Gebiet und einzige Millionenstadt Aotearoa Neuseelands beschreiben viele meiner Interaktionspartner*innen Auckland als Gegensatz oder Ausnahme im Vergleich zu den übrigen Regionen des Landes. Als ich im September 2012 zum ersten Mal nach Auckland reise, empfinde ich die Stadt zunächst als dichte und laute Großstadt. Entlang der zentralen Queen Street strömen mir enorme Menschen- und Automassen entgegen und biege ich

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Zitat von Melly, einer Anthropologie-Doktorandin auf einer Tagung im südlichen Teil der Nordinsel (EP Palmerston North 25.11.2015). In dieser Arbeit zitiere ich aus meinen eigenen Aufzeichnungen unter Angabe des Pseudonyms, des Ortes und des Datums. Über die Textart geben die Abkürzungen Auskunft: EP steht für Erinnerungsprotokolle, I für Audio aufgezeichnete Interviews. Diese Zahlen beruhen auf neuen Statistiken aus dem Jahr 2020 (World Population Review 2020).

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Karte 1: Aotearoa Neuseeland mit Auckland auf der Nordinsel

(Open Street Maps)

über einen der abzweigenden Verkehrswege auf eine Parallelstraße ein, türmen sich aneinander gedrängte Hochhäuser vor mir auf. Dieser Eindruck relativiert sich, als meine Mitbewohnerin mich wenige Tage später in den zentral gelegenen Stadtteil Mount Eden fährt und mir den Ausblick von dem erloschenen Vulkan Maungawhau (Mount Eden) zeigt, der als städtische Aussichtsplattform sehr beliebt ist. Von hier aus blicke ich über eine grüne Stadt, die auf mich wirkt, als seien die Wohnhäuser in eine weitläufige, bewaldete Grünfläche eingestreut. Um diese für mich zunächst widersprüchlichen Eindrücke zu illustrieren, füge ich dem Ausblick von Maungawhau die Aussicht von dem innerstädtischen Sky Tower hinzu (siehe Abbildungen 1 und 2). Frage ich meine Akteur*innen, wie sie Auckland beschreiben würden, sprechen sie häufig das widersprüchliche Image der Millionenmetropole an, die in ein als idyllisch und naturnah repräsentiertes Land eingebettet ist. Für die Popularität der Stadt ist die urbane Natur bedeutsam, die auf der offiziellen Website Aucklands in einer Kombination von Stadtleben und Naturschönheit bezeichnet und mit spezifischen Nutzungs- und Erlebnismöglichkeiten verknüpft wird: »Auckland combines the energy and excitement of city life with spectacular natural beauty in every direction. World-class food, wine, coffee, designer shopping and a thriving arts and culture scene is matched with beautiful harbours, islands, beaches, forests and volcanic cones offering countless adventure activities, from

1. »Auckland is a city: you hate it or you like it«

sailing and surfing to mountain biking and hiking. And it’s all so close.« (Auckland Tourism o.D.: o.S.)

Die geographische Lage und Beschaffenheit Aucklands machen die Stadt über ihr urbanes Angebot hinaus zu einem Ort, der mit Naturerfahrung und Abenteuer verbunden wird. Dabei kommt Auckland ein wichtiger Stellenwert für die Außenrepräsentation des Landes zu. Der internationale Flughafen ist für die meisten das »gate to New Zealand« und hat damit auch symbolischen Charakter, wenn die Stadt für internationale Reisende häufig als aus pragmatischen Gründen gewählter Durchgangsort fungiert. Diese naturnahe Repräsentation wird durch zunehmende öffentliche Kritik an den Umweltstandards der Stadt aufgebrochen. Im Jahre 2011 fragt die Tageszeitung The New Zealand Herald provokant: »Auckland air just as polluted as Tokyo’s?« (NZ Herald 2011). Dass das idyllisch im Pazifik gelegene Auckland eine Luftqualität aufweise, die mit der größten Metropolregion der Welt vergleichbar sei, klingt erschreckend. Entsprechend erscheint am Folgetag ein Gegenartikel, der die Zahlen relativiert (NZ Herald 2011a). Über Dumping-Vorfälle, hohe Müllraten und Verschmutzung städtischer Flüsse wird ebenfalls regelmäßig berichtet. Im Februar 2015 zitiert The New Zealand Herald eine neue Studie, die mit über drei Kilogramm Plastikabfall pro Neuseeländer*in pro Tag rechnet – insgesamt komme die Menge an Plastikabfall täglich auf 25.000 Kilogramm (Morton 2015). Der Umweltaktivist Sam Judd veröffentlicht im August 2015 einen Artikel unter der Schlagzeile »›100 % Pure‹- Tag pathetically wrong«. Demnach sollen 2531 Millionen Tonnen Hausmüll innerhalb eines Jahres entsorgt worden sein. Fast die Hälfte des Abfalls stamme von Bauarbeiten (Judd 2015). In einer quantitativen Studie aus dem Jahre 2014 geben 41 Prozent der befragten Aucklander*innen an, den Eindruck zu haben, dass die städtische Umwelt sich verschlechtere (Auckland Council 2014: 10). Gerade diese kontroversen Diskussionen um Natur in Auckland wecken mein Interesse, über lokale Ideale der städtischen Umwelt zu forschen. Mich interessiert, wie sich Stadtbewohner*innen in Auckland vor diesem Hintergrund auf ihre urbane Lebensumwelt beziehen und Ideale des guten Lebens in der Stadt entwerfen und umsetzen. Dabei ist die Vielzahl an zirkulierenden Konzepten von Natur und Umwelt nur in ihren soziomateriellen Verwobenheiten zu verstehen (vgl. Swyngedouw 2011). Die Begriffe sind relational und je nach Kontext mit unterschiedlichen semantischen Inhalten gefüllt. Ohne sie definitorisch konkret abzugrenzen, verwende ich sie in dieser Arbeit kontextbezogen und als emische Konzepte, wenn meine Akteur*innen diese benutzen. Mein Forschungsinteresse ist verbunden mit meinen persönlichen Reflexionen darüber, wie sich ein möglichst umweltgerechter

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Urbane Ethiken und Umweltschutz

Abbildung 1: Ausblick von Maungawhau, 15.09.2012

(Photo: Jeannine-Madeleine Fischer)

Abbildung 2: Ausblick vom Sky Tower, 13.10.2012

(Photo: Jeannine-Madeleine Fischer)

Lebensstil umsetzen lässt. Ohne mich einer spezifischen Aktionsgruppe zugehörig zu fühlen, sympathisiere ich mit vielen Ansätzen aus dem Umweltschutz und versuche, diese in meine eigene Lebensführung zu integrieren. Schon als Jugend-

1. »Auckland is a city: you hate it or you like it«

liche bewege ich mich in einem alternativen und konsumkritischen Umfeld, entscheide mich für eine vegane Lebensweise und mache mich mit unterschiedlichen Feldern des Naturschutzes vertraut. Ich verstehe mich selbst als Teil der Diskussionen, über welche ich hier schreibe und diese Perspektive prägt meine Forschung von der Konzeption bis zur Niederschrift. Angesichts der Brüche zwischen Selbstbildern, Repräsentationen und lebensweltlichen Erfahrungen eignet sich Auckland in seinem spezifischen Setting, um Reibungen zwischen unterschiedlichen Vorstellungen im städtischen Umweltdiskurs abzubilden. Dabei stellt sich die Frage, wie Umweltverhalten als Aushandlungsfeld für städtische Wertvorstellungen und Konflikte genutzt wird. Meine Forschung ist in die interdisziplinäre Forschungsgruppe »Urbane Ethiken« eingebunden, die »Konflikte um gute und richtige städtische Lebensführung im 20. und 21. Jahrhundert« in den Blick nimmt.4 In diesem Zusammenhang interessiert mich, welche ethischen, politischen und sozialen Probleme »via the uneven, and often crippling, socionatural power relations at play through the urbanization of nature« (Heynen 2014: 600) ausgetragen werden.5 Vorstellungen von Natur und Umwelt sind symbolisch aufgeladen und können von unterschiedlichen Akteur*innen für divergierende Interessen instrumentalisiert werden (vgl. Swyngedouw 2011). Die Omnipräsenz des Diskurses um gutes Umweltverhalten muss in diesem Zusammenhang kritisch betrachtet werden, da unter dem Vorzeichen des guten Umweltschutzes auch problematische Praktiken und Werte legitimiert werden können (vgl. Greenberg 2015: 125; Milton 1997: 226). Angesichts der globalen Debatte vor dem Hintergrund der weltweit dringlichen Umweltproblematik wird das urbane Untersuchungsfeld noch vielschichtiger (vgl. Dürr/Winder 2016: 59). Global zirkulierende Appelle für ein verbessertes Umweltverhalten adressieren insbesondere Städte, die aufgrund ihrer hohen Einwohnerzahlen eine enorme Wirkung entfalten können (Brand 2007: 620). Dass der Topos Umwelt von Machtinteressen, Hierarchisierungen und Exklusionen durchdrungen ist, wird insbesondere im Zusammenhang mit urbaner Verschmutzung deutlich. Im Zuge der »Environmental Justice«-Debatte werden Ungerechtigkeiten diskutiert, die über den ungleichen Zugang zu einer sauberen Umwelt hergestellt werden (Bullard 1990; Checker 2005; Sze 2007).   Aus dieser Perspektive heraus interessiert mich, wie das gute Umweltverhalten in Auckland vor Ort wirkmächtig werden kann und Akteur*innen nicht nur im Sinne der Zugänglichkeit zu sauberen materiellen Ressourcen wie Luft, Boden 4 5

Zentrale Konzepte aus unserer Forschungsgruppe, die ich in meiner Arbeit aufgreife, werden in Kapitel 2 vorgestellt und die methodische Zusammenarbeit in Kapitel 3 reflektiert. Dieser Ansatz ist in der »Urban Political Ecology« (UPE) relevant: »As a theoretical lens, UPE provides an integrated and relational approach that helps to untangle the interconnected economic, political, social, and ecological processes that together go to form highly uneven urban landscapes.« (Heynen 2014: 602). Siehe auch: Kaika (2005); Swyngedouw (1996).

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und Wasser benachteiligt oder ermächtigt, sondern auch hinsichtlich anwendbarer Praktiken und naheliegender Möglichkeiten des Umweltengagements. Mit dieser Herangehensweise setze ich auf einer lebensweltlichen Ebene an und frage danach, welche ethischen Vorstellungen und Projekte meine Akteur*innen über gute Umweltpraktiken in der Stadt transportieren. Dabei sind stadtpolitische und administrative Regulierungen bedeutsam, um urbane Umweltpraktiken in ihrer Verwobenheit mit Vorgaben der Stadtregierung zu verstehen. Vorstellungen der guten Stadt, die sich über konkretes Umweltverhalten artikulieren, nutze ich als Linse, um städtische Aushandlungsprozesse in Auckland zu untersuchen. Mit dieser Perspektive wird die Vielschichtigkeit lokal gelebter Umweltpraktiken deutlich. Es ist mir wichtig, soziale und politische Machtprozesse in den Blick zu nehmen, die sich in der Diskussionslandschaft um die gute Stadt in Auckland einschreiben. Welche gute städtische Umwelt versuchen meine Akteur*innen über ihr Engagement herzustellen und welche Projekte verbinden sie damit? Über Vorstellungen, Ideen und praktische Umsetzungen kreieren sie ihre je eigene Umwelt, die immer mit eigenen Interessen verflochten ist. Lokale Umweltpraktiken können als Verbesserung der Reputation des Viertels verstanden und genutzt werden. In manchen Wohngebieten verknüpfen sich Umwelt- und Denkmalschutz oder die Sorge um materielle und soziale Umwelt zu einem gemeinsamen Vorhaben. Auch stadtpolitische Entwürfe transportieren immer mehr als nur Umweltschutz – von Entscheidungen über Infrastruktur-Standorte etwa profitieren die Stadtteile unterschiedlich stark. Aber auch verhaltensorientierte Regulationen wie Neuerungen in der Mülltrennung sind für Stadtbewohner*innen, die seit Jahrzehnten über eine örtliche Recyclinganlage verfügen, naheliegender als für jene, in deren Wohngebieten bislang ein weitgehend ungetrenntes Abfallsystem vorherrschte. Privilegierte Stadtteile können somit über umweltpolitische Maßnahmen in ihrer Vorteilsstellung konsolidiert und die Schere zwischen wohlhabenden und marginalisierten Nachbarschaften noch weiter geöffnet werden. Ich halte es für zentral, Umweltschutzforderungen zusammen mit sozialer Gerechtigkeit zu denken. Damit bietet sich die Chance, das sozioökonomische Gefälle in der Stadt durch Umweltpolitik, die etwa vorrangig und verstärkt in benachteiligten Stadtteilen umgesetzt wird, zu reduzieren statt zu verstärken. Für meine Forschung habe ich die Stadtteile Devonport, einen wohlhabenden, von Pākehā geprägten Stadtteil im Norden Aucklands, und Māngere East, einen marginalisierten, hauptsächlich von Māori und Polynesier*innen bewohnten Vorort im Süden der Stadt als Hauptforschungsgebiete ausgewählt (siehe Kapitel 3). Als Māori werden die im 14. Jahrhundert einwandernden Seefahrer*innen aus Polynesien bezeichnet, die Aotearoa Neuseeland zuerst besiedelten. Die späteren Immigrant*innen von den polynesischen Inseln werden Polynesier*innen genannt; die Nachfahren der während der Kolonialzeit in Aotearoa Neuseeland siedelnden Europäer*innen Pākehā. Heute ist das Land und vor allem die Metropole Auckland

1. »Auckland is a city: you hate it or you like it«

durch eine multikulturelle Demographie geprägt. Darüber hinaus habe ich meine empirische Forschung im ganzen Stadtgebiet durchgeführt und mich entlang der Pfade durch Auckland navigiert, die sich auf der Suche nach urbanen Ethiken aufgefächert haben. Über Umweltorganisationen, Community Centres und Gardens habe ich Aktivist*innen und Bewohner*innen kennengelernt, die ihre Sichtweisen auf Auckland, ihre Viertel und die Umweltsituation vor Ort mit mir teilen. Einige der Akteur*innen, die an meiner Forschung teilnehmen, sind selbst ehren- oder hauptamtlich im Umweltschutz engagiert, andere interessieren sich persönlich für das Thema. Ich begleite Aucklander*innen, die sich für Verbesserungen in den Bereichen Klimagerechtigkeit, Luftqualität, öffentlicher Nahverkehr, Abfallmanagement, urbanes Gärtnern, Landschaftspflege und Stadtplanung einsetzen. Ich rufe Diskussionsgruppen ins Leben und begründe einen Garden Club mit, um meine Fragen gemeinsam mit den Teilnehmenden theoretisch und praktisch anzugehen. Über meine Forschungsaufenthalte hinweg nehme ich an vielen Aktionen, Festivals, Workshops und Diskussionen teil, um die Umweltdebatte vor Ort besser verstehen zu können. Gleichzeitig trete ich mit dem Stadtrat in Verbindung und führe mehrfach Interviews mit verschiedenen Mitarbeiter*innen des Auckland Councils durch (vgl. Kapitel 3). Zwischen den beiden Stadtteilen Māngere East und Devonport möchte ich keine Vergleichslinien ziehen, die oft zitierte Zuschreibungen reproduzieren. Ohne zu leugnen, dass sich strukturelle Unterschiede in beiden Vierteln deutlich auf lokale Erfahrungen auswirken, begreife ich die Sachverhalte als komplexe Konfigurationen, die sich nicht auf eine dichotome Unterscheidung – etwa zwischen Arm und Reich – herunterbrechen lassen. Durch den Fokus auf die beiden Stadtteile ist die Studie komparativ angelegt; ich habe mich aber bewusst gegen eine direkt gegenüberstellende Darstellung meiner Ergebnisse entschieden. Vielmehr bespreche ich empirische Fallbeispiele aus allen Forschungsgebieten, die in ihre spezifischen Kontexte eingebettet sind, aber nicht zweigliedrig oder gegeneinander von mir repräsentiert werden.

Gliederung der Arbeit In der vorliegenden Arbeit frage ich nach Verständnissen, Vorstellungen und Visionen des guten Lebens in der Stadt, die in umweltbezogenen Diskursen, Verhaltensweisen und Praktiken der Stadtbewohner*innen sichtbar werden. Diese verstehe ich als Ethiken, die in unterschiedlichen städtischen Beziehungen Wirkung entfalten. Aus diesem Ansatz heraus betrachte ich unterschiedliche Modi ethischer Beziehungen in Verbindung mit meinem empirischen Material. Dabei unterscheide ich Beziehungen zu Anderen, Selbstbeziehungen und Beziehungen zwischen Stadtregierung und -bewohner*innen. Mit dieser Auffächerung in drei Varianten

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Urbane Ethiken und Umweltschutz

beabsichtige ich weder eine Typologie ethischer Relationen aufzustellen, noch Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Vielmehr greife ich diese Beziehungstypen heraus, da ich sie in ihren Interaktionen mit umweltethischen Projekten in Auckland für zentral halte. Ethiken in ihren relationalen Verwobenheiten zu betrachten, dynamisiert den Ethikbegriff und macht ihn aus den gelebten Erfahrungswelten meiner Akteur*innen heraus greifbarer (vgl. Kapitel 2). Ich beleuchte Vorstellungen des guten Lebens in drei empirischen Bereichen, die sich in meiner Forschung als wesentliche Praktiken in lokalen Landschaften des Umweltschutzes herausgestellt haben. Um mich urbanen Umweltethiken in Auckland anzunähern, führe ich in dieser Arbeit durch inmitten Industriegebieten gelegener Wiesenflächen, auf welchen durch Weeding, der gezielten Eliminierung von »invasive species«, native Naturflächen in der Stadt geschaffen werden; durch Community Gardens, in welchen Aucklander*innen Beete anlegen und Räume städtischer Vergemeinschaftung schaffen und durch Straßen, Terrassen und Recycling-Anlagen, auf welchen auf unterschiedliche Weise mit Abfall in der Stadt umgegangen wird. Aus diesen drei empirischen Bereichen gehen die drei Hauptkapitel meiner Dissertation hervor: Weeding, Community Gardening und Abfallminimierung. Anhand dieser Themenfelder beleuchte ich je unterschiedliche Beziehungsformationen, in welchen ethische Ideale des guten Lebens in der Stadt verkörpert werden. Mit meinem Ansatz, gelebte Umweltpraktiken mit sozialen Relationen zu verknüpfen, lege ich den Fokus auf die lebensweltliche Dimension urbaner Ethiken, die in der Forschung bislang unterbelichtet ist. Im Anschluss an diese Einleitung bespreche ich zunächst die theoretische Rahmung meiner Arbeit, die im Kontext der interdisziplinären Forschungsgruppe Urbane Ethiken entstanden ist. In der ersten Phase von 2015-2018 umfasst diese acht Teilprojekte, die städtische Ethiken aus unterschiedlichen Blickwinkeln und mit je eigenen thematischen Schwerpunkten in acht internationalen Städten untersuchen. Die gemeinsamen Diskussionen, Lektüren und theoretischen Ansätze haben meine Forschung konturiert und werden im zweiten Kapitel näher erläutert. Daran schließe ich in Kapitel 3 Ausführungen über meine angewandten Methoden an. In den Stadtvierteln habe ich mich zunächst in Community Centres und Gardens bewegt und dann selbst Diskussionsgruppen, »Green Conversations«, gegründet. In diesem Rahmen haben einige Bewohner*innen ihre Erfahrungen, Sorgen und Hoffnungen mit mir geteilt, die oft spezifisch mit der Situation der jeweiligen Stadtviertel verknüpft sind. Durch die Mitbegründung eines Garden Clubs in Māngere East habe ich Gespräche über die Umwelt um eine praktische Dimension ergänzt und verkörpertes, praktisches Wissen miteinbezogen. Über diese Ansätze habe ich mich selbst aktiv in mein Feld eingebracht. In diesem Kapitel reflektiere ich meine methodischen Überlegungen, Feldzugänge und Forschungsverläufe. In Kapitel 4 erläutere ich ethische Beziehungen, die meine Akteur*innen bei Weeding-Praktiken zu Anderen aufbauen und pflegen. Weeding ist eine sehr be-

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liebte und nahezu unhinterfragte Praxis der Freiwilligenarbeit in Auckland. Um die native Flora zu erhalten, werden bei diesen Treffen Wiesenflächen, die sich zumeist in abgelegenen Industriegebieten befinden, stundenlang von nicht nativen Spezies befreit. Nach Banu Subramaniam unterliegt dieser Praxis eine Unterscheidung in »nature in place« und »nature out of place«, über welche invasive Spezies als »species that do not belong« kategorisiert werden (2014: 97). In diesem Kapitel lege ich den Fokus auf Beziehungen, die Stadtbewohner*innen über Weeding zu Anderen aufbauen und leben. Mich interessiert, wie beim Weeding Beziehungsideale entworfen und gelebt werden, die sich an ethischen Leitlinien orientieren und auf Visionen der guten Stadt einwirken. In diesem Zusammenhang argumentieren meine Akteur*innen in ihren emischen Konzepten häufig im Sinne einer Care-Ethik, die ich auch theoretisch aufgreife (vgl. Tronto 1993; Puig de la Bellacasa 2017). Daran anschließend wende ich mich im fünften Kapitel Selbstbeziehungen beim Community Gardening zu. Das gemeinsame Gärtnern im urbanen Raum wird in der Literatur breit behandelt, auch hinsichtlich seiner politischen Implikationen (McKay 2011; Ferris/Norman/Sempik 2001), insbesondere in neoliberalen Kontexten (Neo/Chua 2017; Crossan et al. 2016; Pudup 2008). Ich lege meinen Fokus darauf, wie Akteur*innen beim gemeinsamen Gärtnern spezifische ethische Beziehungen zu sich selbst aufbauen und pflegen. Dabei nehme ich in den Blick, wie die Arbeit am eigenen Selbst über körperliche Praktiken in Community Gardens vollzogen wird, um städtische Ideale umzusetzen. Im sechsten Kapitel thematisiere ich ethische Beziehungen zwischen Stadtbewohner*innen und Stadtregierung am Beispiel urbaner Abfallpraktiken. Abfall verfügt über ein beträchtliches Aktionspotenzial, das sich unterschiedliche Akteur*innen zunutze machen können. Deutlich wird diese Macht beispielsweise, wenn die städtische Müllabfuhr streikt und die enormen Abfallmengen im urbanen Raum plötzlich sichtbar und spürbar werden (vgl. Machado-Borges 2010; Moore 2009). Dabei ist Abfall auf komplexe Weise mit Interaktionen verflochten und kann diese mitgestalten (vgl. Dürr/Winder 2016; Hawkins/Potter 2006). Seine Materialität ruft Reaktionen bei Stadtbewohner*innen hervor, wie etwa Ekel, Ablehnung, Sorge, Inspiration oder Kreativität. In diesem Sinne interagiert Müll (vgl. Ureta 2016) und kann eine aktive Rolle in soziopolitischen Konflikten einnehmen (vgl. Demaria/Schindler 2016). Ich beleuchte in diesem Kapitel, wie sich über das In-Beziehung-Setzen mit Abfall und als gemeinsam verstandenen Abfallpraktiken spezifische Beziehungen zwischen Stadtbewohner*innen und -regierenden entfalten. Über geteilte Wertvorstellungen, wie in einer guten Stadt mit Abfall zu verfahren sei, wird eine intime Beziehung zwischen Stadtregierung und -bewohner*innen hergestellt, die sich als ethisch begründete Community formiert. In dieser mit unterschiedlichen Machtpositionen und Handlungsmöglichkeiten durchsetzten Gemeinschaft werden gemeinsame Handlungsziele und

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Wertvorstellungen formuliert, die urbane Ethiken konturieren und spezifische Beziehungsgeflechte zwischen Regierenden und Regierten formieren. In meiner abschließenden Konklusion führe ich meine Ergebnisse zusammen und reflektiere meine Erkenntnisse. Ich schreibe im ethnographischen Präsens, um meine Leser*innen in die beschriebenen Situationen mitzunehmen und die Atmosphäre der Forschung besser wiedergeben zu können. Transkribierte Interviewpassagen (I) füge ich mit Wortabbrüchen und Betonungen als Zitate ein, um die Interviewsituation möglichst akkurat zu repräsentieren. Dabei sind Betonungen mit Großbuchstaben markiert, Pausen mit (.) . Umklammerte Zahlen wie (2) geben die Sekundenzahl der Pausen an. Auslassungen sind mit […] im Text markiert. Meine Einwürfe sind durch [I] gekennzeichnet. Die in Feldtagebuch und Erinnerungsprotokollen (EP) notierten Aussagen wirken glatter, da sie nicht audiotechnisch aufgenommen und Satzabbrüche, Wiederholungen, Pausen etc. daher nicht vollständig erinnert wurden. Meinen Teilnehmer*innen habe ich Pseudonyme zugeteilt, auch wenn sie im lokalen Kontext hinsichtlich ihrer Rollen in den Stadtteilen zum Teil leicht zuzuordnen sind. Im Folgenden betrachte ich zunächst lokalhistorische Begebenheiten, um auf aktuelle umweltpolitische Entwicklungen einzugehen, die für das Verständnis urbaner Umweltethiken in Auckland relevant sind. Diese sind bis heute von einer – auch produktiven – Spannung geprägt. In diesen Kontext bette ich eine Porträtierung der Stadtteile Māngere East und Devonport ein.

Tāmaki Makaurau – Auckland als junge Schönheit mit tausend Liebhabern Dieser Name wird dem heutigen Auckland von den im 14. Jahrhundert dort siedelnden Māori verliehen und verweist auf die Attraktivität des Gebietes, das aufgrund seiner hervorragenden Siedlungsbedingungen durchaus umkämpft ist (McClure 2016). Das heutige Stadtgebiet wird um 1350 erstmals von Māori besiedelt. Aufgrund des fruchtbaren Bodens und der für die Fischerei bedeutsamen Naturhäfen bietet das Land hervorragende Siedlungsbedingungen. Ferner gewährt die vulkanisch bedingte Hügelstruktur gute Voraussetzungen für eine strategische Verteidigung. Ngāti Whātua und Waikato-Tainui sind die seinerzeit lokal vorherrschenden Iwi. Iwi bezeichnet die größte Einheit in der Māori-Sozialstruktur. Die Zugehörigkeit definiert sich in der Regel über die Abstammung von bestimmten Wakas (Kanus). 1840 tauscht der britische Gouverneur William Hobson 3000 Morgen Land von den Māori Tinana und Rewiti Tamaki gegen Decken, Kleidung, Tabak, Geld und Beile ein. Diesem Geschäft geht der Abschluss des umstrittenen Vertrages von Waitangi voraus, der am 06.02.1840 auf der Nordinsel in der Bay of Plenty unter-

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zeichnet wird. Dieser gilt heute als Gründungsdokument Aotearoa Neuseelands, in welchem die politischen Beziehungen zwischen Māori und Pākehā schriftlich verbindlich festgelegt werden sollten (Walker 1990: 96f.). Die Vertragsinhalte der englischen und der Te Reo Māori-Version6 stimmen nicht überein und führen zu konfliktreichen Auseinandersetzungen, blutigen Landenteignungen und brutaler Kolonialisierung. Im Jahre 1840 sind die europäischen Siedler*innen noch in der Minderheit und kommen hauptsächlich aus England, Wales, Schottland und Irland (vgl. King 2003: 170f.). Der Vertrag von Waitangi wird vor Ort von Hobson und 43 Rangatira (Māori-Chiefs), insgesamt schließlich von 540 Rangatira aus dem ganzen Land unterzeichnet. Die Inhalte sind sehr allgemein gehalten und bieten Interpretationsspielraum. Konflikte entzünden sich vor allem an dem Souveränitätsbegriff im ersten Artikel: in der englischen Version wird »sovereignity« der Māori unter die Queen festgelegt, in der Māori-Version wird der Queen »kāwanatanga« überlassen – ein Terminus, der sich eher als Statthalterschaft übersetzen lässt (Barrett/Strongman 2013: 349). Während Hobson drei Monate später die Herrschaft über die Nordinsel auf Grundlage der vorliegenden Unterschriften erklärt, verstehen sich die unterzeichnenden Māori als Souveräne und Autoritäten über ihr Land, welches sie den britischen Siedler*innen lediglich zur Nutzung zur Verfügung stellen. Als viele Iwi den Landverkäufen nicht zustimmen, kommt es zu blutigen Kriegen und gewaltsamen Enteignungen. Am 18.09.1840 findet die offizielle Gründungszeremonie Aucklands unter der Leitung von Hobson statt. Nach ihm ist eine der Straßen in der Stadtmitte benannt, in welchen ich während meiner Feldforschung für einige Wochen wohne. Die meisten innerstädtischen Straßen tragen Namen, die an die Kolonialzeit oder britische Militärs aus den napoleonischen Kriegen erinnern. Eine der wenigen Ausnahmen bildet die populäre Karangahape Road (vgl. NZ Herald 2015), die mit einem Māori-Namen bezeichnet ist und auf eine lokale Erzählung verweist. Gerade diese Straße wird gerne als K’Road abgekürzt. Aotearoa Neuseelands neuere Geschichte ist massiv von der britischen Kolonialisierung geprägt und dies wird auch in meiner Forschung deutlich, wie ich im Hinblick auf städtische Umweltgerechtigkeit zeigen werde. Land (whenua) ist in der Māori-Welt nicht nur als Besitz und zur eigenen Bewirtschaftung bedeutsam, sondern eng mit den Vorfahren (tūpuna), spiritueller Identität und Zugehörigkeit assoziiert (Mead 2003: 269f.). Ich spreche bewusst von Māori-Welt als Übersetzung eines emischen Terminus, da meine Interaktionspartner*innen sich meistens auf »our Māori-World« beziehen, wenn sie mir kulturelle Bedeutungen und Zusammenhänge erklären. Mana und Land sind fundamental miteinander verbunden. Bei Mana handelt es sich um ein komplexes Prinzip, über welches mythische, soziale und politische Beziehungen geregelt werden. Mana wird als spirituelle Kraft verstanden, die vererbt und durch eigene Ta6

Die Sprache der Māori wird als Te Reo Māori bezeichnet.

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ten vermehrt und verringert werden kann (vgl. Metge 1976: 8). Die Landenteignungen berauben Māori auch der Möglichkeit, ihrer Pflicht als »kaitiaki« oder Bewahrer (»guardians«) der sie umgebenden Naturwelt nachzukommen (vgl. Rixecker/Tipene-Matua 2013: 256).7 Landenteignungen und tiefgreifende Benachteiligungen schlagen sich in einer Marginalisierung der nunmehr auf eine Minderheit reduzierten Māori nieder. Die mangelnde Möglichkeit, sich über Subsistenzwirtschaft zu erhalten, drängt viele auf der Suche nach Lohnarbeit in die entstehenden Städte. Die in urbane Gebiete ziehenden Māori nehmen Abstand von ihrem Land und der damit assoziierten spirituellen Verbindung zu ihren Ahnen, und treten unter zumeist schlechten Arbeitsbedingungen gering bezahlte Jobs an. Das Leben in der Stadt führt häufig zu einer Herauslösung aus familiären und kulturellen Strukturen, wodurch Traditionen und Sprache verlernt werden (vgl. Gagné 2013: 58). Über urbane Maraes, die als kulturelle und rituelle Versammlungszentren fungieren, sollen kulturelle Zugehörigkeit und lokale Anbindung in der Stadt gefördert werden. Betrachtet man die heutige demographische Struktur Aucklands, ist augenscheinlich, dass in den elitären Stadtteilen hauptsächlich Pākehā siedeln, während die industrialisierten Wohngebiete südlich des Stadtzentrums von Māori und Polynesier*innen bewohnt sind. Die Anthropologin Natache Gagné beschreibt, dass sich viele Māori in Auckland unwohl fühlen und sich nicht mit der Stadt identifizieren: »Many Māori, generally speaking, do not consider the city and its institutions, and Auckland in particular as Māori places; for one thing, they do not ›look‹ and ›feel‹ Māori.« (2013: 63) In den 1970er Jahren formieren sich soziale und politische Proteste, die Gleichberechtigung und insbesondere Landrechte einfordern. Zum international bekanntesten Symbol der Widerstandsbewegung wird der Landmarsch von 1975, der unter der Leitung von Whina Cooper 29 Tage lang von der Spitze der Nordinsel bis zum Parlament in Wellington führt. Im gleichen Jahr wird über den Treaty of Waitangi Act ein Tribunal (»Waitangi Tribunal«) eingeführt, über welches Rückforderungen von Landbesitzen ausgehandelt werden sollen (Walker 1990: 212f.).8  

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Als Reaktion auf die britische Kolonialherrschaft bildet sich unter den Māori die Idee einer geschlossenen Front heraus, die zur Ernennung eines Kīngitanga, eines Māori-Königs, führt. Dieser soll als Kontrapunkt zur britischen Krone fungieren (King 2003: 212). Für eine ausführliche Darstellung der komplexen Kolonialgeschichte und ihrer Folgen siehe King (2003); Belgrave (2005). Für eine umfassendere Darstellung der Māori-Proteste bzw. der Māori-Pākeha-Beziehungen siehe Walker (1990).

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Dem Eindruck, dass sich Auckland entlang ethnischer Zugehörigkeiten aufteilt, widersprechen viele meiner Akteur*innen. Für sie ist Aotearoa Neuseeland und auch Auckland als Stadt von einer ethnischen Gleichberechtigung geprägt, die sie beispielsweise in Abgrenzung zu dem häufig in diesem Zusammenhang zitierten Australien als besonders positiv herausstellen. Damit rekurrieren sie auf einen Gleichheitsmythos, der sich in vielen Siedlernationen findet, aber häufig nicht den gelebten Realitäten entspricht (vgl. Brandt 2013: 73) – so auch nicht in Auckland. Die Konflikte um Land dauern bis heute an. Die Notwendigkeit der Aushandlung zeigt sich in Auckland beispielsweise an der aktuellen Debatte um Ihumātao. Während meiner Feldforschung kämpft eine lokale, von Pākehā und Māori unterstützte Protestgruppe um die Bewahrung von Ihumātao, einer kulturell sehr bedeutsamen Grabstätte im südlichen Auckland. Das Immobilienbüro Fletcher Real Estate beabsichtigt, auf dem heiligen Grund 480 hochpreisige Studio-Apartments zu errichten. Über den Special Housing Areas Act werden 42 Hektar des heiligen Landes, welche an das geschichtsträchtige Ōtuataua Stonefields Historic Reserve angrenzen, im Jahr 2014 zur Special Housing Area erklärt. Auf dem umstrittenen Grund haben die ersten Māori, die seinerzeit am südlichen Manukau-Ufer ankommen und die ersten Siedler*innen in dem heutigen Gebiet Aucklands sind, ihre ersten Gärten errichtet. Die hier noch erhaltenen Mauern gehören zu den landesweit ältesten. Ihumātao ist mit einer Besiedlungszeit von über 1000 Jahren das älteste, dauerhaft bewohnte Gebiet in der Auckland Region. Von den vor 200 Jahren noch mehr als 8000 vulkanischen Steinfeldern um den Auckland Isthmus Tāmaki-makau-rau, die von Māori bewirtschaftet werden, sind heute nur noch etwa 160 Hektar erhalten (New Zealand History o.D.). Das Land Ihumātao wird 1863 als Strafe konfisziert, als der Gouverneur George Grey ein Ultimatum stellt und verlangt, dass die lokalen Māori dem Māori-König Kingitanga ihre Loyalität entziehen und sich zu der Queen bekennen (SOUL o.D.). SOUL steht für den Slogan »Save Our Unique Landscape«, auf Te Reo Māori »Toi tū te whenua, whatungarongaro te tangata«. Als ich gemeinsam mit der SOULGruppe den Anhörungen im Manukau Council beiwohne, sagt mir Michael, ein etwa 50-jähriger Pākehā, der sich sehr engagiert am Protest beteiligt: »It’s a shame. It’s like a time travel thirty years back. These things should not happen today.« (Michael, EP Manukau 03.02.2016). Awhina, eine fast 60-jährige Māori, hält eine sehr emotionale Rede im Stadtrat und spricht unter Tränen vor dem Plenum: »They [local Māori] knew that the stolen land was still theirs […] Their mana still lay over their fields. 500 housing buildings and this land will be lost forever, and the present will show that the same cruelty of last century is still possible today« (Awhina, EP Manukau 03.02.2016) Sie verweist auf ihre Verpflichtung gegenüber ihren sieben Kindern und 27 Enkelkindern: »They deserve purpose, blessing and care. I want to pass on my spirit, my

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Abbildung 3: SOUL-Protest 03.02.2016

(Photo: Jeannine-Madeleine Fischer)

land, my whenua9 and my mana.«. (Awhina, EP Manukau 03.02.2016). In der Pause trinken wir zusammen eine Tasse Tee und sie sagt kopfschüttelnd: »They only care about their history and their future. Not ours. […] Now I understand what my family always said, they are not interested in us at all.« (Awhina, EP Manukau 03.02.2016) Nach meiner Abreise erfahre ich, dass der Bebauungsprozess vom Stadtrat legitimiert wird. Offiziell ist das Bebauungsprojekt genehmigt, SOUL trifft sich noch immer jeden Mittwochabend zur Besprechung und Planung weiterer Protestveranstaltungen. Auf ihrer Website schreibt SOUL: »We will not rest until justice is served.« (SOUL o.D. a). Mir macht meine Teilnahme an dem Protest deutlich, wie aktuell der Kampf um Anerkennung, Gleichberechtigung und Landrechte unter den Māori in Auckland ist. Dabei sind diese Auseinandersetzungen auch mit urbanen Umweltthemen verknüpft. Bereits in den 1960er Jahren wird die städtische Kläranlage neben Ihumātao errichtet und führt zu massiven Verschmutzungen, insbesondere in den ersten Jahren, die einige der Anwohner*innen als enorm belastend erinnern.10 Sie erzäh9 10

Whenua trägt zwei Bedeutungen: Land und Gebärmutter. Michael erzählt mir: »We used to be the toilet of the whole Auckland area!« (Michael, EP Manukau 03.02.2016).

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len mir von grau bis schwärzlich eingefärbten Hauswänden und einem aufdringlichen Geruch, der damals im ganzen Viertel vorherrschte. Während Ihumātao und angrenzende Nachbarschaften am stärksten von der Umweltverschmutzung der 1960 eröffneten Kläranlage betroffen sind, gehören diese zu den letzten Gebieten, die von einer verbesserten Wasserqualität profitieren können und werden erst in den späten 1970er Jahren an das System angeschlossen. Das Klärwerk und die Oxidationsbecken der Anlage werden über den Jakobsmuscheln- und Austernbanken errichtet und entziehen den Bewohner*innen vor Ort eine bedeutsame Nahrungsgrundlage. Auch die lokalen Fischvorkommen sind nicht mehr genießbar (Te Akitai o.D.). Für den Bau des Flughafens werden in den 1960er Jahren historische Vulkane teilweise abgebaut und 2009 fahren für den Ausbau einer zweiten Landebahn Schubraupen über eine 600 Jahre alte Urupa (Grabfläche) und legen 89 Gräber vor dem Naturhafen Manukau Harbour frei (SOUL o.D. b). Ihumātao wird bereits vor dem Verkauf und den Bebauungsplänen von den Behörden in seiner kulturellen Bedeutung missachtet. Auch in den umliegenden Gebieten wird mit dem Bau von Industrieanlagen, die den Manukau Harbour verschmutzen, und dem Abbau bedeutsamer Maungas11 massiv gegen Māori-Werte verstoßen (vgl. Rixecker/TipeneMatua 2003: 256). Diese städtischen Infrastrukturen, die viele Aucklander*innen mit Moderne und Fortschritt assoziieren, sind gleichsam massiv verschmutzend. Während ganz Auckland von der Funktionalität profitiert, leidet die Bevölkerung vor Ort unter den negativen Auswirkungen des Baus und der Verarbeitungsprozesse in den Anlagen. Dabei werden nicht nur kulturelle Werte, sondern auch die Gesundheit der vornehmlich aus Māori und Polynesier*innen bestehenden Lokalbevölkerung ignoriert (vgl. Selby/Moore 2006). Gleichzeitig wird die Wertschätzung der Māori-Welt in der urbanen Debatte häufig betont. Nicht nur städtische Planungsdokumente wie der Auckland Plan, der im Verlauf dieser Einleitung thematisiert wird, verweisen auf die Wichtigkeit, das kulturelle Erbe zu erhalten. Auch in Umweltdiskussionen rekurrieren Aktivist*innen wiederholt auf die kulturelle Bedeutung von Natur und greifen traditionelle Vorstellungen und Bezeichnungen auf, um für die lokale Natur zu sensibilisieren. Häufig wird in Umweltorganisationen beispielsweise über das »mana« auf den Naturflächen gesprochen und Akteur*innen bezeichnen sich selbst als »guardians of the land«, die eine verantwortungsvolle »stewardship« für das Land übernehmen. Dabei handelt es sich um Ausdrucksweisen aus der Māori-Welt, in der eine inhärente Verbundenheit zwischen Mensch und

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Maungas sind Berge oder Gipfel und tragen für die Identität der Māori eine besondere Bedeutung. Als die Sprachlehrerin im Te Reo Māori-Kurs im Community Centre Māngere East unserer Klasse beibringt, uns vorzustellen, lehrt sie ergänzend zu unseren Namen den Berg zu benennen, von welchem wir stammen.

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Natur angenommen wird, die sich über die allem Leben eingeschriebene Lebenskraft mauri etabliert. Dieses Konzept scheint sich passend in Ideale von Nachhaltigkeit und Resilienz einzufügen, die von vielen Umweltgruppen gefordert werden. Dabei können Umweltschutzideen Māori-Idealen aber zuwiderlaufen und Kaitiakitanga (Schutzherrschaft) von unterschiedlichen Māori in verschiedenen Kontexten je eigen beurteilt werden. So ist beispielsweise Kiore, die polynesische Ratte, die von den meisten Umweltschützer*innen als Schädling der nativen Flora und Fauna beurteilt wird, für einige Māori tāonga12 , also schützenswert (Bradford 2008). Diese divergierenden Vorstellungen können zu Spannungen im urbanen Umweltschutz beitragen (vgl. Gillespie 1998: 20ff.).

Urbane Strukturen und Dynamiken Das gute Leben wird in der urbanen Debatte insbesondere hinsichtlich enormer demographischer Verschiebungen ausgehandelt. Der ständig wachsende Bevölkerungsdruck stellt sich hinsichtlich der bisherigen Stadtplanung als brisant dar. Gerade die Wohnungsfrage löst immer wieder Diskussionen aus. Aucklands Wohnviertel liegen sehr weit auseinander und sind über das öffentliche Verkehrsnetz nur unzureichend miteinander verbunden. Einige Bewohner*innen bezeichnen die Metropole als »City of Cars«, da die Stadtplanung die PKW-Nutzung bereits vorausgesetzt habe und sich nicht etwa an einer durch öffentlichen Nahverkehr vernetzten Struktur orientiere. Dabei handelt es sich um ein Wortspiel, da Auckland mit eindeutig positiver Konnotation gemeinhin als »City of Sails« bezeichnet wird. Auch aktuell ist die PKW-Nutzung fest in städtische Alltagsroutinen eingeschrieben und wird nicht von öffentlichen Alternativen abgelöst: »The car is clearly woven deeply into the sociality of Auckland life. Many of our participants could not imagine their lives without access to a car and used them habitually.« (Bean/Kearns/Collins 2008: 2845) Das Streckennetz der Stadtbahn beschränkt sich auf drei unzureichend vernetzte Linien; die Busverbindungen sind weder weitläufig ausgebaut, noch effizient miteinander verknüpft und zum Teil ungenügend getaktet. Gerade in den letzten Jahren wird die Verbesserung öffentlicher Nahverkehrswege zunehmend diskutiert und über alternative Lösungsstrategien reflektiert. Im Juli 2016 wird ein neuer Planungsvorschlag des Auckland Councils publik gemacht, der High-Density-Buildings für 60 Prozent des Stadtgebietes vorsieht. Für Einfamilienhäuser sind nur noch 22 Prozent der Flächen reserviert. Damit soll 12

Tāonga wird unscharf als Schatz in der Māori-Welt definiert und kann sich auf unterschiedliche Entitäten beziehen, die mit einem besonderen Wert behaftet sind.

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Raum für 422.000 Wohngebäude innerhalb der nächsten 24 Jahre geschaffen werden. In der Einleitung zur Sektion »Auckland’s Housing« weist der Auckland Plan auf Wohnungsnot und entsprechende Housing-Projekte hin: »Auckland’s population is projected to grow to between 2.2 and 2.5 million over the next 30 years. Around 400,000 additional dwellings will be required by 2040, which means that at least 13,000 additional houses have to be built each year.« (Auckland Council 2012: 270) Mit diesen Planungen gehen Neuregelungen im Umgang mit geschützten Gebäuden und Räumen einher. Der Schutz von Häusern, die vor 1944 erbaut wurden, soll aufgegeben und die Anerkennung als für Māori kulturell wertvolle Landschaften in Einzelfällen neu ausgehandelt werden (Niall 2016). Viele Bewohner*innen fürchten, dass dabei architektonisches Kulturerbe und urbane Grünflächen zu Bebauungsflächen werden und setzen sich entsprechend für Denkmal- und Naturschutz ein. Gleichzeitig wird die Problematisierung einer »housing crisis« kritisiert: innerhalb von fünf Jahren seien die Hauspreise um 80 Prozent gestiegen und machten es vielen Familien unmöglich, sich Wohnungen oder Häuser in der Stadt leisten zu können. Mehr als 33.000 Wohnungen sollen in Auckland leerstehen (Gibson 2016) – nicht zuletzt durch den Bau hochpreisiger Immobilien, die mit einem Durchschnittseinkommen längst nicht mehr finanzierbar seien. Im Mai 2016 titelt der Guardian: »New Zealand housing crisis forces hundreds to live in tents and garages« (Ainge-Roy 2016). Die dramatischen Zahlen brechen mit dem erklärten Ziel, zur »world’s most liveable city« zu werden: »Nobody knows exactly how many people are living rough in Auckland, but common estimates range in the hundreds.« (Ainge-Roy 2016, o. S.) Vor allem ältere Stadtviertel wie Devonport, eines meiner Hauptforschungsgebiete, auf welches ich noch ausführlicher eingehen werde, und Parnell13 engagieren sich für den Schutz ihrer historischen Gebäude. Die Wohngebiete identifizieren sich mit einem distinkten Architekturstil und fürchten den Verlust ihres kulturellen Erbes zugunsten hoher Wohnraumblöcke. Als ich mit Aylin spreche, einer etwa 40-jährigen Pākehā, die sich in einer Organisation zum Schutz urbanen Kulturerbes engagiert, erzählt sie mir von den nahezu zufällig wirkenden Bebauungsplänen: »They just fit it in randomly – wherever they find a free spot. They don’t care what it means to the people.« (Aylin, EP Downtown 18.09.2012). Die Suburbanisierung Aucklands beginnt im 20. Jahrhundert und erreicht ihren Höhepunkt in der Nachkriegszeit. Der Baby Boom dieser Periode spiegelt sich in familienorientierten Bebauungsplänen wider, die klassischerweise eine »quarter section area« für ein Einfamilienhaus in den Vororten vorsehen (Friesen 2009: 59) 13

Parnell wird häufig als eines der ältesten Wohnviertel Aucklands bezeichnet. Der Stadtteil rangiert unter den drei wohlhabendsten Wohngebieten der Stadt.

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– dies wird bis heute von den meisten Bewohner*innen als Ideal des neuseeländischen Hauses aufgefasst. Der Ausbau der Autobahnen ab den 1950er Jahren, der den Verkehr zwischen den einzelnen Wohngebieten erleichtert, unterstützt ebenfalls den Bevölkerungszuwachs in den Vorstädten. Gentrifizierungstendenzen setzen ab den 1970er Jahren ein und verändern sowohl die Bevölkerungszusammensetzung als auch die »commercial and cultural landscapes«14 (Friesen 2009: 62). Entgegen des mit dem Einsetzen der Gentrifizierung favorisierten Multikulturalismus stellt sich die innerstädtische Bevölkerungszusammensetzung 50 Jahre später als relativ homogen von Pākehā geprägt, gebildet und einkommensstark dar (ebd.). Ab den 1990er Jahren ist die Bebauung des innerstädtischen Areals von einer Laissez-Faire-Attitude geprägt, die dem Bau kleiner bis mittelgroßer Gebäude Vorschub leistet. Erst im Jahre 2007 werden Mindestgröße und Designprotokolle städtisch reguliert. Seit den 1990er Jahren erhöhen jährliche Festivals und kulturelle Großevents die Attraktivität Aucklands, worunter Friesen eine generelle Aufwertung der Stadt sieht: »In conjunction with the rapidly increasing repopulation of the CBD these events have given new life to the central city in which Queen Street in the early 1980s seemed destined to be a series of bank facades and tourist hopes.« (Friesen 2009: 66) Dabei spielt die internationale Immigration eine zentrale Rolle, vor allem Student*innen werden explizit angeworben. 2003 wird internationale Bildung als viertgrößter Exportsektor Aotearoa Neuseelands verstanden – mit 120.000 internationalen Student*innen in der Stadt (ebd.). Laut Statistiken aus dem Jahr 2013 setzt sich Auckland aus 59 Prozent Pākehā, elf Prozent Māori, 15 Prozent Polynesier*innen und 23 Prozent Asiat*innen zusammen – die Stadt repräsentiert sich als multikulturelle Metropole.15 Die in den Statistiken verwendete Kategorie »Asian« wird auf jene Bewohner*innen angewendet, die sich selbst mit einer Region Asiens identifizieren, die im Westen von Afghanistan, im Osten von Japan, im Norden von China und im Süden von Indonesien begrenzt wird (vgl. Ho 2015: 96). Die demographischen Veränderungen in Auckland sind mit nationalpolitischen Entscheidungen verknüpft. Aotearoa Neuseelands Immigrationspolitik ändert sich mit dem 1987 verabschiedeten »Immigration Act« signifikant. Fortan werden Einwanderer*innen nicht mehr auf Basis favorisierter Herkunftsländer, sondern hinsichtlich ihrer individuellen Eigenschaften wie Alter, Bildung und Arbeitserfahrung

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Das zeigt sich insbesondere an der Entwicklung der Ponsonby Road als urbanes Szeneviertel mit Cafés, Bars und Boutiquen. Mehrfachnennungen waren möglich (Statistics New Zealand 2013).

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ausgewählt. Asiatische Immigrant*innen sind im 19. Jahrhundert als Minenarbeiter*innen und kommerzielle Gärtner*innen vor allem auf der Südinsel präsent. Seither wurden zahlreiche diskriminierende Gesetze verabschiedet, die sowohl die Immigration aus asiatischen Ländern beschränken als auch die Lebensbedingungen der Einwanderer*innen in Aotearoa Neuseeland verschlechtern. Der »Immigration Act« stellt sich als einschneidender Wandel dar. Dennoch ist der urbane Diskurs auch heute noch durchaus rassistisch geprägt (vgl. Spoonley 2015). Aus den Auswahlkriterien formiert sich im Jahre 1991 ein quantifizierbares Punktesystem. Anfang der 1990er Jahre steigt die Immigration aus asiatischen Herkunftsländern immens an und wird von wachsenden Wirtschaftsbeziehungen zwischen Aotearoa Neuseeland und Asien begleitet (Friesen 2015: 9). Der Anteil asiatischer Bewohner*innen an Aucklands Bevölkerung hat sich in dem Zeitraum von 1986 bis 2013 fast verneunfacht (Ho 2015: 95) und prägt sich über spezifische Siedlungsmuster, Architekturstile, Einzelhandelsläden, Restaurants und Kulturveranstaltungen in das Stadtbild ein (vgl. Friesen 2015: 29ff.). Eine massive städtische Veränderung stellt die Amalgamierung dar, die Auckland im Jahr 2010 zur Supercity macht. Die Herausforderungen dieser Zusammenlegung und Umstrukturierung werden im Auckland Plan reflektiert, der im nächsten Abschnitt ausführlicher dargelegt wird.

The most liveable city – politische Maßnahmen für Stadtplanung und Umwelt Als ich 2012 zum ersten Mal nach Aotearoa Neuseeland reise, ist der Auckland Plan in aller Munde. In Auckland hat der im gleichen Jahr veröffentlichte Stadtentwicklungsplan starke Narrative in die lokalen Landschaften urbaner Ethiken eingeschrieben.16 Dieser wird mit dem Ziel beworben, die Metropole zur »world’s most liveable city« zu machen, und dieses Vorhaben wird als gemeinsam geteiltes Interesse aller Aucklander*innen verstanden: »For the first time in our history, we have a shared vision – to be the world’s most liveable city – and a single plan to deliver this vision for all of Auckland and its people.« (Auckland Council 2012: 2) Der Verabschiedung des Planes geht der sogenannte Unitary Plan voraus, mit welchem aus acht Distrikten des Ballungsraumes Auckland die heutige »Supercity« geformt wurde, die einer singulären Regierung unterliegt (Fathimath 2017: 221). Seit 2010 löst das Auckland Council das vormalige Auckland Regional Council ab 16

Der Stadtentwicklungsplan soll inzwischen von dem neuen Auckland Plan 2050 abgelöst werden, der Aufgaben und Ziele über einen Zeitraum von 30 Jahren formuliert (Auckland Council 2018b).

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und gilt als größtes Stadtmagistrat in Australasien. Der Stadtrat gliedert sich neben dem »Governing Body« (GB), der durch den Bürgermeister geleitet und von 30 Regierungsräten gestellt wird, nun in 21 regionalspezifische »Local Boards« (LB) auf, die dem zentralen Stadtrat untergeordnet sind und nicht mehr als eigenständige Verwaltungseinheiten agieren können. Während der GB für strategische Entscheidungen in der gesamten Auckland Region zuständig ist, erstreckt sich der Verantwortungsbereich der LB auf spezifische Themen der je zugeordneten Regionen und Community-Angelegenheiten (Fathimath 2017: 221). Die ehemaligen Bezirke überschneiden sich zum Teil mit den heutigen Local Boards, werden teilweise aber auch neu zugeteilt. Vor allem Bewohner*innen ländlicher Distrikte wie Franklin und Rodney lehnten diese Form der Amalgamierung ab und plädierten für eine Zusammenlegung mit anderen, rural geprägten Regionen, da sie befürchten, von einem urban orientierten Stadtrat nicht profitieren zu können. Außerdem führt die geringere Bevölkerungszahl der ländlichen Regionen zu einer verminderten Anzahl an repräsentierenden Stadträten, und damit zu einer ungleichen Verteilung von Macht und Autorität (vgl. Rose 2015). Getroffene Abgrenzungen und Zuordnungen widersprechen zum Teil den Identitätsverständnissen der Gemeinschaften. Einige Bewohner*innen fürchten, ihr Stadtteil könne seine abgrenzenden Alleinstellungsmerkmale verlieren, andere hoffen, mehr Beachtung zu finden und von einer besseren Ressourcenverteilung zu profitieren. Auch in den Jahren nach der Veröffentlichung des Auckland Plans sprechen viele Akteur*innen aus dem Stadtrat und den lokalen Communities von seiner Umsetzung. Die Agenda ist nun für alle ehemaligen Distrikte gültig, obgleich zusätzliche Regionalpläne lokale Schwerpunkte setzen. Während beispielsweise im Regionalplan der Whau, einem Wohngebiet im Westen Aucklands, der Integration asiatischer Immigrant*innen eine größere Rolle beigemessen wird, liegt der Fokus in den südlich gelegenen Stadtteilen, die unter »The Southern Initiative« zusammengefasst sind, auf der Lösung sozialer Probleme (Auckland Council o.D.). Für den lokalen Zusammenhang sind auch nationalpolitische Entwicklungen bedeutsam. In den 1980er Jahren ist die neuseeländische Umweltpolitik von einigen Neuerungen geprägt. Die beiden etablierten Parteien, Labour Party und National Party, überbieten sich in ihren »grünen« Vorschlägen geradezu. Im Jahr 1984 wird das Umweltministerium eingeführt, unter welchem zersplitterte Bestrebungen politisch zusammengefügt und mit einem größeren Handlungsspielraum versehen werden sollen. Diese Entwicklung, die unter dem Paradigma der Nachhaltigkeit verortet wird, steht den »Think Big«- Ansätzen der frühen 1980er Jahre gegenüber (Taylor 2013: 18). Führen die Forderungen der Labour Party schließlich zur Umsetzung des verbindlichen Resource Management Acts (RMA), formuliert die National Party ambitionierte Ziele zur Reduktion des nationalen CO²-Verbrauches, die jene der Labour Party überholen. Im Jahre 1997 ruft der damalige Premierminister David Lange das Department of Conservation ins Leben und vereint damit

1. »Auckland is a city: you hate it or you like it«

unterschiedliche NGOs, die sich für Umweltschutz engagieren, unter einer Organisation, die gemeinsame Ziele und Strategien hinsichtlich Biodiversität formulieren kann. Im Department of Conservation wird sehr viel Personal ausgetauscht und gekürzt; die mangelhafte Finanzausstattung engt den Handlungsspielraum des Amtes massiv ein (Taylor 2013: 19). Mit dem RMA wird im Jahre 1991 erstmalig eine verbindliche und einheitliche Verantwortlichkeit für Umweltangelegenheiten formuliert, die über 50 andere Gesetze aus Stadtplanung und Ressourcen-Management ablöst. Explizite Formulierungen verweisen auf eine Berücksichtigung von Māori-Interessen in der Umweltpolitik (Gillespie 1998: 20). In dem Dokument wird Kaitiakitanga (»guardianship rights«) und damit das Bedürfnis der Māori, sich um ihre Naturumwelt zu sorgen, an- und zuerkannt, obgleich kulturellen und spirituellen Bedürfnissen im praktischen Umweltschutz für Māori häufig nicht zufriedenstellend nachgekommen wird (vgl. Rixecker/Tipene-Matua 2003: 257). Seither werden einige Änderungen und Anpassungen vorgenommen sowie Regional und District Resource Management Plans ergänzt, um lokale Entscheidungen zu ermöglichen und keine national einheitlichen Regulierungen vorzuschreiben. Die neuseeländische Green Party, die im Jahre 1990 aus der Values Party hervorgeht, wird als weltweit erste Umweltpartei bezeichnet. Die Values Party wurde 1972 an der Victoria University of Wellington gegründet. 1992 schließt sich die Green Party mit kleineren Parteien zusammen, um als vereinte »Alliance« anzutreten. Nachdem die Bewegung der 1970er Jahre zwar als wichtig, aber auch relativ unwirksam und nahezu folgenlos beurteilt wird, ordnet man die zweite Welle des Umweltschutzes als Paradigmenwechsel ein. Das junge Land könne von den Fehlern westlicher Nationen lernen und die Vorteile der späten und dünnen Besiedelung nutzen, um eine internationale Vorbildfunktion einzunehmen. Umweltorganisationen erfahren einen rapiden Anstieg an Teilnehmer*innen und Firmen setzen zunehmend auf ein grünes Image, um ihre Produkte zu vermarkten (Green o.D.). Dabei lokalisiert sich der umweltpolitische Regierungsstil zunehmend und fokussiert auf regionale und kleinformatige Umweltprojekte und -gruppen (vgl. O’Brien 2016: 12). Einige meiner Akteur*innen beklagen sich über die umweltfeindlichen Entscheidungen, welche die zur Zeit meiner Forschung konservative Regierung träfe. Auch für die als mangelhaft empfundene Umweltpolitik in Auckland wird die finanzielle Abhängigkeit von der Nationalregierung verantwortlich gemacht. Investitionen in Straßenbau und Kürzungen in der Unterstützung lokaler Umweltprojekte verorten meine Interaktionspartner*innen häufig als auf der Nationalpolitik basierend und nehmen das Auckland Council gewissermaßen in Schutz. Dabei spiegelt sich auch die neoliberale Ausrichtung, die sich seit den 1980er Jahren in unterschiedlichen Phasen auf nationale und regionale politische Orientierungen und Entscheidungen auswirkt, in der Umweltpolitik wider. Das neoliberale Projekt Aotearoa Neuseelands kann drei Phasen zugeordnet werden: die 1980er

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Jahre sind von zunehmender Vermarktung und Rückzug des Staates geprägt, die frühen 1990er Jahre von einer härteren »Bestrafungspolitik«, neo-konservativen und autoritativen Programmen in der Sozialpolitik, und die späten 1990er Jahre von einem »partnering ethos«, der die neoliberalen Elemente beibehält und um Bestrebungen nach sozialer Inklusion ergänzt (Larner/Craig 2005: 407). Der Fokus auf partnerschaftliche Arrangements hat zur Formierung diverser Communities beigetragen, in welchen sich unterschiedliche Akteur*innen engagieren. Freiwillige und Lokalpolitiker*innen arbeiten in Umweltprojekten zusammen und transzendieren die Grenzen zwischen Regierenden und Regierten (vgl. Perkins 2009: 397). Damit werden sowohl Verantwortlichkeiten als auch Handlungsspielräume neu ausgetragen. Bewohner*innen in Auckland werden zum Teil im neoliberalen Sinne für die Lösung umweltbezogener Probleme verantwortlich gemacht, um Stadt und Staat von diesen Aufgaben zu entlasten. Zeitgleich liegt in dieser kritischen Verantwortungsverlagerung aber auch die Möglichkeit, eigene Ideale zu entwickeln und umzusetzen. Die im Auckland Plan formulierten Ziele fordern das aktive Umweltverhalten der Bürger*innen ein. Die Ambition etwa, bis 2040 eine Zero-Waste-Gesellschaft etabliert zu haben, geht über (infra-)strukturelle Veränderungen hinaus: die mit diesen Neuerungen verbundenen Regulierungen appellieren an Bewohner*innen, achtsamer zu konsumieren und Abfall bewusster zu entsorgen. Unterschiedliche Kampagnen rufen Aucklander*innen auf, Verantwortung für das eigene Umweltverhalten und damit für die städtische Umweltsituation zu übernehmen.17 Privatisierungen staatlicher Unternehmen betreffen auch Infrastrukturen wie Mülldeponien und -abfuhren. In diesem Sinne werden Umweltpraktiken zu privatwirtschaftlich orientierten Geschäften. Vor diesem vielschichtigen Hintergrund müssen Vorstellungen über das gute Leben unter den Bewohner*innen in Auckland verstanden werden. Da sich Ethiken nicht als statische Wertesysteme darstellen, sondern vielmehr flexibel auf fluide Gegebenheiten und Veränderungen reagieren, aus wandelbaren Strukturen und Prozessen emergieren, sind geographische und politische Kontexte vor Ort bedeutsam. So verfügen auch die Stadtteile Aucklands, die unter einem gemeinsamen Stadtrat zusammengefasst sind, über je eigene Selbstverständnisse, aus welchen sich unterschiedliche Vorstellungen und Leitlinien ergeben. Die Amalgamierung evoziert verschiedene Reaktionen und Assoziationen, die mit lokalen Stadtidealen in Beziehung stehen. Im folgenden Abschnitt werde ich meine beiden Hauptforschungsgebiete, Māngere East und Devonport, näher beleuchten.

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Zur Verknüpfung von Umweltdebatten mit neoliberalen Projekten siehe auch Brand (2007); Pudup (2008).

1. »Auckland is a city: you hate it or you like it«

Die Stadtteile Māngere East und Devonport Wenn ich mich mit meinen Akteur*innen in Devonport18 treffe, kommen wir oft wie automatisch auf die Thematik der Amalgamierung zu sprechen – ganz gleich, ob unsere Gespräche mit Luftverschmutzung, Abfallmanagement oder Baumschutz beginnen. George ist ein 70-jähriger Pākehā und langjähriger Bewohner Devonports. Wehmütig erinnert er an die Zeiten des Devonport Borough Councils, der 1989 zugunsten der Amalgamierung in sieben Stadtbezirke abgeschafft wurde. Er beklagt, dass die Stadträte heute über einen Wohnort entscheiden, in dem sie meist nicht selbst wohnen und die Gegebenheiten, Bedürfnisse und Nachbar*innen gar nicht mehr kennen. Devonport als maritimes Wohlstandsviertel historischen Charakters kämpft unentwegt um den Erhalt der viktorianischen Villen, des unverbauten Blicks auf den Hauraki Gulf und seines baulichen Charakters. Dass der enorme Bevölkerungsdruck, der zu großen Bauprojekten im Stadtgebiet führt, früher oder später auch Devonport beeinträchtigen werde, ist eine Befürchtung, die durch den Verlust lokaler Autoritäten noch brennender ist. Diese Sorge um den Stadtteil reflektieren fast alle meiner lokalen Akteur*innen in Devonport. In Māngere Town, einem Wohngebiet im südlichen Teil der Stadt, unterhalte ich mich mit der Stadträtin Melissa, die mir jedes Jahr nach meiner Rückkehr Neuigkeiten aus der Region berichtet. Sie kommt ursprünglich aus Samoa, wie die meisten Bewohner*innen des Viertels. Als ich sie frage, was sie von der Amalgamierung halte, argumentiert sie zunächst mit dem ökonomischen Nutzen: »I have to say it’s positive, because we got the swimming pool…« (Melissa, EP Māngere Town 11.06.2014). Außerdem sei das benachteiligte Wohngebiet nun gewissermaßen eingegliedert und könne von der zentralen Stadtregierung nicht mehr ignoriert werden. Diese Sicht wird nicht von allen Bewohner*innen geteilt, die die Amalgamierung im Gegensatz zu Melissa nicht aus Sicht des Stadtrates, sondern in ihren alltäglichen Lebenswelten erleben. Als ich mich mit Norman, einem etwa 60-jährigen Unternehmer, in seiner Spedition im südlich gelegenen Onehunga treffe, erzählt er mir, wie sehr Süd-Auckland über die Jahre hinweg stadtpolitisch vernachlässigt worden sei. Der Begriff Süd-Auckland ist eine problematische Zusammenfassung, die von lokalen Akteur*innen zum Teil abgelehnt wird. Medial wird »South Auckland« häufig als Problemgebiet inszeniert und mit Kriminalität und Marginalisierung assoziiert (siehe Ringer 2008). Einzelne Akteur*innen plädieren dafür, die jeweiligen Vororte nicht zu pauschalisieren, sondern in ihrer Individualität darzustellen. Hier übernehme ich Normans Wortwahl, der in unseren Unterhaltungen von »South Auckland« spricht. Er zeigt mir Photos aus seiner 18

Meine Interaktionen mit Bewohner*innen von Devonport finden vor allem im Rahmen meiner Diskussionsgruppe im örtlichen Community Garden statt, siehe hierzu Kapitel 3.

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Karte 2 Māngere East und Devonport

(Open Street Maps)

Kindheit und schwärmt von den Sonntagnachmittagen, an welchen er mit seinen Eltern am Manukau Harbour schwimmen und sonnenbaden ging. Daneben liegen Bilder von dem heutigen Zustand des gleichen Ortes. Er beklagt die industrielle Verschmutzung und Verantwortungslosigkeit der lokalen Verwaltung: »This would never have happened to the Waitematā Harbour19 . There is a reason for the different states of these two. They just don’t care about us in the South.« (Norman, EP Onehunga 11.06.2014) Norman ist Pākehā, in Manukau aufgewachsen und seit vielen Jahren für die Restaurierung des Hafens engagiert, die bislang nicht genehmigt wurde. Er ist ein wohlhabender Bewohner des Viertels und unterhält ein Ferienhaus auf Great Barrier Island – Süd-Auckland zu verlassen, kann er sich nicht vorstellen. Er zeigt mir eine Präsentation, die er vor dem Stadtrat gehalten hat und demonstriert anhand von ausgeklügelten Plänen, wie sich die Umweltsituation des Manukau Harbour

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Der Waitematā Harbour wird auch als Auckland Harbour bezeichnet, da er den Hauptzugang zur Stadt über das Meer darstellt. Er ist nördlicher gelegen als der Manukau Harbour.

1. »Auckland is a city: you hate it or you like it«

nachhaltig verbessern ließe. Seiner Meinung nach hat die Amalgamierung keinen Vorteil für die südlichen Wohngebiete mit sich gebracht: »Now they call the things differently. But it’s still the same what is happening. They give money to the rich regions and forget about us, here in the South.« (Norman, EP Onehunga 11.06.2014) Vor der Amalgamierung war Manukau City mit über 300.000 Einwohner*innen die fünftgrößte Stadt des Landes und eine eigenständige Gebietskörperschaft. Māngere East, mein zweites Fokusgebiet, war – als Ortsteil von Māngere – ein Stadtteil von Manukau City. Erst seit 2010 wird Māngere durch das Auckland Council verwaltet. Die Alltagswelten meiner Akteur*innen beziehen sich vornehmlich auf Māngere Town und Manukau City. In den Stadtkern Aucklands fahren sie selten, sofern sie keine Arbeitspendler*innen sind. Wie wenig man mitten in der Stadt tatsächlich über die Wohngebiete südlich des Stadtkernes weiß, wird mir erst bewusst, als ich mich mit Lea, einer Mitbewohnerin aus meiner im Stadtzentrum gelegenen WG, unterhalte. Sie wohnt seit einem guten Jahr in Auckland, ist Anfang 30, Tochter eines Māori und einer Pākehā. Sie erkundigt sich eines Abends über meine Forschungsgebiete und möchte wissen, ob es im südlichen Auckland wilde Hunde gebe, da sie das häufig von Armutsvierteln gehört habe. Māngere East hat um die 6500 Einwohner*innen und ist multikulturell geprägt. Rund 60 Prozent der Bevölkerung, die dem Local Board Māngere-Ōtāhuhu zugerechnet wird, sind Polynesier*innen.20 Auch der Māori-Bevölkerungsanteil ist hier mit etwa 16 Prozent höher als im übrigen Land (15 %), in Auckland leben etwa 60 Prozent der gesamten Māori landesweit (Statistics New Zealand 2013). Fruchtbare Böden und gute Fischbedingungen machten das Land bei seiner Besiedlung attraktiv. Der Name des Stadtteiles geht auf die Bezeichnung »hau māngere« (»faule Winde«) zurück, welche sich vermutlich auf den Schutz vor Westwinden durch den Māngere Mountain bezieht (New Zealand History o.D. a). Māngere Mountain ist mit einer Höhe von 106 Metern einer der höchsten und am besten erhaltenen Vulkankegel in Aucklands Vulkanfeld. Hier errichten die ankommenden Māori seinerzeit ihr zentrales pā, ein befestigtes Dorf, das als soziopolitisches Zentrum fungiert und auf Verteidigung ausgelegt ist. Māngere Mountain überblickt den Manukau Harbour und bietet Zugang zu Meer und Frischwasserquellen (Māngere Mountain Education Centre o.D.). Einige meiner Akteur*innen erzählen mir, dass Māngere »the food basket of the city« war, da die Pflanzen in diesem Gebiet besonders gut gediehen sind. Heute befindet sich auf dem Māngere Mountain ein mara, ein Garten, in dem vornehmlich die traditionell kultivierten Nahrungspflanzen Kuma-

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Der Anteil von Polynesier*innen in ganz Aotearoa Neuseeland beträgt 7 % (Statistics New Zealand 2013).

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ra, Taro und Flaschenkürbis angebaut werden.21 Die meisten der heute genutzten Häuser, Villen und Bungalows entstehen zwischen 1940 und 1960 auf dem Boden alter Farmen und Gärtnereien. Viele der Bewohner*innen in Māngere haben schlecht bezahlte Jobs oder sind arbeitslos. Mit 15,5 Prozent ist die Arbeitslosenrate mehr als doppelt so hoch wie im übrigen Aotearoa Neuseeland.22 Oft wird in den Medien von Schießereien, Messerstechereien und Gang-Kriminalität berichtet. Im Laufe meiner Forschung bemerke ich, dass viele Interviewpartner*innen aus dem Bereich des Umweltschutzes diesen Teil der Stadt gar nicht selbst kennen oder frequentieren. Wenn ich frage, welche Wohngebiete mit größeren Umweltproblemen zu kämpfen haben als andere, antworten sie fast ausschließlich: »South Auckland«, und begründen ihre Einschätzung mit der hohen Dichte an Industrieanlagen. Meine Bekannten in Māngere East zeigen mir ein anderes Bild von ihrem Wohngebiet; bitte ich sie um eine Beschreibung, rekurrieren sie auf das Potenzial der Multikulturalität im Viertel, das man zum Teil noch nicht entdeckt oder anerkannt habe. Māngere wird hinsichtlich seiner kulturellen Vielfalt häufig als »Rainbow City« bezeichnet. Melissa vom Stadtrat Māngere-Ōtāhuhu sagt mir, dass die Bewohner*innen hier stolz sein sollten und dass ihre Zukunftsvision für Māngere East sei, selbstbewusste Nachbar*innen zu haben, die wissen, in was für einem besonderen Wohngebiet sie hier leben. Die gleiche Argumentation begegnet mir auch im Community Centre in Māngere East: das Viertel wird als herausragender Ort angesehen, den es zu entdecken und zu schätzen gilt (siehe Kapitel 3). Anders als in Devonport sprechen die Bewohner*innen hier nicht vom Erhalten, sondern vom Verändern. Es solle darauf hingearbeitet werden, aus Māngere East ein attraktives Wohnviertel zu machen. Sicherheit ist ein weiterer Aspekt, den die Bewohner*innen in diesem Zusammenhang überdenken. Das wird mir auch deutlich, als ich mich zum Abschluss meines letzten Feldforschungsaufenthaltes im März 2016 mit meinen Bekannten aus unserem gemeinsam gegründeten Garden Club Māngere East zum Abendessen treffe. An diesem milden Montagabend sind wir vor dem Community Centre verabredet und überlegen, wohin wir gehen sollen. »There’s nothing around here«, bemerkt Heather, eine etwa 40-jährige Māori aus Māngere East, die sehr regelmäßig an unseren Garden Club-Treffen teilgenommen hat, »Let’s try this Chinese place in Māngere Bridge.« Māngere Bridge ist ein wohlhabenderer Stadtteil, der sich gerade auf der gegenüberliegenden Seite des Māngere Mountains befindet. Bei unserem Abendessen sind Bekannte aus dem Garden Club und der SOUL-Kampagne dabei. In unserer Unterhaltung kommt bei-

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Mit dem Māngere Mountain Education Centre wurde ein kulturelles Zentrum errichtet, das Besucher*innen über lokale Geschichten und Bräuche der Māori aufklärt. Die Statistik wurde im Rahmen des Zensus 2013 erhoben (Statistics New Zealand 2013a).

1. »Auckland is a city: you hate it or you like it«

läufig das Thema Kriminalität im Viertel auf. Tohunga, eine Māori um die 60 Jahre, schaut mich aufmerksam an und erklärt: »It’s not as they say, you know. They think there would be a shooting every night here. But it’s not dangerous at all, it’s just gangs among gangs – it’s no danger for the families living here.« (Tohunga, EP Māngere East 07.03.2016) Wenige Wochen zuvor sagt sie mir, dass Māngere East sicher sei, ich nur aufpassen solle, weil ich »a white girl« sei (Konversation, EP Māngere East 11.02.2016). Ich bemerke, dass auch mir Māngere East unsicherer vorkommt als andere Teile der Stadt. Nicht, weil die Zeitungen häufig von Vorfällen berichten, sondern weil ich die Blicke, Pfiffe und Bemerkungen wahrnehme, die mir tagsüber auf der Straße begegnen. Wenn ich in Māngere East bin, vermeide ich es, nach Sonnenuntergang allein durch das Viertel zu gehen oder an Bushaltestellen zu warten. Diese Wahrnehmung habe ich in Devonport nicht, wo ich nachts bedenkenlos durch nicht frequentierte Straßen gehe. Das Viertel wird als gehoben und aufgeräumt repräsentiert, auf der Tourismus-Website des Stadtteiles ist es als »pretty as a postcard« beschrieben (Visit Devonport New Zealand o.D.). Seinen auf den britischen Marinestützpunkt Devonport zurückgehenden Namen erhält das Viertel 185923 . Die Royal New Zealand Navy hat hier ihre Basis. Vor 40.000 Jahren besteht das heutige Devonport aus drei Vulkaninseln, die heute noch als Landmarken des Viertels hervortreten: Takarunga (Mount Victoria) ist mit 87 Metern der höchste Vulkan der North Shore und als Aussichtspunkt beliebt. Maungauika (North Head) wurde für Verteidigungszwecke der New Zealand Army genutzt, und Mount Cambria wurde massiv abgebaut und ist heute von einer Parkanlage umgeben. Māori besiedeln das Gebiet erstmals im 14. Jahrhundert (Devonport Business Association o.D.). Als das auf einer Halbinsel nördlich von Auckland gelegene Wohngebiet noch nicht über eine regelmäßige Fährverbindung an den Stadtkern angeschlossen und die Harbour Bridge24 noch nicht gebaut ist, siedeln vor allem Künstler*innen, Alternative und Umweltschützer*innen in Devonport. Da das Viertel damals nur über einen schmalen Landstreifen mit der North Shore verbunden ist, wird es häufig als »Island« bezeichnet. Viele meiner Akteur*innen beziehen sich auch gegenwärtig auf das »Island Feeling«, das Devonport von anderen Teilen Aucklands absetze. Mit der Verbesserung öffentlicher Transportmöglichkeiten identifiziert sich der Stadtteil zunehmend als »urban village« und die Kombination aus Abgeschiedenheit und Zentralität, die durch die aktuell zehnminütig getaktete Fährverbindung

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Ursprünglich wurde Devonport wegen des Fahnenmastes auf dem hervorstechenden Takarunga »Flagstaff« genannt. Heute trägt die Lokalzeitung diesen Namen. Die Harbour Bridge wird 1959 als Straßenverbindung zwischen Aucklands Stadtkern und der North Shore errichtet.

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Urbane Ethiken und Umweltschutz

gegeben ist, wird auch von wohlhabenderen Bevölkerungsgruppen geschätzt. Inzwischen hat sich Devonport zu einem High-Class-Suburb entwickelt, in welchem kaum ein Haus unter einer Million NZD erstanden werden kann. Damit hat sich die lokale Bevölkerung entlang sozialer und ökonomischer Kategorien verändert, was einigen alteingesessenen Bewohner*innen Grund zur Sorge ist. Zum Teil wird Neuzugezogenen unterstellt, sich nicht mit Devonport identifizieren und in Verbindung setzen zu können, da sie nicht die tradierten Werte des Viertels, sondern lediglich sein inzwischen angestiegenes Prestige schätzen würden. Gerade Devonport identifiziert sich stark mit der grünen Bewegung – nicht nur durch die Symbolkraft der Rainbow Warrior, die vor dem Hafen Devonports vom französischen Service Action versenkt wurde. Zuvor hatte das Schiff Bewohner*innen des Rongelap-Atolls evakuiert, die unter gesundheitlichen Folgen von Atomtests litten. In Kürze sollte sie im Rahmen einer Demonstration gegen geplante Atomtests auf dem Mururoa-Atoll eine Flotte anführen. Dieses Ereignis wird häufig als symbolischer Beginn der nationalen Anti-Atomhaltung Aotearoa Neuseelands inszeniert (vgl. Gundry 1993: 4). Devonport ist in den 1970er Jahren landesweit die erste Region, die ein Recycling-System einführt (Tong/Cox 2000: 70) – eine Entwicklung, die sich angesichts der neuen, im Auckland Plan verankerten Zielsetzungen wiederholt. Im Rahmen einer Zero Waste-Strategie, welche die vollständige Reduktion der städtischen Abfallproduktion bis zum Jahre 2030 beabsichtigt, werden sukzessive fünf städtische Community Recycling Centres errichtet. Die erste Anlage eröffnet im März 2016 in Devonport und räumt dem wohlhabenden Stadtteil damit erneut eine Pionierrolle in der städtischen Umweltpraxis ein (siehe Kapitel 6). Städtische Umweltideale, Praktiken und Ethiken müssen in ihren lokalen Kontexten betrachtet und verstanden werden. Um umweltethische Dynamiken vor Ort zu verstehen und analytisch einzuordnen, werde ich im folgenden Kapitel ausführen, wie wir urbane Ethiken in der Forschungsgruppe konzeptualisiert haben und wie ich diese Ansätze für meine eigene Forschung fruchtbar mache.

2. Urbane Ethiken als Forschungsansatz

Ethiken, das gute Leben und richtige Lebensstile Meine Arbeit ist als Teilprojekt im Rahmen der interdisziplinären Forschungsgruppe »Urbane Ethiken. Konflikte um gute und richtige städtische Lebensführung im 20. und 21. Jahrhundert« (FOR 2101, 2015-2018, gefördert von der DFG) entstanden. In unserer Forschungsgruppe haben wir Ethiken zunächst als die Frage nach dem guten Leben definiert, die von freien und reflektierenden Akteur*innen aufgeworfen wird. »Frei« umfasst dabei das Moment selbstbestimmter Reflexion, die innerhalb der Grenzen spezifischer sozialer, ökonomischer, politischer und kultureller Geflechte möglich ist. In diesem Sinne stellen sich Ethiken als diskursive Felder dar, in welchen sich unterschiedliche Ansprüche, Sichtweisen, Interessen, Problematisierungen, Leitbilder und Ideale des Guten abbilden und gegeneinander ausgehandelt werden. Stephen Collier und Andrew Lakoff betrachten Ethik unter der zentralen Frage: »Wie soll man in der Stadt leben?« (2004). Aus dieser Frage haben sich für unsere Forschungsgruppe folgende Problemstellungen ergeben: »Wie« rückt Vorstellungen von Werten und Praktiken in den Fokus, die als gut oder richtig bezeichnet werden. »Soll« verweist auf Normativitätstypen, etwa Tugenden, Werte und Normen, die im urbanen Gefüge handlungsleitende Bedeutung erfahren. »Man« fragt nach konkreten Akteur*innen, welche die als ethisch empfundenen Handlungen reflektieren oder vollziehen, aber auch nach idealisierten Rollenmodellen, die als gute Subjekte verortet werden und gleichzeitig ein Gegenbild der schlechten Subjekte zeichnen, von welchen sich gute Stadtbürger*innen abzusetzen haben. »In der Stadt leben« greift den urbanen Kontext auf und positioniert die normativen Vorstellungen als spezifische Formen richtig gelebter Urbanität. Da wir Ethiken in ihrer dichten, situationellen Eingebundenheit betrachten, die für jede Akteursgruppe unterschiedliche Verständnisse und Erfahrungswelten umfasst, sprechen wir von Ethiken im Plural (vgl. Ege/Moser 2017). Eine eindeutige Begriffsfestlegung fällt nicht nur aufgrund unterschiedlicher kultureller und linguistischer Verortungen schwer, sondern auch hinsichtlich der Abgrenzung zu anderen Konzepten wie Politik, Moral und Religion, die ebenfalls auf gute und richtige Richtlinien und Projekte fokussieren. Die Schwäche einer va-

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Urbane Ethiken und Umweltschutz

gen Begriffsbestimmung ist zweifelsohne ihre ausladende Offenheit und das Potenzial, nahezu alle Praxen und Diskurse unter ein »ethisches« Vorzeichen zu reihen. Zeitgleich bewahrt diese Offenheit vor einem vorschnellen Schließen der Ethiken und ihrem Erstarren als statisches Konzept westlicher Philosophie, das keine empirischen Ethikbegriffe zu integrieren vermag (vgl. Zigon 2010). Didier Fassin beschreibt Ethiken als »impure debates and disputes«, die in der Anthropologie gerade nicht in reine Definitionen aufgelöst werden können. Darin sieht Fassin einen fundamentalen Unterschied zur Philosophie, die über Abstraktionen zu klaren Abgrenzungen kommen kann, die sich dadurch aber von den Lebenswelten der Akteur*innen entfernen (vgl. Fassin 2011: 489). Ferner stellt sich die Frage, wie sinnvoll eine analytische Abgrenzung zwischen Ethik und Politik ist, um nicht zu unterstellen, dass ethische Wert- und Normfragen unabhängig von Machtrelationen und kollektiven Erfahrungswelten seien. Ich halte es für fruchtbarer, auf die verflochtene Verbindung der beiden Sphären – die Didier Fassin als »troubled waters where ethics and politics meet« bezeichnet – zu verweisen, als sie kategorisch auseinanderzuhalten (Fassin 2015: 207).1 Diese unscharfen Trennlinien sind sehr relevant, wenn beispielsweise politische Entscheidungen zunehmend als ethische formuliert und damit weniger angreifbar und hinterfragbar werden (vgl. Mouffe 2007). Schließlich ist es im urbanen Gefüge ungleich schwieriger, eine Gegenposition zum guten ethischen Subjekt zu rechtfertigen – die unter der »guten« Leitlinie ja über gar keine Legitimation verfügt – als eine andere politische Meinung, die Gegnerschaft und Aushandlung zulässt. Die Verengung politischer Fragen auf ethische Richtlinien und Argumente kann in diesem Zusammenhang als Entmächtigung und Verdrängung devianter Positionen verstanden werden. Eine ethisierte Politik enthebt Akteur*innen der Möglichkeit, sich gegen dominante Prinzipien durchzusetzen, die als ethische Maximen des Guten repräsentiert werden. Außerdem rücken politische Forderungen, die sich in ethisches Vokabular kleiden, intimer an städtische Akteur*innen heran und gliedern sich in emotionale Erfahrungswelten ein (vgl. Rose 2000: 1399). Nach Michel Foucault sind ethische Formation und Governance sehr eng miteinander verbunden (s.u.).   In Anlehnung an Jarrett Zigon verstehe ich Ethiken als individuelle Aneignungen kursierender Moralvorstellungen. Zigon verortet Moralen als implizit und subtil wirkende Vorstellungen des Guten, die institutionell, im öffentlichen Diskurs oder im eigenen Habitus unreflektiert wirken. Moralen haben sich gesellschaftlich etabliert und über einen längeren Zeitraum sedimentiert. Um sich in Ethiken zu 1

Siehe hierzu auch Fassin: »A major consequence of this comprehension of morality and ethics is the recognition that they are not pure objects discernible in the social world but are most of the time intricately linked with other domains, in particular the political.« (2012: 15).

2. Urbane Ethiken als Forschungsansatz

transformieren, werden jene Moralvorstellungen zunächst bewusst gemacht und problematisiert (2010: 5f.). Ethiken können also als Dynamisierungen sedimentierter Moralen verstanden werden. Die Akteur*innen interagieren mit den moralischen Bedeutungsangeboten im urbanen Raum; sie beziehen sich auf diese, lehnen sie ab, modifizieren, transformieren und eignen sie sich auf je eigene Weise an. So können moralische Imperative wie etwa gutes Umweltverhalten auf sehr unterschiedliche Weisen wahrgenommen, interpretiert und in den eigenen guten Lebensstil integriert werden. Zigon spricht von moralischen Assemblagen, um auf ihre Situationalität, Flüchtigkeit und Variabilität zu verweisen (vgl. Zigon 2010). Ethisch werden Diskurse und Praktiken erst, wenn ihre Gültigkeit hinterfragt, sie als gut bzw. richtig verortet und aufgrund ihrer Einschätzung als solche angeeignet und umgesetzt werden.2 Foucault beschreibt diese Aneignungen als Formation eines Selbstverhältnisses, das durch ständiges Arbeiten und Justieren am Selbst geschaffen, erhalten und neu kreiert werden muss und damit immer prozesshaft ist (Foucault 1990: 26). Dabei setzt sich das im Werden begriffene Selbst unentwegt mit den moralischen Codes auseinander, die ihm im öffentlichen Diskurs oder als institutionalisierte Vorgaben angeboten werden. Trennen Aucklands Stadtbewohner*innen ihren Abfall beispielsweise, um Geld zu sparen oder aus reiner Gewohnheit, kann diese Praxis analytisch zunächst nicht als ethisch verstanden werden. Der moralische Appell, Gutes für die Umwelt zu tun, wird in diesem Fall nicht problematisiert und auf die eigene Lebenswelt bezogen. Nichtsdestotrotz kann der Diskurs ethisch aufgeladen sein, wenn sich unterschiedliche Akteur*innen mit ethischem Vokabular auf diese Praxis beziehen. Dabei geht es mir nicht darum, darüber zu urteilen, ob Aucklander*innen »wirklich« ethisch handeln oder nicht. Stadtbewohner*innen setzen sich auf vielfältige Weisen mit urbanen Moralen und Ethiken auseinander; eine analytische Dichotomisierung würde in gelebten Erfahrungswelten viel zu kurz greifen. Die Abgrenzung zwischen Moral und Ethik dient hier der näheren Beschreibung des Ethikbegriffes, der für diese Arbeit zentral ist. Urbane Ethiken sind keine statischen Phänomene, die sich in einer empirischen Beobachtung positivistisch entdecken lassen. Erst in der Aushandlung ethischer Problematisierungen, Dilemmata, Konflikte und Debatten werden Ethiken in ihren Konturen sichtbar (vgl. Fassin 2015: 205). Auch strebe ich nicht danach, eine bessere Umweltethik vorzuschlagen oder zu entwickeln. Mich interessiert vielmehr, wie meine Akteur*innen sich auf das gute und richtige Leben in Auckland beziehen und ihre ethischen Ansprüche in konkreten Umweltpraktiken und -diskursen umsetzen. Es geht weder in meinem Projekt, noch in der Forschungsgruppe um ein Moralisieren oder Ethisieren un-

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Im Ordinary Ethics-Ansatz werden Ethiken als den Akteurshandlungen bereits immanent aufgefasst, vgl. Lambek (2010); Das (2012). Zur Kritik siehe Zigon (2014).

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Urbane Ethiken und Umweltschutz

serer Forschungsfelder3 , sondern um ein kulturwissenschaftliches Verstehen der Dynamiken, die als urbane Ethiken auf städtischen Bühnen in Erscheinung treten, um das »moral making of the world« (vgl. Fassin 2012: 4). Fassin bezeichnet hier Phänomene als »moral«, die ich selbst als ethisch verorten würde – er grenzt die Begriffe in seinem Artikel bewusst nicht definitorisch ab.   Aufgrund meiner empirischen Beobachtungen lege ich besonderes Augenmerk auf spezifische Beziehungen und Beziehungsideale, die aus diesen ethischen Positionierungen hervorgehen. Im Zuge meiner Feldforschung ist mir deutlich geworden, dass die vielfältigen Beziehungen, die über Umweltengagement und den Einsatz für das »Gute« in der Stadt entstehen, zentral für das Verstehen von urbanen Ethiken sind. Mit dieser Perspektive argumentiere ich für einen dynamischen Ethikbegriff, der im Kontext von Relationen zu verstehen ist. Vorstellungen des Guten entfalten sich nicht als isolierte Imperative, die sich statisch über Akteur*innen stülpen. Erst über Aushandlungsprozesse und ein Sich-Aufeinander-Beziehen können ethische Positionierungen, Diskurse und Praktiken sichtbar und analysierbar werden. Ethische Akteur*innen sind per se intersubjektiv und durch ihre Relationen zu Anderen spezifisch geformt (vgl. Faubion 2011: 120). Auch nach innen gerichtete Reflexionsprozesse, die sich in Selbstbeziehungen austragen, sind von fluiden Positionierungen und praktisch durchlebten Erfahrungen in sozialen Konstellationen geprägt. Ethische Vorstellungen formieren sich im Zuge dieser kontinuierlichen Hin- und Herbewegungen zwischen Kollektiv und Individuum – über konkrete Beziehungen nehmen sie eine immer variabel bleibende Gestalt an. In diesem Sinne emergieren Ethiken aus dichten, komplexen Beziehungsgeflechten zu spezifischen Phänomenen, die in ihrer Situationalität begriffen werden müssen und als spezifische Problematisierungsmodi sichtbar werden. Dabei sind aktuelle Relationen ebenso bedeutsam wie sedimentierte, die sich – um mit Pierre Bourdieu zu sprechen – im sozialen, ökonomischen und kulturellen Kapital auswirken (vgl. Faubion 2011: 140f.). Ethiken entfalten sich in historischen Kontexten, die mit spezifischen soziokulturellen Praktiken verwoben sind (vgl. Fassin 2015: 176). Gewisse Handlungsleitlinien sind je nach soziokultureller Eingebundenheit der Akteur*innen naheliegender und wirkmächtiger als andere. In diesen einflussreichen und voraussetzungsvollen Geflechten interagieren ethische Akteur*innen als »freie« Subjekte (vgl. Laidlaw 2014). Dabei ist diese Freiheit eine relative – Akteur*innen treffen »freie« Entscheidungen im Rahmen ihrer Vorprägungen, stehen stets unter gesellschaftlichen Einflüssen und sind in ihrer jeweiligen Eingebundenheit eben nur bedingt frei. Faubion bemerkt treffend, dass das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Bestimmtheit ethischer Handlungen mit 3

Dabei ist es – wie in anderen Forschungsfeldern – selbstverständlich unmöglich, den beobachteten Phänomenen völlig voraussetzungs- und wertfrei zu begegnen (siehe Kapitel 3).

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dem Kontinuum zwischen Struktur und Agency assoziiert ist (2014: 438). Die von Akteur*innen verfolgten Werte und Tugenden spiegeln nicht eine jeweils gültige Moral wider, sondern entfalten sich als »a particular form of engagement in practices« (Fassin 2014: 431). Diese bewussten Prozesse der Auseinandersetzung, die Foucault als »exercise of the self on the self« bezeichnet, formieren sich zu »an art of life«, die aus komplexen Vorgaben individuell angeeignet und frei in eigene Projekte ethischer Aushandlungen und Selbstformationen integriert werden (Foucault in Fassin 2014: 432). Als spezifische Auffächerung städtischer Ethiken sind bei meiner Forschung in Auckland »Ethics of Care« relevant geworden. Viele meiner Akteur*innen beziehen sich auf unterschiedliche Weise auf durch fürsorgliches In-Beziehung-Setzen geschaffene Ethiken im städtischen Raum. Im Zuge einer auf Interdependenzen und gegenseitiger Fürsorge basierenden Care-Ethik formieren sich Subjekte, die Ideale des Caring verinnerlichen (vgl. Tronto 1993). Dabei verstehe ich dieses Caring nicht als einheitliches Konstrukt, sondern als fluide Wertevielfalt, die Akteur*innen auf unterschiedliche Weisen für ihre Ideale des guten Lebens fruchtbar machen. Die Forderung eines »acting for self-and-other-together« (Held 2006: 12), welches nach dem Wohlbefinden aller Beteiligten und des Beziehungsgeflechtes selbst strebt, wird von meinen Akteur*innen verschiedenartig aufgegriffen. Dabei kann die im Sinne einer Care-Ethik praktizierte Rücksichtnahme immer nur selektiv greifen und begünstigt damit gewisse Gruppen und Ansichten in der Stadt (vgl. Martin/Myers/Viseu 2015: 627). Durch diese Begünstigungen entstehen Ungleichheiten, an welchen sich Machtbezüge, Brüche und die Gewalt des ethischen Repertoires offenbaren. Ferner werden hier Verflechtungen von Subjektivierung und Governance deutlich: die Selbstformation zum guten Subjekt, das hier als sorgend (»caring«) verstanden und verhandelt wird, interagiert mit stadtpolitischen Vorgaben und administrativen Regulierungen, die fürsorgliche Orientierungen und Praktiken aus lokalpolitischen Motivationen begünstigen. Die neoliberal proklamierte Selbstverantwortung responsibilisiert städtische Akteur*innen für die aktive Übernahme bislang staatlich organisierter Aufgaben. Die im urbanen Diskurs beworbene CareEthik erweitert diesen Appell aber noch und fordert verantwortliches Handeln für sich selbst und für Andere ein. Unter »Anderen« können sowohl Stadtbewohner*innen als auch urbane Natur, Auckland als Stadt etc. begriffen werden. Die Responsibilisierung geht also über einzelne Akteur*innen hinaus und bringt neue Formen und Räume kollektiver Verantwortung und pflegender Handlungspraxen in Gemeinschaften hervor (vgl. Rose 1999). Umweltschutz in Auckland wird auch politisch als Care-Beziehung inszeniert. In diesem Sinne gestaltet sich der Appell zum umweltfreundlichen Lebensstil als neoliberale Verantwortungsverschiebung zuvor als staatlich bzw. städtisch verorteter Aufgaben, wie etwa das Instandhalten von Brachland durch Weeding. Um dem

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eigenen Anspruch eines guten Lebensstils nachzukommen und sich als gutes Subjekt zu positionieren, engagieren sich Aucklander*innen in Caring-Beziehungen und führen ihre fürsorglichen Praktiken beim Weeding, Community Gardening, Waste Picking und anderen umweltschützenden Aktivitäten aus. Der städtische Aufruf, sich aktiv um urbane Natur zu kümmern, geht mit der Forderung nach mehr öffentlicher Partizipation einher.4 Gerade aufgrund des nationalen und städtischen Leitbildes, des »green clean image«, das vor dem Hintergrund einer zunehmend öffentlich diskutierten Verschmutzung ins Wanken gerät, gewinnt der städtischer Aufruf zu »Care« an Wirkmacht (vgl. Ministry for the Environment 2001).Je mehr Brüche das naturnahe Selbstbild aufweist, wenn etwa Luft- und Wasserverschmutzung brisant beziffert werden, desto dringlicher der Bedarf an Engagement und Teilhabe. In Diskursen um Environmental Care als positiv konnotiertes Sich-inBeziehung-Setzen zur Umwelt artikuliert sich der moralische Imperativ des Pflegens des bedürftigen bzw. verwundbaren »Anderen«. Vulnerabilitätsmetaphern werden beispielsweise im Zusammenhang mit nativen Spezies beim Weeding verwendet (siehe Kapitel 4). Die Soziologen Jerôme Denis und David Pontille bezeichnen Vulnerabilität als »natural state of things«, also nicht als Ausnahme-, sondern Normalzustand, der kontinuierlich gegenseitige Achtsamkeit erfordert (2015: 16). Care-Beziehungen stellen sich jedoch durchaus komplexer dar als die bloße Hierarchisierung zwischen handlungsmächtigen Pflegenden und Pflegebedürftigen (vgl. Cox 2010: 127). In einem komplexen Machtverhältnis bilden sich wechselseitige Abhängigkeiten und Interdependenzen heraus. Die auf wechselseitiges Wohlbefinden (»mutualtiy and well-being«) ausgerichtete Care kann auch neue Formen von Beziehungen und Institutionen konstituieren (Lawson 2007: 1). Und diese über Care etablierten Relationen können hegemonielle Strukturen durchaus reproduzieren (Murphy 2015: 19). Die Verfestigung vorbestehender Machtverhältnisse durch Care-Beziehungen kann gegebenenfalls einen größeren, kollektiven Gesellschaftswandel eher versperren als erschließen (vgl. Ticktin 2011). Die Unterstützung hegemonieller Strukturen durch umweltethische Care-Beziehungen zeigt sich beispielsweise in vielen Community Gardens, die vornehmlich von mittelständischen Pākehā-Frauen besucht werden und damit nicht zu einer Dynamisierung etablierter Dominanzen beitragen. Nichtsdestotrotz bilden sich in meinen Feldern auch neuere soziale Koalitionen heraus, die sich über verfestigte sozioökonomische Grenzen hinwegsetzen und somit ein Kontaktfeld zwischen Akteur*innen eröffnen, die sich außerhalb der gemeinsamen Umweltsorge nicht zueinander in Beziehung setzen würden.

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Vgl. Muehlebach (2012) zur Verknüpfung von neoliberaler Responsibilisierung und Care bei Pflegebeziehungen in Italien.

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In der Care-Literatur wird häufig auf die praktische Dimension, auf das »doing« als nicht abstrakt diskutierte, sondern aktiv praktizierte Ethik verwiesen (vgl. Raghuram 2016: 520). In dieser Lesart gestaltet sich Care als eine Verschränkung von Wertvorstellung und Praxis (Held 2006: 9), die städtische Alltagsroutinen prägen kann. Das Ideal von »mutuality« als gegenseitiges Sich-in-Beziehung-Setzen wird in Auckland in unterschiedlichen Kontexten artikuliert – viele Akteur*innen verorten Verbindungen im Sinne von Gemeinschaftlichkeit als zentrale Aspekte des guten Lebens in der Stadt. Dabei setzt das Ideal der Relationalität auf unterschiedlichen Ebenen an und manifestiert sich beispielsweise im Community-Gedanken im Sinne sozialer Beziehungen, die sich gegen urbane Anonymität richten, um Zugehörigkeit und Zusammenhalt zu schaffen (siehe dazu Cook/Swyngedouw 2011). Der Fokus auf Relationalität wird auch hinsichtlich der Umweltbeziehungen wirkmächtig, durch welche eine Verbindung zur urbanen Natur hergestellt wird, die sich indes in einer verschönerten und durch die Ästhetisierung letztlich besseren Stadtlandschaft widerspiegelt. Ich betrachte Care-Ethiken als Ideale eines dynamischen Sich-in-BeziehungSetzens, das im Handeln immer wieder neu entsteht, ohne sich primär auf starre Normen zu berufen (vgl. Puig de la Bellacasa 2010). Diese fluiden Ethiken verbinden sich mit einem kollektiven Ermächtigungspotenzial, das von unterschiedlichen Akteursgruppen je eigen zugänglich gemacht und ausgeschöpft werden kann. Puig de la Bellacasa betont den affektiven Aspekt des Caring, der in der Gleichzeitigkeit von Praxis und Fühlen sichtbar wird (2010: 165). Über Empathie kann Macht transportiert werden (vgl. McEwan/Goodman 2010: 109), etwa durch das Hervorrufen einer emotionalen Bindung zu bestimmten Subjekten und Entitäten wird ein verantwortungsvolles Kümmern für bestimmte Gruppen naheliegender. Dies spiegelt sich in spezifisch auf die lokale Community und explizit auf native Natur bezogenen Care-Beziehungen wider. Zeitgleich werden andere, nicht über emotionale Bindungen definierte Gruppen von verantwortungsvoller Pflege ausgeschlossen. Wie Puig de la Bellacasa bemerkt, kann die positiv konnotierte Care durchaus gewaltsam sein (2010: 166) – etwa wenn als »Weeds« definierte Pflanzen aus Sorge um endemische Spezies eliminiert werden. Die Kategorisierung von carewürdigen Entitäten ist ambivalent und spiegelt gesellschaftliche Leitbilder wider. Dabei müssen diese Zuschreibungen nicht nur im lokalen Kontext, sondern auch hinsichtlich ihrer globalen und politischen Implikationen verstanden werden (vgl. Benson et al. 2016: 7). Sebastian Ureta arbeitet drei unterschiedliche Perspektiven auf Care heraus: er versteht die Sorge erstens als reparierende Praxis, die »from the fleshiness and fragility of life« (Mol 2008, zitiert in Ureta 2016: 1534), also der Vulnerabilität des Zusammenlebens ausgeht. In diesem Sinne ist Care als Stabilisierung und Verbesserung von verletzbaren und fragilen Zuständen zu verstehen. Zweitens beleuchtet er das »affective entanglement« als verschränkte, affektive Bindungen, die sich

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handlungsleitend auswirken, ohne eines ethischen oder politischen Imperativs zu bedürfen (vgl. Latimer/Puig de la Bellacasa 2013: 170). Demnach beruht Care wesentlich auf emotionalen, körperlich-affektiven Verflechtungen der Akteur*innen, die über ein Care-Netzwerk miteinander in Verbindung stehen. Drittens bezieht sich Ureta auf den in Care-Beziehungen inhärenten Machtaspekt, der von Puig de la Bellacasa als »not innocent« beschrieben wird. Care wird nicht als immanent gut, sondern vor dem Hintergrund vielschichtiger Abhängigkeits- und Machtprozesse betrachtet (vgl. Puig de la Bellacasa 2015). Ethiken als diskursive Felder, in welchen das Gute ausgehandelt wird, gestalten sich divers und konflikthaft: »the moral and the ethical domain is a battlefield« (Fassin 2011: 484). Sie sind eng mit soziomateriellen Alltagswelten verflochten und lassen sich nicht künstlich aus ihrer Eingebundenheit in praktischen und körperlich-affektiv erfahrenen Lebenswelten herauslösen.5 In der Forschungsgruppe haben wir Perspektivierungen entworfen, um urbane Ethiken analytisch aufzugreifen (Dürr et al. 2019). In meiner Arbeit habe ich vor allem zwei dieser theoretischen Ansätze fruchtbar gemacht: Subjektivierung und Governance. Ich habe meinen Fokus auf die Verflechtung aus bottom-up- und top-down-Prozessen gelegt, die sich aus spezifischen Arrangements zwischen dem Council und nachbarschaftlichen Communities bildet. In den von mir untersuchten Umweltpraktiken zeigen sich unterschiedliche Konstellationen der Formierung und Führung des Selbstes, die ich über die Konzepte Subjektivierung und Governance – vor allem in ihrem produktiven Zusammenspiel in der urbanen Arena – als ethische Praktiken gefasst habe. Nachfolgend werde ich die Perspektivierungen, die wir in unserer Forschungsgruppe reflektiert und entwickelt haben, kurz umreißen. Die beiden Ansätze Subjektivierung und Governance, die für mein Verständnis von Ethiken besonders zentral sind, werde ich im Folgenden ausführlicher erläutern. Unter der Linse sozialer Kreativität haben wir Modelle betrachtet, die praktische Alternativen städtischen Zusammenlebens und Kooperierens entwerfen, im Sinne einer städtischen Lebenskunst auf das Gute bezogen sind und beabsichtigen, bessere Lebensstile aus städtischen Möglichkeiten zu schöpfen. Hierzu zählen Protest- und Alternativmilieus, Gegenkulturen, Graswurzelbewegungen und Alltagsimprovisationen, die aktuell gelebte Strukturen des Städtischen infrage stellen und für andere Wege des städtischen Lebens, neue soziale Formationen und innovative urbane Beziehungen argumentieren. Optimistische Zukunftsvisionen werden in kollektiven Praktiken entworfen, ausgetestet und umgesetzt, um alternatives Stadtleben denkbar und erfahrbar zu machen. Aus der Perspektive der moralischen Ökonomien werden urbane Gefüge relevant, die von diversen Akteur*innen 5

Vgl. dazu Dave Boothroyd: »We have to think it [the ethical subject] from within the materialities of its everyday life and on the basis of the spatio-temporality of the world which opens with it.« (2013: 17).

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als normative Gerüste genutzt werden, um konservative Vorstellungen, Interessen und Nutzungsrechte zu bewahren (vgl. Thompson 1971). In diesem Sinne rekurrieren städtische Akteur*innen auf tradierte Normen und Moralvorstellungen, um ihre Positionen zu stärken und von lokalen Regierungen Unterstützung zu erfahren. Diese Forderungen können sich parallel zu gültigen Rechtsnormen entwickeln und in Konkurrenz zum jeweils geltenden Recht treten. In Hinblick auf Gerechtigkeit blicken wir auf Leitbilder, die über das Herausstellen von Ungleichheiten Legitimation behaupten. Gerechtigkeitsvorstellungen verweisen in der urbanen Matrix auf Dominanzen und Unterdrückungen – auf die ungleiche Verteilung von Chancen, Risiken, Zugängen, Nutzungsrechten und Ressourcen. Diese sozialen Unterschiede werden entlang von territorialen, ethnischen, sozioökonomischen, geschlechtlichen und anderen Linien gezogen (vgl. Harvey 1973).

Subjektivierung Durch die Formierung ethischer Projekte und die Artikulation ethischer Leitlinien werden zeitgleich ethische Rollenmodelle entworfen: gute Subjekte, die in ihren Orientierungen, Verhaltensweisen und Praktiken das Gute verkörpern und beispielsweise als »grüne Stadtbürger*innen« oder »städtische Umweltschützer*innen« auftreten. Urbane Ethiken gestalten sich in diesem Sinne als diskursive Felder, auf welchen Stadtbewohner*innen ihre eigenen Lebensführungen konstituieren können und sollen. Nach Michel Foucault und Judith Butler wird die Subjektivierung über konkrete Selbsttechniken und Arbeit an sich selbst vollzogen. Dabei formiert sich dieser Prozess notwendigerweise in Abgrenzung zu einem als Gegenmodell inszenierten »Außen«, das über schlechte Subjekte, die falsche Lebensweisen verkörpern, konturiert wird. Darin liegt ein konflikthaftes Potenzial, das Butler als »Gewalt der Ethiken« beschreibt: die ethische Aufladung des guten Subjektes macht Ausschlüsse, Hierarchisierungen und Stigmatisierungen möglich (vgl. Butler 2007). Lisa Hoffman schlägt vor, »to think through the urban as subject formation« (Hoffman 2014: 1576), um die Komplexität urbaner Transformationen greifen zu können. Sie argumentiert, dass urbane Politiken in der Subjektformation lokalisiert sind und dieses »subject-fashioning can link to diverse political positions« (2014: 1578). Politische Veränderungen, wie beispielsweise die Amalgamierung in Auckland, der Auckland Plan und darin formulierte stadtpolitische Regulierungen rufen ein neues Set an politischen Problematisierungen auf, die mit neuen urbanen Subjektivierungen verknüpft sind. Stadtpolitische Modifikationen bringen also »particular modes of self-care into the field of politics in a new manner, and pose[d] a new set of ›problems for politics‹ (Foucault 1984b: 114).« (Hoffman 2014: 1578). Sie versteht das Urbane als Schnittstelle unterschiedlicher Prozesse, die ana-

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lytisch fruchtbar gemacht werden können: »[…] the urban emerges as an analytical and material category at the intersection of multiple processes and constellations of force relations […]« (Hoffman 2014: 1579). Subjektivierungen als komplexe Dynamiken, in welchen sich Politiken und Subjektivitäten miteinander verflechten, sind nicht auf isolierte Identitäten reduzierbar, erschöpfen sich aber auch nicht in sogenannten Vorgaben »von oben«. Aus dem Zusammenspiel verschiedener, durchaus divergierender Akteur*innen ergeben sich einzigartige Positionierungen und Konstellationen, die spezifische Subjekte im urbanen Raum hervorbringen. Subjektivierungen lassen sich nicht auf ein Modell des guten Subjektes verengen. Akteur*innen lesen unterschiedliche Bedeutungen in den kursierenden Ethiken und formieren sich nach je eigenen Vorstellungen und Aneignungen auf spezifische Weise. Ferner sind Subjektivierungen keine konstanten, unveränderlichen Fakten, sondern brüchige Prozesse, die sich situationell immer wieder neu fügen und verändern können. Nach Butler ist Subjektivierung ein dynamisches Werden, »a journey of the self with neither a point of departure nor arrival« (1997: 235). Das durchaus fragmentierte, kontradiktorische Wissen über das gute Subjekt, das von Imaginationen, Vorstellungen und Hoffnungen durchsetzt ist (Moore 2011), wird nicht einfach angeeignet, sondern im Rahmen kritischer Auseinandersetzung in einer persönlichen Erfahrung reformuliert und kontinuierlich neu ausgehandelt (Skinner 2012: 909). Das Selbst kann nicht isoliert betrachtet werden, sondern vielmehr in komplexen Zusammenhängen vielschichtiger urbaner Relationen, die unterschiedlich skaliert sind. Nationale, regionale, nachbarschaftliche und individuelle Bedingungen schaffen ein spezifisches Netzwerk an Konditionen, welche die Formierungen des urbanen Selbstes ausschlaggebend beeinflussen und die Pluralität urbaner Subjektideale dynamisieren. Dabei sind die idealisierten Subjektpositionen nie als statische Kategorien zu begreifen – die unterschiedlichen Ideale, die sich in der Idee des guten Subjektes überlagern, werden von Akteur*innen auf verschiedene Weisen angenommen, modifiziert, ausgefüllt, abgelehnt, um- und neu definiert. Ferner stellt sich das gute Subjekt sehr heterogen, durchaus widersprüchlich und kontrastreich dar, und wird von Akteur*innen unterschiedlich interpretiert, inszeniert und letztlich multipliziert (vgl. Skinner 2012: 905). In diesem fluiden Arrangement aus Wissen, Vorstellungen und Praktiken der guten Stadt entstehen spezifische urbane Subjekte, die sich je unterschiedliche Aspekte des guten Lebens aneignen und in ihren Praktiken umsetzen. In Abgrenzung zu Louis Althussers Begriff versteht Michel Foucault Subjektivierung in seinem Ansatz nicht als Einpassung in eine vorgegebene Position innerhalb einer bestimmten Struktur oder Ordnung. Vielmehr betont er die Selbstpraktiken und Selbstgestaltungen im Prozess der Subjektgenese, die er als Sorge um sich selbst versteht (»self-care«). Damit öffnet sich nicht nur die Perspektive,

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bestehende Ordnungen zu untergraben, sondern auch neue und plurale Subjektpositionen zu erschaffen. Foucault bezeichnet die Sorge um sich selbst als Ethik, als bewusste Auseinandersetzung mit und Problematisierung des Selbstes. Catherine Trundle fasst diese »processes of turning conscious attention to one’s own interior thoughts and motivations« als Reflexivität (2014: 3). Sie beschreibt Selbstbeziehungen als »self-externalization« (2014: 4), also nicht als ausschließlich nach innen gerichtete Problematisierungen, sondern gleichzeitig als Selbstoffenbarungen, die auf Beziehungen nach außen (rück-)wirken. Dabei sieht Trundle eine bedeutsame Stärke in dieser Reflexion: »Reflexivity functions as a type of grip between things.« In Anschluss an Anna Tsing wirke sich dieser grip nicht bremsend, sondern bewegungsfördernd aus – also als Änderungspotenzial (2014: 3). Foucaults Konzept der »self-care« kann nicht in zwei dichotome Einheiten dividiert werden. Self und Care werden als ein prozesshaftes und ineinander verflochtenes Konzept betrachtet. Damit folge ich Daniel Smith, der das Subjekt nach Foucault nicht als konkret definierbare Einheit, sondern als Prozess versteht: »[…] we must understand the two principles – ›care‹ and ›self‹ – not as two independent substances interacting with one another, but rather as inherently interrelated concepts, which always operate on the same plane.« (Smith 2015: 141) Das sich sorgende Subjekt und das Objekt der Sorge verschmelzen: »›Care of the self‹ is therefore to be understood in both possible senses, according to both the subjective and the objective genitive – the self is both that which does the caring, and the object of that same care.« (Smith 2015: 141) Ethiken artikulieren sich dann in der Reflexivität des Selbstes und sind keine abtrennbaren, objektivierbaren Einheiten, sondern integraler Teil des Selbstes, »which ›folds‹ back on itself« (ebd.: 144). Damit relativiert sich der Subjektbegriff; statt als Identität oder Personalität formiert sich Subjektivierung als Prozess und das Selbst als Beziehung (zu sich selbst)6 . Somit ist das zu erschaffende Subjekt dem aktualen Subjekt bereits immanent (ebd.: 144). In Analogie zum Leben als Kunstwerk kann diese Immanenz gefasst werden. Das Werk (Subjektwerdung) des Künstlers (Subjekt) wohnt dem Künstler (Subjekt) schon inne: »In aesthetics, as we have seen, treating the self as an activity rather than as a substance allows us to think this relationship in an immanent way.« (Smith 2015: 147) Die Subjektformation ist stets mit einer Aneignung spezifischer Wissensbestände verbunden.

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Siehe dazu Boothroyd: »I thus consider the ethical Subject so conceived not as a fixed identity, but rather as something identifiable across a set of fluid and contingent relations that is at once expressed by and expressive of, a particular constellation of such affects and forces.« (2013: 22).

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Wissen generiert sich über ineinander verflochtene Subjektivierungen und Objektivierungen, über welche bestimmte Relationen zwischen Subjekten und Objekten definiert werden (Skinner 2012: 908). Das Subjekt ist in diesem Sinne immer ein wissendes, das sich bestimmte Wissensbestände aneignet und sich selbst zum Subjekt zirkulierender Wahrheiten macht (»subject to truths circulating«, nach Skinner 2012: 909). In diesem Prozess werden persönliche Erfahrungen mit dem objektivierten Guten reformuliert und als Aspekte des guten Lebens durch konkrete Praktiken angeeignet. Diese Entfaltungen guter Subjekte sind eng mit Governance-Prozessen verbunden.

Governance Für Auckland ist die Außenrepräsentation als umweltfreundliche und naturnahe Stadt ein zentrales Paradigma, das sowohl in touristischen als auch in stadtpolitischen Diskursen und Dokumenten aufgebaut und verstärkt wird. Stadtethische Leitbilder verbinden Handlungen und Aushandlungen im urbanen Gefüge mit spezifischen Deutungen. Über ethisches Vokabular werden städtische Konflikte in einem dezidiert auf das Gute ausgerichteten Problematisierungsmodus ausgetragen und konkrete Formen der städtischen Lebensweise als gut und richtig vorgeschlagen. Nicht zuletzt aufgrund des Spannungsfeldes zwischen Auckland als dicht besiedelter Metropole und Aotearoa Neuseeland als mit weitläufigen, sauberen und grünen Landschaften inszeniertes Land ist die Symbolik für die Selbstpositionierung der Stadt im nationalen Kontext zentral. Lokale Werbekampagnen greifen Umweltschutz in Bildern und Metaphern auf und der Stadtentwicklungsplan rekurriert auf »liveability« auch im Sinne eines umweltbewussten und naturnahen, städtischen Lebensstils (vgl. Auckland Council 2012). Der ethische Appell des guten städtischen Umweltverhaltens tritt nicht als autoritär durchgesetzter Imperativ auf, sondern wirkt vielmehr subtil und nah an den Lebenswelten der Akteur*innen. Viele Aucklander*innen identifizieren sich wie selbstverständlich mit einem umweltschützenden Lebensstil und nehmen die kursierenden Deutungsangebote in der Stadt an. Ethische Leitbilder, die sich zu städtischen Imperativen formieren, können Vorstellungen dominanter Akteursgruppen festigen und urbane Debatten entsprechend kanalisieren. Durch die überwiegend positive Konnotation des Topos »Umweltschutz« wird dieser umso wirkmächtiger. Der lokal weitgehend wirkende Konsens über die Richtigkeit des Leitsatzes, der sich auch aus globalen Debatten speist, kann über die Feinheiten seiner Umsetzung hinwegtäuschen: wenn beispielsweise städtische Regelungen im Namen des Umweltschutzes zugunsten einer etablierten Elite durchgesetzt werden, wie etwa Entscheidungen über die Distribution städtischer Infrastrukturen. So entsteht das erste prestigeträchtige und nicht als ver-

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schmutzend wahrgenommene Community Recycling Centre 2016 in dem privilegierten Stadtteil Devonport, während die als enorm störend und belastend empfundene Kläranlage, die in den 1930er Jahren auf der gegenüber Devonport gelegenen Insel Motukorea (»Brown Island«) geplant ist, in den 1950er Jahren in das marginalisierte und hauptsächlich von Māori und Polynesier*innen bewohnte Māngere verlegt wird (vgl. Watercare 2005). Die ethische Prägung umweltethischer Werte, über welche stadtpolitische Entscheidungen legitimiert werden, kann soziale Konflikte lenken und innerstädtische Hierarchisierungen begünstigen und re-etablieren. Diese Wirkmacht ethischer Leitlinien entfaltet sich nicht nur bei der Verteilung von Infrastrukturen, sondern vor allem von spezifischen Normen, die städtische Alltagsroutinen prägen. An die Stelle einer herrschaftlich vollzogenen Macht tritt hier die Öffnung ethischer Räume, in welchen städtische Akteur*innen »frei« und selbstbestimmt agieren können. Nikolas Rose bemerkt, dass Freiheit in gegenwärtigen Politiken selbst als Obligation aufgefasst werden kann: »The forms of freedom we inhabit today are intrinsically bound to a regime of subjectification in which subjects are not merely ›free to choose‹, but obliged to be free, to understand and enact their lives in terms of choice under conditions that systematically limit the capacities of so many to shape their own destiny.« (Rose 1998: 17) Dabei werden als ethisch definierte Handlungsweisen favorisiert, die für manche Akteur*innen naheliegender sind als für andere. Das als gut herausgestellte, zeitintensive Engagement beim Weeding ist etwa für ökonomisch abgesicherte Aucklander*innen realisierbarer als für jene, die sich über mehrere Teilzeitjobs unterhalten und nicht über vergleichbare Zeit- und Geldressourcen verfügen. Umweltethische Forderungen werden affektiv eingefärbt und somit noch intimer an die Stadtbewohner*innen herangetragen. In einigen Kampagnen wird »Care for the Environment« zum Beispiel an Liebe und Zuneigung zu Aotearoa Neuseeland geknüpft und Akteur*innen suggeriert, ihren lokalen Zugehörigkeiten durch entsprechende Umweltpraktiken Ausdruck verleihen zu können.7 Nikolas Rose diagnostiziert für den neoliberalen Kontext in Großbritannien eine politische Strategie, die er als »Ethopolitics« bezeichnet. In diesem Sinne setzen lokale Regierungen ethische Emotionen ein, um Akteur*innen an gewisse Vorgaben zu binden. Über Verantwortung, Mitleid, Schuld und Scham können so moralisch bindende Gefühle erzeugt werden, die das Befolgen von Richtlinien wahrscheinlicher machen (Rose 2000: 1396). Diese Mechanismen werden zum Beispiel bei WeedingPraktiken offenbar, wenn native Spezies als schutzbedürftig bezeichnet und über 7

Die Abfallkampagne »Love NZ« spielt mit diesen Assoziationen und wird im 6. Kapitel nochmals aufgegriffen.

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diese Vulnerabilität zur Hilfe, also zum praktischen Weeding, aufgerufen wird. Auch Abfallkampagnen, die Zahlen und Bilder der lokal produzierten Müllmassen inszenieren, appellieren an Verantwortungs- und Schuldgefühle der Stadtbewohner*innen. Diese emotionalen Bindungen werden umso wirkmächtiger, als sie über das Selbst hinausweisen und Akteur*innen mit dem Appell, die lokale und globale Umwelt zu schützen, an ein höheres Ziel binden. Aus diesen intimen Regierungsformen emergieren spezifische Sets aus sozialen Formen und Beziehungen, welche diese ethischen Leitlinien inkorporieren. Nach Foucault können sich diese Vorgaben als Gouvernementalitäten entfalten, Stadtbewohner*innen also dazu anleiten, sich auf spezifische Weisen selbst zu führen (»Führung von Führungen«, 1987: 255). Diese subtilen Machteinflüsse werden durch die Eingliederung stadtpolitischer Akteur*innen in lokale Gemeinschaften verstärkt. »Environmentalism« als mit Umweltschutz beschriebene GovernanceForm wird häufig mit der Herausbildung neoliberaler Subjekte in Verbindung gebracht (vgl. Brand 2007; Pudup 2008). Über die in der neoliberalen Politik Aotearoa Neuseelands geforderten und geförderten kollaborativen Arrangements (vgl. Larner/Craig 2005) integrieren sich Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltung in lokal agierende Communities und machen ihre Einflussnahme damit weitgehend unsichtbar. In diesem Sinne können sich Normen und Interessen in der Gemeinschaft durchsetzen, die an die Gruppe herangetragen, aber oftmals als aus der Community heraus entstehend empfunden werden. Entgegen einer von Expertentum und zentraler Autorität geprägten »governance at a distance« zeichnet sich die »intimate governance« durch einen starken Gemeinschaftsbezug aus, in welchem sich unterschiedliche Akteursgruppen und Machtebenen verschränken (Agrawal 2005: 19). Eine über Gemeinschaftlichkeit konstituierte Intimität zwischen Stadtrat und Stadtbewohner*innen legt nahe, dass verfolgte Interessen als gemeinsam verstanden werden und die Akteur*innen bereit sind, im Grunde städtische Aufgaben aktiv zu unterstützen und zu übernehmen. Über die Stilisierung einer Community ermutigt der Stadtrat zu sozialen Zusammenschlüssen für das Gute. Meine Akteur*innen, die sich zum Teil neben ihren Vollzeitstellen ehrenamtlich im Umweltschutz engagieren, beschreiben die Zeit des Volontierens mitunter als die bessere, da man in diesem Rahmen etwas »wirklich Wichtiges« leiste, was auf ihre bezahlte Arbeitsstelle nicht zwangsläufig zuträfe. Hieran zeigt sich erneut, dass die Umweltpflege in Auckland auch zur Verschiebung staatlicher Aufgaben auf die Ebene individueller Stadtbewohner*innen beitragen kann. Unter einem scheinbaren Konsens vereint können Positionen der Stadtregierung, die sich in der Community als Mitglieder der lokalen Gemeinschaft darstellen, kaum kritisiert werden. Die fehlende Demarkation zur Stadtregierung macht ablehnende Haltungen, Alternativvorschläge und Gegenmodelle weniger wahrscheinlich und weniger gut begründbar. Aus einem vermeintlich geteilten Interesse schöpfend schließen die ethischen Projekte unterschiedliche Akteursgruppen mit je eigenen Machtpositionen ein, ohne

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dass diese ungleichen Einflussbereiche notwendigerweise reflektiert werden. Die Grenzen zwischen Graswurzelbewegungen und über die Regierung implementierten, umweltethischen Vorhaben verschwimmen in diesem Zusammenhang. Über lokal geförderte Gemeinschaften werden soziale Beziehungen, Ein -und Ausschlüsse definiert und Subjektivitäten konstituiert. Mit Nikolas Rose verstehe ich Communities als moralisch bindende Felder, die Personen in dauerhafte Beziehungen positionieren und mit gewissen Wertvorstellungen und Affekten verbinden (1999: 172). In diesem Zusammenhang artikulieren sich auch entsprechende Praktiken, Selbst-Techniken und ethische Aspekte der Selbstkultivierung. Community-Diskurse im urbanen Raum idealisieren lokale Gemeinschaften häufig als Gegenmodelle zur aktuell erlebten oder antizipierten Vereinzelung in Auckland. Nicht zuletzt hinsichtlich demographischer Verschiebungen erzählen mir einige Akteur*innen von ihrer Sorge, keine sozialen Bindungen mehr aufbauen zu können. Viele Aucklander*innen engagieren sich in lokalen Communities und wünschen sich explizit eine auf Gemeinschaft basierende Stadt, wenn ich sie nach konkreten Idealen frage. Ash Amin kritisiert die Romantisierung von Gemeinschaftsidealen für städtische Kontexte als weit von den aktualen Lebenswelten urbaner Akteur*innen entfernt (2006: 1011). Die meisten meiner Interaktionspartner*innen argumentieren aber nicht anti-urban, sondern für eine Stadt, die Gemeinschaftlichkeit trotz und durch ihre urbanen Merkmale integrieren kann.   Ferdinand Tönnies definiert Gemeinschaft in Abgrenzung zu Gesellschaft in seinem Grundlagenwerk von 1887. Die Gemeinschaft sei nicht instrumentell und auf ein übergeordnetes Ziel ausgelegt, während die Gesellschaft aus zweckrationalen, individuellen Gründen aufrechterhalten werde. Die Gemeinschaft bezeichnet er als tradierte Bindungsform, die etwa in Familien, Nachbarschaften und Freundschaften gelebt wird. Die Gesellschaft hingegen entsteht durch das zufällige Aufeinandertreffen von Akteur*innen, die einen gemeinsamen Zweck verfolgen (Tönnies 2010). Community ist als Konzept in die Kritik geraten, nicht zuletzt aufgrund der statischen Merkmale, welche zu ihrer Definition herangezogen werden. Hierzu zählen unterschiedliche Kategorien wie etwa Identität in Form von ethnischer, kultureller, religiöser oder geschlechtlicher Zugehörigkeit; Geographie hinsichtlich nachbarschaftlicher oder dörflicher Zusammenschlüsse und Thema im Sinne von geteilten Interessenfeldern wie Umwelt oder Gesundheit (Labonte 1997: 90). Vered Amit kritisiert, dass Community üblicherweise als Klassifikation verstanden werde und nicht in ihrer Interaktion, also dem gelebten Element, über welches sich Gemeinschaft erst herstellt (Amit 2012: 5). Diese statische Bestimmung trägt zu einer Homogenisierung der durchaus heterogenen Zusammenschlüsse bei (von Unger 2012: 6). Dabei seien klassische Definitionsmerkmale nicht geeignet, um die komplexe und ambivalente Dynamik von Gemeinschaften herauszustellen. An viel zitierten Ansätzen wie Andersons »imagined community«-Begriff kritisiert Amit,

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dass Gemeinschaft weniger als gelebte Praxis, als vielmehr im Sinne einer Idee verstanden werde. Diese Verschiebung beschreibt sie als »disembedding« oder Abkopplung von einer tatsächlichen Interaktionsbasis (Amit 2012: 6; Amit 2003: 16). Amit schlägt vor, Gemeinschaften stattdessen entlang von drei Linien zu verstehen: »joint commitment«, »affect/belonging« und »forms of association«. Amit greift auf den 1994 von Margaret Gilbert geprägten Begriff der »plural subjecthood« zurück und verortet unterschiedliche Sozialitäten unter diesem Terminus, so beispielsweise »common knowledge, mutual expectations, plural subject concepts« (2012: 6). Die Besonderheit des »joint commitment« ist dabei, dass es ohne das jeweils individuelle Engagement der Beteiligten nicht existieren kann. Über diesen Fokus wird nicht mehr Gleichheit oder Ähnlichkeit als definitorisches Merkmal in den Blick genommen, sondern gemeinsames Engagement, welches sich durchaus ambivalent und widersprüchlich gestalten kann. In diesem Zuge wird das Konzept »sameness« von komplexeren Formen des In-BeziehungSetzens abgelöst. Gemeinschaft wird im Sinne von Interdependenz oder Koordination verstanden und kann damit vielschichtige Relationalitäten abbilden, die über Gleichheit hinausgehen. Die Stärke des Begriffs liegt in seiner Variabilität – er schreibt keine eindeutige Form der Sozialität vor, sondern kann flüchtige, langfristige, fragmentarische oder ganzheitliche Beziehungsmuster bezeichnen und löst den Community-Begriff damit aus seiner Statik heraus. Hinsichtlich der affektiven Dimension von Gemeinschaft kritisiert Amit, dass diese häufig dichotom dargestellt werde und zwischen Ein- und Ausgeschlossenen unterscheide. Sie zieht daher vor, von »distributed affect/belonging« zu sprechen, das sich über verschiedene Achsen erstrecken kann und den starken Fokus auf »innerhalb« und »außerhalb« der Community damit nicht perpetuiert (2012: 10). Für Amit sind die vorgestellten Dimensionen weitgehend voneinander unabhängig; so kann man sich affektiv durchaus als Teil einer Gemeinschaft empfinden, auch wenn man sich nicht aktiv in einem »joint commitment« engagiert (2012: 12). Ich halte diesen Ansatz für sinnvoll, um komplexe Zugehörigkeiten zu verstehen, verorte das Exklusionspotenzial jeglicher Form der idealisierten oder gelebten Gemeinschaft jedoch als lebensweltliche Erfahrung, die nicht übersehen werden sollte – auch wenn sie sich nicht auf simple Dichotomien reduzieren lässt. Gemeinschaften sind weitgehend positiv konnotiert, werden häufig romantisiert und als per se gut klassifiziert. Diese Idealisierung des CommunityGedankens birgt die Gefahr, kritische Inhalte und Motivationen von Zusammenschlüssen zu übersehen. Die bloße Eigenschaft eines Sich-Verbindens ist zunächst wertneutral und gibt noch keinen Aufschluss über die Qualität der gemeinsamen Ziele und geteilten Werte (Labonte 1997: 90). Die Formen der Vergemeinschaftung sind ebenso wenig festgelegt und daher auf ganz unterschiedliche Formen der Sozialität anwendbar; Amit nennt diese »forms of association« (2012: 13). Damit öffne

2. Urbane Ethiken als Forschungsansatz

sich der Community-Begriff und komme der Lebenswirklichkeit der Akteur*innen näher: »Positioned in this way, community in all its proliferating invocations is not a cover for more crucial aspects of sociality. Rather, it speaks to the relentless uncertainties entailed in many different forms of plural subjecthood.« (2012: 13) Der englische Begriff Community findet im Deutschen unterschiedliche Übersetzungen, so etwa Gemeinschaft, Gemeinde, Kommune, Gruppe, Interessenkreis, Nachbarschaft u.a. (vgl. von Unger 2012: 6). Ich verwende vor allem den emischen Begriff Community sowie synonym den deutschen Ausdruck Gemeinschaft, der im Deutschen weniger mit Konnotationen belastet zu sein scheint, während beispielsweise Gemeinde mit Religion oder Kommune mit Politik assoziiert ist. In meiner Arbeit fokussiere ich nicht darauf, was die Gemeinschaft ist, sondern was sie tut (vgl. Rose 1998: 178). Die Dynamiken und Synergien der Gemeinschaft stehen für mich im Vordergrund: »Sharing is not some demographic datum; it is the dynamic act of people being together.« (Labonte 1997: 90). In diesem Zusammenhang ist die enge Verflechtung von Governance-Strategien und Subjektivierungsprozessen zentral. Innerhalb der Communities greifen unterschiedliche Machtebenen ineinander. Mit dem urbanen Ideal einer gelebten Gemeinschaftlichkeit in der Stadt verbindet sich eine praktisch orientierte Care-Ethik, die als Auffächerung des verwobenen Governance-Subjektivierungs-Prozesses sichtbar wird. Als komplexe Verschränkung von Wertvorstellungen und Handlungspraxen lässt sich Care in Auckland als Alltagsethik verorten, aus welcher zeitgleich unterschiedliche Responsibilisierungsprozesse hervorgehen. In diesem Sinne gehen Gemeinschaften auch mit der Problematik einher, staatliche Aufgaben zu dezentralisieren und damit öffentliche Fürsorgefunktionen zu übernehmen. Häufig sind es vor allem vulnerable Akteur*innen, die sich für eine Verbesserung lokaler Lebenswelten einsetzen und entsprechend motivierte Gemeinschaften organisieren (Labonte 1997: 93). Dabei überschreitet die Frage nach dem guten Leben jene nach Praktiken und Idealen, und rückt das Relationale in den Fokus der urbanen Ethiken.

Urbanität und die gute Stadt Wenn wir von »Urbanen Ethiken« sprechen, stellt sich die Frage, welche Rolle Urbanität für die Ethiken spielt, die wir erforschen. Urbanität wird häufig als Kombination spezifischer Merkmale wie Dichte, Heterogenität, Differenz, Anonymität, Arbeitsteilung, Makro-Infrastrukturen, Trennung in private und öffentliche Räume beschrieben. Diese Zuschreibungen werden unterschiedlich bewertet: einige Akteur*innen repräsentieren das Städtische als ethisch verwerflich, da die urbane Anonymität der Bewohner*innen keine sozialen Kontakte, emotionalen Bindungen

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und ethischen Beziehungen mehr zulasse (zur Kritik des Städtischen siehe auch Sennett 1991; Lindner 2004). Aus anderer Perspektive wird Anonymität positiv gewendet, wenn aus soziopolitischen Anliegen heraus neue Solidaritäten im urbanen Gefüge geknüpft werden. In unserer Forschungsgruppe haben wir zunächst drei Dimensionen des Städtischen unterschieden: Erstens Ethiken in der Stadt. In diesem Sinne faltet sich die Stadt als kontextueller Hintergrund auf, vor welchem sich ethische Debatten und Diskurse abspielen. Die Stadt ist dann relevant, weil unsere Akteur*innen in urbanen Kontexten leben und aus ihrer situativen Eingebundenheit verstanden werden. Zweitens Ethiken unter städtischen Bedingungen, die sich spezifisch auf urbane Bedingungen beziehen und als Ethiken des urbanen Lebens bzw. Ethiken der Bedingungen städtischen Lebens verstanden werden können. Die Stadt mit ihren charakteristischen Eigenschaften, die klassischerweise mit Dichte und Heterogenität und daraus emergierenden Herausforderungen (Hannerz 1980; Sennett 1991) als »sites of extraordinary circulation and translocal connectivity« (Amin 2006: 1009) beschrieben werden, wirft explizit stadt-ethische Fragen auf. Diese können beispielsweise mit Aushandlungen von Anonymität und Solidarität im urbanen Umfeld verbunden sein. Auch lokale Narrative und stadtpolitische Strukturen können als konkret städtische Bedingungen auftreten, die spezifische Problematisierungen hervorrufen. Dabei darf dieser Ansatz nicht als Homogenisierung eines statischen Stadtbildes gelesen werden. Die Stadt an sich existiert nicht und muss – wie jedes Untersuchungsfeld – in ihrer brüchigen und veränderbaren Situationalität betrachtet werden. Oftmals sind die Demarkationslinien zwischen ruralen und urbanen Phänomenen nicht klar zu ziehen. In Auckland verstehen sich zahlreiche Vororte als »villages« mit starker Identität und begreifen sich nicht wirklich als Teile der Metropole. Aufgrund relativ langer Verkehrswege zwischen manchen Wohnvierteln und einer erlebten Abgeschiedenheit erscheint den Bewohner*innen einiger Gegenden die Selbstverortung als »Stadt« seltsam. Drittens beschreiben Ethiken des Urbanen Diskussionen darüber, wie man aus urbanen Möglichkeiten schöpfen kann und sollte, um ethisch zu handeln. Das urbane Leben wird in diesem Sinne zu einer Lebenskunst, um beispielsweise Alltagsstrukturen neu zu ordnen und das Stadtleben zur Umsetzung ethischer Projekte fruchtbar zu machen. In der räumlichen Repräsentation von Städten werden soziale Ordnungen sichtbar und damit auch Alternativen und Potenziale, um diese neu zu denken und zu strukturieren. Über eine empathische Hinwendung zu dem Urbanen als Möglichkeitsraum kann die Stadt als frei und befähigend idealisiert und damit für unterschiedliche Projekte eingesetzt werden. Städtische Machtzentren werden oftmals als privilegiert gegenüber peripheren und ruralen Gebieten wahrgenommen. In den städtischen Möglichkeitsräumen können gesellschaftliche und ethische Verbesserungen entstehen. Durch diese Linse kann auch die Verflechtung sozio-räumlicher Prozesse nachvollzogen werden.

2. Urbane Ethiken als Forschungsansatz

Über politische und soziale Umgestaltungen findet auch eine Transformation der städtischen Räume und Subjekte statt: »[…] refashioned cities that hope to engage the global economy reterritorialize existing geographies while also producing new ›horizons‹ in which people live, act and make sense of their place in the world — shaping subjectivities« (Hoffman 2014: 1582) Diese Wahrnehmung ist in Auckland umso stärker, als es sich um die einzige Metropole im ganzen Land handelt. Andere Agglomerationen wie etwa Wellington, die Hauptstadt und zweitgrößter Ballungsraum Aotearoa Neuseelands, ist mit etwa 190.000 Einwohner*innen deutlich kleiner als die Millionenstadt Auckland. Urbane Ethiken falten sich als diskursive Räume auf, in welchen Möglichkeiten und Restriktionen des Städtischen diskutiert und verhandelt werden können. Urbanität wird in ihren spezifischen Lebenswirklichkeiten bedeutsam, die sich nicht auf Pauschalisierungen reduzieren lassen. In diesem Sinne fokussiert der Ansatz der urbanen Ethiken auf die Komplexitäten moralischer und ethischer Lebensweisen, die sich mit sozialen Kräften in ihren spezifisch städtischen Konfigurationen in Beziehung setzen. Die ethischen Praktiken, Ideale und Relationen, die ich in dieser Arbeit beschreibe, lassen sich nicht ohne ihre Verwobenheit in den spezifisch urbanen Kontext Aucklands verstehen. Lokal- und stadtspezifische Bedingungen, urbane Möglichkeitsräume und Herausforderungen interagieren mit der Herausbildung von Vorstellungen des guten Lebens. Um »Urbane Ethiken« in meinen empirischen Feldern zu untersuchen, nutze ich den in unserer Forschungsgruppe gemeinsam entwickelten Ansatz in einer spezifischen Ausdifferenzierung und lege meinen Fokus auf städtische Beziehungen. Verflochtene Subjektivierungs- und Governance-Prozesse betrachte ich anhand der drei von mir herausgestellten Beziehungsformen – zu Anderen, zum Selbst sowie zur Stadtregierung – in ihren spezifischen Ausprägungen in meinen empirischen Feldern. Über die Konzepte Care und Community, die ich als charakteristische Konstellationen in den Lebenswelten meiner Akteur*innen betrachte, nähere ich mich Vorstellungen des guten Lebens und damit verbundenen, ethischen Projekten der lokalen Stadtbewohner*innen an. Um das Entstehen meiner empirischen Ergebnisse, die ich mit dieser Herangehensweise aufgreife, nachvollziehbar zu machen, reflektiere ich im folgenden Kapitel zunächst meine Methoden und Feldforschungsbedingungen.

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3. Wie erforscht man urbane Ethiken? Feldforschung in Auckland

»So you keep jumping around all the time?«1 Als ich 2012 zum ersten Mal nach Aotearoa Neuseeland reise, lädt mich Elena ein, meine ersten Tage bei ihr zu verbringen, bis ich eine Bleibe in der Stadt gefunden habe. Elena ist die Freundin einer Bekannten aus München und eine etwa 60-jährige Pākehā. Sie wohnt in Waiwera, einem 385 Einwohner*innen zählenden Wohngebiet etwa 40 Kilometer nördlich von Auckland (Statistics New Zealand 2013b). Gerne nehme ich ihr Angebot an und mache mich am Tag meiner Ankunft vom Flughafen im südlichen Māngere mittels öffentlichem Nahverkehr auf den Weg zu ihr. Der Airport Shuttle bringt mich zunächst in die Stadtmitte. Von dort aus schleppe ich meinen Koffer die durch Aucklands vulkanische Geologie bedingten Hügel hinauf. Ich kann die gleißende Hitze auf meiner Stirn spüren, obwohl das Thermometer nicht mehr als 23°C anzeigt. Über die schmale Swanson Street, die in einer sportlichen Steigung nach oben führt, gelange ich in die Albert Street, an welcher sich mehrere Bushaltestellen reihen. Von dort aus führt mich ein Bus bis zur Silverdale Station; die Fahrt in das etwa 30 Kilometer nördlich von Auckland gelegene Dorf dauert rund eine Dreiviertelstunde. Der Busfahrer weiß, dass ich mich nicht auskenne und verspricht mir, mich auf meinen Ausstieg hinzuweisen. Auf der Busreise werden die Stationen nicht angekündigt und Haltewünsche müssen rechtzeitig per Knopfdruck signalisiert werden. Jeder Fahrgast wird mit einem freundlichen »Thank you« und »Have a nice day« oder zumindest einem Handsignal im Rückspiegel verabschiedet. In Silverdale angelangt trägt mir ein lächelnder Busfahrer – ohne dass ich ihn gefragt hätte – meinen Koffer in einen bereitstehenden Bus und wünscht mir einen schönen Tag. Hier steige ich zum letzten Mal um, um entlang des szenischen Hibiscus Coast Highways weiter in den Norden zu fahren und nach insgesamt fast zwei Stunden in Waiwera anzukommen. Waiwera kommt mir wie eine von einer Häuserreihe umbaute Straße vor. Auf den 1

Zitat von Elena, mit der ich in den ersten Wochen meiner ersten Feldforschung zusammenwohne (EP Waiwera 21.09.2012).

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ersten Blick scheint es außer der Waiwera Road keine weiteren zu geben. Hier finden sich vor allem Villen, Ein- und Mehrfamilienhäuser und die Einrichtung, für welche Waiwera bei den Aucklander*innen sehr populär ist: die Hot Pools. Waiwera heißt aus dem Te Reo Māori übersetzt »heißes Wasser«. Die Ngatirangi Māori waren die ersten Siedler*innen in diesem Gebiet und bezeichneten die Thermalquellen als »Te Rata« (Doktor). Berichte über deren heilende Wirkung führten bald Māori aus entfernten Gebieten zu den Waiwera-Quellen. Noch bevor ich Elenas Haus finde, entdecke ich den kleinen, einsamen Strand, der über die nächsten Wochen zu einem meiner Lieblingsorte werden wird. Vor allem die kleine Felsinsel, die eindrücklich aus dem sich wogenden Wasser ragt, macht Waiwera Beach zu einem besonderen Platz, der zum Verweilen und Nachdenken anregt.

Abbildung 4: Blick auf Waiwera, 23.09.2012

(Photo: Jeannine-Madeleine Fischer)

Die Waiwera Road endet in einer Schleife fast direkt vor dem Strand. In der Straße gibt es noch ein Restaurant, das jedes Rugby-Spiel überträgt und die Tankstelle am Ortseingang, in welcher man Obst und Kioskwaren erhält. Stündlich fährt der Bus die Schleife hindurch, hält an einer kleinen, unter sich im Wind wiegenden Palmen erbauten Haltestelle und retourniert nach 20 Minuten wieder nach Silverdale oder zur Albert Street im Stadtzentrum. Trotz der langen Wege in die Stadt bleibe ich für drei Wochen bei Elena, mit der ich mich sehr gut verstehe. An den Wochenenden nimmt sie sich die Zeit, mich auf Bauernmärkte, befreundete

3. Wie erforscht man urbane Ethiken?

Bio-Bauernhöfe und Geburtstagsfeiern in Waiwera mitzunehmen. Wir verbringen viele Tage mit Spaziergängen durch den »bush«, Kajakfahrten auf dem Waiwera River und Gesprächen in ihrem Garten. Jeden Tag in die Stadt fahrend lerne ich Auckland zunächst von einer Außenperspektive kennen. Ich pendle zu Interviews und Gesprächen ins Zentrum und schreibe abends meine Notizen an meinem Arbeitsplatz, den der Leiter des Social Science Department mir freundlicherweise im AUT-Tower, gegenüber des zentralen Aotea Squares, zur Verfügung stellt. Hier arbeite ich im 15. Stock, blicke über die Dächer der Wolkenkratzer auf eine mit Autos und Menschen bis zum Anschlag gefüllte Stadt. Danach nehme ich den letzten Bus in das menschenleere Waiwera. Meine Einkäufe erledige ich nicht in Auckland, sondern im benachbarten Orewa, das nur sechs Kilometer von Waiwera entfernt liegt und für seinen weitläufigen Sandstrand bekannt ist. In den ersten Wochen nähere ich mich Auckland zunächst von außen, bis mir der Unterkunftsservice der Auckland University ein kleines Zimmer in einem studentischen Hostel in der Innenstadt vermittelt. Meine Stadtforschung beginnt an einem sehr idyllischen Ort, der sich hinsichtlich seiner Materialitäten und Rhythmen massiv von dem Innenstadtleben unterscheidet. Die anfängliche Distanz, die ich zu Auckland behalte, hilft mir, die Konturen der Stadt besser zu begreifen und den Kontrast zum ruralen Northland zu erleben. Vor meiner Abreise habe ich mich im Zuge einer Online-Recherche entschieden, mich vor allem mit den Umweltdynamiken in den Vierteln Māngere East (Süden), Blockhouse Bay (Westen) und Devonport (Norden) zu befassen. Um möglichst kontrastierende Teile der Stadt zu untersuchen, habe ich Māngere East als sozioökonomisch schwaches und kulturell von Māori und Polynesier*innen geprägtes Viertel gewählt. Devonport ist hingegen ein maritimer, hochpreisiger und hauptsächlich von Pākehā bewohnter Vorort, während Blockhouse Bay sich als mittelständischer und kulturell gemischter, vor allem aber asiatisch geprägter Stadtteil darstellt. Nach meiner zweiten explorativen Feldforschung entschließe ich mich, Blockhouse Bay nicht weiterzuverfolgen, um mich besser auf Devonport und Māngere East als Fokusgebiete konzentrieren und meine Forschung verdichten zu können. Von meinem Zimmer im Stadtzentrum aus erreiche ich alle Forschungsgebiete über den öffentlichen Nahverkehr. In der lebendigen Stadtmitte wohnend fällt mir der enorme Kontrast zu den Wohngebieten auf. Die oft als »spread out« bezeichnete Stadt erstreckt sich über eine weitläufige Fläche und die Stadtteile sind häufig nicht gut an den öffentlichen Nahverkehr angebunden. Sie verstehen sich als »villages« und unterscheiden sich in ihrer Atmosphäre sehr von der vibrierenden und häufig überfüllten Stadtmitte. Laufe ich die zentrale Queen Street entlang, strömen mir Menschenmassen entgegen, die vor allem an den Kreuzungen, den »pedestrian scrambles«, sehr sichtbar werden. Wartet man über eine Rotphase hinweg an den Fußgängerampeln, sammelt sich innerhalb kürzester Zeit eine massive Menschentraube an, welche die Kreuzungen bei grünem Signal in alle

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Urbane Ethiken und Umweltschutz

Karte: 3 Waiwera

(Open Street Maps)

Richtungen, so auch diagonal, überquert. Zwischen Autos und Menschenmassen ist der Geräuschpegel sehr hoch. Als ich einen Anruf in der Stadt empfange, muss ich mindestens zwei Querstraßen weiterlaufen, um den Anrufer überhaupt verstehen zu können. Die Stadt ist voller Menschen, Geräusche und Gerüche. Neben den unzähligen Verkaufsläden, welche die Queen Street säumen, findet sich hier eine Bandbreite an internationalen Restaurants und Schnellimbissen, die den Duft unterschiedlicher Küchen auf der Queen Street verbreiten. Fahre ich aber in die Viertel, in welchen ich hauptsächlich forsche, wird es auf einmal ruhig, ja zuweilen still. Die Wohngebiete erwecken den Eindruck, von dem lauten Treiben der Stadt isoliert zu sein und ihrem eigenen Rhythmus zu folgen.

3. Wie erforscht man urbane Ethiken?

Abbildung 5: Blick auf die Victoria Road in Devonport, 05.10.2015

(Photo: Jeannine-Madeleine Fischer)

Abbildung 6: Wochenmarkt in Māngere Town, 17.10.2015

(Photo: Jeannine-Madeleine Fischer)

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Spreche ich mit den Bewohner*innen, beschreiben sie den »Flair« ihres Stadtteiles als ruhig und eigen. Die Viertel sind divers, aber vor allem die Wohngegenden sind durch die bislang lokalüblichen Häuser mit einem »traditional Kiwi quarteracre paradise« (Small 2014) gekennzeichnet. Die Ein- und Mehrfamilienhäuser verfügen hier in der Regel über einen großzügigen Garten und sind häufig auf dem hinteren Teil des Grundstücks erbaut, um Privatsphäre und Distanz zur – bisweilen nicht viel befahrenen – Straße zu bewahren. In den meisten Stadtgebieten verkleinern sich die Grundstücksflächen massiv, ehemalige Vorgärten werden zu neuen Bauplätzen und die Bebauung erfolgt deutlich dichter. Durch die Distanz zum Stadtzentrum haben sich eigene Stadtteilidentitäten und -charakteristika herausgebildet. Die Bewohner*innen der Viertel haben Freude daran, mich auf die Geschichten und Merkmale aufmerksam zu machen, die sich von Auckland als Stadt absetzen. Selbstverständlich verfügen meine Forschungsviertel auch über Regionen, die durch Geschäfte und urbane Infrastrukturen frequentierter sind. Nichtsdestotrotz sind diese nicht mit den Dynamiken der Stadtmitte vergleichbar. Die stadtnahen Viertel unterscheiden sich auch deutlich von dem ländlich geprägten Waiwera; auch wenn sie sich als »villages« bezeichnen, sind sie doch wesentlich urbaner geprägt, sowohl in ihrer Materialität als auch in den gelebten Rhythmen. Als ich Elena eines Abends von meinen bisherigen Erfahrungen erzähle, fragt sie mich lächelnd: »So you keep jumping around all the time?« (EP Waiwera 21.09.2012). Wir sprechen über den zeitlichen und organisatorischen Aufwand meiner Herangehensweise. Methodisch bedeutet die Konzentration auf die verschiedenen Stadtteile für mich, immer zwischen den Vierteln hin- und herzufahren. Für die erste, dreimonatige Feldphase scheint mir das kleine Zimmer in der Stadtmitte der beste Ausgangspunkt, um alle Forschungsgebiete gleichermaßen aufsuchen zu können. Als ich nach einer zweiten 2,5-monatigen Feldforschung für ein halbes Jahr in Auckland bleibe, nehme ich mir vor, in Devonport und Māngere East zu wohnen und besichtige einige Wohngemeinschaften in beiden Vierteln. Diesem Vorhaben ist es geschuldet, dass ich mich während der sechs Monate ständig in Kurzzeitmieten befinde – immer in der Hoffnung, im nächsten Monat in eines meiner Forschungsviertel ziehen zu können. Die Wohnungssuche gestaltet sich aber schwieriger als erwartet und so ziehe ich immer nach ein paar Wochen in eine andere WG in der Stadtmitte. Auch wenn diese Mobilität zeitaufwendig ist, habe ich durch die ständigen Umzüge ein differenzierteres Gefühl für die Stadt entwickelt und meine Perspektive immer wieder erneuert. Ich wohne mit Engländer*innen, Neuseeländer*innen und Chilen*innen zusammen und erfahre von ihren unterschiedlichen Sichtweisen auf und Erfahrungen mit Auckland. Die Ortswechsel bieten mir immer neue Blickwinkel, die sich auch in meinen Alltagsroutinen widerspiegeln. Ich nehme unterschiedliche Routen, flaniere durch andere Straßen, lerne neue Mitbewohner*innen und Nach-

3. Wie erforscht man urbane Ethiken?

bar*innen kennen, die mein soziales Netzwerk in verschiedene Richtungen erweitern. Für mich sind die unterschiedlichen Wohnsituationen ein aufschlussreicher Bestandteil der Forschung. Nicht selten finde ich mich abends mit meinen Mitbewohner*innen zusammen, um auch über Eindrücke der Stadt zu diskutieren. Einige sind selbst erst seit wenigen Monaten in Aotearoa Neuseeland, andere wohnen schon ein Leben lang in der Stadt. Über die Gespräche in den Stadt-WGs wird mir immer eine Außenperspektive auf meine Forschungsviertel und Auckland als »Ganzes« gespiegelt. Nichtsdestotrotz bleibe ich über diesen Zugang immer eine Kommende und Gehende. Ich verbringe lange Tage und Abende in den Vierteln, aber ich bin dort nicht zuhause, obgleich ich Teile meines Alltages in die Viertel verlagert habe. Oft kaufe ich in dem Obstladen neben dem Community Centre Māngere East ein, nutze örtliche Supermärkte und Apotheken für Besorgungen und treffe mich mit Gesprächspartner*innen in angrenzenden Parks und umgebenden Cafés. Für meine Interaktionspartner*innen in Māngere East bleibe ich immer mit der »City« assoziiert, die viele der lokalen Bewohner*innen nicht häufig aufsuchen. Mir ist bewusst, dass ich durch meine Wohnsituation gewisse Imaginationen aufrufe. Die Stadtmitte gilt zurecht als teures Wohngebiet und mit meiner Wohnentscheidung positioniere ich mich in einer bestimmten sozialen Stellung. Gleichzeitig wird mein Aufwand, regelmäßig von der City nach Māngere East zu pendeln, als Wertschätzung empfunden. Des Öfteren weisen mich Akteur*innen darauf hin, dass mir ihr Stadtteil ja sehr gut gefallen müsse, wenn ich immer wieder aus der Stadt hierher fahre. Die gefühlte Distanz, die auch zu Devonport bestehen bleibt, ist aufgrund der leichteren Erreichbarkeit geringer. Auch da viele Devonporter die Stadtmitte regelmäßig für Arbeit und Freizeit aufsuchen, fühlt sich das Zentrum eher als geteilter Erfahrungshorizont an als in Māngere East.

»You are not from here, are you?«2 Als ich zum ersten Mal den gut frequentierten Countdown-Supermarkt im Māngere Town Centre aufsuche, mustert mich der Kassierer mit asiatischem Migrationshintergrund, während er meine Waren über sein Lesegerät zieht. Gerade verhindere ich noch, dass er meinen kleinen Einkauf in drei verschiedene Plastiktüten verpackt, was in Auckland durchaus Usus ist. »10,90 NZD please!« Während ich in meinem Portemonnaie nach Kleingeld suche, kann ich seine aufmerksamen Blicke fühlen. Als ich aufschaue, fragt er schließlich: »You are not from here, are you?« Ich erzähle ihm, dass ich aus Deutschland komme und hier forsche. Er fragt mich kopfschüttelnd, warum ich ausgerechnet nach Māngere gekommen sei, wo 2

Zitat eines Kassierers in Māngere Town, EP 24.09.2012.

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es doch so viele »beautiful parts« in Auckland gebe. Als sich die nächste Kundin anstellt, verabschiedet er sich und sagt noch: »Take care. Everybody can tell from your appearance that you don’t belong here.« (EP Māngere Town, 24.09.2012). Es stimmt, dass Māngere Town und East vor allem von Māori und polynesischen Einwohner*innen geprägt sind. Während ich durch das mit von Post-, Blumen-, TShirt- und Lebensmittel-Shops angefüllte Māngere Town Centre flaniere, fallen mir neugierige Blicke auf. Eines Tages fährt mich Darian, ein guter Freund, der aus dem Iran stammt, in Kanada aufgewachsen ist und in Wellington promoviert hat, nach Māngere Town. »Have you ever been here?«, fragt er, als er das Auto auf dem Parkplatz vor dem Countdown-Supermarkt abstellt. Nachdem ich schon über mehrere Monate und Phasen in dieser Gegend geforscht habe, muss ich lachen: »Of course!« In seiner gewohnt humorvollen Art sagt er in einem komisch-dramatischen Tonfall: »As soon as you leave this car you will feel like being in Samoa, or Tonga!« Er macht eine Kunstpause. »That’s why I like being here. It feels like being back on the islands.« Darian hat über mehrere Monate auf Tonga und Samoa geforscht. Mittlerweile wohnt er in Mount Albert und fährt ab und zu nach Māngere Town. »I perfectly fit into the picture, but you don’t«, sagt er schmunzelnd und steigt aus (Darian, EP Māngere Town 22.12.2015). Obgleich mir bewusst ist, dass ich hier durch mein Erscheinungsbild auffalle, bereitet mir Darians Kommentar Unbehagen. Er macht eine deutliche Grenze zwischen mir und den lokalen Bewohner*innen auf und positioniert sich selbst aufgrund seiner getönten Hautfarbe als optisch zugehörig, während er mir als hellhäutige und hellblonde Frau eine Außenrolle zuschreibt. Täglich treffe ich hier Pākehā und diese Begegnungen sind den Anwohner*innen überhaupt nicht fremd, nur eben nicht so gewöhnlich wie in den nördlicheren Stadtgebieten. Meine Person schlägt sich selbstverständlich auf meine Forschung, meine Positionierung, meine Beziehungen vor Ort nieder. Ich bin ein »situated narrator« (Tedlock 1991: 77), ein Charakter in der Geschichte, die sich im Feld ereignet und rufe gewisse Erwartungshaltungen und Verhaltensmuster hervor. Nicht nur, dass ich die Erzählungen und Handlungen, die ich mit meinen Partizipant*innen teile, aus meiner eigenen Perspektive heraus begreife, interpretiere und beschreibe – auch die Erfahrungen, die ich im Feld mache, sind von vornherein durch meine eigene Person geformt. Mein ethnographisches Selbst entscheidet über meine Zugänge zum Feld. Obwohl mir mit Offenheit und Neugier begegnet wird, verschließen mir Herkunft, Geschlecht und Aussehen auch gewisse Teilbereiche. Beispielsweise fällt mir bei dem Te Reo Māori-Sprachkurs auf, den ich im Māngere East Community Centre besuche, wie offen, aber auch beschützend die weiblichen Teilnehmerinnen auf mich zugehen, während die männlichen sehr zurückhaltend auf meine Gesprächsangebote reagieren. Der Zugang zu Māori-Frauen fällt mir mit wenigen Ausnahmen leichter als die Verbindungen zu Māori-Männern. Dabei lässt sich diese Erfahrung nicht allein auf die geschlechtliche Dimension herunterbrechen. Die Re-

3. Wie erforscht man urbane Ethiken?

lationen sind viel komplexer und gestalten sich je nach individuellen Charaktereigenschaften, Interessenlagen und Intentionen sehr unterschiedlich (vgl. Sökefeld 2006: 10). Meine Position im Feld ist fragmentiert, partiell und situativ variabel – je nach Kontext und den durchaus divergierenden Erwartungshaltungen meiner jeweiligen Akteur*innen (vgl. Grieser 2014: 163). Viele der Veranstaltungen, die mich mit der lokalen Community in Māngere East in Verbindung bringen, sind geschlechtlich geprägt: sowohl der Teo Reo Māori- als auch der Korowai3 - und Rarotongan4 -Kurs werden größtenteils von Frauen besucht, wodurch mir bereits ein weiblich geprägtes Forschungsfeld vorgegeben ist. Ich habe den Eindruck, durch meine Herkunft als vulnerabel in Māngere East empfunden zu werden. Die Māori-Gemeinschaft, die sich im Māngere East Community Centre zusammenfindet, integriert mich als zu beschützendes und damit nicht ganz vollwertiges Mitglied. Ich profitiere von dieser Rollenzuweisung, weil man sich mir gegenüber sehr fürsorglich verhält und mir viel erklärt wird, was ich als von außen Kommende noch nicht weiß. Dabei verstehe ich die Gespräche und Verhaltensweisen, die Art und Weise, wie ich als deutsche Forscherin empfangen werde, nicht nur im Rahmen lokaler Diskurse, sondern als soziale Praxis, die über die verbale Dimension des Gesagten hinausweist. Wie meine Forschungsteilnehmer*innen mich betrachten, mir begegnen, was und wie sie mir erzählen, ist ein wesentlicher Teil des Feldes und kontextualisiert meine inhaltliche Forschung als spezifische Form einer lokalen, sozialen Praxis (vgl. Sökefeld 2006: 21). In den Interaktionen wird mir situiertes »knowledge-in-action« vermittelt, das in konkrete Situationen eingebettet ist und nicht isoliert von den spezifischen Erfahrungskontexten verstanden werden kann (Atkinson/Morriss 2017: 323). Ich verstehe meine Interaktionspartner*innen nicht als Übermittler*innen von Informationen, sondern als gleichberechtigte Akteur*innen, mit welchen ich mich in Beziehung setze (vgl. Sökefeld 2006: 8). Ich bezeichne sie in dieser Arbeit wertschätzend als (Gesprächs-)Teilnehmer*innen, Partizipant*innen oder Akteur*innen. Für mich geht der Terminus Gesprächspartner*in oder -teilnehmer*in über die durch Interviews gerahmte, auf die verbale Dimension beschränkte Interaktionen hinaus und schließt Akteur*innen ein, mit welchen ich mich informell, nonverbal und in actu ausgetauscht habe.

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Der Korowai ist ein aus Federn gewobener Mantel, der mana, also Kraft und Prestige des Trägers ausdrücken soll. Traditionellerweise wird dieser von Frauen gefertigt und an ihre Männer oder Söhne verschenkt. In unserem Korowai-Kurs sind aber auch Männer anwesend, die den zu besonderen Anlässen anzulegenden Mantel für sich selbst weben. Der Korowai wird auch von Frauen getragen – wie beispielsweise von der neuseeländischen Premierministerin Jacinda Ardern, als sie die Queen im April 2018 im Buckingham Palace besucht. Rarotongan ist die nach der Hauptstadt von Cook Islands benannte Sprache Cook Island Māori.

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Über die Māori-Welt berichten mir meine Gesprächspartner*innen mit selbstbewusstem Stolz und verweisen mich auf die Kostbarkeit dieser Informationen. Diese Wertschätzung, die mir gegenüber als nicht aus Aotearoa Neuseeland Stammende besonders gezeigt wird, wird mir vor allem in der SOUL-Protestgruppe bewusst, der ich mich bei einer Demonstration vor dem Manukau Council zum ersten Mal anschließe und seither dauerhaftes Mitglied bin. Einige von uns wohnen der in diesem Zusammenhang stattfinden Anhörung im lokalen Stadtrat bei. Als wir uns in einer Kaffeepause über den Verlauf unterhalten, werde ich mit Iwa, einer älteren Māori-Dame, bekannt gemacht, die sich auch im Protest engagiert. Eine heiße Kaffeetasse in der linken Hand haltend, klopft sie sich mit der rechten aufs Herz und sagt mit lauter Stimme: »I’m a 100 % Māori.« Ich nicke ihr lächelnd zu, dann wiederholt sie: »100 %« (Iwa, EP Manukau 03.02.2016). Mir ist bewusst, dass die Māori-Welt für Aotearoa Neuseeland eine gewichtige Rolle spielt und sehr unterschiedlich bewertet wird. In der Regel wird das Land als kultursensibel und gleichberechtigt repräsentiert. In Gesprächen mit Pākehā begegnet mir häufig ein Vergleich mit der Aborigines-Politik in Australien, die als unmoralisch und verwerflich beurteilt wird, während die eigenen Minderheiten als beschützt und wertgeschätzt wahrgenommen werden. Die kulturelle Gleichberechtigung spiegele sich etwa in der Verwendung von Te Reo Māori-Begriffen in der Alltagssprache, der Förderung kultureller Praktiken, Handwerke und Rituale. Dass die vornehmlich von Māori bewohnten Gebiete aber die marginalisierten sind und Arbeitslosigkeit, Armut und die Prävalenz von Zivilisationskrankheiten bei Māori und Polynesier*innen viel verbreiteter sind als bei Pākehā, wird häufig ignoriert (vgl. Gagné 2013: 60f.). Wie sich in dem Anliegen des SOUL-Protestes zeigt, werden kulturelle Werte auch in der praktischen Lokalpolitik übergangen, selbst wenn diese verbal offiziell als schützenswert bezeichnet werden. Ich habe den Eindruck, dass es den Māori, mit welchen ich mich regelmäßig in Māngere East treffe, wichtig ist, ihre Kultur stark herauszustellen und sich damit auch gegen Missachtungen und Diskriminierungen zu positionieren. Die gespannte Beziehung zwischen Māori und Pākehā wirkt sich auch auf den Forschungskontext aus. Der neuseeländische Soziologe Martin Tolich bezeichnet die gegenwärtige Zurückhaltung von Pākehā-Forscher*innen, Māori in ihre Untersuchungen einzubeziehen, als »Pākehā Paralysis«, die sich aus der Angst vor Vorwürfen kulturunsensibler, kolonialer und entmächtigender Forschungspraktiken ergebe (2002: 164). Durch die sich in den 1970er Jahren entfaltende MāoriRenaissance werden Pākehā-Forschungen zunehmend infrage gestellt und mehr Autorität seitens der Māori eingefordert. Das Paradigma wandelt sich zu einer »Māori-centred research«, einer Forschung von Māori über Māori für Māori (Tolich 2002: 170). Im Zuge dieser Debatte wird grundsätzlich hinterfragt, ob Pākehā aufgrund ihres anders strukturierten Wissenssystems in der Lage seien, das Wissen von Māori zu erforschen und zu reproduzieren. Die Bildungsforscherin Linda

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Tuhiwai Smith schreibt dazu: »It galls us that Western researchers and intellectuals can assume to know all that it is possible to know of us, on the basis of their brief encounters with some of us.« (2012: 1) In ihrem 1998 veröffentlichten Methodenbuch werfen Tolich und Davidson selbst die Frage auf, ob Pākehā das Recht haben, über Māori »ways of knowing« zu forschen (Tolich/Davidson 1998). Dieses »political minefield« (Tolich 2002: 167), das aus der belasteten Māori-Pākehā-Beziehung hervorgeht, führt nach Tolichs Meinung zu einer problematischen Exklusion von Māori aus gegenwärtigen Forschungen und läuft damit den Ansprüchen des Vertrages von Waitangi zuwider. Er kritisiert, dass Studien, welche die Gesamtbevölkerung Aotearoa Neuseelands fokussieren, zunehmend versuchen, Māori-Partizipant*innen auszuklammern, um sich nicht angreifbar zu machen (Tolich 2002: 174). Jenny Ritchie kritisiert weiterhin, dass das Pākehā-geprägte Bildungssystem Sichtweisen von und über Māori aus dem öffentlichen Allgemeinwissen verdränge: »It has also created a ›deficit‹ in the knowledge of those who are not Māori. There exists a vacuum of historical amnesia that is perpetuated by predominantly monocultural educational programmes and the mainstream/whitestream media.« (2014: 2) Die Kolonialgeschichte und gegenwärtige, ethnisch bedingte Ungleichheiten machen die Forschung über Māori diffizil.5 Linda Tuhiwai Smith verweist auf die Verknüpfung von Imperialismus und Forschung: »The word itself, ›research,‹ is probably one of the dirtiest words in the indigenous world’s vocabulary.« (2012: 1). Daher ist die Bereitschaft erforderlich, »to un-know« dominante Erzählstränge und Geschichtsversionen, um sich für marginalisierte, indigene Sichtweisen auf historische und gegenwärtige Prozesse zu öffnen (Ritchie 2014: 6). Die oftmals unbewusst dominante Positionierung als westliche Forscher*innen kann mit dem Terminus »white space« umschrieben werden: »The white space is embedded in all of us. We are colonized by it. As such, in order to address it in our work, we have to maintain a consistent, overzealous reflexivity. One where we constantly ask ourselves about our research design, our relationship with our research participants, the labels we give them, and the way we write about them.« (Rios 2015: 260) Dabei sind die Entscheidungen, die bei der Feldforschung getroffen werden, von immenser Bedeutung. Smith bezeichnet Forschung als »not an innocent or distant academic exercise but an activity that has something at stake and that occurs in a set of political and social conditions.« (2012: 5). 5

»We recognise that we are living and researching within a context that is layered with histories of pain, grief, anger and loss.« (Ritchie 2014: 5).

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Abgesehen von meinem äußeren Erscheinungsbild spielt meine Herkunft eine Rolle: Deutschland wird gemeinhin als umweltfreundliches und reiches Land verstanden. Insbesondere bei umweltthematischen Gesprächen kommen meine Akteur*innen häufig auf meine Herkunft zu sprechen. Phrasen wie »You already have that in Germany, don’t you?«, »I’ve been to Munich and it’s amazingly clean« oder »At your home country you’re decades ahead from New Zealand environment policies« begegnen mir häufig. Zu Beginn meiner Forschung bin ich mir nicht sicher, ob ich als deutsche Forscherin in einer Stadt, die mit enormen Umweltproblemen zu kämpfen hat, aber nach außen als sauber und naturverbunden repräsentiert wird, nicht auf Widerstand stoßen würde. Meine Fragen könnten als investigativ aufgefasst und mein Interesse als ein Offenlegen von mehr oder minder gedeckt gehaltenen lokalen Problemen gedeutet werden, die über meine Dissertation dann im Ausland rezipiert würden. Entgegen meiner Befürchtungen stellt sich mein Feldzugang unproblematisch dar. Womöglich auch durch die Aktualität der Thematik bedingt – und durch den aktuellen Stadtentwicklungsplan befördert – verstehen sich viele meiner Gesprächspartner*innen als Expert*innen und Aktivist*innen im Umweltschutz und begrüßen es, in meiner Forschung repräsentiert zu sein. Häufig werde ich von Gesprächspartner*innen gefragt, ob ich eine Vergleichsstudie zwischen Deutschland und Aotearoa Neuseeland anstrebe und warum ich an das andere Ende der Welt reise, um Umweltverhalten zu untersuchen. Besonders Samuel, den ich über die verschiedenen Feldforschungsphasen hinweg regelmäßig durch sein Engagement in Community Gardens treffe, findet es lustig, dass ich Jahr für Jahr wieder nach Auckland zurückkehre. Er ist ein etwa 50-jähriger Pākehā aus Otago auf der Südinsel, der Community Gardens im ganzen Stadtgebiet initiiert und betreut. Seit vielen Jahren arbeitet er in Ōtara und lebt mit seiner Frau in Mount Albert. Als ich ihn bei meinem dritten Feldaufenthalt wiedertreffe, fragt er: »You are still working on the same topic as last year or is it something new now? It seems you fell in love with Auckland! Why don’t you go to another city this time?« (Samuel, EP Ōtara 22.10.2015) Diese Fragen fordern mich zu einer Positionierung auf und tragen zur Konstituierung meiner eigenen Rolle im Feld bei. Meine Forschungsteilnehmer*innen betrachten mich zumeist als Gleichgesinnte, die sich auch für Umweltschutz interessiert. Diese Einschätzung teile ich, obwohl ich noch nie einen deutschen Community Garden betreten habe, als ich zum ersten Mal in Aotearoa Neuseeland ankomme und kein aktives Mitglied in einer Umweltschutzorganisation bin. Über eine gewisse Neugier, wie man sich denn hinsichtlich Garten, Klima und Abfall in Deutschland verhalte, wird die Lokalspezifität Aucklands für mich sichtbarer. Meine Rolle im Feld ist nicht nur durch ethnische und geschlechtliche Zuschreibungen bestimmt, sondern auch durch Persönlichkeitsmerkmale, die über Zugänglichkeiten und Dynamiken im Feld entscheiden. Dabei ist diese Reflexion

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nicht als narzisstische Nabelschau zu verstehen, sondern vielmehr als Kontextualisierung, die auch Schwächen und Versäumnisse der Forscherin benennt (vgl. Okely 1992). Dass Ethnographien in den 1970er Jahren narrativer verfasst wurden und die Persönlichkeit der Forscher*innen reflektiert und sichtbar gemacht wurde, beschreibt Barbara Tedlock als Verschiebung von einer »participant observation« zu einer »observation of participation« (1991: 78). Der Fokus liegt auf der persönlichen Beziehung zwischen dem forschenden Selbst und den erforschten Anderen, die sich in Begegnungen und Interaktionen niederschlägt. Mir ist bewusst, dass ich durch mein zurückhaltendes und abwartendes Wesen zunächst als Beobachterin wahrgenommen werde. Füge ich mich in Gruppenkontexten eher in eine passive, aufmerksam beobachtende Rolle ein, werde ich in Kleingruppen und Dialogen aktiver. Einerseits gelingt es mir hierdurch, komplexe Interaktionen aus meiner Beobachterrolle heraus detailliert zu erfassen und zu dokumentieren, andererseits verschließen sich mir Interaktionen, die aus mehr Eigeninitiative hätten emergieren können. Häufig bitte ich Teilnehmer*innen, die mir im Gruppenkontext als spannende Gesprächspartner*innen erscheinen, um ein Interview oder einen Kaffee nach der gemeinsamen Aktivität, um in einem persönlicheren Rahmen meine konkreten Fragen zu formulieren und entsprechende Nachfragen zu stellen. Als Forscherin sammle ich keine Daten, sondern entscheide über bewusste und unbewusste Verhaltensweisen darüber, welche Daten und Prozesse sich mir in welcher Form öffnen. Als zurückhaltende Forscherin erlebe ich ein anderes Feld als es eine extrovertierte Forscherin mit dem gleichen Erkenntnisinteresse getan hätte. Dabei interagiere ich nicht mit weniger oder gar falschen, sondern anderen Erfahrungen, die ich als »embodied social actor« maßgeblich mitbestimme, wenn zuweilen auch ohne direkten Einfluss darauf nehmen zu können (vgl. Grieser 2014: 159). Viele meiner Gesprächspartner*innen verbinden die Teilnahme an meiner Forschung mit einem gewissen Prestige. Mir fällt auf, dass mein Aufnahmegerät häufig als Formalisierung wahrgenommen wird, die dem Gespräch Wichtigkeit verleiht. Als ich etwa Eric, einen in der Park Reservation engagierten Mitarbeiter des Auckland Councils in seinem Büro frage, ob es ihn störe, wenn ich eine Audioaufnahme mache, lacht er und erzählt mir, dass er erst letzte Woche ein Zeitungsinterview gehabt habe und ihn ein Recorder keineswegs verunsichere. In seiner betont lockeren Art lese ich einen gewissen Stolz, der mit dem Führen solch formaler, und durch die Aufnahme reproduzierbarer Gespräche einhergeht. Die eigenen Aktivitäten und Positionen gewinnen durch die Teilnahme an meiner Forschung an Präsenz und Gewicht. Nicht alle Teilnehmer*innen reagieren aber gelassen auf das Wissen, dass ihre Meinungen und Erzählungen in eine zu veröffentlichende Forschungsarbeit einfließen werden. Als ich in einer Gesprächspause auf einem Nachbarschaftstreffen in Devonport ein paar Notizen mache, fragt mich eine Besucherin besorgt: »Are you writing down all the small talk we are doing here?« (Amy, EP Devonport 20.02.2016). Ich gewöhne mir an, Stift und Papier erst auf

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meinen Rückfahrten zu nutzen und in den Gesprächssituationen möglichst natürlich präsent zu sein, um keine unangenehmen Gefühle in den Teilnehmer*innen auszulösen.6 In der Vorbereitungsphase meines Aufenthaltes denke ich darüber nach, wie ich die Reziprozität in meiner Forschung herstellen und meine Teilnehmer*innen und ihren Input durch eine adäquate Gegenleistung würdigen kann. In meinen Vorüberlegungen plane ich, einen Photo- und Video-Wettbewerb anzubieten, der bei einer überschaubaren, öffentlichen Veranstaltung im Sinne eines Sommerfestes einem breiteren Publikum präsentiert werden solle. Das Problem bei diesem Ansatz ist, dass ich über den Wettbewerb nur einen kleinen Teil meiner Teilnehmer*innen erreiche – nämlich diejenigen, die tatsächlich ein Bild einreichen. Bei der Verwirklichung stellt sich heraus, dass das Interesse zu gering ist. Für Devonport erhalte ich einen Video- und drei Photobeiträge, jedoch nimmt keine einzige der Photograph*innen an der Abschlussveranstaltung teil. Den Filmer treffe ich erst eine Woche später, da er sich zu dem eigentlichen Sommerfest verfahren hatte. Das Devonporter Sommerfest wird also ein Fest für die Gärtner*innen im Community Garden und einige Bekannte, die sich an diesem Sonntagnachmittag zu uns gesellen. Die drei Photos sind für ein paar Wochen im Community Garden ausgestellt, die Photograph*innen kommen aber auch danach nicht vorbei, um sich ihre »Preise« abzuholen, die dann schlussendlich dem Community Garden als Koha (Spende) zukommen. Für Māngere East erhalte ich nicht einen einzigen Beitrag und kann dementsprechend auch keine Preisverleihung organisieren. Diese Erfahrung hat mir gezeigt, dass ich mit dieser Reziprozitätsvorstellung zu sehr von meiner eigenen Erwartungshaltung ausgehe. Zwar bekunden die meisten Partizipant*innen ihr Interesse, tatsächlich verfehle ich mit dieser Aktion jedoch ihre Erwartungen. Für viele ist es spannender, bei einem gemeinsamen Essen über Vergangenes und Aktuelles zu erzählen, statt allein im Viertel nach passenden Photomotiven oder Videoszenen zu suchen, um diese dann im Sinne eines Wettbewerbes gegeneinander abzugleichen. Zum Abschluss meiner Feldforschung arrangiere ich also in Absprache mit meinen Akteur*innen ein Abschiedstreffen, das einem sozialen Austausch eher gerecht wird. Insbesondere zum Ende meiner letzten Feldforschungsphase habe ich vor allem enge Beziehungen mit meiner Diskussionsgruppe in Devonport und dem Garden Club in Māngere East aufgebaut. Gerne möchte ich beide Gruppen zusammenführen und die Devonporter nach Māngere East einladen und umgekehrt. Da ich das Feld allerdings in den Sommermonaten kurz vor Ostern verlasse, einige verreist sind und viele terminlich gebunden, ist dieses Vorhaben leider nicht realisierbar. Stattdessen veranstalte ich ein Sommerfest in Devonport und ein Abschiedsessen in Māngere East. 6

Ethnographie als »a form of surveillance« wird bei Robert Garots Arbeit mit illegalen Einwander*innen in Italien eindrücklich reflektiert (Garot 2014).

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»Maybe you talk to the local boards first« Diesen Vorschlag macht mir John, der Manager des Community Centres Māngere East, bei meinem ersten Feldaufenthalt (John, EP Māngere East 26.10.2012). Bevor ich zu meiner ersten Feldforschungsphase nach Auckland aufbreche, recherchiere ich mögliche Kontaktpersonen im Internet und bitte vorab per eMail um persönliche Gespräche. Schnell hat sich meine erste Woche mit Interviewterminen gefüllt und ich frage zum Abschluss jedes Treffens nach möglichen Kontakten, um über das Schneeballprinzip Gesprächspartner*innen aus unterschiedlichen Bereichen zu akquirieren. Dabei arbeite ich mit einem variablen Leitfaden, den ich über den Forschungszeitraum hinweg und je nach Kontext meiner Gesprächspartner*innen immer wieder anpasse. In meiner ersten Feldforschungsphase von September bis November 2012 arbeite ich mit einem sehr offenen Fokus, spreche mit Historiker*innen, Museumsleitern, Stadtplaner*innen, Aktivist*innen und Stadträt*innen. Bereits in diesen ersten Monaten verbringe ich viel Zeit in Community Centres, Community Gardens in den Stadtvierteln und begleite Weeding-Gruppen. Trotz der Fokussierung auf Māngere East und Devonport verenge ich meinen Blick nicht auf diese Stadtteile, sondern besuche Workshops, Events und Gesprächspartner*innen im gesamten Stadtgebiet. Mein Feld begreife ich nicht in seinen lokalen, geographischen Grenzen, sondern in seinen sozialen Dimensionen (vgl. Sökefeld 2006: 7). Dieses stellt sich im urbanen Kontext vielschichtig und heterogen dar: mein Forschungsinteresse lässt sich nicht auf eine statisch definierte Gruppe verengen, vielmehr erfordert die Vielfalt der relevanten Akteur*innen eine methodische Offenheit, die flexibel auf örtliche Begebenheiten reagieren muss. Demnach generiert sich das Feld prozessual im Forschungsverlauf (vgl. Foster/Kemper 1996). Als ich nach anderthalb Jahren von April bis Juni 2014 zum zweiten Mal nach Auckland reise, kehre ich bereits in ein bestehendes Feld zurück, das ich nicht als »fertiges Produkt«, sondern als immer emergierenden und sich verändernden Prozess verstehe. Das Forschungsumfeld erweitert sich und bricht ab, neue Akteur*innen treten hinzu, alte wechseln ihre Rollen oder verlassen mein Feld gänzlich. Dabei ist mir bewusst, dass ich den Prozess der Feldkonstituierung nicht kontrolliere, sondern dieser von meinen Interaktionspartner*innen, örtlichen Gegebenheiten und Zufälligkeiten abhängig ist (vgl. Sökefeld 2006: 26), ebenso von Rollenzuschreibungen, die meinen Zugang zu gewissen Praktiken, Feldern und Diskursen regulieren (vgl. Grieser 2014: 157). Die Feldforschung erfordert die Bereitschaft, sich ständig neu zu orientieren, von den Spontaneitäten des Feldes bewegen zu lassen und die Balance zwischen der Beibehaltung des eigenen Fokus und der Offenheit für neue Fragestellungen und Ausrichtungen zu finden. Chris Jenks und Tiago Neves beschreiben:

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»Ethnography contains being in a relationship with people: it is being receptive; it is being patient; it is not knowing what to do or say next; it is having fun and being scared; it is going to new, strange and even threatening places; but it is also repetitious and mundane; it is … not just writing.« (Jenks/Neves 2000: 3) Als ich von September 2015 bis März 2016 zum dritten Mal nach Auckland reise, habe ich bereits stabile Kontakte aufgebaut und erlebe emotionale Wiedersehen. Nichtsdestotrotz verschiebt sich auch in dieser längsten Feldforschungsphase noch viel. Ich mitbegründe den Garden Club in Māngere East und werde Teil der SOUL-Protestgruppe – zwei Teilfelder, die für mich persönlich und für meine Forschung zentral werden und mich auch näher an soziopolitische Themen im Stadtteil heranführen. Die über die verschiedenen Phasen meiner Feldforschungen aufrechterhaltenen Kontakte zu örtlichen Stadträt*innen stellen sich als sehr wichtige Verbindungen heraus; nicht zuletzt, um nach den monatelangen Abschnitten zwischen meinen Forschungen mit Veränderungen auf administrativer, politischer und sozialer Ebene vertraut zu werden. Im Jahr 2014 baue ich Gesprächsrunden in »meinen« Vierteln auf, die von dem Community Centre Māngere East und dem Community Garden Devonport unterstützt und in meiner darauffolgenden Feldforschungsphase 2015/16 fortgeführt werden. Ich nutze nicht nur die Räume dieser Institutionen, sondern bin Teil ihrer Gemeinschaften geworden. In den Communities diskutiere ich auch über mögliche Ansprechpartner*innen und Ansätze. Die Diskussionsgruppen, die ich unter dem Titel »Green Conversations« bewerbe, etablieren sich in Devonport sehr schnell und in Māngere East verhalten. Die Teilnehmer*innen treffe ich nicht nur bei meinen Gesprächsrunden, sondern bei unterschiedlichen Aktivitäten in den Zentren – in Devonport vor allem beim gemeinsamen Gärtnern. Für die wöchentlichen Diskussionsgruppen bereite ich Themen vor, bringe Bilder oder Zeitungsausschnitte mit, fertige Mind Maps und Schaubilder mit meinen Teilnehmer*innen an, um so mehr über lokale Umweltprobleme und -verhalten zu erfahren. Diese kognitiven Techniken dienen dem Nachvollziehen von Ordnungsmustern kulturellen Wissens (vgl. Antweiler 2008). Jede Woche versende ich kurze Zusammenfassungen unserer Gespräche per eMail und erhalte gelegentlich Feedback, das wiederum an alle Teilnehmer*innen zirkuliert wird. Manchmal schreiben mir meine Teilnehmer*innen kurze Kommentare, stellen Aussagen richtig oder ergänzen Punkte, die ihnen noch eingefallen sind. Auch knappe Bemerkungen wie »well done« schätze ich sehr, da mir diese Rückmeldungen zeigen, dass meine Gesprächspartner*innen sich nicht nur über ihre aktive Teilnahme vor Ort engagieren, sondern auch zuhause beim Lesen und Reflektieren. Ich verstehe diesen Ansatz, selbst Gruppen aufzubauen und Diskussionsforen zu bilden, im Sinne einer Engaged Anthropology, die auf Kollaborationen setzt und die Möglichkeit für neue Beziehungen und Austausch zwischen unterschiedlichen Akteursgruppen bietet (vgl. Low 2011; Low/Merry 2010).

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Neben über 50 qualitativen Interviews, von welchen nur ein geringer Teil in die vorliegende Arbeit eingeflossen ist, ist die Teilnehmende Beobachtung meine zentrale Erhebungsmethode. Um urbane Ethiken zu erforschen, frage ich meine Akteur*innen nach ihren Vorstellungen des guten Lebens. Den Begriff »Ethik« verwenden sowohl meine Interaktionspartner*innen als auch ich selten im Feld. Ich bitte sie, mir ihre Zukunftsvisionen über ihre Wohngebiete und Auckland zu erzählen, um ein Gefühl für ihre Ideale zu erhalten. Ferner dienen mir stadtpolitische Dokumente, der Auckland Plan und seine regionale Varianten als interessante Quellen, um den urbanen Diskurs um das gute Leben nachvollziehen zu können.   Die Community Centres und Gardens werden zu zentralen Orten für meine teilnehmende Beobachtung. Tag für Tag verbringe ich viel Zeit in diesen Institutionen, verabrede mich dort mit Gesprächspartner*innen, veranstalte Diskussionen, gärtnere, nehme selbst an Kursen teil oder warte. Ilias, einer der Manager des Community Centres Māngere East, engagiert sich von Anfang an sehr für mein Vorhaben, nimmt sich Zeit für Gespräche und macht Werbung für meine Forschung und meine Veranstaltungen im Zentrum. Er begrüßt mich Woche für Woche schon routiniert mit den Worten: »Sorry, but there’s nobody there yet«. Bei unserem ersten Versuch im Jahr 2014, eine Gesprächsrunde zu lokalen Umweltthemen aufzubauen, setzt er sich mit seiner Schwester selbst in die Runde, um mir Input zu geben. Akahata, ein am Community Centre sehr engagierter Māori, mit dem ich mich schnell anfreunde, ist häufig der einzige, mit dem ich mich zu den »Gesprächsrunden« treffe. Es ist seine Idee, die »Tai Chi- Ladies«, die er hier wöchentlich unterrichtet, für meine Forschung zu gewinnen. Er empfiehlt mir, mein Diskussionsfenster direkt hinter seinen Kurs zu legen und überzeugt seine Teilnehmerinnen, noch auf einen Kaffee zu bleiben und mit mir zu diskutieren. So kommt bereits im Jahr 2014 eine stabile Gruppe zustande, mit der ich mich wöchentlich über lokale Umweltthemen austausche. Dabei handelt es sich um fünf Frauen, die zwischen 55 und 70 Jahre alt sind. Zwei Teilnehmerinnen sind Māori, drei Pākehā. Diese Konstellation ist für mich gerade deshalb wertvoll, weil die »Tai Chi- Ladies« sich eigentlich nicht wirklich für Umweltschutz interessieren. Viele Themen, die ich anspreche, spielen in ihren Alltagswelten keine große Rolle. Dies unterscheidet sich sehr von den Green Conversations in Devonport und später im Garden Club, wo die Teilnehmer*innen sich bereits auf unterschiedliche Weisen für Umweltthemen engagieren. Als ich 2015 zu meiner dritten und längsten Feldforschungsphase zurückkomme, stehen Ilias und ich wieder vor dem gleichen Problem: das Interesse an einer lokalen Umwelt-Gesprächsgruppe im Community Centre Māngere East ist einfach zu gering. Er lädt mich freudig dazu ein, die Neugründung des geplanten Garden Clubs zu übernehmen, da Akahata kurz bevor ich ankomme bereits drei Beete angelegt hat und noch eine Koordinatorin für die geplanten Treffen fehlt (siehe

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Abbildung 7). Der Garden Club kommt langsam in die Gänge, zu den ersten Treffen kommen manchmal ein bis vier, zuweilen auch gar keine Teilnehmer*innen. Die als Weihnachtsfeier geplante letzte Sitzung im Jahr 2015 wird von niemandem aufgesucht und erst im neuen Jahr, als Kura sich für den Gemeinschaftsgarten engagiert, kommt eine stabile, sich regelmäßig treffende Gruppe zustande. Kura ist Mitte 30, Māori und privat wie beruflich eine sehr engagierte Gärtnerin. Sie bringt ihre Nachbar*innen mit, die fortan bei keinem Treffen fehlen. In den Te Reo Māoriund Rarotongan-Sprachkursen, an welchen ich teilnehme, verteile ich Flyer und mache auf den neuen Club aufmerksam. Neben dem Garden Club biete ich einen Improtheaterkurs an, mit der Intention, auch mit Menschen ins Gespräch zu kommen, die sich nicht routinemäßig mit Umweltthemen oder Gärtnern auseinandersetzen und einer jüngeren Generation angehören. Viele signalisieren Interesse, kommen zu den eigentlichen Sitzungen dann aber doch nicht. Das Warten im Community Centre verhilft mir dazu, die routinierten Abläufe im Zentrum zu verfolgen. Die scheinbare Inaktivität im Zentrum ergänzt meine Perspektive als Kursteilnehmerin, -leiterin und Forscherin. Ich kann die Rhythmen und die Atmosphäre in der Institution aus einer unaufgeregten Position heraus über einen längeren Zeitraum hinweg empfinden. Ähnlich wie die Sozialanthropologin Sarah Pink und die Stadtplanerin Lisa J. Servon ihr verkörpertes Verständnis für Langsamkeit bei gemeinsamen Aktivitäten in einer Cittaslow-Gemeinde beschreiben, empfinde ich mein Warten als erkenntnisbringend, um das Schaffen von Gemeinschaft im Community Centre-Team zu erleben und nachzuempfinden, »how they move through and know in ways that are embodied and affective in their everyday environments.« (Pink/Servon 2013: 457). Pink und Servon beschreiben, wie ein empathisches Empfinden und eine bewusste, multisensorische Aufmerksamkeit ihnen vermittelt, »[…] how participants engaged topography and the built environment to invoke historical and environmental experiences of being slow; and how local practices and materialities were understood as ways of being slow.« (2013: 458) Für mich werden im Laufe des Wartens Materialitäten, Erfahrungen und Praktiken sichtbar, die für das lokale Gemeinschaftsempfinden, wie es im Commmunity Centre angerufen, idealisiert und umgesetzt wird, von Bedeutung sind. Dazu zählt beispielsweise die Sorge um wenig besuchte Kurse und die Suche nach Strategien, um diese dennoch zu erhalten. Solche Themen werden häufig zum Gegenstand von Alltagsdiskussionen und spiegeln für mich Werte von Gemeinschaftlichkeit und gegenseitiger Fürsorge wider. Die Kursleiter*innen, -teilnehmer*innen und Organisator*innen empfinden sich als ineinander verflochtene Gemeinschaft und kümmern sich um gegenseitige Bedürfnisse. Ihre Beziehungen lösen sich nicht in kollegialen Verbindungen auf, sondern gehen freundschaftlich-affektiv darüber hinaus. Die Räume des Community Centres sind ebenfalls mit Gemeinschaftsidea-

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len behaftet und werden je nach Ausrichtung, Ausstattung und Größe unterschiedlichen Gruppeneignungen zugeschrieben. Deren mit wenigen Ausnahmen offene und helle Gestaltung sowie kreative Umgestaltungen werden vom Team ebenfalls als Ausdruck der Gemeinschaftlichkeit verstanden. Ich glaube nicht, dass die gelebte Gemeinschaftlichkeit im Centre im selben Maße greifbar für mich gewesen wäre, wenn ich über das Warten nicht noch einen anderen Modus des Empfindens und Beobachtens gefunden hätte. Dabei sind die nicht-diskursiven Erfahrungen, die ein empathisches Gefühl für Räume und Gemeinschaften vermitteln, trotz ihrer Wirkmacht schwer in Worte zu fassen, wie auch Pink und Servon bemerken: »We also noted the impossibility of representing many of these elements of local identity, authenticity, and ways of being directly, and the need for recourse to metaphors, stories, and historical accounts to express these.« (2013: 464) Außerdem bringen mich diese Situationen immer wieder mit dem Team ins Gespräch, das sehr um mein Wohlbefinden bemüht ist. Dass ich zuweilen den weiten Weg nach Māngere East antrete, um dann im Centre sitzend auf Teilnehmer*innen zu warten, die gar nicht eintreffen werden, ist ihnen unangenehm. Obwohl ich mich jedes Mal auf Gespräche vorbereite und Themen mitbringe, lerne ich, mit diesem Warten umzugehen und es für Beobachtungen und Reflexionen zu nutzen. Feldforschungen sind dynamische Prozesse, die nicht detailliert vorgeplant werden können. Begegnungen und Bedingungen ergeben sich erst vor Ort, ändern sich stetig und müssen spontan ausgehandelt und genutzt werden. Aus Problemen und Widerständen im Feld können neue Ideen und Forschungswege abgeleitet werden. Das Warten ermöglicht mir zahlreiche Gespräche mit Ilias und dem Team, die mir Hintergrundwissen über das Zentrum, Erwartungen, Hoffnungen und Probleme der Community zuteil werden lassen. Ich glaube nicht, dass ich die gleiche Beziehung zu dem Team des Zentrums aufgebaut hätte, wenn ich durch die Warteperioden nicht scheinbar unbeschäftigt viel Zeit dort verbracht hätte. Einige der Kurse, an denen ich teilnehme, sind nicht gut besucht und stehen ständig an der Schwelle, vom Kursplan gestrichen zu werden – so auch der Rarotongan-Kurs. Zur After School Care ist das Centre aber immer prallvoll. Ilias legt auch mir nahe, meinen Improtheaterkurs von der Agenda zu nehmen, da er dem Auckland Council die Teilnehmer*innenlisten einreichen muss, um finanzielle Unterstützung einzuwerben. Erreichen die Kurse keine Mindestteilnehmerzahlen, läuft das Community Centre Gefahr, weniger Gelder zu erhalten. Für Matamaru, meine Rarotongan-Lehrerin, ist diese Situation bedrängend. Sie kämpft schon seit Jahren darum, dass der Kurs bestehen bleibt, da er für sie eine identitätsstiftende Bedeutung hat. Sie möchte ihre Sprache und Kultur weitergeben, auch an jüngere Generationen, die bereits in Aotearoa Neuseeland geboren sind. Ihr ist es sehr wichtig, dass ihr kulturelles Wissen nicht verloren geht und die lokale Community ihre Geschichte nicht vergisst. Dabei sind wir bei ihrem Kurs allzu oft nur zu dritt.

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Das Warten ist auch eine geteilte Erfahrung, die auf dem Kursleiter*innen-Treffen thematisiert wird. Darüber werden mir Sichtweisen über die lokale Community gespiegelt, die mit Eigen- und Fremdbildern verknüpft sind. Ilias spricht mich einmal unter vier Augen an und sagt mir: »Sorry that nobody came along. This is not your fault, it’s our community’s and maybe also our’s.« (Ilias, EP Māngere East 29.10.2015). Er erzählt mir, dass es schwierig sei, die Community zu mobilisieren, da viele nicht gewohnt seien, sich auf Regelmäßigkeiten, Verbindlichkeiten und Aktivitäten einzulassen. Viele kämen gar nicht erst ins Gemeinschaftszentrum, da es ihnen schwer falle, im Alltag genügend Zeit und Energie zu finden, um ihr Haus zu verlassen. Ich verstehe das mangelnde Interesse nicht als Fehler, sondern eher als Denkanstoß, um passendere Wege zu finden, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Als sich der Garden Club etabliert, wird mir klar, dass ein Garten, in dem man nicht nur etwas tut, sondern auch Fortschritte und Ergebnisse sieht, die auf den Beeten visuell, haptisch und gustatorisch empfindbar sind, eine andere Verbindlichkeit schafft als beispielsweise ein Improtheaterkurs, bei welchem jedes Treffen als in sich abgeschlossene Einheit gestaltet werden kann. Natürlich tragen auch die zwischen den Nachbar*innen bereits bestehenden sozialen Bindungen dazu bei, dass die Teilnehmer*innen sich fortan regelmäßig zusammentun. Die sich wiederholenden Treffen gemeinsamer Aktivitäten machen mich nach und nach zu einem Teil der lokalen Community. Bei meiner ersten Stunde im Korowai-Kurs fragt mich Joana, eine ältere, weißhaarige Māori, welche Farben ich für meinen Korowai wünsche und zeigt mir eine Kiste voller bunter Federn. Joana bietet diesen Kurs schon über viele Jahre hinweg an, obgleich sie sich eigentlich schon seit längerem zurückziehen wollte. Da das Community Centre aber keinen adäquaten Ersatz finden konnte, hat sie eingewilligt, den Kurs noch über ein oder zwei Semester zu leiten. Ihr ist es wichtig, dass sich die Tradition nicht verliert. Dementsprechend ist sie durchaus streng und korrigiert uns unentwegt, ohne dabei ihr sympathisches Lächeln zu verlieren. Ich entscheide mich für eine gelb-orange Mischung und Joana legt mir zwei Päckchen Federn auf den Tisch. Dann erklärt sie mir, wie ich die Federn anbringen muss, damit sie gut haften. Wir teilen uns die Wassergefäße, in welchen wir unsere Hände befeuchten, und kommen schon allein über das gemeinsame Benutzen von Utensilien schnell miteinander in Kontakt. Ich bin die einzige Nicht-Māori im Kurs und fühle mich bald in die Gruppe integriert, auch wenn ich bis zum Schluss zurückhaltend bleibe und mehr zuhöre als erzähle. Die Stimmung ist jeden Freitagmorgen gelassen, es wird viel geplaudert und gelacht, während alle vier Stunden lang geduldig an ihren Korowais arbeiten. Gelegentlich bringen die Teilnehmerinnen Photos mit und zeigen ihre Ehemänner oder Söhne in besonderen Korowais. Von Woche zu Woche ist ein Fortschritt spürbar und die Handarbeiten nehmen langsam Form an. Für mich ist der Korowai-Kurs sehr wichtig, um mich in die alltäglichen Lebenswelten der Bewohner*innen einzufinden. Beim Federnkleben kommen Ge-

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spräche auf, die Alltagssorgen thematisieren und viel mehr aus den Lebenswelten der Anwohner*innen widerspiegeln als themenzentrierte Interviews. In dem Kurs spricht niemand über das neue Abfallmanagementsystem, Bio-Obst oder Klimawandel. Hier unterhält man sich über Neuigkeiten aus der Familie – wer hat sich von wem getrennt, wie geht es der schwangeren Tochter, wann kommen die Verwandten aus Warkworth zu Besuch. Das Alltagsleben ist hier durch soziale Beziehungen bestimmt, die in großer Runde geteilt werden. Es wird getratscht, gelästert, aber auch überlegt, wie man gewisse Situationen gemeinsam bewältigen kann, zum Beispiel eine ältere Witwe oder einen arbeitslosen Jugendlichen in der Gemeinschaft zu unterstützen. Bei den gemeinsamen Praktiken gewinne ich keine gezielten Informationen, sondern ein Gefühl für das, was die Bewohner*innen des Viertels täglich erleben und was ihnen wichtig ist. Durch das gemeinsame Tun öffnet sich ein gemeinsamer Erfahrungsraum, der Vertrautheit und Zugehörigkeit vermittelt. Auch beim Gärtnern in den Community Gardens, die ebenfalls ein wichtiger Pfeiler in meiner Feldforschung sind, entstehen diese Dynamiken. Ebenso wie in den Kursen bin ich in der Rolle einer Lernenden, der etwas beigebracht wird. Andere geben vor, auf welchen Feldern gehackt und gegraben wird. Die Hierarchien in den Gemeinschaftsgärten sind flach; nichtsdestotrotz obliegt den erfahreneren Gärtner*innen die Entscheidungsmacht, wenn es um das Planen und Gestalten der Beete oder das Organisieren von Veranstaltungen geht. Ich gehöre zu den temporären Gärtner*innen, die zum Beispiel in Devonport nicht jeden Mittwochnachmittag und Sonntagmorgen vor Ort sind, sondern eben so häufig es möglich ist. Die Gärtner*innen wissen von Anfang an, dass ich für eine Forschung hier bin und nicht länger als ein paar Monate bleiben werde. In den unterschiedlichen Kontexten werden mir je eigene Rollen zugewiesen, die sich im Laufe des Forschungszeitraumes verändern. Bin ich beispielsweise bei meiner Devonporter Green Conversations-Gruppe im Jahr 2012 noch eine Forscherin, die für ein paar Wochen Gespräche führt, komme ich im Jahr 2015 als gute Bekannte zurück. Unsere Runden werden zunehmend persönlicher und verbinden uns auch über das Mitteilen privater Erfahrungen, die nichts mit dem übergeordneten Umweltthema zu tun haben. Auch innerhalb ein- und derselben Forschungsphase variieren meine Rollenzuweisungen: im Community Centre Māngere East bin ich Forscherin, helfende Hand, Kursleiterin, Kursteilnehmerin und gute Bekannte zugleich. Die unterschiedlichen Rollen entscheiden auch über das Wissen, das mir zugänglich wird, und gerade das Changieren zwischen verschiedenen Rollen ermöglicht es mir, das Gemeinschaftszentrum und die lokale Community aus unterschiedlichen Perspektiven kennen und begreifen zu lernen.   In allen Stadtteilen, in welchen ich forsche, gibt es ein oder zwei Schlüsselpersonen, die mich – ohne dass ich darum fragen muss – mit Freude durch ihre Vier-

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tel führen. Mir ist bewusst, dass sie mir als Neuling eine gewisse Sichtweise auf ihr Wohngebiet vermitteln wollen und mich vor allem an idyllische Orte führen, die zu den positiven Selbstbildern passen, die sie mir in Gesprächen und Interviews vermitteln. Nichtsdestotrotz sind gerade diese Spaziergänge und -fahrten sehr wichtig für mich um zu verstehen, welche Orte als herausragend, identitätsstiftend und repräsentativ für einen Stadtteil gelten. In Devonport wird mir unter Scotts Führung eine »Secret Devonport Tour« zuteil, die er gemeinsam mit zwei Freunden für mich organisiert. Scott ist ein 70-jähriger Pākehā, der seit Jahrzehnten in Devonport wohnt und seinerzeit das erste Recyclingcentre in den 1970er Jahren mitbegründet hat. Er bringt mich an geschichtsträchtige Orte, die nicht unbedingt touristisch bekannt sind. Darüber teilt er ein lokales Insider-Wissen und unterstreicht den historischen Charakter des Viertels. Er führt mich an Orte, die für ihn bedeutsam sind, und seine persönliche Geschichte und Verbundenheit mit Devonport widerspiegeln. Jo Lee und Tim Ingold verorten das gemeinsame Gehen als wesentlich für Verstehensprozesse: »Through shared walking, we can see and feel what is really a learning process of being together, in adjusting one’s body and one’s speech to the rhythms of others, and of sharing (or at least coming to see) a point of view.« (Lee/Ingold 2006: 83)

Abbildung 7: Community Garden Māngere East, 11.02.2016

(Photo: Jeannine-Madeleine Fischer)

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Abbildung 8: Blick von Devonport nach Auckland City, 02.03.2016

(Photo: Jeannine-Madeleine Fischer)

Da ich nicht in den Stadtvierteln wohne und nicht mit den lokalen Gegebenheiten vertraut bin, wird mir viel gezeigt, erklärt, erzählt. Für mich ist es ebenso wichtig, meine Stadtviertel selbst zu erkunden und mich ohne Stadtplan oder gezielte Destination »herumzutreiben«, um ein Gefühl für die Atmosphäre und Rhythmen meiner Forschungsorte zu erhalten. Chris Jenks und Tiago Neves beschreiben, wie aus einer vom Flanieren inspirierten Feldforschung urbaner Raum in seinen sozialen Dimensionen erfahren werden kann: »It uncovers compulsive currents within the city along with unprescribed boundaries of exclusion and unconstructed gateways of opportunity. The city begins, without fantasy or exaggeration, to take on the characteristics of a map of the mind. The legend of such a mental map highlights projections and repressions in the form of ›go‹ and ›no-go‹ space. These positive and negative locational responses claim, in their turn, as deep a symbolic significance in the orientation of space as do the binary moral arbiters of ›purity‹ and ›danger‹ or the ›sacred‹ and the ›profane‹ in relation to the organization of conduct.« (2000: 8)

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»You took the bus? For real?«7 Als ich das Community Centre in Māngere East zum ersten Mal aufsuche, steige ich versehentlich viel zu früh aus dem Bus und verlaufe mich noch einige Kilometer vom Gemeinschaftszentrum entfernt. Ich rufe John an, einer der Manager der Institution, mit dem ich auf ein Interview verabredet bin, und er beschließt mich kurzerhand mit seinem Bus abzuholen, da eine Wegbeschreibung zu kompliziert sei. Unglücklicherweise stehe ich an einer großen, viel befahrenen Straße, die aus für mich mehr oder minder gleich aussehenden Einfamilienhäusern besteht und keine besonderen Orientierungspunkte bietet. Da ich zu diesem Zeitpunkt weder John noch sein Fahrzeug kenne, stehe ich aufmerksam am Straßenrand und versuche durch die Windschutzscheiben der vorbeifahrenden Autos Hinweise zu erkennen. Die Suche nach John erschwert sich durch die ungewollte Aufmerksamkeit, die ich mit meiner Präsenz am Straßenrand erwecke. Jedes zweite Auto hupt mich an, einige bleiben ein paar Meter weiter stehen und winken mir auffordernd zu. An diesem Tag wird mir bewusst, wie sehr ich hier tatsächlich als Externe auffalle. Als John nach einer Viertelstunde ankommt, reagiere ich schon sehr zurückhaltend auf seine fragenden Gesten, da ich ihn bereits mehrmals fälschlicherweise mit anderen anhaltenden Fahrern verwechselt habe. Die Erfahrungen des Sich-Verfahrens und Verloren-Gehens sind für mich aufschlussreiche Elemente, die mich nicht nur mit Bewohner*innen in Verbindung bringen, sondern mich auch körperlich-affektiv in die Situation dieser Abhängigkeit von nicht funktionierendem Nahverkehr versetzen und somit mit meinen Partizipant*innen »in place« zu sein (Pink 2008: 185). In den Phasen des gefühlt endlosen Wartens an verlassenen Bushaltestellen oder der Sorge, in der Dunkelheit nicht mehr zurück in die Stadt zu gelangen, teile ich die alltäglichen Erfahrungswelten meiner Gesprächspartner*innen und erlebe selbst, was es heißt, auf unzuverlässige Dienstleistungen angewiesen zu sein. Warum viele Bewohner*innen mit dem eigenen PKW fahren, obwohl sie sich gegen Klimawandel engagieren und die schlechte Luftqualität in der Stadt kritisieren, wird mit diesen Erfahrungen nachvollziehbarer. Akahata, der häufig Fahrdienste mit einem Bus des Community Centres – so zum Beispiel Besuchsfahrten für Angehörige ins örtliche Gefängnis – anbietet und um die Problematik der öffentlichen Nahverkehrsverbindungen weiß, fragt mich eines Tages ungläubig: »You took the bus? For real!?« (Akahata, EP Māngere East 04.06.2014). Während meiner gesamten Feldforschung bewege ich mich ausschließlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln und Mitfahrgelegenheiten. Der einfache Weg nach Māngere East kostet mich häufig anderthalb Stunden – vor allem, wenn ich zu 7

Zitat von Akahata, einem im Community Centre Māngere East engagierten Māori (EP Māngere East 04.06.2014).

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ungünstigen Stoßzeiten unterwegs bin oder eine Busfahrt kurzfristig ausfällt. In der Regel ist es mir möglich, von der im Stadtzentrum gelegenen Custom Street am Viadukt-Hafen mit einer direkten Verbindung nach Māngere East zu fahren und fast vor der Haustüre des Community Centres anzukommen. Gelegentlich ist es aber auch notwendig, in dem industriell geprägten Onehunga umzusteigen und nicht selten eine halbe Stunde zu warten, wenn der Anschluss aufgrund einer Verspätung nicht erreicht werden kann. Viele meiner Gesprächspartner*innen beschweren sich über die schlechten Busverbindungen und kritisieren, dass diese nicht modernisiert, besser vernetzt und zuverlässiger geführt würden. Es gibt auch viele Akteur*innen, die den öffentlichen Nahverkehr aus wirtschaftlichen Gründen nicht nutzen, da die Fahrpreise ziemlich teuer sind. Sie wundern sich, dass ich die lange Fahrt, die mit einem PKW etwa eine halbe Stunde dauert, per Bus auf mich nehme. Natürlich bin ich dankbar, wenn sich Mitfahrgelegenheiten ergeben, aber tatsächlich profitiere ich von den Busfahrten, schärfe mein Verständnis für die städtischen Rhythmen und nehme die Grenzen Aucklands anders wahr. Bis ich in Māngere East ankomme, bin ich häufig eine der letzten Fahrgäste. Auf meiner Stammstrecke lerne ich nach und nach die Busfahrer*innen kennen und treffe ab und an Bekannte aus dem Community Centre. Die Busfahrten werden zu einem festen Bestandteil meines Forschungsalltages, die ich nicht nur für Notizen und Reflexionen, sondern auch für Beobachtungen nutze. Die meisten, die hier Bus fahren, können sich entweder kein Auto leisten oder besitzen keinen Führerschein (mehr) und sind daher auf die teuren öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen. Besonders in Māngere erfordern die Busfahrten viel Geduld, denn nicht selten verschwinden angekündigte Linien plötzlich von der elektronischen Abfahrtsanzeige oder verspäten sich bisweilen bis zu einer Stunde. Ab Onehunga, einem industriell geprägten Stadtteil mit großem Busbahnhof, fallen mir die Blicke der Passagiere auf, die in mir den Eindruck erwecken, als von außen kommend erkannt zu werden. Gehe ich in Aucklands Stadtmitte unter den Aucklander*innen und Tourist*innen unter, setze ich mich optisch deutlich von den zumeist polynesischen Fahrgästen ab. Gleichzeitig erzeugen die Busfahrten ein Gemeinschaftsgefühl – nicht nur, weil ich gelegentlich Bekannte treffe und mich über Fahrtabschnitte mit ihnen austausche. Auch der gemeinsame Erfahrungshintergrund, auf die gleichen Verkehrsmittel angewiesen zu sein, veranlasst uns, Informationen über Neuerungen, Streiks und Fahrplanänderungen auszutauschen. Dennoch hebt mich diese Verkehrswahl auch von der Masse an Autofahrer*innen ab. Die meisten meiner Akteur*innen in Devonport und Māngere East fahren gewöhnlicherweise mit ihrem eigenen PKW. Die Abhängigkeit von Bus und Bahn macht mich vulnerabel, und löst in manchen Gesprächspartner*innen den Impuls aus, mir ihre Hilfe anzubieten – sei es, für mich Abfahrtszeiten nachzusehen, mich zur nächstgrößeren Haltestelle zu fahren oder Mitfahrgelegenheiten in die Stadt zu organisieren. Nicht zuletzt sind es auch diese gemeinsamen Autofahr-

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ten, die in interessanten, informellen Gesprächen aufgehen. Dabei fällt mir der veränderte Kontext auf, der sich in gemeinsamen Autofahrten aufspannen kann. Die private Atmosphäre ist auch mit einem Rollentausch verbunden. Als mich Sabrina, eine 40-jährige Pākehā, abends von einem SOUL-Treffen zurück in die Stadt fährt, sind wir plötzlich nicht mehr zwei Mitglieder eines Kollektivs und agieren nicht in einer Gruppendynamik, sondern als zwei Individuen in einem kleinen PKW. Die neue Rahmung bringt andere Gespräche hervor, die innerhalb der Gruppe nicht entstanden wären. Sabrina, die sich als Künstlerin für das umkämpfte Māori-Land engagiert, ist schon seit längerem Teil der SOUL-Gruppe und fühlt sich am Steuer ihres Autos nicht unwohl, wenn sie Kritik an der von ihr unterstützten Protestgruppe anbringt. Darüber hätte sie aber in der großen Runde nicht gesprochen. Ferner bin ich gezwungen, mich an die räumliche Verteilung der Bushaltestellen anzupassen und meine Wege zu den Destinationen selbst zu finden. Nicht selten muss ich noch ein paar Kilometer laufen, bis ich die Adressen erreiche, an welchen ich verabredet bin. Ich lerne die Stadtgebiete also nicht nur über die Busfahrten, sondern auch gehend kennen. Die haptisch-taktile Bedeutung des ErLaufens von Forschungsgebieten hat Tim Ingold herausgestellt. Er beschreibt das »urban walking« als wesentliche Erfahrung, die ein anderes Verständnis für die Wege der Forschungsteilnehmer*innen ermöglicht. Ich gehe nicht nur mit meinen Partizipant*innen, sondern bereits auf dem Weg zu ihnen, und vollziehe ihre Pfade zunächst allein nach. Dabei spielt die verkörperte Erfahrung des »being there« eine zentrale Rolle (Lee/Ingold 2006: 68). Die Stadtviertel bewusst mit allen Sinnen wahrzunehmen, bietet mir einen ergänzenden Zugang zu den Orten, der über Gespräche und Interviews hinausgeht. Über die multisensorische Erfahrung des Gehens können Orte als spezifisches ethnographisches Wissen erfasst werden, als »place-as-ethnographic knowledge« (Pink 2008: 176). Über eine bewusste Auseinandersetzung mit den Empfindungen von Orten als »place as event« erfahre ich als Forscherin auch meine eigene Positionierung im Feld neu (Pink 2008: 179). Während Landschaften, Stadtteile und Bewohner*innen aus dem Fenster eines Busses oder Autos als fern und separat wahrgenommen werden, bietet das Gehen einen direkteren Zugang zu den sensorischen Gegebenheiten meines Umfeldes, die Beziehungen zwischen Körper und Ort werden internalisiert erfahren und ermöglichen zufällige Interaktionen (Bean/Kearns/Collins 2008: 2837). Sogenannte »driving places« werden zum Teil als »non places« verstanden, da sie keine direkte Interaktion außerhalb des Fahrzeugs und nur medialisierte Umwelterfahrungen ermöglichen (ebd. 2008: 2845; Augé 1995). Ferner fungiert das städtische Gehen auch als soziale Aktivität, über die eine »urban togetherness« hergestellt wird (Bean/Kearns/Collins 2008: 2832). Da ich kein mobiles Internet habe, recherchiere und notiere ich meine Route zuhause online. Nicht selten komme ich über meine – zuweilen konfusen – Notizen mit Bewohner*innen ins Gespräch, die mir Auskunft geben, Stadtpläne auf ihren Smartphones für mich aufrufen oder mich gelegentlich auch ein Stück

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weit begleiten. Aber auch ohne diese direkten Interaktionen werde ich allein über das geteilte Bewegungsmuster, den gemeinsamen Mobilitätsmodus, Teil der urbanen gehenden Gemeinschaft. Vor allem in einer Stadt, die für ihre hohe Automobilität bekannt ist, öffnet sich für mich eine andere Perspektive auf die Rhythmen der Stadt, die von jenen Bewohner*innen geteilt wird, die sich kein Auto und keinen öffentlichen Nahverkehr leisten können. Gleichwohl schränkt mich die Entscheidung, nur öffentlichen Nahverkehr zu nutzen, zuweilen auch sehr ein. Ich kann weniger spontan auf Einladungen und Aktionen reagieren, muss meine Tage im Voraus planen und kann es meist nicht bewältigen, mich mit sich überschneidenden Ereignissen in Māngere East und Devonport zu arrangieren, um beide am selben Tag besuchen zu können. Darüber hinaus bin ich in den Wintermonaten zeitlich gebunden, denn die meisten meiner Gesprächspartner*innen aus Māngere East empfehlen mir, nach Sonnenuntergang nicht mehr an Bushaltestellen im südlichen Stadtgebiet zu warten. Bei meiner Winter-Feldforschung von April bis Juni 2014 sehe ich davon ab, den abendlichen Te Reo Māori-Kurs im Māngere East Community Centre zu besuchen und richte meine Treffen so ein, dass ich mich entweder auf eine Mitfahrgelegenheit verlassen kann oder vor Nachteinbruch auf dem Rückweg bin. Das nördlich gelegene Devonport suche ich per Fähre auf. Zu Stoßzeiten im Viertelstundentakt wird der Wasserweg nach Devonport innerhalb von zwölf Minuten überquert. Im Sommer auf dem Deck sitzend und unter Tourist*innen, die gerade aus einem der am Waitematā-Hafen angelegten Kreuzfahrtschiffe gestiegen sind, fühlt sich die kurze Fahrt über den Hauraki Gulf wie eine Urlaubsattraktion an. Anders als die Buspassagiere, die zumeist aus Ermangelung einer besseren Alternative auf den Bus zurückgreifen, wird die Fähre bewusst und gerne genutzt – aufgrund von Devonports Demographie auch von wirtschaftlich gut gestellten Milieus. Devonport ist schnell und kurzfristig zu erreichen. Zeitgleich stellt der Wasserweg eine andere Barriere dar als die langen Straßen, die nach Māngere East führen (siehe Abbildung 8). Devonport versteht sich als privilegierte Halbinsel, die zwar die städtischen Vorteile genießt, sich aber in seine ländlich-insulare Atmosphäre zurückziehen kann. Scott, ein langjähriger Bewohner des Viertels, mit dem ich mich über meine Forschungsphasen hinweg des Öfteren treffe, erzählt mir, dass die Fähre als örtlicher Kommunikationskanal fungiere, was er als »the ferry phenomenon« bezeichnet. So manche Widerstandsaktion gegen Bebauungsprojekte sei auf der Fähre initiiert worden, da sich hier täglich die gleichen Berufspendler*innen träfen und die Fahrten zum Austausch von Neuigkeiten nutzen (Scott, EP Devonport 07.12.2015). Tatsächlich fühlt sich die Fährverbindung selbst zu Stoßzeiten entspannter an als die Busfahrten in den Süden oder Westen. Hier ergänzen Tische die Stuhlreihen, man hat mehr Platz und kann es sich bei Bedarf auf dem beliebten Oberdeck bequem machen. Die Fährverbindung ist auch zuverlässiger als die in südlich gelegene Stadtteile fahrenden Busse. Zwar gibt es auch hier gelegent-

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lich Verspätungen, diese sind aber ungleich seltener und aufgrund der geringen Entfernung meist ohnehin nur marginal. Der Hafen von Devonport ist mit einem kleinen Café und diversen, charakteristischen Läden, die Kleidung, Kunst und Bücher im Hafengebäude verkaufen, ausgestattet. Vom Hafen aus führt die elegante Victoria Street in das Viertel hinein und vermittelt bei der Ankunft das Gefühl, am Anfang dieses Stadtteiles angekommen zu sein. Fahre ich meine Destinationen in Māngere Town und East an, steige ich an Bushaltestellen aus, die den Eindruck erwecken, bereits mitten im Wohnviertel zu sein. Nicht nur die Orientierung fällt hier schwerer, auch die Atmosphäre des In-sich-Geschlossenen empfinde ich hier nicht. Die Fahrt über den Hauraki Gulf und das Auffädeln des Stadtteils entlang der vom Hafen hinaufführenden Straßen ist Devonport eigen. Für mich sind die Erfahrungen des Ankommens und Abfahrens hilfreich, um mich in den Stadtvierteln zu orientieren und ihre Charaktere wahrzunehmen. Die gelebten Beziehungen zwischen den Stadtteilen und dem Zentrum, aber auch innerhalb der Wohnviertel, spiegeln sich auch in den Verkehrsanbindungen und routinierten Wege. Tim Ingold schlägt vor, Wege nicht nur als Teile von Orten, sondern diese »entangled pathways« als konstitutive Merkmale zu begreifen (2007: 103). In diesem Sinne werden Orte auch über ihre Wege geschaffen, und erfahrbar. Das ErGehen und Er-Fahren dieser Pfade dient bei der Feldforschung als lokalspezifische Einstimmung (»to become attuned«, Pink 2008: 190).

»And now you’re writing a book about us?«8 Zwischen meinen Forschungsteilnehmer*innen und mir entsteht ein spezifisches Arrangement. Sie nehmen mich nicht nur als Fragende, Lernende und Mitmachende wahr, sondern auch als Repräsentantin, die sie – implizit oder zuweilen explizit – mit der Aufgabe betrauen, ihre Perspektiven und Projekte durch meine Forschung darzustellen und weiterzutragen. Die Kulturanthropologin Barbara Tedlock beschreibt, dass die Repräsentationskrise der Ethnologie das Schreiben als solches viel mehr in den Fokus einer ethnographischen Forschung gerückt hat, »the eye shifted from the ethnos in ethnography to the graphia – the process of writing« (1991: 79). Nicht nur vermitteln meine Partizipant*innen mir ein Bild, das ihren Idealen der Repräsentation entspricht, sondern bringen mir auch das Vertrauen entgegen, ihre Sicht- und Handlungsweisen adäquat wiederzugeben. Tohunga aus dem Garden Club fragt mich bei unserem Abschiedstreffen mit gemischten Gefühlen: »And now you’re writing a book about us?« (Tohunga, EP Māngere East 07.03.2016). Ich höre in ihrer Nachfrage sowohl Vorfreude als auch Besorgnis. Während unserer Treffen werde ich ab und an gefragt, welche Themen 8

Zitat von Tohunga, EP Māngere East 07.03.2016.

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ich in meiner schriftlichen Arbeit aufgreifen werde und welche Schlüsse in diesem Buch zu lesen sein werden. Im Laufe meiner Forschung werde ich mit dem Konfliktpotenzial dieser Situation konfrontiert. Meine Partizipant*innen aus einem Müllreduktionsprojekt in dem privilegierten Stadtteil Māngere Bridge fühlen sich bei der Lektüre eines Textentwurfs für einen gemeinsamen Artikel mit meiner Betreuerin fehlrepräsentiert. Wir diskutieren ihre Kritik per eMail, nehmen ihre Perspektive mit auf, formulieren Textpassagen um, behalten unsere Argumentationslinie jedoch bei. Auch wenn wir diese Bruchsituation über die Distanz versöhnlich auflösen, glaube ich nicht, dass unser Vertrauensverhältnis bei einer erneuten Rückkehr ins Feld unbeschadet geblieben wäre. Nichtsdestotrotz kann ich meine eigenen Standpunkte und Interpretationen nicht zugunsten der Ansichten meiner Partizipant*innen verstellen und damit meine Analyse verfälschen – ich kann diese Divergenzen aber sichtbar und für die Leser*innen nachvollziehbar machen. Mich hat diese Erfahrung sensibler gemacht; auch wenn andere Forschungsteilnehmer*innen sehr positiv auf die Texte reagieren, die ich ihnen zur Durchsicht zur Verfügung stelle. Ich schließe mich Didier Fassins Herangehensweise an, der in einem anderen Zusammenhang für die soziologisch und historisch kontextualisierte Darstellung von polyphonen Perspektiven plädiert. Statt Meinungsvielfalten auf eine dominante Position herunterzubrechen, argumentiert Fassin für die bewusste und fundierte Repräsentation multipler Standpunkte (2013: 376).9 Die »division of field and desk« beschreibt der Sozialanthropologe David Mosse als anti-sozial. Der »exit« aus dem Feld könne bedeutsamer sein als der »entry« (2006: 936): »And as other boundaries fade, it is often the detachment of writing itself that has become the primary mode of exit.« (ebd.: 937). Mosse erläutert, dass das Schreiben längst ein Teil des Feldes geworden sei. Ethnographische Texte sind den Partizipant*innen zugänglich und werden von ihnen ebenso rezipiert wie von Kolleg*innen: »When desk collapses into field, something important has changed in the structure of ethnographic practice. We are starkly confronted with the essentially relational nature of anthropological knowledge, no longer an object in our possession. That is to say, what anthropologists know is inseparable from their relationship with those they study.« (ebd.: 937) Da ich meine Dissertation in deutscher Sprache verfasse, sind meinen Forschungsteilnehmer*innen nur Aufsätze oder englischsprachige Zusammenfassungen, die

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Fassin formuliert seinen Ansatz hinsichtlich unvereinbarer Sichtweisen auf Ereignisse in seinem Feld, die von Jugendlichen in einem Pariser Banlieue ganz anders interpretiert werden als von der Polizeistreife, mit welcher Fassin patrouilliert. Ich halte seine überzeugende Argumentation auf das Verhältnis von Forscher*innen und Partizipant*innen übertragbar.

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ich in unterschiedlichen Forschungsetappen für sie anfertige, verfügbar. Für mich ist es wichtig, ihr Feedback zu erhalten, mit meinen Sichtweisen abzugleichen und in meine Verschriftlichungen einzubinden. Das ethnographische Schreiben überführt die lose Forschung in einen gegenständlichen Rahmen. Beobachtungen werden zu Erkenntnissen und als Ergebnisse in einer wissenschaftlichen Arbeit präsentiert. Fassin bezeichnet die Veröffentlichung empirischer Forschungen als »public afterlife of ethnography« (2015a). Dabei obliegt es mir als Forscherin, mein empirisches Material mit geeigneten Analysewerkzeugen aufzuarbeiten und in einen passenden, theoretischen Kontext einzufügen. Ich trete nicht als neutrale Autorin auf, die objektive Daten vorlegt, sondern begründe mein Forschungsinteresse, meine Erkenntnisse und Ergebnisse im Rahmen des höchst subjektiven »fieldwork encounters«, der sich zwischen meinen Partizipant*innen und mir im Sinne einer »embodied lived experience« aufspannt (vgl. Tedlock 1991: 78). Beobachten ist nicht mit Objektivieren gleichzusetzen, wie Ingold ausführt: »For to observe is not to objectify; it is to attend to persons and things, to learn from them, and to follow in precept and practice.« (Ingold 2014: 387). Intersubjektive Erfahrungen, die sich aus dem fragilen Zusammenspiel einer raum-zeitlich spezifischen Situation und Konstellation ergeben, präsentieren keine Wahrheiten oder Unwahrheiten, sondern dichte Beschreibungen (vgl. Spittler 2014). In diesem Sinne stellt sich ethnographisches Wissen nicht als fertige Substanz oder als in sich geschlossenes Objekt, sondern als soziales Phänomen dar: »In consequence, knowledge has become – and must be – acknowledged (implicitly, at least) as relational, both in the sense that it attaches itself to relations between people or between people and objects and in the sense that it emerges within a dialogical field.« (Hastrup 2004: 456) Allein schon die Auswahl einzelner Fallstudien und das Aussortieren anderer ist ein wesentlicher Schritt, der darüber entscheidet, welche Teile meines Feldes ich sichtbar mache. Zu diesem Aspekt führt Kirsten Hastrup aus: »It is reductive because it renders empirical complexity and messiness in clear, but therefore also more limited, propositions about the world. It is selective, because for it to be knowledge it has to disregard some information.« (2004: 456) Das Schreiben ist stets eine Auslese, eine Reduktion und letztlich eine Exklusion, die auch politische Implikationen hat. Was ich benenne und was ich ungesagt lasse, entscheidet über die Repräsentationsmacht einzelner Akteur*innen, Organisationen und Sachverhalte.10 Ethnographien sind immer Darstellungen des »Anderen«, 10

Hinsichtlich kritischer Verhältnisse auf der Polizeistreife eines Pariser Banlieues, konstatiert Didier Fassin: »[…] by looking away from them or simply by not having access to them, one renders them possible.« (2013: 376).

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und diese Repräsentation ist mit einer Machtposition verbunden. Dieses Machtungleichgewicht erfordert eine kritische Reflexion (Reed Danahy 2001: 407). Vorannahmen und Zwischenergebnisse müssen ständig kritisch überprüft und hinterfragt, eigene Erwartungshaltungen und Positionen erkannt und mit den Beobachtungen im Feld abgeglichen werden. Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, diskutiere ich meine Forschung mit unterschiedlichen Akteur*innen im Feld und in meinem wissenschaftlichen Umfeld in Auckland und München. Durch die Strukturierung meiner Forschungszeit in zwei kurze (2,5 – 3 Monate) und eine lange (6 Monate) Periode ist es mir möglich, durch die räumliche Distanz und den inhaltlichen Input aus der Forschungsgruppe mit frischen Perspektiven auf meine Forschung zu blicken. Durch das zweimalige Rückkehren ins Feld ist mir nicht nur bewusst geworden, wie sehr ich mich bereits in Auckland eingefunden habe und wie gerne ich die Menschen und Orte wiedersehe, sondern auch, wie sehr sich mein Blick verstellt, wenn ich ein halbes Jahr zuhause in meinem universitären Umfeld verbracht habe. Die anfangs noch sehr vagen Ideen, wie ich meine Dissertation schreiben werde, habe ich nach den Reflexionsphasen zum Teil mit meinen Akteur*innen aus dem Feld geteilt, um ihre Meinungen darüber zu erfragen. Ferner hat mir die AUT Auckland in jeder Forschungsphase neben einer persönlichen Betreuung im Social Sciences Department die Möglichkeit gegeben, mein Forschungsinteresse und erste Ergebnisse in Kolloquien zu präsentieren und zu diskutieren. Meine Referate auf einer anthropologischen und einer soziologischen Jahreskonferenz in Aotearoa Neuseeland haben dazu beigetragen, meine Ideen und Thesen vor einem lokalen Fachpublikum vorzutragen und entsprechendes Feedback in den Forschungsprozess zu integrieren. Kurz bevor ich abreise, besucht meine Betreuerin mich im Feld und lernt einige meiner Akteur*innen vor Ort kennen. Wir führen gemeinsam Interviews, suchen meine Hauptforschungsgebiete auf und diskutieren Eindrücke und erste Erkenntnisse. Auch wenn unser gemeinsamer Aufenthalt aus organisatorischen Gründen sehr kurz ist, kommt diese geteilte Felderfahrung der Erweiterung meiner Perspektive zugute. Das gemeinsame Forschen schlägt sich auch in dem gemeinsamen Verfassen von Artikeln nieder (Dürr/Fischer 2018; Fischer/Dürr 2020). Im Sinne der Grounded Theory habe ich die Phasen der Datenerhebung, Analyse, Reflexion und Diskussion ineinander verwoben (vgl. Breuer 2009: 39). Über ihre Gleichzeitigkeit konnten sich die Forschungsschritte gegenseitig befruchten und die Fragestellung immer wieder aufs Neue schärfen (vgl. Strübing 2008; Mey/Mruck 2007: 12). Die Einbettung meines Projektes in eine interdisziplinäre Forschungsgruppe wirkt sich auch wesentlich auf meine Methodik aus. Vor allem die Konzipierung des Vorhabens orientiert sich in den Anfängen sehr an den Diskussionen und Entscheidungen, die im Forschungsgruppenkontext verbindlich werden, aber auch meine Schreibphasen sind von den gemeinsamen Lektüren und Besprechungen geprägt, die sich wie ein theoretischer Schirm um meine Auswertungen aufspan-

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nen. Analyselinsen, die für die Beantragung des Gruppenprojektes bereits vorgestellt, diskutiert und verschriftlicht werden, haben meinen Blickwinkel bereits vor meiner ersten Feldforschung beeinflusst und ein Augenmerk auf im gemeinsamen Erkenntnisinteresse der Gruppe stehende Phänomene gelenkt. Die im zweiten Kapitel thematisierten Perspektivierungen modellieren meinen Blick auf die örtlichen Begebenheiten und lenken mein Interesse auf bestimmte Gruppen und somit Ansprechpartner*innen, aus welchen sich mein Feld konstituiert. Dass Probleme und Zwischenergebnisse in regelmäßigen Abständen in einer interdisziplinären Gruppe diskutiert werden, ist sowohl für die Reflexion meiner eigenen Methodik als auch für die theoretische Rahmung meiner empirischen Erfahrungen fruchtbar. Die gemeinsame Arbeit ist von dem Anspruch geprägt, unsere Einzelprojekte im Sinne einer Extended Case Study (Burawoy 2009) zu einem übergeordneten Erkenntnisinteresse zusammenzuführen. Gerade für die Analysephasen empfinde ich die Interdisziplinarität als Vorteil. Dass Kolleg*innen aus Geographie und Architektur Exzerpte und Karten, die ich aus dem Auckland Plan vorlege, mit ihrem disziplinären Raumverständnis interpretieren, ist für mich gewinnbringend, um einen anderen Blick für die mit dem Auckland Plan verbundenen Prozesse zu erlangen. Auch wenn ich in den thematischen Kapiteln dieser Arbeit keinen expliziten Bezug auf die Forschungsgruppe nehme, hätte sich meine Forschung und die vorliegende Verschriftlichung in eine andere Form gegossen, wären sie im Rahmen eines Individualprojektes entstanden. Wie sich in gemeinsamen Workshops, Klausuren und Tagungen zeigt, stellt meine Forschung ein Teilprojekt dar, das in einem wertvollen Wechselverhältnis zur Forschungsgruppe steht.   Nicht nur, was ich schreibe, sondern auch wie ich schreibe, hat einen erheblichen Einfluss auf die Rezeption meiner Partizipant*innen. Für mich ist es wichtig, mit meiner Arbeit, die sich zwischen zwei kontrastierenden Stadtteilen bewegt, keine etablierten Hierarchien und Stereotype zu reiterieren. Daher habe ich mich auch dagegen entschieden, meine Kapitel entlang einer Vergleichslinie zwischen Devonport und Māngere East aufzufädeln. Vielmehr will ich den scharfen Kontrast in der Darstellung überwinden und übergeordnete, urbane Themen aus unterschiedlichen Perspektiven reflektieren. Dabei möchte ich die Differenzen zwischen den Stadtteilen nicht glätten oder leugnen, sondern als spezifische Kontexte herausstellen, in welchen meine Beobachtungen verstanden werden müssen. Sozioökonomische und kulturelle Unterschiede sind gelebte Realitäten in den Vierteln und können nicht einfach übergangen werden. In meiner Darstellung dienen diese als Hintergrundwissen, um zu begreifen, wie Prozesse entstehen und mit spezifischen Bedingungen interagieren; nicht aber, um sie erneut in den Vordergrund zu rücken, als »Allround«-Erklärung zu bemühen und etablierte Bilder der Stadtteile zu reproduzieren. Was in den Vierteln geschieht, entsteht und sich se-

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dimentiert, ist wesentlich komplexer als eine Reduktion auf Dichotomie-Paare wie reich-arm, heterogen-homogen oder ähnliches. Es ist mein Anspruch, meine Erfahrungen und Erkenntnisse im Feld von unterschiedlichen Seiten zu beleuchten. Gerade der in weiten Teilen noch geltende, dominierende Konsens über Umweltschutz als positive Praxis motiviert mich, diesen kritisch zu betrachten und hinsichtlich darin offensichtlich oder verdeckt implizierter Exklusionen, Hierarchien und Ungleichheiten zu untersuchen. In diesem Zusammenhang orientiere ich mich an Fassin: »Hence the propensity of critical ethnography to ›unsettle‹. But the uneasiness it provokes is not an obstacle to knowledge or action: it is their condition.« (Fassin 2013a: 125). Ohne mich als neutrale Beobachterin präsentieren zu wollen und zu verschweigen, dass ich und so auch meine Erkenntnisse von persönlichen Meinungen und Werten geprägt sind, liegt es mir fern, hier gewisse Praktiken als richtig und gut oder gegenteilig darzustellen. Ich möchte meinen Untersuchungsgegenstand vielmehr von unterschiedlichen Perspektiven betrachten, Widersprüche, Mehrdeutigkeiten und Komplexitäten einer als gemeinhin gut begriffenen Praxis herausstellen, im Sinne eines »displacing the lines of the obvious« (ebd.: 123). Dabei stimme ich Didier Fassin zu, dass »the role of the anthropologist was not to take sides but to account for what seemed to many both incomprehensible and reprehensible.« (ebd.: 122). Wenn ich Praktiken meiner Partizipant*innen hinterfrage, ist dies kein Ausdruck von mangelndem Respekt, sondern vielmehr von einer Wertschätzung, die aufzeigt, dass ich meine Teilnehmer*innen und ihre Sichtweisen ernstnehme.

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4. »I talk about the weediest city in the world«1 Weeding, Caring und Beziehungen zu Anderen

Declare or Dispose Als ich im September 2012 zum ersten Mal nach Aotearoa Neuseeland einreise, bin ich überrascht über die vielen Schilder, Informationsblätter und Durchsagen, die mich ständig darauf hinweisen, dass jeglicher Import von Pflanzen- und Tiermaterial mit hohen Geldstrafen geahndet werde. Bereits als Passagier im Flugzeug werde ich darüber aufgeklärt, dass selbst ein vergessener Apfel im Rucksack mit 400 NZD sanktioniert und mein Handgepäck daher noch einmal gründlich zu untersuchen sei. Auf meiner Passenger Arrival Card werden die verbotenen »risk goods« aufgelistet. Nicht nur Lebensmittel fallen unter die Risikogüter, sondern ebenso Outdoor-Kleidung, Rucksäcke und Schuhe, die im Ausland benutzt wurden. Der Weg zur Passkontrolle führt an unübersehbaren Bannern vorbei, die zum Beispiel »BIOSECURITY NEW ZEALAND. NEW ZEALAND, IT’S OUR PLACE TO PROTECT.« titeln. Über jedem einzelnen Abfalleimer ist ein Schild angebracht, auf welchem Nüsse oder Bananen abgebildet und mit »DECLARE OR DISPOSE« unterschrieben sind. Und schließlich passiere ich die finale Aufforderung vor der ersten Kontrolle – in dicken, schwarzen Lettern steht hier auf stechend gelbem Hintergrund »LAST CHANCE TO DECLARE OR DISPOSE«. Die bei der Gepäckkontrolle eingesetzten Hunde sind darauf trainiert, pflanzliches und tierisches Material zu riechen und ergänzen als »biosecurity detectors« Röntgenbild und manuelle Taschenkontrolle. Die Sicherheitsmaßnahmen am Flughafen basieren auf dem Biosecurity Act 1993, der »exclusion, eradication, and effective management of pests and unwanted organisms« regelt und 2012 im Rahmen der Biosecurity Act Reform nochmals abgeändert wurde (New Zealand Legislation o.D.). Dabei geht die Biosicherheit natürlich über die Kontrolle eingeführter Güter hinaus und ist nicht nur an Landesgrenzen relevant, sondern in der praktischen Alltagsroutine.

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Zitat von Yvonne, einer in mehreren Umweltschutz- und Weedingprojekten engagierten Aktivistin (Yvonne, I Mount Albert 02.11.2012).

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In diesem Kapitel arbeite ich heraus, wie Beziehungsideale zu Anderen bei städtischen Weeding-Praktiken konzipiert und umgesetzt werden. Mich interessiert, wie sich das gute Subjekt als ethisches »caring subject« konstituiert und körperlich-affektiv dynamisiert. Dabei werde ich die von meinen Gesprächspartner*innen formulierten und praktisch durchgesetzten Ideale des guten Lebens in der Stadt aus der Perspektive einer Ethics of Care und gelebte Beziehungsideale in ihrer Ausprägung als caring relationships beleuchten. Nicht zuletzt da Umweltschutz in der englischen Sprache häufig mit »environmental care« bezeichnet wird, begegnet mir dieses Vokabular immer wieder in meiner Feldforschung. Die Politikwissenschaftlerin Joan Tronto und die Erziehungsphilosophin Bernice Fisher definieren das Konzept Care als »[…] a species activity that includes everything that we do to maintain, continue and repair ›our world‹ so that we can live in it as well as possible. That world includes our bodies, our selves, and our environment, all of which we seek to interweave in a complex, life sustaining web« (Tronto/Fisher in Tronto 1993: 103) Care lässt sich nur teilweise übereinstimmend mit Sorge oder Kümmern übersetzen, daher werde ich den englischen Begriff weitgehend beibehalten. Das komplexe Care-Netz wird in vier verschiedene Aspekte der Fürsorge aufgefächert, die Tronto wie folgt erklärt: »Caring about involves recognizing the need for care in the first place. Caring for involves assumption of responsibility for the caring work that needs to be done. Caregiving is the actual work of care, and care receiving is the response of the thing or person cared for.« (2006: 6, eigene Hervorhebungen) Die STS-Wissenschaftlerin María Puig de la Bellacasa liest in dieser Definition »an ›integrated‹ act of care«, der affektive und ethische Dimensionen der Fürsorge betont (2017: 4). Der Philosoph Maurice Hamington und die Sozialwissenschaftlerin Dorothy Miller verstehen Care als »relational approach to morality born out of the notion that human beings are not simply independent rational agents« (2006: xxi). In der Literatur wird Care oft mit Justice, also Gerechtigkeit, kontrastiert. Die Sozialphilosophin Virginia Held formuliert diesen Gegensatz explizit: »An ethic of justice focuses on questions of fairness, equality, individual rights, abstract principles, and the consistent application of them. An ethic of care focuses on attentiveness, trust, responsiveness to need, narrative nuance, and cultivating caring relations. Whereas an ethic of justice seeks a fair solution between competing individual interests and rights, an ethic of care sees the interests of carers and cared-for as importantly intertwined rather than as simply competing. Whereas justice protects equality and freedom, care fosters social bonds and cooperation.« (2006: 15)

4. »I talk about the weediest city in the world«

Wenngleich diese Differenzierung die Abgrenzung zwischen Care und Gerechtigkeit sehr glatt definiert und hybride, ineinander greifende oder sich überschneidende Bereiche zunächst ausklammert, macht sie den an Relationalität orientierten Fokus einer Care-Ethik sehr deutlich. Dieses Ideal, sich miteinander in Beziehung zu setzen, begegnet mir in der städtischen Umweltdebatte sehr häufig. Viele meine Akteur*innen möchten Communities in der Stadt kreieren und fassen Gemeinschaftlichkeit als wesentliches Merkmal urbaner Lebensqualität auf. Diese Perspektive spiegelt sich auch in den in der ganzen Stadt verbreiteten – und zum Teil auch städtisch geführten – Community Gardens und Community Centres in den verschiedenen Stadtvierteln wider (siehe Kapitel 2). Bei unseren Weeding-Treffen erzählen mir meine Interaktionspartner*innen, dass sie die gemeinsame Arbeit auch gerade deshalb schätzen, weil sie hier neue Kontakte knüpfen, Freundschaften pflegen und »a small community of like-minded« herausbilden können. Dabei geht es ihnen nicht nur um soziale Beziehungen unter Stadtbewohner*innen, sondern auch um eine spezifische Relation gegenüber Natur und Umwelt. Beim Weeding wird ein körperlich-affektiver Zugang zur städtischen Natur geschaffen. Über das physische Engagement in und mit der Natur wird diese konkret und intim erfahrbar. Nach Virginia Held lassen sich CareBeziehungen als »acting for self-and-other-together« definieren: »Their characteristic stance is neither egoistic nor altruistic; these are the options in a conflictual situation, but the well-being of a caring relation involves the cooperative well-being of those in the relation and the well-being of the relation itself.« (2006: 12) Care-Praktiken orientieren sich in Helds Ansatz an dem Wohlbefinden der Beziehung und der darin beteiligten Akteur*innen. Daher sprengt der Care-Begriff eine dichotome Kategorisierung und verweist auf die Multidirektionalität und Komplexität der Care-Motivationen. Diese Sorge um Wohlbefinden bedarf immer einer Ausrichtung, die festlegt, um wen oder was sich die Sorgenden kümmern. Über diese Definition erhält das Netzwerk seine Eingrenzung und das Ideal des »selfand-other-together« formiert sich nur bedingt inklusiv. Bei Weeding-Praktiken ist die Orientierung der Care eindeutig: meine Interaktionspartner*innen möchten die native Natur erhalten und vor als invasiv beschriebenen Weeds bewahren. An den Grenzen des »self-and-other-together« wird das Gewaltpotenzial der Care sichtbar. Um die Sorge für die native Natur leisten zu können, werden nicht-native Spezies getötet. Das geschaffene Netzwerk hat klar definierte Grenzen und ein eindeutiges »Außen«. Im Folgenden werde ich diese »caring relationships« beim Weeding als eine Dimension von urbanen Umweltethiken in Auckland näher beleuchten.

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Gegen »Weeds« kämpfen Noch am Flughafen höre ich zufällig das Gespräch eines britischen Paares, das vor mir in der Warteschlange an der Passkontrolle steht. Die beiden etwa 70-Jährigen in grauem Tweed-Anzug und weinrotem Kostüm unterhalten sich über die strikten Auflagen: »Well, I can sort of understand it«, sagt er. »It’s like a cancer – if you do nothing about it, it will grow and grow. It’s not that they are just fearing it, they have witnessed it already here.« Sie erwidert: »Yeah, I think it’s also because the plants here are not used to these other ones. I mean New Zealand is so far away from anything else, they are just not used to have rivalry.« (Conversation, EP Airport 12.09.2012) Als ich diese Konversation in meine ersten Feldnotizen aufnehme, ist mir noch gar nicht bewusst, welchen großen Stellenwert diese Themen in meiner Feldforschung spielen werden. In diesem Unterkapitel stelle ich dar, wie das gute Leben in Vorstellungen über eine native Stadt mit starken Metaphern artikuliert und über körperlich-affektive Praktiken beim Weeding performiert wird. Spätestens seit den 1980er Jahren werden bestimmte Pflanzen in Aotearoa Neuseeland als »Weeds« objektiviert und in formellen Listen klassifiziert (Howell 2008). Ich werde den englischen Begriff beibehalten, da dieser anders als der deutsche Terminus »Unkraut« mit dem Nativitätsdiskurs im neuseeländischen Kontext konnotiert ist. Die als invasiv bezeichneten Spezies sollen inzwischen gut die Hälfte der neuseeländischen Flora ausmachen und werden zunehmend als Bedrohung für die native Natur wahrgenommen. Aktuell sind neben mehreren inoffiziellen Verzeichnissen sechs offizielle Listen im Umlauf, die unterschiedliche Maßstäbe für die Kategorisierung der gelisteten Pflanzen anlegen. Dabei ist die Definition eines Weeds nicht konkret festgelegt; bei einem der ersten Berichte aus dem Jahre 1983 werden folgende Kriterien angeführt: Bedrohung für native Pflanzenarten, Verhinderung des Samenwachstums und schnelles Wachstum, das native Pflanzenarten unterdrückt (Howell 2008: 7). Der Biologe Ian Atkinson spezifiziert Weeds in seiner Studie als »[…] either an alien or indigenous species introduced (i.e. adventive) to an island where it is capable of establishing a self-perpetuating population that disrupts the structure and functioning of the indigenous communities it invades« (1997) Mit der Etablierung des Department of Conservation (DOC) werden im Jahre 1987 erstmals offizielle Weeds-Listen geführt, die den Status der Pflanzen näher beschreiben. Damit werden die Spezies bewertet, um die »worst weeds«, also die gefährlichsten und invasivsten, herauszustellen. Potenzielle Gefährder, deren Status noch nicht ausreicht, um sie als »worst weeds« zu klassifizieren, werden in der

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1990 aktualisierten Listung mit einem »p« versehen.2 In einem 1995 erarbeiteten Verzeichnis werden die Weeds erstmals charakterisiert (Timmins/Mackenzie 1995). Zu den Klassifikationsmerkmalen zählen u.a. Wachstumsgeschwindigkeit und Reaktion auf Beschädigung. Das im Jahre 2002 vom DOC veröffentlichte Register zählt 254 verschiedene Weeds auf. Nichtsdestotrotz ist die Differenzierung in native und nicht-native Spezies problematisch. Auch Spezies, welche die Insel vor menschlicher Besiedlung bewohnten, sind teilweise australischen Ursprungs, wie etwa der sinnbildliche Vogel Pukeko, der vor dreihundert Jahren in Aotearoa Neuseeland ankommt. Auch der zum Nationalsymbol stilisierte Kiwi soll erst kurz nachdem sich die neuseeländische Landmasse vor 80 Millionen Jahren aus dem historischen Großkontinent Gondwana herausgetrennt hat, eingewandert sein (Ginn 2008: 349). Der Ethnologe Stefan Helmreich wirft für den hawaiianischen Kontext die Frage auf, ob mit den polynesischen Seefahrer*innen eingeführte Spezies (»canoe species«) als invasiv oder nativ gelten. Er konstatiert, dass Kategorisierungen sich auch danach richten, wie Akteur*innen, die Spezies einführen, lokal beurteilt werden (2009: 153). Darüber hinaus wird die »Zugehörigkeit« von Natur in dieser Diskussion vereinfacht in einer Dichotomie repräsentiert. Diese binäre Ordnung suggeriert eine unterliegende, statische Struktur von Natur (vgl. Dürr 2007: 5). Das DOC hat »the dirty dozen«, also die gefährlichsten, »feindlichen« Spezies online aufgelistet – in diesem Fall werden dreizehn Spezies vom DOC als Dutzend bezeichnet. Die Pinus contorta gilt zusammen mit anderen wilden Nadelbäumen wie Lärchen, Fichten und Zypressen als »Enemy Number One«. Prognosen zufolge sollen diese Nadelbäume innerhalb von 20 Jahren 20 Prozent der Gesamtfläche Aotearoa Neuseelands bedecken, wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Auf die »dirty dozen« wurde im Rahmen einer Aktion eine Prämie ausgesetzt, die Bürger*innen ermutigen sollte, Sichtungen der betreffenden Pflanzen bis zum 20.08.2017 zu melden und bis zu 100 NZD zu gewinnen (DOC o.D. c). Dass die als feindlich konzipierten Spezies als »dirty« gelten, verweist auf ein spezifisches Bedeutungssystem. Eingeführte Spezies als schmutzig zu definieren, erweitert das Bedeutungsspektrum der unerwünschten Arten – sie sind nicht nur invasiv, mächtig und gefährlich, sondern auch dreckig. Schmutz wird kulturell häufig mit Armut und moralischer Unterlegenheit verknüpft und spiegelt die Auseinandersetzung mit Alterität wider (Douglas 1980). Obwohl Douglasʼ Ausführungen in »Purity and Danger« (1980) komplexe Gesellschaftsdynamiken, multiple Machtbeziehungen und koexistierende Ordnungen unterrepräsentieren, ist ihr Gedanke,

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Dieses Register benennt mit der Muehlenbeckia australis zum ersten Mal eine als nativ klassifizierte Pflanzenart als »potential weed« (Howell 2008: 8). Damit wird die ohnehin uneindeutige Dichotomie zwischen »nativer« und »invasiver« Spezies aufgebrochen.

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Reinheit als soziales Instrument in Gesellschaften zu betrachten, fruchtbar (Duschinsky 2016: 6). Insbesondere in Aotearoa Neuseeland, wo Reinheit als nach außen repräsentiertes Ideal wirkt, entfalten sich die »dirty dozen« als massiver Gegenpol. Vier Wochen nach meiner Ankunft in Auckland komme ich durch eine Internetrecherche mit einer überregional arbeitenden Umweltorganisation in Kontakt, die sich mit unterschiedlichen Naturschutzprojekten, vor allem aber mit Weeding befasst. Freiwillige werden eingeladen, sich alle 14 Tage in einem anderen Park gegen Weeds zu engagieren. Dabei handelt es sich nicht um städtische Parks im herkömmlichen Sinne, sondern um Naturreservate, die nicht primär als Destinationen für urbanes Flanieren und Picknicken genutzt werden. Oftmals findet Weeding auf entlegenen, zum Teil verwilderten Wiesenflächen in Industriegebieten statt. Am darauffolgenden Dienstag stehe ich um 8.00 Uhr morgens im Büro der Organisation, um schriftlich zu bestätigen, dass ich körperlich gesund bin und die Telefonnummer meiner Mitbewohnerin für den Notfall zu hinterlassen. Doreen von der Verwaltung lächelt mich an, als sie das Dokument entgegennimmt: »No worries. Normally nothing happens, it’s just for legal reasons.« (Doreen, EP Mount Eden 16.10.2012). Wir sind eine Gruppe von zehn Freiwilligen, die sich an diesem Morgen in Mount Eden versammelt haben. Mount Eden ist ein mittelständischer Vorort im zentralen Auckland. Der Namensgeber und Vulkan des Viertels, Maungawhau bzw. Mount Eden, bietet einen tiefen Krater und einen spektakulären Ausblick, der viele Tourist*innen anzieht. Doreen holt Windjacken aus dem Lager und packt Sicherheitswesten, Handschuhe und Gummistiefel in einen weißen VW-Bus vor der Haustüre. Laut Ankündigung sollen wir um 16.00 Uhr wieder zurück in Mount Eden sein, nach einem Arbeitstag von acht Stunden mitten unter der Woche. Wir steigen alle ein und fahren etwa eine halbe Stunde zum Park dieser Woche. Außer mir sind noch zwei weitere »Newcomer« dabei, die zum ersten Mal teilnehmen. Yvonne, die ich über meine Neuseelandreisen hinweg immer wieder treffe, ist unsere Gruppenleiterin und in mehreren Umweltorganisationen aktiv. Eric arbeitet für das Auckland Council und wählt jede Woche aus, in welchem Park dieses Mal gearbeitet wird. Die Zusammenarbeit zwischen der Umweltgruppe und dem Stadtrat ist eng, die Mitarbeiter*innen kennen sich sehr gut und erzählen mir, dass sie schon seit langem in unterschiedlichen Projekten zusammenarbeiten und die fruchtbare Kooperation schätzen. »We are happy to have him«, sagt Yvonne, als wir losfahren (Yvonne, EP Mount Eden 16.10.2012). Die Fahrt führt uns an Autowerkstätten und Fabriken vorbei. Die meisten Landschaften, die ich zum Weeden in Auckland aufsuche, befinden sich in sehr entlegenen Gebieten, die mit öffentlichem Nahverkehr nur schwer zu erreichen sind. Es handelt sich nicht um für urbane Erholung definierte Parks, sondern vielmehr

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um »vergessene« Orte3 , die von den meisten Bewohner*innen gar nicht als städtische Areale empfunden werden. Anders als in zentral gelegenen Stadtgärten finden sich hier nur selten Besucher*innen ein. Es gibt weder einladende Parkbänke noch Blumenbepflanzung. Meine Interaktionspartner*innen planen auch nicht, mittels Weeding attraktive Parks zu kreieren – sie sind sich bewusst, dass sich die randständigen Gebiete auch nach regelmäßigem Bearbeiten nicht zu innerstädtischen Destinationen herausbilden würden. Die meisten Aucklander*innen wissen gar nicht, dass hinter und zwischen Industriegebieten weitläufige Wiesen liegen, die im Besitz des Auckland Councils sind. Weeding wird als Hinwendung zur Stadt verstanden: über das körperliche Engagement auf Aucklands Wiesen gestalten die Akteur*innen ihre Stadt dem nationalen Ideal nativer Natur entsprechend um. Der urbane Raum repräsentiert trotz oder gerade aufgrund seines städtischen Charakters nationale Naturideale und wird selbst zur Fläche nativer Natur. Weeding formiert sich hier zu einer städtischen Umweltpraxis und soll zu einer Verbesserung der Metropole beitragen. Auf einem etwas verwildert wirkenden Parkplatz angekommen, legen wir unsere Ausrüstung – Windjacke, Warnweste, dicke Gartenhandschuhe – an und nehmen uns Geräte wie Hacken, Scheren, Schaufeln aus dem Kofferraum. Yvonne und Eric erklären uns motiviert, mit welchen Instrumenten wir welche Aktivitäten unternehmen können und was es auf der heutigen Grünfläche zu tun gibt. Die Basis des Weeding ist, nicht-native von nativen Spezies zu unterscheiden, was mir enorm schwerfällt. Immer wieder bitte ich Yvonne oder Eric um Hilfe, wenn ich ein Gewächs nicht eindeutig identifizieren kann. Oft sind es nur kleine Details, die mir an diesem Tag kaum unterscheidbar erscheinen. Wir bemühen uns, die Pflanzen samt Wurzel zu entfernen, was sich zuweilen als sehr anstrengend erweist. Als wir um 12.00 Uhr Mittagspause machen und die mitgebrachten Lunchpakete ausgepackt werden, bin ich schon richtig müde. Ich frage Marco, einen Mitte 30jährigen, breitschultrigen Freiwilligen, warum er zum Weeding kommt. Er lächelt, als er erzählt, dass er schon seit einem halben Jahr regelmäßig mitmache. Für ihn sei Weeding »[…] my small contribution to the greater good. You see all these weeds here and you think about how it looked like centuries ago. I wish we had a bit more of that today. […] Well, you know all these plants don’t really belong to this place and if I can work towards having it more as it used to be before all these other plants came in, I’m happy to do that. New Zealand is special in its biodiversity, it would be a shame if all that special life would go to waste.« (Marco, EP Mount Eden 16.10.2012)

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Yvonne bezeichnet die Orte, die für das Weeding ausgewählt werden, auf der Fahrt als »forgotten places« (Yvonne, EP Mount Eden 16.10.2012).

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Sein Aktivismus beruht offensichtlich auf der Imagination einer spezifischen Vergangenheit, die sich über Aotearoa Neuseelands Artenreichtum definiert. In diesem Zusammenhang spielt die nationale Geschichte des Landes eine zentrale Rolle und spiegelt sich in städtischen Landschaftsidealen der Gegenwart wider. Dass die zu 95 Prozent bewaldete Landfläche in enormem Ausmaß gerodet, verändert und bestellt wurde, ist ein Grund für wehmütige Romantisierungen einer idealen Landschaft in Aotearoa Neuseeland. Nicht zuletzt, weil ein Großteil der nativen Flora und Fauna endemisch ist und war – und damit als weltweit einmalig und schützenswert konzipiert wird. Als der Naturforscher Joseph Banks Captain Cook 1769 begleitete, erkannte er nur vierzehn der ersten vierhundert Pflanzenarten, die er untersuchte. 89 Prozent der einheimischen Flora sind endemisch (Crosby 2015: 220). Die geographische Lage, die Absenz von Säugetieren und die späte menschliche Besiedlung stellten hervorragende Bedingungen für flugunfähige Vögel, Reptilien und Insekten dar (Ginn 2008: 335). Im Jahr 2013 sind noch etwa 20 Prozent der Landmasse bewaldet. Massive Waldrodungen werden bereits im 11. Jahrhundert unter polynesischer Besiedlung vorgenommen und in der Kolonialzeit enorm forciert, um die fruchtbaren Inseln landwirtschaftlich zu bestellen. Die damalige Landschaftsgestaltung spiegelt das romantisierte, rurale England wider und basiert vor allem auf dem Anspruch, möglichst großflächig Landwirtschaft zu betreiben. Einem industriell-technologischen Ideal folgend werden Farmen und Städte aufgebaut, um die neue Welt zu »zivilisieren« und die Landschaft in eine saubere und produktive zu transformieren. Nach dem Ideal des englischen Landschaftsbildes wurde auch die Einführung exotischer Spezies als Bereicherung der lokalen Flora und Fauna konzipiert. Kolonialisierung ist untrennbar mit einer spezifischen Idee der Kultivierung verbunden. Native Pflanzenarten werden von ankommenden Siedler*innen zunächst als »uncultivated native« gesehen, die es mit der eigenen Kultur zu überformen gilt (vgl. Mastnak/Elyachar/Boellstorff 2014: 367). Heute konkurriert Auckland mit Honolulu um den Status der unkrautreichsten Stadt der Welt (Cumming 2009). Das Nativitäts-Ideal schlägt sich auch deutlich im Umgang mit Säugetieren nieder. In der Kolonialzeit wurde zum Beispiel das für den Pelzhandel gezüchtete Possum eingeführt, das inzwischen massiv bekämpft wird (vgl. Fischer 2017). Das Department of Conservation hat unterschiedliche Aktionen ins Leben gerufen, um auf die problematisierten Weeds aufmerksam zu machen und um das Engagement der Bürger*innen und Communities zu werben. Auf ihrer Homepage bedient sich die Institution eindeutiger Kriegsmetaphern: »If we are to preserve our natural landscapes and native species, we have to fight a ›War on Weeds‹.« (DOC o.D. d). Bürger*innen werden aufgefordert, zu »weed busters« und »weed warriors« zu werden. Kinder werden ermutigt, ihren Garten und ihre Nachbarschaft zu erkunden und sich einer »Kiwi Guardians Medal« verdient zu machen, indem sie mindestens drei unterschiedliche Weeds identifizieren und beschreiben,

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wie sie gegen diese »invasive species« vorgegangen sind. Online veröffentlichte Listen mit Bebilderung und Beschreibung sollen bei der Detektion helfen, denn: »Take a good look at what’s growing in your garden and in local areas around you – and don’t be fooled by good looks. Even pretty plants can be problem weeds.« (DOC o.D.). Viele der inzwischen als Weeds betrachteten Pflanzen sind blühende Gartengewächse, die aus ästhetischen Gründen angebaut wurden, nun negativ bewertet (»their weedy habits have made them more trouble than they are worth«) und als »good plants gone bad« bezeichnet werden (Weedbusters o.D. b). Dass die Gebiete um städtische Ballungsräume am meisten Weeds aufweisen, wird als Folge einer exotischen Gartenästhetik betrachtet. Ferner begünstigt das feuchtwarme Klima Aucklands die Wachstumsbedingungen (Sullivan et al. 2009: 61). Auf der vom DOC initiierten Website »Weedbusters« können Kinder ihre Kompetenzen in der Unkraut-Klassifizierung in einem Quiz testen und sich als »Weed Buster« registrieren, um ein eigenes Logo, exklusive Informationen, Newsletter und die Chance auf einen »Weedbuster Award« zu erhalten (Weedbusters o.D. c). Unter der Rubrik »Weedbusters near you« können Verbindungen mit Unkrautjäter*innen im eigenen Wohngebiet aufgenommen und ein Netzwerk geschaffen werden (»Spread the word… not the weeds!«, Weedbusters o.D. a). Dabei verweist das DOC auf die Dringlichkeit des Problems, das unbedingt einen gemeinsamen Einsatz gegen die Weeds erfordert: »Controlling weeds is an important part of conservation work, and unless everyone plays their part in stopping the spread of weeds we will be fighting a losing battle.« (DOC o.D. a). Bewohner*innen werden als Einzelne aufgerufen, sich an dem Kampf zu beteiligen. Daher bietet das DOC auch einen »Natural Heritage«-Onlinekurs an, der aus drei zweistündigen Modulen über »key biodiversity principles, ecological processes and management processes« besteht (DOC o.D. b). Unter dem Slogan »Working together to protect New Zealand« werden Bürger*innen auf der Homepage aufgefordert, sich aktiv gegen invasive Spezies einzusetzen: »It costs councils, government departments and private landowners millions of dollars, and volunteers and community groups thousands of unpaid hours, to control these weeds every year – but they can’t do it on their own.« (Weedbusters o.D.) Die Organisation fordert Individuen auf, sich in Gruppen zusammenzuschließen, um sich gemeinsam an den Weeding-Maßnahmen zu beteiligen. Die Bekämpfung von Weeds korreliert in diesem Zusammenhang mit dem Schutz Aotearoa Neuseelands und ist dadurch sehr prominent positioniert. Mit dieser Anrufung werden Einzelne zu Verantwortungsträger*innen, deren Unterstützung notwendig ist, um den gemeinsamen »Kampf« für Aotearoa Neuseeland zu gewinnen. Noch eindeutiger formuliert ein Artikel der Tageszeitung The New Zealand Herald die Verbindung zwischen Weeding und Schutz der Nation, in dem Leser*innen motiviert werden, sich der lästigen Gartenarbeit für ein übergeordnetes Ziel anzunehmen:

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»Tell yourself you’re not labouring just to spare your blushes when you host your first barbie – you are saving the countryside. Gain strength from the thought that you are part of an underground army, digging for victory.« (Cumming 2009: o.S.) Weeding formiert sich zu einem nationalen Projekt, zu einem bewaffneten Kampf gegen »space invaders, ticking time bombs and slow-burning fires«, um Aotearoa Neuseelands native Natur zu erhalten (Cumming 2009). Laut Cumming seien über 20.000 exotische Spezies auf den Inseln eingeführt worden. Davon sollen sich bereits 2200 in der Wildnis etabliert haben, von welchen wiederum 500 als Schädlinge kontrolliert werden. Hochrechnungen zufolge verwildert alle 39 Tage eine exotische Spezies und stellt eine potenzielle Gefahr für die native Flora dar (Cumming 2009). In diesem Diskurs werden solidarische Beziehungen eingefordert, die sich aktiv gegen äußere Bedrohungen richten. Sich um die städtischen Flächen zu kümmern, heißt hier, die als von außen kommend und bedrohlich konzipierten, eingeführten Spezies zu bekämpfen und durch native Pflanzenarten zu ersetzen. Für das Umsetzen dieses problematischen Care-Ideals werden solche Beziehungen hervorgehoben, die sich durch Zusammenhalt und Kampfbereitschaft auszeichnen. In Auckland verdichtet sich die nationale Initiative zu einem urbanen Projekt für eine bessere Stadt. Das Spannungsfeld, in welchem sich die einzige Metropole eines als Naturparadies repräsentierten Staates befindet, wird in diesem Beziehungsgeflecht sichtbar. Städtisches Weeding stellt sich als urbane Praxis für ein nationales Ideal dar. Auf für ganz Aotearoa Neuseeland ausgelegte Vorstellungen wie Isolation, Biodiversität und Nativität rekurrierend inkorporiert der städtische Imperativ nationale Forderungen. Städtisches Weeding kann in diesem Sinne als Praxis verstanden werden, die sich den nationalen Naturdiskurs aneignet. Im Jahr 2015 schließe ich mich einer Umweltgruppe in West-Auckland an, die über eine relativ stabile Teilnehmerschaft verfügt. Als sich die Gruppe nach einer mehrstündigen Weeding-Session bei hausgemachter Limonade und Muffins über Wanderwege auf der Südinsel unterhält, denkt Ellen, eine junge Pākehā, die sich zusammen mit ihrer Mutter schon seit einigen Jahren hier engagiert, laut nach: »We have all these beautiful landscapes in New Zealand. And where are we staying? In Auckland. With a few trees in the park.« (Ellen, EP Avondale 23.09.2015). Auckland nimmt hier die Rolle des Gegenpols ein, kontrastiert mit den schönen Landschaften auf anderen Teilen der Inseln. In dieser Wahrnehmung liegt auch die Motivation begründet, sich für Erhalt und Verschönerung der städtischen Natur einzusetzen. Auch wenn die Wiesen, auf welchen wir arbeiten, aufgrund ihrer Abgeschiedenheit kaum als städtisch wahrgenommen werden, bilden sie einen Teil Aucklands und damit ein Stück städtischer Natur, das den Idealen der Ursprünglichkeit entsprechend optimiert werden kann. Bei unseren Treffen dürfen wir selbst aussuchen, in welcher Form wir aktiv werden – ob beim Löcher für die Setzlinge graben, Unkraut jäten oder Mulch auslegen. Um die jung gepflanzten Bäume eb-

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nen wir kreisrunde Schutzzonen mit unseren Fußspitzen, damit der Baum Raum hat und die Weeds fernbleiben. Wir transformieren die Region aktiv, um sie dem Ideal der nativen Natur näherzubringen. Nationale Landschaftsideale werden auf den städtischen Kontext transferiert und wirken auf lokale Vorstellungen des guten urbanen Raumes. Durch Weeding verkörpern wir diese Idealbilder und setzen sie über körperliches Engagement im materiellen Raum um. Eine Woche später sind wir wieder zum Weeding verabredet. Ab und an begegnen mir neue Gesichter in der Organisation. John ist ein junger Stadtplaner und erst vor zwei Wochen aus Kanada nach Aotearoa Neuseeland gekommen. Er möchte mitmachen, weil er die Natur sehr schätzt und etwas zum Erhalt der neuseeländischen Besonderheit beitragen möchte. Mitchell, ein etwa 60-jähriger Pākehā fragt mich, während wir gemeinsam Asparagus aus dem Boden reißen, ob ich diese Arbeit auch zuhause machen würde. Ich verneine und Stefanie, eine Aussteigerin aus der Schweiz, bekräftigt, dass Umweltschutz in West-Europa nicht unbedingt Artenschutz sei. Mitchell wundert sich darüber, dass so viele NichtNeuseeländer*innen hierher reisen, um sich im Umweltschutz zu betätigen: »They all come here for doing just that.« (Mitchell, EP Avondale 23.09.2015). Kopf schüttelnd wendet er sich wieder dem Unkraut zu. Tatsächlich nehmen häufiger Freiwillige teil, die sich auf der Durchreise durch Auckland befinden oder erst seit kurzem in der Stadt leben. Die Umweltgruppe in Mount Eden wirbt aktiv um Tourist*innen, die eine »echte« Erfahrung mit Aotearoa Neuseelands Natur haben möchten. Weeding wird als authentisch lokale Aktivität präsentiert und zieht gerade deshalb Tourist*innen und Aussteiger*innen an, weil sie als explizit neuseeländisch verstanden wird. Die Praxis des Weeding ist eng mit einer verkörperten Erfahrung der lokalen Landschaften verknüpft. Über die physische Arbeit wird eine direkte körperliche Verbindung zur Flora und Fauna vor Ort geschaffen. Die Kerngruppe der regelmäßigen Teilnehmer*innen besteht allerdings ausschließlich aus langfristig in Auckland wohnenden. Die meisten sind Pākehā oder vor Jahren aus Westeuropa immigriert. Als ich mich später mit Stefanie unterhalte, erzählt sie mir, dass sie die Sorge um lokale Natur verstehen könne. Aus europäischer Perspektive möge die Arbeit zunächst merkwürdig erscheinen, sie habe aber schnell begriffen, dass Natur hier »anders« und schützenswert sei. Für sie ist es selbstverständlich, dass sie sich im Zuge ihrer gesellschaftlichen Eingliederung durch ihren Umzug nach Auckland auch für lokalen Umweltschutz einsetzt und die städtische Sorge unterstützt (Stefanie, EP Avondale 23.09.2015). Das Verständnis und der Einsatz für die »Bedürfnisse« der nativen Natur kann in diesem Zusammenhang auch als Merkmal der sozialen Integration verstanden werden.

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Abbildung 9: Weeding-Site in Avondale, West-Auckland 23.09.2015

(Photo: Jeannine-Madeleine Fischer)

Abbildung 10: Bush im westlichen Stadtgebiet, 17.11.2012

(Photo: Jeannine-Madeleine Fischer)

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Zugehörigkeiten aushandeln Mit dieser performierten Lokalität verbinden sich Zugehörigkeiten. Dem Imperativ der Care für native Natur zu folgen, wird zu einem zentralen Aspekt örtlicher Identität. Über ihren persönlichen Beitrag zur lokalen Care bestätigen die Akteur*innen ihre Zugehörigkeit und grenzen sich dabei gleichzeitig von anderen Stadtbewohner*innen ab, die zwar in Auckland wohnen, sich aber nicht für die Natur vor Ort engagieren. In diesem Abschnitt betrachte ich, wie Weeding genutzt wird, um erwünschte Zugehörigkeiten und Verbindlichkeiten im urbanen Raum auszuhandeln und zu bestätigen. In diskursiv und praktisch vollzogenen Abgrenzungen, die über den Umgang mit nativer Natur vollzogen werden, spiegeln sich Ideale guter Beziehungen und Praktiken in der Stadt. Die enge Verbindung zwischen Nationalidentität und nativer Natur wird im neuseeländischen Kontext häufig angeführt (vgl. Bell 1996: 46; Dürr 2007: 5). Cumming zitiert den neuseeländischen Ökologen Peter Williams: »You lose your unique landscapes and you start to lose your national identity. The only way you know whether you are in New Zealand or Argentina is if you hang on to your native stuff.« (2009: o.S.) Nicht nur touristische Werbekampagnen nehmen Bezug auf die diverse Flora und Fauna – Silberfarn, die rote Blüte des Pohutukawa-Baumes und der Kiwi gelten als Nationalsymbole und repräsentieren die Inseln global. Der Geograph Franklin Ginn versteht die enge Verknüpfung von Biodiversität und Nationalidentität als postkoloniale, apolitische Harmonisierung von Māori, Pākehā und Polynesier*innen. Nach Benedict Anderson betrachtet Franklin Ginn das über endemische Natur definierte Identitätsprojekt als »imagined community«, die durch Weeds und andere Schädlinge in ihrer Existenz gefährdet wird (2008: 336). Er sieht in diesem ökonationalistischen Projekt den Versuch, einerseits die Vergangenheit Aotearoa Neuseelands zu ordnen, andererseits aber auch die unter der Kolonialherrschaft massiv betriebenen Landenteignungen zu bereinigen. Über die Formulierung einer gemeinsamen, über native Flora und Fauna definierten Historie werde die gewaltsame Seite der Kolonialzeit weniger sichtbar. Der Schutz nativer Natur als gemeinsames Ziel von Māori, Pākehā und Kiwis im Allgemeinen, wirke sich konsolidierend aus und könne über widerstreitende Ideale und brutale Auseinandersetzungen hinwegtäuschen (2008: 335). Die als gemeinsam und schützenswert propagierte Natur wird hinter die Kolonialzeit zurückdatiert und als verbindlicher Bezugspunkt festgelegt. Dadurch werde die Vergangenheit der Inseln homogenisiert und harmonisiert. Symbolisch könne das Entfernen der in der Kolonialzeit eingeführten Spezies auch als Form der Dekolonialisierung gedeutet werden, über welche versucht wird, koloniale Überformungen der Natur rückgängig zu machen (Mastnak/Elyachar/Boellstorff 2014: 374). Über diese Deutung können Pākehā

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Weeding-Praktiken nutzen, um ihre Sorge um die native Natur und eine Wertschätzung gegenüber materiellen und spirituellen Aspekten der lokalen Umwelt zum Ausdruck zu bringen (Gesing 2016: 270). Damit kann Weeding auch von Akteur*innen genutzt werden, um eigene Einstellungen, Positionen und Identitäten zu artikulieren (ebd.: 286). Über diese körperlichen Praktiken, die von der Sorge für native Natur geprägt sind, können ethische Werte formuliert und nach außen repräsentiert werden. Über die Idealisierung nativer Natur und den Imperativ, diese zu schützen, kann sich gleichzeitig eine Demarkation gegenüber neueren Immigrant*innen vollziehen. Gerade vor dem Hintergrund der jüngsten demographischen Veränderungen in Auckland rücken anti-asiatische Ressentiments in den Mittelpunkt des urbanen Diskurses und artikulieren sich über Naturideale und Umweltpraktiken. Aus Asien eingewanderte Aucklander*innen werden häufig als naturfremd und als im Umgang mit neuseeländischer Natur inkompetent repräsentiert (vgl. Dürr 2010). Die aktuelle Debatte um die städtische Wohnungsbau-Problematik wird von vielen Aucklander*innen oft im Kontext einer aus China einwandernden Elite gesehen, die teure Immobilien aufkaufe und Mietpreise in die Höhe treibe. Viele Aucklander*innen beschweren sich darüber, dass die Stadt nicht mehr »neuseeländisch« und die zentrale Queen Street fast ausschließlich von Asiat*innen frequentiert sei.4 Diese Dichotomisierung ist sehr problematisch. Bei »Asiat*innen«, die aufgrund ihrer physiologischen Merkmale als solche definiert werden, handelt es sich häufig um langjährige Bewohner*innen und Migrant*innen in dritter Generation, die sich selbst als Neuseeländer*innen identifizieren. Im Jahr 2002 gründet sich eine Umweltgruppe, die sich über einen ethnischen Fokus definiert: der Chinese Conservation Education Trust (CCET). Ming, die in den 1990er Jahren von Hongkong nach Auckland gezogen und Gründungsmitglied der Stiftung ist, erklärt mir, dass es wichtig sei, den Immigrant*innen mit ostasiatischem Migrationshintergrund beizubringen, »how to behave in Auckland«. Da sie das Leben in Städten voller Beton und Hochhäusern gewohnt seien, müssten sie erst erlernen, wie es sich in einer naturnahen Stadt lebe. Die Umweltgruppe CCET richtet sich an ostasiatische Immigrant*innen als spezifische Zielgruppe, um den richtigen Umgang mit Natur zu unterrichten. Dabei gehören »walks through the bush«, um die Differenzierung in native und nicht-native Spezies zu erlernen

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Über den anti-chinesischen Diskurs handeln auch neuere Immigrant*innen anderer Herkunft ihre Zugehörigkeiten aus. Als mich Raj, ein 30-jähriger, seit etwa einem Jahr in Auckland lebender Inder, in seinem Auto mit zu einem Treffen nimmt, fragt er mich nach meinem Eindruck von der Stadt und erzählt mir eine Anekdote: »You know what, when I came here, I made a selfie and sent it to my friends. And they were like: ›Ey, where are you mate? That’s not New Zealand, that’s China!‹ […] I think there are really too many Chinese in the streets here.« (Raj, EP Downtown 13.01.2016).

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ebenso zu den Aktivitäten der Organisation wie Mülltrennen, Gärtnern und Imkern. Wichtig sei, nicht nur über das Umweltverhalten zu sprechen, sondern es selbst zu tun. Ming bekräftigt ihre Perspektive durch Anekdoten aus ihrer eigenen Biographie. Sie wisse, wie man sich als Immigrantin fühle, wenn man all die Umweltpraktiken nicht kenne und möchte daher den neu Zugezogenen helfen, sich in Auckland zu orientieren und zu integrieren.5 Ihre Perspektive fügt sich in den lokalen Diskurs ein; rassistische Zuschreibungen unterstellen Aucklander*innen asiatischer Herkunft einen Mangel an Ortsgebundenheit und Wertschätzung lokaler Ideale (Ip 2005: XI). Die Umweltorganisation antwortet auf diese problematischen Unterstellungen. Durch das Aufgreifen der gängigen Attribuierung wird diese aber zunächst bestätigt, obgleich das formulierte Ziel der Gruppe ist, sie gerade aufzubrechen. Viele der heute in Auckland lebenden Immigrant*innen mit chinesischem Migrationshintergrund sind in den 1990er Jahren nach Aotearoa Neuseeland eingewandert (Spoonley 2015: 49). Asiatische Immigrant*innen und deren Nachfahren bleiben aufgrund ihrer physiologischen Merkmale sichtbar und unterscheidbar, selbst wenn sie seit mehreren Generationen vor Ort leben (Ip 2005: XIII). Die »neuen« Immigrant*innen unterscheiden sich sozioökonomisch massiv von den in den 1960er Jahren als Arbeiter*innen eingewanderten Asiat*innen. Rassistische Vorbehalte verstärken sich in der aktuellen Ablehnung aus Asien stammender Aucklander*innen, da sie aufgrund ihrer wirtschaftlichen und Bildungs-Ressourcen als »bedrohlicher« wahrgenommen werden als die seinerzeit mittellosen Arbeitsmigrant*innen (Li 2006: 9). Beven Yee bezeichnet asiatische Migrant*innen in Aotearoa Neuseeland in diesem Zusammenhang als »middleman minority«. Er verortet sie »zwischen« dominanten Pākehā und unterdrückten Māori. Gerade aufgrund dieser Mittelrolle würden sie häufig als »scapegoats« für soziale und wirtschaftliche Probleme herangezogen (2005: 217). Hegemonie-Ansprüche der Pākehā und Sorge um die »zweite« Positionierung in der sozialen Hierarchie bei Māori seien ein möglicher Hintergrund für rassistische Haltungen in Aotearoa Neuseeland. Gleichzeitig nähmen Neuseeländer*innen mit chinesischem Migrationshintergrund auch die Rolle der »model minority« ein, welche die globale Repräsentation des Landes als egalitäre und liberale Gesellschaft bestätige (Yee 2005: 219). Das Engagement beim Weeding und anderen Umweltaktivitäten muss in diesem Kontext gelesen werden. Umweltpraktiken werden im urbanen Diskurs als ethnisch konnotiert und erlernbar repräsentiert. Sich beim CCET einzusetzen, kann einerseits als ein Einfügen in vorgeformte Rollen verstanden werden; die Einwanderer*innen mit asiatischem Migrationshintergrund positionieren sich als 5

Mit Ming habe ich nach meiner Rückkehr aus Aotearoa Neuseeland ein Skype-Interview geführt, da wir uns während meiner Feldforschung nicht zeitlich arrangieren konnten (Ming, EP Skype 05.05.2016).

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die von außen in eine Naturstadt Zuziehenden und zeigen daher die Bereitschaft, die örtlichen Gepflogenheiten zu erlernen. Sie begeben sich in die Rolle der zu Unterrichtenden und unterwerfen sich dem Imperativ, lokale Praktiken übernehmen zu müssen, um als Teil der naturnahen Stadt akzeptiert zu werden. Andererseits kann die Organisation auch als Gegenentwurf zu gängigen Überzeugungen in der Stadt gelesen werden – die Immigrant*innen verhalten sich eben nicht dem rassistischen Klischee entsprechend »naturfremd«, sondern engagieren sich aktiv und ergreifen selbst die Initiative, sich mit der urbanen Natur in Verbindung zu setzen. Das Engagement für städtische Umwelt wird zu einem Maßstab für Zugehörigkeit und dient der Abgrenzung zum Anderen, dem »non-caring other«, der sich über zum Teil ethnisch konnotierte Gegenbilder definiert. Dabei genügt es nicht, sich beispielsweise lokales Umweltwissen anzueignen, vielmehr wird ein aktives, körperliches Engagement gefordert, das sich über konkrete Praktiken vollzieht. Die Verbindungslinien der lokalen Umwelt-Care fungieren gleichzeitig als harte Abgrenzungslinien und schaffen ein Außen, das mit einem »non-caring other« ausgefüllt werden kann. Vor dem Hintergrund der anhaltenden und durch aktuelle Entwicklungen wieder verstärkten anti-chinesischen Debatte wird die Demarkation gegenüber Aucklander*innen mit chinesischem Migrationshintergrund auch über die Sorge um lokale Natur vollzogen. Frage ich bei meinen Bekannten und in den Weeding-Gruppen nach, finden diese eine gedankliche Übertragung dieses ökologisch motivierten Ideals auf eine soziale Dimension seltsam. Beim Weeding gehe es um den Schutz einer weltweit einzigartigen Biodiversität und das habe überhaupt nichts mit Immigration zu tun. Als ich meine ehemalige Mitbewohnerin bei einer gemeinsamen Wanderung darauf anspreche, sagt sie beschwichtigend: »Well, I get your point. But that’s not the way we look at it. You know about the young history of our country. We are just afraid that the bits and pieces that remained until today will vanish as the other 90 % of our native biodiversity did.« (Elena, EP Waiwera 03.11.2012) Tatsächlich begegnet mir im Laufe meiner fast 12-monatigen Feldforschung nicht eine einzige Meinung, die Weeding als solches problematisiert. Unter all den Akteur*innen, mit welchen ich über diese Praxis spreche, wird allenfalls ein Kritikpunkt am Weeding angeführt: der Einsatz giftiger Chemikalien, welche sich bedenklich auf die gesamte Flora und Fauna auswirken. Die im Weeding-Kontext verwendeten Begriffe Krieg, Kampf und Gegnerschaft fungieren als machtvolle Metaphern, die den internen Zusammenhalt der sich über ein gemeinsames Caring konstituierenden Gruppe nicht nur fördern, sondern ihm eine andere Qualität verleihen. Die Weeder*innen verbünden sich gegen nichtmenschliche Akteur*innen, gegen eingeführte Pflanzen und Tiere, die das harmonisierte »Wir« gefährden. Die Anrufung dieser Initiativen geht über Abgrenzung

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hinaus. Die Praxis markiert nicht nur eine Grenzlinie zwischen nativer und nichtnativer Natur, sondern kämpft gegen die als solche definierten »Anderen« an. Die Schutzbedürftigkeit der eigenen Flora und Fauna, die hier mit Aotearoa Neuseeland gleichgesetzt wird, bringt den ethischen Handlungsappell mit sich, für die Schwächeren zu kämpfen. Hier setzt man sich nicht nur für sich oder für Ideale ein, sondern für eine benachteiligte Entität, die nativen Spezies, die von den eingeführten bedroht werden. Damit formiert sich das national- und stadtökologische Projekt zur Bewahrung nativer Natur zu einer ethischen Frage. Das Gute wird in dieser ethischen Debatte durch die Solidarität mit einer schutzbedürftigen Entität, der nativen Natur, repräsentiert. Dass diese gleichzeitig als identitätsstiftend und charaktergebend für Aotearoa Neuseeland konzipiert ist, unterstützen Dringlichkeit und Wirkmacht des ethischen Appells. Die Gender-Forscherin Banu Subramaniam betrachtet die Dramatisierung von »invasive species« im nordamerikanischen Kontext als Verlagerung von sozialen Ängsten: »I argue that this panic misplaces and displaces anxieties about globalization, labor shifts, and a fast-changing world onto a problem about the geographic origin of species. What is obscured by such panic are the economic and political interests that have ushered in large-scale environmental shifts through unregulated and large-scale overdevelopment.« (Subramaniam 2014: 11) Dabei werde über den nationalökologischen Diskurs von sozioökonomischen Problemen abgelenkt, die aus neoliberalen Politiken und Globalisierung entstehen. Die symbolische Übertragung von Weeds auf Immigrant*innen mache rassistische Äußerungen im öffentlichen Diskurs sagbarer. Kritik an Einwanderung auf Weeds abzulenken, füge nationalistische Haltungen zunächst verdeckt in die urbane Debatte ein. Aktuelle Probleme wie soziale Ungleichheit würden hinter dieser »panic about foreign plants« verschleiert (ebd.: 11). Wird die Sorge um Aucklands Natur über anti-chinesische Ressentiments im negativen Sinne mit Ethnizität verknüpft, wird eine positive Verbindung zur Māori-Welt geschaffen. Tradierte Konzepte werden im Auckland Plan genutzt, um die Wertschätzung lokaler Natur über die Würdigung kulturellen Erbes einzufordern. Diese Verknüpfung wird auch im Auckland Plan hergestellt. Jeder Artikel im siebten Kapitel, das sich mit Umweltpolitiken befasst, ist nach Prioritäten gegliedert, die sich wiederum in zielsetzende Paragraphen unterteilen. Hier werden folgende Prioritäten formuliert: »Priority 1 – Value Our Natural Heritage«, »Priority 2 – Sustainably Manage Natural Resources«, »Priority 3 – Treasure Our Coastline, Harbours, Islands and Marine Areas« und »Priority 4 – Build Resilience to Natural Hazards« (Auckland Council 2012: 174). Aucklands Landschaften werden als identitätsstiftend beschrieben – die Stadt definiere sich über die Naturmerkmale, welche zu »Auckland’s identity, character and amenity« beitragen. In diesem Zusammenhang wird die spirituelle Verbindung der tāngata whenua als kulturell

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signifikant adressiert, vor allem aber die Eigenschaft der Landschaften als »part of our collective identity.« (ebd.: 180). Tāngata Whenua bezeichnet aus dem Te Reo Māori übersetzt »Menschen des Landes«. Dabei bedeutet whenua sowohl Plazenta als auch Land, was auf die eng verwobene Bedeutung von Land und Herkunft verweist. Die Ahnen werden von den Māori traditionellerweise als Teil der Landschaft, beispielsweise in den Bergen und dem Boden, verstanden. Die native Natur wird insbesondere hinsichtlich ihrer urbanen Präsenz reflektiert: »Auckland is home to over one third of New Zealand’s native plant species and more than half of its native bird species, some of which are only found here. We have one of the richest endemic seabird breeding areas in the world, and the islands of the Hauraki Gulf are internationally significant. Our freshwater and marine environments are unique due to our latitude, climate and geography. We have many threatened birds (including the black petrel, fairy tern and the New Zealand storm petrel), rare plants (such as Cook’s scurvy grass) and lizards (such as the Chevron skink). Our waters have fragile populations of marine mammals, including Maui’s Dolphin, and freshwater fish such as the black mudfish and shortjaw kokopu.« (ebd.: 184) Aus dieser Beschreibung wird die Richtlinie formuliert, Ökosysteme und Orte signifikanter, indigener Biodiversität zu schützen. Aucklander*innen werden als »guardians of a precious environment« angesprochen und die städtische Natur, die es zu bewahren gilt, als »unique« bezeichnet (2012: 175). In Großbuchstaben titelt die zentrale Überschrift des Kapitels 7: »AUCKLAND EXPECTS THAT WE WILL ALL HAVE A SENSE OF PRIDE IN OUR NATURAL HERITAGE, AND SHARE THE RESPONSIBILITY FOR LIVING SUSTAINABLY AND LOOKING AFTER OUR ENVIRONMENT.« (ebd.: 175) Auckland wird hier als Subjekt personifiziert, das eine Erwartungshaltung gegenüber den Stadtbewohner*innen hervorbringt, wobei unklar bleibt, wer genau hinter diesem Appell steht. Die Forderung bezieht sich zunächst auf eine gewisse Haltung, die mit Stolz, Verantwortung und Fürsorge umschrieben wird und sich im Verlauf des Kapitels zu allgemeinen Handlungsdirektiven – wie Schützen und Bewahren – formiert. Im Auckland Plan wird auch eine bestimmte Beziehungsqualität definiert. Bewohner*innen werden hier nicht nur in der Umwelt positioniert, sondern als eingebunden und mit ihr verwoben bezeichnet: »Auckland’s environment and its people are intertwined.« (Auckland Council 2012: 175). Dieses Beziehungsverständnis unterstreicht die Relevanz von Umweltpraktiken für lokale Zugehörigkeiten. Durch das intim verflochtene Verhältnis sind Wechselwirkungen nicht nur direkter spürbar, sondern auch immanent in die Identität der Aucklander*innen eingeschrieben. Die Wertschätzung dieser im Auckland Plan konzipierten Beziehung kann über konkrete Umweltpraktiken wie Weeding performiert werden.

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Diese Praktiken können einen dezidiert lokalen Fokus haben. Als ich Eric ein paar Wochen nach dem gemeinsamen Weeding für ein Interview in seinem Büro treffe, frage ich ihn nach seiner Vision für Auckland. Zunächst stellt er die Idee einer autofreien Stadt vor, fügt dann aber gleich hinzu: »[…] but I think at the same time there is more investment in the nAtive spaces that we have [I: mhm] […] we are trying to restore degraded (.) eh public spaces, ecosystems, so the- as you intensify your urban areas you also have to try for bringing that nature soon [I: ya] what’s happened is we got very divorced from nature, it’s very rare, many many people for their entertainment their recreation [I: mhm] walk out through their field so they go down to […] Taupo to go sw-boating or fishing [I: mhm] or the to coastal environments like Piha so they are always heading out to those areas rather than embrAcing and enjoying the local environments.« (Eric, I Downtown 02.11.2012) Seine Metapher, von der Natur geschieden zu sein, ist hier lokal auf Auckland bezogen. Er kritisiert, dass Auckland nicht als naturnahe Stadt wahrgenommen werde, sondern Erholung in der Natur immer mit einem Wegfahren verbunden sei. Von der Natur getrennt zu sein, generalisiert er in seiner Antwort nicht als grundsätzliches Problem. In seiner Aussage konstatiert er eine Assoziation von Erholung mit Naturerleben, jedoch nicht mit einem lokalen. Je mehr gepflegte Naturgebiete in der Stadt entstehen, umso mehr werden diese auch als solche wahrgenommen und genutzt. Denn aus der Stadt zu gehen, um in der Natur zu sein, sei in Auckland gar nicht nötig und Eric arbeite daran, dass diese Option noch weiter ausgebaut wird. Er erzählt mir von Oakley Creek, einem Schutzgebiet in West-Auckland, welches er gemeinsam mit einer Freiwilligengruppe saniert hat. Der Namensgeber des Reservates ist mit 15 Kilometer der längste Fluss auf dem Auckland Isthmus, der in seinem Verlauf von etwa 50 Hektar Grünfläche umgeben ist: »Oakley Creek ehm is one we’ve spent a lot of time working with the friends of Oakley Creek [I: mhm] to try and store the natural environments and its bEAUtiful you know [I: mhm] that stocking is really good and a lot of people are using it walking through it ehm there are cases examples down in Manukau and on the North Shore where a lot of time has been spent to try and improve the green corridors and to get people used and to get on their bicycle, walk […]« (Eric, I Downtown 02.11.2012) Über die Aufbereitung verschiedener Grünflächen im Stadtgebiet sollen sich offensichtlich auch Verhaltenspraxen ändern und ein Naturerleben in den städtischen Alltag integriert werden. Aktivitäten wie Radfahren oder Spazierengehen sollen Verbindungen zur Natur wiederherstellen, um nicht nur die konzeptuelle Trennung von Auckland als Stadt versus Natur zu überwinden, sondern auch die alltagsweltlich gelebte. Dabei verbindet er den durch Weeding gepflegten Park auch

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mit einer spezifischen Ästhetik (»bEAUtiful«). Ich lese in Erics Idealbild eine Verknüpfung haptisch-taktiler und visueller Dimensionen von Naturerleben.

»Native« Spezies beschützen Die eingangs zitierten Kriegsmetaphern begegnen mir bei meinen Akteur*innen auf den Weeding-Sites nicht in dieser Deutlichkeit. Über die Konzepte Vulnerabilität und Schutzbedürftigkeit wird Weeding von meinen Interaktionspartner*innen gewissermaßen von einer anderen Seite des gleichen Konzeptes aufgegriffen. Das Handlungspotenzial wird nicht mit aktiv-kämpferischem Vokabular mobilisiert, sondern über Mitgefühl und Empathie. Die deutlich markierten Grenzen sind in beiden Ansätzen jedoch kongruent. Bei unserem gemeinsamen WeedingTag spricht man von »the good ones« und »the bad ones«, und füllt diese wertenden Kategorien mit Attributen wie stark und bedrohlich bzw. arm und verwundbar. In diesem Unterkapitel beleuchte ich, wie Weeding als Care-Praxis zum »Schutz« der nativen, guten städtischen Natur eingesetzt wird und in diesem Zusammenhang zur Kreation der guten Stadt beiträgt. Am Nachmittag des Weeding-Treffens in Mount Eden arbeitet Rita, eine etwa 25-jährige Pākehā, mit mir zusammen an kniehohen Sträuchern, die sich buschartig über die Wiese ziehen. Sie fragt mich: »Do you feel this? How strong they are! I feel really sorry for the poor little ones that get no light«. Während wir gemeinsam versuchen, die fest verankerten Wurzeln herauszuziehen, antworte ich: »Well, that’s how nature works, isn’t it?« Rita schüttelt den Kopf: »Hm, it is nature, but it also isn’t. I mean these plants did not get here on their own, they were imported. Originally New Zealand was full of these lovely plants before the stronger ones came in […] It’s only fair that we bring the order back in here.« (Rita, EP Onehunga 16.10.2012) Ihre markante Unterscheidung in »the stronger ones« und »the poor little ones« suggeriert eine bestimmte Ordnung, die sich handlungsleitend auswirkt. Die »armen« Pflanzen bedürfen Unterstützung, um vor den »stärkeren« beschützt zu werden. Dabei ruft sie eine Vulnerabilitäts-Metapher auf, die affektiv aufgeladen und mit dem Bedürfnis und Anspruch auf Schutz assoziiert ist. Gleichzeitig werden hier Machtverhältnisse verortet. Die »stronger ones« werden als mächtiger hierarchisiert und diese Positionierung fungiert als Imperativ, sich mit den »Schwächeren« zu solidarisieren. Die Ethnologin Friederike Gesing beschreibt einen gegenläufigen Diskurs für native Dünenpflanzen, deren Favorisierung von manchen Akteur*innen in Aotearoa Neuseeland über ihre besseren Eigenschaften als angepasster, stärker und resilienter begründet wird (2016: 258). Für Rita entspricht diese Hierarchisierung jedoch nicht der favorisierten »order«, die sie wieder verankern

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möchte. Dass die Pflanzen importiert wurden, setzt sie dem Argument gegenüber, dass Verdrängung und Aussterben auch als natürliche Prozesse betrachtet werden können. Implizit geht sie dabei davon aus, dass die passive Einführung der nichtnativen Spezies (»not […] on their own […]«) sich nicht in die von ihr idealisierte Ordnung fügt. Ich frage sie, ob sie sich wünsche, dass in Auckland ausschließlich native Pflanzen wachsen. Rita antwortet sofort: »Yes, that’s it. It’s all about helping the natives to gain strength again. Just imagine how long they’ve been here! You can’t even imagine. Yes, I would love to see that. Auckland full of native plants and birds.« (Rita, EP Onehunga 16.10.2012) Offensichtlich legitimiert sie die von ihr imaginierte »order« über in der Vergangenheit geltende Bedingungen, ohne dass diese Vergangenheit datiert oder expliziert würde. Dass die nativen Pflanzenarten länger in Aotearoa Neuseeland wachsen als die importierten, betrachtet sie als strukturgebendes Merkmal. Und über ihre Weeding-Praktiken möchte Rita diese Struktur wieder re-etablieren. Dabei repräsentiert sie ihre Praktiken als »Hilfe«, die zur Wiedererstarkung der aktuell Hilfsbedürftigen beitragen kann. Sie imaginiert einen Idealzustand voller kräftiger nativer Spezies, die über Ritas Hilfe wieder ihre legitime Machtposition erlangt haben werden. Rita beruft sich dabei ebenfalls auf ein in der Vergangenheit begründetes Idealbild, das sie als zukunftsweisend und handlungsleitend verortet. Sich selbst begreift sie in einer helfenden, unterstützenden Rolle, die der Ermächtigung einer benachteiligten Entität dient. Ihr Beziehungsideal fußt auf solidarischen, aber weniger kämpferischen als vielmehr helfenden, unterstützenden Relationen. Ich frage Rita, ob sie glaube, dass das Weeding eines Tages zu einem nativisierten Auckland führen werde. Dieses Mal überlegt sie kurz: »Well, I think… actually… I don’t know if it will ever be totally native. But if not, it’s at least better, you know. The more natives we have, the stronger they are.« (Rita, EP Onehunga 16.10.2012) Für Rita korreliert die Stärke nativer Pflanzen mit ihrer Anzahl. Ich frage sie, ob der Grünstreifen, den wir zusammen bearbeitet haben bis nächste Woche wieder bewachsen sein wird. Sie antwortet: »Hm, I’m not sure if it’s going that fast. The thing is that we might go to another park next week and maybe till we return, yes maybe some small stuff comes back.« Ich frage nach: »Has this happened to you? That you worked on a site for a whole day and when you came back next time everything was just as if you had done nothing?« Sie lacht: »Well, no: not like this. Of course it happens that things come back, but not so many and big and strong. It’s still different from before even if it’s not totally free from weeds. And I guess I would not like to be each week at the same place, it’s far more interesting to see different places and we have a whole lot of green are-

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as in Auckland. So I’m happy not to be at the same park all the time.« (Rita, EP Onehunga 16.10.2012) Auch wenn die Arbeit auf den Grünflächen die als Unkraut klassifizierten Pflanzen nur temporär beseitigt, verortet Rita den Wachstumsvorsprung der nativen Spezies als positiven Effekt. Dass die nachwachsenden Pflanzen »not so many and big and strong« sind, macht sie weniger gefährlich für die zu schützende, native Natur. Für Rita genügt es, native Pflanzen an verschiedenen Orten in Auckland zu schützen und zu stärken, ohne den Anspruch zu erheben, die nicht-einheimischen Arten völlig zu eliminieren. Sie hebt hervor, dass Auckland von unterschiedlichen Grünflächen durchzogen sei. Anders als andere Metropolen verfüge die Stadt trotz dichter Bebauung und exponentiellen Wachstums über zahlreiche Wiesenflächen in und zwischen den Wohnvierteln. Diese zu entdecken und zu bearbeiten, gestalte sich als spezifische Erfahrung der Stadt, die eben nicht nur über urbane, sondern auch über Naturflächen verfügt und sich damit wiederum dem nationalen Ideal von Naturnähe und weiten Landschaften annähere, ohne urbane Merkmale einzubüßen. Als wir noch auf den inzwischen tatsächlich sehr viel leerer aussehenden Grünstreifen schauen, frage ich Rita, was ihrer Meinung nach geschehen würde, wenn Aucklands Bewohner*innen ihre Weeding-Praktiken gänzlich einstellten. Sie lacht laut auf: »Ha! The city would be covered all over by weeds! Pretty much more so than it is now! The problem is that the weeds are stronger, they win against the natives if we don’t do something. If we just wait for things to happen, the natives will be gone forever.« (Rita, EP Onehunga 16.10.2012) Sie entwirft die Dystopie einer von Weeds überwucherten Stadt, deren native Natur ausgestorben ist. Daher sei der menschliche Einsatz erforderlich – »do something« wird zum Handlungsimperativ, um die Bedrohung abzuwenden. Das Aussterben und den Verlust einheimischer Natur beschreibt sie als nicht wünschenswerten Zustand, den es aktiv zu verhindern gilt. Obgleich die Dystopie antizipiert und in der Zukunft verortet ist, wirkt sie sich machtvoll auf die Gegenwart aus (Rita, EP Onehunga 16.10.2012). Der Philosoph und Gesellschaftstheoretiker Brian Massumi formuliert die ständig präsente Wirkmacht der Bedrohung als ihr signifikantes Merkmal6 :

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Er analysiert die Wirkmacht von Bedrohungen in einem ganz anderen Kontext und bezieht sich auf nicht vorhandene Massenvernichtungswaffen im Irak, deren ständig präsente, medialisierte Potenzialität als Argument für den amerikanischen Kriegseinsatz unter Präsident G.W. Bush fungierte. Seine konzeptuelle Analyse lässt sich auf andere Kontexte von Bedrohung übertragen.

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»Threat is from the future. It is what might come next. Its eventual location and ultimate extent are undefined. Its nature is open-ended. It is not just that it is not: it is not in a way that is never over. We can never be done with it. Even if a clear and present danger materializes in the present, it is still not over. […] Threat is not real in spite of its nonexistence. It is superlatively real, because of it.« (2010: 53) Die Macht der Weeds speist sich gerade aus ihrer virtuellen Existenz. Ihre Wirkung entfaltet sich in der immer präsenten Erwartung, dass sich der antizipierte Zustand aktualisieren könnte. Gerade da Weeds für ihr schnelles Wachstum und ihre Resilienz bekannt sind, multipliziert sich die empfundene Bedrohlichkeit. Um die imaginierte Übermacht der Weeds abzuwenden, ist daher eine kontinuierliche Arbeit auf den Grünflächen vonnöten. Massumi führt aus, dass die Bedrohung die Eigenschaften eines Faktes besitzt. Sie ist nicht widerlegbar, selbst wenn das antizipierte Ereignis nie eintrifft: »Just because the menace potential never became a clear and present danger doesn’t mean that it wasn’t there, all the more real for being nonexistent. The superlative futurity of unactualized threat feeds forward from the past, in a chicken run to the future past every intervening present. The threat will have been real for all eternity.« (2010: 53) Über diesen Stellenwert als Fakt oder Wahrheit legitimieren sich damit verbundene Handlungen. Dabei handelt es sich um eine affektive Dimension von Faktizität. Im Anschluss an Massumi verstehen Melissa Gregg und Gregory J. Seigworth Affekt als Potenzialität »to affect and to be affected« (2010: 2). Die Bedrohung affiziert die Akteur*innen und vergegenständlicht die mit der Dystopie eines verweedeten Aucklands verbundenen Bedrohungen. Gegen Weeds vorzugehen, ist hinsichtlich der immer präsenten Bedrohung richtig, da diese als Prämisse vorausgesetzt wird und nicht zu falsifizieren ist. Massumi beschreibt: »The felt reality of a threat legitimates preemptive action, once and for all. Any action taken to preempt a threat from emerging into a clear and present danger is legitimated by the affective fact of fear, actual facts aside. Preemptive action will always have been right.« (2010: 54) Das kontinuierliche Praktizieren des Weeding kann sich als präventive Schutzmaßnahme über die virtuelle Bedrohung des Unkrautes rechtfertigen. Die Bedrohung durch Weeds tritt als dauerhafte Präsenz auf, die eben nicht nur einen definierten Intervall beschreibt, sondern kontinuierlich wirkt. Diese Bedrohlichkeit und ihre Dauerhaftigkeit wirken sich auf die Beziehungsqualitäten aus. Der Einsatz der gegen nicht-native Spezies verbündeten Akteur*innen wird durch diese Zuschreibung nicht nur dringlicher, sondern auch verbindlicher. Die kontinuierliche Erforderlichkeit des gemeinsamen Engagements verleiht diesem auf emotionaler

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und temporaler Ebene einen verpflichtenden Charakter. Die wöchentlichen Treffen zum Weeding schreiben sich in die Rhythmen langfristiger Teilnehmer*innen ein und strukturieren zum Teil städtische Routinen. Für unsere Gruppenleiterin Yvonne, die um die 60 Jahre alt ist und sich schon seit Jahrzehnten für den Erhalt der nativen Natur in Aotearoa Neuseeland einsetzt, ist das Weeding zu einem festen Bestandteil ihres Alltages geworden. Sie engagiert sich nicht nur regelmäßig in der Umweltorganisation, die sich dienstags trifft, sondern ist auch in anderen Gruppen aktiv. Sie hat feste Termine, die sie fast nie versäumt. Als sie mir zeigt, dass ich beim Herausziehen einer Pflanze nicht die ganze Wurzel erwischt habe, frage ich sie, seit wann sie sich schon mit Weeding beschäftigt. Sie lacht: »Haha! I can’t even count the years! Don’t remind me how old I am! […] Well you know, when you get engaged in something like that you want to really do it. And if you really want to do something, you cannot just go and say, ye:s just a bit. You have to go on doing your stuff if you want to see an outcome.« (Yvonne, EP Onehunga 16.10.2012) Sie beschreibt eine Verbindlichkeit der Weeding-Aktivitäten, die sich aus dem favorisierten Ziel und der wirklichen Motivation ergebe. Ich frage nach, ob ihr diese regelmäßigen und intensiven Arbeiten nicht zu viel würden. Wieder muss Yvonne lachen und erklärt mir, das Weeding für sie keine Arbeit, sondern Erholung in der Natur sei. Damit öffnet sich eine andere Bedeutungswelt des Weeding – bei dieser Aussage steht nicht das mühevolle Abwenden einer Bedrohung im Vordergrund. Sie konzipiert Weeding als eine Praxis der Erholung und stellt sie der Arbeit diametral gegenüber. Als ich sie frage, ob sie an einem schönen Sonntag nicht lieber gemütlich auf der Terrasse Kaffee trinken würde, antwortet sie schmunzelnd: »Okay, one thing is sitting and letting the sun shine. Another thing is to get active and to do something good. […] It’s not only about having a great time, it’s about having a great time And doing something good. […] And you have to keep it going, if you stop, you never really manage a place.« (Yvonne, EP Onehunga 16.10.2012) Sie differenziert in Freizeitaktivitäten an sich und solchen, die mit »something good« verbunden sind, wie Weeding. Ihr Anspruch »to keep it going« weist wiederum auf die Verbindlichkeit hin, die sie bereits in ihrer Reflexion über die Dauer ihres Engagements formuliert hat. Diese Bedeutungsebene setzt das Bekämpfen und Beschützen beim Weeding in einen anderen Kontext. Hier wird Weeding nicht nur vor dem Hintergrund einer Bedrohung vollzogen, sondern im Rahmen einer entspannenden, sozialen Aktivität. Die Unaufgeregtheit des Weeding trägt zu seiner Normalisierung bei. María Puig de la Bellacasa beschreibt Caring als »uneventful«, also nicht als Ereignis inszeniert und somit als in Alltagsroutinen integrierbar (2017: 117). In diesem Zusammenhang werden Beziehungen favorisiert, die einen dauerhaften, verbindlichen Charakter haben und sich über ein gemeinsames En-

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gagement für das Gute definieren. Die über Praktiken vollzogenen Beziehungsgeflechte sind eng mit konkreten Vorstellungen über die Räumlichkeit der Stadt verknüpft. Die Akteur*innen folgen dem Ideal eines weed-freien Aucklands und messen ihren Erfolg auch an definierten, entlegenen Bereichen der Stadtlandschaft, die nicht zu frequentierten Orten der lokalen Alltagswelten zählen. Annäherungen an das Ideal ihrer Care-Praktiken werden gerade vor dem Hintergrund, dass die völlige Absenz von Weeds im städtischen Umfeld als Utopie verortet wird, bereits als Handlungsziele aufgefasst. Durch diese improvisierende, nicht-perfektionistische Tendenz wird allerdings keine Verbindlichkeit eingebüßt – das Bewusstsein, das übergeordnete Ziel nie erreichen zu können, dämmt das Engagement für die Teiletappen nicht ein. Vielmehr trägt die Fragilität des Erreichten zu einer stärkeren Selbstverpflichtung bei. Nach Puig de la Bellacasa wird Care nicht als moralischer Begriff verstanden, sondern in seiner Unvollkommenheit, als »thick, impure, involvement in a world«. Care vollzieht sich als »a hands-on, ongoing process of recreation of ›as well as possible‹ relations« (2017: 6). Damit ist das Gute beim Care-Gedanken nicht eindeutig greifbar, sondern wirkt eher als vage Orientierung, die sich je nach Perspektive unterschiedlich verorten lässt. Auch Annemarie Mol beschreibt Care als »persistent tinkering in a world full of complex ambivalence and shifting tensions« (2010: 14). Die gute Fürsorge wird hier nicht als perfektioniertes Ideal, sondern als praktische Aushandlung verstanden, die nie unschuldig ist: »It is important to note that care troubles easy antagonisms: it is ambivalent and never innocent, insofar as it creates and often depends upon unequal power relations.« (Benson et al. 2016: 7) Über diesen inhärent ambivalenten Begriff lässt sich Weeding als Care-Praxis begreifen. Zwar ist das Gute hier eindeutig als »nativ« definiert, die damit verbundenen Handlungsstrategien stellen sich jedoch unvollkommen dar; nähern sie sich dem formulierten Ideal doch nur ständig an, ohne das Erreichen des Guten unbedingt für realistisch zu halten. Vielmehr erschöpft sich das Caring schon in einem kontinuierlichen Heranrücken an das gesetzte Ideal.

Was Weeding wert ist Am Nachmittag schaue ich ständig auf die Uhr und kann es kaum erwarten, als wir endlich unser Werkzeug wegpacken. Yvonne muss schmunzeln, als ich mir die verspannte Schulter massiere: »You will get used to it! The more you do it, the easier it gets!« (Yvonne, EP Onehunga 16.10.2012). Viele meine Akteur*innen sind bereit, viel Zeit und körperliche Arbeit in ihre Weeding-Projekte zu investieren. In

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diesem Zusammenhang lege ich dar, wie Freiwillige Verantwortlichkeiten in der Stadt übernehmen, um ihre Ideale des guten Lebens durchzusetzen. Bevor wir uns auf den Rückweg machen, schießt Yvonne ein Gruppenphoto von uns in übergroßen Windjacken und Signalwesten in dem grünen Reservat. Yvonne und Eric loben uns für unsere »precious work« und bedanken sich bei allen Freiwilligen. Ein symbolischer Applaus markiert das Ende der heutigen Zusammenarbeit (Yvonne, EP Onehunga 16.10.2012). Das Photo, auf welchem wir alle strahlend in die Kamera winken, erhalten wir später per eMail. Auf der Homepage der Organisation finden sich zahlreiche dieser affektiv aufgeladenen Bilder, die eine harmonische Zusammenarbeit suggerieren. Weeding wird als soziales Ereignis inszeniert, bei welchem Beziehungen geknüpft und gefestigt werden. Diese neu geschaffenen Verbindungen werden durch das abschließende Photo objektiviert und gewissermaßen nachweisbar gemacht. Diese Relationalitäten konstituieren sich durch gemeinsame Praktiken, die dem Guten dienen und mit positiven Emotionen behaftet sind. Ich frage Yvonne, die Gruppenleiterin, ob sie durch das Weeding Freunde kennengelernt habe. Sie muss nicht lange überlegen und stimmt zu, dass über den regelmäßigen gemeinsamen Einsatz Freundschaften entstanden sind. Die soziale Kohäsion verstärkt sich durch gemeinsame Zielsetzung und gemeinsame körperliche Aktivität. Dabei erlebe ich über meine Feldforschung hinweg auch Weeding-Situationen, in denen es durchaus möglich ist, sich von der Gruppe zurückzuziehen, seinen Gedanken nachzuhängen und eine kleine Grünfläche ganz allein zu bearbeiten. Nicht zuletzt meiner Vorliebe, sich zuweilen zurückzuziehen, ist es geschuldet, dass ich Weeding auch aus einer stilleren Position heraus kennenlerne, die nicht zwangsläufig mit regem Austausch und geteilter Aktivität verbunden ist. Nichtsdestotrotz werden alle Teilnehmer*innen immer wieder eingebunden und motiviert. Spätestens in den Pausen bemühen sich die Gruppenleiter*innen, und so auch Yvonne an diesem Dienstag, mit allen ins Gespräch zu kommen und sicherzustellen, dass alle Beteiligten sich wohlfühlen. Yvonne gesellt sich abwechselnd zu den verschiedenen Kleingruppen und Einzelpersonen, gibt Hinweise oder klopft einfach nur anerkennend auf unsere Rücken. Sie hält die Verbindung über den ganzen Tag hinweg aufrecht und versichert sich, dass sich alle als Teil der Gruppe empfinden. Als sie mich am Nachmittag allein beim Arbeiten vorfindet, sagt sie: »You’re doing well.« »Oh thank you. I still have trouble with differentiating the species.« »That’s just normal, you will get into it easily. It’s just a question of time until it gets an automatism and you do it without thinking about anymore […] You’re also one of those who prefer to work on their own, aren’t you?« »Yes, kind of.« »That’s fine. We have some of those in our group. I think being alone in nature does also have its thrill. I mean you have the chance to be in a beautiful landscape

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and just let your thoughts fly. It’s the perfect setting for flying thoughts.« (Yvonne, EP Onehunga 16.10.2012) Mit dieser Unterhaltung öffnet sie einen neuen semantischen Raum. Weeding wird offensichtlich nicht nur als soziale Aktivität erfahren, sondern als persönliches, individuelles Erlebnis. Die Natur – eine durchaus nicht unübliche Auslegung – biete den Raum für Reflexion und Innenschau. Damit wird Weeding zu einem intimen Naturerlebnis, das nicht nur soziale Beziehungen, sondern eben auch Selbstbeziehungen fördern kann. Auf der Rückfahrt wird viel geredet, die Atmosphäre ist deutlich gelöster und familiärer als auf der Hinfahrt. Marc erzählt, dass er das Gefühl nach dieser Arbeit sehr liebe: »I love that state right now! When you have the feeling of really having dOne something. Not just talking about an issue, not just complaining, but literally dOing it with your own hands. Oh, that feels sO good.« (Marc, EP Onehunga 16.10.2012) Rita stimmt ihm zu und regt eine Idee an: wenn die Arbeitszeit grundsätzlich auf 32 Stunden verringert würde und ein Tag für Freiwilligenarbeit reserviert sei, hätten alle Aucklander*innen mehr Zeit für Aktivitäten wie Weeding. »It’s just by chance that I could join today. For next week I’m a maybe since I’ll probably have to work. I would love if they did that reduction thing so that we have time for doing the really important stuff.« (Rita, EP Onehunga 16.10.2012) Ihr Vorschlag findet Befürwortung in der Gruppe: »Yeah, it’s such a worthwhile job to do and wE are sitting in the office and brew coffee for a man in a suit.« (Konversation, EP Onehunga 16.10.2012). Offensichtlich wird die Arbeit in der Natur als wertvoller und schöner empfunden als die bezahlten Beschäftigungen der Teilnehmer*innen. Als ich einwende, dass der durch eine verringerte Arbeitszeit entsprechend niedrigere Lohn problematisch sein könnte, antwortet Rita schnell: »Well yes, it can be a challenge for some. But still, what you get here is not money, but a good feeling. I think it’s better to come home from weeding and knowing you have done something good instead of having some extra money for dining out or whatever. I wish more people would care for the important things.« (Rita, EP Onehunga 16.10.2012) Dass Rita für eine Arbeitszeitverkürzung argumentiert, um mehr Zeit für Weeding aufwenden zu können, verweist auf einen problematischen Aspekt von Care-Beziehungen. Durch eine Care-Ethik kann eine freiwillige Verbindlichkeit des Sich-Kümmerns geschaffen werden, eine ethische Verpflichtung des Engagements. Das gute Subjekt formiert sich als »caring subject« und ist damit bereit, entsprechende Care-Aufgaben zu übernehmen, ohne eine Gegenleistung zu erwar-

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ten. Diese Konstellation lässt sich im neoliberalen Sinne instrumentalisieren, um die Verantwortung für staatliche Aufgaben zum Teil auf die Stadtbewohner*innen zu verlagern (vgl. Muehlebach 2012). Die Pflege und Instandhaltung städtischer Grünflächen wird zwar teilweise von Mitarbeiter*innen des Auckland Councils koordiniert und unterstützt, aber letztlich von den Freiwilligen geleistet, die aus der Überzeugung handeln, etwas Gutes zu tun. Über diese Caring-Praxis wird der Stadtrat entlastet. Das gute Subjekt ist hier also nicht nur das aktive und partizipierende, sondern das fürsorgliche. Das gute Verhalten beginnt mit der empathischen Grundhaltung der Stadtbewohner*innen, die sie für ihren Aktivismus sensibilisiert, und damit vor der eigentlichen Handlung. Die politisch instrumentalisierte Care-Ethik kann Bewohner*innen (ko-)verantwortlich für das Gemeinwohl zeichnen und damit nicht nur für erfolgreiche, sondern auch für gescheiterte Projekte. Der Zivilgesellschaft kann dann die Schuld zugeschrieben werden, nicht aktiv, partizipativ und vor allem empathisch gehandelt zu haben und ihren Aufgaben als »caring citizen« nicht nachgekommen zu sein (Muehlebach 2012: 11f.). Nach der Anthropologin Susan Brin Hyatt ergibt sich daraus eine Bedeutungsverschiebung. Sich zu kümmern ist dann nicht nur als gut konzipiert, ein Sich-nicht-kümmern wird zum moralisch falschen Handeln. Das neoliberale Regime konstituiert also Subjekte »whose own goals as ›free‹ individuals become aligned with those of the state« (2001: 212). Das Kümmern um Aucklands Natur kann damit als kritisches Unterscheidungsmerkmal verstanden werden, welches das gute Subjekt von einem negativen Gegenentwurf abgrenzt. Dieses wirkmächtige Gegenbild wird beispielsweise ethnisch mobilisiert, wenn Aucklander*innen mit chinesischem Migrationshintergrund als »naturfern« bezeichnet werden. Außerdem können soziale Missstände durch eine Ethics of Care verschleiert werden, wenn marginalisierte Stadtgebiete als »not cared for« klassifiziert und ungepflegte Grünflächen in ökonomisch schwächeren Stadtteilen nicht auf soziale Ungleichheiten, sondern auf ein fehlendes Engagement einer sich nicht kümmernden Bevölkerung zurückgeführt werden (Hyatt: 212). Auch wenn die Akteur*innen aus meinem Feld nicht in dieser Weise argumentieren, bekräftigen sie doch etablierte Strukturen im sozialen Gefüge. Die ärmeren Viertel im Süden der Stadt werden zwar nicht als »uncaring« bezeichnet, aber als »not cared for«. Marc verweist darauf, dass die Situation in benachteiligten Stadtgebieten aus ökonomischen Gründen nicht vergleichbar sei und zieht daraus den Schluss, dass es gerecht wäre, vermehrt in diesen Gebieten zu arbeiten. Er führt die ungleichen Strukturen zwar als Begründung an, argumentiert aber nicht primär für eine Änderung der sozialen Hierarchie. Vielmehr nimmt er die Rolle des Helfenden ein, der die »not cared for« Gebiete unterstützen möchte. Damit bekräftigt er die bestehende Sozialhierarchie implizit und fügt sich selbst in die Rolle des »caring subject«, ohne städtisch oder staatlich organisierte Lösungen zu fordern. In dieser Sichtweise kann

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auch eine Priorisierung gelesen werden. In diesem Sinne würden umweltethische Projekte erst nach Erlangen einer sozioökonomischen Sicherheit anvisiert. Am Abend kann ich das Weeding buchstäblich noch körperlich fühlen. Als ich über den Tag reflektiere, fällt mir die ritualisierte Struktur des Weeding-Prozesses auf. Das gemeinsame Treffen im Büro am frühen Morgen vor der Busfahrt, das Anlegen der »Ausrüstung«, die abschließenden Worte mit Erinnerungsphoto und die Heimfahrt setzen eine fixe Rahmung des Events. Bei dieser Weeding-Session ist Care nicht »uneventful«, sondern deutlich als Ereignis konstruiert. Dabei sind die Teilnehmer*innen hier sehr fluktuierend. Es handelt sich nicht um eine feste Gruppe, die sich wöchentlich verbindlich trifft, sondern um gelegentliche Helfer*innen, die zum Teil nur für eine Weile in Aotearoa Neuseeland sind. Das ist auch die Zielgruppe der Organisation: Doreen hat mir erzählt, dass viele Tourist*innen das Weeding als Outdoor-Erfahrung schätzen. Nach Aotearoa Neuseeland käme man nicht, um in der Stadt zu leben, wie man es überall auf der Welt kann. Hier wolle man die Natur erleben. Tatsächlich ist Auckland für viele Reisende keine Destination, sie kommen am Flughafen an und brechen von dort auf, aber die meiste Zeit wird in der Peripherie und in den touristisch beworbenen Landschaften verbracht. Doreen sagt mir: »But what is also special about Auckland – it is a bIg city, yes. But still it’s not like others only concrete and stuff, it Is never far from beach and bush! And thAt is what our volunteers experience.« (Doreen, EP Mount Eden 16.10.2012) Die Landschaft wird also körperlich-praktisch erfahrbar gemacht. Die körperliche Arbeit auf den Grünflächen fungiert nicht nur als Beitrag zu einem idealisierten Landschaftsbild aus nativer Natur, sondern ermöglicht eine taktil-visuelle Erfahrung urbaner Natur. Für mich war die haptische Erfahrung beim Weeding erkenntnisbringend. Nicht nur gehen die Bewegungen in den Körper über und erinnern als Muskelkater an motorische Muster. Auch das Auge trainiert sich auf die Unterschiede und in der folgenden Woche beobachte ich mich des Öfteren selbst dabei, die Vorgärten meiner Interviewpartner*innen beiläufig auf native Pflanzen zu überprüfen. Als mich meine Mitbewohnerin am Wochenende zu einem kleinen »bush hike« einlädt, übe ich mein Auge ungewollt in dem Erkennen nativer Pflanzen. Meine Weeding-Erfahrungen wirken über den Rahmen des Unkrautjätens hinaus. Dadurch fällt mir auch die Omnipräsenz und Zentralität von Natur in Auckland noch deutlicher auf. Weeding nimmt als städtische Praxis Gestalt an, die darauf abzielt, die urbane Natur zu schützen und sich mit ihr in Verbindung zu setzen. Über das aktive Umgestalten der lokalen Natur wird auch die Stadt selbst nach entsprechenden Idealen modelliert. Dabei finde ich die strikte Unterteilung in native und nicht-native Arten oder – wie es uns Yvonne der Einfachheit halber beibringt – in »good ones« und »bad ones« durchaus problematisch. Mit dem Gedanken an »purity from invasive species« fühle ich mich sehr unwohl. Diese Di-

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chotomisierung ruft unweigerlich Assoziationen mit lokalen Einstellungen gegenüber Immigration im Allgemeinen hervor, auch wenn meine Akteur*innen diese gedankliche Verbindung nicht teilen.

Spezifische Natur schaffen Offensichtlich geht es beim Weeding um eine integrale Beziehung einer spezifischen Natur. Die Bewertung von nativer und nicht-nativer Natur ist eindeutig definiert und formiert entsprechende Handlungsanweisungen und -routinen. Zum Abschluss dieses Kapitel beleuchte ich die Grenzen dieses Idealbildes und nehme ein Projekt zur künstlichen Rekonstruktion einer Inselnatur und aktuelle Regulierungen zum Baumschutz in den Blick. Damit verweise ich auf die unterschiedlichen Auslegungen einer guten, städtischen Care-Ethik, die in diversen Kontexten mit divergierenden Vorstellungen kollidieren kann. In den »Green Conversations«, die ich wöchentlich in einem Community Garden in Devonport veranstalte, stelle ich die Favorisierung nativer Natur in Auckland zur Diskussion. George ist ein engagiertes Mitglied unserer Gesprächsrunde und nimmt von Anfang an regelmäßig an den Treffen teil. Er ist etwa 70 Jahre alt, ein langjähriger Bewohner des Stadtviertels und sehr an ökologischen Themen interessiert. Als ich die Diskussion mit der Frage eröffne, wie die urbane Natur in Auckland idealerweise sein solle, macht George einen Unterschied zwischen »wilder« und »urbaner« Natur auf. Letztere müsse kontrolliert und verwaltet werden, vergleichbar mit anderen Aspekten der Stadt wie etwa Häuser, Autos und Bewohner*innen. Sein Ideal sei es, »to keep it as natural as possible, but to intervene if it’s necessary to maintain a proper environment.« Natürlich könne man die Grünflächen auch verwildern lassen, langfristig würden die nicht-nativen Spezies die nativen jedoch übertreffen und der Verlust der einzigartigen Flora sei höher zu bewerten als »those greeneries that grow literally everywhere« (George, EP Devonport 14.12.2015). Er beginnt von Tiritiri Matangi zu erzählen, eine Insel etwa 30 Kilometer nördlich von Auckland, die in ein Naturschutzgebiet umgewandelt wurde. Da auf Tiritiri Matangi extensiv Landwirtschaft betrieben wurde, hatte sich die Landschaft enorm transformiert. Seit Mitte der 1980er Jahre wurden Hunderte native Bäume gepflanzt, um die Insel wieder in einen als ursprünglich imaginierten Zustand zu überführen. In diesem Zusammenhang wurden nicht nur Säugetiere komplett ausgerottet, sondern auch native Vogelarten eingeführt, die zuvor nicht auf der Insel heimisch waren. Auf Tiritiri Matangi wurde in Jahrzehnte langer Freiwilligenarbeit künstlich eine nativisierte Landschaft hergestellt, die heute als »Wildlife Sanctuary« bezeichnet wird. Von der Stadt aus können Fähren und Touren gebucht werden, um die native Natur und die Vielfalt der neuseeländischen Flora und Fauna zu erleben. Obwohl es sich um eine gänzlich artifizielle Landschaft

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handelt, gilt diese als ursprünglicher und wilder als andere Gebiete, die kaum von Menschen betreut werden und von sogenannten Weeds überwuchert sind (Tiritiri Matangi Open Sanctuary o.D.). Für George ist diese Insel ein Vorzeige-Objekt. Sie zeige »[…] that not everything is lost yet. You never can turn back time, but still you can do something for the better. If you really want to change it, you have to work. And you have to work hard. But in the end of the day, you’ll have the outcome.« (George, EP Devonport 14.12.2015) Als ich ihn frage, ob er Tiritiri Matangi denn für natürlich halte, wenn soviel Planung und Arbeit aufgewendet wurde, antwortet er: »Well, natural – what does that mean in the end? Humans are also nature. So what humans do is natural as well.« (George, EP Devonport 14.12.2015). Damit bricht George eine Dichotomie auf. Letztendlich geht es ihm nicht um die Unterscheidung zwischen »natürlich« und »künstlich«, sondern um eine favorisierte Form von Landschaft. Und die Qualität der Insel misst sich seiner Meinung nach nicht an Natürlichkeit, sondern an Nativität: »If you have nature that grows everywhere, just everywhere in this world! And you have a few lovely species that only grow here, and only very, very few. What would yOU prefer?« (George, EP Devonport 14.12.2015) Die Priorisierung nativer Natur führt er auf ihren Seltenheitswert zurück. Das Alleinstellungsmerkmal der nativen Spezies sei, dass sie endemisch sind und die einzigartige Biodiverstität Aotearoa Neuseelands ausmachen. Die besondere Wertschätzung nativer Natur spiegelt sich jedoch nicht unbedingt in der Umweltpolitik wider. Friederike Gesing beschreibt, dass die nativen Mangroven in ihrem Forschungsgebiet in der nördlichen Nordinsel durchaus als bedrohliche Spezies betrachtet und entfernt wurden (2016: 260). Die zunächst dichotome Definition von Natur kann kontextbezogen umgedeutet werden. Auch der Schutz städtischer Bäume, der über die sogenannten Tree Rules reguliert wird, wurde über die Jahre hinweg ständig angepasst und reduziert. Im September 2015 wurde festgelegt, dass nur jene Bäume, die auf einer speziellen Liste geführt werden, dem Baumschutzgesetz unterliegen. Um einen Baum für die Listung anzumelden, muss ein zwölfseitiges Formular ausgefüllt werden, das neben formalen Angaben auch Erklärungen über die besondere Bedeutung und Werthaftigkeit des Baumes erfordert. Alter, Form und Größe müssen auf Skalen beurteilt werden. Dabei orientiert sich die Bewertung an festen Vorgaben. Für einen hundertjährigen Baum können zehn Punkte vergeben werden, ein unter 40-jähriger erhält höchstens zwei Punkte. Die Bewertung der Größe orientiert sich an Durchschnittswerten: liegt der zu listende Baum bis zu 25 Prozent über der Durchschnittsgröße, kann er mit fünf Punkten bewertet werden; überschreitet die Größe diesen Wert, sind bis zu zehn

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Punkte möglich. Als »visual contribution« wird die Lage des Baumes beschrieben. Ihre Bewertung unterliegt Kriterien der Sichtbarkeit. Steht der Baum an einer Autobahn und wird potenziell von mehr als 5000 Menschen täglich gesehen, kann die volle Punktzahl vergeben werden, während ein Artgenosse im Hinterhof, der von rund 100 Menschen am Tag betrachtet wird, lediglich zwei Punkte erreichen kann. Um in die engere Auswahl zur Listung zu gelangen, müssen insgesamt mindestens 20 Punkte erzielt werden. Weitere Kriterien können unter Kategorien wie Erbe, inhärente oder kulturelle Bewertung frei ausformuliert werden. Abschließend muss eine DIN A4-Seite zur schriftlichen Begründung der Schützenswertigkeit des betreffenden Baumes beschrieben werden (Auckland Council 2016). Über diese Regulierungen wird schützenswerte Natur als messbar definiert. Diese umfangreiche Prozedur zeitigt oft keine Wirkung, die meisten Anträge werden abgelehnt. Vor dem Hintergrund der neuen Baumpolitik hat sich auch der Slogan, unter welchem das Auckland Council auf die Berücksichtigung der neuen Regeln hinweist, verändert: »Check before you chop« – offensichtlich wird damit nicht die Praxis des Fällens an sich kritisiert, sondern informiertes und damit legales Handeln gefordert (Auckland Council 2016). Anders als der Diskurs um Weeds ist die Debatte um schützenswerte, native Bäume nicht unumstritten und das Ideal einer nativen Natur wird mit unterschiedlichen Bedingungen ausgehandelt. Dabei können gewünschte Merkmale eines städtischen Lebensstils in Auckland wie etwa ein unbeschatteter Nutzgarten oder ein Terrassenausblick gegen das Ideal des Schutzes nativer Spezies abgewogen werden. Im mittelständischen Māngere Bridge treffe ich bei meinen Bekannten auf Entrüstung. »It was a bad year for the trees«, sagt mir Lynn, als ich sie besuche, um über ihre Aktionen für eine bessere Mülltrennung zu sprechen (Lynn, EP Māngere Bridge 27.10.2015). Sie erzählt, wie sie wütend und weinend durch den Garten gerannt sei, als ihre Nachbarn einen alten Baum zugunsten ihres Hafenblicks fällten. In Devonport erzählen mir meine Bekannten im Community Garden, dass es gelegentlich zu »Übergriffen« auf Bäume in der Nachbarschaft komme, wenn diese etwa Schatten auf ein Blumenbeet werfen. George berichtet mir an einem sonnigen Mittwochnachmittag im Gemeinschaftsraum des Community Gardens: »You never see who has done it. But you can imagine who felt disturbed by the tree. It happens now and then.« Vera7 fügt an: »Well, everything has its limits. I think trees are important. But if they bother you, I mean what should you do. It’s not funny if your garden is shadowed all the time.« (George und Vera, EP Devonport 16.12.2015)

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Vera ist eine fast 50-jährige Pākehā, die vor vielen Jahren aus Christchurch nach Devonport gezogen ist.

4. »I talk about the weediest city in the world«

Die neue Legislatur für den Baumschutz löst Protestaktionen aus. Als im März 2015 in Titirangi ein auf 800 Jahre geschätzter Kauri-Baum zugunsten eines Hausbaus gefällt werden soll, protestieren die Nachbar*innen. Ein etwa 30-jähriger Mann besetzt die Baumkrone für drei Tage, bis die Architekt*innen des Bauprojektes versprechen, den Kauri-Baum zu bewahren. Stattdessen wollen sie andere, jüngere und nicht-native Bäume auf dem Grundstück entfernen und ihre Pläne entsprechend anpassen. Nach rund einem halben Jahr bemerken Nachbar*innen, dass das Fällen des fraglichen Baumes doch und ohne Vorankündigung in Auftrag gegeben wurde und können die beauftragte Firma gerade noch abhalten. Erneut besteigt ein »Tree Sitter« den geschichtsträchtigen Baum und verbringt kurz vor Weihnachten 2015 fast zwei Wochen in der Krone. Als Unbekannte beginnen, den Baum zu ringeln8 , klettert der Aktivist hinunter um erste Hilfe zu leisten. Der Baumbesetzer wird wegen widerrechtlichen Betretens zu einer Strafe von 1000 NZD verurteilt und das Schicksal des verletzten Baumes bleibt unklar (vgl. Fischer 2016). Hieran wird deutlich, dass die als Konsens formierte Care für die lokale Umwelt in Auckland sehr unterschiedlich ausgelegt und umgesetzt werden kann. Im städtischen Umweltdiskurs überlagern sich verschiedene Interessen und kollidieren mit ästhetischen, ökonomischen und praktischen Motivationen. Der als Konsens formierte Imperativ, native Natur zu schützen, wird je nach Kontext brüchig und fragil. CareBeziehungen sind von Machtverhältnissen geprägt, die sich sehr komplex gestalten können. Auch innerhalb des Netzwerkes des »acting-for-self-and-other-together« entladen sich Machtkämpfe und Interessenkonflikte (vgl. Held 2006: 12). Die Stadtregierung steht unter dem Druck, genügend Wohnraum für die stetig wachsende Bevölkerung zur Verfügung zu stellen und sieht sich im Spannungsfeld zwischen Erhalt und Bebauung urbaner Natur. Hinzu kommen Machtungleichgewichte, die sich aus einer sozioökonomischen Hierarchisierung in der Stadt ergeben und lokale Akteur*innen mit ungleicher Handlungsmacht ausstatten. Über die neuen Tree Rules wird beispielsweise die Position der Bauunternehmen gestärkt und jene der Baumschützer*innen geschwächt. Sorge um die Umwelt gestaltet sich bei Weeding und Schutz nativer Pflanzen nicht harmonisch, sondern sehr konfliktreich und zuweilen gewaltsam. Die lokale Care-Ethik und ihre Ideale von Verbindlichkeit und gemeinsamer Sorge, die sich beim Weeding und damit assoziierten Praktiken entfalten, sind Spannungsfelder, über die unterschiedliche Konflikte ausgetragen werden, die sich mit ethnischen und sozioökonomischen Aushandlungsprozessen verbinden.

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Beim Ringeln werden ringförmig Streifen der unteren Baumrinde entfernt, um den Saftstrom und damit den Versorgungskreislauf des Baumes zu unterbrechen.

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5. »Come down to a garden, plant some plants, eat a cabbage and you’d feel better«1 Community Gardening als Selbstpraxis

Garden Tour Es ist ein angenehm warmer Morgen, als wir in dem alten Schulbus vom Māngere East Community Centre zu unserer Garden Tour aufbrechen. Akahata, ein etwa 50-jähriger Māori aus Māngere East, engagiert sich als Fahrer für gemeinschaftlich organisierte Ausflüge und Transfers am Community Centre. Heute ist er auch KoOrganisator und interessierter Teilnehmer. Wir sind zu acht im Bus, die meisten wohnen in Māngere East. Sara, eine etwa 40-jährige Pākehā, die als Sozialarbeiterin in verschiedenen Funktionen in Māngere East tätig ist und selbst in Māngere Bridge wohnt, hat das Programm der Garden Tour festgelegt. Sie arbeitet eng mit Akahata zusammen. Bei der Planung war es ihr wichtig, möglichst unterschiedliche, private und kommerzielle Gartenprojekte zu besuchen. Alle Teilnehmer*innen erhalten ein DIN A4-Papier, auf welchem die einzelnen Stationen aufgeführt sind. Die Tour basiert auf einem interaktiven Konzept: es geht Sara nicht nur darum, durch die Beete zu schlendern, sondern mit den Menschen, die diese angelegt haben und täglich dort arbeiten, ins Gespräch zu kommen. Sie erzählt mir, dass es ihrer Erfahrung nach viele Bewohner*innen gebe, die sich durchaus für den Gartenanbau interessierten, sich aber noch nicht für ein aktives Engagement entscheiden konnten. Sie hofft, mit der Tour visuelle und inhaltliche Anreize zu schaffen, selbst aktiv zu werden. Akahata bestätigt dieses Ziel: »It’s just to get people visual and to see ›oh I could do thAt one‹ just taking them on the bus just to open their eyes and eh yeah we get some really good a network of people who are really supportive of what we are doing and bringing local people to to yeah grow again.« (Akahata, I Māngere East 08.03.2016)

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Zitat von Dustin, I Devonport 23.10.2012.

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Die Atmosphäre im Bus ist sehr entspannt, die meisten Teilnehmer*innen kennen sich bereits aus der Nachbarschaft und erzählen viel miteinander. Unseren ersten Halt legen wir bei einem kunstvoll angelegten Ziergarten ein, der für seine Blütenpracht von vielen bewundert wird. Wir nehmen uns Zeit, durch die geschwungenen Pfade des Gartens zu spazieren und die süßlich duftenden und üppig blühenden Sträucher und Bäume zu betrachten. In der Verkaufshalle des Gartens werden auch Gestecke und Kränze gebunden sowie Schnittblumen verkauft. Danach besuchen wir Sefinas Familiengarten, den ihr Vater vor Jahrzehnten angelegt hat, als er mit seiner Familie aus Samoa einwanderte. Inzwischen ist Sefinas Vater tot. Sie, ihre Schwester und ihre Töchter kümmern sich um das große Anwesen. Sefina verschenkt Taro-Wurzeln2 und frische Grapefruits aus ihrem Garten. Zur Mittagspause empfängt uns Zara, eine etwa 70-jährige Pākehā, in einem großen Community Garden. Sie führt uns durch die weitläufige Gartenfläche und bietet uns anschließend an, uns auf die Bänke der Veranda zu setzen, um zu erzählen. Anschließend besuchen wir in Māngere Town eine Schule, die einen Kräutergarten für die Schüler*innen angelegt hat und diesen gemeinsam bewirtschaftet. Wir beschließen unseren Ausflug mit einer Führung durch das auf traditionelles MāoriGärtnern ausgerichtete Māngere Mountain Education Centre. Inzwischen sind wir schon mehrere Stunden gemeinsam unterwegs. Die städtischen Community Gardens werden gleich zu Beginn meiner Forschung zentrale Untersuchungsorte für mein Interesse an urbanen Ethiken. Sie basieren auf konkreten Visionen über städtisches Zusammenleben und transportieren damit schon implizit Vorstellungen des Guten, die in die Zukunft projiziert werden. Im vorhergehenden Kapitel habe ich beschrieben, wie sich ethische CareBeziehungen als Relationen zu Anderen bei Weeding-Praktiken auffalten. Nun analysiere ich die Selbstbeziehungen beim Community Gardening. Ich befasse mich hier mit ethischen Beziehungen, die Akteur*innen zu sich selbst aufbauen und pflegen. Diese Selbstverhältnisse vollziehen sich nie in einem sozialen Vakuum, grenzen sich aber deutlich von sozialen Beziehungen zu Anderen ab.   Community Gardening ist von spezifischen Vorstellungen über Gemeinschaftlichkeit und soziale Relationen geprägt. Das Sich-in-Beziehung-Setzen ist ein wesentliches Charakteristikum des emphatisch gemeinschaftlichen Community Gardens. Gerade aufgrund dieser gemeinschaftlichen Orientierung interessiert mich, wie Selbstverhältnisse in kollektiven Praktiken hergestellt werden. Ich betrachte das gemeinschaftliche Gärtnern hinsichtlich der hier praktizierten Reflexionen und Problematisierungen des eigenen Selbstes. Aus einer Foucaultschen Perspektive werden über das Infragestellen der eigenen Person Selbsttechniken entwor2

Taro ist eine Nutzpflanze, die stärkehaltige Rhizome ausbildet. Diese werden in der polynesischen Küche gekocht oder geröstet verwendet.

5. »Come down to a garden, plant some plants, eat a cabbage and you’d feel better«

fen und angeeignet, die einem teleologischen Ideal folgend zur Selbstoptimierung führen sollen (vgl. Foucault 1987). Ich blicke auf diese Praktiken, die zu Aufbau und Pflege eines idealisierten Selbstes genutzt werden. Selbstformation als Erfahrung und Entwicklung des eigenen Selbstes verstehe ich als interaktiven Prozess, der aus einem Wechselspiel zwischen dem Selbst und seiner – belebten und unbelebten – Umgebung emergiert. Die Umwelt der Akteur*innen ist von impliziten und expliziten Setzungen durchdrungen, die unterschiedlich angeeignet, umgesetzt, modifiziert oder abgelehnt werden können. Die Deutungen, die im Community Garden kursieren, sind keine konkreten Vorgaben, sondern Angebote, die von den Akteur*innen individuell aufgegriffen werden. Diese subtilen Einflüsse schlagen Ideale des guten Subjektes vor und werden wiederum von den Aneignungsprozessen und Selbstformationen der Akteur*innen verändert. Subjektivierungen verstehe ich nicht als einheitliche und unilineare Verläufe, sondern als brüchiges und fluides Werden. Mich interessiert, wie die Akteur*innen über das Gärtnern städtische Subjektideale artikulieren und die körperlichen Praktiken für das Aufbauen und Pflegen ihrer Selbstbeziehungen nutzen. Dabei interagieren diese Selbstverhältnisse mit Beziehungen, die zu Anderen, der Umwelt und der Stadt aufgebaut werden und beeinflussen sich wechselseitig. In diesem Kapitel setze ich mich mit unterschiedlichen Aspekten des Gärtnerns auseinander, die meine Akteur*innen mit städtischen Idealen des guten Lebens und der Entwicklung eines guten Selbstes in Zusammenhang bringen. Zunächst erläutere ich, wie sich in spezifischen Formen der urbanen Raumnutzung Vorstellungen der guten Stadt artikulieren, die in Wechselwirkung zu Idealen des guten Selbstes stehen. Anschließend betrachte ich, wie meine Akteur*innen Interaktionen mit Pflanzen nutzen, um sich spezifische Eigenschaften anzueignen, an kulturelle Traditionen zu erinnern und spezifische Verbindungen in und mit der Natur aufzubauen. Daran anknüpfend lenke ich den Fokus auf die Stärkung lokaler Identitäten, nachhaltigen Wirtschaftens und persönlichen Rückzugs in den Gärten. Die Garden Tour ist nur ein Projekt unter vielen, das gerade von den Manager*innen des Māngere East Community Centres entworfen, besprochen und umgesetzt wird. Naturerleben, Aktivität und gesunde Ernährung miteinander zu verbinden, ist schon seit Jahren ein Anliegen der sozialen Einrichtung, die wöchentlich von etwa 2500 Anwohner*innen aufgesucht wird. Dabei arbeiten die neun Angestellten und fünfzehn Freiwilligen eng zusammen, um jedes Jahr neue Initiativen für die Community zu gestalten. Als ich im Jahr 2015 meine dritte Feldforschungsphase beginne, hat Akahata die ersten Beete des künftigen Community Gardens im Hinterhof des Zentrums gerade ausgegraben. Im Laufe meiner Forschungszeit gründen wir gemeinsam einen Garden Club, der sich jede Woche trifft und um die Pflege des Gartens kümmert (s.u.). In vielen Gesprächen mit Ilias, einem der Manager des Zentrums, und anderen Anwohner*innen wurde angesprochen, dass es

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kaum öffentliche Räume in Māngere East gebe, die als Treffpunkte genutzt werden können. Für Ilias sind alle Projekte mit einem sozialen Aspekt verknüpft. Er möchte den Zusammenhalt zwischen den Anwohner*innen stärken und einen ausgeprägten Gemeinschaftssinn etablieren. Auch das Gärtnern versteht er in diesem Zusammenhang als gemeinschaftsbildende Initiative. Die Community Gardens, die ich erforsche, gehen aus einem spezifisch urbanen Kontext hervor. Es handelt sich um Flächen, die explizit für gemeinschaftlichen Gartenanbau in der Stadt angeeignet und definiert werden. Dabei passen sich die Gärten in eine urbane, dicht bebaute Landschaft ein. Hier werden nicht nur Methoden des Gemüseanbaus oder Kompostierens ausgeübt, sondern auch alternative Projekte ausprobiert. Die Gärten gestalten sich als urbane Möglichkeitsräume, in welchen kulturelle, traditionelle und alternative Lebensstile und Erfahrungen exploriert werden können. In dieser Lesart bereichern sie den städtischen Raum, um neue Ideen und Ideale zu kommunizieren, umzusetzen und zu verkörpern. Die Gärtner*innen mobilisieren städtische Möglichkeiten, ohne das Urbane an sich abzulehnen. Ich verstehe die Community Gardens nicht als anti-urbane Orte, sondern als integrale und zentrale Elemente des Städtischen. Die Gardening-Projekte, bei welchen ich geforscht habe, richten sich nicht gegen das städtische Leben als solches, sondern versuchen, dieses über die geschaffenen Möglichkeitsräume gezielt zu verbessern.

Städtischen Raum nutzen In diesem Abschnitt setze ich mich mit spezifischen Raumnutzungen auseinander, die über Community Gardening umgesetzt werden. Um Ideale der guten Stadt zu verwirklichen, werden urbane Räume von meinen Akteur*innen angeeignet, umgedeutet, verändert und subjektiviert. Dabei spielt der städtische Anbau von Pflanzen eine zentrale Rolle. Anders als bei Weeding-Praktiken werden im Community Garden nicht nur native Pflanzen geschützt und umsorgt, sondern vor allem Nutzpflanzen, deren Herkunft nicht von primärem Interesse ist. Dass die Erdbeere nicht endemisch ist, scheint aufgrund ihres wohltuenden Geschmacks und ihres Vitaminreichtums nicht von zentraler Bedeutung zu sein. Nichtsdestotrotz weisen mich meine Interaktionspartner*innen explizit und mit einem gewissen Stolz darauf hin, wenn eine native Pflanzenart auf einem unserer Beete wächst. Offensichtlich korrelieren die umsorgten Pflanzen in diesem Kontext aber auf eine andere Weise mit Auckland. Anders als beim Weeding wird die Stadt nicht aus einer »Bedrohung« durch »invasive« Arten »gerettet«, sondern über das Gärtnern durch (native und nicht-native) Pflanzen bereichert. Die Gärtner*innen eignen sich Bereiche des urbanen Raumes an und zumeist handelt es sich um Landflächen, die

5. »Come down to a garden, plant some plants, eat a cabbage and you’d feel better«

als ungenutzt3 gelten, der Stadt gehören und aufgrund von gesundheitsbedenklichen Schadstoffen im Boden nicht als Bauplätze freigegeben sind. Der Devonporter Community Garden 14 ist beispielsweise auf einer ehemaligen Mülldeponie erbaut, die mit Erdschichten verschlossen wurde. Offiziell sind die darunter befindlichen Substanzen dadurch daran gehindert, an die Oberfläche zu diffundieren. Manche meiner Gesprächspartner*innen äußern aber Bedenken über die Sicherheit des Standortes. Ich spreche mit Samuel über die Bodenqualität der Gärten. Samuel hat unzählige Community Gardens initiiert, bietet Workshops im ganzen Stadtgebiet an und betreut viele Gärten, die er als vernetzt versteht. Einige dieser Gärten sind auf ehemaligen Bowlingplätzen errichtet, die vermutlich aufgrund der hierfür verbauten Materialien auch als gesundheitsgefährdende Flächen gelten. Gewissermaßen handelt es sich also um Wieder-Aneignungen oder Re-Integrationen verunreinigter Gebiete. Durch ihre praktische und zumeist auch offizielle Nutzung als Community Gardens werden sie wieder in den städtischen Kontext zurückgeführt und belebt. Ohne dass also die Materialität des bedenklichen Bodens verändert wurde, wird dieser durch spezifische Praktiken wieder als urbaner Raum wahrgenommen und genutzt. Über das Gärtnern werden Orte und Räume in der Stadt neu definiert, mit neuen Erfahrungen und Geschichten beschrieben. Nicht alle Gärtner*innen wissen über die historischen Bedingungen der bearbeiteten Böden Bescheid. Die neuen Nutzungspraktiken verleihen den Gärten ein anderes Narrativ. Ich erinnere mich an mein erstes Interview mit Dustin, einem Ende 30-jährigen Pākehā, der 2012 noch der Koordinator des Devonporter Community Gardens 1 ist, bevor er ein paar Jahre später mit seiner Familie in die rurale Umgebung zieht. Er erzählt mir damals sehr lebhaft von der alten Mülldeponie, die vor dreißig Jahren zugeschüttet wurde. Das bedenkliche Gebiet ragt zum Teil in die Fläche des Community Gardens hinein und er kann die betreffende Region vage ablaufen und bezeichnen. Als ich dreieinhalb Jahre später mit ein paar Gärtner*innen plaudernd im Garten stehe und wir auf das neue Community Recycling Centre zu sprechen kommen, das vor den Toren des Community Gardens eröffnet werden soll, erwähne ich die Bodenverschmutzung, die Dustin mir eindrücklich beschrieben hatte. Max, einer der neuen Koordinatoren, winkt lächelnd ab: »That’s quite a while ago«. Mary, die schon seit längerem mitgärtnert, bringt sich ein: »Yes I know where about it is. They told me to wear gloves when working in this area there.«. Sie zeigt unspezifisch nach links, ohne den umschriebenen Raum konkreter anzudeuten. Phil, der sich auch schon seit vielen Jahren im Garten engagiert, schüttelt den Kopf: »I never heard about that! Nobody ever told me to wear gloves anywhere!« (Konversation, EP Devonport 02.03.2016). Die Gärtner*innen, die mit mir in einem Halbkreis vor 3 4

Ich halte den Begriff für problematisch, da die Definition des »Nutzens« informelle Akteur*innen und ihre Nutzungspraktiken gemeinhin nicht mit einschließt. Zur Anonymisierung ersetze ich die Namen der Gärten durch eine Nummerierung.

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dem Schuppen stehen, müssen lachen. Das Halbwissen, das über die Bodenverschmutzung im Garten kursiert, ist für sie eher komisch als bedrohlich. Sie witzeln über ihre Begriffe von Bioqualität, da sie lokal produziertes Obst durchaus als biologisch angebaut – wenn auch nicht zertifiziert – anbieten, und wechseln dann das Thema. Offensichtlich wird dieser spezifischen Vergangenheit des Ortes aktuell keine große Bedeutung beigemessen. Über Interaktionen und Narrative reguliert sich, wie der Raum wahrgenommen und definiert wird. Als ungenutzt irgendwo auf den Hügeln in der Nähe des Recyclinghofes liegende Fläche kommt diesem in der Vergangenheit eine gänzlich andere Bedeutung zu als in seiner gegenwärtigen Nutzung und Repräsentation als Community Garden. Die Vorgeschichte der Fläche, die angesichts ihrer womöglichen Gesundheitsgefährdung noch in die Gegenwart hineinspielt, tritt hinsichtlich der neuen Nutzungspraktiken in den Hintergrund. Die über diesen Ort erzählten Geschichten beginnen meist erst mit seiner Nutzung als Garten – ab diesem Zeitpunkt werden rege Erinnerungen ausgetauscht, die bis in die Gegenwart hinein bedeutsam sind. So ist der Kampf um den Erhalt des Community Gardens, als dieser im Jahr 2012 nicht mehr finanziert werden soll, ein identitätsstiftendes Erlebnis. Nicht zuletzt erfahren viele Bewohner*innen erst im Zuge dieser drängenden Probleme von der Existenz des seinerzeit bedrohten Gartens. Dustin erzählt mir, dass der Garten gerade in diesen kritischen Wochen am frequentiertesten gewesen sei. Seit das Fortbestehen des Community Gardens gesichert ist, hat Dustin viele der damaligen Nutzer*innen nicht mehr gesehen. Er sagt mir: »You know for a garden it’s not enough to just be there. It needs people to work with it. A garden is not a garden if there is nobody who cares for it. Without people it makes no sense, it is unthinkable.« (Dustin, EP Devonport 23.10.2012) Der Raum wird durch das aktive Engagement der Teilnehmer*innen erst zu einem Garten und erst durch diese Nutzung wieder zu einem lebendigen Teil der Stadt. Dabei ist die Interaktion mit Boden und Raum von zentraler Bedeutung. Die Akteur*innen setzen sich nicht nur miteinander in Verbindung, sondern berühren, bearbeiten, verändern die Erde, die Beete, den Ort. Der Garten definiert sich nicht über seine Benennung, sondern über die praktischen Umsetzungen, die körperlich-affektiv auf den Beeten vollzogen werden. Durch die lokalen Aktivitäten, Praktiken und Entscheidungen wird die Gartenlandschaft lebendig. In Devonport ist noch ein zweiter Community Garden durch praktische Umnutzung und aktives Gestalten entstanden. In dem von Doro betreuten Gemeinschaftsgarten ist keine Verschmutzung des Bodens bekannt. Es handelt sich um Council-Land, das den Gärtner*innen mietfrei von der Stadt zur Verfügung gestellt wird. In ein Parkgelände auf einem Hügel eingegliedert, in welchem man nur ab und an Spaziergänger*innen mit Hunden begegnet, ist auch diese Fläche

5. »Come down to a garden, plant some plants, eat a cabbage and you’d feel better«

umgedeutet worden – von einem wenig genutzten Parkareal zu einem regelmäßig besuchten und aufwendig organisierten Community Garden. Obgleich der Garten bereits seit Jahren besteht, ist er vielen Bewohner*innen noch immer nicht bekannt. Hätte dieser eine prominentere Lage, würden sich mehr Teilnehmer*innen finden, meint Doro. Dabei ist sie weder mit der Frequentierung des Gartens, noch mit seiner Positionierung unzufrieden. Viele Gärtner*innen schätzen die Lage inmitten des grünen Areals und genießen die ruhige Atmosphäre, um sich vom Straßenlärm einer Lake oder Victoria Road zu distanzieren. Bei der Lake Road handelt es sich um das viel beklagte Nadelöhr in Devonport: sie ist die einzige Straße, die Auckland mit Devonport auf dem Landweg verbindet und daher enorm belastet. Strategien, um den Verkehr besser zu verteilen, werden regelmäßig und lebhaft diskutiert. Die Victoria Road führt von dem Hafen durch die Geschäftszeile des Viertels bis zu den Wohngebieten. Die Akteur*innen entwerfen und verwirklichen eine spezifische Ästhetik in den Community Gardens. Die beiden Devonporter Gärten unterscheiden sich in dieser Hinsicht deutlich: während in dem kleinen Garten (2) eine Ästhetik des Unvollendeten und Improvisierten vorherrscht, wirkt der große (1) organisiert und aufgeräumt. Beide spielen mit dem Charme des Alternativen, der sich beispielsweise im Wiederverwerten und Umdeuten von Gebrauchsgegenständen wie alten Töpfen und Brettern zeigt, die entweder zu künstlerischen Objekten umgestaltet oder einem neuen Nutzen zugeführt werden. Das Aneignen des städtischen Raumes vollzieht sich auch über das Umsetzen dieser je eigenen Ästhetiken, die eng mit den gärtnerischen Nutzungspraktiken verbunden sind. Dabei verweisen meine Akteur*innen mich mehrfach darauf, dass der Community Garden sich auch visuell von der urbanen Landschaft abhebe und wie eine Pause (»break«, Doro EP Devonport 09.10.2015) von der dicht bebauten Umgebung fungiere. Ich finde diesen Aspekt besonders deshalb interessant, weil die beiden Community Gardens in Devonport von weitläufigen Grünflächen umgeben sind und sich gerade nicht zwischen dicht bebaute Häuserreihen drängen. Dennoch wird der Community Garden als Raum visueller und sensueller Erholung in der Stadt empfunden. Als ich mit Doro, die inzwischen den kleinen Community Garden 2 koordiniert, durch das Schmetterlingshaus hinter dem Gemeinschaftshaus schlendere, das sich wie ein überwärmtes Gewächshaus anfühlt, wird mir die ästhetische Dimension des Gärtnerns bewusst. Ideale dieses städtischen Raumes drücken sich in seiner Bebauung, Bepflanzung und Gestaltung aus. Das Schmetterlingshaus ist nicht nur ein Ort, der pragmatisch für den Erhalt einer Spezies gepflegt wird, sondern auch von spezifischen Vorstellungen über Schönheit und Lebensgefühl geprägt. Obgleich gerade der von Doro betreute Community Garden nicht zu den großflächigsten zählt, kommt er mir als eine Assemblage unterschiedlicher Orte vor. Die Beete im Eingangsbereich variieren in ihrer Bepflanzung je nach Saison und Gusto der Gärtner*innen und auch das Gemeinschaftshaus, das nicht nur hinsichtlich

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seiner Positionierung den Mittelpunkt des Gartens darstellt, verändert seine Gestalt je nach Anlass. Zum Kochen, Bierbrauen, Basteln und für Gesprächsrunden wird der Raum den Bedürfnissen entsprechend umgestaltet und eingerichtet. Ausgestellte Bilder der sich hier treffenden Künstlergruppe, selbst produzierte Waren wie Honig oder Pesto, die zum Verkauf angeboten werden und Dekorationen von diversen Veranstaltungen verweisen auf aktuelle Nutzungspraktiken. Wendet man sich von der Tür des Gemeinschaftshauses, vor welchem Kräuter wie Pfefferminze und Petersilie wuchern, zur linken Hand, stößt man auf die kleine Kompostecke, die über die Jahre hinweg ausgebaut wurde. Auch da Doro gerade mit dem örtlichen Supermarkt, der unweit vom Hafen im unteren Teil Devonports gelegen ist, über die Annahme von Kaffeepads verhandelt, wird dieser Bereich vermutlich erneut erweitert werden. Ein kleiner Schuppen dient zur Aufbewahrung von Gartengeräten, hieran schließt sich das erwähnte Schmetterlingshaus an, gefolgt von dem selbst gebauten Hühnerstall »Hen Hilton«, der erst vor kurzem von Henry, einem engagierten Gärtner, ausgebessert wurde. Nun befindet man sich schon direkt hinter dem Gemeinschaftshaus und passiert einen kleinen, mit Bäumen und Sträuchern überwachsenen Hügel auf der rechten Seite, um wieder zu den Beeten am Eingang zu gelangen. Die Kombination dieser variablen Orte, die sich saisonal, je nach Motivation und Nutzungspraktiken der Gärtner*innen verändern, formiert sich zu einem lebhaften Raum, der sich von anderen städtischen Lokalitäten absetzt. Die Besonderheit des Community Gardens als städtischer Raum liegt nicht nur in dem Anbau von Blumen und Gemüse begründet, sondern auch in der beweglichen, fantasievollen Wandelbarkeit des Ortes. Hier wird ein Stadtraum geschaffen, der Möglichkeiten eröffnet. Dabei bleibt die Grundstruktur des Gartens über meine vielen Besuche zwischen 2012 und 2016 hinweg erhalten. Innerhalb dieser Anordnung unterschiedlicher »Regionen« des kleinen Gartens ereignen sich aber stetig Veränderungen. Ab und an bilden sich auch neue Bereiche heraus, die zunächst vorübergehend neue Nutzungsmöglichkeiten eröffnen – etwa als vor dem Gemeinschaftshaus ein kleines Gehege für Wachteln aufgebaut wird. Die Beete werden neu bepflanzt, das Gemeinschaftshaus umgeräumt, die Latten des Hühnerstalls ausgetauscht und bemalt. Die von mir als Struktur empfundene Aufgliederung in unterschiedliche Gartenbereiche ist sukzessive entstanden, ohne einen ausgeklügelten Masterplan für eine möglichst effiziente Nutzung. Sylvie erzählt mir im Jahr 2014, dass sich die Nutzung und damit auch die Ausgestaltung des Gartens allmählich entfaltet habe. Verschiedene Akteur*innen haben diverse Ideen artikuliert, die mit der Zeit umgesetzt wurden und werden. Sie findet, dass der Raum diejenigen, die ihn geformt haben, gewissermaßen widerspiegle:

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»It’s funny that the different parts of the garden are a bit like a handwriting, like a mirror. Sometimes you have the feeling that you can see who has done what, even if you haven’t seen or known it.« (Sylvie, EP Devonport 23.04.2014) Über die Ausgestaltung der Fläche schreiben sich auch Charaktere in die Gartenlandschaft ein. Der Raum wird durch Subjektivitäten geformt, die in seiner neuen Gestalt noch spürbar sind. Dabei stehen beide Dimensionen in einem Wechselspiel: die Community Gardener bearbeiten den Raum und dieser wirkt auf sie zurück, verändert die Atmosphäre und bringt neue Ideen und Ideale hervor. Sylvie erzählt weiter: »You know and then you have changed this or that and all in a sudden you see the new things and you still get another idea. There’s always something to do and you always see something new that leads you to something else and so on.« (Sylvie, EP Devonport 23.04.2014) Diese Impulse setzen sich aus ihrer Perspektive immer weiter fort, ohne initial als Abfolge geplant zu sein. Die Entwicklung des Gartens korreliert mit der Entwicklung der Gärtner*innen: »It’s a bit like the garden follows the people, you know. You have an idea, you change it, you see it. […] And this changes you yourself as well. […] The garden changes and grows, just as we do.« (Sylvie, EP Devonport 23.04.2014) Sylvie beschreibt eine Parallelität zwischen dem Wachstum des Gartens und der Akteur*innen, die ihn gestalten. Diese metaphorische Vergleichslinie verweist auf die Möglichkeitsräume, die Gärtner*innen bei ihren praktischen Arbeiten ausnutzen, um sich selbst zu gestalten und zu verändern.

Mit Pflanzen interagieren Die Aneignungen und Umgestaltungen des städtischen Raumes sind keine unilinearen Prozesse, die ausschließlich den Absichten und Planungen der Gärtner*innen folgen. Vielmehr werden die Veränderungen im Zusammenspiel mit urbaner Natur ausgetragen. Die Pflanzen in den Gärten fungieren nicht als bloße Objekte, sondern sind komplexe Entitäten, über welche sich Vorstellungen mit Materialitäten und Praktiken verflechten – in diesem Sinne treten sie als wirkmächtige Interaktionspartner*innen auf. Über das In-Beziehung-Setzen mit den Gartenpflanzen artikulieren meine Akteur*innen konkrete Wertvorstellungen, wie sich ein gutes Selbst in der Stadt gestalten und verhalten solle. In diesem Unterkapitel beschreibe ich die Aneignungsprozesse als »gut« definierter Eigenschaften, die meine Gesprächspartner*innen zur Selbstoptimierung in den Community Gardens nutzen.

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Wie die Geograph*innen Lesley Head und Jennifer Atchinson argumentieren, werden Pflanzen häufig als Kollektiv – etwa in Form von Gärten, Wiesen und Wäldern – gedacht und dadurch gewissermaßen unsichtbar gemacht (2009: 237). Im Community Garden sind diese Wahrnehmungen diverser. Nicht alle Pflanzen sind in ihrer Individualität sichtbar und spürbar, zuweilen werden sie auch als Gruppe zusammengefasst (»the tomatoes«), bleiben aber als eigenständige und aktive Akteur*innen präsent. Sie benötigen nicht nur Aufmerksamkeit und Pflege, sondern folgen auch ihren eigenen Rhythmen, mit welchen sich die Gärtner*innen in ihren Alltagswelten arrangieren. Oftmals werden den Pflanzen personifizierte Eigenschaften im Zusammenhang mit ihren Wachstumseigenschaften und Pflegebedürfnissen zugeschrieben – die Erdbeeren sind etwa empfindlicher als im Vorjahr, die Tomaten launisch oder der Salat großzügig. Als ich mit Sefina, die ich bei der Garden Tour kennengelernt habe, Tomatenpflanzen in den Community Garden in Māngere East setze, hebt sie die erste ganz vorsichtig aus dem Plastiktopf und lässt sie behutsam in die vorgesehene Mulde sinken. Der einfühlsame Umgang mit der Pflanze kontrastiert deutlich mit der Gleichgültigkeit, die sie dem herunterfallenden Plastiktopf entgegenbringt. Sie schaufelt Erde über das feine Wurzelwerk, klopft sie fest an und streichelt über die grünen Blätter. »Look how beautiful it is!«, sagt sie mit verträumter Stimme, ohne ihren Blick zu heben, und gleitet vorsichtig mit ihrem kleinen Finger über die noch sehr dezenten Früchte (Sefina, EP Māngere East 22.10.2015). In diesem Augenblick kommt mir Sefina zum ersten Mal einfühlsam und sanft vor. In unseren Gesprächen und Spaziergängen nehme ich sie als starke Frau wahr, die weiß, was sie will und Sentimentalitäten nicht nach außen trägt. Wenn wir uns treffen, umarmt sie mich zur Begrüßung fest mit ihren kräftigen Armen, spricht mit lauter Stimme und geht mit einem schnellen, bestimmten Schritt. Im Kontakt mit den Pflanzen wird eine andere Seite ihrer Persönlichkeit sichtbar, die in der bedachten Zuneigung gegenüber den Tomaten Gestalt annimmt. Für sie sind Pflanzen durchaus sensible Wesen, mit welchen sie interagieren kann. Die Sorge um das richtige Bewässern, der Schutz vor Schädlingen und zu starker Sonneneinstrahlung sind Praktiken, die sich nicht in dem Ziel erschöpfen, nach erfolgreichem Anbau große Früchte ernten und konsumieren zu können. Die Pflanze soll sich wohlfühlen (»feel well«) und kann in diesem Sinne auch als empfindsamer Teil der Community verstanden werden, die sich im Garten formiert. Wie die Geographin Sarah Wright beschreibt, faltet sich eine »non-human agency« nicht bloß wie ein Hintergrund auf, sondern nimmt eine aktive Rolle in affektiven Relationen ein (2015: 402). Die angebauten Gemüse wirken nicht nur als Verbindungsglieder zum Aufbau und Beleben zwischenmenschlicher Beziehungen, die im Garten geknüpft und gepflegt werden. Sie formieren sich zu einem eigenständigen Teil des Beziehungsgefüges, sind ebenso wie die menschlichen Akteur*innen mit Handlungsmacht ausgestattet und wirken auf Praktiken, Ordnungen und Zyklen im Garten ein. Die Befindlichkeiten der Pflan-

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zen prägen nicht nur routinierte Handlungsabläufe wie Bewässerung und Ernte, die systematisch nach spezifischen Regeln ausgeführt werden, sondern fordern mit ihrer Individualität und Unberechenbarkeit Anpassungsfähigkeit und Reaktionsvermögen der Gärtner*innen heraus. Das Gärtnern gestaltet sich als lebendiges Wechselspiel zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteur*innen. Die Wirkmacht der Pflanzen entfaltet sich nicht nur vor Ort und bei der unmittelbaren Arbeit auf den Beeten, sondern schreibt sich zeitlich und räumlich entgrenzt in die Alltagswelten der Gärtner*innen ein. Als ich mit Sefina die Beete des Community Gardens in Māngere East begutachte, erzählt sie mir, dass sie in der letzten Nacht schlecht einschlafen konnte, weil sie vergessen hatte, die Erdbeeren zu bewässern. Der Gedanke »that those little babys stay thirsty overnight« macht sie unruhig und irritiert sie noch am morgendlichen Frühstückstisch, als sie ihrer Tochter davon erzählt. Umso erleichterter ist sie, als wir bereits auf der Veranda stehend sehen können, dass die Erde feucht ist und sich irgendjemand um die Bewässerung gekümmert hat. Durch die Personifizierung der Erdbeeren als schutz- und pflegebedürftige Wesen positioniert sich Sefina selbst implizit als fürsorgliche und verantwortliche Instanz. Dabei werden den Pflanzen in unterschiedlichen Kontexten diverse Rollen zugeschrieben, die sich nicht auf Abhängigkeitsbeziehungen reduzieren lassen. Die Tomaten können auch verärgern, necken, ungeduldig, undankbar oder anspruchsvoll sein und damit nicht nur Zuneigung und Rücksicht evozieren, sondern auch Wut und Verstimmung. Die Interdependenzbeziehung vollzieht sich nicht nur über das Interesse der Gärtner*innen an einer gelungenen Ernte, sondern auch über ihre persönliche Beteiligung am Wohlbefinden der Pflanzen. Durch ihr Engagement zeichnen sie sich verantwortlich für das Kränkeln, Verblühen und Versterben. Obgleich Wetterbedingungen und andere Umstände berücksichtigt werden, können Missernte oder Pflanzensterben auch als persönliches Versagen gedeutet werden. Sefina befasst sich sowohl beruflich als auch in ihrer Freizeit mit unterschiedlichen Gärten und fühlt sich selbst verantwortlich für das Wohlergehen der angebauten Pflanzen. Deren Befindlichkeiten prägen auch ihr emotionales Erleben, können beispielsweise darüber entscheiden, ob sie einen Tag als gut oder schlecht bewertet. Diese (inter-)aktive und (mit-)gestaltende Wirkmacht der pflanzlichen Akteur*innen bezieht sich auch explizit auf den urbanen Kontext. Die Pflanzen interagieren mit urbanen Bedingungen wie beispielsweise der Luftverschmutzung, die sich in der städtischen Lebenswelt akkumuliert. Die durch Photosynthese bedingte Senkung des städtischen CO²-Gehaltes ist eine biologische Funktion, die von den Gärtner*innen als wichtiger Beitrag zum urbanen Umweltschutz betrachtet wird. Sefina findet ohnehin, dass die Luft in den Gärten spürbar sauberer sei. Eines Nachmittags fordert sie mich auf, mit ihr in den Garten zu gehen, die Augen zu schließen und tief Luft zu holen. Sefina schaut mich begeistert an und nimmt noch einen demonstrativ tiefen Atemzug: »It is fresh, it is sweet, it is clean!«

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(Sefina, EP Māngere East 27.01.2016). Sie versichert mir, dass die Community Gardens die gesündesten Orte im Stadtgebiet seien, da sich die Pflanzen positiv auf die Luftqualität auswirkten. Ferner erzählt sie mir von Pflanzen, die spezifische Schadstoffe aus der Atmosphäre filtern und in komplexen Umbauprozessen zersetzen könnten. Dabei werden die pflanzlichen Akteur*innen nicht nur hinsichtlich ihrer luftreinigenden Eigenschaften, sondern auch als gesunde Nahrungsmittel mit spezifische Auswirkungen auf die Körper der Konsument*innen geschätzt. Ihr lokaler Anbau wird nicht nur aus Umweltschutzgründen positiv beurteilt. Einige meiner Interaktionspartner*innen gehen davon aus, dass sich die hier angebaute Nahrung auch hinsichtlich des lokal konfigurierten Nährstoffprofils besonders eigne. Vera erklärt mir: »The plants that grow here take all their nutrients from this very soil. It’s not just random that we live here where the soil has a specific value. It is totally different in a community garden in Munich you see? I believe that the local soil offers those nutrients that the local people need. You might need something else when living down there than living here in Devonport where you get nutrients from our-, from the Devonport soil. This is how nature takes care for us. Everybody gets what he needs. […] And you know what? It’s not only the nutrients, it’s also the taste! You can experience that different people favour different flavours of honey according to where they live. I think they even made a study about that.« (Vera, EP Devonport 16.11.2015) Die Pflanzen, die hier konsumiert werden, sind nicht nur in Devonport angebaut, sondern auch im Community Garden, der aus biologischer Sicht über eine charakteristische Bodenzusammensetzung verfügt und in ein bestimmtes soziales Gefüge eingebettet ist. Durch soziale Interaktionen vor der Ernte werden die lebendigen Pflanzen und ihre Eigenschaften sichtbar und wahrnehmbar. Werden Pflanzen konsumiert, »verschwinden« sie nicht hinter einer spezifischen Zubereitung. Transformieren sie sich beispielsweise bei Community Meals im Gemeinschaftsraum zu Essen, ist den Gärtner*innen bewusst, dass sie genau die Pflanzen verzehren, die sie selbst angebaut haben und die dadurch mit einer gewissen Geschichte verknüpft sind. Diese Anerkennung von Individualität und Geschichtlichkeit wird in der Interaktion mit Tieren im Community Garden noch deutlicher: als im Devonporter Community Garden ein altes Huhn stirbt, einigen sich die erwachsenen Gärtner*innen darauf, den Kindern nicht zu erzählen, dass dieses liebevoll mit einem Namen identifizierte Huhn für das Abendessen zubereitet wurde. Ein gemeinsam angefertigter Gedenkstein erweckt vielmehr die Illusion, dass der Leichnam des Tieres in einem Grab auf dem Community Garden-Gelände verwahrt sei. Die emotionale Nähe zu den Pflanzen ist von anderer Qualität; während nicht alle im Garten bereit gewesen wären, das verstorbene Huhn zuzubereiten, empfinden die meisten Gärtner*innen weder Abwehr noch Ekel beim Töten und Verarbeiten

5. »Come down to a garden, plant some plants, eat a cabbage and you’d feel better«

einer Pflanze. In diesem Zusammenhang spricht man nicht von »Töten«, sondern von positiv konnotierter »Ernte«, die nicht als aggressiv oder destruktiv, sondern vielmehr als produktiv verbalisiert und thematisiert wird. Dennoch ist die Individualität, die den Pflanzen zugesprochen wird, durchaus mit emotional-affektiven Empfindungen verknüpft. Gärtner*innen verweisen auf den einzigartigen Geschmack der frischen Minze und erinnern sich an die Schwierigkeiten, die der in der starken Mittagssonne fast verbrannte Brokkoli gemacht hat, bis er heute geerntet und frisch zubereitet werden kann. Die emotionale Verbindung, die zu den als Nahrung zubereiteten Pflanzen besteht, hindert nicht an der Konsumption derselben, sondern begünstigt diese vielmehr. Die Individualität leitet sich hier über gemeinsame Erfahrungen ab, die als solche erinnert, aber nicht problematisiert werden. Gerade die emotionale Nähe zu den konsumierten Pflanzen ist im Gegenteil ein Wert als solcher, der sich gegen aktuelle Trends wie Fast Food, lange Produktionswege und stark verarbeitete Nahrungsmittel absetzt. Die Beziehung zu den Pflanzen wird in diesem Sinne als Kritik an zeitgenössischen Konsumtrends und als gesellschaftliches Ideal aufgefasst. Dabei geht der Ansatz über die biologische Begründung des lokalen Anbaus hinaus und nimmt auch auf soziale Visionen Bezug, die ein direktes Interagieren mit den Pflanzen idealisieren. Neben der lokalen Produktion betonen einige Akteur*innen in den Community Gardens auch ihre soziale Nähe zu den Pflanzen. Vor Ort produzierte Nahrungsmittel sind nicht nur für Strategien gegen den Klimawandel relevant, sondern auch für persönliche Gesundheitsideale, die sich aus globalen Diskursen speisen. Die empfundene Wesenhaftigkeit der Pflanzen spiegelt sich im interaktiven Umgang mit diesen. Bestimmte Pflanzen »tun gut« (»do good«) oder »helfen« (»help«) bei bestimmten Beschwerden, »vertragen sich« (»get well along with«) mit spezifischen Gemüsen und Gewürzen. Die Zugänglichkeit dieser mit Charaktereigenschaften belebten Entitäten – sowohl als umsorgte Pflanzen als auch als lokal produzierte Nahrungsmittel – wird von vielen meiner Interaktionspartner*innen als Luxus im urbanen Raum wahrgenommen. Samuel erzählt mir, dass viele Bewohner*innen davon ausgingen, dass der Anbau im dichten Stadtraum schlichtweg nicht möglich sei. Sowohl räumliche Restriktionen in beengten Hochhauswohnungen als auch zeitliche Einschränkungen durch einen schnellen, urbanen Lebensstil würden gemeinhin als selbstverständliche Hindernisse verortet. Dass es aber großzügige Anbauflächen und kaum Pflege erfordernde Pflanzen gebe, überrascht viele seiner Teilnehmer*innen. Samuel organisiert und betreut Workshops zu unterschiedlichen Anbau- und Ernährungsthemen bei gemeinnützigen Organisationen. Als er in einem Sozialzentrum in Papatoetoe, einem großen Stadtteil im Süden Aucklands, über Keimlinge referiert und praktische Anwendungsmöglichkeiten zeigt, begleite ich ihn. Die Teilnehmer*innen sind geistig retardierte Menschen, die in der Einrichtung betreut werden. Über zwei Stunden hinweg demonstriert er anhand unterschiedlich ausgereifter Keimlinge in Glasbe-

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hältern, wie einfach und schnell man platzsparend gesunde Nahrung produzieren könne. Als Samuel erzählt, dass die Pflanzensprossen enorm nährstoffreich seien, sind die Teilnehmer*innen und Organisator*innen überrascht. Bevor er mit konkreten Anweisungen über das Heranziehen der Keimlinge beginnt, stellt er einige grundsätzliche Aspekte der gesunden Nahrungsproduktion vor, die ich schon häufig von ihm gehört habe. Mit Flipcharts und Bildern erklärt er seine Philosophie und verweist er auf die enge Verbindung zwischen sozialen Kontakten und Nahrungsproduktion, Zubereitung und Verzehr. Für ihn stellen die Gärten, also der Anbau von Pflanzen, ein wesentliches soziales Bindeglied dar, über welches Gemeinschaft geschaffen wird. Er zeigt auf die Gläser, aus welchen die unterschiedlich reifen und daher verschieden großen Keimlinge hervorragen: »You see, we are just like them: the more we do, the more we grow. It is not only the germ bud that gets bigger and bigger, it is also ourselves« (Samuel, EP Papatoetoe 12.06.2014). Als wir nach der Veranstaltung gemeinsam zu Samuels Auto schlendern, sagt er mir, dass es ihm Spaß mache, sein Wissen zu teilen. Er vermutet, dass viele Aucklander*innen sich einer besseren Gesundheit erfreuen könnten, wenn sie um die einfachen Techniken der natürlichen Nahrungsproduktion wüssten. Gerade deshalb sei ihm die Wissensvermittlung wichtig: »You know we always have these discussions everywhere – yes if I were on the countryside I could do this and that. And I myself sometimes think like that, but still: with every restriction that we have here, it’s definitely possible to grow healthy food in an urban environment. And even though I’m a humble man I can say that I have proved it […] I mean I helped growing sO many gardens, you know it. You’ve seen a couple of them and they are still growing and getting more and more. It’s an amazing change to Auckland. An amazing change for the people.« (Samuel, EP Papatoetoe 12.06.2014) Auch Samuel führt die Parallelität von Pflanzen- und Selbst-Wachstum an, von der viele Gärtner*innen sprechen. Er betont, wie die Gärten den städtischen Raum bereichern und zu einer Veränderung in Auckland beitragen. Über die Interaktion mit den zu pflegenden Pflanzen könnten gewisse Eigenschaften wie Geduld und Ruhe geübt werden, die sich dann nicht nur bei der Arbeit auf den Beeten auswirken, sondern sich integral in die Persönlichkeiten einschreiben. Dustin aus dem Devonporter Community Garden 1 erklärt mir, was er mit Wachstum (»growth«) meint: »It is like you learn here that it’s not the end of the world if your pumpkin dies. And next time when you have a problem in your house, you remember – hey, I survived the death of my pumpkin, I can survive anything. It makes you stronger as you can experience different things here and then realise that they are true not only in your garden but also in your daily life.« (Dustin, EP Devonport 23.10.2012)

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Abbildung 11: Community Garden 1 in Devonport, 24.02.2016

(Photo: Jeannine-Madeleine Fischer)

Abbildung 12: Setzlinge im Community Garden Māngere East, 25.02.2016

(Photo: Jeannine-Madeleine Fischer)

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Der Garten wird hier zu einem Ort des urbanen Lernens stilisiert, in welchem Charaktereigenschaften erworben werden, die auch außerhalb der Beete zu einer optimierten Lebensweise beitragen. Konkrete Erfahrungen mit den Pflanzen lösen Reflexionsprozesse aus, so können Missernten oder längere Wachstumsperioden zur Problematisierung von Selbstzweifeln, Leistungsdruck oder Ungeduld anregen. Der Aktionsradius der Pflanzen, die als lebendige und wirkmächtige Akteur*innen auftreten, geht mit neuen Möglichkeiten für die Interaktion mit dem eigenen Selbst einher. Die Auseinandersetzung mit den handlungsfähigen und aktiven Pflanzen wirkt sich auf die Selbstbeziehungen der Akteur*innen im Garten aus. Über das Sich-in-Beziehung-Setzen eignen sich die Gärtner*innen als tugendhaft und erstrebenswert empfundene Eigenschaften an und verbessern ihre Selbste auf spezifische Weisen.

Erinnern an kulturelle Traditionen Dabei bieten die Gartenaktivitäten Entfaltungsmöglichkeiten, die über das Aneignen idealisierter Eigenschaften hinausgehen. In diesem Zusammenhang steht nicht das Erlernen neuer Haltungen im Vordergrund, sondern ein spezifisches Erinnern an kulturelle Traditionen, das über das körperlich-affektive Umsetzen von Gartenpraktiken vollzogen werden kann. In diesem Abschnitt gehe ich auf Aneignungen und Performanzen kulturellen Wissens ein, die sich beim Gärtnern artikulieren. Dabei beziehe ich mich auf das Erinnern an Māori-Traditionen, welches Akahata und andere Akteur*innen im Garden Club des Community Centres Māngere East betonen. Die Re-Integration von Māori-Wissen und -Praktiken verstehen sie als eine Verbesserung urbaner Lebensführung, die auch über das Gärtnern erreicht werden kann. In diesem Zusammenhang ist die koloniale Vergangenheit Aotearoa Neuseelands relevant, aus welcher zunächst eine bikulturelle Gesellschaft hervorgegangen ist, die sich inzwischen – insbesondere in dem ethnisch diversen Auckland – in eine »multikulturelle« transformiert hat (vgl. Spoonley 2015: 52). Im Zuge kolonialer Brutalitäten wurden Māori-Traditionen unterdrückt und sind durch den Verlust familiärer und spiritueller Verbindungen insbesondere für Māori in urbanen Kontexten häufig aus den städtischen Alltagswelten verdrängt. Mit einem Bevölkerungsanteil von knapp elf Prozent stellen Māori eine Minderheit in Auckland dar.5 Aufgrund dieser spezifischen Situation sind Projekte zur kulturellen Ermächtigung in der Stadt von besonderer Bedeutung. Das Gärtnern bietet eine Möglichkeit, sich mit unterrepräsentierten Traditionen zu verbinden und an kulturelles Wissen zu erinnern.

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Die Statistik bezieht sich auf 2020 (World Population Review 2020).

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Als ich im September 2015 zu meiner dritten Forschungsphase nach Aotearoa Neuseeland zurückkomme, suche ich das mir inzwischen vertraute Gemeinschaftszentrum in Māngere East auf. Akahata hat erst ein paar Wochen zuvor drei Gartenbeete hinter dem Community Centre ausgegraben. Über die geräumige Veranda, die sich an die Küche des Gemeinschaftszentrums anschließt, hat man Zugang zu den Beeten, die sich nun über die Fläche erstrecken, die bis vor kurzem nur als schmaler Grasstreifen diente. Hier werden gelegentlich unbrauchbare Gegenstände wie Paletten, Holzbretter oder Blumentöpfe gelagert. Neben den drei Beeten steht noch der kleine Sandkasten, in welchem Kinder unter Aufsicht der auf der Veranda sitzenden Erwachsenen spielen. Dabei wurde ein Großteil der länglichen Grasfläche nicht aktiv benutzt. Ilias, einer der Manager, stürmt enthusiastisch auf mich zu, als ich ihn nach einem Jahr wiedersehe, und schlägt mir sofort vor, meine im vergangenen Jahr kaum besuchten Green Conversations mit aktivem Gärtnern zu verbinden und einen Garden Club zu gründen (siehe Kapitel 3). Er führt mich auf die Veranda und zeigt mir stolz die noch nicht bepflanzten Beete. Ich frage ihn, was hier angebaut werden soll: »It’s the community who will decide. It could be anything – tomatoes, salad, what have you. And of course some kumara6 . There’s no rule, we’ll just have it as the community likes it to be.« (Ilias, EP Māngere East 25.09.2015) Als ich zu bedenken gebe, dass ich mich überhaupt nicht auf das Gärtnern verstehe, schmunzelt er und antwortet, dass wir hier alle voneinander lernen. Diese Aussage begegnet mir bei unterschiedlichen Gelegenheiten im Community Centre Māngere East und verhält sich lokal wie ein geflügeltes Wort. Wir treffen uns eine Woche später, um der Idee Gestalt zu verleihen. Das Brainstorming auf unserem Papier umfasst gemeinsames Anpflanzen, Mittagessen, Erzählcafés, Kinderspiele und Basteln für Ältere als generationenverbindende Aktivitäten. Auf der Website und Facebook-Präsenz des Community Centres kündigt Ilias das erste Treffen an und ich drucke Flyer aus, um sie im Zentrum, dem gegenüberliegenden Supermarkt, dem kleinen Kiosk und dem benachbarten Obstladen auszulegen. In Apotheke und Bäckerei hänge ich Plakate auf. Trotzdem dauert es mehrere Wochen, bis sich eine mehr oder minder stabile Mitgliedschaft etabliert. Zum ersten Treffen kommen Sefina, David und Nick. Sefina ist eine leidenschaftliche Hobbygärtnerin, die ich auf der Garden Tour kennengelernt habe. Ihre Familie besitzt einen großflächigen Garten in Māngere East mit vielen Zitrus- und Grapefruitbäumen, Blumen und Nutzpflanzen. Für sie ist der Garden Club eine andere Facette ihres Hobbys, das sie ohnehin gerne ausübt. David wohnt um die Ecke des Community Centres,

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Kumara ist eine lokale Süßkartoffelsorte, die traditionell in Māorigärten angebaut wurde und wird.

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er ist sehr schüchtern und erzählt, dass er hoffe, sich durch den Garden Club etwas mehr zu bewegen und sein Übergewicht zu reduzieren. Außerdem sieht er eine soziale Chance in der Teilnahme: »I don’t go out too often. So maybe that’s a chance to change it.« (David, EP Māngere East 22.10.2015). Nick ist vor ein paar Wochen aus China eingewandert, er ist um die 40, alleinstehend und hat gerade ein großes Haus mit Hafenblick in einer der teuersten Gegenden von Māngere Bridge erworben. Ein paar Wochen später lädt er mich ein, der Beratung durch einen professionellen Gärtner zur Anlage seines eigenen Gartens beizuwohnen. Für ihn solle der Garden Club Inspiration für sein eigenes Grundstück bieten. Sefina schlägt uns vor, das Unkraut auf den Beeten gemeinsam zu entfernen. Wir stellen einander kurz vor, trinken Saft auf der Veranda und beginnen mit dem Jäten. An dieser Konstellation zeigt sich, dass über das Community Gardening spezifische Beziehungsgeflechte geschaffen werden, die über die in alltäglichen Praktiken etablierten Relationen hinausgehen. Es ist relativ unüblich, dass Bewohner*innen aus Māngere Bridge nach Māngere East fahren, sofern sie nicht als Sozialarbeiter*innen oder Ehrenamtliche in diesem Stadtteil aktiv sind. Dass Nick für das Gärtnern ins Community Centre kommt, überwindet gewissermaßen diese durch Alltagspraktiken gezogene Grenzlinie zwischen einem wohlhabenden und einem marginalisierten Stadtteil. Diese Transzendierung alltagsweltlich gelebter Grenzen ist jedoch nicht von Dauer. Nick schreibt mir nach drei Wochen, dass er nicht mehr regelmäßig zu den Treffen kommen könne und bleibt den Meetings fortan fern. Da ich auch häufig Interaktionspartner*innen in Māngere Bridge besuche, sehe ich Nick noch von Zeit zu Zeit. Gelegentlich tauschen wir uns über den Community Garden aus, bald ist dieser aber nur noch Ausgangspunkt unseres Kontaktes und kein Kernthema mehr in unseren Gesprächen. Zu dem zweiten Treffen kommen Sefinas Schwester und ihr Mann, die vor allem von dem Garten ihres (Schwieger-)Vaters erzählen. Sie vertreten Sefina gewissermaßen, da sie aus beruflichen Gründen verhindert ist. Diese Runde ist ein Sich-Kennenlernen und erinnert an die Gesprächsrunden, die ich als Green Conversations in Devonport und in den vorangegangenen Jahren auch in Māngere East führe. Das Gärtnern dient als gemeinsamer Aufhänger, um sich auszutauschen; dabei wird viel über Māngere und persönliche Biographien gesprochen. Wir begehen den Garten zwar gemeinsam, arbeiten aber nicht auf den Beeten. Dieses Treffen bleibt mir weniger lebendig in Erinnerung als die später folgenden, bei welchen unsere Verabredungen zu sicht- und wahrnehmbaren Veränderungen führen werden. Sefina bleibt mit mir in Verbindung, kann wegen geänderter Arbeitszeiten aber nicht mehr an den wöchentlichen Treffen teilnehmen. Häufig kommt sie noch nach der Arbeit ins Community Centre, um nach den Beeten zu schauen. Manchmal bleibt sie stundenlang, um neue Pflanzen zu setzen oder Unkraut zu jäten. Wir treffen uns fortan meistens in dem Community Garden, den sie in einem anderen Stadtteil beruflich betreut. Als Kura in den Garden Club kommt, ändert sich vieles.

5. »Come down to a garden, plant some plants, eat a cabbage and you’d feel better«

Wie Sefina ist sie eine begnadete, leidenschaftliche Gärtnerin. Sie hat verschiedene Aus- und Fortbildungen absolviert und bietet selbst Gartenkurse an. Regelmäßig bringt sie ihre Nachbar*innen mit, die Freude daran haben, gemeinsam auf den kleinen Beeten zu arbeiten. Kura übernimmt die Koordination und führt den Community Garden auch weiter, als ich wieder abgereist bin. Für jede Sitzung überlegt sie sich neue Inhalte und ich bin froh, dass sie als kompetente Gärtnerin die Koordinator*innen-Rolle übernimmt und mich zu einer Teilnehmerin werden lässt. Der Perspektivwechsel macht mich zu einer Lernenden, Mitmachenden und Gärtnernden wie die anderen Nachbar*innen. Kura und zwei ihrer Nachbar*innen kenne ich bereits aus dem Te Reo Māori-Kurs. Beim Gärtnern erzählt mir Kura, dass sie und ihre Nachbar*innen eigene Gärten haben und dass dieses Wohnmodell aus Haus und Garten für Māngere üblich sei. Darüber hinaus sei Māngere als »food basket of Auckland« bekannt, da hier aufgrund des enorm fruchtbaren Bodens üblicherweise viel Gemüse und Obst angebaut wurde, um die Stadt zu versorgen. Inzwischen lägen aber viele Gärten brach und die Besitzer*innen hätten keine Zeit oder Muse, sich der Gartenarbeit zu widmen. Dass ihre Nachbar*innen lieber in den Community Garden kommen, als auf ihrem eigenen Grundstück zu gärtnern, führt sie auf die soziale Komponente zurück: »Well I think it’s just more fun to do these things together. It’s different to drive here together and share a funny time rather than working all alone in your own garden. I think most people prefer it here rather than at home.« (Kura, EP Māngere East 11.02.2016) Meistens kommen die Teilnehmer*innen sehr motiviert zu den Treffen und eilen gleich auf die Veranda oder zu den Beeten, ohne sich lange im Community Centre aufzuhalten. Wir ziehen uns nicht um und arbeiten in der Regel ohne Handschuhe und Knieunterlagen. Nicht immer sind wir auf den Beeten aktiv, um Setzlinge zu pflanzen, Unkraut zu jäten oder Pflanzen zu gießen. Manchmal sitzen wir auch auf der Veranda und basteln Blumentöpfe aus Zeitungspapier oder Fliegenfänger aus mit Bratöl benetztem, laminiertem Papier. Bei den Meetings wird sehr viel erzählt. Stelle ich Fragen zum Gärtnern, werden diese von Kura und den anderen Teilnehmer*innen ausgiebig beantwortet, ansonsten handeln die Gespräche vor allem von privaten und lokalen Ereignissen der letzten Wochen. Tohunga, eine etwa 60-jährige Teilnehmerin, die sehr regelmäßig und engagiert an den Treffen teilnimmt, schneidet mit mir zusammen Melonen, die Kura aus dem benachbarten Obstladen geholt hat. Die beschädigten Früchte lassen sich nicht mehr verkaufen, eignen sich aber hervorragend für den Komposthaufen, den wir gemeinsam neu anlegen. Kura vergleicht die Schichtung mit dem Aufbau eines Sandwiches und erklärt uns, dass Lagen aus Bioabfall wie verdorbene Früchte und Gemüseschalen mit reifem Kompost abgewechselt werden. Tohunga sagt mir:

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»You know I like coming here, it’s nice to be with the others and get something done. I could stay home all day but it would not be the same as spending a sunny afternoon outside with my neighbours and you.« (Tohunga, EP Māngere East 18.02.2016) Der Garden Club hat sich über die Wochen hinweg zu einer Nachbarschaftsgruppe entwickelt. Die anfänglichen Teilnehmer*innen, die aus verschiedenen Vierteln gekommen sind, nehmen nach der Jahreswende aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr teil, einige bleiben mit mir in Verbindung. Zu einer Kerngruppe formieren sich die Nachbar*innen, die sich bereits vor der Gründung des Clubs gut kennen. Manche der ehemaligen Teilnehmer*innen, die nur zu Beginn oder später sporadisch zum Garden Club kommen, fragen gelegentlich nach, wie es denn um die Beete stehe. Die Konstellation hat sich aber verändert: aus einer zunächst sehr gemischten Runde ist eine relativ homogene, stabile geworden, die zwar grundsätzlich offen bleibt, sich aber über die nächsten Wochen hinweg nicht mehr fundamental verändern wird. Die fünf Māori (zwei Männer, drei Frauen) kommen zu fast jedem der wöchentlichen Treffen. Akahata, der die Beete ja initial angelegt hat, sieht gelegentlich auch außerhalb unserer Treffen nach dem Garten und fühlt sich dem Projekt persönlich verpflichtet. Im Gemeinschaftszentrum, in dessen Hinterhof sich der neue Community Garden befindet, werden regelmäßig Schulkinder betreut, deren Eltern nach Schulzeitende noch nicht zu Hause sind. Mit ihnen bringt Akahata ein Bewässerungssystem aus leeren Plastikflaschen an und erklärt ihnen Grundlagen des Pflanzenanbaus. Er erzählt mir, dass es für ihn sehr wichtig sei, die Māori-Tradition weiterzugeben. Das Gärtnern mache für ihn einen wesentlichen Aspekt seiner Kultur aus. Er verweist auf die Besiedlungsgeschichte Aotearoa Neuseelands und bemerkt, dass der Gartenanbau wesentlich für die ersten Seefahrer*innen war, die sich auf den Inseln niedergelassen haben. Dabei sei wertvolles Wissen gesammelt worden, das noch heute Gültigkeit besitze, zum Teil aber vergessen werde. Für ihn ist das Gärtnern unweigerlich mit der nationalen und lokalen Vergangenheit verknüpft. Er erklärt, warum er sich in der Community für Recyceln und Gärtnern engagiert: »Just get them back to the basics and ehm and ehm thinking about what we are really dOIng ehm not ehm from todAy’s angle but but from the pAsts angles [I: okay] you know ehm in thAt kind of sense you know we are all just gUArdians of this land [I: mhm] and and we should yeah treat it accordingly and Act accordingly and and eh yeah just bring them back to the basics again. [I: mhm] Yes ehm western ehm society hAs has has changed a lot of our ehm indigenous as-yeah. And so eh a lot have walked away from that way of practices [I: I see] and that’s eh yeah waking them up to bring them back and ehm looking at that from from from a cultural point of view.« (Akahata, I Māngere East 08.03.2016)

5. »Come down to a garden, plant some plants, eat a cabbage and you’d feel better«

Er verortet die kulturellen Gartentraditionen in der Vergangenheit und erklärt, dass indigenes Wissen von westlichen Einflüssen überlagert wurde und nun wieder aufgedeckt werden müsse. Akahata konstatiert, dass diese Wissensbestände bereits vorhanden seien und es daher nicht nötig sei, Neues zu lehren, sondern vielmehr an das alte Wissen zu erinnern. Er erzählt: »[…] how our ancestory used to do it you know like I suppose coming back to the gArdeners or anything going back to the gArden [I: mhm] and growing again and having a look that practices of of this yeah growing eh ehm eh composting is another one a lot of cultures that are here now they all have done it different in their country [I: mhm] we’re not trying to change that at all just ehm wanna support them and and how they dO ehm different gardening skills the way that they do it [I: mhm] yes it’s not ehm teaching them anything nEw it’s just supporting them in thEIr practices.« (Akahata, I Māngere East 08.03.2016) Dabei bezieht er sich nicht nur auf Māori, sondern spricht Kulturen im Plural an. Seiner Ansicht nach gehe es vor allem darum, Gartentraditionen wiederzuentdecken und zu bewahren. Für ihn spielt es keine Rolle, wo und in welchem kulturellen Kontext sich diese entwickelt haben. Zeitdiagnostisch beobachtet er eine Abkehr von kulturellen Grundlagen, die in der Vergangenheit noch allgemeingültig angewandt wurden. Er sagt: »It’s beautiful soil we have here in Māngere and anything will grow ehm yeah just coming back to these bAsic principles for yeah caring for the soil and the (.) the whole environment just coming back to it yeah because we have wandered Off somewhat [I: mhm] yeah.« (Akahata, I Māngere East 08.03.2016) Für Akahata sind Gartentraditionen einfache Techniken, die alle Bewohner*innen umsetzen können. Er argumentiert für einfaches und kleinräumiges Gärtnern, das sich zu größeren Projekten verbinden kann. Er erzählt von einer Initiative, bei welcher Familien zuhause besucht werden, um ihnen Gartentraditionen auf ihren eigenen Grünflächen näherzubringen. Er beschreibt: »Yes and easy gardening too not so much the big eh ehm plantAtions that you know keeping it small now and simple just doing box gardening like that you know [I: mhm] that’s eh that’s a stArt and we have ehm eh we have local people here that like to eh you know go to households and help them […] just start off little a:nd who knows where it might end.« (Akahata, I Māngere East 08.03.2016) Diese Kampagne wird vom Stadtrat unterstützt, ist aber zum Zeitpunkt meiner Feldforschung noch in Planung. Damit sollen die Menschen zuhause erreicht und die Hürde, mit dem Gärtnern zu beginnen, möglichst gering gehalten werden. Perspektivisch begeistern sich die Teilnehmer*innen dadurch womöglich für die Gartenarbeit und haben dann mehr Interesse daran, auch einen Community Gar-

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den außerhalb ihres Wohnumfeldes zu besuchen. Nach Akahatas Ideal kombinieren sich Umweltpraktiken wie Gärtnern mit einer kulturellen Rückverbindung und haben einen veritablen Effekt auf Denkweisen. Die Vermittlung von Gartentraditionen sei ein Instrument, um Mentalitäten zu modifizieren (»just shift their mindset«). Über das Gärtnern werden damit kulturelle Werte transportiert und auf die Wichtigkeit einer Rückbesinnung verwiesen. Kura erzählt in unserem Garden Club häufig von Praktiken, die sie von ihren Großeltern gelernt hat: »You know, Māori used to grow according to the moon. It does really have an effect, it’s not just superstition. You can see it in the plants you grow. They get bigger if you go with the moon.« (Kura, EP Māngere East 11.02.2016) Auch sie versteht die Stadtbewohner*innen als »guardians of the land«7 , die eine Verantwortung für die Umwelt tragen und diese durch Gärtnern verbessern und bewahren können. Sie vermutet, dass viele Stadtbewohner*innen durch ihre Arbeits- und Lebensbedingungen nicht mehr die Zeit und Verbindung zur MāoriWelt haben und sich in diesem Zusammenhang auch von Umweltpraktiken abwenden würden. Auf den Gartenflächen des Māngere Mountain Education Centres werden traditionelle Nutzpflanzen wie beispielsweise die Süßkartoffel Kumara und Medizinpflanzen, die klassischerweise in der Māori-Welt verwendet werden, angebaut. Kura kennt die Betreiber*innen des Zentrums gut und lobt ihre Arbeit: »I appreciate that they keep our culture alive because we tend to forget quite fast you know.« (Kura, EP Māngere East 11.02.2016). Akahata verweist darauf, dass er einfache und von allen anzuwendende Gartenpraktiken favorisiere. Seiner Ansicht nach bedarf es jedoch einem Vorzeigen, um die simplen Techniken zu re-etablieren. Er sagt: »It can be so simple once, they eh just need to be shOwn [I: mhm] eh it is simple but but [I: mhm] yeah just coming back to the ba- and keeping the basic. It doesn’t need to be complicated I mean yeah not complicated for thEm just to show them how […] I know it works and its simple. We just can show other people how it works.« (Akahata, I Māngere East 08.03.2016) Dabei können diese Praktiken zwar auch individuell in Einzelgärten ausgeführt werden wie etwa durch die neue Initiative, in welchen Familien zu Hause beim Gärtnern unterstützt werden. Der Garten hält aber auch ein Gemeinschaft schaffendes Potenzial bereit: »the gardening is what brings people together!« (Akahata, EP Māngere East 11.02.2016). Die Motivation, eine Gemeinschaft zu schaffen, steht hinter dem lokalen Community Garden. Als wir den Garden Club gründen, ist der Fokus auf Māori-Bräuche noch nicht präsent. Durch die gemischten Mitglieder 7

Mit diesem Ausdruck wird in der Māori-Welt gemeinhin die Beziehung zwischen Menschen und Erde bezeichnet.

5. »Come down to a garden, plant some plants, eat a cabbage and you’d feel better«

werden allgemeine Themen und Techniken behandelt, ohne diese direkt an kulturelle Werte zu binden. Als Kura die Leitung des Clubs übernimmt, und – mich ausgenommen – ausschließlich Māori regelmäßig zu unseren Treffen kommen, wird die Vermittlung von und die Rückbeziehung zu kulturellen Werten sehr zentral. Der Fokus auf Gemeinschaft verbindet sich fortan mit einer kulturellen Prägung. Kura plant, auch traditionelle Gemüse anzubauen und erzählt mir, dass für sie auch Pflanzen Träger einer Geschichte seien. Dass ihre Vorfahren bereits die Pflanzen kultiviert haben, deren Samen sie auch heute noch im Garten säen kann, sei ein gutes Gefühl und verbinde sie mit ihren Ahnen. Sie erzählt mir, dass der städtische Kontext neue Herausforderungen für ihre Kultur mit sich bringe und sich übliche Siedlungsmuster an die städtischen Begebenheiten anpassen müssten. Dass ihre Vorfahren auf weitläufigen Landflächen anbauten und sie heute in kleinen Gärten oder sogar nur auf den drei Beeten hinter dem Community Centre arbeitet, findet sie schade. Nichtsdestotrotz empfindet sie Auckland und insbesondere Māngere als privilegiert in dem Sinne, dass weitaus mehr Grünflächen verfügbar seien als in anderen internationalen Städten: »I mean you can have a look at the village green, it’s beautiful. It’s not for gardening, but for enjoying and I know that not every city has these spaces. I think we are still lucky with what we got here […] I’m happy to see many people doing what our ancestors did. It’s about keeping these traditions alive and teaching our children about it.« (Kura, EP Māngere East 11.02.2016) Sie hat den Eindruck, dass sich in ihrem Umfeld trotz veränderter Lebens- und Arbeitsbedingungen Māori-Bräuche entfalten. Für Kura gehört das Gärtnern selbstverständlich zu ihrem Kulturgut, das sie an ihre Nachfahren weitergeben möchte. Über Gärtnern könne ebenso ein Erinnern an Verhaltenspraxen, die auch in der historischen Māori-Welt üblich waren, erreicht werden wie über Recycling (siehe Kapitel 6). Für Akahata sind die hierbei relevanten Kreisläufe Grundlagenwissen für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Natur. Das Wissen der Vorfahren könne somit über das Gärtnern aktiviert und wieder in den Alltag integriert werden. Die Gartenpraxis fungiert gleichzeitig als Aktualisierung einer weitläufig als vergessen oder verdrängt empfundenen Kultur. Über die Arbeit in Gärten können Wissen, Werte und Praktiken wieder öffentlich repräsentiert, angewendet und in einen urbanen Lebensstil integriert werden. In diesem Sinne verbindet sich eine kulturelle Ermächtigung mit dem Gärtnern. Dabei gestalten sich die Aktivitäten des Garden Clubs nicht als explizit politisches Projekt, vielmehr praktizieren die Akteur*innen ihre kulturellen Werte beim Gärtnern und geben diese in ihren sozialen Umfeldern weiter.8 8

In diesem Zusammenhang wäre es interessant, nach kulturellen Charakteristika und Projekten in anderen Gärten zu fragen. Als ich Samuel im Juni 2014 in einen Community Garden

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In und mit der Natur verbinden Auch Pākehā reflektieren zuweilen Deutungen aus der Māori-Welt, wenn sie sich mit mir über Umweltpraktiken unterhalten. Samuel kommt immer wieder auf Papatūānuku, Mutter Erde, zu sprechen. In der Māori-Mythologie verbindet sie sich mit Ranginui, Vater Himmel. Für Samuel ist das Gärtnern eine Rückverbindung zu Papatūānuku und damit zur Natur, die er als »power force« versteht. Auch er spricht von einem Erinnern – die Beziehung zur Natur müsse seiner Meinung nach nicht neu aufgebaut, sondern wiederhergestellt werden. In der Vergangenheit habe man im Alltag ganz selbstverständlich Verbindungen geknüpft, die aber durch Lebenswandel, Urbanisierung und Modernisierung in Vergessenheit geraten seien. Er problematisiert, dass auch neue Wohnbedingungen wie etwa in städtischen Hochhäusern dazu beigetragen haben, dass viele Bewohner*innen nicht mehr routiniert mit der Erde in Berührung und Interaktion kämen. In diesem Abschnitt betrachte ich Ideale von Naturbeziehungen, die sich im Zusammenhang mit Community Gardening darstellen und sich zu Vorstellungen eines guten Lebens in der Stadt fügen. Samuel konstatiert einen Wandel, der auch in der erfolgreichen Verbreitung von Communiy Gardens im ganzen Stadtgebiet deutlich werde. Das Engagement für urbane Natur zeige, dass Stadt- und Naturerleben sich nicht ausschließe und selbstverständlich auch im urbanen Raum eine Rückverbindung zur Natur möglich sei. Die ideale Natur-Mensch-Beziehung fasst er wie folgt zusammen: »What happened in the past is, people have worked against nature [I: mhm] and increasingly people and populations around the world including New Zealand people are looking to work wIth nature [I: mhm] but the greatest goal ehm but the greatest goal is to work withIn nature […] that has always been my personal endeavour to make those connections and to develop a relationship with Papatūānuku with mother nature.« (Samuel, I Ōtara 07.11.2012) Sein Ideal ist eine immanente Beziehung, die Mensch und Natur nicht definitorisch trennt, sondern als integrative Teile versteht. Insbesondere vor dem Hintergrund wachsender Bevölkerung und dichterer Bebauung schreibt er den Gärten eine zentrale Rolle zu, um urbane Naturbeziehungen zu redefinieren. Über die gemeinschaftliche Arbeit auf den Beeten in den Community Gardens könne diese spezifische Naturbeziehung geknüpft, und somit im urbanen Umfeld verwirklicht

begleite, der an ein Flüchtlingswohnheim in Māngere angegliedert ist, zeigen mir einige der lokalen Gärtner*innen Beete, die sie mit Pflanzen aus ihren Herkunftsländern (»from my country«) anbauen. Das legt nahe, dass Beete auch in anderen Gärten als Spiegelfläche für kulturelle Identitäten genutzt werden.

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und erlebt werden. Er hofft, idealisierte Naturbeziehungen über die Community Gardens wiederherstellen zu können. Er erzählt mir, dass viele Menschen sich durch die Gartenarbeit verändern würden: »You know they dig a hole and suddenly realise such things as, hey I’m not alone on this planet, I’m not isolated but part of something bigger. You don’t get this kind of moments when you just live in your four walls. It takes a garden and a shovel to discover these things.« (Samuel, EP Ōtara 12.06.2014) An diesem Zitat wird die Interdependenz von Natur- und Selbstbeziehung deutlich. Die Erkenntnis, »not isolated« und »part« zu sein, ist auch eine Redefinierung des eigenen Selbstes, die mit neuen Handlungspraxen verbunden ist. Als ich Samuel frage, wie man seiner Meinung nach als Individuum umweltfreundlicher leben könne, antwortet er: »I think we need to be we all need to be more conscious, we need to have a greater sense of responsibility to our environment [I: mhm] eh to care for it and that comes through education […] because we don’t look after mother earth eh [I: mhm] we cannot expect as a growing population to thrive, we may survive but we won’t thrive so [I: ya] I’m keen on the thriving aspect of life you know [I: mhm] ehm we’re choosing and what we can do ehm but at the same time we need to be- we need to be focused on a partnership with mother nature [I: mhm] I think and we are from nature and Māori is Papatūānuku so Papatūānuku is earth mother [I: okay] mhm so we care for the soil ehm for the natural resources and we internal have a better life.« (Samuel, I Ōtara 07.11.2012) Samuel macht mit dieser Gegenüberstellung (»thrive«/»survive«) einen qualitativen Unterschied auf. Er geht davon aus, dass es notwendig sei, sich um Mutter Erde zu sorgen (»look after«, »care for«), um ein besseres Leben (»better life«) zu erlangen. Für ihn stellen die Community Gardens eine Möglichkeit dar, diese Sorge umzusetzen und in einen urbanen Lebensstil zu integrieren. Darin sieht er einen globalen Lösungsansatz, den er nicht als kulturspezifisch verortet. Die Naturbeziehung wirkt sich auch auf soziale Relationen aus. Samuel vermutet, dass über das neu entstehende Bewusstsein einer Interkonnektivität nicht nur Relationen zur Natur neu definiert werden, sondern auch soziale. Als wir uns zufällig auf einem Food-Workshop in Albany, nördlich von Auckland treffen, lacht er: »You tend to crash into the same people all the time. Yeah, if you once get interested inthese issues you find the same people everywhere.« (Samuel, EP Albany 05.06.2014). Der Workshop wird hinsichtlich des fruchtbaren Bodens und der urbanen Möglichkeiten eines lokalen Anbaus mit dem Untertitel »Auckland, the world’s most edible city« beworben; das Wortspiel bezieht sich auf den Slogan des Auckland Plans (»the world’s most liveable city«, Auckland Council 2012). Beim Mittagessen erzählt mir Samuel, dass er das Gefühl habe, die Menschen würden in den Gärten kontakt-

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bereiter, offener und toleranter. Durch das gemeinsame Gärtnern träte man ganz natürlich miteinander in Verbindung: »You don’t think so much should I talk to this person or nOt? You get together naturally. And I believe this is also because you recognise that we are all part of the same.« (Samuel, EP Albany 05.06.2014) In diesem Kontext verflechten sich urbane Naturbeziehungen mit Beziehungen zum Selbst und zu Anderen. Das Selbstverständnis wird durch die Perspektive auf Natur und die eigene Positionierung in der Natur mitbestimmt und wirkt sich auf unterschiedliche Bereiche des urbanen Lebensstils aus, die weit über die Grenzen des Gartens hinausreichen. Samuel bezieht sich in seinen Ausführungen explizit auf Auckland und beschreibt seine Vision im lokalen, städtischen Kontext, verweist aber auch auf die globale Dimension seines Ansatzes. Eine integrative Naturbeziehung betrachtet er über den städtischen Kontext hinaus als weltumspannendes Ideal.

Lokale Identitäten stärken Ein Charakteristikum der Community Gardens ist, dass für die gemeinsame, naturbezogene Praxis ein Raum in der Stadt geschaffen ist. Devonport begreift sich keineswegs als Großstadt und manche Bewohner*innen stellen sogar ihre Zugehörigkeit zu Auckland infrage. Transformationsprozesse wie Gentrifizierung haben den Zuzug einkommensstärkerer Bewohner*innen gefördert und brechen das tradierte, romantisierte Selbstkonzept als isoliertes Dorf zunehmend auf. Verstehen sich viele der schon seit Jahrzehnten in Devonport lebenden Akteur*innen als Gemeinschaft, erzählen sie mir auch, dass soziale Beziehungen heutzutage von einem höheren Maß an Anonymität und Heterogenität geprägt seien. War Devonport in den 1980er Jahren noch ein alternativer Vorort, der vor allem durch ein umweltfreundliches und künstlerisches Image geprägt war, tritt er mittlerweile als hochpreisiger Vorzeige-Stadtteil auf, der auch touristisch erschlossen ist. Dustin formuliert diese Transformation hinsichtlich bebauter Umwelt: »It was quite a bohemian suburb thirty or fourty years ago, it was quite- relatively chilled to live here [I: mhm] -ehm- because of lots of old run-down houses [I: ya] that are now all sparkling [laughing] old houses.« (Dustin, I Devonport 23.10.2012) Vom innerstädtischen Waitematā Harbour aus verbindet eine viertelstündig getaktete Fähre den Stadtkern innerhalb von zwölf Minuten mit Devonport – ein Transportmittel, das nicht nur von Bewohner*innen in der Alltagsroutine genutzt wird, sondern auch von Tourist*innen, die am Hafen eine Tour buchen können, um die »Highlights« des von vulkanischer Hügelstruktur geprägten Stadtteiles be-

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quem per Bus zu erkunden. Die prachtvolle Victoria Street mit ihren viktorianischen Gebäuden ist von zahllosen Restaurants und Ateliers gesäumt, die auf touristisches Klientel eingestellt sind. Auf der öffentlichen Tourismus-Website des Stadtteils wird Devonport als »Auckland‘s prettiest village« inszeniert (Visit Devonport New Zealand o.D.). Die Community Gardens liegen einen guten Fußmarsch mit Anstieg entfernt. Dass der etwa 7500 Einwohner*innen zählende Stadtteil über zwei Gemeinschaftsgärten verfügt, wissen nur einige der Bewohner*innen. Doro aus dem kleineren Community Garden in Devonport erzählt: »[They] ask ›what did you do for the weekend?‹ ›I went to the community garden‹ and then ›Oh I didn’t know there was a community gArden‹ [I: oh really?] ›Where is it?‹ So you see actually we need to spread the message [I: ya, I see] a:nd that we are here really mhm.« (Doro, I Devonport 09.10.2015) Etwas versteckt befindet sich der größere Garten auf einem ehemaligen Parkplatz, der eine vor über 30 Jahren geschlossene Müllhalde bedeckt. Gegenüber liegt ein Recyclinghof, der im Jahr 2016 in ein Community Recycling Centre transformiert wird. Den kleineren Devonport Community Garden findet man auf einem ehemaligen Vulkan, der sich jetzt noch als kleiner Hügel präsentiert. Daran sind kleinere Schilder und Plakate angebracht, die auf die regulären Öffnungszeiten am Mittwochnachmittag und Sonntag sowie auf besondere Veranstaltungen und Treffen verweisen. Diese Orte urbaner Vergemeinschaftung liegen also verborgen, im »Hinterland« Devonports, wo man sie entweder gezielt sucht oder zufällig findet. Für ihre mediale Präsenz sorgen die lokale Stadtteilzeitschrift Devonport Flagstaff, das in der zentralen Victoria Street angesiedelte Community House sowie Facebook und Mailinglisten. Devonport ist ein bewegter Ort, auch wenn viele meiner Akteur*innen den expliziten Wunsch äußern, Devonport solle einfach stehen bleiben (»stand still«) und die gute Atmosphäre bewahren. Auch in den beiden Gemeinschaftsgärten tut sich über die Jahre meiner Feldforschung viel und neue Organisator*innen, die zum Teil auch neue Bewohner*innen in Devonport sind, übernehmen die Koordination der Gärten. Dustin bezeichnet den kleineren Garten als den populäreren, da dort mehr Veranstaltungen organisiert werden. Dieser wird auch als Ort der lokalen An- und Rückbindung an Devonport verstanden. Als ich im Jahr 2015 zum dritten Mal zurück nach Devonport komme, treffe ich Doro, die erst seit kurzem in ihrer Rolle als Garden Coordinator aktiv ist. Sie ist selbst erst vor ein paar Monaten mit ihrem Mann und ihrem Sohn von Großbritannien übergesiedelt. Sie berichtet mir von der Sorge, die mir schon von vielen Bewohner*innen zugetragen wurde: dass Devonport sich bald in ein anonymes Großstadtviertel verwandeln könne. Für sie ist der Garten ein mögliches Gegenmittel. Ihre Augen leuchten, als sie mir erzählt, dass sie letzten Sonntag wieder zwei neue Familien kennengelernt habe, die erst vor ein paar Wochen nach Devonport gezogen seien und sich für die Arbeit im

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Garten interessieren. Mit einem Stand auf dem lokalen Wochenmarkt hofft sie, neue Interessent*innen zu akquerieren, obgleich der Garten zum Zeitpunkt unseres Interviews noch nicht genügend Gemüse produziert, um es dort zum Verkauf anzubieten. Sie geht davon aus, dass die Neuzugezogenen über die körperliche Arbeit und die Verbindung zur Erde auch eine Lokalidentität aufbauen können. Als ich sie an einem ruhigen Sonntagnachmittag besuche, an welchem nur ihre Familie und zwei Nachbarinnen zum Gärtnern gekommen sind, erzählt sie: »I like it when new people come here. I see them working on the ground and I feel that they get a connection to the place and that’s great. It’s not that they just are here, but they are doing something here and that makes them feel connected.« (Doro, EP Devonport 24.01.2016) Damit ist auch die Vorstellung verbunden, dass Devonport trotz demographischer Transformationsprozesse einen gemeinschaftlichen Flair aufrechterhalten könne, wenn die neuen Bewohner*innen bereit seien, sich mit dem Stadtteil selbst in Beziehung zu setzen. Und dieses In-Beziehung-Setzen gestaltet sich nicht nur als soziales, sondern gleichfalls körperlich-materielles. Der Community Garden wird in diesem Verständnis zu einem stadtethischen Projekt, das die als nicht wünschenswert empfundenen Aspekte der Verstädterung nivellieren und lokalen sozialen Zusammenhalt begünstigen kann. Dass die meisten Devonporter selbst gepflegte Gärten besitzen, legt nahe, dass sie die Gemeinschaftsgärten als soziale Orte aufsuchen. Der Community Garden dient nicht nur als Forum, um Ideen über das ideale Zusammenleben in der Stadt zu entwerfen, zu sammeln und zu diskutieren. Er ist auch mehr als ein soziales Arrangement, in dem unterschiedliche Akteur*innen neue Beziehungen untereinander knüpfen, denn über das körperliche Engagement mit dem Stadtteil selbst wird eine spezifisch lokale Beziehung imaginiert, die sich charakteristisch auf die Atmosphäre des Viertels auswirken kann. Dabei wird das Ideal einer urbanen Gemeinschaft über die Praktiken im Community Garden greifbar. Auch wenn Anonymisierungstendenzen deutlich abgelehnt werden, möchten die Bewohner*innen auf viele städtische Annehmlichkeiten nicht verzichten, beispielsweise auf lokale Infrastruktur wie Einkaufsmöglichkeiten und öffentlichen Nahverkehr, der aufgrund geographischer und planerischer Besonderheiten in Devonport ständig in der Kritik steht. Als wir auf die demographischen Veränderungen in Auckland zu sprechen kommen, kritisiert Vera, dass die Stadtplaner*innen sich keine Mühe gäben: »They don’t take any effort in making it looking good. I’m okay if they have to build more apartments, that’s not the prior problem. The issue is about how they are doing it, you know? I’ve seen other big cities with marvellous small apartments – I would not mind at all to live in a beautiful city apartment with balcony, but not

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in one of these squeezed, grey and dark rooms where you get no sunlight.« (Vera, EP Devonport 14.12.2015) Auch George betrachtet die Art der Bebauung und Verdichtung als mangelhaft und verbesserungsbedürftig. Vera und George haben mich über die Jahre unserer Diskussionen hinweg gelegentlich ob meiner Wohnsituation bedauert und sich mehrfach rückversichert, ob ich in München denn auch in solch einer beengten, grauen WG wohnen würde. Es geht ihnen um eine spezifische, urbane Ästhetik, die sie im Aucklander Wohnungsbau nicht verwirklicht sehen. Der Community Garden kann auch als Ausdruck einer spezifischen Ästhetik verstanden werden, die nicht anti-urban, sondern vielmehr emphatisch urban ist. Der ästhetische Anspruch an den urbanen Raum ist, Frei- und Naturräume, angenehme Wohnverhältnisse und Wohnraumlösungen zu schaffen. Der Community Garden bietet einen gemeinschaftsorientierten Rahmen, in welchem städtische Akteur*innen sich in sozialen Beziehungen engagieren und sich körperlich mit der Natur in Verbindung setzen können. Damit trägt der Community Garden zur Aufrechterhaltung einer spezifischen Atmosphäre bei, die von den Akteur*innen als wesentlicher Teil ihrer guten Stadt imaginiert wird. Zeitgleich repräsentiert er eine naturnahe Ästhetik, die mit der kritisierten Architektur und Stadtplanung des Auckland Councils kontrastiert. Community Gardens werden Projekten intensiver Bebauung mit allem Nachdruck vorgezogen, um sowohl räumliche als auch soziale Ideale zu verwirklichen. Diese Bebauungsprozesse sind mit der Amalgamierung zur Supercity im Jahre 2010 verknüpft. Seither ist das zentralisierte Auckland Council Entscheidungsträger über Veränderungen im Stadtteil. Zwar wurde durch die Local Boards auch eine ortsbezogene Autorität beibehalten, die jedoch häufig mit nicht lokalem Personal besetzt wird und keinen direkten Bezug zu Einwohner*innen aus Devonport aufweist (siehe Kapitel 1). Vera beschreibt, dass in den letzten Jahren schon zwei Mal versucht wurde, die Devonporter Bevölkerung zu übergehen und neue Apartmentblocks zu errichten (»They don’t mind going behind our backs!«). George verweist bei unseren Treffen häufig auf die Gartenstühle, die wir für unsere Diskussionsrunden im Gemeinschaftshaus des Community Gardens um einen aufklappbaren Tisch arrangieren – sie wurden seinerzeit vom sich auflösenden Devonport Borough gestiftet, dessen Aufschrift noch auf den Stuhllehnen zu lesen ist. George erinnert sich fast melancholisch: »Back then we were still a borough. This means to be powerful and to have a local voice. Now it’s just anybody who makes decisions about Us. But it’s not the Devonporter anymore.« (George, EP Devonport 14.12.2015) Die Amalgamierung wird von meinen Akteur*innen in Devonport durchweg kritisch betrachtet und vor allem als Machtverlust gedeutet. In diesem Zusammenhang kommt dem Community Garden auch eine politisch relevante Rolle zu. Im

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Garten wird nicht nur gearbeitet, sondern auch viel diskutiert. Viele langjährige Bewohner*innen von Devonport informieren sich hier gegenseitig über anstehende lokalpolitische Themen. Auch wenn keine konkreten Protestaktionen geschmiedet oder politische Gruppen formiert werden, versammelt der Garten als sozialer Ort unterschiedliche Akteur*innen und fungiert damit als Ausgangspunkt für künftige Initiativen und die Informations- und Wissenszirkulation. Der Devonporter Community Garden wird vom Stadtrat geduldet und damit indirekt unterstützt. Doro erzählt mir, dass sie einen Antrag ans Auckland Council gestellt habe, um Zuschüsse für die Regenwassernutzung zu erhalten. Dabei beschreibt sie, dass der Stadtrat ihren Aktivitäten zwar positiv gestimmt sei, aber nicht pro-aktiv auf sie zukäme, sondern vielmehr darauf warte, dass sie die Initiative ergreife und selbst Forderungen stelle (»They kind of wait for us to come to them«). Sie findet, dass der Garten eine besondere Dienstleistung für die lokale Community darstelle (»I think we are providing a fairly gOOd service to the community«), die vom Auckland Council zumindest ideell unterstützt werde (Doro, EP Devonport 09.10.2015). Für einige Gärtner*innen geht der Anspruch an den Community Garden über einen lokalen Fokus hinaus. Sie betrachten ihre Arbeit auf den Beeten nicht nur als Verbesserung der städtischen Um- und Lebenswelt, sondern als Teil eines globalen Projektes. Die weltweit verbreiteten Initiativen richten sich gegen den Klimawandel und tragen durch ihren allgemeinen Ansatz des gemeinschaftlichen Teilens grundlegend zur Ressourcenschonung bei. Das Engagement im Garten formiert sich zu einem überlokalen Projekt, das letztlich der Überlastung des Planeten entgegenwirken soll. Einen Beitrag zum globalen Wohlbefinden zu leisten, empfinden einige meiner Interaktionspartner*innen als persönliche Zielsetzung, die sie im Garten in konkreten Handlungen umsetzen können. Dabei verflechtet sich der Beitrag zum »größeren Wohl« mit einer Dimension des individuellen Wohlbefindens. Dustin erzählt mir, dass ihm das Gefühl, eine positive Rolle in globalen Veränderungsprozessen zu spielen, wichtig sei. Dabei sei dieses Engagement auch ein Mittel, um sich selbst zu entlasten. Er sagt: »The most important thing for me is: what do you do? ›cause this is, is plenty of bad news, so [I: mhm], how do you not get crazy when all of that’s around and I think the answer is to dO something [I: mhm], not, not write an email, you know, start a blog [I: mhm], but go and dig a hole and put something in it. That’s- you feel better straight away, that’s how you make a difference.« (Dustin, I Devonport 23.10.2012) In dem aktiven Aspekt des Tuns liegt ein direktes Veränderungspotenzial, das gerade aufgrund seiner unmittelbaren Wirkmacht von Bedeutung sei. Dustin beschreibt:

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»If you wanna see a tree, plant it into your community and dig a hole and put a tree into it […] the best thing to make a difference is to dO something […] It’s ait’s a way of unplugging yourself from lots of negative stuff [I: ya] and I’ve just become addicted to coming down here [I: mhm] you know« (Dustin, I Devonport 23.10.2012) In Dustins Lesart sorgen die Akteur*innen im Garten durch das gute Gefühl, etwas verändert zu haben, auch für sich selbst. Damit verknüpfen sich die Sorgen um sich selbst und um Andere zu einem gemeinsamen Projekt. Er expliziert seine Vorstellungen weiter: »Well, I guess I favour doing something specific and tangible rather than lobbying or writing letters or doing any of that kind of stuff [I: mhm] because I find you can put a lot of energy into that and nothing comes of it. […] The less time I’ve been talking about it, the more I’ve been doing [I: mhm] the better it is. So [I: ya], and it’s not- and the other thing is, support something that exists rather than inventing something new [I: mhm] because there is lots of groups, there’s lots of places like this, there’s lots of people doing things that -ehm- that could do with your help [I: mhm]. Go on, find someone, it’s not very hard to find, ehm, groups that could do with that, so.« (Dustin, I Devonport 23.10.2012) Dem Community Garden kommt eine relevante Rolle für den Stadtteil selbst zu. Für die Gärtner*innen ist der Ort wichtig, um einen inneren Zusammenhalt zu schaffen, neue Bewohner*innen zu integrieren, einen Sinn für den Stadtteil zu etablieren, eine bestimmte Ästhetik aufrechtzuerhalten und zu repräsentieren, und eine lokalpolitische Basis zu ermöglichen. Die Ideale der guten Stadt werden hier kleinteiliger im Sinne eines guten Stadtteils formuliert. Über das Engagement im Garten wird ein Engagement für den Stadtteil selbst vollzogen. Der handwerkliche Einsatz beim Bearbeiten der Beete formiert sich zu einem In-Beziehung-Setzen mit dem Stadtteil. Das gute Subjekt definiert sich hier über ein persönliches Engagement mit Devonport, das sich an lokalspezifisch gemeinschaftsbezogenen, ästhetischen und politischen Idealen orientiert. Mit der körperlichen Erfahrung des Gärtnerns verbindet sich ein lokales Erfahren des Stadtteils.

Teilen und nachhaltig wirtschaften Über einen lokalen Fokus hinaus werden in den Community Gardens Diskussionen über nachhaltige Lebensstile ausgetragen, die an eine globale Debatte anknüpfen. In diesem Unterkapitel blicke ich auf Vorstellungen des guten Lebens und damit verbundenen Subjektidealen, in welchen Gärten als Orte alternativer, nachhaltiger Lebensweisen in der Stadt betrachtet werden.

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In Devonport unterhalten wir uns des Öfteren in meiner Diskussionsgruppe »Green Conversations« über Nachhaltigkeit. Vera lebt schon seit über einer Dekade mit ihrer Familie in Devonport und George ist als junger Mann aus Großbritannien nach Aotearoa Neuseeland immigriert. Vera und George haben mir oft erzählt, dass sie darüber nachdenken, früher oder später aus Devonport fortzuziehen. Vera sagt: »If it becomes just another part of bIg Auckland, it won’t be the same anymore. I don’t want to be here when it happens.« (Vera, EP 14.12.2015). Ihre Ambitionen, andere städtische Lebensformen zu finden, ist mit dem Wunsch nach einer urbanen Gemeinschaftlichkeit verbunden. Beide können sich nicht vorstellen, rural zu leben. Daher spiegeln die von ihnen gewählten Kleinstädte ihre Ideale des urbanen Zusammenlebens wider: »You know I want to live where you still know your neighbours, where you can breathe fresh air and have a good time with the people around you.« (George, EP Devonport 14.12.2015) Sie wenden sich gegen städtische Anonymität und sehen im Überwinden derselben eine Stärke, die über persönliches Wohlbefinden hinausgeht. George verweist auf die klimabedingten Gefahren einer Überschwemmung Aotearoa Neuseelands. Er erzählt: »We don’t get much from all the trouble you have in Europe, but we will be one of the first to be swept away if the sealevels rise. And you know, in these cases you can only survive when you get closer together.« (George, EP Devonport 14.12.2015) Vera erinnert an das verheerende Erdbeben in Christchurch, das die Stadt auf der Südinsel Aotearoa Neuseelands im Jahr 2011 zerstört hatte. Noch immer sind die Gebäude im Aufbau begriffen und viele Ladengeschäfte und Cafés in Containern untergebracht. Sie berichtet, dass man es hier leichter hatte, wenn man sich auf Nachbar*innen verlassen und gemeinsam handeln konnte. George fügt hinzu: »You cannot be sustainable on your own. You need people to do that. And if you don’t know anyone anymore, it’s much less likely that you will get support. Also when it comes to preparation: you can share stuff, make stocks and what have you. It’s much easier when you have a supportive group. Just imagine if we had a volcanic eruption!« (George, EP Devonport 14.12.2015) Als ich nachfrage, ob sie eine solche nachhaltige Gemeinschaft in Devonport sehen, stimmen beide zu. Das Idealbild einer gemeinschaftsbezogenen Stadt wird hier um eine lokalspezifische Nuance ergänzt. Der Wunsch nach Gemeinschaft erschöpft sich nicht in der Vorstellung eines idealisierten Alltages, der durch soziale Beziehungen und gemeinschaftliche Aktivitäten geprägt ist, sondern weist über routiniertes Beisammensein hinaus. Aufgrund seiner geologischen Bedingungen wird Auckland als vulnerabel begriffen. Dabei liegt die Stadt zwar nicht in der riskantes-

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ten Region des Landes und 300 Kilometer von der Tonga-Kermadec Subduktionszone entfernt – spätestens seit der verheerenden Katastrophe in Christchurch, das auch nicht im höchsten Risikobereich liegt, ist die vorstellbare Bedrohung jedoch deutlich präsent. Außerdem könne der Klimawandel künftig zu stärkeren Überflutungen, mehr Zyklonen und extremeren Temperaturen führen. Auckland ist potenziell nicht nur durch das Vulkanfeld Ngā Tapuwae ō Mataaho gefährdet, auf welchem die Stadt erbaut ist, sondern auch durch umliegende wie in Taupo oder Tongariro9 . Die geologische Vulnerabilität, die Vera und George herausstellen, fügt der urbanen Gemeinschaft eine gewisse Dringlichkeit hinzu. Im Zweifelsfall könne die von ihnen imaginierte Form urbaner Vergemeinschaftung sogar lebensrettend sein. Wetterschwankungen mit zum Teil massiven Auswirkungen sind bereits spürbar und machen das abstrakte Risiko greifbarer. Dustin erzählt mir von einer ernstzunehmenden, dreimonatigen Dürreperiode, die vor einigen Jahren in Waikato, einer südlich von Auckland gelegenen Region, aufgetreten ist: »We’re used to raining all the time [I: mhm], we have, ehm, 1200mm of rain a year. [I: mhm] But when it doesn’t come for three months, ehm, we are not set up for that. [I: ya] So, that’s I guess the main-, that’s a- that looks like the incre-increasing frequency of severe weather events [I: mhm] from climate change, will have an immediate effect on the food’s supply for the people of the city. [I: mhm, ya] So, that’s what I think is the most serious problem.« (Dustin, I Devonport 23.10.2012) Auch Dustin sieht in dem Gemeinschaftsgarten einen Ansatzpunkt, um künftigen Klimaveränderungen und Schwierigkeiten begegnen zu können. Dabei geht es hier nicht nur um effiziente Ressourcennutzung, sondern die Gemeinschaft selbst wird als Ressource verstanden. Über den städtischen Alltag hinaus werden gefährliche Situationen antizipiert, die Gemeinschaftlichkeit erfordern, um handlungsfähig und resistent zu sein. Der Community Garden faltet sich als gemeinschaftsorientierter Ort auf, in dem ein nachhaltiges Teilen beispielsweise in der gemeinsamen Nutzung von Werkzeugen und gemeinsamer Ernte praktiziert wird. Der explizite Gemeinschaftsbezug erfordert wiederum ein Subjekt, das fähig ist, sich in Beziehung zu setzen und Gemeinschaft aufzubauen. Die als Ideale artikulierten guten Praktiken beziehen sich auf künftige Situationen und Herausforderungen, welche nicht nur Devonport, sondern die gesamte Stadt betreffen. Die Selbstpraktiken und Subjekteigenschaften beziehen sich auf den Stadtteil selbst und auf eine abstrakte Gemeinschaftlichkeit, die je nach Anforderung ortsunabhängig durchzusetzen ist. Die in diesem Kontext angerufene Nachhaltigkeit ist mit einer zukunftsorientierten Temporalität verknüpft, die über den alltäglich gelebten Präsens hinausgeht, die urbane Gegenwart durch zukunftsorientierte Praktiken aber mitgestaltet. 9

Dabei ist es unwahrscheinlich, dass die inaktiven 53 Vulkane des Auckland Vulkanfeldes in naher Zukunft ausbrechen werden.

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Die aktuell aufgebaute und gelebte Gemeinschaftlichkeit transzendiert temporale Abgrenzungen gewissermaßen. Aus Zukunftsvisionen speisen sich gegenwärtige Praktiken, die bereits aktuell Gemeinschaften herausbilden. Dustin erzählt mir, dass er durch seine Arbeit in den Gärten mehr soziale Verbindungen habe. Als ich ihn bitte, mir sein Ideal eines urbanen, umweltfreundlichen Lebensstils zu beschreiben, antwortet er: »That’s a hUge question [laughing] ehm, well I guess living in a city where a lot of food comes from the city you live in, ehm, where you you work and shop and go to school near- in the community you live in [I: mhm] ehm, so you don’t have to travel very far, ehm, where you know the people in your street and in your community so that you can rely on each other [I: mhm] yeah.« (Dustin, I Devonport 23.02.2012) Neben Lokalität, die er sowohl für Ernährungskreisläufe als auch alltägliche Bewegungsmuster herausstellt, ist ihm eine nachbarschaftliche Nähe wichtig, die sich als Vertrautheit und Verlässlichkeit in der Community niederschlage. Dieses Ideal sieht er durch den Gemeinschaftsgarten teilweise verwirklicht. Als er mir nach dem Interview die Beete zeigt, merkt er an, dass es ein schönes Gefühl sei, die Menschen, die hier gärtnern, zu kennen und regelmäßig wiederzutreffen. Dabei wird diese Form der vertrauten Gemeinschaftlichkeit nicht in allen Community Gardens auf diese Weise umgesetzt. In Māngere gibt es schon seit 2009 einen relativ großen Community Garden, der über eine Seitenausfahrt auf der Great South Road erreicht werden kann. Eine Freundin aus Māngere Bridge bietet mir im Sommer 2016 an, mich nach einem gemeinsamen Nachmittagskaffee dort abzusetzen. Zwei Mal versäumen wir die Ausfahrt, bis wir den Weg endlich finden, obwohl ich den Garten vor zwei Jahren schon einmal besucht hatte. Zara lacht, als wir ihr von den Schwierigkeiten erzählen und merkt an, dass sich aufgrund seiner Lage kaum zufällige Besucher*innen in den Garten verirren. Zara wohnt in dem mittelständischen Stadtteil Māngere Bridge und war eine der Mitbegründer*innen des Community Gardens. Sie erzählt: »The plan was, everybody had five meter by five meter gardens and seeds and plants and bits and pieces, we had them for a year and then they growed their Own bits and pieces. (.) And then there wouldn’t be a system anymore in the gardens.« (Zara, I Māngere 29.02.2016) Sie schildert, dass der Garten im Laufe der Jahre eine Eigendynamik angenommen habe und er noch immer in einem fluiden und variablen Zustand sei. Dabei zeichnet sich Zaras Community Garden eher durch unverbindliche Kontakte und weniger gemeinschaftlich organisierte Aktivitäten aus. Zwar kennt sie die Gärtner*innen, die hier arbeiten, aber gemeinsame Mittagessen oder Afternoon Teas sind keine fest gefügten Rituale, die alle Gärtner*innen als Gemeinschaft verbinden würden. Anders als beispielsweise in den Devonporter Gärten, in

5. »Come down to a garden, plant some plants, eat a cabbage and you’d feel better«

Abbildung 13: Community Garden Māngere, 26.04.2014

(Photo: Jeannine-Madeleine Fischer)

welchen diese Gemeinschaftsaktivitäten sich zu festen Wochenterminen etabliert haben, trifft man sich in Zaras Garten eher zufällig oder spontan, um miteinander auf der Veranda zu sitzen. Die Gemeinschaft, die Zara hier charakterisiert, ist nicht notwendigerweise eine stabile und festgelegte, sondern durchaus eine fluide, die sich aber durch ihre Gemeinschaftsorientierung auszeichnet. Diese Ausrichtung schlägt sich beispielsweise in Einstellungen des Teilens und nicht profit-gesteuerten Wirtschaftens nieder. Für sie stellt die Reziprozität einen zentralen Aspekt von Gemeinschaftlichkeit dar. Sie bietet mir einen Sitzplatz auf einer der Holzkisten an, die sich um einen selbst gezimmerten Holztisch unter dem Wellblechdach reihen. Ich bin zum zweiten Mal in diesem Garten, der auch einer der im Rahmen der Garden Tour besuchten Destinationen war. Wir trinken chinesischen Grüntee, den eine ihrer Gärtner*innen von ihrer letzten Chinareise mitgebracht hat. Als ich Zara frage, ob die Gärtner*innen, die hier arbeiten sich untereinander gut kennen und als Community agieren, erzählt sie mir, dass sich die Formen der Vergemeinschaftung und des Sich-in-Beziehung-Setzens sehr divers verhielten. Manche treffen sich zum sozialen Austausch im Garten, andere begrüßen sich nur und widmen sich dann allein ihrer Arbeit. Dabei berichtet sie insbesondere von Gärtner*innen mit chinesischem Migrationshintergrund, die einen nicht unwesentlichen Anteil der lokalen Gärtner*innen ausmachen:

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»Because, when they first came here, the Chinese, they were little tubbies, welleh, because they were used to doing bits and pieces and their idea, sitting in this one bed bedroom unit, and -what are they going to dO? […] we’ve done a tremendous service to them as well. There is a mentor here and she, her daughter wrote to us eh and said that thank you very much for teaching my mother horticulture, (.) she now e:hm, knows a whole lot more and is breeding her vegetables but [smiling] she doesn’t go to the doctor as much any more either.« (Zara, I Māngere 29.02.2016) In diesem Zitat finden sich nicht nur Stereotypisierungen wieder, die sich im urbanen Diskurs manifestiert haben und Aucklander*innen mit chinesischem Migrationshintergrund als isoliert und wenig kontaktfreudig beschreiben (siehe Kapitel 4). Hier erhält der Garten, der durch Akteur*innen wie Zara und die Mentor*innen repräsentiert wird, gewisse Rollen und wird damit zu einem positiven, wirkmächtigen Akteur, der den Gärtner*innen dient. Zaras Erzählung verweist nicht nur auf gesundheitliche Aspekte, die sich mit dem Gärtnern verbinden, sondern auch auf aktivierende. Aucklander*innen werden motiviert, ihre Apartments zu verlassen und sich körperlich in Bewegung zu setzen. Dabei kann diese Mobilisierung ganz unterschiedliche Dimensionen annehmen und muss sich nicht zwangsläufig in Gartenarbeit niederschlagen. Zara berichtet, dass sie auch hin und wieder psychiatrische Patient*innen oder Rollstuhlfahrer*innen begrüße, die entspannt durch den Garten flanieren oder fahren, um sich besser zu fühlen. Und über diese gemeinsame Aktivierung werde ein Gemeinschaftsgefühl erzeugt, das die partizipierenden Akteur*innen über ihr geteiltes Interesse miteinander verbinde, auch wenn sie sich mitunter nur unregelmäßig treffen. Als wir noch beim Tee zusammensitzen, verabschiedet sich eine Gärtnerin mit chinesischem Migrationshintergrund mit Handzeichen. Sie spricht kein Englisch und verständigt sich schon seit Monaten nonverbal mit Zara. Sie lächelt: »You see, a smile goes without a single word. You don’t even need to speak to make up a community.« (Zara, EP Māngere 29.02.2016). Sie betont den sozialen Aspekt des Gärtnerns, der sich auch im Teilen niederschlage. Für Zara macht das Teilen einen wesentlichen Anteil des Gemeinschaftsgedankens aus, den sie gerne über den Garten hinweg etablieren möchte. Damit verbinden sich auch Ideen einer alternativen Wirtschaftsweise, die auf Nachhaltigkeit und Gemeinschaftlichkeit setzen, statt individuelle Interessen zu fokussieren. Zara erzählt: »They are growing to eat hEre rather than in their own homes, eh they wouldn’t look at one another like that, whereas he:re because of their common interest, that all happens. […] What you’re getting of course, (.) one guy is looking at that saying ›Oh where have you got that growing, I wanted some of that seed‹ saying ›Can I have some of that seed that you’ve got?‹ And I will give you some, some yeah, it’s a nice eh thing that happens.« (Zara, I Māngere 29.02.2016)

5. »Come down to a garden, plant some plants, eat a cabbage and you’d feel better«

Sie spricht die schwierige sozioökonomische Situation in Māngere an und beschreibt, wie wichtig das Teilen im Sinne des Community Gardens auch vor diesem Hintergrund sei: »That’s why we, (.) here with the things breaking out of the earth, we have potatoes, cucumber, all these sort of-of things they’re always two dollars. Ehm because isn’t that what life is all about, about sharing?« (Zara, I Māngere 29.02.2016) In diesem Kontext fällt ihr eine Anekdote ein, welche den Grundgedanken des Community Gardens illustrieren soll. In ihrem Viertel wurden Bäume abgeholzt und sie fragte einen der Arbeiter: »›What are you going to do with all that timber?‹ He said, ›Oh it’s going to the dump.‹ So-eh I said ›You wouldn’t use Us as a dump would you?‹ And he said ›why?‹ So I ehm explained who we wEre and he could figure out what we wAnt so, a truck from here, a little bigger, ah delivered four truck loads. […] So:, that’s what I’m saying you know, people just don’t realise […] we can use that as a bean frame. Or climb cucumbers over it next year or or whatever.« (Zara, I Māngere 29.02.2016) In vielen Community Gardens ist der Umgang mit sogenanntem Abfall im Sinne von Recycling und Kompostierung zentral (siehe Kapitel 6). Für Zara stellt dies einen wesentlichen Teil des gärtnerischen Selbstverständnisses dar. Als ich sie frage, welche individuellen Praktiken ihr als gutes Umweltverhalten einfallen, antwortet sie: »Ehm, creating a place like this where people can see how-eh things happen, nothing goes off here […] everything gets round there and in turn, it’s used as a planter. […] People say that tyres and-and eh all the rest of it but I’ve been eating out of tyres here eh, potatoes that would take on all the rubbish if you like e:hm but I’ve been eating it for seven yEArs eh […] so what does that tell you?« (Zara, I Māngere 29.02.2016) Dabei ist ihr wichtig, dass sich Akteur*innen über ihre Handlungen bewusst sind, also über die Aktualität ihres Verhaltens hinaus denken und Konsequenzen berücksichtigen. Für sie ist der Garten ein beispielhafter Ort für bewusstes Handeln. Zara erzählt: »It’s just making people aware. You know-eh, if you […] put your hand here you are aware that that fits. So I think that the same principle you put it into light somehow. (.) Just make ehm awAre that doing bad ain’t good. It’s about caring basically, and and caring with respect.« (Zara, I Māngere 29.02.2016) Für sie hängt Bewusstsein (»aware«) mit Sorge (»caring«) und Respekt (»respect«) zusammen. Darüber werden Verhaltensweisen eindeutig als gut oder schlecht klassifizierbar. Dieses Bewusstwerden entfaltet sich in der Gemeinschaft. Zara erklärt

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mir, dass viele Akteur*innen sich ohne die Arbeit im Garten nie mit umweltrelevanten Themen wie Abfallvermeidung und -reduktion befassen würden, geschweige denn mit Ernährungskreisläufen und der Herkunft ihrer Nahrungsmittel. Dabei erwähnt sie, dass Gartenkreisläufe besser und effizienter funktionieren, wenn sie von einer Gemeinschaft begleitet werden. Ein Individualgarten könne nicht im gleichen Maße umweltfreundlich sein wie ein Gemeinschaftsgarten, in welchem man Werkzeuge und Techniken teilt. In diesem Sinne wird Umweltschutz wirkmächtiger, wenn er in einer Gemeinschaft organisiert ist. Für Zara ist die Gemeinschaft jedoch nicht nur für die Umwelt relevant, sondern vor allem für Individuen, die sich in einem gemeinschaftlichen Zusammenschluss wohler fühlen: »Ah, so yeah, everybody here can feel normal. [I: mhm] Whatever normal is, [smiling] but they can feel worthwhile, they can maybe get a little bit more eh selfmotivation to their money-ideas.« (Zara, I Māngere 29.02.2016) Sie erzählt, dass es unterschiedliche Modelle von Community Gardens gebe, und manche sich – anders als ihr Garten – ökonomisch und unternehmerisch orientierten: »I think the-they see it as a way of getting money in and they are entrepreneurs, where e:h, that’s when community gardens are wrOng (.) in a sense, you have nobody there who is strong enough to e:h, lay the walls and keep them [I: mhm] cause with a lot of community gardens, the strongest families push everybody else out. And then they start eh selling all the stuff that they’ve got. And that’s wrOng. […] [I: So you think it’s really the idea that-] well, community gardens are okay as long as you have a solid community th-that is not part of the garden and then it runs well. Whereas if a group of families is there and it goes-eh, you know, ›you are not my family so why should you‹ […] They are supposed to supplement your life. […] But so many took them as a hand out. And that’s what’s wrong. Because they entrench people in ›this is mine‹.« (Zara, I Māngere 29.02.2016) Für sie sind eine monetäre Ausrichtung und Besitzansprüche eindeutig falsch und widersprechen ihrem Ideal des guten urbanen Gartens. In meinen Interviews habe ich häufig gefragt, welche Stadtszenen meine Gesprächspartner*innen photographisch festhalten würden, um »pollution« und »purity« abzubilden. Zara antwortet auf meine Frage: »Well-eh (2) I guess (2) the purest place really that I can think of, is these gardens. [I: mhm] because, it is done with luck, it is done with pride, it is done with respect, it is done with little cost, eh with no endeavor from-eh society, on the future of tomorrow, it’s in hands for tomorrow […] that’s here it sustains lIfe, in many many ways.« (Zara, I Māngere 29.02.2016)

5. »Come down to a garden, plant some plants, eat a cabbage and you’d feel better«

Damit umschreibt sie den Garten mit Attributen wie Glück, Stolz, Respekt und Zukunftsorientierung. Sie verbindet den Stimuli »purity« mit den Wertvorstellungen, die sie im Community Garden verwirklicht sieht. Den langwierigen Prozess, diesen Garten aufzubauen, versteht Zara als Zurückgeben (»put back«) an die Gesellschaft. Ihre Motivation, den Community Garden zu pflegen, ist auch mit ihrer Wertvorstellung von Reziprozität verknüpft. Dieses Prinzip der Gegenseitigkeit kann sich in einer Gemeinschaft entfalten, die – wie hier im Community Garden – Werkzeuge, Samen, Gemüse, Zeit und Wissen miteinander teilt. Wie Zara mit ihrer Kritik an ökonomisch motivierten Gärten konstatiert, sind Austauschen und Teilen nicht auf individuellen Profit, sondern auf einen gemeinsamen Mehrwert ausgelegt. Diese Aspekte prägen sich über die Erfahrungswelten der Community Gardens hinaus aus und wirken auf Lebensstil und Alltagsroutine ein. Zara empfindet Community Gardening als vor allem im urbanen Kontext wichtige Praxis, um trotz Vereinzelungstendenzen ein Gemeinschaftsgefühl in die städtische Lebenswelt integrieren zu können. Für sie ist der Garten ein Gegenmodell zu städtischer Einsamkeit. Auch ihre Ideale des Teilens lassen sich im Community Garden innerhalb des städtischen Raumes verwirklichen. Der Garten entspricht damit einem spezifisch urbanen Bedürfnis, Gemeinschaft in einem dichten, heterogenen Stadtumfeld zu erfahren und praktisch zu leben.

Kontemplieren und zurückziehen Obgleich im Community Garden soziale Beziehungen geknüpft und gepflegt werden, gestalten sich die Gärten auch als Rückzugsorte, die mit Einsamkeit, Innenschau und Besinnung verbunden werden. Damit eröffnen die Gemeinschaftsräume eine weitere Dimension, in welcher sich Vorstellungen der guten Stadt offenbaren. Viele Akteur*innen formulieren das Bedürfnis, sich aus der Alltagshektik zurückzuziehen. In diesem Abschnitt beleuchte ich die Nutzung der Gärten als urbane Rückzugsorte, in welchen Akteur*innen an einem entspannten Selbst arbeiten. Als Sefina mir den Garten zeigt, in welchem sie derzeit beruflich tätig ist, bietet sie mir an, mich hier aufzuhalten, wann immer ich dem Trubel der Stadt entfliehen wolle (»the hustle and bustle of the city«; Sefina, EP Grey Lynn 10.02.2016). Dieser Garten befindet sich zwischen einer Kirche und einem Irrgarten zur Kontemplation. Sefina erzählt mir, dass man diesen Irrweg entlanggehe, um sich zu besinnen und dass einige Gemeindemitglieder ihr Morgengebet im Gehen sprechen würden. Für Sefina sind Gärten »a paradise«. Sie teilte bereits als Kind das leidenschaftliche Engagement, das ihr Vater seinem eigens angelegten Garten entgegenbrachte. Sie beschreibt eine Ruhe, die sie im Garten empfinde und mit welcher sie sich von bedrückenden Gedanken und Wahrnehmungen distanzieren könne. Wenn man sich den Pflanzen hingebe und mit ihnen arbeite, störe der Verkehrslärm nicht mehr,

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man höre nur noch die Vögel singen und fühle die grünen Blätter zwischen den Fingerspitzen, sagt sie mir lächelnd. Als ich ihr an einem Sonntagnachmittag zur Hand gehe, erfahre ich diese scheinbare Abgeschiedenheit selbst. Das Gemeindehaus grenzt unmittelbar an eine auch sonntags viel befahrene Hauptstraße. Im Garten scheint der Lärm zu verfliegen und der Raum fühlt sich plötzlich anders an – leerer, leiser, unaufdringlicher. Sefina bittet mich, die verwelkten Köpfchen der rosarot blühenden Rosensträucher abzuschneiden. Sie stattet mich mit robusten Gartenhandschuhen und einer alten Gartenschere aus und erklärt mir, wie wichtig das Abtrennen der verblühten Pflanzenteile sei, damit das Gewächs mit seiner Energie haushalte. Danach reden wir nicht mehr viel, ich widme mich den Rosen, sie kümmert sich um das Unkraut ein paar Meter weiter. Im hinteren Teil des Gartens arbeitet Walter, ein älterer Pākehā, den ich noch einige Male hier antreffen werde. Er gehört der Kirchengemeinde an und arbeitet fast wöchentlich im Community Garden. Auch mit ihm wechseln wir zu Beginn ein paar Worte, dann arbeiten wir alle drei still vor uns hin. Ab und zu tauschen wir ein Lächeln oder einen Kommentar aus. Obwohl wir unweit voneinander arbeiten, kommen keine Gespräche auf. Anders als Sefina empfinde ich kaum die Sanftheit der Pflanzen. Die dicken Handschuhe ermöglichen mir keine sensuelle Erfahrung, keinen sensiblen Kontakt mit den dornigen Gewächsen. Vielmehr wird die gebückte Körperhaltung in der brennend heißen Mittagssonne anstrengend und bereitet mir bald Schmerzen im unteren Rücken. Sefina lacht, als sie mich stöhnen hört. Wir arbeiten an diesem Nachmittag zwei Stunden zusammen, in denen wir uns kaum ausgetauscht haben. Danach trinken wir eine Tasse Tee in ihrem Büro im Gemeindehaus. Hier stehen zwei Computer und einige Papierstapel. Ihre Arbeitsstelle beschränkt sich nicht nur auf körperliche Gartenarbeit an der frischen Luft, sie ist auch mit den bürokratischen und koordinatorischen Aufgaben des Gemeindehauses betraut und verbringt mehrere Stunden am Bildschirm. Für mich ist der Tee in ihrem Büro eine willkommene Erholung. Als ich Sefina von meiner Erleichterung erzähle, antwortet sie: »Oh no, I would prefer to stay out all day long. […] You know, when I sit in front of the computer I get tired even if I don’t move much. But if I work all day long outside, I feel fresh and go home quite energetic. That’s the magic of the gardens. They make you feel awesome, somehow.« (Sefina, EP Grey Lynn 10.02.2016) Auch in Gemeinschaftsgärten, die nicht an Gemeinden angeschlossen sind, erlebe ich das Gärtnern zuweilen als individuelle Arbeit, die eher aus dem gemeinschaftlichen Kontext herauslöst, als zu integrieren. Sefinas Gemeindegarten ist mitunter durch religiöse Werte geprägt, die über Introspektion und Rückzug definiert sind. Dennoch erfahre ich auch säkulare Gärten, die sich keiner religiösen Lehre verpflichtet fühlen, auf ähnliche Weise. Die beiden Gärten in Devonport bemühen sich um ein reges Community-Programm und führen einen vollen Veranstaltungskalen-

5. »Come down to a garden, plant some plants, eat a cabbage and you’d feel better«

der, der über regelmäßige Aktivitäten hinausgeht. Alle können Vorschläge machen und ihre Events in dem Gartenhäuschen abhalten, wenn das Thema zu den Vorstellungen des Community Gardens passt. Dennoch geschehen diese interaktiven und auf Austausch ausgerichteten Ereignisse zumeist erst nach der eigentlichen Gartenarbeit. Im Gemeinschaftshaus wird gekocht, gebacken, gebraut, erzählt, gemalt und gebastelt. Aber im Garten erfahre ich die Tendenz, allein und weitgehend still zu arbeiten. Widme ich mich einem Beet gemeinsam mit anderen Gärtner*innen, empfinde ich unsere Interaktionen als entschleunigt. Als ich eines Mittwochnachmittags zusammen mit Kevin ein kleines Beet von Unkraut und welken Pflanzen befreie, arbeiten wir eng beieinander und unterhalten uns über die zwei Stunden hinweg. Kevin ist ein etwa 30-jähriger Pākehā, lebt mit seinen Eltern in Devonport und ist ein aktives Mitglied in meiner Diskussionsgruppe. Obgleich wir die ganze Zeit miteinander sprechen, herrscht eine ruhige Atmosphäre. Der Rhythmus der Unterhaltung ist langsam und von Pausen geprägt. Als ich ihm von meinem Eindruck erzähle, nickt er und sagt, dass viele den Garten als Ort der Ruhe empfänden. Trotz der bedächtigen Stimmung gehört dieser Garten zu den belebteren, die ich kennenlerne. Gerade aufgrund seiner übersichtlichen Größe füllt er sich schneller als andere. Arbeitet man zusammen, wird auch geredet und gelacht, dennoch fühlt es sich für mich noch immer ruhig an. Trotz der dezidiert gemeinschaftlichen Ausrichtung gestaltet sich die Gartenpraxis meiner Erfahrung nach eher als Arbeit, die Gärtner*innen für sich allein durchführen. Selbst bei der gemeinsamen Bearbeitung eines Beetes kommt es häufig nur zu einem verhaltenen Austausch. Diese Art des Rückzuges bietet eine Basis für Aufbau und Pflege des Selbstverhältnisses. Reflexivität und Selbstbesinnung werden als solche idealisiert, vor allem im städtischen Raum, der mit Unruhe, Hektik und Stress assoziiert ist. Community Gardens, die sich explizit auf gemeinsames Erfahren ausrichten, falten auch Optionen der Selbsterfahrung auf, die insbesondere im urbanen Kontext geschätzt werden.

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6. »Everything belongs together«1 Abfallinitiativen als kollaboratives Stadtverbessern

Städtischer Abfall im Wandel Initiativen zur Sensibilisierung für die urbane Abfallproblematik scheinen mir omnipräsent in der Stadtlandschaft. Aufkleber auf Mülltonnen erinnern mit der Aufschrift »Love NZ« (Love New Zealand) daran, Unrat nicht unachtsam auf den Straßen zu entsorgen. Auf den Kanälen entlang der Queen Street liest man die Aufforderung, sich seines Abfalls gewissenhaft zu entledigen, um zu vermeiden, dass der Hafen und die Wasserwege verschmutzt werden. Dabei sind die öffentlichen Räume im Stadtinneren meist mit Sammeltonnen ausgestattet, die kein Trennen von Recycling-Materialien und Restmüll erlauben. Auf Festivals und Großveranstaltungen hingegen sind drei separate Behälter für Recycling, Bio- und Restmüll eingerichtet, die von Personal betreut werden, um das richtige Trennen zu kontrollieren und zu instruieren. Als ich im März 2016 auf dem EcoFestival North ein Umweltquiz für Kinder mitorganisiere, treffe ich Fanny und Silvan an den Trennbehältern. Sie lächeln von weitem und fragen die Besucher*innen routiniert, in welche der drei Tonnen sie ihren Unrat intuitiv werfen würden. Sie erzählen mir, dass die meisten bereits wüssten, wie sie ihren Müll korrekt trennen. Sie haben beide schon auf anderen Veranstaltungen gearbeitet, auf welchen ihre Beratung viel mehr gefragt gewesen sei als auf dem ökologisch orientierten Festival. Die meisten Fehler ergäben sich ihrer Erfahrung nach beim Trennen von Plastik, hier werde kaum zwischen Hartund Weichplastik unterschieden. Fanny erklärt: »It’s different from the problems we have with households in Auckland. There are statistics that nearly half of the bin tends to be filled up with food waste. So, if people did compost or something, every household could reduce its landfill waste to around 50 percent. Here it’s different, people see ›food waste‹ and know what they have to do.« (Fanny, EP Birkendale 04.03.2016)

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Zitat von Akahata (Akahata, EP Māngere East 21.01.2016).

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Abbildung 14: Mülltrennung auf dem EcoFestival Birkendale, 05.03.2016

(Photo: Jeannine-Madeleine Fischer)

Abfall ist ein viel diskutiertes und medial inszeniertes Thema in Auckland. Viele meiner Akteur*innen benennen »Waste« in meinen Interviews und Gesprächen als eines der drei dringlichsten Umweltprobleme in der Metropole. In einer quantitativen Studie, in der Aucklander*innen im Jahr 2014 nach ihren umweltbezogenen Aktivitäten gefragt werden, geben 87 Prozent an, ihren Restmüll zu reduzieren (Auckland Council 2014: 25). Tina, die für Waste Minimisation im Auckland Council zuständig ist, erzählt mir im Mai 2014 von den anstehenden Veränderungen in der städtischen Abfallpolitik. Als ich sie im Oktober 2015 wiedertreffe, lacht sie: »The things don’t change here so quickly.« (Tina, EP Downtown 01.10.2015). Während meiner dritten Forschungsphase 2015/16 werden die neuen Maßnahmen sukzessive in einigen Stadtteilen realisiert. Dabei handelt es sich zunächst um Management-Änderungen, die eine neue Mülltrennung über vorgeschriebene Regulierungen durchsetzen. Im neuen System wird eine zusätzliche Tonne für Foodwaste zur Verfügung gestellt, die ebenso wie die Recycable-Tonne kostenfrei jede Woche entleert wird. Die Restmülltonne ist hingegen kostenpflichtig. Damit soll ein finanzieller Anreiz geschaffen werden, um die Bewohner*innen für eine gewissenhafte Mülltrennung zu sensibilisieren. Vor der Amalgamierung der Stadtteile zur Supercity verfügt jeder Vorort über ein eigenes Abfallmanagement-System. Manche Stadtgebiete unterscheiden sich noch immer beispielsweise hinsichtlich der Verwendung von Tonnen oder Säcken als Behältnisse für den zu entsorgenden

6. »Everything belongs together«

Abfall. Über die implementierten Neuerungen wird auch eine lokale Vereinheitlichung dieser diversen Regulierungen vollzogen. Der vom Auckland Council herausgegebene Recycling Guide beziffert den Anteil von kompostierbaren Essensresten in der Restmülltonne mit 40 Prozent (Auckland Council 2018: 3). Die Kampagne »Love Food Hate Waste« macht nicht nur auf die Entsorgungsweise des verworfenen Essens aufmerksam, sondern kritisiert die Tatsache, dass Essen grundsätzlich als Abfall behandelt werde. Auf ihrer Website untermauert die Aktionsgruppe ihr Anliegen mit Zahlen: »New Zealanders throw away 122,547 tonnes of food a year. That is equivalent to 213 jumbo jets of food that has to go somewhere to rot, instead of being eaten. All of this food is worth about $872 million each year.« (Love Food Hate Waste o.D.: o.S.) Die Kampagne beruht auf einer in Großbritannien gestarteten Initiative und involviert verschiedene, neuseeländische Stadträte und Gemeinschaftsgruppen. In einem 2016 begonnenen Dreijahresprojekt soll die Menge an verworfenen Nahrungsmitteln durch Informationen und Handlungsleitlinien reduziert werden. Auf ihrer Website veröffentlicht die Aktionsgruppe verschiedene Videos und Artikel, die über richtiges Einkauf- und Konsumverhalten aufklären und mit Left-OverRezepten für eine bewusste Einstellung gegenüber Lebensmitteln werben. Diese Initiativen adressieren die Bevölkerung auf einer emotionalen Ebene und arbeiten mit der Vermittlung spezifischer Gefühle. Die Aktionsgruppe bedient sich einer mit Werten und starken Emotionen besetzten Dichotomie – Nahrung wird mit Liebe in Verbindung gebracht, Abfall mit Hass. Dabei wird der Begriff »Abfall« grundsätzlich infrage gestellt; wenn Abfall nicht mehr als unwertig verstanden würde, könne sich das Paradigma von einer Wegwerf- in einer Wieder- und AufwertungsGesellschaft wandeln (vgl. Davies 2008: 15). Essen gehöre nicht in die Mülltonne, sondern könne auf unterschiedliche Weisen wiederverwertet werden. Dieser Verwertungsgedanke beschränkt sich nicht nur auf Nahrungsabfälle, sondern ruft zur Wieder- oder Aufwertung von Müllsorten jeglicher Art auf. Oftmals werden unerwünschte Gegenstände ungeachtet ihres Materials in die Restmülltonne entsorgt und tragen damit zu einer massiven Belastung der Mülldeponien, und letztlich der Umwelt, bei. Hinzu kommt, dass das Recycling-System Aucklands hinsichtlich seiner Effizienz in der Kritik steht. Sogenannte Recycables, also Papier, Glas und Plastik, werden in einer gemeinsamen Tonne gesammelt. Die Trennung dieser unterschiedlichen Materialien erfolge theoretisch in speziellen Maschinen, einige der Bewohner*innen zweifeln allerdings an diesem System. Laut ihrer Informationen stören die Scherben den Mechanismus und machen damit die ganze Trennung dysfunktional. In dem Waste Management and Minimisation Plan aus dem Jahre 2012 wird das Ziel formuliert, bis 2040 eine Zero-Waste-Gesellschaft zu etablieren (Auckland

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Council 2012a: 8). Dieser Ansatz wird in der 2018 überarbeiteten Neuauflage des Dokumentes bekräftigt. Vor diesem Hintergrund werden unterschiedliche Initiativen ins Leben gerufen wie etwa die Errichtung von Community Recycling Centres (CRC), das Einsetzen von Rubbish Talkers und Waste Champions. Die Anstrengungen des Auckland Councils werden im Jahr 2017 international ausgezeichnet; für sein Engagement gegen Klimawandel erhält Auckland den jährlich verliehenen C40 Cities Bloomberg Philanthropies Award im Bereich Cities4ZeroWaste. Der amtierende Bürgermeister, Phil Goff, bezeichnet die lokalen Initiativen als einzigartige und neue Wege, um Abfall effizient zu reduzieren. Dabei sei es im Sinne des Stadtrates, vor allem Haushaltsabfall zu minimieren und Stadtbewohner*innen zu einem eigenverantwortlichen Abfallverhalten zu motivieren: »We want to put initiatives in place that empower people to take ownership of their own waste and help build a sustainable future for Auckland.« (Auckland Council 2017a). Im Zuge der neoliberalen Politik in den 1990er Jahren wurden die Abfallinfrastrukturen landesweit größtenteils privatisiert. Eine profitorientierte Führung von Übernahmestationen und Mülldeponien als private Unternehmen legten nahe, dass sich deren Nutzung beträchtlich erhöhen werde (vgl. Davies 2008: 121). Aus dieser Kritik entstand im Jahre 1997 der Zero Waste New Zealand Trust, der sich um eine ReDefinierung von Abfall und Abfallpraktiken bemüht. Im Jahr 2002 wurde die National New Zealand Waste Strategy vorgestellt, gefolgt von dem Waste Minimisation Act 2008, auf welchen der 2011 etablierte Auckland Council Waste Management and Minimisation Plan aufbaut. In diesem Plan beschreibt der Stadtrat erstmalig eine Hierarchie, die Abfallminimierung priorisiert und den Fokus von der Beseitigung auf die Wieder- und Aufwertung des Mülls lenkt (vgl. Auckland Council 2012a). Im Auckland Plan ist »Zero Waste until 2040« eines der ambitionierten Ziele, um »the world’s most liveable city« zu werden (Auckland Council 2012: 174).   Aufbauend auf die beiden vorangegangenen Kapitel, in welchen ich Beziehungen zu Anderen und Selbstbeziehungen im Zusammenhang mit Umweltpraktiken thematisiert habe, beleuchte ich hier Relationen, über welche die Regierung und die Stadtbewohner*innen miteinander interagieren. Dabei verstehe ich diese Beziehungen als Kontaktfelder, in welchen Regulierungen und Normen mit Bürgerinitiativen und Gemeinschaftsprojekten ausgehandelt werden. Insbesondere das städtische Abfallmanagement eignet sich angesichts der neuen Änderungen, die konkret auf das Abfallverhalten der Bewohner*innen fokussieren und gemeinsame Zusammenarbeit idealisieren (»community-led approach«, Auckland Council 2018a: 46), um diesen Aspekt städtischer Ethiken herauszuarbeiten. Dabei lehne ich mich an den von dem Politologen Arun Agrawal geprägten Begriff der »intimate governance« an, der eine Verflechtung unterschiedlicher Akteur*innen im Kontaktfeld zwischen Regierung und lokalen Gemeinschaftsgruppen beschreibt (2005). Hier greifen unterschiedliche Macht- und Handlungsradien ineinander und führen

6. »Everything belongs together«

zu einem komplexen Setting, in welchem Anweisungen, Ausführungen und deren vielschichtige Verbindungen nicht eindeutig sichtbar sind. Am Beispiel des Community Recycling Centres in Devonport zeige ich auf, wie sich Akteur*innen aus der Stadtpolitik mit Bewohner*innen in einer über Abfall definierten »Community« in Verbindung setzen können. Da diese neuen Institutionen zum Zeitpunkt meiner Feldforschung noch im Entstehen begriffen sind, betrachte ich Machtprozesse, die sich in der urbanen Debatte in der Planungsphase der CRCs artikulieren. Die Beziehungsmodi zwischen Stadtregierung und -bewohner*innen sind eng mit den Prozessen verbunden, die in den beiden vorangehenden Kapiteln bearbeitet werden. Die Regierung interagiert mit praktizierten und idealisierten Care- und Selbstbeziehungen der Bewohner*innen, die beispielsweise in Weeding-Gruppen und Community Gardens aufgebaut und gepflegt werden. Die Ideale, Gemeinschaft und soziale Kohäsionen in der Stadt aufzubauen, können für Regierungspraktiken fruchtbar gemacht werden. Arun Agrawal geht davon aus, dass Umweltpraktiken Subjekte formieren und zu wirksamen Instrumenten werden, über welche sich Akteur*innen Haltungen und Ideale aneignen (2005: 16). Dabei formieren sich die Ideale des guten Subjektes nicht »von oben«, also durch die Stadtregierung, die über ihre Eingliederung in die Community-Aktivitäten ihren Einfluss ausübt, sondern ko-konstitutiv in der dynamischen Interaktion zwischen Regierung und Bewohner*innen. Der Community-Gedanke ist sowohl für die Stadtregierung als auch für die Aucklander*innen von Bedeutung – Akteur*innen aus dem Stadtrat verbinden diesen zum Beispiel mit der Steigerung lokaler Effizienz, manche Bewohner*innen mit dem Erhalt einer bestimmten Atmosphäre in ihrem Wohngebiet, über welche sie den Charakter ihres Vorortes definieren. Mehrere Vektoren überschneiden sich in diesen Community-Initiativen und können nicht eindeutig auseinandergehalten werden. Über die Community als gemeinsamen Rahmen formulieren sich geteilte Werte, die emotional aufgeladen und lokal verbindlich performiert werden. In diesem Kapitel beleuchte ich Aspekte des guten Lebens, die in kollaborativen Arrangements zur städtischen Abfallreduktion sichtbar werden. Zunächst gehe ich auf Vorstellungen von Gemeinschaftlichkeit und Lokalität ein, die sich als von Bewohner*innen und Lokalregierung favorisierte Stadtideale in die Initiativen einschreiben. Über neue Regulierungen zur Sperrmüllabholung werden tradierte Gemeinschaftsaktivitäten institutionalisiert und der lokale Umgang mit Abfall auch sozial neu gerahmt. Die Community macht Grenzlinien zwischen Regierenden und Regierten brüchiger und weniger sichtbar. Dabei verstehen viele der involvierten Stadtbewohner*innen ihre Aktivitäten als Ausdruck einer lokalen Selbstermächtigung. Die Kollaborationen mit dem Stadtrat betrachten einige Aucklander*innen als Möglichkeit, sich selbst für einen Wandel in der Stadt einzusetzen und ihre eigenen Vorstellungen in die lokalpolitischen Transformationsprozesse zu integrieren. Städtische Abfallinitiativen können in diesem Sinne mit eigenen Projekten

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verbunden werden, um diese wirkmächtig umzusetzen. In diesem Zusammenhang nehme ich Abfallpraktiken in Māngere East in den Blick; hier wird Abfallreduktion sowohl vom Auckland Council als auch von lokalen Akteur*innen mit kulturellen Werten verknüpft und im Zusammenhang mit Māori-Traditionen repräsentiert und vermittelt. Einige Akteur*innen betrachten diese Prozesse als Unterstützung, um vergessene Traditionen und Werte wieder in die urbane Gemeinschaft zu integrieren. Abschließend betrachte ich eine Aktionsgruppe aus dem benachbarten Māngere Bridge, die ein eigens etabliertes Abfallsystem nutzt, um soziale und ästhetische Ideale im eigenen Viertel umzusetzen und eine Abgrenzung zu den umliegenden Vororten zu vollziehen. Über diese unterschiedlichen Projekte und Prozesse werden sozioökonomische und -kulturelle Verwobenheiten des städtischen Umgangs mit Abfall sichtbar, aus welchen ortsspezifische Ideale und Arrangements zwischen Stadtbewohner*innen und -regierung hervorgehen.

Gemeinschaft schaffen Eine der neueren Maßnahmen zur Abfallminimierung ist das Errichten neuer Recycling-Centres, die das ganze Stadtgebiet umfassen und einen Fokus auf Gemeinschaftlichkeit legen sollen. Das Ideal einer städtischen Gemeinschaftlichkeit, das über die Community Recycling Centres transportiert wird, greifen Stadtregierung und Bewohner*innen gleichermaßen auf, um Vorstellungen der guten Stadt zu formulieren. Von Seiten des Stadtrates gibt es keine festgeschriebenen Vorgaben, wie diese Gemeinschaftlichkeit in den neuen Recycling-Einrichtungen umgesetzt werden soll. Die Betreiber*innen legen Entwürfe und Konzepte vor, die aber letztlich nicht verbindlich sind und Raum für Veränderungen und neue Ideen bieten. In diesem Unterkapitel betrachte ich, wie sich über das neu entstehende CRC in Devonport Gemeinschaftsideale als Vorstellungen der guten Stadt artikulieren und ein lebendiges Interaktionsfeld zwischen der lokalen Regierung und den Anwohner*innen entfalten. Gemeinschaftlichkeit lässt sich hier im Sinne Agrawals als »joint interest« zwischen der staatlichen Organisation der Recycling-Anlage und den Bewohner*innen verorten (vgl. 2005: 18). Unterschiedliche Interessen verbinden sich in einer gemeinsamen Praxis. Die CRCs als neue Infrastrukturen sind mit einem positiven Image behaftet und viele Bewohner*innen äußern den Wunsch, dass auch in ihrem Viertel ein solch prestigeträchtiges Zentrum entstehen solle. Anders als üblicherweise mit Abfall assoziierte Einrichtungen wie Verbrennungsanlagen oder Deponien werden die Community Recycling Centres nicht mit Verschmutzung und Marginalität in Verbindung gebracht, sondern als moderne, saubere und kreative Zentren betrachtet, die zu einer Aufwertung des umliegenden Stadtteils beitragen können. Hier können Bewohner*innen Möbel, Fahrräder, Bücher, Elektroabfall und Grüngut abge-

6. »Everything belongs together«

ben – also Abfallsorten, die gemeinhin nicht mit Kontamination assoziiert sind. Die mit dem CRC verbundenen Narrative und Imaginationen re-arrangieren tradierte Negativzuschreibungen und setzen sich von historisch perpetuierten Assoziationen ab, die Abfall mit Kontamination und Armut in Verbindung bringen.2 Reund Up-Cycling figurieren sich zu kreativen, konstruktiven und fortschrittlichen Praktiken, die ein modernes Abfallverhalten mit sozialer Kohäsion verknüpfen und sich damit in ein wohlhabendes Umfeld wie Devonport einpassen. Gleichzeitig verlieren Abfall und Recycling ihre zuvor gültigen Bedeutungen nicht. Vielmehr handelt es sich um Gleichzeitigkeiten und Widersprüchlichkeiten, die sich in die soziomaterielle Präsenz der als Abfall oder eben als re- und up-gecycelte Produkte definierten Gegenständlichkeit einprägen. Je nach Situation, Umfeld und lokalen Bedeutungen können verschiedene, auch gegenläufige Zuschreibungen koexistieren, ohne sich gegenseitig auszuschließen (vgl. Reno 2009: 40). Dabei kann diese Komplexität nicht zu einer Dichotomisierung vereinfacht werden. Abfall wird nicht als entweder gut oder schlecht, als Symbol von Wohlstand oder Armut verstanden, sondern ist mit vielen Zwischentönen und Bedeutungsüberlagerungen aufgeladen, die sich situativ je unterschiedlich aktualisieren. Gerade diese Ambivalenzen machen den Abfall zu einem wirkmächtigen Akteur im urbanen Gefüge. Die neuen Wiederverwertungsanlagen und Upcycling-Initiativen unterliegen gemeinhin einem positiv-konstruktiven Verständnis, das Abfall nicht primär als zu entsorgendes Objekt, sondern als Ressource oder kreatives Potenzial verortet. Die Ambiguität des Mülls, die zwischen wertvollen und wertlosen Konnotationen pendelt, ist eng mit moralischen Vorstellungen des Guten und Schlechten verknüpft. Der Umgang mit Abfall wird als ethisches Verhalten gerahmt und ist von moralischen Normen und Appellen durchdrungen. Im Rahmen des Auckland Plans formieren sich Abfall und Praktiken seiner Reduktion und Vermeidung zu einem Symbol für »Liveability«; das Schlagwort, mit welchem die aktuell erwünschten Veränderungsprozesse in der Stadt umschrieben werden (Auckland Council 2012). Dabei verstehe ich »Liveability« nicht als aufoktroyierte Leitlinie, die den Bürger*innen und Initiativen übergestülpt wird, sondern vielmehr als ein aus der urbanen Debatte formiertes Ideal, das aus der städtischen Dynamik emergiert. Aus dieser Perspektive wird Abfall in der Stadt vor allem als eine Möglichkeit verortet, Wert und Veränderung zu schöpfen. Mit dieser Umdefinierung rückt der Fokus von dem statischen Zustand des Abfalls hin zu seiner flexiblen Prozesshaftigkeit (vgl. Reno 2009: 30). Die Frage ist nicht mehr, was Abfall ist, sondern was aus ihm werden, entstehen und emergieren kann. Damit verbindet sich auch ein neues Verständnis von Zeitlichkeit – die Dynamisierung erfordert gewissermaßen ein Vorausdenken. Der Müll weist in diesem Sinne bereits über seinen aktuellen Zustand hinaus. Müll

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Zu tradierten Narrativen um herkömmliche Mülldeponien siehe Mauch (2016).

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ist damit nicht nur gegenwarts-, sondern dezidiert zukunftsbezogen. Gleichzeitig verleiht er Gebrauchsgegenständen eine Vergangenheit; die Beliebtheit von Reoder Upcyclingprodukten steht nicht zuletzt mit ihrer eingeschriebenen Geschichtlichkeit in Verbindung. Das Devonporter CRC entsteht auf dem Boden der in den 1970er Jahren errichteten Wiederverwertungsanlage. Seinerzeit war das Devonporter Recyclingcentre landesweit das erste und trug maßgeblich zum grünen Image des als alternativ geltenden Stadtteiles bei. Aus dem Hippie-Viertel ist ein gentrifiziertes Wohngebiet geworden, in dem Villen mit Hafenblick zu Millionenpreisen verkauft werden. Dass hier nun auch das erste CRC Schlagzeilen macht, reproduziert eine etablierte Hierarchie im urbanen Raum. In diesem Sinne tritt das CRC als zentraler Akteur auf, um Bilder und Imaginationen des Stadtteiles aufrechtzuerhalten. Ich treffe Chris, einen der beiden Manager des ersten Community Recycling Centres, ein paar Tage vor der offiziellen Eröffnung auf einem Nachbarschaftstreffen und frage ihn, was denn das Neue an diesem Zentrum sei: »Well, you know. It’s all about community. We don’t want people just to pass by, drop off their stuff and disappear. We want them to stay over a cup of coffee, have a talk and sit together.« (Chris, EP Devonport 20.02.2016) Das CRC soll an Wochenenden mit mehr Personal als bislang ausgestattet werden, um die soziale Komponente des Miteinander-Sprechens trotz der üblichen Sortierprozesse leisten zu können. Hier fügen sich an Umweltethik orientierte Vorstellungen des guten Lebens mit Idealen von Gemeinschaftlichkeit zusammen. Der Gemeinschaftsbegriff ist im Gegensatz zu Abfall primär positiv konnotiert. Von den meisten Akteur*innen wird Community als wünschenswerte Konstellation im urbanen Raum verstanden. Die gute Etikettierung gemeinschaftlicher Zusammenschlüsse und Praktiken ist problematisch. Vor dem Hintergrund als gut verstandener Communities kann eine kritische Hinterfragung der als gemeinsam verorteten Inhalte, Motivationen und Effekte vernachlässigt werden (Labonte 1997: 90). Das Gute artikuliert sich nicht nur über Umweltbeziehungen, sondern ebenso über soziale Relationen in der Stadt. Damit verbindet sich ein anderer Zugang zu Abfall, der hier konkret sichtbar, haptisch erfahrbar und physisch konsumierbar gemacht wird. Wurde das ursprüngliche Recyclingcentre von den Anwohner*innen lediglich zum schnellen Entsorgen genutzt, um sich unbrauchbarer Gegenstände zu entledigen, erfordert die neue Institution multiple Weisen des Sich-in-BeziehungSetzens. Die lokale Wiederverwertungsanlage in Devonport soll nicht mehr bloß dem Trennen und Entsorgen von Abfällen dienen, sondern sich künftig als »hub«3

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Das Konzept einer Community-Hub begegnet mir in vielen Kontexten in Auckland und idealisiert einen sozialen Knotenpunkt.

6. »Everything belongs together«

gestalten. Abfall wird über gemeinsame Praktiken neu definiert und in körperlich-affektive Auseinandersetzungen einbezogen. Statt sich möglichst schnell von Müll zu distanzieren, gilt es, sich konkret in Beziehung zu setzen und in zeitlich intensiveren Prozessen mit und über Abfall zu interagieren. Damit werden raumzeitliche Dimensionen umdefiniert. Die Anlage soll von einem Durchgangsort zu einem Raum werden, in dem man sich aufhält, Zeit verbringt, Beziehungen knüpft. In diesem Zusammenhang öffnen sich neue Möglichkeitsräume, so auch für den benachbarten Community Garden. Nun liegen hier zwei gemeinschaftsorientierte Institutionen eng beieinander, interagieren und kollaborieren miteinander. Entsorgungspraktiken wandeln sich zu persönlichen Begegnungen und sozialen Ereignissen, die neue Beziehungen schaffen. Die Kulturwissenschaftlerin Gay Hawkins konstatiert, dass die Abfallentsorgung nicht nur Trennung, sondern auch Verbindung impliziere. Denn um einen Gegenstand als Müll zu klassifizieren, müsse eine entsprechende Beziehung bestehen, um solche Abgrenzungen vornehmen zu können: »For separation is a relation, it is not the opposite of connection; to experience ourselves as separate from rubbish is still to be in a relation with it. This is the messiness and ambiguity that marks our relations with rubbish and exposes the fantasy of a pure and stable morality. And this is the messiness and ambiguity that makes ethical work experimental, creative, and relational.« (Hawkins 2006: 41) Daran zeigt sie auf, dass die vermeintliche Abtrennung von Abfall zum Erhalt einer eigenen Reinheit eine Illusion sei und entsprechende Moralitäten brüchig mache. Im CRC erweitert sich der Aspekt des »Separation meets connection« (Hawkins 2006: 41) um eine weitere Dimension – die Verbindung durch Abfall wird hier nicht nur akzeptiert, sondern konkret gefördert und in entsprechenden Praktiken umgesetzt, um soziale und soziomaterielle Beziehungen zu schaffen. Das Entsorgen fügt sich gewissermaßen auch zu einem Versorgen im lokalen Kontext. Man entledigt sich nicht mehr benötigter Gegenstände, die von anderen wieder genutzt werden. Darüber hinaus wird über den dezidiert lokalen Fokus das Schaffen örtlicher Arbeitsplätze und sozialer Beziehungen gefördert. Hier soll ein positives InBeziehung-Setzen vollzogen werden, das den Abfall als soziales Bindeglied positioniert. Müll kann unterschiedlich repräsentiert werden und spezifische, durchaus widersprüchliche Subjektivitäten produzieren, die sich in porösen und instabilen Ethiken konstituieren. Die Erfahrung mit Abfall soll im CRC in einen positiven Bedeutungszusammenhang gesetzt und mit gemeinschaftlichen Aktivitäten verbunden werden. In dem neuen Zentrum materialisiert sich eine Assemblage aus abfallbezogenen Praktiken, Relationen und Konzepten, welche sich mit unterschiedlichen körperlich-affektiven (Re-)Aktionen verknüpfen. Dabei geht es nicht nur um eine Ästhetisierung von Abfall. Über die visuelle Dimension hinaus soll eine gemeinsame, haptische und sensitive Erfahrung mit den entsorgten Materia-

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lien herbeigeführt werden, die Verhaltensimperative transportieren und bestimmte Umgangsweisen privilegieren. Dadurch entsteht ein geteilter Erfahrungs- und Handlungsraum, der die Beteiligten nicht nur mit Abfall, sondern miteinander in Verbindung bringen soll, wie Chris mir beschreibt. Wesentlich ist dabei, dass im CRC nicht nur der Abfall in seiner Materialität verändert und aufgewertet werden soll, sondern auch die sozialen Beziehungen. Die Handlungspraxen beschränken sich also nicht auf eine Transformation des Abfalls, sondern richten sich auch dezidiert an die Akteur*innen selbst. Chris erzählt mir, dass Müll im neuen CRC nicht einfach verschwinde, wenn man ihn entsorgt, und die neuen Abfallpraktiken nicht versuchen, ihn möglichst unauffällig zu verbergen, sondern offen und gemeinsam in eine neue Gestalt zu bringen. Damit wird der Abfall in seiner visuellen und haptischen Präsenz in eine neue Materialität überführt. Diese Ideale von Sichtbarkeit sind situationsbezogen und nicht generalisierbar. Während die neuen Community Recycling Centres upgecycelte Waren zur Schau stellen sollen und noch nicht aufgewertete Materialien unübersehbar in ihren Containern lagern, ist öffentliches Dumping auf verlassenen Straßen problematisch und unerwünscht. In diesem Zusammenhang wird die unterschiedliche Symbolhaftigkeit von Abfall evident. Je nach Kontext steht dieser für eine moderne und »liveable« Praxis oder für ein soziales Problem. Als ich das Zentrum kurz nach der Eröffnung mit Kevin, einem guten Bekannten aus Devonport besuche, sitzt Chris gerade in seinem Büro und trinkt Kaffee mit einem Kranfahrer. Auf dem Gelände hat sich noch nicht allzu viel geändert. Unterschiedliche Container dienen der Entsorgung von Glas, Metall, Plastik und Holz, und entsprechen dem alten Mülltrennungsmodell. Das Zentrum unterscheidet sich meinem Empfinden nach noch kaum von der zuvor hier betriebenen Recycling-Anlage. Das Gelände wirkt industriell, nicht gerade einladend oder gemeinschaftsfördernd. Auch der Raum, in welchem Chris Kaffee trinkt, ist von einer eher provisorischen und unpersönlichen Atmosphäre geprägt und fühlt sich für mich aufgrund der begrenzten Raumgröße beengt an. Das hängt auch mit dem Entwicklungsstadium des Zentrums zusammen, da die Arbeiten auf der Anlage noch längst nicht abgeschlossen sind und die Projekthaftigkeit des Vorhabens noch in seiner Gestalt spürbar ist. Neu hinzugekommen sind Container-Räume, die bei unserem Besuch noch nicht in Betrieb genommen sind. In dem improvisierten Arbeitsraum liegen nur ein paar Werkzeuge, später sollen hier abgeladene Möbel umgebaut und aufgewertet werden. Im Container nebenan wird der Verkaufsladen eingerichtet, um die umgestalteten Waren zu veräußern. Welche konkreten Kurse und Aktionen Chris demnächst anbieten möchte, weiß er zum Zeitpunkt meiner Feldforschung noch nicht. Er wolle sich noch nicht zu sehr festlegen, um das Potenzial der lokalen Gemeinschaft ausschöpfen zu können. Vieles emergiere aus dem gemeinsamen Betreiben des Zentrums und den sozialen Kontakten, und sei jetzt noch gar nicht

6. »Everything belongs together«

Abbildung 16: Container-Raum im CRC, 02.03.2016

(Photo: Jeannine-Madeleine Fischer)

Abbildung 15: CRC Devonport, 02.03.2016

(Photo: Jeannine-Madeleine Fischer)

absehbar. Er wünscht sich, dass viele Bewohner*innen auf ihn zukommen, ihm Ideen präsentieren und sich engagieren, um das CRC wirklich als Gemeinschafts-

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projekt zu führen. Damit schreibt er der Gemeinschaft Handlungsmacht zu und fordert zu aktiver Partizipation auf. Er beschreibt die Devonporter Community als lebendig und neugierig und vertraut darauf, dass er viel Inspiration und kreative Unterstützung erhalten wird.   Chris selbst hat keinen persönlichen Bezug zu Devonport. Er lebt mit seiner Frau und seiner Tochter auf Waiheke Island, einer Insel im Hauraki Gulf, die direkt vor Auckland City liegt und täglich im 30-Minuten-Takt innerhalb von 40 Minuten mit einer Fähre erreicht werden kann. Dabei verfügt Waiheke Island über ein umweltfreundliches Image. Aufgrund seiner weitgehenden Isolation vom Festland definiert sich die Insel nicht über städtische Attribute, sondern hebt seine Inseleigenschaften in den Vordergrund: Sandstrände, grüne Hügellandschaften und endlose Weinberge. Waiheke Island gehört zu den routinemäßig besuchten Touristenattraktionen. Damit weist Waiheke einige Parallelen zu Devonport auf, das von seinen Bewohner*innen als isolierte Halbinsel repräsentiert wird und sich ebenfalls als touristische Attraktion etabliert hat. Im Jahr 2003 macht die Insel besonders von sich reden, als die Initiative »Kai Conscious Waiheke« ins Leben gerufen wird, die sich um einen nachhaltigen Lebensstil auf Waiheke Island bemüht. Damals werden Kompost-Toolkits verteilt und kostenlose, sehr gut besuchte KompostierWorkshops angeboten. Mit ihren regelmäßigen Aktionen wendet sich die Initiative Umweltthemen zu, fokussiert aber vor allem auf gemeinschaftsbasierte Nahrungskampagnen. Jeden Monat werden »pop up pubs« in der Nachbarschaft organisiert, bei welchen gemeinsam produziertes Essen geteilt wird. Diese Veranstaltungen tragen zur Förderung lokaler Nahrungsproduktion und dem Etablieren eines Gemeinschaftsgefühls unter den Bewohner*innen bei. Auch hier verknüpfen sich Umweltverhalten, Gemeinschaftsaufbau und Solidarisierung miteinander. Da Waiheke selbst über keine Mülldeponie verfügt, muss jeder hier produzierte Unrat via Schiff abtransportiert werden. Kai Conscious Waiheke hat sich zum Ziel gesetzt, überhaupt keinen Abfall mehr zu erzeugen und Unrat direkt vor Ort wiederzuverwerten. Damit hat die Insel Vorbildcharakter für die städtische Abfallpolitik eingenommen. In vielen auf Community-Basis organisierten Müllinitiativen werden die gängigen Re- und Upcycling-Praktiken der Waiheke-Bewohner*innen zitiert und als Modelle für eigene Projekte beschrieben. Chris hatte sich im Rahmen einer Ausschreibung des Stadtrates gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Oliver um das Betreiben des Zentrums beworben. Das Auckland Council hat die eingereichten Business-Pläne geprüft und sich schließlich für ihr Konzept entschieden. Chris und Oliver sind ein eingespieltes Team, das bereits in einem anderen Rahmen4 miteinander kollaboriert. Ihr 4

Sie arbeiten in einer übernationalen Umweltgruppe, die sich mit Abfallmanagement in Ozeanien beschäftigt.

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gemeinsam ausgearbeitetes Konzept muss sich bewähren, denn das Auckland Council räumt ihnen eine Frist von fünf Jahren ein, in welchen sie unter Beweis stellen müssen, dass ihre Ideen auch finanziell tragfähig sind. Das Auckland Council gibt ihnen ökonomische Richtlinien vor; wie sie innerhalb dieses Rahmens agieren, ist ihnen weitgehend freigestellt. Aktuell zahlen sie keine Miete für die Nutzfläche, sollten aber innerhalb der nächsten fünf Jahre fähig sein, eine angemessene Pacht aus den Einnahmen des CRCs bestreiten zu können. Über den Besuch bereits etablierter Zentren in Aucklands Umgebung, in Thames und Raglan, möchte Chris sich inspirieren lassen und seine Kompetenzen stärken. Chris rückt gewissermaßen in eine Vermittlerrolle zwischen lokaler Gemeinschaft und Stadtrat, und ist an Weisungen von beiden Seiten gebunden. Gerade deshalb ist er kein neutraler Akteur und muss unterschiedliche Interessen aushandeln. Er wird sowohl vom Stadtrat als auch von den Bewohner*innen als zugehörig verortet – er arbeitet für das Auckland Council und für die Community. Diese Konstellation verschachtelt sich angesichts seiner Umweltorganisation nochmals. Er versteht sich selbst als Drehpunkt zwischen Council, Community und Umweltgruppe. Dieses Arrangement soll noch erweitert werden und auch örtliche Geschäfte in das Recycling-Konzept integrieren. Absprachen mit dem Supermarkt und anderen Verkaufsläden sollen beispielsweise die Wiederverwertung von Paletten und anderen Materialien, die im Einzelhandel anfallen, ermöglichen. Ferner sind einige Anwohner*innen daran interessiert, sich ehrenamtlich im Zentrum zu engagieren. Die Politolog*innen Arun Agrawal und Maria Carmen Lemos beschreiben solche kollaborativen Arrangements als Phänomene gegenwärtiger politischer Entwicklungen. Das neoliberale Klima, das vielerorts zu einem schrumpfenden Staat führt und multiple Verantwortungen auf nicht-staatliche Akteur*innen verschiebt, dezentralisiert auch Umgangsweisen mit lokalen und globalen Umweltproblematiken. Dabei bezeichnen sie die verschiedenen Varianten, in welchen sich unterschiedliche Akteur*innen mit staatlichen Organen verknüpfen, als »multi-partner governance« (2007). Diese hybriden Regierungsformen können einerseits aus den Synergien schöpfen, die in der gemeinsamen Zusammenarbeit entstehen, andererseits verdecken sie den subtilen Einfluss der staatlich oder städtisch Regierenden (vgl. Fischer 2020). Durch das gemeinsame Engagement in einer Community sind Interessenkonflikte weniger sichtbar und die örtliche Regierung weniger angreifbar. In Auckland fügt sich der Gemeinschaftsgedanke in lokale Vorstellungen des guten Stadtlebens ein. Viele Stadtviertel, die nicht zuletzt aufgrund ihrer relativen Distanz zueinander starke Identitäten ausgebildet haben, bezeichnen sich selbst als Communities und formulieren Zukunftsvisionen, in welchen primär Gemeinschaftlichkeit ausgebaut und beibehalten werden soll. Soziale Gemeinschaft und lokale Zugehörigkeit sind hier eng miteinander verwoben.

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Lokalität stärken Devonport ist für sein umweltfreundliches Image bekannt. Das erste RecyclingCentre, die Pionierstellung in der nuklearfreien Haltung und das Sinken der Rainbow Warrior an der Küste Devonports schreiben sich in gegenwärtige Imaginationen ein. Diese mittlerweile landesweit etablierten und praktizierten Konzepte lassen Devonport aus Perspektive der Lokalbevölkerung zu einem Vorzeigestadtteil werden, das Vorbild und Pionier wichtiger Errungenschaften für die ganze Nation sei. Dabei hängen Umweltschutz und Stadtteilidentität in dem wohlhabenden Viertel eng miteinander zusammen. In diesem Abschnitt beleuchte ich, wie die in den Diskussionen um das neue CRC idealisierten Gemeinschaftsideale mit der als exklusiv dargestellten Identität des Stadtviertels interagieren. Chris erzählt mir, dass er Devonport bereits gut kenne und sich schon darauf freue, hier viel Zeit zu verbringen. Er setzt darauf, gleich von Beginn an eine gute Verbindung zur Bevölkerung aufzubauen. Ihm ist bewusst, dass ihm und seinem Projekt zwar viele Bewohner*innen positiv gegenüberstehen, er weiß aber auch um die Kritiker*innen. Nicht zuletzt, weil er sich und sein Unterfangen auf dem Devonporter Community Network Meeting vorstellt, wo auch ich ihm das erste Mal begegne. Dabei handelt es sich um eine regelmäßig organisierte Diskussionsrunde, die der Besprechung von Community-Angelegenheiten dient. Die Redner*innen werden im Vorfeld festgelegt, die Agenda unter den angemeldeten Teilnehmer*innen verteilt, die ihre Anwesenheit über eine Unterschrift bestätigen und nach der Sitzung ein Protokoll per eMail zugeschickt bekommen. Diese durchaus formalisierten Community-Treffen sind in Devonport immer gut besucht, aber als das CRC auf der Tagesordnung steht, findet sich ein besonders großes Publikum ein. Nina, die Koordinatorin, eröffnet die Sitzung mit den Worten: »Well, I’m happy that we are so many today. It must be the topic.« (Nina, EP Devonport 18.02.2016). Mit einer Powerpoint-Präsentation stellen Chris und Oliver ihre Pläne vor. In der anschließenden Diskussionsrunde werden so viele Fragen aufgeworfen, dass Nina die Redner*innen unterbrechen muss. Die Fragen fokussieren vor allem auf mögliche Störfaktoren wie infrastrukturelle Engpässe, Verschmutzung, Lärmbelästigung und Bürokratie. Die Devonporter verstehen sich selbst als »caring community«, welche die Stadtpolitik aufmerksam verfolgt und deren Regulierungen und Entscheidungen gegebenenfalls korrigiert. Einige Zuhörer*innen befürchten, dass die ohnehin problematische Verkehrssituation auf der Lake Road durch das CRC verschlimmert werden könne. Außerdem könnten laute Maschinen zum Einsatz kommen, die die Ruhe in der Nachbarschaft stören. Über das Community Recycling Centre wird in diesen Wochen viel diskutiert, auch in unseren Green Conversations kommt das Thema häufig auf und wird als eine der größten gegenwärtigen Veränderungen des Viertels verstanden – und diese werden gemeinhin kritisch beäugt.

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In Devonport verbinden sich Ideale des Umweltschutzes häufig mit Denkmalschutz, der für den historischen Stadtteil viktorianischen Stils zu einem zentralen Thema im urbanen Diskurs geworden ist. Über den gemeinsamen Widerstand gegen Abriss- und Großbauprojekte im Viertel solidarisieren sich Aktivist*innen, die sich für den Erhalt von Natur und bebauter Umwelt einsetzen. Viele Bewohner*innen befürchten, Devonport werde durch den zunehmenden Bevölkerungsdruck zu »another version of the CBD with prefab buildings« (Vera, EP Devonport 14.12.2015). Dabei wird häufig der Zuzug einer wohlhabenden Elite problematisiert, welcher eine fehlende Beziehung zu Devonport unterstellt wird. Da viele Bewohner*innen über Generationen im Viertel siedeln, wird diesen eine nahezu natürlicherweise gewachsene Beziehung zu Devonport zugeschrieben, die sich bei Neuzugezogenen noch nicht etabliert habe. Scott erzählt, dass die langjährigen Bewohner*innen Devonports »enormously authentical roots« haben (Scott, I Devonport 07.12.2015). Hinzu kommt, dass die neueren Bewohner*innen noch nicht mit den Regierungsstrukturen und Techniken des Auckland Councils vertraut seien, um sich gegen neue Bebauungspläne richten zu können. Scott führt diesen Aspekt in einem Interview aus: »You need to be a long-term to be aware of the government’s commitment tasks […] for that to, for you to feel cheated by that. You know, you [don’t] feel cheated if somebody just told you […] you really need to- (.) have that feeling yourself and have it taken away from you.« (Scott, I Devonport 07.12.2015) In meiner Diskussionsgruppe wird häufig für Kontaktfelder argumentiert, in welchen nicht nur Relationen unter Bewohner*innen, sondern auch zwischen Bewohner*innen und dem Stadtteil geknüpft werden sollen. Dabei wird zwischen Akteur*innen unterschieden, die durch ihr langjähriges Wohnen vor Ort eine Verbindung zu Devonport aufgebaut haben und solchen, die erst kürzlich und aus Prestigegründen in den renommierten Vorort gezogen seien, ohne sich für Ästhetik und Atmosphäre des Stadtteiles zu interessieren. Gemeinschaftseinrichtungen wie Community Centre, Community Garden oder Community Recycling Centre könnten einen intimeren Zugang zu Devonport vermitteln und dazu beitragen, das »village-like feeling« und die »local community« zu erhalten (George, EP Devonport 14.12.2015). Was diese Institutionen verbindet, ist ein Fokus auf Gemeinschaftlichkeit und körperliches Engagement. Mit dem in Devonport durchgeführten Recycling sind globale Umweltpraktiken verbunden. Hier überlagern sich mehrere Räume und Wirkungszirkel. Die Akteur*innen verorten ihre Umweltinteressen je unterschiedlich, etwa als Sorge um Devonport, Auckland als Stadt, Aotearoa Neuseeland oder die ganze Welt. Gleichzeitig wird in dem CRC eine spezifische Form von Community angestrebt, die sich gezielt lokal konstituiert und nicht auf die Vernetzung überlokaler Lebenswelten setzt. Vielmehr dient Gemeinschaftlichkeit hier dem Erschaffen und Erhalten eines

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als wünschenswert und gut verorteten, städtischen Lebensstils, der für Devonport als tradiert und passend empfunden wird. Dabei wird das Stadtviertel in Kontrast zu Aucklands Stadtkern gesetzt, der als anonym und damit tendenziell unsolidarisch verortet wird. Vera und andere Akteur*innen rekurrieren auf das Narrativ der unpersönlichen Großstadt, in welcher sich Unbekannte aus dem Weg gehen und führen dieses als Kontrastfolie für das als dörflich-intim imaginierte Devonport an. In dem neu entstehenden CRC soll auch eine lokal begrenzte Wirtschaftsweise umgesetzt werden. Chris erläutert mir den Kreislauf des Systems: »The idea is to keep it local. The trash comes from Devonport, gets proceeded in Devonport by local workers and is sold to Devonporters again. All is fed back into the local community.« (Chris, EP Devonport 02.03.2016) Damit will er Arbeitsplätze schaffen und das Prinzip einer ökologisch verträglichen Örtlichkeit einhalten. Die Waren stammen aus Devonporter Haushalten und sollen auch hier wieder in die Gemeinschaft zurückgespeist werden. Dabei ist anzumerken, dass die Gegenstände zwar aus Devonporter Haushalten abgegeben werden, jedoch in aller Regel andernorts produziert wurden. Entgegen des globalen Trends, Abfall zwischen unterschiedlichen Kontinenten zu verschieben, wird hier ein kleinräumiges Konzept entworfen, das die Grenzen der Community nicht überschreitet. Diese lokale Begrenzung wird allerdings nur teilweise eingelöst. Über soziale Netzwerke und Online-Plattformen wie trademe.co.nz sollen upgecycelte Waren auch einer größeren Klientel zugänglich gemacht werden, um zu vermeiden, dass das Zentrum sich in eine Lagerfläche verwandelt und aufbereitete Gegenstände nicht veräußert werden können. Damit werden jedoch nicht nur Umweltideale umgesetzt, sondern auch exklusive Stadtteilidentitäten reproduziert, die Devonport eine Sonderstellung einräumen. Das CRC hat einen dezidiert lokalen Fokus und baut auf die Ideale des Stadtteiles auf. An die Idee der Exklusivität heftet sich ein Ausschlussdenken, welches sich an mehreren Bruchlinien reibt. Erstens artikulieren sich hier Vorurteile gegenüber wohlhabenden Bewohner*innen, die nicht mit einer über Jahre oder gar Generationen gewachsenen Verbundenheit zu dem Stadtteil aufwarten könnten und sich nur für die Statussymbolik ihrer »villas with a view« interessierten (Vera, EP Devonport 14.12.2015). Daraus geht die Idee hervor, Neuzugezogene über Gemeinschaftsaktivitäten für gemeinsame, auf Devonport gerichtete Ziele zu solidarisieren. Zweitens wird eine scharfe Grenze zu anderen Stadtteilen gezogen, die sich nicht über Reichtum, Gemeinschaftlichkeit und Exklusivität definieren. Dass in Devonport das erste der fünf geplanten Zentren eröffnet, während um die anderen Standorte noch diskutiert wird, bestätigt seine exklusive Positionierung. Die vom Auckland Council betriebene Website »Our Auckland« bezeichnet den privilegierten Stadtteil als »the forefront of change« und seine Bewohner*innen als »champions of zero waste thinking« (Auckland Council 2015). Andere Stadtteile,

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die erst in späteren Runden mit den neu konzipierten Zentren versehen werden, nehmen dabei eine nachgestellte Rolle ein und teilen nicht mehr das Image der Exklusivität. Daran wird deutlich, dass die Gemeinschaftsbildung sehr spezifisch ist und mit anderen Ethiken in der Stadt kollidieren kann. Ich frage Chris, ob er glaube, dass Devonport der richtige Ort für solch ein Konzept sei, das den Verkauf wieder- und aufgewerteter Waren beinhalte. Er antwortet, dass »this fancy, creative stuff« bei den Bewohner*innen beliebt sei. Ich muss an die umhäkelten Ampelpfosten auf der Victoria Street denken, die ein kreativalternatives Milieu symbolisieren. Er fügt hinzu: »But if it won’t work out here, we can bring it down to Ōtāhuhu. There’s a second hand warehouse. People down there love to buy these things.« (Chris, EP Devonport 02.03.2016). Ōtāhuhu ist ein industrialisierter Stadtteil im südlichen Auckland, in welchem sich ein großes und lokal sehr bekanntes Second-Hand-Kaufhaus befindet. Damit spielt Chris auf die unterschiedlichen sozioökonomischen Bedingungen beider Stadtteile an und macht unterschiedliche Bedeutungsebenen auf. Wenn die Möbel in Devonport nicht von der Elite als erlesene Ware eingekauft werden, landen sie als Billigprodukte im Second-Hand-Laden im südlichen Auckland. Hier offenbart sich, wie eng diese unterschiedlichen Bedeutungslinien miteinander verwoben sind. Materialitäten wie Abfall definieren sich nicht über Dichotomien, sondern über prozessuale Rhythmen von Kontinuitäten und Diskontinuitäten (Hawkins 2010: 132). Das von Chris dargelegte Kreislaufsystem bedarf der Möglichkeit, Waren außerhalb Devonports veräußern zu können und verbindet sich implizit mit einer Wohltätigkeitsidee, wenn Gebrauchtwaren an sozial Benachteiligte abgegeben werden. Daran wird der Gestaltungsspielraum des Abfalls sichtbar, der zu unterschiedlichen Projekten formiert und als Instrument von Er- oder Entmächtigung, Diskriminierung oder Prestige inszeniert werden kann. Spricht man in Devonport über Abfall, rückt sofort das neue CRC in den Fokus. Ist von Abfall in Māngere East die Rede, wird zumeist über Dumping-Vorfälle und öffentliche Verschmutzung gesprochen. Dabei bilden sich über den Abfall etablierte Stadtteilhierarchien ab. Der Müll wird gewissermaßen zu einer Demarkationslinie zwischen »gut« und »schlecht«. Diese Umdefinierung stellt gerade in den Stadtteilen, die medial oft als besonders verschmutzt inszeniert werden, eine Möglichkeit zur Ermächtigung dar. Die lokalen Bewohner*innen setzen sich dafür ein, das Image ihrer Stadtteile aufzubessern und Abfall zu einem wesentlichen Unterscheidungsmerkmal zu machen, das ihren Vorort zu einem sauberen stilisiert und mit etablierten Negativvorstellungen bricht. In Māngere East werden zum Beispiel »Rubbish Talkers« eingesetzt, die in Kleingruppen für »richtiges« Abfallverhalten sensibilisieren und nicht zuletzt über die vom Stadtrat initiierten Änderungen im Waste Management informieren sollen. Insbesondere südlich von Auckland gelegene Stadtteile werden medial häufig als Problemviertel inszeniert und mit Impressionen illegaler Müllhalden an den

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Straßenrändern bebildert – im Kontrast zu Devonport, das als vorbildlicher, sauberer und organisierter Ort repräsentiert wird. Abfall wird hier unterschiedlich visualisiert. Unrat ist in Devonport über die in soziale Beziehungen eingebundene Institution positiv legitimiert und wird beispielsweise in Māngere als unkontrolliertes, unästhetisches und illegales Problem sichtbar gemacht, das in diesem Sinne als Transgression der normativen Ordnung fungiert (vgl. Jaffe/Dürr 2010). In Māngere East haben sich bereits vor der Diskussion um Community Recycling Centres unterschiedliche, zum Teil vom Stadtrat initiierte Projekte etabliert, die den Umgang mit Abfall ebenfalls positiv wenden: »Waste Heroes«, »Rubbish Talkers« und Gemeinschaftsgärten setzen auf die Wiederverwertbarkeit und die soziale und kreative Gestaltungsmacht des Weggeworfenen. Dass das erste der prestigeträchtigen CRCs in Devonport errichtet wird, perpetuiert diese dichotomisierende Darstellung. In einem veränderten Zugang zu Abfall könnte auch die Möglichkeit liegen, etablierte Stadtteilhierarchien zu verändern. Die Chance, in Auckland dominante Strukturen infrage zu stellen, wird durch die Standortauswahl nicht ausgeschöpft. Entsprechende Macht- und Prestigeverteilung werden durch die neue Initiative nicht aufgebrochen oder neu verhandelt.

Chaos institutionalisieren Die CRCs gehen mit der Abschaffung der vormals üblichen Sperrmüll-Straßensammlung einher. George schwärmt von den schönen Sperrmülltagen, die er als wertvolle »community time« erlebt hat. Anhand dieser Änderungen im Abfallmanagement zeige ich in diesem Abschnitt auf, wie stadtpolitische Regulierungen das lokale Gemeinschaftserleben beeinflussen und sich auf soziale Erfahrungen im Viertel auswirken. Über diese Linse werden ästhetische und soziale Ideale sichtbar, die in Devonport die gute Stadt konturieren. George erzählt mir, dass zu angekündigten Daten alle Haushalte ihre unbrauchbaren Gegenstände aufgestellt haben und die Anwohner*innen durch die Straßen flaniert seien, um wie in einem inoffiziellen, kostenfreien Flohmarkt durch die Waren zu stöbern. Man habe alte Bekannte wiedergetroffen, Neuigkeiten ausgetauscht und Unikate mit nach Hause gebracht. Dabei habe man sich auch zusammengetan, um alte Gebrauchsgegenstände zu reparieren und in als Werkstätten improvisierten Garagen umzubauen. Durch die neue Regelung sei die Sperrmüllentsorgung formalisiert, bürokratisiert und ihrer sozialen Dimension enthoben worden. Inzwischen muss jeder Haushalt seinen Bedarf separat und schriftlich, telefonisch oder via Online-Formular melden und den Abtransport individuell beantragen. Die Abholungen finden in einem bestimmten Zeitraum statt, der drei bis vier Wochen zuvor per Briefkasten-Flyer angekündigt wird. Die Bewohner*innen müssen ihren Termin innerhalb von zehn Tagen beantragen.

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Wer seine Frist versäumt, wartet einen Intervall von etwa drei Monaten bis zur nächsten Abholung. Die Sperrmülltage werden künftig von zwei Transportern bewerkstelligt. Der erste Lastwagen lädt Altmöbel, die im südlichen Penrose in einem Secondhandladen an registrierte Gemeinschaftsorganisationen und Individuen abgegeben werden. Penrose ist ein industrialisierter Vorort im Süden Aucklands mit geringem Wohnbevölkerungsanteil und wird vor Ort häufig als »Auckland’s industrial edge« bezeichnet. Der zweite LKW transportiert als unbrauchbar betrachtete Gegenstände, die auf die Mülldeponie gefahren werden. Chris verhandelt zum Zeitpunkt meiner Feldforschung mit dem Stadtrat darüber, den Sperrmüll aus Devonport direkt in dem lokalen CRC abzuladen, statt nach Penrose auszuliefern. Damit würde er Transportwege verkürzen und seinem Zentrum mehr Input verschaffen, gleichzeitig aber auch etablierte Arrangements zwischen dem Stadtrat und anderen geschäftlichen Akteur*innen neu verhandeln. Konkrete Vorgaben untersagen es den Anwohner*innen nun, ihre abzuholenden Gegenstände außerhalb ihres Privatgrundstückes zu lagern und verhindern dadurch, dass Sperrmüll informell von nicht-staatlichen Akteur*innen gesichtet oder abtransportiert werden kann. Die institutionalisierte Alternative stellen die Community Recycling Centres dar, in welchen eine andere Form der Gemeinschaftlichkeit performiert wird. Die Sperrmüllabholung des Auckland Councils ist kostenlos, während für den selbständigen Antransport ans CRC Gebühren anfallen. Chris möchte das bisherige Serviceangebot des Recyclingcentres verbessern und beispielsweise Transporter zur Verfügung stellen, die von Bewohner*innen angemietet werden können, um größere Gegenstände aus ihren Haushalten zu entsorgen. Die über Abfall generierten sozialen Kontakte werden nun also institutionell eingebettet und damit einer stärkeren Kontrolle unterzogen. Durch die enge Einbindung des Zentrums und seiner Manager in die lokale Community ist diese Kontrolle allenfalls dezent spürbar – die Erfahrungswelten der beiden Sperrmüllmodelle unterscheiden sich aber enorm. George meint, dass das Auckland Council die Straßensammlungen aufgrund der anschließend herrschenden Unordnung aufgehoben habe. Im aktuellen Entwurf des neuen Waste Management-Planes weist das Auckland Council auf die Problematik des vorherigen Systems hin: »The on-site service also eliminates the problems with the previous kerbside services – unsightly mess on roadsides, health and safety issues for collectors and the public, and damage to reusable items through scavenging and bad weather. There were also frequent cases of people taking advantage of the system by dumping their unwanted household and commercial waste wherever the inorganic collection was underway.« (Auckland Council 2018a: 37-8) Oft hätten Bewohner*innen Gegenstände zunächst mitgenommen und sich ihrer dann irgendwo an einer Straßenecke entledigt, wenn sie diese doch nicht benötigten. Verpackungsmaterialien oder Einzelteile hätten sich in der ganzen Nachbar-

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schaft verteilt und die Aufräumarbeiten wären eine Belastung für Bewohner*innen und Stadtrat gewesen. Diese Beschreibung bildet die Negativfolie ab: Abfall, der nicht kontrolliert, normalisiert und akzeptiert ist, sondern ungeregelt und unbeherrscht in den Straßen des sauberen Vorortes liegt. Für George ist das Gemeinschaftsgefühl dieses Chaos wert und gewissermaßen liegt der Charme dieser Gemeinschaftstage für ihn auch in einer solchen Unordnung auf Zeit. Die Sperrmüllabholung garantierte eine legitime Rahmung des Chaos. Seine zeitliche Beschränkung machte die scheinbare Regellosigkeit ungefährlich. George sagt mir: »I see their point. But a few days later it’s all back to normal, so what?« (George, EP Devonport 02.11.2015). Ihm fehlen Spontaneität und Improvisation in dem neuen Sperrmüllkonzept. Zwar können auch im neuen CRC zufällige Kontakte und Gelegenheiten entstehen, aber selbst diese Akzidentalitäten seien nun institutionalisiert und formalisiert. Georges Einwände werden auch auf dem Devonport Community Network Meeting diskutiert. Dabei artikulieren sich unterschiedliche Positionen. Eine Bewohnerin wirft ein, dass die Sperrmülltage häufig mit Opportunismus verbunden gewesen seien und sich sozial nicht zwangsläufig gewinnbringend ausgewirkt haben. Opportunistische Anwohner*innen haben ihrer Meinung nach gezielt werthafte Gegenstände eingesammelt und aus zweckrationalen, ökonomischen Motivationen heraus gehandelt, ohne dabei gemeinschaftsbildende und Nachbarschaftlichkeit fördernde Ziele zu verfolgen. Diese Sichtweise provoziert die Frage, ob der Kollektionszeitraum öffentlich sei und auch Opportunist*innen aus anderen Vierteln dazu bewegen könne, betreffende Haushalte aufzusuchen und Sperrmüll, eventuell aber auch noch erwünschte Gegenstände, von den Grundstücken zu entfernen. Diese Frage assoziiert die zweckmäßige Nutzung als Sperrmüll deklarierter Gegenstände mit Diebstahl und macht damit ein neues Bedeutungsfeld auf. An dieser Argumentationslinie wird erneut die ausgeprägte Abgrenzungstendenz des Stadtteiles deutlich. Über die Angst vor externen Opportunist*innen wird ein »Außen« produziert, welches sich – entgegen des positiv gefassten »Innen« – als bedrohlich darstellt. Ein unterstellter Opportunismus verbindet sich mit einer etwaigen Kriminalität, die von außen in den nach innen abgeschlossenen Stadtteil eindringen könne. In dieser Lesart mache die Formalisierung Devonport vulnerabel, da die definierten Grundstücksgrenzen durch die Sperrmüllsammlung von unterschiedlichen und auch unerwünschten Akteur*innen übertreten werden könnten. Diese Vorstellung modifiziert das von George formulierte Argument. Die von ihm idealisierte Community-Zeit der Sperrmülltage könnte in dem formalisierten Setting die positiven Effekte einer Gemeinschaftsbildung einbüßen, die negativen wie Opportunismus und Diebstahl jedoch beibehalten und evozieren. In einem Gespräch nach dem Community Network Meeting spricht Chris an, dass die mit den Sperrmüllsammlungen verbundenen, flüchtigen Gemeinschaftserfahrungen nun in einem anderen Rahmen in den neuen Zentren re-etabliert

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werden könnten. Mit diesem Ansatz wird es möglich, Gemeinschaftsideale und dort umgesetzte umweltethische Werte mittels Regierungstechniken kontrolliert zu mobilisieren, zu modifizieren und neu einzuschreiben. Bewohner*innen, die sich in die Gemeinschaft eingliedern, weil sie die dort vollzogenen Praktiken und Ideale schätzen und nicht als aufoktroyierte Moralitäten empfinden, können diese dann als »natürliche« und von innen heraus emergierende, geteilte Wertvorstellungen betrachten. In der selbstgewählten Gemeinschaft kann sich so eine »imagined autonomy« formieren (nach Agrawal 2005: 20), die individuelle Lebensstile und Präferenzen in den Mittelpunkt rückt. In diesem Rahmen würden die CommunityMitglieder keiner zentralen Autorität unterworfen, sondern als eigen erlebte Ideale erfahren, die sich in gemeinschaftlich geteilten Alltagspraktiken formieren. Dies beschreibt Rose im Zusammenhang mit einer Bewegung von kollektiver Moral zu individueller Ethik: »This embodies a shift away from emphasis upon morality – obedience to an externally imposed code of conduct and values in the name of the collective good – and towards ethics – the active and practical shaping by individuals of the daily practices of their own lives in the name of their own pleasures, contentments or fulfilments.« (1999: 178-9) Georges Perspektive zeigt jedoch, dass sich diese Erfahrung nicht so glatt darstellt. Den verschiedenen Akteur*innen ist die mit den Neuerungen verbundene Einflussnahme und Kontrolle durch den Stadtrat durchaus bewusst. Georges Kritik an den nunmehr ersetzten Sperrmülltagen zeigt auf, dass er die von sogenannter Gemeinschaft ersetzte Autonomie nicht unhinterfragt hinnimmt. Das Community Recycling Centre als vom Stadtrat initiierte, teilfinanzierte und betreute Institution rückt in Devonport sehr nahe an die Lebenswelten der lokalen Bevölkerung heran – nicht nur in Form einer Einrichtung, die städtische Alltagspraktiken strukturiert, sondern auch als Element neuer sozialer Beziehungen und Kohäsionen außerhalb des Recycling-Areales. Die Arena der »intimate governance« erstreckt sich in diesem Sinne über das Zentrum selbst hinaus und kann in alltägliche soziale Prozesse des Viertels eingreifen (vgl. Agrawal 2005). Gemeinschaftlichkeit und lokale Identität, die beide als städtische Ideale formuliert werden, entfalten sich nun in einem institutionalisierten und formalisierten Kontext und bieten neue Möglichkeiten der Interaktion und wechselseitigen Einflussnahme von Auckland Council und Bewohner*innen.

In die Nachbarschaft integrieren Scott organisiert im Vorfeld ein Treffen mit den neuen Betreibern des Zentrums und veranstaltet ein Diskussionsforum bei ihm zuhause. In diesem Zusammen-

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hang betrachte ich, wie neue Akteur*innen über das CRC in die Nachbarschaft integriert werden und sich in die sozialen Dynamiken des Viertels eingliedern. Über diese Linse wird deutlich, wie über Abfallpraktiken hinaus soziale Verbindungen zwischen Institutionen und Bewohner*innen hergestellt werden. Diese Arrangements verweisen auf Ideale eines guten Zusammenlebens in dem Viertel. Als ich Scott wenige Wochen zuvor auf einen Tee besuche, erzählt er mir, dass er stolz gewesen sei, als er das erste Recycling Centre Aotearoa Neuseelands in Devonport eröffnen konnte. Es habe von Anfang gut ins Viertel gepasst. Er sagt mir: »Local environmental issues have always been an issue. E:hm, and that was an intensely lOcal thing. It was (.) hey you got this local amenity, e:h, isn’t it silly filling it up with bottles and tin cans that we-eh could recycle. If you put those out separately from your refuse, we’ll pick them up and recycle them e:hm and that will make it last longer. Ehm, very straight forward, very local focus. And eh, (.) that went very very well.« (Scott, I Devonport 07.12.2015) Seither hat er schon viele Problemsitzungen in seinem Haus abgehalten und ist zu einem Experten in lokalen Umweltfragen geworden. Als er mich zu der Sitzung einlädt, stelle ich mir ein formelles Meeting mit Tagesordnungspunkten vor. Dabei treffen wir uns mit Scotts Freunden, die zum Teil auch an dem Aufbau des ersten Recyclingcentres beteiligt waren, auf seiner Veranda, essen Pizza und trinken Limonade. Die Betreiber fügen sich nahtlos in das Bild eines ungezwungenen Sonntagnachmittags unter Nachbar*innen ein. Als ich hinzustoße, wird gerade über Kinderbetreuung und Bierbrauen gesprochen. Das Community Recycling Centre wird erst erwähnt, als ich nach einer guten Stunde direkt danach frage. Chris ist mittlerweile gut in den Bekanntenkreis integriert und für Scott wie ein Nachfolger, der sich nun um nachhaltiges Abfallverhalten in Devonport kümmere. In einem Gespräch, das ich ein paar Wochen vor dem gemeinsamen Treffen mit Scott führe, sagt er mir: »the community will be wanting to be really involved in that [CRC]« (Scott, I Devonport 07.12.2015). Dieses erwünschte Engagement wirkt sich wechselseitig aus. Nicht nur die Gemeinschaft greift in das Zentrum ein, sondern das Zentrum ebenso in die Gemeinschaft. Chris wird bereits vor der Eröffnung zu einem Teil der sozialen Community und baut damit eine enge Beziehung zu den Bewohner*innen auf. Die über die Institution transportierte und etablierte Community ist sozial mit der lokalen Nachbarschaft verwoben und wird nicht als stadtpolitische Autorität, sondern als Mitglied der Stadtteilgemeinschaft konzipiert. Soziale und ökologische Normen vermitteln sich auch nicht als moralische Regimes, sondern als naheliegende Wertvorstellungen, die mit den eigenen Lebensstilen vereinbar und als Ethiken integrierbar sind. Dabei verschränken sich unterschiedliche Institutionen und Akteursgruppen in den gelebten Idealen und Praktiken einer guten, umweltethischen Gemeinschaft. Das spiegelt sich in den Beziehungen zum nahegelegenen Community Garden wi-

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der, der mit in das Konzept einbezogen wird. Als ich an einem Sonntagnachmittag durch den Garten schlendere, treffe ich unverhofft auf Chris, der gerade eine informelle Führung durch das Areal erhält. Im Community Garden wird die Eröffnung der neuen Anlage positiv bewertet. Ich unterhalte mich am gleichen Tag mit Max, der schon sehr lange im Garten mitarbeitet und zu den Hauptorganisator*innen zählt. Ich frage ihn, ob er glaube, dass das gegenüberliegende Recyclingcentre einen Einfluss auf den Garten ausübe: »Well, I hope so! And it will be a postive one!« Er erhofft sich, dass mehr Menschen den Community Garden entdecken, wenn sie das CRC aufsuchen, das derzeit viel öffentliche Aufmerksamkeit erhält. Außerdem plant er bereits Kooperationen wie beispielsweise hinsichtlich des in Kürze anstehenden Osterfestes: »If there is a good idea, we should spread it. We all work for the good, so why don’t we put our good ideas together and create something bigger?« (Max, EP Devonport 02.03.2016). Für Max spiegelt sich das Gute in umweltethischen Praktiken wider, die sich in einer Gemeinschaft effektiver umsetzen lassen: »Acting as a community is the key to really achieve something.« (Max, EP Devonport 02.03.2016). Dass das Recyclingcentre positiv empfunden wird, hängt mit den dort verarbeiteten Materialien zusammen. Hier sollen keine giftigen Substanzen, sondern Sperrmüll, Altglas und ähnliche Abfallformen behandelt werden. Restmüll wird außerhalb Aucklands auf fünf Mülldeponien entsorgt, die für die Auckland Region zuständig sind (Auckland Council 2017). Als Sperrmüll abgegebene Gebrauchsgegenstände verfügen über eine völlig andere Sensorik als Restmüll und werden nicht mit Infektiösität oder Gefahr in Verbindung gebracht. Dustin, der im gegenüberliegenden Community Garden gearbeitet hat, bemerkt in einem Interview: »It’s not dumped here, but it’s sorted here [I: mhm], that’s not necessarily pollution« (Dustin, I Devonport 23.10.2012). Die Materialität des Abfalls eröffnet spezifische Erfahrungswelten und damit Möglichkeiten, sich konkret in Beziehung zu setzen. Daher wird das Zentrum von einem Großteil der Bevölkerung positiv gesehen. Das hängt vermutlich auch damit zusammen, dass sich zuvor bereits ein Recyclingcentre am gleichen Ort etabliert hatte – dieses wird nun gewissermaßen durch eine gemeinschaftsbezogene Orientierung ergänzt. Die Wirkmöglichkeiten der neuen Einrichtung dehnen sich auf bereits etablierte Strukturen und Gemeinschaften vor Ort aus und werden auch als Ermächtigung verstanden. Für Max öffnet das Zentrum neue Optionen wie erhöhte Sichtbarkeit und Zusammenarbeit, die zu einer steigenden Popularität des Community Gardens führen könnten. Das Gute wird hier relational erzeugt, über Allianzen und Synergien, die aus der Verflechtung unterschiedlicher Akteursgruppen emergieren und neue Arrangements schaffen. Damit erweitern sich auch der Aktionsradius und Einflussbereich der subtil wirkenden »intimate governance«, die sich über das Zentrum hinaus in die alltäglich gelebte Nachbarschaftlichkeit einschreibt (Agrawal 2005).

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Kulturelle Werte leben In Māngere East wird zum Zeitpunkt meiner Forschung noch darum gebangt, ob das neue CRC für die südlichen Stadtteile hier entstehen wird oder nicht. Viele Anwohner*innen verbinden damit die Hoffnung auf örtliche Arbeitsplätze und Lokalprestige. Gerade da Waste Dumping und Verschmutzung in den südlichen Stadtgebieten medial inszeniert werden, hätte ein CRC ein willkommenes Gegenbild für Māngere East entworfen. Schlussendlich entsteht das neue CRC im 50 Kilometer weiter südwestlich gelegenen Waiuku. Abgesehen von dieser Debatte interagieren der Stadtrat, Community-Organisationen und Bewohner*innen in verschiedenen Projekten, um für die Entsorgungsthematik zu sensibilisieren. Vor diesem Hintergrund betrachte ich, wie lokale Akteur*innen ihre kulturellen Werte und Praktiken über Abfallpraktiken transportieren und versuchen, diese als Aspekte des guten städtischen Lebens in ihrem Viertel zu integrieren. In unserem Garden Club erzählt mir Aamira, Sefinas Schwester, von ihrem Vater, der in jungen Jahren von Samoa nach Aotearoa Neuseeland ausgewandert ist: »My father did already recycle when this word didn’t exist yet!« (Aamira, EP Māngere East 29.10.215). Sie beschreibt, dass es in ihrer Familie stets gewöhnlich gewesen sei, scheinbar unbrauchbare Gegenstände wiederzuverwerten und gegebenenfalls umzuwidmen, um ihnen neue Funktionalitäten zu verleihen. Sie lächelt über den »aktuellen« Recycling-Trend, da sie an diesem nichts tatsächlich Neues und Innovatives finden kann. Auf Samoa habe man keine Möglichkeiten gehabt, Abfall auf Deponien oder Recyclingstationen zu entsorgen. Diese Infrastrukturen habe es seinerzeit nicht gegeben, daher sei es für ihre Familie selbstverständlich gewesen, Gegenstände wiederzuverwerten statt sich ihrer zu entledigen. Daran habe sich mit dem Umzug nach Aotearoa Neuseeland nichts geändert. Die Traditionen des Wiederverwertens haben sich fortgeschrieben, ohne besonders hervorgehoben zu werden: »There was no need to say ›Look, I’m doing recycling‹ because it was just normal. Everybody does it. It would have been odd nOt to do it.« (Aamira, EP Māngere East 29.10.2015). Hier wird mit Selbstdarstellung und Außenperformanz ein wesentlicher Aspekt des Recyclings angesprochen. Dass Aamira die scheinbare Innovativität des Recyclings infrage stellt, verschiebt die Diskussion auf eine Repräsentationsebene und wirft die Frage auf, wie sich das Recycling darstellt und wer sich über das Recycling darstellt. Gewissermaßen wird diese Praxis zu einer Reflexionsfläche, auf welcher sich unterschiedliche Subjektivitäten abbilden können. Recycling als Trend kann damit primär auf eine Verbesserung der Selbstdarstellung, statt auf eine Verbesserung der Umwelt ausgerichtet sein (vgl. Hawkins 2006: 95). Für Aamira ist das Recycling eine routinierte Praxis, die aber auch ihren kulturellen Hintergrund spiegelt. Mit dem Verweis auf ihre ethnische Herkunft und die besondere, auch geologisch bedingte Situation auf Samoa rückt das Recycling in einen anderen Kontext als in Aotearoa Neuseeland, in welchem die Wiederver-

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wertungspraktiken zwar auch schon über Jahrzehnte hinweg angewendet werden, gerade jedoch einen Aufschwung erleben, der sie zu einer neuen und zukunftsorientierten Praxis stilisiert. Das Auckland Council hat unterschiedliche Initiativen ins Leben gerufen, um das Recycling in einem entsprechend modernen Rahmen zu repräsentieren. Die bereits in den 1960er Jahren lancierte Kampagne »Be a tidy Kiwi« wurde mit einem frischen Design wieder aufgelegt (»Come on: Be a tidy kiwi«), das sich in seiner betont lockeren Aufmachung auch an ein junges Publikum richtet, »so that a new generation of New Zealanders can discover this iconic identity and come together to protect what we love.« (Be a tidy kiwi o.D.: o.S.). Semantisch assoziiert der Slogan nationale Zugehörigkeit mit Sauberkeit – als Kiwi bezeichnet man alle Neuseeländer*innen ungeachtet ihrer ethnischen Merkmale. Das zunächst inklusive Konzept, das ethnische Demarkationslinien relativiert, kann jedoch durchaus als Exklusionsmechanismus wirksam werden. Auf der Homepage der Kampagne formuliert die Aktionsgruppe ihre Ziele: »We want all New Zealanders, young and old to dispose of their rubbish properly – because that’s how we do things around here.« (Be a tidy kiwi o.D.: o.S.). Dabei wird ein betont lokaler Fokus sichtbar. Die Formulierung ortsbezogener Regeln vollzieht eine deutliche Abgrenzung gegenüber einem unbestimmten Außen, das mit unterschiedlichen Bedeutungen aufgeladen werden kann. Das lokale Regelwerk (»that’s how we do things around here«) demarkiert Aotearoa Neuseeland auf einer lebenspraktischen Ebene von anderen Nationen. Umweltpraktiken werden hier als ortsspezifische Verhaltensmuster repräsentiert, die sich von anderen Räumen unterscheiden. Wer Kiwi sein will, muss auch »tidy« sein. Um diese Sauberkeit nach außen zu repräsentieren, ist eine gewisse Öffentlichkeit notwendig. Wie Eveline Dürr dargestellt hat, versuchen beispielsweise asiatische Student*innen rassistischen Vorurteilen über öffentliche Clean Ups zu begegnen, um ihre »Kiwiness« unter Beweis zu stellen (2010). Klischees über naturferne Lebenswelten in den Herkunftsländern der ausländischen Student*innen unterstellen, dass dort »anders« mit Abfall und letztlich mit der Umwelt, umgegangen werde. Auch über Recycling-Praktiken können die eigenen Werte und damit verknüpfte Zugehörigkeiten sichtbar und publik gemacht werden, wenn diese die privaten Grenzen des eigenen Haushaltes überschreiten. Beispielsweise über das Exponieren kreativ aufgewerteter Gegenstände im Vorgarten, aber auch durch die aktive Teilnahme an Workshops, das ehrenamtliche Engagement auf Zero Waste-Veranstaltungen oder eben dem Abtransport des eigenen Sperrmülls in entsprechende Zentren können individuelle Verwertungspraktiken öffentlich gemacht werden. Für Aamira ist das Recycling zwar kulturell verankert, aber derart in ihrer Lebenswelt habitualisiert, dass sie es nicht für nennenswert hält. Sie amüsiert sich sogar über das Herausstellen dieser für sie normalisierten Routine. Auch Akahata betrachtet das Recycling als kulturelle Praxis. Er ist Māori und seit langem sehr

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aktives Mitglied in der lokalen Community. Akahata engagiert sich sowohl beruflich als auch ehrenamtlich für soziale Belange im Viertel (siehe Kapitel 5). Ihm ist es wichtig, das Recycling nach außen zu repräsentieren und zu performieren. Mit Recycling verbindet sich für ihn eine Rückbesinnung auf kulturelle Werte, die durch Urbanisierung und kulturellen Wandel über einen längeren Zeitraum hinweg in Vergessenheit geraten sind. Für ihn ist dies nicht nur eine umweltfreundliche, sondern vor allem eine Kultur stärkende und ermächtigende Praxis. Über das Recycling werden kulturelle Werte transportiert, die über den Umweltfokus hinausgehen. Für Akahata interagiert diese Praxis mit der Māori-Welt, in der alles über Kreisläufe miteinander in Verbindung steht. Er beschreibt mir, dass die unaufhebbare Wechselbeziehung zwischen der Erde (whenua) und den eigenen Vorfahren (whenua) das Konzept inhärenter und zirkulärer Korelationalität unterstreicht. Daher sei Recycling ebenso zentral für Māori wie das Gärtnern (siehe Kapitel 5). Sein Anliegen ist, für die Wertschätzung und (Wieder-)Herstellung natürlicher Kreisläufe zu sensibilisieren. Diese tradierten Praktiken transportieren für ihn bedeutende Werte der Māori-Welt, die in aktuellen Lebenswelten kaum noch Beachtung finden. Für ihn ist das Recycling damit nicht nur ein Weg, die lokale Umwelt zu verbessern, sondern auch kulturelle Ideale wiederzubeleben und in die lokale Gemeinschaft zu (re-)integrieren. Die aktuelle Umweltdebatte kann in diesem Sinne als Vehikel für die Mobilisierung kultureller Werte dienen. Für Akahata kann der Umweltschutz die Positionierung seiner eigenen Kultur in der aktuellen Gesellschaftsordnung stärken. Als wir an einem sonnigen Donnerstagnachmittag nach unserem Garden Club-Treffen gemeinsam auf der Veranda des Community Centres in Māngere East sitzen, erzählt er mit besorgter Stimme: »You know the people here still have a taste of what it means but they forgot to really dO it, to practice it. We forget too much and too fast. And that’s a pity. Because after us there will be nobody to carry on the tradition. If we let go of our culture now, it is gone forever. If we don’t keep it, nobody will keep it. […] You know more and more Māori are living in cities. This is nothing new, but back then we used to live on the countryside where the connections to Papatūānuku were much easier to feel and to maintain. […] We don’t really touch the earth, we just drive on concrete. That means a lot of change actually.« (Akahata, EP Māngere East 21.01.2016) Im Community Centre setzt er sich vor allem für Garten- und Recycling-Praktiken ein. Diese beiden Bereiche versteht er auch als Schlüsselgebiete, um kulturelle Werte in seinem Viertel zu vermitteln und zu beleben. Als ich im Jahr 2014 zum ersten Mal eine Green Conversations-Diskussionsgruppe in Māngere East organisieren möchte, ist er einer der aktivsten Unterstützer dieses Vorhabens. Als ich mich für sein Engagement bedanke, antwortet Akahata: »Nothing to thank. It’s an important work you’re doing. And I’m happy if I can help to make it work out.« (Akahata, EP Māngere East 04.06.2014). Für das Auckland Council arbeitet er als »Waste Tal-

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ker«. In dieser Tätigkeit klärt er in der lokalen Gemeinschaft über Änderungen des Waste Management-Systems auf und unterrichtet korrekte Mülltrennung. Für ihn fügt sich diese Postion zu einer Vermittlerrolle, über welche er sowohl umweltfreundliches als auch kultursensibles Handeln weitergibt: »You cannot separate these things from one another. It is always both: what is good for Papatūānuku is good for us. That’s the way it is, saving the earth is saving the people. And saving the people is saving the earth. You know the recycling is totally corresponding to our idea of connectivity. That’s exactly what we are trying to tell people. It does matter where our stuff is going. It does not just disappear when you put it into a bin. It’s always going somewhere. And if we allow it to go and leach into our grounds, we will have the effects. We come from the earth, we live from the earth, we cannot just do as if we were independent entities that do not care. We are not […] Everything belongs together.« (Akahata, EP Māngere East 21.01.2016) In Kooperation mit dem Stadtrat wird er künftig Maraes aufsuchen, um über Abfallpraktiken zu referieren und anschaulich zu zeigen, wie Abfall vermieden und reduziert werden kann. Aus seiner Perspektive ist das kulturelle Verständnis der Māori eine hervorragende Grundlage, um die Wichtigkeit umweltsensiblen Handelns zu begreifen. Die Recycling- und Kompostierpraktiken korrespondieren für Akahata mit seinen kulturellen Werten. Er findet, dass er nicht nur für das Auckland Council arbeitet, sondern auch und vor allem für seine eigene Kultur. Er erzählt: »You could say that recycling is something modern, changing our way of life. But the truth is it is as modern as it is traditional. It’s not about changing us, but about making aware, conscious, and remembering. In the end it’s getting back to the roots. And that’s always a healing thing to do.« (Akahata, EP Māngere East 21.01.2016) Akahata hat bereits ein Konzept für die Abfallreduktions-Workshops in den Maraes, aber zum Zeitpunkt meiner Forschung sind sie noch in einem Planungsstadium begriffen und werden noch nicht realisiert. Er weiß, dass auch das Umweltkapitel im Auckland Plan zentrale Konzepte aus der Māori-Welt enthält, um Probleme und Lösungsansätze zu beschreiben. Für ihn sind diese Rückgriffe auf »guardianship« und »stewardship« wichtig (Auckland Council 2012: 176,178), da er sie als eine Anerkennung seiner eigenen Werte empfindet, die bislang weitläufig ignoriert wurden. In diesem Sinne versteht er die Entlehnungen kultureller Konzepte in einem positiven Sinne. Er zweifelt nicht daran, dass sie für eine gute Sache (»a good thing to do«) eingesetzt und nicht aus ihrer ursprünglichen Bedeutungsebene enthoben werden. An diesem Aspekt wird deutlich, dass umweltbezogene Konzepte durch die Interaktionen zwischen Stadtrat und Lokalbevölkerung dynamisiert und mo-

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bilisiert werden und sich nicht etwa auf ein Autoritätsverhältnis reduzieren lassen. Dass er sich selbst als Māori mit diesen Konzepten für bessere Umweltpraktiken engagieren kann, findet er vorteilhaft. Als ich ihn nach kulturellen Unterschieden zwischen Recyclingpraktiken frage, erzählt er mir, dass das Konzept ein anderes, die Umsetzung aber seiner Meinung nach identisch sei. Er wolle in den Maraes keine anderen Techniken vermitteln als solche, die beispielsweise in den Workshops im botanischen Garten gezeigt werden. Aber die Idee, welche Pākehā mit Recycling verbinden, basiere nicht auf einer spirituellen, sondern einer pragmatischen Begründung. In seiner Rolle als Rubbish Talker in Maraes verkörpert er seine kulturellen Werte durch seine eigene Präsenz und vermeidet damit, dass die erwarteten Verhaltenspraxen als Aufoktroyierung verstanden werden. Er kann als Vertreter seiner eigenen Kultur »von innen heraus« argumentieren und erklären, dass die Sichtweisen und Ideale tief in der Māori-Welt verankert seien und keine neuen Restriktionen, die das Auckland Council aufdrängen wolle. Akahata steht hinter den Maßnahmen, für welche er sich einsetzt, und praktiziert diese selbst: »I think I’m authentic in what I do. I don’t preach something and do it differently myself. I’m trying to live up to the ideals I communicate.« (Akahata, EP Māngere East 21.01.2016). Dabei verweist er auf die Spannungen zwischen tradierten Kulturkonzepten und von der Stadtregierung implementierten Maßnahmen. Die über (post-)koloniale Erfahrungen entstandenen Tensionen zwischen kulturellen Idealen spiegeln die durchaus schwierige Beziehung zwischen Māori und Pākehā wider. Um kulturellen Konflikten in der Umweltdebatte zu entgehen, setzt das Auckland Council für Maraes kulturelle Botschafter*innen ein. Der Stadtrat ist sich der belasteten Beziehung durchaus bewusst und versucht Widerstände über eine kultursensible Vermittlung zu umgehen. Akahata als Māori steht der lokalen Gemeinschaft näher und kann die Ideale und Praktiken des gewünschten Abfallverhaltens auf andere Weise kommunizieren als Pākehā-Mitarbeiter*innen. Er sagt mir: »If we consider these things like recycling as parts of our culture, these are also helping us to strengthen our community again. You know we lost a lot in the past. And now it’s about regaining and keeping it. If we consider recycling as part of our culture, what it actually is, we get stronger as a culture as well. I really like the fact that the council is trying to promote our ideas. I mean this is about us, this is about our past, our traditions, our ancestors. They [council] see it in a different light, but they help to make us feel the worth in it again.« (Akahata, EP Māngere East 21.01.2016) Akahata findet, dass kulturelle Entlehnungen aus tradierten Māori-Praktiken gewissermaßen vom Stadtrat instrumentalisiert werden, um ihre Ideale und Ideen durchzusetzen. Nichtsdestotrotz begrüßt er das Aufgreifen von Māori-Konzepten, das er auch als Wertschätzung versteht. Da Umweltpraktiken für ihn untrennbar

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mit der Māori-Welt verflochten sind, bedingt sich eine gegenseitige Förderung fast selbstläufig. Für ihn kombinieren sich beide zu einem sich reziprok verstärkenden Projekt. Über den Umweltschutz lässt sich somit gewissermaßen eine bislang versäumte Wertschätzung von Teilaspekten der Māori-Welt vollziehen. Die identitätsstiftende Wirkmacht von Abfallpraktiken erfährt in Māngere East eine besondere Relevanz, da der Stadtteil stets mit Vorurteilen über Verschmutzung und Dumping zu kämpfen hat. Ich treffe mich mit Ann, einer Umweltaktivistin in West-Auckland – einem Stadtgebiet, das als besonders umweltfreundlich gilt. Sie ist Pākehā, Mitte 40 und engagiert sich privat für Umweltbelange im Viertel, ohne einer konkreten Aktionsgruppe angehörig zu sein. Als wir uns über die kulturelle Bedeutung von Umweltpraktiken unterhalten, erzählt sie mir, dass die in der Māori-Welt formulierten Konzepte zwar durchaus umweltfreundlich seien, die tatsächliche Umsetzung dem aber nicht unbedingt entspräche. Sie sagt mir: »I don’t want to sound anti-Māori, that’s not what it is. I love the culture and I think they give us fantastic ideas about what we are and what our nature is. But at the same time there are lots of Māori who are actually polluting a lot. You know they don’t really care if there are tins and cans thrown away by the bus stop, if there are streets full of dumped rubbish or something. They have something, they don’t need it, they throw it somewhere, actually regardless where.« (Ann, EP Waitakere 18.01.2016) Als ich sie frage, ob sie dieses Verhalten nicht auch bei Pākehā beobachten könne, antwortet sie: »Yes, of course. It’s not particularly a thing Māori, and for sure they have these wonderful ideas about appreciating everything. But the thing is that you can see a lot more of rubbish in the Māori neighbourhoods. That’s a fact.« (Ann, EP Waitakere 18.01.2016) Ann beschränkt ihre Diagnose auf kulturelle Merkmale. Unterschiedliche sozioökonomische und infrastrukturelle Situationen in den Stadtteilen reflektiert sie in diesem Zusammenhang nicht. Ihre Aussage zeigt auf, dass kulturelle Differenz durchaus verschleiernd und Komplexität reduzierend instrumentalisiert werden kann. Für sie ist ihre Schlussfolgerung evident, ja hinsichtlich ihrer konkreten Beobachtungen beweisbar. Gleichzeitig verweist sie auf den Bedeutungsunterschied zwischen Ideal und Praxis. Ideelle Richtlinien schlagen sich nicht notwendigerweise in konkreten Handlungen nieder. Über das Abfallverhalten werden offensichtlich auch kulturelle Bedeutungen und Konflikte ausgehandelt. Als ermächtigendes Projekt verstanden, transportiert das Abfallverhalten kulturelle Werte und verweist auf deren Wertschätzung. Gleichzeitig kann sich über die kulturelle Bedeutungsebene ein identitätsstiftender und damit auch exkludierender Mechanismus entfalten. Der Stadtrat nutzt die lokalen, kulturellen Konzepte bewusst, um gewünschte

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Umweltpraktiken umzusetzen. Die Māori-Welt wird im Umweltdiskurs als schützenswerte Tradition repräsentiert und Aotearoa Neuseeland über seine Identität als Naturparadies definiert, um die Bewohner*innen von den Umweltidealen zu überzeugen. Unterschiedliche Akteur*innen verknüpfen ethnische Zugehörigkeiten und richtige Abfallpraktiken, um sich selbst und andere im urbanen Raum zu positionieren. In diesen Machtaushandlungen verschränken sich mehrere Achsen: Abgrenzungen werden nicht nur über ethnische, sondern auch sozioökonomische und stadtteilbezogene Zugehörigkeiten ausgetragen.

Abbildung 17: Anlegen eines Kompost in Māngere East, 18.02.2016

(Photo: Jeannine-Madeleine Fischer)

Abbildung 18: Six-Weeks-Challenge Māngere Bridge, 08.11.2015

(Photo: Jeannine-Madeleine Fischer)

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Den Stadtteil verantwortlich führen Für Māngere Bridge, eine wohlhabende Gemeinde, die sich direkt neben dem marginalisierten Viertel Māngere Town5 befindet, ist eine Abgrenzung zu dem als sozialer Brennpunkt verstandenden Māngere von Bedeutung. In diesem Unterkapitel beleuchte ich, wie Akteur*innen Abfallpraktiken nutzen, um ihren Stadtteil als sauber und sich selbst als verantwortliche Bewohner*innen zu inszenieren. Über konkrete Initiativen heben sie ihr Viertel hervor und integrieren ihre Vorstellungen und Ideale eines guten urbanen Lebens in Abgrenzung zu anderen Teilen der Stadt. In einer kleinen Diskussionsrunde, die ich mit Mitarbeiter*innen der Bibliothek in Māngere Bridge organisiere, frage ich nach der Beziehung zwischen den Stadtvierteln. Lucy, eine etwa 60-jährige Bibliothekarin, antwortet schnell, dass es eigentlich keine großen Überschneidungen zwischen den verschiedenen Teilen Māngeres gebe. Schließlich fasst sie ihre Position in einem schlagkräftigen Satz zusammen: »We are not Māngere. We are Māngere Bridge.« (Lucy, EP Māngere Bridge 03.11.2015). In Māngere Bridge besitzen viele Familien ihre Häuser bereits seit Jahren oder in zweiter Generation. Angesichts der gestiegenen Preise könnten sich heute viele den Erwerb ihrer aktuellen Wohnhäuser gar nicht mehr leisten. Als ich Māngere Bridge aber als gentrifiziert bezeichne, widersprechen mir die Bewohner*innen vehement und bestehen darauf, als mittelständisch betrachtet zu werden. Nichtsdestotrotz stimmen sie zu, dass die Grundstückspreise enorm gestiegen und Anwesen mit Hafenblick nahezu unbezahlbar seien. In Māngere Town befindet sich der größte Supermarkt Pak’n’Save im Viertel, der von Bewohner*innen von Māngere Bridge und Māngere East gleichermaßen genutzt wird. Dabei sind die Begegnungen zwischen Bewohner*innen der beiden Viertel eher gering und zufällig.6 Die kleine Diskussionsgruppe in der Bibliothek besteht ausschließlich aus in Māngere Bridge wohnenden Pākehā. Sie berichten mir, dass ihre Gemeinschaft nicht nur community-orientiert, sondern auch sehr auf Sauberkeit und Ästhetik ausgerichtet sei. Daher reagieren sie sofort, wenn Dumping-Vorfälle in der Gemeinde bekannt werden. Kürzlich habe man sogar Schweineköpfe unweit der Wasserwege gefunden, aber glücklicherweise bemühe sich der Stadtrat sehr schnell um eine Entsorgung, wenn man telefonisch auf die Verschmutzung hinweise. Lucy hat keinen Zweifel daran, dass die Dumping-Vorfälle in Māngere Bridge – die selten 5

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Lynn, eine im Müllreduktionsprogramm aktive Pākehā und langjährige Bewohnerin von Māngere Bridge, sagt: »It’s literally the Māngere Mountain which separates us from one another« (EP Māngere Bridge 27.10.2015). Das gilt jedoch nicht für die SOUL-Kampagne (siehe Kapitel 1). Hier überschneiden sich Akteursgruppen aus beiden Stadtteilen und setzen sich für ein gemeinsames Anliegen ein. Sie kooperieren eng miteinander und treffen sich für ihre Planungen in beiden Vierteln.

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seien und sofort geahndet würden – auch von Akteur*innen aus den benachbarten Gemeinden stammten. Sie unterstellt, dass die Bewohner*innen dieser Viertel das Gefühl für Lokalprestige, das in Māngere Bridge gelebt werde, nicht teilen würden und es für sie daher naheliegend sei, kostenpflichtig zu entsorgenden Abfall einfach illegal auf den öffentlichen Straßen abzuladen. Eine Woche zuvor hat in denselben Räumlichkeiten, in welchen wir zur Diskussion zu viert sitzen, die Informationsveranstaltung einer lokalen Umweltgruppe stattgefunden. In diesem Rahmen sollte sowohl über Änderungen im Waste Management berichtet als auch Ideen und Vorschläge für ein gutes Abfallverhalten in Māngere Bridge gesammelt werden. Damals wurden zwei Impulsfragen gestellt, um die Ansichten der Anwohner*innen dann in einem Mindmap zu illustrieren. Zunächst fragte man die Teilnehmer*innen, was Sie an Māngere Bridge schätzten und anschließend, wie sie sich eine »caring community« vorstellten. Māngere Bridge versteht sich als saubere Gemeinde, nicht zuletzt durch die Aktivitäten vier engagierter Frauen, die sich leidenschaftlich für ein besseres Umweltverhalten einsetzen und lokal relativ bekannt sind. Zu ihren Projekten zählt unter anderem eine Sechs-Wochen-Challenge, die sie mit den Nachbar*innen des Viertels durchführen. Dabei soll innerhalb der betreuten Phase eine effektive Verminderung des Haushaltsabfalls erreicht werden. In diesem Zusammenhang bezieht sich die Reduktion zunächst auf die als Restmüll entsorgten Abfallmengen. Vordergründig geht es der Aktionsgruppe um ein ausdifferenzierteres Trennsystem. Hier wird also primär der Umgang mit dem bereits entstandenen Abfall thematisiert und nicht seine Vermeidung. Als ich 2015 vor Ort bin, befindet sich das Projekt gerade in der zweiten Runde. Das Interesse ist zunächst noch begrenzt, aber die Veranstalter*innen sind zufrieden. In dem ersten Kurslauf sind vier Nachbarinnen beteiligt, in dem zweiten zwei. Tony ist 35 Jahre alt und zweifache Mutter, Birgit ist ein paar Jahre älter und hat eine fünfköpfige Familie. Sie bringen ihre Abfallsäcke der vergangenen Woche mit und sortieren diese gemeinsam mit Andrea, eine der Initiatiorinnen, auf ihrer Veranda aus. Zunächst trinken wir alle zusammen Kaffee und unterhalten uns über Erfahrungen und Erwartungen mit Haushaltsabfällen. Andrea hört aufmerksam zu und verteilt dann Informationsblätter, auf welchen das richtige Trennen tabellarisch dargestellt ist. Wir sprechen Kategorie für Kategorie durch und Andrea nimmt sich Zeit, um auf individuelle Fragen einzugehen. Dann gehen wir zu dem praktischen Teil des Nachmittags über. Andrea breitet eine große schwarze Plane in ihrem Garten aus und bittet Tony und Birgit, ihren mitgebrachten Abfall zunächst zu wiegen und dann auf der Plane zu entleeren. Andrea beginnt sofort mit dem Sortieren, die beiden Teilnehmerinnen sind zögerlicher und gestehen ein, dass es ihnen unangenehm sei, nun in diesen alten Abfällen zu wühlen. Als Andrea aber unbeeindruckt in den auf kleine Haufen verteilten Müll greift, beginnen sie auch mit dem Sortieren. Beim Zuteilen der unterschiedlichen Abfallarten kommen zahlreiche Fragen auf, etwa wie man Weich- von Hartplas-

6. »Everything belongs together«

tik unterscheiden könne. Nach etwa einer halben Stunde ist alles aussortiert und Andrea wiegt die verbleibende Menge an Haushaltsabfall, der tatsächlich in den Restmüll entsorgt werden muss, also nicht recycelt oder kompostiert werden kann. Von Birgits zwei prall gefüllten Säcken ist noch ein zu einem Drittel gefüllter Sack übriggeblieben und Tony nimmt einen nicht mal mehr zu einem Fünftel gefüllten Sack mit zurück nach Hause. Andrea bietet den beiden Nachbarinnen an, sich bei Zweifeln oder Fragen in den kommenden sechs Wochen jederzeit mit ihr in Verbindung zu setzen. Die Idee hinter der Challenge ist, den Nachbar*innen zu zeigen, wie Abfallreduktion funktioniert, aber auch, dass sie funktioniert. Für Andrea ist die anfängliche Begleitung das Kernstück des Programms. Sie erzählt, dass der kritische Punkt von Verhaltensänderungen immer der Beginn sei. Habe man sich den neuen Habitus angeeignet, sei es nicht mehr schwierig, ihn auch beizubehalten. Außerdem fühlen sich die Teilnehmer*innen begleitet und in einen sozialen Rahmen eingebettet, der ihnen eine gewisse Verpflichtung verleiht. Für Andrea ist das Programm gerade deshalb wertvoll, weil die neuen Verhaltensweisen sich in einem sozialen, verbindlichen Rahmen herausbilden. Andrea und ihre Gruppe investieren viel Zeit und Energie in ihre AbfallreduktionsInitiativen. Trotz Familie und Job ist es ihnen wichtig, sich regelmäßig und intensiv für ihr Projekt zu engagieren. Andrea lächelt, als ich sie frage, warum sie sich so leidenschaftlich einsetze. Für sie sei Māngere Bridge ein Zuhause, das sie für sich und ihre Kinder erhalten möchte. Natürlich gehe es ihr auch um den Umweltschutz, der sich weiter erstreckt als über das kleine Viertel im südlichen Auckland. Nichtsdestotrotz liegt ihr der Wohnort am Herzen, und sie möchte ihn sauber und ästhetisch erhalten. Als ich Lynn, die gemeinsam mit Andrea in dem Projekt arbeitet, frage, warum sie sich nicht auch in Māngere East einsetze, verweist sie mich auf ihre beschränkten Kapazitäten. Momentan habe sie nicht die Ressourcen, um sich um verschiedene Wohnorte zu kümmern, sie sei mit Māngere Bridge bereits vollkommen ausgelastet. Außerdem sei es ohnehin besser, einen Ort wesentlich zu verändern, als mehrere Orte nur zum Teil. Sie spricht viel von der visuellen Erfahrung bei der Müllreduktion. Ihr gehe es darum, den Unterschied im Viertel zu sehen und damit ein Vorbild für andere zu setzen. Für sie ist die Abfallminimierung in nur einem Stadtteil handhabbarer und effektiver als in verschiedenen Regionen zeitgleich und unzureichend. Sie konzentriert sich auf Māngere Bridge, weil sie sich emotional an das Wohngebiet gebunden fühlt und angesichts der räumlichen Begrenzung schneller sichtbare Ergebnisse erzielen kann. Für sie verbindet sich mit der Sorge um die Umwelt ein Heimatgefühl, eine lokale Identität, die sie auch mit der Challenge vermitteln möchte.

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Ich wohne auch dem Abschlusstreffen der ersten Challenge-Runde bei, das sich wiederum wie ein Afternoon Tea auf Andreas Terrasse gestaltet.7 Bei Tee und Kuchen erzählen die Teilnehmerinnen, wie sie die vergangenen Wochen erlebt haben. Für Andrea sind besonders die Schwierigkeiten interessant, um diese Themen für künftige Gruppen konkreter aufzugreifen und gegebenenfalls im Vorfeld zu verschriftlichen. In diesem Zusammenhang werden beispielsweise die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Kompostierpraktiken genannt und damit ein Thema aufgegriffen, das in der urbanen Umweltdebatte sehr aktuell ist. Dabei entsteht die Idee, einen separaten Kompostier-Workshop zu veranstalten, der sich ausschließlich auf diese Dimension des Abfallverhaltens fokussiert. Außerdem werden finanzielle Aspekte der Abfallminimierung thematisiert. Zwar lassen sich über eine Reduktion und richtige Trennung des anfallenden Mülls Entsorgungskosten einsparen, nichtsdestotrotz fallen zusätzliche Belastungen an, die sich etwa bei der Anschaffung einer Wurmfarm, trotz Subventionierung durch das Auckland Council, zunächst erheblich niederschlagen können. Andrea und Lynn möchten mit den Herstellern kompostierbarer Abfalltüten in Kontakt treten, um Sonderkonditionen für ihre Aktionsgruppe und die Teilnehmer*innen der Challenge auszuhandeln. Damit erweitern sie auch ihr strukturelles Netzwerk und beziehen institutionalisierte und geschäftliche Akteur*innen mit ein, worüber die Organisation wiederum einen formalisierten Charakter erhält und sich entsprechend nach außen repräsentieren kann. Außerdem wird die Gruppe durch ein solches Arrangement attraktiver für neue Mitglieder. Zum Abschluss gratulieren Lynn und Andrea ihren Absolventinnen und überreichen ihnen ein Zertifikat, das sie als »Waste Champions« auszeichnet. Die Teilnehmerinnen berichten, dass sie sich sehr wohlfühlen, da sie tatsächlich etwas erreicht haben. Die reduzierte Abfallmenge – und damit das Erfolgserlebnis – ist visuell und haptisch spürbar. Über die Urkunde vergegenständlicht sich diese Errungenschaft gewissermaßen. Die Teilnahme an dem Programm ist auch eine nach außen gerichtete Repräsentation des eigenen Umweltverhaltens und der lokalen Zugehörigkeit zum Viertel. Schließlich handelt es sich um eine örtlich definierte Praxis, denn die Challenge richtet sich dezidiert an Nachbar*innen und hat einen exklusiven Fokus. Lynn und Andrea denken darüber nach, wie sie mehr Bewohner*innen erreichen können und diskutieren diese Frage auch mit ihren Absolventinnen. Sie haben sich bereits überlegt, über Briefkasteneinwürfe auf ihr Programm aufmerksam zu machen. Dabei wollen sie insbesondere jene Haushalte adressieren, die durch ein besonders üppiges Abfallverhalten auffallen – also jene, vor wessen Einfahrten an 7

Aus zeitlichen Gründen war es mir nicht möglich, eine Challenge-Runde über ihren sechswöchigen Zeitraum hinweg zu begleiten. Ich besuche daher das Abschlusstreffen der ersten und die Auftaktveranstaltung der zweiten Gruppe.

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den Abholtagen die meisten Abfallsäcke liegen. Außerdem haben sie einen Stand auf dem samstäglichen Wochenmarkt gemietet, um über ihre Aktivitäten zu informieren. Bislang beruht die ganze Aktion auf Mund-zu-Mund-Propaganda und hat damit eine entsprechend begrenzte Reichweite. Ihrer Vision folgend, Māngere Bridge als Vorbildviertel des lokalen Abfallverhaltens zu etablieren, setzen Andrea und ihre Gruppe auf mehr Öffentlichkeitsarbeit. Dabei verdoppelt sich die Dimension der Abfallreduktion im Viertel. Zum einen werden Vorstellungen von Sauberkeit und Ästhetik durchgesetzt und damit eine spezifische Form von Lokalität und Gemeinschaft produziert. Zum anderen tragen die Praktiken auf einer übergeordneten Ebene zum globalen Umweltschutz bei. Lokale und überlokale Konzepte des guten Lebens verbinden sich in einem gemeinsamen Projekt. Lynn und Andrea setzen bewusst auf der Ebene der Alltagspraktiken ihrer Nachbar*innen an. Zwar kooperieren sie eng mit dem Stadtrat, finden aber, dass auf administrativer und politischer Ebene zu wenig geleistet werde, um das städtische Umweltverhalten zu optimieren. Es gebe verschiedene Initiativen und Modi der Unterstützung, aber letztlich investiere der Stadtrat nicht genügend Mittel in den Umweltschutz. Dabei kritisieren sie besonders, dass umweltbelastende Projekte wie etwa Straßenbau viel mehr gefördert würden als umweltentlastende wie der öffentliche Nahverkehr. Ebenso werde hinsichtlich der Abfallproblematik nicht genügend geleistet – auch aufgrund der neoliberal orientierten Zentralregierung, die den nationalen und städtischen Umweltproblemen eine geringe Priorität auf ihrer Agenda einräume. Mit dieser Kritik grenzen sie sich vom Auckland Council ab, das sie aber auch als Kooperationspartner verstehen. Für eine Lösung reichen die Ansätze der städtischen Regierung ihrer Meinung nach jedoch nicht aus. Sie plädieren für lebensweltlich orientierte Herangehensweisen, welche konkret auf die Bewohner*innen und ihr individuelles Verhalten fokussieren.8 Lynn erzählt mir in ihrem Wohnzimmer: »I just don’t want to sit around here waiting. You can wait for the council forever. My idea is to see what I can do and then just go out there and rEAlly do it.« (Lynn, EP Māngere Bridge 27.10.2015) Sie verortet den Handlungsradius für positives Umweltverhalten auf einer individuellen Ebene, die sie der administrativen vorzieht. Für sie ist es eine Form der Selbstbestimmung, das lokale Abfallverhalten nach eigenen Maßstäben verändern zu können. In diesem Sinne versteht sie sich als unabhängige Akteurin, die nicht auf Weisungen von der Stadtregierung angewiesen ist, sondern frei agieren kann. In ihrer Community sieht sie ein immenses Veränderungspotenzial, das mobilisiert werden muss. Sie und ihre Gruppe versteht sie in diesem Zusammenhang als 8

Dieser im Neoliberalismus verankerte Ansatz, die Bürger*innen mehr in die Pflicht zu nehmen, wird in der gegenwärtigen Politik Aotearoa Neuseelands durchaus umgesetzt.

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»strong community leaders«, die über enthusiastische Aktionen für Abfallverhalten sensibilisieren und die Gemeinschaft verändern können. Dass die Bewohner*innen und der Stadtrat eng miteinander zusammenarbeiten, schlägt sich auch in gegenseitigen Bewertungen nieder. Die meisten Stadtteilbewohner*innen kritisieren das Auckland Council nicht direkt, auch wenn sie mit der lokalen Umweltpolitik nicht zufrieden sind. Viele meiner hier repräsentierten Akteur*innen transferieren die Verantwortung für fehlende oder mangelnde Initiativen in der Stadt auf die Ebene der Nationalregierung, die Auckland nicht genügend Mittel zur Verfügung stelle, um eine tatsächlich umweltfreundliche Politik auszuüben. Die zum Zeitpunkt meiner Forschung konservativ-nationalistische Regierung Aotearoa Neuseelands wird gemeinhin als kaum umweltsensibel eingestuft und Kritiken an der mangelnden Umsetzung städtischer Umweltpraktiken auf die konservative Ausrichtung der Zentralregierung zurückgeführt. Lynn und Andrea verstehen den Stadtrat – obgleich sie sich über Kürzungen von bislang geförderten Community-Projekten ärgern – dennoch als Partner, der im Rahmen seiner Möglichkeiten mit gutem Willen agiere. Zeitgleich wird das Auckland Council auch – insbesondere seit der Amalgamierung und den damit verbundenen Prozessen der Entlokalisierung örtlicher Politiken – als externe Autorität betrachtet, die zwar beispielsweise für finanzielle Belange angefragt werden könne, aber nicht zwangsläufig entsprechend reagiere. Das macht den Stadtrat zu einem wohlgesinnten, aber nicht verlässlichen Partner. Dass die Stadtverwaltung Forderungen nicht bereitwillig nachkommt, wird den wirtschaftlichen Restriktionen zugeschrieben, welchen das Auckland Council aufgrund der wirtschaftsliberalen Ausrichtung der zentralen Regierung unterliege. Diese Beziehung zwischen Bewohner*innen, Aktivist*innen und Stadtrat ist nicht unproblematisch. Über diese grundsätzlich konsensuelle Ausrichtung können kaum Konflikte ausgetragen werden. Vielmehr werden diese mit Rekurs auf die Nationalregierung auf eine andere Ebene verlagert. Zweifelsohne ist die Stadtregierung auf die Distribution finanzieller Mittel von der Landesregierung angewiesen. Diese Argumentationslinie kann jedoch auch zur Sicherung der eigenen Positionen und Vorstellungen instrumentalisiert werden und einer von den Stadtbewohner*innen formulierten Kritik ihre Grundlagen entziehen. Das Auckland Council wird über diese Verschiebung gewissermaßen unangreifbar gemacht. Zeitgleich empfinden viele meiner Akteur*innen die enge Zusammenarbeit mit dem Stadtrat als gewinnbringend und schätzen das Engagement der Mitarbeiter*innen. Diese Dynamiken machen die Komplexität der Beziehungen zwischen Regierten und Regierenden aus und lassen sich nicht auf ein singuläres Beziehungsmodell reduzieren. Jedes Interaktionsfeld zwischen Regierten und Regierenden fügt sich je eigen und situationell zusammen. Der tatkräftige Einsatz von Lynns Team fordert die Bewohner*innen heraus, sich selbst aktiv zu engagieren. Wenn sich die Gemeinschaft bewegt, kann sie zu etwas bewegen. Und diese Impulse schlagen sich in einer effizienten Reduktion

6. »Everything belongs together«

des individuellen Haushaltsabfalls und damit in einer Verbesserung des kollektiven Abfallverhaltens in Māngere Bridge nieder. Um dieses zu optimieren, setzt sich die Aktionsgruppe außerdem für eine verbesserte örtliche Infrastruktur ein. Lynn beklagt sich darüber, dass der Stadtrat unzureichende Konditionen schaffe, um Abfall effizient trennen zu können. Sie bezieht sich vor allem auf Weichplastik, welches üblicherweise zur Nahrungsverpackung eingesetzt wird. Dieses wird bislang mit dem Restmüll entsorgt, da die Recycling-Maschinen nur Hartplastik verarbeiten können. Um diese dennoch zu recyceln, müsste eine separate Tonne bereitgestellt werden, in welche ausschließlich Weichplastik-Abfälle entsorgt werden. Seit kurzem hat das Auckland Council eine große Supermarktkette mit öffentlichen Softplastics-Tonnen ausgestattet – diese sind damit von der wöchentlichen Müllabholung abgespalten und erfordern von den Bewohner*innen, ihre Abfälle zuhause zu separieren und selbst zu den öffentlichen Sammeltonnen zu transportieren. Dieser Umständlichkeit ist es geschuldet, dass die meisten Bewohner*innen ihr Weichplastik einfach in die häusliche Restmülltonne entsorgen. Lynn hat festgestellt, dass die örtliche Weichplastiktonne in ihrer Supermarktfiliale von vielen Kund*innen als Restmülltonne missverstanden wird. Sie erzählt, dass sie sich eines Tages derart über diese Fehlnutzung ärgert, dass sie sich selbst vor die Tonne stellt und diese öffentlich aussortiert. Sie spricht mit dem Supermarktpersonal und fordert, dass die Nutzung der Softplastics-Tonnen kontrolliert werde. Sie sieht hier vor allem eine Aufklärungproblematik. Viele Supermarktkund*innen wüssten einfach nicht, was eine Softplastic-Bin ist, da sie nicht ausreichend vom Stadtrat informiert werden. Für ihre Community in Māngere Bridge hat Lynn im Rahmen ihrer Aktionsgruppe eine eigene, alternierende Sammelstelle errichtet, die im Wechsel in den Haushalten ihrer Mitglieder etabliert wird. Alle Nachbar*innen sind eingeladen, ihr Weichplastik bei diesen rotierenden Sammelstellen abzuladen. Lynn und ihre Gruppe transportieren die gesammelten Abfälle wöchentlich zu einer kooperierenden Upcycling-Firma und haben damit einen in sich geschlossenen Kreislauf geschaffen, der unabhängig vom städtisch organisierten Abfallmanagement funktioniert. Dabei erzählt mir Lynn, dass die Firma, welche sie mit dem kollektiv gesammelten Weichplastik beliefert, auf einer idealistischen Idee basiere. Den Betreiber*innen gehe es nicht nur darum, Geld zu verdienen, sondern dafür zu sorgen, dass der Abfall an den richtigen Ort gelange. Daher verwenden die Betreiber*innen Gegenstände, die sie selbst noch nutzen können durchaus für den Eigengebrauch oder geben diese an Freund*innen weiter. Als ich mich mit Lynn unterhalte, ist der Service erst ein paar Wochen alt, wird aber rege genutzt. Sie ist überrascht über die Menge, die sich in der kurzen Zeit angesammelt hat. Daran könne man sehen, wie wichtig es sei, der Community diese Möglichkeiten zu geben. Lynn ist stolz darauf, dass sie ein solches System in ihrem lokalen Umfeld etablieren konnte. Sie

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findet, dass diese Dienstleistung ein besonderes Merkmal in Māngere Bridge sei und die Community auszeichne. Über dieses Charakteristikum zieht Māngere Bridge eine Grenzlinie zu anderen Stadtteilen, insbesondere zu den benachbarten, marginalisierten Wohngebieten, die für ihre Abfall- und Dumping-Problematik bekannt sind. Die etablierten Hierarchien, die sich deutlich zwischen den ärmeren Vierteln Māngeres einerseits und dem wohlhabenden Māngere Bridge andererseits abzeichnen, werden über die Abfallthematik reiteriert. Der dezidierte Fokus auf das Viertel macht die Grenzen des Stadtteiles spürbarer und artikuliert räumliche und sozioökonomische Trennlinien über das lokale Abfallverhalten. Dabei kritisieren Lynn und Andrea durchaus die aktuellen Bedingungen im Viertel, formulieren ihre Zukunftsvisionen und Ideale aber in einem explizit lokalen Kontext.

7. Wie soll man in der Stadt leben? Perspektiven auf Auckland

Diese Frage steht am Beginn unserer interdisziplinären Zusammenarbeit in der Forschungsgruppe »Urbane Ethiken«. Dabei haben wir uns auf ethische Auseinandersetzungen bezogen, in welchen das gute und richtige städtische Leben problematisiert und ausgehandelt wird. Im Oktober 2015, wenige Wochen nach dem Beginn meiner dritten Feldforschungsphase, fällt mir ein Flyer in die Hände, der »The Good Life Talks« bewirbt. Diese Veranstaltung wird von einer lokal berühmten Umweltorganisation im Norden Aucklands organisiert und auch als »Mini Ecofest« bezeichnet. Der Abend, an welchem laut Ankündigung »grass root stories about the pursuit of sustainability and loving the good life« erzählt werden, findet in dem idyllisch gelegenen Pumphouse Theatre in Takapuna statt. Takapuna ist ein Küstenvorort von North Shore, der für seinen malerischen Sandstrand bekannt ist. Ich bin überrascht, dass die an einem Donnerstagabend gehaltenen Vorträge sehr gut besucht sind. Ian, der damalige Manager der Umweltgruppe, hält eine kurze Willkommensrede. Er stellt die Idee des Abends vor, betont die Wichtigkeit des Umweltschutzes angesichts drängender globaler und lokaler Probleme und beendet seine Begrüßungsrede mit den Worten: »I’m sure when I say ›we‹, I’m speaking about everyone in this room.« (Ian, EP Takapuna 08.10.2015). Nach einem langen Applaus beginnt die erste Vortragsreihe, in welcher unter anderem Abfallvermeidung, gemeinschaftliche Obsternte und nachhaltiges Heizen besprochen werden. Die Redner*innen, so betont Ian eingangs, sind Teil der lokalen Community, also keine Autoritäten aus der Ferne, sondern Nachbar*innen und Freund*innen aus der Umgebung. Allen Beiträgen ist gemeinsam, dass die vorgestellten Umweltideen auf einer lebensweltlichen Ebene ansetzen und von den Bewohner*innen in ihre alltäglichen Lebensstile integriert werden können. Nach einer Stunde kündigt Ian eine Pause an und zieht ein emotionales Resümee aus der ersten Hälfte des Abends: »These talks were tremendous. I knew that I had to cry at some point tonight, but I did not know during which talk it would be.« (Ian, EP Takapuna 08.10.2015). An diesem Abend fällt mir ein Aspekt auf, der sich über meine Forschungszeit hinweg immer wieder aufdrängt: die Betonung eines gemeinschaftlichen, umweltbewussten Wir (»we«), über welches eine Gruppenzugehörigkeit suggeriert wird.

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Ian appelliert nicht an die Zuhörer*innen, Teil zu werden, sondern setzt in seiner Willkommensrede bereits voraus, dass die Anwesenden als Gemeinschaft mit geteilten Interessen auftreten. Dabei baut die Umweltgruppe gerade auf diesem Aspekt auf. Auf ihrem Flyer lese ich: »We have attracted high calibre staff, trustees and volunteers who donate 6000+ hours to the community each year. Our growth is exponential, and with the continued engagement by Auckland Council to assist them in meeting their environmental targets, we are now contracted to deliver a range of exciting initiatives that have the potential to impact every single Aucklander. And so, from a small seed, a mighty trunk may grow, just as from a small group of neighbours, a mighty social change may emerge.« (Flyer K. Project, 08.10.2015) In diesem Zitat wird die Gemeinschaft als Möglichkeitsraum reflektiert. Umweltschutz wird hier als soziales Projekt gerahmt, welches das Engagement der Stadtregierung mit einschließe und sich auf »every single Aucklander« auswirke. Diese Formulierungen spiegeln für mich die Atmosphäre der »Good Life Talks« in Takapuna wider. Die Akteur*innen bilden dort eine verbindliche Gemeinschaftlichkeit heraus, die auf soziale Konstellationen in der Stadt einwirkt. Über urbane Umweltthemen können soziale Verbindungen dynamisiert und zu Entwürfen und Praktiken des guten Lebens in der Stadt formiert werden. Das Anliegen unserer Forschungsgruppe war es, Diskurse und Praktiken herauszustellen, die sich in institutionalisierten Regeln, öffentlichen Debatten und informellen, alltagsweltlich gelebten Vorstellungen und Leitbildern in verschiedenen Städten artikulieren. In meinem Teilprojekt habe ich den Fokus auf umweltbezogene Ethiken in Auckland gelegt und nach den Zusammenhängen gefragt, die sich zwischen Idealbildern einer guten Umwelt, eines guten Umweltverhaltens und einer guten Stadt auftun. Meine Forschung hat sich an der Leitfrage orientiert, welche städtische Umwelt meine Akteur*innen in Auckland kreieren wollen und welche ethischen Projekte sie damit verbinden. Dabei hat mich besonders interessiert, woran sich Brüche und Reibungen guter Umweltethiken zeigen, da mir Umweltschutz als ein primär positiv bewertetes und in diesem Sinne oftmals zunächst unhinterfragtes Konzept in Auckland begegnet ist. Die konsensuellen Tendenzen um die Bewertung von Umweltschutz sind gerade im Zuge der lokalspezifischen Einbettung Aucklands in einer als Naturparadies inszenierten Nation vor Ort spürbar (vgl. Dürr 2007). Über die drei von mir gewählten Achsen – Relationen zu Anderen, zu sich selbst und zur Stadtregierung – habe ich heterogene Felder beleuchtet, um urbane Ideale entlang verschiedener Linien aufzufächern. Quer zu den drei empirischen Feldern, die ich in den Hauptkapiteln erarbeitet habe, schließen sich zentrale Themen auf, welche ich nachfolgend erläutern werde.

7. Wie soll man in der Stadt leben?

Community als »idealer« Interaktionsraum In lokalen Umweltdiskursen spielt die Community als Ideal des städtischen Zusammenlebens in Auckland eine zentrale Rolle. Sowohl die Stadtregierung als auch die Bewohner*innen artikulieren ihre Vorstellungen des guten Lebens als gemeinschaftsbetont und setzen ihre Visionen einer befürchteten Anonymität gegenüber. Diese Prozesse sind insbesondere in dem amalgamierten Auckland relevant, da viele Bewohner*innen eine Vernachlässigung durch die Zentralisierung der Stadtregierung empfinden und eine Stadtpolitik, die sich nach den je eigenen Bedürfnissen der Viertel richtet, favorisieren. Die konkreten Vorstellungen, die meine Akteur*innen mit dem Community-Begriff verknüpfen, variieren und lassen sich nicht scharf definieren. Für die meisten meiner Gesprächspartner*innen sind soziale Interaktionen, die sich im Zuge einer gelebten Gemeinschaftlichkeit vollziehen, eng mit Umweltpraktiken verbunden. Sie verweisen mich wiederholt darauf, dass die praktische Dimension nur ein Aspekt des guten Umweltverhaltens sei und durch einen gelebten Gemeinschaftssinn ergänzt werden solle. Die Favorisierung von Gemeinschaften steht auch in Wechselwirkung mit der lokalen Stadtpolitik, in welcher Communities konkret gefördert und als Interaktionsraum genutzt werden. Wie im Zuge der Community Recycling Centres und Weeding-Sessions beschrieben, mischen sich Mitarbeiter*innen des Stadtrates direkt oder über Vermittler*innen unter örtliche Gemeinschaften und agieren aus der Community heraus. Die Linien zwischen aus der Gemeinschaft emergierenden Ideen und Idealen und solchen, die vom Stadtrat eingebracht werden, sind in diesen Zusammenhängen nicht mehr voneinander zu trennen. In diesem Kontext wird die enge Verwobenheit von Subjektivierungs- und Governance-Prozessen deutlich. Das Werden von lokalen Ethiken, die sich in Idealen, Praktiken und Beziehungen niederschlagen, kann nicht auf einzelne Akteur*innen zurückgeführt werden, sondern emergiert aus vielschichtigen Interaktionen und -relationen. Durch diese Arrangements dezentralisiert sich die Entscheidungsmacht in der lokalen Community. Spezifische Ethiken und Subjektidentitäten werden in der Gemeinschaft subtiler herausgebildet und wirken durch ihre Verknüpfung mit sozialen Zusammenschlüssen verbindlicher (vgl. hierzu Agrawal 2005). Neben dem Gestaltungsspielraum wohnt diesen Arrangements auch eine Problematik inne, da Vorgaben aus dem Stadtrat über persönliche und nachbarschaftliche Beziehungen in Gemeinschaften dringen können, ohne als solche erkennbar zu sein. Über diesen Mechanismus können beispielsweise neoliberale Regierungsstile, die mit einer Verantwortungsverschiebung einhergehen, an die Community herangetragen werden und unbemerkt entsprechende Ideale und Wertvorstellungen transportieren. Gerade im urbanen, neoliberalen Raum, in welchem sich eine soziale Fragmentierung zeigt, kann die geteilte materielle Umwelt als Bezugspunkt zur (Re-)Konstruktion und Erhaltung lokaler Identitäten und sozialer Kollektive ge-

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nutzt werden (vgl. Brand 2007: 620). Die so geschaffenen Communities fungieren dann als Möglichkeitsräume. So können Gemeinschaften beispielsweise versuchen, durch einen Rückzug des Staates entstandene Unzulänglichkeiten in der Stadtpolitik zu kompensieren (vgl. Jessop 2002: 208). Die wechselseitige Beeinflussung der unterschiedlichen Akteur*innen, die innerhalb der Community agieren, wirken sich auf die Ideale der über gemeinsame Umweltpraktiken definierten Gruppen aus. In Abgrenzung zu einem autoritären Regieren aus der Ferne entfalten Werte, Ideale und Vorstellungen in Gemeinschaften lokale Wirkkraft und begünstigen gewisse Subjektpositionen. Durch ein Regieren »by dispersing rule, scattering involvement in government more widely, and encouraging careful reckoning of environmental practices and their consequences« (Agrawal 2005: 19) können stadtpolitische Interessen in die Alltagswelten der innerhalb der lokalen Community agierenden Bewohner*innen eingeschrieben werden. Umweltpraktiken und damit verbundene Wertvorstellungen – wie etwa eine neoliberale Idealisierung von Verantwortungsbewusstsein – formieren sich zu einer »joint production of interests« zwischen Regierenden und Regierten (ebd.). Die lokale Community stellt sich als regierbare Arena dar, an welche sich Bewohner*innen über Werte wie »reciprocity, mutuality, cooperation, belongingness, and identity« binden (Rose 2000: 1399). Da sich die Communities über die ethisch aufgeladene Umweltthematik definieren, verbinden sich hier Bestrebungen der sozialen Zugehörigkeit mit einem moralischen Verpflichtungsgefühl (vgl. Rose 2000: 1396). Gemeinschaften sind mit spezifischen Wissensbeständen verbunden, die von unterschiedlichen Akteur*innen reguliert werden und über Ein- und Ausschlüsse entscheiden. Der Politikwissenschaftler Timothy W. Luke beschreibt die Verknüpfung von Macht und Wissen im Zuge einer globalen »Environmentality«: »An environment […] is the encirclement, circumscription, or beleaguerment of places and persons in a strategic disciplinary policing of space. An environmental act, in turn, is already a disciplining move, aimed at constructing some expanse of space – a locale, a biome, a planet as biospherical space, or, on the other hand, some city, any region, the global economy in technospherical territory – in a discursive envelope. Within these enclosures, environmental expertise can arm environmentalists who stand watch over these surroundings, guarding the rings that include or exclude forces, agents, and ideas.« (1995: 64) Dabei sind diese Prozesse auch auf lokaler Ebene wirkmächtig und zeigen sich in städtischen Diskursen, die bestimmten Akteur*innen wie zum Beispiel Kiwis oder langjährigen Stadtteilbewohner*innen ein exklusives Wissen zuschreiben, welches Immigrant*innen oder Neugezogenen zunächst vorenthalten sei. Diese lokalspezifischen Wissensbestände sind eng mit konkreten Praktiken verknüpft; Weeding erfordert etwa die Kompetenz, zwischen »guten« und »schlechten« Spezies unterscheiden zu können. Dabei ist dem urbanen Umweltdiskurs und den zirkulieren-

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den Wissensbeständen eigen, dass diese über den aktuellen Ist-Zustand hinausweisen und Zukunftsvisionen artikulieren. Durch eine rhetorische Projektion von Umweltidealen ist die städtische Umweltthematik mit einem Imperativ verbunden, der Bewohner*innen zum aktiven und gemeinsamen Handeln aufruft (vgl. Brand 2007: 623). Die Community stellt sich als städtisches Ideal dar, das mehrere Akteursgruppen und so auch den Stadtrat mit einschließt. Gerade in einer stetig im Wachsen begriffenen Metropole, die aus einzelnen Vierteln mit starken Identitäten besteht, bildet die Community eine konkrete Vorstellung der guten Stadt ab. Die Bewohner*innen formulieren in ihren Visionen ein urbanes Sich-in-Beziehung-Setzen, welches über lokale Werte und ein gutes Umweltverhalten vermittelt wird.

Verschleiern sozialer Konflikte In meinen empirischen Feldern haben sich urbane Umweltethiken als mögliche Verschleierungsmechanismen herausgestellt. Soziale Konflikte, rassistische und nationalistische Diskurse können sich hinter umweltethisch gerahmten Praktiken und Debatten verbergen und über Ungleichheiten und Diskriminierungen in der Stadt hinwegtäuschen. Im vierten Kapitel habe ich auf die im Zuge des Nativitätsdiskurses problematischen Übertragungen verwiesen, die nahelegen, dass der Schutz vor Invasivität hinsichtlich aktueller Immigration und Multikulturalisierung in Auckland sozial umgedeutet werden kann. Durch eine Verlagerung dieses auf Exklusivität basierenden Diskurses auf eine umweltbezogene Debatte werden Argumente und Ausdrucksweisen sagbar, die in sozialen Zusammenhängen erschrecken würden. Die kämpferisch-kriegerischen Metaphern, die in der öffentlichen Debatte angewandt werden, stellen native Natur als schützenswert heraus und fordern Bewohner*innen auf, sich für das Bewahren der spezifisch neuseeländischen Flora und Fauna einzusetzen. Obgleich diese Symbole nicht direkt auf soziale Prozesse übertragen werden können, ist die Problematik unübersehbar. Banu Subramaniam konstatiert für den amerikanischen Kontext: »The alarm about human immigration is accompanied by an alarm about alien plants and animals. With the increased permeability of nations and their borders, and the increased consumption and celebration of our common natures and cultures, we begin to obsess about our different natures and cultures with a fervent nationalism, stressing the need to close our borders to ›outsiders‹.« (2014: 101) In diesem Zusammenhang kann sich die (umwelt-)ethische Kontextualisierung von Nativität depolitisierend auswirken und als »gut« postulierte Richtlinien über eine ethische Rahmung unhinterfragbar machen. Während meiner ganzen Feldforschung begegnen mir keine Aucklander*innen, die Weeding als solches kritisie-

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ren. In den städtischen Feldern, in welchen ich mich bewege, stellt sich der Nativitätsdiskurs als Konsens dar. Meine Perspektive beschränkt sich natürlich auf die Akteur*innen, mit welchen ich im Rahmen meiner Forschung interagieren konnte und stellt sich keinesfalls repräsentativ dar (vgl. Kapitel 3). Die Vergangenheit wird über harmonisierende Imaginationen romantisiert und als Idealbild inszeniert, welchem sich Auckland über Weeding-Praktiken zumindest annähern kann. Dabei ist nicht eindeutig festgelegt, auf welchen Zeitpunkt dieses Idealbild datiert wird. Über dieses mit Care-Idealen verbundene Framing werden starke Emotionen transportiert, die mit lokalen Zugehörigkeiten verknüpft sind. Eine gelebte CareEthik, die aus Reziprozitäts- und Interrelationalitäts-Vorstellungen emergiert, zeigt sich deutlich in der Sorge für native Spezies und zu pflegende Wiesenflächen im Stadtgebiet. Für den nationalen Kontext wird Aotearoa Neuseeland als zu schützendes Biotop herausgestellt. Diese Perspektive überträgt sich auf das städtische Gefüge und bringt ein explizit urbanes Projekt hervor, über welches die Metropole verbessert werden soll. In diesem Sinne orientieren sich Leitbilder der guten Stadt an nationalen Diskursen und Repräsentationen. Aufgrund der demographischen Verschiebungen, die sich im urbanen Kontext Aucklands deutlich zeigen, tritt die Debatte um den Schutz von Nativität wirkmächtig in den Vordergrund. Das Exklusionspotenzial umweltethischer Debatten zeigt sich auch in Community Gardening-Aktivitäten, wie im fünften Kapitel beschrieben. Der betont lokale Fokus in der Gartenpraxis artikuliert sich zum Beispiel, wenn Gärtner*innen ihr körperliches Engagement auf den Beeten als konkretes In-Beziehung-Setzen mit Devonporter Natur verstehen. Doro, die Koordinatorin des Devonporter Community Gardens 2, betrachtet das lokale Gärtnern insbesondere für Neuzugezogene als Möglichkeit, um Beziehungen zum Stadtteil aufzubauen. Damit geht eine implizite Dichotomisierung zwischen länger- und kurzfristigen Bewohner*innen einher. Die Neuzugezogenen sollen zwar gerade nicht ausgeschlossen, sondern aktiv in die Community integriert werden, dennoch wird eine deutliche Trennlinie aufgebaut. Auch als gemeinschaftsfördernd präsentierte Projekte, die sich beispielsweise in Devonports Community Garden 1 als Angebote für psychiatrische Patient*innen gestalten, trennen die lokalen Akteur*innen trotz ihrer inkludierenden Fokussierung in unterschiedliche Gruppen auf. Ein Stundenplan weist je eigene Zeitfenster zu und reduziert Möglichkeiten, sich quer zu den zugewiesenen Gruppen miteinander in Verbindung zu setzen. Über als inklusiv entworfene Umweltprojekte wird zeitgleich notwendigerweise ein Außen geschaffen, über welches sich die Abgrenzung vollzieht. Das zeigt sich in dem im sechsten Kapitel beschriebenen Müllreduktionsprojekt in Māngere Bridge deutlich. Hier werden Abfallpraktiken zu einem zentralen Unterscheidungskriterium, über welches sich Māngere Bridge von benachbarten,

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sozioökonomisch benachteiligten Vierteln absetzt. Umweltdebatten sind eng mit Machtpositionierungen und Hierarchisierungen verwoben. Über den lokalen Konsens einer guten Bewertung städtischer Umweltpraktiken werden mit den Projekten verbundene Machtprozesse weniger sichtbar und angreifbar (vgl. Mouffe 2007). Umweltethische Werte können sich zu urbanen Idealen formieren. Akteur*innen versuchen, diese über konkrete Praktiken umzusetzen und vollziehen dabei beiläufig Hierarchisierungen und Exklusionen, ohne diese zunächst bewusst zu reflektieren.

Politische Er- und Entmächtigungen Die impliziten Machtpositionierungen, die über umweltethische Rahmungen ausgetragen werden, weisen den Akteur*innen spezifische Handlungsmöglichkeiten zu und bestimmen (mit) über den Aktionsradius der Handelnden. Über ethische Artikulationen wird der Umweltdiskurs zum Teil von einer politischen auf eine lebensweltlich-individuelle Dimension verschoben. Diese Individualisierung von Umweltthemen passt sich in die seit Dekaden in unterschiedlichen Ausprägungen vollzogenen neoliberalen Politiken ein, die sich in nationalen und städtischen Prozessen auswirken. Dies bildet sich in wechselnden Verantwortlichkeiten ab, wenn individuelle Akteur*innen städtische Aufgaben übernehmen, wie etwa die Sorge um verwilderte Grünflächen oder das Elaborieren städtischer Mülltrennungssysteme. Die Bürger*innen stellen sich in diesen Prozessen nicht passiv dar und empfangen Zuständigkeiten, die der Staat bzw. die Stadt überträgt, sondern agieren durchaus selbstbestimmt. Der Philosoph Daniele Lorenzini beschreibt diese Regierungsformen als Zugriffe auf Freiheitsfelder: »To govern someone means, in fact, to structure his/her field of freedom―his/her field of possible actions.« (Lorenzini 2016: 8). Für Nikolas Rose sind diese Prozesse Abgleichungen der als »frei« empfundenen Entscheidungen der Bewohner*innen und offizieller Regierungsziele (1999: 178f.). In diesem Sinne können staatliche und städtische Vorgaben als gute Leitlinien von den lokalen Anwohner*innen angeeignet und als eigene Ideale übernommen werden. Rose sieht das Konzept der Freiheit zeitdiagnostisch kritisch. Über diese Zuschreibung werden Subjekte »in terms of their freedom« als freie Akteur*innen regiert (1998: 16). Er führt aus: »To rule citizens democratically means ruling them through their freedoms, their choices, and their solidarities rather than despite these. It means turning subjects, their motivations and interrelations, from potential sites of resistance to rule into allies of rule.« (1998: 19-20)

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Regierungsmacht drängt sich also nicht autoritär oder repressiv auf, sondern »circulates through the capillaries of collective life« (Collier 2009: 81). Diesen Prozessen wohnt sowohl eine Entmächtigung als auch eine Ermächtigung inne. Einerseits können die Verantwortungsverschiebungen Anwohner*innen mit Aufgaben belasten, welche diese unentgeltlich neben ihrer eigenen Erwerbstätigkeit ausführen. Andererseits bietet sich durch den erweiterten Handlungshorizont möglicherweise ein eigener Gestaltungsspielraum, der von den Akteur*innen auch mit eigenen Vorstellungen gefüllt werden kann. Aucklander*innen, die sich in umweltethischen Projekten engagieren, können damit Einfluss auf städtische Praktiken und Ideale nehmen. Diese Möglichkeiten werden zum Beispiel in Māngere East genutzt, um kulturelle Werte zu vermitteln und in der urbanen Debatte präsenter zu machen. Umweltdiskussionen fungieren in diesem Sinne auch als Bühnen, auf welchen spezifische Anliegen und Ideale sichtbar gemacht werden. Für Akahata, einem sehr engagierten Mitglied im Community Centre Māngere East, sind Community Gardening und Müllreduktion Felder, über welche er seine kulturellen Traditionen weitergeben kann. Er verknüpft die Umweltthemen, für welche er sich einsetzt, mit kulturellen Projekten, um Māori-Bräuche, die er im aktuellen Stadtleben vernachlässigt sieht, zu beleben und kulturellen Werten in seiner Community mehr Gewicht zu verleihen. Dabei arbeitet er mit dem Auckland Council zusammen, das ihn gezielt in Maraes einsetzt, da er der lokalen Māori-Community angehört und damit über einen direkten und vertrauensvolleren Zugang verfügt. Die Verknüpfung von Ethnizität und Umweltthemen verbindet sich auch mit Machtpositionierungen. Über die Repräsentation von Kiwis als sich um die Umwelt sorgend wird ein problematischer Unterschied gegenüber »von außen« Kommenden aufgemacht. Dies wurde im vierten Kapitel hinsichtlich der ausschließlich an Aucklander*innen mit chinesischem Migrationshintergrund gerichteten Umweltgruppe CCET erläutert, die auf der Annahme basiert, dass Einwanderer*innen eines spezifischen Trainings bedürfen, um sich in Auckland umweltschützend verhalten zu können. In meinem Gespräch mit der Leiterin dieser Umweltgruppe erklärt sie mir, dass es aufgrund der lokalen Begebenheiten in Auckland für neue Anwohner*innen erforderlich sei, gewisse Umgangsweisen zu erlernen. Damit wird über umweltbezogenes Wissen Macht verteilt und eine Hierarchie zwischen »wissenden« Neuseeländer*innen und »unwissenden« Hinzuziehenden aufgemacht.

Ethiken als Beziehungen Diese Aushandlungs- und Konfliktfelder konnten über das Beleuchten unterschiedlicher Beziehungsmodi greifbar gemacht werden. Da sich Ethiken auf soziale Lebenswelten beziehen, halte ich es für zentral, Orientierungen des Guten in ihren relationalen Verwobenheiten zu betrachten. Durch jedes In-

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Beziehung-Setzen wird gleichzeitig ein Sich-Abgrenzen vollzogen. In diesen Spannungsfeldern zwischen In- und Exklusionen bilden sich soziale Konflikte und Möglichkeitsräume in der Stadt ab. Durch das Herausgreifen der drei spezifischen Beziehungsmodi konnte ich Ethiken in unterschiedlichen Kontexten sichtbar machen. Relationen zu Anderen, die in Kapitel 4 im Zusammenhang mit Weeding besprochen wurden, sind für Vorstellungen des guten Lebens in der Stadt zentral, da das urbane Zusammenleben auf sozialen Verbindungen basiert und Ethiken sich in Interaktionen artikulieren. Selbstbeziehungen, wie im fünften Kapitel hinsichtlich Community Gardening besprochen, machen die Herstellung ethischer Selbste sichtbar. Beide Beziehungsformen basieren auf bestimmten Idealen und Wertvorstellungen, die von der Stadtregierung aufgegriffen und zur Governance genutzt werden. Dabei handelt es sich um einen sich gegenseitig konstituierenden Prozess, der in Interaktion zwischen Regierten und Regierenden entsteht. Relationen zur Stadtregierung wurden im sechsten Kapitel im Zuge von Abfallreduktionsinitiativen erläutert und haben die Verflechtung von Subjektivierung und Governance in urbanen Arrangements sichtbar gemacht. Dieser Ansatz eröffnet einen frischen Blick auf das gute Leben in der Stadt und betrachtet Ethiken als beweglich und werdend. Ideale, Vorstellungen und Praktiken werden über ihre Eingebundenheiten in Beziehungen im Zuge ihrer lebensweltlichen Bedeutungen und Prozesse greifbar. Dadurch werden urbane Ethiken spezifisch aufgefächert und zeigen Verflechtungen der unterschiedlichen Beziehungsmodi auf. Vorstellungen des guten Lebens anhand von Beziehungen zu untersuchen, geht über einen auf Ideale und Praktiken basierenden Ansatz hinaus. Mein Fokus auf ethische Relationen hat sich als fruchtbarer Ausgangspunkt herausgestellt, um Vorstellungen des guten Lebens in der Stadt in ihrer Vielfältigkeit und Fluidität greifbar zu machen. Mit diesem Ansatz möchte ich ein Ethik-Verständnis stärken, das sich von einer statischen Systematisierung, Isolierung und Homogenisierung städtischer Ideale und Werte absetzt. Ich verstehe Vorstellungen des guten Lebens in ihrer Eingebundenheit in spezifische Kontexte und Situationen. In dieser Lesart lassen sich ethische Vorstellungen nicht aus gelebten Bedeutungszusammenhängen lösen und emergieren aus dichten Verwobenheiten mit anderen Akteur*innen in spezifischen Beziehungskonstellationen. Diese Linse auf Umweltpraktiken und damit verbundene Relationen im urbanen Raum anzuwenden, deckt politische und konfliktuelle Prozesse auf, die sich hinter einer als »politically mute and socially neutral« konzipierten Natur verbergen (Swyngedouw 2011: 259). Eric Swyngedouw erklärt: »The question is not any longer about bringing environmental issues into the domain of politics as has been the case until now but rather about how to bring the political into the environment.« (ebd.: 254-5)

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Über einen Fokus auf urbane Beziehungen können urbane Umweltpraktiken als Felder sozialer Aushandlungen begriffen und ethische Ideale hinsichtlich ihrer problematischen Bedeutungen betrachtet werden. Umweltdiskurse sind mit Machtprozessen verbunden, in welchen manche Akteur*innen privilegierte Positionen einnehmen und eher gehört werden als andere (vgl. Kaika 2017: 94). Diese Ungleichheiten gilt es offenzulegen, um die über guten Umweltschutz legitimierten Reproduktionen sozialer Hierarchien und Ausschlüsse in der Stadt aufzubrechen.

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Ethnologie und Kulturanthropologie Victoria Hegner

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